Deutsches Regierungssystem [Reprint 2014 ed.] 9783486808445, 9783486257373

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Deutsches Regierungssystem [Reprint 2014 ed.]
 9783486808445, 9783486257373

Table of contents :
1. Kapitel: Grundlagen des parlamentarischen Regierungssystems in 1 Deutschland
§ 1 Zur Geschichte von Verfassung, Staat und Parlament in Deutschland
I. Reich und territoriale Herrschaft im ausgehenden Mittelalter
II. Verfassungsinstitutionen und Verfassungsentwickluch bis 1806
III. Grundzüge konstitutioneller Verfassung und der Übergang zur parlamentarischen Regierungsform
IV. Historische Grundlagen der Parlamentsorganisation
V. Weimar und die Zeit des Nationalsozialismus
VI. Zwei Staaten - eine Nation
§ 2 Parlamentarische und Präsidentielle Regierungssysteme
Einleitung
I. Die Systematisierung und Typologisierung von Regierungssystemen
II. Unterscheidungskriterien zwischen parlamentarischen und präsidentiellen Regierungssystemen
III. Parlamentarische Regierungssysteme
IV. Präsidentielle Regierungssysteme
§ 3 Bedingungen des Politischen: Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und Technik
I. Kooperative Autonomie zwischen Politik, Gesellschaft und Wirtschaft
II. Die politökonomischen Grundlagen von Autonomie der Teilsysteme
III. Profit als Grundlage der Autonomie von Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft
IV. Die Herausforderung des technischen Fortschritts und die gesellschaftliche Bedingtheit der Armutsfalle
V. Globalisierung als Entbettung von Marktwirtschaft und autonomer Zivilgesellschaft: Eine neue Dimension des Politischen?
VI. Perspektiven
2. Kapitel: Konstitutive Elemente des parlamentarischen Regierungssystems
§ 4 Verantwortung als demokratisches Staatsprinzip
I. Einleitung
II. Verantwortung und Institution
III. Das öffentliche Amt
IV. Amt und Demokratie
§5 Verfassungsrechtliche Grundlagen
I. Begriff und Funktion der Verfassung
II. Volkssouveränität
III. Grundrechte, Sozialstaat, Erhaltung natürlicher Lebensgrundlagen
IV. Republik und Demokratie
V. Rechtsstaat
VI. Staatsstruktur und Staatsfunktionen
VII. Systembildende und systemstabilisierende Funktion von Verfassungsnormen
§ 6 Bundesstaatliche Ordnung
I. Die föderalistische Idee und ihre empirische Ausgestaltung
II. Die bundesstaatliche Ordnung des Grundgesetzes
III. Die Exekutive: Dominanz im kooperativen, verflochtenen Föderalismus
IV. Die Legislative: Landesparlamente als dauerhafter Kompetenzverlierer
V. Jüngere Herausforderungen für den deutschen Föderalismus
VI. Reformperspektiven des deutschen Bundesstaates
§7 Kommunale Demokratie
I. Kommunale Selbstverwaltung und lokale Demokratie
II. Rahmenbedingungen kommunalen Handelns
III. Kommunen unter Veränderungsdruck
3. Kapitel: Parlamentarisches Regierungssystem
§ 8 Institutionelle Differenzierung des Regierungssystems
I. Gewaltenteilung
II. Systemische und institutioneile Differenzierung
III. Politische und gesellschaftliche Differenzierungen und Verflechtungen
§ 9 Aufgaben, Organisation und Arbeitsweise des Deutschen Bundestages
I. Aufgaben des Deutschen Bundestages
II. Organisations- und Verfahrensregeln
III. Spezifika des parlamentarischen Verfahrens
IV. Zwecke der Verfahrensordnung und innerparlamentarische Strukturen
V. Organe der Selbstverwaltung
VI. Ausschüsse
VII. Fraktionen
VIII. Aspekte des strukturierten Parlamentarismus
IX. Parlamentarische Hilfsdienste
§ 10 Verfahren des Deutschen Bundestages
I. Verfahren im Deutschen Bundestag
II. Parlamentsverfahren und Öffentlichkeitsgrundsatz
III. Gesetzgebungsverfahren
IV. Verfahren zur Kontrolle und Informationsbeschaffung
§ 11 Regieren / Politische Steuerung
I. Einleitung: Regieren und politische Steuerung
II. Regieren
III. Politische Steuerung
IV. Regieren in der Gegenwart
V. Fazit: Regieren und politische Steuerung iin einer sich dynamisch verändernden Welt
§ 12 Bundeskanzler, Regierungsfunktionen, Regierungszentrale
Einleitung
I. Die institutionell-verfassungsrechtliche Position des Bundeskanzlers im Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland
II. Die funktionale Seite des Regierens
III. Die funktionale Aufgabenverteilung innerhalb der Bundesregierung
IV. Regieren unter den Bedingungen von Koalitionen
V. Das Bundeskanzleramt als Regierungszentrale
§ 13 Der Bundespräsident
I. Das Staatsoberhaupt in der repräsentativen Demokratie
II. Rolle und Funktion des Bundespräsidenten im politischen System der Bundesrepublik
III. Auswahl und Wahl des Bundespräsidenten
IV. Einwirkungsmöglichkeiten des Bundespräsidenten auf die Politik
V. Die Rolle des Bundespräsidialamtes bei der Wahrnehmung von Staatsaufgaben durch den Bundespräsidenten
§ 14 Der Bundesrat
I. Systematische und historische Grundlagen
II. Organisation und Arbeitsweise
III. Aufgaben und Stellung des Bundesrates im politischen Prozess
IV. Bundesstaatlichkeit und Parteipolitik: Bundesrat als oppositionelles Blockadeinstrument?
V. Der Bundesrat als zweite Kammer
§ 15 Das Bundesverfassungsgericht
Einleitung: Der Hüter der Verfassung
I. Die Entstehung des Bundesverfassungsgerichts
II. Das Bundesverfassungsgericht als Gericht
III. Das Bundesverfassungsgericht als Verfassungsorgan
IV. Verfassungsrechtsprechung oder Politikgestaltung?
V. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: Eine inhaltliche Bilanz
VI. Ein Blick in die Zukunft: Das Bundesverfassungsgericht und die europäische Integration
§ 16 Neue Formen regionaler und kooperativer Politik
I. Ausgangslage und Problemstellung
II. Systemdenken als analytischer Zugang
III. Regionale Innovationssysteme: Fokus für zentrale Problembereiche kooperativer Politik
IV. Schlussfolgerungen und offene Fragen
§ 17 Supranationale Einbindungen und internationale Verflechtungen
I. Wachsende internationale Verflechtungen und Erosion traditioneller Staatlichkeit
II. Die Funktionen supranationaler und internationaler Organisationen- und was in Deutschland verbleibt?
III. Wesentliche Organisationen internationalen Regierens
4. Kapitel: Recht, Verwaltung, Wirtschaft
§ 18 Rechtsordnung
I. Grundlagen und Begriffe
II. Geschichte unserer Rechtsordnung: Bürgerliches Recht
III. Die heutige deutsche Rechtsordnung
IV. Die deutsche Rechtsordnung innerhalb Europas
V. Unsere Rechtsordnung auf dem Prüfstand - Justizreform 2000
§ 19 Verwaltungsordnung
I. Einleitung
II. Der Verwaltungsbegriff
III. Aufbau der Verwaltung
IV. Tätigkeits- und Aufgabenbereiche der Verwaltung
V. Mittel der Verwaltung
VI. Grenzen und Kontrolle der Verwaltung
§ 20 Finanzierung staatlicher Aufgaben
I. Einleitung
II. Die Verteilung der staatlichen Aufgaben und Ausgaben
III. Die Verteilung des Steueraufkommens
IV. Verfahren der Haushaltsgesetzgebung und -kontrolle im
§ 21 Staat, parlamentarisches System und wirtschaftlicher Sektor
Einleitung
I. Formen der Staatsintervention
II. Ebenen, Bereiche und Instrumente der staatlich-administrativen Wirtschaftspolitik
III. Institutionen und Akteure
5. Kapitel: Politische Mitwirkung
§ 22 Wahlen
I. Funktionen und Bedeutung der Wahl
II. Wahlsysteme
III. Die (demokratischen) Wahlrechtsgrundsätze
IV. Das Wahlrecht der Bundesrepublik Deutschland
§ 23 Parteien
I. Entstehung und Ausgangslage des Parteiensystems
II. Funktionen der Parteien im parlamentarischen System
III. Die rechtliche Stellung der Parteien
IV. Aktuelle Strukturprobleme des Parteiensystems
V. Entflechtung und Arbeitsteilung zwischen Parteien, Verbänden und gesellschaftlichen Initiativen
VI. Die Rolle einzelner Parteientypen im parlamentarischen System
VII. Ausblick: Politische Parteien und parlamentarisches System-Parteienstaat, Parteiensystem oder Parteiendemokratie?
§ 6 Bundesstaatliche Ordnung
I. Die föderalistische Idee und ihre empirische Ausgestaltung
II. Die bundesstaatliche Ordnung des Grundgesetzes
III. Die Exekutive: Dominanz im kooperativen, verflochtenen Föderalismus
IV. Die Legislative: Landesparlamente als dauerhafter Kompetenzverlierer
V. Jüngere Herausforderungen für den deutschen Föderalismus
VI. Reformperspektiven des deutschen Bundesstaates
§7 Kommunale Demokratie
I. Kommunale Selbstverwaltung und lokale Demokratie
II. Rahmenbedingungen kommunalen Handelns
III. Kommunen unter Veränderungsdruck
3. Kapitel: Parlamentarisches Regierungssystem
§ 8 Institutionelle Differenzierung des Regierungssystems
I. Gewaltenteilung
II. Systemische und institutionelle Differenzierung
III. Politische und gesellschaftliche Differenzierungen und Verflechtungen
§ 9 Aufgaben, Organisation und Arbeitsweise des Deutschen Bundestages
I. Aufgaben des Deutschen Bundestages
II. Organisations- und Verfahrensregeln
III. Spezifika des parlamentarischen Verfahrens
IV. Zwecke der Verfahrensordnung und innerparlamentarische Strukturen
VI. Ausschüsse
VII. Fraktionen
VIII. Aspekte des strukturierten Parlamentarismus
IX. Parlamentarische Hilfsdienste
§ 10 Verfahren des Deutschen Bundestages
I. Verfahren im Deutschen Bundestag
II. Parlamentsverfahren und Öffentlichkeitsgrundsatz
III. Gesetzgebungsverfahren
IV. Verfahren zur Kontrolle und Informationsbeschaffung
§ 11 Regieren / Politische Steuerung
I. Einleitung: Regieren und politische Steuerung
II. Regieren
III. Politische Steuerung
IV. Regieren in der Gegenwart
V. Fazit: Regieren und politische Steuerung iin einer sich dynamisch verändernden Welt
§ 12 Bundeskanzler, Regierungsfunktionen, Regierungszentrale
Einleitung
I. Die institutionell-verfassungsrechtliche Position des Bundeskanzlers im Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland
II. Die funktionale Seite des Regierens
III. Die funktionale Aufgabenverteilung innerhalb der Bundesregierung
IV. Regieren unter den Bedingungen von Koalitionen
V. Das Bundeskanzleramt als Regierungszentrale
§ 13 Der Bundespräsident
I. Das Staatsoberhaupt in der repräsentativen Demokratie
II. Rolle und Funktion des Bundespräsidenten im politischen System der Bundesrepublik
III. Auswahl und Wahl des Bundespräsidenten
IV. Einwirkungsmöglichkeiten des Bundespräsidenten auf die Politik
§ 14 Der Bundesrat
I. Systematische und historische Grundlagen
II. Organisation und Arbeitsweise
III. Aufgaben und Stellung des Bundesrates im politischen Prozess
IV. Bundesstaatlichkeit und Parteipolitik: Bundesrat als oppositionelles Blockadeinstrument?
V. Der Bundesrat als zweite Kammer
§ 15 Das Bundesverfassungsgericht
Einleitung: Der Hüter der Verfassung
I. Die Entstehung des Bundesverfassungsgerichts
II. Das Bundesverfassungsgericht als Gericht
III. Das Bundesverfassungsgericht als Verfassungsorgan
IV. Verfassungsrechtsprechung oder Politikgestaltung ? - Das Bundesverfassungsgericht zwischen Recht und Politik
V. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: Eine inhaltliche Bilanz
VI. Ein Blick in die Zukunft: Das Bundesverfassungsgericht und die europäische Integration
§ 16 Neue Formen regionaler und kooperativer Politik
I. Ausgangslage und Problemstellung
II. Systemdenken als analytischer Zugang
III. Regionale Innovationssysteme: Fokus für zentrale Problembereiche kooperativer Politik
IV. Schlussfolgerungen und offene Fragen
§ 17 Supranationale Einbindungen und internationale Verflechtungen
I. Wachsende internationale Verflechtungen und Erosion traditioneller Staatlichkeit
II. Die Funktionen supranationaler und internationaler Organisationen- und was in Deutschland verbleibt?
III. Wesentliche Organisationen internationalen Regierens
4. Kapitel: Recht, Verwaltung, Wirtschaft
§ 18 Rechtsordnung
I. Grundlagen und Begriffe
II. Geschichte unserer Rechtsordnung: Bürgerliches Recht
III. Die heutige deutsche Rechtsordnung
IV. Die deutsche Rechtsordnung innerhalb Europas
V. Unsere Rechtsordnung auf dem Prüfstand - Justizreform 2000
§ 19 Verwaltungsordnung
I. Einleitung
II. Der Verwaltungsbegriff
III. Aufbau der Verwaltung
IV. Tätigkeits- und Aufgabenbereiche der Verwaltung
V. Mittel der Verwaltung
VI. Grenzen und Kontrolle der Verwaltung
§ 20 Finanzierung staatlicher Aufgaben
I. Einleitung
II. Die Verteilung der staatlichen Aufgaben und Ausgaben
III. Die Verteilung des Steueraufkommens
IV. Verfahren der Haushaltsgesetzgebung und -kontrolle im Deutschen Bundestag
§ 21 Staat, parlamentarisches System und wirtschaftlicher Sektor
Einleitung
I. Formen der Staatsintervention
II. Ebenen, Bereiche und Instrumente der staatlich-administrativen Wirtschaftspolitik
III. Institutionen und Akteure
5. Kapitel: Politische Mitwirkung
§ 22 Wahlen
I. Funktionen und Bedeutung der Wahl
II. Wahlsysteme
III. Die (demokratischen) Wahlrechtsgrundsätze
IV. Das Wahlrecht der Bundesrepublik Deutschland
I. Entstehung und Ausgangslage des Parteiensystems
II. Funktionen der Parteien im parlamentarischen System
III. Die rechtliche Stellung der Parteien
IV. Aktuelle Strukturprobleme des Parteiensystems
V. Entflechtung und Arbeitsteilung zwischen Parteien, Verbänden und gesellschaftlichen Initiativen
VI. Die Rolle einzelner Parteientypen im parlamentarischen System
VII. Ausblick: Politische Parteien und parlamentarisches System - Parteienstaat, Parteiensystem oder Parteiendemokratie?
§ 24 Bürgerbewegungen und Parlament
I. Bürgerbewegungen: Begriff und Struktur
II. Politische, parlamentarische und verfassungsrechtliche Praxis der Bürgerbewegungen
§ 25 Parlament und gesellschaftliche Interessen
Einleitung
I. Gesellschaftliche Interessen in der parlamentarischen Demokratie
II. Die Organisation gesellschaftlicher Interessen im Deutschen Bundestag
III. Der Bundestag als Adressat von gesellschaftlichen Interessen
IV. Das Spannungsverhältnis zwischen Parlamentsfunktionen und parlamentarischer Interessen- und Politikvermittlung
6. Kapitel: Medien, Technik und Politische Kultur
§ 26 Bundestag, Medien und Öffentlichkeit
I. Die Ursprungsidentität von Parlament und Öffentlichkeit
II. Die Differenzierung von politischem und medialem System als Ursache von Konflikten zwischen beiden Systemen
III. Die Differenzierung von politischem und medialem System -Möglichkeiten der Kooperation
IV. Das duale Rundfunksystem in Deutschland
V. Wie Parlamentarier Journalisten sehen und umgekehrt
VI. Die interne Öffentlichkeit des Bundestages: Die „Neuen Medien“ und das Parlament
VII. Wie viel Öffentlichkeit verträgt das Parlament, wie viel Öffentlichkeit braucht es?
§ 27 Konturen elektronischer Demokratie
I. Zum Begriff der „elektronischen Demokratie“
II. Neue Wege der politischen Kommunikation im Internet
III. Verbesserte Partizipationschancen durch das Internet ?
IV. „Elektronische Demokratie“ in der Praxis
V. Ausblick
§ 28 Rechtsetzung und technische Entwicklung
I. Technische Entwicklung und parlamentarische Verantwortung
II. Parlamentsvorbehalt im Technikrecht
III. Unbestimmte Rechtsbegriffe und die Regeln der Technik
IV. Technische Beratung und Normung
V. Das Regelungsmodell des Technikrechts in der Bewertung
§ 29 Politische Kultur: Bürger und Politik
I. Politische Kultur: Die subjektive Seite des politischen Systems
II. Traditionen, Werte, Partizipation: Die Bürger und ihre Demokratie
III. Innere Einheit? - Zur politischen Kultur in Deutschland nach der Einheit
IV. Politische Kultur und Außenpolitik

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Lehr- und Handbücher der Politikwissenschaft Herausgegeben von Dr. Arno Mohr Bisher erschienene Werke: Bellers, Politische Kultur und Außenpolitik im Vergleich Bellers • Benner • Gerke (Hrg.), Handbuch der Außenpolitik Bellers • Frey • Rosenthal, Einfuhrung in die Kommunalpolitik Bellers • Kipke, Einfuhrung in die Politikwissenschaft, 3. Auflage Bierling, Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland Braun • Fuchs • Lemke -Tons, Feministische Perspektiven der Politikwissenschaft Gabriel • Holtmann, Handbuch Politisches System der Bundesrepublik Deutschland, 2. Auflage Glöckler-Fuchs, Institutionalisierung der europäischen Außenpolitik Jäger • Welz, Regierungssystem der USA, 2. Auflage Lehmkuhl, Theorien Internationaler Politik, 3. Auflage Lemke, Internationale Beziehungen Lenz • Ruchlak, Kleines PolitikLexikon Lietzmann • Bleek, Politikwissenschaft - Geschichte und Entwicklung Maier • Rattinger, Methoden der sozialwissenschaftlichen Datenanalyse Mohr (Hrg. mit Claußen, Falter, Prätorius, Schiller, Schmidt, Waschkuhn, Winkler, Woyke), Grundzüge der Politikwissenschaft, 2. Auflage

Naßmacher, Politikwissenschaft, 3. Auflage Pilz • Ortwein, Das politische System Deutschlands, 3. Auflage Rupp, Politische Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, 3. Auflage Reese-Schäfer, Politische Theorie heute Riescher • Ruß • Haas (Hrg.), Zweite Kammern Schmid, Verbände Schumann, Repräsentative Umfrage, 3. Auflage Schwinger, Angewandte Ethik Naturrecht • Menschenrechte Sommer, Institutionelle Verantwortung Wagschal, Statistik für Politikwissenschaftler Waschkuhn, Demokratietheorien Waschkuhn, Kritischer Rationalismus Waschkuhn, Kritische Theorie Wäschkuhn, Pragmatismus Waschkuhn • Thumfart, Politik in Ostdeutschland von Westphalen (Hrg.), Deutsches Regierungssystem Woyke, Europäische Union Xuewu Gu, Theorien der internationalen Beziehungen • Einfuhrung

Deutsches Regierungssystem Herausgegeben von

Prof. Dr. Raban Graf von Westphalen Verfasst von

Prof. Dr. Jürgen Bellers • Prof. Dr. Werner Billing Dipl.-Soz. Kathrin Böck Prof. Dr. Dr. Volker Boehme-Neßler Dr. Detlev Clemens • Min. Rat Martin Doetschmann • Prof. Dr. Hartmut Elsenhans Dr. Dieter Engels • Dr. Wolfgang Gerstiberger Prof. Dr. Klaus Grimmer • Udo Hagedorn RA Karlheinz Hösgen • Dr. Uwe Jun Prof. Dr. Dr. Leo Kißler • Prof. Dr. Dr. Klaus König Dr. Thomas Kneissler • Dipl.-Pol. Thomas Knoll Prof. Dr. Gerhard Kral • Prof. Dr. Emanuel Richter Prof. Dr. Alexander Roßnagel Dr. Gerlinde Sommer • Svetlana Stankovic Dr.. Klaus Stolz • Dr. Wolfgang Ulimann Prof. Dr. Raban Graf von Westphalen R. Oldenbourg Verlag München Wien

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Deutsches Regierungssystem / hrsg. von Raban Graf von Westphalen. Verf. von Jürgen Bellers .... - München ; Wien : Oldenbourg, 2001 (Lehr- und Handbücher der Politikwissenschaft) ISBN 3-486-25737-4

© 2001 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Telefon: (089) 45051-0 www.oldenbourg-verlag.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säure- und chlorfreiem Papier Druck: R. Oldenbourg Graphische Betriebe Druckerei GmbH ISBN 3-486-25737-4

Vorwort Der vorliegende Band Deutsches Regierungssystem geht im Verständnis erheblich über konventionelle Anschauungen von „Regierungssystem" hinaus, insofern er versucht, die Grundlagen demokratischer Herrschaft in Deutschland in ihrem historischen Gewordensein, ihren gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und technischen Bedingtheiten, ihrer staatlichen Organisation und ihren prozeduralen Verfahren und Arbeistsformen darzustellen. Im Rahmen der politikwissenschaftlichen und verfassungsrechtlichen Behandlung der obersten Staatsorgane erfährt der Deutsche Bundestag als institutionelle Mitte eine dementsprechende Gewichtung. Ein weiterer Schwerpunkt liegt in der Darstellung der Länder und Kommunen in ihrer Verflechtung mit der bundesstaatlichen Ebene, welche durch die Behandlung der Rechts- und Verwaltungsordnung sowie die fiskalische Seite des Regierungssystems ergänzt wird. Weiterer Gegenstand ist die partizipatorische Mitgestaltung und Mitwirkung am Politischen. Der Einfluss von Technik, vor allem der neuen Medien als Faktor des Politischen vervollständigt das Lehrbuch. Kapitel und Paragrafen sind untereinander durch Querverweise (->) miteinander verknüpft. Jedem Paragrafen ist grundlegende Literatur vorangestellt, welche durch Quellen und Literaturhinweise im Text ergänzt wird. Das Literaturverzeichnis (S. 651 ff.) umfasst das Schrifttum aller Beiträge, nicht aber erneut die erwähnte Grundlagenliteratur. In der Regel wird die männliche Substantivform der leichteren Lesbarkeit wegen verwendet. Ein Stichwortregister (S. 699fF.) erleichtert - neben dem Inhaltsverzeichnis (S. IX.ff.) - den unmittelbaren Zugang zu speziellen Themengebieten. In erster Linie wendet sich das Lehrbuch an Studierende der Politik- bzw. Staatswissenschaften. Zu hoffen ist, dass es jedem politisch interessierten Leser ein Gewinn ist. Mein Dank gilt allen Autorinnen und Autoren für ihre Arbeit, ihre Hilfen und nicht zuletzt für ihre Geduld. Dem Cheflektor Wirtschafts- und Sozialwissenschaften des Oldenbourg-Verlags München, Herrn Dipl.-Volksw. Martin Weigert, sei für seine Unterstützung wiederum herzlich gedankt. Durch alle herausgeberischen und inhaltlichen Schwierigkeiten hat mich das unbeirrbare und kritische Engagement meiner Frau, Dr. Gerlinde Sommer, begleitet. Ihr verdankt dieses Buch sein Erscheinen in dieser Form. Grossbodungen

R.W.

Inhaltsübersicht Vorwort Inhaltsverzeichnis Abkürzungen 1. Kapitel: Grundlagen des parlamentarischen Regierungssystems in Deutschland § 1 §2 §3

1

Zur Geschichte von Verfassung, Staat und Parlament in Deutschland 1 Parlamentarische und Präsidentielle Regierungssysteme 53 Bedingungen des Politischen: Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und Technik 75

2. Kapitel: Konstitutive Elemente des parlamentarischen Regierungssystems §4 §5 §6 §7

V IX XXVII

99

Verantwortung als Staatsprinzip Verfassungsrechtliche Grundlagen Bundesstaatliche Ordnung Kommunale Demokratie

99 123 141 165

3. Kapitel: Parlamentarisches Regierungssystem

189

§8 §9

189

§10 § 11 §12 § 13 §14 §15 §16 §17

Institutionelle Differenzierung Aufgaben, Organisation und Arbeitsweise des Deutschen Bundestages Verfahren des Deutschen Bundestages Regieren / Politische Steuerung Bundeskanzler, Regierungsfunktionen, Regierungszentrale Der Bundespräsident Der Bundesrat Das Bundesverfassungsgericht Neue Formen regionaler und kooperativer Politik Supranationale Einbindungen und internationale Verflechtungen

205 239 265 289 313 339 363 385 411

4. Kapitel : Recht, Verwaltung, Wirtschaft

419

§ 18 § 19 § 20 §21

419 435 455 475

Rechtsordnung Verwaltungsordnung Finanzierung staatlicher Aufgaben Staat, parlamentarisches System und wirtschaftlicher Sektor

VIII

Inhaltsübersicht

5. Kapitel: Politische Mitwirkung

483

§ § § §

483 499 525 545

22 23 24 25

Wahlen Parteien Bürgerbewegungen und Parlament Parlament und gesellschaftliche Interessen

6. Kapitel: Medien, Technik und Politische Kultur

573

§ 26 § 27 § 28 § 29

573 593 613 633

Bundestag, Medien und Öffentlichkeit Konturen elektronischer Demokratie Rechtsetzung und technische Entwicklung Politische Kultur: Bürger und Politik

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren Literaturverzeichnis Stichwortregister

647 651 699

Inhaltsverzeichnis 1. Kapitel: Grundlagen des parlamentarischen Regierungssystems in Deutschland

1

§1

1

Zur Geschichte von Verfassung, Staat und Parlament in Deutschland Raban Graf von Westphalen

I. Reich und territoriale Herrschaft im ausgehenden Mittelalter 1. Anfänge des Reiches 2. Weltliche und Geistliche Macht 3. Ständische Gliederung 4. Römisches Recht 5. Die Landfrieden und das Reichskammergericht II. Verfassungsinstitutionen und Verfassungsentwickluch bis 1806 1. Reichskreise und Reichstage 2. Konsolidierung und Zerfall des alten Reiches III. Grundziige konstitutioneller Verfassung und der Übergang zur parlamentarischen Regierungsform 1. Monarchisches Prinzip und Ministerverantwortlichkeit 2. Der Übergang zum parlamentarischen Regierungssystem a) Reichstag und Gesetzgebung b) Der Übergang vom Kaiserreich zur Weimarer Republik IV. Historische Grundlagen der Parlamentsorganisation 1. Einleitung 2. Rechtsquellen a) Verfassung und parlamentarische Geschäftsordnungsautonomie b) Die Geschäftsordnung c) Einfache Gesetze 3. Der Vorsitz im Parlament a) Der Alterspräsident b) Der Parlamentsvorsitzende c) Stellvertretung des Parlamentsvorsitzenden: Präsidium, Vorstand, Schriftführer 4. Seniorenkonvent und Ältestenrat 5. Ausschusswesen 6. Parlamentarische Dienste V. Weimar und die Zeit des Nationalsozialismus 1. Die Weimarer Reichsverfassung 2. Die nationalsozialistische Diktatur VI. Zwei Staaten - eine Nation 1. Kapitulation 1945 2. Gründung der Bundesrepublik Deutschland 3. Gründung der DDR 4. Deutsche Einheit

2 2 4 5 6 8 10 10 12 14 14 18 19 24 28 28 28 28 32 33 33 33 34 35 36 37 38 39 40 42 44 44 45 47 49

X §2

Inhaltsverzeichnis Parlamentarische und Präsidentielle Regierungssysteme

53

Emanuel Richter Einleitung I. Die Systematisierung und Typologisierung von Regierungssystemen 1. Die Geschichte der Typologisierungen 2. Das „Politische System" als Leitbegriff II. Unterscheidungskriterien zwischen parlamentarischen und präsidentiellen Regierungssystemen 1. Die Geschichte der zentralen Begriffe 2. Die Differenzierung zwischen „parlamentarischen" und „präsidentiellen" Regierungssystemen III. Parlamentarische Regierungssysteme 1. Das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Legislative und Exekutive 2. Exekutive und Legislative in ihren Eigenarten IV. Präsidentielle Regierungssysteme 1. Die Unabhängigkeit von Exekutive und Legislative 2. Die Personalisierung der Exekutive Schluss §3

Bedingungen des Politischen: Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und Technik

53 55 56 58 59 60 62 65 65 66 68 69 70 72

75

Hartmut Elsenhans 1. Kooperative Autonomie zwischen Politik, Gesellschaft und Wirtschaft 75 II. Die politökonomischen Grundlagen von Autonomie der Teilsysteme 78 III. Profit als Grundlage der Autonomie von Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft 83 IV. Die Herausforderung des technischen Fortschritts und die gesellschaftliche Bedingtheit der Armutsfalle 88 V. Globalisierung als Entbettung von Marktwirtschaft und autonomer Zivilgesellschaft: Eine neue Dimension des Politischen? 92 VI. Perspektiven 97 2. Kapitel: Konstitutive Elemente des parlamentarischen Regierungssystems §4

Verantwortung als demokratisches Staatsprinzip

99 99

Gerlinde Sommer I. Einleitung II. Verantwortung und Institution 1. Begriff der Verantwortung 2. Begriff der Institution

99 100 100 101

Inhaltsverzeichnis

XI

3. Politische Institutionen und die Teilbarkeit von Verantwortung 102 III. Das öffentliche Amt 103 1. Historische Grundlagen im römischen Recht 103 2. Verbreitung des Amtsgedankens in den frühmodemen Territorialstaaten 105 IV. Amt und Demokratie 106 1. Die Idee demokratischer Repräsentation 107 a) Herrschaft als demokratisches Amt 107 b) Amt und Treuhänderschäft (J. Locke) 108 2. Volkssouveränität in der repräsentativen Demokratie 109 a) Die Unvereinbarkeit von Volkssouveränität und Demokratie mit Repräsentation und Gewaltenteilung bei J.-J. Rousseau 109 b) Souveränität als konsistentes Kompetenzsystems (E. J. Sieyes) 111 c) Aktuelle Fragen der Repräsentation 113 (1) Repräsentation und plebiszitäre Elemente 113 (2) Repräsentation in der technologisch geprägten Gesellschaft 114 3. Gewaltenteilung 114 a) Gewaltenteilung als Kompetenz- und Kontrollsystem (C. de Montesquieu) 115 b) Grundrechte und Grundpflichten 117 c) Politische Verantwortung im Grundgesetz 118 d) Gegenwärtige Anforderungen 120 §5

Verfassungsrechtliche Grundlagen

123

Klaus Grimmer I. Begriff und Funktion der Verfassung II. Volkssouveränität III. Grundrechte, Sozialstaat, Erhaltung natürlicher Lebensgrundlagen 1. Grundrechte als Freiheitsrechte 2. Grundrechte als Öffentlichkeitsrechte 3. Sozialbindung des Eigentums 4. Gleichheitsgebot und Diskriminierungsverbot 5. Grundrechte als Teilhaberechte und das Sozialstaatsprinzip 6. Grundrechte, Grundpflichten und die Gestaltungsmacht des Gesetzgebers 7. Legitimationsfunktion der Grundrechte IV. Republik und Demokratie 1. Republik 2. Demokratie a) Demokratie als Formprinzip b) Demokratie und Grundrechte c) Mehrheitsprinzip und Konsensprinzip V. Rechtsstaat 1. Rechtsförmigkeit staatlichen Handelns 2. Verfassungswirksamkeit und Bundesverfassungsgericht 3. Notstandsverordnung

123 125 126 127 128 128 129 129 130 131 132 132 133 133 133 133 136 136 137 13 8

XII

Inhaltsverzeichnis

VI. Staatsstruktur und Staats funktionell VII. Systembildende und systemstabilisierende Funktion von Verfassungsnormen

138

§6

141

Bundesstaatliche Ordnung

139

Uwe Jun und Klaus Stolz I. Die föderalistische Idee und ihre empirische Ausgestaltung II. Die bundesstaatliche Ordnung des Grundgesetzes III. Die Exekutive: Dominanz im kooperativen, verflochtenen Föderalismus IV. Die Legislative: Landesparlamente als dauerhafter Kompetenzverlierer V. Jüngere Herausforderungen für den deutschen Föderalismus 1. Die deutsche Vereinigung 2. Der europäische Integrationsprozess VI. Reformperspektiven des deutschen Bundesstaates

141 144 147 152 155 15 5 158 161

§7

165

Kommunale Demokratie

Kathrin Bäck I. Kommunale Selbstverwaltung und lokale Demokratie 165 1. Selbstverwaltungstraditionen 166 2. Verfassungsrechtliche Grundlagen 168 II. Rahmenbedingungen kommunalen Handelns 169 1. Gemeindeordnungen im Wandel 169 2. Kommunale Entscheidungsstrukturen 170 a) Die Kompetenzverteilung zwischen Politik und Verwaltung 171 b) Die Stellung und die Rechte des Bürgermeisters 171 c) Informelle Entscheidungsstrukturen in der kommunalpolitischen Praxis 173 d) Bestimmungsfaktoren kommunaler Entscheidungsprozesse 173 3. Kommunale AufgabenerfÜllung 174 a) Selbstverwaltungsaufgaben und Auftragsangelegenheiten 174 b) Finanzielle Abhängigkeiten 175 c) Veränderte Anforderungen und kommunale Gebietsreformen 176 d) Von der Funktionalreform zur Verwaltungsmodernisierung 178 III. Kommunen unter Veränderungsdruck 179 1. Kommunale Verwaltungsmodernisierung nach dem „Neuen Steuerungsmodell" 180 a) Zentrale Zielsetzungen und Elemente 180 b) Reformanspruch und Reformwirklichkeit 181 2. Bürgerinnen und Bürger als Akteure lokaler Demokratie 183 a) Kommunale Reformen 183 b) „Neue Beteiligungsmodelle" auf kommunaler Ebene 185 c) Lokale Agenda 21-Prozesse - Auf dem Weg zur nachhaltigen Kommune 187

Inhaltsverzeichnis 3. Ausblick: Die „Bürgerkommune" - Wunschbild oder machbare Utopie?

XIII

188

3. Kapitel: Parlamentarisches Regierungssystem

189

§8

189

Institutionelle Differenzierung des Regierungssystems Klaus Grimmer

I. Gewaltenteilung 190 II. Systemische und institutionelle Differenzierung 191 1. Ebene des Regierungs, Ordnens, Integrierens und Repräsentierens 193 a) Parlament 193 b) Regierung 193 c) Verwaltung 194 d) Organe der Rechtsprechung 195 e) Bundesstaatlichkeit 195 f) Kommunen 196 g) Bundespräsident 196 2. Ebene der politischen Interessenorganisation und -Vermittlung 196 a) Politische Parteien 196 b) Institutionalisierte Formen der Rückbindung 197 c) Verbände und andere Interessenorganisationen 197 3. Ebene politischer Partizipation und Öffentlichkeit 198 a) Politische Öffentlichkeit 198 b) Bürgerinitiativen, neue soziale Bewegungen, politische Demonstration 199 c) Außerparlamentarische Opposition, ziviler Ungehorsam, Widerstandsrecht 199 4. Verselbständigte Einrichtungen 200 5. Mischformen 200 III. Politische und gesellschaftliche Differenzierungen und Verflechtungen 200 1. Institutionelle Leistungsfähigkeit 202 2. Institutionelle Verflechtungen 203 3. Funktionelle Differenzierung und staatliche Einheit 203 §9

Aufgaben, Organisation und Arbeitsweise des Deutschen Bundestages

205

Dieter Engels I. Aufgaben des Deutschen Bundestages II. Organisations- und Verfahrensregeln 1. Rechtliche Regeln 2. Verfahrensabsprachen; Parlamentsbrauch 3. Informelle Regeln III. Spezifika des parlamentarischen Verfahrens

205 205 206 206 206 207

XIV

Inhaltsverzeichnis

1. Rahmenbedingungen für die Verfahrensgestaltung 2. Funktionen der parlamentarischen Verfahrensregeln 3. Gliederung des Bundestages in Fraktionen und Ausschüsse IV. Zwecke der Verfahrensordnung und innerparlamentarische Strukturen 1. Plenum und Ausschüsse 2. Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz 3. Fraktionen und einzelnes Parlamentsmitglied 4. Zwecke der Verfahrensordnung V. Organe der Selbstverwaltung 1. Der Präsident 2. Das Präsidium 3. Der Ältestenrat VI. Ausschüsse 1. Fachausschüsse a) Zusammensetzung und Grundzüge der Organisation der Fachausschüsse b) Aufgaben der Fachausschüsse c) Grundzüge des Ausschussverfahrens 2. Gremien mit besonderen investigativen oder kontrollierenden Aufgaben 3. Sonstige Gremien VII. Fraktionen 1. Arbeitsteilige Strukturen der Fraktionen 2. Prozesse der fraktionsinternen Willensbildung und Entscheidungsfindung 3. Fraktionsdisziplin VIII. Aspekte des strukturierten Parlamentarismus 1. Zur Rechtsstellung der einzelnen fraktionsangehörigen Abgeordneten 2. Zur Rechtsstellung fraktionsloser Abgeordneter 3. Gruppen i.S.v. § 10 Abs. 4 GO-BT IX. Parlamentarische Hilfsdienste 1. Mitarbeiterinnen der Fraktionen 2. Mitarbeiterinnen der Abgeordneten 3. Bundestagsverwaltung

207 208 208 210 210 211 214 215 215 215 217 217 220 220

§ 10

239

Verfahren des Deutschen Bundestages

220 220 223 224 225 226 226 228 230 231 232 234 235 235 235 236 236

Dieter Engels I. Verfahren im Deutschen Bundestag II. Parlamentsverfahren und Öffentlichkeitsgrundsatz 1. Öffentliche Plenarverfahren 2. Nichtöffentliche Ausschussverfahren 3. Maßnahmen des Diskretionsschutzes III. Gesetzgebungsverfahren 1. Verfahren auf Initiative der Bundesregierung a) Zuleitung an den Bundesrat

239 240 240 242 243 244 244 245

Inhaltsverzeichnis

XV

b) Verfahren im Bundestag 246 (1) Die erste Lesung 246 (2) Die Beratungen des federführenden Ausschusses 247 (3) Die Beratungen des Haushaltsausschusses gem. § 96 GO-BT 251 (4) Die zweite und dritte Lesung 252 c) Der Abschluss des Verfahrens 253 2. Verfahren auf Initiative des Bundesrates 255 3. Gesetzentwürfe aus der Mitte des Bundestages 255 IV. Verfahren zur Kontrolle und Informationsbeschaffung 256 1. Verfahren in Fachausschüssen 256 2. Zitierrecht, Berichte der Bundesregierung, Kleine und Große Anfragen, Fragestunden 257 a) Zitierrecht 258 b) Berichte und Unterrichtungen der Bundesregierung 258 c) Kleine und Große Anfragen 259 d) Fragestunde 260 3. Sonstige Verfahren zur Kontrolle und Informationsbeschaffung 260 a) Informationsrechte des Petitionsausschusses 261 b) Kontrolle der Bundeswehr: Wehrbeauftragter und Verteidigungsausschuss als Untersuchungsausschuss 262 c) Untersuchungsausschüsse nach Art. 44 GG 263 § 11

Regieren / Politische Steuerung

265

Thomas Kneissler I. Einleitung: Regieren und politische Steuerung II. Regieren 1. Regieren: Unterschiedliche Sichtweisen eines komplexenProblems 2. Rahmenbedingungen des Regierens in Deutschland 3. Regierung in der Abgrenzung zu Verwaltung und Parlament 4. Föderalismus als spezifische Restriktion des Regierens in Deutschland 5. Die Verwaltungsorganisationen als Basis des Regierens 6. Informelle Entscheidungsstrukturen als Realität des Regierens III. Politische Steuerung 1. Politische Steuerung: Begriffsbestimmung 2. Die Entwicklung des Konzepts der politischen Steuerung 3. Theoretische Ansätze als Grundlagen der Einschätzung der Steuerungsmöglichkeiten a) Systemtheorie als ein steuerungspessimistischer Ansatz b) Handlungstheorie als ein verhalten steuerungsoptimistischer Ansatz 4. Steuerungsinstrumente und -medien IV. Regieren in der Gegenwart 1. Netzwerke und Verhandlungssysteme als dominierende Formen modernen Regierens

265 266 266 268 270 271 273 274 276 276 277 279 279 280 281 283 283

XVI

Inhaltsverzeichnis

2. Auswirkung von Globalisierung und Europäisierung auf die Möglichkeiten des Regierens a) Entwicklungen der Globalisierung und Europäisierung b) Globalisierung und Europäisierung als Aufgaben der Regierung V. Fazit: Regieren und politische Steuerung iin einer sich dynamisch verändernden Welt

§ 12

Bundeskanzler, Regierungsfunktionen, Regierungszentrale

286 286 286 288

289

Klaus König und Thomas Knoll Einleitung I. Die institutionell-verfassungsrechtliche Position des Bundeskanzlers im Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland 1. Das Kanzlerprinzip 2. Das Ressortprinzip und das Kabinetts- oder Kollegialprinzip II. Die funktionale Seite des Regierens 1. Regierungsfunktionen aus den Anfängen der Regierungslehre 2. Regierungsfunktionen aus der Organisationstheorie 3. Ein funktionaler Regierungsbegriff als Synthese III. Die funktionale Aufgabenverteilung innerhalb der Bundesregierung IV. Regieren unter den Bedingungen von Koalitionen V. Das Bundeskanzleramt als Regierungszentrale 1. Die Organisation des Bundeskanzleramtes 2. Funktionen des Bundeskanzleramtes

§13

Der Bundespräsident

289 290 290 294 295 295 296 296 297 301 304 304 307

313

Werner Billing I. Das Staatsoberhaupt in der repräsentativen Demokratie 313 II. Rolle und Funktion des Bundespräsidenten im politischen System der Bundesrepublik 314 1. Grundlegende Weichenstellung des Grundgesetzes für das Verhältnis von Bundespräsident und Bundeskanzler / Bundesregierung 314 2. Das Rechtsinstitut der Gegenzeichnung 314 3. Funktionen 315 4. Gebot der Konkordanz 316 III. Auswahl und Wahl des Bundespräsidenten 317 1. Rechtliche Regelung 317 2. Kandidatenauslese und Wahlpraxis 320 3. Reform des Bestellungsverfahrens? 321 IV. Einwirkungsmöglichkeiten des Bundespräsidenten auf die Politik 322 1. Die Rolle des Bundespräsidenten bei der Regierungsbildung 322 a) Präsentation und Ernennung des Bundeskanzlers 322 b) Ernennung und Entlassung der Bundesminister 323

Inhaltsverzeichnis

XVII

c) Handhabung in der Praxis 324 2. Prüfungsbefugnis des Bundespräsidenten bei der Gesetzesausfertigung 324 a) Verfassungsrechtliche Grundlagen 324 b) Handhabung in der Praxis 327 3. Die Mitwirkung des Bundespräsidenten bei der Ernennung und der Entlassung von Bundesrichtern, Bundesbeamten und Offizieren 328 a) Verfassungsrechtliche Grundlage 328 b) Handhabung in der Praxis 329 4. Die Rolle des Bundespräsidenten in Krisensituationen 329 a) Regierungs- und Parlamentskrise 329 ( 1 ) Vertrauensfrage nach Art. 68 GG 330 (2) Gesetzgebungsnotstand 330 (3) Politische Praxis 330 b) Der Verteidigungsfall 3 31 5. Die völkerrechtliche Vertretungsbefugnis des Bundespräsidenten 331 6. Einflussnahme des Bundespräsidenten über die Wahrnehmung von Aufgaben staatlicher Repräsentation 333 a) Öffentliche Äußerungen als Mittel der Einflussnahme 333 b) Staatsbesuche im Ausland 335 V. Die Rolle des Bundespräsidialamtes bei der Wahrnehmung von Staatsaufgaben durch den Bundespräsidenten 335 1. Status, Funktion und Organisation des Bundespräsidialamtes 335 2. Die Mitwirkung des Bundespräsidialamtes am Willensbildungsund Entscheidungsprozess des Bundespräsidenten 336 § 14

Der Bundesrat

339

UweJun I. Systematische und historische Grundlagen II. Organisation und Arbeitsweise III. Aufgaben und Stellung des Bundesrates im politischen Prozess IV. Bundesstaatlichkeit und Parteipolitik: Bundesrat als oppositionelles Blockadeinstrument? V. Der Bundesrat als zweite Kammer

339 341 346

§ 15

363

Das Bundesverfassungsgericht

352 357

Volker Boehme-Neßler Einleitung: Der Hüter der Verfassung I. Die Entstehung des Bundesverfassungsgerichts II. Das Bundesverfassungsgericht als Gericht 1. Selbständiges und unabhängiges Bundesgericht 2. Innere Organisation 3. Der Verfassungsprozess: Einzelne Grundsätze des Verfahrens vor

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XVIII Inhaltsverzeichnis dem Bundesverfassungsgericht 367 4. Die verfassungsprozessualen Verfahrensarten 368 a) Organstreit 368 b) Abstrakte Normenkontrolle 369 c) Konkrete Normenkontrolle 370 d) Bund-Länder-Streitigkeiten 370 e) Verfassungsbeschwerden 370 f) Sonstige Verfahren 371 III. Das Bundesverfassungsgericht als Verfassungsorgan 371 1. Das Bundesverfassungsgericht als Verfassungsorgan: Begriff, organisatorische und rechtliche Konsequenzen 372 2. Die politische Macht des Bundesverfassungsgerichts 372 a) Die Interpretationsmacht des Bundesverfassungsgerichts 373 b) Die Wirkungen des Bundesverfassungsgerichts und seiner Entscheidungen 373 3. Die demokratische Legitimation des Bundesverfassungsgerichts 374 IV. Verfassungsrechtsprechung oder Politikgestaltung ? Das Bundesverfassungsgericht zwischen Recht und Politik 375 1. Recht und Politik 376 2. Die Grenzen des Bundesverfassungsgerichts 376 a) Funktionelle Grenzen des Bundesverfassungsgerichts 376 b) Tatsächliche Grenzen des Bundesverfassungsgerichts 379 3. Die Sanktion für Grenzüberschreitungen: Autoritätsverlust des Bundesverfassungsgerichts 379 V. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: Eine inhaltliche Bilanz 380 1. Ein materielles Verfassungsverständnis 380 2. Die umfassende Bedeutung der Grundrechte 381 3. Die Gefahr: Verrechtlichung von Politik und Gesellschaft 382 VI. Ein Blick in die Zukunft: Das Bundesverfassungsgericht und die europäische Integration 382 §16

Neue Formen regionaler und kooperativer Politik

385

Wolfgang Gerstiberger I. Ausgangslage und Problemstellung 1. Neue Politikformen als Herausforderung für das parlamentarische System 2. Kooperative Politik: Kennzeichen und Zieldimensionen 3. Quantität und Qualität neuer kooperativer Politikformen a) Public-Private-Partnerships b) Regionalkonferenzen, Städtenetzwerke und Informationsverbünde c) Stadt-Umland-Verbände und neue raumplanerische Instrumente d) Modelle direkter Bürgerbeteiligung 4. Chancen und Risiken neuer Formen kooperativer Politik

385 385 387 389 390 391 392 392 394

Inhaltsverzeichnis a) Chancen für das parlamentarische System und die einzelnen Akteure b) Wirtschaftliche, politische und soziale Risiken II. Systemdenken als analytischer Zugang 1. Organisationstheoretische Perspektiven für die Bestands- und Leistungsfähigkeit sozialer Systeme 2. Problematiken unterschiedlicher Handlungsrahmen in sozialen Systemen 3. Innovationssysteme als exemplarisches Untersuchungsfeld III. Regionale Innovationssysteme: Fokus für zentrale Problembereiche kooperativer Politik 1. Region als neue Handlungsebene 2. Interne und externe Einflussfaktoren IV. Schlussfolgerungen und offene Fragen

§ 17

Supranationale Einbindungen und internationale Verflechtungen

XIX

395 396 398 399 400 401 405 406 407 409

411

Jürgen Bellers I. Wachsende internationale Verflechtungen und Erosion traditioneller Staatlichkeit 411 II. Die Funktionen supranationaler und internationaler Organisationen - und was in Deutschland verbleibt? 412 III. Wesentliche Organisationen internationalen Regierens 413 1. Die Europäische Union (EU): Rregionalwirtschaftliche und regionalpolitische Verflechtungen des Regierens in Deutschland 413 2. UN und NATO: global- und regionalmilitärische Verflechtungen des Regierens in Deutschland 415 3. Internationaler Währungsfonds (IWF), Weltbank, WelthandelsOrganisation (WTO), vormals GATT) und OECD: Weltwirtschaftliche Aspekte des Regierens in Deutschland 416 4. Kapitel: Recht, Verwaltung, Wirtschaft § 18

Rechtsordnung

419

Karlheinz Hösgen I. Grundlagen und Begriffe II. Geschichte unserer Rechtsordnung: Bürgerliches Recht 1. Das römische Recht 2. Das deutsche Recht III. Die heutige deutsche Rechtsordnung 1. Verfassungsgrundsätze 2. Unterteilung des Rechts a) Privatrecht

419 421 421 421 423 423 424 424

XX

Inhaltsverzeichnis

b) Öffentliches Recht 3. Gerichtsbarkeit IV. Die deutsche Rechtsordnung innerhalb Europas V. Unsere Rechtsordnung auf dem Prüfstand - Justizreform 2000 1. Erste Instanz 2. Berufung (Zweite Instanz) 3. Revision 4. Auswirkungen auf die Anwaltschaft 5. Ziel

426 428 430 431 431 432 433 433 433

§19

435

Verwaltungsordnung Karlheinz Hösgen

I. Einleitung 1. Geschichte der Verwaltung 2. Private und öffentliche Verwaltung II. Der Verwaltungsbegriff 1. Umschreibung des allgemeinen Verwaltungsbegriffes 2. Der Verwaltungsbegriff im engeren Sinne III. Aufbau der Verwaltung 1. Rechtsfähigkeit der Verwaltungsträger 2. Die Arten der Verwaltungsträger 3. Struktur der Behörden a) Bundesbehörden b) Landesbehörden c) Ämter 4. Personalwesen der Verwaltung 5. Sachmittel der Verwaltung IV. Tätigkeits- und Aufgabenbereiche der Verwaltung 1. Zuständigkeit 2. Arten des Verwaltungshandelns a) Rechtsformen des Verwaltungshandelns b) Zweckgerichtete Unterscheidung des Verwaltungshandelns (1) Eingriffsverwaltung (2) Bedarfsverwaltung (3) Leistungsverwaltung (4) Fiskalische Verwaltung V. Mittel der Verwaltung 1. Der Verwaltungsakt a) Die Begriffsmerkmale (1) Maßnahme (2) Hoheitlich (3) Behörde (4) Regelung (5) Einzelfall (6) Öffentliches Recht (7) Außenwirkung

435 435 436 437 437 437 438 438 438 439 439 440 440 441 441 442 442 443 443 444 444 444 444 444 445 445 446 446 446 446 446 446 446 447

Inhaltsverzeichnis b) Arten von Verwaltungsakten (1) Befehlende Verwaltungsakte (2) Gestaltende Verwaltungsakte (3) Feststellende Verwaltungsakte (4) Begünstigende Verwaltungsakte (5) Belastende Verwaltungsakte (6) Gebundene Verwaltungsakte (7) Ermessensakte (8) Gesetzesfreie Verwaltungsakte (9) Der Realakt (10) Der Verwaltungsvertrag (11) Die Rechtsverordnung (12) Verwaltungszwang VI. Grenzen und Kontrolle der Verwaltung 1. Die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung a) Der Vorrang des Gesetzes b) Der Vorbehalt des Gesetzes 2. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 3. Staatliche Aufsicht 4. Rechtsschutz für durch Verwaltungsmaßnahmen Betroffene a) Widerspruch b) Verwaltungsgerichtlicher Schutz § 20

Finanzierung staatlicher Aufgaben

XXI 447 447 447 447 448 448 448 448 449 449 449 450 450 450 450 451 451 451 452 452 452 452 455

Martin Doetschmann und Dieter Engels I. Einleitung II. Die Verteilung der staatlichen Aufgaben und Ausgaben 1. Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern 2. Der Grundsatz gesonderter Ausgabentragung a) Gesonderte Ausgabentragung bei der Ausführung von Gesetzen b) Gesonderte Ausgabentragung bei der gesetzesfreien Verwaltung 3. Ausnahmen vom Konnexitätsprinzip a) Auftragsverwaltung b) Geldleistungsgesetze c) Finanzhilfen d) Gemeinschaftsaufgaben III. Die Verteilung des Steueraufkommens 1. Steuern als wesentliche Einnahmequelle des Staates 2. Grundlagen 3. Vertikale Steuerverteilung zwischen Bund und Ländern 4. Horizontale Verteilung des Länderanteils auf die einzelnen Länder 5. Finanzausgleich unter den Ländern und Ergänzungszuweisungen des Bundes an finanzschwache Länder IV. Verfahren der Haushaltsgesetzgebung und -kontrolle im

455 456 456 456 456 456 457 457 458 458 458 459 459 460 461 463 463

XXII

Inhaltsverzeichnis

Deutschen Bundestag 1. Haushaltsgesetz a) Die Aufstellung des Bundeshaushaltes b) Die Beratungen des Bundestages (1) Die erste Lesung (2) Das Verfahren des Haushaltsausschusses (3) Die zweite und dritte Lesung c) Der Abschluss des Verfahrens 2. Verfahren der begleitenden Haushaltskontrolle a) Plenarverfahren b) Delegation von Rechten des Bundestages auf den Haushaltsausschuss c) Sonstige Kontroll- und Informationsinstrumente des Haushaltsausschusses 3. Die nachträgliche Haushaltskontrolle

§ 21

Staat, parlamentarisches System und wirtschaftlicher Sektor

464 465 465 468 468 468 470 471 471 471 472 473 473

475

Jürgen Bellers und Udo Hagedorn Einleitung I. Formen der Staatsintervention II. Ebenen, Bereiche und Instrumente der staatlich-administrativen Wirtschaftspolitik III. Institutionen und Akteure

475 476

5. Kapitel: Politische Mitwirkung

483

§ 22

483

Wahlen

478 480

Gerhard Kral I. Funktionen und Bedeutung der Wahl II. Wahlsysteme 1. Mehrheitswahl (Persönlichkeitswahlsystem) 2. Verhältniswahl (Listenwahlsystem) III. Die (demokratischen) Wahlrechtsgrundsätze 1. Allgemeine Wahl 2. Mittel- und unmittelbare Wahl 3. Freie Wahl 4. Gleiche Wahl 5. Geheime und öffentliche Wahl IV. Das Wahlrecht der Bundesrepublik Deutschland 1. Wahlen zum Deutschen Bundestag 2. Landtagswahlen 3. Kommunalwahlen 4. Wahlen zum Europäischen Parlament

483 486 487 488 489 490 490 491 491 492 493 493 495 497 498

Inhaltsverzeichnis XXIII § 23

Parteien

499

Wolfgang Gerstiberger I. Entstehung und Ausgangslage des Parteiensystems 1. Unterschiedliche Forschungskonzepte 2. Kurze historische Einordnung der (Groß-)Parteien II. Funktionen der Parteien im parlamentarischen System 1. Bündelung und Artikulation politischer Interessen 2. Horizontaler und vertikaler Interessenausgleich 3. Auswahlfunktion 4. Bildungsfunktion 5. Früherkennung gesamtgesellschaftlicher Probleme 6. Aktuelle Herausforderung für das Parteiensystem III. Die rechtliche Stellung der Parteien 1. Gesetzliche Grundlagen 2. Formaler Parteienaufbau 3. Staatliche Parteienfinanzierung und Parteienkritik IV. Aktuelle Strukturprobleme des Parteiensystems 1. Allzuständigkeit versus Beschränkung der Parteiaufgaben 2. Rückläufige Mitgliederentwicklung versus Stärkung direkter Bürger- und Mitgliederbeteiligung sowie neuer, projektbezogener Parteiarbeit 3. Regionale und soziale Zersplitterung des Parteiensystems versus programmatische Neuorientierung V. Entflechtung und Arbeitsteilung zwischen Parteien, Verbänden und gesellschaftlichen Initiativen 1. Das Verhältnis von Verbänden und Parteien 2. Das Verhältnis von gesellschaftlichen Initiativen und Parteien VI. Die Rolle einzelner Parteientypen im parlamentarischen System 1. Großparteien: allmählicher Wandel von Catch-All-Parties oder Volksparteien zu Quotenparteien 2. Bündnis 90/die Grünen und FDP: Dritte und vierte Kraft im Parteiensystem und Milieuparteien der alten Bundesländer 3. PDS als regionale und soziale Milieupartei der neuen Bundesländer 4. Extreme Parteien: Zwischen punktuellen, spektakulären Erfolgen und konstanter Bedeutungslosigkeit 5. Ein-Punkt- und Statt-Parteien: Protest als Programm VII. Ausblick: Politische Parteien und parlamentarisches System - Parteienstaat, Parteiensystem oder Parteiendemokratie?

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XXIV Inhaltsverzeichnis § 24

Bürgerbewegungen und Parlament

525

Wolfgang Ulimann I. Bürgerbewegungen: Begriff und Struktur 1. Grenzen der Repräsentation 2. Der Begriff der Bürgerbewegung II. Politische, parlamentarische und verfassungsrechtliche Praxis der Bürgerbewegungen 1. Alternative Partei und Bürgerbewegungen als politische Vereinigungen 2. Wahlrecht und Wahlpraxis auf kommunaler, territorialer und nationaler Ebene 3. Wahlrecht und Wahlgesetz 4. Finanzierung und Chancengleichheit 5. Bürgerbewegungen im Verfassungsrecht

525 525 528

§ 25

545

Parlament und gesellschaftliche Interessen

530 530 535 537 539 540

Leo Kißler Einleitung I. Gesellschaftliche Interessen in der parlamentarischen Demokratie 1. Was heißt „gesellschaftliche" Interessen? Dimensionen des Interessenbegriffs 2. Interessenorganisation und politische Repräsentation: Die parlamentsbezogene Interessenvermittlung 3. Interessenorganisation und Parlamentsöffentlichkeit: Die parlamentarische Politikvermittlung II. Die Organisation gesellschaftlicher Interessen im Deutschen Bundestag 1. Der Abgeordnete als Interessenvertreter: Die interne Lobby 2. Die Fraktion als parlamentarische Organisationsform von gesellschaftlichen Interessen 3. Das Sozialprofil des Bundestages als Abbild gesellschaftlicher Interessen III. Der Bundestag als Adressat von gesellschaftlichen Interessen 1. Interessenvermittlung durch Pressure-Strategien 2. Interessenvermittlung durch mittelbare Einflussnahme auf den parlamentarischen Prozess 3. Interessenvermittlung durch informelle Kommunikation 4. Interessenvermittlung als Einflusschance IV. Das Spannungsverhältnis zwischen Parlamentsfunktionen und parlamentarischer Interessen- und Politikvermittlung 1. Die Repräsentationsfunktion: Aushöhlung der politischen Repräentation durch ungleiche soziale Interessenrepräsentation ? 2. Die Öffentlichkeitsfunktion: Parlamentsöffentlichkeit versus neue „Arkanhaltung" 3. Strukturelle Entmachtung des Parlaments durch Gouvemementa-

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Inhaltsverzeichnis lisierung der Interessenvermittlung

XXV 570

6. Kapitel: Medien, Technik und Politische Kultur

573

§ 26

573

Bundestag, Medien und Öffentlichkeit Jürgen Bellers und Svetlana Stankovic

I. Die Ursprungsidentität von Parlament und Öffentlichkeit II. Die Differenzierung von politischem und medialem System als Ursache von Konflikten zwischen beiden Systemen III. Die Differenzierung von politischem und medialem System - Möglichkeiten der Kooperation 1. Die Ressourcenfunktion 2. Die Innovationsfunktion 3. Die operative Funktion IV. Das duale Rundfunksystem in Deutschland V. Wie Parlamentarier Journalisten sehen und umgekehrt VI. Die interne Öffentlichkeit des Bundestages: Die „Neuen Medien" und das Parlament VII. Wie viel Öffentlichkeit verträgt das Parlament, wie viel Öffentlichkeit braucht es?

581 5 81 582 582 584 586

§ 27

593

Konturen elektronischer Demokratie

573 575

587 589

Detlev Clemens I. Zum Begriff der „elektronischen Demokratie" II. Neue Wege der politischen Kommunikation im Internet III. Verbesserte Partizipationschancen durch das Internet ? IV. „Elektronische Demokratie" in der Praxis 1. Öffentlichkeitsarbeit von Parlamenten und Abgeordneten im Internet 2. Parteien und Wahlkämpfe im Internet V.Ausblick

593 598 601 605

§28

613

Rechtsetzung und technische Entwicklung

605 607 610

Alexander Rossnagel I. Technische Entwicklung und parlamentarische Verantwortung II. Parlamentsvorbehalt im Technikrecht III. Unbestimmte Rechtsbegriffe und die Regeln der Technik IV. Technische Beratung und Normung 1. Zur Geschichte technischer Politikberatung und Normung 2. Technische Beratungsgremien und öffentlichrechtliche Normungsausschüsse

613 614 617 619 619 620

XXVI Inhaltsverzeichnis 3. Private Normungsverbände a) Nationale Normungsverbände b) Internationale Normungsverbände 4. Rechtliche Geltung der Regeln der Technik V. Das Regelungsmodell des Technikrechts in der Bewertung 1. Verfassungsrechtliche Bewertung 2. Politische Bewertung 3. Stärkung und Entlastung parlamentarischer Techniksteuerung

621 621 623 624 625 625 626 628

§ 29

633

Politische Kultur: Bürger und Politik Volker Boehme-Neßler

I. Politische Kultur: Die subjektive Seite des politischen Systems II. Traditionen, Werte, Partizipation: Die Bürger und ihre Demokratie 1. Die Dynamik der politischen Kultur 2. Demokratieferne Traditionen der politischen Kultur in Deutschland 3. Der Verfassungskonsens: Grundsätzliche Akzeptanz der westlichen Demokratie 4. Partizipation: Die Teilnahme der Bürger am Staat a) Formen der Partizipation b) Die normative Frage: Wie viel Partizipation braucht die Demokratie? c) Partizipation in Deutschland: Entwicklungslinien und empirische Befunde 5. Parteienverdrossenheit, Politikverdrossenheit, Staatsverdrossenheit a) Parteienverdrossenheit b) Von der Parteienverdrossenheit zur Politik- und Staatsverdrossenheit? III. Innere Einheit? - Zur politischen Kultur in Deutschland nach der Einheit 1. Ein Staat, zwei politische Kulturen: Unterschiede zwischen Ost und West 2. Problem oder Problemlösung? - Die Dominanz der westdeutschen politischen Kultur IV. Politische Kultur und Außenpolitik

633 635 635 636 637 638 638 638 639 640 640 642 642 642 644 645

Abkürzungen Das Abkürzungsverzeichnis folgt in der Regel H. Kirchner: Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache. Berlin 1993. Abs. Abt. APuZ AöR Art. Aufl. Ausg. BAGE BAnz Bd./Bde BGBl. (I) BGB BHO BW GO BimSchG BT-Drs. BVerfG(E) BVerwG (E) BWahlG ca. CEN CENELEC Co. DDR ders./dies. d.h. DIN DÖV Dok. Drs. DVB1. DVerwGesch DVPW ebd. EG EGKS EGV einschl. erw. etc. EU

Absatz Abteilung Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zu „Das Parlament' Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Auflage Ausgabe Entscheidungen des Arbeitsgerichts Bundesanzeiger Band/Bände Bundesgesetzblatt (Teil I) Bürgerliches Gesetzbuch Bundeshaushaltsordnung Gemeindeordnung für Baden-Württemberg Bundesimmissionsschutz-Gesetz Bundestags-Drucksache Bundesverfassungsgericht (Entscheidungen des) Bundesverwaltungsgericht (Entscheidungen des) Bundeswahlgesetz circa Comitée Européen de Normalisation Comitée Européen de Normalisation Electrotechnique Cooperation Deutsche Demokratische Republik derselbe/dieselbe (n) das heißt Deutsches Institut für Normung Die öffentliche Verwaltung Dokumente Drucksache Deutsches Verwaltungsblatt Deutsche Verwaltungsgeschichte. Hg. von Jeserich, Kurt G.A. / Pohl, Hans / v. Unruh, Georg-Christoph. Stuttgart, 1983ff., 6 Bde Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft Ebenda Europäische Gemeinschaften Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft einschließlich erweitert(e) et cetera Europäische Union

XXVIII Abkürzungen EuGHE EuZW EWG f., ff. FAG FAZ FR Fußn. G. GATT geänd. GeschOBRg GeschORT GG ggfGGO GO GO-BT GO Nds. GO NW GO RPf GO-RT GO LSA GVG HdbStR Hg. HGB HGO i.d.F. i.d.R. i.e. i.e.S. i.V.m. Jhd. JöR JuS JZ Kap. KGSt KSZE KV MV Lfd. m. m.a.W. MdB

Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (Entscheidungen des) Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäische Wirtschaftsgemeinschaft fortfolgend, fortfolgende Finanzausgleich Frankfurter Allgemeine Zeitung Frankfurter Rundschau Fußnote Gesetz General Agreement on Tariffs and Trade geändert Geschäftsordnung der Bundesregierung Geschäftsordnung des Reichstages vom 1.1.1922 Grundgesetz gegebenenfalls Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien Geschäftsordnung Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages Niedersächsische Gemeindeordnung Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen Gemeindeordnung für Rheinland-Pfalz Geschäftsordnung des Reichstages 1871 Gemeindeordnung für das Land Sachsen-Anhalt Gerichtsverfassungsgesetz J. Isensee / P. Kirchhof (1987ff.) (Hg.): Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland. Heidelberg, 7 Bde Herausgeber Handelsgesetzbuch Hessische Gemeindeordnung in der Fassung in der Regel im einzelnen im engeren Sinne in Verbindung mit Jahrhundert Jahrbuch des öffentlichen Rechts Juristische Schulung Juristenzeitung Kapitel Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung Konferenz über Sicherheit und Zuammenarbeit in Europa Kommunalverfassung für Mecklenburg-Vorpommern laufend mit mit anderen Worten Mitglied des Deutschen Bundestages

Abkürzungen X X I X Mio. Mrd. m.w.N. NATO NdsStGH NdsVBl. neubearb. N.F. NJW NPL Nr. NVwZ NSDAP NSM o.g. OSZE PrStO PVS rd. rev. RGBl. Rn RV S. s. s.a. SBZ SED SGB sog. Sp. StGB StOP s.u. T. u. u.a. u.a.m. überarb. UN US u.U. u.v.m. V.

v.a. VDE VDI VfGH

Million(en) Milliarde(n) mit weiteren Nachweisen North Atlantic Treaty Organization Niedersächsischer Staatsgerichtshof Niedersächsisches Verwaltungsblatt Neubearbeitet(e) Neue Folge Neue Juristische Woche Neue politische Literatur Nummer Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Neues Steuerungsmodell oben genannt Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Preußische Städteordnung Politische Vierteljahresschrift Rund Revidiert(e) Reichsgesetzblatt Randnummer Reichsverfassung von 1871 Seite, Satz siehe siehe auch Sowjetische Besatzungszone Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Sozialgesetzbuch Sogenannt Spalte Strafgesetzbuch Strafprozessordnung siehe unten Teil und und andere, unter anderem und anderes mehr Überarbeitete) United Nations United States unter Umständen und vieles mehr von, vom vor allem Verband Deutscher Elektrotechniker Verein Deutscher Ingenieure Verfassungsgerichtshof

XXX

Abkürzungen

VerwArch VGH vgl. VOP VVDStRL VwGO VwVfG VwVG WiVerw WRV z.B. ZDF ZerlG ZfP ZG ZParl ZPO ZRP z.T. z.Z.

Verwaltungsarchiv Verwaltungsgerichtshof vergleiche Verfahrensführung, Organisation, Personalwesen Veröffentlichungen der Vereinigung deutscher Staatsrechtslehrer Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Verwaltungsvollstreckungsgesetz Wirtschaft und Verwaltung Weimarer Reichsverfassung zum Beispiel Zweites Deutsches Fernsehen Zerlegungsgesetz Zeitschrift für Politik Zeitschrift für Gesetzgebung Zeitschrft für Parlamentsfragen Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik zum Teil zur Zeit

1. Kapitel Grundlagen des parlamentarischen Regierungssystems in Deutschland § 1 Zur Geschichte von Verfassung, Staat und Parlament in Deutschland Raban Graf von Westphalen I. Reich und territoriale Herrschaft im ausgehenden Mittelalter - II. Verfassungsinstitutionen und Verfassungsentwickluch bis 1806 - III. Grundzüge konstitutioneller Verfassung und der Übergang zur parlamentarischen Regierungsform - IV. Historische Grundlagen der Parlamentsorganisation - V. Weimar und die Zeit des Nationalsozialismus - VI. Zwei Staaten - eine Nation Grundlagenliteratur: Boldt, Hans (1990): Deutsche Verfassungsgeschichte. München, 2 Bde Duchhardt, Heinz (1991): Deutsche Verfassungsgeschichte 1495-1806. Stuttgart Frotscher, Werner I Pieroth, Bodo ( 2 1999): Verfassungsgeschichte. München Kröger, Klaus (1988): Einführung in die jüngere deutsche Verfassungsgeschichte (1806-1933). München Menger, Christian-Friedrich ( 6 1988): Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit. Heidelberg Salewski, Michael (1993): Deutschland - Eine politische Geschichte. München, 2 Bde Schneider, Hans-Peter / Zeh, Wolfgang (1989) (Hg.): Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik Deutschland. Berlin Zippelius, Reinhold ( 2 1995): Kleine deutsche Verfassungsgeschichte. München

Der mit der Wiedervereinigung beider deutscher Staaten im Oktober 1990 abgeschlossene Prozess der Herstellung nationalstaatlicher Einheit veranlasst, den Blick auf die Anfänge und den Verlauf der deutschen Verfassungs- und Parlamentsgeschichte zu richten, um in der gegenwärtigen Verfasstheit und Organisation des Regierungssystems die dieses formenden historischen Konstanten und wechselnden Bedingheiten zu erkennen. Der nachfolgende Versuch, ein solches Verständnisses über Hinweise auf die deutsche Verfassungsgeschichte, beginnend mit denen zur Verfassungsstruktur des alten Reiches zu erarbeiten, ist bereits durch die zwingende Auswahl des behandelten Stoffes und seiner eingeschränkten Darstellbarkeit breiter Kritik ausgesetzt. Die Entscheidung, dass alte Reich - bezogen auf den Gesamtumfang des Kapitels - relativ stark zu gewichten (-» I. und II.), orientiert sich zum einen an der Erfahrung, dass die Kenntnisse über diese Epoche deutscher Geschichte

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nicht nur bei Studierenden höchst rudimentär sind; zum anderen, dass die gegenwärtige Geschichtsschreibung der Wirkungsgeschichte dieses ersten deutschen Reiches nicht nur ein erheblich größeres Gewicht verleiht (Winkler: 2000 I., S. 5ff.), sondern dass die Kenntnis um diese Epoche deutscher Geschichte als eine Voraussetzung für das Verständnis gegenwärtiger politischer Herrschaft in Deutschland gelten muss. Die Darstellung der konstitutionellen Epoche (—> III.) konzentriert sich stark auf die Voraussetzungen der Entwicklung eines parlamentarischen Regierungssystems unter weitgehendem Verzicht auf die in der Literatur leicht greifbaren verfassungsgeschichtlichen Rahmenbedingungen. Ein Abschnitt zu den geschichtlichen Grundlagen der Parlamentsorganisation (-> IV.) dient systematisch dem Verständnis der folgenden §§ zur Organisation und Arbeitsweise des Deutschen Bundestages. Die Verfassung von Weimar wird nur knapp gestreift; dagegen erhält die Zeit des Nationalsozialismus einen breiteren Raum (—> V.), da die Ausgestaltung der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland in vieler Hinsicht nur als Reaktion auf die totalitäre Diktatur des NS-Regimes zu verstehen ist. Hinweise auf Entstehung und Entwicklung von DDR und Bundesrepublik Deutschland nach 1945 wie auf den Prozess der Wiederherstellung der nationalstaatlichen Einheit schließen das Kapitel ab (—> VI.).

I. Reich und territoriale Herrschaft im ausgehenden Mittelalter 1. Anfänge des Reiches Der Zerfall des karolingischen Reiches im 9. Jhd. - benannt nach seinem bedeutendsten fränkischen König und römischen Kaisers, Karl I. der Große (747-814) ist die Voraussetzung für die Entstehung eines deutschen Reiches gewesen. Das wesentlich in der Civitas-Dei-Lehre des einflussreichen Kirchenlehrers Augustinus (354-430; De Civitate Dei: Der Gottesstaat) gründende Verständnis des fränkisch-karolingischen Staatskirchentums als „Imperium Christianum" übertrug sich auf das aus den Teilungen hervorgehende ostfränkische Königreich. Mit den Verträgen von Verdun (843) sowie von Meersen (870) trat neben das westfränkische Reich und das Königreich Italien das ostfränkische Königreich als späteres deutsches Kernland. Die Bedeutung der Verträge von Verdun und Meersen ist umstritten. Aus heutiger Sicht wird man die nationale Gedenkfeier, welche König Wilhelm IV. von Preußen anläßlich des tausendjährigen Jubiläums der Verduner Verträge 1843 als Beginn nationaler deutscher Selbständigkeit und zugleich als Beginn nationaler deutscher Geschichte initiierte, eher als Ausdruck zeitbedingter Nationalstimmung bewerten. Unumstritten aber ist, dass im ostfränkischen Gebiet, welches Ludwig II. „der Deutsche" (um 805-876) im Vertrag von Verdun zugesprochen bekam und welches im wesentlichen die rechtsrheinischen Gebiete umfasste, die germanische Bevölkerung überwog, während Karl II. „der Kahle" (823-877) die westfränkischen Reichsgebiete entlang der Schelde-Maas-SaöneLinie bis zu den Pirynäen übernahm, in dem der romanisch sprechende Bevölkerungsanteil vorwiegend lebte. Gegenüber dem Romanischen als Sprache vor allem der gelehrten Geistlichkeit beginnen etwa um diese Zeit die Ostfranken ihre gemeinsame Sprache als deutsche (diutisc) Sprache zu bezeichnen. Das meinte,

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hergeleitet vom germanischen diot (= Volk) die volkstümliche, die dem Volk eigene Sprache; im weiteren Verlauf der Geschichte werden die deutsch sprechenden Volksstämme zunehmend als „Deutsche" bezeichnet (historisches Kartenblatt bei Valentin: 1946/1999, S. 18) So komplex die Interdependenzen zwischen einer ideell nach der Teilung aufrecht erhaltenen großfränkischen Reichseinheit und der sich aus den traditionellen Stammes- und Volksgruppen nach und nach konturierenden französischen und deutschen Nation auch im Einzelnen sind: Die anfänglichen Voraussetzungen für die Entwicklung Frankreichs und Deutschlands sind mit Ausgang des 9. Jhd.s gelegt, die geopolitische Grundstruktur West- und Mitteleuropas bis hin zur Gegenwart wird erkennbar. Mit dem Tod des letzten ostfränkischen Karolingers, Ludwig IV. „das Kind" (893-911) zeichnet sich in der Wahl Konrad I. im Jahre 911, dem Führer des ostfränkischen Stammes, durch die bayerischen und schwäbischen Herzöge das Erstarken eines eigenen östlichen Reichsverständnisses ab, ohne allerdings den römisch-fränkischen Nachfolgeanspruch abzulösen. Zugleich tritt, begünstigt durch die Schwäche des Königtums, jene die deutsche Geschichte wie wohl kein weiterer Faktor prägende Kraft in den Mittelpunkt der historischen Entwicklung: die erstarkenden deutschen Stammesherzogtümer der Sachsen, Franken, Bayern und Schwaben (Lothringer). Ihr ständiges Gegen- und Miteinander hat die politische Geschichte Deutschlands - die Bezeichnung wird mit dem 15. Jhd. gebräuchlich - bis zur Gegenwart hin gestaltet. Über die Entwicklung der Territorialstaaten findet die Auseinandersetzung zwischen dem Reich als Gesamtverband und den Territorialfiirsten im föderalen Aufbau der Bundesrepublik Deutschland ihre bleibende historische Form. Das Zeremoniell der Krönung des Sachsen Otto I. „der Große" (912-973) - Sohn Heinrich I. (919-936) - in der Aachener Marienkapelle im Jahre 936 versinnbildlicht die Verschmelzung von fränkisch-deutschem Königtum mit dem erneuerten römischen Kaisertum. Von den Herzögen gekürt, welche als Symbol der Reichseinheit die Reichshofämter (Erzämter) innehatten, und zwar stellte Lothringen den Kämmerer, Franken den Truchseß, die Schwaben den Mundschenk und Bayern den Marschall, und aus welchen sich ab dem 13. Jhd. das Kurfürstenkollegium entwickelte - vom Erzbischof von Mainz gesalbt, nachdem das Volk nach altgermanischer Sitte per Aklamation zugestimmt hatte, stellte sich Otto I. ganz in die Tradition Karls des Großen, um eben dieser Idee Ausdruck zu verleihen: Alle christlichen Völker als römischer Kaiser zur höheren Ehre Gottes zu beherrschen, wie es Konstantin I. der Große (280-337) von Rom aus getan hatte, unter dessen Schutz das Christentum zur Staatsreligion (Edikt von Mailand 313) geworden war. So ließ sich Otto I. im Jahre 962 in Rom vom Papst zum römischen Kaiser krönen, erneuerte die kaiserliche Schutzhoheit über Rom und beanspruchte ebenfalls wie Karl der Große den Titel eines „Rex Francorum et Langobardorum", den er wenig später um den Zusatz „Imperator Romanorum Augustus" erweiterte. Dieser Zusatz wurde als Königstitel „Rex Romanorum" erstmals 1040 von Heinrich III. (1017-1056) angenommen und ab dem 12. Jhd. zum ständigen Amtstitel, womit sich der Anspruch des deutschen Königtums auf die Herrschaft über Italien verband. Die Erweiterung der Bezeichnung „Imperium Romanum" als gewöhnlicher Reichstitel zum „Sacrum Imperium" wurde unter Friedrich Barbarossa (um 1122-1190) nach 1157 geläufig, woraus dann im 13. Jhd. das „Sacrum Romanum Imperium" wurde. Die daraus hervorgegangene deutsche Reichstitulatur als „Heiliges Römisches Reich" findet sich erstmals zur Zeit Karls IV.

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(1316-1378; näheres unten), dessen Kanzlei im übrigen einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung der neuhochdeutschen Schriftsprache gehabt hat. Der Zusatz „deutscher Nation", welcher die Beschränkung des Universalreiches auf Deutschland im engeren Sinn zum Ausdruck bringt, wird nach 1512 zum offiziellen Bestandteil des Reichstitels, welcher dann als „Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation" Reichsbezeichnung bis zum Ende des Reiches 1806 geblieben ist. Reichskrone, Reichskreuz und Reichsschwert (Reichsinsignien) symbolisierten im Kern unverändert seit der Zeit der salischen Herrscher (1024-1125) dieses alte deutsche Reich und den Anspruch der Herrschaft auf göttliche Herkunft.

2. Weltliche und Geistliche Macht Ein weiteres für die Gliederung und den Staatsaufbau des deutschen Reiches zentrales Element dürfte die unter dem fränkischen König Chlodwig I. (466/67511) vollzogene Annahme des römisch-katholischen Christentums durch die Franken gewesen sein. Darauf war oben stehend schon hingewiesen worden. Der daraus resultierende Zugriff des Herrschers auf die Kirche und ihre Bistümer als Verwaltungsträger stellte die mittelbare Grundlage königlicher Macht dar und wahrte die politische und kulturelle Kontinuität. Zugleich ermöglichte sie den Staats- und Verwaltungsaufbau des deutschen Reiches (Boldt:1990 I.). Diese Verbindung enthielt aber zugleich eine die deutsche politische Geschichte zunächst beherrschenden dann strukturell prägenden Verfassungskonflikt, nämlich den Anspruch des Kaisers auf Einsetzung der Reichsbischöfe und Reichsäbte, der sogenannten Investitur. Für den Kaiser, in seinem Verständnis als Grundeigentümer und damit im Gesamtreich zur Einsetzung berechtigt, eröffnete diese die Chance, weltliche Herrschaftsrechte auf Geistliche zu übertragen, um somit den Herrschaftsansprüchen der Stammesherzöge entgegen zu wirken, ohne dass es infolge des kirchlichen Zölibats zur erblichen Verfestigung dieser die Reichsverwaltung ab dem 10. Jhd. tragenden Ämter kommen konnte. Dieses sogenannte „ottonisch-salische Reichskirchensystem" erfüllte eine doppelte Rolle als bischöfliche Diözese und als solche dem Papst unterstehend, und zugleich als Träger der Reichsverwaltung nur solange, wie Papsttum und Kaisertum einmütig zusammenwirkten. Als sogenannter Investiturstreit beherrschte der hierin angelegte Konflikt vor allem das ausgehende 11. und die erste Hälfte des 12. Jhd.s. Sein förmliches Ende fand der Gegensatz zwischen Papst- und Kaisertum 1122 im sogenannten Wormser Konkordat zwischen dem letzten salischen Herrscher, Heinrich V. (1081/86-1125) und Papst Calixtus II. (1067-1124). Dieser Vertrag (Text bei Buschmann: 1984), der seit dem 17. Jhd. erst Konkordat genannt wird, ist unter verfassungsgeschichtlicher Fragestellung von größter Bedeutung, als er auf der Vorstellung einer grundsätzlich zu denkenden Trennung der geistlichen von der weltlichen Herrschaftssphäre basiert - auch wenn sie im Wormser Konkordat nicht konsequent vollzogen wurde -. Von nun an sollten die Bischöfe nach kirchlichem (kanonischem) Recht gewählt und geweiht werden und, vom Papst eingesetzt, die mit dem Kirchenamt geistlich seelsorgerischen Befugnisse (Spiritualia) ausüben. Dagegen erfolgte die Übertragung königlicher Hoheitsrechte (Regalia) durch den Kaiser, symbolisiert durch die Überreichung eines weltlichen Hoheitszeichens, dem Zepter, welcher an die Stelle der kirchlichen Insignien (Bischofsring und Krummstab) trat. Damit ver-

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zichtete der deutsche Kaiser die ihm jahrhundertelang zustehenden Rechte und unterwarf sich der Anschauung, dass diese nicht aus eigenem Recht, sondern auf päpstlicher Zustimmung beruhten. Bis zum Reichsdeputationshauptschluss 1803 erhielt das Verfassungsrecht des deutschen Reiches hier seine eigentümliche Struktur, in dem Geistliche im Staatsdienst in Form der geistlichen Fürstentümer mit weltlichen Amtsfunktionen belehnt wurden. Auch wenn das Wormser Konkordat vor allem das Verhältnis von Reich und Kirche regelte, so unterstützte es zugleich mit der Schwächung des Kaisers die Entwicklung hin zu eigenständigen Landesherrschaften. So wenig deren Herausbildung datierbar ist, wird beispielsweise in der Ablösung der Markgrafschaft Österreich von Bayern und ihrer Erhebung zum Herzogtum exemplarisch deutlich, wohin die Herrschaftsbildungsprozesse im deutschen Reich hinauslaufen sollten. Im sogenannten Privilegium Minus, mit welchem der Staufer Friedrich I. Barbarossa die Privilegierung, welche sich vor allem auf die umfassende Gerichtsbarkeit im neuen Herzogtum, Erbfolge auch in der weiblichen Linie und die Heerfolge vornahm, liegt ein verfassungsgeschichtliches Dokument von grundsätzlicher Bedeutung für den Prozess territorialer Herrschaftsbildung vor. Wie dieses so verweisen auch andere zentrale Quellen des Verfassungsrechts darauf, dass das 12. und 13. Jhd. vornehmlich der Konsolidierung des Reiches nach innen durch Bestimmung und Fixierung der Rechte von König und Reichsfürsten galt. Hatten in der „ConfÖderatio cum principibus ecclesiasticis" (1220) die geistlichen Reichsfursten wichtige Reichsrechte, so vor allem Markt-, Befestigungs-, Geleitrechte und die Gerichtsbarkeit zur dauernden Ausübung übertragen bekommen, so folgte das weltliche Gegenstück 1232 in Form des sogenannten „Statutum in favorem principum" (Texte bei Buschmann: 1984), mit welchem die weltlichen Reichsfursten ihre rechtliche Gleichstellung gegenüber den geistlichen Fürsten erreichten. Erstmals werden hier die Fürsten als domini terrae bezeichnet. Zugleich schützt das Privileg - der praktischen Geltung nach ein Reichsgesetz die fürstlichen Rechte gegenüber den erstarkenden Städten. Auch dieser Umstand läßt die Deutung zu, dass diese sogenannten Fürstenprivilegien Kaiser Friedrich II. (1194-1250) vor allem Ausdruck seiner prämodernen Staatsidee eines begrenzten und zentral verwalteten Territoriums sind. Er selbst hat diese in seinem normannischen Erbreich Sizilien so erfolgreich umgesetzt, dass man im sizilianischen Königtum Friedrich II. eine Vorwegnahme des aufgeklärten absolutistischen Staates gesehen hat (v. d. Steinen: 1922).

3. Ständische Gliederung Zunächst ist daran zu erinnern, dass das späte Mittelalter keine umfassende Herrschaftsgewalt über ein Herrschaftsgebiet kannte. Den Landesherren standen eine Reihe von Hoheitsrechten zu, so vor allem das Zoll-, Münz-, Berg- und Marktrecht und die damit verbundenen Verwaltungskompetenzen (Zippelius: 1995). Neben den Landesherren übten die Landstände - Adel und hohe Geistlichkeit und mit dem Erstarken im hohen Mittelalter das Bürgertum in Form der Städte rechtsprechende, verwaltende und wirtschaftliche Funktionen aus. Durch ihre gesellschaftlichen Funktionen des Schutzes (Adel), der geistlichen Unterweisung und Seelsorge (Klerus) sowie der Grundversorgung mit Nahrung (Bauern) bildeten die Stände die gesellschaftliche Basis des frühmodernen Territorialstaates. Sie

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unterschieden sich voneinander zunächst durch ihre sozialen Funktionen, aber nicht weniger durch ihre in sich abgeschlossenen geburtsständigen Kreise mit eigenem Lebensstil und Kleiderordnung sowie mit je eigenen Vorstellungen von Recht, Moral und Sitte. Von dieser Form zu unterscheiden sind die eigentlichen politischen Stände, die Landstände, als korporative Gruppen, welche Herrschaft ausübten und gegenüber dem Territorialherren als geschlossene Gruppen politische Mitbestimmung und Beratung wahrnahmen. Ort der Artikulation ständischer Interessen waren die Ständeversammlungen, ab 1450 als Landtage bezeichnet, in welchen wir Vorformen neuzeitlicher Parlamente erkennen können. Wenn vorstehend von der Tendenz territorialer Herrschaftsverdichtung gesprochen wurde, so muss man diese ständische Organisationsform der Gesellschaft, auf welcher der Ständestaat als vorherrschende Staatsform Mittel- und Westeuropas bis ins 17. Jhd. hinein beruhte, im Auge behalten. Sie stellte eine eigentümliche Form politischer Mitbestimmung dar, welche im Grunde erst im 19. Jhd. ihr Ende gefunden hat 4. Römisches Recht Der Anspruch und das Verständnis, zu einer einheitlichen, territorial geschlossenen Organisation der Staatsgewalt zu finden, führte im Grunde selbst zu dem Bedürfnis für den Territorialherren, die Einrichtung, welche ein rechtlich gebildetes, rein weltliches und zu Gehorsam erzogenes Beamtentum bereit zu stellen in der Lage war, nämlich eine Universität selbst zu gründen. Mit der Privilegierung der Universität von Neapel im Jahre 1224 - Bologna bildete ihr Vorbild - hat Friedrich II. einen eigenen Typus von Universität geschaffen, den der fürstlich begründeten Hochschule zur Ausbildung territorialen Beamtentums. Die deutschen Universitätsgründungen, mit Prag 1348 beginnend, stehen ganz in diesem das Wesen der deutschen Hochschule im Kern bis in die Gegenwart prägenden Verständnisses als Anstalten zur Ausbildung von Staatsdienern. Der Prozess selbst ist Ausdruck der sich vollziehenden Rezeption des römischen Rechts in Deutschland. Die Bedeutung des rationalen römischen Rechtsdenkens für Staats- und Verwaltungsaufbau wurde von den erstarkenden Fürstengewalten in Deutschland frühzeitig erkannt und entwickelte sich nach der sogenannten theoretischen Rezeptionsperiode des 11. bis 13. Jhd.s zum stärksten Gestaltungsmittel des vorabsolutistischen Staates. Denn die Bedeutung der vom oströmischen Kaiser Justinian I. (527-565) veranlaßten Kodifizierung des gesamten römischen Rechts im „Corpus Iuris Civilis" lag verfassungsgeschichtlich gesehen - nach ihrer Systematisierung und Kommentierung (Glossierung) durch die Rechtsschule von Bologna - wesentlich in der Anschauung einer, die zersplitterten lokalen germanischen Stadt-, Land-, Stammes- und Ständerechte überwindenden einheitlichen monarchischen bzw. kaiserlichen Staatsgewalt (—> s.a. § 4, III.). In rechtsgeschichtlicher Hinsicht erlangte das römische Recht in Deutschland im 16. Jhd. uneingeschränkte Geltung, während man mit Blick auf andere europäische Länder der Beurteilung folgen darf, dass im Entstehungsprozess der europäischen Nationalstaaten diese in unterschiedlichem Umfang auf das römische Prozessrecht zurückgriffen, während die Rezeption materiellen Rechts nur insoweit erfolgte, als es mit den bestehenden Gewohnheitsrechten zu verbinden war (Stein: 1996). Wie prägend dieser Prozess für Deutschland war, ist hier nicht darzustel-

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len. Es sei aber daraufhingewiesen, dass noch das 1900 in Kraft getretene Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) in systematischen Teilen auf dem Corpus Iuris Civilis gründet (-> s.a. § 18, III.). Ebenfalls findet sich hier die Anschauung einer in der Person des Fürsten zusammengefassten herrschaftlichen Gewalt, welche als solche nicht weiter ableitbar ist. Vor allem die an das römisch-rechtliche Amtsverständnis geknüpfte Vorstellung einer strukturellen, dauerhaften Trennung von hoheitlicher Funktion und Person, welcher durch Regeln zeitlich befristete Tätigkeit übertragen wird und für die der damit Ausgestattete Verantwortung trägt, wird den deutschen territorialstaatlichen Verwaltungsaufbau prägen. Denn trotz aller regionalen und zeitlichen Differenzierungen darf man für die Territorialstaatsgenese feststellen, dass die Entstehung territorialstaatlicher Herrschaftsmacht in Deutschland vornehmlich zurückgeht auf die Loslösung aus dem Einflussbereich des Reiches. Sie vollzieht sich durch und in der Aneignung landesherrlicher Jurisdiktionsgewalt und institutionalisiert sich in eigenständiger Gerichtsbarkeit. Die allgemeine, uneingeschränkte Geltung und Anerkennung einer ordentlichen Gerichtsbarkeit wurde deshalb zum Ausgangspunkt staatlicher Ordnung, weil sich der Einzelne in die allgemeine Erwartung einordnet, dass die Bedingungen sozialer Existenz so nicht nur gesichert und geschützt, sondern im Zweifel auch eingeklagt und durchgesetzt werden können (Sommer: 1997, S. 66ff.). Verfassungsrechtlichen Ausdruck findet diese Entwicklung im Reichsgesetz vom 10.01.1356, der sog. Goldenen Bulle Karl IV. (1316-1378). Als „Grundgesetz des Reiches" (Boldt: 1990 I, S. 251; Salewski: 1993, S. 65) blieb dieses Reichsgesetz fundamentaler Verfassungsbestandteil bis zum Untergang des Reiches. Das 31 Kapitel umfassende Gesetz (Text bei Buschmann: 1984, S. 105ff.) wurde teils auf dem Nürnberger, teils auf dem Reichstag zu Metz publiziert, daher auch die Bezeichnungen „Nürnberger" bzw. - ab dem XXIV. Kapitel - „Metzer Gesetzbuch". Es sei erwähnt, dass jenes Kapitel XXIV. („Über Verbrechen an den Kurfürsten") annähernd wörtlich aus dem Corpus Iuris Civilis übernommen wurde, wenn in ihm angeordnet wird, dass der Mord an einem geistlichen oder weltlichen Kurfürsten als Magistratsverbrechen mit dem Tod durch das Schwert zu ahnden sei, da die Kurfürsten „Teile des kaiserlichen Leibes" seien. Dieses Bild darf so für das römisch-rechtlich geprägte Verständnis einer letztlich einheitlichen und souveränen Staatsgewalt stehen. Erstmals und zugleich endgültig regelt die Goldene Bulle Form und Durchführung der Königswahl sowie die Rechtstellung der Kurfürsten, die in ihrer Gesamtheit Verfassungsorgan werden. Die 7 Kurfürsten wählten nun reichsgesetzlich den deutschen König und römischen Kaiser durch Mehrheitsentscheid - in der Regel in Frankfurt am Main. Sie setzten sich zusammen aus 4 weltlichen (König von Böhmen, Pfalzgraf bei Rhein, Herzog von Sachsen-Wittenberg, Markgraf von Brandenburg) und 3 geistlichen Kurfürsten (den Erzbischöfen von Köln, Trier und Mainz, wobei letzterer als zugleich Erzkanzler des Deutschen Reiches eine herausgehobene Stellung einnahm, insofern er die Königswahl einberief und durchführte). Auffällig ist, dass zunächst kein süddeutscher Fürst an der Königswahl beteiligt war, erst 1623 wurde dem König von Bayern die Kurfürstenwürde zugesprochen und er somit in das Kurfürstenkollegium aufgenommen. Und auch: Mit keinem Wort verweist das Gesetz auf die Rechte oder Ansprüche des Papstes. „Rex Romanorum" - so darf man die dahinter stehende Auffassung interpretieren - ist der deutsche König nicht länger von päpstlichen

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Gnaden, auch wenn sich das Krönungsritual bis 1530 hielt. Nichts weist eindrucksvoller - so urteilt M. Salewski (: 1993, S. 67) - auf das „Ende des Mittelalters", als die Nichterwähnung des Papstes nach 300jährigen Ringen zwischen ihm und dem deutschen Kaiser.

5. Die Landfrieden und das Reichskammergericht Wenn die Bedingungen für den Übergang vom Territorium zum Territorialstaat, wenngleich nicht ausschließlich so doch wesentlich in der Stärkung der fürstlichen Jurisdiktionsgewalt gesehen werden und damit als Ursprung territorialer Staatswerdung zu interpretieren sind, so findet dieses Verständnis seine historische Fundierung in den sog. Gerichts- oder Appellationsprivilegien - „Privilegium de non evocando" und „Privilegium de non appelando" -, welche das Reichsgesetz in Kapitel XI. den Kurfürsten verlieh, und welche alle bedeutenden Territorien bis zum Ende des 16. Jhd.s für sich durchgesetzt hatten. Verzichtete im erstgenannten Privileg der deutsche König durch Beseitigung der Evokation auf sein herkömmliches Recht, noch nicht rechtskräftig entschiedene Verfahren zur Entscheidung an sich zu ziehen, so sperrte das zweite den Rechtsweg von den obersten Landesgerichten zu den königlichen Reichsgerichten (Appellation). Mit dieser Schwächung dynastischer Ansprüche des deutschen Wahlkönigtums einhergehende Verdichtung gebietlicher, territorialer Herrschaft ist ein wesentlicher Schritt vom mittelalterlichen Personenverbandsstaat zum institutionell verfassten Flächenstaat der Neuzeit vollzogen. Ihre historische Bestätigung erfährt diese generalisierte Aussage in den Landfriedensordnungen des 13. Jhd.s.: Der erste zugleich das erste in deutscher und lateinischer Sprache publizierte Reichsgesetz - war der als Verfassungsquelle außerordentlich bedeutsame Mainzer Reichslandfriede, den Friedrich II. (1194-1250) auf dem Mainzer Reichstag 1235 verkündete, und welcher bis zum Ewigen Landfrieden von 1495 die Grundlage aller Friedensbemühungen bildete (Text bei Buschmann: 1984, S. 8 0 f f ) . Danach sollte die Ausübung der Gerichtsbarkeit im Reich durch befähigte Richter erfolgen, das persönliche Hofgericht des Königs (Curia Regia) erhielt als ständigen Vertreter des Königs einen „Reichshofrichter", der das Amt für die Dauer von mindestens 1 Jahr innehabe sollte. Der Rechtsunsicherheit sollte dadurch begegnet werden, als dass das auf Selbsthilfe beruhende Fehderecht zurückgedrängt wurde. Die befristete Verleihung (Annuität) des Amtes eines Reichshofrichters mag hier exemplarisch für den Prozess der Verdichtung territorialer Herrschaft auf dem Amtsprinzip stehen. In der allmählichen Entwicklung des Ämterwesens in Deutschland wiederum spiegelt sich der über Jahrhunderte währende Prozess, in welchem die gewohnheitsrechtlichen, auf dem Lehen beruhenden Strukturen nach dem 13. Jhd. durch ein römisch-rechtlich geprägtes, auf dem Amt beruhendes staatliches Organisationsrecht ersetzt wurde. In der Landfriedensbewegung, deren Beginn durch den ersten Reichslandfrieden von 1103 markiert wird, spiegelt sich der Übergang vom mittelalterlichen Staatswesen hin zum modernen Staat. Zum auszeichnenden Merkmal moderner Staatlichkeit sollte die alleinige Innehabe legitimer, friedensstiftender Gewalt werden. Die Landfrieden dienen dem Versuch innerstaatlicher Befriedung durch Monopolisierung legitimer Gewaltanwendung unter Zurückdrängung vor allem des Fehderechts. Dieser Prozess, der sich auch in der Geschichte der Strafrechtsent-

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wicklung nachzeichnen lässt, bildet das historische Substrat der allmählichen Ausbildung des modernen Staates zur Rechtsgemeinschaft und stellt die historische Brücke zwischen Mittelalter und neuzeitlicher Staatswerdung dar. Damit ist zugleich die Anschauung negiert, „Staat" als historisch universelle Kategorie zur Erfassung jedweder Gemeinschaftsform menschlicher Sozialexistenz, unabhängig von Zeit und Raum zu interpretieren. Die Vorstellung, wonach z.B. die auf Stammeszugehörigkeit und / oder auf Glauben beruhenden Nomadenreiche „Staaten" waren und insofern dem modernen europäischen Staat im Wesen vergleichbar seien, verfehlt nach dieser Auffassung die historische Individualität von Staat. Ein Abschluss fand der rund 4 Jahrhunderte umfassende Landfriedensprozess neben den Reichslandfrieden ergingen sowohl territoriale wie Provinziallandfriedensordnungen - im sog. „Ewigen Landfrieden vom August 1495. Als wesentlicher Bestandteil der Reichsreformbemühungen des 15. Jhd.s, welche u.a. im Versuch, ein „Reichsregiment" (Reichsregierung) zu schaffen scheiterten, statuierte der Ewige Landfriede (Text bei Buschmann: 1984, S. 157ff.) ein absolutes Fehdeverbot. Dies galt sowohl für jeden Reichsbewohner wie fiir die Reichsstände und verwies unter Ausschluss der Selbsthilfe auf den Rechtsweg der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Das mit gleichem Datum errichtete Reichskammergericht (Gerichtsordnung bei Buschmann: 1984, S. 172ff.) als Nachfolger des Reichshofgerichts sollte die Einhaltung des Landfriedens sicherstellen. Als ständige Einrichtung löste das Reichskammergericht die oberstes Gerichtsbarkeit vom königlichen Hof. Wenn neben den vom Kaiser ernannten Präsidenten zunächst 16, später 50 von den Reichsständen zu ernennende Beisitzer traten, von denen die Hälfte römisch-rechtlich gebildete Juristen waren, so unterstreicht diese Besetzung die Bedeutung des Reichskammergerichts für die Ausbreitung des römischen Rechts in Deutschland; und zugleich verdeutlicht sich, dass die Wirkung des Corpus Iuris Civilis für den Reichsgedanken des Imperium Romanum wesentlich in der die lokalen Volksrechte überwindenden einheitlichen Staatsgewalt zu sehen sind. Von der Rechtsprechung des Reichskammergerichts - es tagte zunächst in Frankfurt am Main, ab 1527 in Speyer, seit 1693 in Wetzlar - ging eine Veränderung der gesamten politisch-juristischen Kultur aus, denn sie führte zu der „in Deutschland folgenreichen Überzeugung, politische Konflikte ließen sich im Prinzip in Rechtsfälle transformieren und gerichtlich entscheiden" (Stolleis: 1988 I., S. 138). 1 Die vorstehenden Ausführungen lassen sich dahingehend zusammenfassen, als erkennbar werden soll, dass sich die auf der Grundlage des Rechts verdichtende territoriale Herrschaft zur Rechts- und Friedensgemeinschaft wandelte und sich damit dem Staatstyp näherte, den wir heute als Staat im modernen Sinne bezeichnen. Die Entwicklung dahin vollzogen in Deutschland allerdings nur die Territorialstaaten, nicht das Reich. Dieses verblieb bis zu seinem Untergang 1806 in jener völkerrechtlichen Zwischenlage, wie sie der überaus einflussreiche sächsische Jurist Samuel von Pufendorf (1632-1694) in seiner kritischen Darstellung der Reichsverfassung (De statu imperii germanci, Den Haag 1667) beschrieb, wenn er formulierte: Man müsse das Reich einen „irregulären und einem Monst-

1 Das Bundesverfassungsgericht (näheres -» § 15) veranstaltete 1995 aus Anlass der vor 600 Jahren vollzogenen Gründung des Reichskammergerichts einen Festakt und stellte sich so in die Tradition dieses Gerichts.

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rum ähnlichen Körper nennen (...), nicht mehr beschränkte Monarchie (...) und nicht eine Föderation mehrerer Staaten (...) vielmehr ein Mittelding zwischen beiden" (Kap. 6). Aus heutiger Sicht ordnen wir das Reich dem Typ der ständisch gebundenen Monarchie zu.

II. Verfassungsinstitutionen und Verfassungsentwicklung bis 1806 Wohl unbestritten darf man in der Errichtung des Reichskammergerichts einen Erfolg der Reichsstände sehen, insofern die kaiserliche Gerichtsbarkeit und Rechtssprechung eingeschränkt und dem ständischen Einfluss geöffnet wurden. Aber bereits die Finanzierung des Gerichts durch eine allgemeine Reichssteuer („Ordnung des gemeinen Pfennigs" vom 7.08.1495; Text bei Buschmann: 1984, S. 188ff.) scheiterte weitgehend am Fehlen einer geordneten Reichsverwaltung, die es auch bis zum Untergang des Reiches nicht geben sollte. Zugleich steht die Neuordnung des Reichshofrates fllr den dualistischen Charakter des Reiches, als die Kaiser nicht darauf verzichteten, die ihnen als oberste Gerichtsherren verbliebene Gerichtsbarkeit, v.a. in Lehens- und Regalienstreitigkeiten, in Form dieses, den Ständen bis zu seiner Auflösung 1806 entzogenen kaiserlichen Gerichtes auszuüben (Hofstaatsordnung 1527, Reichshofstaatsordnungen u.a. 1497/98, 1559 und 1654; Text bei Buschmann: 1984, S. 403ff.). I. Reichskreise und Reichstage Ein weiteres Ziel der Reichsreform, die Einrichtung einer Reichsregierung (Reichsregiment), welche die alleinige Führung des Reiches dem Kaiser entzogen hätte, scheiterte nach zwei kurzen Phasen ihrer Institutionalisierung dauerhaft am mangelnden Einigungsverständnis der Stände. Dagegen setzte sich eine mit den Bemühungen um ein Reichsregiment in Verbindung stehende Maßnahme erfolgreich durch, welche bereits auf älteren Vorstellungen beruhte, nämlich die Einteilung des Reiches in „Reichskreise". Frühere Überlegungen und Entwürfe dazu übergehend, finden sich Vorstellungen, das Reich in Kreise aufzugliedern und diesen Landfriedensfunktionen wie auch Steuer- oder Wahlfunktionen zu übertragen, im Werk eines der bedeutendsten frühneuzeitlichen Staatstheoretiker: Nicolaus von Kues (1401-1464), vor allen Dingen in seinen Schriften „Concordantia catholica" (1433) und „Reformatio Sigismundi" (1439). Bemerkenswert sind auch Reformüberlegungen auf dem Nürnberger Reichstag zur Zeit Albrechts II. (1397-1439), mit welchem die nur mit einer Unterbrechung geltende Herrschaftsfolge der Habsburger im Reich beginnt, und welcher die zukunftsweisende Auffassung von den Reichskreisen als Selbstverwaltungskörpern (Dotzauer: 1989, S. 9) vertrat. Erfolgte die Aufteilung des Reiches zunächst in 6 Reichskreise (1500: Franken, Bayern, Schwaben, Oberrhein, Niederrhein-Westfalen und Sachsen), so wurde ihre Zahl 1512 um 4 Kreise (Österreichischen, Burgundischen, Obersächsischen und Kurrheinischen) vermehrt; eine Neueinteilung 1521 gab ihnen ihren wesentlichen bis 1806 bestehenden Zuschnitt und übertrug ihnen zugleich v.a. die Sicherung des Landfriedens und infolge der Exekutionsordnung von 1555 die Vollstreckung der Urteile der obersten Gerichte des Reiches. Zudem wurden die Kreise auch an der Besetzung der Beisitzer des Reichskammerge-

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richts beteiligt. Später wurde den Reichskreisen - die den Reichskreisen angehörigen Stände versammelten sich auf „Kreistagen" - u.a. die Aufsicht über das Münzwesen sowie die Aufstellung und der Unterhalt des Reichsheers (1681) übertragen. An der Spitze der Reichskreise standen in der Regel ein weltlicher oder geistlicher Fürst, und sie können als recht moderne Verfassungseinrichtungen gelten, welche insbesondere im territorial zersplitterten Westen des Reiches bedeutsame Schutz- und Ordnungsfunktionen gehabt haben (Dotzauer: 1989, S. 337; Boldt: 1990 I., S. 271). Im Zuge der Reichsreformbestrebungen erhielten die seit den Karolingischen Zeiten üblichen Versammlungen der geistlichen und weltlichen Großen des Reiches (Hoftag) ihre neuzeitliche Fassung in Form der „Reichstage" (dieser Terminus findet sich erst nach 1495, Duchardt: 1991, S. 31). Vor dieser Zeit von eine institutionell eigengewichtigen ständischen Vertretungskörperschaft gegenüber dem König zu sprechen, ist verfehlt. Ein institutionalisierter Reichstag entstand erst, als sich das Königtum räumlich und präsenzmäßig aus dem Reich zurückzog und war gewissermaßen die instititutionelle Konsequenz aus dieser Entwicklung; insofern stellte er die Vertretung der deutschen Reichsstände gegenüber dem Kaiser dar, ohne dass dieser auf ihre Zusammensetzung einen willkürlichen Zugriff besaß. Im Kern war am Ende des 15. Jhd.s der Kreis derjenigen Hoheitsträger (Personen und Korporationen) bestimmt, welche die Reichsstandschaft besaßen, d.h. Anspruch auf Sitz und Stimme im Reichstag hatten. Seit 1489 war es üblich geworden, dass diese in 3 Kollegien („curien") verhandelten und berieten: dem Kurfürstenrat, dem Reichsfürstenrat als Vereinigung der Fürsten, reichsständischen Grafen, Herren und Prälaten, und dem Kollegium der Freien und Reichsstädte mit unbestimmtem Stimmrecht bis 1648 (Härtung: 91969, S. 37). Der Form nach tagten die Kollegien getrennt; ihre zwingend gemeinsamen Beschlüsse wurden in Form eines Vertrages zwischen Kaiser und Reichsständen formuliert und als sog. „Reichsabschiede" verkündet. Durften nach altem Herkommen Reichstage nur in Reichsstädten und Bischofssitzen stattfinden, so tagte der Reichstag ab 1633 als „Immerwährender Reichstag" in Regensburg bis zum Ende des alten Reiches. Wirft man einen Blick auf die in den Reichsabschieden geregelten Gegenstände, so wird man von einer offenbar sachlich unbeschränkten Zuständigkeit des Reichstags ausgehen können, gleichwohl war das auf dem Lehnsprinzip verharrende Reich auf Grundsätze beschränkt, deren verwaltungswirksame Umsetzung bei den Territorien lag. In sehr allgemeiner Form darf man an dieser Stelle einfügen, dass die Ausgangsform gegenwärtiger Parlamentsinstitutionen fraglos die angesprochenen spezifisch abendländischen und zunächst nur von Zeit zu Zeit später regelhaft stattfindenden Verhandlungen und Beratungen der Herrschenden mit den Großen im Land waren. Der diesbezügliche Terminus „parlamentum" war in Deutschland anders als in England oder Frankreich weniger gebräuchlich als der Terminus „curia". Einem Missverständnis sei vorgebeugt: Die modernen westeuropäischen Parlamente sind mit Ausnahme von England keine historischen Weiterentwicklungen ihrer ständischen Vorbilder, sondern Neuschöpfungen - in Deutschland im Kontext des Konstitutionalismus (s.u.). Von den weiteren die institutionelle Verfassungsstruktur des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation bis zu seinem Untergang prägenden Veränderungen sind vor allem der Augsburger Religionsfriede (1555) und der Westfälische Friede (1648) zu nennen: Wurde die Rechtseinheit Deutschlands durch die Tätigkeit

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des Reichskammergerichts insbesondere im Zivil- und Prozessrecht gefördert, so wurden diese Tendenzen durch den Erlass eines Reichsstrafrechts der „Peinlichen Gerichtsordnung" Karls V. (1500-1558), der sog. „Constitutio Criminalis Carolini" (CCC 1532; Text bei Kohler/Scheel: 1900), welche bis ins 19. Jhd. auf die Entwicklung des deutschen Strafrechts maßgeblich Einfluss gehabt hat, weiter unterstützt. Gefährdet war die Reichseinheit dagegen durch den Zerfall der einheitlichen Kirche infolge der Reformation und der aus ihr hervorgehenden katholischen und protestantischen Stände, deren Sieg über den Kaiser 1552 zugleich den Sieg über den auf der Reichseinheit beruhenden Gedankens christlich universalen Kaisertums und zugleich über den Anspruch monarchischer Zwangsgewalt gegenüber den erstarkten nun bikonfessionellen Reichständen darstellte. Einen dauerhaften Ausgleich zwischen den herrschenden Kräften auf der Grundlage der alten Reichsverfassung formuliert der Augsburger Reichsabschied vom 25.09.1555, der sog. „Augsburger Religionsfriede" (Text bei Buschmann: 1984 I, S. 215), der den Ewigen Landfrieden von 1495 nun auf die religiösen Fragen ausdehnte (§ 13) und die Konfessionsfrage von der Reichsebene auf die Territorialebenen (Boldt: 1990 I, S. 261) verschob: Denn das Recht der konfessionellen Bestimmung ging auf den Landesherrn als zukünftig oberste Autorität in geistlichen Angelegenheiten (Kirchenregeiment) über. Die Aufsicht über die Einhaltung des Landfriedens wurde den Reichskreisen übertragen. Die bekannte Formel „cuius regio eius religio" ist eine spätere Umschreibung für die vertragliche Bestimmung: „Ubi unus dominus ibi sit una religio".

2. Konsolidierung und Zerfall des alten Reiches Die verfassungsrechtliche Anerkennung ihrer Eigenständigkeit gegenüber Kaiser und Reich erreichten die Territorien im sog. Westfälischen Frieden 1648 (Text bei Buschmann: 1984 I, S. 285ff.). Die Reichsstände erhielten das „ius territorii et superioritatis" - eine nach innen gerichtete Souveränität -, ein internationales Bündnisrecht, und die Bindung des Kaisers an ihre Zustimmung in allen wichtigen Angelegenheiten durch den Reichstag zugesprochen (Boldt: 1990 I., S. 276). Der Augsburger Religionsfriede wurde bestätigt und durch ihn das landesherrliche Kirchenregiment, welches den zunehmenden Prozess der Verrechtlichung territorialer Gewalt auf die geistliche Ebene übertrug und damit die Entwicklung zur Überwindung des ständisch gegliederten Staates zum Staat des Absolutismus vorbereitete. In sehr allgemeiner Form darf man zusammenfassen, dass die Konsolidierung landesherrlicher Gewalt im Begriff der „Polizei" (ius politiae) greifbar wird. Der Begriff - gründend auf dem griechischen „politeia" - wurde nach französischem Vorbild (la police) in die Kanzleisprache des Kaisers und die Sprache der Stände des Deutschen Reiches in der Mitte des 15. Jhd.s übernommen (Mayer: 2 1980, S. 97). So meinte Polizei zunächst ganz allgemein den guten Zustand des Gemeinwesens nach innen, umfasste aber frühzeitig auch die zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung notwendigen obrigkeitlichen Einrichtungen und Verfahren. Darüber hinaus bezeichnete Polizei landesherrliche Pflicht der Gefahrenabwehr, öffentliche Sicherheit und die Herstellung des Gemeinwohls. Er geht somit weit über die ursprüngliche Rechts- und Friedensfunktion älterer Vorstellungen hinaus. In Verbindung mit der Wirtschaftsform des Merkantilismus seit dem 16. Jhd. verstärkte sich das im Polizeirecht wurzelnde

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Zuständigkeitsverständnis des Landesherrn zum umfassenden durchreglementierten wohlfahrtsstaatlichen Ideal des Absolutismus, in welchem das Polizeiwesen die gesamte innere Verwaltung einschließlich die Sorge um den fürstlichen Hof umfasste. Der hier nicht weiter zu verfolgende Prozess wird in der Literatur der älteren „Polizeiwissenschaft" nachvollziehbar, die im Werk des Gothaischen Kanzlers Veit Ludwig von Seckendorff (1629-1692) vom „Teutschen Fürstenstaat" (1656) und vom „Christenstaat" (1685) ihren einflussreichsten Vertreter hatte. In den landesherrlichen Polizeiordnungen - Vorläufer moderner Gesetzgebung - finden sich wie in den Reichspolizeiordnungen gänzlich unterschiedliche, dem Privatrecht wie dem Öffentlichen Recht (Strafrecht) zuzuordnende Bestimmungen, welche aus dem Verständnis des ius politiea das „gemeine Beste" bestimmten und gestalteten. Die Vielgestaltigkeit der deutschen Länder, ihre Unterschiede in Struktur und Entwicklung machen es „unmöglich, von ihnen anders als in idealtypischerweise von 'Ständestaaten' zu sprechen" (Boldt: 1990 I., S. 289). Zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) bestimmten annähernd 400 Territorien das deutsche territoriale Herrschaftsgefüge; am Ende des 18. Jhd.s existieren noch über 100 Territorien und 6 Reichsstädte. Die Französische Revolution 1789 (Schulin: 2 1989) mit ihren epochalen Forderungen von nationaler Einheit, von Freiheit und rechtlicher Gleichheit der Bürger entzog dem Ständestaat langfristig das ihn legitimierende Organisationsprinzip sozialer und rechtlicher Differenzierung. Bedeutung und Wirkung der Französischen Revolution, vor allem ihre Idee eines auf der Nation beruhenden und durch sie legitimierten Staates wurde von den Fürsten zunächst vielfach unterschätzt. Die Gründe für die Unfähigkeit der Kleinstaaten, sich gegenüber diesem neuen Verständnis auf eigener Grundlage zu behaupten, lagen aber auch in ihrer Angewiesenheit auf das Reich. Sein Untergang - im Sieg des Dritten Standes und seiner Konstitutierung als Nation 1789 vorgezeichnet setzte im engeren Sinne mit dem Friedensschluss von Lunéville zum Ende des 2. Koalitionskrieges im Februar 1801 ein. Mit ihm fallen alle Reichsgebiete links des Rheins an Frankreich, die dort ansässigen oder begüterten Fürsten sollten auf dem Weg der Mediatisierung, d.h. der Aufhebung der Reichsunmittelbarkeit eines weltlichen Reichsstandes bei gleichzeitiger Annexion seines Territorialbesitzes, und durch Säkularisierung, d.h. der Aufhebung sämtlicher geistlicher Reichsstände (Kurfürstentümer, Bistümer, Abteien) und ihre weltliche Nutzbarmachung, erfolgen. Mit der Beschlussvorlage eines zu diesem Zweck eingesetzten Reichstagsausschusses wurde im Februar 1803, nachdem sich Frankreich und Russland im Prinzip über die territoriale Neugestaltung Deutschlands einig waren, der „Reichsdeputationshauptschluss" als letzter der das Reich konstituierenden „Reichsgrundgesetze" beschlossen (Text bei Buschmann: 1984 I, S. 591ff.): und damit faktisch das Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Von ihm profitierten die größeren, die deutsche Geschichte in Zukunft prägenden Staaten, so Preußen, Bayern, Württemberg und Baden, die ihre Herrschaftsgebiete erheblich erweiterten. Die Gründung des Rheinbundes durch zunächst 16 Fürsten in Paris am 12.07.1806 in Paris, wodurch sich praktisch ganz Süd- und Westdeutschland unter Napoleonisches Protektorat stellten, veranlasste im Grunde zwingend Kaiser Franz II. (1768-1835), am 6.08.1806 die Kaiserkrone niederzulegen (Text bei Buschmann: 1984 I, S. 653ff.). Nach fast tausendjähriger Geschichte hörte das Heilige Römische Reich Deutscher Nation auf zu bestehen.

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„Was die deutsche Geschichte von der Geschichte der großen westeuropäischen Nationen unterscheidet, hat hier seinen Ursprung. Im Mittelalter trennten sich die Wege. In England und Frankreich begannen sich damals Nationalstaaten herauszuformen, während sich in Deutschland der moderne Staat auf einer niedrigeren Ebene, der territorialen, entwickelte. Gleichzeitig bestand ein Gebilde fort, das mehr sein wollte als ein Königreich unter anderen: das Heilige Römische Reich. Dass Deutschland später als Frankreich und England ein Nationalstaat und noch später eine Demokratie wurde, hat Gründe, die weit in die Geschichte zurückreichen" (Winkler: 2000 I., S. 5). Einen Staat als Nationalstaat zu verfassen, war zu Beginn des 19. Jhd.s keineswegs selbstverständlich. „Im Nationalstaat will das Staatsvolk nicht mehr einfach die zufällige Summe aller Angehörigen eines Staates sein; das Volk ist vielmehr eins mit der Nation, die sich nicht nur als kulturelle, sondern auch als politische Gemeinschaft sieht. Die Volksnation erhebt den Anspruch, sich in ihrem eigenen Staat selbst zu verwirklichen und zu entfalten; im Nationalstaat ist sie frei, sich selbst zu regieren, und sie ist frei von jeder fremden Herrschaft" (Schulze: 1994, S. 209). Und Friedrich von Gentz (17641832) formulierte 1819 mit bemerkenswerter Weitsicht: „Die Vereinigung aller deutschen Stämme zu einem ungetheilten Staate" sei ein „durch tausendjährige Erfahrung widerlegter und endlich abgethaner Traum..., dessen Erfüllung keine menschliche Kombination zu erschwingen, die blutigste Revolution nicht zu ertrotzen vermöchte, und den nur Wahnsinnige noch verfolgen können". Sollte aber die Idee der nationalen Einigung in Europa die Oberhand behalten, „so wird eine Wildniß voller blutiger Ruinen das einzige Vermächtniß sein, das unserer Nachkommenschaft wartet" (zitiert nach Schulze: 1994, S. 209f.). Im Mythos vom Reich stecken die Wurzeln des deutschen Nationalismus vom revolutionären Nationalstaat, über seine Ausformung als imperialer Nationalstaat (1871) bis hin zu seiner bestialischen Pervertierung im „Dritten Reich".

III. Grundzüge konstitutioneller Verfassung und der Übergang zur parlamentarischen Regierungsform Die notwendig gewordenen Neuordnung Deutschlands und Europas nach dem Zusammenbruch der napoleonischen Herrschaft (Völkerschlacht bei Leipzig, Oktober 1813) erfolgte auf dem Wiener Kongress 1814/15. Auf der Grundlage der Deutschen Bundesakte vom 8.06.1815 vereinigten sich „die souveränen Fürsten und freien Städte Deutschlands zu einem beständigen Bund, welcher der deutsche Bund heißen soll" (Art. 1) und letztlich 34 Mitglieder und 4 freie Städte in einem Staatenbund vereinigte (Text bei Dürig/Rudolf: 2 1979, S. 1 lff.).

1. Monarchisches Prinzip und Ministerverantwortlichkeit Die staatsrechtliche Verschränkung von Monarchie und Volksvertretung vollzog sich in Deutschland zu Beginn der frühkonstitutionellen Phase am Vorbild der monarchisch-restaurative Charte Constitutionelle von 1814 (Text bei Pölitz: 2 1833 II., S. 89ff.). Die auf staatliche und nationale Einheit drängende konstitutionelle Entwicklung und der an Partizipation und Repräsentation orientierte, von den Reformbürokratien vorangebrachte Umbau der Gesellschaftsordnung in Form

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des allmählichen Übergangs von der Stände- zur staatsbürgerlichen Gesellschaft fand ihre (vorübergehende) Staatsform im monarchischen Konstitutionalismus als Ausgleich zwischen rechtlich begrenzter monarchischer Herrschaftsgewalt („monarchisches Prinzip") und souveräner Volksvertretung. Im Verständnis dieser Staatsform blieb der Monarch Ursprung aller Staatsgewalt; er figurierte weiterhin als Souverän (Obenaus: 1984; Böckenförde: 1972, S. 27ff.). In unversöhnlichem Gegensatz zum Gewaltenteilungsprinzip und zur Idee der Volkssouveränität (-> § 4, IV.) gewährte der Souverän Volk und Ständen eine Verfassung, da allein er den pouvoir constituant verkörperte. Gegen jede Form des Verfassungsvertrages gewandt, beteiligte er andere, ihm nachgeordnete Staatsorgane an der Ausübung der Staatsgewalt, so die Volksvertretung (Mitwirkung), deren rechtliche Zuständigkeit durch ihn bestimmt (Staatswille ist allein monarchischer Wille) und begrenzt (Vetorecht) wurde (Kühne: 1989, S. 52 ff; Böckenförde: 1972a, S. 146 ff.; Huber: 21990 I, S. 652 ff.; Zoepfl: 1863 II./1975; S. 199ff.). Aus der Betrachtung dieser Grundlagen der Staatsform des monarchischen Konstitutionalismus leitet sich die Auffassung her, sie als eine Übergangsepoche zwischen absolutistischer Monarchie und parlamentarisch-demokratischem Staatswesen und nicht als eigenständiges Staatsmodell zu erklären. Eine daran anknüpfende Frage, „ob die modernen Parlamente ihre Grundlagen in den ständischen Verfassungen haben und der moderne Parlamentarismus auf der ständischen Repräsentation aufbaut oder nicht", soll an dieser Stelle mit folgendem Hinweis beantwortet werden: Die Regelung in Art. 13 der Bundesakte vom 8.06.1815 (Text bei Franz: 31975, S. 121 ff.; Böckenförde: 1972, S. 146; Rauh: 1977, S. 14), nach welcher „in allen Bundesstaaten (...) eine landständische Verfassung stattfinden" wird, verweist zunächst unverkennbar auf die älteren oben behandelnden Institutionen. Eine kontinuierliche Entwicklung von den beratenden Versammlungen des Mittelalters zum modernen Parlament hat es weder in Frankreich noch in Deutschland gegeben. Der Mangel an nationalstaatlicher Kontinuität in Deutschland wie oben gezeigt - wirkte sich außerordentlich belastend für den Parlamentarismus aus, denn es konnte sich auf nationalstaatlicher Ebene kein modernes parlamentarisches System aus dem vordemokratischen repräsentativen System entwickeln. „Es ist daher kein Zufall, dass Deutschland nach Schweden der am spätesten parlamentarisierte Staat West- und Mitteleuropas wurde" (v. Beyme: 1989, S. 103). In diesem institutionellen Defizit liegen wesentliche Gründe für die deutsche Rezeption vor allem des englischen aber auch französischen Parlamentarismus und dessen Einfluss auf die deutsche Entwicklung. So beschreibt der französische Staatsdenker Montesquieu (s.a. -> § 4, IV.) in „Geist der Gesetze" (: 1748/1965, S. 212ff.) das Modell einer gemischten Verfassung, welches in der Tradition konstitutioneller Monarchien steht und zudem auf der Vorstellung einer ständischen Gesellschaftsordnung beruht, wie sie sich in der politischen Ordnung widerspiegelt. Die Legislative wird Montesquieu zufolge aus zwei voneinander unabhängig tagenden und beschließenden Körperschaften gebildet: Zum einen aus den gewählten Volksvertretern, zum anderen aus der erblichen Adelskörperschaft. Beide Körperschaften können sich weder selbst versammeln, noch dürfen sie permanent tagen, noch sich selbsttätig mit politischen Fragen befassen. Befugt, die legislativen Körperschaften zu einem bestimmten Zweck einzuberufen und danach wieder aufzulösen, ist der an der exekutiven Spitze stehende Erbmonarch, dem darüber hinaus bei Gesetzesbeschlüssen ein

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absolutes Veto eingeräumt ist. Die Legislative - autorisiert, die Anwendung ihrer Gesetze zu überwachen - kann jedoch nicht den Monarchen zur Verantwortung ziehen. Da seine Person sankrosankt ist, sind an seiner Stelle die Minister der strafrechtlich sanktionierten Verantwortlichkeit unterstellt. Die Verantwortlichkeit der Minister steht in engem Zusammenhang mit der Unverantwortlichkeit der Krone und resultiert aus der Anschauung Montesquieus, der monarchischen Regierung eine starke Stellung zu sichern. In Ergänzung und Ausfuhrung des oben bereits zitierten Art. 13 der Bundesakte gab Art. 57 der Wiener Schlussakte vom 15.05.1820 (Text bei Franz: 3 1975, S. 138) diesem Verständnis verfassungsprogrammatisch Ausdruck, wenn dort beschlossen wurde: „Da der deutsche Bund, mit Ausnahme der freien Städte, aus souveränen Fürsten besteht, so muss, dem hierdurch gegebenen Grundbegriffe zufolge, die gesamte Staatsgewalt in dem Oberhaupte des Staates vereinigt bleiben, und der Souverän kann durch eine landständische Verfassung nur in Ausübung bestimmter Rechte an die Mitwirkung der Stände gebunden werden". Die Unbestimmtheit der staatsrechtlichen Terminologie dieses wie des Art. 13 der Bundesakte von 1815 führte vor allem in Ausdeutung der „landständischen" in Abgrenzung gegenüber den „repräsentativen" Elementen (Bluntschli: 5 1876 II., S. 49ff.) zu einer ganz von den Bemühungen restaurativer Beharrung und Reform, Fortschritt und Weiterentwicklung gekennzeichneten Auseinandersetzung. Ausgelöst wurde diese Auseinandersetzung vor allem durch ein Gutachten von Friedrich Gentz - Berater des österreichischen Staatsministers Metternich (1773-1859) - für die Karlsbader Konferenz (1819): „Über den Unterschied zwischen landständischen und Repräsentativ-Verfassungen". Landständische Verfassungen waren nach Gentz' Definition solche, „in welchen Mitglieder oder Abgeordnete durch sich selbst bestehende Körperschaften (z.B. Universitäten, Kirchen oder andere Körperschaften R.W.) ein Recht der Teilnahme an der Staatsgesetzgebung (...) ausüben". Repräsentativ-Verfassungen seien hingegen solche, „wo die zur unmittelbaren Teilnahme an den wichtigsten Geschäften der Staatsverwaltung bestimmten Personen (...) die Gesamtmasse des Volks vorzustellen berufen sind" (Gentz: 1814/1818, S. 220ff.). Auf die folgende Entwicklung übten diese Thesen erheblichen Einfluss aus. Zwar gelang den restaurativen Kräften um Metternich eine bundesrechtlich verbindliche Interpretation und Festschreibung des altständischen Vertretungsmodells nicht; dennoch hatten sie mit der Statuierung des monarchischen Prinzips und der daraus resultierenden Einengung des Kompetenzbereichs der repräsentativ-strukturierten Landtage Erfolg, insbesondere mit der Absicht, eine Parlamentarisierung der Exekutive (vorläufig) zu verhindern. Auf der Grundlage des zitierten Art. 57 der Wiener Schlussakte als institutionelle Garantie des monarchischen Konstitutionalismus erfolgte eine ihr entsprechende Verfassungsgewährung zunächst in den süddeutschen Staaten. Eine Begründung ist in der staatsrechtlichen Lage dieser Staaten nach der napoleonischen Rheinbundpolitik zu sehen; Säkularisierung, Mediatisierung und territoriale Neuordnung, vor allem aber auch verfassungspolitische Überlegungen, wie Revolutionen vorzubeugen sei, veranlassten die Monarchen zur verfassungsrechtlichen Konsolidierung (Botzenhart: 1982). In unterschiedlichen Verfassungsgewährenden Verfahrensformen - notwendige, freiwillige oder oktroyierte Verfassungsgebung fanden diese Staaten zu Repräsentativ-Verfassungen mit (alt)ständischen Elementen, welche, wenn auch zunächst nur bruchstückhaft, als Vorläufer des modernen deutschen Verfassungsstaates angesehen werden können. Unabhängig

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vom verfassunggebenden Prozess galt für alle, dass der Monarch durch die Verfassung an diese gebunden war; stellvertretend sei § 5 der Verfassungsurkunde für Baden vom 22.08.1818 zitiert: „Der Großherzog vereinigt in Sich alle Rechte der Staatsgewalt, und übt sie unter den in dieser Verfassungsurkunde festgesetzten Bestimmungen aus" (Text bei Zachariä: 1855, S. 331ff.; hier auch die übrigen deutschen Verfassungen). Die Kompetenzregelung fiir die Volksvertretungen waren unterschiedlich, aber ähnlich. Alle beruhten auf dem monarchischen Prinzip mit starker exekutiver Prärogative; dieser wurden die Einberufung, Vertagung und Auflösung der Volksvertretung sowie die klassischen monarchischen Reservatzuständigkeiten (Armee, Verwaltung, Auswärtige Gewalt) zugerechnet. Sie gewährten Bürgerund Freiheitsrechte und räumten den Landtagen - i.d.R. als Zweikammersystem nach englischem Vorbild errichtet - das Recht zur Mitwirkung an der Gesetzgebung und der Budgetbewilligung ein. Ein Gesetzesinitiativrecht besaßen die Volksvertretungen nicht, lediglich ein Gesetzespetitionsrecht, welches zu einem gestaltenden Einfluss auf Lenkung und Leitung des Staates nicht in der Lage war: Alle Mittel dazu lagen allein bei der Exekutive. Der Monarch wurde als „heilig und unverletzlich" (§ 5 Badische Verfassungsurkunde vom 22.08.1818, s.o.) angesehen, und deshalb konnte und durfte ihm eine persönliche Verantwortung für seine Handlungen nicht zugerechnet werden. Es entsprach gemeinsamer konstitutioneller Übung, dass die - wie es in Baden hieß - „großherzoglichen Staatsminister und sämtliche Staatsdiener (...) fiir die genaue Befolgung der Verfassung verantwortlich" sind (§ 7). Als Rechtsinstitut der zunächst strafrechtlich - nicht staatsrechtlich - bedeutsamen ministeriellen Verantwortungsübernahme führten die konstitutionellen Verfassungen die Gegenzeichnung (Kontrasignatur) aller vom Monarchen ausgehenden Verfügungen durch den „Departementsminister (...), welcher dadurch für ihren Inhalt verantwortlich wird", ein (z.B. § 199 Verfassungsurkunde Württemberg). Die frühen deutschen Verfassungsregelungen enthielten mit diesem, dem französischen Verfassungsrecht unmittelbar entlehnten Rechts erste Elemente parlamentarischer Regierungskontrolle und verantwortlicher Regierung (Scheuner: 1970, S. 379ff.). War das absolutistische Regime charakterisiert durch den persönlich regierenden Monarchen, so überführte der Konstitutionalismus das Königtum als Folge verantwortlicher Ministerregierung in eine unverantwortliche, quasi „neutrale" Monarchie. Das Prinzip der Ministerverantwortlichkeit ohne parlamentarisches Misstrauensvotum musste in seiner Konsequenz die Abhängigkeit der Minister vom Parlament stärken und gleichzeitig ihre Angewiesenheit auf das Vertrauen der Krone schwächen. Die von äußeren Ereignissen angestoßenen zweite und dritte großen Verfassungsbewegungen - 1830: Juli-Revolution in Frankreich; 1848: Sturz des Königs Louis Philippe (1773-1850) - hatten bereits im Vorfeld zur theoretischen Vertiefung der Staatslehre des Konstitutionalismus geführt, wobei stellvertretend für diese Bemühungen - neben Hegel (1770-1831) - Friedrich Christoph Dahlmann (1785-1860), Lorenz von Stein (1815-1890) und Friedrich Julius Stahl (18021861) zu nennen sind. Vor allem auf die Staatslehre Stahls von 1845 ist deshalb hinzuweisen, weil sie erstmals mit Blick auf die Verantwortungsproblematik dem „monarchischen Prinzip" das parlamentarische entgegenstellt: „Der eigentliche und spezifische Gegensatz gegen das monarchische Prinzip ist deshalb vielmehr das parlamentarische Prinzip, wie wir ihm diesem Namen geben wollen, d. i. die überwiegende Stellung des Parlaments gegenüber dem Könige, die sich in Eng-

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land ausgebildet hat und natürlich in den auf Volkssouveränität gegründeten Verfassungen nicht in geringerem, sondern in höherem Grade angestrebt wird" (: 1845; S. 2). Am englischen Beispiel orientiert, führt Stahl weiter aus, dass die parlamentarische Regierung sich dadurch definiert, dass die „Minister die gesamte Regierung in ihre Hände gelegt bekommen (...) und diese mit unbedingter Rücksicht auf den Willen des Parlaments führen", solange sie das Vertrauen der Abgeordneten besitzen (S. 7). Im Gegensatz dazu behalten in Deutschland die Minister im Anklagefall ihr Amt, solange sie das Vertrauen des Fürsten genießen. Die Ministerverantwortlichkeit sei hier Ausdruck des monarchischen Prinzips, wonach der Fürst das „Recht und die Macht habe, selbst zu regieren". Die Ministerverantwortlichkeit bestehe zum Zwecke der Verfassungsmäßigkeit und nicht wie in England - „zum Zwecke der parlamentarischen Regierung" (v. Stahl: 1845, S. 18; s.a. - » § 2 , III.). Der deutsche Konstitutionalismus ist über diese juristische Sichtweise der Ministerverantwortlichkeit im Sinne einer verfassungspositiven Regelung politischparlamentarischer Regierungsverantwortung nicht hinausgekommen, sieht man von § 186 Satz 2 der Paulskirchenverfassung vom 28.03.1849 ab, der besagt: „Die Minister sind der Volksvertretung verantwortlich" (Text bei Boldt: 1987, S. 391ff.; Auszüge bei Frotscher/Pieroth: 2 1999, S. 164ff.). Allerdings zeigt die Verfassungswirklichkeit sehr früh, dass monarchische Unverantwortlichkeit, ministerielle Verantwortungsübernahme und gesetzgebende Mitwirkung der Volksvertretung unter den Bedingungen der Bildung parteienorientierter Fraktionen im Parlament nicht vereinbar waren. Für die 60er Jahre des letzten Jahrhundert lässt sich die Entwicklung dahin gehend zusammen, dass die Rechenschaftspflicht gegenüber den Landtagen, und damit die Abhängigkeit der Regierungen von den Landtagen an Umfang und Intensität beständig zunahmen. Und 1869 urteilte der Historiker Heinrich von Treitschke bereits: „Darüber ist kein Streit möglich, dass ein Ministerium auf die Unterstützung zählen muss, wenn es in der Gesetzgebung fruchtbar und segensreich wirken soll. Nur ein falscher bürokratischer Dünkel sträubt sich noch, diese längst zur Tatsache gewordene Macht unserer Parlamente anzuerkennen" (zitiert nach Brandt: 1987, S. 453; 543).

2. Der Übergang zum parlamentarischen Regierungssystem In Konsequenz des nationalen Ringens um die Hegemonie in Deutschland zwischen Österreich und Preußen zerbrach der Deutsche Bund am 14.06.1866. Die Erklärung Preußens, der Bundesvertrag (s.o.) sei erloschen, führte zum „deutschen" Krieg zwischen den „sezessionistischen" Bundesstaaten unter Führung Preußens (die meisten der norddeutschen Kleinstaaten) und den „bundestreuen" Staaten unter Führung Österreichs (u.a. Bayern, Hannover, Württemberg, Kurhessen); mit der für die deutsche und europäische Geschichte so folgenreichen Schlacht bei Königgrätz (3.07.1866) endete mit der Niederlage Österreichs, seinem Ausschluss aus Deutschland und der Auflösung des Deutschen Bundes. Die Neugestaltung Deutschlands vollzog sich zunächst durch die Gründung des Norddeutschen Bundes. Gemäß der von ihm am 1.07.1867 in Kraft gesetzten Bundesverfassung lag die Regierungsgewalt beim Bundesrat; der Reichstag sollte aus allgemeinen freien Wahlen hervorgehen, und das Bundespräsidium stand Preußen zu. Mit dem Zusammenschluss des Norddeutschen Bundes mit den süd-

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deutschen Staaten zum Deutschen Reich durch die Proklamation des preußischen Königs Wilhelm I. zum Deutschen Kaiser am 18.01.1871 in Versailles war die Reichsgründung vollzogen. An die Stelle der Verfassung des Norddeutschen Bundes trat nun die ihr in weiten Teilen sehr ähnliche Reichsverfassung vom 16.04.1871 (Text bei Dürig/Rudolf: 2 1979, S. 153ff.). „Präsidium" und „Bund" wurden ersetzt durch „Kaiser" und „Reich". Die Wahl der Begriffe steht symbolisch für die Anschauung, dass die auf Einheit drängende nationalstaatliche Politik (Winkler: 2000 I., S. 208ff.) damit zum Abschluss gekommen sei. Der Begriffswechsel stellt zugleich den Versuch dar, die Verbindung zum alten Reich herzustellen, welches im Verständnis dieser Zeit eine geradezu mythologische Qualität besaß: „Die Wirkungen, die von diesem Mittelalterbild ausgingen, können kaum überschätzt werden. Kein Bereich der gehobenen wie der populären Kultur, der davon nicht tief durchdrungen wurde; Lyriker und Romanciers wetteiferten darin, ein romantisch-heroisches Mittelalterbild zu entwerfen, in dem strahlende Kaiserherrlichkeit und eine alle Klassen des Volkes umfassende, christliche Frömmigkeit und Einfachheit herrschten ... So kam es, dass der lang ersehnte deutsche Nationalstaat von 1871 weitgehend aus dem Geist dieses Mittelalterbilds entworfen war. Der erbliche Bundespräsident des neuen Staates nannte sich Kaiser, obwohl ihn nicht die geringsten Bezüge mit dem letzten Römischen Kaiser, mit Franz II., verbanden; der neu erstandene Deutsche Bund nannte sich Reich, und hatte doch mit dem transnationalen und religiösen Wesen des Heiligen Römischen Reiches nichts zu tun" (Schulze: 1994, S. 186f.). a) Reichstag und Gesetzgebung Der im vorhergehenden Abschnitt skizzierten Verfassungswirklichkeit entsprachen die Grundprinzipien der Konstitution des Deutschen Reiches nicht. Sie blieb monarchisch-konstitutionell. Art. 17 RV regelte überkommenem Staatsrecht folgend, dass dem Kaiser die Ausfertigung und Verkündigung der Reichsgesetze und die Überwachung derselben zustehe. Die Anordnungen und Verfügungen des Kaisers „werden im Namen des Reiches erlassen und bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung des Reichskanzlers, welcher dadurch die Verantwortung übernimmt". Dem Kaiser stand - konstitutionelle Übung - das alljährliche Einberufungsrecht des Reichstages zu, ebenso wie das Recht, diesen zu eröffnen, zu vertagen und zu schließen. In Reichskanzler Bismarck (1815-1898), als maßgeblichem Konstrukteur dieser bundesstaatlich-nationalen Verfassung, sah die Zeit vielfach den „Retter des deutschen Konstitutionalismus" und den „Bewahrer Preußens vor der Parlamentsherrschaft" (Boldt: 1970, S. 119). In seiner Amtsführung als Reichskanzler, der vom Kaiser ernannt, den Vorsitz im Bundesrat führte und die „Leitung der Geschäfte" innehatte (Art. 15 RV), folgte Bismarck - wie die Reichskanzler nach ihm - den gewandelten Verfassungsbedingungen insofern, als er seine Politik auf wechselnde Mehrheiten im Reichstag stützte („Regierung über den Parteien"). Dass diese Politik der Absprachen, Kompromisse, Zugeständnisse und der Einmischung der Reichstagsparteien in Leitung und Verwaltung des Reiches im scharfen Gegensatz zur staatsrechtlichen Ignoranz der Parteien im konstitutionellen System stand, war wohl weniger entscheidend, als dass sich darin vielmehr die bedeutendste Veränderung im Verfassungssystem des Kaiserreiches in Form des zunehmenden Einflusses des Reichstages manifestierte. Die erstarkende Stellung

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des Reichstages war „Ausdruck grundlegender Wandlungen im Verhältnis der bürgerlichen Gesellschaft zu der bis dahin weitgehend von ständischen und anderen Eliten geprägten Staatlichkeit. Gegenüber dem bisher von Dynastie, Adel, Ministerialbürokratie und Offizierskorps getragenen Staat beanspruchten nunmehr die gesellschaftlichen Kräfte im Zeitalter der Industrialisierung, insbesondere die politischen Parteien und Verbände, am staatlichen Willensbildungsprozess selbst teilzunehmen und ihn maßgeblich zu beeinflussen" (Kröger: 1988, S. 116f.), worauf unten zurückgekommen wird. Das erstarkende Selbstbewusstsein des Reichstages spiegelt sich nicht zuletzt in den seit der Jahrhundertwende immer wieder unternommenen Anläufen, eine judizielle Ministerverantwortlichkeit, welche Preußen, der Norddeutsche Bund und die Deutsche Reichsverfassung - im Unterschied zu den frühkonstitutionellen Verfassungen nicht gekannt haben -, zu kodifizieren. Wenn man einen historischen Versuch wagen will - schreibt Manfred Rauh angesichts dieser Bemühungen - wird man „vielleicht sagen können, dass der Vorgang der Parlamentarisierung, der als originäres Phänomen in England rund zwei Jahrhunderte benötigte, in Deutschland als sozusagen nachvollzogene Erscheinung in einigen Jahrzehnten vonstatten ging. Setzt man als Beginn der britischen Entwicklung die hauptsächlich in der Revolutionszeit während des 17. Jhd.s bedeutungsvollen Versuche der Ministeranklage an, die im 18. Jhd. zwar nicht ganz verschwanden, aber ungebräuchlich wurden, so wird eben dieses 18. Jhd. gekennzeichnet durch den vordringenden, politischen (nicht juristischen) Einfluss auf die Ministerabsetzung und Ministerernennung. In der ersten Hälfte des 19. Jhd.s festigte sich dann die (auch personelle) Abhängigkeit der Regierungen vom Parlament (...). In Analogie hierzu könnte man den Beginn der nachdrücklichen Emanzipation des Reichstages ungefähr auf die Jahrhundertwende legen (...). Tatsächlich beginnt auch genau im Jahre 1900 der Versuch des Reichsparlaments, das Problem der Ministeranklage wieder aufzunehmen. Später trat diese Frage zurück, und es wurden andere Wege des parlamentarischen Zugriffs auf die Reichsleitung beschritten" (: 1977, S. 174, Fußn. 94; zum Vergleich mit England: Ritter: 1962; 1972). Neuen Antrieb erhielten die Initiativanträge der Parteien, die Verantwortlichkeit des Reichskanzlers und die Form der Anklage zu regeln in der „Daily-TelegraphAffäre" von 1908, welche die konstitutionelle Monarchie dem Übergang zur parlamentarischen Regierungsform nahe brachte; den Schritt zur Parlamentarisierung der Reichsleitung wurde allerdings - wie die Verfassungsdebatte im Dezember 1908 (Schlegelmilch: 1936, S. 49ff.) über die Anträge zur Verankerung der Ministerverantwortlichkeit zeigt - von den Parteien nicht vollzogen: Damit ist die Volksvertretung in jenen ersten Jahren der parlamentarischen Emanzipationsversuche zweifellos überfordert gewesen; ihr verfassungspolitisches Denken bewegte sich (noch) zu stark im Rahmen der konstitutionellen Verfassung (Pikart: 1962, S. 12ff; Bermbach: 1967, S. 18). Wenn diese Verfassungsdebatte im Dezember 1908 zusammenfiel mit den ihr entsprechenden Anträgen zur Änderung der Geschäftsordnung des Reichstages (GO-RT), so belegt dies den Zusammenhang zwischen parlamentarisch-politischem Bedeutungszuwachs und parlamentsrechtlicher, geschäftsordnungsmäßiger Kodifizierung. Eine, vielleicht die gewichtigste Ursache, für die erstarkende Stellung der Volksvertretung im Spätkonstitutionalismus darf in der Konzentration der gesetzgebenden Gewalt beim Parlament und in der Unterwerfung um-

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fangreicher Regelungstatbestände unter das Gesetz (Gesetzesvorbehalt) gesehen werden. So unbestimmt der Gesetzesbegriff im Konstitutionalismus auch war, so unterlag den Verfassungen die gemeinsame, ins 17. Jhd. zurückreichende Anschauung (John Locke), dass Entscheidungen, welche Freiheit und Eigentum betrafen, zwingend Gesetzescharakter haben mussten. Geschrieben oder ungeschrieben galt für das konstitutionelle Staatsrecht (v. Aretin/Rottek: 2 1838 II.), dass Gesetz jede allgemeine Norm sei, die in die persönliche Freiheit und das Eigentum des Einzelnen eingreife (Budgetrecht, Eingriffsverwaltung). Damit hing die Reichweite der legislativen Mitwirkung an der Gesetzgebung und die Abgrenzung zwischen monarchischer Gewalt und legislativer Zuständigkeit an der inhaltlichen Auffüllung des Gesetzesbegriffes und der thematischen Zurechnung zum Gesetz. Angemerkt sei, dass hier auch die Wurzeln für die Auffassung liegen, wonach ein Gesetz als gemeinsamer staatlicher (Monarch) und gesellschaftlicher (Volksvertretung) Willensakt in Form des Vertrages zwischen Staat und Gesellschaft zu verstehen ist; das Gesetz als Vertrag ist für das Staatsdenken des 19. Jhd.s typisch. Unter diesem Blickwinkel werden frühkonstitutionelle Monarchien durch drei Merkmale gekennzeichnet: 1. Die Gesetzesinitiative steht allein dem Monarchen zu: „§ 172. Gesetz-Entwürfe können nur vom König an die Stände, nicht von den Ständen an den König gebracht werden". 2. Der König „sanctioniert und verkündet die Gesetze unter Anführung des Geheimen Raths und der erforderlichen Zustimmung der Stände". 3. Den Ständen ist unbenommen, „im Wege der Petition auf neue Gesetze sowohl, als auf Abänderung oder Aufhebung der bestehenden anzutragen" (§ 172 Verfassungsurkunde für das Königreich Württemberg vom 25. 09.1819, s.o.). In diesem Verständnis, in welchem die Kammern über den materiellen Gehalt des Gesetzes mit zu bestimmen hatten, nicht aber über den formellen Erlass (Ausfertigung, Gesetzesbefehl), sind exekutive und legislative Gewalt im gesetzgebenden Akt verschränkt, die Legislative aber zugunsten der Exekutive vom Gesetzesinitiativrecht ausgeschlossen und auf das Gesetzes-Petitionsrecht eingegrenzt. Diese Struktur der Gesetzgebungskompetenz zeigt anschaulich, wie ausgeprägt das monarchische Prinzip gegen die Lehre vom gewaltenteilenden Staat gerichtet war und wie die staatsrechtliche Sicht vom gewaltenvereinigenden Souverän die Volksvertretung als nachgeordnetes, lediglich durch Gesetzesmitwirkung an der Ausübung der Staatsgewalt beteiligtes Organ verstand. Die Gleichheit der Rechtssätze „Gesetz" und „Recht" war für die konstitutionelle Staatsrechtslehre ein Axiom mit der Folge, den Rechtssatz auf Eingriffsregelungen in Freiheit und Eigentum zu beschränken und anderes staatliches Handeln, vor allem im Bereich der Staatsorganisation, als „Sache des Monarchen" zu betrachten (Kröger: 1988, S. 41; Böckenförde: 2 1981, S. 219). Demnach wurde der letztgenannte Bereich durch „Nicht-Rechtssätze", also durch Verwaltungsvorschriften geregelt, die ihrerseits dem „Recht" nicht subsumiert wurden und dem selbstständigen Verordnungsrecht der Krone zugeschlagen waren. Gestärkt wurde diese Staatspraxis durch die Übung, in Zweifelsfällen eine Zuständigkeitsvermutung zugunsten des die organische Einheit der Staatsgewalt verkörpernden Souveräns anzunehmen. Eine erhebliche Erweiterung des konstitutionellen Gesetzesvorbehalts bewirkte seit den 70er Jahren die Staatsrechtslehre des Juristischen

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Positivismus". Mit ihm verbindet sich eine Wiederbelebung der dem römischen Recht geläufigen, bis heute nachwirkenden Lehre vom „doppelten" Gesetzesbegriff - einem formellen und einem materiellen (s.a. - » 18, III.). Unter der hier interessierenden Fragestellung liegt die Bedeutung der Unterscheidung zwischen formellem und materiellem Gesetz in der Bestimmung von Zuständigkeit und Abgrenzung legislativer und exekutiver Gewalt. Die Fassung des Art. 62 der Preußischen Verfassungsurkunde von 1851 („Die gesetzgebende Gewalt wird gemeinschaftlich durch den König und durch zwei Kammern ausgeübt") - so argumentiert zum Beispiel der Verfassungsrechtler Paul Laband in seiner epochemachenden Studie - unterstellt einen materiellen Gesetzesbegriff, welcher gleichbedeutend mit dem Begriff des Rechtssatzes sei und nach der jede Abänderung und Fortbildung der Rechtsordnung unter Mitwirkung der Volksvertretung erfolgen müsse (: 1871/1971, S. 10). Mit anderen Worten: Die gesetzgebende Gewalt erstrecke sich auf den Erlass aller Anordnungen mit Rechtssatzcharakter, neben welcher es ein Gesetzes unabhängiges Verordnungsrecht des Souveräns, wie es in Art. 45 dieser Verfassung vorgesehen war, und nach welchem der König die Verkündung der Gesetze und die zu deren Ausfuhrung nötigen Verordnungen befahl, nicht geben konnte. In der Entwicklung Preußens bedeutet der Ausschluss des selbstständigen Verordnungsrechts der Krone einen entscheidenden Schritt. Die Mitbestimmungsgewalt der Kammern im Bereich der Gesetzgebung war erst gesichert, seit die Gesetzgebungskompetenz durch den materiellen 'Vorbehalt des Gesetzes1 umfassend umschrieben war. Die Ausdehnung des Gesetzesverständnisses auf staatliche Entscheidungen, die ihrem Wesen nach nicht Gesetz waren, sicherte und erweiterte die parlamentarische Mitbestimmung erheblich. Nach wie vor stellt das Haushaltsrecht das anschaulichste Beispiel für ein formelles, die parlamentarische Zuständigkeit erweiterndes Gesetz dar. War eine Materie durch Gesetz geregelt, so galt der staatspraktische Grundsatz vom Vorrang des Gesetzes mit der Folge, dass diese nur durch ein neues Gesetz geändert oder aufgehoben werden konnte: Hierin offenbart sich die „unaufhaltsame Entwicklung vom monarchischen zum demokratischen Prinzip" (Kröger: 1988, S. 42), und hierin hat der angesprochene Bedeutungszuwachs des Parlaments in Form der Gesetzgebungsfunktion eine seiner wesentlichsten Grundlagen. Ein kennzeichnendes Merkmal spätkonstitutioneller Verfassungsformen liegt in der gesetzesbeschließenden und -initiierenden (Art. 23 RV) Funktion des Parlaments gegenüber der im Kern nur billigenden frühkonstitutionellen Parlamentskompetenz. Nach Art. 28 RV (1871) „beschließt" der Reichstag über die Gegenstände der Reichsgesetzgebung gemeinschaftlich mit dem Bundesrat, dem zugleich ein Bundesverordnungsrecht zugesprochen war (Art. 5 RV). Die erforderlichen Mehrheitsbeschlüsse beider Versammlungen waren in dieser Hinsicht völlig gleichgewichtig und ausreichend; ein Mitwirkungsrecht im Beschluss hatte der Kaiser nicht. Der Gesetzgebung im Reich kam nicht nur deshalb zentrales Gewicht zu, weil dem Gesetzgebungsrecht keine inhaltlichen Schranken gezogen waren - die kaiserlichen Reservatrechte seien hier nicht betrachtet -, sondern vor allem auch, weil im Zuge der Reichsgründung die Rechtsvereinheitlichung im Deutschen Reich und die in Art. 4 RV enumerierten Gegenstände der Reichsgesetzgebung den gesetzgeberischen Gestaltungsraum sachlich erheblich ausweiteten (Laband: 5 1911 II., S. lff.). Überdies ist daran zu erinnern, dass es kein vorkonstitutionelles

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Reichsrecht, also keinen Bestand an Gesetzen gab, auf welchen sich die Reichsleitung und der Bundesrat hatten stützen können. Der Umfang der Reichsgesetzgebung wurde weiter durch die Tatsache bestimmt, dass das Reich auf den Vollzug der Gesetze durch die Behörden der Länder angewiesen war; zum Vollzug der Rechtssätze waren die Länder aber nur aufgrund des Gesetzescharakters der Maßnahmen verpflichtet. Letztlich sei angemerkt, dass die Zahl der sogenannten „Maßnahmegesetze", mit welchen auf kurzfristige Regelungsbedürfhisse reagiert wurde, seit Reichsgründung stieg (Huber: 31988, S. 919). Ein Grund für diese Entwicklung war, dass die Verfassung nur den Typus des Gesetzes kannte, wie er im Zusammenwirken von Reichstag und Bundesrat zustande kam; ein kaiserliches Verordnungsrecht kannte sie nicht mit der Folge, dass Maßnahmen wie etwa das Sozialistengesetz vom 21.10.1878 in Form eines Gesetzes erlassen werden mussten (Stürmer: 1974, S. 231). Stellt man diese Hinweise zu Umfang und Konzentration der Gesetzgebungskompetenz beim Parlament, traditionell ergänzt durch das jährlich zu beschließende Gesetz über den „Reichshaushalts-Etat" (Art. 69 RV), in den Prozess der wirtschaftlichen, industriellen und sozialen Umwälzungen im ausgehenden 19. Jhd., so veranschaulicht sich, dass der skizzierten Parlamentarisierung der Reichsregierung die „Parlamentarisierung" der Innenpolitik des Deutschen Reiches als Konsequenz der Gesetzgebungszuständigkeit vorausging. Die allmähliche Monopolisierung der Gesetzgebung beim Parlament bildete ihrerseits die Grundlage für die wachsende Bedeutung des Reichstages im Verfassungsgefuge des Deutschen Reiches. Im Rücktritt des Reichskanzlers Fürst von Bülow im Juli 1890 manifestiert sich der Bedeutungszuwachs des Reichstages und seiner Parteien, wenn Bülow in einer Presseerklärung zu seiner Demission unter anderem darauf hinwies, dass sich erstmals in dieser Form eine Regierungsmehrheit von einer oppositionellen Fraktionsminderheit unterscheiden ließe: „Ich habe mich zum Rücktritt entschlossen, weil durch die Haltung der konservativen Partei eine politische Konstellation herbeigeführt worden ist, die unter Trennung von den liberalen Parteien und sogar von den Waffenbrüdern des alten Bismarckschen Kartells die Konservativen zum engsten Bunde mit dem Zentrum und den Polen geführt und dadurch das Zentrum wieder zur ausschlaggebenden Partei gemacht hat. Die Folge dieser Haltung der Konservativen und die hierdurch herbeigeführte Konstellation haben mein Verbleiben im Amte unmöglich gemacht" (bei Hohlfeld: 21934/1972, S. 446.). Zwar war der Nachfolger Fürst von Bülows - von Bethmann-Hollweg — ohne Rücksicht auf die Mehrheitsverhältnisse im Reichstag ernannt worden; aber die Einsicht, ein Reichskanzler, dessen „Amtsführung nicht mehr das Vertrauen der Parlamentsmehrheit und der Öffentlichkeit hat, wird sich nicht im Amte halten können und seine Demission nehmen müssen" wuchs seither beständig (Denkschrift aus dem Reichsamt des Innern 1909 bei Rauh: 1977, S. 180; Grosser: 1970, S. 51fT.). Ebenso klar wurde von Seiten der Reichsleitung gesehen, dass eine Ministeranklage vor einem Staatsgerichtshof - ihn gab es im Deutschen Reich nicht - der „Anfang des parlamentarischen Regimes" (Denkschrift) sein würde. Es verwundert nicht, dass die Diskussion um ein „Ministerverantwortlichkeitsgesetz" nach dieser Affäre 1908 erneut breiten Raum einnahm. Auch galt die Frage, was die Sozialdemokraten unter „demokratischem Parlamentarismus" oder die Linksliberalen unter „parlamentarischem System" verstanden; es war auch keineswegs eindeutig zu sagen, was Teile der Nationalliberalen zur Ablehnung

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des „Systemwechsels" bewegte und welche staatsrechtlich-politische Anschauung mehrheitlich das Zentrum veranlasste, diese Ablehnung in Teilen zu übernehmen (Grosser: 1970, S. 64ff.). War man im Kaiserreich der Auffassung, das die konstitutionelle Monarchie eine vollendete Verbindung der beiden für die europäische Staatsentwicklung konstitutiven Prinzipien der monarchischen Obrigkeit und der parlamentarischen Selbstbestimmung des Volkes (Boldt: 1990, S. 205) darstellte, so erwies sich die staatsrechtliche Konstruktion monarchischer Unverantwortlichkeit im Kriegsfalle im nach herein gerade als Voraussetzung und Bedingung fiir die Parlamentarisierung der Reichsregierung. b) Der Übergang vom Kaiserreich zur Weimarer Republik Ein formelles Zustimmungsrecht des Reichstages zur Kriegserklärung kannte die Reichsverfassung nicht - nach Art. 11 RV bedurfte sie nur der Zustimmung des Bundesrates -, aber es bestand kein Zweifel, dass eine wirksame Kriegsführung nur im Zeichen nationaler Einmütigkeit, das heißt unter Einbeziehung aller Parteien und ihrer Zustimmung zu den vorbereiteten Kriegsgesetzen (Kriegskredite) denkbar war. In seiner Thronrede zur Eröffnung des Reichstages am 4.08.1914 am 1.08. hatte Deutschland Russland, am 3.08. Frankreich den Krieg erklärt, ( forderte Wilhelm II. (1859-1941) die Vorstände der Parteien auf, ihm in die Hand zu geloben, dass sie „ohne Parteiunterschiede" fest entschlossen seien, in „Not und Tod" durchzuhalten: „Ich kenne keine Partei mehr, Ich kenne nur noch Deutsche" - so der Kaiser; die Parteiführer folgten dieser Auffassung zum „Burgfrieden" unter „stürmischen andauerndem Bravo" (Verhandlungen des Reichstages bei Huber: 3 1990 Dok. III., S. 128ff.; 136f.). Von der oben zitierten Gegenzeichnungspflicht durch den Reichskanzler waren Akte der Kommandogewalt des Kaisers über das Heer und die Flotte ausgenommen; gemäß Art. 68 Reichsverfassung besaß der Kaiser das Recht, den Ausnahmezustand zu verhängen - außer in Bayern -, mit der Folge, dass den Militärbefehlshabern mit Datum vom 31. Juli 1914 (Meyers: 7 1919, S. 275ff.; Huber: 3 1990 Dok. III., S. 450) das Recht zufiel, ohne parlamentarische Kontrolle die notwendigen Schutzmaßnahmen anzuordnen, wie gesetzesvertretende Notverordnungen zu erlassen. Die vollziehende Gewalt lag damit faktisch in den Händen der politisch unverantwortlichen Generäle, die weder an Weisungen des Bundesrates noch an solche des Kanzlers gebunden waren: „Es galt als rechtens, dass der Kaiser und König sich von diesen (den Militärbefehlshabern, R.W.) direkt beraten ließ, ohne den 'Zivilkanzler' einzuschalten. Diese an Umfang und Tragweite nie ganz klar gestellte Verdrängung des verantwortlichen Staatsmannes von der Verantwortung" (Thoma: 1930, S. 76; Böckenförde: 1985, S. 7; Rauh: 1977, S. 325ff.). verschärfte nach 1916 den Dualismus zwischen Reichsregierung und Oberste Heeresleitung und führte im Laufe der weiteren Entwicklung zur Diktatur der Generäle Auf ziviler Seite standen der durch Ermächtigungsgesetz vom 4.08.1914 (Huber: 3 1990, S. 457; Rauh: 1977, S. 295ff.) allein rechtsetzungsbefugte Bundesrat - der Reichstag hatte auf seine Mitwirkung an der Reichsgesetzgebung (Art. 5 RV) zugunsten der Exekutive auf der Grundlage und im Rahmen dieses Gesetzes verzichtet - und die Reichsleitung. Ernst-Rudolf Huber hat darauf aufmerksam gemacht, dass die Bedeutung dieser im Gesetz vom 4.08.1914 vorgenommenen legislativen Delegation und die daraus resultierende vorübergehende Aussetzung

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des gewaltenteilenden Prinzips auch mit Blick auf die Ermächtigungsgesetze der Weimarer Zeit beurteilt werden müssen (Huber: 1978 V., S. 45ff.; -> unten). Es ist darauf hinzuweisen, dass es für eine solche legislative Ermächtigung der Exekutive keine verfassungsrechtliche Grundlage gab. Allerdings entsprach es allgemein-verfassungsrechtlichem Denken der Zeit, dass in Situationen der Not des Gemeinwesens gewaltenvereinigende Regelungen erforderlich seien (z.B. Art 63 Preußische Verfassungsurkunde von 1850 abgedruckt in Hildebrandt: 131985, S. 12ff.). Eine vor allem auf staatsbejahende Einbeziehung der Sozialdemokraten zielende innenpolitische Absicherung des „Burgfriedens" forderte aus der Sicht des Reichskanzlers von Bethmann-Hollweg und seiner „Politik der Diagonale" folgerichtig eine nationale Integration möglichst aller Schichten der Bevölkerung und die programmatische Berücksichtigung ihrer Anschauungen und Interessen durch die Reichsleitung, wobei es die Erosion des monarchischen Konstitutionalismus kennzeichnete, dass es das Ziel dieser, im Grunde „parlamentarischen Regierungsweise" war, die Parlamentarisierung zurückzudrängen. Fragen der Reform des preußischen Drei-Klassenwahlrechts (v. Westphalen: 21996, S. 43ff.) im Sinne des Reichswahlgesetzes und das Verhältnis von Reichsleitung und Reichstag standen dabei im Vordergrund der verfassungspolitischen und -rechtlichen Erwägungen der Reichsleitung. Aktuell waren die älteren Gedanken des „sozialen Kaisertums" und des sich daran anknüpfenden Umbaus wie die Erweiterung der konstitutionellen Monarchie. Weiteren Auftrieb erhielt die Verfassungsdebatte infolge der Bildung der dritten „Obersten Heeresleitung" (von Hindenburg/Ludendorff) im Herbst 1916. Im Reichstag verlangte der Sprecher der Sozialdemokraten - Scheidemann - erneut die Parlamentarisierung der Reichsleitung und forderte die „Sicherung des Grundsatzes", dass niemand „Reichskanzler sein kann, ohne das entsprechende Vertrauen des Reichstages zu besitzen, und damit Heranziehung der Volksvertretung zu den verantwortlichen Geschäften der Regierung selbst" (Huber: 1978 V., S. 134). In der Diskussion der Vorlagen des mit Reformvorschlägen betrauten „Verfassungsausschusses" (Vorsitz: Scheidemann) des Reichstages im Mai 1917 (Huber: 1978 V., S. 143 ff.; S. 292ff.; Rauh: 1977, S. 374ff.) zeigte sich, dass Mehrheiten im Reichstag zur Einführung des parlamentarischen Regierungssystems, der Gegenzeichnungspflicht bei Ernennungen in Heer und Marine sowie zur Aufgabe der Inkompatibilität von Reichstag- und Bundesratsmandat (Art. 9 Satz 2 RV), welche ein zentrales Konstruktionsprinzip dieser Verfassung - die Verschränkung von Föderalismus und Antiparlamentarismus - aufgehoben hätte, nicht vorhanden waren. In der Arbeit dieses Ausschusses war aber den Fraktionen deutlich geworden, dass in zentralen verfassungspolitischen Fragen - Verantwortlichkeit des Reichskanzlers, Einflussmöglichkeit des Parlaments auf die Regierungsbildung, insbesondere durch Berufung von Abgeordneten in politische Ämter, und parlamentarische Kontrolle des Heeres - eine konsensfähige Meinung und weitergehende Gemeinsamkeiten unter den Parteien erkennbar wurden (Rauh: 1977, S. 365ff.; Bermbach: 1967, S. 52f.). So rückten die Nationalliberalen und das Zentrum der Forderung nach Einführung des parlamentarischen Regierungssystems näher, welche bisher im wesentlichen von der Sozialdemokratie getragen worden war (Grosser: 1970, S. 112ff.). Wie stark die Verantwortlichkeit des Reichskanzlers durch die Oberste Heeresleitung bereits unterlaufen war, dokumentiert sich nachhaltig in der Entscheidung über den uneingeschränkten U-Boot-Krieg vom 9.01.1917, in welcher der

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Reichskanzler von Bethmann-Hollweg sich den militärischen Ratgebern des Kaisers nach schwachem Widerstand unterordnete, obwohl er die von ihm erkannten Folgen dieser Maßnahme - den Eintritt der Vereinigten Staaten von Nordamerika in den Weltkrieg (6.04.1917) - politisch nicht vertreten konnte, gleichwohl staatsrechtlich die Verantwortung für diesen Schritt zu tragen hatte. Unter dem Eindruck der russischen Revolution, dem gescheiterten U-Boot-Krieg, dem nicht absehbaren Kriegsende, der nebelhaften und diffusen Kriegspolitik und den nicht erfolgenden inneren Reformen formierte sich aus dem an der politischen Reichsleitung nicht beteiligten Reichstag heraus eine parlamentarische Mehrheit, um angesichts der "gestörten Verantwortlichkeitsbeziehung" (Böckenförde: 1985, S. 7) auf die Reichsregierung Druck auszuüben. Die Formulierung einer Friedensresolution (verabschiedet am 19.07.1917, Huber: 31990 Dok. III., S. 501), die Aktualisierung des Budget- rechts angesichts neuer Anträge auf Kreditbewilligung Ende Juni 1917 und vor allem die Bildung eines 'Interfraktionellen Ausschusses' am 6.07.1917 indizierten die veränderten Verfassungsverhältnisse: „Unter dem Druck einer außerordentlichen Bedrängnis vollzog der Reichstag durch seine vier Parteien SPD, FVP, Zentrum und Nationalliberale jenen ersten Schritt zur kommenden, allmählichen Parlamentarisierung, der von allen Beteiligten zunächst in seiner verfassungspolitischen Tragweite nicht voll erkannt wurde. Erst als die Frage der Verfassungsreform die Diskussion der Mehrheitsparteien mehr und mehr zu beherrschen begann, stellte sich auch bei einzelnen Parlamentariern das Bewusstsein der institutionellen Bedeutung dieses Schrittes allmählich ein" (Bermbach: 1967, S. 62). Mit Beginn seiner Arbeit widmete sich der interfraktionelle Ausschuss, in welchem sich die Parteien nicht weiter unversöhnlich gegenüberstanden, „sondern die fraktionellen Gruppierungen gelegentlich quer durch konventionelle Parteifronten gezogen wurden" - eines der „erstaunlichsten Phänomene des deutschen monarchisch konstitutionellen Vielparteiensystems" (Bermbach: 1967, S. 74), - der verfassungsrechtlichen Umgestaltung des konstitutionellen Regierungssystems und zunächst vor allem der erwähnten Inkompatibilitätsklausel des Art. 9 RV. Wie stark diese verfassungsrevidierenden Bemühungen unter außenpolitischem Primat standen, macht eine Bemerkung des SPDPolitikers David im Juli 1917 anschaulich: „Die Frage des parlamentarischen Regierungssystems, des Einflusses der Volksvertretung auf die Regierung, ist von größter Bedeutung für den Friedensschluss" (zitiert nach Bermbach: 1967, S. 87). In der Entlassung des Reichskanzlers von Bethmann-Hollweg am 13.07.1917 auf zwingenden Wunsch des Heeresleitung im Zusammenwirken mit der Mehrheitsfraktion des Reichstages, deren „Friedensresolution" vom 19.07.1917 den Anspruch des Reichstages auf Mitwirkung an und Kontrolle der Reichspolitik dokumentierte, und welcher in der Person des Kanzlers ein Hindernis sowohl für einen schnellen Friedensschluss wie für die Parlamentarisierung sah, konkretisierte sich der allmähliche Verfassungswandel. Die Teilnahme des Kronprinzen an der Besprechung der Parteiführer (Protokoll der Besprechung des Kronprinzen mit den Parteiführern vom 12.07.1917, abgedruckt bei Hohlfeld: 21934/1972, S. 583ff.), die Nachfrage des Kaisers bei der Heeresleitung, wen sie als Nachfolger von Bethmann-Hollwegs wünsche und ihr Plazet zur Ernennung des preußischen Staatssekretärs Georg Michaelis zum Kanzler (14.07.1917) machte deutlich, wie weit die verfassungsrechtliche Mitte des konstitutionellen Systems - die verantwortliche Amtsführung des Kanzlers auf dem alleinigen Vertrauen des selbst nicht verantwortlichen Monarchen -

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verfassungspolitisch bereits ausgehöhlt war, auch wenn Michaelis' Ernennung die monarchische Prärogative noch einmal wahrte. Dies war nicht als Zeichen konstitutioneller Stärke zu deuten, sondern wurde ermöglicht durch die Schwäche der Parteien, die Parlamentarisierung konsequent zu verfolgen und einem dem Reichstag verantwortlichen Nachfolger vorzuschlagen (Grosser: 1970, S. 152ff.; Epstein: 1960, S. 574) Mit der Amtsübernahme Georg Michaelis verbanden sich auch die Besetzung von Regierungsämtern durch führende Parteipolitiker (Paul von Krause; Peter Spahn) und der Umstand, dass der Kanzler mit dem interfraktionellen Ausschuss zusammenarbeiten musste. Dieser verhandelte dann im Oktober bereits über den Chef des Zivilkabinetts (von Valentini) mit dem Kaiser betreffend der Entlassung des Kanzlers (Huber: 31990 Dok. III., S. 202f.), welcher Michaelis durch Rücktritt (23.10.1917) zuvorkam. Gleichzeitig hatte der Ausschuss in seiner Erklärung vom 23.10.1917 den Anspruch an den Kaiser vorgetragen, dass er über die Nachfolge des Reichskanzlers mit dem Reichstag in Verhandlungen eintreten solle ein "epochemachender Vorgang" (Frauendienst: 1957, S. 745). Graf Hertling als designierter Nachfolger akzeptierte diese Auflagen und verhandelte mit der Mehrheitsfraktion vor seiner Ernennung (1.11.1917) über sein Sachprogramm; hiermit verband sich zugleich der Höhepunkt des Einflusses des interfraktionellen Ausschusses. Im Verfahren der Ernennung des Abgeordneten der FVP - F. v. Payer - zum Vizekanzler Graf Hertlings auf Verlangen der Mehrheitsfraktion lässt sich dann der faktische Umschlag ins parlamentarische Regierungssystem sehen. Staatsrechtlich wurde dieser Schritt ein knappes Jahr später angesichts der erkennbaren militärischen Niederlage im Zusammenhang mit den Forderungen des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson (1856-1924) vollzogen (Rücktritt des Kaisers, eine vom Volk getragene Regierung als Verhandlungspartner; Noten zwischen 3.10. und 5.11.1918, bei Huber: 31990 Dok. III., S. 281ff.; 1978 V., S. 396f.; Kröger: 1988, S. 126). Die Einwilligung der Obersten Heeresleitung in die Bildung einer parlamentarischen Regierung als eine das Gesuch um Waffenstillstand an den amerikanischen Präsidenten unterstützende Maßnahme diente gleichzeitig dem Versuch, den Reichstag in die Verantwortung für die Kriegsniederlage einzubeziehen (Böckenförde: 1985, S. 7). Im Rücktritt des Kanzlers Graf Hertling (30.09.1917) vollzog sich der Verfassungsübergang zum parlamentarischen Regierungssystem, und es gehört zu den „Ironien der deutschen verfassungspolitischen Entwicklung, dass, nicht anders als bei dem Sturz Bethmann-Hollwegs, auch jetzt in der letzten Phase des Krieges ein Eingriff der Militärgewalt in das politische Geschehen der Mehrheitsparteien, die sonst solche Eingriffe so heftig verurteilten, den Durchbruch zur Macht verschaffte" (Huber: 1978 V., S. 530; Rauh: 1977, S. 426ff.). Mit Datum vom 30.09.1917 machte Wilhelm II. im sogenannten „Parlamentarisierungserlass" an Graf Hertling, mit welchem er dessen Rücktritt annahm, den Weg zur parlamentarischen Monarchie frei: Er wünsche, „dass das deutsche Volk wirksamer als bisher an der Bestimmung der Geschichte des Vaterlandes mitarbeitet. Es ist daher mein Wille, dass Männer, die vom Vertrauen des Volkes getragen sind, in weitem Umfang teilnehmen an den Rechten und Pflichten -der Regierung" (Huber: 31990 Dok. III., S. 253). Am 5.10.1917 kam nach Besprechungen im interfraktionellen Ausschuss die erste vom parlamentarischen Vertrauen getragene und auf Parteienproporz beruhende Regierung unter Prinz Max von Baden ins Amt, ohne dass dieser ein „Parlamentarier-Kanzler" war, das heißt

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aus der Mitte des Hauses stammte. Sein Kabinett vollzog die Verbindung von Regierung und Parlamentsmehrheit und übertrug die Verantwortung für die Regierung auf das Parlament. Durch das Gesetz zur Abänderung der RV vom 28.10.1918 wurde die parlamentarische Regierungsform staatsrechtlich verankert: „2. Im Artikel 15 werden folgende Absätze hinzugefügt: Der Reichskanzler bedarf zu seiner Amtsführung des Vertrauens des Reichstages. Der Reichskanzler trägt die Verantwortung für alle Handlungen von politischer Bedeutung, die der Kaiser in Ausübung der ihm nach der Reichsverfassung zustehenden Befugnisse vornimmt. Der Reichskanzler und seine Stellvertreter sind für ihre Amtsführung dem Bundesrat und dem Reichstag verantwortlich. 3. Im Artikel 17 werden die Worte gestrichen: "welcher dadurch die Verantwortlichkeit übernimmt1." (RGBl. 1918, S. 1274; abgedruckt bei Huber: 3 1990 Dok. III., S. 278). Am 9.11.1918 dankte Wilhelm II. ab (Textauszug bei Frotscher/Pieroth: 2 1999, S. 252) und ging am darauffolgenden Tag ins Exil nach Holland. Die Regierungsgeschäfte übertrug am 9.11.1918 der letzte deutsche Reichskanzler Prinz Max von Baden (1867-1928) - ohne Verfassungsermächtigung - an den Führer der Mehrheitssozialisten, Friedrich Ebert (1871-1925). Am Nachmittag des gleichen Tages rief der sozialdemokratische Politiker Philipp Scheidemann (1865-1939) vom Reichstag die „Deutsche Republik" aus. Der I. Weltkrieg endete am 11.11.1918 mit dem Waffenstillstand in Compiögne. Sowohl die Leitidee des parlamentarischen Regierungssystems wie die republikanische Staatsform sollte die Verfassung von Weimar übernehmen (-> V.).

IV. Historische Grundlagen der Parlamentsorganisation

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An dieser Stelle seien die verfassungsgeschichtlichen Anmerkungen unterbrochen und einige Hinweise auf die historischen Grundlagen der Parlamentsorganisation in Deutschland eingefügt, insofern diese ihre Wurzeln ebenfalls in der Epoche des Konstitutionalismus haben.

1. Einleitung Die Wahrnehmung parlamentarischer Aufgaben ist wesentlich von den Verfahren, über die ein Parlament verfügt, und die Art und Weise ihrer Handhabung abhängig. Jede parlamentarische Handlung - kommt sie aus der Mitte der Repräsentativkörperschaft oder ist sie dem Parlament als politischer Einheit zuzurechnen - bedarf einer Ordnung der Verfahrensstrukturen und ihrer Anwendung. Die Organisation der Parlamente trägt das politische Handeln und bestimmt die Formen der Arbeitserledigung ebenso mit wie sie Ausdruck der Stellung der Parlamente in der jeweiligen Verfassungsordnung ist. Ordnung des inneren Geschäftsgangs, Organisation und Wahrnehmung parlamentarischer Zuständigkeiten durch eigene Organe finden sich heute in unterschiedlichen Rechtsquellen wieder: Sie reichen von der reinen parlamentarischen Übung (Parlamentsbrauch oder Observanz) über die eigens vom Parlament kodifizierte Geschäftsordnung bis zu einfa-

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Abschnitt IV. wurde gemeinsam mit Gerlinde Sommer verfasst.

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chen Gesetzen und der Verfassung selbst. Den letztgenannten Rechtsquellen gilt Abschnitt 2 (s.a. -> § 9, II.). Neben den parlamentarischen Verfahren, so den Verhandlungen, Abstimmungen, Initiativ- und Kontrollrechten - sind allgemeine Organisationsprinzipien und Strukturelemente von Bedeutung. Viele von ihnen haben trotz historischer und verfassungsrechtlicher Umbrüche bleibende Geltung für die Parlamentsorganisation behalten und zeichnen sich in Parlamentspraxis und -recht durch bemerkenswerte Kontinuität und Einheitlichkeit aus. Andere Organisationsprinzipien sind aufgrund sich wandelnder verfassungsgeschichtlicher und sozioökonomischer Rahmenbedingungen verändert oder eigens geschaffen worden. Die Abschnitte 3 bis 6 behandeln die wichtigsten Organe und organisatorischen Einheiten parlamentarischer Arbeitsplanung und -leitung: den Parlamentsvorsitz, den aus dem Seniorenkonvent erwachsenen Ältestenrat sowie die Parlamentsverwaltung / Parlamentarischen Dienste; ebenso sind die neben den Abgeordneten und Fraktionen an der parlamentarischen Willensbildung und Entscheidungsfindung beteiligten Organe: Ausschüsse und Plenum (zum folgenden insgesamt Hofmann/Riescher: 1999). 2. Rechtsquellen Neben den parlamentarischen Bräuchen sind als Rechtsquellen von Bedeutung: die Verfassung, die Geschäftsordnung sowie einfache Gesetze. a) Verfassung und parlamentarische Geschäftsordnungsautonomie Bereits in den Anfängen des Parlamentarismus in Frankreich hatte man die besondere Wichtigkeit der inneren Parlamentsordnung erkannt. In der Folge wurden wesentliche Regeln des parlamentarischen Geschäftsganges in den Verfassungen verankert, um sie mit den gleichen Bestandsgarantien auszustatten, welche den Verfassungen und ihren Einzelbestimmungen zukamen 3. Die Verfassung kann als erste und höchste Rechtsquelle für die Parlamentsorganisation gelten, wenngleich die Verfassungen erhebliche Unterschiede in der konkreten inhaltlichen Ausgestaltung parlamentarischer Ordnung aufweisen. Es lassen sich grob 2 Entwicklungslinien unterscheiden (Rösch: 1934, S. 22), welche ihrerseits Rückschlüsse auf die Stellung der Parlamente in den jeweiligen Verfassungen ermöglichen: a) Eine Linie, welche ausgehend von England auf die genannten französischen Verfassungen von 1791 und 1793 und später von 1830 wirkte, von dort aus über die Belgische Verfassung von 1831 die Frankfurter Nationalversammlung beeinflusste, dann von der Preußischen Verfassung 1850 über den Norddeutschen Bund in die Verfassung des Deutschen Reiches von 1871 einging, in die Weimarer Reichsverfassung übernommen wurde und von dort das Grundgesetz erreichte. b) Eine zweite Linie hat ihren Weg von der französischen Charte Constitutionelle 1814 in die frühkonstitutionellen Verfassungen Süddeutschlands genommen.

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Vgl. die 1. Verfassung Frankreichs vom 3.09.1791 und die Constitution vom 24.06.1793; abgedruckt bei Franz:31975, S. 302ff.

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Zunächst sei die letztgenannte Linie in Hinblick auf ihre Relevanz für die Parlamentsorganisation kurz charakterisiert: Wesentliche Gemeinsamkeit ist die Sichtweise, dass sowohl Organisation und Geschäftsgang als auch die Beziehungen der Parlamente zu den anderen Verfassungsorganen im Rahmen der Verfassung der Regelung durch ein Gesetz bedürften (Rösch: 1934, S. 17). Ein Gesetz jedoch kam nur unter Mitwirkung des monarchischen Souverän und der 1. Kammer zustande. In der Verfassung war demnach mit der Bestimmung, die parlamentarische Ordnung sei eine auf Gesetzesweg zu regelnde Materie der Grundstein für die Abhängigkeit der Parlamente - selbst in ihrer inneren Organisation von den am Gesetzgebungsprozess beteiligten Verfassungsorganen gelegt. Ein Beispiel aus der Parlamentspraxis des süddeutschen Frühkonstitutionalismus zeigt, wie weit diese Verfassungsbestimmung in die inneren Angelegenheit der Parlamente eingriff: Die Kandidaten für das Amt des Parlamentspräsidenten wurden durch die Repräsentativ-Versammlung gewählt und dem Monarchen als mögliche Anwärter auf das Amt vorgeschlagen. Den Parlamentspräsidenten wählte dann jedoch der Regent aus und setzte ihn durch Ernennung in sein Amt ein (Mittermaier: 1838, S. 615). Ganz andere Regelungen kennt hingegen die erstgenannte Entwicklungslinie, die auch für das heutige Verständnis der Grundlagen parlamentarischer Organisation Gültigkeit behalten hat. Für die Französische Nationalversammlung stellte sich die Frage nach dem Legitimationsgrund parlamentarischer Ordnung nicht, da sie als verfassungsgebende Versammlung souverän und daher auch allein zuständig für die Organisation des eigenen Geschäftsganges war (-» s.a. § 4, IV.). Wurden in Frankreich zunächst einzelne Bestimmungen in der Verfassung festgelegt, so reduzierten sich diese Regelungen zunehmend zugunsten einer systematischen Behandlung in einer eigens dafür geschaffenen sog. „Geschäftsordnung", in welcher alle Zusammenhänge der inneren Ordnung und Verfahrensformen versammelt wurden und bis heute behandelt werden. Der Grundsatz, dass eine verfassungsgebende Versammlung ihre parlamentarische Geschäftsordnung aus eigener Macht regeln könne, wurde durch ein Gesetz bereits 1791 allen parlamentarischen Körperschaften zuerkannt (Rösch: 1934, S. 17). Die sogenannte „parlamentarische Geschäftsordnungs-Autonomie" (Arndt: 1966) fand alsbald eine Verankerung in den Verfassungen und kann heute als maßgebliche verfassungsffcrmige Quelle für die Parlamentsorganisation gelten. Auch die Frankfurter Nationalversammlung berief sich 1848 unter Anführung der gleichen Begründung auf ihre Souveränität in der Regelung der parlamentarischen Geschäftsgänge und stellte zudem fest, dass eine Geschäftsordnung grundsätzlich nur für die Versammlung gilt, welche sie auch beschlossen hat. In der Preußischen Verfassung von 1850 wurde erstmals auf deutschem Territorium, nachdem der preußische König Friedrich Wilhelm IV. (1795-1861) sich mit seinem Wunsch, die Parlamentspräsidenten selbst auszuwählen, nicht durchsetzen konnte, dem Parlament das Recht eingeräumt, seine Geschäftsordnung selbst zu regeln. Dort heißt es in Art. 78 (Text bei Schuster / Evens: 21989, S. 27): „Jede Kammer prüft die Legitimation ihrer Mitglieder und entscheidet darüber. Sie regelt ihren Geschäftsgang und ihre Disziplin durch eine Geschäftsordnung und erwählt ihren Präsidenten, ihre Vizepräsidenten und Schriftführer". Zusammengefasst: Die parlamentarische Geschäftsordnungsautonomie war bereits in § 166 der Paulskirchenverfassung kodifiziert; sie ist über die Verfassungen des Norddeut-

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sehen Bundes, des Deutschen Reiches (Art. 27 RV), der Weimarer Republik (Art. 26 WRV) bis in das deutsche Grundgesetz (Art. 40 GG) tradiert worden. Im Unterschied zur verfassungsförmig kodifizierten Geschäftsordnungsautonomie seit der Preußischen Verfassung von 1850 wurde in der parlamentarischen Praxis des Vormärz die Geschäftsordnung vom Monarchen verordnet und bot somit eine wichtige Handhabe zur Einengung und Unterordnung der Repräsentativkörperschaften. Beispielsweise oblag es den konstitutionellen Herrschern, neben der bereits genannte Auswahl des Parlamentsvorsitzenden auch Rede- und Sitzordnung der Parlamente zu bestimmen und somit die innere Parlamentsordnung entscheidend vorzustrukturieren (Grimm: 1988, S. 154). Wenn auch seit 1850 die parlamentarische Geschäftsordnungsautonomie ihren Weg in fast alle deutschen Verfassungen nahm, kann dennoch erst seit der Weimarer Republik von einem grundsätzlichen und umfassenden Recht der Selbstorganisation die Rede sein, da vordem die Autonomie in der Parlamentsorganisation erhebliche Einschränkungen dadurch erfuhr, dass die Repräsentativkörperschaften sich nicht selbst versammeln, vertagen und auflösen konnten; diese Kompetenz blieb dem monarchischen Souverän vorbehalten (z.B. Arb. 76 und 77 Preußische Verfassung von 1850 oder Art. 12 der RV). Auf welchen Grundlagen beruht die parlamentarische Geschäftsordnungsautonomie demokratischer Repräsentativ-Versammlungen? Diese Frage soll im folgenden anhand der Regelungen für den Deutschen Bundestag knapp und hinführend auf die folgenden §§ beantwortet werden: Art. 40 GG garantiert die parlamentarische Autonomie in der Regelung der inneren Ordnung. Da das Parlament zunächst als Kollegium gleichberechtigter Abgeordneter eine politische Einheit darstellt, kann die Parlamentsorganisation aufgrund der verfassungsrechtlichen Gleichstellung aller Mandatsträger nicht nach Gesichtspunkten formeller Hierarchien erfolgen, sondern setzt zunächst freiwillig getroffene, verbindliche Regelungen aller Abgeordneter voraus (Zeh: 1987, S. 392). Zwar steht die Geschäftsordnungsbefiignis anderen kollegialen Verfassungsorganen - z.B. der Bundesregierung (-» 12), dem Bundesrat (—> 14), dem Gemeinsamen Ausschuss ( - » 9, VI.) - offen, doch nur der Deutsche Bundestag kann seine Geschäftsordnung nach der Verfassung ohne Mitwirkung anderer Verfassungsorgane ausüben (Kretschmer: 1986, S. 334ff.; 1989: S. 301). Zugleich finden sich nicht nur im Grundgesetz, sondern in allen genannten Verfassungen weitere verbindliche Bestimmungen für die Parlamentsorganisation. Sowohl in den konstitutionellen deutschen Verfassungen des 19. Jhd.s als auch u.a. in der Weimarer Reichsverfassung ist die Organisation der höchsten staatlichen Organe in Grundzügen bereits enthalten, da die Einrichtung höchster Ämter und die Bestimmung ihrer Aufgaben und Zuständigkeiten zur verfassungsförmigen Staatsorganisationsgewalt zählen (Ruch: 1976, S. 46f.). So sind in den genannten Verfassungen eine hierarchische Struktur des Verfassungsorgans Parlament in Vorsitz und Präsidium ebenso verankert wie wesentliche Bestimmungen zum Abgeordnetenmandat (i.E. -> 9, VIII) oder - seit der Weimarer Reichsverfassung - obligate Ausschüsse - so im GG beispielsweise die Einsetzung der Ständigen Ausschüsse für Auswärtige Angelegenheiten (Art. 45aGG), für Angelegenheiten der Europäischen Union (Art. 45 GG), des Petitionsausschusses (Art. 45c GG; s.a. —> § 9, VI.). Auch der Grundsatz der Öffentlichkeit als wesentliches Merkmal parlamentarischer Willensbildung und Entscheidungsfindung ist bereits in der Verfassung kodifiziert (Art. 42 Abs. 1 GG; s.a. § 26).

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b) Die Geschäftsordnung Auf die Geschäftsordnung wurde bereits mehrfach vorgegriffen. Ihre besondere Bedeutung als Grundlage der Parlamentsorganisation liegt darin, dass das Parlament die Bestimmungen und Ausgestaltung der Geschäftsordnung selbst festlegen kann. Die in ihr kodifizierten Organisations-, Arbeits- und Verfahrensprinzipien sind mit Ausdruck der politischen Bedeutung und Kultur einer parlamentarischen Versammlung innerhalb der staatlichen Ordnung. Die Geschäftsordnung ist daher mit ihren detaillierten Einzelbestimmungen wichtigste Organisationsgrundlage der Parlamentspraxis. Wie bereits erwähnt, ist sie jeder Einflussnahme durch andere Verfassungsorgane entzogen, da sie als einzige Geschäftsordnung kollegialer Verfassungsorgane zu ihrem Zustandekommen keinerlei Zusammenwirken mit anderen Staatsorganen oder Behörden voraussetzt, sondern ganz in der parlamentarischen Autonomie liegt und aus dem Mehrheitsbeschluss der Repräsentativ-Körperschaft hervorgeht. Als weiteres Kennzeichen der Geschäftsordnung ist zu nennen, dass ihr Geltungskraft gegenüber den Abgeordneten verliehen ist, sie jedoch auch für Nichtparlamentarier, die bei der Parlamentsarbeit mitwirken, Verbindlichkeit besitzt; jedoch sind auch jene Parlamentsbeschlüsse gültig, die unter Missachtung der geschäftsordnungsmäßigen Regelungen zustande kommen ((Kretschmer: 1989, S. 306; 1986, S. 341f.). Schließlich leitet sich aus dem Grundsatz der Diskontinuität (-> 9, III.), welcher auf der Periodizität der Repräsentation beruht, auch die Bestimmung her, dass die Geschäftsordnung mit Ablauf einer Legislaturperiode formell ihre Gültigkeit verliert. Hier ist wiederum anzuknüpfen an die bereits in der Frankfurter Paulskirche getroffene Regel, dass jede parlamentarische Versammlung nur für sich selbst beschließen kann, ihre Beschlüsse jedoch nicht auf ein personell sich neu konstituierendes Parlament vorgreifen dürfen (Beiz: 1968, S. 64ff.), da dies die Geschäftsordnungsautonomie des nachfolgenden, neu sich zusammensetzenden Parlaments berühren würde. Aufgrund der hier vorgestellten Merkmale bleibt es schwierig, die Rechtsnatur der Geschäftsordnung zu bestimmen. Da sich ihre Normqualität grundsätzlich von allen anderen öffentlich-rechtlichen Regelungstypen unterscheidet, wird sie häufig als „Rechtsnorm sui generis" charakterisiert (Zeh: 1987, S. 392; Kretschmer: 1989, S. 304ff.; Arndt: 1966): Wenn auch in den o.g. Verfassungen vorgesehen ist, dass sich jede parlamentarische Versammlung zu Beginn ihrer Legislaturperiode eine Geschäftsordnung gibt, so werden im Parlamentsleben nicht nur wesentliche Organisationsprinzipien kontinuierlich beibehalten, sondern meist die gesamte Geschäftsordnung des vorherigen Parlaments übernommen. Verfahrenstechnisch ist dazu jedoch aufgrund der Geschäftsordnungsautonomie ein ausdrücklicher Beschluss erforderlich. Durchleuchtet man z.B. die historischen deutschen Geschäftsordnungen (abgedruckt v. Deutschen Bundestag: 1986), so ist eine grundsätzliche Einheitlichkeit der inneren Organisationsformen und Verfahrensweisen feststellbar. Dies bleibt umso bemerkenswerter, als wesentliche parlamentarische Organisationsprinzipien selbst bei Verfassungsumbrüchen tradiert wurden. Beispielsweise richtete die Weimarer Nationalversammlung 1919 ihre Arbeit nach der Geschäftsordnung des früheren konstitutionellen Reichstages aus. Erst 1922 gab sich der Reichstag eine neue Geschäftsordnung, welche der 1. Deutsche Bundestag wiederum provisorisch übernahm, bis er 1952 eine eigene Geschäftsordnung verabschiedete (Kretschmer: 1989, S. 294; Trossmann: 1977, S. 125). Neben dieser auffälligen Kontinuität innerhalb einzelner Regelungsbereiche verzeichnen

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die Geschäftsordnungen auch signifikante Veränderungen, welche auf einen grundsätzlichen Wandel in der Organisation und Durchführung der Parlamentsarbeit verweisen. Beispiele hierfür sind die Aufnahme von Fraktionen und des Ältestenrates in die Geschäftsordnung des Reichstages 1922, womit der wachsenden Bedeutung der Parteien in der Parlamentsarbeit Rechnung getragen wurde. Es sollte deutlich werden: Die Geschäftsordnung ist das wichtigste Werkzeug, um die Erledigung parlamentarischer Aufgaben zu organisieren. Daneben ist als weitere Rechtsquelle für die Parlamentsorganisation zu nennen: c) Einfache Gesetze Die Parlamentsorganisation auf Gesetzesbasis war - wie bereits angeschnitten im Frühkonstitutionalismus, als die monarchischen Souveräne teilweise das alleinige Gesetzesinitiativrecht innehatten und zudem maßgeblich am Gesetzgebungsverfahren (-» II. u. III.) beteiligt waren, ein Hilfsmittel, um die Parlamente der monarchischen Verfügungsgewalt unterzuordnen. In Deutschland setzte sehr bald eine Entwicklung ein, welche zu einer weitgehend gesetzesfreien Organisation der inneren Parlamentsangelegenheiten führte (Kretschmer: 1989, S. 295). Die Parlamentsorganisation des Deutschen Bundestages orientiert sich an einer Reihe von einfachen Gesetzen, wie etwa dem „Gesetz über die Befugnisse des Petitionsausschusses" oder dem „Gesetz über den Wehrbeauftragten". Da in der Bundesrepublik das Parlament oberstes Gesetzgebungsorgan ist, hat das Parlamentsgesetz seine disziplinierende Funktion verloren, die es im Frühkonstitutionalismus für die Repräsentativkörperschaften besessen hat. 3. Der Vorsitz im Parlament Schon beim ersten Zusammentritt eines Parlaments - der konstituierenden Sitzung - treten eine Reihe organisatorischer und verfahrenstechnischer Fragen auf, welche unmittelbar regelungsbedürftig sind, soll das Parlament seine Arbeit aufnehmen und funktionsfähig durchführen. Die Notwendigkeit einer ersten Organisationsstruktur ergibt sich bereits aus der Frage, wer überhaupt befugt ist, die Sitzung der Versammlung zu eröffnen. Die erste Handlung der Repräsentativversammlung nach Feststellung der Legitimität ihrer Abgeordneten und der Beschlussfähigkeit des Hauses ist daher die Wahl des Vorsitzenden. Doch selbst die parlamentarische Handlung, sich in der konstituierenden Sitzung eine Organisationsstruktur der Leitung und Arbeitsplanung zu geben, setzt bereits ein vorbereitendes und durchführendes Organ voraus. a) Der Alterspräsident Im Deutschen Bundestag führt den Vorsitz der ersten Sitzung des konstituierenden Parlaments bis Amtsübernahme des neu zu wählenden Vorsitzenden der sog. „Alterspräsident" (§ 1 Abs. 2 GO-BT). Das Amt des Alterspräsidenten geht auf die französische Nationalversammlung von 1789 zurück und beruht auf der Anschauung, dass das souveräne Parlament seine Leitungsorgane legitimer weise nur aus sich selbst schaffen kann. Mit der Durchführung der Wahl des Vorsitzenden kann daher nur jemand aus der Mitte des neuen Parlaments betraut werden, und das Kriterium des an Lebensjahren ältesten Mitgliedes der Versammlung wie die dem Alter zugeschriebene Würde galten der französischen Nationalver-

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Sammlung „als Garant der für die Amtsführung nötigen Autorität (Köhler: 1991, S. 177). Von Frankreich gelangte das Institut des Alterspräsidenten nach Deutschland und tradierte sich - ausgehend von der Paulskirchenversammlung 1848 - über das Preußische Abgeordnetenhaus 1850, die Reichstage des Norddeutschen Bundes 1867 und des Deutschen Reiches 1871 über das Weimarer Parlament 1919 bis in den Deutschen Bundestag: Der Alterspräsident leitet die erste Sitzung des sich konstituierenden Parlaments bis zur Amtsübernahme durch den neuen Vorsitzenden. Seit dem Inkrafttreten der Geschäftsordnung für den Weimarer Reichstag zum 1.1.1923 ist der Alterspräsident zudem befugt, bei Abwesenheit des Präsidenten und seiner Stellvertreter die Leitung der ordentlichen Parlamentssitzung zu übernehmen (§ 20 Abs. 2 GeschORT bzw. § 8 Abs. 2 GO-BT). b) Der Parlamentsvorsitzende Zentral fllr Planung, Leitung und Verwaltungsorganisation der parlamentarischen Arbeit ist der vom Parlament aus seiner Mitte gewählte bzw. berufene Vorsitzende des Hauses. Aus den Anfängen des französischen Parlamentarismus ist das Amt des Parlamentspräsidenten hervorgegangen, das in der Folge über die deutschen konstitutionellen Repräsentativ-Körperschaften auch den Deutschen Bundestag erreichte. Es wurde bereits oben daraufhingewiesen, dass die möglichen Kandidaten für das Amt des Parlamentspräsidenten im Frühkonstitutionalismus von den Kammern gewählt und dem Monarchen zur Berufung vorgeschlagen wurden, welcher einen von ihnen zum Vorsitzenden des Hauses ernannte (Mittermaier: 1838, S. 615). Der Präsident war demnach bereits durch die Art und Weise seiner Ernennung das Bindeglied zwischen Repräsentativkörperschaft und Souverän. Ihm fiel folglich die Aufgabe zu, den beschlossenen Willen des Parlaments dem Monarchen zu überbringen und darüber hinaus zwischen beiden of uneinigen Parteien zu vermitteln. Dem Vorsitzenden der frühkonstitutionellen Kammern war die aktive Beteiligung an Debatten und Abstimmungen grundsätzlich verwehrt (Mittermaier: 1938, S. 616; Grimm: 1988, S. 155ff.). Bereits in dem Entwurf einer Geschäftsordnung für die Frankfurter Nationalversammlung war die freie Wahl des Parlamentspräsidenten mit absoluter Stimmenmehrheit vorgesehen (Text in Deutscher Bundestag: 1986, S. 631). Diese Bestimmung, welche vom Preußischen Abgeordnetenhaus 1850 übernommen wurde, von dort über die Reichstage des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reiches 1871 Eingang in den Weimarer Reichstag fand und schließlich auch zum Deutschen Bundestag gelangte, wich von der frühkonstitutionellen Berufung des Parlamentspräsidenten in erheblichem Maße ab. Dennoch blieb für die Wahl der Reichstagspräsidenten im konstitutionellen Kaiserreich entscheidend, ob sie ihre Vermittlerfunktion zwischen Volksvertretung und Reichsregierung wahrnehmen konnten. Mit der wachsenden Bedeutung politischer Parteien für die Reichstagsarbeit wurde der Parlamentspräsident zunehmend als Vertrauensperson der Reichstagsmehrheit in sein Amt gewählt (Wermer: 1984, S. 17); üblicherweise gingen der Wahl Absprachen unter den Fraktionen voraus. Im Konstitutionalismus des Kaiserreichs war der Parlamentsvorsitz ein Ehrenamt, welches außer einer Dienstwohnung keine Besoldung oder Aufwandsentschädigung kannte und indirekt zur Folge hatte, dass nur Personen, die ein ausreichendes wirtschaftliches Auskommen hatten, in der Lage waren, das Präsidentenamt zu bekleiden (Hatschek: 1915, S. 216).

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Mit der fortlaufenden Entwicklung der politischen Parteien aus den Parlamentsfraktionen und der Einfuhrung des Verhältniswahlrechts (-> s.a. § 22, II.) in der Weimarer Republik (—> V.) wurde als parlamentarische Gewohnheit eingeübt, dass der Parlamentspräsident von der stärksten Fraktion gestellt wird, unabhängig davon, ob diese den jeweiligen Regierungskoalitionen angehörten (Partsch: 1961, S. 16). Im Bundestag beruht - anders als in Weimar - die Regierung auf einer sie tragenden Mehrheit der Abgeordneten; wenn auch die Parlamentspräsidenten nicht aus der mitgliederstärksten Fraktion, welcher nach parlamentarischer Gewohnheit das personelle Vorschlagsrecht zukommt, hervorgehen müssen, bedürfen sie dennoch deren Unterstützung (näheres -> § 9, V.). Weiterhin gilt, dass ein Vorsitzender innerhalb der Legislaturperiode, für die er gewählt wurde, nicht abberufen werden kann (Bücker: 1989, S. 796). Einhergehend mit der beschriebenen parlamentarischen Übung, wonach der Parlamentspräsident aus den Reihen der größten Fraktion gestellt wird, wurde die Geschäftsordnung des Reichstages 1922 ergänzt; erstmals findet sich in einer deutschen Geschäftsordnung die Unparteilichkeit des Vorsitzenden an hervorgehobener Stelle kodifiziert. In § 19 Abs. 2 heißt es: Der Präsident „hat die Würde und die Rechte des Reichstages zu wahren und seine Arbeit zu fördern, besonders die Verhandlungen gerecht und unparteiisch zu leiten und die Ordnung im Hause zu handhaben". Eine fast wortgleiche Formulierung findet sich heute in § 7 Abs. 1 GO-BT. In der Parlamentspraxis des Deutschen Bundestages zeigt sich die angestrebte Unparteilichkeit des Vorsitzenden darin, dass er seinen Stuhl verlassen muss, will er sich an der Plenardebatte beteiligen. Dass dennoch vor allem das Amt des Parlamentspräsidenten seine Schlüsselstellung als Folge der wachsenden Bedeutung der Fraktionen zugunsten des Ältestenrats einbüßte, wird sogleich behandelt. Zunächst sei kurz der Vollständigkeit halber auf die Stellvertretung des Parlamentspräsidenten eingegangen. c) Stellvertretung des Parlamentsvorsitzenden: Präsidium, Vorstand, Schriftführer Der Vorsitzende eines Parlaments wird in der Regel durch Stellvertreter bei der Ausübung parlamentsorganisatorischer Leitungsbefugnisse unterstützt. Seit den Anfängen des Parlamentarismus auf dem europäischen Kontinent werden von den meisten Repräsentativ-Versammlungen gleichzeitig mit der Wahl des Präsidenten auch Vizepräsidenten als Stellvertreter gewählt (parlamentsvergleichender Überblick bei Hatschek: 1915, S. 98ff.). Die Stellvertreter bilden gemeinsam mit dem Vorsitzenden den Vorstand oder das Präsidium und unterstützen die Präsidentengeschäfte als Kollegium fortlaufend. Es ist üblich, dass mindestens einer der Stellvertreter der zweitgrößten Parlamentsfraktion angehört (-> s.a. § 9, V.). Auch für die Stellvertreter des Parlamentspräsidenten gilt, dass sie in ihrer Amtsführung grundsätzlich unparteiisch sein sollen. Die zu den Plenarsitzungen gebildeten Sitzungsvorstände setzen sich in der Regel aus dem Vorsitzenden des Parlaments und den Schriftführern zusammen. Diese sind auch Parlamentsabgeordnete, welche mit Aufgaben betraut sind, die der Vorsitzende ihnen zur Unterstützung der eigenen Sitzungsleitung aufträgt (Achterberg: 1984, S. 133).

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4. Seniorenkonvent und Ältestenrat Der Ältestenrat, wie er parlamentsgeschichtlich zum ersten Mal in die Geschäftsordnung des Weimarer Reichstages aufgenommen wurde und ihn gegenwärtig der Deutsche Bundestag kennt (näheres —> § 9, V.), geht auf den Seniorenkonvent des Deutschen Reichstages (1871-1918) zurück, der wiederum einen Vorläufer im Seniorenkonvent des Preußischen Abgeordnetenhauses 1850 hat. Er fungiert als zentrales parlamentarisches Leitungsorgan, in welchem die Fraktionen ihren Einfluss auf die Gestaltung parlamentarischer Verfahren geltend machen. Bereits in den Anfängen der Fraktionsbildung aus politischen Clubs im Umfeld der Frankfurter Nationalversammlung 1848 fanden Unterredungen zwischen den unterschiedlichen politischen Strömungen über Fragen der Rede- und Tagesordnung, der Besetzung von Ausschüssen u.a. statt (ausführlich Franke: 1987), welche sich jedoch nicht - vermutlich aufgrund der kurzen Dauer des Paulskirchenparlaments - in einem Parlamentsorgan verfestigen konnten. Der Seniorenkonvent, wie er in der Parlamentspraxis des Preußischen Abgeordnetenhauses als Folge der Fraktionsbildung entstand, trat nicht offiziell als Parlamentsorgan in Erscheinung und fand weder eine Verankerung in der Parlamentsordnung noch eine Kodifizierung in der Geschäftsordnung. Seine Etablierung kann als Beispiel für eine aus der Fraktionsbildung erwachsene parlamentarische Übung aufgefasst werden, welche zugleich das geltende Parlamentsrecht veränderte. Im Parlamentsleben des Reichstages im Kaiserreich wurde der Seniorenkonvent, der aus der sog. Delegiertenversammlung entstand, zum festen Ort interfraktioneller Absprachen und Vereinbarungen (Franke: 1987, S. 50; nach Hatschek: 1915, S. 176f. existierten ab 1874 offizielle Akten des Seniorenkonvents). Seit dem Preußischen Abgeordnetenhaus versammelten sich im Seniorenkonvent fuhrende Mandatsträger aller Parlamentsfraktionen mit dem Ziel, in wichtigen organisations- und verfahrensleitenden Fragen einvemehmliche Vereinbarungen zu treffen. Die Zuständigkeiten des Seniorenkonvents des Preußischen Abgeordnetenhauses erstreckten sich auf die Festlegung von Tages- und Redeordnungen, die Besetzung von Kommissionen und Vergabe von Kommissionsvorsitzen. Bemerkenswert ist die parlamentarische Übung, Ämter schon früh nach dem Fraktionenproporz zu vergeben (Plate: 21904, S. 230). Wichtiger Impetus für die Arbeit des Seniorenkonvents ist es sicher gewesen, die Interessen der Fraktionsminderheiten bereits im Vorfeld parlamentarischer Verhandlungen angemessen zu berücksichtigen und mögliche Benachteiligungen durch Überstimmung der Mehrheitsfraktion zu vermeiden. Der Seniorenkonvent war demnach ein informelles Forum der dennoch verbindlichen Verständigung und Absprache unter den Fraktionen über die Ausgestaltung und Organisation der parlamentarischen Willensbildung und Entscheidungsfindung. Dies hat eine parlamentarische Übung unterstützt, wonach Beschlüsse des Seniorenkonvents nicht durch das für alle anderen Parlamentsentscheidungen übliche Mehrheitsprinzip zustande gekommen sind, sondern auf dem Grundsatz der Einstimmigkeit beruht haben (Hatschek: 1915, S. 193). Ab etwa 1890 begann man damit, die Mitglieder fest nach der Stärke der Fraktionen im Reichstag zu entsenden. Vordem setzte sich das Gremium aus 5 bis 10 Abgeordneten zusammen, wobei jede Fraktion mit durchschnittlich einem Sitz vertreten war. In der Parlamentspraxis des konstitutionellen Reichstages hing das Verhältnis zwischen Seniorenkonvent und Parlamentspräsidenten wesentlich von

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den Kräfteverhältnissen zwischen Präsident und Fraktionen ab. Wusste der Vorsitzende, welcher - wie bereits beschrieben - vordringlich nach seiner Befähigung zur Mittlerrolle zwischen Parlament und Reichsregierung gewählt wurde, keine starke Fraktion hinter sich, so musste er eher den Vereinbarungen des Seniorenkonvents folgen, als wenn er der Unterstützung der einflussreichsten Fraktion gewiss sein konnte. Hinweise in den Stenographischen Protokollen des Reichstages (Franke: 1987, S. 53ff.) sprechen dafür, dass es seit den ersten Parlamentssitzungen vielfältige Kontakte und Absprachen zwischen Präsident und Seniorenkonvent gegeben hat; obgleich der Parlamentsvorsitzende bis 1884 an einzelnen Sitzungen des Seniorenkonvents teilgenommen hat, war vor dem Jahre 1884 niemand aus dem Reichstagspräsidium ordentliches Mitglied dort. Erst mit diesem Datum wurde es zur parlamentarischen Übung, dass der erste Vizepräsident der Repräsentativversammlung die Leitung des Seniorenkonvents übernahm, diese 1899 wiederum an den Präsidenten selbst weitergeben musste (Franke: 1987, S. 54).

5. Ausschusswesen Wirft man einen Blick auf die parlamentshistorischen Grundlagen des Ausschusswesens in Deutschland, so fällt auf, dass sich die Ausschüsse in ihrer Funktion für die parlamentarische Arbeit gewandelt haben: Dienten sie anfänglich der fachlichen Vorbereitung von Einzelfragen für die entscheidende Plenarsitzung, so gewannen sie in der Weimarer Republik wichtigen Anteil an der willensbildenden sachlichen Entscheidungsfindung. Für die Gestaltung des Ausschusswesens in den deutschen konstitutionellen Parlamenten ist die Stellung der Repräsentativkörperschaften in der Gewaltenordnung zu berücksichtigen: Sie blieben bis zur Parlamentarisierung der Reichsverfassung 1917/18 (-» III.) bei allen Gesetzgebungs- und Kontrollbefugnissen de jure ohne Anteil an der Regierungsverantwortung und damit letztlich in Frontstellung zur Exekutive. Im Mittelpunkt der Parlamentsarbeit stand die öffentliche Parlamentsverhandlung. Für die Vorbereitung der Plenardebatten konnten die Repräsentativkörperschaften Ausschüsse einsetzen, welche auch in den Geschäftsordnungen verankert wurden - sie mussten dies jedoch nicht (§ 18/19 GO Preußisches Abgeordnetenhaus; § 24/26 GO Reichstag; Text in Deutscher Bundestag: 1986). Man wird festhalten dürfen, dass der Ausbau des Ausschusswesens im Konstitutionalismus eher zurückhaltend zu beurteilen ist, wobei eine wesentliche Ursache in dem vergleichsweise geringen Anteil des Parlaments an der Staatsleitung zu sehen ist: In der Geschäftsordnung der Frankfurter Nationalversammlung von 1848 waren nach französischem Vorbild gebildete Abteilungen, in welche sich das Plenum unmittelbar nach der Konstituierung durch Los teilte, vorgesehen. Die alle 4 Wochen neu gebildeten Abteilungen (§ 1 GO, Text in Deutscher Bundestag: 1986, S. 632) hatten die Aufgabe, an sie überwiesene Vorlagen vor zu beraten und dann ggfs. an einen Ausschuss weiterzuleiten (§ 19 GO). Wenn auch das Preußische Abgeordnetenhaus und die Reichstage des Norddeutschen Bundes wie des Deutschen Reiches die Abteilungen in ihren Geschäftsordnungen verankerten, verloren diese für die Ausschussbestellung und die Vorberatung der vom Plenum überwiesenen Vorlagen an Bedeutung. Der Grund für diese Entwicklung liegt in der parlamentarischen Fraktionsbildung und der wachsenden Bedeutung parteiähnlicher Organi-

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sationen im gesellschaftlichen Raum, welche auf die Formung der Fraktionen nicht unerheblichen Einfluss nahmen. Die Funktion der Ausschussbestellung ging folglich seit der Mitte der 60er Jahre im Preußischen Abgeordnetenhaus auf die Fraktionen und den Seniorenkonvent über (Hatschek: 1915, S. 175ff.; Franke: 1987, S. 56ff.), womit die Abteilungen ihre Bedeutung in der Parlamentspraxis verloren, obgleich ihnen zum Teil die formale Bestellung nach den Vorgaben der Fraktionen und des Seniorenkonvents belassen wurde. Im Reichstag des Deutschen Reiches führte diese Entwicklung zur Bestellung der Ausschüsse spiegelbildlich den Fraktionsstärken im Plenum und zu verbindlichen Vereinbarungen des Seniorenkonvents über den Ausschussvorsitz. Der Reichstag der Weimarer Republik trug seinem verfassungsrechtlich hohen Rang innerhalb der Gewaltenordnung auch mit der Ausschussorganisation Rechnung: In der reformierten Geschäftsordnung von 1922 sind 15 ständige Ausschüsse verzeichnet, die - anders als im Parlamentsrecht des kaiserlichen Reichstages - eingesetzt werden mussten (§ 26 GeschORT); zudem ist in § 12 dem nunmehr sog. Ältestenrat die Kompetenz der Vergabe von Ausschussvorsitzen und ihrer Stellvertretung zugewiesen. Anders als in der Reichsverfassung von 1871, welche Ausschüsse des Bundesrates, nicht aber des Reichstages, verfassungsmäßig vorsah (Art. 8 RV), finden sich in der Weimarer Verfassung Ausschüsse des Reichstages kodifiziert: Untersuchungsausschüsse (Art. 34 WRV) und zwei Ausschüsse für die „parlamentslose" Zeit zwischen Wahltag und konstituierender Sitzung des neugewählten Reichstages (Anschütz: 141933, S. 233ff.). Zusammenfassend hatte der Weimarer Reichstag ein System ständiger Ausschüsse entwickelt, die den gesamten Aufgabenbereich des Parlaments abdeckten und systematisch aufteilten, und an welche die Ausschussorganisation des Deutschen Bundestages anknüpfen konnte (i.E. -> § 9, VI.). 6. Parlamentarische Dienste Alle vorstehend skizzierten Parlamentsorgane bedürfen, um überhaupt handlungsfähig zu werden, einer organisatorischen Unterstützung. Die Verfahrensgrundsätze parlamentarischer Organisation könnten nicht praktiziert werden, wäre nicht für die nötige personell und sachlich unterstützende Hilfe gesorgt. Hilfestellungen und Dienstleistungen (z.B. Saaldiener, Protokollanten u.a.m.) bedurfte im Grunde jedes Parlament. Eine feste institutionelle Gestalt von Parlamentsverwaltung und parlamentarischen Diensten findet sich jedoch erst detailliert dokumentiert für das konstitutionelle Kaiserreich (Hatschek: 1915, S. 248ff.). Vordem verfügten die repräsentativen Kammern in der Parlamentspraxis bereits über parlamentarische Dienste, die allerdings im Vergleich zu den Parlamenten des Kaiserreiches, der Weimarer Republik und vor allem im Vergleich zur Bundesrepublik (i.E. —> § 9, IX.) nur wenig besoldetes Personal in Dienst hielten. Im Königreich Württemberg lässt sich ein sog. „ständischer Dienst" der Kammern - bestehend aus Registratoren (Archivaren), Canzellisten und Bürodienern - bereits um 1820 nachweisen (Brandt: 1987, S. 196f.). Die Sitzungen der Frankfurter Nationalversammlung wurden laut § 13 der Geschäftsordnimg durch eine Kanzlei vorbereitet, welche aus einem Vorstand, einem Registrator, Sekretariatsassistenten und Hilfskräften bestand. Zudem verfügte das Paulskirchenparlament über ein stenographisches

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Protokoll mit insgesamt ca. 25 Stenographen und Canzellisten (Botzenhart: 1977, S. 484). Mit der wachsenden Bedeutung der konstitutionellen Parlamente im Kaiserreich stellten sich höhere Anforderungen an die vorbereitende Zuarbeit und die Durchführung parlamentarischer Tätigkeiten. Wollte das Parlament seine Aufgaben erfolgreich bewältigen, so war es auf unterstützende Hilfe verstärkt angewiesen. Die erste Rechtsgrundlage für den Ausbau der parlamentarischen Dienste und der Parlamentsverwaltung stellt das autonome Selbstorganisationsrecht der Parlamente dar, welches alle im Geschäftsbereich der Parlamente liegenden Maßnahmen, die zur Funktionsfähigkeit der parlamentarischen Ordnung und ihrer Verfahren notwendig sind, umfasst. Aufgrund dieser Legitimationsgrundlage nimmt die parlamentarische Verwaltung - heute als öffentlich-rechtlicher Verwaltungstypus der Bundesverwaltung gleichgestellt - eine Sonderstellung ein (Schindler: 1989, S. 839). Die ältere Parlamentsverwaltung erfüllte vordringlich technisch-administrative Dienstleistungen: So kannte die konstitutionelle Reichstagsverwaltung das „Bureau des Reichstages", welches sich aus den Abteilungen: Registratur (Archiv), Kalkulatur (Rechnungswesen), Kasse, Kanzlei, Botenmeisterei, der Reichstagsbibliothek und den untergeordneten Bereichen der Hausdruckerei und des Stenographischen Bureaus zusammensetzte. Zudem wurden Zuständigkeiten, welche die Bibliothek betrafen, im Reichstag durch ein eigens vom Parlamentspräsidenten eingesetztes kommissionsähnliches Organ wahrgenommen (Hatschek: 1915, S. 261 f.). Heute setzt nicht mehr der Bundestagspräsident, sondern der Ältestenrat einen eigenen Unterausschuss für Fragen der Bibliothek, der Dokumentation und des Archivs ein (§ 6 Abs. 4 GO-BT). Die Struktur der Reichstagsverwaltung der Weimarer Republik war der des Kaiserreichs in wesentlichen Bereichen nachgebildet; 1928 belief sich das Personal insgesamt auf 114 Beschäftigte (Voss: 1983, S. 19ff.). Die Bundestagsverwaltung ( i.E. —> § 9, IX.) unterscheidet sich von ihren Vorläufern außer durch eine Ausdifferenzierung im Aufbau und einer erheblichen sachlichen wie personellen Ausdehnung vor allem dadurch, dass der administrativ-technischen Verwaltung 1969/70 eine zweite Hauptabteilung „Wissenschaftliche Dienste" zur Seite gestellt wurde, welche die o.g. Vorläufer nicht kannten (Achterberg: 1984, S. 314ff.; Schindler: 1989, S. 841). Nach diesem parlamentsgeschichtlichen Einschub sei die verfassungsgeschichtliche Darstellung, welche mit dem Ende des konstitutionellen Kaiserreichs abbrach, fortgesetzt.

V. Weimar und die Zeit des Nationalsozialismus Die unter III. vorgetragenen Gedanken orientierten sich am konstitutiven Prinzip der politischen Verantwortung, sollten aber nicht zu dem Eindruck führen, als sei das allmähliche Herauswachsen des parlamentarischen Regierungssystems aus der konstitutionellen Monarchie ein kontinuierlicher, quasi alternativloser verfassungsgeschichtlicher Prozess gewesen. Es gab - so schreibt Kurt Kluxen m.E. zurecht - „schon im letzten Drittel des 19. Jhd.s einen Kampf für eine Parlamentarisierung und Demokratisierung der Gesellschaft; aber von einem kontinuierlichen Entwicklungsprozess bis zu der im Oktober 1918 erfolgenden Parlamentarisierung der Reichsregierung kann keine Rede sein (...)" (: 1983, S. 198; Rauh:

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1977, S. 8). Ebenso ist nicht unproblematisch, die Parlamentarisierung in Deutschland als einen Prozess zu sehen, der "weniger aus eigener politischer Kraft als durch einen Anstoß von außen" (Böckenförde: 1985, S. 7) sich vollzog. Zum einen gilt, dass die Umbildung der Reichsverfassung im Sinne ihrer Parlamentarisierung erheblich weiter zurückreicht als die Vorschläge des interfraktionellen Ausschusses. Zum anderen hat der in einer Niederlage endende Krieg nicht ein "an sich funktionstüchtiges System zum Einsturz gebracht, sondern er hat die ihm inhärenten organisatorischen und funktionellen Schwächen lediglich offenbart (Boldt: 1990 II., S. 215), von denen die staatsrechtliche Konstruktion konstitutioneller Verantwortlichkeit ein Teil war.

1. Die Weimarer Reichsverfassung Es überrascht aus der Rückschau nicht, dass nach dem 10.11.1918 (-> oben III.) in allen deutschen Staaten die Monarchien praktisch ohne jede Gegenwehr verschwanden. Am gleichen Tag war in Berlin unter dem Eindruck spontaner Aufstände der „Rat der Volksbeauftragten" als provisorische Reichsregierung gebildet worden; zugleich übernahmen „Arbeiter- und Soldatenräte" die Regierungen in den Ländern („Novemberrevolution"; Bracher u.a.: 2 1988; Longerich: 1995). Neben München (Kurt Eisner, 1867-1919) und Berlin (Karl Liebknecht, 18711919) waren vor allen Dingen die Marinehäfen in Norddeutschland („Matrosenaufstand") Zentren der „Revolution" (Winkler: 2000 I., S. 378ff.; Nipperdey: 1992 II., S. 874ff). Unter sozialdemokratischer Führung tagte vom 16. bis 21.12.1918 der „Reichskongress der Arbeiter- und Soldatenräte" in Berlin, welcher sich auf den 19.01.1919 als Termin für die Wahlen zu einer verfassungsgebenden Nationalversammlung verständigte. Aus den Wahlen, zu denen erstmals in Deutschland Frauen das aktive und passive Wahlrecht hatten, ging die SPD mit einem deutlichen Vorsprung vor der Demokratischen Partei und dem Zentrum hervor (Winkler: 2000 I., S. 393f.). Am 6.02.1919 trat aufgrund der anhaltenden Unruhen in Berlin die verfassungsgebende Nationalversammlung in Weimar zusammen. Friedrich Ebert übernahm das Amt des Reichspräsidenten, Philipp Scheidemann wurde, gestützt durch die Parteien der „Weimarer Koalition" (SPD, Zentrum, Deutsche Demokratische Partei - DDP - ) Ministerpräsident auf der Grundlage einer provisorischen Ermächtigung. Wesentlich auf den Entwürfen des Berliner Staatsrechtlers und kurzzeitigen Reichsinnenminister Hugo Preuß (1860-1925) entstand die Weimarer Reichsverfassung, welche am 31.07. angenommen und am 11.08.1919 verkündet wurde (Text bei Dürig/Rudolf: 21979, S. 176ff.; Boldt: 21988, S. 44ff.; Schneider: 1987, S. 85ff.) In Verbindung mit Artikel 53 führte Artikel 54 dieser Verfassung mit den Worten des Gesetzes vom 28. Okt. 1918 die parlamentarische Regierungsform in das Verfassungssystem der ersten deutschen Republik ein (Art. 1 WRV). Der Form nach wurde es als „hinkendes parlamentarisches Regierungssystem" (R. Thoma) begriffen: Reichskanzler und Reichsminister waren vom Vertrauen des Reichstages abhängig und durch ihn abrufbar, ernannt aber durch einen von diesem Parlament unabhängigen Reichspräsidenten mit weitreichenden Kompetenzen. Somit stand der „parlamentarischen Repräsentation eine präsidiale gegenüber, die gestützt auf parlamentsunabhängige Entscheidungsbefugnisse - zum Gegenge-

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wicht der Volksvertretung wurde. Die in der Reichsverfassung angelegte Polarisierung zwischen Reichstag und Reichspräsidenten bestimmte die verhängnisvolle verfassungspolitische Entwicklung in der Spätphase in der Weimarer Republik maßgebend. ... Um ein Übergewicht des Parlaments über die Regierung zu verhindern, erhielt der Reichspräsident die Befugnis, den Reichstag aufzulösen (Art. 25). Hatte die Reichsregierung die sie stützende parlamentarische Mehrheit verloren, konnte das Staatsoberhaupt sie durch die Auflösung der Volksvertretung vor einem drohenden Misstrauensvotum bewahren. Der vom Volk direkt gewählte Reichspräsident besaß also im Konflikt zwischen Reichstag und Reichsregierung eine Schlüsselstellung: Er konnte entweder die Mitglieder der Regierung abberufen und durch Personen seines Vertrauens ersetzen oder den Reichstag auflösen. Unverkennbar hatte bei diesen Regelungen die Verfassung des Kaiserreichs Pate gestanden" (Kröger: 1988, S. 139f.). Die Gefährlichkeit dieser gewaltenhemmenden, dualistischen Verfassungskonstruktion im Kontext fehlender parlamentarisch geprägter politischer Kultur sollte sich nur wenige Jahre, nachdem das konstitutionelle System in ein parlamentarisches überführt worden war, erweisen. Ein erhebliches Hindernis für den Übergang zu einer stabilen parlamentarischen Regierung in Weimar - urteilt Dieter Grosser - war die in allen „Parteien verbreitete Überzeugung, dass die Demokratisierung des englischen Parlamentarismus zur Ausbildung der Kabinettregierung und Entmachtung der Parlamente gefuhrt habe" (: 1970, S. 209). Dieser Hinweis sei dahin gehend verlängert, das in der geistigen Auseinandersetzung der Zeit um die deutsche Form des parlamentarischen Regierungssystems der englische Parlamentarismus vielfach als maßgeblich angesehen wurde (Redslob: 1918; Preuß, H.: 1924). Andere Vorstellungen orientierten sich stärker an der Deutschen Diskussion um die Mitte des 19. Jhd.s so an Robert von Mohl -; zu ihnen gehört beispielsweise der Soziologe Max Weber (1918/ 5 1988, S. 306ff.). Man kann die tiefen antiparlamentarischen Strömungen des Denkens nicht übersehen (Sontheimer: 1962, m.w.N.), für welche als einflussreiche Stimme Carl Schmitt zu nennen ist. Er konstatierte 1923 die völlige Entleerung der geistigen Grundlagen des Parlamentarismus und zielte mit seiner Kritik auf „den letzten Kern der Institution des Parlaments" (: 1923, S. 30; Auszüge bei Kluxen: 5 1981, S. 41 ff.). Zu Recht stellte 1926 Hans Kelsen angesichts dieser kontroversen Kritik fest, dass die „sogenannte Krise des Parlamentarismus (...) nicht zuletzt hervorgerufen worden (ist) durch eine Kritik, die das Wesen dieser politischen Form unrichtig deutet" (: 1926, S. 5). Jedes Gemeinwesen braucht sinnstiftende und legitimierende Mythen, „umso mehr, j e rationaler seine Regierungs- und Verfassungsgrundlagen geordnet sind. Gewiss war auch für die Deutschen des Weimarer Staates die Nation Fluchtpunkt und Gemeinschaftsstiftung, aber sie war gestaltlos und nur Idee (...) Die politische Utopie schien oft wirklicher als die Wirklichkeit, und der für das deutsche politische Denken so kennzeichnende Realitätshass und Realitätsverlust wurde durch eine Verfassung prämiert, die selbst keine Normen kannte und sich zur Verfügung von Mehrheiten jeder Art stellte. So verkümmerten die Bindungen an das Gemeinwesen zu beliebig interpretierenden Teil-Loyalitäten: War es die Republik, die zu verteidigen war, war es die Verfassung, der Staat, die Demokratie, das Volk, das Vaterland, die Nation? Jeder dieser Begriffe stand im politischen Denken jener Epoche für das Ganze, und jeder war eine Hohlform, beliebig zu füllen" (Schulze: 2 1988, S. 624).

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2. Die nationalsozialistische Diktatur Am 30.01.1933 ernannte Reichspräsident Paul von Hindenburg (1847-1934) den Führer der NSDAP - der nationalsozialistischen deutschen Arbeiterpartei Adolf Hitler (1889-1945; Kershaw: 2000; Fest: 1973), zum Reichskanzler einer Koalitionsregierung des „Nationalen Zusammenschlusses". Auf Vorschlag Hitlers löste von Hindenburg 2 Tage später den Reichstag auf, dem selben Tag, an dem Hitler seine Regierungserklärung abgab, die er erstmalig in der Geschichte des Deutschen Reichstages nicht vor diesem, sondern über den Rundfunk direkt an das Volk abgab. Hitler machte darin unmissverständlich deutlich, was er von den Organen der parlamentarischen Demokratie hielt, und was bereits in seinem Buch „Mein Kampf (1926) formuliert hatte: „Indem das parlamentarische Prinzip der Majoritätsbestimmung die Autorität der Person ablehnt und an deren Stelle die Zahl des jeweiligen Haufens setzt, sündigt es wider den aristokratischen Grundgedanken der Natur ... Welche Verwüstungen diese Einrichtung moderner demokratischer Parlamentsherrschaft anrichtet, kann sich freilich der Leser jüdischer Zeitungen schwer vorstellen, sofern er nicht selbständig denken und prüfen gelernt hat. Sie ist in erster Linie der Anlass für die unglaubliche Überschwemmung des gesamten politischen Lebens mit den minderwertigen Erscheinungen unserer Tage..." (S. 116). Der Brand des Reichstagsgebäudes am 27.02.1933 gab Hitler und der NSDAP die Möglichkeit, Staat und Gesellschaft entsprechend ihres Verfassungskonzepts eines autoritären Führerstaates ein Stück näher zu bringen (Bracher: 1969; Wendt: 1995). Auf der Grundlage des Art. 48 WRV („Maßnahmen bei Störung von Sicherheit und Ordnung") erging am 28.02. die von Hindenburg unterzeichnete „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat" (Reichstagsbrandverordnung; Grawert: 1987, S. 145ff.). Mit i h r - u n d quasi legal - wurden zentrale Grundrechte der Weimarer Verfassung, so u.a. Art. 114 (Freiheit der Person), Art. 115 (Unverletzlichkeit der Wohnung), Art. 117 (Briefgeheimnis), Art. 118 (Meinungsfreiheit), Art. 123 (Versammlungs-) und Art. 124 (Vereinigungsfreiheit) außer Kraft gesetzt. Der durch diese Verordnung geschaffene Ausnahmezustand wurde bis zum Ende des Dritten Reiches nicht wieder aufgehoben. Hatte die Praxis der sog. Notverordnungsregierungen (Brüning (1885-1970), von Papen (1879-1969), von Schleicher (1882-1934) bereits zu einer weitgehenden Entparlamentarisierung der Gesetzgebungsarbeit zugunsten der Reichsverwaltung und damit zugunsten der Exekutive geführt, so bedeutete der Erlass des Gesetzes zur Behebung der „Not von Volk und Reich" („Ermächtigungsgesetz) vom 24.03.1933 die Übertragung der legislativen Kompetenzen auf die Reichsregierung, wobei die Gesetzgebung nicht länger an die Reichsverfassung gebunden war (Text bei Dürig / Rudolf: f 1979, S. 215ff.). Dieses Gesetz - zunächst auf 4 Jahre befristet - und 1937 sowie 1939 verlängert, wurde mit den Stimmen aller Parteien außer den Sozialdemokraten und der nicht zur Abstimmung zugelassenen Kommunistischen Fraktion angenommen. Neben den genannten Verlängerungsgesetzen hat der sich selbst entmachtende Reichstag bis zum Ende des Dritten Reiches nur noch 5 weitere Gesetze beschlossen. Bis 1945 war und blieb das verfassungswidrig zustande gekommene Ermächtigungsgesetz, durch welches die Verfassung von Weimar beseitigt wurde, die Grundlage totalitärer Führergewalt. Der Umstand, dass die Weimarer Verfassung eine materielle Beschränkung der Verfassungsänderung oder ihrer Beseitigung - anders als

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die aufgrund dieser Erfahrung ins GG eingeführte Bestimmung des Art. 79 Abs. 3 GG („Ewigkeitsgarantie") - nicht vorsah, erlaubt nicht, im „Ermächtigungsgesetz" eine legale Verfassungsänderung zu sehen. Mit dem Tode des Reichspräsidenten am 2.08.1934 wurde sein Amt mit dem des Reichskanzlers vereinigt; damit verkörperte sich in der Person des Führers die gesamte hoheitliche Gewalt des Reiches. Das diesbezügliche Gesetz vom 1.08.1934 („Über das Oberhaupt des Deutschen Reiches"; Text bei Dürig / Rudolf: 21979, S. 217) wurde wenige Wochen später auf dem Wege der Volksbefragung von 84 % der Wahlberechtigten (Zippelius: 21995, S. 136) gebilligt. Mit der Übernahme des Reichspräsidentenamtes gingen auch dessen Befugnisse als Oberbefehlshaber der Wehrmacht (Art. 47 WRV) auf Hitler über; 1938 zusätzlich jene des Reichskriegsministers. 1942 erteilte der Reichstag Adolf Hitler alle Vollmachten eines obersten Gerichtsherrn. Die Gleichschaltung der Länder und damit die Auflösung der föderativen Struktur des Reiches wurde mit dem „Gesetz über den Neubau des Reiches" vom 30.01.1934 erreicht (Text bei Dürig / Rudolf: 21979, S. 217f.). Das Gesetz beseitigte die Hoheitsrechte der Länder, unterstellte die Landesregierungen - vertreten durch „Reichsstatthalter" - dem Reich als Verwaltungsbehörden; die Landesparlamente wurden aufgelöst, ebenso der Reichsrat (7.04.1934) als Vertretung der Länder (Art. 60 WRV). Diese Maßnahmen machten aus dem bundesstaatlichen System einen dezentralisierten deutschen Einheitsstaat. Weitere Maßnahmen konzentrierten sich auf die Herstellung der Identität von Staat und Partei und damit auf die Gleichschaltung aller politischen Kräfte. Am 14.07.1934 erging das „Gesetz gegen die Neubildung von Parteien", durch welches die NSDAP zur einzigen politischen Partei in Deutschland wurde. Im Gesetz zur „Sicherung der Einheit von Partei und Staat" (vom 1.12.1933; Textauszug bei Frotscher / Pieroth: 21999, S. 335f.) wird die NSDAP als „Trägerin des deutschen Staatsgedankens", die mit dem Staat „unlöslich verbunden" sei, bezeichnet. In der Herrschaftspraxis des NS-Regimes wurde das Verhältnis von Partei und Staat in der Gewohnheit deutlich, die Besetzung der höchsten Staatsämter mit Trägern gleichstufiger Parteiämtern vorzunehmen. Das politische Leben in Deutschland bestimmte allein die NSDAP, nachdem am 22.06.1933 die SPD als staats- und volksfeindlich verboten worden war, alle übrigen Parteien v.a. das Zentrum - zur Selbstauflösung gezwungen worden waren. Die Gleichschaltung der Gewerkschaften war bereits im April/Mai 1933 vollzogen worden; die Gesamtheit der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Industrie, Handel, Handwerk und Gewerbe wurden in der im Mai 1933 gegründeten „Deutschen Arbeitsfront" (DAF) zusammengefasst. Die für die Gesamtwirtschaft verbindlichen Entscheidungen wurden ab 1935 im „Generalrat der Wirtschaft", dem neben Parteivertretern, Vertreter der Banken, der Industrie und des Handelns angehörten, gefällt; mit Kriegsbeginn wurde die Zentralverwaltungswirtschaft eingerichtet. Mit der Absicht der systematischen Verfolgung und Ausrottung des jüdischen Volkes, welche sich bereits in Hitlers „Mein Kampf 1926 formuliert findet, ebenso wie im Parteiprogramm der NSDAP („Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, kein Jude kann daher Volksgenosse sein), wurde unmittelbar nach der Machtübernahme im März 1933 durch Aufrufe zum Boykott jüdischer Ärzte, Rechtsanwälte und Geschäfte begonnen. Jüdische Beamte wurden in den Ruhestand versetzt. Am 15.09.1935 folgte auf dem Nürnberger Reichsparteitag die Verkündung des „Reichsbürgergesetzes" und des „Gesetzes zum Schutz des

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deutschen Blutes und der deutschen Ehre" (Blutschutzgesetz; Auszüge bei Frotscher / Pieroth: 2 1999, S. 329f.), auf deren Grundlage die lückenlose Entrechtung jüdischer Bürger vollzogen wurde, und welche in der „Reichsprogromnacht" vom 9./10.11.1938 (Reichskristallnacht) durch Mord, Brand und Zerstörung jüdischer Geschäfte, Wohnungen und Synagogen ihre nächste von Partei, Gestapo und Sicherheitsdienst inszenierte und organisierte Steigerung erfuhr. Wie von Hitler in „Mein K a m p f unmissverständlich seit 1933 öffentlich angekündigt (Dokumente bei Hofer: 101963, S. 267ff.), wurde am 20.01.1942 auf der sog. „Wannsee-Konferenz" in Berlin das endgültige Programm zur planmäßigen, industriellen Vernichtung jüdischen Lebens in Europa („Endlösung") entwickelt (Text bei Longerich: 2 1990, S. 83ff.). Im System der Konzentrations- und Arbeitslager, deren erste als „Schutzhaftlager" (Dachau, Oranienburg) bereits 1933 angelegt worden waren, vollzogen „Hitlers willige Vollstrecker" (Goldhagen: 1996; Herbert: 3 1996) in weltgeschichtlich einzigartiger Form die systematische Auslöschung des europäischen Judentums (Holocaust) wie der Völker der Roma und Sinti. Vertreibung, Massenexekutionen, Vergasung und Euthanasie sollten den „schädigenden Einfluss" von „volksfremden Bevölkerungsteilen, die eine Gefahr für das Reich und die deutsche Volksgemeinschaft bedeuteten", für immer ausschalten (Führererlass vom 7.10.1939 bei Broszat: 9 1981, S. 395). Am 7./8. Mai 1945 kapitulierte die deutsche Wehrmacht bedingungslos gegenüber den Alliierten. 57 Millionen Menschen, davon ca.6 Millionen europäische Juden waren dem nationalsozialistischen Imperialismus und antisemitischen Rassenwahn des großdeutschen Reiches zum Opfer gefallen (Bracher u.a.: 1986). Etwa die gleiche Zahl war evakuiert, eingesperrt oder deportiert worden. Am Ende des II. Weltkrieges „war der preußische Mythos so verbraucht wie der sehr viel ältere Reichsmythos, der den Untergang des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation im Jahre 1806 um 139 Jahre überlebt hatte. Mehr zu sein als die anderen europäischen Nationen und ihre Nationalstaaten: nichts hatte die Deutschen vom Westen so getrennt wie der universalistische Anspruch, den sie mit dem Reich verbanden (...) Am Ende des Krieges hatten die Deutschen nicht nur kein Reich mehr. Es war ungewiss, ob es je wieder einen deutschen Nationalstaat geben würde" (Winkler: 2000 II., S. 114f.).

VI. Zwei deutsche Staaten - eine Nation 1. Kapitulation 1945 Mit der Kapitulation der deutschen Wehrmacht, die völkerrechtlich nicht eine „Annexion" bedeutete, war die deutsche Staatsgewalt an die alliierten Siegermächte übergegangen, welche diese gemeinschaftlich ausübten. Die Grundlagen bildeten die Erklärung zur Übernahme der obersten Regierungsgewalt vom 5.06.1945 (Text v. Münch: 2 1976 I., S. 19ff.) und die Feststellung über das „Kontrollverfahren in Deutschland und über die Besatzungszonen" vom 5.06.1945 (Text Dürig / Rudolf: 2 1979, S. 220ff.). Ein aus den 4 Oberbefehlshabern gebildeter „Alliierter Kontrollrat" übte demnach die Staatsgewalt gemeinsam aus in allen Deutschland als Ganzes betreffenden Angelegenheiten. Das 1. Gesetz des Kontrollrates vom 20.09.1945 hob die wesentlichen - oben behandelten - Rechtsund Verfassungsvorschriften des NS-Regimes auf. In einer weiteren alliierten

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Feststellung ebenfalls vom 5.06. wurde Deutschland in 4 Besatzungszonen aufgeteilt: Eine „östliche Zone der Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken, eine nordwestliche Zone dem Vereinigten Königreich, eine südwestliche Zone den Vereinigten Staaten von Amerika und eine westliche Zone Frankreich" (Text: Dürig / Rudolf: 2 1979, S. 222). Die Frage, inwieweit das Deutsche Reich als rechtsfähiges Subjekt des Völkerrechts weiter existent blieb und nur handlungsunfähig war, wurde von den Alliierten dahingehend übergangen, als sie ausschließlich von „Deutschland" als einer nach wie vor zusammengehörigen Einheit sprachen. Endgültig sollte die Rechtslage Deutschlands im Rahmen eines Friedensvertrages geregelt werden. Das „Potsdamer Abkommen" vom 2.08.1945 (Text v. Münch: 2 1976 I., S. 32ff.) bestätigte diese alliierte Auffassung auch insofern, als eine Teilungsabsicht nicht dokumentiert wurde. Die Maßnahme, zu einem späteren Zeitpunkt den bestehenden Kriegszustand per Vertrag zu beenden, setzte allerdings die alliierte Rechtsauffassung voraus, dass einer oder beide aus der Teilung hervorgehenden Nachfolgestaaten zumindest teilidentitär mit dem Deutschen Reich sein müssten. Die Verantwortlichen für die Kriegsverbrechen während der nationalsozialistischen Herrschaft wurden in einem internationalen Prozess, der vom 20.11.1945 bis 1.10.1946 in Nürnberg stattfand, abgeurteilt; zahlreiche Prozesse vor den Militärgerichten in den Westzonen folgten, in denen ca. 5.000 Angeklagte verurteilt wurden; 486 Todesurteile wurden vollstreckt. Die Zahl der in der Sowjetzone Verurteilten wird auf ca. 45.000 geschätzt; die Zahl der Todesurteile ist nicht bekannt.

2. Gründung der Bundesrepublik Deutschland Bereits das „Londoner Protokoll" vom 14.09.1944, welches die Einteilung Deutschlands in Besatzungszonen und deren Grenzen bereits vorsah, setzte für den Großraum Berlin eine besondere Zone unter einer interalliierten Kommandatur ein, welche am 13.08.1946 eine vorläufige Verfassung für Berlin verabschiedete. Die Einführung zweier getrennter Währungen im Juni 1948, die Blockade Westberlins vom 24.06.1948 bis zum 12.05.1949 führten zum sowjetischen Rückzug aus der Arbeit der Kommandatur und zur Bildung zweier getrennter Berliner Volksvertretungen und Verwaltungen im November und Dezember 1948. Die mit diesen Maßnahmen vollzogene Spaltung der Stadt gipfelte im Bau der sog. Berliner Mauer im August 1961. In der Verfassung von Westberlin vom 1.09.1950 bezeichnet sich Berlin als ein „Land der Bundesrepublik" (Art. 1 Abs. 2); Art. 23 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bestimmte i.d.F. vom 23.05.1949, dass es „zunächst" auf dem Gebiet Groß-Berlins Gültigkeit habe. Allerdings hatte der Sonderstatus der Stadt Einschränkungen zur Folge, so v.a. die, dass die Stadt nicht vom Bund regiert werden durfte, sofern die alliierten Mächte nicht Ausnahmen zuließen. Eine Folge war, dass jedes Bundesgesetz, um in Berlin gültig zu sein, der Zustimmung des Berliner Abgeordnetenhauses bedurfte. Eine weitere die, dass Berlin kein Stimmrecht im Bundestag und im Bundesrat besaß. Der Gründung zweier Staaten auf deutschem Boden ging die Schaffung der Bundesländer voraus. „In der amerikanischen Besatzungszone wurde das Land Hessen durch Proklamation der amerikanischen Militärregierung vom 19.9.1945

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gebildet. Nordbaden und Nordwürttemberg wurden zum Land Württemberg-Baden vereinigt. Die bisher zu Bayern gehörende Pfalz fiel in die französische Besatzungszone. Schon im Jahre 1945 berief die amerikanische Militärregierung deutsche Landesregierungen. Im November und Dezember 1946 wurden in Bayern, Württemberg-Baden und Hessen Landesverfassungen durch Volksabstimmungen gebilligt und Landtage gewählt. Bremen wurde durch Proklamation der US-Militärregierung vom 21.1.1947 ein eigenes Land und gab sich am 21.10.1947 eine Verfassung, In der britischen Zone wurden durch Militärregierungsverordnungen vom 23.8.1946 und vom 1.11.1946 die Länder SchleswigHolstein, Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Niedersachsen geschaffen. Nordrhein-Westfalen gab sich am 18.6.1959, Niedersachsen am 13.4.1951 und Hamburg am 6.6.1952 eine Verfassung. In der französischen Zone wurden die Länder Rheinland-Pfalz, Baden (aus Südbaden und Südwürttemberg-Hohenzollern) gebildet. Die Verfassungen der Länder der französischen Zone wurden durch Volksabstimmungen vom 18.5.1947 angenommen (...) Preußen wurde am 25.2.1947 durch Kontrollratsgesetz aufgelöst. Später wurde durch Bundesgesetz vom 4.5.1951 aus den Ländern Baden, Württemberg-Baden und WürttembergHohenzollern das Land Baden-Württemberg gebildet, dessen Verfassung vom 11.11.1953 von einer verfassungsgebenden Versammlung beschlossen wurde" (Zippelius: 21995, S. 146). Das Saarland trat mit Wirkung vom 1.01.1957 der Bundesrepublik bei. Im Dezember 1946 vereinbarten die USA und Großbritannien die wirtschaftliche Fusion ihrer Besatzungszonen in Form der sog. „Bizone" mit gemeinsamen Organen (Wirtschaftsrat). Im Washingtoner Abkommen vom 8.04.1949 wurden die drei Westzonen zusammengeschlossen. Die 2. Londoner Konferenz - durch Hinzuziehung der Benelux-Staaten zu einer 6-Staaten-Konferenz geworden - verabschiedete am 2.06.1948 die sog. „Sechsmächte Empfehlung", welche den Erlass einer Verfassung für Westdeutschland vorsah. Ihrer verfassungsrechtlichen Anlage nach sollte diese eine föderative Regierungsform vorsehen, welche die Rechte der Länder im Rahmen einer angemessenen zentralen Gewalt berücksichtigte; die Freiheiten der Bürger sollten gesichert werden (Text v. Münch: 21976 I., S. 82ff.; Niclauß: 1998). In Form der sog. „Frankfurter Dokumente" wurden diese Verfassungsgrundsätze den Ministerpräsidenten der westlichen Bundesländer am 1.07.1948 übergeben. Nach anfänglichem Zögern, da eine Verfassungsgebung voraussichtlich in der Westzone die deutsche Teilung längerfristig stabilisieren könnte, beschlossen sie, einen Sachverständigenausschuss (Verfassungskonvent) einzusetzen, der in Herrenchiemsee (Bayern) tagend einen Grundgesetz-Entwurf erarbeitete. (Der Begriff „Grundgesetz" anstelle von Verfassung sollte ihre Vorläufigkeit unterstreichen). Anstelle einer verfassungsgebenden Versammlung trat am 1.09.1948 der von den westlichen Landtagen gewählte „Parlamentarische Rat" - bestehend aus 65 Mitgliedern zuzüglich 5 stimmlosen Abgeordneten aus Westberlin - zusammen, welcher den Grundgesetz-Entwurf Anfang Mai 1949 annahm. Nach Genehmigung durch die Besatzungsmächte und nach Zustimmung der Landtage der westlichen Länder (Art. 140 GG) - außer Bayern - wurde der Verfassungstext am 23.05.1949 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht und trat am nächsten Tag in Kraft. Diese Form der Verfassungsgebung unterscheidet das GG von den ihm vorausgegangenen Verfassungen. Auch die Verfassung von Weimar wurde nicht über ein Plebiszit in Kraft gesetzt, aber über eine gewählte verfassungsgebende

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Nationalversammlung. Eine demokratische Verfassungslegitimation von den Landtagsvertretungen auf das GG zu übertragen, war zweifelhaft, insofern als die Landesverfassungen dazu keine Ermächtigung enthielten. Auszugehen ist davon, dass die Beteiligung an der Wahl zum ersten Deutschen Bundestag (14.08.1949), in welcher die demokratischen Parteien ca. 55 % der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigten, als nachträgliches Mehrheitsvotum für diese Verfassung gelten darf (Kielmansegg: 2000, S. 68f.). Mit Zusammentritt des ersten Bundestages (7.09.1949) und der Bestellung wichtiger Staatsorgane - Bundespräsident Theodor Heuss (1884-1963), Bundeskanzler Konrad Adenauer (1876-1967) - stellte das GG und damit das erste voll parlamentarisierte Regierungsfähigkeit in der deutschen Geschichte seine Funktionsfähigkeit unter Beweis. Das Verhältnis der Bundesrepublik zu den westlichen Besatzungsmächten regelte zunächst das Besatzungsstatut vom 28.04,/21.09.1949, welches durch die „Proklamation, betreffend die Aufhebung des Besatzungsstatuts und die Auflösung der Alliierten Hohen Kommission" vom 5.05.1955 (Text v. Münch: 21976 I., S. 249f.) aufgehoben wurde. Fußend auf dem Deutschlandvertrag vom 26.05.1952 / 23.10.1954 (Text v. Münch: 21976 I., S. 247ff.), wurde die Bundesrepublik Deutschland ein souveräner Staat, unbeschadet davon, dass sich die Alliierten in Bezug auf Deutschland als Ganzes und auf Berlin Rechte vorbehielten. 3. Gründung der DDR Die Gründung des 2. deutschen Staates vollzog sich grundlegend anders (Kleßmann: 41986; 1988; K. Schröder: 1998; Potthoff: 1999; Eppelmann u.a.: : 21997; Kielmansegg: 2000). Die am 9.06.1945 errichtete Sowjetische Militäradministration begann umgehend damit, die Bildung von „antifaschistischen Parteien" in den wieder errichteten Ländern (Thüringen, Sachsen, Mecklenburg) und Provinzen (Brandenburg, Sachsen-Anhalt) in der Sowjetische Besatzungszone (SBZ) zu fordern bzw. zu befehlen. Zunächst bildeten die beiden Arbeiterparteien SPD und KPD - in ihrer Mitte die aus Moskau am 30.04.1945 zurückgekehrten Kommunisten Pieck (18761960) und Ulbricht (1893-1973)- einen „gemeinsamen Arbeitsausschuss". Auf einem Vereinigungsparteitag am 21./22.04.1946 verschmolzen beide Parteien zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), wobei die Mitglieder der SPD unter einem erheblichen Fusionsdruck standen (Schroeder: 1998, S. 34ff.). In ihrem Parteiprogramm proklamierten sie die Entwicklung zu einer demokratischantifaschistischen Ordnung als Übergangsperiode zum demokratischen Sozialismus. Erkennbar wurde, dass die SED, die zunächst in Konkurrenz zu anderen inzwischen entstandenen Parteien (Liberal-Demokratische Partei LDP und Christlich Demokratischer Union CDU) stand, sich zunehmend an der sowjetischstalinistischen KPDSU programmatisch und organisatorisch ausrichtete und einen Führungsanspruch anmeldete, zunächst in Hinblick auf die Verfassungsgebung (Glaeßner: 1999, S. 449ff.). War von Seiten der SED vorbereitend die „Volkskongressbewegung" ins Leben gerufen worden, deren Vertreter über eine von der SED lizensierte Einheitsliste gewählt worden waren, so entwickelte sich als Exekutivorgan der „Deutsche Volksrat". Sich selbst als die „einzig legitime Repräsentation des deutschen Vol-

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kes" bezeichnend (Text Deuerlein: 31966, S. 81), übernahm dieser den von der SED ausgearbeiteten Verfassungsentwurf als Beschluss. Der dritte Volkskongress nahm am 15./16.05.1949 den Verfassungsentwurf mit 2.087 gegen 1 Stimme an. Am 7.10.1949 verkündete die provisorische Volkskammer die Verfassung der DDR und setzte sie in Kraft. Der Vorsitzende der SED, W. Pieck, wurde zum Staatspräsidenten gewählt, Ministerpräsident wurde O. Grotewohl (1894-1964). Am 10.10.1949 übertrug die Sowjetische Militärverwaltung ihre Zuständigkeit auf die (provisorische) Regierung und bildete gleichzeitig eine Kontrollkommission. Im März 1954 gewährte die Sowjetunion der DDR die Souveränität und löste mit Datum vom 20.09.1955 die Sowjetische Kontrollkommission auf (Text v. Münch: 21976 I., S. 33 lff.)- Der Souveränitätsübertragung widersprachen die Westmächte umgehend und stellten fest, dass sie die Souveränität des ostdeutschen Systems nicht anerkennen und die Regierung der BRD als einzige frei gewählte und rechtmäßig gebildete Regierung in Deutschland ansehen. Die Verfassung der DDR vom 7.10.1949 (Text Dürig / Rudolf: 21979, S. 285ff.) hielt an der nationalen Einheit fest; höchstes Staatsorgan der Republik war die Volkskammer (Art. 50). Ihr oblag u.a. die „Bestimmung der Grundsätze der Regierungspolitik und ihrer Durchführung" wie die „Bestätigung, Überwachung und Abberufung der Regierung"...und die „Überwachung der gesamten Tätigkeit des Staates" (Art. 63). Sie wählte die Richter des obersten Gerichtshofes und die obersten Staatsanwälte und berief sie ab (Art. 31; 32). Ein Ausschuss der Volkskammer prüfte die Verfassungsmäßigkeit der Gesetze. Das Prinzip der Gewaltenteilung war mit dieser Regelung im Verständnis des demokratischen Zentralismus verworfen worden. Die Grundlagen parlamentarischer Regierungsbildung wurden durch die Bestimmung des Art. 92, nach welchem die stärkste Fraktion der Volkskammer den Ministerpräsidenten ernennt, in ihr Gegenteil gewendet, insofern alle Fraktionen - sofern sie über 40 Mitglieder hatten - im Verhältnis ihrer Stärke an der Regierungsbildung beteiligt waren. Im Zusammenhang mit der nach 1950 zur Nationalen Front zusammengeschlossenen Parteien unter Führung der SED führten diese Regelungen zur Bildung einer Allparteienregierung unter Ausschluss einer Opposition. Im Abschnitt „Inhalt und Grenzen der Staatsgewalt" (Art. 6 - 49) waren die „Rechte des Bürgers", die auf einem staatlichen Plan beruhende sozialistische Wirtschaftsordnung, Familie, Erziehungs- und Religionswesen geregelt. Eine Besonderheit bildete Art. 6, welcher „Boykotthetze gegen demokratische Einrichtungen und Organisationen" sowie „alle sonstigen Handlungen, die sich gegen die Gleichberechtigung richten" zu Verbrechen erklärt und unter Strafe stellt. In der Folge diente dieser Artikel der Führung der DDR dazu, Oppositionelle und Gegner des Regimes zu verfolgen und auszuschalten (Neubert: 1997; Veen: 2000). Neben einem kollektiven Staatsoberhaupt (Staatsrat) kannte die Verfassung zunächst eine „Länderkammer" (Art. 71 - 80) - die Länder waren im Kern nur Verwaltungseinheiten der Zentralorgane, welche 1958 aufgelöst wurden, nachdem bereits im Juli 1952 die Landesregierungen und Landtage aufgehoben und die DDR in 14 Bezirke aufgeteilt worden war. Das Ende der „Periode des Aufbaus des Sozialismus gipfelten in der Verabschiedung einer neuen durch Volksentscheid bestätigten Verfassung" (Boldt: 1990 II, S. 206) vom 9.04.1968, die in revidierter Form am 7.10.1974 - dem 25. Jahrestag der DDR - erlassen wurde (Text v. Münch: 1974 II., S. 463ff). In Art. 1 stellte

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diese nun fest, dass die DDR ein „sozialistischer Staat der Arbeiter und Bauern" unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei sei. Das Blockwahlsystem wurde festgeschrieben (Art. 3 Abs. 2) und sicherte die Durchsetzung dieses Führungsanspruches ab. Die Verfassung verstand die DDR nun als „sozialistische Gesellschaft" (Art. 2) und als „untrennbarer Bestandteil des sozialistischen Staatengemeinschaft" (Art. 6 Abs. 2); ein Hinweis auf die nationale Zusammengehörigkeit beider deutscher Staaten enthielt diese Verfassung nicht mehr. In der Verfassungswirklichkeit der DDR zeigte sich nun allerdings zunehmend, dass die Macht der alle Bereiche der Gesellschaft überformenden Partei der SED von der Existenz und der politischen wie militärischen Einsatzbereitschaft der Sowjetunion abhing. Ihr Rückzug müsste auch das Herrschaftsgefiige der zweiten deutschen Diktatur zum Einsturz bringen.

4. Deutsche Einheit Aufgabe der praktischen Politik in den kommenden Jahren sei es, so erklärte Bundeskanzler Willy Brandt (1913-1993) in seiner Regierungserklärung vom 28.10.1969, die „Einheit der Nation dadurch zu wahren, dass das Verhältnis zwischen den Teilen Deutschlands aus der gegenwärtigen Verkrampfung gelöst wird" (Text v. Münch: 1974 II., S. 167; Weidenfeld u.a.: 1989). Diesem Ziel galten vornehmlich die Staatsverträge, die ab 1972 zwischen der Bundesrepublik und der DDR geschlossen wurden, vor allem der am 21.06.1973 in Kraft getretene Vertrag über die „Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik". Die Auseinandersetzung um den Vertrag führte zu einer grundsätzlichen Feststellung des Bundesverfassungsgerichts über den Inhalt des Wiedervereinigungsgebots und des Selbstbestimmungsrechts des deutschen Volkes. Dieses hat in der Präambel des Grundgesetzes seine verfassungsrechtliche Absicherung gefunden. Satz 3 der Präambel („Das gesamte deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden") und Satz 1 („...seine nationale und staatliche Einheit zu wahren...") verpflichteten - so das Gericht - die Staatsorgane wie das deutsche Volk, auf die Einheit und Freiheit Deutschlands in geeigneter Form hinzuwirken. Art. 23 GG („In anderen Teilen Deutschlands ist es (das GG, d.V.) nach deren Beitritt in Kraft zu setzen") und Art. 146 GG („Dieses Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.") gebieten, dass alle Maßnahmen in Bezug auf die Lage der beiden deutschen Staaten darauf gerichtet sein müssten, die Wiedervereinigung zu erreichen. Stellte das GG die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen einer Wiedervereinigung beider deutscher Staaten somit bereit, so erzwang die Bevölkerung der DDR im Kontext der Auflösung des sowjetischen, kommunistischen Imperiums den Zusammenbruch des zu keinem Zeitpunkt seiner vierzigjährigen Geschichte Legitimität erzeugenden sozialistischen Staates und die Wiederherstellung der Einheit beider deutscher Staaten (Weidenfeld/Korte: 2 1994). Die diesen letztlich von niemanden vorhergesehenen revolutionären Prozess einleitenden Unruhen begannen im engeren Sinne im Juni 1989 mit der Öffnung der

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ungarischen Grenzen zum Westen für die Bürger der DDR, die „Besetzung" der Botschaften der Bundesrepublik in Prag, Budapest, Warschau und der Ständigen Vertretung in Ostberlin durch mehrere tausend ausreisewillige DDR-Bürger. Bis Anfang Oktober 1989 gelangten über diese Wege mehr als 100.000 Menschen in die Bundesrepublik Deutschland (Maier: 1999, S. 213ff.). Am 9. November 1989 erklärte das Mitglied des Politbüros der SED, G. Schabowski (1929, dass die DDR ihre Grenzen mit sofortiger Wirkung öffnen werde (Bahrmann/Links: 1994, S. 90ff.). Um Mitternacht dieses Tages überquerten ungezählte Menschen ungehindert und unkontrolliert die deutsch-deutsche Grenze. Am 21.12.1989 erging die Verordnung, welche die Freizügigkeit zwischen beiden deutschen Staaten regelte. Die Fluchtbewegungen aus der DDR wurden im Inneren von ständig wachsenden Demonstrationen, die ihren Höhepunkt in den „Montagsdemonstrationen" v.a. in Leipzig, Dresden und Ostberlin fanden, begleitet. Mit dem Ruf „Wir sind das Volk" und „Deutschland - einig Vaterland" wurden die Forderungen nach freien Wahlen, Meinungs- und Informationsfreiheit, Zulassung von Oppositionsgruppierungen und der Rücktritt der SED-Regierung in nahezu allen größeren Städten der DDR vorgetragen. Die Regierung von H. Modrow (1928), welche am 13.11.1989 die Regierungsgeschäfte von dem zurückgetretenen Ministerpräsidenten H. Stoph übernahm, versuchte auf diese Vorgänge mit einer schrittweisen Anpassung der Verfassung und durch Volkskammerbeschlüsse zu reagieren. So v.a. durch die Streichung der führenden Rolle der SED aus der Verfassung (1.12.1989), der Zulassung ausländischen Kapitals (12.01.1990), der Gewährung der Meinungs-, Informations- und Medienfreiheit (5.02.1990), der Neugestaltung des Gewerkschaftsrechts und der Aufnahme von Wahlrechtsgrundsätzen in Art. 54 der Verfassung sowie der Aufhebung des Blockwahlsystems in Art. 22 (20.02.1990; Texte bei v. Münch: 1991, S. 24ff.). Gleichzeitig hatte die Regierung der DDR mit Hinweis auf die Jahrhundertealte gemeinsame Geschichte" angeboten, die „Verantwortungsgemeinschaft beider deutscher Staaten durch eine Vertragsgemeinschaft" zu untersetzen (Regierungserklärung H. Modrow v. 17.11.1989; Text v. Münch: 1991, S. 56). Auf diesen Vorschlag antwortete der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, Helmut Kohl, mit einem „Zehn-Punkte-Programm", welches - im Rückgriff auf den Deutschen Bund - „konföderative Strukturen zwischen beiden Staaten vorsah, mit dem Ziel, zu einer Föderation, das heißt zu einer bundesstaatlichen Ordnung" zu kommen (Text bei v. Münch: 1991, S. 63). Am 7.12.1989 trat auf Einladung der beiden Kirchen in Berlin zum ersten Mal der Runde Tisch aus Vertretern der Parteien zusammen,um einen Entwurf für eine neue Verfassung auszuarbeiten (s.a. -» § 24). Unter dem Eindruck zunehmender Gewaltbereitschaft der nicht abreißenden Großdemonstrationen traten Mitglieder des Runden Tisches bis zu den ersten freien Volkskammerwahlen in der DDR am 18.03.1990 Anfang Februar in ein Kabinett der „Nationalen Verantwortung" unter H. Modrow ein. Aus diesen Wahlen, an denen sich 24 Parteigruppierungen beteiligten, ging die CDU mit 40,5 % als stärkste politische Kraft hervor (Gesamtergebnis bei Herles/Rose: 1990, S. 6f.; Thaysen: 1990). Sie stellte mit Lothar de Maizifere (1940) den Ministerpräsidenten einer aus 7 Parteien gebildeten Koalitionsregierung, welche die zukünftige Herstellung der „Einheit Deutschlands auf der Grundlage des Art. 23 GG" vereinbarte. Die neu vollzogenen Verfassungsänderungen und -ergänzungen wurden in einem Verfassungsgrundgesetz (17.06.1990) zusamxnengefasst. Danach stellte die DDR nun einen

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„freiheitlichen, demokratischen, föderativen sozial und ökologisch orientierten Rechtsstaat" dar (Art. 1). Der mit der Bundesrepublik Deutschland ausgehandelte Staatsvertrag über die „Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion" vom 18.05.1990 (Text bei v. Münch: 1991, S. 213ff.) wurde als weiterer Schritt am 21.06.1990 Gesetz; seine Präambel stellte fest, dass es der „beiderseitige" Wunsch sei, auf der Grundlage des Art. 23 GG die Deutsche Einheit zu vollziehen. Am 3.08.1990 wurde der zur „Durchfuhrung der ersten gesamtdeutschen Wahlen" (Wahlvertrag) notwendige Vertrag unter Einbeziehung Berlins geschlossen. Nachdem das Verfassungsgesetz zur „Bildung von Ländern in der DDR" (Ländereinführungsgesetz) vom 22.07.1990 die Bildung der Länder Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen mit Wirkung zum 14.10.1990 verabschiedet war, erklärte die Volkskammer den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes gemäß Art. 23 zum 3.10.1990 unter der Voraussetzung, dass der dazu notwenige „Einigungsvertrag" zwischen beiden Staaten verabschiedet und die Verhandlungen der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, der Vereinigten Staaten von Amerika, der Französischen Republik, des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland mit den beiden deutschen Staaten (Zwei-plus-Vier-Vertrag) abgeschlossen seien. Am 31.08.1990 wurde der erstgenannte Vertrag über die „Herstellung der Einheit Deutschlands", im „Bewusstsein der Kontinuität der deuschen Geschichte" geschlossen. Durch Art. 1 wurden die fünf neuen Länder gemäß Art. 23 GG Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland. Das Land Berlin ging aus seinen 23 Bezirken hervor, zugleich wurde Berlin die „Hauptstadt Deutschlands" (Art. 2 Abs. 1) - nicht zwingend zugleich Sitz von Regierung und Parlament. Der Tag des Beitritts - der 3. Oktober - wurde als „Tag der Einheit" gesetzlicher Feiertag (Text bei v. Münch: 1991, S. 327ff.). Mit diesem Vertrag wurde das gesamte innerdeutsche Recht, das Europarecht sowie die Fortgeltung völkerrechtlicher Bestimmungen aus der Existenz beider Staaten auf dem Gebiet der ehemaligen DDR zur Geltung gebracht. Beitrittsbedingte Änderungen erfuhr das GG u.a. durch die Neufassung der Präambel („Die Deutschen in den Ländern BadenWürttemberg, Bayern....haben in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands vollendet. Damit gilt dieses Grundgesetz für das gesamte deutsche Volk"), der Aufhebung Art. 23 und die Neufassung des Art. 146 (Guggenberger u.a.: 1991; Ullmann: 1991; Glaeßner: 1999, S. 562ff.). Im Zwei-plus-Vier-Vertrag vom 12.09.1990 (Ash: 1993, S. 508ff.) haben die 4 ehemaligen Besatzungsmächte ihre Rechte und Verantwortlichkeiten in Bezug auf Deutschland als Ganzes und Berlin suspendiert und festgestellt, dass das vereinte Deuschland die volle Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten besitzt. Deutschland bestätigte seinerseits, dass es „keinerlei Gebietsansprüche gegen andere Staaten" habe und solche „auch in Zukunft" nicht erheben werden (Art. 1 Abs. 3). Seit dem 3.10.1990 gelten somit die Verfassungsgrundsätze der Bundesstaatlichkeit, das Demokratie-, Sozial- und Rechtsstaatsgebot im vereinigten Deutschland (i.E. -» §§ 5, 6). Für das „neue politische Gemeinwesen bedeutet dies, dass zwar die normativen Grundlagen der Verfassung und die demokratischen Institutionen - von bedeutungslosen Randgruppen abgesehen - weder im Westen, noch im Osten in Frage gestellt werden, dass aber die Vorstellungen darüber, was mit ihnen jeweils gemeint und intendiert ist, auseinanderfallen. Diese unterschiedliche Wahrnehmung,

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Funktionszuweisung und Wertschätzung gilt es im Auge zu behalten..." (Glaeßner: 1999, S. 601).

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§ 2 Parlamentarische und präsidentielle Regierungssysteme Emanuel Richter Einleitung - I. Die Systematisierung und Typologisierung von Regierungssystemen - II. Unterscheidungskriterien zwischen parlamentarischen und präsidentiellen Regierungssystemen - III. Parlamentarische Regierungssysteme - IV. Präsidentielle Regierungssysteme - Schluss Grundlagenliteratur: Bandemer, Stephan von / Wewer, Göttrik (1989) (Hg.): Regierungssystem und Regierungslehre. Opladen Beyme, Klaus von (1970): Die parlamentarischen Regierungssysteme in Europa. München Brunner, Georg (1979): Vergleichende Regierungslehre. Paderborn, Bd. 1 Hartmann, Jürgen (2000): Westliche Regierungssysteme. Opladen Luchierhand, Otto (1989) (Hg.): Neue Regierungssysteme in Osteuropa und der GUS. Berlin Merkel, Wolfgang (1999): Systemtransformation. Opladen Steffani, Winfried (1979): Parlamentarische und präsidentielle Demokratie. Opladen Widmaier, Ullrich / Gawrich, Andrea / Becker, Ute (1999): Regierungssysteme Zentral- und Osteuropas. Opladen

Einleitung Jeder der annähernd 200 Staaten, die es gegenwärtig auf der ganzen Welt gibt, besitzt ein eigenständiges Regierungssystem, das sich in seinen Grundsätzen oder in rechtlichen und politischen Nuancen von jedem anderen unterscheidet. Zudem befinden sich ständig einige Staaten und Verfassungssysteme im Umbruch, werden reformiert, neu gegliedert, verschwinden oder werden völlig neu begründet. Das Ende der kommunistischen Regime in Osteuropa hat uns jüngst auf dem europäischen Kontinent die Dynamik von Staatsbildung und Staatsverfall, von einschneidenden verfassungspolitischen Revisionen und tiefgreifender Systemtransformation drastisch vor Augen geführt. Die Aufgabe einer Typologie von Regierungssystemen ist es, trotz aller Unterschiede und trotz aller Wechselhaftigkeit eine ordnungsbildende Gliederung vorzunehmen, die Klassifikationen und Bewertungen ermöglicht und damit zum besseren Verständnis der Eigenarten und Ähnlichkeiten von Regierungssystemen beiträgt. Eine vergleichende Betrachtung von Regierungssystemen steht vor der Schwierigkeit, dass diese nicht nur aus den zentralen Institutionen einer Verfassung, eines Parlaments und einer Regierung sowie deren Beziehungsgeflecht untereinander bestehen. Eine Reihe von weiteren Institutionen tritt als Profilgeber jedes Regierungssystems hinzu, wie eine hierarchisch gestufte und nach Rechtsgebieten unterteilte Gerichtsbarkeit, ein vertikal gegliederter Staatsaufbau, der in föderalistischen Systemen auf vielfältige Weise unmittelbar in die Entscheidungsstruk-

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turen des Regierungssystems eingebunden ist, politische Behörden und die öffentliche Verwaltung, die Parteienlandschaft, politische Amtsträger, politisch bedeutende Persönlichkeiten und einflussreiche gesellschaftliche Gruppen. All diese zusätzlichen Bestimmungselemente eines Regierungssystems sind wiederum in eine ganz bestimmte historische Tradition des jeweiligen Staates eingebunden, die ihrem Zusammenwirken ein unnachahmliches Profil verleiht und eine jeweils unverwechselbare Entwicklungsdynamik hervorruft. Es empfiehlt sich daher, zunächst mit einem möglichst allgemeinen Verständnis von Regierungssystemen zu operieren, um den möglichen Facettenreichtum an institutionellen Einflussfaktoren, Merkmalen und Entwicklungspotentialen einzufangen und nicht von vornherein durch einen rigiden Schematismus Bestimmungselemente von Regierungssystemen und die Resultate ihrer beständigen Transformation aus dem analytischen Blickfeld zu verlieren. Regierungssysteme sind geschichtlich gewachsene Handlungsrahmen, Handlungsvorschriften und Institutionen für den Vollzug politischer Entscheidungen im jeweiligen Gemeinwesen. Das ist eine sehr allgemeine Definition, die sich gegenüber unvermuteten und unkonventionellen Einflussfaktoren auf das „Regieren" in den einzelnen Staaten offen hält. Freilich kann man sich mit diesem Weitwinkel des möglichen Gegenstandsbereichs dann nicht bescheiden, wenn man konkret das Institutionengeflecht und die politischen Entscheidungsprozesse in einem bestimmten Staat mit einer hinreichenden Tiefenschärfe beschreiben will. Zwischen der möglichst großzügigen Bestimmung des Gegenstandsbereichs und der möglichst exakten Beschreibung eines einzelnen Regierungssystems liegt daher der analytische Prozess der „Konturierung" jener Bestimmungselemente, die notwendig sind, um ein Regierungssystem angemessen beschreiben, bewerten und mit anderen Regierungssystemen vergleichen zu können. Diese Konturierung verlangt nach einer ausgewogenen Mischung aus der Zuordnung zum Allgemeinen und der Hervorhebung des Besonderen. Das hierzu erforderliche methodologische Verfahrens bedarf einer kurzen Erörterung. Die Systematisierung von Eigenarten der Regierungssysteme und die Bildung von Merkmalsgruppen, etwa die Einteilung in parlamentarische und präsidentielle Regierungssysteme, entspringt einer Abstraktion, nämlich der auf Systematisierung und Typologisierung gerichteten Klassifikation und Bewertung durch den analytischen Beobachter. Das Artifizielle und analytisch Instrumentelle einer solchen Kategorisierung sollte methodologisch stets bewusst bleiben. Sie arbeitet mit Analogien zwischen einzelnen Merkmalsausprägungen, die wiederum manche Besonderheiten einzelner Regierungssysteme dem Interesse an der Verallgemeinerungsfähigkeit von Merkmalsgruppen preisgeben. Grundsätzlich bleibt aber die Bildung von Merkmalsgruppen auf die kontrastive Gegenüberstellung einzelner Regierungssysteme angewiesen. Das grundlegende Hilfsmittel zur Systematisierung und Typologisierung liefert der Vergleich. Demzufolge ist die „Vergleichende Regierungslehre" oder - in einem analytisch weiter gefassten Verständnis des Gegenstandsbereichs - die „Vergleichende Systemforschung" diejenige sozialwissenschaftliche Subdisziplin, die den größten Beitrag zur Kategorisierung von Regierungssystemen zu leisten vermag. „Sie beschäftigt sich mit dem systematischen Vergleich unterschiedlicher Staats- und Regierungsformen sowie unterschiedlicher politischer Strukturen und Prozesse." (Lehner/Widmaier: 1995, S. 9).

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Aus der geschichtlichen Einbindung, aus der rechtlichen sowie politischen Dynamik von Regierungssystemen sowie aus den Schwierigkeiten des angemessenen methodologischen Instrumentariums ergeben sich eine Reihe von Erfordernissen für eine plausible Typologisierung. Der systematisierende Zugriff des analytischen Beobachters muss sich des historischen Wachsens von Regierungssystemen versichern, er muss die Wandelbarkeit und Entwicklungsfähigkeit von Regierungssystemen berücksichtigen, und er muss sich der unvermeidlichen Willkür der Systematisierung sowie des problematischen Wechselverhältnisses zwischen realem Gegenstandsbereich und idealisierender Kategorisierung bewusst bleiben. Bevor daher eine Typologisierung von parlamentarischem und präsidentiellem Regierungssystem vorgenommen werden kann, sollte zunächst eine grundsätzliche Verständigung über die methodologischen Erfordernisse, die analytischen Zugangsmöglichkeiten und die inhaltlichen Kriterien jeglicher vergleichenden Systematisierung und Typologisierung von Regierungssystemen erfolgen. Dieses Arbeitsprogramm soll im folgenden eingehender erörtert werden. Aus seinen verschiedenen Komponenten ergeben sich auch die einzelnen Abschnitte, in die dieser einfuhrende Beitrag in die Analyse von parlamentarischen und präsidentiellen Regierungssystemen zu gliedern ist. Zu Beginn sollen die allgemeinen methodologischen Probleme der Systematisierung und Typologisierung von Regierungssystemen vor dem Hintergrund der verfassungspolitischen Klassifikationsgeschichte erörtert werden. Das geschieht im folgenden, zweiten Abschnitt (2). Im Anschluss daran müssen die Unterscheidungskriterien von parlamentarischen und präsidentiellen Regierungssystemen unter Betrachtung der zentralen Begriffe der Klassifikation erörtert werden (Abschnitt 3). In einem vierten und fünften Abschnitt können dann die Typologien der jeweiligen Regierungssysteme sowie ihre Ausprägungen in der politischen Realität der Gegenwart genauer dargestellt und erläutert werden (Abschnitt 4 und 5). In einem abschließenden Teil soll noch einmal die wissenschaftliche Ermunterung, sich vergleichend mit den Typologien der modernen politischen Regierungssysteme zu befassen, mit dem methodologischen Plädoyer verknüpft werden, größtmögliche Sorgfalt und Umsicht in der Systematisierung und Kategorisierung jener vielschichtigen politischen Realität walten zu lassen, die wir manchmal allzu behende als „Regierungssysteme" titulieren (Abschnitt 6).

I. Die Systematisierung und Typologisierung von Regierungssystemen Systematisierung und Typologisierung gelten als ein Grundanliegen wissenschaftlicher Analyse. Aber bereits die notgedrungen selektiven Auswahlkriterien einer solchen Ordnungsbildung, ihre stets zweifelhafte Realitätsangemessenheit und ihre unvermeidliche normative Willkür werfen eine Fülle von methodologischen Problemen und skeptischen Einwänden auf, die ihrer Plausibilität und wissenschaftlichen Akzeptanz im Wege stehen. Die Geschichte der Systematisierung und Typologisierung von Regierungssystemen liefert treffliches Anschauungsmaterial dafür, wie strittig die Kriterien der Ordnungsbildung waren und bleiben werden, und wie sehr sich unter immer neuen analytischen Zugangsweisen die

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Klassifikationen und selbst der Gegenstandsbereich der vergleichenden Regierungslehre beständig verändern. 1. Die Geschichte der Typologisierungen In der Geschichte der Systematisierung und Typologisierung von Regierungssystemen war über lange wissenschaftsgeschichtliche Perioden hinweg eine Klassifikation in Kategorien der „Staatsformen" und ihrer Entwicklungsdynamik vorherrschend. Schon aus dem 4. Jhd. vor Christus sind die länderkundlichen Systematisierungen von Herodot und Thukydides überliefert, und wenig später legte Aristoteles anhand des Vergleichs von 158 Verfassungssystemen eine Klassifikation von Herrschaftsformen und eine normative Kategorisierung ihrer Entwicklungsdynamik vor, die für das Forschungsfeld der Vergleichenden Regierungslehre strukturbildend wirkte (vgl. Brunner: 1979, S. 22ff.). Aristoteles nahm eine Grobgliederung nach der Zahl der Herrschenden vor und schilderte die entwicklungsgeschichtlichen Übergänge vom einen zum anderen Herrschaftstypus. Bemerkenswerterweise erschien ihm die Reinform der Demokratie, die buchstäbliche Herrschaft Aller, als eine politische Degenerationsform der bevorzugten, aristokratisch geprägten Herrschaft, und letztendlich plädierte er für ein Mischsystem, das die jeweiligen Vorzüge einzelner Herrschaftsformen miteinander verknüpft. Seine intensive Bemühung um die Klassifikation von Herrschaftstypen hat - mit epochalen Unterbrechungen - über Jahrhunderte hinweg die methodologische Konzentration auf eine vergleichende Staatsformenlehre begünstigt, die ihr Schwergewicht auf den historischen und systematischen Vergleich von Regierungsformen legte. Auf unterschiedliche Weise arbeiteten Machiavelli, Bodin, und Montesquieu die typischen Merkmale einzelner Regierungsformen heraus, um zu generalisierenden Aussagen über die jeweiligen Charakteristika zu gelangen und um auf der Basis des Vergleichs Vorzüge und Nachteile der jeweiligen Typen kontrastiv gegeneinander stellen zu können. Montesquieu lieferte ein deutliches Beispiel für die streng auf eine übersichtliche Unterscheidung von Staatsformen gerichtete Typologisierung, die freilich ihre Raffinesse wiederum durch die Bevorzugung eines komplexen Mischsystems erlangte. Je mehr sich im europäischen und atlantischen Raum souveräne Nationalstaaten mit einer ausgefeilten und verfassungsrechtlich fixierten Gewaltenteilung ausprägten, desto intensiver richtete sich die vergleichende Systematisierung und Typologisierung auf die jeweiligen Feinheiten der „Regierungsformen" in den einzelnen Staaten und auf die Bewertung ihrer verfassungsrechtlichen Kodifizierung. „Das Vordringen der juristisch-institutionellen Betrachtungsweise ist mit der Epoche des Konstitutionalismus engstens verbunden." (Brunner: 1979, S. 30). Gleichzeitig konnte „Regieren" präziser als Prozessverlauf politischer Entscheidungsprozesse wahrgenommen werden, wodurch sich die aristotelisch angeregte quantitative Typologisierung erheblich ausdifferenzieren ließ. Jenes angelsächsische analytische Konzept des „government", das Regieren als vielschichtigen Prozess der politischen Planung, Entscheidungsfindung und vollzogenen Herrschaft begreift, fand seit Beginn des 20. Jhd.s auch im deutschsprachigen Raum Verbreitung: „Nicht der ahistorische und übergesellschaftliche Staat, sondern gerade die konkrete Ausgestaltung der gesellschaftlichen Organisation zum Zwecke der Wahrnehmung allgemeiner Aufgaben wurde problematisiert." (Jann: 1989, S.

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45). Über die Impulse, die von europäischen Emigranten in den USA auf die sich immer weiter ausdifferenzierenden Sozialwissenschaften in Europa zurückwirkten, wurde die Orientierung am Ideal demokratischer Herrschaft in der immer feingliedrigeren Systematisierung und Typologisierung von Regierungssystemen zum wissenschaftlichen Allgemeingut „westlicher" Typologisierung. Zu dem wissenschaftsgeschichtlich überraschend späten - Zeitpunkt der 40er Jahren des 20. Jhd.s, zu dem sich in den USA die „Vergleichende Regierungslehre" als eigenständige Disziplin auszubilden begann, war somit ein ausgeprägtes Bewusstsein über die Komplexität von Herrschaftstypen und die Entwicklungsdynamik von Regierungshandeln vorhanden, aber auch über die normative Prägekraft von verfassungsrechtlicher Kodifizierung und über die Fragilität des Leitbildes der demokratischen Herrschaft. Mit den steigenden, vielfach ausdifferenzierten Anforderungen an „Regieren" in den hochkomplexen modernen Staaten hat sich das analytische Spektrum der Systematisierung und Typologisierung erneut erweitert - übrigens in Parallele zu der Verfeinerung von empirischen Forschungsverfahren, die auf der Basis von Datenerhebungen und statistischen Analysen verstärkt zur Untermauerung des historischen und systematischen Vergleichs herangezogen werden. „Regieren" gilt nicht mehr nur als das Ergebnis einer spezifischen politischen und verfassungsrechtlichen Herrschaftsstruktur, sondern gewinnt seine Konturen auch durch die Leistungen, die es für die Bürger, gesellschaftliche Gruppen und wirtschaftliche Erfordernisse erbringt. Die Typologie der Regierungssysteme muss daher auch den „Output" des jeweiligen Systems in ihrer Klassifikation berücksichtigen. „Regieren ist das Erbringen einer Leistung", wie Jann lakonisch resümiert (Jann: 1989, S. 47). Wilhelm Hennis hat sich dementsprechend darum bemüht, den Gegenstandsbereich der Vergleichenden Regierungslehre zu erweitern: „Mit beiden, Demokratie und Verfassungsstaat verbunden, aber in gewisser Weise doch indifferent ihnen gegenüber, will der moderne Staat drittens ein Staat sozialer und wirtschaftlicher Leistungen sein." (Hennis: 1965, S. 424). Das Regierungssystem ist nicht nur als Inbegriff von institutionalisierter Ordnung zu verstehen, sondern zugleich als eine ganz spezifisch wirkende „Tätigkeit" im Vollzug von Regieren. Hennis warnt freilich im gleichen Atemzug davor, die „Regierungslehre" als bloße „Technik" der Leistungserbringung zu begreifen und verweist auf die Normbindung und die Normbildung aller konkreten politischen Handlungsvollzüge (Hennis: 1965, S. 432). Das im 20. Jhd. entfaltete Nebeneinander von nationaler, subnationaler und transnationaler Entscheidungsvollmacht, das auf dem europäischen Kontinent seinen augenscheinlichsten Ausdruck in der supranationalen Einbindung von europäischen Nationalstaaten in das weitgreifende Macht- und Entscheidungsgefuge der Europäischen Union findet, nötigt zu einer neuerlichen Erweiterung des analytischen Blickwinkels. „Regieren" vollzieht sich in unkonventionell „entgrenzten Räumen" und auf den unübersichtlichen Niveaus transnationaler „Mehrebenensysteme", die auf neuartige und höchst komplexe Handlungsbedingungen und Akteurskonstellationen hindeuten (vgl. Kohler-Koch: 1998; Streeck: 1998; Zürn: 1998). Regierungssysteme können nicht länger mit guten Gründen als klar nationalstaatlich konturierte und handlungstheoretisch geschlossene Wirkungszusammenhänge aufgefasst werden. Eine erneute methodologische Revision erscheint notwendig, die wiederum mit gesteigerter analytischer Komplexität auf die erweiterte funktionale Komplexität ihres Gegenstandsbereichs reagiert. Unter

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Rückgriff auf die Kategorie des „Republikanismus" sind dabei spannende Versuche vollzogen worden, trotz aller Zergliederungen des Gegenstandsbereichs die Gesamtheit des „Politischen" in großräumigen und komplexen Handlungszusammenhängen im Blickfeld zu behalten. Ein prozedural aufgelöstes Republikanismus-Verständnis, das politische Institutionen im engeren Sinn ebenso umfasst wie die Konstitutionsbedingungen von Politik, die Beteiligungsformen der Bürger, die moralischen Orientierungen und die Rückwirkungen vollzogener politischer Entscheidungsprozesse auf die republikanischen Ideale selbst, dient dabei als Instrumentarium zur Analyse von politischen Entscheidungsabläufen in unübersichtlichen Mehrebenensystemen des Regierens und vor allem zu einer Bewertung in demokratietheoretischen Kategorien. Ein derart konzeptionell aufgefrischter „Republikanismus" versucht, auch in der Großräumigkeit und Komplexität noch das „Ganze" der Politik als demokratischen „Sinn" aller politischen Institutionen und Prozesse zu ermitteln (Richter: 1999, S. 27ff.). Die entsprechende Modellbildung erscheint noch entwicklungsbedürftig, unterstreicht aber schon in dieser konzeptionellen Rohfassung das Bedürfnis und die Notwendigkeit, jenseits aller steuerungstheoretischen Facetten von einzelnen Regierungssystemen auch wieder handlungstheoretisch das inhaltliche Ziel und den normativen Sinn des Regierens in komplexen Gebilden zu erfassen.

2. Das „Politische System" als Leitbegriff Anhand der Wissenschaftsgeschichte des methodischen Zugriffs auf die Analyse von Regierungssystemen lässt sich somit treffend nachvollziehen, wie sich der ursprüngliche Fokus einer vergleichenden Betrachtung von Verfassungen und die daraus abgeleitete „Verfassungssystematik" allmählich zu einer Betrachtung von politischen Rahmenbedingungen, von relevanten politischen Handlungszusammenhängen und von der Dynamik des gesamten Entstehungs- und Wirkungsgefüges politischer Prozesse ausweitet. Die zeitgenössische Politikwissenschaft spricht vom „Politischen System", um dieses Spektrum an Fragestellungen und Gegenstandsbereichen einzufangen (zur Geschichte des Forschungsgegenstands „Politische Systeme" vgl. Waschkuhn: 1995). Der Begriff des „Politischen Systems" zielt auf ein weitläufig angelegtes Verständnis von „Regieren", das über die politischen Institutionen hinaus auch gesellschaftliche, ökonomische und kulturelle Grundlagen und Einflussfaktoren auf politische Entscheidungsprozesse einschließt (vgl. Murswieck: 1989, S. 149). Der Begriff des politischen Systems ist in seiner Komplexität „... umfassender als Staat und Regime und kann deshalb die vielfältigen Interdependenzen der Transformationsprozesse politischer, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Teilsysteme in das analytische Blickfeld rücken." (Merkel: 1999, S. 73). Im Zuge dieser Ausweitung des analytischen Blickwinkels hat sich auch der Begriff von politischen „Institutionen" gewandelt, der seine Fixierung auf staatliche Organe im engeren Sinn verloren hat und jetzt stärker prozessuale Elemente und politische Randbedingungen einschließt (Göhler: 1988, S. 15). Neuere Studien zum Vergleich von Regierungssystemen erheben dementsprechend die Forderung, den politischen Institutionen größere Aufmerksamkeit zu widmen: „There is a complex dialectic between rules and behavoir." (Linz/Valenzuela: 1994, S. XII.)

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Insgesamt sollte freilich der analytische Zugriff auf ein zeitgemäßes Verständnis von Regierungssystemen unter dem Leitbegriff des „Politischen Systems" nicht zu stark die steuerungstheoretischen Aspekte in den Vordergrund stellen, die „Regieren" bloß als ein kybernetisches Wechselspiel von „input" und „Output" erscheinen lassen, das nur nach seiner Leistung und den „Kosten" im Sinne des möglichst geringen Aufwands für eine reibungslose „Effizienz" des Systems beurteilt wird. Einem solchen analytischen Blickwinkel hat sich die Theorie des „rational choice" verschrieben, die Regierungssysteme als rational konstruierte Funktionszusammenhänge betrachtet und normativ die Sinngebung des Politischen zu sehr auf die Erfüllung von Nutzenkalkülen einengt (Lehner/Widmaier: 1995, S. 9ff.). Genauso bedeutsam wie das steuerungstheoretische Leistungsvermögen für das Profil und die Dynamik eines Regierungssystems sind die Probleme der Legitimität von politischer Handlungsvollmacht, die Fragen nach ihrer gesellschaftlichen Akzeptanz und nach den demokratischen Mitwirkungs- und Gestaltungsmöglichkeiten. Insbesondere das Erfordernis der Integration multiethnischer Gemeinschaften in moderne Nationalstaaten wirft die - nicht schlüssig zu beantwortende - Frage auf, ob parlamentarische oder präsidentielle Regierungssysteme solchen Leistungsanforderungen besser gewachsen sind (Linz: 1994, S. 44). Der Begriff des „Politischen Systems" im weiteren Sinne schließt auch solche analytischen Problemhorizonte mit ein und ist damit „... am engsten mit der Legitimitäts- und Stabilitätsfrage politischer Ordnungen verknüpft." (Merkel: 1999, S. 73).

