Deutsches Dorf im Weltkrieg [Reprint 2019 ed.] 9783486766929, 9783486766912

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Deutsches Dorf im Weltkrieg [Reprint 2019 ed.]
 9783486766929, 9783486766912

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Deutsches Dorf im Weltkrieg

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Aston Stiegele • Deutsches Dorf im Weltkrieg

ANTON STIEGE LE

Deutsches Dorf im Weltkrieg

München und Berlin 1934 Druck und Verlag von R.Oldenbo«rg

Hinter dem breiten Wald, abseits vom lauten Leben, ging ein deutsches Dorf, kaum zweihundert Menschen fassend, Jahr für Jahr in ruhiger Sicherheit durch seinen Arbeitstag und seinen Feierabend. Der zi. Juli 1914 machte diesem glücklichen Abseits mit einem Schlag ein Ende. Der Ruf des Volkes erging an seine fernsten Söhne. Krieg und Dorf traten in ein schmerzlich ungleiches Ver­ hältnis: das Dorf nährte den Krieg mit Mann und Brot, der Krieg griff ins Dorf zurück mit Not und Tod. Dies Verhältnis wollen die nachfolgenden Aufzeichnungen, mitten im Geschehen niedergeschrieben, unverfälscht und im einzelnen fest­ halten. Dem Wahrheitsgehalt -er Kriegsvorstellung wird es zu­ gute kommen, wenn der Krieg nicht nur vom Standpunkt des Heroischen sondern auch von der Ebene einfachen Volksempfin­ dens aus gesehen wird. Das Dorf, dem die Aufzeichnungen entstammen, liegt im Schwä­ bischen, im Ulmer Winkel; es heißt Silheim. Doch Namen sind gleichgültig. Was hier geschah, spielte fich in jedem deutschen Dorfab. Gewidmet seien diese Blätter jenem „Unbekannten Soldaten" des deutschen Dorfes, von dem hier manche Zeile kündet, der in schlich­ ter Selbstverständlichkeit, mit bäuerlicher Anspruchslostgkeit, Festig­ keit und Zähigkeit die ihm auferlegte Kriegsarbeit tat ohne Heldenpose, ohne flüchtige Begeisterung, ohne große Worte, der Held war, ohne es zu wissen und zu wollen.

Zi. Juli 1914. Ein köstlicher Sommerabend. Die Witterung richtet fich für den Erntebeginn her. Nach heißem Tag erquickt nns kühle, feuchte Abendlnft; ste streicht über die üppigen Getreidefelder, an die Heuer noch keine Sense rührte. Feierabend überall... Mitte» in diesen Abendfrieden tönt schrill die Schelle des Ge­ meindedieners, zu so später Stunde—es ist halb neun—etwas ganz Außergewöhnliches. Alle Ruhe und Beschaulichkeit schwindet aus den Gesichtern, ein Schreck fährt in alle Menschen, denn ein jeder weiß: das bedeutet Unheil! Zwar schreiben die Zeitungen schon eine Woche lang von drohender Kriegsgefahr, aber wenige nur glaubten an den Ernst der Lage. Erlebten wir doch solche Spannun­ gen öfters die letzten Jahre her, ohne daß es zum Kriege kam. Nun aber steht wirklich der Unglücksbote da, hält ein Telegrammblatt in zitternden Händen und stößt in voller Aufregung das Wort „Kriegszustand" hervor. 1. August 1914. Heute, Samstag, alles ruhig. Die Erntearbeiten beginnen. Der Tag, der über Dölkerschicksale entscheidet, vergeht auf dem Dorfe in stummer Arbeit. In die Sensenhiebe aber mi­ schen sich sorgende, bohrende Gedanken, und das Niederbücken und Aufrichten der Sammlerinnen gleicht dem unsteten Auf und Ab ihrer Hoffnungen und Befürchtungen. Wie aber das ganze Dorf schon in Ruhe liegt, reißt die Gemeindeglocke nachts zehn Uhr die Schläfer aus den Bette» an die Fenster. All ihr Hoffen war Trug: „Mobilmachung befohlen; erster Mobilmachungstag 2. August 1914".