II. Unterscheidungskriterien zwischen parlamentarischen und präsidentiellen Regierungssystemen Unter Berücksichtigung der notwendigen Erweiterungen des methodischen Rüstzeugs für die Analyse von Regierungssystemen erscheint es geboten, einen historisch und systematisch weitgreifenden Zuschnitt bei deren Merkmalsbestimmungen zu wählen. In einem umsichtigen und facettenreichen Zugang zum Gegenstandsbereich löst sich der schroffe Dualismus von „parlamentarischen" und „präsidentiellen" Regierungssystemen teilweise auf und weicht einer behutsamen Kontrastierung, die sich der genetischen Gemeinsamkeiten beider Varianten versichert. Eine historisch angelegte Begriffs-Systematik und thematische Genese liefert die sicherste Grundlage für ein umfassendes und vielschichtiges Verständnis der spezifischen Merkmale von parlamentarischen und präsidentiellen Regierungssystemen. Bis ins 19. Jhd. hinein ist in der politischen Theorie und Staatstheorie die Klassifikation von Herrschaftstypen nach der Art der Staatsformen üblich: Monarchie, Aristokratie, Demokratie - und ihre jeweiligen Mischformen. Beginnend mit den Schriften des Staatstheoretikers Jean Bodin entwickelte sich jedoch bereits seit dem 16. Jhd. parallel dazu ein Unterscheidungsvermögen zwischen Staatsform und Regierungsform, das allmählich zu einem ausdifferenzierten Verständnis von verschiedenen „Regierungssystemen" hinführte und das nicht mehr realitätsgerechte Klassifikationsschema der Staatsformenlehre bis zum Ende des 19. Jhd.s endgültig verdrängte. Dieses Unterscheidungsvermögen entwickelte sich freilich je nach Land und staatstheoretischem Traditionszusammenhang zu unterschiedlichen Zeitpunkten, in sehr unterschiedlicher Begrifflichkeit und in unterschiedli-

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eher Intensität. Außerdem mischten sich Elemente der „alten" Staatsformenlehre in die „neue" Lehre von der Regierungsformen, so dass es kaum möglich erscheint, die vielfältigen historischen und systematischen Begründungszusammenhänge und Klassifikationsschemata übersichtlich zu ordnen. Es sollen daher lediglich einige Grundlinien der begrifflichen und inhaltlichen Systematik nachgezeichnet werden. 1. Die Geschichte der zentralen Begriffe Historisch erweist sich der Begriff der „Repräsentativverfassung" als Oberbegriff zu all jenen Varianten von Regierungssystemen, denen auch der Dualismus von parlamentarischen und präsidentiellen Regierungssystemen angehört. Mit Blick auf die Staatsformenlehre ist damit im allgemeinen der Gegensatz zu einer absoluten Monarchie bezeichnet - aber eben auch nicht zur Monarchie im allgemeinen, denn es haben sich durchaus Monarchien mit repräsentativem Herrschaftsanspruch entwickelt. Die Repräsentatiwerfassungen sind jedenfalls „republikanisch", was im üblichen Wortgebrauch die Entgegensetzung zur absolutistischen Herrschaft des Monarchen bezeichnet und womit auch schon bestimmte Anforderungen an den demokratischen Charakter der Regierungssysteme zum Tragen kommen (Vgl. Mager: 1984). Dieser demokratische Charakter speist sich historisch in den meisten der entsprechenden Regierungssysteme aus einer wachsenden politischen Verantwortlichkeit des Parlaments. Die konstitutionelle Ordnung der „Repräsentativverfassung" bleibt also in ihrem herrschenden Begriffsverständnis, das sich aus den jahrhundertelangen politischen Emanzipationskämpfen in Europa herleitet, an die Mitwirkung einer parlamentarischen Institution gebunden, die subversiv gegenüber monarchischer Autokratie den „Volkswillen" repräsentiert und diesen in die politischen Entscheidungsprozesse, vor allem in die Gesetzgebung, einbringt. Das Modell der Repräsentativverfassung bewegt sich also in den meisten staatstheoretischen Kategorisierungen auf die Kontrastierung zwischen Repräsentativsystem und konstitutioneller Monarchie zu (v. Beyme: 1970, S. 31 f.). Umgekehrt entwickelten sich in Kontinentaleuropa aber auch Klassifikationsschemata, die den Sinn des Repräsentativgedankens erfassten, aber noch kein ausgeprägtes Bewusstsein von der besonderen Stellung „parlamentarischer" Regierungsformen unter dem Dach dieses Oberbegriffs entwickelten. Robert von Mohl identifizierte in seiner „Enzyklopädie der Staatswissenschaften" von 1859 beispielsweise drei Unterformen des repräsentativen Systems: die Direktoriumsregierung, die Versammlungsregierung, die Präsidentielle Regierung (v. Beyme: 1970, S. 36). Die Versammlungsregierung erschien ihm nicht als spezifischer Zweig einer verfassungspolitischen Entwicklung mit einer ganz eigenen Dynamik, die besondere klassifikatorische Beachtung verdient. Die Sonderform der „parlamentarischen Regierung" wurde in den unterschiedlichen politischen Systemen in Europa zu jeweils ganz verschiedenen Zeitpunkten identifiziert und mit unterschiedlichen Konnotationen versehen. Das britische Regierungssystem avancierte zum Modellfall der herausgehobenen politischen Stellung des Parlaments, aber die Kontinentaleuropäer trugen viel mehr zur Klassifikation und Bewertung des Regierungssystems bei als die Briten selbst. Der französische Frühsozialist Saint-Simon war in Kontinentaleuropa einer der ersten, die den Begriff „parlamentarische Regierung" systematisch einführten, im Sinne

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der „Vorherrschaft des Parlaments" in den Gesetzgebungsprozessen. Aus der zwischen Großbritannien und Kontinentaleuropa merkwürdig verschobenen Wahrnehmung leitet sich das Aperçu ab, dass sich die Briten „als unfähig erwiesen, das Regierungssystem, das sie praktizierten, zu analysieren, während die Franzosen dieses Regierungssystem zwar zu analysieren, aber nicht zu praktizieren verstanden haben." (v. Beyme: 1970, S. 34). Das System der „parlamentarischen" Regierung, als Sonderfall der Repräsentatiwerfassung, steht also historisch - und auch ideengeschichtlich - schon früh in der beschriebenen Spannung zu einer monarchisch interpretierten „repräsentativen" Regierung. Es wird aber erst später als Idealtypus der repräsentativen „Volksherrschaft" anerkannt und damit in seinen historischen und begründungslogischen Fundamenten engstens mit dem Prinzip der Demokratie verknüpft. Erst in dieser Stoßrichtung löst es sich von der Neutralität seines Oberbegriffs, der „Repräsentativverfassung", und bringt stärker einen subversiven demokratischen Charakter zum Ausdruck, der von konservativen Staatstheoretikern und politischen Kräften oft genug als Anlass zur Verunglimpfung und Diskreditierung im Sinne der „direkten Volksherrschaft" benutzt worden ist. In jenen Traditionszusammenhängen, in denen sich das präsidentielle Regierungssystem entwickelte, wie der USA in ihrer Gründungsphase, sind dementsprechend die Vorbehalte gegenüber dem Leitbegriff der „Demokratie" erheblich größer, und es herrscht die Propagierung eines eher neutralen Verständnisses von „Repräsentation" vor. Die Aufsatzsammlung der „Federalist Papers", die Ende des 18. Jhd.s für die Annahme einer bundesstaatlichen Verfassung in den ehemaligen britischen Kolonien in Nordamerika plädierte, legt davon ein beredtes Zeugnis ab (Richter: 1994, S. 76ff.). In Kontinentaleuropa, mit seiner zum Teil sehr starken traditionellen Verbundenheit zur monarchischen Regierungsform, werden die Vorbehalte gegenüber der parlamentarischen Regierungsform zum Teil noch viel unverblümter und polemischer zum Ausdruck gebracht. So wurde in der Julimonarchie in Frankreich in der ersten Hälfte des 19. Jhd.s das parlamentarische System als „gouvernement d'assemblée" denunziert, als exekutivische Amtsanmaßung des Parlaments, und zum Zeitpunkt der Gründung des Deutschen Reichs 1871 galten in Deutschland „Versammlungsregierung" und „parlamentarische Regierung" noch weitgehend als Synonyme - die Gegnerschaft verlief zwischen Anhängern der konstitutionellen Monarchie und der „republikanischen" Parlamentsherrschaft. „Die Debatte um die Regierungsformen war also von der Staatsformenfrage noch nicht ganz gelöst." (v. Beyme: 1970, S. 37). Parlamentarische - und in weitaus geringerem Maße präsidentielle - Regierungssysteme entwickeln also unter dem Dach eines kämpferischen Begriffes von „Repräsentation" ihre Merkmalsausprägungen im Gegenzug zu den Charaktereigenschaften der monarchischen Regierung. Sie schwimmen damit im Fahrwasser eines historischen Emanzipationsprozesses, in dessen Verlauf immer breitere Schichten der Bevölkerung in die politischen Entscheidungsprozesse einbezogen werden und demokratische Bewegungen politische Mitwirkungsrechte erstreiten. Die Verfassung und das politische System „repräsentieren" den Willen des Volkes, des modernen Souveräns. Angesichts der historisch überwältigenden Kraft dieses Emanzipationsprozesses von monarchisch personalisierter zu demokratisch verallgemeinerter Souveränität und Repräsentation nehmen sich die jeweiligen Unterschiede der beiden Regierungstypen eher beiläufig aus, obwohl natürlich das präsidentielle Regierungssystem die monarchischen Personalisierungstenden-

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zen der Exekutive modelltheoretisch nachahmt und damit ein - zum Teil unbewusstes - monarchisches Erbe antritt. In „präsidentiellen" Regierungssystemen kann damit im Einzelfall noch die Tradition der klassischen Lehre von den drei politischen Grundformen Monarchie, Aristokratie, Demokratie mitschwingen, indem die präsidentielle Personalisierung der Exekutive Ähnlichkeiten zur monarchischen Verkörperung von politischer Macht aufweist - freilich „modernisiert" durch eine raffiniertere Auffassung von der Gewaltenteilung und von den Prinzipien der Mischformen zwischen hierarchisch geordneten und demokratisierten Herrschaftsverhältnissen. Die Charakterisierung als „demokratische Regierungsform" erscheint jedenfalls auch angesichts totalitärer und autoritärer Regime im 20. Jhd. als viel bedeutender und wirkungsmächtiger als die Strukturunterschiede zwischen parlamentarischen und präsidentiellen Regierungssystemen untereinander - wobei ja die „demokratische Regierungsform" immer wieder selbst um ihre Authentizität ringt, wie etwa der bemerkenswert langwierige Kampf um das Frauenwahlrecht unterstreicht. Wertneutrale Begriffsverständnisse von „parlamentarischen" Regierungssystemen, die parlamentarische Systeme im engeren Sinne wie auch präsidentielle Regierungssysteme umfassen, entwickeln sich jedenfalls erstaunlich spät. Erst mit der historischen Durchsetzung von Parlamentsrechten in vielen europäischen Nationalstaaten Mitte des 19. Jhd.s setzt sich auch politisch der Begriff „parlamentarische" Regierung als allgemeines Kennzeichen eines gewaltenteiligen Regierungssystems durch, in dem das Parlament ganz selbstverständlich die legislative Gewalt verkörpert. Die subversiven Gehalte gehen zugunsten kooperativer oder korporatistischer Auffassungen von politischer Handlungsfähigkeit im Rahmen von Nationalstaaten verloren. „Die Einbürgerung der Bezeichnung „parlamentarische Regierung" vollzog sich erst, als man das parlamentarische System nicht mehr mit revolutionären Konventionsregierungen identifizierte." (v. Beyme: 1970, S. 36).

2. Die Differenzierung zwischen „parlamentarischen" und „präsidentiellen" Regierungssystemen In den entsprechenden Begriffsverständnissen der Gegenwart sind die historischen Polarisierungen nicht mehr präsent. „Moderne" Regierungssysteme gelten als Verwirklichungsinstanzen von demokratischer Herrschaft mit entsprechenden repräsentativen Strukturen, zu denen vor allem die Parlamente gelten - in präsidentiellen ebenso wie in „parlamentarischen" Regierungssystemen im engeren Sinn. Alle politischen Institutionen haben die Aufgabe der Repräsentation des Volkes. Volkssouveränität und Gewaltenteilung gehören zu den konstitutiven und kodifizierten Grundlagen jeglicher demokratischer Regierungssysteme (vgl. Laufer: 1966, S. 105f.). So differenziert Wilfried Röhrich in seiner Einführung in die „politischen Systeme der Welt" gar nicht mehr nach den Spezifika im Verhältnis zwischen Legislative und Exekutive, sondern nur noch nach grob geographischen Gesichtspunkten, indem er den „westlichen Demokratien" die noch instabilen „postkommunistischen Systeme" gegenüberstellt und diese insgesamt von den „Entwicklungsgesellschaften" in Lateinamerika, Asien und Afrika abhebt (Röhrich: 1999).

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Dennoch schält sich unter den Antrieben einer methodologisch ausgearbeiteten „Vergleichenden Regierungslehre" in der ersten Hälfte des 20. Jhd.s erneut um die Institution des „Parlaments" herum ein begriffliches Spezifikum heraus: Das „parlamentarische" Regierungssystem setzt sich als Bezeichnung für ein enges wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis zwischen Legislative und Exekutive durch, dem einerseits die „präsidentiellen" Systeme mit einer vergleichsweise großen Unabhängigkeit der vor allem durch eine Person verkörperten Exekutivmacht entgegenzusetzen sind, andererseits die direktdemokratischen Regierungssysteme, die Repräsentativstrukturen durch unmittelbare Partizipationsstrukturen zu ersetzen versuchen. Der „Modus" der Unterscheidung zwischen parlamentarischen und präsidentiellen Regierungssystemen liegt in der Art der „Kreation" der Amtsinhaber der Exekutive und im Grad der kontrollierenden Verflechtung zwischen Legislative und Exekutive. In Karl Löwensteins „Verfassungslehre" (Löwenstein: 1959, englisches Original 1957) werden drei Grundtypen von demokratischen Regierungsformen vorgestellt: die „unmittelbare Demokratie", die in anderen Klassifikationsmodellen „genossenschaftliche" Demokratie heißt (Imboden: 1964, S. 27ff.), die „Versammlungs-Regierung" und die „parlamentarische Regierung", die ein Überoder Gleichgewicht des Parlaments in den Institutionen der Gewaltenteilung bezeichnen, und die Präsidialregierung mit der Sonderform des Schweizer Regierungssystems (Löwenstein: 1959, S. 69fF.). Georg Brunner differenziert in seinem einführenden Werk von 1979 in fast identischer Terminologie zwischen parlamentarischer Regierung, Präsidialregierung und Direktorialregierung, wobei er mit Blick auf die politischen Systeme in Frankreich, Finnland, Portugal und Sri Lanka seiner Systematik noch Mischformen hinzufügt (Brunner: 1979, S. 100). Im Gegensatz zum präsidentiellen System besitzt seiner Auffassung nach das in der Schweiz verkörperte Direktorialsystem eine zugleich kollegiale und monistische Struktur der Exekutive, womit es das historisches Vorbild des französischen Direktoriums von 1795/99 nachahmt (Brunner: 1979, S. 106). Franz Lehner und Ulrich Widmaier differenzieren in ihrer Einführung in die Regierungslehre zwischen (repräsentativen) parlamentarischen Regierungssystemen, wozu sie unter anderen die politischen Systeme Großbritanniens, der Bundesrepublik Deutschland, Italiens und Japans zählen, den (ebenfalls repräsentativen) präsidentiellen Regierungssystemen, zu denen sie das der USA und Frankreichs zählen, und den plebiszitären Regierungssystemen, für die sie das Beispiel der Schweiz anführen (Lehner/Widmaier: 1995, S. 12). Manfred G. Schmidt steuert auf einen anderen Fokus zu, indem er in Anlehnung an Steffani beide Typologien - parlamentarische und präsidentielle Regierungssysteme - noch in „republikanische" und „monarchische" Formen unterteilt. So stellt Belgien in seiner Systematik beispielsweise ein parlamentarisches System der monarchischen Form dar, in dem Premierminister und die Krone als Staatsoberhaupt herausgehobene politische Funktionen haben, Irland ein parlamentarisches System der republikanischen Form mit starker Parlamentsmacht, historische Regierungssysteme wie das Deutsche Reich nach 1871 verkörpern aufgrund der Machtfülle von Kaiser und Reichskanzler die monarchische Form des präsidentiellen Systems ( s.a. -> § 1, III.), die Schweiz in der Gegenwart dank ihrer kollegialen Exekutivstruktur die republikanische Form des präsidentiellen Systems (Schmidt: z1997, S. 223). Methodisch auffallend bleibt die enge Verzahnung von einer modelltheoretischen Systematisierung historisch vorfindbarer Herrschaftstypen mit der Idealisierung

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konzeptioneller Varianten möglichen „Regierens". Die Dichotomie von parlamentarischen und präsidentiellen Regierungssystemen mutet auf ersten Augenschein hin wie das systematisierende Ergebnis eines deduktiven Verfahrens an, in dem die realen Regierungssysteme der modernen Welt bloß klassifikatorisch geordnet werden. Bei genauerem Hinsehen handelt es sich aber um die Folge einer induktiven Systematisierung von einigen wenigen Regierungssystemen in der modernen Welt, die idealtypisch kategorisiert werden. Winfried Steffani führt folgerichtig die Unterscheidung zwischen einem historischen und einem systematischen Zugang zum Verständnis von Regierungssystemen ein: Historisch gilt die Ähnlichkeit zu den USA als Zuordnungskriterium zum präsidentiellen System, die Ähnlichkeit zum Regierungssystem Großbritanniens als Zuordnungskriterium zum parlamentarischen System (Steffani: 1979, S. 38). Gerade in der angelsäsischen Forschung wird diese Schematisierung häufig angewendet (z. B. Moe/Caldwell: 1994), obwohl es angesichts der jüngsten verfassungspolitischen Entwicklungen in Großbritannien als durchaus zweifelhaft erscheinen mag, ob dieses Regierungssystem selbst überhaupt noch jenen klassischen Typus des parlamentarischen „Westminster-Modells" verkörpert, dem es doch einst seinen Namen als konzeptionelles Leitbild verliehen hatte (Sturm: 1999). Als „systematische" Differenzierung gilt Steffani der Grad der Verflechtung zwischen Parlament und Regierung (Steffani: 1979, S. 39). Entscheidendes Kriterium ist dabei die Möglichkeit einer Abberufung der Regierung durch das Parlament. Im präsidentiellen System sollte es sich dem Idealtypus entsprechend um eine geschlossene" Exekutive handeln, deren Amtausübung vom Parlament möglichst unabhängig bleibt, während im parlamentarischen System eine „doppelte" Exekutive herrscht, die zugleich die Abhängigkeit vom Parlament und partielle Eigenständigkeit aufweist, die zudem sowohl personalisierte Macht in Gestalt des Premierministers oder Kanzlers kennt als auch ein kollegiales Kabinettsprinzip entfaltet (Steffani: 1979, S. 41 f.). Erneut wird deutlich, dass solche Systematisierungen notgedrungen idealtypisch verfahren und institutionelle Eigenheiten der jeweiligen Staaten nicht in allen Nuancen berücksichtigen können. Bei der Typologisierung bleiben natürlich auch die jeweiligen Spezifika der vertikalen Gewaltenteilung in den einzelnen politischen Systemen zu berücksichtigen. Die föderalistische Struktur, die zumeist in einem Zweikammer-Parlament mit vielfältigen kooperativen Verflechtungen zwischen Bund und Gliedstaaten ihren Ausdruck findet, verleiht jedem Regierungssystem noch einmal ein ganz spezifisches Gepräge und ist imstande, die Trennschärfe zwischen den einzelnen Typen des Regierens erheblich zu vermindern. Methodisch festzuhalten bleibt in jedem Fall der Vorzug eines vergleichenden Verfahrens, das aus einer möglichst großen Zahl und Variationsbreite von idealisierten Verfassungstypen oder realen Regierungssystemen Unterschiede und Gleichartigkeiten herausfiltert (Nohlen: 1994). Auf der Basis der methodologischen Klärungen lassen sich nun zugleich verallgemeinernd die Merkmale von parlamentarischen und präsidentiellen Regierungssystemen herausarbeiten und im Verweis auf die konkreten Eigenheiten der jeweiligen Systeme die notwendige Beachtung von Besonderheiten hervorheben.

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III. Parlamentarische Regierungssysteme Die vorangehenden Erläuterungen liefern gewisse historische Anhaltspunkte dafür, dass sich die Ausprägung parlamentarischer Regierungssysteme stärker als die der präsidentiellen Regierungssysteme einer subversiven Entfaltung und partizipatorischen Verankerung von Volkssouveränität verdankt und intensiver im Dienste der basisdemokratischen Ausweitung von Mitwirkungsrechten als der effizienzorientierten Bündelung von Exekutivvollmachten steht. Diese historische Schlussfolgerung lässt sich freilich nicht zu einer klassifikatorischen Erkenntnis verallgemeinern, denn auch in der Gegenwart sind zahlreiche Regierungssysteme im Rahmen bereits ausgeprägter demokratischer Kulturen entstanden, die im engeren Sinne als parlamentarische Regierungssysteme zu kennzeichnen sind. In jedem Einzelfall sind die historischen Ausgangsbedingungen und kulturspezifischen Traditionszusammenhänge sehr genau zu analysieren. Theo Stammen identifizierte im Jahr 1972 als parlamentarische Regierungssysteme der Gegenwart Großbritannien, Kanada, Australien, Neuseeland, Norwegen, Schweden, Dänemark, Finnland, Niederlande, Belgien, die Bundesrepublik Deutschland, Österreich, Italien, Japan und Israel (Stammen: 31972). Die Liste wäre unter den großen Staaten noch um Indien zu ergänzen, und nach zahlreichen politischen Umbrüchen in den 60er Jahren zunächst in Südeuropa und in den 90er Jahren in Mittel- und Osteuropa müßten der Aufzählung Staaten wie Griechenland seit 1973, Spanien seit 1978, die Türkei seit 1982, Estland, Lettland, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Slowenien und Bulgarien hinzugefügt werden (vgl. Brunner: 1996; Widmaier u.a.: 1999; Roggemann: 1999). 1. Das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Legislative und Exekutive Als herausragendstes Charakteristikum parlamentarischer Regierungssysteme gilt die enge Verzahnung zwischen Legislative und Exekutive. Beide stehen in einem engen wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis, dessen Extrempunkte dadurch markiert werden, dass im Falle des politischen Scheiterns der einen Seite die Ablösung (beziehungsweise Auflösung) auf Initiative der anderen Seite möglich wird. Dem entspricht eine genuine Verankerung der Exekutive in der Legislative. „Im parlamentarischen Regierungssystem leitet die Regierung ihre Legitimation von der Wahl durch das Parlament ab." (Laufer: 1966, S. 119; Meier: 1999). Der Premierminister beziehungsweise Kanzler und die Minister (das „Kabinett") stammen in der Regel aus dem Parlament, womit prinzipiell jeder Abgeordnete die Möglichkeit hat, als Minister in die Exekutive einzurücken. Normalerweise entspricht die parteipolitische Orientierung des Kabinetts der parteipolitischen Mehrheit im Parlament, so dass die strategische Konfrontation zwischen „Regierung" und „Opposition" im Parlament zu greifen vermag. Hinter diesem Prinzip kommt das demokratietheoretische Modell zum Vorschein, die Exekutive im Sinne der „politischen Führung" des Landes als „Führer der Mehrheit im Parlament" aufzufassen (Laufer: 1966, S. 118) und damit der parteipolitisch ausgestalteten Kontrolle des Parlaments zu unterstellen. Förmliche Vertrauensabstimmungen im Parlament über die Investitur der Regierung sind daher die Regel. Ausgerechnet das historische „Musterland" des parlamentarischen Systems, Großbritannien, macht jedoch aufgrund seiner monarchischen Staatsform davon

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formal eine Ausnahme, indem es die Ernennung oder Entlassung des gesamten Kabinetts durch die Krone vorschreibt (Steffani: 1979, S. 40). Brunner sieht darüber hinaus in der Verzahnung von Parlament und Kabinett einen dichotomischen Bezug zwischen dem demokratischen Repräsentationsorgan und dem ausführenden Organ im Sinne einer auf politisch produktive Konfrontationen und auf die Grundlagen des Repräsentationsprinzips gerichteten Polarisierung: „das Volk und die Machtträger" (Brunner: 1979, S. 61). Freilich ist dieser Grundgedanke nur noch formell in gegenwärtigen Verfassungssystemen präsent, nicht unbedingt materiell in Gestalt von hierarchisierten Vorstellungen der Gewaltenteilung im Sinne einer herausgehobenen Stellung der Legislative gegenüber der Exekutive. Es würde obsolet anmuten, Minister und Premierminister in den gegenwärtigen parlamentarischen Systemen als die „Gesetze ausführende Magistratur" aufzufassen; eher haben sie in den komplexen politischen Industriestaaten eine Roilenzuschreibung erfahren, die sie - wie das Parlament - selbst in die Funktion von emsigen „Gesetzesschöpfern" erhebt. In vielen parlamentarischen Regierungssystemen entspricht dem das formale Recht der Regierung, Gesetzesinitiativen einzubringen. In der Bundesrepublik Deutschland war die Bundesregierung in vielen Legislaturperioden Spitzenreiter der Gesetzesinitiativen gemäß Art. 76 GG, der in seiner föderalistischen Stoßrichtung den Bundestag (-> § § 9 , 10), den Bundesrat (-» § 14) und die Bundesregierung (-» § 12) bei der Gesetzesinitiative gleichberechtigt (Laufer/Münch: 1998, S. 161ff.). In Italien ermöglicht die Verfassung neben der Gesetzesinitiative durch das Parlament, durch die Regierung und durch die „ermächtigten Organe und Körperschaften" bemerkenswerterweise auch die Gesetzesinitiative aus dem Volk, die von mindestens 50.000 Wahlberechtigten eingebracht werden muss (Art. 71 der Italienischen Verfassung, Die Verfassungen 1987, S. 216). In Monarchien bleibt vielfach auch der Krone das Recht auf Gesetzesinitiativen zugestanden (zum Beispiel Art. 82 der Niederländischen Verfassung, Die Verfassungen 1989, S. 260).

2. Exekutive und Legislative in ihren Eigenarten Weiteren Aufschluss über die Spezifika parlamentarischer Regierungssysteme gibt die Eigenart der Exekutive. In parlamentarischen Regierungssystemen steht dem Parlament eine formal als „Kabinettsregierung" zu kennzeichnende Exekutive gegenüber. Neben dem Regierungschefs gibt es Minister, die je nach politischem System partielle Eigenverantwortlichkeit in ihrem Ressort besitzen. Eine durch Parteiloyalität geprägte Homogenität und ein als „Regierungsmannschaft" gefordertes solidarisches Verhalten prägen im Idealfall den Kabinettsstil. Dabei weisen jedoch fast alle modernen Regierungssysteme eine herausgehobene Stellung des Premierministers beziehungsweise Kanzlers auf, die der engen Anbindung der Exekutive an die Legislative teilweise entgegensteht. Über diesen Strukturwandel findet eine Annäherung von parlamentarischen Regierungssystemen an die Personalisierung von präsidentiellen Regierungssystemen statt: Der Premierminister oder Kanzler rückt durch die wachsende persönliche Verantwortung in den Regierungsgeschäften moderner Staaten, durch die übliche Personalunion mit hohen Parteiämtern der regierungsbildenden Partei und durch die Personalisierungstendenzen der Mediendemokratie mehr und mehr als einzelne Person in den Mittelpunkt des politischen Geschehens im Land. Der britische Premierminister

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muss sich beispielsweise erst als Parteiführer profiliert haben, bevor er mit einer Nominierung für das Amt des Regierungschefs rechnen kann (Steffani: 1979, S. 78). Wahlkämpfe zu landesweiten Wahlen gleichen mehr und mehr einer personalisierten Kandidatenauslese von potentiellen Regierungschefs, statt dass sie um die Kontroversen über die divergierende politische Programmatik von Parteien angesiedelt sind. (Friedrich: 1976, S. 237). In der Bundesrepublik Deutschland unterstreicht die vielbeschworene und gleichzeitig immer wieder kritisierte „Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers" (Art. 65 GG) die herausgehobene Stellung des Regierungschefs (—> § 12, I.). Eine allgemeine Relativierung dieser herausgehobenen Rolle kann freilich durch die - je nach politischem System stark variierenden - Funktionen des „Staatsoberhaupts" in parlamentarischen Regierungssystemen stattfinden, nicht nur im Falle des politischen Notstands. Staaten wie Großbritannien, Spanien oder Belgien haben einen Monarchen als Staatsoberhaupt mit politischen Funktionszuschreibungen an die Krone, wie das Auflösungsrecht des Parlaments, Finnlands Verfassung schreibt dem Staatspräsidenten große politische Eingriffsmöglichkeiten zu, und der italienische Staatspräsident verschafft sie sich politisch im Zuge der häufigen Regierungskrisen (Steffani: 1979, S. 43; Die Verfassungen 1987, S. 15, S. 370). Dem korrespondiert, dass Parlamente immer weniger ihre aus dem Repräsentationsprinzip erwachsende „Artikulationsfunktion" wahrnehmen können, also die über die formalen Wege hinausreichende Einbringung von gesellschaftlichen Interessen und Bedürfhissen in die politischen Entscheidungsprozesse und rückwirkend in die öffentlichen Debatten. Parlamente nehmen eher nur noch grobe „Selektionsfunktionen" öffentlich relevanter Themen wahr. Zugleich sind sie in den modernen Regierungssystemen vielfach in die Funktionen der Exekutive eingebunden, indem sie die „staatliche" Entscheidungsfindung durch Mitwirkung bei Regierungsakten unterstützen - wozu beispielsweise die Ernennungen von Funktionsträgern oder die enge parteiliche Anbindung an die Willensbildungsprozesse innerhalb der Regierungsmannschaft zählen (zum Wandel von Parlamenten im internationalen Vergleich vgl. Steffani/Thaysen: 1995, mit besonderem Bezug zum Deutschen Bundestag vgl. Herzog u. a.: 1993). Daraus wird ersichtlich, dass in den modernen parlamentarischen Regierungssystemen den Parteien und ihrer Einbindung in die Auswahl und Beeinflussung der Exekutive eine herausgehobene Stellung zukommt (Steffani: 1979, S. 51; v. Beyme: 1970, S. 43f.). In den Verfassungen parlamentarischer Regierungssysteme ist die explizite Nennung von politischen Parteien als Organen der politischen Willensbildung üblich (vgl. beispielhaft Art 21 GG der Bundesrepublik Deutschland; -> 23, II.). Die kontroverse Diskussion um die „Parteiendemokratie", um ihre Grenzen und ihren möglichen Missbrauch, speist sich aus dieser Diskussion um die Verlagerung des Parteieneinflusses von Hilfsfunktionen bei der legislativen Aufgabenerfüllung zu dominanten inhaltlichen Richtungsbestimmungen und zur Selektion von Amts- und Mandatsträgern in vielen exekutivischen Institutionen und Prozessen (vgl. v. Arnim: 2000). Gleichwohl verbleibt dem Parlament im parlamentarischen Regierungssystem ein wichtiges Kontrollrecht und eine potentielle Einflussnahme von höchster politischer Bedeutung: das Misstrauensvotum, das natürlich auch auf Seiten der Exekutive seine Entsprechung üblicherweise durch das Recht auf Parlamentsauflösung findet. Das parlamentarische Kontrollrecht folgt im Verfassungsverständnis zahlreicher moderner Staaten dem Grundsatz: Die Regierung muss demissionie-

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ren, wenn das Parlament ihr das Vertrauen entzieht (v. Beyme: 1970, S. 41f.). In den jeweiligen Verfassungen sind zahlreiche Varianten des Misstrauensvotums entwickelt worden (vgl. Steffani: 1996, S. 46). Im „Konstruktiven Misstrauensvotum" des deutschen Grundgesetzes (Art. 67 GG; —> § 12) ist eine besonders raffinierte Formel für dieses Parlamentsrecht gefunden worden, die den Misstrauensantrag formell an die erfolgreiche Wahl eines neuen Regierungschefs durch das Parlament bindet. Andere politische Systeme in Europa behelfen sich mit informellen Regeln für die Neuwahl eines Regierungschefs, um Willkür im parlamentarischen Instrument des Misstrauensvotums und politische Instabilität in der Folge seiner Anwendung auszuschließen. In den meisten Verfassungen der Gegenwart korrespondiert dem die Möglichkeit der Regierung, im Falle politischer Entscheidungsblockaden eine Auflösung des Parlaments und Neuwahlen zu erzwingen oder zumindest eine Parlamentsauflösung zu forcieren. In Großbritannien verfügt der Premierminister über ein „unbeschränktes, jederzeit anwendbares Auflösungsrecht" des Parlaments, wobei er sogar noch nach freiem Ermessen den Zeitpunkt der Auflösung und den nächsten Wahltermin bestimmen kann - womit der parteitaktischen Willkür freier Lauf eröffnet wird (Steffani: 1979, S. 47). In Italien, dem europäischen Spitzenreiter in der Häufigkeit von Regierungswechseln, bleibt das Recht auf Parlamentsauflösung formell dem Staatspräsidenten unterstellt (Art. 88), während das Vertrauensverhältnis zwischen Regierung und Parlament inhaltlich an die Zustimmung beziehungsweise Ablehnung von Regierungsvorlagen gebunden ist und sich in häufigen Demissionen der Regierung, nicht unbedingt in Neuwahlen des Parlaments niederschlägt (Art. 94, Die Verfassungen 1987, S. 219f.). Freilich ist auch im Falle Italiens auf die starke Abhängigkeit des Wechselspiels zwischen Parlament und Regierung vom Staatspräsidenten, von seiner Taktik in der Amtsführung sowie von seiner politischen Autorität, zu verweisen.

IV. Präsidentielle Regierungssysteme Präsidentielle Regierungssysteme sind in der europäischen Verfassungstradition eher der Ausnahmefall, aber auch weltweit finden parlamentarische Regierungssysteme größere Verbreitung als präsidentielle. Präsidentielle Systeme erschienen lange aus der Perspektive der westeuropäischen Tradition mit ihren überwiegend parlamentarischen Regierungssystemen eher als eine künstliche, „rationale Konstruktion", die entweder historisch überholt oder politisch diskreditiert worden war. „In Europa ist das präsidentielle Regierungssystem als ganzes nie übernommen und nachgeahmt worden. Man hat sich hier sichtlich gescheut, nach den Erfahrungen mit absolutistischen und autoritären Regimen der Vergangenheit einem einzelnen Manne, dem Präsidenten, eine solche Machtfülle zu übertragen." (Stammen: 3 1972, S. 124). Zumindest seit den Neubegründungen präsidentieller Regierungssysteme in Osteuropa wird dieser Traditionalismus erheblich relativiert. Zudem liegen beispielsweise die Gründe für die Entfaltung eines präsidentiellen Regierungssystems in den USA ironischerweise auch in der unbewussten Nachahmung jenes europäischen Modells der absolutistischen Monarchie, das doch die parlamentarischen Regierungssysteme gerade zu überwinden versuchten. Das präsidentielle Regierungssystem der USA trägt auch Züge einer demokratisch eingehegten Personalisierung der Exekutive, die in der historischen

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Konstellation der Gründungsphase die größtmögliche Durchsetzungskraft für eine stabile Verfassung und politische Ordnung versprach (Hartmann/Kempf: 1989, S. 200; Helms: 1999a, S. 842). Dem korrespondiert, dass die Regierungschefs der Einzelstaaten in den USA noch immer, getreu britischen Vorbildern, „Gouverneure" genannt werden. Während also die Amerikaner die unbewusste Orientierung am Modell der britischen Krone suchen, pflegen zumindest die Westeuropäer in einer freilich politisch entschärften Variante die Tradition des Jakobinischen Republikanismus", der nur in einem starken Parlament den Garanten für demokratische Herrschaftsstrukturen und zugleich „effektives" Regieren zu erkennen vermag. Unter den präsidentiellen Regierungssystemen gilt weltweit nur das der USA unumstritten als Paradebeispiel, während schon das französische politische System der V. Republik seit 1958 von manchen Autoren als Sonderfall abseits der typischen Charakteristika präsidentieller Regierungssysteme behandelt wird. Theo Stammen nennt als präsidentielle Regierungssysteme der Gegenwart die USA und einige lateinamerikanische Länder - unter den großen sind Argentinien, Bolivien, Brasilien, Chile, Kolumbien, Mexiko, Peru und Venezuela zu nennen (vgl. Stammen: 3 1972; Linz/Valenzuela: 1994). Der Aufzählung präsidentieller Regierungssysteme sind außerdem Staaten wie Ägypten, Algerien (mit autoritären Machtstrukturen), Tunesien oder Süd-Korea hinzuzufügen. Stammen bezeichnet die politischen Systeme Frankreichs und der Schweiz als Sonderformen. Zu den Mischformen, die ähnlich wie Frankreich je nach politischer Konstellation zwischen starken und schwachen Präsidenten schwanken, ist auch Portugal zu zählen. Nach dem Ende der kommunistischen Regime in Osteuropa hat sich die Liste der semi-präsidentiellen Systeme um Länder wie Polen, Litauen, Rumänien, Kroatien, Armenien und die Ukraine erweitert (vgl. Brunner: 1996, S. 113). Im Falle der Russischen Föderation bleibt das jeweilige, je nach Amtsinhaber und politischer Entwicklung stark schwankende Rollenverständnis des Staatspräsidenten bestimmend für die Typologisierung des Systems (Furtak: 1996; Mommsen: 1999), während einige weitere osteuropäische Länder wie Georgien und Weißrußland (Kasachstan und Usbekistan tragen Züge einer autoritären Präsidialverfassung) als eindeutige Modellfälle präsidentieller Regierungssysteme zu werten sind (vgl. Widmaieru. a.: 1999).

1. Die Unabhängigkeit von Exekutive und Legislative Das präsidentielle Regierungssystem ist dadurch gekennzeichnet, dass Legislative und Exekutive weitgehend getrennt voneinander agieren. Das präsidentielle Regierungssystem kennt keine parlamentarische Wahl der Exekutive und keine Zugehörigkeit der Regierung zum Parlament. Im Gegensatz zum parlamentarischen Regierungssystem kann das Parlament die Regierung nicht stürzen, und umgekehrt kann der Präsident das Parlament nicht auflösen. Allenfalls die in den USA durchgesetzte Begrenzung der Amtszeit des Präsidenten auf zwei vierjährige Amtsperioden durch das 22. amendment im Jahr 1951 - eine Reaktion auf Franklin D. Roosevelts Vorstoß zu längeren Amtsperioden in Sonderfällen wie der damals herrschenden Kriegslage - kann als Machtbeschränkung gewertet werden, die fehlende Rechtsmittel der Legislative gegenüber der Exekutive kompensiert (Hartmann/Kempf: 1989, S. 200ff.).

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In den USA existiert freilich ein nur im „Notfall" einzusetzendes parlamentarisches Instrument des Misstrauensvotums gegen den Präsidenten: die Amtsenthebungsklage, das „impeachment". Das impeachment bleibt aber in der letzten Phase der Vorbereitung einer Amtsanklage an die Zweidrittel-Mehrheit im Senat gebunden - was in der politischen Realität eine große Hürde darstellt. Zum ersten Mal in der amerikanischen Geschichte wurde 1868 der amtierende Präsident Andrew Johnson einem impeachment unterstellt; er „entkam" der Amtsenthebung mit nur einer fehlenden Stimme im Senat. Richard Nixon ist dem impeachment im Strudel der sogenannten „Watergate-Affaire" nur durch den Rücktritt zuvorgekommen, und Präsident Bill Clinton, der im Rahmen der Lewinsky-Affaire des Meineids bezichtigt - und nach Meinung des ermittelnden Staatsanwalts auch überfuhrt - wurde, entkam ihm ebenfalls nur knapp durch die fehlende Mehrheit im Senat. Umgekehrt besitzt der Amtsinhaber der Exekutive im präsidentiellen Regierungssystem kein schlagkräftiges Instrument, um dem Parlament seine Einflussnahme auf die Gesetzgebung aufzuzwingen, es zu kontrollieren oder gar auf seine Auflösung hinzuwirken. Gesetzesinitiativen können in den USA beispielsweise formell nicht vom Präsidenten ausgehen. Dieser kann das fehlende Initiativrecht lediglich durch die persönliche Ansprache und Überzeugung von Abgeordneten ersetzen, die an seiner Stelle präsidiale Vorlagen einbringen. Außerdem kann der Präsident faktisch Initiativfunktionen wahrnehmen, indem er programmatische öffentliche Ansprachen im Kongress hält oder Kampagnen für Gesetzesänderungen und Gesetzesneuschöpfungen in den Medien führt - „going public" wird dieser strategisch hintersinnige Weg tituliert, der sich bei den neueren Amtsinhabern wachsender Beliebtheit erfreut (Helms: 1999a, S. 849f.). Dem präsidentiellen Amtsinhaber wird es in der Regel nicht gelingen, über die „Regierungspartei" - falls diese Bezeichnung im präsidentiellen Regierungssystem mit zum Teil parteiübergreifenden Koalitionsbildungen überhaupt angemessen erscheint - eine Parlamentskontrolle auszuüben. Dementsprechend muss die Regierungspartei noch nicht einmal die Parlamentsmehrheit besitzen, um die politische Stabilität dieses politischen Systems wahren zu können - was im parlamentarischen Regierungssystem als unabdingbar für die langfristige politische Stabilität gilt (Stammen: 3 1972, S. 125).

2. Die Personalisierung der Exekutive Das präsidiale Organ, zumeist verkörpert in einer einzigen Person, besitzt als Exekutivgewalt gegenüber dem Kabinett im Rahmen des parlamentarischen Regierungssystems große Selbständigkeit und umfangreiche Weisungsbefugnis. Nur in Gestalt des „Schweizer Bundesrats", einem aus mehreren Personen bestehenden Exekutivorgan, findet sich davon eine Ausnahme, sowie in einigen lateinamerikanischen Staaten, in denen dem Präsidenten im Rahmen der Exekutive ein Ministerrat oder Staatsrat zur Seite steht (Steffani: 1979, S. 41 f.; Lijphart: 1994, S. 6). Mit der Personalisierung geht der erhöhte Zwang zur politischen „Verhandlung" zwischen Legislative und Exekutive einher. Diese informelle Verständigung stellt besonders hohe Anforderungen an die politische Vertrauenswürdigkeit, Verlässlichkeit, aber auch an die strategischen Fähigkeiten des präsidentiellen Amtsinhabers. „Gegen Störungen des politischen Prozesses gibt es im präsi-

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dentiellen Regierangssystem kaum institutionelle Vorkehrungen, so dass dieses mehr als das parlamentarische Regierungssystem von der demokratischen Integrität seiner Amtsinhaber abhängig ist." (Laufer: 1966, S. 117). Diese Anforderungen an die persönliche Integrität erweisen sich als besonders prekär in den neu entstandenen präsidentiellen Regierungssystemen in Mittel- und Osteuropa, wo die politische Stabilität der jungen Systeme vielfach vom immer wieder neu erprobten Rollenverständnis und der konkreten Amtsführung der Staatsoberhäupter in turbulenten Entwicklungsphasen abhängig bleibt. In der Gesamtschau auf die postkommunistischen Regierungssysteme lässt sich ein breiter Fächer an „Präsidial-Typen" ausfindig machen, der von Charakteren wie dem „Dissidententyp" über den „Reformer" bis zur Bewertung als „Wendehals" reicht - und im Rahmen eines einzigen Staates durch rasche Wechsel der Amtsinhaber mehrfach variieren kann (Pradetto: 1996). In den USA wird die präsidentielle Entscheidungshoheit vor allem durch die Befugnisse im Bereich der Sicherheits- und Außenpolitik deutlich, während im Gesetzgebungsprozess die parlamentarischen Organe den Entscheidungsprozess klar dominieren. Das Vetorecht des Präsidenten gegen Gesetze, die vom Kongress beschlossen worden sind, hat nur dilatorischen Charakter. In den USA fallen dafür bemerkenswerte Kompetenzen des Präsidenten für wichtige Personalentscheidungen ins Gewicht, deren Tragweite seine Amtszeit lange überdauern kann. So gibt es die präsidentielle Kompetenz zur Ernennung der Richter des Obersten Gerichtshofs, die auf Lebenszeit bestellt werden - was in Analogie zu parlamentarischen Regierungssystemen in Europa als Bestandteil einer „Richtlinienkompetenz" des Regierungschefs ganz unvorstellbar wäre. Freilich bleibt in den USA das präsidentielle Recht auf Ernennung an die Zweidrittelmehrheit im Senat und vorausgehende Anhörungen gebunden, was vielfach zum Scheitern von Ernennungsverfahren geführt hat. Die verfassungspolitischen Charakteristika der V. Republik in Frankreich bereiten erheblich größere Schwierigkeiten hinsichtlich einer Einordnung in die Rubrik der präsidentiellen Regierungssysteme. Karl Löwenstein hat in seiner Verfassungslehre das politische System der V. Republik wegen der ungewöhnlichen Abhängigkeit der parlamentarischen Regierung vom Staatsoberhaupt als „Neopräsidentialismus" gekennzeichnet, der französische Parteienforscher Maurice Duverger erfand dafür den Ausdruck des „Semi-Präsidentialismus" (vgl. Hartmann/Kempf: 1989). Winfried Steffani klassifiziert die V. Republik dagegen mit dem Hinweis auf die institutionalisierten Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Parlament, Premierminister und Staatspräsident ohne Zögern als parlamentarisches System (Steffani: 1979, S. 44). Die im Vergleich zu anderen - parlamentarischen - Regierungssystemen in Europa herausgehobene Stellung des Staatspräsidenten bleibt jedoch unverkennbar. Die Verfassung der V. Republik erwähnt den Präsidenten bemerkenswerter weise gleich an zweiter Stelle hinter der Volkssouveränität, während die Legislative erst an vierter Stelle folgt (Die Verfassungen 1987, S. 95, vgl. Hartmann/Kempf: 1989, S. 71ff.). Der Staatspräsident ernennt den Premierminister (Art. 8), er führt den Vorsitz im wöchentlichen Ministerrat und er kann vor allem die Nationalversammlung auflösen (Art. 12, angewendet 1962, 1968, 1981 und 1988). Gerade die letztgenannte Befugnis gehört freilich in den Merkmalskatalog eines parlamentarischen Systems. Die weitreichende Machtfülle des Staatspräsidenten in der Außen- und Verteidigungspolitik sowie seine durch eine Verfassungsänderung im Jahre 1962 durchgesetzte Di-

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rektwahl durch das Volk (auf immerhin sieben Jahre) weisen wiederum ebenso klar in die Richtung eines präsidentiellen Regierungssystems. Die Bewertung muss offenkundig ambivalent bleiben, zumal durch die zufällig entstandenen, mehrfachen „cohabitations" seit 1986 - die Parlamentsmehrheit und regierungsbildende Fraktion gehört einer anderen Partei oder Parteienkonstellation an als der Staatspräsident - die politischen Strukturen zusätzlich an Unübersichtlichkeit gewonnen haben und einer eindeutigen Klassifikation im Wege stehen. Die Schwächung der Machtposition des Staatspräsidenten in Frankreich, die aufgrund der immer häufigeren „cohabitations" zu beobachten ist, veranlasst die Forschungsexperten, in jüngsten Bewertungen das politische System Frankreichs mehr in Kategorien eines parlamentarischen Regierungssystems zu bewerten (Höhne: 1999, S. 873). Die präsidentiellen Regierungssysteme eignen sich dementsprechend kaum zu einer modelltheoretischen Idealisierung, die ohne den Verweis auf konkrete und spezifische Realisierungsstufen allgemeine Merkmalsausprägungen anzugeben vermag. So lässt sich das Profil des präsidentiellen Regierungssystems am besten aus den Eigenheiten seiner historischen Verwirklichungen begreifen, zu denen an hervorragender Stelle die USA im Spannungsbogen von ihrer Gründungsgeschichte bis zur aktuellen Gegenwart zu zählen sind, aber neuerdings auch die präsidentiellen und semi-präsidentiellen Regierungssysteme in Osteuropa. Denn dort liegt das klassifikatorisch Herausfordernde gerade darin, dass je nach verfassungspolitischem Rollenverständnis und politischem Taktieren des präsidialen Amtsinhabers, nach parteipolitischen Konstellationen und nach wirtschaftlicher Lage des Landes faszinierende oder beängstigende Machtverlagerungen und Systemtransformationen möglich werden. Freilich ist umgekehrt diese überraschende Wandlungsfähigkeit und politische Instabilität wiederum ein Hindernis, überhaupt typologische Konstanten der Präsidialregierung identifizieren zu können. Offenkundig bleibt der leicht in Gang zu setzende Systemwechsel aufgrund der Personalisierung der Exekutivgewalt ein prägendes Charakteristikum des präsidialen Regierungssystems, das Niederschlag in seiner Typologie finden muss.

Schluss Die vorangehenden methodologischen und inhaltlichen Erläuterungen bringen immer wieder einige analytische Grundprobleme und Grundmuster in der Auseinandersetzung mit parlamentarischen und präsidentiellen Regierungssystemen zum Ausdruck, die abschließend noch einmal zusammengefasst werden sollen. Parlamentarische und präsidentielle Regierungssysteme treten im historischen und systematischen Gesamtüberblick weniger in ihren jeweiligen Divergenzen hervor als in ihren strukturellen Gemeinsamkeiten, die sich ihrerseits eklatant von undemokratischen, autokratischen, absolutistisch-monarchischen oder diktatorischen politischen Systemen abheben - wovon es auch in der modernen Welt immer noch erstaunlich und erschreckend viele Anwendungsfälle gibt. Insofern bleiben die demokratischen Qualitäten beider Systemvarianten gegenüber solchen Regierungssystemen hervorzuheben, die politische Partizipation, öffentliche Diskurse, die Transparenz politischer Entscheidungsabläufe, den Minderheitenschutz

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oder die Systemopposition missachten, offen behindern oder gar gewaltsam unterdrücken. Im Blick auf die beiden Varianten selbst - parlamentarische und präsidentielle Regierungssysteme - erscheint es wenig hilfreich, allzu abstrakte Modellvorstellungen beider Typen zu entwickeln, die sich auf die politische Praxis nur noch unter Rückgriff auf eine lange Liste von Ausnahme- und Sonderfallen rückprojizieren lassen. Beide Regierungssysteme gewinnen ihr Profil, das entsprechend den historischen Wandlungen von Politikgestaltung einer unablässigen Dynamik untersteht, aus der intensiven, immer wieder neu vollzogenen Betrachtung von Einzelfällen. Insofern mag als methodologischer Merkposten gelten, was Winfried Steffani halb ironisch als allgemeinen erkenntnistheoretischen Lehrsatz formuliert: „Es gehört zu den althergebrachten Erkenntnissen wissenschaftlichsystematischer Definitions- und Analysebemühungen, dass es dem Gedankengang gut tut, wenn es den Weg vom Allgemeinen zum besonderen zurücklegt." (Steffani: 1996, S. 12). Das ausgewogene Mischungsverhältnis zwischen typologisierender Verallgemeinerung und detailgetreuer Bewertung des Einzelfalls gilt jedenfalls ungebrochen als größte Herausforderung und zugleich eindrucksvollstes Leistungsvermögen einer vergleichenden Betrachtung von Regierungssystemen. Nur der Vergleich bietet die Gewähr dafür, Sensibilität für die methodologische und analytische Spannung zwischen allgemeinen Strukturmerkmalen und spezifischen Eigenheiten von Regierungssystemen entwickeln zu können. Entsprechend der eingangs beschriebenen Notwendigkeit eines möglichst großen methodologischen und inhaltlichen Weitwinkels in der Analyse von Regierungssystemen bleibt in einer politisch hoch komplexen Gegenwart verstärkt das „Umfeld" von politischen Institutionen und Entscheidungsprozessen in die Klassifikation und Typologisierung einzubeziehen: die jeweilige, durch ein immer engmaschigeres institutionelles Netz verfeinerte Form der Gewaltenteilung (-> § § 2 , 5), die Ausdifferenzierung des Staatsaufbaus (-> § 8) und seine subnationale und supranationale Dynamik ( - » § 17), die ständig veränderte und erweiterte Rekrutierungs-, Integrations- und Kontrollfunktion von Parteien (—> § 23), die gewandelte politische Rolle von Interessenverbänden und von politischen Eliten (-> § 25), die Rolle immer weiter diversifizierter Institutionen eines „Regierungshandelns" im weiteren Sinne, wie Netzwerke oder doch partiell regierungsmächtige „Nicht-Regierungsorganisationen" (—> § 16), der nach wie vor beherrschende, der technologischen Innovation unterstellte Einfluss der Medienkultur (-> §§ 26, 27), die mal zunehmende, mal abnehmende Dichte von Verwaltungsstrukturen, die erstaunlich und verwirrend wandlungsfähige Partizipationskultur (—» § § 9 , 24), und nicht zuletzt demographische und sozialstrukturelle Entwicklungen und natürlich die immer stärker von internationalen Wirkungszusammenhängen beeinflusste wirtschaftliche Dynamik. Aus all diesen Bedingungselementen ergibt sich ein facettenreiches, analytisch schwer zugängliches, aber der Realität doch am ehesten angemessenes Bild von dem besonderen Profil zeitgenössischer Regierungssysteme. Die Forschungsexperten der Vergleichenden Systemforschung resümieren treffend, „... dass es bisher nur wenig Ansätze zu einer integrierten und übergreifend konzipierten Analyse der Zusammenhänge von institutionellen Strukturen, internen Funktionszusammenhängen und externen Wirkungszusammenhängen unterschiedlicher Regierungssysteme gibt." (Lehner/Widmaier: 1995, S. 159). Insofern bleibt die Analyse von parlamentarischen und präsidentiellen Regierungssystemen eine un-

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ablässige Herausforderung, die zu immer neuen Versuchen der vergleichenden Systematisierung, Typologisierung und Bewertung ermuntert.

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§ 3 Bedingungen des Politischen: Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und Technik Hartmut Elsenhans I. Kooperative Autonomie zwischen Politik, Gesellschaft und Wirtschaft - II. Die politökonomischen Grundlagen von Autonomie der Teilsysteme - III. Profit als Grundlage der Autonomie von Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft - IV. Die Herausforderung des technischen Fortschritts und die gesellschaftliche Bedingtheit der Armutsfalle - V. Globalisierung als Entbettung von Marktwirtschaft und autonomer Zivilgesellschaft: Eine neue Dimension des Politischen? - VI. Perspektiven Grundlagenliteratur: Adam, Hermann (1992): Wirtschaftspolitik und Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland. Bonn Beetham, David (1997): „Market Economy and Democratic Polity". In: Democratization, S. 76ff. Keane, John (1988): Civil Society and the State. New European Perspectives. London Lindblom, Charles E. (1980): Jenseits von Markt und Staat. Stuttgart Meyer, Thomas (1997): Identitäts-Wahn: Die Politisierung des kulturellen Unterschieds. Berlin Pilz, Frank / Ortwein, Heike (1995): Das politische System Deutschlands. München Smith, Adam (1976): An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations. Chicago, 2 Bde (Erstausgabe 1776) Streeck, Wolfgang (1998) (Hg.): Internationale Wirtschaft, nationale Demokratie. Frankfurt/M. Tönnies, Ferdinand (1935): Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin (Erstausgabe 1887) Weber, Max (1956): Wirtschaft und Gesellschaft. Köln (Erstausgabe 1905)

I. Kooperative Autonomie zwischen Politik, Gesellschaft und Wirtschaft Politische Systeme umfassen die Institutionen, mit denen über unteilbare und damit öffentliche Güter entschieden wird. Es gibt keine Gesellschaft, in der es keine öffentlichen und unteilbaren Güter gibt. Robinson Crusoe ist eine Fiktion, welche die Unausweichlichkeit des Zoon Politikon bestätigt. Wirtschaftliche Systeme spiegeln die Abhängigkeit der einzelnen Wirtschaftenden wider, indem sie die Koordination individueller Arbeit und den Tausch arbeitsteilig erstellter Produkte regeln. Gesellschaft ist ein vielgestaltiger Bereich mit jeweils unterschiedlichen Konfigurationen des Öffentlichen und des Privaten. Privates und Öffentliches können gemeinschaftlichen Zwängen unterworfen sein. Gesellschaft umfasst alle Beziehungen, denen sich die Mitglieder solange nicht entziehen können, wie sie an

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Tausch, Arbeitsteilung und Umverteilung teilnehmen. Die Regeln dieser Beziehungen hängen von Mehrheiten über den „kleinsten gemeinsamen Nenner" ab. Gemeinschaft umfasst alle die Bereiche, die genossenschaftlich für Teilbereiche ohne Zustimmung von Mehrheiten der Gesellschaft geregelt werden und damit nur für Mitglieder solcher Gemeinschaften gelten. Privat sind die vergemeinschafteten Bereiche nur, wenn der Austritt aus Gemeinschaften nicht zu hohen Sanktionen führt. Im Westen betraf ein solcher erster Prozess der Entvergemeinschaftung die Religion mit verschiedenen Toleranzedikten im 16. und 17. Jhd. (Jordan: 1932, S. 19). Die Abgrenzung zwischen Wirtschaft und Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, Politik und Gesellschaft, aber auch des Bereichs des Vergemeinschafteten gegenüber dem Bereich des Vergesellschafteten und die Arten der Verknüpfung für die nicht voneinander abgrenzbaren Teile sind historisch und geographisch unterschiedlich. Leitmodell der bürgerlichen Gesellschaft, auf die sich das repräsentative Regierungssystem des Westens, ob parlamentarisch oder präsidentiell, (-» i.E. § 2) stützt, ist die kooperative Autonomie von Politik, Gesellschaft und Wirtschaft sowie die Rechtstreue von Gemeinschaften. Jedes Teilsystem ist grundsätzlich in der Lage, sich selbst innerhalb von Rahmenbedingungen zu steuern, die nur teilweise von anderen Teilsystemen gesetzt werden. Weil im Rahmen solcher Regeln Selbststeuerung möglich ist, besteht das Umfeld des politischen Systems, also vorwiegend des Staates, aus einer in der Detailsteuerung autonomen Marktwirtschaft und einer ebenso autonomen Zivilgesellschaft. Weil das politische System diese Autonomien verteidigen muss, wo sie durch Machtkonzentration oder Abhängigkeit von kollektiven Gütern bedroht sind oder sein könnten, ist das Verhältnis der Teilsysteme jederzeit variabel. Ausmaß und Art von Abgrenzung und Kooperation sind Gegenstand des politischen Prozesses, bei dem Organisationen der Zivilgesellschaft, gestützt auf Wirtschaftsinteressen, von denen sie Ressourcen beziehen, auf die verschiedenen Träger des politischen Willensbildungsprozesses, Parteien und Bürokratie, auf von ihnen als zweckmäßig ausgewählten Wegen Einfluss nehmen, gegebenenfalls den Verlust von Legitimität androhen, indem sie an die öffentliche Meinung appellieren. Die beiden Hauptklassen einer bürgerlichen Gesellschaft, Eigentümer von Kapitalgütern, die gestützt auf den Anreiz der Profitrate und unter Androhung des Verlusts ihres Eigentums, den Produktionsprozess einschließlich der Ausrichtung und Höhe der Investitionen organisieren, und Arbeit, die am Produktionsergebnis aufgrund ihrer Produktivität und Knappheit teilnimmt, konzentrieren sich bei der Einflussnahme auf jeweils unterschiedliche Ressourcen. In allen marktwirtschaftlichen Systemen spielt Geld zur Finanzierung von Trägern von Willensbildungsprozessen eine Rolle, auch wenn zum Zweck der Durchsetzung von Untemehmerinteressen diese finanzielle Unterstützung im Regelfall verheimlicht wird. Arbeitskraft appelliert an die große Zahl, kann aber in der vielgestaltigen gesellschaftlichen Sphäre, in der bei wachsender Befriedigung materieller Bedürfnisse die Profile der Bedürfnisse immer stärker variieren, nicht ihr gesamtes theoretisches Potenzial an Unterstützung durch die große Zahl organisieren, insbesondere weil auch das die Unternehmerinteressen vertretende Lager zur Gewinnung von Unterstützung sozialpolitische Korrekturen des Verteilungsprozesses vorschlagen muss. Die Spezialisierung von Politik und Wirtschaft, wie sie in der Geschichte am

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ausgeprägtesten im Fall des in Deutschland im Verhältnis zu Westeuropa wegen früher Sozialpolitik und früher Industrieforderungspolitik (seit dem Ende der 30er Jahre des 19. Jhd.s) weniger ausgeprägten liberalen „Nachtwächter"-Staates (Gerschenkron: 1962) zu beobachten war, ist von ökonomischen Strukturen abhängig, die Ausgrenzungen von Wirtschaft und Gesellschaft aus der Interventionstätigkeit des Staates weitgehend, vor allem bei Detailfragen und der Feinsteuerung möglich machen. Diese Bedingungen sind historisch. Sie haben nicht zu allen Zeiten bestanden. Sie können durch neue Entwicklungen beseitigt werden. Heute wird behauptet, dass Globalisierung, die Reduktion der Transaktionskosten für transnationale Wirtschaftsbeziehungen, die Grundlagen der Autonomie von Politik gegenüber Wirtschaft beseitigt (Tilly: 1995). In der Zivilgesellschaft werden Ideen lanciert und diskreditiert, im politischen System Entscheidungen über kollektive Güter getroffen und in der Wirtschaft Güter, Dienstleistungen und technische Innovationen produziert. Die Resultate jedes Teilsystems beeinflussen sich wechselseitig. Zivilgesellschaft kann autonom sein von der Politik, wenn sie ihre Ressourcen von einer Vielzahl gesellschaftlicher Gruppen bezieht, die wiederum ihre Mittel nicht aus Zuweisungen des Staates erhalten und bei der Wahl ihrer Bündnispartner in Wirtschaft und Gesellschaft nicht einseitig abhängig sind. Nicht jede staatsfreie Organisation entspricht den Anforderungen, die an Autonomie von Zivilgesellschaft zu stellen sind (Gellner: 1995, S. 95). In jüngster Zeit hat die autonome Zivilgesellschaft mit der Thematisierung der Bedrohung der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit im politischen System neue Parteien geschaffen. Die gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesregierung und ähnliche Regelungen in anderen Ländern haben über ein Anhörungsrecht der Verbände (-» § 25) die Anreize zur Bildung korporatistisch agierender gemeinsamer Interessenorganisationen gesellschaftlicher Kräfte geschaffen, durch welche die Einflussnahme der Wirtschaft auf die Politik rationalisiert und wahrscheinlich intensiviert wurde. Die Wirtschaft hat über raschen technischen Fortschritt die Grundlagen für die Ausstattung der Haushalte mit materiellen kurz- und langlebigen Gütern geschaffen und dadurch zu einem Wertewandel (Postmaterialismus, Postmoderne) beigetragen (Inglehart: 1971). Aufgrund dieses Wertewandels wird in zunehmendem Maße gefordert, dass die Produktion materieller Güter nicht mehr allein durch die kaufkräftige Nachfrage auf dem Markt gesteuert wird, zum Beispiel weil Umweltprobleme auftreten. Daraus ergibt sich, dass Eigentumsrechte weit eingeschränkt werden dürfen, z. B. bei der Nutzung von Grundstücken allgemein für gewerbliche Zwecke und dazu hin abhängig von besonderen Genehmigungen für besondere Zwecke. Die Politik hat beim Kampf um eine wie immer zu lokalisierende Mitte in der Gesellschaft durch Anleihen aus der Werbewirtschaft die Argumente in der politischen Auseinandersetzung so vergröbert, dass sich ein Teil der Zivilgesellschaft als Aktivisten eines neuen Politikverständnisses begreifen, bei dem die Gesamtheit des politischen Prozesses in Frage gestellt wird. Politik wird heute in zunehmendem Maß von Geld abhängig, über das vornehmlich die Führer der Wirtschaftsuntemehmen und der ihnen nahe stehenden Verbände verfugen. Mit dem Argument, dass nur bestimmte (ihnen genehme) Politiken die Anpassung an neue weltwirtschaftliche Voraussetzungen der Wettbewerbsfähigkeit industrieller Wirtschaften erlaubten, ist es den Unternehmen gelungen, ihrer Sicht der Funktionsweise von Kapitalismus - Vorrang von Profit statt wachsender Massennach-

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frage (Hirst/Thompson: 1999; Suntum: 1986) - zur Hegemonie zu verhelfen. In der Zivilgesellschaft werden gegenteilige Positionen als exotisch an den Rand gedrängt. Dadurch entsteht tatsächlich die Gefahr wachsender Renten. Unternehmen achten darauf, dass sie mehr verdienen als ihre Kosten. Ob sie dabei deshalb erfolgreich sind, weil Konsumenten durch Beschäftigung in der Investitionsgüterproduktion Einkommen erzielen, das sie für Konsumgüter verwenden, ohne dass diese Einkommen wegen ihres Ursprungs Kosten der Konsumgüterproduktion darstellen, oder aber weil die Unternehmer durch Zugangsbarrieren gegenüber neuen Wettbewerbern geschützt sind, ist von untergeordneter Bedeutung. Wird Profit aber über Wettbewerbsbeschränkungen erzielt, handelt es sich tatsächlich um Renten. Profit ist eine besondere Form von Überschuss, die unter Bedingungen vollständiger Konkurrenz erzielt wird. Renten sind eine andere Form von Überschuss, die aufgrund von Marktunvollkommenheiten angeeignet wird. Renten müssen stets politisch abgesichert werden (Krueger: 1974, S. 290ff.; Olson: 1982). Renten werden deshalb zu einem hohen Anteil in die politische Absicherung der ihnen zugrunde liegenden Marktunvollkommenheiten investiert. Wirtschaft nimmt dann auf Politik nachhaltig Einfluss, auch in Details, vor allem im Hinblick auf Begrenzung von Wettbewerb. Die Autonomie der beiden Teilsysteme Politik und Wirtschaft ist dann bedroht. Die kooperative Autonomie der Teilsysteme kann also durchaus zur Dominanz einzelner Systeme und in diesen Systemen einzelner Richtungen führen. Die Wirtschaft nimmt heute in Fragen der Steuerreform und damit der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums eine hegemoniale Position ein, weil viele Unternehmen die Politik glauben machen konnten, dass sie ohne Kostenentlastung neue Investitionen an für sie günstigeren Standorten im Ausland vornehmen müssten.

II. Die politökonomischen Grundlagen von Autonomie der Teilsysteme Trotz der hier skizzierten vielfältigen Verflechtungen zwischen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft bleibt Autonomie dieser Teilbereiche Voraussetzung für repräsentative Demokratie, die auch bei Machtzuwachs einzelner Gruppen in Wirtschaft und Gesellschaft nicht beseitigt wird, solange sowohl die Macht des Geldes, als auch die Macht der großen Zahl und die Macht neuer Ideen in wie immer unterschiedlicher Gewichtung in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik eingesetzt werden können. Moderne Verfassungsstaaten sind dadurch gekennzeichnet, dass freie Wahlbürger durch Entscheidungen über Mehrheiten in repräsentativen Institutionen (-> §§ 5, 22), welche die Exekutive des Staates, also v. a. die Bürokratie (-» § 12) kontrollieren, wesentliche Rahmenbedingungen für den zivilgesellschaftlichen Wettbewerb um Ideen und Themen, für die Einflussnahme der Eigentümer von Geld auf Zivilgesellschaft und Politik und für die Nutzung von Eigentumsrechten in der Produktion verändern können. Deshalb hat die Sozialgesetzgebung nicht nur die Arbeitsfähigkeit der Menschen zum Zwecke (Pausen, Mindestentlohnung). Sie zielt darauf, die Ideen der Mehrheit der Bürger über eine angemessene wirtschaftliche Absicherung zu verwirklichen. Die große Zahl kann nur dann Einfluss auf Ideen und Politik durch Selbstorganisation nehmen, wenn sie wegen ihrer im

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Kapitalismus eher ausgeprägten Eigentumslosigkeit (insbesondere bei den Produktionsmitteln) über Arbeitskraft verfügt, die kapitalistische Unternehmen auch dann nachfragen, wenn ihnen die politischen und gesellschaftlichen Auffassungen des betreffenden Arbeitnehmers missliebig sind. Unternehmer fragen Arbeitskräfte solange für die Produktion nach, wie der Preis von Arbeitskraft (ihr Lohn) geringer ist als der Erlös für die Güter, die zusätzlich mit einer zusätzlichen Arbeitskraft produziert werden können. Dabei werben sie Arbeitskräfte wechselseitig voneinander solange ab, bis der steigende Lohn die Höhe des Grenzprodukts von Arbeit erreicht. Diese Bedingung für Autonomie von Zivilgesellschaft gegenüber Macht und Geld ist nicht banal, auch wenn nahezu die gesamte politökonomische Literatur im Westen davon ausgeht, dass jede gesunde Arbeitskraft wenigstens soviel produziert, wie sie zum Überleben braucht, und deshalb im Regelfall alle Arbeitskräfte mehr, nämlich einen Mehrwert produzieren (Elsenhans: 1999). Solange alle Arbeitskräfte einen am Markt auf Käufer stoßenden Mehrwert produzieren, herrscht tendenziell Vollbeschäftigung. Heute herrscht weltweit „strukturelle" Arbeitslosigkeit. Technisch noch wenig entwickelte Wirtschaften sind durch niedrige Produktivität, insbesondere in der Landwirtschaft, gekennzeichnet (Elsenhans: 1995a). Wäre in der Landwirtschaft die Produktivität hoch genug, dass ein Bauer in der Lage wäre, gleichzeitig eine Vielzahl von nicht landwirtschaftlich tätigen Arbeitskräften mit Nahrungsmitteln zu versorgen, könnte selbst bei industriell wenig erfahrenen Arbeitern allein aufgrund deren dann großer Zahl die Versorgung der landwirtschaftlichen und nicht landwirtschaftlichen Bevölkerung mit industriellen Produkten erreicht werden. Die Besonderheit der europäischen und damit auch der deutschen Entwicklung gegenüber der heutigen Dritten Welt war, dass der industriellen Revolution eine Agrarrevolution vorherging, bei der die Erträge stiegen (Abel: 1981; Bairoch: 1971). Wenn die Produktivität in der Landwirtschaft niedrig ist, kann es vorkommen, dass die zusätzlichen Erträge unter das Niveau sinken, das eine zusätzliche Arbeitskraft für das eigene Überleben und die Nahrung ihrer Kleinfamilie benötigt (Subsistenzminimum von Durchschnittshaushalten). Weil in der Landwirtschaft die Arbeitsproduktivität von der Qualität und der Menge von Böden abhängt, führt Bevölkerungswachstum zu abnehmenden Grenzerträgen. Auch eine Gesellschaft, deren Grenzprodukt niedriger als die Kosten zusätzlicher Arbeitskräfte ist, kann überleben, wenn wenigstens durchschnittlich jede Arbeitskraft mehr als das Subsistenzminimum von Durchschnittshaushalten produziert und Umverteilung politisch möglich wird. In einer kapitalistischen Wirtschaft können Arbeitskräfte von kapitalistischen Unternehmern nur dann beschäftigt werden, wenn sie mehr produzieren, als sie verbrauchen. Ein abnehmendes Grenzprodukt von landwirtschaftlicher Arbeit ist im Regelfall mit geringem technischen Stand der Landwirtschaft verbunden, sodass auch der landwirtschaftliche Überschuss gering ist. Dann sind die Anreize gering, in technischen Fortschritt zu investieren, der die kostengünstige Massenerzeugung industrieller Produkte erlauben würde. Es gibt eine Armutsfalle beim Übergang zu kapitalistischer Marktwirtschaft. Wegen dieser Gleichzeitigkeit von Überschuss von Arbeit und Nahrungsmitteln aufgrund hoher Produktivität eines Teils der Arbeitskräfte auf hochproduktiven Böden, kann Arbeit nicht knapp werden. Überschüsse über die für die Mindestversorgung der Masse der Arbeitskräfte benötigten Nahrungsmittel hinaus werden mit politischen Mitteln von den

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Eigentümern der Böden angeeignet, die dabei auch kapitalistische Konkurrenz, wo sie entstanden sein sollte, nachhaltig einschränken (Elsenhans: 1995b). Kapitalistische Marktwirtschaften sind gekennzeichnet durch technische Entwicklung, in deren Folge die allseits gehegte Annahme, dass Arbeit ein Mehrprodukt abwirft, auch eintritt. Dabei ist in frühen Phasen der kapitalistischen Entwicklung das Grenzprodukt in der Landwirtschaft wichtig, weil bei noch niedrigem Versorgungsstand mit materiellen Gütern 50 bis 70 % der Haushaltseinkommen für Nahrungsmittel ausgegeben werden (Khan: 1963). Nahrungsmittel sind gleichzeitig ihre eigenen Vorprodukte. Wenn die Preise von Nahrungsmitteln knappheitsbedingt steigen, steigen auch die Kosten der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte, weil sie für die von ihnen selbst benötigten Kalorien mehr bezahlen müssen. Niedrige Produktivität, insbesondere ein niedriges Grenzprodukt, in der Landwirtschaft kann durch hohe Produktivität in anderen Bereichen, z. B. der gewerblichen Produktion, nur sehr bedingt ausgeglichen werden. Wegen des hohen Anteils der Nahrungsmittel an den Haushaltsausgaben und der Landwirtschaft an der Beschäftigung spielt die Produktivitätsentwicklung der Landwirtschaft für die Herausbildung kapitalistischer Marktwirtschaften eine große Rolle. Dies wird in der modernen Wirtschafts- und Sozialgeschichte durch Betonung der der industriellen Revolution vorhergehenden „Agrarrevolution" (Russell: 2000) und in den Theorien des kleingewerblichen Sektors in der Dritten Welt (danach ist sein Wachstum abhängig von der landwirtschaftlichen Produktivität) betont (Adelman: 1984; Gray/Singer: 1988, S. 403; Hwa: 1988, S. 1337; Dutt: 1991; Storm: 1995). Bei wachsendem Pro-Kopf-Einkommen und einem wachsenden Überschuss der Landwirtschaft würde zwar für den Fall, dass alle Arbeitskräfte in entwickelten Industrieländern in der Landwirtschaft beschäftigt wären, auch hier das Grenzprodukt sehr niedrig sein, doch hat der hohe Überschuss der Landwirtschaft und die internationale Konkurrenzfähigkeit der Industrie zur Folge, dass viele Arbeitskräfte gewinnbringend nichtlandwirtschaftliche Produkte herstellen. Hat sich einmal aufgrund der Einkommensentwicklung eine diversifizierte Produktionsstruktur mit hohen Realeinkommen entwickelt, spielt ein einzelnes Gut nur eine geringe Rolle bei den Ausgaben eines Durchschnittshaushaltes. Unterdurchschnittliche Produktivitätssteigerungen in einzelnen Bereichen werden entweder durch Übergang zu neuen Produkten (Kunststoffe statt Rohstoffe bei Möbeln) oder durch steigende Anteile solcher durch niedrige Produktivitätssteigerungen gekennzeichneten Produkte an den Haushaltsausgaben ausgeglichen. Tendiert die Wirtschaft zu Vollbeschäftigung, bilden sich relativ homogene soziale Klassen, insbesondere eine in ihren Lebensbedingungen relativ ähnliche Arbeiterschaft. Vergleicht man die Heterogenität der Qualifikation der Arbeitskräfte im 19. Jhd. (Ungelernte gegenüber Schriftsetzern), dann spricht wenig für die Vermutung, dass die Entsolidarisierung von Arbeit, die heute einige Autoren aus der größeren Komplexität der Produktion ableiten (Olson: 1982; Pontusson: 1995), Folge größerer Unterschiede bei der Entlohnung und den Qualifikationsprofilen ist. Bis zum Anstieg der Arbeitslosigkeit in den OECD-Ländern Ende der 70er Jahre sind dort überall die Unterschiede der Entlohnung zurückgegangen (Borjas/Ramey: 1994; Edin/Zetterberg: 1992). Erst seit vermehrter Arbeitslosigkeit steigt die Spreizung der Einkommen in der OECD-Welt, ohne dass zwischen geringerer Einkommensspreizung und Beschäftigungsniveau deutliche Zusammenhänge bisher nachgewiesen worden wären (Bounce/Johnson: 1992; Cut-

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ler/Katz: 1992; Wood: 1998). Unternehmen, die aufgrund technischer Erfolge alte Produkte billiger oder neue Produkte produzieren können, stoßen auf eine wachsende Nachfrage. Sie ordern neue Investitionsgüter und stellen neue Arbeitskräfte ein. Branchen, in denen keine Innovationen stattgefunden haben, können bei zunehmender Knappheit von Arbeit die eigenen Arbeitskräfte nur halten, wenn sie bei den Löhnen mitziehen. Je nach Preiselastizität der Nachfrage für ihre Produkte sinken in nichtinnovativen Branchen bei steigenden Preisen Produktion und Beschäftigung, während in den innovativen Branchen bei sinkenden Preisen Beschäftigung und Produktion steigen. Durch die Veränderung der Mengen- und Preisrelationen können in allen Branchen unabhängig von der technischen Entwicklung für gleich mühselige Arbeit mit ähnlicher Vorbildung gleiche Preise, nämlich gleiche Löhne bezahlt werden. In der Folge entsteht Arbeit als homogene Klasse, unabhängig von der Heterogenität ihrer Qualifikationen und ihrer Lebensstile. Streitpunkt zwischen Arbeit und Kapital sind die Entlohnung pro Arbeitszeit, die Dauer des Arbeitstags sowie die technische und soziale Sicherheit des Arbeitsplatzes. Weil es sich bei diesen Fragen um Probleme handelt, die im Rahmen allgemeiner Regeln für unterschiedliche Situationen vor Ort ausgehandelt werden müssen, geht es bei den Arbeit und Kapital als Klassen, nämlich als Sozialpartner erfassenden Regelungen nicht um Lasswells (: 1936) „who gets what when and how", sondern um die Ausgestaltung der Eigentumsrechte. Im frühparlamentarischen vorkapitalistischen System streiten sich Krone und Parlament um „Steuereinnahmen". Die Entscheidungsprozesse sind weitgehend durch Gewährung von Renten aus Monopolen, Patenten und ähnlichen marktverzerrenden Instrumenten bestimmt. Mit der Konstitution von Arbeit und Kapital als gesellschaftlichen Großgruppierungen, die durch eine Vielzahl kleinlicher sozialer Interessenunterschiede gekennzeichnet sein mögen, lassen sich verhandlungsfähige Konzepte auf beiden Seiten nur auf dem Gebiet allgemeiner Regeln und Einschränkungen der Nutzungsrechte für Eigentumsrechte an Produktionsmitteln und Arbeitskraft entwickeln. Kapital muss schrittweise Mitwirkungsrechte (technische Normen, Produktgarantien, Vertretungsrechte im Betrieb) akzeptieren, trotz des Eigentums an Produktionsmitteln; Arbeit muss sich an der Durchsetzung der Arbeitsdisziplin aktiv beteiligen. Beim Kampf gegen vorkapitalistische Monopole (Luxusproduktion, Fernhandel) brauchen die verschiedenen Segmente der Privilegierten zwar Anhörungsmöglichkeiten, z.B. die unterschiedlichen Formen der Audienzen selbst in der orientalischen Despotie oder die ständischen Vertretungen in Europa, doch handelte es sich lange Zeit um Gremien zum Aushandeln wechselseitiger geldwerter Vorteile, bei denen Politik die Verteilung wirtschaftlicher Vorteile direkt bestimmte. Sofern auf diesem Weg zum Teil auf der Grundlage sehr unterschiedlicher Mechanismen der Steigerung der Nachfrage (Export, Militär, Luxus, Massenkonsum) die Diversifizierung der gewerblichen Position vorangetrieben wurde, nahmen die Konflikte zwischen Unternehmen unterschiedlicher Größe, Lokalisierung und Branchen über die konkreten Auswirkungen der in vorkapitalistischen Gesellschaften stets anzutreffenden Politik der Gewerbeförderung zu. Neue und kleine, oft innovative Industrien fühlten sich durch staatliche Stützung von großen und etablierten Unternehmen benachteiligt (so in Deutschland der Kampf der verarbeitenden Industrie gegen die stärker protektionistische Schwerindustrie vor 1914, Kaelble: 1967; Mielke: 1976). Sie verfügten nicht über die Machtmittel der

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Großunternehmen, um eine Veränderung der staatlichen Förderung, letztlich eine Entflechtung zwischen Staat und monopolistischer Wirtschaft zu erreichen. Sie mussten an die Ressource Arbeitskraft, die große Zahl appellieren und konstituierten sich als „Commons" oder „Dritter Stand" (—» s.a. § 1, III.). Im England des 17. Jhd.s (Thomas: 1963, S. 59; Rowlands: 1975, S. 10; Toynbee: 1969; S. 85; Lipson: 1931, S. 34) entwickelte sich ähnlich wie heute in Südkorea ein Kampf der Klein- und Mittelindustrie gegen die Monopole, in denen das Wahlrecht und damit (oft unintendiert) die Verbreiterung des Wahlrechts zu einem taktischen, manchmal ungeliebten Mittel der Durchsetzung des Rückzugs des Staats aus Wettbewerbsverzerrungen wird (Kim: 1999; Rhee: 1994; Lee: 1997). Die allgemeine rechtliche Gleichheit, insbesondere die Gleichheit vor dem Gesetz und die Gesetzesbindung der Verwaltung sind die Kernforderungen in diesem Kampf. Dieser Prozess kann als bürgerliche Revolution gelten. Das politische System wird auf das Management öffentlicher Güter beschränkt und wird wegen der wirtschaftlichen Auswirkungen der Erstellung kollektiver, unteilbarer Güter einer Kontrolle, zunächst der Kontrolle des Steuer zahlenden Publikums unterstellt. Deshalb ist die soziale Herkunft der Revolutionäre belanglos, auch wenn eine große Zahl von Historikern sich dieser Frage widmet. Bürgerlich ist die Revolution nicht, weil die neuen Kräfte bisher bürgerliche Berufe ausgeübt hätten, sondern weil sie mit der Durchsetzung von Rechtsgleichheit den anonymen Markt zur einzigen Instanz der Verteilung knapper Ressourcen machen und dazu Privilegien abschaffen. Ob Arbeit durch Lohn Zugang zu Konsumgütern erhält, hängt in einer Geldwirtschaft, in der Buchgeld zum Wertaufbewahrungsmittel wird, von der konjunkturellen Entwicklung ab. Schon im Kampf des Dritten Stands um den konstitutionellen Staat kommt es zur Ausgestaltung des Gedankens, dass Arbeit eine besondere Ware ist, deren Wert nur dann Einkommen verschafft, wenn die konjunkturelle Entwicklung zu Vollbeschäftigung tendiert. Die Auseinandersetzung um die Methoden zur Gewinnung von Vollbeschäftigung sind ein wesentlicher Konfliktpunkt des für eine kapitalistische Gesellschaft kennzeichnenden Gegensatzes zwischen Arbeit und Kapital. Nicht überall fuhrt Wirtschaftswachstum und die damit einhergehende wirtschaftliche Diversifizierung zu einem (bürgerliche Revolution begründenden) Bündnis zwischen nichtmonopolistischer Industrie und Arbeit. Bis vor wenigen Jahrzehnten wurde die Wiederholbarkeit des westeuropäischen Musters mit Hinweis auf Japan und Deutschland (Frontstellung aller besitzenden Klassen gegen Arbeit und dabei nachhaltige Einschränkung der Rechte repräsentativer politischer Institutionen) als ausgeschlossen angesehen, weil vom nichtmonopolistischen Bürgertum aus Revolutionsangst abgelehnt. Der Niedergang der Staatsklassen des bürokratischen Entwicklungsstaates in der Dritten Welt wird jedoch von ähnlichen, allerdings vor allem im Bereich der sehr viel heterogeneren Unterschichten abweichenden Bündnissen erzwungen (Elsenhans: 1994a).

III. Profit als Grundlage der Autonomie von Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft Kapitalistische Wirtschaft, getragen von den beiden Komponenten des Dritten Standes, einem wettbewerbsorientierten Bürgertum und einer letztlich an steigen-

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den Reallöhnen orientierten Arbeiterschaft, ist nicht kulturabhängig. Sie tritt dann auf, wenn Investitionen in die Produktivität der Arbeit die einzige Chance darstellen, sich mit Eigentumsrechten an Produktionsmitteln oder anderen dinglichen Reichtümern zukünftige Eigentumsströme zu sichern. Zu Recht geht die Wirtschaftswissenschaft von einem kulturabhängigen gleichartigen Verhalten von kapitalistischen Unternehmen aus und unterscheidet nur Verhaltensdifferenzen im Detail, z. B. Managementpraktiken (Wegner: 1998). Alle übrigen Eigentümer werden bei einer Reduzierung des Überschusses durch innovative Konkurrenten vom Markt verdrängt. Entscheidend ist also ein wirtschaftlicher Entwicklungsstand, bei dem Arbeitskraft aufgrund des hohen Grenzprodukts von Arbeit knapp wird und die mit dieser Knappheit verbundene gewachsene Verhandlungsmacht von Arbeitskraft nicht durch eine geschlossene Frontstellung der (Minderheit der) Besitzenden aufgehoben wird. Kulturabhängig sind allerdings die Formen, mit denen Arbeit dieser eigenen Knappheit politisches Gewicht verleiht (Keil: 1986; Laslett: 1970). Trotz Globalisierung ist deshalb selbst im europäischen Rahmen die Kooperation zwischen verschiedenen nationalen Arbeiterbewegungen auch beim europäischen Einigungsprozess schwierig (Elsenhans: 1995c, S. 143ff.). Wenn Arbeitskraft knapp wird, steigen die Möglichkeiten, unter den Bedingungen vollständigen Wettbewerbs Profite zu machen. Profite können so zur Basis der Loyalität der Besitzenden gegenüber der repräsentativen Demokratie werden, so wie Vollbeschäftigung die Grundlage der Loyalität des doppelt freien Proletariers gegenüber der marktwirtschaftlichen Ordnung ist. Profite sind eine besondere Kategorie wirtschaftlichen Überschusses. Wirtschaftlicher Überschuss als Mehrprodukt, das sich Reiche aneignen können, gibt es in allen vorkapitalistischen Strukturen als Rente und Steuer (Sofri: 1972; Wittfogel: 1962; Junge: 1980). Die Steuereinnahmen der Mogulenkaiser (Chandra: 1959; Moosvi: 1980) oder der chinesischen Kaiser (Chao: 1986, S. 5ff.) waren im Vergleich zu Europa sehr hoch. Die chinesische Theorie des dynastischen Zyklus (Usher: 1989) und der arabische bedeutende Soziologe Ibn Khaldün (1332-1406) (:1967, S. 567ff.) im arabischen Raum führten die politische zyklische Entwicklung vorkapitalistischer Reiche auf weitgehend unabänderliche Muster der Erhöhung des Steuerdrucks bei politischer Stabilität zurück. Solches Mehrprodukt wird mit politisch repressiven Instrumenten angeeignet, kapitalistischer Profit bedarf solcher Zwangsinstrumente nicht. Kapitalistischer Profit ist Folge der Partizipation von Arbeit am durch Verbesserung von Technologie gestiegenen Produktionsergebnis und setzt damit Wachstum und „Empowerment" oder „Entitlement" (Sen: 1981) von Arbeit und Orientierung der Masse der Bevölkerung an steigendem Konsum von technisch anspruchsvollen Gütern und Dienstleistungen voraus. Wegen der Unterschiede der Ressourcen und der Zielsetzungen ist es weiterhin sinnvoll von einer Organisation bürgerlicher Gesellschaften durch den Gegensatz von Kapital und Arbeit auszugehen. Die Interessen der beiden Hauptklassen Kapital und Arbeit werden objektiv durch die Stellung im Produktionsprozess bestimmt und subjektiv durch den Zwang wahrgenommen, die eigene Einkommensposition im Verteilungskonflikt durch Koordination des Verhaltens all derer zu sichern, die gleiche unmittelbare Interessen haben. Ein Unternehmer, der aus philantropischen Gründen einseitig ohne Mitziehen seiner Wettbewerber die Reallöhne seiner Arbeiter heraufsetzt, muss über eine Monopolsituation auf dem

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Markt verfügen, die im Übrigen durch eine solche einseitige Lohnpolitik unterlaufen wird. Arbeiter, die in einem einzigen Unternehmen erfolgreich die Reallöhne steigern, gefährden ihre Arbeitsplätze, weil andere Unternehmen mit kostengünstigeren Arbeitskräften sie am Markt unterbieten können. Die Unternehmer sind durch den Wettbewerb gezwungen, ihre Kosten im Verhältnis zu ihren Erlösen zu minimieren. Langfristige Zielsetzungen, die sich betriebswirtschaftlich nicht rechnen, dürfen sie nicht berücksichtigen. Sofern sie als wünschenswert erkannt werden, werden sie zu Rahmendaten für die Unternehmen durch in der Regel staatliche Auflagen, z. B. Umweltschutzbestimmungen. Arbeit erhält Löhne und ist an deren Steigerung im Verhältnis zur zu verkürzenden Arbeitszeit interessiert. Arbeit und Kapital haben langfristig durchaus übereinstimmende Interessen, z. B. an Wirtschaftswachstum. Die Behauptung, dass Kapitalismus durch den Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital organisiert sei, impliziert deshalb nicht, dass hier miteinander unversöhnbare Interessen gegenüber stünden. Impliziert wird vielmehr, dass eine funktionelle Teilung der Gesellschaft so stattfindet, dass die Besitzer der Produktionsmittel mit klaren Vorgaben, nämlich Profitmaximierung, sich an den Wünschen der Konsumenten ausrichten, welche die Produktion im Wesentlichen über ihre Nachfrage nach Konsumgütern steuern. Wegen des Interesses an Wachstum sind Unternehmer auch an der Steigerung der Verbrauchsgüternachfrage interessiert, können aber dieses Interesse nicht selbst artikulieren, indem sie z. B. einseitig die Löhne in ihrem Unternehmen steigerten. Arbeit ist an Kapitalakkumulation interessiert, weil dadurch Beschäftigung und Produktivität wachsen, kann aber im Regelfall an der Steuerung dieser Kapitalakkumulation mit dem Instrument der innerbetrieblichen Mitbestimmung wenig teilhaben, weil dadurch nur partikulare und korporatistische Interessen von Teilgruppen der Arbeiter befriedigt würden. Die wirtschaftliche Überlegenheit kapitalistischer Wirtschaften gegenüber anderen Wirtschaftsformen resultiert gerade auch daraus, dass aufgrund dieser funktionellen Spezialisierung in zwei Hauptklassen jede der beiden Hauptklassen allein durch die eher rücksichtslose Verfolgung der eigenen Zielsetzungen und der damit verbundenen Verhaltensregeln für die Stärkung der Verhandlungsfähigkeit der anderen Klasse sorgt. Gerade deshalb bedürfen die beiden Hauptklassen einer kapitalistischen Gesellschaft nicht eines übermächtigen Staates, um ihre wirtschaftliche und gesellschaftliche Position zu verteidigen. Damit die Gruppe der Unternehmer der Konsumgüterproduktion unter den üblichen vereinfachenden Annahmen (alle Arbeitskräfte verwenden ihre Einkommen nur für Konsum, alle Unternehmen sparen; soweit Unternehmer konsumieren, verwenden sie dazu einen analytisch vom Profit abzutrennenden Arbeitslohn für Managementleistungen) muss es Arbeiter geben, die ihre Löhne nicht bei der Produktion von Konsumgütern und der in deren Preis eingehenden Vorprodukte erhalten haben. Nur dann kann die Gesamtsumme der Erlöse für Konsumgüter die Gesamtsumme ihrer Kosten übersteigen. Wie viel von dieser Differenz zwischen Erlösen und Kosten als Einkommen (Profit) auf ein je einzelnes Unternehmen entfällt, hängt von dessen Wettbewerbsfähigkeit im Vergleich zu anderen Unternehmen ab. Wie viel insgesamt auf die Unternehmen als Profit entfällt, hängt letztlich von den Ausgaben der Unternehmen für Investitionsgüter ab. Weil der Staat nicht ohne (von den Unternehmen und den Arbeitskräften zu bezahlende) Steuern Arbeitseinkommen bezahlen kann und die Gesamtheit des

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Auslands im Saldo nicht ohne zusätzliche Schulden mehr Waren importieren als exportieren kann, können Staat und Außenwirtschaft nicht dauerhaft mehr Einkommen an Arbeitskräfte bzw. mehr Nachfrage artikulieren, als sie dem Unternehmenssektor entweder über Steuern und Importe entziehen. Nur der Investitionsgütersektor kann zusätzliche Löhne zahlen, ohne dem Konsumgütersektor Ressourcen zu entziehen. Er liefert dem Konsumgütersektor im Tausch gegen seine Erlöse poduktivitätssteigernde Güter. Wenn die Unternehmer des Konsumgütersektors Investitionsgüter ordern, entsteht ein Überschuss an Kaufkraft für Konsumgüter durch zusätzliche Löhne in der Investitionsgüterproduktion. Die zusätzliche Nachfrage der Arbeitskräfte in der Investitionsgüterproduktion nach Konsumgütern sorgt für Profit und damit ftir eine positive Profitrate als Verhältnis zwischen Profit und investiertem Kapital in der Konsumgüterproduktion. Da niemand finanzielle Mittel in der Investitionsgüterproduktion einsetzen würde, wenn nur in der Konsumgüterproduktion positive Profitraten erzielt würden, steigen bei Nachfrage der Konsumgüterproduzenten nach Investitionsgütern die Preise für die Investitionsgüter auf ein Niveau, bei dem auch hier Profit erzielt wird (Kalecki: 1971, S. 2ff.; Kregel: 1971, S. 145ff.). Profit ist also in der Marktwirtschaft Folge der Ausgaben für Nettoinvestitionen. Nur solche Investitionen sind rentabel, welche die Stückkosten reduzieren (Bortkiewicz: 1907, S. 455ff.; Okishio: 1961, S. 85ff.). Bei konstanten Reallöhnen müssen deshalb die Profite steigen. Kurzfristig können die Unternehmer durch Investitionsschübe zum Ausgleich zwischen rascher wachsender Produktionskapazität und Nachfrage beitragen. Langfristig würde dies erfordern, dass bei konstanten Reallöhnen der Anteil der Investitionen an den volkswirtschaftlichen Gesamtausgaben zunimmt. Eine dauerhafte drastische Anhebung der Investitionsquote am Volkseinkommen kann zwar die Wachstumsrate anheben, stößt aber auf das Problem begrenzten technischen Fortschritts, der zur Senkung der Kapitalproduktivität führt, sodass gerade wegen hoher Investitionsquoten die Wachstumsraten fallen können. Überakkumulation mit Profitratenfall und Unterkonsumtion sind nur unterschiedliche Formen einer durch Schwäche von Arbeit ausgelösten Funktionsstörung (Elsenhans: 2000a, S. 6ff.). Tritt ein solcher Fall ein, kommt es in einer keynesianischen Welt zu Arbeitslosigkeit, weil die Unternehmer ihre sonst für Investitionen nutzbaren Finanzmittel liquide halten, bis die Profitraten wieder steigen, und in einer Welt des Jean Baptiste Say (1767-1832) (: 1972, S. 140), die im Rahmen des Aufstiegs des Monetarismus (Friedman: 1971, S. 112ff.; LeijonhufVud: 1973, S. 95ff.; Lindbeck: 1998) wieder modern wird, zum Verzicht auf neue Technologien mit der Folge der Investition aller Finanzmittel in alte arbeitsintensive Technologien, sodass hier die Beschäftigung und damit auch die Löhne steigen müssen, also Verteilungskorrektur gegen Kapital eintreten muss. Die Höhe der Investitionen ist die Achillesferse einer kapitalistischen Wirtschaft. Sie hängt von den Erwartungen der Unternehmer ab, in die eine Vielzahl von Faktoren eingehen, einschließlich ihrer Wahrnehmung der politischen Verhältnisse. Stabilität ergibt sich aus folgendem Mechanismus: Unternehmer tätigen Investitionen, wenn sie mit wachsenden Absatzmöglichkeiten rechnen. Sie können bei ausreichender Nachhaltigkeit des Investitionsschubs einen Konjunkturaufschwung auslösen, wobei auch die Nachfrage nach Konsumgütern steigt. Dies kann zu Vollbeschäftigung führen. Wird Arbeit knapp, steigen die Reallöhne entsprechend der These der Abhängigkeit der Löhne vom Grenzprodukt der Ar-

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beit. Diese Anpassung kann sich allerdings nur bei tendenzieller Vollbeschäftigung durchsetzen. Durch höhere Reallöhne steigen wiederum die Absatzmöglichkeiten, Anreize für Neuinvestitionen entstehen. Ausgaben für Investitionsgüter schaffen die Grundlage von Profit. Durch Investitionen trägt Kapital zur Knappheit von Arbeit bei, wodurch wiederum die Reallöhne steigen. Arbeit kann nicht mehr konsumieren, als der Produktionsapparat an Kosumgütern bereitstellen kann. Jeder weitere Anstieg der Konsumtion hängt von der Erweiterung der Produktionskapazitäten für Konsumgüter ab. Dazu sind neue Investitionsgüter notwendig, die produziert werden müssen. Die Ausgaben für diese Investitionsgüter stellen die Grundlage für zusätzlichen Profit dar. Indem sich die Unternehmer zur Mehrung ihres Reichtums durch bessere Maschinen vor Konkurrenz sichern wollen, zahlen sie Löhne an zusätzliche Arbeiter und schaffen Knappheit von Arbeit. Trotz Knappheit von Arbeit kann das als Profit den Unternehmern zukommende Einkommen nicht von Arbeit für Konsum weggestreikt werden, weil Arbeit nicht Investitionsgüter konsumieren kann. Auch wenn Unternehmen die wegen Knappheit produktivitätsorientiert steigenden Löhne als Kostenbelastung verstehen, können auch sie nicht durch Investitionsstreiks verhindern, dass neue Unternehmen die jetzt zusätzlich entstehenden Absatzmöglichkeiten nutzen. Die Prozesse zur Balancierung des Einflusses von Arbeit und Kapital vollziehen sich weitgehend „hinter dem Rücken" der beiden beteiligten Klassen. Sie brauchen kein Bewusstsein der langfristig wechselseitigen Abhängigkeit von steigenden Reallöhnen und steigenden Profiten. Es stört nicht, dass beide Klassen das Gegenteil glauben, nämlich dass hohe Löhne die Profite verminderten und hohe Profite die Ursache niedriger Löhne seien. Es reicht, dass sie sich an einige wichtige Regeln halten. Dies hat auch zur Folge, dass wirtschaftswissenschaftlicher Sachverstand in kapitalistischen Wirtschaften weniger zur Anleitung von Politik als zur Rechtfertigung von Politik eingesetzt wird. So kann heute ein vorwiegend auf Massennachfrage beruhender Akkumulationsprozess in den Vereinigten Staaten weltweit dennoch für die Medien gefahrlos als Ausdruck einer schwachen Stellung von Arbeitskraft verkauft werden, wie dies heute der Fall ist. Die amerikanische Konjunktur läuft aber deshalb so gut, weil die privaten Haushalte bereit waren, sich hoch zu verschulden (Fink: 2000). Die auf einer Machtbalance zwischen Arbeit und Kapital beruhende Selbststeuerung von Marktwirtschaft erlaubt die Beschränkung von Politik und Gesellschaft. Politik, Gesellschaft und Wirtschaft müssen nicht mehr durch permanente Intervention von Politik zusammengehalten werden. Gesellschaft muss nicht mehr politische Interventionen im Detail absegnen. Politik bedeutet auch nicht mehr täglicher Kampf um die Sicherung der Überlebenschancen von Gesellschaft. Man braucht keine Religion, um nicht mehr als notwendig empfundene tägliche soziale Kontrolle zu legitimieren. Man braucht keine Politik, um Details des Alltagslebens zu reglementieren. Die beiden Klassen einer kapitalistischen Gesellschaft brauchen Regelungen des Tausches und damit der Eigentumsrechte. Dabei führen sie einen dauernden Kampf um die Eigentumsrechte an der Arbeitskraft. Der Kampf um den 10-Stunden-Tag im 19. Jhd. oder um die Flexibilisierung der Beschäftigungsverhältnisse heute können als Beispiele genannt werden. Hier treten die beiden sozialen Klassen als Kollektive auf. In vielen anderen Bereichen, z. B. Einstellungen zu Ausländerbeschäftigung, zum Kleidungsstil oder zu unterschiedlichen Bildungserlebnissen, gibt es Affinitäten zwischen Klassenzu-

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gehörigkeit und politischen und gesellschaftlichen Einstellungen, aber nicht notwendig enge Verknüpfungen. Wegen der Reduzierung des politischen Kampfs um die Ausgestaltung der Eigentumsrechte und die Erstellung eines begrenzten Volumens kollektiver Güter können die sozialen Gruppen „entgemeinschaftet" werden. Zwar bleiben auch in kapitalistischen bürgerlichen Systemen Gemeinschaften, also Zusammenschlüsse, in denen die Mitglieder ganzheitlich eingebunden sind. Individuen ist es nicht verwehrt, sogar sehr eng zusammenhaltende und alle Lebensbereiche umfassende Gemeinschaften zu gründen. Auch in Zusammenschlüssen, in die man nicht hineingeboren ist, kann man „mit allem Wohl und Wehe ... gebunden sein" (Tönnies: 1935, S. 3). Es gibt aber genauso Individuen, die sich solcher enger Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft entziehen können, ohne Sanktionen erleiden zu müssen. Durch die wirtschaftliche Position von Arbeit im Kapitalismus wird das autonome Individuum der bürgerlichen Gesellschaft ökonomisch möglich und kann als Verhaltensprojekt vom aufgeklärten Menschen praktiziert werden. Sofern jede Arbeitskraft bei tendenzieller Vollbeschäftigung ein Mehrprodukt produziert, wird sie vom Profite anstrebenden Kapital benötigt, um die Mehrwertmasse zu steigern. Solche Arbeitskraft bedarf deshalb keiner Gemeinschaft zur Sicherung ihres Überlebens. Gemeinschaft kann durch Knappheit von Arbeitskraft ersetzt werden. Tönnies' (1855-1936) Unterscheidung von so definierter Gemeinschaft im Gegensatz zu Gesellschaft „als einem Kreis von Menschen, welche, wie in Gemeinschaft, auf friedliche Art nebeneinander leben und wohnen, aber nicht wesentlich verbunden, sondern wesentlich getrennt sind ... (ohne) dass es (k)ein gemeinsam Gutes in Wirklichkeit gäbe" (Tönnies: 1935, S. 40), wird in der kapitalistischen Marktwirtschaft aufgrund des hohen Grenzprodukts von Arbeit möglich. Deutlich wird die revolutionäre Neuerung der Begrenzung von Gemeinschaft darin, dass wir den Begriff Gesellschaft einmal filr die Verknüpfung von Gemeinschaften in vorkapitalistischen Strukturen, das andere Mal für die im Sinne von Tönnies reduzierte Kollektivierung der Menschen zu Gesellschaft verwenden. Marktwirtschaft erlaubt begrenzte Politik. Das politische System muss die Wettbewerbsordnung, Vertragssicherheit und soziale Sicherheit herstellen. Ohne Wettbewerb würden sich Unternehmer zur Herstellung von Wettbewerbsgleichheit mit anderen Unternehmen, die bei Hofe bevorzugt werden, politisch streiten müssen und sich dabei selbst politisieren, selbst wenn sie an freier Konkurrenz festhalten wollten. Verträge zur Sicherung der Verlässlichkeit von Abmachungen sind Voraussetzung zum Verzicht auf eigene Gewaltmittel zur Durchsetzung von Verträgen. Soziale Sicherheit beseitigt Marginalität und schafft damit Verhandlungsmacht von Arbeit. Auch diese Voraussetzung von Kapitalismus wird ganz früh erkannt. In den Frühphasen kapitalistischer Entwicklung forderten Arbeiter in Krisen Nationalwerkstätten (Gayer: 1935; Romasco: 1965; Rosenberg: 1962, S. 75), also Beschäftigungsprogramme. In den USA beseitigte der freie Zugang zu unbegrenztem Ackerland die Gefahr von Marginalität (Turner: 1966). Zuvor hatten die englischen Armengesetze seit dem 17. Jhd. marginale Arbeit soweit subventioniert, dass sie bei niedrigen Reproduktionskosten von kapitalistischen Unternehmern beschäftigt wurde (Elsenhans: 1980). Marktwirtschaft, ein begrenzter Staat und Entgemeinschaftung von Gesellschaft haben ihre politökonomische Grundlage in einem über den Reproduktionskosten von Arbeit liegenden Grenzprodukt von Arbeit. Die uns bekannten den europäi-

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sehen kapitalistischen Gesellschaften vorhergehenden europäischen, aber auch die reichen asiatischen Gesellschaften wie China (Chao: 1986, S. 6ff.), sogar Japan (Minami: 1966) waren durch ein Grenzprodukt unter den Grenzkosten von Arbeit, den minimalen Subsistenzausgaben der Haushalte, gekennzeichnet. Ärmere Gesellschaften wie im subsaharischen Afrika konnten auch kein Mehrprodukt erwirtschaften (Randles: 1974, S. 1325; Leach: 1954, S. 223), das als Überschuss filr die Herausbildung einer herrschenden Klasse verfügbar gewesen wäre. Wenn ein Anstieg des Grenzprodukts über die Grenzkosten nicht Folge von Demokratisierung und Liberalisierung ist, dann werden bloße institutionelle Veränderungen in den vorkapitalistischen Gesellschaften der Art der neuen (angeblich dritten) Demokratisierungswelle und Übergang zu Marktwirtschaft oberflächlich und formal bleiben, wenn sie nicht von politischen Bewegungen genutzt werden können, die mit den Instrumenten der Mobilisierung, Partizipation und Konkurrenz unter stützendem Einsatz von Instrumenten der Nichtmarktökonomie Marginalität zu überwinden in der Lage sind. Selbstverständlich gibt es unter den Bedingungen eines weltweiten Demonstrationseffekts Möglichkeiten, dass den wirtschaftlichen Restriktionen politisch vorauseilende politische Bewegungen unter Einsatz des politischen Systems Strategien einschlagen, welche die Behinderung des Übergangs zu kapitalistischer Marktwirtschaft in der Form von Marginalität schrittweise und in einem komplexen, m. E. als eklektisch, also Maßnahmen in unterschiedlichen Bereichen nicht planvoll, sondern oft glücklicher Fügung folgend verbindenden Prozess überwinden können. So nahmen in Japan bei Beginn der Industrialisierung die Masseneinkommen zu, weil die Regierung unabsichtlich langjährige Ablösungszahlungen für Landübertragungen an die Bauern nicht vor Inflation schützte (Nakamura: 1966, S. 159; Yamamura: 1971, S. 402; Yasuba: 1986).

IV. Die Herausforderung des technischen Fortschritts und die gesellschaftliche Bedingtheit der Armutsfalle Die Überwindung von Marginalität kann nicht allein von technischem Fortschritt erwartet werden. Eine Erhöhung der Produktivität der Arbeit bei der Herstellung von Luxusgütern für die Reichen führt nicht zu einer Anhebung der in der Landwirtschaft zu beschäftigenden Arbeitskräfte, sondern nur zur Herstellung von mehr oder besseren Luxusgütern. Steigt die Produktivität bei der Produktion gewerblicher Produkte für den Massenkonsum, sinken die Kosten von Arbeit auch in der Landwirtschaft. Die Marginalitätsschwelle wird angehoben. Mehr Arbeitskräfte werden in der Landwirtschaft beschäftigt, doch ist dieser Effekt begrenzt. Die Marginalitätsschwelle kann maximal bis zu dem Punkt angehoben werden, bei dem das Grenzprodukt von Arbeit dem zusätzlichen Nahrungsmittelkonsum einer in der Landwirtschaft beschäftigten Familie entspricht. An diesem Punkt würden die landwirtschaftlichen Arbeiter entweder wegen der hohen Produktivität in der gewerblichen Produktion die gewerblichen Produkte umsonst erhalten oder vom Konsum gewerblicher Produkte ausgeschlossen sein. Der Anstieg der Produktivität in der Landwirtschaft kann zwei Ausrichtungen haben, die bei konkreten Neuerungen allerdings in unterschiedlicher Mischung zusammen auftreten. Das Grenzprodukt von Arbeit kann steigen, sodass marginale Arbeit nunmehr produktiv und nachgefragt wird. Der Überschuss an Produktion von

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schon beschäftigter Arbeit kann steigen, ohne dass das Grenzprodukt steigt, mit der Folge, dass die Möglichkeiten zur Umverteilung, aber auch die Möglichkeiten zur Steigerung des Luxuskonsums zunehmen. Die Hochkulturen der Vergangenheit in den großen Flusstälern Asiens und am Nil waren dadurch gekennzeichnet, dass sie aus hochproduktiven Böden große Überschüsse erwirtschafteten, während das Grenzprodukt durch die schlechte Bodenqualität in angrenzenden Gebieten, so der libyschen Wüste (Ägypten) oder dem Dekkan (südlich von Delhi und Agra), so niedrig blieb, dass Arbeit über Jahrtausende entmachtet werden konnte und dadurch zur materiellen Basis von Hochkulturen (statt Massenkonsum) wurde. Europa galt gegenüber den Hochkulturen Asiens, z. B. China und Nordindien, als arm (Frank: 1998, S. 151ff.). Technischer Fortschritt in kapitalistischen Gesellschaften zielt auf Verbilligung, also Massenproduktion für Massenkonsum. Er wird in der politischen Publizistik herrschender Klassen einer ästhetisierenden Kritik an Vermassung und Kulturlosigkeit unterzogen (Fords Blechliesel in den 20er Jahren gegenüber dem Cadillac). Obwohl technischer Fortschritt in kapitalistischen Wirtschaften im Unterschied zu vorkapitalistischen Wirtschaften automatisiert wird, bedroht er sich selbst, weil immer mehr Produkte mit immer weniger Arbeit hergestellt werden, sodass im Ergebnis - Arbeitszeitverkürzung seit der industriellen Revolution auf etwa die Hälfte - die wirtschaftliche Verhandlungsfähigkeit und die politische Partizipation der Masse der Produzenten selbst bedroht wird. Ähnliche Tendenzen gehen vom Versuch aus, nicht nur die Konsumtion als Folge des technischen Fortschritts, sondern die zukünftige materielle Absicherung durch Besitz von Produktionsmitteln oder Eigentumsrechten an anderen, Einkommensströme der Zukunft sichernden Gütern (z. B. Wissen) zu gewährleisten: Weil technischer Fortschritt auf Kostensenkung ausgerichtet ist, ist der Bedarf an Kapitalgütem für kapitalistische Produktion eher begrenzt, nachweislich des seit der industriellen Revolution eher sinkenden im Regelfall aber wenigstens konstant bleibenden Kapitalkoeffizienten, dem Verhältnis zwischen dem Wert der in der Produktion eingesetzten Kapitalgüter und dem Volkseinkommen (Kendrick: 1961, S. 166; Helmstädter: 1969, S. 48ff.; Mayor: 1968, S. 498). Fortdauernde Marginalität wird durch gesellschaftliche Mechanismen gestützt. Sie beruhen auf Strategien sowohl der Armen als auch der Reichen. Arme Haushalte befinden sich auf einem nach dem Muster einer Lotterie organisierten Arbeitsmarkt. Die Steigerung der Zahl der Lotterielose vergrößert die Chance, dass wenigstens eines der Mitglieder der Familie in ein Beschäftigungsverhältnis kommt, das den übrigen Familienmitgliedern immerhin eine kleine Unterstützung verschaffen kann. Dieses Verhalten findet eine Entsprechung in den Strategien der Überschuss aneignenden Klasse. Weil Massenkonsum begrenzt ist, sind Investitionen begrenzt. In solchen Gesellschaften ist Profit eine untergeordnete, vielleicht nicht einmal existierende Form von Überschuss. Überschüsse werden aufgrund von Eigentumsrechten an Land oder anderen politischen Zugriffsrechten angeeignet (Steuer). Die Durchsetzung politischer Rechte hängt von politischer Macht ab. Jedes Mitglied der herrschenden Klasse versucht, seine Macht durch Gewährung von Schutz an abhängige Klienten zu vergrößern (Protektion). Je mehr Klienten diese Klienten wieder mobilisieren können, desto größer die politische Durchsetzungsfähigkeit des betreffenden „Klans" und seines „adligen" Führers. Um Klienten zu gewinnen, wird auf der untersten Ebene den direkten Produ-

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zenten eingeräumt, einen gewissen Teil des landwirtschaftlichen Produkts neben den eigenen Reproduktionskosten für Zwecke der Förderung der Großfamilie zu behalten, die dann der Klientel des betreffenden Klans zugehört. Die Form der Aneignung des Überschusses, nämlich Rente statt Profit bedeutet, dass politische Macht an die Stelle ökonomischer Wettbewerbsfähigkeit tritt. Politische Macht äußert sich in Klientelismus und Vertikalität der Sozialbeziehungen. Sie schließt horizontale Organisation von Klasseninteressen weitgehend aus. An Klassenlagen ansetzende politische Bewegungen existieren dauerhaft oft nur als Geheimgesellschaften (Chesneaux: 1972), weil Sozialrebellen in größerer Zahl nicht außerhalb der Gesellschaft überleben können, ohne eine eigene produktive Basis zu schaffen (Hobsbawm: 1959), die dann jederzeit von den Herrschenden angegriffen werden kann. Falls sie nicht scheitern, führen sie entsprechend der Theorie des dynastischen Zyklus zur Etablierung der bisherigen Führungen der Geheimorganisation als neue Dynastie. Wegen Rente und Marginalität gibt sie rasch ihre ursprüngliche armutsorientierte Politik auf und übernimmt die alten Selbstprivilegierungsmuster (Ibn Khaldün: 1967, S. 600ff.). Weil Rente als Überschuss verfügbar ist, Arbeit aber - weil „überflüssig und zahlreich", also auch nicht knapp - nicht verhandlungsfähig, entwickelt sich kein Markt für standardisierte Produkte, für den zu investieren sich lohnen würde. Vertikalität der Sozialbeziehungen in hierarchisch strukturierten Klans erfordert Vergemeinschaftung, um Übereinstimmung im Handeln aller Beteiligten eines solchen Klans zu sichern. Innerhalb des Klans hängen die Schwachen von der Protektion der Starken in der Hierarchie ab. Sie müssen sich diesen Starken zugehörig fühlen. Dazu müssen Werte und Symbole bereitgestellt werden, an denen sich dieses Zugehörigkeitsgefühl orientieren kann. Interesse wird ersetzt durch Symbolik von Macht, die mit dem Instrument der Bildung von Gemeinschaft dauerhaft gemacht wird. Die Tendenzen, solche Vergemeinschaftung über Information in Richtung auf einen offenen politischen Prozess aufzulösen, werden durch das Kommunikationsverhalten der Eliten in rentendominierten Gesellschaften der Dritten Welt behindert. Übereinstimmend wird berichtet, dass in solchen Gesellschaften Geheimnistuerei wichtig sei (Grindle: 1977, S. 421; Pye: 1985, S. 243; Reda Mezoui: 1986, S. 281 ff.). Die Führer der Klans verfolgen das Ziel, das Kosten-Erfolgs-Verhältnis von Strategien zur Maximierung der politischen Macht durch Prestige zu senken. Prestige ist die von anderen geglaubte Fähigkeit, Machtmittel und finanzielle Ressourcen zur Durchsetzung der eigenen Interessen einzusetzen. Alle Informationen über Konflikte und Schwierigkeiten innerhalb einer Gruppierung mindern Prestige. Alle Gruppen innerhalb der Renten aneignenden herrschenden Klasse sind deshalb bestrebt, Information zu begrenzen. Gleichzeitig versuchen sie unablässig, Informationen über andere Gruppierungen in der herrschenden Klasse zu sammeln. Das Gerücht und die Zähigkeit der Zirkulation von Informationen kennzeichnen Kommunikation in rentendominierten Gesellschaften der Vergangenheit, aber auch der Gegenwart, die ich als Staatsklassen der bürokratischen Entwicklungsgesellschaften ausführlich analysiert habe (Elsenhans: 1981, S. 13ff.; Ders.: 1996a, S. 59ff.; Ders.: 1997). Die Wahrung von Prestige wird dabei zum Selbstzweck, wie im Bild der Besorgnis beschrieben, die Asiaten unterstellt wird: Es wird von ihnen gesagt, dass sie unter allen Bedingungen vor allem ihr Gesicht wahren wollen. Das Verhalten von Bürokratien in Staat und Großindustrie in fortgeschrittenen

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Industrieländern zeigt aber durchaus ähnliche Muster. Wenn die autonome Zivilgesellschaft mit ihrer selbststeuernden Marktwirtschaft durch Vermachtung bedroht ist, entwickeln sich unabhängig vom kulturellen Erbe auch in der bürgerlichen Gesellschaft die Strukturen, die sie zerstören: Renten, weil es Überschüsse gibt, die mit dem Mechanismus vollständigen Wettbewerbs nicht mehr angeeignet werden können, da Absatzmärkte fehlen und deshalb Nettoneuinvestitionen als Quelle von Profit nicht getätigt werden; Machtkonzentration, weil es Ressourcen gibt, die nur durch Begrenzung des wirtschaftlichen Wettbewerbs mit Mitteln der Begrenzung der Märkte, also mit den Mitteln der Politik, angeeignet werden können; behinderte Kommunikation, weil in allen durch Renten dominierten Gesellschaften die Mächtigen zur Abwehr der Gefährdung ihres Prestiges an vollständig freier Information nicht interessiert sind; Vertikalität der Sozialbeziehungen und Entmachung von Arbeit durch Beschränkung der Beschäftigung in der Folge der Begrenzung der Investitionen auf solche Vorhaben, die eine Mindestprofitrate sichern, die keiner der „Kapitalisten" (die ihren Übergang zur Rentiersgesellschaft noch gar nicht wahrnehmen) zu unterschreiten gezwungen ist (Elsenhans: 1999c, S. 132ff.). Wenn technischer Fortschritt Zugangsbarrieren zu Märkten erhöht, kann er zur Zerstörung autonomer Zivilgesellschaft und selbststeuernder Marktwirtschaft fuhren. Kapitalistische Marktwirtschaft ist entgegen Max Webers (1864-1920) (Weber: 1934) und in seiner Nachfolge formulierter Modernisierungstheorien (Apter: 1987; Huntington: 1968) nicht Folge von Werten, die Kapitalisten ihrem Verhalten aus frei gewählter ethischer Verantwortung zugrunde legen. Kapitalistische Unternehmer sind nicht an Konkurrenz interessiert, sofern sie für ihre Unternehmen ausreichende Ressourcen für Wachstum und Bezahlung der Kapitaleigner auf andere Weise verdienen können. Weil unter dem Druck expandierender Masseneinkommen bei Vollbeschäftigung aber andere Formen der Aneignung von Überschuss, nämlich Renten, nicht gelingen, müssen sie sich damit zufrieden geben, durch immer währende Innovation Wettbewerbsfähigkeit zu behaupten, wobei sie Ressourcen für neue Investitionsgüter ausgeben, in deren Folge Profit entsteht. Weil Wettbewerb Folge des Drucks von Seiten von Arbeit in Richtung auf Reduzierung der wirtschaftlichen Überschüsse ist, sind kapitalistische Systeme dauernd von Verrentung bedroht. Die heutige Diskussion über die Stützung der Konjunktur aus Aktiengewinnen zeigt, dass eine solche verrentete Gesellschaft durchaus Konsumsteigerungen, Wachstum und wahrscheinlich auch technischen Fortschritt kennen kann, genauso wie die vorkapitalistischen Gesellschaften, die durchaus schöne und oft weiter verbesserte (Luxus-) Produkte hervorgebracht haben, wie z. B. das Porzellan. Es gibt eine breite Literatur (heute repräsentativ Zinn: 1999), die in verschiedenen Krisenperioden auf die Gefahr der allmählichen Sättigung aller materiellen Bedürfnisse verwiesen hat. Dadurch wird die hier beschriebene Autonomie von Wirtschaft, Gesellschaft und Politik gefährdet. Zwei Formen der Reaktion auf eine solche Sättigung der Bedürfnisse sind zu unterscheiden: Arbeitskraft hat auf die Verbesserung der materiellen Versorgung mit dem Kampf um kürzere Arbeitszeiten reagiert. Seit der industriellen Revolution hat sich in den führenden Industrieländern für die Masse der Arbeitskräfte die Arbeitszeit mehr als halbiert. Mit mehr Freizeit ergeben sich neue Konsummöglichkeiten, doch sind die möglichen Steigerungen hier begrenzt, insbesondere

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weil mit immer geringeren Arbeitszeiten die Rolle von Arbeit als Instrument der gesellschaftlichen Strukturierung, also der kooperativen Autonomie von Politik, Zivilgesellschaft und Wirtschaft an Wirkungskraft abnimmt. Mit der Verbesserung der materiellen Güterversorgung entwickeln die Arbeitskräfte auch eine stärkere Präferenz für die Sicherung der Zukunft. Das Sparen der Haushalte ist seit dem Zweiten Weltkrieg in vielen OECD-Ländern deutlich angestiegen. Wegen Konsumzurückhaltung erhalten die Produzenten der Konsumgüterbranche nicht alle Lohneinkommen als Nachfrage für ihre Produkte. Damit sie ihre Produkte mit Gewinn verkaufen können, muss der Anteil der Investitionsgüterproduktion an der Gesamtproduktion ansteigen. Ohne wachsende Nachfrage wird bei eher konstantem Kapitalkoeffizienten aber der Anteil der Investitionsgüterproduktion an der Gesamtproduktion nicht steigen. Gerade weil Kapitalismus durch Konkurrenz bei der Nutzung teurer Investitionsgüter effizient ist, lässt sich die Nachfragelücke, die durch Sparen entsteht, nicht durch vermehrte Investitionsausgaben abdecken. Die Folge ist Arbeitslosigkeit. Arbeit verliert ihre Verhandlungsmacht. Das Grenzprodukt von Arbeit mag physisch weiterhin steigen, doch sinkt sein Preisausdruck mangels Verkäuflichkeit, sodass der technische Fortschritt am Ende wieder zu einer der Marginalitätssituation vergleichbaren Schwächung der Masse der Arbeitskräfte führen wird. Die entscheidende Implikation dieses Befundes lautet: Das Bedürfnis der besitzlosen Haushalte nach sozialer Sicherheit kann nicht über Eigentum befriedigt werden, weil der Bedarf an als Eigentum von Privaten besessenen Produktionsmitteln im Kapitalismus wegen der Effizienz dieses Wirtschaftssystems begrenzt ist. Dies bedeutet nicht das Ende der bürgerlichen demokratischen und marktwirtschaftlichen Struktur, aber eine neue Einbettung des Politischen. Seit Karl Marx (1818-1883) gibt es eine optimistische Sichtweise dieser Endlichkeit der Steigerung der Befriedigung materieller Bedürfnisse in der Vorstellung des von Arbeit befreiten Individuums, das in Assoziation entsprechend seinen Neigungen „produziert", d.h. sich selbst realisiert (Marx: 1953, S. 359ff.). Die Entwicklung der „Spaßgesellschaft" in den am weitesten bei der Reduzierung von Arbeitszeit fortgeschrittenen Industrieländern legt aber den Schluss nahe, dass eine solche Befreiung der Menschen durch Befreiung von Arbeit nur eine der denkbaren Varianten ist, weil sie sich als politische Wesen weiterhin in Strukturen einfügen wollen und dabei selbst über das Freizeitverhalten neue Hierarchien erfinden.

V. Globalisierung als Entbettung von Marktwirtschaft und autonomer Zivilgesellschaft: Eine neue Dimension des Politischen? Die Tendenz zur Relativierung der bisher Gesellschaft strukturierenden Arbeitsund Produktionssphäre wird verstärkt durch die Fragmentierung der in der Arbeits* und Produktionssphäre bisher entscheidenden horizontalen Interessenlagen durch die seit den 70er Jahren (Schwellenländer) neu auftretende Wettbewerbsfähigkeit von Entwicklungsländern auf den Weltmärkten für industrielle Produkte mit hoher Preis- und Einkommenselastizität der Nachfrage. Die neuen Tendenzen zur Reduzierung des Volumens und der Bedeutung von Arbeit für die Konstitution von gesellschaftlichem Zusammenhalt sowie die Bedrohung der Arbeitsplätze in den fortgeschrittenen Industrieländern durch Exporte aus Ländern mit

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niedrigen Arbeitskosten führen zu einer Entbettung von Kapitalismus aus der von Polanyi (:1944, S. 104f.) beschriebenen Einbettung (Elsenhans: 2000b, S. 81ff.). In Literatur und Publizistik (Afheldt: 1996; Hübner/Bley: 1996) gibt es überzogene Erwartungen und Ängste im Zusammenhang mit diesem Wiederaufleben von Internationalisierung der Wirtschaft, wie sie vor 1913 insbesondere auf den Finanzmärkten in viel größerem Maße bestanden hat (Theurl: 1999, S. 26; Bairoch: 1996; Bergelijk/Mensink: 1997, S. 166; Gosh: 1995, S. 126), weil es zu jener Zeit keine Wechselkursschwankungen nennenswerten Umfanges gab (Goldstandard, Walter: 1993). Diese Ängste haben zwei Grundlagen: den Verlust eines sozialkritischen Projektes bei einem politökonomisch eindimensional ausgebildeten sozialwissenschaftlichen Establishment und die Konkurrenzfähigkeit der aufholenden armen Länder nicht mehr bei Rohstoffen mit geringer Preiselastizität der Nachfrage, sondern bei industriellen Produkten. Die Wiedereinbettung des Politischen in Wirtschaft und autonome Zivilgesellschaft kann deshalb nicht in einer Begrenzung, sondern muss in einer Vertiefung von Globalisierung bestehen, die durch die „Einbettung" der Entwicklungsländer erreicht wird, denen der Übergang zum Kapitalismus mit kooperativer Autonomie der Teilsysteme noch nicht gelungen ist. Die wirklich neue Beschleunigung der Überwindung von Raum und Zeit in der Kommunikation hat für das hier vorgestellte Modell kooperativer Autonomie von Politik, selbststeuernder Marktwirtschaft und autonomer Zivilgesellschaft eine allenfalls untergeordnete Bedeutung. Der Grad interkultureller Interpénétration, den das Internet schafft (—>• i. E. § 27), wurde bisher nicht mit dem Grad interkultureller Interpénétration verglichen, den Kolonisation und Wanderungsbewegungen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jhd.s erzeugten. Auf der Ebene der „Face-to-Face"-Kommunikation, die für interkulturelles Lernen besonders wichtig ist, hat die rigorose Abschottung der nationalen Arbeitsmärkte in der heutigen Zeit, insbesondere der rassistischen Abschottung in vielen westlichen Industrieländern gegen Einwanderer aus den armen Ländern des Südens zu einer im Verhältnis zum Beginn des 20. Jhd.s deutlich geringeren Mobilität von Arbeit und damit Globalität gesellschaftlicher Interaktion geführt (Nayyar: 1996; ForemanPeck: 1992; Strikwerda: 1999). Im Übrigen hat niemand bisher zeigen können, dass journalistische Berichte über fremde Länder durch ihre Aktualität die Verzerrtheit der Wahrnehmung korrigieren können. Wer sich noch die Mühe macht, Marx' Beiträge für die damalige Tagespresse zu lesen (z. B. Marx: 1972), die er aus Telegraphennachrichten schöpfte, ist über die sehr viel geringere analytische Genauigkeit heutiger Presseerzeugnisse bestürzt. Vielleicht besteht die Auswirkung von Globalisierung der Kommunikation vor allem in der Zerstörung der Möglichkeiten zu Information durch massiven Transport interessengeleiteter Fehlinterpretationen und Missverständnisse (-> i.E. § 27). Im Zusammenhang mit der intensivierten Standortkonkurrenz durch zunehmende Wettbewerbsfähigkeit so genannter Niedriglohnländer wird die These aufgestellt, dass die Einbettung des Politischen in den westlichen Industrieländern durch Machtverlust von Arbeit (Abbau des Wohlfahrtsstaats, notwendige Lohnsenkungen zur Gewinnung von Wettbewerbsfähigkeit) bedroht ist. Internationale Spezialisierung und Wettbewerbsfähigkeit beruhen aber auf komparativen Kostenvorteilen, nicht auf absoluten Kostenvorteilen. Das Gesetz der Spezialisierung aufgrund komparativer Kostenvorteile Ricardos

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(1772-1823) besagt, dass eine Wirtschaft, die allen übrigen in der Produktivität bei der Herstellung aller Güter überlegen ist, dennoch ein Interesse an Außenhandel hat, sofern ihr Vorsprung nicht bei allen Produkten gleich hoch ist (Ricardo: 1951, S. 135ff.). Eine Wirtschaft, die bei allen Produkten in der Produktivität zurückliegt, wird deshalb auch Güter exportieren können, weil sie spiegelbildlich bei einigen Produkten weniger weit gegenüber den führenden Wirtschaften zurückliegt. Damit sie exportieren kann, müssen ihre Produkte billiger sein als die entsprechenden Produkte aus Wirtschaften, die auch diese Produkte produktiver herstellen. Dies ist nur möglich, wenn die internationalen Kosten der Produktionsfaktoren (z. B. Arbeit und Land) des rückständigen Landes billiger sind als die des technisch fuhrenden Landes. Komparative Kostenvorteile werden durch Anpassung des Preisniveaus, und eben nicht allein der Exportpreise, in verschiedenen Währungsgebieten in preisliche Wettbewerbsfähigkeit verwandelt. Das bei allen Gütern technisch zurückliegende Land verliert in einer Weltwirtschaft mit Goldwährung so lange Währungsmetall, bis seine Preise (auch die Preise der nicht handelbaren Güter) durch die Verminderung der Geldmenge so weit gesunken sind, dass dieses Land wenigstens bei einigen Produkten international wettbewerbsfähig ist - nämlich bei den Produkten, bei denen es vergleichsweise (also komparativ) am wenigsten weit zurück liegt. Die Anpassungskosten sind in Buchgeldsystemen, die wir heute haben, viel geringer: Die Wechselkurse verändern sich auf den Weltdevisenmärkten (im Übrigen stündlich). Wirtschaften mit hohen Wechselkursen und hohen Leistungsbilanzüberschüssen können keine zu hohen Reallöhne haben. Niedrigere Löhne würden nur noch zu höheren Leistungsbilanzüberschüssen fuhren, mit der Folge von Aufwertung (Elsenhans: 1996, S. 26ff.; Krugman: 1994). Das Argument, dass in Deutschland die Reallöhne zu hoch seien, liest sich damit völlig anders: Ein Teil der deutschen Wirtschaft ist so hoch wettbewerbsfähig, dass der Außenwert der deutschen Währung wegen deutscher Leistungsbilanzüberschüsse und (zu) geringer Kapitalabflüsse einen Stand erreicht hat, bei dem ein anderer für die Beschäftigung in Deutschland wichtiger Teil der Wirtschaft international nicht mehr wettbewerbsfähig ist (und durch die Sparpolitik der Regierung und die Einkommenskompressionspolitik der Unternehmer auch keine ausreichenden Absatzmöglichkeiten auf dem Binnenmarkt hat). Der Verlust an Wettbewerbsfähigkeit durch hohe Produktivität eines (zu kleinen) Teils der Exportwirtschaft ist in der Theorie der so genannten „niederländischen Krankheit", nämlich Niedergang der verarbeitenden Industrie wegen hoher Exporterlöse aus einem Rohstoffsektor, ausführlich behandelt worden (Parvin/Dezhlaakhsh: 1988; Enders: 1984; Ansari: 1989) und war ein wesentlicher Grund für die Deindustrialisierung (Dutt: 1992; Bagchi: 1976) der bei Rohstoffen hoch wettbewerbsfähigen Kolonien im 19. Jhd., trug wesentlich zum Scheitern der Industrialisierungsansätze im Süden nach dem Konzept des Ressourcentransfers (Modernisierungstheorie, Importsubstitutionsindustrialisierung) der frühen Entwicklungspolitiken (Younger: 1992; Auty: 1994) bei und war zuletzt auch Hindernis für die industrielle Entwicklung in den Ölländern (Seers: 1964; Schern 1989), denen ein massiver Ressourcentransfer nach den Ölpreissteigerungen der 70er Jahre durchaus gelungen war. Diese niederländische Krankheit befällt heute Industrieländer mit hohen Produktivitätsvorsprüngen bei preisunelastischen hochtechnologischen Produkten (Investitionsgütern), insbesondere wenn ein Teil ihrer Wirtschaftspartner durch hohe

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Importe solcher Investitionsgüter zur Aktivierung der Leistungsbilanz dieser Industrieländer beiträgt, die eigenen Exporterfolge der aufholenden Länder aber nur auf der Grundlage massiver Abwertung der eigenen Währungen erreicht wird. Die Exporterfolge der Schwellenländer beruhen auf Abwertung. Empirisch wird dies dadurch belegt, dass die Kaufkraftparität der Währungen bis um den Faktor 10 höher als der Wechselkurs liegt. Während nach dem Weltentwicklungsbericht der Weltbank (World Bank: 2000, S. 274) das Volkseinkommen der OECD-Länder in Kaufkraftparität und zu laufenden Wechselkursen nahezu gleich ist, ist das chinesische Bruttosozialprodukt zu Kaufkraftparität mehr als viermal so groß als zum geltenden Wechselkurs. Keine der seit 1945 bei technischem Fortschritt aufholenden Wirtschaften, auch nicht Westdeutschland und Japan, haben auf Abwertung als Instrument zur Transformation komparativer Kostenvorteile in preisliche Wettbewerbsfähigkeit verzichten können. Sie hatten alle vorübergehend stark unterbewertete Währungen. Bei abwertungsgetriebenem exportbasiertem Wachstum kommt es zu einer von den Regeln des internationalen Handels nicht verbotenen Subvention der Exporte insbesondere in noch sehr armen Wirtschaften mit hohem Nahrungsmittelanteil am Verbrauch. Ein unterentwickeltes Land mit noch niedrigen Reallöhnen (hoher Anteil der Nahrungsmittel am Verbrauch der Haushalte) kann zum Zweck der Steigerung der Beschäftigung im Exportsektor so lange abwerten, wie die eigene Landwirtschaft einen Überschuss an Nahrungsmitteln produziert, aus dem zusätzliche Exportarbeiter auch dann ernährt werden können, wenn die auf sie entfallenden Erlöse aus dem Export der von ihnen produzierten Produkte so klein sind, dass man daraus auf dem Weltmarkt die für ihr Überleben notwendigen Subsistenzgüter nicht kaufen könnte. Die Landwirtschaft produziert hier einen Überschuss, aus dem die Familien zusätzlicher Exportarbeiter versorgt werden. Die „Grüne Revolution", d. h. die Steigerung der Erträge durch neues Saatgut, Pestizide und Dünger in den Reislandwirtschaften Ost- und Südostasiens, erlaubt heute die Transformation komparativer Kostenvorteile, die vielleicht schon seit Beginn der industriellen Revolution, mindestens seit der Wettbewerbsfähigkeit der indischen Textilindustrie (80er Jahre des 19. Jhd.s) bestanden, nunmehr auf dem Wege der Abwertung in preisliche Wettbewerbsfähigkeit zu verwandeln. Zur Abwertung sind die Schwellenländer deshalb in der Lage, weil ihre Lohngütersektoren billig Lohngüter für die Exportarbeiter liefern, nicht weil ihre Exportarbeiter weniger Lohngüter konsumieren. Die Reallöhne mögen dabei durchaus hoch sein. Arbeiter in den Hochlohnländern können deshalb durch Absenkung ihrer Reallöhne nicht notwendigerweise mit Arbeitern in den Niedrigkostenländern wettbewerbsfähig werden. Im Übrigen würden weitere Versuche der Schaffung von Beschäftigung durch Exportüberschüsse in den führenden Ländern regelmäßig durch weitere Aufwertungen kompensiert (Chen/Gordon/ Zhiming: 1994; Lafay: 1996; Yotopoulos/Lin: 1993, S. 11; World Bank: 2000, S. 274). Auf die neue Herausforderung von Marginalisierung nunmehr auch in den fortgeschrittenen Industrieländern durch de facto subventionierende Lohngüter in den Schwellenländern reagieren die führenden Industrieländer mit Industriepolitik. Sie dient dem Versuch, komparative Kostenvorteile in geschützten Branchen zu gewinnen, bei denen dumpf, weil ohne genauere Analyse, vermutet wird, dass Entwicklungsländer nie wettbewerbsfähig werden können. Die Entwicklungsländer haben diesen Mechanismus erkannt und versuchen ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbreitem, indem sie neben dem Instrument der Abwertung die Integration

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ihrer hoch wettbewerbsfähigen Exportindustrien in die heimische Wirtschaft industriepolitisch dadurch unterstützen, dass sie in vermehrtem Maße Ausrüstungsgüter und Vorprodukte für die Exportbranchen auch dann lokal fertigen, wenn die Preise zunächst hoch sind. Dies erklärt den hohen Grad von Staatsinterventionismus in den ostasiatischen erfolgreichen Schwellenländern (Elsenhans: 1999d). Industriepolitische Strategien können in unterschiedlichem Maße den Marktmechanismus nutzen. Es gab eine Zeit (1980er Jahre), in der das größte deutsche Industrieunternehmen, Daimler-Benz, zum High-Tech-Unternehmen durch Luftfahrtproduktion werden wollte und dabei das Wachstum des High-Tech-Bereichs aus hohen Gewinnen bei der Fahrzeugproduktion subventionierte. Ähnlich hat Südkorea den Aufbau einer eigenen Textilmaschinenproduktion dadurch gestützt, dass es den Textilmaschinenimport verbot, die auf dem Weltmarkt hoch wettbewerbsfähigen Textilexporteure zwang, lokale Maschinen zu kaufen, d. h. letztlich die lokalen Textilexporteure zu Agenten technischer Innovation in Kooperation mit kleinen noch unerfahrenen Textilmaschinenproduzenten machte (Mytelka: 1986). Hier liegt der Anfang des Wachstums der südkoreanischen Maschinenindustrie. Genauso können aber solche Renten aus hochproduktiven Sektoren mit administrativen Mitteln in die Subventionierung industrieller Diversifizierung kanalisiert werden. So lange es Wirtschaften gibt, die mit dem Instrument der Abwertung, ergänzt durch industriepolitische Stützung ihrer Exportproduktionen, Wettbewerbsfähigkeit gewinnen, ohne Vollbeschäftigung zu erreichen, besteht die permanente Gefahr, dass weltweit die Produktivität steigt, ohne dass die Kosumtionskapazität zunimmt, weil die Möglichkeiten zur Steigerung der Reallöhne in den fuhrenden Industrieländern durch Wegfall von Arbeitsplätzen und damit Arbeitslosigkeit begrenzt sind und ohne Erreichung von Vollbeschäftigung in den aufholenden Ländern dort selbst in den durch hohes Produktivitätswachstum gekennzeichneten Branchen die Reallöhne nicht steigen müssen. Die zu beherrschende Herausforderung von Globalisierung besteht demnach nicht in ihrer Verhinderung oder Regulierung, sondern in ihrer Vertiefung, um das Ziel zu erreichen, auch in den aufholenden Ländern kapitalistische Marktwirtschaft mit autonomer Zivilgesellschaft in Gang zu bringen. Unter dieser Voraussetzung würde sich die Globalisierung etwa nach dem Muster vollziehen, das vor 1913 zu beobachten war und das ich als Konvoi-Modell bezeichne (Elsenhans: 2001, S. 64ff.). Es ist um den Preis einer begrenzten Reformbereitschaft auch heute möglich und vollzieht sich derzeit unter unseren Augen, nämlich in Südkorea und Taiwan. Beide Länder sind keine „Niedriglohnländer" mehr (Strack/Helmscholdt /Schönherr: 1997) und gehen den Weg des Aufbaus autonomer Zivilgesellschaften. Diese Länder haben durch Agrarreformen die marginale Arbeit auf den kleinen Farmbetrieben internalisiert. Bei noch niedriger Produktivität und geringen Farmgrößen mussten die Bauemfamilien auch jene Arbeit verrichten, die zusätzlich nur wenig zum Produktionsergebnis beitrug (und die bei anderen Eigentumsverhältnissen als marginal, weniger produzierend als kostend, gar nicht geleistet worden wäre). Dadurch gab es eine Untergrenze für Arbeitskosten und einen zunächst noch geringen, aber doch für die industrielle Entwicklung wichtigen Massenverbrauch einfacher Konsumgüter. Gestützt auf die Versorgung der Masse der Bevölkerung aus der eigenen Landwirtschaft, werteten beide Länder massiv ab und gewannen ab den 60er Jahren bei einfachen Industrieprodukten internatio-

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nale Wettbewerbsfähigkeit, die sie dann mit industriepolitischen Mitteln auch auf andere Produkte ausdehnten. Es gibt eine ganze Reihe von entwicklungspolitischen Strategien, mit denen eine ähnliche Begrenzung von Marginalität erreicht werden kann. Dazu gehören auch die Nichtregierungsorganisationen, die zwar behaupten, dass sie wirtschaftliche Projekte durchführen, im Regelfall aber vor allem Ressourcen an die Armen kanalisieren und dabei deren Selbstbewusstsein stärken (Elsenhans: 1995, S. 149ff.). Die exportorientierte Industrialisierung ist selbst ein wichtiges Instrument zur Beseitigung von Marginalität, weil sie die Subventionierung sonst marginaler Arbeitskräfte aus der lokalen Lohngüterproduktion erlaubt, wodurch Arbeitskräfte gesicherte Zugriffsrechte auf den lokalen Überschuss an Lohngütern erhalten.

VI. Perspektiven Aus der hier aufgezeigten Möglichkeit einer reformorientierten Vertiefung von Globalisierung ist nicht zu schließen, dass das Umfeld für Politik in Gesellschaft und Wirtschaft in der Zukunft nicht durch tiefgreifende Brüche bedroht sein könnte. Ob die reformistische Vertiefung von Globalisierung gelingen kann, dürfte zumindest zweifelhaft sein. Der Typ der begrenzten Regierung, in der kooperative Autonomie der Teilsysteme, also freie kapitalistische Marktwirtschaft und autonome Zivilgesellschaft möglich werden, beruht auf begrenzten Aufgaben des Politischen und damit einem begrenzten Staat. Freiheit wird hier möglich, weil die interessengeleiteten Akteure in ihrer Mehrheit bei selbstsüchtigem und oft äußerst kurzfristigem Handeln nur solche Ziele verfolgen, die das System kooperativer Autonomien nicht sprengen, langfristige Ziele hingegen so unbedeutend sind, dass sie im Rahmen allgemeiner Programme in Anreize für kurzfristiges Handeln der Akteure verwandelt werden können. Die bürgerliche Demokratie bedarf der Philosophenkönige Piatons nicht, weil sie nicht nur in der Wirtschaft, sondern - wenigstens bei tendenzieller Vollbeschäftigung und Wachstum des Kapitalstocks zu konstanten Preisen - auch in der Gesellschaft von einer „invisible hand" geleitet wird, die materielle Ziele der Verbesserung der Versorgung soweit befriedigt und in den Vordergrund der Zielsetzungen der Individuen stellt, dass diese andere Ziele insoweit als „sekundär" betrachten, dass sie diese anderen Ziele nicht über die Politik oder die Gesellschaft, sondern nur in der Privatheit von Gemeinschaft und Konsumverhalten verfolgen. Sättigungstendenzen, wie sie in der Diskussion der Zukunft des reifen Kapitalismus diskutiert werden, müssen diese Form der Einbettung zerstören, weil sie die Verhandlungsmacht der dann nicht mehr knappen Arbeit beschränken, die auf andere Mechanismen ihrer Durchsetzungsfähigkeit setzen muss und dabei sehr wohl nicht nur in der heutigen Dritten Welt (fundamentalistische „Gefahr"), sondern auch in den heute demokratischen fortgeschrittenen Industrieländern zur Ressource aggressiv gegen andere gewendeter Identitätsbildung greifen kann. Ebenso werden die Eigentümer von Kapitalgütern bei einer Beschränkung der Akkumulationsmöglichkeiten aufgrund von Sättigungstendenzen nach neuen Möglichkeiten suchen, zukünftige Einkommensströme sichernde Eigentumstitel

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zu erwerben, die bei Beschränkung der Absatzmärkte für kapitalistisch produzierte Güter nur im Bereich des Politischen liegen können. In einem solchen Szenario wird dann die Ausdifferenzierung von Politik, Zivilgesellschaft und Wirtschaft in kooperativ autonome Systeme nicht mehr möglich sein. Welche anderen Möglichkeiten der Koordination von Freiheit, Arbeitsteilung und kollektiven Strukturen dann möglich werden, kann die Wissenschaft nicht vorhersagen.

2. Kapitel Konstitutive Elemente des parlamentarischen Regierungssystems § 4 Verantwortung als demokratisches Staatsprinzip Gerlinde Sommer I. Einleitung - II. Verantwortung und Institution - III. Das öffentliche Amt IV. Amt und Demokratie Grundlagenliteratur: Hennis, Wilhelm (1968): „Amtsgedanke und Demokratiebegriff'. In: Ders.: Politik als praktische Wissenschaft. München, S. 48ff. Hattenhauer, Hans ( 2 1993): Geschichte des deutschen Beamtentums. Köln Hofmann, Hasso ( 2 1990): Repräsentation. Berlin Kersting, Wolfgang (1994): Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrages. Darmstadt Kielmansegg, Peter Graf (1979): Volkssouveränität. Stuttgart Kunkel, Wolfgang ( 12 1990): Römische Rechtsgeschichte. Köln. Ratisch, Heinz (1980) (Hg.): Die geschichtlichen Grundlagen der modernen Volksvertretung. Darmstadt. Saladin, Peter (1984): Verantwortung als Staatsprinzip. Basel Scheuner, Ulrich (1961): „Das repräsentative Prinzip in der modernen Demokratie". In: Festschrift H. Huber. Bern, S. 222ff. Schmidt, Manfred G. (1995): Demokratietheorien. Opladen Sommer, Gerlinde (1997): Institutionelle Verantwortung. München

I. Einleitung Verantwortung ist nicht nur Grundkategorie des politischen Denkens. Als zentraler Grundsatz der demokratischen, rechtsstaatlichen Verfassung durchwirkt Verantwortung die tragenden Staatsprinzipien und die politischen Institutionen. Historisch wurde im Laufe der okzidentalen Rationalisierungs-Bewegung das dem römischen Rechtskreis zuzuordnende Verständnis von Verantwortung als individuell zurechenbares Handeln oder Unterlassen in den Prozess der abendländischen Staatswerdung übernommen und auf die Funktionsbedingungen gesellschaftlicher wie politischer Institutionen übertragen. Die Differenzierung von Verantwortung in klar umgrenzte Verantwortlichkeiten hat diese Entwicklung ermöglicht. In Abschnitt II. soll daher zunächst der Begriff der Verantwortung knapp bestimmt werden: Denn indem Verantwortung in Zuständigkeitsbereiche mit Rechenschaftspflichten praktiziert werden kann, ist die Voraussetzung für

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kontrollier- und sanktionierbare Politik, für verantwortbare Herrschaft überhaupt gegeben. Verantwortung als demokratisches Staatsprinzip prägt grundlegend das deutsche Regierungssystem, wie das die nachfolgenden §§ aus verschiedenen Perspektiven entfalten werden. Im Zentrum des vorliegenden Lehrbuchs stehen die politischen Institutionen und ihre Leistungsfähigkeit im parlamentarischpolitischen System. Die grundsätzliche anthropologische Bedeutung von Institutionen für die Selbstorganisation von Gesellschaften wird in diesem Verständnis knapp zu erläutern sein, um daran anschließend eine Definition „politischer Institutionen" zu geben. Das Ineinandergreifen von Verantwortung und Institution vollzieht sich historisch, vor allem rechtsgeschichtlich, über das Institut des „Amtes" und hat mit der Begründung des modernen Verfassungsstaates Eingang in die Staatslehre und politische Philosophie gefunden. Auf die historischen Grundlagen des Amtsbegriffs ist in Abschnitt III. unter dem Blickwinkel seiner späteren Prägung demokratischer Systeme einzugehen. Gegenstand des Abschnittes IV. wird die Ausformung von Verantwortung als demokratisches Staatsprinzip in der strukturellen Verbindung von Grund- und Menschenrechten mit den Verfassungsprinzipien der Volkssouveränität, Repräsentation und Gewaltenteilung sein.

II. Verantwortung und Institution 1. Begriff der Verantwortung Verantwortung stellt eine Grundnorm sozialen Handelns und Verhaltens dar. Das alteuropäische Verständnis von Verantwortung prägt eine doppelte Verweisung: Zum einen zeigt sich derjenige verantwortungsbewusst, der die Folgen seines Handelns eigenem Tun zuordnet; zum anderen kann ein Geschehniszusammenhang auf ihn verweisen, so dass ihm von einer oder der Instanz, in deren Auftrag er handelt, eine Träger- bzw. Mittäterschaft zugerechnet wird oder zugerechnet werden muss. Demnach meint Verantwortung: Rede- und Antwortstehen, Rechenschaft für eigenes Handeln oder Unterlassen wie auch für zugerechnetes Tun vor einer autorisierten Instanz ablegen. Die Grundstruktur von Verantwortung besteht mithin aus einer verantwortungsfähig handelnden Person, einer Verantwortungsinstanz und dem zu verantwortenden Sachverhalt. Die vorgestellte begriffliche Bestimmung zeigt, dass Verantwortung Normen und Verfahren für soziales Handeln voraussetzt, welche der Verantwortungs-Instanz den Beurteilungsmaßstab geben. Denn erst aus der Anerkenntnis allgemeiner Regeln und Ordnungsprinzipien können bestimmte Handlungen als zu verantwortende abgeleitet, andere als unvereinbar ausgeschlossen werden. Anders ausgedrückt: Verantwortung setzt Handeln voraus, welches auf Sozialität und Gegenseitigkeit gerichtet ist - beispielsweise Fürsorge, Liebe, Tausch oder auch Vergeltung. Je nach Genese und Form lassen sich verschiedene Verantwortungsbeziehungen unterscheiden, die sich durch Verantwortungsinstanz, Reichweite, Maßstab, Sanktion und Verantwortungssubjekt voneinander unterscheiden. So sind als grundlegende, die zwischenmenschlichen Lebensgemeinschaften prägende Verantwortungsbindungen die religiöse, soziale, rechtliche, politische Verantwortung und die Eigenverantwortung zu nennen. In der Entwicklung menschlicher Gesellschaft stehen hierfür Ordnungsprinzipien wie der Grundsatz pacta sunt servanda („Verträge sind zu halten"), Regelungen der Tauschgerechtigkeit, des Leistungs-

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gleichgewichts und Schutzpflichten wie auch die positiv-rechtliche vertragliche Obligation, um einige Ausformungen zu nennen (Sommer: 1997, S. 16ff.). Sie gründen - und dies ist für das Folgende zentral - auf erwart- und erfahrbarer Gegenseitigkeit, auf „ineinander verschränkten, regulierten, obligatorisch gewordenen wirklichen Handlungen selbst" (Gehlen: 1956, S. 9). Dies ist für den Kultursoziologen Arnold Gehlen (1904-1976) der Entstehungsgrund der Institutionen. 2. Begriff der Institution Unter Institutionen versteht man kollektive, auf Dauer gestellte Handlungs- und Denkweisen, die auf fraglos erwartbarer und erfahrbarer Gegenseitigkeit gründen. Als Verhaltens- und handlungsstabilisierende wie -orientierende Sozialregulative gehen Institutionen aus der gesellschaftlichen Verallgemeinerung und Formalisierung von Nonnen hervor. Auf der Grundlage dieser allgemeinen Definition, die auf den Soziologen Emile Dürkheim (1858-1917) (:1895, S. 99) zurückgeht, hat Arnold Gehlen ein zwar umstrittenes, aber bis heute grundlegendes Institutionenverständnis entwickelt, wonach die Institution im Anspruch fragloser, objektiver Geltung den Einzelnen lebenswichtig von der permanenten Improvisation je nach Gegebenheit der zu treffenden Entscheidungen entlastet. In dieser „wohltuenden Fraglosigkeit" der sozialen Elementardaten, die dem Einzelnen als „Hintergrunderfüllung" kaum noch bewusst ist, gründet die kulturprägende Stabilisierungsleistung von Institutionen. Gehlen wertet die durch Institutionen ausgelöste Entlastung von der permanenten Improvisation als „eine der grossartigsten Kultureigenschaften, denn diese Stabilisierung geht ... bis in das Herz unserer geistigen Positionen" (Gehlen: 1956, S. 44ff; 51986, S. 98ff.; Lipp: 1968; Rehberg: 1990, 1990a). Durch Verallgemeinerungsfähigkeit und Formalisierung werden Institutionen zu verbindlichen Regelsystemen, die soziales Handeln effektiv, berechenbar, dauerhaft, gegenseitig und jederzeit erwartbar machen. Stabilität und Entlastung durch Institutionen haben einen Preis. Sie setzen eine institutionelle Verpflichtung voraus, in welche der Einzelne zunächst - unabhängig von seinem personal zurechenbaren Verhalten oder moralisch-subjektiven Verschulden - gestellt ist. Danach ist es zumutbar, für objektive institutionswidrige Handlungen auch dann einzustehen, wenn sie subjektiv unverschuldet sind. Verantwortung für die Verletzung einer Norm ohne persönliche Zurechenbarkeit, Haftung ohne Schuld sind nur im Wirkungskreis von Institutionen zu begreifen und anzuerkennen (Sommer: 1997, S. 32ff.). Verantwortung und Haftung für objektive Verletzung von Institutionen um deren Funktions- und Leistungserhalt willen zeigen sich beispielsweise in der Praxis der Amtshaftung. Umgekehrt haftet die Institution für ein ihre Integrität beschädigendes Handeln oder Unterlassen ihrer Mitglieder, so etwa bei der Zurechnung von Amtspflichtverletzungen nach Art. 34 GG auf die autorisierende Körperschaft oder auf den Staat grundsätzlich (Staatshaftung). Für diese schutzgewährende Funktion der Institution hat der Staatsrechtler Carl Schmitt (1888-1985) den Begriff der „institutionellen Garantie" geprägt (: 1931/31985).

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3. Politische Institutionen und die Teilbarkeit von Verantwortung Die vorstehenden Ausführungen befassten sich mit Institutionen allgemein. Politische Institutionen zeichnen sich durch ihren spezifischen sozialregulativen Bereich der zentralen Angelegenheiten des öffentlichen Gemeinwesens aus. Dementsprechend sind politische Institutionen Regelsysteme der Herstellung und des Vollzugs allgemeinverbindlicher Entscheidungen und zugleich Instanzen der Vermittlung und Darstellung ihrer maßgeblichen Normen und Ordnungsprinzipien (Göhler: 1997, S. 1 lff. und S. 579ff.). Politische Institutionen erhalten ihre Berechenbarkeit vornehmlich durch die Versachlichung von Herrschaft. Die Versachlichung von Herrschaft wiederum erfolgte historisch gesehen zunächst durch die Einrichtung des öffentlichen Amtes. Das Amt ist dadurch charakterisiert, dass zwischen Person und sachlicher Zuständigkeit unterschieden wird. Es stellt somit ein Kontinuum von Verhaltenserwartungen ebenso gegenüber den Herrschenden wie gegenüber den Beherrschten dar. Das Amt vermag mithin, Handlungs- und Verfahrenskontinuität personen* und generationenübergreifend zu gewährleisten. Diese Leistung beruht auf der Teilbarkeit von Verantwortung: Teilbarkeit von Verantwortung ermöglicht Aufbau und Eingrenzung klarer Zuständigkeitsbereiche, innerhalb derer Rechenschaft abgelegt sowie für Handlungsfolgen eingestanden und gehaftet wird. Somit ist im Teilbarkeitsprinzip die institutionelle Praktikabilität von Verantwortung angelegt; denn diese führt zu konkreter Wahrnehmung wie differenzierten Kompetenzen und kann daher verbindlich sozialen und politischen Ordnungen zugrunde gelegt werden. Verantwortung kann in ihrer Eigenschaft, in Verantwortlichkeiten teilbar zu sein, in vielfältige Handlungsfunktionen zerlegt und in Funktionszusammenhänge geordnet werden. Dabei entsprechen den nach Ordnungsinstanzen aufgebauten Zuständigkeiten auch klare Zurechenbarkeiten, denen wiederum eindeutig herleitbare Handlungsketten vorauslaufen. Eine Instanzenhierarchie mit fest umgrenzten Kompetenzbereichen entsteht so aus der stufenweisen Bildung von Verweisungszusammenhängen und ihrer Koordination in differenzierten und dabei homogenen Handlungssystemen. Der sachlichen, sozialen und zeitlichen Ein- und Begrenzung folgen Berechenbarkeit, Zuverlässigkeit und klare Urheberschaft. Rationalisierung und Versachlichung von Verantwortung fuhren zu kalkulierbarer Verfahrens- und Systembildung, deren Maßstab die Rechtmäßigkeit oder die Normtreue ist (Picht: 1979, S 332ff; Jonas: 71987; Hubig: 1982; Freyer: 1970, S. 200ff; Schelsky: 1957; Luhmann: 1964, S. 172ff; Sommer: 1997, S. 41ff.) Geteilte Verantwortung in Form von Ordnungshierarchien prägt heute nahezu alle Bereiche der modernen Gesellschaftsorganisation, beispielsweise die Rationalisierung der industriellen Arbeitsteilung und die bürokratische Formalisierung der Verwaltung. Rationalisierung und Formalisierung bedeuten hier die Übersetzung von Verantwortung in vorschriftsformierte, sachlich stabile Verantwortlichkeiten. Dies bedingt sowohl, dass mehrere Personen in einem Verantwortungszusammenhang mitwirken können, als auch die Möglichkeit eröffnet ist, in und durch Personenverbindungen verantwortlich zu handeln. Im Verfassungsstaat erstreckt sich diese Kompetenz auf juristische Personen, Anstalten und Körperschaften des Öffentlichen Rechts (-> §§ 18, 19) wie auch auf die politischen Institutionen und die Träger öffentlicher Ämter.

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Neben das Verwaltungsamt ist in der Demokratie die Anschauung von Herrschaft als politisches Amt getreten. In diesem Verständnis wird die Teilbarkeit von Verantwortung zur grundlegenden Voraussetzung für kontrollier- und sanktionierbare Politik und Herrschaft. Denn das Prinzip der Repräsentation in Verbindung mit den Ideen der Volkssouveränität und Gewaltenteilung begründet die normative Anschauung, dass alle Staatsgewalt in der Demokratie dem Grundsatz politischer Verantwortung unterworfen sein soll. Dabei binden die Fundamentalnorm der Menschenwürde und die sich aus ihr herleitenden Grund- und Menschenrechte staatliche Herrschaft material und richten sie intentional aus. Verantwortung als demokratisches Staatsprinzip wurzelt somit in der treuhänderischen Wahrnehmung von Herrschaft im Dienst der an Menschenwürde-Norm und Bürgerrechten wie Bürgerpflichten orientierten Staatszwecken und Staatszielen. Es kann festgehalten werden, dass die Verknüpfung der Grund- und Menschenrechte mit den Ideen der Volkssouveränität, Repräsentation und Gewaltenteilung dazu führt, dass die dargelegte institutionelle Verpflichtung die Qualität eines frei vereinbarten Verantwortungs-Verhältnisses der Bürger gewinnt. Dieses lässt sich durch die Teilbarkeit von Verantwortung auf die Ebene eines wechselseitigen Rechtsverhältnisses heben. Erst in diesem Schritt wird das Wechselverhältnis zwischen den Bürgern und ihren politischen Institutionen als gegenseitig sanktionierbare Verantwortungsbindung realisiert, wie sie auch im deutschen parlamentarischen Regierungssystem (-> i.E. §§ 2, III.; 5; 8) gefestigt ist. Die historischen Grundlagen hierfür reichen in vordemokratische Zeit zurück bis zum römischen Recht der Kaiserzeit und die von ihm geprägten Territorialstaaten des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Zwei Entwicklungen treten in den Blickwinkel: die Entstehung öffentlicher Strafrechtspflege, zurückgehend auf die Regelungen öffentlicher Strafverfahren im römischen Recht; sowie die Trennung von Amt und Person, wie sie das spätrömische Kaiserrecht vollzogen hat, und welche in den Entstehungsprozess des frühneuzeitlichen Flächenstaates Eingang gefunden hat. Der folgende Abschnitt konzentriert sich auf die Entstehung des öffentlichen Amtes, während die Entwicklung der öffentlichen Strafrechtspflege und fürstlichen Jurisdiktion in —> § 1,1. des vorliegenden Lehrbuchs angesprochen wird. III. Das öffentliche Amt 1. Historische Grundlagen im römischen Recht Wie vorstehend bereits dargelegt, besteht das Amt als Institution unabhängig vom personellen Amtsträger und bestimmt sich maßgeblich nach den sachlich, sozial und zeitlich definierten Kompetenzen. Für das Amt als institutionalisierte Form von Verantwortung ist die Trennung von Amt und Person charakteristisch. Es zeichnet sich so hin aus durch a) die Wahrnehmung als anvertraute Handlungskompetenz, die nicht durch den jeweiligen Amtsträger bestimmt ist, sondern welche b) eine Ermächtigung voraussetzt. Ermächtigen heißt, die Zustimmung erteilen, dass ein anderer für einen selbst handelt. Hierzu ist eine Vereinbarung erforderlich, welche einerseits die bindende Verpflichtung zur Anerkennung der Handlungen des Beauftragten voraussetzt und c) andererseits mit ein schließt, dass der Bevollmächtigte bei Verstößen gegen den erteilten Auftrag innerhalb ei-

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ner reglementierten Sanktionsordnung rechenschaftspflichtig wird. Das Amt in diesem Verständnis findet sich heute sowohl in der durch das Berufsbeamtentum geprägten Verwaltung (-» § 19) als auch in dem politischen, demokratisch legitimierten Wahlamt (—> s.a. § 22) wieder. Es ist Ausdruck des weiter unten zu behandelnden Repräsentativprinzips. Wichtig ist: Der öffentlich-rechtliche Amtsgedanke gründet historisch in der Auffassung einer zunächst einseitigen und indisponiblen Verantwortungs-Bindung an die Herrschaftsordnung. Er ist als römisches Rechtsgut rezipiert zu einem zentralen Begriff des frühmodernen Territorialstaates und später der repräsentativen Demokratie geworden. Dies wird im folgenden knapp skizziert: Die Wurzeln des Amtsbegriffs lassen sich bis in die straffe Behördenorganisation des römischen Kaiserreichs zurückverfolgen, die das republikanische Ämterwesen ablöste: Während das öffentliche Amt in der frühen römischen Republik zunächst von einer fiktiven Einheit von Amt und Amtsinhaber ausging - Ausfluss der ursprünglich lebenslang verliehenen Magistratsämter und Folge der fehlenden Rechenschaftslegung für Amtshandlungen aufgrund sehr weitgehender Verfügungszuständigkeiten (Mommsen: 1893, S. 128f.; 1871, S. 88ff.) -, weicht diese Praxis mit der Durchsetzung zweier heute in veränderter Form noch bestehender Verwaltungsgrundsätze: den Prinzipien der Annuität, d.h. der zeitlichen Befristung der ursprünglich lebenslänglichen Ämter (zunächst für ein Jahr) und dem Prinzip der Kollegialität, d.h. der mehrfachen Besetzung eines Amtes oder der Einsetzung konkurrierender Ämter mit gegenseitigem Vetorecht. Dies hatte zur Folge, dass erst im kollegialen Zusammenwirken eine bindende behördliche Verfugung zustande kam. Annuität und Kollegialität veränderten den Amtscharakter einschneidend dahingehend, dass nach Erlöschen oder Niederlegung des Amtes Rechenschaftslegung und persönliche Verantwortlichkeit unbeschränkt statthaft und rechtlich auf die Sanktionsbasis der Gesetze gegründet wurden 4 (Mommsen: 1893, S. 59f. u. S. 117; Herzog: 1884, S. 595ff, S. 682ff.; Koselleck: 1979ff., VII.). Dennoch blieb das Amt als Ehrenamt eng an den jeweiligen Amtsträger und dessen persönliche Amtsführung geknüpft. Vor allem mit der Konsolidierung der kaiserlichen Staatsordnung durch Diokletian (Regierungszeit 284-305) vollzog sich die strukturelle Trennung von Amt und Person. Denn Diokletian gestaltete das Amt zum auftragsgebundenen, persönlich haftbaren Kaiserdienst um und maß ihm öffentlichen Charakter zu. Bereits seine Vorgänger - vor allem Hadrian (Regierungszeit 117-138) hatten die Weichen für eine fortlaufende Differenzierung des kaiserlichen Ämterwesens im Zuge der Zentralisierung von Regierungs- und Rechtsprechungskompetenzen gestellt, als sie dazu übergingen, die Ämter mit rechtskundigem Personal zu besetzen. Betraut mit der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben, wurde dieses im Grunde unabhängig von Stand und Herkunft vor allem nach fachlicher Qualifikation rekrutiert. Bereits das der kaiserlichen Verfügungsgewalt unterstellte spätantike Amt zeichnete sich durch eine außerordentlich rational-abstrakte Professionalisierung aus, die sich in - auch heute modifiziert vorfindbaren - bürokratischen Merkmalen zeigt wie: Ressortteilung, hierarchisch zentraler Ämterordnungen mit

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Um durch ein Beispiel die Wirkung des Kollegialprinzips zu veranschaulichen, soll darauf verwiesen sein, dass die Bundesregierung (—> § 12) in wesentlichen Bereichen nur als Kollegialorgan handeln kann, wie es das GG fordert, - so bei Gesetzgebungsnotstand (Art. 81 GG) oder beim Erlass von Rechtsverordnungen nach Art. 80 GG.

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Verantwortlichkeit und der Sanktionsmöglichkeit der Amtsentsetzung, Rangklassen mit spezifischen Amtssignien, Differenzierung nach Dienstalter, sozialen und rechtlichen Privilegien sowie der Möglichkeit eines laufbahnähnlichen Aufstiegs. Dem Einstellungskriterium bestimmter Bildungsvoraussetzung folgte die Vergütung nach fixierten Gehaltsklassen (Sommer: 1997, S. 66ff.).

2. Verbreitung des Amtsgedankens in den frühmodernen Territorialstaaten Es ist hervorzuheben, dass gerade dieser durch Annuität und Kollegialität geprägte Amtsbegriff im Übergang von der mittelalterlichen Lehnsordnung zum frühneuzeitlichen Territorialstaat im Zuge der Rezeption des römischen Rechts vor allem seit dem 14./15. Jhd. aufgenommen wurde: Die lehnsrechtlichen Erbämter wurden zugunsten neugebildeter Amtsverfassungen seit dem 13. Jhd. aufgegeben. Zuerst im Königreich Sizilien und Burgund, dann in Frankreich und Österreich, gefolgt von den Territorien im Deutschen Reich (Schmoller: 1894; v. Westphalen: 1979, S. 35ff.) Zunächst galt für die Ämter im Mittelalter, dass sie in der Regel - verbunden mit einer zur Ausübung nötigen Landgabe - lebenslänglich verliehen und zumeist erblich waren. Sie waren im Wege der geistlichen und weltlichen Ämterleihe lehnsrechtlich feudalisiert. Ihr Hauptgegenstand umfasste die Abgabenhoheit in einem bestimmten Gebiet. Neben diese Praxis trat jedoch vermehrt - und vor allem unter dem Einfluss des kanonischen (kirchlichen) Rechts, der geistlichen Verwaltung und Gerichtsbarkeit (Coing: 1964, S. 7 9 f f ; Kroeschel: 1972/73 II., S. 4 6 f f ; Hattenhauer: 2 1993, S. 18ff.) - die aus dem römischen Kaiserrecht herrührende Auffassung vom funktionalen Aufgabenbereich des dem Fürsten verpflichteten Amtsträgers. Mit ihm sollte den zentrifugalen Kräften des Lehnswesens begegnet und eine auf der Effizienz einer allein dem Fürsten rechenschaftspflichten Amtsträgern beruhende Herrschaftsordnung aufgebaut werden (Willoweit: 1983,1., S. 84ff., S. 139ff.; Hattenhauer: 2 1993) Erste Anfänge moderner Verwaltungsorganisation in den deutschen Territorien dokumentiert sich in der Übung der meist auf ein Jahr befristeten Anstellung von Amtsträgern mit der Möglichkeit der Verlängerung oder Entlassung. Hier begegnet das kaiserrömische Annuitätsprinzip wieder, welches - wie oben ausgeführt den Amtscharakter um Rechenschaftslegung und persönliche Verantwortung erweiterte und damit der Praxis der feudalen Lehnsämter strukturell entgegen lief. Es findet sich bereits in der Bestimmung des Mainzer Landfriedens von 1235 zur Besetzung des Reichshofrichteramtes für ein Jahr (Buschmann: 1984, S. 93; —> § 1, I.); bis in das letzte Drittel des 16. Jhd.s ist der Jahresvertrag mit Verlängerungsmöglichkeit übliche Praxis territorialer Amtsbesetzung geblieben. Später ging man im Sinne der Verwaltungskontinuität zu zeitlich unbefristeten Dienstverhältnissen über, die eingebunden wurden in kodifizierte fürstliche Vewaltungsordnungen (sog. Hof- und Polizeiordnungen), welche detaillierte Regelungen der Pflichten und Aufgaben, Dienstregeln und Verwaltungsanweisungen bis zu den Konsequenzen bei Amtspflichtverletzungen enthielten (Willoweit: 1983a, I., S. 292ff.; Hintze: 1964; Sommer: 1997, S. 104ff. Diese Entwicklung setzte sich dann zum heutigen lebenslänglichen Berufsbeamtentum fort. Zugleich ist der auf das römisch-rechtliche Annuitätsprinzip gründende Amtswechsel bis heute ständige Übung geblieben, wie sich an der Ausgestaltung des Wahlbeamtentums (z.B.

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der Landräte und hauptamtlichen Bürgermeister) und am Schöffenamt zeigen ließe. Ebenfalls ab dem Ende des 13. Jhd.s beeinflusst das Kollegialprinzip die historische Entwicklung des Amtes. Als neue Form eines kollegialen Hofamtes bildet sich der sog. Rat heraus, der in Abhebung zu den Lehnsämtern zum Herzstück landesherrlicher Verwaltung werden soll. Denn ab dem 15./16. Jhd. stellt sich der Rat als festes Kollegium ständig tätiger Berufsbeamten dar, welche gemeinsam mit einer als fürstlicher Auftrag erteilten Verwaltungssache befasst und zu kollegialer Abstimmung - zunächst nach dem Einstimmigkeitsprinzip, später nach dem Mehrheitsprinzip (Coing:1964, S. lOOf.) - wie gegenseitiger Kontrolle angehalten sind. Auch dieser zuerst im römischen Recht angewandte Verwaltungsgrundsatz führte zur Einschränkung freier Ermessensspielräume und Verfügungszuständigkeit bei gleichzeitiger Ausweitung der Rechenschaftspflicht und Verantwortung für Amtshandlungen (Härtung: 91969, S. 73ff.; Schmoller: 1894, S. 699ff.). Es hat die heute vorherrschende Verwaltungsstruktur von Kollegialbehörden mit Fachbeamten begründet (-» § 19, III.). Das entscheidende Kriterium liegt in der Anschauung von der sachlichen, zeitlichen und personellen Disponierbarkeit des Amtes; Widerrufbarkeit der Amtsübertragung und Absetzbarkeit konstituieren die neuzeitlich-moderne Auffassung vom Amt als auftragsgebundene Handlungsdelegation aus dem Recht landesherrlicher Autorität. Das charakteristisch Neue ist, dass der Amtmann öffentlichrechtliche Funktionen kraft Auftrag auszuüben beginnt und sich dabei auf das geschriebene, Rechtssicherheit des Amtshandelns gewährleistende Organisationsrecht fürstlich erlassener Hof- und Ämterordnungen berufen konnte: und musste (Härtung: 91969, S. 49f; Kern: 1905/07; Sellert: 1980/90). Wie in der römischen Kaiserzeit gingen auch die Territorialherren dazu über, juristisch, d.h. römischrechtlich sachkundiges Personal einzustellen. Die analoge Entwicklung von den zeitlich befristeten Wahlämtern in der römischen Republik einesteils, den lehnsrechtlichen Erbämtern des Feudalismus anderenteils zu konsistenten Behördenorganisationen und Amtsverfassungen sowohl im kaiserlichen Rom als auch in den fhihmodernen Flächenstaaten bezeugt das große Gewicht, welches der Institutionalisierung des sachlich bestimmten, auf der Trennung von Amt und Person beruhenden öffentlichen Amtes für den Aufbau einer in hohem Maße rationalen Form politischer Herrschaft zukommt. Dabei rücken nicht nur als Maßstab des Handelns aus einem Amt heraus Rechtmäßigkeit und Normtreue in den Vordergrund, wie sie für heutiges Verwaltungshandeln charakteristisch sind. Darüber hinaus ermöglicht diese Auffassung vom Amt die Gründung von Herrschaft auf eine funktionsbestimmte, vorschriftsformierte, dem Grundsatz der Verantwortung durch Rechenschaft, Kontrolle und Sanktion unterliegende Ämterordnung.

IV. Amt und Demokratie Neben das - wie gezeigt - historisch vordemokratisch verwurzelte Verwaltungsamt ist in der Demokratie eine neuartiges Verständnis von Amt getreten: In der Demokratie (-* § 5, IV.) wird Herrschaft als anvertrautes Amt ausgeübt und legitimiert. Die Vorstellung rückt in den Mittelpunkt, dass die Wahrnehmung von Herrschaft als anvertraute, zu verantwortende Handlungsbefugnis auf den Inhaber der höchsten Gewalt - den Souverän - übertragen ist. Die oben behandelte hand-

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lungs- und kompetenztheoretische Teilbarkeit von Verantwortung ist das institutionelle Formprinzip, durch welches die durch (Gesellschafts-)Vertrag geschlossene Verantwortungs-Bindung sachlich, zeitlich und personal dauerhaft als wechselseitiges Rechtsverhältnis ausgestaltet werden kann. Damit findet der auf der strukturellen Trennung von Amt und Person fußende funktionsbestimmte, sachliche Amtsbegriff - geprägt durch personen- und generationsübergreifende Kontinuität, geknüpft an Rechenschaftslegung des zeitlich und durch (kollegiale) Kontrolle gegenüber der autorisierenden Instanz gebundenen jeweiligen Amtsträgers Anwendung auf die höchste staatliche Gewalt. In diesem Sinne steht der Amtsgedanke im Mittelpunkt demokratischer Systeme. Auch das deutsche Regierungssystem, welches Gegenstand dieses Lehrbuchs ist, lässt sich nur als konsistentes Ämtersystem auffassen und beschreiben. Vorbereitet haben diese heute weitgehend selbstverständliche Staatsauffassung politische Denker der (frühen) Neuzeit, welche eine tragfähige Begründung für die den modernen Verfassungsstaat prägenden Prinzipien der Repräsentation, Volkssouveränität und Gewaltenteilung fortentwickelt haben. Dies soll im Folgenden erläutert werden.

1. Die Idee demokratischer Repräsentation a) Herrschaft als demokratisches Amt Die Übertragung des Amtsgedankens auf die souveräne Staatsgewalt findet sich ideengeschichtlich vor allem bei dem englischen Vertragstheoretiker John Locke (1632-1704), der legitime Herrschaft aus dem Gesellschaftsvertrag als treuhänderisch wahrzunehmende Handlungsvollmacht definiert, welche auf Zustimmung und Vertrauen beruht und Verantwortung voraussetzt. Herrschaft als demokratisches Amt (grundlegend Hennis: 1968), welches aufgrund verbindlicher Staatsziele und Staatszwecke (-> § 5, VI.) zu Rechenschaft verpflichtet, gründet auf Beauftragung, anvertrauter Machtausübung und Verantwortung gegenüber den Autorisierenden. Die Delegation von Handlungskompetenz auf unterschiedliche Amtsträger, die damit verbundene Begrenzung der Machtausübung gemäß dem erteilten Auftrag, eine folglich gegliederte Ordnung von Entscheidungs- und Zuständigkeitsbefiignissen, schließlich die Kontrolle der Amtsführung finden sich auf allen Ebenen der in Legislative, Exekutive und Judikative geteilten Staatsgewalt (-> § 8) wieder. Das in demokratischen Wahlen (—> § 22) erteilte Mandat (i.e. ->• § 9, VIII.) besagt im Kern nichts anderes, als autorisiert zu sein, für die Gesamtheit des Volkes zu handeln. Es drückt eine positive Handlungspflicht der Repräsentanten aus. Dies Befugnis ist anvertraut, beruht auf Zustimmung durch den Wahlakt und muss verantwortet werden. Nach dem repräsentativen Prinzip wird Herrschaft als Rechtsverhältnis konstituiert, wobei die treuhänderische Wahrnehmung der politischen Geschäfte über den formal rechtstechnischen Aspekt hinausgehend eine materiale Qualität beinhaltet. Demokratische Repräsentation bestimmt nicht nur in dem Moment der Beauftragung den Ursprung und die Legitimität von Herrschaft, sondern ist als intentionale Handlungsvollmacht der Wahrnehmung bestimmter Ziele und Zwecke verpflichtet (Böckenförde: 1983, S. 18ff.).

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b) Amt und Treuhänderschaft (J. Locke) Entscheidend in diesem Zusammenhang wird also die Auffassung von der materialen Zielrichtung von Herrschaft, welche intentional über den institutionell garantierten öffentlichen Rechtsschutz hinausreicht. Den Gedanken der treuhänderischen Wahrnehmung von Herrschaft hat der englische Vertragstheoretiker John Locke prononciert entfaltet, worauf im folgenden einzugehen ist: Die Garantie staatsbürgerlicher Freiheit, persönlicher Unversehrtheit und des privaten Eigentums beruhen fiir Locke nicht nur auf der formal-institutionellen Rechtsautorität, sondern auf einer materialen Bindung staatlicher Gewalt, die zunächst an den aus dem Naturrecht hergeleiteten Zielen und Zwecken orientiert sein soll: „In ihren äußersten Grenzen ist ihre Gewalt auf das öffentliche Wohl der Gesellschaft beschränkt. (...) die Verpflichtungen des natürlichen Gesetzes hören nicht etwa in der Gesellschaft auf, sondern werden in vielen Fällen nur enger gezogen. (...) So steht das Gesetz der Natur als Symbol einer ewigen Regel für alle Menschen, für Gesetzgeber wie auch fiir alle anderen. Die Vorschriften, die sie für die Handlungen anderer Menschen geben, müssen ebenso wie ihre eigenen Handlungen und die der anderen mit dem Gesetz der Natur,..., vereinbar sein, und da das fundamentale Gesetz der Natur die Erhaltung der Menschheit ist, kann keine menschliche Zwangsmaßnahme gut oder gültig sein, die diesem Gesetz widerspricht" (Locke: 1689/1977, S. 284f.; vgl. Euchner: 1979, S. 173ff.; Strauss: 1977, S. 236ff.). Aus dieser Verpflichtung leitet Locke nun die normative Forderung her, dass Herrschaftsmacht von den Bürgern zur treuhänderischen Wahrnehmung verliehen ist: „Denn da alle Gewalt, die im Vertrauen auf einen bestimmten Zweck übertragen wird, durch diesen Zweck begrenzt ist, so muss, wenn dieser Zweck vernachlässigt oder ihm entgegen gehandelt wird, dieses Vertrauen notwendigerweise verwirkt sein und die Gewalt in die Hände derjenigen zurückfallen, die sie erteilt haben und die sie nun von neuem vergeben können, wie sie es für ihre Sicherheit und ihren Schutz am besten halten" (Locke: 1689/1977, S. 294). Bindung und Ausrichtung politischer Herrschaft beruhen demnach zum einen auf der materiell-normativen Intentionalität staatlichen Handelns und zum anderen der Organisation treuhänderisch wahrzunehmender Handlungsvollmacht, welche auf Zustimmung und Vertrauen fußen und Verantwortung voraussetzen. Indem die höchste gesetzgebende Gewalt als anvertraute Kompetenz wahrgenommen wird, ist zugleich das erteilte Mandat innerhalb einer reglementierten Sanktionsordnung rechenschaftspflichtig und erlöscht bei Verstößen gegen die auftragsgebundene Vollmacht. Damit wendet Locke das Institut des öffentlichen Amtes auf die politische Herrschaft und ihre demokratische Legitimation selbst an. Für ihn liegt die Legitimation politischer Entscheidungen im Prinzip des Mehrheitsbeschlusses, dessen Geltung mit Inkrafttreten des Vertrages anerkannt werden muss (: 1689/1977, S. 261; Kersting: 1994, S. 127ff.; s.a. § 5, IV.). Erst im Verstoß gegen den Grundrechtsschutz ist die exzeptionelle Verfugung der Beauftragenden - mithin das Recht auf Widerstand - gestattet: „Wann immer die Gesetzgeber bestrebt sind, dem Volk sein Eigentum zu nehmen und zu vernichten oder das Volk in Sklaverei unter ihre willkürliche Gewalt zu bringen, versetzen sie sich dem Volk gegenüber in einen Kriegszustand. (...) Sooft daher die Legislative ... versucht, ... eine absolute Gewalt über Leben, Freiheit und Vermögen des Volkes an sich zu reißen ..., verwirkt sie durch einen solchen Vertrauensbruch die Macht, die das Volk ihr zu völlig entgegengesetzten Zielen übertragen hatte"

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(Locke: 1689/1977, S. 338; Euchner: 1979, S. 216ff.). In Lockes weittragender Konzeption behalten die Vertragschließenden demnach nicht nur ihre politische Rechtsfähigkeit - etwa in Gegensatz zu Thomas Hobbes (1588-1679), auf dessen bedeutsame Vertragstheorie hier nicht eingegangen werden kann - bei, sondern aus dem Kontrakt geht einesteils eine politisch verantwortliche Regierung hervor; anderenteils ergeben sich zugleich rechtliche Verhaltenspflichten für die Autorisierenden. Diese aus dem Vertrag obligat resultierende Relation von Rechten und Pflichten betont die liberal-demokratische Differenz zwischen Regierenden und Regierten und setzt als Scharnier zwischen beide das Prinzip der institutionellen Verantwortung. 2. Volkssouveränität in der repräsentativen Demokratie Für die demokratietheoretische Diskussion ist die Frage nach der Verbindung von Repräsentation und Volkssouveränität bis heute überaus wichtig geblieben. Während Rousseau das Diktum (s.u.) aufstellte, wonach sich Demokratie und Volkssouveränität einerseits, Gewaltenteilung und Repräsentation andererseits ausschließen, und auf dieser Grundlage sein einflussreiches Konzept einer direkten Demokratie mit imperativem, weisungsgebundenem Mandat aus dem Postulat der Identität von Regierenden und Regierten entwickelte, wurde in der Folge von Locke und Sieyes die liberal demokratische Argumentation verfestigt, wonach Repräsentation und Volkssouveränität durchaus vereinbar sind und sich im Konzept der repräsentativen Demokratie miteinander verbinden lassen. a) Die Unvereinbarkeit von Volkssouveränität und Demokratie mit Repräsentation und Gewaltenteilung bei J.-J. Rousseau Die Demokratietheoretiker des neuzeitlichen Verfassungsstaates haben unter gewandelten gesellschaftlichen und politischen Bedingungen i.E. § 1, III.) das repräsentative Prinzip mit der Idee der Volkssouveränität verbunden. Sie knüpfen dabei an die naturrechtliche Vorstellung an, dass individuelle Autonomie und Selbstbestimmung des kraft Geburt mit unveräußerlichen Rechten ausgestatteten Menschen jeder gesellschaftlichen und politischen Organisation vorausgehen. Der Staat wird in der Folge in einem rechtsschöpferischen Akt von den Individuen als Kreationssubjekt willentlich geschaffen. Daher erklärt sich die Souveränität des Volkes als logisches Ergebnis der Ableitung sozialer Verfügungsmacht aus individueller Autonomie; sie findet ihren stärksten Ausdruck in der verfassungsgebenden Gewalt des Volkes - im pouvoir constituant - (Kielmansegg: 1977, S. 234; Grimm: 1988, S. 19ff.). Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) und die in seiner Denktradition stehenden Volkssouveränitätstheorien wechseln in diesem Kontext zunächst den Träger der Souveränität aus: Die Fürstensouveränität wird auf den Volkssouverän übertragen, der Monarch durch das Volk ersetzt. Rousseau hat jedoch nicht nur maßgeblich die Lehre von der Volksherrschaft geprägt, sondern auch das Unvereinbarkeitsdiktum von Volkssouveränität und Repräsentation aufgestellt, welches nach wie vor in demokratietheoretischen Diskussionen präsent ist: Da Souveränität für Rousseau - und damit greift er eine Prämisse des bedeutenden Souveränitätstheoretikers Jean Bodin (1529/30-1596) (:1981; Rousseau: 1762/1986; Landmann: 1896, S. 121ff.) auf - unveräußerlich, unteilbar und unverjährbar ist, kann sie

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weder auf andere übertragen noch vertreten werden, ohne dass sie selbst von ihrem Inhaber veräußert wird. Indem Rousseau die monarchische Souveränität auf das Volk überträgt, zielt seine Anschauung von Volkssouveränität auf die unmittelbare und ständig präsente politische Handlungsfähigkeit des Volkssouverän. Das Volk ist daher nur dann souverän, wenn es selbst Herrschaft ausübt, mithin keine Unterschiede zwischen Herrscher und Beherrschten, Innehabe und Ausübung der Staatsgewalt bestehen: Wenn nur die Identität von Regierten und Regierenden Freiheit und Selbstbestimmung gewährleisten, schließen sich folglich Volkssouveränität und Demokratie einerseits, Gewaltenteilung und Repräsentation - da sie in der Teilung der Staatsgewalt durch Beauftragung und Vollmacht ein Herrschaftsverhältnis konstituieren - andererseits aus (Rousseau: 1762/1986, I. 6; II. 2 u. III. 15; vgl. Landshut: 1968, S. 484ff.; Vollrath: 1993; Leibholz: 3 1974). Entscheidend am Rousseauschen Volkssouveränitätsverständnis ist, dass es dem Volkssouverän und jedem seiner Teile ein apriorisches und unmittelbares Gesetzgebungsrecht zuspricht. In diesem Sinne wird jedem einzelnen Teil des Volkssouverän das Recht zugesprochen, über die Belange aller mitzuentscheiden, weil der Gemeinwille, die volonté générale - nach Rousseau stets gemäß dem Naturrecht handelnd (Rousseau: 1762/1986, II. 3; Fetscher: 1978, S. 118ff.; Schmidt: 1995, S. 70ff.) - absolute Geltungskraft beansprucht und sich im Gesetzesrecht des Volkssouverän manifestiert. Denn - so Rousseau (: 1762/1986,1. 7) - „daraus sieht man, dass es für den Volkskörper keinerlei verpflichtendes Grundgesetz gibt noch geben kann, welcher Art auch immer, nicht einmal den Gesellschaftsvertrag". Letztlich geht aus dem Gesellschaftsvertrag ein politisch unverantwortliches Gemeinwesen hervor, dass aus der identitären Willenskonvergenz von Herrschaftsteilhabenden und Herrschaftsunterworfenen geschöpft und intentional in der volonté générale kristallisiert, keiner weiteren Verbindlichkeit verpflichtet ist. Ob die Autonomie jedes Bürgers und die Verfügungskompetenz aller über alle sei eingeworfen - als „Identität von individueller Selbstbestimmung und Souveränität des Kollektivs" (Kielmansegg: 1979, S. 243ff.) in eins gesetzt werden können und die Geltung kollektiver Entscheidungen aus der Summe sich selbstbestimmender Individuen allein abzuleiten ist, bleibt fraglich. Anthropologisch so sei eingewandt - verfehlt das Rousseausche Konzept die soziale Eingebundenheit menschlicher Existenz, aus der heraus jeder Akt der Selbstbestimmung Seinsweise und Interessen Dritter berührt, mithin einer Fremdbestimmung unterwirft und daher im Konflikt mit den Selbstbestimmungsrechten der Betroffenen nach einem Bewertungsmaßstab verantwortet werden muss. Damit ist das Problem aufgeworfen, wie denn die grundlegenden und jederzeit erwartbaren Strukturbedingungen des politischen Verbandes - die Institutionen -, die den Einzelnen von der permanenten Improvisation lebenswichtig entlasten, indem sie uneingeschränkte Normgeltung beanspruchen, gewahrt bleiben können, wenn der Volkssouverän jederzeit im Namen der volonté générale über sie zu disponieren imstande ist. Wenn Rousseau als „Begründer eines prozeduralen Gerechtigkeitskonzeptes bezeichnet wird, das die Gerechtigkeit von Gesetzen von ihrer demokratischen Genese abhängig macht und damit die unverstümmelte demokratische Délibération in den Rang eines Hüters des Rechts erhebt" (Kersting: 1994, S.179; Schmidt: 1995, S. 73ff.), so bleibt doch entgegenzuhalten, dass gerade die demo-

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kratische Perspektive der umfassenden und unmittelbaren Teilhabe der Bürger die normative Orientierung des Einzelnen in ganz erheblichem Maße benötigt. Die identitäre Auffassung eines demokratischen Gemeinwesens baut essential auf die politische Unverantwortlichkeit des Souverän; sie setzt die Freistellung von Rechenschaft, Kontrolle und Sanktion voraus, um das uneingeschränkte Gesetzesrecht als demokratisches Attribut der Souveränität des Volkssouverän herauszustellen. Sie lässt das Gemeinwesen zwar aus der kontraktuellen freien Willensübereinkunft aller mit allen und der wechselseitigen Verpflichtung der Bürger hervorgehen. Jene Verpflichtung bringt jedoch nicht die Sollgeltung allgemein anerkannter gesellschaftlicher Normen hervor, die - wie bei John Locke gezeigt - öffentlichen Rechtsschutz des Einzelnen und die institutionelle Organisation treuhänderischer Herrschaftsausübung garantieren sollen, sondern sie konzentriert sich allein auf die Anerkennung des Verfahrens uneingeschränkt demokratischer Willensbildung, welche die Willenskonvergenz von Herrschaftsteilhabe und Herrschaftsunterwerfung herstellen soll. Rousseaus Fragestellung kreist mithin nicht in erster Linie um die kontraktualistische Legitimation politischer Institutionen, sondern um das demokratische Korrektiv der auf institutionell verpflichtender Autorität fußenden Rechtsförmigkeit des Gemeinwesens. Vorausgesetzt, Rousseau sei 'der erste Vertragstheoretiker\ „der das kontraktualistische Argument für die Begründung der These von der Demokratieabhängigkeit der Rechtsstaatlichkeit eingesetzt hat" (Kersting: 1994, S. 176), dann hätte er zugleich den Grundstein für ein klassisches Argument der Institutionenkritik gelegt: Wenn nämlich der institutionellen Formalisierung und Zwecktransformation mit dem Einwand der demokratischen Selbstgesetzlichkeit diskursiver Meinungs- und Willensbildung begegnet wird. b) Souveränität als konsistentes Kompetenzsystem (E. J. Sieyes) Während für Rousseau die Volkssouveränität unvereinbar mit der repräsentativen Demokratie war, und für Locke die Spannung zwischen treuhänderisch-repräsentativer Herrschaft und Souveränität keinen nennenswerten Diskussionsgegenstand darstellt, war diese jedoch für den französischen Revolutionspolitiker Emanuel Joseph Sieyes (1748-1836) von allergrößter Bedeutung. Seine Flugschrift „Was ist der Dritte Stand?" von 1789 war während der Französischen Revolution überaus einflussreich auf die Nationalversammlung; sie hat die politisch-philosophische Begründung der Nationalrepräsentation aus dem Prinzip der Volkssouveränität zum Gegenstand. Darin übt Sieyes zunächst fundamentale Kritik an der politischen Bedeutungslosigkeit des Dritten Standes in der feudalen Privilegiengesellschaft des Absolutismus. Seine weit über die französische Revolution hinauswirkende politische Stellung erlangte er durch die Identifizierung von Drittem Stand und französischer Nation. Sieyes erklärte den „Dritten Stand" zur französischen Nation und sprach ihm souveräne Staatsgewalt und das Gesetzesmonopol zu. Da die Nation nach Sieyes ihren „gemeinschaftlichen Willen" ab einer bestimmten territorialen Größe nicht mehr unmittelbar selbst ausüben kann, vertraut sie dieses Recht einer „Regierung durch Vollmacht" an, die im Auftrag der souveränen Nation handelt: Es handelt daher ,.nicht mehr der wirkliche gemeinschaftliche Wille..., sondern ein stellvertretender gemeinschaftlicher Wille... Die Abgeordneten üben diesen Willen nicht kraft eigenen Rechts aus, sondern als das Recht anderer; der gemeinschaftliche Wille existiert nur als Auftrag" (:178890/1981, S. 165ff.).

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Sieyes erkennt das Repräsentativprinzip nicht nur für die gesetzgebende, sondern auch für die verfassungsgebende Versammlung an. Die souveräne Nation verliert dadurch nicht ihre Souveränität, sondern überträgt lediglich das Recht auf Ausübung der Souveränität (: 1788-90/1981, S. 30ff,: Schmitt: 1969, S. 212ff.). Nach dem Ort der Souveränität gefragt, finden sich bei Sieyes zwei Bestimmungen: Zum einen kann die Nation die Verfassung und die Gesetze jederzeit durchbrechen, da sie niemandem verantwortlich sein kann noch darf: „Eine Nation ist von jeder Form unabhängig; und auf welche Art und Weise sie auch will, die bloße Äußerung ihres Willens genügt, um gleichsam angesichts der Quelle und des obersten Herrn jedes positiven Rechts alles positive Recht außer Kraft zu setzen" (Sieyes: 1788-90/1981, S. 169). Der Nationalsouverän bleibt also in Anlehnung an Rousseau unmittelbar handlungsfähig und hat die „Kompetenz-Kompetenz" zu beliebigen Entscheidungen inne, welche er jederzeit an sich ziehen kann. Zum anderen setzt Herrschaft durch Repräsentation für ihn nicht nur eine Verfassung voraus, welche Auftrag, Organisation, Verfahrensregeln etc. verbindlich regelt, sondern er stellt fest, dass erst die Verfassung die repräsentierte Nation politisch handlungsfähig macht: „Ohne solche Verfassungsbestimmungen ist sie nichts; nur durch sie kann sie handeln, lenken und befehlen" (: 1788-90/1981, S. 166). Über die Verfassung wiederum hat das Volk resp. die Nation entschieden. Damit hat sie ihre pouvoir constituant wahrgenommen, welche bis zur erneuten Verfassungsgebung in der Verfassung ruht: pouvoir constitué. Souverän ist die Nation, wenn sie über die Verfassung entscheidet, über sie verfugt und sie zudem jederzeit durchbrechen kann. Solange die Verfassung in Kraft ist, macht der Nationalsouverän von seiner Souveränität keinen aktiven Gebrauch, sondern beauftragt mit der Wahrnehmung seiner Rechte innerhalb der Gesetzesordnung die Repräsentanten. Gründet der demokratische Verfassungsstaat nicht auf einem unmittelbaren Herrschaftsrecht - wie Rousseau es seinem Demokratieverständnis unterlegt -, sondern bedarf einer intentionalen Zweckbestimmung, der verantwortbare Herrschaft Rechnung tragen muss, so beruht der demokratische Verfassungsstaat eben nicht allein auf dem Prinzip der Volkssouveränität, sondern setzt zudem eine rechtsstaatliche Verfassung voraus (—» § 5, V.). Solange der demokratische Verfassungsstaat besteht, handelt der Volkssouverän nach Sieyes nicht selbst, sondern durch seine Repräsentanten. Folglich spricht für das Repräsentativprinzip weit mehr als das technische Argument der politischen Organisation eines Flächenstaates. Darüber hinaus ist das Argument der durch arbeitsteilige Stellvertretung bewirkten höheren Rationalität und Effizienz ebenso bedeutsam wie der Vorzug des durch öffentliche Diskussion der Vertretungskörperschaft ermittelten Gemeinwohls. Zentral für Sieyes ist jedoch, dass mittels des repräsentativen Prinzips der Nationalsouverän die Herrschaftsgewalt auf funktional differenzierte Stellvertretungsorgane verteilen und durch die Verfassung rechtlich binden, mithin dem Grundsatz politischer Verantwortung unterwerfen kann. Durch diesen gedanklichen Konnex zwischen Volkssouveränität und demokratischer Repräsentation nimmt Sieyes eine bedeutende Rolle in der politischen Philosophie und Demokratietheorie bis zur Gegenwart ein. Zusammengefasst hat der Volkssouverän seine Souveränität mit dem Akt der Verfassungsgebung an die konstituierte Ordnung gebunden. Ihm sind damit zugleich Rechte und Kompetenzen wie auch Pflichten zugewiesen. Der Volkswille nimmt folglich in den institutionellen Formen der Verfassung Gestalt an.

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Wenn auch die Besetzung der Verfassungsorgane unmittelbar durch das Volk geschieht oder mittelbar auf dieses rückführbar ist, so ergibt sich die demokratische Legitimation nicht nur aus der kausalen Herleitung politischer Herrschaft im Wege demokratischer Verfahren, sondern auch aus ihrer finalen Zweckdienlichkeit. Nach dem repräsentativen Prinzip werden im demokratischen Verfassungsstaat aus der Gesamtheit die politischen Entscheidungsträger ermittelt. Das repräsentative Verfahren ist über die Beziehung von Wählern und Abgeordneten hinaus von grundlegender Bedeutung im demokratischen Gemeinwesen. Das Herrschaftsmonopol ist in der Repräsentation aufgehoben und wird damit zugleich als zweck- und zielorientierte Treuhänderschaft praktikabel. So hat der bedeutende Politikwissenschaftlicher Ernst Fraenkel (: 5 1973, S. 113) prägnant formuliert: „Repräsentation ist die rechtlich autorisierte Ausübung von Herrschaftsfunktionen durch verfassungsmäßig bestellte, im Namen des Volkes, jedoch ohne dessen bindenden Auftrag handelnde Organe des Staates oder sonstiger Träger öffentlicher Gewalt, die ihre Autorität mittelbar oder unmittelbar vom Volk ableiten und mit dem Anspruch legitimieren, dem Gesamtinteresse des Volkes zu dienen und dergestalt dessen wahren Willen zu vollziehen". c) Aktuelle Fragen der Repräsentation (1) Repräsentation undplebiszitäre Elemente Das System verantwortbarer Herrschaftsausübung durch Amtswalter mit Zurechnungs- und Zuständigkeitsbereichen, zu welchem das repräsentative Prinzip fuhrt, birgt die Gefahr, dass das Volk als aktive politische Größe absorbiert wird (Wassermann: 1989). Wenn auch die bundesdeutsche Verfassung von repräsentativen Elementen dominiert wird (i.E. -> §§ 5-8), was sich aus den historischen Entstehungszusammenhängen des Grundgesetzes erklären lässt, so verschließt sich das GG nicht grundsätzlich der Möglichkeit einer verfassungsmäßigen Ergänzung um direktdemokratische Partizipationsformen, wie sie auf kommunaler Ebene im Institut des Bürgerentscheids (-> § 7, III.) oder auf Länderebene vielerorts praktiziert werden. Dafür spricht verfassungsrechtlich bereits in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG die Formulierung, dass die Staatsgewalt „vom Volk durch Wahlen und Abstimmungen" ausgeübt wird. Hier ist das Volk jedoch nicht als pouvoir constituant, sondern als höchster pouvoir constitué angesprochen, welcher zudem unter die Bestandsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG fällt. Für die Diskussion um die Ergänzung der repräsentativen Verfassung um plebiszitäre Elemente bleibt zunächst festzustellen, dass direktdemokratische Entscheidungen und Verfahren der Volksgesetzgebung in die konstitutionelle Ordnung des GG nur als der Verfassung nachrangig eingebettet werden. Sie sind sohin nicht als Alternative zur demokratischen Repräsentation zu werten, sondern haben - da an ihnen nur die Aktivbürgerschaft teilhaben kann - ebenfalls repräsentativen Charakter. Aus diesem Grunde und aus dem Umstand des Verfassungsvorranges haben sie sich einer sachlich zwingenden Prüfung zu unterziehen, ob die in Rede stehenden Gesetzesentwürfe oder Sachentscheidungen den Bedingungen genügen, welche die Demokratieprämisse an verantwortbare Herrschaft - wie oben dargelegt stellt. Keineswegs kommt ihnen allen deswegen höhere Legitimität zu, weil der Volkssouverän unmittelbar handlungsfähig wird.

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(2) Repräsentation in der technologisch geprägten Gesellschaft Repräsentation als treuhänderische Wahrnehmung der politischen Geschäfte nach Maßgabe fundamentaler Verfassungsnormen sollte dem Ziel verpflichtet sein, das zu ermitteln, was von öffentlichem Interesse und dem Gemeinwohl dienlich ist. Die arbeitsteilige Delegation von Handlungskompetenz an unterschiedliche Repräsentationsorgane war und ist zudem mit einer Rationalitäts- und Effektivitätssteigerung politischer Herrschaft verbunden und nährte die Vorstellung eines Vorwärtsschreitens von Gesellschaft, Kultur und sozioökonomischen Lebensformen. Die Chance der eigenverantwortlichen Lebensgestaltung künftiger Generationen steht in der modernen Industriegesellschaft mit ihren technischen Potentialen (v.a. Gen- und Atomtechnik) und möglicher irreversibler Entwicklungen in Frage. Die neuartige zeitliche, sachliche und soziale Offenheit gesellschaftlicher und politischer Gestaltungskraft macht es unerlässlich, in den öffentlichen Diskurs die Reflexion der Zulässigkeit staatlichen und gesellschaftlichen Handelns und Unterlassens verstärkt mit einzubeziehen. Dafür sprechen Ansätze, welche die mandatarische Grundrechtswahrnehmung künftiger Generationen und der natürlichen Lebenswelt als Mitgegenstand der Repräsentation betonen (statt vieler Saladin: 1984; 1988). Ob die demokratische Repräsentation den Anforderungen als Steuerungsinstanz der durchaus breit vorhandenen Einsicht der Gesellschaft in ihre Gegenwarts- und Zukunftsinteressen genügen und eine wirksame institutionelle Reflexion der unmittelbaren Nutzenkalküle auf ihre Verträglichkeit mit den gleichen Entfaltungsrechten künftiger Generationen leisten kann, muss offen bleiben. Der Idee nach sollte sie diese Funktion auch im Konnex treuhänderischen Grundrechtsschutzes erfüllen (i.E. -> § 28). 3. Gewaltenteilung Begründet das repräsentative Prinzip im demokratischen Verfassungsstaat bereits durch Verteilung von Macht auf funktional differenzierte Repräsentationsorgane verantwortbare Herrschaftsausübung mit der Folge einer Steigerung von Effizienz und Rationalität, so hat der Gewaltenteilungs-Grundsatz maßgeblichen Anteil an der verfassungs- und staatsrechtlichen Ausgestaltung institutioneller Verantwortung gewonnnen. Dem Gewaltenteilungs-Prinzip kommt deswegen eine tragende Rolle zu, weil es die Möglichkeit eröffnet, Verantwortung aus rechtsstaatlichen Elementen zu entwickeln und dadurch dauerhaft zu institutionalisieren. In diesem Sinne ist bis heute - wie auszufuhren sein wird - auch die positivistische Anschauung, Verantwortung sei im Grunde eine Herrschaftstechnik, verbreitet. Der Schwerpunkt des folgenden Abschnittes liegt weniger auf den ideengeschichtlichen Grundlagen als vielmehr auf der verfassungsrechtlichen Praxis. Die einleitende Deutung des Gewaltenteilungs-Prinzips als Kompetenzlehre stützt sich im wesentlichen auf Charles de Montesquieu (1689-1755), der durchaus als erster Systematiker der Gewaltenteilung gelten darf, und dessen Denken vor allem das politische Denken des Federalist' und die amerikanische Verfassungsentwicklung mit ihrer Trennung legislativer und exekutiver Gewalten wesentlich beeinflusst hat.

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a) Gewaltenteilung als Kompetenz- und Kontrollsystem (C. de Montesquieu) Aus der Anschauung der englischen Verfassungspraxis gewann Montesquieu die Erkenntnis, dass ihre besondere Zielsetzung darin bestand, ein Höchstmaß politischer Freiheitsrechte der Bürger zu sichern. Im 6. Kapitel des 11. Buches seines Werkes „Geist der Gesetze" dringt Montesquieu in die englische Verfassungsordnung ein und beschreibt, wie politische Freiheit durch die Verteilung des staatlichen Herrschaftsmonopols auf verschiedene Gewalten gewahrt werden kann (:1748/21992): Setzt politische Repräsentation ein verfasstes Gemeinwesen voraus, so bringt der Gewaltenteilungs-Grundsatz durch funktionale Delegation staatlicher Kompetenzen und ihre Verteilung auf verschiedene Verfassungsorgane als Träger der Staatsgewalt gemäßigte Macht und damit Rechtssicherheit für die Bürger hervor; Grundlage, Rahmen und zugleich Maßstab dieser Delegationsordnung ist die Verfassung als kodifizierte Rechtsordnung. Für Montesquieu setzt sich die Staatsgewalt gemäß dem Gewaltenteilungs-Grundsatz aus einer handelnden Gewalt (Exekutive) und einer über eigenständige Kompetenzen verfügenden kontrollierenden Gewalt (Legislative) zusammen. Durch die Funktionsverteilung rechtssetzender und vollziehender Gewalt wird das staatliche Entscheidungsmonopol restrigiert und in einer Ordnung von Zuständigkeiten und Kontrollinstanzen aufgehoben. Die Verteilung der Staatsgewalt auf unterschiedliche Funktionsträger bedeutet jedoch nicht strikte Gewaltentrennung und statische Balance (so die Missdeutung bei Sieyes; Schmitt: 1969, S. 193f.), sondern erfordert im Gegenteil ständiges Zusammenwirken und gegenseitige Bindung: „Aus diesen drei Gewalten müsste ein Zustand der Ruhe oder Untätigkeit hervorgehen. Aber da sie durch die notwendige Bewegung der Dinge gezwungen sind, fortzuschreiten, werden sie genötigt sein, dies gemeinsam zu tun" (Drath: 1969; Riklin: 1989, S. 532; Imboden: 1959, S. lff.). Montesquieu hat folglich nicht in erster Linie die Trennung der Gewalten, sondern ihr Zusammenwirken beschrieben; so zuerkennt er im XI. Buch des 6. Kap. der repräsentierenden Körperschaft neben dem Gesetzesbeschluss die Kontrolle und Überprüfung der richtigen Anwendung der Gesetze. Bedeutet Gewaltenteilung zunächst Differenzierung politischer Macht- und Einflussgewichtung in festumrissenen Kompetenzen und Zuständigkeitsbereichen, so fuhrt die Klassifikation von Staatsfunktionen zu einer funktional und institutionell, formell wie material aufgefächerten Staatsgewalt. Die Teilbarkeit des souveränen Entscheidungsmonopols in umgrenzte Zuständigkeitsbereiche bedingt die der Aufgabenstellung gemäße Kreation mehrerer, voneinander unabhängiger Subjekte institutionellen Handelns, welche als Verfassungsorgane oder Amtswalter oder auch als kollektive Verantwortungssubjekte in Form juristischer Personen und Körperschaften konstituiert werden können. Um handlungsfähig zu sein, bedürfen sie verbindlicher Regelsetzungen, in denen interne Organisation und Arbeitsweise, Kompetenzen und Verfahren im Zusammenwirken mit anderen Trägern staatlicher Gewalt festgelegt sind. Diese können sowohl als Rechtsinstitute im Verfassungs- und materiellen Staatsrecht, z.B. in Geschäftsordnungen oder Verwaltungsvorschriften, als auch in Form organisatorischer Verfahrensregeln und Vorschriften präzisiert sein oder als Gewohnheitsrecht ausgeübt werden. Gewaltenteilung ist daher zunächst als Kompetenzverhältnis zu deuten (Saladin: 1984, S. 46ff.; Stettner: 1983). Durch sie lässt sich Verantwortung handlungsund kompetenzmäßig differenzieren. Sie gibt die Organisationstechnik an die

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Hand, mit der eine Verfassung als konsistentes Verantwortungssystem, vor allem aus rechtsstaatlichen Elementen entwickelt werden kann. Kontrolle wird zum Korrelat institutioneller Verantwortung im demokratischen Verfassungsstaat (Scheuner: 1970; Loewenstein: 31975). Muss ein Machtträger einem anderen gegenüber für die Erfüllung der ihm zugewiesenen bzw. anvertrauten Aufgaben Rechenschaft ablegen, so wird über das Instrument der Kontrolle Verantwortung geltend gemacht. Montesquieu hat als Maßstab die Rechtmäßigkeit angelegt; Herrschaft muß dem „Geist der Gesetze" entsprechen: „Um den Mißbrauch der Macht zu verhindern, muß vermöge einer Ordnung der Dinge die Macht der Macht Schranken setzen. Eine Verfassung kann so gestaltet sein, daß niemand gezwungen ist, Dinge zu tun, zu denen das Gesetz ihn nicht verpflichtet, und Dinge nicht zu tun, die das Gesetz ihm erlaubt" (: 1748//21992). Der Aufweis von Verantwortung innerhalb der demokratischen Institutionen ist für Loewenstein (: 3 1975, S. 49; i.E. -> § 8) wesentliches Strukturelement des Verfassungsstaates, in welchem die Ausübung politischer Macht auf mehrere sich wechselseitig kontrollierende Träger aufgeteilt und das Kontrollinstrumentarium als Ganzes in der Verfassung bzw. im Staatsrecht verbürgt ist: „Konstitutionalismus ist nicht nur eine Regierung auf rechtsstaatlicher Grundlage, sondern er bedeutet die verantwortliche Regierung. (...) Die Suprematie der Verfassung ist der Schlußstein eines integralen Systems der politischen Kontrolle". Die konkrete verfassungsrechtliche Ausgestaltung des Gewaltenteilungs-Grundsatzes bedingt aufgrund der Variationsbreite der Kontrollinstrumentarien verschiedene Formen der Wahrnehmung und Wirkung politisch-institutioneller Verantwortung. Damit sind jedoch grundsätzliche Fragen der Staatsformenlehre berührt, die nicht im Einzelnen verfolgt werden müssen. Dennoch sei ein weiterführender Hinweis eingeschoben: Montesquieus Modell einer gemischten Verfassung steht in der Tradition konstitutioneller Monarchien und baut auf die Prämisse einer - sich politisch widerspiegelnden - ständischen Ordnung. Dass er dabei auf das englische Regierungssystem (-» § 2, II. u. III.) rekurriert, welches er auf einer längeren Reise kennen lernte, hat ihm die Kritik eingetragen, den englischen Parlamentarismus missverstanden zu haben. In England ist schon frühzeitig der Terminus „Responsible Government" für eine Herrschaftsweise aufgekommen, bei der die Regierung zu ihrer Amtsführung das Vertrauen des Parlaments benötigt und in ihrem Bestand von einer tragenden Mehrheit in der Repräsentativkörperschaft abhängig ist. Dabei wird im parlamentarischen Regierungssystem die Vorstellung, dass demokratische Herrschaft an Zustimmung Vertrauen und Verantwortung gebunden ist, auf Kreation und Bestand der Exekutive wie die Durchsetzung ihrer Politik angewandt (Riklin: 1989, S. 436ff.; Schmidt: 1995, S. 50ff.; Kluxen: 1983, S. 122ff.). Der Nationalökonom und politische Schriftsteller Walter Bagehot (1826-1877) (:1876; Johnson: 1992) hat „die fast vollständige Verschmelzung" der exekutiven und legislativen Gewalten betont, welche die Ideen einer auf Konsens gegründeten Herrschaft und ihrer verantwortlichen Regierung in besonderer Weise verwirklichen: Nämlich durch die Ermittlung parlamentarischer Mehrheiten im Austausch vernünftiger Argumente und dem Aufweis politischer Verantwortung durch Bildung und Wirkung der öffentlichen Meinung in der Parlamentsverhandlung. Die staatstheoretischen Erörterungen um den deutschen Konstitutionalismus im 19. Jhd. kreisten wesentlich um die Bindung des Souverän durch die Verfassung und die Frage der Verantwortlichkeit. Die Behandlung dieses sehr interessanten

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Gesichtspunktes würde hier zu weit fuhren (i.E. - » § 1, III.). Die konstitutionelle politische Theorie und die in allen konstitutionellen Verfassungen instituierte Ministerverantwortlichkeit haben in Deutschland das Augenmerk zunächst auf die rechtliche Bedeutung des Verantwortungs-Begriffs gelenkt, wie sie beispielsweise ihren Niederschlag in der synonymen Verwendung von Verantwortung und Verantwortlichkeit findet - so in den bekannten Konversationslexika der Zeit b) Grundrechte und Grundpflichten Die den Gewaltenteilungsgrundsatz prägende handlungs- und kompetenztheoretische Teilbarkeit von Verantwortung stellt - wie oben dargelegt - das institutionelle Formprinzip dar, mit welchem nicht nur das wechselseitige Rechtsverhältnis zwischen Bürger und Gemeinwesen, sondern Aufbau und Funktionsweise des politischen Verbandes selbst konkret dem Grundsatz institutioneller Verantwortung folgend gestaltet werden können. Damit weist das Folgende bereits über Montesquieu hinaus. Baut das Gemeinwesen auf das sachlich funktionsbestimmte, rechenschaftspflichtige und sanktionsfähige Verweisungsgefuge von Amt, Zuständigkeit und Kontrolle, so schafft institutionelle Differenzierung ein handlungsorientierendes, zugleich einschränkendes Gehäuse. Den durch institutionelle Stabilisierungs- und Entlastungsfunktion eröffneten Optionen entsprechen Reglementierungen, Rechten korrespondieren Pflichten. Dies lässt sich am konkreten Beispiel des Grundgesetzes belegen, in dem der Volkssouveränität allgemein verbindliche Wertentscheidungen vorgelagert sind, so deutlich in der Präambel des GG, die mit der Wendung beginnt: „Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen...". Diese Formel greift in der Selbstbindung staatlicher Gewalt und menschlichen Vermögens auf ein ethisches Fundament dergestalt zurück, dass sie eine den positiven Rechtssätzen vorausliegende, mithin den Rechtsrahmen übergreifende Verpflichtung umfasst, die bei Verfassungsauslegungen zu berücksichtigen ist. Auf Theodor Heuss (Bundespräsident von 1949-1959) zurückgehend, verdeutlicht diese sprachliche Wendung, dass sich der Verfassungsgeber eben nicht als Träger absoluter und ungebundener Volkssouveränität versteht. Dafür spricht auch der unmittelbare Bezug der Präambel zu Art. 1 Abs. 1 und 2 GG, wobei die Bekenntnisklausel des Art. 1 Abs. 2 GG die in der Präambel manifeste „Verantwortung vor Gott und den Menschen" als staatsbürgerliche Grundpflicht und Staatszweckbestimmung konkretisiert (Vitzthum: 1985; Häberle: 1982, S. 232f.; Schoepke: 1965, S. 156ff.; Hesselberger: 111999, S. 55). Verfassungsrechtlich belegen beispielsweise die als Schutzgüter in den Grundrechten der Art. 2 bis 17 GG kodifizierten Rechte, welche nach Art. 18 GG (Missbrauch gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung) verwirkt oder unter Gesetzesvorbehalt gestellt (Art. 17 a und 19 Abs. 1 GG) sowie grundsätzlich durch Art. 2 Abs. 1 GG eingeschränkt werden können, die Geltung institutionell verfestigter Normen. In Art. 2 Abs. 1 GG heißt es: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt". In diesen Fällen greift die Verpflichtung auf die Sollgeltung der politischen Institutionen ganz konkret: Sie setzen die eingangs dargelegte wechselseitige und ausnahmelose Anerkennung durch alle Mitglieder voraus, da die Institutionen nur dann dem Einzelnen Gewissheit über die grundlegenden und jederzeit erwartba-

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ren Strukturbedingungen des Gemeinwesens geben können, wenn ihre Integrität als festgesetzte 'kollektive Denk- und Handlungsweisen' (Dürkheim) Bestandsgarantie genießt. In diesem Sinne ist Art. 79 Abs. 3 als institutionelle Garantie aufzufassen: „Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig". Der Verpflichtungsgehalt der politischen Institutionen hat seine Grundlage in der allgemeinen Verantwortungs-Bindung an den Grundrechtskatalog, dessen Einhaltung obligat ist und auf der regulativen Wechselseitigkeit von Rechten und Pflichten gründet. Nach Art. 1 Abs. 3 GG binden die Grundrechte als unmittelbar geltendes Recht die gesamte Staatsgewalt und avancieren so hin zum Maßstab des politischen Verbandes und der ihm eignenden sozialen Lebensformen, indem sie zum einen Schutzgüter präzisieren, auf die hin staatliches Handelns auszurichten ist, und zum anderen den innerstaatlichen Handlungsrahmen normativ begrenzen. Sie stellen eine öffentliche Schutzgarantie dar Abwehr-, Teilhabe- und Leistungsrechten korrespondieren folglich Duldungs-, Handlungs- und Unterlassungspflichten. Bislang ist in der öffentlichen wie in der wissenschaftlichen Diskussion eine Vernachlässigung der Pflichtendimension im Rahmen der Grundrechtsdogmatik feststellbar. Das GG selbst enthält keinen systematischen Katalog von Grundpflichten, wie er beispielsweise in bescheidenem Umfang der Weimarer Reichsverfassung angehörte (Art. 109, 132-134 WRV). Verstreut über das GG finden sich Staatsbürgerpflichten wie die elterliche Pflege- und Erziehungspflicht (Art. 6 Abs. 2 GG), Dienstleistungs-, Teilnahmeund Wehrpflicht (Art. 12 a GG), „Eigentum verpflichtet" (Art. 14 Abs. 2 GG), Verfassungstreuepflicht (Art. 33 Abs. 1 GG). Nicht ausdrücklich im GG kodifiziert sind die Steuerpflicht und der Gesetzesgehorsam. In den Landesverfassungen ist die unter die Kulturhoheit fallende Schulpflicht verankert (Sommer / v. Westphalen: 2 2000, S. 423ff.; Stern: 1988 III./l., s. 558ff.; Luchterhandt: 1988; Götz / Hofmann: 1983; Saladin: 1984, S. 212ff.; Hesselberger: u 1999). c) Politische Verantwortung im Grundgesetz Wendet man also den Blick zunächst auf das kompetenz- und amtsrechtliche Verständnis von Verantwortung in den Grundgesetz-Artikeln: Der Begriff der Verantwortung findet sich verstreut - außer in der bereits erwähnten normativen Verwendung in der Präambel - amtsrechtlich in den Art. 28 Abs. 2, 34, 42 Abs. 3, 46 Abs. 1 und 2 und Art. 65. Zusammengefasst begegnen wesentliche dem römisch-rechtlichen Amtsbegriff zuzuordnende Strukturprinzipien wie zeitliche Befristung der Amtsinhabe und temporale wie örtliche Beständigkeit des Amtes selbst; dem Zentralisationsgrundsatz entsprechen Ressort- und Kanzlerprinzip, der Kollegialität korrespondiert das Kabinettprinzip (i.E. —> § 12, II.). Wichtig ist, dass der Teilbarkeit von Verantwortung folgend Kompetenzbereiche zwar in alleiniger Zuständigkeit wahrgenommen werden, gleichzeitig aber bei Amtspflichtverletzungen die Verantwortung unabweisbar auf die autorisierende Instanz zurückfällt. Dies gilt sowohl für die ministerielle Ressortverantwortung, die parlamentarische Regierungsverantwortung des Bundeskanzlers wie für alle Amtspflichtverletzungen nach Art. 34 GG. Die Verantwortung meint dabei nicht konkret persönliche Zurechenbarkeit eines Fremdverschuldens, sondern die grundsätzliche Billigung einer Amtspflichtverletzung innerhalb des eigenen Zu-

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ständigkeitsbereiches. So erfolgt auch bei allen anderen Amtspflichtverletzungen nach Art. 34 GG die Zurechnung der Verantwortung auf die autorisierende Körperschaft oder auf den Staat grundsätzlich, unbelassen der Möglichkeit eines gesetzlichen Rückgriffs auf den tatsächlichen Verursacher. Folgendes sei festzuhalten: Verantwortung für die Verletzung einer Norm ohne persönliche Zurechenbarkeit - wie oben beschrieben - wirkt folglich nicht nur als Haftung des Einzelnen gegenüber der Institution bei Verletzung der institutionellen Integrität, sondern auch umgekehrt als Haftung der Institution für ein ihre Integrität beschädigendes Handeln oder Unterlassen der verpflichteten Mitglieder. Es wird deutlich, dass der institutionelle Verpflichtungsgehalt als konstitutive Funktionsbedingung des Gemeinwesens wechselseitig gilt und über den genannten Grundrechtsgüterschutz den Schutz der politischen Ordnung und die Verwahrung gegen ein ihre Integrität verletzendes Handeln oder Unterlassen durch einzelne Mitglieder, Amtsträger und auch - der Teilbarkeit von Verantwortung Rechnung tragend - kollektiven körper- und organschaftlichen Entscheidungsträgern wahrnimmt. Dieser Verweisungszusammenhang ist nur im Rahmen institutioneller Verantwortung zu rechtfertigen, ohne dass damit personale Verantwortung aufgegeben wäre. Der Umstand, dass die beschriebene Wechselseitigkeit von Verantwortung und Kontrolle der Staatsgewalten als konkrete Wahrnehmungsbefugnisse und Verfahrensregeln im Verfassungs- und Staatsrecht - hier etwa im Parlaments- und Verwaltungsrecht - kodifiziert sind oder nach Gewohnheitsrecht praktiziert werden (i.E. -» §§ 5, I.; 8, II.; 9, II.; 12), hat zu der Anschauung beigetragen, Verantwortung habe „eine technische Bedeutung" im Rahmen der repräsentativen Demokratie und meine die Rechenschaftspflicht der Regierung gegenüber dem Parlament als „fest umrissenes Rechtsinstitut" (Badura: 1980, S. 573ff.). Als wesentliche Merkmale politischer Verantwortlichkeit werden in diesem Sinne genannt: • eine gewaltenteilig gegliederte Staatsordnung; • die verfassungsrechtliche Garantie eigenständiger Entscheidungs- und Handlungskompetenz verantwortlicher und verantwortungsinstanzlicher Staatsorgane; • folglich eine durch den Gewaltenteilungs-Grundsatz begründete Distanz zwischen den in einer Verantwortungs-Beziehung stehenden Trägern staatlicher Gewalt; • ein verpflichtender Beurteilungsmaßstab der Rechtmäßigkeit und sachlichpolitischen Zweckdienlichkeit; • schließlich ein abgestuftes Sanktionssystem. Das Prinzip der Verantwortung wird demnach in erster Linie als Organisationstechnik einer funktional differenzierten staatlichen Kompetenzordnung mit Zuständigkeiten, Ämtern und Kontrollinstanzen begriffen und wird dadurch zugleich zu einem konstitutiven Element des Rechtsstaates. Allerdings wird hier ein Verantwortungs-Begriff unterlegt, der im Grunde nur die Teilbarkeit in voraussehbare, eingegrenzte Zuständigkeiten und Kontrollbereiche als organisatorische Bedingung politisch verantwortbaren Handelns betont und eine „politiktranszendente Rationalität" (Badura: 1989a, S. 252) in den Mittelpunkt rückt, so als könne diese losgelöst von konkreten Politikinhalten ermittelt werden. Wenn auch - wie deutlich werden sollte - Verantwortung unter dem Primat ihrer Teilbarkeit zum Gestaltungsprinzip institutionell-funktionaler Verantwortlichkeiten wird und die handlungs- und kompetenztheoretische Differenzierung die

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Bedingung angibt, welche Verantwortung auf politische Institutionen anwendbar macht, so scheint hier bereits eine Verflachung des Prinzips institutioneller Verantwortung zur bloßen Organisationstechnik eines funktionalen staatlichen Kompetenz- und Verweisungszusammenhanges durch. Schon folgender Einwand steht dem entgegen: Stellt der demokratische Verfassungsstaat die Selbstorganisation der modernen Industriegesellschaft dar, so sind Rechtsordnung wie politische Institutionen als soziale Selbsteuerungsinstrumente aufzufassen. Sie können nur eine sehr begrenzte Eigenständigkeit gegenüber der Gesellschaft beanspruchen, da sie den normativen Gestaltungsaufgaben und Problemherausforderungen des Gemeinwesens material verpflichtet sind. Die Einhaltung der durch die Rechtsordnung auferlegten Normen und verfassungsrechtlichen Prinzipien sind zwar notwendige, aber für die Wahrnehmung politischer Verantwortung nicht hinreichende Kriterien. Denn aus den politischen Steuerungsaufgaben - vor allem unter den Bedingungen der modernen technologisch geprägten Gesellschaft - erwächst eine besondere Verantwortung für Politikinhalte und ihre Folgen, welche nach öffentlicher Zweckdienlichkeit und Konsensfähigkeit zu beurteilen sind. d) Gegenwärtige Anforderungen Gestaltungspotentiale und Interaktionen der verschiedenen Akteure im politischen wie gesellschaftlichen Raum erzeugen vor allem in Hinblick auf die Folgen technologischer Entwicklungen für Mensch und Umwelt, Globalisierung und europäischer Integration eine zunehmend komplexer werdende staatliche Gesetzgebungs- und Verordnungspraxis bei gleichzeitiger Transformation nationaler Souveränitätsrechte auf Organe der Europäischen Union. Dies unterwirft auch die parlamentarische Verantwortung einem Verständniswandel. Nicht mehr die rekapitulierende Kontrolle vergangener Regierungstätigkeiten, die zumeist ohnehin nur einer verfahrenstechnischen Prüfung ihrer politischen Zweckdienlichkeit unterworfen werden können, scheint in erster Linie politische Verantwortung aufweisbar zu machen, sondern die kritisch-diskursive Begleitung politischer Entscheidungsfindung. Die dadurch berührten Fragen der Gewaltenteilungs-Interpretation beschäftigen die Verfassungsdiskussion seit langem; Gewaltenteilung ist demnach nicht nur als Prinzip der Machtverteilung und -kontrolle, sondern vorauslaufend als Organisationsprinzip einer funktional konsistenten Kompetenzordnung zu befragen, welche den Aufweis parlamentarischer Regierungsverantwortung über ein angemessenes Kontrollinstrumentarium gewährleisten soll. Gewaltenteilung meint nach Auslegung des GG durch das Bundesverfassungsgericht (BverfGE 34, 52 (59); 68, 1 (86); s.a. § 15) zunächst machtbegrenzendes Zusammenwirken kooperierender Verfassungsorgane im politischen Prozess, deren Funktions- und Kompetenzbereiche bei aller Kohärenz eigenständig zu erhalten sind. Seit John Locke ist dem Staat primär die Aufgabe zuerkannt worden, Leben, Freiheit und Eigentum seiner Bürger zu schützen. Dieses Staatszweck- und ziel Verständnis hat sich vordringlich im 19. Jhd. bewährt; damals galten noch öffentliche Staatsführung und sozial-privatwirtschaftliches Leben als weitgehend voneinander unabhängige Sphären. Mit der wissenschaftlich-technologischen Moderne seit der 2. Hälfte des 20. Jhd.s ist eine neuartige Problemqualität aus der Gleichsetzung der Risiken der Gesellschaft mit denen des Staates erwachsen,

Konstitutive Elemente welche die Steuerungs- und Problemlösungskonzepte des demokratischen Verfassungsstaates vor neue Herausforderungen stellt. Seit längerem ist eine zunehmende Gefährdung der in den Grundrechten verbürgten Schutzgüter feststellbar: So wirken Technologien wie Kernkraft, die Informations- und Kommunikationstechnologien wie das Internet in den Grundrechtsbereich hinein. Die Gentechnik birgt nicht erst seit der jüngst gelungenen Entschlüsselung der menschlichen DNA Gestaltungs- und Risikopotentiale, welche den Kern der Menschenwürde wesenhaft verändern können. Damit hat die Frage nach der konkreten Zuordnung von politischer Verantwortung schon längst neue Qualität gewonnen, zumal Prognosesorgfalt und Vorausschau mit besonderem Augenmerk auf die mögliche Irreversibilität von Entscheidungen und der Tragweite ihrer Risiken gefordert sind. Wenn das demokratische Staatsprinzip „Verantwortung" im wesentlichen bestimmt ist als treuhänderische Wahrnehmung von Herrschaft im Dienste der an der Menschenwürde-Norm und den Grundrechten orientierten Staatszweck- und Zielbestimmungen, so sind politische Zuständigkeit und Fürsorgepflicht unbedingt gefordert, wenn die Grundrechte und mithin das Konstitutionsprinzip der Menschenwürde gefährdet sind. Da die Grundlagen demokratischer Staatlichkeit selbst betroffen sind, kann die Verantwortung hierfür nicht delegierbar sein.

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§ 5 Verfassungsrechtliche Grundlagen Klaus Grimmer * I. Begriff und Funktion der Verfassung - II. Volkssouveränität - III. Grundrechte, Sozialstaat, Erhaltung natürlicher Lebensgrundlagen - IV. Republik und Demokratie - V. Rechtsstaat - VI. Systembildende und Systemstabilisierende Funktion von Verfassungsnormen Grundlagenliteratur: Böckenförde, Ernst-Wolfgang (1991): Staat, Verfassung, Demokratie. Frankfurt M. Gauchet, Marcel (1991): Die Erklärung der Menschenrechte. Reinbek Glaeßner, Gert-Joachim (1999): Demokratie und Politik in Deutschland. Opladen Grimm, Dieter (1991): Die Zukunft der Verfassung. Frankfurt/M. Grimmer, Klaus (1980): Demokratie und Grundrechte. Berlin Häberle, Peter ( 2 1996): Verfassung als öffentlicher Prozess. Berlin Haverkate, Görg(1992): Verfassungslehre. München Hesse, Konrad ( 2 1999): Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland. Heidelberg Isensee, Josef / Kirchhof, Paul (1987-1999) (Hg.): Handbuch des Staatsrechts. Heidelberg, Bd. I-X. Maurer, Hartmut (1999): „Idee und Wirklichkeit der Grundrechte". In: JZ, S. 689ff. Nevil, Johnson (1999): „Fünfzig Jahre Grundgesetz. Die Wechselwirkung von Werten und Interessen bei seiner Konsolidierung". In: DÖV, S. 499ff. Preuß, Ulrich K. (1994): Zum Begriff der Verfassung. Frankfurt/M. Sartori, Giovanni (1997): Demokratietheorie. Darmstadt Schmidt, Manfred G. (1995): Demokratietheorien. Opladen Stein, Ekkehart ( 16 1998): Staatsrecht. Tübingen *

Für die Unterstützung bei der Sichtung von Literatur und Rechtsprechung und für kritische Diskussion der Texte danke ich Mandy Schmalzl. Die Literaturanmerkungen in den Texten haben neben der Zitatfunktion eine Hinweisfunktion auf ergänzende, auch kontroverse Veröffentlichungen. Aufgrund der gegebenen drucktechnischen Bedingungen konnten nur Kurzhinweise aufgenommen werden.

I. Begriff und Funktion der Verfassung Der Begriff Verfassung bezeichnet in einem allgemeinen Sinne die innere Ordnung und den Zustand einer dauerhaften sozialen Vereinigung. Im staatsrechtlichen Sinne kennzeichnet er die politische Grundordnung eines Staates. Diese Grundordnung kann in einer Verfassungsurkunde niedergelegt sein (z.B. Deutschland, Frankreich, Belgien) oder im Zusammenhang mehrerer grundlegender Staatsgesetze - Verfassungsgesetze - bestehen (Großbritannien). Neuzeitliche Verfassungsgesetze sind das Ergebnis politischer Auseinandersetzungen. Ihre Grundlagen wurden für die westlichen Demokratien vor allem in den verfassungspolitischen Bewegungen des 18. und 19. Jhd.s gelegt. Diese gingen von

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England, den Staaten der nordamerikanischen Union und Frankreich aus und wirkten auf ganz Kontinentaleuropa. Kennzeichen der verfassungspolitischen Bewegungen sind die Ausbildung der Volkssouveränität - zunächst nur in Form ständischer oder parlamentarischer Mitbestimmungsrechte des besitzenden Bürgertums -, die Anerkennung allgemeiner Bürgerrechte und eine Verrechtlichung des Verhältnisses Staat zu Bürger bis zur gerichtlichen Überprüfbarkeit staatlichen Handelns (Preuß: 1994). Dies bedeutet auch eine Verselbständigung der Rechtsordnung gegenüber politischen Machtansprüchen, aber auch die Trennung von Recht und Religion und Staat und Gesellschaft (Hofmann: 1999, S. 1072). Mit der Statuierung von Verfassungen übernimmt in einem mehr oder minder langwierigen Prozess das Bürgertum die politische Selbstbestimmung (zu unterschiedlichen verfassungstheoretischen Ansätzen Haverkate: 1992, S. 38). Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland entstand nach dem 2. Weltkrieg. 1948 beauftragten die Westalliierten (USA, Frankreich, Großbritannien) die Ministerpräsidenten der westdeutschen Länder, eine Verfassung auszuarbeiten. Angesichts des geteilten Deutschlands verzichteten die Ministerpräsidenten darauf, eine Nationalversammlung einzuberufen, statt dessen wurden von den Landtagen Mitglieder eines parlamentarischen Rates gewählt, welcher das Grundgesetz ausarbeitete. Dieses wurde wiederum ohne abschließende Volksabstimmung von den Landtagen angenommen. Es trat am 23. Mai 1949 in Kraft. Im Wege der Wiedervereinigung trat die Deutsche Demokratische Republik entsprechend Art. 23 S. 2 GG a. F. dem „Geltungsbereich des Grundgesetzes" mit Wirkung vom 3. Oktober 1990 bei. Auf die Verabschiedung einer neuen gesamtdeutschen Verfassung entsprechend Art. 146 GG a. F. wurde aus politisch-strategischen Gründen verzichtet. Die Bundesrepublik Deutschland versteht sich als Teil eines zu vereinenden Europas. Hoheitsrechte können auf die Europäische Union übertragen werden (Art. 23 GG; BVerfGE 73, 339; MacCormick: 1995). Ihrer Funktion nach zielen Verfassungsordnungen auf die Konstitution der Staatsgewalt und ihre Bindung durch Festlegung von Organen und Verfahren der Herrschaftsausübungen, wie Bildung von Regierungen, Gesetzgebung und Ausfuhrung von Gesetzen, die judizielle Kontrolle der Staatsgewalt sowie die Bestimmung des rechtlichen und damit auch des politisch-gesellschaftlichen Status einzelner oder gesellschaftlicher Vereinigungen im und gegenüber dem Staat (Böckenförde: 1983; Grimm: 1990; Vorländer: 1998). Art. 20 GG enthält denn auch die verfassungsgestaltende Grundsatzentscheidung. Die Verfassung hat somit eine Einigungsfunktion: In der Anerkennung einer Verfassung wird eine Menge von Menschen zu einer staatlich verfassten Gesellschaft. Sie hat auch eine Rechtfertigungfunktion: Staatliche Herrschaft und Macht sind nur gerechtfertigt, soweit sie ihre Grundlage in der Verfassung haben; die Verfassung begründet die Legitimität staatlicher Herrschaft, die in der Verfassung vorgeschriebenen Verfahren zur Ordnung des Gemeinwesens vermitteln deren Legalität (Schmitt: 1932/21968). Die Verfassung hat schließlich eine Schutzfunktion: Die Statuierung von Grundrechten und andere Verfassungsbestimmungen sichern die Freiheit jedes einzelnen und seine Beteiligung an der staatlichen Willensbildung. Die Verfassung hat so insgesamt für ein Gemeinwesen eine Ordnungsfunktion: Grundrechte, Kompetenzbestimmungen für staatliche Organe und Verfahrensregeln bestimmen die

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Grundlagen der staatlichen Ordnung. Letztlich ist eine Verfassung, wie sie gelebt wird. Verfassung ist selbst ein öffentlicher Prozess (Häberle: 2 1996). Akzeptanz und Konsensfähigkeit einer Verfassung ergeben sich im Ausgleich unterschiedlicher Interessen, in der Abstraktheit und Allgemeinheit ihrer Aussagen, welche unterschiedliche Interpretationen und Identifikationen zulassen, und in der Verbindung von inhaltlichen Festlegungen und Verfahrensregelungen. Die Verfahrensregeln strukturieren den Prozess politischer Machtbildung, zusammen mit den Grundrechten und den Organisationsregeln den Prozess politischer Machtausübung. Verfassungen wirken struktur-, einheits- und entscheidungsbildend.

II. Volkssouveränität In der Herausbildung des bürgerlichen Staates ( - » § 1, III.) waren es die Ideen der Freiheit, Vernunft und der in der Natur des Menschen begründeten Gleichheit der Person, welche das Prinzip der Volkssouveränität und den Anspruch auf parlamentarische Mitbestimmung durch das „Volk", dass hieß zunächst durch das Bürgertum, begründeten und legitimierten (Schneider, H.-P.: 1989; Kielmansegg: 1988; Kurz: 1970). Ähnlich der Weimarer Verfassung stellt die Präambel des Grundgesetzes fest, dass „sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben" hat (Roellecke: 1992). In der Verfassungsgebung konstituiert sich das Volk rechtlich als Staat, begründet es seine staatliche Einheit. Es normiert die Art und Weise, in der Volkssouveränität als politisch-gesellschaftlicher Prozess wirksam sein und sich in konkrete politische Ordnung umsetzen kann ( - » § 4, IV.). Die Volkssouveränität erschöpft sich nicht im Akt der Verfassungsgebung. Auch in der mit der Verfassung konstituierten politischen Ordnung bleibt die Staatsgewalt beim Volk (Art. 20 Abs. 2 GG). Die Staatsbürger unterscheiden sich in ihren Anliegen, Interessen und Bedürfnissen. Zur Entscheidungsbildung über die konkrete politische Ordnung bedarf es der Organisation, zur Einheitsbildung der organisierten Setzung von Recht. Das Verfassungsprinzip der Volkssouveränität meint in seiner allgemeinen Bedeutung das Recht des Staatsvolkes, sich eine politisch-rechtliche Ordnung zu geben, und beinhaltet die fortwirkende Kompetenz zur Ausgestaltung dieser Ordnung, insbesondere mittels Organen der gesetzgebenden, vollziehenden und richterlichen Gewalt (Art. 20 Abs. 2 GG; BVerfGE 83, 37 (50ff.); 83, 60 (71 ff.)). Als Mittler in der politischen Willensbildung und zur Bündelung unterschiedlicher Interessen wirken politische Parteien, deren Gründung und Wirken verfassungsrechtlich gewährleistet ist (Art. 21 GG, - » § 23, III.). Dem Verfassungsrechtler K. Hesse ist zuzustimmen, dass sich in der Ausübung von Volkssouveränität als einem Prozess individueller Willensmanifestationen die Allgemeinheit und Öffentlichkeit staatlich-gesellschaftlicher Beziehungen konstituiert. Der Satz, dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, fingiert nicht eine Willenseinheit des Volkes, „sondern er setzt jene Vielfalt und Gegensätzlichkeit voraus, die stets erneut die Herstellung politischer Einheit als Bedingung der Entstehung und des Wirkens staatlicher Gewalt notwendig macht. Der politische Prozess, in dem dies geschieht, soll nach Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG als ein freier und offener Prozess Sache des ganzen Volkes sein, nicht einer staatstragenden Schicht, mag sie die Mehrheit oder nur eine Minderheit des Volkes umfassen:

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Alle Angehörigen des Volkes sind politisch gleichberechtigt; alle sollen die real gleiche Chance haben, sich in organisiertem Zusammenwirken nach den Regeln der Verfassung durchzusetzen und, wenn ihnen dies gelingt, in Parlament und Regierung staatliche Gewalt ausüben" (Hesse, K.:201999, S. 61). Volkssouveränität wird vom Grundgesetz nicht nur als fiktive Legitimationsform in Anspruch genommen. Volkssouveränität als Verfassungsprinzip beinhaltet das Recht des einzelnen Staatsbürgers zur souveränen Mitgestaltung der verfassungsmäßigen Ordnung. Diese Rechtsstellung kann von keinem Staatsorgan absorbiert werden. Die bindende Kraft der Grundrechte gegenüber Gesetzgebung, vollziehender Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht und die Unabänderlichkeit der in Art. 1 und 20 GG niedergelegten Verfassungsgrundsätze (Art. 79 Abs. 3 GG) sind Gewährleistungen dieser Ordnung. Das Verfassungsprinzip der Volkssouveränität hat eine deklaratorische und eine normative Bedeutung: Es kennzeichnet die Volkssouveränität als rechtmäßige Grundlage der Verfassungsordnung. Es bindet die Entscheidungs- und Gestaltungsbefugnisse staatlicher Organe an die verfassungsmäßige Willensmanifestation des Volkes. Es gewährleistet für den aktiven Bürger ein gleiches Recht auf Mitbestimmung (BVerfGE 83, 50f.). Auch wenn die individuelle Ausübung von Volkssouveränität vorrangig in Wahlen (-» § 22, III. u. IV.) geschieht, reduziert sich das mit dem Prinzip der Volkssouveränität verbundene Mitwirkungsrecht nicht nur auf ein formal gleiches Wahlrecht. Dieses Wahlrecht ist vielmehr selbst Ausdruck eines allgemeinen, gleichen Mitwirkungsrechtes. Es beinhaltet das Recht zur freien Bildung von politischen Parteien (—> § 23) und Verbänden (—» § 25), zur Teilnahme an der öffentlichen Diskussion über die konkrete Ausgestaltung der Verfassungsordnung und das Recht zur Teilnahme an der politischen Willensbildung (BVerfGE 69, 315 (342ff); -> s.a. §§ 24,29). Das Grundgesetz kennt keine eigene Staatssouveränität neben oder unabhängig von der Volkssouveränität. Aus Art. 20 Abs. 2 GG leitet sich keine ursprüngliche Herrschaftsgewalt des Staates ab. Die Staatsgewalt ist in der Volkssouveränität legitimiert und wird durch die Organe der Gesetzgebung, vollziehenden Gewalt und Rechtsprechung ausgeübt (BVerfGE 49, 89 (124f.); 68,1 (89).

III. Grundrechte, Sozialstaat, Erhaltung natürlicher Lebensgrundlagen Im Unterschied zur Weimarer Verfassung stehen die Grundrechte im ersten Teil des Grundgesetzes, abgesehen von einigen Einzelregelungen wie Art. 33 Abs. 1-3 (Staatsbürgerliche Rechte), 101 Abs. 1 ( keine Ausnahmegerichte), 103 und 104 (judizielle Grundrechte) und 38 Abs. 1 (Wahlrechtsgrundsätze). Sie befinden sich im wesentlichen vor den verfassungsrechtlichen Bestimmungen zur Organisation staatlicher Willens- und Entscheidungsbildung, zur Kompetenz staatlicher Organe sowie den finanz- und haushaltsmäßigen Grundlagen staatlichen Handelns. Bereits diese Textordnung zeigt, dass die Grundrechte nach dem Grundgesetz nicht als staatlich gewährte, sondern als staatlich zu gewährleistende Rechte zu verstehen sind. Als inhaltliche Bestimmungen der politisch-gesellschaftlichen Ordnung gestalten die Grundrechte die individuelle Rechtsstellung im und gegenüber dem Staat, welche sich aus dem Prinzip der Volkssouveränität ergibt, und binden staatliche

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Herrschaftsmacht (Art. 1 Abs. 3 GG). Die Grundrechte vermitteln Freiheits- (und Teilhabe)ansprüche im und gegenüber dem Staat als subjektive Rechte. Sie sichern den politischen Status des einzelnen und schützen die Minderheiten. Verfassungshistorisch begründet als Bindung der Staatssouveränität und Staatsgewalt, beinhalten Grundrechte heute eine Selbstbindung des Volkes auf ein Normprogramm, das in der Realisierung konkreter politischer Ordnung durchzuhalten ist (Art. 1 GG, Art. 20 Abs. 3 GG; s. a. § 1, III.). Schutz der Menschenwürde, freie Entfaltung der Person, Gleichberechtigung vor dem Gesetz, Glaubens- und Bekenntnisfreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Freiheit der Berufswahl, Eigentumsgarantie sind so eigenständige Rechtsgarantien gegenüber der „Staatsgewalt", ohne dass damit stets der konkrete Inhalt und Umfang der zu gewährleistenden Freiheiten und des zu garantierenden Eigentums im Einzelfall bestimmt sind. Neu sind Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern (Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG) und Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen (Art. 20a GG) als Staatszielbestimmungen neben jener allgemeinen Formel vom sozialen Rechtsstaat und den Ausfuhrungen zur europäischen Einigung (Art. 23 Abs. 1 GG), zur Friedenspflicht (Art. 26 Abs. 1 GG) und zum gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht (Art. 109 Abs. 2GG). Gestaltung und Entwicklung politischer Ordnung unterliegen parlamentarischer Entscheidung; sie bewegen sich vielfach im Normbereich von Grundrechten. Um die Offenheit und Entscheidungsfähigkeit einer staatlich verfassten Gesellschaft zu ermöglichen, ist deshalb vielen Grundrechten ein Regelungsvorbehalt oder eine Regelungsermächtigung, das heißt die Erlaubnis zu ihrer gesetzgeberischen Ausfüllung beigegeben. „In keinem Fall darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden" (Art. 19 Abs. 2 GG). Im Streitfall entscheidet das Bundesverfassungsgericht. Grundrechte sind Freiheitsrechte und Sozialrechte (Alexy: 1985; Häberle: 1983; Grimmer: 1980, S. 253ff). Die Grundrechte zielen auf eine die unterschiedlichen Bereiche privaten, sozialen und öffentlichen Lebens umfassende Ordnung. Die Grundrechte sind unterschiedlich staatsbezogen: Während einige Grundrechte nur für deutsche Staatsbürger gelten, z. B. Art.8 und Art. 9 GG, gelten andere für jeden im Geltungsbereich des Grundgesetzes. Neben dem Grundgesetz beinhaltet auch die europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04.11.1950 innerstaatlich wirksame Grundrechte.

1. Grundrechte als Freiheitsrechte Den Schutz persönlicher Freiheit (BVerfGE 83, 24 (30f.)) und Integrität und die freie Entfaltung der Person gewährleisten das sogenannte allgemeine Freiheitsund Persönlichkeitsgrundrecht des Art. 2 GG. Ihnen dient auch Art. 5 GG mit der Garantie der Informationsfreiheit (BVerfGE 90, 27 (31 ff.)) und das vom BVerfG festgestellte Recht auf informationelle Selbstbestimmung (BVerfGE 65, 1), die Meinungs- und Pressefreiheit und die Freiheit von Kunst und Wissenschaft (BVerfGE 88, 129 (136); 77, 240 (251ff.)) sowie das Recht auf Freiheit der Berufswahl - was auch Freiheit der Studienwahl beinhaltet - in Art. 12 GG (BVerfGE 7, 377 (401)) sowie die Freizügigkeit, das heißt die freie Wahl des ständigen Aufenthaltes (Art. 11 GG). Art. 2 Abs. 1 GG gilt nach der Rechtspre-

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chung des Bundesverfassungsgerichtes auch auf wirtschaftlichem Gebiet (BVerfGE 4,7, (16); 12, 341 (347f.)). Gleichzeitig hat das Gericht aber festgestellt, dass das Grundgesetz wirtschaftspolitisch neutral ist (BVerfgGE 4,7(18)), das heißt, dass jede Wirtschaftsordnung mit dem Grundgesetz vereinbar ist, in der die Grundrechte Geltung haben. Ein zweiter Lebensbereich, der unter grundrechtlichem Schutz steht, ist der Privatbereich. Geschützt sind die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit sowie die Gewissensfreiheit (Art. 4 GG, BVerfGE 12, 45; 52, 223; zur Stellung von Religionsgesellschaften Art. 140 GG i. V. mit Art. 136139, 141 WV), das Brief-, Post- und Femmeldegeheimnis (Art. 10 GG) und die Wohnung (Art. 13 GG, nach Ansicht des BVerfG gilt diese Bestimmung auch für Geschäftsräume (BVerfGE 32, 54 (69ff.)). Das Post- und Fernmeldegeheimnis und der Schutz der Wohnung sind aus Gründen des Notstandes und der Verbrechensbekämpfung einschränkbar - das Ausmaß ist umstritten.

2. Grundrechte als Öffentlichkeitsrechte Die soziale Verflechtung individueller Lebensformen und die freie Mitgestaltung von Öffentlichkeit als Bedingung eines freiheitlichen Staates sind ebenfalls durch das Grundrecht auf Meinungs- und Pressefreiheit (BVerfGE 52, 283; 85, 1 (11 ff.)), die Kommunikationsfreiheit (Tettinger: 1990) sowie durch die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG, zur Demonstrationsfreiheit BVerfGE 69, 315) und der Vereinigungsfreiheit (Art. 9 GG) geschützt. Art. 9 Abs. 3 GG garantiert neben dem Recht auf Bildung von Vereinigungen zur Wahrnehmung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen auch deren Recht, diesen Bereich eigenverantwortlich zu gestalten (Koalitionsfreiheit: BVerfGE 58, 233 (246ff.). Staatliche Organe werden dadurch entlastet, einen sozial konflikthaltigen Bereich unmittelbar selbst zu regeln. Diese Bestimmung ist so Ausdruck des Subsidiaritätsprinzips, wonach größere soziale oder politische Einheiten nicht regeln sollen, was kleinere, ihnen nachgeordnete Einheiten selbständig gestalten können.

3. Sozialbindung des Eigentums Eigentum bedeutet nicht nur die Möglichkeit der individuellen Verfügung über Sach- oder Geldwerte. Mit Eigentum kann sich soziale Herrschaft verbinden, sei es im Verhältnis von Eigentümern an Gewerbe- oder Dienstleistungsbetrieben zu in diesen Betrieben „abhängig" Beschäftigten, sei es als Mittel zur Einflussnahme auf individuelles, öffentliches oder staatliches Meinen und Handeln. Das Grundgesetz gewährleistet Privateigentum und eigentumsgleiche Ansprüche (z. B. Versorgungsansprüche) und das Erbrecht als materielle Bedingungen individueller Freiheit (BVerfGE 31, 229 (239f.)). Es verpflichtet den Eigentumsgebrauch dem Wohle der Allgemeinheit (Art. 14 Abs. 2 GG). Es gestattet zum Wohle der Allgemeinheit die Enteignung und erlaubt die Sozialisierung von Grund und Boden, Naturschätzen und Produktionsmitteln bei Entschädigung (Art. 14 Abs. 3 und Art. 15 GG). Die Sozialbindung des Eigentums steht im Zusammenhang mit dem Sozialstaatsprinzip. Sie zielt auf einen Ausgleich von verfassungsrechtlich garantierter Freiheit und dem Gebot einer sozial gerechten Eigentumsordnung

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(BVerfGE 37, 132 (140f.)). Die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes umfasst nach dem Bundesverfassungsgericht die Privatnützigkeit des Eigentums und die grundsätzliche Verfügungsfreiheit über das Eigentumsobjekt. Ihr steht eine unterparitätische Mitbestimmung von Arbeitnehmervertretungen entsprechend der Regelungen im Mitbestimmungsgesetz von 1976 als Einschränkung der mit dem Eigentum verbundenen Herrschaftsmacht nicht entgegen (BVerfGE 50, 290) (Rittstieg: 1975). 4. Gleichheitsgebot und Diskriminierungsverbot Für das Verhältnis Staat - Bürger und die Ausgestaltung der sozialen Ordnung ist das Gleichheitsgebot des Art. 3 GG von hoher Bedeutung. Dieses statuiert die Gleichberechtigung von Frau und Mann und verbietet eine Benachteiligung wegen des Geschlechtes, der Abstammung, der Rasse, der Sprache, der Heimat und Herkunft oder der religiösen und politischen Weltanschauung. Es bestimmt die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz und dies in einem doppelten Sinne: Ein Gesetz ist gegen jeden in gleicher Weise anzuwenden und in der Gesetzgebung sind aufgrund der staatsbürgerlichen Gleichheit alle gleich zu behandeln, dass heißt staatliches Handeln darf nicht willkürlich differenzieren (BVerfGE 1, 14 (52); 37, 38 (46); 74, 182 (200), Differenzierungen müssen verhältnismäßig sein (BVerfGE 91, 389 (401)). Art. 3 GG meint aber auch: Staatliches Handeln hat die verfassungsrechtliche Gleichheit herzustellen, soweit hierfür eine Kompetenz gegeben ist. Es hat die Gleichstellung von Frauen und Männern zu fordern (vgl. auch BVerfGE 85, 101 (207)). Das Grundgesetz gewährleistet damit nicht nur eine formelle Gleichheit aller Staatsbürger, sondern postuliert auch materiale Chancengleichheit. Das Gleichheitsgebot als Diskriminierungsverbot beinhaltet beispielsweise auch das Gebot einer Gleichbehandlung von Mann und Frau im Arbeitsverhältnis (BAGE 1, 258; BVerfGE 43, 213 (228ff.)) oder eine Gleichbehandlung von Arbeitnehmern und Angestellten hinsichtlich der gesetzlichen Kündigungsfristen (BVerfGE 82, 126) ebenso wie das Gebot gleicher Bildungschancen (BVerfGE 34, 165 (181ff.); Hesse, K.: 1984). In enger Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 GG stehen die Bestimmungen des Art. 33 Abs. 1-3 GG: Gleiche staatsbürgerliche Rechte und Pflichten für jeden Deutschen in jedem Bundesland und gleicher Zugang zu jedem öffentlichen Amt entsprechend der erforderlichen Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung.

5. Grundrechte als Teilhaberechte und das Sozialstaatsprinzip Grundrechte beinhalten Verpflichtungen für staatliche Organe, eine grundgesetzgemäße freiheitliche und im Blick auf die Gemeinwohlbindung des Eigentums und das Sozialstaatsprinzip auch soziale Ordnung herzustellen und zu gewährleisten. Insofern vermitteln Grundrechte auch Teilhaberechte und Leistungsansprüche gegenüber dem Staat. Diese Funktion der Grundrechte (BVerfG 33, 303 (330ff.)) wird oft nicht genügend anerkannt (Arndt, C.: 1990; Martens: 1972; Häberle: 1972). Der durch die Grundrechte vermittelte Freiheits- und Gleichheitsanspruch läuft aber weitgehend ins Leere, wenn die Grundrechte nicht auch als Verpflichtung des Staates zur

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Sicherung der ideellen und materiellen Bedingungen von Menschenwürde und sozial gebundener Freiheit verstanden werden. Dies kann die Bereitstellung bestimmter Leistungen (Bildungseinrichtungen), Informations- und Aufklärungspflichten (Folgen des Rauchens oder des Drogenkonsums, Wirkungen von Jugendsekten), aber auch den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen beinhalten (Stein: 161998, S. 432fF.). Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen ist als Bedingung und Möglichkeit für Menschenwürde, freie Entfaltung der Person, körperliche Unversehrtheit und Offenheit der Verfassungsordnung (BVerfG 53, 30 (51, 57ff.)) zu verstehen und liegt damit im Gewährleistungsbereich der Grundrechte. Art. 20 a GG bringt dies zum Ausdruck. Eine solche Schutzpflicht des Staates ist aber auch gegenüber möglichen Wirkungen neuer Technologien wie der Gentechnik zu bejahen (Preuß: 1989; -> s.a. § 28). Das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG) ist eine Grundsatznorm und Gesetzgebungsdirektive für den Staat, nicht nur ein menschenwürdiges Existenzminimum für den einzelnen zu sichern, sondern soziale Gerechtigkeit herzustellen (BVerfG 5,85 (198); 22, 180 (204)). In ihm kommt der soziale Bezug der Grundrechte zum Ausdruck. Es zielt nicht auf einen Wohlfahrtsstaat, sondern mehr auf einen aktivierenden und ausgleichenden Staat (BVerfGE 94, 241 (263)). Heute wird die Verpflichtung des Staates zur sozialen Sicherung in einer neuen Dimension - wenn auch nicht unwidersprochen - gesehen: Nicht nur soziale Sicherung gegenüber den Gefährdungen, die sich mit bestimmten Lebenssituationen, Arbeits- und Produktionsverhältnissen verbinden, durch Ausgestaltung der Gesellschaftsordnung zu einer sozialen Solidargemeinschaft, sondern auch ihre Erweiterung zu einer „sozialen Gefahrengemeinschaft" gegenüber Gefahren neuer Technologien (Preuß: 1989; ausführlich § 28). In der Literatur wird ein Widerspruch zwischen Sozialstaat - staatlicher Eingriff in die Freiheit des einzelnen - und Rechtsstaat - gesetzliche Gewährleistung der Freiheit - diskutiert. Eine so angenommene Dissonanz zwischen Sozialstaatsprinzip und Rechtsstaatsprinzip verkennt, dass staatliche Freiheitssicherung stets ein dialektischer Prozess aus Freiheitsbegrenzung und Freiheitsgewährleistung ist (Hartwich: 1970; Ridder: 1975; Scheuner: 1971; Schneider, H.P.: 1979; Forsthoff: 1968).

6. Grundrechte, Grundpflichten und die Gestaltungsmacht des Gesetzgebers In der Verfassungsordnung des Grundgesetzes verbinden sich Grundrechte auch mit Grundpflichten des Bürgers (Saladin: 1984, S. 212ff.; § 4, IV.). Eine Grundpflicht enthalten nicht nur das Gegenseitigkeitsprinzip der gleichen Freiheit aller (Art. 2 Abs. 1, 3 Abs. 1 GG) oder die Gemeinwohlbindung des Eigentums und die Duldungspflicht für Eingriffe in das Eigentum., sondern auch den Freiheitsrechten sind immanente Schranken eigen. Die Inanspruchnahme eines Grundrechtes darf nicht die Grundrechte anderer verletzen. Grundpflichten stellen auch die Erziehungspflicht der Eltern oder die Schulpflicht dar ebenso wie die Wehrpflicht beziehungsweise die Pflicht zur Ersatzdienstleistung. Auch die Pflicht zur Steuerzahlung kann als eine Grundpflicht angesehen werden. Grundpflichten können als „verfassungsrechtlich geforderte Pflichtbeiträge zum Gemeinwohl" (Götz/Hofmann: 1983) verstanden werden. Der verfassungsrechtliche Status von Grundpflichten und ihr Inhalt werden zunehmend

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stärker diskutiert (Götz/Hofmann: 1983; Luchterhand: 1988): In dieser Diskussion zeigt sich ein Wandel des Grundrechtsverständnisses und des Verhältnisses von Staat und Bürger. Nicht mehr nur Sicherung individueller Freiheit in und gegenüber dem Staat und staatliche Leistungspflichten sind Thema, sondern auch die Verpflichtung des einzelnen oder sozialer Vereinigungen, in einer freiheitlichen, staatlich verfassten Gesellschaft zur Erhaltung der verfassungsrechtlichen Ordnung als Gemeinwohlordnung beizutragen. Grundpflichten des einzelnen stehen oft auch Gewährleistungspflichten des Staates gegenüber. So entspricht der Dienstpflicht in Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder der Verpflichtung zum Ersatzdienst eine Schutzpflicht des Staates, die vor allem in Art. 16 GG mit dem Verbot der Ausbürgerung und Auslieferung zum Ausdruck kommt. Politisch Verfolgte genießen Asylrecht (BVerfGE 54, 341; 80, 346). Dieses Grund- und Menschenrecht wurde allerdings in den letzten Jahren wiederholt eingeschränkt. Verfassungsrechtliche Garantien und verfassungsrechtliche Verpflichtung des Staates beinhalten auch die Bestimmungen des Art. 6 GG (Ehe, Familie, Mutterschutz, nichteheliche Kinder) und des Art. 7 GG (Schulwesen). Der Schulpflicht entspricht die Verpflichtung des Staates zur Bereitstellung eines entsprechenden Bildungsangebotes. Inhaltliche Bestimmungen über das Schulwesen enthalten vor allem die Länderverfassungen. Gewährleistungspflichten des Staates verbinden sich mit den sogenannten institutionellen Grundrechtsgarantien (Schmitt: 1931/31985; Schmidt-Jorzig: 1979): Einzelne Grundrechte gewähren nicht nur subjektive Rechtspositionen - auch für juristische Personen sondern, wie die Verfassungsdogmatik und -rechtsprechung begründet haben, ein bestimmter Sachbereich ist als solcher garantiert, z.B. die Ehe und die Familie oder das Eigentum (BVerfGE 20, 351 (355)). Der Sonntag ist vom Staat zu schützen. Einen solchen institutionellen Schutz genießen auch die Pressefreiheit und die Rundfunkfreiheit, die für die Freiheitlichkeit eines Gemeinwesens besonders wichtig sind (BVerfGE 12, 205; 57, 295). Im Hochschulbereich hat das BVerfG aus dem institutionellen Grundrechtsschutz der Wissenschaftsfreiheit auch organisatorische Folgerungen für die Universitäten abgeleitet (BVerfG 35, 79). Grundrechte bestimmen wie dargelegt - die Freiheitssphäre des einzelnen Bürgers und gewährleisten sie. Sie sind „Abwehrrechte", subjektive Rechte, um den möglichen Machtmissbrauch von Menschen gegenüber Menschen in der Demokratie und um mögliches Unrecht staatlicher Gewalt zu verhindern. Sie dienen dem Schutz der Minderheiten, da Demokratie Herrschaft der Mehrheit ist, durch die Verpflichtung staatlicher Organe zu entsprechendem Verhalten. Sie bestimmen die normative Grundordnung der staatlich verfassten Gesellschaft und binden so die Macht des Gesetzgebers (Böckenförde: 1990; Grimm: 1988a). Grundrechte setzen die staatliche Ordnung als eine rechtlich gebundene, als Rechtsordnung voraus.

7. Legitimationsfunktion der Grundrechte Die Grundrechte haben für das individuelle Leben und das Wirken gesellschaftlicher Vereinigungen in der Bundesrepublik ebenso wie für das Staatsverständnis hohe Bedeutung. Sie werden als Ausdruck einer objektiven, verbindlichen Wertordnung verstanden, so das Bundesverfassungsgericht (BVerfG 5, 85, (204); 6,

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32 (40); 7, 198 (205); 35, 79 (114); Dürig: 1956; Goerlich: 1973; Alexy: 1990; Smend: 1928/21968). Die Geltung der Grundrechte bezieht sich zunächst auf den Staat und das in seinem Rahmen gestaltete individuelle und gesellschaftliche Leben. Im Privatbereich werden sie nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG 7, 198 (204); 81, 242 (255f.); -> § 15, V.) nur insofern wirksam, als staatliche Ordnung privater Lebensverhältnisse grundrechtskonform zu erfolgen hat. Die Ausfüllung offener Rechtsbestimmungen hat die Wertordnung der Grundrechte zu berücksichtigen (Drittwirkung der Grundrechte). Die Grundrechte sind in ihrer sprachlichen Formulierung allgemein und abstrakt gefasst. Sie sind zeitoffen. Hierin ist ihre Akzeptanz und Legitimationskraft mitbegründet. Der normative Gehalt eines Grundrechtes ist nicht statisch. Wie sich der sprachliche Bedeutungsgehalt von Begriffen mit der Entwicklung einer Gesellschaft verändert, so ist auch der konkrete Gewährleistungs- oder Verpflichtungsanspruch eines Grundrechtes in den Zusammenhang der Entwicklung individueller und sozialer Lebenslagen gestellt. Es ist Sache der Grundrechtsinterpretation, den möglichen und notwendigen Bedeutungsgehalt in der Zeit zu ermitteln. Die Grundrechtsinterpretation und mit ihr verbundene Grundrechtstheorien wie die Werttheorie, die institutionelle Grundrechtstheorie oder die demokratische Grundrechtstheorie sind dabei an ein mehrfaches Vorverständnis gebunden: ein Vorverständnis vom Menschen, seinem Wesen, seiner Aufgabe in der Welt, ein Vorverständnis von Macht und Herrschaft, ihrer Notwendigkeit und ihrer Ausgestaltung für die Lebensfähigkeit einer Menge von Menschen als Staat und in einem Staat. Darauf bezogen ergibt sich ein Verständnis von der Funktion der Grundrechte in einer demokratischen Ordnung (Böckenförde: 1974, 1990; Häberle: 1989). Unterschiedliche politische Interessen können sich in der Interpretation eines Grundrechtes als verfassungsrechtlich zulässig oder geboten rechtfertigen. Grundrechtsinterpretationen sind - wenn sie mit dem Gesetzestext vereinbar sind, gleich richtig. Politische Auseinandersetzungen sind deshalb häufig auch Auseinandersetzungen um die „richtige" Grundrechts- und Grundgesetzinterpretation Über die Geltung und Gültigkeit im konkreten Einzelfall entscheidet letztlich das Bundesverfassungsgericht (hierzu auch V., 2. sowie § 15, II.).

IV. Republik und Demokratie 1. Republik Der Staat Deutschland ist eine Republik. Die Bezeichnung Bundesrepublik" in Art. 20 Abs. 1 GG kennzeichnet dies. Die Bundesländer müssen dem entsprechen (Art. 28 Abs. 1 GG). Ein Merkmal dieser Staatsform ist ein Staatsoberhaupt, das frei gewählt wird und dessen Amtszeit befristet ist. Das republikanische Prinzip kennt keine Regierungsgewalt aus eigenem Recht. Die Kennzeichnung Deutschlands als Republik schließt eine monarchische Staatsform aus. In der verfassungspolitischen Tradition verbindet sich mit dem Begriff der Republik die Vorstellung, dass es keine Regierungsgewalt aus eigenem Recht gibt, dass die Staatsangehörigen freie und gleiche Bürger sind, bestimmte republikanische Tugenden verfolgen, insbesondere ihr Handeln auf das Wohl des Gemeinwesens ausrichten. Insofern bezeichnet der Begriff nicht nur eine Staatsform. In ihm verbinden sich

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Form und Ethos. In der heutigen Verfassungspraxis ist der Begriff stark auf die Kennzeichnung einer Staatsform reduziert (Isensee: 1981; —> § 2). 2. Demokratie Der Begriff Demokratie ist im Grundgesetz so wenig definiert wie die Begriffe Rechtsstaat oder Sozialstaat. Im allgemeinen wird mit dem Begriff der Demokratie eine Form staatlicher Willens- und Entscheidungsbildung verbunden, die unmittelbar oder mittelbar durch das Volk legitimiert und kontrolliert ist (Art. 20 Abs. 2 GG; BVerfGE 83, 60 (71 ff.)). Zwischen dem Anspruch des Demokratieprinzips Gestaltung der politischen Ordnung in der Zeit durch das Volk und der verfassungsrechtlichen Bindung dieser Gestaltungskompetenz besteht ein Spannungsverhältnis (Leisner: 1998; Sartori: 1997; Badura: 1987; Böckenförde: 1987; Leibholz: 3 1967, S. 78ff.) Die Staatengeschichte der Neuzeit spiegelt in unterschiedlichen theoretischen Konzeptionen von Demokratie den Kampf um sie wider (Böhret/Jann/Kronenwett: 3 1988, S. 211ff.; Dahl: 1989; Hartwich: 1981; Kelsen: 1925; Macpherson: 1977; Wiesendahl: 1991; Schmidt: 1995; Matz: 1973; näher - » §§ 1 u. 2). Demokratie als Staats- und Regierungsform bedarf soziokultureller Voraussetzungen wie einer „gewissen Emanzipationsstruktur der Gesellschaft" und einer „relativen Homogenität" innerhalb der Gesellschaft. Sie bedarf „geistig-bildungsmäßiger" und politisch-struktureller Voraussetzungen wie begrenzbare Interdependenz politischer Entscheidungen und die Steuerbarkeit gesellschaflicher Teilsysteme durch politische Entscheidungen, und sie bedarf „ethischer Bindungen" (Böckenförde: 1987). a) Demokratie als Formprinzip Verfassungsrechtliche Elemente des Demokratiebegriffes nach dem Grundgesetz sind zunächst jene Verfassungsbestimmungen, welche die Konstitution der Organe der Gesetzgebung, die politische Kontrolle und die Regierungsbildung (Mehrheitsbindung, Vertrauensentzug) sowie die Verantwortlichkeit und Verfahren der verschiedenen staatlichen Organe regeln. Insbesondere handelt es sich um solche Vorschriften, welche die Bestellung - Wahl - von Repräsentanten und Repräsentativorganen des Volkes (Art. 20 Abs. 2, 38 Abs. 1, 54, 63, 94 Abs. 2, 95 Abs. 2 u. a. GG) und ihre Ausübung politischer Herrschaft bestimmen. Wesentlicher Bestandteil des Demokratiebegriffs - wenn auch in der Regel nicht in Verfassungen ausdrücklich berücksichtigt - ist schließlich das Recht auf Bildung einer parlamentarischen Opposition. Aber Demokratie ist mehr als eine Summe organisations- und verfahrensrechtlicher Regelungen. Demokratie meint die konkrete und differenzierte Zuordnung von Staat und Gesellschaft, die Form der Legitimationsbeschaffung, Rationalitätskontrolle und Funktionalitätssicherung für die Entscheidungen des politischadministrativen Systems (Benhabib: 1996). b) Demokratie und Grundrechte Art. 18 GG stellt fest, dass Grundrechte, und zwar die Freiheit der Meinungsäußerung, die Presse-, Lehr-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis, das Eigentum oder das Asylrecht verwirkt werden können, wenn sie zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grund-

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Ordnung missbraucht werden. In der Konstitutivität dieser Grundrechte für eine freiheitliche demokratische Grundordnung wird beispielhaft deutlich, dass Demokratie einer freien politischen Öffentlichkeit und gleicher Mitwirkungschancen aller bedarf. Es ist Funktion der Grundrechte, die freiheitliche Struktur sozialer Beziehungen, und es ist ihre Funktion im Zusammenhang mit dem Prinzip der Volkssouveränität, für die Staatsbürger material gleiche Chancen in der Mitbestimmung bei der Gestaltung der politisch-gesellschaftlichen Ordnung zu gewährleisten. Grundrechte sichern die materialen Bedingungen von Demokratie (BVerfGE 2, 1 (12f.)). Formale Verfahrens- und Kompetenzelemente verbinden sich im Demokratieprinzip des Giundgesetzes so mit materialen Elementen: Gewährleistung individueller Freiheit und freie Betätigung für gesellschaftliche Assoziationen, Verfügungsmöglichkeit über freiheitsstiftende Mittel wie Besitz und Bildung, die Bindung solcher Verfügungsmöglichkeiten im Prinzip der Volkssouveränität an allgemeine und gleiche Chancen der Mitbestimmung der politischen Ordnung, Ausgestaltbarkeit der politisch-gesellschaftlichen Ordnung durch die jeweilige parlamentarische - Mehrheit, soweit eine Kompetenz für staatliche Organe gegeben ist. c) Mehrheitsprinzip und Konsensprinzip Die Staatsgewalt wird vom Volk in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt (Art. 20 Abs. 2 GG). Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Sie sind auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung des Grundgesetzes verpflichtet. Ihre innere Ordnung muss selbst demokratischen Grundsätzen entsprechen (Art. 21 GG; i.e. -» § 23). Gesetzgebung ist im Grundgesetz als repräsentativ-parlamentarisches Verfahren ausgestaltet (-* § 10, III.; s.a. § 20, IV.). Verbindliche Rechtsetzung als Gesetzgebung kommt als Beschluss einer parlamentarischen Mehrheit zustande. Parlamentarische Mehrheiten können sich unmittelbar aus übereinstimmenden Entscheidungen einer Mehrheit von Abgeordneten ergeben, regelmäßig werden sie aber vermittels Parteien, der Bildung von Fraktionen und häufig auch durch eine Koalition zwischen Fraktionen (-» § 9, VII.) organisiert. Die Abgeordneten sind nicht an ein imperatives Mandat gebunden, sondern haben ein freies Mandat und genießen speziellen Rechtsschutz (Art. 42 Abs. 1, 46 GG). Das Grundgesetz verlangt für Gesetzgebungs- und sonstige Beschlüsse im Bundestag in keinem Falle Einstimmigkeit, im allgemeinen genügt die Mehrheit der abgegebenen Stimmen (Art. 42 Abs. 2 GG). Bei wichtigen Angelegenheiten ist eine - nach dem Gegenstand differenzierte - qualifizierte Mehrheit im Bundestag erforderlich, beispielsweise bei der Wahl des Bundeskanzlers (-» § 12), um einen Einspruch des Bundesrates (-» § 14 III.) zurückzuweisen, bei Abweichungen von der Geschäftsordnung des Bundestages (-» § 9, II.) oder bei Verfassungsänderungen, um die parlamentarische Legitimation und politische Akzeptanz solcher Entscheidungen zu erhöhen. Das Mehrheitsprinzip bedeutet, dass eine Mehrheit gewählter Repräsentanten die konkrete staatliche Ordnung und ihre Entwicklung im Rahmen der Verfassung nach ihren Interessen bestimmen kann. Ausübung von Volkssouveränität als individuelle Akte kann eine konkrete politische Ordnung nur in einem repräsentativ-kollektiven Akt verbindlich setzen. Die in diesem Kollektivakt dargestellte

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Mehrheit braucht aufgrund von Regelungen des Wahlsystems (z. B. Verhältniswahl mit Sperrklausel in der BRD; -> § 22, II.) nicht die Mehrheit der wahlberechtigten Bürger zu sein. Das Mehrheitsprinzip ist allgemeiner Bestandteil demokratisch-parlamentarischer Verfahren. Es gilt auch, wenn die Staatsbürger mittels Volksbegehren oder Volksentscheid an der Bestimmung der politischen Ordnung unmittelbar mitwirken (Volksbefragungen und Volksentscheide sind im Grundgesetz (Art. 29) - anders als in einigen Landesverfassungen und Kommunalordnungen - nur für eine Neugliederung des Bundesgebietes vorgesehen). Das Mehrheitsprinzip ist heute Bedingung der politischen Handlungsfähigkeit eines Volkes als demokratischer Staat. Das Mehrheitsprinzip gibt Veranlassung zur Bildung von Parteien, Fraktionen und Koalitionen. Es bewirkt so eine Differenzierung politischer Interessen wie ihre Organisation und Integration. Das Mehrheitsprinzip beinhaltet Befugnisse, welche funktional auf die Herstellung einer verbindlichen Ordnung bezogen sind oder sich aus der Beherrschung von Institutionen herleiten, welche spezifische Leistungen für das Staatssystem erbringen. So beinhaltet es das Recht zur verbindlichen Setzung politischer Entscheidungen im Rahmen der Verfassungsordnung und die Regierungsgewalt (Wahl der Regierung). Diese besitzt wiederum eine Organisationskompetenz für die Ausgestaltung des Verwaltungssystems, soweit es nicht der Gesetzgebung unterliegt, und eine Informationskompetenz (Presse und Informationsämter, polizeiliche Überwachung) sowie ein - häufig eingeschränktes - Verfügungsrecht über das Militär (Militärpolitik). Die Mehrheitsgewalt ist unmittelbar oder mittelbar mehrfach verfassungsrechtlich begrenzt durch a) Verfahrens- und Beteiligungsregelungen (mehrstufige Gesetzgebungsverfahren, Bindung von Verordnungsrecht, Anhörungs- und Beratungsverfahren, Öffentlichkeit parlamentarischer Beratungen, Zustimmungsbedürftigkeit von Personalentscheidungen); b) Befristung und Rückbindung (Wahlfristen) sowie c) durch die Überprüfbarkeit von Herrschaftsakten durch Verfassungs- oder Staatsgerichtshöfe; d) Beschränkungen und Kontrolle ergeben sich auch aus der Öffentlichkeitswirksamkeit der Medien und letztlich aus dem verfassungspolitischen Grundkonsens. Die Ausübung staatlicher Herrschaft ist institutionell differenziert (—» § 8). Die Verfahren politischer Ordnung nach dem Grundgesetz und Grundwerte wie Gerechtigkeit, Menschenwürde und Freiheit sind in ihrer Allgemeinheit weitgehend konsensfähig. Ihre Ausdeutung in konkrete Berechtigungen und Verpflichtungen ist in einer pluralistischen Gesellschaft unterschiedlich. Die konkrete Ausformung der Grundwerte ist abhängig von der spezifischen sozialen Situation einzelner und der Interessenstruktur ihrer politischen Vereinigungen. Das verfassungsrechtliche Mehrheitsprinzip beinhaltet den Verzicht auf einen allgemeinen Konsens über die jeweils zeit- und situationsspezifische Bedeutung der verfassungsrechtlichen Grundwerte. Es geht von der Unentscheidbarkeit der Richtigkeitsfrage aus, setzt aber den Grundkonsens über die Verfassungsordnung, insbesondere über die Verfahren der Entscheidungsbildung voraus. Es legitimiert sich in einer formalen Wahlgleichheit (Art. 38 Abs. 1 GG; § 22, III.; Eschenburg: 1970; Scheuner: 1973; Steffani: 1986). Die Grundrechte begrenzen die Herrschaftsmacht der jeweiligen Mehrheit. Indem sie Freiheitsrechte und Teilhaberechte für einzelne und freigesellschaftliche Vereinigungen gewährleisten, schützen sie die Minderheit gegenüber der Mehrheit und erhalten für die Minderheit die politisch-sozialen Bedingungen, Mehrheit zu werden (Grimmer: 1980; Isensee: 1981a; Podlech: 1967).

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Die Begrenzung der Mehrheitsherrschaft durch die Freiheitsgewährleistung der Grundrechte wird heute oft nicht mehr als ausreichend angesehen. Das Mehrheitsprinzip setzt die Entscheidbarkeit politischer Problemstellungen voraus bei gleichzeitigem Erhalt der prinzipiellen Offenheit und Entwicklungsfähigkeit der politischen Ordnung. In dem Maße aber, in dem die Mehrheit Entscheidungen zu technischen (z. B. Atomenergie, Gentechnik) oder sozialen (z. B. Rentenversicherung) Entwicklungen trifft, die langfristig in die Zukunft wirken oder die mit bekannt unbekannten hohen Risiken verbunden sind, bei denen es also kein gesichertes Wissen gibt, um die Rationalität der Entscheidung zu begründen, sind die Voraussetzungen des Mehrheitsprinzips selbst in Frage gestellt. Es wird deshalb auch von einer „Tyrannei der Mehrheit" gesprochen und vorgeschlagen, in solchen Fragen Konsens herzustellen und soweit dies nicht möglich ist, von einer Nichtentscheidbarkeit auszugehen. Auf diese Weise könnten Maßgeblichkeit und Vernünftigkeit der Willensbildung und Entscheidungsfindung aller Staatsbürger im Sinne des Prinzips der Volkssouveränität erhalten bleiben. Der demgegenüber geäußerte Einwand, das Konsensprinzip sei demokratiefeindlich und freiheitsfeindlich, trifft nicht zu, denn es geht letztlich um die Sicherung der Bedingungen von Volkssouveränität und Demokratie. Lösungsansätze könnten auch darin liegen, die Grundrechte entsprechend zu ergänzen oder zu konkretisieren und für bestimmte, mit hohen Risiken behaftete oder langfristig zukunftswirksame Entscheidungen höhere Beschlussquoren verfassungsrechtlich festzulegen (Abromeit: 1987; Eisel: 1986; Hattenhauer/Kaltefleiter: 1986; Gusy: 1985, Offe: 1984, S. 150ff). Demokratie ist ein Problem der Machtverteilung. Damit sich politische Willensbildung als freier und offener Prozess ereignen kann, bedarf es neben der Demokratisierung des Staates „der Demokratisierung der gesamten Gesellschaft" (Stein: 161998, 61 ff.). V. Rechtsstaat 1. Rechtsförmigkeit staatlichen Handelns Rechtsverbindliche Festlegung von Kompetenz und Verfahren staatlichen Organhandelns, die Bindung an das Normprogramm des Grundgesetzes, seine gerichtliche Überprüfbarkeit sowie die Gewährleistung seiner Verfassungs- und Gesetzmäßigkeit und der Vorbehalt und Vorrang des Gesetzes kennzeichnen den Verfassungsgrundsatz der Rechtsstaatlichkeit (formeller und materieller Rechtsstaat, Art. 28 Abs. 1, 20 Abs. 2 u. 3, 19 Abs. 4 GG; Stammen: 41972). Die rechtsstaatliche Ordnung des Grundgesetzes normiert Prinzipien und Verfahrensregeln, „in deren Aktualisierung politische Einheit hervorgebracht und gefestigt wird, in deren Verwirklichung das durch die Verfassung konstituierte Staatswesen konkret - geschichtlich Gestalt gewinnt" (-» § 18; Hesse: 201999, S. 84). Eingriffe in Freiheit und Eigentum der Bürger und andere „wesentliche" staatliche Entscheidungen bedürfen der Gesetzesform (BVerfGE 34, 165 (192f.); 49, 89 (126ff.)). Die verfassungsrechtliche Sicherung der Rechtsprechungsorgane ist in Verbindung zu sehen mit der Rechtsförmigkeit staatlichen Handelns (Neumann, F.: 1967, S. 7ff.; Scharpf: 1970a). Gesetze wie andere Rechtsvorschriften unterliegen dem Bestimmtheitserfordernis und sind zu verkünden (Art. 82 Abs. 1 GG),

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sie sind wie auch andere allgemeine Rechtsvorschriften zu veröffentlichen. Diese Publizitätspflicht, d. h. die Möglichkeit, Kenntnis zu haben, ist Voraussetzung der Gehorsamspflicht des Bürgers gegenüber dem Recht. Auch die Organisationsformen und Verfahren staatlicher Organe, soweit es sich nicht um Regierungsakte oder Verfahrensregeln des Parlaments handelt, sind gesetzlich zu ordnen, um dem politischen System Transparenz und Stabilität zu vermitteln. Die Ressourcen der staatlichen Organe werden mit den Haushaltsgesetzen bereitgestellt. Bei Rechtsverletzungen durch die öffentliche Gewalt steht jedermann der Rechtsweg offen (Art. 19 Abs. 4 GG). Art. 103 Abs. 1 GG garantiert den Anspruch auf „rechtliches Gehör" vor Gericht. Die RechtsfÖrmigkeit staatlichen Handelns dient seiner Berechenbarkeit und der Sicherheit. Rechtliche Gestaltung staatlicher Herrschaft ist eine Form der Rationalität staatlichen Handelns. Sie findet Ausdruck vor allem in der rechtlichen Bindung und Strukturierung des Verwaltungshandelns (-> § 19). Der Rechtsstaat ist Bedingung und Form der „Selbständigkeit" des Staates gegenüber der Gesellschaft. Er ist im Grundgesetz durch die Bindung aller staatlicher Gewalt an die Grundrechte inhaltlich materialisiert (materialer oder sozialer Rechtsstaat). Die starke Betonung der Rechtsstaatlichkeit hat „politische Kosten" (Scharpf: 1970) für die Demokratie, indem Formalstrukturen inhaltliche Auseinandersetzungen und Beteiligung überlagern können. Recht ist politisches Koordinations- und Steuerungsinstrument. Es vermittelt Kommunikationsstrukturen und dient der sozialen Differenzierung und politischen Systembildung (Luhmann: 1993; Habermas: 1992). Recht ist zwar auf Gerechtigkeit zugeordnet, aber nicht notwendigerweise ihr Ausdruck. Es beinhaltet nach dem Grundgesetz aber das Gebot der Verfahrensgerechtigkeit (Rawls: 1979).

2. Verfassungswirksamkeit und Bundesverfassungsgericht Die Einhaltung einer Verfassung in der politischen Praxis kann der demokratischen Auseinandersetzung anvertraut sein, wenn ein hinreichender, in der Tradition gefestigter Konsens gegeben ist (etwa in Großbritannien). In Staaten, in denen aufgrund ihrer historischen, sozioökonomischen und soziokulturellen Befindlichkeit diese Voraussetzungen nicht vorhanden sind, bedarf es einer anderen Gewährleistung des Normprogramms. Der „Ausweg" der Rechtsordnung ist die Maßgeblichkeit der verbindlichen Entscheidung als notwendige Bedingung rechtsstaatlicher Ordnung, wenn sich die jeweilige Verfassungswirklichkeit nicht unangefochten zur Verfassungsnorm erheben soll. Politische Auseinandersetzungen werden damit auch zum Streit um die Verfassungsauslegung. Die Entscheidungskompetenz über die Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit staatlichen Organhandelns mit der Verfassung liegt nach dem Grundgesetz letztlich beim Bundesverfassungsgericht (Art. 93 GG; § 15, II.). Das Bundesverfassungsgericht kann von den verschiedenen staatlichen Organen angerufen werden. Jedermann hat das Recht, sollte er sich durch die öffentliche Gewalt in seinen Grundrechten oder in entsprechenden Rechten beeinträchtigt fühlen, Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht einzulegen (näher hierzu BVerfGG; weiteres -> § 15).

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3. Notstandsverordnung Nahezu alle Verfassungen der westlichen Demokratien kennen - allerdings unterschiedliche - Vorschriften zum Schutz der Verfassung und des Staates im Notstand oder Spannungsfall. Diese Regelungen beinhalten eine Stärkung von Regierung und Militär/Polizei gegenüber Parlament und Judikative sowie eine Einschränkbarkeit von Grundrechten. In solchen Fällen bleiben nach dem Grundgesetz die Volksvertretung oder der zu 2/3 aus Mitgliedern des Deutschen Bundestages bestehende „Gemeinsame Ausschuss" (Art. 53a, 115e GG; - » § 9, VI.) möglichst weitgehend politisch wirksam. (Art. 115a, 87a Abs. 4, 115 d Abs. 2 GG). Sie entscheiden über den letzten Extremfall, den Verteidigungsfall. Können Sie nicht entscheiden, so werden für seinen Eintritt objektive Tatbestandsmerkmale genannt (Art. 115a Abs. 4 GG) und damit der Weiterbestand der Verfassungsordnung fingiert. Die staatlichen Organe bleiben - zumindest deklaratorisch - im Amt. Befehls- und Kommandogewalt gehen befristet auf den Bundeskanzler über (Art. 115b GG). Die Einschränkbarkeit von Grundrechten ist verfassungsrechtlich geregelt (insbes. Art. 115c Abs. 2, 115e Abs. 2 GG). Problematisch scheint die Annahme des Grundgesetzes, dass Gefahren für Freiheit und Demokratie regelmäßig von Kräften außerhalb des Staatsapparates ausgehen, nicht von diesem selbst. Aber diese Annahme ist durchaus schlüssig. Es gibt nach dem Grundgesetz keine politische Gewalt, die nicht verfassungsmäßig begründet und begrenzt ist, außer der - bei geordneten politischen Verhältnissen nur latent wirksamen - Volkssouveränität. Im übrigen greift dann das Widerstandsrecht gemäß Art. 20 Abs. 4 GG - soweit andere Abhilfe nicht möglich ist.

VI. Staatsstruktur und Staatsfunktionen Die Verfassungsordnung des Grundgesetzes sieht eine doppelte Strukturierung vor, die in drei Ebenen mehr oder weniger selbständiger Gebietskörperschaften: Länder (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG; § 6), Kommunen (Art. 28 Abs. 1 u. 2 GG; § 7) und den Bund sowie die Strukturierung in verschiedene Staatsorgane des Bundes (Art. 20 Abs. 2 GG; -> § 8) - und der Länder -: Bundestag (Art. 38ff. GG; §§ 9, 10); Bundesrat (Art. 50ff. GG; -> § 114), Bundesregierung (Art. 62ff. GG; -> § 12), Bundespräsident (Art. 54ff. GG; -> § 13), Bundesverfassungsgericht (Art. 20 Abs. 2, 92, 93, 94 GG; § 15), Bundesgerichte (Art. 20 Abs. 2, 92, 95ff. GG; § 18), Verwaltung (Art. 20 Abs. 2, 83ff. GG; - » § 19; weiteres § 8). Während die erste Strukturierung vor allem der Dezentralisation politischer Herrschaft und der Berücksichtigung unterschiedlicher historischer, ökonomischer und kultureller Entwicklungen in Deutschland sowie der einfacheren Identifikation (Beheimatung) der Bürger in überschaubaren staatlich-kommunalen Strukturen dient, verbindet sich mit der zweiten Art von Strukturierung eine Dekonzentration politischer Herrschaft (Gewaltenteilung) und die Zurichtung der einzelnen Organe auf die Wahrnehmung der Staatsfunktionen Gesetzgebung, Regierung, Verwaltung, Rechtsprechung und Repräsentation (-» § 4, IV.). In der Regel wird zwar in diesem Zusammenhang von Staatsfunktionen gesprochen, im Grunde handelt es sich aber eher um staatliche Instrumente zur politischen Einheits- und Entscheidungsbildung und -durchsetzung, zur Sicherung von Frieden und Ordnung, zur Gewährleistung der gesellschaftlichen Lebens- und Entwick-

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lungsmöglichkeiten, zur Herstellung eines sozialen Ausgleichs, zur Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern, zur Förderung von Bildung, Wissenschaft und Kultur (Sommermann: 1999, S. 867ff.; Isensee: 1999). Staatsfunktion und Staatszweck - in der Geschichte unterschiedlich theoretisch begründet - ergeben sich im zuvor genannten verfassungsrechtlichen Sinne aus den Grundrechten als Normen für eine zu realisierende Gesellschaftsordnung und aus der Kompetenzstellung von Gesetzgebung, Regierung und Verwaltung als Möglichkeit und Aufgabe staatlicher Gestaltung. Ihre inhaltliche Spezifizierung erhalten sie in Wahlen (—» § 22). Mit der Entscheidung für bestimmte politische Parteien (—> § 23) und ihre Wahlprogramme sowie deren Umsetzung in einem Regierungsprogramm und in der Gesetzgebung werden Staatsaufgaben konkretisiert und die Art und Weise ihrer Wahrnehmung bestimmt.

VII. Systembildende und systemstabilisierende Funktion von Verfassungsnormen Staatliche Politik in Deutschland hat verfassungsrechtlich eine doppelte Legitimation: Die Legitimation in den Grundrechten und den in ihnen statuierten Werten und die Legitimation in der Ordnung der Verfahren der staatlichen Organe (Starck: 1987; Kriele: 1990). Grundrechte und Verfahren haben im Prozess der Entfaltung des politischen Systems eine beharrende und eine dynamische Funktion: Gesellschaftliche Anliegen und Interessen müssen ihre verfassungsrechtliche Zulässigkeit als vereinbar mit den Grundrechten und sonstigen Verfassungsbestimmungen beweisen. Die Verfahren der verschiedenen staatlichen Organe beinhalten die Möglichkeit einer immer neu zu definierenden und damit zu entwickelnden gültigen Ordnung des politischen Systems. Grundrechte und verfassungsrechtliche Strukturen des politischen Systems haben sich heute von ihrer historischen Begründung als natürliche Rechte des Menschen gegenüber angeblich gottgegebenen Rechten des Souveräns (Gauchet: 1991, S. 76fF.; Weber-Fas: 2000) abgehoben. Die Begründung staatlicher Ordnung beruft sich weder auf die Nation noch einen Gemeinwillen (Gauchet: 1991, S. 93ff.). Im Verhältnis zwischen individueller Freiheit und Sozialbindung wird nicht mehr dogmatisch über die Individualität und Natur des Menschen oder den Vorrang der Gesellschaft diskutiert (Gauchet: 1991, S. 89ff., 21 Off., 228ff.) - eventuell lässt die Erörterung über Grundpflichten des Bürgers die Tiefe der Debatte um die bürgerlichen Freiheiten im Zusammenhang mit der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte 1789-1791 erkennen. Auch das Verhältnis von Volkssouveränität und Staatsgewalt und die Ausübung der Staatsgewalt durch verschiedene Organe wird nicht mehr so sehr unter den Gesichtspunkten von Identität, Repräsentativität und Organstellung oder von Diktatur und Freiheit (Gauchet: 1991, S. 142ff.) erörtert. Im Vordergrund stehen heute Fragen der Zweckmäßigkeit, Handlungs- und Leistungsfähigkeit staatlicher Organisation und der Kontrolle politischer Macht. Hierin zeigt sich die Selbstverständlichkeit, welche die Verfassungsordnung des Grundgesetzes erlangt hat. Sie ist wie jede neuzeitliche Verfassung in der Folge der Französischen Revolution und dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg Rekonstruktion der rechtlichen und politischen Einheit eines Volkes in einem Grundsätzegesetz und Bedingung einer Staatsbürgergesellschaft und dessen staatlicher Organisation (H. Hofmann:

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1999; —> 1, III.). Die Geltungskraft der Grundrechte und Verfahrensregeln hat sich weitgehend von ihrem historischen Geltungsgrund (Maurer: 1999) abgelöst. Diese liegt nicht mehr in einer wie immer erklärten Transzendenz, sondern ist in ihrer Funktionalität für Bestand und Entwicklung des politischen Systems begründet. Nicht so sehr in ihrer normativen Verbindlichkeit als in ihrer kommunikativen Offenheit liegt die systembildende Funktion der Grundrechte, und nicht so sehr in der Macht staatlicher Organe als in der Zugänglichkeit und Verständlichkeit der Entscheidungsverfahren dieser Organe ist die Stabilität des politischen Systems begründet, das so auch Raum für die Selbststeuerung gesellschaftlicher Assoziationen und Organisationen lässt. Nicht zufällig zeigen sich Verwerfungen vor allem dann, wenn in der politischen Auseinandersetzung diese verfassungsrechtlichen Grundbedingungen unseres politischen Systems verfehlt werden. Die Bedeutung des Verfassungsrechts ist stark verbunden mit der Staatlichkeit einer Gesellschaft. Die Reduzierung des Staates mancherorts auf eine Komplementärfunktion für die soziale, ökonomische, ökologische und technische Risikovorsorge gegenüber dominierenden industriell-wirtschaftlichen Prozessen (Breuer: 1998, S. 272ff.) gibt der Eigenständigkeit der verfassungsrechtlichen Grundordnung als übergreifenden Grundsätzen für Staat, Gesellschaft eine neue Bedeutung. Dies gilt auch im Zusammenhang mit dem europäischen Einigungsprozess (-> 17) und dem damit verbundenen Wandel des Verfassungsbegriffs: Verfassung nicht mehr als Zukunftsentwurf politischer Selbstbestimmung eines Volkes als Nation, sondern Grundsätzegesetz für das Verhalten von Staaten und ihrer Ordnung - gesetzt von Staaten (Roellecke: 2000). Der Anspruch aller Verfassungsgesetze ist es, die politische Ordnung einer staatlich verfassten Gesellschaft in ihren Grundwerten, ihrer Organisation und ihren Verfahren für die Zukunft zu sichern. Die Schwierigkeit, rechtsverbindliche Aussagen über eine zukünftige politische Ordnung zu treffen, führt dazu, dass in den Verfassungen Regelungen über ihre Änderung und Ergänzung gesetzt werden, wobei die Grundprinzipien einer Änderung entzogen sind (nur im Wege neuer Verfassungssetzung geändert werden können). Zu Änderungen oder Ergänzungen des Grundgesetzes bedarf es einer qualifizierten Mehrheit (Art. 79 GG, Zweidrittel-Mehrheit von Bundestag und Bundesrat). Das Grundgesetz wurde zwar in den fünfzig Jahren seiner Geltung sechsundvierzigmal geändert bzw. ergänzt. Aber es hat gleichzeitig verstärkt seine Funktionsfähigkeit bewiesen - wie die Vielzahl von Veröffentlichungen zu „50 Jahre Grundgesetz" bezeugen (als Beispiel Frankfurter Rundschau 1999 Nr. 117, B. 1-8; Schneider, H.-P.: 1999). Sein Erfolg wird oft seinen rechtlichen Eigenschaften zugeschrieben. Aber mit ihm konnten sich auch konkrete soziale Interessen verbinden, welche die Verfassungswirklichkeit kennzeichneten. „Strukturelle Merkmale des Grundgesetzes haben einflussreiche Interessen in Politik und Verwaltung legitimiert, die dann in einer Wechselwirkung die Bestimmungen des Grundgesetzes stark unterstützten" (Johnson: 1999, S. 499).

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§ 6 Bundesstaatliche Ordnung Uwe Jun und Klaus Stolz I. Die föderalistische Idee und ihre empirische Ausgestaltung - II. Die bundesstaatliche Ordnung des Grundgesetzes - III. Die Exekutive: Dominanz im kooperativen, verflochtenen Föderalismus - IV. Die Legislative: Landesparlamente als dauerhafter Kompetenzverlierer - V. Jüngere Herausforderungen für den deutschen Föderalismus - V. Reformperspektiven des deutschen Föderalismus Grundlagenliteratur: Friedrich, Carl J. (1968): Trends of Federalism in Theory and Practice. London Greß, Franz/ Huth, Ronald (1998): Die Landesparlamente. Heidelberg Kilper, Heiderose / Lhotta, Roland (1996): Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland. Opladen Lauf er, Heinz / Münch, Ursula (1998): Das föderative System der Bundesrepublik Deutschland. Opladen Lehmbruch, Gerhard (1998): Parteienwettbewerb im Bundesstaat. Opladen I. Die föderalistische Idee und ihre empirische Ausgestaltung Nach einem vielzitierten (aber nirgendwo exakt belegten) Wort von C. J. Friedrich bezeichnet der Föderalismus ein Prinzip, das danach strebt, „eine gewisse Einheit mit einer gewissen Vielfältigkeit zu verbinden" (Friedrich: 1968, zitiert nach Schultze: 1991, S. 139). Auch wenn diese wohl allgemeinste Definition von Föderalismus noch sehr vage ist, sind darin doch die beiden Pole benannt, deren Spannungsverhältnis konstitutiv für föderative Systeme sind: Einheit und Vielfalt (Elazar: 1987) - oder anders ausgedrückt: Integration und Autonomie (Schultze: 1991). Die spezifische Verbindung dieses Gegensatzpaares im Föderalismus hat dabei eine politisch-institutionelle und eine gesellschaftliche Funktion (Elazar: 1987). Politisch-institutionell beruht der Föderalismus auf einem System vertikaler Gewaltenteilung, das verschiedene Gliedstaaten in einer Weise zu einem Gesamtstaat verbindet, dass eine jede Ebene über exklusive Kompetenzen verfügt, die vor dem Zugriff der jeweils anderen Ebene verfassungsrechtlich geschützt sind (vgl. Dahl: 1986). Dieses föderative Organisationsprinzip staatlicher Ordnung dient als Machtbeschränkung (es ist unvereinbar mit Vorstellungen absoluter Souveränität) und gewährt gleichzeitig territorial bestimmten Minoritäten einen gewissen Minderheitenschutz. Neben dieser gewaltenteilenden Funktion erfüllt der Föderalismus aber auch eine gesellschaftliche Integrationsfunktion. Die Existenz unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen wird nicht nur hingenommen, der Föderalismus gewährt bewußt eine Vielfalt von Lebensbedingungen und Identitäten und ermöglicht so die Integration ethnisch, kulturell, sozio-ökonomisch oder in anderer Weise heterogener Gesellschaften. Als Voraussetzung dieser Integrationsleistung wird jedoch vielfach auch ein Mindestmaß an Gleichartigkeit der Glieder angesehen (vgl. Laufer/Münch 1998: S. 14). Während dieser zweite, soziologische Aspekt erst in jüngerer Zeit verstärkt Aufmerksamkeit erlangt hat (Livingston: 1956, zuletzt Linz: 1999), stand in der wissenschaftlichen Diskussion lange Zeit ausschließlich die erste Funktion im Mit-

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telpunkt. Als institutionelle Manifestation des Föderalismus gilt dabei der Bundesstaat. Dieser wird im staats- und völkerrechtlichen Diskurs in der Regel in Abgrenzung zu den Konzepten des Staatenbundes einerseits und des Einheitsstaates andererseits definiert. Kern einer solchen konstitutionellen Definition des Föderalismus ist die Idee einer doppelten Staatlichkeit, d.h. sowohl der Zentralstaat als auch seine Gliedstaaten besitzen eine voneinander unabhängige Staatsqualität. Worin diese Staatsqualität genau besteht, darüber gibt es jedoch keine theoretisch begründete Übereinkunft (vgl. Bothe: 1994, S. 21). Zu den gängigsten Kriterien einer solchen formalen Bestimmung des Bundesstaates gehören eine konstitutionelle Bestandsgarantie beider Ebenen und ihrer spezifischen Kompetenzen, die Verfassungsautonomie der Gliedstaaten, die Beteiligung der Gliedstaaten am gesamtstaatlichen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess (einschließlich der Verfassungsreform) sowie eine institutionalisierte Form der Konfliktregelung (Verfassungsgerichtsbarkeit) (vgl. etwa Schultze: 1991). Auch eine Finanzverfassung, die beiden Ebenen eine gewisse Eigenständigkeit und damit Handlungsspielraum belässt, wird als ein konstitutives Merkmal bundesstaatlicher Ordnung betrachtet (Laufer/Münch: 1998, S. 85). Nun hat eine solche rein normative Begriffsbestimmung gewichtige Nachteile. Zum einen beschreiben diese Verfassungsnormen nur selten die gesellschaftliche und politische Realität. Wenn etwa die Verfassungsautonomie der deutschen Bundesländer als Föderalismusmerkmal herangezogen wird, dann wird dabei übersehen, dass diese de facto kaum zu einer nennenswerten Differenzierung der Regierungssysteme gefuhrt hat und auch nicht führen soll, während eine solche Vielfalt in anderen Systemen auch ohne gliedstaatliche Verfassungsautonomie möglich ist (so hat in Großbritannien beispielsweise die zentralstaatliche Devolutionsgesetzgebung Parlamente in Schottland und Wales geschaffen, die sich strukturell - z.B. in Hinblick auf das Wahl- oder Ausschußsystem - deutlich vom Vorbild Westminsters unterscheiden). Zum anderen sind solche Normenkataloge in der Regel einem bestimmten empirisch vorfindbaren Modell nachempfunden (zumeist den USA oder der BRD), das jedoch nicht „den" Föderalismus verkörpert, sondern lediglich eine mögliche, unter bestimmten historischen und politischen Bedingungen entstandene Form des Föderalismus darstellt. Ergänzt man die strukturelle um eine dynamische Perspektive, wird auch die Ambiguität des Föderalismusbegriffes im Hinblick auf den Grad staatlicher Zentralisierung- bzw. Dezentralisisierung deutlich. Denn mit Föderalismus kann einmal der Prozess des freiwilligen Zusammenschlusses eigenständiger politischer Gemeinschaften zum Zwecke gemeinsamer Problemlösung, Entscheidungsfindung und Politikproduktion gemeint sein, oder aber umgekehrt ein Prozess, in welchem sich ein vormals unitarischer Staat in eine föderal organisierte Gemeinschaft aufgliedert (Friedrich: 1968, S. 7, Elazar: 1987, S. 64). Föderalismus ist damit auch keine absolute Qualität einer politischen Ordnung, sondern ist als spezifischer Problemlösungsmechanismus im Zielkonflikt zwischen Einheitlichkeit und Vielfalt jeweils nur graduell zu bestimmen (vgl. Abb. 1). Das Verhältnis zwischen Integration und Autonomie, zwischen integrativen und desintegrativen Kräften ist dabei in jedem föderativen System in anderer Weise bestimmt und ist selbst innerhalb eines Systems einer permanenten Spannung unterworfen und damit im Zeitverlauf auch Veränderungen ausgesetzt. Etwas vereinfachend wird dieses Kontinuum häufig auf zwei Typen reduziert, die unter den unterschiedlichsten Bezeichnungen einen eher zentrifugalen von einem

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eher zentripetalen Föderalismus unterscheiden. Als Modell eines sogenannten dualen (gewaltenteilenden, inter-staatlichen, konföderalen) Föderalismus wird dabei häufig auf die USA rekurriert, während das bundesdeutsche System dem Idealtyp des Verbundföderalismus (oder auch kooperativer, gewaltenverschränkender, intra-staatlicher Föderalismus) sehr nahe kommt. Einer empirischen Überprüfimg hält diese dichotomische Gegenüberstellung jedoch kaum stand. Insgesamt kommt in den modernen westlichen Industriestaaten keine föderale Ordnung ohne ein hohes Maß an Kooperation und politischer bzw. finanzieller Verflechtung aus. Gerade die USA hat sich spätestens seit der New Deal Ära der 1930er Jahre wenn nicht in ihrer institutionellen Ordnung so doch in der politischen Praxis dem bundesdeutschen Verbundmodell angenähert (vgl. Sturm: 1997; —> § 2, IV.). Dem zentrifugalen Pol am nächsten steht gegenwärtig Kanada, das sich von einem dezentralen Einheitsstaat zum konföderalen Bundesstaat entwickelt hat. Es verfügt über eine bis auf die Ebene des Parteiensystems reichende dualistische Struktur mit einer weitgehenden Trennung von Politikkompetenzen. Die gemeinsame Willensbildung seiner Provinzen erfolgt im wesentlichen über inter-staatliche, wenig institutionalisierte Formen der Kooperation.

zentrifugaler

Föderalismus

Eigenständigkeit und Vielfalt als oberste Ziele

zentripetaler

Integration und Gleichheit der Lebensbedingungen als oberste Ziele Einheitsstaat

Staatenbund

konföderaler Bundesstaat

unitarischer Bundesstaat

dezentraler Einheitsstaat

Abbildung 1: Föderalismus - Quelle: Schnitze: 1991, S. 140 Seine Mehrdeutigkeit hat den Begriff des Föderalismus zu einem Kampfbegriff im europäischen Integrationsprozess (—> § 17) werden lassen. Während die kontinentaleuropäischen Staaten darin eher eine dezentrale, die staatliche Qualität der Mitgliedstaaten bewahrende Struktur erkennen (in Anlehnung an das bundesdeutsche Modell und die in Belgien und Spanien in Gang gebrachten „Dezentralisierungsprozesse"), lehnen die Briten einen europäischen Föderalismus entschieden ab, weil sie damit vor dem historischen Hintergrund der US-amerikanischen Staatsgründung einen Prozess staatlicher Vereinigung verbinden. Im folgenden soll nun der hochverflochtene deutsche Beteiligungsföderalismus in seiner Entwicklung und seinen wesentlichen Strukturmerkmalen dargestellt werden. Dies geschieht zunächst mit Blick auf die das föderale System dominierenden Länderexekutiven und danach aus der Sicht der zunehmend an Bedeutung verlierenden Länderparlamente. Im Anschluss daran soll auf zwei zentrale Herausforderungen und deren Verarbeitung eingegangen werden: die deutsche Vereinigung und der europäische Integrationsprozess. Ein kurzer Blick auf die aktuelle Reformdiskussion rundet den Beitrag ab.

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II. Die bundesstaatliche Ordnung des Grundgesetzes Die Entstehung des föderalen Modells des Grundgesetzes ist gekennzeichnet durch einen langwierigen, von zahlreichen Auseinandersetzungen geprägten und schließlich durch zahlreiche Kompromisse beendeten Prozess der Entscheidungsfindung. Differenzen gab es sowohl zwischen als auch innerhalb der Gruppen der Hauptakteure: den alliierten Siegermächten des Zweiten Weltkriegs, den Ministerpräsidenten der Länder und den Parteien im Parlamentarischen Rat (ausführlicher Laufer/Münch: 1998, S. 69ff; —> § 1, VI.). Nachdem sich die Alliierten und die Ministerpräsidenten auf den Provisoriumscharakter des Grundgesetzes verständigt hatten und damit auch eine Volksabstimmung über die Verfassungsordnung vom Tisch war, blieben drei Punkte besonders strittig: die Frage der Ländergliederung, die Ausgestaltung und Kompetenzen der zweiten Kammer (Bundesrats- oder Senatslösung) und die Problematik der Finanzverfassung (Verteilung der Kompetenzen in der Finanzgesetzgebung und -Verwaltung und des Steueraufkommens zwischen Bund und Ländern; -> § 20, II. u. III.). Die schon zu Beginn der Bundesrepublik zutage getretenen Konfliktpunkte bleiben bis heute sichtbar. Die das „Kernstück einer bundesstaatlichen Ordnung" (Kilper/Lhotta: 1996, S. 104) bildende Finanzverfassung ist nach den Regelungen im Grundgesetz (Art. 104ff.) stets umstritten gewesen. Die Stellung des Bundesrates im Regierungssystem (-> § 14, III.) und die in erheblichem Maße auf die Struktur und Stellung des Bundesrates zurückgehende Dominanz der Länderexekutiven werden ebenso kritisch diskutiert wie die unter Effizienz- und Autonomiegesichtspunkten reformbedürftige Gliederung der Bundesländer. Bevor jedoch Kritik und daraus abzuleitende Reformansätze des deutschen Föderalismus erörtert werden sollen, gilt es zunächst einen Blick auf die Ausgestaltung des Bundesstaates im Grundgesetz zu werfen. Die bundesstaatliche Ordnung im Grundgesetz geht zurück auf die in Deutschland traditionelle Form des Regierungsföderalismus, der bei der Gründung des deutschen Reiches von 1871 seinen am stärksten institutionalisierten Ausdruck fand (-> § 1, III.). Die historischen Erfahrungen mit den vorherrschenden Strukturen der föderativen Systeme des Kaiserreichs und der Weimarer Republik bildeten den Ausgangspunkt für die Überlegungen des Parlamentarischen Rates zur Neugestaltung des Föderalismus in der Bundesrepublik. Das Ergebnis war, dass die Struktur des kooperativen Regierungs- und Verwaltungsföderalismus erneut aufgebaut wurde, die herrschende deutsche Staatspraxis des Regierens durch Machtteilung, Verhandeln und Kompromißfindung blieb somit erhalten (Benz: 1999, S. 136f.). Horizontale Gewaltenteilung wurde nicht durch eine Trennung der Kompetenzen und Aufgaben von Bund und Ländern sicher gestellt, sondern durch eine Verschränkung. Die Tendenz zur Zentralisierung und Unitarisierung war damit - auch nach den Erfahrungen im Kaiserreich - schon mit den Verfassungsbestimmungen angelegt. Das Grundgesetz normiert in Art. 20, Abs. 1: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat"; Bundesstaatlichkeit ist somit ein verfassungsrechtliches Struktur- und Organisationsprinzip, dessen Fortbestand durch die Bestands- und Unantastbarkeitsgarantie des Art. 79 (3) gesichert ist. Unangetastet bleibt die jeweilige Staatlichkeit von Bund und Ländern, die den Ländern ein Mindestmaß an Autonomie und finanzieller Ausstattung garantieren sollte. Keine der beiden Ebenen verfügt allein über die Entscheidungsbefugnis,

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die Kompetenz der anderen Ebene zu beschneiden. Festgelegt sind im Grundgesetz ferner der Grundsatz der Kooperation und des wechselseitigen Treueverhältnisses, das in der Formulierung bundesfreundlichen Verhaltens der Länder (Bundestreue) seinen nachdrücklichen Ausdruck findet, das Homogenitätsprinzip, nachdem die Verfassungsordnungen der Länder nicht im Gegensatz zu der des Bundes stehen dürfen, der Vorrang des Bundesrechts vor Landesrecht („Bundesrecht bricht Landesrecht"), die Mitwirkung der Länder bei der Willensbildung des Bundes primär durch den Bundesrat, die unterschiedlichen Einwirkungsmöglichkeiten des Bundes auf die Länder in erster Linie durch gesetzgebende Maßnahmen und Finanzzuweisungen und die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern. Letztere findet ihren Grundsatz in Art. 30 GG: „Die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben ist Sache der Länder, soweit dieses Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zulässt". Entsprechend dieser Regelung haben die Länder das Recht gesetzgeberisch tätig zu werden, soweit das Grundgesetz nicht dem Bund legislative Befugnisse zuschreibt. Doch dieses Enumerationsprinzip begünstigt keineswegs - wie es zunächst scheint - die untere staatliche Ebene, denn im Grundgesetz sind recht viele Regelungen enthalten, durch die dem Bund Kompetenzen zugewiesen werden. Neben der ausschließlichen Gesetzgebung existieren noch weitere Formen der Gesetzgebung im Grundgesetz: Konkurrierende Gesetzgebung und Rahmengesetzgebung. Insbesondere die konkurrierende Gesetzgebung wurde zum Einfallstor für den Bund auf dem Gebiet der Rechtsetzung: Der Bund nutzte seine im Grundgesetz angelegten legislativen Befugnisse und eignete sich im Laufe der Jahre immer mehr Materien und Kompetenzbereiche an. Folge war eine Auszehrung der Länderkompetenzen: Die konkurrierende Gesetzgebung und die Rahmengesetzgebung des Bundes wurden vom Bund so extensiv genutzt, dass die konkurrierende Gesetzgebung fast ausschließlich zur Bundessache wurde. Vornehmlich die Bestimmung, dass ein Bedürfnis nach bundesgesetzlicher Regelung besteht zur Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit, insbesondere zur Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse (Bedürfhisklausel, Art. 72 (2)) erwies sich als ein sehr häufig genutztes Instrument für die Bundespolitik, ihren Anspruch geltend zu machen. Problembewältigung und Aufgabenerfüllung des ausgebauten Wohlfahrtsstaates wurden als entscheidende Gründe für die Notwendigkeit bundesgesetzlicher Regelungen geltend gemacht. Nach Kilper/Lhotta war somit im Grundgesetz die unitarische Tradition der bundesstaatlichen Ordnung Deutschlands bereits angelegt (Kilper/Lhotta: 1996, S. 99). Zu den tradierten Eigenarten des deutschen Bundesstaatsmodells gehört ferner, dass die Gliedstaaten im Bereich des Gesetzesvollzuges, der Verwaltung, ihr Haupttätigkeitsfeld haben. Die Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben durch bundeseigene Behörden wird daher in Art. 87 nur auf wenige Bereiche beschränkt, wie Bundesfinanzverwaltung, Bundeswehr, Eisenbahn, Post und Telekommunikation, Luftverkehr.5

5 Daneben gibt es die Befugnis des Bundes, in Angelegenheiten, für welche die Gesetzgebung ihm obliegt, selbständige Bundesoberbehörden und bundesunmittelbare Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechtes, unter Umständen sogar mit eigenem Verwaltungsunterbau zu errichten. Solche sieht das Grundgesetz im Bereich der Sozialversicherung vor. Im Fall der Bundesauftragsverwaltung (beispielsweise auf dem Gebiet der Kernenergie) ist es dem Bund sogar erlaubt, den obersten Landesbehörden Weisungen zu ertei-

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Diese funktionale Aufgabenteilung, mit dem Bund als Haupt-Gesetzgeber und der Übertragung der Ausführung des Großteils der Bundesgesetze und der übrigen Staatsverwaltung auf die Länder (-> § 19, III.), ist das zentrale Kennzeichen des kooperativen Föderalismus in Deutschland. Sie bildet den Ausgangspunkt für die Struktur des Exekutiven-Föderalismus und für den Prozess der Politikverflechtung. In ihr ist schon eine enge Verflechtung der staatlichen Ebenen angelegt. Politikverflechtung bedeutet also nicht einseitig eine Zentralisierung, sondern die gemeinsame Erarbeitung von Problemlösungen und Wahrnehmung von Aufgaben, gekennzeichnet durch Kompetenzverschränkungen und ein engmaschiges Zusammenwirken der handelnden Akteure (Scharpf et al.: 1976). Es entstand ein Geflecht von sich überschneidenden Kompetenzen und Koordinationsgremien formeller und informeller Art, die sowohl vertikal als auch horizontal miteinander verwoben sind. Es besteht mithin ein dichtes Netz von Aufgabenverflechtungen zwischen Bund und Ländern, was vom „Verfassungsgeber in bestimmten Grundgesetznormen so gewollt" war (Laufer/Münch: 1998, S. 140). Hinzu gezählt werden muss als begünstigender Faktor für Politikverflechtung und Exekutiven-Föderalismus noch die im internationalen Vergleich einmalige, spezifisch deutschen Traditionen entsprechende Institution des Bundesrates, einem Bundesorgan, in dem ausschließlich die Landesregierungen vertreten sind. Abbildung 2: Kompetenzverteilung nach dem Grundgesetz

Gesetzgebung

Verwaltung

Bund fast alle Gesetzgebungskompetenzen (auschließliche, konkurrierende, rahmensetzende)

kaum eigene Verwaltungskompetenz meistens nur Rechtsaufsicht bei der Durchführung oberste Bundesgerichte

Rechtsprechung Quelle: Kilper/Lhotta:

Länder wenig eigene Gesetzgebungskompetenzen (Poliz< Kultur, Kommunales etc.) Zustimmungs- und Einspruchsrecht fast alle Verwaltungskompetenz Durchführung fast aller Gesetze quantitatives Übergewicht der Landesgerichte

1996, S. 103, nach Böhret/Jann/Kronawetter:

3

1988, S. 81

Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass die wesentlichen Kompetenzverteilungen zwischen Bund und Ländern und die Wirkungsmechanismen des Bundesrates durch die Entscheidungen im Parlamentarischen Rat angelegt worden sind. Die spezifische Form des derzeitigen kooperativen Föderalismus mit der engen Kooperation von Bund und Ländern, gekennzeichnet durch ein hohes Maß an Verflechtung bei der Bearbeitung politischer und administrativer Aufgaben hat sich seit den 60er Jahren entwickelt. Es entstand die typische Form eines Verbundföderalismus mit erheblichen Mitgestaltungs- und Verhinderungsmöglichkeiten der Landesregierungen und eines Verlustes an Gestaltungsmöglichkeiten für die Landesparlamente.

len. Hier erstreckt sich seine Ausfuhrung nämlich auch auf die Zweckmäßigkeit der Ausfuhrung.

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III. Die Exekutive: Dominanz im kooperativen, verflochtenen Föderalismus Schon im Jahre 1962 prägte der Staatsrechtslehrer Konrad Hesse den Begriff vom „unitarischen Bundesstaat" (Hesse: 1962), womit er die Tendenz der gleichmäßigen Problemlösung der politischen Akteure im Bund und in den Ländern durch die Vereinheitlichung materieller Regelungen im Bundesstaat treffend analysierte. Unitarisierung ist zu unterscheiden von Zentralisierung, da letztere im Ergebnis eine Verfugungsmacht der übergeordneten gegenüber den nachgeordneten Ebenen zum Ausdruck bringt. Unitarisierung ist die Bedingung intergouvernementaler Prozesse wie Merkmal von Politikergebnissen und -zielen. Pointiert bringt Gerhard Lehmbruch daher die Entwicklung des deutschen Bundesstaates auf den Punkt, wenn er konstatiert, dass dieser „eine ausgeprägte Unitarisierung als Surrogat für Zentralisierung entwickelt" hat (Lehmbruch: 1998, S. 59). Das Gleichgewicht zwischen Bund und Ländern ist einem unitarischen Bundesstaat nicht mehr gegeben, da es keine Trennung der Aufgabenverteilung zwischen Zentralstaaten und Gliedstaaten gibt, statt dessen eine Verflechtung der Aufgabenwahrnehmung das Handeln bestimmt. Dabei hat der Bund ein Übergewicht, da er nicht nur bei der Gesetzgebung und der staatlichen Aufgabenerfüllung dominiert, sondern auch über ausreichende Mittel verfugt, um im Bereich der Verwaltung Einfluss auf die Länder im Sinne einer Unitarisierung zu nehmen. Die noch im Grundgesetz partiell angelegte föderative Differenzierung wird somit durch ein System der Politikverflechtung überlagert. Man könnte von einer Zentralisierung von Kompetenzen, einer Verflechtung von Entscheidungsprozessen und einer Unitarisierung von Regelungsmaterien sprechen (vgl. Braun: 1996, S. 109). Gefördert wurde diese Entwicklung des bundesdeutschen Föderalismus schon seit den fünfziger Jahren durch eine aktive Rolle des Bundes, so etwa bei der Finanzierung von Vorhaben außerhalb seines Kompetenzbereiches oder durch Beihilfen und Zuschüsse zu Landesinvestitionen. Diese wurden von den einzelnen Ländern zumeist bereitwillig entgegengenommen, ohne Rücksicht auf die Balance im föderativen System. Der Wille der Länder, sich einer Unitarisierung durch den Bund zu widersetzen, „fand und findet regelmäßig in der eigenen Finanzausstattung ihre Grenzen" (Kilper/Lhotta: 1996, S. 181). Asymmetrien in der Leistungskraft der Bundesländer verhinderten des weiteren eine Solidaritätsstrategie der Länder gegenüber dem Bund zugunsten der Bewahrung eigener Kompetenzen und der Verhinderung der Unitarisierungstendenzen. Verstärkt und formell institutionalisiert wurde diese Entwicklung des deutschen Föderalismus durch die Änderungen des Grundgesetzes und durch die Politik in der Zeit der Großen Koalition auf Bundesebene (1966-69), insbesondere durch die Einführung der Gemeinschaftsaufgaben (Art. 91 GG) und der Großen Finanzreform mit ihren verflochtenen Strukturen des vertikalen und horizontalen Finanzausgleichs (-> § 20, II. u. III.). Die Zunahme der sogenannten Mischfinanzierungen erhöhte die Abhängigkeit der Länder, in erster Linie der finanzschwachen, vom Bund. Doch nicht nur die Finanzsysteme von Bund und Ländern wurden immer engmaschiger zusammengeführt, auch die der Länder untereinander wurden in einer äußerst komplexen Struktur durch den horizontalen Finanzausgleich immer weiter verflochten. Das Prinzip der Kooperation verbunden mit dem der Solidarität sieht nämlich vor, dass nicht nur der Bund, sondern auch die Län-

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der füreinander aufkommen, so dass die Leistungskraftunterschiede zwischen den Ländern erheblich verringert wurden. Der Ausgleich der unterschiedlichen Finanzkraft der Länder hat zu einer Aufteilung in Geber- und Nehmerländer geführt; die leistungsstarken Länder geben den leistungsschwachen in einem Umfang, dass der horizontale Finanzausgleich den Nehmerländern mindestens 95 Prozent der durchschnittlichen Finanzkraft aller Länder garantiert. Der Bund kann die Haushaltsunterschiede der Länder des weiteren durch Ergänzungszuweisungen und sonstige Sondermittel weiter ausgleichen. Folge war eine Nivellierung der Steuer- und Finanzkraftunterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern. Des weiteren verstärkte sich die unitarisierende Tendenz zunehmend in der Phase der sozialliberalen Koalition (1969-82) durch die Bildung von zahlreichen BundLänder-Kommissionen zur Bewältigung der konjunktur- und strukturpolitischen Probleme. Auch die Länder untereinander schufen zur Selbstkoordination zahlreiche informelle und formelle Gremien, von denen die Ministerpräsidentenkonferenz und die Fachministerkonferenzen (wohl am bekanntesten ist die Konferenz der Kultusminister) die öffentlichkeitswirksamsten sind. Sowohl in den BundLänder-Kommissionen wie in denen der Selbstkoordination sind fast ausschließlich Repräsentanten der Exekutiven vertreten. Wie die Bundesexekutive auch, so entsenden die Landesexekutiven ihre Kabinettsminister und hohen Ministerialbeamten in die diversen Gremien, die hier ihre Verwaltungserfahrung einbringen können. Damit wirkt sich das durch das Grundgesetz festgelegte Verwaltungsprivileg der Länder im politischen Alltag aus, in dem die Landesregierungen und der dazugehörige Verwaltungsapparat schon im Vorfeld an vielen wichtigen politischen Entscheidungen beteiligt werden und ihre Positionen in den gesamtstaatlichen Willensbildungsprozess einbringen können. Die Organisation des Bundesrates als Kammer der Landesregierungen begünstigt erheblich diese exekutivlastige Struktur. Aus welchen Gründen heraus wurde diese Form des kooperativen Föderalismus bzw. der Politikverflechtung überhaupt entwickelt? Zunächst galt es als vorteilhaft, dass die Kosten von Maßnahmen verteilt werden konnten und „gleichzeitig der gesellschaftliche Problemdruck durch die Bearbeitung von Problemen auf verschiedenen Ebenen insgesamt reduziert wird" (Laufer/Münch: 1998, S. 249). Entstanden ist ein Verfahrensweg, der Konsenslösungen zwischen den einzelnen politischen Ebenen hervorbringen und eine breite Akzeptanz der erarbeiten Problemlösungen sicher stellen soll. Die aus Verhandlungen hervorgehenden Kompromisse sollten also ein Höchstmaß an politischer und sozialer Integration sicherstellen und potentielle Störungen des Systems durch oppositionelle Haltungen und Handlungsweisen minimieren. Nachteilig ist dagegen, dass der bei diesem Verfahren notwendig werdende Aushandlungsprozess dazu verleitet, Konflikte zu vermeiden und Lösungen aufzuschieben. Hinzu treten hoher Zeitaufwand, Intransparenz des Entscheidungsprozesses und Verwischung von Verantwortlichkeiten. Die sich aus diesen Verfahren in der Vergangenheit häufig entwickelnde status quo-Orientierung birgt die Gefahr der Unbeweglichkeit und der fehlenden Bereitschaft zu Reformen in sich. Langfristig sind Legitimationsdefizite unvermeidbar. Es ist in der politikwissenschaftlichen Literatur nicht eindeutig geklärt, ob die Politikverflechtung in eine Falle führt, was bedeuten würde, dass die Verflechtungsprobleme nur durch eine noch stärkere Verflechtung gelöst werden können. Logische Konsequenz wäre, dass die Fortschreibung von Besitzständen und das

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Verteilen staatlicher Leistungen nach dem Gießkannenprinzip die Folge sein müssen, mithin Immobilismus und politische Entscheidungen auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner inhärent für die Struktur des deutschen Föderalismus sind (vgl. Scharpf 1985). Oder ob doch - wie Ute Wachendorfer-Schmidt argumentiert - der Föderalismus in der Bundesrepublik „angemessene Lösungen für politische und soziale Probleme zulässt oder hervorbringt" (Wachendorfer-Schmidt: 1999, S. 3). Das Hauptargument für ihre Position besteht darin, dass die Steuerungsleistung des politikverflochtenen Systems durch zwei Mechanismen gesteigert werden könne: Durch Kostenverschiebungen auf Dritte, das heißt auf politische oder gesellschaftliche Akteure, die an den Abstimmungen zwischen Bund und Ländern nicht beteiligt sind, oder durch Anstöße von außen, die daraufhinwirken, dass institutionelle Eigeninteressen zu Gunsten von Problemlösungen zurücktreten müssen. Anstöße von außen gehen wohl in erster Linie von den Medien (-» § 26), der Öffentlichkeit oder aus Wahlergebnissen hervor. Doch darauf wird in der Reformdiskussion zurückzukommen sein. Zunächst soll näher auf die handelnden Akteure im föderativen System eingegangen werden, und das waren in erster Linie die Exekutiven von Bund und Ländern. Sie waren die bestimmenden Träger der unitarisierenden Verhandlungs- und Politikstrategien. Die Landesregierungen förderten die unitarisierende Entwicklung, so lange sie für die Kompetenzverluste durch einen Beteiligungsgewinn kompensiert wurden. Die Länder gaben Kompetenzen an den Bund ab, die Landesregierungen sicherten sich im Gegenzug Beteiligungsmöglichkeiten im Entscheidungsprozess auf Bundesebene. Dazu nutzten sie primär die Struktur des Bundesrates (—> § 14, III.), in dem sie sich dessen Zustimmungspflicht für eine ansteigende Zahl von Gesetzesvorhaben sicherten, um somit eine Veto-Macht auszuüben oder zumindest mitbestimmen zu können. Durch die einmalige Struktur des Bundesrates wirken die Landesregierungen entscheidend an der Politikformulierung und Gesetzgebung des Bundes mit, das heißt durch den Bundesrat partizipieren die Landesregierungen unmittelbar an den Kompetenzzuwächsen des Bundes. Aber nicht nur die Mitwirkung im Bundesrat, auch die Teilnahme der Landesregierungen an den vielfältigen informellen Gremien der Entscheidungsfindung im föderativen System sichert ihnen ein Mitspracherecht, in dem sie in vielen wichtigen Entscheidungsprozeduren an hervorgehobener Stelle beteiligt sind. Dies betrifft nicht nur die Bund-Länder-Beziehungen, sondern auch die Selbstkoordination der Länder, die - wie schon erwähnt - fast ausschließlich von den Landesregierungen durchgeführt wird. Trotz des Kompetenzverlustes der Länder konnten also die Landesexekutiven durch ihre zentrale Verhandlungsposition im System der Politikverflechtung Machtgewinne durchsetzen, die zumindest einen erheblichen Teil der originären Kompetenzverluste wettmachen. Durch die Struktur des Bundesrates begünstigt entstand somit eine enger werdende Verflechtung der Landesregierungen untereinander und der Landesregierungen mit der Bundesregierung, die in zahlreichen Ausschüssen und informellen Zirkeln Problemlösungen erarbeitet haben und gegenüber den Parlamenten ihren Informations- und Handlungsvorsprung nutzten. Gewinner der Entwicklung des deutschen Föderalismus waren die Exekutiven, Verlierer die Legislativen. Deutlich hörbare Kritik an diesen politikverflochtenen und exekutivlastigen Strukturen des deutschen Föderalismus wurde seit Mitte der 70er Jahre geäußert: Die Verwischung der Verantwortlichkeiten, die zunehmende Aushöhlung von Landeskompetenzen mit der Gefahr eines fast vollständigen Autonomieverlustes

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und das geringe Anreizpotential der Länder zur Erhöhung ihrer finanziellen Selbständigkeit bildeten dabei die Hauptkritik. Ausgangspunkt und Anlaß der aufkommenden Kritik waren die durch die unterschiedlichen Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat evident gewordenen Blockademöglichkeiten der Institutionen, die nach Ansicht der Kritiker Innovationen hemmten, Entscheidungsprozesse erheblich verlangsamten und sowohl in politischer wie zeitlicher und finanzieller Hinsicht effizienzmindernd wirkten. Nicht Effektivität und Effizienz, sondern Beteiligung möglichst vieler Akteure und die ständige Suche nach Kompromissen zwischen diesen bestimme den staatlichen Entscheidungsprozess. Gerhard Lehmbruch machte dafür den Strukturbruch zweier Entscheidungsregeln mitverantwortlich: parteipolitische Wettbewerbsdemokratie mit dem Mehrheitsprinzip und föderatives System mit konsensualem Aushandeln als jeweiligen Entscheidungsregeln bildeten einen Gegensatz, der bei unterschiedlichen Mehrheiten in Bundesrat und Bundestag und bei nicht hinreichender struktureller Flexibilität des Parteiensystems je situativ entweder die Handlungsfähigkeit des föderativen Systems oder die Legitimationskraft des Parteiensystems erheblich schwächen könnte (Lehmbruch: 1998). Der auf Konsenslösungen angelegte Föderalismus hemme den am Wettbewerb orientierten Parteienwettbewerb, verdränge die Konkurrenzdemokratie und führe zu einer informellen Allparteienregierung. Ergebnis der Vernetzung dieser beiden Entscheidungsregeln ist dann schließlich eine Verhandlungsdemokratie, in der zunehmend informelle, kaum demokratisch legitimierte Gremien Entscheidungen auf der Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners aushandeln. Wolfgang Renzsch hält dem entgegen, dass die Verlagerung der Verhandlungen in vertrauliche Zirkel die Kompromißfindung erleichtert und eine erfolgreiche Konfliktlösung begünstigt hätte. Die hervorgebrachten politischen Lösungen seien durch die in aller Regel mehrheitliche Zustimmung der politischen Parteien legitimiert und durch die Integrationskraft der Parteien stabilisiert worden. Insofern ließe sich nicht belegen, dass parteiendemokratische und föderale Entscheidungsstrukturen in Konflikt miteinander stünden, sondern im Gegenteil, sie hätten sich „immer wieder sinnvoll ergänzt" (Renzsch: 1999). Die hohe Zustimmungsrate des Bundesrates zu Gesetzesvorhaben der Bundesregierung wertet Renzsch als Beleg dafür. In seinen Beispielen zeigt Renzsch auf, dass politische Parteien auch in verflochtenen Entscheidungsstrukturen Problemlösungen befördern können, um mögliche Reformblockaden zu überwinden, mithin dass es die Parteien sind, die Bund-Länder-Differenzen durch ihre eigenen inner- und zwischenparteilichen Aushandlungsmechanismen ausgleichen können. Die ebenfalls föderativ aufgebaute Organisationsstruktur der Parteien und die Repräsentation von Landespolitikern in Spitzengremien der Parteien auf Bundesebene haben somit auch eine innerparteiliche Interessenausgleichsfunktion. Jedoch ist einzuschränken, dass inner- oder zwischenparteiliche Aushandlungsprozesse bei gegensätzlichen Interessen von Bund und Ländern nicht regelmäßig greifen, zumal nicht bei Verteilungskonflikten, wie die noch immer ausstehenden Reformen der Finanzverfassung oder der Länderneugliederung zeigen. Verteilungskonflikte und ihre unterschiedlichen Lösungsansätze sind es aber, die das Verhältnis nicht nur zwischen den Parteien, sondern auch zwischen den Ländern zunehmend bestimmen. Sie sind zum zentralen Gegenstand der kontroversen Diskussion geworden. In Zukunft dürfte der Streit zwischen den leistungsstarken und leistungsschwachen Länder um die Verteilung der knappen Finanzmittel weiter zunehmen. Die

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ersten Gespräche der Finanzminister über die vorgesehene Neuordnung des Finanzausgleichs nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom November 1999 geben einen vorläufigen Einblick in die Kontroversen. Die Diskussion verlief nach Angaben der Beteiligten „emotional aufgeladen", eine Kompromißlinie war nicht in Sicht (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11.02.2000, S. 13). Auch die nach der Vereinigung zu konstatierende größere Heterogenität der Parteiensysteme (-> § 23, II. u. IV.) von Bund und Ländern und der sich daraus ergebende steigende Wettbewerbscharakter erhöhen die Komplexität des innerund zwischenparteilichen Aushandlungsprozesses mit der Folge einer stärkeren Fragmentierung. Zudem muss hinzugefugt werden, dass zwischen den Parteien grundsätzlich kontroverse Themen nur dann kompromißfähig zu sein scheinen, wenn der Problemdruck es erzwingt oder es aus wahltaktischen Gründen opportun erscheint. Ist das nicht der Fall, nutzt die Bundestagsopposition den weiten Rahmen der Ausgestaltung des föderativen Systems, einschließlich des Bundesrates, um ihre Vorstellungen weitgehend einzubringen, bis hin zur Blockade von Gesetzesvorhaben, wie etwa in der Vergangenheit die Prozesse in der Steuer-, Renten- und Bildungsreform gezeigt haben (vgl. Wachendorfer-Schmidt: 1999, S. 29f.) Oder sie versucht durch ihre Regierungsbeteiligung auf Landesebene differente Politikinhalte gegenüber dem Bund zu implementieren. Die wachsende Vielgestaltigkeit nach der Vollendung der politischen Einheit Deutschlands bietet dafür mehr Ansatzpunkte als in der „alten" Bundesrepublik. Die Komplexität der Entscheidungsprozesse und die fortwährende Kompromißhaftigkeit der Politikergebnisse lassen den Schluss zu, dass weder der Parteienwettbewerb generell den Föderalismus überlagert, noch dass sich die Handlungslogiken des föderativen Systems und des Parteien Wettbewerbs prinzipiell diametral gegenüberstehen. Allerdings begünstigt die Struktur des föderativen Systems in Deutschland insgesamt eine status-quo-Orientierung. Für die Analyse des einzelnen Entscheidungsprozesses im föderativen System heißt dies, es sind stets die Unterschiede in den Entscheidungs-Konstellationen mit ihrer eigenen Thematik, Motivstruktur der Akteure, ihren Zielen und ihrer strategischen Absicht zu beachten. Prozesse der Mehrheitsbildung und Konsensfindung stehen dabei eher in einem komplementären Verhältnis, denn ohne Konsensfindung können nur selten Mehrheiten organisiert werden, und ohne Mehrheiten kommen keine stabilen Entscheidungen zustande. Dass jedoch Mehrheitsentscheidungen und Kompromißfindung einer jeweils anderen Logik des Entscheidens entspringen, wird damit nicht bestritten. Erste, vorsichtige Entflechtungsversuche des föderativen Systems der Bundesrepublik gehen zurück auf die 80er Jahre. Ein Präferenzwechsel beim Bund hin zu Aufgabenentlastung statt Aufgabenerweiterung und steigendes Selbstbewußtsein der finanzstarken Länder können als wesentliche Gründe dafür geltend gemacht werden (Braun: 1996, S. 11 Off.). Der Bund versprach sich von einer größeren Autonomie der Länder eine Entlastung von Aufgaben und damit eine Erhöhung der Handlungsfähigkeit bei den verbleibenden Kompetenzen. Die Strategie der Aufgabenentlastung sollte durch vereinzelte Dezentralisierungsmaßnahmen abgesichert werden. Diese Vorhaben deckten sich mit den Bestrebungen der finanzstarken Länder nach größerer Autonomie und mehr Vielfalt, nach mehr eigenständigen Politikvorhaben anstatt Nivellierung und an Gleichheit orientierten Verteilungsmustern. Diese nahmen in einzelnen Bereichen wieder verstärkt ihre Kompetenzen wahr, wie die Entwicklung eigenständiger Strukturpolitik, die För-

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derung technologischer Innovationen, die Weiterentwicklung regionaler Energieversorgungssysteme, Maßnahmen zur Beseitigung von Altlasten und die Unterstützung von Selbsthilfeinitiativen zeigen (vgl. Hesse/Benz: 1990; s.a. § 16). Doch diese eher inkrementalen Veränderungsprozesse waren nicht ausreichend, um die Strukturen des politikverflochtenen kooperativen Föderalismus in Deutschland grundlegend umzugestalten, wozu wohl der politische Wille auch nicht ausgeprägt genug war. Braun verweist auf zwei wesentliche Gründe (Braun: 1996, S. 112f.): Es waren erstens primär Austeritätserwägungen des Bundes und nicht genuine Reformbestrebungen zur Durchsetzung konkurrenzföderalistischer Elemente, die das Handeln des Bundes motivierten. Zweitens, und das ist wohl wesentlicher, führte die Asymmetrie der Finanzkraft unter den Ländern dazu, dass die leistungsschwächeren Länder die Zurückhaltung des Bundes aufgrund ihrer von wirtschaftlichen Krisenerscheinungen gezeichneten und sich daraus ergebenden schwierigen finanziellen Situation nicht zu ihren Gunsten umsetzen konnten. Der Bund blieb nicht zuletzt durch die Urteile des Bundesverfassungsgerichts in der Pflicht, für die finanzschwächeren Länder einzustehen. Diese Hilfen wurden von den Ländern aber auch bereitwillig entgegengenommen. Erst der Prozess der Vereinigung Deutschlands bot wieder neue Opportunitätsstrukturen, dem kooperativen Föderalismus Deutschlands mehr konkurrenzföderalistische Elemente hinzuzufügen. Diese würden wesentlich eine Stärkung der Parlamente mit beinhalten, sind sie doch die Verlierer des deswegen zurecht als Exekutiven-Föderalismus bezeichneten föderativen Systems Deutschlands. Daher sollten wir, bevor wir auf die jüngsten Herausforderungen des deutschen Föderalismus - deutsche Vereinigung und europäische Integration - näher eingehen, zunächst den Blick auf die Legislativen der Länder richten.

IV. Die Legislative: Landesparlamente als dauerhafter Kompetenzverlierer Alle deutschen Bundesländer sind in ihrer Verfassung als parlamentarische Regierungssysteme (-> § 2, III.) konzipiert. Nach Interpretation des BVerfG erstreckt sich das Homogenitätsgebot des Grundgesetzes (Art. 28 Abs. 1) auch auf diesen Bereich der verfassungsmäßigen Ordnung (vgl. BVerfG, bei Jun: 21996, S. 490). Damit stehen also der Landtag, die Bürgerschaft (Bremen und Hamburg) bzw. das Abgeordnetenhaus (Berlin) nominell im Zentrum der politischen Ordnung. De facto wird jedoch spätestens seit Ende der 1960er Jahre ein kontinuierlicher Bedeutungsverlust konstatiert. Nach einem kurzen Überblick über ihre strukturellen Merkmale sollen daher Funktionen und Funktionserfüllung der Länderparlamente etwas genauer betrachtet werden. Insgesamt ist die institutionelle Struktur des Länderparlamentarismus der des Bundes sehr ähnlich. Trotz einer Vielzahl struktureller Gemeinsamkeiten finden sich zwischen den einzelnen Ländern jedoch auch interessante Abweichungen. Zu den Gemeinsamkeiten zählt die ausnahmslos unikamerale Organisation der Länderparlamente. Die einzige zweite Kammer, der bayerische Senat, wurde 1998 per Volksentscheid zum 1. Januar 2000 abgeschafft. In Niedersachsen und Rheinland-Pfalz gibt es allerdings seit kurzem kommunale Kammern. Ursprünglich als verfassungsrechtlich verankerte Institutionen nach dem Vorbild des Bundesrates geplant, sind diese jedoch nicht institutionell mit dem Landtag verknüpft und

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üben lediglich beratende Funktion aus. Ähnliche Bestrebungen gibt es auch in Bayern und Sachsen. Die Wahlverfahren zu den Landesparlamenten sind äußerst vielfältig, gehören aber alle zu den Verhältniswahlsystemen (-» § 22, II.). Häufig werden dabei Listen- und Personenwahl kombiniert. In der Regel geschieht dies wie bei der Bundestagswahl durch eine Zweitstimme. Baden-Württemberg und NordrheinWestfalen kommen dafür jedoch auch mit einer Stimme aus. Bayern ist das einzige Land mit einer offenen Liste. In den drei kleinsten Bundesländern Bremen, Hamburg und dem Saarland wird nach dem reinen Verhältniswahlsystem mit geschlossenen Listen gewählt. Die Legislaturperioden sind auf 4 bzw. 5 Jahre begrenzt. Die ungleichen Größenverhältnisse der Bundesländer finden ihren Ausdruck in einer stark unterschiedlichen Mandatszahl. So verfügt der bayerische Landtag über 204 Sitze, während im Saarland lediglich 51 Abgeordnete zu wählen sind. Auch die interne Organisation der Länderparlamente folgt im wesentlichen dem Modell des deutschen Bundestages (-* § 9). Neben dem Plenum, das jedoch deutlich weniger jährliche Sitzungstage aufweist als der Bundestag, sind es vor allem die Ausschüsse in denen die Parlamentsarbeit verrichtet wird. In den nichtöffentlichen Sitzungen (nur Berlin und Bayern kennen öffentliche Ausschußsitzungen) können auch externe Interessen- und Verbandsvertreter gehört werden. Die Länderparlamente sind in hohem Maße geprägt von dem über Fraktionen organisierten Dualismus zwischen Regierung und Opposition. Die durch Immunität und Indemnität geschützten Abgeordneten sind rechtlich nur ihrem Gewissen verpflichtet, tatsächlich führen Karriere- und Wiederwahlinteressen jedoch zu einem hohen Maß an Fraktionsdisziplin. Insgesamt unterscheiden sich Amtsverständnis und Arbeitsalltag von Landtags- und Bundestagsabgeordneten nur wenig, wobei eine Studie ersteren im Vergleich zu ihren Kollegen im Bundestag eine stärkere Wahlkreisorientierung attestiert (Patzelt: 1991, S. 33). Zu dieser Angleichung hat nicht zuletzt die Professionalisierung beigetragen, die die Landtage in den vergangenen Jahrzehnten erfahren haben. Der steigende Arbeits- und Zeitaufwand wurde dabei von einem Anwachsen der Personal- und Mitarbeiterstäbe sowie erhöhten Diäten und Aufwandsentschädigungen begleitet. Seit dem berühmten Diätenurteil des BVerfG von 1975 haben sich mittlerweile alle Landtage zu „Vollzeitparlamenten" entwickelt, auch wenn manche die Fiktion des Teilzeit- bzw. Feierabend-Parlamentes lange Zeit aufrecht erhalten haben. So wird in Baden-Württemberg trotz monatlicher Abgeordnetenbezüge von knapp über 10.000 DM (Diäten und Aufwandsentschädigungen) noch immer von der „Stuttgarter Teilzeitlösung" (Schneider: 1989) gesprochen. Diese Entwicklung ist sowohl in der Öffentlichkeit als auch im wissenschaftlichen Diskurs vielfach kritisiert worden. Diäten und Einkommenserhöhungen, so wird eingewandt, stünden in direktem Widerspruch zum Macht- und Bedeutungsverlust der Landtage (v. Arnim: 1997, S. 186ff.). Dabei wird nicht nur der tatsächliche Arbeitsaufwand der Abgeordneten übersehen. Zu fragen wäre auch, wie ein Parlament von Feierabendpolitikern eine hochprofessionalisierte Exekutive (man denke nur an die politischen Beamten der Staatskanzleien) wirkungs-

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voll kontrollieren kann. Die vielbeklagte Dominanz der Exekutive ist durch eine Deprofessionalisierung der Legislative jedenfalls nicht zu brechen. 6 In welcher Weise zeigt sich nun der Funktionsverlust der Länderparlamente? Am deutlichsten wird er ohne Zweifel bei der klassischen Aufgabe von Parlamenten: der Gesetzgebung. Dabei manifestiert sich der generelle Trend zum Niedergang der Gesetzgebungsfiinktion, den Bagehot immerhin bereits im 19. Jhd. fiir das britische Parlament konstatierte, bei den deutschen Länderparlamenten in besonders drastischer Weise. Der kontinuierliche Verlust von Gesetzgebungskompetenzen im Zeitverlauf wurde bereits im vorigen Kapitel dokumentiert. Die letzten verbliebenen selbständigen legislativen Gestaltungsspielräume liegen heute in den Bereichen Kultur (Wissenschaft, Bildung und Erziehung), Medien (Rundfunk und Pressewesen) innere Sicherheit (Polizeiwesen), in der Landesverwaltung sowie im kommunalen Sektor. Allerdings darf dabei nicht übersehen werden, dass auch diese Gesetzgebungsmaterien durch die freiwillige Kooperation der Länderexekutiven (siehe oben) schon vielfach dem Zugriff der einzelnen Länderparlamente entzogen sind (die sogenannte „Selbstentmachtung"). Wie in anderen Parlamenten auch, finden die Gesetzesvorlagen aus der Regierung dabei im allgemeinen eine automatische Mehrheit. Zusätzliche Konkurrenz ist den Parlamenten durch die Verankerung plebiszitärer Elemente in den meisten Landesverfassungen erwachsen. In den letzten Jahren ist in einigen Ländern zunehmend von der Möglichkeit der Gesetzesinitiative über Volksbegehren und Volksentscheid Gebrauch gemacht worden. Die Dominanz der Exekutiven im bundesdeutschen Föderalismus lässt die Bedeutung zweier anderer Parlamentsfunktionen wachsen: die Wahl- bzw. Auswahlfunktion und die Kontrollfunktion. Die Wahl der Regierung ist eine der zentralen Aufgaben der Länderparlamente. Dabei wird in manchen Ländern nur der Ministerpräsident gewählt, der seinerseits sein Kabinett berufen kann, in anderen müssen sich die Regierungsmannschaften als ganzes, in den Stadtstaaten gar alle Minister einzeln dem Parlamentsvotum stellen. Auch die Regelungen zur Ablösung der Regierung bzw. einzelner Minister während der Legislaturperiode sind äußerst uneinheitlich. Sie reichen vom einfachen Mißtrauensvotum über das auf Bundesebene gültige Modell des konstruktiven Mißtrauensvotums bis hin zur bayerischen Variante, die keine formelle Vertrauensabstimmung kennt. Die Wahlfunktion erstreckt sich nicht ausschließlich auf Regierungsämter. Auch andere gliedstaatliche Amtsträger, etwa die Richter an den Landesverfassungsgerichten werden auf Vorschlag der Parlamente ernannt. In der Praxis ist die Wahlfunktion natürlich weitestgehend auf den Vollzug von Personalentscheidungen der jeweiligen Parteigremien beschränkt. Nur in wenigen Ausnahmefällen haben Landtage bislang abweichende Präferenzen entwickelt. Dennoch ist die Wahl durch das Parlament von erheblicher Bedeutung, verleiht sie der Regierung doch erst ihre demokratische Legitimation. Die Kontrolle von Regierung und Verwaltung wird vielfach als die wichtigste Funktion der Länderparlamente angesehen (Schneider: 1989). Die im Vergleich

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So zielt auch die Begrenzung der Gewährung von zusätzlichen Entschädigungen für Abgeordnete mit besonderen Funktionen im Diätenurteil des BVerfG vom Juli 2000 nicht auf eine Deprofessionalisierung der Landtagsabgeordneten. Vielmehr geht es darum, zusätzliche Abhängigkeiten zu verhindern, die aus innerparteilichen Einkommenshierarchien zwangsläufig resultieren (vgl. 2 BvH 3/91).

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zum Bundestag deutlich größere Bedeutung ergibt sich einerseits aus dem Verwaltungsprivileg (-> § 19) der Länder, die ja auch für den Vollzug eines Großteils der Bundesgesetze verantwortlich sind, und andererseits aus ihrer Rolle als kommunale Aufsichtsbehörde. Im parlamentarischen Regierungssystem der Länder obliegt es dabei vor allem der Opposition, die zur Verfügung stehenden parlamentarischen Instrumente (kleine und große Anfragen, die aktuelle Stunde, Untersuchungsausschüsse etc.) zu einer effizienten Sach- und Richtungskontrolle zu nutzen. Erschwert wird diese Aufgabe durch die besondere Form des kooperativen Föderalismus und der Politikverflechtung in Deutschland, welche politische Verantwortung nur schwer zurechenbar macht, indem sie die spezifische Verantwortlichkeit der jeweiligen Landesregierung in der kollektiven Verantwortung des Bundesrates oder der Fachministerkonferenzen untergehen lässt. Auch die Erfüllung der sogenannten Debatten-, Artikulations- oder Kommunikationsfunktion ist mit systemimmanten Problemen behaftet. So führt die beschränkte Entscheidungskompetenz der Landtage auch zu einem geringeren Interesse der Öffentlichkeit bzw. der Medien. Während die inhaltlichen Auseinandersetzungen über Sachentscheidungen über einen Kreis von Spezialisten hinaus nur unzureichend vermittelt werden (können?), versuchen Parlamentarier dieses Defizit durch „Schaufensterdebatten" zu Themen weit außerhalb ihres Kompetenzbereiches zu kompensieren. Massenmedien entnehmen ihre Informationen zunehmend den Landespressekonferenzen der Fraktionen, insbesondere der Regierungsfraktion, und berichten nur noch selten über das parlamentarische Geschehen (Jun: 21996, S. 498). Der Beitrag der Länderparlamente zur politischen Willensbildung ist eher bescheiden. Dagegen erfüllen die deutschen Landesparlamente eine Funktion, die in der parlamentarismustheoretischen Literatur gar nicht vorgesehen ist. Durch ihren räumlich begrenzten Geltungsbereich erlauben sie es, gewissermaßen als politisches Labor, personelle und inhaltliche Optionen für die Bundespolitik zunächst als Versuch im kleinen Maßstab auszuprobieren. Zwar schränkt der enge legislative Spielraum die Innovationsfähigkeit auf der Policy-Ebene ein, doch gelang es einzelnen Ländern dennoch immer wieder, in jüngeren Politikfeldern (etwa in der Umweltpolitik oder beim Datenschutz) eine Vorreiterrolle zu spielen. Wichtiger ist diese „Laborfunktion" (Greß/Huth: 1998, S. 54) aber im Bereich der Politics. So sammeln neue Parteien ihre ersten parlamentarischen Erfahrungen auf der Landesebene (man denke etwa an die Grünen), neue Koalitionspartner können getestet und bundespolitische Koalitionswechsel vorbereitet werden (siehe Jun 1994). Es ist anzunehmen, dass mit der zunehmenden Ausdifferenzierung der Parteiensysteme in den Ländern (Kropp/Sturm: 1999) diese Funktion in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen wird.

V. Jüngere Herausforderungen für den deutschen Föderalismus 1. Die deutsche Vereinigung Wie schon oben erwähnt, bot der Prozess der politischen Einheit Deutschlands neue Opportunitätsstrukturen, um das föderative System Deutschlands zu verändern. Die Integration der neuen Länder in die bestehenden Strukturen des föderativen Systems war nicht nur eine Herausforderung, sondern bot reformwilligen

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Kräften gleichzeitig Chancen, ihre Interessen verstärkt zur Geltung zu bringen. Die finanzstarken Länder versuchten entsprechend im Zuge der Veränderungen diese Gelegenheit zu nutzen, um „Maximalforderungen konkurrenzföderalistischer Prägung" (Braun: 1996, S. 113) gegenüber dem Bund durchzusetzen. Ausdruck dieser Gedanken ist das sogenannte „Eckpunkte-Papier" der Ministerpräsidenten vom 5. Juli 1990 (abgedruckt in ZParl: 1990, S. 461ff.). Im Mittelpunkt der Forderungen der Landesregierungen standen mehr Mitspracherechte auf europäischer Ebene (-» V. 2), eine Neuverteilung der Staatsaufgaben zwischen Bund und Ländern und eine Reform der Finanzbeziehungen Hauptbezugspunkt bei der Neuverteilung der Staatsaufgaben war die konkurrierende Gesetzgebung, die in der Vergangenheit extensiv vom Bund in Anspruch genommen wurde. Die Länder forderten, dass die Gesetzgebung umfassend neu überprüft werden müsse im Hinblick auf eine mögliche Rückübertragung von Kompetenzen an die Länder. Bundesregierung und Bundestag widersetzten sich diesem Ansinnen nicht gänzlich, stimmten einer partiellen Änderung des Artikel 72 zu: Aus der „Bedürfnisklausel" wurde eine „Erfordernisklausel". Brauchte der Bund in der Vergangenheit nur ein Bedürfiiis nach bundesgesetzlicher Regelung anzumelden, wozu er insbesondere die Forderung nach der „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse" in Anspruch nahm, muss er jetzt explizit kundtun, dass er in einem Regelungsbereich die Kompetenzen übernehmen will, indem das Erfordernis einer bundesgesetzlichen Regelung begründet wird. Auch ist nicht mehr die „Einheitlichkeit", sondern die „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse" Richtschnur des Handelns. Die Länder können dann einen Kompetenzbereich des Bundes übernehmen, wenn eine bundesgesetzliche Regelung nicht mehr erforderlich ist. Allerdings muss das durch ein Bundesgesetz bestimmt werden. D.h. der Bund hat es selbst in der Hand, auf Kompetenzen zu verzichten. Laufer und Münch sehen daher in den Auswirkungen der Neufassung von Artikel 72 keine wesentliche Verbesserung zugunsten der Länder, der Verlust der Gesetzgebungszuständigkeiten sei nur gebremst, nicht einmal partiell rückgängig gemacht worden (Laufer/Münch: 1998, S. 130). Auch andere Neufassungen, etwa bei der Rahmengesetzgebung, haben keine nennenswerte Machtverschiebung zugunsten der Länder bewirkt. Ernüchternd für die Reformbefiirworter endeten auch die Diskussionen um die Veränderungen der Finanzordnung. Es herrscht die Auffassung vor, es sei gerade in diesem Bereich nicht gelungen, zu prinzipiellen Umgestaltungen zu kommen (siehe ausführlicher zur Finanzordnung Renzsch: 1991; Laufer/Münch: 1998, S. 199ff.). Tatsächlich gelten die wesentlichen Mechanismen der bundesdeutschen Finanzordnung von vor 1989 fort. Entscheidender Grund für die fehlende Durchsetzung von Reformen war die äußerst disparate Haltung der Bundesländer: Setzten die finanzstarken auf mehr Eigenständigkeit, die neuen auf Zuweisungen vom Bund und auf die Einbeziehung in das bestehende Ausgleichssystem, so setzten die alten finanzschwachen auf Wege, ihre Lasten zu begrenzen (Kilper/Lhotta: 1996, S. 254). Eine grundsätzliche Neugestaltung war unter diesen Bedingungen nicht zu erreichen. Die Länder entwickelten keine einheitliche Linie gegenüber dem Bund, konnten aber immerhin durch eine geschickte Verhandlungsstrategie, die sie relativ geschlossen auftreten ließ, einige Vorteile für sich gegenüber dem Bund gewinnen, von denen die Anhebung des Umsatzsteueranteils der gewichtigste ist. Wesentliche Veränderungen haben diese nicht bewirkt. Der Finanzausgleich beteiligt weiterhin den Bund durch Ergänzungszuweisungen, Bundeshilfen

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und Gemeinschaftsaufgaben erheblich an Länderaufgaben und ist in seiner vertikalen und horizontalen Form auch weiterhin an Nivellierung und Solidarität orientiert. Eine Neuordnung könnte jetzt nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom November 1999 erfolgen. Demnach muss der Gesetzgeber bis Ende 2002 mit einem Gesetz die Basisbestimmungen für die Maßstäbe der Ausgaben von Bund und Ländern festlegen. Auf der Grundlage dieses Maßstabsgesetzes muss dann ab dem Jahr 2005 ein neues Länderfinanzausgleichssystem konzipiert werden. Bund und Länder sollten diese Gelegenheit nutzen, die Finanzordnung gänzlich neu zu reformieren. Auf der Habenseite des deutschen Föderalismus steht nach der Vollendung der politischen Einheit Deutschlands, dass es relativ problemlos gelungen ist, die fünf neuen Bundesländer und den Ostteil Berlins in die bestehende Struktur zu integrieren, ohne dass gravierende Brüche zu verzeichnen sind. Selbst die Einpassung der fünf neuen Länder in das komplexe Finanzausgleichssystem wurde vollzogen. Der Preis dafür ist allerdings, dass der Koordinierungsaufwand und Kooperationszwang zwischen dem Bund und den Ländern und zwischen den Ländern weiter gewachsen ist. Durch die weitgehend nur als Anpassungsmaßnahmen zu bezeichnenden Veränderungen wurden die Strukturen des exekutivlastigen Beteiligungsföderalismus und der Politikverflechtung beibehalten. Die politischen Aufgaben sind aber nach der Vereinigung komplexer, die Aushandlungsprozesse komplizierter und die Kompromißfindung nicht einfacher geworden. Daraus folgt die Forderung nach einer Reform des deutschen Bundesstaates Reformen im Hinblick auf eine Stärkung des Konkurrenzföderalismus wurden trotz verbesserter Ausgangspositionen (Jeffery: 1999) kaum in Angriff genommen, so dass nach Auffassung der zunehmenden Zahl von Kritikern „die grundlegenden Mängel, die dem System bereits innewohnten, als deutsche Einheit und Europäische Union heraufzogen, (...) nicht aufgegriffen, geschweige denn behoben" wurden (Leonardy: 1999, S. 136; auch Schultze: 1999). Da die wichtigsten Grundlagen des kooperativen Föderalismus der Bundesrepublik entfielen, sei die Notwendigkeit von Reformen unabweisbar. Als die politisch-institutionellen Grundlagen des kooperativen Föderalismus gelten (vgl. Schultze: 1999): a) ein hohes Maß an gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Homogenität; b) weitgehende Akzeptanz des Politikstils des konkordanzdemokratischen Aushandelns bei den Akteuren; c) weitgehende Entsprechung der Strukturen der Parteiensysteme von Bund und Ländern. Spätestens nach der Vereinigung Deutschlands sind diese Grundlagen erodiert, eine Reform der bundesstaatlichen Ordnung in Richtung eines konkurrenzföderalistischen Systems gilt als notwendig. Die wirtschaftliche und gesellschaftliche Heterogenität zwischen den Ländern, die abnehmende Bereitschaft einzelner Akteure in den Ländern zu konkordanzdemokratischem Aushandeln und die Ausdifferenzierung der Parteiensysteme sind Anlaß und zugleich Ansatzpunkte für reformorientierte Konzepte des föderativen Systems. Gefordert werden mehr Autonomie der Länder in der Steuerpolitik, klare Kompetenzabgrenzungen zwischen Bund und Ländern bei der Gesetzgebung, eine Entflechtung der Aufgaben und der Finanzierung (inklusive des Steuerverbundes), mehr Transparenz in den Prozessen der Entscheidungsfindung und ein Abbau der „Vetoposition" des Bundesrates. Dies setzt eine grundsätzliche Umorientierung voraus, das heißt zumindest die partielle Abkehr von Politikverflechtung und Verbundföderalismus, hin zu mehr Autonomie und Wettbewerb, zu loser Koppelung und freiwilliger Kooperation. Diese Entwicklungsperspektive hat durch das im

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europäischen Integrationsprozess neu belebte Subsidiaritätsprinzip neue Nahrung erhalten. Regionalisierungs- und Föderalisierungstendenzen innerhalb der Europäischen Union mit einhergehender Entflechtung bieten den Ländern einen Rahmen, um ihre eigene Position gegenüber dem Bund zu stärken und gegenüber den Institutionen der Europäischen Union zumindest zu bewahren. Bevor die Reformperspektiven in diesem Rahmen beleuchtet werden, sollte zunächst auf die veränderten Bedingungen für das bundesstaatliche System durch den europäischen Integrationsprozess näher eingegangen werden. 2. Der europäische Integrationsprozess Die vielfältigen Herausforderungen des europäischen Integrationsprozesses für den deutschen Föderalismus lassen sich auf zwei zentrale Probleme reduzieren. Zum einen hat die schrittweise Kompetenzübertragung an die Institutionen der Europäischen Union (-» § 17) die innerstaatliche Balance zwischen Integration und Autonomie weiter in Richtung des Integrationspols verschoben. Zweitens stellt sich mit der institutionellen Weiterentwicklung der Europäischen Union die Frage, ob diese nicht selbst zu einem föderalen System geworden ist und welche institutionellen Konsequenzen sich daraus langfristig für den bundesdeutschen Föderalismus ergeben. Die Übertragung staatlicher Hoheitsrechte vom Bund auf die Europäische Union betrifft die Länder auf zweierlei Weise. Zum einen beraubte es sie in vielen Fällen ihrer Mitwirkungsrechte über den Bundesrat, denn im Ministerrat der Europäischen Union war bis vor kurzem nur der Bund vertreten. Darüber hinaus zehrte es aber auch die ohnehin schon ausgedünnten exklusiven Länderkompetenzen (etwa im Bereich der Medienpolitik) weiter aus. Die Länder reagierten auf diese Entwicklung wie sie auch schon auf die innerstaatlichen Kompetenzverluste an den Bund reagiert hatten: mit der Forderung nach verstärkter Beteiligung an zentralen Entscheidungsprozessen sowohl auf innerstaatlicher als auch auf europäischer Ebene. Und damit waren sie recht erfolgreich: Die gegenwärtigen Beteiligungsrechte der Länder bei der deutschen Europapolitik sind nicht nur sehr weitreichend, sie sind seit 1992 auch verfassungsrechtlich abgesichert. Der neue Europa-Artikel 23 des Grundgesetzes legt ein komplexes System der Länderbeteiligung fest, das sich im wesentlichen an der innerstaatlichen Kompetenzverteilung orientiert. Danach wirken die Länder über den Bundesrat in Angelegenheit der Europäischen Union mit. Dieser fungiert damit erstmals als kollektives Koordinations- und Vertretungsorgan der Länder und nicht als Bundesorgan. Um diese Aufgabe erfüllen zu können, ist er mit einem speziellen EU-Ausschuß ausgestattet worden, der eine schnelle Informationsverarbeitung und damit kurze Reaktionszeiten erlaubt. Außerdem ist das Einstimmigkeitsprinzip aufgegeben worden, dass bei der freiwilligen innerstaatlichen Koordinierung in Bereichen der ausschließlichen Länderkompetenz gilt. Grundsätzlich kennt das Grundgesetz zwei verschiedene Formen der Bund-Länder Zusammenarbeit. Sind innerhalb der ausschließlichen Zuständigkeiten des Bundes oder der ihm zufallenden Bereiche der konkurrierenden und der Rahmengesetzgebung Interessen der Länder betroffen, so sind die Länder an der Willensbildung zu beteiligen. Der Bund muss die Stellungnahme des Bundesrates maßgeblich berücksichtigen. Die endgültige Bestimmung der deutschen Position ver-

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bleibt aber beim Bund (Art. 23 Abs. 5 GG). Anders verhält es sich dagegen, wenn ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder betroffen sind. Hier sollen die mitgliedstaatlichen Rechte des Bundes auf einen vom Bundesrat zu bestimmenden Vertreter der Länder übertragen werden (Art. 23 Abs. 6 GG), der den Bund in Zusammenarbeit mit der Bundesregierung und unter Wahrung der gesamtstaatlichen Verantwortung des Bundes im Ministerrat vertritt. Dieses Letztentscheidungsrecht der Länder ist jedoch durch verschiedene inhaltliche und prozessuale Bestimmungen beschränkt (Klatt: 1999, S. 155). Auch was die Weiterentwicklung der Europäischen Union angeht, ist die Bundesregierung an die Zustimmung der Länder gebunden. Jede weitere Übertragung von Hoheitsrechten bedarf seit der Grundgesetzänderung einer qualifizierten Mehrheit in Bundestag, wie Bundesrat. Im letzten Jahrzehnt wurden auch die direkten Kontakte der Länder zur Europäischen Union erheblich ausgebaut. Die Grundlagen dafür wurden im Maastrichter Vertrag gelegt. Schon damals hatten die deutschen Länder ihre Interessen nicht ausschließlich über die Bundesregierung in den europäischen Entscheidungsprozess eingebracht. Gemeinsam mit anderen Regionen, insbesondere den belgischen Gemeinschaften, nutzten sie die Versammlung der Regionen Europas (VRE), um ihren Forderungen Ausdruck zu verleihen. Sie erreichten schließlich eine vertragliche Verankerung des Subsidiaritätsprinzips, die Errichtung des Ausschusses der Regionen, sowie die grundsätzliche Möglichkeit der Entsendung regionaler Minister als mitgliedstaatliche Vertreter in den Ministerrat (was die oben beschriebene innerstaatliche Regelung erst möglich machte). Im Ausschuss der Regionen sind die deutschen Länder nun erstmals offiziell als Teil einer dritten Ebene der Europäischen Union institutionalisiert. Eine effektive Interessenvertretung erlaubt dies jedoch nur bedingt. Zum einen sind die Kompetenzen des Ausschusses als einem reinen Beratungsorgan stark eingeschränkt. Zum zweiten müssen die Länder ihre Interessen dort nicht nur mit allen anderen europäischen Regionen abstimmen, sondern auch mit den Vertretern der kommunalen Ebene, die ebenfalls Eintritt in den Ausschuss der Regionen gefunden haben. Eine Möglichkeit zum direkten Kontakt mit Institutionen der Europäischen Union haben sich mittlerweile alle Länder durch die Eröffnung sogenannter Informationsbüros in Brüssel geschaffen. Was Rechtsform und Ressourcenausstattung angeht, sind diese Büros sehr unterschiedlich. Ihre Aufgabe besteht darin, direkten Kontakt zu Institutionen der Europäischen Union, insbesondere der Kommission, zu halten, frühestmöglich über relevante Entwicklungen in der Europäischen Union zu informieren, Gesprächskontakte zu vermitteln, über Förderprogramme zu beraten und bei der Antragstellung behilflich zu sein sowie in bestimmten Fällen auch als Lobbyisten im Interesse des Landes oder auch privatwirtschaftlicher Akteure tätig zu werden. Was bedeuten nun all diese Veränderungen für die Entwicklung des deutschen Föderalismus, und wie wirken diese wiederum auf den europäischen Integrationsprozess zurück? Bislang hat der europäische Integrationsprozess vor allem das vorherrschende innerstaatliche Entwicklungsmuster, den Trend zu einem kooperativen, hochverflochtenen Föderalismus unterstützt. Autonome Befugnisse der Länder sind weggefallen, die Mitwirkungsrechte auf bundespolitischer und supranationaler Ebene wurden gestärkt. Damit wurde aber auch die Balance der horizontalen Gewaltenteilung zwischen Regierung und Parlament weiter zugunsten der Exekutive verschoben. Denn es sind die Länderregierungen, die über den

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Bundesrat, und zum Teil auch über den Ausschuss der Regionen und die Länderbüros an der Politik der Europäischen Union beteiligt sind. Die Landtage sind vom europäischen Willensbildungsprozess weitgehend ausgeschlossen. Selbst eine wirkungsvolle Kontrolle fällt ihnen zunehmend schwer (Klatt: 1999, S. 162f.).7 Um die politische und sozialwissenschaftliche Bewertung dieser Entwicklungen hat sich in den vergangenen Jahren eine kontroverse Debatte entwickelt (vgl. etwa Borkenhagen: 1998; van Brök: 1998; Luthardt: 1999). Nachdem in den 1980er Jahren vor allem die sogenannte „Nebenaußenpolitik" der Länder durch die Brüsseler Informationsbüros in der Kritik gestanden hat, ist mittlerweile die Neuregelung der innerstaatlichen Beteiligung durch den Europaartikel 23 des Grundgesetzes in das Zentrum der Diskussion gerückt (Klatt: 1999). Dieser, so die Kritiker, stelle die außenpolitische Handlungsfähigkeit des Bundes in Frage (Brök: 1998, S. 34). Der deutsche Föderalismus wurde daher verschiedentlich bereits auf dem Weg zu einem Staatenbund gesehen (Vgl. Gerstenlauer: 1995, S. 208). Im Hinblick auf die weitere Entwicklung der Europäischen Union gilt die Blockademacht des Bundesrates als ernsthafte Gefahr für den weiteren Integrationsprozess (Gerstenlauer: 1995, S. 213). Befürworter einer starken europapolitischen Rolle der Länder betonen demgegenüber die von Produktivität und Kooperationsbereitschaft geprägte bisherige politische Praxis. Die Europapolitik erscheint dabei als Positivsummenspiel, in welchem die neugewonnene Kompetenz der Länder nicht zu Lasten anderer Akteure geht, sondern den Policy-Prozess insgesamt befruchtet (vgl. etwa Borkenhagen: 1998). Ob die im Vergleich zu anderen europäischen Regionen privilegierte Stellung der deutschen Länder allerdings zum europäischen Modell taugt, darf an dieser Stelle dennoch bezweifelt werden. Angesichts seiner Exekutivlastigkeit weist der deutsche Föderalismus kaum einen Ausweg aus dem sogenannten „demokratischen Defizit" der Europäischen Union. Eine Übertragung der komplexen Beteiligungsregelung auf die Regionen aller 15 (und in Kürze evtl. bald mehr) Mitgliedstaaten würde auch Effizienz und Transparenz der europäischen Entscheidungsverfahren nicht eben erhöhen. Jede weitere Institutionalisierung von Vetopositionen auf der dritten Ebene würde vielmehr die für Deutschland konstatierten Pathologien einer „doppelten Politikverflechtungsfalle" (Scharpf: 1985, siehe oben) auf das europäische Mehrebenensystem übertragen. Empirisch betrachtet spricht gegenwärtig kaum etwas für eine Konvergenz innerstaatlicher Territorialstrukturen in der Europäischen Union. Gerade die Errichtung des Ausschusses der Regionen mit seiner heterogenen Zusammensetzung hat gezeigt, dass die Hoffnung auf eine Homogenisierung der dritten Ebene nach deutschem Vorbild illusorisch ist (vgl. Leonardy: 1999, S. 158). Auch die internen Regionalisierungs- und Föderalisierungsprozesse verschiedener Mitgliedstaaten sind weder einer einheitlichen Europäisierung geschuldet, noch weisen sie alle in dieselbe Richtung (vgl. Stolz: 2000). Der europäische Föderalismus und die Territorialstruktur seiner Mitgliedstaaten sind zwar untrennbar miteinander verknüpft, doch bilden sie kein umfassendes, einheitliches Institutionensystem.

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Zu den aktuellen Versuchen der Länderparlamente über eine Anpassung ihrer inneren Strukturen (inbesondere die Einrichtung von europapolitischen Ausschüssen) europapolitisches Terrain zurückzugewinnen, siehe Lenz/Johne: 2000.

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Die Herausforderungen, die sich aus dieser Beziehung ergeben, sind daher für jedes Mitgliedsland unterschiedlich. Für das föderative System der Bundesrepublik Deutschland scheinen diese insbesondere in der tendenziellen Stärkung seines Verbundcharakters zu bestehen. Versuche, dieser Tendenz entgegenzuwirken, müssen mit einer innenpolitischen Entflechtung und der Re-Parlamentarisierung des deutschen Föderalismus beginnen. In der politischen und wissenschaftlichen Debatte der letzten Jahre sind derartige Reformvorschläge zum festen Topos geworden (vgl. etwa Leonardy: 1999; Schultze: 1999; Schmidt-Jortzig: 1998). Der fortschreitende europäische Integrationsprozess verlangt nun aber, dass der Reformhorizont nicht auf die innerstaatliche Arena beschränkt bleibt. Auch auf europäischer Ebene muss es um eine klarere Aufteilung und Abgrenzung sachbestimmter Kompetenzen gehen (Leonardy: 1999, S. 157). Mit der Bekräftigung ihrer dahingehenden Forderung im Vorfeld der Verhandlungen um die Osterweiterung der Europäischen Union scheinen die deutschen Länder die europäische Dimension des Problems erkannt zu haben. Seine Lösung hängt dort jedoch nicht allein von ihnen ab.

VI. Reformperspektiven des deutschen Föderalismus Doch auch auf nationaler Ebene ist die Reformdiskussion in vollem Gange. Die Forderungen nach grundlegenden Reformen der bundesstaatlichen Ordnung bewegen sich dabei zwischen den Prinzipien Vielfalt und Wettbewerb sowie Leistungsfähigkeit und Solidarität: „Notwendig ist also der Versuch, den demokratisch wie kommunitär begründbaren Autonomieansprüchen einerseits und den sozial und gerechtigkeitstheoretisch begründbaren Integrationsnotwendigkeiten andererseits Rechnung zu tragen und sie stets aufs neue angemessen zu vermitteln" (Schultze: 1999, S. 189). Eine Neubestimmung der Staatsaufgaben zwischen Bund und Ländern im Hinblick auf die Schaffung von mehr Autonomie für die Gliedstaaten und dadurch sich erhöhende Konkurrenz durch mehr Wettbewerb muss also stets berücksichtigen, dass auch das Prinzip der Solidarität und der Grundsatz der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse adäquate Beachtung finden. Ausbalancierung von Interessen und Kooperation von Akteuren sind für föderative Systeme auch in Zukunft konstitutiv. Konkurrenz und Wettbewerb sollten nicht die Schutzlosigkeit leistungsschwacher Länder nach sich ziehen. Unumstritten ist aber, dass eine Reform der bundesstaatlichen Ordnung eine Neudefinition der Aufgaben von Bund und Ländern voraussetzt, und zwar in Richtung von Entflechtung, Eigenverantwortung, Stärkung der föderalen Wettbewerbspotentiale durch klare Kompetenzabgrenzungen zwischen Bund und Ländern sowie erhöhter Transparenz des Entscheidungsfindungsprozesses, ohne gleichzeitig die Handlungsfähigkeit einzelner Länder erheblich zu beeinträchtigen und ihre Wettbewerbsposition strukturell zu unterminieren. Autonom kann ein einzelnes Land doch nur dann handeln, wenn es die ihm übertragenen Aufgaben aus eigener Kraft bewältigen kann. Ein reiner Konkurrenzföderalismus ist weder durchsetzbar, noch erscheint er auf der derzeitigen Basis geeignet zur Lösung der anstehenden Probleme. Vor diesem Hintergrund wurden in den letzten Jahren verschiedene konkrete Reformvorschläge in die Diskussion eingebracht. An erster Stelle im Forderungskatalog steht dabei zumeist die Rückgabe legislativer Kompetenzen vom Bund an

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die Länderparlamente. Auf welche Materien sich dies beziehen soll, bleibt dabei jedoch häufig im Unklaren. Um eine Verschiebung der föderalen Balance zu Gunsten der Länder zu verhindern, sind solche Vorschläge häufig mit der Rücknahme der Zuständigkeiten und Vetomöglichkeiten des Bundesrates verbunden (zum Teil bis auf Verfassungsänderungen, vgl. Luthardt: 1999a). Neben einer Revitalisierung der Landespolitik soll damit also gleichzeitig das im deutschen Föderalismus angelegte Blockadepotential entschärft werden. Ein zweiter zentraler Gegenstand der Reformdiskussion ist die Finanzverfassung. In der wissenschaftlichen Literatur scheint sich dabei ein breiter Konsens für einen recht radikalen Reformvorschlag abzuzeichnen, nämlich die Umkehrung des bisherigen Lastenverteilungsprinzips. Danach soll die gegenwärtige exekutive Kausalität, d.h. die Finanzierung staatlicher Aufgaben durch die für deren Verwaltung zuständige Behörde, durch eine legislative Kausalität ersetzt werden, wonach Bund und Länder jeweils die Kosten für ihre eigene Gesetzgebung zu tragen hätten, (vgl. etwa Klatt: 1999a; Leonardy: 1999). In diesem Zusammenhang müßten dann natürlich auch die steuergesetzlichen Regelungen entsprechend reformiert werden. Hier reichen die Forderungen von der gerechteren Steueraufteilung zwischen Bund und Ländern, über ein Steuerhebesatzrecht bis hin zur Einführung neuer Ländersteuern und einem eigenständigen Steuerfindungsrecht der Länder (vgl. Klatt: 1999a; Luthardt: 1999). Ziel einer solchen Entflechtung der Finanzverfassung ist eine Stärkung der Handlungsautonomie der Länder und damit die Schaffung einer wichtigen Vorraussetzung für die Entwicklung hin zum Wettbewerbsföderalismus. Vor allem aber könnte durch eine solche Reform die Zurechenbarkeit politischer Verantwortlichkeit deutlich verbessert und damit die Legitimation des politischen Systems als Ganzem erhöht werden. Als entscheidende Bedingung einer durchgreifenden Reform gilt aber vielen Reformbefürwortern eine Länderneugliederung (vgl. Stolorz: 1997; Schultze: 1999; Leonardy: 1999). Durch eine Neugliederung sollen die erheblichen Asymmetrien zwischen den Ländern abgebaut und die Wettbewerbsfähgkeit aller Länder wieder hergestellt werden. Als Kriterien für gleiche Leistungsfähigkeit gelten dabei finanzielle, wirtschaftliche, politische und administrative Ausgewogenheit zwischen den Ländern. Mit einer solchen Territorialreform wären gleichzeitig die Probleme des horizontalen und vertikalen Finanzausgleichs erheblich abgemildert. Das Innovationspotential einer solchen Reform erschöpft sich jedoch keineswegs nur in einer Vereinigung selbständiger Länder mit ihrer Zusammenführung der Bevölkerungen, Haushalte und Verwaltungseinheiten. Sie bewirkt nach Auffassung von Stolorz vor allem auch „eine Revitalisierung der teilregionalen Kräfte und Mittel sowie eine Vergrößerung der administrativen und finanziellen Manövriermasse" (Stolorz: 1997, S. 325). Die Kosten der politischen Führung und der administrativen Tätigkeiten könnten verringert, größere Effizienz durch die Verlagerung von Aufgaben an funktionsstarke Regionen und Gemeinden erreicht werden, was Bund und Länder gleichermaßen entlasten würde. Die Grundlagen für einen an mehr Konkurrenz orientierten Föderalismus wären gelegt. Zur Neugliederung sind seit der Vorlage des Berichts der Ernst-Kommission im Jahre 1973, der die Forderung nach einer grundlegenden Territorialreform mit

8 Die „Ernst-Kommission für die Neugliederung des Bundesgebietes" wurde von der damaligen Bundesregierung eingesetzt. Die aus Fachleuten zusammengesetzte Kommis-

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konkreten Entwürfen verband, entsprechend zahlreiche konstruktive Vorschläge gemacht worden. Doch sie scheiterten zumeist schon am fehlenden Interesse der Akteure, diese auch umzusetzen. Auch die Gelegenheit der Vereinigung konnte nicht zu einer Neugliederung genutzt werden, im Gegenteil, durch die (Wieder)Entstehung von fünf in ihrer Leistungsfähigkeit strukturell benachteiligten Bundesländern hat die Asymmetrie des deutschen Bundesstaates eine neue Dimension erhalten. Die gescheiterte Fusion der Länder Berlin und Brandenburg durch die Volksabstimmung im Jahr 1996 hat die Erfolgsaussichten auf Realisierung einer Länderneugliederung mittelfristig erheblich reduziert. Als Alternative erscheint daher gegenwärtig die Einführung bzw. Verfestigung bereits bestehender Kooperationen auf regionaler Basis (vgl Benz: 1992; - » § 16). Dieses kann auf länderübergreifender politischer Ebene passieren, wie im Fall Berlins und Brandenburgs nach dem Scheitern der Fusion. Dort sind diverse Arbeitsgruppen und Kommissionen eingesetzt worden, um die Zusammenarbeit der Länder insbesondere in den Bereichen Planung, Infrastruktur, Verwaltung und Entwicklung zu verstetigen. Kooperationen können auch auf der regionalen Ebene selbst, also unterhalb der Länderebene angesiedelt sein, wo regionale Netzwerke die Standort- und Lebensbedingungen für die beziehungsweise in der Region verbessern sollen. Solche Kooperationsformen sollten dauerhaft institutionalisiert werden, um ihren Bestand zu gewährleisten. Gerade in den Bereichen regionale Wirtschaftsförderung, Infrastrukturversorgung, regionale Technologiepolitik oder Verwaltungspolitik bieten sich Entwicklungspotentiale für derartige Kooperationen an, die auf eine stärkere Dezentralisierung von Politik hinauslaufen würden (vgl. Benz: 1998). Wie dieser kurze Überblick gezeigt hat, ist der deutsche Föderalismus innerhalb seines bundesstaatlichen Rahmens durchaus in Bewegung. War seine Entwicklung bis vor kurzem weitgehend von zentripetalen Tendenzen geprägt, so weist die gegenwärtige Reformdiskussion in die entgegengesetzte Richtung. Spätestens im Kontext der doppelten Herausforderung aus europäischem Integrations- und innerdeutschem Vereinigungsprozess ist das hochverflochtene System des kooperativen Föderalismus endgültig an seine Grenzen gestoßen. Was seine Reformfähigkeit angeht, gibt es jedoch Anlaß zu Zweifel. Immer wieder scheinen hier die Mechanismen der „Politikverflechtungsfalle" zu greifen (siehe oben). Diese besondere Form der institutionellen Pfadabhängigkeit wird dabei verstärkt durch die Interessen von politischer Klasse und Verwaltungseliten sowie einer stark zentralstaatlich geprägten politischen Kultur (vgl. Schultze: 1999; v. Arnim: 2000). So stoßen Länderneugliederungsvorschläge ebenso auf Besitzstandsinteressen der Länderexekutiven (schließlich kämen diese de facto einer Selbstauflösung mancher Länder gleich) wie die Forderung nach Rückbau bundespolitischer Kompetenzen des Bundesrates. Diese eindeutige Priorität der Beteiligung an zentralstaatlichen Entscheidungen über die Stärkung der Länderautonomie hat ihre Basis nicht zuletzt auch in den hochintegrierten Organisationsstrukturen, Willensbildungsprozessen und Karrierepfaden der Parteien. Ist damit also der jüngst laut gewordenen radikalen Kritik am bundesdeutschen Föderalismus und der These seiner inneren Reformunfähigkeit (vgl. insbesondere v. Arnim: 2000) beizupflichten? Ohne Zweifel bedarf die Durchsetzung wirklich

sion sollte das Reformpotential in Hinblick auf die Neugliederung der Bundesrepublik erarbeiten.

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tiefgreifender Reformen vor allem externer Anstösse. Der Einbeziehung sorgsam durchdachter plebiszitärer Elemente könnte dabei eine große Bedeutung zukommen. Einige der in der Diskussion befindlichen Reformvorschläge sollten jedoch zunächst eingehend auf ihre konkreten Folgewirkungen geprüft werden, ehe sie vorschnell als Heilmittel propagiert werden. Ob etwa die Deprofessionalisierung der Länderparlamente oder die Volkswahl der Ministerpräsidenten (v. Arnim: 2000) tatsächlich zum Abbau der Exekutivlastigkeit des deutschen Föderalismus beitragen können, darf zumindest bezweifelt werden. Grundsätzlich ist eine dauerhafte Selbstblockade des deutschen Föderalismus aber keineswegs vorherbestimmt. Dem institutionellen Konservatismus stehen gegenwärtig tiefgreifende gesellschaftliche und politische Wandlungsprozesse entgegen. Die vielzitierte Homogenität der Bundesrepublik beginnt zu bröckeln. Gesellschaftliche Desintegrationsprozesse, insbesondere die sich nicht schließen wollende Kluft zwischen Ost und West, Dezentralisierungsprozesse im Parteiensystem und bei der Koalitionsbildung, zusammen mit anhaltenden Wirtschaftsund Haushaltskrisen erzeugen einen permanenten Handlungsbedarf und bieten gleichzeitig Ansatzpunkte für inkrementalen institutionellen Wandel. Langfristig dürften davon auch die politische Kultur und das Bewußtsein von Politikern und Bevölkerung nicht unbeeinflusst bleiben. Auch wenn also mit einem großen Reformentwurf auf absehbare Zeit nicht zu rechnen ist, sollte die Dynamik der Föderalismus, selbst in seiner bundesdeutschen, Form nicht unterschätzt werden.

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§ 7 Kommunale Demokratie Kathrin Böck I. Kommunale Selbstverwaltung und lokale Demokratie - II. Rahmenbedingungen kommunalen Handelns - III. Kommunen unter Veränderungsdruck Grundlagenliteratur: Gabriel, Oscar W. (1989) (Hg.): Kommunale Demokratie zwischen Politik und Verwaltung. München Gessenharter, Wolfgang (1996): Warum neue Beteiligungsmodelle auf kommunaler Ebene? Kommunalpolitik zwischen Globalisierung und Demokratisierung. In: APuZ B 50, S. 3ff. Kleinfeld, Ralf (1996): Kommunalpolitik. Opladen Naßmacher, Hiltrud / Naßmacher Karl-Heinz (1999): Kommunalpolitik in Deutschland. Opladen Reichard, Christoph / Wollmann, Hellmut (1996) (Hg.): Kommunalverwaltung im Modernisierungsschub? Basel Schefold, Dian / Neumann, Maja (1996): Entwicklungstendenzen der Kommunalverfassungen in Deutschland: Demokratisierung und Dezentralisierung? Basel von Arnim, Hans Herbert (1997a): Auf dem Weg zur optimalen Gemeindeverfassung?. In: Lüder, Klaus (Hg.): Staat und Verwaltung. Berlin, S. 297ff. Wollmann, Hellmut / Roth, Roland (1999) (Hg.): Kommunalpolitik. Opladen

I. Kommunale Selbstverwaltung und lokale Demokratie Die Kommunale Selbstverwaltung, in Deutschland seit langem das Organisationsprinzip lokaler Demokratie, ist als Institution verfassungsrechtlich geschützt. Gleichzeitig sind einer schrankenlosen kommunalen Autonomie jedoch auf verschiedene Weise Grenzen gesetzt. Das Stichwort von der kommunalen Demokratie "zwischen Politik und Verwaltung" benennt knapp aber zutreffend den wesentlichen Konflikt, mit dem sich die örtlichen Entscheidungsträger in der Praxis immer wieder konfrontiert sehen: Sind die kommunalen Gebietskörperschaften in erster Linie - oder gar ausschließlich - Exekutivorgane des Bundes und der Länder, oder sind sie zu einem wesentlichen Teil auch Orte eigenständiger Politikgestaltung mit entsprechenden Handlungs- und Entscheidungsspielräumen? In diesem Beitrag wird davon ausgegangen, dass die Kommunen grundsätzlich beide Funktionen haben, also dezentralen Verwaltungsvollzug und lokale Politik betreiben und damit neben Bund und Ländern die dritte politische Ebene bilden. Allerdings gelten sie staatsrechtlich betrachtet nicht als dritte staatliche Ebene, sondern sind Teil der Landesverwaltungen. Neben Städten und Gemeinden zählen auch Kreise und Gemeindeverbände zu den kommunalen Gebietskörperschaften. Wenn im folgenden von Kommunen die Rede ist, sind jedoch in der Regel ausschließlich Gemeinden und Städte gemeint (zur Stellung und Funktion der Kreise vgl. von der Heide: 1999). Mittlerweile blickt Deutschland auf eine fast zweihundertjährige Tradition der kommunalen Selbstverwaltung zurück. Seit dem frühen 19. Jhd. haben sich so-

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wohl das Verhältnis zwischen Staat und Kommunen als auch die Beteiligungschancen der Bevölkerung gründlich gewandelt. Waren es damals nur einige wenige privilegierte und ausschließlich männliche Bürger, die an lokalpolitischen Entscheidungen partizipieren konnten, so ist heute für alle deutschen Bürgerinnen und Bürger sowie mittlerweile für die ständigen Einwohner aus dem EU-Ausland, die sogenannten Unionsbürgerinnen und -bürger, das aktive und passive Wahlrecht auf der kommunalen Ebene verfassungsrechtlich verbürgt. 1. Selbstverwaltungstraditionell Im Zuge der militärischen Niederlage gegen Napoleon I. (1769-1821) gerieten die spätabsolutistischen Staaten Deutschlands und insbesondere Preußen zunehmend unter Reformdruck. Dabei spielte die kommunale Ebene als ein Feld für die Umsetzung politisch-administrativer Neuerungen eine Schlüsselrolle. Die Reformimpulse kamen aus zwei Richtungen (vgl. Wollmann: 1999a, S. 51): So zielten die Frühliberalen mit ihren an das englische Konzept des "local self-government" angelehnten Ideen unter deutlicher Betonung des (Lokal-)Politischen auf die Demokratisierung der politischen Verhältnisse. Sie forderten die Autonomie der Städte und die Schaffimg repräsentativ-demokratischer lokaler Entscheidungsstrukturen (-» § 1, III.). Die Reformer der anderen Richtung strebten demgegenüber nach kommunaler Selbstverwaltung mit einem deutlich staats-administrativen Akzent. Nach ihrer Vorstellung sollte die Autonomie der Städte in erster Linie bezwecken, dass die Bürger bestimmte Verwaltungstätigkeiten ehrenamtlich selbst erfüllten und somit der preußische Zentralstaat von bestimmten Aufgaben und der Bereitstellung entsprechender finanzieller und personeller Ressourcen entlastet werde. In der Preußischen Städteordnung (PrStO) von 1808, deren wesentlicher Urheber der Reformer Freiherr vom Stein (1757-1831) war, finden sich beide Reformansätze wieder, wenngleich letzterer deutlich im Vordergrund stand. Der Idee der kommunalen Selbstregierung wurde insofern Rechnung getragen, als eine "Versammlung von Stadtverordneten" eingerichtet wurde, deren Mitglieder nach dem Prinzip der Allzuständigkeit "die unbegrenzte Vollmacht" hatten, "in allen Angelegenheiten des Gemeinwesens der Stadt" (§ 108 PrStO) zu entscheiden. Gewählt wurde dieses lokale Beschlussorgan von allen, die im Sinne der Städteordnung "freie Stadtbürger" waren. Allerdings wurden die Bürgerrechte ausschließlich männlichen Stadtbewohnern mit einem bestimmten Einkommen verliehen. Für Frauen gab es keinerlei politische Beteiligungsrechte (§ 74 PrStO). Damit war die kommunale Selbstverwaltung preußischer Prägung ein hochgradig exklusives Demokratiemodell. Zwar wurden die Voraussetzungen für den Bürgerstatus in der Fassung der PrStO von 1853 geringfügig geändert, so dass das Wahlrecht nun jeder erhielt, der finanziell in der Lage war, einen Hausstand zu führen und einen bestimmten Steuersatz zu entrichten. Gleichzeitig diente jedoch die Einführung von Zensus- und Dreiklassenwahlrecht dazu, insbesondere die Arbeiterschaft aus den kommunalpolitischen Entscheidungsstrukturen auszuschließen und die bürgerliche Klassenherrschaft abzusichern. Die vor der Reichsgründung 1871 (-^ § 1, III.) in den deutschen Ländern existierenden Kommunalverfassungen differierten sowohl hinsichtlich der Ausgestaltung der Zensushöhen, der Klassenwahlrechte und der Bürgerrechtsbestimmun-

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gen als auch im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Staat und Kommunen. Während der preußische Zentralstaat seine Kommunen stets nur widerwillig aus der Bevormundung ließ und im Zuge der Änderungen der Städteordnung erneut die eigenen Aufsichtsrechte gegenüber der lokalen Ebene stärkte, waren in Baden durch das Gemeindegesetz von 1831 die staatlichen Eingriffsrechte stark beschränkt, und - in Preußen undenkbar - die vormals staatliche Polizei wurde Teil der Gemeindeverwaltung. An der Vielfalt im deutschen Kommunalverfassungsrecht änderte sich mit der Gründung des ersten deutschen Nationalstaates zunächst nichts, da die Verfassung von 1871 das Recht der Einzelstaaten, eigene Kommunalverfassungen zu erlassen, nicht berührte. Auch das Prinzip der getrennten Städte- und Gemeindeordnungen wurde im Deutschen Kaiserreich beibehalten. Offensichtlich divergierten die Interessen von Stadt- und Landgemeinden so erheblich, dass sich gemeinsame rechtliche Regelungen nicht durchsetzen ließen. Ohnehin war deren Sinnhaftigkeit angesichts der Unterschiede in der Selbstverwaltungsfähigkeit fraglich. Mit der Einfuhrung des allgemeinen Wahlrechts sowie der Verankerung des Rechts auf kommunale Selbstverwaltung in Artikel 127 der Weimarer Reichsverfassung von 1919 veränderten sich die Rahmenbedingungen. Zwar blieben die Kommunen der gesellschaftlichen Sphäre zugeordnet und wurden im staatsrechtlichen Sinne nicht als dritte staatliche Ebene konstituiert, jedoch wurden die kommunalen Entscheidungsstrukturen durch die weiterhin von den Ländern zu beschließenden Kommunalverfassungen deutlich demokratisiert. Die damit einhergehende Politisierung der lokalen Ebene war vielen Konservativen, deren Auffassung nach kommunale Selbstverwaltung einzig der dezentrale Vollzug staatlicher Aufgaben zu sein hatte, ein Dorn im Auge, und sie machten keinen Hehl daraus, dass sie "den Bestand und die Handlungsfähigkeit des Staates durch Demokratie und Pluralismus im allgemeinen und durch eine Politisierung und Parlamentarisierung der kommunalen Ebene im besonderen gefährdet" sahen (Wollmann: 1999a, S. 54). Die allmähliche Demokratisierung wie auch die Tradition der kommunalen Selbstverwaltung überhaupt wurden durch die Herrschaft der Nationalsozialisten jäh unterbrochen. Mit der Deutschen Gemeindeordnung vom 30. Januar 1935 erzwang der NS-Staat die Vereinheitlichung des bisherigen deutschen Kommunalverfassungsrechts unter nationalsozialistischen Rahmenbedingungen. Die Gleichschaltung der kommunalen Ebene, deren Unterwerfung unter das "Führerprinzip", diente primär der Machtabsicherung der NSDAP. Für demokratisch legitimierte kommunale Vertretungskörperschaften mit eigenen Beschlussrechten war im totalitären System des Dritten Reichs kein Platz mehr (s.a. —> § 1, V.). Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs spielten die Kommunen eine herausragende Rolle beim Wiederaufbau der örtlichen Infrastruktur. Vordringlicher Handlungsbedarf bestand vor allem hinsichtlich der Wiederbeschaffung von Wohnraum, der Instandsetzung der Versorgungsleitungen für Wasser, Gas und Strom und des Wiederaufbaus der lokalen Verkehrseinrichtungen. Das Votum der Alliierten, wonach die Stärkung der dezentralen Verwaltungseinheiten eine wichtige Grundlage für die Demokratisierung des politisch-administrativen Systems war, verschaffte den Kommunen eine starke Stellung. Zudem genossen die lokalen Gemeinwesen als einzige funktionierende Träger der öffentlichen Verwaltung in den ersten Nachkriegsjahren bei der Bevölkerung ein hohes Ansehen.

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Mit der Verabschiedung der ersten Gemeindeordnungen und den ersten Kommunalwahlen hielt die repräsentative Demokratie z.T. noch vor der Gründung der Bundesrepublik in vielen Kommunen Westdeutschlands Einzug. In den neuen Kommunalverfassungen schlugen sich teilweise die amerikanischen, britischen und französischen Vorstellungen von lokaler Demokratie nieder. Gleichzeitig wurde jedoch an die jeweiligen Selbstverwaltungstraditionen der früheren Länder angeknüpft. Deutlich anders verlief die Entwicklung in der Sowjetischen Besatzungszone bzw. in der späteren DDR, wo schon früh der Grundsatz der zentralistischen Steuerung den Rahmen für die Kompetenzen und Aufgaben der lokalen Organe bildete. Geregelt war deren Verantwortungsbereich zuletzt im "Gesetz über die örtlichen Volksvertretungen in der DDR vom 4.7.1985" und einer Reihe anderer Gesetze, die in ihrer Gesamtheit der Vervollkommnung des zentralistischen Staatsaufbaus und der Sicherung des Führungsanspruchs der SED dienten. Dementsprechend wurden die örtlichen Volksvertretungen als "Organe der sozialistischen Staatsmacht" bezeichnet (Schefold/Neumann: 1996, S. 13f.).

2. Verfassungsrechtliche Grundlagen Der deutschen Selbstverwaltungstradition entsprechend hielten die Mütter und Väter des Grundgesetzes 1949 am zweistufigen Verwaltungsaufbau, bestehend aus Bund und Ländern fest. Gleichwohl ordnet das Grundgesetz die Kommunen im Gegensatz zur Weimarer Reichsverfassung - innerhalb der vertikalen staatlichen Ordnung eindeutig dem öffentlichen Bereich zu und bekennt sich zu deren Integration in den demokratischen Staatsaufbau. Zum Ausdruck kommt dies in Art. 28, Abs. 1 Satz 2 GG, wo gleichermaßen eine demokratisch gewählte Volksvertretung für die Länder und Kommunen eingefordert wird. Diese sogenannte bundesstaatliche Homogenitätsklausel verdeutlicht die Einbeziehung der Gemeinden und Kreise in das bundesrepublikanische Modell einer "gestuften Demokratie" (Püttner: 1982, S. 5; § 8, II.) mit drei politischen und zwei Verwaltungsebenen. Durch die institutionelle Selbstverwaltungsgarantie in Art. 28, Abs. 2 GG ist die Institution "Kommunale Selbstverwaltung" verfassungsrechtlich geschützt und insoweit prinzipiell auch das Recht jeder einzelnen Kommune auf Selbstverwaltung. In Satz 1 heißt es: "Den Gemeinden muss das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln." Damit postuliert das Grundgesetz zunächst eine generelle "Allzuständigkeit" der Kommunen, die allerdings durch den Gesetzesvorbehalt nicht unerheblich eingeschränkt ist. Auch in anderer Hinsicht sind der kommunalen Selbstverwaltung Grenzen gesetzt: So ergibt sich aus der grundgesetzlichen Selbstverwaltungsgarantie für die Kommunen kein territorialer Bestandsschutz. D.h. wenn im Zuge von Gebietsreformen mehrere Kommunen zu einer größeren Einheit zusammengefasst werden, bewahrt das Grundgesetz diese ausdrücklich nicht vor einem solchen Eingriff. Weiterhin begründet Art. 28, Abs. 2 GG keinen Anspruch auf die Zuweisung ständig gleichbleibender Aufgaben. Immerhin besagt jedoch die in diesem Zusammenhang bedeutsame Rastede-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts,

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dass den Gemeinden ein Kernbestand kommunaler Aufgaben nicht entzogen werden darf (BVerfGE 79, 127ff). II. Rahmenbedingungen kommunalen Handelns Zu den Rahmenbedingungen kommunalen Handelns in Deutschland zählen neben den allgemeinen Vorgaben des Grundgesetzes in erster Linie die Kommunalverfassungen der Bundesländer, die unter anderem die formalen Entscheidungsstrukturen näher bestimmen. Hinsichtlich der Aufgabenerfüllung "vor Ort" gilt, dass die Kommunen prinzipiell berechtigt sind "alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln" (Art. 28 Abs. 2 GG). Das aber bedeutet nicht, dass sie - salopp gesprochen - tun und lassen können, was sie wollen. Vielmehr vollzieht sich kommunale Aufgabenerfullung stets im Spannungsfeld von staatlichen Vorgaben durch Bundesund Landesgesetze und eigenständiger politischer Schwerpunktsetzung. Schließlich ist eine wesentliche Rahmenbedingung die finanzielle Ausstattung der Kommunen und hier insbesondere ihre Abhängigkeit von staatlichen Zuweisungen. 1. Gemeindeordnungen im Wandel Noch 1990 fanden sich in den acht Flächenstaaten der alten Bundesrepublik vier verschiedene Typen von Kommunalverfassungen: die Süddeutsche Ratsverfassung (Baden-Württemberg und Bayern), die Bürgermeisterverfassung (Saarland, Rheinland-Pfalz, und Landgemeinden in Schleswig-Holstein), die Magistratsverfassung (Hessen, Städte in Schleswig-Holstein) und die Norddeutsche Ratsverfassung (Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen). In den fünf neuen Bundesländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen trat am 17. Mai 1990 die noch von der (erst- und einmalig demokratisch gewählten) Volkskammer verabschiedete Kommunalverfassung der DDR in Kraft, die als Übergangsregelung bis nach den Landtagswahlen 1993/94 gedacht war. Zwischen 1991 und 1996 beschlossen die Gesetzgebungsorgane aller alten Bundesländer mit Ausnahme von Baden-Württemberg und Bayern umfassende Änderungen ihrer Kommunalverfassungen.9 Im gleichen Zeitraum verabschiedeten die Landtage der neuen Bundesländer erstmalig eigenständige Gemeinde- und Landkreisordnungen. Auslösendes Moment für diese Veränderungswelle war ein Volksentscheid parallel zur Landtagswahl am 20. Januar 1991 in Hessen, bei dem sich 82 Prozent der Abstimmenden für die Einführung der Direktwahl von Bürgermeistern und Landräten aussprachen, was eine entsprechende Änderung der Gemeindeordnung wie auch der Landkreisordnung zur Folge hatte. Dem hessischen Beispiel folgend nahmen bis 1996 alle anderen Bundesländer dieses direktdemokratische Element in ihre Kommunalverfassungen auf. Allerdings war dies 9

In Bayern wurde allerdings durch Volksbegehren und Volksentscheid mit Wirkung vom 1.11.1995 die Gemeindeordnung um ein wesentliches Element - Bürgerbegehren und Bürgerentscheid - ergänzt.

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nur eine, wenn auch wesentliche Änderung, die nach jahrelangen Diskussionen um eine Vereinheitlichung der Kommunalverfassungen zu einer Annäherung aller übrigen Gemeindeordnungen an das baden-württembergische Modell der süddeutschen Ratsverfassung führte. Ein anderes Kernelement der baden-württembergischen Gemeindeordnung fand ebenfalls Eingang in die Gemeindeordnungen der übrigen zwölf Flächenländer: Die Wahlbevölkerung kann über wichtige kommunale Angelegenheiten per Bürgerentscheid abschließend entscheiden und solche Entscheidungen mittels Bürgerbegehren auch selbst initiieren. Außerdem können mittlerweile die Bürger überall bis auf in Nordrhein-Westfalen, Saarland und Schleswig-Holstein bei den Kommunalwahlen Kandidatinnen und Kandidaten aus verschiedenen Listen wählen (Panaschieren) und Stimmen bei einzelnen Kandidatinnen bzw. Kandidaten anhäufen (kumulieren). D.h. sie sind nicht darauf beschränkt, starre, von den Parteien aufgestellte Listen anzukreuzen und haben somit einen größeren Einfluss auf die Zusammensetzung der Kommunalparlamente. Damit wurden innerhalb eines knappen Jahrzehnts in großer Breite drei direktdemokratische Elemente auf der kommunalen Ebene eingeführt. Diese Entwicklung ist insofern zu begrüßen, als bereits seit den 1970er Jahren der rege Zulauf zu den neu entstehenden Bürgerinitiativen verdeutlicht hatte, dass sich viele Menschen politische Beteiligungsmöglichkeiten jenseits des Kreuzchenmachens alle paar Jahre wünschten (-> §§ 24, 29). Gerade in Zeiten ausgeprägter Politikerinnen)- und Parteienverdrossenheit sind solche Formen direktdemokratischer Partizipation, die den Parteieneinfluss reduzieren und die Bürgerinnen und Bürgern punktuell mit mehr Entscheidungsmacht ausstatten, ein wichtiges Mittel zur Stärkung der lokalen Demokratie. Anders als früher werden insbesondere die kommunalen Referenden Bürgerbegehren und Bürgerentscheid heute nicht mehr als Konkurrenz, sondern als Ergänzung zum repräsentativ-demokratischen Modell verstanden. Von nahezu historischer Bedeutung ist die flächendeckende Aufnahme direktdemokratischer Elemente in die Gemeindeordnungen vor dem Hintergrund, dass in der Bundesrepublik Deutschland aufgrund der Erfahrungen in der Weimarer Republik Plebiszite lange Zeit sehr argwöhnisch betrachtet wurden. Auch im Hinblick auf die formalen Entscheidungsstrukturen brachten die Reformen der 1990er Jahre eine Angleichung der Gemeindeordnungen mit sich. Während bei der Erweiterung der Partizipationsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger die Demokratisierung der lokalen Ebene im Vordergrund stand, war das Ziel einer veränderten Kompetenzverteilung zwischen Politik und Verwaltung, die Effizienz kommunaler Entscheidungsstrukturen zu steigern und die kommunalpolitische Steuerungsfähigkeit zu verbessern. 2. Kommunale Entscheidungsstrukturen Die formalen Entscheidungsstrukturen wie die Kompetenzverteilung zwischen ehrenamtlicher Vertretungskörperschaft (im einzelnen Rat, Gemeinderat, Stadtrat, Gemeindevertretung genannt)1 und hauptamtlicher Verwaltung, die Art der Ver-

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Der Einfachheit halber werden im folgenden meistens die Begriffe Gemeindevertretung und Kommunalparlament verwendet.

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waltungsleitung sowie die Stellung und die Rechte des Verwaltungschefs werden durch die Gemeindeordnungen bestimmt. a) Die Kompetenzverteilung zwischen Politik und Verwaltung Während bis zu den jüngsten Reformen im Geltungsbereich der Norddeutschen Ratsverfassung (Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen) die gesamte Entscheidungsbefugnis beim Rat lag und die Verwaltung ihre Kompetenzen von diesem Repräsentativorgan ableitete und ausschließlich dessen Beschlüsse ausführte (sog. monistisches System), ist mittlerweile die Kompetenzverteilung zwischen Politik und Verwaltung in allen Bundesländern dualistisch ausgestaltet. Im dualistischen System haben Gemeindevertretung und Verwaltung je eigenständige Aufgaben, d.h. die Kompetenzen sind auf zwei Organe verteilt, und das "Verwaltungsorgan" besitzt nicht nur abgeleitete Befugnisse (vgl. Knemeyer: 1993, S.83). In allen Bundesländern fungiert die kommunale Vertretungskörperschaft als oberstes Entscheidungs- und Beschlussorgan. Ihre Mitglieder werden von den Bürgerinnen und Bürgern in unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen gewählt (-> §22, IV.). Grundsätzlich besteht für die kommunalen Vertretungskörperschaften insoweit "Allzuständigkeit", als dass sie für alle örtlichen Angelegenheiten die Entscheidungskompetenz besitzen, die nicht vom Gesetz ausdrücklich anderen Organen zugewiesen sind. Das betrifft z.B. die sogenannten Geschäfte der "laufenden Verwaltung", die dem Bürgermeister bzw. der Bürgermeisterin vorbehalten sind. Die Gemeindevertretungen können jedoch in gewissem Umfang Aufgaben an die Verwaltungsleitung delegieren. Außerdem können sie Fachausschüsse bilden und diese mit der Erledigung bestimmter Aufgaben betrauen. Insbesondere in größeren Städten erledigen die Ausschüsse einen Großteil der anfallenden "parlamentarischen" Arbeit. Allerdings gibt es einige ausschließliche Zuständigkeiten, welche die Gemeindevertretung in keinem Fall übertragen darf (vgl. exemplarisch HGO §51). Hierzu zählen regelmäßig der Erlass, die Änderung und die Aufhebung von Satzungen (Satzungshoheit) sowie der Erlass der Haushaltssatzung bzw. die Beschließung des Haushaltsplans. Zwar haben diese kommunalen Satzungen keinen Gesetzescharakter, zweifelsohne setzen die Gemeindevertretungen damit jedoch rechtliche Normen und fungieren insofern zumindest als "parlamentsähnliche" Organe. Und nicht zu vergessen, die kommunalen Vertretungskörperschaften üben gegenüber der Verwaltung die demokratische Kontrolle aus, haben also auch in dieser Hinsicht Legislativfunktion. Mit Ausnahme von Hessen, das mit der Magistratsverfassung auch an der Leitung der Verwaltung durch ein Kollegialorgan (Gemeindevorstand, vgl. §66 HGO) festhält, leitet heute überall allein der direkt gewählte Bürgermeister bzw. die direkt gewählte Bürgermeisterin die Kommunalverwaltung. Dies wird als monokratische Verwaltungsleitung bezeichnet. b) Die Stellung und die Rechte des Bürgermeisters Der Bürgermeister bzw. die Bürgermeisterin (in Hessen der Gemeindevorstand) repräsentiert und vertritt die Kommune nach außen. Neben der Vorbereitung und der Durchführung von Beschlüssen der Gemeindevertretung zählen zu den Aufgaben des Verwaltungschefs (bzw. des Gemeindevorstands) die Geschäfte der "laufenden Verwaltung". Dieser vormals unbestimmte Begriff wurde von der Rechtsprechung dahingehend konkretisiert, "dass darunter die Geschäfte fallen,

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die in mehr oder weniger regelmäßiger Wiederkehr vorkommen und gemessen an der Größe, Verwaltungs- und Finanzkraft der einzelnen Gemeinde von sachlich wenig erheblicher Bedeutung sind." (Schefold/Neumann: 1996, S. 85f). Einige Bundesländer haben in Anlehnung an die baden-württembergische Gemeindeordnung die sogenannte "Einköpfigkeit" der Gemeindespitze eingeführt, wonach der Bürgermeister bzw. die Bürgermeisterin kraft Amtes auch der kommunalen Vertretungskörperschaft vorsteht. Neben Baden-Württemberg und Bayern gilt diese Regelung heute auch in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen und Thüringen. Demgegenüber wird die Gemeindevertretung in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Hessen und Niedersachsen durch eine(n) von den Mitgliedern des Kommunalparlaments aus ihrer Mitte gewählte(n) Vorsitzende(n) geleitet. Natürlich bestehen weit größere Einflussmöglichkeiten, wenn beide Funktionen in einer Hand liegen. Jenseits dessen variiert die Stellung des Bürgermeisters bzw. der Bürgermeisterin von Bundesland zu Bundesland im Hinblick auf die konkrete Ausgestaltung bestimmter Rechte, wie dem Eilentscheidungsrecht und dem Widerspruchsrecht gegenüber Beschlüssen der Gemeindevertretung. Während in Baden-Württemberg der Bürgermeister oder die Bürgermeisterin mit Hilfe des Instruments Eilentscheid anstelle des Gemeinderats entscheiden kann, solange dieser anschließend unverzüglich über die Gründe und die Art der Erledigung informiert wird (§ 43, Abs. 4 BW GO), kann z.B. der Verwaltungschef in Rheinland- Pfalz und im Saarland nur im Benehmen mit den Beigeordneten Eilentscheidungen treffen, und diese können durch den Gemeinderat in der nächsten Sitzung wieder aufgehoben werden (§ 48 GO RPf, § 61 GO Saarland). In Niedersachsen darf der Bürgermeister nur im Benehmen mit dem Ratsvorsitzenden Eilentscheidungen treffen (§ 66 GO Nds.). Wohingegen in Nordrhein-Westfalen das Eilentscheidungsrecht auf den Bürgermeister bzw. die Bürgermeisterin und ein Ratsmitglied mit der Maßgabe übertragen ist, dass die Entscheidung in der nächsten Sitzung dem Rat zur Genehmigung vorgelegt wird (§ 60 GO NW). In einigen Bundesländern besitzt der Bürgermeister ein Widerspruchsrecht mit aufschiebender Wirkung gegenüber Beschlüssen der Gemeindevertretung. Er muss von diesem Vetorecht Gebrauch machen, wenn er der Auffassung ist, dass ein Beschluss gesetzeswidrig ist. Darüber hinaus kann er Beschlüssen der Gemeindevertretung widersprechen, wenn sie nach seiner Auffassung für die Gemeinde nachteilig sind (vgl. § 43, Abs. 2 BW GO; § 33 KV MV; § 54 GO NW; § 62, Abs. 3 GO LSA). Während in manchen Bundesländern die Bürgermeisterwahlen für gewöhnlich parallel zu den Kommunalwahlen stattfinden und die Amtszeit des Gemeindeoberhaupts mit der Legislaturperiode des Kommunalparlaments deckungsgleich ist, sind andernorts die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister länger im Amt als die Gemeindevertretung, d.h. die beiden Wahlvorgänge sind entkoppelt. Dadurch kommt das Element Personenwahl (statt Parteienwahl) noch stärker zum Tragen. Durch die Einführung der Direktwahl, welche die Bürgermeister und Bürgermeisterinnen unmittelbar demokratisch legitimiert und damit von den Mehrheitsverhältnissen im Kommunalparlament unabhängiger macht, wurde deren Position innerhalb der kommunalen Entscheidungsstrukturen deutlich gestärkt. Allerdings haben die meisten Bundesländer sozusagen als demokratisches Korrektiv Regelungen zur vorzeitigen Abwahl des Gemeindeoberhaupts getroffen.

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Möglich ist diese grundsätzlich überall außer in Bayern und Baden-Württemberg. In Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen kann jedoch lediglich die Amtszeit der hauptamtlichen, nicht aber der ehrenamtlichen Bürgermeister und Bürgermeisterinnen vorzeitig beendet werden. In Hessen bedarf es eines Beschlusses der Gemeindevertretung, um das Abwahlverfahren einzuleiten (§ 76, Abs. 4 HGO). Die eigentliche Abwahl erfolgt über einen Bürgerentscheid. Eine solche der plebiszitären Entscheidung vorgelagerte repräsentativ-demokratische Hürde existiert auch in den meisten anderen Bundesländern. Allein in Brandenburg und Sachsen kann das Abwahlverfahren unmittelbar durch die Bevölkerung mittels Bürgerbegehren eingeleitet werden. c) Informelle Entscheidungsstrukturen in der kommunalpolitischen Praxis Bevor eine Verwaltungsvorlage zur Beschlussfassung in die Gemeindevertretung oder einen ihrer Ausschüsse gelangt, finden - bei entsprechender politischer Bedeutsamkeit eines Themas - häufig intensive Diskussions- und Abstimmungsprozesse zwischen der Verwaltungsspitze und einzelnen Kommunalpolitikern statt. Dies dient dazu, eine politische Richtung festzulegen, es wird eine "Vorentscheidung" getroffen. An solchen Vorentscheidungen sind in der Regel auf Verwaltungsseite neben dem Bürgermeister bzw. der Bürgermeisterin auch Dezernenten sowie je nach Größe und Struktur der Kommune einzelne Amtsleitungen beteiligt. Seitens der Kommunalpolitik gehören regelmäßig einflussreiche oder durch spezielle Fachkenntnisse ausgewiesene Mandatsträgerinnen und -träger zu den sogenannten "Vorentscheidern". Es handelt sich dabei um eine je nach Thematik partiell wechselnde, eher "lose" Gruppe von Personen, die einen kontinuierlichen Informationsaustausch pflegt. Keinesfalls ist davon auszugehen, dass hierdurch die Macht des Kommunalparlaments ausgehebelt werden soll. Denn die kommunale Vertretungskörperschaft bleibt die letzte Entscheidungsinstanz. Dass deren Mitglieder als "Feierabendpolitiker" zeitlich chronisch überlastet und im Detail oftmals von der komplexen Materie einiger Entscheidungsgegenstände überfordert sind und deshalb bestimmte Angaben der Verwaltungsfachleute nur "hinnehmen" können, spricht vor allem für eine verbesserte Kommunikation zwischen Politik und Verwaltung. Es spricht aber durchaus auch dafür, die formale Kompetenzverteilung zwischen den beiden Selbstverwaltungsorganen - wie durch die jüngsten Kommunalverfassungsreformen geschehen - besser auszutarieren. So muss ein "starker" Bürgermeister mit eigenen Rechten und Kompetenzen nicht unbedingt eine Gefahr für die Gemeindevertretung darstellen. Er kann ihr - wenn beide Seiten vertrauensvoll zusammenarbeiten - auch viel Arbeit abnehmen. Das wiederum bietet den Kommunalpolitikerinnen und -politikern die Chance, sich stärker auf die Formulierung lokalpolitischer Entwicklungsziele zu konzentrieren. d) Bestimmungsfaktoren kommunaler Entscheidungsprozesse Jahrelang war höchst umstritten, ob die formalen Entscheidungsstrukturen der zentrale Bestimmungsfaktor für den Ablauf kommunaler Entscheidungsprozesse sind, oder ob es daneben andere in dieser Hinsicht einflussreiche Faktoren gibt. Dieser Streit, in dem es stets auch darum ging, welches Bundesland die "bessere" Kommunalverfassung hat, hat nach der Angleichung der formalen Entscheidungsstrukturen viel von seiner Brisanz verloren. Interessant bleibt die Frage -

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nicht nur aus politikwissenschaftlicher Sicht - weil gerade empirische Ergebnisse zu diesem Thema wichtige Einblicke in das komplexe Gefiige lokaler Demokratie vermitteln. Verschiedene Forschungsarbeiten der letzten 25 Jahre (vgl. Derlien et al.: 1976; Naßmacher: 1989; Voigt: 1992) stützen insgesamt die These, dass die formalen Entscheidungsstrukturen nur von begrenzter Bedeutung für die Entscheidungsprozesse sind. Neben den politischen Rahmenbedingungen (Gemeindeordnung, Wahlsystem) sind auch die politischen Mehrheitsverhältnisse sowie die sozioökonomischen Rahmenbedingungen (z.B. lokale Wirtschaftsstruktur und Siedlungsstruktur) wichtige Determinanten. Außerdem spielen lokale Besonderheiten der politischen Kultur eine maßgebliche Rolle (vgl. Naßmacher/Naßmacher: 1999, S. 336). 3. Kommunale Aufgabenerfüllung a) Selbstverwaltungsaufgaben und Auftragsangelegenheiten Die von den Kommunen wahrgenommenen Aufgaben lassen sich danach unterscheiden, ob diese als nichtstaatliche Trägerinnen örtlicher Selbstverwaltung "Aufgaben des eigenen Wirkungskreises" erledigen oder als dezentrale Verwaltungsinstanzen "Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises" erfüllen. Der erste Aufgabentyp firmiert unter dem Begriff "Selbstverwaltungsangelegenheiten", der zweite unter dem Begriff "staatliche Auftragsangelegenheiten". Weder, das Grundgesetz noch die Landesverfassungen bestimmen die zu den Selbstverwaltungsangelegenheiten zählenden Aufgaben im Sinne eines detaillierten Katalogs näher. Grundsätzlich lassen sie sich in "freiwillige Aufgaben" und "Pflichtaufgaben" unterteilen. Freiwillige Aufgaben sind solche Angelegenheiten, bei denen die Kommunen in der Entscheidung, ob sie diese übernehmen und wie sie sie ausführen, frei von staatlicher Weisung sind. Beispiele hierfür sind Wasser- und Energieversorgung, Nahverkehr, das Betreiben von Schwimmbädern, Sportanlagen, Büchereien, Theater, Museen, Jugendzentren oder Altentreffs sowie Wirtschaftsförderung. Demgegenüber ist den Kommunen die Erfüllung Pflichtiger Aufgaben gesetzlich vorgeschrieben. Sie können ausschließlich über die Art der Durchführung eigenverantwortlich entscheiden. Weil sie dabei nicht staatlichen Weisungen im Sinne der Fachaufsicht, sondern allein der Rechtsaufsicht durch die Aufsichtsbehörden des Landes (Regierungspräsidien, Kreise) unterworfen sind, werden die Pflichtaufgaben zum eigenen Wirkungskreis gerechnet (vgl. Vogelsang et al.: 1991, S. 85f.). Beispiele hierfür sind der Bau und die Unterhaltung von Gemeindestraßen, die kommunale Bauleitplanung, Abfallbeseitigung (soweit nicht den Kreisen übertragen), Abwasserbeseitigung, Anlage und Unterhalt von Friedhöfen sowie Sozialhilfe. Darüber hinaus vollziehen die Kommunen zu einem großen Teil Aufgaben, die ihnen durch Bundes- oder Landesgesetz übertragen worden sind. Bei diesen staatlichen Auftragsangelegenheiten umfasst die Kommunalaufsicht zusätzlich zur Rechts- auch die Fachaufsicht. Hierzu zählen u.a.: Melde-, Paß-, Staatsangehörigkeits- und Personenstandsangelegenheiten, Ordnungsaufgaben in den Bereichen des Gewerbe-, Verkehrs-, Rettungs- Wege- und Wasserwesens, Aufgaben der Gesundheits- und Veterinärämter sowie Mitwirkung bei Wahlen.

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Seit geraumer Zeit sieht sich die kommunale Ebene mit einer stetigen Aushöhlung ihrer Entscheidungs- und Ermessensspielräume durch die Umwandlung von freiwilligen in Pflichtige Selbstverwaltungsaufgaben oder Auftragsangelegenheiten konfrontiert. Darüber hinaus tritt mit dem politisch-administrativen Zusammenwachsen der EU eine weitere Ebene hinzu, die Einfluss auf die kommunale Selbstverwaltung nimmt (vgl. Schmahl: 1999; § 17). Trotz der engen Verflechtung von Bund, Ländern und Kommunen ist ihr Handeln als voneinander unabhängige Träger politischer Macht letztlich nur begrenzt koordinierbar, so dass es jenseits aller Einschränkungen Chancen für eine eigenständige lokale Politikgestaltung gibt. Allerdings wirkt sich zur Zeit die angespannte Haushaltssituation vieler Kommunen in hohem Maße negativ auf deren Handlungsspielräume aus. b) Finanzielle Abhängigkeiten Generell gilt, dass die kritische finanzielle Lage vieler Kommunen nur zu einem Bruchteil hausgemacht ist, da sie oftmals nur ausführende Verwaltungsinstanzen sind und somit auf die Ausgabenentwicklung praktisch keinen Einfluss haben. Schwer wiegt hier, dass insbesondere die Länder nicht immer dem Konnexitätsprinzip entsprechen (—> § 20, II.), nachdem sie den Kommunen für übertragene Aufgaben eine adäquate Finanzausstattung gewähren sollen. Je mehr Haushaltsmittel die Kommunen zur Erfüllung Pflichtiger Aufgaben und staatlicher Auftragsangelegenheiten aufwenden müssen, desto geringer werden die finanziellen Spielräume für das Dienstleistungsangebot in Bereichen wie Kultur, Bildung, Sport. Mit durchschnittlich einem Drittel der gesamten Einnahmen sind in den westdeutschen Kommunen die Steuern die bedeutsamste Finanzierungsquelle ( - » § 20, III.). Demgegenüber stammen die Einnahmen der ostdeutschen Kommunen im Durchschnitt nur zu 11% aus Steuern, was auf die schwache Wirtschaftsstruktur und die hohe Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern zurückzuführen ist (vgl. Karrenberg/Münstermann: 1999, S. 439). In großen Städten mit ausgeprägter wirtschaftlicher Tätigkeit bildet die Gewerbesteuer die zentrale Einnahmequelle. Der kommunale Anteil an der Einkommensteuer (wohnsitzbezogenes Steuerelement), der den Kommunen seit der Gemeindefinanzreform von 1969 zugebilligt wird, ist die zweitwichtigste Steuerquelle. Während auch die Grundsteuer noch einen gewissen fiskalischen Nutzen hat, ist der Anteil der sonstigen Gemeindesteuern (Hundesteuer, Vergnügungssteuer) so gering, dass diese eher ordnungspolitische Funktion haben. Neben den Steuern stellen die staatlichen Transferleistungen mit einer Quote von rund 2 7 % in den westdeutschen und 50% in den ostdeutschen Kommunen eine weitere wichtige Einnahmequelle dar. Die jährlichen Zuweisungen der Länder erfolgen im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs. Dabei werden knapp 56% der Mittel den Kommunen in Form von allgemeinen Zuweisungen zur freien Verfügung gestellt. Die restlichen 44% hingegen werden als spezielle Zuweisungen ausdrücklich zweckgebunden vergeben, so dass die Finanzierung wesentlicher kommunaler Aufgaben von politischen Prioritäten auf Landesebene abhängig ist. Auf Grundlage der Kommunalabgabengesetze der Länder, spezieller Gesetze (z.B. Bundesbaugesetz) sowie der örtlichen Satzungen können die Kommunen Gebühren und Beiträge erheben. Dies sind Abgaben, die einen Anspruch auf

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öffentliche Gegenleistung begründen. In dem Bemühen ihre Haushalte zu konsolidieren, schöpften seit den 1980er Jahren viele westdeutsche Kommunen die Gebührenerhöhungsspielräume voll aus. Da mittlerweile bei den relevanten Gebührenhaushalten (Abwasser- und Abfallbeseitigung) nahezu eine Vollkostendeckung erreicht ist, die Kommunen aber keine Gebührenüberschüsse erwirtschaften dürfen, stößt dieses Finanzierungsinstrument allmählich an seine Grenzen. 11 Trotzdem in jüngerer Zeit die Einnahmen aus Steuern und Abgaben sowie aus Schlüsselzuweisungen im Rahmen des Finanzausgleichs geringfügig gestiegen sind, ist angesichts anhaltend hoher Sozialausgaben und fortbestehender gravierender Haushaltsdefizite mittelfristig keine grundlegende Verbesserung der allgemeinen Finanzsituation der Kommunen zu erwarten (vgl. Statistisches Bundesamt: 2000). c) Veränderte Anforderungen und kommunale Gebietsreformen Lag der Schwerpunkt örtlicher Selbstverwaltung in der alten Bundesrepublik in den ersten Nachkriegsjahren deutlich auf dem Wiederaufbau und der Bewältigung des Mangels, so veränderten sich mit zunehmendem wirtschaftlichem Wachstum und sozialem Wohlstand ab den 1960er Jahren allmählich die Anforderungen an die kommunale Aufgabenwahrnehmung. Es galt, Lösungen für den expandierenden Autoverkehr und für gestiegene Ansprüche an das Wohnen zu entwickeln. Auch Defizite in der Schulversorgung wurden erstmals thematisiert. Mit dem Ziel, die lokalen Gemeinwesen stärker in den Gesamtstaat einzubinden, begann in etwa zur gleichen Zeit der Bund, die Kommunen zunehmend als Exekutivorgane in Anspruch zu nehmen. Auch zog er z.B. mit der Verabschiedung des Bundesbaugesetzes (1960) bestimmte Aufgaben an sich. Auf diese Weise verringerten sich die Handlungsspielräume der Kommunen deutlich. Die stetig wachsenden Ansprüche an die lokalen Gemeinwesen und die zunehmende Finanzknappheit führten ab den späten 1960er Jahren vor allem in den größeren Städten zu einer Politisierung der kommunalen Selbstverwaltung. Waren bis dato in den Rathäusern Allparteienkoalitionen und "unpolitische" Sachentscheidungen an der Tagesordnung, so begann nun eine Phase parteipolitischer Profilbildung, die in den 1970er Jahren in der Verabschiedung kommunalpolitischer Grundsatzprogramme durch SPD, CDU/CSU und FDP mündete. Den endgültigen Ausschlag für die weitgehende Akzeptanz dieser Entwicklung durch die Bevölkerung gab in den 1980er Jahren der Einzug der Grünen in die Kommunalparlamente, deren Vertreterinnen und Vertreter häufig im Sinne einer parlamentarischen Opposition, wie sie vorher nur in Landesparlamenten und im Bundestag üblich war, agierten. Viel entscheidender für das Verständnis von kommunaler Selbstverwaltung war jedoch, dass ab den 1960er Jahren in der alten Bundesrepublik zunehmend über Gebietsreformen nachgedacht wurde. Den Hintergrund hierfür bildete die Erkenntnis, dass einerseits kommunale Dienstleistungen möglichst bürger-, d.h. wohnortnah erbracht werden sollen, andererseits aber, um möglichst professionell bearbeitet zu werden, einer angemessenen Organisation und auch bestimmter finanzieller und personeller Ressourcen bedürfen. Damit konten viele kleine Ge-

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Aufgrund der unvollständigen Rekommunalisierung z.B. der Abwasserbeseitigung in den neuen Ländern ist ein Ost-West-Vergleich der Gebühreneinnahmen nur eingeschränkt möglich.

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meinden nur noch schwerlich Trägerinnen eines ausreichenden Angebots öffentlicher Dienstleistungen und Einrichtungen sein. Bei den etwa 1968 einsetzenden kommunalen Gebietsreformen ging es um eine umfassende territoriale Neugliederung, an deren Ende leistungsfähigere, d.h. den auf kommunaler Ebene anfallenden Verwaltungsaufgaben gewachsene Gebietskörperschaften stehen sollten. Zu erreichen war dies nur durch die organisatorische Zusammenlegung vieler kleiner Kommunen zu Verwaltungseinheiten mit höheren Einwohnerzahlen und größerer Fläche, da nur so eine zweckmäßige Aufgabenbündelung möglich war. Im Ergebnis führten die Reformen in der alten Bundesrepublik bis zum 1. Januar 1980 zu einer Reduktion der kreisangehörigen Gemeinden von 24136 auf 8409. Die Anzahl der Kreise verringerte sich von 425 auf 237, die der kreisfreien Städte von 135 auf 87. Die "damit verbundene Zentralisierung, Professionalisierung und fachliche Differenzierung der kommunalen Verwaltungen hat auf dem flachen Lande moderne Dienstleistungen überhaupt erst ermöglicht, Stadt-/ Umlandprobleme reduziert und insgesamt die Leistungsfähigkeit der unteren Vollzugsebene gestärkt." (Brinckmann: 1994, S.179). Somit lassen sich die Gebietsreformen aus heutiger Perspektive als durchaus gelungen bewerten. Insbesondere wenn man die relativ entschlossene und zügige Umsetzung in allen acht Flächenländern der alten Bundesrepublik mit einbezieht. Dabei wurden jeweils unterschiedliche - den landesspezifischen Gegebenheiten angemessene - Strategien verfolgt, um zu einer territorialen Neuordnung der kommunalen Ebene zu kommen: Während mancherorts ein flächendeckendes System von Verbandslösungen etabliert und zahlreiche Verwaltungsgemeinschaften eingerichtet wurden, schufen andere Länder eine zweistufige Selbstverwaltungsorganisation mit einer politischen Vertretung sowohl auf der Ebene der "Gesamtgemeinde" als auch auf der Ebene der "Ortsgemeinde". Die folgenschwerste, aber im Sinne der Reform vermutlich effektivste Strategie war die Zusammenlegung mehrerer kleiner und kleinster Gemeinden zu großflächigeren "Einheitsgemeinden", bei der die betreffenden lokalen Gebietskörperschaften ihre Eigenständigkeit verloren (vgl. Laux: 1999, S. 173f). Der Preis für den Rückzug aus der Fläche war vergleichsweise hoch: Auf der Negativseite stand nicht nur der Verlust räumlicher Nähe zu den Bürgerinnen und Bürgern als "Verwaltungskunden", sondern auch der Wegfall einer Vielzahl von politischen Mandaten - wenngleich hier durch die Einrichtung von Bezirksvertretungen oder Ortsräten sowie durch neue Formen der Bürgerbeteiligung zumindest ein Ausgleich versucht wurde. Trotz der vielerorts problematischen Auswirkungen für die lokale politische Identität gab es aber zu der flächendeckenden Maßstabsvergrößerung keine Alternative. Denn welchen Sinn machte es, örtliche Vertretungskörperschaften zu wählen, die kaum über etwas Substanzielles entscheiden konnten? In den neuen Bundesländern wurden territoriale Neuordnungen zunächst zugunsten des zügigen Aufbaus einer funktionierenden kommunalen Selbstverwaltung nach westdeutschem Vorbild zurückgestellt. Mittlerweile gibt es erste Ansätze für Gebietsreformen, welche die ostdeutschen Kommunen zeitgleich mit weiteren Veränderungen in der Binnenorganisation bewältigen müssen.

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d) Von der Funktionalreform zur Verwaltungsmodernisierung Teilweise parallel zu den Gebietsreformen, teilweise im Anschluss daran gab es in der alten Bundesrepublik in den 1970er Jahren verschiedentlich Anstrengungen zu sogenannten Funktionalreformen. Erfolge sind hier insofern zu verzeichnen, als die infolge der Gebietsreformen entstandenen größeren und leistungsfähigeren Verwaltungseinheiten eine Aufgabenverlagerung auf die Kreis- und Gemeindeebene ermöglichten. Auch gelang zumindest in einigen Ländern - eine Aufgabenbündelung auf Kreisebene durch die Eingliederung staatlicher Sonderbehörden in die Kommunalverwaltungen. Ein weiteres entscheidendes Reformziel jedoch, der Abbau des kommunalen Aufgabenbestands mittels Aufgabenkritik wurde verfehlt. Aufgabenkritik meint die Überprüfung der von einzelnen Gebietskörperschaften wahrgenommenen oder zukünftig geplanten Aufgaben mit dem Ziel, durch Abbau oder Einschränkung der öffentlichen Aufgaben die Steuerungsfähigkeit der Verwaltung zu erhalten und Spielraum für zukünftige Aufgaben zu schaffen (vgl. KG St: 1974, S.4). Es geht dabei auch darum, ob und in welchem Umfang neue Aufgaben übernommen werden sollen, und inwieweit Aufgaben auf andere Träger (insbesondere Private) übertragbar sind. Zwar entwickelten sich in den Kommunen vor dem Hintergrund der Wirtschafts- und Finanzkrise ab 1974 einzelne Ansätze von Aufgabenkritik, zumeist beschränkten sich die Bemühungen jedoch darauf, Verwaltungsvorschriften zu vereinfachen, Erlasse und Richtlinien von Überflüssigem zu befreien und die Notwendigkeit von Gesetzen und Verordnungen kritischer zu prüfen als früher (vgl. Köstering: 1983, S. 68). Eine systematische Aufgabenkritik fand nicht zuletzt auch deshalb nicht statt, weil Aufgabenreduzierung ein Politikum aller erster Güte bleiben musste, so lange parteipolitische Profilierung über nicht vollständig abgedeckte Aufgabenfelder möglich war. Insgesamt muss für die 1970er und -80er Jahre von einer weitgehenden Stabilität des Aufgabenbestandes ausgegangen werden. Charakteristisch für die Aufgabenwahrnehmung in diesem Zeitraum ist eine relative Bedeutungsverschiebung zwischen und die Umakzentuierung innerhalb einzelner Politikfelder, die eine Ausdifferenzierung von Verwaltungszweigen mit sich brachte. Im Zuge der Bearbeitung neuer bzw. neu erkannter Problemlagen z.B. in der Umweltpolitik, Sozialpolitik, Stadterneuerungspolitik und Wirtschaftsförderungspolitik gewannen diese Bereiche qualitativ wie quantitativ an Gewicht. Demgegenüber erlitten die kommunale Wohnungspolitik, Infrastrukturpolitik und Verkehrspolitik (im Sinne von Straßenneubauten) einen relativen Bedeutungsverlust. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung, die oftmals pauschal als Ausweitung des Aufgabenbestandes bezeichnet wird, und der Krise der öffentlichen Haushalte setzte in den frühen 1980er Jahren in den öffentlichen Verwaltungen eine umfassende Reformdebatte um Entbürokratisierung, Entrechtlichung und Vereinfachung ein (vgl. Wollmann: 1996), die auch vor der kommunalen Ebene nicht Halt machte. Hier trafen - vereinfacht ausgedrückt - traditionelle sozialdemokratische Vorstellungen von öffentlicher Aufgabenerfiillung auf neoliberale Ideen von Deregulierung, Staatsabbau und Aufgabenprivatisierung aufeinander. Erneut kam das Stichwort von der Aufgabenkritik auf die Agenda. Lag bei der Überprüfung der zukünftigen und vorhandenen Aufgaben der Fokus zunächst auf der Haushaltskonsolidierung und der Erweiterung finanzieller Spielräume, so wurde dieses Ziel allmählich um die Ziele "Entbürokratisierung" und "Bürgernähe" ergänzt. Dahinter stand die Erkenntnis, dass die "Ausweitung des öffentli-

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chen Aufgabenbestandes - unabhängig von finanziellen Krisen - zu Mängeln führt, die sich auf die Funktionsfähigkeit der Kommunalverwaltung auswirken" (Dieckmann: 21983, S. 97). Was bereits die funktionalreformerischen Bemühungen der 1970er deutlich gemacht hatten, zeigte sich in den 1990ern einmal mehr: Ständige Aufgabenkritik ist insbesondere in Zeiten leerer Kassen und wachsender Bürgeransprüche eine notwendige Voraussetzung zur Erhaltung der Selbstverwaltungsfähigkeit und damit ein Dauerthema für die kommunalen Verwaltungen. Nur wenn regelmäßig strategisch und - nicht ausschließlich - aber auch unter finanzwirtschaftlichen Aspekten überprüft wird, welche Aufgaben überhaupt erfüllt werden sollen und müssen, und welcher personeller und sächlicher Ressourcen es für ein adäquates Leistungsangebot bedarf, werden die Kommunen in der Lage sein, sich langfristig Entscheidungs- und Handlungsspielräume zu sichern. So wird denn auch seit Beginn der 1990er Jahre in Deutschland im Kontext der aktuellen Welle von Modemisierungs- und Reorganisationsmaßnahmen (vgl. III. 1) sowie einem ausgeprägten Hang zu Ausgliederungen und (formellen) Privatisierungen trefflich um den Umfang und die Art der kommunalen Aufgabenwahrnehmung gestritten. Die Bandbreite der möglichen Organisationsformen ist groß: Die Entscheidungsvarianten reichen hier von effizienterer Bearbeitung innerhalb der Verwaltung durch Prozessoptimierung, über Teilvergabe an Dritte, wenn die Erledigung durch die Gemeinde nicht kostengünstiger ist ("make or buy"), bis hin zur organisatorischen Dezentralisierung und Verselbständigung einzelner Verwaltungseinheiten in öffentlicher (Fachbereich mit dezentraler Ressourcenverantwortung, Regie- und Eigenbetrieb) und privater (GmbH, AG) Rechtsform und schließlich zur materiellen Privatisierung, also dem Verkauf einer kommunalen Einrichtung an einen privaten Träger. Der Strukturwandel im kommunalen Sektor wird nicht zuletzt daran deutlich, dass mit der Zunahme von Kooperationen zwischen öffentlichen und privaten Trägern in Form von "Public-Private-Partnerships" (PPP) die Grenzen zwischen Staat und Markt verschwimmen.

m . Kommunen unter Veränderungsdruck Zu Beginn der 1990er Jahre erreichte - nicht zuletzt aufgrund der anhaltenden Finanzkrise der öffentlichen Haushalte, die durch die deutsche Einheit zusätzlich verschärft wurde - die international unter dem Stichwort "New Public Management" geführte Debatte über die Modernisierung des öffentlichen Sektors mit einiger Verspätung die deutschen Kommunalverwaltungen. Die Reformpraxis des vergangenen Jahrzehnts wurde wesentlich durch das von der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt) propagierte "Neue Steuerungsmodell" (NSM) geprägt, mit dessen Hilfe die Kommunalverwaltungen in "öffentliche Dienstleistungsunternehmen" mit dezentraler Führungs- und Organisationsstruktur umgebaut werden sollen. Darüber hinaus gerieten die Kommunen unter Veränderungsdruck, weil die Bürgerinnen und Bürger nicht nur wachsende Ansprüche bezüglich der Qualität und der Wirtschaftlichkeit kommunaler Leistungen geltend machten, sondern sich auch mittels neuer Partizipationsformen zunehmend in das lokalpolitische Geschehen einschalteten. Für die nahe Zukunft gilt inzwischen in Wissenschaft und

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Praxis zunehmend die "Bürgerkommune" als anzustrebendes Entwicklungsziel. Mit diesem Begriff verbindet sich die Vision von lokalen Gemeinwesen, in denen Kommunalpolitik, Verwaltung und Btlrger(innen) als Gestaltungspartner agieren. 1. Kommunale Verwaltungsmodernisierung nach dem "Neuen Steuerungsmodell" a) Zentrale Zielsetzungen und Elemente Das NSM verfolgt im wesentlichen drei Ziele (vgl. zum folgenden KGSt: 5/1993): a) Eine klare Verantwortungsabgrenzung zwischen Politik und Verwaltung. Nach dem NSM soll die Gemeindevertretung künftig "nur noch" durch die Formulierung kommunalpolitischer Leitlinien den Rahmen setzen, während die konkrete Zielerreichung und Leistungserbringung in der Verantwortung der Verwaltung liegt. Auf eine etwas grobe Kurzformel gebracht, ist somit die Politik für das "WAS" und die Verwaltung für das "WIE" zuständig. Auf diese Weise soll Einzeleingriffen der Kommunalpolitik in das Verwaltungshandeln vorgebeugt werden. Gleichzeitig soll die Konzentration der Gemeindevertretung auf die strategische Politikformulierung ergänzt um effektive Steuerungs- und Controllinginstrumente die Handlungsfähigkeit der Kommunen wiederherstellen. Die Steuerung der Verwaltung erfolgt über "politische" Kontrakte (Zielvereinbarungen) sowie mit Hilfe leistungsorientierter Budgets. Ein systematisches Berichtswesen (Controlling) versorgt die Politik mit den dazu notwendigen Informationen. b) Die Modernisierung der Binnenstruktur der Kommunalverwaltungen. Mit Hilfe der folgenden Elemente sollen die Leistungsprozesse effizienter und transparenter werden: • Ergebnisorientierung. Ein System von Zielvereinbarungen (Kontrakte) bildet den Rahmen für die Leistungserstellung in den dezentralen Organisationseinheiten (Fachbereichen). Die bisherige Kleinteiligkeit des Verwaltungshandelns wird durch die Bündelung einzelner Arbeitsschritte zu überschaubaren Leistungspaketen (Produkten) aufgehoben. In Kombination mit einem produktbezogenen Budget, aus dem alle notwendigen Einzelleistungen zu bezahlen sind, befördert das Kontraktmanagement ein kostenbewusstes, ergebnisorientiertes Verwaltungshandeln. • Dezentrale Ressourcenverantwortung. Eine wichtige Voraussetzung für Ergebnisorientierung in den Fachbereichen ist, dass ihnen in Ergänzung zur fachlichen Verantwortung auch die Verantwortung für den Einsatz der erforderlichen Personal- und Sachmittel übertragen wird. Innerhalb der Fachbereiche wird durch die Verlagerung von Zuständigkeiten "nach unten" eine größere Eigenverantwortung der Beschäftigten erreicht. Die daraus resultierende persönliche Zurechenbarkeit von Erfolgen und Misserfolgen soll die Motivation und das Kostenbewusstsein der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stärken. • Zentraler Steuerungs- und Controllingbereich. Als Schnittstelle zwischen den weitgehend eigenverantwortlichen Fachbereichen und der Politik bedarf es einer zentralen Steuerungs- und Controllingeinheit. Sie ist die Garantin einer funktionierenden Steuerung "auf Abstand" durch die Gemeindevertretung. Zu ihren Kernaufgaben gehört es, Politik und Verwaltungsführung mit den für die strate-

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gische Zielformulierung und Planung erforderlichen Informationen zu versorgen. • Outputsteuerung. Politisch gesteuert wird nicht mehr über den "input", sondern über den "output". Um eine Verbindung zwischen Ressourceninput und Leistungsoutput herzustellen, müssen zunächst sinnvolle Produkte gebildet werden. Dabei sollen die kommunalpolitischen Leitlinien, die Erwartungen der Verwaltungskunden an ganzheitliche Leistungsangebote sowie die binnenorganisatorischen Anforderungen an eine möglichst eindeutige Ergebnis- und Kostenverantwortung vorrangige Beachtung finden. Voraussetzung für letztere ist Kostentransparenz. Diese wird durch die Einführung von Kosten-Leistungsrechnung (KLR) erreicht, die es ermöglicht, einzelnen Leistungen konkrete Kosten zuzurechnen. • Budgetierung. Die Produktbildung ist die Grundlage für ein verändertes Verfahren der Haushaltssteuerung, die Budgetierung. Dabei wird der Haushaltsplan in Produkte gegliedert, denen jeweils die für die Erstellung erforderlichen Kosten sowie weitere Produktinformationen zugeordnet werden. Auf diese Weise entstehen Produktbudgets, in denen die gewünschten Ergebnisse des Verwaltungshandelns (output) mit den dafür bereitzustellenden Ressourcen (input) verkoppelt sind. c) Bürger- bzw. Kundenorientierung. Dem Leitbild eines modernen Dienstleistungsunternehmens entsprechend sollen die Kommunalverwaltungen die Bürgerinnen und Bürger als "Kunden" betrachten, deren Ansprüche ernst zu nehmen sind. Mittel zur Zielerreichung sind die Durchfuhrung von Bürgerbefragungen und die Schaffung von Wettbewerbssituationen mit Hilfe interkommunaler Leistungsvergleiche und Vergleichen mit privaten Anbietern. b) Reformanspruch und Reformwirklichkeit Ein beliebtes Argument gegen eine klarere Verantwortungsabgrenzung zwischen Politik und Verwaltung wie sie das NSM vorschlägt ist, dass die Kommunalpolitikerinnen und -politiker ihre "Bürgernähe" einbüßten, sobald sie sich aus den Details des Verwaltungshandelns heraushielten. Denn zeitnah von der Bevölkerung artikulierte Missstände der Verwaltung zuzutragen und sich um Abhilfe zu bemühen, sei ein wesentlicher Bestandteil kommunalpolitischer Arbeit. Auf die vielfach verbesserungswürdige Dienstleistungsqualität und "Kundenorientierung" der Kommunalverwaltungen ist verschiedentlich aufmerksam gemacht worden. Eine Rechtfertigung für ein immer stärkeres Hineinregieren einzelner örtlicher Mandatsträgerinnen und -träger in Verwaltungsabläufe lässt sich daraus jedoch nicht ableiten. Schließlich ist es Aufgabe der Kommunalpolitik als ganzes, politische Prioritäten zu setzen und entsprechende Zielvorgaben zu formulieren und sich dabei an den gemeinsamen Interessen aller Bürgerinnen und Bürger ("Gemeinwohl") zu orientieren und nicht an den Partikularinteressen einzelner Bürger oder Bürgergruppen. Bei der Entscheidung darüber, welche Aufgaben heute und in naher Zukunft erfüllt werden, und auch bis zu welchem Grad Problemlagen direkt durch die Kommunalverwaltung bearbeitet werden sollen, müssen zwangsläufig finanzwirtschaftliche Aspekte berücksichtigt werden. Ist es heute die Regel, dass die Diskussionen um Haushaltspläne sich vorwiegend auf einzelne Kostenstellen konzentrieren, so kann die Umgestaltung der kommunalen Haushalte (Budgetierung) insofern notwendige Abhilfe schaffen, als sie den

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Entscheidungsträgerinnen und -trägem Instrumente einer strategisch ausgerichteten Finanzplanung an die Hand gibt. Zwar wird den Gemeindevertretern weitgehend die Möglichkeit zum Detaileingriff genommen, im Gegenzug erhalten sie jedoch deutlich verbesserte Steuerungsmöglichkeiten im Hinblick auf den Gesamthaushalt, da die einzelnen Budgets an politische Zielvorgaben sowie an ergebnisorientierte Kennzahlen und Indikatoren gebunden sind. Sowohl das Beispiel "Bürgerinteressen" als auch das Beispiel "strategische Finanzplanung" belegen, dass von einer klaren Verantwortungsabgrenzung zwischen Politik und Verwaltung durchaus positive Auswirkungen für die kommunalen Arbeits- und Entscheidungsprozesse zu erwarten sind. Allerdings ist die Politik bisher nur sehr unzureichend in die Modernisierungspraxis eingebunden, was mit der Verengung der Reformperspektive auf die Binnenmodernisierung zusammenhängt. Während das NSM grundsätzlich auf "mehr Effizienz" und "mehr Demokratie" abzielt, liegt in der Reformpraxis der Fokus deutlich auf der Einführung betriebswirtschaftlicher Instrumente. Den Hintergrund dafür bilden massive finanzielle Probleme, die vielerorts die Haushaltskonsolidierung zur obersten Modernisierungsmaxime werden ließen. Bis heute fehlt in den allermeisten Reformprozessen eine Verknüpfung von Produktbildung, Budgetierung und Dezentraler Ressourcenverantwortung (so denn diese Elemente des NSM überhaupt über das Experimentierstadium hinaus implementiert werden) mit arbeitsorganisatorischen Instrumenten wie Prozessoptimierung und strategischer Personalentwicklung (vgl. Brecht: 1999, S. 269ff.). Auf diese Weise bleibt das bürokratische System prinzipiell bestehen, eine strukturelle Veränderung der Verwaltungsorganisation findet nicht statt. Der vielbeschworene "cultural change", der den kommunalen Verwaltungen die Entwicklungsperspektive hin zu "lernenden Organisationen" eröffnen könnte, bleibt aus. Diese Unzulänglichkeiten der gegenwärtigen Modernisierungspraxis schlagen sich in einer zunehmenden Ablehnung etwaiger Reformmaßnahmen durch die Beschäftigten nieder. Obwohl Beschäftigtenbeteiligung dem Anspruch nach Bestandteil vieler Reformprozesse ist, zeigen sich in der Praxis gravierende Beteiligungsdefizite (vgl. Kißler et al.: 1999). Angesichts von Stellenabbau und Arbeitsverdichtung auf der einen Seite und fehlender qualitativer Verbesserungen im Arbeitsalltag auf der anderen Seite sehen sich viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um die Hoffnung auf echte Mitgestaltung betrogen. Die daraus resultierenden Ängste und Unsicherheiten sind ein ernstzunehmendes Reformhemmnis. Auch bei vielen Personalräten, die - trotz aller Skepsis gegenüber dem NSM - in einem Umbau des kommunalen Sektors die einzige Chance sahen, die Handlungsfähigkeit der Kommunen und damit nicht zuletzt den Erhalt attraktiver Arbeitsplätze langfristig zu sichern, und die sich deshalb als Kooperationspartner der Verwaltungsspitze in den Modernisierungsprozess einbinden ließen, machen sich ob der Modernisierungsrealität zunehmend Unmut und Frustration breit. Ebenfalls zu kurz gekommen ist in den letzten Jahren die Orientierung der Kommunen an den Ansprüchen der Bevölkerung auf ein qualitativ hochwertiges, preisgünstiges Dienstleistungsangebot. Zwar haben in den letzten Jahren viele Kommunen sogenannte Bürgerbüros oder Bürgerämter eingerichtet und bieten nun meist zu erweiterten Öffnungszeiten verschiedene kommunale Dienstleistungen "aus einer Hand" an, d.h. es wird möglich, im Rahmen nur eines Rathausbesuchs ohne längere Wartezeiten mehrere Dinge zu erledigen. Grundsätzlichere Probleme des Aufgabenzuschnitts und

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der Fertigungstiefe harren aber nach wie vor adäquater Lösungen. Denn so unterschiedliche Produkte wie die Erstellung eines neuen Personalausweises, die Bearbeitung eines Sozialhilfeantrags oder Beratungsangebote zur Existenzgründung jeweils möglichst bürgerfreundlich an die Frau oder den Mann zu bringen, erfordert nun mal sehr unterschiedliche Formen der Leistungserstellung. Darüber hinaus vernachlässigt das NSM mit seiner ausschließlichen Wahrnehmung der Bürgerinnen und Bürger als Verwaltungskunden einen anderen wichtigen Aspekt von Bürgerorientierung. Es blendet gänzlich aus, dass Bürgerinnen und Bürger zusammengeschlossen in Initiativen, Vereinen, Selbtshilfegruppen etc. zunehmend häufiger als „Produzenten" sozialer Dienstleistungen auftreten, welche die Verwaltung nicht selbst erstellen kann bzw. will. Hier ist die "aktivierende Kommune" gefragt, die Eigeninitiative und bürgerschaftliches Engagement bspw. durch die Bereitstellung von Infrastruktur (Räumlichkeiten, Materialien, Weiterbildung) fordert und unterstützt.

2. Bürgerinnen und Bürger als Akteure lokaler Demokratie a) Kommunale Referenden Nachdem es Bürgerbegehren und Bürgerentscheid bis dato ausschließlich in Baden* Württemberg gegeben hatte, wurden diese lokalen Referenden in der ersten Hälfte der 1990er Jahre in die Gemeindeordnungen aller übrigen Flächenländer aufgenommen. Dazu trugen die im Zuge der friedlichen Revolution von 1989 erhobenen Forderungen der DDR-Bürgerrechtsbewegung nach mehr Basisdemokratie und deren tiefVerwurzelte Skepsis gegenüber politischen Parteien maßgeblich bei. Die entsprechenden Diskussionen strahlten auf die Länder der alten Bundesrepublik aus und verhalfen auf diese Weise schließlich auch dort den zwanzig Jahre alten Forderungen nach mehr direkter Demokratie zum Durchbruch. Der Ablauf der kommunalen Referenden ist überall gleich, allein die Verfahrensanforderungen variieren von Bundesland zu Bundesland: Für ein Bürgerbegehren "aus der Mitte der Bevölkerung" bemühen sich die Initiatorinnen und Initiatoren zunächst um die Unterstützung eines ausreichenden Anteils der Wahlberechtigten (Antragsquorum), die durch Unterschrift auf vorgefertigten Listen dokumentiert wird. In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz liegt dieses Antragsquorum zwischen 6 und 15 Prozent, in Mecklenburg-Vorpommern zwischen 7,5 und 10%, wobei die erforderliche Prozentzahl mit steigender Gemeindegröße abnimmt. In Bayern, Brandenburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein gilt - ohne Staffelung - jeweils ein Quorum von 10 Prozent; in Sachsen von 15 Prozent und in Thüringen von 20 Prozent. Die Gemeindeordnungen der meisten Länder ermöglichen außerdem sogenannte Ratsbegehren, d.h. die Gemeindevertretung kann per Beschluss die Bürgerinnen und Bürger direkt zur Entscheidung über eine bestimmte Angelegenheit mittels Bürgerentscheid aufrufen. Nicht vorgesehen sind solche Ratsbegehren in Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Thüringen. Wo ein Ratsbegehren möglich ist, bedarf es zumeist eines Beschlusses mit qualifizierter Mehrheit. So müssen in Baden-Württemberg, Bayern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein zwei Drittel der gesetzlichen Mitgliederzahl der Gemeindevertretung einem ent-

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sprechenden Antrag zustimmen. In Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern hingegen reicht die einfache Mehrheit aus. Die meisten Gemeindeordnungen beschränken die zulässigen Gegenstände eines Bürgerbegehrens bzw. Bürgerentscheids auf "wichtige" kommunale Angelegenheiten und fuhren diese teilweise sogar in sogenannten Positivkatalogen auf (vgl. exemplarisch § 21 BWGO). Entscheidender ist jedoch, dass alle Gemeindeordnungen einen Negativkatalog enthalten, der bestimmte Angelegenheiten explizit von einer direkten Entscheidung der Wahlbevölkerung ausnimmt (vgl. exemplarisch § 8b HGO). Danach können generell weder die innere Organisation der Kommunalverwaltung noch die Haushaltssatzung zum Gegenstand eines Bürgerbegehrens gemacht werden. Eine dritte Verfahrenshürde bildet die Auflage, dem Bürgerbegehren einen Kostendeckungsvorschlag beizufügen. Mit Ausnahme von Schleswig-Holstein, wo die zuständige Rechtsaufsichtsbehörde die Zulässigkeit prüft, entscheiden in allen Bundesländern die Kommunalparlamente darüber, ob ein Bürgerbegehren zulässig ist. Erst wenn ein Begehren in allen Punkten für zulässig erklärt wurde, kommt es zum Bürgerentscheid. Erfolgreich im Sinne der Initiatorinnen und Initiatoren ist dieser, wenn die Mehrheit der Abstimmenden ihn unterstützt (wobei Stimmengleichheit als Ablehnung gewertet wird), sofern diese Mehrheit mindestens 25 Prozent (in Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, SchleswigHolstein und Thüringen) bzw. mindestens 30 Prozent (in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt) der Wahlberechtigten beträgt. Bei Nichterreichen dieses Zustimmungsquorums entscheidet das Kommunalparlament über das Bürgerbegehren. Allein in Bayern existiert kein solches Quorum, hier reicht die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen aus. Sind alle Voraussetzungen erfüllt, so ist der Bürgerentscheid ebenso bindend wie ein endgültiger Beschluss des Kommunalparlaments. Innerhalb eines Zeitraums von ein bis drei Jahren kann er je nach Bundesland deshalb nur durch einen erneuten Bürgerentscheid, nicht aber durch einen einfachen Beschluss der Gemeindevertretung abgeändert werden. Durch die Verankerung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in den Gemeindeordnungen wurde die lokale Demokratie wesentlich gestärkt. Denn diese Formen der rechtlich verbürgten, unmittelbaren Bürgerbeteiligung sind ein wichtiges Signal an die Bürgerinnen und Bürger als eigentlichem Souverän auch der kommunalen Demokratie, dass über die Ausübung des Wahlrechts hinaus ihre unmittelbare Entscheidung in einzelnen "wichtigen Angelegenheiten" erwünscht ist. Da empirische Ergebnisse zu den Erfahrungen mit den kommunalen Referenden in nennenswertem Umfang bisher nur für Baden-Württemberg vorliegen, muss eine umfassende Bewertung der Praxis in den übrigen Flächenländern vorerst ausbleiben. Allerdings lassen erste Erfahrungen mit den neuen Regelungen bereits jetzt darauf schließen, dass es an der konkreten Ausgestaltung der Verfahren einiges zu kritisieren gibt. Das betrifft zunächst die Zustimmungsquoren für einen Bürgerentscheid. Wo wie in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt Quoren von 30% erforderlich sind, müssten sich - bei etwa gleicher Verteilung der Ja- und der Nein-Stimmen - rund 60% aller Wahlberechtigten an einem Bürgerentscheid beteiligen, damit er erfolgreich ist. Insbesondere für Großstädte erweist sich diese

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Hürde in der Praxis als deutlich zu hoch. Kritikwürdig ist außerdem die weitgehende Beschränkung der zulässigen Gegenstände. Wollmann (1999a: S. 44) plädiert hier zu Recht für eine entschiedene Erweiterung des Katalogs der "wichtigen Angelegenheiten" um Fragen der inneren Organisation der Kommunalverwaltung und der finanziellen Angelegenheiten. Denn was spricht z.B. dagegen, den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit zu eröffnen, per Plebiszit die Einrichtung eines "Bürgerbüros" oder mehrerer dezentraler Anlaufstellen mit erweiterten Öffnungszeiten zu beschließen, oder eine zeitlich begrenzte "Badabgabe", die dazu beiträgt, den Erhalt des gemeindeeigenen Schwimmbads zu sichern. Dabei verhindert der beizufügende Kostendeckungsvorschlag, dass der Kommune auf diesem Weg unverhältnismäßige finanzielle oder bauliche Maßnahmen aufgebürdet werden. Ebenfalls diskussionswürdig ist die Zulässigkeitsprüfung durch die Gemeindevertretung. Denn hier hat ein politisches Willensbildungsorgan eine Rechtsentscheidung zu treffen, die verwaltungsgerichtlich voll überprüfbar ist, was - wie die Praxis zeigt - aus zwei Gründen problematisch ist: Zum einen verfügen die Kommunalpolitikerinnen und -politikem selbst selten über den erforderlichen juristischen Sachverstand. Zum anderen ist fraglich, ob sie in einer Situation, in der es um die eigene Rolle geht und der einiges an politischer Brisanz innewohnt, juristischen Argumenten überhaupt zugänglich wären, wenn sie sich denn den entsprechenden Sachverständigenrat holen würden (vgl. Ossenbühl: 1997, S. 251 f.). Jenseits dieser Kritik an konkreten Verfahrensregelungen, scheint jedoch auch eine grundlegendere Skepsis gegenüber Bürgerbegehren bzw. -entscheiden als Form der Bürgerbeteiligung angebracht. Schließlich ist überhaupt nicht gesagt, dass die relativ niedrige Beteiligungsrate an Bürgerentscheiden tatsächlich ein Beleg für Partizipationsmüdigkeit ist. Es könnte ja auch sein - und dafür sprechen einige praktische Erfahrungen mit anderen nicht verfassten Beteiligungsformen -, dass viele Bürgerinnen und Bürger die Abstimmung über eine nur mit "ja" oder "nein" zu beantwortende Frage, an deren Formulierung sie nicht einmal beteiligt waren, nicht als probate Partizipationsform bewerten. b) "Neue Beteiligungsmodelle" auf kommunaler Ebene Seit einigen Jahren werden in Ergänzung zu den formalen Einflussmöglichkeiten verschiedene "Neue Beteiligungsmodelle" diskutiert und in der kommunalen Praxis erprobt, bei denen die Bürgerinnen und Bürger nicht in einer singulären Angelegenheit und zu einem bestimmten Zeitpunkt die Rolle der Entscheider spielen, sondern als Mitgestalterinnen und -gestalter lokaler Politikprozesse an Entscheidungsvorbereitungen partizipieren und damit Einfluss und Definitionsmacht gewinnen (-» §§ 16, 29, II.). Ganz allgemein gesprochen ist es das Ziel solcher Verfahren partizipativer Politikgestaltung, den Dialog zwischen den Entscheidungsträgern des politisch-administrativen Systems und den Bürgerinnen und Bürgern zu aktuellen, konflikthaften kommunalpolitischen Themen zu fördern. Dahinter steht der Gedanke, diese als Experten für ihre örtliche Lebenswelt am kommunalpolitischen Willensbildungsprozess möglichst umfassend zu beteiligen. Es geht darum, verschiedene Perspektiven in die Entscheidungsfindung einzubeziehen und gemeinsam tragfähige Problemlösungsstrategien zu entwickeln.

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Diese Formen der Bürgerbeteiligung haben zwar einen geringeren Verbindlichkeitsgrad als die kommunalen Referenden, aber sie haben auch entscheidende Vorteile. Zum einen können in partizipativ angelegten Prozessen mögliche Konflikte zwischen einzelnen Interessengruppen frühzeitig entschärft werden, wodurch auch die Akzeptanz für bestimmte Entscheidungen gesteigert wird. Zum anderen können auch Nicht-Wahlberechtigte wie Migrantinnen und Migranten, Kinder und Jugendliche an entsprechenden Prozessen teilhaben, und es findet insgesamt eine breitere Berücksichtigung von Interessen statt. Dadurch erhöhen sich die Partizipationschancen bisher benachteiligter Bevölkerungsgruppen. Mittel- bis langfristig lassen somit die nicht verfassten Formen der Bürgerbeteiligung deutliche Verbesserungen der demokratischen Kultur und ein verändertes Verhältnis zwischen Bevölkerung, Kommunalpolitik und Verwaltung erwarten. Sie sind in den Worten von Wolfgang Gessenharter "veranstaltete Öffentlichkeiten hoher Qualität", die nicht zuletzt auch dazu beitragen können, Planungs- und Implementationszeiträume zu verkürzen bzw. entsprechende Kosten zu vermindern (Vgl. Gessenharter: 1996, S. 11). Die Themen, zu denen die Bürgerinnen und Bürger eigene Vorstellungen entwickeln sollen, sind so zahlreich wie die Formen, in denen die Beteiligung stattfindet. Gegenstand der Diskussion in Bürgerforen, Beiräten und an Runden Tischen sind Konzepte zur Verkehrspolitik und zur Stadtteilentwicklung ebenso wie das Zusammenleben von Deutschen und Nicht-Deutschen oder die Gewalt an Schulen. Für einzelne ganz konkrete Probleme oder kommunale Vorhaben bieten sich außerdem spezielle Beteiligungsmodelle an, von denen im folgenden zwei der bekanntesten, die Mediation und die Planungszelle, kurz skizziert werden. In einem Mediationsverfahren fällt die Schlüsselrolle der Mediatorin bzw. dem Mediator (es können auch mehrere Personen sein) zu, die oder der als "Neutrale^) Dritte(r)" versucht, zwischen mindestens zwei Konfliktparteien zu vermitteln. Im Rahmen eines Diskussionsprozesses, in dem die jeweils andere Position zunächst zu hören und zu tolerieren ist, wird nach einer für alle Beteiligten akzeptablen Lösung gesucht. Das Verfahren soll ergebnisoffen sein, d.h. jede Partei muss grundsätzlich bereit sein, ihre Position ein Stück weit zur Disposition zu stellen. Die Teilnahme ist freiwillig, die Mediatorin bzw. der Mediator wird gemeinsam bestimmt. Zu deren bzw. dessen Aufgabe gehört es auch, betroffene aber bisher nicht einbezogene Interessengruppen bei der Artikulation ihrer Vorstellungen zu unterstützen. Mediationsverfahren werden in konkreten Konfliktfällen - also einzelfallbezogen wie Bürgerentscheide - angewendet. Die Diskussionsergebnisse werden nach dem Konsensprinzip und nicht per Mehrheitsentscheidung erzielt. Das Besondere an einer Planungszelle ist, dass die Teilnehmenden nach dem Zufallsprinzip so ausgewählt werden, dass sie einen repräsentativen Querschnitt durch die Bevölkerung bilden. Dadurch wird vermieden, dass sich nur organisierte Interessengruppen oder unmittelbar Betroffene beteiligen. Zum einen erhöht dies die Chancen auf eine "gemeinwohlorientierte" Entscheidung und damit auf eine breite Akzeptanz späterer Maßnahmen. Zum anderen werden - gleichsam als positiver Nebeneffekt - auch eher partizipationsferne Menschen zum kommunalpolitischen Engagement motiviert. Für die Zeit des Verfahrens werden die Einzelnen von ihrer beruflichen Tätigkeit freigestellt, die Kommune erstattet den Arbeitgebern die verursachten Kosten. In mehreren Stufen setzen sich die Beteiligten unterstützt von einem Moderationsteam und sachkundigen Expert(inn)en

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mit dem Thema auseinander, sammeln Informationen, entwickeln und diskutieren unterschiedliche Problemlösungsstrategien und fassen ihre Ergebnisse schließlich in einem "Bürgergutachten" zusammen. Die darin gegebenen Empfehlungen sollten im Regelfall die Grundlage für den anschließenden politischen Beschluss des Kommunalparlaments bilden. Die Zahl der denkbaren Anwendungsfelder ist groß. Erwähnt sei hier nur das Beispiel Hannover, wo 1995 301 Einwohnerinnen und Einwohner von 18 bis 81 Jahren im Auftrag des kommunalen Nahverkehrsunternehmens ÜSTRA vier Tage lang in zwölf Planungszellen Verbesserungsvorschläge für den ÖPNV der Region erarbeiteten. Viele der 181 Empfehlungen des 200 Seiten starken Bürgergutachtens wurden im Lauf der folgenden zweieinhalb Jahre umgesetzt, (vgl. Dienel: 1999, S. 26). c) Lokale Agenda 21-Prozesse - Auf dem Weg zur nachhaltigen Kommune Einen beachtlichen Schub haben Ansätze der partizipativen Politikgestaltung inzwischen dadurch erhalten, dass viele deutsche Kommunen in einen Lokalen Agenda 21-Prozess eingetreten sind. Auf der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung (UNCED) 1992 in Rio de Janeiro verpflichteten sich über 170 Staaten, darunter die Bundesrepublik Deutschland mit der Verabschiedung eines Aktionsprogramms für das 21. Jhd., der Agenda 21, auf das Ziel der nachhaltigen Entwicklung (sustainable development). Nachhaltig oder auch zukunftsfähig ist eine Entwicklung dann, wenn sie ökologische, soziale und wirtschaftliche Zielsetzungen und Problemlagen gleichermaßen berücksichtigt und miteinander in Einklang bringt. Eine Politik, die sich am Leitbild der Nachhaltigkeit orientiert, muss bei Maßnahmen zur Verbesserung der ökonomischen und sozialen Lebensbedingungen gleichzeitig darauf hinwirken, dass die natürlichen Lebensgrundlagen langfristig gesichert werden. Sie muss sich damit zwangsläufig an einem Zeithorizont orientieren, der weit über die üblichen Längen einer Wahlperiode hinausgeht, und sie muss die möglichen globalen Auswirkungen lokalen Handelns mit einbeziehen. Den Kommunen wird in Kapitel 28 der Agenda 21 eine zentrale Rolle dabei zugeschrieben, entsprechende auf Zukunftsbeständigkeit ausgerichtete Handlungsstrategien zu entwickeln und in die Praxis umzusetzen. Da die lokale Ebene diejenige ist, auf der weltweit die ökologischen, sozialen und ökonomischen Probleme virulent werden, scheinen die Dörfer und Städte der richtige Ort zu sein, diese Probleme anzugehen. Allerdings liegt diese Verantwortung nicht allein in den Händen der politischadministrativen Entscheidungsträger(innen). Die Kommunen sind vielmehr dazu aufgefordert, mit allen wichtigen lokalen Interessengruppen (Frauen- und Umweltgruppen, Gewerkschaften, Wirtschaftsverbände, Kirchen etc.) und einzelnen Bürgerinnen und Bürgern in einen Konsultationsprozess einzutreten und von diesen zu lernen bzw. wichtige Informationen zu erlangen (vgl. Agenda 21, Kapitel 28.3). Ziel dieses partizipativen Prozesses ist es, ein kommunalpolitisches Handlungsprogramm, das ökologische, soziale und wirtschaftliche Aspekte zusammendenkt, zu erarbeiten. Eine solche "Lokale Agenda 21" enthält ein Leitbild, d.h. eine Vision davon, wie die Kommune etwa im Jahr 2020 aussehen könnte, sowie Zielsetzungen für die nähere Zukunft und konkrete Maßnahmen, welche die Kommune auf dem Weg zur "nachhaltigen Kommune" ein Stück voran bringen. Um eine möglichst hohe politische Verbindlichkeit zu erlangen,

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ist es notwendig, dass das Kommunalparlament die Lokale Agenda 21 formal beschließt. Im Rahmen von Lokalen Agenda 21-Prozessen findet Bürgerbeteiligung in verschiedensten Formen statt (vgl. exemplarisch die Fallbeispiele bei Zimmermann: 1997, S. 37f.). Der integrierte Politikansatz, der hier praktiziert wird, kann - gerade weil solche längerfristig angelegt sind - gleichsam "nachhaltig" das Verhältnis Bilrger(innen) - Politik - Verwaltung verändern. Nämlich dann, wenn auf der Basis des gemeinsamen Anliegens, die Kommune zukunftsbeständig zu gestalten, ein echter Dialog zwischen den verschiedenen lokalen Akteuren in Gang kommt. 3. Ausblick: Die "Bürgerkommune"- Wunschbild oder machbare Utopie? Die Bürgerinnen und Bürger wählen die Gemeindevertretung, den Bürgermeister bzw. die Bürgermeisterin und entscheiden mittels kommunaler Referenden direkt über kommunalpolitische Angelegenheiten. Neben diesen verfassten Partizipationsformen existieren zahlreiche unverfasste Beteiligungsmöglichkeiten: Im Rahmen von Mediationsverfahren, Planungszellen, Runden Tischen, Beiräten etc. und auch im Rahmen von Lokalen Agenda 21-Prozessen gestalten die Bürgerinnen und Bürger aktiv kommunale Politik mit. Darüber hinaus gibt es vielfaltige Ausprägungen bürgerschaftlichen Engagements, die auf beachtliche Selbstorganisationspotentiale in der Bevölkerung hinsichtlich der "Produktion" sozialer Dienstleistungen schließen lassen. Und nicht zuletzt sind die Bürgerinnen und Bürger Kunden der örtlichen Verwaltung, die ihre Vorstellungen und Wünsche bezüglich des kommunalen Leistungsangebots offen artikulieren. Von Partizipationsmüdigkeit und Desinteresse am kommunalpolitischen Geschehen oder am Gemeinwohl kann keine Rede sein. Im Gegenteil zeigt sich das Bild einer lebendigen lokalen Demokratie, in der die Bürger in pluralen Rollen als wichtige Akteure in Erscheinung treten. Sicherlich ist das politische und soziale bürgerschaftliche Engagement vielerorts noch ausbaufähig. Hier ist es an Politik und Verwaltung, entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen, Bürgerbeteiligung zu institutionalisieren und Selbstorganisation und Eigeninitiative zu fördern und zu unterstützen. Unabdingbar ist eine offene Informationspolitik gegenüber der Bevölkerung und eine durch gegenseitiges Vertrauen geprägte Kommunikation zwischen den Organen der kommunalen Selbstverwaltung und den Bürgerinnen und Bürgern. Nur durch gemeinsames Handeln und in gegenseitiger Anerkennung der jeweiligen Kompetenzen und Potenziale aller beteiligten Akteure werden die Kommunen die Herausforderungen des 21. Jhd.s bewältigen und für die drängendsten Probleme zukunftsbeständige Lösungen entwickeln können. Auch wenn die "Bürgerkommune", in der Kommunalpolitik, Verwaltung und Bürger(innen) als Gestaltungspartner agieren, noch nirgends vollständig realisiert ist, so existiert sie bereits in vielen Kommunen in Ansätzen und ist damit nicht mehr und nicht weniger als eine machbare Utopie.

3. Kapitel Parlamentarisches Regierungssystem § 8 Institutionelle Differenzierung des Regierungssystems Klaus Grimmer * I. Gewaltenteilung - II. Systemische und institutionelle Differenzierung III. Politische und gesellschaftliche Differenzierungen und Verflechtungen Grundlagenliteratur: Behrens, Fritz u. a. (1995) (Hg.): Den Staat neu denken (= Modernisierung des öffentlichen Sektors, Sonderband 3, S. 17ff). Berlin Böckenförde, Ernst-Wolfgang (1966): Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung. Berlin Breuer, Stefan (1998): Der Staat. Reinbek Ellwein, Thomas (1994): Das Dilemma der Verwaltung. Mannheim Gerstiberger, Wolfgang / Grimmer, Klaus / Kneissler, Thomas (1997): Institutionelle Leistungsfähigkeit von Verwaltungsorganisationen. Baden-Baden Helms, Ludger (1999): „50 Jahre Bundesrepublik Deutschland - Kontinuität und Wandel des politischen Institutionensystems. In: ZfP, S. 144ff. Leibholz, Gerhard ( 3 1967): Strukturprobleme der modernen Demokratie. Karlsruhe Maurer, Hartmut (1999): Staatsrecht. München Mayntz, Renate / Rosewitz, Bernd / Schminank, Uwe / Stichweh, Rudolf (1988): Differenzierung und Verselbständigung. Frankfurt/M. Merten, Detlef (1989) (Hg.): Gewaltentrennung im Rechtsstaat. Berlin Rausch, Heinz (1969) (Hg.): Zur heutigen Problematik der Gewaltentrennung. Darmstadt Steffani, Winfried (1997): Gewaltenteilung und Parteien im Wandel. Opladen Streeck, Wolfgang (1994) (Hg.): Staat und Verbände. PVS Sonderheft 25 Zippelius, Reinhold ( 13 1999): Allgemeine Staatslehre. München Ein parlamentarisches Regierungssystem bildet sich aus einer Vielzahl von Organisationen mit unterschiedlichen Kompetenzen. Erst im Zusammenwirken dieser Organisationen in der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergibt sich ein gesellschaftlich vermittelter systemischer Zusammenhang. *

Für die Unterstützung bei der Sichtung von Literatur und Rechtsprechung und fllr kritische Diskussion der Texte danke ich Mandy Schmalzl; die Literaturanmerkungen in den Texten haben neben der Zitatfunktion eine Hinweisfunktion auf ergänzende, auch kontroverse Veröffentlichungen. Aufgrund der gegebenen drucktechnischen Bedingungen konnten nur Kurzhinweise aufgenommen werden.

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I. Gewaltenteilung Das Verfassungsrecht gibt bestimmte Staatsziele und Staatszwecke und bestimmte Strukturen für die Staatsorganisation vor (—> § 5, VI.). Die Grobstruktur des modernen Verfassungsstaates wird herkömmlicherweise mit den Begriffen der Gewaltenteilung (BVerfGE 2,1 (13); 3, 225 (247); 5, 85 (199)) und des Föderalismus (Bundesstaatlichkeit, BVerfGE 34, 231 f.; 36, 360f.) erfasst. Die Organe der Gesetzgebung, Rechtsprechung und vollziehenden Gewalt (Regierung und Verwaltung) haben je eigene Kompetenzbereiche. Keines der Staatsorgane übt die Staatsgewalt insgesamt aus (Art. 20 Abs. 2 GG). Die rechtsprechende Gewalt besitzt auch Kontrollrechte gegenüber der Verwaltung und im Bundesverfassungsgericht auch gegenüber dem Gesetzgeber und der Regierung. Das Strukturprinzip der Bundesstaatlichkeit bedeutet, dass es neben dem Bund als Gesamtstaat die Länder als Gliedstaaten mit jeweils eigenen Kompetenzen gibt (Maurer: 1999, S. 296flf.). Der Begriff der Gewaltenteilung verdeutlicht die mit der Ausbildung des modernen Verfassungsstaates verbundene Verselbständigung der Rechtsordnung gegenüber politischen Machtansprüchen, die Trennung von Staat und Religion und Staat und Gesellschaft und ein darin eingeschlossenes neues Staatsverständnis: Die Staatsgewalt ist nicht in sich selbst und auch nicht im Gottesgnadentum und in Geburtsrechten der Fürsten begründet (Reinhard: 1999). Sie wird konstituiert aus der Volkssouveränität, und zur Verhinderung ihres Missbrauches ist sie von verschiedenen, verfassungsrechtlich jeweils selbständig legitimierten Organen auszuüben. Das Gewaltenteilungsprinzip ist so Mittel zur Strukturierung und Begrenzung von Staatsmacht (-» § 4, IV.) - das gilt auch für das Strukturprinzip der Bundesstaatlichkeit (-> § 6) - und dient damit auch dem Schutz der Freiheit des einzelnen (BVerfGE 9, 268 (279); 34, 52 (59)). Es begründet gleichzeitig Informations- und Interaktionsprozesse im politischen System. Für die neuzeitlichen, über Parteien (-> § 23) organisierten parlamentarischen Regierungssysteme ist der Begriff der Gewaltenteilung im gekennzeichneten Sinne nur begrenzt aussagekräftig (Beiträge in Rausch: 1969 uhd in Merten: 1989; Zippelius: 131999; S. 310ff.). Zwar spricht auch das Grundgesetz davon, dass die Staatsgewalt vom Volke in Wahlen (-> § 22) und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt wird (Art. 20 Abs. 2 GG). Aber die von den einzelnen Organen auszuübende und ausgeübte Herrschaft ist nicht trennscharf. Die vollziehende Gewalt hat beispielsweise durch die Kompetenz, Rechtsverordnungen zu erlassen (Art. 80 GG) weitgehende, praktisch sehr bedeutsame Rechtsetzungskompetenzen - auch wenn sie hierzu der Ermächtigung durch ein Gesetz bedarf. Körperschaftlich organisierte Selbstverwaltungseinheiten haben die Kompetenz zum Erlass von Satzungen. Die rechtsprechende Gewalt, insbesondere das Verfassungsgericht (-» § 15), übt mit vielen seiner Entscheidungen praktische Gesetzgebung aus. Die Bundesstaaten schließen untereinander Verträge ab, welche nur teilweise der parlamentarischen Zustimmung unterliegen. Solche Verträge können einer Gesetzgebung vergleichbare praktische Auswirkungen haben, insbesondere im Kultusbereich (kooperativer Föderalismus, Maurer, H.: 1999, S. 320ff.). Stellt man weniger auf die organschaftliche Stellung, sondern den politischen Prozess und die realisierte Politik ab, dann ergeben sich Verflechtungen zwischen

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den verschiedenen Organen. Nicht nur das Parlament ist parteienbezogen zusammengesetzt und bestimmt Inhalte sowie Art und Weise der Ausübung der Staatsgewalt nach parteipolitischen Gesichtspunkten. Die ausübende Gewalt ist in den Regierungen parteipolitisch gebunden, und zumindest die Spitzenpositionen in Verwaltungen oder die Generalstaatsanwälte in vielen Bundesländern werden nach parteipolitisch mitbestimmten Kriterien besetzt, weshalb Spitzenbeamte auch bei einem Regierungswechsel in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden können. Schließlich gewährleistet das Wahlverfahren der Bundesverfassungsrichter und der Richter der obersten Bundesgerichte, dass parteipolitische Interessen berücksichtigt werden. Dies ist nicht prinzipiell zu beanstanden. Es dient einer gewissen Homogenisierung von Politikgestaltung und Politikkontrolle. Auf diese Weise wird bei verfassungsrechtlicher Selbständigkeit der einzelnen Organe ein politischer Systemzusammenhang hergestellt, welcher die verfassungsrechtlich gebotenen Kooperations- und Interaktionsformen ergänzt. Die Trennung von Staat und Gesellschaft wird damit zwar nicht aufgehoben, aber mediatisiert. Staatsorganisation, unter dem Begriff der Gewaltenteilung betrachtet, verkürzt die verfassungsrechtlichen und die politisch realisierten Strukturen staatlicher Herrschaft. Regierung (—> § 12) und Verwaltung (—> § 19) unter dem Begriff der vollziehenden Gewalt zusammenzufassen, verdeckt mehr die Unterschiede als dass damit Zusammenhänge verdeutlicht werden. Auch der Bundespräsident ( - » § 13) ist nicht nur Organ der vollziehenden Gewalt, etwa wenn er Bundesgesetze nach Gegenzeichnung ausfertigt und im Bundesgesetzblatt verkündet (Art. 82 Abs. 1 GG). Er ist ebenso auch Mittler zwischen staatlicher Herrschaftsorganisation und Gesellschaft.

II. Systemische und institutionelle Differenzierung Wir sprechen deshalb hier von einer systemischen Gliederung und institutionellen Differenzierung der Staatsorganisation und des Regierungssystems: Mit dem Begriff der systemischen Gliederung soll verdeutlicht werden, dass im politischen und im Regierungssystem drei Teilsysteme und Ebenen wichtig sind, welche miteinander interagieren: Staatliche Organe im engeren Sinne, welche Staatsgewalt ausüben und das Regierungssystem bilden. Diese Ebene gliedert sich wiederum in Bund, Länder und Gemeinden. Um die verschiedenen gesellschaftlichen Anliegen und Interessen öffentlich darzustellen, zu integrieren, die politische Meinungsbildung zu formieren und diese in den staatlichen Organbereich einzubeziehen, bedarf es der zweiten Ebene der außer- oder vorparlamentarischen Assoziationen, Organisationen und Institutionen. Diese Ebene wird vor allem gebildet von den politischen Parteien ( - » § 23), Verbänden (-> § 25) und Medien ( - » § 26); aber auch große Wirtschaftskonzerne und Großforschungseinrichtungen können ihr zugerechnet werden. Sie wirken unmittelbar durch personelle Verflechtungen oder mittelbar durch öffentliche Meinungskundgabe oder nichtöffentliche Einflussnahme auf die Ebene von Parlament, Regierung und Verwaltungen. Insbesondere über die politischen Parteien sind die beiden Ebenen unmittelbar miteinander verbunden. Für das parlamentarische Regierungssystem (-> § 2, III.) als demokratische Ordnungs- und Herrschaftsform (demokratischer Parlamentarismus) ist die dritte Ebene besonders wichtig, jene der - organisierten oder nicht organisierten - öf-

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fentlichen politischen Diskussion und der privaten Meinungsbildung. Erst auf dieser Ebene werden die Formalstrukturen des politischen Systems, die dessen Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit bestimmen, aber allein als politische Lebensform einer staatlich verfassten Gesellschaft unzureichend sind, vergegenständlicht, individualisiert und politisch lebendig. Die politische Kultur (-> § 29, II.) eines Landes hängt wesentlich von Form und Inhalt dieser dritten Ebene und dem offenen Meinungsaustausch zwischen den Ebenen ab. Die verschiedenen Ebenen bestimmt nicht unbedingt ein gemeinsames Verständnis politischer Rationalität. Die Logik rationalen Handelns innerhalb der Strukturen der ersten beiden Ebenen entspricht oft nicht dem Verständnis auf der dritten Ebene von politischem Wohlverhalten (Patzelt: 1998). Mit dem Begriff der institutionellen Differenzierung wird zum Ausdruck gebracht, dass Staat und Regierung - ergänzt um nicht unmittelbar staatliche, aber öffentliche Einrichtungen (dritter Sektor, non-government-organizations ) - nicht nur aus einer Vielzahl von Organisationen unterschiedlicher Rechtsformen bestehen, sondern auch, dass diese Organisationen - begründet in ihren Aufgaben, in ihren personellen Zusammensetzungen, in ihren Interaktionen untereinander und mit ihren je spezifischen Umwelten - ein eigenständiges institutionelles Gepräge (Gerstiberger / Grimmer / Kneissler: 1997) haben. Dies zeigt sich zum Beispiel darin, dass die Bundesländer im Bundesrat (—> § 14, IV.) nicht nur nach parteipolitischer Ausrichtung, sondern auch entsprechend ihren spezifischen Länderinteressen agieren. Jede der verschiedenen Organisationen entwickelt ihre eigene Organisationskultur. Diese äußert sich in spezifischen Verhaltensmustern, in der Art und Weise der Problemwahrnehmung und -bearbeitung. (Auch im Baustil unterscheiden sich Parlaments-, Regierungs-, Verwaltungs- und Justizgebäude). Systemische und institutionelle Differenzierung hat immer auch das politische System als Ganzes, insbesondere das Regierungssystem und politische Willensbildung gestaltende und vermittelnde Institutionen wie auch Formen politischer Öffentlichkeit in den Blick zu nehmen. Die Qualität eines Regierungssystems hängt ganz wesentlich von den Kompetenzen der einzelnen Organe und Organisationen, der Art und Weise ihrer Ausübung und dem Zusammenwirken der verschiedenen Organe und Organisationen ab. Zuviel Eigenständigkeit fragmentiert Staatlichkeit und beinhaltet Konfliktpotentiale. Zu enge Verflechtung der verschiedenen Organe und ihrer Organisationen erschwert ihre Handlungsfähigkeit. Um eine strukturelle Homogenität zwischen den verschiedenen Organen herzustellen und damit einen systemischen Zusammenhang zu sichern, gelten für alle Organe verfassungsgebundene demokratische und rechtsstaatliche Ordnungsprinzipien (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 und 3 GG). Dies gilt insbesondere auch für die staatsnahen Organisationen politischer Willensbildung wie Parteien und Verbände, Presse, Rundfunk und Fernsehen (Art. 21; 9 Abs. 2; 5 Abs. 1 GG; BVerfGE 77,354; 83,316f., 333ff.). Im folgenden wird ein kurzer Überblick über die maßgeblichen Akteure der verschiedenen Ebenen, ihre institutionelle Differenzierung und ihr systemisches Zusammenwirken gegeben.

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1. Ebene des Regierens, Ordnens, Integrierens und Repräsentierens a) Parlament Dem Parlament kommt eine staatsleitende Funktion zu (Achterberg: 1974; Ellwein: 1984; Magiera: 1979; Mössle: 1986, S. 132ff.). Aufgaben und Zuständigkeiten des Parlaments ergeben sich aus seiner Eigenschaft, Vertretung des ganzen Volkes, des Trägers der Staatsgewalt zu sein. Das Parlament ist nur an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden und ist Organ der Gesetzgebung (Art. 20 Abs. 3 GG). Das Parlament bestimmt die Wahrnehmung der Staatsaufgaben. Dies kann durch ein förmliches Gesetz oder einen sonstigen Parlamentsbeschluss geschehen, es kann aber auch durch die Bereitstellung von Haushaltsmitteln erfolgen. Das Parlament beeinflusst die Art und Weise der Erledigung der Staatsaufgaben durch entsprechende Regelungen oder Ermächtigungen in den Aufgabengesetzen selbst, durch spezielle Organisations- oder Verfahrensgesetze oder durch haushaltsmäßige Vorgaben. Die staatsleitende Funktion nimmt das Parlament durch seine Rechtsetzungskompetenz für „wesentliche Staatsangelegenheiten" (Parlamentsvorbehalt), durch seine Wahl- und Legitimationskompetenz, durch verschiedene Formen politischer Willensbildung und durch Kontrolle der Regierung sowie durch seine Integrationsfunktion wahr (Hofmann / Riescher: 1999; im einzelnen —> §§ 9, 10,20). b) Regierung Das parlamentarische Regierungssystem wird wesentlich durch das Spannungsverhältnis zwischen Parlament und Regierung bestimmt. Konstitutiv für dieses ist einerseits die verfassungsrechtliche Abgrenzung der Eigenbereiche von Parlament und Regierung, andererseits ihre wechselseitige Verflechtung. Darüber hinaus sind vor allem das praktizierte Selbstverständnis von Parlament und Regierung und ihre jeweiligen Rückbindungen zu den Ebenen der organisierten Interessen und der politischen Öffentlichkeit wichtig. Politische Spannungen können sich aufgrund unterschiedlicher Interessenorientierung in Einzelfällen vor allem in Finanz- und Kompetenzangelegenheiten - auch im Verhältnis Regierung zu Bundesländern und im Verhältnis Bundestag zu Bundesrat - ergeben. Kennzeichen des parlamentarischen Regierungssystems der Bundesrepublik Deutschland ist die starke Stellung des Bundeskanzlers (Doering-Manteuffel: 1991; Haungs: 1989; § 2, III.). Nur er wird vom Parlament gewählt, die Bundesminister werden auf Vorschlag des Bundeskanzlers vom Bundespräsidenten ernannt und entlassen. Die Bundesminister leisten - wie auch der Bundeskanzler den Amtseid vor dem Bundestag (Art. 64 Abs. 2 GG). Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür Verantwortung. Innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder Bundesminister seinen Geschäftsbereich selbständig und in eigener Verantwortung (Art. 65 Satz 1 und 2 GG; im einzelnen § 12). Regierungsfunktionen (Scheuner: 1952; Böckenförde: 1964; Maurer: 1999, S. 44ff.; Stammen: 1967), die sich aus der Struktur des politischen Systems ergeben, sind die Koordination der verschiedenen Regierungs- und verwaltungspolitischen Aktivitäten (hierzu GschOBRg) und die Bestimmung politisch wünschenswerter Entwicklungslinien für das politische System und zweckmäßiger Handlungsalternativen in der Gestaltung der politischen Praxis. Im Zusammenhang dazu steht die Haushaltsplanung (Art. 109-115 GG) mit der Zielsetzung, das gesamtwirt-

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schaftliche Gleichgewicht bei der Erledigung der Staatsaufgaben zu sichern. Wichtig sind schließlich auch die Organisationskompetenz (Böckenförde: 1964) für den Regierungsbereich sowie die Weisungs- und Aufsichtsfunktion zur Sicherung eines recht- und zweckmäßigen Verwaltungshandelns. Das Parlament kann in vielfältiger Weise in Wahrnehmung seiner staatsleitenden Funktion Einfluss auf die Regierung ausüben (ausführlich —» §§ 10, 20). Unabhängig von den verfassungsrechtlichen Kompetenzen sind aber die politischen Handlungsmöglichkeiten der Regierung und ihrer einzelnen Minister auf Grund der ihnen zur Verfügung stehenden Verwaltungspotentiale griffiger. Dies gilt nicht nur für die Vorbereitung und Ausführung von Gesetzen, sondern auch für die Kooperation mit interessengebundenen Organisationen im Wirtschafts- und Sozialbereich. In der politischen Praxis ergibt sich daher häufig ein Übergewicht der Exekutive gegenüber dem Parlament, da die Parlamentsmehrheit ihre Interessen mit jenen der Regierung verbindet, um das beiderseitige politische Ansehen zu fordern. Der Eigenbereich des Parlamentes kommt durch die Mehrheitsfraktion(en) gegenüber der Regierung eher informell zur Geltung. Zur politischen Öffentlichkeit hin wird er vor allem von der parlamentarischen Opposition zum Ausdruck gebracht (-» §§ 11, 12, 18). c) Verwaltung Stabilität und Leistungsfähigkeit eines politischen Gemeinwesens sind wesentlich abhängig von seinen Verwaltungen (Ellwein: 1994; Schmidt-Aßmann: 1998). Die Organisation der Verwaltung wird durch das hierarchische Prinzip, das Verfahren durch ein hohes Maß an Formalisierung, Standardisierung und Entindividualisierung bestimmt (—> weiteres §§7, 19). Hoheitsrechtliche Befugnisse sind dabei in der Regel den Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, „die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen" (Art. 33 Abs. 4 GG; Beamtenverhältnis). Die Bindung an Gesetz und Recht beinhaltet nicht nur die Bindung an das vom Parlament gesetzte Recht, sondern auch eine unmittelbare Bindung der Verwaltung an das Verfassungsrecht. Die demokratische Legitimation der Verwaltung ist - abgesehen von Selbstverwaltungseinrichtungen - nur eine vermittelte; sie liegt letztlich in der politischen Verantwortung des jeweiligen Ministers. Eine zusätzliche Eigenlimitation erfährt die Verwaltung - ähnlich wie die Gerichte - in der Akzeptanz der Verfahren und vor allem ihrer Leistungen (von Brünneck: 1990). Verwaltung ist eine Funktion von Politik. Ihr obliegt die Erarbeitung und Auswahl von Alternativen in der Wahrnehmung und Ausführung der Staatsaufgaben, die Risikobeurteilung, die Informationsbeschaffung, -bereitstellung und -Verarbeitung. Verwaltung kann als der „arbeitende Staat" verstanden werden (Hesse, J.J.: 1990). Sie hat gesellschaftliche oder individuelle Probleme als öffentliche wahrzunehmen und Vorschläge zur staatlichen Problembearbeitung zu entwickeln. Sie ist für den Gesetzesvollzug zuständig und hat insbesondere im Sozial- und Kulturbereich eine umfassende Dienstleistungsfunktion, wie ihr im Umweltbereich eine Überwachungsfunktion zukommt. Entsprechend der verschiedenen Funktionen haben sich weitere institutionelle Differenzierungen ergeben (z. B. innere Verwaltung, Polizei-, Kultus-, Sozial-, Umweltverwaltung), die ihre je spezifische Klientel haben, deren Probleme wahrnehmen und im Gesetzesvollzug in das politische Gesamtsystem integrieren (Mayntz: 3 1985, S. 60ff).

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Das breite Aufgabenspektrum der Verwaltungen und ihre geringe politisch-parlamentarische Einbindung sowie die aufgabenbezogene Verflechtung zwischen verschiedenen Verwaltungen fördern Verselbständigungstendenzen des „administrativen Systems". Ihre effizienz- und effektivitätsorientierte Arbeitsweise und deren formalisierte Regelbindung können demokratiehemmend wirken und gefördert durch die spezifische Verwaltungssprache, die Identifikation des Bürgers mit dem Staat - erschweren. Von Zeit zu Zeit werden deshalb umfassendere Reformmaßnahmen diskutiert, derzeit unter den Stichworten „schlanker Staat" und „neues Steuerungsmodell" (Wollmann: 2000; - » näher § 7, III.). d) Organe der Rechtsprechung Die rechtsprechende Gewalt wird durch das Bundesverfassungsgericht und die im Grundgesetz vorgesehenen Bundesgerichte (Bundesgerichtshof, Bundesverwaltungsgericht, Bundesfinanzhof, Bundesarbeitsgericht, Bundessozialgericht) sowie die Gerichte der Länder ausgeübt (Art. 92, 95 Abs. 1 GG; Wassermann: 1989b). Art. 97 GG garantiert die Unabhängigkeit der Richter, sie sind nur dem Gesetz unterworfen. Die Bundesgerichte - und entsprechendes gilt für die Ländergerichte - haben nicht nur einen hohen Grad institutioneller Selbständigkeit, auch das Gerichtsverfahren ist in entsprechenden Verfahrensgesetzen detailliert geregelt. Bindung an das Gesetz und die Förmlichkeit des Rechtsfindungs- und Rechtsprechungsverfahrens vermitteln den Organen der Rechtsprechung und ihren Entscheidungen eine eigene Legitimation (-» im einzelnen §§ 15, 18). e) Bundesstaatlichkeit Die Ausübung staatlicher Befugnisse und die Erfüllung staatlicher Aufgaben sind Sache der Länder, soweit das Grundgesetz nicht andere Regelungen vorsieht oder zulässt (Art. 30 GG). Dies gilt auch für die Gesetzgebungskompetenz (Art. 70 Abs. 1 GG). Die Länder wirken über den Bundesrat bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes mit (Art. 50 GG). Die Verwaltungshoheit, auch für die Ausführung der Bundesgesetze, liegt ebenfalls bei den Ländern (Art. 83-85, 108, 120 GG), soweit das Grundgesetz nichts anderes bestimmt. Bund und Länder haben eigene Haushalte, sie haben die Ausgaben für ihre Aufgaben gesondert zu tragen (Art. 104a Abs. 1 GG; - » § 6). Der Föderalismus der Bundesrepublik Deutschland entspricht politischer Tradition. In der deutschen Geschichte lag bis 1871 die Entwicklung des Parlamentarismus, die Ausprägung von Grundrechten und Rechtsstaatlichkeit nahezu ausschließlich bei den Ländern. Auch danach hatten die Länder bis zu ihrer Suspendierung durch das nationalsozialistische Regime erhebliche politische Eigenverantwortung (-» § 1, V.). Föderalismus bedeutet Machtteilung durch vertikale Gliederung des Staates in Einheiten mit je spezifischen sozioökonomischen und soziokulturellen Strukturen und „die interdependente Gleichzeitigkeit einer zentralen und einer regionalen Ebene" (Mayntz: 1990, S. 235). Nicht nur auf der bundesstaatlichen Ebene in Deutschland, sondern in Europa insgesamt, ist eine Tendenz zur Regionalisierung und Stärkung der Regionen festzustellen. Damit ergeben sich neue Differenzierungen in den Formen politischer Problembearbeitung ( - » §§ 16, 17). Der Föderalismus unterstützt die Ausbildung einer breiten politischen Elite. Er erfordert die Kooperation zwischen Regierungen und Verwaltungen unterschiedlicher parteipolitischer Ausrichtung und hat so auch eine einheitsstiftende Wir-

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kung. Zudem erleichtert der Föderalismus die Problemwahrnehmung und verwaltungsmäßige Bearbeitung durch räumliche Strukturierung und Differenzierung. In der Praxis kennzeichnet den Föderalismus eine Vielzahl von Verflechtungen zwischen Bund und Ländern und den Ländern untereinander. Die Inhalte der Politik werden in diesem Verflechtungsbereich vor allem von den Fachbürokratien bestimmt und realisieren sich in einer Grauzone von Staatsverträgen und Verwaltungsabkommen. Diskussionen um eine Reform der Föderalstruktur und der Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern verliefen bislang im Sande, da die Länder eine breite Arena für die Selbstdarstellung politischer Akteure bieten (zur Reformdiskussion Schultze: 1999; -> § 6, V. u. VI.). - Neue Anstöße können sich aus einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Finanzausgleich zwischen den Ländern ergeben (Rupp: 2000; —» § 20, II. u. III.). f) Kommunen Die Gemeinden sind im Grundgesetz als eigenständige Formen politischer Ordnung mit dem Recht der Selbstverwaltung anerkannt (Art. 28 Abs. 2 GG; ausführlich —» § 7). Art. 28 GG enthält eine institutionelle Garantie der kommunalen Selbstverwaltung. Dies beinhaltet keinen Bestandsschutz für die einzelnen Kommunen. Die Kommunen haben eine umfassende Zuständigkeit für Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft. Bei den Kommunen (Städte und Gemeinden, Landkreise, Kommunalverbände) konzentrieren sich auch viele Aufgaben des Vollzugs von Bundes- und Landesgesetzen. g) Bundespräsident Die staatsrechtlichen Kompetenzen des Bundespräsidenten sind begrenzt. Das Grundgesetz will weder einen Bundespräsidenten als „Ersatzkaiser" noch einen Bundespräsidenten, der seiner wahlrechtlichen Legitimation nach mit dem Parlament konkurriert, wie es unter der Weimarer Verfassung der Fall war, als der Reichspräsident unmittelbar vom Volk gewählt wurde (-> § 1, V.). Die politische Wirkung des Bundespräsidenten ist abhängig von seiner Person und der Art und Weise wie er politische Themen aufnimmt und öffentlich behandelt. Seiner Stellung nach (Art. 55 GG) verkörpert er republikanische Tugenden. Die begrenzten politischen Rechte ermöglichen es dem Bundespräsidenten, sich der tagespolitischen Auseinandersetzung zu enthalten und weisen ihm eine Integrationsfunktion und Reflexionsfunktion quer zu den politischen Interessen und institutionellen Differenzierungen zu. Insofern hat der Bundespräsident Einfluss ohne Macht (Kaltefleiter: 1970; Jäger: 1989; -> im einzelnen § 13).

2. Ebene der politischen Interessenorganisation und -Vermittlung a) Politische Parteien Das parlamentarische System zielt auf eine Verbindung von Volk und Staatsgewalt in der Ausübung von Herrschaft. Im organrechtlichen Sinne wird diese Vermittlungsfunktion von den Abgeordneten wahrgenommen; im politischen Sinne kommt sie vor allem den politischen Parteien zu (Art. 21 Abs. 1 GG). Die politischen Parteien wirken unmittelbar in der Öffentlichkeit und konstituieren die politische Öffentlichkeit mit. Im Parlament wirken sie durch die ihnen angehörenden und in Fraktionen organisierten Abgeordneten (näher —> § 23).

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b) Institutionalisierte Formen der Rückbindung Es ist auffallend, dass das parlamentarische System in Deutschland - sieht man von einzelnen Bundesländern ab - neben Wahlen und den formierten Transmissionen politischer Auseinandersetzungen durch die politischen Parteien und Verbände keine weiteren Rückbindungsmechanismen zum Bürger ausgebildet hat. Formen eines imperativen Mandats oder Rätesystems, zumindest aber eines Volksentscheides in wichtigen politischen Fragen werden in der politisch engagierten Öffentlichkeit diskutiert. In einigen Bundesländern sind Volksbegehren und Volksentscheid auf der kommunalen Ebene und auf der Landesebene vorgesehen (-> § 7, III.). Eine Form unmittelbarer Rückbindung zwischen Parlament und Staatsbürger gibt das Petitionsrecht gemäß Art. 17 GG, wonach jeder das Recht hat, sich einzeln oder gemeinsam mit anderen an die Volksvertretung zu wenden. Organisierte, aber thematisch gebundene Rückbindung findet auch in den Anhörungen der Parlamentsausschüsse und - eingeschränkt - in der Tätigkeit von Enquetekommissionen statt (näher —> § 10, IV.). Im übrigen gibt es rechtsförmige Beschwerde-, Widerspruchs- und Klageverfahren sowie die Möglichkeit zur Verfassungsbeschwerde. Diese Verfahren sind entsprechend der institutionellen Differenzierung der Staatsgewalt selbständig und immer auf einen Einzelfall bezogen. c) Verbände und andere Interessenorganisationen Das Grundgesetz nennt nur die politischen Parteien als Mittler in der politischen Willensbildung des Volkes (Art. 21 GG). In der Praxis wird diese Mittlerfunktion sowohl zu den staatlichen Organen unmittelbar als auch zu den politischen Parteien und ihren Untergruppierungen von einem ganzen Netz von Organisationen und Institutionen, von Verbänden, Vereinen und Gesellschaften betrieben, die als solche verfassungsrechtlichen Schutz gem. Art. 9 Abs. 1 GG genießen. Große Unternehmen oder wissenschafts- und technologiepolitische Einrichtungen nehmen auch unmittelbar Einfluss. Verbände erhalten von der Bundesregierung oder den einzelnen Bundesministerien Gesetzentwürfe zur Stellungnahme zugeleitet, wie es in der gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien und in der Geschäftsordnung der Bundesregierung geregelt ist. Auf diese Weise soll erreicht werden, dass gesellschaftliche Einrichtungen frühzeitig in die Ausarbeitung von Gesetzesvorhaben einbezogen, die sachspezifischen Kenntnisse und Lagebeurteilungen der Verbände berücksichtigt werden, und so die praktische Umsetzbarkeit von Gesetzen oder anderen Maßnahmen gefördert wird. Um in den Prozessen geregelter Meinungsbildung im (vor-)parlamentarischen Raum mitwirken zu können, müssen sich die Verbände beim Präsidenten des Bundestages akkreditieren lassen. Sie werden in einer dort einsehbaren Liste mit ihren Vertretern verzeichnet. Die Problematik einer so strukturierten politischen Gesellschaft und ihrer Interessenentwicklungs- und Vermittlungsprozesse liegt in den unterschiedlichen Fähigkeiten verschiedener sozialer Gruppen, sich verbandsmässig zu organisieren und ihre Interessen zur Geltung zu bringen (Bohret / Jann / Kronenwett:31988, S. 178ff.; Eschenburg: 1955). Starke Verbandsorganisationen entwickeln ein Eigeninteresse an ihrem Überleben, auch bei Verminderung ihrer ursprünglichen politischen Funktion (z.B. Vertriebenenverbände). Der Staat benutzt und benötigt Verbände für die Erfüllung seiner vielfältigen Aufgaben, insbesondere im Sozialund Wirtschafts- sowie im Umweltbereich. Er bindet sich auch an diese, wenn er

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sie als Instanzen der Politikbestimmung und -ausführung einsetzt. In gewisser Weise kann in diesem Prozess von einer Vergesellschaftung des Staates gesprochen werden (-> § 25).

3. Ebene politischer Partizipation und Öffentlichkeit a) Politische Öffentlichkeit Das parlamentarische Regierungssystem ist geprägt durch differenzierte und vernetzte Organisationen der politischen Meinungsbildung, Willensbildung und Entscheidungsfindung. Demokratischer Parlamentarismus bedarf der politischen Öffentlichkeit und der Interaktion und Kommunikation zwischen seinen verschiedenen Ebenen und Einrichtungen. Politische Öffentlichkeit ist nicht staatlich zu organisieren, sondern durch Effektivierung grundgesetzlicher Freiheitsrechte staatlich zu gewährleisten, insbesondere der Meinungs- und Pressefreiheit (Art. 5 GG) und der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG), aber auch durch die (einschränkbare) Gewährleistung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Art. 10 GG). Politische Öffentlichkeit bildet sich in den Aktivitäten einer Vielzahl von Organisationen, Assoziationen und Individuen. In den Foren politischer Öffentlichkeit betätigen sich Regierung und Parlament, Parteien und Verbände sowie Wirtschaftsuntemehmen und Wissenschaftseinrichtungen. Sie wird mitgestaltet durch die professionellen Informationsvermittler und Meinungsmacher wie Presse, Femsehen und Rundfunk (-» § 26), aber ebenso durch Kultureinrichtungen und Kunstpräsentationen oder die Kirchen und ihre Akademien. Politische Öffentlichkeit wird auch gebildet in politischen Diskussionen in Familie oder Schule, in Universitätsseminaren ebenso wie am Stammtisch oder im Verein. Auch Schweigen ist eine Form politischer Meinungsäußerung und mitgestaltet - im oft nicht gewollten Ergebnis - durch schweigendes Zulassen politische Öffentlichkeit im Sinne jener, welche sprechen oder demonstrieren (Hohendahl: 2000). Weil die freie Bildung politischer Öffentlichkeit und die Freiheit der Information und politischen Meinungsbildung konstitutiv für Demokratie und Parlamentarismus (Habermas: 1962; Sennet: 1983) sind, werden sie verfassungsrechtlich geschützt. Das Bundesverfassungsgericht nahm wiederholt Anlass, ihre Gewährleistung zu sichern. Das Recht auf freie Meinungsäußerung geht nach Ansicht des Gerichtes um so weiter, je mehr es sich um einen Beitrag zum Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich interessierenden Frage handelt (BVerfGE 7, 198; 12, 113; Stein: I6 1998, S. 298ff ). Der Staat selbst fördert politische Öffentlichkeit nicht nur durch auf Politikverständnis und politische Handlungsfähigkeit ausgerichtete Bildungsfächer (z. B. Geschichtsunterricht, Sozialkunde, Gemeinschaftskunde, Gesellschaftslehre), sondern auch durch die Förderung vielfältiger Weiterbildungseinrichtungen. Über staatliche Einrichtungen wie die Landeszentralen oder die Bundeszentrale für politische Bildung stellt er Bildungsmaterialien zur Verfügung. Wichtig ist, dass Inhalt und Strukturen politischer Öffentlichkeit nicht nur durch zielgerichtetes politisches Agieren, sondern auch durch sogenanntes unpolitisches Verhalten bestimmt werden.

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b) Bürgerinitiativen, neue soziale Bewegungen, politische Demonstrationen Demokratie und Parlamentarismus bedürfen eines breiten Fundamentes politischer Öffentlichkeit und Auseinandersetzung als Teil allgemeiner politischer Kultur, als Ringen um die handlungsbegründende Wertordnung und als gesellschaftliche Handlungs- und Lebensformen. In dem Maße allerdings, wie Demokratie als Staatsform und als parlamentarische Herrschaftsordnung strukturiert und organisiert ist, bedürfen auch stärker individualisierte demokratische Ausdrucksformen der Strukturierung und Organisation, um in einer Massengesellschaft mit ihren etablierten Partei- und Verbandsorganisationen öffentliche Aufmerksamkeit und Durchsetzungsfahigkeit zu erhalten (weiterführend - » § 24). Es kann sich hierbei um mehr oder minder lose organisierte Verbindungen und Assoziationen handeln, die in der Regel von Initiativgruppen ausgehen und durch ihre thematische Schwerpunktsetzung Zustimmung suchen - auch wenn sich diese unter Umständen nur auf den Widerspruch gegen die bestehende Herrschaftsordnung und sie bestimmende Interessen bezieht. Ihre Artikulationsform kann sich auf Protestversammlungen und Demonstrationen beschränken. Solche Aktivitäten können sich entsprechend ihres Interessenspektrums verdichten und planmäßige Strategien zu ihrer Durchsetzung entwickeln. Zu nennen sind hier die unterschiedlichen Formen von Bürgerinitiativen (Guggenberger: 1980; Guggenberger / Kempf: 1978; Mayer-Tasch: 1976). Bürgerinitiativen sind Ausdruck von Repräsentationsdefiziten in der parlamentarischen Demokratie und eines Wertewandels in der Gesellschaft. Bürgerinitiativen werden in jüngerer Zeit von den sogenannten neuen sozialen Bewegungen (Roth / Rucht: 2 1992) ergänzt. Damit werden gesellschaftliche „Bewegungen" bezeichnet, welche weniger Partikularinteressen verfolgen, sondern grundsätzlicher auf eine Änderung von Politikinhalten und eine Reform politischer Verfahren ausgerichtet sind. c) Außerparlamentarische Opposition, ziviler Ungehorsam, Widerstandsrecht Mehr im Bereich prinzipieller Auseinandersetzung mit dem bestehenden parlamentarischen Regierungssystem finden sich Gruppierungen der sogenannten außerparlamentarischen Opposition, die letztlich eine Änderung von Organisation und Verfahren oder zumindest der vorherrschenden Inhalte des parlamentarischen Systems einfordern. Demokratisch sind diese und andere Assoziationen, solange und soweit sie mit legalen Mitteln handeln und gewaltfrei sind. Formen des zivilen Ungehorsams sind Ausdruck des Protestes gegen vorherrschende politische Ziele und zu ihrer Realisierung eingesetzter Strategien in existentiell grundlegenden Wert- und Lebensfragen. Sie sind bewusste Grenzüberschreitungen zwischen Anerkennung der politischen Grundordnung und Widerspruch (Galtung: 1975; Rucht: 1984; Wassermann: 2 1991). Das Grundgesetz selbst gibt jedem Deutschen das Recht zum Widerstand gegen jeden, der es unternimmt, die Verfassungsordnung zu beseitigen, wenn andere Hilfe nicht möglich ist (Art. 20 Abs. 4 GG). Dieses Widerstandsrecht bedeutet nichts anderes als die Rückverweisung der Bestandserhaltung der Verfassungsordnung an den Träger der Staatsgewalt - das Volk - in der Gefahr des Verfassungsumsturzes.

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4. Verselbständigte Einrichtungen Einige öffentliche Aufgaben werden von Organisationen erledigt, welche mehr oder minder als Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts verselbständigt sind. Solche Einrichtungen gibt es auf jeder der angesprochenen Ebenen und ebenenübergreifend, wie die Bundesanstalt für Arbeit mit den Landesarbeitsämtern und Arbeitsämtern oder die Rentenversicherungen. Zu nennen sind auch berufständische Einrichtungen wie Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern und andere, welche aber auch öffentliche Aufgaben wahrnehmen. Vor der Privatisierung gehörten zu diesem Abschnitt auch Bahn und Post. Andere ausgegliederte und weitgehend selbständige Einrichtungen sind die Landesrundfunkanstalten oder die Universitäten. Zweck solcher Verselbständigung ist es, Aufgaben, welche spezifische Eigenarten kennzeichnen, und welche in der Regel in Verbindung mit den Leistungsempfängern zu erledigen sind, in einer dafür angemessenen Organisationsform mit eigenem Haushalt und eigenem Personal wahrzunehmen. Solche Einrichtungen haben gleichzeitig eine Vermittlungs- und Repräsentationsfunktion für bestimmte Anliegen und Interessen im politischen System. Ihre Leistungen sind für das politische System insgesamt wichtig (-> § 3). 5. Mischformen Das Leistungsspektrum im politischen System lässt sich nicht einfach nach öffentlich-rechtlichen oder privatwirtschaftlichen Produzenten gliedern. Es gibt auch Mischformen wie die public-private-partnerships insbesondere im Kommunalbereich (Gerstiberger: 1999). Hier arbeiten öffentliche und private Einrichtungen zusammen, um das je spezifische Know-how und die je spezifischen Handlungsmöglichkeiten zu nutzen. Eine größere Bedeutung kommt dem sog. dritten Sektor zu. Unter diesem Begriff werden Organisationen zusammengefasst, die weder zum staatlichen noch zum privatwirtschaftlichen Sektor gehören, wie z. B. gemeinnützige Unternehmen oder die Kirchen. Einrichtungen des dritten Sektors tragen zur Staatsentlastung bei, stärken Formen gesellschaftlicher Selbsthilfe und politischer Teilhabe. Zu nennen sind hier beispielsweise Wohlfahrtseinrichtungen wie das Deutsche Rote Kreuz oder der Arbeiter-Samariterbund, Jugendverbände, Feuerwehren, Kulturund Forschungseinrichtungen. Oft ergibt sich eine Diskrepanz zwischen der Bedeutung der Aufgabenwahrnehmung für das politische System und fehlender Professionalität in der Art und Weise der Aufgabenerledigung aufgrund der Mischung aus ehrenamtlichen und hauptberuflichen Beiträgen bei gleichzeitig geringer Kontrolle (Seibel: 1992; -> §§ 3, 28, IV.). III. Politische und gesellschaftliche Differenzierungen und Verflechtungen Institutionelle Differenzierung beschränkt sich so nicht nur auf die Organe der Staatsgewalt. Sie kennzeichnet in zunehmendem Maße moderne politische Systeme.

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Die gesetzgebende Gewalt ist nicht nur in Bundestag und Bundesrat gegliedert, sondern diese sind wiederum in Ausschüsse, Kommissionen, Dienste und Verwaltung gegliedert, um die unterschiedlichen, mit der Parlamentsarbeit verbundenen Aufgaben wahrzunehmen (-> §§ 9, 14). Die rechtsprechende Gewalt gliedert sich in die Gerichtszweige der ordentlichen Gerichtsbarkeit, der Verwaltungsgerichtsbarkeit, der Arbeitsgerichtsbarkeit, der Sozialgerichtsbarkeit, der Finanzgerichte mit ihren jeweiligen Instanzen und in das Bundesverfassungsgericht (—» §§ 18, 19). Die Bundesrepublik ist in 16 Bundesländer gegliedert. Die Flächenstaaten selbst sind wiederum gegliedert in Gemeinden und Kreise, zum Teil in Bezirksregierungen oder Regierungspräsidien. Die Verwaltung gliedert sich in eine Vielzahl mehr oder weniger selbständiger Einrichtungen unterschiedlicher Rechtsformen. Institutionelle Differenzierungen und Verselbständigungen sind im Verwaltungsbereich besonders weit verbreitet. Hier sind einerseits zu nennen die Einrichtungen mit Selbstverwaltungskompetenz wie Körperschaften und selbständige Anstalten des öffentlichen Rechts (Industrie- und Handelskammern, Bundesbank, Rundfunkanstalten, Universitäten u. a.), andererseits Einrichtungen wie die Bundeswehr, der Bundesgrenzschutz, der Zoll oder die Polizei. Auch das Berufsbeamtentum hat, unabhängig von den Einrichtungen, in denen die Beamten tätig sind, ein eigenes institutionelles Gepräge. Gewaltenteilung politologisch betrachtet verweist auf mögliche weitere Gliederungsaspekte. Steffani (:1997, S. 27ff., 37ff.) unterscheidet zwischen einer staatsrechtlichen („horizontalen") Teilung, einer temporalen, einer föderativen („vertikalen"), einer konstitutionellen, einer dezisiven und einer sozialen Teilung. Die zunehmende institutionelle Differenzierung des Staats- und Regierungssystems ist nicht Ausdruck davon, dass staatliche Omnipotenz überall präsent sein will oder präsent zu sein hat, sondern ist Folge des zunehmenden gesellschaftlichen Ordnungs-, Leistungs- und Steuerungsbedarfs, welcher selbst wiederum stark differenziert ist nach sozialen, ökonomischen oder kulturellen Anliegen und Interessen einerseits mit der Folge einer zunehmenden Fragmentierung von Zentralstaatlichkeit andererseits. Das politische Institutionensystem unterliegt so einem ständigen Prozess von Leistungsanpassung und Veränderung (Helms: 1999). So entspricht der institutionellen Differenzierung des Staats- und Regierungssystems eine zunehmende soziale Differenzierung des Gesellschaftssystems. Neben verschiedenen Stufen der Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Teilsysteme nimmt auch ihre Innendifferenzierung zu. Aufmerksamkeit verdient dabei, dass sowohl auf der Ebene der Differenzierung Organisationen entstehen wie auch die Einheit der differenzierten Organisationen wiederum durch Organisationen hergestellt wird. Mit der Verselbständigung funktionaler Teilsysteme wachsen die Probleme politischer Steuerung. Die organisatorisch-institutionelle Differenzierung im politischen System ist Antwort auf die gesellschaftliche Differenzierung und weist selbst wiederum auf diese zurück, sie stärkt deren Eigenständigkeit (Mayntz u. a.: 1988). Das staatliche Steuerungspotential differenziert sich dabei in eine Vielzahl von Steuerungsinstrumenten von Geboten und Verboten über Anreize und Moderation bis zu verordneter Selbststeuerung (näher - » §§ 11, 16). Damit reagiert der Staat mit einer Differenzierung und Spezifizierung organisationaler Gestaltung, welche im Verwaltungsbereich vielfach auf bestimmte Klientengruppen ausgerichtet ist, und mit welchen sich jeweils eigene Arbeitsstrukturen und Leistungsformen verbinden, auf den zunehmenden gesellschaftlichen

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Koordinations-, Leistungs- und Steuerungsbedarf. Indem er differenziert reagiert, gewinnt er zwar an funktionaler Leistungsfähigkeit; die Realisierung einer einheitlichen politischen Gesamtordnung wird aber schwieriger. Dies um so mehr, als staatliche Organe nur unvollkommen binnen- und außenwirksame Faktoren politischer Entwicklung in globalisierten Arenen beeinflussen können (Grimmer / Kuhlmann / Meyer-Krahmer: 1999). Einem zunehmenden Bedarf an Binnenwirksamkeit des Staates in der Gestaltung der sozioökonomischen Ordnung und in der Bewerkstelligung eines Mindestmaßes an sozialem Ausgleich und Risikovorsorge steht gleichzeitig eine zunehmend außeninduzierte Minderung seiner Steuerungsmacht gegenüber. Entrechtlichung, Individualisierung und Verweise auf gesellschaftliche Selbststeuerung verkennen, dass ein Rückzug des Staates nur dann und soweit vertretbar ist, als die verfassungsrechtlichen Vorgäben für eine menschenwürdige, soziale und rechtlich gesicherte Ordnung allen zugute kommen. Die zunehmende europäische Integration mit ihren eigenen politischen Organisationen und Institutionen verschärft die Problematik. In dem so neu geschaffenen Mehrebenensystem ist es schwierig, institutionelle Stabilität zu gewinnen, da sich nicht nur die internen, sondern auch die äußeren Bezugsysteme vervielfachen ( - • § 17).

1. Institutionelle Leistungsfähigkeit Mit der Ausbildung unterschiedlicher Organisationen zur Erledigung des politisch-gesellschaftlichen Koordinations-, Leistungs- und Steuerungsbedarfs reagiert das politische System auf gesellschaftliche Differenzierungen und auf den Bedarf an ökonomischer, ökologischer, technologischer und sozialer Risikovorsorge bei gleichzeitiger Minderung zentralstaatlicher Steuerungsfähigkeit. In der Institutionalisierung solcher Organisationen entwickeln diese je spezifische Verhaltensorientierungen als Resultanten aus rechtlichen Vorgaben, Umweltanforderungen und Eigeninteressen (Gerstiberger / Grimmer / Kneissler: 1997; § 11). Sie erbringen damit je spezifische Integrationsleistungen und weitgehend konsensbasierte Steuerungsleistungen für das politische System. Die Eigenart politischer Parteien ist beispielsweise nicht nur aus dem Parteiengesetz, der staatlichen Finanzierung, ihrer Mitgliederstruktur, den Karriereinteressen ihrer Eliten oder ihrer öffentlichen Präsenz und Diskussion zu verstehen. Das Zusammenspiel all dieser und weiterer Faktoren ergibt erst die institutionelle Eigenart einer politischen Partei, und diese bestimmt wiederum ihre politische Wirksamkeit. Gleiches gilt für öffentliche Verwaltungen und andere politische Organisationen. Eine öffentliche Verwaltung allein aus ihren rechtlichen Grundlagen, ihrer Aufgabenstruktur, der Aufbau-, Ablauf- und Arbeitsorganisation erklären zu wollen, geht fehl. Erst eine Berücksichtigung ihrer Interaktions- und Kommunikationsbeziehungen, der verwaltungsinternen Interessenstruktur und der je spezifischen Umweltbezüge neben anderen Faktoren kann ein Verständnis der Funktions- und Leistungsfähigkeit einer Verwaltung vermitteln. Zwischen verschiedenen institutionalisierten politischen Organisationen bestehen überwiegend lose Koppelungen, vermittelt durch die einzelne Organisationen jeweils übergreifender politisch-gesellschaftlicher Interessen und Handlungsarenen, letztlich aufgehoben in der Verfassungsordnung. Der Verzicht auf staatlich

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reglementierte enge Koppelungen - wenn diese überhaupt noch herstellbar wären - erhöht die bereichsspezifische Integrations- und Steuerungsfähigkeit solcher Einheiten, ohne dass der politische Systemzusammenhang verloren geht. 2. Institutionelle Verflechtungen Mit der Veränderung der Staatsaufgaben und der zunehmend begrenzten finanziellen Leistungsfähigkeit des Staates verbinden sich eine Verflechtung von öffentlichen und privaten Organisationsformen. Der Staat kann die vielfältigen, letztlich unbegrenzt nachgefragten öffentlichen Leistungen heute nicht mehr alle zur Verfügung stellen. Und er braucht es auch nicht, soweit aufgrund veränderter ökonomischer Situationen und veränderter sozialer Handlungsfähigkeit der Bürgerinnen und Bürger und der gesellschaftlichen Organisationen diese vermehrt in Eigenverantwortung tätig sein können. Diese Entwicklung wird gekennzeichnet als Übergang vom Leistungsstaat zum Gewährleistungsstaat und zum aktivierenden Staat. Das heißt, der Staat trifft über Anordnung oder Vereinbarung Vorsorge, dass bestimmte Leistungen im erforderlichen Umfang und für die Bürger und sozialen Organisationen erreichbar und finanzierbar zur Verfügung stehen. Er stellt Informationen oder Organisationen bereit, damit bestimmte Aufgaben entweder mit bürgerlicher Beteiligung oder in bürgerschaftlicher Eigenverantwortung, z. B. bei der lokalen Agenda 21 (—> § 7, III.), erledigt werden. Kooperation zwischen öffentlichen und privaten Einrichtungen gab es schon immer. Im Bildungsbereich sind Unternehmen ebenso wie Industrie- und Handelskammern und Handwerkskammern in Berufsausbildung und Prüfungen miteinbezogen; im Wirtschaftsbereich werden staatliche Fördermaßnahmen von Banken und Sparkassen vorbereitet oder durchgeführt. Neu ist, dass Public-Private-Partnerships zunehmend zukunftswirksame Entwicklungsaufgaben übernehmen (Gerstiberger: 1999). Neu ist auch, dass der gewährleistende und der aktivierende Staat in früheren Kernbereichen staatlicher Tätigkeit in Erscheinung tritt (Sozialbereich, Kulturbereich, Umweltschutz, Daseinsvorsorge) - was die skizzierte Entwicklung bestätigt. Organisatorisch-institutionelle Differenzierung des staatlich-öffentlichen Bereiches meint nicht nur organisatorische Gliederung, sondern Entwicklung von Institutionen mit eigenem Selbstverständnis, Verhaltensweisen und Umweltbezügen. Häufig verbinden sich damit in der Praxis neue Markt- und Wettbewerbstrukturen neben oder in Ergänzung der überkommenen hierarchischen Ordnung. Solche neuen Wettbewerbsformen sind beispielsweise im Föderalismus zwischen den einzelnen Bundesstaaten vor allem in der Wirtschafts-, Forschungs- und Technologiepolitik sowie in der Bildungspolitik festzustellen (Bull: 1999).

3. Funktionelle Differenzierung und staatliche Einheit Die Staatlichkeit der Bundesrepublik bildet sich aus einer Vielzahl politischer Institutionen mit mehr oder weniger Herrschaftsmacht (Göhler / Schmalz-Bruns: 1998; Göhler: 1987; Hartwich: 1989). Diese können untereinander in vielfältiger Weise verflochten sein, sei es durch eine gemeinsame oder sich ergänzende Aufgabenwahrnehmung, sei es durch eine teilweise personale Identität mit unter-

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schiedlichen Ausprägungen. Zweck institutioneller Differenzierung ist die Ausbildung eines sich ergänzenden und kontrollierenden Systems von Gewaltenträgern und ihnen zurechenbarer Verantwortungsbereiche ftir Zustand und Entwicklung einer staatlich verfassten Gesellschaft. Sie gliedert den Staat entsprechend historischer und regionaler Gegebenheiten und ermöglicht eine interessennahe politische Entscheidungsfindung und einen aufgabennahen Vollzug. Die staatliche Integrationsfähigkeit für unterschiedliche individuelle und gesellschaftliche Interessen wird dadurch gestärkt. Gleichzeitig bewirkt die Ausbildung selbständiger Einheiten eine Entlastung der politischen Zentralgewalt von Steuerungs- und Kontrollaufgaben. Das politische System wird nicht mehr so sehr vom Staat her, sondern von der Verfassungsordnung bestimmt (-> § 5, VII.). Politische Organisationen und Verfahren bilden das Gerüst, damit sich parlamentarische Demokratie aktuell ereignen und der Staat als einheits- und entscheidungsbildende Institution gesellschaftlich koordinierend und steuernd wirksam sein kann. Individuelles und gesellschaftliches Leben verändern und entwickeln sich ständig in unterschiedlichen sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und technologischen Ausprägungen. Diese Veränderungen bestimmen Inhalte und Anforderungen an die parlamentarische Demokratie. Jeder Staat entwickelt seine spezifischen Eigenheiten und wird bestimmt durch die politische Kultur seiner Gesellschaft, wie er auch Teil dieser ist. Sie ist nicht nur in das Bezugssystem der Bundesstaatlichkeit und kommunalen Selbstverwaltung wie auch der politischen Öffentlichkeit, sondern auch in jenes der europäischen Union eingebunden. In der politischen Theorie wird von einer Fragmentierung des Staates gesprochen (Bohret: 31988). Dies ist zutreffend, wenn die institutionelle Differenzierung in den Blick genommen wird. In den institutionellen Prägungen der verschiedenen staatlichen Organe und öffentlichen Einrichtungen kommen aber nicht nur die Differenz, sondern auch die über die Verfassung vermittelnden zusammenhangstiftenden Elemente zum Ausdruck. Es erscheint deshalb zutreffender, von einer Funktionsteilung und strukturellen Vielfalt zu sprechen, um nicht die systemischen Zuordnungen, insbesondere die rechtsstaatlichen und demokratischen Bindungen zu vernachlässigen. Es gilt, gleichzeitig die Legitimität politischer Ordnung zu wahren (v. Haldenwang: 1999).

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§ 9 Aufgaben, Organisation und Arbeitsweise des Deutschen Bundestages Dieter Engels I. Aufgaben des Deutschen Bundestages - II. Organisations- und Verfahrensregeln - III. Spezifika des parlamentarischen Verfahrens - IV. Zwecke der Verfahrensordnung und innerparlamentarische Strukturen - V. Organe der Selbstverwaltung - VI. Ausschüsse - VII. Fraktionen - VIII. Aspekte des strukturierten Parlamentarismus - IX. Parlamentarische Hilfsdienste Grundlagenliteratur: Ismayr, Wolfgang (2000): Der Deutsche Bundestag. Opladen Mayntz, Renate / Neidhardt, Friedhelm (1989): „Parlamentskultur". In: ZParl, S. 370ff. Petersen, Sönke (2000): Manager des Parlaments. Opladen Saalfeld, Thomas (1995): Parteisoldaten und Rebellen. Opladen Schindler, Peter (1999): Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages 1949-1999. Baden-Baden Schneider, Hans Peter/ Zeh, Wolfgang (1989) (Hg.): Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik Deutschland. Berlin Schwerin, Thomas (1998): Der Deutsche Bundestag als Geschäftsordnungsgeber. Berlin Schüttemeyer, Suzanne (1998): Fraktionen im Deutschen Bundestag. Opladen Zeh, Wolfgang (1987): „Parlamentarisches Verfahren". In: HdbStR, Bd. II., S. 425ff.

I. Aufgaben des Deutschen Bundestages Die heute herrschende Auffassung unterscheidet folgende Funktionen des Parlaments: Erstens die Kreationsfunktion, welche die Wahl und Abberufung des Bundeskanzlers sowie Zuständigkeiten bei der Wahl anderer Verfassungsorgane umfasst; zweitens die Kommunikationsfunktion, welche die Mitwirkung am öffentlichen Diskurs durch Artikulation von Meinungen und Interessen vor allem im Plenum des Deutschen Bundestages betrifft; drittens die Gesetzgebungsfunktion und viertens schließlich die Kontrollfunktion, womit die Kontrolle von Regierung und Verwaltung gemeint ist.

II. Organisations- und Verfahrensregeln Damit der Bundestag diese Aufgaben erfüllen kann, bedarf es Regeln, welche seine Organisation und seine Arbeitsweise festlegen. Diese Regeln haben den Grundanforderungen zu entsprechen, die an jede Verfahrensordnung zu stellen sind: Sie müssen den Diskurs ermöglichen, das Zustandekommen von Entscheidungen garantieren, die Richtigkeit der Entscheidungen fördern sowie zu diesen

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Zwecken sowohl die Kommunikation der Verfahrensbeteiligten kanalisieren als auch deren Verfahrensrechte und Entscheidungskompetenzen festlegen (Luhmann: 1969, S. 12). 1. Rechtliche Regeln Die parlamentarischen Verfahrensregeln, die diesen Zielen dienen, sind zum einen im Grundgesetz, zum weiteren in einzelnen gesetzlichen Vorschriften (Übersichten bei: Pietzker: 1989, S. 353) und in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (GO-BT) niedergelegt, die zu erlassen gemäß Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG in der autonomen Befugnis des Parlamentes steht (Schwerin: 1998). Darüber hinaus determinieren ungeschriebene Rechtsnormen des parlamentarischen Gewohnheitsrechts den Verfahrensablauf. Ihr Kennzeichen besteht darin, dass sie auf langer und konstanter Übung im Parlament beruhen, als Rechtsnormen von den Verfahrensbeteiligten anerkannt sind und dann angewendet werden, wenn sich die geschriebenen Regeln als lückenhaft erweisen (s.a. § 1, IV.). 2. Verfahrensabsprachen; Parlamentsbrauch Diese geschriebenen und ungeschriebenen rechtlichen Verfahrensnormen werden ergänzt, zum Teil auch überlagert, durch Verfahrensabsprachen der Verfahrensbeteiligten, die auf diesem Wege die Arbeitsabläufe effektivieren sowie solche Verfahrenskonflikte zu vermeiden suchen, für die das kodifizierte Verfahrensrecht (noch) keine Lösung vorsieht. Solche Abmachungen erschöpfen sich zum Teil in der einmaligen Regelung eines konkreten Verfahrens, zum Teil gewinnen sie auch dauerhafteren Charakter, sofern sie sich in einer Situation bewährt haben und sodann in weiteren gleichgelagerten Fällen erneut praktiziert werden. Infolge einer solchen wiederholten konstanten Übung können sie entweder zu parlamentarischem Gewohnheitsrecht erstarken oder sich zumindest zu einem Parlamentsbrauch verdichten, der zwar - anders als das Gewohnheitsrecht - keine Rechtsnormqualität besitzt, aber im parlamentarischen Alltag faktische Verbindlichkeit genießt. Organisation und Arbeitsweise des Deutschen Bundestages werden hiernach durch ein Regelungssystem determiniert, dessen Elemente geschriebene und ungeschriebene Rechtsnormen, Parlamentsbräuche sowie Verfahrensabsprachen der Verfahrensbeteiligten sind. 3. Informelle Regeln Hinzu tritt eine Reihe informeller Regeln, die auf einem, zumeist unausgesprochenen, common sense beruhen oder aber zumindest von einem großen Teil der Abgeordneten akzeptiert und beachtet werden. Sie betreffen insbesondere gegenseitige Verhaltenserwartungen der Parlamentsmitglieder, aber auch die innerparlamentarischen Verfahrensabläufe. Ihr Wirkungsfeld umfasst ein breites, nicht abschließend beschreibbares Spektrum, das von eher marginalen Materien wie der angemessenen Bekleidung und Haartracht über den Debatten- und Re-

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destil bis hin zu der Beachtung eingespielter Kommunikationswege reicht, also vor allem solche Sachverhalte betrifft, die einer erschöpfenden rechtlichen Normierung nicht zugänglich sind. Trotz ihrer fehlenden Rechtsnormqualität sind sie für den parlamentarischen Alltag nicht weniger wichtig als das System der geschriebenen und ungeschriebenen rechtlichen Verfahrensregeln, so dass sie ebenfalls als wesentlicher Bestandteil der parlamentarischen Verfahrensordnung anzusehen sind.

III. Spezifika des parlamentarischen Verfahrens Die so skizzierte parlamentarische Verfahrensordnung hat nicht nur den eingangs erwähnten allgemeinen Grundanforderungen zu entsprechen, sondern auch die Spezifika des parlamentarischen Verfahrens zu berücksichtigen, die anderen, insbesondere administrativen Verfahren nicht zu eigen sind.

1. Rahmenbedingungen für die Verfahrensgestaltung Die insoweit beachtenswerten Besonderheiten ergeben sich daraus, dass der Deutsche Bundestag keine Behörde ist und deshalb auch nicht unter den für diese maßgebenden personellen und organisatorischen Bedingungen arbeitet: Er gewinnt seine Mitglieder nicht durch Kooptation von innen, sondern durch allgemeine Wahlen, also durch "Delegation von außen" (Mayntz/Neidhardt: 1989, S. 373). Er entscheidet nicht selbst, wer ihm zugehören soll, und ist schon aus diesem Grunde in besonderem Maße externen Dritten, insbesondere den Parteigremien und den Wahlbürgerinnen, verpflichtet. Er ist, jedenfalls seiner grundgesetzlichen Konstruktion nach, nicht hierarchisch strukturiert, sondern besteht aus 669 gleichberechtigten Mitgliedern, welche nicht weisungsgebunden, sondern wie Art. 38 Abs. 1 GG formuliert - „nur ihrem Gewissen unterworfen" sind und die im übrigen dieselben Pflichten und Befugnisse besitzen, zu denen namentlich das Rede- und Stimmrecht sowie das Recht gehören, parlamentarische Initiativen zu ergreifen. Seine Aufgabenerfüllung ist in hohem Maße mit Verfahrenshandlungen und -rechten Externer, insbesondere der Bundesregierung und des Bundesrates, vernetzt, welche nicht nur ebenfalls das Gesetzesinitiativ-, sondern auch das Recht besitzen, den Verhandlungen des Bundestages beizuwohnen und jederzeit gehört zu werden (vgl. Art. 43 Abs. 2 GG). Seine Arbeit erfolgt nicht unter den für die Exekutive (-> § 12) geltenden Geboten der Amtsverschwiegenheit und Vertraulichkeit, sondern grundsätzlich unter den Postulaten der Transparenz und Öffentlichkeit (-> § 26), die einen der wichtigsten Bezugspunkte der Tätigkeit seiner Mitglieder bildet. Die Verfahren des Deutschen Bundestages stehen im übrigen in enger Interaktion mit den Verbänden und sonstigen Interessengruppen (-> § 25) sowie den Medien und, last not least, den Bürgerinnen, die auf die Mitglieder des Parlaments mit dem Ziel einwirken, dass ihre jeweiligen Anliegen verwirklicht werden. Zudem gewinnt der Faktor Zeit für die Erfüllung der Aufgaben eine größere Bedeutung als in administrativen Prozessen, weil der jeweilige Bundestag lediglich für die Dauer seiner Wahlperiode existiert (Art. 39

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GG), innerhalb derer er alle Vorlagen erledigen muss, die nicht der sog. Diskontinuität12 anheimfallen sollen. 2. Funktionen der parlamentarischen Verfahrensregeln Alle diese Besonderheiten verlangen ein Verfahrenskonzept, das sich von sonstigen Verfahrensordnungen abhebt: Es muss zum einen sicherstellen, dass der Bundestag als ganzer, also als Institution, die ihm grundgesetzlich zugewiesenen Aufgaben sach- und zeitgerecht erfüllen kann, zum anderen den Verfahrensgang so organisieren, dass sowohl die Statusrechte und Gestaltungsmöglichkeiten seiner Mitglieder als auch die Verfahrensrechte anderer staatlicher Organe sichergestellt und Interaktionen mit sonstigen externen Dritten ermöglicht werden. Diese Zwecke der parlamentarischen Verfahrensordnung stehen einerseits in einem komplementären, andererseits in einem Spannungsverhältnis. Sie sind komplementär, als beispielsweise • die Verfahrensbeteiligung von Regierung und Verwaltung, • die Rückkopplung der Verfahren an betroffene Interessengruppen und • der öffentlich geführte, das Meinungsspektrum aller Parlamentsmitglieder vollständig widerspiegelnde Diskurs notwendige Bedingungen sind, den Anspruch auf Richtigkeit des Entscheidens einlösen zu können. Andererseits erscheinen dem institutionellen Interesse des Bundestages an effektiver, mit der knappen Ressource Zeit sorgsam umgehender Arbeitsweise extensive Möglichkeiten seiner Mitglieder und externer Dritter, auf das Verfahren Einfluss zu nehmen, gelegentlich als dysfunktional: So kann beispielsweise die völlige Ausschöpfung des Rede- und Antragsrechts durch jedes der 669 Parlamentsmitglieder dazu führen, dass notwendige Sachentscheidungen schon aus zeitlichen Gründen nicht getroffen oder unangemessen verzögert werden. Daher stellt sich der parlamentarischen Verfahrensordnung auch die Aufgabe, Antagonismen der angedeuteten Art - z.B. durch Regeln über die Ausübung des Rede- und Initiativrechts (§§ 27 ff. sowie 72 ff. GO-BT) - auszugleichen und die zum Teil gegenläufigen Interessen des Bundestages als Institution und diejenigen seiner Mitglieder sowie die Einwirkungsmöglichkeiten Externer in ein Verhältnis der praktischen Konkordanz zu tarieren. 3. Gliederung des Bundestages in Fraktionen und Ausschüsse Die Wege, welche die parlamentarische Verfahrensordnung hierzu einschlägt, haben nicht nur die stark differenzierte, unterschiedlichste Interessen repräsentierende Zusammensetzung des Bundestages, sondern auch zu berücksichtigen, dass sich die Verhandlungsgegenstände durch ein hohes Maß an Komplexität auszeichnen, welches vor allem dadurch bedingt ist, dass die Gesetzgebungs-, 12

Der Grundsatz der Diskontinuität beinhaltet, dass mit dem Ablauf der Wahlperiode die eingebrachten Vorlagen, z.B. Gesetzentwürfe, automatisch ihre Erledigung finden; der neue Bundestag wird mit solchen Vorlagen nur dann befasst, wenn sie erneut eingebracht werden.

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aber auch die Kontrollaufgabe dem Parlament auf höchst unterschiedlichen Politikfeldem diffizile Tatsachenfeststellungen, umfassende Folgenabschätzungen und komplexe Wertungen abverlangt: So setzen beispielsweise die Erarbeitung, Beratung und Beschlussfassung eines Gesetzes "zur Regelung von Fragen der Gentechnik" (BGBl I: 1990, S. 1080) die Analyse medizinischer, biologischer, sicherheitstechnischer, wirtschaftlicher und weiterer relevanter Sachverhalte voraus; sie verlangen ferner die Ermittlung möglicher zukünftiger Folgen gentechnischer Verfahren und erfordern schließlich die Bewertung dieser Tatbestände unter ethischen, rechts-, gesundheits-, wirtschafts- und haushaltspolitischen sowie weiteren normativen Aspekten. Solche und vergleichbare komplexe Aufgaben lassen sich nur im Wege der parlamentsinternen Arbeitsteilung bewältigen, für die im Bundestag die Voraussetzung dadurch geschaffen ist, dass er sich fachlich in Ausschüsse, politisch in Fraktionen gliedert. Die Ausschüsse fungieren dabei als fachlich spezialisierte Gremien, die das Plenum des Deutschen Bundestages - in der Regel zu Beginn einer jeden Wahlperiode - einsetzt und denen es vor allem die Aufgabe überträgt, als seine Hilfsorgane seine Plenarverhandlungen vorzubereiten. Fraktionen sind demgegenüber politische Vereinigungen von mindestens 5 v.H. der Parlamentsmitglieder, die entweder derselben Partei oder - wie § 10 GO-BT mit Rücksicht auf die CDU und die CSU vorsieht - solchen Parteien angehören, die gleichgerichtete politische Zielsetzungen verfolgen und in keinem Bundesland miteinander in Wettbewerb stehen. Anders als die Ausschüsse werden die Fraktionen nicht durch den Bundestag, sondern durch freiwilligen Zusammenschluss von Parlamentsmitgliedern gebildet, die sich hierzu in Anerkennung der Tatsache, dass sie das Mandat aufgrund des Wahlvorschlages ihrer jeweiligen Partei (-> § 23, II.) erworben haben, aber auch deshalb verstehen, weil aus ihrer Sicht Fraktionen zur Effektivierung ihrer eigenen parlamentarischen Tätigkeit notwendig sind. Denn der einzelne Abgeordnete sieht sich angesichts der Fülle und Komplexität der Verhandlungsgegenstände kaum mehr in der Lage, die faktischen und normativen Entscheidungsgrundlagen aller Materien zu überblicken, und ist daher auf Möglichkeiten der Arbeitsteilung angewiesen, die er insbesondere in „seiner" Fraktion findet: Der Zusammenschluss mit politisch gleichgesinnten Parlamentariern ermöglicht ihm, gemeinsam mit diesen seine Vorstellungen verfolgen zu können, und zwar auf der Basis arbeitsteilig organisierter Teamarbeit (Arndt, C.: 1989, S. 611 ff.), die ihm erlaubt, sich auf spezielle Politikfelder konzentrieren und sich zugleich auf die parlamentarische Arbeit verlassen zu können, die seine Fraktionskolleginnen auf anderen Politikfeldern leisten (i.E. unten VII.). Die Aufgliederung in Fraktionen ist indes nicht nur aus der Sicht des einzelnen Parlamentariers, sondern auch aus derjenigen des Bundestages notwendig: Denn ein System, welches wie das Parlament aus zahlreichen gleichberechtigten Mitgliedern besteht, unterliegt - wie insbesondere D. Herzog (:1986, S. 317) verdeutlicht hat - der latenten Gefahr, seine Handlungsfähigkeit und damit seine Bedeutung einzubüßen, weil sowohl die Vielzahl der Mitglieder als auch die heterogene Zusammensetzung die Tendenz zu gegenseitiger Blockierung fördert und jene Homogenität beeinträchtigt, die Voraussetzung für die Handlungsfähigkeit ist. Soll diese sich nicht in der Vielzahl der Parlamentsmitglieder und der Fülle der Partikularinteressen verflüchtigen, so bedarf es nicht nur einer den Geschäftsgang normierenden formalen Verfahrensordnung (BVerfGE 44, 315f.; 80,

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218) und jener Regel des Grundgesetzes, welche für Sachentscheidungen des Bundestages das Mehrheitsprinzip vorschreibt (Art. 42 Abs. 2 GG; - » § 5, IV). Erforderlich sind vielmehr auch parlamentarische Steuerungszentren, welche die Prozesse konkurrierender Initiativen sowie die Verfahren der Entscheidungsfindung strukturieren und organisieren. Diese Aufgaben übernehmen im Bundestag vor allem die Fraktionen, in deren Gremien politisch entschieden wird, welche parlamentsinternen und -externen Impulse aufgegriffen und zu welchem Zeitpunkt mit welcher inhaltlichen Zielsetzung in parlamentarische Initiativen umgesetzt werden (i.E. VII.). Auf diese Weise sorgen die Fraktionen nicht nur für eine organisierte Arbeitsteilung ihrer Mitglieder und die Strukturierung parlamentarischer Geschäftsabläufe (BVerfGE 80, S. 231), sondern auch dafür, dass die Fülle heterogener parlamentsinterner Auffassungen und Konfliktfelder auf wenige, relativ stabile, organisierte Gegensätze reduziert wird (Steffani: 1988, S. 261 und 278). Erst diese Leistung der Fraktionen ermöglicht es wiederum dem Bundestag als Institution, mit Hilfe von Ausschüssen jener schwerfälligen Arbeitsweise zu begegnen, welche sich einstellen würde, wenn jedes Detail im Plenum der 669 Abgeordneten erörtert und beraten werden müsste. Er kann seine Beschlüsse bis zur Entscheidungsreife durch die fachlich spezialisierten Ausschüsse vorbereiten lassen, weil in ihnen zum einen die jeweiligen Fachleute der Fraktionen Mitglieder sind und sich zum anderen in ihnen die politischen Kräfteverhältnisse und stabilisierten Gegensätze des Plenums widerspiegeln, da die Ausschüsse „im Verhältnis der Stärke der einzelnen Fraktionen besetzt werden" (§ 12 GO-BT)13, also ein verkleinertes Abbild des Parlaments darstellen.

IV. Zwecke der Verfahrensordnung und innerparlamentarische Strukturen Die Aufgliederung des Bundestages in Fraktionen und Ausschüsse hat indes, so notwendig sie ist, nicht unproblematische Kehrseiten, und zwar unter folgenden drei Aspekten: 1. Plenum und Ausschüsse Sie beinhaltet - erstens - die Gefahr der Zersplitterung des Parlaments, weil die entscheidende Sacharbeit in die diversen Gremien der Fraktionen und in die Ausschüsse verlagert wird. Dieser Vorgang wirft nicht nur eine Reihe, durch die parlamentarische Verfahrensordnung zu lösende Kompetenz- und Koordinationsprobleme auf, sondern wirkt sich auch zu Lasten des Plenums aus, da die eigentlichen Vor- und Teilentscheidungen außerhalb der Vollversammlung, nämlich, 13

Die Berechnung der Anzahl der den Fraktionen nach § 12 GO-BT zustehenden Sitze in den Ausschüssen erfolgt seit der 9. Wahlperiode nach dem von St. Lague/Schepers entwickelten Proportionalverfahren, vgl. hierzu Schindler: 1999, S. 2085. Zu den zuvor praktizierten Höchstwahlverfahren (d'Hondt) und Proportionalverfahren (Hare / Niemeyer) und ihren Mängeln vgl. Schindler: a.a.O., S. 2081.

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zunächst in den Gremien der Fraktionen, sodann in den Ausschüssen fallen. Das Plenum hat daher in dem arbeitsteiligen System des Bundestages an Bedeutung verloren. Ihm verbleiben im wesentlichen die Funktionen, "als Bundestag" die abschließenden Sachentscheidungen auf der Basis der Empfehlungen der Ausschüsse zu treffen und als Forum zu fungieren, in dem die Gründe des Pro und Contra der konkurrierenden Auffassungen gegenüber der Öffentlichkeit (Art. 42 Abs. 1 Satz 1 GG) dargelegt und dokumentiert werden. Damit dem Plenum - wenigstens - diese Funktionen erhalten bleiben, sind Verfahrensregeln notwendig, welche die Kompetenzen und Zuständigkeiten der Ausschüsse einerseits und diejenigen der Vollversammlung andererseits festlegen. Hierzu gehören beispielsweise die grundsätzliche Begrenzung der Aufgaben der Ausschüsse auf die Vorbereitung der Entscheidungen des Bundestages (§§ 54 Abs. 1 und 61 Abs. 1 Satz 2 GO-BT), aber auch diejenige Vorschrift der Geschäftsordnung, die für die Beratungen der Ausschüsse den Grundsatz der Nichtöffentlichkeit u.a. auch deshalb vorschreibt (§ 69 Abs. 1 GO-BT), weil andernfalls die öffentliche Darlegungsfunktion bereits von den Ausschüssen an Stelle des Plenums wahrgenommen und erfüllt würde.

2. Mehrheitsprinzip und Minderheitsschutz Die Aufgliederung in Fraktionen hat - zweitens - zur Konsequenz, dass sich das Parlament in Mehrheits- und Minderheitsfraktionen (Regierungs- und Oppositionsfraktionen) teilt. Es bildet daher nicht jene homogene Einheit, wie sie die Gewaltenteilungslehre (-» § 8, I.) suggeriert, wenn sie "das" Parlament von anderen staatlichen Organen, insbesondere der Regierung, abhebt, und wie sie auch im Wortlaut derjenigen Artikel des Grundgesetzes aufscheint, die "dem" Bundestag bestimmte Aufgaben und Befugnisse zuweisen (—> I.). Dieser Sachverhalt und die angeführte Regel, nach der parlamentarische Sachentscheidungen mit Mehrheit getroffen werden, bedingen, dass die Aufgaben und Rechte "des" Bundestages nur mit der Zustimmung der Mehrheitsfraktionen wahrgenommen und ausgeübt werden können, also der Unterstützung durch jene Fraktionen bedürfen, die politisch mit der Bundesregierung (—> § 12) auf das engste verbunden sind. Diese innerparlamentarische Konstellation überlagert zum einen die verfassungsrechtliche Gewaltenteilung zwischen Bundestag und Bundesregierung und hat zum anderen faktische Konsequenzen für die Wahrnehmung der Funktionen des Bundestages, soweit es um dessen Aufgabe geht, Regierung und Verwaltung zu kontrollieren: Denn die Rolle des parlamentarischen Kontrolleurs fällt hiernach zwar nicht ausschließlich, wohl aber insoweit, als sie in öffentlich geführten Verfahren wahrgenommen und gegenüber dem Regierungshandeln alternativ-kontrovers angelegt wird, vorwiegend den Oppositionsfraktionen zu. Dies liegt daran, dass die parlamentarische Mehrheit, welche die Bundesregierung stützt, aufgrund dieser Rolle in der Regel keine Neigung verspürt, Regierungsfehler öffentlich aufzudecken und Regierungshandeln öffentlich zu desavouieren. Vor diesem Hintergrund gerät indes das parlamentarische Kontrollrecht bei uneingeschränkter Geltung des Mehrheitsprinzips in ein prinzipielles Dilemma, dessen Aufdeckung dem Soziologen Max Weber (: 1918, S. 60) zu verdanken ist. Es besteht darin, dass das Parlament einerseits Regierung und Verwaltung kontrollieren soll, andererseits hierzu jedoch die Stimmen gerade derjenigen Frakti-

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onen benötigt, welche die Arbeit der Bundesregierung unterstützen. Soll in diesem Dilemma das parlamentarische Kontrollrecht keine entscheidenden Einbußen erleiden, so bedarf es Regeln, welche der Opposition wirksame, das heißt auch, vom Willen der Mehrheitsfraktionen unabhängige, Kontrollrechte einräumen. Die in diesem Zusammenhang wichtigste Vorschrift bildet Art. 44 Abs. 1 GG, welche derjenigen parlamentarischen Minderheit, die über das Quorum von einem Viertel der Mitglieder des Bundestages verfügt (sog. qualifizierte Minderheit), einen Anspruch auf Durchführung einer von ihr beantragten parlamentarischen Untersuchung einräumt. Diese Norm des Grundgesetzes ist zugleich Vorbild für weitere minderheitsschützende Regelungen der parlamentarischen Verfahrensordnung, deren Aufgabe daher auch darin besteht, den Schutz der Gestaltungsmöglichkeiten der Opposition zu gewährleisten (i.E. - » § 10, IV.). Die Regeln, die diesem Zweck dienen, haben zudem einem Tatbestand Rechnung zu tragen, der sich zunehmend als das entscheidende Schlüsselproblem bei der Erfüllung der Parlamentsaufgaben erweist: Es geht um den umfassenden und zeitgerechten Zugang zu denjenigen Informationen, ohne die weder die Gesetzgebungsarbeit noch die Kontrollaufgabe sachgerecht erfüllt werden können. Ein Parlament, welches - um auf das Ausgangsbeispiel des Gentechnikgesetzes zurückzukommen - nicht umfassende Basisinformationen über die Möglichkeiten, Chancen und Risiken der Gentechnik besäße, könnte schwerlich über adäquate, alle Sachverhalts- und Wertungsaspekte berücksichtigende Regelungen der Fragen der Gentechnik beraten und beschließen. Der Zugang zu den jeweils relevanten Informationen ist jedoch ungleich verteilt. Denn die Bundesregierung besitzt gegenüber dem Parlament einen bedeutsamen Informationsvorsprung, den ihr die Ministerialbürokratie und in Beiräten und Kommissionen tätige Berater sichern (vgl. hierzu die Übersicht BT-Dr. 12/8378). Hieraus resultiert nicht nur das notorische Informationsgefälle zwischen Regierung und Parlament, sondern auch und genauer: zwischen Mehrheits- und Minderheitsfraktionen, weil das Amtswissen der Regierung nur den Regierungs-, nicht den Oppositionsfraktionen in vollem Umfang zur Verfügung steht. Soll die Opposition gleichwohl wirksame Gestaltungsmöglichkeiten besitzen, so sind Regeln erforderlich, die dem Ziel dienen, dieses Informationsdefizit auszugleichen. Aber gerade hierin sind die Möglichkeiten der Geschäftsordnung ausgesprochen begrenzt: Sie enthält zwar eine Reihe von Vorschriften, die - wie das Recht der Kleinen und Großen Anfrage (—>§ 10, IV.) - auch einer Minderheitsfraktion Informationsmöglichkeiten einräumen; aber die Verankerung solcher Informationsrechte in der Geschäftsordnung des Bundestages hat einen entscheidenden Nachteil: Die Geschäftsordnung ist reines parlamentarisches Binnenrecht und kann daher nur im parlamentsi'«ier/je« Verhältnis einer Minderheitsfraktion Rechte einräumen, jedoch keine Auskunftspflichten externer Organe, Behörden oder Personen begründen. Für solche, auch außen-wirksame Informationsansprüche sind vielmehr grundgesetzliche oder gesetzliche Grundlagen erforderlich, die es umfassend nur für den Bereich des parlamentarischen Untersuchungsrechts, ansonsten, jedenfalls aus der Sicht der parlamentarischen Minderheit, nur ansatzweise gibt: Denn soweit das Grundgesetz und einzelne Gesetze parlamentarische Informationsansprüche gegenüber der Bundesregierung normieren (-> § 10, IV.), können diese nur mit der Zustimmung der parlamentarischen Mehrheit ausgeübt werden, so dass deren

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Wissensvorsprung von einer Minderheitsfraktion im Streitfall nicht aufgebrochen werden kann. Im übrigen fehlen (grund)gesetzliche Vorschriften, die Informationsansprüche der Minderheit explizit und exakt festlegen. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 13,125; 44, 320; 57, 5; 67,129; 70, 355 vgl. auch VerfGH NW in: DÖV 1994, S. 210 und VerfGH Sachsen in: DVB1. 1998, S. 774) aus dem parlamentarischen Kontrollrecht und aus Art. 38 GG hergeleitet, dass den Parlamentsmitgliedern "grundsätzlich diejenigen Informationen nicht vorenthalten werden" dürfen, die ihnen "eine sachverständige ... Beurteilung ermöglichen" (BVerfGE 70, 355), so dass zumindest im Grundsatz von einer verfassungsrechtlich begründeten Informationspflicht der Bundesregierung auch den Mitgliedern einer Oppositionsfraktion gegenüber - auszugehen ist. Die Konturen dieses Informationsanspruchs sind jedoch unklar, weil die gewählte Umschreibung in dreierlei Hinsicht unscharf ist. Sie lässt zum einen offen, welche Art der Information gemeint ist: Auskunft nur auf einzelne Fragen oder weitergehend auch Einblick in oder Vorlage von Regierungsakten, Zugang zu sonstigen Unterlagen und Einrichtungen, beispielsweise Datenbanken der Bundesregierung; zum anderen ist das für den Umfang des Informationsanspruchs maßgebende Kriterium der "sachverständigen Beurteilung" unbestimmt, weil sich im Einzelfall darüber streiten lässt, ob die Erteilung der begehrten Information unter Anlegung dieses Maßstabes notwendig ist oder nicht; schließlich impliziert der Vorbehalt, das Informationsrecht bestehe nur „grundsätzlich", Ausnahmen, die ihrerseits nicht exakt definiert sind: Eine Rolle spielen in diesem Zusammenhang insbesondere • die Begrenzung der Auskunftspflicht auf Vorgänge, die abgeschlossen und nicht dem Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung zuzurechnen sind, wobei weder geklärt ist, wann ein Vorgang abgeschlossen ist, noch welche Materien dem Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung zuzurechnen sind (hierzu Engels: 1990, S. 71; Kühne: 1997, S. 1 sowie NdsStGH in: NVwZ 1996, S. 1208 und in: NdsVBl. 1996, S. 189) ferner • das Problem, ob und unter welchen Voraussetzungen die Bundesregierung dem Parlament auch grundrechtlich geschützte Daten offenbaren muss (BVerfGE 70, S. 358) und • ob sie dem Parlament unter Berufung auf Staatsschutzgründe Informationen vorenthalten darf (BVerfGE 67, S. 139). Alle diese Unbestimmtheiten schwächen das verfassungsrechtlich verbriefte parlamentarische Informationsrecht, weil sich die unklare Rechtslage in der Praxis zu Lasten seiner Durchsetzbarkeit auswirkt. Abhilfe würde nur ein parlamentarisches Informationsgesetz schaffen, das Art, Umfang und Grenzen der einzelnen Informationsansprüche sowie die Voraussetzungen festlegt, unter denen auch die parlamentarische Minderheit diese durchsetzen kann. Dass es bislang ein solches Gesetz nicht gibt, liegt auch in den parlamentsinternen Strukturen begründet: Denn eine gesetzliche Verankerung von Informationsrechten zugunsten der parlamentarischen Minderheit bedürfte der Zustimmung der Mehrheit, die jedoch kaum geneigt ist, aktiv den Abbau ihres Informationsvorsprungs zu betreiben.

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3. Fraktionen und einzelnes Parlamentsmitglied Neben diesen, das Verhältnis der Mehrheits- und Minderheitsfraktionen betreffenden Auswirkungen hat die Aufgliederung des Bundestages - drittens - Konsequenzen, welche die Gestaltungsmöglichkeiten des einzelnen Abgeordneten tangieren: Die Fraktionen verfügen - um die ihnen zufallende Rolle als parlamentarische Steuerungszentren wirksam erfüllen zu können - über Verfahrensrechte, die es ihnen ermöglichen, den politisch-parlamentarischen Geschäftsgang effektiv zu gestalten. Hierzu zählen beispielsweise • ihr Recht, „ihre" Mitglieder der Ausschüsse zu benennen und rückzurufen, • ihre zahlreichen Mitspracherechte im Ältestenrat, dem zentralen Steuerungsorgan für die Gestaltung des Parlamentsbetriebs (-» V.), ferner • Initiativrechte, die nur von ihnen, allenfalls von mehreren Abgeordneten gemeinsam, nicht aber von einem einzelnen Parlamentarier alleine ausgeübt werden können (i.E. -> VIII.). Die Kehrseite der hierdurch begründeten Befugnisse der Fraktionen besteht darin, dass sie tendenziell zu Lasten des einzelnen Abgeordneten gehen, der - soweit er fraktionslos ist - über vergleichsweise nur geringe parlamentarische Gestaltungsmöglichkeiten verfügt (i.E. -> VIII.) und der - soweit er Fraktionsmitglied ist - parlamentarische Initiativen weitgehend nur mit Zustimmung seiner Fraktion entfalten kann, in deren Disziplin er eingebunden ist (i.E. - » VII.). Aus der Sicht des einzelnen Parlamentariers mündet daher die Fraktionierung in ein Dilemma ein, indem sie zwar einerseits die kollektive - und damit effektive - Wahrnehmung parlamentarischer Rechte sichert, andererseits aber mit einer Beschränkung seiner individuellen Gestaltungsmöglichkeiten verbunden ist. Diese Beschränkung erfährt eine weitere Verschärfung dadurch, dass die Aufgliederung des Bundestages in Fraktionen zur Herausbildung parlamentarischer Eliten fuhrt, weil jede Fraktion im Interesse der Effizienz ihrer Arbeit eines wirksamen Managements bedarf, in dessen Händen die Organisation der fraktionsintemen Willensbildungsprozesse sowie die Wahrnehmung der Fraktionsrechte im Bundestag liegen (i.E. -> V.). Mit dieser Rollenzuweisung ist zugleich für die Funktionsträger ein Zuwachs an Gestaltungsmöglichkeiten verbunden, der u.a. aus den ihnen übertragenen Entscheidungskompetenzen sowie aus der intensiveren Einbindung in parlamentsinterne und -externe Abläufe resultiert. Diese Folgen der Aufgliederung des Bundestages in Fraktionen widerstreiten indes dem Konzept des egalitär organisierten, nicht hierarchisch strukturierten Parlaments mit gleichberechtigten Mitgliedern (-> III.), weil diejenigen Abgeordneten, die nicht zu den Führungen der Fraktionen zählen, die Herausbildung der hierarchischen Strukturen als ungleiche Machtverteilung erleben, die sie in ihrer fraktionsinternen Konkurrenz und in ihren parlamentarischen Gestaltungsmöglichkeiten benachteiligt. Dem entsprechend baut sich neben der das Verhältnis von Mehrheits- und Minderheitsfraktionen betreffenden Konfliktlinie (-> IV 2.) eine weitere auf, die zwischen den einzelnen Stufen der Hierarchie, zwischen den Fraktionen und ihren Führungen einerseits und den übrigen Parlamentsmitgliedern andererseits, verläuft. Hieraus erwächst der parlamentarischen Verfahrensordnung eine weitere zentrale Aufgabe, nämlich: festzulegen, wieweit der einzelne Abgeordnete durch die Einbindung in eine Fraktion "eigener Wirkungsund Gestaltungsmöglichkeiten beraubt" werden darf (Jekewitz: 1989, S. 1041). Auch insoweit stellen sich demnach der parlamentarischen Verfahrensordnung

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antagonistische Zielsetzungen, indem sie die Rechte der Fraktionen einerseits und diejenigen der einzelnen Abgeordneten andererseits auszubalancieren hat. 4. Zwecke der Verfahrensordnung Hiernach haben die parlamentarischen Verfahrensregeln, welche für die Organisation und die Arbeitsweise des Deutschen Bundestages maßgebend sind, eine Reihe z.T. gegenläufiger Funktionen und Zielsetzungen zu erfüllen: Die parlamentarische Verfahrensordnung ist zum einen Kommunikations-, Interaktion- und Koordinationsordnung mit der Aufgabe, die Prozesse der parlamentarischen Willensbildung und Entscheidungsfindung zu organisieren. Sie ist insoweit nicht nur eine den Geschäftsgang und die Disziplin normierende formale Ordnung, sondern schafft mit der Anerkennung der arbeitsteiligen auf Spezialisierung angelegten Organisationsstrukturen und der Gliederung in Fraktionen Voraussetzungen für die Handlungs-, Funktions- und Entscheidungsfähigkeit des Parlaments. Sie balanciert zum weiteren Zuständigkeiten und Kompetenzen der an den Verfahren beteiligten Personen und Organe aus. Sie wirkt damit auf die parlamentsinternen Machtstrukturen ein und tariert divergierende Interessen aus, indem sie Regelungen vorsieht, die insbesondere das Verhältnis zwischen • dem Bundestag als Ganzem und seinen Mitgliedern, • dem Plenum und den Ausschüssen, • der parlamentarischen Mehrheit und der Opposition sowie • den Fraktionen und den einzelnen Abgeordneten betreffen.

V. Organe der Selbstverwaltung Innerhalb der so skizzierten parlamentarischen Binnenstrukturen nehmen der Präsident des Bundestages, das Präsidium und der Ältestenrat als Organe der parlamentarischen Selbstverwaltung eine integrierende, den äußeren Ablauf der Arbeit des Bundestages planende und ordnende Rolle ein. 1. Der Präsident § 7 GO-BT weist hierzu dem Präsidenten im wesentlichen vier Funktionen zu: die des Repräsentanten, der den Bundestag vertritt, die des Vorsitzenden, der die Arbeit des Bundestages fördert und seine Verhandlungen leitet, sowie die des Hausherrn, der die „Würde" und die „Ordnung" des Hauses wahrt. Hinzu tritt diejenige als Dienstherr der Verwaltung des Deutschen Bundestages (§ 7 Abs. 4 GO-BT), der derzeit ca. 2000 Mitarbeiterinnen angehören, denen technisch-organisatorische, administrative und wissenschaftliche Dienstleistungen für den Bundestag und seine Mitglieder obliegen. Nach Art. 40 Abs. 1 GG ist der Präsident durch den Bundestag zu wählen, wobei - entsprechend altem Parlamentsbrauch - das personelle Vorschlagsrecht bei der mitgliederstärksten Fraktion liegt, deren Vorschlag der Bundestag in der Regel folgt. Obgleich der gewählte Amtsinhaber Mitglied seiner Fraktion bleibt, wird

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von ihm erwartet, dass er - wie § 7 Abs. 1 GO-BT formuliert - „gerecht und unparteiisch" agiert, wobei dieses Neutralitätsgebot nicht nur für die Vorsitzendenfunktion, sondern auch für die Wahrnehmung der übrigen Aufgaben gilt. Als hiernach neutraler Repräsentant des Bundestages hat der Präsident demnach die Interessen des gesamten Parlaments sowohl im Außen- als auch im Innenverhältnis, also auch gegenüber den z.T. antagonistischen Partikularinteressen der Mitglieder und der Fraktionen, zu vertreten. Im Innenverhältnis wird diese Maxime vor allem bei der Aufgabe virulent, die Arbeiten des Bundestages zu fördern. Die Fülle der Verfahren, denen die Fraktionen -jeweils aus ihrer Sicht - unterschiedliche Prioritäten einräumen, bedarf der Koordinierung, die bereits weit im Vorfeld der öffentlichen Beratung im Plenum einzusetzen hat. Hierzu weist die Geschäftsordnung dem Präsidenten zum einen eine Reihe verfahrensleitender Befugnisse, zum anderen - und wichtiger - den Vorsitz im Ältestenrat zu, also in „demjenigen Lenkungsorgan, in dem die Arbeitsabläufe des Bundestages - einschließlich der Bestimmung der Zeitpläne, Termine und Tagesordnungen für die Plenarsitzungen - festgelegt und unter Berücksichtigung der Interessen der Fraktionen koordiniert werden". (Schick: 1989a, S. 155 und - » V. 3.). Der Präsident entscheidet demnach zwar nicht alleine Uber den Ablauf der Verfahren, wohl aber bietet ihm das Amt des Vorsitzenden des Ältestenrates die Möglichkeit, zwischen den Fraktionen in Verfahrensfragen zu vermitteln und auf diese Weise dafür Sorge zu tragen, dass die Handlungsfähigkeit des Bundestages durch die Interessensgegensätze der Verfahrensbeteiligten nicht blockiert wird (-> III.). Für diese Aufgabe hält die Geschäftsordnung indes so gut wie keine formellen Befugnisse bereit; sie verlässt sich insoweit ganz auf die Wirksamkeit informeller Möglichkeiten des Präsidenten, so dass sehr viel von dessen Verhandlungs- und Vermittlungsgeschick sowie von seiner Fähigkeit abhängt, Einigungs- oder Kompromisschancen zu erkennen und auf diese hinzuwirken. Im Gegensatz hierzu ist die Funktion des Präsidenten, die Vollversammlung des Bundestages als deren Vorsitzender zu leiten, durch eine Fülle formeller verfahrensleitender und -ordnender Befugnisse untermauert. Er eröffnet die Sitzung und die Aussprache (§ 23 GO-BT), erteilt das Wort (§ 27 GO-BT), leitet die Wahlen und Abstimmungen (§ 48 ff. GO-BT), schließt die Aussprache (§ 25 GO-BT) und entscheidet „während der Sitzung auftretende Zweifel über die Geschäftsordnung" (§ 127 Abs. 1 Satz 1 GO-BT), wobei er bei „alledem im Plenum Schutz vor Kritik an seiner Verhandlungsführung" genießt (Schick: 1989a, S. 156). Das parlamentarische Verfahrensrecht spielt insoweit in seiner traditionellen, den Geschäftsgang und die Disziplin normierenden Funktion ( - » III.) dem Präsidenten auch das Recht zu Sanktionen gegenüber den Parlamentsmitgliedern zu: Er kann Redner, die vom Beratungsgegenstand abschweifen, zur Sache rufen (§ 36 Abs. 1 GO-BT) und ihnen notfalls das Wort entziehen (§ 37 GO-BT), Ordnungsverletzungen rügen, „unparlamentarisches Verhalten" während der Plenarsitzung mit einem Ordnungsruf belegen (§ 36 GO-BT), wegen "gröblicher Verletzung der Ordnung" gar den Ausschluss eines Abgeordneten von der Sitzung anordnen (§ 38 GO-BT). Diese sog. Plenarsitzungsgewalt, die der Präsident gegenüber den Parlamentariern ausüben kann, wird ergänzt durch die Ordnungsgewalt, die ihm in seiner Funktion als Hausherr gegenüber den sonstigen Teilnehmern und Zuhörern der Vollversammlung obliegt (§ 41 GO-BT; s.a. —> § 1, IV.).

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2. Das Präsidium

Gemäß § 5 GO-BT bilden der Präsident und seine Stellvertreter, die ebenfalls vom Bundestag zu wählen sind (§ 2 GO-BT), das Präsidium. Die Anzahl der Stellvertreter des Präsidenten ist weder durch das Grundgesetz noch durch die Geschäftsordnung vorgeschrieben, so dass sie durch den Bundestag mit einfacher Mehrheit beschlossen werden kann. Allerdings ist dabei die 1994 in die Geschäftsordnung eingefügte Vorschrift des § 2 Abs. 1 Satz 2 zu beachten, wonach jede Fraktion des Deutschen Bundestages durch mindestens einen Vizepräsidenten im Präsidium vertreten ist. Auf diese Weise wird die Beteiligung auch der Oppositionen am Präsidium sichergestellt. Zu den Aufgaben der Vizepräsidenten gehört zum einen die Vertretung des Präsidenten, wenn dieser verhindert ist (§ 7 Abs. 6 GO-BT). Zum anderen vertreten die Mitglieder des Präsidiums den Präsidenten in der Leitung der Sitzungen des Plenums und nehmen in dieser Funktion die Plenarsitzungs- und die Ordnungsgewalt wahr. Darüber hinaus sind dem Präsidium als Kollegium Befugnisse eingeräumt: So übertragen die sog. Verhaltensregeln, die den Abgeordneten auferlegen, bestimmte Tätigkeiten und finanzielle Zuwendungen anzuzeigen, dem Präsidium die Aufgabe, dem begründeten Verdacht, ein Mitglied des Bundestages habe seine diesbezügliche Offenbarungspflicht verletzt, nachzugehen, hierzu das betreffende Mitglied anzuhören und Feststellungen zum Sachverhalt zu treffen, die sofern sie im Präsidium einmütig erfolgen - veröffentlicht werden können. Schließlich räumt die Geschäftsordnung den Vizepräsidenten bei einzelnen Verwaltungsentscheidungen des Präsidenten Mitspracherechte ein, die sich vor allem auf die Mitwirkung beim Abschluss von Verträgen erheblicher Bedeutung sowie auf Personalmaßnahmen im Bereich der Bundestagsverwaltung beziehen (i.E. § 7 Abs. 4 und 5 GO-BT; s.a. -> § 1, IV.). 3. Der Ältestenrat Dem Ältestenrat gehören neben dem Präsidenten die Vizepräsidenten sowie weitere Mitglieder des Bundestages an, die von den Fraktionen im Verhältnis ihrer Stärke (§ 12 GO-BT) benannt werden, so dass er in Zusammensetzung und Struktur die politischen Kräfteverhältnisse widerspiegelt, wie sie im Plenum herrschen. Zu seinen zentralen Aufgaben gehört gemäß § 6 Abs. 2 Satz 2 GO-BT die Verständigung zwischen den Fraktionen über den Arbeitsplan des Bundestages. Bei der Wahrnehmung dieser Funktion ist der Ältestenrat kein Beschlussorgan, so dass er die von § 6 Abs. 2 Satz 2 GO-BT gemeinte Verständigung nur einvernehmlich, also nach dem Konsensprinzip im Wege der Vereinbarung (-» II.) herbeifuhren kann. Solche Vereinbarungen, die in der Regel von den Parlamentarischen Geschäftsführern der Fraktionen (-> VII.) vorbereitet und im Ältestenrat sodann getroffen werden, beziehen sich vor allem auf 1. den jährlichen Zeitplan des Bundestages, 2. die Festlegung und Einteilung der Sitzungswochen sowie 3. die Aufstellung der Tagesordnungen und die Abläufe der Sitzungen des Plenums.

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Im Einzelnen: /. Der Bundestag ist kein Parlament, das ständig tagt. Sitzungswochen wechseln mit sitzungsfreien Wochen, wodurch einerseits sichergestellt ist, dass die Abgeordneten wochenweise in ihren Wahlkreisen tätig sein können, andererseits jedoch die ohnehin knappe Ressource Zeit (-> III.), die für die parlamentarischen Beratungen zur Verfugung steht, sich nochmals verdichtet. Sorgsame Zeitplanung und -einteilung sind daher für den Bundestag von nicht zu unterschätzender Bedeutung. In der Praxis legt der Ältestenrat deshalb schon recht frühzeitig für einen Jahreszyklus Anzahl (in der Regel: ca. 23) und Termine der Sitzungswochen fest, und zwar üblicherweise so, dass jeweils zwei, gelegentlich drei Sitzungswochen aufeinanderfolgen und für den Sommer eine längere Sitzungspause vorgesehen wird. 2. Für die hiernach festgelegten einzelnen Sitzungswochen hat sich eine relativ feste Einteilung eingespielt, die der Ältestenrat seinen Vereinbarungen zugrundelegt: Der Montag ist freigehalten für Sitzungen der Fraktionsvorstände (-> VII.), der Dienstag für die Vollversammlungen und die Arbeitsgruppen der Fraktionen (—VII.); der Mittwoch ist i.w. für die Ausschüsse reserviert; der Donnerstag und Freitag sind in der Regel den Plenarberatungen vorbehalten (vgl. § 10, III.). 3. Für die einzelnen Plenarsitzungen vereinbart der Ältestenrat die Tagesordnung, die jeweils die Beratungsgegenstände enthält - beispielsweise Gesetzentwürfe, Anträge der Fraktionen, Große Anfragen an die Bundesregierung und ihre Beantwortung, Berichte der Bundesregierung zur Unterrichtung des Bundestages (sog. selbständige Vorlagen, § 75 Abs. 1 GO-BT) sowie Beschlussempfehlungen und Berichte der Ausschüsse (sog. unselbständige Vorlagen, § 75 Abs. 2 GOBT) -, die sämtlich als Bundestagsdrucksachen gedruckt und an die Mitglieder des Parlaments verteilt werden (§ 77 GO-BT). Die Festlegung, ob, zu welchem Zeitpunkt und in welcher Reihenfolge solche Vorlagen für die Tagesordnung des Plenums berücksichtigt werden, ist wegen der unterschiedlichen Prioritäten, die ihnen die Fraktionen beimessen (—» IV.), häufig umstritten, weshalb gerade die Gestaltung der Tagesordnung dem Ältestenrat bisweilen einen erheblichen Koordinierungsaufwand abverlangt. Bei den hierauf abzielenden Verhandlungen des Ältestenrates befindet sich freilich die Mehrheit trotz der Geltung des Konsensprinzips in einer vergleichsweise günstigen Position, weil sie notfalls "ihre Wünsche, falls es nicht zu einer Vereinbarung im Ältestenrat kommt, im Plenum ... mit Mehrheitsbeschluss realisieren kann" (Roll: 1989, S. 817). Andererseits ist jedoch auch die Minderheit nicht schutzlos, weil sie auf eine Reihe von Verfahrensvorschriften rekurrieren kann, die sicherstellen, dass die Beratungen von Vorlagen, die sie initiiert, nicht bis an das Ende der Wahlperiode verschoben und der Diskontinuität (-> II.) anheim gegeben werden. Diesem Ziel dient beispielsweise die - auch den Ältestenrat bindende - Regelung des § 20 Abs. 4 GO-BT, nach der Vorlagen von Mitgliedern des Bundestages auf Verlangen der Antragsteller auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung gesetzt und beraten werden müssen, wenn seit der Verteilung als Bundestagsdrucksache mindestens drei Wochen vergangen sind. Über die Tagesordnung hinaus vereinbart der Ältestenrat ferner Einzelheiten der Gestaltung der jeweiligen Plenarsitzung. Hierzu gehören zum einen die Festlegung, ob und zu welchen Tagesordnungspunkten eine Debatte stattfindet, zum anderen Vorschläge über die Dauer der Aussprachen, wobei zugleich die Kontin-

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gentierung der Redezeiten, die für die Fraktionen im Plenum jeweils zur Verfügung stehen, vereinbart wird: Insoweit lässt die Verfahrensordnung sowohl eine proportionale, an der Stärke der einzelnen Fraktionen orientierte Redezeitverteilung als auch die Vereinbarung paritätischer Redezeiten (durch die kleinere Fraktionen begünstigt werden) zu, wobei allerdings bei den Planungen zu gewährleisten ist, dass auch fraktionslose Abgeordnete während der Debatte zu Wort kommen können (BVerfGE 80, S. 229). Darüber hinaus unterbreitet der Ältestenrat zu den einzelnen Beratungsgegenständen dem Plenum Verfahrensvorschläge, beispielsweise, ob und an welchen Ausschuss eine Vorlage zur Beratung überwiesen werden soll. Die Vereinbarungen des Ältestenrates zur Tagesordnung verpflichten den Präsidenten des Bundestages in seiner Eigenschaft als Vorsitzenden des Ältestenrates, sie drucken und an die Mitglieder des Bundestages rechtzeitig vor Beginn der jeweiligen Plenarsitzung verteilen zu lassen. Gegenüber dem Plenum entfalten die Vorschläge des Ältestenrates indes keine bindende Wirkung, da die Vollversammlung auf Antrag eines ihrer Mitglieder Änderungen der Tagesordnung, der vorgeschlagenen Redeordnung und der sonstigen Verfahrensvorschläge des Ältestenrates beschließen kann. In der Praxis macht das Plenum von dieser Befugnis - von den Ausnahmen abgesehen, in denen die parlamentarischen Geschäftsführer aller Fraktionen kurzfristig einvernehmlich Änderungen der Tagesordnung empfehlen - selten Gebrauch. Neben dieser Funktion fallen dem Ältestenrat zwei weitere Aufgaben zu, nämlich die allgemeine: den Präsidenten in der Führung der Geschäfte des Bundestages zu unterstützen, sowie die besondere: "über die inneren Angelegenheiten des Bundestages" zu beschließen, "soweit sie nicht dem Präsidenten oder dem Präsidium vorbehalten sind" (§ 6 Abs. 3 GO-BT). Mit dem - unscharfen - Terminus "innere Angelegenheiten" ist eine Fülle von Aufgaben angesprochen, die sich insbesondere auf den funktionalen - aber durchaus wesentlichen - Aspekt der Arbeiten des Bundestages beziehen, also vor allem die logistischen, technischen und finanziellen Rahmenbedingungen für den Ablauf der Arbeiten des Plenums, der Ausschüsse, der Fraktionen und der Mitglieder des Bundestages betreffen. Drei der insoweit relevanten Aufgabenbereiche hebt die Geschäftsordnung ausdrücklich hervor: Sie konkretisiert - erstens - die in diesem Zusammenhang wichtigste Aufgabe des Ältestenrates, nämlich: den Voranschlag für den Haushaltseinzelplan des Bundestages aufzustellen (§ 6 Abs. 3 Satz 3 GO-BT), dessen Volumen sich derzeit auf ca. 1 Mrd. DM beläuft; sie normiert - zweitens - die Befugnis des Ältestenrates, über die Verwendung der dem Bundestag vorbehaltenen Räume zu verfügen, womit vor allem gemeint ist, Entscheidungen über die Raumverteilung auf die Fraktionen, die Mitglieder des Parlaments und die Bundestagsverwaltung zu treffen; drittens schließlich erwähnt § 6 Abs. 4 GO-BT die Zuständigkeit des Ältestenrates für die Angelegenheiten der Bibliothek, des Archivs und anderer Dokumentationen, für die der Ältestenrat einen ständigen Unterausschuss einzusetzen hat. Über alle inneren Angelegenheiten entscheidet der Ältestenrat nicht nach dem Konsensprinzip, sondern als Beschlussorgan mit Stimmenmehrheit. Seine Beschlüsse werden dabei von Kommissionen vorbereitet, die der Ältestenrat einsetzt und deren Zuständigkeitsbereiche das Spektrum der inneren Angelegenheiten abdecken (s.a. - » § 1, IV.).

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Parlamentarisches Regierungssystem VI. Ausschüsse

Während die Organe der Selbstverwaltung vornehmlich für den ordnungsgemäßen formellen Ablauf der parlamentarischen Arbeiten Sorge zu tragen haben, obliegt den Ausschüssen (s.a. —> § 1, IV.) die Hauptlast der fachlich-politischen Arbeit, die in dem nach Aufgaben differenzierten arbeitsteiligen System des Bundestages im wesentlichen drei zu unterscheidenden Ausschusstypen übertragen ist, nämlich: • den Fachausschüssen • Gremien mit besonderen investigativen und kontrollierenden Funktionen sowie • sonstigen Gremien mit speziellen Zuständigkeiten. 1. Fachausschüsse Die Fachausschüsse setzt der Bundestag jeweils zu Beginn einer Wahlperiode für deren Dauer, also als ständige Gremien, ein. Einige von ihnen - so der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union, der Auswärtige und der Verteidigungs- sowie der Petitionsausschuss - sind aufgrund ausdrücklicher Verfassungsbestimmungen (Art. 45, 45a, 45c GG) zwingend einzurichten; die Existenz anderer - so vor allem die des Haushaltsausschusses - wird von einzelnen Gesetzen implizit vorausgesetzt. Soweit solche verfassungsrechtlichen oder gesetzlichen Vorgaben nicht bestehen, kann der Bundestag Anzahl und Aufgabenbereiche der Ausschüsse autonom festlegen; in der Praxis hat sich hierzu seit 1969 ein relativ festes Schema eingespielt, indem die Ausschüsse - von Ausnahmen abgesehen14 - in spiegelbildlicher Übereinstimmung mit den Ressortgliederungen der Bundesregierung eingesetzt werden. a) Zusammensetzung und Grundzüge der Organisation der Fachausschüsse Mit der Einsetzung der Ausschüsse bestimmt der Bundestag zugleich die jeweilige Anzahl der Ausschussmitglieder (§ 57 Abs. 1 GO-BT), wobei er für die einzelnen Ausschüsse Differenzierungen vornimmt, die der unterschiedlichen Arbeitslast, aber auch der jeweiligen Bedeutung, die einem Ausschuss beigemessen wird, Rechnung tragen. Die vom Bundestag festgelegten Sitze in den einzelnen Ausschüssen werden sodann, wie erwähnt (-> III.) auf die Fraktionen im Verhältnis ihrer Stärke aufgeteilt, wodurch einerseits sichergestellt ist, dass alle Fraktionen, also auch die Opposition, in den Ausschüssen vertreten sind, und andererseits erreicht ist, dass die Parlamentsmehrheit auch in den Ausschüssen über die Mehrheit verfügt. Diese Binnenstruktur der Ausschüsse ist u.a. mit Rücksicht auf ihre Rolle als vorbereitende, das Plenum entlastende Beschlussorgane (—> IV.) notwendig; denn würden die Mehrheitsverhältnisse nicht denjenigen im Plenum entsprechen, so wäre manche Vorarbeit der Ausschüsse vergebens, weil die Vollversammlung 14

Die Ausnahmen betreffen den Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, den Ausschuss fiir die Angelegenheiten der Europäischen Union, den Petitionsausschuss, den Sportausschuss, den Ausschuss für Tourismus, den Ausschuss für die Angelegenheiten der neuen Länder und den Ausschuss für Menschenrechte.

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dann "in den strittigen Fragen die Empfehlungen der Ausschüsse ablehnen ... und die Mehrheit im Plenum ihre Auffassung durch Änderungsanträge" durchsetzen würde (Trossmann: 1979, S. 113). Entsprechend der Verteilung der Ausschusssitze auf die Fraktionen benennen diese ihre jeweiligen Ausschussmitglieder und deren Stellvertreter. Gegebenenfalls benennt der Präsident weitere fraktionslose Abgeordnete, die er einzelnen, von ihm zu bestimmenden Ausschüssen mit der Maßgabe zuweist, dass sie zwar Rede- und Antrags-, nicht jedoch das Stimmrecht im Ausschuss besitzen (§ 57 Abs. 2 GO-BT), welches ihnen deshalb nicht zugestanden wird, weil andernfalls die geschilderten Mehrheits-/Minderheitsverhältnisse im Ausschuss verschoben würden (zur Zulässigkeit dieses Verfahrens: BVerfGE 80, 224 ff.). Sobald die Ausschussmitglieder benannt sind, beruft der Präsident die Ausschüsse zu ihrer jeweils ersten - der konstituierenden - Sitzung ein. Hierbei leitet er die Bestimmung des jeweiligen Vorsitzenden durch den Ausschuss. Sie ist keine echte Wahl, da die Frage, welche Fraktion den Ausschussvorsitz beanspruchen kann, zuvor im Ältestenrat zwischen den Fraktionen abgesprochen ist (§ 58 GOBT). Maßgebende Vorschrift hierfür ist § 12 GO-BT, wonach (auch) die „Regelung des Vorsitzes im Verhältnis der Stärke der einzelnen Fraktionen" vorzunehmen ist, so dass nicht nur die Mehrheit, sondern auch die Opposition Vorsitzenden-Ämter besetzt. Das personelle Vorschlagsrecht liegt sodann bei der Fraktion, welcher der Ausschussvorsitz zusteht. Es wird formell dadurch ausgeübt, dass ein Mitglied der vorschlagsberechtigten Fraktion in der konstituierenden Sitzung den für das Vorsitzendenamt designierten Abgeordneten benennt, der sodann per Akklamation durch die Ausschussmitglieder zum Vorsitzenden bestimmt wird. Nach demselben Verfahren wird dessen Stellvertreter berufen, der in der Regel demjenigen „Lager" - Regierungs-/Oppositionsfraktionen - angehört, das nicht den Vorsitzenden stellt. Die Rolle des Stellvertreters beschränkt sich freilich darauf, die Geschäfte des Vorsitzenden bei dessen Abwesenheit zu führen, so dass er keine besonderen Funktionen hat, solange der Vorsitzende anwesend ist und amtiert. Ständig gefordert ist dagegen die Arbeit derjenigen Ausschussmitglieder, die die Fraktionen im Ausschuss zu ihrem jeweiligen Obmann oder ihrer Obfrau wählen: Sie nehmen in den Ausschüssen Schlüsselstellungen ein, indem sie zum einen als Chefs der jeweiligen Fraktion im Ausschuss deren Interessen verfolgen, die Fraktionsarbeit im Ausschuss konzipieren und koordinieren sowie die hierzu notwendigen Verfahrenshandlungen initiieren. Zum anderen bilden die Obleute im jeweiligen Ausschuss ein - in der Geschäftsordnung nicht vorgesehenes informelles Gremium, das den Ausschussvorsitzenden in der Führung der Geschäfte, insbesondere bei der Planung des Ablaufs der Ausschussarbeit, unterstützt und in sog. Obleutegesprächen zu Verfahrensfragen Abmachungen (—> II.) trifft, welche die - ggf. divergierenden - Interessen der Fraktionen berücksichtigen und möglichst zum Ausgleich bringen. b) Aufgaben der Fachausschüsse Die für die Arbeit der Ausschüsse maßgebende Kernvorschrift des § 62 GO-BT weist den Fachausschüssen zwei Aufgaben zu: zum einen die, als vorbereitende Beschlussorgane des Bundestages diesem "bestimmte Beschlüsse zu empfehlen, die sich nur auf die ihnen überwiesenen Vorlagen oder mit diesen in unmittelba-

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rem Sachzusammenhang stehenden Fragen beziehen dürfen"; zum anderen können sich die Fachausschüsse "mit anderen Fragen aus ihrem Geschäftsbereich befassen" (sog. Selbstbefassungsrecht, § 62 Abs. 1 Satz 3 GO-BT). Die erstgenannte Aufgabe ist die traditionelle: Sie bezieht sich auf Vorlagen, die das Plenum - in bestimmten Einzelfällen der Präsident - dem jeweiligen Ausschuss zur Beratung überweist, und betrifft namentlich Gesetzentwürfe (§ 75 Abs. la GO-BT): Sie werden in der Regel mehreren Ausschüssen überwiesen, wobei das Plenum - aufgrund von Vorabsprachen der Fraktionen im Ältestenrat zugleich bestimmt, welche Ausschüsse "nur" mitberatend tätig werden und welcher Ausschuss "federführend" ist. Diese Unterscheidung ist deshalb wesentlich, weil ausschließlich der federführende Ausschuss berechtigt und verpflichtet ist, nach Abschluss seiner Beratungen dem Plenum die in § 62 Abs. 2 Satz 1 GO-BT angesprochene Beschlussempfehlung zu unterbreiten, wohingegen die mitberatenden Ausschüsse ihre Stellungnahme nur dem federführenden Ausschuss vorlegen können (i.E. § 63 GO-BT). Die zweitgenannte Befugnis der Ausschüsse, "sich mit anderen Fragen aus ihrem Geschäftsbereich befassen" zu dürfen, ist relativ jüngeren Datums: Sie war zunächst aufgrund der Befürchtung, das - ohne Beteiligung des Plenums ausgeübte - Selbstbefassungsrecht könne einer weiteren Atomisierung des Parlaments Vorschub leisten (-» IV.), äußerst umstritten und wurde erst 1969 in der Geschäftsordnung verankert, nachdem sich das praktische Bedürfnis in den Ausschüssen durchgesetzt hatte, sich - losgelöst von einzelnen Gesetzesentwürfen - mit Planungen, Vorhaben und Tätigkeiten des jeweils korrespondierenden Bundesressorts zu befassen. Die in § 62 Abs. 1 Satz 3 GO-BT niedergelegte Befugnis der Ausschüsse dient der Stärkung der parlamentarischen Kontrolle, wobei der ebenfalls seit 1969 praktizierte - Ressortzuschnitt der Fachausschüsse" (oben V.) dieses Ziel flankiert, weil er "eine dichte und - das ist wesentlich - nicht nur nachlaufende, sondern begleitende und mitsteuernde parlamentarische Kontrolle der Ministerien" gewährleistet (Zeh: 1987, S. 1091). Wenn auch die Norm des § 62 Abs. 1 GO-BT zwischen der Beratung überwiesener Vorlagen, also insbesondere von Gesetzentwürfen, einerseits (Satz 2) und sonstiger Fragen (Satz 3) andererseits unterscheidet, so verwischen sich doch in der Praxis die Konturen der normativ strikt geschiedenen Aufgabenbereiche, weil die "gesetzgebende" und die „kontrollierende" Funktion der Ausschüsse zunehmend miteinander verschränkt sind. W. Zeh (:1987a, S. 1091 f.) hat diesen Befund treffend umschrieben: "Da die Mehrzahl der Gesetzentwürfe, entsprechend der Logik der parlamentarischen Regierungsform, von der Regierung vorgelegt und in ihren Ministerien erarbeitet wird, hat die Bearbeitung, Prüfung und gegebenenfalls Änderung dieser Entwürfe durch den zuständigen Bundestagsausschuss nicht nur den Charakter einer Teilaufgabe auf dem Weg der Gesetzesvorbereitung, sondern auch den der parlamentarischen Kontrolle der Regierung. Gesetzgebung ist in den umfassenden Kontrollprozess einverteilt und wird tendenziell zu einem seiner Bestandteile. Die Attraktivität dieser Entwicklung liegt darin, dass sie beiden Seiten des Bundestages, der Regierungsmehrheit und der Opposition, Vorteile bietet. Die kontrollierende Mitsteuerung ("control") der Mehrheit im Ausschuss unterstützt die verfassungsrechtlich durch Art. 63, 67 und 68 GG angelegte Rückbindung der Regierung an die Parlamentsmehrheit, während die stärker kontrovers und alternativ angelegte Kontrolle der Opposition ("contre-role") zugleich und dennoch vom Mitsteuerungscharakter der im Ent-

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scheidungsstadium mehrheitsgeprägten Ausschussarbeit profitiert und so ebenfalls begleitend - und das heißt vor allem auch informationsvermittelnd - ausgeübt wird. " c) Grundzüge des Ausschussverfahrens Die Beratung der ihnen überwiesenen Vorlagen und die Befassung mit anderen Fragen, die in der Regel auf der Basis eines schriftlichen oder mündlichen Berichtes des korrespondierenden Bundesministeriums erfolgt, führen die Ausschüsse in den regelmäßig während der Sitzungswochen mittwochs stattfindenden Ausschusssitzungen durch. Der Vorsitzende setzt, sofern der Ausschuss nicht Abweichendes zuvor beschließt, Termin und Tagesordnung fest (§61 Abs. 1 GO-BT), in der die Beratungsgegenstände der betreffenden Ausschusssitzung aufgeführt sind; zugleich benennt er - nach Rücksprache mit den Obleuten und vorbehaltlich der Entscheidung des Ausschusses - einen oder mehrere Berichterstatter für jeden Verhandlungsgegenstand (§ 65 GO-BT), denen die Aufgabe obliegt, die Beratung der Vorlage fachlich und politisch in Abstimmung mit ihrer jeweiligen Fraktion vorzubereiten. Die Tagesordnung wird sodann gedruckt und den Ausschussmitgliedern rechtzeitig (§ 61 Abs. 1 GO-BT) zugeleitet, die alsdann in den Arbeitsgruppen, welche von den jeweiligen Mitgliedern einer Fraktion im Ausschuss gebildet werden (i.E. —» VII.), die Verhandlungsgegenstände vorberaten und hierbei die Haltung ihrer Gruppe im Ausschuss festlegen. Die Ausschusssitzung selbst steht unter der Leitung des Vorsitzenden (§ 59 Abs. 1 GO-BT), der die einzelnen Tagesordnungspunkte aufruft, das Wort erteilt (§ 59 Abs. 2 GO-BT) und die Abstimmungen des Ausschusses leitet. In der Praxis hat sich für die Abwicklung der einzelnen Tagesordnungspunkte ein relativ festes Schema eingespielt: Zunächst erhalten die Berichterstatter das Wort, die zum einen eine einführende Sachdarstellung geben und zum anderen die politische Wertung ihrer Fraktion vortragen und entsprechende Anträge stellen, z.B. Passagen eines Gesetzentwurfs zu ändern, dem Plenum die Annahme oder die Ablehnung einer Gesetzesvorlage zu empfehlen, einen Bericht zur Kenntnis zu nehmen oder die Bundesregierung um Informationen zu ersuchen. Im Anschluss hieran findet gegebenenfalls eine Aussprache statt, an der sich auch die übrigen Ausschussmitglieder beteiligen, denen der Vorsitzende das Wort in der Reihenfolge der Wortmeldungen und unter Berücksichtigung der in § 28 GO-BT normierten Grundsätze erteilt, wonach ihn "die Sorge für die sachgemäße Erledigung und zweckmäßige Gestaltung der Beratung, die Rücksicht auf die verschiedenen Parteirichtungen, auf Rede und Gegenrede und auf die Stärke der Fraktionen" zu leiten hat. Im Rahmen dieser Aussprache können die Ausschussmitglieder auch die Beauftragten der Bundesregierung - dies sind in der Regel Beamte des korrespondierenden Ministeriums - befragen, die ebenso wie die Beauftragten des Bundesrates an den Ausschusssitzungen teilnehmen und denen im übrigen, wie erwähnt, auf ihr Verlangen das Wort zu erteilen ist. Nach Abschluss der Aussprache, die sich - je nach Beratungsgegenstand - über eine oder mehrere Sitzung(en) erstreckt, stimmt der Ausschuss über die gestellten Anträge ab, die • abgelehnt sind, wenn sie nicht die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erhalten, • angenommen sind, wenn sie die Zustimmung der Mehrheit finden.

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Dem Vorsitzenden obliegt sodann die Durchführung der Ausschussbeschlüsse (§ 59 Abs. 1 GO-BT). Für die Angelegenheiten der Europäischen Union sehen § 93 und § 93a GO-BT Sonderregelungen vor (vgl. hierzu Kretschmer: 1994).

2. Gremien mit besonderen investigativen oder kontrollierenden Aufgaben Neben den ständigen Fachausschüssen sind weitere Gremien mit speziellen kontrollierenden oder investigativen Aufgaben betraut. 1. Hierzu zählen u.a. diejenigen Kommissionen, welche die Nachrichtendienste des Bundes kontrollieren (i.E. Miltner: 1990, S. 53). Dies sind: • das sog. Parlamentarische Kontrollgremium, welchem die Kontrolle der Bundesregierung hinsichtlich der Tätigkeit des Bundesamtes fiir Verfassungsschutz, des Militärischen Abschirmdienstes und des Bundesnachrichtendienstes obliegt und dem Kontrollaufgaben im Zusammenhang mit Maßnahmen übertragen sind, welche die Nachrichtendienste zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses veranlassen, sowie • das sog. Vertrauensgremium nach § 10 a Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung, das die geheimzuhaltenden Wirtschaftspläne (= Haushaltspläne) der Nachrichtendienste zu beraten und festzulegen hat. 2. Zum weiteren ist die Einsetzung des nach Art. 13 Abs. 6 GG vorgesehenen Gremiums zur parlamentarischen Kontrolle des Einsatzes technischer Mittel zur Wohnraumüberwachung sowie des Gremiums nach § 41 Abs. 5 des Außenwirtschaftsgesetzes zur Kontrolle der Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses vorgeschrieben. 3. Schließlich sieht die parlamentarische Verfahrensordnung in Art. 44 GG die erwähnte Einsetzung von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen vor. Sie unterscheiden sich von den Fachausschüssen dadurch, dass sie - anders als diese - nicht ständig, sondern nur punktuell zu einem bestimmten Zweck und Auftrag eingesetzt werden, ihre Verfahren grundsätzlich öffentlich führen (Art. 44 Abs. 2 GG) und über Beweiserhebungsrechte sowie Zwangsmittel der Strafprozessordnung (Art. 44 Abs. 2 GG) verfugen, mit deren Hilfe sie sich auch gegen den Willen eines Informationsträgers relevante Informationen beschaffen können. Unter den bislang nach Art. 44 GG eingesetzten Untersuchungsausschüssen dominieren die sog. Kontrollenqueten, die ein bestimmtes Verhalten der Bundesregierung und der ihr nachgeordneten Behörden zu untersuchen und unter politischen wie rechtlichen Gesichtspunkten zu bewerten haben und die - entsprechend der erwähnten parlamentsinternen Interessenslage - in der Regel von der Opposition initiiert werden. In der jüngeren Vergangenheit gewinnt jedoch ein neuer Untersuchungsausschusstyp an Bedeutung, der als Skandalenquete bezeichnet wird und dessen Aufgabe u.a. auch darin besteht, als problematisch empfundene Sachverhalte und Missstände in w'c/rtstaatlichen, privatwirtschaftlichen Bereichen aufzuklären (näher - » § 10, Engels: 2 1992, S. 15ff.; Köhler: 1995). 4. Den vierten, in vorliegendem Zusammenhang interessierenden Typus parlamentarischer Gremien verkörpern die Enquete-Kommissionen. Ihre Rechtsgrundlage findet sich in § 56 GO-BT, der den Bundestag berechtigt - auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder verpflichtet -, sie zur Vorbereitung von Entscheidungen über umfangreiche und bedeutsame Sachkomplexe einzusetzen. Mit den

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Untersuchungsausschüssen teilen sie das Schicksal, dass sie nicht zu den ständigen Gremien zählen, nur punktuell zu einem bestimmten, spätestens innerhalb der jeweiligen Wahlperiode zu erfüllenden Projektauftrag eingesetzt werden und ebenfalls komplexe Sachverhalte zu ermitteln und zu bewerten haben. Von ihnen unterscheiden sie sich jedoch in zweierlei Hinsicht: zum einen in personeller, indem ihre Zusammensetzung nicht nur Parlamentarier, sondern auch externe Sachverständige umfasst, die "im Einvernehmen der Fraktionen benannt und vom Präsidenten berufen" werden (§ 56 Abs. 2 GO-BT). Zum anderen verfugen die Enquete-Kommissionen nicht wie die Untersuchungsausschüsse über die Beweiserhebungsrechte nach der Strafprozessordnung, wobei dieser Unterschied aufgrund der unterschiedlichen Aufgaben beider Gremien gerechtfertigt ist: Während es nämlich den Untersuchungsverfahren um die - gerichtsähnliche Aufklärung eines abgeschlossenen, in der Vergangenheit liegenden Sachverhaltes geht, ist die Blickrichtung der Tätigkeit der Enquete-Kommissionen prospektiv ausgerichtet, indem ihnen die vornehmlich nach wissenschaftlichen Methoden durchzuführende Informationsbeschaffung für die zukünftige Bewältigung eines Problemfeldes obliegt. Diesem Sujet ist die beratende Wissensvermittlung durch die Integrierung externen wissenschaftlichen Sachverstandes in die parlamentarische Vorbereitungsarbeit zweifelsohne eher angemessen als die Nutzung des Normensystems der Strafprozessordnung. 3. Sonstige Gremien Neben den Fachausschüssen und den Ausschüssen mit besonderen investigativen und kontrollierenden Aufgaben bestehen weitere Gremien, die im Rahmen spezieller Verfassungs- oder gesetzlicher Aufträge des Bundestages tätig sind. Hierzu gehören zum einen der Wahlausschuss gem. § 6 Abs. 2 BVerfGG, der die vom Bundestag (vgl. § 5 Abs. 1 BVerfGG) zu wählenden Richter des Bundesverfassungsgerichtes (-> § 15, III.) wählt, zum anderen der Wahlprüfungsausschuss, dem die Vorbereitung von Entscheidungen des Bundestages zur Wahlprüfung obliegt und der durch teilweise Personenidentität in den ständigen Fachausschuss für Wahlprüfimg, Immunität und Geschäftsordnung integriert, von diesem jedoch wegen seiner besonderen Kompetenzen und Aufgaben zu unterscheiden ist (i.E. §§ 3, 5 Abs. 3, 7 Abs. 1 des Wahlprüfungsgesetzes). Nicht zu den Ausschüssen des Bundestages zählen dagegen solche Gremien, in denen Abgeordnete des Bundestages gemeinsam mit dem Bundesrat (-> § 14) oder mit Organen der Bundesländer zusammenwirken. Dies gilt zum einen für den Richterwahlausschuss, zum weiteren für den Gemeinsamen Ausschuss nach Art. 53a GG (Schick: 1988, S. 1570) und schließlich für den Vermittlungsausschuss, dem je 16 Mitglieder des Bundestages und des Bundesrates angehören. Er spielt im Gesetzgebungsverfahren insbesondere dann eine wesentliche Rolle, wenn die Mehrheitsverhältnisse in Bundestag und Bundesrat nicht übereinstimmen und er Kompromisse mit dem Ziel zu erarbeiten hat, dass diese die Billigung der Mehrheit sowohl des Bundesrates als auch des Bundestages finden (i.E. -» § 10, II.).

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Parlamentarisches Regierungssystem VII. Fraktionen

Die politische Strukturierung und Steuerung der Arbeit des Plenums und der Ausschüsse sowie der sonstigen Gremien des Bundestages erfolgen durch die Fraktionen (—> III. sowie zum Folgenden Schüttemeyer: 1998). Sie organisieren ihre Tätigkeit auf der Grundlage der § § 4 5 bis 54 des Abgeordnetengesetzes, der §§ 10 bis 12 GO-BT sowie von Verfahrensordnungen, welche die jeweilige Vollversammlung der Fraktion festlegt und die bei der Fraktion der CDU/CSU "Arbeitsordnung", bei den übrigen Fraktionen "Geschäftsordnung" heißt. In ihnen sind jeweils sowohl die Statusrechte der Mitglieder als auch die Organe der Fraktion und deren Kompetenzen definiert sowie Regeln über fraktionsinterne Verfahren, Organisationsformen und Arbeitsweisen normiert. Die diesbezüglichen Bestimmungen dienen dem Ziel, einerseits die Fraktionsarbeit zu effektivieren, andererseits dem Postulat der Gleichheit der Mitglieder Rechnung zu tragen: Oberstes Organ jeder Fraktion ist deren Vollversammlung, der alle Mitglieder der jeweiligen Fraktion mit gleichem Rede-, Antrags- und Stimmrecht angehören, und die in Beratungen und Abstimmungen über die jeweilige Fraktionspolitik entscheidet. Die Wahrnehmung dieser Aufgabe steht dabei im Schnittpunkt der vielfältigen Bezüge der parlamentarischen Arbeit (-» III.) und erstreckt sich deshalb • auf die parlamentsinternen Beratungs- und Entscheidungsprozesse, • auf die Kooperation mit den jeweiligen Parteigremien, • bei den Regierungsfraktionen: auf die Koordination von Fraktions- und Regierungspolitik, • auf kooperative Kontakte mit den "befreundeten" Landesregierungen und ihren Mitgliedern im Bundesrat, ferner • auf Interaktionen mit den Medien, Kirchen, Verbänden und Interessensgruppen sowie, wiederum last not least, den Bürgerinnen.

1. Arbeitsteilige Strukturen der Fraktionen Die sich aus diesen vielschichtigen Bezügen ergebenden Aufgaben kann die Vollversammlung der Fraktion alleine nicht leisten. Sie wäre hierzu schon aufgrund ihrer relativ großen Mitgliederzahl und der hieraus resultierenden schwerfälligen Arbeitsweise, aber auch aus folgendem Grunde nicht imstande: Fraktionsvollversammlungen sind - trotz der Zugehörigkeit ihrer Mitglieder zu derselben Partei - heterogen zusammengesetzt und spiegeln daher vielfältige, miteinander konkurrierende Interessen wider, die beispielsweise in bestimmten "Flügeln", in landsmannschaftlichen Gruppierungen oder in divergierenden politischen Grundströmungen zum Ausdruck kommen (Jekewitz: 1989, S. 1049). Insoweit stellt sich daher den Fraktionsvollversammlungen ein vergleichbares Problem wie dem Plenum des Bundestages: Ohne institutionelle und verfahrensmäßige Vorkehrungen, durch welche die konkurrierenden Auffassungen strukturiert und die Prozesse der Entscheidungsfindung sowohl fraktionsintern als auch in ihren externen Bezügen organisiert werden, wäre die Handlungsfähigkeit der Fraktionen in Frage gestellt. Aus diesem Grunde haben die Fraktionen Formen der Organisation und der Arbeitsteilung entwickelt, die sich an den auch im Gesamtparlament praktizierten organisatorischen Strukturen orientieren

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(—» III.). So sehen die Geschäftsordnungen aller Fraktionen jeweils ein zentrales Lenkungs- und Leitungsorgan, den Vorstand, vor, an dessen Spitze der von der Vollversammlung zu wählende Fraktionsvorsitzende steht, der die Fraktion in ihren Außenverhältnissen vertritt und die internen Prozesse der Willensbildung und Entscheidungsfindung moderiert. Ihm fällt deshalb insbesondere die Rolle zu, gemeinsam mit seinen Stellvertretern und mit Unterstützung der parlamentarischen Geschäftsführer, die für parlamentarisch-organisatorische Aufgaben zuständig sind (Petersen: 2000), die Arbeit der Fraktion sowohl in ihren internen als auch in ihren externen Bezügen zu koordinieren. Zur Organisation ihrer inhaltlich politischen Arbeit gliedern die Fraktionen sich in Arbeitsgruppen. Ihnen gehören die jeweils fachlich zuständigen Abgeordneten an, die zugleich Mitglieder der korrespondierenden Ausschüsse des Bundestages sind (-> VI.) und denen die Aufgabe obliegt, die fachspezifisch-politische Vorarbeit für die Meinungsbildung der Fraktion sowie deren Haltung im Plenum und in den Ausschüssen des Bundestages zu leisten. In dieser Grundstruktur stimmen die Organisationsformen der Fraktionen im wesentlichen überein, wobei sich freilich im Detail Abweichungen ergeben. Diese hängen insbesondere mit der unterschiedlichen Größe der einzelnen Fraktionen zusammen, weil eine kleinere Fraktion schon aufgrund der knappen personellen Ressourcen zu vergleichsweise gröberen Untergliederungen neigt, wohingegen mitgliederstärkere in der Lage sind, ein hoch differenziertes arbeitsteiliges System zu entwickeln. Die Vorteile einer relativ starken Aufgliederung liegen auf der Hand: Sie ermöglicht auf der Basis der organisierten Teamarbeit (-» III.) ein hohes Maß an Spezialisierung und damit den Fraktionsmitgliedern einen Gewinn an Fachkompetenz, auf die vor allem eine Oppositionsfraktion, die auf die Zuarbeit der Exekutive nicht zurückgreifen kann (-» IV.), in besonderem Maße angewiesen ist. Andererseits ist eine sehr differenzierte Aufgliederung aus der Sicht der Gesamtfraktion auch mit Nachteilen verbunden: Zum einen verkompliziert der hohe Grad der Spezialisierung die fraktionsinternen Arbeitsabläufe jedenfalls bei denjenigen Beratungsgegenständen, die fachübergreifende Themenstellungen betreffen, weil mit ihnen entsprechend der differenzierten fraktionsinternen Kompetenzordnung jeweils mehrere Arbeitsgruppen befasst werden müssen, die gegebenenfalls auch divergierende Positionen beziehen. Zum anderen birgt die starke Aufgliederung die latente Gefahr der Verselbständigung der einzelnen Arbeitsgruppen, weil deren Handlungsspielräume mit dem Grad der Spezialisierung erfahrungsgemäß wachsen. Beide Folgen der Aufgliederung gehen tendenziell zu Lasten der Geschlossenheit der Fraktionen und damit auch zu Lasten ihrer Aufgabe, die Fülle der divergierenden Auffassungen zu strukturieren und auf stabile Gegensätze zu reduzieren (-> III.). Dementsprechend kommt der Lösung der Frage, auf welchem organisatorischen Weg die Tätigkeiten der einzelnen Arbeitsgruppen sowohl untereinander als auch in ihrem Verhältnis zur gesamten Fraktion koordiniert werden, entscheidende Bedeutung zu. Die Fraktionen sehen hierzu durchweg vor, dass die Vorsitzenden der Arbeitsgruppen zugleich auch Mitglieder des jeweiligen Fraktionsvorstandes sind, der damit aufgrund dieser personellen Verklammerung den institutionellen Rahmen für die vertikale und die horizontale Koordinierung der Arbeit der einzelnen Arbeitsgruppen bietet. Da zudem • der Präsident und die Vizepräsidenten des Bundestages,

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• die Mitglieder der Bundesregierung sowie • i.d.R. die Vorsitzenden und die Generalsekretäre der Parteien berechtigt sind, an den Sitzungen des Vorstandes jeweils "ihrer" Fraktion mit beratender Stimme teilzunehmen, ist auch sichergestellt, dass der Vorstand die Fraktionsarbeit in ihren externen Bezügen, insbesondere denjenigen zum Gesamtparlament, zur jeweiligen Partei und - bei den Mehrheitsfraktionen - zur Bundesregierung, abstimmen und koordinieren kann. Der Vorstand ist demnach in dem Netzwerk der diversen Verflechtungen, in welche die Fraktionsarbeit eingebunden ist, die entscheidende zentrale Schaltstelle, und aufgrund dieser Funktion wächst seinen Mitgliedern das angesprochene Plus an Gestaltungsmöglichkeiten zu (-> IV.). Dieser Zuwachs ist der notwendige Preis für die Effektivierung der Fraktionsarbeit, der freilich dadurch relativiert wird, dass die Tätigkeit des Vorstandes unter dem Vorbehalt der - mehrheitlichen - Zustimmung der Vollversammlung steht.

2. Prozesse der fraktionsinternen Willensbildung und Entscheidungsfindung Die fraktionsinternen Prozesse der Willensbildung und Entscheidungsfindung sind demnach in einen - mindestens - dreistufigen Organisationsrahmen eingebettet, nämlich 1. die Vollversammlung als letzt-entscheidendem Organ, 2. den Vorstand als zentralem Lenkungs-, Steuerungs- und Koordinationsgremium sowie 3. die Arbeitsgruppen als spezialisierten fachpolitischen Arbeitseinheiten. In diesen formal-organisatorischen Rahmen haben sich auch die Initiativen einzufügen, welche die einzelnen Fraktionsmitglieder ergreifen, um ihre politischen Vorstellungen durchzusetzen. Die Geschäftsordnungen der Fraktionen erlauben hierzu, dass solche Initiativen auf jeder der drei Organisationsebenen ergriffen und dort in den innerfraktionellen Geschäftsgang eingebracht werden können: So kann, jedenfalls nach den formal-rechtlichen Antrags- und Rederegeln, jedes einzelne Mitglied in der Vollversammlung ebenso wie der Vorstand Anstöße für Aktivitäten einer Arbeitsgruppe geben - wie umgekehrt eine Arbeitsgruppe durch "Vorlagen" an den Vorstand und an die Vollversammlung initiieren kann, dass diese Gremien sich mit bestimmten Beratungsgegenständen befassen. Die Aussicht solcher Initiativen, Erfolg zu haben - d.h.: von der Fraktion mehrheitlich akzeptiert zu werden -, hängt allerdings nicht in erster Linie von der Einhaltung der geschäftsordnungsrechtlich normierten Wege, sondern vor allem von der Beachtung einer Reihe informeller Regeln (-> II.) sowie von sonstigen Bedingungen ab: Hierzu gehört zunächst die „Wahl des richtigen Augenblicks, d.h. eines Zeitpunktes, an dem ein Thema aktuell geworden oder das Problembewusstsein durch ein kritisches Ereignis schlagartig gewachsen ist, oder zu dem es aus anderen Gründen verhältnismäßig leicht geworden ist, für ein bestimmtes Vorhaben die nötige (fraktionsinterne) Unterstützung zu finden" (Mayntz/Neidhardt: 1989, S. 385). Diese ist zum weiteren nur dann zu erreichen, wenn der Initiator zunächst im Wege der interfraktionellen Kontaktkommunikation für sein Vorhaben wirbt, dabei im "Besitz anerkannter Sachkompetenz auf dem in Frage stehenden Gebiet ist" und der Erwartung Rechnung trägt, dass die durch die Fraktionsge-

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schäftsordnung festgelegten sachlichen Zuständigkeitsbereiche der Gremien und der Mitglieder der Fraktion zu respektieren sind (Mayntz/Neidhardt: 1989, S. 385). Der geeignete Ort, Initiativen einzubringen, ist daher aus der Sicht des einzelnen Fraktionsmitgliedes, das nicht zu der Fraktionsführung zählt, die jeweils zuständige Arbeitsgruppe, nicht die Vollversammlung, die in der Regel - schon um Überraschungsentscheidungen zu vermeiden - ausschließlich aufgrund von Empfehlungen der zuständigen Gruppen und des Vorstandes, also erst nach Vorklärung durch die fachlich zuständigen Mitglieder und das Lenkungsgremium, abschließende Sachentscheidungen trifft. Die Einschaltung der zuständigen Arbeitsgruppe und ihres Vorsitzenden ist deshalb zum einen notwendig, wenn die Initiative auf die Zustimmung der Gesamtfraktion abzielt; sie ist zum anderen erforderlich, wenn der Initiator die Mitglieder der Arbeitsgruppe dafür gewinnen will, dass diese im korrespondierenden Ausschuss des Bundestages seine Initiative - vor allem durch ein entsprechendes Abstimmungsverhalten - unterstützt. In beiden Fällen durchläuft die Initiative innerhalb der Arbeitsgruppe dabei zunächst die Stadien der Detailberatung und der - ggf. kontroversen - gruppeninternen Diskussion, die durch koordinierende Kontakte des Arbeitsgruppenvorsitzenden zu dem Geschäftsfuhrenden Fraktionsvorstand, insbesondere zu den parlamentarischen Geschäftsführern, sowie den weiteren Mitgliedern des Vorstandes begleitet wird. Zudem suchen die Arbeitsgruppen der Mehrheitsfraktionen bereits in diesem Verfahrensabschnitt die Abstimmung mit der Auffassung der Bundesregierung zu erreichen; im Hinblick hierauf ist durchaus wesentlich, dass deren Mitglieder, insbesondere die zuständigen Parlamentarischen Staatssekretäre, bisweilen auch leitende Beamte der "korrespondierenden" Bundesministerien an den Sitzungen der Arbeitsgruppen der Mehrheitsfraktionen teilnehmen und deren Meinungsbildung durch Diskussionsbeiträge sowie durch informelle Formen der Kontaktkommunikation zu beeinflussen suchen. Abgeschlossen wird das gruppeninterne Beratungsverfahren sodann durch die nach Mehrheitsregeln zu treffende Entscheidung der Gruppe, ob die Initiative in vollem Umfang, in modifizierter Form oder nicht akzeptiert wird. Die einzelnen Schritte dieses Meinungsbildungsprozesses sind in dem Gefüge der fraktionsinternen Interessensvielfalt darauf gerichtet, „Kompromisse zu finden, die in der Fraktionsversammlung ohne gravierenden Widerspruch relevanter Gruppen akzeptiert werden können" (Steffani: 1988, S. 275). Je näher die Stadien der Vorberatungen an dieses Ziel sachlich und zeitlich herangeführt werden, desto mehr verstärkt sich die Tendenz zu einer - aus Sicht des Initiators - positiven Entscheidung der Fraktion; denn sobald der beschriebene Kompromiss im Wege der Vorabklärung gefunden und zur Entscheidung der Vollversammlung zugelassen ist, bewahrheitet sich der von N. Luhmann (:1983, S. 45) beschriebene Erfahrungssatz, dass "ein ... Agieren gegen die Tendenz zur Entscheidung den Unwillen der Beteiligten (weckt), besonders, wenn es zu spät", also erst in der Vollversammlung erfolgt. Daher gilt, wie W. Steffani (:1988a, S. 275) treffend bemerkt: "Nur wer in den Arbeitskreisen unfair behandelt wurde, hat in der Vollversammlung eventuell die Möglichkeit, ohne den Unwillen seiner Fraktionskollegen heraufzubeschwören, fraktionsöffentliche Beschwerde einzulegen und notfalls die „Rückverweisung" an den Arbeitskreis zu erreichen." Ansonsten entscheidet die Fraktionsvollversammlung in aller Regel entsprechend dem Vorschlag der zuständigen Arbeitsgruppe und des Vorstandes; sie trägt somit dem

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Sinn der Arbeitsteilung Rechnung, der auch darin besteht, dass die Fraktion sich auf das Urteil und der hierauf aufbauenden Empfehlung der jeweils fachlich zuständigen Mitglieder verlässt (—> III.).

3. Fraktionsdisziplin Das System der formellen und informellen Verfahrensregeln der Fraktionen ist demnach darauf ausgerichtet, die innerfraktionelle Interessensvielfalt zu strukturieren und die Meinungsbildung der Fraktion zu formieren. Die hierauf angelegten fraktionsinternen Prozesse verlaufen, soviel sollte deutlich geworden sein, nicht friktionsfrei, und nach ihrem Abschluss hinterlassen sie "Gewinner und Verlierer": die Mehrheit, die sich fraktionsintern durchgesetzt hat, die Minderheit, die mit ihrer Auffassung unterlegen ist. Damit stellt sich die für das Gelingen des Formierungsprozesses entscheidende Frage, wie die unterlegene Minderheit im Außenverhältnis, insbesondere im Plenum und in den Ausschüssen des Bundestages sowie der Öffentlichkeit gegenüber, agieren darf, also: Ob sie der Mehrheitsmeinung der Fraktion verpflichtet oder ob ihr erlaubt ist, den Kampf um ihre Auffassung außerhalb der Fraktion fortzusetzen. Das Interesse der Gesamtfraktion ist dabei darauf gerichtet, dass alle ihre Mitglieder die mehrheitlich beschlossene Haltung und Strategie auch geschlossen im Plenum und in den Ausschüssen des Bundestages vertreten, und zwar sowohl in den Inhalten der Debattenbeiträge und der Anträge als auch bei den Abstimmungen. Dieses Interesse kollidiert indes mit dem gegenläufigen Sachanliegen der Verfechter der fraktionsintern unterlegenen Minderheitsmeinung sowie deren durch Art. 38 GG garantierten Statusrechten, aufgrund derer jeder Abgeordneter an Weisungen - auch solchen seiner Fraktion - nicht gebunden und "nur seinem Gewissen unterworfen" ist (-> II.). Offenbar mit Rücksicht auf diesen verfassungsrechtlich verbrieften Grundsatz des freien Mandats vermeiden es die Fraktionsgeschäftsordnungen - mit Recht - diesen Interessenskonflikt durch formalrechtliche Regelungen zu entscheiden. Sie enthalten zwar Bestimmungen aus denen sich ableiten lässt, dass die Einbringung von nicht mit der Fraktion abgestimmten oder gar von der Fraktionsauffassung abweichenden Vorlagen im Plenum des Bundestages als Verstoß gegen die Fraktionsordnung angesehen wird; weitergehende formale Regelungen, durch welche von der Fraktionslinie abweichende Verhaltensweisen untersagt würden, sucht man jedoch vergebens weil sich alle Fraktionsgeschäftsordnungen davor hüten, "Regelungen zu treffen, die den Eindruck eines verfassungswidrigen Fraktionszwangs erwecken könnten" (Jekewitz: 1989, S. 1052). Die Antwort auf die Ausgangsfrage ergibt sich deshalb auch nicht alleine aus den Geschäftsordnungen, sondern insbesondere aus informellen Normen (-» II.), die das Verhalten der Fraktionsmitglieder betreffen und die in jeder Fraktion gleichermaßen gelten: Grundnorm ist insoweit das an jedes Fraktionsmitglied gerichtete Gebot, der eigenen Fraktion nicht zu schaden, vor allem: abweichendes Verhalten zu unterlassen, welches sich auf deren "Glaubwürdigkeit... negativ auswirken" kann (Mayntz/Neidhardt: 1989, S. 379). In ihren speziellen Ausprägungen bedeutet diese informelle Norm zum einen, dass von dem Fraktionsmitglied, welches anderer Auffassung als die Fraktionsmehrheit ist, gefordert wird, deren Argumente in der öffentlichen Diskussion nicht zu diskreditieren,

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sondern "sachlich und fair" darzustellen (Beschluss der Fraktion der SPD vom 23. Juni 1981); zum anderen wird bei den Abstimmungen im Plenum und in den Ausschüssen erwartet, "dass der Abgeordnete, der vom Fraktionskurs abweicht, dies nicht leichtfertig (z.B. nicht aus Publizitätssucht), sondern nur aus Gewissensgründen tut und seine Absicht, abweichend zu votieren, der Fraktionsführung vorher mitteilt" (Mayntz/Neidhardt: 1989, S. 379). Im parlamentarischen Alltag erreichen diese Normen ihr Ziel: Fraktionsabweichendes Stimmverhalten kommt im Bundestag selten vor (vgl. hierzu Saalfeld: 1995), und selbst in den den Abstimmungen vorgelagerten Beratungsverfahren im Plenum und in den Ausschüssen werden Geschlossenheit der Fraktion und Solidarität ihrer Mitglieder demonstriert. Dazu tragen wiederum auch diejenigen Normen bei, die der Fraktion sowohl die Bestimmung "ihrer" Mitglieder in den Ausschüssen (—> VI.) als auch die Auswahl "ihrer" Redner überantworten, welche im Plenum die Fraktions-AufFassung zu vertreten haben: Hier liegt zwar eine der Ursachen für den Bedeutungsverlust des Plenums (—> IV.), weil in ihm nur noch die formierten Fraktionsauffassungen dargestellt und bei den Abstimmungen aufgrund der fraktionsinternen Vor-Festlegungen Überraschungsergebnisse weitgehend ausgeschlossen werden. Diese, zu Lasten eines lebendigen, spontanen und offenen Diskurses gehende Verfahrensweise im Plenum ist jedoch die unvermeidbare Kehrseite der parlamentsinternen Arbeitsteilung und der Strukturierungsleistung der Fraktionen, ohne die der Bundestag zur sach- und zeitgerechten Erfüllung seiner Funktionen nicht in der Lage wäre (-» III.).

VIII. Aspekte des strukturierten Parlamentarismus Sind hiernach die fraktions/H/ern geltenden formellen und informellen Normen auf die stabilisierte Strukturierung der Interessensvielfalt ausgerichtet, so wird diese Zielsetzung durch eine Reihe von Vorschriften der Geschäftsordnung aufgegriffen und untermauert, indem diese die wesentlichen parlamentarischen Verfahrensbefugnisse ausschließlich den Fraktionen oder einer Gruppe von Abgeordneten in Fraktionsmindeststärke (derzeit: 34 Personen) überantwortet. Dies gilt sowohl für das Gesetzesinitiativrecht, das nach § 76 Abs. 1 GO-BT nur einer Fraktion oder fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages zur gemeinsamen Ausübung zusteht, als auch für die Einbringung sonstiger Vorlagen i.S.d. § 75 GO-BT, also insbesondere für Große und Kleine Anfragen sowie für Anträge auf Einsetzung einer Enquete-Kommission oder eines Untersuchungsausschusses (§ 76 i.V.m. § 75 Abs. 1 d und f GO-BT), ferner für Anträge auf Herbeirufung eines Mitgliedes der Bundesregierung (§ 42 GO-BT) und auf Durchführung einer Aktuellen Stunde. Die Zuweisung dieser Rechte an die Fraktionen oder eine entsprechend große Gruppe von Abgeordneten ist Ausdruck des strukturierten Parlamentarismus, und die Bindung der Initiativen an die Voraussetzung, dass sie von mehreren Parlamentsmitgliedern getragen sein müssen, fußt auf der Erwägung, dass die Erfüllung eines Quorums als Zulässigkeitserfordernis für parlamentarische Initiativen "dem Nachweis der Ernsthaftigkeit eines Anliegens und damit der Rationalisierung der Parlamentsarbeit dient" (Jekewitz: 1989, S. 1041).

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1. Zur Rechtsstellung der einzelnen fraktionsangehörigen Abgeordneten Für die Mehrzahl der Abgeordneten, die einer Fraktion angehört ( - * III.), bedeutet dies, dass ihre parlamentarischen Gestaltungsmöglichkeiten in doppelter Weise mediatisiert sind; zum einen durch die Fraktionsdisziplin, welche die Entfaltung parlamentarischer Initiativen weitgehend nur über und mit Zustimmung der Fraktion zulässt (—> VII.), zum anderen durch die angeführten Regeln der Geschäftsordnung des Bundestages, deren Kehrseite aus der Sicht des einzelnen Parlamentariers darin besteht, dass er für die Ausübung der wesentlichen Initiativrechte im Bundestag die Unterstützung seiner Fraktion gewinnen muss. Die Geschäftsordnung sichert auf diese Weise den Fraktionen ihre Steuerungs- und Lenkungsfunktion, bewegt sich indes auf einem auch verfassungsrechtlich diffizilen Feld, weil sie dem einzelnen Abgeordneten die ihm in Art. 38 GG verbrieften Mitwirkungs- und Gestaltungsrechte nicht verweigern darf (BVerfGE 80, 219 sowie IV.): Insoweit kommt es aus der Sicht des einzelnen Abgeordneten entscheidend darauf an, welche parlamentarischen Rechte ihm im Einzelnen zustehen. Unter diesem Aspekt ist zunächst bedeutsam, dass jeder Abgeordnete Anspruch darauf hat, in einem Ausschuss des Bundestages mitzuwirken. Der innere Grund hierfür liegt darin, dass sich "vor allem in den Ausschüssen ... den Abgeordneten die Chance" eröffnet, "ihre eigenen politischen Vorstellungen in die parlamentarische Willensbildung einzubringen" (BVerfGE 80, 222): Ihnen stehen in den Ausschüssen nicht nur die dort - reichlich - fließenden, insbesondere von den Mitgliedern und Beauftragten der Bundesregierung gegebenen Informationen (-» VI.) zur Verfügung, sondern auch erhebliche Möglichkeiten offen, auf die Beratungen Einfluss zu nehmen, indem sie das Rede- und Antragsrecht dazu nutzen können, ihre Position darzustellen und zu begründen sowie ggf. auch überzeugen zu können. Wegen dieser Möglichkeiten hat die Mitgliedschaft in einem Ausschuss eine der Mitwirkung im Plenum zumindest vergleichbare, wenn nicht gar höhere Bedeutung, weil die Ausschüsse als "kleinere Gremien mit festliegenden Rollen, erkennbar verteiltem Informationsbesitz, unterdrückter Konkurrenz und der Möglichkeit, direkt und abgekürzt zur Sache sprechen zu können, ohne einen Missbrauch der Kommunikation befürchten zu müssen" (Luhmann: 1983, S. 189), ein höheres Potential für die Durchsetzung politischer Vorstellungen bieten als die "große" Vollversammlung. Daher darf - wie das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich festgestellt hat (BVerfGE 80). 222) - "ein Abgeordneter nicht ohne gewichtige, an der Funktionstüchtigkeit des Parlaments orientierte Gründe von jeder Mitarbeit in den Ausschüssen ausgeschlossen werden." Allerdings hat der einzelne Abgeordnete keinen Anspruch auf einen Sitz in einem bestimmten Ausschuss seiner Wahl: Sein Teilhaberecht ist insoweit durch das in § 57 Abs. 2 GO-BT verankerte Benennungsrecht seiner Fraktion überlagert (-» VI.), und zwar in verfassungsrechtlich zulässiger Weise (i.E. BVerfGE 80, 223). In der Praxis freilich kommen die Fraktionen weitestmöglich den Wünschen ihrer Mitglieder nach, entsprechend ihren Neigungen und fachlichen Kompetenzen in einem Ausschuss ihrer Wahl tätig werden zu können. Zum weiteren ist für die parlamentarischen Gestaltungsmöglichkeiten des einzelnen Abgeordneten von Bedeutung, dass die Geschäftsordnung eine Reihe von Vorschriften vorsieht, welche die Rechte des Art. 38 GG näher ausgestalten (zu Einzelheiten Abmeier: 1984). Hierzu gehören zunächst insbesondere Informati-

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onsrechte: So ist jedes Parlamentsmitglied grundsätzlich berechtigt, alle Akten einzusehen, die sich in der Verwahrung des Bundestages oder eines Ausschusses befinden (§ 16 GO-BT). Darüber hinaus kann jeder Abgeordnete an Sitzungen derjenigen Ausschüsse, denen er nicht als Mitglied angehört, als Zuhörer - unter bestimmten Voraussetzungen auch mit beratender Stimme (§ 69 Abs. 3 GO-BT) - teilnehmen, es sei denn, dass der Bundestag das Zutrittsrecht auf die ordentlichen Mitglieder und deren Stellvertreter beschränkt hat15. Zudem besitzt jeder Parlamentarier nach § 105 GO-BT, der insoweit das verfassungsrechtlich verbriefte Informationsrecht (-> IV.) konkretisiert, die Möglichkeit, mündliche und schriftliche Anfragen an die Bundesregierung einzureichen (i. E. Anlage 4 zur GO-BT sowie - » § 10). Daneben steht dem einzelnen Parlamentarier eine Reihe informeller Informationswege offen, die durch persönliche Kontakte zur Ministerialbürokratie, zu den Vertretern der Verbände, Parteien und Interessengruppen sowie zu den Mitarbeiterinnen der Medien eröffnet sind; hierfür ist nicht unwesentlich, dass die Verfassung den Abgeordneten das Recht einräumt, über die Person eines Informanten und über anvertraute Tatsachen das Zeugnis verweigern zu dürfen (Art. 47 GG).

Übersicht: Parlamentarische Rechte der Mitglieder des Bundestages

1. Recht, eine Fraktion zu bilden und ihr beizutreten 2. Recht auf Mitgliedschaft in einem Ausschuss 3. Zutrittsrecht zu Ausschusssitzung 4. Recht, in die Akten ein zusehen, die sich in der Verwahrung des Bundestages befinden 5. Fragerechte, Informationsrechte

Rechtsgrundlage (GO-BT) von § 10 vorausgesetzt

Rechtsprechung

§ 57 Abs. 1

BVerfGE 80, S. 222

§69 § 16

§§ 27, 100, 104, 105, Anlage 4 zur GO-BT

BVerfGE 70, BVerfGE 57, BVerfGE 44, BVerfGE 13,

S. S. S. S.

355 5 320 125

15 Im 14. Deutschen Bundestag ist dies bei dem Auswärtigen und dem Verteidigungsausschuss (sog. geschlossene Ausschüsse) sowie beim Innenausschuss der Fall, soweit er sich mit Fragen der Inneren Sicherheit befasst.

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6. Rederecht

§25,27,33,35,71

7. Erklärungsrecht 8. Antragsrechte

§31,32 § 20, 29,46 Abs. 3, 47,71 Abs. 1, 82 §§39, 116 ff.

9. Einspruchsrecht 10. Anspruch auf Zuarbeit durch die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages

BVerfGE 80, S. 229 BVerfGE 60, S. 374 BVerfGE 10, S. 12 BVerfGE 80, S. 224 BVerfGE 80, S. 232

Darüber hinaus spezifiziert die parlamentarische Verfahrensordnung eine Reihe von Antrags-, Rede- und Erklärungsrechten, die der einzelne Abgeordnete im Plenum ausüben kann. Hierzu zählen vor allem das Recht, für eine Erklärung zur Aussprache das Wort zu erhalten (§ 30 GO-BT), Geschäftsordnungsanträge stellen und begründen (§ 29 GO-BT) sowie persönliche Erklärungen zur Abstimmung geben zu können (§ 31 GO-BT). Zudem kann jedes Parlamentsmitglied in der zweiten Beratung eines Gesetzentwurfs, die auf der Basis der Empfehlungen des federführenden Ausschusses (-> VI.) erfolgt, Änderungsanträge stellen (§ 82 Abs. 1 GO-BT). Von dieser individuellen Befugnis machen indes Parlamentarier, die Mitglied einer Fraktion sind, so gut wie nie Gebrauch, weil sie insoweit die Fraktionsdisziplin auf den Weg verweist, die Fraktion dafür zu gewinnen, entsprechende Änderungsanträge einzubringen (—> VII.). 2. Zur Rechtsstellung fraktionsloser Abgeordneter Für solche Parlamentarier, die - ausnahmsweise - keiner Fraktion angehören, bietet dagegen die in § 82 Abs. 1 GO-BT gegebene Befugnis - neben dem Recht, im Plenum das Wort ergreifen zu können - die praktisch bedeutsamste Möglichkeit, ihre Position parlamentsöffentlich darzustellen. Anders als fraktionsangehörende Parlamentsmitglieder, die über ihre Fraktion Gesetzes- und Kontrollaktivitäten initiieren können (—> VII.), verfügen fraktionslose Abgeordnete alleine weder über die Möglichkeit, Gesetzentwürfe einzubringen, noch können sie, sofern sie nicht 5 v.H. der Parlamentsmitglieder "zum Nachweis der Ernsthaftigkeit1 ihres Anliegens" gewinnen (-» VIII.), Kleine und Große Anfragen einreichen, auch nicht den Einsatz der genannten übrigen Kontrollinstrumentarien im Plenum beantragen. Da sie zudem - wie alle Parlamentsmitglieder keinen Anspruch auf Mitgliedschaft in einem bestimmten Ausschuss ihrer Wahl besitzen (—> VIII.) und darüber hinaus in demjenigen Ausschuss, dem sie zugewiesen werden, nur Rede- und Antrags-, nicht aber Stimmrecht haben, sind auch ihre dortigen Möglichkeiten, auf Gang und Ergebnis der Beratungen Einfluss zu nehmen, eingeschränkt. Sie sind daher in ihren Gestaltungsmöglichkeiten allein auf diejenigen Rechte, die jedem einzelnen Parlamentarier zustehen (-> VIII.) verwiesen, und in der Palette dieser Rechte erweist sich dasjenige, in zweiter Lesung zu einem Gesetzentwurf Änderungsanträge stellen zu können, als eines der stärksten: Seine Ausübung führt zwar wegen der gegebenen Mehrheiten so gut wie nie zu einem inhaltlichen, wohl aber zu dem politischen Erfolg, die ei-

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gene Auffassung parlamentsöffentlich darstellen zu können, und so verwundert nicht, dass diese geschäftsordnungsrechtliche Befugnis von fraktionslosen Abgeordneten extensiv genutzt wird: So hat der Abgeordnete Wüppesahl zu dem Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik in zweiter Lesung nicht weniger als 460 Änderungsanträge gestellt (Pl.-Prot. 11/217, S. 17160). Aus der Sicht des Gesamtparlaments wirkt solche Wahrnehmung einer Verfahrensbefugnis dysfunktional (-» III.); sie ist jedoch die geradezu zwangsläufige Folge der Entscheidung der Verfahrensordnung, fraktionslose Abgeordnete von den sonstigen wesentlichen parlamentarischen Gestaltungsmöglichkeiten auszuschließen. 3. Gruppen i.S.v. § 10 Abs. 4 GO-BT Soweit sich mehrere fraktionslose Parlamentsmitglieder zusammenschließen ohne Fraktionsmindeststärke zu erreichen -, kann der Bundestag sie als Gruppe i.S.v. § 10 Abs. 4 GO-BT anerkennen. Der Gruppenstatus impliziert indes nach den Regeln der Geschäftsordnung keine besonderen parlamentarischen Rechte: Gruppen sind m.a.W. keine "kleinen" Fraktionen, so dass sie auch nicht über deren Rechte verfügen. Bei Lichte betrachtet sind daher mit der Anerkennung als Gruppe i.S.v. § 10 Abs. 4 GO-BT parlamentarisch kaum Vorteile verbunden, weil eine Gruppe lediglich auf diejenigen Rechte rekurrieren kann, die fraktionslosen Abgeordneten zustehen (-> VIII.). Diese Rechtslage hat daher zur Konsequenz, dass die parlamentarischen Gestaltungsmöglichkeiten einer Gruppe gegenüber denjenigen einer Fraktion erheblich eingeschränkt sind. IX. Parlamentarische Hilfsdienste Die parlamentarische Arbeit der Lenkungs- und Leitungsorgane des Bundestages, seiner Ausschüsse und Gremien, der Fraktionen und der einzelnen Parlamentsmitglieder unterstützt eine Vielzahl von Hilfskräften (s.a. —> § 1, IV.). Es sind dies • die Mitarbeiterinnen der Fraktionen, • die persönlichen Mitarbeiterinnen der Abgeordneten sowie • die Angehörigen der Bundestagsverwaltung. Im Einzelnen: 1. Mitarbeiterinnen der Fraktionen Den Mitarbeiterinnen der Fraktionen sind im wesentlichen drei Aufgabenbereiche übertragen: Sie fungieren - erstens - als Helferinnen in technischen, organisatorischen und administrativen Angelegenheiten, unterstützen - zweitens - die Organisation und Koordination der fraktionsinternen Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse sowie die Arbeit der Fraktion in ihren Außenbezügen (—» VII.) und leisten - drittens - für die Funktionsträger der Fraktionen und die Arbeitsgruppen inhaltliche Zuarbeiten, insbesondere durch Informationsbeschaffung und -aufbereitung sowie als "politisch zuverlässige" Politikberaterinnen

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(Steffani: 1989, S.1342). Die Anzahl der Mitarbeiterinnen der Fraktionen ist in den zurückliegenden drei Jahrzehnten kontinuierlich auf derzeit ca. 700 erhöht worden und hat sich damit seit 1969 nahezu verdreifacht (Übersichten bei Schindler: 1999, S. 1007 und Thaysen/Davidson/Livingston: 1988, S. 593), so dass - wie J. Jekewitz (: 1989, S. 1051) mit Recht feststellt - "regelrechte Fraktionsverwaltungen" entstanden sind. Ihrem arbeitsrechtlichen Status nach sind die Fraktionsmitarbeiter Angestellte der jeweiligen Fraktion, die demnach als Arbeitgeberin u.a. auch die Lohnzahlungspflicht trifft; hierfür wiederum ist wesentlich, dass die Fraktionen über Etats verfügen, die zu ihrem überwiegenden Teil aus Zuschüssen aus dem Bundeshaushalt gespeist werden (Einzelheiten bei Jekewitz: 1993; Morlock: 1993, S. 29; Schneider: 1997a).

2. Mitarbeiterinnen der Abgeordneten Von den Fraktionsdiensten zu unterscheiden sind die persönlichen Mitarbeiterinnen der Abgeordneten. Sie stehen in einem Arbeitsverhältnis zu den einzelnen Parlamentsmitgliedern, die hierzu zweckgebundene Mittel aus dem Bundeshaushalt erhalten, die so bemessen sind, dass jeder Abgeordnete eine(n) Mitarbeiterin im Wahlkreis sowie einen Assistenten und eine Schreibkraft in seinem Berliner Büro anstellen kann. Den persönlichen Mitarbeiterinnen obliegt zum einen die organisatorisch-administrative Unterstützung der Arbeit der Abgeordneten, zum anderen helfen sie bei der Informationsbeschaffung und -aufbereitung, und zwar sowohl auf denjenigen Fachgebieten, auf die sich der jeweilige Abgeordnete spezialisiert (-» III.), als auch in solchen Politikbereichen, die außerhalb des Spezialinteresses liegen, deren Kenntnisse indes für die fraktions-, ausschuss-, plenar- und öffentlichkeitsbezogene Arbeit notwendig sind.

3. Bundestagsverwaltung Während die Fraktionsdienste ausschließlich den jeweiligen Fraktionen, die persönlichen Mitarbeiterinnen ausschließlich den einzelnen Abgeordneten zuarbeiten, steht die Bundestagsverwaltung dem gesamten Parlament, seinen Lenkungsund Leitungsorganen, seinen Ausschüssen und jedem einzelnen seiner Mitglieder zur Verfügung. Ihr gehören derzeit ca. 2.000 Mitarbeiterinnen an, die als Beamte, Angestellte oder Arbeiter in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis stehen und deren "Dienstherr" der Bundestagspräsident ist (-> V.). Die Bundestagsverwaltung gliedert sich in drei Abteilungen, nämlich: • die Wissenschaftlichen Dienste (W) • die Parlaments-Dienste (P) und • die Zentralen Dienste (Z), denen höchst heterogene Aufgaben übertragen sind, die dem unterschiedlichen Bedarf an Zuarbeit für die Lenkungsorgane, das Plenum, die Ausschüsse und die einzelnen Parlamentsmitglieder Rechnung tragen (Übersicht bei Schindler: 1999, S. 3401). Im Einzelnen: 1. Insbesondere die Abteilungen P und Z unterstützen den Präsidenten in seinen Funktionen als Repräsentanten, Vorsitzenden, Hausherrn und Behördenchef; sie

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arbeiten ferner dem Präsidium und dem Ältestenrat sowie dessen Kommissionen zu (—> V.), wobei die Unterstützung sowohl die technisch-organisatorische Vorbereitung der Sitzungen dieser Gremien als auch inhaltliche Zuarbeiten umfasst, die namentlich in sog. „Vorlagen" ihren Niederschlag finden, in denen relevante Informationen dargestellt, Problembereiche beschrieben und mögliche Lösungswege aufgezeigt werden. 2. Die Unterstützung bei Vorbereitung, Durchfuhrung und Nachbereitung der Sitzungen des Plenums fällt vornehmlich in den Zuständigkeitsbereich der Abteilung P: Das ihr zugeordnete Parlamentssekretariat nimmt beispielsweise die diversen Parlamentsvorlagen entgegen, prüft ihre verfassungs- und geschäftsordnungsrechtliche Zulässigkeit vor, sorgt für ihre Drucklegung, stellt die Vorlagen für den Ältestenrat sowie die Unterlagen für die Plenarsitzungen zusammen. Der sog. Plenarsitzungsdienst berät den Präsidenten vor und während der Plenarsitzungen in geschäftsordnungsrechtlichen Fragen; der Stenographische Dienst fertigt die Niederschriften über die Plenarsitzungen und stellt somit die lückenlose Dokumentation der Verhandlungen des Bundestages sicher. Die technischen Dienste der Bundestagsverwaltung ermöglichen die Übertragung der Plenarsitzungen über einen hauseigenen Rundfunk- und Fernsehkanal in die Büros der Abgeordneten und halten sowohl einen Telefonansage- als auch einen Videotextdienst vor, über den nicht an der Plenarsitzung teilnehmende Parlamentsmitglieder, ferner Mitarbeiterinnen der Fraktionen und der Bundestagsverwaltung sowie weitere Personen, namentlich Journalisten, Informationen über den Stand und den geplanten weiteren Verlauf der Plenarsitzung (Tagesordnung, Rednerliste, Abstimmungen) abrufen können. Die Nachbereitung der Sitzungen des Plenums umfasst insbesondere die Erstellung des Beschlussprotokolls, die Zusammenstellung beschlossener Gesetze und anderer Beschlüsse sowie die Drucklegung der Stenographischen Protokolle, die in der Regel bereits am Tag nach der betreffenden Plenarsitzung vorliegen und den Parlamentsmitgliedern sowie der interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Zur Nachbereitung gehört femer die Auswertung der Sitzungsunterlagen durch das "Sachund Sprechregister", welches insbesondere die Stenographischen Protokolle nach Rednerinnen und von diesen angesprochenen Themen erschließt, die so gewonnenen Daten speichert und auf diese Weise sicherstellt, dass jederzeit Stand und Inhalte früherer Plenarberatungen abgerufen werden können. 3. Die Abteilung Wissenschaftliche Dienste arbeitet vor allem den Ausschüssen und den einzelnen Parlamentsmitgliedern zu. Organisatorische Herzstücke der Wissenschaftlichen Dienste sind insoweit zum einen die Ausschusssekretariate, zum anderen die sog. Fachbereiche: Die Sekretariate haben vor allem zur Aufgabe, die Vorbereitung der Ausschusssitzungen zu unterstützen, dem Vorsitzenden während der Ausschusssitzungen zu assistieren, Protokollentwürfe über Verlauf und Inhalte der Beratungen zu fertigen sowie administrative Zuarbeit bei der Nachbereitung der Ausschusssitzungen, insbesondere bei der Umsetzung der Ausschussbeschlüsse (-» V.), zu leisten. Die Fachbereiche der Wissenschaftlichen Dienste sind vornehmlich mit der Informationsgewinnung und -aufbereitung für die einzelnen Parlamentsmitglieder befasst. Ihre fachliche Zuständigkeit deckt schwerpunktmäßig vor allem die traditionellen - Bereiche der Rechtspraxis und -Wissenschaft ab; ferner sind Gutachtergruppen auf den Gebieten „Haushalt und Finanzen", „Wirtschaft", „For-

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schung, Technologie, Bildung und Wissenschaft, Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit", „Kultur" sowie „Zeitgeschichte und Allgemeine Politik" tätig. Die Gutachterinnen können von jedem Parlamentsmitglied mit der Beschaffung, Auswertung und Zusammenstellung von Informationen beauftragt werden, wobei die Art der Auftragserledigung im Einzelfall sehr differiert, indem das Spektrum von der mündlichen Auskunft über die Zusammenstellung einschlägiger Literatur, kurzen Sachstandsdarstellungen bis hin zu umfangreicheren Ausarbeitungen reicht. Daneben verstärken die Fachbereiche derzeit ihre „aktiven" Informationen, indem sie ihre Beratungskapazitäten nicht nur auf Nachfrage einzelner Abgeordneter, sondern auch ohne besonderen Auftrag allen Parlamentsmitgliedern durch kurze Sachdarstellungen (z.B. zu neueren Gerichtsentscheidungen und aktuellen Problembereichen) zur Verfügung stellen. Die Existenz der Wissenschaftlichen Dienste findet ihre Legitimation in der Erwägung, dass den Parlamentsmitgliedern zur Erfüllung vor allem der parlamentarischen Kontrollaufgaben eigene Beratungskapazitäten zur Gewinnung und Aufbereitung von Informationen zur Verfügung stehen müssen, wenn nicht das notorische Informationsgefälle zwischen Regierung und Parlament (—> IV.) die Handlungs- und Gestaltungschancen des Bundestages minimieren soll. Dieser Ausgangspunkt ist indes wegen der vorherrschenden Rollenaufteilung zwischen den Regierungsfraktionen einerseits und den parlamentarischen Minderheiten andererseits (-> IV.) weiter zu präzisieren: Während nämlich jene aufgrund ihrer engen Verflechtung mit der Bundesregierung, die ihrerseits die Ministerialbürokratie als „Hilfsdienst" einsetzen kann, weit weniger auf die Bereitstellung parlamentseigener Beratungskapazitäten angewiesen sind, besteht hieran für die Oppositionsfraktionen ein erheblicher Bedarf: Der wissenschaftliche Parlamentsdienst erscheint deshalb weniger für die Parlamentsmehrheit, sondern eher für die Bedürfnisse der Opposition notwendig (Steffani: 1989, S. 1339). Hieraus erklärt sich u.a., dass der seit drei Jahrzehnten geforderte, nur mit den Stimmen der jeweiligen Mehrheit durchzusetzende Ausbau der Gutachterdienste in allenfalls minimalen Schritten erfolgt ist. Bereits 1972 hielt der damalige Leiter der Wissenschaftlichen Dienste Quaritsch die Verdoppelung der seinerzeitigen Anzahl der Gutachterinnen (40) bis zum Jahr 1980 für notwendig: „Bis dahin" - so schrieb er (: 1972, S. 324) - „werden die Abgeordneten den grotesken Zustand in Kauf nehmen müssen, dass bei Krankheit und Urlaub nur eines Gutachters ... für ein ganzes Sachgebiet Funkstille herrscht. Unter diesen Umständen ist das Gespenst einer 'parlamentarischen Gegenbürokratie' die der Ministerialbürokratie Sand und Schlimmeres ins Getriebe streut, eine literarische Phantasiefigur." An diesen Befunden hat sich bis heute nichts Wesentliches geändert, und es steht zu vermuten, dass dies auch in Zukunft so bleiben wird; denn - so fragt Steffani (: 1989, S. 1339) mit Recht - warum sollte „die Bundestagsmehrheit die Wissenschaftlichen Dienste des Verfassungsorgans Bundestag ausweiten, wenn die von ihr abhängige und mit ihr politisch verbundene Bundesregierung über die Ministerialverwaltung 'verfügen' kann?" Diese Zusammenhänge gilt es bei der Bewertung der Leistungsfähigkeit der Wissenschaftlichen Dienste zu berücksichtigen (Backhaus-Maul: 1990, S. 33fF;): Aufgrund ihrer knappen personellen Ressourcen sind sie weder in der Lage, ein Gegengewicht zur Ministerialbürokratie zu bilden, noch befähigt, auf allen relevanten Politikfeldern ausreichende Beratungskapazitäten bereitzustellen.

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§ 10 Verfahren des Deutschen Bundestages Dieter Engels I. Verfahren im Deutschen Bundestag - II. Parlamentsverfahren und Öffentlichkeitsgrundsatz - III. Gesetzgebungsverfahren - IV. Verfahren zur Kontrolle und Informationsbeschaffung Grundlagenliteratur: vgl. die Angaben zu § 9 sowie: Busch, Eckart ( 5 1999): Der Wehrbeauftragte. Heidelberg Engels, Dieter ( 2 1992): Parlamentarische Untersuchungsausschüsse. Heidelberg Hölscheidt, Sven (1992): Frage und Antwort im Parlament. Rheinbreitbach Schindler, Peter (1999): Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages 1949 - 1999. Baden-Baden

I. Verfahren im Deutschen Bundestag Den parlamentarischen Alltag im Bundestag bestimmt eine Vielzahl divergierender, zeitlich parallel geführter Verfahren, die insbesondere die Gesetzgebung und die Kontrolle des Regierungshandelns betreffen und der Beschaffung der hierzu erforderlichen Informationen, ihrer Erschließung und Bewertung dienen. Die Einleitung dieser Verfahren erfolgt in der Regel durch eine förmliche Initiative (z.B. einen Antrag) eines hierzu berechtigten Verfahrensbeteiligten; ihr weiterer Verlauf wird durch eine Reihe von Verfahrenshandlungen gestaltet, durch welche die einzelnen Verfahren bis zu ihrem Abschluss gefördert werden, der in der rechtsverbindlichen Entscheidung (z.B. über einen Gesetzentwurf), der wertenden Stellungnahme (z.B. zu einem Verhalten der Bundesregierung) oder auch nur der Kenntnisnahme (z.B. eines Berichtes der Bundesregierung) durch das Plenum, bisweilen auch nur durch die Ausschüsse oder die Initiatoren des betreffenden Verfahrens besteht. Die Strukturierung der Verfahren und die Steuerung der einzelnen Verfahrensschritte erfolgen im wesentlichen durch die Fraktionen (-» § 9, VII.). Die beteiligten Akteure des Regierungslagers einerseits und der Opposition andererseits verfolgen dabei, jedenfalls typischerweise, inhaltlich und strategisch unterschiedliche Zielsetzungen, die sich u.a. aus den divergierenden Rollen von parlamentarischer Mehrheit und Minderheit (—> § 9, IV.) erklären. Die Dynamik der Verfahren lebt daher von miteinander konkurrierenden Interessensgegensätzen der Verfahrensbeteiligten, die ihre Verfahrenshandlungen an den jeweils von ihnen verfolgten Zwecken orientieren, die Verfahren häufig kontradiktorisch betreiben und hierzu die ihnen durch die parlamentarische Verfahrensordnung eröffneten Verfahrensrechte instrumentalisieren. Aus der Sicht des Träges der jeweiligen Initiative sind deshalb die Regeln der Geschäftsordnung über Befugnisse, Kompetenzen und Gestaltungsmöglichkeiten bei Einleitung, Fortfuhrung und Abschluss des Verfahrens von entscheidender Bedeutung: Denn insoweit

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fungieren die Verfahrensvorschriften nicht nur als formale, den Geschäftsgang ordnende Regelungen, sondern von ihren Festlegungen hängen auch die Durchsetzungschancen der jeweils ergriffenen Initiative ab. Bei der Ausgestaltung der Verfahrensrechte verfährt die Verfahrensordnung nicht nach einheitlichen Prinzipien; sie unterscheidet vielmehr insbesondere danach • wer Träger der Initiative ist: (Mehrheits-/Minderheits-) Fraktionen, einzelne Parlamentsmitglieder, Abgeordnetengruppen, • welchem Ziel die Initiative dient: Gesetzesbeschluss oder sonstige rechtsverbindliche Entscheidungen, Kontrolle und Informationsbeschaffung, öffentliche Darstellung und Bewertung eines Sachverhalts sowie danach • in welchen Gremien die Initiative eingebracht wird: Plenum oder Ausschüsse. Zum Weiteren berücksichtigen die Strukturprinzipien der parlamentarischen Verfahrensordnung die unterschiedlichen Stadien der Verfahren, so dass bei ihrer Einleitung, ihrer Fortfuhrung und ihrem Abschluss jeweils divergierende Kompetenzen, Befugnisse und Rechte begründet sein können. So folgt aus der verfassungsrechtlichen Vorgabe, dass abschließende Sachentscheidungen des Bundestages stets nur mit der Mehrheit der Stimmen getroffen werden können (-» § 9, III.), keineswegs, dass auch in den vorgelagerten Verfahrensabschnitten das Mehrheitsprinzip durchgängig verwirklicht sein muss: Bei der Einleitung des Verfahrens und bei Initiativen, die seiner Fortführung dienen, sowie bei sonstigen Fez/a/irawentscheidungen können und müssen vielmehr - wie im Folgenden im Einzelnen zu zeigen sein wird - auch die Belange der parlamentarischen Minderheit Berücksichtigung finden. II. Parlamentsverfahren und Öffentlichkeitsgrundsatz 1. Öffentliche Plenarverfahren Die Rückkoppelung der Verfahren des Bundestages zur Öffentlichkeit ( s.a. § 26) steht im Interesse sowohl der Regierungsfraktionen als auch der Opposition, wobei letztere allerdings in der Regel in besonderem Maße daran interessiert ist, dass die Parlamentsverfahren öffentlich gefuhrt werden: Denn der Opposition bleibt - wie E. Stein (: 3 1973, S. 32) - mit Recht feststellt - „häufig gar keine andere Möglichkeit, als an die öffentliche Meinung zu appellieren und mit ihrer Hilfe eine Korrektur von Einseitigkeiten und Mängeln der Regierungspolitik zu versuchen". Hierzu sichert ihr die parlamentarische Verfahrensordnung eine Reihe von Rechten, die überwiegend nicht durch einfache Mehrheitsentscheidungen unterlaufen werden können. Grundnorm ist insoweit zunächst Art. 42 Abs. 1 Satz 1 GG, der für die Plenarberatungen den Öffentlichkeitsgrundsatz vorschreibt, welcher allerdings aus Gründen des Schutzes staatlicher und privater Geheimnisse eingeschränkt werden kann, indem für einzelne Verfahrensgegenstände auf Antrag eines Zehntels der Mitglieder des Bundestages oder der Bundesregierung die Öffentlichkeit durch Beschluss der Vollversammlung ausgeschlossen wird, dem mindestens zwei Drittel der anwesenden Abgeordneten zustimmen müssen (Art. 42 Abs. 1 Satz 2 GG). Von dieser Befugnis hat der Bundestag jedoch bislang keinen Gebrauch

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gemacht, so dass die Norm des Art. 42 Abs. 1 Satz 1 GG durchgängig verwirklicht wird. Insofern sichern daher alle jene Verfahrensrechte, die einer Fraktion ermöglichen, die Beratung einer Vorlage im Plenum durchzusetzen, auch deren Interesse an öffentlicher Darstellung. Dies gilt zum einen für Gesetzgebungsverfahren, in denen sowohl die Gesetzentwürfe in erster, zweiter und dritter Lesung (§ 78 Abs. 1 i.V.m. §§ 79, 81, 84 GO-BT) plenaröffentlich behandelt werden. Wie erwähnt (-> § 9, IV.) sind die Regierungsfraktionen hierbei insofern privilegiert, als sie mit ihrer Mehrheit die Aufsetzung auf die Tagesordnung des Plenums erzwingen können. Aber auch die Opposition ist nicht schutzlos: Ihre Gesetzentwürfe müssen gemäß § 20 Abs. 4 GO-BT auf ihr Verlangen auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung gesetzt und beraten werden, wenn seit der Verteilung der Bundestagsdrucksache mindestens drei Wochen vergangen sind. Entsprechendes gilt für Anträge (§ 75 Abs. 1 d): Sie können zwar auch ohne Aussprache einem Ausschuss überwiesen werden; dies gilt jedoch aus Gründen des Minderheitsschutzes dann nicht, wenn eine Fraktion oder fünf vom Hundert der anwesenden Mitglieder des Bundestages widersprechen. Zum weiteren sind einige Instrumente, die der parlamentarischen Kontrolle und Informationsbeschaffung dienen, plenarbezogen ausgestaltet. Dies gilt sowohl für die Befragung der Bundesregierung (vgl. Anlage 7 der GO-BT) zu den Kabinettsberatungen als auch für die Fragestunde (vgl. Anlage 4 der GO-BT), die grundsätzlich in jeder Sitzungswoche - zumeist mittwochs - durchgeführt werden. Zudem ist die sog. Große Anfrage plenaröffentlich (—> V.); sie bietet die auch von einer Minderheitsfraktion durchsetzbare - Möglichkeit der öffentlichen Plenardebatte, und zwar unabhängig davon, ob die Bundesregierung eine Antwort vorlegt (§101 Satz 1 GO-BT) oder diese verweigert (§ 102 Satz 1 GO-BT): In beiden Fällen kann jede Fraktion die Beratung im Plenum verlangen, wobei für die Opposition das in § 102 Satz 2 GO-BT verankerte Verfahrensrecht von besonderem Interesse ist, weil es ihr ermöglicht, die (vermuteten) Gründe für eine unterbliebene Antwort plenaröffentlich aufzudecken - was für die Bundesregierung bisweilen einschneidender sein kann als die begehrte Antwort zu erteilen, so dass von § 102 Satz 2 GO-BT ein zumindest indirekt wirkender Druck auf sie ausgeht zu antworten. Darüber hinaus sind schließlich alle jene Verfahren plenaröffentlich, die dem Zweck dienen, im Bundestag als dem „Forum der Nation" Fragen besonderer Bedeutung zu debattieren. Hierzu zählen zum einen die sog. Regierungserklärungen, welche die Bundesregierung aufgrund des Art. 42 Abs. 2 GG jederzeit im Plenum abgeben kann und die dort debattiert werden. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang zum weiteren die sog. „Donnerstagsdebatte": Seit 1994 entspricht es parlamentarischer Übung, am Donnerstagmorgen Fragen von besonderer Bedeutung im Plenum zu debattieren; als Regel hat sich hierbei eingespielt, dass auch die Minderheitsfraktionen Themen dieser Debatte bestimmen. Schließlich spielen die (plenaröffentlichen) Aktuellen Stunden in der Praxis eine besondere Bedeutung. Sie betreffen die „Aussprache über ein bestimmt bezeichnetes Thema von allgemein aktuellem Interesse" (§ 106 GO-BT mit Anlage 5) und können von jeder Fraktion verlangt werden. Öffentlichkeit der Plenarsitzungen bedeutet, dass jedermann im Rahmen der räumlichen Verhältnisse als Zuhörerln Zutritt zu den Sitzungen des Bundestages

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hat, zum anderen - und wichtiger -, dass die Sitzungen des Plenums durch Rundfunk und Fernsehen übertragen werden dürfen. 2. Nichtöffentliche Ausschussverfahren Im Gegensatz zu den Plenarsitzungen sind die Beratungen der Ausschüsse, wie erwähnt (-» § 9, IV.), grundsätzlich nichtöffentlich. Zwar können die Ausschüsse auf Antrag eines einzelnen Mitglieds oder einer Fraktion im Ausschuss mit Stimmenmehrheit beschließen, „für einen bestimmten Verhandlungsgegenstand oder Teile desselben die Öffentlichkeit zuzulassen" (§ 69 Satz 2 GO-BT). Von dieser Befugnis machen die Ausschüsse jedoch nur selten Gebrauch, so dass die NichtÖffentlichkeit bei den Beratungen der Ausschüsse durchgängig praktiziertes Verfahrensprinzip ist, wobei allerdings drei Ausnahmen beachtlich sind: Eine betrifft die Anhörung (vgl. i.E. -> II.), eine weitere die erwähnten Beweisaufnahmen der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse, für die Art. 44 Abs. 1 GG - in der zutreffenden Erkenntnis, dass Öffentlichkeit eine entscheidende Rahmenbedingung für die Effizienz parlamentarischer Kontrolle ist - den Öffentlichkeitsgrundsatz zwingend vorschreibt. Darüber hinaus können seit 1995 sog. erweiterte öffentliche Ausschussberatungen durchgeführt werden (vgl. § 69a GO-BT), von denen die Praxis allerdings nicht den erhofften Gebrauch macht. NichtÖffentlichkeit der Ausschussverfahren bedeutet, dass zu den Sitzungen der Ausschüsse ein nur begrenzter Personenkreis Zutritt hat: Es sind dies • die Ausschussmitglieder und ihre Stellvertreter, • der Präsident des Bundestages und die Fraktionsvorsitzenden, welche in allen Ausschüssen beratende Stimme haben (§§7 Abs. 1 Satz 3 und 69 Abs. 4 GOBT), sowie • unter den in § 69 Abs. 2 und 3 GO-BT genannten Voraussetzungen: die übrigen Mitglieder des Bundestages, ferner • Mitglieder und Beauftragte der Bundesregierung und des Bundesrates, • Mitarbeiterinnen des Ausschusssekretariats, sowie • sonstige Personen, insbesondere je ein Mitarbeiter jeder Fraktion, denen der Ausschuss den Zutritt gewähren kann (§ 57 Abs. 4 GO-BT). NichtÖffentlichkeit bedeutet nicht ohne weiteres Vertraulichkeit, so dass Verlauf, Inhalte und Ergebnisse der Ausschussberatungen veröffentlicht werden dürfen, unter den Voraussetzungen des § 66 GO-BT sogar öffentlich dargestellt werden müssen: Denn nach § 66 GO-BT haben die federführenden Ausschüsse zu den ihnen überwiesenen Vorlagen dem Plenum Bericht zu erstatten (-> § 9, VI.), welcher ihre Beschlussempfehlung „mit Begründung sowie die Ansicht der Minderheit und die Stellungnahmen der beteiligten Ausschüsse" zu enthalten hat (i.E. § 66 Abs. 2 GO-BT). Diese Berichte sind in der Regel schriftlich vorzulegen, werden als Bundestagsdrucksache publiziert und stehen daher nicht nur den Parlamentsmitgliedern, sondern auch der interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung. Die Vorschrift des § 66 GO-BT bezieht sich indes nur auf die überwiesenen Vorlagen, so dass hinsichtlich der sonstigen Beratungen, die die Ausschüsse durchführen (-» § 9, VI.), weder eine Berichtspflicht noch ein Berichtsrecht gegenüber dem Plenum besteht. Gleichwohl werden auch insoweit Verlauf, Inhalte und Ergebnisse der Beratungen insbesondere auf zwei Wegen veröffentlicht:

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zum einen durch das Pressezentrum des Bundestages, welches regelmäßig und relativ detailliert über die Ausschussverfahren berichtet, zum anderen durch die Mitglieder des Ausschusses, insbesondere die Obleute, welche vor, am Rande und im Anschluss an Ausschusssitzungen die Presseberichterstatterinnen über die jeweiligen Auffassungen unterrichten, die sie und ihre Fraktionen in den Ausschussberatungen vertreten. 3. Maßnahmen des Diskretionsschutzes Diese Befugnis, Inhalte der Ausschussberatungen zu publizieren, entfällt allerdings dann, wenn ein Ausschuss die vertrauliche oder geheime Beratung gemäß § 7 der Geheimschutzordnung (GSO-BT) beschließt. Hierzu kann insbesondere dann Anlass bestehen, wenn die Bundesregierung eingeforderte Informationen mit der Begründung verweigert, der offenen Weitergabe bestimmter Informationen ständen Aspekte des Staatswohls oder private, durch das Grundgesetz oder durch gesetzliche Vorschriften geschützte Geheimhaltungsinteressen entgegen: Gerade dieses Argument spielt in der Praxis eine zunehmende Rolle, wobei die Bundesregierung insbesondere datenschutzrechtliche Gründe ins Feld fuhrt, wenn ein Ausschuss Informationen begehrt und sie diese nicht preisgeben will. Mit Geheimhaltungsgründen kann die Bundesregierung jedoch ihre Weigerung nicht begründen, wenn und soweit die Ausschüsse die vertrauliche oder geheime Behandlung gemäß §§ 2, 7 GSO-BT zusichern: Die parlamentarische Geheimhaltung bietet dann die notwendige Vorkehrung, aufgrund derer Informationsansprüche unter Hinweis auf Geheimhaltungsgründe nicht (mehr) ausgeschlossen werden dürfen (i.E. Jahn/Engels: 1989, S. 621 f.), und insofern ist die Geheimschutzordnung „Ausdruck der Tatsache, dass das Parlament ohne Beteiligung am geheimen Wissen der Regierung weder das Gesetzgebungsrecht noch das Haushaltsrecht noch das parlamentarische Kontrollrecht gegenüber der Regierung auszuüben vermöchte" (BVerfGE 67, 135). Parlamentsintern trägt die Anwendung der Geheimschutzordnung bisweilen auch den Interessen der Opposition Rechnung, indem die geheime oder vertrauliche Behandlung die Vorlage und Beratung von Informationen ermöglicht, die die Bundesregierung ohne parlamentarische Geheimschutzvorkehrungen verweigern dürfte. Aber das Instrument der parlamentarischen Geheimhaltung ist zweischneidig, weil es auch gegen die Belange der Opposition gewendet werden kann, wie vor allem jüngere Beispiele der Praxis der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse belegen (Engels: 21992, S. 181): Paradoxerweise gewinnt gerade in deren Verfahren, die - wie dargelegt - von Grundgesetzes wegen öffentlich zu führen sind, der Aspekt des Geheimschutzes an Bedeutung, was u.a. damit zusammenhängt, dass sie in verstärktem Maße auf „private" Beweismittel zurückgreifen und ihre Beweisaufnahmen daher zunehmend grundgesetzlich geschützte Bereiche der Betriebs-, Geschäfts- oder sonstiger privater Geheimnisse tangieren. In solchen Fällen beschließen die Untersuchungsausschüsse mit einfacher Mehrheit, sächliche Beweismittel als geheime Verschlusssachen einzustufen oder Zeugen in geheimen Ausschusssitzungen zu vernehmen. Diese Praxis ist jedoch aus mehreren Gründen nicht unproblematisch: zum einen, weil aufgrund einer bloß geschäftsordnungsrechtlichen Regel, der Geheimschutzordnung des Bundestages, der für das Untersuchungsverfahren verfas-

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sungsrechtlich verankerte Öffentlichkeitsgrundsatz eingeschränkt wird, zum anderen, weil die Geheimschutzordnung nach ihrem Wortlaut nur auf staatliche, nicht auf private Geheimnisse gemünzt ist (i.E: § 2 GSO-BT). Sie kann daher bei Betriebs-, Geschäfts- und sonstigen privaten Geheimnissen nicht unmittelbar, sondern allenfalls sinngemäß angewendet werden, was indes bedeutet, dass auf unsicherem rechtlichen Boden in die Interessen derjenigen Gruppe eingegriffen wird, der an öffentlicher Präsentation des Beweismittels gelegen ist: Dies ist in aller Regel die Opposition. HL Gesetzgebungsverfahren In den Wechsel von öffentlichen und nichtöffentlichen Verfahrensabschnitten gliedert sich auch der Gang der Gesetzgebungsverfahren, für welche die parlamentarische Verfahrensordnung eine Reihe von Vorschriften bereithält, die nicht nur der Ordnung der formalen Abläufe dienen, sondern auch der Tatsache Rechnung tragen, dass Gesetzgebung ein pluriformer Prozess in einem gewaltenteilenden Verfahren ist, „in welchem die verschiedensten Instanzen und Meinungsträger mit formellen und informellen Kompetenzen zum Zuge kommen" (Noll: 1973, S. 72). Die wesentlichen formellen Kompetenzen besitzen dabei die Bundesregierung, der Bundesrat und der Bundestag, denen Art. 76 Abs. 1 GG das Gesetzesinitiativrecht überantwortet, wobei Gesetzentwürfe „aus der Mitte des Bundestages" nur von Fraktionen oder von mindestens fünf von Hundert der Mitglieder des Bundestages eingebracht werden können (§ 76 Abs. 1 GO-BT). Unabhängig davon, von wem im Einzelfall die Initiative ausgeht, vollzieht sich das Gesetzgebungsverfahren in dem - von Steffani (:1988a, S. 262) so genannten - „Dreiecksverhältnis von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat", wobei die einzelnen Verfahrensabschnitte so ausgestaltet sind, dass weitere Meinungsträger, insbesondere die Verbände, Interessensgruppen und Institutionen der Wissenschaft, an dem formalen Verfahrensgang mit informellen Einwirkungsmöglichkeiten beteiligt werden können. In der Regel werden die Gesetzentwürfe von den Bundesministerien erarbeitet und von der Bundesregierung in den parlamentarischen Geschäftsgang eingebracht, so dass das Gesetzgebungsverfahren normalerweise bereits eine Reihe von Stadien durchlaufen hat, ehe es den Bundestag erreicht. 1. Verfahren auf Initiative der Bundesregierung Das Verfahren beginnt mit der Erstellung eines ersten Entwurfs durch das fachlich zuständige Bundesministerium, das zunächst einen „Referentenentwurf' ausarbeitet, und zwar in Abstimmung mit den nach der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien mit zu beteiligenden Ressorts, insbesondere • dem Bundesministerium der Justiz, welches die sog. Rechtsförmlichkeit der vorgesehenen Regelungen in der Entwurfsfassung prüft, • dem Bundesministerium des Innern, welches für die Prüfung zuständig ist, ob der Entwurf verwaltungsmäßig vollziehbar ist, sowie

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dem Bundesministerium der Finanzen, welches jedenfalls dann einzuschalten ist, wenn das vorgesehene Gesetz zu Kosten führt, die den Bundeshaushalt belasten. In diesem Stadium stehen dem federführenden Ministerium die gesamten personellen und sächlichen Ressourcen der Administration, auch die Ergebnisse der Arbeiten der in Beiräten und Kommissionen tätigen Berater der Bundesregierung (-» § 9, IV.) zur Verfügung. Darüber hinaus nimmt das federführende Bundesministerium Kontakt zu den zuständigen Verbänden und Interessensgruppen auf, um im Wege der Rückkoppelung deren Stellungnahmen einholen und berücksichtigen zu können. Zudem werden bisweilen, vor allem bei komplexen Materien, verwaltungsinterne Anhörungen mit Sachverständigen, Interessensvertretern und solchen Personen geführt, die von der in Aussicht genommenen gesetzlichen Regelung betroffen sein werden. Der auf dieser Basis erstellte Referentenentwurf des zuständigen Bundesministeriums wird alsdann i.d.R. den obersten Landesbehörden, den Verbänden und - in unserem Zusammenhang besonders relevant - den Fraktionen des Bundestages zugeleitet, die somit bereits in diesem Verfahrensstadium Gelegenheit haben, sich mit Inhalt und Zielsetzung des Entwurfs zu befassen. Auf diese Weise können • die Oppositionsfraktionen die Entwurfskonzeption bereits frühzeitig prüfen, Alternativen entwickeln und diese mit denjenigen Landesregierungen abstimmen, mit denen sie politisch harmonieren, • die Regierungsfraktionen sowohl die fraktionsinteme Klärung, ob der Entwurf die Chance besitzt, mehrheitlich akzeptiert zu werden (-> § 9, VII.), als auch die notwendige Übereinstimmung mit der Bundesregierung über die wesentlichen Regelungsinhalte herbeiführen. Im Anschluss an diese Phase überarbeitet das federführende Bundesministerium den Referentenentwurf nochmals, wobei sich von selbst versteht, dass insbesondere Änderungswünsche der Regierungsfraktionen berücksichtigt werden, weil andernfalls nicht sichergestellt wäre, dass der Entwurf im Verlaufe des weiteren Verfahrens die erforderliche Zustimmung der Parlamentsmehrheit findet. Der so erarbeitete Entwurf wird sodann als Kabinettsvorlage der Bundesregierung zur Beratung und Beschlussfassung vorgelegt und firmiert von nun ab - sofern und sobald das Kabinett ihm zustimmt - als „Regierungsentwurf'. a) Zuleitung an den Bundesrat Diesen Entwurf leitet die Bundesregierung zunächst dem Bundesrat zu, der berechtigt ist, innerhalb von sechs Wochen Stellung zu nehmen (Art. 76 Abs. 2 GG). Die hierauf abzielende Willensbildung des Bundesrates vollzieht sich in dessen zuständigen Ausschüssen, sodann in seinem Plenum, das entsprechende Beschlüsse mit Mehrheit fasst. Sie haben indes in diesem Verfahrensstadium noch nicht den Charakter einer rechtsverbindlichen Entscheidung (wie sie der Bundesrat in einem späteren Verfahrensabschnitt trifft, -» III., 1 c), sondern den einer Empfehlung, zu der die Bundesregierung sodann in ihrer „Gegenäußerung" ablehnend oder zustimmend Stellung nehmen kann. Dieses Verfahren hat den Vorteil, dass der Bundestag, dem nunmehr die Bundesregierung den Entwurf zuleitet, von vornherein die Auffassung des Bundesrates sowie die der Bundesregierung berücksichtigen kann.

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b) Verfahren im Bundestag Sobald der Gesetzentwurf dem Bundestag zugeleitet ist, veranlasst der Präsident, dass die Vorlage als Bundestagsdrucksache gedruckt und an die Mitglieder des Bundestages verteilt wird. Für ihre äußere Gliederung haben sich feste Schemata eingebürgert, die der Regierungsentwurf berücksichtigt: Auf einem Vorblatt sind Titel und Kurzangaben zu den Zielsetzungen, zum Inhalt sowie zu den zu erwarteten finanziellen Auswirkungen des vorgesehenen Gesetzes enthalten; zudem sollen unter der hierfür eigens vorgesehenen Rubrik „Alternativen" andere in Betracht zu ziehende Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt werden, die die Regierungsentwürfe in der Regel jedoch nicht spezifizieren, so dass die entsprechenden Angaben zumeist aus dem schlichten Wort: „keine" (Alternativen) bestehen. An das Vorblatt schließen sich der Text der vorgeschlagenen gesetzlichen Regelungen, femer Ausführungen zur Begründung an, in denen die Notwendigkeit der Novellierung und Anlass, Inhalte und Zielsetzung des Entwurfs erläutert sowie die einzelnen Vorschriften kommentiert sind. Den Abschluss der Vorlage bildet der Abdruck der Stellungnahme des Bundesrates und der Gegenäußerung der Bundesregierung. Spätestens nach der Zuleitung des Regierungsentwurfs leiten die Fraktionen ihre internen Beratungen ein (-» § 9, VII.), wobei sie an ihre Erörterungen über den vorgängigen Referentenentwurf anknüpfen können. Parallel hierzu fuhrt der Ältestenrat die Verständigung darüber herbei, zu welchem Zeitpunkt der Regierungsentwurf zur ersten Lesung auf die Tagesordnung des Plenums gesetzt wird (-» § 9, V.). Zugleich erstellt er einen Vorschlag, welchen Ausschüssen der Entwurf zur Mitberatung überwiesen werden und welcher Fachausschuss die Federführung übernehmen soll (-» § 9, VI.), die regelmäßig demjenigen Ausschuss vorbehalten wird, der dem Bundesministerium korrespondiert, das den Entwurf ausgearbeitet hat. Darüber hinaus ist in diesem vorbereitenden Stadium zu prüfen, ob die Vorlage „wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung oder ihres finanziellen Umfangs geeignet (ist), auf die öffentlichen Finanzen des Bundes oder der Länder einzuwirken" (§ 96 GO-BT); liegen diese Voraussetzungen vor, so empfiehlt der Ältestenrat dem Plenum, den Gesetzentwurf auch dem Haushaltsausschuss zur „Beratung nach § 96 GO-BT" zu überweisen, damit dieser im weiteren Verfahren die Vereinbarkeit des Gesetzentwurfes mit der Haushaltslage prüfen kann. (1) Die erste Lesung Zu dem vom Ältestenrat vorgeschlagenen Termin findet sodann die erste Lesung im Plenum statt, bei welcher der Entwurf in der Regel jedoch nicht ausführlich beraten wird. Die Praxis entspricht insoweit der Norm des § 79 GO-BT, wonach eine allgemeine Aussprache nur ausnahmsweise durchgeführt wird, u.a. dann, wenn dies „bis zum Aufruf des betreffenden Punktes der Tagesordnung von einer Fraktion ... verlangt wird." Von dieser Möglichkeit machen die Fraktionen jedoch nur relativ selten und allenfalls in solchen Verfahren Gebrauch, die politisch wichtige, in der öffentlichen Diskussion umstrittene Regierungsentwürfe betreffen. Im übrigen aber besteht die erste Lesung vielfach lediglich aus dem Beschluss des Plenums, durch den entsprechend den Vorschlägen des Ältestenrates die Überweisung • (1) an den federführenden Ausschuss, • (2) an die mitberatenden Ausschüsse und

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• (3) an den Haushaltsausschuss zur Beratung nach § 96 GO-BT festgelegt wird. (2) Die Beratungen des federführenden Ausschusses Mit der Überweisung an die Ausschüsse beginnt die entscheidende Phase der parlamentarischen Beratungen des Entwurfs. Der Verlauf der ausschussinternen Interaktionen ist dabei im wesentlichen abhängig von • Art, Umfang und Komplexität des Regierungsentwurfs • der Bedeutung, die ihm im Kontext der gesamtpolitischen Situation beigemessen wird, • dem für die Beratung zur Verfügung stehenden Zeitrahmen, der mit dem herannahenden Ende der Wahlperiode enger wird (-> § 9, III.), • den von den Fraktionen verfolgten kontroversen Interessen. Hinsichtlich des zeitlichen Ablaufs neigt die Ausschussmehrheit bei Regierungsentwürfen tendenziell dazu, auf zügige Beratungen zu drängen, wobei sie auf § 62 Abs. 1 GO-BT verweisen kann, der die Ausschüsse zu „baldiger Erledigung" der ihnen überwiesenen Vorlagen verpflichtet. Die Strategie der Opposition ist demgegenüber auf weniger große Eile angelegt, und sie fuhrt in der Regel an, die Beratungen seien behutsam vorzubereiten, um die vorgeschlagene Novellierung und ihre Zielsetzungen im Einzelnen auf die zugrundegelegten Sachverhaltsannahmen sowie auf mögliche Folgen prüfen und Alternativen, die der Regierungsentwurf vernachlässigt, erarbeiten zu können: All dies erfordere Zeit, und der Hinweis der Opposition hierauf ist nicht nur legitim, sondern unter dem Aspekt der Kontrollaufgabe des Parlaments notwendig. Diese unterschiedlichen Verfahrensinteressen mit ihren differierenden zeitlichen Vorstellungen haben der Vorsitzende und der Kreis der Obleute (—> § 9,VI.) des federführenden Ausschusses bei den organisatorischen und terminlichen Vorbereitungen der Ausschussberatungen zu berücksichtigen, wobei zudem die Zeitplanungen des federführenden Ausschusses mit denen der mitberatenden Ausschüsse zu harmonisieren sind, damit diese ihre Stellungnahmen so rechtzeitig vorlegen können, dass der federführende Ausschuss sie bei seiner Willensbildung und in seinem Bericht an das Plenum berücksichtigen kann. Spätestens mit der Festsetzung des Termins für die Beratung der Vorlage im Ausschuss nehmen die Arbeitsgruppen der Fraktionen ihre Vorarbeiten in ihren Arbeitsgruppensitzungen auf, in denen der Entwurf im einzelnen vorberaten wird ( § 9, VII.). a) Hierbei verfügen die Mehrheitsfraktionen des federführenden Ausschusses über vergleichsweise gute Gestaltungsmöglichkeiten. Denn insoweit wirkt sich erstens - aus, dass Mitglieder und Beauftragte der Bundesregierung, insbesondere Beamte des korrespondierenden Ministeriums, welche die Gesetzesvorlage ausgearbeitet haben und daher mit der Materie vertraut sind, bereits an den Gruppensitzungen der Mehrheitsfraktionen teilnehmen (—> § 9, VII.)- Hieraus ergeben sich sehr dichte Kontroll- und Informationsgelegenheiten, weil die Vertreter der Ressorts den Gruppenmitgliedern Rede und Antwort stehen, und zwar vor allem • zu der Notwendigkeit und den Zielsetzungen des Gesetzentwurfs, • zu den zugrundegelegten Sachverhaltsannahmen und den möglichen Folgen sowie auch • zu den Alternativen und den Gründen, weshalb diese ausgeblendet worden sind.

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Zweitens können bei den Vorberatungen der Mehrheitsfraktionen die Stellungnahmen und Auffassungen der jeweils zuständigen Verbände, Interessengruppen und sonstigen betroffenen Organisationen und Personen berücksichtigt werden, die sich - meist weit im Vorfeld der Beratungen - vornehmlich an die jeweils zuständigen Berichterstatter (-> § 9, VI.) der Mehrheitsfraktionen wenden. Sie tun dies in der richtigen Einschätzung, dass die Berücksichtigung ihrer Anliegen in dem vorgesehenen Gesetz nur dann in Betracht kommt, wenn hierfür die Unterstützung der Mehrheitsfraktionen gewonnen wird. Den hierauf abzielenden Versuchen der Einflussnahme der sog. Lobbyisten, die ihrerseits i.d.R. zu den Inhalten des Gesetzentwurfs unterschiedliche Auffassungen und antagonistische Interessen vertreten, haftet in der öffentlichen Meinung zwar bisweilen der „Geruch von etwas eigentlich Unzulässigem" an (hierzu Dach: 1989, S. 1123). Aber diese Wertung verkürzt die Dinge - wie Dach mit Recht feststellt - allzu sehr: Denn die Stellungnahmen der Verbände bieten wesentliche Informationsquellen, weil sie auf Lücken, Widersprüche und sonstige Mängel des Regierungsentwurfs hinweisen, den Blick auf möglicherweise problematische Folgen lenken und alternative Lösungsmodelle anbieten. Diese Informationen können die Mehrheitsfraktionen, insbesondere ihre Berichterstatter, bei der Beurteilung des Regierungsentwurfs und auch dazu nutzen, mit ihnen die Regierungsbeauftragten zu konfrontieren. In dieser Interaktion werden die Einwände, Argumente und Auffassungen der Verbände entweder entkräftet oder zum Anlass genommen, den Regierungsentwurf zu modifizieren: Entscheidet sich die Arbeitsgruppe - in Abstimmung mit der Gesamtfraktion - hierzu, so leisten die Regierungsbeauftragten „Formulierungshilfe" bei der Erstellung entsprechender Änderungsanträge, die die Mehrheitsfraktionen sodann in die Ausschussberatungen einbringen. b) Bietet hiernach bereits die die Ausschussberatungen vorbereitende Verfahrensphase den Mehrheitsfraktionen diverse Möglichkeiten, die Aufgabe der „kontrollierenden Mitsteuerung" (Zeh: 1989, S. 1092) wahrzunehmen, so befindet sich die Opposition bei ihren Vorbereitungen, die auf eine „stärker kontrovers und alternativ angelegte Kontrolle" (Zeh: 1989, S. 1092 und § 9, VI.) abzielen, in einer vergleichsweise ungünstigeren Situation, und zwar schon deshalb, weil die Regierungsbeauftragten ihnen in dieser Phase nicht für Befragungen in den Gruppensitzungen zur Verfügung stehen. Die Opposition ist daher bei ihrer kritischen Würdigung des Regierungsentwurfs, bei der Beurteilung der Richtigkeit und Vollständigkeit der zugrundegelegten Sachverhaltsannahmen sowie bei der Abschätzung der Folgen und der Entwicklung alternativer Lösungen auf andere Informationsquellen angewiesen. Solche stehen ihr auch zur Verfugung: Zum einen geht der Vorlage des Regierungsentwurfs in der Regel eine länger währende Diskussions- und Vorlaufphase voraus, in deren Verlauf zu der durch den Entwurf geregelten Materie im Parlament relevante Informationen zusammengetragen werden, und zwar sowohl in den Fachausschüssen, die in der Regel frühzeitig über die Gesetzesplanungen des korrespondierenden Ministeriums unterrichtet sind (->• § 9, VI.), als auch mit Hilfe der sonstigen Instrumente der parlamentarischen Kontrolle; so kann beispielsweise die Opposition, sobald ihr der Referentenentwurf zugestellt ist, durch Große und Kleine Anfragen, durch schriftliche und mündliche Fragen Sachverhalts- und Wertungsaspekte ermitteln. Zum anderen eröffnen ihr einschlägige, in anderen Verfahren vorgelegte Berichte der Bundesregierung, bisweilen auch Ergebnisse der Arbeiten

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einer Enquete-Kommission, darüber hinaus Kontakte zur Bundes- und Länderadministration, zu partei- und gesellschaftspolitischen sowie wissenschaftlichen Institutionen, zu Verbänden und Interessensvertreterlnnen, ferner auch der Zugang zu den Bibliotheks-, Datenbank- und Dokumentationseinrichtungen des Bundestages, gelegentlich auch fraktionsintern durchgeführte Hearings erhebliche Informationsmöglichkeiten. Aber die auf diesen Wegen zu erlangenden Informationen leiden häufig an Defiziten: Sie sind - von Berichten der EnqueteKommissionen abgesehen - selten vollständig, meistens nicht systematisiert und nicht so aufbereitet, dass sie - innerhalb der in der Regel relativ kurzen Zeitspanne, in der die Beratungen verlaufen - einen kompletten, die Prioritäten und alle in Betracht kommenden Sachverhalts- und Bewertungsalternativen umfassenden Kenntnisstand ermöglichen. Dieser lässt sich nur durch ein erhebliches Maß an Vor- und Zuarbeit gewinnen, welche die Administration für die Bundesregierung und damit letztlich auch für die parlamentarische Mehrheit leistet, ohne dass der Opposition auch ein nur annähernd vergleichbarer Apparat, der mit diesen Aufgaben betraut werden könnte, zur Verfügung stände. Denn die personellen Ressourcen ihrer Fraktionsstäbe und der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages (-> § 9, IX.) sind zu knapp ausgelegt, als dass diese die Aufgaben eines - auch der Opposition zur Verfügung stehenden - „GesetzgebungshilfsDienstes" wahrnehmen könnten. c) Vor diesem Hintergrund gewinnen diejenigen Instrumente, die im Verfahren des federführenden Ausschusses zur Kontrolle und Informationsbeschaffung zur Verfügung stehen, vor allem aus Sicht der Opposition besondere Bedeutung, so dass die Vorbereitung, diese im Ausschussverfahren zu nutzen und zu instrumentalisieren, zum Kernbestand der Vorberatungen der Arbeitsgruppe einer Minderheitsfraktion gehört. Unter diesem Aspekt ist - erstens - relevant, dass der Ausschuss die Bundesregierung um schriftlich oder mündlich zu erstattende Auskünfte oder Berichte ersuchen, auch die Anwesenheit eines Mitgliedes der Bundesregierung verlangen kann (Art. 43 Abs. 1 GG, § 68 GO-BT), welches Rede und Antwort zu stehen hat. Die Ausübung dieser Rechte bedarf zwar der Zustimmung der Ausschussmehrheit; entsprechende Anträge der Opposition haben jedoch gute Aussichten, die Unterstützung der Mehrheit zu finden. Zweitens können alle Mitglieder des Ausschusses den ihnen aufgrund Art. 38 GG zustehenden Informationsanspruch (-> § 9, IV.) instrumentalisieren und die Bundesregierung sowie die bei den Ausschussberatungen anwesenden Beamten zu Einzelheiten des Gesetzentwurfs befragen, die ihnen - wie dargelegt - grundsätzlich diejenigen Informationen nicht vorenthalten dürfen, die zu einer sachverständigen Beurteilung des Gesetzentwurfs notwendig sind (-» § 9, IV.). Beide Wege ermöglichen zwar in der parlamentarischen Praxis der Opposition, Informationsdefizite auszugleichen, auch Schwachstellen des Regierungsentwurfs aufzuspüren; sie haben indes den strukturellen Nachteil, dass die Mitglieder und Beauftragten der Bundesregierung es weitgehend in der Hand haben, Art und Umfang der Preisgabe ihres Amtswissens zu bestimmen und zudem die Auskünfte auf solche Sachverhalte und Wertungsfragen zu beschränken, die aus ihrer Sicht relevant sind. Aus diesem Grunde ist - drittens - wesentlich, dass das parlamentarische Verfahrensrecht mit dem Institut der Anhörung ein Instrument bereithält, das den Ausschüssen ermöglicht, Informationen zu gewinnen, die nicht der Relevanzbeurteilung der Bundesregierung unterliegen. Da an solchen

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Informationen vor allem die Opposition interessiert ist, sind die entsprechenden Verfahrensregeln folgerichtig minderheitsfreundlich konzipiert, indem der federführende Ausschuss zu überwiesenen Vorlagen eine Anhörung von Sachverständigen, Interessenvertretern und anderen Auskunftspersonen durchführen muss, wenn dies ein Viertel der Ausschussmitglieder beantragt (§ 70 Abs. 1 GO-BT). Von diesem Verfahrensrecht macht die Opposition auch regen Gebrauch, so dass sich das Instrument der Anhörung zu einem wesentlichen Informationsmittel entwickelt hat, indem heute praktisch zu jedem Gesetzentwurf von einiger Bedeutung ein Hearing stattfindet. d) Auf der Basis der in den Verfahren der Arbeitsgruppen und des Ausschusses gewonnenen und bewerteten Informationen können die Fraktionen und die einzelnen Mitglieder des federführenden Ausschusses zu jeder Vorschrift des Regierungsentwurfs Änderungsanträge stellen, über die nach den geschilderten Regeln (—» § 9, VI.) beraten wird. Zudem bezieht der federführende Ausschuss die ihm schriftlich übermittelten Stellungnahmen der mitberatenden Ausschüsse ein, die - analog der im federführenden Ausschuss praktizierten Arbeitsweisen den Gesetzentwurf unter jeweils fachspezifischen Blickwinkeln beraten. Diese Stellungnahmen geben die Auffassungen der mitbeteiligten Fachausschüsse wieder, die von diesen jeweils mit Stimmenmehrheit, also mit Zustimmung der Regierungsfraktionen, beschlossen sind; angefügt sind i.d.R. ferner die im mitberatenden Fachausschuss abgelehnten Änderungsanträge der Opposition, die freilich nicht Bestandteil der Stellungnahme sind. Die Voten der mitberatenden Fachausschüsse bieten den Mitgliedern des federführenden Ausschusses normalerweise keine zusätzlichen Beratungs- und Entscheidungsaspekte. Dies liegt daran, dass bereits in den fraktionsinternen Abstimmungsprozessen die Positionen der Fraktionen festgelegt und dementsprechend die Auffassungen der einzelnen - federführend und mitbeteiligt eingeschalteten - Fraktionsarbeitsgruppen harmonisiert werden ( - • § 9, VII.), die sodann die jeweilige Fraktionsmeinung sowohl in dem federführenden Ausschuss als auch in den mitberatenden Ausschüssen einheitlich vertreten. Infolge dieser fraktionsinternen Abstimmungsprozesse enthalten die - mit der jeweiligen Mehrheit - beschlossenen Stellungnahmen der mitberatenden Ausschüsse in der Regel nur solche Änderungsempfehlungen, die auch die Mehrheit im federführenden Ausschuss als Änderungsanträge einbringt; entsprechendes gilt für die von der Opposition gestellten Anträge. Diese Verfahrensweise bietet den Vorteil, dass einerseits die fraktionsinterne Befassung der jeweils zuständigen Arbeitsgruppen die Prüfung des Gesetzentwurfs unter allen fachlich relevanten Aspekten ermöglicht und andererseits die erforderliche Koordinierung zwischen den federführend und mitberatend beteiligten Gremien jeweils durch die Fraktionen gesteuert und erreicht wird: Die verschiedenen Stränge der Willensbildung fließen auf diese koordinierte Weise in dem federführenden Ausschuss zusammen, der sodann über die dem Plenum zu unterbreitende Beschlussempfehlung mehrheitlich entscheiden kann. Hierzu beschließt der federführende Ausschuss entsprechend den dargestellten Regeln (-> § 9, VI.) zunächst über die von den Fraktionen und den Mitgliedern des Ausschusses zu den einzelnen Vorschriften des Regierungsentwurfs gestellten Änderungsanträge. Im Ergebnis erfahren auf diese Weise ca. zwei Drittel der Regierungsentwürfe Änderungen, wobei diese rein quantitative Betrachtung freilich keine Aussage darüber zulässt, ob die Gesetzentwürfe im Verlaufe der

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Ausschussberatungen "gravierend" geändert werden oder nicht. Im Anschluss an die Abstimmung über die Einzelvorschriften stimmt der Ausschuss sodann nach Mehrheitsregeln über den Gesetzentwurf insgesamt und die dem Plenum zu unterbreitende Beschlussempfehlung ab, die so formuliert sein muss, dass die Vollversammlung ihr mit "Ja" zustimmen oder sie mit "Nein" ablehnen kann (§ 46 GO-BT). Sie lautet daher bei Regierungsentwürfen zumeist: „Der Bundestag wolle beschließen, den Gesetzentwurf... nach Maßgabe der folgenden Änderungen ..., im übrigen unverändert anzunehmen." Diese Beschlussempfehlung wird mit dem schriftlichen Bericht, den die Berichterstatter zumeist auf der Grundlage eines vom Sekretariat des Ausschusses erarbeiteten Entwurfs erstellen, dem Plenum vorgelegt, wobei Beschlussempfehlungen und Bericht als Bundestagsdrucksache gedruckt und an die Mitglieder des Parlaments, den Bundesrat und die Bundesministerien verteilt werden. (3) Die Beratungen des Haushaltsausschusses gemäß § 96 GO-BT Sofern das Plenum dem Haushaltsausschuss den Regierungsentwurf zur Beratung nach § 96 GO-BT überweist (-» II.), prüft dieser die zu erwartenden finanziellen Auswirkungen des vorgesehenen Gesetzes einschließlich der vom federführenden Ausschuss empfohlenen Änderungen. Beratungsziele sind dabei zum einen die Feststellung, ob der Gesetzentwurf mit dem laufenden Haushalt und künftigen Haushalten vereinbar ist, zum anderen die Erarbeitung eines Vorschlages, auf welche Weise die nach Inkrafttreten des Gesetzes zu erwartenden „Mindereinnahmen oder Mehrausgaben" künftig gedeckt werden können (i.E. § 96 Abs. 4 GO-BT). Beide Verfahrensziele setzen die exakte Ermittlung der finanziellen Auswirkungen, aber auch detaillierte Kenntnisse des Bundeshaushaltes voraus. Diesen Erfordernissen trägt die Praxis des Haushaltsausschusses durch folgende Vorkehrungen Rechnung: Der Haushaltsausschuss verfügt zum einen über ein ausgefeiltes Berichterstattersystem, das darin besteht, dass zu jedem Haushaltsplan eines jeden Ministeriums (= sog. Einzelplan) jeweils ein Mitglied aus jeder Fraktion im Ausschuss als Berichterstatter bestellt wird, und zwar grundsätzlich für die Dauer der gesamten Wahlperiode, während der die Berichterstatter in ständigem Kontakt mit „ihrem" Ressort stehen, sich in deren Einzelpläne detailliert einarbeiten und deren Struktur daher genau kennen (zu Einzelheiten: Eickenboom: 1989, S. 1187); diese arbeitsteilige, die Mitglieder der Mehrheits- und Minderheitsfraktionen gleichbehandelnde ausschussinterne Organisation bietet nicht nur ein Höchstmaß an Spezialisierung eines jeden Ausschussmitgliedes, sondern ermöglicht auch, dass die Berichterstatter aufgrund der ihnen offenstehenden Informationen des jeweiligen Bundesministeriums Erkenntnisse über die finanziellen Auswirkungen eines Regierungsentwurfes besitzen sowie Möglichkeiten der Deckung in Erfahrung bringen können. Zum weiteren nehmen an den Sitzungen des Haushaltsausschusses ständig Beamte des Bundesministeriums der Finanzen teil, welches bereits in der Phase der Vorbereitung des Regierungsentwurfs die finanziellen Auswirkungen geprüft hat und auf dessen Stellungnahme die Kostenangaben fußen, die das Vorblatt des Regierungsentwurfes enthält (-> II.). Daher haben alle Ausschussmitglieder, insbesondere die Berichterstatter, während der Ausschussberatungen Gelegenheit, Details zu den finanziellen Aspekten zu erfragen, wobei von Seiten des Bundesministeriums der Finanzen in der Regel umfassende Auskünfte gegeben

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werden, welche die Ausschussmitglieder zumindest auf Vollständigkeit und Schlüssigkeit überprüfen. Darüber hinaus verfügt der Haushaltsausschuss über enge Kontakte zum Bundesrechnungshof, der zu den Sitzungen des Ausschusses einen ständigen Beobachter sowie fachlich zuständige Abteilungs- und Prüfungsgebietsleiter entsendet, denen nach den Ausschussusancen der Vorsitzende auf ihre Bitte oder auf Fragen der Ausschussmitglieder das Wort erteilt. Der Bundesrechnungshof (-» s.a. § 20, IV.), der weder an Weisungen der Bundesregierung noch an solche des Parlamentes gebunden ist und dessen Mitglieder richterliche Unabhängigkeit genießen (Art. 114 GG), steuert vielfach weitere Informationen zu den finanziellen Auswirkungen eines Gesetzentwurfes bei, und zwar auf zweifachem Wege: zum einen, indem er aus eigener Initiative zu den finanziellen Folgen eines Gesetzentwurfs Ermittlungen anstellt und über deren Ergebnisse dem Parlament, vornehmlich dem Haushaltsausschuss, berichtet, zum anderen, indem er auf Bitten von Mitgliedern des Haushaltsausschusses - auch einer Minderheitsfraktion mündlich oder schriftlich Auskunft gibt. Die Ermittlung und Bewertung der finanziellen Auswirkungen eines Gesetzentwurfes durch den Haushaltsausschuss fußt daher auf drei Säulen: der Sachkompetenz der spezialisierten Ausschussmitglieder, den Informationen der Bundesregierung, insbesondere des Bundesministeriums der Finanzen, sowie den Berichten des unabhängigen Rechnungshofes. Dieses System ermöglicht dem Haushaltsausschuss zumeist die genaue Quantifizierung der Kosten eines Gesetzes, weshalb die diesbezüglichen Sachverhaltsfeststellungen in der Mehrzahl der Fälle im Haushaltsausschuss nicht streitig sind und einvernehmlich getroffen werden. Anders ist dies freilich hinsichtlich der Feststellung der Vereinbarkeit der Folgekosten mit der Haushaltslage und dem zu unterbreitenden Deckungsvorschlag, da insoweit - häufig umstrittene - Wertungsfragen im Spiel sind, nämlich: ob und in welchem Umfang den im Regierungsentwurf vorgesehenen Maßnahmen Priorität vor anderen Projekten einzuräumen ist, deren Verwirklichung zur „Deckung der Mindereinnahmen oder Mehrausgaben" zurückzustellen ist. Die diesbezüglichen Feststellungen und Vorschläge trifft der Ausschuss in notfalls streitiger - Abstimmung, für welche die allgemeinen, dargelegten Regeln gelten (—> § 9, VI.). Diese Beschlüsse werden sodann in einem Bericht an das Plenum dargestellt, der ebenfalls als Bundestagsdrucksache verteilt wird. In der Regel erteilt der Haushaltsausschuss Regierungsentwürfen das Testat, sie seien mit der Haushaltslage vereinbar; die Verweigerung dieser Feststellung ist selten und kommt allenfalls dann vor, wenn der federführende Ausschuss kostenwirksame Änderungen empfiehlt, ohne diese zuvor mit den „Haushältern" der Mehrheitsfraktionen abgestimmt zu haben: In diesen Fällen allerdings wird die durch § 96 GO-BT begründete besondere Stellung des Haushaltsausschusses evident, weil die Vorlage als „erledigt" gilt, wenn weder er noch das Plenum die Möglichkeit einer Deckung bejaht (§ 96 Abs. 4 Satz 4 und 5 GO-BT). (4) Die zweite und dritte Lesung Die Beschlussempfehlung und der Bericht des federführenden Ausschusses sowie der Bericht des Haushaltsausschusses nach § 96 GO-BT bilden die Basis für die zweite und dritte Lesung des Regierungsentwurfs, die zumeist auf denselben Sitzungstag terminiert werden.

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Die zweite Lesung hat dabei drei Funktionen: Zum einen dient sie der allgemeinen Aussprache, sofern eine Fraktion oder fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages sie verlangen; den Rednerinnen der Fraktionen bietet sie insoweit Gelegenheit, die grundsätzlichen Positionen und Bewertungen plenaröffentlich darzustellen. Zum weiteren bezweckt sie die Aussprache über die Details jeder „selbständigen Bestimmung" (§ 81 Abs. 2 GO-BT), also jedes einzelnen Paragraphen oder Artikels des Entwurfs, wobei die Berichterstatter das Recht besitzen, jederzeit das Wort zu ergreifen (§ 28 Abs. 2 GO-BT). Darüber hinaus können die Fraktionen und jedes einzelne Parlamentsmitglied zu jeder Bestimmung des Entwurfs Änderungsanträge stellen (§ 82 Abs. 1 GO-BT). Über diese und die Bestimmungen des Entwurfs in der Fassung der Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses stimmt das Plenum im Anschluss an die Aussprache ab. Überraschungsergebnisse stellen sich hierbei in der Regel nicht ein, weil die formierte Mehrheit des Plenums der mit den Stimmen ihrer Fraktionsmitglieder im federführenden Ausschuss beschlossenen Beschlussempfehlung folgt. Dieses Verfahren trägt einerseits dem Sinn und Zweck der bundestagsintemen Arbeitsteilung Rechnung (-» § 9, III. und VII.), führt aber andererseits dazu, dass die Debattenbeiträge und die Änderungsanträge keineswegs bezwecken, den politischen Gegner argumentativ zu überzeugen; sie dienen vielmehr ausschließlich den Zielen, die eigene Position gegenüber der Öffentlichkeit darzustellen und zu dokumentieren (-> § 9, IV.) sowie das eigene Abstimmungsverhalten öffentlich zu begründen. Die in der zweiten Lesung gefassten Beschlüsse bilden die Grundlage für die sodann erfolgende dritte Beratung, die gemäß § § 8 4 bis 86 GO-BT durchgeführt wird, und zwar zumeist in unmittelbarem Anschluss an die zweite Lesung (zu Ausnahmen: § 84 Satz 1 GO-BT). Von dieser unterscheidet sie sich dadurch, dass sie grundsätzlich nicht mehr der Detailberatung jeder einzelnen Vorschrift, sondern allenfalls der allgemeinen Aussprache dient; diese wird indes nur dann eröffnet, wenn in zweiter Beratung keine allgemeine Aussprache stattgefunden hat und sie vom Ältestenrat empfohlen oder von anwesenden fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages verlangt wird. Auch in der dritten Lesung können noch Änderungsanträge gestellt werden, jedoch nicht von einem einzelnen Abgeordneten, sondern ausschließlich von den Fraktionen oder fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages - freilich mit der Beschränkung, dass sich diese Anträge nur auf diejenigen Bestimmungen beziehen dürfen, zu denen in zweiter Beratung Änderungen beschlossen wurden (§ 85 Abs. 1 GO-BT). Da diese Bedingung selten erfüllt ist und die allgemeine Aussprache bereits zumeist in die zweite Beratung integriert wird, verläuft die dritte Lesung in der Regel relativ zügig, indem unmittelbar in die Schlussabstimmung eingetreten wird (§ 86 GO-BT), durch die mit der erforderlichen Mehrheit der Gesetzesbeschluss i. S. v. Art. 77 Abs. 1 Satz 1 GG gefasst wird. c) Der Abschluss des Verfahrens Für den weiteren Gang des Verfahrens, an dem nunmehr der Bundesrat maßgeblich beteiligt ist, ist von entscheidender Bedeutung, ob es sich bei dem beschlossenen Gesetz um ein Zustimmungs- oder ein Einspruchgesetz handelt. Zustimmungsgesetze sind alle diejenigen Gesetze, für die das Grundgesetz die Zustimmungsbedürftigkeit des Bundesrates ausdrücklich vorschreibt (z.B. Art. 84 Abs. 1 GG und Art. 105 Abs. 3 GG, zu Einzelheiten Schmidt: 1999, S. 261).

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In diesen Fällen hat der Bundesrat eine ausgesprochen starke Stellung, weil das Gesetz nur dann zustande kommt, wenn er ihm durch Beschluss zustimmt; schon sein Schweigen fuhrt dazu, dass das Gesetz scheitert. Bei Verweigerung der Zustimmung können Bundestag und Bundesregierung den Vermittlungsausschuss anrufen (zu Einzelheiten Handschuh: 41991, S. 90). Stimmt der Bundestag oder der Bundesrat dessen Vermittlungsvorschlägen nicht zu, so kann das Gesetz nicht in Kraft treten. Hat hiernach der Bundesrat die Möglichkeit, Zustimmungsgesetze endgültig zu blockieren, so ist seine Position bei Einspruchsgesetzen - dies sind alle diejenigen Gesetze, für die das Grundgesetz die Zustimmungsbedürftigkeit nicht ausdrücklich normiert - relativ schwach ausgestaltet, weil der Bundestag sich über einen Einspruch des Bundesrates hinwegsetzen kann. Bei Einspruchsgesetzen hat der Bundesrat, sofern er mit der vom Bundestag beschlossenen Regelung nicht einverstanden ist, die Befugnis, innerhalb von drei Wochen den Vermittlungsausschuss anzurufen (Art. 77 GG). Macht er von diesem Recht Gebrauch, so gestaltet sich das weitere Verfahren wie folgt: 1) Schlägt der Vermittlungsausschuss eine Änderung des Gesetzes vor, so hat der Bundestag erneut Beschluss zu fassen; sofern der Bundesrat mit diesem nicht einverstanden ist, kann er binnen zwei Wochen Einspruch einlegen. 2) Empfiehlt der Vermittlungsausschuss keine Änderung des Gesetzes, so muss der Bundestag nicht mehr befasst werden; der Vermittlungsvorschlag wird vielmehr ausschließlich vom Bundesrat erneut beraten, der wiederum die Möglichkeit hat, innerhalb von zwei Wochen Einspruch einzulegen. Ruft der Bundesrat den Vermittlungsausschuss nicht an oder legt er im Anschluss an das Vermittlungsverfahren innerhalb der Zwei-Wochen-Frist keinen Einspruch ein, so ist das Gesetz zustande gekommen. Beschließt der Bundesrat fristgerecht die Einlegung des Einspruchs, so kann der Bundestag diesen zurückweisen. Er muss hierfür freilich eine Mehrheit aufbringen, die derjenigen im Bundesrat entspricht: Hat dieser mit einfacher - und dies heißt beim Bundesrat: mindestens mit der Mehrheit seiner gesetzlichen Stimmen (Art. 52 Abs. 3 GG) den Einspruch beschlossen, so kann der Bundestag ihn ebenfalls nur mit der Mehrheit der gesetzlichen (nicht nur: der anwesenden) Mitglieder zurückweisen; hat der Bundesrat den Einspruch mit Zwei-Drittel-Mehrheit beschlossen, so bedarf die Zurückweisung durch den Bundestag der Zustimmung von zwei Dritteln der anwesenden, mindestens jedoch der Mehrheit seiner gesetzlichen Mitglieder. Die Beteiligung des Bundesrates an den Gesetzgebungsverfahren des Bundes ist vom Grundgesetz nicht nur aus Gründen des föderativen Staatsaufbaus, sondern auch aufgrund sehr pragmatischer Erwägungen vorgesehen. Bei den Beratungen im Bundesrat werden die Gesetze - wie E. Stein (: 1990, S. 324) mit Recht feststellt - vor allem „auch unter verwaltungstechnischen Aspekten gründlich durchleuchtet, wobei häufig sachliche Fehler aufgedeckt werden, die dann der Bundestag ohne weiteres korrigiert. Dem Bundesrat kommt hierbei zugute, dass die Gesetze vorwiegend von den Ländern ausgeführt werden, die deshalb regelmäßig Uber größere Erfahrungen im Gesetzesvollzug verfugen", welche sie bei der Beurteilung der Zweckmäßigkeit des Gesetzes in die Beratungen des Bundesrates einbringen können. Dies und das Zurücktreten der parteipolitischen Gegensätze, die im Bundesrat eine weniger große Rolle als im Bundestag spielen, ermöglicht ihm eine weitgehend sachliche Orientierung, die der Qualität der Gesetzgebung des Bundes insgesamt zugute kommen kann.

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2. Verfahren auf Initiative des Bundesrates Der Bundesrat spielt nicht nur in den von der Bundesregierung initiierten Gesetzgebungsverfahren eine entscheidende Rolle, sondern besitzt, wie eingangs erwähnt, auch ein eigenes Gesetzesinitiativrecht, von dem er allerdings weniger häufig als die Bundesregierung und die Fraktionen des Bundestages, jedoch vor allem in Perioden Gebrauch macht, in denen sich seine Mehrheitsverhältnisse von den im Bundestag herrschenden unterscheiden. In diesen Fällen sind Gesetzentwürfe des Bundesrates der Sache nach Oppositionsentwürfe, die zumeist mit der entsprechenden Minderheitsfraktion im Bundestag abgestimmt sind. Das Initiativrecht steht nur dem Bundesrat als ganzem, nicht seinen einzelnen Mitgliedern zu. Bundesratsintern geht die Initiative jedoch von einem einzelnen Bundesland oder mehreren Bundesländern gemeinsam aus, deren Gesetzentwurf, der in der Regel von den Länderadministrationen erarbeitet ist, zunächst von den zuständigen Ausschüssen, sodann vom Plenum des Bundesrates beraten wird. Beschließt der Bundesrat, den Entwurf einzubringen, so leitet er ihn zunächst der Bundesregierung zu, damit diese Gelegenheit hat, ihre Auffassung zu dem Entwurf zu erarbeiten und darzulegen (Art. 76 Abs. 3 GG). Hierfür steht ihr eine Frist von drei Monaten zur Verfügung, innerhalb derer das für die betreffende Materie zuständige Bundesministerium eine Stellungnahme ausarbeitet, die das Kabinett beschließt. Alsdann leitet die Bundesregierung den Entwurf und ihre Stellungnahme dem Bundestag zu. Das weitere Verfahren verläuft nach den dargelegten Regeln (-» II. 1.), freilich mit der Besonderheit, dass sich in den Fällen, in denen ein Entwurf materiell der Opposition zuzurechnen ist, parlamentsintern die Rollen tauschen, indem nunmher die Mehrheit die Contre-röle übernimmt, die Schwächen des Entwurfs in den Vordergrund ihrer politischen Strategie stellt und mit entsprechenden Argumenten ihre ablehnende Haltung motiviert.

3. Gesetzentwürfe aus der Mitte des Bundestages Das Gesetzesinitiativrecht, das von den Fraktionen oder fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages ausgeübt werden kann (-» II.), nehmen in der Praxis sowohl die parlamentarische Mehrheit als auch die Minderheit wahr, allerdings mit strategisch unterschiedlichen Zielsetzungen. Bei der Mehrzahl der von den Regierungsfraktionen vorgelegten Gesetzentwürfe handelt es sich nicht um eigenständige, sondern um von der Bundesregierung ausgearbeitete Entwürfe, die insbesondere in zwei Fällen von den Mehrheitsfraktionen in den Bundestag eingebracht werden: zum einen dann, wenn Regierungsentwürfe in einer Wahlperiode nicht mehr abschließend beraten werden konnten und infolge des Diskontinuitätsgrundsatzes (-> § 9, III.) als formal erledigt gelten; sofern die politische Konstellation im darauffolgenden Bundestag identisch geblieben ist, bringen die Mehrheitsfraktionen gelegentlich solche Gesetzesentwürfe inhaltlich unverändert „erneut", nunmehr aber als Fraktionsentwürfe, ein. Da Gesetzentwürfe aus der Mitte des Bundestages - anders als Regierungsentwürfe - nicht nach Art. 76 Abs. 2 GG zunächst dem Bundesrat zugeleitet werden müssen (—> II.), bietet dieses Verfahren den Vorteil der Zeitersparnis, weil der neue Bundestag seine Beratungen unmittelbar nach Beginn der Wahlperiode

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aufnehmen kann, ohne dass eine erneute Stellungnahme des Bundesrates, der sich mit dem in der vorgängigen Wahlperiode eingebrachten inhaltsgleichen Regierungsentwurfs ohnehin bereits befasst hat, abgewartet werden müsste. Zum anderen nutzen die Regierungsfraktionen das Gesetzesinitiativrecht in Fällen besonderer Eilbedürftigkeit zur Beschleunigung des Gesetzgebungsverfahrens: Sofem ihnen und der Bundesregierung der sog. erste Durchgang eines Regierungsentwurfs im Bundesrat (-> II.) als zu zeitraubend erscheint, nutzen die Mehrheitsfraktionen die verfahrensrechtliche Befugnis, einen mit dem Regierungsentwurf inhaltlich übereinstimmenden Fraktionsentwurf einzubringen, der die sofortige und damit zügigere Beratung im Bundestag ermöglicht. Dieses Verfahren ist nicht unproblematisch, weil es in der Sache zu einer Verkürzung des Rechts der Stellungnahme des Bundesrates (—» II.) führt; verfassungsrechtlich ist es jedoch nach herrschender Auffassung zulässig, was im Ergebnis deshalb vertretbar ist, weil der Bundesrat im übrigen unverändert seine Zustimmungs- oder Einspruchsrechte im sog. Zweiten Durchgang (-> II. 1.) besitzt. Während es hiernach den Mehrheitsfraktionen bei der Einbringung von Gesetzentwürfen in erster Linie um die Beschleunigung des parlamentarischen Verfahrens geht, steht für eine Minderheitsfraktion bei der Vorlage von Gesetzentwürfen, die wegen der formierten Mehrheitsverhältnisse im Bundestag so gut wie keine Chance besitzen angenommen zu werden, im Vordergrund, ihre Auffassung zu einer bestimmten Problemstellung öffentlich zu dokumentieren, und zwar auch mit der beabsichtigten Wirkung, dass Bundesregierung und Mehrheitsfraktionen sich gezwungen sehen, zu der von der Opposition favorisierten, in dem Gesetzentwurf unterbreiteten Problemlösung öffentlich Stellung zu nehmen und „Farbe zu bekennen". Für diese Zielsetzung ist relevant, dass die Geschäftsordnung eine Reihe von Vorschriften bereithält, die auch einer Minderheitsfraktion garantieren, dass ihre Gesetzesvorlagen im Plenum des Bundestages öffentlich debattiert werden: So kann sie zum einen zur Beschleunigung der Beratung auf das erwähnte, in § 20 Abs. 4 GO-BT verankerte Recht rekurrieren (-> § 9, VI.) ferner durchsetzen, dass über ihren Gesetzentwurf eine allgemeine Aussprache stattfindet (§§ 79, 81 Abs. 1 und 84 GO-BT), und schließlich die namentliche Abstimmung initiieren (§ 52 Satz 1 GO-BT), durch die öffentlich dokumentiert wird, wie die einzelnen Mitglieder des Parlaments zum Inhalt des Gesetzentwurfs stehen.

IV. Verfahren zur Kontrolle und Informationsbeschaffung Neben der Kontrolle durch Mitbeteiligung an der Gesetzgebung verfügt das Parlament über eine Reihe von Möglichkeiten, Regierungshandeln mitzusteuern und zu kontrollieren. Die entsprechenden Rechte werden teils in den Ausschuss-, teils in den Plenarverfahren ausgeübt. 1. Verfahren in Fachausschüssen Die Fachausschüsse haben hierzu insbesondere auf der Basis ihres Selbstbefassungsrechts (—• § 9, VI.) eine Praxis entwickelt, die sowohl auf die frühzeitige Unterrichtung über Planungen und Aktivitäten ihrer korrespondierenden Bun-

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desministerien als auch auf Informationen über den Vollzug von Rechtsvorschriften durch die Exekutive sowie die nachträgliche Kontrolle ausgerichtet sind. Formale Instrumente hierzu sind insbesondere • die erwähnte ständige Teilnahme von Vertretern des jeweiligen Ressorts an den Ausschusssitzungen, • deren mündliche Auskünfte, ferner • schriftliche, von den Ausschüssen angeforderte Berichte der Ressorts sowie • Unterrichtungen der Bundesregierung, die das Plenum einfordert und den zuständigen Ausschüssen zur Beratung überweist. Die Fachausschüsse können deshalb auf ein sehr dichtes Informationsnetz zurückgreifen, dessen Maschen • aus den permanenten kommunikativen Kontakten zwischen Fachausschuss und Fachressort, die einen ständigen Begründungs- und Rechtfertigungszwang der Exekutive sicherstellen, • aus Unterrichtungen über Langzeitvorhaben der Bundesregierung, • aus der Beteiligung der Fachausschüsse an den Gesetzgebungsverfahren, und • aus Berichten über den Normenvollzug sowie Aktivitäten der Ressorts geflochten sind. Die Rahmenbedingungen haben - wie Kewenig (: 1970, S. 31) zutreffend festgestellt hat - die parlamentarische Kontrolle aus der „Enge der nachherigen Aufsicht über fremde Aufgaben gelöst" und in ein „Zusammenwirken verschiedener Instanzen", der Bundesregierung und des Parlaments, überfuhrt. Diese Praxis ist Ausdruck der Tatsache, dass die Erfüllung der Staatsaufgaben dem Bundestag und der Bundesregierung zur „gesamten Hand" (Friesenhahn: 1958, S. 38) zusteht, woraus sich letztlich rechtfertigt, dass die Fachausschüsse nicht nur nachträglich kontrollierend tätig werden, sondern auch mitsteuernd auf die Arbeit der Bundesregierung und -Verwaltung Einfluss nehmen. Die hierzu in den Ausschussverfahren bestehenden Gestaltungsmöglichkeiten werden sowohl von den Mehrheits- als auch den Minderheitsfraktionen wahrgenommen (—> § 9, VI.). Den Mehrheitsfraktionen kommt insoweit das Prinzip der NichtÖffentlichkeit der Ausschussverfahren entgegen, das ihrem Interesse Rechnung trägt, die kontrollierenden und mitsteuernden Aktivitäten aus den dargestellten Gründen (-» § 9, III.) in die nicht öffentlich tagenden Gremien zu verlagern; den Minderheitsfraktionen eröffnen die Ausschussverfahren, die in der Regel weniger kontradiktorisch als die Plenarverfahren geführt werden, dagegen den partiellen Zugang zum Amtswissen der Bundesregierung und sichern ihnen die Möglichkeit, alternativ angelegte Formen der Kontrolle verwirklichen zu können. 2. Zitierrecht, Berichte der Bundesregierung, Kleine und Große Anfragen, Fragestunden Insbesondere einer Oppositionsfraktion ist jedoch nicht nur an nichtöffentlichen, sondern auch und vor allem an öffentlichen Formen der parlamentarischen Kontrolle und Informationsgewinnung sowie an der öffentlichen Darstellung ihrer Bewertung des Regierungshandelns gelegen (-> I.). Im Hinblick hierauf ist wesentlich, dass das parlamentarische Verfahrensrecht Vorschriften bereithält, die plenarbezogene Kontroll- und Informationsbeschaffungsverfahren betreffen. Ihre Ausgestaltung im Einzelnen folgt freilich - wie im Folgenden zu zeigen ist -

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nicht einheitlichen Prinzipien; insbesondere sind die Interessen der parlamentarischen Minderheit in sehr unterschiedlicher Weise berücksichtigt. a) Zitierrecht Bei dem Zitierrecht nach Art. 43 Abs. 1 GG, dem eine Antwortpflicht der herbeigerufenen Mitglieder der Bundesregierung korrespondiert, sind die Rechte der parlamentarischen Minderheit nur schwach ausgebildet. Zwar kann jede Fraktion oder fünf vom Hundert der anwesenden Mitglieder des Bundestages die Herbeirufung eines Mitgliedes der Bundesregierung zu einer Sitzung des Plenums beantragen (§ 42 GO-BT); die Entscheidung hierüber ist jedoch Sache der Mehrheit, die den Antrag frei, d. h. auch aus Gründen politischer Opportunität, ablehnen kann. Von dieser Ablehnungsbefugnis macht die Mehrheit auch Gebrauch, so dass Anträge einer Minderheitsfraktion, ein Mitglied der Bundesregierung zu einer Plenarsitzung herbeizurufen, überwiegend keinen Erfolg haben - außer demjenigen, dass schon die Einbringung des Antrages per se als Politikum bewertet und öffentlich registriert wird. Solche Anträge werden deshalb im Plenum auch relativ selten zur Informationsgewinnung gestellt; die (Minderheits-) Fraktionen greifen insoweit eher auf die Möglichkeiten des nichtöffentlichen Ausschussverfahrens zurück, das ihnen - erfolgversprechender - die Interaktion mit dem betreffenden Mitglied der Bundesregierung sicherstellt. b) Berichte und Unterrichtungen der Bundesregierung Mehrheitssache ist auch die Anforderung von Berichten der Bundesregierung durch das Plenum des Bundestages. Solche Berichtspflichten werden auf zwei Wegen konstituiert: zum einen durch spezielle gesetzliche Vorschriften, zum anderen durch „einfachen" Parlamentsbeschluss. Im ersten Fall ist die Bundesregierung rechtlich, im zweiten nur politisch verpflichtet, den jeweiligen Bericht vorzulegen. In beiden Fällen bedarf die Festlegung der Berichtspflicht der Zustimmung der parlamentarischen Mehrheit, die hierbei „ihre eventuell regierungskritischen Erwägungen in konziliant verbrämter Form und Sprache äußern" (Steffani: 1989, S. 1365) und zudem ihre Verfahrensherrschaft auch dazu nutzen kann, der Bundesregierung Gelegenheit zu geben, zu einem komplexen Thema parlamentsöffentlich Stellung zu nehmen, so dass die Festlegung der Berichtspflicht bisweilen weniger dem Kontrollinteresse als vielmehr der öffentlichen Darstellung der Regierungsmeinung dient. All dies macht das Instrument der Berichtspflicht aus der strategischen Sicht der Opposition wenig attraktiv. Gleichwohl haben die - zahlreichen - Berichte als Informations-, Kontroll- und Evaluierungsinstrumente gerade in der jüngeren Vergangenheit wachsende Bedeutung auch für die Opposition gewonnen, weil - wie W. Ismayr (: 1990, S. 553) zu Recht feststellt „mit dem Ausbau des Sozialstaates und bei zunehmenden umweit- und technologiepolitischen Anforderungen ... die Regierungsberichte zahlreicher und auch differenzierter" geworden sind: Sie enthalten in der Regel - trotz der bisweilen im Vordergrund stehenden Beschreibung der „Erfolgsbilanz" der Bundesregierung auf dem betreffenden Politikfeld - sowohl eine Fülle von Angaben zum Vollzug von Gesetzen und Programmen, die eine Wirkungskontrolle ermöglichen, als auch Angaben über kurz-, mittel- und langfristige Planungen und Absichten der Bundesregierung. Sie bieten daher zum einen gelegentlich „Basis und Anlass für programmatisch und konzeptionell orientierte große Plenardebatten"

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(Ismayr: 1990, S. 556) und können zum anderen in die Arbeit der jeweils zuständigen Ausschüsse integriert werden, denen das Plenum oder - im vereinfachten Verfahren nach § 80 Abs. 3 GO-BT - der Präsident die entsprechende Unterrichtung zur Beratung überweist. c) Kleine und Große Anfragen Liegt die Entscheidung über die Ausübung des Zitierrechts und die Konstituierung einer Berichtspflicht ganz in den Händen der parlamentarischen Mehrheit, so sind demgegenüber die Regeln über die Kleine und Große Anfrage minderheitsfreundlicher ausgestaltet: Die entsprechenden Vorschriften verwirklichen das Prinzip der Gleichheit der Fraktionen, indem jede Fraktion unabhängig von ihrer Größe (ebenso wie fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages) solche Anfragen an die Bundesregierung richten kann. Die Ausübung der insoweit bestehenden Anfragerechte bedarf keines besonderen Antrages, über die der Bundestag mehrheitlich zu entscheiden hätte; vielmehr löst die Einbringung der Kleinen und Großen Anfrage per se die geschäftsordnungsrechtlich vorgesehenen Wirkungen aus, ohne dass die Mehrheit Kompetenzen besäße, diese zu verhindern. Die geschäftsordnungsrechtlichen Folgen der Kleinen Anfrage bestehen dabei darin, dass der Präsident des Bundestages die Bundesregierung auffordert, innerhalb von 14 Tagen schriftlich zu antworten (§ 104 Abs. 2 GO-BT). Schon diese relativ knapp bemessene Frist indiziert, dass Kleine Anfragen vornehmlich dazu dienen, Auskunft über eng umgrenzte Themenbereich zu erhalten. Auf entsprechende Informationen ist vor allem die Opposition angewiesen, die daher in signifikant stärkerem Maße als die Regierungsfraktionen auf dieses Instrument zurückgreift. Kleine Anfragen bieten - sofem die Bundesregierung sie beantwortet (-» § 9, IV.) - ein Mittel, zu überschaubaren Sachverhalten relativ aktuelle und auch umfassende Informationen zu erhalten, insbesondere dann, wenn sie zu einer aus mehreren Anfragen bestehenden Serie geschaltet werden, die dem Ziel dient, zu einem Sachverhaltskomplex durch eine Vielzahl, das Thema variierender und seine Facetten auslotender Fragen Antworten zu erhalten, die ein mosaikartig zusammengesetztes, möglichst komplettes Informationsbild ergeben. Andererseits haben Kleine Anfragen einen nur relativ geringen Publizitätswert: Sie und die Antworten der Bundesregierung werden zwar als Bundestagsdrucksache veröffentlicht, können indes nicht als Verhandlungsgegenstände auf die Tagesordnung des Bundestages gesetzt und dementsprechend dort nicht öffentlich beraten werden (§ 75 Abs. 3 GO-BT). Demgegenüber bietet die Große Anfrage, die in der Regel komplexe Themenstellungen betrifft, die dargelegte, auch von einer Minderheitsfraktion durchsetzbare Möglichkeit der Plenardebatte (-> I.). Insoweit räumt das Recht der Großen Anfrage der Opposition eine relativ starke Verfahrensstellung ein, welche diese auch dazu nutzen kann, neuartige Fragestellungen in die parlamentarischen Beratungen einzuführen und bestimmte Politikfelder thematisch und politisch zu „besetzen". Obwohl die Große Anfrage hiernach in erster Linie ein Instrument der Opposition ist, so wird sie bisweilen auch von den Mehrheitsfraktionen genutzt, nämlich vor allem dann, wenn diese der Bundesregierung Gelegenheit geben wollen, zu einem komplexem Thema parlaments-öffentlich Stellung zu nehmen. In diesem Fall gilt fiir die Zielrichtung der Großen Anfrage ähnliches wie gelegentlich bei der Festlegung einer Berichtspflicht (-> III.): Sie dient dann

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weniger dem Kontrollinteresse als vielmehr der öffentlichen Darstellung der Regierungsmeinung. d) Fragestunde Während das Recht der Kleinen und Großen Anfrage nur einer Fraktion oder mindestens fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages zusteht und somit Ausdruck des strukturierten Parlamentarismus ist (-> § 9 VIII.), dienen die in jeder Sitzungswoche durchzuführenden Fragestunden des Plenums dem individuellen Informationsrecht der einzelnen Parlamentarier, die berechtigt sind, für die Fragestunden bis zu zwei kurz gefasste Fragen zur mündlichen Beantwortung an die Bundesregierung zu richten, und zwar zu denjenigen Bereichen, für die diese unmittelbar oder mittelbar verantwortlich ist. Die Fragen werden vom Präsidenten in der Fragestunde aufgerufen und von dem zuständigen Bundesminister oder seinem Vertreter beantwortet, wenn der Fragesteller anwesend ist; dieser hat das Recht „nachzuhaken", indem er bis zu zwei Zusatzfragen stellen kann. Auf diese Weise ergeben sich bisweilen prägnante Diskurse, die sowohl der Kontrolle von Details des Verwaltungshandelns dienen als auch zu relativ präzisen Informationen führen, die vor allem die Opposition dadurch weiter komplettieren kann, dass mehrere ihrer Mitglieder zu ein- und demselben Themenkomplex eine Vielzahl von Einzelfragen stellen oder das Fragerecht dazu nutzen, um nach (unvollständigen) Antworten auf Kleine oder Große Anfragen weitere Informationen von der Bundesregierung zu erhalten. 3. Sonstige Verfahren zur Kontrolle und Informationsbeschaffung Den angeführten klassischen Informations- und Kontrollinstrumenten des Zitierrechts, der Berichtspflicht, der Kleinen und Großen Anfrage sowie der Fragestunde ist gemeinsam, dass sie auf parlamentarische Partizipation am Amtswissen der Bundesregierung abzielen. Die Kehrseite dieser Ausrichtung besteht darin, dass auf diesem Wege nur solche Informationen gewonnen werden können, die der Relevanzbeurteilung durch die Bundesregierung unterliegen, die es - wie dargestellt (-> § 9, IV.) - de facto weitgehend in der Hand hat, Inhalt und Umfang der von ihr dem Parlament unterbreiteten Informationen zu bestimmen. Begünstigt wird diese Verfahrensherrschaft der Bundesregierung vor allem dadurch, dass die Mitglieder des Bundestages im Zusammenhang mit der Ausübung der dargestellten Kontrollrechte keine formellen Möglichkeiten besitzen, die Information auf ihre Vollständigkeit zu überprüfen, weil ihnen insoweit der Zugang zu den Unterlagen der Regierung verwehrt ist, die einen Vergleich zwischen dem preisgegebenen und dem tatsächlich vorhandenen Amtswissen ermöglichen würden: Ob und in welchem Umfang relevante Informationen vorenthalten, Alternativen ausgeblendet, Daten einseitig ausgewertet worden sind - all dies kann daher mittels des Zitierrechts, der Berichtspflicht und des regierungsgerichteten Fragerechts alleine nicht ermittelt werden. Vor diesem Hintergrund ist für die Effizienz der parlamentarischen Kontrolle wesentlich, dass die Verfahrensordnung Rechte zur Selbstinstruktion und zur Informationsgewinnung durch Dritte bereithält, und zwar in der Weise, dass die Beschaffung relevanter Informationen auch zugunsten der parlamentarischen Minderheit erfolgt. Diesem Ziel dienen zwar die erwähnten Institute der En-

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quete-Kommission (-> § 9, VI.) und der Anhörung (-»II.); sie weisen jedoch eine entscheidende Schwachstelle auf, weil sich mit ihrer Hilfe nur solche Informationen zusammentragen lassen, die entweder allgemein zugänglich sind oder von den Informationsträgern freiwillig preisgegeben werden: Über durchsetzbare Informationsansprüche verfügen weder die Enquete-Kommissionen noch die Ausschüsse in den Anhörungsverfahren. Effiziente Kontrolle setzt indes voraus, dass das kontrollierende Parlament nicht nur auf die Kooperationsbereitschaft der zu kontrollierenden Regierung und sonstiger Dritter angewiesen ist, sondern auch über eigene Informationsansprüche verfugt, die notfalls gegen den Willen des Informationsträgers durchgesetzt werden können. Solche parlamentarischen Informationsansprüche gibt es indes nicht umfassend (-» § 9, IV.), wohl aber in wesentlichen Teilbereichen, nämlich • in den Petitionsverfahren, • in Verfahren, die der Kontrolle der Bundeswehr dienen, sowie • in den Verfahren der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse. Die insoweit maßgebenden Verfahrensvorschriften dieser Kontrollinstrumentarien sind jedoch nach unterschiedlichen Prinzipien ausgestaltet, welche insbesondere die - im Rahmen der parlamentarischen Kontrollaufgabe relevanten Rechte der Minderheit - in divergierender Weise berücksichtigen. a) Informationsrechte des Petitionsausschusses Der Petitionsausschuss, der für die Vorbereitung von Beschlüssen des Bundestages über Beschwerden nach Art. 17 GG zuständig ist, verfügt über Informationsrechte aufgrund des Gesetzes nach Art. 45c des GG: Hiernach kann er Informationsansprüche zum einen gegen die Bundesregierung, die Behörden des Bundes sowie die bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts geltend machen, indem diese auf sein Verlangen Akten vorzulegen, Auskunft zu erteilen und Zutritt zu ihren Einrichtungen zu gestatten haben. Zum weiteren sind alle Gerichte und Verwaltungsbehörden verpflichtet, dem Petitionsausschuss auf dessen Bitte Amtshilfe zu leisten, und schließlich ist der Petitionsausschuss berechtigt, die Petenten sowie Zeugen und Sachverständige anzuhören. Der Petitionsausschuss ist auf diese Weise in die Lage gesetzt, gegenüber der Bundesregierung Informationsansprüche zu realisieren, soweit diese sich nicht ausnahmsweise auf entgegenstehende Geheimhaltungsgründe berufen kann; darüber hinaus ermöglicht ihm dieses Regelungssystem, sich durch die Anhörung von Petent, Zeugen und Sachverständigen unabhängig von der Darstellung der Bundesregierung ein eigenes Bild von einem Vorgang zu verschaffen. Die Ausübung aller dieser Informationsrechte setzt indes einen mit Stimmenmehrheit zu fassenden Beschluss des Petitionsausschusses voraus, wobei die Mehrheit durch keine Regel gebunden ist, entsprechenden Anträgen von Mitgliedern der Minderheit Folge leisten zu müssen. Mehrheitssache ist darüber hinaus auch die Beschlussfassung über die Beschlussempfehlung, die der Petitionsausschuss dem Bundestag zu unterbreiten hat. Sie lautet - sofern die Petition erfolgreich ist-, sie der Bundesregierung „zur Berücksichtigung", „zur Erwägung" oder „zur Kenntnisnahme" zu überweisen, beinhaltet also nicht, dass das Parlament der Regierung Direktiven erteilt. Denn ein rechtlich bindendes Weisungsrecht gegenüber der Exekutive besitzt weder der Petitionsausschuss noch

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der Bundestag als ganzer. In der Praxis werden die Empfehlungen des Bundestages allerdings von der Bundesregierung weitgehend befolgt. b) Kontrolle der Bundeswehr: Wehrbeauftragter und Verteidigungsausschuss als Untersuchungsausschuss 1. Stehen hiernach dem Petitionsausschuss unter den dargelegten Voraussetzungen eigene Aufklärungsrechte zu, so verwirklicht das Gesetz über den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages (WBeauftrG) ein Kontrollmodell, das entsprechende Ermittlungsrechte auf ein Hilfsorgan des Bundestages - den Wehrbeauftragten (Art. 45b GG) - verlagert und die Ergebnisse von dessen Tätigkeit für Zwecke der parlamentarischen Kontrolle nutzbar macht. Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, der vom Parlament gewählt wird und dem Angehörige der Bundestagsverwaltung zuarbeiten, wird zum einen auf Weisung des Bundestages oder des Verteidigungsausschusses, zum anderen aufgrund eigener Entscheidung tätig, wenn ihm - insbesondere durch Mitteilungen von Mitgliedern des Bundestages oder durch Eingaben von Soldaten - Umstände bekannt werden, die auf eine Verletzung der Grundrechte der Soldaten oder der Grundsätze der Inneren Führung (vgl. hierzu Busch: 5 1999, S. 151) schließen lassen. Im Rahmen seiner Ermittlungen steht dem Wehrbeauftragten das Recht zu, vom Bundesminister der Verteidigung und allen diesem unterstellten Dienststellen und Personen Auskunft und Akteneinsicht zu verlangen; darüber hinaus kann er sich durch Truppenbesuche „vor Ort" ein eigenes Bild über bestimmte Vorgänge verschaffen und bei seinen Erhebungen auch die Amtshilfe der Gerichte und Verwaltungsbehörden des Bundes, der Länder und der Gemeinden beanspruchen. Über das Ergebnis seiner Ermittlungen legt der Wehrbeauftragte dem Plenum oder dem Verteidigungsausschuss Einzelberichte vor; er stellt ferner in sog. Jahresberichten die Schwerpunkte und die Ergebnisse seiner Tätigkeit im jeweils vorangegangenen Kalenderjahr dem Bundestag dar. Die parlamentarischen Weisungen an den Wehrbeauftragten, in einer Einzelangelegenheit tätig zu werden, bedürfen der Zustimmung der Mehrheit, die an entsprechende Anträge der Minderheit nicht gebunden ist. Gleichwohl besitzt die Minderheit nicht unerhebliche Einwirkungsmöglichkeiten, weil ihre Mitglieder den Wehrbeauftragten auf problematische Sachverhalte hinweisen und diesen veranlassen können, „nach pflichtgemäßem Ermessen" tätig zu werden (§ 1 Abs. 3 WBeauftrG). 2. Stärker minderheitsschützend sind demgegenüber diejenigen Regeln ausgeprägt, die dem Verteidigungsausschuss eigene Informationsbefugnisse zuweisen: Nach Art. 45a GG hat dieser, wie erwähnt (—> § 9 VI.), auch die Rechte eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses, wobei er auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder verpflichtet ist, eine Angelegenheit auf dem Gebiet der militärischen Verteidigung zum Gegenstand seiner Untersuchung zu machen (Art. 45a GG). Beschließt er dies, so verfügt er über erhebliche Selbstinstruktionsrechte, die sowohl gegenüber der Bundesregierung als auch gegenüber den Verwaltungen des Bundes und sonstigen Informationsträgern durchgesetzt werden können: So kann er aufgrund der entsprechend anzuwendenden Vorschriften der Strafprozessordnung (Art. 45a GG i.V.m. Art. 44 Abs. 2 GG, Einzelheiten hierzu bei Engels: 1991, S. 72 ff.) zum einen von der Bundesregierung die Vorlage von untersuchungsrelevanten Beweismitteln, insbesondere Akten, und den Zutritt zu ihren Einrichtungen fordern, zum anderen die Gerichte und Verwal-

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tungsbehörden um Rechts- und Amtshilfe ersuchen, darüber hinaus von jedem Verfügungsberechtigten, also auch von Privaten, die Herausgabe von Unterlagen, die für die Beweiserhebung geeignet und erforderlich sind, verlangen sowie schließlich Zeugen und Sachverständige vernehmen, die - soweit sie nicht ausnahmsweise ein Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrecht besitzen (§§ 52 bis 55 StPO) - zur Aussage verpflichtet sind und sich bei einer Falschaussage nach § 153 des Strafgesetzbuches strafbar machen. Die gegen die Bundesregierung, sonstige Beweismittelinhaber sowie gegen Zeugen und Sachverständige gerichteten Informationsansprüche kann der Verteidigungsausschuss als Untersuchungsausschuss, notfalls zwangsweise (mit Hilfe der Gerichte) durchsetzen (lassen), weil ihm insoweit die durch die Strafprozessordnung begründeten Zwangsmittel, insbesondere die Vorführung von Zeugen und die Beschlagnahme sächlicher Beweismittel, zur Verfügung stehen. Die Ausübung aller dieser Beweis- und Zwangsrechte bedarf ausschussintern zwar auch der Zustimmung der Mehrheit; diese ist indes nach § 10 Abs. 2 der IPA-Regeln, die dem Untersuchungsverfahren zugrundegelegt werden, in ihrer Entscheidung gebunden, indem sie entsprechende Anträge der qualifizierten Minderheit (—> § 9, IV.) nicht frei, also nicht aus Gründen der Zweckmäßigkeit, sondern nur dann ablehnen darf, wenn die beantragte Beweiserhebung oder der Einsatz des beantragten Zwangsmittels rechtlich unzulässig oder tatsächlich unmöglich ist, z. B. weil der benannte Zeuge nicht ermittelt werden kann (Engels: 1991, S. 142ff.). Das Beweisantragsrecht eröffnet daher der Minderheit entscheidende Möglichkeiten, auf den Umfang der Ermittlungen sowie auf Verlauf und Ergebnis der Untersuchung Einfluss zu nehmen. c) Untersuchungsausschüsse nach Art. 44 GG Dies gilt auch für diejenigen Untersuchungsausschüsse, die der Bundestag nach Art. 44 GG einsetzt (vgl. -> § 9, V.): Für deren Verfahren gelten dieselben Regeln wie für den Verteidigungsausschuss als Untersuchungsausschuss, so dass sie wie dieser über eigene Beweiserhebungs- und Zwangsrechte verfügen (Art. 44 Abs. 2 GG). Sie sind deshalb nicht auf die freiwillige Kooperationsbereitschaft der Informationsträger angewiesen und können daher auch gegen deren Willen ihre Informationsansprüche durchsetzen. Von dieser Beweiserhebungsbefugnis müssen sie im übrigen Gebrauch machen, wenn dies die qualifizierte Minderheit (-> § 9, IV.) im Ausschuss beantragt und die Erhebung des Beweises zulässig und tatsächlich möglich ist. Da zudem der abschließende, dem Plenum des Bundestages vorzulegende Bericht auch die von der Mehrheitsmeinung abweichenden Auffassungen zu enthalten hat (Einzelheiten bei Engels: 2 1992, S. 165ff.), ist gerade aus Sicht einer Minderheitsfraktion das Untersuchungsverfahren nach Art. 44 GG in dem Konzert der parlamentarischen Kontroll- und Informationsmittel das wirksamste Instrument. Es vereinigt alle Rahmenbedingungen, die für eine effektive Kontrolle von Regierung und Verwaltung notwendig sind, indem • bei Einsetzung, Verfahren und abschließendem Bericht eines Untersuchungsausschusses die Verfahrensherrschaft der Mehrheit beschränkt und die Position der qualifizierten Minderheit gestärkt, • bei der Beweiserhebung grundsätzlich das Öffentlichkeitsprinzip (-> I.) verwirklicht und

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das Recht begründet ist, Informationen unabhängig vom guten Willen des Kontrollierten zu erhalten. Dass von diesem Kontrollinstrument trotz dieser Vorzüge nur relativ zurückhaltend Gebrauch gemacht wird, hat mehrere Gründe: Zum einen sind die Verfahren sehr aufwendig und zeitintensiv und binden deshalb die personellen Ressourcen gerade einer Minderheitsfraktion in erheblichem Maße; schon mit Rücksicht hierauf kommt ein Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, den zu stellen jede Fraktion und fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages befugt sind, allenfalls dann in Betracht, wenn die weniger aufwendigen Kontrollinstrumente (III.) keinen Erfolg versprechen oder erschöpft sind. Zum weiteren wirken taktische Überlegungen retardierend, weil ein Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses nur dann opportun ist, wenn die Antragsteller sich die Chance ausrechnen, aufgrund der Gewichtigkeit des Untersuchungsthemas sowie der vorhandenen Beweismittel könne im Laufe der Beweisaufnahme sowohl eine sachgerechte Untersuchung geführt als auch Kapital auf Kosten des politischen Gegners gewonnen und zugleich mit Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die Untersuchung gegen die Antragsteller gewendet werden kann. Vor allem der letztgenannte Aspekt stärkt die Neigung zum nur zurückhaltenden Einsatz dieses Instruments - ebenso wie die Erwägung, dass sein zu häufiger Gebrauch seine Wirksamkeit in den Augen der Öffentlichkeit allzu sehr verbraucht. Gleichwohl ist die Existenz der Regeln über das parlamentarische Untersuchungsrecht aus der Sicht einer Minderheitsfraktion, die über das Quorum von einem Viertel der Mitglieder des Bundestages verfugt, von eminenter Bedeutung, weil schon der klug angebrachte Hinweis auf die Möglichkeit einer parlamentarischen Untersuchung bisweilen die Bundesregierung dazu bewegen kann, aus der - berechtigten oder unberechtigten - Furcht vor einem solchen Verfahren dem Parlament Informationen zu geben, die sie „an sich" lieber zurückhalten würde. So gesehen ist das parlamentarische Untersuchungsrecht der entscheidende Eckstein, der das Gebäude der Kontroll- und Informationsmittel zusammenhält.

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§ 11 Regieren / Politische Steuerung Thomas Kneissler I. Einleitung: Regieren und politische Steuerung - II. Regieren - III. Politische Steuerung - IV. Regieren in der Gegenwart - V. Fazit: Regieren und politische Steuerung in einer sich dynamisch verändernden Welt Grundlagenliteratur: Görlitz, Axel/ Burth, Hans-Peter ( 2 1998): Politische Steuerung. Opladen Hartwich, Hans-Hermann/ Wewer, Göttrik 1990ff. (Hg.): Regieren in der Bundesrepublik. Opladen, Bde. I-V. Hesse, Joachim Jens/ Ellwein, Thomas ( 8 1997): Das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland. Opladen, 2 Bde. Wewer, Göttrik (1999): „Regieren in Bund und Ländern (1948 - 1998)". In: Ellwein, Thomas / Holtmann, Everhard (Hg.): 50 Jahre Bundesrepublik Deutschland. Opladen, S. 496ff. Willke, Helmut ( 2 1998): Systemtheorie III: Steuerungstheorie. Stuttgart

I. Einleitung: Regieren und politische Steuerung Regieren ist das zentrale Ziel politischen Handelns, denn die unmittelbare politische Gestaltungsmacht ist nur der Regierung eigen. Politikerinnen und Politiker stellen ihre Vorstellungen und Wahlprogramme den Bürgern vor, bestreiten Wahlkämpfe, damit ihre Partei ( - » 23, II.) im Parlament allein oder in der Koalition mit anderen Parteien eine Mehrheit erreicht, welche es ihnen erlaubt, die Regierung zu bilden. Einmal mit der Regierungsgewalt ausgestattet, wird versucht, die Wahlversprechen einzulösen. Und dies fuhrt häufig zu einem bösen Erwachen: Trotz aller guten Absichten, der Unterstützung des Regierungsapparats, einer engen Orientierung an erfolgreichen Vorbildern und der zwingenden Notwendigkeit von Reformen werden unter Umständen die angestrebten Ziele nicht erreicht Dass das Geschäft der Regierung ein schwieriges ist, zeigt sich häufig dann, wenn Parteien nach einer längeren Oppositionszeit die Regierung übernehmen. Oftmals wird dann ein größerer Zeitraum benötigt, bis den vielfältigen Anforderungen des Regierens entsprochen werden kann. In diesem Zusammenhang wird auch von der "Staatskunst" gesprochen; Schwierigkeiten werden entsprechend als "handwerkliche Fehler" qualifiziert. Dabei kann das Regieren sehr unterschiedliche Handlungsstrategien annehmen. Extrempunkte bilden eine konsequent-aktive Zerstörung aller Kräfte, die den Erhalt der politischen Macht gefährden - im Sinn von Machiavelli - , und das ebenso konsequente und beharrliche "Aussitzen" problematischer Entwicklungen. Thema des vorliegenden Paragraphen sind "Regieren" und "politische Steuerung". Neben den Möglichkeiten und den Schwierigkeiten des Regierens und der politischen Steuerung soll aufgezeigt werden, was innerhalb des politisch-administrativen Systems Regierung und politische Steuerung ausmacht, was man dadurch erreichen kann - und was nicht.

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Wenn innerhalb eines Gegenstandsbereichs ein Sachverhalt unterschiedlich bezeichnet wird - wie im vorliegenden Fall mit Regieren und politischer Steuerung weist das darauf hin, dass die Begriffe nicht gänzlich deckungsgleich sind. Entsprechend ist den theoretischen Hintergründen der jeweiligen Begriffe besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Ebenso müssen bei der Verwendung der Bezeichnungen in jedem Fall die unterschiedlichen Begriffsinhalte berücksichtigt werden. In den folgenden Ausführungen werden die Begriffe "Regieren" und "politische Steuerung" grundsätzlich in denjenigen Zusammenhängen verwendet, in denen sie auch im herkömmlichen wissenschaftlichen Sprachgebrauch Anwendung finden. Da die jeweilige Dominanz der Begriffe auch einen historischen Ablauf widerspiegelt, erfolgt die Definition der beiden Begriffe auch räumlich getrennt in die Darstellung zeitlicher Abläufe eingepaßt.

II. Regieren 1. Regieren: Unterschiedliche Sichtweisen eines komplexen Problems Die Definition von "Regieren" bzw. "Regierung" (von lat. regere: lenken, leiten, beherrschen; zur Begriffsgeschichte: Vollrath: 1990) bringt erhebliche Schwierigkeiten mit sich. "Regierung" bietet in diesem Zusammenhang noch einen relativ einfachen Zugang, da sich deren Einrichtungen rechtlich und institutionenbezogen eindeutig bestimmen lassen (z.B. Art. 62ff. GG). Bei der Tätigkeit des "Regierens" existiert kein so eindeutiger Ansatzpunkt. In der Geschichte der Bundesrepublik setzte sich zu Beginn ein enger - juristisch orientierter - Begriff von Regierung durch, der auf der Grundlage des Prinzips der Gewaltenteilung (-» § 8, I. und II.) beruhte. Demnach bezeichnet Regierung das Verfassungsorgan im Rahmen der gewaltenteilig organisierten Staatsorganisation. Mit der eher politikwissenschaftlich einzuordnenden Regierungslehre wurde versucht, ein funktionelles Verständnis von Regierung zu entwickeln, in dem diese von den Aufgaben her definiert wird. Problematisch ist in diesem Zusammenhang, dass Phänomene der politischen Willensbildung dezidiert ausgeklammert wurden. Regierung wurde dementsprechend ausschließlich auf Führungs-, Koordinations- und Leitungsfunktionen bezogen. In dieser einengenden Sichtweise ist nicht nur der geringe Erfolg der Regierungslehre begründet, sondern auch die Ursache zu finden, warum sich der Steuerungsbegriff später so stark durchsetzen konnte. Herkömmlich wird Regierung entweder aus funktioneller oder aus organisatorisch-institutioneller Perspektive betrachtet: Regierung im funktionellen Sinne wird in zwei Aufgabenbereiche differenziert: Zum einen wirkt die Regierung an Entwurf und Gestaltung der inneren und äußeren Verhältnisse des staatlichen Gemeinwesens mit. Der politische Wille der parlamentarischen Mehrheit soll in die Form konkreter Gesetzesvorschläge gebracht und durchgesetzt werden. Zum anderen überwacht die Regierung den Vollzug des bestehenden Rechts. Dazu gehört auch, dass die Regierung durch ergänzende Rechtssetzungen sowie durch organisatorische, personelle und sachliche Maßnahmen die Realisierung des Mehrheitswillens sichert. Somit ist Regierung im funktionellen Sinn die Spitze

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der vollziehenden Gewalt. Die Mitwirkung an der Staatsleitung findet ihren Ausdruck unter anderem im Recht zur Gesetzesinitiative (Art 76 Abs. I und II GG). Präziser ausdifferenziert hat der Eigenbereich der Regierung folgende Elemente: • Aufgabenplanung • Koordination der Regierungs- und verwaltungspolitischen Aktivitäten • Organisationskompetenz für den Regierungsbereich • Weisungs- und Aufsichtsfunktion für das Verwaltungshandeln • Außenpolitik • Verteidigungspolitik • Informationspolitik (Grimmer: 1996). Regierung im organisatorisch-institutionellen Sinn ist das im Grundgesetz so bezeichnete Staatsorgan. Dementsprechend bestehen Regierungen in Verfassungsstaaten aus dem Regierungschef, dessen Regierungszentrale - in der Bundesrepublik das Bundeskanzleramt dem Kabinett und den Ministerien (—» § 12). Mit einer solchen Definition sind alle Tätigkeiten der Regierung umfasst, also nicht nur die Aufgaben der materiellen Staatsleitung. Hier zeigt sich ein Spannungsverhältnis zwischen dem institutionellen und funktionellen Regierungsbegriff, das auch zu Mißverständnissen führen kann: Regierung als staatsleitende Funktion wird nur zu einem Teil von dem "Regierung" genannten Staatsorgan wahrgenommen. Die häufige parallele Verwendung verfassungsbezogener, institutionell-organisatorischer und funktionaler Begriffe fuhrt regelmäßig zu begrifflichen Unscharfen. In der Konsequenz dieser definitorischen Schwierigkeiten besteht eine relativ große Unklarheit darüber, was zum Regieren gehört, und wie man regiert (Hesse/Ellwein:81997). Ein großes Problem für ein angemessenes Verständnis von Regierung stellt die noch immer häufig festzustellende Orientierung an dem klassischen Gewaltenteilungsschema dar. Dieses entstand, als Regierung aus dem umfassenden Verständnis der Staatstätigkeiten herausgelöst und in einem ersten Schritt von Rechtsprechung und Gesetzgebung unterschieden und in einem zweiten Schritt auch von der Verwaltung abgetrennt wurde. Gegenüber einer solchen strikten Zuordnung ist festzustellen, dass in den modernen differenzierten Staaten die Ausübung der jeweiligen Funktionen auf einer vielfältigen Interdependenz zwischen den unterschiedlichen Institutionen beruht. Bezogen auf das politische System der Bundesrepublik Deutschland ist dies insoweit problematisch, als die Verfassungsnorm (Art. 20 Abs. 2 GG) entsprechend dem klassischen Gewaltenteilungskonzept formuliert ist, die Praxis der Bundesrepublik aber von Beginn an nicht zwischen den Staatsorganen trennt, sondern zwischen konkurrierenden Fraktionen (-> § 9, VII.) bzw. Parteien (-> § 23, II.; Schütt-Wetschky: 2000). In der Praxis ist die jeweilige Regierungsmehrheit der Gesetzgeber. Die Regierung als ein ganzes und homogenes Gebilde existiert nicht. Regierung ist als eine Vielzahl von Organisationen und Gruppen anzusehen, die unterschiedliche Aufgaben, Ziele und Interessen verfolgen und dementsprechend handeln. In dieser Sichtweise stellen sich die Funktionen von Regierung wie folgt dar: • Umfassende Berücksichtigung von Interessen • Planung öffentlicher Aufgaben • Vorbereiten und Treffen von Richtungsentscheidungen • Koordination der Tätigkeiten • Kontrolle des administrativen Vollzugs.

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Aktuell heißt eine Analyse des Regierens, einen Entwicklungsprozess nachzuzeichnen, von traditionellen Formen der Unter- und Überordnung, also hierarchischen Beziehungen hin zu kooperativen, eher gleichberechtigten Formen der Problembearbeitung zu gelangen (—> IV.). 2. Rahmenbedingungen des Regierens in Deutschland Die Handlungsmöglichkeiten der Bundesregierung werden durch den durch das Grundgesetz und die Rechtsordnung vorgegebenen Rahmen bestimmt. Im Grundgesetz enthaltene zentrale Normen, denen das Regieren zu genügen hat, sind Rechtsstaat, Demokratie, Sozialstaat (-» § 5) und Föderalismus (-» § 6). Indirekt gehören auch Vorgaben wie die Wahlperiode des Parlaments und das Wahlverfahren für den Bundeskanzler zu diesen Vorgaben. Worüber die Bundesregierung zu entscheiden hat, ist in ihrer Geschäftsordnung festgelegt (§§ 15 ff. GO BReg). Auch das Wahlsystem (—» § 22, II. und IV.) und (davon beeinflusst) die Parteienlandschaft (—> § 23, IV. bis VII.) haben eine nicht zu unterschätzende Auswirkung auf das Regieren in Deutschland - durch ihre spezifische Ausprägung heißt Regieren im Bund immer auch koalieren. Und damit sind radikale Kehrtwendungen der Politik in Deutschland nur unter sehr selten gegebenen Bedingungen möglich. Dieser Zwang zur Kontinuität kann ein Vorteil sein, je nach Situation aber auch große Nachteile mit sich bringen. Ein "Reformstau" wird so eher aufals abgebaut. Auf organisatorisch-institutioneller Basis sind in der Bundesrepublik für die starke Fragmentierung politischer Handlungskompetenzen verantwortlich: • Das Ressortprinzip • Das Vorherrschen von Koalitionsregierungen • Die föderale Politikverflechtung • Die Verfassungsgerichtsbarkeit • Die unabhängige Notenbank. Das Verhältnis der Regierung zu anderen Bundesorganen und den Bundesländern kann durch das Bundesverfassungsgericht überprüft werden. Zu nennen sind für diesen Sachverhalt in erster Linie die Organ- und Bund-Länder-Streitigkeiten (Art. 93 I Nr. 1 GG; §§ 13 Nr. 5, 63ff. BverfGG; § 15, II.). Durch die Verfassung und andere rechtliche Regeln werden die Formen des Regierens jedoch nicht ausschließlich bestimmt. Hinzu kommt der Zustand der politischen Institutionen wie Parteien und Parlament. Weiterhin sind die Möglichkeiten des Regierens von den jeweiligen politischen Konstellationen abhängig. Dazu gehören nicht nur das jeweils vorherrschende Mehrheitsverhältnis, sondern auch die organisatorische und ideologische Geschlossenheit des Regierungspersonals und der sie stützenden politischen Gruppierungen und entsprechend die Stärke und Geschlossenheit der Opposition. Außerhalb des politischen Systems hängt die Regierungsfähigkeit von den gesellschaftlichen Konstellationen ab. Hier sind Fragen betroffen wie der allgemeine Rückhalt der Regierung und der sie tragenden Fraktionen und Parteien in der Öffentlichkeit, die ökonomische Entwicklung, der Stand des Bildungswesens u.a.m. Diese Rahmenbedingungen sind nur eingeschränkt innerhalb eines Staats-

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wesens zu beeinflussen, somit hängt die Regierungsfähigkeit auch von internationalen Entwicklungen ab. Regieren findet in einem sich ständig wandelnden Umfeld statt. Es ist ein Prozess, der von sich immer ändernden Bedingungen beeinflusst wird. Dies zeigt sich auch darin, dass einige der Institutionen, die heutzutage nahezu selbstverständlich das Regieren beeinflussen, zu Beginn der Bundesrepublik ihre Tätigkeit noch nicht aufgenommen hatten. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang beispielsweise die Bundesbank (-> § 21) und das Bundesverfassungsgericht (-» § 15). Auch die Entwicklung von der Montanunion hin zur Europäischen Union hat die Rahmenbedingungen des Regierens entscheidend beeinflusst (-» § 17, III.). Eine starke Begrenzung des Regierens in der Bundesrepublik Deutschland waren die alliierten Vorbehaltsrechte, durch die auch die Souveränität der Bundesrepublik eingeschränkt wurde. Aufgehoben wurden sie erst mit der deutschen Vereinigung durch den Zwei-plus-vier-Vertrag (—> § 1, VI.). Der Prozess des Regierens ist in der Geschichte der Bundesrepublik mit immer steigenden Anforderungen verbunden. Die Materien, mit denen sich die Regierungen zu befassen haben, sind kontinuierlich komplexer, die Wirkungsketten sind länger geworden. Entscheidungen der Regierung werden nicht in jedem Fall akzeptiert, sondern stoßen häufig auf Widerstände. Dies wird am Beispiel von Großprojekten deutlich, deren Realisierung mittlerweile schon Jahrzehnte dauern kann. Diese gestiegenen Anforderungen des Regierungshandelns haben zu einer institutionellen Reaktion der Politik geführt: Für neue Problemfelder wurden neue Ministerien oder neue Geschäftbereiche in bestehenden Ministerien geschaffen: Während beispielsweise das erste Kabinett unter Konrad Adenauer noch aus 13 Ministern bestand (1949-1953), stieg die Zahl bis auf 24 im dritten Kabinett Kohl nach der Wiedervereinigung 1990, um dann allerdings wieder stark abzunehmen. Zusammen mit den angesprochenen verstärkten Partizipationsforderungen führt das zu einer deutlich gestiegenen Kooperationsnotwendigkeit: Regierungsvorhaben müssen mit den unterschiedlichsten Einrichtungen abgestimmt werden: Ressorts, Fraktionen, Parteien, Verbänden u.a.m. In der traditionellen Konzeption des Regierens spielen Wissen und Information eine entscheidende Rolle. Es wird angenommen, dass größeres Wissen und Einsicht in die gesellschaftlichen "Funktionsmechanismen" zu effektiveren Interventionsmöglichkeiten führen. Dementsprechend wurden mit ihrer Entwicklung große Hoffhungen auf den Einsatz der IuK-Technik gesetzt: Durch ihre hohen Kapazitäten zur Informationsverarbeitung sollten präzise Eingriffe in organisatorische und gesellschaftliche Abläufe möglich werden. Ein Beispiel für ein Instrument, das in einem solchen Zusammenhang entwickelt wurde, ist das "Planning Programming Budgeting System" (PPBS), das vornehmlich in den USA eingesetzt wurde (König: 1995). Begleitet wurde diese Euphorie von einem Wechsel der Regierungsinstrumente: Es wurde versucht, die politischen Planungen auf eine wissenschaftliche, instrumentelle Basis zu stellen. Ein typisches Beispiel ist der Versuch in RheinlandPfalz, ein integriertes Planungs-, Entscheidungs- und Kontrollsystem (IPEKS) zu installieren, das als ein allumfassendes Instrument für eine konzeptionelle Regierungspolitik gedacht war. Im Ergebnis war diesen und anderen neuen Instrumenten der Regierungspolitik nur ein begrenzter Erfolg beschieden. Die Versuche der Entwicklung und Durchsetzung einer instrumentellen Rationalität sind durch vereinfachte Anwendungen und problemorientierte Weiterentwicklungen abge-

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löst worden (Böhret: 1990). Die neuen Generationen der IuK-Technik lassen in diesem Bereich ganz neue Möglichkeiten zu. Die gegenwärtig unter der Bezeichnung "Electronic Government" diskutierten Konzepte bieten auf der Basis des Internets nicht nur Chancen, die Beziehungen von Bürgern und Verwaltung entscheidend zu verbessern, sondern mit ihnen können auch die Geschäftsprozesse der öffentlichen Verwaltungen, die politischen Willensbildungs- und Aushandlungsprozesse transparenter, effektiver und effizienter gestaltet werden (Wind: 1999). Dies bedeutet nicht nur, dass Regieren auf eine breitere informationelle Grundlage gestellt werden kann, sondern es kann entsprechend den Ansprüchen der Bürger auch kooperativer gestaltet werden. Mit Hilfe der IuK-Technik ist es zudem möglich, moderne theoretische Konzepte auch für die Aufgaben des Regierens zur Anwendung zu bringen (König: 1995; Kiel: 1994). In den letzten Jahrzehnten werden verstärkt plebiszitäre Instrumente als ergänzende Formen der politischen Entscheidungsfindung diskutiert, wobei deren Auswirkungen auf das Regieren bisher noch nicht den häufig geäußerten hohen Erwartungen entsprochen haben. Die Einführung von Plebisziten (-> s.a. § § 7 , III. und 29, II.) ist eine Reaktion auf unterschiedliche Entwicklungen: Einerseits macht die Verlängerung der Wahlperioden auf fünf Jahre in der Mehrheit der Bundesländer zusätzliche Anbindungen der politischen Entscheidungsträger an die Regierten notwendig. Andererseits erfordern die gestiegenen Erwartungen der Bürger an politische Partizipation eine direkte Artikulationsmöglichkeit. Schließlich bieten Plebiszite die Möglichkeit, bei umstrittenen Fragen durch die Rückverweisung der Entscheidung an das Volk Parlament und Regierung zu entlasten. Die in letzter Zeit durchgeführten Volksentscheidungen (z.B. die abgelehnte Fusion der Bundesländer Berlin und Brandenburg sowie die abgelehnte Rechtschreibreform in Schleswig-Holstein) mit ihren durchaus kritikwürdigen Ergebnissen deuten darauf hin, dass durch Plebiszite vernünftige Entscheidungen eher erschwert werden und so Regieren zusätzlich problematischer wird. Offensichtlich stellen Fälle, in denen Entscheidungen positive Auswirkungen auf alle betroffenen Bereiche mit sich bringen, eine Ausnahme dar. So gesehen ist Regieren immer auch eine Güterabwägung. Regieren ist Handeln unter Unsicherheit (Wewer: 1999, S. 510).

3. Regierung in der Abgrenzung zu Verwaltung und Parlament Eine Orientierung an dem institutionellen Regierungsbegriff bringt regelmäßig eine strikte Differenzierung zwischen Regierung und Verwaltung mit sich. In den dargestellten vielfältigen Begrenzungen der (Regierungs-)Macht zeigt sich ein charakteristisches Merkmal der parlamentarischen Demokratien: Um den Mißbrauch von Macht zu verhindern, werden Konkurrenz und Gegenmacht institutionell verankert. Das führt wiederum dazu, dass Konsensbildung und Entscheidungsfindung erschwert werden. Gegenüber dieser Perspektive ist die in Deutschland lange vernachlässigte Erkenntnis zu betonen, dass die Verwaltung nicht nur auf die Ausführung der Rechtsordnung (-> §§ 18 und 19) beschränkt ist, sondern dass sie auch Politik betreibt - dies gilt insbesondere für die Ministerialverwaltung. Dabei sind die Interessen der Ministerialbeamten sehr deutlich - die erarbeiteten Gesetzentwürfe sollen für alle am Entscheidungsprozess beteiligten relevanten Akteure zustimmungsfähig sein.

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Die Bedeutung der Verwaltung für die Regierung beruht auf der zentralen Relevanz der Informationen ftlr eine Regierung. Behörden melden Probleme und Erfolge bei der Aufgabenerledigung. Ein intensives Kontrollwesen erlaubt mit Hilfe statistischer Aufbereitungen die Planung und den Nachvollzug politischer Maßnahmen. Eingeschränkt wird die Macht der Ministerialverwaltung gegenüber der Regierung durch die zunehmende Tendenz der Politik, ihre Entscheidungen vom Rat Außenstehender, d.h. Interessengruppenvertretern, Konzernleitern u.a., beeinflussen zu lassen (—> i.E. § 25). Die Verflechtung zwischen Regierung und Verwaltung zeigt ihre Auswirkungen in dem Verhältnis von Parlament und Regierung: Das Übergewicht, das die Verwaltung aufgrund ihres Wissensvorsprungs gegenüber der Regierung besitzt, kann die Regierung ihrerseits wieder als Vorteil gegenüber dem Parlament, d.h. - in der Praxis: der Opposition - einsetzen. Das spannungsreiche Verhältnis von Parlament und Regierung drückt sich bereits dadurch aus, dass einerseits eine starke verfassungsrechtliche Abgrenzung der jeweiligen Bereiche besteht, dagegen andererseits aber eine wechselseitige Verflechtung vorherrscht. In der Praxis stellt so das Parlament zusammen mit der Regierung das Führungszentrum des politischen Systems dar - in einer schon klassischen Formulierung wird dies als "Staatsleitung ... zur gesamten Hand" bezeichnet (Friesenhahn: 1959). Dabei ist die Regierung in aller Regel der aktive und gestaltende Teil, während das Parlament einen Handlungsrahmen für die Regierung setzt, innerhalb dessen es die Regierung unterstützt, kontrolliert oder gegebenenfalls auch behindert. Der Regierung stehen vielfaltige Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfugung, auf denen ihre Macht gegenüber dem Parlament beruhen: Dazu gehören Gesetzesinitiativen, Haushaltswirtschaft, regionale Mittelverteilung und Personalpolitik (Hesse/ Ellwein: s1997; —> §§ 10, 16 und 20). Empirisch zeigt sich die Dominanz der Regierung bei der Gesetzgebungstätigkeit, in der sie in den letzten Jahren ihre Vormachtstellung noch ausbauen konnte. Dies wird insbesondere an der hohen Verabschiedungsquote der Regierungsvorlagen - 95 Prozent in der 13. Wahlperiode (1994 - 1998) - deutlich. Demgegenüber bewegt sich das arithmetische Mittel der Verabschiedung aller Gesetzesvorlagen in den letzten Wahlperioden bei etwas mehr als 60 Prozent (König: 1999). Die Bedeutung des Parlaments zeigt sich gerade darin, dass seine Kompetenzen auf die unmittelbare politische Gestaltungsmacht verweisen - welche in erster Linie von der Regierung ausgeübt wird. Insgesamt sind zwei Strategien zu unterscheiden, mit denen Regierungen auf die Umsetzungsprobleme ihrer Entscheidungen reagiert haben: Einerseits sind hier die Versuche zu nennen, die Ressourcen zu erweitern, den Apparat zu vergrößern, um genügend Personal zu haben, so dass grundsätzlich eine sofortige Reaktion auf neue Entwicklungen möglich ist. Die zweite Reaktionsart besteht in einer Veränderung der Handlungsweisen und Instrumente. Hier ist beispielsweise die Einfuhrung von Abstimmungsprozessen mit privaten Akteuren zu nennen, die in den letzten Jahrzehnten ständig zugenommen haben. 4. Föderalismus als spezifische Restriktion des Regierens in Deutschland Zentrale Bedeutung für das Regieren im deutschen Bundesstaat haben die Strukturmerkmale des föderativen Systems - die vertikale Gewaltenteilung - , die eine

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Praxis der Kooperation in Bund und Ländern notwendig machen (—> § 6; Benz: 1989). Im Vergleich zu anderen föderal aufgebauten Staaten - wie beispielsweise den USA oder der Schweiz - besteht keine Trennung der Ebenen, sondern im deutschen Föderalismus sind die Bundes- und Landesebene hochgradig verflochten. Es besteht ein komplexes System von "checks and balances", Machtteilung und Machtverschränkung, das seinesgleichen suchen dürfte. Kraftvolles Regieren wird durch verschiedene, parallel wirkende Einflusssphären erschwert. Hinzu kommt, dass die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen die Entscheidungsprozesse komplizieren (Langguth: 2000). Ein Teil der Schwierigkeiten des Regierens im deutschen Föderalismus beruht auf dessen Dynamik: In jedem Aufgabenbereich sind Zuständigkeiten sowie Zentralisations- bzw. Dezentralisationsgrad der Aufgabenerfiillung einem stetigen Wandel unterworfen, der von den jeweiligen Bedingungen abhängig ist, die in den Aufgabenbereichen herrschen. Diese Tendenz zur Politikverflechtung wurde durch das Anwachsen der Bundesratskompetenzen in die Bundesgesetzgebung in der Geschichte der Bundesrepublik immer stärker (-> § 14, V.). Diese Entwicklung resultiert aus der Strategie der Bundesländer, sich ihr Entgegenkommen für einen Ausbau der Bundeskompetenzen durch die Erweiterung der Zustimmungsvorbehalte des Bundesrats kompensieren zu lassen (König: 1999). Die Notwendigkeit zur Kooperation wird noch dadurch befördert, dass den staatlichen Ebenen regelmäßig nicht komplette Aufgaben zugewiesen, sondern dass die Regelungs- und Verwaltungskompetenzen aufgeteilt werden. So ist beispielsweise der Bund in den wichtigen Aufgabenbereichen für die Gesetzgebung zuständig, während der Vollzug Aufgabe der Länder ist. Ein Beispiel für die problematische Rolle des Bundesrates in der politischen Willensbildung war der Stillstand der Steuereformgesetzgebung gegen Ende der 13. Legislaturperiode, in der die Vorhaben der konservativ-liberalen Bundestagsmehrheit und der Bundesregierung unter Helmut Kohl im Bundesrat durch die Mehrheit der SPD (koalitions-) regierten Länder blockiert wurden. Die hier aufgezeigte Problematik ist das Resultat des Zusammenspiels zweier Komponenten, die in den Politikverflechtungsanalysen festgestellt wird: Regieren wird durch Parteienkonkurrenz und föderale Politikverflechtung erschwert, bzw. es entstehen Entscheidungsblockaden. Scharpf (: 1994, S. 69) bezeichnet den aktuellen Zustand als eine "Form der antagonistischen Kooperation, die in der Tat zum politischen Immobilismus tendiert". Diese Diagnose beruht darauf, dass in solchen Verhandlungssystemen eine steigende Anzahl von Akteuren zu beteiligen ist. Damit erhöhen sich gleichzeitig Interessendivergenzen, und es gibt eine große Anzahl von Entscheidungsalternativen. So können Konsenssysteme zu einer Entscheidungs- und Handlungsunfähigkeit führen, innovative und diskriminierende Entscheidungen sind - zumindest für die an der Entscheidungsfindung beteiligten Akteure - unwahrscheinlich (Benz: 1989). Eine zentrale Ressource des Regierens ist die Ausstattung mit finanziellen Mitteln. Die Gemeinwesen müssen in den Stand versetzt werden, den ihnen zugedachten freien Gestaltungsraum auch mit Leben zu erfüllen. Somit hat die Finanzverfassung eine kompetenzstützende und kompetenzsichernde Funktion (—> § 20, II. und III.). Dies ist auch an den Auseinandersetzungen über die Ausgestaltung des Föderalismus im Rahmen des Beitritts des Staatsgebietes der DDR zur Bundesrepublik festzustellen (-> § 1, VI.). Die Versuche der alten Bundesländer,

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ein größeres staatliches Gewicht zu erhalten, hatten immer eine größere Finanzautonomie als Ziel. 5. Die Verwaltungsorganisationen als Basis des Regierens Wie bereits die Ausführungen zur Ministerialverwaltung deutlich gemacht haben, wird die Regierungsfähigkeit in starkem Maße von den organisatorischen Grundlagen der öffentlichen Verwaltungen (-> § 19) beeinflusst. Sowohl die Politikdurchführungs- als auch die -vorbereitungsfiinktion hängen von der Handlungsund Entscheidungsfahigkeit der öffentlichen Verwaltungen ab. Jede materielle Politik bedarf eines Mindestmaßes an Selbstorganisation. Von der Organisation der öffentlichen Verwaltungen - dazu gehören auch deren Aufbau- und Ablaufstrukturen, die Qualifikation des Personals und die Verfahrensgestaltung - hängen die Stabilität und Leistungsfähigkeit eines politischen Gemeinwesens ab. Durch die Organisationsstrukturen wird Partizipation ermöglicht oder verhindert. So wird in der politischen Normalität Regieren durch Organisation ermöglicht und gleichzeitig in ihren Handlungsmöglichkeiten begrenzt (König: 1990). Aufbau- und Ablauforganisation aller Organisationen und damit auch der öffentlichen Verwaltungen haben einen entscheidenden Einfluss auf ihre Arbeitsergebnisse. Durch sie wird der Informationsfluss bestimmt. Barrieren des Informationsaustausches beeinträchtigen die Potentiale der Koordination und Konfliktlösung. Vielfältige Analysen der verhaltenswissenschaftlichen Entscheidungstheorie haben gezeigt, dass die Reihenfolge der Thematisierung möglicher Alternativen die Ergebnisse mitbestimmt. Scharpf hat die von ihm gestellte Frage selbst eindeutig beantwortet: "Organization does matter" (Scharpf: 1977). In der Staatspraxis hat der Bundestag bezogen auf die Regierungsorganisation sehr zurückhaltend agiert, was wiederum eine Ursache in der engen Anbindung von Regierung und Parlamentsmehrheit hat. Mit Ausnahme des Art. 87 Abs. III Satz 1 GG besteht kein Gesetzesvorbehalt für die Regierungsorganisation. Die Organisationsgewalt der Regierung hat ihre schon traditionelle Begründung darin, dass durch sie nicht in die Rechtsverhältnisse der Bürger eingegriffen wird. Problematisch ist dabei, dass diese Sichtweise die Verwaltungstätigkeiten auf Hilfsfunktionen reduziert. Auf Grund dieser verengten Perspektive wird kontinuierlich von einer Eigenständigkeit des Kanzlers und der Regierung im Bereich des Organisationsrechts ausgegangen (Böckenförde: 21998). Im föderativen System der Bundesrepublik Deutschland gibt es zusätzliche organisatorische Probleme, die zu einem guten Teil "hausgemacht" sind: Die Gestaltungsfreiheit der Bundesländer hat zu unterschiedlichen Anordnungen der Kompetenzen geführt: So sind beispielsweise die Umweltabteilungen nicht immer den jeweiligen Umweltministerien, sondern auch Landwirtschafts- bzw. Wirtschaftsministerien zugeordnet. Das führt dazu, dass innerhalb der Bundesländer unterschiedliche Zuständigkeiten bestehen, die auf Kooperationsprozesse einwirken. Konsensfindung wird so erschwert. Durch die aktuellen Versuche der Verwaltungsmodemisierung ist wiederum deutlich geworden, dass Regieren wesentlich auch Organisationssteuerung sein muss. Ein zentrales Ziel der Verwaltungsmodernisierung ist die Entlastung der politischen Leitung von Verwaltungsaufgaben. Durch die Delegation von Verantwortung und Flexibilisierung der Organisationsstruktur soll politische Steuerung optimiert werden. Es ist keine Laune des Zu-

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falls, dass das deutsche Referenzmodell der Verwaltungsmodernisierung die Bezeichnung "Neues Steuerungsmodell" trägt (KGSt: 1993). Kritisch ist gegenüber diesem weithin akzeptierten Referenzmodell anzumerken, dass ihm Vorstellungen kybernetischer Regelkreise zugrunde liegen (Wollmann: 1994). Die Erfahrungen mit politischer Planung in den 60er und 70er Jahren haben deutlich gezeigt, wie schwierig eine Übertragung solcher Konzepte auf den gesellschaftlichen Bereich ist. Die Konsequenzen, welche die Vielzahl der Veränderungen der Binnenstrukturen und Organisationsformen öffentlicher Verwaltungen mit sich bringen, sind gegenwärtig noch nicht in vollem Umfang absehbar. Dies gilt insbesondere fllr die Bereiche der Privatisierung und der Deregulierung, die zu einer Veränderung der staatlichen Aktivitäten führen: Die Leistungserstellung erfolgt nicht mehr durch den Staat, aber er übernimmt durch die Bildung fachlicher Sonderbehörden eine Überwachungsverantwortung (ein Beispiel für diese Entwicklung ist das Eisenbahnbundesamt). Häufige Konsequenz einer solchen Entwicklung ist die Zunahme der Regelungsdichte in diesen Bereichen. Die gesellschaftliche und wissenschaftliche Entwicklung macht es zudem notwendig, Sachverstand zusammenzuführen, wie dies durch Sachverständigenkommissionen und ähnliche Einrichtungen geschieht. Weiterhin entstehen neue Kooperationsformen, in erster Linie im kommunalen Bereich, durch eine verstärkte Integration der Bürger in die Verwaltungsabläufe (-> §§ 16, I. und 7, II. und III.). Auch auf Bundes- und Landesebene sind entsprechende Entwicklungen zu beobachten, wie in der Sozial- und Umweltverwaltung, in denen die Grenzen zwischen Verwaltungsorganisation und gesellschaftlicher Selbstorganisation zunehmend undeutlich werden (-> s.a. § 28, IV.). Schließlich ist die Entwicklung der öffentlichen und gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen zu berücksichtigen (-> s.a. § 21, III.): Diese werden zunehmend im überregionalen und auch internationalen Bereich tätig (z.B. versorgungswirtschaftliche Unternehmen). Diese Betätigung bringt einen ständig steigenden Anpassungsdruck mit sich, wodurch die Notwendigkeit entsteht, einen erhöhten Zugang zu privatem Kapital und Know-how zu erlangen. Die aufgezeigten Entwicklungen machen einen steuernden Einfluss der Politik auf die Verwaltung und damit eine Umsetzung ihrer Ziele zunehmend schwieriger (Schmidt-Aßmann: 1998).

6. Informelle Entscheidungsstrukturen als Realität des Regierens Bezogen auf informelle Entscheidungsmuster zeigen sich hier die gleichen Prinzipien wie in der politischen Kultur: So wie man von der Existenz demokratischer Institutionen keinen Rückschluss auf die politische Kultur (—> § 29) ziehen kann, so kann man nicht von den formalen Regeln und organisatorischen Strukturen auf die tatsächlichen Entscheidungsprozesse innerhalb von Regierung und Verwaltung schließen. Die Notwendigkeit informeller Strukturen resultiert auch aus der Unmöglichkeit, alle Entwicklungen im voraus zu antizipieren und sie durch rechtliche und organisatorische Vorgaben "aufzufangen". Informelle sind formalen Entscheidungsstrukturen insoweit überlegen, als die Entscheidungsfindung nicht an vorgegebene Rahmen gebunden ist, die das schnelle Treffen von sachangemessenen Entscheidungen potentiell verhindern. So müssen beispielsweise keine Zuständigkeitsregelungen berücksichtigt werden, es

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kann ohne Geschäftsordnung gearbeitet werden, und die Zusammensetzung der Entscheidungsträger kann aufgabenbezogen erfolgen (Rudzio: 41996). Die Bedeutung informeller Entscheidungsprozesse wird deutlich durch die Entwicklung der sozialliberalen Bundesregierung unter Helmut Schmidt: In der Regierungskoalition war Willy Brandt durch seine Stellung im informellen Entscheidungsprozess teilweise mächtiger als der Bundeskanzler (Rudzio: 1991). Dabei besteht die Bedeutung der informellen Entscheidungsprozesse auf allen politischen Ebenen. So ist auf Länderebene festzustellen, dass Abstimmungsprozesse der Bundesländer nicht mehr vorrangig im Bundesrat stattfinden, sondern in den Ministerkonferenzen der Länder. Das verstärkte Auftreten informeller Gremien hat verschiedene Ursachen: Einerseits ist es eine Reaktion auf das fragmentierte Regierungssystem Deutschlands mit seiner sehr komplexen Gewaltenteilung (-» § 8), durch das es geradezu zwingend notwendig wird, in den informellen Bereich auszuweichen, um Regieren zu können. Andererseits stellt der Rückzug zu informellen Gremien auch eine Reaktion auf die Mediendemokratie und Sichtweisen der Öffentlichkeit dar (-> §§ 26, 27). In der politischen Kultur Deutschland wird noch immer ein idealisierter Prozess der Entscheidungsfindung bevorzugt: Entscheidungen sollen danach das Produkt sachlicher Diskurse sein. Politische Auseinandersetzungen um Entscheidungen - möglicherweise noch mit einem parteitaktischen Hintergrund - werden als negativ angesehen. Der Vorteil informeller Gremien besteht darin, dass sie die Möglichkeit bieten, die politischen Auseinandersetzungen hinter geschlossenen Türen auszutragen und somit dem gewünschten Eindruck zu entsprechen. Der hohe Anteil informeller Gremien an der politischen Entscheidungsfindung beinhaltet in gewisser Weise ein Dilemma: Einerseits ist er eine funktionale Notwendigkeit, um in hochgradig verflochtenen Regierungssystemen, wie es die Bundesrepublik Deutschland darstellt, zu Entscheidungen zu kommen; andererseits stellen in demokratischer Sichtweise solche Prozesse aufgrund ihrer mangelnden Beteiligungsmöglichkeiten und der fehlenden Transparenz eine sehr bedenkliche Entwicklung dar. Ein weiteres Defizit besteht darin, dass informelles Regieren Gegenseitigkeit voraussetzt: Wenn kein Gegenwert in die Koordination eingebracht wird, und wenn nicht zumindest über Störpotential verfugt wird, besteht keine Chance, etwas zu erreichen (Wewer: 1991). Ein typisches Beispiel für die Bedeutung informeller Strukturen ist darin zu sehen, dass im Kabinett keine Entscheidungen getroffen, sondern lediglich vorbereitete Entscheidungen bestätigt werden (Darstellung verschiedener informeller Kommunikations- und Entscheidungsmuster der Bonner Regierungen: Rudzio: 1991). Eine gewisse Tendenz zu informellen Koordinationen ist auch durch die unterschiedlichen Formalisierungsvorgaben der Regierungsentscheidungen vorgegeben: So gibt es für Gesetzesentwürfe strenge Formvorschriften, die weitgehende Kooperationen erfordern: Gesetzesvorlagen müssen auf ihre Rechtsförmigkeit überprüft werden; die beteiligten Ministerien müssen feststellen, ob sie mit dem Entwurf einverstanden sind, die mit der Geltung des Gesetzes verbundenen Kosten müssen offengelegt werden; darüber hinaus haben Interessenverbände die Möglichkeit, Stellungnahmen zu Gesetzesentwürfen abzugeben (im Einzelnen: GGO II; § 25). Dagegen müssen beispielsweise bei einigen finanziellen Ausgaben nur Rahmenbedingungen berücksichtigt werden. Zu den vielfältigen Formen des informellen Regierens gehört auch der sog. Parteienproporz. Er wird dann angewendet, wenn öffentliche Ämter und Mandate zu

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besetzen sind, dies aber nicht mit der Mehrheit geschehen kann, die der Regierungsfraktion bzw. -koalition zur Verfügung steht. In diesen Fällen erscheint es ratsamer, "die Beute zu teilen, statt sich öffentlich darüber zu streiten" (Wewer: 1991, S. 12). Beispiele für solche Verfahren sind die Besetzung der Richterämter des Bundesverfassungsgerichts (-> § 15, III.) und des Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes. Vorteile solcher informeller Regelungen bestehen in dem Aufbau von Kontinuität und dem Schaffen gegenseitigen Vertrauens. Die Bedeutung des informellen Bereichs des Regierens wird durch die Entwicklung unterstützt, dass in der Bundesrepublik die formalen rechtlichen Regeln für das Regieren kaum eine Veränderung erfahren haben. Die Anpassungsleistungen haben im informellen Bereich stattgefunden. Dabei ist zu beachten, das Informalität keinen Gegensatz zu der formalen Handlungsebene darstellt, sondern diese ergänzt. Häufig ist der Begriff der informellen Strukturen mit negativen Konnotationen belegt. Dies beruht auf der Sichtweise, dass sich neben den verfassungsrechtlich legitimierten Institutionen und Strukturen andere zusätzliche - und damit nicht legitimierte - Strukturen ausgebildet haben. Gegenüber dieser Wahrnehmung ist jedoch festzustellen, dass das Defizit eher "auf der anderen Seite" liegt: In der verfassungsrechtlichen Perspektive sind nicht- oder halböffentliche Organisationsformen gesellschaftlicher Interessen praktisch nicht existent, obwohl sie seit Jahrzehnten erheblichen Einfluss auf die Entscheidungsprozesse ausüben (einen Überblick über die Praxis des Regierens mit informellen Komponenten gibt Vogel: 1991). III. Politische Steuerung 1. Politische Steuerung: Begriffsbestimmung Ein Problem des Begriffs der "Steuerung" besteht darin, dass durch naheliegende Analogien ein falsches Verständnis befördert wird. So denkt man häufig bei dem Begriff der "Steuerung" an das Lenken eines Fahrzeugs. Die Beeinflussung eines Autos durch das Drehen am Lenkrad sowie die Beeinflussung des Motors durch das Gaspedal und die Bremsen sind in einer sehr genauen Weise möglich. Wie im folgenden gezeigt werden wird, bezeichnet "Steuerung" keine solchen präzisen Eingriffe. Treffender ist die Analogie der Heilung eines Knochenbruchs. Hier bestehen die steuernden Maßnahmen gegebenenfalls in einem chirurgischen Eingriff und der Wundbehandlung, der Fixierung des Bruchs mit Schienen, physikalischer Therapie usw. (zu diesem Beispiel Schwegler/Roth: 1992). Dies zeigt, dass mit Steuerung häufig "nur" an den Rahmenbedingungen angesetzt werden kann und dementsprechend keine durchgehende direkte Beeinflussung des Steuerungsobjekts bis zur Zielerreichung besteht. So gesehen ist - zumindest gelegentlich - weniger die Steuerung als vielmehr das Steuerungsverständnis das eigentliche Problem. Politische Steuerung bezeichnet vom politischen System ausgehende Versuche der gezielten Beeinflussung gesellschaftlicher Bereiche, um einen als gewünscht bestimmten Zustand zu erreichen oder beizubehalten. Von Bedeutung ist dabei, dass mit Steuerung zwingend eine bewusste Absicht, ein Steuerungsziel verbunden sein muss. Mit politischer Steuerung wird beansprucht, Entwicklungen mehr als nur punktuell zu beeinflussen. Die Vorstellung, dass durch Steuerung politische Ziele und gesellschaftliche

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Erwartungen erreicht werden können, besteht erst seit Ende des zweiten Weltkriegs. Angetrieben vom Glauben an die technologischen Möglichkeiten und angestachelt durch scheinbar offensichtliche Beispiele wie z.B. das "geplante" Wirtschaftswunder setzte sich - kurzfristig - die Sichtweise durch, dass gesellschaftliche Entwicklungen sowohl im nationalen als auch im internationalen Bereich entsprechend vorhergehenden Planungen erreicht werden können. Daher besteht auch ein enger Zusammenhang der Konzepte der politischen Planung und der politischen Steuerung. Demgegenüber ist auch eine unterschiedliche Akzentuierung der Begriffe zu beobachten. Die Bezeichnung Regieren wird häufig in einer subjektorientierten Perspektive verwendet, in der die Handlungen sowie Absichten und Ziele der Regierenden im Mittelpunkt der Überlegungen stehen. Dagegen rückt mit dem Begriff der politischen Steuerung die Objektebene in das Zentrum des Interesses: Thematisiert wird, welche Wirkungen die Steuerungsversuche haben, wie die Steuerungsadressaten auf die Einwirkungsversuche reagieren. In den Mittelpunkt des Interesses rückt die Frage nach der Steuerbarkeit (Mayntz: 1996). Ein Grund für die abnehmende Popularität des Regierungsbegriffs war, dass er - zusammen mit den in gleicher Weise verwendeten Begriffen wie "leiten" oder "gestalten" wissenschaftlich nicht praktikabel war, da er durch seinen umfassenden Anspruch ("Lenkung des ganzen Staates") nur schwer zu operationalisieren war. Das galt vor allen Dingen für die sich entwickelnde Politikwissenschaft. Diese Problematik wird deutlich, wenn auf Grund der definitorischen Schwierigkeiten aus der Not eine pragmatische Tugend gemacht werden soll: "Regieren ist das, was Regierungen tun (und unterlassen)" (Wewer: 1999: S. 497). Demgegenüber stellt politische Steuerung einen engeren, analytisch gehaltvolleren Begriff als Regierung dar (ähnlich: Görlitz/ Burth: 2 1998, S. 77ff.). Soll der Übergang der wissenschaftlichen Dominanz vom Regierungs- zum Steuerungsbegriff grob zusammengefasst werden, so ist festzustellen, dass der notwendig gewordene Übergang von einer unmittelbaren zu einer mittelbaren Beeinflussung der Gesellschaft die entscheidende Demarkationslinie darstellt.

2. Die Entwicklung des Konzepts der politischen Steuerung Ursprung des Begriffs der (politischen) Steuerung sind die Regelungstheorie und die Kybernetik. In den politikwissenschaftlichen Auseinandersetzungen der 60er Jahre wurden diese Ansätze durch die sozialwissenschaftliche Systemtheorie, Pluralismus- und Korporatismustheorien, Policy-Ansätze und staatstheoretische Konzeptionen ergänzt. Eine solche Ansammlung unterschiedlicher theoretischer Grundlagen führte dazu, dass eine rasche Abfolge von unterschiedlichen Thematisierungen des komplexen Phänomens politische Steuerung erfolgte. Das Ergebnis ist so nicht eine systematisch abgeleitete Theorie, sondern eine additive Ansammlung unterschiedlicher Erkenntnisse (Mayntz: 1996). Höhepunkt der Vorstellungen über die Möglichkeiten politischer Steuerung war die Planungseuphorie der 60er Jahre: Es herrschte die Vorstellung, dass das politische System die Aufgabe einer aktiven Gestaltung der gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklung habe - und dies auch könne. Diese Vorstellungen einer "Rationalisierung der Politik" fanden in Deutschland ihren Höhepunkt mit der sozialliberalen Koalition 1969, die mit dem Ziel antrat, weitreichende gesell-

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schaftliche Reformen zu verwirklichen. Die Blütenträume über die Möglichkeiten einer rationalen Steuerung der Gesellschaft stießen rasch an Grenzen - eine Erfahrung, die zuvor bereits in den USA gemacht wurde. Die weitere theoretische Auseinandersetzung wurde von verschiedenen Ansatzpunkten aus geführt: So wurde festgestellt, dass das Recht als entscheidendes Instrument politischer Steuerung nur noch begrenzte Wirkungen erzielt. Auch aufgrund des einsetzenden Wertewandels wurde deutlich, dass sich mit Verboten nicht mehr positiv motivieren läßt, in modernen Gesellschaften der Steuerungserfolg immer mehr die Kooperation der Adressaten voraussetzt (Mayntz: 1996). Überdeutlich wurde dies in der Umweltpolitik. Die logische Folge der Erkenntnis der nur noch begrenzten Wirksamkeit des Steuerungsinstruments Regulierung (—> II.4) war, dass die hierarchische Konzeption des Staatsaufbaus - mit dem politischen (Teil-) System an der Spitze - in Frage gestellt wurde. Die weitere Analyse wurde durch zwei Forschungsrichtungen beeinflusst: Zum einen den empirischen Policy-Analysen, mit denen Steuerungsversuche in gesellschaftlichen Teilsystemen untersucht wurden, und systemtheoretischen Überlegungen zum Thema Steuerung. Verbindendes Element beider Forschungsrichtungen war die Frage nach der Möglichkeit der Steuerbarkeit: Steuerungsprobleme wurden in dieser Sichtweise nicht mehr von den Unzulänglichkeiten des Steuerungssubjekts bestimmt, sondern von der jeweils spezifischen Eigenlogik der Steuerungsobjekte. Konjunktur hat das Konzept der politischen Steuerung seit den 80er Jahren. Mit Beginn der 70er Jahre sind drei unterschiedliche Diskussionszweige entstanden, die sich mit den Schwierigkeiten des modernen Staates auseinandersetzten, seine Aufgaben zu erfüllen. Dies waren die Überlegungen zur Unregierbarkeit (Hennis /Kielmannsegg/Matz: 1977; 1979), zur Krise des Wohlfahrtsstaates (Luhmann: 1981) und zum staatlichen Steuerungsversagen. Die Diskussionszusammenhänge thematisieren zwar zumindest teilweise gleiche Problembereiche; jedoch erfolgt dies aus unterschiedlichen Perspektiven. Thema der Regierbarkeitsdiskussion sind Probleme in der Durchsetzung politischer Herrschaft. In einer ersten Annäherung resultieren Regierbarkeits- und Steuerungsprobleme in allen westlichen Staaten aus der starken Ausdehnung der Staatstätigkeiten durch die Errichtung und den Ausbau des Sozial- und Wohlfahrtsstaates und die ständig steigenden Gestaltungsversuche im Bereich der Wirtschafts- und Strukturpolitik. Die Konsequenz ist eine Verflechtung von Politik und Wirtschaft, zusammen mit der steigenden Komplexität des politisch-administrativen Systems sowie einer Zunahme der gesellschaftlichen Erwartungen an die Leistungen des Staates. Und dies führte wiederum zu einer hohen Staatsverschuldung, welche verstärkte Auseinandersetzungen über die zu verteilenden finanziellen Ressourcen durch Interessengruppen nach sich zog. Mit dem Begriff des Steuerungsversagens wird festgestellt, dass der Staat mit seinen traditionellen Interventionsinstrumenten Recht und Geld die modernen sozialen und ökonomischen Probleme nicht mehr lösen kann und somit auch nicht in der Lage ist, gesellschaftliche Entwicklungen in als gewünscht identifizierte Richtungen zu steuern (Mayntz: 1987; v. Amim/Klages: 1986). In diesem Zusammenhang ist auch darauf zu verweisen, dass nach dem Scheitern der Reformpolitik gegen Ende der 60er und zu Beginn der 70er Jahre die Planungseuphorie einer zunehmenden Ernüchterung in der Einschätzung der Gestaltungsmacht des Staates Platz gemacht hat. Gleichzeitig ist aber festzustellen, dass Staatsinterventionen eher zugenommen haben. Hier ist auch eine ungleichzeitige

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Entwicklung festzustellen: Während sich die Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten stark verändert hat, haben sich die Institutionen dieser Entwicklung nur bedingt angepaßt. Daher verlieren mittlerweile traditionelle Institutionen wie Parlamente, Parteien und Gewerkschaften an Orientierungs- und Vermittlungskraft. Sie sind immer weniger im Stande, gesellschaftliche Konflikte aufzunehmen, abzubilden und auszutragen. Die Entwicklung der Konzeption der politischen Steuerung ist zugleich ein Erkennen der eigenen Grenzen: Es wird Abschied genommen von den traditionellen Vorstellungen von Steuerung als einer hierarchischen, direkten Einflussnahme.

3. Theoretische Ansätze als Grundlagen der Einschätzung der Steuerungsmöglichkeiten Die Auseinandersetzungen über die Grenzen und Möglichkeiten politischer Steuerung beziehen ihre Vehemenz zu einem Großteil daraus, dass sie zugleich das Aufeinandertreffen zweier unterschiedlicher Theoriezweige darstellen, der Handlungs- und der Systemtheorie. Während letztere steuerungspessimistisch ausgerichtet ist, wird mit der erstgenannten die Möglichkeit erfolgreicher Steuerung eingeräumt. a) Systemtheorie als ein steuerungspessimistischer Ansatz Zentraler Ansatzpunkt der Überlegungen der modernen Systemtheorie ist die gestiegene Komplexität westlicher Gegenwartsgesellschaften durch die bereits angesprochene fiinktionale Ausdifferenzierung von Teilsystemen. Teilsysteme sind im Rahmen der gesellschaftlichen Arbeitsteilung entstandene Bereiche, die jeweils eine zentrale gesellschaftliche Aufgabe selbständig erfüllen. Typische Beispiele für gesellschaftliche Teilsysteme sind Wirtschaft und Wissenschaft (Mayntz: 1992). Die Verselbständigung von Teilsystemen der modernen Gesellschaft wurde zuerst am kapitalistischen Wirtschaftssystem deutlich: Vielfältige Erfahrungen seit der industriellen Revolution zeigten, dass die spezifisch wirtschaftliche Handlungslogik indifferent gegenüber anderen Bewertungsmaßstäben war. Zugleich wurde die Erfahrung gemacht, dass (politische) Interventionen in das Wirtschaftssystem, mit denen die unerwünschten Folgen der wirtschaftlichen Betätigung beseitigt oder verhindert werden sollten, regelmäßig keine brauchbaren Ergebnisse lieferten. Offensichtlich hatte sich mit dem Wirtschaftssystem ein gesellschaftliches Teilsystem gegenüber den anderen Teilsystemen immunisiert (Rosewitz/Schimank: 1988). Somit bildet Politik nicht mehr die hierarchische Spitze oder das Steuerungszentrum der Gesellschaft, sondern ist zu einem Teilsystem unter anderen geworden. Mit dieser Entwicklung ist gleichzeitig eine Veränderung des Steuerungskonzeptes verbunden: Während ursprünglich Zweck-Mittel-Modelle mit ihrer impliziten Annahme von Kausalabläufen vorherrschten, wurde nun deutlich, dass solche Konzeptionen der Realität hochkomplex strukturierter moderner Gesellschaften nicht entsprechen. In diesen herrschen nicht-intendierte Handlungsfolgen vor, der Umgang mit Kontingenz bereitet Schwierigkeiten. Auch innerhalb der komplexen Teilsysteme der Gesellschaften gibt es fast keine Kausalbeziehungen. Statt dessen existieren positive und negative Rückkopplungen, enge und lose Verknüpfungen, durch unterschiedliche Systemebenen verursachte Reaktivitäten und Kontextbrü-

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che (Martinsen: 1992; Willke: 1991). Charakteristisches Merkmal der Systemhaftigkeit ist die Selbständigkeit oder "soziale Schließung". Damit wird die "Fähigkeit zur Abwehr von externen Interventionen, zur Neutralisierung von Umwelteinflüssen ..., so dass es anderen Teilsystemen nicht mehr gelingt, ihre Interessen ... geltend zu machen" bezeichnet (Mayntz: 1988, S. 36). In Luhmanns prägnanter Aussage wird der Steuerungspessimismus der systemtheoretischen Sichtweise sehr deutlich: "Während man steuert ..., passiert gleichzeitig milliardenfach schon etwas anderes, das man, weil gleichzeitig, weder kennen noch kausal beeinflussen kann" (Luhmann: 1989, S. 7). In der Analyse Luhmanns entwickeln sich die Funktionssysteme der Gesellschaft durch operative Schließung und autopoietische Reproduktion zu Systemen. Durch ihre Eigenlogik und innere Geschlossenheit können sich die Funktionssysteme gegenseitig "nicht determinieren, sondern nur über strukturelle Kopplungen mehr oder weniger massiv irritieren" (Luhmann: 2000, S. 401). Eine solche Beeinflussung ist nur deshalb möglich, weil Randbedingungen zwar verändert werden können, deren Einfluss auf die Entwicklung der Funktionssysteme aber zukunftsoffen, kontingent, ist. "Daraus folgt, dass unter solchen Bedingungen typisch nur an Auslösekausalität, nicht aber an Durchgriffskausalität zu denken ist" (Luhmann: 2000, S. 401). In dieser Sichtweise ist somit eine zielgenaue politische Steuerung nicht möglich. So kann beispielsweise das politische System durch eine Veränderung der umlaufenden Geldmenge das Wirtschaftssystem beeinflussen. Offen bleibt aber, in welchen Zustand das Wirtschaftssystem durch diesen "Reiz" gerät. Zugleich wird dadurch auch deutlich, dass es keine Über- und Unterordnung der Funktionssysteme mehr gibt: Denn ebenso wie das politische System das Wirtschaftssystem beeinflussen kann, ist dies auch in umgekehrter Weise möglich: So hat die Zinsentwicklung im Wirtschaftssystem Auswirkungen auf die Entwicklung der Staatsverschuldung, wodurch wiederum die Finanzierung politischer Programme betroffen sein kann (eine Übersicht der wichtigsten systemtheoretischen Literatur zur Steuerungsthematik ist in Luhmann: 2000, S. 400f. zu finden). Somit ist nach systemtheoretischen Überlegungen politische Steuerung nicht nur grundsätzlich nicht möglich, sondern Steuerungsversuche sind auf Grund der Selbsteuerungsfähigkeiten der Teilsysteme auch gar nicht notwendig und würden zu dysfunktionalen Ergebnissen fuhren, da sie die Eigenlogik der Teilsysteme "überschreiben" würden. Allerdings ist diese steuerungsskeptische Sicht, die in erster Linie auf der Konzeption Luhmanns beruht, auch innerhalb der systemtheoretischen Ansätze nicht unumstritten. Auf der Basis der gleichen Diagnose wie Luhmann gelangen Autoren wie Willke und Teubner zu dem Ergebnis, dass durch eine grundlegende Veränderung der Rolle des Staates und seiner Interventionsinstrumente zielgerichtete Beeinflussungen der gesellschaftlichen Entwicklungen möglich sind (Willke: 1997; Teubner: 1991). b) Handlungstheorie als ein verhalten steuerungsoptimistischer Ansatz Mit handlungstheoretischen Konzeptionen wird die Steuerbarkeit moderner Gesellschaften bzw. von deren Teilsystemen optimistischer eingeschätzt. Dies beruht auf der Feststellung, dass in einigen gesellschaftlichen Teilsystemen, die eng mit dem politischen System verbunden sind, wie das Erziehungs- und Gesundheitswesen, aber auch ein Teil der Wissenschaft und die Wirtschaft, materielle und institutionelle Grundlagen durch den Staat abgesichert werden. Das hat zur

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Folge, dass mit Steuerungsmedien wie Recht und Geld Wirkungen erzielt werden können. Damit wird gleichzeitig deutlich, dass unterschiedliche gesellschaftliche Teilsysteme entsprechend ihrer Spezifika auch auf unterschiedliche Art und Weise gesteuert werden müssen (Schmitter: 1996). Die Schwierigkeit von Steuerungseingriffen besteht darin, dass komplexe Systeme auf die Veränderung vieler Systemparameter nur in einem sehr geringen Maße reagieren. Es gibt allerdings auch einige - in der Regel sehr wenige - Parameter, auf die diese Systeme sehr sensibel reagieren. Für erfolgreiche Steuerungseingriffe ist es notwendig, diese zu identifizieren und mittels geeigneter Instrumente zu beeinflussen. Weiterhin wird festgestellt, dass ein zusätzliches erhebliches Steuerungspotential in denjenigen Steuerungsressourcen liegt, "die in der politischen Definition kollektiver Identität und öffentlicher Moral liegen können" (Scharpf: 1989, S. 19). Schließlich erscheint auch eine Beeinflussung der Eigendynamik sozialer Prozesse prinzipiell möglich, soweit die wiederkehrenden Strukturen der Handlungsprozesse erkannt und beeinflusst werden können. Im Zusammenspiel von staatlicher Steuerung und Selbstorganisation ist zu beachten, dass die staatlichen Akteure mit ihren Kompetenzen der legalen Rechtsetzung, der Steuererhebung und der Rechtdurchsetzung über Sanktionsmöglichkeiten verfugen, die denen der Selbstorganisation überlegen sind. Aufgabe des Staates bleibt es, dafür zu sorgen, dass die Ergebnisse der gesellschaftlichen Selbstregelung gemeinwohlverträglich sind. Nur dann können sie ein Äquivalent zu staatlichen Regelungen sein. Mit dem Konzept der politischen Steuerung besteht gegenüber den Überlegungen zur Regierung zugleich eine Neubewertung von Wissen und Information als Grundlage, um eine Handlungsbeeinflussung zu erreichen. Grundsätzlich wird die Bedeutung von Wissen und Information als Steuerungsgrundlage geteilt. Allerdings wird nicht mehr davon ausgegangen, dass dieses Wissen abschließend von dem Steuerungssubjekt verwendet werden kann. Vielmehr ist dieses Wissen zu komplex, um überhaupt an einer Stelle gesammelt und ausgewertet werden zu können. Überdies ist es an die spezifische Eigenlogik der Teilsysteme gebunden, so dass es einer einfachen Interpretation entzogen ist. Als logische Folge muss auf das spezifische Wissen der Sektoren in einer angepaßten Weise zurückgegriffen werden. Inzwischen hat das Konzept der Steuerung eine weite Verbreitung erfahren; so wird gegenwärtig auch im englischsprachigen Raum und in den Niederlanden mit diesem Konzept gearbeitet (z.B. de Carvalho: 1998; Bekkers: 1998). 4. Steuerungsinstrumente und -medien Als Steuerungsmedien werden diejenigen Handlungsformen verstanden, die verwendet werden, um über eine Handlungsbeeinflussung politische Ziele zu erreichen; häufig begnügt man sich mit einer Aufzählung der unterschiedlichen Medien, die der Regierung zur Verfugung stehen: Recht, Geld, Information und Macht. Hinsichtlich der Trennschärfe einer Klassifikation der Instrumente ist die folgende Differenzierung in Regulierung, Finanzierung, Strukturierung und Informierung vorzuziehen (Görlitz /Burth: 1998: S. 28ff.): • Regulierung bezeichnet die rechtsförmige Normierung des Adressatenverhaltens. Durch regulative Programme werden Verhaltensvorschriften gegeben, deren

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Nichteinhaltung negativ sanktioniert ist, also Gebots- oder Verbotscharakter haben. Mit Regulierung wird versucht, Verhalten direkt zu beeinflussen. Eine Gebots- bzw. Verbotssteuerung wird in der Regel dann eingesetzt, wenn nur wenige Handlungsmöglichkeiten zur Verfugung stehen, um das angestrebte Verhalten zu erreichen und gleichzeitig das angestrebte Ziel klar bestimmbar ist. Beispiele sind Strafnormen, Genehmigungsvorbehalte usw. • Finanzierung bezeichnet den Einsatz geldwerter Mittel, mit denen ein bestimmtes Verhalten der Adressaten aufgrund ihres ökonomischen Kosten-/ Nutzenkalküls erreicht werden soll. Beispiele sind Subventionen, Lizenzen, Entschädigungen usw. • Strukturierung hat das Ziel, ein politisch gewolltes Verhalten durch eine Veränderung sozialer Verhaltensarrangements zu erreichen. Finanzierung und Strukturierung werden als besonders geeignet für eine Beeinflussung des Verhaltens dezentraler Entscheidungsstrukturen betrachtet. Beispiele sind die Bereitstellung von Infrastruktur, Teilhaberechte usw. • Informierung ist schließlich ein Instrumententyp, mit dem versucht wird, durch Überzeugen und das Aufzeigen von Handlungsalternativen ein anderes Verhalten zu erreichen. Dabei werden individuelle und kollektive Nutzenkriterien deutlich benannt. Die angebotenen Informationen können auch das Ziel haben, Angst oder Furcht hervorzurufen, um ein erwünschtes Handeln zu erreichen - beispielsweise einen Rückgang des Tabakverbrauchs auf Grund der Angst vor schweren Erkrankungen. Sie können indirekte Zwangsandrohungen enthalten, und mit ihnen kann versucht werden, durch die Aktivierung erkennbarer Präferenzen Einstellungsund Verhaltensänderungen zu erreichen. Informierung hat in der Regel präventiven Charakter und zielt auf Verhaltensänderungen von Einzelpersonen ab. Diesem Steuerungsinstrument kommt insbesondere eine wichtige Funktion als Komplementärstrategie zu; durch Informierung soll die Wirkung anderer Steuerungsinstrumente unterstützt werden. Beispiele für Informierung sind Beratung, Aufklärung, Werbung usw. Die dargestellten Steuerungsinstrumente sind von ihrem Wirkungsgrad sehr unterschiedlich. Während Regulierung einen direkten Zugang zu Handlungen darstellt, wird mit den daran anschließend dargestellten Strategien die direkte Handlungsbeeinflussung stetig geringer, das heißt der Steuerungserfolg hängt verstärkt von der Kooperationsbereitschaft der Steuerungsobjekte ab. Häufig ist ein zeitlich abgestufter Einsatz der Steuerungsinstrumente zu beobachten: Zeigt der sanfte Druck durch Informierung keine Wirkung, wird in der Folge zu materiellen Anreizen gegriffen. Wird auch durch diese keine zufriedenstellende Verhaltensänderung erreicht, so erfolgt der Einsatz von Zwang und Strafandrohung (WindhoffHeritier: 1987).

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IV. Regieren in der G e g e n w a r t 1. Netzwerke und Verhandlungssysteme als dominierende Formen modernen Regierens Gegenwärtig herrscht in der Politik eine dynamische Tendenz zur Ausbildung von Netzwerken und Verhandlungssystemen vor, durch die staatliche Möglichkeiten zur Einflussnahme abgesichert werden sollen (Lehmbruch: 1996; Czada: 1994; zum Begriff des kooperativen Staates: Voigt: 1995). Netzwerke stellen keine grundsätzlich neue Kooperationsform dar, sondern lediglich der Umfang, in dem sie auftreten, ist neu (Kappelhoff: 1999). Die erhöhten Anforderungen an staatliches Steuerungshandeln machen es zunehmend notwendig, dass der Staat seine Aktivitäten mit gesellschaftlichen Potentialen zur Selbstkoordination koppelt. Er bedient sich der "Intelligenz der Gesellschaft", um eigene Interessen umsetzen zu können. Die positiven Auswirkungen für den Staat aus solchen Konstellationen sind nicht zu unterschätzen: Die Einbindung gesellschaftlicher Akteure in Politikformulierung und -ausfiihrung kann Legitimation schaffen und den Staat entlasten. Auch ist eine Steigerung des Gemeinwohls möglich, beispielsweise wenn durch die Kooperation Ressourcen gebündelt, Kosten und Risiken minimiert werden und dadurch die internationale Wettbewerbsfähigkeit gestärkt wird. Außerdem kann durch verstärkte Kooperationen eine verbesserte öffentliche Infrastruktur entstehen (Lütz: 1995). Diesen Möglichkeiten steht ein erhebliches Maß an potentiellen Schwierigkeiten gegenüber. Voraussetzung für eine funktionsfähige Kooperation ist, dass die Verbundmitglieder überhaupt zur Selbstkoordination in der Lage sind und die Interessen der Kooperationspartner konfliktfrei verbunden werden können. Eine funktionsfähige Selbstkoordination ist ein sehr voraussetzungsvolles Unterfangen. Die Aufgabe des Staates besteht darin, Unzulänglichkeiten gesellschaftlicher Selbstorganisation zu kompensieren. Die Entwicklung der Politik-Netzwerke ist durch äußere Faktoren vorgezeichnet. Politische Steuerungseinheiten sind in wachsendem Maße auf Ressourcen von Akteuren angewiesen, die sich außerhalb - oder präziser: nicht mehr in - ihrer hierarchischen Kontrolle befinden. Generell bestehen seit geraumer Zeit für öffentliche Verwaltungen in verschiedenen Bereichen Schwierigkeiten, hoheitliche Befugnisse durchzusetzen. Reagiert wird auf diese Entwicklungen mit der Einbindung gesellschaftlicher Akteure (Großunternehmen, Verbände; - » u.a. §§21, 25, 28, IV.) in Prozesse der Politikformulierung, Entscheidungsfindung und -umsetzung. Die Vorteile dieser Vorgehensweise bestehen darin, dass komplexe Problematiken durch Paketlösungen und Tauschgeschäfte einer Lösung zugeführt werden können. In der Praxis hat es sich gezeigt, dass das Wohlfahrtspotential von Verhandlungssystemen nicht kleiner sein muss, als das von hierarchischen Entscheidungen. Ebenso ist die Möglichkeit deutlich geworden, das Selbstorganisationspotential gesellschaftlicher Interessengruppen für öffentliche Zwecke zu nutzen. Gegenwärtig sind Netzwerke insbesondere im Bereich der Regionalentwicklung eine vielfach verwendete Kooperationsform (Lompe u.a.: 1996; - » 16). Weiterhin ist für einen Einblick in die "Steuerungsrealität" des Staates die Ausgestaltung des Pluralismus in der Bundesrepublik Deutschland von Bedeutung. Hinzu kommen spezielle Bestimmungen über die Beteiligung organisierter Interessen am institutionalisierten Politikprozess, z.B. § 70 GO-BT). Der Pluralismus ist in der Bundesrepublik durch neokorporatistische Elemente ergänzt und erwei-

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tert worden. Neokorporatistische Strukturen zeichnen sich dadurch aus, dass wechselseitige Organisationsbeziehungen zwischen Regierung und Ministerialverwaltung auf der einen Seite und zentralisierten Verbänden auf der anderen Seite bestehen. Es finden verschiedene Formen der politischen Kooperation von organisierten Interessen untereinander und mit staatlichen Instanzen statt. Die Verbände sind nicht nur an der Politikformulierung, sondern auch an der Politikausfuhrung beteiligt. Staat und Verbände verflechten sich. Charakteristische Beispiele für neokorporatistische Beziehungen sind die "Konzertierte Aktion" (Willke: 1979) und das von Bundeskanzler Schröder initiierte "Bündnis für Arbeit". Die große Bedeutung neokorporatistischer Kooperationen für den Staat wird dadurch unterstrichen, dass die Bildung von Interessengruppen und die Organisation kollektiver Interessen häufig von staatlicher Seite initiiert wird (Czada: 1991). Neokorporatistische Strukturen zeichnen sich durch ein hohes Maß an Flexibilität aus. Häufig sind nur ihre Rahmenbedingungen formalen Regeln unterworfen. Dadurch bestehen eine Vielzahl informeller Beziehungen und Kontakte, die sich exemplarisch in der regelmäßigen Nähe der ministeriellen Ebenen zu Interessenverbänden äußert. Der Neokorporatismus ist eine Reaktion auf die Steuerungsprobleme des Staates: Durch die Kooperation mit den Verbänden ist es ihm möglich, ökonomische und gesellschaftliche Entwicklungen zu stabilisieren. Kritisch ist jedoch anzumerken, dass die Vorteile neokorporatistischer Arrangements nur eine begrenzte Reichweite haben. So sind die Möglichkeiten der gesellschaftlichen und ökonomischen Steuerung als begrenzt anzusehen, da häufig in der Praxis ein kurzfristiges Krisenmanagement dominiert. Dadurch bleiben die zugrundeliegenden Auslöser der Krisen unbearbeitet. Zudem ist es aus Sicht des demokratischen Gleichheitsgebots problematisch, dass neokorporatistische Verhandlungssysteme diejenigen begünstigen, die direkt an ihnen beteiligt sind. Neokorporatistische Strukturen, die Beteiligung von Verbänden an der staatlichen Entscheidungsfindung und -ausführung, sind in steuerungstheoretischer Sichtweise schwer zu beurteilen: Einerseits stellt Neokorporatismus eine Antwort auf die Probleme der staatlichen Steuerung komplexer Gesellschaften dar. Die Einbindung der Verbände in politische Entscheidungen und ihre Ausführung ermöglichen erst die Durchsetzung der staatlichen Ziele. Andererseits erhalten Entscheidungsprozesse durch die Beteiligung der Verbände eine zusätzliche Komplexität, wodurch effektives Regieren behindert werden kann. Grundlage der Tendenz zur Ausbildung von Netzwerken sind zwei Entwicklungen, die sich gegenseitig verstärken: Zum einen ist die allgemeine gesellschaftliche Entwicklung festzustellen, die zu strukturellen Veränderungen moderner Gesellschaften geführt hat. Umfassende funktionelle Differenzierungen bringen es mit sich, dass der Staat bzw. das politisch-administrative System nicht mehr das gesellschaftliche Leitsystem bilden, sondern sie sich in "polyzentrischen Gesellschaften" mit anderen Akteuren abstimmen müssen (Glagow / Willke: 1987). Dementsprechend werden als Instrumente der politischen Steuerung zunehmend Medien wie Finanzierung, Strukturierung und Informierung verwendet (Kuhlmann: 1998a). Der Staat übernimmt dadurch die Rolle einer "Supervision" (Willke: 1997). In einer zusätzlichen Entwicklung verändert sich auch die Struktur der modernen Staatlichkeit selbst: Während der Umfang der Staatstätigkeiten zumindest teilweise noch weiter zunimmt, verliert der Nationalstaat als "Formprinzip moderner Staat-

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lichkeit" durch das Entstehen neuer Handlungsbereiche ober- und unterhalb der staatlichen Ebene gleichzeitig an Bedeutung. Ein zentrales Problem der Verhandlungssysteme und Netzwerke besteht darin, dass mit ihrer Funktionsweise ein erhebliches Maß an Komplexität verbunden ist, wie die Forschungen über positive und negative Koordination in Verhandlungssystemen zeigen (Scharpf: 1993; 1972): Positive Koordination stellt den Versuch dar, durch die Nutzung der gemeinsamen Handlungsoptionen Effektivität und Effizienz der jeweiligen Strategien zu steigern. Es geht um die Maximierung aggregierter Wohlfahrtseffekte. Mit positiver Koordination wird versucht, eine positive Entwicklung für alle Beteiligten zu erreichen, d.h. der aggregierte Nettonutzen aller Beteiligten wird gegenüber dem Status quo gesteigert. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen in aller Regel multilaterale Verhandlungen mit allen beteiligten Parteien stattfinden. Dies macht umfangreiche Abstimmungsarbeiten notwendig, die sehr aufwendig sind und keineswegs immer zum Erfolg führen. Eine Alternative mit einem deutlich geringeren Anspruchsniveau ist die negative Koordination. Das mit ihr verfolgte Ziel ist die Vermeidung von Störungen, welche die ausschließlich an den eigenen Zielen orientierten Programminitiativen einer Einheit in den Zuständigkeitsbereichen anderer Einheiten auslösen können. Vorhaben zur Wohlfahrtsförderung sind danach nur akzeptabel, wenn dadurch keiner der Beteiligten gegenüber dem Status quo schlechtergestellt wird, bzw. wenn zusätzlich dazu mindestens einer der Beteiligten bessergestellt wird. Typischerweise sind für negative Koordinationen bilaterale Abstimmungen ausreichend, die sukzessive erfolgen können. Wie bei dem ähnlich gelagerten inkrementalistischen Vorgehen sind die Vorteile negativer Koordination zumindest den Resultaten eines unkoordinierten Vorgehens überlegen. Neben dieser internen Problematik der Netzwerke und Verhandlungssysteme bestehen auch in verfassungsrechtlicher und demokratietheoretischer Hinsicht Probleme mit diesen Koordinationsinstrumenten. Verfassungsrechtlich ist zu bemängeln, dass in einigen politischen Entscheidungsprozessen die Politik von Akteuren geprägt wird, deren Entscheidungsbeteiligung im Grundgesetz nicht vorgesehen ist. Bezogen auf demokratisches Regieren ist zusätzlich eine ganze Reihe von Defiziten zu nennen, von denen der Erfolg dieser Steuerungsinstrumente begleitet wird: Die Beteiligung an den Politik-Netzwerken und Verhandlungssystemen ist selektiv, wodurch eine Verletzung des Gleichheitsgebots besteht. Entscheidungskompetenzen und Verantwortlichkeiten verwischen, womit die Entscheidungsfindung von mangelnder Transparenz ist (Schneider: 1999). Gegenwärtig konnten noch keine befriedigenden Lösungsvorschläge für diese Problematik entwickelt werden. Die Stärkung demokratischer Verfahren, entweder durch eine Reparlamentarisierung der Entscheidungen oder eine Einführung plebiszitärer Elemente, bringen das Problem mit sich, dass dadurch die Vorteile der Netzwerk-Beziehungen teilweise wieder aufgehoben werden und dadurch der erreichte Grad der Problemlösungsfahigkeit wiederum in Frage gestellt wird. Für diese Art der Koordination, in der öffentliche und private Einrichtungen kooperieren, wird ausgehend vom englischen Sprachraum zunehmend der Begriff "Govemance" oder "Governance Structure" verwendet (Lowndes/Skelcher: 1998; Smith: 1998). In seiner Ausrichtung wird mit dem Konzept das für Netzwerke typische Verschwinden formal-hierarchischer Beziehungen abgebildet: Governance als "Governing without Government" (Rhodes: 1996).

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2. Auswirkung von Globalisierung und Europäisierung auf die Möglichkeiten des Regierens a) Entwicklungen der Globalisierung und Europäisierung Durch die europäische Integration haben sich die Möglichkeiten des politischen Handelns innerhalb der beteiligten Nationalstaaten qualitativ verändert. Neue Problemlagen sind entstanden. Die zunehmende Internationalisierung setzt sich aus einer grenzüberschreitenden Expansion funktionaler Handlungsbereiche, zunehmender Interdependenz und der Globalisierung von Problemen zusammen. Davon beeinflusst gewinnen Regionen - auch die Grenzen von Nationalstaaten überschreitend - eine stärkere Bedeutung. Gegenüber den großflächigen Nationalstaaten erscheinen sie zunehmend als problemadäquatere Funktionseinheiten, da in ihnen politische und soziale Innovationen zielgenau eingesetzt werden können (Lompe u.a.: 1996; Beck: 1995). Im letzten Jahrzehnt hat die Entwicklung der Globalisierung und der europäischen Union erheblich an Dynamik gewonnen und eine neue Qualität erreicht. Dadurch sind Veränderungen entstanden, welche die Möglichkeiten des Regierens beeinflussen. Nationalstaaten können nicht mehr als unabhängige Einheiten angesehen werden: Die Auswirkungen der Entscheidungen gehen über die nationalen Grenzen hinaus. Sie haben Auswirkungen auf den Standort, andere Nationstaaten, die internationalen Finanzmärkte usw. Die gleiche Entwicklung gilt auch in der Umkehrung: Die Entscheidungen anderer Staaten haben Auswirkungen auf den Standort Deutschland. Es ist eine ähnliche Entwicklung festzustellen, die bereits für die Bundesrepublik dargestellt wurde: In der sich immer weiter ausbreitenden und verdichtenden transnationalen "Interdependenz" der Gesellschaft nehmen hierarchische Steuerungsmöglichkeiten ab. An ihre Stelle treten informelle und formelle Verhandlungssysteme, deren Ergebnisse von der Zustimmung verschiedener selbständiger Partner abhängen (Scharpf: 1991). Globalisierung und Europäisierung der Wirtschaft führen dazu, dass Politik und Wirtschaft häufig unterschiedliche Interessen verfolgen. Im Ergebnis wird der Verantwortungsspielraum nationaler Parlamente und Regierungen auch in der Innenpolitik immer stärker eingeschränkt. Für eine Einschätzung der Auswirkungen der Europäischen Union (-» § 17) auf die Nationalstaaten und deren Handlungsmöglichkeiten ist zu klären, wie sie zu kategorisieren ist. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts stellt die Europäische Union eine supranationale Organisation dar, die als Staatenbund aufzufassen ist (BVerfGE 89, 155). Die EU verfugt über Hoheitsrechte, sie kann also staatliche Gewalt wie eine nationalstaatliche Regierung ausüben. Diese Hoheitsrechte gelten allerdings nur für die in den zwischen den Mitgliedsstaaten geschlossenen Verträgen genannten Bereiche. Die Europäische Union besitzt somit keine Kompetenz-Kompetenz. Die Exekutivlastigkeit der Europäischen Union wird insbesondere dadurch deutlich, dass institutionelle Reformen von Vertretern der Exekutiven der Mitgliedstaaten vereinbart werden. In formaler Hinsicht stellt die Europäische Union so eine zusätzliche Ebene eines Mehrebenensystems dar (Jachtenfuchs/KohlerKoch: 1996a). Allerdings ist es nicht angemessen, die Europäische Union lediglich als eine zusätzliche Ebene anzusehen, der sich die nationalen Institutionen und Organisationen unterordnen. Vielmehr entstehen durch die komplizierten Verflechtungen zwischen den verschiedenen politischen und administrativen Ebenen, staatlichen und gesellschaftlichen Akteuren zusätzliche Netzwerke und

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Verhandlungssysteme, die eine neue Qualität darstellen. Zusammen mit der Exekutivlastigkeit der Europäischen Union bestehen erhebliche Schwierigkeiten der demokratischen Legitimation. Diese läßt eine stärkere Demokratisierung der Europäischen Union notwendig erscheinen. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass eine zunehmende Demokratisierung auf supranationaler Ebene noch erheblich mehr Schwierigkeiten mit sich bringt als auf der nationalstaatlichen Ebene. Durch die Konstruktion der EU als eines Staatenbundes erhält die Entscheidungsfindung durch Verhandlungssysteme eine zweite Begründung neben den sachlichen Anforderungen: Für einen Staatenbund erscheint ein Verhandlungssystem, in dem ein breiter Konsens gesucht wird, auf den man gemeinschaftliche Entscheidungen stützt, das angemessene Mittel zur Entscheidungsfindung (KohlerKoch: 2000). Die Regelungen der EU lassen aber auch noch einen erheblichen Spielraum ftir national staatliches Handeln. Einem Staat, der Produktion und Beschäftigung sichern und steigern will, stehen immer noch erhebliche Wahlmöglichkeiten zwischen alternativen politischen Strategien offen - so beispielsweise bei der Arbeitsmarktpolitik (Scharpf: 1999). Zugleich besteht auf der Ebene der Europäischen Union das Ergebnis des Zusammenspiels der verschiedenen nationalen Akteure unter anderem darin, dass die regulative Politik ein buntes Muster aus nationalen Regulierungslösungen bildet (Héritier: 1997). b) Globalisierung und Europäisierung als Aufgaben der Regierung Die starke Betonung der exekutiven Komponente der Europäischen Union findet eine Fortsetzung in den Kooperationen mit den einzelnen Mitgliedsstaaten. So liegt die grundsätzliche Zuständigkeit für Angelegenheiten der Europäischen Union bei der Bundesregierung. Im Jahr 1992 hat der Deutsche Bundestag seine Position gegenüber der Bundesregierung gestärkt, indem er die Artikel 23 und 45 in das Grundgesetz eingefügt hat. Danach besteht das Mitwirkungsrecht des Bundestages aus zwei Elementen, einer Informationspflicht der Bundesregierung (Art. 23 Abs. 2 GG; § 10, IV.) und einer Berechtigung zu Stellungnahme zu Rechtsetzungsakten der Europäischen Union (Art. 23 Abs. 3 GG). Einzelheiten sind in dem "Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschen Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union" (EUZBBG) geregelt (vgl. entsprechend für die Bundesländer "Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union"). Diese Rechte des Bundestages verdeutlichen aber zugleich die grundsätzliche Zuständigkeit der Bundesregierung. Der in Art. 45 GG geregelte sog. "Unions-Ausschuss" (-> § 9, VI.) wurde eingeführt, damit der Bundestag seine Rechte möglichst effektiv wahrnehmen kann. Trotz dieser Veränderung bleibt festzuhalten, dass die Regierung die Europapolitik dominiert, während der Bundestag in begrenztem Umfang die Regierung kontrolliert.Die Auswirkungen von Globalisierung und Europäisierung auf die politischen Prozesse sind nicht zu unterschätzen: Die territoriale Anbindung des demokratischen Prozesses wird aufgehoben. Damit hat Politik immer weniger die Souveränität der Nationen zum Gegenstand und wird in der Form zu einem kooperativen Management mit wechselseitigen Abhängigkeiten (Guéhenno: 1999). Die Ausprägung der Europäischen Union bringt es mit sich, dass ihre Politiken sehr stark auf Regulierungen beruhen. Diese haben den Vorteil, dass der Großteil der Kosten den Mitgliedsstaaten aufgebürdet werden kann. Da die Haushaltsmittel

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der EU zu einem Großteil im Bereich der Landwirtschaft gebunden sind, gibt es für die EU kaum Alternativen (Jachtenfuchs/Kohler-Koch: 1996).

V. Fazit: Regieren und politische Steuerung in einer sich dynamisch verändernden Welt Ein Fazit zu ziehen über mehr als 50 Jahre Regieren und politische Steuerung in der Bundesrepublik Deutschland ist problematisch, da eine solche Einschätzung von den zugrundegelegten Kriterien abhängt. Zweifellos überwiegt aber eine positive Tendenz. Seit Jahrzehnten ist eine stetige Veränderung der Bedingungen des Regierens festzustellen, die immer mehr an Dynamik gewinnt: Regierungen stellen nicht mehr autonome Führungs- und Steuerungsinstanzen dar. In einem demokratischen politischen System bedeutet Regieren gerade nicht mehr die Ausübung politischer Souveränität, sondern eine Funktion der Einflussnahme, die in Kooperation und Interaktion mit anderen Akteuren ausgeübt wird. Sowohl die innere als auch die äußere Souveränität verändern sich. Die sog. "Entzauberung des Staates" (Willke) bedeutet jedoch nicht einen bloßen Rückgang, sondern einen Formwandel staatlicher Machtausübung, bei dem sich das Spektrum der verwendeten Regelungsformen ausgeweitet hat. Staatliche Politiken werden heute in komplexen Verhandlungsstrukturen thematisiert, formuliert und umgesetzt, dabei wirken in allen Phasen des Policy-Zyklus eine Vielzahl privater und öffentlicher Akteure mit. Gerade das Zusammenwirken von politischer Steuerung und gesellschaftlicher Selbstregelung bietet in demokratischer Sichtweise ein erhebliches positives Potential.

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§ 12 Bundeskanzler, Regierungsfunktionen, Regierungszentrale Klaus König und Thomas Knoll Einleitung - I. Die institutionell-verfassungsrechtliche Position des Bundeskanzlers im Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland - II. Die funktionale Seite des Regierens - III. Die funktionale Aufgabenverteilung innerhalb der Bundesregierung - IV. Regieren unter den Bedingungen von Koalitionen - V. Das Bundeskanzleramt als Regierungszentrale Grundlagenliteratur: Böckenförde, Ernst-Wolfgang (1964): Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung. Berlin Busse, Volker (21997): Bundeskanzleramt und Bundesregierung. Heidelberg Derlien, Hans-Ulrich (1990): „'Regieren' - Notizen zum Schlüsselbegriff der Regierungslehre". In: Hartwich, Hans-Hermann / Wewer, Göttrik (Hg.): Regieren in der Bundesrepublik. Opladen, Bd. I., S. 7ff. König, Klaus (1989): „Vom Umgang mit Komplexität in Organisationen: Das Bundeskanzleramt". In: Der Staat, S. 49ff. Rudzio, Wolfgang (52000): Das politische System der Bundesrepublik Deutschland. Opladen Stern, Klaus (1980): Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland. München, Bd. II.

Einleitung Im Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland wird das Amt des Bundeskanzlers als herausragend wahrgenommen. Vor allem in Anlehnung an die Amtsführung des ersten Regierungschefs hat man von „Kanzlerdemokratie" gesprochen und diesen Maßstab auf seine Nachfolger angelegt (Niclauß: 1988). Nicht zuletzt aufgrund dieser Perzeption werden bei Wahlen (-» § 22, IV.) zum Deutschen Bundestag die Bewerber um das Amt des Regierungschefs in das Scheinwerferlicht der Aufmerksamkeit gestellt und auf die Zweitstimme als „Kanzlerstimme" hingewiesen. Will man die Position des Bundeskanzlers angemessen beleuchten, so ist es sinnvoll, sich diese zuerst anhand der Verfassungsnormen des Grundgesetzes (—> s.a. §§ 5, 8) und der ergänzenden Bestimmungen der Geschäftsordnung der Bundesregierung (GOBReg) zu erschließen. Dies soll im ersten Teil geschehen. Wir befinden uns damit auf der Ebene einer institutionellen und organisatorischen Betrachtungsweise des Regierens. Regieren ist aber nicht eindimensional, vielmehr interessieren auch die entsprechenden Funktionen, denn nur in Verbindung mit ihnen lassen sich Institutionen verstehen. Deshalb ist im zweiten Teil auf die funktionale Dimension des Regierens einzugehen. Das Grundgesetz gibt aber keine ausführliche Funktionenbeschreibung. So wird ein funktionaler Regierungsbegriff dargelegt, der über die nationalen Verfassungsbestimmungen unseres Grundgesetzes hinausgeht. Hiernach kann man das Amt des Bundeskanzlers in der inneren Ordnung der Bundesregierung funktional charakte-

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risieren (III.) In einem weiteren Schritt (IV.) ist darauf einzugehen, dass Koalitionen eine wesentliche Rahmenbedingung des Regierens in Deutschland sind und sich entsprechend auf die Position des Bundeskanzlers und der Bundesregierung auswirken. Eine Analyse des Amtes des Bundeskanzlers wäre unvollständig, ohne einen Blick auf die ihn unterstützende Regierungszentrale zu werfen (V.). Die Arbeitsweise in der Bundesregierung soll bei unseren Darlegungen implizit deutlich werden. I. Die institutionell-verfassungsrechtliche Position des Bundeskanzlers im Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland Die verfassungsrechtlichen Bestimmungen zur Position des Regierungschefs im Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland (-> § 2, III.) finden wir im Abschnitt VI. „Die Bundesregierung". Gemäß Art. 62 GG bildet der Bundeskanzler zusammen mit den Bundesministern die Bundesregierung. An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass der Bundeskanzler wie auch die Bundesminister nach § 1 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder der Bundesregierung (Bundesministergesetz) zwar in einem öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis stehen, in dem eine Reihe von Rechten und Pflichten, die für Beamte charakteristisch sind, Anwendung finden; sie sind aber keine Beamten im Sinne der Beamtengesetze (Stern: 1980, S. 276). Die herausgehobene Bedeutung des Bundeskanzlers kommt in verschiedenen Kompetenzen zum Ausdruck, die in ihrer Summe den als Kanzlerprinzip bezeichneten Teil des Dreiklanges der inneren Ordnung der Bundesregierung aus Kanzler-, Ressort- und Kabinetts- oder Kollegialprinzip bilden. Kristallisationspunkt dieser Struktur ist Art. 65 GG. 1. Das Kanzlerprinzip Das Kanzlerprinzip, das dem Regierungschef die führende Stellung in der Regierung sichert, äußert sich zum ersten im Kabinettsbildungsrecht des Regierungschefs. Dabei ist hervorzuheben, dass alleine der Regierungschef eine direkte Legitimation seitens des Parlaments besitzt und nur er von dessen Vertrauen abhängig ist. Im zweistufigen Prozess der Regierungsbildung wird zunächst der Bundeskanzler gemäß Art. 63 Abs. 1 GG auf Vorschlag des Bundespräsidenten (—> § 13, IV.) ohne Aussprache vom Bundestag gewählt. Dabei sind die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages erforderlich (Art. 63 Abs. 2 GG). Entsprechend wird der Bundespräsident wohl keinen Kandidaten gegen die Mehrheitsverhältnisse des Parlaments vorschlagen. Sollte wider Erwarten der Vorgeschlagene nicht mit dieser Mehrheit gewählt werden, so kann der Bundestag zwei Wochen später ohne Vorschlag des Bundespräsidenten mit Mehrheit einen Bundeskanzler wählen (Art. 63 Abs. 3 GG). Scheitert auch dies, ist unverzüglich ein weiterer Wahlgang vorzunehmen, in dem derjenige gewählt ist, der die meisten Stimmen auf sich vereint. Erhält er dabei sogar die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, muss ihn der Bundespräsident ernennen. Ansonsten hat er ihn innerhalb von sieben Tagen zu ernennen oder den Bundestag aufzulösen (Art. 63 Abs. 4 GG). Für die zweite Stufe der Regierungsbildung bestimmt Art. 64 Abs. 1 GG, dass die Bundesminister auf Vorschlag des Bundeskanzlers

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vom Bundespräsidenten ernannt und entlassen werden. Der Bundeskanzler ist in seiner Ministerauswahl formal frei, ihm können keine Minister aufgezwungen werden. Der Bundespräsident muss den Wünschen des Regierungschefs entsprechen und die Vorgeschlagenen zum Bundesminister ernennen. Einen Bundesminister ernennt der Regierungschef dann selbst zu seinem Stellvertreter (Art. 69 Abs. 1 GG). In die entgegengesetzte Richtung wirkt das Kabinettsbildungsrecht des Bundeskanzlers, wenn er gemäß Art. 64 Abs. 1 GG auch die uneingeschränkte Entlassungsbefugnis besitzt. Der Bundespräsident hat die vom Bundeskanzler vorgeschlagene Demission eines Bundesministers zu vollziehen. So kann der Bundeskanzler in der Kombination der Vorschläge zur Ernennung und Entlassung jederzeit sein Kabinett umbilden. Die Bundesminister sind in ihren Ämtern an das Amt des Bundeskanzlers gebunden. Mit jeder Erledigung des Amtes des Bundeskanzlers endet auch das Amt der Bundesminister (Art. 69 Abs. 2 GG). Das Amt des Bundeskanzlers endet nach Art. 69 Abs. 2 GG in jedem Fall mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestages und, ohne dass es im Grundgesetz expliziert wird, mit dem Tod, dem Rücktritt oder sonstigem Amtsverlust (Stern: 1980, S. 294ff.). So wie alleine der Regierungschef vom Bundestag gewählt wird und von dessen Vertrauen abhängig ist, kann auch nur er alleine abgelöst werden, was dann aber eben mittelbar auch für Bundesminister gilt. Dabei wurden Lehren aus den Unzulänglichkeiten der Weimarer Reichsverfassung (-> § 1, V.) gezogen. Gemäß deren Artikel 54 mussten der Reichskanzler und die Reichsminister zurücktreten, wenn ihnen der Reichstag das Vertrauen entzog. Die Wahl eines Nachfolgers war damit nicht verknüpft, weshalb sich diese Bestimmung zu einem destruktiven Instrument entwickeln konnte. Die Fraktionen waren nicht gezwungen, sich auf einen neuen Kandidaten zu verständigen, wodurch ein Vakuum entstehen konnte, dessen bekannte Folge ab 1930 die Präsidialkabinette waren. Das Misstrauensvotum nach Art. 67 GG ist ein konstruktives, d.h. der Bundeskanzler kann nur abgelöst werden, wenn der Bundestag mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen Nachfolger wählt. Dies ist bislang einmal (1982) erfolgreich geschehen. Die alleinige unmittelbare Bindung des Regierungschefs an das Parlament zeigt sich auch darin, dass nur er die Vertrauensfrage nach Art. 68 GG stellen kann. Wird ihm das Vertrauen nicht von der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages ausgesprochen, kann der Bundespräsident auf Vorschlag des Bundeskanzlers binnen 21 Tagen das Parlament auflösen, es sei denn, der Bundestag wählt inzwischen mit Mehrheit einen anderen Bundeskanzler. Zum zweiten gehört als Kern des Kanzlerprinzips die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers. Sie ist in Art. 65 Satz 1 GG niedergelegt: „Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung." Ergänzend dazu fuhrt § 1 Abs. 2 GOBReg aus, dass der Bundeskanzler auch das Recht und die Pflicht hat, auf die Durchfuhrung dieser Richtlinien zu achten. Der Begriff „Richtlinien der Politik", der erstmals in der Weimarer Reichsverfassung auftaucht, ist allerdings unklar; eine Definition findet sich weder im Grundgesetz noch in den für die Bundesregierung maßgeblichen Geschäftsordnungen (GOBReg; Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien - GGO). Deshalb ist sie nur in ihrer groben Umschreibung fassbar (Stern: 1980, S. 301 f.). Man kann sich ausgehend vom Zweck dieser Befugnis der Richtlinienkompetenz nähern. Sie soll dem Regierungschef die gesamte politische Leitung sichern, ihn dabei aber von der Last der Verwaltungsangelegenheiten befreien, und somit die

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inhaltliche Einheitlichkeit der Regierungstätigkeit gewährleisten, die Stellung der Regierung als Verfassungsorgan, insbesondere dem Parlament gegenüber, stärken und die Verantwortlichkeit für den politischen Kurs klar festlegen (Knöpfle: 1965, S. 860). Es geht darum, die „Richtung der zu gestaltenden Gesamtpolitik" zu bestimmen (Junker: 1965), was nahe legt, dass mit Richtlinien grundsätzlich politische Leitlinien und damit Rahmenentscheidungen gemeint sind. Der Regierungschef kann aber politische Vorgaben auch im Einzelfall und im Detail ausgeben, nämlich dann, wenn das Prinzipielle seinen Sitz in der konkreten Sachfrage selbst hat (Böckenförde: 1964, S. 207). Letztlich fallen alle Angelegenheiten, die für die Regierungsarbeit im ganzen von Bedeutung sind, unter die Prärogative der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers, wobei die Grenzen dabei fließend sind. Um seine Richtlinien bestimmen zu können, ist der Bundeskanzler aus den Geschäftsbereichen der Bundesminister über Maßnahmen und Vorhaben zu unterrichten, die für die Bestimmung der Richtlinien und die Leitung der Geschäfte der Bundesregierung von Bedeutung sind (§ 3 GOBReg). Damit kommt die Grenzziehung zu den beiden anderen Organisationsprinzipien der Bundesregierung ins Blickfeld. In bezug auf das Ressortprinzip, das die Eigenverantwortlichkeit der Bundesminister in Ressortangelegenheiten im Rahmen der Richtlinien festschreibt, darf der Bundeskanzler nicht so weit gehen, dass er in die Ressorts „hineinregiert" (Böckenforde: 1964, S. 241). Richtlinien des Bundeskanzlers wirken mittelbar in die Häuser und müssen von den Bundesministern umgesetzt werden. Dennoch kann der Regierungschef Fragen, denen er eine hohe politische Bedeutung zumisst, zu „Chefsachen" machen und an sich ziehen. Als Abgrenzungskriterium für Richtlinienentscheidungen wird also „politische Bedeutung" gesehen, für die wiederum das Interesse einer breiten Öffentlichkeit als Indikator gesehen wird; und es wird verlangt, dass eine über ein Ressort hinausgehende politische Relevanz vorliegt (Knöpfle: 1965, S. 926). Bei Zweifelsfällen in der Abgrenzung zwischen Richtlinienkompetenz und Ressortprinzip ist gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 GOBReg die Entscheidung des Bundeskanzlers einzuholen. Ebenso hat ein Bundesminister dem Bundeskanzler unter Angabe der Gründe mitzuteilen, wenn er eine Erweiterung oder Änderung der Richtlinien der Politik für erforderlich hält (§ 4 GOBReg). Auch im Hinblick auf das Kabinetts- oder Kollegialprinzip haben Richtlinienentscheidungen des Bundeskanzlers Vorrang. Wenngleich politisch wichtige Angelegenheiten der Beschlussfassung der Bundesregierung als Kollegium unterliegen, so trägt letztendlich der Bundeskanzler die Gesamtverantwortung für den politischen Kurs der Bundesregierung gegenüber dem Parlament und muss infolgedessen auch hier seine Richtlinienkompetenz ausüben können, da andernfalls das Kanzlerprinzip in seinem Wesensgehalt angetastet wäre (Knöpfle: 1965, S. 927ff.). Richtlinienentscheidungen sind im übrigen nicht an eine bestimmte Form gebunden; sie können schriftlich oder mündlich ergehen. Eine Quelle solcher Vorgaben des Kanzlers sind die von ihm vor dem Parlament abgegebenen Regierungserklärungen. In engem Zusammenhang mit der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers ist die in Art. 65 Satz 4 GG niedergelegte Leitungskompetenz zu sehen. Sie besagt, dass der Bundeskanzler die Geschäfte der Bundesregierung nach einer von ihr beschlossenen und vom Bundespräsidenten genehmigten Geschäftsordnung leitet. Im § 6 dieser Geschäftsordnung wird diese Leitungsbefugnis nochmals bestätigt,

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und nach § 2 GOBReg „hat der Bundeskanzler auch auf die Einheitlichkeit der Geschäftsführung in der Bundesregierung hinzuwirken." Die Leitungskompetenz äußert sich nicht zuletzt sichtbar im Vorsitz des Bundeskanzlers bei Kabinettssitzungen (§ 22 Abs. 1 Satz 1 GOBReg), die auch nach näherer Anweisung des Bundeskanzlers festgesetzt werden (§ 21 Abs. 1 Satz 1 GOBReg), und bei Kabinettsausschusssitzungen (§ 1 Abs. 1 der Rahmenregelungen für den Geschäftsablauf der Kabinettsausschüsse der Bundesregierung). Bei Stimmengleichheit im Bundeskabinett entscheidet die Stimme des Vorsitzenden (§ 24 Abs. 2 Satz 2 GOBReg), der im Anschluss an die Beratungen den Wortlaut der Beschlüsse festlegt (§ 25 GOBReg). Aus dem Kabinettsbildungsrecht des Art. 64 Abs. 1 GG, das expressis verbis nur die personelle Seite der Bundesregierung anspricht, und der Richtlinienkompetenz in Verbindung mit der Geschäftsleitungsbefugnis ergibt sich für den Bundeskanzler die Organisationsgewalt im Bereich der Bundesregierung als organisatorische Dimension und weiterer Bereich des Kanzlerprinzips, ohne die seine anderen Befugnisse lückenhaft wären (Böckenförde: 1964, S. 140). § 9 der Geschäftsordnung der Bundesregierung führt aus: „Der Geschäftsbereich der einzelnen Bundesminister wird in den Grundzügen durch den Bundeskanzler festgelegt." Der Regierungschef darf also die Abgrenzung der Geschäftsbereiche und die Zahl der Ministerien, den Ressortzuschnitt, alleine bestimmen. Er ist befugt, Ministerien neu zu errichten oder aufzuheben. Er kann Zuständigkeiten von einem Bundesministerium in ein anderes übertragen oder aus vorhandenen Sachgebieten ein neues Ministerium bilden, wie dies z.B. 1986 im Falle des Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit geschah. Der Bundeskanzler besitzt damit die „externe" Organisationsgewalt (Eichhorn u. a.: 2 1991, S. 621), während die „innere" Organisationsgewalt, die Binnenorganisation oder „Einrichtung" der Ressorts (Böckenförde: 1964, S. 45ff.) den Bundesministern vorbehalten bleibt. Allerdings sind dem Ressortzuschnitt verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt. Das Grundgesetz gibt als Geschäftsbereiche vor: das Bundesministerium der Verteidigung (Art. 65a GG), das Bundesministerium der Justiz (Art. 96 Abs. 2 Satz 4 GG) und das Bundesministerium der Finanzen (Art. 108 Abs. 3 Satz 2, 112 Satz 1 und 114 Abs. 1 GG), mithin also drei der fünf klassischen Ressorts (dazu zählen noch das Auswärtige Amt und das Bundesministerium des Innern). Der Bundestag kann auf die Organisationsgewalt des Bundeskanzlers nur mittelbar über das Bundeshaushaltsgesetz (-» § 20, IV.) Einfluss nehmen. Zusätzlich zu den genannten Normen heben noch weitere Bestimmungen des Grundgesetzes den Regierungschef im Verhältnis zu den Bundesministern und dem Gesamtkabinett heraus. So geht gemäß Art. 115b GG die Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte auf den Bundeskanzler über, wenn der Verteidigungsfall verkündet wird. Art. 58 Satz 1 GG impliziert, dass die Gegenzeichnung des Bundeskanzlers die jedes Bundesministers ersetzen kann, und Art. 39 Abs. 3 Satz 3 GG spricht aus dem Bereich der Bundesregierung nur dem Bundeskanzler das Recht zu, die Einberufung des Bundestages zu verlangen. Dies gilt übrigens auch im Hinblick auf den Gemeinsamen Ausschuss gemäß § 8 Abs. 3 seiner Geschäftsordnung.

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2. Das Ressortprinzip und das Kabinetts- oder Kollegialprinzip Neben dem Kanzlerprinzip sind noch das Ressortprinzip und das Kabinetts- oder Kollegialprinzip zu skizzieren, weil nur in der Zusammenschau aller drei Prinzipien die verfassungsrechtliche institutionelle Stellung des Bundeskanzlers vollständig zu erfassen ist. Das bereits bei der Betrachtung des Kanzlerprinzips angedeutete Ressortprinzip ist in Art. 65 Satz 2 GG dargelegt und bestimmt, dass innerhalb der vom Bundeskanzler vorgegebenen Richtlinien der Politik jeder Bundesminister seinen Geschäftsbereich selbständig und unter eigener Verantwortung leitet. Der Bundestag kann zwar auch einzelnen Bundesministern das Vertrauen entziehen. Im Gegensatz zum Reichstag der Weimarer Republik hat er aber nicht die Möglichkeit, die Abberufung eines Bundesministers mittels eines solchen Misstrauensvotums zu erzwingen; dazu muss er den Regierungschef stürzen. Innerhalb der Bundesregierung garantiert das Ressortprinzip den Bundesministern im Rahmen der Richtlinienkompetenz des Regierungschefs die Ressortselbständigkeit. Das dritte Organisationsprinzip der Bundesregierung, das Kabinetts- oder Kollegialprinzip, trägt der Tatsache Rechnung, dass die Bundesregierung im Gegensatz beispielsweise zur US-Regierung, die formal nur aus dem Präsidenten besteht, ein Kollegialorgan ist. Das wird schon in der oben erwähnten Definition des Art. 62 GG deutlich. Im Hinblick darauf kann man kollektive Handlungsbefugnisse nach außen und kollektive regierungsinterne Kompetenzen unterscheiden (Rudzio: s 2000, S. 290), wobei erstere sich auf die Gesetzesinitiative der Bundesregierung nach Art. 76 GG, auf die Befugnis zum Erlass von Rechtsverordnungen (—> § 18) aufgrund eines Gesetzes (Art. 80 GG) und von Verwaltungsvorschriften (-> § 19, V.) mit Zustimmung des Bundesrates (Art. 84 Abs. 2 GG; s.a. -> § 14, V.), auf die Anrufung des Bundesverfassungsgerichtes (Art. 93 Abs. 1 GG; —> § 15) und auf die Zustimmung zu kostenwirksamen Gesetzen (-> § 20) nach Art. 113 GG beziehen. Die kollektiven regierungsinternen Kompetenzen sind in Art. 65 Satz 3 GG zu sehen, wonach über Meinungsverschiedenheiten zwischen den Bundesministern - nicht zwischen dem Bundeskanzler und einem oder mehreren Ministern; hier würde das Kanzlerprinzip zum Zuge kommen - die Bundesregierung entscheidet. Die Geschäftsordnung der Bundesregierung stärkt das Kabinettsprinzip, wenn § 15 Abs. 1 vorschreibt, dass der Bundesregierung zur Beratung und Beschlussfassung alle Angelegenheiten von allgemeiner innen- oder außenpolitischer, wirtschaftlicher, sozialer, finanzieller oder kultureller Bedeutung zu unterbreiten sind. Im Anschluss an diese Generalklausel folgt eine konkrete Enumeration der Dinge, die im Rahmen des Kabinetts behandelt werden sollen: Dies sind Gesetz- und Verordnungsentwürfe, die Stellungnahme des Bundesrates zu den Vorlagen der Bundesregierung, alle Angelegenheiten, für welche das Grundgesetz oder Gesetze dies vorschreiben. Dann werden als Einzelpunkte genannt die Meinungsverschiedenheiten zwischen Bundesministern, Differenzen über Finanzplanungsentwürfe und den Haushalt, soweit es sich dabei um Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung für den betroffenen Bundesminister oder erheblicher finanzieller Bedeutung handelt. Nach § 15 Abs. 2 GOBReg müssen der Bundesregierung des weiteren Vorschläge zur Ernennung von Beamten letztlich ab dem Range eines Ministerialrates und Ministerialbeamten gleichen Ranges ebenso unterbreitet werden wie Vorschläge zur Einstellung oder Eingruppierung von Angestellten bei obersten Bundesbehörden nach Vergütungsgruppe Bundes-

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angestelltentarif I oder zur höheren Vergütung. Schließlich werden noch Vorschläge für die Zustimmung des zuständigen Bundesministers zur Ernennung der Richter bei den obersten Gerichtshöfen des Bundes (-> § 18) beraten. Bevor diese Beratungsgegenstände allerdings auf den Kabinettstisch kommen, sind sie nach § 16 Abs. 1 GOBReg zwischen den beteiligten Bundesministern zu erörtern. Falls sich hier Dissonanzen ergeben, muss man zunächst versuchen, sich - gegebenenfalls im Rahmen eines Ministergespräches unter Vorsitz des Bundeskanzlers - zu verständigen (§ 17 GOBReg). Erst wenn auch dies keinen Erfolg zeitigt, käme das Kabinett als Austragungsort in Betracht. Die drei dargestellten Ordnungsprinzipien der Bundesregierung stehen nicht gleichrangig nebeneinander. Entscheidend für das richtige Verständnis ist vielmehr die Art der Zuordnung, der modifizierenden Überlagerung und Gewichtung dieser Prinzipien. Das Grundgesetz enthält ein moderiertes Kanzlersystem. Das bedeutet eine hervorgehobene Position des Bundeskanzlers in der politischen Führung, eine grundsätzlich gleichberechtigte Stellung der Minister im Kabinett und als Ressortleiter, und eine Koordinationsbefugnis des Kabinetts bei den in der Verfassung ihm allein zugewiesenen Kompetenzen (Stern: 1980, S. 299). Man darf sich die drei Organisationsprinzipien nicht starr vorstellen; das wäre dem mit stetem Wandel und zunehmender Komplexität der Umwelt konfrontierten Regierungssystem abträglich. Vielmehr wohnt ihnen eine Flexibilität inne, die, wenn es an der politischen Führung des Bundeskanzlers fehlen sollte, die anderen beiden Prinzipien stärker hervortreten lassen dürfte.

II. Die funktionale Seite des Regierens Nachdem die verfassungsrechtliche institutionelle Position des Bundeskanzlers anhand des Grundgesetzes und der Geschäftsordnung der Bundesregierung beleuchtet worden ist, wenden wir uns nun einer funktionalen Betrachtungsweise zu.

1. Regierungsfunktionen aus den Anfangen der Regierungslehre Das Grundgesetz gibt keine umfassende Funktionsbeschreibung des Regierens. Auf wissenschaftlicher Seite interessierte man sich seit den 1960er Jahren wieder stärker für den Bereich der Exekutive. Entsprechend stammen auch die ersten funktionalen Einordnungen des Regierens aus dieser Zeit. Regieren in funktionaler Hinsicht wird als „die Art und Weise, wie unter der Herausforderung moderner Staatsaufgaben das Geschäft der Lenkung, Führung und Koordination eines Gemeinwesens besorgt [wird]" definiert (Hennis: 1965, S. 424). In der weiteren Entwicklung dieser Regierungslehre stellte man zusätzlich auf Funktionen wie „Information", „Planung", „Mittelbeschaffung" (Haushaltswesen), „Organisation" und „Konsensbeschaffung" ab (Ellwein: 1976, S. 173ff.). Die Begriffsbildung aus diesen Anfängen der Regierungslehre wird insofern kritisch gesehen, als funktionale Schlüsselbegriffe außerordentlich unscharf gefasst sind und sich auch, wie beispielsweise „Führung" und „Lenkung", überschneiden (Derlien: 1990, S. 80).

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2. Regierungsfunktionen aus der Organisationstheorie Von seiten der klassischen Organisationstheorie wurde die Frage nach den funktionalen Elementen einer Exekutivspitze frühzeitig mit dem Akronym „POSDCORB" beantwortet. Es besteht aus den einzelnen Bestandteilen „Planning", „Organizing", „Staffing", „Coordinating", „Reporting", „Budgeting" (Gulick: 2 1947): • Demnach bezeichnet „Planning" das Entwerfen von Leitlinien und Methoden, die notwendig sind, um gesetzte Ziele zu erreichen. Man kann es vom Hintergrund der deutschen Verfassungsnormen her mit Richtlinienbestimmung ausdrücken. Hiernach wird deutlich, dass die Befugnis zur Bestimmung inhaltlicher Leitlinien und die Planungsfunktion einen inneren Zusammenhang besitzen, dass auch zur Planung befugt sein muss, wer zur Richtlinienbestimmung ermächtigt ist. • „Organizing" steht für das Errichten einer formalen Struktur, in der die einzelnen Arbeitseinheiten festgelegt und im Hinblick auf das gesteckte Ziel angeordnet und koordiniert werden. • Die gesamte personelle Komponente der Rekrutierung, Einarbeitung und des Erhalts günstiger Arbeitsbedingungen wird mit „Staffing" ausgedrückt. • „Directing" bedeutet, dass ständig Entscheidungen getroffen werden müssen, die in besonderen und allgemeinen Weisungen münden. Damit verbunden ist eine Leitungsfunktion. Freilich gibt es kein Weisungsrecht im engeren Sinne gegenüber den Ressorts. • Die einzelnen Arbeitsteile müssen wiederum zusammengebracht und miteinander verknüpft, also koordiniert werden („Coordinating"). • Unter „Reporting" wird verstanden, den Stellen, denen die Leitung verantwortlich ist, zu berichten, aber auch Mitarbeiter/Untergebene zu informieren. • Schließlich gehört zu diesem Funktionenbündel noch das „Budgeting", welches Finanzplanung, Haushaltsführung und -kontrolle, also das gesamte Haushaltswesen einschließt. Diese funktionalen Kategorien wurden entwickelt, um als Grundmuster zu dienen, in das alle wichtigen Tätigkeiten und Pflichten der Exekutivspitze eingeordnet werden können (Gulick: 1947, S. 13). Hinsichtlich dieser organisationstheoretisch eruierten Funktionen wird angemerkt, dass sich „POSDCORB" ausschließlich auf die Binnenperspektive beschränkt, ohne grenzüberschreitende Prozesse der Außendarstellung, der Konsensbildung im Umfeld, des Verhandeins zu berücksichtigen. Die Außendimension ist aber letztlich weitgehend impliziert und dürfte deutlich werden, wenn man dieses Kategoriensystem auf konkrete Institutionen anwendet. Des weiteren werden allgemeine Prozesse wie z.B. Planung und Koordination und materielle Entscheidungen, z.B. Organisations- und Personalentscheidungen vermischt, also Prozessstrukturen und Programmstrukturen auf eine Ebene gestellt (Derlien: 1990, S. 82).

3. Ein funktionaler Regierungsbegriff als Synthese Die bei anderen Kategorien des Regierens festgestellten Defizite der begrifflichen Überschneidung und der Vermischung unterschiedlicher Betrachtungsebenen zu

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beseitigen und solche auszuwählen, „die empirisch brauchbar, analytisch trennscharf und für komparative Forschung in öffentlichen und privaten, deutschen und ausländischen Systemen verwendbar sind", ist das Ziel eines weiterentwickelten funktionalen Regierungsbegriffs (Derlien: 1990, 83 ff.). Zunächst wird zwischen der Ebene der materiellen Entscheidungen und der Ebene der darauf beziehbaren Prozesse unterschieden, ausgedrückt mit den Begriffen des policy-making für die erste und des meta-policy-making (Dror: 1968) für die zweite Ebene. In einem weiteren Schritt wird innerhalb der jeweiligen Ebene differenziert. Das policy-making ist zunächst aufgegliedert nach Organisations-, Personalund Haushaltsentscheidungen, also den typischen Querschnittsaufgaben. Hinzu kommen sämtliche substantiellen Entscheidungen, also alle abzudeckenden Politikfelder. Aufgrund ihrer Bedeutung für den Bereich der Exekutive wird besonders die Außenpolitik hervorgehoben. Auf der gesamten Ebene des policy-making ist auch die Planung und Durchführung der Programme mitbedacht. Die Ebene des meta-policy-making führt die auf die materiellen Entscheidungen beziehbaren Prozesse an. An den beiden ersten Stellen stehen dabei die Steuerung und die Kontrolle. Ihr folgen zum dritten die Koordination und zum vierten die Konfliktregelung. Um Regieren zu können ist es wesentlich, sich nicht nur Informationen zu beschaffen, sondern diese auch verarbeiten zu können. Der Außenpolitik bei den materiellen Entscheidungen stehen auf der Prozessebene die Außendarstellung, Legitimationsbeschaffung und Repräsentation gegenüber.

III. Die funktionale Aufgabenverteilung innerhalb der Bundesregierung Geht man von den Funktionen des eben vorgestellten funktionalen Regierungsbegriffs aus, ist zu betrachten, welchen Anteil der Bundeskanzler, die einzelnen Bundesminister und die Gesamtregierung daran haben. Wir bleiben dabei innerhalb der Bundesregierung, die man als Teilsystem des gesamten Regierungssystems sehen kann. Bei Organisationsentscheidungen ist zunächst der Bundeskanzler der Hauptakteur. Er gibt den Rahmen vor, wenn er kraft seiner Organisationsgewalt den Ressortzuschnitt bestimmt. Ergeben sich dabei aber Überschneidungen, die Meinungsverschiedenheiten zwischen den einzelnen Bundesministern nach sich ziehen, entscheidet die Bundesregierung als Kollegium durch Beschluss (§ 9 Satz 2 GOBReg). Innerhalb des vorgegeben Zuschnitts sind die Bundesminister frei in der Ausgestaltung der Binnenorganisation ihrer Häuser. Für die Verwaltungsorganisation und damit auch für Reformvorschläge zeichnet das Bundesministerium des Innern verantwortlich. Personalentscheidungen rücken das Kabinettsbildungsrecht des Bundeskanzlers in den Vordergrund. Dabei wirkt zwar der Bundespräsident mit, er ist aber lediglich formale Sanktionsinstanz; bei der Ernennung des sogenannten „Vizekanzlers" (diesen Begriff kennen das Grundgesetz und die Staatsrechtslehre im übrigen nicht) fällt diese Notwendigkeit weg. Sind die Bundesminister ernannt, wirkt das Kabinett bei dem in § 15 Abs. 2 vorgesehenen Personenkreis mit. Ansonsten sind die Bundesminister auch hier frei bei ihren Entscheidungen. Das Recht des Öffentlichen Dienstes wird im Bundesministerium des Innern geregelt.

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Bei Haushaltsentscheidungen hat mit dem Bundesminister der Finanzen ein Ressortchef ein deutliches Vorrecht. Er muss nach Art. 112 GG über- und außerplanmäßigen Ausgaben zustimmen. Für Gesetze, welche die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Ausgaben des Haushaltsplanes erhöhen oder neue Ausgaben in sich schließen oder für die Zukunft mit sich bringen, ist zwar das Einverständnis der Bundesregierung erforderlich (Art. 113 Abs. 1 GG). Aber auch innerhalb des Kollegiums hat der Finanzminister eine Vetoposition. Beschließt nämlich die Bundesregierung in einer Frage von finanzieller Bedeutung gegen oder ohne seine Stimme, kann er laut § 26 Abs. 1 GOBReg Widerspruch gegen den Beschluss erheben. Bei der dann neu durchzuführenden Abstimmung kann nur eine Mehrheit sämtlicher Bundesminister zusammen mit dem Bundeskanzler gegen den Finanzminister entscheiden, was im Normalfall zum Rücktritt des Finanzministers führen dürfte. Entscheidungen über substantielle „policies" stehen in ihrem Geschäftsbereich nach dem Ressortprinzip jeweils den Bundesministern zu. Die einzelnen Geschäftsbereiche drücken die Arbeitsteilung innerhalb der Bundesregierung aus. Dennoch kommt beim policy-making sofort die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers ins Gesichtsfeld. Wie erläutert, können sich Richtlinien auch in Detailfragen manifestieren. Der Bundeskanzler kann bei entsprechender politischer Bedeutung seine Entscheidungen als Ausfluss seiner Richtlinienkompetenz bezeichnen und durchsetzen; in der Praxis wird er aber nur selten unter expliziter Berufung auf diese Kompetenz agieren (Hennis: 1964, S. 31). Diese Formel ist nämlich viel zu symbolträchtig, als dass sie in der Parteien- und Koalitionsdemokratie alltagstauglich wäre (König: 1989, S. 62). Das Bundeskabinett kommt erst bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Bundesministem ins Spiel. Es muss aber letztendlich über alle Angelegenheiten von allgemeiner politischer Bedeutung beraten und beschließen. Dabei wird, ähnlich wie dem Bundesminister der Finanzen in seinem Bereich, auch den Verfassungsressorts (Innenministerium und Justizministerium) eine Vetoposition eingeräumt, wenn eines von beiden Widerspruch gegen einen Gesetz- oder Verordnungsentwurf oder eine Maßnahme der Bundesregierung erhebt, weil mit geltendem Recht unvereinbar. Ein besonderes Recht im Kabinett besitzt auch noch der für Frauenfragen zuständige Bundesminister. Er kann verlangen, dass solche Fragen im Kabinett beraten und beschlossen werden, auch wenn sie im Geschäftsbereich eines anderen Hauses liegen (§ 15a GOBReg). Geht man nun auf die Ebene des meta-policy-making, so treffen wir bei dem Prozess der Steuerung wieder auf die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers. Sie soll dem Regierungschef die gesamte politische Leitung sichern, was in der mit ihr zusammenhängenden Leitungskompetenz zum Ausdruck kommt. Die Vorgaben des Bundeskanzlers steuern also die Ressorts und letztendlich auch die Entscheidung im Kabinett. Gegenüber den Bundesministern kommt diese Steuerung nicht zuletzt auch darin zum Ausdruck, dass diese in Zweifelsfällen die Entscheidung des Regierungschefs einholen müssen. Hat das Kabinett eine Entscheidung in den ihm obliegenden Fällen getroffen, so gelten auch diese als Prämissen für weitere Entscheidungen der einzelnen Bundesminister. Also kommt auch den Kabinettsentscheidungen eine Steuerungsfunktion zu. Die Ressorts könnten hiernach als schwächstes Glied erscheinen. Man muss aber berücksichtigen, dass die Bundesminister Teile des Kabinetts sind, und dass vor einer Ent-

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Scheidung des Kollegiums weitere Meta-Prozesse liegen, bei denen die Ressorts stärker sind. Auch die Kontrollfunktion innerhalb der Bundesregierung wird hauptsächlich vom Bundeskanzler wahrgenommen. Sie resultiert aus dem Recht und der Pflicht, die Einhaltung der Richtlinien zu überwachen. Er hat aufgrund seiner Leitungskompetenz diese Funktion auch für die Entscheidungen der gesamten Bundesregierung zu erfüllen. Die Bundesminister sind wie bei der Steuerungsfunktion auch auf ihre Häuser mit den nachgeordneten Bereichen verwiesen. Anders gestaltet sich dies bei den Prozessen der Koordination und der Konfliktregelung. Zwar ist zunächst auch hier der Bundeskanzler wegen der ihm zustehenden Leitungskompetenz zuerst zu sehen. Da ihm die gesamte politische Leitung zukommt, muss er letztendlich für die inhaltliche Einheitlichkeit sorgen und hat auf eine einheitliche Geschäftsführung hinzuwirken. Nun ist aber Koordination das Komplement zu der im Ressortprinzip angelegten Arbeitsteilung (König: 1993). Entsprechend ist damit zunächst das in einer Sache federführende Ressort angesprochen. Es ist gemäß § 70 Abs. 2 GGO I für „rechtzeitige und umfassende Fühlungnahme" verantwortlich. Schon in der GOBReg ist festgelegt, dass alle Angelegenheiten, bevor sie in das Kabinett kommen, zwischen den beteiligten Bundesministem zu beraten sind. Dazu besteht eine Vielzahl formeller und informeller Gremien. Auf Beamtenebene existieren interministerielle Ausschüsse von der Referatsleiterebene bis zu den Staatssekretären, die zumeist ad hoc, in einigen Bereichen aber auch regelmäßig, zusammentreten (Prior: 1968). Was zwischen einzelnen Referatsleitern nicht ausgeräumt werden kann, wird immer jeweils eine Ebene höher gehoben, bis schließlich in der Staatssekretärsbesprechung die letzten offenen Fragen ausgeräumt werden. Dies ist die übliche Vorbereitung von Kabinettsbeschlüssen. Auf Ministerebene wurden aber vom Bundeskabinett zusätzlich Kabinettsausschüsse mit dem Ziel eingerichtet, die ressortübergreifende Arbeit der Bundesregierung auf bestimmten Gebieten effektiver zu organisieren (Busse: 1993, S. 413ff.). Sie sind aber keine notwendige Vorlaufstation für die Beschlussfassung im Gesamtkabinett. Ständige Mitglieder solcher Kabinettsausschüsse sind die in einer Angelegenheit federführenden und betroffenen Bundesminister. Durchgängig feste interministerielle Gremien von der Referatsleiterebene bis auf die Ministerebene bestanden beispielsweise bis 1998 im Bereich der Europapolitik. Die interministeriellen Ausschüsse sind insgesamt koordinierend und vorbereitend tätig. Sie können nicht für die Bundesregierung entscheiden. Erst mit deren Beschluss im Rahmen des Kabinetts findet der Koordinationsprozess seinen Abschluss. Mit der Koordination ist die Konfliktlösung eng verknüpft, denn nur selten gelingt die Zusammenführung der einzelnen Politikfelder ohne Reibungen. Im Verhältnis des Bundeskanzlers zu den Bundesministem liegt der Fall eindeutig zugunsten des Regierungschefs. Die schon bei der Steuerung angesprochene Pflicht eines Bundesministers, im Zweifelsfalle eine Entscheidung des Bundeskanzlers einzuholen, zeigt auf die Möglichkeit einer hierarchischen Konfliktlösung. Diese wird auch deutlich, wenn man aus der institutionellen Betrachtung weiß, dass die Bundesregierung Meinungsverschiedenheiten nur zwischen den Bundesministem regelt. Ein Konflikt zwischen Ressorts wird zunächst im Rahmen der koordinierenden interministeriellen Gremien zu lösen versucht. Kommen auch die Staatssekretäre nicht überein, sieht die Geschäftsordnung vor, dass die beteiligten Bun-

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desminister - sie müssen auch ohne Konflikt vor der Beschlussfassung beraten sich verständigen, bevor die streitige Angelegenheit ins Kabinett kommt. Gegebenenfalls ist dabei dann wieder der Bundeskanzler als Vorsitzender maßgeblich beteiligt. Erst nachdem all diese Schritte gegangen wurden, wäre das Kabinett die Arena der Meinungsverschiedenheit. So weit kommt es aber selten. Das Kabinett stellt sich als ein Hort der Harmonie dar. Formelle Abstimmungen bilden die Ausnahme und würden das Ende einer Koalitionsregierung signalisieren (Rudzio: 5 20 00, S. 291 f.). Regieren ist ohne Information nicht möglich. So ist der Bundeskanzler in seiner gesamten Stellung darauf angewiesen, und von ihm selbst wird eine hohe Informationsverarbeitungskapazität gefordert. Maßgeblich wird die Funktion der Informationsbeschafifung und -Verarbeitung im Bereich der Regierung vor allem von den Bundesministerien geleistet. Die Ministerialverwaltung ist das Gedächtnis der Bundesregierung. Dort sitzt der Sachverstand, werden Informationen gesammelt, aufbereitet und verdichtet. Damit der Bundeskanzler seine Funktionen erfüllen kann, ist er aus den Bundesministerien entsprechend zu unterrichten. Dies geschieht direkt über die Bundesminister oder über das Bundeskanzleramt. Auch die Bundesregierung als Kollegium verarbeitet die Informationen aus den Ressorts. Bei dieser Funktion ist auch das dem Regierungschef unmittelbar unterstellte Presse- und Informationsamt der Bundesregierung einzubeziehen. In der Vorbemerkung zum entsprechenden Kapitel des Bundeshaushaltsplanes (Kapitel 0403) heißt es: „Das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung h a t . . . die Bundesregierung auf dem gesamten Nachrichtenbereich laufend zu unterrichten. . . . Z u seinen Aufgaben gehört die Erforschung und Darstellung der öffentlichen Meinung als Entscheidungshilfe für die politische Arbeit der Bundesregierung." Die Funktion der Außendarstellung, Legitimationsbeschaffung und Repräsentation wird im Bereich der Bundesregierung stark vom Kanzler wahrgenommen. Im Verhältnis zum Parlament hat nur er eine direkte Legitimation. Er trägt die Gesamtverantwortung und besitzt auch die Leitungskompetenz für die gesamte Bundesregierung. Andererseits empfängt er Abordnungen nur in besonderen Fällen (§ 10 Abs. 2 GOBReg). Dies ist Aufgabe des federführenden Bundesministers (§ 10 Abs. 1 GOBReg). Bei der Außendarstellung hat das Auswärtige Amt eine besondere Stellung. Nach § 11 GOBReg sollen Mitglieder und Vertreter auswärtiger Regierung sowie Vertreter zwischenstaatlicher Einrichtungen nur nach vorherigem Benehmen mit ihm empfangen werden, und Verhandlungen mit dem Ausland oder im Ausland dürfen nur mit Zustimmung des Auswärtigen Amtes, auf sein Verlangen nur unter seiner Mitwirkung, geführt werden. Auf europäischer Ebene rücken aber auch die Fachminister im Rahmen des Rates der Europäischen Union als nach außen gerichtete, anderen Staaten gegenüber handelnde Akteure ins Blickfeld. Was das Verhältnis der Bundesminister zum Parlament betrifft, so ist gezeigt worden, dass eine Verantwortlichkeit vorliegt. Insofern erfüllen auch die Bundesminister eine Legitimationsfunktion, wenn sie die Politik der Bundesregierung im Bundestag vertreten. Dabei dürfen sie aber nicht gegen die Auffassung der Gesamtregierung wirken (§ 28 Abs. 2 GOBReg). Im Hinblick auf die Bundesregierung ist bei dieser gesamten Funktionskategorie auf ihre kollektiven Handlungsbefugnisse nach außen hinzuweisen. Öffentlichkeitsarbeit ist ebenfalls unter die Funktionskategorie der Außendarstellung zu fassen. Dabei gestaltet jedes Ressort seine eigene Öffentlichkeitsarbeit. Die Geschäftsordnung der Bundesregierung bestimmt aber in § 12 für die Bundesminister, dass

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deren Äußerungen in der Öffentlichkeit mit den vom Bundeskanzler gegebenen Richtlinien der Politik im Einklang stehen müssen. Für die Gesamtregierung besteht das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, während für den Bundeskanzler alleine diese Funktion im Bundeskanzleramt erfüllt wird.

IV. Regieren unter den Bedingungen von Koalitionen Die herausgehobene Position des Bundeskanzlers wird sowohl im Rahmen des institutionellen als auch des funktionalen Regierungsbegriffs bestätigt, wenngleich schon bei letzterem die Beschränkungen deutlicher zu Tage traten. In diesem Teil geht es um informale Randbedingungen, welche die formale Position des Regierungschefs überlagern. Regierungen in Deutschland sind in Bund und Ländern in aller Regel Koalitionsregierungen (Volk: 1989). Entsprechend wirkt sich diese Bedingung auf die Stellung des Bundeskanzlers aus. Dies beginnt schon bei der Regierungsbildung nach Wahlen. Sie ist nicht nur in formaler Hinsicht zu sehen, sondern man kann zeitlich vorausgehend die Phase der informalen Regierungsbildung zwischen der Bundestagswahl und der Wahl des Bundeskanzlers anfügen (König: 2000). Das Grundgesetz weist den Parteien die Rolle der Mitwirkung an der politischen Willensbildung zu (—> § 23), womit ihnen auch ein Platz bei der Regierungsbildung zugewiesen ist. Die informale Regierungsbildung ist durch Koalitionsabsprachen geprägt (Schreckenberger: 1994, S. 329ff.). Davon sind schließlich auch das Kabinettsbildungsrecht und die Organisationsgewalt des Bundeskanzlers betroffen. Bei der informalen Regierungsbildung liegt die Organisationsgewalt faktisch bei den Koalitionspartnern. Sie pflegen sich genauso wenig wie später Regierungschef und Kabinett in die interne Organisation von Ministerien einzumischen. Dies bleibt nach der Regierungsbildung dem Ressortminister überlassen. Ministerien als Aufgabenbereiche werden schon früh, oft weit vor Wahlen von politischen Parteien für sich beansprucht. So neigt der kleine Koalitionspartner dazu, ein Auge auf das Auswärtige Amt zu werfen. Oder für eine Partei erscheint das Umweltministerium als unverzichtbar. Es gibt auch Verteilungsregeln, etwa die, dass Justiz- und Innenressort, Wirtschafts- und Finanzressort nicht gleichzeitig in der Hand einer politischen Partei sein sollen (König: 2000). Entscheidungen über Ressorts und Ressortzuschnitt erfolgen eher politisch-dezisionistisch, eben oft auch im Hinblick auf Personalentscheidungen. Inhaltlich mag vielleicht auch symbolische Politik eine Rolle spielen, die sich in einem eigenen Ressort niederschlägt. Oder man will mit der Errichtung eines neuen Bundesministeriums die Durchsetzungschancen für ein Politikfeld erhöhen. Ihr folgt nämlich die Einstellung eines Einzelplanes in den Bundeshaushalt (-> § 20, IV.) und die Einrichtung eines Bundestagsausschusses (—» § 9, VI.), es entsteht also ein Netzwerk für diesen Bereich (Derlien: 1996, S. 576). Der Spielraum wird dabei aber zusätzlich von organisatorischen Gesichtspunkten eingeschränkt, die auf die politischen Faktoren eine restriktive Wirkung haben zumindest solange man Wert auf administrative Effizienz legt (Derlien: 1996, S. 564ff.). Ein Regierungschef, aber auch die Koalitionspartner, kann nicht umhin, von den Aufgaben auszugehen, die sich dann im Ressortzuschnitt niederschlagen. Er wird auf eine historisch gewachsene Struktur mit erheblichem Beharrungsvermögen stoßen, wobei man für die beiden nicht explizit durch das Grundgesetz

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festgelegten klassischen Ressorts des Auswärtigen und des Innern von einer doch materiellen verfassungsrechtlichen Sanktion gesprochen hat (Böckenförde: 1964, S. 198). Eine Ursache für dieses Beharren ist nicht zuletzt im Zwang zur strukturellen Konsistenz bei der Zusammenarbeit mit anderen politischen Ebenen zu sehen. Dies negativ zu sehen, wäre einseitig, denn dem steht der Vorteil der Kontinuität des Regierens gegenüber. Nichts beeinträchtigt für eine merkliche Zeit strukturell die Regierungsgeschäfte mehr, als die Bildung eines neuen Ressorts (König: 1990, S. 107). Beim Ressortzuschnitt ist auch die Kontrollspanne in den Ministerien zu berücksichtigen. Große Häuser würden dem einzelnen Ressortchef die Kontrolle erschweren, während umgekehrt bei kleinen Häusern eine steigende Ministerzahl die Folge wäre. Soll das Kabinett aber wichtige Fragen diskutieren und entscheiden, darf eine bestimmte Größe nicht überschritten werden. Insgesamt resultiert daraus ein Kontrolldilemma. Die Anzahl der Ressorts beeinflusst wiederum die Koordination und Konfliktregelung. Je mehr Ministerien bestehen, desto größer ist der Koordinationsaufwand und die Gefahr negativer Koordination (Scharpf: 1972, S. 168ff.). Bestehen weniger Ressorts, so können auftretende Konflikte innerhalb der dann zwangsläufig größeren Häuser hierarchisch gelöst werden. Koalitionsbildungen bedingen letztendlich Kompromisse bei der Zahl und Abgrenzung der Ministerien. Der Ressortzuschnitt ist deutlicher Ausdruck der Koalitionsarithmetik, der sich der Bundeskanzler beugen muss. Damit sind wir bei der personellen Dimension. Der Kanzler ist nicht völlig frei, seine Ministerriege zusammenzustellen. Fragen über die personelle Zusammensetzung der Regierung werden in vertraulichen Gesprächen außerhalb der allgemeinen Gesprächsrunden zwischen den Parteivorsitzenden erörtert und in der Regel nach Quotenanteilen entschieden (Schreckenberger: 1994, S. 331). Regierungspraxis ist es, dass jeder Koalitionspartner bestimmte Ministerien zugesprochen erhält, über deren Besetzung er eigenständig entscheidet. Außer der Koalitionsarithmetik muss ein Regierungschef aber auch Proporze und Patronagewünsche innerhalb seiner eigenen Partei beachten, z.B. Frauenanteil, landsmannschaftliche Herkunft, Parteiflügel usw. Die Sachpolitik, die bei den formalen Befugnissen des Bundeskanzlers mit der Richtlinienkompetenz angesprochen wurde, wird in einer Koalitionsvereinbarung festgelegt. Koalitionsvereinbarungen haben sich zu einer „Magna Charta" für die Regierungstätigkeit entwickelt und tendieren zu flächendeckenden Festlegungen (Schreckenberger: 1994, S. 329ff.). Sie enthalten politische Leitsätze sowie Aufgabenkataloge bis hin zu Aufträgen an die Bundesregierung oder an einzelne Bundesminister, gewisse Maßnahmen zu treffen oder Vorschläge den Koalitionspartnern zur Entscheidung vorzulegen. Auch werden Aufträge an nachgeordnete Bundesbehörden erteilt und „Koalitionsarbeitsgruppen" unter Bestimmung der Federführung eines Bundesministers eingerichtet. Die vollständige Koalitionsabsprache nimmt alle wesentlichen Sachfragen der Regierungserklärung des Bundeskanzlers zu Beginn der Legislaturperiode vorweg. In der Sachprogrammierung lautet die Reihenfolge: Erstens Wahlplattform der Parteien, zweitens Koalitionsvertrag, drittens Regierungserklärung (Murswieck: 1990, S. 158f.). Koalitionsvertrag und Antrittserklärung des Regierungschefs hängen damit aufs engste zusammen. Freilich ist die Antrittserklärung des Regierungschefs vor dem Parlament nach wie vor seine Stunde. Der Respekt vor der Verfassung mit der Richtli-

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nienkompetenz des Bundeskanzlers und mit dem Recht zur Regierungsbildung mag es bisher verhindert haben, dass Regierungschef und der vom kleinen Koalitionspartner gestellte Vizekanzler die Koalitionsvereinbarung im Wechselvortrag vor dem Parlament verlesen. In dieser Stunde kann der Regierungschef immer noch seinen Regierungsstil zum Ausdruck bringen. Er hat Spielräume, auch eigene Akzente in der Sachpolitik zu setzen, neue Sachthemen für die politische Agenda zu nennen usw., nur eben alles im Toleranzrahmen des Vereinbarten, soll nicht die Koalition selbst riskiert werden (König: 1989, S. 62; König: 2000). Während der Legislaturperiode finden laufende Koalitionsgespräche bzw. Koalitionsrunden statt, die zuweilen einen festen Sitzungsturnus haben. Bei Adenauer noch eher ein Instrument zur Information über seine Politik, haben sie sich inzwischen zu einem informellen Entscheidungsorgan mit umfassenden Kompetenzen entwickelt (Rudzio: 1991). Es gibt keine politische Bewertung, keine Maßnahme und keinen Gesetzentwurf der Bundesregierung, der nicht Gegenstand der Beratungen der Koalitionsrunde sein kann. Ihr Aufgabengebiet ist uneingeschränkt; sie umfasst die gesamte Regierungspolitik. Dies geht soweit, dass für die Zeit von 1982 bis eine Arbeitsteilung zwischen ihr und dem Kabinett ausgemacht wird, wonach letzterem die Routinesachen verblieben, während die politisch wichtigeren Maßnahmen in der Koalitionsrunde vorentschieden wurden (Schreckenberger: 1994, S. 333). Auch nach dem Regierungswechsel 1998 sind, wie in der entsprechenden Koalitionsvereinbarung festgelegt, Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung, die zwischen den Koalitionspartners abgestimmt werden müssen - man denke etwa an die Frage des Ausstiegs aus der Nutzung der Atomenergie oder die Steuerreform -, in einem Koalitionsausschuss zu beraten und im Konfliktfalle ein Konsens herbeizuführen. Man hat Koalitionsgespräche und Koalitionsrunden als ein „quasi-staatliches Entscheidungsorgan" charakterisiert, das sich mit Unterstützung von Ablaufplanungen und Sachvorbereitungen durch die Ministerialverwaltung zu einer Art „Lenkungsausschuss" fortentwickelt hat (Schreckenberger: 1994, S. 339ff.). Kritisiert wird dabei in 'oezug auf die Befugnisse der Regierung die Schwächung des Bundeskabinetts, die Einengung der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers und die geringe Transparenz der Entscheidungsprozesse. Vor diesem Hintergrund und im Hinblick darauf, dass die Koalitionsgremien nur aus relativ wenig Personen bestehen - sie fassen die Spitzen der Parteien (Vorsitzende, Generalsekretäre), der Fraktionen (Vorsitzende, Geschäftsführer) und der Regierung (Bundeskanzler, einzelne Bundesminister) zusammen - wurde von einer „Oligarchie führender Politiker" gesprochen (Schreckenberger: 1992, S. 133ff.) und auf den Eindruck einer „Überregierung" der politischen Parteien über Kabinette und Minister hingewiesen. In der Tat wird bei den Koalitionsverhandlungen und -runden immer wieder der Charakter als Parteiveranstaltung betont. Indessen ist festzustellen: Je stärker der Operationalisierungsgrad der Koalitionsabsprachen, um so höher ist die Wahrscheinlichkeit der Mitwirkung von Regierungsapparaten. Das Operationale ist nun einmal die Domäne der Ministerialbürokratie, wie hoch auch immer der Sachverstand beteiligter Berufspolitiker zu veranschlagen ist. Dazu genügen nicht einfach Fachkenntnisse. Hinzu muss ein gewisses Amtswissen kommen. Es genügt nicht nur eine kommunikative Geschicklichkeit. Mit ihr muss die Beherrschung verfeinerter Regierungstechniken zusammentreffen. Gerade Amtswissen und Technikbeherrschung sind aber eine Prämisse dafür, Sachpolitik operational zu gestalten (König: 2000).

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Der Tendenzaussage, dass die Mitwirkungswahrscheinlichkeit des Regierungsapparates mit zunehmender Operationalisierung des Sachprogramms wächst, wurde noch eine Kontinuitätsthese hinzugefügt. Je länger eine Regierung im Amt ist, um so mehr steigt die Wahrscheinlichkeit, dass der Regierungsapparat bei Wiederwahl an der informalen Regierungsbildung mitwirkt. Das zeigt z.B. der Fall der von 1982 bis 1998 amtierenden Bundesregierung, wo bei Koalitionsgesprächen Verhandlungspapiere immer mehr von der Ministerialverwaltung vorbereitet wurden. Man näherte sich administrativen Beratungs- und Beschlussverfahren der Regierung an (König: 2000).

V. Das Bundeskanzleramt als Regierungszentrale Um ihre Funktionen im modernen demokratischen und sozialen Rechtsstaat erfüllen zu können, sind der Bundeskanzler und die Bundesregierung auf Unterstützung angewiesen. Für den deutschen Regierungschef wird konstatiert, dass er ohne das Bundeskanzleramt „ein bedauernswerter Vollinvalide" wäre, der nicht sehen, hören noch schreiben, geschweige denn die Richtlinien bestimmen könnte (Hennis: 1964, S. 19). 1. Die Organisation des Bundeskanzleramtes Das Bundeskanzleramt ist durch den hierarchisch-bürokratischen Aufbau und die Gliederung in Referate, Gruppen und Abteilungen geprägt (König: 1989, S. 55). Der Organisationsplan der Regierungszentrale von 1999 (-> im Anhang dieses Beitrages) zeigt folgende formale Organisationsstruktur: Im Leitungsbereich finden wir zunächst den Bundeskanzler mit dem ihm zugeordneten Kanzlerbüro und seinem Persönlichen Referenten. Das Kanzlerbüro koordiniert Termin- und Gesprächswünsche des Bundeskanzlers, Terminanfragen und Telefonanrufe und trifft diesbezüglich die Auswahl dessen, was dem Kanzler persönlich vorzulegen ist. Im Rahmen des Kanzlerbüros wird jeweils in insgesamt vier Referaten Verbindung zu gesellschaftlichen Gruppen gehalten, werden Eingaben und Petitionen bearbeitet, Medien beobachtet und die Presse und Besuchergruppen betreut. Als weiteren dem Regierungschef zugeordneten Arbeitsstab finden wir eine Beraterin für deutsch-französische Beziehungen. Geleitet wird die deutsche Regierungszentrale vom Chef des Bundeskanzleramtes (ChefBK), der im Range eines Staatssekretärs oder eines Bundesministers für besondere Aufgaben stehen kann. Fünf der bis heute 17 Leiter des Bundeskanzleramtes waren Bundesminister für besondere Aufgaben und elf leiteten bzw. einer leitet gegenwärtig die Regierungszentrale als Staatssekretär (Busse: 21997, S. 146f. ergänzt um die letzten beiden Chefs). Ludger Westrick war anfangs Staatssekretär unter Kanzler Erhard und wurde 1964 Bundesminister für besondere Aufgaben, da er sonst aus Altersgründen in den Ruhestand hätte treten müssen. Entsprechend änderte man die Amtsbezeichnung „Der Staatssekretär des Bundeskanzleramtes" in „Chef des Bundeskanzleramtes" (Schöne: 1968, S. 213). Sie wird seitdem auch für Staatssekretäre beibehalten. Der Chef des Bundeskanzleramtes, der zugleich Staatssekretär der Bundesregierung ist, gilt als wichtigste Person für die Koordinierung der Bundesverwaltung. Alle an den Regie-

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rungschef herangetragenen Probleme werden zunächst von ihm aufgegriffen. Seine tatsächliche Stellung wird mit der Wahrnehmung als engstem Mitarbeiter des Kanzlers und dessen wichtigstem Berater weit über die offizielle Position eines Amtschefs hinausreichend gesehen (Schöne: 1968, S. 208). So bestimmt er nicht nur den Organisations- und Geschäftsverteilungsplan im Bundeskanzleramt, sondern dient auch als eine Art letzter Filter und hat zwischen wichtigen und weniger wichtigen Angelegenheiten zu unterscheiden. Letztere hat er vom Bundeskanzler fernzuhalten und selbst zu erledigen. Er entscheidet auch darüber, welche Angelegenheiten im schriftlichen Umlaufverfahren erledigt und welche vom Kabinett bearbeitet werden (Behrendt: 1967, S. 51; Müller-Rommel u.a.: 1991, S. 6). Der jetzige Chef des Bundeskanzleramtes ist zugleich auch Beauftragter für die Nachrichtendienste des Bundes und damit verantwortlich für die Koordination der geheimen Nachrichtendienste des Bundes, die verschiedenen Häusern unterstehen (Bundesnachrichtendienst dem Bundeskanzleramt; Bundesamt für Verfassungsschutz dem Bundesministerium des Innern; Militärischer Abschirmdienst dem Bundesministerium der Verteidigung). Bei seinen Aufgaben wird der Leiter der Regierungszentrale von dem ihm zugeordneten Büro ChefBK unterstützt. Unter dem Dach dieser Gruppe sitzt sein Persönlichen Referent, ein Referat für seine Pressearbeit, das Kabinett- und Parlamentsreferat sowie eine Einheit für Sonderaufgaben. Diese Leitungsgruppe beim ChefBK hat, wie vor dem Regierungswechsel 1998 (Busse: 21997, S. 116) neben der Tätigkeit als persönliches Büro auch Aufgaben bei der Vorbereitung der Koalitionsgespräche. Schließlich finden wir im Leitungsbereich noch Staatsminister mit ihren Büroleitem. Das Recht, die Bezeichnung „Staatsminister" fuhren zu dürfen, kann der Bundespräsident nach § 8 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Parlamentarischen Staatssekretäre (ParlStG) jedem Parlamentarischen Staatssekretär verleihen. Davon hat er bisher aber nur im Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes und des Bundeskanzleramtes Gebrauch gemacht (Busse: 21997, S. 41f.) Vertreter ausländischer Regierungen treten über diese Häuser mit der Bundesregierung in Beziehung. Ein Gespräch mit einem „Staatsminister" vermittelt einen höheren protokollarischen Rang und Rahmen, als es die Bezeichnung „Parlamentarischer Staatssekretär" vermag, mit der man vielerorts wenig oder überhaupt nichts assoziieren kann. Der Beauftragte für Angelegenheiten der Kultur und der Medien untersteht laut Organisationserlass vom 27. Oktober 1998 dem Bundeskanzler unmittelbar und ist nicht Teil des Bundeskanzleramtes. Diese Kreation ist erwähnenswert, weil sie als Ausdruck symbolischer Politik gesehen werden kann. Dem Beauftragten wurden, soweit der Bund zuständig ist, mit Kultur und Medien zusammenhängende Sachbereiche aus den Bundesministerien des Innern, für Wirtschaft und Technologie, für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen und für Bildung und Forschung übertragen, so dass man in der ihm unterstellten Abteilung K mit ihren vier Gruppen durchaus quasi ein „Bundeskulturministerium" sehen könnte. Um dem Amtsinhaber trotz fehlender Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag als unabdingbarer Voraussetzung den Rang eines Staatsministers und damit das entsprechende protokollarische Niveau zukommen lassen zu können, wurde eigens das ParlStG dahingehend ergänzt, dass man bei der Ernennung eines Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundeskanzler von dem Erfordernis eines Abgeordnetenmandats absehen könne.

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Ein weiterer Staatsminister, der Teil des Bundeskanzleramtes ist, fungiert als Beauftragter der Bundesregierung für Angelegenheiten der neuen Länder. In seiner Tätigkeit wird er von dem Arbeitsstab „Angelegenheiten der neuen Länder" unterstützt, über den er die Fachaufsicht ausübt — die Dienstaufsicht liegt beim ChefBK. Bis auf die offenen Vermögensfragen wurden sämtliche besonders mit den neuen Ländern befassten Referate des Bundeskanzleramtes in diesem Arbeitsstab konzentriert. Schließlich gibt es noch einen Staatsminister beim Bundeskanzler. Er ist zuständig für das Bund-Länder-Verhältnis, den Bundesrat, insbesondere mit dem Vermittlungsausschuss, er vertritt das Bundeskanzleramt im Bundestag und die Bundesregierung im Ältestenrat (-» § 9, V.) des Parlamentes. Bei seinen Aufgaben unterstützen ihn die entsprechenden Organisationseinheiten auf der Arbeitsebene. Dort ist das Bundeskanzleramt in sechs Abteilungen gegliedert. Als Basiseinheit auf der Arbeitsebene finden wir wie in den Ministerien das Referat (§ 4 Abs. 2 GGO I). Im Bundeskanzleramt bestehen dabei verschiedene Arten von Referaten. Für die Koordination der Arbeit der Bundesministerien sind im Bundeskanzleramt „Spiegelreferate" eingerichtet worden, womit in der Regierungszentrale der Ressortzuschnitt innerhalb der Bundesregierung abgebildet wird. In der Regel ist ein solches Spiegelreferat für ein Ressort zuständig. Größere Häuser wie beispielsweise das Auswärtige Amt werden in mehreren solchen Referaten widergespiegelt. In bestimmten Referaten sind auch verwandte Aufgaben aus verschiedenen Ressorts zusammengefasst, so beispielsweise die Zuständigkeit für die Bundesministerien des Innern und der Justiz als Verfassungsressorts. Die Spiegelreferate sind eine Art Scharnier zwischen dem jeweiligen Ressort und dem Bundeskanzler mit seinem Amt (Busse: 21997, S. 123). Immer auf dem laufenden über die Vorgänge in den Häusern bereiten sie Informationen für den Bundeskanzler, die Leitung des Bundeskanzleramtes und das Kabinett auf. Umgekehrt übermitteln sie Entscheidungen aus dem Regierungszentrum an „ihr" jeweiliges Ressort und sorgen dafür, dass diese richtig interpretiert werden. In früherer Zeit hat man von diesen Beziehungen der Ressorts zum Bundeskanzleramt in militärischem Jargon schon einmal von „Meldeweg" und „Befehlsweg" gesprochen (Bachmann: 1967, S. 168). Neben den Spiegelreferaten gibt es auch noch Querschnittsreferate. Sie decken Aufgaben ab, die sachgebietsübergreifend sind. Typischerweise gehören dazu Verwaltungsangelegenheiten für das gesamte Bundeskanzleramt, wie Personal-, Organisations- und Haushaltsangelegenheiten. Das Kabinett- und Parlamentreferat ist ebenso darunter zu fassen, wie die sich über nahezu alle Politikfelder erstreckenden Bund-Länder-Fragen. Auch Umweltschutz war als Querschnittsaufgabe anzusehen - entsprechend bestand dafür ein Querschnittsreferat im Bundeskanzleramt. Als man sämtliche mit Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zusammenhängende Sachgebiete zu einem eigenen Ressort innerhalb der Bundesregierung zusammenfasste, wandelte sich die zugehörige Basiseinheit in der Regierungszentrale zu einem Spiegelreferat. In Bundesministerien werden zwischen der Abteilungs- und der Referatsebene Unterabteilungen gebildet. Dies soll nach § 4 Abs. 1 Satz 2 GGO I aber nur dann geschehen, wenn es sachlich nötig ist und dabei mindestens je fünf Referate zusammengefasst werden. Von solchen Unterabteilungen, die ihrer Natur nach Leitungsaufgaben wahrnehmen, hat man für das Bundeskanzleramt -gesagt, dass sie sich nicht bewährt hätten (Behrendt: 1967, S. 34); auch in der Ministerialver-

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waltung allgemein sind solche Organisationseinheiten nicht unumstritten (König: 1978, S. 248). Andererseits wäre es nicht möglich, beispielsweise die Spiegelrefe'rate für sieben Ressorts und dazu noch Querschnittsfragen unvermittelt von der Abteilungsleitung aus zusammenzuhalten. Die Kontrollspanne würde zu groß. So ist das Bundeskanzleramt in den Abteilungen 1 bis 4 in Gruppen gegliedert, welche die Zuständigkeitsbereiche mehrerer Referate umfassen. Die Einrichtung von Gruppen statt Unterabteilungen eröffnet Flexibilität, weil sie sachbearbeitende und leitenden Funktionen in der Spitze bereits in formaler Weise verbindet. Rechnet man noch die informalen Möglichkeiten hinzu, dann kann eine beachtliche Lockerung von bürokratisch-hierarchischen Mustern hin zu kooperativen Aktivitäten die Organisationsverhältnisse bestimmen (König: 1989, S. 58). Die Abteilungen des Bundeskanzleramtes sind wie folgt zugeschnitten: • Abteilung 1 ist erstens Zentralabteilung, d.h. hier werden die Querschnittsfunktionen wie Personal-, Haushalts- und Organisationsangelegenheiten, sowie der Innere Dienst, der den Apparat überhaupt am laufen hält, erledigt. Zum zweiten finden wir dort die Spiegeleinheiten für die Bundesministerien des Innern und der Justiz, und schließlich werden als weitere Querschnittsfunktion die Bund-LänderFragen dort behandelt. Entsprechend bestehen drei Gruppen in dieser Abteilung. • Die Abteilung 2 deckt die außen-, entwicklungs- und sicherheitspolitischen Angelegenheiten ab. Hier werden in ebenfalls drei Gruppen - eine besonders für die Europapolitik - die Bereiche des Auswärtigen Amtes, des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und des Bundesministeriums der Verteidigung koordiniert. • Für diese Aufgabe auf den Feldern „Soziales; Bildung; Forschung; Umwelt; Verkehr; Landwirtschaft" ist Abteilung 3, dazu in zwei Gruppen aufgeteilt, verantwortlich. • Abteilung 4 befasst sich mit der gesamten Wirtschafts- und Finanzpolitik. Die Sachbereiche der dort widergespiegelten Ressorts (Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, Bundesministerium der Finanzen) sind in drei Gruppen gegliedert. • Politische Analysen und Grundsatzfragen bilden den Kompetenzbereich der Abteilung 5, die einzügig, d.h. ohne zusätzliche Organisationsebene zwischen der Abteilungsleitung und den sechs Referaten, geführt wird. • In der Abteilung 6 - mit fünf Referaten ebenfalls einzügig geführt - findet man schließlich die Zuständigkeit für den Bundesnachrichtendienst sowie für die Koordination aller geheimen Nachrichtendienste des Bundes.

2. Funktionen des Bundeskanzleramtes Im Grundgesetz ist das Bundeskanzleramt nicht erwähnt, und auch in der Geschäftsordnung der Bundesregierung wird es nur in Zusammenhang mit seinem Staatssekretär angeführt. Entsprechend werden in den genannten Quellen auch keine Funktionen der deutschen Regierungszentrale expliziert. Die Hauptfunktionen des Bundeskanzleramtes sind aber in den drei in Artikel 65 GG genannten Regierungsprinzipien implizit festgelegt (König: 1989, S. 59; König: 1993a, S. 17f.). Angesichts der persönlichen Zuordnung zum Regierungschef ist die erste Hauptfunktion des Bundeskanzleramtes dessen politisch-administrative Unterstützung.

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Diese äußert sich in mehrfacher Hinsicht. Im Vorwort zum Einzelplan 04 des Bundeshaushaltsplans heißt es nach dem Hinweis auf das Kanzlerprinzip: „Das Bundeskanzleramt hat den Bundeskanzler über die laufenden Fragen der allgemeinen Politik und die Arbeit in den Bundesministerien zu unterrichten. Es hat die Entscheidungen des Bundeskanzlers vorzubereiten und auf ihre Durchführung zu achten." Dazu gehört auch, dass Anstöße für bestimmte „policies" in der Regierungszentrale selbst entwickelt werden, wenn dies als notwendig erachtet wird. Diese werden dann dem Bundeskanzler zur Entscheidung vorgelegt oder in die Gespräche mit den Fachressorts eingebracht, damit diese die Anregungen eventuell im Rahmen ihrer Ressortverantwortung aufgreifen (Busse: 21997, S. 53f.). Aufgrund des Ressortprinzips kann das Bundeskanzleramt nicht so weit gehen, die Programmentwicklung zu sehr an sich zu ziehen. Eigene Einrichtungen der persönlichen Beratung wie die Councils im US-amerikanischen Executive Office of the President sind für den Bundeskanzler formal nicht vorgesehen (König: 1989, S. 55). Diese Aufgabe muss von den Fachabteilungen mit übernommen werden, die über die Spiegelreferate Kontakt zu den einzelnen Ressorts halten, um sich notwendige Informationen zu beschaffen. Die Ressorts sind gemäß § 3 GOBReg verpflichtet, den Bundeskanzler über Vorhaben in ihrem Bereich zu unterrichten. Das Bundeskanzleramt fungiert also als Stab des Bundeskanzlers. Die zweite Hauptfunktion des Bundeskanzleramtes ist aus dem Kabinettsprinzip abzuleiten. Im Vorwort des Haushaltsplanes für den Bundeskanzler und das Kanzleramt heißt es dazu: „Dem Bundeskanzleramt obliegt ferner die Durchführung der Sekretariatsgeschäfte der Bundesregierung. Es ist für die Vorbereitung der Sitzungen des Kabinetts und der Kabinettausschüsse sowie der Beschlüsse der Bundesregierung zuständig." Auch in der Geschäftsordnung der Bundesregierung ist diese Sekretariatsfunktion verankert, wenn es in § 7 Abs. 1 heißt: „Der Staatssekretär des Bundeskanzleramtes nimmt zugleich die Geschäfte eines Staatssekretärs der Bundesregierung wahr." Dies gilt auch dann, wenn der Chef des Bundeskanzleramtes ein Bundesminister ist. Die Tagesordnungen für die Kabinettssitzungen werden vom Chef des Bundeskanzleramtes im Auftrag des Bundeskanzlers erstellt (§ 21 GOBReg). Das Kabinettsreferat ist für die Protokollführung zuständig. Das Bundeskanzleramt achtet darauf, dass neben den Entscheidungen des Bundeskanzlers auch die Beschlüsse der Bundesregierung umgesetzt werden. Um eine einheitliche Linie im Kabinett zu erreichen, müssen die „policies" der einzelnen Bundesministerien auf einen Nenner gebracht werden. Das Kabinettsprinzip legt der Bundesregierung einen Koordinationszwang auf, und der Bundeskanzler hat auf die Einheitlichkeit der Geschäftsführung in der Bundesregierung hinzuwirken. Im Vorwort zum Einzelplan 04 des Bundeshaushaltsplans ist deshalb als weitere Hauptfiinktion zu lesen: „Aufgabe des Bundeskanzleramtes ist es auch, die Arbeiten der Bundesministerien zu koordinieren." Aufgrund seines Überblicks über die Arbeit aller Ressorts mit Hilfe der Spiegelreferate kann das Bundeskanzleramt zu einer Überwindung der selektiven Perzeption von Sachfragen durch die einzelnen Ministerien beitragen und so negativer Koordination vorbeugen. Die Geschäfte der Kabinettsausschüsse werden vom Bundeskanzleramt gefuhrt (Busse: 1993, S. 415). Für den Bundessicherheitsrat ist beispielsweise die Gruppe 23 zuständig. Dort wird die dem Bundeskanzleramt aufgetragene Koordination der Landesverteidigung besorgt (Bundeshaushaltsplan, Vorwort zum Einzelplan 04).

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Bei der Koordinationsfunktion stößt man im Umkehrschluss auf das Ressortprinzip, das uns auf die einzige Ressortfunktion des ansonsten grundsätzlich ressortfreien Bundeskanzleramtes, die Zuständigkeit für den Bundesnachrichtendienst (BND), verweist. Vor der deutschen Einheit waren die Grundsatzfragen der Deutschlandpolitik ebenfalls eine Ressortaufgabe des Bundeskanzleramtes. Ergänzend lassen sich auch mit den Kategorien des funktionalen Regierungsbegriffs die Funktionen des Bundeskanzleramtes aber auch jeder anderen Regierungszentrale ermitteln. Zunächst zum policy-making: Bei den Querschnittsfunktionen Organisation und Personal unterstützen den Regierungschef im Bundeskanzleramt entsprechende Organisationseinheiten in der Abteilung 1 - die Gruppe 11 ist beispielsweise für die Personalangelegenheiten der Bundesregierung verantwortlich. Die Budgetfunktion für die Bundesregierung liegt beim Bundesministerium der Finanzen, so dass das Bundeskanzleramt hier nur für sich und den nachgeordneten Bundesnachrichtendienst zuständig ist. Bei den weiteren materiellen Entscheidungen gibt die Regierungszentrale vor allem Anstöße für neue „policies", wenn diese nicht von den Ressorts selbst kommen. Im Hinblick auf die bei der Dimension des policy-making mitbedachte Planungsfunktion erledigt das Bundeskanzleramt die Aufgabenplanung der Bundesregierung. Dabei werden deren Vorhaben mittels Datenblatt erfasst. Dieses System dient als Basis u.a. für die Erstellung der Regierungserklärung des Bundeskanzlers (König: 1985, S. 135ff.). Man muss bei der Planungsfunktion berücksichtigen, dass vieles unter anderen Bezeichnungen, wie beispielsweise „Grundsatzfragen", zu finden ist. Das Bundeskanzleramt ist auch für die Gesamtplanung der Landesverteidigung zuständig (s.a. insgesamt - » § 11). Auf der Ebene des meta-policy-making hat das Bundeskanzleramt eine Steuerungsfunktion inne, indem es den Bundeskanzler bei der Erstellung der Richtlinien der Politik unterstützt sowie bei der Umsetzung der Entscheidungen des Regierungschefs mitwirkt. Ihre Grenze findet die Steuerungsfunktion des Bundeskanzleramtes im Ressortprinzip. Es gibt keine Fachaufsicht des Bundeskanzleramtes über die Ministerien, und die Regierungszentrale darf sich nicht zu einem „Oberministerium" entwickeln (Böckenförde: 1964, S. 241). Das Bundeskanzleramt wacht darüber, ob die Beschlüsse der Bundesregierung und des Bundeskanzlers auch in der von ihnen intendierten Art und Weise vollzogen werden, übt also auch eine Kontrollfunktion aus. Bei der Koordination und Konfliktregelung hat es eine gegenüber den einzelnen Bundesministerien vorwiegend neutrale, auf Konsensfindung bedachte Funktion (Busse: 2 1997, S. 54). Die Regierungszentrale erfüllt die Funktion der Informationsbeschaffung und -Verarbeitung für den Bundeskanzler. Die von den Ministerien aufgrund ihrer Informationspflicht gegenüber dem Regierungschef gelieferten Informationen werden vom Bundeskanzleramt für den Kanzler gebündelt und geprüft. Diese Prüfung erstreckt sich auf den Inhalt und auf prozedurale Fragen (Busse: 2 1997, S. 53). Bei der Außendarstellung, Legitimationsbeschaffung und Repräsentation hält das Bundeskanzleramt für die Bundesregierung Verbindungen zu anderen Verfassungsorganen. So ist es beispielsweise für die Zuleitung von Gesetzentwürfen an den Bundestag (—» §§ 10, III.; 20, IV.) verantwortlich (Kabinett- und Parlamentreferat). Für den Bundeskanzler werden im Rahmen des Bund-Länder-Verhältnisses die Besprechungen mit den Regierungschefs der Länder (Referat 121) vorbereitet (-> s.a. § 6). Die Verbindung zu gesellschaftlichen Gruppen (Referat 011) und die Verbin-

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dung zu Kirchen und Religionsgemeinschaften (Referat 505) ist eine weitere Aufgabe in dieser Funktionskategorie. Die kulturellen Kontakte werden von dem dafür zuständigen Beauftragten der Bundesregierung gepflegt. Im Bereich Öffentlichkeitsarbeit ist die Regierungszentrale nur für den Bundeskanzler tätig.

Parlamentarisches Regierungssystem Organisationsplan des Bundeskanzleramtes

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§ 13 Der Bundespräsident Werner Billing I. Das Staatsoberhaupt in der repräsentativen Demokratie - II. Rolle und Funktion des Bundespräsidenten im politischen System der Bundesrepublik - III. Auswahl und Wahl des Bundespräsidenten - IV. Einwirkungsmöglichkeiten des Bundespräsidenten auf die Politik - V. Die Rolle des Bundespräsidialamtes bei der Wahrnehmung von Staatsaufgaben durch den Bundespräsidenten Grundlagenliteratur: Billing, Werner ( 2 1976): „Die Rolle des Bundespräsidenten im Bereich der Außenpolitik". In: Schwarz, Hans-Peter (Hg.), Handbuch der deutschen Außenpolitik. München, S. 142 ff. Braun, Beate (1993): Die Bundesversammlung. Frankfurt/M. Hartmann, Jürgen / Kempf, Udo (1989): Staatsoberhäupter in westlichen Demokratien. Opladen Jäger, Wolfgang (1994): Wer regiert die Deutschen?. Zürich Kaltefleiter, Werner (1970): Die Funktionen des Staatsoberhauptes in der parlamentarischen Demokratie. Köln Nierhaus, Michael (1973): Entscheidung, Präsidialakt und Gegenzeichnung. München Rausch, Heinz ( 2 1984): Der Bundespräsident. München Scholz, Günther ( 3 1997): Die Bundespräsidenten. Bonn Späth, Franz ( 5 1993): Das Bundespräsidialamt. Düsseldorf

I. Das Staatsoberhaupt in der repräsentativen Demokratie Verfassungstypologisch sind fünf mit unterschiedlichen Funktionen und Kompetenzen ausgestattete Grundformen der Stellung des Staatsoberhaupts in der repräsentativen Demokratie zu unterscheiden (Steffani: 1979, S. 37ff., insbes. S. 43): • Das präsidentielle Regierungssystem (-» § 2, IV.) mit geschlossener Exekutive, in dem der Präsident sowohl Staatsoberhaupt als auch Regierungschef ist (Beispiel: USA). • Das parlamentarische Regierungssystem (-» § 2, III.) mit doppelter Exekutive und a) Exekutivkooperation. Hier besteht ein ungefähres Machtgleichgewicht zwischen Staatsoberhaupt und Regierungschef (Beispiel: Frankreich, IV. Republik). b) Premierminister- bzw. Kanzlerhegemonie. Der Premierminister/Kanzler bestimmt die Richtlinien der Politik, und das Staatsoberhaupt nimmt im Wesentlichen Aufgaben der Repräsentation wahr (Beispiel: Großbritannien und Bundesrepublik). c) Präsidialhegemonie. Im Dreiecksverhältnis Staatsoberhaupt - Parlament Regierung kommt dem Staatsoberhaupt eine herausgehobene Stellung zu (Beispiel: Weimarer Republik; Frankreich, V. Republik). d) Versammlungshegemonie. Die Macht verlagert sich von der Exekutive auf das Parlament (Beispiel: Rätesystem).

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II. Rolle und Funktion des Bundespräsidenten im politischen System der Bundesrepublik 1. Grundlegende Weichenstellung des Grundgesetzes für das Verhältnis von Bundespräsident und Bundeskanzler/Bundesregierung Im Gegensatz zur Weimarer Reichsverfassung, die sich für ein parlamentarisches Regierungssystem mit Präsidialhegemonie und damit für einen Dualismus von parlamentarischem und präsidentiellem Prinzip als Grundmuster der Regierungsweise entschieden hatte, stellte der Parlamentarische Rat aufgrund der schlechten Erfahrungen mit der dualistischen Struktur die Weichen für ein echtes parlamentarisches System mit Kanzlerhegemonie (-> § 1, VI.)- Während die Bundesregierung und insbesondere der Bundeskanzler (—> i.E. § 12) aufgrund seiner Richtlinienkompetenz gemäß Art. 65 GG im Wesentlichen die Politik bestimmen und dafür gegenüber dem Parlament und letztlich gegenüber dem Wähler die politische Verantwortung tragen und vom Bundestag (-> § 10, IV.) auch jederzeit zur Verantwortung gezogen werden können, steht der Bundespräsident als nicht regierendes Staatsoberhaupt weitgehend außerhalb des demokratischen Verantwortungsbezuges und sind ihm - außer im Fall einer Regierungs- und Parlamentskrise, in der er als Reservemacht einen begrenzten politischen Ermessensspielraum besitzt - keine entscheidenden Machtbefugnisse zugewiesen. Dem Staatsoberhaupt fällt vielmehr die Rolle einer „würdigen" Verfassungsinstitution (Bagehot: 1968, S. 61) zu, die an der aktiven Gestaltung der Regierungspolitik rechtlich nicht beteiligt ist und selbst im Falle einer Regierungskrise auf die Funktion eines Stabilisators und uneigennützigen Helfers bei der Steuerung der Funktionsstörung beschränkt bleibt. Außerhalb des politisch-dynamischen Bereichs und somit - zumindest von der Intention her - jenseits der gruppen- und parteipolitischen Auseinandersetzungen stehend, verkörpert der Bundespräsident symbolhaft die Einheit des Staates, und gehört es wesentlich zu seiner Aufgabe, die „auctoritas" und die „dignitas" des Staates zu wahren und einen möglichst hohen Verfassungskonsens zu erhalten. Er unterliegt daher auch einem umfangreichen Inkompatibilitätsgebot (Art. 55 GG). Aus dieser Aufgabenstellung ergeben sich sowohl seine Repräsentationsfunktion nach außen wie auch seine Integrationsfunktion nach innen.

2. Das Rechtsinstitut der Gegenzeichnung Mit der veränderten Grundstruktur der Verfassung wandelte sich auch die Sinndeutung des auf einer langen Verfassungstradition beruhenden Rechtsinstituts der Gegenzeichnung des Art. 58 GG, das die Verschränkung zwischen Präsidial- und Regierungsgewalt herstellt und ein einheitliches Handeln der Exekutive garantiert. War ursprünglich das Staatsoberhaupt der materielle Aktautor und die Regierung die Gegenzeichnende, so ist dies heute umgekehrt (Umpolungstheorie). In der Mehrzahl der Fälle kommen nämlich heute sowohl die Entscheidungsvorbereitung wie auch die Entscheidungsbefugnis im materiellen Sinne in Umkehrung der ursprünglichen Relation der Regierung zu, so dass der vom Bundeskanzler und/oder einem Bundesminister bereits gezeichnete Akt zu seiner Rechtsgültigkeit als letztes noch der Unterschrift des Bundespräsidenten bedarf.

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Somit ist der Bundespräsident in diesem Bereich heute praktisch der Gegenzeichnende und die Regierung der materielle Aktautor, die dafür die politische Verantwortung übernimmt. Da nun ein erheblicher Teil der Regierungs- und Parlamentsakte der Unterschrift des Staatsoberhauptes bedarf und damit vor der Veröffentlichung dem Bundespräsidenten vorgelegt werden muss, bietet das Gegenzeichnungsinstitut einen geeigneten Ansatzpunkt für eine beschränkte politische Mitwirkungsmöglichkeit und Kontrollfiinktion des Bundespräsidenten.

3. Funktionen Dem Bundespräsidenten stehen zwar machtpolitisch nur sehr schwache Mittel zur Verfugung, er übt jedoch als Staatsoberhaupt im politischen System der Bundesrepublik wichtige Funktionen aus: Die Funktion der Repräsentation und der Integration, die Artikulation von Verfassungskonsens, die Kontrollfunktion und die Reservefunktion, wobei sich die einzelnen Funktionen und die daraus resultierenden Aufgaben wechselseitig bedingen. Die Repräsentation des Staates nach außen wurde dem Bundespräsidenten durch Art. 59 Abs. 1 GG ausdrücklich zugewiesen. Er ist damit als die wesentliche Schaltstelle anzusehen, durch welche die innerstaatlichen Entscheidungen im Bereich der Außenpolitik auf die internationale Ebene umgesetzt werden. In Erfüllung dieser Transformationsfunktion repräsentiert er den Staat als Ganzes nach außen und macht somit die Einheit des Staates als Völkerrechtssubjekt sichtbar. Der Bundespräsident hat sich jedoch bei Wahrnehmung seiner Repräsentationsfunktion an die von Parlament und Regierung bestimmte außenpolitische Linie zu halten. Die Aufgabe, die Integration des Staates zu fördern (Integrationsfunktion), vollzieht sich auf zwei Ebenen. Auf der Stufe der Verfassungsorgane (-> § 8, II.) versucht der Bundespräsident in seiner Rolle als Sprecher und Wahrer der Nation, die Integrationskraft der Regierung und des Parlaments zu unterstützen und zu ergänzen (komplementäre Funktion). Gegenüber dem Staatsvolk bemüht er sich mit dem Mittel der öffentlichen Rede, die Einheit des Gemeinwesens darzustellen. Die Hauptaufgabe des Bundespräsidenten besteht jedoch darin, den demokratischen Grundkonsens zu erhalten, das Verhältnis der Bürger zum Staat positiv zu gestalten und für die Funktionsfähigkeit der Demokratie Sorge zu tragen. Gerade in einer pluralistischen Gesellschaft mit den vielfältigsten Gruppeninteressen ist der Bundespräsident gefordert, die Anschauungen von Minderheiten und Mehrheiten überzeugend zu verbinden bzw. zwischen ihnen zu vermitteln, damit möglichst alle Bürger sich mit „ihrem" Bundespräsidenten und „ihrem" Staat identifizieren können. Um die Einheit des Staates zu repräsentieren und die Integration des Staatsvolks zu erreichen, muss der Bundespräsident größtmögliche Neutralität wahren. Dies bedeutet jedoch nicht völlige politische Enthaltsamkeit. Die Integrationsfunktion lebt vielmehr von der Ausstrahlungskraft und der persönlichen Integrität des Amtsinhabers. Persönlicher Stil und persönliche Erfahrungen, seine politische Karriere sowie die politische Kultur in der Gesellschaft und die Zeit, in welcher der Bundespräsident sein Amt innehat, sind Faktoren, die die Aktions- und Reaktionsweisen des Bundespräsidenten prägen und bestimmen.

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Die Artikulation und Wahrung von Verfassungskonsens als Aufgabe des Bundespräsidenten überschneidet sich sowohl mit der Integrationsfunktion als auch mit der Repräsentationsfunktion. Im innerstaatlichen Bereich artikuliert der Bundespräsident Verfassungskonsens, wenn er zum Beispiel Gesetze ausfertigt, und im Bereich der Repräsentation nach außen bringt er Verfassungskonsens durch die Ratifizierung von Verträgen zum Ausdruck. Die Kontrollfunktion ist erstens als informative Kontrolle zu verstehen. Der Bundespräsident kann die Bundesregierung über die verschiedenen formellen und informellen Kanäle - von besonderer Bedeutung sind hier die Bestimmungen der §§ 5, 21 Abs. 2 u. 3 und 23 Abs. 1 GeschOBReg - beraten, d.h. sie in ihrer Politik ermutigen und bestärken, sie zur Zurückhaltung mahnen und vor einer konkreten Entscheidung warnen oder ihr die Zurücknahme eines Aktes empfehlen (Artikulationsfunktion) und sich als Vermittler oder Schlichter betätigen. In ihrer zweiten Spielart ist die Kontrollfunktion Rechtmäßigkeitskontrolle. Die Befugnis des Bundespräsidenten, einen Akt, an dem er mitwirkt, auf dessen Verfassungs- und Rechtmäßigkeit hin zu prüfen und gegebenenfalls nicht zu vollziehen, ergibt sich aus seinem Status als Verfassungsorgan und aus dem Rechtsstaatsprinzip (-> § 5, V.) des Art. 20 Abs. 3 GG. Drittens übt der Bundespräsident entsprechend seiner Aufgabe, die Dignität des Staates zu wahren, eine Dignitätskontrolle aus, d.h. er kann einem von der Bundesregierung gewünschten Akt wegen zu erwartender erheblicher schädlicher Auswirkungen auf das Ansehen des Staates seine Mitwirkung versagen. Er ist jedoch weder der „Hüter der Verfassung" noch ein „pouvoir neutre" (ausführlich Grauhan: 1965, S. 379ff.; Kaltefleiter: 1970, S. 208ff.; Nierhaus: 1973, S. 42ff.). Sowohl die Rechtmäßigkeits- wie auch die Dignitätskontrolle sind suspensive Vetofunktionen, da die Entscheidungen des Bundespräsidenten ihrerseits prinzipiell der Rechtskontrolle des Bundesverfassungsgerichts (Organklage nach Art. 93 I, Ziff. 1 GG) unterliegen und somit nicht endgültig sein müssen. Auf diese Weise wird verhindert, dass der Bundespräsident seine Kontrollfiinktion missbraucht und damit die Politik der Bundesregierung blockiert. Für den Fall einer vorsätzlichen Verletzung des Grundgesetzes oder eines anderen Bundesgesetzes durch den Bundespräsidenten besteht die Möglichkeit einer Anklage vor dem Bundesverfassungsgericht (Art. 61 GG). In einer Regierungs- und Parlamentskrise kommt die Reservefunktion des Bundespräsidenten in Form der Legitimitätsreserve zum Tragen (Art. 63, 68 u. 81 Abs. 1 GG). Seine Aufgabe besteht in diesen Fällen darin, eine handlungs- und tragfähige Regierung wieder herzustellen und damit die Stabilität des parlamentarischen Systems zu sichern (Stabilisierungsfunktion). Der Bundespräsident nimmt dabei nicht die Rolle eines regierenden Präsidenten, sondern die eines uneigennützigen Helfers ein. 4. Gebot der Konkordanz Die Artikel 58 und 65 GG stellen für das Verhältnis der Verfassungsorgane Bundespräsident und Bundesregierung klar, dass der Bundespräsident an die politische Linie der Bundesregierung gebunden ist und diese auch nicht durchkreuzen oder stören darf. Ein Dualismus mit jeweils eigenen politischen Machtbefugnissen ist somit ausgeschlossen. Die politische Entscheidungsgewalt liegt aus-

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schließlich beim Bundeskanzler, bei der Regierung und beim Parlament. Nun könnte leicht der Eindruck entstehen, dass der Bundespräsident lediglich als oberster Staatsnotar anzusehen ist, der gänzlich an den Willen der Bundesregierung gebunden ist und somit keine Mitwirkungsmöglichkeiten besitzt, d.h. dass er bei der Unterschriftsleistung keinerlei Entscheidungen zu treffen hat und ihm auch sonst keine weitergehenden Befugnisse zugestanden werden. Die Stellung des Bundespräsidenten wird jedoch verkannt, wenn er ausschließlich als reiner Vollzugsbeamter betrachtet wird. Um den Staat als eine Einheit fiinktions- und handlungsfähig zu erhalten, bedarf es einer wechselseitigen Ausrichtung und Kooperation der Verfassungsorgane, insbesondere einer guten Zusammenarbeit zwischen Bundespräsident einerseits und Bundesregierung und Bundeskanzler andererseits. Bundespräsident und Bundeskanzler sind in vielen Bereichen aufeinander angewiesen und zu gegenseitiger Rücksichtsnahme und loyaler Zusammenarbeit verpflichtet. Der Bundespräsident hat die vom Bundeskanzler bestimmte Regierungspolitik zu wahren, und die Bundesregierung muss die zur Wahrung und zur Repräsentation der staatlichen Einheit eingesetzten Mitwirkungsbefugnisse des Bundespräsidenten beachten (Gebot der Konkordanz). Daraus folgt, dass die beiden Exekutivspitzen, die zwar unterschiedlich aufgebaut und mit gänzlich anderen Kompetenzen ausgestattet sind, einander so zugeordnet sein müssen, dass die Einheit der Exekutive gewährleistet ist. Die Bundesregierung als Repräsentant der gesamten Staatspolitik und der Bundespräsident als Repräsentant des Staates werden somit aufgrund dieses Gegenseitigkeitsverhältnisses in ihre Entscheidungen wechselseitig eingebunden.

III. Auswahl und Wahl des Bundespräsidenten 1. Rechtliche Regelung Der Rolle des Bundespräsidenten als eines würdigen Verfassungselements im Verfassungssystem entsprechend hat sich der Parlamentarische Rat nicht für eine Volks-, sondern für eine „parlamentarische" Wahl und damit für eine - das unitarische und das föderative Element gleichermaßen berücksichtigende - starke mittelbare demokratische Legitimation entschieden. Wahlorgan ist ein besonderes Verfassungsorgan, die Bundesversammlung. Sie ist ein im Grundgesetz verankertes (Art. 54 GG), nicht ständiges, sondern aus Anlass der Wahl eines Bundespräsidenten im Normalfall alle fünf Jahre für jeweils einen Tag konstituiertes oberstes Verfassungsorgan des Bundes, dessen einzige verfassungsmäßige Aufgabe in der Wahl eines Bundespräsidenten besteht. Sie ist daher - einzigartig unter den obersten Verfassungsorganen - ein reines Wahlgremium und stellt, auf einen Vorschlag von Theodor Heuss (FDP) im Parlamentarischen Rat zurückgehend, eine Neuschöpfung in der deutschen Verfassungsgeschichte dar. Aufgrund der negativen Erfahrungen mit der herausgehobenen Stellung des Reichspräsidenten und seiner damit verbundenen Volkswahl in der Weimarer Republik entschied sich der Parlamentarische Rat für ein „parlamentarisch" gewähltes Staatsoberhaupt. Die mittelbare demokratische Legitimation sollte der neu definierten Rolle des Staatsoberhaupts als eines würdigen Verfas-

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sungselements angepasst werden und vermeiden, dass der Bundespräsident in den Wahlkampf gezogen und dabei an Autorität verlieren würde.

Die Bundesversammlung Wahl des Bundespräsidenten

Wahlvorschläge Jedes Mitglied der Bundesversammlung kann Kandidaten vorschlagen

Geheime Wahl

Erforderliche M e h r h e i t im 1. und 2. Wahlgang: Mehr als die Hälfte der Stimmen aller Mitglieder der Bundesversammlung

| im 3. Wahlgang: Relative Stimmenmehrheit

ohne vorherige Aussprache

656 Mitglieder ^

656 Mitglieder

= alle Abgeordneten des Deutschen Bundestags

* evtl. zusätzliche Mitglieder durch Überhangmandate

© Erich Schmidt Verlag

73

12

Mitglieder

tritt alle 5 Jahre zusammen (spätestens 30 Tage vor Ende der Amtszeit des Bundespräsidenten)

von den 16 LänderParlamenten gewählt

IZAHLENBILDERl-GB-

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Die Bundesversammlung setzt sich zusammen aus den Mitgliedern des Bundestages (Mitglieder kraft ihres Mandats) und aus einer gleichen Anzahl von Mitgliedern, die von den Landesparlamenten entsprechend der Bevölkerungszahl (ohne Ausländer) ihrer Länder und nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt werden (Mitglieder kraft Wahl; Art. 54 Abs. 3 GG u. §§ 2 u. 4 BPräsWG). Gewählt werden können auch Personen, die - und davon wird insbesondere dann rege Gebrauch gemacht, wenn eine Partei oder eine Koalition über eine ausreichende Mehrheit in der Bundesversammlung verfügt - , nicht Mitglied einer Partei der sie wählenden Volksvertretung sind (z.B. bekannte Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Kultur und Sport); sie müssen jedoch zum Bundestag wählbar sein (§ 3 BPräsWG). Alle Mitglieder besitzen eine den Abgeordneten des Bundestages ähnliche Rechtsstellung und sind nicht an Aufträge und Weisungen gebunden (§ 7 BPräsWG). Wegen der besonderen Konstruktion der Bundesversammlung kommt in ihr idealtypisch sowohl das unitarische als auch das föderative Element, und zwar gleichgewichtig, zum Tragen, und besitzt sie eine breite, weitgehend alle parlamentarischen Gruppen einschließende, teils primäre (Mitglieder des Bundestages), teils sekundäre (die übrigen Mitglieder) demokratische Legitimation. In der Praxis spielt das föderative Element allerdings kaum eine Rolle, da die Kandidaten für die Wahl des Bundespräsidenten in der Regel von Spitzengremien der Bundesparteien benannt und zuletzt von den Bundestagsfrak-

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Mit freundlicher Genehmigung des Erich Schmidt Verlags Berlin

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tionen abgesegnet werden und die Sitzverteilung in der Bundesversammlung nach Fraktionen (-> § 9, VII.) und nicht nach Ländern vorgenommen wird. Steht die Wahl eines Bundespräsidenten an, so hat die Bundesregierung - unter Zugrundelegung des Verhältnisses der letzten amtlichen Bevölkerungszahlen der Länder - die Anzahl der von den Landesparlamenten zu wählenden Mitglieder der Bundesversammlung rechtzeitig bekannt zu geben und im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen (§ 2 I BPräsWG). Die Landtage haben die Wahl unverzüglich vorzunehmen und das Ergebnis dem Präsidenten des Bundestages (-» § 9, V.) als dem geborenen Präsidenten der Bundesversammlung zu übermitteln. Er legt Zeit und Ort des Zusammentritts der Bundesversammlung fest und leitet ihre Sitzungen und Geschäfte, wobei er zu beachten hat, dass die Bundesversammlung spätestens 30 Tage nach Ablauf der Amtszeit des bisherigen Bundespräsidenten, bei vorzeitiger Beendigung 30 Tage danach, einzuberufen ist (Art. 54 Abs. 4 GG; §§ 1,2 II, 4 VI u. 8 BpräsWG). 1949 wurde die erste Bundesversammlung aus Zeitgründen noch von den Ministerpräsidenten der Länder nach Bonn einberufen, zwischen 1954 und 1969 tagte sie trotz erheblicher Proteste der Sowjetunion in Berlin. Aufgrund des VierMächte-Abkommens vom 3. September 1971 trat sie ab 1974 gezwungenermaßen wieder in Bonn zusammen. Mit der Einberufung der 10. Bundesversammlung (erstmals) in den Reichstag des wiedervereinigten Berlins 1994 wurde der Grundstein für eine neue Tradition gelegt. Seit 1979 tagt die Bundesversammlung, der Initiative des damaligen Präsidenten des Bundestages, Karl Carstens, folgend, symbolträchtig am 23. Mai, dem Jahrestag der Verkündung des Grundgesetzes. Wählbar für das Amt des Bundespräsidenten ist jede(r) Deutsche, die/der das Wahlrecht zum Bundestag besitzt, das 40. Lebensjahr vollendet und der Nominierung schriftlich zugestimmt hat (Art. 54 Abs. 1 GG u. § 9 I BPräsWG). Vorschlagsberechtigt ist jedes Mitglied der Bundesversammlung, und für jeden Wahlgang können neue Vorschläge eingebracht werden (§ 9 I BPräsWG). In der Praxis haben bisher jedoch nur Fraktionen Vorschläge eingereicht. Die Wahl erfolgt ohne Aussprache mit verdeckten Stimmzetteln (geheime Wahl; § 22, III.) in öffentlicher Sitzung (Art. 54 Abs. 1 GG u. § 9 III BPräsWG). Mit dieser Regelung wollte der Grundgesetzgeber eine für die Autorität des Amtes schädliche Diskussion um die Kandidaten vermeiden. Da der intra- und der interparteiliche Prozess der Kandidatenauslese in der Regel jedoch sehr frühzeitig vor dem Zusammentritt der Bundesversammlung beginnt, findet die - zum Teil auch öffentlich geführte - Personaldiskussion teilweise bereits im Vorfeld der Wahl statt. Zum Bundespräsidenten ist gewählt, wer im ersten oder zweiten Wahlgang die Mehrheit der Stimmen der Mitglieder der Bundesversammlung erhält. In einem eventuell notwendig werdenden dritten Wahlgang genügt die relative Mehrheit der Abstimmenden (Art. 54 Abs. 6 GG). Innerhalb von zwei Tagen hat der Gewählte gegenüber dem Bundestagspräsidenten zu erklären, ob er die Wahl annimmt. Alle bisherigen Bundespräsidenten taten dies bereits unmittelbar nach der Wahl. Nach der Annahmeerklärung durch den Gewählten - evtl. verbunden mit einer Ansprache - beendet der Bundestagspräsident die Sitzung der Bundesversammlung (§ 9 V BPräsWG) und veranlasst als letzten Akt die Eidesleistung des neu gewählten Bundespräsidenten in einem repräsentativen Staatsakt vor den versammelten Mitgliedern von Bundestag und Bundesrat (Art. 56 GG u. § 11 BPräsWG).

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Die Amtszeit des Bundespräsidenten beträgt fünf Jahre. Eine anschließende einmalige Wiederwahl ist zulässig (Art. 54 Abs. 2). Im Falle einer Verhinderung des Bundespräsidenten oder bei vorzeitiger Beendigung der Amtszeit übernimmt der Präsident des Bundesrates die Amtsgeschäfte (Art. 57).

2. Kandidatenauslese und Wahlpraxis Für die Nominierung der Kandidaten gibt es in der Praxis kein festgelegtes Verfahren. Die Entscheidungsfindung verläuft in der Regel in den Parteivorständen der einzelnen Parteien. Alle Bundespräsidenten waren zum Zeitpunkt ihrer Wahl Mitglied einer politischen Partei, nahmen - ausgenommen Heinrich Lübke Spitzenpositionen in ihrer Partei ein, und alle hatten hohe Staatsämter inne. Außer Roman Herzog verfügten alle anderen auch über parlamentarische Erfahrung auf Bundes- und/oder Landesebene. Der Wahlerfolg der einzelnen Kandidaten hängt zusätzlich ab von der Stärke und der strategischen Position der jeweiligen Partei in der Bundesversammlung. So kamen vier Bundespräsidenten von der CDU (Lübke, Carstens, von Weizsäcker und Herzog), die damit die Hälfte der bisherigen Bundespräsidenten stellte, und je zweimal waren die Kandidaten der FDP (Heuss, Scheel) und der SPD (Heinemann, Rau) erfolgreich. Dies spiegelt die Machtverhältnisse in der Bundesrepublik seit 1949 wider. Bevorzugt werden auch Kandidaten der älteren Generation, die langjährige politische Erfahrung besitzen. So waren sechs Bundespräsidenten bei Amtsantritt 65 Jahre alt oder älter. Ein Wahlerfolg ist letztlich auch eine Frage einer guten Fremd- statt Eigenwerbung und der persönlichen Eignung für das Amt.

Die Wahl des Bundespräsidenten •

Wahljahr

1. Wahlgang absoluta Mehrt»** erfordernd)

2. Wahlgang absolute Metvtwit* ariordertidi

3. WahJgang einfache MohrheitgmÖEt

Gewählt Johannes Rau

Dagmar Schipantki Uta Ranke-Heinemann

1994

Roman Herzog

J. Rau, H. Hamm-Brtcber J. Reich, H. Hirtel

1989

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R. von Weizsäcker

1984

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1999

1979 1974 1969 1964

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Richard von Weizsäcker Gerhard Schröder Ewald Bucher Carlo Schmid Max Becker

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Theodor Heuss

Kurt Schumacher Rudolf Amelunxen u.a.

' mehr als die Hälfte der Mitglieder der Bundesversammlung

© Erich Schmidt Verlag

Luise Rinser Annemarie Renger

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1959

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Gegenkandidaten

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Mit freundlicher Genehmigung des Erich Schmidt Verlags Berlin

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In zwei Fällen, 1969 bei der Wahl Gustav Heinemanns und 1994 bei der Wahl Roman Herzogs, gelang eine Wahl erst im dritten Wahlgang. Einen zweiten Wahlgang benötigten Theodor Heuss 1949, Heinrich Liibke 1959 und Johannes Rau 1999 bei ihrer ersten Wahl, und alle Bundespräsidenten - ausgenommen Richard von Weizsäcker 1984 mit 80,9% - verzeichneten bei ihrer ersten Wahl eine nur knapp (zwischen 50% und 52,8%) über der erforderlichen Mehrheit liegende Stimmenzahl. Die meisten Bundespräsidenten konnten sich daher nicht schon zu Beginn ihrer Amtszeit auf eine breite politische Vertrauensbasis stützen, sondern mussten diese erst durch ihre überparteiliche Amtsführung schaffen. In vielen Fällen stellte die Wahl des Bundespräsidenten - besonders deutlich sichtbar bei der Wahl Gustav Heinemanns 1969 - eine Richtungsentscheidung für mögliche künftige Koalitionsbildungen dar und traf damit zugleich eine Aussage über den Zustand der bestehenden Regierungskoalition. Die bisherigen Bundespräsidentenwahlen brachten trotz verschiedentlicher, eine demokratische Streitkultur übersteigende Polemik (1959, 1979, 1994) durchaus Persönlichkeiten in das Amt, die im Wesentlichen dem Persönlichkeitsbild eines Würde, Autorität und Glaubwürdigkeit ausstrahlenden ,eider statesman' entsprachen. Dies findet seinen sichtbaren Ausdruck auch darin, dass der Bundespräsident - wie Umfragen immer wieder bestätigen - im Vergleich zu anderen politischen und gesellschaftlichen Institutionen das weitaus höchste Ansehen in der Bevölkerung genießt.

3. Reform des Bestellungsverfahrens? Kritiker, die sich für eine Stärkung der politischen Mitwirkungsrechte der Bürger einsetzen, fordern, den Bundespräsidenten analog der Regelung in der Weimarer Republik wieder vom Staatsvolk wählen zu lassen, da auf diese Weise eine mehr persönlichkeitsbezogene Wahl ermöglicht, die politische Partizipation des Volkes erhöht und eine Stärkung der demokratischen Legitimation des Staatsoberhauptes erreicht würde (Jülich: 1969, S. 96 f.). Dagegen kommt die Enquete-Kommission „Verfassungsreform" des Deutschen Bundestages in ihrem Schlussbericht zu dem Ergebnis, dass sich eine direkte demokratische Legitimation des Bundespräsidenten mit seinen politischen Entscheidungskompetenzen nicht verträgt, dass die Kandidaten in einen Wahlkampf hineingezogen würden und damit die verfassungsrechtlich notwendige Distanz des Staatsoberhauptes zur Tagespolitik nicht mehr gegeben sei (BT-Drs. 7/5924, S. 20 f.). Weitere - nicht überzeugende - Reformvorschläge beziehen sich vor allem auf den von den Landesparlamenten gewählten Teil der Bundesversammlung. Obwohl es sich bei der Bundespräsidentenwahl eindeutig um eine Partei- und nicht um eine Persönlichkeitswahl handelt (Ausnahme: Richard von Weizsäcker), hinderte dieser Sachverhalt keinen der bisherigen Bundespräsidenten daran, das Amt überparteilich zu führen. Die Amtsführung der bisherigen acht Bundespräsidenten zeigt deutlich, dass nicht nur die „Person das Amt, sondern auch das Amt die Person prägt" (Winkler: 1967, S. 28).

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IV. Einwirkungsmöglichkeiten des Bundespräsidenten auf die Politik Der Bundespräsident verfügt über eine Reihe verfassungsrechtlicher Beteiligungsformen, über die er sowohl auf direktem wie auch auf indirektem Wege Einfluss ausüben kann. Dazu gehören vor allem die Mitwirkung bei der Regierungsbildung (1), die Prüfungsbefugnis bei der Gesetzesausfertigung (2), die Mitwirkung bei der Ernennung und der Entlassung von Bundesrichtern, Bundesbeamten und Offizieren (3), die Kompetenzen in Krisensituationen (4), die völkerrechtliche Vertretungsbefugnis (5) und die Einflussnahme über die Wahrnehmung von Aufgaben staatlicher Repräsentation (6). 1. Die Rolle des Bundespräsidenten bei der Regierungsbildung Das Grundgesetz regelt die Modalitäten der Regierungsbildung in Art. 63 und 64 GG. Dabei sind zwei Stufen vorgesehen: Die Wahl des Bundeskanzlers durch den Bundestag (Art 63 GG) und die Bildung des Kabinetts (Art. 64 GG). Auf beiden Stufen der Regierungsbildung ist der Bundespräsident beteiligt. Unterschiede bestehen jedoch hinsichtlich seiner Aufgaben. a) Präsentation und Ernennung des Bundeskanzlers Art. 63 GG sieht drei unterschiedliche Phasen vor, in denen die Wahl eines Kanzlers möglich ist: Phase 1 (Art. 63 Abs. 1 u. 2 GG): Im Bundestag wird auf Vorschlag des Bundespräsidenten über einen Kanzlerkandidaten abgestimmt. Erhält der Kandidat die Stimmen der Mehrheit der gesetzlichen Mitglieder des Bundestags, so ist er gewählt und vom Bundespräsidenten zu ernennen. Phase 2 (Art. 63 Abs. 3 GG): Findet der Vorschlag des Bundespräsidenten keine absolute Mehrheit im Bundestag, so kann dieser innerhalb von zwei Wochen auf Vorschlag aus den eigenen Reihen ohne Mitwirkung des Bundespräsidenten einen Bundeskanzler wählen. In dieser Wahlphase sind beliebig viele Wahlgänge möglich; gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der gesetzlichen Mitglieder des Bundestages auf sich vereinigt. Der Bundespräsident muss diesen Kandidaten ernennen. • Phase 3 (Art. 63 Abs. 4 GG): Kann sich das Parlament in Phase 2 auf keinen Kandidaten einigen, so muss unverzüglich eine neue Wahl erfolgen, aus der derjenige als Sieger hervorgeht, der die relative Stimmenmehrheit erhält. Erreicht der Gewählte die absolute Mehrheit, so muss ihn der Bundespräsident zum Kanzler ernennen; im Falle eines Minderheitskandidaten hat der Bundespräsident die Wahl, entweder den Kandidaten zu ernennen oder aber den Bundestag aufzulösen. Bei klaren Mehrheitsverhältnissen (Normalfall) hat der Bundespräsident praktisch keine Möglichkeit, den von der Parlamentsmehrheit gewünschten Kandidaten und die mit dessen Namen verbundene Regierung zugunsten eines eigenen Vorschlags zu übergehen und somit - mittelbar - auf den politischen Kurs der Regierung einzuwirken. Dem Bundespräsidenten kommt hier lediglich die Aufgabe eines „obersten Urkundenbeamten" (Eschenburg: 1959, S. 3) zu. Bei unklaren Mehrheitsverhältnissen im Bundestag gewinnt die Position des Bundespräsidenten an Bedeutung, da ihm dann die Funktion eines Geburtshelfers

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(Münch: 1954, S. 131) zufällt. Falls es dem Bundespräsidenten aufgrund seiner bisherigen Amtsführung gelungen ist, das Vertrauen der politischen Parteien zu gewinnen, so könnte ihm in einer solchen Situation ein maßgeblicher Anteil im Entscheidungsfindungsprozess zufallen. Da die Ernennung des Bundeskanzlers ein staatsnotarieller Akt ist, steht dem Bundespräsidenten die rechtswahrende Kontrollfunktion zu; er hat zu prüfen, ob • der Gewählte die erforderliche Stimmenzahl in einer gültigen Wahl erreicht hat, • der Gewählte die Wahl angenommen und • die rechtlichen Voraussetzungen des Bundesministergesetzes erfüllt hat. Darüber hinaus muss der Bundespräsident von der Verfassungstreue des Gewählten überzeugt sein, denn er würde sich in Widerspruch zu der Verfassung stellen, würde er eine Person ernennen, deren verfassungsfeindliche Einstellung ihm bekannt wäre. „Die verfassungswahrende Kontrollbefugnis des Bundespräsidenten muss als letzte Bremse wirksam werden dürfen" (Stern: 1980, S. 244). Die politische Praxis zeigt, dass Art. 63 Abs. 3 u. 4 GG bisher nicht zur Anwendung gekommen ist. Die Praxis zeigt auch, dass bei den meisten Kanzlerwahlen dem Bundespräsidenten die oben erwähnte Rolle des „obersten Urkundenbeamten" zugeschrieben wurde. In den Fällen, in denen der jeweilige Bundespräsident hätte Einfluss nehmen können, hat er diese Möglichkeit nicht genutzt (1961 und 1966). b) Ernennung und Entlassung der Bundesminister Gemäß Artikel 64 Abs. 1 GG werden die Bundesminister auf Vorschlag des Bundeskanzlers vom Bundespräsidenten ernannt und entlassen. Diese von Art. 53 WRV übernommene Formulierung bleibt relativ offen, da sie nicht festlegt, ob der Bundespräsident den Vorgeschlagenen ernennen bzw. entlassen muss, oder ob er hier einen Ermessensspielraum hat. Besaß der Reichspräsident in der Weimarer Republik noch ein sehr weitgehendes politisches Mitspracherecht, so besitzt der Bundespräsident heute eine nur geringe Einwirkungsmöglichkeit auf die Auswahl der Minister und damit auf die Zusammensetzung des Kabinetts. Das Recht auf informative Kontrolle ist hier unumstritten. Dagegen bestehen über das Ausmaß der personalen Prüfungsbefugnis unterschiedliche Auffassungen. Zwar ist heute weitgehend anerkannt, dass der Bundespräsident über seine Ernennungsbefugnis ein institutionalisiertes Mitspracherecht in der Frage der Richtungs- und Fachauslese nicht besitzt, d.h. dass er eine Ernennung nicht deshalb verhindern kann, weil ihm die politischen Vorstellungen eines Kandidaten nicht zusagen oder weil er an dessen fachlicher Kompetenz zweifelt. Ein derartiges Mitspracherecht wäre weder mit der Richtlinienpolitik und der parlamentarischen Verantwortlichkeit des Bundeskanzlers noch mit der Stellung und der Funktion des Bundespräsidenten vereinbar. Das Staatsoberhaupt kann deshalb auch nicht die Nominierung eines Kanzlerkandidaten von der vorherigen Vorlage einer Kabinettsliste abhängig machen. Jenseits dieses Einverständnisses sind die Meinungen jedoch kontrovers. Im Wesentlichen stehen sich hier zwei Auffassungen gegenüber. Die eine Richtung (wie z.B. Friesenhahn: 1966, S.679ff.; Maurer: 1966, S. 665ff.) tritt für eine restriktive Interpretation der personalen Prüfungsbefugnis ein und sieht in der Ernennung lediglich einen Formalakt, bei dem der Bundespräsident als eine Art Staatsnotar die Ausfertigung der Ernennungsurkunde vorzunehmen und lediglich die formalrechtlichen Voraussetzungen zu prüfen hat. Die andere Richtung hingegen (z.B. Menzel: 1965, S. 581 ff.; Scheuner: 1966) neigt eher zu einer extensi-

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ven Auslegung und weist dem Bundespräsidenten ein beschränktes, die Rechtmäßigkeits- und die Dignitätskontrolle umfassendes Prüfungsrecht zu. Diese letztgenannte Auffassung allein entspricht der Stellung und der Funktion des Staatsoberhaupts im politischen System der Bundesrepublik. Eine endgültige Klärung der Kompetenzen des Bundespräsidenten in dieser Frage ließe sich durch eine Organklage der Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht erreichen (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG). Ein solcher Schritt wäre allerdings nicht von Vorteil, da damit „die gesunde Spannung zwischen Staatsoberhaupt und Kabinettschef' (Eschenburg: 1966) aufgehoben würde. c) Handhabung in der Praxis Die politische Praxis seit 1949 bestätigt - soweit ersichtlich - die hier vertretene Auffassung. Die Bundespräsidenten Heuss und Lübke versuchten mehrfach, über das Ernennungsrecht die personale Zusammensetzung des Kabinetts zu beeinflussen. Bei den nachfolgenden Bundespräsidenten ist ein solches Bemühen nicht festzustellen. Der Versuch von Heuss im Jahre 1949, bei der ersten Regierungsbildung ein grundsätzliches Mitspracherecht zu erreichen, scheiterte an der ablehnenden Haltung Adenauers, ohne dass es, da Heuss sofort nachgab, deshalb zu einem Konflikt zwischen beiden kam. Auch die hartnäckigen Bemühungen Lübkes 1961 und 1965, einen Minister aus fachlichen (Schwarz) oder richtungspolitischen (Schröder) Gründen abzulehnen, blieben wegen der Standhaftigkeit des jeweiligen Bundeskanzlers und der einhelligen Kritik in der Öffentlichkeit erfolglos. Mit Ausnahme von Karl Carstens waren alle bisherigen Bundespräsidenten der Auffassung, dass ihnen grundsätzlich sowohl eine Rechtmäßigkeitwie auch eine Dignitätskontrolle in Form einer Vetofunktion zustehe. In der Praxis wirkte sich dieser Anspruch - und zwar in Form der Dignitätskontrolle jedoch nur bei der zweiten Regierungsbildung Adenauers 1953 (Fall Dehler) aus. 2. PrUfungsbefugnis des Bundespräsidenten bei der Gesetzesausfertigung a) Verfassungsrechtliche Grundlagen Nach Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG ist es die Aufgabe des Bundespräsidenten, „die nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes zustande gekommenen Gesetze" auszufertigen. Mit der Unterschrift des Staatsoberhaupts unter den Ausfertigungsakt des Gesetzes findet das Gesetzgebungsverfahren (-> i.E. § 10, III.) seinen Abschluss, und es wird damit sowohl die Echtheit wie auch die Legalität des Gesetzes dokumentiert. Damit wird das Gesetz zu einem Gesetz des gesamten Parlaments. Hier nimmt der Bundespräsident seine Integrationsaufgabe wahr. Im wissenschaftlichen Schrifttum wird kontrovers darüber diskutiert, unter welchen Voraussetzungen der Bundespräsident bei der Gesetzesausfertigung zur Unterschriftsverweigerung berechtigt ist. In der Auseinandersetzung wird in der Regel zwischen materiellem und formellem Prüfungsrecht differenziert. Unter formeller Prüfung versteht man die Prüfung der Frage, ob ein Gesetz durch das vorgeschriebene Verfahren zustande gekommen ist, während eine materielle Prüfung danach fragt, ob der Inhalt des beschlossenen Gesetzes mit dem Grundgesetz in Einklang steht. Die die Kompetenzen des Bundespräsidenten betreffenden Normen sind stark interpretationsbedürftig, und es gibt auch noch keine vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Präzedenzfälle. Die Mehrheit der Auto-

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ren gesteht dem Bundespräsidenten ein Recht auf inhaltliche Prüfung eines Gesetzes zu. Die Begründungen und der Umfang dieser zugestandenen Befugnisse divergieren allerdings stark. Es ist unumstritten, dass der Bundespräsident das korrekte Zustandekommen eines Gesetzes zu prüfen hat, d.h. das Recht und die Pflicht zu einer formellen Prüfung der Gesetze besitzt. Andererseits ist ebenfalls unumstritten, dass er nicht das Recht hat, eine Ausfertigung aus politischen Gründen zu verweigern. Der Bundespräsident hat sich bei der Rechtsprüfung hinsichtlich politischer Wertungen um größtmögliche Objektivität zu bemühen. Diese beiden Bezugspunkte, über die allgemein Konsens besteht, bilden den Rahmen, innerhalb dessen die Meinungen über die Prüfungsbefugnis des Bundespräsidenten divergieren. Übereinstimmung herrscht auch bei Befürwortern wie Gegnern der materiellen Prüfungsbefugnis darin, dem Bundespräsidenten im Fall eines evidenten Verfassungsbruchs das Recht zuzugestehen, die Ausfertigung zu verweigern.

Der Bundespräsident Seine Stellung

nach dem Grundgesetz

Völkerrechtliche Vertretung des Bundes

Vorschlag, Ernennung und Entlassung des Bundeskanzlers

Repräsentation nach innen und auSen • Ehrenhoheit

§ 6) durch eine eigene parlamentarische Kammer institutionell sichergestellt. Dort sind die Einzelstaaten auf gesamtstaatlicher Ebene repräsentiert, und durch sie können diese ihre Interessen gegenüber dem Gesamtstaat wahrnehmen. Die Errichtung einer föderalen Kammer war daher im Parlamentarischen Rat nicht umstritten. Form der Repräsentation (Zusammensetzung und Besetzung) und Kompetenzen der Kammer wurden jedoch kontrovers diskutiert. Während die meisten Vertreter der SPD der Senatslösung den Vorzug gaben, favorisierten die Mitglieder von CDU/CSU mehrheitlich das Bundesratsprinzip. Senatslösung bedeutet, die Repräsentanten der Länder durch Wahl zu bestimmen, entweder direkt vom Volk oder indirekt von den Länderparlamenten. Jeder Einzelstaat entsendet nach US-amerikanischem Vorbild die gleiche Zahl von Vertretern in den Senat, was die Gleichberechtigung der Einzelstaaten untereinander zum Ausdruck bringen soll (arithmetisches Prinzip). Bei ihrem schon als legendär bezeichneten Frühstück in einem Bonner Hotel verständigten sich der Sprecher der SPD Menzel und der bayerische Ministerpräsident Ehard auf die „abgeschwächte Bundesratslösung", die daraufhin auch vom Parlamentarischen Rat angenommen wurde. Mit dieser Entscheidung hat der Rat an die deutsche Verfassungstradition angeknüpft, die vom Reichstag des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation über den Frankfurter Bundestag des Deutschen Bundes und den Bundesrat im Kaiserreich bis hin zum Reichsrat der Weimarer Republik (-» § 1, III. u. V.) reicht. Die in der Geschichte Deutschlands immer wieder vorzufindende starke Stellung der Landesfiirsten findet im Bundesratsprinzip durch die starke Stellung der Exekutiven der Länder einen unverkenn-

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baren Ausdruck. Noch in der Verfassung von 1871 war der Bundesrat als Vertretung der Landesregierungen das politisch führende Organ auf gesamtstaatlicher Ebene, das über gewichtigere Kompetenzen verfügte als der direkt vom Volk gewählte Reichstag. Institutionell gesichert wurde diese Vorrangstellung durch die Personalidentität von Reichskanzler, preußischem Ministerpräsidenten und Vorsitzenden des Bundesrates. Der Bundesrat im Kaiserreich betonte das exekutive Element, im dem er an den Aufgaben und Rechten der Reichsregierung partizipierte, sich mit dem Reichsrat nur hauptsächlich die Gesetzgebung teilen musste. Die Landesregierungen, insbesondere die Preußens, verfügten mit dem Bundesrat über eine zentrale Macht- und Schaltposition in der Politik des Reiches. Wichtige Mitwirkungsrechte der Landesregierungen im politischen Entscheidungsprozess auf Bundesebene wurden durch die Konstruktion des Bundesrates im Grundgesetz (-> § 8, II.) erneut verankert. Die Entwicklung des deutschen Föderalismus hat darüber hinaus eine wesentliche Aufwertung der Landesexekutiven mit sich gebracht (—> § 6, III.). Das Bundesratsprinzip ist dadurch gekennzeichnet, dass die Einzelstaaten durch Mitglieder ihrer Regierungen vertreten sind. Dabei hat jeder Einzelstaat je nach Bevölkerungszahl ein unterschiedliches Stimmengewicht (geometrisches Prinzip). Die Stimmen eines jeden Landes müssen einheitlich abgegeben werden. Abgeschwächt wurde die Bundesratslösung im Grundgesetz dadurch, dass geometrisches und arithmetisches Prinzip kombiniert worden sind: Jedes Land erhielt in der Verfassung von 1949 mindestens drei und maximal fünf Stimmen, trotz erheblich divergierender Bevölkerungszahlen in den einzelnen Ländern. Mit dieser Konstruktion schuf der Parlamentarische Rat ein „einzigartiges Organ in der Welt" (Pfitzer: 4 1995, S. 15), „ein Unikat, mit keinem anderen föderalistischen Organ anderer Bundesstaaten vergleichbar" (Rudolf: 1998, S. 12). Es sollte sowohl die Vorrangstellung eines Landes verhindert - wie die Preußens im Bundesrat des Kaiserreichs - als auch eine in etwa gleichmäßige Integration aller Länder in den Willensbildungsprozess gewährleistet werden. Durch das Bundesratsprinzip sind die in der deutschen Verwaltungstradition gültigen Werte wie Kontinuität, Stabilität und Sachverstand in das neue politische System eingebracht worden. Da nach dem Grundgesetz die Länder hauptsächlich für die Ausführung der Gesetze und die übrige Staatsverwaltung verantwortlich sind, sah die große Mehrheit im Parlamentarischen Rat die genannten Werte durch die Mitglieder der Landesregierungen und die hohen Beamten der Ministerialbürokratie am besten gewahrt. Wissen und die Erfahrung der gesetzesausführenden Stellen sollten für die Rechtsetzung nutzbar gemacht werden. Denn es sind die Landesverwaltungen, die durch den täglichen Vollzug von Gesetzen und Verordnungen Lücken erkennen oder Schwächen einzelner Bestimmungen ausmachen können. Der Bundesrat sollte also nach den Vorstellungen im Parlamentarischen Rat wesentlich durch die Arbeit der Landesministerialbürokratien geprägt werden, und er ist tatsächlich durch deren Wirken in nicht unerheblichem Maße gekennzeichnet: „Es kann in der Tat nicht angezweifelt werden, dass die Beamten der Länder in die Arbeit des Bundesrates außerordentlich stark eingeschaltet sind" (Ziller/Oschatz: 101998, S. 114). Doch wäre es eine ungerechtfertigte Verkürzung, den Bundesrat als ein ausschließlich von Länder- und Verwaltungsinteressen geprägtes Organ zu verstehen. Dadurch, dass er keineswegs auf Entscheidungen und auf Entscheidungskriterien beschränkt ist, die das föderative System oder die besonderen Landesinteressen betreffen, haben sich auch andere

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Interessenkonstellationen im Bundesrat ausgebreitet. Aufgrund des auf Bundesebene angelegten Parteienwettbewerbs (-» § 23) sind es vielmehr nicht selten auch parteipolitische Gesichtspunkte, die von den Parteien im Bundesrat zur Geltung gebracht werden. Dazu beigetragen hat in erheblichem Maße die Aufwertung des Bundesrates als Gesetzgebungsorgan im Laufe der letzten 35 Jahre. Daraus ergibt sich die Frage, wie weit der parteipolitische Einfluss im Bundesrat reicht, und welche Auswirkungen das auf den politischen Prozess im Regierungssystem insgesamt hat. Um die Stellung des Bundesrates im politischen Prozess deutlich werden zu lassen, gilt es zuvor Organisation, Aufgaben und Arbeitsweise des Bundesrates näher zu betrachten. Abschließend soll kurz der Frage nachgegangen werden, ob der Bundesrat als eine echte Zweite Kammer gelten kann.

II. Organisation und Arbeitsweise Der Bundesrat ist neben dem Bundestag ( - • §§ 9, 10), der Bundesregierung ( - » § 12), dem Bundespräsidenten (-» § 13) und dem Bundesverfassungsgericht ( - » § 15) eines der fünf Verfassungsorgane des Bundes. Er gliedert sich wie der Bundestag auf in Plenum und Fachausschüsse. Als föderales Bundesorgan besteht der Bundesrat aus den Mitgliedern der Regierungen der Länder, die diese bestellen und abberufen (Art. 51 Abs. 1 GG). Jedes Land kann so viele ordentliche Mitglieder bestellen, wie es Stimmen im Bundesrat hat (Art. 51 Abs. 3 GG); die Stimmenzahl je Land variiert seit dem Jahr 1990 zwischen drei und sechs je nach Einwohnerzahl: Jedes Land hat mindestens drei Stimmen, Länder mit mehr als zwei Millionen Einwohnern haben vier, Länder mit mehr als sechs Millionen fünf, Länder mit mehr als sieben Millionen Einwohnern sechs Stimmen. Die Stimmen müssen einheitlich abgegeben werden. Für jeden Beschluss des Bundesrates ist die absolute Mehrheit der Stimmen erforderlich, das sind zur Zeit 35 Stimmen. Bei Abstimmungsfragen zur Erteilung der Zustimmung wirkt sich damit jede Stimmenthaltung wie ein „Nein" aus. Ein Gesichtspunkt, der besonders für Koalitionsregierungen in den Ländern eine erhebliche Bedeutung bekommen hat, denn die in Koalitionsvereinbarungen festgelegte Bundesratsklausel sieht vor, dass bei Unstimmigkeiten der Koalitionspartner sich die Landesregierung im Bundesrat der Stimme enthält. Darauf wird unten noch näher eingegangen (-» IV.). Der Bundesrat ist ein sog. „ewiges Organ", da er sich kontinuierlich nach Landtagswahlen erneuert. Jede neu gebildete Landesregierung entsendet ihre jeweiligen Mitglieder in den Bundesrat. Das Ausscheiden aus der Landesregierung bedeutet gleichzeitig den Verlust der Mitgliedschaft im Bundesrat. Die demokratische Legitimation der Bundesratsmitglieder ist somit nur indirekt, da die einzelne Landesregierung vom jeweiligen Landesparlament gewählt wird. Die Zusammensetzung der Länderparlamente geht aus Landtagswahlen hervor, so dass die Bevölkerung eines Landes bei Landtagswahlen nicht nur über die Zusammensetzung ihres Landtages entscheidet, sondern gleichzeitig indirekt über die des Bundesrates mitbestimmt (ausführlicher zur Legitimation des Bundesrates Hanikel: 1991, S. lff.). Die Mitglieder sind weisungsgebunden an die Beschlüsse ihrer jeweiligen Landesregierung; d.h. die zuvor in den Länderkabinetten festgelegte Linie bestimmt das Abstimmungsverhalten eines Landes im Bundesrat. Nur wenn das jeweilige

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Landeskabinett keine Weisung erteilt hat, können die Mitglieder des Bundesrates frei entscheiden. Da die Stimmen einheitlich abgegeben werden müssen, übernimmt ein sogenannter „Stimmführer" diese Aufgabe. Dies ist in der Regel entweder der Ministerpräsident des Landes (besonders bei politisch strittigen Fragen), ein Fachminister oder der Beauftragte des Landes beim Bund. Tab. 1: Stimmenverteilung im Bundesrat Einwohner Land in Mio.

Stimmen im BR

Reg.-Parteien

Baden-Württemberg

10,41

6

CDU/FDP

Bayern

12,07

6

CSU

Berlin

3,42

4

CDU/SPD

Brandenburg

2,58

4

SPD/CDU

Bremen

0,68

3

SPD/CDU

Hamburg

1,71

3

SPD/GAL

Hessen

6,03

5

CDU/FDP

Mecklenburg-Vorpommern

1,82

3

SPD/PDS

Niedersachsen

7,85

6

SPD

Nordrhein-Westfalen

17,97

6

SPD/B 90/Grüne

Rheinland-Pfalz

4,02

4

SPD/FDP

Saarland

1,1

3

CDU

Sachsen

4,51

4

CDU

Sachsen-Anhalt

2,69

4

SPD

Schleswig-Holstein

2,76

4

SPD/B 90/Grüne

Thüringen

2,47

4

CDU

Quelle: Bundesrat: 2000, Stand 31. März 2000.

Die Mitglieder des Bundesrates, die nicht gleichzeitig dem Bundestag oder der Bundesregierung angehören dürfen, nehmen neben ihrer Mitgliedschaft im Bundesrat weitere Aufgaben zur gleichen Zeit wahr (vgl. Hesse/Ellwein: 1992, S. 288f.): Sie sind zum einen Fachminister und damit Kabinettsmitglied sowie Chef der Bürokratie „ihres Ministeriums"; gleichzeitig gehören sie in der Regel dem Landesparlament als Abgeordneter an, und zudem vertreten sie als Mitglied einer Partei eine bestimmte parteipolitische Linie. Diese drei unterschiedlichen Rollen prägen auch das Verhalten der Mitglieder und die Weisungen der Landesregierungen: Entweder stehen parteipolitische, verwaltungstechnische und -praktische oder landesspezifische Gesichtspunkte im Vordergrund des Abstimmungsverhai-

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tens. Gegenstand, Grad der Kontroverse, Mehrheitsverhältnisse im Vergleich zum Bundestag und die Dringlichkeit des Verfahrens können als wichtigste Kriterien für die Bestimmung des Abstimmungsverhaltens im Bundesrat ausgemacht werden. Die Arbeit des Plenums ist geprägt durch das „gebundene Mandat": Da die Entscheidungen schon im Vorfeld der Plenarsitzungen in den Landesregierungen, in Aushandlungen mit der Bundesregierung oder in den Ausschüssen des Bundesrates fallen, werden keine polarisierten Debatten geführt. Der Stil der Debatten gilt eher als „vornehm und zurückhaltend" (Ziller/Oschatz: 101998, S. 64f.) oder als von „sachlicher und leidenschaftsloser Art geprägt" (Hanikel: 1991, S. 255). Im Plenum des Bundesrates gibt es auch keine Fraktions- oder Gruppenbildung. Diese ist schon aus dem Grunde nicht erforderlich, weil eben der Entscheidungsprozess in den allermeisten Fällen sich außerhalb des Plenums ereignet und die in den Landesregierungen, den Ausschüssen des Bundesrates oder dem Ständigen Beirat herbeigeführten Entscheidungen im Plenum lediglich formell vollzogen werden. Das Plenum tagt regelmäßig am Freitag im Abstand von drei Wochen. Einberufen werden die öffentlich stattfindenden Sitzungen vom Präsidenten des Bundesrates, der auch zusammen mit den Vizepräsidenten die Sitzungen leitet. Die Tagesordnung der Plenarsitzungen sieht zumeist folgenden Ablauf vor (vgl. Laufer/ Münch: 1998, S. 151): Zunächst werden Vorlagen des Vermittlungsausschusses (-> s.a. § 10, III.) beraten, anschließend die vorliegenden Gesetzesbeschlüsse des Bundestages, danach Gesetzesentwürfe der Bundesregierung bzw. der Landesregierungen, Vorlagen der Europäischen Union sowie Entwürfe von Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften (—>• §§ 18, 19) schließen sich an. Am Ende stehen Personalentscheidungen. Das Plenum des Bundesrats arbeitet unter enormem Zeitdruck. Durchschnittlich werden daher in einer Sitzung etwas 40 bis 50 Punkte behandelt, manche Tagesordnungen der Vergangenheit enthielten mehr als 100 Punkte (Oschatz: 1991, S. 119). Die Abstimmungen werden aus diesem Grund sehr zügig durchgeführt, „zum Teil in rasender Geschwindigkeit" (Rudolf: 1998, S. 23). Bewältigt werden kann diese Fülle von Tagesordnungspunkten überhaupt nur, weil eine große Zahl der Vorlagen im Plenum einstimmig beschlossen wird und sich somit eine Aussprache über diesen Punkt erübrigt. Die genaue Vorbereitung der Sitzungen ermöglicht es dem Plenum, sich während der Sitzungen auf die wenigen strittigen Fragen zu konzentrieren. Die Vorbereitung obliegt in erster Linie den Ausschüssen und gegebenenfalls Unterausschüssen des Bundesrates, oder sie erfolgt durch andere informelle und formelle Kooperationsformen der Ministerialbürokratien der Länder untereinander oder mit denen des Bundes im Rahmen des kooperativen Föderalismus (-» § 6). Neben den Ausschüssen kommt dem Ständigen Beirat des Bundesrates, bestehend aus den 16 Bevollmächtigten der Länder, bei der Vorbereitung von Sitzungen eine wichtige Rolle zu. Er soll das Präsidium bei der Vorbereitung der Sitzungen und der Führung der Verwaltungsgeschäfte unterstützen. Der Ständige Beirat tagt wöchentlich. Zwei Tage vor jeder Plenarsitzung wird im Ständigen Beirat unter Mitwirkung des Direktors des Bundesrates die Tagesordnung besprochen. An den Gesprächen des Ständigen Beirats nimmt auch der Staatsminister im Kanzleramt teil, der innerhalb der Bundesregierung zuständig ist für die Kontakte zum Bundesrat und zu den Landesregierungen. Besonders wichtige Punkte der anstehenden Sitzungen werden in diesem Kreis besprochen. Die Bevollmächtigen infor-

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mieren über die Haltungen der Landesregierungen zu strittigen Fragen, Standpunkte werden geklärt und in manchen Fällen Absprachen getroffen. Der Vertreter der Bundesregierung erläutert Absichten, Auffassungen und Ziele der Bundesregierung, wirbt um Zustimmung für deren Positionen. Am Sitzungstag selbst, kurz vor den Plenarsitzungen, treffen sich dann die Mitglieder des Bundesrates unter Vorsitz des Bundesratspräsidenten zu einer letzten nichtöffentlichen Besprechung. Gegebenenfalls werden dort Probeabstimmungen über zentrale Gegenstände der Sitzung abgehalten. Wie im Bundestag (-» § 9, VI.) so werden auch im Bundesrat alle anstehenden Beschlüsse zuvor in ständigen Ausschüssen beraten: „In diesen Ausschüssen vollzieht sich die eigentliche Arbeit des Bundesrates" (Laufer/Münch: 1998, S. 152). Die Länder entsenden in jeden Ausschuss ein Mitglied, d.h. jedes Land hat in dem jeweiligen Ausschuss eine Stimme. Die Ausschüsse sind weitgehend analog zu den Ressorts der Bundesregierung eingerichtet, entsprechend sind die Länder im jeweiligen Ausschuss durch die zuständigen Fachminister vertreten. In den Ausschüssen für Auswärtige Angelegenheiten und für Verteidigung sitzen in der Regel die Ministerpräsidenten. In diesen beiden sogenannten politischen Ausschüssen wechselt der Vorsitz jährlich, während er in den anderen längerfristig angelegt ist, um eine größere Kontinuität der Arbeit zu gewährleisten. Einzelne Fachminister haben sich durch den langjährigen Vorsitz in Bundesratsausschüssen den Ruf von allseits anerkannten Experten erworben. Aufgrund der vielfältigen Belastungen, die sich aus den unterschiedlichen Rollen der Mitglieder des Bundesrates ergeben (s.o.), werden sie in den Ausschüssen in den meisten Fällen durch Ministerialbeamte des Landes vertreten. Bei besonders komplexen oder strittigen Themen setzen die Ausschüsse mit Ministerialbeamten besetzte Unterausschüsse ein, welche die Entscheidungsfindung im Ausschuss vorbereiten sollen. Auf der Ebene der Ministerialbeamten finden gelegentlich auch Referentenbesprechungen statt. Jedem Ausschuss steht des weiteren ein Ausschussbüro mit mehreren Mitarbeitern zur Verfügung, das an der Vorbereitung und Durchführung der Ausschussitzungen beteiligt ist. Die Ausschussbüros sind Teil des Sekretariats, an deren Spitze der Direktor des Bundesrates steht. Der Bundesratsdirektor bereitet die Sitzungen des Ständigen Beirats vor, unterstützt den Präsidenten bei der Führung der Amtsgeschäfte, vor allem bei der Vorbereitung und Leitung der Sitzungen. Der Präsident des Bundesrates rekrutiert sich aus den Reihen der Ministerpräsidenten; er amtiert für jeweils ein Jahr. Zur Wahl vorgeschlagen wird jeweils ein Kandidat, der in der Reihenfolge der Länder, gemessen an Einwohnerzahlen, an der Reihe ist. Begonnen wurde mit dem Ministerpräsidenten von NordrheinWestfalen, dem dann jeweils der Ministerpräsident des Landes mit der nächstkleineren Bevölkerungszahl folgte (Königsteiner Abkommen), so dass jedes Bundesland einmal innerhalb von 16 Jahren den Bundesratspräsidenten stellt. Seine Aufgaben liegen in der Einberufung und Leitung der Plenarsitzungen. Daneben nimmt er in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes die Befugnisse des Bundespräsidenten wahr, wenn dieser verhindert ist, oder wenn sich sein Amt vorzeitig erledigt (-> § 13, IV.). Neben dem Präsidenten des Bundesrates gibt es noch drei Vizepräsidenten. Die Ausschüsse bereiten die Plenarsitzungen in so weit vor, dass sie zu jeder Beschlussvorlage eine Empfehlung aussprechen. In der großen Mehrzahl folgt das Plenum den Empfehlungen der Ausschüsse und ratifiziert sie. In einigen Fäl-

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len können sich widersprechende Empfehlungen der Ausschüsse vorliegen, da im Ausschussverfahren des Bundesrates mehrere ständige Ausschüsse gleichzeitig beteiligt sein können.

Tab. 2 Ausschüsse des Bundesrates Agrarausschuss Ausschuss für Innere Angelegenheiten Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik Ausschuss für Kulturfragen Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten Rechtsausschuss Ausschuss für Fragen der Europäischen Union Ausschuss für Städtebau, Wohnungswesen und Raumordnung Ausschuss Familie und Senioren Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Finanzausschuss Ausschuss für Verkehr Ausschuss für Frauen und Jugend Ausschuss für Verteidigung Gesundheitsausschuss Wirtschaftsausschuss Quelle: Bundesrat: 2000.

Der Präsident des Bundesrates kann einen federführenden Ausschuss bestimmen. Die Empfehlungen der Ausschüsse werden dann in den einzelnen Landesregierungen diskutiert und zwischen den Landesregierungen abgewogen. Überhaupt verhandeln im Vor- und Umfeld der Ausschüsse in vielen Fällen daneben auch die Ministerialbtlrokratien der Länder Uber Lösungsvorschläge zu anstehenden Problemen. Dies geschieht häufig unter Einbeziehung der Beamten der Bundesregierung, die üblicherweise auch an den Ausschusssitzungen des Bundesrates teilnehmen. Nicht selten sind Sitzungen der Bundesratsausschüsse durch den Dialog und die Auseinandersetzung zwischen der Ministerialbürokratie des Bundes und der Ministerialbürokratie der Länder gekennzeichnet (vgl. Ziller/Oschatz: l0 1998, S. 115). Diese starke Einbeziehung der Ministerialbürokratie in den Entscheidungsprozess sowie ihre bei politisch nicht strittigen Fragen vorhandene Bestimmungsmacht Uber Vorlagen haben zur Konsequenz, dass das Handeln des Bundesrates in erheblichem Maße von bürokratischen Mustern geprägt ist. Wie

Parlamentarisches Regierungssystem von den Verfassungsgebern intendiert, bringt der Bundesrat somit das Fachwissen der Bürokratien der Länder und deren Erfahrung beim Gesetzesvollzug ein. Damit ergänzt der Bundesrat die politische Kontrolle der Bundesregierung durch den Bundestag (-» §§ 10, IV.; 20, VI.) durch eine mehr verwaltungsorientierte Kontrolle. Es ist jedoch irreführend anzunehmen, dass der Bundesrat nicht auch politische Kontrolle ausübt: Da die Mitglieder des Bundesrates politisch verantwortliche Kabinettsmitglieder der Länder sind, die für eine bestimmte parteipolitische Richtung stehen, verfolgen sie weitgehend auch politische Partei- oder Länderinteressen, die sie im Bundesrat entfalten können und bei politisch kontroversen Fragen in der Vergangenheit auch wahrgenommen haben. In der Mehrzahl der zu entscheidenden Vorlagen ist es aufgrund der Materie und des geringen Kontroversitätsgrades im Bundesrat aber durchaus üblich, die Vorlage von Bundesregierung oder Bundestag nach verwaltungspraktischen Gesichtspunkten zu prüfen und in den meisten Fällen auch zu verändern. Der Bundesrat hat der qualitativ und quantitativ zunehmenden Bedeutung der Rechtsetzung auf der Ebene der Europäischen Union (-> § 17, I.) mit der Einrichtung einer Europakammer im Jahr 1988 Rechnung getragen. Sie ist eingerichtet worden, um flexibler und eingehender auf die Besonderheiten der Vorlagen der Europäischen Union eingehen zu können. Nach der Geschäftsordnung des Bundesrates ist die Europakammer in Eilfällen zuständig, oder wenn die Vertraulichkeit gewahrt werden muss, ansonsten sind die Fachausschüsse oder der Ausschuss für Fragen der Europäischen Union zuständig. Ein Eilfall gilt dann als gegeben, wenn die Beschlussfassung des Bundesrates im Hinblick auf den Beratungsgegenstand in Brüssel oder Straßburg keinen Aufschub bis zur nächsten Plenarsitzung des Bundesrates duldet. Die Vertraulichkeit von Vorlagen kann entweder schon von der Europäischen Union vorgegeben, von der Bundesregierung für erforderlich gehalten oder von einem Ausschuss des Bundesrates beziehungsweise von einem Bundesland angeregt werden. Ist entweder ein Eilfall oder Vertraulichkeit gegeben, gelten die Beschlüsse der Europakammer als Bundesratsbeschlüsse. Jedes Land entsendet ein Mitglied in die Europakammer, die Stimmenverhältnisse entsprechen aber denen des Plenums. Oft hat die Europakammer bisher nicht entscheiden müssen: „Zahlenmäßig hat das Verfahren (...) keine große Bedeutung gewonnen" (Ziller/Oschatz: 101998, S. 69), dennoch hat sich die Einrichtung aus Sicht des Bundesrates bewährt, da sie das Gewicht der föderalen Kammer gegenüber Bundestag und Bundesregierung in Fragen der europäischen Politik erhöht hat.

III. Aufgaben und Stellung des Bundesrates im politischen Prozess „Durch den Bundesrat wirken die Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes und in Angelegenheiten der Europäischen Union mit" (Art. 50 GG). Mit diesen Worten benennt das Grundgesetz den zentralen Aufgabenbereich des Bundesrates. Als Bundesorgan wirkt er an der Gesetzgebung des Bundes (—» §§ 10, III.; 20, IV.) mit, was konkret heißt, dass er am Zustandekommen aller Bundesgesetze beteiligt ist; er ist kein Länderorgan, entsprechend gehört es nicht zu seinen Aufgaben, gemeinsame Anliegen der Länder zu bearbeiten und deren Lösungsstrategien zu entwerfen. Vielmehr stellt er als föderales Bundesorgan

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eine Art Bindeglied zu den Ländern dar, welches die bundesstaatliche Ordnung bewahren und die Interessen der Länder in den politischen Prozess auf Bundesebene einbringen soll. Die ausgeprägteste und umfassendste Mitwirkungsmöglichkeit des Bundesrates an der Gesetzgebung besteht in der Stellungnahme zu sämtlichen Gesetzesentwürfen der Bundesregierung. Jeder Gesetzesentwurf der Bundesregierung wird im ersten Durchgang dem Bundesrat zugeleitet, der sechs Wochen Zeit hat, dazu Stellung zu nehmen.19 Der Bundestag erhält erst den vom Bundesrat und anschließend nochmals von der Bundesregierung bearbeiteten, mit ihren Stellungnahmen versehenen Gesetzesentwurf zugeleitet.20 Da mehr als die Hälfte aller Gesetzesinitiativen von der Bundesregierung ausgehen, hat der Bundesrat allein schon quantitativ hier seinen Aufgabenschwerpunkt. In den allermeisten Fällen unterbreitet der Bundesrat Änderungs- oder Ergänzungsvorschläge zu den Regierungsentwürfen, nur selten lässt er einen Entwurf unkommentiert passieren. Häufig beziehen sich die Stellungnahmen des Bundesrates auf die Zweckmäßigkeit, Praktikabilität und Handhabbarkeit eines Entwurfs in der Verwaltungspraxis. Aber auch mögliche finanzielle Auswirkungen bilden oft Ansatzpunkte fiir Änderungsvorschläge. Die Vorschläge des Bundesrates finden im Bundestag oftmals positive Resonanz und werden nicht selten vom Bundestag übernommen, vor allem Empfehlungen „gesetzestechnischer oder verwaltungspraktischer Natur" (Ziller/Oschatz: l0 1998, S. 30). Aus naheliegenden Gründen prüft der Bundestag die Empfehlungen des Bundesrates besonders bei zustimmungspflichtigen Gesetzen. Zu unterscheiden sind die zustimmungspflichtigen von den einfachen oder Einspruchsgesetzen. Bei letzteren hat der Bundesrat nur ein aufschiebendes Vetorecht, das heißt der Bundestag kann mit der Mehrheit seiner Mitglieder den Einspruch des Bundesrates zurückweisen (Art. 77 Abs. 4 GG). Bei einem Einspruch des Bundesrates mit einer Zweidrittelmehrheit bedarf die Zurückweisung durch den Bundestag ebenfalls einer „Mehrheit von zwei Dritteln, mindestens der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages" (Art. 77 Abs. 4 GG). Sollte der Bundesrat gegen einen Gesetzesbeschluss des Bundestages Einspruch einlegen, so muss er auf jeden Fall den Vermittlungsausschuss anrufen. Die vom Vermittlungsausschuss erarbeiteten Vorschläge können bei Einspruchsgesetzen vom Bundestag zurückgewiesen werden. Deutlich wirkungsvoller sind die Mitbestimmungsmöglichkeiten des Bundesrates bei Zustimmungsgesetzen, denn bei diesen verfügt er über ein absolutes Vetorecht, das heißt ohne seine Zustimmung kann ein solches Gesetz nicht in Kraft treten. Als zustimmungspflichtige Gesetze gelten solche, bei denen die Rechte

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Bei umfangreichen Vorlagen kann der Bundesrat eine Fristverlängerung auf neun Wochen beantragen. 20 In eilbedilrftigen Fällen kann die Bundesregierung schon nach drei Wochen eine Vorlage an den Bundestag weiterleiten, selbst wenn die Stellungnahme des Bundesrates noch nicht vorliegt. Sollte aber der Bundesrat den besonderen Umfang der Gesetzesvorlage für eine Fristverlängerung geltend machen, kann die Bundesregierung die Vorlage frühestens nach sechs Wochen an den Bundestag weiterleiten. In allen Fällen muss die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates unverzüglich nach Eingang dem Bundestag nachreichen.

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oder Interessen der Länder in besonderer Weise berührt werden. Im allgemeinen werden drei große Gruppen von zustimmungspflichtigen Gesetzen unterschieden: a) verfassungsändernde Gesetze, die deswegen für die Länder schon allein eine besondere Bedeutung haben, weil mit ihnen gegebenenfalls die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern geändert werden kann. Bei allen verfassungsändernden Gesetzen ist eine Zweidrittelmehrheit des Bundesrates erforderlich. b) Gesetze mit finanziellen Auswirkungen für die Länder; darunter fallen viele Steuergesetze. c) Gesetze, welche die Ausführung von Bundesrecht durch die Landesbehörden betreffen bzw. in die Verwaltungshoheit der Länder eingreifen. Diese Gruppe ist quantitativ besonders bedeutsam, da viele Gesetze Verfahrensregeln für die Verwaltung enthalten und der Grundsatz gilt, dass ein Gesetz als Ganzes dann zustimmungspflichtig ist, wenn es eine Regelung dieser Art enthält. Nach der sog. Einheitstheorie ist ein Gesetz dann zustimmmungspflichtig, wenn es auch nur eine einzige zustimmungsbedürftige Norm enthält. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts § 15, II.) besagt des weiteren, dass die Zustimmung des Bundesrates zu einem Gesetz nicht nur erforderlich ist, wenn es die Verfassung ausdrücklich vorsieht, sondern auch wenn sie dahingehend zu interpretieren ist (vgl. Ziller: 1990). Bundestag und Bundesregierung bieten sich in der politischen Praxis kaum Möglichkeiten, die Zustimmungspflicht des Bundesrates zu umgehen, zumal der Bundesrat äußerst sorgfältig die Prüfung der Zustimmungsbedürftigkeit von Gesetzesvorlagen vornimmt. Die von der Bundesregierung gelegentlich vorgenommene Aufspaltung in einen materiellrechtlichen, nicht zustimmungsbedürftigen und einen zustimmungsbedürftigen verfahrensrechtlichen Teil ist zwar grundsätzlich zulässig. Das abgespaltene Gesetz muss aber nach allgemeiner Auffassung als solches autonom lebensfähig sein, es sollte dadurch kein Gesetzestorso entstehen. Die Grenze wird dort gezogen, wo durch die Aufspaltung die Sinneinheit von materiellem Recht und Verfahrensrecht so aufgelöst wird, dass das materielle Recht nicht mehr anwendbar oder vollziehbar ist. Strittig zwischen Bund und Ländern ist gelegentlich auch die Frage, in welchen Fällen Änderungen eines zustimmungsbedürftigen Gesetzes zustimmungspflichtig sind. Entsprechend den genannten Bestimmungen nennt Badura zwei Fälle: Bei zustimmungsbedürftigem Inhalt oder bei einem qualifizierten Sachzusammenhang mit einem zustimmungsbedürftigen Regelungsgehalt des geänderten Gesetzes (Badura: 1989, S. 326f.). Verweigert der Bundesrat zu einem entsprechenden Gesetz seine Zustimmung, so ist das Gesetzesvorhaben entweder gescheitert, oder eines der drei Verfassungsorgane Bundestag, Bundesregierung oder Bundesrat rufen den Vermittlungsausschuss an. Es war in neunzig Prozent aller Fälle der Bundesrat, der den Vermittlungsausschuss anrief (siehe König: 1999, S. 35). Dieses auch in der deutschen Verfassungsgeschichte einmalige Gremium besteht aus 32 Mitgliedern, jeweils 16 des Bundesrates und 16 des Bundestags. Die 16 Mitglieder des Bundestages werden von den einzelnen Fraktionen entsandt, wobei sich die jeweilige Mandatsstärke im Parlament widerspiegelt. Der Bundesrat entsendet einen Vertreter pro Land, häufig ist das der Ministerpräsident des einzelnen Landes. Der unter Ausschluss der Öffentlichkeit tagende Vermittlungsausschuss soll Kompromisse erarbeiten, die mit der Mehrheit der anwesenden Mitglieder beschlossen werden müssen. Falls ein mehrheitlicher Beschluss zustande kommt, wird er anschlie-

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Bend als Vorschlag an Bundestag und Bundesrat weitergeleitet, die dann erneut über den geplanten Gesetzestext beraten und abstimmen. Der Vermittlungsausschuss war bei seiner Tätigkeit bisher sehr erfolgreich: Mehr als die Hälfte aller Gesetze, denen der Bundesrat zunächst nicht seine Zustimmung gegeben hatte, konnten nach einem darauf folgenden Vermittlungsverfahren verkündet werden. Das ist im wesentlichen auf den Einigungszwang zurückzufuhren, den Beschlüsse des Vermittlungsausschusses bei zustimmungspflichtigen Gesetzen ausüben. Der Einigungszwang lastet mehr auf dem Bundestag als auf dem Bundesrat. Denn stimmt die Bundestagsmehrheit einem Vermittlungsvorschlag nicht zu, bedeutet dies das endgültige Scheitern des Gesetzesvorhabens. Da im Vermittlungsausschuss fast ausschließlich Gesetzesinitiativen der Bundesregierung oder des Bundestages beraten werden, steht die in parlamentarischen Regierungssystemen (—> § 2, III.) eine Aktionseinheit bildende Mehrheit von Bundestag und Bundesregierung in solchen Fällen vor der Alternative, entweder das Gesetzesvorhaben als solches fallen zu lassen oder aber immerhin einen Kompromiss zu verabschieden. Die Zustimmungspflichtigkeit ist daher für den Bundesrat das machtvollste zur Verfügung stehende Instrument, auch gewichtige Forderungen erfolgreich durchzusetzen. Graphik: Anrufung des Vermittlungsausschusses 1- bis 14. Wahlperiode

• Bundestag • Bundesregierung • Bundesrat

Bundestag Bundesregierung Bundesrat

18 62 631 711

3% 9% «9% 100%

Quelle: Handbuch des Bundesrates Bundesrat: 2000. Stand:

15.09.2000

Von Beginn an hat der Bundesrat das Instrument der Zustimmungsbedürftigkeit von Gesetzen entsprechend „geschickt gehandhabt" (Laufer/Münch: 1998, S. 171) und insgesamt die Zustimmungsbedürftigkeit sehr weit ausgelegt. Der Umfang der zustimmungspflichtigen Gesetze beträgt mittlerweile fast 60 Prozent aller Gesetzesvorhaben. Gegen die Mehrheit im Bundesrat ist somit Bundesgesetzgebung nur noch in begrenztem Umfang möglich. Der Bundesrat ist allein schon aus diesem Grund ein erheblicher Machtfaktor im parlamentarischen Regierungssystems Deutschlands. Mit dieser machtvollen Stellung des Bundesrates im politischen Prozess haben sich die Länder eine Kompensation für die Auszehrung originärer Zuständigkeiten gesichert. Im Zuge der Unitarisierung des Bundesstaates ist es zwar zu erheblichen Kompetenzverlagerungen von den Ländern hin zum Bund gekommen, welche von den Landesregierungen gelegentlich auch bereitwillig hingenommen worden sind. Gleichzeitig konnten sie jedoch ihre

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Mitwirkungsmöglichkeiten an der Bundesgesetzgebung durch eine Erhöhung des Anteils der zustimmungspflichtigen Gesetze nicht nur gewährleisten, sondern sogar verbessern. Während somit die politische Macht des Bundesrates, damit der Landesregierungen auf Bundesebene, wuchs, büßten die Landesparlamente durch den Verlust an eigenständiger Landesgesetzgebung an Macht ein. Ihre Handlungsmöglichkeiten verringerten sich in einen Maße, dass die Erosion landesparlamentarischer Zuständigkeiten die Funktionsfähigkeit parlamentarischen Handelns auf Landesebene in Frage stellt (vgl. Jun 1996; —> § 6, I.-IV.). Die sich herausbildende Form des kooperativen Föderalismus der Exekutiven in Deutschland verfestigte und verstärkte diese Gewichtung zu ungunsten der Parlamente. Fraglos hat die Struktur des Bundesrates diesen Prozess in erheblichem Maße begünstigt, ist doch die Exekutivlastigkeit des föderativen Systems schon in der Zusammensetzung des Bundesrates angelegt. Mit dem im Jahre 1994 neu formulierten Europa-Artikel des Grundgesetzes wurde die Stellung des Bundesrates ebenfalls weiter aufgewertet: Durch ihn wirken die Länder in Angelegenheiten der Europäischen Union mit (Art. 23 Abs. 2 GG). Die Übertragung von Hoheitsrechten an die Europäische Union ist an die Zustimmung des Bundesrates gebunden, dessen Zweidrittelmehrheit erforderlich ist „für die Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird" (Art. 23 Abs. 1 GG). Der Bundesrat soll frühzeitig und umfassend von der Bundesregierung Informationen über die Entwicklungen auf europäischer Ebene erhalten. Das sichert ihm eine angemessene Beteiligung an der Willensbildung des Bundes. Das Verfahren ist folgendermaßen ausdifferenziert (Art. 23 Abs. 5 und 6 GG): a) In Fällen der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes berücksichtigt die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates bei der Festlegung ihrer Verhandlungsposition. b) In Fällen der schwerpunktmäßigen Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, oder wenn Behörden oder Verwaltungsverfahren der Länder betroffen sind, berücksichtigt die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates maßgeblich. c) In Fällen der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder vertritt ein vom Bundesrat benannter Vertreter der Länder die deutschen Interessen in Brüssel. Erneut haben also die Landesregierungen durch den Bundesrat Mitwirkungsrechte als Kompensation für einen möglichen Verlust an eigenständigen Kompetenzen eingetauscht. Immerhin konstatieren Heinz Laufer und Ursula Münch, dass im Laufe der Verhandlungen über den Europa-Artikel die Landesregierungen „mit ihrer Kompensationsstrategie deutlich erfolgreicher waren als bei früheren Gelegenheiten" (Laufer/Münch: 1998, S. 322). Diese Bewertung erklärt sich daraus, dass die Landesregierungen ihre Mitwirkungsrechte in Fragen europäischer Politik im Vergleich zur Vergangenheit ausbauen und verbessern konnten. Diese verfassungsrechtliche Neubestimmung hatte für die Länder durchweg positive Auswirkungen. Eine Erfolgskontrolle des Bundesrates ergab, dass die Anliegen des Bundesrates von der Bundesregierung auf EU-Ebene „überwiegend vollständig vorgetragen werden" (Ziller/Oschatz: 101998, S. 46). Die Kooperation zwischen den Mitarbeitern der Bundesregierung und der Landesregierungen er-

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weist sich dabei in europapolitischen Fragen als eng und sachorientiert. Der Stil entspricht offenbar weitgehend dem in den Ausschüssen des Bundesrates. Wesentliche Mitwirkungsrechte besitzt der Bundesrat auch beim Erlass von Verordnungen und Allgemeinen Verwaltungsvorschriften der Bundesregierung, die in den meisten Fällen nur mit Zustimmung des Bundesrates in Kraft treten können. Diese Kompetenz ist nicht gering zu veranschlagen, da die Bedeutung von Verordnungen (-> §§ 18, 19) für den Rechtsalltag in Deutschland nicht zu unterschätzen ist. Die das Recht für den Einzelfall konkretisierenden Verordnungen bilden im Zusammenspiel mit dem Gesetz in einzelnen Bereichen wie etwa Umwelt, Soziales oder Verkehr das maßgebende Recht (Oschatz: 1991, S. 116). Wie bei Gesetzesvorlagen schlägt der Bundesrat auch bei Verordnungen in der Regel Veränderungen vor, die von der Bundesregierung in fast allen Fällen übernommen werden. Auch der Erlass von Verwaltungsvorschriften - darunter werden Verfahrensanweisungen an Verwaltungen und Behörden verstanden - „ist zunehmend bedeutsam geworden" (Oschatz: 1991, S. 116), etwa in den Bereichen Umweltschutz oder Verkehrssicherheit. Vergleichsweise wenig Gebrauch hat der Bundesrat von seinem Recht gemacht, Gesetzesvorlagen beim Bundestag einzubringen. Jedes Land hat die Möglichkeit, einen eigenen Gesetzentwurf vom Bundesrat beraten und über ihn abstimmen zu lassen. Findet er die Zustimmung der Mehrheit im Bundesrat, gilt er als dessen Gesetzentwurf. Die Vorlagen des Bundesrats werden dann dem Bundestag durch die Bundesregierung zugeleitet, die dabei ihre Auffassung zu dem Gesetzesentwurf darlegen kann. Mit seinen Initiativen will der Bundesrat einerseits die Bundespolitik inhaltlich beeinflussen, andererseits besondere Länderinteressen mit den Mitteln des Bundesrechts vertreten. Hauptschwerpunkte waren in der Vergangenheit die Bereiche Inneres, Justiz, Arbeit und Soziales, aber auch der Finanzbereich und mit steigender Tendenz die Umweltpolitik (vgl. Ziller/Oschatz: 10 1998, S. 24). Bei insgesamt geringem Aufkommen kann immerhin konstatiert werden, dass sich die Anzahl der vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwürfe in den letzten Legislaturperioden des Bundestages erhöht hat. Insbesondere die Parteien der Bundestagsopposition nutzen das Initiativrecht des Bundesrates, um über ihnen parteipolitisch gleichgerichtete Landesregierungen alternative Vorstellungen zur Politik der Bundesregierung in den politischen Prozess einzubringen. Die Erfolgsquote der Gesetzesinitiativen des Bundesrates lag unterschiedlich hoch, war aber eher niedrig, wenn es sich um Entwürfe der Landesregierungen handelte, deren Partei(en) sich in der Bundestagsopposition befand(en). Dieses dürfte der vornehmliche Grund für die geringe Nutzung des Gesetzesinitiativrechts sein. Seit 1994 hat der Bundesrat auch ein Initiativrecht bei Rechtsverordnungen, ohne dass allerdings die Bundesregierung verpflichtet ist, über diese Vorlagen Beschlüsse zu fassen. Entsprechend selten hat der Bundesrat bisher diese Möglichkeit der Initiative genutzt. Neben den genannten Rechten im Gesetzgebungsprozess, bei Angelegenheiten der Europäischen Union oder im Bereich der Verwaltung kann sich der Bundesrat noch im Rahmen von Entschließungen äußern. Die vom Bundesrat gefassten Entschließungen können in zwei Gruppen aufgeteilt werden (siehe Ziller/Oschatz: 10 1998, S. 54f.): Die sog. „unselbständigen Entschließungen", das sind solche, die in einem Kontext zu Gesetzesvorhaben verabschiedet werden, und die sogenannten „selbständigen Entschließungen", das sind solche, die unabhängig von einem konkreten Rechtsetzungsprojekt verabschiedet werden. Mit ersteren wird der Beschluss des Bun-

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desrates erläutert oder eine Aufforderung an die Bundesregierung gerichtet. Mit letzteren kann der Bundesrat die Bundesregierung bitten, für einzelne Materien Gesetzesentwürfe oder Rechtsverordnungen vorzulegen, Berichte über einzelne Regierungsprojekte vorzulegen oder in Gespräche über Sachverhalte mit den Ländern einzusteigen.

IV. Bundesstaatlichkeit und Parteipolitik: Bundesrat als oppositionelles Blockadeinstrument? Kontroversen im Bundesrat sowie zwischen dem Bundesrat auf der einen und dem Bundestag beziehungsweise der Bundesregierung auf der anderen Seite können im wesentlichen auf drei Konfliktlagen zurückgeführt werden: 1) aus dem bundesstaatlichen System resultierende Interessengegensätze zwischen Bund und Ländern oder zwischen einzelnen Ländern; 2) unterschiedliche Fach- und Ressortinteressen, beispielsweise zwischen finanzpolitischen und sozial- oder bildungspolitischen Interessen; 3) parteipolitische Differenzen, die im Bundesrat insbesondere dann wirksam werden, wenn die dortigen Mehrheitsverhältnisse abweichend von denen des Bundestages sind. Der dritte Punkt stellt nach Auffassung vieler Beobachter die zentrale Konfliktlage dar, weshalb er zunächst einer näheren Betrachtung unterzogen werden soll. Die zentralen Akteure im Bundesrat seien die politischen Parteien (Patzelt: 1999, S. 60). Diese Feststellung mag zunächst verwundern, da sich formell im Bundesrat weder Fraktionen noch parteipolitische Gruppen bilden. Auch war es j a die Intention der Verfassungsgeber bei der Konstruktion der Bundesratslösung, der Bundesrat solle - im Gegensatz zum Bundestag - möglichst kein Abbild aktueller parteipolitischer Konfliktlinien sein, sondern im Gegenteil, ihm wurde von einigen Mitgliedern des Parlamentarischen Rates die Funktion eines „Widerlagers" zur Parteipolitik zugedacht (vgl. Böhne: 1998, S. 42ff.). Das Bundesratsprinzip sollte eine „höhere Objektivität der zweiten Kammer gegenüber der laufenden Parteipolitik" (so das Mitglied des Parlamentarischen Rates Süsterhenn) zum Ausdruck bringen. Dahinter stand die Überlegung, Landesregierungen würden mehr nach Sachgesichtspunkten entscheiden und länderspezifische Interessen durch die Wahrnehmung der politischen Gesamtkräfte eines Landes berücksichtigen, die weniger parteitaktisch oder ideologisch ausgerichtet wären als etwa die Interessenwahrnehmung von gewählten Senatoren. Dass der Parlamentarische Rat dem Bundesrat eine weniger parteipolitische Rolle zugedacht hatte, wird auch in seiner Rolle als Legalitätsreserve im Gesetzgebungsprozess erkennbar: Sollten die politischen Parteien im Bundestag keine funktionsfähige Mehrheit zur Verabschiedung von Gesetzen mehr zustande bringen, so soll in diesem Gesetzgebungsnotstand der Bundesrat als Ersatzgesetzgeber fungieren (Einzelheiten siehe Art. 81 GG). Nur durch die Annahme einer gewissen Distanz zwischen politischen Parteien und dem Bundesrat konnte der Parlamentarische Rat von einer Funktionserfullung des Bundesrates im Gesetzgebungsnotstand ausgehen. Warum kann man dennoch von einer zentralen Rolle der politischen Parteien im Bundesrat sprechen? Offenbar wird bei der Betrachtung des Abstimmungsverhaltens im Bundesrat im Laufe seiner Geschichte, dass parteipolitischen Aspekten in den letzten 30 Jahren

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eine größere Bedeutung zukam als in den ersten Jahren der Bundesrepublik. Im Unterschied zur aktuellen Entwicklung der Willensbildung und Entscheidungsfindung stand bis 1969 Parteipolitik nicht im Vordergrund des Geschehens im Bundesrat. Dies kann damit erklärt werden, dass sowohl die Bundesregierung als auch die Bundesratsmehrheit von CDU und CSU bestimmt wurden, sich somit in etwa gleichgerichtete Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat herausgebildet hatten. Politische Konflikte außerhalb von unterschiedlichen Länderinteressen gegenüber dem Bund wurden nicht in den Bundesrat hineingetragen. Lösungsstrategien bei politischen Interessenkonflikten wurden in dieser Zeit innerhalb der CDU, der jeweiligen Regierungskoalition oder direkt zwischen den Parteien beziehungsweise Fraktionen des Bundestages erarbeitet. Die Landesregierungen sicherten sich vornehmlich auf diesem Wege Einfluss auf die Bonner Regierungspolitik; der Bundesrat war nur ein Nebenschauplatz des parteipolitischen Interessenaustrags. Erst als unterschiedliche Mehrheiten in beiden Kammern sich zunehmend auf das politische Geschehen auf Bundesebene auswirkten, wurde der Bundesrat auch für parteipolitische Zwecke interessant. Seitdem herrscht in ihm insofern eine verstärkte Ambivalenz vor, als sowohl die bundesstaatliche Komponente wie auch das parteipolitische Element sein Handeln prägt. Im Bundesrat ist diese Ambivalenz wahrgenommen und verarbeitet worden. Welcher der beiden Aspekte stärker wiegt, hängt vom Sachgebiet, aber noch mehr von der parteipolitischen Konstellation auf Bundesebene ab. Das illustrierte Spannungsverhältnis von Parteienkonkurrenz und bundesstaatlicher Ordnung ist seit den 70er Jahren häufiger thematisiert und analysiert worden. Anlass war die erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland aufgetretene Gegenläufigkeit der parteipolitischen Mehrheiten von Bundestag und Bundesrat zu Zeiten der sozialliberalen Koalition auf Bundesebene (1969-1982). Gerhard Lehmbruch entwickelte daraufhin die These, dass der Föderalismus der Bundesrepublik den Parteienwettbewerb hemme, die Konkurrenzdemokratie verdränge und zu einer informellen Allparteienregierung führe. Ursächlich dafür sei die strukturelle Inkongruenz zwischen dem auf Konkurrenz angelegten Parteienwettbewerb und der auf Konsens angelegten Struktur der bundesstaatlichen Ordnung. Bei dichter werdender Politikverflechtung zwischen den staatlichen Ebenen laufe der Parteienwettbewerb damit leer. Diese Sichtweise greift vornehmlich in Phasen unterschiedlicher Mehrheiten in beiden Kammern. Denn aufgrund der gestiegenen, recht weitgehenden Vetomacht des Bundesrates verstärkt sich der Zwang zum Konsens zwischen den Parteien bei der Aushandlung von Lösungen politischer Probleme. In diesem Fall können die Parteien der parlamentarischen Opposition im Bundestag bei einer Mehrheit der von ihnen geführten Länderregierungen im Bundesrat erheblichen Einfluss auf die Bundespolitik ausüben. Sie können durchaus die Vetomacht dazu nutzen, die vom Bundestag verabschiedeten Gesetze der Regierungsmehrheit zu stoppen oder zumindest zu modifizieren, um so die Absichten und Pläne der Bundesregierung zu durchkreuzen. Kilper und Lhotta sprechen im Fall der Instrumentalisierung des Bundesrates durch die Bundestagsopposition für ihre eigenen Zwecke davon, dass damit der Bundesrat zu „einem Organ ihrer Interessen umfunktioniert" werde (Kilper/Lhotta: 1996, S. 176). Dieser Instrumentalisierung sind aber in der politischen Praxis Grenzen gesetzt. Zum einen setzt eine in diesem Sinne gemeinte Instrumentalisierung voraus, dass

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sich die Landesverbände einer Partei bei ihren Entscheidungen an der Bundespartei orientieren oder sich zumindest mit dieser auf eine gemeinsame Vorgehensweise einigen. Dies ist zwar häufiger auch der Fall, kann aber - wie die Geschichte der Bundesrepublik zeigt - keinesfalls als selbstverständlich gelten. Einer gänzlichen Vereinheitlichung von Bundes- und Landesparteien steht gegenüber, dass die Landesparteien sorgfältig über ihre Eigenständigkeit gegenüber der Bundespartei wachen und eigene Kompetenzen durchaus selbständig wahrnehmen (Schneider: 1997, S. 423f.). Die Entscheidung der hessischen FDP im März 2000, die Koalition auf Landesebene mit der CDU unter Ministerpräsident Koch entgegen massiven Drucks der Bundespartei fortzusetzen, mag als besonders prägnantes Beispiel gelten. Auch Koalitionsentscheidungen auf Landesebene werden in der Regel autonom von den Landesverbänden getroffen (Jun: 1994). Die einzelnen Landesregierungen orientieren sich primär in solchen Fällen an bundespolitischen Gesichtspunkten und dem Interesse ihrer jeweiligen Bundespartei, wenn es ihren eigenen Interessen nicht zuwider läuft oder sie sich Vorteile davon versprechen. In vielen Fällen treten Bundespartei und die von ihr gestellten Landesregierungen in Gespräche ein, um das Verhalten im Bundesrat zu besprechen. Von einer Aufoktroyierung des Willens der Bundespartei oder der Bundestagsfraktion ist dabei nicht auszugehen. Vielmehr versuchen beide Seiten, gemeinsame Positionen und Strategien zu entwickeln. Weiterhin sind einer möglichen Instrumentalisierung des Bundesrates durch die Bundestagsopposition Grenzen gesetzt durch die Konsenszwänge von Koalitionsregierungen. Denn noch schwieriger als bei Einparteiregierungen gestaltet sich die Situation bei Koalitionsregierungen in den Ländern, was mit deren Entscheidungsfindung bei Bundesratsangelegenheiten zusammenhängt. Die in den Koalitionsvereinbarungen zwischen den Parteien festgelegte Bundesratsklausel bestimmt nämlich, dass sich die Regierungsparteien auf Landesebene über ihr Bundesratsverhalten abstimmen. Sollte es keine Übereinkunft geben, sehen die Vereinbarungen in der Regel eine Stimmenthaltung im Bundesrat vor, was aufgrund der Notwendigkeit der Zustimmung im Bundesrat schon eine ablehnende Auswirkung haben kann (etwa bei Zustimmungsgesetzen). Die Bundesratsklausel fällt besonders ins Gewicht bei sogenannten nichtkonformen Regierungskoalitionen (siehe Kropp/ Sturm: 1998, S. 116), wenn also Koalitionsbildungen auf Landesebene nicht dem Regierungs-Oppositions-Muster auf Bundesebene folgen. In solchen Fällen besitzt die Bundestagsopposition durch ihre Regierungsbeteiligung auf Landesebene Mitwirkungsmöglichkeiten und Blockadepotenzial im Bundesrat. Aufgrund der immer vielfältiger werdenden Koalitionsbildungen auf Landesebene in den letzten Jahren erhöht sich somit die Komplexität der Mehrheitsbildung im Bundesrat. Die Wahrnehmung unterschiedlicher Koalitionsoptionen eröffnet den Parteien zwar einen größeren koalitionspolitischen Spielraum, steht aber einer möglichen Instrumentalisierung des Bundesrates entgegen. Ohnehin haben schon in der Vergangenheit die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat keine entscheidende Auswirkung auf Koalitionsbildungen in den Ländern gehabt (vgl. Jun: 1994). Trotz der begrenzten Instrumentalisierungsmöglichkeiten der Bundestagsopposition sollte an dieser Stelle die Frage beantwortet werden, wie häufig die Bundestagsopposition die Struktur des Bundesrates benutzt hat, um bei Mehrheiten ihr nahestehender Landesregierungen die Vorhaben der Bundesregierung und der Bundestagsmehrheit zu blockieren? Die Antwort aufgrund der statischen Daten weist in die gleiche Richtung: Nur selten. Eine Bilanz der Gesetzgebungstätigkeit

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des Bundes belegt, „dass der Vorwurf, Mehrheitspositionen im Bundesrat würden zu parteipolitischen Zwecken missbraucht, pauschal nicht aufrechtzuerhalten ist" (Kilper/Lhotta: 1996, S. 176). In den allermeisten Fällen konnte spätestens nach Abschluss des Verfahrens im Vermittlungsausschuss ein Kompromiss erzielt werden, der aus Sicht des Bundesrates eine Korrektur des ursprünglichen Gesetzesvorhabens darstellte und Interessengegensätze zwischen Bundesregierung und Bundestagsmehrheit auf der einen und der Bundesratsmehrheit auf der anderen Seite ausgleichen konnte. Von einer Lähmung der Bundesgesetzgebung zu sprechen, ist also angesichts der Interpretation der Zahlen nicht angebracht. Die bisher weitgehendste Blockademacht übte die im Bund oppositionelle SPD mit ihrer Bundesratsmehrheit gegenüber der von CDU/CSU und FDP gebildeten Bundesregierung im Jahre 1998 aus und ließ im Vorfeld der Bundestagswahlen zahlreiche Gesetzesbeschlüsse im Bundesrat scheitern. Als Grund wird hierfür aufgeführt, dass die SPD entschlossen war, bis zur Bundestagswahl der Öffentlichkeit die Handlungsunfähigkeit der Bundesregierung vorzuführen (Eith: 2000, S. 93). Ansonsten aber setzte sich in den allermeisten Fällen trotz häufig nicht identischer parteipolitischer Mehrheiten in beiden Kammern (1969 bis 1982, Juni 1990 bis September 1998, seit März 1999) der Kompromiss- und Kooperationsgedanke durch. Die Bundestagsopposition nutzte den verfassungsmäßigen Rahmen, um bei der Regierungspolitik mitzuwirken, durchkreuzt hat sie diese selten. Warum hat der Bundesrat von seiner Möglichkeit, Bundesgesetze scheitern zu lassen, bisher sehr maßvoll Gebrauch gemacht? Dies ist nicht allein auf die nur begrenzten Instrumentalisierungsmöglichkeiten und die Kompromiss- und Kooperationsfkhigkeit des Bundesrates zurückzuführen. Auch die Bundesregierung und die Bundestagsmehrheit sind nicht selten dem Bundesrat entscheidend entgegengekommen. Denn in vielen Fällen kam es schon deswegen nicht zur Verweigerung der Zustimmung durch den Bundesrat, weil die Bundesregierung bereits bei der Ausarbeitung der Vorlage und im weiteren Prozess der Bundestag bei seinen Beratungen der starken Position des Bundesrates bei zustimmungspflichtigen Gesetzen Rechnung getragen hat (vgl. Ziller/Oschatz: l01998, S. 117fF.). Das bedeutet, dass die Bundesregierung oft schon im Vorfeld von Gesetzesberatungen den Landesregierungen entgegengekommen ist, um möglichen Konfliktstoff auszuräumen und sich die Zustimmung der Mehrheit zu sichern. Gelang das nicht, oder wollte die Bundesregierung ohne Konsenszwang agieren, hat sie sich in einigen Fällen für eine Ausweichstrategie entschieden: Hatte sie ein Interesse daran, Gesetze ohne Kompromisszwang durchzusetzen, verzichtete sie gelegentlich auf Regelungen, welche eine Zustimmungsbedürftigkeit hätten begründen können. Es kann somit konstatiert werden, dass weder der deutliche Anstieg der zustimmungspflichtigen Gesetze in der Vergangenheit noch unterschiedliche parteipolitische Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat zu einer Entscheidungsblockade im Gesetzgebungsprozess geführt haben. Der Bundesrat war bisher auch bei divergierenden Mehrheiten nur äußerst selten ein Blockadeinstrument der Bundestagsopposition. Er diente weniger Strategien parteipolitischer Konfrontation als vielmehr der Integration der parlamentarischen Opposition im Bund und der Landesregierungen in den politischen Entscheidungsprozess. König kommt bei seinen Untersuchungen sogar zu dem Ergebnis, dass die Erfolgsquote des Vermittlungsausschusses die Verabschiedungsquote von Regierungsvorlagen noch erhöht hat (vgl. König: 1999, S. 35). Der parlamentarische Mehrheitswille wird somit

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bei zustimmungspflichtigen Gesetzen durch Konsenslösungen ergänzt. Aus diesem Sachverhalt leiten einige Untersuchungen die These von einer verdeckten Allparteienkoalition ab, die durch die Struktur der Politikverflechtung im deutschen Föderalismus verstärkt wird. Dem Bundesrat kommt dabei bei divergierenden Mehrheitsverhältnissen zwischen beiden Kammern eine zentrale Machtstellung zu, seine starke Stellung fördere koalitionsähnliche Aushandlungsmechanismen. Der parlamentarische Mehrheitswille werde abgelöst von einem Konsens aller Parteien, welcher die Zurechenbarkeit politischer Verantwortung verhindere (vgl. Böhne: 1998, S. 60ff.). Nicht vergessen werden sollte bei der Bestimmung der Machtposition des Bundesrates aber, dass durch eine Mehrheit der ihr nahestehenden Landesregierungen im Bundesrat die parlamentarische Opposition am Entscheidungsprozess zwar in recht großem Umfang mitwirken, jedoch die Regierungspolitik nicht gestalten kann. Die nur mitwirkende Macht des Bundesrates wird bei der These von der „verdeckten Allparteienkoalition", die in Deutschland regiere, häufig übersehen oder nicht adäquat gewichtet. Der Bundesrat kann korrigierend eingreifen oder bei Zustimmungspflichtigkeit Vorhaben zu Fall bringen, er kann aber nur in äußerst begrenztem Umfang politikgestaltend tätig werden. Dass dies auch dem Selbstverständnis des Bundesrates entspricht, lässt sich nicht zuletzt an seiner geringen Initiativtätigkeit ablesen. Zudem hat der Bundesrat bisher kaum als Blockadeinstrument fungiert. Er nimmt vielmehr primär eine Kontrollfunktion wahr, indem er Beschlüsse der Bundesregierung oder des Bundestages verändert, modifiziert, ihnen gelegentlich eine andere Gewichtung gibt und in seltenen Fällen auch ablehnt. Die Bundesregierung und mit ihr die Bundestagsmehrheit bestimmen aber hauptsächlich die Grundsätze der Politik. Der Bundesrat nimmt am vornehmlich von der Bundesregierung bestimmten Entscheidungsprozess nur Teil. Seine Reaktionsmöglichkeiten sind erheblich, seine Aktionsmöglichkeiten im Verhältnis zum Bundestag und zur Bundesregierung jedoch gering (so auch Rudolf: 1998). Folgerichtig kann der Bundesrat im Verfassungsgefüge des Grundgesetzes treffend als ein Element der Gewaltenhemmung (-> § 8, I. u. II.) bezeichnet werden. Er ist ein Mitwirkungs-, kein Leitungsorgan, was bei der Bestimmung seiner Machtposition stets bedacht werden sollte. Der gelegentlich überzeichnete Eindruck von parteipolitischen Kontroversen im Bundesrat kann auch dadurch ein wenig abgeschwächt werden, dass die große Mehrzahl der Beschlüsse des Bundesrates gar nicht auf parteipolitische Kontoversen zurückgeht. Viele Empfehlungen der Bundesratsausschüsse werden einvernehmlich getroffen, sind von gesetzestechnischen oder verwaltungspraktischen Vorschlägen bestimmt. Ziller und Oschatz halten denn auch fest, dass nur „gelegentlich festzustellen" sei, „dass die stärkere parteipolitische Akzentuierung der Bundesratsarbeit dazu geführt hat, dass das Fachgespräch der Experten in den Ausschüssen oder die Betonung der landesspezifischen Gesichtspunkte von anderen Argumenten überlagert wird" (Ziller/Oschatz: 101998, S. 120). Ausschließlich bei parteipolitisch fixierten und zugleich zwischen den beiden Großparteien kontroversen Fragen dominiert im Ausschuss und im Plenum die Parteilinie, wird entsprechend der von den Parteizentralen ausgehenden Beschlüsse diskutiert und abgestimmt. In diesen Fällen unterliegen die Parlamentarier und Beamten den vorgegebenen Weisungen. Ansonsten sind sie gerade in den die Entscheidungen vorbereitenden Ausschusssitzungen freier in ihrem Abstimmungsverhalten und lassen sich dann noch mehr von Sachwissen und administrativer Erfahrung leiten.

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Das Abstimmungsergebnis ist dann entsprechend nicht parteigebunden, sondern weitgehend „Resultat der Kooperation der mit der Angelegenheit befassten sachverständigen Mitarbeiter in den Ministerien und der Frontverwaltung der Länder untereinander und mit ihren Counterparts in der Ministerialbürokratie des Bundes" (Rudolf: 1998, S. 27). Als Bundesorgan ist der Bundesrat also auf das Expertenwissen in den Ministerien der Länder angewiesen, um wirkungsvoll am Gesetzgebungsprozess mitwirken und die Tätigkeit der Bundesregierung kontrollieren zu können. Besser kann die Bindegliedfunktion des Bundesrats kaum zum Ausdruck gebracht werden. Die Länderverwaltungen führen Gesetze aus, an deren Zustandekommen sie erheblich mitgewirkt haben, und in denen sich wiederum die Erfahrungen der Landesbehörden wiederfinden. Die darin schon zum Ausdruck kommende enge Verflechtung der exekutiven Ebenen von Bund und Ländern garantiert die Stabilität dieses Prozesses und verfestigt die Struktur des deutschen Exekutivenföderalismus. Alle Entflechtungsversuche des deutschen Föderalismus haben von daher die Stellung des Bundesrates im Gefüge des föderativen Systems in Rechnung zu stellen. Dass im Bundesrat parteipolitische Gesichtspunkte nicht in jedem Fall die ausschlaggebende Rolle spielen, kann auch daran festgemacht werden, dass in einigen Fällen parteiübergreifend Länderinteressen insgesamt im Vordergrund der Beratungen im Bundesrat stehen. Besonders in Fragen der Finanzverteilung zwischen Bund und Ländern, der Mitwirkung bei Angelegenheiten der Europäischen Union oder der Umweltpolitik kam es in jüngster Zeit zu Allianzen von Landesregierungen aller parteipolitischen Couleur. Gelegentlich werden von unterschiedlich zusammengesetzten Landesregierungen gemeinsame Anträge zur Lösung einzelner politischer Probleme gestellt. So haben beispielsweise die Regierungen der fünf neuen Bundesländer in einigen Fällen parteiübergreifend Anliegen im Bundesrat zum Ausdruck gebracht. Auch haben die leistungsstarken Länder in jüngerer Zeit gemeinsame Interessen im föderativen System entdeckt. Die gemeinsame Klage vor dem Bundesverfassungsgericht von der zum Zeitpunkt der Antragstellung SPD-geführten hessischen Landesregierung mit der CDU-geführten Landesregierung Baden-Württembergs und der CSU-Alleinregierung Bayerns zum Länderfinanzausgleichsgesetz mag das illustrieren. Ein Zusammenwirken einzelner Länder trotz unterschiedlicher parteipolitischer Mehrheiten stellt mithin keine Ausnahme dar, trotz der bei Grundsatzfragen vorherrschenden Orientierung an parteipolitischen Standpunkten im Bundesrat.

V. Der Bundesrat als zweite Kammer Nach dem Bundestag als erster Kammer stellt der Bundesrat im Gefüge der Verfassungsorgane die zweite, politisch betrachtet nachgeordnete Kammer des deutschen Parlamentarismus dar. Nur indirekt demokratisch legitimiert und mit weniger Kompetenzen ausgestattet, dazu von der politischen Öffentlichkeit weniger wahrgenommen als der Bundestag, spielt der Bundesrat die zweite Geige neben der direkt vom Volk gewählten und über mehr Kompetenzen verfügenden ersten Kammer, dem Bundestag. Wenn die wirksame Beteiligung an der Gesetzgebung, die über eine nur beratende Funktionen deutlich hinausgehen sollte, als zentrales Bestimmungskriterium einer zweiten Kammer gilt (so v. Beyme: 1974, S. 367f.), so kann der Bundesrat demnach immerhin uneingeschränkt als eine solche be-

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zeichnet werden, wenn er auch nicht gleichwertig gegenüber dem Bundestag im Gesetzgebungsprozess ist. Gelegentlich ist seine Stellung als echte zweite Kammer jedoch bezweifelt worden, weil er im Gegensatz zum amerikanischen Senat (-> § 2, IV.) nur eingeschränkte Mitwirkungsrechte im politischen Entscheidungsprozess besitzt und durch seine Struktur als Kammer der Länderregierungen als nichtparlamentarisch im klassischen Sinne gilt. Er sei in seiner Zusammensetzung „eher dem Zentralorgan einer internationalen Organisation vergleichbar als einer zweiten Kammer eines Parlaments" (Rudolf: 1998, S. 30). Wenn auch diese Charakterisierung einen richtigen Kern enthält, so sollte darauf hingewiesen werden, dass immerhin die Landesregierungen auf die Mehrheitsverhältnisse im jeweiligen Landesparlament angewiesen sind und die Landesparlamente zumindest formell die Möglichkeit haben, die Vertreter der jeweiligen Landesregierung für ihre Entscheidungen im Bundesrat zur Verantwortung zu ziehen. Dieses Mindestmaß an Legitimation und Verantwortlichkeit sollte den Bundesratsmitgliedern nicht abgesprochen werden. Bundesratsmitglieder sind zwar als solche keine Parlamentarier, aber als Mitglied einer Landesregierung haben sie in der Regel ein Abgeordnetenmandat auf Landesebene, sind also in der großen Mehrzahl gewählte Vertreter und nicht einfach nur Gesandte einer Landesregierung. Trotz des an demokratietheoretischen Maßstäben gemessenen Legitimationsdefizites der einzelnen Mitglieder gilt nach mehrheitlicher Auffassung die Funktion des Bundesrates im Entscheidungsprozess als ausreichend, um ihm den Status einer föderalen zweiten Kammer zuzubilligen (etwa Schüttemeyer/Sturm: 1997). Plöhn und Steffani sprechen davon, dass der Bundesrat strukturell zwar eher ein Exekutivorgan sei, er aber „funktionell mit so weitreichenden parlamentarischen Kompetenzen ausgestattet (sei), dass er in dieser Hinsicht durchaus als ,Zweite Kammer' des deutschen Regierungssystems angesehen werden kann" (Plöhn/StefFani: 1997, S. 22). Legitimationsgrundlage seines Handelns ist die Repräsentation von Länderinteressen auf Bundesebene, Hauptnachweis seiner Tätigkeit ist die konstruktive Mitwirkung bei der Verabschiedung von Gesetzen, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften durch das Einbringen von spezifischen Erfahrungen und Kenntnissen in den politischen Prozess. Weitere Aufgaben als zweiter Kammer sind ihm zugedacht: Er soll als ein Element der Gewaltenteilung (—> § 8, II.) wirken, die bundesstaatliche Kompetenzordnung (-> § 6, II.) verteidigen und durch die Vertretung von regionalen Interessen (-> § 16) die einzelnen Länder in die gesamtstaatliche Ordnung integrieren. Zusätzlich versprachen sich die Mitglieder des Parlamentarischen Rates von der Einführung des Bundesrates als zweiter Kammer Kontinuität statt Kurzatmigkeit („ewiges Organ"), Konsens statt Konflikt („keine Durchdringung von Parteipolitik"), eine durch die Erfahrung der Verwaltungspraxis ergänzte und damit möglichst qualitativ hochstehende Gesetzgebungsarbeit („höhere Objektivität"). Der Einfluss der Länderregierungen sollte sicherstellen, dass eine gesetzliche Regelung zweckmäßig, einfach zu handhaben und praktikabel ist. Erfüllt hat der Bundesrat fraglos die Idee, Machtkontrolle zu gewährleisten und die vielfältigen Verwaltungserfahrungen für die Gesetzgebung nutzbar zu machen. Als zweite Kammer im Rahmen der im Grundgesetz angelegten Gewaltenteilung hat es der Bundesrat erfolgreich verstanden, kontrollierend auf die Beschlüsse der Bundesregierung und des Bundestages einzuwirken (Patzelt: 1999, S. 67). Gestützt auf die Experten in den Länderbürokratien war der Bundesrat bei

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seiner Kontrolle nicht selten sogar wirkungsvoller als der Bundestag, hat zumindest dessen Kontrolltätigkeit wirkungsvoll ergänzt und somit seine Funktion als zweiter Kammer im Prozess der Gesetzgebung und der Kontrolle Nachdruck verliehen. Keinesfalls beschränkte sich der Bundesrat bei Gesetzgebung und Kontrolle auf sachliche Verwaltungsarbeit - im Gegenteil, er hat seine Möglichkeiten zur Mitwirkung an politischen Entscheidungen genutzt und in den letzten Jahren sogar ausgeweitet. Von seiner Rolle als Vetospieler hat er insgesamt verantwortungsbewusst Gebrauch gemacht, wie der geringe Anteil von am Bundesrat gescheiterten Gesetzen zeigt, aber seine Machtposition in Verhandlungsprozessen mit Bundestag und Bundesregierung durchaus häufiger deutlich demonstriert (allgemein zu zweiten Kammern als Vetospieler Riescher/Ruß: 2000). Positiv ausgewirkt auf seine Kontroll- und Gesetzgebungstätigkeiten haben sich für den Bundesrat seine ständigen Arbeitsbeziehungen zur ersten Kammer, dem Bundestag, und zur Bundesregierung. Zur letzteren unterhält der Bundesrat ständige Arbeitsbeziehungen. Mitglieder der Bundesregierung nehmen regelmäßig an den Sitzungen des Plenums und der Ausschüsse des Bundesrates teil und informieren die Mitglieder der zweiten Kammer über die laufenden Regierungsgeschäfte. Diese Informationen sind oftmals ausreichend, so dass der Bundesrat nur sehr selten von seinem formalen Fragerecht gegenüber den Mitgliedern der Bundesregierung Gebrauch macht. Des weiteren informiert der Staatsminister im Kanzleramt (-> § 12, V.) regelmäßig den Ständigen Beirat des Bundesrates über aktuelle Themen der Regierungspolitik. Auch zum Bundestag pflegt der Bundesrat enge Verbindungen. Nach Art. 43, Absatz 2 GG haben die Mitglieder des Bundesrates und ihre Beauftragten Zutritt zu allen Sitzungen des Bundestages, einschließlich der Ausschusssitzungen. Sie müssen dort jederzeit gehört werden. Daraus folgt, dass sie ein weitreichendes Rederecht haben, von dem Ministerpräsidenten oder einzelne Fachminister der Länder durchaus regen Gebrauch machen. Zu den Ausschusssitzungen des Bundestages gehen die Mitglieder des Bundesrates eher selten, dort lassen sie sich häufig von beauftragten Beamten vertreten. Andere parlamentarische Funktionen erfüllt der Bundesrat kaum, in Ansätzen noch die Funktion der Artikulation von Länder- und Parteiinteressen. Öffentliche Kommunikation mit der Bevölkerung findet kaum statt, da die Plenarsitzungen des Bundesrates aufgrund ihres Beratungsstils wenig öfFentlichkeitswirksam sind und entsprechend wenig Beachtung in den Medien finden. Wo kaum Debatten stattfinden, können auch keine übertragen werden. Lediglich wichtige Entscheidungen des Bundesrates finden - insbesondere in Phasen entgegengesetzter Mehrheiten zum Bundestag - eine größere Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. Auch pflegt der Bundesrat kaum Kommunikation mit einzelnen gesellschaftlichen Gruppen wie Verbänden oder Bürgerinitiativen, was sich auch auf den Entscheidungsprozess auswirkt: „In der Tat ist von einem Einfluss der Vertreter von Verbänden auf die Beschlüsse des Bundesrates praktisch nichts zu bemerken" (Ziller/Oschatz: 101998, S. 124). Von der Erfüllung einer Wahlfunktion durch den Bundesrat kann ebenfalls kaum die Rede sein: Er wirkt lediglich bei der Wahl der Richter des Bundesverfassungsgerichts (-> § 15, II.) mit und entsendet Vertreter in einzelne Gremien wie den Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Arbeit oder den Rundfunkrat der Deutschen Welle. Wenig Rechte hat der Bundesrat als zweite Kammer auch bei der Entsendung von Mitgliedern in internationale Versammlungen; lediglich zur Nordatlantischen Versammlung entsendet er 6 der 18

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Mitglieder der deutschen Delegation, jedoch keinen zur Versammlung der Westeuropäischen Union, der Parlamentarischen Versammlung des Europarates oder der Parlamentarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Eingerichtet wurde eine Verbindungsstelle des Bundesrates zum Europäischen Parlament. Trotz der erfolgreichen Wahrnehmung von nur zwei Parlamentsfunktionen - der Kontroll- und Gesetzgebungsfunktion - fällt das Urteil zur Leistung des Bundesrates als zweiter Kammer überwiegend positiv aus (Patzelt: 1998; Laufer/Münch: 1998, S. 190; Rudolf: 1998, S. 29ff.). Der Bundesrat hat sich als Element der Gewaltenhemmung bewährt, seine Leistungen gelten nicht als defizitär. Für einzelne Autoren ist beim Bundesrat aufgrund der bisher erbrachten Leistungen nicht einmal ein Reformbedarf erkennbar (so Patzelt: 1998). Weil der Bundesrat im Zusammenwirken mit Bundestag und Bundesregierung höchst selten zum Instrument der Gesetzesblockade gegriffen und zumeist konstruktiv an Konsenslösungen mitgewirkt hat, vermochte er die Funktionsfähigkeit des deutschen Regierungssystems nicht nur zu erhalten, sondern konnte diese darüber hinaus sogar stabilisieren. Typisch für zweite Kammern, hat der Bundesrat oft systembewahrend gewirkt, war er Status quo orientiert und kaum reformerisch tätig. Diese Verhaltensweisen erklären sich zu einem Großteil aus seiner vom Parlamentarischen Rat zugeschriebenen Rolle als Bewahrer von Länderinteressen und Mitgestalter der Politik auf Bundesebene sowie seiner partiell selbstgewählten Positionierung als parteipolitischer Kontrolleur von Bundesregierung und Bundestagsmehrheit. Parteipolitik und Länderinteressen haben neben verwaltungspraktischer und gesetzestechnischer Denkweise gleichermaßen Eingang in das Handeln des Bundesrates gefunden, der auf diese Weise durchaus adäquat seiner Rolle als föderaler Kammer in der Parteiendemokratie (-> § 23) der Bundesrepublik Deutschland nachkommt. Das föderative und das parteiendemokratische Element lassen sich in unterschiedlicher Gewichtung in den Entscheidungen des Bundesrates wiederfinden. Die gelegentlich kritisierte parteipolitische Ausrichtung auch des Bundesrates ist dabei keineswegs systemfremd im Regierungssystem einer Parteiendemokratie wie der Deutschlands. Da Parteien eine zentrale Position im politischen Willensbildungsprozess auf Bundes- und Landesebene haben, ist ihre wichtige Rolle im Entscheidungsprozess im Bundesrat zu rechtfertigen, zumal einer Instrumentalisierung des Bundesrates durch Parteien Grenzen gesetzt sind. So lange der Bundesrat wie bisher konstruktiv an der Willensbildung des Bundes mitwirkt und seine Blockademöglichkeiten positiv in Mitgestaltung umwandelt, so lange trägt er als zweite Kammer zum Funktionieren des Gesamtsystems bei. Denn ein unitarischer Bundesstaat bedarf einer starken zweiten Kammer, um die föderale Balance zumindest zu halten. Nur wenn die föderale Kompetenzverteilung nachhaltig wieder mehr in Richtung stärkerer Autonomie der Länder geht, erscheint es angebracht, die derzeitige Machtposition des Bundesrates zu beschneiden. Der Bundesrat kann nur sehr eingeschränkt für ein allgemeines Reformdefizit in Deutschland verantwortlich gemacht werden.

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§ 15 Das Bundesverfassungsgericht Volker Boehme-Neßler Einleitung: Der Hüter der Verfassung - I. Die Entstehung des Bundesverfassungsgerichts - II. Das Bundesverfassungsgericht als Gericht - III. Das Bundesverfassungsgericht als Verfassungsorgan - IV. Verfassungsrechtsprechung oder Politikgestaltung? - Das Bundesverfassungsgericht zwischen Recht und Politik V. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: Eine inhaltliche Bilanz VI. Ein Blick in die Zukunft: Das Bundesverfassungsgericht und die europäische Integration Grundlagenliteratur:

Bryde, Brun-Otto (1982): Verfassungsentwicklung. Baden-Baden Hesse, Joachim Jens / Ellwein, Thomas (81997): Das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland.Opladen, Bd. 1, S. 407ff. Robbers, Gerhard (1990): „Die historische Entwicklung der Verfassungsgerichtsbarkeit". In: JuS, S. 257ff. Roellecke, Gerd (1987a): „Aufgaben und Stellung des Bundesverfassungsgerichts im Verfassungsgefiige". In: HdbStR, Bd. II., S. 665ff. Schiaich, Klaus (41997 ): Das Bundesverfassungsgericht. München Simon, Helmut ( 1994): „Verfassungsgerichtsbarkeit". In: Benda, Ernst / Maihofer, Werner / Vogel, Hans-Jochen: Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland. Berlin, S. 1637ff. Einleitung: Der Hüter der Verfassung In Deutschland hat die Idee einer starken Verfassungsgerichtsbarkeit eine lange Tradition (ausführlich dazu Robbers: 1990, S. 257ff.). Schon das Reichskammergericht von 1495 lässt sich als frühe Form eines Verfassungsgerichts begreifen. Denn es sollte - das ist der Kern der Verfassungsgerichtsbarkeit - Fragen der Verfassung gerichtlich, nicht politisch entscheiden. Ansätze zu einer Verfassungsgerichtsbarkeit lassen sich auch in der Verfassung des Norddeutschen Bundes von 1864 und in der Verfassung des Deutschen Reichs von 1871 (-> § 1, III.) entdecken. Allerdings ist die Verfassungsgerichtsbarkeit dort nur sehr rudimentär ausgebildet. Denn das die Verfassungen damals beherrschende monarchische Prinzip ließ sich mit der Unterordnung des Monarchen unter ein Verfassungsgericht nicht vereinbaren. Von besonderer Bedeutung für die Idee der Verfassungsgerichtsbarkeit ist aber die - nicht in Kraft getretene - Paulskirchenverfassung von 1849 (—> § 1, III.): Sie wollte ein Reichsgericht mit weitreichenden verfassungsgerichtlichen Kompetenzen schaffen (Robbers: 1990, S. 261). Auffällig war Artikel 126 g der Verfassung: Er sah Klagen einzelner Staatsbürger wegen Verletzung ihrer verfassungsrechtlich garantierten Rechte durch den Staat vor. Das war nichts anderes als ein Vorläufer der heutigen Verfassungsbeschwerde. In der Weimarer Republik (-> § 1, V.) existierte eine starke Verfassungsgerichtsbarkeit auf Länderebene. Fast alle Landesverfassungen enthielten etwa eine Mi-

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nisteranklage wegen Verstoßes gegen die Verfassung oder ein Gesetz. Einige Landesverfassungen übertrugen ihren Staatsgerichtshöfen die Entscheidung bei Streitigkeiten zwischen Staatsorganen über die Auslegung der Verfassung. Einzigartig war Artikel 93 der damaligen bayrischen Verfassung, der eine Verfassungsbeschwerde vorsah: Jeder Bürger konnte wegen einer Verletzung seiner verfassungsrechtlich garantierten Rechte den bayrischen Staatsgerichtshof anrufen. Auf Reichsebene gab es einen Staatsgerichtshof, der ebenfalls Funktionen eines Verfassungsgerichts erfüllte, wenn auch begrenzt. Der bekannteste Prozess vor dem Staatsgerichtshof war das Verfahren über den sog. Preußenschlag der Nationalsozialisten (dazu ausführlich E.R.Huber: 31988, S. 1015ff.). Zwei allgemeine Erkenntnisse lassen sich aus diesem Prozess gewinnen: Verfassungsgerichtsbarkeit ist immer politische Gerichtsbarkeit, auch wenn sie sich - wie der Weimarer Staatsgerichtshof - unpolitisch gibt. Und: Ein Verfassungsgericht allein kann eine Verfassung nicht retten, wenn starke politische Kräfte sie abschaffen wollen und die Bevölkerung ihr gleichgültig oder ablehnend gegenübersteht. Der Hüter der Verfassung ist letztlich die Gesellschaft selbst. An diese weitreichenden rechtlichen Traditionen knüpft das Grundgesetz 1949 an. Es etabliert in Deutschland ein Verfassungsgericht, das eine Machtfülle erhält, die beispiellos ist, sowohl historisch als auch im internationalen Vergleich mit anderen Verfassungsordnungen (ausführlich zur Verfassungsgerichtsbarkeit in anderen Staaten Robbers: 1990, S. 258ff. m.w.N.). Entscheidend dafür war eine traumatische Erfahrung mit dem totalitären Naziregime (so auch Benda / Klein: 1991, S. 3; -> s.a. § 1, V.): Der einzelne war dem Staat schutzlos ausgeliefert, und das - am Anfang noch gewählte - Parlament selbst schuf menschenverachtendes Unrecht in Gesetzesform. Aufgrund dieser Erfahrung sollte eine Institution geschaffen werden, deren einzige Aufgabe darin besteht, Verletzungen der Verfassung durch eine staatliche Institution zu rügen und rückgängig zu machen. Damit schützt es den Bürger und die in der Verfassung enthaltenen Werte vor dem Staat; die Staatsgewalt wird in ihre Schranken gewiesen. Das Bundesverfassungsgericht als Hüter der Verfassung - so stellt sich das GG die Verfassungsgerichtsbarkeit in Deutschland vor. Als Hüter der Verfassung sieht sich das Bundesverfassungsgericht (BverfG) inzwischen auch selbst (dazu Häberle: 1998, S. 89f.).

I. Die Entstehung des Bundesverfassungsgerichts Dass das Grundgesetz eine starke Verfassungsgerichtsbarkeit enthalten sollte, war bereits zu Beginn der Verhandlungen des Parlamentarischen Rates von 1949 unbestritten. Das Trauma der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten war noch frisch. Ein innovatives Instrument zum Schutz der Verfassung sollte ähnliche Katastrophen in Zukunft verhindern (Simon: 1994, S. 1646). Der Publizist Alfred Grosser bezeichnet das Verfassungsgericht zu Recht als die originellste und interessanteste Institution im westdeutschen Verfassungssystem (Grosser: 1960, S. 115). Allerdings dürfen andere, weniger fortschrittliche Motive für die Einrichtung eines mit weitreichenden Kompetenzen ausgestatteten, mächtigen Verfassungsgerichts nicht übersehen werden: Dass der Schutz der Verfassung in so hohem Maß einem Gericht anvertraut wird, erklärt sich auch aus mangelnden demokratischen Traditionen in Deutschland und der schon traditionellen Einstel-

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lung, Probleme - auch politische - eher gerichtlich-juristisch als politisch-partizipatorisch zu lösen (v. Beyme: 1999, S. 30). Das wird besonders deutlich an einem Vergleich mit Großbritannien und Frankreich: Beide Staaten kennen keine ausgeprägte Verfassungsgerichtsbarkeit. Sie gehen von einer Vorherrschaft der demokratisch gewählten und legitimierten Parlamente aus, die sich keiner gerichtlichen Kontrolle unterwerfen (Simon: 1994, S. 1644). Das ist in Deutschland anders: Auch das demokratisch gewählte Parlament wird der Kontrolle durch das Verfassungsgericht unterworfen. Das Verfassungsgericht wird zum Schiedsrichter im Streit der politischen Kräfte. Selbst der US-amerikanische Supreme Court, der wegen seiner Machtfülle oft als Vorbild für das Bundesverfassungsgericht angesehen wird, hat diese Kompetenz nicht (v. Beyme: 1999, S. 30; Simon: 1994, S. 1646 m.w.N.). Trotz aller grundsätzlichen Einigkeit im Parlamentarischen Rat gab es Differenzen im Detail. Besonders umstritten war die Frage der Verfassungsbeschwerde: Sollte dem einzelnen Bürger das Recht eingeräumt werden, vor dem Bundesverfassungsgericht gegen eine Verletzung seiner Grundrechte klagen zu können? Die Verfassungsbeschwerde wurde nach heftigen Diskussionen als nicht notwendig angesehen und nicht in die ursprüngliche Fassung des Grundgesetzes von 1949 aufgenommen. Durch eine Verfassungsänderung wurde die Verfassungsbeschwerde 1969 in das Grundgesetz integriert. Heute sind mehr als 97 % aller beim Bundesverfassungsgericht eingeleiteten Verfahren Verfassungsbeschwerden (Wieland: 1998, 171 f.): Es ist nicht zuletzt diese Möglichkeit für jeden Bürger, selbst „nach Karlsruhe" gehen zu können, der den Ruf des Bundesverfassungsgerichts als Hüter der Verfassung im öffentlichen Bewusstsein festigt.

II. Das Bundesverfassungsgericht als Gericht 1. Selbständiges und unabhängiges Bundesgericht Das Bundesverfassungsgericht ist ein Gericht. Das ergibt sich nicht nur aus seiner Bezeichnung selbst, das wird auch in Art. 92 Abs. 1 GG und in § 1 Abs. 1 BVerfGG ausdrücklich festgestellt. Das Bundesverfassungsgericht weist deshalb Merkmale auf, die typisch für ein Gericht sind (dazu Roellecke: 1987a, S. 668f., der aber auch auf Besonderheiten hinweist, die das Bundesverfassungsgericht von anderen Gerichten unterscheiden). Es kann nicht von sich aus, sondern nur auf Antrag tätig werden (Antragsprinzip, dazu Schiaich: 1997, S. 44). Das Verfahren vor dem Verfassungsgericht ist keine politische Debatte, sondern ein sog. gerichtsförmiges Verfahren, das festen Regeln folgt. Das Gericht besteht - wie andere Gerichte auch - aus Richtern, die sachlich und persönlich unabhängig sind. Art. 97 GG schützt die Richter vor allen Weisungen, die sich auf ihre richterliche Tätigkeit beziehen. Gleichzeitig schützt er die Richter vor einer Entlassung oder Versetzung gegen ihren Willen (Geck: 1987, S. 731 f. weist aber zu Recht daraufhin, dass die persönliche Unabhängigkeit nur begrenzt durch gesetzliche Regelungen gewährleistet werden kann. Sie ist auch eine Frage der Persönlichkeit und der inneren Freiheit.). Ebenso wie andere Gerichte entscheidet das Bundesverfassungsgericht verbindlich in konkreten Rechtsstreitigkeiten. Der Maßstab für seine Entscheidungsfindung ist dabei das (Verfassungs)Recht (-» § 18). Obwohl das Verfassungsrecht - mögli-

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cherweise untrennbar - mit politischen Fragen und Interessenkonstellationen verbunden ist, darf das Verfassungsgericht nicht nach politischen Kriterien judizieren. Auch wenn § 31 BVerfGG festlegt, dass die Urteile des Verfassungsgerichts in weiten Teilen Gesetzeskraft haben, gehört es nicht zur Legislative, sondern zur Judikative: Seine Aufgabe ist Rechtsprechung, nicht Gesetzgebung. Trotz allem ist aber klar, dass das Bundesverfassungsgericht kein Gericht wie jedes andere ist (Pestalozza: 1991, S. 1). Immerhin befasst es sich mit der Verfassung, die ja „Recht für das Politische" (Stern) ist. Schon deshalb bewegt sich das BVerfG zwangsläufig an der Grenze zwischen Recht und Politik.

2. Innere Organisation Das Bundesverfassungsgericht besteht - das legt § 2 BVerfGG fest - aus zwei Senaten, in denen jeweils acht Richter sitzen. Die Richter jedes Senats werden je zur Hälfte vom Bundestag (-> § 9, VI.) und vom Bundesrat (—> § 14, V.) gewählt. § 2 Abs. 3 BVerfGG legt fest, dass drei der acht Richter jedes Senats aus dem Kreis der Richter an den obersten Gerichtshöfen des Bundes gewählt werden müssen. Die anderen Richter kommen in der Praxis oft aus der Politik oder aus der Wissenschaft. Diese personelle Mischung befähigt das Gericht, die richterliche Auslegung von Gesetzen mit wissenschaftlichem Sachverstand und politischem Gespür zu verbinden: Das macht die Verfassung lebendig und flexibel (darauf weist der ehemalige Verfassungsrichter Helmut Simon ausdrücklich hin: Simon: 1994, S. 1659). Beide Senate sind gleichberechtigt und entscheiden selbständig. Jeder Senat ist „das Bundesverfassungsgericht" (So das Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 1,14,29). Welcher Senat fllr welche Streitigkeiten zuständig ist, regelt § 14 BVerGG detailliert. Vor allem in der Anfangszeit hat man die personelle Rekrutierung der Verfassungsrichter zum Anlass genommen, über unterschiedliche politische Präferenzen der beiden Senate zu spekulieren. Es war dabei die Rede von einem „schwarzen" und einem „roten" Senat. Letztlich lässt sich aber feststellen, dass die Rechtsprechung der Senate nicht durchgehend einer politischen Richtung entspricht (Simon: 1994, S. 1658f. m.w.N.). § 3 und § 4 BVerfGG regeln Einzelheiten der Rechtsstellung der Richter: Die Amtszeit der Bundesverfassungsrichter beträgt einheitlich zwölf Jahre. Eine Wiederwahl ist nicht möglich. Diese Regelung soll die Unabhängigkeit der Verfassungsrichter von der Politik sichern: Wer nicht wiedergewählt werden kann, kommt nicht in die Versuchung, im Interesse einer angestrebten Wiederwahl Rücksichten zu nehmen. Mit Ausnahme einer Tätigkeit als Hochschullehrer ist den Verfassungsrichtern jede andere berufliche Tätigkeit neben ihrer richterlichen Arbeit verboten. Auch das soll die Bundesverfassungsrichter von möglichen sachfremden Einflüssen freihalten. Der Charakter des Bundesverfassungsgerichts als Gericht wird durch die Regelungen unterstrichen, die sich mit den Einzelheiten der Amtsausübung durch die Richter befassen (ausführlich Geck: 1987, S. 715ff.). Das Amtsrecht der Bundesverfassungsrichter entspricht den typischen Normierungen für Richter, wenn auch mit Modifikationen, die sich aus der besonderen Stellung des Verfassungsgerichts ergeben. Die Verfassungsrichter sind zur richterlichen Unparteilichkeit

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und zur politischen Zurückhaltung verpflichtet (Wahl: 1998, S. 102). Sie sind per Gesetz von Verfahren ausgeschlossen, in die sie persönlich involviert sind; sie können von den Verfahrensbeteiligten wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Von diesem Recht ist in der bisherigen Praxis auch vereinzelt Gebrauch gemacht worden (Geck: 1987, S. 719ff., der die spektakulärsten Ablehnungen eingehend analysiert). 3. Der Verfassungsprozess: Einzelne Grundsätze des Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht Typisch für ein Gerichtsverfahren ist, dass es strengen, im Gesetz detailliert festgelegten Regeln folgt. Die Prozessordnungen der Fachgerichte enthalten feste Verfahrensgrundsätze und ein detailliertes Regelwerk, nach denen die Gerichtsverfahren abgewickelt werden(—> § 18). Das ausführliche Prozessrecht hat die Funktion, die Durchsetzung und Verwirklichung des materiellen, inhaltlichen Rechts sicherzustellen und die Funktionsfähigkeit der Gerichte zu gewährleisten (Benda/Klein: 1991, S, 13ff.). Für das Bundesverfassungsgericht gibt es keine vollständige, detaillierte Prozessordnung. Das Grundgesetz und das Bundesverfassungsgerichtsgesetz enthalten einzelne Verfahrensregelungen; insgesamt ist das Verfassungsprozessrecht vom Gesetzgeber aber bewusst lückenhaft gestaltet. Der Grund dafür liegt im besonderen Charakter des Bundesverfassungsgerichts. Vor dem Bundesverfassungsgericht streiten Verfassungsorgane; es geht um Fragen des politischen Rechts und des politischen Prozesses. Diesen Besonderheiten wollte der Gesetzgeber dadurch Rechnung tragen, dass er dem Bundesverfassungsgericht einen großen Freiraum zur angemessenen Gestaltung des Verfahrens einräumte (Benda/Klein: 1991, S. 59). Letztlich gibt es weder für das Bundesverfassungsgericht noch für eine Verfassungsprozessordnung ein Vorbild. Der Gesetzgeber wollte deshalb, dass sich angemessene Regeln nach und nach flexibel entwickeln. Bei von vornherein rigide festgelegten Prozessregeln hätte die Gefahr bestanden, dass sie sich als ungeeignet oder kontraproduktiv erweisen. Das Bundesverfassungsgericht hat seine Freiheiten von Anfang an genutzt und sich stets als „Herr des Verfahrens" betrachtet ( BVerfGE 13,54,94). Konsequenterweise hat es sich eine ganze Reihe von Verfahrensregeln selbst gegeben (Benda / Klein: 1991, S. 14). Trotz dieser Freiheit - man spricht auch von Verfahrensautonomie - ist das Bundesverfassungsgericht nicht befugt, sich völlig willkürlich eine Prozessordnung zu geben. Es gibt einzelne, teilweise umgeschriebene Grundsätze des Prozessrechts, die auch im Verfassungsprozess gelten. Als Gericht darf das Bundesverfassungsgericht nicht auf eigene Initiative, sondern nur auf einen zulässigen Antrag hin tätig werden. Diesem Antragserfordernis entspricht es nicht, dass das Bundesverfassungsgericht immer stärker dazu übergegangen ist, auch ohne einen Antrag eine sog. einstweilige Anordnung zu erlassen (Benda/Klein: 1991, Rn. 137). Damit überschreitet das Bundesverfassungsgericht die Grenzen der ihm eingeräumten Verfahrensautonomie. Ein allgemeiner Grundsatz des Prozessrechts ist auch die sogenannte Dispositionsmaxime. Sie bedeutet, dass der Kläger über das Verfahren frei disponieren kann: Erst seine Klage setzt ein Verfahren in Gang, die Rücknahme der Klage beendet das Verfahren zwingend. Auch diesen prozessrechtlichen Grundsatz lässt

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das Bundesverfassungsgericht nicht ohne Einschränkung für sich gelten: Es beansprucht für sich, ein Verfahren auch dann fortzuführen, wenn ein Klageantrag zurückgenommen worden ist (kritisch dazu Roellecke: 1987b, S. 685). Eine weitere, das Prozessrecht prägende Maxime ist der Untersuchungsgrundsatz. Ein Gericht ist verpflichtet, alle für die Entscheidung maßgeblichen Tatsachen zu ermitteln. Das Bundesverfassungsgericht tut dies regelmäßig: In oft großer Breite fordert es nicht nur die Beteiligten, sondern auch andere sachkundige Stellen zu Stellungnahmen auf (so ehemalige Verfassungsrichter Simon: 1994, S. 1671). 4. Die verfassungsprozessualen Verfahrensarten Typisch für ein Gericht ist, dass es nicht in einem freien Verfahren entscheiden darf. Dem Gerichtscharakter des Bundesverfassungsgerichts entsprechend legt Art. 93 GG bestimmte Verfahrensarten und Zuständigkeiten für das Verfassungsgericht fest. Nur in diesen, im Bundesverfassungsgerichtsgesetz näher konkretisierten Fällen darf sich das Bundesverfassungsgericht mit verfassungsrechtlichen Streitigkeiten befassen. Der Zuständigkeitskatalog in Art. 93 GG erfüllt eine wichtige Funktion: Er begründet die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts für bestimmte Verfahren und grenzt damit die Befugnisse des Bundesverfassungsgerichts von den Funktionen der anderen Staatsorgane ab (Benda/Klein, 1994: S. 15f.). Der Gesetzgeber darf dem Bundesverfassungsgericht durch Gesetz- und Verfassungsänderung weitere Aufgaben zuweisen. Bei aller Freiheit in der Ausgestaltung des Verfahrens ist es dem Bundesverfassungsgericht aber verwehrt, sich selbst neue Verfahrensarten zuzuweisen und dadurch seine Kompetenzen zu erweitern. a) Organstreit Das Bundesverfassungsgericht kann - das legt Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG fest über Organstreitigkeiten entscheiden: Wenn oberste Bundesorgane über den Umfang ihrer Rechte und Pflichten, die sich aus dem Grundgesetz ergeben, streiten, kann das Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung angerufen werden. Das Bundesverfassungsgericht legt in einem solchen Fall das Grundgesetz aus und bestimmt dadurch konkret die Reichweite und die Grenzen der verfassungsrechtlichen Rechte und Pflichten der Bundesorgane. Zu den obersten Bundesorganen, die in einem solchen Verfahren antragsberechtigt sind, zählen: Der Bundespräsident (—> § 13), der Bundestag (-» §§ 9, 10), der Bundesrat (-» § 14), die Bundesregierung (-> § 12), die Bundesversammlung (—> § 13, III.) und der gemeinsame Ausschuss gem. Art. 53 a GG (-» § 9, VI,), der Bundeskanzler und die Bundesminister. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG lässt ausdrücklich zu, dass auch „andere Beteiligte", die vom Grundgesetz mit eigenen Rechten und Pflichten ausgestattet wurden, antragsberechtigt sein können. Das betrifft vor allem die Teile der Verfassungsorgane Bundestag und Bundesrat: Die Ausschüsse (—» § 9, VI.), die Präsidenten (-» § 9, V.), die Abgeordneten (-» § 9, VIII.), den Vermittlungsausschuss (—» § 10, II. u. III.) und auch die Fraktionen (-» § 9, VII.). Wegen ihrer vom Grundgesetz in Art. 21 GG hervorgehobenen Bedeutung hat das Bundesverfassungsgericht auch die politischen Parteien (-> § 23) als antragsberechtigt im Organstreitverfahren angesehen.

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Bei Organstreitverfahren geht es - das zeigt die praktische Erfahrung - in aller Regel um hochpolitische Streitigkeiten: Beispielsweise die Auflösung des Bundestages (BVerfGE 62, 1), die Stationierung von Raketen (BVerfGE 68, 1), die Finanzierung der Parteien (BVerfGE 85, 264) und den Auslandseinsatz der Bundeswehr (BVerfGE 90, 286). Die Verfahren betrafen nicht immer echte Streitigkeiten zwischen Verfassungsorganen. Nicht selten wurde die Form des Organstreits gewählt, um Kontroversen über politische Grundentscheidungen zwischen den politischen Kräften vor dem Bundesverfassungsgericht auszutragen (so Simon: 1994, S. 1648). Weil auch einzelne Abgeordnete oder Fraktionen antragsberechtigt sind, ist das Organstreitverfahren eine Möglichkeit, die Rechte der Opposition zu sichern. Die Parlamentsmehrheit kann nämlich die Opposition nicht daran hindern, ihre Rechte im Wege des Organstreits in Karlsruhe „einzuklagen". Das Organstreitverfahren erfüllt insofern eine wichtige Funktion für die Demokratie: Es sichert den Minderheitenschutz mit verfassungsprozessrechtlichen Mitteln. b) Abstrakte Normenkontrolle Die von Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG dem Bundesverfassungsgericht übertragene abstrakte Normenkontrolle dient nicht der Entscheidung eines konkreten Streits zwischen zwei Beteiligten. Es geht nicht um subjektive Rechtspositionen, sondern ausschließlich um den Schutz der Verfassung (so ganz deutlich in BVerfGE 1, 184, 195 f.). Wenn Zweifel bestehen, ob bestimmte bundes- oder landesrechtliche Normen inhaltlich mit der Verfassung (-> § 5) zu vereinbaren sind, kann das Bundesverfassungsgericht diese Frage verbindlich entscheiden. Seinem Charakter als Gericht entsprechend kann das Bundesverfassungsgericht sich allerdings nur auf Antrag mit einer solchem Frage befassen. Antragsbefugt sind - das legt Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG abschließend fest - die Bundesregierung, eine Landesregierung oder mindestens ein Drittel der Mitglieder des Bundestages. Ist die vom Bundesverfassungsgericht geprüfte Rechtsnorm tatsächlich mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, hat das Bundesverfassungsgericht eine ganze Palette von Entscheidungsmöglichkeiten: Es kann die Nichtigkeit oder die Teilnichtigkeit der Norm feststellen; es kann aber statt dessen auch an den Gesetzgeber appellieren, ein neues, diesmal verfassungsgemäßes Gesetz zu verabschieden. Aus Rücksicht auf die Gestaltungsfreiheit des demokratisch gewählten Parlaments hat das Bundesverfassungsgericht noch eine weitere Entscheidungsmöglichkeit entwickelt: die verfassungskonforme Auslegung. Lässt eine Rechtsnorm mehrere Auslegungsmöglichkeiten zu, legt das Bundesverfassungsgericht verbindlich fest, welche dieser Auslegungen noch mit der Verfassung zu vereinbaren ist. Der Eingriff in den Bereich des Parlaments ist durch eine solche Entscheidung erheblich milder als die Nichtigerklärung eines Gesetzes. In der verfassungspolitischen Praxis hat sich die abstrakte Normenkontrolle zum Instrument der Bundesländer und der Opposition entwickelt. Beide versuchen auf diesem Wege, von der Bundestagsmehrheit verabschiedete Gesetze verfassungsrechtlich noch zu Fall zu bringen. Die abstrakte Normenkontrolle ist eine problematische Aufgabe des Verfassungsgerichts (Simon: 1994, S. 1650f.). Sie betrifft häufig politisch besonders umstrittene Gesetze, die von der im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren unterlegenen politischen Richtung vor das Bundesverfassungsgericht gebracht werden. Dadurch gerät das Gericht leicht in die Rolle eines Schiedsrichters, der über gegensätzliche politische Wertungen und Progno-

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sen entscheiden soll. Dafür ist das Gericht aber schlechter als das Parlament ausgerüstet und qualifiziert. Hier stellt sich auch die Frage nach den Grenzen des Bundesverfassungsgerichts in aller Schärfe. Es ist deshalb kein Zufall, dass die meisten anderen westeuropäischen Verfassungsgerichte keine Befugnis haben, eine abstrakte Normenkontrolle durchzuführen (Simon: 1994, S. 1642ff.). c) Konkrete Normenkontrolle Auch die von Art. 100 GG vorgesehene konkrete Normenkontrolle knüpft an die Rolle des Bundesverfassungsgerichts als Hüter der Verfassung an. Zweifelt ein unterinstanzliches Gericht an der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes, auf das es seine Entscheidung stützen will, muss es die Frage der Verfassungsmäßigkeit dem Bundesverfassungsgericht vorlegen. Nur das Verfassungsgericht, nicht jedes einzelne Fachgericht selbst, darf über die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes entscheiden. Hintergrund dieser Regel ist der Respekt vor dem demokratischen Gesetzgeber. Durch das Verdikt: verfassungswidrig und die damit zusammenhängende Nichtigkeit eines Gesetzes greift die rechtsprechende Gewalt in den Bereich der Legislative ein. Diese Eingriffsbefiignis soll nicht jedes einzelne Gericht, sondern nur das Bundesverfassungsgericht als Hüter der Verfassung haben (Simon: 1994, S. 1650f.). In der Praxis des Bundesverfassungsgericht haben sich die konkreten Normenkontrollen als die Verfahren erwiesen, die am wenigsten politische Brisanz aufweisen. d) Bund-Länder-Streitigkeiten Die Bundesrepublik ist - so ganz eindeutig Art. 20 Abs. 1 GG - ein Bundesstaat (-> i.E. § 6). Bund und Länder haben jeweils eigene Staatsqualität. Das bedeutet vor allem: Sie haben eigene Rechte und Pflichten, die ihnen das Grundgesetz zuweist. Meinungsverschiedenheiten sind im politischen Mehrebenensystem des Föderalismus unvermeidlich, beinahe systemimmanent. Art. 93 Abs. 1 Nr. 3, Nr. 4 GG etabliert deshalb ein verfassungsgerichtliches Verfahren, das bei Streitigkeiten zwischen Bund und Ländern oder zwischen verschiedenen Bundesländern zu einer verbindlichen Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht führen kann. Antragsberechtigt in diesem Verfahren sind der Bund und jedes Bundesland. Durch eine ganze Reihe von Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht die föderale Struktur der Bundesrepublik gestärkt und das Gewicht der Bundesländer im Staat erhöht. Der allgemeine Trend zur Zentralisierung im industriellen Massenzeitalter hat sich deshalb nur begrenzt ausgewirkt. Dennoch wirft auch das Bund-Länder-Verfahren erhebliche Probleme auf. Wenn die politischen Mehrheitsverhältnisse im Bund und in den Ländern unterschiedlich sind, wird das Bund-Länder-Verfahren dazu benutzt, allgemeine politische Kontroversen vor das Verfassungsgericht zu tragen. Damit wird es zum - überforderten und nicht legitimierten - Schiedsrichter über politische Richtungsentscheidungen gemacht (Simon: 1994, S. 1648). Nicht weniger problematisch ist, dass die Bundesländer dieses Verfahren benutzen, um möglichst starken Einfluss auf die Gesetzgebung des Bundes zu nehmen. Auch das entspricht nicht dem ursprünglichen Sinn des Verfahrens (dazu BVerfGE 55, 331 ff.). e) Verfassungsbeschwerden Das Grundgesetz gibt in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a dem einzelnen Bürger das Recht, das Bundesverfassungsgericht anzurufen. Voraussetzung dafür ist, dass er durch

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die „öffentliche Gewalt", also Gesetzgebung, Verwaltung oder Gerichte, in einem Grundrecht oder einem anderen grundrechtsähnlichen Recht verletzt ist. Damit stellt das Grundgesetz seinen Bürgern eine Möglichkeit zur Verfügung, sich wirksam gegen Grundrechtsverletzungen zu wehren. Die Verfassungsbeschwerde ist sowohl historisch als auch im internationalen Vergleich fast ohne Beispiel. Im Verfassungsbeschwerdeverfahren prüft das BVerfG konkret, ob ein Bürger durch eine Maßnahme des Staates in seinen Rechten verletzt worden ist. Ist das tatsächlich der Fall, hebt das Bundesverfassungsgericht die beanstandete Maßnahme auf und beseitigt dadurch die Rechtsverletzung. Die Verfassungsbeschwerde ist vom Bürger als wichtiges Rechtsmittel akzeptiert worden. Etwa 97 % aller Verfahren, die beim Bundesverfassungsgericht eingeleitet werden, sind Verfassungsbeschwerden (Wieland: 1998, S. 172). Die Bürger lassen sich auch von einer niedrigen Erfolgsquote nicht abschrecken. Nur weniger als 3 % aller Verfassungsbeschwerden haben tatsächlich Erfolg (Roellecke: 1987a, S. 676). Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerden von Anfang an zum Anlass genommen, den Grundrechten eine erhebliche Wirkung zu verschaffen und eine Grundrechtsordnung herauszuarbeiten, die alle Bereiche des Staates und der Gesellschaft betrifft, möglicherweise sogar prägt. Das Gericht hat bahnbrechende Entscheidungen getroffen zur Meinungsfreiheit (BVerfGE 7, 198), zur Rundfunkfreiheit (BVerfGE 74, 297, 323f.), zum Datenschutz (BVerfGE 65,1), zum Demonstrationsrecht (BVerfGE 69, 315). Angelehnt an die individuelle Verfassungsbeschwerde enthält das Grundgesetz auch die sogenannte kommunale Verfassungsbeschwerde in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG. Damit wird den Gemeinden und Gemeindeverbänden die Möglichkeit eingeräumt, das Bundesverfassungsgericht wegen einer Verletzung ihres Rechts auf kommunale Selbstverwaltung (-> § 7,1. u. II.) nach Art. 28 Abs. 2 GG anzurufen. Als wichtigen Bestandteil des föderalistischen Systems enthält das GG in Art. 28 Abs. 2 die sog. kommunale Selbstverwaltungsgarantie: Gemeinden und Gemeindeverbände erhalten das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung zu regeln. Dieses materielle Recht wird prozessual durch die kommunale Verfassungsbeschwerde gestärkt. f) Sonstige Verfahren Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 GG weist daraufhin, dass dem Bundesverfassungsgericht an anderen Stellen des GG weitere Zuständigkeiten zugewiesen sind (dazu Simon, 1994, S. 1651 f.) Dabei geht es vor allem um Grundrechtsverwirkungen in Art. 18 GG, um das Parteiverbot in Art. 21 Abs. 2 GG, die Wahlprüfung in Art. 41 Abs. 2 GG, die Präsidentenanklage gem. Art. 61 GG, die Richteranklage gem. Art. 98 Abs. 2 , Abs. 5 GG und die Verifikation von Völkerrecht gem. Art. 100 Abs. 2 GG.

III. Das Bundesverfassungsgericht als Verfassungsorgan Das Bundesverfassungsgericht ist ein Gericht. Es ist aber nicht nur ein Gericht, sondern gleichzeitig auch ein Verfassungsorgan (dazu Roellecke: 1987a, S. 669). Davon spricht schon § 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes von 1951: „Das Bundesverfassungsgericht ist ein allen übrigen Verfassungsorganen gegenüber selbständiger und unabhängiger Gerichtshof des Bundes."

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Der Doppelcharakter als Gericht und als Verfassungsorgan prägte schon früh das Selbstverständnis des Bundesverfassungsgerichts. „Die Stellung des Bundesverfassungsgerichts ist eine andere als die der oberen Bundesgerichte. Es ist als Gericht zugleich ein oberstes Verfassungsorgan". Dies hat das Gericht bereits am Anfang seiner Tätigkeit postuliert (BVerfGE 7, 1,14). In der 1957 von Gerhard Leibholz verfassten „Statusdenkschrift" wird das Bundesverfassungsgericht als ein „ Gericht sui generis" und zugleich als ein Verfassungsorgan bezeichnet (Leibholz: 1957, S. 120ff.; kritisch dazu Simon: 1994, S. 1653). Heute ist die Funktion des Bundesverfassungsgerichts als oberstes Verfassungsorgan unbestritten. Der Doppelcharakter als Gericht und als Verfassungsorgan spiegelt sich im übrigen auch in der Besetzung des Gerichts wider: Ein Teil der Richter muss - das bestimmt § 2 Abs. 3 BVerfGG - aus dem Kreis der obersten Bundesrichter gewählt werden. Ein anderer Teil kann mit Persönlichkeiten aus Politik oder Wissenschaft besetzt werden.

l.Das Bundesverfassungsgericht als Verfassungsorgan: Begriff, organisatorische und rechtliche Konsequenzen Verfassungsorgane sind diejenigen im Grundgesetz selbst benannten obersten Staatsorgane, die von der Verfassung mit besonderer Autorität ausgestattet werden. Es sind letztlich also die Staatsorgane, deren Entstehen, Bestehen und verfassungsmäßige Tätigkeit den Staat konstituieren und seine Einheit und seinen Fortbestand sichern (Benda/Klein: 1991, S.26). Die anderen Verfassungsorgane neben dem Bundesverfassungsgericht sind der Bundestag (—> §§9, 10), der Bundesrat (—> § 14), der Bundespräsident (—> § 3) und die Bundesregierung (—> § 12). Der Charakter des Bundesverfassungsgerichts als Verfassungsorgan hat organisatorische Konsequenzen (Hesse: 1995, S. 279): Das Bundesverfassungsgericht ist gegenüber jedem anderen Staatsorgan unabhängig. Es hat das Recht auf einen eigenen Haushalt (im Rahmen des Bundeshaushalts). Die Rechtsstellung der Richter des Bundesverfassungsgerichts unterscheidet sich von derjenigen anderer Bundesrichter. Das Bundesverfassungsgericht genießt eine Geschäftsordnungsautonomie: Es kann sich - wie andere Verfassungsorgane auch - selbst Regeln zur Organisation und Verwaltung geben. Dass das Bundesverfassungsgericht ein Verfassungsorgan ist, hat darüber hinaus eine weiterreichende Konsequenz: Alle Verfassungsorgane sind durch Art. 79 Abs. 3 GG auch gegenüber Verfassungsänderungen geschützt. Weil das Bundesverfassungsgericht zum Kreis der Verfassungsorgane gehört, kann es deshalb auch durch eine Verfassungsänderung nicht abgeschafft werden. Gleichzeitig dürfen seine Kompetenzen zwar grundsätzlich durch Verfassungsänderungen modifiziert werden. Sie dürfen aber nicht so drastisch beschränkt werden, dass von einer funktionsfähigen Verfassungsgerichtsbarkeit nicht mehr gesprochen werden könnte (Benda/Klein: 1991, S. 26). 2. Die politische Macht des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht macht Politik. Wodurch wird das Bundesverfassungsgericht zum politischen Akteur, worauf beruht seine politische Macht?

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a) Die Interpretationsmacht des Bundesverfassungsgerichts Der politische Einfluss des Bundesverfassungsgerichts beruht auf seiner Interpretationsmacht (Simon: 1994, 1653; Böckenförde: 1999, S. 12). Die Verfassungsinterpretation durch das Bundesverfassungsgericht ist für alle anderen Staatsgewalten verbindlich. Alle Staatsorgane müssen die Verfassungsinterpretation des Bundesverfassungsgerichts beachten, niemand außer dem Bundesverfassungsgericht selbst kann eine Verfassungsinterpretation wieder ändern. Durch dieses nicht theoretische, sondern praktische Interpretationsmonopol entscheidet das Bundesverfassungsgericht nicht nur über verfassungsrechtliche Details. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet gleichzeitig auch über die Reichweite und Wirkungsweise der Verfassung. Ihre durchschlagende Wirkung erhält die Interpretationsmacht des Bundesverfassungsgerichts durch den Grundsatz vom Vorrang der Verfassung, der in Art. 1 Abs. 3 GG und in Art. 20 Abs. 3 GG zum Ausdruck kommt (zum Vorrang der Verfassung Simon, 1994, S. 1661f.). Die Verfassung steht in der Hierarchie der Rechtsnormen ganz oben und hat Vorrang vor jeder anderen rechtlichen Regelung. Alle rechtlichen Regelungen müssen inhaltlich Rücksicht auf die Verfassung nehmen. Normen, die verfassungswidrig sind, sind nichtig und werden vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben. Ob ein Gesetz aber der Verfassung widerspricht, hängt letztlich von der Auslegung der Verfassung durch das Bundesverfassungsgericht ab. Durch seine Interpretationsmacht kann das Bundesverfassungsgericht also politische Mehrheitsentscheidungen, die zu einem Gesetz geführt haben, wieder rückgängig machen. Indem also das Bundesverfassungsgericht verbindlich und konkurrenzlos die Verfassung interpretiert, steuert es die Entwicklung der gesamten Rechtsordnung. Im Rechtsstaat ( - » § 5, V.) Bundesrepublik Deutschland heißt das nichts anderes, als dass die gesamte Staatstätigkeit letztlich vom Bundesverfassungsgericht gesteuert, jedenfalls mitgesteuert wird (dazu Roellecke: 1987a, S. 675 m.w.N.; Simon, 1994: S. 1653 m.w.N.). Diese Interpretationsmacht wird dadurch verstärkt, dass es im Verfassungsrecht keinen festen Kanon zulässiger Interpretationsmethoden gibt (Böckenforde: 1999, S. 13). Ob eine Interpretationsmethode, die vom Bundesverfassungsgericht angewandt wird, also verfassungsrechtlich zulässig ist oder nicht, entscheidet das Bundesverfassungsgericht selbst (So zutreffend Roellecke: 1987a, S. 676). Das ist eine durchaus kreative Tätigkeit (dazu Grimm: 1995, S. 99), das Gericht selbst spricht von „schöpferischer Rechtsfindung"(BVerfGE 34, 269, 287f.; ebenso die Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts Limbach 1997: S. 10): Durch die Auslegung wird die Verfassung stetig an neue Fragestellungen und Problemlagen angepaßt und weiterentwickelt, um nicht zu sagen: modernisiert. Das Bundesverfassungsgericht nutzt die ihm von der Verfassung zugestandene Interpretationsmacht in der Regel, aber nicht immer, zurückhaltend. An zahlreichen Beispielen lässt sich nachvollziehen, wie das Bundesverfassungsgericht durch eine sich über die Jahre ändernde Auslegung der Verfassung seinen Einfluss vergrößert (instruktiv Schiaich: 1997, S. 12ff.). b) Die Wirkungen des Bundesverfassungsgerichts und seiner Entscheidungen Die rechtlichen Wirkungen von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts v.a. bei der Beurteilung von Gesetzen sind eindeutig: Wenn das Bundesverfassungsgericht feststellt, dass ein Gesetz nicht mit der Verfassung zu vereinbaren

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ist, ist das Gesetz nichtig und unwirksam (ausführlich zu den Wirkungen verfassungsgerichtlicher Entscheidungen Simon: 1994, S. 1657f.). Seit 1951, als es mit seiner Tätigkeit begann, hat das Bundesverfassungsgericht bis heute rund 150 Nichtigkeitserklärung abgegeben (v. Beyme: 1999, S. 31). Eine vom Gericht genutzte Möglichkeit, sich gegenüber dem unmittelbar demokratisch legitimierten Gesetzgeber zurückzuhalten, gleichzeitig aber die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes zu rügen, sind sogenannte Appellentscheidungen und die verfassungskonforme Interpretation. Nicht selten appelliert das Bundesverfassungsgericht an den Gesetzgeber, ein Gesetz zu ändern, anstatt das Gesetz selbst aufzuheben. Oder es macht dem Gesetzgeber deutlich, welche von mehreren Interpretationsmöglichkeiten die einzige verfassungskonforme Interpretation ist (dazu Simon: 1994, S. 1669). Der Gesetzgeber erhält dabei eine genaue Anweisung, wie das Gesetz auszulegen ist, damit es gültig bleibt (v. Beyme: 1999, S. 31). Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat darüber hinaus Vorwirkungen die nicht weniger tiefgreifend sind. Bei politischen Entscheidungen wird eine mögliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts oft bereits antizipiert (Roellecke: 1987a, S. 675). Schon die bloße Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Prüfung eines Gesetzes durch das Bundesverfassungsgericht zwingt die Ministerien und Abgeordneten bei der Vorbereitung und dem Erlass von Gesetzen zur Berücksichtigung der Frage ihrer Verfassungsmäßigkeit (Hesse: 1998, S. 7). In den Justizministerien von Bund und Ländern sitzen hochspezialisierte Gesetzgebungsbeamte, die alle Gesetzentwürfe auf ihre Kompatibilität mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts überprüfen (Starck: 1994, S. 42). In den parlamentarischen Debatten wird die Drohung, dass man einen Beschluss der parlamentarischen Mehrheit in Karlsruhe prüfen lassen werde, in vielfältiger Weise eingesetzt (v. Beyme: 1999, S. 32). Die Vorwirkung von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts hat also einen positiven Effekt: Die Frage, ob Gesetze den Vorgaben der Verfassung entsprechen, wird im Gesetzgebungsverfahren stärker beachtet. Die Vorwirkung hat aber auch negative Folgen: Gesetzesentwürfe verzögern sich im Hinblick auf bereits anhängige Verfahren in Karlsruhe, die Urteilskraft der Abgeordneten wird stets weiter mediatisiert, weil immer mehr Experten auch noch zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit im Vorfeld herangezogen werden müssen (v. Beyme: 1999, S. 32); politische Entscheidungen, die unbequem sind, werden auf das Bundesverfassungsgericht abgeschoben, oder unter Hinweis auf eine angeblich entgegenstehende Verfassungsrechtsprechung erst gar nicht getroffen (Roellecke: 1987a, S. 675 m.w.N.).

3. Die demokratische Legitimation des Bundesverfassungsgerichts Angesichts der skizzierten Interpretationsmacht und politischen Einflussmöglichkeiten des Bundesverfassungsgerichts stellt sich die Frage nach der demokratischen Legitimation des Bundesverfassungsgerichts mit besonderer Dringlichkeit. Ihre demokratische Legitimation erhalten die Richter des Bundesverfassungsgerichts durch ihre Wahl: Gemäß Art. 94 Abs. 1 GG wird die Hälfte der Verfassungsrichter vom Bundestag, die andere Hälfte vom Bundesrat jeweils mit 2/3Mehrheit gewählt. Der Bundestag wählt die Bundesverfassungsrichter in einem mittelbaren Wahlverfahren. Den Regeln der Verhältniswahl entsprechend wählt er zwölf Abgeordnete zu Wahlmännern, die ihrerseits dann die Verfassungsrich-

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ter wählen (§ 6 BVerfGG). Der Bundesrat wählt die von ihm zu bestimmenden Richter in unmittelbarer Wahl. Es gibt also in beiden Fällen eine unmittelbare Legitimationskette vom Wahlbürger über die gewählten Abgeordneten bis zu den Richtern. Das indirekte Wahlverfahren, das der Bundestag praktiziert, hat sich in der Praxis durchgesetzt. Es ist aber unter verfassungspolitischen, wenn auch nicht verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten bedenklich (zur Kritik Ellwein/Hesse: 1994, S. 135f.). In der Praxis entscheiden faktisch, wenn auch nicht rechtlich zwei Personen über die vom Bundestag zu wählenden Bundesverfassungsrichter: Die Vertreter der beiden größten Fraktionen im Wahlmännergremium (Geck: 1987, S. 707). Angesichts der Machtfülle des Verfassungsgerichts ist das unter demokratiepolitischen Aspekten unbefriedigend. Die Bestimmungen über die Wahl der Bundesverfassungsrichter enthalten keine geradlinigen, eindimensionalen Lösungen. Sie entwickeln ein kompliziertes Verfahren, das unterschiedliche Interessen und politische Einflüsse ausbalancieren soll (Böckenförde: 1999, S. 15). Über die Zusammensetzung des Bundesverfassungsgerichts entscheidet nicht der Bundestag allein, sondern auch der Bundesrat. Dadurch werden die Bundesländer - dem föderalen System der Bundesrepublik Deutschland entsprechend - an der Besetzung des Bundesverfassungsgerichts beteiligt. In beiden Gremien reicht nicht schon eine einfache Mehrheit zur Wahl der Richter aus. Sowohl im Bundestag als auch Bundesrat ist eine 2/3 Mehrheit notwendig. Dadurch ist sichergestellt, dass nicht die parlamentarische Mehrheit ihre Vorstellungen ohne Abstriche durchsetzen kann. Sie ist darauf angewiesen, sich mit der Opposition zu verständigen. Durch dieses Verfahren soll gewährleistet werden, dass die Richter nicht nur demokratisch legitimiert, sondern auch unabhängig und frei von politischen Einflüssen sind. An dieser Stelle setzt die öffentliche Kritik an der Wahl der Verfassungsrichter an. Weil der Wahlakt für Bundestag und Bundesrat die einzige Möglichkeit ist, auf die Verfassungsrichter Einfluss zu nehmen, wählen die Abgeordneten in der Regel Parteimitglieder oder Richter, die den Parteien nahe stehen. Das wird heftig kritisiert, als Parteienpatronage oder sogar als „Bonner Kuhhandel" bezeichnet (dazu Geck: 1987, S. 706 m.w.N.). Diese Kritik entspringt allerdings einem allgemeinen Unbehagen am Einfluss der Parteien auf den Staat oder der irrealen Vorstellung vom unpolitischen, nur dem objektiven Recht verpflichteten Verfassungsrichter. In einer Parteiendemokratie wie der Bundesrepublik Deutschland ist es durchaus systemkonform, wenn die maßgeblichen politischen Kräfte Einfluss auf die Bestellung der Verfassungsrichter nehmen. Sachlich berechtigt ist die Kritik auch aus einem anderen Grund nicht: Es lässt sich in keinem Fall nachweisen, dass ein Richter oder eine Richterin bei der Arbeit im Verfassungsgericht parteipolitische Rücksichten genommen hätte (Simon: 1994, S. 1660). Im Gegenteil: Es gibt eindrucksvolle Beispiele dafür, dass Richter in politisch brisanten Verfahren gegen den Standpunkt der Partei entschieden haben, der sie angehören oder nahestehen (Geck: 1987, S. 707f. m.w.N.).

TV. Verfassungsrechtsprechung oder Politikgestaltung? Das Bundesverfassungsgericht zwischen Recht und Politik Das Bundesverfassungsgericht ist ein Gericht. Seine Aufgabe ist die Verfassungsrechtsprechung. Gleichzeitig ist das Bundesverfassungsgericht als Verfassungs-

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organ auch ein politischer Akteur. Es macht auch Politik. Damit stellt sich in aller Schärfe die Frage, was eigentlich die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts ist, und wo seine Grenzen liegen. 1. Recht und Politik Das Selbstverständnis des Bundesverfassungsgerichts ist seit der Statusdenkschrift von 1951 klar: Es sieht seine Aufgabe in der Rechtsprechung, nicht in der Politikgestaltung (Leibholz: 1957, S. 106ff; BVerfGE 36, 1, 14f.). Dass dies keine realistische, sondern eine idealisierende Einschätzung seiner Stellung ist, dürfte angesichts der politischen Macht des Bundesverfassungsgerichts deutlich sein (Ebsen: 1985, S. 108ff. spricht in diesem Zusammenhang vom „naiven Ansatz"). Ganz überzeugt von seiner These, ausschließlich Recht zu sprechen, scheint das Bundesverfassungsgericht selbst nicht zu sein. Immerhin lässt sich in seinen Entscheidungen deutlich nachweisen, dass es die politischen Folgen seiner Judikate durchaus voraussieht und beachtet (Hesse/Ellwein: 81997, S. 413). Dafür gibt es eine Fülle von Exempeln. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel dafür ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Maastricht-Vertrag (BVerfGE 89, 155ff.). Mit dieser Entscheidungspraxis trägt das Bundesverfassungsgericht letztlich der Erkenntnis Rechnung, dass sich Recht und Politik im Bereich des Verfassungsrechts überhaupt nicht trennscharf unterscheiden lassen. Die Begriffe, die von der Verfassung benutzt werden, sind bewusst unscharf und offen formuliert. Die Verfassung will den politischen Prozess zwar auf eine rechtliche Grundlage stellen, sie will ihn aber nicht über Gebühr einschränken. Legt das Bundesverfassungsgericht offene Begriffe dann im konkreten Einzelfall aus, muss es zwangsläufig politische Elemente und Überlegungen dafür heranziehen (Hesse: 1998, S. 14). Was meint das Grundgesetz beispielsweise mit „freier Entfaltung der Persönlichkeit" in Art. 2 Abs. 1, „Freiheit des Glaubens" in Art. 4 Abs. 1 oder „Eigentum" in Art. 14 Abs. 1? Was bedeuten die Begriffe „Rechtsstaat", „Sozialstaat", „Demokratie", die das Grundgesetz in Art. 20 Abs.l GG benutzt, und welche die Struktur des Staates prägen? Diese Begriffe sind offen und einer dynamischen Interpretation zugänglich; sie können ohne politische Implikationen und Überlegungen nicht ausgelegt werden. Das Bundesverfassungsgericht gehört deshalb sowohl zur Sphäre des Rechts als auch zur Sphäre der Politik, es ist vom Grundgesetz genau in der Mitte zwischen Rechtsprechung und Rechtsetzung angesiedelt worden (Hesse/Ellwein:81997, S. 413).

2. Die Grenzen des Bundesverfassungsgerichts Auch wenn das Bundesverfassungsgericht politische Wirkungen entfaltet, ist es dennoch nicht seine Aufgabe, Politik zu gestalten. Wo liegen also die Grenzen für das Bundesverfassungsgericht ? a) Funktionelle Grenzen des Bundesverfassungsgerichts Keine brauchbare Begrenzung für die Tätigkeit des Bundesverfassungsgerichts bietet die „Political-Clause-Doktrin", die aus dem amerikanischen Verfassungsrecht übernommen wird. Nach dieser Doktrin kann der US-amerikanische

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Supreme Court Fragen zurückweisen, weil sie ihm zu hochpolitisch sind. Er darf sich also auf reine Rechtsprobleme beschränken und Fragen, die seiner Ansicht nach politisch entschieden werden müssen, zurückweisen. Die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts ist - das wurde mehrfach betont - die Auslegung der Verfassung. Weil das nicht ohne die Beachtung politischer Implikationen möglich ist, darf das Bundesverfassungsgericht Fragen eben gerade nicht deshalb zurückweisen, weil sie einen politischen Gehalt haben. Es würde damit seine Pflicht verletzen, die ihm das Grundgesetz selbst auferlegt hat (Limbach: 1995, S. 20). Auch die Forderung nach richterlicher Selbstbeschränkung - im amerikanischen Verfassungsrecht: Judicial Self-Restraint - löst das Problem nicht. Denn dann bliebe es dem Gutdünken der Verfassungsrichter überlassen, wo die Grenze ihrer Tätigkeit liegt (Hesse: 1998, S. 14). Dass dies für eine Grenzziehung nicht ausreichend wäre, zeigt die Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht nicht selten die Grenzen richterlicher Selbstbeschränkung überschreitet. Die Grenzen für das Bundesverfassungsgericht müssen sich dem gegenüber aus der Verfassung selbst ergeben. Denn nur die Verfassung selbst ist das Gesetz, an das auch das Bundesverfassungsgericht gebunden ist. Niemand außer der Verfassung kann deshalb dem Bundesverfassungsgericht Grenzen setzen. Durch den Grundsatz der Gewaltenteilung (-> §§ 4, 8, I.) weist das Grundgesetz allen Verfassungsorganen bestimmte, näher definierte Funktionen zu. Aus dieser Funktionenordnung des Grundgesetzes ergeben sich Aufgaben und Grenzen jedes Verfassungsorgans, also auch des Bundesverfassungsgerichts (ausführlich dazu Bryde: 1982, S. 333ff. m.w.N.). Die Funktionszuweisungen der Verfassung zielen darauf, dass staatliche Entscheidungen möglichst richtig, das heißt von den Organen getroffen werden, die dafür nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfugen (BVerfGE 68,1). Trotz aller politischen Wirkungen besteht die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts nach dem Grundgesetz nicht in aktiver politischer Gestaltung, sondern in rechtlicher Kontrolle. Es kann grundsätzlich die Akte von Parlament und Regierung nur im Nachhinein auf (Verfassungs)Rechtsfehler kontrollieren. Dazu ist es vorgesehen und auch fähig. Es darf nicht an Stelle der anderen Staatsgewalten selbst positiv gestalten, selbst rechtliche Regelungen erlassen oder den anderen Staatsgewalten den Inhalt dessen vorschreiben, was sie zu regeln haben (dazu BVerfGE 93, 121, 151 f.). Dazu wäre es von seiner Arbeitsweise und von seinen sachlichen und personellen Mitteln her auch gar nicht in der Lage (Bryde: 1982, S. 338, spricht in diesem Zusammenhang von.einer strukturellen Überlegenheit des Gesetzgebers). Mit diesem Grundsatz ist die funktionelle Grenze des Bundesverfassungsgerichts aber nur abstrakt definiert. Sie muss in jedem Einzelfall, der vom Bundesverfassungsgericht entschieden wird, konkret anhand der einschlägigen Normen des Grundgesetzes neu bestimmt werden. Das Verhältnis des Bundesverfassungsgerichts zum Parlament ist - nicht immer, aber im Grundsatz - von einer richterlichen Zurückhaltung, einem Judicial SelfRestraint geprägt. Denn das Parlament hat - so das Gericht ausdrücklich - aufgrund seiner Funktion als Gesetzgeber einen großen inhaltlichen, politischen Spielraum bei der Gestaltung von Gesetzen, in den das Bundesverfassungsgericht als Gericht nicht eingreifen darf (siehe als Beispiele aus der ständigen Rechtsprechung: BVerfGE 36, 1, 14 - Grundlagenvertrag; BVerfGE 89, 155, 181, 187f. Maastricht; BVerfGE 95, 267, 309 - DDR-Wirtschaftsordnung). Das Parlament, nicht das Verfassungsgericht hat die Funktion, Gesetze zu erlassen und damit

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Politik zu gestalten. Auf diese, von der Verfassung vorgenommene Funktionszuweisung muss das Bundesverfassungsgericht Rücksicht nehmen und darf deshalb nur möglichst zurückhaltend in den Bereich der Gesetzgebung eingreifen. Es prüft Gesetze im Normenkontrollverfahren deshalb regelmäßig nur darauf, ob Verfahrensfehler oder ein offensichtlicher Missbrauch der Gestaltungsmacht durch den Gesetzgeber vorliegen. Die Zurückhaltung gegenüber den Akten des Parlaments fußt auch auf dem Demokratieprinzip (Simon: 1994, S. 1670; -» § 5, IV.). Für die Demokratie wesentlich ist die Offenheit des politischen Prozesses: Die Willensbildung soll in einer möglichst breiten politischen Auseinandersetzung stattfinden, die nicht durch detaillierte Vorgaben des Verfassungsgerichts eingeschränkt werden darf (Bryde: 1982, S. 343). Für das Verfassungsgericht ergibt sich daraus eine Faustregel: Im Zweifel Verzicht auf eine ständige Verfeinerung der Verfassungsinterpretation und Offenlassen von Streitfragen zur Selbstregulierung im politischen Prozess (so treffend Simon: 1994, S. 1671). Diese sich selbst auferlegte Zurückhaltung gibt das Bundesverfassungsgericht allerdings manchmal auf (Biehler: 1990, S. 61 ff., führt Beispiele dafür an). In einigen Fällen gibt es dem Gesetzgeber detaillierte Vorgaben für eine Erneuerung von Gesetzeswerken (dazu kritisch Vogel: 1996, S. 1510). Wichtige Beispiele dafür sind das Steuerrecht (BVerfGE 93, 121, 138) oder das Familien- und Sozialrecht. Auch gegenüber Akten der Bundesregierung, die ihm zur Kotrolle vorgelegt wurden, hat sich das Bundesverfassungsgericht meist zurückgehalten. Die Verfassung weist der Bundesregierung die Außenpolitik als Domäne zu. Dementsprechend akzeptiert das Bundesverfassungsgericht bei außenpolitischen Akten eine inhaltliche Prärogative und einen weiten politischen Gestaltungsspielraum für die Bundesregierung. Es gesteht ihr deshalb dort einen weiten Raum eigenverantwortlicher Beurteilung von außenpolitischen Sachverhalten zu, in dem es nur eine ganz eingeschränkte verfassungsgerichtliche Kontrolle ausübt (BVerfGE 84, 90,127 f; 94, 12, 35). Das gilt auch für den Bereich der Verteidigungspolitik, in dem sich das Gericht im wesentlichen auf eine rudimentäre, nur Verfahrensfehler oder Willkürentscheidungen umfassende Kontrolle beschränkt (BVerfGE 68, 1, 111; 90, 286). Das Bundesverfassungsgericht entscheidet also beispielsweise nicht darüber, ob Auslandseinsätze der Bundeswehr verfassungsrechtlich zulässig oder politisch sinnvoll sind. Das ist Aufgabe von Bundesregierung und Bundestag. Es urteilt lediglich darüber, ob das politische Verfahren in dem über diese Auslandseinsätze entschieden worden ist, verfassungskonform war, und ob das Grundgesetz Auslandseinsätze der deutschen Streitkräfte nicht offensichtlich verbietet. Insgesamt lässt sich feststellen, dass das Gericht grundsätzlich Rücksicht auf die Funktionen der anderen Verfassungsorgane nimmt und versucht, zu einem gewissen Konsens innerhalb der Verfassungsorgane beizutragen (Glaeßner: 1999, S. 242f.; Simon: 1994, S. 1660; Preuß: 1987, S. 8ff.; kritisch aber Biehler: 1990, S. 196f.). Ein Problem bleibt allerdings bei aller Zurückhaltung des Bundesverfassungsgerichts: Kein anderes Verfassungsorgan kann kontrollieren, ob das Bundesverfassungsgericht seine funktionellen Grenzen eingehalten oder überschritten hat. Wie die Funktionenordnung des Grundgesetzes, welche die Aufgaben und Grenzen der Verfassungsorgane festlegt, letztlich aussieht, ermittelt das Bundesverfassungsgericht durch Auslegung des Grundgesetzes. Diese Auslegung ist verbindlich, kein anderes Verfassungsorgan kann diese Interpretation der Verfas-

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sung korrigieren. Niemand außer dem Bundesverfassungsgericht selbst kann dafür Sorge tragen, dass das Gericht die Funktionen der anderen Verfassungsorgane respektiert und sich selbst zurücknimmt (das verkennt Glaeßner: 1999, S. 240). Dieses Problem lässt sich nicht grundsätzlich beseitigen. Das ist der Preis, der für die richterliche Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts gezahlt werden muss. b) Tatsächliche Grenzen des Bundesverfassungsgerichts In den letzten Jahren stößt das Bundesverfassungsgericht verstärkt an tatsächliche Grenzen seiner Tätigkeit. Die Zahl der neu beim Bundesverfassungsgericht eingehenden Fälle ist nach 1991 sprunghaft auf etwa fünf- bis sechstausend Eingänge pro Jahr gestiegen (Wieland: 1998, S. 171). Damit übersteigt die Anzahl der neu eingehenden Fälle die Zahl der in einem Jahr erledigten Fälle beträchtlich (Wieland: 1998, S. 172). Dieses strukturelle Erledigungsdefizit führt dazu, dass der Berg der unerledigten Anträge von Jahr zu Jahr weiter anwächst. Aus diesem Grund wird immer dringender davor gewarnt, die gegenwärtige Belastung könne zum Kollaps und zum Zerfall des Gerichts von innen her führen. Das Bundesjustizministerium hat eine Sachverständigenkommission eingesetzt, die sich mit dieser Problematik befassen und Lösungsmöglichkeiten entwickeln sollte. Der Bericht der Kommission liegt inzwischen vor; praktische Konsequenzen sind aber noch nicht gezogen worden (ausführlich zu den im Bericht vorgeschlagenen Entlastungsmaßnahmen für das Bundesverfassungsgericht Wieland: 1998, S. 177ff.). Noch nicht untersucht worden ist, wie sich diese Überlastung des Bundesverfassungsgerichts auf sein Verhältnis zu den anderen Verfassungsorganen auswirkt. Es ist aber zu vermuten, dass das Bundesverfassungsgericht sich gerade wegen dieser Überlastung auf seine eigentlichen Aufgaben beschränkt, sich auf das Wesentliche konzentriert und dabei die ihm von der Verfassung gezogenen funktionellen Grenzen besonders strikt einhält. 3. Die Sanktion für Grenzüberschreitungen: Autoritätsverlust des Bundesverfassungsgerichts Es gibt - wie bereits erwähnt - keine rechtlichen Sanktionen dafür, dass das Bundesverfassungsgericht die Grenzen überschreitet, die ihm die Funktionenordnung des Grundgesetzes zieht. Dennoch muss das Bundesverfassungsgericht mit einer Sanktion rechnen, wenn es die Grenzen seiner Aufgabe nicht einhält: Es riskiert einen Autoritätsverlust und damit eine Einbuße seiner Wirkung. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts ist Interpretationsmacht: Das Bundesverfassungsgericht interpretiert letztverbindlich die Verfassung, die ihrerseits den politischen Prozess jedenfalls im Grundsatz steuert. Entscheidend ist aber, dass das Bundesverfassungsgericht keine rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten hat, seine Entscheidungen auch gegenüber den anderen Verfassungsorganen durchzusetzen. Wenn die anderen Verfassungsorgane - etwa Bundesregierung oder Bundestag - den Judikaten des Bundesverfassungsgerichts die Gefolgschaft verweigern wollten, hätte das Verfassungsgericht keine Möglichkeit, sie dazu zu zwingen. Wenn der verfassungspolitische Basiskonsens aufgekündigt würde, könnte das Bundesverfassungsgericht seine Funktion nicht mehr erfüllen (so zutreffend Glaeßner: 1999, S. 242). Dass solche Verfassungskrisen bisher nicht

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vorkommen, liegt nicht nur an der Verfassungstreue von Parlament und Regierung, sondern auch an der Autorität des Bundesverfassungsgerichts und dem Ansehen, das es in der Bevölkerung genießt (dazu auch Wahl: 1998, S. 105f.). Kaum ein Politiker kann es wagen, den Entscheidungen des Verfassungsgerichts offen zuwiderzuhandeln und sich dem Vorwurf der Verfassungswidrigkeit auszusetzen (Simon: 1994, S. 1654). Die Autorität des Bundesverfassungsgerichts beruht letztlich darauf, dass seine Entscheidungen von allen gesellschaftlichen Kräften akzeptiert werden (Wahl: 1998, S. 105; Limbach: 1997, S. 12). Diese Autorität erwirbt und bewahrt das Bundesverfassungsgericht aber nur dann, wenn es sich auf seine ureigene Funktion beschränkt: Die Interpretation des Grundgesetzes und die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten (instruktiv BVerfGE 51, 130,143). Spektakuläre Beispiele der jüngsten Zeit zeigen, dass das Bundesverfassungsgericht seine Autorität schnell aufs Spiel setzt, wenn es sich allzu selbstbewusst an die Stelle des Gesetzgebers, also der parlamentarischen Mehrheit, setzt (Hesse/Ellwein: 81997, S. 415; Wahl: 1998, S. 83ff.). Vor allem die in der Öffentlichkeit heftig umstrittene Kruzifix-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 93, 1) hat - darauf deuten aktuelle Umfragen hin - das Ansehen des Bundesverfassungsgerichts geschädigt und seine Autorität geschwächt (dazu Köcher: 1995, S. 5; kritisch dazu aber Limbach: 1997, S. 17ff.). Auch das jüngste Familienurteil des Bundesverfassungsgerichts ist ein aus dieser Sicht riskantes Unterfangen für das Gericht. Es greift stark in die Befugnis des Gesetzgebers ein und riskiert damit eine heftige Urteilsschelte, die zu Autoritätsverlust führen könnte.

V. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: Eine inhaltliche Bilanz Das Bundesverfassungsgericht hat im Lauf seiner Tätigkeit eine nahezu unübersehbare Fülle von Entscheidung getroffen. Es ist schwer, aus diesen stets auf einen Einzelfall bezogenen Judikaten eine systematische, inhaltliche Bilanz zu ziehen. Einige markante Charakteristika der Rechtsprechung lassen sich aber dennoch erkennen (Hesse: 1998, S. 8ff). 1. Ein materielles Verfassungsverständnis Das Bundesverfassungsgericht hat sich mit großer Eindeutigkeit von vorn herein für ein inhaltliches, materielles Verständnis der Verfassung entschieden (Simon: 1994, S. 1667). Form- und Verfahrensfragen, die von der Verfassung ausfuhrlich geregelt werden, sind wichtig. Sie dienen der Eindämmung politischer Willkür und sichern dadurch die Freiheit der Bürger. Form und Verfahren sind aber nach dem Verfassungsverständnis des Bundesverfassungsgerichts keine Werte an sich, sie dienen einem Zweck: Der Schaffung einer gerechten Ordnung für den Staat (Hesse: 1998, S. 8). Das Grundgesetz enthält bestimmte Werte und Inhalte, die von allen Verfassungsorganen, auch und gerade vom Bundesverfassungsgericht, verwirklicht werden müssen. Exemplarisch dafür steht die Menschenwürde, die das Grundgesetz an hervorgehobener Stelle in Art. 1 Abs. 1 GG nennt. Mit diesem inhaltlichen Verständnis der Verfassung hat das Bundesverfassungsgericht

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mit einer langen Tradition im deutschen Verfassungsdenken und im deutschen Verfassungsrecht gebrochen. Noch in der Weimarer Republik herrschten Rechtspositivismus und ein gewisser Formalismus vor. Entscheidend war danach, dass die von der Verfassung vorgeschriebenen Formen und Verfahren eingehalten wurden, die Inhalte, die dabei vertreten wurden, waren sekundär. Dass das Bundesverfassungsgericht von Anfang an neue Wege beschritten hat, wird auch an seiner Methodik sichtbar, die von der herkömmlichen juristischen Methodenlehre deutlich abweicht (Hesse: 1998, S. 8). Das Bundesverfassungsgericht hat vorn herein die soziale und politische Wirklichkeit bei der Auslegung der Verfassung beachtet. In seiner Rechtsprechung lassen sich deshalb sorgfältige und tief eindringende Sachverhaltsanalysen feststellen. Deutlich wird das vor allem in den politisch hoch bedeutsamen Urteilen des Gerichts, etwa dem Diätenurteil (BVerfGE 40,296), dem Urteil zur Finanzierung der politischen Parteien (BVerfGE 85, 264), dem Urteil zur Auflösung des Bundestages (BVerfGE 6 1 , 1 ) und dem Maastricht-Urteil (BVerfGE 89,155). 2. Die umfassende Bedeutung der Grundrechte Der parlamentarische Rat hat einen umfangreichen Grundrechtsteil (-> § 5, III.) in die Verfassung aufgenommen. Das war verfassungspolitisch etwas Neues: Bisher hatten Grundrechte weder im Bewusstsein der Bürger noch im Handeln des Staates eine nennenswerte Rolle gespielt. Es war deshalb die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, die Grundrechte durch seine Auslegung mit Leben zu erfüllen und ihnen dadurch Wirksamkeit im staatlichen Alltag zu verschaffen. Ursprünglich waren Grundrechte subjektive Abwehrrechte des einzelnen Bürgers, die ihm die Verfassung einräumt, um Eingriffe des Staates in seine Bürgerfreiheiten zu verhindern. Dieser subjektiven, individuellen Bedeutung der Grundrechte hat das Bundesverfassungsgericht schon früh eine weitere, objektive Bedeutungsebene hinzugefügt: Es hat die Grundrechte gleichzeitig als objektive Strukturprinzipien für das politische Gemeinwesen angesehen. In seinem bahnbrechenden Lüth-Urteil (BVerfGE 7, 198, 205) entwickelt es die Auffassung, das Grundgesetz habe durch die Grundrechte auch eine objektive Wertordnung geschaffen, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gelte: Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung müssten sich daran orientieren. Diese Auffassung, die vom Gericht kontinuierlich ausgebaut wurde, hat erhebliche Auswirkungen gehabt: Die Grundrechte beeinflussen inzwischen das gesamte Recht bis hin zum Privatrecht (dazu Häberle: 1998, S. 88ff.). Alle staatlichen Organe müssen in ihrem Handeln die Grundrechte beachten. Ob dies tatsächlich geschieht, ist dann eine verfassungsrechtliche Frage, die vom Bundesverfassungsgericht kontrolliert wird (Hesse: 1998, S. 9). Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts entfalten die Grundrechte auch eine sog. Drittwirkung: Sie gelten nicht nur für das Handeln staatlicher Organe, sondern darüber hinaus jedenfalls indirekt ebenfalls im privaten Bereich. Auch private Verträge in der Wirtschaft dürfen also nicht die Menschenwürde verletzen oder die Meinungsfreiheit einschränken. Durch diese Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht die Geltung der Grundrechte für das gesamte Rechtssystem und die Gesellschaft durchgesetzt.

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3. Die Gefahr: Verrechtlichung von Politik und Gesellschaft Die vom Bundesverfassungsgericht durchgesetzte nahezu umfassende Bedeutung der Grundrechte hat positive Auswirkungen auf die Freiheit und die Rechtsstellung der Bürger gehabt (Simon: 1994, S. 1667f.). Sie wirft aber auch schwerwiegende Probleme auf: Wenn die Grundrechte für alle Lebensbereiche von Bedeutung sind, besteht die Gefahr, dass jede Rechtsfrage sofort zu einer Verfassungsfrage, jede (tages)politische Frage gleichzeitig zu einer Verfassungsrechtsfrage wird, die vom Bundesverfassungsgericht entschieden werden müsste. Das hätte eine Verrechtlichung der Politik mit unabsehbaren Konsequenzen zur Folge (sehr kritisch zur Verrechtlichung der Politik am Beispiel der sozialliberalen Reformpolitik Biehler: 1990, S. 38ff.). In jedem Fall würde der offene demokratische Prozess zunehmend stärker durch verfassungsrechtliche Dogmen eingeschränkt, die nicht oder kaum revidierbar wären (dazu Simon: 1994, S. 1672). Den Prozess der Verrechtlichung der Politik forciert nicht nur das Bundesverfassungsgericht, sondern auch die Politik selbst. Es hat sich eingebürgert, dass politische Instanzen kontroverse Entscheidungen nicht selbst treffen, sondern die Entscheidung auf das Verfassungsgericht abschieben (Ellwein/Hesse: 1994, S. 135; Roellecke: 1987a, S. 675). Insofern ist der Verrechtlichungsprozess auch ein Indiz für ein zunehmendes Versagen der Politik, die ihre ureigene Aufgabe nicht mehr erfüllt ( v. Arnim: 1995, S. 342; Hesse: 1995, S. 275). In jedem Fall hätte die Juridifizierung der Politik eine fatale Konsequenz: Das Bundesverfassungsgericht, das über Verfassungsfragen entscheidet, würde zu einer Art Superinstanz, der alle anderen Verfassungsorgane nachgeordnet wären. Damit hätte das Gericht seine - gerade dargestellten - funktionellen Grenzen sicher überschritten. Diese Entwicklung lässt sich nur vermeiden, wenn das Bundesverfassungsgericht seiner Grundrechtsrechtsprechung Grenzen einzieht. Ob dies geschehen wird, ist im Augenblick eine noch offene Frage. Ebenso offen ist, ob die politischen Kräfte sich auf ihre Aufgaben besinnen und ihrerseits aufhören, Probleme vor das Bundesverfassungsgericht zu tragen, die an sich politisch gelöst werden müssten.

VI. Ein Blick in die Zukunft: Das Bundesverfassungsgericht und die europäische Integration Seit Beginn seiner Tätigkeit hat die Bedeutung des Bundesverfassungsgerichts kontinuierlich zugenommen. Das hat im Wesentlichen zwei Gründe. Der Staat hat sein Aufgabenspektrum in den letzten Jahrzehnten deutlich erweitert (umfassend Grimm: 1994). In dem Maß, in dem sich das Staatshandeln ausgeweitet hat und stets weitere Bereiche der Gesellschaft umfasst, hat auch die Bedeutung des Bundesverfassungsgerichts zugenommen: Denn es ist - wie dargestellt - seine Aufgabe, das Staatshandeln am Maßstab der Verfassung zu überprüfen. Hinzu kommt, dass das Bundesverfassungsgericht - darauf wurde bereits hingewiesen den Geltungsbereich der Grundrechte durch seine Rechtsprechung zunehmend stärker erweitert hat. Grundrechte betreffen inzwischen nahezu jeden Bereich des gesellschaftlichen Lebens. Die Konsequenz ist: Das Bundesverfassungsgericht, das die Beachtung der Grundrechte kontrolliert, muss sich ebenfalls mit fast jedem Bereich von Staat und Gesellschaft beschäftigen.

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Die fortschreitende Integration Europas wird dazu führen, dass das Bundesverfassungsgericht diese umfassende Bedeutung verliert (ähnlich Hesse: 1998, S. 18). Die EG hat eine eigenständige, von den nationalen Rechtsordnungen unabhängige Rechtsordnung geschaffen. Das europäische Recht geht dem nationalen Recht im Rang vor. Deutsches Recht, das dem europäischen Recht widerspricht, darf nicht angewendet werden. Der Prozess der Überlagerung der nationalen Rechtsordnung durch das europäische Rechtssystem hat inzwischen eine erhebliche Dimension gewonnen: Schätzungen gehen davon aus, dass zur Zeit etwa 80% aller Regelungen im Bereich des deutschen Wirtschaftsrechts inhaltlich durch das EG-Recht determiniert werden, fast 50 % der deutschen Gesetze insgesamt durch das Europarecht veranlasst sind (BVerfGE 89,155, 172f.). Durch die europäische Integration (-> § 17) verliert also das Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland seine allumfassende Geltung und seinen Vorrang in der Rechtsordnung (Hesse: 1998, S. 21 f.). Im selben Maß reduziert sich auch die Kontrollaufgabe des Bundesverfassungsgerichts (Hesse: 1998, S. 18). Damit nimmt nicht nur die rechtliche, sondern auch die politische Bedeutung des Bundesverfassungsgerichts ab. Noch hat sich das Bundesverfassungsgericht mit seinem Bedeutungsverlust nicht abgefunden. Es bestreitet den Vorrang des europäischen Rechts gegenüber den Grundrechten des deutschen Grundgesetzes und gegenüber den tragenden Strukturprinzipien der Verfassung, die letztlich die Identität der Verfassungsordnung bilden (BVerfGE 73, 339, 375). In diesem Bereich nimmt es für sich in Anspruch, auch europäische Rechtsakte auf ihre Vereinbarkeit mit der deutschen Verfassung zu überprüfen, wenn auch mit einem reduzierten Prüfungsstandard (BVerfGE 89, 155, 175, 178, 188). Konsequenterweise ordnet es sich deshalb dem Europäischen Gerichtshof, der über die Einhaltung des europäischen Rechts wacht, nicht unter. Es beschreibt sein Verhältnis zum europäischen Gerichtshof statt dessen als „Kooperationsverhältnis" gleichberechtigter Gerichte (BVerfGE 89, 155, 175). Damit wird sich das Bundesverfassungsgericht allerdings auf Dauer nicht durchsetzen: Der Prozess der europäischen Integration beruht darauf, dass das Europäische Recht Vorrang vor jeglichem nationalen Recht hat. Ohne dieses Dogma könnte das Europarecht seine Aufgabe als Mittel der europäischen Integration nicht mehr erfüllen. Der Europäische Gerichtshof beharrt ohne Wenn und Aber auf diesem Grundsatz ( EuGHE 1964, 1251 ff.; EuGHE 1981, 6079). Auch das Europäische Parlament hat darauf in einer Entschließung, die direkt auf die Ansicht des Bundesverfassungsgerichts zielt, noch einmal ausdrücklich hingewiesen: Der Vorrang von Europarecht und Europäischem Gerichtshof gehöre zur „Logik des Gemeinschaftsrechts" (abgedruckt in EuZW: 1998, S. 165). Mit seiner Theorie vom nur eingeschränkten Vorrang des europäischen Rechts greift das Bundesverfassungsgericht also den Kern des Integrationsprozesses an. Das wird sich politisch nicht durchhalten lassen, vor allem auch deshalb nicht, weil das Bundesverfassungsgericht das einzige nationale Verfassungsgericht in Europa ist, das eine derartige Konfrontation mit dem Europäischen Gerichtshof sucht (daraufweist Hesse: 1998, S. 20 hin). Trotz allem ist der Prozess der Europäisierung der nationalen Rechtsordnungen bisher nicht einseitig gewesen. Das europäische Rechts wirkt auf das nationale Recht ein und verändert es. Gleichzeitig finden aber auch Grundsätze und Inhalte des nationalen Rechts Eingang in das Recht der Europäischen Gemeinschaft. Ein Beispiel dafür ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip, das aus dem deutschen Verfassungsrecht in das europäische Gemeinschaftsrechts übernommen wurde (Hes-

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se: 1998, S. 22). Das gilt auch für die Grundrechte, die erst durch den Einfluss der nationalen Verfassungsrechte vom europäischen Gerichtshof zum Bestandteil des europäischen Rechts gemacht worden sind. Die Integration der Rechtsordnungen in Europa ist also ein durchaus wechselseitiger Prozess. Die Übertragung von Aufgaben und Kompetenzen von der nationalen Ebene auf die europäische scheint aber von unaufhaltsamer Dynamik zu sein. Wo der Prozess der europäischen Integration endet, ist zur Zeit noch offen. Offen ist deshalb auch, welche Aufgaben und welche Bedeutung das Bundesverfassungsgericht in Zukunft haben wird. Zur Zeit lässt sich das Verhältnis zwischen europäischer Ebene und nationaler Verfassungsordnung treffend als Ergänzungsverhältnis charakterisieren (Wahl: 1998, S. 111). Solange das Europarecht primär ein europäisches Wirtschaftsrecht ist, sind die nationalen Verfassungen und damit das Bundesverfassungsgericht - noch unentbehrlich: Sie füllen die Lücken, die das Europarecht vor allem im Bereich der Grundrechte und der demokratischen Prinzipien noch hat (das betont Hesse: 1998, S. 22; ähnlich Wahl: 1994, S. 115ff.).

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§ 16 Neue Formen regionaler und kooperativer Politik Wolfgang Gerstiberger I. Ausgangslage und Problemstellung - II. Systemdenken als analytischer Zugang - III. Regionale Innovationssysteme: Fokus für zentrale Problembereiche kooperativer Politik - IV. Schlussfolgerungen und offene Fragen Grundlagenliteratur: Bandemer, Stephan von / Blanke, Bernhard / Nullmeier, Frank (1998) (Hg.): Handbuch zur Verwaltungsreform. Opladen Braczyk, Hans-Joachim / Cooke, Philip / Heidenreich, Martin (1998) (Hg.): Regional Innovation Systems. London Budäus, Dietrich (1998) (Hg.): Organisationswandel öffentlicher Aufgabenwahrnehmung. Baden-Baden Gessenharter, Wolfgang (1996): „Warum neue Beteiligungsmodelle auf kommunaler Ebene? Kommunalpolitik zwischen Globalisierung und Demokratisierung". In: APuZ B50, S. 3ff. Grabher, Gernot (1993) (Hg.): The Embedded Firm. London. Grimmer, Klaus / Kuhlmann, Stefan / Meyer-Krahmer, Frieder (1999) (Hg.): Innovationspolitik in globalisierten Arenen. Wiesbaden Jansen, Dorothea / Schubert, Klaus (1995) (Hg.): Netzwerke und Politikproduktion. Marburg Krumbein, Wolfgang (1994) (Hg.): Ökonomische und politische Netzwerke in der Region. Münster Messner, Dirk (1994): „Fallstricke und Grenzen der Netzwerksteuerung". In: Prokla, S. 563ff.

I. Ausgangslage und Problemstellung 1. Neue Politikformen als Herausforderung für das parlamentarische System Für die Bewältigung der gegenwärtigen und zukünftig absehbaren wirtschaftlichen, technologischen, sozialen und ökologischen Anforderungen gegenüber dem politisch-administrativen System erweist sich die klassische - verfassungsrechtlich festgelegte - Gewalten- und Arbeitsteilung (-» § 8, I.) innerhalb des parlamentarischen Systems mehr und mehr als entwicklungsbedürftig. Sowohl die vertikale Trennung zwischen Legislative, Exekutive und Judikative als auch die horizontale Kompetenzverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen sind mit neuen querliegenden Politikformen konfrontiert. Die Besonderheit dieser Politikformen kann anhand einiger aktueller Inhalte verdeutlicht werden (Brenke u.a.: 1997, S. 17fF.; Meyer-Krahmer: 1998; Grimmer/Kuhlmann/Meyer-Krahmer: 1999): • Für die zukünftige wirtschaftliche, ökologische und technologische Entwicklung zentrale Infrastruktureinrichtungen wie Großflughäfen (z.B. in Frankfurt

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am Main oder in Berlin/Brandenburg), Güterverkehrszentren (als Schnittstellen zwischen dem Straßen- und Schienenverkehr), Großkliniken (z.B. in Aachen, Berlin oder München) oder universitäre und nicht universitäre Forschungseinrichtungen (z.B. Fraunhofer- oder Max-Planck-Institute, Forschungszentrum Jülich, Deutsche Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt etc.) können nur aufgrund der Kooperation verschiedener politischer und administrativer Ebenen realisiert, aufrecht erhalten oder strukturell verändert werden. • Die öffentliche Anschubforderung neuer Wirtschaftszweige, etwa in den Feldern Bio- und Gentechnologie, Multi-Media-Anwendungen sowie Telekommunikation, Logistik oder Finanz- und Beratungsdienstleistungen bedarf der Abstimmung von Gesetzgebung und administrativer Begleitung in so unterschiedlichen Bereichen wie Verbraucher- bzw. Datenschutz, Forschungsförderung und Unterstützung von Existenzgründungen (Beratung, Bereitstellung von Betriebsflächen und Risikokapital etc.). • Moderne Entwicklungsmaßnahmen im sozialen Bereich, wie z.B. der Aufbau kommunaler bzw. stadtteilbezogener Netzwerke in der Alten- oder Jugendhilfe, basieren auf dem Zusammenspiel verschiedener Behörden, Wohlfahrtsverbände, Vereine und gesellschaftlicher Initiativen. • Programme und Maßnahmen zum Schutz der natürlichen Umwelt - beispielsweise Biosphärenreservate, Umweltinformationssysteme (z.B. Gewässer- und Luftgütekataster) oder die Förderung regenerativer Energien (Sonnenenergie, Wasser- und Windkraft, Biomasse, Geothermik etc.) - sind auf das Zusammenspiel nationaler, regionaler und lokaler Institutionen angewiesen. Derartige neue Formen kooperativer Politik lassen sich - trotz vielfältiger Detailunterschiede - durch eine Reihe gemeinsamer Charakteristika beschreiben: Sie stehen in Zusammenhang mit 1) organisationsübergreifenden öffentlich-privaten Arbeitszusammenhängen, 2) der Intensivierung und Vernetzung von Information und Kommunikation, 3) Auflösungserscheinungen horizontaler und vertikaler administrativer Grenzen (zwischen den verschiedenen politischen Ebenen und den lokalen Gebietskörperschaften) und 4) neuen Formen der direkten Bürgerbeteiligung. Diese gemeinsamen Charakteristika kennzeichnen neue und komplexe politisch-ökonomische Systeme. Dabei sind die zentralen Fragen nach (a) Bestandsfähigkeit und (b) Leistungsfähigkeit für das parlamentarische System noch weitgehend offen. An den genannten Kennzeichen und zentralen Fragen orientiert sich die Darstellung neuer Formen kooperativer Politik. In Abschnitt 1.3. werden als Überblick die wichtigsten Typen anhand der Unterscheidung (1) bis (4) vorgestellt. Im Anschluss daran (1.4.) erfolgt eine Zusammenfassung bisheriger empirischer Forschungsergebnisse in Bezug auf die Bestands- und Leistungsfähigkeit neuer kooperativer Politikformen. In Abschnitt II. werden diese vorläufigen Befunde aus einer organisationstheoretischen Perspektive heraus vertieft. Eine solche Sichtweise bietet sich für die Erklärung der Bestands- und Leistungsfähigkeit komplexer politisch-ökonomischer Systeme an. Sie ermöglicht die Unterscheidung verschiedener Aspekte, Handlungsrahmen und Kopplungsformen, die zu den Zieldimensionen beitragen. Darüber hinaus kann das Wechselverhältnis zwischen Bestands- und Leistungsfähigkeit, die häufig nur bedingt deckungsgleich sind, auf diese Weise näher bestimmt werden. Abschnitt III. dient der exemplarischen Analyse von Bestands-

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und Leistungsfähigkeit anhand des Beispiels regionaler Innovationssysteme. Diese organisationsübergreifenden Systeme ermöglichen einen problem-repräsentativen Querschnitt durch die neuen Formen kooperativer Politik. Ausgehend von diesem Beispiel werden in Abschnitt IV. einige Schlussfolgerungen benannt, die generell für die zukünftige Entwicklung und Untersuchung kooperativer Politikformen von Bedeutung sind.

2. Kooperative Politik: Kennzeichen und Zieldimensionen Das wichtigste Kennzeichen kooperativer Politikformen ist, dass sie in netzwerkartigen Verflechtungen zwischen verschiedensten öffentlichen und privaten Akteuren initiiert, vorbereitet, realisiert und weiterentwickelt werden (müssen). Dabei sind neben den klassischen öffentlichen Aufgabenträgern - Kommunen, Mittelbehörden (Regierungspräsidien, Bezirksregierungen), Landes- und Bundesministerien - auch Universitäten und Forschungseinrichtungen, öffentliche und private Unternehmen sowie halb-öffentliche Einrichtungen wie Industrieund Handelskammern, Sparkassen und Landesbanken oder Vereine, Verbände und Initiativen beteiligt (Bandemer/Blanke/Nullmeier: 1998; Budäus: 1998; Gerstiberger: 1999). Auf der öffentlichen Seite ist als neue vierte administrative Ebene zunehmend auch die EU-Kommission in Kooperationsprojekte fordernd und zugleich reglementierend eingebunden. Dies geschieht vor allem durch die Kontrolle von Wettbewerbsbedingungen (etwa im Bereich staatlicher Subventionen), die Entwicklung technologischer Standards und umfangreicher Programme zur Forschungsförderung (Grande: 1999). Die netzwerkartige Zusammenarbeit im Rahmen kooperativer Politikformen lässt sich dadurch beschreiben, dass • keine hierarchische Koordinierungsinstanz existiert, sondern Kooperationen auf der freiwilligen Zusammenlegung verschiedener öffentlicher und privater Ressourcen (vor allem Finanzmittel, Personal und Informationen) basieren; • gleichzeitig auch keine reine Steuerung durch Marktmechanismen vorherrscht, da sich Angebot und Nachfrage erst einmal entwickeln müssen; • die Funktion staatlicher Akteure sich zunehmend dahingehend ändert, dass sie anstelle oder in Ergänzung zur Durchführung bzw. Kontrolle von Aufgaben eine moderierende Rolle übernehmen; dies bedeutet insbesondere Schaffung von rechtlichen Rahmenbedingungen, Anschubfinanzierungen und Kommunikationsplattformen, die als Anreize für die Mobilisierung privater Ressourcen und eine stärkere Nutzung von Synergieeffekten durch vermehrte öffentlich-private und öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit dienen (Kuhlmann: 1999); • eine große Zahl einzelner Akteure beteiligt ist, wodurch der Informationsverteilung und der Abstimmung von Austauschbeziehungen eine besondere Bedeutung zukommt; • in Zusammenhang mit der großen Zahl der Akteure und komplexen Umweltbedingungen (Unklarheit über aktuelle und zukünftige Ressourcen, allgemein unvollkommene Informationen etc.) ein hoher Grad an Unsicherheit innerhalb des Netzwerks besteht; dadurch werden den Akteuren eine gewisse Risikobereitschaft und ein Vertrauensvorschuss abverlangt;

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sich häufig bereits in der Anfangsphase der Kooperation einige wenige Schlüsselakteure herauskristallisieren; sie wirken als Koordinatoren und können dadurch Unsicherheit reduzieren helfen, aber auch einen Informationsvorsprung gegenüber anderen Akteuren und damit eine besondere Machtposition aufbauen; • schließlich die kulturelle Einbettung der Kooperationsbeziehungen von großer Bedeutung ist; die Risikobereitschaft der Akteure und die Entstehung eines Vertrauensvorschusses können durch gemeinsame Traditionen, Wertvorstellungen oder Kommunikationsformen gefördert werden (Grabher: 1993; Amin/Thrift: 1994; Krumbein: 1994). Die genannten Merkmale netzwerkartiger Kooperation fuhren in der Summe zu einer veränderten Qualität der Problembearbeitung gegenüber einer traditionellen - überwiegend oder rein öffentlichen - Aufgabenerledigung. Während die traditionelle Aufgabenbewältigung innerhalb von Organisationsrahmen geschah, die durch die Grenzen von politischen Ebenen, Gebietskörperschaften oder allgemein des öffentlichen Sektors abgesteckt waren, haben die neuen Formen kooperativer Politik eine grenzüberschreitende Dimension. Sie „durchschneiden" die Grenzen zwischen unterschiedlichen öffentlichen und privaten Organisationen mit ihren jeweiligen Steuerungsmechanismen. Neben der Koexistenz von hierarchischen und marktförmigen Elementen (staatliche Rahmensetzungen, Tauschbeziehungen) entstehen in den Kooperationsnetzwerken auch neue, eigenständige Formen der Koordination (Jansen/Schubert: 1995). Diese neuen Abstimmungsformen werden mit Begriffen wie Vertrauen, Vertrauenskultur oder informelle Beziehungen umschrieben, welche die veränderte Qualität von Netzwerkbeziehungen gegenüber formalisierten politischen Arbeitsbeziehungen illustrieren sollen. Hinter derartigen Begriffen steht die Vorstellung, dass durch einen schrittweisen Prozess gegenseitiger Annäherung ein kultureller Kitt zwischen den unterschiedlichen Akteuren aufgebaut werden kann. Dieser begünstigt auch in unsicheren Entscheidungssituationen koordinierte individuelle Strategien. Die gegenseitige Annäherung einzelner Akteure kann beispielsweise durch den wechselseitigen Austausch verwertbarer Informationen oder - zu Beginn einer Kooperation - durch die Entwicklung gemeinsamer Kommunikationsformen gefördert werden. Der besondere Stellenwert kultureller Abstimmungsformen in organisationsübergreifenden Kooperationen rechtfertigt die Annahme einer eigenen Qualität netzwerkartiger Steuerungsformen. Diese entstehen durch die kulturelle Einbettung und Verknüpfung einzelner marktförmiger und hierarchischer Beziehungen zwischen unterschiedlichen Akteuren sozialer Gebilde, die eigene Gesetzmäßigkeiten aufweisen. Im Gegensatz zum hierarchischen staatlichen Durchgriff oder zu anonymen Marktmechanismen sind freiwillige Zusammenarbeit und Selbstorganisation wesentliche Charakteristika von Netzwerken. Da diese sozialen Gebilde nicht über formalisierte Sanktionen für den Fall von Regelverstößen verfugen, erfolgen Aufbau und Vertiefung von Austauschbeziehungen in der Regel in einem schrittweisen Prozess. Falls der anfängliche Vertrauensvorschuss einzelner Akteure der eine Voraussetzung für das Entstehen von Netzwerken darstellt - nicht enttäuscht wird, können nach und nach Ressourcen eingebracht und zusammengelegt werden. Neben den grundlegenden Optionen, Verlassen des Netzwerkes (Exit) und Thematisieren von Konflikten (Voice), existieren für einzelne Akteure verschiedene (Misch-)Strategien. Es bestehen die Möglichkeiten, das Engagement

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zeitweilig einzuschränken und eine Beobachterposition einzunehmen oder die Formalisierung bestimmter Teile der Netzwerktätigkeit voranzutreiben (Messner: 1994, S. 589ff.; Messner: 1998). Durch derartige Strategien kann Unsicherheit reduziert werden, da ein schrittweises Zufuhren von Ressourcen in das Netzwerk möglich ist. Neue kooperative Politikformen basieren auf den Prinzipien der Freiwilligkeit und Selbstorganisation, die durch staatliche Moderationsversuche bedingt beeinflusst werden können. Ihr aktueller Bedeutungsgewinn wirkt sich somit auch auf die politische Steuerung innerhalb des parlamentarischen Systems aus. Dies betrifft insbesondere die Zieldimensionen der Bestands- und Leistungsfähigkeit. Sofern staatliche Akteure als Moderatoren auftreten, verfügen sie über ein begrenztes Instrumentarium, um Entwicklung und Ergebnisse einer organisationsund sektorübergreifenden Zusammenarbeit zu steuern. Neben der Schaffung von Anreizen und Kommunikationsplattformen bilden die Evaluierung und Dokumentation von Lernprozessen eine weitere Möglichkeit, um die Zielgenauigkeit von Kooperationen zu erhöhen. Vor allem für herausragende Pilot- oder Leitprojekte, die von einzelnen Bundesministerien oder Bundesbehörden angestoßen und koordiniert werden, existiert in der Regel eine Begleitforschung. Im Rahmen derartiger Begleitforschungen können Erfahrungen bezüglich der Leistungsfähigkeit neuer Kooperationsformen ausgewertet, dokumentiert und verbreitet werden. Die grundsätzliche Problematik besteht dabei darin, dass erst einmal ein Evaluierungsinstrumentarium entwickelt werden muss, das der spezifischen Qualität dieser neuen Projektformen gerecht wird (Kuhlmann: 1998a). Dies setzt wiederum eine gewisse Bestandsfahigkeit, Verbreitung und Differenziertheit voraus, um eine "kritische Masse" verwertbarer Erfahrungen zur Verfügung zu haben.

3. Quantität und Qualität neuer kooperativer Politikformen Die neue Qualität kooperativer Politikformen ergibt sich nicht nur aus der grundsätzlichen Existenz einer organisationsübergreifenden, öffentlich-privaten Zusammenarbeit, sondern aus ihrer rapide zunehmenden Ausdehnung und Häufigkeit. Mittlerweile werden neue kooperative Politikformen auch in Aufgabenfeldern praktiziert, die bis Mitte der 1980er Jahre in rein öffentlicher Verantwortung wahrgenommen wurden. Dies gilt insbesondere für den Städtebau, die Wirtschafts- und Technologieförderung, den Telekommunikationsbereich, die Errichtung und Unterhaltung von Verkehrseinrichtungen, die Ver- und Entsorgung sowie die Kultur- und Forschungsförderung und nicht zuletzt die internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit (Entwicklungshilfe) (Budäus: 1998; Gerstlberger: 1999; Hoeppner: 1999). Die deutsche Vereinigung hat die Verbreitung kooperativer Politikformen zusätzlich gefördert. In den neuen Bundesländern reichten die öffentlichen Investitionsmittel für den kurzfristigen Auf- und Ausbau der Infrastruktur nicht aus. Damit wurden neue Finanzierungsmodelle mit privater Beteiligung notwendig. Dies betraf als mittelbare Konsequenz auch die alten Bundesländer, deren Investitionsmittel durch den Finanztransfer in die neuen Länder ebenfalls eingeschränkt worden sind. Als gegenwärtig wichtigste Formen kooperativer Politik sind zu nennen: • Public-Private-Partnerships (PPP), wobei das Spektrum von rein informellen bis hin zu vertraglich geregelten Varianten reicht,

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Regionalkonferenzen, Städtenetzwerke und Informationsverbünde (mit dem Schwerpunkt auf der administrativen Entscheidungsvorbereitung, Information und Kommunikation), • Stadt-Umland-Verbände, Verkehrsverbünde und neuere raumplanerische Instrumente (mit dem Schwerpunkt auf der administrativen Entscheidungsdurchführung) sowie • Modelle direkter Bürgerbeteiligung (lokale Agenda 21, Stadtforen, Mediationsverfahren zur einvernehmlichen Regelung von konflikthaften Planungsprozessen wie z.B. im Fall des Rhein-Main-Flughafens). Während PPP - die projektorientierte Zusammenarbeit öffentlicher und privater Einrichtungen - eine Sammelbezeichnung für sehr unterschiedliche organisatorische Gebilde ist, sind die anderen genannten Formen stärker eingegrenzt: a) Public-Private-Partnerships Der Sammelbegriff PPP, mit dem im Ursprungsland USA vor allem die weitgehend unregulierte bauliche und wirtschaftliche Revitalisierung innerstädtischer Zentren durch private Investoren verbunden wird, umfasst in der deutschen Diskussion eine breite Palette öffentlich-privater Kooperationsbeziehungen. Neben der informellen Abstimmung zwischen Akteuren aus den Bereichen Wirtschaft, Politik und Verwaltung werden auch Gesprächskreise und Foren, gemischtwirtschaftliche Unternehmen sowie unterschiedliche Kontraktbeziehungen als PublicPrivate-Partnerships bezeichnet. Unternehmen werden meist in Form einer GmbH oder AG mit öffentlichen und privaten Gesellschaftern betrieben, bei den Kontrakten dominieren Leasing-, Betreiber- und Konzessionsmodelle, vor allem im Bereich der Ver- und Entsorgung. Darüber hinaus wird diese Bezeichnung auch für institutionalisierte Formen öffentlich-privater Zusammenarbeit auf der nationalen Ebene gebraucht (Naschold u.a.: 1996; Budäus: 1998). Dies gilt insbesondere für die dualen Systeme der beruflichen Bildung und der Abfallwirtschaft oder den Normierungsausschuss, der die DIN-Normen (-> i.E. § 28, IV.) festlegt. In einem weiteren Sinn können auch Innovationssysteme als eine Form von Public-Private-Partnership verstanden werden. Mit diesem Begriff wird das angestrebte Zusammenwirken von Unternehmen, politischen Gremien, Verwaltungen, Verbänden (Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Kammern) sowie Forschungs- und Bildungseinrichtungen bezeichnet. Der Zweck des Zusammenwirkens ist die volkswirtschaftlich bzw. gesellschaftlich anzustrebende Förderung neuer kommerzieller und nicht kommerzieller Produkte, Dienstleistungen, Produktionsprozesse und sozialer Organisationsformen. Unterschieden werden dabei nationale und regionale Innovationssysteme. Während die räumliche Verortung nationaler Innovationssysteme (NIS) durch die Grenzen des Nationalstaates definiert ist, gestaltet sich die Abgrenzung regionaler Innovationssysteme (RIS) problematischer. Sie fallen teilweise mit administrativen Körperschaften wie Regierungspräsidien oder Bezirksregierungen zusammen. Daneben bilden sich jedoch zunehmend auch grenzüberschreitende RIS heraus (Danielzyk/Priebs: 1996; Reger/Hassink: 1997). Dies gilt in der nationalstaatlichen Binnensicht beispielsweise für Agglomerationen wie das bundesländerübergreifende Rhein-Main-Gebiet und in europäischer Hinsicht für Grenzregionen wie "Sar-Lor-Lux" (im Dreiländereck Deutschland, Frankreich und Luxemburg) oder die "Euregio Maas-Rhein" (im Dreiländereck Deutschland, Belgien und Niederlande). Gerade in Bezug auf Innovationssysteme sind die Zieldimensi-

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onen: Bestands- und Leistungsfähigkeit von exemplarischer Bedeutung. Es handelt sich aufgrund der Vielzahl der (potentiellen) Teilnehmer, der vielfältigen Ziele und der dynamischen politisch-ökonomischen Rahmenbedingungen um sehr komplexe und fragile Systeme. Die Evaluierung der Bestands- und Leistungsfähigkeit dieser Systeme ist aufgrund ihrer Komplexität und Fragilität bisher nur in Ansätzen möglich. Gemeinsam ist den vielfältigen Spielarten öffentlich-privater Kooperation, dass aufgrund einer freiwilligen Vereinbarung Ressourcen (Finanzmittel, Personal, Informationen) öffentlicher und privater Organisationen zusammengelegt werden, um einvemehmlich festgelegte Ziele zu erreichen. In Abhängigkeit von dem Grad der Formalisierung der Zusammenarbeit sind die einzubringenden Ressourcen, einzelne (Teil-)Ziele und weitere Modalitäten der Kooperation mehr oder weniger detailliert festgelegt. Bei den stärker formalisierten PPP-Spielarten, wie gemischtwirtschaftlichen Unternehmen und Kontraktbeziehungen, geschieht diese Festlegung durch Gesellschafter-, Leasing- oder Betreiberverträge. In derartigen Verträgen werden in erster Linie finanzielle Rahmenbedingungen, die Zusammensetzung von Gremien (Geschäftsführungen, Vorstände, Aufsichts- oder Beiräte), Geschäftsverteilungspläne sowie der Umgang mit Konfliktsituationen festgelegt. Die wachsende Bedeutung von PPP für die öffentliche Aufgabenerledigung wird durch zahlreiche national und international bedeutsame öffentlich-private Großprojekte, wie die Weltausstellung Expo 2000 in Hannover, das Einkaufszentrum "Centro" in Oberhausen, die angestrebte Neugestaltung von Innenstadt und Hauptbahnhof in Stuttgart oder den geplanten neuen Großflughafen Berlin-Brandenburg, belegt. Daneben werden seit Mitte der 1980er Jahre auch Forschungskooperationen (z.B. zwischen Großkrankenhäusern und Universitäten) sowie kommunale Routineaufgaben vermehrt in öffentlich-privater Zusammenarbeit durchgeführt Beispielsweise wurden im Jahr 1995 in Städten mit mehr als 50.000 Einwohnern bereits 55% der Sport- und Freizeiteinrichtungen sowie 42% des sozialen Wohnungsbaus in Form öffentlich-privater Unternehmen betrieben (Gerstiberger: 1999, S. 151). b) Regionalkonferenzen, Städtenetzwerke und Informationsverbünde In Regionalkonferenzen, mit denen seit Beginn der 1990er Jahre in NordrheinWestfalen experimentiert wird, formulieren Städte, Landkreise, Kammern, regionale Gewerkschaftsgliederungen und teilweise noch weitere Verbände und gesellschaftliche Initiativen mittelfristige regionale Entwicklungskonzepte. Die Entwicklung der Konzepte geschieht auf freiwilliger Basis und bezogen auf die Gebiete der Regierungspräsidien. Diese fungieren dabei als programmatische und organisatorische Koordinationsstellen. Sie verteilen die Gelder, die das Land als Anschubfinanzierung bereit gestellt hat, und übernehmen die Abstimmung der regionalen Entwicklungskonzepte mit den Programmen der verschiedenen Fachministerien. Städtenetzwerke, beispielsweise zwischen München, Augsburg und Ingolstadt, arbeiten nach einem ähnlichen Prinzip. Auch sie dienen der Vorbereitung kommunenübergreifender regionaler Planungen. Daneben bildet der interkommunale Erfahrungsaustausch einen weiteren Schwerpunkt bei der Bildung von Städtenetzwerken. Dies gilt insbesondere für grenzüberschreitende Netzwerke (Danielzyk/Priebs: 1996; Heinze/Voelzkow: 1997).

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Bei behördenübergreifenden Informationsverbünden, wie dem niedersächsischen Umweltinformationssystem, dem bayerischen Agrarinformationssystem oder dem geplanten Informationsverbund Bonn-Berlin, steht die informations- und kommunikationstechnische Vernetzung im Zentrum der Kooperation. Durch die Zusammenarbeit von kommunalen Ämtern sowie Landes- und Bundesbehörden bzw. -ministerien bei der Sammlung, Verarbeitung, Auswertung und Präsentation von Daten können durch Synergieeffekte Ressourcen eingespart und Entscheidungsprozesse beschleunigt werden. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, dass Dienststellen unterschiedlicher Fachbehörden und administrativer Ebenen gleichzeitig auf gemeinsame Informationsbestände zugreifen können. Dadurch werden übergreifende Geschäftsprozesse vereinfacht (Killian/Wind: 1997; Wind: 1999). c) Stadt-Umland-Verbände und neue raumplanerische Instrumente Stadt-Umland-Verbände - vor allem im Ruhrgebiet und den Agglomerationsräumen Rhein-Main, München, Stuttgart, Hannover, Saarbrücken und Halle-Leipzig - zeichnen sich gegenüber den Regionalkonferenzen durch eine höhere rechtliche Verbindlichkeit aus. Die beteiligten Gebietskörperschaften haben diesen Organisationen auf der Basis einer entsprechenden Landesgesetzgebung bestimmte Aufgaben übertragen und sind durch administrative oder parlamentarische Gremien an der Kontrolle der Aufgabendurchfuhrung beteiligt. Die Bandbreite der delegierten Aufgaben hängt stark von regionalen Gegebenheiten ab. Spezielle Verbände (z.B. Zweckverbände für Ver- und Entsorgung) sind auf einen Aufgabenkomplex beschränkt. Umfassende Stadt-Umland-Verbände sind dagegen überwiegend mit unterschiedlichen Planungs- und Entwicklungaufgaben befasst (vor allem Regionalplanung und -marketing, Wirtschaftsförderung, Tourismus, Jugendhilfeplanung). Seltener übernehmen sie auch ausfuhrende Tätigkeiten. Schwerpunkte liegen hier in den Bereichen Abfallwirtschaft und Abwasserentsorgung (Heinz: 1998; Rehfeld/Weibler: 1998). Neue Stadt- und raumplanerische Instrumente erleichtern kooperative Planungsprozesse, an denen unterschiedliche Gebietskörperschaften oder öffentliche und private Organisationen beteiligt sind. Der städtebauliche Vertrag und die modernisierte Vorhaben- und Erschließungsplanung sind dabei die wichtigsten Instrumente. Mit Hilfe derartiger Instrumente kann ein Planungsrahmen geschaffen werden. Dieser ermöglicht sowohl längerfristige Planungssicherheit als auch die Berücksichtigung unterschiedlicher Interessenlagen. Private Unternehmen können auf diese Weise an allen Planungsentscheidungen beteiligt werden, wodurch die Bereitschaft zur Investition in öffentlich-private Gemeinschaftsprojekte gefordert wird. Für Gebietskörperschaften ergibt sich beispielsweise die Möglichkeit, durch die Hinzunahme von Expertenbeiräten spezifische öffentliche Interessen wie den Naturschutz oder die Bewahrung bestimmter urbaner Milieus wahrzunehmen (Heinz/Scholz: 1996, S. 74f.; Gerstiberger 1999, S. 188f.). d) Modelle direkter Bürgerbeteiligung Auf der lokalen Ebene werden die klassischen repräsentativen Abstimmungs- und Wahlmöglichkeiten des parlamentarischen Systems seit Beginn der 1990er Jahre verstärkt durch direkte Beteiligungsmöglichkeiten der Bürger ergänzt. Neben der Einfuhrung von bekannten Instrumenten wie Volksbegehren und -entscheid, der Direktwahl von (Ober-)Bürgermeistern oder Beiräten für verschiedene gesell-

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schaftliche Gruppen in mehreren alten und neuen Bundesländern haben auch zuvor wenig gebräuchliche Beteiligungsmethoden an Bedeutung gewonnen. Die wichtigsten Methoden in diesem Zusammenhang sind Planungszellen oder -Werkstätten sowie Bürgerversammlungen oder -foren (Brandel: 1995; Gessenharter: 1996; Kleger/Fiedler/Kuhle: 1996; i.e. § 7, II. u. III.). Im Rahmen derartiger beteiligungsorientierter Prozesse werden betroffene Bürger(gruppen) frühzeitig in laufende administrative Planungen (z.B. für Verkehrstrassen) oder in die Entwicklung zukunftsorientierter regionaler Leitbilder einbezogen. Auf diese Weise lässt sich die Akzeptanz staatlicher Planwerke vergrößern. Die Wahrscheinlichkeit rechtlicher Auseinandersetzungen oder nicht bedarfsgerechter Planungen wird verringert. Bei Planungsprozessen, die bereits zu Widerständen oder Konflikten gefuhrt haben, finden seit einigen Jahren Experimente mit Mediationsverfahren statt. In solchen Verfahren wird mit Hilfe neutraler Mediatoren versucht, Kompromisse zwischen den unterschiedlichen Konfliktparteien zu erarbeiten. Flächendeckende Anwendung findet die Entwicklung zukunftsorientierter regionaler Leitbilder mit direkter Bürgerbeteiligung im Rahmen der lokalen Agenda 21. Ausgehend von der Schlussresolution des Umweltgipfels der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro im Jahr 1992 werden in deutschen Städten und Gemeinden von Bürgergruppen themenbezogene flächendeckende Zukunftsentwürfe für die langfristige regionale Entwicklung formuliert (—> § 7, III.). Gemäß einer Studie des Deutschen Instituts für Urbanistik aus dem Jahr 1997 haben von 150 Mitgliedsstädten des Deutschen Städtetags (verwertbarer Rücklauf) 113 Städte angegeben, die Entwicklung einer lokalen Agenda 21 als ihre Aufgabe anzusehen. Bei 57 dieser 113 Städte liegt dazu auch ein politischer Beschluss vor, bei 56 Städten befindet sich dieser in Vorbereitung (Stand: November 2000; http://www.difu.de /publikationen/difu-berichte/2_97/artikel07. shtml). Im Rahmen der lokalen Agenda 21 sollen ökonomische, ökologische und soziale Ziele gleichgewichtig berücksichtigt werden. Die Arbeitsergebnisse einzelner zielorientierter Themengruppen (zu Bereichen wie wirtschaftliche Entwicklung, Mobilität, öffentliche Sicherheit, Tourismus, Bildung, Gesundheit etc.) werden zu einer lokalen Agenda zusammengefugt, die dem jeweiligen Kommunalparlament zur Entscheidung vorgelegt wird. Diese direkte Erarbeitung von langfristigen lokalen Leitbildern durch einzelne Bürgergruppen stellt eine qualitative Erweiterung des parlamentarischen Systems auf der kommunalen Ebene dar. Die klassischen Staatsbürgerrechte aktives und passives Wahlrecht werden durch programmatische Kompetenzen ergänzt, die traditionell lediglich von Parteien oder Verbänden wahrgenommen wurden. Die quantitative und qualitative Ausdehnung neuer Formen kooperativer Politik impliziert strukturelle Veränderungen für die öffentliche Aufgabenerledigung. Den Einspar-, Investitions- und Beteiligungsmöglichkeiten, die sich durch die verstärkte Nutzung privater Ressourcen ergeben, steht eine Verlagerung von Entscheidungsprozessen aus parlamentarischen Institutionen gegenüber. Dies betrifft nicht nur die Entscheidungsverfahren, sondern auch die Entscheidungsinhalte. Durch die verstärkte frühzeitige Einbindung privater und gesellschaftlicher Akteure in die Formulierung politischer Projekte ergeben sich häufig neue Politikinhalte, die zu nicht vorhergesehen Entwicklungen aus der Sicht der beteiligten öffentlichen Akteure fuhren können. Beispielsweise kann in lokalen Agenda 21Prozessen das - bisher nicht gelöste - Problem auftreten, dass politische Ziele formuliert werden, die kommunalen Parlamentsbeschlüssen zuwiderlaufen. Eine

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ähnliche Eigendynamik ist immer wieder bei lokalen PPP-Projekten zu beobachten (Heinz/Scholz: 1996; Gerstiberger: 1999). Die Projektinteressen gemischtwirtschaftlicher Verkehrs- oder Städtebaugesellschaften, wie z.B. ein möglichst hohes Miet- oder Gebührenniveau für bestimmte Dienstleistungen, stehen ebenfalls häufig im Widerspruch zu gesamtkommunalen sozialen Zielsetzungen. Dabei besteht eine Wechselwirkung zwischen veränderten Entscheidungsverfahren und -inhalten. Einzelne Bürgergruppen und öffentlich-private Gremien, vor allem Gesellschafterversammlungen und Vorstände gemischtwirtschaftlicher Unternehmen, sowie die sie umgebenden Netzwerke entwickeln sich zu neuen Entscheidungszentren. Dies gilt insbesondere für die kommunale und regionale Ebene, auf der die politischen Entscheidungsträger zu einem beträchtlichen Teil ehrenamtlich arbeiten und daher nur in beschränktem Maße an wissens- und zeitintensiven neuen Entscheidungsprozessen teilnehmen können (McGovern: 1997; Schneider: 1997a; Gerstiberger: 1999, S. 129ff.).

4. Chancen und Risiken neuer Formen kooperativer Politik In letzter Konsequenz ist mit der Verlagerung von Entscheidungsprozessen in neue kooperative Politikformen ein grundlegender Wandel politischer Steuerung (-» § 1 1 , III. u. IV.) verbunden. Die Steuerungsphasen Politikplanung (in öffentlicher Verantwortung), -Vorbereitung (in öffentlicher Verantwortung) und -durchführung (in Teilbereichen, wie der Jugendhilfe oder der Forschungsförderung, in privater Verantwortung), die traditionell als getrennte Bereiche konzipiert waren, werden mehr und mehr miteinander verflochten (vgl. Abb. 1). Traditionelle Konzeption politischer Steuerung Politikplanung

'olitikdurchfiihrung

Politikvorbereitung

Kooperative Konzeption politischer Steuerung Politikplanung

Politikdurchfuhrung Politikvorbereitung

öffentlich

Abb. 1:

privat

Traditionelle und kooperative Konzeption politischer Steuerung

Trotz der Tatsache, dass sich der Großteil der dargestellten Kooperationsprojekte noch im Aufbau befindet und daher eine kritische Masse evaluierbarer Erfahrungen nur bedingt vorliegt, lassen sich auf der Basis einiger vorläufiger empirischer Befunde typische Chancen und Risiken neuer kooperativer Politikformen zu-

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sammenfassen (Bandemer / Blanke / Nullmeier: 1998; Budäus: 1998; Grimmer /Kuhlmann / Meyer-Krahmer: 1999). Basierend auf den grundsätzlich veränderten politischen Steuerungsmöglichkeiten bestehen in verschiedenen Teilbereichen detaillierte Chancen und Risiken. Ihre konkrete Ausformung hängt von der prinzipiellen Form der Kooperation (PPP, Bürgerbeteiligung etc.) und darüber hinaus auch von vielen unterschiedlichen Faktoren ab, die häufig in spezifischen lokalen oder regionalen Gegebenheiten begründet sind. Von besonderer Bedeutung sind dabei die Zahl, der Status und der Informationsstand der beteiligten Akteure, das jeweilige Aufgabengebiet, die Phase der Zusammenarbeit (Anbahnung, Zielformulierung, Vorbereitung, Etablierung, Routinisierung) und Rahmenbedingungen im weiteren Umfeld. Damit sind z.B. die Situation auf bestimmten Märkten (z.B. im Fall von Immobilienprojekten), die Förderung durch öffentliche Finanzmittel oder die allgemeine politische Unterstützung bezeichnet. a) Chancen für das parlamentarische System und die einzelnen Akteure Die intensivierte Nutzung gesellschaftlicher Ressourcen ist die Kernchance neuer kooperativer Politikformen. Der Nutzen für die beteiligten öffentlichen, halböffentlichen und privaten Organisationen besteht dabei in der Stärkung und Verbindung der unterschiedlichen Kernkompetenzen. Mit diesem Begriff sind diejenigen Bereiche mit originären Stärken bzw. Wettbewerbsvorteilen zusammengefasst. Vor allem im Fall von PPP können öffentliche Institutionen Aufgaben, die besonderes betriebswirtschaftliches Know-how erfordern, spezialisierten und erfahrenen Unternehmen, Vereinen oder Initiativen übertragen und somit ihre Ressourcen wirtschaftlicher einsetzen. Für Unternehmen ergibt sich auf diese Weise die Möglichkeit, neue gewinnträchtige Geschäftsfelder in vormaligen Monopolbereichen der öffentlichen Hand zu erschließen (Budäus: 1998). Dies gilt insbesondere für liberalisierte Wirtschaftsbereiche wie Ver- und Entsorgung, Telekommunikation, Verkehr und Gesundheitswesen. Daneben können auch gemeinnützige Organisationen, etwa Wohlfahrtsverbände oder Sportvereine, ihr Tätigkeitsfeld ausweiten. Dies gilt beispielsweise bei der Betreibung von Freizeit- oder Kultureinrichtungen (z.B. Schwimmbäder, Kindertagesstätten, Freizeitzentren). Für private und halb-private Einrichtungen ergibt sich darüber hinaus durch die Zusammenarbeit mit öffentlichen Institutionen die Chance, deren spezifisches Know-how verstärkt in Anspruch zu nehmen. Dabei handelt es sich in erster Linie um rechtliche Kenntnisse: Bau- und Umweltschutzvorschriften, Richtlinien zur Einwerbung von finanziellen Fördermitteln, Planungsgrundlagen wie regionale Raumordnungspläne etc. Auch bei anderen Formen kooperativer Politik werden vormals getrennte Informations- und Wissenbestände zusammengeführt: Zwischen verschiedenen Verwaltungen (Informationsverbünde, Städtenetzwerke, Umlandverbände) oder zwischen einzelnen Bürgergruppen und ihren lokalen Selbstverwaltungsgremien. Im Gegensatz zu den PPPs kommt dabei sozialen und ökologischen Fragen gegenüber ökonomischen Zielen eine größere Bedeutung zu. Neben diesen Synergieeffekten werden auch noch eine ganze Reihe weiterer Chancen mit kooperativen Politikformen verbunden: Durch ihre netzwerkartige Organisation kann das Spektrum der direkt beteiligten Akteure sehr breit gefächert werden. Auch in Projekten, die nicht als Modelle direkter Bürgerbeteiligung angelegt sind, können zusätzlich zu den Kernakteuren betroffene Verbände, Vereine oder Bürgerinitiativen beteiligt werden. Dies gilt insbesondere für Städtebau-

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liehe Großprojekte oder Infrastrukturprojekte, für welche die Bürgerbeteiligung durch Bürgerforen bzw. Beiräte oder Anhörungsverfahren rechtlich institutionalisiert ist. Auf dem Wege einer derart breiten Beteiligung wird frühzeitig die gesellschaftliche Akzeptanz von Kooperationsprojekten gefördert. Dadurch kann die Wahrscheinlichkeit ressourcen- und zeitaufwendiger Konflikte verringert werden (Brandel: 1995; Kleger/Fiedler/Kuhle: 1996). Die zunehmende Vermischung von Politikplanung, -Vorbereitung und -durchfuhrung erscheint daher in diesem Feld nach den bisherigen Erfahrungen als förderungswürdig (Abb. 1). Eine weitere Chance breit angelegter öffentlich-privater Zusammenarbeit und Bürgerbeteiligung besteht - langfristig betrachtet - darin, dass ein Transfer von spezifischem Know-how zwischen den öffentlichen, halb-öffentlichen und privaten Sektoren stattfindet. Betriebswirtschaftliche, rechtliche, soziale, ökologische oder sonstige Kenntnisse (z.B. Verfahren des Projektmanagement) aus gemeinsamen Projekten kommen den beteiligten Akteuren auch in ihren traditionellen Arbeitsbereichen zugute. Insbesondere für öffentliche und halb-öffentliche Akteure wächst im Rahmen ihrer aktuellen Reformbestrebungen die Notwendigkeit, zusätzlich zu anderen Formen von Wissen betriebswirtschaftliches Know-how aufzubauen. Dazu gehören vor allem die Bereiche Controlling und Berichtswesen, Kosten- und Leistungsrechnung sowie moderne Formen der Personalbewirtschaftung. Daneben erweist sich - wenn auch in geringerem Maße - für private Akteure die Kenntnis öffentlicher Planungs- und Genehmigungsverfahren als Wettbewerbsfaktor. Dies gilt insbesondere in Geschäftsfeldern wie der Telekommunikation oder Ver- und Entsorgung. Diese werden trotz der rechtlichen Liberalisierung seit Beginn der 1990er Jahre nach wie vor in hohem Maße durch staatliche Regularien beeinflusst. Einen Spezialfall staatlicher Rahmenbedingungen, der zunehmend mit der Zusammenarbeit öffentlicher und privater Organisationen verknüpft ist, stellt das komplexe System staatlicher Fördermittel und Subventionen dar. Ausgelöst durch die Harmonisierung von Wettbewerbsrichtlinien innerhalb des europäischen Binnenmarktes werden reine Erhaltungssubventionen (etwa in der Landwirtschaft oder der Montanindustrie) mehr und mehr durch aktivierende Fördermittel für sektorübergreifende Initiativen ersetzt. Die Programme der europäischen und nationalen Wirtschafts-, Forschungs- und Technologie- sowie Kulturförderung erhalten so parallel zur Schaffung des europäischen Binnenmarktes verstärkt den Charakter von Anschubfinanzierungen für öffentlich-private Kooperationen. Durch die Kombination öffentlicher und privater Ressourcen mit staatlichen Fördermitteln können Projekte realisiert werden, die weder aufgrund rein staatlicher Kompetenzen noch auf der Basis bereits bestehender Märkte durchfuhrbar sind und dennoch langfristigen Erfolg erwarten lassen. Im Mittelpunkt der Förderung stehen dabei neue wünschenswerte Produkte oder Dienstleistungen, für die erst ein entsprechender Markt aufgebaut werden muss. Beispiele dafür sind die Nutzung regenerativer Energien, die Förderung von Multi-Media-Produkten oder neue soziale Dienstleistungen wie mobile Hilfsdienste (Meyer-Krahmer: 1998; Höppner: 1999). b) Wirtschaftliche, politische und soziale Risiken Die Verbindung zwischen staatlichen Fördermitteln und neuen Kooperationsformen, die häufig eine notwendige Voraussetzung für das Zustandekommen von Projekten darstellt, erweist sich längerfristig oftmals als problematisch. Für viele

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öffentlich-private und öffentlich-öffentliche Kooperationsprojekte stellt das Auslaufen staatlicher Fördermittel, die in der Regel befristet sind, eine Sollbruchstelle dar. Die schrittweise Umstellung der Projektfinanzierung durch den Aufbau eines Marktes oder einer Eigenfinanzierung für das gemeinsam erstellte Produkt gelingt in vielen Fällen nicht (Heinz/Scholz: 1996; Kirsch: 1996; Gerstiberger: 1999). Dieses Basisproblem hängt damit zusammen, dass die Formulierung konkreter Projektziele mit entsprechenden Zeitvorgaben häufig unterbleibt. Es wird durch die Vermischung von Politikvorbereitung und -durchfuhrung noch verstärkt, da fehlende Planungen sich rascher auf die Durchführung auswirken als bei einer strikten Trennung von Planung und Durchfuhrung (vgl. Abb. 1). Durch die stärkere Übertragung von Durchfuhrungskompetenzen auf private Akteure werden darüber hinaus öffentliche Einflussmöglichkeiten nach der Phase der Politikplanung eingeschränkt. Die Gefahr einer öffentlich unkontrollierten bzw. unkontrollierbaren "Eigendynamik" von Kooperationsprojekten wächst damit. Die Wahrscheinlichkeit der unzureichenden Zielplanung nimmt mit der Anzahl der beteiligten Akteure zu. Je mehr unterschiedliche Interessen ausgeglichen werden sollen, desto höher ist das Risiko unklarer Zielbestimmungen (Messner: 1994, S. 566ff.). Das sog. Phänomen der großen Zahl betrifft nach den Phasen der Anbahnung und der Zielformulierung auch die Arbeitsbeziehungen in bereits etablierten Projekten. Technische und organisatorische Abstimmungsprobleme, die sich durch das Zusammenwirken vieler verschiedener Akteure ergeben, werden in sektorübergreifenden Kooperationsprojekten durch das Zusammentreffen unterschiedlicher kultureller Vorstellungen zusätzlich erschwert. Während für öffentliche Akteure die Rechtmäßigkeit der Projektabwicklung einen zentralen Wert darstellt, sind für private Akteure der betriebswirtschaftliche Erfolg (bei PPP-Projekten) oder die Interessen einzelner Bürgergruppen ausschlaggebend. Die unterschiedlichen, teilweise impliziten Zielsysteme werden bei der Vereinbarung einer sektorübergreifenden Kooperation häufig nicht ausreichend berücksichtigt. Umfassende Controlling- und Evaluierungsinstrumente, die eine systematische Erfolgskontrolle unter verschiedenen ökonomischen, politischen und sozialen Gesichtspunkten ermöglichen könnten, sind bisher nur in den seltensten Fällen vorhanden. Dies zeigt sich insbesondere bei der Bewertung von Projektergebnissen. Fehlende gemeinsame Evaluierungskriterien führen zu unterschiedlichen Erfolgseinschätzungen. Dieses Phänomen kann am Beispiel der regionalen Wirtschaftsförderung in den neuen Bundesländern verdeutlicht werden, die aufgrund fehlender öffentlicher Mittel als öffentlich-private Gemeinschaftsinitiative aufgebaut wurde. Sowohl die kurzfristig möglichen strukturpolitischen als auch betriebswirtschaftlichen Effekte wurden regelmäßig überschätzt, da gemeinsame Standards der Erfolgsmessung fehlten (Kistenmacher/Geyer/Hartmann: 1994; Walcha/Hermanns: 1995; Höppner: 1999). Zusätzlich zu den projektinternen Faktoren ergeben sich auch aus dem weiteren Projektumfeld Probleme für Kooperationen, die ebenfalls mit der unzureichenden Entwicklung und Evaluierung gemeinsamer Ziele verbunden sind. Da in den Feldern Wirtschafts-, Technologie- und Innovationsforderung und im gesamten Bereich der direkten Bürgerbeteiligung weder auf nationaler noch auf regionaler Ebene systematische politische Zielkataloge bzw. Erfolgsmaßstäbe bestehen, wird eine Vielzahl sich überschneidender Projekte mit wenig konkretisierten Aufgaben gefördert. So gibt es beispielsweise für Existenzgründer auf lokaler

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oder regionaler Ebene keine zentrale Anlaufstelle, sondern vielfältige dezentrale Beratungsangebote, die meist mit Hilfe der gleichen Förderquellen finanziert werden. Auf diese Weise wird eine unproduktive Konkurrenz zwischen unterschiedlichen dezentralen Kooperationsprojekten gefördert. Dies gilt insbesondere für Projekte mit wenig präzisen Produkten oder Dienstleistungen, wie z.B. Gewerbegebiete, Technologieparks oder Beratungseinrichtungen für Existenzgründer (Gerstiberger: 1999).

II. Systemdenken als analytischer Zugang Die zentralen Fragen nach der Bestands- und Leistungsfähigkeit neuer Formen kooperativer Politik werden über die vorläufigen empirischen Befunde hinaus in allgemeiner Hinsicht in verschiedenen systemtheoretischen Ansätzen behandelt. Demnach werden Kooperationsnetzwerke zwischen unterschiedlichen Akteuren als komplexe und fragile soziale Systeme verstanden. Derartige Systeme bestehen aus verschiedenartigen Elementen oder Aspekten, die durch Wechselwirkungen miteinander verbunden sind. Die wichtigsten System-Elemente sind individuelle Akteure mit ihren jeweiligen Interessen und Wertvorstellungen, Kommunikationsformen sowie individuelle oder kollektive Ressourcen. Die Bestandsfähigkeit eines sozialen Systems hängt damit in einem ersten Zugriff von der Gestaltung der Akteursbeziehungen ab. Sofern kein Zwang für den Zusammenhalt des Systems besteht, müssen diese Beziehungen derart gestaltet werden, dass die Zugehörigkeit für einen ausreichend großen Teil der Akteure als positive Strategie erscheint. Dies setzt voraus, dass Strategien und Logiken der einzelnen Akteure bekannt sind. Darüber hinaus entwickeln soziale Systeme, insbesondere wenn sie über längere Zeiträume hinweg Bestand haben, spezifische kulturelle Prägungen (Ropohl: 1979; S. 35ff.; Göhler: 1994; Gerstlberger/Grimmer/Kneissler: 1997). Derartige kulturelle Prägungen stehen in engem Zusammenhang zur Leistungsfähigkeit sozialer Systeme, d.h. beispielsweise dem betriebswirtschaftlichen Erfolg oder der Durchsetzung politischer Ziele (Schreyögg: 1992; Gerstlberger/Grimmer /Kneissler: 1997). Der Begriff der „Emergenz" beschreibt diesen evolutionären Prozess, der ebenfalls für das Verständnis sozialer Systeme unabdingbar ist (Krohn/Küppers: 1992). Emergenz bedeutet, dass der kulturelle Rahmen eines Einzelsystems mehr ist als die Summe der individuellen Orientierungen und Wertvorstellungen der beteiligten Akteure. Er beinhaltet auch verselbständigte normative Bestandteile, die von einzelnen Akteuren nicht (mehr) bewusst gesteuert werden können und dennoch ihr Handeln mitbestimmen. Derartige Regelwerke sind zu einem kleinen Teil kodifiziert (etwa in Form von Gesetzen, Verträgen, Geschäftsverteilungsplänen, Geschäftsordnungen etc.). Beim Großteil kultureller Regeln handelt es sich jedoch um „ungeschriebene Gesetze", wie z.B. informelle Entscheidungsprozesse oder -hierarchien. Derartige Regeln können die Abstimmung zwischen einzelnen Akteuren dahingehend erleichtern, dass gleichgerichtetes Handeln auch ohne Konsultationen möglich ist. Sie können jedoch auch Veränderungen oder Innovationen erschweren oder verhindern, welche die Leistungsfähigkeit eines Systems erhöhen würden (-»II.2.). Neben den bisher genannten Binnen-Aspekten eines Systems beeinflussen auch spezifische Umweltbedingungen seine besondere Ausprägung. Der Zugang zu

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Ressourcen (Informationen, Marktbedingungen, öffentliche Fördermittel), rechtliche Beschränkungen und Kommunikationsbeziehungen zu externen Akteuren konstituieren einen weiteren materiellen Rahmen für die Ausgestaltung sozialer Systeme. Zu den Umweltbedingungen im weiteren Sinn sind auch die gesellschaftlichen Erwartungen zu rechnen, die an bestimmte Teil-Systeme gerichtet werden (Meyer/Rowan: 1977; Meyer/Scott: 1985). Von Bildungseinrichtungen wird beispielsweise erwartet, dass sie neben fachlichen Qualifikationen auch grundlegende Kulturtechniken wie soziale Kompetenz vermitteln. Unternehmen sind über ihre Kemfunktion als Produzenten von möglichst hochwertigen und zugleich kostengünstigen Produkten und Dienstleistungen hinaus mit sehr unterschiedlichen Erwartungen konfrontiert: Sie sollen zur allgemeinen Aus- und Weiterbildung der Beschäftigten beitragen, soziale und kulturelle Initiativen unterstützen oder dem Erhalt der natürlichen Umwelt Rechnung tragen.

1. Organisationstheoretische Perspektiven für die Bestands- und Leistungsfähigkeit sozialer Systeme Auf das komplexe Zusammenspiel von Binnen-Elementen mit kulturellen Bedingungen und Umwelteinflüssen in sozialen Systemen ist der Fokus neuerer organisationstheoretischer Ansätze gerichtet. Ihre gemeinsamen Wurzeln liegen in einer sozialwissenschaftlichen Systemperspektive. Konzepte wie der Aspekt-SystemAnsatz, der Situationsansatz (auch Kontingenztheorie), die Institutionelle Theorie der Organisation sowie der Einbettungsansatz der Wirtschaftssoziologie erklären die Bestands- und Leistungsfähigkeit komplexer Systeme mit Hilfe des Zusammenspiels unterschiedlicher Handlungsrahmen. Verschiedene - häufig auch gegenläufige - Umwelteinflüsse oder -anforderungen konfrontieren die Akteure in Organisationen bzw. sozialen Systemen mit vielfältigen und sich permanent verändernden Entscheidungssituationen (Meyer/Rowan: 1977; Granovetter/Swedberg: 1992; Kieser: 1993; Hübner: 1996, S. 151ff.). Bestands- und Leistungsfähigkeit eines sozialen Systems hängen angesichts dieser komplexen Entscheidungssituationen von der ressourcenschonenden und umweltorientierten Entscheidungskoordination ab. In organisationstheoretischer Hinsicht können zwei grundsätzliche Formen der Koordination komplexer Entscheidungssituationen unterschieden werden: 1. Die Handlungsrahmen einzelner Akteure oder Akteursgruppen werden harmonisiert: Eine starke akteursübergreifende kulturelle Orientierung oder intensive informelle Beziehungen erleichtern ein abgestimmtes Handeln der einzelnen Akteure ohne aufwendige, formalisierte Entscheidungshierarchien (May: 1997). 2. Unterschiedliche Handlungsrahmen werden nur lose miteinander verkoppelt: Einzelne Teilsysteme, Akteursgruppen oder Akteure erhalten ein Ausmaß an Autonomie, so dass sie selbständig Umweltanforderungen bearbeiten können, ohne sich mit anderen Teilsystemen oder Akteuren abstimmen zu müssen (Orton/Weick: 1990); verglichen mit hierarchischen Organisationen bestehen dabei nur wenige Kontakte zwischen einzelnen Teilsystemen oder dezentralen und zentralen Bereichen eines Systems. Die Alternative - (3) Nicht-Koordination - zu diesen grundsätzlichen theoretischen Lösungsansätzen im Umgang mit Komplexität in nicht hierarchischen

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sozialen Systemen besteht darin, dass für einzelne Akteure konfligierende Handlungsrahmen entstehen. Diese erschweren oder verhindern eindeutige Entscheidungen. Während die Schwierigkeiten der Nicht-Koordination kurzfristig in Form von Entscheidungskonflikten und wenig zielgenauen Entscheidungen deutlich werden, sind die Problematiken der übergreifenden kulturellen Orientierung und der losen Kopplung einzelner Teilsysteme bzw. Akteure weniger offenkundig.

2. Problematiken unterschiedlicher Handlungsrahmen in sozialen Systemen Enge systemübergreifende kulturelle Orientierungen entstehen meist nicht kurzfristig. Stattdessen ist häufig ein langer zeitlicher Vorlauf notwendig, damit sich gemeinsame Wertvorstellungen oder Grundorientierungen in einem sozialen System durchsetzen können. Diese lange zeitliche Perspektive ist für interorganisatorische Kooperationen, von denen in der Regel kurzfristige Leistungsfähigkeit erwartet wird, häufig nicht gegeben. Daneben können sich die Vorteile enger kultureller Bindungen in das Gegenteil für ein soziales System verkehren, falls dadurch Umweltveränderungen nicht oder nicht rechtzeitig wahrgenommen werden. Klassische Beispiele für dieses Phänomen sind traditionelle korporatistische Netzwerke in altindustrialisierten Regionen (z.B. dem Saar- oder Ruhrgebiet) zwischen Repräsentanten von Großindustrie, Gewerkschaften und Politik, die aufgrund der starken Abschottung der Produktionsbedingungen gegenüber Umwelteinflüssen wirtschaftliche Strukturen konservierten, welche nicht mehr wettbewerbsfähig waren (Grabher: 1993). Eine ähnliche Problematik kann längerfristig bei lose gekoppelten Systemen auftreten. Durch die weitgehende Autonomie der einzelnen Teilsysteme bzw. Akteure in derartigen Systemen besteht das Risiko, dass strategisch bedeutsame Umweltentwicklungen - die vom Gesamtsystem wahrgenommen oder bearbeitet werden müssten - nicht dorthin weitergeleitet werden. Über einen zu geringen Informationsfluss hinaus ist die Möglichkeit einer Auseinanderentwicklung oder unproduktiven Konkurrenz der einzelnen Teilsysteme gegeben, die den Zusammenhalt des Gesamtsystems zu gefährden droht. Diese unbeabsichtigte Konsequenz einer verstärkten Dezentralisierung konnte beispielsweise bei der Einführung des Profit-Center-Prinzips in Unternehmen in den 1980er Jahren und der dezentralen Resourcenverantwortung in Verwaltungen in den 1990er Jahren empirisch nachgewiesen werden. Der Abbau von Hierarchien und die Stärkung dezentraler Kompetenzen führten bei privaten wie öffentlichen Organisationen zu einer sehr ungleichmäßigen Entwicklung einzelner Teilsysteme. Während Bereiche mit vielen Kundenkontakten - wie Außendienste oder Servicecenter - einen Aufschwung erlebten, wurden systeminterne Dienstleister in Umfang und Bedeutung reduziert. In diesem Prozess wurde in nachgelagerten Bereichen - z.B. im Sicherheits- und Qualitätsmanagement - teilweise auch langfristig wichtiges Know-how abgebaut oder ausgelagert. Derartiges Know-how kann nur mit großen Anstrengungen wieder aufgebaut werden (Kieser/Kubicek: 3 1992: 134f.; Gerstlberger/Kneissler: 1998). Insbesondere solche nicht intendierte Konsequenzen bei dem Austausch zwischen komplexen sozialen Systeme und ihren Umwelten, wie sie in organisationstheoretischen Ansätzen untersucht werden, spielen auch für die Analyse und Gestaltung von Innovationssystemen eine besondere Rolle.

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3. Innovationssysteme als exemplarisches Untersuchungsfeld

Die Bedeutung systemischer organisationstheoretischer Ansätze für das Verständnis neuer kooperativer Politikformen lässt sich am Beispiel von Innovationssystemen verdeutlichen. Innovationssysteme sind dadurch gekennzeichnet, dass die unterschiedlichen Einzelinteressen und Ressourcen vieler öffentlicher, halböffentlicher und privater Akteure auf gemeinsame Ziele hin ausgerichtet werden sollen. Diese Ziele bestehen in der Schaffung volkswirtschaftlich bzw. gesellschaftlich wünschenswerter Produkte, Dienstleistungen, Produktionsverfahren oder sozialer Organisationsformen. Durch die 1) große Zahl der beteiligten Akteure sowie die 2) wenig konkreten gemeinsamen Zielvorstellungen und 3) gesellschaftlichen Erwartungen sind ihrer Bestands- und Leistungsfähigkeit enge Grenzen gesetzt.

Für die empirische Analyse und Gestaltung von Innovationssystemen sind daher bisher noch weitgehend offene Fragen von zentraler Bedeutung nach: • der grundsätzlichen Steuerbarkeit von Innovationen in komplexen Akteursnetzwerken, • dem Zusammenhang von Bestands- und Leistungsfähigkeit, • der Qualität von Innovationen (in Bezug auf die intendierten und nicht intendierten ökonomischen, sozialen und politischen Konsequenzen technischer Innovationen), • der Bedeutung kultureller Orientierungen für die Entstehung von Innovationen und den Möglichkeiten ihrer Beeinflussung, sowie • prinzipiellen Interessenüberschneidungen oder -gegensätzen zwischen verschiedenen Teilsystemen und Akteuren.

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Der Zusammenhang zwischen diesen zentralen (Teil-)Fragen wird anhand des Zusammenspiels unterschiedlicher Handlungsrahmen in Abb. 1 verdeutlich. Die Zergliederung dynamischer und komplexer Prozesse in unterschiedliche Aspekte oder Handlungsrahmen, die den systemischen sozialwissenschaftlichen Ansätzen zugrunde liegt, ermöglicht eine schrittweise Analyse und Gestaltung von Innovationssystemen. Zentrale Aspekt-Systeme, die dabei einbezogen werden müssen, können folgendermaßen zusammengefasst werden (vgl. Abb. 2): • das Ressourcensystem umfasst die Ressourcen (Finanzmittel, Know-how, Infrastruktureinrichtungen etc.) der beteiligten Akteure, die sie als Personen und Vertreter ihrer jeweiligen Organisationen einfließen lassen; es bestimmt damit den materiellen Handlungsrahmen der einzelnen einbezogenen Akteure; • das Interessensystem bezieht sich auf die individuellen Ziele der beteiligten Akteure und Institutionen, die durch den Einsatz der jeweiligen Ressourcen erreicht werden sollen; diese individuellen Ziele können sich von den gemeinsamen Zielen in einem Innovationssystem unterscheiden: Während beispielsweise Investitionen in das Bildungssystem insgesamt im Interesse der involvierten Akteure liegen, ist die Finanzierung von entsprechenden Bildungseinrichtungen häufig ungleichmäßig auf verschiedene Institutionen verteilt; • für das Zielsystem - als akteursübergreifender Handlungsrahmen - sind die gemeinsamen Interessen entscheidend, für deren Erreichung die einzelnen Akteure bereit sind, Ressourcen zusammenzulegen und Informationen auszutauschen; • dem Informations- und Kommunikationssystem ist der Handlungsrahmen für den Austausch von Wissen, Ideen und Daten zwischen den einzelnen Akteuren im Binnenverhältnis sowie zwischen System und Umwelt zuzuordnen; hierzu gehören auch informations- und kommunikationstechnische Hilfsmittel wie EDV-Netzwerke; • das Bildungs- und Forschungssystem stellt den Handlungsrahmen dar, in dem Humanvermögen (Fürst: 1997) aufgebaut wird: Aus-, Fort- und Weiterbildung bilden die Basis für den Aufbau eines lokalen Arbeitskräfte- und Unternehmerpotentials sowie für die Entwicklung und Anwendung von Innovationen (etwa im Rahmen von Existenzgründungen); • das Sozialsystem umfasst die Gesamtheit der sozialen Qualifikationen (Sozialkompetenzen, Kommunikationsbeziehungen etc.) und sozialen Einrichtungen, welche Voraussetzungen dafür sind, dass die fachlich-technische Qualifikationen aus dem Bildungssystem entsprechend den jeweiligen soziokulturellen Gegebenheiten innerhalb eines Innovationssystems realisiert werden können; • den weiteren Handlungsrahmen bildet das kulturelle System, das aufgrund der Wertvorstellungen der einzelnen Akteure und der intersubjektiven Verhaltensnormen entsteht; spezifische Unternehmens-, wissenschafts- oder staatsorientierte Werthaltungen müssen innerhalb dieses Rahmens mit übergreifenden Zielvorstellungen - etwa der Förderung eines nationalen oder regionalen Innovationsklimas - verbunden werden, um eine langfristige Abstimmung der verschiedenen Teilinteressen zu erreichen; • das Raumsystem bezieht sich auf den geographischen Handlungsrahmen der gemeinsamen Innovationsbemühungen von Unternehmen, politischen Gre-

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mien, öffentlichen Verwaltungen, Verbänden sowie Bildungs- und Forschungseinrichtungen; die Bedingungen für Innovationen auf nationaler Ebene unterscheiden sich von denjenigen auf regionaler Ebene dadurch, dass "face-to-face-Kontakte" (persönliche, häufig auch informelle Beziehungen, die eine wichtige Rolle für die Initiierung gemeinsamer Projekte spielen) zwischen Akteuren aus unterschiedlichen Bereichen häufiger und einfacher möglich sind; • mit dem Umweltsystem sind die Handlungsrahmen für Austauschbeziehungen zwischen Innovationssystem und externen Akteuren verknüpft; neben dem materiellen Austausch von Ressourcen gehören dazu auch gesellschaftliche Erwartungen, die dem Handeln der beteiligten öffentlichen und privaten Organisationen entgegen gebracht werden; da Innovationssysteme in der Regel mit öffentlichen Subventionen (staatliche Forschungsforderung, Fördermittel für kleine und mittlere Unternehmen etc.) verknüpft sind, besteht z.B. in parlamentarischen Gremien, Medien oder Verbänden - die öffentliche Erwartung, dass bestimmte Ergebnisse wie wirtschaftliches Wachstum, steigende Beschäftigung sowie Fortschritte in sozialer und ökologischer Hinsicht erzielt werden. Ein erster Problembereich (I.) in der Analyse und Gestaltung dieser unterschiedlichen Aspekte von Innovationssystemen ist die geographische und akteursbezogene Abgrenzung. Innovationssysteme bestehen immer weniger aus (rein) nationalen oder lokalen Akteuren (vgl. Abb. 3). Neben supra-nationalen Administrationen (EU, GATT, Weltbank; s.a. —> § 17, III.) beeinflusst auch die zunehmende Internationalisierung der Unternehmen die NIS. Internationalisierte Unternehmen sind an mehreren NIS beteiligt, wodurch die Loyalität zu einem System begrenzt ist (Blättel-Mink: 1995). Was die Zugehörigkeit einzelner Akteure zu Innovationssystemen angeht, ist darüber hinaus die rein geographische Verortung kein ausreichendes Kriterium. Nicht jede Organisation innerhalb des geographischen Einzugsbereichs eines Innovationssystems ist bereit oder in der Lage, aktiv Ressourcen für dessen Entwicklung zu erbringen. Diese Einschränkung betrifft naturgemäß in höherem Maße private Unternehmen als öffentliche Organisationen, die in der Regel auf ein bestimmtes Territorium hin ausgerichtet sind. Dies wird bereits in der Bezeichnung Gebietskörperschaft deutlich. Die territoriale Bindung der Gebietskörperschaften wird allerdings seit einigen Jahren in der kommunalen Praxis in Frage gestellt, ohne dass bisher eine rechtliche Anpassung der kommunalen Wirtschaftsgesetze erfolgt ist (Budäus: 1998). Vor allem ausgegliederte Ver- und Entsorgungsunternehmen der Großstädte nehmen zunehmend exterritoriale Interessen wahr, in dem sie sich auf dem Wege von Minderheitsbeteiligungen oder Joint Ventures in verschiedenen in- und ausländischen Regionen wirtschaftlich betätigen. Ein zweiter Problembereich (II.) besteht darin, dass das gemeinsame Ziel von Innovationssystemen nicht klar umrissen und damit auch die Erfolgsbewertung sehr schwierig ist. Während in einem engen Innovationsverständnis die Häufigkeit ökonomisch-technischer Innovationen - die nicht unbedingt mit ökonomischem Erfolg einhergeht - mit Hilfe von Indikatoren wie Ausgaben für Forschung und Entwicklung oder Patentanmeldungen gemessen werden kann, ist die Beurteilung von Innovationen in einem weiter gefassten Verständnis sehr viel schwieriger. Soziale, ökologische oder kulturelle Innovationen, wie sie z.B. von Non-Profit-Organisationen oder Bildungseinrichtungen entwickelt werden, sind

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mit bisherigen Methoden nicht quantifizierbar. Die wichtigste systematische Quelle zur Erfassung weiter gefasster Innovationen ist das - notwendig subjektive - Wissen einzelner Experten, das z.B. in den sogenannten Delphi-Studien weltweit zur Vorausschau auf zukünftige technologische Anforderungen und Entwicklungen erhoben wird. Auch hier liegt der Schwerpunkt jedoch auf ökonomisch-technischen Innovationen (Brazyk/Cooke/Heidenreich: 1998; Cuhls u.a.: 1998; Hübner/Jahnes: 1998).

Staat

Aufweichung territorialer Grenzen

II.

6

neue Anforderungen an Information und Kommunikation

direkte Bürgerbeteiligung; soziale und ökologische Innovationen

Neubestimmung der m . Grenzen zwischen öffentlichem und privatem Sektor

Markt

Abb. 3:

Wesentliche Problembereiche von Innovationssystemen

Als dritter Problembereich ist schließlich die Erklärung von Innovationen in einem umfassenden Sinn zu nennen (III.). Neben dem Zusammenhang zwischen Ressourceneinsatz (Aufwendungen für Forschung und Entwicklung) und Leistungsfähigkeit sind die entscheidenden nicht-ökonomischen Erklärungsfaktoren für Innovationen bisher erst in Ansätzen bekannt. Es besteht die Annahme, die durch eine Reihe lokaler Studien erhärtet wird, dass ein sozio-kulturelles innovatives (regionales) Milieu ein entscheidender Faktor für die Förderung ökonomisch-technischer Innovationen ist (Camagni: 1995). Wesentliche Elemente eines derartigen innovativen Milieus sind: • sog. „Fühlungsvorteile", die - begünstigt durch räumliche Nähe - aufgrund enger und regelmäßiger persönlicher Kontakte zwischen Akteuren aus unterschiedlichen privaten, öffentlichen und halb-öffentlichen Organisationen entstehen; • "die Stärken schwacher Verbindungen", d.h. die Möglichkeiten der Verbreitung innovativer Ideen durch zufällige Begegnungen zwischen Akteuren aus ansonsten getrennten Arbeitsbereichen (Granovetter: 1973); • die öffentliche Förderung von Produktions- oder Dienstleistungs-Clustern aus Großbetrieben, Zulieferern und Forschungseinrichtungen durch entsprechende Infrastruktureinrichtungen (Gewerbe- und Technologieparks, zentrale Verkehrseinrichtungen wie Flughäfen oder Güterverkehrszentren etc.); • das dichte institutionelle Gefüge (Institutional Thickness) in Form von Forschungs- und Bildungseinrichtungen sowie halb-öffentlichen Transfer-Insti-

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tutionen, die als Scharniere zwischen öffentlichem und privatem Sektor wirken (Amin/Thrift: 1994); • ein zentraler Teilbereich dieses dichten institutionellen Gefiiges ist die Personalrekrutierung für den wirtschaftlichen und technischen Führungsnachwuchs, für welche die Gestaltung der Schnittstellen zwischen dem regionalen Bildungs- und Beschäftigungssystem von herausragender Bedeutung ist (Scott: 1993); • gemeinsame kulturelle Grundüberzeugungen, wie der Schutz bestimmter Qualifikationen oder natürlicher Ressourcen, die in von Unsicherheit geprägten Entscheidungssituationen Orientierung bieten; • ein übergreifendes - nicht notwendigerweise kodifiziertes - Leitbild, das wünschenswerte Entwicklungsszenarien für die gesamte Region umfasst und als Orientierungspunkt für die Eliten in Politik, Wirtschaft, Verwaltung und Wissenschaft dient. Diese Charakteristika kennzeichnen Innovationssysteme, die zumindest für einen längeren Zeitraum als Vorbilder erfolgreicher politischer und sozio-ökonomischer Entwicklung fungierten (Genosko: 1996; Hausmann: 1996, S. 129fF.; Gebhardt: 1997). Der Umkehrschluss hat sich jedoch in vielen Fällen, in denen erfolgreiche Vorbilder imitiert wurden, als unwirksam erwiesen. Die additive Einführung der Kennzeichen erfolgreicher Innovationssysteme führte nicht zwangsläufig zu einer innovativen ökonomischen, sozialen oder ökologischen Entwicklung. Vielmehr scheint dafür ein komplexes Zusammenspiel interner und externer Einflussfaktoren notwendig, zu dessen Erklärung unterschiedliche Aspekte oder Handlungsrahmen kooperativer Politiksysteme miteinander verknüpft werden müssen.

III. Regionale Innovationssysteme: Fokus für zentrale Problembereiche kooperativer Politik Die exemplarische Bedeutung regionaler Innovationssysteme hängt damit zusammen, dass sie einen problem-repräsentativen Querschnitt für den gesamten Bereich der neuen Formen kooperativer Politik darstellen. Dabei sind sämtliche typischen Chancen und Risiken dieser neuen Politikformen von Bedeutung. Die Bestands- und Leistungsfähigkeit - wobei hier je nach Akteurssicht sehr unterschiedliche Aspekte hervorgehoben werden - von RIS stehen in Zusammenhang mit • der Koordination einer großen Zahl unterschiedlicher Akteure, • dem Verhältnis zwischen formellen und informellen Entscheidungsprozessen, • der Konkretheit übergreifender politischer Zielsetzungen, • dem Zustand der Controlling- und Evaluierungsinstrumente und • den Bindewirkungen von Regionen weiter kultureller Leitbilder (Brazyk/ Cooke/Heidenreich: 1998). Das Zusammenspiel einer großen Zahl unterschiedlicher öffentlicher und privater Akteure wird auf der regionalen Ebene dadurch erschwert, dass es sich um eine vergleichsweise neue und daher noch wenig strukturierte politische Handlungsebene handelt.

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1. Region als neue Handlungsebene Anders als auf den Handlungsebenen der Kommunen, der Bundesländer oder des Nationalstaates ist die rechtliche und politische Eigenständigkeit des regionalen Raumsystems noch weitgehend ungeklärt. Dem Bedeutungsverlust des Nationalstaates und der Aulwertung der Regionen, die sich im Zuge von ökonomischer bzw. politischer Globalisierung, Europäisierung und Regionalisierung abzeichnen, steht bisher kein adäquater realpolitischer Handlungsrahmen gegenüber. Statt dessen werden derzeit gleichzeitig mehrere konkurrierende Modelle als Rahmen für RIS praktiziert bzw. entwickelt: • In der Außenvertretung der Regionen jenseits der nationalen Ebene fungieren die Bundesländer als Agenturen regionaler Interessenvertretung (Hesse: 1995/96; —» § 6, V.); • verantwortlich für die Erstellung regionaler Planungssysteme, deren rechtliche Verbindlichkeit allerdings regelmäßig durch kommunale Einzelfallentscheidungen beschränkt wird, sind überwiegend (noch) die Regierungspräsidien oder Bezirksregierungen; es sind jedoch derzeit in mehreren Bundesländern Bestrebungen in Gange, Aufgaben der Regierungspräsidien oder Bezirksregierungen den Landkreisen oder einzelnen Landesministerien zu übertragen; • Träger von Einrichtungen der regionalen Wirtschafts-, Technologie- und Arbeitsförderung sind - vor allem in ländlichen Räumen - mehrheitlich die Kommunen, d.h. die Kreise und kreisfreien Städte; • in Urbanen Verdichtungsgebieten (Rhein-Main, Großraum Hannover, Aggregation München-Augsburg-Ingolstadt, Verdichtungsraum Halle-Leipzig etc.) delegieren die Kommunen zunehmend Aufgaben von regionaler Bedeutung, wie z.B. die Betreibung von Nahverkehrssystemen oder die Tourismusförderung, an wiederbelebte oder neu gegründete Stadt-Umland-, Regional- oder Zweckverbände (Heinz: 1998); • als neue Variante für die Entwicklung regionaler Leitprojekte wurden seit Mitte der 1980er Jahre in einigen Bundesländern Regionalkonferenzen (vor allem in Nordrhein-Westfalen) und Städtenetzwerke mit einer eigenständigen Finanzausstattung gegründet ( - » § I.2.). Mit den organisatorischen Abgrenzungsproblemen korrespondieren die divergierenden Finanzierungskonzepte für regionale Institutionen. Da diese Einrichtungen nicht über ein eigenständiges Steuer- oder Gebührenaufkommen verfügen, müssen sie von Kommunen oder Bundesländern mitfinanziert werden. Ihre politische Akzeptanz in den betroffenen Gebietskörperschaften hängt daher davon ab, dass Leistungen erstellt werden, die auf lokaler oder Landesebene nicht erbracht werden können. Der Vielfalt teilweise konkurrierender regionaler Verantwortlichkeiten und Gremien auf der öffentlichen Seite stehen auf der Seite der Unternehmen ähnliche Unsicherheiten bezüglich der Bedeutung der regionalen Ebene gegenüber. Die Kammern als institutionalisierte Interessenvertretungen der Unternehmen beteiligen sich - ebenfalls etwa beginnend Mitte der 1980er Jahre - verstärkt an regionalen Kooperationsprojekten wie z.B. Technologie- und Gründerzentren oder privaten Hochschulen. Dieses Engagement wird jedoch dadurch erschwert, dass die Bezirke der Kammern und die Zuschnitte von Regionalkonferenzen oder Stadt-Umland-Verbänden in den wenigsten Fällen deckungsgleich sind (Hein-

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ze/Voelzkow: 1997; Gerstiberger: 1999). Im Zuge der verstärkten Dezentralisierung von Unternehmensstrukturen in den letzten Jahren bestehen für die Zweigniederlassungen nationaler und multinationaler Konzerne erweiterte Spielräume für die Beteiligung an einer regionalen Zusammenarbeit. Auch für die direkte Teilnahme von Unternehmen an Kooperationsprojekten existieren unterschiedliche räumliche Vorstellungen. Die regionalen Dienstleistungs- bzw. Industrie-Cluster aus Zulieferern, Bildungs- und Forschungseinrichtungen sowie Kunden, die als Umfeld für einzelne Unternehmen interessant sind, „durchschneiden" häufig administrative Grenzen oder decken nur bestimmte Teile von Gebietskörperschaften ab (Hausmann: 1996). Die Entwicklung eines gemeinsamen, kulturellen Zielrahmens wird durch derartige Unscharfen der regionalen Handlungsebene erschwert. Hinzu kommt, dass bisher keine ausreichende Klarheit bei der Unterscheidung zwischen internen und externen Einflussfaktoren für RIS besteht.

2. Interne und externe Einflussfaktoren Die Schwierigkeiten in der definitorischen Abgrenzung von Regionen liegen auch in der engen Verknüpfung von Binnen- und Umweltfaktoren begründet. Dies kann anhand einzelner Aspekt-Systeme, wie z.B. des Bildungswesens, verdeutlicht werden. Da Regionen im Bereich des Bildungswesens nicht über nennenswerte administrative Kompetenzen verfügen - diese liegen im wesentlichen bei den Bundesländern - handelt es sich bei vielen diesbezüglichen Fragen um externe Einflüsse. Beispielsweise werden Entscheidungen über die Ansiedlungen von Hochschulen oder öffentlichen Forschungsinstituten in einer Region nicht auf regionaler Ebene getroffen. Zugleich sind solche externen Entscheidungen jedoch wiederum von regionsinternen Faktoren abhängig. In der Regel ist das Vorhandensein von ausreichenden kooperationsfähigen öffentlichen und privaten Auftraggebern sowie Partnereinrichtungen die Voraussetzung dafür, dass neue Investitionen in der Forschungs- und Bildungslandschaft einer Region getätigt werden (Majer: 1997). Sieht man dementsprechend die Dichte regionaler Forschungseinrichtungen und Hochschulen als Indikator für die Leistungsfähigkeit eines RIS, ist damit die administrative Ebene der Bundesländer automatisch mit angesprochen. Regionen haben demnach nur in begrenztem Maße Einfluss auf die Gestaltung ihres „Humanvermögens". Auch für die Zielsysteme, an denen sich Regionen orientieren können, spielen gleichermaßen interne und externe Einflussfaktoren eine Rolle, wobei ein Kompromiss zwischen beiden Anforderungen beschränkt möglich ist. Regionale Innovationssysteme sind auf zwei Zielsysteme hin ausgerichtet, die (nur) in Teilbereichen Überschneidungen aufweisen. Versuchen, die Integration regionaler Wirtschaftssysteme in globalisierte Märkte zu forcieren, stehen Auf- und Ausbau regionaler Stoffkreisläufe gegenüber (Genosko: 1996; Danielzyk/Deppe/Mose: 1998; Weißner: 1998, S. 34fF.). Das Zielsystem der Weltmarktintegration impliziert die Intensivierung von Kontakten zwischen einer Region und dem Umweltsystem. Wesentliche Instrumente in diesem Zusammenhang sind die Förderung international bedeutsamer Infrastruktureinrichtungen (Großflughäfen, Güterverkehrszentren etc.) oder die Vermarktung einer Region durch internationale Großereignisse wie Weltausstellungen oder Sport- und Kulturveranstaltungen (Häu-

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ßermann/Siebel: 1993). Dem Zielsystem der Stärkung regionaler Stoffkreisläufe liegt die entgegengesetzte Vorstellung zugrunde, dass großräumige interregionale Austauschbeziehungen zugunsten eines kleinräumigen intraregionalen Ressourcentransfers eingeschränkt werden können. Begrenzte Überschneidungsmöglichkeiten zwischen diesen beiden divergierenden Zielsystemen bietet das Konzept der endogenen Potentiale einer Region. Der Kern dieses Konzeptes, dessen Wurzeln in der Entwicklungshilfe bzw. wirtschaftlichen Zusammenarbeit liegen, besteht in der Konzentration auf spezifische regionale Innovationspotentiale. Diese besonderen Potentiale umfassen neben natürlichen Gegebenheiten und den Schwerpunkten der regionalen Wirtschaftstätigkeit auch das „Humanvermögen", also die bereits vorhandenen und entwicklungsfähigen wirtschaftlichen sowie sozialen Qualifikationen (Krätke: 1995, S. 254f.; Fürst: 1997; Hoppe/Voelzkow: 1999, S. 292f.). An diesen endogenen Potentialen setzen regionale Stärken- und Schwächenanalysen mit dem Ziel an, sozio-ökonomische Kompetenzfelder oder Entwicklungs-Cluster herauszuarbeiten. Diese können durch die Bündelung unterschiedlicher öffentlicher und privater Ressourcen als exemplarische Leitprojekte für die gesamte Regionalentwicklung fungieren (Holst/Schnur: 1997). Eine solche Vorgehensweise erlaubt es prinzipiell, sowohl einzelne Aspekte der Weltmarktintegration zu stärken als auch ausgewählte regionale Stoffkreisläufe zu fördern. Dieser Aufbau zweier unterschiedlicher Zielsysteme als getrennter Handlungsrahmen bringt jedoch die typische Problematik lose gekoppelter Systeme mit sich. Wenn zu wenige Berührungspunkte zwischen den beiden Teilsystemen bestehen, ergibt sich die Gefahr des „Auseinanderfallens" des Gesamtsystems und damit des Verzichts auf mögliche Synergieeffekte und Kooperationsgewinne. Die Alternative zu dem Aufbau getrennter, lose gekoppelter Handlungsrahmen besteht in dem Versuch, übergreifende kulturelle Handlungsrahmen in der Form eines regionalen Leitbildes - als Vision für die langfristige regionale Entwicklung - zu fordern. Dabei können grundsätzlich implizite und explizite Formen unterschieden werden. Bei impliziten Formen, wie sie beispielsweise durch familiäre Netzwerke in norditalienischen Regionen (Dei Ottani: 1998) oder durch Absolventen der staatlichen Elitehochschulen in französischen Regionen (Alcouffe/Kephaliacos: 1998) transportiert werden, ergibt sich ein gemeinsamer Handlungsrahmen durch traditionelle Werte auf der Basis ähnlicher Interessenlagen. Explizite, schriftlich fixierte Leitbilder sind demgegenüber Ausdruck organisierter Kommunikation. Durch das bewusste Herausarbeiten gemeinsamer Zielvorstellungen soll ein langfristiger Handlungskorridor vorgezeichnet werden. An diesem können sich Akteure aus unterschiedlichen Bereichen gleichermaßen orientieren. Während die Bindewirkung expliziter Leitbilder oft gering ist, da es sich häufig um allgemein gehaltene Absichtserklärungen handelt, wird impliziten Leitbildern eine sehr viel größere Bindewirkung zugesprochen. Was die Transparenz und damit auch die Möglichkeit einer systematischen, organisierten Förderung angeht, stellt sich das Verhältnis umgekehrt da. Implizite Leitbilder können kaum bewusst gefördert werden; es können höchstens günstige Rahmenbedingungen, wie z.B. Kommunikationsplattformen, geschaffen werden.

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IV. Schlussfolgerungen und offene Fragen Die Abgrenzungs- und Eingrenzungsproblematiken, die exemplarisch für regionale Innovationssysteme dargestellt wurden, betreffen in ähnlicher Weise die neuen Formen kooperativer Politik in ihrer Gesamtheit. Da diese netzwerkartigen Politikformen allesamt unterschiedliche öffentliche sowie private Akteursgruppen mit spezifischen Interessenlagen, Ressourcen, Kommunikationsformen und kulturellen Orientierungen umfassen, ist die Gestaltung gemeinsamer Handlungsrahmen die Voraussetzung für ein abgestimmtes, zielgerichtetes Vorgehen. Bisherige empirische Analysen sektorübergreifender Formen politischer Zusammenarbeit lassen Kompromisse zwischen der losen Kopplung einzelner Teilsysteme und einer übergreifenden kulturellen Orientierung als notwendig erscheinen. Implizite Leitbilder, die auf gemeinsamen Traditionen und vergleichbaren Interessenlagen beruhen und einen relativ weitgesteckten gemeinsamen Handlungskorridor für unterschiedliche öffentliche und private Akteure eröffnen, haben sich dabei als erfolgversprechender erwiesen als künstliche, explizite Leitbilder. Neben der Existenz eines weiteren kulturellen Rahmens ist nach dem derzeitigen Erfahrungsstand die schrittweise administrative Absicherung unverzichtbar für die längerfristige Etablierung kooperativer Politikformen. Während in ihren Anfangsphasen informelle Akteursbeziehungen geeignet sind, um gemeinsame öffentlich-private Projekte auszuloten, zu initiieren und vorzubereiten, bedarf die Etablierung dieser Projekte einer Formalisierung von Kernbereichen der Zusammenarbeit. Schriftlich fixierte Kontrakte, welche Form und Ausmaß der Zusammenlegung von Ressourcen, nachprüfbare Ziele und Konfliktregelungsmechanismen umfassen, erleichtem die Planungs- und Entscheidungssicherheit für alle beteiligten Akteure (Kirsch: 1996; Institut für Unternehmenskybernetik: 1998). Klärungsbedürftig ist demgegenüber die Frage, ab welchem Ausmaß die Formalisierung von Kooperationen insofern kontraproduktiv wird, als notwendige Spielräume für das flexible Umgehen mit veränderten Umwelteinflüssen oder -anforderungen versperrt werden. Soweit die Ergebnisse von sektorübergreifenden Kooperationsprojekten bisher beurteilt werden können, ermöglichen sie durch Synergieeffekte, Erfahrungstransfer und die Verknüpfung unterschiedlicher Kernkompetenzen eine intensivere Nutzung gesellschaftlicher Ressourcen. Voraussetzung ist dabei, dass günstige Rahmenbedingungen gegeben sind. Dies bedeutet, dass im Normalfall eine Anschub- oder Kofinanzierung durch staatliche Fördermittel notwendig ist, um Anreize für die Zusammenarbeit verschiedener öffentlicher und privater Akteure zu schaffen oder den Zeitraum der Entwicklung marktfähiger Produkte bzw. Dienstleistungen Uberbrücken zu helfen. Kooperationen wie regionale Nahverkehrsverbünde, interkommunale Gewerbegebiete, Regionalkonferenzen und organisationsübergreifende lokale Beratungsstellen für Existenzgründer ermöglichen die Schaffung von Infrastruktureinrichtungen, die nicht durch alleiniges Markt- oder Staatshandeln verwirklicht werden können. Sie stellen einen regionalen „Mehrwert" im Sinne von neuen Kommunikationsbeziehungen, Dienstleistungen oder Produkten dar. Weiter klärungsbedürftig ist in diesem Zusammenhang die Frage, wie unproduktive Mitnahmeeffekte - die Inanspruchnahme staatlicher Fördermittel ohne entsprechende Leistungen durch den Empfänger vermieden werden können.

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Umstritten ist schließlich das Spannungsfeld zwischen Projektbezug und sog. ganzheitlichem Vorgehen bei der Gestaltung neuer kooperativer Politikformen. Ein starker Projektbezug, d.h. die Bearbeitung abgegrenzter Einzelthemen oder Einzelvorhaben wie z.B. die Vergabe von regionalen Innovationspreisen oder der Aufbau einzelner regionaler Kreisläufe für die Erstellung und Vermarktung von Handwerksprodukten, ist aufgrund der vergleichsweise klaren Zielsetzungen grundsätzlich erfolgversprechender als ein komplexer, ganzheitlicher Ansatz. Die alleinige Konzentration auf Einzelprojekte bringt jedoch langfristig betrachtet die Risiken einer Zersplitterung der Regionalentwicklung und eines Verlustes übergreifender, strategischer Zielsetzungen mit sich. Falls Einzelprojekte nicht durch Schlüsselakteure - welche die Beachtung übergeordneter (regionaler) Ziele und die Vermittlung im Konfliktfall sicherstellen, - miteinander vernetzt werden, können kurzfristige Projektinteressen übergeordneten Zielen entgegenlaufen. Beispielsweise sind Zielkonflikte zwischen mittelfristigen regionalen Raumordnungsplänen und kurzfristigen, einzelfallbezogenen Änderungen von Bebauungsplänen bei städtebaulichen oder verkehrsbezogenen Großprojekten eher die Regel als die Ausnahme. Erfolgversprechende Konzepte für die Vereinbarkeit unterschiedlicher Ansätze bei der Gestaltung kooperativer Politikformen (Weltmarktintegration versus Förderung geschlossener regionaler Stoffkreisläufe, Leitbildentwicklung und strategische Zielsysteme, projektbezogene versus ganzheitliche Ansätze, Zusammenhang von staatlichen Fördermitteln und dezentraler Kooperation) bieten die nationalen Innovationssysteme kleiner Staaten (Freeman/Lundvall: 1988, Visser/ Hemerijick: 1998; Kanatschnig/Fischbacher/Schmutz: 1999, S. 95ff.). Insbesondere in den Niederlanden, den skandinavischen Ländern, Österreich und der Schweiz, die in den 1980er Jahren ähnliche strukturelle ökonomische und ökologische Probleme aufwiesen wie gegenwärtig die Bundesrepublik Deutschland, sind durch die Verbindung von einzelnen innovativen Leitprojekten und ganzheitlichen Rahmensetzungen zugleich ökologische Belastungen reduziert und neue Beschäftigungsfelder geschaffen worden. Die gezielte staatliche Förderung einzelner regionaler Kompetenzfelder, z.B. die Produktion hochwertiger Lebensmittel oder ressourcenschonende Energietechnik, wurde dabei durch Kompromisse zwischen Regierungen, Arbeitgeberverbänden, Gewerkschaften und Umweltverbänden auf nationaler Ebene abgesichert. Die Ergebnisse dieser Kompromisse waren nationale Umweltpläne sowie strukturelle Reformen der Steuer-, Bildungs- sowie soziale Sicherungssysteme und damit die Kooperationsbereitschaft der öffentlichen und privaten Akteure. Im Zuge dieser Reformen sind in kleinen Staaten bei einer gestiegenen wirtschaftlichen Dynamik die parlamentarischen Gestaltungsspielräume auf nationaler und regionaler Ebene (wieder) vergrößert worden.

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§ 17 Supranationale Einbindungen und internationale Verflechtungen Jürgen Bellers I. Wachsende internationale Verflechtungen und Erosion traditioneller Staatlichkeit - II. Die Funktionen supranationaler und internationaler Organisationen und was in Deutschland verbleibt? - III. Wesentliche Organisationen internationalen Regierens Grundlagenliteratur: Bellers, Jürgen (1990): Geschichte der Außenwirtschaftspolitik der Bundesrepublik Deutschland 1949 - 1989. Münster Berndt, Michael (1997): Deutsche Militärpolitik in der „neuen Weltunordnung". Münster Eberwein, Wolf-Dieter / Kaiser, Karl (1998) (Hg.): Deutschlands neue Außenpolitik. München, Bd. 4 Glöckler-Fuchs, Juliane (1997): Institutionalisierung der europäischen Außenpolitik. München Hartwich, Hans-Hermann / Wewer, Göttrik (1993) (Hg.): Regieren in der Bundesrepublik. Opladen, Bd. V. Thomas, Caroline / Weiner, Klaus-Peter (1993) (Hg.): Auf dem Weg zur Hegemonialmacht?. Köln

I. Wachsende internationale Verflechtungen und Erosion traditioneller Staatlichkeit Das, was vor allem das Staatsrecht eine Zeit als souveränen Staat bezeichnet hat, war wohl zumindest ein auf das 19. und die erste Hälfte des 20. Jhd.s beschränktes Phänomen. Schon im 19. Jhd. waren Staaten in Bündnisse integriert; internationale ideologische Bewegungen und Parteien wirkten von außen ein; die nationalen Währungen waren über den Goldmechanismus von internationalen Kapitalund Warenströmen abhängig. Internationale Kapitalbewegungen erschüttern heute nationale Börsen, ohne dass noch ein Staat dies verhindern könnte oder wollte. Migranten aus aller Welt strömen in die Wohlstandszonen. Die Exportquoten nehmen rapide zu. Gesellschaften sind existentiell auf RohstoffzufUhren angewiesen. Umweltschädlichen Einwirkungen aus dem Ausland kann man nur noch international begegnen. Unter Staatlichkeit sind in diesem Kontext mehr oder weniger verbindliche Regelungsformen in organisatorischer Form zu verstehen, die durch von der Gesellschaft legitimierte und beauftragte Instanzen (Organisation) Probleme lösen oder zu lösen versuchen. So ist der zentrale Gesichtspunkt nicht mehr der Nationalstaat, sondern das zu regelnde Problem. Und dann stellt sich die Frage: Wo tritt das Problem auf? Und auf welcher Ebene (regional, national, supranational, international, global) kann man es am besten oder nur noch lösen.

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Dieses „am besten" ist wichtig. Da das in einigen Bereichen erfolgreich nur noch inter- und supranational erfolgen kann, sind die nationalen Regierungen in wachsendem Maße zu internationaler Kooperation bis zu Souveränitätstransfer auf internationale Organisationen bereit. So ist z.B. eine außenpolitische Initiative der Bundesrepublik heutzutage nur noch durchsetzungsfähig, wenn sie mit den EUund ggf. den NATO-Partnern abgestimmt und evt. auch gemeinsam vorgebracht wird. Das soll im folgenden in seiner Bedeutung fiir das „deutsche" Regierungssystem aufgezeigt werden:

II. Die Funktionen supranationaler und internationaler Organisationen - und was in Deutschland verbleibt? Was sind die Zuständigkeiten, die heute in der Bundesrepublik Deutschland verblieben sind? Bemißt man es im engeren Sinne des vormaligen Souveränitätskonzeptes, so sind es folgende Bereiche, in denen die Bundesrepublik noch selbst entscheiden kann (und hier vor allem auch die Bundesländer): Auf Ebene der Bundesländer: Bildungs- und Hochschulwesen, Presse und Rundfunk, Kulturpolitik, Polizei, Kommunalverfassungsrecht, Regionale Wirtschaftsförderung, Regionale Verkehrspolitik, Verwaltung und Exekution von Landes-, Bundes- und EU-Angelegenheiten (-» §§ 6, 7, 8, 14) Koordination von Bund und Ländern: Kultusminister-, Innenminister-, usw. Konferenzen, Ministerpräsidentenkonferenzen u.a. zum Medienrecht, Städtetag u.ä. (-* §§11,16) Auf Bundesebene: Arbeitsmarktpolitik, Haushaltspolitik, Forschungspolitik, Nationale Verkehrspolitik, Gesundheitswesen, Renten- und Sozialpolitik, Justiz- und Rechtspolitik . (-» §§ 9, 10, 12, 20) Voll oder zumindest weitgehend als europäische Gemeinschaftspolitik auf die Europäische Union sind transferiert worden: EU/EG-Ebene Währungs-, Zins-, Geldmengen-Politik, Agrarpolitik, Außenhandelspolitik (Handelsverträge), Recht der Wirtschaft, insbesondere Regelungen zu einem freien europäischen, Binnenmarkt freier Kapitalverkehr, Niederlassungsfreiheit, Dienstleistungsfreiheit, Freihandel (= freier Warenverkehr in der EU), Rahmenbedingungen des Verkehrsmarktes, Europäische Entwicklungshilfepolitik, Transeuropäische Netze, Umstrukturierung des Kohle- und Stahlsektors (im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft filr Kohle und Stahl - EGKS - als der Teil der EG). Völkerrechtlich gesehen hat der UN-Sicherheitsrat das alleinige Recht, Uber Krieg zu entscheiden. Dem einzelnen Staat bleibt quasi nur ein Notwehrrecht im Falle eines militärischen Angriffes, er muss dann allerdings die UN einschalten. Das Recht zu einem Angriffskrieg, wie es noch unter der Völkerbundssatzung bestand, entfällt. Faktisch fällt die Entscheidung über Krieg und Frieden im europäisch-nordatlantischen Raum heute entweder seitens der UN oder seitens eines der großen Bündnisse, vor allem der NATO. Nur noch die USA können alleine darüber entscheiden. In der Dritten Welt und in Teilen Osteuropas gilt allerdings weiterhin das traditionelle machtpolitische Paradigma. Alle anderen Bereiche werden durch Koordination zwischen nationaler, europäischer und internationaler Ebene organisiert (was natürlich nicht ausschließt, dass

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auch die anderen Politiken europäisch und international koordiniert wird. Dabei wird unterschieden zwischen der Europäischen Union, die im wesentlichen durch Konferenzen der europäischen Regierungschefs nach dem Prinzip einstimmiger Übereinkünfte gesteuert wird, und der Europäischen Gemeinschaft mit den Organen Ministerrat, Kommission und Europäisches Parlament, hier sind in Teilen bereits Mehrheitsentscheidungen möglich. Einzelstaatlich/europäisch/internationale Verflechtungsbereiche sind: • Außenpolitik (Europäische Union) • Verteidigungspolitik (NATO) • Konjunktupolitik (EU/EG, auch z.T. über die Weltwirtschaftsgipfel) • Terrorismusbekämpfung (EU) • Migrations-, Asyl- und Paßpolitik (Europäische Gemeinschaft) • Umweltpolitik (EG, UN) • Steuern (EG) • Wettbewerbs- und Subventionspolitik (EG) • Regionale Wirtschaftsförderung • Zoll- und internationale Wettbewerbspolitik (WTO, s.u.) • Internationale Verschuldung (IWF, s.u.) Selbst in den nationalen Bereichen sind auch internationale Belange von Bedeutung: In der Bildungspolitik wird über die EU und über den Europarat gewährleistet, dass einzelstaatliche Bildungsabschlüsse auch im Kreis der Mitgliedstaaten anerkannt werden, indem u.a. bestimmte Mindeststandards (z.B. eine Mindestsemesterzahl) festgelegt und vereinbart werden. Denn ohne die Möglichkeit, dass z.B. ein ausgebildeter Apotheker aus Deutschland auch mit diesem deutschen Ausbildungsabschluss in Frankreich beispielsweise dort berufstätig werden kann, wäre das Recht der EU-weiten Freizügigkeit für Arbeitskräfte gemäß Art. 39 EG-Vertrag (Amsterdamer Vertrag) nicht realisierbar. Die wechselseitige Anerkennung von Berufsbildungsabschlüssen gilt mittlerweile für eine Vielzahl von Berufen, von den Hebammen bis zu den Rechtsanwälten (wobei es allerdings in einigen EU-Mitgliedstaaten noch den Vorbehalt gibt, dass der jeweilige Bewerber zumindest die Sprache des EU-Staates der Ansiedlung beherrscht). Nach dem im Maastrichter Vertrag vereinbarten Subsidiaritätsprinzip sollen nun allerdings nur die Bereiche in und über die EU geregelt werden, in denen der Regelungsbedarf unabdingbar ist, was begründet werden muss. Es besteht demnach ein Vorrang für die denzentrale Lösung auf einzelstaatlicher oder subnationaler Ebene. III. Wesentliche Organisationen internationalen Regierens 1. Die Europäische Union (EU): Regionalwirtschaftliche und regionalpolitische Verflechtungen des Regierens in Deutschland Der wichtigste Organisation, in welche die Bundesrepublik Deutschland eingegliedert ist, ist die Europäische Union. Die EU ist zunächst 1957 als internationale Organisation (EWG) geschaffen worden - mit gewissen supranationalen, d.h. die Souveränität auf die EWG transferierenden Elementen - , um einen gemeinsamen, durch keine Hemmnisse beeinträchtigten Markt zwischen den sechs Gründungsmitgliedern und eine Zollunion mit freiem Binnenverkehr und ge-

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meinsamen Außenzoll gegenüber Drittstaaten zu errichten. Da dieses Ziel, gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Marktteilnehmer im gesamten EWG-Raum nur unter bestimmten Voraussetzungen zu verwirklichen war, sollten auch bestimmte Bereiche der Sozial- und vor allem der Verkehrspolitik auf gemeinschaftlich europäischer Ebene gestaltet werden, z.B. hinsichtlich gleicher oder zumindest ähnlicher Verkehrstarife, um hier Wettbewerbsverzerrungen zugunsten bestimmter Mitgliedstaaten zu vermeiden. Sozialpolitisch sollte die EWG über einen eigens eingerichteten Sozialfonds aktiv werden, fiir den Fall, dass durch den forcierten Wettbewerb im gemeinsamen Markt wirtschaftliche Umstrukturierungen mit der Folge von Arbeitslosigkeit und Umqualifizierung auftreten. Mit den seinerzeitigen Kolonien Frankreichs und Belgiens wurde eine Freihandelszone vereinbart, die auch schon entwicklungspolitische Elemente enthielt. Ziele waren eine ökonomisch effizientere, weil großräumig und damit arbeitsteiliger organisierte Produktion und eine engere Verflechtung der Staaten, um kriegerische Auseinandersetzungen zu verhindern und um auch außenpolitische gemeinsame Interessen verfolgen zu können. Der Binnenmarkt ist mittlerweile weitgehend realisiert: jeder kann nun seine Versicherung oder sonstige Dienstleistungen und Waren überall in der EU erwerben oder anbieten; jeder kann dort arbeiten, wo er will, (vorausgesetzt, er hat einen Arbeitsplatz). Jeder Unternehmer kann ohne große Komplikationen in der EU einen Betrieb eröffnen. Die Anmeldeformalitäten müssen denen für die jeweiligen Inländer entsprechen (Verbot der Ausländerdiskriminierung). Die Grenzkontrollen wurden im festlandeuropäischen Binnenraum auch im Personenverkehr beseitigt, Steuern und ggf. steuerliche Differenzen bei Lieferungen von einem in einen anderen Mitgliedstaat werden nicht mehr wie zuvor an der Grenze abgeschöpft, sondern werden nun bei Exporten in ein EU-Land im Zielland erhoben. Mehr als 60% der Exporte der Mitgliedstaaten geht in den EU-Raum, bei einer (überdurchschnittlichen) Exportquote von 1/3 des Bruttosozialproduktes, bezogen auf Deutschland, sind damit rd. 20% der warenproduzierenden Wirtschaft mit der EU verbunden. Als Voraussetzung eines funktionierenden Binnenmarktes sind fast in allen gesellschaftlichen Bereichen Regelungen getroffen worden. So wurden und werden in vielen Produktbereichen entweder einheitliche, europaweit gültige Normen geschaffen, oder es werden Nonnen aller EU-Staaten als gleichberechtigt gültig anerkannt - so bei der Festlegung bestimmter Mindestund Sicherheitsstandards. Mitte der 60er Jahre wurden nach heftigen Auseinandersetzungen die Agrarpolitiken der Mitgliedstaaten vergemeinschaft. In Brüssel werden auch sonstige Regelungen für die Agrarproduktion vereinbart, von Programmen für Bergbauern bis zu Lebensmittelsicherheitsbestimmungen - mittlerweile meist mit Mehrheitsentscheidungen im Ministerrat. Das europäische Modell erwies sich als derart attraktiv, dass 1973, 1981, 1986 und 1995 Erweiterungsrunden stattfanden, durch die nun mittlerweile die Zahl der Mitgliedstaaten auf 15 angewachsen ist. Die meisten osteuropäischen Staaten, Zypern und die Türkei sollen folgen. Zu Beginn der 70er Jahre begann eine engere Kooperation der EG-Staaten in der Außenpolitik in Form der EPZ (Europäischen Politischen Zusammenarbeit). Daher wurde über die EPZ ein Informationsund Koordinationsmechanismus zwischen den Außenministerien der EU-Staaten (insbesondere auf höherer Beamtenebene) installiert, mit dem anhand spezifischer Projekte gemeinsame Standpunkte entwickelt worden sind. Mittlerweile ist das System der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) im Maastrichter

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Vertrag von 1994 fest als Teil des europäischen Organisationsgefilges (wenn auch nicht des EG-Vertrages) verankert. Im Vertrag ist auch ausführlich geregelt, wie die europäischen Außenminister im Konsensverfahren ggf. zu gemeinsamen Standpunkten kommen können - und wie dann auf der Basis eines solchen gemeinsamen Standpunktes im Mehrheitsverfahren operativ im einzelnen vorgegangen werden soll. Im Bereich des Umweltschutzes ist grenzüberschreitende Regulation besonders vonnöten, weil sich die Regelungsmaterie, nämlich die Umweltbeeinträchtigung, nicht an nationale Grenzen hält, die vielmehr in die eine oder andere Richtung unbeeinflussbar überschritten werden: Beim Atomunglück in Tschernobyl 1985 wurde eben auch die 2000 km entfernte Bundesrepublik von der radioaktiven Wolke betroffen, und die Bundesregierung reagierte seinerzeit sehr hilflos, weil gegen solche Vorfälle keine Interventionsmöglichkeiten vorhanden sind. Man zog in den 80/90er Jahren den Schluss, vermehrt internationale Vereinbarungen über die Einhaltung von Umweltschutzstandards einzugehen und zu diesem Zweck internationale Organisationen, insbesondere die EG und die UN, einzuschalten sowie seit Öffnung des Ostblocks die Kernkraftwerke dort mit westlichen Finanzen aufzurüsten - quasi präventiv Vorfälle zu verhindern. Die EU ist hierbei für die deutschen Bundesregierungen einerseits Gesetzgeber für umweltpolitische Maßnahmen und andererseits Forum, um die anderen EUStaaten von den hohen deutschen Umweltstandards zu überzeugen. Um diese Aufgaben in der Bundesregierung zu bündeln, wurde als Konsequenz von „Tschernobyl" ein eigenes Bundesumweltministerium gebildet, das über Referate zur Koordination mit relevanten umweltpolitischen Organisationen der internationalen Politik verfügt. Seit 1987, mit der „Einheitlichen Europäischen Akte" ist die EG/EU auch formell mit einer umweltpolitischen Gemeinschaftskompetenz ausgestattet, die die nationalen Kompetenzen zurückdrängt, wenn die EU von ihr Gebrauch macht. In der EU-Kommission zentral zuständig ist die Generaldirektion XI. Dazu kommt noch die Europäische Umweltagentur. Auf EU-Ebene wurden u.a. beschlossen: Emmissionsgrenzen (u.a. für FCKW), eine verpflichtende Umweltverträglichkeitsprüfung für Großprojekte (z.B. Autobahnen); Richtlinien ftlr Kläranlagen.

2. UN und NATO: die global- und regionalmilitärische Verflechtungen des Regierens in Deutschland Die UN ist in ihrer Struktur eine typische internationale Organisation: Sie besteht aus einer Versammlung der Mitgliedstaaten (Generalversammlung), aus einem „Vorstand" (Sicherheitsrat) und aus einem Generalsekretariat. Vertreter von Parlamenten oder gar ein direkt parlamentarisch gewähltes Gremium wie in der EU fehlen. Auch wenn die UN mittlerweile entwicklungs- und wirtschaftspolitische Aufgaben wahrnimmt, steht im Zentrum ihrer Aktivitäten die Friedenssicherung, und zwar nicht nur zwischen Staaten, sondern spätestens seit der Somalia-Intervention von 1992 auch in Bürgerkriegen. Damit wird zwar die UN-Charta sehr extensiv ausgelegt, ist aber mittlerweile allgemein akzeptiertes Völkergewohnheitsrecht. Eng mit dieser inneren Friedenssicherung hängt die weltweite Wahrung der Menschenrechte als Aufgabe der Vereinten Nationen zusammen. Unter diesem Aspekt ist deutsche Sicherheits- und Außenpolitik integriert in eine internationale Abstimmung, und nur in diesem Kontext kann sie sinnvollerweise z.B.

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gegenüber Diktaturen auf Liberalisierungsmaßnahmen drängen. Auch die EG hat eine sog. Politik des Dialoges entwickelt, die Diktaturen „veranlassen" will, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit zu wahren, insbesondere in Schwarzafrika. Allerdings muss vermerkt werden, dass in diesen Fragen noch erheblich weite, nationalstaatliche Spielräume bestehen, vor allem hinsichtlich des Verzichts darauf, Menschenrechte einzuklagen. Das gilt aber nicht für die internationale Verteidigungs- und Sicherheitspolitik. In der Frage von Krieg und Frieden ist die Bundesrepublik zwar weniger in der UN involviert, weil sie als regionale Mittelmacht seit 1945 kaum in kriegerische Ereignisse verwickelt war - höchstens indirekt in den zweiten Golfkrieg, als sie die Alliierten im Rahmen der UN/USAIntervention gegen den Irak finanziell unterstützte. Denn der einzige Krieg, an dem die Bundesrepublik seit 1945 beteiligt war, war der gegen Jugoslawien im Jahre 1999, der von der NATO - faktisch gegen den Willen der UN und gegen die UN-Charta - gefuhrt wurde. Die Vereinten Nationen scheinen also für Deutschland in der Kriegsfrage weitaus weniger bedeutend zu sein als die NATO. Auch die wichtigsten Abrüstungsverhandlungen fanden außerhalb der UN statt. Die Rolle der Bundesrepublik in der UN ist zudem weitaus geringer als in der NATO, wo sie - neben Großbritannien - der Hauptpartner der USA in Europa ist. Daher ist es sinnvoll, im folgenden die Bedeutung der NATO für die Bundesrepublik zu analysieren, in der sie seit 1955 Mitglied ist. Die NATO hat zur wesentlichen Aufgabe die Verteidigung des Bündnisgebietes gegen eine Aggression. Bis zu den 90er Jahren war dies vor allem ein gefürchteter Angriff des kommunistischen Ostblocks. Seitdem sind es vorrangig innenpolitische und zwischenstaatliche regionale Krisen vorrangig in Ost- und Südosteuropa, die als Gefahrenherde angesehen werden. Die deutschen Streitkräfte sind voll in die NATO integriert, vor allem im Kriegsfall. Die militärische Funktion der nationalen Verteidigung ist damit auf die NATO übergegangen. Natürlich muss die Bundesrepublik NATO-Beschlüssen zustimmen, ohne gegen ihren energischen Widerstand kommen hier wohl Entscheidungen nicht zustande. Aber ohne die NATO ist die Bundesrepublik nicht aktionsfähig, zu sehr ist sie in sie integriert und auf sie angewiesen. 3. Internationaler Währungsfonds (IWF), Weltbank. Welthandels-Organisation (WTO, vormals: GATT) und OECD: Weltwirtschaftliche Aspekt des Regierens in Deutschland IWF und Weltbank sind für das Funktionieren des Regierens in Deutschland von Bedeutung, weil beide Organisationenm ehr oder weniger eine Weltschuldenverwaltung (IWF) und Entwicklungsagentur für die armen Staaten dieser Welt (Weltbank) darstellen. Das ist deshalb wichtig, weil der Handels- und Exportstaat Deutschland das Geld für seine Ausfuhren erhalten will - auch von den Schuldnern. Und das erreicht man am besten dadurch, dass man die Schuldner langfristig saniert. Das ist die heutige Aufgabe von IWF und Weltbank. Die ursprüngliche Aufgabe des IWF war die Sicherung des kurzfristigen Zahlungsbilanzausgleichs von in Nöten geratenen Mitgliedstaaten. Ihre zweite Funktion lag in der Kontrolle von Auf- und Abwertungen der nationalen Währungen, allgemein in der Bestimmung der Relation von Währungen untereinander. Diese beiden Funktionen des IWF gerieten mit Zerfall des Dollar-gestützten Bretton-Woods-Weltwährungssystems zu Beginn der 70er Jahre immer mehr in den Hintergrund, da

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nun die meisten Währungen nicht mehr an Paritäten gebunden waren, und da mit der Erdölkrise und der erheblichen Verschuldung von Entwicklungsländern (insbesondere Lateinamerikas) nicht mehr das Problem der kurzfristigen, sondern das der langfristigen und strukturellen Verschuldung in den Vordergrund rückte. Um diese Verschuldungen zu überwinden, entwickelte der IWF - unter maßgeblichem Einfluss der weltwirtschaftsliberal eingestellten USA und der BRD - eine Strategie, die auf die innere Liberalisierung und Entstaatlichung der verschuldeten Ökonomien abstellt, um so einen binnenwirtschaftlichen Wachstumsprozess zu bewirken, der längerfristig durch vermehrte Ausfuhren auch die internationale Verschuldung reduzieren helfen soll. Im IWF wird nach gewichteten Mehrheiten abgestimmt. Dass der deutsche und auch europäische Einfluss im IWF begrenzt ist, zeigte sich im Frühjahr 2000, als die Regierung Schröder ihren sozialdemokratisch orientierten Kandidaten Koch-Weser als Präsidenten des IWF durchsetzen wollte, was am Widerstand der USA scheiterte. Die Weltbank sucht dien Restrukturierungsprozess entwicklungspolitisch durch langfristige Kredite zum Wiederaufbau zu begleiten und abzufedern. Auch hier zählt die Bundesrepublik zu den stimmstärksten Mitgliedsstaaten - gemäß ihrer hohen Kapitalzeichnung. Durch IWF und Weltbank ist ein Teil der deutschen Entwicklungspolitik auf diese Organisationen transferiert worden.

Der GATT-Vertrag (General Agreement on Tariffs and Trade) und World Trade Organization (WTO) Das GATT und heute die Nachfolgeorganisation WTO haben zum zentralen Ziel, den Welthandel zu liberalisieren, von Zöllen (Tarifen) und sonstigen, nicht-tarifären Hemmnissen (z.B. komplizierten Verzollungsverfahren) und Protektionismen im allgemeinen zu befreien, um die Produktion weltweit an dem Ort zu gewährleisten, wo am billigsten produziert werden kann - unabhängig von nationalen Überlegungen. In diesem Bestreben wurden in mehreren Runden die IndustrieZölle mittlerweile auf 6% gesenkt. Nach der Umwandlung des GATT von einem bloßen völkerrechtlichen Vertrag (mit lediglich einem kleinen Sekretariat) in eine internationale Organisation (WTO) mit spezifischer Gerichtsbarkeit und Sanktionen gegen protektionistische Mitglieder hat sich die Organisation vermehrt Handelshemmnissen im internationalen Austausch von Dienstleistungen, Patenten usw. gewidmet. Die Bundesrepublik wirkt hier aktiv mit, da sie als stark exportorientierter Staat an freien Weltmärkten existentiell interessiert ist. Die OECD ist vergleichweise wenig bedeutend, wenn auch in ihren einzelnen Tätigkeiten nicht einflusslos. Ihre Mitglieder sind europäische Staaten (inkl. der Türkei), die USA und Kanada sowie Japan, Australien und Neuseeland. Neben wirtschaftlicher Berichterstattung und Empfehlungen zur ökonomischen Entwicklung der Mitgliedstaaten dient die Organisation vor allem der möglichst informellen, konsensualen, einvernehmlichen Abstimmung wirtschaftspolitischer Maßnahmen der Mitgliedsstaaten. Auf Beamtenebene werden hier vielfältige wirtschaftspolitische Aktivitäten abgestimmt, z.B. die Zinshöhe von Krediten für Entwicklungsländer oder in Exportgeschäften. Dumping-Wettbewerb soll durch gemeinsam vereinbarte Zinskonditionen vermieden werden. Über den der OECD assoziierten Pariser Club wird ein Großteil der Umverschuldungsverhandlungen mit verschuldeten Staaten organisiert. Die Internationale Erdölagentur sorgt für eine gleichmäßige Ölversorgung der OECD-Mitgliedstaaten im Falle von Ölverknappungs- und Ölpreissteigerungskrisen.

4. Kapitel Recht, Verwaltung, Wirtschaft § 18 Rechtsordnung Karlheinz Hösgen I. Grundlagen und Begriffe - II. Geschichte unserer Rechtsordnung: Bürgerliches Recht - III. Die heutige deutsche Rechtsordnung - IV. Die deutsche Rechtsordnung innerhalb Europas - V. Unsere Rechtsordnung auf dem Prüfstand - Justizreform 2000 Grundlagenliteratur: Benda, Ernst / Maihofer, Werner / Vogel, Hans-Jochen ( 2 1995) (Hg.): Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland. Berlin Isensee, Josef / Kirchhof, Paul (1987flf.) (Hg.): Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland. Heidelberg, 7 Bde. Sommer, Gerlinde / Westphalen, Raban Graf von ( 2 2000) (Hg.): Staatsbürgerlexikon. München Tilch, Horst (1992): Deutsches Rechtslexikon. München, 3 Bde.

I. Grundlagen und Begriffe Unter Rechtsordnung versteht man die Gesamtheit der Rechtsnormen einer Rechtsgemeinschaft, die für diese gelten. Eine Rechtsordnung bildet eine in sich geschlossene Einheit; durch sie werden bestimmte Verhaltensgrenzen rechtlich festgelegt. Jedes ihr entsprechende Verhalten wird als rechtmäßig, jedes ihr widersprechende Verhalten als rechtswidrig bezeichnet. Ihre Verwirklichung ist sowohl der Allgemeinheit und ihren Organen als auch dem Einzelnen aufgegeben. Der Einzelne hat sich zur zwangsweisen Durchsetzung seiner behaupteten Rechte der staatlichen Organe (u.a. Justiz) zu bedienen. Das Recht hat weiter die Funktion, dem Einzelnen größtmöglichste Freiheit im Rahmen der Gemeinschaft zu gewähren. Somit bedeutet auch das Recht filr jeden Einzelnen seine Freiheit abzusichern (Mitteis/Lieberich: "1992, S. 498). Jede Rechtsordnung ist in ihre jeweilige Zeit eingebunden, und sie ändert sich damit historisch. Sie unterliegt ständigem Wandel. Innerhalb einer Zeitepoche haben verschiedene Gesellschaften jeweils eigene Rechtsordnungen, so dass unterschiedliche Rechtsordnungen nebeneinander existieren. Das Recht wird angepaßt und verändert sich; es paßt sich dabei sowohl seiner jeweiligen Zeit als auch dem Ort seiner Geltung an (Katz: 141999). Der Begriff der Rechtsordnung unterliegt daher einem historischen Wandel, welcher der Rechtswirklichkeit ständig angepaßt wird und Veränderungen unterworfen ist. Die Rechtswirklichkeit ist zu unterscheiden von der Rechtsordnung. Dies begründet sich damit, dass Veränderung des Rechts eine Reaktion auf Veränderungen der Rechtswirklichkeit sein können (z.B. die dynamische Entwicklung im Umwelt-, Technik- und Europa-

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recht) und daher erst zeitlich später folgen können. Die Rechtswirklichkeit wird dabei von der Rechtspolitik beeinflusst. Rechtspolitik ist ein Teil der Politik insgesamt und bezieht sich vor allen Dingen auf Rechtstatsachen und Rechtswirklichkeit. Voraussetzung jeder Rechtsordnung ist die Abstimmung der unterschiedlichen Normen aufeinander; dieser Vorgang wird auch als „Harmonisierung des Rechts" bezeichnet. Der Wirkungsbereich des Rechts ist das soziale Zusammenleben der Menschen in einer Gemeinschaft. Dabei kommt dem Recht die Aufgabe zu - soweit möglich eine gerechte Ordnung aufzustellen. Dabei sollen die Verhältnisse der Menschen untereinander, die Beziehungen der öffentlichen Hoheitsträger zueinander sowie die Beziehungen zwischen Menschen und staatlichen Institutionen (—» § 4, II.) festgelegt werden (Katz: 141999). Das Recht ist ein Mittel, um dann Gerechtigkeit zu erzeugen. Das Erfordernis einer Rechtsordnung ergibt sich aus der ordnungsund friedensstiftenden Funktion des Rechts. Ziel und Zweck von Recht und einer Rechtsordnung ist zunächst die Friedenssicherung. Die Normen sollen das menschliche Verhalten derart lenken, dass hieraus ein geordnetes Zusammenleben wird. Ein Beispiel hierfür sind die Regelungen des Familienrechts. Recht wird jedoch nur dann tatsächlich wirksam, wenn es befolgt und vollzogen wird. Das materielle Recht bedarf daher auch wiederum Normen der Vollziehung und Vollstreckung. Die Gewährung des Rechts führt nur dann zu einer Rechtswirksamkeit der Normen, wenn deren Erfüllung auch durchgesetzt werden kann. Diese Aufgabe kommt in unserer heutigen Rechtsordnung überwiegend dem Staat zu (-» §§ 5, V.; 15, II.). Die eigene Selbsthilfe zur Durchsetzung des Rechtes ist demgegenüber rudimentär (—» § 1, II.). Ein Rechtsfrieden wird erst dann erreicht, wenn es eine wirksame Ordnung gibt, die durch organisierte (staatliche) Hoheitsgewalt eine verlässliche Durchsetzungschance hat. Ausnahmen von dieser staatlichen Durchsetzung kennt man in der Strafprozessordnung und im Strafgesetzbuch sowie im BGB im Rahmen der Notwehr und Nothilfe sowie bezüglich des Jedermannparagraphen nach § 128 StPO. Die Rechtsordnung verfügt dabei über verschiedene Mechanismen der Rechtsgewährleistung. Diese werden als Sanktionen bezeichnet. Beispiele für Sanktionen sind: • Heranziehen und Erzwingen von Rechtspflichten; z.B. Vollstreckungsmaßnahmen der Gerichtvollzieher aufgrund ausgeklagter und vollstreckbarer Urteile (Titel), Pfändungsmaßnahmen • Strafsanktionen, z. B. Verurteilungen zu Geld- oder Haftstrafen • Erklärung der Nichtigkeit rechtswidriger Akte, z.B. Feststellung der Verfassungswidrigkeit von Gesetzen Grundsätzlich lässt sich eine Rechtsordnung in objektives und subjektives Recht einteilen. Dabei versteht man unter objektivem Recht die Menge aller Rechtsnormen. Das subjektive Recht hingegen ist das persönliche Recht des Einzelnen. Ein daraus resultierender Rechtsanspruch ist eine aus öffentlichen Rechtsnormen abgeleitete Rechtsbefugnis. Rechtsnormen, die das Recht als solches ordnen, werden als materielles Recht bezeichnet, Nonnen, die der Durchsetzung des materiellen Rechts dienen hingegen als subjektives Recht. Neben dem Recht existieren andere Sozialnormen, z. B. der Moral, Ethik, Sitte, Tradition, Brauchtum, Religion etc. Der Unterschied des Rechts zu den übrigen sozialen Ordnungs- und Wertsystemen liegt darin begründet, dass zu den Rechtsnormen die Erzwingbarkeit in Form einer hoheitlich geregelten legalen und legitimen Durchsetzbarkeit

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gehört. Derartige Mechanismen sind bei anderen Sozialnormen nicht vorhanden. Der wesentliche Unterschied von Sozialnormen und Rechtsnormen besteht also darin, dass für Rechtsnormen die Erzwingbarkeit gegeben ist. Eine Schnittmenge zwischen Sozialnormen und Rechtsnormen besteht in unserer Rechtsordnung darin, dass in bestimmten Fällen „Sittengesetze" zu beachten sind. Hierbei handelt es sich um Begriffe wie „Handelssitte", „Verkehrssitte", die „guten Sitten", etc. Auch unbestimmte Rechtsbegriffe wie „Treu und Glauben" (§ 242 BGB) spiegeln derartige Schnittmengen wider, da hierbei das Verhalten eines redlich und anständig denkenden und handelnden Menschen als Verhaltensmaßstab zugrunde gelegt wird.

II. Geschichte unserer Rechtsordnung: Bürgerliches Recht Das heutige deutsche bürgerliche Recht ist im Rahmen der europäischen Rechtsentwicklung aus einer Verschmelzung von römischem und deutschem Recht entstanden (-> §§ 1, II.; 4, III.).Die deutsche Rechtswissenschaft bis zum 19. Jhd.s wurde vom römischen Recht beherrscht. Diese historischen Entwicklungen führten im deutschen Privatrecht später zu unterschiedlichen Rechtsauffassungen bei der Schaffung des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB).

1. Das römische Recht Umfassend haben als einziges Volk die Römer ihr Recht zu einer Rechtswissenschaft erklärt und entwickelt. Die wissenschaftliche Zusammenfassung ihres Rechts erfolgte mehrfach, zuletzt in der Gestalt der Gesetzgebung des oströmischen Kaisers Justinian (Regierungszeit: 527-565). Gestützt auf rechtswissenschaftliche Auffassungen in Beryt und Byzanz (Constantinopel/Istanbul) hat der oströmische Kaiser Justinian aus den Schriften der klassischen römischen Juristen und aus Kaisererlassen ein Gesetzeswerk insgesamt erschaffen, welches Corpus Iuris Civilis genannt wird und im Jahre 533 als Reichsgesetz verkündet wurde. Es bestand aus: • den Institutionen • den Pandekten oder Digesten • dem Codex und • den Novellen. Die „Institutionen" waren ein Lehrbuch mit Gesetzeskraft. Die „Pandekten" stellten das Hauptstück der Gesetzessammlung dar: eine Sammlung von überarbeiteten Auszügen aus den Schriften römischer Juristen. Der „Codex" enthielt eine Sammlung der Kaisererlasse; die „Novellen" waren Gesetze Justinians nach Verkündung des Gesetzgebungswerkes.

2. Das deutsche Recht Das deutsche Recht hat sich im wesentlichen aus deutschem Stammesrecht entwickelt. Seine Fassungen liegen zeitlich später als die des römischen Rechts. Das deutsche Recht weist einige Besonderheiten auf: Seine starke Zersplitterung er-

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klärt sich damit, dass es sich anfänglich überwiegend um Stammesrecht handelte. Aus diesem Grunde ist es stark aufgegliedert. Das Recht der einzelnen Stämme entstand gewohnheitsrechtlich und wurde erst später kodifiziert. Es bildeten sich Rechtskreise des sächsischen Rechts im Norden und des fränkischen Rechts im Süden (-> § 1,1. u. II.). Mit dem Aufkommen der Städte entwickelten sich auch diverse Stadtrechte. Das Recht dieser Zeit wurde im Sachsenspiegel oder dem Schwabenspiegel kodifiziert. Der Sachsenspiegel (1221-1224) wurde von Eike von Repgows zusammengestellt. Er fasste aufgrund verschiedener Quellen das hochmittelalterliche Recht zusammen. Der Sachsenspiegel war und ist eine der bekanntesten historischen deutschen Rechtsquellen. Der Schwabenspiegel entstand erst um 1275 in Augsburg auf der Grundlage des Sachsenspiegels und fand in Oberdeutschland weite Verbreitung. Das Gesetzeswerk Justinians war im 11. Jhd. wiederentdeckt worden. Auf seiner Grundlage entwickelte sich in Oberitalien eine von der Scholastik bestimmte Rechtswissenschaft, die weite Verbreitung erfuhr und nunmehr eine europäische Bedeutung bekommt. Dabei folgten einander zwei wissenschaftliche Richtungen: • die Glossatoren (12./13. Jhd.), deren namhafteste Vertreter Irnerius und Bulgarus waren; • die Postglossatoren (Kommentatoren, 13./14. Jhd.) mit Bartolus und Baldus als ihren bedeutendsten Vertretern. Glossator wird der Verfasser einer Glosse genannt, d. h. einer Worterklärung zu einem bestimmten Text, z. B. zum Corpus Iuris Civilis oder zum Sachsenspiegel. Die deutschen Jurastudenten zog es nach Italien, um das wiederentdeckte römische Recht zu studieren. Auf diese Art und Weise gelangte es nach Deutschland und begann das deutsche Recht zu verdrängen, was angesichts dessen Uneinheitlichkeit und Zersplitterung nicht besonders schwierig war. Zum Ende des 14. Jhd.s entstanden auch in Deutschland Universitäten (v. Westphalen: 1979), an denen das deutsche und das römische Recht gelehrt wurde (Prag 1348; Wien 1366; Heidelberg 1386). Zwar galt das römische Recht gegenüber dem deutschen als subsidiär; aber es verdrängte mehr und mehr die einheimischen Rechtsgrundsätze. Das römische Recht wurde assimiliert. Dieser Vorgang wird als Rezeption bezeichnet. Die Rezeption des römischen Rechts fand ihren äußeren Abschluss im 16. Jhd. Das rezipierte Recht galt dann als Reichsrecht. Neben dem Rechtsrecht wurde von diversen Landesherren Landesrecht geschaffen (-> § 1, II.). Diese Entwicklung wurde durch das Aufkommen des Naturrechts, dessen bedeutsamste deutsche Vertreter Grotius (1583-1645), Pufendorf (1632-1694) und Thomasius (1655-1728) waren, gebremst. Naturrecht ist eine Kategorie der Rechtsphilosophie, die das von Natur aus vorhandene, für alle Menschen geltende und für alle Zeit gültige Recht bezeichnet, das dem positiven, also vom Menschen gesetzten Recht, vorginge (Sommer/Westphalen: 22000, S. 601f.f). Grotius ging davon aus, dass der Mensch von Natur aus eine friedliche und vernünftig geordnete Gemeinschaft mit anderen Menschen brauche und suche. Deshalb zählte er zum Naturrecht alle solche Regeln, die für eine geordnete Gemeinschaft zwingend sind. Eine davon ist noch heute gültig: pacta sunt servanda - Verträge müssen eingehalten werden. Am Ende des Naturrechts mit Ausgang des 18. Jhd. begann die Zeit der landesrechtlichen Kodifikationen. Diese entstanden als Ausdruck des aufgeklärten Absolutismus im Anschluss an die französische Revolution (-> § 1, II. u. III.).

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Die ersten großen neuzeitlichen Kodifikationen bis Ende des 19. Jhd. waren: • das allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten (ALR) von 1794, galt allerdings nur in den östlichen Provinzen, in der Provinz Westfalen, einigen niederrheinischen Kreisen und sonstigen kleinen Teilgebieten Preußens, enthielt 17000 Paragraphen • der Code civil von 1804, galt bis 1900 in allen linksrheinischen Gebieten sowie in den rechtsrheinischen Teilen des ehemaligen Herzogtums Berg • das badische Landrecht von 1809 • das sächsische Bürgerliche Gesetzbuch von 1863 (Kallwas: 161998 S. 21, Kodifikation). Bestrebungen nach einem gesamtdeutschen Gesetzbuch finden sich seit dem 17. Jhd. In der Zeit des Deutschen Bundes (1815-1866) entstanden nunmehr zwei gesamtdeutsche Gesetze: die deutsche Wechselordnung von 1848 und das Allgemeine deutsche Handelsgesetzbuch von 1861. In der Verfassung des Bismarck Reiches gehörte zunächst nur das Handels-, Wechsel- und das Obligationsrecht zur Zuständigkeit der Reichsgesetzgebung. 1874 wurde eine Kommission unter dem Juristen Windscheid zur Schaffung eines einheitlichen bürgerlichen Gesetzbuches eingesetzt. Das gemeine Recht war die Grundlage der Arbeit, sein System und seine Dogmatik beherrschten sie. 1888 wurde der erste Entwurf der „Motive" veröffentlicht. Er fand keine ungeteilte Anerkennung. Kritisiert wurden die doktrinäre Form, die schlechte Sprache, die Überzahl von Verweisungen und die soziale Rückständigkeit. Gegen den zudem stark römisch-rechtlich geprägten Entwurf wandte sich vor allem Otto von Gierke. Aufgrund dieser Stellungnahme zu dem ersten Entwurf arbeitete eine zweite Kommission, zu der jetzt auch Nationalökonomen und Vertreter von Interessengruppen aus dem Bürgertum gehörten, einen weiteren Entwurf aus. Dieser wurde mit Protokollen veröffentlicht. Nach einigen Änderungen durch den Bundesrat legte das Reichsjustizamt den Entwurf mit einer Denkschrift dem Reichstag vor. Nach Sanktion durch den Bundesrat wurde er gegen die Stimmen der Sozialdemokraten angenommen. Am 18.08.1886 vollzog der Kaiser das Gesetz. Am 01.01.1900 trat das BGB in Kraft.

III. Die heutige deutsche Rechtsordnung 1. Verfassungsgrundsätze Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Rechtsstaat, in dem Recht und Gerechtigkeit herrschen. Das Rechtsstaatsprinzip gehört zu den elementaren Prinzipien des Grundgesetzes. „Rechtsstaatlichkeit bedeutet, dass die Ausübung staatlicher Macht nur auf der Grundlage der Verfassung und von formell und materiell verfassungsmäßig erlassenen Gesetzen mit dem Ziel der Gewährleistung von Menschenwürde, Freiheit, Gerechtigkeit und Rechtssicherheit zulässig ist." (Stern: 1980 I; § 5, V.). Weiterhin zählt hierzu das Prinzip der Gewaltenteilung (-> §§ 4, IV.; 8, I.). Die staatliche Gewalt ist unterteilt in Legislative, Exekutive und Judikative. Aus Art. 20 GG lässt sich das Prinzip des Rechtes ableiten, wonach der Vorrang der Verfassung gegenüber dem Gesetz und allen anderen staatlichen Hoheitsakten, den Vorrang des Gesetzes gegenüber vollziehenden und rechtsprechenden Gewalt umfasst und mittelbar auch den Vorbehalt des Gesetzes. Gesi-

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chert wird dies durch die Rechtswegegarantie gemäß Art. 19 Abs. 4 GG. Ein inhaltliches Element des Rechtsstaates ist die Gewährung der Grundrechte (-> § 5, III.). Als weitere Prinzipien im Rahmen des Rechtsstaates sind der Bestimmtheitsgrundsatz der Normen, das gesetzliche Rückwirkungsverbot, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (-> § 19) und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu nennen.

2. Unterteilung des Rechts Grundsätzlich wird das Recht in Privatrecht und öffentliches Recht unterteilt. Die wesentliche Unterscheidung beider Rechtsgebiete ist im Verhältnis der beteiligten Rechtssubjekte zu sehen. Während das öffentliche Recht subordinationsrechtlich geprägt ist, d.h. die Rechtssubjekte stehen in einem Über-Unterordnungsverhältnis zueinander, stehen sich die Beteiligten im Privatrecht gleichrangig gegenüber. Auch Hoheitsträger können sich auf privatrechtlicher Ebene begegnen, entscheidend ist dabei, dass keiner dem anderen übergeordnet ist. a) Privatrecht Das Privatrecht regelt die Rechtsbeziehungen der einzelnen Rechtssubjekte zueinander. Es ist die Gesamtheit aller Rechtssätze, bei denen Berechtigter oder Verpflichteter nicht ausschließlich Träger hoheitlicher Gewalt. Es ist vom Grundsatz der Privatautonomie geprägt. „Privatautonomie ist der Grundsatz, dass der Einzelne berechtigt ist, seine Lebensverhältnisse im Rahmen der Rechtsordnung eigenverantwortlich zu gestalten. Damit ist die Privatautonomie ein Teil des allgemeinen Selbstbestimmungsrechts des Menschen, das durch die Artikel 1 und 2 Grundgesetz geschützt wird. Sie gehört zu den Grundwerten der freiheitlichen Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland. Sie berechtigt zur eigenverantwortlichen Begründung, Änderung und Aufhebung von Rechten und Pflichten. Ihre wichtigsten Erscheinungsformen sind Vereinigungsfreiheit, Vertragsfreiheit, Verfügungsfreiheit und Testierfreiheit." (Köbler: 9 1999) Auch im Zivilverfahren sind verschiedene Grundsätze zu beachten. Unter dem Dispositionsgrundsatz ist die Verfahrensherrschaft der Parteien zu verstehen, d.h. die Parteien bestimmen Beginn, Ende und Gegenstand des Verfahrens. Das Verfahren wird grundsätzlich mündlich, unmittelbar und öffentlich durchgeführt. Die erheblichen Tatsachen und Beweismittel müssen die Parteien selbst beibringen (Beibringungsgrundsatz). Die Parteirechte unterliegen dem Schutz des Grundgesetzes (Artikel 103 Abs. 1 GG). Danach bestehen Ansprüche auf rechtliches Gehör, rechtsstaatliches Verfahren und faires Verfahren. Zum Privatrecht gehören folgende Sachgebiete: (1) Bürgerliches Recht, unterteilt in • Schuldrecht • Sachenrecht • Familienrecht • Erbrecht Das Schuldrecht regelt die privatrechtliche Beziehung zwischen zwei und mehreren Personen. Die einschlägigen Vorschriften sind im wesentlich im 2. Buch des BGB enthalten, werden aber durch zahlreiche Sondergesetze, bzw. das HGB ergänzt. Der wichtigste Entstehungstatbestand des Schuldrechts ist der Vertrag,

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durch den in der Regel ein Schuldverhältnis zwischen den Beteiligten begründet wird; kraft dessen der Gläubiger berechtigt ist, vom Schuldner eine Leistung zu fordern. Das Schuldrecht enthält zudem weitere vertragliche Schuldverhältnisse, das Recht der unerlaubten Handlungen und ungerechtfertigten Bereicherungen. Das Sachenrecht regelt die Rechtsverhältnisse der körperlichen Gegenstände, vereinzelt auch an Rechten in ihrer rechtlichen Zuordnung zu bestimmten Personen. Es ist im wesentlichen im 3. Buch des BGB, aber auch in verschiedenen Nebengesetzen, z.B. Erbbaurechtsverordnung, dem Höferecht, dem Wohnungseigentumsrecht und dem landesrechtlichen Nachbarrecht enthalten. Gegenstand des Sachenrechtes sind neben dem Besitz als rein tatsächliche Sachenschaft die unmittelbaren Rechte an einer Sache. Hierbei handelt es sich um gegenüber jedermann geltende absolute Rechte. Das zentrale dingliche Recht ist das Eigentum. Daneben werden Fragen, des Nießbrauchs, der Pfandrechte, der Dienstbarkeiten der Reallasten, der Grundschulden und Hypotheken, des Eigentumerwerbs und der Grundstücke geregelt. Das Familienrecht ist traditionell die Bezeichnung für das 4. Buch des BGB, das sich mit den Regeln über die Ehe und das Verhältnis der Eheleute zueinander, einschließlich der Scheidung, mit den Fragen des Zugewinnausgleiches, des Unterhaltes, des Versorgungsausgleiches und des Güterstandes sowie der Verwandtschaft und der Rechtsbeziehung zwischen Eltern und Kindern befasst. Zu dem Familienrecht gehören aber auch weitere Nebengesetze, wie das Adoptionsgesetz, Bundeserziehungsgesetz, Bundeskindergeld, Ehegesetz, Familiennamensrechtsgesetz, Mutterschutzgesetz, Personenstandsgesetz. Das Erbrecht umfasst die Vorschriften zur Regelung der vermögensrechtlichen Verhältnisse eines Menschen nach seinem Tode. Es enthält Bestimmungen über den Erbfall und den Übergang des Vermögens auf die Erben. Weiterhin werden die Errichtung von Testamenten, Erbverträgen, Vermächtnisse und Pflichtteilsberechtigungen geregelt. (2) Handels- und Wirtschaftsrecht, unterteilt in • Gesellschaftsrecht • Wertpapierrecht • Bank- und Börsenrecht • Gewerblicher Rechtsschutz • Urheberrecht Das Gesellschaftsrecht ist das Recht von privatrechtlichen Personenvereinigungen, die zur Verwirklichung eines bestimmten Ziels aus freiem Entschluss ihrer Mitglieder durch Gesellschaftsvertrag gegründet ist. Zum Gesellschaftsrecht zählen die Regelungen der Aktiengesellschaften (AktG), der Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) sowie der Genossenschaften (GenG) und das Recht der Personengesellschaften sowie z.B. die Gesellschaft des bürgerlichen Rechts, die offene Handelsgesellschaft, die Kommanditgesellschaft und die stille Gesellschaft, die entweder im BGB oder im HGB geregelt sind. Das Wertpapierrecht umfasst das Recht der Handelspapiere. Zum Wertpapierrecht sind auch die Schecks und Wechsel zu zählen. Unter Bank- und Börsenrecht versteht man die rechtliche Normierung des Bankensystems und des Handels mit Wertpapieren an den Börsen. Dem Bankenrecht unterliegen auch die Sparkassen- und Girozentralen sowie die Kreditgenossenschaften und genossenschaftlichen Zentralbanken.

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Zum gewerblichen Rechtsschutz gehören die Markenrechte und das Recht der Patentsachen. Das Urheberrecht beinhaltet das Recht des geistigen Eigentums. Dies ist nicht nur im Hinblick auf Literatur und Musikstücke zu verstehen, sondern umfasst auch den Schutz des geistigen Eigentums bei den neuen Technologien, z.B. Quellecodes. (3) Arbeitsrecht Das Arbeitsrecht ist die Gesamtheit aller Rechtsvorschriften, die sich auf die Tätigkeit abhängig Beschäftigter beziehen. Das Arbeitsrecht umfasst das Recht der Arbeitsverträge, das Arbeitnehmerschutzrecht, das Tarif- und Arbeitskampfrecht, das Betriebs- und Unternehmensverfassungsrecht und schließlich das Arbeitsverfahrensrecht. Das individuelle Arbeitsrecht beinhaltet im wesentlichen das Arbeitsvertragsrecht mit allen Rechten und Pflichten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Der Schwerpunkt des kollektiven Arbeitsrechts dem Verhältnis von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden bzw. den TarifVertragspartnern. (4) Internationales Privatrecht Das internationale Privatrecht ist die Gesamtheit der Rechtssätze, die festlegen, welche Privatrechtsordnung von mehreren möglichen nationalen Privatrechtsordnungen in einem Kollisionsfall zur Anwendung kommt.Ein Beispielsfall hierfür ist, dass ein deutscher Staatsbürger eine Französin in England heiratet. b) Öffentliches Recht Das öffentlichen Recht umfasst diejenigen Rechtsvorschriften, durch die ausschließlich Träger hoheitlicher Gewalt berechtigt und verpflichtet werden können. Es ist also erforderlich, dass der Träger hoheitlicher Gewalt gerade in dieser Eigenschaft berechtigt und verpflichtet wird. Zum öffentlichen Recht zählen: • Völkerrecht • Staats- und Verfassungsrecht • Verwaltungsrecht • Teile des Kirchenrechts (soweit es sich nicht um eigene Rechtsordnungen der Kirche handelt) • Strafrecht • Gerichtsverfassung • Recht der freiwilligen Gerichtsbarkeit • Finanz- und Abgabenrecht • Sozialrecht • Teile des Arbeitsrechts (siehe oben) Das Völkerrecht regelt die zwischenstaatlichen Beziehungen zwischen den Staaten auf Grund der ihnen zukommenden Souveränität und internationalen Organisationen, soweit diese als Völkerrechtssubjekte angesehen werden. Zum Völkerrecht zählen auch das Kriegsvölkerrecht sowie die einzeln abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträge. Unter Staatsrecht versteht man diejenigen Rechtsnormen des öffentlichen Rechts, welches die grundlegenden Funktionen des Staates in ihrer wesentlichen Organisation und ihrem Grundverhältnis zum Bürger ordnen. Hierzu zählen die Staatsorganisation, Verfassungsprinzipien, Staatsziele und Grundrechte. Da das Staatsrecht dem Inhalt nach die Verfassung des Staates bestimmt, ist es identisch mit dem materiellen Verfassungsrecht. Die zentralen Normen sind in der Verfassung

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niedergelegt. Dies ist das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (-» § 5, I).

Das Verwaltungsrecht lässt sich in das allgemeine Verwaltungsrecht und das besondere Verwaltungsrecht unterteilen (s.a. —> § 19). Das allgemeine Verwaltungsrecht beinhaltet das Verwaltungsverfahrensrecht im weiteren Sinne. Das Verwaltungsverfahrensrecht regelt im wesentlichen den Umgang der Bürger mit den Behörden. Das besondere Verwaltungsrecht regelt zum Teil die rechtlichen Beziehungen zwischen den Bürgern und den staatlichen und kommunalen Behörden und anderen Hoheitsträger. Hierzu zählt das Polizei- und Ordnungsrecht, das öffentliche Baurecht, das Ausländerrecht, das Beamtenrecht, das Wehrrecht, das Umweltrecht, etc. Das Kirchenrecht, soweit es zum öffentlichen Recht gehört, regelt das Verhältnis der Religionsgemeinschaften zum Staat. Zu unterscheiden ist das Staatskirchenrecht vom „internen Kirchenrecht". Von zentraler Bedeutung für das Kirchenrecht ist Art. 140 GG, wonach die das Verhältnis von Kirche und Staat begründenden Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung zum Bestandteil des Grundgesetzes erklärt werden. Unter Strafrecht ist ein Rechtsgebiet zu verstehen, dass das Staatsmonopol zu Strafen sichert. Im Strafgesetzbuch sind Straftatbestände festgelegt, die auch mit verschiedenen Zielrichtungen das zwischenmenschliche Zusammenleben sichern wollen. Geschützt werden neben Leib und Leben auch andere Werte wie Eigentum und die Umwelt. Bei Verstößen gegen das Strafgesetzbuch wird in einem Strafverfahren die Strafaktion festgelegt. Von immer größerer Bedeutung wird auch das internationale Strafrecht, wonach Auslandstaten ohne Rücksicht auf den Tatort bestraft werden können. Die Gerichtsverfassung regelt den Gerichtsaufbau und den Zugang zu den Gerichtsinstanzen sowie deren Zuständigkeiten. Die freiwillige Gerichtsbarkeit ist neben der streitigen Zivilgerichtsbarkeit und der Strafgerichtsbarkeit die dritte Verfahrensart der ordentlichen Gerichtsbarkeit. So richten sich etwa etliche familienrechtliche Angelegenheiten, Wohnungseigentumsstreitigkeiten, Landwirtschaftssachen nach dem Verfahrensrecht der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Auch in Rechtsfiirsorgeangelegenheiten (z.B. Betreuungsangelegenheiten) und Registerangelegenheiten kommt das Recht der freiwilligen Gerichtsbarkeit zur Anwendung. Das Finanz- und Abgabenrecht regelt die Angaben der Finanzverwaltung und der einzelnen Steuerarten sowie deren Erhebung und Ausführung an den Staat. Zum Sozialrecht zählen die Arbeitsförderung, die gemeinsamen Vorschriften für die Sozialversicherung, die Krankenversicherung, die Rentenversicherung, die Unfallversicherung, die Kinder- und Jugendhilfe, die soziale Pflegeversicherung sowie die dazu gehörigen Verwaltungsverfahren und allgemeinen Vorschriften. Zum Sozialrecht zählen aber auch ganz besondere Teile, das Bundesausbildungsförderungsgesetz, das Schwerbehindertengesetz, das Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte, das Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte, das Bundesversorgungsgesetz, das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung, das Bundeskindergeldgesetz, Wohngeldgesetz, das Bundessozialhilfegesetz, das Adoptionsvermittlungsgesetz, das Gesetz über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation, das Unterhaltsvorschussgesetz, das Vorruhestandsgesetz und das Bundeserziehungsgeldgesetz. Das Sozialrecht ver-

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pflichtet also die Sozialleistungsträger zu finanziellen und sonstigen Aufwendungen bei Vorliegen der entsprechenden Anspruchsvoraussetzungen. 3. Gerichtsbarkeit Unter Gerichtsbarkeit ist im weiteren Sinne die auf Verwirklichung der bestehenden Rechtsordnung gerichtete Tätigkeit des Staates zu verstehen. Diese setzt sich aus der Justizverwaltung und der Gerichtsbarkeit im engeren Sinne zusammen. Die Gerichtsbarkeit im engeren Sinne ist die Tätigkeit der Gerichte bei der Rechtsanwendung im Einzelfall, mithin die richterliche bez. rechtsprechende Gewalt. Sie kann einerseits in die streitige und die freiwillige Gerichtsbarkeit unterteilt werden, andererseits in die ordentliche und die sonstige Gerichtsbarkeit. Die freiwillige Gerichtsbarkeit ist die staatliche Organisation und das staatliche Verfahren zur Hilfe in privatrechtlichen Angelegenheiten, bei denen es sich meist nicht um die zwangsweise Durchsetzung eines privatrechtlichen Anspruches handelt, sondern um Tätigkeiten im Rahmen der vorbeugenden Rechtspflege. Es gilt das Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG). Zur Zuständigkeit der freiwilligen Gerichtsbarkeit gehören sachlich vor allem Vormundschaftssachen, Familiensachen, Betreuungssachen, Unterbringungssachen, Nachlaßsachen, Grundbuchsachen und Registersachen. Eingangsgericht ist das Amtsgericht. Ordentliche Gerichtsbarkeit ist die nach dem Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) bestehende Gerichtsbarkeit in Zivil- und Strafsachen. Der Begriff „ordentliche" Gerichtsbarkeit ergibt sich daraus, dass im letzten Jhd. noch ein großer Teil der Rechtsprechung der Verwaltung zugehörig war. Die übrige Rechtsprechung wurde durch sog. ordentliche Gerichte ausgeführt. Der Gerichtszweig wurde dann als ordentliche Gerichtsbarkeit bezeichnet. Die streitige Gerichtsbarkeit besteht im Unterschied zur freiwilligen Gerichtsbarkeit und gliedert sich in verschiedene Gerichtszweige. Die deutsche Gerichtsbarkeit unterteilt sich somit grundsätzlich in 5 Gerichtszweige: • Ordentliche Gerichtsbarkeit • Verwaltungsgerichtsbarkeit • Finanzgerichtsbarkeit • Arbeitsgerichtsbarkeit • Sozialgerichtsbarkeit Die ordentliche Gerichtsbarkeit unterteilt sich in Gerichte der Länder und solche des Bundes. Insgesamt besteht ein Gerichtsaufbau mit vier Instanzen: • Amtsgericht • Landgericht • Oberlandesgericht • Bundesgerichtshof Zu den Gerichten der Länder gehören die Amtsgerichte, die Landgerichte und die Oberlandesgerichte; darüber steht der Bundesgerichtshof als Bundesgericht. Die ordentliche Gerichtsbarkeit ist in Strafgerichte und in Zivilgerichte unterteilt. Die erstinstanzliche Zuständigkeit des Amtsgerichts richtet sich in Zivilsachen grundsätzlich nach dem Streitwert: Erst ab einem Streitwert von 10.000 DM wird eine erstinstanzliche Zuständigkeit der Landgerichte begründet (§ 23 GVG). In Familiensachen, Mahnsachen, Vollstreckungssachen und Angelegenheiten der

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freiwilligen Gerichtsbarkeit ist stets das Amtsgericht erstinstanzlich zuständig (§ 23 a ff GVG). In Strafsachen richtet sich die Zuständigkeit der Amts- oder Landgerichte nach der Schwere der zu erwartenden Verurteilung. Bis zu einer voraussichtlichen Verurteilung von 4 Jahren sind gemäß § 24 GVG die Amtsgerichte erstinstanzlich zuständig, soweit die Sachen nicht dem Landgericht ausdrücklich zugewiesen sind. Die Landgerichte sind in Zivilsachen ab einem Streitwert von 10.000 DM erstinstanzlich zuständig. Ansonsten sind sie Berufungsinstanz der Amtsgerichte in den übrigen Sachen. Wird in Strafsachen eine höhere Verurteilung als 4 Jahre erwartet oder liegt eine ausdrückliche Zuweisung vor, sind die Landgerichte erstinstanzlich zuständig, ansonsten sind sie Berufungsinstanz. Die Oberlandesgerichte sind Berufungsinstanz für Urteile der Landgerichte in Zivilsachen sowie der Amtsgerichte in Familiensachen (hier wird das Landgericht „übergangen"). Sie sind des weiteren für Revisionen gegen Strafurteile des Landgerichtes sowie in bestimmten Fällen die der Amtsgerichte (Sprungrevision) zuständig. Der Bundesgerichtshof entscheidet letztlich über Urteile der Oberlandesgerichte in Zivilund Strafsachen sowie über Sprungrevisionen der zivilrechtlichen Landgerichtsurteile. Insoweit kann die zivilrechtliche Instanzenordnung in verschiedene Rechtswege unterteilt werden: Kleiner Rechtsweg: Amtsgericht -Landgericht Großer Rechtsweg: Landgericht - Oberlandesgericht - Bundesgerichtshof oder Landgericht - Bundesgerichtshof (Sprungrevision) Rechtsweg in Familien- und Kindschaftssachen: Amtsgericht - Oberlandesgericht -Bundesgerichtshof Die Verwaltungsgerichtsbarkeit ist ebenfalls in Gerichte des Bundes und der Länder unterteilt, hier bestehen jedoch nur drei Stufen: Zu den Verwaltungsgerichten der Länder gehören die Verwaltungsgerichte und die Oberverwaltungsgerichte bez. Verwaltungsgerichtshöfe. Darüber steht das Bundesverwaltungsgericht. Erste Instanz ist hier das Verwaltungsgericht; Rechtsmittelinstanz ist grundsätzlich das Oberverwaltungsgericht, in Ausnahmefällen ist die Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht möglich. Die Finanzgerichtsbarkeit ist in zwei Ebenen gegliedert: Landesgericht ist dabei das Finanzgericht, Uber Revisionen entscheidet der Bundesfinanzhof. Die Arbeitsgerichtsbarkeit unterteilt sich auf Länderebene in Arbeitsgerichte und Landesarbeitsgerichte. Darüber steht das Bundesarbeitsgericht. Zuständig für Berufungen des Arbeitsgerichts ist das Landesarbeitsgericht; die Sprungrevision zum Bundesarbeitsgericht ist möglich, welches zudem Revisionsinstanz der Landesarbeitsgerichte ist. Ebenso ist die Sozialgerichtsbarkeit aufgebaut (Sozialgericht, Landessozialgericht, Bundessozialgericht). Daneben existieren weitere Gerichtszweige (Patentgerichtsbarkeit, Disziplinargerichtsbarkeit, Ehrengerichtsbarkeit und Wehrdienstgerichtsbarkeit). Diese spielen jedoch eine untergeordnete Rolle und werden im folgenden nicht näher erörtert. In der Gerichtshierarchie über diesen fünf Gerichtszweigen angesiedelt ist die Verfassungsgerichtsbarkeit mit den Verfassungsgerichtshöfen der Länder und dem Bundesverfassungsgericht (—> § 15).

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IV. Die deutsche Rechtsordnung innerhalb Europas Die Europäische Gemeinschaft ist primär auf die Schaffung eines einheitlichen Wirtschaftsraumes gerichtet. Aufgabe der Gemeinschaft ist die Verwirklichung eines gemeinsamen Marktes und einer Wirtschaft- und Währungsunion (-> s.a. § 17). Durch Koordinierung der mitgliedstaatlichen Wirtschaftspolitiken soll eine gemeinsame Wirtschaftspolitik eingeführt werden. Die Rechtsnatur der Europäischen Gemeinschaft und des Gemeinschaftsrechts ist umstritten. Sie ist jedenfalls eine supranationale, internationale Organisation. Über diese Definition besteht Einigkeit. Der Begriff „supranational" lässt sich als „überstaatlich" definieren. Unter Supranationalität versteht man das Recht einer internationalen Organisation, unabhängig von der Willensbildung in den einzelnen Mitgliedstaaten, in bestimmten übertragenen Bereichen für diese verbindliche Rechtsregeln zu erlassen. Merkmal einer supranationalen Organisation ist daher die Ausübung einer gegenüber den Mitgliedstaaten selbständigen und unabhängigen öffentlichen Gewalt. Über die Rechtsnatur der Europäischen Gemeinschaft gibt es darüber hinaus verschiedene Ansichten. Die Völkerrechtstheorie nimmt einen Zusammenschluss souveräner Staaten an, der sich nur geringfügig von sonstigen internationalen Organisationen unterscheidet und sieht das Gemeinschaftsrecht als Völkerrecht. Die Bundesstaatstheorie sieht in der Art der Gemeinschaft einen bundesstaatlichen oder bundesstaatsähnlichen Charakter, wodurch das Verhältnis innerstaatliches Recht und Gemeinschaftsrecht so zu beurteilen sei wie das Verhältnis Landesrecht zu Bundesrecht. Die vorherrschende gemeinschaftsrechtliche Theorie sieht in der Europäischen Gemeinschaft eine neue Form von Staatenverbindung. Sie ist eine eigenständige und keiner Rechtsordnung zuordbare Form. „Die Gemeinschaft ist selbst kein Staat, auch kein Bundesstaat. Sie ist eine im Prozess fortschreitender Integration stehende Gemeinschaft eigener Art." (BVerfGE 37, 271, 278). Die Europäische Gemeinschaft besitzt sowohl Privat- als auch Völkerrechtsfähigkeit. Der Vertrag der Europäischen Gemeinschaft (EGV) hat eine eigene Rechtsordnung bzw. Rechtsquelle geschaffen. Die Mitgliedstaaten haben in diesem Zusammenhang verschiedene Zuständigkeiten auf die Gemeinschaft zu deren eigenständiger Wahrnehmung übertragen. Daher ist eine selbständige supranationale öffentliche Gewalt entstanden. Das Verhältnis von Gemeinschaftsrecht zu dem mitgliedstaatlichen Recht, mithin auch das Verhältnis der deutschen Rechtsordnung zur europäischen Rechtsordnung ist daher ein wichtiger und schwieriger Bereich. Beide Rechtsordnungen überschneiden sich. Hier liegt ein Fall von Parallelität zweier Rechtsordnungen vor. Hauptproblem in diesem Zusammenhang ist die Entscheidung darüber, welches Recht wann und wie im Kollisionsfall anzuwenden ist. Das Gemeinschaftsrecht kann unmittelbar anwendbar sein und für den Einzelnen direkt Rechte und Pflichten begründen. Unmittelbar anwendbar sind v. a. Verordnungen der Gemeinschaft. Daneben können aber auch Richtlinien und Entscheidungen der Gemeinschaft unmittelbar anwendbar sein, soweit diese den Mitgliedstaaten Pflichten auferlegen und rechtlich vollkommen sind. Wenn eine Norm der Gemeinschaft unmittelbar anwendbar ist, muss sie von allen Trägern öffentlicher Gewalt als unmittelbar geltendes Recht beachtet und angewandt werden. Besondere Schwierigkeiten entstehen dann, wenn eine unmittelbar anwendbare Bestimmung des Gemeinschaftsrechts inhaltlich mit innerstaatlichem Recht im Widerspruch

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steht. Man spricht dann von Kollision zweier Rechtsordnungen. Hier muss eine Rechtsordnung zurücktreten. Weder das Gemeinschaftsrecht noch das innerstaatliche Recht enthalten eine Norm, die das Verhältnis beider Rechtsordnungen im Kollisionsfall ausdrücklich regeln würde. Der Europäische Gerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung vom absoluten Vorrang des Gemeinschaftsrechts aus. Er begründet das mit der Übertragung bestimmter Hoheitsrechte durch den Beitritt der Mitgliedstaaten zur Gemeinschaft und der dadurch entstandenen neuen und eigenständigen Rechtsordnung sowie mit der Notwendigkeit des Anwendungsvorranges zur Erhaltung des Charakters des Rechts als Gemeinschaftsrecht. „...Wortlaut und Geist des Vertrages haben zur Folge, dass es den Staaten unmöglich ist, gegen eine von ihnen auf der Grundlage der Gegenseitigkeit angenommenen Rechtsordnung nachträglich einseitige Maßnahmen ins Felde zu fuhren. Solche Maßnahmen stehen der Anwendbarkeit der Gemeinschaftsrechtsordnung daher nicht entgegen....Aus alledem folgt, dass dem vom Vertrag geschaffenen, somit aus einer autonomen Rechtsordnung fließenden Recht wegen dieser Eigenständigkeit keine wie immer gearteten innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorgehen können..." (EuGH Rs. 6/64 Costa/ENEL) Das Gemeinschaftsrecht hat mithin absoluten Vorrang gegenüber dem innerstaatlichen Recht. Die deutsche Rechtsordnung tritt gegenüber der europäischen Rechtsordnung zurück. Innerstaatliches Recht scheidet als Prüfungsmaßstab für Gemeinschaftsrecht aus, denn ein solcher Maßstab kann stets nur höherrangiges Recht sein. Folge des Vorrang des Gemeinschaftsrechts ist die Unanwendbarkeit nationaler Rechtsvorschriften im Kollisionsfall. Innerstaatliches Recht wird im Kollisionsfall jedoch keineswegs unwirksam oder gar nichtig. Das bedeutet, dass die innerstaatlichen Normen zwar unanwendbar sind; die Gültigkeit innerstaatlichen Rechts bleibt aber unberührt.

V. Unsere Rechtsordnung auf dem Prüfstand - Justizreform 2000 Seit längerer Zeit wird bereits eine Änderung einzelner Teile unserer Rechtsordnung diskutiert. Besonders betroffen sind davon die Rechtsmittel in Zivilsachen (ZPO). Ziel der angestrebten Reform ist es, die Eingangsgerichte zu stärken, die Mittelinstanz auf die Korrektur von Fehlem zu konzentrieren und die Revision auf Rechtsfortbildung und Wahrung der Rechtseinheitlichkeit auszurichten. Ebenfalls angedacht wurde eine Verkürzung des Gerichtsaufbaus auf 3 Stufen. Aufgrund von Bedenken der Länder gegen dieses Modell ist man davon jedoch mittlerweile etwas abgerückt. Einzelne Bundesländer haben zwischenzeitlich bei Streitwerten bis DM 1.500,00 die Einigungsstelle - eine außergerichtliche Instanz mit einem Streitschlichter - einem Zivilprozess vorgeschaltet, damit die Eingangsgerichte entlastet werden. In Nordrhein-Westfalen ist dies seit dem 01.10.2000 gängige Praxis.

1. Erste Instanz Ausgangspunkt der Diskussion ist ein Ungleichgewicht des Personaleinsatzes in den Instanzen. Im Verhältnis zur Zahl der Richter in der ersten Instanz sind zu

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viele Richter in der Berufung tätig. Ziel der Reform ist es daher ein Stellenumbau, nämlich personelle Kapazitäten beim Berufungsgericht freizusetzen und diese in erster Instanz, insbesondere bei den Amtsgerichten, einzusetzen. In der Eingangsinstanz sollen v.a. erfahrene, kompetente und qualifizierte Richter tätig sein. Es sollte dort weitestgehend durch Einzelrichter entschieden werden. In diesem Zusammenhang soll der originäre Einzelrichter mit einem Streitwert bis zu 60.000,- DM eingeführt werden (ausgenommen Richter auf Probe im ersten Jahr). Soweit ein originärer Einzelrichter nicht zuständig ist, wird die Kammer die Sache unter den gleichen Voraussetzungen auf einen Einzelrichter übertragen. 2. Berufung (Zweite Instanz) Der Zugang zur Berufung wird im Zuge der Reform verbreitert werden. Es sollen künftig mehr Urteile überprüft werden können. Das Berufungsverfahren selbst soll hingegen verschlankt werden, indem die Überprüfung nicht mehr so umfassend ausfällt. Das Berufungsgericht soll künftig nicht mehr die zweite Tatsacheninstanz sein. Seine Aufgabe wird v.a. in der Sicherung der Einzelfallgerechtigkeit liegen. Die Bagatellberufung bei groben Verfahrensfehlern wird nicht eingeführt werden. Die Möglichkeit der Zulassung der Berufung unterhalb der Beschwerdesumme bei betroffenen Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung wird noch diskutiert, vermutlich aber abgelehnt werden. Dem eigentlichen Berufungsverfahren wird ein Annahmeverfahren vorgeschaltet. Dieses wird durch die Einlegung der Berufung in Gang gesetzt. Bei Berufungsannahme ergeht ein Annahmebeschluss, ansonsten ein unanfechtbarer Nichtannahmebeschluss. Der Prüfungsumfang des Berufungsverfahrens wird beschränkt. An die Berufungsbegründung werden höhere Anforderungen gestellt werden. Der Überprüfung zugänglich werden künftig sowohl Verfahrensrügen sein (durch Darlegung der einen Verfahrensmangel begründenden Tatsachen) als auch Rügen der fehlerhaften Anwendung materiellen Rechts in qualifizierter Form (durch Darlegung der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel). Die Möglichkeit des Vortrags wird dabei grundsätzlich auf die Berufungsbegründung, die Berufungserwiderung und die Replik beschränkt. Ausnahmen aus wichtigem Grund werden zulässig sein. Das Berufungsgericht wird nicht mehr eine zweite Tatsacheninstanz sein. Es ist grundsätzlich an die Tatsachenfeststellung der 1. Instanz gebunden (Ausnahme: rechtsfehlerhaft getroffene Tatsachenfeststellung) und wird im übrigen nur dann Tatsachen neu feststellen, wenn diesbezügliche Tatsachenbehauptungen bisher nicht aufgestellt werden konnten oder mussten. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen von Klageänderung, Klageerweiterung, Widerklage und Aufrechnung werden in 2. Instanz verschärft werden. Die Besetzung des Berufungsgerichts wird sich künftig nach der Besetzung der 1. Instanz ausrichten. Wurde dort durch Einzelrichter entschieden, so wird auch die Berufung auf einen Einzelrichter übertragen, ohne dass eine Zustimmung der Parteien erforderlich ist. Ausgenommen hiervon werden Sachen mit erheblichen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten und solche von grundsätzlicher Bedeutung sein. Berufungen gegen erstinstanzliche Urteile sowohl von Landgerichten als auch künftig von Amtsgerichten sollen einheitlich zum Oberlandesgericht gehen. Die Berufungskammer des Landgerichtes wird insoweit abgeschafft werden.

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3. Revision Der Zugang zum Revisionsgericht wird von der Zulassung zur Revision abhängig sein. Diese Zulassung wird vom Berufungsgericht ausgesprochen. Die Abhängigkeit der Revisionszulässigkeit vom Streitwert fällt damit weg. Gegen die Nichtzulassung ist das Rechtsmittel der Beschwerde gegeben. Die Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde sollte vom Bundesgerichtshof eventuell in Dreierbesetzung getroffen werden können. 4. Auswirkungen auf die Anwaltschaft Die Rechtsmittelreform wird auch auf das Berufsrecht der Rechtsanwälte und das Gebührenrecht Auswirkungen haben. Die Ausmaße lassen sich jedoch noch nicht überschauen. Es wird z.B. diskutiert, die Prozessgebühr im Berufungsverfahren aufgrund der dort gestellten gesteigerten Anforderungen zu erhöhen.

5. Ziel Ziel der Rechtsmittelreform ist eine Entlastung der Justiz. Die erste Entlastung soll der originäre erstinstanzliche Einzelrichter schaffen, zweite Entlastung der aufgrund dessen eingesetzte Berufungseinzelrichter. Durch die inhaltlichen Veränderungen des Berufungsverfahrens wird die dritte Entlastung erwartet, die vierte Entlastung schafft die Einführung der Zulassungsrevision.

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§ 19 Verwaltungsordnung Karlheinz Hösgen I. Einleitung - II. Der Verwaltungsbegriff - III. Aufbau der Verwaltung - IV. Tätigkeits- und Aufgabenbereiche der Verwaltung - V. Mittel der Verwaltung VI. Grenzen und Kontrolle der Verwaltung Grundlagenliteratur: Achterberg, Norbert ( 2 1986): Allgemeines Verwaltungsrecht. Heidelberg Mitteis, Heinrich / Lieberich, Heinz ( 18 1988): Deutsche Rechtsgeschichte. München Maurer, Hartmut ( 8 1992): Allgemeines Verwaltungsrecht. München Ronellenfitsch, Michael ( 1S 1985): Verwaltungsrecht. Bonn Ronellenfitsch, Michael ( 4 1985):,Verwaltungslehre. Bonn Wolff, Hans J. / Bachof, Otto / Stober, Rolf ( 10 1994): Verwaltungsrecht I, München Erichsen, Hans-Uwe ( n 1998): Allgemeines Verwaltungsrecht. Berlin Obermayer, Klaus ( 3 1988): Grundzüge des Verwaltungsrechts und des Verwaltungsprozessrechts. Stuttgart

I. Einleitung 1. Geschichte der Verwaltung Das „Verwalten" ist bereits seit dem 12. Jhd. im mittelhochdeutschen Raum bekannt. Wurde damals lediglich in privatwirtschaftlichen Tätigkeitsbereichen verwaltet, so erfuhr die Verwaltung einen Aufschwung im 16. Jhd. mit der Ausschaltung der überkommenen (bis dahin) legalen Selbsthilfe (Fehde) und des Widerstandsrechtes (Landstände) des mittelalterlichen Adels, hin zur Entwicklung des landesherrlichen Absolutismus unter monarchischer Spitze. Als Machtmittel errichteten die Landesherren, Träger des Obrigkeitsstaates, einen durch Beamte vertretenen Behördenapparat und eine Soldtruppe, die im 17. Jhd. zum stehenden Heer wurde. Diese neuen Einrichtungen führten reglementierend und befehlend als auch fördernd und helfend Verwaltungstätigkeiten in gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, sozialen und sogar privaten Lebensbereichen aus, die durch ständige Verfeinerungen zur Abspaltung von Sondergremien führten und mehr und mehr Sachkunde und Vorbildung voraussetzten. Bekannt als Wohlfahrts- oder Polizeistaat zeichnete er sich im Reformationszeitalter der frühen Neuzeit durch die immer stärker hervortretende Vorstellung von der Gemeinnützigkeit und seine weitgefächerte und intensive, zudem aber auch rechtlich ungebundene Verwaltung aus. Die Effektivität der Verwaltung dieser Zeit litt jedoch an dem Konflikt, dass nicht die Selbstlosigkeit zum Wohle des Volkes (wie auf den ersten Blick anzunehmen) im Vordergrund stand, sondern vielmehr durch eine gezielte Steuerpolitik, die zur Beschaffung der erforderlichen Mittel der immens aufwendigen, auf Repräsentation angelegten Hofhaltung und zur Kostendeckung des stehenden Heeres diente, geprägt war, welche teilweise auch gewaltsam durchgesetzt wurde.

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Gegen die umfassende Kontrolle des Polizeistaates, welche sich durch Bevormundung und Reglementierung im privaten, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereich äußerte, wandte sich das liberale Bürgertum des 19. Jhd.s. Die Forderung nach einer Verselbständigung der genannten Bereiche führte im Laufe des 19. Jhd.s zur weitgehenden Loslösung vom Staat, orientiert an den Prinzipien des freien Wettbewerbs. Erst zu dieser Zeit wird der Staat immer mehr durch Übernahme einst von der Kirche wahrgenommener sozialer, kultureller und Bildungsaufgaben, zum ausschließlichen Träger aller öffentlichen Aufgaben. Dieser Strukturwandel bewirkte, vor allem auch durch die Beschränkung der Eingriffsrechte des Staates, die sich fortan an Grundrechten und Ermächtigungsgesetzen (Gesetzesvorbehalt) messen mussten, die Entwicklung zum allgemeinen Wohlfahrtsund Fürsorgestaat. Damit reduzierte sich aber die Macht des Staates, auch wenn die Exekutive beim Monarchen verblieb, auf die Gewährleistung von Recht und Sicherheit, insbesondere der Gefahrenabwehr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Jedenfalls war für diese Zeit eine erste Verrechtlichung und gesetzliche Bindung der Verwaltung sowie die Errichtung der Verwaltungsgerichtsbarkeit ab Mitte des 19. Jhd.s in den Ländern wie Baden, Preußen, Hessen, Württemberg und Bayern zu verbuchen (-> § 1, III.). Mit dem Untergang der Monarchie zu Beginn des 20. Jhd.s und dem Aufbau einer demokratischen Republik, getragen durch die auf Volkssouveränität, Sozialund Rechtsstaatlichkeit gestützte Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919 (—> § 1, V.), erfuhren neben der Gefahrenabwehr vor allem die Verwaltungsaufgaben der Vorsorge, Leistung und Förderung im sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Bereich eine erhebliche Ausweitung. Weitgehend gehemmt durch die national-sozialistische Herrschaft entwickelte sich die Verwaltung vor allem nach Erlaß des Grundgesetzes im Jahre 1949 als legitimierte Staatsgewalt (Art. 20 Abs. 2 GG) rasch fort. 2. Private und öffentliche Verwaltung Die „Verwaltungsordnung" findet sich gegenständlich in mehreren Bereichen wieder. So beschränkt sie sich nicht nur auf die öffentliche Staatsverwaltung, sondern beeinflusst sowohl die privaten, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Tätigkeiten. Beispielsweise seien für letztere die Verwaltung von Vermögen im familiären Haushalt, Unternehmensverwaltung und die satzungsgemäße Vereinsarbeit genannt. Aus der Folge, dass sowohl Privatleute als auch der Staat verwaltet, ist eine Trennung zwischen privater und öffentlicher Verwaltung vorzunehmen. Thematisch sollen hier die Ordnungsstrukturen der öffentlichen Verwaltung betrachtet werden. Dies umfasst neben rechtlichen Aspekten auch organisatorische, planungsmäßige und nicht zuletzt technische und soziologische Gesichtspunkte. Ein geeignetes Abgrenzungskriterium zur privaten Verwaltung ergibt sich regelmäßig (man bedenke die fiskalische Verwaltung) aus der Klärung der Rechtsnatur des zu betrachtenden Verwaltungsträgers. Danach ist staatliche, öffentliche Verwaltung die Verwaltung des Bundes (-» § 8, II.), der Länder (-» § 6), der Gemeinden (-> § 7) und Gemeindeverbände sowie der sonstigen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts.

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II. Der Verwaltungsbegriff 1. Umschreibung des allgemeinen Verwaltungsbegriffes Der Begriff der Verwaltung im Staats- bzw. öffentlichen Recht ist wegen der Breite seiner Auswirkungen auf verschiedenste Lebensbereiche und der ständigen Fortentwicklung, trotz umfangreicher Bemühungen der Verwaltungsrechtswissenschaft, nicht durch eine Legaldefinition erklärbar. Möglich ist insoweit lediglich eine Umschreibung des Verwaltungsbegriffes, wobei es gilt, diese sofern möglich zu präzisieren. Zuvörderst spricht das Grundgesetz in Art. 20 Abs. 2 GG von der Exekutive (vollziehenden Gewalt), welche als dritte Staatsgewalt neben der Legislative (Gesetzgebung) und Judikative (Rechtsprechung) verfassungsrechtlich verankert ist. Die Exekutive (-> §§ 11, 12) wiederum umfasst einerseits die Regierungsgewalt und andererseits die Verwaltung (Art. 1 Abs. 3 GG). Kann die Regierungsgewalt weitgehenden politischen Freiraum beanspruchen, so gilt doch für die (ihr nachgeordnete) Verwaltung eine weitaus engere Bindung aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG (-» § 5, V.) an Ordnung, Recht und Gesetz, der ihren Gestaltungsspielraum stark einschränkt. So ist es Aufgabe der Verwaltung, anhand von Rechtsnormen Einzelfallgerechtigkeit, unter Beachtung der gesetzlich fixierten öffentlichen Ziele herbeizufuhren. Aus der sprachlichen Geschichte lässt sich der Wortlaut Verwaltung als zweckgerichtetes und planmäßiges Dienen erklären. Zusammengefasst hat sich aus dem zuvor Gesagten eine Negativdefinition herausgebildet. Danach umfasst die Öffentliche Verwaltung alle planmäßigen, dauerhaften Tätigkeiten zur Erreichung staatlicher Zwecke, die nicht solche der Gesetzgebung, Regierung oder Rechtsprechung sind.

2. Der Verwaltungsbegriff im engeren Sinne Abgesehen von dem obig beschriebenen allgemeinen Verwaltungsbegriff lässt sich der Verwaltungsbegriff im öffentlichen Recht anhand der Tätigkeit und Organisation der Verwaltung in drei Varianten differenzieren. a) Der Verwaltungsbegriff im materiellen Sinne stellt dabei auf das Verwalten, also die öffentliche Verwaltungstätigkeit ab, wobei der Inhalt der Tätigkeit entscheidendes Kriterium ist. In diesem Zusammenhang wurde auch die klassische Subtraktionstheorie mit der späteren Ausweitung auf die Regierung entwickelt, ohne jedoch Aufschluss über den eigentlichen Begriff zu geben, da sie sich nur in negativer Aufzählung erschöpfte. b) Von der Verwaltung im organisatorischen Sinne wird gesprochen, wenn es um die Einrichtungen (Behörden, Ämter) und darin tätigen Bediensteten geht. c) Letztlich kann der Verwaltungsbegriff auch im formellen (funktionalen) Sinne verstanden werden. Dies betrifft all jene von der Verwaltung im organisatorischen Sinne, also regelmäßig von den Bediensteten ausgeübten Tätigkeiten.

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III. Aufbau der Verwaltung Die Organisation des Staates macht einen durchstrukturierten, mit erheblichem Aufwand von Personal und Sachmitteln ausgestatteten Verwaltungsapparat erforderlich. Ausgangspunkte zur Bewältigung aller Verwaltungsaufgaben sind die unterschiedlichen Verwaltungsträger, die als Rechtssubjekte, gebunden an verwaltungsrechtliche Rechte und Pflichten, mit der Wahrnehmung der öffentlichen Interessen betraut sind. 1. Rechtsfähigkeit der Verwaltungsträger Anknüpfend an die Organisation der Verwaltung wird somit der Begriff der Rechtsfähigkeit und Rechtssubjektivität von Bedeutung. Rechtsfähig ist, wer Zuordnungssubjekt von Rechtsnormen und damit Träger von Rechten und Pflichten ist. Zunächst ist jeder Mensch rechtsfähig (§ 1 BGB mit Vollendung der Geburt). Aber auch diejenigen Personenvereinigungen und Organisationen, denen durch die Rechtsordnung die Rechtsfähigkeit zuerkannt worden ist. Finden die für sie maßgeblichen Rechte und Pflichten ihre Grundlage im öffentlichen Recht, spricht man von (grundsätzlich vollrechtsfähigen) juristischen Personen des öffentlichen Rechts. Darüber hinaus gibt es jedoch gerade im öffentlichen Recht Gebilde, denen eine rechtliche Selbständigkeit von vornherein nur auf bestimmte Rechtsgebiete oder gar nur Rechtsnormen zugesprochen wird. Insoweit handelt es sich um teilrechtsfähige juristische Personen, die trotzdem im Rahmen ihrer Rechte und Pflichten Träger der Verwaltung sein können (Wolff / Bachof: 1994, S. 259ff.).

2. Die Arten der Verwaltungsträger Nach Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG geht alle Staatsgewalt vom Volke aus, welche auch im Rahmen der Verwaltung (vollziehende Gewalt) durch besondere Organe ausgeübt wird (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG). Originärer Verwaltungsträger ist danach der Staat. Dieser setzt sich entsprechend der Verfassungsordnung aus Bund und Ländern zusammen. Darüber hinaus ist den Landkreisen und Gemeinden eine ähnliche Stellung aus Art. 28 GG gewährleistet, da ihnen Gebietshoheit zukommt und ihnen im Rahmen dieser umfassende Aufgaben zur eigenen Verantwortung obliegen. Mithin ergibt sich eine Dreiteilung der Verwaltung in Bundes-, Landes- und Kommunalverwaltung. Dies kommt jedoch keiner abschließenden Auflistung der verschiedenen Verwaltungsträger gleich. Vielmehr ergeben sich weitere Verwaltungsträger durch Aufgliederung der Staatsverwaltung (Bundes- und Landesverwaltung) in unmittelbare, durch ihre eigenen Behörden handelnde Staatsverwaltung und mittelbare Staatsverwaltung, durch rechtlich verselbständigte Verwaltungseinheiten, die mit eigener Rechtsfähigkeit oder Teilrechtsfähigkeit ausgestattet sind. Letzteren obliegen als Körperschaften (an Mitgliedschaft orientierte Einrichtungen, wie die Gemeinden, jedoch mit Sonderstellung oder Universitäten), Anstalten (grundsätzlich der Allgemeinheit zur Benutzung offenstehende Einrichtungen ohne Mitgliedsbindung, wie Rundfunk- oder Fernsehanstalten) und Stiftungen (bestimmten Stiftungszwecken gewidmete Vermögensmassen) des

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öffentlichen Rechts, bestimmte Aufgaben der öffentlichen Verwaltung zur eigenen Verantwortung. Darüber hinaus bedient sich der Staat zur Erfüllung von Verwaltungsaufgaben gelegentlich natürlicher oder juristischer Privatpersonen, sogenannte Beliehene (oder beliehene Unternehmer), durch Übertragung der insoweit erforderlichen hoheitlichen Befugnisse. Auch die Beliehenen sind in diesem Rahmen Verwaltungsträger, aufgrund ihrer rechtlichen Selbständigkeit und der Eigenverantwortlichkeit für den ihnen übertragenen Aufgabenbereich. 3. Struktur der Behörden Die obig angesprochene unmittelbare Staatsverwaltung erfolgt durch organisatorische Einheiten von Personen und Sachmitteln, als in Angelegenheiten des Staates handelnde Organe, den Behörden. Sie sind im Rahmen ihres Tätigkeitsbereiches mit selbständiger öffentlicher Autorität ausgestattet zum Zwecke der Verwirklichung staatlicher (geförderter) Ziele (BVerfGE 10, 48). In § 1 IV VwVfG ist die Behörde als jede Stelle definiert, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt. Dieser Behördenbegriff ist sehr weit gefasst und erklärt nicht die organisatorischen Erfordernisse einer Behörde als solche, sondern dient vor allem umfassender Rechtskontrolle aller mit öffentlichen Befugnissen betrauten (natürlichen und juristischen) Personen, so dass unter Behörde im Sinne des § 1 IV VwVfG z.B. auch die Beliehenen fallen. Die Organisationsgewalt zur Bildung, Errichtung, Einrichtung, Änderung, Aufhebung und Abwicklung von Behörden obliegt dem Staat und damit dem Bund und den Ländern. In der Bundesrepublik Deutschland unterliegt das System der Verwaltungsorganisation einem hierarchischen Aufbau. Das bedeutet, dass über formalisierte Organisationsstufen die einzelnen Organe in einem Über- bzw. Unterordnungsverhältnis zueinander stehen. Regelmäßig herrscht hier ein dreistufiger Behördenaufbau vor (Ausnahmen in der Landesverwaltung im Saarland und Schleswig-Holstein; dort zweistufig; anders auch bei Stadtstaaten wie Berlin, Bremen und Hamburg). Unterteilt wird, sowohl bei den Bundes- als auch Landesbehörden, in Zentralstufe, Mittelstufe und Unterstufe. a) Bundesbehörden Die Zentralstufe bilden die obersten Bundesbehörden, denen keine anderen Behörden vorgeordnet und die mit Verfassungsrang ausgestattet sind (wie das Bundespräsidialamt, das Bundeskanzleramt, die Bundesministerien und der Bundesrechnungshof) sowie, die den Ministerien unterstellten Bundesoberbehörden (meist selbständig für Spezialaufgaben im gesamten Bundesgebiet zuständig). Die Mittelstufe bildet die Zwischeninstanz zwischen Ministerien und Unterbehörden, zugleich als Landesbehörden. Sie sind regelmäßig als Aufsichts- und Widerspruchsbehörden und daher nur für Teile des Bundesgebietes zuständig (z.B. Oberfinanz-, Bundesbahndirektion). Die Unterstufe dient der Durchführung von Verwaltungstätigkeiten im räumlich sehr begrenzten Bereich; meist Kreis- aber auch Ortsebene (z.B. Kreiswehrersatzämter, Postämter).

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b) Landesbehörden Die Zentralstufe bilden die obersten Landesbehörden, die ebenso wie die Zentralstufe der Bundesbehörden Verfassungsrang genießen und keinen anderen Behörden nachgeordnet sind (wie die Staatskanzleien und Landesministerien) sowie, die diesen unterstellten Landesrechnungshöfe und Landesoberbehörden (z.B. Landeskriminalämter). Die Behörden der Mittelstufe unterstehen unmittelbar den obersten Landesbehörden. Sie sind insbesondere als Aufsicht über die Unterbehörden in einem bestimmten Teil des Landesgebietes für die Entscheidung über Widersprüche gegen erstinstanzliche Verwaltungsakte berufen. Hierunter zählen vor allem die Regierungen des jeweiligen Regierungsbezirkes (an dessen Spitze der Regierungspräsident steht) und Sonderbehörden (wie Oberfinanzdirektionen). Die Unterstufe bilden die Kreis- und Gemeindebehörden. Hier werden Verwaltungsaufgaben auch von der mittelbaren Staatsverwaltung, Staatsauftrags- und kommunalen Selbstverwaltung, wahrgenommen. Soweit durch Kommunalbehörden (Oberbürgermeister, Landratsämter) Aufgaben der unmittelbaren Staatsverwaltung erfüllt werden, sind diese als untere Landesbehörden staatliche Behörden. Man spricht insofern von der Doppelstufigkeit der Verwaltung. Den Behörden steht im Innern zumeist eine Person vor (monokratische Organisation, z.B. der Regierungspräsident), die als Vorgesetzter aller der Behörde angehörigen Bediensteten fungiert. Zudem werden die Behörden häufig weiter in Abteilungen und diese wiederum in verschiedene Derzemate denen einzelne Sachbearbeiter zugeordnet sind, untergliedert. Auch Außenstellen wie z.B. Polizeireviere sind Teil der Behörde und daher trotz einer gewissen Selbständigkeit kein eigenständiges Organ. Darüber hinaus können die Zuständigkeiten einer Behörde auch von mehreren gleichberechtigt nebeneinander tätigen Organwaltern wahrgenommen werden. Insoweit wird von einer kollegial organisierten Verwaltungsbehörde (z.B. Ausschussentscheidungen auf Kreis- bzw. Stadtebene durch Mehrheitsbeschlüsse) gesprochen, die jedoch in der heutigen Zeit gegenüber der monokratischen Organisation der unmittelbaren Staatsverwaltung im Rückgang begriffen ist. c) Ämter Die kleinste organisatorische Verwaltungseinheit ist das Amt. Regelmäßig setzt sich eine Behörde aus mehreren Ämtern zusammen. Mit dem Begriff „Amt" wird innerhalb der Verwaltungsorganisation ein institutionell bestimmter konkreter Aufgabenbereich, verbunden mit der jeweiligen Zuständigkeit einer Person auf einem Dienstposten als Amtswalter (Amtsträger, Amtsinhaber) bezeichnet. Da es sich hierbei nur um ein Behördenintemum ohne Außenzuständigkeit handelt, ist das Amt selber kein Organ. Nicht zu verwechseln ist jedoch die organisationsrechtliche Bezeichnung als „Amt", wie soeben dargestellt, mit der beamtenrechtlichen Bedeutung. Hier bildet die Grundlage des Amtsbegriffes das dienstrechtliche Verhältnis eines Beamten, also seine Dienststellung und der bestimmte Dienstgrad, unabhängig vom jeweiligen Aufgabenbereich. Daneben werden aber auch noch Behörden oder Teile von Behörden als Amt bezeichnet (z.B. Auswärtiges Amt, Bundeskanzleramt, Ordnungsamt, Rechtsamt, Sozialamt oder Gewerbeamt). Oftmals deckt sich dabei der Name einer Behörde mit der Amtsbezeichnung des Behördenleiters (z.B. Regierungspräsident).

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4. Personalwesen der Verwaltung Innerhalb der Verwaltung der Bundesrepublik richtet sich die Rechtsstellung der in diesem Bereich tätigen Personen nach dem Recht des öffentlichen Dienstes. Zu unterscheiden sind hierbei drei Formen von Dienstverhältnissen, das der Beamten, der Angestellten und der Arbeiter (umfasst werden insoweit i.w.S. aber auch die Rechtsverhältnisse der Minister, der Richter und der Soldaten). Das Beamtenverhältnis ist ein öffentlich-rechtliches Dienst- und Treueverhältnis, welches durch Beamtengesetze näher ausgestaltet wird (z.B. Bundesbeamtengesetz und Landesbeamtengesetze, Laufbahnverordnungen). Der traditionelle Sonderstatus des Beamtenverhältnisses ist durch Art. 33 Abs. 4 und 5 GG gewährleistet. Es zeichnet sich insbesondere durch die Pflicht des Beamten zur Treue gegenüber seinem Dienstherrn aus, in das der Beamte durch besonderen Ernennungsakt unter Aushändigung einer entsprechenden Urkunde berufen wird. Dagegen ist das (öffentliche) Dienstverhältnis der Angestellten und Arbeiter privatrechtlich ausgestaltet. So werden sie nicht wie die Beamten in das Dienstverhältnis berufen, sondern durch Vertrag eingestellt. Zudem erhalten sie eine Vergütung, die der Rentenversicherung unterliegt, insbesondere nach entsprechenden Tarifverträgen (BAT), während die Beamten aufgrund staatlicher Besoldungsgesetze alimentiert, also für ihre Treue bezahlt werden. Ebenso können Beamte regelmäßig nur nach dem Disziplinarrecht aus dem Dienst entfernt werden. Demgegenüber sind Angestellte und Arbeiter des öffentlichen Dienstes kündbar. Trotz dieser grundsätzlichen, zumeist formalen Unterschiede haben sich das Beamtenverhältnis und das Angestellten- und Arbeiterverhältnis in der Praxis weitgehend angenähert (z.B. wesentliche Teile der Ausbildung an allgemeinen Ausbildungseinrichtungen, wie Fach- und Hochschulen für alle Personen des öffentlichen Dienstes im Gegensatz zur verwaltungsinternen Ausbildung; Unkündbarkeit auch für Angestellte nach entsprechender Dienstzeit, bzw. bei Arbeitern dann nur noch aus wichtigem Grund; Annäherung auch bei Entlohnung und Versorgung). 5. Sachmittel der Verwaltung Nach dem eben dargestellten Personalkörper bedarf es darüber hinaus umfänglicher Sachmittel zur Erfüllung der unmittelbar oder mittelbar der Verwaltung obliegenden Aufgaben, nämlich den öffentlichen Sachen. Dies sind zum einen Gegenstände und Mittel welche die Verwaltung zu eigenen Zwecken in ihrem Gebrauch hat, also unmittelbar der Verwaltung dienen (insoweit spricht man von öffentlichen Sachen i.e.S.). Hierzu zählen Sachen im Gemeingebrauch, die also jedermann zur Benutzung offen stehen, und Sachen, deren Gebrauch für die Verwaltung an sich bestimmt ist. Letztere bilden das Verwaltungsvermögen. Wichtigste Sachmittel sind hier vor allem die Verwaltungsgebäude unter Berücksichtigung der in diesen zu erfüllenden Aufgaben und ihrer Präsenz für den einzelnen Bürger (z.B. Rathäuser). Aber auch die Gestaltung und Ausstattung des jeweiligen Arbeitsplatzes mit Mobiliar (Schreibtisch, Bürostuhl) und Technik (Computer, Telefon, Beleuchtung) entsprechend der dort auszuübenden Tätigkeit gehören zu den grundlegenden Sachmitteln.

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Zum anderen zählt zu den öffentlichen Sachen (i.w.S.) auch das Finanzvermögen zur Finanzierung der Verwaltungsausgaben, als mittelbar der staatlichen Verwaltung dienendes Sachmittel. Die Gewährleistung ständiger Arbeitsfähigkeit der Verwaltung erfordert einen immensen Aufwand an Finanzmitteln. Diese gilt es bedarfsgerecht zu verteilen, was nur durch langfristige Planung sichergestellt werden kann. Hiermit ist das Thema der Haushaltspolitik angesprochen, nämlich das Bestreben, die zur Verfügung stehenden Finanzmitteinn mit den durch die Erfüllung öffentlicher Aufgaben verbundenen Finanzbedürfnissen durch systematisch in regelmäßigen Zeitabständen zu erstellende Haushaltspläne in Einklang zu bringen. Damit aber wird das Finanzvermögen, weil keiner Statik unterlegen und daher Weitblick bei der Verwaltung erfordert, zum bedeutendsten Sachmittel für die staatliche Verwaltung.

IV. Tätigkeits- und Aufgabenbereiche der Verwaltung Es liegt in der historisch begründeten Aufgabe und insbesondere am verfassungsrechtlich verankerten Sozial- und Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 GG), dass die Tätigkeitsbereiche der Verwaltung vielfältiger Natur sind und sich entsprechend den gesellschaftlichen Bedürfhissen stetig weiterentwickeln. Dies macht eine kontrollierte Verteilung der anfallenden hoheitlichen Aufgaben nach verschiedenen Kriterien unerlässlich. Deutlich wird die Notwendigkeit, wenn man sich die grundlegende Aufgabe der Verwaltung, nämlich die Herstellung von Einzelfallgerechtigkeit im Verhältnis zum Bürger und die damit verbundene sich auch gegenseitig bedingende Vielzahl von Verwaltungsstellen, vor Augen führt. Darüber hinaus hat der einzelne Bürger auch ein berechtigtes Interesse zu wissen, wo er seine Angelegenheiten vortragen kann bzw. wer über diese Entscheidungsbefugnis verfügt. 1. Zuständigkeit Geeignetes Mittel ist dabei die Kompetenz, Aufgaben und Befugnisse der Staatsverwaltung auf Verwaltungsträger und Verwaltungsstellen durch Zuständigkeitsregelungen (z.B. § 3 VwVfG) mit Bindungswirkung zu verteilen. In erster Linie ist die Kompetenzverteilung zwischen den einzelnen Verwaltungsträgern (Bund, Länder, Gemeinden etc.) sowie innerhalb dieser für die einzelnen Verwaltungsstellen bzw. -organe und letztlich innerhalb der Verwaltungsstellen bzw. -organe für deren Teile und die einzelnen Amts- bzw. Organwalter vorzunehmen. Des weiteren sind die Kompetenzen sowohl in sachlicher als auch räumlicher Hinsicht festzulegen. Aus der Einheit dieser beiden Komponenten ergibt sich sodann der Zuständigkeitsbereich, innerhalb dessen der betreffende Verwaltungsträger oder die betreffende Verwaltungsstelle befugt und verpflichtet sind, die zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen. Die sachliche Zuständigkeit bezeichnet, zu welchen konkreten sachlichen Aufgaben in fachlicher Hinsicht ein Verwaltungsträger oder eine Verwaltungsstelle berufen ist (z.B. welche Behörde in Gewerbe-, Bau- oder Umweltfragen kompetent ist). Den räumlichen Tätigkeitsbereich beschreibt die örtliche Zuständigkeit, also z.B. den Bezirk oder den Kreis des Staatsgebietes, in dem die sachliche Zuständigkeit zum Tragen gelangen darf (z.B. Allzuständigkeit

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der Gemeinde). Da die rechtmäßig, meist durch Rechtsvorschriften festgelegten Zuständigkeitsbereiche nicht nur berechtigen, sondern auch verpflichten, hat der betreffende Verwaltungsträger bzw. die betreffende Verwaltungsstelle ihre Zuständigkeit von Amts wegen zu prüfen. Darüber hinaus ist auch noch die funktionelle Zuständigkeit von Belang. Sie bestimmt, welche sachlich und örtlich zuständige Stelle innerhalb der Behördenorganisation einzelne Befugnisse und Verpflichtungen wahrzunehmen hat und betrifft daher (lediglich) den behördeninternen Bereich. Abzugrenzen davon sind instanzielle Zuständigkeitsregelungen. Sie sind Ausfluss des hierarchischen Behördenaufbaus und bestimmen, unter welchen Voraussetzungen der übergeordneten Behörde die Entscheidungsbefugnis zukommt. Eingriffe in festgelegte Zuständigkeiten sind ausnahmsweise zulässig. So bei Gefahr im Verzug. Hier kommt je nach Lage des Falles sowohl für die übergeordnete als auch die untergeordnete Behörde ein Selbsteintrittsrecht zur Geltung, die sogenannte Notzuständigkeit.

2. Arten des Verwaltungshandelns a) Rechtsformen des Verwaltungshandelns Zunächst kann man auf die Rechtsform des Verwaltungshandelns abstellen. Dann ergeben sich zwei Möglichkeiten: Zum einen kann die Verwaltung in der Form des Privatrechts handeln, insoweit spricht man von fiskalischer Verwaltung. Zum anderen kann sie in der Form des öffentlichen Rechts handeln, dann spricht man von hoheitlicher Verwaltung. Die Abgrenzung, ob die Verwaltung privatrechtlich oder hoheitlich handelt, kann im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten. Hierzu werden im wesentlichen drei Haupttheorien vertreten und zwar die Interessentheorie, die Subordinationstheorie und die (nunmehr) modifizierte Subjektstheorie. Die Interessentheorie stellt darauf ab, welche Rechtssätze welchen Interessen zu dienen, bestimmt sind. Also diejenigen Rechtssätze, die dem öffentlichen Interesse dienen werden dem öffentlichen Recht und diejenigen, die private Interessen verwirklichen, werden dem privaten Recht zugewiesen. Demgegenüber hinterfragt die Subordinationstheorie, ob im Einzelfall ein Verhältnis von rechtlicher Überordnung (des Staates) zur Unterordnung (des Bürgers) vorliegt, dann öffentliches Recht, oder ob ein Verhältnis der rechtlichen Gleichordnung unterliegt, dann Privatrecht. Nach der modifizierten Subjektstheorie sind dem öffentlichen Recht diejenigen Rechtssätze zuzuordnen, die lediglich Träger hoheitlicher Gewalt berechtigen und verpflichten, wogegen dem Privatrecht die für jedermann geltenden Rechtssätze zuzurechnen sind. Auch als Sonderrechtstheorie bezeichnet, erklärt sie das öffentliche Recht als Sonderrecht des Staates bzw. sonstiger Träger öffentlicher Gewalt, wobei (daher modifizierte Subjektstheorie) jedermann entgegen der alten Subjektstheorie eben nicht der Staat ist. Maßgeblich nach der Modifizierung ist, dass ein Hoheitsträger als solcher, gerade in seiner Eigenschaft berechtigt und verpflichtet wird. Zwar wird die letztgenannte Theorie zunehmend als vorherrschend in der Lehre betrachtet, da sie auf die hoheitliche Gewalt in den unterschiedlichsten Funktionen des öffentlichen Rechts als maßgebliches Kriterium Bezug nimmt. Doch finden im Einzelfall nach verbreiteter Ansicht alle drei Theorien, entsprechend ihrer konkreten Eignung und unter Beachtung der verschiedenen Gesichtspunkte des betroffenen Rechtsbereiches, Anwendung.

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b) Zweckgerichtete Unterscheidung des Verwaltungshandelns Stellt man auf den Zweck des Verwaltungshandelns ab, also darauf, welchen Zielen die jeweilige Verwaltungstätigkeit gewidmet ist, und welche Aufgaben mit ihr verbunden sind, so ergibt sich daraus zwangsläufig eine Unterteilung in verschiedene Arten des Verwaltungshandelns. (1) Eingriffsverwaltung Mit Eingriffsverwaltung wird eine große Gruppe von Verwaltungshandlungen bezeichnet, die in die Rechtssphäre des einzelnen Bürgers eingreifen, diesen in seiner Freiheit oder in seinen Eigentumsrechten beschränken und sich so dem Bürger als Belastungen bzw. Verpflichtungen darstellen. Die Eingriffsverwaltung dient vor allem der Abwehr von Gefahren, die der öffentlichen Sicherheit und Ordnung drohen. Insbesondere sind hierbei die Tätigkeiten der Polizei- und Ordnungsbehörden zu nennen (daher oft auch als Ordnungsverwaltung bezeichnet), wie z.B. Kontrollen im Straßenverkehr, die Beaufsichtigung gewerblicher Aktivitäten und die Ergreifung von Maßnahmen zum Umweltschutz. Zur Eingriffsverwaltung zählt auch die sogenannte Abgabenverwaltung. Sie dient der Deckung des für den Staatsapparat erforderlichen Finanzbedarfs durch Erhebung von Steuern und Gebühren sowie sonstiger Abgaben. (2) Bedarfsverwaltung Die Bedarfsverwaltung hingegen dient der Beschaffung sämtlicher für die Verwaltung notwendiger Sachgüter (sogenannte Hilfsgeschäfte der Verwaltung, als eine Art fiskalischer Verwaltung) und zur Deckung ihres Personalbedarfs. Diese Art des Verwaltungshandelns stellt sich regelmäßig nicht als Eingriff im Sinne einer Belastung für den Bürger dar (z.B. Einstellung von Bediensteten, Kauf von Büroartikeln), sondern bildet einen eigenen Teil der Verwaltung. (3) Leistungsverwaltung Die Leistungsverwaltung dient der Befriedigung der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Bedürfhisse der Bürger durch Bereitstellung der erforderlichen Mittel und Einrichtungen (z.B. Zahlung von Sozialhilfe, Gewährung von Ausbildungsbeihilfen, Errichtung und Unterhalt von Schulen und Krankenhäusern etc.). Die Verwaltung wird somit im Rahmen der Daseinsfürsorge tätig. Davon unterschieden wird die sogenannte Lenkungsverwaltung, die nicht der Befriedigung eines einzelnen Bedürfnisses dient, sondern vielmehr einen breiteren Bereich zur umfassenden Förderung der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebensverhältnisse (z.B. bei der Subventionsgewährung zur Erhaltung und Unterstützung von kulturellen Einrichtungen und wirtschaftlich schwachen Standorten) abdeckt. Gleichwohl stellen sich diese Verwaltungstätigkeiten letztlich als Daseinsfürsorge für den einzelnen Bürger dar, so dass die Lenkungsverwaltung tatsächlich kaum von der Leistungsverwaltung zu trennen ist. (4) Fiskalische Verwaltung Bei der fiskalischen Verwaltung handelt diese in Form des Privatrechts. Unterschieden werden hierbei drei Tätigkeitsarten. Die Bedarfsverwaltung, zur Anschaffung der für die Verwaltungstätigkeit erforderlichen Sachmittel (-» oben), die erwerbswirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand und die unmittelbare Verwaltungstätigkeit in Form des Privatrechts (sog. Verwaltungsprivatrecht, vor allem bei der Leistungsverwaltung). Die erwerbswirtschaftliche Betätigung der Verwaltung durch Teilnahme des Bundes, der Länder und der Gemeinden am Wirtschaftsverkehr wie ein privater Unternehmer ist umfangreich (insbesondere als Aktionär, Beteiligung (des Bundes) beim Unternehmen Lufthansa, bei der

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Energieversorgung, im Bergbau, Industriebetrieben, Banken und Brauereien). Während die staatliche erwerbswirtschaftliche Betätigung ohne weiteres zulässig ist, sind die Gemeinden hierbei durch gesetzliche Voraussetzungen eingeschränkt. So sind erwerbswirtschaftliche Betätigungen einer Gemeinde nur zulässig, wenn das Unternehmen durch einen öffentlichen Zweck gerechtfertigt ist, nach Art und Umfang in einem angemessenen Verhältnis zur Leistungsfähigkeit der Gemeinde und zum voraussichtlichen Bedarf steht und der Zweck nicht besser und wirtschaftlicher durch einen anderen erfüllt wird oder werden kann (z.B. § 116 GemO-LSA). Das Verwaltungsprivatrecht letztlich findet sich überall dort, wo geeignete öffentlich-rechtliche Vorschriften fehlen (undenkbar, wenn es zur Durchsetzung von Verwaltungsmaßnahmen Zwangsmittel bedarf, z.B. bei der Ordnungs- und Abgabenverwaltung, aber möglich bei der Leistungsverwaltung) und sich die Verwaltung daher der vorhandenen Rechtsfiguren des Privatrechts bedient. Allerdings ist die Verwaltung auch hier dem öffentlichen Recht (insbesondere öffentlich-rechtlichen Grundprinzipien wie Verhältnismäßigkeit) verpflichtet und insbesondere an Grundrechte gebunden. Sie genießt nicht die mit der gewählten Rechtsform im privaten Rechtsverkehr verbundenen Freiheiten. V. Mittel der Verwaltung Hauptinstrument der Verwaltung ist der Verwaltungsakt, der sowohl bei der Eingriffs* als auch bei der Leistungsverwaltung als wichtigstes Mittel zur Durchsetzung öffentlicher Aufgaben gilt. Bei der Eingriffsverwaltung, die stets hoheitliche Verwaltung ist, stellt sich der Verwaltungsakt gegenüber dem Bürger immer als belastend dar. Dagegen ist ein Verwaltungsakt bei der Leistungsverwaltung, also soweit sie in öffentlich-rechtlicher Form handelt, für den Bürger begünstigend. Die Leistungsverwaltung bedient sich darüber hinaus noch einer Reihe weiterer Instrumentarien in privat- und öffentlich-rechtlicher Form (z.B. schlicht hoheitliche (Real-) Akte, Verträge). 1. Der Verwaltungsakt Als einheitlicher und umfassender Begriff ist der Verwaltungsakt in § 35 S. 1 VwVfG legal definiert, der wörtlich so auch in § 31 SGB X und § 118 AO übernommen wurde. Danach ist ein Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Jedes in dieser Definition enthaltene Begriffsmerkmal (Maßnahme, hoheitlich, Behörde, Regelung, Einzelfall, öffentliches Recht und Außenwirkung) dient der Konkretisierung des Verwaltungsaktes und damit zugleich der Abgrenzung zu anderen Handlungsformen der Verwaltung. Zur vollständigen Erklärung des Verwaltungsaktes gilt es daher, die einzelnen Begriffsmerkmale näher zu formulieren.

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a) Die Begriffsmerkmale (1) Maßnahme Verstanden wird hierunter jedes zweckgerichtete Verhalten, welches Menschen oder juristische Personen bzw. deren Untergliederungen zuzurechnen ist. Umfasst wird also jegliches bewußt zum Ausdruck gebrachtes Verhalten, ob in Schrift, durch Zeichen oder Körperbewegungen. Auch die durch Computer oder Maschinen gesteuerten Prozesse gehören dazu, da sie in ihrem Ursprung auf menschliches Verhalten zurückzuführen sind und weitestgehend der Vereinfachung vieler gleichgerichteter Verhaltensmuster dienen sollen (z.B. Erstellung von Bescheiden durch Anwendung von Computerprogrammen). (2) Hoheitlich Eine Handlung ist dann hoheitlich, wenn sie dem öffentlichen Recht zuzurechnen ist. Anders ausgedrückt muss es sich um eine obrigkeitliche Maßnahme handeln, deren Befugnis dem öffentlichen Recht entspringt. Davon unterschieden werden alle privatrechtlichen Handlungen der Verwaltung, also auch verwaltungsprivatrechtliche Maßnahmen (fiskalische Verwaltung), denen somit kein Verwaltungsaktcharakter zukommt. (3) Behörde Der Behördenbegriff i.S.d. § 35 S. 1 VwVfG ist sehr weit gefasst. Nach § 1 IV VwVfG ist eine Behörde jede Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt. Hierunter zählen alle Organisationseinheiten des Staates ohne Rücksicht auf ihre konkrete Bezeichnung, die sich i.w.S. mit der Ausführung von Rechtssätzen des öffentlichen Rechts zur eigenen Verantwortung befassen. (4) Regelung Die Maßnahme einer Behörde hat nur dann Verwaltungsaktcharakter, wenn sie einen Regelungsgehalt beinhaltet, also nach ihrem Inhalt auf eine bestimmte Rechtsfolge gerichtet ist. Eine Regelung in diesem Sinne liegt dann vor, wenn eine rechtsverbindliche Anordnung, eine Willenserklärung abgegeben wird, die eine Entscheidung darüber trifft, ob ein Recht oder eine Pflicht begründet, geändert, aufgehoben oder festgestellt werden. Die in § 35 S. 1 VwVfG verwendeten Bezeichnungen „Verfügung" und „Entscheidung" bezeichnen dabei nur Beispiele von Regelungsarten. Auch für die Allgemeinverfügungen (sie richten sich an nach allgemeinen Merkmalen bestimmte oder bestimmbare Personenkreise) gemäß § 35 S. 2 VwVfG gilt nichts anderes. Zudem bringt das Merkmal Regelung eine Doppeldeutigkeit mit sich: So hat es einmal in verfahrensrechtlicher Hinsicht Bedeutung, da mit der Regelung als Erkenntnisakt ein Verwaltungsverfahren abgeschlossen wird. Andererseits bestimmt die Regelung in materiell-rechtlicher Hinsicht die Rechtsbeziehung zwischen Verwaltung und Bürger. (5) Einzelfall Im Gegensatz zu Rechtsnormen, die eine unbestimmte Zahl von Fällen und Personen betreffen und daher abstrakt-generelle Regelungen aufstellen, ist ein Merkmal des Verwaltungsaktes, dass er einen einzelnen Fall, also individuellkonkret (Allgemeinverfügung generell-konkret) regelt. Dieses Begriffsmerkmal dient daher der Abgrenzung zu Rechtsnormen. (6) Öffentliches Recht Dieses Kriterium findet sich scheinbar schon im Erfordernis der „Hoheitlichkeit" der Maßnahme wieder. Maßgeblich ist danach also eine wirkliche oder vermeintliche öffentlich-rechtliche Befugnis meist in Form von Normen. Doch wird der vermeintlichen Überflüssigkeit damit begegnet, dass zwar hoheitliches Verhalten

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stets nur öffentlich-rechtlich erfolgen kann. Andererseits schlussfolgert man aus der Verwendung beider Begriffe in § 35 S. 1 VwVfG, dass nicht jedes öffentlichrechtliche Verhalten sogleich hoheitlich im Sinne der Vorschrift ist. (7) Außenwirkung Die Kriterien eines Verwaltungsaktes sind nur dann erfüllt, wenn die jeweilige Regelung unmittelbar Außenwirkung entfaltet. Dies ist zu bejahen, wenn eine Regelung den verwaltungsinternen Bereich verlässt und in ihrer Rechtsfolge direkt, also durch Bezeichnung im Entscheidungssatz der Maßnahme, eine natürliche oder juristische Person betrifft. Maßnahmen in den besonderen Gewaltverhältnissen (sogenannte Sonderrechtsverhältnisse, wie Beamten-, Schul-, Wehrdienst- und Anstalts- und Benutzungsverhältnis) sind nunmehr grundsätzlich, soweit sie nicht lediglich die internen Regelungen der Behörde (das Betriebsverhältnis), sondern auch die individuelle Rechtssphäre des Adressaten betreffen, als Verwaltungsakte zu qualifizieren. b) Arten von Verwaltungsakten Die durch Verwaltungsakt von einer Behörde getroffenen Entscheidungen erfassen eine Fülle verschiedener Typen. Anknüpfend an den Regelungsinhalt eines Verwaltungsaktes lassen sie sich in befehlende, gestaltende und feststellende Entscheidungen differenzieren, wodurch regelmäßig auch eine etwaige Klageart bestimmt wird. (1) Befehlende Verwaltungsakte Sie enthalten Gebote oder Verbote, die zu einem bestimmten Tun, Dulden oder Unterlassen verpflichten (Verfügungen). Demnach kommen sie bei der Eingriffsverwaltung und insbesondere im Bereich der Polizei-, Ordnungs- und Abgabenverwaltung zur Anwendung. Allein Verwaltungsakte dieser Art sind vollstreckungsfähig und bedürfen zur Durchsetzung der jeweiligen Entscheidung auch der Vollstreckung, zu der ebenfalls die erlassende Behörde berufen ist. (2) Gestaltende Verwaltungsakte Als solche werden Entscheidungen bezeichnet, deren Regelungen die Begründung, Änderung oder Aufhebung von Rechtsverhältnissen beinhalten. Hierzu gehören beispielsweise die Erteilung oder auch der Widerruf einer Erlaubnis, die Ernennung oder Entlassung eines Beamten. Gestaltende Verwaltungsakte können sich aber auch auf private Rechtsverhältnisse beziehen (z.B. Genehmigung der Grundstücksveräußerung nach Nichtinanspruchnahme eines gemeindlichen Vorkaufsrechts). Hierbei handelt es sich um privatrechtsgestaltende Verwaltungsakte. (3) Feststellende Verwaltungsakte Durch diese werden Ansprüche oder andere rechtlich erhebliche Eigenschaften von Personen und Sachen (z.B. Feststellung von Ausbildungsbeihilfen, Wohnsitz, Wahlrecht, Grundstückseinheitswert) verbindlich festgestellt. Da feststellende Verwaltungsakte nur zum Ausdruck bringen, was de lege lata bereits gilt, kann hier im einzelnen die Abgrenzung zur rechtlich unverbindlichen Mitteilung oder Meinungsäußerung schwierig sein. Gleichwohl kommt den feststellenden Verwaltungsakten gegenüber anderen Verwaltungsakten keine mindere Bedeutung zu, da die Feststellung rechtlich verbindlich ist und damit konstitutiv wirkt. Dies aber kommt vor allem auch dem Bürger, gerade bei der Behörde eingeräumten Ermessensspielraum, zugute, da insofern Rechtssicherheit gewährleistet wird. Im Gegensatz zu den gestaltenden Verwaltungsakten zielen feststellende Verwaltungsakte nicht auf eine Änderung der materiellen Rechtslage ab, so dass Ab-

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grenzungsprobleme nur selten auftreten. Nimmt man als Anknüpfungspunkt für die Unterscheidung der Arten von Verwaltungsakten deren Rechtswirkung für den betreffenden Bürger, so lassen sich diese in begünstigende und belastende Verwaltungakte einordnen. (4) Begünstigende Verwaltungsakte Diese begründen oder bestätigen nach der Legaldefinition in § 48 I 2 VwVfG ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil (z.B. Bewilligung von Wohngeld, Erteilung einer Baugenehmigung). (5) Belastende Verwaltungsakte Diese entfalten für den Betroffenen stets eine nachteilige Wirkung durch Eingriff in Rechte des Betroffenen oder auch durch Ablehnung eines bestimmten Begehrens (z.B. Versagung einer beantragten Baugenehmigung oder Gaststättenerlaubnis, Nichtbewilligung von Fördermitteln oder Ausbildungszuschüssen, sowie alle Gebote und Verbote). Darüber hinaus können Verwaltungsakte auch beide Elemente erfassen, also sowohl begünstigend als auch belastend zugleich sein. Dies kann durch mit einer Leistung verbundenen Verpflichtung und durch nur teilweisen Zuspruch begehrter Leistungen erfolgen. Des weiteren können Verwaltungsakte, die regelmäßig an einen bestimmten Adressaten gerichtet sind, auch rechtliche Auswirkungen anderen gegenüber entfalten. Insoweit spricht man von Verwaltungsakten mit (meist belastender) Drittwirkung (z.B. Erteilung einer Baugenehmigung, die den Nachbarn des Bauherrn in seinen Rechten beeinträchtigt). Stellt man auf das Ausmaß der Bindungswirkung der Behörde beim Erlassen eines Verwaltungsaktes ab, so sind gebundene Verwaltungsakte, Ermessensakte und freie Verwaltungsakte zu unterscheiden: (6) Gebundene Verwaltungsakte Diese liegen vor, wenn sie die Behörde bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen der konkret anzuwendenden Normen erlassen muss („Muss-Vorschrift") oder bei deren NichtVorliegen nicht erlassen darf. Eine Relativierung der gesetzlichen Bindung folgt jedoch aus den im Tatbestand als auch auf der Rechtsfolgenseite vorkommenden unbestimmten (normativen und deskriptiven) Rechtsbegriffen (wie z.B. Gemeinwohl, öffentliches Interesse, Gefahr, Eignung und Befähigung), die der Auslegung bedürfen. Hieraus ergibt sich, dass bei gleichen Sachverhalten unter Anwendung derselben gesetzlichen Regelungen durch verschiedene Sachbearbeiter unterschiedliche Ergebnisse erzielt werden können, aber auch dürfen. Denn der Verwaltung steht insofern ein Beurteilungsspielraum zu. (7) Ermessensakte Der Entscheidungsspielraum der Behörde wird gesetzestechnisch durch verschiedenartige Formulierungen ausgeweitet, die den Behörden bei der Entscheidungsfindung in vielen Fällen einen Ermessenspielraum einräumen. So finden sich in öffentlich-rechtlichen Vorschriften vor allem sprachliche Formulierungen, wie „kann", und „darf wieder. Geringeren Spielraum für Verwaltungsermessen bieten die „Soll-Vorschriften" (sogenanntes eingeschränktes Ermessen, nur bei Ausnahmen kann von der gesetzlich vorgesehenen Rechtsfolge abgewichen werden). Gelegentlich werden aber auch ausdrücklich Ermessenshandlungen normiert (...hat die Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen...). Diese sogenannten Ermessensvorschriften ermächtigen die Behörde, entsprechend ihrem Inhalt in eigener Verantwortung Maßnahmen unterschiedlicher oder sogar gegensätzlicher Art in gleicher Weise als zulässig und rechtmäßig zu ergreifen. Zu unterscheiden sind

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dem Inhalt der Ermächtigungsvorschrift nach, das Entschließungsermessen (ob überhaupt eine Rechtsfolge gesetzt, also die Verwaltung tätig werden soll) und das Auswahlermessen (welche von mehreren zulässigen Maßnahmen ergriffen oder gegen welchen von mehreren in Betracht kommenden Adressaten sich eine Maßnahme richten soll). Bei dieser Entscheidung kann die Verwaltung jedoch nicht nach Belieben verfahren. Vielmehr hat sie ihr Ermessen an Zweck und Grenzen der Ermächtigung auszurichten und insbesondere unter gerechter und billiger Abwägung des öffentlichen Interesses mit den Belangen des betreffenden Bürgers nach sachlichen Kriterien auszuüben. Darüber hinaus sind in allen Teilen der Entscheidungsfindung die Grundsätze der Zweckmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit zu beachten.

(8) Gesetzesfreie Verwaltungsakte Sie lassen sich (schon nach dem Wortlaut) anders als die gebundenen Verwaltungsakte und Ermessensakte nicht auf eine entsprechende gesetzliche Grundlage stützen. Dies bedeutet freilich nicht, dass die Verwaltung willkürlich Verwaltungsakte dieser Art zu erlassen berechtigt ist. Denn nach Art. 20 Abs. 3 GG ist die Verwaltung nicht nur an Gesetze, sondern und vor allem auch an das Recht gebunden. Somit unterliegen gesetzesfreie Verwaltungsakte unmittelbar dem Verfassungsrecht (z.B. bei der Selbstbindung der Verwaltung, die aus Art. 3 Abs. 1 GG herzuleiten ist) und damit auch normativen Bedingungen.

(9) Der Realakt Realakte (Tathandlungen, tatsächliches, schlichtes Verwaltungshandeln) sind im Gegensatz zum Verwaltungsakt nicht final auf eine Rechtsfolge gerichtet, sondern fuhren unmittelbar nur einen tatsächlichen Erfolg herbei und unterscheiden sich somit auch von den Rechtsakten. Diese Art von Verwaltungstätigkeiten findet sich in der täglichen Praxis der Verwaltung wieder (wie z.B. die Erteilung von Auskünften, Akteneinsichtnahme, Vorbereitung von Verwaltungsentscheidungen, Dienstfahrten etc.). Schwierigkeiten bietet vielfältig die Klärung der Frage, ob Verwaltungs-Realakte dem öffentlichen Recht oder dem Privatrecht rechtlich zuzuordnen sind. Eine eindeutige Zuordnung ist von erheblicher Bedeutung für den durch Realakte Betroffenen. Denn danach richtet sich, wo er um Rechtsschutz ersuchen und welche Ansprüche (nach welchen Anspruchsgrundlagen) er gegebenenfalls geltend machen kann. Auch hier sind zur Qualifikation von Verwaltungs-Realakten die bereits oben genannten Theorien, insbesondere die Sonderrechts- bzw. modifizierte Subjektstheorie heranzuziehen. Denn ein Verwaltungs-Realakt ist als öffentlich-rechtliche Maßnahme zu qualifizieren, wenn die mit ihm zu erfüllende Aufgabe auch öffentlich-rechtlich geordnet ist, so dass es wiederum auf die Qualifizierung der konkret anzuwendenden Rechtssätze (ob solche des Privatrechts oder des öffentlichen Rechts) ankommt.

(10) Der Verwaltungsvertrag Während der Verwaltungsakt einseitig durch die Behörde eine Rechtsfolge herbeiführt, kann mit dem verwaltungsrechtlichen Vertrag ein einvernehmlicher Weg zu einer bestimmten Rechtsfolge durch entsprechende Einigung der Behörde mit dem Bürger beschritten werden. Diese Handlungsform erfährt grundsätzliche Bestimmungen durch die Vorschriften der §§ 54-62 VwVfG. Gemäß § 62 VwVfG gelten darüber hinaus subsidiär die übrigen Vorschriften des VwVfO und in entsprechender Anwendung ergänzend die Vorschriften des BGB. Unterschieden werden koordinationsrechtliche (grundsätzlich gleichgeordnete Parteien, § 54 S. 1 VwVfG) und subordinationsrechtliche (außerhalb des Vertrages bestünde ein

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Verhältnis der Parteien von Über-Unterordnung, §§ 54 S. 2, 55, 56 VwVfG) Verträge. Die Abgrenzung des öffentlich-rechtlichen Vertrages vom privatrechtlichen Vertrag erfolgt über die Bestimmung des Vertragsgegenstandes (worauf auch § 54 S. 1 VwVfG abstellt). Dabei reicht es für die Annahme eines öffentlich-rechtlichen Vertrages schon aus, wenn lediglich eine von mehreren vertraglich begründeten Rechtsbeziehungen dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist. Zur Wirksamkeit bedürfen Verwaltungsverträge regelmäßig (entgegen dem Grundsatz im Privatrecht) der Schriftform (§ 57 VwVfG). (11) Die Rechtsverordnung Die Rechtsverordnung stellt allgemein verbindliche Anordnungen für eine Vielzahl von Sachverhalten und Personen auf und ähnelt aufgrund ihres abstrakt-generellen Regelungscharakters den förmlichen Gesetzen. Dadurch unterscheidet sie sich von dem auf Einzelfallregelung gerichteten Verwaltungsakt und wegen ihrer Außenwirkung von den nur intern geltenden Verwaltungsvorschriften. Über Art. 80 und 82 GG wird die Rechtsetzungsbefugnis in Form von Rechtsverordnungen auf die Exekutive übertragen, die insoweit (beschränkt) gesetzgeberisch tätig wird. Dass die Befugnis Rechtsverordnungen zu erlassen gleichermaßen allen Verwaltungsstufen zusteht (der Bundes- und Landesregierung ebenso wie Ministern und nachgeordneten Behörden als auch Selbstverwaltungskörperschaften), macht die Rechtsverordnung zu einem wichtigen Instrument der Verwaltungstätigkeit. (12) Verwaltungszwang Die Verwaltung ist selbst, ohne Inanspruchnahme besonderer Organe, zur Vollstreckung und damit zur zwangsweisen Durchsetzung von verwaltungsrechtlichen Ansprüchen berufen (bei privatrechtlichen Forderungen, Verwaltungsvertrag oder Inanspruchnahme verschiedener Verwaltungsträger untereinander ist dagegen eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen). Die Voraussetzungen einer zulässigen Vollstreckungsmaßnahme ergeben sich aus dem Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz (VwVG) und der entsprechenden Landesgesetze sowie Sonderregelungen (z.B. SOG LSA) Unterschieden wird dabei in Vollstreckung wegen Geldforderungen und der Erzwingung von Handlungen, Duldungen oder Unterlassungen. Als Vollstreckungstitel bedarf es bei beiden Vollstreckungsarten eines vollstreckbaren, also befehlenden sowie unanfechtbaren oder sofort vollziehbaren Verwaltungsaktes. Nur ausnahmsweise (Gefahr im Verzug oder Unterwerfung nach § 61 VwVfG) sind diese Voraussetzungen entbehrlich. Als Zwangsmittel der Verwaltung sind die Ersatzvornahme, das Zwangsgeld (soweit nicht beizutreiben, darf „Ersatzzwangshaft" als nicht selbständiges Zwangsmittel verhängt werden) und unmittelbarer Zwang zulässig (§§ 9 ff. VwVG).

VI. Grenzen und Kontrolle der Verwaltung 1. Die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung Sie ist tragender Grundsatz des Rechtsstaates, der verfassungsrechtlich in Art. 20 Abs. 3 GG zum Ausdruck gebracht wurde, und bindet die Verwaltung an die bestehenden Gesetze. Der Grundsatz enthält einmal den Vorrang des Gesetzes und zum anderen den Vorbehalt des Gesetzes:

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a) Der Vorrang des Gesetzes Er hat Geltung für alle Bereiche der Verwaltung und verbietet der Verwaltung, Maßnahmen zu ergreifen, die einem Gesetz widersprechen würden. Gemeint sind in erster Linie förmliche Gesetze. Da diese jedoch allen übrigen Rechtsquellen vorgehen, werden nachrangige Vorschriften (wie Rechtsverordnungen und Satzungen) ebenso vom Vorrang des Gesetzes erfasst. In Konsequenz ergibt sich bei Nichtbeachtung des Vorrangs des Gesetzes die Folge, dass Rechtsverordnungen nichtig sind. Dies gilt grundsätzlich auch für Satzungen (vgl. aber §§ 214, 215 BauGB). Verwaltungsverträge sind unter den Voraussetzungen des § 59 VwVfG nichtig. Dagegen sind rechtswidrige Verwaltungsakte grundsätzlich (Nichtigkeit unter den Voraussetzungen des § 44 VwVfG, insbesondere wenn sie an besonders schwerwiegenden Mängeln leiden) nur anfechtbar und rücknehmbar. b) Der Vorbehalt des Gesetzes Der Vorbehalt des Gesetzes oder auch Gesetzesvorbehalt verlangt eine gesetzliche Grundlage für Verwaltungshandlungen. Auch hier sind wiederum alle auch nicht im förmlichen Gesetzgebungsverfahren erlassene Vorschriften umfasst, da diese ihrerseits auf der Grundlage förmlicher Gesetze entstanden sind. Das bedeutet, die Verwaltung bedarf positiv einer normativen Ermächtigung für ihr Tätigwerden. Die Frage ist jedoch, ob der Gesetzesvorbehalt für alle Bereiche der Verwaltung zutrifft. Für die Eingriffsverwaltung kann dies schlichtweg bejaht werden, da hier jedenfalls in Rechte (Eigentum, Freiheit) der Bürger eingegriffen wird. Insofern hat die zum Eingriff ermächtigende Vorschrift Inhalt, Gegenstand, Zweck und Ausmaß des Eingriffs hinreichend zu bestimmen. Aber auch bei der immer wichtiger werdenden Leistungsverwaltung gewinnt der Gesetzesvorbehalt zunehmend an Bedeutung. Das heißt, Bereiche, die wesentliche Angelegenheiten der Bürger oder der Allgemeinheit betreffen, bedürfen einer umfassenderen Regelung als weniger wesentliche (der Bestimmtheitsgrundsatz ist im Lichte des Gesetzesvorbehalts nach der Wesentlichkeitstheorie des BVerfG zu interpretieren, BVerfGE 58, 257 (278)). Anknüpfungspunkte sind hierbei die Intensität und Nachhaltigkeit einer drohenden (Grund-) Rechtsverletzung unter Beachtung auch der verfassungsrechtlichen Gebotenheit.

2. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz In allen Bereichen und für alle Maßnahmen der Verwaltung ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als gewohnheitsrechtlich anerkannter Grundsatz des Verwaltungsrechts zu beachten. Er ergibt sich darüber hinaus aber auch aus dem Grundgesetz, nämlich sowohl aus Einzelgrundrechten als auch aus Art. 19 Abs. 2 GG und dem Rechtsstaatsprinzip. Auch als Übermaßverbot bezeichnet, verlangt er, dass die von der Verwaltung eingesetzten Mittel geeignet und erforderlich zur Erreichung des angestrebten Zweckes sind und Mittel und Zweck in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen.

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3. Staatliche Aufsicht Der Regelfall ist die Landeskompetenz der Verwaltung, so dass auf dieser Ebene die staatliche Aufsicht von Bedeutung wird. Die Aufsichtsbefugnisse (aber auch Weisungsbefugnisse) dienen der Koordination und Kontrolle der Verwaltungstätigkeit durch die jeweils übergeordnete Behörde. Die staatliche Aufsicht ist die Fachaufsicht (Kontrolle der rechtmäßigen und zweckmäßigen Erfüllung von Verwaltungsaufgaben) und die Dienstaufsicht (Kontrolle der inneren Ordnung, Geschäftsführung und Personalangelegenheiten). Die wichtigsten Aufsichtsmittel sind die Informationsbefugnis, die Beanstandung (auch Aufhebung oder Anweisung zur Aufhebung rechtswidriger Verwaltungsmaßnahmen) und die Ersatzvornahme. Bei der mittelbaren Landesverwaltung (Verwaltung durch Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts), hierzu gehören vorbehaltlich ihrer Sonderstellung und ihrem Selbstverwaltungsrecht auch die Gemeinden, kommen noch Aufsichtsmittel wie Genehmigungsvorbehalt (z.B. von Gemeindebeschlüssen) und Anzeigenvorbehalt (Anzeige bestimmter Vorhaben an Aufsichtsbehörde) in Betracht. 4. Rechtsschutz für durch Verwaltungsmaßnahmen Betroffene Eine umfassende Rechtschutzgarantie gegen Rechtsverletzungen durch die öffentliche Gewalt ist verfassungsrechtlich durch Art. 19 Abs. 4 GG jedermann gewährleistet. a) Widerspruch Zur Überprüfung von Verwaltungsakten (hierzu gehören auch Aufsichtsmaßnahmen) hingegen ist der förmliche Rechtsbehelf des Widerspruchs, mit der Folge der Überprüfung der Recht- und Zweckmäßigkeit des erlassenen Verwaltungsaktes und anschließender Bescheidung durch die regelmäßig nächsthöhere Behörde, soweit die erlassende Behörde die Abhilfe verweigert, das wichtigste Rechtsschutzmittel. Die Regelungen zum Widerspruch (Vorverfahren zur Einleitung von Anfechtungs- oder Verpflichtungsklagen) ergeben sich aus §§ 68 ff. VwGO und den jeweiligen Ausführungsgesetzen (AGVwGO). Subsidiär kommen die Vorschriften des VwVfG zur Anwendung. Dieser Rechtsbehelf hat gemäß § 80 I VwGO aufschiebende Wirkung, auch als Suspensiveffekt bezeichnet, der bewirkt, dass der angegriffene Verwaltungsakt erst nach endgültiger Entscheidung durchsetzbar ist. b) Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz Darüber hinaus kann ein Betroffener auch bei allen anderen Maßnahmen um gerichtliche Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen ersuchen. Für die Frage des Rechtswegs ist wiederum entscheidend, ob die Rechtsstreitigkeit privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Natur ist, wobei eine Zuweisung über die Generalklauseln des § 13 GVG und § 40 VwGO erfolgt. Zur Abgrenzung der privatrechtlichen von der öffentlich-rechtlichen Streitigkeit sind die bereits unter -> Abschnitt IV.2.a) erörterten Theorien, insbesondere die modifizierte Subjektstheorie oder Sonderrechtstheorie heranzuziehen.

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Öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nicht-verfassungsrechtlicher Art (soweit der Bürger beteiligt ist oder nicht ausschließlich Verfassungsorgane um Verfassungsrecht streiten) sind dabei grundsätzlich den Verwaltungsgerichten zugewiesen. Darüber hinaus können Sonderzuweisungen an die Verwaltungsgerichte erfolgen (vgl. § 126 I BRRG, § 32 WPflG, § 54 BAföG und § 71 III DRiG). Dagegen sind vermögensrechtliche Ansprüche aus Aufopferung und öffentlich-rechtlicher Verwahrung sowie Schadensersatzansprüche aus Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten (Amtspflichtverletzung Art. 34 GG), die nicht auf einen öffentlichrechtlichen Vertrag beruhen, gemäß § 40 II VwGO den ordentlichen Gerichten zugewiesen. Dem Rechtsuchenden stehen dabei entsprechend seines Begehrens verschiedene Klagearten zur Seite: Gegen oder zum Erlaß eines begehrten Verwaltungsakts ist die Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage gemäß § 42 VwGO statthaft. Begehrt der Bürger eine Verurteilung der Verwaltung zu einem Tun, Dulden oder Unterlassen, ist statthafte Klageart die allgemeine Leistungsklage, soweit sein Begehren nicht mit der Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage oder in einem Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO verfolgbar ist. Eine ausdrückliche Regelung der allgemeinen Leistungsklage existiert zwar nicht, findet aber in §§ 43 II, 111, 113 IV, 169 II VwGO Erwähnung und danach allgemeines Anerkenntnis. Die Feststellungsklage gemäß § 43 VwGO ist auf die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes gerichtet. Sie kommt jedoch nur subsidiär zur Anwendung, wenn das Klageziel nicht durch Gestaltungs- (z.B. Anfechtungsklage) oder Leistungsklage (Verpflichtungs- oder allgemeine Leistungsklage) erreichbar ist (§ 43 II VwGO). Das Normenkontrollverfahren gemäß § 47 VwGO dient der Überprüfung von Satzungen nach dem BauGB sowie im Rang unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften, sofern das Landesrecht dies bestimmt, auf ihre Gültigkeit. Zu beachten ist hierbei die Zuständigkeit des Oberverwaltungsgerichts. Letztlich besteht die Möglichkeit, das Gericht um vorläufigen Rechtsschutz wegen Eilbedürftigkeit zu ersuchen. Zu unterscheiden ist hier der Antrag auf Wiederherstellung oder Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 VwGO und der Antrag auf Erlaß einstweiliger Anordnung gemäß § 123 I VwGO. Zur Bestimmung, welcher Rechtsschutz konkret in Frage kommt, dient die Regelung in § 123 V VwGO. Daraus ergibt sich die Schlussfolgerung, dass § 80 VwGO auf Widerspruch und Anfechtungsklage und § 123 VwGO auf alle Leistungsklagen und die Feststellungsklage anzuwenden ist. Allgemein ausgedrückt, bestimmt die Form der Klage in der Hauptsache diejenige des vorläufigen Rechtsschutzes. Über Anträge im vorläufigen Rechtsschutzverfahren entscheidet das Gericht durch Beschluss (§§ 80 VII 1, 123 IV VwGO).

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§ 20 Finanzierung staatlicher Aufgaben Martin Doetschmann und Dieter Engels I. Einleitung - II. Die Verteilung der staatlichen Aufgaben und Ausgaben - III. Die Verteilung des Steueraufkommens - IV. Verfahren der Haushaltsgesetzgebung und - kontrolle im Deutschen Bundestag Grundlagenliteratur: Bull, Hans-Peter (1999): „Finanzausgleich im Wettbewerbsstaat. Bemerkungen zur neuen Föderalismustheorie und zu ihrer Bedeutung für den Länderfinanzausgleich". In: DÖV, S. 269ff. Eickenboom, Peter (1989): „Haushaltsausschuss und Haushaltsverfahren". In: Schneider, Hans Peter / Zeh, Wolfgang (Hg.): Parlamentsrecht und Parlamentspraxis der Bundesrepublik Deutschland. Berlin, S. 1183ff. Henneke, Hans-Günter (22000): öffentliches Finanzwesen. Heidelberg Katz, Alfred (141999): Staatsrecht. Heidelberg Maunz, Theodor / Zippelius, Reinhold (1998). Deutsches Staatsrecht. München Maurer, Hartmut (1999): Staatsrecht. München

I. Einleitung Der moderne Staat hat eine Vielzahl öffentlicher Aufgaben und Funktionen wahrzunehmen. Die dafür erforderlichen Finanzmittel muss er sich weitgehend durch die Erhebung von Steuern und sonstigen Abgaben sowie - soweit erforderlich - durch die Aufnahme von Krediten am Kapitalmarkt beschaffen. Das Grundgesetz teilt die Erfüllung der staatlichen Aufgaben zwischen dem Bund und den Ländern (einschließlich der Gemeinden und Gemeindeverbände; §§ 6 u. 7) auf. Bund und Länder nehmen ihre jeweiligen Aufgaben eigenständig und eigenverantwortlich wahr. Die Grundlagen der finanziellen Beziehungen zwischen Bund und Ländern sind in der Finanzverfassung des Grundgesetzes (Art. 104 a - 108 GG) geregelt. Dort finden sich insbesondere Bestimmungen zur Verteilung der Ausgaben auf den Bund und die Länder, die mit der Wahrnehmung staatlicher Aufgaben verbunden sind, zur Verteilung der Gesetzgebungskompetenz im Steuerwesen und zur Verteilung des Steueraufkommens auf den Bund und die Länder sowie zwischen den Ländern. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU; -> s.a. § 17) haben in den vergangenen Jahren zunehmend Aufgaben auf die europäische Ebene verlagert. Sie müssen auch die Finanzmittel zur Verfügung stellen, welche die EU zur Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben benötigt.

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II. Die Verteilung der staatlichen Aufgaben und Ausgaben 1. Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern Nach der allgemeinen Regelung des Art. 30 GG zur Verteilung der Zuständigkeiten zwischen dem Bund und den Ländern ist die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung staatlicher Aufgaben grundsätzlich Sache der Länder. Zuständigkeiten des Bundes können dagegen nur begründet sein, soweit das Grundgesetz eine andere Regelung trifft oder zulässt. 2. Der Grundsatz gesonderter Ausgabentragung Die Verteilung der staatlichen Aufgaben auf den Bund und die Länder erfordert auch eine Aufteilung der damit verbundenen Ausgaben. Nach Art. 104 a Abs. 1 GG haben der Bund und die Länder gesondert die Ausgaben zu tragen, die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben (Konnexitätsprinzip). Die Aufgaben, die der Bund und die Länder im Einzelnen wahrzunehmen haben, ergeben sich aus den Verwaltungskompetenzen (Katz: 141999 S. 239). Aus dem Konnexitätsprinzip folgt daher, dass die Verwaltungskompetenzen letztlich auch für die Verteilung der Ausgabenlasten maßgeblich sind. Ausnahmen vom Konnexitätsprinzip sind nur zulässig, wenn das Grundgesetz etwas anderes bestimmt (104a Abs. 1 GG). a) Gesonderte Ausgabentragung bei der Ausführung von Gesetzen Nach dem Konnexitätsprinzip haben die Länder die Finanzierungslast zu tragen, soweit sie Landesgesetze ausfuhren. Hierzu sind sie mangels anderweitiger Vorschriften des Grundgesetzes allein zuständig (Art. 30 GG). Entsprechendes gilt, wenn die Länder Bundesgesetze nach Art. 83 GG als eigene Angelegenheit ausfuhren. Hierfür sind sie regelmäßig zuständig, soweit das Grundgesetz nichts anderes bestimmt oder zulässt (Art. 83 GG). Ebenso hat der Bund die Finanzierungslast zu tragen, soweit ihm das Grundgesetz die Ausführung der Bundesgesetze übertragen hat (vgl. Art. 86 ff. GG). b) Gesonderte Ausgabentragung bei der gesetzesfreien Verwaltung Auch wenn der Bund und die Länder Aufgaben erfüllen, die gesetzlich nicht geregelt sind (sogenannte gesetzesfreie Verwaltung), richtet sich die Verteilung der Finanzierungslast grundsätzlich nach dem Konnexitätsprinzip. Die Verteilung der Zuständigkeiten bei der gesetzesfreien Verwaltung ergibt sich aus Art. 30 GG. Die Länder können in diesem Bereich aufgrund ihrer allgemeinen Zuständigkeit für die Erfüllung staatlicher Aufgaben immer tätig werden, soweit das Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zulässt. Der Bund kann im Rahmen der gesetzesfreien Verwaltung tätig werden, wenn ihm das Grundgesetz bestimmte Zuständigkeiten zugewiesen hat, wie z.B. den Auswärtigen Dienst (Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG). Darüber hinaus kann der Bund auch Zuständigkeiten besitzen, die nicht ausdrücklich im Grundgesetz genannt sind. Solche ungeschriebenen Verwaltungskompetenzen des Bundes hat das Bundesverfassungsgericht (-» § 15) in engen Grenzen „kraft Sachzusammenhangs" und aus „der Natur der Sache" bei Ausnahmefällen anerkannt, weil be-

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stimmte staatliche Aufgaben „ihrer Natur nach eigenste, der partikularen Länderzuständigkeit a priori entrückte Angelegenheiten des Bundes darstellen" und nur vom Bund geregelt werden können (vgl. dazu BVerfGE 22, 180, 216 f). Nach Auffassung des Gerichts muss es sich hierbei um Aufgaben mit eindeutig überregionalem Charakter handeln, die ihrer Art nach nicht durch ein Land allein wirksam gefördert werden können. Die ungeschriebenen Finanzierungszuständigkeiten des Bundes sollten bei der Finanzreform 1969 in einer Verwaltungsvereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern näher abgegrenzt werden Dem Entwurf einer solchen Verwaltungsvereinbarung 22 (Entwurf des sogenannten Flurbereinigungsabkommens), den Vertreter des Bundes und der Länder im Jahre 1971 erstellt hatten, stimmten die Länder jedoch nicht zu. Dennoch hat der Entwurf eine erhebliche Bedeutung für die Praxis gewonnen, weil ihn der Bund bis in die Gegenwart als Richtschnur zur Abgrenzung seiner ungeschriebenen Kompetenzen benutzt. Der Entwurf des Flurbereinigungsabkommens erlaubt es dem Bund bei Aufgaben, die für das Bundesgebiet als Ganzes von Bedeutung sind und wegen ihres außerordentlichen finanziellen Aufwands sinnvollerweise nur vom Gesamtstaat gefördert werden können, allein oder im Zusammenwirken mit den Ländern die Finanzierung zu übernehmen. Dazu gehören gesamtstaatliche Repräsentationsaufgaben, die Förderung bundeswichtiger Auslandsbeziehungen und der wissenschaftlichen Großforschung sowie Maßnahmen der gesamtstaatlichen Wirtschaftsförderung.

3. Ausnahmen vom Konnexitätsprinzip Angesichts der allgemeinen Kompetenzverteilung des Grundgesetzes in Art. 30 würde eine ausnahmslose Anwendung des Konnexitätsprinzips, zu Lasten der Länder gehen. So könnte z.B. die Ausführung finanzwirksamer Bundesgesetze in bestimmten Fällen zu einer übermäßigen Belastung der Länder führen. Einige Vorschriften des Grundgesetzes enthalten daher die von Art. 104 a Abs. 1 GG zum Konnexitätsprinzip zugelassenen Ausnahmebestimmungen. Die wichtigsten Ausnahmevorschriften sind nachstehend zusammengestellt. Danach hat sich der Bund an der Finanzierung von Aufgaben zu beteiligen, die in der Verwaltungskompetenz der Länder stehen. Davon betroffen sind allerdings nur die Ausgaben, die unmittelbar der Wahrnehmung der betreffenden Aufgabe dienen (sogenannte Zweckausgaben), nicht aber die Verwaltungsausgaben. Denn nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG haben der Bund und die Länder die bei ihnen entstehenden Verwaltungsausgaben, also die Kosten des Verwaltungspersonals und der Verwaltungseinrichtungen, selbst zu tragen. a) Auftragsverwaltung Als Ausnahme vom Konnexitätsprinzip regelt Art. 104 a Abs. 2 GG, dass der Bund die Ausgaben zu tragen hat, wenn die Länder Bundesgesetze in seinem

21 Vgl. Begründung zum Regierungsentwurf des Finanzreformgesetzes BT-Drs. V/2861 Tz. 73 ff. 22 Der Entwurf der „Verwaltungsvereinbarung über die Finanzierung öffentlicher Aufgaben von Bund und Ländern" ist abgedruckt in Schmidt-Bleibtreu/Klein: 1999, Art. 30 Rn

8.

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Auftrag ausführen. Diese Regelung rechtfertigt sich aus dem großen Einfluss des Bundes und seinen Kontrollmöglichkeiten im Bereich der Auftragsverwaltung (vgl. Art. 85 Abs. 3 und 4 GG). So unterstehen bei dieser Verwaltungsart die Landesbehörden den Weisungen der obersten Bundesbehörden (Art. 85 Abs. 3, S. 1 GG). Weiter steht dem Bund die Bundesaufsicht zu, die sich auf die Gesetzmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungshandelns der Landesbehörden erstreckt (Art. 85 Abs. 4, S. 1 GG). Fälle der Bundesauftragsverwaltung sind z. B. die Verwaltung von Steuern, die ganz oder zum Teil dem Bund zufließen (Art. 108 Abs. 3 GG) und die Verwaltung der Bundesautobahnen und sonstigen Bundesstraßen des Fernverkehrs (Art. 90 Abs. 2 GG). b) Geldleistungsgesetze Bundesgesetze, die Geldleistungen gewähren und von den Ländern als eigene Angelegenheit ausgeführt werden (Art. 83 GG), können bestimmen, dass die Geldleistungen ganz oder zum Teil vom Bund getragen werden (Art. 104 a Abs. 3, S. 1 GG). Bestimmt das Gesetz, dass der Bund die Hälfte der Ausgaben oder mehr trägt, wird es von den Ländern nicht in Eigenverwaltung, sondern im Auftrag des Bundes ausgeführt (Art. 104 a Abs. 3, S. 2 GG). So wird z. B. das Bundesausbildungsförderungsgesetz im Auftrag des Bundes ausgeführt, weil der Bund 65 v.H. der aufgrund des Gesetzes entstehenden Ausgaben zu tragen hat (§§ 39 Abs. 1 und 56 Abs. 1 BAföG). c) Finanzhilfen Der Bund kann den Ländern Finanzhilfen für besonders bedeutsame Investitionen der Länder und Gemeinden (Gemeindeverbände) gewähren, die zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts23 oder zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft im Bundesgebiet oder zur Förderung des wirtschaftlichen Wachstums erforderlich sind (Art. 104 a Abs. 4 S. 1 GG). Die Gewährung von Finanzhilfen bedarf eines Bundesgesetzes oder einer Verwaltungsvereinbarung (Art. 104 a Abs. 4 S. 2 GG). Finanzhilfen sollen es Ländern und Gemeinden finanziell ermöglichen, gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen durchzuführen, die auch vom Bund für erforderlich gehalten werden, aber ohne Bundesförderung unterbleiben oder zurückgestellt würden (v. Münch / Kunig: 1996, Art. 104 a Rn. 24). Der Bund und die Länder haben sich in einer „Grundvereinbarung" vom 19.09.1986 (abgedruckt im Bundesanzeiger v. 31.10.1986, S. 15105) über die Voraussetzungen und das Verfahren des Einsatzes von Finanzhilfen geeinigt. d) Gemeinschaftsaufgaben Der Bund wirkt bei der Erfüllung der in Art. 91 a Abs. 1 GG genannten Aufgaben der Länder mit, wenn diese Aufgaben für die Gesamtheit bedeutsam sind und die Mitwirkung des Bundes zur Verbesserung der Lebensverhältnisse erforderlich ist (Gemeinschaftsaufgaben). Gemeinschaftsaufgaben nach dieser Vorschrift sind der Aus- und Neubau der Hochschulen einschließlich der Universitätskliniken, die Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur sowie die Ver23

Zum Begriff des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts vgl. § 1 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft vom 08.06.1967 (BGBl. I S. 582).

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besserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes. Diese Gemeinschaftsaufgaben werden durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates näher bestimmt (Art. 91 a Abs. 2 GG). Ihre Erfüllung finanziert der Bund zumindest zur Hälfte (Art. 91 a Abs. 4 GG). Aus Art. 91 a GG folgt die bindende Verpflichtung für Bund und Länder, bei der Erfüllung der genannten Aufgaben zusammenzuwirken. Bei der Bildungsplanung und der Förderung von Einrichtungen und Vorhaben der wissenschaftlichen Forschung können Bund und Länder ebenfalls zusammenwirken (Art. 91 b S. 1 GG). Im Gegensatz zu den Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91 a GG können Bund und Länder ihr Zusammenwirken bei der Bildungs- und Forschungsförderung nach freiem Ermessen aufgrund von Vereinbarungen regeln24. III. Die Verteilung des Steueraufkommens 1. Steuern als wesentliche Einnahmequelle des Staates Durch die Erhebung von Steuern wird der weitaus größte Teil der staatlichen Einnahmen in der Bundesrepublik Deutschland erzielt. Der Bund finanziert durch Steuern rund vier Fünftel seiner Ausgaben. Weitere Einnahmequellen des Staates sind Erträge aus der Betätigung der öffentlichen Hand bei privatrechtlichen Unternehmen und aus der Erhebung von Gebühren und Beiträgen. Soweit notwendig, können Kredite aufgenommen werden. Dabei sind jedoch die im Grundgesetz und den Verfassungen der Länder festgelegten Kreditobergrenzen zu beachten. So sieht Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG als Kreditobergrenze für den Bund vor, dass die Einnahmen aus Krediten die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten dürfen; Ausnahmen sind nur zulässig, zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts 25. Der Begriff „Steuern" ist im Grundgesetz nicht definiert. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind Steuern Geldleistungen, die keine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlichrechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft (BVerfGE 55, 274, 299). Bei den in Deutschland erhobenen Steuern lassen sich insbesondere Besitzsteuern, Verkehrsteuern, Verbrauchsteuern unterschieden. Besitzsteuern sind Steuern, die an den Ertrag, das Einkommen oder das Vermögen anknüpfen (z.B. Einkommensteuer und Körperschaftsteuer). Verkehrsteuern sind Steuern die Vorgänge des Rechts- und Wirtschaftsverkehrs erfassen (z.B. Umsatzsteuer). Verbrauchsteuern sind Abgaben, die den Verbrauch oder Gebrauch bestimmter Waren belasten (z.B. Mineralölsteuer). Die Steuerlast soll den Verbraucher treffen. Aus Gründen der Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit werden diese

24

Eine Übersicht zu den Vereinbarungen auf der Grundlage von Art. 91 b GG ist abgedruckt bei v. Münch/Kunig: 1996 Art. 91 b S. 601. 25 Zum Begriff des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts siehe Fußnote 16.

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Steuern aber regelmäßig beim Hersteller erhoben, der sie dann über den Warenpreis auf die Abnehmer überwälzt. 2. Grundlagen Die Finanzverfassung des Grundgesetzes, in der die wesentlichen Regelungen zur Verteilung des Steueraufkommens enthalten sind, ist nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts einer der tragenden Eckpfeiler der bundesstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes (-> s.a. § 6, II.). Sie soll eine Finanzordnung sicherstellen, die den Gesamtstaat und die Gliedstaaten am Gesamtertrag der Volkswirtschaft sachgerecht beteiligt (BVerfGE 55, 274, 300). Der Bund und die Länder müssen daher im Rahmen der verfügbaren staatlichen Gesamteinnahmen so ausgestattet werden, dass sie die Ausgaben leisten können, die zur Erfüllung ihrer rechtlich zugewiesenen Aufgaben erforderlich sind, und außerdem noch einen ausreichenden Gestaltungsspielraum zur Verwirklichung eigener politischer Vorstellungen besitzen (Maurer: 1999 S. 721). Die Regelungen zur Verteilung des Steueraufkommens auf den Bund und die Länder sollen die Umsetzung dieser Zielvorstellungen gewährleisten. Sie haben daher innerhalb der Finanzverfassung eine zentrale Bedeutung. Die Verteilung des Steueraufkommens vollzieht sich nach den finanzverfassungsrechtlichen Vorschriften auf vier Stufen: • Vertikale Verteilung des Steuereinnahmen auf den Bund und die Gesamtheit der Länder (vgl. Art. 106 GG); • horizontale Verteilung des Länderanteils auf die einzelnen Länder (vgl. Art. 107 Abs. 1 GG); • Finanzausgleich unter den Ländern (vgl. Art. 107 Abs. 2 S. 1 f GG); • Ergänzungszuweisungen des Bundes an finanzschwache Länder (vgl. Art. 107 Abs. 1 S. 3 GG). Die finanzverfassungsrechtlichen Regelungen zur Verteilung des Steueraufkommens werden durch das Finanzausgleichsgesetz26 (FAG) konkretisiert. Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bestimmt das Finanzausgleichsgesetz die für die gesetzliche Ausgestaltung der Finanzverfassung in Art. 106 und 107 GG vorgegebenen Maßstäbe nicht mit hinreichender Deutlichkeit und ist deshalb nur noch als Übergangsrecht27 anwendbar (Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 11.11.1999, DÖV: 2000, S. 113). Die Gemeinden (Gemeindeverbände) werden in finanzverfassungsrechtlicher Hinsicht grundsätzlich als Teil der Länder betrachtet (Art. 106 Abs. 9 GG). Die Finanzverfassung enthält jedoch auch einige Bestimmungen zugunsten der Gemeinden (Art. 106 Abs. 5 bis 8 GG). Im übrigen umfasst die grundgesetzlich garantierte Selbstverwaltung der Gemeinden auch die Grundlagen ihrer finanziellen Eigenverantwortung (Art. 28 Abs. 2 S. 3 GG). 26

Gesetz über den Finanzausgleich (Finanzausgleichsgesetz) vom 23.06.1993 (BGBl. I S. 944). 27 Soweit ein Gesetz zur Konkretisierung und Ergänzung der in Art. 106 und 107 GG vorgegebenen Maßstäbe nicht bis zum 01.01.2003 in Kraft getreten ist, wird das FAG mit diesem Tag verfassungswidrig und nichtig. Nach Erlass eines solchen Gesetzes muss der Gesetzgeber auf dessen Grundlage das FAG bis zum 31.12.2004 neu regeln.

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3. Vertikale Steuerverteilung zwischen Bund und Ländern Das Grundgesetz teilt die Steuererträge dem Bund und den Ländern auf zwei Arten zu, nämlich nach dem Trenn- und nach dem Verbundsystem. Nach dem Trennsystem ist der Ertrag bestimmter Steuerarten dem Bund und den Ländern jeweils allein zugewiesen (sogenannte Bundes- und Landessteuem); nach dem Verbundsystem stehen die Einnahmen aus bestimmten Steuerarten dem Bund und den Ländern gemeinsam zu, die dann zwischen diesen nach einem vorgegebenen Schlüssel aufzuteilen sind. Am Aufkommen einzelner Steuern erhalten auch die Gemeinden einen Anteil. Die Gemeindesteuern gehören zu den Einnahmen der Länder (Art. 106 Abs. 9 GG). Dem Bund stehen nach dem Trennsystem der Ertrag der Finanzmonopole und das Aufkommen der in Art. 106 Abs. 1 GG genannten Steuern allein zu. Finanzmonopole sind ausschließliche Berechtigungen des Staates, aus dem Verkauf bestimmter Waren oder aus bestimmten Dienstleistungen Einkünfte zu erzielen. Derzeit besteht nur noch das Branntweinmonopol. Zu den Bundessteuern gehören insbesondere die Zölle28, die Verbrauchsteuern (z.B. Mineralöl-, Tabakund Kaffeesteuer), bestimmte Verkehrsteuern (Kapitalverkehr-, Versicherungund Wechselsteuer) und Ergänzungsabgaben zur Einkommen- und zur Körperschaftsteuer wie der seit dem Jahre 1995 erhobene Solidaritätszuschlag zur Finanzierung der deutschen Einheit. Zu den Steuern, die den Ländern nach dem Trennsystem zustehen (Landessteuern) gehören die Erbschaftsteuer, die Kraftfahrzeugsteuer, bestimmte Verkehrsteuern (z.B. Grunderwerb-, Rennwett- und Lotteriesteuer) sowie die Biersteuer (Art. 106 Abs. 2 GG). Den Gemeinden steht nach Maßgabe des Art. 106 Abs. 6 GG das Aufkommen der Realsteuern und der örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern zu. Realsteuern sind die Grundsteuer und die Gewerbesteuer (daran werden Bund und Länder allerdings mit einer Umlage beteiligt). Sie lasten auf einzelnen Vermögensgegenständen. Steuerschuldner ist derjenige, dem die Vermögensgegenstände zuzurechnen sind. Nach dem Verbundsystem werden die sogenannten Gemeinschaftsteuern, nämlich die Einkommensteuer, Körperschaftsteuer und die Umsatzsteuer als besonders ertragreiche Steuern aufgeteilt. Das Aufkommen der Gemeinschaftsteuern steht dem Bund und den Ländern gemeinsam zu, soweit das Aufkommen der Einkommensteuer nicht den Gemeinden zugewiesen wird (Art. 106 Abs. 3 S. 1 GG). Der Gemeindeanteil an der Einkommensteuer ist in Art. 106 Abs. 5 GG und im Gemeindefmanzreformgesetz29 (§1) geregelt. Einkommensteuer und Körperschaftsteuer werden wie folgt verteilt: Von der nicht veranlagten Einkommensteuer (mit Ausnahme der Lohnsteuer 30 und des

28

Nach Art. 106 Abs. 1 Nr. 1 GG erhält der Bund das Aufkommen der Zölle. Die Zölle fließen jedoch nicht (mehr) dem Bund zu. Sie stehen seit 1970 der EU als sog. Eigenmittel zur Verfügung (vgl. Beschluss des EG-Rates vom 24.04.1970, BGBl. II S. 1261). 29 Gemeindefinanzreformgesetz i.d.F. vom 06.02.1995 (BGBl. I S. 189) 30 Bei Arbeitnehmern wird die von ihren Bezügen zu zahlende Einkommensteuer im Wege des Abzugs vom Arbeitslohn erhoben (Lohnsteuer).

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Zinsabschlags 31) und der Körperschaftsteuer stehen dem Bund und den Ländern jeweils die Hälfte zu. Vom Aufkommen an der Lohnsteuer und an der veranlagten Einkommensteuer stehen dem Bund und den Ländern jeweils 42,5 v. H. zu; 15 v. H. des Aufkommens fließen an die Gemeinden. Vom Aufkommen aus dem Zinsabschlag erhalten Bund und Länder jeweils 44 v. H. und die Gemeinden 12 v. H. Betrag (in Mrd DM) Gemeinschaftsteuern Lohnsteuer Umsatzsteuer Einfuhrumsatzsteuer Körperschaftsteuer Nicht veranlagte Steuern vom Ertrag Veranlagte Einkommensteuer Zinsabschlag

694,9 319,2 218,2 49,9 46,7 26,4 22,4 11,8

Bundessteuern darunter Mineralölsteuer Tabaksteuer Solidaritätszuschlag

141,2

Zölle

71,2 22,7 22,0 6,2

Landessteuern darunter Kraftfahrzeugsteuer Grunderwerbsteuer

38,2

Gemeindesteuern darunter Gewerbesteuer Grundsteuer

71,4

Insgesamt

13,7 11,8

52,9 16,8 952,1

Die Verteilung der Umsatzsteuer erfolgt nach Art. 106 Abs. 3 S. 3 f GG und § 1 Abs. 1 FAG 2. Vom Umsatzsteueraufkommen stehen dem Bund derzeit vorab 5,63 v.H. zu. Von dem verbleibenden Aufkommen stehen den Gemeinden 2,2 v.H. zu. Von dem nach Beteiligung der Kommunen verbleibenden Aufkommen erhalten Bund und Länder Anteile in Höhe von 50,5 v.H. und 49,5 v.H. 31

Der Zinsabschlag wird als Kapitalertragsteuer bei bestimmten Zinsen erhoben. Die Kapitalertragsteuer ist wie die Lohnsteuer eine Erhebungsform der Einkommensteuer. 32 § 1 Abs. 1 FAG i.d.F. vom 19.12.1997 (BGBl. I S. 3121)

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Im Jahre 1999 betrug das Steueraufkommen in der Bundesrepublik rund 952,1 Mrd DM. Davon entfielen rund 695 Mrd DM auf die Gemeinschaftsteuern. Das sind mehr als 70 v.H. des Steueraufkommens. Das Steueraufkommen setzt sich wie folgt zusammen33: 4. Horizontale Verteilung des Länderanteils auf die einzelnen Länder Wenn feststeht, wie die Steuereinnahmen zwischen dem Bund und der Gesamtheit der Länder aufzuteilen sind, ist weiter zu klären, wie der Länderanteil auf die einzelnen Länder aufzuteilen ist. Die Landessteuern und der Länderanteil an der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer stehen den einzelnen Ländern grundsätzlich insoweit zu, als die Steuern von den Finanzbehörden in ihrem Gebiet vereinnahmt werden (Prinzip des örtlichen Aufkommens nach Art. 107 Abs. 1 S. 1 GG). Die Steuerverteilung nach dem Prinzip des örtlichen Aufkommens kann allerdings zu einem unausgewogenen Ergebnis führen, das durch Sonderregelungen ausgeglichen werden muss. So arbeiten viele Arbeitnehmer nicht in dem Land, in dem sie ansässig sind. Da die Lohnsteuer vom Arbeitgeber einbehalten und an sein Finanzamt abgeführt wird, würden die „Wohnsitzländer" nichts vom Lohnsteueraufkommen dieser Arbeitnehmer erhalten. Um solche Verzerrungen zu vermeiden, wird die von den Ländern vereinnahmte Lohnsteuer in einem pauschalierten Verfahren insoweit zerlegt, als sie von den Bezügen der in anderen Ländern ansässigen Arbeitnehmern einbehalten worden ist, und den Wohnsitzländern zugeordnet. Die Zerlegung der Lohnsteuer beruht auf Art. 107 Abs. 1 S. 2 GG und ist im Einzelnen im Zerlegungsgesetz (ZerlG)34 geregelt (§§ 7 ff). Um bei der Körperschaftsteuer zu einer gerechten Verteilung zu gelangen, wird sie bei Unternehmen mit Betriebsstätten in mehreren Ländern entsprechend dem auf die jeweiligen Betriebsstätten entfallenden Anteil auf die beteiligten Länder zerlegt (Art. 107 Abs. 1 S. 2 GG i.V.m. §§ 2 ff ZerlG). Der Länderanteil am Aufkommen der Umsatzsteuer wird unter den einzelnen Ländern zu 75 v.H. nach Maßgabe ihrer Einwohnerzahl verteilt (Art. 107 Abs. 1 5. 4 GG i.V.m. § 2 Abs. 1 FAG). Der Rest fließt an finanzschwache Länder, deren Steuereinnahmen unter dem Durchschnitt der Länder liegen (sog. Ergänzungsanteile vgl. § 2 Abs. 1 und 2 FAG). 5. Finanzausgleich unter den Ländern und Ergänzungszuweisungen des Bundes an finanzschwache Länder Aufgabe des Finanzausgleichs ist es, die Ergebnisse der vorhergehenden Steuerverteilung unter den Ländern im Interesse einer Annäherung der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet durch Ausgleichsbeiträge der finanzstarken an die finanzschwachen Länder zu korrigieren. Die unterschiedliche Finanzkraft der Länder soll hierdurch angemessen ausgeglichen werden (Art. 107 Abs. 2 S. 1 GG). Diese Korrektur der ursprünglichen Verteilung der Steuereinnahmen strebt keinen 33 34

Quelle: Statistisches Jahrbuch: 2000. ZerlG vom 06.08.1998 (BGBl. I S. 1998).

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völligen Ausgleich der Finanzkraft der Länder an, sondern lediglich die Verringerung unangemessener Unterschiede. Der Finanzausgleich wird im Einzelnen nach den komplexen Regelungen des Finanzausgleichsgesetzes vollzogen (§§ 4 ff.). Die Finanzkraft eines Landes wird im wesentlichen nach der Höhe der Steuereinnahmen je Einwohner bemessen. Ob ein Land ausgleichspflichtig oder ausgleichsberechtigt ist, ergibt sich daraus, ob seine Finanzkraft über oder unter der länderdurchschnittlichen Finanzkraft liegt. Länder, deren Finanzkraft darunter liegt, werden durch Ausgleichsbeiträge finanzstarker Länder grundsätzlich auf mindestens 95 v.H. der länderdurchschnittlichen Finanzkraft angehoben. Die Finanzkraft finanzstarker Länder wird, soweit sie über dem Durchschnitt liegt, zum Teil zum Ausgleich herangezogen. Bundesergänzungszuweisungen an die Länder dienen der ergänzenden Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs der leistungsschwachen Länder (Art. 107 Abs. 2 S. 3 GG). Sie sollen insbesondere Finanzlücken ausfüllen, die nach der Durchfuhrung des Länderfinanzausgleichs noch verblieben sind. Der Bund gewährt Bundesergänzungszuweisungen nach Maßgabe des Finanzausgleichsgesetzes (§ 11). Die Empfängerländer können darüber, im Gegensatz zu Finanzhilfen, frei verfügen. Am Finanzausgleich und den Bundesergänzungszuweisungen wird zum Teil kritisiert, dass dieses Ausgleichssystem den wirtschafts- und finanzpolitischen Wettbewerb zwischen den Ländern verzerre. Das System „bestrafe" die wirtschaftspolitischen Bemühungen finanzstarker Länder und schaffe für die leistungsschwachen Länder keine ausreichenden Anreize für eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik (vgl. Maunz / Zippelius: 1998 S. 296 und Bull: 1999, S. 269ff). Darüber hinaus kann nicht ausgeschlossen werden, dass einzelne Länder zögern, ihre vorhandenen Steuerquellen durch die Schaffung einer leistungsstarken Steuerverwaltung angemessen auszubauen, um die Ansiedlung von Unternehmen durch eine geringere Kontrolldichte ihrer Steuerverwaltungen zu fördern. Das bestehende Ausgleichssystem kann auch derartige Bestrebungen nicht verhindern.

IV. Verfahren der Haushaltsgesetzgebung und -kontrolle im Deutschen Bundestag Die dem Bund zustehenden Einnahmen und seine Ausgaben sind gemäß Art. 110 Abs. 1 GG in den jährlichen Haushaltsplan einzustellen; entsprechende Regelungen enthalten die Landesverfassungen für die Länder. Das Verfahren hierzu wird im Folgenden am Beispiel des Bundes dargestellt. An diesem Verfahren sind die Bundesregierung (-» § 12), der Bundestag (-> §§ 9 u. 10) und der Bundesrat (-> § 14) beteiligt. Die Feststellung des Haushaltsplans und die Kontrolle der Haushaltsführung der Bundesregierung verlaufen dabei im Plenum und in den Ausschüssen des Bundestages dergestalt, dass die gesetzgebenden Aufgaben und die parlamentarischen Funktionen der nachlaufenden, begleitenden und mitsteuemden Kontrolle miteinander verschränkt sind. Die Haushaltsverfahren sind insoweit ein Beleg für die These, „dass Gesetzgebung in den umfassenden Kontrollprozess einverteilt und tendenziell zu einem seiner Bestandteile wird" (Zeh: 1989, S. 1091 sowie —> § 9, VI.); zum anderen bieten sie Paradigmata dafür,

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welche Verfahren zur Kontrolle von Regierungshandeln die Parlamentspraxis entwickelt hat. 1. Haushaltsgesetz Die rechtliche Grundlage für die Haushaltsführung der Bundesregierung bildet der Haushaltsplan, der für jeweils ein Rechnungsjahr (= Kalenderjahr) gilt. Er wird insofern zutreffend als „Schicksalsbuch" der Nation bezeichnet, als in ihm nicht nur die Mittel für Personalausgaben und Verwaltungsaufwendungen des Bundes etatisiert sind, sondern u.a. auch diejenigen für die Investitionen des Bundes, für den Verteidigungs-, Umwelt-, Verkehrs- und Sozialbereich, für die Wirtschafts-, Wohnungsbau- und Forschungsförderung sowie für die Beteiligung des Bundes an kostenintensiven Forschungs-, Entwicklungs- und Technologieprojekten. Seine in „Zahlen und Zweckbestimmungen" gefassten Festlegungen (Eickenboom: 1989, S. 1185) sind in der Verteilung der dem Bund zur Verfügung stehenden Mittel maßgebend, definieren die finanziell zu fördernden Interessen und bestimmen die Gestaltungsspielräume der Bundesregierung und ihrer Administration entscheidend. Nach Art. 110 GG ist der Haushaltsplan durch Gesetz festzustellen, das nach dem Prinzip der Vorherigkeit (Art. 110 Abs. 2 GG) grundsätzlich vor Beginn des jeweiligen Jahres, für das es gelten soll, beschlossen werden muss. Dieser zeitlichen Vorgabe tragen Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat, die an dem Gesetzgebungsverfahren beteiligt sind, durchgängig Rechnung, indem das für das Folgejahr geltende Haushaltsgesetz spätestens im Dezember des Vorjahres verabschiedet wird (zur früheren Praxis: Rüttger: 1982, S. 165). Die jährlichen Haushaltsverfahren stehen dementsprechend unter einem hohen Termindruck, der verlangt, dass sich die Verfahrensbeteiligten an gesetzlich vorgeschriebene und eingespielte Fristen halten. a) Die Aufstellung des Bundeshaushaltes Die Einbringung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes steht ausschließlich der Bundesregierung zu, die - abweichend von Art. 76 Abs. 1 GG - das alleinige Initiativrecht besitzt. Die Aufstellung des Entwurfs des jährlichen Haushaltsplanes obliegt dabei dem Bundesminister der Finanzen, der mit den entsprechenden Vorarbeiten bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt beginnt, indem er zu Beginn des Vorjahres den Bundesministerien seine für die Haushaltsaufstellung maßgebenden Richtlinien übermittelt. Die Ressorts erstellen hierauf sog. Voranschläge ihrer jeweiligen Einzelpläne, die in Aufbau und Gliederung nach einheitlichen, durch die Bundeshaushaltsordnung (BHO) vorgeschriebenen Ordnungsprinzipien zu gestalten sind: Sie haben alle im Haushaltsjahr • zu erwartenden Einnahmen, • voraussichtlich zu leistenden Ausgaben sowie • die benötigten Verpflichtungsermächtigungen zu enthalten, worunter die BHO „die Ermächtigungen zum Eingehen von Verpflichtungen zur Leistung von Ausgaben" in künftigen Jahren versteht (§ 6 BHO).

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Beispiel: Auszug auf dem Entwurf des Haushalts 2000 Einzelplan 30 - Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung - Kapitel 3004 - Hochschulen, Wissenschaft und Ausbildungsförderung Titel ZweckbeSoll Soll Ist Funktion stimmung 2000 1999 1998 1 000 DM 1 000 DM 1 000 DM [1 000 EUR] [ 1 000 EUR] [ 1 000 EUR] Titelgruppen Tgr.31 Bundes (1 145 500) (1 617 000) (1 525 967) ausbil[585 685] [826 759] [780 215] dungsförderungsgesetz (BAfÖG) Haushaltsvermerk 1. Die Ausgaben sind gegenseitig deckungsfähig. 2. Einnahmen fließen den Ausgaben zu. Erläuterungen Auf individuelle Ausbildungsförderung nach dem Ausbildungsförderungsgesetz, zuletzt geändert durch das 20. BAföG-ÄndG vom 12. Mai 1999 (BGBl. I. 1999 S. 850), besteht ein Rechtsanspruch. Das Gesetz sieht nach der Art der Ausbildung und Unterbringung gestaffelte und pauschalierte Bedarfssätze vor. Auf die Bedarfssätze sind Einkommen und Vermögen des Auszubildenden sowie das Einkommen seines Ehegatten und seiner Eltern anzurechnen, soweit sie die im Gesetz festgelegten Freibeträge übersteigen. Die Aufwendungen für diese Leistungen werden zu 65 v.H. durch den Bund und zu 35 v.H. durch die Länder getragen. Das Gesetz wird im Auftrag des Bundes von den Ländern durchgeführt, die die bei ihnen entstehenden Verwaltungsausgaben tragen. 652 11-141

BAföGSchülerinnen und Schüler

518 000 [264 849]

481 000 [245 931]

451 600 [230 899]

615 500 [314 700]

566 500 [289 647]

519 067 [265 395]

Haushaltsvermerk Die Ausgaben sind übertragbar 652 12-142

BAfÖGZuschüsse an Studierende Haushaltsvermerk Die Ausgaben sind übertragbar

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BAfÖG-Zinszuschüsse und 12 000 Erstattung von Darle- [6 136] hensausfällen an die Deutsche Ausgleichsbank

852 12-142

BAfÖG-Darlehen an Studie- rende (einschl. Ausfallhaf- [-] tung an die Deutsche Ausgleichsbank)

569 500 [291181]

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555 300 [283 920]

Die Einzelpläne sind in Kapitel und Titel zu gliedern (§ 13 Abs. 2 BHO). Die Kapitel betreffen dabei die Einnahmen, Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen für Verwaltungseinheiten (Bundesministerien, oberste Bundesbehörden) und größere Aufgabenbereiche. In den einzelnen Titeln werden die Einnahmen und Ausgaben exakt spezifiziert. Soweit sie Einnahmen betreffen, sind deren Entstehungsgrund und Höhe aufzuführen; soweit sie auf Ausgaben bezogen sind, werden in ihnen deren Höhe und der Zweck festgelegt, für den die Ausgaben geleistet werden dürfen. Die Titel, die nach feststehenden Einteilungen gegliedert werden, bilden dabei die Herzstücke der einzelnen Pläne (vgl. das vorstehende Beispiel). Das Bundesministerium der Finanzen prüft alsdann die Voranschläge und erstellt auf der Basis dieser Vorarbeiten den Entwurf des Haushaltsplanes, der aus den Einzelplänen und dem Gesamtplan besteht (§ 13 Abs. 1 BHO), welcher die Zusammenfassung der Einnahmen, Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen (sog. Haushaltsübersicht), ferner die Berechnung des Finanzierungssaldos sowie den Kreditfinanzierungsplan enthält. Bei der Prüfung der Voranschläge stellt sich regelmäßig eine erhebliche Diskrepanz zwischen der Summe der in den Einzelplänen veranschlagten Einnahmen und den von den Ressorts für notwendig (oder als wünschenswert) befundenen Ausgaben heraus (Hölscheidt: 1989a, S. 61). Da der Haushalt nach Art. 110 Abs. 1 Satz 2 GG „in Einnahme und Ausgabe auszugleichen" ist, fällt dem Bundesfinanzministerium die Aufgabe zu, die Ausgabenansätze der Fachressorts auf das „Machbare" zu reduzieren und auch einen Ausgleich zwischen den divergierenden Interessen der Einzelressorts herbeizuführen. Dies geschieht möglichst im Benehmen mit den jeweils beteiligten Bundesministerien, und zwar in sog. Ressortgesprächen, die auf Beamtenebene geführt werden. Soweit hierbei Streitfragen zwischen den Fachressorts und dem Bundesministerium der Finanzen offen bleiben, werden diese in sog. Chefbesprechungen, an denen die politische Leitung des einzelnen Ressorts und des Bundesministeriums der Finanzen beteiligt ist, notfalls im Kompromisswege geklärt. Auf der Grundlage dieser Vorbereitungen stellt der Bundesminister der Finanzen sodann den kabinettsreifen Entwurf des Haushaltsgesetzes und des Haushaltsplanes auf, der in der Regel Anfang Juli von der Bundesregierung beraten und beschlossen, sodann dem Bundesrat und dem Bundestag gleichzeitig zugeleitet wird (Art. 110 Abs. 3 GG).

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b) Die Beratungen des Bundestages Das weitere bundestagsinterne Verfahren nach der Zuleitung des Regierungsentwurfs verläuft im Grundsatz analog denjenigen Regeln, die für die Verfahren gelten, die Gesetzentwürfe der Bundesregierung betreffen (—> § 10, III.). Abweichend hiervon weist es jedoch einige Besonderheiten auf, die namentlich daraus resultieren, dass die Regierungsvorlage sämtliche Politikbereiche tangiert und gleichzeitig innerhalb eines knapp bemessenen Zeitrahmens beraten werden muss. (1) Die erste Lesung Die Fraktionen nehmen Ende August/Anfang September ihre vorbereitenden Arbeiten auf, indem die jeweiligen Arbeitsgruppen sich mit denjenigen Einzelplänen befassen, die ihren Zuständigkeitsbereich berühren. Diese fachspezifischen fraktionsinternen Beratungen dienen zunächst der inhaltlich-politischen Vorbereitung der ersten Lesung, die in der Regel auf Mitte September terminiert wird. Für sie ist jeweils eine volle Sitzungswoche reserviert, weil - abweichend von den sonstigen Gesetzgebungsverfahren - bereits die erste Lesung einer umfassenden allgemeinen Aussprache dient. Sie wird von der Bundesregierung und den Mehrheitsfraktionen zur Darstellung und Begründung der Eckwerte des vorgelegten Haushaltes, von der Opposition traditionell zu einer Generalauseinandersetzung mit der Politik der Bundesregierung genutzt. Einzelheiten des Haushaltsentwurfs stehen dabei nicht im Vordergrund, allenfalls seine Schwerpunkte und Grundlagen, welche die Wertentscheidungen und Prioritätensetzungen der Bundesregierung in den diversen Bereichen der Staatsaufgaben erkennen lassen. Die erste Lesung schließt mit der Überweisung des Regierungsentwurfs an den Haushaltsausschuss. Anders als in den sonstigen Gesetzgebungsverfahren werden die Fachausschüsse - obwohl ihre Zuständigkeit berührt ist - nicht mitberatend befasst; sie haben jedoch das Recht, sich gegenüber dem Haushaltsausschuss gutachterlich zu äußern (§ 95 Abs. 1 GO-BT), und machen von dieser Befugnis im weiteren Verfahrensgang auch regelmäßig Gebrauch. (2) Das Verfahren des Haushaltsausschusses Der Haushaltsausschuss berät die insgesamt 23 Einzelpläne und ca. 10 000 Titel des Haushaltsentwurfs in 10 Sitzungen innerhalb von 5 bis 6 Sitzgswochen. Ein solches Pensum ist nur aufgrund arbeitsteilig durchgeführter, straff rationalisierter Vorarbeiten zu bewältigen, für welche die organisatorische Voraussetzung durch das erwähnte Berichterstattersystem (—» § 10, III.) geschaffen ist, welches zur Vorbereitung der Beratungen des Haushaltsausschusses genutzt wird, indem die Berichterstatter eines jeden Einzelplanes im September mit den jeweiligen Ministerien Gespräche führen, in denen nicht nur die Schwerpunkte, sondern auch die Details des Einzelplanes erörtert werden und jeder Titel zur Disposition steht. Für diese Gespräche gilt nach den ehernen Grundsätzen des Haushaltsverfahrens, dass alle Berichterstatter eines Einzelplanes - unabhängig davon, ob sie Mitglied einer Mehrheits- oder Minderheitsfraktion sind - „strikt gleichmäßig von dem betreffenden Ressort unterrichtet werden müssen" (Eickenboom: 1989, S. 1188). Im Verlaufe dieser Gespräche erarbeiten die Berichterstatter Änderungsempfehlungen, die dem Haushaltsausschuss in schriftlicher Form vorgelegt werden und für diesen wesentliche Beratungsgrundlage sind (dazu sogleich Nä-

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heres). Auf der Basis dieser Berichterstattergespräche bereiten sodann die Haushaltsarbeitsgruppen der Fraktionen die Beratungen des Haushaltsausschusses zu jedem Einzelplan fraktionsintern vor. a) An den entsprechenden Sitzungen der Arbeitsgruppen der Regierungsfraktionen nehmen - insoweit in Übereinstimmung mit den auch in den übrigen Gesetzgebungsverfahren praktizierten Usancen - Vertreter der jeweiligen Fachressorts und des Bundesministeriums der Finanzen teil, die für weitere Erläuterungen und die Beantwortung von Fragen aller Gruppenmitglieder zur Verfügung stehen. Die Gruppensitzungen dienen insoweit zum einen einer detallierten Erörterung der Einzelpläne; zum anderen geht es darum, die Empfehlungen der „eigenen" Berichterstatter zu beraten, divergierende Auffassungen der Gruppenmitglieder einem Konsens zuzuführen, sowie Änderungsanträge zu erarbeiten, welche die Gruppe in die Beratungen des Haushaltsausschusses einzubringen beschließt. b) Die Sitzungen der Arbeitsgruppen der Minderheit haben demgegenüber andere Schwerpunkte: Sie dienen zwar auch der Beratung der Berichterstattervorschläge sowie der Strukturierung der unterschiedlichen gruppeninternen Meinungen und der Formierung einer einheitlich im Ausschuss zu vertretenen Auffassung; mehr noch haben die Beratungen jedoch das Ziel, die Schwachstellen und Angriffspunkte der Einzelpläne herauszufiltern. Bei dieser Aufgabe befindet sich die Haushaltsgruppe einer Minderheitsfraktion in einer vergleichsweise günstigen Situation, weil sich insoweit der angeführte eherne Grundsatz auszahlt, der als zentrales Element der Budgetkontrolle bewirkt, dass die Opposition über deren Berichterstatter am Amtswissen der Administration partizipiert und die hieraus resultierenden Erkenntnisse dazu nutzen kann, jeden einzelnen Titelansatz auf Zweckmäßigkeit, Notwendigkeit und die zugrundeliegenden Sachentscheidungen und politischen Wertungen zu überprüfen. Zudem erleichtert die streng systematische Gliederung der Einzelpläne in Kapitel und Titel mit jeweils relativ detaillierten Angaben zur Zweckbestimmung die Kontrolle, so dass sich in dieser Phase die stringenten Ordnungsprinzipien der BHO als wesentliche Rahmenbedingungen für die Budgetkontrolle erweisen, weil sie für die nötige Haushaltsklarheit sorgen. c) Beratungen des „Plenums" des Haushaltsausschusses zu den Einzelplänen können sodann aufgrund der Vorbereitungen durch die Berichterstatter und die Arbeitsgruppen der Fraktionen relativ zügig geführt werden. Sie verlaufen zumeist nach einem konstanten Schema, indem regelmäßig zunächst die jeweils zuständigen Berichterstatter, sodann der Bundesminister, dessen Einzelplan zur Debatte ansteht, die Schwerpunkte des Entwurfs erläutern und die zwischen den Fraktionen strittigen Fragen ansprechen. Sodann ruft der Vorsitzende den Einzelplan seitenweise auf, wobei jedes Ausschussmitglied zu jedem Titel das Wort ergreifen kann. In der Regel werden jedoch diejenigen Titel, zu denen die Berichterstatter keine Änderungen vorschlagen, ohne weitere Aussprache beschlossen; dasselbe Verfahren wird praktiziert, soweit die jeweiligen Berichterstatter einvernehmlich die Änderung eines Titels empfehlen. Zu - kontroversen - Erörterungen kommt es demnach i. d. R. nur dann, wenn die Berichterstatter unterschiedliche Empfehlungen unterbreiten und die Fraktionen im Ausschuss Änderungsanträge stellen. In diesen Fällen erhalten zunächst die Berichterstatter zur Begründung, sodann weitere Mitglieder des Ausschusses das Wort, wobei auch die Möglichkeit besteht, die anwesenden Mitglieder der Bundesregierung und ihre Beauftragten sowie die zuständigen Abteilungs- und Prüfungsgebietsleiter

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des Bundesrechnungshofes (—> § 10, III.), die ebenfalls bei den Beratungen zugegen sind, zu befragen. Über die Änderungsanträge wird nach Mehrheitsregeln abgestimmt. Soweit der Haushaltsausschuss auf diese Weise oder aufgrund der einvernehmlichen Berichterstattervorschläge Titel der Einzelpläne modifiziert, werden die beschlossenen Änderungen in Beschlussempfehlungen zusammengestellt, die dem Plenum zugeleitet und als Bundestagsdrucksache publiziert werden. Das Gesamtvolumen der vom Haushaltsausschuss empfohlenen Änderungen ist - in absoluten Zahlen gemessen - zumeist beträchtlich, bezogen auf den Umfang des Etats jedoch relativ gering. Für die Bewertung dieses Befundes ist wesentlich, dass ca. 90 v. H. eines jährlichen Haushaltes a priori durch gesetzliche Verpflichtungen, aufgrund derer bestimmte Ausgaben zwingend geleistet werden müssen (und entsprechende Ansätze daher nicht verändert werden dürfen), sowie durch vertragliche Bindungen oder langfristig getroffene haushaltspolitische Entscheidungen festgelegt sind, die sich vor allem in Gestalt der vom Parlament in früheren Haushaltsjahren bewilligten Verpflichtungsermächtigungen manifestieren. Gleichwohl bieten alle Einzelpläne, insbesondere die sog. Gestaltungshaushalte, zu denen vor allem die des Bundesministers für Wirtschaft, des Bundesministers der Verteidigung und des Bundesministers für Bildung und Forschung zählen, erhebliche Umschichtungs-, Kürzlings- oder sonstige Änderungsmöglichkeiten, die der Haushaltsausschuss auch nutzt. Bei den diesbezüglichen Festlegungen spielen die erwähnten Stellungnahmen der Fachausschüsse, deren Voten überwiegend darauf abzielen, die Ausgabenansätze des Einzelplanes ihres korrespondierenden Ministeriums zu erhöhen, keine entscheidende Rolle. Sie werden zwar in die Beratungen förmlich einbezogen, jedoch nur dann erörtert, wenn eine Fraktion oder ein Berichterstatter sich ihren Inhalt ausdrücklich zu eigen macht und entsprechende Anträge stellt. Diese - leicht stiefmütterliche - Behandlung der Voten der Fachausschüsse führt bisweilen zu Spannungen zwischen diesen und dem Haushaltsausschuss, die freilich letztlich ihre Ursache darin haben, dass die Geschäftsordnung - indem sie in § 95 Abs. 1 den Fachausschüssen die Mitberatung verwehrt - dem Haushaltsausschuss aus gutem Grund eine Sonderstellung vorbehält: Diese besteht - wie Eickenboom (: 1989, S. 1186) treffend ausgeführt hat - darin, „dass der Haushaltsausschuss anders als die Fachausschüsse nicht über Politikausschnitte entscheidet, sondern über ein Gesamttableau der Politik". Er muss deshalb auch die autonome Befugnis besitzen, ressortübergreifende Gesichtspunkte gegeneinander abzuwägen und die fachpolitischen Partikularinteressen dem Ziel des Ausgleichs des Gesamthaushaltes unterzuordnen. (3) Die zweite und dritte Lesung Im Anschluss an die Beratungen des Haushaltsausschusses und auf der Basis seiner Beschlussempfehlungen und seines Berichtes findet alsdann - Ende November/Anfang Dezember - die zweite und dritte Lesung des Haushalts im Plenum des Bundestages statt, für die wiederum eine Sitzungswoche reserviert ist. Die hierbei erfolgende Aussprache nutzen die Fraktionen zur öffentlichen Darstellung ihrer Positionen, wobei die Minderheit in der Regel ihre wesentlichen Änderungsanträge, mit denen sie im Haushaltsausschuss unterlegen ist, einbringt, ohne freilich die Chance zu besitzen, dass diese nunmehr angenommen werden. Das Verfahren der zweiten und dritten Lesung, für das im übrigen die

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dargestellten allgemeinen Regeln gelten (-» § 10, III.), schließt sodann mit dem mehrheitlich zu fassenden Beschluss des Bundestages, der regelmäßig den Beschlussempfehlungen des Haushaltsausschusses folgt. c) Der Abschluss des Verfahrens Im Anschluss hieran erfolgt die Zuleitung des vom Bundestag beschlossenen Haushaltsgesetzes an den Bundesrat nach Art. 77 Abs. 1 Satz 2 GG, der sich Mitte Dezember mit der Vorlage im sog. zweiten Durchgang befasst. Hierbei steht ihm zwar die Möglichkeit offen, den Vermittlungsausschuss nach Art. 77 Abs. 2 GG anzurufen (-> § 10, III.); von dieser Befugnis macht er indes - auch wenn seine Mehrheit mit Regelungen des vom Bundestag beschlossenen Haushalts nicht einverstanden sein sollte - so gut wie keinen Gebrauch, und zwar deshalb nicht, weil den Bundesländern an einem schnellen Inkrafttreten des Haushaltes gelegen ist, da ihnen „aufgrund dessen ja Finanzmittel zufließen" (Hölscheidt: 1989a, S. 86). Dementsprechend kann die Verkündung des Haushaltsgesetzes in aller Regel jeweils rechtzeitig zum 1. Januar erfolgen. 2. Verfahren der begleitenden Haushaltskontrolle Der durch das Haushaltsgesetz festgestellte Haushaltsplan ermächtigt die Verwaltung, Ausgaben zu leisten und Verpflichtungen einzugehen (§ 3 BHO), so dass der Vollzug und die Ausführung des Haushaltsplans grundsätzlich ausschließlich Sache der Exekutive sind. Sowohl die BHO als auch die jährlichen Haushaltsgesetze sehen jedoch vor, dass auch in der Vollzugsphase parlamentarische Mitwirkungsrechte bestehen. Sie beziehen sich zum einen auf Situationen, in denen sich im Laufe des Haushaltsjahres herausstellt, dass der Haushaltsplan aufgrund unvorhergesehener Ereignisse in Einzelbereichen nicht eingehalten werden kann, also Abweichungen notwendig sind; zum anderen stehen dem Bundestag beim plangemäßen Vollzug des Haushaltes begleitende und mitsteuernde Kontrollrechte zu, wobei die Ausübung dieser Rechte, deren Skala von bloßen Informationsansprüchen bis hin zu Mitentscheidungsbefugnissen reicht, zum Teil dem Plenum, zum Teil dem Haushaltsausschuss überantwortet ist. Im Einzelnen: a) Plenarverfahren Einzelne haushaltswirksame, vertragliche Vereinbarungen darf die Exekutive, sofern der Haushaltsplan hierzu keine ausdrückliche Ermächtigung bereithält, grundsätzlich nicht ohne Einwilligung des Bundestages eingehen. Hierzu gehören die Veräußerung von Anteilen des Bundes an einem Unternehmen und von bundeseigenen Grundstücken, sofern diese einen erheblichen Wert oder besondere Bedeutung haben (§§ 64 Abs. 2, 67 Abs. 7 BHO). Zu solchen Geschäften hat der Bundesminister der Finanzen die vorherige Zustimmung des Bundestages einzuholen, der seinerseits entsprechende Anträge an den Haushaltsausschuss zur Beratung überweist und auf der Grundlage von dessen Beschlussempfehlung über den Antrag beschließt. In anderen Fällen der Planabweichung besitzt der Bundestag kein Entscheidungs-, wohl aber ein Unterrichtungsrecht. So hat die Bundesregierung dem Bundestag zum einen über erhebliche Änderungen der Haushaltsentwicklung zu

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informieren (§ 10 Abs. 2 BHO); zum anderen sind über- und außerplanmäßige - also im Haushaltsplan nicht vorgesehene - Ausgaben, die gemäß Art. 112 GG nur mit Zustimmung des Bundesministers der Finanzen geleistet werden dürfen, von diesem dem Bundestag mitzuteilen, was in vierteljährlichen Übersichten, in Fällen grundsätzlicher oder erheblicher finanzieller Bedeutung unverzüglich zu geschehen hat (§37 Abs. 4 BHO). Der Bundestag überweist auch diese Mitteilungen dem Haushaltsausschuss zur Beratung, der prüft, ob die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der über- oder außerplanmäßigen Ausgabe vorliegen, die darin bestehen, dass diese nur im Falle eines unvorhergesehenen und unabweisbaren Bedürfnisses geleistet werden darf (Art. 112 GG, § 37 Abs. 1 BHO). Formal gesehen handelt es sich bei dieser Prüfung um die nachträgliche Kontrolle durch Kenntnisnahme der Zustimmungsentscheidung des Finanzministers, bei welcher der Bundestag kein Mitentscheidungsrecht besitzt. Gleichwohl entfaltet diese Form der Kontrolle Wirkungen: Zum einen präventive, weil sie den Finanzminister zu einer restriktiven Zustimmungspraxis veranlasst, die insbesondere das Kriterium der Unabweisbarkeit ernst nimmt, welches nur dann erfüllt ist, wenn die Ausgabe so dringlich ist, dass eine Entscheidung des Haushaltsgesetzgebers - durch ein Nachtragshaushaltsgesetz - nicht mehr möglich ist (BVerfGE45, S. 1). Zum anderen eröffnet die Mitteilung dem Bundestag die Möglichkeit, zu der Zustimmungsentscheidung des Bundesfinanzministers in Form einer Entschließung Stellung zu nehmen. Soweit im Laufe des Haushaltsjahres - abweichend vom Haushaltsplan - weitere Ausgaben, die einen Betrag von 10 Mio. DM überschreiten, notwendig werden, für die nicht die Voraussetzungen der „Unvorhersehbarkeit" und der „Unabweisbarkeit" (Art. 112 GG) bestehen, darf der Bundesfinanzminister einer über- oder außerplanmäßigen Ausgabe nicht zustimmen. Der Bundesregierung bleibt dann nur die Möglichkeit, einen Nachtragshaushalt einzubringen, der durch Gesetz festzustellen ist. Das diesbezügliche Verfahren richtet sich im Wesentlichen nach den für das jährliche Haushaltsgesetz maßgebenden Bestimmungen (—» § 10, III.), so dass das Parlament seine vollen Budgetentscheidungsrechte ausüben kann. b) Delegation von Rechten des Bundestages auf den Haushaltsausschuss Ein Teil der dem Bundestag als ganzem zustehenden Mitwirkungs- und Kontrollrechte delegiert dieser auf den Haushaltsausschuss. Das praktisch wichtigste Beispiel bilden insoweit die bei einzelnen Titeln ausgebrachten qualifizierten Sperrvermerke, aufgrund derer die Leistung einer Ausgabe nur mit Einwilligung des Bundesfinanzministers und des Haushaltsausschusses erfolgen darf. Zwar geht die BHO davon aus, dass die Aufhebung eines qualifizierten Sperrvermerks der Zustimmung des Bundestages als ganzem bedarf (§ 22 BHO); dieser überlässt indes sein Entscheidungsrecht durch das jährliche Haushaltsgesetz regelmäßig dem Haushaltsausschuss. Qualifizierte Sperrvermerke werden im Laufe des Haushaltsgesetzgebungsverfahrens insbesondere dann ausgebracht, wenn zu diesem Zeitpunkt • Unterlagen fehlen, die für die Beurteilung der betreffenden finanzwirksamen Maßnahme erforderlich sind, • keine ausreichenden Folgekostenrechnungen vorliegen oder • Projekte, für die Mittel etatisiert werden, aus der Sicht des Haushaltsausschusses konzeptionelle, aber behebbare Schwächen aufweisen.

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In diesen Fällen hat der Haushaltsausschuss ein wirksames Instrument der begleitenden Kontrolle in der Vollzugsphase des Haushaltes in der Hand: Die Bundesregierung kann die Ausgaben ohne Einwilligung des Haushaltsausschusses nicht leisten, die dieser nur und erst dann erteilt, wenn er über die Einzelheiten des betreffenden Projektes informiert und mit diesen einverstanden ist. c) Sonstige Kontroll- und Informationsinstrumente des Haushaltsausschusses Darüber hinaus wird der Haushaltsausschuss durch den Bundesminister der Finanzen laufend über den Haushaltsvollzug unterrichtet. Hierzu werden ihm zum einen regelmäßig Übersichten über wesentliche Daten der Ist-Situation, über Einnahmen und Ausgaben, über die Verschuldung und solche Vorgänge vorgelegt, die - wie die Übernahme von Bundesbürgschaften - mit Risiken für den laufenden oder künftige Haushalte verbunden sind. Zum anderen erhält der Ausschuss - auf Anforderung einzelner Mitglieder oder der Fraktionen, auch der Opposition - Berichte zu Details des Vollzuges, und zwar sowohl von der Bundesregierung als auch vom Bundesrechnungshof. Darüber hinaus werden dem Haushaltsausschuss diejenigen Berichte, die der Bundestag anfordert (-» § 10, IV.) und haushaltswirksame Materien betreffen, zur (Mit-)Beratung überwiesen. Alle diese Informationsinstrumente sichern dem Haushaltsausschuss einen relativ umfassenden Überblick über den Haushaltsvollzug und eröffnen ihm auch Möglichkeiten, auf den Gang der Ausgabenpolitik der Bundesregierung Einfluss zu nehmen, weil diese sich an die Vorgaben des Ausschusses zumindest politisch - bei qualifizierten Sperrvermerken: rechtlich - gebunden sieht. Diese auf den ersten Blick günstige parlamentarische Ausgangslage hat jedoch eine nicht unproblematische Kehrseite: Wer - wie der Haushaltsausschuss - die Prozesse der Administration parlamentarisch mitsteuert, übernimmt auch einen Teil der Verantwortung für deren Folgen und läuft damit Gefahr, seine Möglichkeiten einer unbefangenen nachgängigen Kontrolle zu beschränken. Dies ist u. a. auch der Grund dafür, dass solche Beteiligungen und Mitwirkungen des Haushaltsausschusses „von der Exekutive keineswegs als eine unerwünschte Einmischung in höchsteigene Angelegenheiten aufgefasst" werden, sondern diese oft genug bereit ist, „den Haushaltsausschuss und damit das Parlament in die Verantwortung einzubeziehen" (Eickenboom: 1989, S. 1205). Gegenüber diesen Bedenken hat sich indes das praktische Bedürfnis nach begleitender Kontrolle durchgesetzt, weil nur sie den aus der Sicht des Parlamentes notwendigen ständigen Rechenschaftszwang der Exekutive sicherstellt und im Übrigen die Praxis lehrt, dass parlamentarische Mitsteuerung keineswegs mit einem Verzicht auf effiziente nachträgliche Kontrolle einhergeht. 3. Die nachträgliche Haushaltskontrolle Nach Abschluss des Haushaltsjahres hat der Bundesminister der Finanzen dem Bundestag und dem Bundesrat über alle Einnahmen und Ausgaben sowie über das Vermögen und die Schulden „zur Entlastung der Bundesregierung Rechnung" zu legen (Art. 114 Abs. 1 GG). Darüber hinaus prüft der Bundesrechnungshof „die Rechnung sowie die Wirtschaftlichkeit der Haushalts- und Wirtschaftsführung", über deren Ergebnis er dem Bundestag berichtet (Art. 114

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Abs. 2 GG). Dies geschieht in den jährlich vorzulegenden „Bemerkungen des Bundesrechnungshofes zur Haushalts- und Wirtschaftsführung", die der Bundestag ebenso wie den Entlastungsantrag des Bundesfinanzministers (Art. 114 Abs. 1 GG) dem Haushaltsausschuss überweist. Für die Beratung der Bemerkungen des Bundesrechnungshofes hat der Haushaltsausschuss einen ständigen Unterausschuss eingerichtet, der den - missverständlichen - Namen „Rechnungsprüfungsausschuss" führt, der indes nicht nur die Rechnungen der Bundesregierung kontrolliert, sondern sich mit jedem einzelnen Vorgang, den der Bundesrechnungshof moniert, unter allen Aspekten der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung befasst. Dem Rechnungsprüfungsausschuss gehören ausschließlich Mitglieder des Haushaltsausschusses an, worin deshalb ein Vorteil erblickt wird, weil diese mit den Materien aufgrund ihrer vorgängigen Befassung im Verfahren der Haushaltsgesetzgebung und bei der Ausübung der begleitenden parlamentarischen Kontrolle vertraut sind. Die jährlichen Bemerkungen des Bundesrechnungshofes berät der Rechnungsprüfüngsausschuss in ca. acht bis zehn Sitzungen, denen sowohl die zuständigen Prüfungsgebietsleiter des Bundesrechnungshofes als auch Vertreter derjenigen Ressorts beiwohnen, auf deren Haushaltsführung sich die Monita des Bundesrechnungshofes beziehen, und mit denen die Details der entsprechenden Vorgange erörtert werden. Weder der Rechnungsprüfungs- noch der Haushaltsausschuss noch der Bundestag besitzen das Recht, bei festgestellten Verstößen Sanktionen zu verhängen. Formal ist das Verfahren lediglich auf die Kenntnisnahme der Bemerkungen des Bundesrechnungshofes ausgerichtet. Gleichwohl bleibt diese Form der nachträglichen Kontrolle nicht ohne Wirkungen, weil der Rechnungsprüfungsausschuss bei festgestellten Missständen einvernehmlich seine Erwartung verdeutlicht, dass die für den Verstoß Verantwortlichen zur (disziplinar-, schadensersatzrechtlichen) Verantwortung gezogen und zumindest pro futuro die als problematisch oder rechtswidrig bewerteten Verfahrensweisen der Verwaltung abgestellt werden. Die Bundesregierung kommt diesen Erwartungen in aller Regel schon deshalb nach, weil sie andernfalls zu befürchten hat, dass der Haushaltsausschuss bei den nächstfolgenden Beratungen des Bundeshaushaltes durch Kürzung entsprechender Titelansätze der Auffassung seines Rechnungsprüfungsausschusses schmerzlich wirkenden Nachruck verleiht.

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§ 21 Staat, parlamentarisches System und wirtschaftlicher Sektor Jürgen Bellers und Udo Hagedorn Einleitung - I. Formen der Staatsintervention - II. Ebenen, Bereiche und Instrumente der staatlich-administrativen Wirtschaftspolitik - III. Institutionen und Akteure Grundlagenliteratur: Adam, Hermann (1991): Wirtschaftspolitik und Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland. Opladen Eßer, Klaus, u.a. (1996): Globaler Wettbewerb und nationaler Handlungsspielraum - neue Anforderungen an Wirtschaft, Staat und Gesellschaft. Köln Frey, Bruno (1994): Demokratische Wirtschaftspolitik. München Grosser, Dieter (1985): Der Staat in der Wirtschaft der Bundesrepublik. Opladen Thieme, Hans Jörg (1991): Soziale Marktwirtschaft. München Einleitung Moderne Gesellschaften sind Wirtschaftsgesellschaften. Auch wenn die industrielle Produktion in den westlichen Demokratien in ihrem Anteil am Bruttosozialprodukt sinkt (von 50% auf 35% und weniger), so ist doch der Grundsatz der hochdifferenzierten Arbeitsteilung in der Produktion weiterhin maßgebend. Die industrielle und agrarische Produktion stellt weiterhin die materielle Reproduktion, welche die Versorgung der Gesellschaften sichert; und der Ausbau des Dienstleistungssektors ist nur deshalb möglich, weil die Bürger zum Großteil genügend Einkommen über den industriellen Sektor (Vermögen, Löhne) haben, bzw. infolge der verbilligten industriellen Massenproduktion über genügend Einkommen verfügen, um mit ihnen Dienstleistungen zu finanzieren. Eine derart tief gegliederte und sektoralisierte Wirtschaft gerät leicht in die Gefahr, daß ihre einzelnen Teile und Subsysteme aus dem Gleichgewicht geraten. Der Ausfall eines Zulieferers kann z.B. eine Kettenreaktion auslösen, die den Ausfall eines gesamten Produktionsbereiches, einer Branche zur Folge hat. Es kann zu Krisen kommen, die den Rahmen von „normalen" konjunkturellen Schwankungen bei weitem überschreiten. Die Weltwirtschaftskrise von 1929, aber auch die - zwar schwächeren - Krisen der Weltwirtschaft seit Mitte der 1970er Jahre machen dies deutlich. Durch eine Krise im Bankensystem geriet auch die zuvor florierende japanische Wirtschaft Ende der 1990er Jahre ins Trudeln. Die Bedeutung und die Notwendigkeit der politischen Intervention in die Wirtschaft wird hier offenbar, denn nur die „Politik" mit ihrer zentralen Autorität jenseits von Marktmechanismen kann prekäre Wirtschaftslagen, ökonomische Destabilisierungen und Unterentwicklungsprozesse zumindest eindämmen, wenn nicht sogar verhindern. Dazu ist nur der staatliche Herrschaftsapparat in der Lage, da er nicht Teil des Marktprozesses ist, sonder quasi hoheitlich „über ihm steht",

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um derart Marktprozesse in eine andere, Stabilität versprechende Richtung lenken zu können. Wie das erfolgt, und welche Rolle dabei das Parlament spielt, soll in den folgenden Kapiteln erläutert werden. Die wirtschaftliche Intervention des Staates ist heutzutage zwischen allen Parteien und Verbänden westlicher Staaten unbestritten, streitig ist nur deren Umfang. Es gibt noch eine weitere Ursache, warum das politisch-administrative System wirtschaftlich intervenieren muss: Die kapitalistischen Wirtschaftsgesellschaften zeichnen sich durch eine hohe Dynamik aus, die die Sektoren dieser Gesellschaften und in ihrem Verhältnis zueinander ständig ändert: z.B. Verringerung des primären, agrarischen Sektors zugunsten des sekundären (industriellen) und des tertiären (Dienstleistungen), wenn nicht sogar bereits des quartären (Medien, EDV). Der so entstehende Koordinationsbedarf erfordern Präsenz und Intervention des Staates. Diese Änderungen haben gesellschaftspolitische Folgen: (zeitweilige) Arbeitslosigkeit in dem einen Sektor; Arbeitskräftenachfrage in einem anderen prosperierenden. Dieser Prozess muss staatlicherseits zumindest begleitet werden - präventiv oder ex post, um größere Arbeitslosigkeit und negative sozialpolitische Begleiterscheinungen zu vermeiden.

I. Formen der Staatsintervention Wirtschaftspolitisches Handeln und Eingriffe in das Marktgeschehen lassen sich unabhängig vom jeweils konkreten Wirtschaftspolitikfeld nach der fast allgemein geteilten Untergliederung der Wirtschaftswissenschaften in folgende unterschiedliche Kategorien einordnen (vgl. Thieme: 1991): Die Markterhaltung. Marktsicherade Maßnahmen sollen durch Gesetze, finanzielle Anreize usw. die rechtliche Basis für die Schaffung eines fairen und gleichen Leistungswettbewerbs schaffen. Als Beispiel aus der Ordnungspolitik lassen sich Gesetze gegen unlauteren Wettbewerb oder Wettbewerbsbeschränkungen, Verordnungen über Ladenschlusszeiten und Qualitätsstandards anfuhren. Ziel ist die optimale Ordnung des Marktes. Teilweise sind diese Aufgaben auf die Europäische Union übergegangen. Die Marktbeeinflussung. Hier werden eher indirekte Methoden angewandt: Aufrufe, Appelle der Regierung, von Parteien, aber auch von Verbänden. Konkreter lässt sich dies am Beispiel von Energiesparprogrammen aufzeigen. Auf der einen Seite also psychologische Marktbeeinflussung, auf der anderen Seite muss an Subventionspolitik gedacht werden. Diese wiederum kann als Beispiel für die „härteren" Inhalte dieser Politik gelten. Die Marktintervention. Konkretes Eingreifen in das Marktgeschehen, z.B. das Aufkaufen von Angebotsuberschüssen, um in Zeiten vermehrter Nachfrage die Versorgung der Verbraucher zu sichern und in Überschussperioden die Produzenten zu stützen. Rohstoffe werden z.T., insbesondere für Krisen- und Kriegszeiten so verwaltet. Auch gezielt eingesetzte Steuerpolitik kann in diese Richtung wirken. Unter dem Stichwort .Ökosteuer' lässt sich mit Blick auf die aktuelle politische Lage ein solcher Vorgang beobachten. Die gewünschte Folge der Mineralölsteuererhöhung ist auch ein sich änderndes Verbraucherverhalten, mit Blick auf die öffentlichen Verkehrsmittel.

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(Als vierte Kategorie scheidet als für die Soziale Marktwirtschaft ungeeignet die Marktlenkung aus, z.B. die Bewirtschaftung, Rationierung und staatlich kontrollierte Abgabe von Lebensmitteln in der unmittelbaren Nachkriegszeit nach 1945.) Bei allen Eingriffen des Staates oder anderer öffentlicher Körperschaften muss beachtet werden, daß die Maßnahmen den marktwirtschaftlichen Mechanismus nicht stören oder außer Kraft setzen dürfen. Die Marktwirtschaft gilt in der Bundesrepublik als von fast allen Parteien akzeptierte Wirtschaftsform, auch in der EU, die ihrem Wesen nach marktwirtschaftlich ist. Entscheidendes Kriterium für verbleibende Staatseingriffe ist die Marktkonformität; Eigeninitiative darf nicht aufgehoben oder gelähmt werden. Diese Einschränkungen finden sich z.B. in der Wettbewerbsordnung und anderen Gesetzen und Verordnungen wieder, nur so können die Aufrechterhaltung und institutionelle Sicherung des freien Leistungswettbewerbs gewährleistet werden. Deutlich werden die Unterschiede in den einzelnen Bereichen und Zielsetzungen von Wirtschaftspolitik, wenn im Folgenden einige unterschiedliche Funktionen des Staates beleuchtet werden. (Grosser: 1985) • Die Ordnungsaufgabe Grundlegend notwendig für das Funktionieren der Marktwirtschaft, speziell auch der Sozialen Marktwirtschaft, ist die staatliche Ordnungspolitik. Hierzu gehören alle rechtlich-organisatorischen Maßnahmen, durch die längerfristige Rahmenbedingungen für den Wirtschaftsprozess einer Wirtschaftsordnung bestimmt werden. Dieser Bereich schließt sowohl Bestimmungen über die differenzierten Aufsichtsfunktionen des Staates gegenüber der Wirtschaft, wie auch die Eigentums-, Planungs-, Unternehmens- und Geldordnung ein, um beispielsweise ein funktionsfähiges Währungssystem oder grundgesetzkonforme Unternehmensverfassungen zu sichern. • Die Schutzaufgabe Hochrangige Güter und Interessen werden durch Ge- und Verbote von staatlicher Seite aus vor Verletzungen durch wirtschaftliche Aktionen und Akteure geschützt. Das Spektrum dieses Feldes reicht von Bau- und Sicherheitsvorschriften bis hin zum Umweltschutz. • Die Umverteilungsaufgabe Über Steuer- und Sozialsysteme sucht der Staat sozial nicht vertretbare Einkommensumverteilungen zugunsten von Minderheiten zu begegnen. • Die Produktionsaufgabe Auch der Staat produziert. Durch Behörden und öffentliche Unternehmen stellt er Güter und Dienste direkt oder indirekt her, für die er sich teilweise Monopole oder monopolartige Bedingungen vorbehält. Der Staat verfügt auch über einige Produktionsbetriebe, die jedoch immer mehr privatisiert werden. • Die Nachfragefunktion Hier hat die staatliche Nachfrage den größten Anteil am Bruttosozialprodukt (BSP), fast 50% des BSP gehen durch öffentliche Hände. Insbesondere Kommunen sind investitions- und nachfragekräftig. • Die Mediatoraufgabe Vor allem seit der zweiten Hälfte der 1970er Jahre zieht sich der Staat zunehmend aus der direkten Intervention zurück, da sich diese oft als nicht erfolgreich oder sogar als kontraproduktiv erwies. Staatliche Akteure forcieren eher kooperative Politikformen (regional, national, EU-weit; -> § 16), um in einem Konsens wirtschaftspolitische Maßnahmen zu beschließen. Bekannt sind hier die Kom-

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promisse im Gesundheitssystem der 80er und 90er Jahre, durch die erhebliche Sparstrategien implementiert wurden. Im Jahr 2000 kam es zum „Bündnis für Arbeit", in dessen Rahmen begrenzte Gemeinsamkeiten (Altersteilzeit) und Arbeitszeitverkürzungen den Tarifpartnern empfohlen wurden. Im Unterschied zur sog. „Konzertierten Aktion" gemäß Stabilitätsgesetz (siehe unten) ist bei diesen Runden Tischen der staatliche Steuerungsanspruch weitgehend zurückgenommen.

II. Ebenen, Bereiche und Instrumente der staatlich-administrativen Wirtschaftspolitik Wirtschaftspolitik ist die Zusammenfassung aller Aktivitäten des Staates, mit denen er versucht, die Wirtschaft gemäß spezifischer oder allgemeiner ökonomischer und sozialer Ziele zu ordnen, zu beeinflussen oder auszurichten. Für einen Überblick über zentrale Ebenen und Instrumente der Wirtschaftspolitik erscheint es sinnvoll, das wirtschaftspolitische Feld der Übersicht halber zu teilen. Nach diesem Muster werden unterschieden: Konjunktur- und Wachstumspolitik, Geld-, Finanz- und Fiskalpolitik, Wettbewerbspolitik, Außenwirtschaftspolitik, Umweltpolitik, sektorale / regionale Wirtschafts- und Strukturpolitik. • Konjunktur- und Wachstumspolitik Vorwiegendes Ziel konjunkturpolitischer Maßnahmen ist die Vermeidung von Konjunkturschwankungen. An erster Stelle steht hierbei die beschäftigungspolitische Vermeidung von konjunktureller Arbeitslosigkeit. Unterstützt werden die Maßnahmen durch die Geldpolitik der Bundesbank. Seit der allgemeinen Liberalisierung mit Beginn der 80er Jahre sind diese Versuche einer gesamtwirtschaftlichen Steuerung durch den Staat zunehmend in den Hintergrund getreten. Eine dominierende Rolle spielt weiterhin das Wachstumsziel. Die Wachstumspolitik bezeichnet die Summe aller wirtschaftspolitischer Maßnahmen zur Sicherung und zur Förderung des wirtschaftlichen Wachstums. Bemüht sich die Konjunkturpolitik um die Verringerung der schwankenden Auslastung des Produktionspotentials, so ist es Aufgabe der Wachstumspolitik, dieses Potential selber ansteigen zu lassen. Zusätzlich wird ein hohes Ausbildungsniveau angestrebt, um die Qualität des Faktors Arbeit zu verbessern. • Geld-, Finanz- und Fiskalpolitik Als Geldpolitik wird die Summe aller Maßnahmen zur Regelung der Geldversorgung der Wirtschaft bezeichnet. Auch hier müssen die gesamtwirtschaftlichen Ziele berücksichtigt werden, vor allem die Gewährleistung der Preisniveaustabilität. Der Träger der Geldpolitik ist nach den im Bundesbankgesetz festgeschriebenen Aufgaben und Kompetenzen die Bundesbank, bzw. die Europäische Zentralbank, auf die die Aufgabe der Geldmengensteuerung und der Zinspolitik übergegangen ist. Als deren geldpolitische Instrumente im einzelnen können Diskontpolitik, Lombardpolitik, Mindestreservepolitik, Einlagenpolitik, Offenmarktpolitik und Devisenmarktpolitik angeführt werden. Finanzpolitik umfasst sowohl prozesspolitische, wie auch ordnungspolitische Maßnahmen. Fiskalisches Ziel der Finanzpolitik ist die Sicherung der staatlichen Einnahmen, um die gesamten Staatsaus- und aufgaben erfüllen zu können. Daneben werden Allokations- und Distributionsziele in der Berücksichtigung von Akteuren und Regionen verfolgt. Instrumente sind hier die Einkommenspolitik, die Ausgabenpolitik und die Gesamtbudgetpolitik. Getragen wird sie auf Seiten der Legislative durch das Paria-

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ment (Haushaltspläne und diesbezügliche Gesetze; —> § 20, II. u. III.), auf Seiten der Exekutive durch die Finanzverwaltung der Finanzminister von Bund und Ländern, auf Seiten der Judikative von den Finanzgerichten und dem Bundesverfassungsgericht. • Wettbewerbspolitik Die Parlamente legen durch ihre Gesetzgebung den ordnungspolitischen Rahmen für die Wettbewerbspolitik und deren Ausrichtung fest. Dies erfolgt entweder in der Form vollkommener Konkurrenz oder der Akzeptanz einer workable competition, die zur Sicherung von Marktstabilität auch bestimmte Formen oligopolistischer Strukturen zulässt. Es gibt zahlreiche Ausnahmen, z.B. nach deutschem Recht die evt. Erlaubnis von Exportkartellen oder nach Art. 81 (3) EG-Vertrag selbst „aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen oder Gruppen von solchen, die unter angemessener Beteiligung der Verbraucher an dem entstehenden Gewinn zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -Verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen". • Außenwirtschaftspolitik Als Außenwirtschaftspolitik wird die Summe aller den Außenwirtschaftsverkehr regelnden Maßnahmen einer Volkswirtschaft verstanden. Die Träger der Außenwirtschaftspolitik sind in der Bundesrepublik Deutschland der Bund und die Europäische Union, die mittlerweile das alleinige Recht zum Abschluss von Handelsverträgen und zur Festlegung von Zollhöhen hat. Außenwirtschaftspolitische Regelungen (z.B. Import/Exportverbote bei Rüstungsgütern, Kapitalverkehrskontrollen, Auf/Abwertung von Währungen) können betreffen: den Warenverkehr, den Dienstleistungsverkehr, internationale unentgeltliche Übertragungen, finanzielle Transaktionen und die internationale Wanderung von Arbeitskräften. Kontroll- und Ausführungsinstanz ist das Bundesamt für Wirtschaft in Eschborn bei Frankfurt/Main, das dem Bundesministerium für Wirtschaft untersteht. • Umweltpolitik Als Umweltpolitik wird die Summe aller Maßnahmen bezeichnet, die notwendig erscheinen, um dem Menschen eine Umwelt zu sichern, wie er sie für seine Gesundheit und für ein menschenwürdiges Dasein benötigt, um Boden, Wasser und Luft, Pflanzen- und Tierwelt vor nachteilig wirkenden Eingriffen zu schützen und um aus menschlichen Eingriffen resultierende Schäden oder Nachteile zu beseitigen. Hauptbereiche der Umweltpolitik sind die Bodenschutz-, Gewässerschutz-, Luftreinhaltungs- und die Naturschutzpolitik. Hinzu kommt die Abfall-, Gefahrstoffschutz-, Lärmschutz- und die Strahlenschutzpolitik. Die umweltpolitischen Träger sind EU, Bund, Länder und Gemeinden mit ihren legislativen, exekutiven und judikativen Instanzen und Kompetenzen. • Sektorale / regionale Wirtschafts- und Strukturpolitik Versucht man, die unterschiedlichen Politikebenen von Wirtschaftspolitik nach dem Umfang ihres Geltungs- und Wirkungsbereiches zu ordnen, so ist als allgemeine und weitreichende Ebene die der Strukturpolitik, die wegen ihres umfassenden Charakters auch nicht einem spezifischen Ministerium oder einer besonderen Behörde zugeordnet werden kann, sondern eine Querschnittsaufgabe ist, die vom Wirtschafts- über das Forschungs- bis zum Landwirtschaftsministerium reicht. Die Strukturpolitik hat zum Ziel, gemäß bestimmter wirtschaftspolitischer Leitbilder die wirtschaftliche Entwicklung zu beeinflussen. Allgemein gilt für die deutsche Strukturpolitik traditionellerweise, dass der Staat nicht direkt in unternehmerische Entscheidungen hinsichtlich der Produktpolitik intervenieren soll;

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aber der Staat kann bestimmte Anreize setzen, um eine von ihm präferierte Entwicklung zu befördern. Das erfolgt in der Bundesrepublik Deutschland nur indirekt über eine öffentliche Debatte in Wirtschaft und Politik und über finanzielle Unterstützungen für bestimmte Bereiche der Grundlagenforschung. Eine direkte Produktförderung wird abgelehnt, nur die produktunabhängige, aber industrienahe Forschung gemäß bestimmter Zielrichtungen erhält Gelder, z.B. für gentechnologische Grundlagenforschung. In diesen Zusammenhang von Strukturpolitik eingeordnet zu sehen ist die sektorale Wirtschaftspolitik, durch die bestimmte Wirtschaftssektoren (z.B. elektronische Industrie) bevorzugt gefördert werden - durch Instrumente wie steuerliche Begünstigungen, direkte und/oder indirekte Forschungssubventionen, infrastrukturelle Begleithilfen usw. Regional orientierte Wirtschaftspolitik zielt auf die (meist steuerliche und infrastrukturelle) Förderung unterentwickelter Regionen (Küsten- und Grenzgebiete z.B.) oder solcher Regionen, die sich in einem Umstrukturierungsprozess mit überdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit befinden, wie beispielsweise das Ruhrgebiet mit seinem Wandel von der Montanindustrie (Kohle, Stahl) zu modernen Dienstleistungsbranchen. Im Bundesraumordnungsplan sind die Fördergebiete festgelegt. Ein Gremium, bestehend aus Bundes- und Ländervertretern, entscheidet über die Förderschwerpunkte und den finanziellen Umfang der Förderung. • Die Verkehrspolitik widmet sich wiederum den Verkehrsachsen zwischen den regionalen Zentren: Die wirtschaftlichen Agglomerationen sind durch Straßen- und Bahnsysteme verbunden. Aber auch hier werden politisch und wirtschaftspolitisch bedingte Schwerpunkte und Präferenzen etwa bei den Verkehrsträgern gesetzt. Nur in einem Wirtschaftssektor hat sich eine spezifische und eigenständige Wirtschaftspolitik im umfassenden Sinne herausgebildet, und zwar im agrarischen Bereich. Seit Ende der 1920er Jahre hat sich hier ein System in Deutschland entwickelt, daß die Landwirtschaft angesichts der allgemeinen Wirtschaftskrise, insbesondere aber angesichts des sinkenden Anteils der Landwirtschaft am Bruttosozialprodukt über künstlich hoch gehaltene Preise stützt. Dieses System wurde dann zu Beginn der 1960er Jahre von der EWG übernommen. Die europäische Agrarpolitik mit ihren massiven Preissubventionierungen und mit ihrer Lagerhaltungspolitik führte zu den bekannten, agrarischen Überproduktionen und zu einem außenwirtschaftlichen Hochprotektionismus, der schließlich in den 80er Jahren nicht mehr finanzierbar war. In der Folgezeit wurden daher die Agrar-Preise immer weiter in Richtung Marktpreisniveau gesenkt. Agrarpolitik findet nun einen weitaus wichtigeren Schwerpunkt in der Agrarstrukturpolitik, d.h. in der Umwandlung des ländlichen Raumes hin zu neuen Produktions- und Dienstleistungsformen, z.B. Tourismus-Angebote, Naturschutz, ökologische Sicherungsaufgaben usw.

III. Institutionen und Akteure Wirtschaftspolitik wird in einer pluralen Gesellschaft von zahlreichen Akteuren getragen: Auf der nationalstaatlichen Ebene sind es die Wirtschaftsministerien der Bundesländer und des Bundes, die für die ordnungspolitischen Grundlinien, für die Förderung bestimmter Sektoren, für Umstrukturierungsprozesse, soweit sie nicht von Marktprozessen autonom vorgenommen werden, zuständig sind. Fast jedes Ministerium hat wirtschaftspolitische Funktionen, so daß es vor allem

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darauf ankommt, die Einzelaktivitäten durch ein möglichst kohärentes Gesamtprogramm zu koordinieren. Kommunale Behörden setzen z.T. die Vorgaben der Bundes- und Landesinstanzen um; betreiben aber auch eigene WirtschaftsfÖrderung: Errichtung von Industrieparks, günstige Infrastrukturbereitstellung, wirtschaftsfreundliche Gewerbesteuersätze u.a.m. Das politische System Deutschlands zeichnet sich auch wirtschaftspolitisch dadurch aus, daß ein Teil der staatlichen Kompetenzen auf öffentlich-rechtliche Entscheider übertragen wurden, quasi intermediäre Instanzen zwischen Staat und Gesellschaft. Sie sind dadurch gekennzeichnet, daß in solchen Anstalten und/oder Körperschaften die im jeweiligen Regelungsbereich Betroffenen selbst diesen organisieren und in diesem Regelungsbereich auch hoheitliche Aufgaben wahrnehmen. So verwalten die Bundesversicherungsanstalten im Auftrage des Staates, aber als eigenständiges Selbstverwaltungsorgan der Versicherten das Rentensystem. Ähnlich die Industrie- und Handelskammern, die Handwerkskammern und die Landwirtschaftskammern, die im öffentlichen Auftrag Prüfungen abnehmen, Zertifikate verleihen, Kontrollen vornehmen etc. Weisungsgebunden (gegenüber dem zuständigen Ministerium), nicht autonom sind die Bundesanstalt ftir Arbeit, das Bundesamt für Umwelt, das Bundesamt für Wirtschaft u.a.; dazu kommen eher informelle Wirtschaftsakteure mit öffentlich-rechtlichen Informationsfunktionen, so der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, mit Empfehlungen für die Bundesregierung; die Monopolkommission mit ihrem Monopolbericht, durch den wettbewerbsfeindliche Konzentrationen aufgezeigt werden sollen; die wissenschaftlichen Beiräte. Privatwirtschaftlich sind die Gewerkschaften und Unternehmensverbände Träger mit privatrechtlichen Entscheidungs- und Informationsfunktionen und insbesondere tarifpolitischen Aufgaben inkusive Vertretung der Interessen ihrer Mitglieder. Die von den Sozialpartnern ausgehandelten Tarifverträge werden vom Bundesarbeitsminister meist für allgemein verbindlich erklärt. In der ökonomisch hoch interdependenten Welt von heute, die insbesondere regional-großraumwirtschaftlich verflochten ist, hat die Europäische Union eine besondere Bedeutung, da sie die einzige internationale Organisation ist, die sich mittlerweile zu einem staatsähnlichen Gebilde mit eigenständigen Souveränitäten entwickelt hat. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat demgegenüber vergleichsweise geringe Durchsetzungsmöglichkeiten gegenüber den Nationalstaaten. Nur dann, wenn diese international verschuldet sind, bestehen - bei Vergabe neuer Kredite - Mitspracherechte über die binnenwirtschaftliche Entwicklung. Die Weltbank vergibt darüber hinausgehende, langfristige Entwicklungskredite an Länder. Die Welthandelsorganisation (World Trade Organization, WTO) hat zum Ziel, einen möglichst freien Welthandel zu gewährleisten — frei von Zöllen und sonstigen Hemmnissen. Dementsprechende Regelungen gelten allerdings nur für die Mitgliedstaaten dieser internationalen Organisation (gegenwärtig mehr als 120 Staaten, bei steigender Tendenz). Bei Verstößen von Mitgliedstaaten gegen die WTO-Regelungen kann die Organisation zunächst zu vermitteln versuchen, dann aber bei Mißerfolg Sanktionen ergreifen oder empfehlen.

5. Kapitel Politische Mitwirkung § 22 Wahlen Gerhard Kral I. Funktionen und Bedeutung der Wahl - II. Wahlsysteme - III. Die (demokratischen) Wahlrechtsgrundsätze - IV. Das Wahlrecht der Bundesrepublik Deutschland Grundlagenliteratur: Braunias, Karl (1932): Das parlamentarische Wahlrecht. Berlin, 2 Bde. Jesse, Ekkehard (1985): Wahlrecht zwischen Kontinuität und Reform. Düsseldorf Körte, Karl-Rudolf (1999): Wahlen in der Bundesrepublik Deutschland. Bonn Nohlen, Dieter (2000): Wahlrecht und Parteiensystem. Opladen Nohlen, Dieter (2000a): „Wahlen / Wahlfunktionen". In: Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. Opladen, S. 641 ff. Schreiber, Wolfgang (1998): Handbuch des Wahlrechts zum Deutschen Bundestag. Köln Steffani, Winfried / Thaysen, Uwe (1995) (Hg.): Demokratie in Europa: Zur Rolle der Parlamente. Opladen Woyke, Wichard (1996): Stichwort: Wahlen. Opladen

I. Funktionen und Bedeutung der Wahl Wahlen sind generell Vorgänge des Auswählens und Instrumentarien zur Auswahl von Entscheidungsalternativen. In der Politik sind sie Verfahren zur Bildung von entscheidungsbefugten Gremien und herrschaftsausübenden Organen, zur Bestellung oder Abwahl von Inhabern öffentlicher Ämter durch die im jeweiligen Wahlsystem näher bezeichneten Stimmberechtigten. Sie sind formalisiert zur Bestellung und Legitimierung von Organen und Vertretungskörperschaften in Staaten (Zentral- oder Bundesstaaten), in Gebietskörperschaften (Kommunen), in anderen Körperschaften (z.B. des öffentlichen Rechts), aber auch in Organisationen und Personenvereinigungen. Bei der politischen Wahl erfolgt eine Auswahl unter verschiedenen politischen Zielsetzungen und Sachprogrammen, für die Personen (Kandidaten) und Personengruppen (Parteien und Wählervereinigungen) in der Konkurrenz um Mandate und Ämter auftreten. Über die je gültige Variante von Wahlverfahren werden auf den verschiedenen politischen Ebenen Abgeordnete ermittelt und Mandate zugeteilt (Parlamentswahlen auf EU-, auf Bundes-, und Landesebene), es werden Gemeinde-, Stadt-, Kreis- und Bezirksräte bestellt (Kommunalwahlen), Amtsinhaber bestimmt (z.B. Bürgermeister oder Landräte) sowie parlamentsintern Ministerpräsidenten oder Bundeskanzler, Richter des Bundesverfassungsgerichtes und Uber die Bundesversammlung der Bundespräsident/die Bundespräsidentin. Wahlen von Reprä-

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sentativorganen und Amtsinhabern sind so zu unterscheiden von den rein sachlich-materiellen Abstimmungen wie Plebiszit, Bürgerentscheid oder Volksentscheid. Mit den Wahlen wird in der Regel dennoch mit der Personalentscheidung mittelbar gleichzeitig auch eine Sachentscheidung getroffen, über Programme, Zielsetzungen und politische Prioritäten. Seit in Gemeinschaften Macht existiert, seit in Gesellschaften Herrschaft ausgeübt wird, müssen die Organe und Träger in einem allgemein akzeptierten Verfahren ermittelt werden. Techniken der Bestellung können sein die Positionszuweisung kraft Geburt, durch die Erbfolge, kraft Amtes (ex officio), durch Ernennung, Kooptation, Akklamation oder Losentscheid. Gewalttätige Formen wären die Usurpation durch Putsch oder Revolution. "Ihrer technischen Funktion nach ist die Wahl ein Mittel zur Bildung von Körperschaften oder zur Bestellung einer Person in ein Amt. Diese funktionale Bestimmung unterscheidet die Wahl allerdings nicht von anderen Bestellungstechniken, die - anders als die gewaltsamen Methoden der Machterlangung wie Kampf, Putsch oder Krieg - ebenfalls auf Vereinbarung beruhen können: Bestellung nach Geburtsrecht, aufgrund Amtsstellung [ex officio], durch Losentscheid, durch Ernennung und durch Akklamation. Von diesen Bestellungstechniken ist die Wahl durch nur ihr eigene Verfahren unterschieden" (Nohlen: 2000a, S. 641). Es gehört zu den fundamentalen Prinzipien einer repräsentativen Demokratie, dass die Volksvertretungen in regelmäßigen, im voraus bestimmten Zeitabständen durch Wahlen abgelöst und über das Votum der Wählerschaft auf Zeit neu legitimiert werden. Wahlen sind der entscheidende Akt der unmittelbaren demokratischen Willensbildung des Volkes (vgl. Art. 20 Abs 2 S. 1 GG). Andere Formen der Besetzung politischer Positionen wie Vererbung, Ernennung durch Akklamation, Kooptation oder Losentscheid sind mit einer parlamentarischen Demokratie unvereinbar. Wahlen sind die legitime „demokratische Methode" zur Bestellung von Vertretungsorganen des Volkes auf Zeit. Wahlen bilden die Grundlage des liberalen Demokratieverständnisses, wonach sich die politische Führung periodisch aus allgemeinen Wahlen durch die Bürger rekrutieren muss. Zu ihren wichtigsten Funktionen gehört, dass für die Wähler eine Auswahl zwischen personellen und sachlichen, (partei-)politischen, Alternativen möglich ist. Wahlen sind eines der wichtigsten verfassungsmäßigen Bürgerrechte und stellen in repräsentativen Verfassungsordnungen die einfachste, allgemeinste Form der unmittelbaren politischen Beteiligung, der partizipierenden Einflussnahme von Bürger(inne)n dar. Auf sie hin orientieren sich die anderen Formen der politischen Partizipation. Der offene und freie Wettbewerb um gesamtgesellschaftliche Entscheidungsbefugnisse und politische Gestaltungsrechte gehört - als zentrales Instrument zur Konsensbildung und Konfliktregelung - wie die Meinungsfreiheit, die Rede-, Presse-, Religions-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (vgl. Art. 1 - 5 und Art. 8 - 1 1 GG) zu den unverzichtbaren Grundelementen einer modernen demokratischen Ordnung. Für den Großteil der Bevölkerung sind die Parlamentswahlen wohl die einzige oder zumindest regelmäßig genutzte Chance der politischen Willensbildung - noch vor den Abstimmungen über Sachfragen, Bürger-/ Volksbegehren, Bürger-/ Volksentscheid, der aktiven Mitgliedschaft in Parteien, in Verbänden, in Bürgerinitiativen und Selbsthilfegruppen oder gar der Kandidatur bei Wahlen. Durch die Wahlen wird angestrebt, den Regierenden Rückhalt zu schaffen, sie zu autorisieren und zu legitimieren, Macht und Herrschaft auszuüben, sowie eine

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loyale Integration der Bürgerinnen und Bürger zu erreichen. Braunias, einer der älteren Wahlrechtsautoren, spricht mit Recht von der "legitimationsbegründenden Aufgabe des Wahlrechts" (Braunias: 1932, Bd. II, S. 5; zu den Funktionen von Wahlen zusammenfassend Nohlen: 2000, S. 21; 2000a, S. 642). Über die Wahlen erfahren die Verfassungsorgane ihre demokratische Legitimation und Rechtfertigung, wird eine regelmäßige Kontroll- und Verantwortlichkeitsbeziehung, die notwendige Rückkopplung zum Volk als dem Träger der Staatsgewalt und damit eine politische Richtungskontrolle durch die Herstellung einer weitgehenden Identität von Regierten und Regierenden erreicht. Zu den Funktionen von Wahlen zählen weiterhin die Rekrutierung der politischen Elite und die Rationalisierung des politischen Prozesses, eine überpersonale Kontinuität und Übertragung von Vertrauen, die Weckung staatlicher und politischer Interessen, die Mobilisierung der Wählerschaft für gesellschaftliche Werte, politische Programme und parteipolitische Interessen sowie die Kanalisierung politischer Konflikte in Verfahren zu ihrer friedlichen Beilegung. In parlamentarischen Demokratien haben Wahlen insbesondere die Funktionen der Legitimation (der Regierenden), der Kontrolle (der Regierung durch das Parlament), der Konkurrenz (zwischen Regierung, parlamentarischer Mehrheit und Opposition) sowie der Repräsentation/ Integration (Integration von Wählern und ihren gewählten Repräsentanten). Ein gesichertes Instrument zur Messung der Identität zwischen Regierten und Regierenden bzw. Mandatsträgern ist die Höhe der Wahlbeteiligung, die in der Bundesrepublik Deutschland wie in den meisten anderen Demokratien auf Freiwilligkeit beruht. Eine Wahlbeteiligung deutlich über 80 % oder gar über 90 % (1972 und 1976), wie sie seit 1953 bis in die 80er Jahre bei den Bundestagswahlen erreicht wurde, zeigt die bis dahin gelungene Integration bzw. Anerkennung des repräsentativen Systems. Die zuletzt zurückgehende Wahlbeteiligung bei den verschiedensten Wahlen in den 90er Jahren jedoch lässt auf sich verstärkende Legitimationsprobleme schließen (Bundestagswahl 1990: 77,8 % und 1994 79,1 % - zu den teilweise deutlich darunter liegenden Beteiligungsquoten bei Landtagswahlen, v.a. im Jahr 1994 in den neuen Bundesländern mit einem Minus von bis zu 14 %, vgl. z.B. Körte: 1999, S. 74). Wahlen finden aber in fast allen politischen Systemen statt, nicht nur in Demokratien, auch in autoritär regierten Staaten und diktatorischen Systemen, jedoch hier meist ohne Wahlfreiheit und Auswahlmöglichkeit. Damit kommen den Wahlen, je nach Verfassungstyp, ganz unterschiedliche Funktionen zu. In der Unterscheidung der Auswahlmöglichkeiten bei einer Wahl - tatsächlich, vorgeblich oder nur eingeschränkt, nicht bestehend - hat sich eine Klassifikation von Wahlen durchgesetzt, in der unterteilt wird nach „kompetitiven", „semikompetitiven" und „nicht-kompetitiven Wahlen (Nohlen: 2000, S. 28; 2000a, S. 641). Man unterscheidet also nach dem Grad des zugelassenen Wettbewerbs, nach der Freiheit, der Chance zu ungehinderter Meinungsbildung und der Auswahlfreiheit. In demokratischen Verfassungsstaaten gilt freier Wettbewerb, uneingeschränkte Wahlfreiheit und Chancengleichheit im Wahlkampf, im Unterschied zu halbdemokratisch-autoritären (semi-kompetitiv) und totalitären Systemen (nicht-kompetitiv). In einem autoritären System haben Wahlen weitgehend andere Funktionen zu erfüllen als in einer demokratischen parlamentarisch-repräsentativen Verfassungsordnung: sie dienen in erster Linie der Bestätigung der herrschenden Machtgruppe und sollen den Schein aktiver Zustimmung erwecken. Bedeutet Wahl im Wortsinn auch die Entscheidungsmöglichkeit, die Aus-

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wähl zwischen unterschiedlichen Programmen oder mehreren Personen, so gab und gibt es in der Realität politischer Ordnungen auch "Wahlen", welche die Möglichkeit einer frei bestimmten Auswahl nicht bieten. Beispielsweise sah Art. 54 der DDR-Verfassung "das Recht auf freie, allgemeine, gleiche und geheime Wahlen" vor, wobei "nicht die freie Bestellung einer politischen Vertretungskörperschaft Ziel dieser Wahlen war, sondern die Erzeugung des Scheins von Legitimität politischen Handelns." (z. B. Akklamationswahlen in den Staaten des ehemaligen Ostblocks. Gerlach: 1999, S. 233; vgl. dazu auch Dieringer: 2000). Man kann ferner differenzieren nach dem Ausmaß politischer Beteiligung (gemessen anhand des Anteils der Wahlberechtigten an der erwachsenen Bevölkerung) zwischen „inklusiven" Wahlen, die einen großen Teil der erwachsenen Bevölkerung erfassen, und „exklusiven" Wahlen, die nur einem geringen Teil der erwachsenen Bevölkerung Beteiligungschancen bieten. Die westlichen Demokratien garantieren über das allgemeine Wahlrecht nahezu allen erwachsenen Bürgern die Chance und das Recht, über Wahl oder Abwahl der Legislativ- und Exekutivorgane mit zu entscheiden.

II. Wahlsysteme Wahlsysteme stellen Verfahren und Instrumente dar, über welche die Wähler ihre Kandidaten- oder Parteipräferenz in Stimmen ausdrücken, und durch die Stimmenzahlen in Mandate übertragen werden. Ein bestimmtes Wahlsystem trifft alle notwendigen technischen Regelungen zur Organisation der wahlgesetzlich normierten Wahlbewerbung, zur Durchführung des gesamten Wahlprozesses bis hin zur Ermittlung der Mandatsverteilung. Dazu zählen die Untergliederung des gesamten Wahlgebietes in einzelne Wahlkreise, eine für die Auswirkungen des Wahlsystems höchst bedeutsame Variable (Nohlen: 2000, S 77; 2000a, S. 655), die Festlegung auf eine Form der Kandidatur (Einzelkandidatur oder Listenformen wie starre, lose gebundene, freie Liste; wahlkreisgebundene oder wahlkreisfreie Listenverbindung u.a.m.), die Entscheidung für ein Stimmgebungsverfahren (Einzelstimmgebung oder Mehrstimmengebung, Kumulieren, Panaschieren) sowie das Stimmenverrechnungsverfahren, nach dem die Gesamtzahl der Wählerstimmen umgerechnet wird in die zu vergebenden Parlamentssitze. Die Festlegung des Wahlsystems ist für die Wettbewerbschancen der Kandidaten und Parteien einerseits, die Art und Weise der Umsetzung von Wählerstimmen in Mandate andererseits von zentraler Bedeutung. Es gibt sehr vielfaltige Modelle und Verfahrensweisen (Woyke spricht von über 300), nach denen gewählt werden kann. Die variantenreichen und vielfältig kombinierbaren technischen Verfahren der Wahlsystematik wirken sich zweifach auf die Wahlergebnisse aus: jede technische Regelung führt bei der Umrechnung von Wählerstimmen in Mandate zu abweichenden Ergebnissen, zugunsten oder zu Lasten einzelner politischer Gruppierungen. Zum zweiten wirken die Wahlsysteme auf die Einstellungen und die Wahlentscheidung der Wähler zurück. Es überwiegen als Grundtypen die „Mehrheitswahl" („Persönlichkeitswahl") und die „Verhältniswahl" („Proportional-" oder „Listenwahl") mit gegensätzlichen Auswirkungen und sehr zahlreichen Variations- und Kombinationsmöglichkeiten. Diese Unterscheidung stellt auf den Aspekt der unterschiedlichen Berücksichtigung des Wählerwillens ab. Während das Verhältniswahlsystem eine Zu-

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teilung der Parlamentssitze anstrebt, die dem Verhältnis der erreichten Stimmen bestmöglich entspricht - idealtypisch im Sinne eines Spiegelbildes des Wählervotums -, ist über eine Mehrheitswahl nur diejenige Person oder Liste gewählt, die die (absolute oder relative) Mehrheit erhält.

1. Mehrheitswahl (Persönlichkeitswahlsystem) Das Prinzip der Mehrheitswahl ist die ältere Form der beiden Wahlsysteme Bei der Wahl nur einer Person, z.B. Reichspräsident nach Art. 41 WRV, ist es das allein mögliche Verfahren. Bei seiner Anwendung für die Wahl einer parlamentarischen Vertretungskörperschaft, müssen Wahlkreise gebildet werden, in denen je ein Abgeordneter zu wählen ist. Nach dem Grundsatz der „Mehrheitswahl", die in sieben von 23 westlichen Industrieländern angewandt wird, ist gewählt, wer in einem Wahlkreis die Mehrheit der Stimmen erringt. Beim reinen Mehrheitswahlrecht sind die zu vergebenden Sitze mit der Zahl der Wahlkreise identisch. Für ein Mandat oder Amt ist aus dem Kreis aller Bewerber derjenige Kandidat gewählt, auf den die Mehrheit der Wählerstimmen im Wahlkreis entfällt (z.B. Großbritannien, Frankreich). Hierbei ist zu unterscheiden zwischen absoluter und relativer Mehrheitswahl. Bei der „absoluten Mehrheitswahl" (z.B. in Australien) ist mindestens die Hälfte der abgegebenen Stimmen erforderlich. Sofern diese Mehrheit im ersten Wahlgang für keinen Kandidaten erreicht ist, findet je nach Wahlrecht eine Stichwahl nur zwischen den beiden Kandidaten statt, die im ersten Wahlgang die meisten Stimmen erzielten (so die Präsidentenwahl in Frankreich und die Wahl von Ersten Bürgermeistern, Oberbürgermeistern und Landräten in den Bundesländern mit Direktwahl für diese Ämter durch die wahlberechtigte Bevölkerung). Dieses Verfahren wurde auch im Deutschen Kaiserreich bis 1914 bei der Wahl zum Reichstag angewendet. Im zweiten Wahlgang war also auf Wahlkreisebene eine absolute Mehrheit gesichert. Oder es kommt zu einem zweiten Wahlgang, bei dem beliebig viele, sogar neue Kandidaten antreten können (z.B. bei der Kommunalwahl in Baden-Württemberg). Die absolute Mehrheitswahl soll wie die relative Mehrheitswahl zu klaren Mehrheiten im Parlament führen. Der mehrheitsbildende Effekt ist in diesem Fall aber nicht so stark wie bei der relativen Mehrheitswahl. Im Rahmen eines absoluten Mehrheitswahlsystems bildet sich gewöhnlich ein Zweiparteiensystem nicht aus. Bei der „einfachen" oder „relativen Mehrheitswahl" in Einerwahlkreisen (in Großbritannien, dem Paradebeispiel für die relative Mehrheitswahl, mit 651 Abgeordneten im Unterhaus, in Kanada, Neuseeland und den USA) wird sofort der Kandidat gewählt, der in einem Wahlkreis die meisten Stimmen erhält, ungeachtet des Stimmenanteils (Körte: 1999, S. 21 ff.). Ohne Einfluss auf die Zusammensetzung der Vertretungskörperschaft bleiben alle Stimmen, die auf die anderen Kandidaten im Wahlkreis entfielen. Von daher lässt sich gegen dieses Verfahren einwenden, es verstoße gegen die Wahlgleichheit und -gerechtigkeit, während die „Verhältniswahl" das höchstmögliche Maß an Wahlgleichheit und Entsprechung von Stimmen- zu Mandatsanteil garantiere. Als Repräsentationsprinzip aber zielt diese Mehrheitswahl zu aller erst auf die stabilisierende Mehrheit bei der Regierungsbildung und nimmt dafür die Disproportion von Stimmen und Mandaten in Kauf.

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2 . Verhältniswahl (Listenwahlsystem) Die „Verhältniswahl" ist geistesgeschichtlich der Französische Revolution von 1789 zuzuordnen. Sie wird heute in der überwiegenden Mehrzahl der westlichen Industrieländer angewandt und basiert auf dem Grundprinzip der Gleichheit bzw. dem Grundsatz, dass jede Listenverbindung oder Partei entsprechend ihrem Stimmenanteil Abgeordnete in die Vertretungskörperschaft entsenden kann. Die Grundvorstellung einer Verhältniswahl ist, dass in einer Vertretungskörperschaft alle gesellschaftlichen Gruppen gemäß ihrem Anteil an Wählerstimmern vertreten sind. Das Parlament soll "die Landkarte der Gesellschaft" sein (Körte: 1999, S. 29). Stimmen gehen nicht wie bei der Mehrheitswahl verloren, alle zählen gleich und haben den gleichen Erfolgswert. Die Anzahl der Sitze, die jede Partei oder Liste erhält, ist proportional zu ihrem Stimmenanteil. Die Verhältniswahl ist nur bei der Bestellung von Vertretungskörperschaften (Parlamenten) anwendbar. Im Rahmen eines Verhältnis- oder Listenwahlsystems erfolgt die Stimmenvergabe zugunsten von Listen, die von Parteien oder Wählergruppierungen aufgestellt werden. In diesen Listen sind Bewerber um ein Mandat in einer bestimmten Reihenfolge aufgeführt. Den Parteien fallen in dem Verhältnis Parlamentssitze zu, wie Wählerstimmen auf ihre Listen entfallen. Der prozentuale Stimmenanteil der (Partei)-Liste an der Gesamtzahl der Wählerstimmen entscheidet über die einer Partei tatsächlich zufallenden Mandate. Je nach Ausgestaltung des Wahlgesetzes ist entweder die Gesamtsitzzahl des Parlaments festgelegt oder die Zahl der für einen Sitz erforderlichen Wählerstimmen. Bei der Verhältniswahl mit feststehendem Wahlquotient schreibt das Wahlgesetz vor, wie viele Stimmen erforderlich sind, damit einer Partei ein Parlamentssitz zufällt. Die Wahlbeteiligung entscheidet dann über die Gesamtzahl der Parlamentssitze. So galt gemäß § 30 des Reichswahlgesetzes vom 27. April 1920 für die Reichstagswahl der Weimarer Republik, dass für jeweils 60 000 abgegebene Stimmen ein Sitz zugeteilt wird. Der daraus resultierenden Gefahr von Stimmen-/Parteienzersplitterung (Reine Verhältniswahl nach WRV Art. 17 und 22: „automatische Methode" der Umrechnung, d.h. 1 Mandat = 60.000 Stimmen) kann dadurch entgegengewirkt werden, dass nach Wahlrecht Listen Mandate erst dann zugeteilt werden, wenn sie einen festgelegten Prozentsatz der Gesamtstimmenzahl überwunden haben (z.B. Sperrklausel - 5-Prozent-Hürde nach dem BWahlG). Im Unterschied dazu bestimmt bei einem Verhältniswahlsystem mit beweglichem Wahlquotienten das Wahlgesetz die Anzahl der Parlamentssitze. Diese Gesamtzahl wird auf die einzelnen Listen nach dem Verhältnis der errungenen Stimmenzahl verteilt. Von der jeweiligen Wahlbeteiligung hängt ab, wie viele Wählerstimmen erforderlich sind, um einen Parlamentssitz zu erringen. Als Vorzug einer Mehrheitswahl kann gelten, dass in der Regel klare Mehrheiten stabile Regierungsbildungen ermöglichen, kleine Splitterparteien kaum eine Chance haben und engere Persönlichkeitsbindungen zwischen Wählern und Gewählten bestehen. Andererseits bleibt eine Vielzahl von Wählerstimmen bei der Mandatszuteilung unberücksichtigt, weil nur die Stimmen zählen, die der gewählte Kandidat erhalten hat, was in der Wählerschaft durchaus Enttäuschungen hervorrufen kann. Im Unterschied dazu fallen beim Verhältniswahlsystem keine Stimmen unter den Tisch, die Zusammensetzung des Parlaments spiegelt die sich in der Wahlentscheidung niederschlagenden politischen Kräfteverhältnisse so

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genau wie nur möglich wider, eine fast optimale Repräsentation aller wichtigen politischen Kräfte ist gewährleistet. Der gleiche Erfolgswert aller Stimmen wird im wesentlichen gesichert. Die Wähler müssen sich jedoch für eine vorgegebene Liste entscheiden, ohne einen Einfluss auf die in der Liste geführten Kandidaten zu haben. Außerdem ist die Bildung stabiler Regierungen schwieriger als bei einer Mehrheitswahl, eine größere Anzahl auch kleinerer Parteien kann ins Parlament gelangen, kleinere Splitterparteien gewinnen möglicherweise als "Zünglein an der Waage" ein ganz erhebliches Gewicht, was in keinem angemessenen Verhältnis mehr zu den auf sie entfallen Stimmen steht. Und schließlich ist die Umrechnung von Stimmen in Mandate höchst kompliziert und führt je nach dem gewählten Umrechnungsverfahren entweder zur Benachteiligung stärkerer bzw. kleinerer Parteien im Vergleich zum Wählervotum. Als mathematisches Verfahren für die Sitzverteilung wurde zunächst überwiegend das von dem belgischen Mathematikprofessor Victor d' Hondt entwickelte Höchstzahl- oder Divisionsverfahren herangezogen. Hierbei werden die auf die einzelnen Listen entfallenden Stimmen jeweils durch ganze Zahlen geteilt (1, 2, 3, 4, ...) und der bei jedem der Divisionsschritte entstehenden Höchstzahl ein Mandat zugeteilt. Es werden so viele Höchstzahlen berücksichtigt wie Sitze zu vergeben sind. Insbesondere kleinere Parteien sahen sich durch dieses Verfahren benachteiligt, die mathematische Abweichung in der Mandatszuteilung gegenüber dem Stimmenverhältnis bevorzugte größere Parteien. Heute wird bei der Bundestagswahl (seit 1985) und den meisten Landtagswahlen das etwas exaktere und proporzgerechtere Verfahren nach Hare/ Niemeyer eingesetzt (Berechnungssystem der mathematischen Proportion, vgl. BWahlG § 6). Nach dem Verfahren des deutschen Mathematikers Hort Niemeyer und des Engländers Thomas Hare ergibt sich die Anzahl der Sitze, die eine Partei oder Liste erhält, daraus, dass die Stimmenzahl durch die Gesamtzahl der gültigen Stimmen dividiert und mit der Zahl der zu vergebenden Sitze multipliziert wird. Einen weitaus größeren Einfluss auf die Auswirkungen eines Verhältniswahlsystems haben Sperrklauseln. Sie legen fest, dass jede Partei mindestens einen vorgegebenen Prozentanteil der Stimmen erhalten muss, um bei der Mandatsverteilung überhaupt berücksichtigt zu werden. In der Bundesrepublik Deutschland sind dies bei der Bundestags- und den Landtagswahlen fünf Prozent ("5Prozent-Hürde"). Solche Sperrklauseln bzw. Mindestprozenthürden verhindern den Einzug von sehr kleinen Parteien in das Parlament, schützen vor Parteienzersplitterung und stabilisieren das Parteiensystem. Für die parlamentarische Mehrheitsbildung, eine rasche und unkomplizierte Regierungsbildung und damit für die gesicherte Funktionsfähigkeit des parlamentarischen Systems sind sie höchst relevant (zu den Wirkungen von und der Kritik an solchen Sperrklauseln vgl. stellvertretend Körte: 1999, S. 30f.). Je nach dem demokratietheoretischen Standort, von dem aus man sie betrachtet und beurteilt, weisen beide grundlegenden Wahltypen Vor- und Nachteile auf.

III. Die (demokratischen) Wahlrechtsgrundsätze In einem demokratischen Rechtsstaat müssen die Wahlen zu den Vertretungskörperschaften und zur Besetzung staatlicher Ämter nach Wahlrechtsgrundsätzen abgehalten werden, die den Anforderungen des Demokratieprinzips entsprechen

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(i.S. Art. 20 Abs. 2, Art. 28 Abs. 1 und Art. 38 GG). Demokratische Legitimation kann nur durch ein solches Wahlverfahren erworben und verliehen werden, in dem sich unter Beachtung allgemein anerkannter Wahlrechtsgrundsätze die politische Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen hin vollzieht und nicht umgekehrt.

1, Allgemeine Wahl Schon 1792 wurde der Grundsatz der „allgemeinen" Wahl bei der Wahl zum französischen Nationalkonvent in erster, wenn auch noch sehr unvollkommener, Annäherung verwirklicht. Im Verlaufe des 19. Jhd.s setzte er sich dann auch in den anderen Staaten Europas immer weiter durch. Neben den Auswirkungen der industriellen Revolution spielte hierbei der schrittweise Ausbau der allgemeinen Volksbildung eine ganz entscheidende Rolle: die Verantwortung für das Allgemeinwohl und die Staatswillensbildung konnte erst einer Bevölkerung übertragen werden, die mehrheitlich nicht (mehr) aus Analphabeten bestand. In den meisten deutschen Einzelstaaten wurde nach der „Revolution von 1848" ein allgemeines Männerwahlrecht eingeführt. Das Frauenstimmrecht war erst eine Errungenschaft der Revolution von 1918 (ebenso in Italien, Österreich und Großbritannien), in Belgien und Frankreich setzte sich das Frauenwahlrecht nach dem Zweiten Weltkrieg durch, in der Schweiz erst in den 70er Jahren. In Deutschland entwickelte sich die Zahl der Wahlberechtigten in Prozent der Bevölkerung von 22,2 Prozent vor dem Ersten Weltkrieg, über 63,1 Prozent 1919 (Frauenwahlrecht) bis zu 74,1 Prozent 1998 (Nohlen: 2000a, S. 654). Der Grundsatz der „allgemeinen" Wahl besagt, dass das Staatsvolk in seiner Allgemeinheit wahlberechtigt ist und bestimmte Bevölkerungsgruppen aufgrund von (sozialen) Kriterien grundsätzlich von der Wahrnehmung des aktiven Wahlrechts, des Wahlvorschlagsrechts und des passiven Wahlrechts nicht ausgeschlossen sind. Wahlberechtigt und wählbar sind alle Staatsbürgerinnen und bürger ab einem bestimmten Mindestalter, z.B. mit Erreichung der Volljährigkeit, und zwar unabhängig von Geschlecht, Sprache, Bildung, Besitz, Einkommen, Klasse, Stand oder Beruf, konfessionellem Bekenntnis oder politischer Überzeugung (vgl. dazu Art. 3 Abs. 3 GG). Jeder hat ein subjektiv-öffentliches Recht, ein politisches Grundrecht auf aktive und passive Teilnahme an der Wahl („status activus"). Vorausgesetzt ist neben der Altersgrenze lediglich der Besitz der Staatsbürgerschaft (bei Kommunalwahlen in Deutschland auch die Staatsangehörigkeit eines EU-Partnerstaates), die Wohnsitznahme, volle rechtliche Handlungsfähigkeit und der Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte. Ausnahmen vom Grundsatz der allgemeinen Wahl sind rechtlich nur dann zulässig, wenn zur Begrenzung des Wahlrechts besondere rechtfertigende und zwingende Gründe vorliegen.

2. Mittel- und unmittelbare Wahl Bei der „unmittelbaren" oder „direkten" Wahl bestimmen die Wähler selbst ohne „Zwischenschaltung eines fremden Willens zwischen Wählern und Abgeordneten bei oder nach der Wahlhandlung" (K.-H. Seifert) die Mandatsträger. Die

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Wahl wird ohne Zwischenschaltung von Wahlmännern/-frauen durchgeführt. Dieser Grundsatz verbietet demnach jedes Wahlsystem, bei dem sich zwischen Wähler und Wahlbewerber noch eine Zwischeninstanz schiebt, die nach ihrem Ermessen die Abgeordneten auswählt und damit dem Wähler die Möglichkeit nimmt, die Mitglieder der Vertretungskörperschaft uneingeschränkt selbst zu bestimmen. Bei mittelbaren/ indirekten Wahlen wählen dagegen die Urwähler nicht direkt die Personen in die Vertretungskörperschaft oder das Amt, sondern Wahlmänner/ -frauen, die dann ihrerseits die Mandats- oder Amtsträger bestimmen. Ein solches Wahlverfahren gilt heute in den USA bei der Wahl des Präsidenten durch „Wahlmänner". Freilich hat die dortige vorherige Festlegung der Wahlmänner auf einen bestimmten Kandidaten im Endeffekt längst die Wirkung einer Direktwahl erreicht. In Deutschland gab es indirekte Wahlen beispielsweise in Preußen bis 1918, jedoch nicht bei der Wahl zum Reichstag.

3. Freie Wahl „Frei" ist ein Wahlvorgang dann, wenn jede Wählerin und jeder Wähler das Wahlrecht ohne Zwang, ohne jede Form der Kontrolle oder sonstige unzulässige Beeinflussung von außen ausüben kann. Niemand darf auf den Wähler sozialen, wirtschaftlichen oder politischen Druck ausüben können. Dies gilt sowohl für das aktive wie für das passive Wahlrecht einschließlich des Wahlvorschlagsrechtes. Durch das Institut der Wahlfreiheit soll eine umfassende, unbeeinflusste Wahlbetätigung vor dem, beim und nach dem Wahlakt gewährleistet und geschützt sein. Dieser Grundsatz beinhaltet aber auch, dass nicht nur die Stimmabgabe selbst von Zwang, Druck und Kontrolle frei bleibt, sondern auch, dass die Wähler ihre Einstellung und ihre Entscheidung in einem offenen, freien und gleichberechtigten Meinungsbildungsprozess gewinnen und fällen können. Die Chancengleichheit der Parteien, Listen und Kandidaten im Wahlkampf wird hier ebenso tangiert wie das Gebot der Neutralität aller staatlichen Organe (Begrenzung der Öffentlichkeitsarbeit in Wahlkampfzeiten). Freiheit der Wahl meint aber auch, zumindest nach deutschem Verfassungsrechtsverständnis, dass kein Bürger der Wahlpflicht unterliegt, und damit die Chance besitzt, gegebenenfalls negativ und indirekt durch Wahlenthaltung seine politische Überzeugung zu demonstrieren.

4. Gleiche Wahl Nach der Einführung des allgemeinen Männerwahlrechts wurden verschiedene Konstruktionen erfunden, um - dessen ungeachtet - das Stimmrecht der unteren Gesellschaftsschichten hinsichtlich des Erfolgswertes zu entwerten und so die politische Machtstellung des politisch nun etablierten Bürgertums abzusichern. Die bekanntesten Varianten stellen das mehrfache Stimmrecht und das DreiKlassen-Wahlrecht dar. Beim mehrfachen Stimmrecht werden die Stimmen von Wahlberechtigten, die besondere Kriterien oder Qualifikationen erfüllen, mehrfach gezählt. So hatten die Universitätsangehörigen von Oxford und Cambridge in Großbritannien bis 1948 ein doppeltes Stimmrecht, eines als Staatsbürger und eines als Universitätsangehörige. Das Drei-Klassen-Wahlrecht Preußens wurde

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durch eine Notverordnung im Mai 1849 eingeführt. In diesem System wurden alle Stimmberechtigten nach dem Umfang ihrer Steuerleistungen und demgemäss ihres Vermögens in drei Klassen eingeteilt. Die kleinste Gruppe der Hauptbesteuerten, die das erste Drittel des Steueraufkommens bestritt (nur 1/25 aller Wahlberechtigten), wählte ebenso ein Drittel aller Abgeordneten wie die wesentlich größere Gruppe der mittleren Steuerklassen und wie die gesamte übrige Bevölkerung, v.a. die Industriearbeiterschaft, in der dritten Klasse. In Preußen galt dieses Wahlsystem für die Wahl zum Landtag bis 1918. Die „gleiche" Wahl bedeutet den gleichen Zählwert, das gleiche Stimmgewicht und den gleichen Erfolgswert jeder gültigen Stimme - im Unterschied zu Pluralwahlrecht oder zum früheren Dreiklassenwahl. Auch andere, v.a. historische Klassen-, Kurien- und Pluralwahlrechte sind mit dem Gleichheitssatz ebenso unvereinbar. Zudem ist die „Wahlkreisgeometrie" immer wieder daraufhin zu überprüfen, ob die Wahlkreiseinteilung den Gleichheitsgrundsatz nicht dadurch verletzt, dass das Verhältnis der Bevölkerungszahl zur Zahl der zu wählenden Abgeordneten zu stark vom Durchschnitt im Wahlgebiet abweicht und damit der gleiche Zählwert nicht mehr gegeben ist. Ausnahmen sind verfassungsrechtlich nur dann zulässig, wenn Zweck und Natur des Wahlsystems es zwingend erfordern. So gehört es zwangsläufig zu den Wesensmerkmalen eines Mehrheitswahlsystems, dass nur die Stimmen „Erfolg haben" und „gezählt werden", die auf den mit Mehrheit gewählten Kandidaten entfallen. Alle anderen abgegebenen Stimmen für die anderen Bewerber können systemimmanent keinen „Erfolgswert erlangen", selbst wenn sie zusammen 49,9 Prozent der Gesamtstimmenzahl ausmachen sollten. Dies ist freilich demokratietheoretisch und politisch nur zu rechtfertigen unter der Zielsetzung, die staatliche Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit zu sichern, die parlamentarische Funktionsfähigkeit durch die Möglichkeit stabiler Mehrheitsverhältnisse zu erreichen und so eine Parteienund Fraktionenzersplitterung zu verhindern. Nur unter dem Aspekt, den Charakter einer Wahl als entscheidenden Integrationsvorgang zu sichern, sind im Kontext des Gleichheitsgrundsatzes auch ganz gezielt einschränkende Maßnahmen und unvermeidbar auftretende Ungleichgewichtigkeiten hinzunehmen (5-Prozent-Hürde, Überhangmandate, Abweichungen einzelner Wahlkreise nach oben oder unten vom Durchschnittswahlkreis in der Wahlkreiseinteilung). Der Grundsatz der „gleichen" Wahl ist als Anwendungsfall des allgemeinen Gleichheitssatzes anzusehen. Er unterscheidet sich von ihm durch seinen formalen Charakter, d.h. jeder muss sein Wahlrecht in formal möglichst gleicher Weise wahrnehmen können: „one man - one vote". Auch in diesem Zusammenhang spielt die Chancengleichheit der politischen Parteien, Listen/ Listenverbindungen und parteigebundenen oder parteilosen Wahlbewerbern im Wahlverfahren eine zentrale Rolle (Chancengleichheit der Wahlvorbereitung, der Wahlwerbung, im Wahlvorgang bis hin zur Gleichbehandlung bei einer möglichen Wahlkampfkostenerstattung wie in der Bundesrepublik).

5. Geheime und öffentliche Wahl Der Grundsatz einer „geheimen" Wahl verlangt, dass es rechtlich und organisatorisch gewährleistet ist, unbeobachtet eine von anderen nicht erkennbare Wahlentscheidung treffen zu können. Ausgeschlossen ist somit jede Form einer offe-

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nen Stimmabgabe wie Wahl durch Zuruf, Handzeichen, zu Protokoll oder durch Abgabe bereits unterzeichneter Stimmzettel. Eine solch verdeckte, nicht öffentliche Stimmabgabe soll den Schutz vor jeglicher Form von Kontrolle durch Dritte sichern, insbesondere durch staatliche Organe. Durch geeignete Maßnahmen ist sicher zu stellen, dass nicht festgestellt werden kann, wie jeder einzelne wählt. Um die Stimme unbeobachtet und unbeeinflusst abgeben zu können, gibt es Wahlzellen, versiegelte Wahlurnen, verschlossene Kuverts bei der Briefwahl u.a.m. Zur Sicherung einer freien Wahl gehört aber auch eine Rechtspflicht zur geheimen Stimmabgabe, was bei einer Briefwahl zwangsläufig zu Problemen führen kann. Im Unterschied dazu hatte etwa unter dem preußischen Drei-Klassen-Wahlrecht die Stimmabgabe öffentlich zu erfolgen. IV. Das Wahlrecht der Bundesrepublik Deutschland 1. Wahlen zum Deutschen Bundestag Im europäischen Vergleich hat sich das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht erst im 20. Jhd. durchgesetzt. Das Alter für das aktive Wahlrecht zu den Vertretungskörperschaften beträgt mittlerweile durchgängig 18 Jahre, beim passiven Wahlrecht liegt es dagegen z.T. bei 21 Jahren (Großbritannien, Irland) oder gar 25 Jahren (Italien, Niederlande, Griechenland). In Deutschland besteht auf Reichsebene das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht für Männer seit 1849. Im Rahmen der bundesdeutschen Verfassungsordnung gelten - nach Art. 38 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 und Art. 116 Abs.l GG - für die Wahlen zu den Vertretungskörperschaften des Volkes in Bund, Ländern und Kommunen als Wahlgrundsätze die Prinzipien allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim. Diese fünf Wahlrechtsgrundsätze finden sich bereits in der Weimarer Reichsverfassung (Art. 22 Abs. 1 WRV, Grundsatz der freien Wahl in Art. 125 WRV: „Wahlfreiheit und Wahlgeheimnis sind gewährleistet. ..."). Seit 1972 sind das aktive und passive Wahlrecht an die Vollendung des 18. Lebensjahres geknüpft. Zur Wahlberechtigung führt das Bundeswahlgesetz (BWahlG) weiter aus, dass das Innehaben einer Wohnung im Wahlgebiet, im Geltungsbereich dieses Gesetzes, seit mindestens drei Monaten oder ein sonst gewöhnlicher Aufenthalt ebenso voraus gesetzt ist wie die Eintragung in ein Wählerverzeichnis oder der Besitz eines Wahlscheines, der durch die Einführung der Briefwahl seit 1956 Bedeutung gewonnen hat. Vom Wahlrecht ausgeschlossen ist, wer infolge Richterspruch das Wahlrecht nicht besitzt, entmündigt ist oder wegen geistigen Gebrechens unter Pflegschaft steht und wer sich nach § 63 des Strafgesetzbuches in einem psychiatrischen Krankenhaus befindet (BWahlG §§ 12 - 15). Nicht wählbar ist, wer nach § 13 BWahlG vom Wahlrecht ausgeschlossen ist oder infolge Richterspruchs die Wählbarkeit und die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter nicht besitzt. Unter den unterschiedlichen Varianten der Mehrheits- und der Verhältniswahl entschied man sich in den Ländern und der Bundesrepublik ohne größere Auseinandersetzungen für ein "verbessertes" bzw. "personalisiertes" Verhältniswahlsystem. Nach ihm wird ein Teil der Abgeordneten direkt im Wahl-/ Stimmkreis gewählt, der andere über die Listen. Jede Wählerin und jeder Wähler hat zwei

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Stimmen zu vergeben. Das Wahlverfahren zum Deutschen Bundestag kombiniert als „Personalisierte Verhältniswahl" mit Erststimme (Personenwahl in früher 248, seit 1990 in 328 Einerwahlkreisen mit relativer Mehrheit) und Zweitstimme (Listenwahl von Landeslisten für ebenfalls 328 Grundmandate) die Vorteile beider Verfahren und beugt einer potentiellen Parteien-/ Stimmenzersplitterung wie z.B. in der Weimarer Republik durch die „Fünfprozentklausel" vor. Die eine Hälfte der Mandate wird also nach den Grundsätzen der „relativen Mehrheitswahl" in den 328 Wahlkreisen ermittelt und die andere über die von den Parteien zu erstellenden Landeslisten (die Reihenfolge ist festgelegt) nach den Prinzipien der „Verhältniswahl". Der Zweitstimme kommt dabei eine besondere Bedeutung zu: nach ihr bemisst sich die Gesamtzahl der Mandate für jede Partei und Liste, es sei denn, es kommt zu Überhangmandaten (s. unten). Ohne Überhangmandate zählte der Deutsche Bundestag 656 Grundmandate. Deren Hälfte, also 328, wird nach dem Prinzip der relativen Mehrheitswahl direkt nach den Wahlkreisen vergeben. Diesen "Direktmandaten" gilt die sogenannte "Erst-Stimme". Weil in der Wahl eine ganz bestimmte Person in einem Wahlkreis gewählt wird, macht die Erststimme den "personalisierten Teil" des bundesdeutschen Wahlsystems aus. Über die (parteipolitische) Zusammensetzung des Bundestages entscheidet jedoch die "Zweit-Stimme", mit der Parteien oder Listen gewählt werden. Allein nach dem Verhältnis der Zweitstimmen werden die Mandate im Parlament unter den angetretenen Parteien oder Listenverbindungen aufgeteilt. Gemäß BVerfGE vom 29.09.90 wurde zur ersten gesamtdeutschen Wahl das Wahlgebiet in zwei Teile (Bundesrepublik und „Beitrittsgebiet") unterteilt und in den neuen Bundesländern Listenverbindungen zur Erleichterung des Einzugs in den Bundestag zugelassen. Um in den Bundestag einzuziehen, musste eine Partei/ Listenverbindung nur in einem der zwei Wahlgebiete über 5 Prozent der abgegebenen Stimmen erhalten. Zur Umrechnung der Stimmen in Mandate wurde erstmals 1987 (11. Deutscher Bundestag) das „Proportionalverfahren" nach Hare/ Niemeyer eingesetzt, bei dem die Gesamtzahl der zu vergebenden Sitze mit der Gesamtzahl der erreichten Zweitstimmen einer einzelnen Partei oder Liste multipliziert und das Produkt durch die Zweitstimmen-Gesamtzahl aller Parteien geteilt wird. Die Zuteilung der Mandate ergibt sich aus dem Wert der ermittelten ganzen Zahlen vor dem Komma, noch verbleibende Sitze werden vergeben in der Reihenfolge der höchsten Zahlenbruchteile nach dem Komma. Bis zur Wahl des 10. Deutschen Bundestages (1983) wurde zur Berechnung der Sitzverteilung die Methode nach dem belgischen Mathematiker d" Hondt eingesetzt („Höchstzahlverfahren"), das im Endergebnis - im Unterschied zum „Proportionalverfahren" - die größeren Parteien bevorzugt. Gewinnt eine Partei/ Liste nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl (Erststimme) mehr Direktmandate als ihr nach der Aufteilung gemäß der Listenausweitung (Zweitstimme) zustünde, erhält sie automatisch die erworbenen Direktmandate als „Überhangmandate", ohne dass für die anderen Parteien/ Listen im Bundestag „Ausgleichmandate" vorgesehen sind So konstituierte sich der 13. Bundestag am 10.11.1994 mit 672 Abgeordneten, d.h. mit 16 Überhangmandaten insbesondere aus den neuen Bundesländern (12 für die CDU und 4 für die SPD); 1998 ergaben sich nach dem Wahlergebnis zum 14. Deutschen Bundestag 13 Überhandmandate (alle für die SPD). Das Wahlrecht in der Bundesrepublik Deutschland ist verfassungsrechtlich nur in allgemeinen Zügen festgeschrieben, eine Festlegung über das konkrete Wahlsystem wurde nicht getroffen. Die Art. 38 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 GG bestim-

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men nur, dass die Parlamente aus "allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl" hervorgehen müssen. Eine Festlegung auf ein bestimmtes Wahlsystem, Mehrheits- oder Verhältniswahl, hat der Verfassungsgesetzgeber nicht vorgenommen und dem künftigen Gesetzgeber überantwortet. Von daher ist es naheliegend, dass das (nur) in einem Bundesgesetz verankerte Prinzip des erstmals 1918 in Deutschland eingeführten Verhältniswahlrechts bis heute zum Gegenstand parteipolitischer, wenn freilich ergebnisloser Auseinandersetzungen werden konnte (z.B. 1955: "Grabenwahlsystem" von CDU/CSU und DP, 1966: "Mehrheitsbildendes Wahlrecht" von der Großen Koalition angestrebt. Zu den Wahlen zum Deutschen Bundestag vgl. Körte: 1999, S. 37ff. und 107ff.; Nohlen: 2000, S. 304; Schreiber: 1998). 2. Landtagswahlen Das Gebiet der heutigen Bundesrepublik war, ausgenommen die Zeit des Nationalsozialismus, historisch schon immer ein föderalistisches Staatengebilde, nie ein zentralistischer Einheitsstaat. Auch nach 1945 wurde, zunächst ausgehend von den westlichen Besatzungszonen, Deutschland als Bundesstaat mit 11 Bundesländern demokratisch neu organisiert (GG Art. 20, 28 u. 29), im Zuge der deutschen Einigung 1990 auf 16 Länder erweitert und verfassungsrechtlich bestätigt. Die parlamentarischen Systeme dieser nunmehr 16 Länder bieten grundsätzlich sowohl den Bürgern mehr Mit- und Einwirkungsmöglichkeiten auf die politischen Entscheidungs- und Gestaltungsprozesse als auch der BundestagsOpposition die Chance, Regierungsverantwortung in Ländern zu übernehmen und über den Bundesrat prägenden Einfluss auf die Bundesgesetzgebung auszuüben. Sie entsprechen weitestgehend dem Parlamentarismus auf gesamtstaatlicher Ebene (GG Art. 28 Abs. 1 und 3). Die „Landtage" sind die gewählten Vertretungskörperschaften in den 13 Flächenstaaten; in den Stadtstaaten Bremen und Hamburg sind es die „Bürgerschaft" und in Berlin das „Abgeordnetenhaus". Die Volksvertretungen müssen aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgehen. Die Landtage erfüllen in den Bundesländern die gleichen politischen Aufgaben wie der Bundestag auf gesamtstaatlicher Ebene. Die Landtage wählen die Ministerpräsidenten und können sie auch wieder im Zuge eines Misstrauensvotums absetzen (außer in Baden-Württemberg und Bremen). Eine zweite Parlamentarische Kammer neben dem Landtag gab es nur in Bayern bis 1999 (Senat: 60 Mitglieder) als Vertretung der sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und kommunalen Körperschaften, in geheimer Abstimmung von den berufständischen Organisationen, Religionsgemeinschaften und Kommunalverbänden gewählt oder ernannt. Seine Abschaffung wurde durch ein Volksbegehren initiiert und durch Volksentscheid besiegelt (gemäß Verfassung des Freistaates Bayern Art. 34 - 42 u. Art. 72 ff.). Die Grundlagen für Landtagswahlen sind in den Landesverfassungen, den Landeswahlgesetzen und den Landeswahlordnungen niedergelegt. Die Grundsätze der Wahl sind meist schon in den Verfassungen selbst festgeschrieben, verbunden mit dem Auftrag an das Landesparlament, Konkretisierungen in einem Wahlgesetz vorzunehmen. Alle Landtagswahlen in Deutschland werden als Verhältniswahlen, meist in Verbindung mit der Persönlichkeitswahl, sowie mit der

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Eingangshürde von 5 Prozent (5-Prozent-Sperrklausel) durchgeführt. So wird der Zugang zu den Landtagen rechtlich begrenzt und einer Parteien-/ Fraktionenzersplitterung vorgebeugt. Die Vorschriften über diese 5-Prozent-Klausel sind in den Verfassungen mit unterschiedlichen Graden an Verbindlichkeit geregelt, von der Kann-Bestimmung über eine Verpflichtung bis hin zu der Möglichkeit, auch weniger als 5 Prozent zu normieren. Die in Bayern ursprünglich praktizierte Klausel, in mindestens einem Wahlkreis (Regierungsbezirk) 10 Prozent Stimmenanteil zu erringen, wurde bereits 1973 abgeschafft. Jedoch werden in Berlin, Brandenburg und in Schleswig-Holstein Stimmenanteile auch unter 5 Prozent berücksichtigt, wenn eine Liste/Partei ein Direktmandat errungen hat; die Sperrklausel gilt nicht in Schleswig-Holstein für den Südschleswigschen Wählerverband, die Partei der dänischen Minderheit, und in Brandenburg für die sorbische Minderheit. Im Vergleich der Bundesländer untereinander ist zu unterscheiden zwischen „einfacher Verhältniswahl" ausschließlich mit Listen in Mehrpersonenwahlkreisen (Bremen, Hamburg, Saarland) und „personalisierter Verhältniswahl" mit Direkt- und Listenmandaten in Einerwahlkreisen, in denen neben den Direktmandaten weitere Sitze vergeben werden, sodass eine proportionale Sitzverteilung im Hinblick auf die Stimmenverteilung garantiert ist (Baden-Württemberg 70/50, Bayern 104/100 [ab 2003 92/88], Berlin 90/60, Brandenburg 44/44, Hessen 55/55, Mecklenburg-Vorpommern 36/35, Niedersachsen 100/55, NordrheinWestfalen 151/50, Rheinland-Pfalz 51/50, Sachsen 60/60, Sachsen-Anhalt 49/50, Schleswig-Holstein 45/30, Thüringen 44/44). In 10 Ländern haben die Wähler 2 Stimmen, in sechs dagegen nur eine. In diesem Fall werden sowohl die Direktkandidaten gewählt als auch über die Verteilung der Mandate nach den Gesamtstimmenergebnis entschieden. Für die Mandatsverteilung bildet das Land einen einzigen Wahlkreis, ausgenommen Bayern: in Bayern werden die Mandate in sieben Wahlkreisen vergeben, die den sieben Regierungsbezirken entsprechen. In Ländern, in denen nur Listenwahl möglich ist, gibt es große Wahlkreise ( Hamburg 1 - Bremen 2 - Saarland. 3). Bei der „personalisierten Verhältniswahl" können „Überhangmandate" auftreten, wenn die Gesamtzahl der Direktmandate höher ist als die Zahl an Sitzen, die einer Listenverbindung/ Partei proportional zu den erreichten Stimmen zustehen würde. Hier ist in den entsprechenden Landeswahlgesetzen im Unterschied zur Bundesrepublik Deutschland i.d.R. ein „Mandatsausgleich" rechtlich vorgesehen (nicht in Bremen, Hamburg, Rheinland-Pfalz, Saarland.). Die Wahlperiode umfasst in 10 Ländern 4 Jahre, in sechs 5 Jahre und kann hier im Unterschied zum Bundestag durch Selbstauflösung oder z.T. durch Volksabstimmung vorzeitig beendet werden. Keine Regelung gibt es nur im Bundesland Bremen. Die Wahlverfahren für die Landtage sind seit 1946 lange sehr stabil geblieben; erst ab Mitte der 80-er Jahre kam es zu einer Reihe von Neuerungen, insbesondere beim Umrechnungsverfahren von Stimmen in Mandate. Die Methode nach d~ Hondt (Höchstzahlverfahren) wurde mehrheitlich abgelöst durch das Verfahren der mathematischen Proportionen nach Hare/ Niemeyer, das seit 1985 auch für die Bundestagswahl gilt. Die Mandatsverteilung nach d'Hondt gilt noch in Baden-Württemberg, Bremen, Saarland, Schleswig-Holstein). Im Freistaat Bayern wurde erstmals 1994 die Aufteilung der 204 Sitze (ab der Wahl 2003 180 Sitze) des Bayerischen Landtags auf die Fraktionen von CSU, SPD u. GRÜNEN nach dem Proporzsystem von Hare/ Niemeyer berechnet. Die Konsequenz: ge-

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genüber dem Verfahren nach d' Hondt wurden 7 Mandate anders zugeteilt. Die FDP war 1992 mit einer Wahlanfechtung vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof erfolgreich: das Gericht erkannte die Anwendung des bis dahin üblichen Umrechnungsverfahrens nach d' Hondt als verfassungswidrig, weil es die kleineren Parteien benachteilige, und weil sich diese Nachteile durch die getrennte Auszählung in den sieben Regierungsbezirken des Freistaates noch summierten. Die Wahlperiode dauert von Bundesland zu Bundesland abweichend vier oder fünf Jahre. Im Gegensatz zum Deutschen Bundestag können sich verfassungsgemäß alle Landesparlamente unter bestimmten Voraussetzungen selbst auflösen oder durch einen Volksentscheid aufgelöst werden (z.B. Bayern: Art. 18 Abs. 1 und Abs. 3. Verfassung des Freistaates Bayern. Zu den Wahlsystemen in den Bundesländern, den Wahlergebnissen und dem Wählerverhalten vgl. Körte: 1999, S. 72ff.; zu den letzten Wahlen im "Super-Wahljahr 1999" in Hessen, Bremen, Saarland, Brandenburg, Thüringen, Sachsen, Berlin die Dokumentationen und Kurzanalysen in Zparl: 2000, S. 3ff und 214ff.; DAS PARLAMENT Nr. 52-53 vom 24./31.12.1999). 3. Kommunalwahlen Zu den Kommunalwahlen gehören die Wahlen zu den Vertretungskörperschaften auf den bis zu drei kommunalen Ebenen (Gemeinderat, Stadtrat/ Kreistag, Bezirkstag - in Flächenstaaten) sowie die Direktwahlen von Ersten Bürgermeister(inne)n, Oberbürgermeister(inne)n (in kreisfreien Städten) und Landräten / Landrätinnen. Die Grundsätze zu diesen Wahlen auf örtlicher und regionaler Ebene sind im Grundgesetz verankert: " Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muss den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen. In den Ländern, Kreisen und Gemeinden muss das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden sind auch Personen, welche die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzen ... , wahlberechtigt und wählbar. In Gemeinden kann an die Stelle einer gewählten Körperschaft die Gemeindeversammlung treten" (Art. 28 GG). Im kommunalen Bereich besteht zudem vielfach - über die Partizipationschancen auf Landes-, Bundes- und Europaebene hinaus - die Möglichkeit, innerhalb der Parteienvorschläge auf den Listen einzelne Kandidaten besonders hervorzuheben (Kumulieren) und dies sogar über die Listengrenzen hinweg (Panaschieren). Dadurch kann der einzelne Wahlvorgang auf kommunaler Ebene äußerst langwierig und kompliziert werden, ist jedoch unter dem Aspekt der Volkssouveränität und der basisdemokratischen Richtungsentscheidung als besonders bürgernah zu begrüßen. Besonders beachtenswert ist, dass vornehmlich auf kommunaler Ebene im Rahmen der repräsentativen Demokratie neben die Entscheidungsbefugnis der gewählten Repräsentationsorgane auch Elemente der direkten Demokratie stark verankert sind (Bürgerbegehren, Bürgerentscheid, Bürgerversammlung, Anhörungsrechte u.a.m.).

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4. Wahlen zum Europäischen Parlament Für die Direktwahlen zum Europäischen Parlament (seit 1979) besteht kein einheitliches Wahlgesetz. Zentrale Bestimmungen sind aber in mehreren Übereinkünften der Mitgliedstaaten verankert, in denen die entscheidenden Grundzüge des Wahlverfahrens festgeschrieben sind (Terminierung, Ermittlung des Wahlergebnisses, Wahlperiode, Unvereinbarkeitsregelungen mit politischen und administrativen Ämtern). Ansonsten unterliegt das Verfahren zur Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlamentes den verschiedenen Regelungen der nationalstaatlichen Wahlgesetze in den EU-Partnerstaaten (vgl. Nohlen: 2000, S. 259ff.). Während das aktive Wahlrecht in allen 15 Mitgliedstaaten der EU einheitlich auf Vollendung des 18. Lebensjahres festgelegt ist, variiert das passive Wahlrecht von 18 über 19 Jahre (Österreich), 21 Jahre (Belgien, Griechenland, Irland, Luxemburg, Großbritannien), 23 Jahre (Frankreich) bis zu 25 Jahre (Italien). Hinsichtlich des Wahlsystems reicht die Bandbreite von reiner Verhältniswahl (Griechenland, Spanien), über Verhältniswahl mit Sperrklausel (Deutschland, Frankreich, Österreich, Schweden) und Verhältniswahl mit Vorzugsstimmen (Belgien, Dänemark, Finnland, Italien, Niederlande, Österreich, Schweden) bis hin zum Mehrheitswahlsystem, ergänzt um Vorzugsstimme und Stimmenübertragung (Großbritannien/ Nordirland). In der Bundesrepublik Deutschland gilt das gewohnte Verhältniswahlrecht mit 5-Prozent-Klausel, wobei die Bundesländer die Wahlkreise bilden. Das aktive wie das passive Wahlrecht für die Bestellung der insgesamt 99 Abgeordneten des Europäischen Parlamentes wird mit der Vollendung des 18. Lebensjahres erworben. Dieses Nebeneinander von äußerst verschiedenen nationalstaatlichen Wahlverfahren wird vielfach als ein Manko des Europäischen Parlaments gesehen. Darüber hinaus ist das Verhältnis der Bevölkerungszahl bzw. der Zahl der Wahlberechtigten nicht kongruent mit der Zahl der Mandate. So ist die Bundesrepublik Deutschland mit 99 Mandaten im Europäischen Parlament gegenüber anderen Staaten deutlich unterrepräsentiert, während andere Länder wie z.B. Luxemburg oder Irland deutlich überrepräsentiert sind. Die aus politischen Erwägungen heraus festgeschriebenen Kontingente an Sitzen für jeden Partnerstaat führen zwangsläufig dazu, dass beispielsweise ein deutscher Abgeordneter etwa 610.000 Wahlberechtigte im Europäischen Parlament vertritt, seine luxemburgische Kollegin dagegen nur etwas mehr als 37.000 (Körte: 1999, S.61ff.).

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§ 23 Parteien Wolfgang Gerstiberger I. Entstehung und Ausgangslage des Parteiensystems - II. Funktionen der Parteien im parlamentarischen System - III. Die rechtliche Stellung der Parteien IV. Aktuelle Strukturprobleme des Parteiensystems - V. Entflechtung und Arbeitsteilung zwischen Parteien, Verbänden und gesellschaftlichen Initiativen - VI. Die Rolle einzelner Parteientypen im parlamentarischen System - VII. Ausblick: Politische Parteien und parlamentarisches System - Parteienstaat, Parteiensystem oder Parteiendemokratie? Grundlagenliteratur: Gabriel, Oskar W. / Niedermayer, Oskar / Stöss, Richard (1997) (Hg.): Parteiendemokratie in Deutschland. Opladen Lehmbruch, Gerhard (1976): Parteienwettbewerb im Bundesstaat. Stuttgart Leibholz, Gerhard (31967): Strukturprobleme der modernen Demokratie. Karlsruhe Leibholz, Gerhard / Rinck, Hans-Justus / Hesselberger, Dieter (71993): Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Köln Lepsius, M. Rainer (1966): „Parteiensystem und Sozialstruktur - zum Problem der Demokratisierung der Deutschen Gesellschaft". In: Abel, Wolfgang u.a. (Hg.): Wirtschaft, Gesellschaft und Wirtschaftsgeschichte. Stuttgart, S. 371 ff. Lipset, Seymour / Rokkan, Stein (1967): Party Systems and Voter Alignment. London Maurer, Hartmut (1999): Staatsrecht - Grundlagen, Verfassungsorgane, Staatsfunktionen. München, S. 334ff. Steffani, Winfried (1997): Gewaltenteilung und Parteien im Wandel. Opladen I. Entstehung und Ausgangslage des Parteiensystems I. Unterschiedliche Forschungskonzepte Die politischen Parteien stellen die wichtigsten Verbindungsglieder zwischen Volk und parlamentarischem System (-» § 2, III.) dar. Sie organisieren Interessen unterschiedlichster Bevölkerungsgruppen und transformieren diese in politisch verhandelbare Konzepte. Die gesellschaftliche Interessenvertretung ist der gemeinsame Kern der wichtigsten Parteiendefinitionen in der Politikwissenschaft und der politischen Soziologie. Begründung, Analyse und Interpretation dieser Grundfunktion werden in den dominierenden Schulen der Parteienforschung sehr unterschiedlich vorgenommen (Gabriel/Niedermayer/Stöss: 1997 als umfassender Überblick). In empirisch-analytischen Konzepten bilden vor allem die individuellen Nutzenkalküle einzelner Akteure (Wähler, Mitglieder etc.) die Basis fllr die Erklärung der Entstehung und Veränderung von Parteien (Engel: 1988). Die Etablierung grüner Parteien in den meisten europäischen Ländern in den letzten beiden Jahrzehnten wird in dieser Sicht beispielsweise durch verstärkte postmaterielle Orientierungen in bestimmten Bevölkerungsschichten erklärt. Normativ-ontologi-

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sehe (Lenk/Neumann: 1974) und kritisch-dialektische (Häusler/Hirsch: 1987) Ansätze betonen demgegenüber die Rolle der Parteien als besondere Träger moralischer Verantwortung bzw. als Vermittler zwischen ökonomischen und politischen Strukturveränderungen. In diesen Sichtweisen wird das erwähnte Beispiel der Etablierung grüner Parteien mit der Erneuerung politischer Moralvorstellungen bzw. mit einer Neubestimmung des Verhältnisses zwischen unterschiedlichen Produktionsfaktoren in Verbindung gebracht. Das gemeinsame Grundinteresse unterschiedlicher Schulen in der Parteienforschung gilt der Entstehung, Legitimation und Ausübung politischer Gestaltungsmacht, wobei die Parteien als zentrale politische Machtagenturen angenommen werden.

2. Kurze historische Einordnung der (Groß-)Parteien Die bis heute dominierenden (Groß-)Parteien sind historisch eng mit der Herausbildung des repräsentativ-demokratischen parlamentarischen Systems verbunden. Zentrale demokratische Grundelemente wie freie und geheime Wahlen (-» § 22, III.) bzw. Abstimmungen oder das Recht auf Meinungsfreiheit in Wort und Schrift (-» § 5, III.) sind daher zentrale Bindeglieder zwischen parlamentarischem System und den politischen Parteien. In Deutschland sind diese Grundelemente wesentlich früher in Parteien als in Parlamenten praktiziert worden. Sowohl für einige Parteien, die sich aus bürgerlichen bzw. religiös-konfessionellen Interessenverbänden heraus entwickelt haben, als auch für die Sozialdemokratie mit ihren Wurzeln in der Industrialisierung und Arbeiterbewegung können bereits in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts demokratische Elemente festgestellt werden (Ritter: 1985). Das Gothaer Vereinigungsprogramm der SPD aus dem Jahr 1875, das dem Zusammenschluss des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins mit der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands zugrunde lag, wurde beispielsweise bereits auf der Basis demokratischer Delegierten- und Abstimmungsprinzipien beschlossen. Ähnliches gilt für die ersten Vorläufer von CDU/CSU: Bei der schrittweisen Vereinigung unterschiedlicher katholischer Honoratiorenvereinigungen zur Zentrumspartei nach dem Jahr 1871 wurden bereits ebenfalls Rede- und Abstimmungsfreiheit praktiziert. Anders als das existierende parlamentarische System, dessen Einführung von externen Akteuren initiiert wurde, speisen sich die Großparteien bis heute aus zentralen nationalstaatlichen Konfliktlinien oder "Cleavages" (Lipset/Rokkan: 1967). Eine materielle Konfliktlinie, die ihren Ursprung in der Industrialisierung und den dort entstandenen Auseinandersetzungen zwischen Kapital und Arbeit hat, wird immer noch von Teilen der sozialdemokratischen Partei vertreten. Die christdemokratische und christsoziale Partei repräsentieren - wenn auch mit abnehmender Tendenz - nach wie vor nicht-materielle Grundkonflikte, wie etwa den Stellenwert religiöser Werte im Bildungswesen. Dieser enge historische Bezug zu den grundlegenden gesellschaftlichen Cleavages hat es den (Groß-)Parteien in der Nachkriegsära erleichtert, ihre Funktion als Verbindungsglieder zwischen Volk und parlamentarischem System vergleichsweise erfolgreich zu erfüllen. Ein wesentliches Kriterium dabei sind beispielsweise die langfristigen Mobilisierungsquoten bei Wahlen. Die jahrzehntelang in der Summe erfolgreich ausgeübte Brückenfunktion spiegelt sich in der - verglichen mit anderen europäi-

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sehen Ländern - verhältnismäßig weitgehenden rechtlichen Absicherung der deutschen Parteien wider (—> III.). Die im bundesrepublikanischen Parlamentarismus anerkannte Brückenfunktion der politischen Parteien geht nicht zuletzt auf negative Erfahrungen in der Weimarer Republik (—> § 1, V.) zurück. Die parlamentarische Arbeit in der ersten deutschen Republik war vor allem durch die mangelnde inhaltliche und organisatorische Regulierung des Parteiensystems gekennzeichnet. Das Fehlen einer prozentualen parlamentarischen Zugangsklausel (3%- oder 5%-Hürde; -> § 22, III.) und von demokratischen Mindestanforderungen an die Parteien in der Weimarer Verfassung führten zu einer Zersplitterung der parlamentarischen Arbeit. Darüber hinaus ermöglichten es diese Defizite den rechts- und linksextremen Parteien in der Endphase der Weimarer Republik, parlamentarische Instrumente zur Störung und schließlich zur Beendigung des demokratischen Parlamentarismus zu nutzen. Bei der Konzeption des parlamentarischen Systems für die Bundesrepublik wurden aus diesen Erfahrungen zwei wesentliche Konsequenzen gezogen. Die Parteien sind demokratischen Grundsätzen verpflichtet (-» III.) und die Zahl der Parteien in den Parlamenten wird durch prozentuale Zugangsklauseln beschränkt (5% auf Landes- und Bundesebene; 3% bzw. 5% auf kommunaler Ebene). Die Brückenfunktion der Parteien umfasst verschiedene relevante Aspekte (Lepsius: 1966; Lehmbruch: 1976; Niclauß: 1995, S. llf.). Diese übergreifenden gesellschaftlichen Aspekte unterscheiden die Parteien verfassungsrechtlich wesentlich von anderen politischen Organisationen wie etwa lokalen bzw. kommunalen Wählervereinigungen (Rathausparteien). Diese sind in ihrer regionalen Reichweite und in Bezug auf das thematisierte Problemspektrum beschränkt (BVerfGE 6, 373; -> § III.). Als Bestandteile der Bündelung und Artikulation unterschiedlichster politischer Interessen sind zu nennen: Der horizontale (regionale) und vertikale (institutionenbezogene) Interessenausgleich, die Auswahlfunktion (Auswahl des politischen Personals), die Mitverantwortung für die politische Bildung des Volkes und die Früherkennung neuer gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen. II. Funktionen der Parteien im parlamentarischen System 1. Bündelung und Artikulation politischer Interessen Damit politische Anliegen und Interessen überhaupt in den parlamentarischen Prozess einfließen können, müssen sie. in eine entsprechende Form (Dokumente für parlamentarische Anhörungen oder Enquete-Kommissionen, Anträge, Ausschuss- oder Gesetzesvorlagen etc.) gebracht werden. In dieser Transformation spielen die Parteien eine zentrale Rolle. Sie bieten durch parteiinterne und öffentliche Fachtagungen sowie -Publikationen, Symposien, Parteitage, Umfragen, Unterschriftenaktionen u.a.m. Foren für die Artikulation und Diskussion politischer Einzelmeinungen und -interessen. Ein Teil dieser Foren, insbesondere die Parteitage der regionalen Gliederungen und der Bundesorganisationen, dienen darüber hinaus der Zusammenfassung, Modifikation und Formalisierung politischer Interessen. Beispielsweise werden regelmäßig wichtige parlamentarische Anträge oder Gesetzesentwürfe auf Parteitagen vorberaten und diesbezügliche

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politische Konflikte im Vorfeld ausgetragen. Da zumindest in den beiden traditionellen Großparteien SPD und CDU - wenn auch mit unterschiedlichen Schwerpunkten - fast alle gesellschaftlichen Interessengruppen vertreten sind, nimmt der parteiinterne Interessenartikulations- und Willensbildungsprozess den gesamtpolitischen Prozess bereits in weiten Teilen vorweg und dient somit als Entscheidungsvorbereitung und -erleichterung. Daneben unterstützen die Parteien den parlamentarischen Entscheidungsprozess durch eigenes wissenschaftliches Personal, Anhörungen der Fraktionen zu einzelnen Gesetzesvorhaben oder durch eigens in Auftrag gegebene wissenschaftliche Studien, deren Ergebnisse wiederum in die parlamentarische Ausschussarbeit (-> § 9, VI.) einfließen. Diese Aktivitäten werden durch staatliche Zuschüsse gefördert, sofern sie mit der Arbeit der Bundes- oder Landtagsfraktionen verbunden sind. Dies gilt insbesondere für die Unterhaltung von Büros für wissenschaftliche Mitarbeiter und Hilfskräfte sowie pauschale Fraktionszuschüsse (BVerfGE 20, 104; 80, 231; ->• § 9, IX.).

2. Horizontaler und vertikaler Interessenausgleich Zentrale Grundelemente des bundesdeutschen parlamentarischen Systems sind der föderalistische Staatsaufbau mit politisch vergleichsweise starken Bundesländern als regionalen Gliederungen (—> § 6) und verfassungsrechtlich garantierten Rechten der Städte und Gemeinden (kommunale Selbstverwaltung; § 7). Darüber hinaus sind gesellschaftliche Interessengruppen wie etwa Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, Industrie- und Handwerksvereinigungen (Kammern), Kirchen, Sozial- und Jugendverbände (Subsidiaritätsprinzip) eng mit dem politischen Interessenartikulations- und Willensbildungsprozess verbunden (-> § 25). Dies gilt vor allem für komplexe Reformvorhaben, wie z.B. Steuer-, Renten- oder Gesundheitsreformen. Das damit verbundene stark ausdifferenzierte, kaum noch zu überblickende Institutionengefuge begünstigt langwierige und aufwendige öffentliche Entscheidungsprozesse. Den politischen (Groß-)Parteien kommt aufgrund ihrer übergreifenden regionalen und gesellschaftlichen Verwurzelung innerhalb dieser Entscheidungsprozesse eine horizontale und vertikale Ausgleichsfunktion zu (Mintzel: 1990). Ein mittlerweile selbstverständliches Ergebnis dieser Ausgleichsfunktion ist etwa die Versöhnung zwischen politischem Katholizismus und Protestantismus innerhalb der Unionsparteien, die in historischer Perspektive lange als unmöglich erschien (Schmitt: 1989). Neben derartigen säkularen Integrationserfolgen wird die Ausgleichsfunktion der Parteien kurzfristiger vor allem auch in denjenigen Politikbereichen deutlich, die der (überwiegenden) Kompetenz der Bundesländer unterliegen. So beruht beispielsweise die heutige Ausgestaltung des Bildungswesens und der Justizverwaltung in hohem Maße auf Bundesländer übergreifenden parteipolitischen Diskussionsprozessen. Die regelmäßigen Konferenzen der Innen- und Kultusminister der Länder sind in diesem Zusammenhang immer wieder Thema parteipolitischer Koordinationsausschüsse der SPD- bzw. CDU/CSU-dominierten A- und B-Länder.

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3. Auswahlfunktion Die politischen Parteien strukturieren nicht nur Inhalte und Auseinandersetzungen des parlamentarischen Prozesses vor. Sie sind auch weitgehend für die Auswahl der Abgeordneten (-» § 9, VIII.) der Parlamente und weiterer parlamentarischer Gremien (z.B. der Bundesversammlung, die den Bundespräsidenten wählt; (-» § 13, III.) zuständig. Damit kommt den Parteien die Hauptverantwortung für die Auswahl des politischen Personals bzw. der politischen Eliten zu. Da das politische Personal mittlerweile bis hinunter in die Kommunalparlamente der Großstädte die Arbeit in den Parlamenten in Form zunehmender Professionalisierung als hauptberufliche und langfristig ausgerichtete Tätigkeit ausübt, sind politische Personalentscheidungen in aller Regel nicht kurzfristig korrigierbar (Scheuch / Scheuch: 71992). Im Sinne der Ausgleichs- sowie der Bündelungs- und Artikulationsfunktion geht es bei dieser Personalauswahl nicht nur darum, die geeigneten und qualifizierten Bewerber auszuwählen. Daneben müssen sich als Voraussetzung für den langfristigen Zusammenhalt der Parteien auch die verschiedenen gesellschaftlichen Interessengruppen, die in ihnen repräsentiert sind, in der personellen Zusammensetzung der Parteigremien und der Parlamente wiederfinden. Die Problematik dieser quotenorientierten Personalauswahl besteht darin, dass sie häufig nivellierend wirkt. Fachlich oder inhaltlich besonders exponierten Bewerber - die das innerparteiliche Meinungsspektrum erweitern könnten - haben in der Regel geringere Chancen auf ein Partei- oder Parlamentsmandat als solche, die dem bestehenden programmatischen und sozial-strukturellen Status Quo entsprechen (Mintzel 1984; Lösche/Walter: 1992). Dem steht als Vorteil gegenüber, dass extreme politische Positionen, die auch in den Großparteien vertreten sind, wenig Einfluss auf die parlamentarische Arbeit haben. Diese nivellierende Personalauswahl ist sicherlich auch ein Grund dafür, dass evolutionären Veränderungen in der deutschen politischen Kultur ein höherer Stellenwert zukommt als radikalen Reformen. Die Auswahl des politischen Personals ist bei weitem nicht auf die parteiinterne Kandidatenaufstellung in Wahl(kreis)konferenzen beschränkt. Zu diesem Komplex gehören im Vorfeld auch die politische Schulung und Bildung potentieller Kandidaten, wie sie etwa durch die parteinahen Stiftungen durchgeführt werden; die Bereitstellung von Möglichkeiten für das Sammeln erster politischer Erfahrungen (z.B. im Rahmen der Jugendverbände) oder besondere Fördermaßnahmen für gesellschaftlich benachteiligte Personengruppen. Seit einigen Jahren sind in diesem Zusammenhang in fast allen Parteien langwierige Quotierungsdiskussionen entstanden. Neben der öffentlich bekannten Frage der gleichgewichtigen Repräsentation von Frauen und Männern in Partei- und Parlamentsämtern wird im Rahmen dieser strukturellen Personaldiskussionen auch das Verhältnis zwischen Parteien sowie Jugendlichen, Senioren und ausländischen Mitbürgern thematisiert. Häufig münden die Diskussionen in der Gründung weiterer parteiinterner Vereinigungen für bestimmte Personen- bzw. Interessengruppen, denen in der Regel bestimmte Repräsentationsrechte zuerkannt werden. So haben sich beispielsweise in den beiden Großparteien SPD und CDU in den letzten Jahren eigenständige Seniorenvereinigungen gebildet, die zu den aktivsten innerparteilichen Gruppierungen zu rechnen sind.

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4. Bildungsfunktion

Die bereits erwähnte politische Fort- und Weiterbildung der Parteimitglieder, Funktionsträger und (potentiellen) Abgeordneten ist nur ein Teil der Bildungsfunktion der Parteien. Zusätzlich zu den innerparteilichen Schulungsmöglichkeiten sind sie ein wichtiger Träger der politischen Bildung der Bevölkerung überhaupt (Niclauß 1995: 144ff.). Durch vielfältig aufgefächerte Veranstaltungen und Publikationen werden unterschiedliche Zielgruppen mit politischen Informationen versorgt. Seit einigen Jahren kommt auch den neuen elektronischen Medien (Internet, CD-Roms etc.) eine wachsende Bedeutung bei der parteilichen Bildungsarbeit zu. Dabei arbeiten die Parteien vor allem mit den parteinahen politischen Stiftungen zusammen, die unter anderem auch im Bereich der Förderung von Studierenden sowie ausländischen Wissenschaftlern und Künstlern aktiv sind. Da die Stiftungen eigene staatliche Zuwendungen für die politische Bildungsarbeit erhalten, müssen sie bei der Besetzung ihrer Gremien sowie der Gestaltung ihrer Finanzen organisatorische Unabhängigkeit von den Parteien bewahren (BverGE 20, 112; 73, 32). Die wichtigsten parteinahen Stiftungen sind die Konrad-Adenauer-Stiftung (CDU), die Friedrich-Ebert-Stiftung (SPD), die Friedrich-Naumann-Stiftung (FDP), die Heinrich-Böll-Stiftung und die Regenbogen-Stiftung (Bündnis 90/die Grünen), die Hanns-Seidel-Stiftung (CSU), die Georg-vonVollmar-Akademie (bayerische SPD) sowie die Thomas-Dehler-Stiftung (bayerische FDP). Daneben übt der Ring politischer Jugendverbände (RPJ), ein Zusammenschluss der Jugendverbände von SPD, CDU und FDP, für die politische Jugendbildung eine unterstützende - staatlich geförderte - Funktion aus. Schließlich spielen die kommunalpolitischen Vereinigungen von CDU, SPD, FDP und Bündnis 90/die Grünen eine wichtige Rolle bei der speziellen Weiterbildung und Information der Mitglieder von Kommunalparlamenten. Als eine Grundlage dieser politischen Bildungsarbeit unterstützen die Parteien und die parteinahen Stiftungen wissenschaftliche Studien und Meinungsumfragen. Dies gilt sowohl für langfristige gesellschaftliche Grundsatzfragen als auch für zahlreiche Einzelfragestellungen. Die politische Bildungsarbeit der Parteien erstreckt sich nicht nur auf das Inland, sondern dient auch der Völkerverständigung. Bildungsreisen, staatenübergreifende Veranstaltungen, Partnerschaften mit ausländischen Parteien und Initiativen sowie die Mitarbeit in internationalen Vereinigungen sind hier die wichtigsten Instrumente (Dietz: 1999).

5. Früherkennung gesamtgesellschaftlicher Probleme

Zusätzlich zu der Bündelung bereits etablierter Anliegen gesellschaftlicher Interessengruppen hängt die politische Legitimation der Parteien davon ab, möglichst frühzeitig neue Problemlagen zu erkennen und zu artikulieren. Dabei sind für die letzten beiden Jahrzehnte insbesondere ökologische Fragestellungen zu nennen. Derartige Themen haben nicht nur zu einer Erweiterung der Parteiprogramme der im parlamentarischen System etablierten (Groß-)Parteien geführt, sondern auch zur Gründung mehrerer neuer Parteien (die Grünen, diverse "bunte" Listen, die ÖDP und eine ganze Reihe weiterer Splitterparteien). Die Grünen, in denen zahlreiche "bunte" Listen aufgegangen sind, haben sich schließlich als fester Be-

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standteil des deutschen Parteiensystems etabliert (Raschke: 1993). Mit der gesellschaftlichen Früherkennungsfunktion sind immer auch Verschiebungen in den Programmen und Aktivitäten der Parteien verbunden. Während einige Themen an Bedeutung zunehmen, verlieren andere an Wichtigkeit. Dies kann z.B. anhand der Vertriebenenverbände veranschaulicht werden, deren Einfluss in den beiden Großparteien seit einigen Jahren gleichermaßen kontinuierlich abnimmt. 6. Aktuelle Herausforderung für das Parteiensystem Die besondere aktuelle Herausforderung für die politischen Parteien und das Parteiensystem insgesamt besteht derzeit darin, dass bei allen dargestellten Parteienfunktionen strukturelle Defizite sichtbar werden (Niclauß: 1995, S. 237ff.; Gabriel/Niedermayer/Stöss: 1997). Als wichtigste Einflussfaktoren, die in Abschnitt IV. ausführlicher dargestellt werden, können in diesem Zusammenhang genannt werden: • Die im Durchschnitt der letzten Jahre auf allen parlamentarischen Ebenen sinkende Wahlbeteiligung, welche in der öffentlichen Diskussion häufig mit Begriffen wie Parteienverdrossenheit oder Demokratieverdrossenheit in Verbindung gebracht wird, verringert grundsätzlich die Legitimation parteipolitischer und parlamentarischer Entscheidungen (-> IV. 1.); • Veränderungen der Parteienlandschaft aufgrund der deutschen Vereinigung, durch die eine neue soziale sowie regionale Milieupartei (die PDS) entstanden ist, und die insgesamt die Notwendigkeit der Ausweitung ehemals westdeutscher Parteienstrukturen auf die neuen Bundesländer mit sich brachte (-» IV.3.); • ein weiterer Effekt der deutschen Vereinigung für die politischen Parteien besteht darin, dass durch die Verschiebungen im föderalen GefUge von Bund, Ländern sowie Städten und Gemeinden neue gesellschaftliche Problemlagen (z.B. Finanzausgleich -> § 20, III.; Neuverteilung von zentralen administrativen Einrichtungen) entstanden sind, angesichts derer vor allem auch von den Parteien als übergreifenden Institutionen Lösungsvorschläge erwartet werden; aktuelle Beispiele für dieses Phänomen sind die Verlängerung des Solidarbeitrags oder die Verlagerung von Bundesgerichten für bzw. in die neuen Bundesländer (-> IV.3.); • die fortschreitende Aufweichung traditioneller sozial-moralischer Milieus und die Entstehung neuer, vergleichsweise kurzlebiger Lebensstil-Milieus konfrontieren die Parteien mit der Anforderung, neue Formen der Mitglieder- und Wählerrekrutierung zu entwickeln (Lepsius: 1966; Vester u.a.: 1993); hier wird von einigen Parteien bereits mit neuen Kommunikationsformen experimentiert, wie z.B. dem "Direct-Mailing" (Versand- und Fragebogenaktionen für bestimmte Bevölkerungsgruppen; Römmerle: 1999; -> IV.2.); • dabei spielt auch die abnehmende gesellschaftliche Bedeutung der traditionellen Vorfeldorganisationen der Großparteien eine wichtige Rolle (z.B. Gewerkschaften, Sozialverbände, Kinder- und Jugendorganisationen, die in historischer Hinsicht den organisatorischen Rahmen für die Entstehung dichter sozialer Austauschbeziehungen in Form eigenständiger sozialer Milieus schufen); aus diesen Vorfeldorganisationen heraus sind traditionell viele Partei-

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mitgliedschaften und -karrieren entstanden (Hennig/Homburg/Lohde-Reiff: 1999; -> IV.2.); • die verstärkte (partei-)öffentliche Kritik an traditionellen innerparteilichen Abläufen (insbesondere bei der Kandidatenaufstellung) sowie die Einführung von Formen und Instrumenten direkter politischer Beteiligung als Versuch, dem allmählichen Nachlassen der Bindewirkungen der Parteien gegenüber ihren angestammten sozialen Milieus zu begegnen (Niclauß: 1995, S. 182ff.); die wichtigste Instrumente dabei sind Referenden zu herausgehobenen Sachthemen, Urwahlen für Führungspositionen sowie die Nutzung neu eingeführter Volksbegehren bzw. -entscheide und die Senkung bzw. Abschaffung der prozentualen Zugangsklauseln zu den Kommunalparlamenten in einigen Bundesländern (-> IV.2.); • Ansätze zur Neugestaltung des Mitgliederstatus in Richtung einer teilweisen Öffnung der Parteiarbeit für Nichtmitglieder (z.B. im Bereich thematischer Arbeitsgemeinschaften) sowie der Einführung von organisationsübergreifender, sachorientierter und zeitlich befristeter Projektarbeit (Niclauß: 1995, S. 182ff.; -> IV.2.); • wachsende Finanzierungsprobleme der Parteiarbeit, die mit der Etablierung aufwendiger Medien-Wahlkämpfen, der jüngsten Neuordnung der staatlichen Parteienfinanzierung und generell sinkenden Einnahmen aus der (abnehmenden) Mitgliedschaft zusammenhängen (Ebbighausen u.a.: 1996; —• III.3.). Ein Teil der aktuellen Herausforderungen für die politischen Parteien liegt in ihrer vergleichsweise starken rechtlichen Stellung im parlamentarischen System begründet. Auf dieser Basis bauten die Parteien in den Nachkriegsjahrzehnten ihren politischen Einfluss und damit auch die an sie gerichteten gesellschaftlichen Erwartungshaltungen kontinuierlich aus. Durch die Verknappung der öffentlichen Ressourcen wird diese Entwicklung jedoch zunehmend problematisch. HI. Die rechtliche Stellung der Parteien 1. Gesetzliche Grundlagen Das Grundgesetz enthält wesentliche Rahmensetzungen zur Rolle der politischen Parteien im parlamentarischen System (-» § 2, III.), die seit 1967 durch das Parteiengesetz konkretisiert werden. Elementare Grundlage der Parteienbildung ist das Recht aller Deutschen - im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung (Art. 20 GG: demokratischer und sozialer Rechtsstaat als Grundordnung) und sonstiger gesetzlicher Regelungen - Vereine und Gesellschaften zu bilden (Art. 9 Abs. 1 GG). Art. 21 Abs. 1 GG legt darüber hinaus ausdrücklich die Mitwirkung der Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes fest. Damit erhalten die Parteien eine offizielle politische Funktion, die in der Mehrzahl der demokratisch-repräsentativen Staaten nicht existiert (Ebbighausen u.a.: 1996, S.15ff.). Dieser ausdrücklichen Erwähnung im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, welche die politischen Parteien im Unterschied zu anderen Organisationen wie Verbänden oder gesellschaftlichen Initiativen hervorhebt, steht als Verpflichtung gegenüber, dass ihre innere Ordnung demokratischen Grundsätzen zu entsprechen hat und sie über die Herkunft ihrer finanziellen Mittel öffentlich Rechenschaft geben müssen (Art. 21 Abs. 1 Satz 3 und 4 GG). Alle parteiinternen

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Wahlen müssen demnach frei und geheim stattfinden, und es gilt innerparteiliche Meinungs- und Redefreiheit. Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen, können durch das Bundesverfassungsgericht (—» § 15, II.) für verfassungswidrig erklärt werden (Art. 21 Abs. 2 GG). Von dieser Möglichkeit wurde in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland bislang nur zweimal Gebrauch gemacht: Anlässlich der Verbote der Sozialistischen Reichspartei (SRP) und der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) in den Jahren 1952 bzw. 1956 durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 2, lff; 5, 85ff.). Im Jahr 2000 wurde darüber hinaus vom Bundestag, der Bundesregierung und einzelnen Bundesländern (z.B. Bayern und Nordrhein-Westfalen) - alle diese Verfassungsorgane sind antragsberechtigt - ein Verbotsantrag der NPD (Nationaldemokratische Partei Deutschlands) beim Bundesverfassungsgericht gestellt. Grundlage dieses Antrags sind zahlreiche Materialien, die von den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder zusammengestellt wurden und von diesen als offensive Angriffe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gewertet werden. Sollte diesem Antrag entsprochen werden, wäre das dritte Parteienverbot in der bundesrepublikanischen Geschichte ein Faktum. Diese Entwicklung ist insofern auch ein Hinweis auf die aktuellen Strukturprobleme des deutschen Parteiensystems, als die NPD trotz - oder auch gerade wegen ihrer umstrittenen Verfassungstreue - für bestimmte Jugend-Milieus (vor allem in den neuen Bundesländern) derzeit eine starke politische Attraktivität besitzt. Die grundsätzliche Verpflichtung der Parteien zur finanziellen Rechenschaftslegung wurde durch Veränderungen des Parteiengesetzes und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts weiter konkretisiert. Kritische Punkte in der politischen Diskussion stellten dabei immer wieder die Fragen dar, ob und inwieweit Großspenden von Unternehmen oder Verbänden öffentlich gemacht werden müssen und anderen steuerlichen Bedingungen unterliegen sollen als private Kleinspenden. Hintergrund derartiger Debatten war und ist die Befürchtung, dass finanzstarke Körperschaften durch Großspenden die gleichberechtige Teilhabe an der politischen Willensbildung in den Parteien außer Kraft setzen könnten. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Bedenken aufgegriffen: •

Der steuerlichen Begünstigung von Parteispenden, die von Körperschaften geleistet werden, sind enge Grenzen gesetzt worden (BVerfGE 73, 40; 85, 315) und • anonyme Großspenden an Parteien wurden für verfassungswidrig erklärt (BVerfGE 52, 86f. unter Hinweis auf BVerfGE 20, 105; 12, 125; 5, 232f. und BVerfGE 73, 83; 85, 321fF.). Mittelbar wird die rechtliche Stellung der Parteien auch von Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG berührt. Dieser bestimmt, dass die Abgeordneten des Deutschen Bundestages Vertreter des ganzen Volkes sind, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen sind. Durch diesen Grundsatz werden typische Vorgehensweisen wie der Fraktionszwang bei parlamentarischen Abstimmungen, denen in der praktisch-politischen Tätigkeit der Parteien großes Gewicht zukommt, zugunsten der Stellung der einzelnen Abgeordneten begrenzt (—» § 9, VIII.). Mit der ausdrücklichen Anerkennung der Parlamentsfraktionen als Einrichtungen des Verfassungslebens und der Würdigung ihrer Rolle als technische Koordinatoren der Parlamentsarbeit hat das Bundesverfassungsgericht einen

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Kompromiss zwischen der Weisungsfreiheit der einzelnen Abgeordneten und praktisch-politischen Koordinationsfragen formuliert (BVerfGE 20, 104; 38, 277). Das Gesetz über die politischen Parteien (Parteiengesetz in der Fassung von 1994) schreibt als wichtigste Ergänzungen der Rahmensetzungen des Grundgesetzes die Notwendigkeit schriftlicher Programme und Satzungen (§ 1 und 6), den Beschluss von Mitglieder- bzw. Vertreterversammlungen über diese Programme und Satzungen sowie über die Zusammensetzung der Parteiorgane (§ 9), die Gliederung in Gebietsverbände (§ 7) und die Grundsätze und den Umfang der staatlichen Finanzierung (§ 18) fest. Daneben unterliegen die Parteien - wie alle rechtsfähigen Vereinigungen - dem bürgerlichen Vereinsrecht (§§ 21 ff. BGB), den Wahlgesetzen (Wahlbeteiligung, Parteiverbotsverfahren) und den Steuergesetzen, welche die Abzugsfähigkeit von Spenden und Mitgliedsbeiträgen regeln. Aus diesen einzelnen Anforderungen des Parteiengesetzes ergibt sich ein Parteienbegriff, der die eingangs dargestellten politikwissenschaftlichen und politischsoziologischen Definitionen ergänzt. Wesentliche Bestandteile dieses Parteienbegriffs sind grundsätzlich gleichgerichtete Bestrebungen von Staatsbürgern, Einfluss auf die staatliche Willensbildung zu nehmen, die sich in einer gewissen Stärke und Organisation sowie einem umfassenden Programm und der Teilnahme an Wahlen in Bund und Ländern niederschlagen (BVerfGE 1, 228; 3, 403; 24, 265, 361).

2. Formaler Parteienaufbau Die rechtlichen Grundlagen des Parteiensystems schaffen die Basis für einen allgemeinen formalen Aufbau, der für alle Parteien in den folgenden Grundzügen gilt (Kaack/Roth: 1980): • Die regionale Gliederung in Bundes-, Landes-, und Kommunalverbände mit entsprechenden regelmäßigen Mitgliederversammlungen, wobei - in Abhängigkeit von der Mitgliederzahl und historischen Traditionen - noch Stadtteilorganisationen (Ortsvereine, Bezirksverbände usw.) und Verbände zwischen der kommunalen sowie der Landesebene existieren; • die Ergänzung der grundsätzlich regionalen Gliederung durch gruppenspezifische Organisationsformen (Jugend-, Frauen- und Seniorenverbände, thematische oder berufsbezogene Gruppierungen etc.); • nach dem Einkommen gestaffelte Mitgliedsbeiträge, Spenden und verpflichtende Abgaben der Mandatsträger sowie begrenzte Erträge aus wirtschaftlicher Betätigung (Zeitschriften, Immobilien, Dienstleistungen) als eigenständige Finanzierungsformen, die gegebenenfalls durch die staatliche Parteienfinanzierung ergänzt werden (-»III.); • eine Mischform aus prinzipiell ehrenamtlicher und ergänzender hauptamtlicher Parteiarbeit, mit professionell organisierten Parteizentralen (mindestens auf der Landes- und Bundesebene), denen vor allem die zentrale Mitgliederund Finanzverwaltung sowie die professionelle Wahlkampfplanung und -führung obliegen. Neben diesen allgemeinen Prinzipien des Parteienaufbaus bestehen in einzelnen Parteien organisatorische Besonderheiten, die auf historische Entwicklungen zurückzufuhren sind. Die SPD, die PDS und einige sozialistischen Kleinparteien

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(DKP, MLPD etc.) unterhalten als Erbe aus der traditionellen Arbeiterbewegung zusätzlich zu den regionalen Gliederungen Betriebsgruppen in (großen) Unternehmen und Verwaltungen. Eine Besonderheit der Unionsparteien liegt darin, dass - anders als etwa in der SPD oder FDP - die Mitgliedschaft in dem Jugend-, Studenten- oder Frauenverband nicht an die Parteimitgliedschaft gekoppelt ist. Dieser spezielle Mitgliederstatus ist darauf zurückzuführen, dass sich die Unionsparteien erst in den 60er Jahren dieses Jahrhunderts von losen Zusammenschlüssen einzelner "Honoratiorengruppen" zu modernen Mitgliederparteien entwickelt haben (Falke: 1982; Lösche/Walter: 1992). Dieser vergleichsweise späte Wandel der Unionsparteien zu Mitgliederparteien wird auch in der Finanzstruktur deutlich. Während die Mitgliedsbeiträge bis heute den größten Teil der Eigeneinnahmen der SPD ausmachen, sind CDU/CSU in stärkerem Maße auf Spenden angewiesen.

3. Staatliche Parteienfinanzierung und Parteienkritik Anhand der gesetzlichen Regelungen, die Form und Umfang der staatlichen Parteienfinanzierung betreffen, und ihrer Veränderung durch das jüngste diesbezügliche Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird das Wechselverhältnis zwischen politisch-gesellschaftlicher und rechtlicher Stellung der politischen Parteien und aktuellen Reformanforderungen deutlich. Das letzte Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 85 vom 9. April 1992) zur staatlichen Parteienfinanzierung und die darauf basierenden Änderungen des Parteiengesetzes, die seit dem 1. Januar 1994 gelten, beschreiten eine Mittelweg zwischen der seit einigen Jahren verstärkten öffentlichen Kritik am Parteienstaat (Leibholz: 3 1967; v. Arnim: 1993; Hennis: 1998) und der Bekräftigung der zentralen Brückenfunktion der Parteien zwischen Volk und parlamentarischem System. Was die Bekräftigung der Bedeutung der Parteien angeht, hat ihnen das Bundesverfassungsgericht in dieser Entscheidung die grundlegende Funktion als Träger der politischen Willensbildung zugesprochen. Dieser Status geht über denjenigen der Wahlvorbereitungsorganisationen hinaus, den das Bundesverfassungsgericht in früheren Entscheidungen zur - damals - "Wahlkampfkostenerstattung" gebraucht hatte (BVerfGE 20, 56; 24, 300 ff.; 41, 399 ff.). Demgemäss wurde ab 1. Januar 1994 von der Wahlkampfkostenerstattung auf eine allgemeine Teilfinanzierung der Parteiarbeit umgestellt. Der öffentlichen Kritik an der früheren pauschalen Wahlkampfkostenerstattung (fünf DM pro Stimme, unabhängig von der Höhe der Gesamtzuweisung an eine Partei) wurde insofern entsprochen, als die Verwurzelung der Parteien in der Bevölkerung als entscheidendes Kriterium für ihre staatliche Finanzierung genauer als in den früheren Entscheidungen bzw. gesetzlichen Regelungen definiert wurde. Nachprüfbare Elemente dieser Verwurzelung sind nach übereinstimmender Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts und der Kommission unabhängiger Sachverständiger zur Parteienfinanzierung, die im Sommer 1992 vom damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker eingesetzt worden war: • die Wahlergebnisse der Parteien, • die Spenden der Bürgerinnen und Bürger sowie • die Mitgliedsbeiträge (BVerfGE 85,287; Bundespräsidialamt: 1994, S. 117). Die allgemeine staatliche Finanzierung der Parteien bemisst sich derzeit demzu-

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folge etwa zu gleichen Teilen nach den Wählerstimmen sowie den Mitgliedsbeiträgen und Kleinspenden. Bei Bundestags-, Landtags- und Europawahlen erhalten die Parteien, die mehr als 0,5 % der Stimmen auf sich vereinigen können, mindestens eine DM je Stimme. Jede Beitrags- und Kleinspenden-DM wird zusätzlich mit 0,50 DM steuerlich bis zu einer Höhe von 6.000 DM pro Jahr bezuschusst. Ein fester Sockelbetrag als Förderung, der kleine Parteien besonders begünstigt, existiert in der neuen Regelung nicht mehr. Dieses neue Prinzip, das der Verwurzelung der Parteien in der Bevölkerung und ihrer Chancengleichheit Ausdruck verleiht, wird jedoch durch eine degressive Bezuschussung relativiert. Alle Parteien erhalten bis zu fünf Millionen Stimmen für jede Stimme 1,30 DM und für alle weiteren Stimmen jeweils eine DM. Eine weitere Beschränkung der derzeitigen Form der staatlichen Parteienfinanzierung gegenüber früheren Varianten besteht darin, dass eine absolute und eine relative Obergrenze festgelegt sind. Die absolute Obergrenze beträgt durch das siebte Gesetz zur Änderung des Parteiengesetzes vom 17. Februar 1999 (BGBl. I, S. 146) 245 Millionen DM. Auf diese Weise wurde die absolute Obergrenze, die von 1994 bis 1997 nach den erwähnten Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und der Kommission des Bundespräsidenten 230 Millionen DM betrug, rückwirkend zum 1. Januar 1998 um 15 auf 245 Millionen DM erhöht (Stand: November 2000; http://www.bundes tag.de/ datbk/finanz/pf sttfi.htm). Die relative Obergrenze wird durch die selbst erwirtschafteten Einnahmen der Parteien markiert, die von den staatlichen Zuschüssen nicht überschritten werden dürfen. Die Gesamteinnahmen der Bundestagsparteien - die sich aus der neu gestalteten staatlichen Teilfinanzierung, Mitgliedsbeiträgen, Spenden und eigener wirtschaftlicher Betätigung (Vertrieb von Veröffentlichungen, Veranstaltungen etc.) ergeben - summieren sich für das Jahr 1998 auf ca. 767 Millionen DM. Diese Summe verteilt sich wie folgt auf die einzelnen Parteien: • SPD: 304 • CDU: 252 • Bündnis 90/die Grünen: 57 • CSU: 66 • FDP: 49 • PDS: 39 (Stand: November 2000; in Millionen DM, gerundet; http://www.bundestag.de /datbk/finanz/pf_geinn.htm). Trotz dieser beträchtlichen Einnahmen, die zusätzlich durch die Zuschüsse für die Arbeit der Abgeordneten und Parlamentsfraktionen aufgestockt werden, sind die Bundestagsparteien in wachsendem Maße auf Kredite angewiesen, um ihre Aufgaben erfüllen zu können. Dies hängt neben den steigenden Wahlkampfkosten vor allem damit zusammen, dass das Finanzvolumen aus den Mitgliederbeiträgen mit den allgemeinen Kostensteigerungen nicht Schritt hält (Niclauß: 1995, S. 222ff.). Die seit einigen Jahren wieder virulent gewordene öffentliche Parteienkritik, die ein Auslöser der jüngsten Neuordnung der staatlichen Parteienfinanzierung war, betrifft neben der Finanzierung noch eine Reihe weiterer Aspekte und Funktionen

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der Parteiarbeit im parlamentarischen System (Ebbighausen u.a.: 1996). Diese verschiedenen Teilkritiken können zu den Problemkomplexen (1.) Allzuständigkeit versus Beschränkung der Parteiaufgaben, (2.) rückläufige Mitgliederentwicklung versus Stärkung direkter Bürger- und Mitgliederbeteiligung sowie neuer, projektbezogener Formen der Parteiarbeit und (3.) regionale und soziale Zersplitterung der (Groß-)Parteien bzw. des Parteiensystems versus programmatische Neuorientierung zusammengefasst werden. Die Dringlichkeit dieser Problemkomplexe erfuhr in den Jahren 1999 und 2000 neben verschiedenen „kleineren" Finanzskandalen mehrerer Landespolitiker vor allem durch das schrittweise öffentliche Bekanntwerden der „Parteispendenaffäre" der CDU (Bundesverband und hessischer Landesverband) sowie die nachfolgende öffentliche und innerparteiliche Kritik eine nachhaltige Bestätigung. Die Tatsache, dass über längere Zeiträume hinweg systematisch inoffizielle „Parallelhaushalte" angelegt wurden - die aus anonymen (Groß-)Spendeneinnahmen gespeist worden sind, belegt über die (straf-)rechtliche Einordnung hinaus die aktuellen Kernprobleme der (Groß-)Parteien.

IV. Aktuelle Strukturprobleme des Parteiensystems 1. Allzuständigkeit versus Beschränkung der Parteiaufgaben Der Begriff des Parteienstaates, der in den 1950er und 1960er Jahren in öffentlichen und fachlichen Diskussionen noch überwiegend positiv gebraucht wurde und mittlerweile mit mehrheitlich kritischen Konnotationen versehen wird, bündelt den ersten aktuellen Problemkomplex der Parteiarbeit. Im Gegensatz zu alternativen Begriffen, wie etwa demjenigen der Parteiendemokratie, impliziert die Charakterisierung Parteienstaat strukturelle Fehlentwicklungen innerhalb des parlamentarischen Systems. Es wird unterstellt und stellenweise auch belegt, dass die politischen Parteien über die verfassungsmäßig garantierte Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes hinaus diese weitgehend monopolisiert und ihren Einfluss auf alle gesellschaftlichen Bereiche (z.B. die Medien, das Justizwesen oder das Bildungssystem) ausgedehnt haben (Scheuch/Scheuch: 1992; v. Arnim: 1993; Hennis: 1998). Dies spiegelt sich auch in der erwähnten „CDU-Parteispendenaffäre" wider. Die Allzuständigkeit der Parteien bringt große organisatorische sowie finanzielle Anstrengungen und damit angesichts allgemein sinkender Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen sowie staatlichen Zuweisungen und steigender Kosten (für Personal, technische Ausstattung etc.) einen wachsenden Bedarf an Spenden mit sich. Die öffentliche Kritik an der faktischen Allzuständigkeit der Parteien für sämtliche gesellschaftlichen Aufgaben wird dadurch begünstigt, dass ihre Bindungskräfte gegenüber den sie traditionell stützenden sozialen Milieus zunehmend nachlassen und aufgrund der zurückgehenden öffentlichen Ressourcen die politischen Gestaltungsmöglichkeiten der Parteien geringer werden. Als eine Konsequenz der abnehmenden Bindungen zwischen Parteien, Parteimitgliedern und (Stamm-)Wählern sowie der anhaltenden Verselbständigung der Parteiapparate wird vor allem bei Wahlkämpfen ehrenamtliches Engagement durch medial vermittelte und professionell konzipierte Werbemaßnahmen ersetzt (Gabriel/ Brettschneider/Vetter: 1997). Damit verbunden ist ein wachsender Finanzbedarf, der

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wiederum öffentliche Kritik produziert. Besonders stark ausgeprägt ist dieses Nachlassen der gesellschaftlichen Verwurzelung der Parteien insgesamt in den Großstädten und Ballungsgebieten. Vor allem in den sozial-ökonomisch unterdurchschnittlich ausgestatteten Sozialräumen (Stadtteilen) sind überdurchschnittlich hohe Protest- und Nichtwähler-Quoten sowie starke Mitgliederverluste der Parteigliederungen Ausdruck dieser strukturellen Problematik (Eilfort 1994; Völker/Völker 1998; Hennig/Homburg/Lohde-Reiff: 1999). Qualitativ neu an der aktuellen Allzuständigkeits-Kritik gegenüber den politischen Parteien ist, dass sie das Parteiensystem und damit auch das parlamentarische System insgesamt betrifft und dass derzeit keine längerfristigen Alternativen zu dieser Entwicklung erkennbar sind. Strukturelle öffentliche und wissenschaftliche Kritik am gesamten Parteiensystem wird zwar bereits seit Ende der 60er Jahre geübt, beispielsweise unter den Stichworten Legitimations- oder Vertrauenskrise. Durch die Erweiterung des Parteiensystems um eine grüne Partei mit Wurzeln in der Studentenbewegung und den neuen sozialen Bewegungen in den 70er und 80er Jahren wurde jedoch die zeitweise Erneuerungsfähigkeit des Parteiensystems unter Beweis gestellt. Wichtigste Merkmale der gegenwärtigen Krise des Parteiensystems sind demgegenüber, dass: • das lange Zeit etablierte System der kommunizierenden Röhren zwischen den beiden Großparteien und ihren jeweiligen Koalitionspartnern nicht mehr wirksam ist: Wählerverluste des mitte-linken Lagers (SPD und seit einigen Jahren Bündnis 90/die Grünen) werden nicht mehr durch das mitte-rechte Lager (CDU/CSU und FDP) kompensiert; stattdessen gilt mehr und mehr das Kriterium des geringsten Stimmenverlustes als wahlentscheidend (vor allem wenn man neben den gültigen Stimmen auch die Zahlen der Wahlberechtigten betrachtet; Hennig/Homburg/Lohde-Reiff: 1999); • keine der zahlreichen neu gegründeten Parteien (z.B. Statt-Parteien, Frauen-, Senioren- oder Ausländerparteien) sich bisher jenseits punktueller regionaler Wahlerfolge in den Parlamenten etablieren und stabile Organisationsstrukturen aufbauen konnte; • das Mittel der Protestwahlen als Option für wachsende Wählergruppen, die das Parteiensystem insgesamt kritisieren wollen, an Bedeutung gewinnt: Neben der Wahl links- und (vor allem) rechtsextremer Parteien und der beabsichtigten Ungültigmachung von Stimmzetteln (durch Kommentare u.ä.) gewinnt in diesem Zusammenhang die bewusste Nichtwahl an Bedeutung; der in der öffentlichen Debatte für dieses Phänomen zuweilen gebrauchte Begriff "Partei der NichtWähler" ist zwar irreführend, da unterschiedliche Typen von NichtWählern durch keinerlei programmatische Orientierung oder gar organisatorische Struktur verbunden sind; bedeutsam an dieser Diskussion ist hingegen, dass das Nichtwählen sich zunehmend zu einem festen und wiederholten Muster politischer Meinungsäußerung entwickelt (Völker/Völker 1998; Hennig/Homburg/Lohde-Reiff: 1999). Ein häufig geäußerter Reformansatz, mit dem der Allzuständigkeits-Kritik gegenüber den Parteien entgegengewirkt werden soll, besteht in dem Vorschlag einer selbstauferlegten Beschränkung der Parteiaufgaben. Gemäß diesem Vorschlag sollen die Parteien sich freiwillig in gesellschaftlichen Teilsystemen wie der Justiz, den Medien, dem Sport etc. Zurückhaltung auferlegen und sich auf ihre Kernaufgaben beschränken (Wahlkämpfe, parlamentarische Arbeit, politische Bildung). Die offenkundige Schwäche dieses Reformansatzes besteht darin, dass

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zum einen der Begriff der selbstauferlegten Beschränkung interpretationsoffen ist und zum anderen keine Schiedsgremien oder Sanktionsmöglichkeiten für entsprechende Regelverstöße benannt werden. Die aktuelle öffentliche Kritik an den politischen Parteien und dem Parteiensystem insgesamt findet ihre Entsprechung in verstärkten innerparteilichen Reformdiskussionen. Dabei stehen - zusätzlich zu programmatischen Neuorientierungen - die traditionellen Organisations- und Aktivitätsmuster in der grundsätzlichen Diskussion.

2. Rückläufige Mitgliederentwicklung versus Stärkung direkter Bürger- und Mitgliederbeteiligung sowie neuer, projektbezogener Parteiarbeit Die allgemein sinkende gesellschaftliche Attraktivität wirkt sich innerhalb der Parteien in verschiedenen Bereichen aus. Augenscheinlichster Effekt sind die langfristig betrachtet - kontinuierlich sinkenden bzw. stagnierenden Mitgliederzahlen, wobei in der gesamten bisherigen Geschichte der Bundesrepublik der Anteil aller Parteimitglieder niemals mehr als fünf Prozent der wahlberechtigten Bürger betragen hat (Niclauß: 1995, S.67ff.; Gerstiberger: 1999, S. 199ff.; Homburg: 1999, S. 148ff.). Dies gilt gleichermaßen für alle größeren, traditionell in den Parlamenten vertretenen Parteien wie auch für die vergleichsweise jungen Parteien Bündnis 90/die Grünen und PDS. Während die SPD bereits 1976 mit ca. 1.000.000 Mitgliedern den Höhepunkt ihres Wachstums erreichte und sich 1999 unterhalb der 800.000-Marke befindet, erreichte die CDU 1992 nach der deutschen Vereinigung ihren Höchststand (ca. 750.000 Mitglieder). Im Anschluss sank ihr Mitgliederstand bis 1999 wieder unter 600.000. Bei den kleineren Bundestagsparteien ist die Entwicklung nach dem allgemeinen Mitgliederhöhepunkt während des deutschen Vereinigungsjahres zweigeteilt. Die PDS und die FDP haben von 1990 bis 1999 eine Halbierung ihrer Mitgliederzahl von ca. 200.000 bzw. ca. 180.000 auf ca. 100.000 bzw. ca. 90.000 erfahren. Die CSU und Bündnis 90/die Grüne stagnieren im gleichen Zeitraum bei ca. 190.000 bzw. ca. 45.000 Mitgliedern. Daneben entwickeln sich die sozial-strukturellen Eigenschaften der Parteimitglieder und der Bevölkerung immer weiter auseinander. Die Parteimitglieder aller im parlamentarischen System etablierten Parteien sind - was ihre Sozialstruktur angeht - im Durchschnitt älter, besser formal gebildet sowie stärker sozial und finanziell abgesichert (durch die überproportional häufige Tätigkeit im öffentlichen Dienst) als der Durchschnitt der Bevölkerung. Frauen, Jugendliche und Ausländer sind als Parteimitglieder - mit gewissen Unterschieden zwischen den Parteien - insgesamt unterrepräsentiert (Hennig/Homburg/Lohde-Reiff: 1999). Die Konsequenzen dieser Mitgliederentwicklung für die politische Alltagsarbeit der Parteien sind weitreichend (Becker: 1999). Neben wachsenden organisatorischen und mobilisatorischen Problemen bei der Durchführung von Wahlkämpfen können ehrenamtliche Parteiämter und Ehrenämter in den lokalen Ebenen des parlamentarischen Systems häufig nur noch mit großer Mühe und bei stark eingeschränkter personeller Auswahl besetzt werden. Die Besetzung von Ämtern mit nicht oder nur bedingt qualifizierten Personen oder Ämterhäufungen sind die Folgen dieser personellen Engpässe. Zusätzlich wird der finanzielle Handlungsspielraum der Parteien durch die sinkenden bzw. stagnierenden Volumina der

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Mitgliedsbeiträge und die gleichzeitig steigenden Kosten (für Personal, Werbemaßnahmen, technische Infrastruktur etc.) verringert. Eine weitere wichtige mittelbare Konsequenz der Mitgliederentwicklung der Parteien besteht - im Verein mit der verstärkten Nutzung modemer Informations- und Kommunikationstechnik - darin, dass aufgrund seltener werdenden Begegnungsmöglichkeiten die persönlichen Kontaktfelder zwischen den Parteimitgliedern untereinander und zur Bevölkerung hin geringer werden. Die soziale Kommunikation in den und durch die Parteien, die ein wichtiger Faktor für die politische Meinungsbildung ist, wird auf diese Weise reduziert (Römmerle: 1999). Der nachlassenden gesellschaftlichen Attraktivität und sozial-strukturellen Wegentwicklung von der Bevölkerung versuchen die Parteien durch vielfältige organisatorische Reformversuche zu begegnen. Dabei stehen die aktuellen Herausforderungen im Mittelpunkt, die das Parteiensystem in seiner Gesamtheit betreffen (—> II.6.). Als wichtigste derzeitige Vorhaben sind zu nennen: • Die angestrebte Senkung oder Streichung von prozentualen Zugangsklauseln bei Parlamentswahlen auf kommunaler Ebene in einigen Bundesländern (vor allem in Baden-Württemberg, Bayern und Hessen), um den Zugang zur Parlamentsarbeit für neue Parteien zu erleichtem und damit der sinkenden Wahlbeteiligung zu begegnen; • die Einführung direkter Beteiligungsmöglichkeiten für die Parteimitglieder in Form von (medial vermittelten) Referenden über wichtige Personalentscheidungen oder zentrale politische Streitpunkte; mit Hilfe derartiger Instrumente soll neben der innerparteilichen Mobilisierung auch das öffentliche Interesse an parteipolitischen Aktivitäten vergrößert werden; • die verstärkte Nutzung von politischen Instrumenten, die bislang eher typisch für soziale Bewegungen waren (z.B. Volksbegehren und -entscheide, Unterschriftensammlungen, Briefaktionen, Demonstrationen, politische Kulturveranstaltungen etc.); damit soll insbesondere auch den Kommunikations- und Aktivitätsmustern neuer Lebensstil-Milieus Rechnung getragen werden, die durch traditionelle politische Mobilisierungsformen häufig nicht erreicht werden; • die Veränderung der Mitgliedschaftsrollen dahingehend, dass auch Nichtmitglieder zeitlich oder thematisch und meist auf lokaler Ebene in begrenztem Umfang an ausgewählten Parteiaktivitäten teilnehmen können; der Hintergrund für dieses Vorhaben besteht vor allem darin, dass die traditionellen Biographien von Parteimitgliedern (Rekrutierimg durch Vorfeldorganisationen bereits im Jugendalter und anschließend "lebenslanges" Engagement) zunehmend durch ein "lebenslagenspezifisches" politisches Engagement abgelöst werden; • die Entwicklung besonderer lebensstil- und zielgruppenorientierter Angebote für (potentielle) Parteimitglieder und der Aufbau einer entsprechenden organisatorischen Infrastruktur als Alternative zu den traditionellen Vorfeldorganisationen, z.B. im Rahmen von Frauen- oder Seniorenbüros, Schüler- bzw. Studenteneinrichtungen oder Arbeitskreisen für ausländische Mitbürger bzw. deren Interessenvertreter (Ausländerbeiräte); in Verbindung mit derartigen Aktivitäten werden häufig offizielle oder inoffizielle Quoten für bestimmte Mitgliedergruppen in den Parteigremien eingeführt; vermittelt durch derartige Maßnahmen soll auch die Wahlbeteiligung von Bevölkerungsgruppen verstärkt werden, die besonders hohe Nichtwählerquoten aufweisen;

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der Auf- und Ausbau zeitlich befristeter und thematisch eingegrenzter Beteiligungsangebote (Projekte), mit denen vor allem Personengruppen angesprochen werden sollen, die nicht den traditionellen sozialen Milieus der einzelnen Parteien angehören. Während insgesamt die Chancen dieser organisatorischen Reformversuche fiir die Parteien darin liegen, dass Hemmschwellen gegenüber der Partei- und Parlamentsarbeit abgebaut und soziale Milieugrenzen durchlässiger werden, ergeben sich damit auch neue Herausforderungen bzw. Probleme. Durch die Senkung oder Streichung prozentualer Zugangsklauseln fiir die Parlamentsarbeit werden die Beteiligungschancen kleiner Parteien erhöht. Dem stehen als potentielle Gefahren gegenüber, dass extreme Parteien sich dauerhaft in den Kommunalparlamenten etablieren können und Entscheidungsprozesse aufgrund einer wachsenden Anzahl von Parlamentsfraktionen verzögert werden (—> I.2.). Innerparteiliche Willensbildungsprozesse werden durch die genannten Öffnungsbestrebungen der Parteien tendenziell zusätzlich erschwert, da die personelle Kontinuität in den Parteigremien und -mitgliedschaften reduziert wird und die Zahl der zu beteiligenden Interessengruppen und Gremien ansteigt. Die somit erschwerte Entscheidungsfähigkeit der politischen Parteien ist wiederum nicht dazu angetan, die Attraktivität der Parteiarbeit für (potentielle) Mitglieder aus neu entstehenden sozialen Milieus zu erhöhen. Dies gilt insbesondere dann, wenn Kriterien wie Flexibilität und Effizienz wesentliche Elemente der Lebensstile in diesen Milieus darstellen. Neben den traditionellen Formen der Parteiarbeit (vor allem Tätigkeiten in Gremien), die eher auf Beständigkeit und Stabilität denn auf Flexibilität und Innovation zielen, sind auch die innerparteilichen Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse in wachsendem Maße Gegenstand öffentlicher und parteiinterner Auseinandersetzungen. Im Mittelpunkt des kritischen Interesses stehen dabei regelmäßig die Verfahren für die innerparteiliche Aufstellung von Kandidaten(listen) für Parlamentswahlen. Hauptstreitpunkt ist dabei in der Regel die Frage, ob und inwieweit Blockabstimmungen zulässig sind, d.h. Entscheidungen von Wahlmännem bzw. Delegierten nicht über Einzelpersonen, sondern über zuvor von Parteigremien oder Findungskommissionen ausgewählte Personengruppen getroffen werden dürfen. Hintergrund derartiger Konflikte sind meist althergebrachte Verteilungsschlüssel: Jeder Ortsverein bzw. -verband oder Bezirksverband etc. soll personell in den entsprechenden Parlamenten repräsentiert sein. Erste rechtliche Grenzen für diese Streitfrage sind am 4. Mai 1993 durch einen Beschluss des Hamburgischen Verfassungsgerichts über die Kandidatenaufstellung für die Bürgerschaftswahlen vom 2. Juni 1991 in der Hamburger CDU festgelegt worden (HverfG 3/92; Steffani: 1997, S. 303ff.). In dem besagten Urteil wurden auf Antrag von fünf Hamburger CDU-Mitgliedern die genannten Wahlen für ungültig erklärt. Als Begründung für diese, in der bisherigen Geschichte der bundesdeutschen Rechtsprechung einmalige, positive Entsprechung von Bürgerbeschwerden wurde von dem Gericht die mangelnde innerparteiliche Demokratie bei der Kandidatenaufstellung angeführt. Diese widerspricht dem Grundgesetz und dem Hamburgischen Wahlgesetz für Bürgerschaftswahlen. Da Blockabstimmungen bei innerparteilichen Kandidatenaufstellungen bis zu diesem Zeitpunkt kein Ausnahmefall waren, löste der Hamburger Gerichtsbeschluss bundesweite Diskussionen in fast allen Parteien und der interessierten Öffentlichkeit aus. In diesem Zusammenhang werden auch weitere konfliktträchtige Bereiche der inter-

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nen Parteiarbeit kritisch durchleuchtet. Wichtige Beispiele dafür sind die wenig transparente Arbeitsweise der innerparteilichen Schiedsgerichte, die in Parteiordnungsverfahren und bei sonstigen Konflikten in letzter Instanz entscheiden, oder die Arbeitsbeziehungen innerhalb der Parteien, die als Tendenzorganisationen nur bedingt dem allgemeinen Arbeits- und Tarifrecht unterliegen. Sowohl angesichts der Öffnungsversuche gegenüber neuen Mitgliedergruppen und Formen der Parteiarbeit als auch anhand der Debatten über traditionelle innerparteiliche Entscheidungsprozesse wird deutlich, dass die wachsende Vielfalt gesellschaftlicher Interessengruppen und Lebensstil-Milieus den langfristigen Zusammenhalt der Parteien auf eine harte Belastungsprobe stellt. 3. Regionale und soziale Zersplitterung des Parteiensystems versus programmatische Neuorientierung Durch die deutsche Vereinigung haben sowohl die regionalen Unterschiede innerhalb des Parteiensystems, die aufgrund der föderalistischen Verfasstheit der Bundesrepublik zuvor bereits deutlich ausgeprägt waren, als auch die entsprechenden programmatischen Gegenbewegungen zugenommen. Als erste Veränderung ist mit der PDS eine dezidierte Regionalpartei der neuen Bundesländer entstanden, die über ihre programmatische Rolle als Partei mit sozialistischen Wurzeln hinaus als Vertreterin lokaler sozialer und ökonomischer Interessen der fünf neuen Länder auf Bundes- und Länderebene fungiert (Bortfeldt: 1992). Als zweite Veränderung haben sich auch die gesellschaftlich etablierten Parteien der alten Bundesländer im Zuge der Ausdehnung auf die neuen Bundesländer und der Verschmelzung mit den entsprechenden Partnerparteien programmatisch und personell neu ausgerichtet bzw. orientiert (Eisenmann/Hirscher: 1992). Im Fall von Bündnis 90/die Grünen spiegelt sich dies auch in dem geänderten Namen wider. Parteienübergreifender Kern dieser programmatischen Neuorientierung ist die relative Aufwertung der individuellen Verantwortung der Bürger für ihre Lebensgestaltung gegenüber kollektiven staatlichen Regelungen. Mit der organisatorischen Verschmelzung verbunden ist daneben in allen betroffenen Parteien eine Erweiterung des Interessenspektrums um spezifische Anliegen aus den neuen Ländern. In manchen tagespolitischen Fragen, etwa beim Solidarbeitrag für die neuen Bundesländer, überdecken die spezifischen Interessenlagen in den neuen Bundesländern dabei die jeweiligen parteipolitischen Orientierungen. Als dritte Veränderung ist schließlich zu nennen, dass sich die parteipolitischen Kräfteverhältnisse innerhalb des föderalistischen Systems verschoben haben. Die Partnerschaften, die in der Umbau- bzw. Aufbauphase der Verwaltungen und Parteien in den neuen Bundesländern zwischen einzelnen Landesverbänden der Parteien entstanden sind (z.B. zwischen Sachsen und Bayern oder Brandenburg und Nordrhein-Westfalen), sind mittlerweile auch in die Politikformulierung der jeweiligen Landesregierungen eingeflossen. So hat beispielsweise die bayerische CSU als ausgewiesene Regionalpartei durch die Erhöhung der Zahl der Bundesländer einerseits an politischem Einfluss auf der Bundesebene verloren (z.B. in der Bildungspolitik). Andererseits konnte sie durch das enge Bündnis mit der sächsischen CDU ihren Einflussbereich im föderalistischen System vergrößern (Niclauß: 1995, 83ff.).

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Im Zuge der deutschen Vereinigung wurde aufgrund der damit verbundenen Erweiterung des gesellschaftlichen Interessenspektrums und trotz der jüngsten programmatischen Erneuerungsversuche ein latentes Strukturproblem aller etablierten Parteien zusätzlich verschärft. Sie haben sich in den letzten beiden Jahrzehnten zu Quotenparteien entwickelt (Lösche/Walter: 1992). Damit ist gemeint, dass die Parteien immer weniger durch die historischen Konfliktlinien und sozialen Milieus integriert werden, auf die ihre Entstehung zurückgeht, sondern statt dessen durch ein dichtes Geflecht von Quotierungen (nach allen denkbaren sozialen Kriterien), Ausgleichsregelungen und Nischenbildungen zusammengehalten werden. Diese Interessenvielfalt, die in den Parteien ausgeglichen werden muss, wird durch die Zunahme der Lebensstile noch unübersichtlicher. Während Interessenkonflikte in früheren Entwicklungsphasen der Parteien häufig durch die Verankerung verschiedener Interessengruppen in einem gemeinsamen sozial-moralischen Milieu abgemildert wurden, verstärkt gegenwärtig die Differenz unterschiedlicher Lebensstil-Milieus die sozio-ökonomischen Interessenkonflikte zwischen ihnen eher noch.

V. Entflechtung und Arbeitsteilung zwischen Parteien, Verbänden und gesellschaftlichen Initiativen Die verschiedenen Reformansätze, welche die nachlassende Ausgleichsfähigkeit einzelner (Groß-)Parteien und des Parteiensystems insgesamt thematisieren, haben als gemeinsamen Kern die Forderung nach einer Entflechtung der Aktivitäten von Parteien, Verbänden und gesellschaftlichen Initiativen (v. Weizsäcker: 1992; Bundespräsidialamt: 1994). Durch eine intensivierte Arbeitsteilung zwischen den unterschiedlichen Typen gesellschaftlich-politischer Institutionen sollen Ämterüberschneidungen und -häufungen eingeschränkt und Entscheidungsprozesse entflochten werden. Ähnlich wie bei dem Vorschlag der selbstauferlegten Beschränkung der Parteiaufgaben besteht dabei das strukturelle Problem, dass keine Sanktionsmöglichkeiten für Regelverstöße benannt werden und die Unterscheidung zwischen notwendiger organisationsüberschreitender Kooperation und regelwidriger Interessenverflechtung im Einzelfall häufig sehr schwierig ist.

1. Das Verhältnis von Verbänden und Parteien Die Bundesrepublik Deutschland verfügt über ein dicht geknüpftes Netz von wirtschaftlichen Interessenverbänden (Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften, Dachverbände der Kammern), Standesorganisationen (Berufs- und Branchenverbände, Kammern der freien Berufe, Wissenschaftsverbände und -Dachorganisationen), Sozialverbänden, kirchlichen Organisationen und eine Vielzahl weiterer Interessenverbände, wie z.B. kommunale Spitzenverbände, Verbraucherverbände oder Verkehrsclubs. Durch Art. 9 Abs. 1 GG sind diese Vereinigungen grundsätzlich verfassungsrechtlich geschützt und werden, z.B. bei der steuerlichen Absetzbarkeit von Mitgliedsbeiträgen, vom Gesetzgeber auch materiell begünstigt. Die Verbände, die teilweise organisatorisch und personell miteinander verflochten sind, nehmen neben direkten Dienstleistungen für ihre institutionellen oder individuellen Mitglieder vor allem Lobby-Aufgaben im parlamentarischen

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System wahr (Lehmbruch: 1976; 1983). Bei Anhörungen von Parlamentsausschüssen und -fraktionen oder in Ministerien, durch Gespräche mit Abgeordneten oder Regierungsmitgliedern sowie durch öffentlichkeitswirksame Aktionen - von Pressemitteilungen bis hin zu Demonstrationen - sind die Verbände an der Vorbereitung parlamentarischer Entscheidungen wesentlich beteiligt (-> § 25, II. u. III.). Zusätzlich zu der direkten Einbindung in den parlamentarischen Politikvorbereitungs- und Entscheidungsprozess sind die Verbände durch personelle und inhaltlich-programmatische Überschneidungen an der Bündelung politischer Interessen in den Parteien beteiligt. Beispielsweise bestehen zwischen der sozialdemokratischen Partei und den DGB-Gewerkschaften einerseits oder den Unionsparteien bzw. der FDP sowie den Arbeitgeberverbänden und Dachverbänden der Kammern andererseits zahlreiche Schnittbereiche. Entflechtungsforderungen zielen in diesem Zusammenhang dahin, dass die Entscheidungsprozesse von Verbänden und Parteien stärker organisatorisch und personell getrennt werden. 2. Das Verhältnis von gesellschaftlichen Initiativen und Parteien Ähnliche organisatorische und personelle Verflechtungen, wie sie zwischen sozial-, frei-, und christdemokratischen Parteien sowie den großen Wirtschaftsverbänden und Kirchen bestehen, sind zwischen der Partei Bündnis 90/die Grünen und den neuen sozialen Bewegungen (vor allem Friedens-, Ökologie- und neuere Frauenbewegung) zu verzeichnen. Da die grüne Partei, sowohl in den alten als auch in den neuen Bundesländern, aus einer Vielzahl sozialer, ökologischer und kultureller Initiativen heraus entstanden ist, spiegeln sich ihre unterschiedlichen nicht immer miteinander zu vereinbarenden - Interessen in der Parteiprogrammatik wider. Auch für das ökologisch ausgerichtete Spektrum des Parteien- und Verbändesystems gilt, dass die Mitgliederzahl der großen Verbände (Greenpeace, BUND etc.) diejenige der grünen Partei bei weitem übersteigt. Auch was das Verhältnis zwischen Initiativen und Partei(en) angeht, sind seit einigen Jahren Entkopplungstendenzen zu verzeichnen. Ein erster Aspekt dieser Entkopplung besteht darin, dass die grüne Partei aufgrund der allmählichen Integration in das Parlaments- und Regierungssystem einen Wandel von der Alternativpartei hin zu einer Partei mit stabilen Organisationsstrukturen durchläuft. Ihre Programmatik hat sie schrittweise derjenigen der etablierten Parlaments- und Regierungsparteien angenähert. Ein zweiter Aspekt ist darin zu sehen, dass etwa seit Mitte der 80er Jahre auch die etablierten Parteien und Verbände (z.B. die großen Kirchen und Gewerkschaften) begonnen haben, sich gegenüber den neuen sozialen Bewegungen mit ihren spezifischen Themen zu öffnen. Eine Verstärkung hat dieser Trend durch die deutsche Vereinigung erfahren. Anders als in den alten Bundesländern, in denen die grüne Partei zumindest in ihrer Entstehungsphase eine Art Monopolanspruch für die Vertretung der neuen sozialen Bewegungen aufweisen konnte, waren die parteipolitischen Präferenzen der Bürgerrechts-, Ökologie- und Friedensbewegung in den neuen Bundesländern (-» i.E. § 24) von Beginn an zwischen den Christ- und sozialdemokratischen Parteien sowie der Sammelinitiative Bündnis '90 aufgeteilt. Das einzige verbindende Kriterium in dieser Hinsicht bestand in der gemeinsamen Ablehnung der parteipolitischen Fortsetzung der ehemaligen Staatspartei SED im Rahmen der PDS.

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Die Fusion von Bündnis 90 und der Partei die Grünen zur neuen Partei Bündnis 90/die Grünen, die sich verglichen mit den Vereinigungen von SPD, CDU und FDP überdurchschnittlich zeitintensiv und schwierig gestaltete, hat schließlich den Entkopplungsprozess zwischen den neuen sozialen Bewegungen der alten Länder und der (durch die Fusion personell und programmatisch veränderten) grünen Partei zusätzlich beschleunigt. Die Entwicklung des Verhältnisses von Parteien und Initiativen entspricht damit bereits in Teilbereichen der Forderung nach einer Entflechtung von gesellschaftlichen Interessengruppen und politischen Parteien. Die für das Parteiensystem allgemein dargestellten Entwicklungstendenzen und Reformanforderungen variieren zwischen verschiedenen Parteitypen, in Abhängigkeit von Kriterien wie Mitgliederzahl und -struktur, Finanzkraft, Alter, Regierungsverantwortung, Entstehungsgeschichte, Programmatik sowie regionaler Verankerung. VI. Die Rolle einzelner Parteientypen im parlamentarischen System Für die Typisierung der stark ausdifferenzierten deutschen Parteienlandschaft existiert kein einheitliches Schema. Die Einteilung der Parteien in bestimmte Gruppen fällt, in Abhängigkeit von den jeweiligen wissenschaftlichen Fragestellungen, verschiedenartig aus. In der Literatur zu einzelnen Parteientypen herrschen jedoch die folgenden Unterscheidungen vor (Gabriel/Niedermayer/Stöss: 1997): • Großparteien (CDU und SPD), häufig auch unter der Bezeichnung Volksparteien, • regionale Milieuparteien, vor allem die CSU in Bayern und die PDS in den neuen Bundesländern, • soziale Milieuparteien, insbesondere Bündnis 90/die Grünen mit starken Bezügen zu sozialen Milieus mit alternativen Lebensstilen und die FDP mit ausgeprägten Verbindungen zu bestimmten beruflichen Milieus (freie Berufe, leitende Angestellte, Unternehmer), • links- und rechtsextreme Parteien, welche die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland in Frage stellen, sowie • Ein-Punkt- und Statt-Parteien, die sich mehrheitlich über den Protest gegen die etablierten Parteien und das derzeitige politische Personal definieren. Die allgemeinen Strukturprobleme und Reformanforderungen, mit denen das Parteiensystem insgesamt konfrontiert ist, fallen für diese einzelnen Parteientypen trotz des gemeinsamen rechtlichen Rahmens sehr unterschiedlich aus. 1. Großparteien: allmählicher Wandel von Catch-All-Parties oder Volksparteien zu Quotenparteien Die gleichzeitige tiefgreifende Stärke und Schwäche der traditionellen, mitgliederstarken Großparteien SPD und CDU besteht darin, dass sie sich im Laufe ihrer historischen Entwicklung sozial-strukturell mehr und mehr von ihren ursprünglichen sozialen Milieus (Arbeiterbewegung, konfessionelle Vereinigungen) entfernt und sich gegenüber anderen Milieus geöffnet haben (Mintzel: 1984;

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Wildenmann: 1989). Diese Entwicklung, die mit der Etablierung des parlamentarischen Systems in der Bundesrepublik Deutschland zusammenfiel, wurde in der Parteien-Literatur sowohl mit positiven (Volksparteien als Parteien für das gesamte Volk) als auch mit negativen (Catch-All-Parties bzw. Allerweltsparteien mit beliebiger Mitgliederauswahl) Konnotationen belegt (Kirchheimer: 1965; als Zusammenfuhrung älterer Konzepte aus der Weimarer Republik). Der Vorteil dieser Weiterentwicklung für die Großparteien bestand darin, dass ihre politische Akzeptanz in der Bevölkerung, ihre Wählbarkeit sowie Mobilisierungs- und Koalitionsfähigkeit erheblich gestiegen sind. Im Fall der CDU ist darüber hinaus mit dieser Entwicklung der Wandel von der traditionellen "Honoratioren-Partei" zur modernen "Mitgliederpartei" verbunden (Schönbohm: 1985). Der Nachteil der Entwicklung der Großparteien hin zu Volks- bzw. Allerweltsparteien lag bzw. liegt darin, dass ihr jeweiliges politisches Profil durch die damit verbundene sozial-strukturelle und programmatische Annäherung zunehmend aufgeweicht wurde. Die Möglichkeit zur Wahl zwischen deutlich unterscheidbaren Alternativen, die eine wesentliche Säule der politischen Akzeptanz des parlamentarischen Systems durch das Volk bildet, ist somit vermindert worden. Die jüngste Entwicklungsstufe der Großparteien hin zu Quotenparteien mit flexibelisierten Mitgliedschaftsrollen löst dieses strukturelle Problem nur bedingt. Das Modell der Quortenpartei begünstigt zwar eine stärkere Berücksichtigung der spezifischen Interessenlagen einzelner Ziel- und Mitgliedergruppen und damit eine höhere Mobilisierungsfähigkeit der Großparteien. Es erschwert demgegenüber jedoch die programmatische Profilbildung für die Parteien als Ganzes noch über das in der Volksparteienphase übliche Maß hinaus. In den neuen Bundesländern werden die Nachteile des Quotenmodells für die Großparteien (der alten Bundesländer) besonders deutlich. Da ihre traditionellen sozialdemokratischen und konfessionellen Milieus während der Ära der DDR weitgehend aufgelöst wurden, bestehen keine stabilen Mitglieder- und Wählerstämme von nennenswertem Umfang. Bei Wahlen sind die regionalen Gliederungen der Parteien daher fast ausschließlich auf medial vermittelte Mobilisierungsformen angewiesen, was eine strukturelle, finanzielle und personelle Abhängigkeit von den Bundesorganisationen mit sich bringt. Auch die Aufstellung einer ausreichenden Anzahl von Kandidaten für Abgeordnetenfunktionen ist selbst den Großparteien regelmäßig nicht aus eigener Kraft heraus möglich. Ohne parteilose Kandidaten, deren programmatische Bindung an die Parteien naturgemäß weniger eng ist als diejenigen von Parteimitgliedern, könnte eine mehr oder weniger geordnete parlamentarische Arbeit nicht aufrecht erhalten werden. Schließlich versuchen (vor allem exponierte) Parteienrepräsentanten, wie die „CDU-SpendenafFäre" der Jahre 1999/2000 gezeigt hat, die nachlassende Unterstützungsfunktion traditioneller sozialer Milieus durch informelle persönliche Organisations- und Finanzierungsnetzwerke zu ersetzen.

2. Bündnis 90/die Grünen und FDP: Dritte und vierte Kraft im Parteiensystem und Milieuparteien der alten Bundesländer Im Gegensatz zu den klassischen Groß- oder Volksparteien SPD und CDU repräsentieren die kleineren, im parlamentarischen System etablierten, Parteien FDP und Bündnis 90/die Grünen traditionell begrenzte soziale Milieus, vor allem aus

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den Bereichen der alten bzw. neuen sozio-ökonomischen Mittelschichten (Dittberner: 1987; Raschke: 1993). Dies gilt fast ausschließlich für die alten Bundesländer. In den neuen Ländern weist keine der beiden Parteien eine Verankerung in sozialen Milieus auf, die eine kontinuierliche parlamentarische Repräsentation unterstützen könnte. Die spezifische Bedeutung der Milieuparteien der alten Bundesländer für das parlamentarische System, für welche die 5%-Quote bei Wahlen ein zumindest latentes Dauerproblem darstellt, beruht vor allem auf zwei Aspekten: • Für die beiden Großparteien sind die dritte und vierte Kraft im Parteiensystem als parlamentarische Koalitionspartner insofern unentbehrlich, als große Koalitionen das strukturelle Problem der eigenständigen programmatischen Profilierung für CDU und SPD zusätzlich verschärfen; die daraus resultierende Regierungsbeteiligung ermöglicht es den Milieuparteien überhaupt erst, in ausreichendem Maße Ressourcen und politische Gestaltungsmöglichkeiten für die Mobilisierung ihrer Mitglieder und Wähler zu erhalten; • die Milieuparteien fungieren gleichermaßen als die parlamentarischen Vertretungen politisch überdurchschnittlich interessierter und aktiver Gesellschaftsschichten, obgleich sich die Wähler und Mitglieder der FDP mehrheitlich eher dem mitte-rechten politischen Lager und die Mitglieder und Wähler von Bündnis 90/die Grünen überwiegend eher dem mitte-linken politischen Lager zurechnen. Die aktuelle Grundsatzproblematik der beiden Milieuparteien der alten Bundesländer besteht darin, dass ihre traditionell begrenzten sozialen Milieus mehr und mehr an Bedeutung verlieren. Während sich diese Entwicklung für Bündnis 90/die Grünen besonders deutlich in Form des Verlustes der besonderen politischen Attraktivität für jüngere Altersgruppen äußert, erweist es sich für die FDP als immer schwieriger, Mitglieder bzw. Wähler mit besonderen wirtschaftspolitischen Interessen und solche mit eher innen- oder rechtspolitischen Anliegen gleichermaßen an sich zu binden (Rascke: 1993; Dittberner 1999).

3. Die PDS als regionale und soziale Milieupartei der neuen Bundesländer Trotz ihrer breiter angelegten und eindeutig am linken Rand des parlamentarischen parteipolitischen Spektrums angesiedelten inhaltlichen Programmatik fungiert die im Jahr 1990 umbenannte SED-Nachfolgepartei PDS de facto als politische Vertretung für besondere Regionalinteressen der neuen Bundesländer (Bortfeldt: 1992; Moreau: 1994). Die nach wie vor bestehende Diskrepanz zwischen dem sozio-ökonomischen Lebensstandard der Bevölkerung in den neuen und alten Bundesländern garantiert mittelfristig den Bestand der SED-Nachfolgepartei. Die PDS ähnelt damit in gewisser Weise der bayerischen CSU insofern, als eher abstrakte programmatische Anliegen und konkrete regionale Detailinteressen in der parlamentarischen Arbeit eng verflochten werden. Ihr Charakter als Milieupartei zeigt sich nicht nur bei Kommunal- und Landtags-, sondern auch bei Bundestagswahlen. Die parlamentarische Vertretung der PDS auf Bundesebene hängt von einigen wenigen Direktmandaten in den Metropolen (vor allem im ehemaligen Ostberlin) der neuen Bundesländer ab. Die besondere Binnenproblematik der PDS liegt darin, dass ihre Programmatik, Organisationsstruktur und Mitgliederzusammensetzung weitaus fragiler sind, als

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es anhand der bisherigen relativ stabilen Wählermobilisierung in den neuen Bundesländern deutlich wird. Die Organisationsrealität der PDS hat mit der homogenen sozialen und programmatischen Struktur ihrer Vorgängerinstitution, der ehemaligen Staatspartei SED, nur noch wenig gemeinsam. Die vielfältigen sozialen Kleinmilieus, in die mittlerweile die Mitgliedschaft der PDS zerfällt, werden programmatisch lediglich durch eine mehr oder weniger fundamentale Kritik an der westlich-kapitalistischen Wirtschaftsweise zusammengehalten. Diese lose programmatische Klammer findet ihre Entsprechung in der Mitgliederzusammensetzung. Ein - verglichen mit der Bevölkerungsstruktur in den neuen Bundesländern - stark überalterter Mitgliederkem, der bereits in der SED aktiv war, steht einer Minderheit von jüngeren Mitgliedern mit biographischen Wurzeln in den verschiedenen neuen sozialen Bewegungen gegenüber.

4. Extreme Parteien: Zwischen punktuellen, spektakulären Erfolgen und konstanter Bedeutungslosigkeit Rechts- oder linksextreme politische Parteien, welche die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland mehr oder weniger offen ablehnen, sind in der bisherigen Geschichte des parlamentarischen Systems Randerscheinungen geblieben (Backes/Jesse: 3 1993; Falter: 1994). Während linksextreme Parteien - vor allem die KPD-Nachfolgepartei DKP nach ihrer Neugründung im Jahr 1968 - lediglich auf kommunaler Ebene punktuell mit dem parlamentarischen System in Berührung gekommen sind, waren verschiedenen rechtsextremen Parteien (NPD, Republikaner, DVU) darüber hinaus zu unterschiedlichen Zeiten in einzelnen Landesparlamenten vertreten. Die rechtsextremen Parlamentarier blieben jedoch in den Parlamenten in der Regel politisch isoliert und überdauerten in den wenigsten Fällen mehr als eine Legislaturperiode. Mit der deutschen Vereinigung hat dieses Phänomen auch die neuen Bundesländer erreicht. Dabei konnten rechtsextreme Parteien, die kaum über Mitglieder in den neuen Ländern verfügen, bei einigen Kommunal- und Landtagswahlen aufgrund eines aufwendigen Medien-Wahlkampfes spektakuläre punktuelle Erfolge erzielen. Diese punktuellen Erfolge waren jedoch nicht mit dauerhaften politischen Gestaltungsmöglichkeiten verbunden. Dem bereits erwähnten NPD-Verbotsantrag eines oder mehrerer Verfassungsorgane beim Bundesverfassungsgericht liegt die Befürchtung von Verfassungsschutzbehörden zugrunde, dass die NPD willens und in der Lage ist, langfristig stabile Organisations- und Mitgliederstrukturen aufzubauen, welche die freiheitliche demokratische Grundordnung bedrohen könnten.Als bedenklicher für die zukünftige Entwicklung des parlamentarischen Systems als vereinzelte spektakuläre Erfolge extremer Parteien erscheinen derzeit die steigenden Nichtwähleranteile, vor allem in großstädtischen sozial-räumlichen Problemzonen. Diesen liegen ähnliche Faktoren wie der Wahl extremer Parteien zugrunde: die Kumulation ökonomischer, sozialer und kultureller Probleme, eine zunehmende Unterversorgung mit öffentlichen Dienstleistungen sowie wachsende Kriminalitätsprobleme (Hennig/Homburg/Lohde-Reiff: 1999).

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5. Ein-Punkt- und Statt-Parteien: Protest als Programm Neben steigenden Nichtwähleranteilen und punktuellen, spektakulären Erfolgen extremer Parteien ist seit einigen Jahren auch die wachsende Anzahl von EinPunkt- (z.B. diverse Parteien für Autofahrer) und Statt-Parteien ein Indikator für die nachlassende politische Bindungsfähigkeit der etablierten parlamentarischen Parteien (Hennig: 1997). Der Erfolg solcher neuartiger politischer Gruppierungen besteht überwiegend darin, dass sie - kurzzeitig und bisher nur auf kommunaler Ebene - die weit verbreitete Kritik an dem bestehenden parlamentarischen Parteiensystem zum Programm erheben und auf diese Weise Protestwähler bündeln. Der in aller Regel kurzfristige Erfolg der Protestparteien hängt mit der besonderen öffentlichen Wahrnehmung der politischen Parteien insgesamt zusammen. Parteipolitische Aktivitäten werden, trotz oder gerade wegen der weit verbreiteten Parteienkritik, mit einer gesteigerten medialen Aufmerksamkeit bedacht. Sie eignen sich daher in besonderer Weise zur Förderung der Publizität verschiedenster gesellschaftlicher Anliegen. Die fragilen organisatorischen und personellen Kapazitäten der Ein-Punkt- und Statt-Parteien, die anders als einige rechtsextreme Parteien nicht über längerfristige Finanzierungsmöglichkeiten und einen entsprechenden Mitglieder- und Mitarbeiterapparat verfügen, sprechen derzeit gegen eine längerfristige Etablierung dieses Parteientyps. Hinzu kommt, dass die fehlende politische Programmatik einer systematischen Interessenbündelung und -artikulation entgegensteht.

VII. Ausblick: Politische Parteien und parlamentarisches System Parteienstaat, Parteiensystem oder Parteiendemokratie? Öffentliche Kritik an einzelnen Parteien und ihren Vertretern, die notwendiger Bestandteil des parlamentarischen Systems ist, wird gegenwärtig verstärkt hin zu einer generellen Kritik des (parlamentarischen) Parteiensystems ausgeweitet. Der mittlerweile in der öffentlichen Diskussion eindeutig negativ besetzte Begriff Parteienstaat fasst dabei unterschiedliche Aspekte zusammen: Die fehlende Selbstbeschränkung der Parteien gegenüber gesellschaftlichen Bereichen wie den Medien oder der Justiz, den starken Einfluss der Parteien im öffentlichen Dienst und die vergleichsweise gut ausgebaute staatliche Parteienfmanzierung. Diese generelle Parteienkritik kann in eine mehr oder weniger offene und weit verbreitete Ablehnung des gesamten parlamentarischen Systems umschlagen. Die Alternative dazu besteht darin, dass es den etablierten Parteien in nächster Zukunft gelingt, strukturelle Reformen einzuleiten bzw. bereits existierende Reformkonzepte konsequent umzusetzen. Die aktuellen Reformvorschläge und -konzepte, die in diesem Zusammenhang erörtert und in Ansätzen bereits in die alltägliche Parteiarbeit umgesetzt werden (Becker: 1999), sind in unterschiedlichem Maße mit den bestehenden organisatorischen Gegebenheiten der modernen Parteien vereinbar. Allgemein gehaltene Empfehlungen, wie die selbstauferlegte Beschränkung der Parteiaufgaben (Bundespräsidialamt: 1994, S. 117) oder die Stärkung des Ehrenamtes gegenüber professioneller politischer Betätigung, sind mit der Ausübung grundlegender Parteienfunktionen in einer modernen medienvermittelten Demokratie kaum vereinbar. Gerade auch die kleineren Parteien sind, um wirksam unterschiedliche gesell-

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schaftliche Interessen bündeln und öffentlich artikulieren zu können, auf vielfältige Kontakte und Verflechtungen mit Verbänden und Initiativen angewiesen. Die Gewinnung und Verarbeitung der häufig sehr komplexen Informationen, die bei diesen Kommunikationsbeziehungen eine wesentliche Rolle spielen, kann angesichts der damit verbundenen fachlichen und technischen Anforderungen ohne professionelles Personal nicht mehr geleistet werden. Erfolgversprechender erscheinen angesichts dieser organisatorischen Gegebenheiten Reformkonzepte, welche die Bedingungen der Parteiarbeit in einer Medien-Demokratie {-> § 27, IV.) mit ins Kalkül ziehen. Beispielsweise haben sich die Experimente verschiedener Parteien mit der direkten Beteiligung von Wählern oder Parteimitgliedern - etwa in Form der Urwahl exponierter Führungspositionen oder von Urabstimmungen zu zentralen politischen Fragen - immer dann als besonders erfolgreich erwiesen, wenn Massenmedien in die entsprechenden Kampagnen einbezogen werden konnten. Daneben bieten, wenn auch wesentlich unspektakulärer, die Flexibilisierung von Mitgliedschaftsrollen und der Ausbau zeitlich und inhaltlich begrenzter Projekte den Parteien die Möglichkeit, den ausdifferenzierten Lebensstilen vielfältiger (potentieller) Mitgliedergruppen stärker als bisher zu entsprechen. Dies gilt vor allem für die Großparteien, die ihre Mobilisierungsarbeit in sehr unterschiedlichen sozialen Milieus durchfuhren. In regionaler Hinsicht sind hier schließlich die neuen Bundesländer von besonderer Bedeutung, da dort - mit Ausnahme der PDS - keine Partei über stabile Verbindungen zu speziellen sozialen Milieus verfügt. Eine strukturelle Erneuerung des Parteiensystems im Spannungsfeld von repräsentativer und direkter Demokratie wird angesichts der bisherigen Erfahrungen mit neueren Reformansätzen nur gelingen, wenn langfristig funktionsfähige Mischformen zwischen breiter, medial vermittelter politischer Minimalbeteiligung (Information, Abstimmung über einzelne Fragen und Personen) und intensiven Phasen mit lebensstilbezogenen persönlichen Kontakten entwickelt werden können. Derartige neue Formen der Parteiarbeit, die teilweise bereits an den Schnittstellen zwischen Parteien und gesellschaftlichen Verbänden sowie Initiativen realisiert werden, könnten zur Stärkung einer demokratisch-pluralistischen Parteiendemokratie gegenüber einem weitgehend erstarrten Parteienstaat beitragen. Das Dilemma für die Parteien bei der Gestaltung dieser Reformanforderungen besteht darin, dass intensive öffentliche Debatten notwendig sind, die in der medial vermittelten Öffentlichkeit häufig als mangelnde inhaltliche Geschlossenheit wahrgenommen werden. Nichtsdestotrotz sind diese strukturellen Reformdebatten notwendig, um die unbestreitbaren historischen Verdienste der demokratischen Parteien nicht zu gefährden. Für interessierte Bürger bieten die politischen Parteien trotz - oder auch gerade wegen - der derzeitigen tiefgreifenden Reformdiskussionen auch im 21. Jhd. lohnenswerte Möglichkeiten für politisches Engagement, da keine andere politische Organisationsform vergleichbar vielfaltige und verantwortungsvolle Betätigungsmöglichkeiten eröffnet.

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§ 24 Bürgerbewegungen und Parlament Wolfgang Ulimann 1. Bürgerbewegungen: Begriff und Struktur - II. Politische, parlamentarische und verfassungsrechtliche Praxis der Bürgerbewegungen Grundlagenliteratur: Arendt, Hannah (dt. 1955): Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Frankfurt/M. Böckenförde, Ernst Wolfgang (1991): Staat, Verfassung, Demokratie. Frankfurt/M. Dutschke, Rudi (1981): Mein langer Marsch. Hamburg Guggenberger, Bernd (1984): „Die neue Macht der Minderheit". In: Ders./Offe, Claus (Hg.): An den Grenzen der Mehrheitsdemokratie. Opladen, S. 207ff. Guggenberger, Bernd / Preuß, Ulrich K. / Ulimann, Wolfgang (1991): Eine Verfassung für Deutschland. München Hintze, Otto (1911/1962): „Weltgeschichtliche Bedingungen der Repräsentativverfassung". In: Ders., Staat und Verfassung. Göttingen, S. 117ff. Langer, Jaroslav (1988): Grenzen der Herrschaft. Opladen Preuß, Ulrich K. (1990): „Staatstheorie und Risikobegriff'. In: Schäffer, Roland (Hg.): Ist die technisch-wissenschaftliche Zukunft demokratisch beherrschbar?. Bonn, S. 107ff. Thaysen, Uwe (1990): Der Runde Tisch oder: Wo blieb das Volk?. Opladen Ulimann, Wolfgang (1992): Verfassung und Parlament. Berlin Wasmuth, Ulrike (1989) (Hg.): Alternativen zur alten Politik. Darmstadt

I. Bürgerbewegungen: Begriff und Struktur 1. Grenzen der Repräsentation Das Parlament ist die Mutter der Parteien. Woher aber kommen die Bürgerbewegungen? An wen wenden sie sich, und welchen Zielen streben sie zu? Die parlamentarische Debatte vollzog sich niemals nur zwischen Regierung und Opposition. Seit den englischen Anfängen des Parlamentarismus gibt's es Whigs und Tories, Fraktionen, die unterschiedliche politische Positionen gegenüber der Regierung und gegeneinander vertreten. Die Dynamisierung der Gesellschaft nach 1789 führte zwangsläufig dazu, dass die innerparlamentarischen Fraktionen Brückenköpfe der außerhalb des Parlaments um die staatliche Macht ringenden liberalen, konservativen und revolutionären Parteien wurden. Bürgerbewegungen dagegen entstehen schon in der Gesellschaft und agieren auch dort. Was liegt näher, als ihr Wesen von dieser Genetik her, und das heißt zunächst, negativ zu bestimmen als außerparlamentarisches und unparlamentarisches Signal von Betroffenen, von Bürger- und Bürgerinneninteressen, die von Parlamenten und Parteien nicht angemessen beachtet und politisch zum Zuge gebracht worden sind. Was liegt im Rahmen einer solchen Sichtweise näher, als das politologische Thema der Bürgerbewegungen abzuhandeln als die Frage nach

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dem Umgang mit Minderheiten im System der von der Mehrheit beherrschten repräsentativen Demokratie? Dagegen ist gewiss nichts einzuwenden, wenn nur eines von vornherein klargestellt ist: Die Bürgerbewegungen sind nicht richtig verstanden, wenn man in ihnen lediglich ein Mangel- oder Krisensymptom innerhalb des Systems der repräsentativen bzw. der Mehrheitsdemokratie sieht. Es kommt vielmehr darauf an klarzustellen: Die Bürgerbewegungen sind ein Anzeichen dafür, dass in unserer Gesellschaft Bereiche sich politisch zu artikulieren beginnen, die jenseits der Organisationsmöglichkeiten der Repräsentation liegen. Historisch tritt dies in der hier behaupteten politischen Tragweite erstmals in den Soldaten- und Arbeiterräten in der Schlussphase des ersten Weltkrieges in Erscheinung. Man darf sich nicht täuschen lassen: Die Tatsache, dass die kommunistischen Parteien in Russland und Deutschland die Soldaten- und Arbeiterräte als Vehikel ihrer Machtergreifung zu benutzen suchten und sie schließlich auch nutzen konnten, bedeutet keineswegs, dass die Entstehung dieser Räte interpretierbar wäre im Sinne der marxistischen Klassenkampftheorie. Schon die Tatsache, dass sie nicht allein aus Vertretern der Arbeiterklasse bestanden, sondern ohne die Initiative der Soldaten gar nicht erst zustande gekommen wären, zeigt an, dass es sich hier um etwas ganz anderes handelt als um Institutionen der Klassenrepräsentation. Die Soldaten- und Arbeiterräte waren vielmehr die politisch wirksame Selbstorganisation einer aus dem bisherigen sozio-politischen Kontext dissoziierten Gruppe. Es ging dabei ganz gewiss nicht um „menschenrechtliche Emphatik" (Böckenförde: 1991), sondern darum, dass für die betroffenen Soldaten und Arbeiter die bisherigen Fronten jeden Sinn verloren hatten. Ihre gesellschaftliche und persönliche Situation hatte sehr viel mehr mit den Soldaten und Arbeitern auf der anderen Seite der Fronten gemeinsam als mit der der gegeneinander kämpfenden nationalen Mächte - eine Einebnung traditioneller Fronten, die von den mittlerweile erreichten Dimensionen der Materialschlacht selbst bewirkt war. Ganz ähnlich die Ökologie-, Friedens- und Menschenrechtsinitiativen seit dem Ende der 60er Jahre. In jedem Fall ist es eine lokal und temporal identifizierbare Dissoziation gegenüber einem bis dahin fraglos wirksamen Kontext und Konsens, der zur gesellschaftlichen Selbstorganisation führt, jenseits von und ungeachtet parlamentarischer Mehrheiten und Minderheiten. Beide Grundbegriffe der repräsentativen und parlamentarischen Demokratie werden durch die Bürgerbewegungen auch deswegen relativiert, weil diese, oft zahlenmäßig äußerst geringfügig, eine öffentliche Resonanz erzielen, die in keiner Proportion zu dieser Geringfügigkeit steht. Dieses Phänomen der proportionslosen Resonanz dokumentiert denn auch, dass Bürgerbewegungen etwas anderes sind als lediglich Wortmeldungen einer nichtrepräsentierten Minderheit. Sie sind Selbstorganisation des im Gefüge einer funktionierenden Repräsentationsganzheit nicht Repräsentierbaren, von etwas, das nicht etwa wegen politischer Gegnerschaft nicht repräsentiert werden kann, sondern einfach weil es jenseits der Grenzen dieser Ganzheit liegt. Ist es doch Konsens der Historiker, dass das Repräsentativsystem unserer parlamentarischen Tradition (-> § 1, III., IV.) das Ergebnis einer Entwicklung von Körperschaftsstrukturen und Körperschaftsrechten ist, wie sie nur unter christlichen Voraussetzungen möglich war. Bedurfte es dafür doch als wichtigster Voraussetzung der Autonomie, die die Kirche als Körperschaft seit dem 11. Jhd. für

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sich durchsetzen konnte, aber nicht ohne damit ein Paradigma zu liefern für zahlreiche andere Körperschaften, die in ihrem Umkreis und oft gegen sie entstanden. Gemeinsam war all diesen Körperschaften, dass sie selbst gegen andere ihresgleichen Selbständigkeit in Anspruch nahmen, nicht mehr bereit waren, sich einer kosmischen Organologie einzugliedern, dennoch aber in sich selbst eine TeilGanzes-Struktur ausbildeten, in der sehr wohl ein Teil das Ganze repräsentieren konnte. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, eine weit verbreitete Gemeinüberzeugung der Demokratietheorie zu korrigieren. Seit C. Schmitts Verfassungslehre von 1929 hat man sich angewöhnt, Repräsentation als Gegenbegriff gegen Identität zu verwenden. Bürgerbewegungen kämen dann in der Rolle des rechtsstaatlich nicht unbedenklichen Versuchs zu stehen, Repräsentation durch die Identität von Regierenden und Regierten ersetzen zu wollen. Die Unrichtigkeit dieser Annahme kann am Begriff der Identität verdeutlicht werden. Versteht man Identität im Rahmen der logischen Zuordnung von Allgemeinem und Besonderem, dann repräsentiert jedes unter den Allgemeinbegriff fallende Besondere dieses Allgemeine. Versteht man Identität ontologisch im Sinne der Idee, dann wird diese von allem durch die an ihr Partizipierendem repräsentiert. Von etwas ganz anderem geht die politische Repräsentation (-> § 4, IV.) aus. Sie hat notwendigerweise zum Inhalt einen Vorgang der Autoritätstranslation samt einer darin implizierten Delegation von Rechten. Sie setzt also ganz besondere Verfahrensstrukturen voraus, die solche Translationen und Delegationen aller erst ermöglichen. Abermals ist es das Körperschaftsrecht der Kirche, welches hier paradigmatisch wirksam geworden ist und darum noch heute die institutionellen und strukturellen Sachverhalte am instruktivsten klarzustellen vermag. Zu korrigieren ist dabei die in der Literatur immer wieder nachgesprochene Meinung, der bei Tertullianus, De ieiunio 13 erstmalig auftretende Terminus „repraesentatio" sei zugleich die älteste Dokumentation einer Art von Repräsentativverfassung (Hintze: 1911/1962, S. 145): Tertullianus spricht an dieser Stelle aber lediglich vom gemeinsamen Handeln verschiedener griechischer Synoden, in denen sich das Wesen christlichen Lebens (totum nomen Christianum) durch Vereinigung und gemeinsamen Handlungsvollzug manifestiert habe. Um etwas ganz anderes aber handelt es sich bei dem Versuch des Konziliarismus nach 1415, der lateinischen Kirche eine Repräsentativverfassung zu geben, indem die oberste Autorität der Kirche an das Konzil übertragen wurde, welches laut Dekret vom 20. 3. 1415 die ganze Kirche repräsentierte. Dieser Versuch ist gescheitert. Die oberste Autorität der lateinischen Kirche war seit 1100 notorisch die des Papstes in Rom, und sie erwies sich als nicht transferierbar, so dass noch das 1. und 2. Vatikanische Konzil in ihren dogmatischen Aussagen über die Kirche vom nichtrepräsentativen Charakter des Petrusamtes als einer unmittelbaren, unwiderruflichen und unübertragbaren Institution Christi ausgegangen sind. Das Gegenbeispiel der Französischen Revolution (—> §§ 1,4) drängt sich unmittelbar auf. Hier gelingt die Übertragung von Souveränität und höchster Autorität vom Königtum auf den Dritten Stand, weil die politische, wirtschaftliche und kulturelle Macht des 3. Standes die Gesellschaft so weit dominierte, dass die Staatsordnung des Ancien Régime ihr weichen musste. Es ist insofern zutreffend, wenn 1789 als das Durchbruchsdatum der klassischen Repräsentatiwerfassung gilt. Denn die Französische Revolution ist es, die - anders als die einzelnen Elemente der Repräsentation im vorrevolutionären Europa - die neue, nationale De-

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mokratie als eine der Grundstruktur und dem Wesen nach repräsentative Verfassung durchgesetzt hat. Hierin unterscheidet sie sich auch grundsätzlich von ihrer Vorgängerin und Mitveranlasserin, der Amerikanischen Revolution 1775-1783, die vielleicht, folgt man Page Smith's Darstellung derselben (Smith: 1976), dann wohl das historisch wirksamste Paradigma für das aufgestellt hat, was wir hier Grenzen der Repräsentation genannt haben. Als der Stamp Act von 1765 (Sondersteuer, die von den Bewohnern der englischen Kolonien in Nordamerika erhoben werden sollte, F. P. Smith: 1976 I., S. 189ff) die Gegensätze der wirtschaftlichen Interessen zwischen Mutterland und Kolonien einmal ans Licht gebracht hatte, begann jene Entwicklung, die von der englischen Politik während des Revolutionskrieges gerade durch deren Erfolge eher intensiviert als bekämpft oder gar besiegt wurde: Die Kolonien waren - auch wenn die konservativen Anhänger der Krone, die sogenannten amerikanischen Tories, das zu bestreiten versuchten - durch Monarchie und Parlament Englands nicht mehr repräsentierbar. So gesehen erscheint es nicht weniger als zufällig, wenn die Präambel der US-Verfassung (abgedruckt bei Franz: 3 1975, S. lOff.) nicht das Prinzip der Repräsentation aufruft, sondern in der verfassunggebenden Gewalt derer, die von sich sagen „Wir das Volk der Vereinigten Staaten", aktuell die Teilung der Staatsgewalten vollzieht. Man muss mehr als ein bloßes Wortspiel in der Tatsache sehen, dass der Satz „Wir sind das Volk" zum Inbegriff der Opposition gegen die Herrschaft einer Partei werden konnte, die unter dem Vorwand, Repräsentantin der Arbeiterklasse zu sein, ein Monopol auf die politische Macht beanspruchte. Die Frage nach dem Verhältnis von Bürgerbewegung und Repräsentatiwerfassung soll weiter unten eigens thematisiert werden. An dieser Stelle beschränken wir uns darauf, unsere Argumentation unter dem Gesichtspunkt der prinzipiellen Grenzen von politischer Repräsentation zusammenzufassen. Nicht Repräsentation oder Identität, Basis oder politischer Überbau stehen sich gegenüber, sondern Repräsentation in traditionellen Institutionen oder Selbstorganisation physisch oder sozial dissoziierter Segmente der Gesellschaft. Dabei darf nicht angenommen werden, solche Dissoziation müsse immer auf nicht delegierbaren Notständen beruhen. Es kann sich ebenso oft um ein irgendwann die politische Herrschaftssphäre tangierendes geschichtliches Anderssein handeln wie das der amerikanischen Kolonien oder der 1968er Studentengeneration, welches Grenzen der Repräsentation sichtbar werden lässt. Die Alternative, die an dieser Stelle auftritt, ist nicht ohne politische Tragweite. Denn entweder wird an einer solchen Grenze ein Ausnahmezustand konstatiert, der eine Begrenzung der Demokratie oder gar ihre Suspension in Diktatur rechtfertigt, oder die Wirklichkeit der Demokratie und damit ihr Begriff werden so erweitert, dass zur Repräsentation jene politische Selbstorganisation tritt, die als Präsentation und Manifestation des bzw. der Nichtrepräsentierten die Repräsentation herausfordern, komplettieren und damit ganz neu legitimieren kann.

2. Der Begriff der Bürgerbewegung Kann diese Ausgangslage der Entstehung von Bürgerbewegungen als gesicherte Erkenntnis gelten, dann muss auch die Definition derselben diesem Faktum

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Rechnung tragen. Die Definition des Begriffes „Bürgerbewegungen" kann nur in zwei Stufen gegeben werden. Auszugehen ist von der Bürgerinitiative, die überall dort im Gebrauch der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (Art. 8 und 9 GG; —» § 5, III.) entsteht, wo das Spiel gesellschaftlicher Kräfte Problemlagen schafft, die im Rahmen vorhandener Verfahren, Institutionen, Repräsentationsgremien nicht regelbar sind. Solche Initiative ist demnach eine zeitlich und lokal begrenzte Aktivität, die von Haus aus durchaus vor- und unpolitisch bleiben kann. Die politische Dimension erreicht sie in dem Maße, wie ihre Thematik und ihr Sachgehalt längerfristige und überlokale Bedeutung und gesamtgesellschaftliche Resonanz gewinnen. Dann vollzieht sich der Schritt von der zeitlich und lokal begrenzten Bürgerinitiative zur Bürgerbewegung als politischer Vereinigung, die durchaus als wählbare Gruppierung im Sinne des Parteiengesetzes an Landtags- und Bundestagswahlen teilnimmt (—> § 23, V. u. VI.). Das schließt ein, dass eine solche politische Vereinigung als Vereinigung von Bürgern und Bürgerinnen dann auch ein so weitgehendes Ziel wie die „solidarische Selbstorganisation der Gesellschaft" (Satzung von Bündnis 90 35 , Präambel) anstreben kann. An dieser letzten Formulierung wird besonders deutlich, dass der Wirkungsbereich von Bürgerbewegungen genau der Schnittbereich von Staat und Gesellschaft und so für deren wechselseitiges Verhältnis besonders belangvoll sein dürfte. Wahrscheinlich liegt hier auch der Grund für jene Schwierigkeiten, die zu den bekannten Kontroversen über die Definition von Bürgerinitiativen in der einschlägigen Literatur gefuhrt haben. Nicht als zufällig kann man es ansehen, wenn schon einer der ersten Definitionsversuche dabei den Begriff der Selbstorganisation der unmittelbar Betroffenen, die ebenso wie ihre Aktionsformen im System der politischen Institutionen nicht vorgesehen sind (Offe: 1972, S. 159), verwendet. Eine weitergehende Analyse empirischen Materials konnte diesen ersten Definitionsaniauf nur bestätigen: „Bürgerinitiativen stellen daher eine bürgerliche Form sachlich, zeitlich und sozial begrenzter kollektiver Selbstorganisationen zur unmittelbaren, öffentlichen Durchsetzung von Partizipation an Entscheidungsprozessen dar" (Langer, R.-P.: 1973, S. 285f.). Der über diese Definitionen ausgetragene Streit betraf im Wesentlichen die Unterscheidung der Bürgerinitiative von einer spontanen Selbsthilfeaktion oder ihre Identifikation mit einer solchen (Thaysen: 1982, S. 20). Weithin übergehen kann man die Frage - obwohl sie einen breiten Raum in der einschlägigen Diskussion einnimmt - danach, ob Bürgerinitiativen bzw. -bewegungen links oder rechts, progressiv oder konservativ, systemkonform oder systemüberwindend wirksam werden. Hier handelt es sich um nichts anderes als darum, ein offenkundig neues Element politischer Willensbildung und -artikulation dem herkömmlichen Organisations- und Bewertungsspektrum zuzuordnen.

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Das Bündnis 90 ist aus dem ZusammenSchluss der DDR-Bürgerbewegungen „Neues Forum", „Initiative Friedens- & Menschenrechte" und „Demokratie Jetzt" hervorgegangen; seit der Bundestagswahl 1990 im Parlament vertreten (dazu Glaeßner: 1991, S. 124ff.; zur geschäftsordnungsrechtlichen Stellung der Gruppen im Deutschen Bundestag: (-» § 9, III.).

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II. Politische, parlamentarische und verfassungsrechtliche Praxis der Bürgerbewegungen 1. Alternative Partei und Bürgerbewegungen als politische Vereinigungen Die Zeit nach 1970 war nicht nur in Deutschland entscheidend dafür, dass Bürgerbewegungen hinauswuchsen über lokale und regionale Initiativen. Aber nicht nur das. Ihre Politisierung erreicht auch darin eine neue Qualität, dass sie sich nicht mehr auf Opposition zu Bestehendem, zu Parteien und Parlamentarismus beschränkten, sondern in der Stiftung eigener handlungsfähiger Organisationen eine neue Form politischer Willensbildung initiierten. Hier liegt die historische Realitätsbasis für den Zusammenhang zwischen den im Club-of-Rome-Bericht bewusst gemachten Grenzen des Wachstums, den ökonomischen Auswirkungen der Ölkrise von 1973 und dem einsetzenden Prozess der Politisierung ökologischer Fragen. Insbesondere beginnt die Wirtschaftskrise der ehemals kommunistischen Länder dadurch akut und manifest zu werden, dass die von einem brutalen Industrieexpansionismus erzeugten Umweltschäden mit den Mitteln der kommunistischen Staatswirtschaft nicht mehr saniert werden konnten, eine Tatsache, auf die durch die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986 noch ein besonders grelles Licht fallen sollte. Nicht minder wichtig aber für den grundsätzlichen und epochalen Charakter der Politisierung von Bürgerbewegungen nach 1970 war, dass sie sich vollzog auf dem Hintergrund des krassen Völkerrechtsbruches, durch den 1968 von den Truppen des Warschauer Paktes der gerade begonnene Demokratisierungsprozess in der Tschechoslowakei unterdrückt wurde. Damit erklärt sich, wieso gerade in Prag als wichtige Vorbilder späterer Bürgerbewegungen der „Klub engagierter Parteiloser" oder die „Charta 77" entstanden oder die an politischer Bedeutung alle anderen überragende Gründung der Solidarnosc in Polen, die im Kern eine parteiunabhängige Gewerkschaft ist und sein will, aber kraft der aktiven Unterstützung durch die Intelligenz den Charakter einer staatsweiten Bürgerbewegung angenommen hatte (Pumberger: 1989; Sawicki: 1989). Da aber auch in den nichtkommunistischen Ländern Westeuropas eine Fülle von mehr oder weniger erfolgreichen Umweltinitiativen von sich reden machten, wurden die Jahre um 1980 auch zu solchen einer Hochkonjunktur der theoretischen Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Bürgerbewegungen in der deutschen Politologie. Thaysen (: 1982) liefert eine detailgesättigte Diskussion aller zu Bürger-, Staats- und Verwaltungsinitiativen einschlägigen Fragen; Guggenberger-Kempf dokumentieren in ihrem Sammelband von 1984 einen repräsentativen Querschnitt der bereits abgelaufenen Debatte über das Verhältnis der Bürgerinitiativen zum Repräsentativsystem. Obwohl die Herausgeber den neuen politischen Bewegungen offen oder gar sympathisierend gegenüberstehen, herrscht in beiden Publikationen die Außenansicht vor, bei Thaysen zusätzlich aus dem wissenschaftlichen Auftrag resultierend - die Optik der Landespolitik, bei Guggenberger-Kempf die Frage nach dem Verhältnis von Mehrheit und Minderheiten im Repräsentativsystem. Um so wichtiger ist es hier, auf die damals entstandene bisher umfassendste theoretische Begründung des Politikansatzes der Bürgerbewegungen durch den tschechischen Mitbegründer des „Klubs engagierter Parteiloser" Jaroslav Langer hinzuweisen (:1988, S. 271 ff.). Auch dort, wo

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man die historische Hauptthese der Abhandlung, die Lehre vom erreichten Ende des Parteien-, des Repräsentativ- und überhaupt jedes hierarchischen Herrschaftssystems nicht zu akzeptieren bereit ist - die von Langer analysierten Phänomene des Akzeptanzverlustes von Partei- und Repräsentativgremien wird man schwerlich als irrelevant beiseiteschieben können. Und dass die in allen politischen Institutionen sich zur Zeit immer noch verstärkende Tendenz zur Hierarchisierung von Herrschaft in einen unüberbrückbaren Gegensatz zum grundlegenden Horizontalismus der Demokratie befindet - das darf nicht länger verharmlost werden (-> s.a. § 23, IV.). Die parlamentstheoretische Bedeutung dieser Entwicklung ist besonders instruktiv an jenen beiden Bürgerbewegungen zu erläutern, die in den letzten Jahren eine besondere Rolle in der deutschen Politik gespielt haben: die Partei Die Grünen dadurch, dass sie die deutsche Parteienlandschaft am nachhaltigsten seit dem Ende des 2. Weltkrieges verändert hat, und die Bürgerbewegungen der DDR, die 1989/1990 als Opposition gegen die SED-Herrschaft die entscheidenden Anstöße dafür gaben, dass der Zusammenbruch der Parteidiktatur in einen Prozess der Demokratisierung und der Selbstorganisation der vorher entmündigten Bürger und Bürgerinnen auslief. Ihre Präsenz in den Parlamenten kann als hinlänglich dafür erachtet werden, dass erste theoretische Schlüsse nicht als voreilige Verallgemeinerungen zurückgewiesen werden können. Das Auftreten der Grünen ist ein historisches Signal gewesen. Zum erstenmal wiederholt sich in diesem Jhd., dass eine Parteineugründung das Spektrum der konservativen, liberalen und sozialdemokratischen Parteien des 19. Jhd.s verlässt und dennoch jene Konstellation sich wiederholt, in der Parteiname und -programm identisch sind. Die Grünen präsentieren sich als diejenige Partei, deren Politik nichts anderes zum Ziel hat als die ökologische Frage ebenso zu thematisieren, wie es mit der sozialen in der 2. Hälfte des vorigen Jhd.s geschah. Dabei ist klar: Auch hier handelt es sich nicht um eine zusätzliche Einzelfrage, sondern genau wie im Fall des Sozialen um eine Dimension von Politik und Gesellschaft überhaupt. Mag es noch so sehr zutreffen, dass Ökologie als umfassende Dimension nicht Spezialinteresse einer einzelnen Partei sein kann - aber diejenigen, welche die strukturändernden Konsequenzen dieser neuen Dimension erkannt haben, werden mit allen denen kooperieren müssen, die, wie es in Abs. 4 der Präambel der Grünen heißt, „eine neue Form der Beteiligung der Bürger und Bürgerinnen und ihrer Initiativen an politischen und parlamentarischen Planungs- und Entscheidungsprozessen" anstreben. Sie müssen es, weil sie erfahren haben, dass Freiheit des Menschen ohne Schutz des Lebens nicht möglich ist (Abs. 7). Genau das aber waren Grundüberzeugungen, die das politische Engagement in den Bürgerbewegungen der DDR-Opposition von Anfang an bestimmten. Als ihre Gruppierungen im Spätsommer 1989 in der politischen Öffentlichkeit erschienen, hatten sie schon eine mehrjährige Vorgeschichte hinter sich, die hier nicht Gegenstand sein kann (hierzu Müller-Enbergs /Schulz / Wielgohs: 1991). Unentbehrlich zu ihrer politologischen und parlamentsrechtlichen Würdigung aber ist die Berücksichtigung des dreifachen Herkunftsmilieus dieser Bewegungen in der früheren DDR: christliche und nichtchristliche Friedens- und Menschenrechtsgruppen, die Ökologiebewegung und schließlich die oppositionellen Strömungen in der SED, die von der letzteren ausgeschlossen und dadurch zur Verselbständigung gezwungen waren. Einen Sonderfall stellen dar die Bewegungen Demokratischer Aufbruch und die Initiative zur Gründung einer sozialdemo-

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kratischen Partei (SDP36), die sich ursprünglich in nichts, weder im Ausgangsmilieu noch in der Programmatik von den anderen Bürgerbewegungen unterschieden - außer in der Entschlossenheit, so schnell wie möglich echte Parteistrukturen im herkömmlichen Sinne zu entwickeln. Im Falle des Demokratischen Aufbruches leitete dieser Kurs einen sofortigen Zerfallsprozess ein. Die Führungsgruppe des Demokratischen Aufbruchs spaltete sich in solche, die sich der Bürgerbewegung Demokratie Jetzt anschlössen oder in die SPD eintraten, während der Rest, zunächst noch unter Beibehaltung des Namens Demokratischer Aufbruch das konservative Bündnis „Allianz für Deutschland" formieren half, um dann später in der CDU aufzugehen. Der höchst signifikante Aufspaltungsprozess des Demokratischen Aufbruchs lehrt besser als alle theoretischen Darlegungen: Die Struktur dieser Bürgerbewegungen war so weit wie möglich durch ihre politischen Ziele und Prioritäten bestimmt. Dass das in solcher Klarheit der Fall war, verdient um so mehr gewürdigt zu werden, als diese Bewegungen noch bis ins Frühjahr 1990 unter Bedingungen handeln mussten, auf welche die fortexistierenden Strukturen des Staatssicherheitsdienstes massiv Einfluss zu nehmen versuchten. Dabei muss man sich klarmachen, dass schon seit der 1. Phase des Helsinkiprozesses ab 1975 die kommunistischen Regime sich verpflichtet hatten, allzu spektakuläre Menschenrechtsverletzungen, wie sie noch in der Ära Ulbricht an der Tagesordnung waren, künftig zu unterlassen. So wurden allmählich verdeckte Agententätigkeit, Subversion und Korruption die gegen die Oppositionsgruppen eingesetzten Hauptwaffen. Und mochte man noch so erfolgreich bei der Anwerbung von prominenten Spitzeln sein, die Demokratisierungsinitiativen der Bürgerbewegungen erwiesen sich als resistent gegen alle Unterwanderungsversuche. Es verhält sich im Ganzen so, wie in dem höchst paradigmatischen Versuch des letzten SED-Generalsekretärs Egon Krenz, angesichts der von den Bürgerbewegungen ergriffenen Initiative zur Einberufung des Runden Tisches diese aufzugreifen und als eine Idee der SED Ende November im „Neuen Deutschland" (ND v. 23. 11. 1989; Glaeßner: 1991, S. 89) zu publizieren.37 Diese nicht zu trübende Zielklarheit war geschuldet jenen besonderen Umständen, in denen politische Bewegung und Handlungsstruktur in eins fallen mussten. Die ursprünglich um 1980 dominierende Friedensfrage musste angesichts der Raketenstationierungen immer auch einen ökologischen Aspekt implizieren. Die Losung „Schwerter zu Pflugscharen" verknüpfte ebenso präzise wie anschaulich Friedensengagement mit dem, was im konziliaren Prozess der Kirchen „Integrität der Schöpfung" genannt wurde: Frieden als Ermöglichung eines menschlichen Umgangs mit der Gesamtwirklichkeit, der diese in Kreativität und Kultur einbezieht. Für die Friedensbewegung hieß das zu thematisieren, wie auf dem Weg der Demokratisierung Spannungen so abgebaut werden können, dass Kommunikation an die Stelle von Konfrontation tritt. In einem Teil der Bürgerbewegungen wurde dieser Vorgang schon 1987 bezeichnet als „Absage an Prinzip und Praxis der Abgrenzung" (Bickhardt: 1988, S. 16ff.). Zum gleichen Ergebnis führt die umgekehrte Sichtweise von der Ökologie zur Politik. Ökologie musste in der DDR das Verfassungsrecht des freien Informati36 Die Sozialdemokratische Partei der DDR (SDP) wurde im Okt. 1989 gegründet, benannte sich 1990 in SPD um und fusionierte mit der SPD der alten Bundesrepublik 37 N D , ehemaliges Staatsorgan der SED

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onsrechtes tangieren, seit die kommunistische Administration Umweltdaten zu Staatsgeheimnissen deklariert hatte. So hatte der erfolgreiche Aufbau von Informationsnetzen durch Ökologie- und Friedensgruppen nervöse Aktivitäten der Staatssicherheit zur Folge und führte im November 1987 sogar wieder zu einem repressiven Zugriff auf die Umweltbibliothek in der Berliner Zionsgemeinde. Nur zu verständlich, nachdem Tschernobyl den bereits eingetretenen Gefährdungsgrad ebenso schlagartig wie katastrophal hatte offenbar werden lassen. Die Menschenrechtsfrage schließlich war weltweit thematisiert, seit Helsinki 1975, und das von den kommunistischen Machthabern als Verteidigungsstrategie gern angewandte Argument von der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten verlor mehr und mehr an Überzeugungskraft. Folglich musste unter solchen Bedingungen jede Initiative gegen manifeste Menschenrechtsverletzungen als Opposition gegen ebenso offenkundige Demokratiedefizite politisch wirksam werden. Einmal mehr ein Druck, der nur die Identifikation von politischer und Handlungsstruktur bewirken konnte.Und auf diese Feststellung kommt es hier an: Die oben aufgestellten Charakteristika der Bürgerbewegung - Selbstorganisation einer lokalisierbaren und abgrenzbaren gesellschaftlichen Bewegung, deren politische Artikulation und Datierung - sie sind in allen drei Fällen mit Händen zu greifen. Die Bürgerbewegungen der früheren DDR wollten nicht eine von ihnen vorausgesetzte Bewegung repräsentieren. Sie waren in jedem Falle diese selbst, als Friedens- wie als Ökologie- oder Menschenrechtsbewegung. Ihre Datiertheit wirkt sich noch aus in ihren Erfolglosigkeiten. Weil sie sich nicht utopisch oder ideologisch, sondern politisch artikulieren wollten und konnten, waren gerade sie es, die im deutschen Vereinigungsprozess die Verfassungsdiskussion initiiert und getragen haben. Und wenn der Verfassungsentwurf des Zentralen Runden Tisches niemals in Kraft gesetzt worden ist oder noch werden wird, dann eben deswegen, weil er genau auf den Zeitraum des Vereinigungsprozesses nach der ersten freien Wahl datiert und konzipiert war. Natürlich war in dem Moment, da die Bürgerbewegungen ab Januar 1990 von der SED an ihrem organisatorischen Aufbau nicht mehr gehindert werden konnten, auch das Startsignal für Strukturdebatten, der Streit über das Bewegung-Bleiben oder Partei-Werden und damit die Gefahr erheblicher Zerreißproben gegeben. Wenn sie trotz ihrer ganz locker und unvollkommen entwickelten Struktur, ihres ständigen Personalnotstandes diesen Zerreißproben nicht erlegen sind, dann deswegen, weil immer neue Konsequenzen ihrer Anfangsinitiativen sie in Bewegung hielten und darum die Strukturdebatte ins zweite Glied verwiesen: die Aufgaben der Beteiligung an 4 Wahlen, parlamentarische Arbeit auf kommunaler, Länder- und Bundesebene und die damit verbundenen wirtschafts-, sozialund rechtspolitischen Herausforderungen. Am ausgiebigsten und leidenschaftlichsten ist diese Kontroverse in den überregionalen Vertretertreffen des Neuen Forums38 ausgetragen worden. Das hatte sicherlich auch den Grund, dass - ähnlich wie im Fall des Demokratischen Aufbruchs - sich auch vom Neuen Forum relativ früh eine Gruppe abspaltete, die auf jeden Fall Partei werden wollte (Neue Forum Partei). Aber diese Separation war nur dem viel intensiveren anderen Bestreben geschuldet, das Neue Forum als die paradigmatische Bürgerbewegung zu organisieren; ein Vorhaben, das angesichts 38

Das „Neue Forum" war die bekannteste Bürgerbewegung der DDR, welche sich 1990 dem Bündnis 90 gemeinsam mit anderen Initiativen anschloß.

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der sechsstelligen Mitgliederzahlen des Herbstes 1989 nur zu begreiflich erschien (dazu auch Glaeßner: 1991, S. 46ff.). So kam es auch im Neuen Forum zu angestrengten Versuchen, die Begriffe „Basisdemokratie" und „Bürgerbewegung" verbindlich und politisch wirksam zu definieren. Nach § 3 seines Statutes arbeitete das Neue Forum auf der Grundlage der Basisdemokratie, deren Wesen darin bestehe, dass Meinungsäußerungen und politische Willensbildung sich in einem demokratischen Prozess von unten nach oben vollziehen. Wie ernst es mit dieser Feststellung gemeint war, zeigt ein als Kommentar zu dieser Statutenbestimmung entworfener Kodex basisdemokratischer Verhaltensweisen, der zu erläutern versucht, wie die eigenständige Artikulation von Interessen, ihre öffentliche Vertretung in Formen demokratischer Meinungsbildung bis hin zu konkreten Handlungsanweisungen zu geschehen hat (Miiller-Enbergs/Schulz/Wielgohs: 1991). Aber auch nach außen sollte deutlich werden, was man unter einer Bürgerbewegung im Gegensatz zu Parteien zu verstehen hat: So etwas wie eine dritte Kraft im Parlament, weder Regierung noch Opposition, Gewissen der Nation, Vorentwurf einer angestrebten solidarischen, multikulturellen Gesellschaft (Müller-Enbergs/Schulz/Wielgohs: 1991, S. 42). Weniger der hochgemute Anspruch, der hier so unverblümt geäußert wird, ist das Auffallende an dieser Formulierung, als die kritiklose und vorbehaltlose Wiederaufnahme des Repräsentationsprinzips, die sich hier vollzieht: Die Bürgerbewegung als Repräsentantin künftiger Gesellschaft. Freilich kann es sich hier nur um die Repräsentation einer imaginären Größe handeln. Und verhält es sich sehr viel anders mit jener postulierten „Dritten Kraft"? Wieso ist sie das, wenn sie doch weder Regierung noch Opposition, aber doch im Parlament sein will, das doch etwas Drittes zwischen Regierung und Opposition nicht kennt?. Mit dem Statut der Grünen teilt das Neue Forum die ungelöste Frage, was denn unter „Basis" und „unten" zu verstehen sei. Auch hier bleibt offen, ob unter beidem die Grundorganisation oder die demokratische Öffentlichkeit zu verstehen seien. Bei „Oben" ist offenbar an so etwas wie Landes- und Bundesebene gedacht - aber wieso ist das ein „Oben"? Und gibt es zur demokratischen Öffentlichkeit überhaupt ein „Oben"? Die Vermutung drängt sich abermals auf, dass diese mit „Unten" und „Oben" hantierende Begrifflichkeit ganz gegen ihre eigenen Intentionen mehr hierarchie- und herrschaftsorientiert ist, als es der angestrebten Sache der partizipatorischen und kommunikativen Demokratie gut tun kann. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der leidenschaftliche Streit um Bürgerbewegung als Gegeninstanz zu Parteien schon in dem Moment überholt war, als eine politische Kooperation auf parlamentarischer Ebene entstand, die sowohl die Grüne Partei - allerdings die der damaligen DDR - wie die Bürgerbewegungen des Bündnis 90 umfasste. Dies ist auch kein Anlass zu der kritischen Feststellung, das entspräche nicht der basisdemokratischen Willensbildung von Unten nach Oben, sondern verfahre genau umgekehrt und wolle durch Entscheidungen oben die Basis unten präjudizieren. Parallel zu der parlamentarischen ergaben sich ganz analoge Kooperationen in Basisgruppen - ein Anlass mehr zur Relativierung jenes Oben und Unten.

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2. Wahlrecht und Wahlpraxis auf kommunaler, territorialer und nationaler Ebene Der Streit, ob an Wahlen (-» § 22) überhaupt teilgenommen werden solle, ist für Bürgerbewegungen unvermeidlich. Er muss - zumal vor landes- oder bundesweiten Wahlen - immer neu gefuhrt werden. Denn wenn es die Grenzen der Repräsentation sind, auf denen die politische Relevanz der Bürgerbewegungen beruht, dann kann es nichts weniger als selbstverständlich sein, dass man sich an einem politischen Meinungs- und Mehrheitsbildungsprozess beteiligt, an dessen Ende zwangsläufig die Etablierung einer bestimmten Mehrheits- und Minderheitsrepräsentation steht. Im Blick auf die Bundestagswahlen 1969 hat beispielsweise Rudi Dutschke schon 1967 die ablehnende Position mit Argumenten begründet, die noch heute die Diskussion der Bürgerbewegungen beherrschen. Da man überzeugt sei, dass durch Wahlen im Verhältnis der Gesellschaft zur Macht- und Herrschaftssphäre sich gar nichts ändern könne, muss die außerparlamentarische Opposition den Wahlkampf nutzen, um gegen ihn Bewusstseinsprozesse zu induzieren, mittels deren die Mobilisierung der gesellschaftlichen Oppositionsbasis erweitert und das den konkurrierenden Parteien abgewonnene Potential nicht in die bestehenden Institutionen, sondern in alternative Clubs und deren Ansätze zur Selbstorganisation eingebracht wird, so dass der Wahlkampf zum weiteren Ausbau einer Subkultur, eines Gegenmilieus dienen könne (Dutschke: 1981, S. 56). Dass man von ähnlichen Voraussetzungen damals auch zu ganz anderen Konsequenzen kommen konnte, zeigt Langer (: 1988, S. 275fF.). Berichtet er doch über Verhandlungen, die im Juli 1968 nur wenige Wochen vor der gewaltsamen Unterdrückung des Prager Frühlings zwischen Vertretern der herrschenden Kommunisten und denen des Clubs engagierter Parteiloser stattgefunden hatten. Langer schildert, wie die Vertreter einer angesichts schwindender gesellschaftlicher Zustimmung verunsicherte Parteiherrschaft einer Bewegung ratlos gegenüberstanden, die trotz massiver öffentlicher Unterstützung nicht nach Macht und fester Organisation strebte, nicht einmal genaueres über die Anzahl ihrer Mitglieder und Sympathisanten auszusagen vermochte. Andererseits aber ließ eine solche Bewegung doch die Bereitschaft durchblicken, im Falle von Neuwahlen auf Listen der herrschenden Partei zu kandidieren. Eine Position, die einerseits natürlich das in der damaligen CSSR noch unbestrittene System des kommunistisch dominierten Parteienblocks voraussetzte. Andererseits ging es der tschechoslowakischen Parteilosenbewegung darum, ihre völlige Gleichgültigkeit gegenüber parteitaktischen Gesichtspunkten zu demonstrieren. Sie wollte allein auf Autorität, Kompetenz und gesellschaftliche Resonanz ihrer Initiative setzen. Ihre Macht sollte einzig und allein in dem Einfluss bestehen, welcher der selbsterworbenen Autorität ihrer Mitglieder entsprang, wo auch immer sie ausgeübt wurde, ob in Betrieben, Clubs, Parteien oder Parlamenten. Die im Spätsommer und Herbst 1989 aktiv werdenden Bürgerbewegungen der früheren DDR nahmen diese Diskussion auf einem neuen Niveau und unter gänzlich veränderten Ausgangsbedingungen auf: Die erste gemeinsame Verlautbarung aller gegen die SED-Herrschaft opponierenden Bürgerinitiativen (zu ihnen zählte sich damals auch noch die Initiativgruppe Sozialdemokratische Partei in der DDR) vom 4.10.1989 erklärt unumwunden als Ziel der Unterzeichner, gemeinsame Kandidaten für demokratische Wahlen aufzustellen (taz-jouraal DDR:

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14.12.1989, S. 24). Verschiedene Positionen wurden in dem Moment sichtbar, als es galt, die Entscheidungen des Zentralen Runden Tisches39 für einen künftigen Wahltermin und das dabei anzuwendende Wahlgesetz vorzubereiten. Besonders von Vertretern des Neuen Forum wurde dabei geltend gemacht, man müsse zunächst Kommunalwahlen durchführen. Einmal deswegen, weil die vorangegangenen Wahlen Kommunalwahlen gewesen seien, und man gerade diesen Wahlen massive Verfälschungen des Ergebnisses nachgewiesen habe. Darüber hinaus sei es erforderlich, die politische Erneuerung an der Basis statt auf höchster staatsparlamentarischer Ebene beginne zu lassen. Hier zeichnete sich ein Kompromiss ab, mittels dessen die Spannung zwischen Basis- und Repräsentativdemokratie ausgeglichen werden könnte. Kann man doch die kommunale Ebene als die betrachten, auf der Repräsentanten und Repräsentierte zwar nicht identisch, aber jedenfalls auf der gleichen gesellschaftlichen Ebene, im gleichen lokalen Milieu lebend im unmittelbaren Kontakt ohne alle Zwischeninstanzen miteinander umgehen können. Eine Vorstellung, die etwa in den Reformentwürfen des Kreisauer Kreises dazu gefuhrt hat, eine Verfassung zu entwerfen, welche die Direktwahl nur noch auf der örtlichen Ebene, im Rahmen der Selbstverwaltung kleiner und vollständig überschaubarer Gemeinschaften zulässt (Winterhager: 1985, S. 216). Die Erfahrungen mit Kommunalwahlen in der ehemaligen DDR am 6.5.1990 lehrten aber dann die Bürgerbewegungen sehr bald, dass die politischen Spannungen zur Parteienrepräsentation auf dieser untersten Ebene nicht geringer sind als auf territorialer oder nationaler. Das Spannungsverhältnis von Repräsentation und Basispräsenz ist auch hier schon im vollen Umfang gegeben. Diese Einsicht, dass die Bürgerbewegungen ihr Verhältnis zur Repräsentation auf allen Mandatsebenen klären müssen, kann gar nicht ernst genug genommen werden. Denn es bedeutet, dass sie ihr Politikkonzept nirgendwohin delegieren können, es vielmehr auf kommunaler, auf Landesebene wie Bundesebene selbst politisch zu vertreten wie zu verantworten haben. Langer scheint derjenige zu sein, der die demokratietheoretischen Konsequenzen dieses Sachverhaltes am deutlichsten erkannt und beschrieben hat. Schon ehe der Demokratisierungsprozess der ehemals kommunistischen Länder die Probe aufs Exempel liefern konnte, haben seine Überlegungen zu einer neuen „Technologie der Freiheit" klargestellt, dass die Diskussion über die Alternative von parlamentarischer und außerparlamentarischer Politik der Bürgerbewegungen einem überholten Stand politischen Bewusstseins zugehört, jenem der weiter oben diskutierten Systemopposition. Ist die Komplexität der gesellschaftlichen Selbstorganisation politischer Willensbildung in vollem Umfang erkannt worden, dann bleibt für die Dualismen des Systemdenkens kein Raum mehr. 39

Nach dem polnischen Vorbild im Dez. 1989 eingerichtetes Gremium, dem Vertreter der Opposition und der Regierung angehörten und welches vor allem Empfehlungen für die administrative Bewältigung der Umbruchsituation vorlegte. Dem Zentralen Runden Tisch, der am 7.12.1989 zum ersten Mal tagte, gehörten folgenden Parteien und Gruppierungen an: FDGB: 2 Vertreter; Vereinigte Linke: 2; SDP: 2; Demokratie Jetzt: 2; Neues Forum: 3; Grüne Partei: 2; Initiative Frieden & Menschenrechte: 2; Grüne Liga: 2; Unabhängiger Frauen verband: 2; Demokratischer Aufbruch: 2; SED-PDS: 3; Sorbischer Runder Tisch: 1; Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe: 2; CDU: 3; DBD: 3; NDPD: 3; LDPD: 3 (dazu insgesamt Glaeßner: 1991, S. 89ff.; Thaysen: 1990; Herles/Rose: 1990)

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Das gilt auch für das System der Parteienrepräsentation. Langer (: 1988, S. 301 ff.) stellt klar, dass der Vertreter/die Vertreterin der nicht parteigebundenen Bürgerbewegung im Parlament einerseits genau der verfassungsrechtlichen Definition des Abgeordneten als Vertreter des ganzen Volkes entspricht, andererseits durch seine Unabhängigkeit von parteigebundenen Fraktionen ganz neue Gruppierungen der parlamentarischen Meinungsbildung zulässt, wie sie weit eher aktuellen Bürger- und Bürgerinnenaktivitäten entsprechen. Es wird durch die Bürgerbewegungen nunmehr im Parlament selbst sichtbar, inwiefern Parteien an Grenzen der Repräsentation stoßen. Wenn es weniger darauf ankommt, Wählergruppen und ihre Verbands- und Individualinteressen zu repräsentieren als dem Parlament, Landes- und Bundesregierungen eine Problemsituation des Ganzen der Gesellschaft zu präsentieren, die Verfassungsorgane des Staates mit ihr zu konfrontieren, dann braucht es nicht mehr als Polemik missverstanden zu werden, wenn behauptet wird: Wenn politische Praxis und politische Philosophie beim Status quo der reinen Parteienrepräsentation verharren wollten und ohne die Bürgerbewegungen, wäre das Ganze der Gesellschaft weder auf lokaler, regionaler noch auf gesamtstaatlicher Ebene präsent. 3. Wahlrecht und Wahlgesetz Verlangt die Teilnahme der Bürgerbewegungen am politischen Willensbildungsprozess eine Änderung des geltenden Wahlrechts? Diese Frage stellte sich solange nicht, wie Bürgerbewegungen die Teilnahme jedenfalls an bundes- und landesweiten Wahlen ablehnten oder, wie im Falle der Grünen, ihre Politisierung durch Gründung einer bundesweit wählbaren Partei vorantrieben. Um so aufschlussreicher war die Diskussion über diese Frage, die am Zentralen Runden Tisch und vor allem in dessen Arbeitsgruppe „Neues Wahlgesetz" geführt worden ist, als es galt, die demokratische Neuwahl der Volkskammer vorzubereiten, die, ursprünglich für den 6.5.1990 vorgesehen, dann bereits am 18. 3. 1990 stattgefunden hat. Diejenigen, die diese Wahlen vorbereiteten und für deren demokratischen Charakter Sorge zu tragen hatten, sahen sich gegenüber eine Volkskammer, die noch aus einer der undemokratischen Blockparteiwahlen hervorgegangen war. Fragwürdig war die Zusammensetzung dieses Parlamentes aber auch deswegen, weil in ihm als Mandatsträger nicht nur die Vertreter von Blockparteien, angeführt und dominiert von der SED, vertreten waren, sondern auch Angehörige von sogenannten Massenorganisationen (Demokratischer Frauenverband, FDGB, FDJ, Kulturbund, Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe), die wegen ihrer Doppelmitgliedschaft den Parteien, vor allem der SED, zu zusätzlichen Mandaten (sog. Schleppmandaten) verhalfen. Dass dieser Zustand durch die Wahlen beendet werden müsste, war gemeinsame Überzeugung aller Reformund Oppositionskräfte. So erklärt es sich denn auch, dass Teile der Opposition, besonders diejenigen, die sich mittlerweile von der gemeinsamen, am 4.10.1989 festgelegten Plattform entfernt und als Parteien konstituiert hatten, zuallererst die neugegründete Sozialdemokratische Partei der DDR, aber auch die am 4.10.1989 noch gar nicht vorhandene Grüne Partei, mit aller Schärfe für ein reines Parteienwahlgesetz einschließlich 5%-Klausel (-> § 22, III.) aussprachen. Selbst eine so typische Bürgerinitiative wie die Dresdner „Gruppe der 20", deren schon am 8.10.1989 be-

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gonnener Dialog mit der damaligen Dresdner SED-Stadtverwaltung zu den wichtigsten Vorstufen des Runden Tisches gehörte, legte der Wahlgesetz-Arbeitsgruppe des Zentralen Runden Tisches einen Entwurf „Grundzüge des neuen Wahlrechts" vor (datiert vom 20.12.1989, Xerokopie in der Handakte des Verfassers), welche Bürgerinitiativen den „Massenorganisationen" aus der SED-Zeit gleichstellt und darum deren Teilnahme an der Wahl ausschließt („Massenorganisationen und Bürgerinitiativen können keine Wahllisten aufstellen", S. 2 ebenda). Wenn diese, wie gerade festgestellt werden konnte, bis in die Bürgerbewegungen hinein Plausibilität findende Kompromisslosigkeit sich dann schließlich doch nicht durchsetzen konnte, dann ist das wohl dem Zusammenwirken von besonders zwei Umständen geschuldet: Die ehemaligen Blockparteien waren nicht geneigt, ihren jungen Konkurrentinnen - SDP und Grüne Partei - das Feld einer von ihrer bisherigen Bevormundung freigewordenen Wählerschaft allein zu überlassen; ein Motiv, das natürlich besonders für die SDP galt. Der andere Umstand aber war das durch die friedliche Revolution und ihre Auseinandersetzung mit einer Partei wie der SED geschärfte Bewusstsein der Bürgerbewegungen. Vergleiche mit „Massenorganisationen" der SED-Zeit waren schon angesichts der geringen Mitgliederzahlen, die höchstens zeitweise vom Neuen Forum übertroffen wurden, abwegig. Aber viel wichtiger war die inzwischen gewonnene Klarheit darüber, dass Bürgerbewegungen sich darin von Parteien unterscheiden, dass ihr Kern eine lokal und temporal begrenzte Initiative ist, deren politische Bedeutung weniger von ihrer Mitgliederzahl als ihrer gesellschaftlichen Resonanz abhängt (zum Resonanzprinzip Langer: 1988, S. 258ff.). Die endgültige Festlegung im Wahlgesetz für den 18.3.1990 wurde getroffen über eine Liste von Alternatiworschlägen, welche die Arbeitsgruppe dem Plenum des Zentralen Runden Tisches am 22.1.1990 vorlegte. Diese Alternatiworschläge spiegeln nochmals die geschilderte Diskussionslage, in der die Fronten sich so versteift hatten, dass die Arbeitsgruppe, um Blockade oder Kampfabstimmungen zu vermeiden, auf eine Entscheidung ihrerseits verzichtete und darum dem Runden Tisch 4 Vorschläge präsentierte, die sich ausschließende Grundpositionen und 2 ihnen entsprechende Kompromissvorschläge enthielten. Diejenigen, die für ein ausschließendes Parteienwahlrecht plädierten, versuchten den Vertretern der Bürgerbewegungen dadurch gerecht zu werden, dass ihnen ermöglicht werden sollte, unter Nennung ihrer Herkunftsorganisation auf Parteilisten zu kandidieren. Diejenigen, welche die Wahlbeteiligung von Parteien und Bürgerbewegungen favorisierten, schlugen vor, zu dem Satz „Wahlvorschläge können von Parteien eingereicht werden" in einer Fußnote Partei so als politische Vereinigung zu definieren, dass unter diesen Oberbegriff auch Bürgerbewegungen fallen. Dass diese letzte Variante vom Runden Tisch angenommen und damit auch Bestandteil des Wahlgesetzes fiir den 6.5. bzw. 18.3. wurde, muss als eine Entscheidung von nicht leicht überschätzbarer Tragweite angesehen werden. Nicht nur, weil es den Bürgerbewegungen die Wahlteilnahme und damit trotz ihres schlechten Wahlergebnisses den Einzug ins Parlament ermöglichte. Vielmehr beruht auf dieser Integration der Bürgerbewegungen in ein an Parteien orientiertes Wahlrecht auch die Möglichkeit der Anwendung des Parteiengesetzes der Bundesrepublik (-> § 23, III.) auf die Bürgerbewegungen aus der früheren DDR. Denn § 2 Abs. 1 dieses Gesetzes definiert ebenfalls Parteien als „Vereinigungen von Bürgern, die dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder eines

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Landes auf die politische Willensbildung Einfluss nehmen und an der Vertretung des Volkes im deutschen Bundestag oder einem Landtag mitwirken wollen". Durch die gesellschaftliche Entwicklung ist ein ganz neues Licht auf eine besondere Qualität dieses Parteiengesetzes geworfen worden. Seine Parteiendefinition ist so formal und operiert auf eine Weise mit dem Begriff der politischen Vereinigung, dass die Bürgerbewegungen ohne Änderung des Gesetzestextes in dessen Geltungsbereich und damit auch den des entsprechenden Wahlrechtes integriert werden können. Den hitzigen Debatten um Partei oder Bürgerbewegung, wie sie immer wieder einmal im Interesse der sogenannten basisdemokratischen Position vom Zaune gebrochen werden, ist angesichts dieser Rechtslage die Basis entzogen. Es bestätigt sich damit auch jene Praxis von Bürgerbewegungen, mit Grünen zusammenzuarbeiten, die sich in der früheren DDR ausdrücklich „Grüne Partei" nannten, ohne dass die Bürgerbewegungen dabei auch nur im mindesten willens gewesen wären, von ihrer politischen Praxis und Philosophie deswegen abzuweichen. Auch dann, wenn sich herausstellt, Parteienpluralität ist mit der Vertretung von Bürgerbewegungen als politische Vereinigung im Parlament vereinbar, gilt dennoch weiterhin für die letzteren: Sie sehen nach wie vor ihre politische Aufgabe nicht in Repräsentanz und Interessenvertretung, sondern in der Sammlung von Erfahrungskompetenz auch dort, wo kein Repräsentativsystem mehr wirksam zu sein oder zu werden vermag. 4. Finanzierung und Chancengleichheit Als eine weitere wichtige Konsequenz der Einordnung von Bürgerbewegungen in Parteien- und Wahlrecht muss die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zum Wahlgesetz für die 1. Bundestagswahl nach der deutschen Vereinigung am 2. 12. 1990 angesehen werden (-> § 22, IV.). Im Sinne der Chancengleichheit aller zur Wahl antretenden Parteien und Vereinigungen verwarf das oberste Verfassungsgericht den Plan, die Wahl in einem einheitlichen Wahlgebiet durchzuführen und allein für die mit der CSU liierte DSU im Gebiet der ehemaligen DDR die Ausnahme einer Listenverbindung zuzulassen. Die Ungleichheiten zwischen Altparteien, den mit ihnen mittlerweile fusionierten Blockparteien und den erst im Herbst 1989 bzw. Frühjahr 1990 gegründeten Gruppierungen wären allzu krass gewesen. Ebenso deutlich ist freilich, dass diese Sonderregelung unter dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit bei keiner künftigen Bundestagswahl wiederholt werden darf. Das freilich wirft für die Bürgerbewegungen, die sich seit September 1991 zu einer bundesweit wählbaren politischen Vereinigung Bündnis 90 konstituiert haben, organisatorische und finanzielle Probleme auf, die von einer Lösung weit entfernt sind. Besonders die Finanzfrage führte diese Gruppen in ein besonders unangenehmes Dilemma. Da sie ihrem Wesen nach niemals so mitgliederstark wie eine Massen- oder Volkspartei werden konnten, waren sie zur Finanzierung ihrer politischen, publizistischen und organisatorischen Arbeit auf relativ hohe Mitgliederbeiträge angewiesen. Ein vom Zentralen Runden Tisch veranlasster Ministerratsbeschluss der vorletzten DDR-Regierung vom 21. 12. 1989 sollte wenigstens die allernötigsten Startbedingungen (Räume, Kraftwagen, Telefone, Papier- und Schreibkapazitäten) als ein Zeichen guten Willens und der Wieder-

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gutmachung von Seiten der SED zur Verfügung stellen. Wie die Grünen in der alten Bundesrepublik gerieten die Bürgerbewegungen als in besonderem Maße durch relativ hohe Mitgliederbeiträge finanzierte Gruppierungen in einen erheblichen Nachteil gegenüber mitgliederstarken Großparteien mit verhältnismäßig niedrigen Mitgliederbeiträgen, die bei der durch eine Änderung von § 18 Parteiengesetz (-» § 23, III.) eingeführten „Sockelbetragsregelung" erheblich besser bedacht worden sind. Das Interesse der Bürgerbewegungen muss es sein, ihre Organisationsstrukturen so effizient, flexibel und durchsichtig zu gestalten, dass die Finanzierung zwar immer auf verhältnismäßig hohe Mitgliederbeiträge angewiesen bleiben wird, die darüber hinaus anfallenden Kosten aus Beiträgen gesellschaftlicher Sponsoren und aus dem Umkreis des jeweiligen Engagements für die von den Bürgerbewegungen angestoßenen und getragenen Projekte herkommt, unbeschadet staatlicher Wahlkampfkostenerstattung.

5. Bürgerbewegungen im Verfassungsrecht Wenn die Bürgerbewegungen voraussetzen, dass nicht mehr die nationale oder ethnische Homogenität des Staatsvolkes es ist, was die Einheit der Verfassungsgebung und darum auch der Verfassung garantiert, was ist dann die Gleichheit und die Einheit, in der Staat und Gesellschaft sich aufeinander beziehen und immer wieder auftretende Entfremdungen demokratisch überwinden können? Denn auch wer nicht Homogenität und Identität, sondern Pluralität und Differenz als soziologische Voraussetzung der Demokratie ansieht, muss eine Vorstellung davon haben, auf welcher Ebene solche Pluralität trotz aller ihrer Differenzen demokratisch kommunikationsfähig werden kann. In dieser Lage muss man mit dem Club-of-Rome-Bericht von 1991: „Es liegt keineswegs in unserer Absicht, gegen Parteienpolitik als solche zu argumentieren, doch es gibt triftige Gründe dafür, in Politik und Wirtschaft verstärkt auf ein Umdenken in Richtung Konsensbildung hinzuwirken. In Anbetracht der ernsten Entscheidungen, die in naher Zukunft anstehen, könnten künstlich geschürte Rivalitäten zwischen den Parteien, die nur auf Stimmenfang bei den nächsten Wahlen abzielen und oft nicht einmal auf tatsächlichen ideologischen Differenzen beruhen, in die Katastrophe führen" (Spiegel Spezial: 2/1991, S. 106). Die Bürgerbewegungen können für sich beanspruchen, dass sie es gewesen sind, die in der Struktur des Runden Tisches einen Weg politischer Selbstorganisation des Konsenses über eine gemeinsame Zukunft konkurrierender Segmente der Gesellschaft entdeckt haben. Mit dieser generalisierenden Behauptung wird all denen widersprochen, für die Runde Tische lediglich einen Platz in vordemokratischen Systemen haben, als ein Mittel der „Transformation von geschlossenen politischen Systemen in offene Gesellschaften" (Thaysen: 1990, S. 175). Dies kann schon deswegen nicht zutreffen, weil die Bürgerbewegungen diese Struktur nicht neu zu erfinden, sondern nur wiederzuentdecken und anzuwenden brauchten. Sie hat eine Vorgeschichte, die bis ins Mittelalter zurückreicht. Sie taucht überall da auf, wo die Aufgabe erkannt wird, geschichtlich Unvereinbares, einander widersprechende Traditionen, zwischen denen es weder logisch noch gesellschaftlich irgendeine Vermittlung gibt, dadurch aufeinander zu beziehen, dass sie ge-

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meinsam einem erweiterten Horizont zugeordnet werden. So Gratian um 1140, als er das mit dem altkirchlichen Kanonrecht unvereinbare päpstliche Dekretalenrecht einer Systematik verschiedener Rechtssysteme einordnet und dabei das erhält, was er concordantia discordantium canonum nennt, das Zusammenstimmen widersprechender Gesetze. Ganz ähnlich Nicolaus von Cusa, als er angesichts der unscheidbaren Parzellierung der spätmittelalterlichen Christenheit den Begriff einer concordantia catholica konzipiert, eines alle Gesellschaftsgruppen erfassendes Ganzes, indem er einen Begriff, den des Katholischen, der bisher allein auf die Kirche angewandt worden war, auf die ganze Gesellschaft bezieht. Die Definition des Runden Tisches aber wurde schon vor dem Ende des Dreißigjährigen Krieges entdeckt, nämlich als Jan Arnos Comenius (1592 - 1670) ab 1645 die Bände seines Consultatio catholica betitelten Werkes erscheinen ließ. Um „allumfassende Beratung „ (consultatio catholica) - um nichts anderes handelt es sich beim Runden Tisch. Also weder um ein Notparlament, eine Übergangsregierung (auch wenn der Zentrale Runde Tisch beide Funktionen für die DDR zeitweise wahrgenommen hat), sondern darum, dass der archimedische Punkt und damit eine berufene Autorität gefunden wird, von dem ein gesellschaftlicher Konflikt- oder Entscheidungsbereich so vollständig überblickt werden kann, dass alle an ihm Beteiligten bzw. Betroffenen kommunikationsfähig werden. Daher ist Vollständigkeit die wichtigste Eigenschaft, das, was einen Runden Tisch „rund" macht, in diesem Sinn war der Zentrale Runde Tisch in Berlin bereits am 7.12.1989 vollständig und funktionsfähig - unbeschadet des späteren Hinzutretens anderer Kräfte. Aus dem Gesagten ergibt sich auch, dass die Bedeutung des Runden Tisches keineswegs auf die besonderen Umstände des Zusammenbruchs der kommunistischen Staaten Osteuropas beschränkt ist. Wenn in hochentwickelten westlichen Demokratien eine „konzertierte Aktion" angestrebt oder realisiert wird, wenn besonders auf kommunaler Ebene nach der Methode Planungszelle - Bürgergutachten (-> s.a. §§ 7, II. u. III.; 16,1.), und zwar schon seit den 70er Jahren gearbeitet wird -, dann sind das alles Belege für die Funktionsfähigkeit der RundTisch-Struktur auch unter voll entwickelten demokratischen Bedingungen. Wenn dagegen z.B. eingewandt wird, es erscheine wenig sinnvoll, mit der Planungszelle eine in ihren Rechten vom Gemeinderat kaum unterscheidbare Pendantorganisation zu schaffen (Thaysen: 1982, S. 179); so liegt dem wiederum jene Verwechslung des Runden Tisches mit einem Repräsentationsgremium zugrunde, der als ein Konsultativorgan dies notorisch nicht ist; dies aufzuklären muss als eine vorrangige Aufgabe von Politologie und Rechtswissenschaft angesehen werden. Demgegenüber erscheint die Frage, ob man die Rund-Tisch-Struktur als „Ökologischen Rat" (Art. 53b des Frankfurter Entwurfes) oder als „Ökologischen Senat" (Minderheitenvotum des Brandenburger Verfassungsausschusses) konzipiert, weniger drängend. Ist die Struktur dieser Selbstorganisation zukunftsfähigen Konsenses einmal so klar erkannt, dass sie in allen einschlägigen Fällen erfolgreich angewandt werden kann, so ist ihre Aufnahme in moderne Verfassungen nur noch eine Frage der Zeit. Denn dass die globale Revolution, die uns aus Menschheitsebene unsere Gleichheit im Abhängen von den gemeinsamen Lebensgrundlagen offenbar gemacht hat, früher oder später auch zu Verfassungskonsequenzen fuhren wird, ist schon mehr als einmal erklärt worden. So sind angesichts unabschätzbarer Zukunftsrisiken qualifizierte Mehrheiten mit der klar bejahten Konsequenz der Verlangsamung der Entscheidungsfristen gefordert

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worden und die Einschränkung der Direktwahl auf die überschaubare Kommune (Kafka: 1989, S. 106) - Gedanken, die überraschende Anklänge an das politische Reformprogramm des Kreisauer Kreises von 1942 enthalten (Winterhager: 1985, S. 215). Langer (: 1988, S. 305) prognostiziert eine unaufhaltsame Transformation der traditionellen Staatsorganisation in drei Aktionssphären einer völlig enthierarchisierten Gesellschaft, die aus Bürgerbasis, einem allgemeinen Sachverständigenrat (Runder-Tisch-Organ) und einer aus Parlament und Verwaltungsspitze bestehenden Entscheidungssphäre bestehen werde. Das mag angesichts des Kontrastes zu heutigen Gegebenheiten utopisch klingen. Eine nicht allzu ferne Zukunft wird erweisen, ob es sich wirklich so verhält. Als das „Ökologische Manifest für ein anderes Europa" (Langer: 1988, S. 320ff.) 1978 schrieb: „Nationalstaaten sind offensichtlich unfähig, viele grundlegende Probleme zu lösen, seien sie global oder lokal. Wir sollten daher eine Föderation autonomer Regionen anstreben, eine jede selbstorganisiert in einer mitbestimmenden und vorausbestimmenden Demokratie", da mochte das nicht weniger utopisch klingen. Und ist dieser Satz nicht mittlerweile eine drängende praktische Forderung geworden? Wenn aber der Club-of-Rome-Bericht den Erfolg von Bürgerinitiativen an Beispielen aus Indien und Klaua zu erläutern vermag (:1991, S. 127) - wieso muss dann in der deutschen Bundesrepublik noch darüber diskutiert werden, ob und wie Bürgerbewegungen in das bestehende Repräsentativsystem zu integrieren seien?. Die Bürgerbewegungen ihrerseits plädieren dafür, die Demokratie so auszugestalten, dass in einer pluriformen und multikulturellen Gesellschaft ein Staat entsteht, an dessen Leben alle Bürgerinnen und Bürger partizipieren können. Wie erfolgreich sie mit dieser Zielsetzung sein werden, ist eine bisher noch unbeantwortete Frage. Ein zurückhaltendes Urteil legt sich nahe, wenn man feststellt, wie wenig Erfolg die Initiative gezeitigt hat, dem 1975 begonnenen HelsinkiProzess für europäische Sicherheit und Zusammenarbeit eine Entsprechung auf der Bürgerbewegungsebene in Gestalt der „Helsinki Citizens Association" an die Seite zu stellen. Ähnliches lässt sich über Eurotopia sagen, eine in ihrer Zielsetzung hoch begrüßenswerte Initiative, die sich die Verbreitung der Ideen transnationaler Demokratie zum Ziel gesetzt hat. Aber beiden Anfang der 90er Jahre gegründeten Bürgerbewegungen ist es bisher nicht geglückt, über den Initiatorenkreis wesentlich hinauswirkende öffentliche Resonanz zu erzielen. Vermutlich hängt das auch damit zusammen, dass alle über den nationalen Rahmen hinausgreifenden Ansätze in einer bisher nicht bewältigten Spannung zu dem temporal wie lokal begrenzten Aktionsrahmen von Bürgerbewegungen stehen. Anders verhält es sich dagegen mit jenen inzwischen international etablierten Nichtregierungsorganisationen, denen es, trotz ihrer privatrechtlichen Fundierung in Vereinsstrukturen, gelungen ist, unübersehbaren Einfluss auf Ökologiepolitik (wie Greenpeace seit 1980) oder auf Menschenrechtspolitik (wie Amnesty International, seit Mitte der 60er Jahre) zu nehmen. Hier ist es offenbar der globale Charakter der von ihnen thematisierten Probleme, der ihnen diese bemerkenswerte Resonanz sichert. So erscheint es denn trotz der gemachten Einschränkungen durchaus begründet, wenn die KSZE-Charta von Paris (November 1990) in einem eigens den Nichtregierungsorganisationen gewidmeten Artikel feststellt: „Wir erinnern an die bedeutsame Rolle, die nichtstaatliche Organisationen, religiöse und andere Gruppierungen bei der Verwirklichung der KSZE-Ziele gespielt

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haben und werden deren Einsatz für die Durchfuhrung der KSZE-Verpflichtungen durch die Teilnehmerstaaten weiter erleichtern. Diese Organisationen, Gruppierungen und Einzelpersonen müssen auf geeignete Art und Weise in die Tätigkeit der neuen Strukturen der KSZE einbezogen werden, damit sie ihre wichtigen Aufgaben erfüllen können." Kann es eine klarere Anerkennung der Tatsache geben, dass Bürgerbewegungen ein nicht mehr wegzudenkender Bestandteil moderner Demokratie geworden sind?

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§ 25 Parlament und gesellschaftliche Interessen Leo Kißler Einleitung - I. Gesellschaftliche Interessen in der parlamentarischen Demokratie - II. Die Organisation gesellschaftlicher Interessen im Deutschen Bundestag - III. Der Bundestag als Adressat von gesellschaftlichen Interessen - IV. Das Spannungsverhältnis zwischen Parlamentsfunktionen und parlamentarischer Interessen- und Politikvermittlung Grundlagenliteratur: Alemann, Ulrich von (1987): Organisierte Interessen in der Bundesrepublik. Opladen Herzog, Dietrich / Rebenstorf, Hilke / Werner, Camilla / Weßels, Bernhard (1990): Abgeordnete und Bürger. Opladen Müller, Emil-Peter (1988): „Interessen der Sozialpartner im XI. Deutschen Bundestag". In: ZParl, S. 187ff. Sarcinelli, Ulrich (1987): „Politikvermittlung und demokratische Kommunikationskultur". In: Ders. (Hg.): Politikvermittlung. Stuttgart, S. 19ff. Sebaldt, Martin (1996): „Interessengruppen und ihre bundespolitische Präsenz in Deutschland: Verbandsarbeit vor Ort". In: ZParl, S. 658ff. Steinberg, Rudolf (1989): „Parlament und organisierte Interessen". In: Schneider, Hans-Peter / Zeh, Wolfgang (Hg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik Deutschland. Berlin, S. 217ff. Weber, Joachim (1987): „Politikvermittlung als Interessenvermittlung durch Verbände". In: Sarcinelli, Ulrich (Hg.), Politikvermittlung. Stuttgart, S. 203fF. Weßels, Bernhard (1987): „Kommunikationspotentiale zwischen Bundestag und Gesellschaft: Öffentliche Anhörungen, informelle Kontakte und innere Lobby in wirtschafts- und sozialpolitischen Parlamentsauschüssen". In: ZParl, S. 285ff.

Einleitung Das Verhältnis von Parlament und gesellschaftlichen Interessen ist für die parlamentarische Demokratie konstitutiv, zugleich aber prekär. Dies soll am Beispiel des Deutschen Bundestages (-» §§ 9, 10) gezeigt werden. Hierfür gilt es zunächst, die verbreitete Vorstellung zu verabschieden, zwischen gesellschaftlichen Interessen und Parlament gehe der Austausch nur in eine Richtung. "Lobbyismus", "Verbandsfärbung" des Parlaments und "Einfluss" mächtiger Interessenorganisationen auf die parlamentarische Arbeit markieren nur die eine Seite der Medaille: Sie kommt in der politischen Repräsentationsfunktion zum Ausdruck und dient der Interessenvermittlung aus der Gesellschaft in das politische System. Aber der Vermittlungsprozess geht auch in die andere Richtung: vom Parlament zu den gesellschaftlichen Interessen. Es handelt sich um parlamentarisch organisierte Politikvermittlung in die Gesellschaft. Diese Vermittlungsaufgabe erfüllt das Parlament im Rahmen seiner Öffentlichkeitsfunktion (-> s.a. § 10, II.). Wer die normativen Grundlagen und empirischen Befunde des Verhältnisses zwischen

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Parlament und gesellschaftlichen Interessen untersucht; muss deshalb genauer fragen: Was heißen parlamentarische Öffentlichkeit und politische Repräsentation heute, und inwieweit taugen sie zur Organisation und Vermittlung gesellschaftlicher Interessen? Für wirklichkeitsnahe Antworten auf diese Ausgangsfrage birgt die Assoziation der Themenstellung mit "Verbandseinfluss" eine weitere Klippe. Der eingeschränkte Blick auf das Einflusspotential der Verbände unterstellt, gesellschaftliche Interessen seien identisch mit den organisierten Interessen und diese wiederum mit der parlamentarischen Mitwirkung von Interessenorganisationen. Bekanntlich gibt es jedoch Interessen in der Gesellschaft, die nicht oder nur schwach organisiert sind, und eine Masse von Interessenorganisationen, die nicht in der "Lobbyliste" des Parlaments auftauchen. Gleichwohl aber sind sie von Bedeutung für den stillen Wert des Parlaments als Einrichtung der Interessen- und Politikvermittlung. Deshalb wird eingangs zu fragen sein: Was heißt überhaupt "gesellschaftliche Interessen", und wie definiert sich ihr Verhältnis zum Parlament? (-> I.) Von der Vermittlung ist die Organisation gesellschaftlicher Interessen zu unterscheiden. Die Darstellung des empirischen Befundes am Beispiel des Deutschen Bundestages orientiert sich deshalb an zwei weiteren Fragestellungen: Wie organisiert der Bundestag gesellschaftliche Interessen? (-> II.) und wie vermittelt er diese in Politik? (-> III.) Wie werden die normativ zugeschriebenen Parlamentsfunktionen der Politik- und Interessenvermittlung auf der Grundlage von politischer Repräsentation und Parlamentsöffentlichkeit in der Praxis des Deutschen Bundestages eingelöst? Empirisch begründete Antworten können die zunehmend technisch-organisatorische Umgestaltung dieser Funktionen im Zuge der Einführung neuer Informationsund Kommunikationstechniken (IuK-Techniken) nicht außen vor lassen. Eröffnen die neuen Techniken neue Möglichkeiten parlamentarischer Interessenorganisation und -Vermittlung oder führen sie eher an die Leistungsgrenzen des Parlaments auf diesem Gebiet? (-» IV.) Wie unsere Ausgangsfragen zeigen, handelt es sich beim Verhältnis zwischen Parlament und gesellschaftlichen Interessen um ein weites Feld, das Orientierungsprobleme schafft. Diese werden im Rahmen des folgenden Beitrags nicht zu lösen sein. Es geht deshalb nicht um fertige Antworten, sondern um eine erste Annäherung an das Thema. I. Gesellschaftliche Interessen in der parlamentarischen Demokratie 1. Was heißt "gesellschaftliche" Interessen? Dimensionen des Interessenbegriffs Bei „Interesse" handelt es sich um einen sozialwissenschaftlichen Kernbegriff. Dabei meint Interesse zunächst einmal dabei sein, Teilnahme an etwas, aber auch - wie im englischen Wort interest noch enthalten - Vorteil und Gewinn. Dieser doppelte Wortsinn eröffnet einen ersten Zugang zum Begriff: Interesse ist handlungsorientiert (Teilnahme) und zielbestimmt (Vorteil). Handlungsorientierung und Zielbestimmung von Interessen können resultieren aus dem Bestreben nach individueller Bedürfnisbefriedigung, aus materiellen Mangellagen und Knapp-

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heitssituationen sowie aus den subjektiven Empfindungen von Mangel und Knappheit und den Rechtfertigungen für die Durchsetzung von Bedürfhissen (v. Alemann: 1987, S. 26ff.). Die Handlungsorientierung von Interesse kommt in der folgenden soziologischen Begriffsdefinition zum Ausdruck: Danach meint Interesse "die für bestimmte Personen, Gruppen, Klassen oder ganze Gesellschaften einer historisch-spezifischen Entwicklungsstufe gemeinsame, ihnen bewusste oder unbewusste Gesamtheit der materiellen und (materiell oder ideell begründeten) institutionellen Möglichkeiten, ihre individuellen und sozialen Lebensformen zu erhalten oder zu erweitern" (Hartfiel: 1972, S. 308). Mit dieser Begriffsbeschreibung ist zweierlei gesagt: Zum einen, dass "gesellschaftliche" Interessen immer die Interessen einer bestimmten Gesellschaft darstellen. Gesellschaftliche Interessen sind sozial verortet. Zum andern handelt es sich um "institutionelle Möglichkeiten", d.h. sie sind institutionell verfestigt und zum großen Teil organisiert. Unter organisierten Interessen verstehen wir "freiwillig gebildete soziale Einheiten mit bestimmten Zielen und arbeitsteiliger Gliederung (Organisationen), die individuelle, materielle und ideelle Interessen ihrer Mitglieder im Sinne von Bedürfhissen, Nutzen und Rechtfertigungen zu verwirklichen suchen" (v. Alemann: 1987, S. 30). Solche in der Regel mit einer Leitungsinstanz ausgestattete Interessenorganisationen haben ihren gesellschaftlichen Ort und politisches Handlungsfeld. Die gesellschaftliche Verortung von organisierten Interessen führt auf das unwegsame Gelände einer hochgradig organisierten Gesellschaft. Was aber unterscheidet die Mitgliedschaft in einem Sportverein, einem Kleintierzüchterverband von der Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft, politischen Partei ( - » § 23) oder religiösen Gemeinschaft? Für die Vermessung des Geländes zwischen unterschiedlichen Interessenorganisationen bieten Genese, innere Struktur und Funktion der Organisation Orientierungsmarken. Antworten auf die Fragen, wie Interessenorganisationen entstehen, wie die innerverbandliche Willensbildung vonstatten geht, welche Organisationsziele mit welchen Mitteln verfolgt werden, geben zwar Auskunft über die politische Relevanz der jeweiligen Interessenorganisation, weniger jedoch über ihren sozialen Ort. Dieser wird in der Klassengesellschaft markiert von Interessenlagen, die sich entlang der gesellschaftlichen Klassenstruktur entwickeln; in der Schichtgesellschaft verläuft die Interessenbildung schichtspezifisch. Die Gegenwartsgesellschaft der Bundesrepublik zeichnet sich allerdings dadurch aus, dass sich ihre interessenbildende Sozialstruktur nicht mehr auf einen Begriff bringen lässt. Etikettierungen, wie z.B. Industriegesellschaft, Freizeitgesellschaft, Wohlstandsgesellschaft oder auch Informationsgesellschaft beziehen sich immer nur auf ein kennzeichnendes Merkmal für gesellschaftliche Konfliktlinien, die in Interessenbildung münden können. So generierte der für die Klassengesellschaft kennzeichnende Konflikt zwischen Kapital und Arbeit spezifische Interessenorganisationen der Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften. Eine für die Industriegesellschaft typische Konfliktlinie verläuft zwischen industrieller Produktionsweise und Ökologie, in der Wohlstandsgesellschaft zwischen Arm und Reich. Die soziale Verortung von organisierten Interessen in einem Konfliktmodell 40 (v. Winter: 1997, S. 46) wird jedoch zunehmend problematischer. Ein solches

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Vgl. z. B. das von Himmelmann: 1983 vorgestellte Konfliktmodell, das 6 Konfliktlinien unterscheidet: Kapital versus Arbeit, Bürger versus Staat, Stadt versus Privatwirtschaft,

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Modell steckt zwar Konflikt- und damit Handlungsfelder für Interessenorganisationen ab, die über die Konfliktstruktur der Klassengesellschaft hinausweisen. Mit anderen Worten: Es wird der Tatsache gerecht, dass die traditionelle Konfliktlinie zwischen Kapital und Arbeit überlagert wird durch soziale Disparitäten (wie z.B. im Bereich von Wohnung, Verkehr etc.), die quer liegen zu Klassenstrukturen und die durchaus geeignet sind, Interessen zu generieren. Allerdings bleibt die Rückführung gesellschaftlicher Interessen auf sozialstrukturelle Konfliktlagen (Cleavages) den herrschenden industriegesellschaftlichen Vergesellschaftungsmodi sozialer Klassen- und Schichtbildung verhaftet. Es verortet die organisierten Interessen auf den Konfliktfeldern der tradierten Industriegesellschaft. Damit wird zwar erklärt, warum es Gewerkschaften, politische Parteien und Automobilclubs gibt. Die Erklärungskraft eines solchen Modells für die Interessenorganisationen jenseits industriegesellschaftlicher Konfliktlinien, wie z.B. Bürgerinitiativen, "freiwilliger Assoziationen" (Habermas: 1989, S. 470) ist jedoch schwach. Die Auslotung gesellschaftlicher Interessen bedarf deshalb eines Koordinatensystems, das den Weg durch die neue Unübersichtlichkeit der gesellschaftlichen (Konflikt-)Verhältnisse weist. Die bundesrepublikanische Gesellschaft zeichnet sich durch zunehmende Differenzierung aus: Ausbau des Sozialstaats, soziale und geographische Mobilität, Bildungsexpansion, zunehmende Frauenerwerbstätigkeit lassen auseinandertriften, was in der Industriegesellschaft zusammen-gehörte: Produktionsweise und Vergesellschaftungsformen (Beck: 1990, S. 92). Kennzeichnend für diese Entwicklung ist die Ausdifferenzierung pluraler Lebensstile und neuer sozialer Milieus als Vergesellschaftungsformen. Im Zusammenwirken mit den Faktoren sozialstruktureller Differenzierung und Mechanismen sozialer Ungleichheit verfestigen sie die vorhandenen und generieren neue Interessenlagen jenseits der gesellschaftlichen Vertikalstruktur (Zum Begriff der Interessenlage v. Winter: 1997, S. 42ff.). Die soziale Verortung von gesellschaftlichen Interessen ist ein wichtiger, keineswegs aber hinreichender Ausweis für deren politische Bedeutung. Sportvereine, Automobilclubs, religiöse und kulturelle Vereinigungen haben "Politik" zwar nicht auf ihre Fahnen geschrieben. Sie sind deswegen aber noch lange nicht unpolitisch. Ihre politische Bedeutung liegt allerdings weniger in der Aggregierung und Transformation gesellschaftlicher Interessen in politische Willensbildungsund Entscheidungsprozesse (Interessenvermittlung) als vielmehr in der Vermittlung von politischen Normen und gesellschaftlichen Werten gegenüber den Mitgliedern (Politikvermittlung). Sie vermitteln "Politik" in ihrer Eigenschaft als Sozialisationsagenturen. Davon zu unterscheiden sind Interessenorganisationen, deren Zielsetzung in der Aggregierung und Vermittlung von gesellschaftlichen Interessen in Politik besteht. Ihr Handlungsfeld liegt im intermediären Bereich, zwischen Bürgern (Gesellschaft) und staatlichen Institutionen (politischem System; -> s.a. § 8). Zu den wichtigsten intermediären Interessenorganisationen im bundesdeutschen System zählen die politischen Parteien, Verbände, Bürgerinitiativen und Massenmedien. Und schließlich sind gesellschaftliche Interessen auch organisiert in den staatlichen Institutionen selbst. Die zentrale staatliche Einrichtung der Interessenorganisation auf der Grundlage von politischer Repräsentation

Konsumenten versus Produzenten, Individuum versus Staat und Industriegesellschaft versus Umwelt.

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und organisierter Öffentlichkeit ist das Parlament. Das Verhältnis von intermediären Interessenorganisationen und parlamentarisch organisierten Interessen ist Gegenstand der folgenden Ausfuhrungen.

2. Interessenorganisationen und politische Repräsentation: Die parlamentsbezogene Interessenvermittlung Eingangs wurde die Transformationsaufgabe des Parlaments als Vermittlungsprozess dargestellt: Das Parlament vermittelt kraft seiner Repräsentationsfunktion gesellschaftliche Interessen in Politik und umgekehrt: Es vermittelt kraft seiner Öffentlichkeitsfunktion Politik in die Gesellschaft hinein. Dieses parlamentarisch vermittelte Verhältnis zwischen Gesellschaft (Bürgern) und politischem System ist für den Parlamentarismus (-> § 1, III.) konstitutiv. Es gründet historisch im politischen Räsonnement eines wirtschaftlich erstarkten Bürgertums privater Warenproduzenten, das im Parlament seinen organisatorischen Ausdruck fand. Mit dem Strukturwandel der bürgerlichen Öffentlichkeit und mit der Entwicklung von der parlamentarisch-repräsentativen zur parteienstaatlichen Demokratie ist dieser politische Kommunikationszusammenhang zerrissen. An seine Stelle hat sich ein intermediärer Bereich zwischen Gesellschaft und politisches System geschoben, der von Organisationen besetzt wird, welche die Vermittlungsaufgabe von Politik und gesellschaftlichen Interessen nunmehr mit dem Parlament teilen: Parteien, Verbände und Bürgerinitiativen (-» §§ 23, 24). Eine besondere Bedeutung kommt im intermediären Bereich den Massenmedien zu; denn die Vermittlungsleistung von Parlament und Interessenorganisationen gründet im Informationsaustausch zwischen diesen Einrichtungen und den Bürgern, mit anderen Worten: Sie ist das Ergebnis politischer Kommunikation. Weil diese weitgehend medienvermittelt ist, kann die Aufgabenerfüllung von Parlament und Interessenorganisationen nur mehr als Ergebnis der massenmedialen Vermittlungsleistung zwischen Bürgern und politischem System begriffen werden (-> §§ 26, 27). In diesem Vermittlungsprozess übernimmt das Parlament seine politische Kommunikationsaufgabe zum einen als Adressat von interessenspezifischer Information, die ihm aus der Gesellschaft durch die intermediären Organisationen zugeht und zum andern als Sender von parlamentarischer Information, die das Parlament, vermittelt durch die Interessenorganisationen, an den Bürger adressiert. Im ersten Fall handelt das Parlament im Rahmen seiner Repräsentationsfunktion und im zweiten Fall als Öffentlichkeitsorgan (vgl. Kißler: 1999, S. 136ff.). Bei der parlamentarischen Interessenvermittlung durch politische Repräsentation sind die intermediären Organisationen vor allem als "Transmissionsriemen" zwischen Gesellschaft und politischem System gefordert. "Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung mit", heißt es in Art. 21 Abs. 1 GG. Damit ist für die Vermittlungsaufgabe der politischen Parteien zweierlei gesagt: Zum einen haben sie als Medien im Kommunikationsprozess zwischen Bürgern und politischem System an die Stelle des öffentlichen Räsonnements zu treten, das im klassischliberalen Repräsentationsmodell diesen Kommunikationszusammenhang stiftete. Zum anderen begrenzt die Verfassungsvorschrift den Vermittlungsauftrag an die Parteien auf eine Mitwirkungspflicht, woraus folgt, dass sie diese Aufgabe mit anderen Einrichtungen zu teilen haben. Zu diesen zählen vor allem die großen

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Interessenverbände. Den Verbänden kommt allerdings, im Unterschied zu den politischen Parteien, kein öffentlicher Status zu. Entscheidend für die politische Vermittlungspraxis der Parteien ist die Diskussion mit den Mitgliedern. Deren parteiförmig aggregierte Interessen sind klassen- und schichtenspezifisch determiniert, mit milieuabhängiger Affinität zur jeweiligen Partei (vgl. für die einzelnen Parteien v. Alemann: 1990, S. 95ff.; —> § 23, VI.). Die Tatsache, dass die großen Parteien beanspruchen, sog. Volks- und Mitgliederparteien zu sein, spricht für ihre vielfältige, den heterogenen gesellschaftlichen Interessenspektrum umfassende Informationsaufnahme aus der Gesellschaft. Hinzu kommt das Aufkommen neuer Parteien, wie z.B. die GRÜNEN/BÜNDNIS 90. Es erweitert das kommunikative Adressatenfeld des Parteiensystems auf die neuen sozialen Bewegungen und Bürgervereinigungen und verstärkt die Antennen der politischen Parteien, für zuvor nicht oder nur schwach empfangene Botschaften aus parteiferneren gesellschaftlichen Interessenbereichen. Gleichwohl handelt es sich bei den interessenbezogenen Informationen, die den Parteien aus unterschiedlichen sozialen Schichten und soziokulturellen Milieus zugehen, häufig nur um das Echo auf von ihnen vorformulierte Themen. Diese werden dann mit dem Gestus "Das Ohr am Volk" zu haben wieder aufgegriffen. Starke Indizien sprechen allerdings dafür, dass die eigentliche Definitionsmacht über interessenbezogene Themen politischer Kommunikation in der "Zuschauerund Fernsehdemokratie" weniger bei den politischen Parteien, als vielmehr auf Seiten der Massenmedien liegt. Zwar üben die Parteien (und Verbände) über die Besetzung der Kontrollgremien Einfluss auf die öffentlich-rechtlichen Medien aus. Aber auch hier verlieren sie an Boden mit der Einführung des Privatfernsehens. Hinzu kommt der Verlust parteieigener Medien im Pressebereich bei gleichzeitig zunehmender Abhängigkeit von der massenmedialen Meinungsbildung im immer schwierigeren Wettbewerb um die Stimmen beweglicher Wechselwähler. Ebenso wenig wie die politischen Parteien sind die großen Interessenverbände "Sprachrohre" eines gesellschaftlichen Publikums von Interessenträgern. Für die Verbände kommt ein weiterer Gesichtspunkt hinzu: Ihre Informationsaufnahme aus der Gesellschaft ist in hohem Maße selektiv. Bestimmte gesellschaftliche Interessen sind nicht oder nur schwach organisiert, andere gar nicht organisierbar. Gesellschaftliche Interessen sind nur dann verbandsförmig organisiert, wenn sie organisations- und konfliktfähig sind (Offe: 1969, S. 167ff.). Nicht organisierbar sind insbesondere solche Interessen, die der Gesamtheit der Individuen und nicht eindeutig abgrenzbaren gesellschaftlichen Status- und Funktionsgruppen zuzurechnen sind. Mangels Konfliktfähigkeit nicht oder schwach organisiert sind die Interessen gesellschaftlicher Randgruppen, wie z.B. von ethnischen Minderheiten, Geisteskranken etc. Die Interessenrepräsentation durch Verbände ist demnach ungleich und in hohem Maße selektiv. Trendverstärkend wirkt die Tatsache, dass trotz "Verbandspluralität" die Spitzenverbände in den industriellen Beziehungen (Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften) ein nahezu faktisches Monopol der organisierten Einflussnahme auf staatliche Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse in der Wirtschafts- und Arbeitspolitik ausüben. Erheblich unübersichtlicher und differenzierter gestaltet sich dagegen die Interessenaggregierung und -Vermittlung auf anderen Politikfeldern, z.B. auf dem Feld der Sozialpolitik (vgl. v. Winter: 1997).

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Die Defizite der Interessenrepräsentation von Parteien und Verbänden sind Bedingung und Folge zugleich von Ungleichheitslagen in der innerorganisatorischen Informationsverarbeitung. Mit den politischen Mitwirkungsmöglichkeiten der großen Interessenorganisationen nach außen hin korrespondieren keine entsprechenden Einflusschancen der Mitglieder im Innern. Wie bei den politischen Parteien waltet auch verbandsintern das "eherne Gesetz der Oligarchie" (vgl. Michels: 1925 und zur Aktualität des Oligarchisierungsgesetzes: Zeuner: 1992, S. 215ff.). Gemeinsam ist den Interessenorganisationen die schichtenspezifische Interessenselektion und deren Verfestigung durch organisationsinterne Oligarchisierung der Informationsverarbeitung. An dieser Filterwirkung ändert auch die Erhöhung des Frauenanteils an Führungspositionen nichts; denn die "Verweiblichung" der Oligarchie setzt das Gesetz der Oligarchisierung nicht außer Kraft. Wie in den Parteien, so ist auch in den Verbänden der Zugang zur innerorganisatorischen Informationsverarbeitung schichtenspezifisch verteilt. Organisationsmitglieder mit höherem Sozialstatus besetzen häufiger Führungspositionen. Die Kommunikation zwischen Organisationsspitze und einfachen Mitgliedern beschränkt sich auf unbeantwortbare Information. Neue Formen der innerorganisatorischen Demokratie, wie z.B. Mitgliederbefragungen in Personal- und Sachfragen, gefährdeten Stabilität und Homogenität der Parteien (vgl. Schieren: 1996, S. 216ff.) oder seien „ein großes Täuschungsmanöver" (Raschke: 1996, S. 52); denn „sie unterbrechen die Eliten-Medienspiele nur für einen winzigen Augenblick. Sie fördern statt Demokratie die Illusion von Demokratie." Auch die Verbändeforschung wies schon früher nach, wie demokratisch gebotene und für die innerverbandliche Interessenberücksichtigung erforderliche Kommunikation zum Instrument demonstrativ oder manipulativ entfalteter Publizität gegenüber den Organisationsmitgliedern degeneriert (vgl. für den Deutschen Bauernverband Ackermann: 1970, S. 38f). An die Stelle der Kommunikation mit den Bürgern und den Organisationsmitgliedem tritt der Informationsaustausch zwischen den Interessenorganisationen. Dieser ist unterfüttert durch - symbiotische Formen der Verankerung in soziopolitischen Milieus, aus denen sich "Vorfeldorganisationen" (wie z.B. die Gewerkschaften) für politische Parteien (z. B. für die SPD) rekrutieren (vgl. v. Alemann: 1990, S. 107ff.) und - ein enges Netz der Zusammenarbeit zwischen Parteien, Verbänden und Exekutivspitzen einschließlich der Parlamente bis hin zu korporatistischen Arrangements zwischen Großorganisationen und staatlichen Institutionen, wie sie kennzeichnend sind für das bundesdeutsche System der Interessenvermittlung. Diese Faktoren prägen auch das Verhältnis zwischen Interessenorganisationen und Parlament. Die über die Köpfe von Partei- und Verbandsbürgern kurzgeschlossene Kommunikation mit dem Parlament ist publizitätsfeindlich und fördert jene oft beklagte Kumpanei zwischen innerverbandlichen und staatlichen Oligarchien. Diese stützt sich auf Bürokratisierungsgesetzlichkeiten, wie sie auf beiden Seiten herrschen, und einen dadurch bedingten ähnlichen Arbeitsstil. Hinzu kommt die Rekrutierung von verbandlichen und staatlichen Führungsgruppen aus denselben sozialen Schichten (für das Parlament -> vgl. III.). Zwischen den Oligarchien bilden sich informelle Loyalitätsmuster und ein technokratisch getönter "esprit de corps" heraus - der Stoff, aus dem eine "moderne" Arkanhaltung entsteht.

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Mit dem Vordringen korporatistischer Strukturen auf immer weitere politische Handlungsfelder versteinern die Strukturen der politischen Kommunikation "zu einem geschlossenen ElitenkarteH" (v. Alemann: 1987, S. 177). Im gleichen Maß wie hierdurch die Relevanz von Parlament, Parteien, Verbänden als kommunikationsstiftenden Einrichtungen abnimmt, kommt es zu Attraktivitätseinbußen und in der Regel auch zu Mitgliederverlusten. Abnehmende Attraktivität kommt aber auch in "Parteienverdrossenheit", schwindendem Vertrauen in die politischen Institutionen (Pickel/Walz: 1997a, S. 27ff.) und in einem Parlamentsverständnis zum Ausdruck, das zwar noch Zustimmungshaltung gegenüber dem Parlament, aber kaum noch positiv kritische Akzeptanz signalisiert (Schüttemeyer: 1986, S. 238ff.; zu den gestörten „Vertrauensbeziehungen zwischen dem Volk und seinen Vertretern" empirische Belege bei Patzelt: 1996, S. 496ff.). Das Verhältnis von Parteien und Verbänden zum Parlament weist aber auch gravierende, organisationsspezifische Unterschiede auf. So sind die Parteien durch ihre Fraktionen direkt im Parlament vertreten. Die Verbände dagegen müssen sich politischen Einfluss über ihre innere Lobby (-> II.) und durch Pressure-Strategien (—» III.) sichern. Die Vermittlungsdefizite von Parteien und Verbänden öffnen zudem neue Räume für politische Kommunikation, die an den Interessenorganisationen vorbeigeführt wird und neue Formen politischer Öffentlichkeit hervorbringt. Deren Träger stehen aber politisch-historisch in einem engen Bezug (grundlegend Raschke: 1985). Soziale Bewegungen bilden den Humus, aus dem Interessenorganisationen und Bürgerinitiativen (—> s.a. § 24, II.) wachsen, so die politischen Parteien der Linken aus der alten Arbeiterbewegung, die GRÜNEN vor allem aus der Umweltbewegung. Die neuen sozialen Bewegungen verkörpern die in gesellschaftlichen Konfliktfeldern verankerten Standbeine, die Bürgerinitiativen dagegen die Spielbeine eines umfassenden Politisierungsprozesses. Bürgerinitiativen erfüllen im Verhältnis zu Parteien und Verbänden kompensatorische und regenerative Aufgaben (vgl. Armbruster: 1979, S. 83 f.). Im Interessenvermittlungsprozess teilen sie mit den Interessenorganisationen ein typisches Merkmal: Bürgerinitiativen sind Initiativen von Bürgern für Bürger(-interessen). Die Vermittlungsleistung von Bürgerinitiativen zwischen gesellschaftlichen Interessen und politischem System hängt jedoch maßgeblich vom Organisationstyp ab. Die lose organisierte Bürgerinitiative mit funktional differenzierter Aufgabenverteilung, relativ offener Führungsstruktur und einem ausgeprägten informellen Kommunikationsgeflecht ist auf dauernde Rückkoppelung mit der gesellschaftlichen Umwelt angewiesen. Diese dürfte eine schichten- und geschlechtergrenzenüberschreitende Kommunikation erleichtem. Bürgerinitiativen markieren nachweislich ein unkonventionelles Partizipationsfeld, das sich schwach institutionalisiert durch kulturell bedingte Nähe zur weiblichen Sozialisation auszeichnet und deshalb, eher als in Parteien und Verbänden, eine geschlechtsspezifische Inklusion befördert (Hoecker: 1995, S. 174ff. mit weiteren Nachweisen). Demgegenüber nimmt die formal institutionalisierte, vom Organisationstyp her einem Interessenverband gleichende Bürgerinitiative eher den Charakter eines sozialen (Aus-)Schließungsinstruments an, wenn es um die Interessenberücksichtigung von Frauen und sozialen Unterschichtangehörigen geht. Im Ergebnis organisieren Parteien, Verbände und Bürgerinitiativen überwiegend Mittelschichtenkommunikation. In der herrschenden Mittelschichtgesellschaft mit wachsenden Anteilen von neuen Armen, Randständigen und Ausgegrenzten or-

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ganisieren diese Einrichtungen die politische Kommunikation zwischen Bürgern und Parlament an starken gesellschaftlichen Minderheiten vorbei. Inwieweit Bürgerinitiativen und neue Bewegungsparteien auch für diese Gruppen Interessen vermitteln können, bleibt offen. Milieuverhaftung und Rückbindung an Alltagskulturen allein reichen nicht hin, um politische Kommunikation nicht mehr nur für, sondern mit und durch die Ausgegrenzten zu fuhren. Das Problem liegt im notwendigerweise mediatisierenden Charakter von organisierter Kommunikation und damit von Interessenvermittlung durch Organisationen. Mit der Organisation kommt die schichten- und geschlechtsspezifische innerorganisatorische Herrschaftsstruktur auf. Die Interessenselektion setzt sich fort in der innerorganisatorischen Filterung von organisierten Interessen. Hierin unterscheiden sich stark formalisierte Bürgerinitiativen kaum von traditionellen gesellschaftlichen Interessenorganisationen. Im Unterschied zu diesen verfugen Bürgerinitiativen allerdings über ein ausgeprägteres Sensorium für interessenspezifische Themen der Alltagspraxis unterhalb der Oberfläche neuer sozialer Bewegungen. Damit erweitern sie das Interessenspektrum im organisierten Vermittlungsprozess zwischen Bürgern und Parlament. Hierbei kommt ein weiterer Unterschied zum Tragen. Bürgerinitiativen sind, im Vergleich zu Parteien und Verbänden, temporär begrenzt und haben zumeist ein staatliches Gegenüber im kommunalen oder regionalen Umfeld. Ihre Ansprechpartner sind Kommunalund Landesparlamente. Gegenüber dem Bundestag artikulieren Bürgerinitiativen Bürgerinteressen häufig in Form von Petitionen (-» § 10, IV.), kaum jedoch durch die Kanäle des parlamentsinternen Lobbyismus oder von Pressure-Strategien. Mehr als die anderen Interessenorganisationen sind Bürgerinitiativen für ihre Vermittlungsleistung auf politische Bewegungsöffentlichkeit und deren Kommunikationsmedien angewiesen: Kundgebungen, Flugblätter, Anzeigenkampagnen etc. Sie konterkarieren und kompensieren damit die Publizitätsfeindlichkeit der Verbands- und parteiförmigen Interessenvermittlung. Mit ihrer Öffentlichkeitsorientierung tragen Bürgerinitiativen zur Politikvermittlung bei. Welchen Beitrag leisten Parlament, Verbände und Parteien?

3. Interessenorganisationen und Parlamentsöffentlichkeit: Die parlamentarische Politikvermittlung Ob die interessengeladene Informationsaufnahme aus der Gesellschaft durch intermediäre Einrichtungen gelingt, und inwieweit organisierte Interessen kommunikativ in parlamentarische Politikbearbeitung vermittelt werden, hängt entscheidend von der politischen Kommunikationsleistung des Parlaments ab. Das Parlament stiftet Kommunikation mit einem gesellschaftlichen Publikum von Bürgern auf der Grundlage seiner Öffentlichkeitsfunktion (Kißler: 1976). Diese umfasst die Publizität der parlamentarischen Politikbearbeitung und die Teilnahme eines gesellschaftlichen Publikums. Die rechtsstaatlich gebotene und demokratisch erforderliche Parlamentsöffentlichkeit ist die Kehrseite der politischen Repräsentation von gesellschaftlichen Interessen durch die Parlamentarier. "Öffentlichkeit ist das Medium, in dem der Vertreter für jedermann erkennbar verantwortlich handelt" (Meyer: 1989, S. 122). Parlamentarische Öffentlichkeit dient dadurch der Vermittlung von Politik gegenüber den Bürgern.

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Damit ist ein komplexes Problemfeld umschrieben, für das kennzeichnend ist, "dass jedes demokratische System spezifischer Verfahren und Institutionen bedarf, durch welche Politik zwischen Herrschenden und Beherrschten, zwischen den Führungseliten und den Bürgern, vermittelt wird" (Sarcinelli: 1987, S. 19). Im politischen System der Bundesrepublik richtet sich dieser Vermittlungsanspruch vorrangig an das Parlament und an die politischen Parteien. Weitere wichtige Politikvermittlungsagenturen sind die Interessenverbände. Parteien und Verbände durchwirken die Gesellschaft. Soweit sie in gesellschaftliche Konfliktfelder und Interessenlagen hineinreichen, geben sie "Frühwamsysteme" für das politische System ab. Die oben skizzierten Tendenzen zur Selektion und Filterung von Interessen durch die Interessenorganisationen wirken jedoch desensibilisierend und können zum Verlust von Systemempfindlichkeit für gesellschaftliche Interessenlagen und Konfliktfelder führen. Vermittels Publizität des Partei- und Verbändehandelns wirken die Interessenorganisationen aber auch auf die Gesellschaft zurück und entfalten damit Responsivität (v. Alemann: 1990, S. 113). Die Interessenorganisationen erfüllen diese Kommunikationsaufgabe auf zwei Wegen: zum einen in Arbeitsteilung mit dem Parlament. Hierin liegt die Chance, die parlamentarische Öffentlichkeit auf gesellschaftliche Bereiche hin zu erweitern, die ansonsten parlamentarisch inszenierter Kommunikation verschlossen blieben, aber auch das Risiko, das Parlament zu paralysieren. Zum anderen erledigen die Interessenorganisationen die Kommunikationsaufgabe in Kooperation mit dem Parlament mit der Folge, dass sie die parlamentarische Vermittlungsleistung stärken und gleichzeitig riskieren, deren Defizite mit zu verantworten. Parlamentarische Politikvermittlung auf der Grundlage von Parlamentsöffentlichkeit erfüllt drei Aufgabenbündel (Kißler: 1989, S. 996ff.): (1) Politische Sozialisation (Bildungsfunktion) (2) Demokratische Beteiligung (Partizipationsfunktion) (3) Rationalisierung von Herrschaft (Legitimationsfunktion). Die dem Parlament von jeher zugeschriebene "Teaching Function" steht im direkten Bedingungszusammenhang mit der parlamentarischen Interessenvermittlung: "Die Öffentlichkeit der Ständeversammlungen ist ein großes, die Bürger vorzüglich bildendes Schauspiel und das Volk lernt daran am meisten das Wahrhafte seiner Interessen kennen". Was Hegel (1770-1831) (:1970, S. 482) für die Ständeversammlung feststellt, gilt auch für das Parlament. Die Interessenorganisationen beteiligen sich an dieser Bildungsaufgabe, soweit sie politische Kommunikation auf der Grundlage von Organisationsöffentlichkeit herstellen. Die politische Sozialisationsaufgabe dient auch der demokratischen Beteiligung. Wer sich beteiligen will, muss die politischen Willensbildungs- und Entscheidungsgrundlagen kennen, seine Interessen abzuschätzen wissen und fähig sein, diese in Entscheidungsprozesse einzubringen. Demokratischer Beteiligung sind deshalb beantwortbare parlamentarische Information und Möglichkeiten der Informationsbeantwortung vorausgesetzt. "Teilnahme bedeutet gleichzeitig Einbindung. Die Möglichkeit demokratischer Mitwirkung durch die Interessenverbände (und anderer Interessenorganisationen, Ergänzung von L. K.) fordert die Integration der durch sie vertretenen Interessen und verpflichtet sie gleichzeitig auf rationale Formen politischer Entscheidungsfindung und -ausführung, die auf Verhandlung, Kompromiss und Kooperation angelegt sind" (Sternberg: 1989, S.

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200). Wie für die Interessenorganisationen gilt auch für die Organisationsmitglieder: Ihre Integration setzt Partizipation voraus. Die Sozialisationsleistung der Interessenorganisationen beruht auf einem Politikvermittlungsprozess nach innen, der in einem Spannungsverhältnis zur effizienten Interessenvermittlung nach außen stehen kann. Was organisationspolitisch geboten ist, dient noch lange nicht der innerorganisatorischen Demokratie. Wenn die Mitglieder eine Akklamationsgruppe für die Verbandsführung darstellen, dann kann das Beteiligungsdefizit auch dazu dienen, „gesetzgeberische oder verwaltungsmäßige Entscheidungen, an denen die Verbandsrepräsentanten mitgewirkt haben, der eigenen Gruppe gegenüber zu vermitteln, zu erläutern und mögliche Widerstände gegen ihre Verwirklichung auszuräumen" (Weber: 1987, S. 211). Parlamentarische Öffentlichkeit ist demnach durchaus ambivalent. Sie kann der pseudopartizipativen Integration von Interessenträgem, aber auch deren Beteiligung an politischer Kommunikation dienen. In diesem Fall trägt sie dazu bei, die Entfremdung zwischen Bürgern und politischen Einrichtungen zu überwinden. Sie schafft Vertrauen. Nur als Öffentlichkeitsorgan ist das Parlament deshalb auch Legitimationsorgan für politische Herrschaft. Legitimationsbegründung findet vor allem auf der Grundlage von Wahlen statt. In einem politischen System, in welchem die Bürgerbeteiligung auf den Wahlakt beschränkt bliebe, ohne eingebunden zu sein in einen permanenten Austausch von Meinungen, Kritik und Interessenartikulation, bliebe ungeklärt, wie die Wahl Ausdruck einer rationalen Wählerentscheidung sein kann. Nur wo der Disput nicht in der Demonstration bereits getroffener Entscheidungen versandet, sondern durch beantwortbare Information über das Entscheidungsprogramm die Bürger in den Entscheidungsprozess mit einbezieht, ist politisches Entscheidungshandeln rational. Inwieweit wird die parlamentarische Praxis der Interessen- und Politikvermittlung diesen Kriterien gerecht? Mit einigen Schlaglichtern auf den empirischen Befund der politischen Interessenrepräsentation und parlamentarischen Öffentlichkeit wird im folgenden geantwortet. Gegenstand der Untersuchung ist der Deutsche Bundestag.

II. Die Organisation gesellschaftlicher Interessen im Deutschen Bundestag 1. Der Abgeordnete als Interessenvertreter: Die interne Lobby "Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen", heißt es in Art. 38 Abs. 1 GG. Damit wird der Abgeordnete (-» s.a. § 9, VIII.) zum Subjekt der parlamentarischen Öffentlichkeit und politischen Interessenrepräsentation erklärt. Die Verfassungsvorschrift des freien Mandats definiert den Abgeordneten zum Interessenvertreter, allerdings nicht zum Vertreter von Partikularinteressen. Er entscheidet für das ganze Volk, ungeachtet der Tatsache, dass er nur von einem Teil desselben gewählt wurde. Die Anerkennung der Entscheidungen von individuell bestellten Amtswaltern als Entscheidungen des Parlaments setzt jedoch eine allgemeine Rückbindung der Abgeordnetentä-

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tigkeit an das Volk voraus, die über den Wahlakt hinausgeht. Hierin wurzelt die kommunikative und die organisatorische Funktion des freien Mandats. Während die organisatorische Zweckbestimmung des freien Mandats die Loslösung des Abgeordneten von Einzelinteressen ermöglichen soll, besteht seine kommunikative Funktion in der Öffnung der Abgeordnetentätigkeit gegenüber einem möglichst breiten gesellschaftlichen Interessenspektrum. Die Verfassungsvorschrift berechtigt den Abgeordneten nicht nur auf Meinungen, Vorstellungen u.a.m. einzugehen, sie verpflichtet ihn auch dazu. Seinem Status als "Vertreter des ganzen Volkes" wird er nur dadurch gerecht, dass er sich um Ausgleich der unterschiedlichen Interessenanforderungen bemüht; denn diese gehören zu den entscheidungserheblichen, im "Gewissen" (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG) zu reflektierenden Umständen. Die Voraussetzung hierfür schafft das freie Mandat, indem es die Kommunikationskanäle zwischen Parlament und Bürgern über die sozialen Klassen- und Schichtgrenzen hinweg offen hält und damit das Spektrum an gesellschaftlichen Interessen, die an den Abgeordneten adressiert werden können, nicht, wie beim imperativen Mandat, auf eine bestimmte Gruppe verengt. Die vom freien Mandat begründete kommunikative Vermittlungsposition des Abgeordneten bestimmt auch sein Verhältnis zur Fraktion. Der Abgeordnete unterliegt der Fraktionsdisziplin (—» § 9, VII.). Im Unterschied zum Fraktionszwang ist damit ein "Pflichtreflex" der Beachtung gegenüber Anleitungen und Vorgaben der Fraktion gemeint (aus der umfangreichen Literatur Kasten: 1985, S. 475ff. mit weiteren Nachweisen). Diese starke Position des Abgeordneten gegenüber parlamentsexternen Partikularinteressen und parlamentsinternen Fraktionsinteressen, wie sie das freie Mandat einräumt, steht im Spannungsverhältnis zum Parteienprivileg des Art. 21 GG und zur Geschäftsordnung des Bundestages (-» 9, II.), welche die Abgeordnetenposition zugunsten des Fraktionsparlaments schwächt (Hamm-Brücher: 1989, S. 686ff.). Wie sieht der Abgeordnete selbst seine Position im Bezugsfeld von Partikularund Fraktionsinteressen? Nach einer Befragung sämtlicher deutscher Landes-, Bundes- und Europaparlamentarier zu ihrem Amtsverständnis begreifen sich 86 % der Parlamentarier als „Sachwalter des Gemeinwohls", 67 % als „Vertreter der Bürger" und nur 13 % als Vertreter von „nahestehenden Interessengruppen" (Patzelt: 1996, S. 468). Für die Abgeordneten des Bundestages belegt eine 1988/89 durchgeführte Befragung: Entgegen dem Verfassungsbild vom „Vertreter des ganzes Volkes", begreifen sich die Parlamentarier eher (zu 47 %) als „Vertreter ihrer Wähler" (Herzog/Rebenstorf/Werner/Weßels: 1990, S. 126). Dieser Rollenperzeption der Abgeordneten entsprechen weitgehend die Rollenerwartungen der Wähler. Diese sehen im Bundestag weder eine Versammlung von Parteifiinktionären noch von Interessenvertretern. Man erwartet eine Orientierung am und den direkten Kontakt zum Wähler. Inwieweit diese Erwartungen enttäuscht werden, kann ein Blick auf die tatsächliche Rollenerfüllung klären. Was tun die Abgeordneten wirklich? 86 % der Abgeordneten sehen ihren Tätigkeitsschwerpunkt in der Regierungskontrolle, 83 % in der Wahlkreisarbeit, 68 % bei der Mitwirkung an der Gesetzgebung und nur 33 % in der Vertretung von Interessengruppen. Haben demnach die Abgeordneten taube Ohren gegenüber organisierten gesellschaftlichen Interessen? In der Tat steht die Selbstzuschreibung von Tätigkeitsschwerpunkten durch die Abgeordneten im Kontrast zum hohen Anteil von Vertretern bestimmter gesellschaftlicher Interessen im Bundestag. Abgeordnete die "hauptberuflich oder eh-

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renamtlich Funktionen in einem Verband ausüben oder ausgeübt haben (z.B. Geschäftsführer von Verbänden, Verbandsvorsitzende auf Kreis- Bezirks- und Bundesebene, Vorstandsmitglieder, Verbandsangestellte, Gewerkschaftssekretäre und Vertreter der innerparteilichen Interessengruppen"; Schindler: 1999, S. 718) machen mehr als die Hälfte (58,1 %) der Mitglieder des 14. Dt. Bundestages aus. Neben diesen Verbandsvertretern im engeren Sinn sitzen auf den Abgeordnetenbänken "einfache" Verbandsmitglieder, im 12. Dt. Bundestag 39,4 %, davon mehr als die Hälfte (20,7 %) aus kulturellen, wissenschaftlichen, religiösen und politischen Vereinigungen (Schindler: 1999, S. 720). Nun folgt aus der Mitgliedschaft in einer Interessenorganisation noch nicht automatisch die einseitige Interessenberücksichtigung in der parlamentarischen Arbeit, wohl aber "ein offenes Ohr und Verständnis für die Belange 'ihres' Verbandes" (Steinberg: 1989, S. 227). Die parlamentarische Arbeit findet vor allem in den Fraktionen und Ausschüssen statt. Deren "Verbandsfärbung" zeigt, inwieweit sie gesellschaftliche Interessen organisieren und um welche Interessen es sich dabei handelt.

2. Die Fraktion als parlamentarische Organisationsform von gesellschaftlichen Interessen Die Fraktionen verkörpern die verlängerten Arme der Parteien in das Parlament (—> § 9, VII.). Mit ihnen transportieren die Parteien gesellschaftliche Interessen ihrer Mitglieder und Wähler in den parlamentarischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess. Um welche Interessen handelt es sich? Die Parteien vermitteln gesellschaftliche Interessen an die Fraktionen durch ihre sozialstrukturelle Verankerung. Diese lässt sich, wie oben ausgeführt wurde (I.), festmachen an sozialen Konfliktlagen, deren Entwicklung in vier Phasen die Parteienlandschaft und den Interessenbezug der Bundestagsfraktionen veränderte: Kennzeichnend für die erste Phase bis in die 60er Jahre hinein ist ein parlamentarischer Bedeutungsverlust von Interessen, die sich, wie in der Weimarer Republik, an der nationalen (Zentrum versus Peripherie) und an der agrarisch-industriellen Konfliktlinie (Stadt versus Land) bilden. Die zweite, "sozialliberale" Phase bringt eine Annäherung der beiden großen Fraktionen in der Orientierung an gesellschaftlichen Interessenlagern auf der Grundlage einer abgeschwächten sozialen Differenzierung der Parteien (Nachweise bei Veen/Gluchowski: 1988, S. 226 ff.). Kennzeichnend für die dritte Phase ist die Ausweitung des parlamentarisch vertretenen, fraktionell organisierten gesellschaftlichen Interessenspektrums über traditionelle Konfliktlinien und Milieubindungen der Parteien hinaus. In der vierten gegenwärtigen Phase zeichnen sich eine Re-Orientierung des Parlaments an industriegesellschaftlichen Konfliktlinien und eine Konzentration auf entsprechende gesellschaftliche Interessenlagen ab. Diese Entwicklung findet nicht nur ihren Ausdruck in der Rückbindung der Parlamentsfraktionen an gesellschaftliche Interessen durch die politischen Parteien. Diese verkörpert nur die eine Seite der Interessenorganisationen durch die Fraktionen. Ihre zweite Seite besteht in der Integration organisierter Interessen in die Bundestagsfraktionen. Der gesellschaftlichen Interessenbindung der Parteien entspricht die Verteilung der organisierten Interessen auf ihre Fraktionen (Schindler: 1999, S. 720). Durch alle Wahlperioden hindurch findet sich in der CDU/CSU-Fraktion ein erheblicher Anteil an Verbandsvertretern aus Arbeitgeber-, Wirtschafts- und mittelständi-

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sehen Verbänden. Die SPD-Fraktion organisiert vor allem die Interessen aus dem Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsbereich. Insgesamt ist die Verbandsfärbung der Fraktionen beeindruckend. Verteilt man die Vertreter (nicht einfache Mitglieder) sämtlicher im 12. Dt. Bundestag organisierter Interessen (= 39,4 % der Abgeordneten) auf die einzelnen Fraktionen, dann setzen sich die Fraktionen der CDU/CSU nahezu zur Hälfte (44,8 %), der SPD zu einem Drittel (31,0 %), der FDP fast gleich auf zur CDU/CSU (43,0 %) aus Verbandsvertretern zusammen. Schwächer ausgeprägt ist die Verbandsfärbung der Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen (12,5 %) und der PDS (8,8 %). Wie kommt diese Verbandsfärbung der Bundestagsfraktionen zustande? Verbände bauen ihre Lobby auf zwei Wegen in die Fraktionen ein: Mittelbar durch die interessenmäßigen Gliederungen in den Parteien selbst, wie z.B. die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen in der SPD, durch zahlreiche und nur zum Teil institutionalisierte Querverbindungen zwischen Parteien und parteinahen Interessenverbänden (wie z.B. zwischen Wirtschaftsrat und CDU). Dies eröffnet den Interessenorganisationen Einflussmöglichkeiten auf die Kandidatenaufstellung der Parteien bei Parlaments wählen. Die Offenheit der Bundestagsfraktionen gegenüber parteinahen Interessenorganisationen erklärt sich vor allem aber durch deren direkte Beteiligung bei der Auslese von Wahlkreiskandidaten und bei der Aufstellung von Landeslisten (Steinberg: 1989, S. 237). Die Vertreter der Unternehmerverbände, Mittelstandsvereinigungen, Gewerkschaften, Beamten, Landwirte, Heimatvertriebenen besetzen dann als Fraktionsexperten die für ihre Interessenorganisation relevanten Bundestagsausschüsse. Das Ausmaß der Ausschussbesetzung durch Verbandsvertreter ist allerdings unterschiedlich groß (v. Beyme: 1990, S. 187). Die Ausschüsse (-> i.E. § 9, VI.) entwickeln sich dadurch zu "Verbandsinseln" für organisierte Interessen. Dies wird vor allem bei der Besetzung von Vorsitzenden- und Stellvertreterpositionen in den Ausschüssen deutlich. Von den zwischen 1949 und 1985 vergebenen 118 Führungspositionen gingen 50 % (42 %) an Interessenvertreter. Insbesondere in jenen Ausschüssen, deren Arbeit stark organisierte Interessen unmittelbar tangiert (wie z.B. der Wirtschaftsausschuss), übernimmt den Vorsitz regelmäßig ein Abgeordneter mit einschlägigem beruflichen oder verbandlichen Hintergrund. Dadurch bilden sich "regelrechte 'Arenen', begrenzte und abgegrenzte Schauplätze von Interessen und Politikbearbeitung" (Weßels: 1987, S. 309). Allerdings zeigt eine Befragung der Verbandsgeschäftsführer von sämtlichen in der Lobbyliste des Bundestages verzeichneten Verbänden im Jahr 1994 „dass für die große Mehrzahl der Verbände die Tätigkeit einer .inneren Lobby' von verbandsnahen Abgeordneten keine Rolle spielt" (Sebaldt: 1996, S. 688). Offenbar besteht eine Diskrepanz zwischen der Verbandsfärbung der Fraktionen und Verbandsdichte der Ausschüsse auf der einen und ihrer realen Bedeutung für die Interessenvermittlung in Politik auf der anderen Seite. Gleichwohl spiegeln sie die Spezialisierung und Arbeitsteilung des politisch-parlamentarischen Prozesses wider und werden verstärkt durch die Berufsstruktur des Parlaments als einem wesentlichen Element seines Sozialprofils.

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3. Das Sozialprofil des Bundestages als Abbild gesellschaftlicher Interessen Aus der sozialen Zusammensetzung des Bundestages lässt sich erschließen, welches gesellschaftliche Interessenspektrum das Parlament, über die organisierten Interessen hinaus, abdeckt. Die Frage, ob seine Sozialstruktur ein Spiegel- oder Zerrbild der gesellschaftlichen Interessenlagen darstellt, ist für seine Leistungsfähigkeit als Organ der Interessen- und Politikvermittlung von Bedeutung; denn das Sozialprofil des Bundestages bringt den Umfang der sozialen Repräsentation von gesellschaftlichen Interessen zum Ausdruck. Daraus zieht das Parlament die Kraft zur politischen Repräsentation. Und schließlich beantwortet die sozialstrukturelle Zusammensetzung des Bundestages die Frage, wohin der parlamentarische Vermittlungsprozess in der Gesellschaft reicht, mit anderen Worten: Welche gesellschaftlichen Schichten und Gruppen an der Parlamentsöffentlichkeit teilhaben. Das Sozialprofil konditioniert demnach die für parlamentarische Interessen- und Politikvermittlung maßgeblichen Parlamentsfunktionen der politischen Repräsentation und parlamentarischen Öffentlichkeit. Der Bundestag ist weit davon entfernt, eine Gesellschaft en miniature zu sein. Ein Blick in den Plenarsaal genügt. Dort agieren vornehmlich Männer. Auch wenn sich der Frauenanteil - bei großen Unterschieden zwischen den einzelnen Fraktionen - erhöht hat, so liegt er doch noch erheblich unter dem Organisationsgrad von Frauen in den politischen Parteien (Höcker: 1986, S. 65f). Von den 669 Mitgliedern des 14. Bundestages ist nahezu jedes dritte weiblich (30,9 %). Damit konnte der durchschnittliche Frauenanteil der ersten 10 Wahlperioden (= 8,6 %) mit nur 4 Bundestagswahlen fast vervierfacht werden. Allerdings nehmen die weiblichen Bundestagsmitglieder bislang kaum parlamentarische Führungspositionen in Fraktionen und Ausschüssen ein. Deshalb bleibt ihr Einfluss auf die dort organisierten Interessen und deren parlamentarische Vermittlung bescheiden. Außerordentlich stabil bleibt die parlamentarische Sozialstruktur in drei weiteren Dimensionen. Der Bundestag ist ein Parlament von öffentlich Bediensteten. Mehr als ein Drittel der Abgeordneten des 14. Bundestages sind Beamte oder Angestellte des öffentlichen Dienstes. Der nach wie vor (zu) hohe Beamtenanteil hat in deutschen Parlamenten Tradition. Er lag schon im Paulskirchen-Parlament (-» § 1, III.) bei 57,9 % (vgl. Eyck: 1973, S. VII). Ein nach wie vor ungebrochener Trend zur Akademisierung (65,2 % der Abgeordneten des 14. Bundestages haben einen Universitätsabschluss) kennzeichnet darüber hinaus das parlamentarische Sozialprofil. Mit der Akademisierung des Abgeordnetenamtes holt der Bundestag nur nach, was in den Interessenorganisationen schon länger als Karrierevehikel gilt - eine Hochschulausbildung. Im Gewand der Interessenvertreter kommen deshalb auch die Akademiker ins Parlament. Wenn der Bundestag "gebildeter geworden" ist (Müller, E.-P.: 1988, S. 200ff.), dann ist dies auch Ausdruck der Verwissenschaftlichung von Politik. Politikbearbeitung im Parlament wurde zum Geschäft von Experten. Mit Experten sind in der Regel wissenschaftlich vorgebildete Spezialisten gemeint. Als Abgeordnete ohne Verbandshintergrund verkörpern sie quantitativ die größte Gruppe im Bundestag: die Experten für das Allgemeine. In Kooperation und engem Kontakt mit den Verbandsvertretern, den Experten für das Besondere, tragen sie dazu bei, dass vor allem die Ausschussarbeit Expertenangelegenheit bleibt. Und schließlich weist das Sozialprofil des Bundestages die Tendenz zur sozialen Nivellierung auf. Fast ein Fünftel der erwachsenen Bevölkerung kommt aus der Arbeiterschaft, dagegen 1,0 %

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der Abgeordneten des 13. Bundestages. Zusammen mit den Hausirauen (1,6 % der Mandate und 2,7 % der weiblichen Abgeordneten) - eine der großen Bevölkerungsgruppen - zählen die Arbeiter in der Bundestagstatistik zu den "politischen Randgruppen" (Müller, E.-P.: 1988, S. 190). Die angezeigten Trends reichen durch sämtliche Wahlperioden hindurch. Denn, trotz leicht gestiegenem Risiko des Mandatsverlustes, verfugt der Bundestag über eine bemerkenswert geringe personelle Mobilität (Kaack: 1988, S. 169ff.). Dies hält sein Profil als sozial nivelliertes, "verbeamtetes" Akademikerparlament stabil. Seine Interessen- und Politikvermittlung ist mittelschichtorientiert. Zwar hat der Bundestag vor allem durch die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN seine Sensibilität für die interessenbezogenen Themen eines in den neuen sozialen Bewegungen und Milieus politisch und sozial verorteten außerparlamentarischen Publikums vergrößert. Aber das verengte Adressatenfeld eines "Mittelschichtparlaments" konnte er nicht erweitern. Die soziale Repräsentation gesellschaftlicher Interessen im Bundestag kann deshalb die eingangs skizzierten (I.) Vermittlungsdefizite der Interessenorganisation nicht kompensieren. Vielmehr verstärkt sie den sozialen Schließungsprozess der schichtenspezifischen Interessenselektion durch Parteien und Verbände. Der Bundestag organisiert die gesellschaftlichen Interessen der nivellierten Mittelschichtgesellschaft. Er wird darüber hinaus zum Adressaten von Interessen, soweit diese stark genug organisiert sind und parlamentsbezogen agieren. III. Der Bundestag als Adressat von gesellschaftlichen Interessen Gesellschaftliche Interessen werden in organisierter Form von den Verbänden in politische Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse eingebracht. Der Bundestag verfügt über das Gesetzgebungsmonopol auf Bundesebene (vgl. Art. 77 Abs. 1, S. 1 GG). Dies macht ihn zu einem wichtigen Adressaten von Verbandsaktivitäten mit dem Ziel, die organisierten Interessen der Mitglieder zur Geltung zu bringen und ihnen parlamentarischen Einfluss zu verschaffen. 1. Interessenvermittlung durch Pressure-Strategien Die Verbände vermitteln organisierte Interessen als pressure-groups. Sie üben mit Instrumenten der unmittelbaren und in Formen der mittelbaren Einflussnahme "Druck" auf das Parlament aus. Zu den Pressure-Instrumenten der unmittelbaren Einflussnahme zählt der Lobbyismus. Dieser stellt die klassische Form des Verbandseinflusses dar. Die direkte Kontaktaufnahme zwischen Verbandsvertretern zu Abgeordneten in der Lobby des Parlaments spielt heute kaum noch eine Rolle. Neben der oben beschriebenen eingebauten Lobby, die in der "Verbandsfärbung" des Bundestages zum Ausdruck kommt, verfügt der externe Lobbyismus über institutionalisierte Einflussformen. Dazu zählen - förmliche Kontakte zwischen Verbänden und "nahestehenden" Abgeordneten im Rahmen von Arbeitskreisen und Kontaktgruppen in Fraktionen, - Abgeordnetensprechstunden, - Enquéte-Kommissionen (Braß: 1990, S. 65ff.; ->• § 9, VI.) und

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- nicht-öffentliche Anhörungen von Interessenvertretern durch die Bundestagsausschüsse (vgl. Weßels: 1987, S. 290f.; -> § 10, II.). Die organisierten Interessen finden einen privilegierten Zugang zum Parlament durch die öffentliche Anhörung (Hearing) der Bundestagsausschüsse, in der Sachverständige und Interessenvertreter zu Wort kommen. Nach dem Vorbild des amerikanischen Kongreßhearings seit 1952 eingerichtet, haben die Bundestagsausschüsse von öffentlichen Informationssitzungen zunächst nur zögerlich Gebrauch gemacht. Seit der 5. Wahlperiode gewinnt jedoch die öffentliche Anhörung an Bedeutung. Heute passiert kaum noch eine Gesetzesvorlage von Gewicht den zuständigen Ausschuss ohne öffentliche Anhörung. Wer bei der öffentlichen Anhörung gehört werden will, muss dies publik machen. Die Verbände sind in einer beim Präsidenten des Bundestages geführten Liste registriert. Diese umfasst jeweils Name und Sitz des Verbandes, Zusammensetzung von Verband und Geschäftsführung, Interessenbereich, Mitgliederzahl, Namen der Verbandsvertreter und Anschrift der Geschäftsstelle bei Bundestag und Bundesregierung. In der "Lobbyliste" waren 1997 1.631 Verbände registriert. Im Jahre 1994 kamen von den registrierten Verbänden nahezu Zweidrittel aus dem Bereich „Ökonomie" (64,5 %), bei wachsenden Anteilen der Bereiche „Soziales" (16,2 %) und Kultur (11,4 %) (Sebaldt: 1996, S. 662f.). Gleichwohl ist ihr Informationswert gering. Sie gibt keine Auskunft über die Zahl der von den Verbänden tatsächlich Repräsentierten und das darin ruhende Einflusspotential. Die Listeneintragung sagt auch nichts über Verbandseinnahmen, Mitarbeiterzahl, Werbeaufwendungen, finanzielle Zuwendungen an Parteien und Abgeordnete aus (Steinberg: 1989, S. 256). Immerhin dokumentiert die Liste die Vielfalt organisierter Interessen, von denen die Ausschüsse eine spezifische Auswahl treffen. Entsprechend unterschiedlich setzt sich die geladene Expertenschaft zusammen. Allerdings spielen "unabhängige Experten" insgesamt eine untergeordnete Rolle. "Eingeladen sind fast ausschließlich Experten in dem Sinne, dass sie kompetent sind, bestimmte Interessen zu artikulieren und zu vertreten" (Weßels: 1987, S. 293). Ein Vergleich der Ausschussthemen mit den eingeladenen Interessenvertretern zeigt, dass offenbar das "Betroffenheits-Prinzip" ein wichtiges Auswahlkriterium darstellt. Allerdings wird dabei auch die Überrepräsentation von Arbeitgeber- und Unternehmerorganisationen deutlich (Weßels: 1987, S. 296). Die öffentliche Ausschussanhörung markiert aber nur eine Station in einem längeren Politikbearbeitungsprozess, der mit der öffentlichen Anhörung von Interessenvertretern in seine parlamentarische Endphase kommt. Seine Dynamik gewinnt dieser Prozess in der Regel nicht aus der Mitte des Parlaments, sondern durch externe Kraftzentren: die Ministerialbürokratie, politischen Parteien, Massenmedien. Diese bilden deshalb auch die bevorzugten Einfallstore für mittelbare Formen der institutionalisierten Verbandseinwirkung. 2. Interessenvermittlung durch mittelbare Einflussnahme auf den parlamentarischen Prozess Mittelbare Formen der Einflussnahme von Interessenorganisationen auf die parlamentarische Politikbearbeitung sind außerhalb des Parlaments institutionalisiert. Gehör finden die Interessenorganisationen bereits im Vorfeld öffentlicher Ausschusssitzungen, im Referentenstadium von Gesetzen. Die förmliche Einfluss-

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nähme im konzeptionellen Bereich, rechtlich abgesichert in § 24 der gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien Teil II (abgedr. in: Steinberg: 1989, S. 234) öffnet den Verbänden ein breites Mitwirkungsfeld und beschleunigt den parlamentarischen Durchlauf der Gesetzesentwürfe. Allerdings beschränkt diese Vorschrift auch die Mitwirkungsmöglichkeiten auf solche Verbände, deren Wirkungskreis sich über das gesamte Bundesgebiet erstreckt. Kommunale und regionale Interessen finden deshalb nur insoweit einen direkten Zugang zur Vorbereitung von Gesetzentwürfen (-> s.a. § 10, III) in Bundesministerien als sie von den Bundesspitzen der verbandlichen Organisation und von diesen in den ministeriellen Politikbearbeitungsprozess transportiert werden. Zur Beschleunigung des parlamentarischen Durchlaufs von Gesetzentwürfen trägt auch die große Anzahl der bei sämtlichen Ministerien angesiedelten Beiräte und Expertenkommissionen bei, die zum Teil mit Interessenvertretern besetzt sind. Die Verbandsmitwirkung im Problemdefinitions- und Konzeptionalisierungsstadium wird weiterhin gewährleistet durch die eingebaute innere Lobby. Wie der Bundestag, so weist auch die Ministerialbürokratie eine Verbandsfärbung auf, welche in sogenannten Daseinsvorsorgeministerien besonders ausgeprägt ist. Dies verweist auf den Umstand, dass die Verbandsmitwirkung von beiden Seiten gewollt ist. Ihr liegen nicht nur Pressure-Strategien der Interessenorganisationen, sondern auch eine spezifische Nachfragepolitik der Ministerien zugrunde, die aus der Allzuständigkeit des modernen Daseinsvorsorgestaates folgt (vgl. Weber: 1987, S. 212). Absprachen, Kontaktpflege und Öffnung politischer Entscheidungsprozesse gegenüber den entscheidungsbetroffenen gesellschaftlichen Interessenorganisationen sind zur Voraussetzung für politische Effizienz im allgemeinen und für gesellschaftliche Effektivität von Gesetzen im besonderen geworden. Dies gilt auch für die Politikvermittlung durch die politischen Parteien. Im Bestreben möglichst viele Wähler und Mitglieder zu binden, müssen sich die Parteien für unterschiedliche gesellschaftliche Interessen öffnen. Sie räumen den Verbänden Mitwirkungsmöglichkeiten bei der Kandidatenaufstellung ein; denn die Verbandsrepräsentanten binden en bloc Wählerstimmen an die Partei. Sie werden deshalb auf sicheren Listenplätzen abgesichert (Kremer: 1984, S. 123). Dadurch avancieren im Gegenzug die Parteien zu Adressaten der Verbandsmitwirkung am politisch-parlamentarischen Prozess. Die Verbände wirken jedoch nicht nur bei der Gesetzgebung, sondern auch bei der Interpretation und Anwendung von Gesetzen mit. Auch die Judikative steht im Kräftefeld organisierter Interessen. Diese nehmen Stellung zu bestimmten, die Verbandsinteressen tangierenden Verfahren. Soweit es sich um Verfahren des Bundesverfassungsgerichtes handelt, entsprechen solche förmlichen Stellungnahmen der ständigen Gerichtspraxis. Darüber hinaus nehmen die Verbände auch verdeckt Einfluss, indem sie z. B. "Musterprozesse" führen lassen (Steinberg: 1989, S. 238). Zum wichtigsten Einfallstor des mittelbaren Verbandseinflusses auf den parlamentarischen Prozess gehört die Medienöffentlichkeit. Die Verbände können über die Massenmedien (—> § 26) Einfluss ausüben, indem sie - die Aufsichtsgremien der Funkmedien kontrollieren. Dies trifft vor allem für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkräte zu, in denen die "relevanten gesellschaftlichen Kräfte" vertreten sind. - durch Öffentlichkeitsarbeit selbst an der inhaltlichen Medienproduktion teilnehmen. Zur "Pflege des Meinungsklimas" (Weber: 1987, S. 214) verfugen große Verbände über eigene Public-Relations-Abteilungen, Pressedienste, wissen-

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schaftliche Forschungsinstitute u.a.m. Sie organisieren Kongresse, unterhalten ständigen Kontakt zu Verlegern, Journalisten, Wissenschaftlern und anderen Multiplikatoren. Sie schalten Anzeigen in der regionalen und überregionalen Presse und setzen durch Fernsehauftritte ihre wichtigsten Repräsentanten ins rechte Licht. An der Verbandsbeteiligung in den Rundfunkorganen und an der Medienpräsenz von Verbandsvertretern tritt das Ungleichgewicht der organisierten Interessenvermittlung deutlich zutage: Die mediale Selektion und Kanalisierung von bereits verbandsförmig vorselektierten gesellschaftlichen Interessen. Das Ergebnis ist die Einengung der Verbandsmitwirkung auf wenige große, einflussreiche Interessenorganisationen.

3. Interessenvermittlung durch informelle Kommunikation Die Interessenvermittlung durch die Verbände ist durch ein dicht geflochtenes Netz informeller Kontakte, Beziehungen und Kooperation abgesichert. Es dient einerseits der mittelbaren Einwirkung auf den parlamentarischen Entscheidungsprozess. Hier sind vor allem die informellen Konsultationen zwischen Ministerialbeamten und Verbandsvertretern zu nennen. Auf der Grundlage von Dauerkontakten und ständigen Arbeitsbeziehungen zwischen für ein bestimmtes Problemfeld zuständigen Referenten im Ministerium und im Verband bilden sich Loyalitätsmuster und Identifikationspotentiale heraus, die den Ministerialbeamten in die "Rolle eines Betreuers und Fürsprechers" für bestimmte Verbandsinteressen bringen. Dadurch können Meinungsverschiedenheiten zwischen verschiedenen Referaten eines Ressorts und zwischen verschiedenen Ressorts entstehen, die von den Verbänden nach dem Motto "divide et impera" genutzt werden. "Als Folge dieses engen Verhältnisses von Ministerialverwaltung zu Verbänden dürfte bei vielen Gesetzentwürfen die Kabinetts- und später die Parlamentsvorlage das Ergebnis von Verhandlungen zwischen den beteiligten Ressorts und wenigen einflussreichen Verbänden darstellen" (Steinberg: 1989, S. 235). Bei solchen Gesetzentwürfen ist eine unmittelbare Verbandseinwirkung im parlamentarischen Prozess kaum noch möglich, aber auch nicht mehr nötig. Dies relativiert die Bedeutung der informellen Kommunikation zwischen Abgeordneten und Verbandsvertretern. Gleichwohl ist diese für die parlamentarische Praxis mindestens ebenso prägend und für das Verständnis des Verhältnisses von Parlament und organisierten Interessen eher noch wichtiger als die oben dargelegte rechtlich abgesicherte formelle Kommunikation. Die Bahnen der informellen Kommunikation bleiben jedoch weitgehend abgedunkelt. Schon die institutionalisierten Kontakte werden wenig ausgeleuchtet. Zwar besteht neben der "Lobbyliste" die Pflicht, nach öffentlichen Ausschussanhörungen gegenüber dem Parlament zu berichten und dabei die Beiträge der Interessenvertreter offen zulegen. Diese Berichtspflicht wird jedoch in der Praxis kaum beachtet (vgl. Steinberg: 1989, S. 225 mit Belegen in Anm. 37). Auch für die Verbesserung der Transparenz im Bereich der nicht institutionalisierten Kontakte gibt es Verhaltensregeln (vgl. die Grundzüge in § 44 a Abs. 2 AbG), die den Abgeordneten zur Offenlegung von Verbandsaufgaben, Beraterverträgen, zur Rechnungsführung über Spenden u.a.m. verpflichten. Schlüsselt man die Abgeordnetenkontakte auf, wird deutlich, dass an erster Stelle die Medienkontakte rangieren. Dies unterstreicht die fundamentale Bedeutung der

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Massenmedien für parlamentarische Interessen- und Politikvermittlung. Darüber hinaus zählen „Interessengruppen zu den wichtigsten Informationsquellen und Rollenpartnern der Abgeordneten" (Patzelt: 1996, S. 493). Allerdings hängt die Häufigkeit von Organisationskontakten zu bestimmten Verbänden von der Fraktionszugehörigkeit ab (vgl. Herzog/Rebenstorf/Werner/ Weßels: 1990, S. 32f.). Das informelle Kommunikationsnetz zwischen Bundestag und Interessenorganisationen ist dicht. Es kommt durch die nachgewiesene starke "Außenorientierung" der Abgeordneten, aber auch durch die Kontaktsuche und -pflege der politischen und wirtschaftlichen Führungsschicht zustande. Vor allem aber wird es über die Bundestagsausschüsse geknüpft. Die Bundestagsausschüsse weisen im informellen Bereich zu Interessenvertretern ein Kontaktprofil auf, dessen Konturen das oben für die formellen Beziehungen gezeichnete Bild ergänzen. Die informellen Kommunikationskanäle folgen der gleichen Topographie funktionaler Differenzierung wie die formelle Kommunikation zwischen Ausschüssen und Verbänden. "Die Domäne informeller Kontakte der Vertreter von Wirtschaftsverbänden sind der Wirtschafts- und Finanzausschuss, der Landwirtschaftsvertreter ist der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, und Gewerkschaftsvertreter suchen am häufigsten informellen Kontakt zu den Mitgliedern des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung" (Weßels: 1987, S. 298 mit empirischen Nachweisen). Die Defizite ungleicher Interessenvermittlung, wie sie anhand der Einladungspraxis zu den öffentlichen Anhörungen zutage treten, werden demnach durch die informelle Kommunikation zwischen Abgeordneten und Interessenorganisationen nicht ausgeglichen, sondern eher verstärkt. Offenbar folgt die ungleiche Berücksichtigung organisierter Interessen im formellen und informellen Bereich der gleichen Auswahl- und Handlungslogik auf Seiten der Abgeordneten. Diese gründet in den Kriterien, die über die Einflusschancen der unterschiedlichen Interessenorganisationen letztlich bestimmen.

4. Interessenvermittlung als Einflusschance Wie kommt es, dass bestimmte Großverbände, vor allem im wirtschaftlichen und sozialpolitischen Bereich, über einen privilegierten Zugang zum Parlament verfugen, andere, wie sich an der Einladungspraxis zu öffentlichen Anhörungen nachweisen lässt, dagegen weniger Chancen haben, parlamentarisches Gehör zu finden? Was die deutliche Überrepräsentation von Untemehmerorganisationen in der Anhörungspraxis der Bundestagsausschüsse anbelangt, kann diese auf spezifische Verbandsressourcen zurückgeführt werden: Verfügung über Produktiwermögen, organisatorische Handlungsautonomie (z. B. Tarifautonomie), Anhäufung von Sachverstand und vergleichsweise bessere Artikulationsmöglichkeiten (vgl. Weßels: 1987, S. 296). Aus der Parlamentsperspektive gesehen spielen sicherlich weitere Kriterien bei der Interessenberücksichtigung eine Rolle, die dem parlamentarischen Nachfragebedarf entspringen (vgl. dazu Steinberg: 1989, S. 243 ff.). Nachgefragt werden Interessenorganisationen, die - möglichst viele Wählerstimmen mobilisieren können (z.B. Deutscher Bauernverband), was nicht von der Mitgliederzahl abhängt; - eine gewisse programmatische Affinität zu den parlamentarischen "verbandsnahen" Gruppen aufweisen;

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- über einen Informationsstand und ein Ausmaß von Sachkunde verfügen, ohne deren Nutzung parlamentarische Politikbearbeitung schwerlich auskommt; - auf gesellschaftlichen Konfliktfeldern Interessen aggregieren und organisieren, deren Ausgleich und Vermittlung für Politikakzeptanz und für Systemloyalität als notwendig erachtet werden. (Die unterschiedliche Politikvermittlungskompetenz der Verbände spiegelt sich demnach in der unterschiedlichen Interessenberücksichtigung durch das Parlament wider); - entsprechende Finanzmittel einsetzen können, um durch kostenaufwendige Öffentlichkeitsarbeit, Kongresse, Gutachten etc. sich mittelbar Einfluss zu verschaffen oder durch finanzielle Zuwendungen an Parteien und einzelne Abgeordnete in Form von "Wahlkampffonds" das unmittelbare Einflusspotential zu vergrößern. Wenn die ungleiche Ressourcenverteilung auf der verbandlichen Angebotsseite die ungleiche Interessenberücksichtigung auf der parlamentarischen Nachfrageseite erklärt, so darf dennoch eines nicht unterschlagen werden: Die Machtressourcen begründen Einflusschancen. Ob und wie diese genutzt werden, und ob sie tatsächlichen Einfluss bewirken, steht jedoch auf einem anderen Blatt. Dass organisierte Interessen vermittels ihrer Machtressourcen tatsächlich auch Einfluss haben, scheint vor allem dann evident, wenn wir den Blick vom Verbandseinfluss auf konkrete Gesetzgebungsvorhaben weg und auf die allgemeine Funktionserfüllung des Parlaments richten. Hier zeitigt die oben dargestellte Ausgestaltung des Verhältnisses von Bundestag und organisierten Interessen strukturelle Folgen für die parlamentarische Interessen- und Politikvermittlung.

IV. Das Spannungsverhältnis zwischen Parlamentsfunktionen und parlamentarischer Interessen- und Politikvermittlung Inwieweit tangieren die vom Parlament organisierten und die auf das Parlament einwirkenden gesellschaftlichen Interessen seine Funktionen als Repräsentationsorgan, als Öffentlichkeitsorgan und schließlich seine Stellung im Institutionengefüge des politischen Systems? Diese Ausgangsfrage führt über den empirischen Befund der parlamentarischen Aufgabenerfüllung hinaus. Das Parlament sieht sich im Spiegel gesellschaftlicher Interessen mit sozialen Konfliktfeldern und gesellschaftlichem Wandel konfrontiert. Es ist aber nicht nur Akteur, sondern auch Gegenstand von Wandel. Parlamentsreform ist so alt wie die Institution selbst. Auch wenn der Bundestag bislang - trotz mehrfacher Ansätze - die Kraft zur grundlegenden Selbstreform nicht aufbrachte, so führten ihn doch merkliche Korrekturen (wie z. B. die Kleine Parlamentsreform von 1969, das Abgeordnetengesetz von 1976, die Neufassung der Geschäftsordnung von 1980 und die Parlamentsreform von 1995) aber auch ein schleichender Institutionenwandel an eine Wegmarkierung, die über die Zukunft des Parlamentarismus in Deutschland entscheidet. Das Parlament agiert nicht in einem politischen und sozialen Vakuum. Formell verbunden und informell vernetzt mit den exekutiven Einrichtungen, den Interessenorganisationen und politischen Parteien, hängt, angesichts der technischen Aufrüstung dieser Einrichtungen, der Weg, den der Bundestag nehmen wird, maßgeblich davon ab, wie er mit den neuen Informations- und Kommunikationstechniken umgeht. Diese prägen nachhaltig das Bild des Bundestages als interessenvermittelndes Repräsentations-

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und als politikvermittelndes Öffentlichkeitsorgan im Rahmen eines technisch modernisierten Parlamentarismus. 1. Die Repräsentationsfunktion: Aushöhlung der politischen Repräsentation durch ungleiche soziale Interessenrepräsentation? Die politische Repräsentation gesellschaftlicher Interessen durch den Bundestag ist weder durch ein Honoratiorenparlament zu gewährleisten, noch setzt sie die maßstabsgetreue Abbildung der gesellschaftlichen Interessenlandschaft im parlamentarischen Sozialprofil voraus. Unbestritten bleibt jedoch, dass die politische Repräsentationsfunktion ihre Kraft aus der sozialen Repräsentation zieht. Diese bewegt sich zwischen zwei Polen: - der Repräsentation der Mehrheit auf der Grundlage des Mehrheitswahlrechts. Sie wirkt systemstabilisierend und outputorientiert. - der "proportionalen" Repräsentation auf der Grundlage des Verhältniswahlrechts. Sie wirkt minderheitenfreundlich und ist inputorientiert. Das Sozialprofil des Parlaments verhält sich dann "zur Gesamtheit der Gesellschaft" ähnlich, wie „eine Landkarte zum Territorium" (Hofmann/Dreier: 1989, S. 181). Dass der Bundestag eher im Kraftfeld des ersten Pols steht, zeigt ein Blick auf das parlamentarische Sozialprofil (II.3.). Schaut man genauer hin, dann wird aber auch ein weiteres deutlich: Das Problem der ungleichen Interessenrepräsentation durch das Parlament reicht hinter die Entscheidung für ein bestimmtes Wahlsystem ( - » § 22, II. u. IV.) zurück. Es ist unerheblich, ob nach Mehrheits- oder Verhältniswahlrecht gewählt wird, wenn die zur Wahl stehenden Kandidaten selbst bereits vorselektierte organisierte Interessen repräsentieren und die Mitwirkung der einflussreichen Interessenorganisationen an der Kandidatenaufstellung nur eine weitere Auswahl aus den ausgewählten Interessen vornimmt. Diese doppelte Selektion von gesellschaftlichen Interessen, wie sie im Sozialprofil und in der Verbandsfärbung des Bundestages zum Ausdruck kommt, tangiert dessen politische Repräsentationsfunktion nicht erst dann, wenn das Parlament zu einer Institution mutiert, aus der "der Geist gewichen ist". Mit dieser Metapher des Soziologen Max Weber (1864-1920) lässt sich ein gesellschaftlicher Zustand des "passiven Anarchismus" angesichts von Institutionen erklären, deren "Versprechungen und Verheißungen (...) nicht mehr von den Einwohnern der Institutionen getragen, akzeptiert und ernst genommen" werden (OfFe: 1990, S. 36), wie sie etwa für die ehemalige DDR kennzeichnend waren. Die Aushöhlung der politischen Repräsentationsfiinktion beginnt schon im Vorfeld der politischen Entfremdung des Bürgers. Unter der Oberfläche einer allgemeinen Zustimmungshaltung des Bürgers zum Parlament zeichnet sich eine bemerkenswerte Entwicklung ab. Der Bundestag verliert an Ansehen. Rund 60% der Bürger haben Ende der 80er Jahre eine schlechtere Meinung über den Bundestag als fünf Jahre zuvor (Wiedemeyer: 1991, S.l). In den ostdeutschen Ländern bereits auf niedrigerem Niveau wird zwischen 1991 und 1994 tendenziell das Vertrauen in den Bundestag sukzessiv immer geringer" (Walz: 1996, S. 67). Er gehört, zusammen mit Verwaltungsbehörden, Gewerkschaften, Berufsverbänden und Bürgerinitiativen, zu denjenigen Institutionen, in denen die Bürger ihre Anliegen am wenigsten vertreten sehen. Der Bundestag nimmt auf der Rangskala von "interessierten Repräsentationseinrichtungen" nur einen schlechten Mittelplatz ein (vgl. Herzog / Rebenstorf/Weraer/Weßels: 1990, S. 54f.), obgleich er das oberste staatliche Reprä-

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sentationsorgan darstellt - das "Gravitationszentrum des Verfassungsstaates" (Hofmann/Dreier: 1989, S. 177). Zwar löst das Sozialprofil des Bundestages in der Bevölkerung kaum Emotionen aus. Aber: Die Bürger und vor allem diejenigen, die sich vom Parlament nicht vertreten fühlen, wollen einen sozialstrukturell anders zusammengesetzten Bundestag. Die regionale Herkunft und Schichtzugehörigkeit der Abgeordneten sind wichtige Kriterien für eine Kandidatenrekrutierung, die den Wählervorstellungen entspricht (Herzog/RebenstorffWerner/Weßels: 1990, S. 56ff.). Jede Überlegung, die im Parlament selbst und nicht an der Art und Weise, wie es zustande kommt, ansetzt, greift zu kurz. Dies gilt gerade auch für die an die Einführung neuer Informations- und Kommunikationstechniken geknüpften Erwartungen, die Information der Abgeordneten und die Kommunikation mit dem Bürger zu verbessern. Unter bestimmten Rahmenbedingungen (dazu Lange: 1988, S. 146 ff.) könnte die technische Aufrüstung der Abgeordnetenbüros die Informationsbasis des Abgeordneten gegenüber Regierung und Ministerialbürokratie stärken, kaum jedoch die politische Kommunikation mit sozial unter- oder nicht repräsentierten Gruppen verbessern. In der Informatisierung des Bundestages liegt perspektivisch keine "technische" Lösung des Repräsentationsproblems, wohl aber "langfristig die totale Technisierung der Politik. Der Volksvertreter, der seinen Wählern aus Gründen der Effektivität nur noch elektronisch präsent ist, der die Sorgen und Nöte seiner Wähler (sowie sie ihn 'gefiltert' erreichen) mit aufwendigen Analyseprogrammen interpretiert und dann errechnet bekommt, was politisch relevant ist" (Lange: 1987, S. 176). Im Unterschied zur technischen Modernisierung der Interessen- und Politikvermittlung durch das Parlament mit gleichwohl weitreichenden politisch-strukturellen Folgen, setzen politisch-strukturelle Lösungsangebote auf die Möglichkeiten der neuen Techniken. Das maßgebliche Kennzeichnen für technikgestützte Strukturreformen ist der Primat politischer Ziele. Im Anschluss an Toffler (1980, S. 428 ff.) wird es für die Stärkung der Repräsentationsfunktion des Parlaments darauf ankommen, den Einfluss von minoritären gesellschaftlichen Interessen auf parlamentarische Politikbearbeitung zu gewährleisten. In einer hochgradig differenzierten und stratifizierten Gesellschaft setzt dies nicht nur neue Formen der Interessenaggregierung und -Vermittlung voraus, sondern auch neue Formen ihres parlamentarischen Zugangs, wie z.B. durch die Delegation eines repräsentativen Samples der Bevölkerung in das Parlament. Dieses würde sich dann je zur Hälfte aus gewählten politischen und aus delegierten sozialen Repräsentanten zusammensetzen. Die Kombination von direkten und repräsentativen Elementen bei der sozialstrukturellen Zusammensetzung des Parlaments würde nicht nur das parlamentarische Sozialprofil verändern und die "Verbandsfärbung" ausgleichen. Sie würde auch die Einflusspotentiale von herrschenden Pressure Strategien schmälern, teilweise zurückverlagern an die betroffenen Wähler und damit den Weg freimachen für eine Aufteilung von Entscheidungszuständigkeiten; denn auch die bestens ausgestattete Datenbank des Bundestages kann ein Problem nicht lösen: die prinzipielle Beschränkung der Informationsverarbeitungskapazität von Entscheidungsträgern. Die politisch Verantwortlichen im allgemeinen und die Abgeordneten im besonderen sind der Implosion von Entscheidungsprozessen nicht mehr gewachsen. Der Ausweg könnte in der technisch ermöglichten Dezentralisierung von Entscheidungsprozessen unter weitgehender Mitwirkung der Entscheidungsbetroffenen liegen - ein Weg, der bislang ohne politisch-strukturelles Gegenstück

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- im Bereich der industriellen Produktion bereits beschritten wird. Über die Toffler'sche Konzeption einer semi-direkten Demokratie als Grundlage für die reformierte Interessenrepräsentation durch das Parlament lässt sich trefflich streiten. Skepsis ist vor allem gegenüber einer elektronischen Abstimmungsdemokratie angebracht. Wie auch immer die Reform der Repräsentationsfunktion des Parlaments im Detail aussehen mag, der sicherlich nicht im Ganzen zu adoptierende Ansatz von Toffler hat einen entscheidenden Vorteil: Er bemüht politische Phantasie und sucht nach deren technischen Realisierungschancen. Er sprengt die Grenzen einer Technikfolgenabschätzung, die unterschwellig einem TechnikDeterminismus verhaftet bleibt und sich in spekulativen Detailstudien verliert. Und schließlich trägt er der Tatsache Rechnung, dass die technische Modernisierung des Parlaments seine politische Reform nicht ersetzen kann. 2. Die Öffentlichkeitsfunktion: Parlamentsöffentlichkeit versus neue „Arkanhaltung" Politische Repräsentation von gesellschaftlichen Interessen und die parlamentarische Politikvermittlung wurden oben als Aufgaben für parlamentarisch organisierte politische Kommunikation definiert. Der Bundestag erfüllt diese Aufgabe im Rahmen seiner Öffentlichkeitsfunktion. Das Verhältnis des Bundestages zur Öffentlichkeit gilt als Achillesferse des deutschen Parlamentarismus. Dabei sind vor allem zwei Punkte maßgebend: - die parlamentarische Politikbearbeitung in den "Dunkelkammern" der Ausschüsse (Loewenberg: 1990, S. 61 und Thaysen: 1990, S. 77ff.) und - die Mängel der Debatte als zentralem Kommunikationsmedium (Johnson: 1990, S. 64ff.). Entscheidend sind die Strukturmängel der Verhandlungsöffentlichkeit, wie sie in ihren institutionellen Grundlagen, der Sitzungsöffentlichkeit und Parlamentsberichterstattung, zu Tage treten (dazu Kißler: 1989, S. 1001 ff.). Das Ergebnis ist ein zwar fleißiges, aber unscheinbares Parlament. Der im Lichte der Verhandlungsöffentlichkeit sichtbar werdende Teil seiner Tätigkeit gleicht der Spitze des Eisberges. Aber selbst diese wird nicht ins rechte Licht gesetzt. Wenn die eigentlichen Schauplätze der parlamentarischen Politikbearbeitung abgedunkelt bleiben und das Plenum des Bundestages kaum ein Ort politischer Kommunikation darstellt, dann ist dies die Folge einer parlamentsinternen Herrschaftsstruktur, an der die Organisation gesellschaftlicher Interessen durch das Parlament, die eingebaute Lobby, maßgeblichen Anteil hat. Die Verbandsvertreter machen, neben den Führungsgruppen (Fraktionsführung, Ältestenrat) und den sog. Hinterbänklern, eine gewichtige Gruppe im Bundestag aus. Das zentrale parlamentarische Medium der Politikvermittlung ist die Debatte. Im Debattenalltag wird der Plenarsaal zum Ort, wo sich Experten aus Verbänden und Berufspolitiker zur Aussprache vor leeren Bänken treffen. Im Plenum des Bundestages spiegelt sich demnach die zunehmende Arbeitsteilung, Spezialisierung und Verwissenschaftlichung von Politik in den Ministerialbürokratien und in den großen Interessenorganisationen wider. "Wenn der Bundestag dieser Entwicklung nicht nacheiferte" - so wird rechtfertigend argumentiert - "würde er immer mehr die Fähigkeit verlieren, sich unabhängig von den Ministerien und privaten Interessengruppen ein Urteil zu bilden" (Loewenberg: 1990, S. 62). Ob diese Fähigkeit noch verloren gehen kann, darf in Anbetracht des oben dargelegten einge-

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bauten Lobbyismus und des institutionell abgesicherten und informellen Einflusspotentials mächtiger Interessenverbände bezweifelt werden. Die Expertenmacht im Parlament hat für die Parlamentsöffentlichkeit ihren Preis: Im "Schichtwechsel" der Experten (Schneider: 1980, S. 32) verkommt die parlamentarische Debatte zum inszenierten Auftritt, der mit eingeübtem Rollenspiel Spontaneität und Improvisation erstickt und den politischen Gehalt der Ausführungen auf ihren publizistischen Wert reduziert. Die Art und Weise, wie im Bundestag debattiert wird, ist jedoch nur ein Symptom für jene grundlegende Entwicklung, an der die Verbandsmitwirkung am parlamentarischen Prozess Anteil hat und die zum Verlust des Subjekt? von Parlamentsöffentlichkeit fuhrt, nämlich der Opposition. Mit der historischen Verschiebung der politischen Konfliktlinie, die einst zwischen Gesamtparlament und Regierung verlief, in das Parlament hinein, ging die Kontroll- und Öffentlichkeitsfunktion maßgeblich von der regierungsstützenden parlamentarischen Mehrheit auf die parlamentarische Minderheit über. Die Opposition wurde zum Subjekt der Parlamentsöffentlichkeit. Ihre Aufgabe besteht in der Umsetzung von Kontrollöffentlichkeit in politische Kommunikation (Kißler: 1989, S. 1006ff.). In der Praxis der Politikbearbeitung im Parlament und vorparlamentarischen Raum wird die Opposition jedoch weitgehend eingebunden. Wenn nur drei Mal in 50 Jahren die relative Mehrheit im Bundestag durch freie Wahlen wechselte, dann mag dies das Bestreben der Opposition erklären, hinter verschlossenen Türen "mitzuregieren". Die Grundlage der Integration der parlamentarischen Opposition ist jedoch in der Dominanz des Sachverstandes in Politikbearbeitungsprozessen zu suchen, die zur Domäne von Experten aus Ministerialbürokratien, Interessenvertretern, Regierungs- und Oppositionsfraktionen geworden sind. Deshalb wird die Mehrzahl der Gesetze (in manchen Legislaturperioden über 90 %) von den beiden großen Fraktionen, bei einigen Enthaltungen und Gegenstimmen angenommen (v. Beyme: 1989, S. 113). Das publizitätsfeindliche "Mitregieren der Opposition" nährt den Eindruck von einer "obskuren Zusammenarbeit" (Loewenberg: 1990, S. 63) zwischen politischen und Verbandseliten und neutralisiert das Subjekt der Parlamentsöffentlichkeit. Mit den neuen IuK-Medien kommt, wie bei der Repräsentationsfunktion, auch für die Behebung von Mängeln der parlamentarischen Politikvermittlung, scheinbar eine technische Lösung in Sicht. Die neuen Medien könnten den Abgeordneten von Alltagsroutinen entlasten und ihn für seine Öffentlichkeitsaufgabe freimachen. Entscheidend jedoch ist, wozu der Abgeordnete seinen verbesserten Informationshaushalt einsetzt: Für die kompetentere und noch fleißigere Arbeit in den Arkanbereichen der Ausschüsse und Fraktionen oder für eine Schärfung der Kontroll- und Informationsinstrumente im Plenum. Zieht man in Betracht, dass - die Abgeordneten ihr Tätigkeitsfeld weniger im Plenum, als vielmehr in den Ausschüssen sehen, - dieses herrschende Selbstverständnis auch das Verständnis der großen Gruppe von Verbandsvertretern ausmacht, deren Domäne naturgemäß die Ausschussarbeit darstellt und schließlich - die parlamentarischen Karrierewege nicht durch das Plenum, sondern durch die Ausschüsse führen, dann liegen die Folgen der Informatisierung des Bundestages auf der Hand. Sie schreibt die Rolle des Ausschussexperten als Normalrolle des Abgeordneten fest und verstärkt die in der "Verbandsfärbung" angelegte Tendenz zum publizitätsfeindlichen Expertenparlament. In ihrer Entwicklungslogik ließe

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sich dann auch die Debatte durch Computerkonferenzen ersetzen. Die "Architektur" des elektronischen Parlaments sieht das Plenum als Ort politischer Kommunikation nicht mehr vor. 3. Strukturelle Entmachtung des Parlaments durch Gouvernementalisierung der Interessenvermittlung? Die politisch angelegten und technisch verstärkten Strukturdefizite der politischen Interessenrepräsentation und parlamentarischen Politikvermittlung werden mitverursacht durch formelle und informelle Mitwirkung der Interessenorganisationen. Sie zeitigen Folgen für die Stellung des Bundestages im politischen System. Diese wird, wie am Beispiel der Verbandsmitwirkung bei der Gesetzgebung gezeigt werden kann, markiert von zwei Trends: erstens durch die Gouvernementalisierung der Interessenvermittlung und zweitens durch die dadurch verschärfte strukturelle Entmachtung des Parlaments. Die offenkundigen Schwächen der parlamentarischen Interessenrepräsentation kompensieren die Interessenorganisationen dadurch, dass sie ihre Interessen zunehmend am Parlament vorbeivermitteln. Ihre bevorzugten Kooperationspartner und Kontaktpersonen finden sich in den Ministerien. Im Parlament wird dann "nachgebessert", was im vorparlamentarischen Interessenclearing nicht erreicht werden konnte. Darüber hinaus nutzen vor allem solche Interessenorganisationen, denen ein privilegierter Zugang zur Ministerialbürokratie fehlt, die oben dargelegten institutionalisierten Kanäle und informellen Kommunikationsbeziehungen. Die mächtigen Interessenorganisationen sind eingebunden in eine symbiotische Verklammerung mit den staatlichen Einrichtungen, die neokorporatistische Züge trägt und ein wirkungsvolles Agieren am Parlament und selbst an den politischen Parteien vorbei erlaubt: "Die Großverbände sind selbstbewusste Kooperationspartner des Staates geworden, die aus der Rolle des Bittstellers in der Lobby des Parlaments herausgewachsen sind. Parlament und Parteien werden für manche Interaktion zwischen Exekutive und organisierten Interessen kaum mehr benötigt" (v. Alemann: 1990, S. 108). Die gouvernementalisierte Interessenvermittlung durch die großen Interessenverbände paralysiert das Parlament auf seinem originären Feld: der Gesetzgebung. Zwar muss nach wie vor jedes Gesetz formell durch das Parlament hindurch. Die Gouvernementalisierung der Interessenvermittlung garantiert jedoch nicht nur eine geräuschlose Passage durch den parlamentarischen Prozess. Sie deckt auch den Machtverlust des Parlaments schonungslos auf. Über Macht, verstanden als Definitionsmacht in Regelproduktionsprozessen (Burns/Flam: 1987), verfugen die Abgeordneten (auch die Interessenvertreter) im Parlament nur noch rudimentär. Die möglichen Alternativen zum Gesetzentwurf, wie er in das Parlament eingebracht wird, sind im Vorfeld ausgeräumt; denn jede grundlegende Änderung der Gesetzesvorlage im Parlament würde den schwierigen Interessenkompromiss gefährden. "So schrumpft die Rolle des Parlaments von der des nahezu unumschränkten Gesetzesschöpfers in der Praxis zur rechtlich unentbehrlichen Legitimation bereits getroffener Entscheidungen. Zu diesen Anderen zählen ganz wesentlich auch die Verbände organisierten Interesses" (Steinberg: 1989, S. 249). Der Bundestag wird demnach nicht überflüssig, sondern zu einer Gesetzgebungsmaschinerie, mit der "16 Gesetze in Anwesenheit von 12

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stimmberechtigten Abgeordneten in 7 oder 8 Minuten in zweiter und dritter Lesung zur Verabschiedung" gebracht werden (Ellwein: 1990, S. 10). Reformvorstellungen, die auf eine Straffiing des Gesetzgebungsprozesses abheben und dabei den vorparlamentarischen Bereich der Gesetzesvorbereitung außer Acht lassen, greifen jedoch zu kurz. Die strukturelle Entmachtung des Parlaments als Gesetzgebungsorgan ist die Folge eines Interessenvermittlungssystems, das die politische Kommunikation zwischen Verbands- und Exekutiveliten kurzschließt. Parlamentsreform, die den Bundestag in das Zentrum des Politikbearbeitungsprozesses rücken möchte, muss deshalb - die Selektions- und innerorganisatorischen Filtermechanismen der Interessenverbände so verändern, dass ein breiteres Spektrum von gesellschaftlichen Interessen erfasst und politisch vermittelt werden kann; - die politische Repräsentation von gesellschaftlichen Interessen und die parlamentarische Politikvermittlung in die Gesellschaft hinein durch den Ausbau von Minderheitenrechten und die Stärkung der Abgeordnetenposition verbessern. Parlamentsreform meint deshalb Selbst-Reform des Bundestages, aber auch Verbändereform.In Anbetracht des dargelegten Verbandseinflusses muss jedoch bezweifelt werden, ob der Bundestag hierfür die Kraft aufbringt. Verstärken wird sich eher die "Neigung zu parlamentarischem Eskapismus (... ), eine gewisse Mutlosigkeit dieser Institution und ihrer Mitglieder, sobald es um das Parlament selbst, sobald es um Prinzipien des Parlamentarismus geht. (...) Eine Neigung zur Preisgabe von Parlamentarismus, schon bevor es zur zumindest nicht auszu schließenden Probe kommt" (Thaysen: 1990, S. 77).

6. Kapitel Medien, Technik und Politische Kultur § 26 Bundestag, Medien und Öffentlichkeit Jürgen Bellers und Svetlana Stankovic I. Die Ursprungsidentität von Parlament und Öffentlichkeit. - II. Die Differenzierung von politischem und medialem System als Ursache von Konflikten zwischen beiden Systemen. - III. Die Differenzierung von politischem und medialem System - Möglichkeiten der Kooperation. - IV. Das duale Rundfunksystem in Deutschland - V. Wie Parlamentarier Journalisten sehen - und umgekehrt. - VI. Die interne Öffentlichkeit des Bundestages: Die „Neuen Medien" und das Parlament. - VII. Wieviel Öffentlichkeit verträgt das Parlament, Wie viel Öffentlichkeit braucht es?. Grundlagenliteratur: Barighorst, Sigrid (1998): Politik als Kampagne. Wiesbaden Dussel, Konrad (1999): Deutsche Rundfunkgeschichte. München Jarren, Otfried (1993) (Hg.): Landesmedienanstalten - Steuerung der Rundfunkentwicklung?. Münster Jäckel, Michael / Winterhoff-Spurk, Peter (1994) (Hg.): Politik und Medien. Berlin Meyn, Hermann ( 2 1996): Massenmedien in der Bundesrepublik Deutschland. Berlin. Purer, Heinz / Raabe, Johannes ( 2 1996): Medien in Deutschland. München, Bd. 1 Sarcinelli, Ulrich (1998) (Hg.): Politikvermittlung und Demokratie in der Mediengesellschaft. Opladen Stephan, Cora, (1993): Der Betroffenheitskult. Berlin

I. Die Ursprungsidentität von Parlament und Öffentlichkeit Das Bürgertum, das unsere heutige Gesellschaftsformation politisch, sozial und ökonomisch zu einem großen Teil geprägt hat, organisierte sich in seinen Anfangen als "öffentlich räsonnierende Privatleute" (Habermas: 1962, S. 117). In dieser Form brachte es seine fundamentale Kritik an der feudal-absolutistischen Gesellschaft zum Ausdruck: Man forderte die Möglichkeit öffentlicher Diskussion, um die fürstliche Arkan-Politik bekämpfen und das Gemeinwohl zum Ausdruck bringen zu können. "Politische Kommunikation und politische Repräsentation waren die Kehrseite ein und derselben Münze" (Oberreuter: 1979, S. 62). Herrschaft wurde nicht mehr allein schon deshalb akzeptiert, weil sie aus der Tradi-

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tion oder von Gott her stammte. Herrschaft musste durch die menschliche Vernunft legitimierbar und legitimiert sein. Die Vernunft ist jedem Menschen aufgrund seiner Fähigkeit zur Selbstreflexion gegeben, sie ist seine Möglichkeit der Selbstbestimmung. Nur das, was vor der Vernunft standhält, soll politisch verwirklicht werden. Politik musste in diesem liberal-bürgerlichen Sinne auf die vernunftgemäße Selbstbestimmung und Freiheit des Menschen bezogen sein. Die Freiheit des einen ist am besten vereinbar mit der Freiheit der anderen in der Form des Gesetzes, d.h. einer abstrakten Regelung, die von den Bürgern mit Gültigkeit für alle beschlossen wurde. Im allgemein gültigen Gesetz werden die Freiheitsräume der Einzelnen "abgesteckt". Der Mensch kann jedoch - so Immanuel Kant (1724-1804) - dem Zustand der Unvernunft, der "selbstverschuldeten Unmündigkeit" - wie er es nannte -, nicht nur durch Eigentätigkeit entrinnen, er bedarf hierzu vielmehr der gemeinsamen und öffentlichen Diskussion mit anderen Bürgern: "Es ist für jeden einzelnen Menschen schwer, sich aus der ihm beinahe zur Natur gewordenen Unmündigkeit herauszuarbeiten ... Dass aber ein Publikum sich selbst aufkläre, ist eher möglich; ja es ist, wenn man ihm nur Freiheit lässt, beinahe unausweichlich." (Kant: 1922, S. 170) Öffentliche Diskussion ist ein Medium, in dem der Mensch - und damit indirekt auch die Politik - vernünftig werden. Die Vorstellungen des sich emanzipierenden Bürgertums bestanden darin, dass in freier und öffentlicher Diskussion alle Meinungen und Interessen artikuliert würden und sich im vernunftgeleiteten Diskurs das ergeben würde, was für die jeweilige Gesellschaft in der jeweiligen historischen Situation das Gemeinwohl für alle sei. Der Diskurs sollte in jeder Hinsicht öffentlich sein, da nur so die Vernunft aller kontrollieren könne, ob das jeweils zum Ausdruck gebrachte Interesse "gemeinwohlfähig" ist. Eine politische Entscheidung hatte durch den öffentlichen Diskurs und die hier geäußerten Interessen und Meinungen zu gehen, um geläutert zu werden. Der Einzelne sollte in der Öffentlichkeit die Relativität seines eigenen Standpunktes erkennen. Davon erhoffte sich die fortschrittsoptimistische Aufklärung Wirkungen, die die politischen und sozialen Verhältnisse verbessern könnten. Kant sah die "öffentliche Diskussion" noch weitgehend auf die "Republik der Gelehrten" beschränkt, die einen Auftrag zur Aufklärung des Volkes hätten. Schon im 18. Jhd. weitete sich die Öffentlichkeit auf eine Vielzahl kritischer oder moralisch-erzieherischer Zeitschriften und dann im 19. Jhd. auch auf das Zeitungswesen aus. Eine zentrale Arena der Öffentlichkeit waren die Parlamente in ihren unterschiedlichsten Ausformungen. "In Deutschland übernahmen sie jedoch im Vergleich zu anderen westeuropäischen Staaten erst historisch spät - im 19. Jhd. ihre öffentlichen Funktionen. Vor allem im Südwesten Deutschlands hatte man schon zu Beginn des 19. Jhd.s die ständischen Parlamente durch eine Erweiterung des Wahlrechts... auf eine breitere Basis gestellt..." (Loewenberg: 1969, S. 26). Im Sinne dieser Ausführungen - das sei resümierend festgehalten - hat eine "Ursprungsidentität" von Parlament und Öffentlichkeit bestanden. Das notwendigerweise öffentlich beratende Parlament und die Öffentlichkeit selbst waren dabei als Gegenpart des (noch feudal beherrschten) Staates gedacht, der durch die öffentliche Diskussion dazu gebracht werden sollte, jenes - öffentlich diskutiert gefundene - Gemeinwohl zu realisieren. Man ging aus von einer Trennung von Staat und Gesellschaft, wobei Parlament und Öffentlichkeit der Gesellschaft zugeordnet wurden (Habermas: 1962, S. 24ff.).

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II. Die Differenzierung von politischem und medialem System - als Ursache von Konflikten zwischen beiden Systemen Die in der Frühzeit des Parlamentarismus, fingierte und z. T. auch reale Identität von Parlament und Öffentlichkeit löste sich im 20. Jhd. immer mehr auf, als nicht mehr nur wenige "räsonnierten" (vor allem das reiche und elitäre Bildungsbürgertum), sondern immer mehr Bevölkerungsteile, u.a. in Form organisierter Massenparteien und in Form von (Groß-)Verbänden, in die Politik einzugreifen begannen. Damit verlor die weitgehende Identität von Öffentlichkeit und Parlament ihre sozialhistorische Grundlage. Es bildete sich eine parlamentarische Öffentlichkeit auf der einen Seite und auf der anderen Seite die veröffentlichte Meinung (Zeitungen, Zeitschriften, sonstige Medien) heraus, die potentiell und tatsächlich miteinander in Konflikt geraten können und gerieten. „Allgemeine Öffentlichkeit" ist dabei - das sei definitorisch zur Klärung angemerkt - der Inbegriff und die Zusammenfassung alles gesellschaftlich Öffentlichen. Er ist nur als Gegenbegriff zum Privaten zu verstehen. Die parlamentarische Öffentlichkeit ist ein Bestandteil der allgemeinen Öffentlichkeit, ebenso wie Zeitungen und Zeitschriften zu ihr gehören. Denn nur das aus allgemeinen und freien Wahlen nach einem Repräsentationssystem hervorgegangene Parlament ist befugt, auf der Basis einer vorgängigen Diskussion gesamtgesellschaftlich verbindliche Entscheidungen zu treffen. Das Parlament soll dabei ein "Forum sein, auf dem alle für das Gemeinwesen relevanten Meinungen zur Sprache kommen und diskutiert werden" (Morkel: 1966, S. 5) und durch das die Fülle von Meinungen zu einem politischen Gesamtwillen transformiert wird. Die veröffentlichte Meinung und ihre Medien: Zeitungen, Zeitschriften, Rundfunk haben demgegenüber die in einer Gesellschaft bestehenden Positionen und Interessen in ihrer vollen Breite zur Sprache zu bringen und deren Auseinandersetzungen widerzuspiegeln. Dabei ist nicht bedeutend, ob die jeweilige Position einen starken Verband hinter sich hat oder nicht; wichtig ist allein die Tatsache, dass es diese Position oder dieses Interesse oder diese Meinung gibt, wodurch ein Anspruch auf Veröffentlichung und Teilnahme am allgemeinen Diskurs begründet wird. Das Spektrum derjenigen, die an dieser Öffentlichkeit teilnehmen, ist breit und vielfältig: z.B. auch Parteien, die nicht im Bundestag vertreten sind; oder einzelne Persönlichkeiten von öffentlicher Geltung (Schriftsteller, Wissenschaftler usw.). Die Öffentlichkeit des Bundestages (-» i.E. § 25) ist im Vergleich hierzu bereits "gefiltert"; gefiltert einerseits durch die Wahl, durch die bestimmte Parteien nicht in den Bundestag kommen; und andererseits gefiltert durch die Parteien und die parteiinternen Diskussionsprozesse, als deren Folge die Parteien bereits mit einem z.T. vereinheitlichten Willen im Bundestag auftreten. Die vielfältigen Meinungen in einer Partei kommen in der Bundestagsfraktion kaum noch zum Tragen, da sie im Vorfeld von Parteitagen meist erörtert worden sind. Von dieser öffentlichen Meinung abzugrenzen ist das individuelle, private Meinen im Gespräch mit der Familie oder in der Kneipe. Es ist gerade durch seinen privaten Charakter gekennzeichnet, es intendiert nicht öffentliche Wirkung. Diese Unterscheidung ist wichtig,da der Anspruch auf Privatheit des Meinens Totalitarismus verhindert. Denn in einer liberalen Gesellschaft kann jeder seine Meinung äußern, ohne dass er dafür politisch belangt und ohne dass sie zum Bestandteil des öffentlichen Diskurses wird, wenn er es nicht will. Die private Meinung wird - symptomatischerweise in anonymisierter Form ohne Rückschlussmöglichkeiten

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auf Einzelne - nur durch die Demoskopie relevant für die allgemeine Öffentlichkeit - hier aber mit nicht unerheblichen Wirkungen. Von Medien veröffentlichte demoskopische Ergebnisse können durchaus das Wählerverhalten beeinflussen, z.B. wirkt das Befragungs-Ergebnis, dass ein Kanzlerkandidat nicht - wie zuvor verlautbart - die absolute Mehrheit erreicht, demotivierend auf die Anhängerschaft dieses Kanzlerkandidaten. Die Veröffentlichung von Umfragen kann sogar im Sinne einer self-fulfilling prophecy erst die Folgen verursachen, die sie vorausgesagt hat. Daher gibt es in der Bundesrepublik informelle Vereinbarungen, demoskopische Ergebnisse in heißen Phasen der Wahlkämpfe nicht mehr zu veröffentlichen. Die Meinung der Journalisten sollte dabei im öffentlichen Diskurs nur eine Meinung unter vielen sein. Die Münchner Schule der Zeitungswissenschaft (0. Groth, H. Wagner, H. Starkulla) schreiben den Medien normativ und empirisch eine "gesellschaftliche Kommunikationsaufgabe" zu, die in der Rechtssprechung auch als "öffentliche Aufgabe" umschrieben wird. „Zwar ist diese .öffentliche Aufgabe1 nicht positiv formuliert, aber fraglos beruhen auf ihr - durch höchstrichterliche Entscheidungen immer wieder bekräftigt - Würde und Verfassungsauftrag der demokratischen Kommunikationsmedien. Was heißt öffentliche Aufgabe' konkret? Heißt das - vordergründig - Recht und Pflicht zur aufgrund von institutionalisierter Privilegierung eigenständigen .Publizistik'; oder, heißt das Auftrag zur solipistischen .Information, Kontrolle und Kritik des öffentlichen Lebens und maßgebliche Mitwirkung bei der Bildung der öffentlichen Meinung1, da ,in unserer modernen Massengesellschaft ... die der Tradition verpflichteten geistigen Kräfte weithin die Führung verloren' haben? ... Beileibe nicht, denn alle diese Aufgaben sind in der demokratischen Gesellschaft dem freien Bürger selbst gestellt, und der demokratische Souverän - repräsentiert durch politische, wirtschaftliche und kulturelle ,Professionals' und organisiert in spezifischen Verbänden und Institutionen - ist sachverständig genug und nach der Verfassung gehalten, Staat, Wirtschaft und Kultur, deren Mit- und Gegeneinander in Wort und Tat den Gesellschafts- und Kulturprozess ausmachen, selbst zu steuern und zu kontrollieren. Nicht also eigenständige Leistung und Kritik aller dieser sozialen Tätigkeiten kommt den Medien prinzipiell zu, sondern kommunikative Vermittlung des individuellen und kollektiven Redens und Beredens und die öffentliche Präsentation bzw. Repräsentation als Darstellung gesellschaftlicher Zeit-Kommunikation. Diese der Demokratie unentbehrliche soziale Funktion stellt dem Medium die öffentliche', d.h. gesamtgesellschaftliche Aufgabe: Vermittlung, Repräsentation des ganzen sozialen Fühlens, Wollens und Denkens in Wort, Schrift und Bild..." (Starkulla: 1974, S. 250f.). Die Funktion der Medien ist also nicht, als eine Vierte Gewalt neben dem Parlament zu agieren - mit eigener ihr nur qua Medium zukommender Kritik- und Aufklärungsaufgabe. Die Medien sind Mittel, Techniken der gesellschaftlichen Kommunikation. Sie müssen zwar über die in einer Gesellschaft bestehende Kritik berichten; sie haben aber als solche nur begrenzt das Recht zu eigener Kritik (z. B. im Rahmen von Kommentarspalten). Dies sei als normative Setzung der Verfasser den folgenden einpirischen Ausfuhrungen vorangestellt - die sich auf die Ausfuhrungen der Münchner Schule der Zeitungswissenschaft berufen kann. Da Journalisten oft diese ihnen funktional vorgegebene Grenze missachten, kommt es zu Konflikten mit den Politikern und auch mit dem Parlament. Wenn z.B. Journalisten durch einheitliche Berichterstattung und Kommentierung oder

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durch unablässige Fokussierung auf nur ein Thema ein bestimmtes Meinungsklima erzeugen (ob gewollt oder nicht gewollt), so können sich die politisch Verantwortlichen in ihrer Entscheidungsfreiheit eingeengt fohlen, auch wenn dieses Meinungsklima nicht mit den realen Problemlagen einer Gesellschaft übereinstimmt, wie statistische Untersuchungen gezeigt haben. Beispielsweise brachte ein statistischer Vergleich zwischen der tatsächlichen wirtschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik der 80er Jahre und deren Bild in den Medien eine erhebliche Diskrepanz zu Tage: Die Medien berichteten weitaus negativer, als die Abwärtsentwicklung des Bruttosozialproduktes tatsächlich war. Auch stimmen die Nah-und Vor-Ort-Erfahrungen der Bürger meist nicht mit deren Erfahrungen aus den Medien überein (Kepplinger: 1989). Vor diesem Hintergrund sind die insbesondere in und vor Wahlkämpfen zu beobachtenden Kampagnen von Politikern gegen den "linken W D R " oder den "rechten Bayerischen Rundfunk" oder gegen bestimmte Fernsch-Magazine zu sehen. Die Thematisierung kann allerdings nur begrenzt von einzelnen Journalisten gesteuert werden. Denn was thematisiert wird, ist weitgehend durch Sozialisationsprozesse und durch Normen, denen Journalisten institutionell unterworfen sind, bestimmt. Die Publizistik spricht hier von Nachrichtenfaktoren, nach denen von den Agenturen eingehende Nachrichten ausgewählt werden: 1. kurze Dauer des Ereignisses, d. h. Aktualität der Nachricht; 2. einfache und eindeutige Strukturiertheit des Ereignisses; 3. Elite-Status dessen, über den berichtet wird; 4. Zahl der Betroffenen und existentielle Bedeutung des Ereignisses; 5. Überraschung durch ein Ereignis; 6. Negativität des Ereignisses, wie Konflikthaltigkeit, Kriminalitätsgrad, Schaden, Mißerfolge, aber auch exzeptionelle Erfolge (Schulz: 1976). Massenmediale Kommunikation kann zwar unter bestimmten Bedingungen sehr einflussreich sein, vor allem dann, wenn eine Nachricht oder Meinung in einen quasi kommunikativ leeren Raum stößt: Dabei kann den bild- und tongestützten Medien (vor allem dem Fernsehen) ein größerer Einfluss zugeschrieben werden, da sie den „ganzen" Menschen erfassen können - mit allen seinen Sinnen, während die Zeitung eher den Intellekt anspricht. Hertha Sturm weist z.B. darauf hin, dass die schnelle Folge von "Laufbildern" - zumal, wenn sie wiederholt werden - beim Menschen emotional unbewusste Erregungszustände bewirken, die es unmöglich machen, dass man den Abstellknopf drückt (Sturm: 1985, S. 1 9 f f ) . Auch zeitigt die unterschiedliche bildliche Präsentation von Politikern differenzierte Wirkungen hinsichtlich der Einstellung zu diesem Politiker. Der Bürger ist in vielfältige soziale Beziehungen verwoben (Familie, Kollegen, Freizeitgruppen, usw.), die sein Meinen und Verhalten beeinflussen. Die Medien sind nur ein Faktor im Ensemble dieser Kräfte. Oft bestätigen oder verstärken sie nur Meinungen, die bereits aufgrund anderer Einflüsse bestehen. Zum allgemein geteilten Vorurteil gehört es jedoch, dass die Medien sehr wirkungsvoll seien. Journalisten - insbesondere solche mit ausgeprägten (partei)politischen Einstellungen und Überzeugungsabsichten - fühlen sich daher - angesichts einer vermeintlichen Machtfülle nur all zu leicht verführt, die mediale Technik zum Herrn werden zu lassen: Die allein dem Parlament und seiner Öffentlichkeit zustehende Entscheidungsbefugnis kann derart durch Journalisten eingeengt werden, dass diese schließlich faktisch mitentscheiden. Medien wirken - so sei dieser Abschnitt zusammengefasst - auf Politiker wahrscheinlich auch deshalb, weil diese glauben, dass die Medien auf die Wähler wirken. Dass aber Kampagnen der Politiker gegen bestimmte Medien nur z.T. gerechtfertigt sind, lässt uns zum zweiten kriti-

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sehen Punkt des Verhältnisses zwischen Medien und Politik kommen. Ebenso wie sich Journalisten der eigentlich nur der Politik zustehenden Entscheidungskompetenz zu bemächtigen versuchen und auch bemächtigen, ebenso zielen Politiker, die ihnen kritische Funktion der Medien, wie sie in der Artikulation kritischer Positionen aus der Gesellschaft besteht, einzudämmen oder gar auszuschalten, weil sie die eigene Position zu gefährden vermag. Diese Einflussnahme der Politik auf die Medien kann auf verschiedenen Wegen erfolgen: Politiker können ein "Gegen-Meinungsklima" zu erzeugen versuchen durch public relations und Öffentlichkeitskampagnen. Dazu stehen ihnen große Parteiapparate und z.T. auch eigene Medien zur Verfugung (z.B. Parteizeitschrift). Sarcinelli nennt dies "politisches Marketing" (: 1987, S. 215). Problematisch ist es, wenn Politiker versuchen, über die Besetzung von redaktionellen Stellen Einfluss zu gewinnen, da damit die Autonomie des Mediensystems ausgehöhlt wird. Die Möglichkeit hierzu besteht vor allem in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Deutschlands, deren Aufsichtsorgane (Rundfunkräte) gänzlich oder z.T. von Vertretern der Landesparlamente bestellt werden. In einigen Rundfunkanstalten werden mittlerweile selbst Redaktionsstellen nach parteipolitischem Proporz besetzt. Schließlich sind Drohungen von Politikern und Parlamentariern gegenüber Journalisten zu erwähnen: Verweigerung von Interviews, Hinweis auf die Notwendigkeit, dass die Rundfunkgebühren von den Länderparlamenten genehmigt werden müssen, Einleitung gerichtlicher Verfahren (Beleidigungsprozess u.a.m.), Drohung mit einem Mediengesetz inkl. rechtlicher Restriktionen für Journalisten. Eine vorbildhafte Einflussnahme der Politik und insbesondere des Bundestages auf die Medien bestünde darin, dass der Bundestag selbst seine Aufgabe - nämlich die großen Fragen der Zeit öffentlich zu diskutieren - wieder aufwertet. Die Publizität des Parlaments schafft sich dann - so ist zu hoffen - automatisch, ohne Wirkungsabsicht das Publikum in Form medial vermittelter öffentlicher Diskussionen. Der Soziologe Luhmann (: 1974, S. 27ff; -> § 25, IV.) ist im Rahmen seines systemtheoretischen Ansatzes zu der Überzeugung gekommen, den potentiellen und tatsächlichen Konflikt zwischen politischem und medialem System glätten zu können, indem er dem Mediensystem eine Selektionsfunktion für das politische System zuschreibt. Medien konzentrieren sich nach seiner Meinung in ihrer Berichterstattung und Kommentierung auf einige wenige Themen, die sie hervorheben. Damit bündeln sie gemäß der gesellschaftlichen Diskussion die zu behandelnden Themen, denn die gesellschaftliche Diskussion zentriert sich meist um wenige Komplexe. Sie begrenzen derart auch die vom politischen System zu entscheidenden Materien zu dessen Vorteil, denn durch diese Begrenzung wird es vor Überlastungen bewahrt. Konkret: Unter Zeitknappheit leidende Politiker können sich nicht um alles kümmern, so dass ihnen die Themen- und Problemauswahl durch die Medien nur zupaß kommt. Die öffentliche Meinung „muss Themen erzeugen können, die trotz der hohen Komplexität des Systemkontextes in konkreten Interaktionen als Regeln der laufenden Artikulation sinnvoller Erwartungen fungieren können und Bedürfhisse der Gesellschaft in politisch zu entscheidende Probleme übersetzen. Das Problem liegt in der Selektivität der entstehenden Themen im Verhältnis zur Fülle des Möglichen, die sich aus evolutionär zunehmender Komplexität der Gesellschaft ergibt" (Luhmann: 1974, S. 52). Ob das Verhältnis Medien - Politik allerdings so konfliktfrei vonstatten geht,

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ist zu bezweifeln, da sich Politiker - wollen sie regierungs- und aktionsfähig bleiben - nicht prinzipiell die Themen von der Öffentlichkeit vorschreiben lassen können. Dies ist auch nicht der Fall. Sowohl Politiker als auch das Parlament insgesamt versuchen, bestimmte Themen in die gesellschaftliche Diskussion zu werfen und diese mitzustrukturieren; allerdings gewinnen sie für ihre Themenpräferenz nicht immer die allgemeine Zustimmung. Auch das dem Bundestag zentrale Thema der Parlamentsreform hat nie größere Öffentlichkeit oder gar mediale Prominenz erlangt. Das heutige Grundproblem im Verhältnis zwischen Medien und Politik scheint aber nicht auf der Ebene von wechselseitig bewusster Einflussnahme zu liegen; es gründet vielmehr in der Frage, ob und wie die Art massenmedialer Berichterstattung die Art von Politikgestaltung überhaupt zu ändern vermag. Hier ist insbesondere die wohl unabdingbare Tendenz der bildgebundenen, heute dominanten Medien zu erwähnen, immer über etwas bildlich Reproduzierbares berichten zu müssen. Das hat zu einer gewissen Personalisierung der Berichterstattung geführt - Personen sind bildlich leicht fassbar -, vor allem bezogen auf die politische Prominenz, und das heißt: die Vertreter der Bundesregierung. Massenmedial sind dadurch der Bundestag und Parlamente überhaupt unterrepräsentiert; bei der Opposition ist die Unterrepräsentanz nochmals verstärkt, und wenn Bundestagsvertreter medial auftreten, dann meistens in Gestalt der Fraktionsspitzen. Personalisierung ist also auch mit Hierarchisierung verbunden. Das ist allerdings funktional unabdingbar und sinnvoll, da die gewählten sog. Spitzen der Fraktion für diese sprechen können, während sog. Hinterbänkler meist nur für sich stehen oder nur zu dem Spezialthema fraktionsverbindliche Aussagen machen können, mit dem sie von der Fraktion beauftragt wurden. Spitzen sind eben nicht nur Funktionäre, sondern auch gewählte Repräsentanten. Die primäre Berücksichtigung von Spitzen gehört zu den oben erwähnten Selektionsaufgaben der Medien. Die Personalisierung hat eine weitere Folge: Sie reduziert meist komplexe Sachprobleme auf eine Auseinandersetzung zwischen politischen Repräsentanten und vereinfacht sie dadurch, ohne sie unbedingt zu verfälschen. Dieser Trend wird dadurch verstärkt, dass ein Nachrichtenselektionskriterium des Journalismus die Aktualität der Nachricht ist, was die z.T. zumindest auf kurzfristige Sensationen ausgerichtete Berichterstattung mit sich gebracht hat. Über das, was neu und sensationell ist, wird bevorzugt berichtet. Aufgabe des Parlaments müßte es demgegenüber sein, langfristige Entwicklungen aufzuzeigen und unter einer generationsübergreifenden Perspektive zu diskutieren. Politiker und Parteiapparate greifen aber den Trend der Medien auf, weil er anscheinend mehr den kommunikativen Bedürfnissen des allgemeinen Publikums entspricht (indem sie z.B. in Wahlkämpfen beliebte Persönlichkeiten hervorheben, oder aktuelle Themen aufgreifen). Der Trend wird dadurch nur verstärkt. Insgesamt ergibt sich aus diesem Zusammenspiel von Politik und Medien (insbesondere den Bildmedien) das, was man als "inszenierte" Öffentlichkeit bezeichnen könnte, in der politische Aktivitäten z.T. nur für die Medien veranstaltet werden, bzw. stets die medienpolitische Verwertbarkeit mit im Auge behalten wird (Sarcinelli: 1987). Aber das ist nur ein Teil des politischen Geschehens; es bleiben bestehen die vielfältigen, nicht inszenierten Diskussionszusammenhänge in den Ortsvereinen und -verbänden der Parteien, in der Presse, auch in den Kneipen. Ob die Inszenierungen aber den Kern von Politik treffen, wie Edelmann (: 1976) behauptet, ist ohnehin in Frage zu stellen, denn die Entscheidungszentren (Kabinett, Bundestagsausschüsse u.a.)

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sind weiterhin nicht öffentlich und können daher auch partiell öffentlichkeitsunabhängig entscheiden. Im Bundestag z.B. besteht nur eine Erklärungs-, keine Verfahrensöffentlichkeit, um eine Unterscheidung von Steiger aufzugreifen (: 1970, S. 710ff; i.E. -> § 10, II.). D.h. die Entscheidungen des Bundestages fallen nichtöffentlich; was anschließend erfolgt, ist nur noch deren öffentliche Verkündung und Erklärung in Plenardebatten des Parlaments. Ein interessanter und relativ neuer Aspekt in diesem Zusammenhang ist die „Inszenierung" von Solidarität durch Medien: Während auf der einen Seite ein wachsendes politisches Desinteresse zu beobachten ist, erfahren Nichtregierungsorganisationen wie Amnesty International oder Greenpeace zunehmend Unterstützung und Sympathie aus der Bevölkerung. Dabei sind diese nichtstaatlichen Solidaritätsappelle an stark symbolische Kommunikationsprozesse gebunden und bedürfen professioneller Strategien der Mobilisierung öffentlicher Meinung. So nähert sich auch die Semantik der Werbimg und des Public Relations bei kommerziellen auf der einen und sogenannten non-profit-Organisationen auf der anderen Seite an. „Entstanden als synthetisches Resultat einer zunehmenden Durchdringung öffentlicher Kommunikation durch Medien, Markt und Moral, lassen die kampagnenförmigen Konstruktionen gemeinschaftlicher Verantwortungsgefühle die Grenzen zwischen der ästhetischen, ökonomischen, moralischen und politischen Dimension dieser Kommunikation zunehmend unschärfer werden." (Baringhorst: 1998, S. 11). Die Auswirkungen dieser Durchdringung auf den moralischen Gehalt massenmedialer Solidaritätskommunikation sind jedoch nicht eindeutig zu bestimmen. Auf der einen Seite erfahren spektakulär inszenierte Solidaritätsappelle eine größere Aufmerksamkeit, was zu mehr Spendeneinnahmen und Sponsorengeldern führt. Durch die Vernetzung unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen gewinnen die Solidaritätsappelle ferner an politischer Durchschlagskraft, wobei jedoch zu fragen ist, inwieweit politische Anschlusshandlungen nicht nur symbolischer Natur sind, die im Grunde nur für die Medien inszeniert werden. Es muss auf der anderen Seite zu bedenken gegeben werden, dass Übersättigungserscheinungen durch inflationäre Mitleids- und Solidaritätskommunikation auftreten können. Und wenn Betroffenheit und Anteilnahme zum vordringlichen Kriterium politischer Mobilisierung werden, bleibt eine systematische Problemanalyse häufig auf der Strecke. Deshalb wird von Kritikern eine rein vernunftund interessenorientierte Solidarität gefordert. Vor allem sei in einer liberalen Regierung zu erwarten, dass öffentliche Probleme durch öffentliche Debatten und politisch-parlamentarische Verfahren zu lösen seien und nicht durch öffentliche Bekenntnisrituale, die jeglichen rationalen Diskurs verhinderten (Stephan: 1993, S. 55). Ob nun spektakuläre Solidaritätsappelle der Demokratie schaden oder nicht, kann aufgrund der sehr unterschiedlichen Gestaltung der Appelle nicht allgemein beurteilt werden. Gemeinschaftsgefühle können durchaus ausgelöst werden, aber ob diese dann tatsächlich zu einer Anschlusshandlung führen und nicht nur „ästhetische Oberflächensensibilisierung" (Baringhorst: 1998, S. 323) bleiben, hängt weitgehend davon ab, ob eine politische Operationalisierung überhaupt möglich gemacht wird. Wenn eine zwar aufrüttelnde, aber dethematisierende Bildsprache dominiert, führt dies eher zu einer noch zunehmenden Abkehr von der etablierten Politik. Da die Problematik hier nicht weiter vertieft werden kann, soll abschließend festgehalten werden, dass demokratische Politik zwar Medieninszenierungen und

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symbolische Strategien in ihre Arbeit aufnehmen muss, um an die zweifellos vorhandenen emotionalen und ästhetischen Bedürfhisse der Menschen zu appellieren. Aber dadurch werden Inhalte und Diskussionen nicht ersetzt; sie erhalten nur eine andere Form, bzw. sie werden durch Inszenierungen ergänzt. Politik ist seit jeher mit Rhetorik verbunden, mit der Kunst, sie auch publikumswirksam zu verkaufen durch bildhafte, lebendige Sprache.

III. Die Differenzierung von politischem System und medialem System -Möglichkeiten der Kooperation Die (möglichen) Konflikte zwischen Politik und Massenmedien sollen nicht den Blick dafür verstellen, dass in der Mehrzahl der Fälle die Beziehungen zwischen Politikern und Journalisten weitgehend kooperativ sind. Kooperation von Politik und Medien ist durch beiderseitig z.T. gleichförmige Interessen geboten: "Was wäre z.B. die politische Presse ohne das Rohmaterial, den Input von Entscheidungsprozessen, den das politische System zur publizistischen Behandlung bereitstellt? Was wären aber umgekehrt auch diese Entscheidungen wert, wenn sie ohne verstärkende, erläuternde und legitimierende publizistische Resonanz in Regierungs- und Verwaltungshandeln umgesetzt würden? Politik und Publizistik stehen mit anderen Worten in einem gegenseitigen, interdependenten Problemlösungs- freilich auch -schaffiingszusammenhang (Saxer: 1981, S. 502). Die Interdependenz ergibt sich schon allein daraus, dass Politiker und Journalisten eine ähnliche Vorstellung über ihre Rolle haben, ähnlichen sozialen (Mittel-)Schichten entstammen sowie auch darin vereint sind, dass sie auf der Prestigeskala, wie sie aus allgemeinen Bevölkerungsbefragungen hervorgehen, eher im unteren Teil rangieren. Die Kooperation von Medien und politischen Akteuren gilt insbesondere auch für den Bundestag. Zwischen Bundestagsabgeordneten und Journalisten (oder auch den jeweiligen Wahlkreisjournalisten der Abgeordneten) besteht eine "latente Partnerschaft" (Wittkämper/Bellers: 1986, S. 719ff.), in deren Rahmen jeder für den anderen bestimmte Funktionen erfüllt. Drei zentrale Funktionen erfüllen die Medien für die Politik im allgemeinen und für Bundestagsabgeordnete im besonderen: die Ressourcenfunktion (1.), die Innovationsfunktion (2.), und die operative Funktion (3.) (hierzu Bellers/ Grimm/ Heiks: 1982, S. lOlff.). 1. Die Ressourcenfunktion Einen Großteil ihrer politischen Informationen beziehen Parlamentarier aus den Medien, insbesondere aus den überregionalen Tageszeitungen (bevorzugt werden hier gelesen: Frankfurter Allgemeine, Süddeutsche Zeitung, Die Welt, Neue Zürcher Zeitung, Frankfurter Rundschau, Bild) und aus Wochenzeitschriften (Die Zeit, Der Spiegel, der allerdings manchmal nicht als seriös betrachtet wird; Herzog/Rebenstor/Werner/Weßels: 1990, S. 76). Vom Informationsgehalt her gesehen, hat die Boulevard-Presse naturgemäß eine geringe Bedeutung. Auch der Rundfunk wird eher zweitrangig genutzt. Herzog (u.a.: 1990, S. 74f.) erklärt dies damit, dass die Hauptberichte des Rundfunks zu Zeiten liegen, zu denen Abgeordnete oft an öffentlichen oder nicht-öffentlichen

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Veranstaltungen teilnehmen. Die Nutzung von Medien als Informationsquelle wird um so stärker, je weiter der jeweilige Gegenstandsbereich vom Fachgebiet des Abgeordneten entfernt ist. Im Fachgebiet selbst oder dessen Randgebieten ist der Abgeordnete nicht zentral auf die Medien angewiesen, da er über zahlreiche formelle und informelle Kanäle verfügt, über die er sich informieren kann. Unabhängig hiervon stellen Fachöffentlichkeiten von wissenschaftlichen Zeitschriften und Interessenöffentlichkeiten von Verbänden Teilöffentlichkeiten dar, mit denen der Abgeordnete bei seinen Entscheidungen kooperiert - und, will er erfolgreich sein, auch kooperieren muss (Oberreuter: 1979, S. 71). Denn hier konzentriert sich - neben der Ministerialbtlrokratie - das Fachwissen. Die Publikationsorgane der Verbände werden, wohl wegen ihres gefärbten Charakters, aber eher gering zu Rate gezogen. Für einen Abgeordneten ist natürlich auch die Lektüre der Zeitungen seines Wahlkreises wichtig, um über die lokalpolitischen Belange und insgesamt über die Wahlkreisteilöffentlichkeit Kenntnis zu haben. Als Informationsressource von geringerer Bedeutung sind die bild- und tongebundenen Medien auch deshalb, weil sie nicht örtlich jederzeit verfügbar sind. Sie werden zwar auch zur Information genutzt, zentral ist hier - wie bei den anderen Medien - allerdings nur, dass der Abgeordnete ein Bild dessen gewinnt, was die Wähler öffentlich thematisieren. Denn über das Wählerwissen informiert zu sein, ist für den Parlamentarier geradezu existenznotwendig, da dieses Wissen und seine adäquate Berücksichtigung Voraussetzungen für die Wiederwahl sind.

2. Die Innovationsfunktion Durch die Lektüre der Medien wird der Abgeordnete mit anderen Positionen und Meinungen konfrontiert; er ist gezwungen, sie mit seiner eigenen kritisch zu vergleichen und ggf. seine Meinung zu ändern. Dadurch wird es möglich, angemessenere Lösungen zu finden. Allein schon durch diese Vermittlungsfunktion (Widerspiegelung der Positionen des gesellschaftlichen Diskurses in den Medien) können die Medien innovativ auf das politische System wirken. Die Innovationsfunktion ist eine direkte Folge der Ressourcenfunktion der Medien. Darüberhinaus können Journalisten selbst gezielt innovativ wirken, was durchaus legitim ist, wenn es in Grenzen bleibt und die Spiegel-Funktion der Medien insgesamt nicht beeinträchtigt. So arbeiten insbesondere Wochen-, Fach- und wissenschaftliche Zeitschriften bestimmte Themen sehr intensiv aus, Fach-journalisten bilden sich aufgrund intensiver Studien ein eigenes Urteil, das von Politikern durchaus wahrgenommen und bei der eigenen Entscheidung mit berücksichtigt wird. Auch die Aufdeckung von Skandalen wirkt auf das politische System innovativ. Die Innovationsfunktion hat ihre grundlegende Basis darin, dass sowohl Journalisten als auch Politiker sich gleichermaßen mit der Produktion von Neuem beschäftigen, entweder in der Form von neuen Gesetzen oder in der Form aktueller Nachrichten. In dieser Hinsicht sind beide Akteure für einander funktional.

3. Die operative Funktion Unter diesem funktionalen Aspekt instrumentalisieren Politiker Medien für ihre eigenen Zwecke. Z.B. lanciert ein Parlamentarier in die Presse die Nachricht, dass

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er gegen dieses oder jenes Projekt der von seiner Partei getragenen Bundesregierung sei, um so seinem Wahlkreis, der kritisch der Bundesregierung gegenübersteht, zu signalisieren, dass er ähnlich wie dieser denkt. Oder ein Fraktionsvorsitzender lässt sich von einer unbedeutenden Zeitung zu einem bestimmten Thema mit einer zuvor nicht mit den Koalitionspartnern abgesprochenen kontroversen Stellungnahme zitieren, um zu testen, wie diese darauf reagieren. Reagieren sie milde, so lässt sich das Projekt weiterverfolgen; reagieren sie harsch, so kann der Fraktionsvorsitzende immer noch erklären, er sei falsch zitiert worden. Das ist allerdings nicht ohne explizite oder implizite Zustimmung der Journalisten möglich oder genauer formuliert: Entdeckt ein Journalist, dass er ohne sein Wissen und gegen seinen Willen instrumentalisiert wurde, wird er das nächste Mal vorsichtiger sein. Wollen Politiker die Medien im genannten Sinne über eine längere Zeit auch operativ einsetzen, so bedürfen sie der latenten oder manifesten Zustimmung der Medienseite. Es bedarf einer latenten Partnerschaft, nach dem Prinzip des Gebens und Nehmens auf beiden Seiten. Der Journalist lässt sich operativ verwenden, dafür erwartet er, dass er von "seinem" Politiker bestimmte Informationen erhält, auf die er angewiesen ist. Eine solche Partnerschaft ist allerdings eher typisch für das politisch-mediale System der Bundesrepubulik Deutschland, in anderen Systemen wie z.B. dem der Vereinigten Staaten von Amerika - dominieren Konkurrenz und wechselseitige Kritik zwischen politischem und medialem System. Die wechselseitige Angewiesenheit von Politik und Medien gilt gleichermaßen auch aus der Sicht des Bundestages: So wie die Journalisten auf Informationen und Hintergrundwissen aus dem Parlament angewiesen sind, so ist der Bundestag auf die Öffentlichkeit angewiesen, und das heißt: die massenmedial vermittelte, organisierte Öffentlichkeit. Denn will das Parlament sein Ansehen im Wahlpublikum erhalten, und wollen die parteigebundenen Bundestagsfraktionen - auch angesichts immer bevorstehender Wahlkämpfe auf den verschiedensten Ebenen - ihre kontroversen Positionen dem Bürger nahe bringen, bedürfen sie der Medien; denn die Zahl parteigebundener Zeitungen und Zeitschriften ist - im Gegensatz zur Weimarer Republik - seit den 50er Jahren auf ein Minimum geschrumpft. Mit folgenden Foren und Mitteln versucht der Bundestag, öffentlich zu wirken (Kißler: 1976, S. 216ff.; § 25): Zunächst sind die großen Plenardebatten zu nennen, z.B. anlässlich von Regierungserklärungen oder der Vorlage des Bundeshaushalts oder Großer Anfragen. Zu spezifischen Problemen, zu denen der Bundestag auch Fach- und Teilöffentlichkeiten ansprechen will, werden Hearings veranstaltet oder Enquete-Kommissionen eingesetzt, an denen auch Nicht-Parlamentarier als Experten teilnehmen können. „Hier entsteht eine begrenzte, eine fachbezogene Öffentlichkeit, an deren inhaltlicher Gestaltung vor allem die Fachausschüsse ... und die ihnen entsprechenden Arbeitskreise beziehungsweise Arbeitsgruppen der Fraktionen beteiligt sind" (Lohmar: 1975). Untersuchungsausschüsse zielen insbesondere auf die kritische Öffentlichkeit innerhalb und außerhalb des Parlaments und wollen mit Hilfe dieser Öffentlichkeiten einen Mißstand aufdecken und zu dessen Beseitigung beitragen. Pressemitteilungen, -konferenzen und -Gespräche sind kein spezifisches Instrument des Bundestages, sie werden z.B. auch von Verbänden durchgeführt. Durch Pressemitteilungen suchen die Fraktionen quasi die Öffentlichkeit schon vorzustrukturieren in der Hoffnung, die Journalisten übernehmen die Mitteilung in ihrer Tendenz unverändert. Auch die

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Bundespressekonferenz - obwohl in der Trägerschaft der Journalisten und nicht der Bundesregierung - dient oft nur der Selbstdarstellung von Politik IV. Das duale Rundfunksystem in Deutschland Seit Mitte der 80er Jahre basiert das bundesdeutsche Rundfiinksystem auf der sogenannten dualen Rundfunkordnung, einem Nebeneinander öffentlich-rechtlicher und privatwirtschaftlich organisierter Veranstalter von Rundfunkprogrammen. Die Dualisierung wurde zunächst durch die technologische Entwicklung möglich, als durch Fortschritte im Informationsbereich die Frequenzknappheit wegfiel. U.a. mit diesem Argument machte das Bundesverfassungsgericht mit mehreren Urteilen Mitte der 80er Jahre den Weg frei für eine Teilprivatisierung des Rundfunks (bei Sicherung der Existenz der öffentlich-rechtlichen Anstaltungen auf Dauer, u.a. durch die nun verfassungsrechtlich abgesicherte Möglichkeit, sich durch Quasi-Steuern finanzieren zu können). Doch die technischen und verfassungsrechtlichen Gründe standen nicht allein im Vordergrund. Parallel dazu wurden zunehmend die Gegensätze in den politischen Parteien deutlich, die sich in den unterschiedlichen Leitlinien zur Gestaltung zukünftiger Medienpolitik abzeichneten. Die CDU/CSU-regierten Länder wollten neben den öffentlichrechtlichen Anstalten auch private Rundfunkveranstalter fordern und damit ein duales System schaffen. Die SPD dagegen sprach sich in den von ihr regierten Bundesländern bis in die 80er Jahre für die Aufrechterhaltung des Monopols der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten aus. Um diese Gegensätze zu überbrücken, wurden unterschiedliche Expertenkommissionen beauftragt. Der Telekommunikationsbericht der Kommission für den Ausbau des technischen Kommunikationssystems (KtK) von 1976 befürwortete den raschen Ausbau des Kommunikationsnetzes und schlug zur Vorbereitung künftiger Entscheidungen die Berücksichtigung privater Programmanbieter in zeitlich und räumlich begrenzten Kabelpilotprojekten vor. Das Ziel dieser Einzelprojekte war es, den divergierenden Parteien einen Aufschub zu geben, Alleingänge einzelner Länder zu verhindern und eine einvernehmliche Dauerregelung zu erreichen. Die gesetzlich vorgeschriebenen Begleitstudien sollten zudem Erkenntnisse über Rezipientenstrukturen verschiedener Zielgruppen, die Publikumsakzeptanz und die rechtliche und ökonomische Seite geben. Die politischen Bedingungen für die zukünftige Nutzung neuer Medien sollten auf diese Weise ebenfalls geklärt werden. Ein Kernelement der dualen Rundfunkordnung ist das sogenannte Grundversorgungsgebot der öffentlich-rechtlichen Anstalten. Es ist seit dem vierten Rundfunk-Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu einem gängigen Schlagwort geworden. Das duale System beruht demnach auf zwei unterschiedlichen Prinzipien: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss einen durch die Verfassungsrechtssprechung definierten umfassenden öffentlichen Auftrag erfüllen; dafür erhält er öffentliche Gebühren. Der private Rundfunk dagegen hat keinen öffentlichen Auftrag, er muss einem unspezifisch formulierten Vielfaltsgebot genügen und unterliegt einem gesetzlich geregelten Zulassungsverfahren (über die Landesmedienanstalten). Seine finanzielle Grundlage schafft er durch Werbeeinnahmen und damit hohe Einschaltquoten, die ein massenattraktives Programm fordern. Die Autonomie der Öffentlich-Rechtlichen basiert auf ihrer weitgehenden

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Unabhängigkeit von Wirtschaftsinteressen, die der Privaten auf ihrer Programmgestaltung. Während das öffentlich-rechtliche Modell häufig dahingehend kritisiert wird, dass Parteien und Interessengruppen die Politik der Rundfunkanstalten beeinflussen können, sehen Kritiker im kommerziellen Modell vor allem die Gefahr der Verflechtung von Pressekonzemen und Rundfunkanbietern. Seit der Dualisierung des Rundfunks hat sich vieles verändert. Die Veränderungen wirkten sich auch auf die rechtliche Situation aus. Wurden bisher die Rechtsverhältnisse der Rundfiinkanstalten ausschließlich durch Rundfunkgesetze und Staatsverträge der Bundesländer geregelt, kamen nun die Landesmediengesetze hinzu, die die Bedingungen für die Lizensierung und den Betrieb kommerzieller Rundfunkanbieter vorgeben. Zu deren Beaufsichtigung wurden die sog. Landesmedienanstalten eingerichtet. Sie überwachen den von ihr zugelassenen privaten Rundfunkveranstalter für die Dauer der Zulassung und besitzen eine Schlüsselfunktion. Laut Staatsvertrag finanzieren sich die Landesmedienanstalten aus rund 2 % der Rundfunkgebühr. Grundsätzlich treffen gleichsam legislative „Versammlungen" (die in den verschiedenen Bundesländern jeweils unterschiedlich bezeichnet werden) die Entscheidungen. Sie sind mit Vertretern der sogenannten „sozial relevanten Gruppen" besetzt. Die Aufsichtsbehörden unter einem Direktor bereiten Beschlüsse vor, setzen sie um und führen laufend Erfolgskontrollen durch. Alle öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten besitzen eine ähnliche Organisationsstruktur mit einem Rundfunkrat (beim ZDF Fernsehrat), einem Verwaltungsrat und einem Intendanten. Die Aufgabe des Rundfunkrats besteht in der Wahrnehmung der Interessen der Allgemeinheit auf dem Gebiet des Rundfunks, der Kontrolle der Einhaltung des Programmauftrags und der Programmgrundsätze und der Wahl des Intendanten. Wie die Landesmedienanstalten sollen die Rundfunkräte alle relevanten Gruppen der Gesellschaft repräsentieren. In der Praxis wird deutlich, dass sie sich oft nach parteipolitischer Zugehörigkeit gruppieren. Die Parteien haben sogenannte „Freundeskreise" gebildet, denen Mitglieder der Aufsichtsgremien angehören, und in denen das Abstimmungsverhalten in den offiziellen Sitzungen vorbereitet wird. So haben die Parteien einen Einfluss bei der Kontrolle des Rundfunks, die weit über die Zahl ihrer nominellen Vertreter in den Aufsichtsgremien hinausgeht. Auch die Landesmedienanstalten sind grundsätzlich unabhängig ausgelegt. Doch tatsächlich sind sie stark an die jeweilige parteipolitische Konstellation ihres Bundeslandes angelehnt. Wie in den Rundfunkanstalten sichern sich die Regierungsmitglieder im Landtag die Mehrheit in den „Versammlungen". Die Verfahren der Machtsicherung ähneln den Verfahren in den Rundfunkräten. So benennt die Regierung entweder direkt ihre Vertreter, oder es werden solche bestimmt, die eng mit den politischen Parteien zusammenarbeiten. Diese ehrenamtlich arbeitenden Mitarbeiter sind mit der Praxis in den Rundfunkanstalten meist nicht vertraut und folgen deshalb oft den Vorschlägen der von ihnen gewählten Direktoren. So entstehen kaum gegensätzliche Positionen zwischen den Parteien (Jarren: 1993, S 36f.). Die Direktoren sind also die eigentlichen Machtträger in den Landesmedienanstalten. Bedenklich ist daran, dass politische Funktionsträger, die vorher die Regierungsmehrheit politisch repräsentiert haben, eine gesetzlich zur Unabhängigkeit verpflichtete Behörde leiten. Die parteipolitische Zuordnung, die in fast allen Bundesländern zu beobachten ist, macht deutlich, wie gering die Handlungsspielräume der Landesmedienanstalten in Wahrheit sind.

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Der Vollständigkeit halber ist anzumerken, dass bei den Printmedien dieser indirekte parteipolitische Einfluss durch Aufsichts- und Kontrollgremien nicht existiert. Natürlich nehmen die Publikationen der Parteien (Parteitagsbeschlüsse, Pressedienste etc.) und Interessengruppen wie Kirche und Gewerkschaften Einfluss auf die Meinungsbildung. Doch die Publikationen richten sich vor allem an ein medienpolitisch interessiertes Publikum. Regelrechte Parteizeitungen wie die von Franz-Josef Strauß gegründete „Stimme der CSU" - der 'Bayernkurier' - sind selten geworden. Nur noch wenige Blätter bekennen sich unverhüllt zu einer partei- oder gesellschaftspolitischen Anschauung, obwohl immer noch ein großer Teil von ihnen zumindest in den Kommentarspalten deutlich Stellung nimmt. Die Verlage, die als Herausgeber von Zeitungen auftreten, bestimmen mindestens den lokalen Teil ihrer Zeitung, oft auch die Linie des allgemeinen politischen Teils. Die Zeitungen sind gesetzlich zur Objektivität verpflichtet, doch konservative, liberale oder sozialdemokratische Tendenzen in der Berichterstattung treten allenthalben zu Tage.

V. Wie Parlamentarier Journalisten sehen - und umgekehrt Die latente Partnerschaft bezieht sich nicht auf die Mehrheit der Bundestagsabgeordneten, sondern hier auch nur wieder auf wenige exponiert prominente Vertreter. So erklärt es sich, dass Parlamentarier häufig über ihre mangelnde Repräsentanz in den Medien klagen. Das bestätigt eine Statsitik (Keim: 1982): „Über die Hälfte aller Bundestagsabgeordneten wurden im Laufe einer vierjährigen Wahlperiode (hier: 1972-1976, J.B./S.S.) weniger als 50mal in der Presse zitiert. 23 Abgeordnete wurden nie und 210 nur zwischen ein und 30mal erwähnt. 30mal in einer Wahlperiode bedeutet rund siebenmal im Jahr oder nur alle zwei Monate einmal". Journalisten orientieren sich allzu leicht auf ein "Telekratie-Establishment", das aus nicht mehr als 50 Abgeordneten und Ministern besteht (Dübber: 1980, S. 149). Aber warum wird auch nicht einmal der einfache Abgeordnete in prominenten Fernsehsendungen befragt? Er ist sicherlich in manchen Sachfragen kompetenter als die Führungsspitze. Der systematische Grund hierfür liegt - neben medientypischen Gründen (Personalisierung, Sensationsberichterstattung) politisch vor allem darin, dass mit den Spitzen zugleich auch gewählte Repräsentanten befragt werden, die nicht nur ihre Meinung vertreten, sondern wie beim Fraktionsvorsitzenden für die gesamte jeweilige Fraktion sprechen. Und das ist fiir den Medienrezipienten wichtig. Aus diesem Grunde sind Amts- und Kommunikationshierarchien im Deutschen Bundestag eng verzahnt. Die journalistische Sicht der Bundestagsabgeordneten ist zwiegespalten: Auf der einen Seite gibt es die oben geschilderte Partnerschaft, auf der anderen Seite wird der Politiker und Parlamentarier als Gegner gesehen, das Verhältnis beider ist durch Spannung gekennzeichnet. Journalisten weisen sich bisweilen die berufliche Aufgabe zu, Politik prinzipiell kontrollieren zu wollen. Hier wird auch das Bild von ständig leeren Plenarsitzungen des Bundestages erzeugt, ohne die strukturellen Gründe zu nennen, warum das Plenum oft so leer sein muss, nämlich weil zeitgleich eine Reihe anderer parlamentarischer Gremien tagt. Aus der Sicht der Parlamentarier wird bisweilen falsch berichtet bzw. mit Schwerpunkten, die von den Politikern nicht nachvollzogen werden können.

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Der Bundestagsabgeordnete P. Conradi stellte fest, „dass die Berichterstattung die Ereignisse erschlägt, über die sie berichten soll" - so wenn z.B. das Auftreten eines Spitzenpolitikers von zehn Kamerateams begleitet wird, so dass dieser für Dritte gar nicht mehr sichtbar ist. Conradi schlägt daher eine Beschränkung des Zugangs der Berichterstatter vor: Ein Kamerateam soll für alle filmen (Sozialdemokratischer Pressedienst 05.01.1990). Andere wollen die Plenarsitzungen des Bundestages wiederum zeitlich so legen, dass sie vergrößerte mediale Präsenz erhalten. Z.B. könnte die Bundesregierung in Sitzungswochen auf Pressekonferenzen verzichten, und die Plenardebatten könnten vor Redaktionsschluss stattfinden. Die Sitzungen selbst wären lebendiger und aktueller zu gestalten, um mit den Journalisten auch die Öffentlichkeit für das Parlament zurückzugewinnen. Auch Ausschusssitzungen könnten vermehrt öffentlich stattfinden.

VI. Die interne Öffentlichkeit des Bundestages: Die "Neuen Medien" und das Parlament Als "Neue Medien" werden vor allem die neuen Kommunikationsmöglichkeiten über Satelliten und über Kabelnetze und das Internet bezeichnet, deren Aufnahmekapazitäten infolge neuer technischer Entwicklungen erheblich ausgeweitet wurden, so dass nunmehr mehr Informationen zugleich auf verschiedenen Kanälen übertragen werden können. Das wirkt sich u. a. aus in der wachsenden Zahl von Fernsehprogrammen oder auch in der wachsenden Zahl fernelektronischer Dienstleistungen (Telefax, Telekopierer, Telekonferenz, erleichterter Anschluss an Datenbanken, Internet usw.). Im strengen Sinne des Wortes handelt es sich nicht um neue Medien (wie z.B. das Medium Schrift eine Neuerung war), sondern um neue Techniken für bereits seit längerem bestehende Medien, deren Kapazität dadurch erweitert wird. Und das Internet wird erst von 15% der deutschen Haushalte genutzt. Die Bedeutung des Internet ist auch in der heutigen Politik noch begrenzt. Die Parteien mit ihren Vertretern, die Bundesministerien und die Bundesregierung sind zwar im Internet vertreten. Doch die neuen Möglichkeiten im „Netz der Netze" werden bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Es werden lediglich Informationen allgemeiner Art angeboten, in der Regel jedoch ohne Querverweise oder Hintergründe. Es kommt vor, dass die „Kanzler News" eine Woche alt sind, oder es erscheint beim Anklicken eines weiterführenden Links nur eine leere Seite. Als „Schwerpunkte der Politik" findet der interessierte Bürger Regierungserklärungen, die mehrere Monate zurückliegen, und Site Maps, die einen Weg durch dieses unübersichtliche Datenwirrwar weisen, existieren erst gar nicht. Das Internet-Projekt „politik digital" nennt diesen gegenwärtigen Zustand das „digitale Schweigen". Die Bürgerinitiative, die von drei 22jährigen Hamburgern gegründet wurde, sieht sich als parteienunabhängige Informations- und Kommunikationsplattform rund um die Themen Internet und Politik. Ihre Seiten werden bereits täglich von mehr als 10.000 „Surfern" aufgerufen. Abgesehen von sogenannten „ChatRooms", in denen Politiker per Mausklick Frage und Antwort stehen, existieren bei „politik digital" auch Foren, in denen jeder seinen Diskussionsbeitrag einstellen und ein paar Stunden später nachsehen kann, was andere Besucher geantwortet haben.

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Bis ein solcher Informationsaustausch auch zwischen Bürgern und Politikern funktioniert, müssen sich die Organisationsstrukturen der Regierung jedoch erst radikal verändern. Das Bundespresseamt in Berlin arbeitet seit einem Jahr intern an der Modernisierung der regierungseigenen Öffentlichkeitsarbeit. Dabei gilt es, jahrelang praktizierte Abläufe in den stark hierarchisierten Abteilungen zu reformieren. Hier trifft - wie in den meisten Wirtschaftsunternehmen auch - die Langsamkeit der Prozeduren auf die Schnelligkeit des neuen Mediums Internet. Ein wichtiger Schritt war hier die Einführung der E-Mail-Kommunikation im Amt, die Hierarchien und Dienstwege ignoriert und einen direkten Zugang ermöglicht. Doch bis zur echten Interaktivität ist es noch ein langer Weg. Informationssuchende Bürger können sich immer noch nicht direkt an Experten auf dem jeweiligen Gebiet in der Regierung wenden. Sie können lediglich eine anonyme MailAdresse anschreiben. Andere Beiträge von Bürgern zum gleichen Thema werden nicht gezeigt. Die interne Reform sieht immerhin vor, dass die Beantwortung der Anfragen professionalisiert und beschleunigt wird. Weitere Schritte in Richtung Interaktivität sollen folgen. Ansatzweise sind aber schon neue Formen einer direkten politischen Mitbestimmung im Internet zu erkennen. Die SPD-Bundestagsfraktion will beispielsweise das für 2001 geplante Gesetz zur Anpassung des Datenschutzrechts an das Internet-Zeitalter durch eine möglichst große öffentliche Beteiligung formulieren. Auf einer Webseite sind Gutachten und Diskussionsbeiträge zu diesem Thema zu lesen. Es besteht außerdem für jeden Bürger mit Internet-Zugang die Möglichkeit, Vorschläge zu dem geplanten Gesetz einzureichen. So soll die Gesetzgebung transparenter gestaltet und die Mitwirkung der Bürger berücksichtigt werden. Und kurz vor dem Rücktritt des CDU-Vorsitzenden Schäuble im Januar 2000 fand im Internet eine "Abstimmung" über dessen Abwahl statt. Auch vernetzen sich zunehmend politische Gruppen über das Medium, besonders folgenreich im rechtsextremen Raum. Wie weit die Offenheit gehen kann, und inwieweit diese Form der politischen Partizipation repräsentativ für eine breite Bevölkerungsschicht ist, kann an dieser Stelle nicht diskutiert werden. Es wird nur darauf hingewiesen, dass es in Deutschland derzeit etwa 15,9 Millionen Internetnutzer gibt. Dies bedeutet zwar eine Verdopplung innerhalb eines Jahres. Trotzdem steht die Technologie immer noch nur einem relativ kleinen Teil der Bevölkerung zur Verfügung, der darüber hinaus vor allem aus bereits politisch Interessierten mit guter Ausbildung und höherem Einkommen besteht. Unter diesen Bedingungen erfüllt sich die voreilige Hoffnung, das Internet sei ein neues Forum für alle Bürger, noch nicht. Es ist stattdessen ein elektronisches Spiegelbild unserer Gesellschaft - mit den bestehenden gesellschaftlichen Segmenten und einer eher noch größeren politischen Fragmentierung als bisher. Wahrscheinlich wird das Internet hier in absehbarer Zeit nicht die Bedeutung wie in den USA erlangen, weil in Deutschland die traditionellen Formen der politischen Willensbildung (Parteien, Verbände, Vereine) weitaus stärker sind als in den Vereinigten Staaten. Es soll an dieser Stelle nicht weiter auf diese neuen Medien eingegangen werden, sondern lediglich zwei Einrichtungen (zwei neue alte Medien) kurz vorgestellt werden, die das tägliche Geschehen im Bundestag öffentlich machen. Zum einen ist das der sogenannte Ereignis- und Dokumentationskanal Phoenix von ARD und ZDF, der seit 1997 täglich etwa sieben Stunden live oder zeitversetzt Debatten und Hearings im Bundes- und Landtag sowie im Europäischen Parlament ausstrahlt. Phoenix hat den Anspruch, nicht zu kommentieren, sondern zu erklä-

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ren und zu analysieren, um damit den demokratischen Parlamentarismus zu fördern. Vor und nach aktuellen Ereignisübertragungen sollen Reportagen, Dokumentationen und Features komplizierte Entscheidungsprozesse im Staat transparent und nachvollziehbar machen. Bei aller Kritik an dieser betont sachlichen und manchmal spröden Darstellungsform finden es gemäß einer Repräsentativbefragung des „Emnid-Instituts" 64 % von 2000 Befragten wichtig, dass es Sender wie Phoenix gibt. Dabei hat der Kanal sicherlich seine dokumentarischen Höhepunkte, wenn er etwa den sehr emotionalen Sonderparteitag der Grünen zum Kosovo-Krieg überträgt oder Diskussionen zum Holocaust-Mahnmal in Berlin zeigt. Ein weiterer Schritt für mehr Öffentlichkeit im Parlament ist das Femsehen des Deutschen Bundestages, das seit der 13. Wahlperiode produziert wird. Zu Beginn handelte es sich lediglich um ein Standbild, das den jeweiligen Redner am Pult stehend zeigte. Seit der 1. Sitzung der 14. Wahlperiode existiert das BundestagsFernsehen in seiner heutigen Form - mit sieben ferngesteuerten Kameras, die auf Monitoren überwacht und gesteuert werden. In Berlin werden ab 2001 acht Kameras aus vier Plenarräumen gleichzeitig übertragen. In der Übergangsphase kommen die Bilder von drei Kameraleuten aus Berlin. Sie schicken ihre Aufnahmen nach Bonn, wo die Bilder mit Schriftgenerator untertitelt werden. Diese Bilder sind entweder über den Postleitungsweg, per Satellit oder mit Decoder über das Berliner Kabelnetz abrufbar. Zur Zeit noch aufgebaut wird ein Videoon-demand-System. Ebenfalls für jeden erhältlich sind Videokassetten mit der Aufzeichnung von Bundestagsdebatten oder MAZ-Aufzeichnungen, die vor allem von der ausländischen Presse und von privaten Magazinsendungen in Deutschland nachgefragt werden. Die Bilder werden nicht journalistisch aufbereitet und beschränken sich auf die reine Dokumentation des Geschehens im Bundestag. Inwieweit diese beiden Einrichtungen dazu beitragen können, die Öffentlichkeit tatsächlich fiir das Parlament zurückzugewinnen, kann nicht abschließend beurteilt werden. Es lässt sich jedoch immer noch eine gewisse Scheu und ein schwer zu überwindendes Mißtrauen in der Zusammenarbeit zwischen Journalisten und Bundestagsabgeordneten diagnostizieren.

VII. Wie viel Öffentlichkeit verträgt das Parlament, wie viel Öffentlichkeit braucht es? Die Arbeit des Bundestages ist aufgrund der sozialstaatlichen Expansion der Gesetzgebung derart angewachsen, dass sie nur noch strikt arbeitsteilig organisiert werden kann. Hinzu kommt, dass die arbeitsteilige Organisation für den Außenstehenden nur noch schwer durchschaubar ist. Arbeitsteiligkeit neigt zur Abschließung gegenüber Dritten, und es entstehen so eine Vielzahl von Teil- und Fachöffentlichkeiten, die miteinander kaum noch kommunikationsfähig sind. Zudem ist die Ausschussarbeit im Bundestag (-> §§ 9, VI.; 10, II.) grundsätzlich nicht öffentlich, um die Arbeit von ineffizienten parteipolitischen Kontroversen und fiktiven Legitimationszwängen frei zu halten. Die allgemeine Öffentlichkeit, mit der sich der Wähler identifizieren könnte, diffundiert zunehmend. Mit diesem Tatbestand ist jedoch ein Konstitutivum moderner Demokratie tangiert, nämlich die ständige Kontrollierbarkeit von Herrschaft auch zwischen zwei Wahlterminen. Zudem läuft das politische System bei einer schwach entwickelten allgemei-

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nen Öffentlichkeit Gefahr, dass die Teilpolitiken (und Teilöffentlichkeiten) den Kontakt zueinander verlieren und insgesamt die erforderliche Koordination zwischen ihnen unterbleibt. Ein diskutierenswerter Ausgleich fiir diese neue Art von (ungewollter) Arkanpolitik ist das Bemühen der Parteien, die politischen Themen auf große Formeln zu reduzieren, die wieder der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich sind. Hierbei wird jedoch implizit davon ausgegangen, dass sich die Kontrolle von Herrschaft durch den Wähler und die allgemeine Öffentlichkeit auf die Diskussion weniger großer Fragen beschränken soll, deren Ausfuhrung man dann dem Bundestag und der Bundesregierung vertrauensvoll überlassen könnte. Die entgegengesetzte Kritik bemängelt ein Zuviel an Öffentlichkeit in der Politik. Politiker und Bundestagsabgeordnete würden sich in ihren Handlungen nur noch an der jeweiligen, durch Demoskopie verstärkten öffentlichen Meinung orientieren und Politik im Sinne autoritativer gesamtgesellschaftlicher Ziel- und Wertorientierung vernachlässigen. Die stete Präsenz der Öffentlichkeit und vor allem die Abhängigkeit der Politiker von ihr haben zu einem Dauerplebiszit geführt, dem die Politik zu ihrem Schaden unterworfen sei. Diese Auffassung ist wohl als überzogen zu bezeichnen, bedenkt man, dass Bundestag und Bundesregierung durchaus willens waren, gegen die öffentliche Meinung anzuregieren, so z.B. zu Beginn der 80er Jahre, als es um die Realisierung des NATO-Doppelbeschlusses ging. Unbestritten ist, dass die Öffentlichkeit in Ausschüssen ausgeschaltet werden muss, wenn es sich um schutzwürdige Belange Dritter oder um solche Informationen handelt, deren Zweck bei Publikation verfehlt werden würde (z.B. nachrichtendienstliche Informationen). Dass das Prinzip der Öffentlichkeit von Ausschusssitzungen - von den genannten Fällen abgesehen - nicht unbedingt eine sachbezogene Diskussion erschweren muss, zeigen die Erfahrungen des Bayrischen Landtages mit seinen z. T. öffentlichen Ausschusssitzungen. Die Aufgabe, eine Balance zu finden zwischen dem rechten Maß erforderlicher Arkanpolitik und dem rechten Maß notwendiger Kontrolle durch die Öffentlichkeit, wird stets bestehen bleiben und in jeder Zeit anders beantwortet werden müssen. Patentformeln zugunsten des einen oder des anderen Prinzips sind hier irreführend, zumal auch Parlament und Öffentlichkeit nicht als zwei entgegengesetzte Größen zu betrachten sind. Vielmehr ist die spannungsreiche Kommunikation und Partnerschaft zwischen ihnen konstitutiv. Möglicherweise bringen die neuen elektronischen Techniken eine Abhilfe aus diesem Dilemma: Sie können neue Öffentlichkeit und Transparenz schaffen, ohne die Effizienz zu gefährden. Durch das mit Datenbanken erstellte Wissen ist es z.B. sehr vereinfacht, auch einen Überblick über andere Sachgebiete zu gewinnen. So kann evtl. wieder eine Gesamtöffentlichkeit des Bundestages geschaffen werden, die die Fachöffentlichkeiten der Bundestagsausschüsse und Arbeitsgruppen überwindet. Auch die kommunikativen Distanzen zwischen Bundestagsabgeordneten und ihren Wahlkreisen sind technologisch nun leichter zu reduzieren: Z. B. wären Telekonferenzen zwischen Berlin und den Wahlkreisorten möglich, die die Mobilitätskosten der Parlamentarier verringern und die kommunikativen Beziehungen zwischen Abgeordneten und Wahlkreis verbessern. Das ist z.Zt. perspektivisch, aber technologisch schon realisierbar. Es scheiterte bisher an den Finanzierungsnotwendigkeiten. Zudem sollen nicht die möglichen Gefahren dieser Technologien verkannt werden: Eine strukturelle Gefahr besteht in einer dominant auf die Bedürfnisse der Exekutive orientierten Speicherung der neuen Medien. Dem könnte aber

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durch rechtzeitige parlamentarische Einflussnahme begegnet werden. Der Aufbau und die Speicherungsweise der Datenbanken sind öffentlich zu kontrollieren. Schließlich sollte nicht verkannt werden, dass die Aufgabe des Parlaments in grundsätzlichen Wertentscheidungen und Orientierungen besteht, die die Exekutive durchzufuhren hat. In diesem Sinne hätte der Bundestag sein Selbstverständnis als öfTentlichkeitswirksames Redeparlament zu akzentuieren.

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§ 27 Konturen elektronischer Demokratie Detlev Clemens I. Zum Begriff der „elektronischen Demokratie" - II. Neue Wege der politischen Kommunikation im Internet - III. Verbesserte Partizipationschancen durch das Internet? - IV. „Elektronische Demokratie" in der Praxis - V. Ausblick Grundlagenliteratur: Abramson, Jeffrey B. / Arterton, F. Christopher / Orren, Gary R.(1988): The Electronic Commonwealth. New York Gellner, Winand / v. Korff, Fritz (1998) (Hg.): Demokratie und Internet. BadenBaden Grossman, Lawrence K. (1995): The Electronic Republic. New York Hagen, Martin (1997): Elektronische Demokratie. Hamburg Kamps, Klaus (1999) (Hg.): Elektronische Demokratie?. Opladen Leggewie, Claus / Maar, Christa (1998): Internet & Politik. Köln Rash, Wayne jr. (1997): Politics on the Nets. New York Rheingold, Howard (1993): The Virtual Community. New York

I. Zum Begriff der „elektronischen Demokratie" Der Zusammenhang zwischen technischer - vor allem kommunikationstechnischer - Innovation und Demokratie hat die politische Theorie und Praxis beschäftigt, seit es Demokratie selbst gibt Auch der Begriff der „elektronischen Demokratie" hat bereits eine bemerkenswert lange Geschichte. Schon in den 1960er Jahren in die politikwissenschaftliche Diskussion um Veränderungen des politischen Prozesses durch elektronische Informations- und Kommunikationsmittel eingeführt, erlangte der Begriff durch die revolutionären Möglichkeiten der weltweiten Computervernetzung beispiellose Zugkraft. Seit Mitte der 1990er Jahre wurde er zum Kristallisationspunkt all jener Überlegungen, welche die rasante Verbreitung des Internets in - inzwischen nicht mehr nur- den westlichen Industriestaaten in ihren Auswirkungen auf und ihren Chancen für die repräsentative Demokratie zu fassen versuchen. Von Beginn an war dabei die „elektronische Demokratie" sowohl von euphorischen Demokratie-Szenarien als auch apokalyptischen Prophezeiungen von politischer Verflachung umgeben. Suggestive Schlagwörter wie das verheißungsvolle „neue Athen" oder die abfällige „pushbutton democracy" umreißen die ganze Bandbreite der Erwartungen oder Befürchtungen hinsichtlich der demokratieverändemden Wirkung der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien (IuK). Gerade im Kontrast zum verbreiteten Vertrauens- und Akzeptanzdefizit der politischen Institutionen, manifestiert in fortschreitender Parteien- und Politikerverdrossenheit und sinkender Wahlbeteiligung, wurde die „elektronische" Demokratie vielfach als Allheilmittel zur Revitalisierung „der" Demokratie gepriesen. Es liegt auf der Hand, dass solchermaßen undifferenzierte, plakativ verkürzte In-Bezug-Setzungen das Verständnis für die Vielschichtigkeit der Konzeptionen, die sich in der wissenschaftlichen Diskussion mit dem Begriff „elektronische Demokratie" verbinden, eher erschweren. Gleichzeitig - oder gerade

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deshalb - erscheint der Begriff in seiner plakativen Verwendung höchst widersprüchlich. Dies gilt um so mehr, wenn er mit tagespolitischen Grundsatzdiskussionen um Datenschutz und -mißbrauch im Internet oder um dessen Funktion als sicherer Hafen für politische Extremisten, Kriminelle oder Pädophile befrachtet und verdunkelt wird. Die „elektronische Demokratie" hat keine eindeutige Definition und keine fest umrissene Gestalt. Die Verwendung des Begriffs erfordert stets eine Klarstellung des politischen und ggf. demokratietheoretischen Kontextes, in dem er verstanden werden soll. Hierbei ist hilfreich, dass mittlerweile die Nutzung des Internets ein alltäglicher, integraler Bestandteil zentraler Bereiche der politischen Kommunikation und Willensbildung geworden und gleichzeitig ihre wissenschaftliche Analyse erheblich fortgeschritten ist. Dominierten anfangs theoretische, normative, nicht selten rein spekulative Überlegungen die Diskussion um die elektronische Demokratie, so liegen mittlerweile empirische Untersuchungen in hinreichender Zahl vor, um ihrer Gestalt schärfere Konturen zu verleihen. Dem gemäß wird im Folgenden zunächst ein Überblick über „Konzepte elektronischer Demokratie" (Hagen: 1999) und die mit ihnen verbundenen normativen Demokratievorstellungen gegeben, um sodann die Realität der Internet-Nutzung in der Politik anhand exemplarischer Beispiele zu beleuchten. Dabei konzentrieren sich diese Ausführungen auf die Folgen der neuen IuK für die repräsentative Demokratie, das heißt vor allem auf ihren Einfluss auf Parlamente (—> §§ 9, 10) und Parteien (—> § 23) sowie auf das Verhältnis zwischen Wählern und ihren Repräsentanten. Vielfältige andere direkt oder mittelbar politisch relevante Wirkungen des Internets, wie etwa der Wandel einzelner Medien oder ganzer Medienlandschaften, Veränderungen in der Art der Politikdarstellung und der politischen Kultur (—> § 29) und zwischenmenschlichen Kommunikation allgemein, und damit mögliche Auswirkung auf den „Kitt" gemeinsamer Wertvorstellungen einer Gesellschaft können demgegenüber nur ggf. ergänzend erwähnt werden. Erste Entwürfe einer „elektronischen Demokratie" reichen weit vor die Tage der globalen Computernetzwerke zurück und waren durch die Entwicklung der Mainframe-Großcomputer und Kabelnetze inspiriert. Sie zentrierten um die Frage nach einer durch neue IuK ermöglichten quantitativen und qualitativen Steigerung der Bürgerbeteiligung an der demokratischen Regierungsform. In Deutschland entwickelte H. Krauch (: 1972) zu Beginn der 1970er Jahre sein "ORAKEL"-Modell, bei dem politische Konflikte im Fernsehen artikuliert und sodann von den Bürgern per Telefonabstimmung entschieden werden sollten, wobei - hier das eigentlich innovative Element - bei Bedarf in EDV-Datenbanken gespeichertes Expertenwissen in den Prozess einzuspeisen gewesen wäre. (Kleinsteuber/Hagen: 1998, S. 128f.) Die Kombination von politischer Information über das Fernsehen und anschließenden Telefonabstimmungen wurde in den USA z.B. von A. Etzioni in der Theorie zu einem Millionen von Bürgern einbeziehenden, mehrstufigen System vom Telefonkonferenzen entwickelt und in der Praxis z.B. von T. Becker in Hawaii in Form eines „Televote" von repräsentativ ausgewählten Bürgern über anstehende politische Entscheidungen getestet (vgl. Zittel: 2000). Stellten diese Konzepte lediglich auf die schnelle aber einseitige Bereitstellung größerer Datenmengen zum Zwecke verbesserter Information der Bürger vor ihrer Entscheidungsfindung ab, so beflügelte das Kabelfernsehen als nächsthöhere Stufe der technischen Entwicklung die politisch-partizipatorische Phanta-

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sie.41 Mit Hilfe der Verkabelung schienen nicht nur größere Informationsmengen zeitlich flexibel zugänglich gemacht werden zu können, sondern sich vor allem auch die Möglichkeit einer Rückkopplung der Bürger über den mit hohen Erwartungen bedachten .Rückkanal' zu eröffnen. Die Praxis brachte allerdings ernüchternde Ergebnisse. So wurde der Kabel-Rückkanal, in der Einrichtung zu aufwendig, nie großflächig umgesetzt, und wo dies in lokal und zeitlich begrenzten Pilotprojekten geschah, zeigte sich, dass allein seine Bereitstellung keine nennenswerten positiven Partizipationseffekte brachte (Gellner/v.Korff: 1998, S. 20).

Ähnliches gilt für die seit Ende der 1980er Jahre entstehenden ersten Computernetzwerke im Rahmen von kommunalen Kommunikations- und Informationssystemen. Wegweisend hierfür war das 1989 in Santa Monica, Kalifornien, in Betrieb genommene ,Public Electronic Network' (PEN), das über öffentlich aufgestellte Computerterminals allen Bürgern der Stadt zugänglich war. Es bot nicht nur Möglichkeiten zur Informationsabrufung und elektronischen Abwicklung von Verwaltungsgeschäften, sondern sollte auch den Dialog der Bürger untereinander und mit kommunalen Verwaltungen und Entscheidungsträgern fördern. Doch bis heute wird dieses Netz von weniger als 0,4 % der Bewohner Santa Monicas regelmäßig genutzt (Kleinsteiiber/Hagen: 1998, S. 138f). Ungeachtet solcher wenig ermutigenden Erfahrungen, was die partizipationssteigernde Wirkung neuer Techniken und Medien anbelangt, erfuhren die Konzepte einer elektronischen Demokratie seit der ersten Hälfte der 1990er Jahre durch die Erschließung des Internet und die massenhafte Verbreitung immer leistungsfähigerer, multimediafahiger Computer in weltweiter Vernetzung eine sprunghafte Ausdehnung. Sie ist nur vor dem Hintergrund des tatsächlich revolutionären Charakters und der unerhörten Leistungsfähigkeit der Online-Kommunikation erklärbar: Die schier unermeßlichen Informationsmengen, die hochaktuell bereitgestellt und zeit- und ortsunabhängig abgerufen werden können; vor allem die dezentrale Struktur des Internets, die jeden Empfänger von Information zum potentiellen Sender derselben macht, und zwar sowohl im Modus der Individual- wie der Massenkommunikation; seine ausgeprägte feedback-Fähigkeit. All dies eröffnete der politischen Kommunikation Horizonte, die für den Bürger die Überwindung seiner weitgehend rezeptiven, passiven Rolle in einer massenmedial „top-down" vermittelten politischen Öffentlichkeit möglich erscheinen ließen. Nun endlich schien das ideale technische Medium zur Verfugung zu stehen, um die wohlentwickelten Konzepte für eine intensivierte Partizipation in einer „starken Demokratie" (Barber: 1984) oder gar den ,weltgesellschaftlichen Diskurs' verwirklichen zu können. Es ist kein Zufall, dass die Diskussion um die elektronische Demokratie vor allem in den USA neu entfacht und dort Elemente zu ihrer Realisierung getestet wurden, während beides z.B. in Deutschland auf stärkere Vorbehalte (Buchstein: 1996; Kühnhardt: 1996) stieß. Gründe hierfür lagen nicht nur darin, dass in den USA die Computertechnologie und die Computervernetzung am schnellsten fortschritten, dass den Amerikanern wie der amerikanischen Politik generell eine

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Vgl. Lee Smith, Ralph (1972): The Wired Nation. Cable TV: the electronic communications highway. New York; de Sola Pool, Ithiel (Hg.) (1973): Talking back. Cambridge; Vowe, Gerhard / Wersig, Gernot (1983): "'Kabel-Demokratie' - der Weg zur Informationskultur". In: APuZ B45, S. 15ff.

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hohe Technikaufgeschlossenheit nachgesagt werden kann (M. Hagen: 1996, S.66f.) und dass ausgeprägter amerikanischer Unternehmergeist die Fortentwicklung und „Zivilisierung" (Miller: 1996) des Internets als einer ursprünglich militärischen Kommunikationsinfrastruktur vorantrieb und noch heute vorantreibt. Hinzu kam auch, dass die politische Nutzbarmachung des Internets einher ging und wesentlich gefordert wurde durch ambitionierte und publicityträchtig verkündete Großprojekte der ersten Clinton-Administration (1992-96) wie dem Programm zum Aufbau einer „National Information Infrastructure" zur Veröffentlichung von Regierungsdokumenten aller Art, der elektronischen „National Performance Review", die unter dem Slogan des „Re-Inventing Government" auf eine effizientere und verschlankte Regierung und Verwaltung abzielte, oder der Einrichtung von THOMAS, dem Informationsserver des amerikanischen Kongresses, der den elektronischen Zugriff auf Dokumente zu allen Stufen des Gesetzgebungsprozesses ermöglichte. Nicht zuletzt hatte auch der Präsidentschaftswahlkampf von 1996, in dem das Internet mit seinem hohen Symbolwert für Bürgernähe und Zukunftsorientierung erstmals von allen wichtigen Kandidaten eingesetzt wurde (Clemens: 1999), eine Katalysatorfunktion für dessen Erschließung als Medium der Politik. Weitere für die Fortentwicklung von Konzepten der elektronischen Demokratie forderliche Faktoren leiteten sich aus Besonderheiten der politischen Kultur und dem politischen System der USA ab. Der notorische anti-government-Aifckt, die sich nicht nur an der unterdurchnittlichen Wahlbeteiligung erweisenden Partizipationsdefizite, die besondere Struktur der - organisatorisch unterentwickelten amerikanischen Parteien und die enge Anbindung von Kongressabgeordneten an ihre Wahlkreise ließen das neue Medium mit seiner besonderen kommunikativen Leistungsfähigkeit ausgesprochen verheißungsvoll erscheinen. Dies galt ganz besonders, weil sich die politische Nutzbarmachung des „Cyberspace" mit den mythologischen, identitätsstiftenden Begriffen und Gründungstugenden der amerikanischen Demokratie aus ihrer Entstehungszeit verbinden ließ. Die Identifizierung des politisch noch zu erschließenden Internets als einer „electronic frontier" weckte die Erinnerung an den uramerikanischen Pioniergeist der unermeßlich scheinenden und in Besitz zu nehmenden Räume. Die Initiatoren des nicht zufallig THOMAS genannten Kongress-Servers versprachen den Online-Nutzem mit Rückgriff auf Thomas Jefferson und seinen politischen Grundsatz von der freiheitssichernden Wirkung der Information eine „Selbstregierung", wie sie sie seit Jahrhunderten nicht mehr gekannt hätten, und Politiker wie Ross Perot begannen mit „electronic town hall meetings" zu experimentieren und evozierten damit die Keimzellen der amerikanischen Demokratie in den Gemeindeversammlungen der Neuenglandstaaten. Mochte die skizzierte Aktualisierung der mythologischen' Begriffe der amerikanischen Demokratie in der Diskussion um die „Cyberdemocracy" gerade im Kontext des amerikanischen Präseidentschaftswahlkampfes 1996 auch teilweise auf interessegeleitete politische Indienstnahme zurückzuführen sein, so gab sie doch gleichzeitig einen deutlichen Hinweis darauf, dass die im Kontext der elektronischen Demokratie diskutierten Fragen sich in die lange Tradition amerikanischer Demokratiedebatten einpassten und im Grunde um die selben Fragen kreisten, die schon die Gründer bewegt hatten: Wie viel Repräsentation braucht die Demokratie? Wie weit entfernt vom Volk darf und muss die Regierung sein? Wie ist die

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Demokratie einerseits bestmöglich zu verwirklichen und andererseits vor ihrer Entartung und den Gefahren des Populismus zu bewahren? Die unterschiedlichen Konzepte einer elektronischen Demokratie lassen sich nach M. Hagen in drei idealtypische Gruppen fassen: die Vertreter einer "Teledemocracy", einer "Cyberdemocracy" und einer "Electronic Democratization" (M. Hagen: 1997; 1999). Die Vertreter des Konzepts einer Teledemocracy, des ältesten Ansatzes, waren vor allem von der Möglichkeiten des Kabelfernsehens angeregt und messen bis heute dem Fernsehen die Funktion als wichtigstes Leitmedium im politischen Prozess zu. In der Tradition der partizipatorischen Demokratietheorie stehend, sehen sie im existierenden repräsentativen Regierungssystem den Grund fur politische Entfremdung und Apathie und wollen dieses, gestützt auf die neuen IuK und auf Kosten der traditionellen intermediären Organisationen, durch weitgehende plebiszitäre Elemente und besondere Anstrengungen zu politischer Bildung ergänzen. Sie gehen von einem geschichtlich-technologischen Determinismus hin zu einer elektronischen Demokratie aus, den es bestmöglich zu gestalten gelte - ggf. auch durch Verfassungsänderungen, die ein kontinuierliches System von elektronisch gestützten Abstimmungen und Umfragen institutionalisieren. Dem gegenüber sind Konzepte der „Cyberdemocracy" erst von der Entwicklung des Internets inspiriert und stehen der repräsentative Demokratie eher ablehend gegenüber. Im Zentrum ihrer Wahrnehmung steht der seinen materiellen Wohlstand maximierende, sein „pursuit of happiness" lebende und dennoch gerne in wohlorientierte Bürger als Keimzelle einer Vielfalt von unabhängigen „virtuellen Gemeinschaften", die durch die neuen IuK auch die realweltlich bezogenen politischen Entscheidungen diskutieren und treffen. Je nach Ausrichtung ist der anti-zentralistische und anti-nationalstaatliche Affekt der CyberdemocracyKonzepte mehr oder weniger stark ausgeprägt. Weit positiver gegenüber der repräsentativen Demokratie geben sich wiederum die Konzepte einer „electronic democratization". Sie streben nach einer Reform und Verbesserung der bestehenden repräsentativdemokratischen Institutionen durch die neuen IuK, nicht aber nach deren Ersetzung oder Ergänzung. Für sie stehen Information und Kommunikation zwischen Bürger und Politik, das heißt die Schaffung neuer Kommunikationskanäle, mehr Transparenz des politischen Prozesses und mehr Bürgernähe als Voraussetzung für die Steigerung von Partizipation und Legitimation im Vordergrund ihrer Überlegungen zur Modernisierung der repräsentativen Demokratie. Deren Institutionen hätten bei diesem Prozess selbst eine wichtige gestalterische Funktion zu übernehmen. So unterschiedlich die Grundhaltungen dieser drei umrissenen Arten von Konzepten elektronischer Demokratie zur repräsentativen Demokratie bzw. zu direktdemokratischen Elementen auch sind, gemein ist ihnen die hohe Bedeutung, die sie der politischen Information, öffentlichen Diskussion und Interessenartikulation über die bzw. in den neuen IuK beimessen. Diese erscheint als Voraussetzung für die interaktive Verringerung der Kluft zwischen Bürgern und Politik und für die Wiederentstehung eines Gemeinschaftsbewusstseins bzw. Gefühls des Involviertseins der Bürger in den politischen Prozess, welches die Legitimationsbasis der demokratischen Herrschaft verstärkt. Auf die simple Propagierung möglichst vieler plebiszitärer Online-Abstimmungen ausschließlich vom heimischen Computer aus lassen sich diese Konzepte jedenfalls nicht reduzieren (so Buchstein: 1996). Angesichts ihrer Differenziertheit wird für die weitere Argu-

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mentation des vorliegenden Überblicks eine pragmatische und ausreichend weite Arbeitsdefinition für „elektronische Demokratie" zugrundegelegt, die, ohne sich an ein bestimmtes Konzept anzulehnen und gestützt auf M. Hagen (: 1997) lautet: Eine „elektronische Demokratie" ist ein demokratisches politisches System, in dem Computer und Computernetze zur Erfüllung wesentlicher Funktionen des politischen Prozesses herangezogen werden, wie etwa Information und Kommunikation, Interessenartikulation und -aggregation sowie Deliberation und Abstimmungen zur politischen Entscheidungsfindung.

II. Neue Wege der politischen Kommunikation im Internet Der Aufbau des Internets stellt in der Entwicklung der Kommunikationsmedien einen Quantensprung dar, der nicht ohne Grund häufig der Gutenberg'sehen Erfindung des Buchdrucks gleichgesetzt wird. Bevor die durch das ,Netz der Netze' eröffneten Chancen zu intensivierter politischer Kommunikation und Partizipation erörtert werden können, müssen einige Aspekte seiner besonderen Kommunikationsleistung, auf denen diese Chancen beruhen, erläutert werden. Als Sammelbegriff umfasst das Internet ganz unterschiedliche Dienste mit ebenso unterschiedlichen Strukturen: die elektronische Post (e-mail) für die asynchrone Kommunikation mit Individuen oder, über E-mail-Verteilerlisten, an ein Massenpublikum; die Usenet-Newsgroups und Diskussionsforen, die .schwarzen Bretter' des Internets; die Internet Relay Chats für in Echtzeit synchron stattfindende Diskussionen in virtuellen Räumen, und vor allem die zahllosen Netzseiten des World Wide Web (WWW), dessen Entwicklung im Jahr 1992 erst die Erschließung der Informationspotentiale des Internets ermöglichte, diesem ganz wesentlich zum Durchbruch und zur Breitenwirkung verhalf und seine Popularität begründete. Erst die Hypertext-Architektur des WWW macht auch große Informationsmengen aus ganz unterschiedlichen Quellen benutzerfreundlich zugänglich. Vor allem: Ob eine e-mail an eine Person oder - ist eine entsprechende mailinglist erst einmal erworben oder erstellt - an eine Million Adressaten geschickt wird, macht keinen Kostenunterschied aus. Gerade diese Hybridisierung von Individual- und Massenkommunikation ist zweifellos einer der herausragenden Wesenszüge des Internets. Dessen Dienste mögen keineswegs alle neu sein oder sich prinzipiell von den Kommunikationsmodi herkömmlicher Medien unterscheiden. Doch ihrer Kombinierbarkeit und der praktisch verzögerungsfreien und kostengünstigen Verbreitung von Informationen eröffnet das Medium grundlegend neue Kommunikationsmöglichkeiten. Allein schon in der quantitativen Erleichterung der Kommunikation liegt eine qualitative Steigerung. Verbindet man diese Leistungsfähigkeit noch mit den wesentlichen Charakteristika der Internet-Kommunikation, dann treten deren politische Potenziale plastisch vor Augen: die Globalität seiner unermeßlichen, weltweit und jederzeit abrufbaren Informationen, deren hohe Aktualität, die attraktive, multimediale Darstellung der Informationen in Text, Bild und Ton, die vielfachen Formen zeitgleich oder auch zeitlich versetzt erfolgender Kommunikation, die gleichermaßen an eine allgemeine Öffentlichkeit (broadeast) wie an genau definierte Zielgruppen (narroweast) gerichtete Information, die prinzipielle Teilnahmeoffenheit des Mediums, die aufgrund der hohen Sendekapazität jedes Teilnehmers ausgeprägt dezentrale Organisation, bei der die Selektionsfilter und „gatekeeper"

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der herkömmlichen Medien nicht zum Tragen kommen; die schnellen Übertragungswege; die Konvergenz der angebotenen Informationen, die der Nutzer in der Regel auf seinen Computer herunterladen und für eigene Zwecke ggf. seinerseits als Sender im Internet weiterverwenden kann; die ausgeprägten Möglichkeiten für interaktive Kommunikation; die Erleichterung von Gruppenkommunikation und Gruppenzusammenarbeit und die Kommunikation „von vielen zu vielen" (Stradtmann: 1998, S. 19). All diese Eigenschaften scheinen das Internet auf den ersten Blick zum idealen Medium für politische Kampagnen und intensivierten Bürgerdialog zu machen. Entsprechend große Erwartungen an seine Wirkung auf die Informations- und Partizipationsbereitschaft der Bürger wurden daraus abgeleitet. Doch in der Praxis weisen die neuen IuK eine Reihe von inhärenten Nachteilen auf, die ihre politische Ersetzbarkeit relativieren. Als erstes zu nennen ist die enorme Erleichterung der kostengünstigen Information und Kommunikation, die inzwischen in ihr Gegenteil, in Informationsüberflutung und Kommunikationsinflation umgeschlagen ist. Die Überfülle der grenzenlosen Informationen und das Anwachsen von überholtem Datenmüll im Internet machen für den von Site zu Site surfenden Nutzer das Auffinden gesuchter Information zunehmend schwierig. Vor allem aber „bedeuten die Vervielfachung der technischen Kommunikationsmöglichkeiten und ein stark vergrößertes Informationsangebot noch keine Besserung der eigenen Informiertheit" (L. Hagen: 1998, S. 13). Sie werfen vielmehr in neuer Schärfe ein Grundproblem der Informationsgesellschaft auf, nämlich den Unterschied von ,Information' und ,Wissen' und die Tatsache, dass unbewertete Information sinnlos und damit politisch nutzlos bleibt. Die Informationsvielfalt des Internets stellt also besondere Anforderungen an das , Wissensmanagement' seiner Nutzer, daher die persönliche Fähigkeit zur Selektion, Gewichtung und Bewertung von Information und Medienangeboten, was wiederum eine zentrale Herausforderung für die allgemeine und politische Bildung ist (Harth: 2000). A priori kann gelten: „Von einer Informationsvervielfältigung allein geht jedenfalls keine demokratisierende Wirkung aus" (Jarren: 1998, S. 17). Ein zusätzliches, durch das Internet verschärftes Problem politischer Öffentlichkeit ( - » auch §§ 25, 26) ist die Verlässlichkeit der gebotenen Informationen, wenn unter den Bedingungen der ,Ortlosigkeit' und möglichen Anonymität der Netzteilnahme ihre Herkunft nicht nachvollziehbar ist oder - das ein besonderes Problem für den Online-Journalismus - unter dem Druck des erhöhten Aktualitätsbedarfs im Internet nicht ausreichend verifizierte Nachrichten verbreitet werden. Es hat durchaus Nachteile, wenn im Internet mit den Journalisten zwar die „gatekeeper" der herkömmlichen Massenmedien wegfallen, damit aber auch die idealiter „professionellen Komplexitätsreduzierer und Objektivitätswächter" (L. Hagen: 1998, S. 13). Angesichts der Informationsfülle im Internet werden in der Praxis Suchmaschinen und „politische Informationslotsen" (Clemens: 1999a) zu unverzichtbaren Orientierungshilfen und können zu einer neuen Art von gerade erst überwunden geglaubten „gatekeepern" im neuen Medium werden, in dem ohnehin auch die wichtigsten Akteure der herkömmlichen Massenmedien mit speziellen OnlineAngeboten seit langem präsent sind und sich um die Wiederherstellung ihrer Meinungsführerschaft bemühen. Denn tatsächlich ist auch die Erwartung einer „Enthierarchisierung ... der politischen Kommunikation" (Kamps: 1999, S. 11) und die Annahme prinzipiell gleicher Teilnahmechancen am Internet ein Mythos.

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Auch im Netz haben organisierte Akteure, besonders wenn sie Spezialwissen oder -daten anbieten, eine höhere kommunikative Durchsetzungschance als andere Netzteilnehmer. Auch das Internet, ursprünglich ein Kommunikationsmedium für militärische Zwecke, nach seiner „Zivilisierung" maßgeblich vorangetrieben von ökonomischen Interessen und, wie noch zu zeigen sein wird, höchst geeignet für die Binnenorganisation politischer Interessengruppen, kennt Meinungseliten und unterliegt der Wirksamkeit von politischen und wirtschaftlichen Machtstrukturen. Geht man von der Informations- zur Kommunikationsseite des Internets über, so lassen sich auch hier deutliche Hemmnisse für eine Intensivierung und Qualitätssteigerung des politischen Dialogs aufzeigen. Was die Online-Diskussionskultur betrifft, so legt die Praxis von Foren und Chatrooms erhebliche Zweifel nahe, ob komplexe politische Sachverhalte online genauso intensiv - geschweige denn besser - verhandelt werden können, wie in der physischen Welt. Zwar spielt der soziale Status der Diskussionsteilnehmer im Netz keine Rolle, doch da Mitgliedschaften in Online-Gemeinschaften, das heißt der formale Organisationsgrad von netzgestützter Kommunikation, in der Regel eher gering ist, ist der Abgang aus solchen Foren noch leichter vollzogen, als der Zutritt zu ihnen. Auch hierauf mag zurückzuführen sein, dass Diskussionen in Online-Foren eher noch häufiger zerfransen als in der physischen Welt (Stradtmann: 1999, S. 113). Dies gilt besonders, wenn die Teilnehmerzahl, die in virtuellen Gruppen stärker beschränkt ist als in realweltlichen, einen gewissen Wert von ca. 30 überschreitet (Marschall: 1999, S.45). Spontane Online-Chats ohne vorher festgelegten Zeitpunkt und Agenda kommen in der Regel nicht zustande oder sind fruchtlos. „So zeigt sich, dass sich elektronische Kommunikationsformen nicht für große gesellschaftspolitische Diskussionen eignen, sondern nur dann sinnvoll erscheinen, wenn die Diskussionsteilnehmer von einem Thema konkret betroffen sind" (Stradtmann: 1999, S. 31). Letztlich prallen auch in virtuellen Räumen die unterschiedlichen politischen Standpunkte und Argumente mit mindestens der gleichen - und vermutlich noch gesteigerten - Härte aufeinander, wie bei realweltlichen face-to/ace-Diskussionen. Benimmregeln im Internet, sog. ,Netiquette', und die Moderation, das heißt Kontrolle von Diskussionsforen sind die notwendige Folge. Dies dürfte nicht zuletzt auf die Anonymität im Netz zurückzuführen sein, die eng mit der ,Ortlosigkeit' der Netzteilnehmer zusammenhängt und in demokratietheoretischer Hinsicht ein wesentliches Problem darstellt. Im territorial nicht definierbaren Netz der Netze, in dem .Identität' eine digital, nicht physisch zu bestimmende Größe ist, können von jedem Netzbenutzer eine oder viele künstliche Identitäten angenommen werden.42 Das Individuum kann also in der virtuellen Gemeinschaft der Netzteilnehmer mit angenommener Identität oder aus der Anonymität heraus an den öffentlichen Angelegenheiten teilnehmen, die doch den Bürger verlangen, das heißt seine persönliche, öffentliche, der Kritik offenstehende Stellungnahme und damit die zuweisbare Verantwortung für Äußerungen und Handlungen. Insofern als diese Grundvoraussetzung von Demokratie und Bürgerrecht nicht gegeben ist, erscheint auch der Begriff des „Netizen" als Zusammensetzung von „Net" und „Citizen" als ein Widerspruch in sich, misst man 42

Dies ist beispielsweise ablesbar an der bemerkenswerten Zahl von „virtuellen Kandidaten", die seit 1996 als reine digitale Kunstprodukte vor allem zu Marketing-Zwecken regelmäßig in Online-Wahlkämpfen zu beobachten sind (vgl. Clemens: 1999a, S. 55).

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ihn an klassischen Definitionen des „Bürgers", der bei allen Unterschieden im BegrifFsverständis seit der Antike bis in die Moderne immer nur in seiner Bezogenheit auf einen geographisch fest umrissenen politischen Herrschaftsbereich gedacht wurde. Ungeachtet solcher empirischer wie theoretischer Einwände ist festzuhalten, dass mit dem Internet neue Kommunikationskanäle mit technisch aufsehenerregenden Möglichkeiten fiir politische Diskurse zur Verfügung stehen, dank derer die Bürger untereinander und mit Politikern direkter, vielfältiger und zielgenauer kommunizieren, sich leichter und vollständiger informieren und ggf. informierter ihre Interessen artikulieren können. Es bleibt jedoch die grundlegende Frage nach dem Gebrauch, den die Bürger von diesen Möglichkeiten machen, das heißt danach, ob sie sich durch das Internet nicht nur mehr Stimme, sondern auch mehr Gehör verschaffen und letztlich die politische Entscheidungsfindung in der repräsentativen Demokratie verstärkt beeinflussen können.

III. Verbesserte Partizipationschancen durch das Internet ? Wie bereits im Überblick über die wesentlichen Konzepte elektronischer Demokratie gezeigt, richten sich die Erwartungen hinsichtlich der demokratieverändernden Wirkung der neuen IuK vornehmlich auf eine Intensivierung und Qualitätssteigerung der politischen Partizipation. Dabei bleibt der Partizipationsbegriff ganz wie der Begriff der elektronischen Demokratie selbst oft schwach bestimmt, so dass sich das Hauptaugenmerk - zumal auch in der deutschen Rezeption der elektronischen Demokratiedebatten - dann auf die eine spezifische und besonders kontrovers diskutierte Partizipationsform richtet, die von zentraler Bedeutung für die demokratische Herrschaftslegitimation und Entscheidungsfindung ist, nämlich Online-Wahlen und -Abstimmungen. Dabei werden zahlreiche der bekannten Argumente wieder ins Feld geführt, die schon die Diskussion um die Briefwahl bestimmten. Das wichtigste, gerade in den USA häufig vorgebrachte für Online-Wahlen sprechende Argument ist die Erwartung, die Wahlbeteiligung steigern zu können, indem dem Wähler das bequeme Wählen per Mausklick vom heimischen oder öffentlich zugänglichen Computer aus ermöglicht wird. Gleichzeitig würden Online-Abstimmungen nur eindeutige Stimmabgaben zulassen und so Probleme mit der Identifizierung des Wählerwillens, wie sie z.B. nach der US-Präsidentschaftswahl 2000 vor allem aus technischen Gründen zutage traten, verhindern. Das wiederum wichtigste Gegenargument ist der Verweis auf den hohen symbolischen, ja „rituellen" Wert des Urnengangs und die Frage, ob der Wahlakt, das legitimatorische Herzstück der Massendemokratie, tatsächlich auf eine Tätigkeit reduziert werden sollte, deren Aufwand mit demjenigen der Wahl eines Fernsehkanals auf der Fernbedienung auf einer Stufe steht? Ebenfalls bereits aus der Diskussion um die Briefwahl bekannte Erwägungen sind die Frage, ob die Stimmabgabe durch den tatsächlich Wahlberechtigten und ohne unzulässige Beeinflussung sichergestellt werden kann, sowie ihre Geheimheit; beides Probleme, deren Lösung im Internet einen beachtlichen technischen Aufwand erfordern. Letztlich wird von Gegnern von Online-Wahlen und -Abstimmungen auf den immer noch nicht flächendeckend verwirklichten Zugang aller Wahlberechtigten zum Internet verwiesen - von der fehlenden technischen Expertise vor allem bei

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älteren Wählern ganz zu schweigen - und ihnen daher der demokratische Charakter abgesprochen. Freilich wird hier von den Gegnern der Online-Wahlen eine Art der Stimmabgabe verabsolutiert, als die einzig gültige postuliert und dann mit guten Gründen abgelehnt, wohingegen die Verfechter von Wahlen und Abstimmungen im Cyberspace diese in aller Regel lediglich als alternative, wenn auch ständig an Bedeutung gewinnende Möglichkeit der Stimmabgabe propagieren. Letztere argumentieren insofern ,funktionalistisch' als, sobald die notwendige Technik ausgereift und als sicher anerkannt ist, mit Online-Abstimmungen das notwendige Werkzeug zur Verfügung stehe, um dem Souverän, dem Wahlvolk, eine sehr viel höhere Zahl von Entscheidungen überantworten zu können, ohne seine Partizipationsbereitschaft und sein Zeitbudget zu überfordern. Tatsächlich befinden sich Online-Wahlen weltweit auf dem Vormarsch. Nach lokal begrenzten Testwahlen bei den US-Vorwahlen von 1998 haben erstmals großräumig organisierte OnlineAbstimmungen wie in Deutschland bei den Sozialwahlen 1999 sowie in den USA im März 2000 bei der demokratischen Vorwahl im Staat Arizona, sowie vor allem bei der Wahl des Direktoriums des ICANN, der „Weltregierung des Internet" zur Vergabe von top-level-domains, im Herbst 2000 Aufsehen erregt. Der Grund für die häufig anzutreffende Zuspitzung der Diskussion um die elektronische Demokratie auf das Für und Wider von Online-Wahlen liegt also vor allem darin, dass letztere zurecht als Vorboten für die Einführung direktdemokratischer Elemente in die repräsentative Demokratie gesehen und von deren Gegnern pars pro toto abgelehnt werden. Dies geschieht in aller Regel mit dem Hinweis darauf, dass vor demokratischen Entscheidungen ausreichend Zeit zur Reflexion nötig sei, wohingegen bei einer überhäufigen Abfolge von Online-Abstimmungen diese fehle, beim Wähler Erscheinungen von Indifferenz die Folge wären, populistische Gefahren entstünden und die Entscheidungsdominanz aktiver Minderheiten zu erwarten wäre. Während das zugrundeliegende Argument nicht unbedingt stichhaltig ist, weil das allgemeine Wahlrecht keinerlei wissensbezogene Vorbedingungen an die Ausübung des Stimmrechtes knüpft, und nicht ohne weiteres zu begründen ist, warum an Online-Wahlen andere Maßstäbe anzulegen wären, räumen deren Verfechter bereitwillig ein, dass die Stimmabgabe idealerweise in detaillierte Informationsund Deliberationsprozesse eingebettet sein soll. Auch insofern wird eine isolierte Sicht auf Online-Wahlen und -Abstimmungen den Konzepten einer elektronischen Demokratie nicht gerecht; es müssen vielmehr weitere Formen der Partizipation - Information, Diskussion, politische Aktivität -, in den Blick genommen und auf ihre Förderung durch das Internet hin überprüft werden. Hier kommt nun die bereits beschriebene besondere kommunikative Leistungsfähigkeit des Internets, seine Möglichkeiten zur vielfältigeren Bereitstellung wie selektiveren und prozessnäheren Abrufbarkeit von politischen Informationen sowie der interaktiven Kommunikation der Bürger untereinander und mit ihren Repräsentanten zum Tragen. Gerade bezogen auf den Wahlakt bietet das Internet dem interessierten Wähler für seine Willensbildung eine leicht zugreifbare Fülle von Informationen und Kommunikationsangeboten, die ihm unvergleichbar bessere Chancen für eine rationale Fundierung seines Wahlverhaltens bieten, als herkömmliche Medienprodukte oder Parteischrifttum, und die sein Verhältnis zu Kandidaten bzw. Amtsträgern wesentlich verändern könnten. Dies gilt in besonderem Maße, wenn die gesuchten Informationen von partei- und medienunabhän-

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gigen Wahlkampfplattformen themengerecht und personenbezogen zugeschnitten präsentiert werden. Vor allem in den USA, teilweise aber auch schon in Deutschland existieren in dieser Hinsicht zahlreiche Informationsdienste, die mit hoher Glaubwürdigkeit, was die Überparteilichkeit und Verlässlichkeit ihres Angebots anbelangt, zu einer echten und vielgenutzten Hilfe für die Wahlentscheidung Hunderttausender von Bürgern geworden sind (Clemens: 1999a). Allerdings sind im Hinblick auf die Informations- und Kommunikationsleistung des Internets als Wegbereiter für intensivierte Partizipation nicht nur von der Angebotsseite her wesentliche Einschränkungen gegenüber überzogenen Mobilisierungserwartungen zu machen (-» Abschnitt II.), sondern auch von der Nachfrageseite. Die Nutzung des Angebots ist stets eine Funktion von Netzzugang, Medienkompetenz sowie Willen und zeitlicher Verfügbarkeit des individuellen Nutzers. Trotz emsthafter staatlicher Bemühungen in allen Industriestaaten, die Netzinfrastruktur etwa schon in Schulen zu verbessern und insgesamt den Netzzugang zu erleichtern, ist auch heute zunächst noch die Tatsache eines keineswegs flächendeckend gewährleisteten Zutritts der Bürger zum Internet zu konstatieren. Darüber hinaus erfordert besonders im Hinblick auf multimediale Anwendungen der kundige Umgang mit dem Informations- und Kommunikationsangebot im Netz ein nicht alltägliches technisches Verständnis, und es erscheint unter normativem Aspekt fragwürdig, wenn nur der technikkompetente Bürger in vollem Maße „demokratiefähig" ist (Kühnhardt: 1996, S. 4). Immerhin werden beide Probleme, Zugang und Medienkompetenz, mittelfristig stark an Bedeutung verlieren, wenn die technisch bereits entwickelte Verschmelzung von Fernsehen, Radio, Telefon und Internet zu einem einheitlichen digitalisierten Netz sich durchgesetzt hat und die „digital literacy", das heißt dessen kundige Nutzung wenn auch zu vorwiegend kommerziellen oder freizeitorientierten Zwecken - zu einer gängigen Kulturtechnik geworden ist. Doch selbst dann wird gültig bleiben, dass auch in Zukunft nur diejenigen Bürger den vollen Nutzen aus den neuen IuK werden ziehen können, die über ausreichende Zeit und Sachverstand verfügen. Aufmerksamkeit wird eine knappe Ressource bleiben, um welche die Anbieter im Internet konkurrieren. Ein bloßes Mehr an Informationsangeboten führt nicht automatisch zu engagierteren Bürgern oder zu sachgerechteren politischen Entscheidungen. In dieser Hinsicht besteht die ernsthafte Gefahr, dass aufgrund von Zugangs- und Wissenshürden sich die Wissenskluft beim Publikum verstärkt und vor allem jene vom Internet profitieren werden, die ohnehin schon im Hinblick auf Informationszugang und -Verarbeitung sowie auf Interessensvertretung bevorteilt sind (zur sog. reinforcementThese vgl. Norris: 1998). Berücksichtigt man weiterhin, dass es bei der Frage nach der partizipationsfördemden Wirkung des Internets unbedingt die Perspektiven des individuellen Bürgers und der organisierten Interessen bzw. politischen Institutionen auseinander zuhalten gilt, und dass letztere die besondere Leistungsfähigkeit des Internets für ihre Binnenkommunikation in weit stärkerem Maße nutzbar machen können als erstere, dann spricht die Online-Praxis gegenwärtig für die oben angeführte Theorie von der Nutzenverstärkung für ohnehin privilegierte Teilnehmer am politischen Prozess. Die Vorstellung, im Internet könnten bislang unterrepräsentierte und mit verminderten Ausgangschancen versehene Stimmen sich besser artikulieren, wird zudem in der Praxis durch eine deutliche Aufsplitterung der politischen Öffentlichkeit, „verstanden als gesamtgesellschaftliches und offenes Kommunikationssystem"

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(Marschall: 1999, S. 41), in voneinander abgeschottete Teilöffentlichkeiten in Frage gestellt. Die Erwartung, durch das Internet und in ihm könne eine „alternative" Öffentlichkeit entstehen, bewahrheitet sich nicht (Marschall: 1997), sondern es setzt sich der schon von der Ausdifferenzierung der herkömmlichen gedruckten und elektronischen Medien ausgehende Trend zur Fragmentierung der Gesellschaft in eine Vielzahl von Teilpublika im Internet fort (Holtz-Bacha: 1998). Nicht nur, dass damit die Reichweiten der einzelnen Informations- und Kommunikationsangebote immer kleiner werden und es einzelnen Stimmen weiter erschwert wird, die „Schwelle der Hörbarkeit" zu überwinden und Widerhall zu finden. Durch die Individualisierung des Zugangs zu den Medien und die "Privatisierung der Öffentlichkeit" (Gellner/v.Korff: 1998, S. 11) könnte auch paradoxerweise die Vielfalt im gesellschaftlichen Zusammenleben schwinden und die politische Öffentlichkeit ihrer zentralen Integrations- und Legitimationsfunktion verlustig gehen. So ist hinsichtlich der Wirkungen der neuen IuK auf politische Partizipation und die erhoffte „Revitalisierung" der Demokratie keinesfalls ein simpler Technikdeterminismus aufzustellen. Zwar hatte die Entwicklung der Massenpresse, des Telegraphen und Telefons, des Rundfunks und Fernsehens zweifellos „demokratisierend" gewirkt, indem sie breiteren Bevölkerungsschichten die Teilnahme am politischen Prozess eröffneten. Doch die Wirkungsrichtung technischer Innovationen ist nicht technikinhärent, sondern von vielfältigen gesellschaftlichen, politischen oder politisch-kulturellen Faktoren abhängig. Nichts spricht dafür, dass Politik im Internet per se ernsthafter betrieben und zu „mehr Demokratie" führen wird als in anderen Medien, und „häufig scheitern die Angebote an mangelnder Partizipationsbereitschaft der Bürger selbst. Nur sehr begrenzt schaffen neue technische Möglichkeiten eo ipso ,Lust auf Beteiligung'" (Leggewie: 1998, S. 38). Tatsächlich sprechen einige Indikatoren dafür, dass die partizipatorischen Mobilisierungspotentiale des Internets bislang noch keineswegs den von manchen erwarteten durchschlagenden Erfolg gezeitigt haben. Das Internet bietet nur zu einem verschwindend kleinen Teil politische Inhalte. In den USA dürfte ihr Anteil nach Zahlen von 1998 bei ca. 2 Prozent und in Deutschland bei etwa 0.5 Prozent liegen (Kamps: 1999, S.14). In den USA haben im Jahr 2000 etwa knapp die Hälfte der Bürger regelmäßigen Zugang zum Internet, in Deutschland liegt diese Zahl bei etwa 30 Prozent. Dabei stehen nicht politikbezogene Informationen und Tätigkeiten ganz im Vordergrund. In den USA erklärten etwa 10 Prozent der befragten Internet-Nutzer, das Internet zum Zwecke der politischen Informationen zu nutzen und von seinen Inhalten ggf. auch in ihrem Stimmverhalten entscheidend beeinflusst worden zu sein. Diese Zahl stagnierte allerdings zwischen 1996 und 1998 (Clemens: 1999, S. 65). Mit anderen Worten, annähernd 90 Prozent der Befragten waren bislang auch mit einem quantitativ und qualitativ gesteigerten Informationsangebot nicht zur politischen Nutzung des Internets zu bewegen. Nach der erfolgten Beschreibung von Konzepten der elektronischen Demokratie sowie ihrer kommunikations- und partizipationsfordernden Potentiale und deren Hemmnisse wird im folgenden ausschnitthaft die konkrete Nutzanwendung des Internets durch die Institutionen der repräsentativen Demokratie umrissen und nach seiner praktischen demokratieveränderaden Wirkung gefragt.

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IV. „Elektronische Demokratie" in der Praxis 1. Öffentlichkeitsarbeit von Parlamenten und Abgeordneten im Internet Bemühungen, Computer für die Öffentlichkeitsarbeit von Parlamenten und Abgeordneten nutzbar zu machen, reichen im Deutschen Bundestag schon mindestens bis zum Beginn der 1970er Jahre zurück, als erste elektronische Informationssysteme versuchsweise in Betrieb genommen wurden. Einen entscheidenden Schritt zur Nutzbarmachung der Computervernetzung wurde Ende der 1980er Jahre unternommen, als das Informations- und Kommunikationssystem "PARLAKOM" entwickelt und stufenweise eingeführt wurde. Nach der zunächst vorgenommenen Hard- und Softwareausstattung und Vernetzung der Bonner Büros sowie der Wahlkreisbüros der Abgeordneten wurden in folgenden Schritten sukzessiv umfangreiche in- und ausländischen Datenbanken zugänglich gemacht, ebenso für den Gesetzgebungsprozess relevante Dokumentensammlungen, ein email-System und letztlich ein Intranet. Seit dem Januar 1996 schließlich ist der Deutsche Bundestag, wie inzwischen alle Parlamente der westlichen Welt, über einen eigenen Server auch im Internet präsent. Das Online-Informationsangebot der Parlamente ist weltweit vergleichbar und zielt auf die institutionelle Selbstdarstellung und Öffentlichkeitsarbeit der Parlamente sowie auf die Transparenz des Gesetzgebungsprozesses und Regierungshandelns. Insofern gehören zum Standardangebot von Parlamentsservem neben der Vorstellung der Abgeordneten und ihrer Wahlkreisergebnisse die Vorstellung der Parlamentsgremien, allgemeine Informationen über die Parlamentsarbeit, das politische System und das Wahlsystem, daneben Debattenprotokolle, Tagesordnungen von Plenum und Ausschüssen, der Zugang zu Drucksachen, Ergebnissen von Enquete-Kommissionen und Hearings, aber auch Datenbanken zum Stand laufender Gesetzgebungsverfahren. Der Server des deutschen Bundestags bietet daneben einen von mehreren Tausend Bürgern abonnierten elektronischen newsletter und, auf seinen Online-Foren, die Möglichkeit zur moderierten Diskussion über vorgegebene aktuelle Themen, wobei ausgewählte Beiträge auch gedruckt veröffentlicht werden. Des weiteren werden mit Abgeordneten aller Fraktionen regelmäßig Live-Chats zu aktuellen Themen veranstaltet. Inwieweit allerdings interaktive Elemente wie Diskussionsbeiträge und Chats für mehr als nur symbolische Offenheit stehen und tatsächlich über einzelne Abgeordnete die Legislative beeinflussen, ist der generalisierenden Beurteilung nicht zugänglich und muss hier dahingestellt bleiben. Hinsichtlich der Transparenz parlamentarischer und vor allem gesetzgeberischer Arbeit wäre ein entscheidendes an die Online-Information anzulegendes Kriterium, ob bestimmte Informationen dem Bürger ausschließlich durch das Internet zugänglich gemacht werden. Dies ist normalerweise nicht der Fall, doch macht erneut allein die bequeme Verfügbarkeit der veröffentlichten Informationen für den einzelnen Nutzer einen wesentlichen Vorteil aus, so zum Beispiel wenn, wie auf dem Bundestagsserver möglich, die parlamentarische Arbeit von Einzelpersonen, also etwa des Abgeordneten des eigenen Wahlkreises, auf Knopfdruck in Übersicht und mit Wortbeiträgen abgerufen werden kann, oder ebenso alle gesetzgeberischen Aktivitäten zu einem bestimmten Themengebiet. Illusionär hingegen wäre die Annahme, durch das Internet könne völlige Transparenz parlamentarisch-politischer Entscheidungsstrukturen und -prozesse hergestellt werden. Vor der vorwärts drän-

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genden Öffentlichkeit werden sich die unter Handlungs- und Verhandlungszwängen stehenden Politiker regelmäßig in nicht einsehbare Rückzugsräume begeben. Vollends von Realitätsferne zeugt die gelegentlich vertretene Auffassung, „bereits heute wäre nahezu jede Tätigkeit der Volksvertreter auch per Mausklick möglich" (Schiller: 1998, S. 128). Ebenfalls auf dem Bundestag-Server angesiedelt sind die Internet-Seiten der Bundestagsfraktionen. Ihr inhaltliches Angebot ähnelt sich und ist stark informationsorientiert. Interaktive Elemente sind kaum entwickelt, wobei die Fraktionen (-» § 9, VII.) als Teil der parlamentarischen Institution im Gegensatz zu den Parteien (-» § 23, II.) zur Neutralität verpflichtet sind und ihnen etwa Wahlwerbung ausdrücklich untersagt ist. Wechselt man damit hinsichtlich der potentiellen Nutzens des Internets von der Perspektive der Kommunikations- und Öffentlichkeitsarbeit des Parlaments (—» s.a. § 26, VI.) hin zum Nutzen für den einzelnen Abgeordneten, so steht die Repräsentativfunktion im Vordergrund, das heißt die Intensivierung der Verbindung zwischen dem Abgeordneten und den Bürgern seines Wahlkreises, daneben aber auch seine Stellung innerhalb der Fraktion sowie insgesamt der Abgeordneten gegenüber der Regierung bzw. Ministerialbürokratie (-> § 12) mit ihrem Informations- und Kompetenzvorsprung in Sachfragen. Was die Nutzung des Internets für den Kontakt mit dem Wähler angeht, so schufen fünf Abgeordnete erstmals 1995 im Zuge eines universitären Pilotprojektes „Abgeordnete ans Netz" ihre eigene Website. Einen nochmaligen Mobilisierungsschub brachten die Bundes- und Landtagswahlen des Jahres 1998, mit hervorgerufen durch bewusste Förderungsmaßnahmen der Parteien, die ihre Abgeordneten symbolträchtig online zu bringen suchten. Anfang des Jahres 2000 waren etwa ein Drittel der Bundestagsabgeordneten mit einer eigenen Homepage im Netz vertreten. Insgesamt überwiegt auf diesen Netzseiten die Verbreitung von Informationen, das interaktive Angebot ist dagegen schwach ausgeprägt. Diskussionsforen oder Gästebücher bietet nicht mehr als ein Viertel der Netzabgeordneten an. Zudem verfolgen die online präsenten Abgeordneten in der Regel keine kohärente, originäre Internet-Strategie und leisten sich auch nur in Einzelfällen die professionelle Pflege, die eine moderne Website verlangt - und so kostspielig macht. Selbst die fortlaufende Aktualisierung der Website und die internetgerechte Aufbereitung von Texten überfordert oft die Personalausstattung eines Abgeordnetenbüros. So überrascht es nicht, dass eine Untersuchung von Abgeordnetenwebsites vor der Bundestagswahl 1998 zu ,,vernichtende[n] Testergebnissen" gelangte (Clemens: 1999a, S. 154). In gleicher Weise sind aufgrund der begrenzten Ressourcenausstattung auch die Vertiefung von Sachkompetenz oder der Erwerb von Spezialkenntnissen aus der Informationsfülle des Internets durch einzelne Abgeordnete nur sehr eingeschränkt möglich, selbst wenn eine ausreichende informationstechnische Infrastruktur und qualifizierte Mitarbeitern vorhanden sind. Es erscheint eher fraglich, ob die einzelnen Abgeordnetenbüros die volle Anwendungsbreite der neuen IuK überhaupt ausnützen können. Unter den Bundestagsabgeordneten ist die Auffassung verbreitet, dass das Internet hauptsächlich der Vermittlung von Informationen unter Umgehung der klassischen ,gatekeeper' diene. Dennoch waren alle befragten Abgeordneten „fest davon überzeugt, dass das Internet für ihre politische Arbeit immer wichtiger wird und es deshalb töricht wäre, sich diesem Medium zu verschließen. Die Massenattraktivität des Mediums werde erst durch den

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Durchbruch von E-Commerce kommen. Generell sei das Bewußtsein in der Bevölkerung, dass das Internet ein bequemes und hocheffizientes Instrument politischer Kommunikation sei, noch nicht entwickelt" (Stradtmann: 1998, S. 119). Zumindest in Deutschland scheint es zu einer wesentlichen Veränderung des Verhältnisses zwischen Abgeordneten und ihren Wählern durch das Internet bislang nicht gekommen zu sein. Für die USA und ihre im Mehrheitswahlrecht gewählten und daher ihrem Wahlkreis enger verbundenen Abgeordneten gilt dies allerdings nicht in gleicher Weise. Im amerikanischen Kongress haben bis auf wenige Ausnahmen mittlerweile alle Abgeordneten und Senatoren ihre eigenen, meist aufwendig gestalteten Websites. Sie übernehmen in vielen Fällen auch die Funktion von elektronischen Bürgerbüros zur Entlastung der Abgeordnetenbüros von Routinearbeiten. So können online z.B. Gruppenbesuche organisiert, Kontaktadressen genannt und Informationen über den Heimatstaat bezogen werden. 2. Parteien und Wahlkämpfe im Internet Diagnostiziert man, „Leistungsdefizite bei den politischen Parteien, die ihren informatorischen und kommunikativen Aufgaben sowohl in der Binnen- als auch in der Außenkommunikation nur unzureichend nachkommen" (Stradtmann: 1998, S. 10), so erscheint gerade das Internet mit seiner besonderen Kommunikationsleistung geeignet, solche Defizite auszugleichen. Insofern ist hinsichtlich der Nutzung des Internets durch die Parteien ihre Politikvermittlungsfunktion zu betrachten, ebenso aber auch die Auswirkungen auf Binnenorganisation und die innerparteiliche Demokratie. Dabei muss die Aufmerksamkeit auch auf die Wahlkampf-Nutzung des Internets gerichtet werden, denn diese war und ist das wichtigste treibende Element für den Ausbau der Online-Präsenz von Parteien und Abgeordneten. Schließlich spielen Wahlkämpfe nicht nur als Höhepunkt der politischen Kommunikation zwischen Politik und Bürger, sondern auch als stetiges Experimentierfeld für neue Technologien, die Vorteile im Kampf um die Stimmen versprechen, eine herausragende Rolle. Die bundesdeutschen Parteien CDU, SPD und F.D.P. sind seit 1995 im Internet vertreten (Bieber: 1999, S. lOOff.). Dabei präsentierten ihre „virtuellen Parteizentralen" zunächst vorwiegend herkömmliches Parteienschriftgut in digitaler Form, also Parteiprogramme und -Statuten, Stellungnahmen zu aktuellen politischen Fragen, Links zu Parteigliederungen, Listen und Biographien von Amtsträgern in der Partei sowie von Abgeordneten, Parteidevotionalien u.v.m. Im Vordergrund stand der symbolische Aspekt, in diesem zukunftsträchtigen Medium präsent zu sein und über Rückkoppelungsmöglichkeiten wie Gästebücher, - m.E. völlig unrepräsentative - Online-Umfragen und spätestens seit dem Wahljahr 1998 auch in Diskussionsforen und Chats dem Bürger neue Artikulationsmöglichkeiten anzubieten. Vor allem die Möglichkeit zur Darstellung der eigenen Positionen und Politik im Originalton ohne Filter, im Multimediazeitalter in Form der „webcasts" zu einem regelrechten ,Konkurrenzfernsehen' fortentwickelt, wurde und wird von den Parteistrategen hoch geschätzt. Einen deutlichen Entwicklungsschub erfuhren die Parteienserver in der Bundesrepublik durch die Wahlkämpfe des Jahres 1998, vor allem den Bundestagswahlkampf. Nicht nur, dass die Websiten professioneller erstellt, mehr Information geliefert und mehr Gewicht auf interaktive Elemente gelegt wurde, die beiden großen Volksparteien begannen

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auch mit dem Aufbau ihrer jeweiligen Intranets, bei der CDU K@ndinet genannt. Auf ihnen wurden den Wahlkämpfern tagesaktuell die Positionen der Partei zu den gängigen politischen Themen, parteiinterne Sprachregelungen, detaillierte Kontaktlisten von spezialisierten Ansprechpartnern in den Parteizentralen, Ergebnisse der Gegneranalyse oder praktische Tips für die WahlkampffÜhrung vor Ort geliefert. Inzwischen sind die Intranets bzw. Mitgliedernetze der Parteien zu festen Einrichtungen geworden, auf denen sensible, nicht für die allgemeine Internet-Öffentlichkeit gedachte Informationen bereitgestellt werden können. Was die damit angesprochene Binnenkommunikation und -Organisation der Parteien betrifft, so bietet das Internet auch hier ganz konkrete Vorteile. So wird durch e-mail-Listen die direkte Kontaktaufnahme der Parteiführung mit der Parteibasis unter Umgehung der verschiedenen Stufen der Parteihierarchie möglich, was den Informationsfluss „top down" ebenso wie „bottom up" wesentlich erleichtert, ohne dass damit automatisch traditionelle Parteistrukturen und -hierarchien aufgebrochen werden. Mitgliederbriefe der Parteiführung, in den Volksparteien sehr teuere und daher seltene Ereignisse, sind per e-mail zu geringen Kosten verschickbar, und gleiches gilt für die Organisation von Online-Mitgliederbefragungen etwa bei der Aufstellung von Kandidaten für Parteiämter, wie sie etwa in der SPD bereits diskutiert wurden. Ebenso kann es der innerparteilichen Demokratie dienen, wenn, wie etwa bei den Grünen 1998, das Wahlprogramm vor seiner endgültigen Verabschiedung ins Netz gestellt und von den Mitgliedern diskutiert werden konnte. Letztlich ist das Internet auch gerade für organisationsschwache Parteien ein wichtiges Mittel der Partei- oder Wahlkampforganisation und der multimedialen Selbstdarstellung. Dabei sind Rückwirkungen der Internet-Präsenz auf die herkömmlichen Organisationsformen der Parteien nachweisbar und fügen sich in die Bemühungen zur Revitalisierung und Modernisierung der Volksparteien ein. Vielzitiertes Beispiel ist der „Virtuelle Ortsverein" der SPD (Bieber: 1999, S. 117); hinzuweisen wäre aber etwa auch auf den Auf- und Ausbau von eigenständigen Internet-Redaktionen in den Parteizentralen, oder auf die Abhaltung von ersten „virtuellen Parteitagen" bei der CDU auf Bundesebene und den Grünen im Land Rheinland-Pfalz im November 2000, die der Parteibasis die Gelegenheit gaben, im Internet Entschließungsanträge für die - im Falle der CDU - folgenden realweltlichen Parteitage einzureichen und zu diskutieren. Noch eindrücklichere Belege für die volle Leistungsfähigkeit des Internets bei der Binnenorganisation und Durchführung einer politischen Kampagne ließen sich jedoch im US-Präsidentschaftswahlkampf des Jahres 2000 sammeln. In den USA, die auch im Hinblick auf den Einsatz des Internets für Wahlkampfzwecke eine Vorreiterrolle spielten, wurde nach ersten Testläufen im Rahmen universitärer Forschungsprojekte 1992 und 1994 das Internet erstmals von allen wichtigen Kandidaten im Präsidentschaftswahlkampf von 1996 eingesetzt. Waren 1996 noch die hohe Symbolik der Online-Präsenz und ein ausführliches Angebot digitalen Partei- bzw. Kandidatenwerbeschrifttums auf den Wahlkampf-Websites dominierend, so waren bereits bis zu den Kongresswahlen 1998 die Führung von Online-Kampagnen zu einer ausgebildeten Dienstleistungsbranche gewachsen. Nicht nur das multimediale Angebot an die breite Öffentlichkeit war nunmehr voll professionalisiert, sondern vor allem auch die Zielgruppenansprache. Dazu gehört der Handel mit Online-Adressenlisten, die pro Person bis zu 50 relevante Persönlichkeitsmerkmale aufweisen, aber auch hochentwickelte Software, welche

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die spezifischen Interessen von Besuchern der Wahlkampf-Websites identifizieren und ihnen dann ,maßgeschneiderte' („taylorized") Informationen zusenden kann. Auch die Binnenorganisation der Kampagnen nahm nunmehr einen deutlich höheren Stellenwert ein. Schon seit 1996 wurde auf den Websites um Wahlhelfer und Unterstützer für Wahlveranstaltungen geworben und deren Vernetzung zum Zwecke schneller, zielgenauer Mobilisierbarkeit angestrebt. Dieses Bemühen wurde im Wahlkampf 2000 beispielsweise im Team von AI Gore fortgesetzt mit der Einrichtung von „E-Wahlkreisleitem" („E-precinct-leader"), die in ihrem persönlichen Umfeld online als Führer virtueller Gruppen deren Mitglieder zur Stellungnahme für und letztlich die Wahl von Gore/Lieberman anregen sollten, mit dem Aufbau eines Blockwartsystems zur Beobachtung der gegnerischen Wahlkampfaktivitäten im realweltlichen lokalen Umfeld („E-Warden"), sowie mit Schneeballsystemen zur Wählermobilisierung am Wahltag („get out the vote"). Daneben erregten einige Kandidaten mit ihren erheblichen Erfolgen bei der Einwerbung von Spendengeldern über die eigene Website Aufsehen. Versucht man, die Bedeutung des Internets fiir Wahlkämpfe und deren demokratische Funktionen zu bestimmen, so sind demokratiefördernde Effekte ebenso herauszuheben wie kritikwürdige Entwicklungen: Internet-Wahlkämpfe ersetzten nicht die klassischen Wahlkampfinstrumente wie Wahlkampfauftritte vor Ort, im Fernsehen und Plakatwerbung, aber sie erlauben es angesichts der geringen Kosten für eine einfache Website auch krassen Außenseiterkandidaten, eine Kampagne mit ggf. hohem nationalen Aufmerksamkeitswert zu führen, wobei allerdings, dies die Kehrseite der Kommunikationserleichterung, immer häufiger Kandidaturen auch zu reinen Marketingzwecken missbraucht werden. (Clemens: 1999, S. 55). Zwar haben Wahlkampf-Websites eine geringere Kontaktwahrscheinlichkeit als z.B. Fernsehauftritte, weil die Bürger im Gegensatz zum TV selbst aktiv werden und die Website aufsuchen müssen. Doch gibt wiederum die bei den US-Kongresswahlen 1998 erhobene durchschnittliche Verweildauer von mehr als achteinhalb Minuten pro Nutzer auf den Netzseiten einen Anhaltspunkt dafür, dass sich der Wähler auf einer Website längere Zeit und vermutlich intensiver mit den präsentierten Inhalten beschäftigt als in den ganz auf „photo-ops" und „sound-bites" abgestellten herkömmlichen Massenmedien. (Clemens: 1999, S. 53) Wenn man zudem die Vielzahl von inoffiziellen Kandidaten-Websites' oder ,Fan-Websites' betrachtet, die Unterstützer ihrer Kandidaten in eigener Regie ins Netz stellen und damit online als Multiplikatoren mit potentiell enormer Reichweite wirken, dann bietet auch hier das Internet ganz neuartige Chancen zu politischer Aktivität. Allerdings bot der US-Wahlkampf 2000 auch plastische Beispiele dafür, wie mittels des Internets gesetzliche Bestimmungen für Wahlen bzw. Wahlkämpfe unterlaufen werden können. Auf einer Wahlbörse konnten Wählerstimmen online an den Meistbietenden versteigert werden und auf etwa einem Dutzend Stimmentauschbörsen boten Anhänger AI Gores in sicher von seinem republikanischen Konkurrenten George W. Bush beherrschten Staaten Ihre Stimme für den Kandidaten der Grünen, Ralph Nader, an, um diesem über die für die Wahlkampfkostenerstattung wichtige Hürde von 5% der Stimmen zu helfen, und dafür im Gegenzug von Anhängern Naders eine Stimmabgabe für Gore in den umkämpften „battleground states" zu erhalten. Dem Vernehmen nach wurden im Internet mehrere Tausend dieser Leihstimmen vereinbart, eine Aktion, die bei

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dem bekanntermaßen knappen Wahlausgang durchaus von wahlentscheidender Bedeutung hätte sein können. Diese Beispiele zeigen, dass in einem Kernbereich des demokratischen politischen Prozesses, der Wahlwerbung von Parteien und Kandidaten, die Nutzung des Internets - zumindest unter den Bedingungen "amerikanisierter" Wahlkämpfe - inzwischen zu einer völlig unverzichtbaren, nicht mehr wegzudenkenden Selbstverständlichkeit geworden ist.

V. Ausblick Computergestützte Informations- und Kommunikationssysteme und allen voran das „Netz der Netze", das Internet, haben ihren festen Platz im politischen Prozess der Massendemokratien gefunden. Ob und inwieweit ihre Existenz und Nutzung dabei bereits erste Schritte auf dem Weg zu einer „elektronischen Demokratie" ausmachen, ob diese sich in absehbarer Zeit verwirklichen und welche Auswirkungen dies auf die repräsentative Demokratie haben wird, das hängt zuerst vom Begriffsverständnis ab. Dabei wäre es nicht sachgerecht, wollte man die elektronische Demokratie lediglich im Modus einer Vielzahl von plebiszitären Online-Abstimmungen verstehen und sie als „Knopfdruck-Demokratie" abwerten. Dies würde der Differenziertheit von Konzepten der elektronischen Demokratie nicht gerecht. Die repräsentative Demokratie wird durch das Internet nicht obsolet werden. Eine Ablösung ihrer Mechanismen zur Herstellung politischer Legitimation und Herbeiführung politischer Entscheidung durch computergestützte Bürgerkommunikation und Online-Entscheidungsprozeduren steht nicht bevor. Dennoch gehen vom Internet Chancen und Herausforderungen für die repräsentative Demokratie aus, derer sie sich in mehrfacher Hinsicht stellen muss. Zum einen auf der Ebene staatlicher Gestaltungsmacht: „Vielen Beobachtern erscheint das Internet als ein ausgezeichneter Indikator für die Verdeutlichung der Machtlosigkeit des modernen Nationalstaates in der sich globalisierenden Welt" (Gellner/v.Korff: 1998, S. 8). Das Internet hat keine Regierung, es hat kein Zentrum. „So veranschaulichen die Bestimmungen des bundesdeutschen Informations- und Kommunikationsdienstegesetzes deutlich, wo die Grenzen politischer Steuerung in einem grenzenlosen Medium liegen; staatliche Versuche, bestimmte Inhalte vom Netz zu verbannen, erwiesen sich aufgrund von Ausweichmöglichkeiten als nicht durchsetzbar" (Marschall: 1999, S. 44). Und dennoch ist das Internet Ergebnis staatlicher (militär)politischer Entscheidungen und wird in seiner weiteren Entwicklung von politischen und wirtschaftlichen Rahmensetzungen mitbestimmt. Vom Internet geht sowohl ein staatlicher Deregulierungsbedarf aus - etwa im Hinblick auf die Liberalisierung von Telekommunikationsmärkten - als auch ein Regulierungsbedarf - etwa, was die Herabsetzung von Zugangsschwellen durch infrastrukturelle Maßnahmen und politische Bildung oder Datenschutzbzw. Kryptographiepolitik betrifft. Für die Institutionen der repräsentativen Demokratie geht von den revolutionären Möglichkeiten der Online-Kommunikation die Herausforderung aus, diese tatsächlich innovativ und nicht nur symbolisch aufzugreifen und, wo nötig und zielführend, in institutionellen Wandel zu überführen (vgl. Zittel: 2000). Zu denken wäre hier beispielsweise an die Institutionalisierung von Online-Mitgliederbefragungen und Programmdiskussionen im Rahmen der innerparteilichen Demokra-

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tie, aber auch an Vorkehrungen zur Erhöhung von Verfahrenstransparenz von Parteien und Verfassungsorganen. Für den Bürger gehen vom Internet bei allen mit der Online-Kommunikation verbundenen Hemmnissen bislang nicht gekannte Möglichkeiten zu intensivierter politischer Partizipation aus. „Im vorinstitutionellen Bereich etablieren sich zunehmend politische Projekte im Internet, für die ein .reales' Äquivalent nicht mehr ohne weiteres aufzuspüren ist" (Bieber: 1999, S.12). Besonders unter der Bedingung institutioneller Anpassungen des politischen Systems eröffnet das Internet „Einfallstore für Aufwärtskommunikation" (Leggewie: 1998, S. 38) zwischen Bürger und Politik. Es bleibt die Frage, ob die Bürger bereit sind, diese in wesentlich gesteigerten Zahlen auch zu durchschreiten. Vor allem aber gilt es zu verstehen, dass „elektronische Demokratie" und repräsentative Demokratie sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern einander fruchtbar ergänzen können.

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§ 28 Rechtsetzung und technische Entwicklung Alexander Roßnagel I. Technische Entwicklung und parlamentarische Verantwortung - II. Parlamentsvorbehalt im Technikrecht - III. Unbestimmte Rechtsbegriffe und die Regeln der Technik - IV. Technische Beratung und Normung - V. Das Regelungsmodell des Technikrechts in der Bewertung Grundlagenliteratur: Brennecke, Volker M. (1996): Normsetzung durch private Verbände. Düsseldorf Denninger, Erhard (1990): Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Normsetzung im Umwelt- und Technikrecht. Baden-Baden Eckardt, Hanns-Peter u.a. (2000): Rechtliche Risikosteuerung. Baden-Baden Ipsen, Jörn / Murswiek, Dietrich / Schlink, Bernhard (1990): „Die Bewältigung der wissenschaftlichen und technischen Entwicklung durch das Verwaltungsrecht". In: VVDStRL, S. 177ff. Nicolas, Florence / Repussard, Jaques (1994): Gemeinsame Normen für die Unternehmen. Luxemburg Roßnagel, Alexander (1993): Rechtswissenschaftliche Technikfolgenforschung. Baden-Baden Roßnagel, Alexander / Rust, Ina / Manger, Daniela (1999) (Hg.): Technik verantworten. Berlin Voelzkow, Helmut (1996): Private Regierungen in der Techniksteuerung. Frankfurt/M. Wolf, Rainer: Der Stand der Technik. Opladen

I. Technische Entwicklung und parlamentarische Verantwortung Seit dem zweiten Weltkrieg beeinflusst das Auto die Entwicklung der Städte stärker als alle Raumpolitik. Die Entdeckung der Kernspaltung und die Entwicklung der Atomwaffe determinieren die Außenpolitik nachhaltiger als alle Bemühungen der Diplomatie. Die Folgewirkungen der Mikroelektronik laufen jeder Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik den Rang ab. Das Fernsehen dürfte die heutige Studentengeneration intensiver geprägt haben als alle bildungspolitischen Großtaten (zu diesen Beispielen Meyer-Abich: 1984, S. 222f.). Die stärksten Kräfte zur Gesellschaftsveränderung gehen derzeit von Wissenschaft und Technik aus. Aufgrund ihres dynamischen Charakters führen sie in immer kürzeren Abständen zu immer revolutionierenderen Umgestaltungen der sozialen und natürlichen Umwelt. Sie verändern nachhaltig die Bedingungen individueller Entfaltung, die Chancen und Zwänge wirtschaftlichen Handelns, die Formen gesellschaftlichen Zusammenlebens sowie die Strukturen und die Verteilung sozialer und existenzieller Risiken. Die Kontrolle technischen Handelns ist zum „Angelpunkt jeglicher Machtkontrolle in modernen Gesellschaften" geworden (Popitz: 1986, S. 129).

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Moderne Gesellschaften können auf Technik nicht verzichten und setzen sich durch ihre Nutzung doch größten Risiken aus. In ihnen ist die Entwicklung der Technik zugleich zu fördern und zu begrenzen. Spätestens seit dem Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki ist eine Gleichsetzung von technischem und gesellschaftlichem Fortschritt nicht mehr möglich. Staat und Gesellschaft müssen daher Technik bewerten und gestalten. Diese Gestaltungsaufgabe trifft vor allem das Parlament. Es muss als zentrales Organ staatlicher Willensbildung und als Erzeuger verbindlicher Rechtsregeln auf die Veränderung von Natur und Gesellschaft durch die Technikentwicklung im Rahmen seiner Möglichkeiten Einfluss nehmen (zu seinen Möglichkeiten und Grenzen Westphalen: 21996, S. 433ff.). Soweit die Verwirklichungsbedingungen von Grundrechten betroffen sind, ist es eine vorrangige Aufgabe des Parlaments, durch Technikgestaltung Gefährdungen zu vermeiden und Verbesserungen zu fordern. Sich darauf zu beschränken, entstandene Risiken nachträglich zu begrenzen, genügt hierfür weder faktisch noch verfassungsrechtlich. Wenn es seine Leben und Freiheit bewahrende, schützende und fördernde Aufgabe ernst nimmt, muss es prognostisch die Auswirkungen der technischen Veränderungen zu seinem Thema machen und diese nach eigenen Kriterien zu beeinflussen suchen. Der Spielraum, den ihm die Verfassung (—» § 5) hierfür einräumt, ist relativ weit. Das Parlament muss danach einerseits alle Gefahren, die von Techniksystemen für die Grundrechte, insbesondere für Leben und Gesundheit der Menschen, ausgehen können, durch geeignete Zulassungs- und Kontrollregelungen ebenso abwehren wie die Gefahren für die Volksgesundheit, für die Grundlagen des gesellschaftlichen Zusammenlebens sowie für die rechtsstaatlichen und demokratischen Strukturen des politischen Lebens (BVerfGE 49, 89ff.; 53, 30ff.; 56, 54ff.; 79, 174ff; 77, 170ff.). Andererseits sind dem Parlaments verfassungsrechtliche Ziele vorgegeben (z.B. BVerfGE 21, 245 (251): Sicherung der Vollbeschäftigung), die es nur mit Hilfe oder unter Zulassung technischer Systeme verwirklichen kann. In einer Welt, in der die gesellschaftliche Abhängigkeit es dem einzelnen nicht mehr möglich macht, allein auf sich gestellt seine Bedürfnisse zu befriedigen, ist der Staat zur umfassenden 'Daseinsvorsorge1 für seine Bürger verpflichtet (z.B. BVerfGE 30, 292 (323): Sicherheit der Energieversorgung als „Gemeinschaftsgut höchsten Ranges")- Schließlich muss es auch die Grundrechte der Technikanwender und -nutzer auf freie Entfaltung, wirtschaftliche Betätigung, Ausübung des Berufs und Schutz des Eigentums in Rechnung zu stellen. Diese drei verfassungsrechtlichen Zielbestimmungen - Schutz von Grundrechten und Allgemeininteressen, Daseinsvorsorge und Wirtschaftsentwicklung sowie die Grundrechte der Techniknutzer und -anwender - fordern eine verhältnismäßige Zuordnung. Innerhalb dieses Wertungsrahmens überlässt das Verfassungsrecht die konkrete Grenzziehung zwischen zulässigen und unzulässigen Risiken der Technik der politischen Risiko-Nutzen-Abwägung des Gesetzgebers.

IL Parlamentsvorbehalt im Technikrecht Diese Grenzziehung ist politisch sehr schwierig. Daher kann es dem Interesse von Politikern entsprechen, dieser Entscheidung auszuweichen. In der Praxis sind vielfältige Formen der Nichtentscheidung zu beobachten. Entweder wird das Problem nicht als entscheidungsbedürftiger Tatbestand zur Kenntnis genommen.

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Oder es werden Regelungen getroffen, die keine Entscheidung beinhalten. Der Gesetzgeber verwendet dann sogenannte „unbestimmte Rechtsbegriffe", deren Bedeutungsgehalt so weit ist, dass ihnen nicht entnommen werden kann, was präzise geregelt wurde. Trifft das Parlament keine Entscheidung, entscheiden andere - Produzenten, Konsumenten, Bürokratien oder Gerichte - über Technikentwicklung und -nutzung, allerdings nicht im Rahmen demokratischer Willensbildung. Daher stellt sich die Frage, inwieweit das Parlament als Gesetzgeber verpflichtet ist, die Regelungen zur Techniksteuerung selbst zu treffen und insbesondere die Grenze zwischen zulässigen und unzulässigen Risiken selbst zu ziehen? Darf er die technische Entwicklung sich selbst überlassen oder die Entscheidungen über technische Risiken anderen Institutionen übertragen? Zur Bestimmung dessen, was in die nicht delegierbare Entscheidungsverantwortung des Parlaments fallt, hat das Bundesverfassungsgericht (-> § 15, II. u. III.) den Wesentlichkeitsgrundsatz entwickelt: Es soll allein Aufgabe des Gesetzgebers sein, „in grundlegenden normativen Bereichen, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung ... alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen" (BVerfGE 49, 89 (126)). Neben diesem rechtsstaatlichen Gesetzesvorbehalt wird die parlamentarische Prärogative auch mit einem demokratischen Parlamentsvorbehalt begründet. Er weist die „Ordnung wichtiger Lebensbereiche zumindest in ihren Grundzügen" ausschließlich der Vertretung des Souveräns zu (BVerfGE 41, 251 (260)). Während sich der Gesetzesvorbehalt in seiner rechtsstaatlichen Ausprägung gegen die Exekutive richtet, wendet sich der demokratische Gesetzesvorbehalt fordernd an das Parlament, seine Gesetzgebungsaufgabe (—» §§ 10, III.; 20, IV.) nicht zu vernachlässigen. Er will die Führungsrolle des Parlaments auch unter den Bedingungen des modernen Industriestaates wahren und parlamentarische Entscheidungskompetenzen gegenüber allen staatlichen und privaten Entscheidungsträgern sichern. Die Verantwortung des Parlaments ist jedoch mit einem einmaligen Tätigwerden nicht erschöpft. Sie bleibt auch nach dem Erlass eines Gesetzes weiter bestehen. Hat sich nämlich der Gesetzgeber in einer Prognose geirrt oder hat sich nachträglich seine Entscheidungsgrundlage geändert, also bei neuen Erkenntnissen oder Entwicklungen, kann er zu einem „Nachbessern" seiner ursprünglichen Entscheidung verpflichtet sein. Insbesondere im Bereich der technischen Entwicklungen ist der Gesetzgeber zur permanenten Wachsamkeit aufgerufen und zur Wahrung seiner Verantwortung verpflichtet, wenn von der Verfassung geschützte Rechtsgüter gefährdet sind (BVerfGE 49, 89 (130f.); 65, 1 (56)). Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Wesentlichkeitsgrundsatz wird in der Literatur teilweise heftig kritisiert. Vor allem wird geltend gemacht, sie sei zu unbestimmt und nur „eine theoretisierende Bemäntelung freier richterlicher Dezision", sie schränke die Entscheidungsfreiheit des Parlaments ein und gefährde die Führungsfunktion der Regierung (z.B. Kloepfer: 1989, S. 196 sowie S. 190ff.). Gegenüber der - teilweise berechtigten - Kritik ist jedoch an das Grundanliegen des Bundesverfassungsgerichts zu erinnern: Auch wenn das Grundgesetz keinen „Gewaltenmonismus" kennt, bildet das Parlament doch nach wie vor das Gravitationszentrum des demokratischen Verfassungsstaats. Gerade für die Gestaltung der technischen Entwicklung besteht weniger die Gefahr, dass ein nach dem Wesentlichkeitsgrundsatz bestimmter Parlamentsvorbehalt die staatliche Machtbalance aus den Fugen bringen könnte. Vielmehr ist die gegenteilige Befürchtung begründet, dass die Autonomisierung des Technikbereichs

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einen schleichenden Macht- und Bedeutungsverlust des Parlaments bewirkt. Der Wesentlichkeitsgrundsatz hat zwei Stoßrichtungen. Er legt nicht nur auf der Tatbestandsseite den notwendigen Zuständigkeitsbereich der gesetzgebenden Gewalt fest. Er verlangt vielmehr auf der Rechtsfolgenseite auch, dass der Gesetzgeber „das Wesentliche selbst festlegt" und nicht an die Exekutive delegiert (BVerfGE 57, 294 (321)). „Das Erfordernis hinreichender Bestimmtheit (ist) die notwendige Ergänzung und Konkretisierung des aus dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip folgenden Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes" (BVerfGE 58, 257 (278)): Je gravierender die Folgen für die Grundrechte und das soziale Zusammenleben sein können, desto bestimmter muss das Gesetz ausgestaltet sein. Gerade für das Technikrecht aber wird geltend gemacht, dass diese Anforderungen kaum zu erfüllen seien. Zum einen verfuge der Gesetzgeber nicht über den erforderlichen Sachverstand. Von ihm könne nicht gefordert werden, alle technischen Detailanforderungen für die verschiedensten Techniksysteme selbst festzulegen. Zum anderen vollziehe sich der wissenschaftlich-technische Fortschritt vorwiegend in der Industrie. Deren Kenntnisse und Erfahrungen müssten in geeigneter Weise für die rechtliche Normierung fortlaufend nutzbar gemacht werden. Drittens würden sich die Regelungsgegenstände infolge der ständigen technisch-wissenschaftlichen Entwicklung der Erfassung durch gesetzliche Detailanforderungen weitgehend entziehen. Die Schwerfälligkeit des Gesetzgebungsverfahrens verhindere die erforderliche fortwährende Anpassung. Starre gesetzliche Vorschriften würden die Entwicklung der Sicherheitstechnik sogar behindern. Die dauernde Anpassung der Rechtsanforderungen an die Weiterentwicklung von Wissenschaft und Technik sei daher nur möglich, wenn der Gesetzgeber gerade keine Detailregelungen trifft, sondern diese der Exekutive und Verwaltung überlässt. Vielmehr soll durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe wie „allgemein anerkannter Regeln der Technik", „Stand der Technik" oder „Stand von Wissenschaft und Technik" das rechtlich Gebotene an die technische Entwicklung angekoppelt werden. Nur durch diese sogenannten technischen Standards könne der Gesetzgeber die notwendige Flexibilität erzielen, um die rechtlichen Sicherheitspflichten automatisch dem jeweiligen technischen Fortschritt anzupassen (für die herrschende Meinung z.B. Rittstieg: 1982, S. 137; Marburger: 1984, S. 293; Breuer: 1976, S. 49, 61, 66.). Die Rechtsprechung hat diese Sichtweise übernommen und für das Recht der Technik eine Ausnahme von dem Grundsatz anerkannt, dass der Gesetzgeber die wesentlichen Fragen selbst und ausreichend bestimmt zu entscheiden habe. Gerade um die Grundrechte in der raschen Umwälzung von Wissenschaft und Technik jeweils „bestmöglich" zu sichern, fordere der dynamische Grundrechtsschutz für diesen besonderen Regelungsbereich eine unbestimmte, „in die Zukunft hinein offene" Normierung der rechtlichen Anforderungen (BVerfGE 49, 89 (136f.)). In das Gesetz unbestimmte Rechtsbegriffe aufzunehmen, deren Konkretisierung der Verwaltung und den Gerichten überlassen werde, sei ausreichend, wenn „der Gesetzgeber ansonsten gezwungen wäre, entweder unpraktikable Regelungen zu treffen oder von einer Regelung gänzlich Abstand zu nehmen" und „letztlich beides zu Lasten des Grundrechtsschutzes ginge" (BVerfGE 49, 89 (137); 79, 174 (195); BVerwGE 71, 150 (154)).

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III. Unbestimmte Rechtsbegriffe und die Regeln der Technik Der Gesetzgeber verwendet im Technikrecht durchgängig die Regelungsstruktur technischer Standards. Für die Frage parlamentarischer Techniksteuerung ist daher entscheidend, welche Steuerungsleistung mit dieser Regelungsstruktur erzielt werden kann. Diesem Problem soll am Beispiel des technischen Sicherheitsrechts näher nachgegangen werden. Für die Steuerung technischer Risiken lautet die entscheidende Frage: Wie sicher ist sicher genug? Für die empirische Geltung des Wesentlichkeitsgrundsatzes ist daher bedeutsam, wer diese Frage letztlich beantwortet. Nehmen wir als Beispiel die materiellen Genehmigungsvoraussetzungen des Unfallschutzes fiir technische Anlagen. Für diese fordert der Gesetzgeber meist nur ausreichend sichere Anlagen. So fordert er in der für die Zulassung atomtechnischer Anlagen praktisch entscheidenden Vorschrift des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG die Einhaltung der „erforderlichen Vorsorge" oder in der für die Zulassung von Industrieanlagen relevanten Vorschrift des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG den Ausschluss „schädlicher Umwelteinwirkungen und sonstiger Gefahren". Nähere Hinweise, wie festzustellen ist, welche Vorsorgemaßnahmen „erforderlich" sind, oder wann schädliche Umwelteinwirkungen ausgeschlossen sind, fehlen. Die entscheidende Frage hat der Gesetzgeber in diesen Fällen nicht selbst beantwortet (auch Neuser/Pottschmidt: 1999; Eckardt u.a.: 2000, S. 143ff.). Aber gibt der Gesetzgeber überhaupt keine Maßstäbe vor? Zur näheren Bestimmung der erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen verweist er auf die Bewertung der Technik durch andere soziale Systeme (zum Beispiel Wissenschaft, technische Normung oder industrielle Praxis) - etwa durch Verweisungsformeln wie „gute fachliche Praxis" (§ 8 Kreislaufwirtschafts- und abfallgesetz) oder „allgemein anerkannte sicherheitstechnische Regeln" (§ 8 Gentechnik-SicherheitsVerordnung). Das Bundesverfassungsgericht glaubt zumindest in solchen - technische Standards genannten - Verweisungsformeln eine Steuerungsentscheidung des Gesetzgebers erkennen zu können. Es wertet die Wahl der jeweiligen Verweisungsformel als Entscheidung über den geforderten Sicherheitsmaßstab. Zum Beleg hat es sich drei Beispiele herausgegriffen und aus diesen unterschiedliche Bewertungskriterien abgeleitet, die jeweils einer bestimmten Risikoklasse entsprechen sollen: Die „allgemein anerkannten Regeln der Technik" (§ 3 Gerätesicherheitsgesetz) sollen zum Beispiel die Risiken von Geräten steuern. Damit werden Maßnahmen gefordert, die nach der „herrschenden Meinung unter den Praktikern" geboten erscheinen. Dagegen werden etwa für Industrieanlagen Maßnahmen nach dem „Stand der Technik" gefordert (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG). Damit wird „der rechtliche Maßstab ... an die Front der technischen Entwicklung verlagert". Schließlich erfordern Atomkraftwerke Vorsorgemaßnahmen, die nach „dem Stand von Wissenschaft und Technik" erforderlich sind (§ 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG). Damit werden die Anforderungen an „den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen" ausgerichtet (BVerfGE 49, 89 (135f.)). Diese von der Rechtswissenschaft zur „Drei-Stufen-Lehre" (z.B. Marburger: 1981, S. 257f.) überhöhte Passage aus dem Kalkar-Urteil überzeugt für die drei genannten Beispiele. Zweifel an der Steuerungskraft solcher Verweisungsformeln entstehen jedoch, wenn berücksichtigt wird, dass es in Technikgesetzen etwa 40 unterschiedliche solcher Formulierungen gibt und der Gesetz- und Verordnungsgeber die gleichen Anforderungen für sehr unterschiedliche Risiken fordert

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(Nicklisch: 1983, S. 263; BMWi: 1989, S. 7). Für sie soll der „Stand der Technik" nämlich nicht nur als Maßstab für immissionsschutzrechtlich zu genehmigende Anlagen dienen, sondern ebenso für die Methoden zur Bestimmung des Alkoholgehalts im Branntwein (§ 3 Abs. 2 Nr. 3 b AlkoholV) und für die Beurteilung von Käfigbatterien zum Halten von Hennen (§ 2 Abs. 2 HennenhaltungsV). Die höchste Stufe des „Standes von Wissenschaft und Technik" haben sie nicht nur für Atomanlagen, sondern auch für Lehrmittel für den Hufbeschlag (§ 17 HufbeschlagV) gefordert. Die Gewerbeordnung (§ 24 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 4) forderte dies bis 1992 auch für Getränkeschankgeräte. Seitdem gelten für sie nur noch die „allgemein anerkannten Regeln der Technik" (§ 4 Abs. 1 Gerätesicherheitsgesetz und GetränkeschankanlagenV), ohne dass dadurch ihr Sicherheitsniveau gesunken wäre. Das Bundeswirtschaftsministerium schließt daraus, dass der unterschiedlichen Verwendung dieser Standards „offensichtlich ... keine allgemein gültige Systematik zugrunde" liege (BMWi: 1989, S. 7). In der Literatur wird noch weitergehend gefolgert, dass alle Versionen der Verweisungsformeln letztlich auf einen einzigen Standard zielten, der auf die Mehrheitsmeinung der führenden Fachleute verweise (z.B. Nicklisch: 1983, S. 263ff). „Das Gesetz überlässt es damit weithin der Exekutive, ..., über Art und insbesondere Ausmaß von Risiken, die im Einzelfall hingenommen oder nicht hingenommen werden, zu befinden; auch über das Verfahren zur Ermittlung solcher Risiken trifft es selbst keine näheren Regelungen. ... Diese Beurteilung in die Hand der Exekutive zu geben, deren rechtliche Handlungsformen sie für die erforderliche Anpassung sehr viel besser ausrüsten als den Gesetzgeber, dient... einer Dynamisierung des Rechtsgüterschutzes" (BVerfGE 49, 89 (135, 138-140)). In vielen Fällen überträgt der Gesetzgeber der Exekutive hierfür die Ermächtigung, Verordnungen oder Verwaltungsvorschriften (-> §§ 18, 19) zu erlassen. In diesen trifft die Regierungsebene dann auch Risikoentscheidungen in Form von Grenzwerten (z.B. § 5 der 17. BImSchV) oder Beschaffenheitsanforderungen (z.B. § 4 der 17. BImSchV). Überwiegend bestimmt sie die Abgrenzung zwischen zulässigen und unzulässigen Risiken jedoch ebenfalls nur durch technische Standards. Immer dann, wenn den Rechtsanwendern nur technische Standards oder andere unbestimmte Rechtsbegriffe als Bewertungsmaßstab geboten werden, bleiben sie auf sich gestellt. Sie selbst „müssen das Regelungsdefizit der normativen Ebene ausgleichen" (BVerfGE 49, 89 (139)). Wie aber behelfen sich insbesondere die Regelungsadressaten? Sie benötigen eine Methode, mit der sie das Risiko eines Techniksystems feststellen, bewerten und nachweisen. Diese Art und Weise der Risikodefinition, -ermittlung und -bewertung ist die sog. Sicherheitsphilosophie (Eckardt u.a.: 2000, S. 104ff.). Mit ihrer Hilfe bestimmen sie, welche Unfallmöglichkeiten überhaupt berücksichtigt werden oder unbeachtet bleiben, mit welchen Methoden sie identifiziert werden und mit welchen Mitteln und mit welchem Grad an Zuverlässigkeit sie ausgeschlossen werden müssen (-> näher unter V.2.). Diese Sicherheitsphilosophie ist nicht in der gesetzlichen Regelung enthalten. Zur Vollendung des Regelungsprogramms ist sie aber unerlässlich. Sie ist das Bindeglied zwischen den rechtlichen Zulassungskriterien und den technischen Beschaffenheitsanforderungen. Nicht die rechtliche Norm, sondern die Sicherheitsphilosophie ist der eigentliche, praktisch relevante Genehmigungstatbestand (ausführlich Roßnagel: 1993a, S. 139ff.). Woher haben aber die Adressaten ihre Sicherheitsphilosophie? Sie stützen sich entweder auf Empfehlungen sachverständiger

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Beratungsgremien oder übernehmen Regeln der Technik (ausführlich Westphalen: 2 1996, S. 442ff.). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die entscheidende Frage: „Wie sicher ist sicher genug?" schrittweise von unterschiedlichen Instanzen beantwortet wird. Der Gesetzgeber nimmt auf ihre Beantwortung noch den geringsten Einfluss. Er überträgt die Verantwortung fast vollständig auf die Exekutive, die sich allerdings ohne inhaltliche Vorgaben weitgehend überfordert sieht, Anforderungen an die technische Sicherheit zu stellen. Sie bedient sich daher der Regeln technischer Normungsverbände oder der Empfehlungen wissenschaftlicher Beratungsgremien. Inhaltlich wird die Frage nach dem zumutbaren Restrisiko somit weitgehend von diesen Gremien beantwortet. Verantwortet wird sie formell von der Exekutive. Doch entlastet diese sich durch die Voten und Regeln der Normungsverbände und Beratungsgremien. Verantwortung verflüchtigt sich so im Dunstkreis von Politik, Verwaltung, wissenschaftlicher Politikberatung und technischer Normung.

IV. Technische Beratung und Normung Wer sind die Gremien und Kreise, die so entscheidend über die in der Gesellschaft zulässigen oder unzulässigen technischen Risiken bestimmen? Zu unterscheiden sind einmal öffentlich-rechtliche und privatrechtliche Gremien. Die meist auf Ministeriumsebene angesiedelten - öffentlich-rechtlichen Gremien haben entweder die Aufgabe der Beratung oder der Erzeugung technischer Normen. Die Beratungsgremien werten zentral Erfahrungen aus unterschiedlichen Praxis- und Genehmigungsbereichen aus, fassen sie zu verallgemeinerbaren Erkenntnissen zusammen und geben Empfehlungen in Einzelfällen. Die öffentlichrechtlichen Normungsgremien sind nicht im Einzelfall tätig, sondern stellen im öffentlichen Auftrag technische Normen auf. Diese Aufgabe übernehmen auch private Normungsverbände, die allerdings im Unterschied zu den öffentlichrechtlichen Gremien als private Vereine organisiert sind.

1. Zur Geschichte technischer Politikberatung und Normung Von Anfang an - von der Dampfkesselgesetzgebung seit Beginn des 19. Jhd.s bis heute - trafen staatliche Regulationsversuche auf Bestrebungen der Techniker und der Industrie, den Bereich der technischen Sicherheitsmaßnahmen als Aufgabe wirtschaftlicher Selbstorganisation von Staatseingriffen möglichst freizuhalten. Der 1856 gegründete Verein der Deutschen Ingenieure (VDI) und die seit 1866 bestehenden privaten Dampfkesselüberwachungsvereine, die Vorläufer der heutigen Technischen Überwachungsvereine (TÜV), sahen es als eine wesentliche Aufgabe an, die bis dahin staatliche technische Überwachung zu privatisieren und die technische Normung selbst durchzuführen. Ab 1870 setzte sich zunehmend die bis heute bekannte Arbeitsteilung durch. Danach verantwortete der Staat formell die gesetzlichen Anforderungen und die Prüfung der Zulassungsvoraussetzungen; inhaltlich bestimmten private technische Normen die geforderte technische Ausgestaltung und prüften private Kontrolleure deren Einhaltung. Mit dieser Entwicklung korrespondierend rekrutierte der Staat für die neu sich stellenden

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technischen Fachfragen keinen eigenen Sachverstand, sondern setzte auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den technischen Fachverbänden und der Industrie. Statt den erforderlichen Sachverstand auf staatlicher Seite zu verdoppeln, sollte der in der Industrie bereits vorhandene Sachverstand dann, wenn Bedarf bestand, für die rechtliche Steuerung der Technik und ihre Überwachung genutzt werden. Das erforderliche technische Wissen sollte dem Staat in Form von Beratungsgremien oder Technischen Ausschüssen zur Verfügung stehen. Staatliche Entscheidungsfindung im Bereich der Technik blieb dadurch weitgehend von Wissen abhängig, das nur in der Industrie und den technischen Berufsverbänden vorhanden war. In den letzten zwei Jahrzehnten zeigt sich jedoch zunehmend, dass der Staat eines eigenen, von der Industrie unabhängigen Sachverstands bedarf. Aus diesem Grund wurden zahlreiche wissenschaftliche Bundesoberbehörden gegründet wie etwa das Bundesgesundheitsamt, das Bundesumweltamt, das Bundesamt für Strahlenschutz oder das Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnik. Solche neuen wissenschaftlich-technischen Behörden sind ein Reflex auf unbewältigte Problemkonstellationen, welche die technische Entwicklung geschaffen hat, und die mit dem bisherigen vertrauensvollen Zusammenspiel zwischen staatlicher Verantwortung und inhaltlicher Definitionsmacht der „interessierten Kreise" nicht mehr bewältigt werden können. Durch die Gründung dieser Behörden wird versucht, die Verantwortung für spezifische Technikfolgen zu institutionalisieren und vom politischen System auf die jeweils neue Problembürokratie zu verlagern. Auch das Parlament hat sich keinen spezifischen technischen Sachverstand geschaffen. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages (-» § 9, IX.) ist nicht auf die Beantwortung technischer Fachfragen ausgerichtet. Vielmehr versuchen die Abgeordneten, durch unmittelbaren Kontakt mit den an der Gesetzgebung Interessierten oder in Anhörungen vor Bundestagsausschüssen sich sachkundig zu machen (-> §§ 10, IV.; 25, II. u. III.). Ein erster Versuch, technischen Sachverstand beim Deutschen Bundestag zu etablieren, wurde in den 70er und 80er Jahren in der Frage der Technikfolgenabschätzung und -bewertung unternommen. Der Vorschlag, hierfür eine eigene wissenschaftliche Einheit zu errichten (Bundestag, BT-Drs. 10/5884 und 11/4606), ist jedoch gescheitert. Durchgesetzt wurde lediglich ein inzwischen verstetigter Modellversuch mit einer kleinen wissenschaftlichen Einrichtung außerhalb des Bundestages.

2. Technische Beratungsgremien und öffentlichrechtliche Normungsausschüsse Allein auf Bundesebene bestehen unter unterschiedlichen Bezeichnungen wie „Ausschüsse", „Komissionen" oder „Beiräte" über 500 Beratungsgremien. Nur in den seltensten Fällen sind diese - wie etwa die Störfall-Kommission für Industrieanlagen oder die Zentrale Kommission für die Biologische Sicherheit (ZKBS) - in den jeweiligen Technikgesetzen vorgesehen oder geregelt. Überwiegend werden sie - wie etwa die Reaktorsicherheitskommission (RSK) - von den Ministerien ohne gesetzliche Grundlage, also ohne jede Mitwirkung des Parlaments, durch verwaltungsinternen Organisationserlass gegründet, und ihre Mitglieder werden vom zuständigen Minister berufen. Sie sind - mehr oder weniger - plura-

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listisch zusammengesetzt. Die Tätigkeit ist zum Teil ehrenamtlich, zum Teil wird sie entgolten. Die Aufgabe der Beratungsgremien besteht überwiegend darin, Rechtsregeln, Verwaltungsvorschriften oder Einzelentscheidungen der Exekutive durch Empfehlungen vorzubereiten. Die Beratungsthemen werden meist vom Ministerium vorgegeben, können aber von den Beratungsgremien in der Regel auch selbst aufgegriffen werden. Sie beschließen ihre Beratungsergebnisse überwiegend mit einfacher Stimmenmehrheit als Empfehlungen oder Stellungnahmen an den Minister, der darüber entscheidet, ob er sie im Bundesanzeiger oder anderen amtlichen Publikationsorganen veröffentlicht. Die Mitglieder sind zur Vertraulichkeit und Verschwiegenheit verpflichtet. Zum Teil haben die öffentlich-rechtlichen Gremien auch die Aufgabe, in Ausfüllung bestimmter Rechtsvorschriften technische Regeln zu erlassen. Für die Normungsausschüsse - wie etwa den Technischen Ausschuss für Anlagensicherheit, den Kerntechnischen Ausschuss oder die Technischen Ausschüsse nach § 11 des Gerätesicherheitsgesetzes - gelten die meisten Feststellungen, die für Beratungsgremien getroffen wurden. Sie sind jedoch in der Regel pluralistischer zusammengesetzt und entscheiden über die technischen Normen mit qualifizierter Mehrheit. Dadurch entsteht ein höherer Zwang zum Konsens zwischen den beteiligten Interessen. Sie arbeiten nach ähnlichen Regeln wie die privaten Normungsverbände. Oft werden die Entwürfe für sicherheitstechnische Regeln im Auftrag des Ausschusses von privaten Normungsorganisationen wie DIN oder VDE erarbeitet (ausführlicher Westphalen: 2 1996, S. 452ff.).

3. Private Normungsverbände Technische Normen sind für die Entwicklung und Nutzung der Technik unabdingbar. Sie sind ein wichtiger Ordnungsfaktor, der unsere technisch geprägte Welt bereits so sehr bestimmt, dass er kaum noch wahrgenommen wird. Er fällt meist nur dann auf, wenn er fehlt. Dass der Stecker in die Steckdose, das Blatt Papier in den Hefter oder die Mutter auf die Schraube passen, verdanken wir technischen Normen (zum Beispiel DIN A4). Durch diese Kompatibilität technischer Geräte machen technische Normen den Verbraucher weitgehend unabhängig von deren Hersteilem. Dass man Computer, Drucker und Bildschirm oder Verstärker, Plattenspieler und Boxen jeweils von unterschiedlichen Herstellern kaufen kann, ist das Verdienst der technischen Normung. Ohne sie können technische Geräte und Programme nicht effektiv zusammenwirken und damit nur geringe Verbreitung und Nutzung finden. Sie ermöglicht Arbeitsteilung, die Standardisierung von Produktion und Produkten und den Zugang zum Weltmarkt. Zwar ist die Anwendung einer Norm freiwillig, es sei denn, es wird in Rechtsnormen auf sie verwiesen. Da sich aber alle Hersteller eines Produkts aus Wettbewerbs- und Kompatibilitätsgründen an die Normvorgaben halten, werden ihre Angebote vergleichbar. Indem technische Normen sich am Stand der Technik orientieren, beschreiben sie inhaltliche Berufspflichten, stellen qualitative Standards auf und enthalten Vorgaben zur Gewährleistung technischer Sicherheit. a) Nationale Normungsverbände Von Ausnahmen abgesehen, werden technische Regeln von privaten Vereinen erlassen. In der Bundesrepublik gibt es etwa 210 solcher Organisationen, die

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technische Regeln erarbeiten. Teilweise sind es Berufsverbände wie der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) oder der Verband Deutscher Elektrotechniker (VDE) oder es sind Vereine, die sich - wie etwa das Deutsche Institut für Normung (DIN) - als Vereinszweck die technische Normung gewählt haben. Die Mitgliedschaft in diesen Verbänden und Vereinen ist meist beschränkt, die Mitglieder arbeiten ehrenamtlich. Betrachten wir wegen seiner herausragenden Bedeutung für die technische Normung als Beispiel das Deutsche Institut für Normung (DIN). Das DIN ist ein 1917 gegründeter gemeinnütziger, privater Verein, dessen einziger Zweck die Aufstellung technischer Normen ist. Mitglieder, von denen das DIN über 5000 hat, können ausschließlich Unternehmen und juristische Personen werden. Dem DIN entstehen jährlich Kosten in Höhen von etwa 1,2 Milliarden DM. Es finanziert sich zu 18% aus Mitglieds- und Förderbeiträgen, zu 17% aus zweckgebundenen Beiträgen der öffentlichen Hand und zu 65% aus Erlösen durch den Verkauf der erstellten Normtexte. Normung wird im 'Grundgesetz' der DIN-Normung, DIN 820, aus dem auch alle folgenden Zitate stammen, definiert „als planmäßige, durch die interessierten Kreise gemeinschaftlich durchgeführte Vereinheitlichung von materiellen und immateriellen Gegenständen zum Nutzen der Allgemeinheit". Die Ergebnisse der Normungsarbeit werden als „Deutsche Normen" und ihre Gesamtheit als „Deutsches Normenwerk" bezeichnet. Im Jahr 2000 umfasste das Normenwerk des DIN mehr als 25.000 Normen und Normentwürfe. Jährlich werden insgesamt 2.800 neue Normen und Entwürfe von etwa 28.500 externen Experten erarbeitet, die in 4.600 Arbeitsausschüssen tätig sind (http://www.din.de/portrait/). Das Verfahren der Normung ist minutiös geregelt. Es wird mit einem Normungsantrag eröffnet, der einen Normvorschlag enthalten soll. Der Antrag kann de jure von jedermann gestellt werden. De facto machen von dieser Möglichkeit zumeist nur die Industrie, Behörden und das DIN selbst Gebrauch. Von den etwa 100 Normungsausschüssen prüft der jeweils zuständige den Antrag unter anderem daraufhin, ob Bedarf für diese Norm besteht, entsprechende Normungsvorhaben bereits bearbeitet werden und die Finanzierung der Normungsarbeit gesichert ist. Lehnt er den Antrag ab, entscheidet über ihn letztlich das Präsidium. Nimmt er ihn an, so erstellt er eine Norm-Vorlage. Diese wird im Normungsausschuss beraten und als Norm-Entwurf verabschiedet. Nach weiteren internen Prüfungen wird dieser über den eigenen Verlag der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Gegen den Entwurf kann jedermann innerhalb von vier Monaten Stellungnahmen einreichen, die vom Normungsausschuss beschieden werden. Gegen diese Entscheidung kann ein Schlichtungsverfahren eingeleitet werden, über das in letzter Instanz wiederum das Präsidium entscheidet. Das Präsidium ist entsprechend der satzungsmäßig vorgegebenen Mitgliederstruktur von Vertretern der Industrie beherrscht. In den Normungsausschüssen sollen die „Fachleute aus den interessierten Kreisen" angemessen vertreten sein. Als solche gelten „z.B. Anwender, Behörden, Berufsgenossenschaften, Berufs-, Fach- und Hochschulen, Handel, Handwerkswirtschaft, industrielle Hersteller, Prüfinstitute, Sachversicherer, selbständige Sachverständige, Technische Überwacher, Verbraucher, Wissenschaft". Andere Interessen sind nicht vertreten, Verbraucher sind deutlich unterrepräsentiert. Allerdings vermag der 1974 als ständiger Ausschuss gebildete Verbraucherrat einen gewissen Ausgleich herzustellen. Er kann zwar keine Normen aufstellen, aber Normungsanträge einbringen

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und Stellungnahmen zu Nonnentwürfen abgeben (Eichener/Voelzkow: 1991; Roßnagel: 1993b; Voelzkow 1996; Brennecke: 1996; 1999). Die Beziehungen des DIN zum Staat sind im Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem DIN vom 5.6.1975 geregelt (Beilage zum BAnz 1975 Nr. 114). Danach erkennt die Bundesregierung das DIN „als die zuständige Normenorganisation für das Bundesgebiet ... sowie als die Nationale Normenorganisation in nichtsstaatlichen Internationalen Normenorganisationen an". Umgekehrt verpflichtet sich das DIN, „bei seinen Normungsarbeiten das öffentliche Interesse zu berücksichtigen". Aus diesem Grund hat es insbesondere darauf zu achten, „dass die Normen bei der Gesetzgebung, in der öffentlichen Verwaltung und im Rechtsverkehr als Umschreibung technischer Anforderungen herangezogen werden". b) Internationale Normungsverbände Technische Normung findet in Zeiten der Globalisierung zunehmend auf internationaler Ebene statt. Als Internationale Normenorganisationen wurden bereits 1906 die International Electrotechnical Commission (IEC) und 1946 die International Organization for Standardization (ISO) gegründet. Beide Organisationen sind private Vereine nach Schweizer Recht mit Sitz in Genf. Sie setzen sich aus nationalen Normenorganisationen zusammen. Im Jahr 2000 arbeiteten in der IEC Normenorganisationen aus 64 verschiedenen Ländern und in der ISO Organisationen aus fast 120 Ländern zusammen (http://www.din.de/portrait/normung.html; http://www.iso.ch; http://www.iec.ch) Die Bundesrepublik Deutschland wird in der ISO durch das DIN und in der IEC durch die Deutsche Elektrotechnische Kommission im DIN und VDE (DKE) repräsentiert. Die Aufgabe beider Organisationen besteht in der Erstellung internationaler Normen für die unterschiedlichsten Gebiete der Technik. In das „Deutsche Normenwerk" des DIN gehen diese internationalen Nonnen erst ein, wenn das DIN sie übernommen hat. Noch stärker als auf internationaler Ebene macht sich das wirtschaftliche Bedürfiiis nach technischer Standardisierung in Europa bemerkbar. Die wichtigsten europäischen Normenorganisationen sind das 1961 gegründete Comitée Européen de Normalisation (CEN) und das 1971 errichtete Comitée Européen de Normalisation Electrotechnique (CENELEC). Sie sind private Vereine nach belgischem Recht (Nicolas/Repussard: 1994). Ihre Mitglieder sind die Normenorganisationen bzw. die nationalen elektrotechnischen Komitees aus insgesamt 19 EG- und EFTA-Staaten. Organisationen aus 14 weiteren europäischen Staaten sind angegliedert (http://www.din.de/portrait/normung.html; http://www.cenormbe/aboutcen/). Die Bundesrepublik ist im CEN durch das DIN und im CENELEC durch die DKE vertreten. Die europäische Normung der Telekommunikationstechnik erfolgt im Europäischen Institut für Telekommunikationstechnik (ETSI), das 1988 auf Initiative der EG-Kommission gegründet worden ist. Im Jahr 2000 hatte das ETSI 730 Mitglieder aus 51 Ländern innerhalb und außerhalb Europas. Von diesen sind etwa 60 % Herstellerfirmen, 10 % nationale Telekommunikationsverwaltungen, 10 % Anwender und private Dienstleistungsanbieter, 3 % Forschungsinstitute und 17 % Netzbetreiber (http://www.etsi.org). Die Aufgabe der europäischen Normungsorganisationen ist zum einen, die „Europäischen Normen" an die internationalen technischen Normen anzupassen, indem sie diese ergänzen und europaweit vereinheitlichen. Zum anderen erstellen sie neue „Europäische Normen", falls internationale Normen nicht vorliegen. Seit

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1985 verfolgt die Europäische Gemeinschaft eine „neue Konzeption" in der Harmonisierung rechtlicher Technikanforderungen: Statt harmonisierte Anforderungen präzis zu bestimmen, beschränkt sich der europäische Gesetzgeber auf allgemeine Zielsetzungen und überweist deren europaweit einheitliche Konkretisierung den Europäischen Normungsorganisationen. In diesen Fällen erteilt die Europäische Kommission diesen präzise Normungsaufträge, um die damit verbundenen Angleichungsarbeiten zu erfüllen (Roßnagel: 1996, S. 1181 ff.; Jörissen: 1997). Im Unterschied zu Nonnen der ISO und des IEC haben die vom CEN und CENELEC erarbeiteten Normen für die nationalen Normenorganisationen bindende Wirkung. Sie sind unverändert in das „Deutsche Normenwerk" aufzunehmen. Die Bedeutung der europäischen und internationalen Normung wächst ständig. Im Bereich bestimmter „fortgeschrittener" Technologien wie etwa der Informationstechnik und der Telekommunikation findet so gut wie keine nationale Normung mehr statt. In diesen Technikbereichen können kein Wirtschaftsunternehmen, kein nationaler Normungsverband und auch kein Gesetzgeber es sich leisten, die internationalen technischen Normen zu ignorieren. 4. Rechtliche Geltung der Regeln der Technik Die technischen Normen der privaten Normungsverbände sind Richtlinien privater Vereine, die allenfalls ihre Mitglieder binden. Die Technischen Regeln der öffentlich-rechtlichen Sachverständigenausschüsse sind unverbindliche Empfehlungen an den zuständigen Minister. Beide werden in den seltensten Fällen durch eine Verweisung in einem Gesetz oder einer Verordnung mit der Rechtsordnung verbunden. Die Berücksichtigung von Empfehlungen ist nur für die ZKBS durch Gesetz vorgesehen. Die Verknüpfung erfolgt in der Regel durch Interpretation der unbestimmten Rechtsbegriffe und technischen Standards, die der Gesetzgeber benutzt, um das Geforderte zu umschreiben. Die technischen Normen sind keine Rechtssätze und daher für den Rechtsanwender auch nicht verbindlich. Als Konkretisierung rechtlicher Anforderungen gewinnen sie in der Praxis jedoch faktisch die Qualität von Rechtsnormen. Denn den Rechtsanwendern fehlen insoweit andere Maßstäbe. Zwischen Rechtsetzung und technischer Normung bestehen wechselseitige Verschränkungen. Die Rechtsetzung benutzt die Ergebnisse der Normungsorganisationen, um „unvollendete" Normen inhaltlich auszufüllen und entlastet sich insoweit. Umgekehrt nutzen die Normungsorganisationen die Ausfullungsbedürftigkeit rechtlicher Normen, um ihre unverbindlichen und nicht durchsetzungsfähigen technischen Normen an der Autorität und Durchsetzungsfähigkeit rechtlicher Normen teilhaben zu lassen. Bestimmte rechtliche Begriffe - wie etwa „Fahrlässigkeit" oder „erforderliche Vorsorge" wirken als Rahmenanerkennung technischer Normen. Soweit diese die für Ingenieure gebotene Sorgfalt oder erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen beschreiben, werden diese technischen Anforderungen über die genannten Scharnierbegriffe faktisch zu rechtlichen Vorgaben (Eckardt u.a.: 2000, S. 205ff.). Das Wissen, dass die unbestimmten Rechtsbegriffe im Technikrecht durch technische Normen ausgefüllt werden, wirkt auf die Normungsarbeit zurück. Die privaten Normungsverbände berücksichtigen zwar auch das öffentliche Interesse.

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Aber gerade der Umstand, dass der Inhalt einer technischen Norm ohne Abstriche zur Rechtspflicht werden kann, bewirkt vielfach, dass das technische Regelwerk nicht in jedem Fall mit dem tatsächlichen Stand der Technik identisch ist, sondern diesem zum Teil nicht unbeträchtlich hinterherhinkt. Auch nehmen die Normungsverbände die - vom BVerfG postulierte (—> III.) - differenzierte Niveaubestimmung durch die Wahl unterschiedlicher technischer Standards in den Technikgesetzen nicht ernst. Denn DIN-820 fordert, dass die technischen Normen allen rechtlichen Anforderungsstufen zugleich gerecht werden sollen. V. Das Regelungsmodell des Technikrechts in der Bewertung Das beschriebene Zusammenwirken zwischen technischer Normung und rechtlicher Regulierung mit Hilfe technischer Standards hat entscheidend mit dazu beigetragen, die technisch-wirtschaftliche Dynamik der vergangenen Jahrzehnte freizusetzen. Indem es die technische Entwicklung gegenüber externen Vorgaben absicherte, ermöglichte es, die technische Entwicklung allein an technikimmanenten und wirtschaftlichen Kriterien zu orientieren. Soweit neuerdings externe Anforderungen an die Technik - wie deren Umwelt- oder Sozialverträglichkeit formuliert werden, überlassen es die gesetzlichen Regelungen weitgehend den beteiligten Kreisen, durch technische Normung diese in die Entwicklung der Technik aufzunehmen oder abzuweisen. 1. Verfassungsrechtliche Bewertung In diesem Regelungsmodell erfolgen die wesentlichen Entscheidungen über die Entwicklung von Techniksystemen und ihrer Sicherheit entweder durch die Investoren selbst oder durch die Empfehlungen technischer Beratungsgremien und die technischen Normen. Um so erstaunlicher ist es, dass der Gesetzgeber, wenn er schon die zentralen Entscheidungen über technische Sicherheit nicht selbst trifft, in der Regel auch keinen Einfluss darauf nimmt, wer in welchem Verfahren wie diese entscheidende Frage beantwortet. Eine Ausnahme bildet hier das GenTG. Ein solches Regelungsmodell ist zumindest dann verfassungsrechtlich höchst bedenklich, wenn die exekutivische Normsetzung auf die Empfehlungen sachverständiger Beratungsgremien zurückgreift, die nicht nach den im Sinn der Gemeinwohlintention produktiven Prinzipien pluralistischer Repräsentativität, verbandsmäßiger Gegenmachtbildung und der Chance zur Kontrastinformation organisiert sind (ausfuhrlicher Denninger: 1990, S. 120ff.). Soweit technische Normen faktisch die Grenze des zulässigen Risikos bestimmen, wird diese meist in einem Kompromiss zwischen wirtschaftlichen und öffentlichen Interessen festgelegt. Entweder wird Wirtschaftsinteressen in den Normungsverbänden bereits satzungsmäßig eine Vorrangstellung eingeräumt oder ihnen kommt in den ehrenamtlich tätigen Fachausschüssen der Normungsverbände faktisch der bestimmende Einfluss zu. Zwar öffnet sich die private technische Normung den Fragen der Technikbewertung und erweiterten Schutzinteressen - wie etwa die „Koordinierungsstelle Umweltschutz" im DIN belegt. Auch ist nicht ausgeschlossen, dass sich Gruppen an der Normung beteiligen, die bisher nicht zu den interessierten Kreisen zählten. Doch sind, da keine Kostener-

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stattung erfolgt, meist nur Wirtschaftsunternehmen in der Lage, ausreichend viele Vertreter in die sie interessierenden Gremien zu entsenden. Die Grenzen der Grundrechtsgeltung werden faktisch von privaten Vereinen gezogen, ohne dass diese demokratische legitimiert wären, und ohne dass sie die Intention auf Gemeinwohlrichtigkeit ihrer Ergebnisse organisatorisch absichern. Bisher standen Fragen der Techniksicherheit und Gefährdungen des Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit im Vordergrund. Die Auswirkungen technischer Entwicklungen auf Grundrechte beschränken sich nicht nur auf die Erzeugung von Risikolagen. Sie verändern vielmehr die Verwirklichungsbedingungen fast aller Grundrechte (Westphalen: 21996, S. 460ff.; Roßnagel: 1993). Inwieweit das Parlament auf solche Veränderungen Einfluss nehmen muss, hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Kalkar-Entscheidung erörtert: „Die staatlichen Organe (sind) aus ihrer verfassungsrechtlichen Pflicht, dem gemeinen Wohl zu dienen, insbesondere (aus) der ... Verpflichtung aller staatlichen Gewalt, die Würde des Menschen zu schützen, gehalten, alle Anstrengungen zu unternehmen, um mögliche Gefahren frühzeitig zu erkennen und ihnen mit den erforderlichen, verfassungsmäßigen Mitteln zu begegnen" (BVerfGE 49, 89 (131)). Dabei hat das Parlament vor allem zu berücksichtigen, dass technische Entwicklungen in der Lage sind, das Rechtssystem selbst zu verändern, indem sie den Rechtsbegriffen eine faktische, grundlegende Rechtsziele verändernde Bedeutung geben, ohne dass diese durch gesetzgeberischen Willen legitimiert ist (näher Roßnagel: 1993). Das Parlament muss daher im Rahmen seiner Möglichkeiten dafür Sorge tragen, dass die Technik, eben weil sie in steigendem Maße die Daseinsverhältnisse bestimmt, die Prinzipien der Rechts- und Sozialstaatlichkeit und das Demokratiegebot (-> i.E. § 5, III.-V.) nicht überformt. 2. Politische Bewertung Auch wenn das praktizierte Regelungsmodell und die parlamentarische Zurückhaltung in der Techniksteuerung bedenklich sind, ist nach ihrer politischen Leistungsfähigkeit zu fragen. Sind sie denn zumindest in der Lage, Interessenausgleich, Verhaltenssicherheit, Akzeptanz und Legitimität zu erzeugen? Bleiben wir bei der Untersuchung dieser Frage wieder bei dem Problem technischer Sicherheit. Die Frage „Wie sicher ist sicher genug?" wird in den technischen Normen, Empfehlungen der Beratungsgremien oder in den auf ihnen aufbauenden verwaltungsinternen Richtlinien letztlich durch die Wahl von „Sicherheitsphilosophien" beantwortet. Der Begriff der Sicherheitsphilosophie, wie er in der Sicherheitstechnik etabliert ist, hat nun wenig mit der Verwendungsweise des Wortes Philosophie zu tun, wie sie etwa durch die philosophische Klassik geprägt worden ist. „Philosophie" bedeutet hier nämlich - entsprechend ihrer Abstammung aus dem amerikanischen Pragmatismus - nur ein mehr oder weniger logischer Verbund praktisch brauchbarer Grundannahmen. Idealerweise ist eine Sicherheitsphilosophie ein Axiomensystem, mit dessen Hilfe bestimmt wird, wie die Sicherheit einer Anlage oder Handlung festgestellt und bewertet wird. In der Praxis sollen Sicherheitsphilosophien vor allem Risikoprobleme strukturieren, unübersichtliche Risikofelder ausgrenzen, ein praktikables Konzept von Sicherheit begründen und riskante Anlagen oder Handlungen für die Behörden genehmigungsfähig machen

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(z.B. Radkau: 1989, S. 91 ff.). Wie immer Juristen die rechtlichen Begriffe durch andere rechtliche Begriffe zuspitzen, sie müssen für die Ingenieurpraxis in technische Begriffe übersetzt werden. Sie müssen so operationalisiert werden, dass am Ende etwa festgestellt werden kann, wie dick genau die Wand des Druckbehälters sein muss, um als sicher zu gelten. Die juristische Norm muss also in der Sprache der Technik reformuliert werden. Das zentrale Bindeglied, das diese Operationalisierung ermöglicht und in der Sprache der Technik an die juristischen Begriffe anschließt, ist die jeweilige Sicherheitsphilosophie. Die praktizierten Sicherheitsphilosophien folgen alle einer deterministischen Betrachtungsweise. Nach dieser werden bestimmte Störfallabläufe unterstellt und geprüft, ob die jeweilige Anlage sie sicher zu beherrschen vermag. Als „erforderlich" gelten die Maßnahmen, die notwendig sind, um die Auslegungsstörfalle zu „beherrschen". Der Auswahl der Auslegungsstörfälle und der Wahl der Sicherheitstechnik liegen keine expliziten Ermittlungen und Bewertungen des potentiellen Schadensausmaßes und seiner Wahrscheinlichkeit zugrunde. Sie gründen vielmehr auf der Erfahrung, die Experten aus technischen Unfällen gewonnen haben. Die nicht berücksichtigten Störfallabläufe und die Möglichkeit eines Versagens der Sicherheitstechnik gelten als hinzunehmendes Restrisiko. In der Literatur werden zwar vielfaltige Spielarten probabilistischer Sicherheitsphilosophien diskutiert, an einzelnen Referenzanlagen wurden auch schon probabilistische Risikostudien durchgeführt; von der Genehmigungspraxis werden diese Sicherheitsphilosophien jedoch als weitgehend unpraktikabel abgelehnt (S. näher Roßnagel: 1997a, S. 801 ff.). Sie zielen im Gegensatz zu deterministischen Vorgehensweisen auf eine explizite Bestimmung des Schadensausmaßes und der Wahrscheinlichkeit seines Eintritts (für den Baubereich Harries: 1999). Wenn probabilistische Risikostudien alle Unfallmöglichkeiten und deren Schadensabläufe identifizieren und verfolgen sollen, werden sie verhältnismäßig aufwendig und teuer. Als nicht praktikabel gelten sie aber wohl auch aus einem politischen Grund: Auf ihrer Grundlage müsste das zulässige Risiko durch Risikogrenzwerte oder -kurven bestimmt werden, und Risikostudien würden das verbleibende Restrisiko trotz Sicherheitsmaßnahmen explizit beziffern. Beides würde das Risiko der zugelassenen Anlage und die Verantwortung für dieses deutlicher werden lassen. Die deterministische Bestimmung des zulässigen Unfallrisikos hat sich weitgehend bewährt für vertraute technische Systeme mit verhältnismäßig geringem Schadenspotential. Denn der traditionelle Weg, Risiken nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum zu verringern, ist vertretbar, wenn die Kosten eines Irrtums nicht zu hoch sind. So gewonnene Erfahrung mit vielen gleichgelagerten Fällen schafft die Grundlage für die Beurteilung, ob die Anforderungen auch ausreichende Sicherheit gewährleisten. In diesem gesamtgesellschaftlichen Lernprozess bildet sich eine breite soziale Bewertung der technischen Risiken (Eckardt u.a.: 2000, S. 89ff.; 235ff.). Gemeinsame gesellschaftliche Erfahrung mit der Technik ermöglicht einen Konsens über die Zumutbarkeit von Risiken - etwa die eines Kraftfahrzeugs. Vor dem Hintergrund eines breiten Konsenses über die Nutzung einer fast allen vertrauten Technik, mag auch ein Gesetzgeber Interessenausgleich, Verhaltenssicherheit, Akzeptanz und Legitimität erreichen, der nicht selbst entscheidet, sondern sich auf Wertvorstellungen in der Gesellschaft beziehen (Roßnagel: 1994, S. 426ff.).

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Solche Verweise sind in anderen Rechtsbereichen ebenfalls üblich, wie etwa der Verweis auf die guten Sitten im Zivilrecht oder auf den Handelsbrauch im Handelsrecht. Hier wie dort übernimmt der Gesetzgeber Wertungen von Gruppen in der Gesellschaft, die entweder eine größere Nähe zu den Regelungsproblemen haben, über besondere Kenntnisse und Erfahrungen verfügen oder spezifische Gepflogenheiten ausgebildet haben. Er akzeptiert in diesen Fällen die Problemferne der zentralistischen, repräsentativen demokratischen Willensbildung und ermöglicht bestimmte eigenständige und gelebte Formen zivilgesellschaftlicher Selbstregelung (z.B. Ekardt: 1994; Ropohl 1999; Eckardt u.a.: 2000). Diese partikulare Regelsetzung ist dann eine Bereicherung des zentralistischen Demokratiemodells, wenn die Kreise der Entscheidungsbeteiligten und der Betroffenen nahezu deckungsgleich sind, oder wenn die Bewertung auf ausreichend breiter und langer Erfahrung beruht und in der Bevölkerung weitgehend geteilt wird (Roßnagel: 1999). Funktionsdefizite weisen jedoch das beschriebene Steuerungsmodell und die mit ihm verbundene deterministische Vorgehensweise bei Techniksystemen auf, die sich schnell verändern und die große Schadenspotentiale beinhalten. Bei diesen entscheiden kleine Experten- oder Interessentenkreise über die Akzeptabilität gesellschaftsweiter Risikolagen, ohne dass es für diese gesellschaftliche Erfahrung geben könnte. Denn Erfahrungsbildung nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum ist bei ihnen nicht möglich. Entweder werden vollendete Tatsachen geschaffen, bevor Irrtumserfahrungen zu Korrekturen führen können, oder die Irrtumskosten sind so hoch, dass sie den Rahmen sprengen, in dem der Versuch überhaupt sinnvoll sein kann. Ohne Erfahrungsbildung können aber die Sicherheitsanforderungen nicht verlässlich bestimmt werden. Es bleibt nur die Möglichkeit theoretischer Berechnungen oder subjektiver Schätzungen. Die aber sind notwendigerweise kontrovers. Ohne ausreichende Erfahrung fehlt die Grundlage für einen Konsens über die Zumutbarkeit von Risiken - sowohl zwischen den Experten als auch innerhalb der Bevölkerung. In diesen Fällen macht sich das Entscheidungsdefizit durch den demokratischen Gesetzgeber besonders bemerkbar. Interessenausgleich, Verhaltenssicherheit, Akzeptanz und Legitimität lassen sich durch die Entscheidungsverlagerung auf einen Teil der Experten und Interessierten nicht erzielen. Da der Gesetzgeber zur Bewertung der Technikrisiken keine eigenen Kriterien formuliert hat, entsteht die Gefahr, dass die sozialen Systeme, auf die das Recht verweist, zum Ersatzgesetzgeber werden, ohne hierfür demokratisch legitimiert zu sein.

3. Stärkung und Entlastung parlamentarischer Techniksteuerung Zu der beschriebenen Form der Techniksteuerung und Risikobewertung gibt es keine grundsätzliche Alternative. Das Parlament kann innertechnische Fragen nicht selbst beantworten. Es kann keine besseren Sicherheitsphilosophien entwerfen, als ihm die Ingenieurwissenschaften anbieten. Dennoch könnte das Parlament Verbesserungen in der Risikobewertung bewirken. Es kann zwar nur im Rahmen seiner Möglichkeiten handeln; für sein Aufgabenverständnis und seine Erkenntnis- und Handlungsinstrumente ist es aber weitgehend selbst verantwortlich. Es muss daher immer wieder mit der Frage konfrontiert werden, ob es alle

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ihm verfugbaren Möglichkeiten ausschöpft, zumindest die gesellschaftlich relevantesten Technikentwicklungen und ihrer wichtigsten Folgen zu beeinflussen (Roßnagel: 1992, S. 55ff.). Um einem sich verstärkenden Funktionsverlust der Demokratie gerade im Technikbereich entgegen zu treten, sollte es diese Möglichkeiten auch ergreifen (auch Westphalen: 2 1996, S. 465ff.): • Das Parlament könnte die Prozesse der Risikobewertung, soweit sie grundrechtsrelevante Wirkungen entfalten, regeln. Soweit es sich in seiner Gesetzgebung direkt oder indirekt des Sachverstands technischer Beratungsgremien und technischer Normungsverbände bedient, sollte es diese stärker demokratischen Verfahrensanforderungen unterwerfen und die grundsätzlichen Regelungen über deren Aufgaben, Zusammensetzung und Verfahrensweise selbst treffen. Für die Normungsverfahren könnten die im Sinn der Gemeinwohlintention produktiven Prinzipien pluralistischer Repräsentativität, verbandsmäßiger Gegenmachtbildung und der Chance zur Kontrastinformation stärker akzentuiert werden. (Denninger: 1990; Lübbe-Wolff: 1991, S. 243ff.; Roßnagel: 1993a, S. 178ff.). • Viele technische Risiken werden nicht durch die technischen Anlagen und Produkte als solche, sondern durch deren Einbettung in Natur und Gesellschaft und durch die Weisen ihrer Anwendung hervorgerufen. Diese Einflüsse sind aber gesellschaftlicher und nicht innertechnischer Natur. Ihre Umwelt- und Sozialverträglichkeit zu regeln, ist der Gesetzgeber fähig und verpflichtet (Burns/Ueberhorst: 1988, S. 25ff.; Roßnagel: 1993, S. 252ff., 267ff.). • Sicherheitsphilosophien enthalten viele Wertungen zur Zumutbarkeit von Risiken sowie zum angemessenen Verhältnis von Sicherheitsaufwand und Sicherheitsertrag. Solche Wertungen sind im Grundsatz auch dem Gesetzgeber zugänglich, als grundrechtskonkretisierende Entscheidungen sogar von ihm zu treffen. Er könnte daher allgemeine Grundsätze der für das jeweilige Technikfeld maßgeblichen Sicherheitsphilosophie mit seiner demokratischen Legitimation festlegen. Auch könnte er bisher unberücksichtigte Wertungen in die Sicherheitsphilosophien einführen. So könnte er beispielsweise für große Schadenspotentiale, die er nicht für verantwortbar hält, normative Schadensobergrenzen bestimmen (Leimbacher/Saladin: 1990, S. 16f., 39f.; Roßnagel: 1998; Seiler: 1995, S. 40). • Schließlich könnte das Parlament sicherheitsphilosophische Lernprozesse verstärken (z.B. Trute: 1997, S. 55f.). Neuere Regelungen versuchen, solche Lernprozesse zu stärken, indem sie mit der Störfallkommission, dem Sicherheitsausschuss, der Sicherheitsbericht, dem Stöfallbeauftragten und dem Umwelt-Audit Instrumente geschaffen haben, Risikowissen zu generieren und zu verbreiten. Dieser Lernprozess sollte im Technikrecht allerdings noch stärker akzentuiert werden. Lernen ist nur möglich, wenn neue Erkenntnisse auch neue Handlungen ermöglichen. Um dieses bewusst aufzunehmen, sollten Gesetze und Genehmigungen zeitlich befristet sein (z.B. Denninger: 1988: S. 7; Roßnagel: 1992, S. 59; Trute: 1997, S. 69ff.; Eckardt u.a.: 2000, S. 271ff.). • Um möglichst vorgreiflich lernen zu können, muss das erforderliche Zukunftswissen in organisierten Verfahren erworben und an das Parlament vermittelt werden. Bei der Langfristigkeit und Komplexität der Technikrisiken und -folgen kann nicht mehr auf spontane Erfahrungsbildung vertraut werden. Auch kann die Komplexität der-Aufgaben nicht mehr durch individuelle Lernprozesse bewältigt werden. Für seine Aufgaben der Risikoprognose und der Tech-

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nikfolgenabschätzung und -gestaltung bedarf das Parlament geeigneter Institutionen und Verfahren, die derzeit noch nicht gefunden sind. Das Parlament vermag Risiken nur zu bewerten, wenn es selbst technikbezogene Vorgaben festlegt. Aus seinem eigenen Kriteriensystem heraus können dies aber nicht innertechnische Vorgaben, sondern nur wertende Vorgaben zur Einbettung und Nutzung der Technik in Natur und Gesellschaft sein. Ansonsten ist das Parlament auf Rahmenregelungen zur Folgen- und Risikobewertung in anderen sozialen Feldern beschränkt. Bei allen Forderungen an eine Effektivierung parlamentarischer Techniksteuerung, ist darauf zu achten, das Parlament nicht zu überfordern. Sowohl im Bereich der Technikgenese als auch im Bereich der Gesetzgebung ist das Parlament nur ein - wenn auch ein herausgehobener - Akteur unter vielen. Vor allem gelten für das Parlament als Organ eines Nationalstaates spezifische Beschränkungen. Dies macht sich etwa bei der Regelung der Informations- und Kommunikationstechniken und am Beispiel des Internet in besonderer Weise bemerkbar. Die Globalisierung der Regelungsprobleme und die Beschränkung staatlicher Hoheitsgewalt auf das Territorium des Staates einerseits sowie die Körperlosigkeit, Flüchtigkeit und Nichtunterdrückbarkeit von Informationen andererseits zeigen Grenzen der Erfüllungsverantwortung des Staates. Da er nur durch physische Gewalt und nur auf seinem Territorium Regelungen durchsetzen kann, ist er im neuen Sozialraum globaler Netze nicht mehr in der Lage, in vollem Umfang Gemeinwohlbelange durchzusetzen und die Grundrechte seiner Bürger zu schützen (Roßnagel 1997b, S. 26ff.). Angesichts von Ohnmachtserfahrungen müssen Staat und Parlament von Überforderungen befreit werden. Ihre Verantwortung für Grundrechte und Gemeinwohlbelange sind auf ein realistisches und erfüllbares Maß zu begrenzen. Die Erfüllungsverantwortung muss zu einer Strukturverantwortung (Roßnagel: 1997b, S. 26ff.) oder Gewährleistungsverantwortung (Hoffmann-Riem: 1996, S. 21f.) verändert werden. Bevor aber der Staat aus der Verantwortung für Gemeinwohlbelange und den Schutz seiner Bürger entlassen wird, ist genau zu untersuchen, wo die Grenzen der Erfüllungsverantwortung beispielsweise für den Jugend-, Daten-, Verbraucher- oder Wettbewerbsschutzes liegen. Die Verantwortung des Parlaments darf nicht überstrapaziert, aber auch nicht zu früh aufgegeben werden (Roßnagel: 1999a, S. 193fF.). Doch wenn feststeht, dass Staat und Parlament die Grundrechte ihrer Bürger in globalen Netzen nicht mehr ausreichend schützen können, müssen sie zum Ausgleich Strukturen schaffen, die ihre Bürger befähigen, ihre Interessen selbstbestimmt zu schützen. Dies kann etwa durch die Herstellung von Infrastrukturen für Verschlüsselungstechnik und Signaturverfahren erfolgen (Roßnagel: 1996a). Wenn feststeht, dass sie nicht mehr in der Lage sind, Gemeinwohlbelange zu formulieren und durchzusetzen, müssen sie adäquate Rahmenregelungen für eine zielgerechte und faire gesellschaftliche Selbstorganisation treffen. Beispiele wären etwa im Bereich des Datenschutzes Regelungen zu „Codes of Conduct" oder Datenschutzaudits (Roßnagel: 2000) oder im Bereich des Jugendschutzes Organisationen der freiwilligen Selbstkontrolle (Altenhain: 1999). Selbstschutz und Selbstregulierung vermögen zwar Staat und Parlament zu entlasten. Ihre Ergebnisse können aber leicht auch mit der gebotenen Sicherung von Allgemeininteressen kollidieren. Soweit dies möglich ist, muss das Parlament daher ergänzende Sicherungen zur Gewährleistung der Auffangverantwortung des Staates vorsehen (Hoffmann-Riem: 1996, S. 23f.).

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Nach alledem muss das Parlament einerseits sich stärker in der Technikgestaltung und Risikosteuerung engagieren, um seinen verfassungsrechtlichen Aufgaben gerecht werden zu können, und andererseits sich von Aufgaben der Techniksteuerung entlasten, wo es mit dieser Aufgabe aus objektiven Gründen überfordert ist. Seine ständige Aufgabe wird es sein, seine Erkenntnis- und Regelungsmöglichkeiten zu effektivieren, wo es eine Möglichkeit sieht, weitreichende und tiefgreifende gesellschaftliche Technikfolgen und -risiken zu beeinflussen, und Strukturen für individuelle Selbstbestimmung und gesellschaftliche Selbstorganisation zu schaffen, wo diese Entlastung und Freiheitsgewinne zu bieten versprechen.

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§ 29 Politische Kultur: Bürger und Politik Volker Boehme-Neßler I. Politische Kultur: Die subjektive Seite des politischen Systems - II. Traditionen, Werte, Partizipation: Die Bürger und ihre Demokratie - III. Innere Einheit? - Zur politischen Kultur in Deutschland nach der Einheit - IV. Politische Kultur und Außenpolitik Grundlagenliteratur: Bellers, Jürgen (1999): Politische Kultur und Außenpolitik im Vergleich. München Greiffenhagen, Martin und Sylvia (1993): Ein schwieriges Vaterland - zur politischen Kultur im vereinigten Deutschland. München Rudzio, Wolfgang (52000): Das politische System der Bundesrepublik Deutschland. Opladen Sontheimer, Kurt / Bleek, Wilhelm ( n 1999): Grundzüge des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. München von Beyme, Klaus (81996): Das politische System der Bundesrepublik Deutschland. München

I. Politische Kultur: Die subjektive Seite des politischen Systems Nach bahnbrechenden Arbeiten amerikanischer Politikwissenschaftler (Gabriel Almond/Sidney Verba: 1963) hat der Begriff der politischen Kultur einen Siegeszug in der internationalen Politikwissenschaft angetreten. Der Topos politische Kultur ist heute nicht mehr wegzudenken, wenn es darum geht, ein politisches System zu analysieren und zu verstehen. Politische Kultur hat nichts mit Kultur im herkömmlichen Sinn zu tun. Politische Kultur ist die Bezeichnung für die in einer Gesellschaft vorhandenen Traditionen, Meinungen, Werte, Glaubenshaltungen und Verhaltensweisen der Bürger in Bezug auf den Staat, in dem sie leben (Sontheimer/Bleek: 1999, S. 178). Politische Kultur ist also - mit anderen Worten - die subjektive, emotionale Seite eines politischen Systems. Für das gestiegene Interesse an der Erforschung der politischen Kultur gibt es eine historische Ursache (Sontheimer/Bleek: 1999, S. 177): Nach dem Ende der Nazidiktatur fragte sich die Weltöffentlichkeit, wie es zum Untergang der Demokratie und zur Errichtung der Diktatur in Deutschland hatte kommen können. Wie war es möglich, dass ein hoch zivilisiertes Land in eine derartige Barbarei verfiel? Wo lagen die Ursachen für diese Fehlentwicklung? Wie lange würde es dauern, bis die Deutschen stabile demokratische Grundhaltungen aufweisen würden? Diese Fragen ließen sich ohne Einbeziehung der Traditionen, Einstellungen und Werthaltungen der Bürger zum Staat nicht beantworten. Hinzu kam, dass die empirische Sozialforschung seit den 50er Jahren leistungsfähige Instrumente zur Verfügung stellen konnte, mit denen Meinungen und Einstellungen der Bürger erforscht werden können. Die politische Kulturforschung verspricht Antworten auf die Frage nach der Stabilität, der Wandlungsfähigkeit und der inneren Entwicklung eines politischen Systems. Nicht zuletzt deshalb hat das Interesse in

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Deutschland seit der deutsch-deutschen Vereinigung an der politischen Kulturforschung wieder zugenommen. Denn durch die deutsche Einheit steht die typische Frage der politischen Kultur wieder oben auf der Tagesordnung: Wie stabil ist das politische System, und in welche Richtung wird es sich entwickeln? Trotz der erheblichen Bedeutung, die der politischen Kultur inzwischen zukommt, ist nicht völlig unumstritten, was eigentlich unter politischer Kultur zu verstehen ist. Gerade in Deutschland wird der Begriff der politischen Kultur vielfach normativ, nicht empirisch verstanden (v. Beyme: 1996, S. 60). Politische Kultur wird dabei im Sinne von politischer Moral oder politischem Stil verstanden. Vor allem in der politischen Diskussion wird der Topos politische Kultur als Inbegriff aller geschriebenen und ungeschriebenen Normen für politisches Handeln angesehen, die der Demokratie entsprechen. Demgegenüber steht der empirisch-wissenschaftliche Begriff der politischen Kultur, der mit Hilfe moderner demoskopischer Methoden wertneutral das Verhältnis der Bürger zu ihrem politischen System ermittelt. Der wissenschaftlichen politischen Kulturforschung geht es um die Ermittlung des subjektiven Ist-Zustandes, nicht des normativen Soll-Zustandes. Die politische Kultur eines Landes umfasst verschiedene Aspekte, die sich überlagern, ergänzen, verdrängen, und so ein vielschichtiges Konglomerat von subjektiven Einstellungen ergeben: • Zur politischen Kultur gehört der kognitive Aspekt: Was wissen die Bürger eines Staates über ihren Staat und seine Institutionen? • Ebenso wichtig ist der emotionale Aspekt der politischen Kultur: Welche Gefühle haben die Bürger gegenüber ihrem politischen System? • Von Bedeutung ist auch der wertende Aspekt der politischen Kultur, wie die Bürger die Leistungsfähigkeit ihres Staates und ihre theoretischen Handlungsmöglichkeiten beurteilen. • Ein wichtiger Bestandteil der politischen Kultur ist schließlich der partizipatorische Aspekt: Wie engagieren sich die Bürger tatsächlich in dem politischen System, in dem sie leben? Was macht die subjektive Einstellung der Bürger zu ihrem Staat - also die politische Kultur eines Landes - aus? Zur politischen Kultur gehören kurzfristig wechselnde politische Meinungen, längerfristige politische Einstellungen ebenso wie grundlegende und tiefverankerte politische und weltanschauliche Wertorientierungen. Diese Ebenen der politischen Kultur lassen sich mit Hilfe immer weiter verfeinerter demoskopischer Instrumente erforschen. Inzwischen gibt es dazu auch eine Fülle von Daten. Mit diesen Aspekten ist die politische Kultur eines Landes aber noch nicht vollständig erfasst. Zur politischen Kultur gehören auch die Geschichte eines Staates und die Traditionen, die sich im Lauf der Zeit auf die Entwicklung des politischen Bewussteins ausgewirkt haben (Sontheimer/ Bleek: 1999, S. 178f.). Die politische Kultur ist die subjektive Seite eines politischen Systems. Sie ist nicht die politische Realität. Politische Kultur besteht nicht völlig losgelöst von den objektiven Rahmenbedingungen. Zwischen den institutionellen Rahmenbedingungen der Politik und der subjektiven Verarbeitung im Bewusstein der Bürger bestehen vielfältige Wechselwirkungen. Diese gegenseitigen Beeinflussungen machen einen Teil der Dynamik aus, mit der sich Staaten und Gesellschaften weiterentwickeln. Besonders deutlich wird dieses Wechselspiel am Beispiel der Verfassung (-> s.a. § 5): Die Verfassung eines Staates ist - nicht nur, aber auch - Ausdruck der poli-

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tischen Kultur dieses Landes. In der Verfassung wird der politische Grundkonsens der Bürger dokumentiert. Gleichzeitig gibt die Verfassung aber auch dem politischen Geschehen einen rechtlich verbindlichen Rahmen vor. Sie enthält die grundlegenden Spielregeln, an die sich alle halten müssen. Insofern ist sie nicht nur Ausdruck der politischen Kultur. Sie prägt und steuert ebenso die Weiterentwicklung der politischen Kultur. Zu den objektiven Rahmenbedingungen der politischen Kultur gehören auch die Medien (-> § 26). In der modernen Massendemokratie wird die politische Kultur ganz maßgeblich von den Medien geprägt. Die Massenmedien bilden für den Großteil der Bürger die einzige "Brücke zur Politik" (Brettschneider: 1997, S. 286). Wie die Bürger ihr politisches System wahrnehmen und bewerten, hängt also - wenn nicht in erster Linie, so doch ganz maßgeblich - vom Medienkonsum ab. Neuere Erkenntnisse der Demoskopie zeigen denn auch, dass der Medienkonsum die politische Meinungsbildung und das Wahlverhalten beeinflusst (Schmitt-Beck: 1998, S. 690, 702; grundlegend schon: Noelle-Neumann: 1980, S. 8; kritisch dazu aber Scherer: 1990, S. 45, 264; s.a. § 27). Aber auch hier gibt es keine einseitige Beeinflussung, sondern Wechselwirkungen zwischen Medien und politischer Kultur. Denn die Medien können ihr Publikum nicht beliebig lenken oder gar manipulieren. Dafür gibt es eine ganze Reihe von Ursachen. Ein Grund liegt darin, dass die Bürger in der Regel mehrere Medien parallel benutzen. Von Bedeutung ist auch, dass Informationen, die durch Medien vermittelt werden, von den Bürgern selektiv wahrgenommen und verarbeitet werden (Rudzio: 52000, S. 487 m.w.N.). Wie in allen anderen Bereichen auch, nehmen die Bürger in den Medien vor allem die Ereignisse wahr, die zu ihren bereits vorhandenen Meinungen und Einstellungen passen. Von ganz entscheidender Bedeutung ist allerdings auch ein ökonomischer Aspekt: Aus wirtschaftlichen und wettbewerblichen Gründen sind die Medien auf die Akzeptanz der Bürger - ihrer Kunden und Käufer - angewiesen. Sie müssen sich - deutlich ausgedrückt - verkaufen. Das geht allerdings nur, wenn sie sich nicht zu weit von den Einstellungen und Werten ihrer Käufer entfernen. Das bedeutet: Medien prägen zwar die politische Kultur. Gleichzeitig müssen sie aber Rücksicht auf die bereits vorhandene politische Kultur nehmen und werden insofern ihrerseits von der politischen Kultur geprägt. IL Traditionen, Werte, Partizipation: Die Bürger und ihre Demokratie 1. Die Dynamik der politischen Kultur Die politische Kultur ist eine vielschichtige Mischung aus Traditionen, Werten, Einstellungen und Mitwirkungsakten der Bürger, die in einem politischen System leben. Angesichts der Komplexität ist es nicht verwunderlich, dass politische Kultur nicht statisch, sondern dynamisch ist. Sie ist nicht von vornherein vorhanden, sie wird gelernt, eingeübt und auch verändert (v. Beyme: 1996, S. 62). Ein besonders prägnantes Beispiel dafür ist die Entwicklung der politischen Kultur in Deutschland seit 1945. Sie ist inzwischen geprägt von einem breiten demokratischen Verfassungskonsens. Ein Blick auf die langen, demokratiefemen Traditio-

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nen der politischen Kultur in Deutschland vor 1945 zeigt, welche Entwicklungen stattfinden mussten, um zu diesem Demokratiekonsens zu kommen. 2. Demokratieferne Traditionen der politischen Kultur in Deutschland Die politischen Systemumbrüche der jüngeren deutschen Geschichte haben verhindert, dass es eine feststehende politische Tradition und eine historische Kontinuität in politischen Einrichtungen in Deutschland gibt (Sontheimer/Bleek: 1999, S. 182). Es existieren aber unterschiedliche Traditionselemente, die zum Teil noch heute das politische und soziale Bewusstsein - also die politische Kultur prägen. Gemeinsam ist diesen Traditionsbeständen, dass sie vor 1945 demokratiefremd, wenn nicht demokratiefeindlich, waren. Eine wichtige Traditionslinie ist die deutsche Staatsgläubigkeit, deren Wurzeln schon im Zeitalter der Glaubenskriege im Absolutismus liegen. In Deutschland war der Staat die Inkarnation des Gemeinwohls (Sontheimer/Bleek: 1999, S. 184). Weiter ging noch der Rechtsphilosoph Hegel (1770-1831), der den Staat zur Wirklichkeit der sittlichen Idee erhoben hat. Welche Auswirkungen hat diese Traditionslinie auf die politische Kultur? Weil die etatistische Tradition den Staat in den Mittelpunkt des politischen Denkens rückt, sieht sie in der Gesellschaft und ihren - vielfältigen, gar bunten - Gruppierungen potentielle Störfaktoren eines geordneten Staatslebens. Hier liegt eine der tieferen Ursachen für die immer wieder aufflackernden Antiparteieneffekte in Deutschland. Vor dem Hintergrund dieser Tradition erklären sich auch die Vorbehalte, denen sich das demokratische, pluralistische System der Parteien und Interessenverbände in der deutschen Bevölkerung ausgesetzt sah und teilweise noch immer sieht. Verstärkt wird dieses demokratieskeptische Element der politischen Kultur durch die Tradition des deutschen Idealismus. Das politische Denken in Deutschland ist immer wieder von einem unversöhnlichen Gegensatz zwischen Macht und Geist geprägt gewesen (Sontheimer/Bleek: 1999, S. 187). Die Folge dessen ist eine Neigung, die politische Wirklichkeit an einem abstrakten, theoretischen Ideal zu messen. Das hat eine fatale Konsequenz: Die politische Wirklichkeit kann vor dem hehren Ideal nicht bestehen. Im schlimmsten Fall führt das zur Politikverdrossenheit und zum Rückzug ins Private. In engem Zusammenhang mit diesen Traditionslinien stehen zwei weitere Charakteristika der deutschen Tradition in der politischen Kultur: Viele Deutsche haben Schwierigkeiten, den begrenzten und geregelten Konflikt als Mittel produktiver Gesellschaftsgestaltung zu akzeptieren (Sontheimer/Bleek: 1999, S. 187 f.). Damit verkennen sie letztlich ein Grundelement des demokratischen Prozesses. In unguter Weise verstärkt wird das durch den für die deutsche Politik typischen legalistischen Stil: In Deutschland gibt es die starke Neigung, politische Streitfragen allzu schnell als juristische Probleme zu begreifen und vor Gericht, vor allem dem Bundesverfassungsgericht (-> § 15), auszutragen (Rudzio: 52000, S. 564). Ein Blick auf diese demokratiefernen Traditionen hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck: Trotz des skizzierten historischen Ballastes ist es gelungen, nach 1945 in Deutschland eine funktionierende pluralistische Parteiendemokratie (-> § 23) zu etablieren. Die negativen politischen Traditionslinien haben das auf die Dauer nicht verhindern können. Immer wieder wird aber die Frage gestellt, ob der er-

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reichte demokratische Verfassungskonsens auch in Krisenzeiten halten wird (Sontheimer/Bleek,: 1999, S. 189; v. Beyme: 1996, S. 63). Angesichts der tiefreichenden, anti-demokratischen Traditionslinien erscheint diese Frage berechtigt. 3. Der Verfassungskonsens: Grundsätzliche Akzeptanz der westlichen Demokratie Allen obrigkeitsstaatlichen Traditionen zum Trotz: In Deutschland hat sich inzwischen eine demokratische politische Kultur entwickelt (Sontheimer/Bleek: 1999, S. 192). Empirische Untersuchungen belegen, dass die Einstellungen, Verhaltensweisen und Werte der deutschen Bürger sich in vielen Punkten dem Standard in den westlichen Demokratien angeglichen haben. Dazu gehört u.a., dass zu über 90% demokratische Prinzipien wie Parteienkonkurrenz und Meinungsfreiheit bejaht werden (so Rudzio: 2000, S. 549 unter Hinweis auf verschiedene Umfragen von 1991 und 1995). Eine genauere Betrachtung des empirischen Materials zeigt allerdings, dass dieser pauschale Befund differenziert werden muss. Auch wenn die Demokratie von der überwiegenden Mehrzahl der Bürger bejaht wird, kann es doch sein, dass dieselben Bürger sie in ihrer konkret vorhandenen Form ablehnen (so zutreffend Rudzio: 52000, S. 549). Insgesamt lassen sich die Einstellungen der Bürger gegenüber ihrem politischen System auf folgende Faustformel bringen: Je abstrakter der Gegenstand ist, desto zufriedener sind die Bürger. Und umgekehrt: Je konkreter der Gegenstand ist, desto unzufriedener können die Bürger damit sein. Was bedeutet das? Mit dem abstrakten Prinzip der Demokratie sind nahezu alle Bürger einverstanden. Konkrete Ausprägungen des Demokratieprinzips im politischen System Deutschlands erreichen in vielen Fällen allerdings deutlich geringere Zustimmungsraten (instruktiv dazu Pickel/Walz: 1997, S. 599). Das wird an folgenden Phänomenen deutlich, die sich dem empirischen Material entnehmen lassen: Den politischen Institutionen, die in konkrete politische Auseinandersetzungen verwickelt sind, bringen die Bürger in der Regel weniger Vertrauen entgegen als anderen, der Alltagspolitik stärker entrückten Institutionen. Gerichte und Polizei genießen ein deutlich höheres Vertrauen der Bürger als Parlament und Regierung. Besonders wenig vertrauenswürdig aus Sicht der Bürger sind die Parteien und die Politiker, die im Zentrum der politischen Auseinandersetzungen stehen (Rudzio: 52000, S. 551 f. m.w.N.). Dieser Befund gilt nicht nur für volljährige Bürger. In der Tendenz ganz ähnliche Ergebnisse zeigen Studien, die sich mit den politischen Einstellungen von Jugendlichen beschäftigen (so jüngst Deutsche Shell: 2000, S. 271; Pickel/Walz: 1997, S. 598). Für diesen Befund gibt es eine Reihe von Erklärungen. Eine Rolle dabei spielen sicher die bereits erwähnten obrigkeitsstaatlichen, antidemokratischen Traditionen der deutschen politischen Kultur. Auch die - teilweise verzerrende - Darstellung der Politik durch die Medien erlangt hier sicher eine Bedeutung (Pickel/Walz: 1997, S. 603 m.w.N.). Die ausdifferenzierte, zum Teil stark begrenzte Zustimmung der Bürger zu ihren Institutionen muss allerdings nicht grundsätzlich negativ gedeutet werden. Denn eine allzu große Zufriedenheit mit dem politischen System ist kein Zeichen demokratischer Reife (ähnlich v. Beyme: 1996, S. 67): Ein kritischer Blick auf die staatlichen Institutionen zeichnet den mündigen Bürger aus. Von einem Legitimitätsdefizit des Regierungssystems kann in Deutschland bisher auch nicht die

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Rede sein. Das belegen europaweite Vergleiche, in denen die Zufriedenheit der Bürger mit ihrem politischen System untersucht wird. In der Regel ist die Zustimmung der Deutschen zu ihren Institutionen vergleichsweise hoch (Rudzio: 5 2000, S. 550 m.w.N.). Ein Problem darf allerdings nicht ignoriert werden: In der Zufriedenheit mit dem demokratischen System gibt es starke, teilweise gravierende Unterschiede zwischen den Bürgern in den alten und in den neuen Bundesländern. Darauf wird noch einzugehen sein. 4. Partizipation: Die Teilnahme der Bürger am Staat Ein wichtiger Bestandteil der politischen Kultur ist die Frage, wie die Bürger an der politischen Willensbildung teilnehmen (können): a) Formen der Partizipation Die Politikwissenschaft unterscheidet zwei idealtypische Formen der Partizipation: die konventionelle und die unkonventionelle Partizipation (Glaeßner: 1999, 5. 366 f.). Zu den konventionellen Partizipationsmöglichkeiten gehört die Beteiligung an Wahlen (-> § 22, IV.) oder Referenden § 7, II. u. III.), die Mitgliedschaft in Parteien (-> § 23, IV.) und Verbänden (-> § 25), Aktivitäten in der Gemeinde, Teilnahme an legalen Demonstrationen oder ähnliches (van Deth: 1997, S. 293ff. m.w.N.). Es geht dabei also um die traditionellen Möglichkeiten, die Bürger haben, um politisch Einfluss zu nehmen. Seit dem Aufkommen der neuen sozialen Bewegungen Ende der 60er Jahre hat sich das Handlungsspektrum der Bürger deutlich erweitert. In Deutschland haben sich auch Formen unkonventioneller Partizipation eingebürgert (ausführlich dazu Schmidt-Beck/Weins: 1997, S. 322 m.w.N.) Hierzu zählen etwa: die Mitwirkung in einer Bürgerinitiative (-> § 24), die Teilnahme an nicht genehmigten Demonstrationen, an der Besetzung von Gebäuden oder an Verkehrsblockaden. Damit einher geht die Bereitschaft, Grenzen friedlich-argumentativer Auseinandersetzung bewusst zu überschreiten. Kalkulierte, happeningartige "Regelverletzungen" sind seitdem nicht selten eine Begleiterscheinung unkonventioneller Partizipation (Rudzio: 52000, S. 558f.) b) Die normative Frage: Wie viel Partizipation braucht die Demokratie? An der Frage der Partizipation entzündet sich eine demokratietheoretische Diskussion. Eine aus den Vereinigten Staaten stammende Richtung der Politikwissenschaft nimmt den Grad der Partizipation zum empirischen Maßstab für die Entwicklung einer demokratischen Kultur (dazu Glaeßner: 1999, S. 367 m.w.N.). Je aktiver und breiter die Beteiligung der Bürger an der Politik ist, desto höher entwickelt, demokratischer ist danach die politische Kultur. Dieser sehr stark an einem Idealbild orientierten partizipatorischen Demokratietheorie widerspricht die realistische Demokratietheorie: Sie geht von dem - empirisch gestützten Befund aus, dass sich das Interesse und die Beteiligung der Bürger an der Politik in engen Grenzen hält. Sie akzeptiert eine "demokratische Elitenherrschaft" als real existierendes Merkmal der modernen liberalen Demokratie (dazu Glaeßner: 1999, S. 367 m.w.N.). Die deutsche Verfassung - das Grundgesetz - hat sich der pragmatischen, realistischen Demokratietheorie angeschlossen. Es enthält nur sehr wenige Möglich-

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keiten direkter politischer Partizipation. Damit ist allerdings eine Gefahr verbunden: Die "demokratische Elitenherrschaft" degeneriert, wenn sie sich den berechtigten Partizipationswünschen der Bürger nicht öffnet und die Bürgerbeteiligung fördert und unterstützt (so ganz dezidiert Glaeßner: 1999, S. 366). Dabei gibt es keinen ein für allemal unveränderbaren Idealzustand. Die Diskussion, ob und wie weit das Grundgesetz durch plebiszitäre Elemente ergänzt werden muss, ist immer aktuell: Das politische System muss das Gleichgewicht zwischen parlamentarisch-repräsentativen Entscheidungsprozessen und plebiszitären Mitwirkungsmöglichkeiten immer wieder neu austarieren. Diese Problematik spielt auch im Zusammenhang mit der nicht selten konstatierten Politikverdrossenheit der Bürger eine Rolle. Möglicherweise sind verkrustete Politikstrukturen, die wenig Partizipation zulassen, geschweige denn fördern, eine Ursache für die Distanz der Bürger zur Politik. Darauf wird noch ausführlich einzugehen sein. c) Partizipation in Deutschland: Entwicklungslinien und empirische Befunde Betrachtet man die politische Partizipation der Bürger in Deutschland, lässt sich eine generelle Entwicklungslinie zeichnen. Seit der Studentenbewegung und dem Aufkommen der neuen sozialen Bewegungen hat sich die Partizipation der Bürger deutlich verstärkt (Rudzio: 5 2000, S. 541 f.). Sie ist ein fester Bestandteil der politischen Kultur in Deutschland geworden. Ein Blick auf das reichhaltige empirische Material zeigt allerdings, dass weder das politische Interesse noch die Mitwirkung im politischen System einheitlich sind. Es gibt im Gegenteil starke Schlagseiten der politischen Partizipation (so Rudzio: 5 2000, S. 555 f. m.w.N.). Je höher der Bildungsgrad, desto höher sind grundsätzlich das politische Interesse und die politische Beteiligung. Frauen weisen im statistischen Mittel ein deutlich geringeres Interesse an Politik auf als Männer (dazu ausführlich Greiffenhagen: 1993, S. 129ff. m.w.N.). NichtWähler heben sich durch größere Kirchenferne, niedrigeres Lebensalter, geringere familiäre und gesellige Integration, geringere Bildung, Hausfrauen- und ungelernte Arbeitertätigkeiten von politisch Interessierten und Engagierten ab (Rudzio: 5 2000, S. 557 m.w.N.). Diese Schlagseiten konventioneller politischer Partizipation finden sich auch in anderen westlichen Demokratien. Sie erklären sich aus unterschiedlichen Partizipationsressourcen (ausführlich dazu van Deth: 1997, S. 303ff. m.w.N.): Ob und wie sich jemand politisch beteiligt, hängt von seiner Artikulationsfähigkeit, seinen Kenntnissen, seiner politischen Sozialisation und seinem Glauben an die eigenen Einflussmöglichkeiten ab. Diese Faktoren sind - das ist ein eindeutiger Befund - durchaus unterschiedlich verteilt. Ähnliche Schlagseiten wie bei der konventionellen Partizipation zeigen sich auch bei den Formen unkonventioneller politischer Beteiligung. Unkonventionelle Mitwirkungsmöglichkeiten nehmen überdurchschnittlich Angehörige höherer sozialer Schichten, jüngere und höher gebildete Bürger wahr. Wenig überraschend: Auch die Anhänger extremerer Parteien neigen überdurchschnittlich stark zu unkonventioneller Partizipation (Rudzio: 5 2000, S. 557 m.w.N.). Gibt es in Deutschland signifikante Unterschiede in der politischen Partizipation zwischen Ost und West? Auf den ersten Blick könnte man vermuten, dass die ostdeutschen Bürger erheblich weniger an den demokratischen Entscheidungsprozessen partizipieren als die westdeutschen. Denn immerhin haben sie langjährige Erfahrungen mit einem autoritären, partizipationsfeindlichen politischen System gemacht. Jedenfalls was die konventionelle Partizipation angeht, ist diese

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Vermutung falsch: Das vorhandene Datenmaterial zeigt, dass Formen und Niveau der politischen Beteiligung in Ost und West keine großen Unterschiede aufweisen (ausführlich dazu van Deth: 1997, S. 296, 315 m.w.N.). Von einigen Differenzierungen abgesehen, gilt das auch für die unkonventionelle Partizipation: Auch hier gibt es kaum einen Ost-West-Unterschied (Schmitt-Beck/Weins: 1997, S. 341 f. m.w.N.). Seit 1983 lässt sich ein Rückgang des politisches Interesses und des Bedürfnisses nach Mitwirkung feststellen. Das ist eine der zentralen Veränderungen in der politischen Kultur seit Anfang der 80er Jahre. Ein deutliches Zeichen dafür ist die seit 1983 eher abnehmende Wahlbeteiligung bei Bundestagswahlen (dazu die Statistik bei Schindler: 1999a, S. 956). Daneben gibt es weitere Indizien aus dem vorliegenden empirischen Material. Ein Vergleich mit anderen westlichen Demokratien zeigt allerdings, dass diese Tendenz nicht auf Deutschland beschränkt ist. Sie findet sich in vielen anderen westlichen Politiksystemen (Rudzio: 52000, S. 545ff. m.w.N.). 5. Parteienverdrossenheit, Politikverdrossenheit, Staatsverdrossenheit a) Parteienverdrossenheit In Deutschland lässt sich seit Anfang der 90er Jahre eine zunehmende Parteienverdrossenheit konstatieren (Rudzio: s2000, S. 546; Wiesendahl: 1998, S. 13ff. m.w.N.). Dafür gibt es eine Reihe von Indizien. Die Parteien müssen einen kontinuierlichen Mitgliederschwund hinnehmen. Gleichzeitig erleben sie einen deutlichen Vertrauensverlust bei den Bürgern. Während Anfang der 80er Jahre 50 Prozent der Bürger Vertrauen in die Problemlösungskompetenzen der Parteien hatten, waren es 1997 nur noch 12 Prozent der Befragten (v. Alemann/Heinze/ Schmid: 1998, S. 31 m.w.N.; Rudzio: 52000, S. 551). Auch Änderungen des Wahlverhaltens lassen sich als Ausdruck einer zunehmenden Parteienverdrossenheit verstehen: Die Wahlbeteiligung sinkt, die Identifikation mit den großen Volksparteien nimmt ab, es gibt immer mehr Wechsel- und NichtWähler (v. Alemann/Heinze/Schmid: 1998, S.31; Sontheimer/BIeek: 1999, S. 260). Besonders gravierend sind diese Entwicklungen bei den jugendlichen Bundesbürgern. Die Bereitschaft, sich in Parteien zu organisieren, ist bei Jugendlichen deutlich geringer als beim Bevölkerungsdurchschnitt (v. Beyme: 1996, S. 123 spricht treffend vom "Organisationsverdruss" der jüngeren Generation). Dazu passt, dass ihr Vertrauen in politische Parteien - das zeigt die jüngste Shell-Jugendstudie - extrem gering ist (Shell: 2000, S. 270 ff. m.w.N.). Daraus lässt sich ein Schluss ziehen: Die Parteien können ihre Hauptfunktion, zwischen der Gesellschaft und den politischen Institutionen effektiv und repräsentativ zu vermitteln, nicht mehr überzeugend wahrnehmen. Für diese Parteienverdrossenheit gibt es eine ganze Reihe von Ursachen: Ein Teil der Gründe muss bei den Parteien selbst gesucht werden. Die politischen Parteien (-» § 23, II. u. IV.)haben die politische Willensbildung nahezu monopolisiert. In Deutschland werden nahezu alle politischen Entscheidungen durch die Parteien und ihre Vertreter gefasst. Andere soziale Gruppen sind von diesen Prozessen weitgehend ausgeschlossen. Gleichzeitig lässt sich eine Parteipolitisierung des gesamten sozialen Lebens konstatieren, die das Unbehagen der Bürger an den Parteien schürt (Sontheimer/Bleek: 1999, S. 262f.). Verschärft wird diese Situation durch die Tatsache, dass die Parteien nicht in der Lage scheinen, adäquate Problemlösungen für die drängenden politischen Prob-

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lerne anzubieten. Ein besonders drastisches Beispiel: Die Frage, wie der deutsche Wirtschafts- und Sozialstaat sich im Prozess der Globalisierung weiterentwickeln kann und muss, wird von keiner Partei innovativ beantwortet (v. Alemann/Heinze/Schmid: 1998, S. 35 m.w.N.; ähnlich Sontheimer/Bleek: 1999, S. 262). Hinzu kommt: Seit den 80er Jahren nehmen Aufdeckung und öffentliche Diskussion von Privilegien, die sich Parteienvertreter verschafft haben, und von "Parteienfilz" einen immer breiteren Raum ein. Das hat negative Auswirkungen auf die Einstellung der Bürger zu den Parteien (Sontheimer/Bleek: 1999, S. 263). Deutlich verstärkt wird das durch immer wiederkehrende Parteispendenskandale. Für die verbreitete Parteienverdrossenheit gibt es allerdings auch Gründe, die von den Parteien selbst kaum zu beeinflussen sind. Die zunehmende Individualisierung und Pluralisierung der Gesellschaft hat auch Auswirkungen auf die politischen Parteien (Sontheimer/Bleek: 1999, S. 264f.; v. Alemann/Heinze/Schmid, 1998: S. 31 f. m.w.N.). Die traditionellen sozio-kulturellen Milieus zerfallen, damit lässt auch die Integrationskraft der traditionellen Parteien nach. Die Partizipationsmuster potentieller Parteimitglieder und engagierter Bürger ändern sich. Im Vordergrund steht nicht mehr das regelmäßige und eindeutige Engagement in Großorganisationen, sondern die spontane, projektbezogene, punktuelle und zeitlich befristete Partizipation in eher staatsfernen Organisationen. Auch die Tendenz zur Erlebnis- und Mediengesellschaft ist ein nicht zu unterschätzender Faktor der Parteienverdrossenheit. Die Parteien sehen sich mit Ansprüchen und Konsumhaltungen der Bürger konfrontiert, die sie nicht erfüllen können (Sontheimer/Bleek: 1999, S. 264f.). Das fuhrt zu Frustrationen. Die Rolle der Medien, vor allem des Fernsehens, verstärkt die Verdrossenheit nicht unerheblich. Das Fernsehen liefert zwar viele Bilder der Politik, aber kein realistisches Bild des immer komplexer und undurchschaubarer werdenden politischen Prozesses (Greiffenhagen: 1993, S. 184 m.w.N.). Das hat eine fatale Konsequenz: Die Bürger fühlen sich immer besser informiert, sind es aber nicht. Auch diese Diskrepanz fordert Parteienverdrossenheit. Bei aller berechtigten Kritik am deutschen Parteiensystem ist allerdings eine problematische Traditionslinie der deutschen politischen Kultur zu beachten: In der weitverbreiteten Parteienkritik schwingen auch staatsgläubige Elemente des politischen Denkens in Deutschland mit (Sontheimer/Bleek: 1999, S. 264). Die Praxis des pluralistischen Parteienstaates in Deutschland wird am überkommenen, unpolitischen Ideal des Staates gemessen, der über den Parteien steht und das Gemeinwohl repräsentiert (GreifFenhagen: .1993, S. 177 m.w.N.). Die obrigkeitsstaatliche Tradition des deutschen Bürgertums ist noch nicht völlig überwunden. Die deutsche politische Kultur weist zwei Schwachstellen auf, die hier eine Rolle spielen: Mangelnder Sinn für Opposition und Missachtung von Minderheiten (so ganz dezidiert Greiffenhagen: 1993, S. 114). Dazu passt eine im Vergleich mit anderen westlichen Demokratien deutlich hervortretende Geringschätzung des Kompromisses. Opposition, Minderheitenschutz und Kompromiss sind allerdings unverzichtbare Elemente der westlichen Parteiendemokratie. Das bedeutet: Die moderne Parteiendemokratie entspricht in weiten Teilen nicht den immer noch vorhandenen obrigkeitsstaatlichen Vorstellungen. Diese Differenz fuhrt zu Verdrossenheit. Die Parteienverdrossenheit ist allerdings kein auf Deutschland beschränktes Phänomen; sie lässt sich im Gegenteil in nahezu allen westlichen Demokratien feststellen (Rudzio: 52000, S. 546 m.w.N.; Immerfall: 1998, S. 5). Im internationalen Vergleich bietet die deutsche Parteienlandschaft ein normales,

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sogar eher günstiges Bild (Greiffenhagen: 1993, S. 177 m.w.N.). Die Zufriedenheit der deutschen Bürger mit ihrer Parteiendemokratie ist im europäischen Vergleich eher groß. b) Von der Parteienverdrossenheit zur Politik- und Staatsverdrossenheit? Dennoch ist die zunehmende Parteienverdrossenheit nicht unproblematisch. Denn sie ist verbunden mit einer allgemeinen Politikverdrossenheit, die - wenn sie sich zur Staatsverdrossenheit ausweitet - zu Legitimitätskrisen des politischen Systems fuhren könnte. Das Ansehen von Politikern sinkt unaufhörlich: Nur noch 17% der Bürger haben eine gute Meinung von ihnen, nur 27% der Deutschen haben Vertrauen zu den Politikern (Greiffenhagen: 1993, S. 174 f. m.w.N.). Lediglich 25% der Bevölkerung glauben, dass man große Fähigkeiten haben muss, um Bundestagsabgeordneter werden zu können (Cusack: 1999, S. 240). Gleichzeitig nimmt die Zufriedenheit der Bürger mit der Regierung und dem politischen System kontinuierlich ab (umfangreiches Material dazu findet sich bei Cusack: 1999, S. 238). An dieser Stelle wird die Gefahr deutlich, dass die allgemeine Unzufriedenheit mit den Parteien und den Politikern in eine Ablehnung des politischen Systems umschlägt. Anzeichen dafür gibt es bereits: 1997 etwa hielten nur noch 69% der Befragten die Demokratie für die beste Staatsform (Zahlen bei Cusack: 1999, S. 244). Das empirische Material gewinnt an Brisanz, wenn man die Politikverdrossenheit in den alten Bundesländern mit dem Meinungsbild in den neuen Bundesländern vergleicht. Die Unzufriedenheit mit den Parteien, den Politikern und dem politischen System insgesamt ist in den ostdeutschen Bundesländern deutlich größer: 1997 hielten nur 23% der Bundesbürger in den östlichen Bundesländern die Demokratie für die beste Staatsform. 37% waren davon überzeugt, dass es andere Staatsformen gibt, die besser seien (Cusack: 1999, S. 244).

III. Innere Einheit? Zur politischen Kultur in Deutschland nach der Einheit Durch die deutsche Einheit sind zwei völlig unterschiedliche politische Kulturen in einem gemeinsamen Staat zusammengebracht worden. Auch zehn Jahre nach der Vereinigung Deutschlands ist dabei keine einheitliche politische Kultur entstanden. Ein Blick auf das inzwischen reichlich vorhandene empirische Material zeigt große Unterschiede in der politischen Kultur West- und Ostdeutschlands. Die westdeutsche Kultur dominiert, im Osten ist dafür aber eine regionale Sonderkultur oder eine Teilgesellschaft entstanden (ausführlich dazu Brie: 1999, S. 217ff. m.w.N.). 1. Ein Staat, zwei politische Kulturen: Unterschiede zwischen Ost und West Die gravierendsten Unterschiede innerhalb der politischen Kulturen in Ost- und Westdeutschland lassen sich in drei Bereichen feststellen: Die Zustimmung zur bundesdeutschen Demokratie und ihren Institutionen ist im Osten deutlich geringer als im Westen (v. Beyme: 1996, S. 67 m.w.N.; Rudzio: 5 2000, S. 566; instruktiv dazu das Datenmaterial bei Fuchs: 1997, S. 95ff.). Die

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bundesrepublikanische Demokratie wird in den alten Bundesländern von 80 Prozent der Bürger für die beste Staatsform gehalten. In den neuen Bundesländern sind nur 30 Prozent dieser Ansicht (Zahlen bei Noelle-Neumann/Köcher: 1993, S. 560). 37 Prozent der östlichen Bundesbürger sind der Ansicht, dass es andere und bessere Staatsformen gäbe (Rudzio: 52000, S. 551). Dazu passt, dass die PDS als SED-Nachfolgepartei im Osten als normale Partei akzeptiert wird und entsprechende Wahlerfolge verbuchen kann (-> § 23, VI.) Ein weiterer Bereich der politischen Kultur weist deutliche Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland auf. Die parteienbezogene politische Partizipation ist im Osten deutlich schwächer entwickelt als im Westen (Rudzio: 52000, S. 566). Die Bürger aus den neuen Bundesländern stehen den Parteien grundsätzlich distanzierter gegenüber als ihre westlichen Mitbürger (Kreikenbom: 1997, S. 185; v. Beyme: 1996, S. 105 m.w.N.). Etwas anderes gilt nur für die PDS, die teilweise eine starke, auch gefühlsmäßige Identifikation und Unterstützung erfährt. Angesichts der unterschiedlichen historischen Entwicklung von 1949 bis 1990 ist es keine Überraschung: In den grundsätzlichen Wertpräferenzen der Bürger lassen sich erhebliche Differenzen zwischen den Bewohnern der alten und der neuen Bundesländer ausmachen (Sontheimer/Bleek: 1999, S. 197). Wirtschaftswachstum, technischer Fortschritt und öffentliche Sicherheit haben bei den ostdeutschen Bürgern einen höheren Stellenwert als bei den Einwohnern der alten Bundesländer (Rudzio: 52000, S. 566; Greiffenhagen: 1993, S. 373; instruktiv dazu die Daten bei Brähler/Richter: 1999, S. 30). Auch die Erwartungen an den Sozialstaat sind in den neuen Bundesländern höher (dazu Roller: 1997, S. 123ff. m.w.N.; instruktiv die Daten bei Noelle-Neumann/Köcher: 1993, S. 558, 567). Das lässt sich mit zwei willkürlich herausgegriffenen Umfrageergebnissen schlaglichtartig beleuchten: 75 Prozent der Ostbürger erwarten vom Sozialstaat, dass er den Bürgern in sozialen Notlagen ein gutes Auskommen garantiert; im Westen sind nur 47 Prozent der Befragten dieser Ansicht. Wenig überraschend sind deshalb auch die unterschiedlichen Erwartungshaltungen an die Intensität der Sozialpolitik. 71 Prozent der Bürger aus den neuen Bundesländern sind der Ansicht, dass die Sozialleistungen in Zukunft ausgeweitet werden sollten, in den alten Bundesländern wird diese Meinung nur von 28 Prozent der Bürger vertreten (Zahlen bei Roller: 1997, S. 129ff.). Postmaterialistische Werte finden sich in den neuen Bundesländern dagegen seltener (v. Beyme: 1996, S. 74; differenzierend dazu Greiffenhagen: 1993, S. 172 m.w.N.). Was sind die Gründe für diese deutlichen Unterschiede? Die 40jährige SEDHerrschaft hat nicht mit den vordemokratischen, staatsfixierten Einstellungen der Bürger gebrochen. Sie hat im Gegenteil trotz aller ideologischen Unterschiede an diese Traditionen angeknüpft. Den Traditionen des politischen Denkens vor 1945 entsprechend hatten Gesellschaft, Partei und Staat einen eindeutigen Vorrang vor den Bedürfnissen und Neigungen der Bürger (Sontheimer/Bleek: 1999, S. 195). Deswegen ist die politische Kultur der DDR viel stärker als die der Bundesrepublik mit autoritären, staatsfixierten Traditionen des politischen Denkens der deutschen Geschichte belastet. Die Bundesrepublik hat sich - im Gegensatz zur damaligen DDR - modernisiert und an die westlichen Standards einer pluralistischen, demokratischen Gesellschaft angepasst. Diese unterschiedlichen Traditionen zwischen 1949 und 1989 sind die tiefere Ursache für die deutlichen Unterschiede in beiden deutschen politischen Kulturen (ausführlich dazu Greiffenha-

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gen: 1993, S. 372ff.; Sontheimer/Bleek: 1999, S. 194ff.; kritisch dazu aber Pollack: 1997, S. 3ff.). Diese historischen Faktoren werden verstärkt durch die unterschiedliche soziale und wirtschaftliche Situation in West- und Ostdeutschland. Der wirtschaftliche Rückstand der neuen Bundesländer gegenüber den westdeutschen Bundesländern fuhrt zu einem Unbehagen vieler Ostdeutscher am Einigungsprozess und - in konsequenter Folge davon - auch am neuen politischen System und seinen Institutionen (Sontheimer/Bleek: 1999, S. 215; Sontheimer: 1999, S. 214). Nicht außer Acht gelassen werden dürfen auch (politik)psychologische Prozesse, die zu einer Abwendung ostdeutscher Bürger vom westlichen Wirtschafts- und Politiksystem führen (dazu Pollack: 1997, S. 9ff. m.w.N.). Die Skepsis gegenüber dem westlichen System ist nicht selten eine Kompensation vielfältiger Devaluierungsprozesse, die mit der deutschen Einheit verbunden sind: In der DDR erworbene Ausbildungen, Bildungsabschlüsse und Qualifikationen werden ebenso entwertet wie Lebenserfahrungen oder in der DDR "gelebte Biographien". Die verbreitete Erfahrung, als Ostdeutsche Bürger zweiter Klasse zu sein, wirkt sich deutlich negativ auf die Systemzufriedenheit aus und fördert die Distanz gegenüber dem neuen System (Pollack: 1997, S. 9; Förster: 1999, S. 30 m.w.N.). 2. Problem oder Problemlösung? - Die Dominanz der westdeutschen politischen Kultur Das Unbehagen ostdeutscher Bürger an der politischen Kultur der Bundesrepublik wird auch dadurch geschürt, dass die westdeutsche politische Kultur in allen Bereichen dominiert. Sicher hat der Einigungsprozess auch Auswirkungen auf die alten Bundesländer. Die politische Kultur der Ost- und der Westdeutschen wächst seit der staatlichen Vereinigung Deutschlands im Oktober 1990 in einem schwierigen und vielschichtigen Prozess zusammen. Es entwickelt sich dabei eine neue politische Kultur, die sich von der politischen Kultur der alten Bundesrepublik unterscheidet (Sontheimer/Bleek: 1999, S. 197f.). Dennoch: die westdeutsche politische Kultur dominiert, die Werte und Traditionen der Ostdeutschen finden sich in der gemeinsamen politischen Kultur nur am Rand wieder. Diese Entwicklung verstärkt ihrerseits weiter das Unbehagen und die Unzufriedenheit der ostdeutschen Bürger mit dem politischen System. Woher rührt diese Überlegenheit der westdeutschen politischen Kultur? Es gibt eine Reihe von Gründen, die sich letztlich auf einen Punkt reduzieren lassen: Die politische und wirtschaftliche Überlegenheit der alten Bundesrepublik. Sie konnte deshalb ihre Positionen weitgehend durchsetzen. Dem entspricht auch die Verfassungsrechtslage: Die damalige DDR ist der alten Bundesrepublik Deutschland gem. Art. 23 GG a.F. beigetreten. Anders als eine theoretisch mögliche Verabschiedung einer neuen gemeinsamen Verfassung im Sinne von Art. 146 GG schließt ein Beitritt die Übernahme des bestehenden westdeutschen politischen Systems ein (-» s.a. § 1, VI.). Im Gegensatz zu den Traditionen, Werten und Einstellungen der Ostdeutschen entspricht die westdeutsche politische Kultur im wesentlichen den internationalen Standards westlicher moderner Demokratien. Im Zeitalter der Globalisierung gibt es keine Alternative dazu, sich in das internationale politische System zu integrieren. Es gibt deshalb keinen Raum für die traditionellen ostdeutschen Werte und Einstellungen. Die Dominanz der westdeutschen politischen Kultur ist

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deshalb der Weg sicherzustellen, dass Deutschland eine moderne westliche Demokratie bleibt. Die westdeutsche Dominanz ist deshalb die Problemlösung, nicht das Problem (Greiffenhagen: 1993, S. 379). Mit anderen Worten: Durch die Anpassung an das westdeutsche System holt Ostdeutschland einen Modernisierungsprozess nach, den die alte Bundesrepublik schon vorher durchlaufen hat. Trotz ihrer Dominanz kann auch die westdeutsche politische Kultur nicht unverändert bleiben. Elemente der politischen Kultur der ehemaligen DDR werden ihre Spuren in einer gesamtdeutschen Kultur hinterlassen. Ein Beispiel dafür ist die in Ostdeutschland weit fortgeschrittene Entkirchlichung und Säkularisierung der Gesellschaft, die Auswirkungen auf die politische Kultur haben wird (dazu die Zahlen bei Greiffenhagen: 1993, S. 430f.).

IV. Politische Kultur und Außenpolitik Die politische Kultur eines Staates prägt nicht nur das soziale und politische Leben im Inneren. Sie hat auch Auswirkungen auf den Inhalt der Außenpolitik, die ein Staat betreibt. Und umgekehrt gilt: Außenpolitische Einflüsse können die politische Kultur eines Staates prägen. Das lässt sich an einer Vielzahl von historischen Beispielen belegen. Die Politikwissenschaft beginnt allerdings erst, die Wechselwirkungen zwischen Außenpolitik und politischer Kultur systematisch zu erforschen. Ein ganz aktuelles Beispiel für solche Wechselwirkungen ist die deutsche Einheit. Durch den Fall der Mauer hat sich die internationale Lage Deutschlands verändert. Das gestiegene Gewicht in der Weltpolitik führt zu speziellen Erwartungen an die deutsche Außenpolitik: Von Deutschland wird eine ausgeprägte Politik des Multilateralismus und eine intensive Einbettung in internationale Zusammenhänge erwartet (v. Beyme: 1996, S. 395f.). Diese Erwartungen haben Auswirkungen auf die Innenpolitik und die politische Kultur. Ein deutliches Indiz dafür ist der neue Europaartikel in der deutschen Verfassung: Art. 23 GG verpflichtet den deutschen Staat ausdrücklich, an der Verwirklichung eines vereinten Europas und der Entwicklung der Europäischen Union mitzuwirken. Die Verfassung - und damit die politische Kultur - ist also deutlich europäisiert worden. Und umgekehrt gilt: Die europafreundliche, wenig aggressive Außenpolitik Deutschlands nach dem zweiten Weltkrieg war nur möglich, weil die politische Kultur in Deutschland sich von dem aggressiven Nationalismus gelöst hat, der sie lange geprägt hatte. Die unmilitärische, friedliche Komponente der deutschen politischen Kultur steht inzwischen unter starkem Druck der internationalen Politik: Seit dem Golfkrieg wird von Deutschland zunehmend erwartet, in internationalen Bündnissen militärische Beiträge zu leisten. Auslandseinsätze der Bundeswehr - lange undenkbar gehören wieder zum Instrumentarium der deutschen Außenpolitik. Das wird die politische Kultur verändern: Auslandseinsätze erfordern hochspezialisierte Einheiten, die letztlich nur eine Berufsarmee bereitstellen kann. Die zwangsläufig damit verbundene Abschaffung der Wehrpflicht wird die Gesellschaft und die politische Kultur verändern. Gleichzeitig hat die friedliche, unmilitärische politische Kultur Auswirkungen auf die Quantität und Qualität der Bundeswehreinsätze: Sie sind immer noch vergleichsweise selten und stark auf humanitäre Aspekte konzentriert.

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren Jürgen Bellers, Prof. Dr.; Jg. 1951; Studium der Geschichte, Zeitungswissenschaft und Internationalen Politik an der Universität München; 1986-1993 Hochschuldozent an der Universität Münster; seit 1994 Professor für Politikwissenschaft an der Universität - Gesamthochschule Siegen; Mitglied im Vorstand des Instituts für Europäische Regionalforschung Siegen. Werner Billing, Univ.-Prof., Dr. phil.; Jg. 1936; Studium der Politikwissenschaft, des Staatsrechts, der Philosophie, Geschichte und Anglistik in Köln, London, Edingburg und Freiburg; 1968 Promotion an der Universität Freiburg; 1969 1972 wiss. Ass., dann wiss. OR an der Universität Hamburg; 1972 - 1978 Professor für Politikwissenschaft an der erziehungswissenschaftlichen Hochschule Rheinland-Pfalz; 1974 Ruf an die Universität der Bundeswehr Hamburg abgelehnt; seit 1978 Professor für Politikwissenschaft an der Universität Kaiserslautern. Kathrin Böck, Dipl.-Sozialwiss.; Jg. 1971; Studium der Politikwissenschaft, Soziologie, Erziehungswissenschaften und des Öffentlichen Rechts an der Universität Gießen; von 1998-2000 wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsgruppe Verwaltungsautomation an der Universität Gesamthochschule Kassel, zur Zeit stellvertretende Frauenbeauftragte des Lahn-Dill-Kreises (Hessen). Volker Boehme-Neßler, Prof. Dr. iur.utr., Dr. rer. pol.; Jg. 1962; Studium der Rechts- und Politikwissenschaften in Berlin und Heidelberg; Rechtsanwalt in Berlin, Wiesbaden und Erfurt; seit 1998 Professor für Staatsrecht, Europarecht, Medienrecht und öffentliches Wirtschaftsrecht an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. Detlev Clemens, Dr. phil.; Jg. 1962; wissenschaftlicher Assistent (beurlaubt) im Fach Politische Wissenschaft an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erlangen-Nümberg; derzeit Referent in der Generaldirektion für Bildung und Kultur der Europäischen Kommission, Brüssel. Martin Doetschmann\ Jg. 1955; Studium der Rechtswissenschaften in Würzburg und Mainz; 1986-1991 in der Finanzverwaltung des Landes Hessen, zuletzt Regierungsoberrat bei der Oberfinanzdirektion Frankfurt am Main; seit 1991 beim Bundesrechnungshof, derzeit Ministerialrat und Leiter eines Abteilungsreferates. Hartmut Elsenhans, Prof. Dr.; Jg. 1941; Studium der Politikwissenschaft, Soziologie und Geschichte in Tübingen, Berlin, Paris; 1973 Promotion und 1975 Habilitation an der Freien Universität Berlin; Lehrtätigkeit als Professor an der FU Berlin und der Universität Frankfurt, (ao. Prof. 1976) in Marburg; (o. Prof. 1980) in Konstanz; seit 1993 Professor für Internationale Beziehungen an der Universität Leipzig; Gastprofessuren in New Delhi, Montreal, Salzburg und Dakar

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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

Dieter Engels, Dr. jur.; Jg. 50. Studium der Rechtswissenschaften. Nach dem Assessorexamen Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Straf- und Strafprozessrecht der Universität Bonn. Von 1983 bis 1996 in den Wissenschaftlichen Diensten des Deutschen Bundestages, zuletzt als Ministerialdirigent; 1992 bis 1996 beurlaubt zur Fraktion der SPD im Deutschen Bundestag, dort Leiter der Fraktionsverwaltung. Seit 1996 Vizepräsident des Bundesrechnungshofes in Bonn. Wolfgang Gerstiberger, Dr. M.A.; Jg. 1969; Studium der Soziologie, Politischen Wissenschaften und Geographie an der Universität / Gesamthochschule Kassel; 1995-1999 Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsgruppe Verwaltungsautomation an der Universität / Gesamthochschule Kassel; seit 1999 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für TechnikWirkungs- und Innovationsforschung des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften der Universität / Gesamthochschule Kassel. Klaus Grimmer, Prof. Dr.; Jg. 1934; Studium der Rechtswissenschaft, Philosophie und Geschichte in Tübingen, Bonn und Göttingen, der Wirtschafts- und Politikwissenschaften in Köln; Tätigkeit als Rechtsanwalt und in der Privatwirtschaft; wissenschaftlicher Assistent an der TH Darmstadt; seit 1972 Hochschullehrer an der Gesamthochschule Kassel, Fachgebiet Politikwissenschaft und öffentliches Recht; wissenschaftlicher Leiter (gem. m. Prof. Dr. Brinckmann) der Forschungsgruppe Vewaltungsautomation; Mitglied mehrerer Vereinigungen und Forschungs- bzw. Sachverständigen-Kommissionen. Udo Hagedorn, Jg. 1973; Student der Sozialwissenschaften an der Universität Siegen. Karlheinz Hösgen, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht; Jg. 1962; Studium der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften; Hochschuldozent; Direktor des Erfurter Seminardienstes; Gastprofessur an der Universität Königsberg/Kaliningrad Uwe Jun, Dr. disc. Pol., Jg. 1963; Studium der Politischen Wissenschaft, Germanistik und Philosophie; 1989-1992 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Politikwissenschaft der Universität Göttingen; 1992-1997 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Europa- und Nordamerika-Studien (ZENS) der Universität Göttingen; 1997-1998 Research Fellow am Center for International Affairs der Harvard University; seit 1998 wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl „Politisches System der Bundesrepublik Deutschland / Innenpolitik" der Universität Potsdam. Leo Kißler, Dr. iur.utr., Dr. rer.pol.; Jg. 1949; Studium der Rechtswissenschaft und Soziologie an der Universität Würzburg; Habilitation in Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin; von 1982-1992 Professor für politische Soziologie an der Fernuniversität Hagen; seit 1992 Universitätsprofessor für Soziologie an der Philipps-Universität Marburg; Mitherausgeber der Buchreihen: deutschfranzösische Studien zur Industriegesellschaft und Studien zur Demokratieforschung.

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Klaus König, Dr. jur., Dr. rer. pol.; Jg. 1934; Studium der Rechts- und Staatswissenschaften; Habilitation für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre; seit 1971 Universitätsprofessor an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Lehrstuhl für Verwaltungswissenschaft, Regierungslehre und Öffentliches Recht; 1972-1982 Richter im Nebenamt; 1974-1976 Rektor der Hochschule Speyer, von 1982-1987 Ministerialdirektor im Bundeskanzleramt; Beratende Tätigkeit im Bereich Staat und Verwaltung in deutschen, ausländischen und internationalen Einrichtungen; Vorlesungs- und Forschungstätigkeiten an deutschen und ausländischen Universitäten und Fortbildungs- und Forschungsinstituten; Herausgeber und Schriftleiter von wissenschaftlichen Zeitschriften, u.a. "Verwaltungsarchiv", "International Review of Administrative Sciences". Thomas Kneissler, Dr. rer. Pol.; Jg. 1963; Studium der Politikwissenschaft und Soziologie; seit 1992 wissenschaftlichen Mitarbeiter der Forschungsgruppe Verwaltungsautomation an der Universität / Gesamthochschule Kassel. Thomas Knoll, Dipl.-Pol., Jg. 1969; Studium der Politikwissenschaft und Verwaltungswissenschaft mit Neuerer und Neuester Geschichte und Soziologie in Bamberg; 1996/1997 wissenschaftlicher Bundestagsabgeordnetenmitarbeiter; seit Ende 1997 Doktorand am Lehrstuhl für Verwaltungswissenschaft, Regierungslehre und Öffentliches Recht (Univ.-Prof. Dr. Dr. K. König) an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer. Gerhard Kral, Prof. Dr. phil.; Jg. 1953; Studium der Politikwissenschaft, Soziologie, Geschichte und Germanistik in Erlangen; 1981-1989 Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Studiengang Politikwissenschaft der Universität Bamberg; 1990 Vertretung der Professur für Politologie an der Universität Bamberg; 1991 Professurvertretung an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Köln; seit 1992 Professor für Politikwissenschaft und Soziologie an der Katholischen Stiftungsfachhochschule München, Abteilung Benediktbeuern; Koordinator der internationalen Studenten- und Dozentenmobilitätsprogramme und Beauftragter für Forschung und Entwicklung. Emanuel Richter, Prof. Dr. phil.; Jg. 1953; Studium der Politischen Wissenschaft, Soziologie, Germanistik und Philosophie in Mainz, Bonn und Paris; Habilitation 1990 in Kassel; 1991 Stipendiat der Alexander-von-Humboldt-Stiftung an der New School for Social Research in New York; 1992 Referent des Oberbürgermeisters der Stadt Kassel; 1995/96 Vertreter des Lehrstuhls für Politische Theorie und Politische Soziologie an der Technischen Universität Darmstadt; 1997-1999 Gastprofessor des Deutschen Akademischen Auslandsdienstes an der University of California in Irvine, USA; seit 2000 Professor für „Politische Systeme" im Institut für Politische Wissenschaft der Technischen Hochschule Aachen.

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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

Alexander Roßnagel, Prof. Dr. jur.; Jg. 1950; Dissertation 1950; Habilitation 1981; von 1984-1993 Professor an der Fachhochschule Darmstadt; Forschungspreis der Alcatel SEL Stiftung; 1995/96 Gastprofessor am Zentrum für Interdisziplinäre Technikforschung der Technischen Universität Darmstadt; Universitätsprofessor für Öffentliches Recht mit dem Schwerpunkt Recht der Technik und des Umweltschutzes an der Universität GH Kassel; wissenschaftlicher Leiter der "Projektgruppe verfassungsverträgliche Technikgestaltung (provet)" und wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Europäisches Medienrecht (EMR) in Saarbrücken; Herausgeber des wissenschaftlichen Kommentars zum Informationsund Kommunikationsdienste-Gesetz und Mediendienste-Staatsvertrag „Recht der Multimedia-Dienste" 1999ff. Gerlinde Sommer, Dr. phil.; Jg. 1966; Studium der Politischen Wissenschaften, Philosophie und Germanistik in Trier, Köln und Berlin; 1991/92 Mitarbeiterin in der Strukturkommission für Politikwissenschaft und Soziologie der Universität Potsdam; 1992-1997 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Halle-Wittenberg; 1996 Promotion; 1998-2000 wissenschaftliche Leiterin der Bildungsstätte am Grenzlandmuseum Eichsfeld zur Aufarbeitung der DDR-Diktatur; in der politischen Erwachsenenbildung tätig. Svetlana Stankovic, Jg. 1972; Studentin der Medienwissenschaft an der Universität Siegen Klaus Stolz, Dr. phil., Jg. 1964; Studium der Politikwissenschaft, Geschichte und Anglistik in Freiburg und Edinburgh; 1996 Promotion an der Universität Freiburg; 1995-1997 Lehrbeauftragter an der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Mannheim; seit 1998 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Europa- und Nordamerika-Studien der Universität Göttingen. Wolfgang Ulimann, Dr. theol.; Jg. 1929; Studium der Theologie und Philosophie 1948-1954 in Westberlin und Göttingen; 1954-1956 Vikar; 1956-1963 Pfarrer in der Evang.-luth. Landeskirche Sachsen; seit 1963 Dozent des kirchl. Lehramtes an der Kirchl. Hochschule Naumburg; 1978-1989 Dozent an der Kirchl. Hochschule Berlin-Brandenburg; Herbst 1989 Mitglied der Bürgerbewegung „Demokratie Jetzt"; Dezember 1989 Mitglied des Zentralen Runden Tisches in Berlin; Feb.-April 1990 Minister o.G. in der Regierung Modrow; April-Sept. 1990 Vizepräsident der Volkskammer der DDR; 1990-1994 Mitglied des Deutschen Bundestages; 1994-1999 Mitglied des Europäischen Parlaments. Raban Graf von Westphalen, Prof. Dr. M.A.; Jg. 1945; Studium der Politischen Wissenschaften, Geschichte, Geographie und des öffentlichen Rechts in Münster, Bochum und Freiburg; 1976-1982 Hochschulassistent am Seminar für wissenschaftliche Politik der Universität Freiburg (Lehrstuhl Prof. Dr. W. Hennis); 1984-1989 Mitarbeiter bei der Enquete-Kommission „Technikfolgen-Abschätzung" des Deutschen Bundestages; Lehrbeauftragter an den Universitäten Trier (1984-88) und Köln (1983-89); seit 1989 Hochschullehrer für Politikwissenschaft und öffentliches Recht an der Technischen Fachhochschule Berlin.

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Stichwortregister (Die Zahlen verweisen auf Seiten, auf denen eine vertiefte Behandlung des Stich Wortes erfolgt.) Abgeordnete(r) 3lf., 11 lf., 214ff., 232ff., 555, 605f. Abgeordnete(r), fraktionsloser 234f. Absolutismus 12f., 111, 636 Agenda 21, lokale 187f., 203, 390, 393 Alterspräsident 3 3 f. Ältestenrat 36f., 217ff., 221,237, 246, 253, 306, 568 Alliierte (Siegermächte) 44ff., 124, 144 Amt 103ff, 440 Anfragen - große 259f. - kleine 259f. - mündliche 233, 249 Anhörung (Hearing) 249ff., 561, 583, 609 Arbeit 81 ff. Arbeitsgruppen der Fraktionen 218 Auflösungsrecht, parlamentarisches 67f., 330 Aufwandsentschädigung -» Entschädigung Augsburger Religionsfriede 1 lff. Ausschuss, -wesen 37f.; 208ff., 220ff. Ausschuss der Regionen 159f. - federführender 222, 247ff., 345 - gemeinsamer 225, 293 -> Haushaltsausschuss Petitionsausschuss Verteidigungsausschuss —» Untersuchungsausschuss -> Vermittlungsausschuss Ausschussberatung, -verfahren 242f„ 256f. Aussprache - » Lesung Behörden 439ff„ 446 Beiräte 620f. Beratung -> Lesung Berichterstatter 248,251,253, 468ff.

Berichtspflicht 258ff. Berlin 44f., 51 Beschlussempfehlung(en) 250ff., 470ff. Beschlussfähigkeit 33 Beschlussorgan(e) 219ff. Budget -» Haushaltsplan Bündnis 90 / Die Grünen 512f., 518ff.

Bürgerbegehren 183ff., 497 Bürgerbewegung 525ff. Bürgerentscheid 170, 183ff. Biirgerinitiative(n) 170, 199, 395, 529ff., 548ff., 587 Bürgerliches Recht 42lff. Bürgermeister 171f. Bund-Länder-Kommission 148 Bundesakte 16 Bundesgericht 195, 365, 372, 428 Bundeshaushalt -> Haushaltsplan Bundeshaushaltsordnung 224,465 Bundeskanzler 290ff., 314, 322, Bundeskanzleramt 304fF. Bundesminister / ium 290ff. Bundespräsident 196, 313ff. Bundespräsidialamt 335ff. Bundespresseamt 588 Bundesrat 245,255, 339ff. Bundesratspräsident 344 Bundesrechnungshof 252,470, 473f. Bundesregierung 244f., 268, 322ff. - Berichte 258f. - Unterrichtungen 258f. Bundesrepublik Deutschland 45ff. Bundesrichter 328f. Bundesstaat -» föderaler Bundesstaat —> unitarischer Bundesstaat Bundesstaatlicheit -» Föderalismus Bundestag 193 - Arbeitsweise 205fF. - Geschäftsordnung 206 - Organisation 205ff. - Selbstverwaltung 215ff.

700

Stichwortregister

Bundestagsdrucksache 241 f. Bundestagspräsident Parlamentspräsident Bundestagsverwaltung 236 Bundesverfassungsgericht 137f., 363ff. Bundestagswahl(en) 153,493f. Bundeswehr, Kontrolle der 262f. Bundeszentrale für politische Bildung 198 Charte Constitutionelle 14, 29 CDU/CSU 320, 342, 519f. Computer 598 Corpus Iuris Civilis —> Römisches Recht Cyberdemocrazy 596 Daily-Telegraph-Affäre 20 Daseinsvorsorge 562, 614 Datenschutz 588, 630 DDR 47ff., 168f., 272, 487, 531 ff., 566, 643ff. Demokratie 107ff., 133ff. ->s.a. Kommunale Demokratie Demokratie, elektronische 593ff. Demokratietheorie 109, 527, 594, 636 Demonstration, -srecht 128, 199, 371,514, 638 Deutsche Einheit 49ff., 157, 179, 634, 642, 645 Deutscher Bund 14, 18 Diäten -» Entschädigung Die Grünen - » Bündnis 90 / Die Grünen DIN 622f. Diskontinuität 32, 255 Diskretionsschutz 243f. Diskriminierungsschutz 129 Drei-Klassen-Wahlrecht 166, 491 f. Drittes Reich -> Nationalsozialismus Dritter Stand 82, 111 Einheitsstaat 43, 142,495 Einigungsvertrag 51 Einspruchsgesetz 254, 347 Einstimmigkeit 36, 106, 158 Einzelplan 251, 466ff.

Elite, politische 195, 405, 55 Iff., 638ff. Enquetekommission(en) 197, 224f., 231,249,501,650 Entschädigung 153, 381 Europäische Union 413ff. Exekutive 65ff., 115f., 147ff., 313ff, 436f.,615f. Fachausschuss —» Ausschuss F.D.P. 320, 342, 520f. Finanzkontrolle -> Haushaltskontrolle Finanzverfassung 142ff., 162, 455 Finanzverwaltung 455ff. Föderaler Bundesstaat 144ff. Föderalismus 141ff., 195f.,271f., 195 Fragestunde 260 Fraktion(en) 208f., 210, 226ff., 557 - Fraktionsgeschäftsordnung 229f. - Fraktionsdisziplin 153, 230ff., 556, 573ff. - Fraktionszwang 230, 507 Frankfurter Dokumente 46 Frankfurter Nationalversammlung Paulskirchenverfassung Französische Revolution 13, 527 Freiheitsrechte -> Grundrechte Friedrich-Ebert-Stiftung 504 Friedrich-Naumann-Stiftng 504 G A T T 417

Gebietskörperschaft(en) 138, 165, 177f., 392, 406f. Gebietsreform 176f. Gegenzeichnung 17, 24f., 314f., 333f. Geheimschutzordnung 243f. Gemeindeordnung 167, 169ff. Gemeinderat 170 Gemeindeverfassung 166ff., 412 Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien 291 Gemeinschaftsaufgaben 147, 157, 458f. Gemeinwohl 129ff., 181, 188, 573f., 625f.

Stichwortregister Gentechnik, -gesetz, -recht 121, 209, 617 Georg-von-Vollmar-Stiftung 504 Gerichtsbarkeit 7ff., 428ff. Geschäftsordnung 32f. Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages 205ff. Geschäftsordnungsautonomie 29f. Gesellschaft 75ff., 547 Gleichheitsgebot 129 Gleichheitssatz 129,492 Gesetz 21 f., - Gesetzentwurf 234, 246ff. - Gesetzesinitiative, -recht 21, 66, 231, 255f., 351 f. - Gesetzesvorbehalt 21, 273, 328, 451,615 Gesetzgebung, -skompetenz 21, 154, 347, 350, 360 - sverfahren 244ff., 324ff. Gesetzgebungsnotstand 330, 352 Gewalt, rechtsprechende -> Judikative Gewalt, rechtsetzende Legislative Gewalt, vollziehende -> Judikative Gewaltenteilung 15, 115fF., 190if., 358 Gewerkschaften 558 Globalisierung 92f., 120,202, 286f., 406f., 610, 623 Goldene Bulle 7 Gouvernementalisierung 570 Grundgesetz 49, 123ff„ 152, 340 Grundpflichten 117, 130f. Grundrechte 117, 126ff. Grundrechtsschutz 108, 114, 131, 616 Gruppen im Bundestag 235 Hanns-Seidel-Stiftung 504 Haushaltsausschuss 25Iff., 468ff. Haushaltskontrolle 463ff. Haushaltsplan, -gesetz 298, 308, 335, 464ff. Hearing -» Anhörung Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 4 Heinrich-Böll-Stiftung 504

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Herrschaft 573, 597 Hofgericht 8 Hoheitsrecht 5f. Holocaust, -Mahnmal 44, 589 Honoratiorenparlament 566 Immunität 153 Indemnität 153 Informations- und Kommunikationstechnik 270, 569, 576ff„ 594ff. Inkompatibilität 25f., 314 Institution(en) 76ff„ lOlff., 191ff., 269ff. Inszenierung, politische 579ff. Interesse 546ff. Interessen / -sorganisationen -sgruppen, -sverbände 197f., 563 ff. Interfraktioneller Ausschuss 26f. Internet 587ff., 595, 599ff. Intranet 608 IWF 416f., 481 Judikative 366, 385,437, 479, 562 Jüdisches Volk 43 f. Kabinett, - sprinzip 64ff., 294ff. Kaiser - römischer 3f. - deutscher 5ff., 19ff. Kanzlerdemokratie 289 Kanzlerprinzip 118, 290ff. Koalition(en) 301ff. Kollegialprinzip 294f. Kommunalabgaben 175 Kommunalaufsicht 174 Kommune 165ff., 196 Kommunale Demokratie 165ff. Kommunale Selbstverwaltung, srecht 166ff„ 440,450ff., 460 Kommunalverfassung —> Gemeindeverfassung Kommunalwahlen 170f., 497, 536 Kommunikation 549, 563ff., 598 Konflikt 575, 578 Konkurrenzdemokratie 150, 353 Konrad-Adenauer-Stiftun 504 Konstitutionelle Monarchie -> Monarchisches Prinzip Konstitutionalismus 15ff., 116 Kontrasignatur Gegenzeichnung

702

Stichwortregister

Kontrolle, parlamentarische 256fF. KPD 47, 507 Kreise 177 Kreistag 11, 497 KSZE 542f. Länderfinanzausgleich 147f., 175f., 466f. Ländemeugliederung 150, 162f. Länderparlament(e) 143, 152ff., 162,339, 341,585, 588 - arismus 152 Landesliste 494, 558 Landesmedienanstalten 585 Landesparlament - » Länderparlament(e) Landfrieden 8ff. Landtag -> Länderparlament(e) Landtagswahl(en) 169, 341,495f. Legislative 15ff., 65ff., 152ff„ 370, 423 Lesungen 246ff., 468,470f. Lobby 552, 560, 569 Maastrichter Vertrag 414f. Magistratsverfassung 169., 171 Macht 570 Mandat 108f. -freies 134, 487ff., 556 - imperatives 134, 343 Marktwirtschaft 79ff., 477f. Massenmedien 155, 524, 548ff., 581,635 Medien 573ff. —» s.a. Massenmedien Mediation, -sverfahren 186, 393 Mehrheitsprinzip 133ff., 21 lff. Mehrheitswahlrecht 487 Menschenrechte —> Grundrechte Menschenwürde 103, 121, 127, 130, 380f. Mikroelektronik 613 Minderheitenschutz 21 lff. Ministeranklage 20, 23 Ministerialbürokratie 233, 238, 284, 300ff„ 344ff„ 56lff. Ministerialverwaltung —> Ministerialbürokratie Ministerrat (DDR) 70, 539

Ministerrat (EU) 158f.,413f. Ministerverantwortlichkeit 14, 17f., 20,23 Misstrauensvotum, konstruktives 67ff., 359ff., 525 Monarchisches Prinzip 14ff. Nachtragshaushalt 472 Nationalismus 14 Nationalsozialismus 42ff., 167, 195, 329, 364, 495 Nationalstaat 13f., 44, 167,286, 411, 542 NATO 415ff, 590 Naturschutz 479f. Neokorporatismus 283ff., 570 Neue Medien 587ff., 594 -> Medien —> Rundfunk —> Internet Norddeutsche Ratsverfassung 169, 171 Norddeutscher Bund 18, 37 Normenkontrolle, - abstrakte 368ff. - konkrete 370 Normung, technische 619ff. Normungs verbände 62 lff. Notstands Verordnung 138 Novemberrevolution 40f. Oberste Heeresleitung 25ff. Observanz —> Parlamentsbrauch OECD 417 Öffentlicher Dienst 297,441, 552f. Öffentliches Recht 426f., 446 Öffentlichkeit 198f., 240, 555, 559 Ökologie 53lff. Online-Umfragen 607,610f. Opposition 65, 153, 176,220ff., 238ff., 468ff., 528f., 537ff„ - außerparlamentarische 199, 535f. Organisationen, intermediäre 549 Organisationen, internationale 41 lff Organstreit 368f. Organwalter 440, 442 Parlament 11, 15, 28 —> s.a. Bundestag, Deutscher Parlamentarische (Hilfs-)dienste 38f., 235ff„ 620

Stichwortregister - Kontrolle —> Kontrolle - Sozialstruktur 559, 567 - Verfahrensregeln 207ff. Parlamentarischer Rat 46, 314, 317, 340,381 Parlamentarisches Gewohnheitsrecht -» Parlamentsbrauch Parlamentarisches Regierungssystem 65ff. Parlamentarisierung 19f., 23ff., 39ff„ 161, 167 Parlamentarisierungserlass 27 Parlamentarismus 575 Parlamentsauflösung Auflösungsrecht Parlamentsbeschluss 193,258 Parlamentsbrauch 28, 206, 215 Parlamentsorganisation 28ff. Parlamentspräsident 34f., 215ff. Parlamentsreform 566, 571 Parlamentsverfahren 239ff. Parlamentsverwaltung —» Bundestagsverwaltung Parlamentsvorbehalt 614ff. Parlamentsvorlage 237, 563 Parteien, -Staat 76f, 134f., 190ff., 301 ff. 35 lff., 501 ff., 530ff., 607ff., 640ff. - finanzierung 509f. - gesetz 506f. - privileg 556 - rechtsextreme 522 - system 164,499f., 516f. -verbot 371, 508 - Verdrossenheit 640

Partizipation 554, 588, 60lff., 635ff. Paulskirchenverfassung 18, 30 PDS 521 f. Petition, -srecht, -sausschuss 21, 197, 220, 261 f., 304 Planung, politische 269,296 Planungszelle 186ff., 393, 541 Plebiszit, zitäre Elemente 63, 170, 270,610 0 -> s.a. Volksentscheid Plenarsitzung, -Verhandlung 216ff., 237, 343f. Plenum 210f., 471,568 Politikberatung 619ff., 568

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-Verdrossenheit 640ff. - Verflechtung 146ff., 155ff., 268, 272, 356 - regionale 385, 406ff. - kooperative 385f., 387ff., 392ff. Politische Institutionen - » Institutionen Politische Kultur 274, 633ff. Polizei, -Wissenschaft 12f., 167 Pouvoir constituant 15, 109, 112 Pouvoir constitué 113 Präambel des Grundgesetzes 49, 51, 117f., 125 Präsidentielles Regierungssystem 69ff. Präsidium 35 - des Deutschen Bundestages 217 Privatrecht 424ff. Privilegium de non appellando 8 Privilegium de non evocando 8 Public-Private-Partnership 389ff. Rat der Volksbeauftragten 40 Reaktorsicherheitskommission 620 Rechnungsprüfungsausschuss 474 Rechtsordnung 419ff. Rechtsstaat, - sprinzip 136ff., Rederecht der Abgeordneten -» Indemnität Regenbogen-Stiftung 504 Regieren 265ff, 295ff. Regierung 193, 265ff. Regierungsentwurf 245ff. Regierungssystem(e) 55ff. Reich - altes (bis 1806) 2ff.; -1871 Kaiserreich 14ff.; 24ff.,45, 144, 166, 340 - 1918 24ff. -1933 Reichsabschied 1 lf. Reichsdeputationshauptschluss 13 Reichskammergericht 8ff.; Reichskanzler 19ff., 25ff., 291, 340 Reichskreise lOf. Reichspräsident 41 ff., 196, 317 Reichsprogromnach 44 Reichsrat 43, 339f. Reichsregierung 9ff, 26, 39ff.

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Stichwortregister

Reichstag 10f.; 19ff., 32, 32, 38, 42 f. Reichstagsbrand 42 Repräsentation 107ff., 193 ff., 525ff, 549ff., 566ff. Republik 132ff. Republik V. (Frankreich) 69ff.; 313 Republik, Weimar —> Weimarer Republik Responsible government 116 Ressortprinzip 268,294ff. Richterwahlausschuss 225, 329 Richtlinienkompetenz 67, 291 ff., 302f. Risikobewertung 628f. Römisches Recht 6f.; 103f.; 421 Runder Tisch 50, 532ff. Rundfunk, -anstalten, - system, - rat 581, 584ff. Säkularisierung 13 Schriftführer 35 SED 47ff., 522f., 532ff, Selbstauflösung —> Auflösungsrecht Selbstverwaltung, -srecht -> Kommunale Selbstverwaltung Seniorenkonvent 36f. Sitzung 216ff. Sitzungs vorstand 35 Souveränität 12, 30, 48, 109ff, 269, 288 Sozialbindung des Eigentums 128 Sozialstaat, -sprinzip 128ff. Soziale Bewegung 199, 514, 552 Sozialisation, politische 554 SPD 40f„ 320, 342 Sperrvermerk 472f. Staatenbund 14, 142, 286f. Staatsaufgaben 161, 193f., 203, 257, 295, 335, 468 Staatsbürger 125ff, 135f. Staatsgewalt 103, 107, 11 Off, 124ff, 190ff, 436f. Staatsleitung 267 Staatsziele 103, 190, 652 Stadtrat 170,497 Stand, Stände 5f.; Stenographisches Protokoll 39 Steuern 459ff.

Steuerung, politische 265ff, 276ff. Steuerungsmodell, neues 179ff, 195, 274 Subsidiarität, -sprinzip 128, 158£, 502 Tagesordnung 216f., 223, 343 Technik 613ff. Technikfolgen, -abschätzung 568 Technikrecht 614ff, 624f. Techniksteuerung 615, 628ff. Teilhaberechte 129f. Thomas-Dehler-Stiftung 504 Treuhänderschäft 108,113 Überhangmandat (e) 492,494, 496 Umwelt, -politik, -schütz 351, 479f. UN 187,412ff. Unbestimmte Rechtsbegriffe 421, 615ff. Unitarischer Bundesstaat 142, 147, 360 Untersuchungsausschuss 263f. Verantwortung lOOff. Verbände 197f., 517f„ 548ff, 638 Verfassung 28f.; 123ff, 423f. Verfassung des Deutschen Reiches (1849) Paulskirchen Verfassung Verfassungsausschuss 25 Verfassungsbeschwerde(n) 137, 363ff, 370ff. Verfassungsinitiative Verfolgungsfreiheit —» Immunität Verhältniswahl(recht) 488 Vermittlungsausschuss 254, 347ff, 703 Verordnung 450 Verteidigungsausschuss 262f. Vertrauensfrage 291, 330f. Verwaltung, -srecht 194,273f., 435ff, 457f. Volksbegehren 135, 154, 197, 392, 484, 506,514, Volksentscheid 152ff. 169, 270, 495 Volkssouveränität 15, 109ff, 125ff, Volonté générale 110 Wahl(en) 483ff.

Wahl(en) 483ff. Wahlfunktion(en) 483ff. Wahlkampf 583 Wahlperiode 255ff., 270f., 496ff. Wahlrecht 493ff.; 537f. Wahlrechtsgrundsätze 489ff. Wahlsystem 486ff. Wehrbeauftragte/r 262f. Weimarer Reichsverfassung 40f. Weimarer Republik 24ff., 144, 488 Wesentlichkeitstheorie, -grundsatz 615 Westfälischer Friede 12f. Wettbewerbsdemokratie 150 Widerstand, -srecht 108, 138, 199, 435 Wiedervereinigung, -sgebot 49, 124, 269 Wiener Kongress 14 Wiener Schlussakte 16 Wirtschaft 76ff. Wissenschaftliche Dienste Parlamentarische Dienste Wormser Konkordat 4f. W T 0 417 WWW (World Wide Web) 598 Zentrum 25 Zitierrecht 258 Ziviler Ungehorsam 199 Zivilgesellschaft 76ff., 92ff. Zustimmungsgesetz 253f., 347, 354 Zweikammerparlament, - system 17, 64 Zwei-plus-Vier-Vertrag 51, 269