Niemand kommt auf die Straße; alles bleibt rnhig. Aber drinnen in der Kammer, da sitzt manches Weib an ihres Mannes Seite und weint, und manche Mntter beginnt dev Gedanken in sich hineinjnarbetten, daß sie ihren Sohn verlieren könnte. Und in der Wirtschaft sitzt ein Tisch solcher, die es trifft, beisammen und zer­ drückt die innere Unruhe durch ein kräftiges Soldatenlied. 2. August 1914. Morgens sechs Uhr gehe ich zum Bürgermeister, um mit ihm die Mobilmachungsgeschäfte in Angriff zu nehmen. Zwecks Fertigstellung der Pferdelisten müssen wir in einige Ställe. Die Müllerin jammert um ihre Rosse und um ihre Buben, von Lenen der jüngste dazu noch in Frankreich in Stellung ist. Und daun der Sonntagsgottesdienst! Alles Kleinliche und All­ tägliche, das in gewöhnlichen Zeiten auch vor der Kirchentür nicht haltmacht, ist heute abwesend. Feierlicher Ernst lagert über den Häuptern der Gläubigen, die in dieser Stunde zum letztenmal vollzählig beisammen sind. Ein jeder macht sich innerlich bereit, das schwere Joch, das ihm das Schicksal auflegt, in Gottes Namen zu tragen. Und zum Schluß spielt die Orgel das Lied des Volkes, das Lied der Gemeinsamkeit in aller Not: „Deutschland, Deutsch­ land über alles!" Die Akkorde fülle» das Kirchlein, die Männer stehen stumm und hart, die Frauen weinen leise, der Priester kniet an den Stufen des Altars — ein gemeinsames Kräftesammeln für das, was bevorsteht. 3. August 1914. Der erste Krieger unseres Dorfes ist abgereist. Es ist der Mahlknecht. Am Sonntag machte er beim Bürgermeister »och sein Testament und trank im Wirtshaus auf Vorrat; denn im Feld werde es wohl kein Bier mehr geben, meinte er. Heute morgen tauchte wie aus den Wolken gefallen Müllers jüng-

ster Sohn auf. Er war in Südfrankreich als Kaufmann nnd hatte gerade noch den letzten Schnellzug in die Schweiz erwischt. Nun fährt er mittags nach München, um sich bei seinem Truppentell zn stellen. Der dritte Scheidende, der jnnge Klavsenbauer, rückt voller Mut nnd Zuversicht ab. 4. August 1914. Der Dorfschmied arbeitete gestern noch bis in die Nacht, richtete Brennholz her, schmiedete, fuhr Klee heim — nachts zwölf Uhr aber mußte er fort. Heute liegt die Schmiede öde; die Schmiedin zog mit ihren zwei Kindern und ihren zwei Kühen zu ihren Eltern. Der Wagner ist seit kurzem Witwer. Die zwei Kinder, die er von seinen sechsen noch znhanse hatte, gab er in die Obhut von Be­ kannten, sperrte Werkstatt und Haustüre ab — und nun geht^s ins Feld. Er nimmt einen jungen Verzagten mit sich, eine fried­ liche Landmannsuatnr ohne kriegerischen Sinn: den mittleren Sohn des Boten. 5. August 1914. Die Landstraßen sind vielfach bewacht in diesen Tagen. An allen Dorfansgängen sitzen Straßenwächter mit Ge­ wehr und fordern Ausweis. Es sollen russische Agenten im Land sein, die in Autos oder auf Fahrrädern, verkleidet als Maurer, Geld von Frankreich über die Grenze nach Rußland bringen wol­ len. Volk und Behörden sind voller Unruhe, die harmlosesten Leute werden für russische Goldschmuggler gehalten, durch aufgeregtes Schießen ist manches Unglück geschehen. Auch wir in Silheim werden spät abends noch alarmiert. Wir müssen Nachtwachen stellen. Uber die Straße werden Leiterwagen gestellt, einige Bur­ schen wache» dabei und machen grimmige Augen.

Die vorläufig letzten Einrückenden verabschieden fich: der StraßenWärter, -er als Bizefeldwebel jur Infanterie einrückt, und der älteste Sohn des Boten, der Unteroffijier bei der Kavallerie ist. Abseits im Dnvkel steht sein Mädchen, dem er »och dev Abschied geben mnß in der Mondnacht: „Nun adjö Lowise, wisch ab das Gesicht, eine jede Kugel, die trifft ja nicht!" Auch ein Söldner mit sieben Kindern muß heute gehen. Durch staatliche Unterstützung wird seine Familie vor Not geschützt sei«. 6. August 1914. Pferdeaushebung. Früh fünf Uhr Abmarsch nach Neu-Ulm. Es werden jehn Pferde, das ist mehr als die Hälfte des ganzen Dorfbestandes, zurückbehalten und mit je 800—1200 Mark bezahlt. Schimmel werden «egen ihrer auffallende» Farbe nicht übernommen. Unser größter Bauer hat nun — jetzt, zur Zeit der Ernte — nur noch einen zweijährigen Gaul und muß mit ent­ lehnten Ochsen ins Feld fahren. Heute kommt die Nachricht, daß auch England den Krieg an uns erklärt hat und daß Italien, unser Bundesgenosse, neutral bleiben wird. Zwei schwere Schläge für die, die von außen her Hilfe er­ warteten. Sie geben ihre Hoffnungen auch jetzt noch nicht auf und rechnen—besonders die Bauersfrauen—aufJapa» und Amerika! 9. August 1914. Die Garnison Neu-Ulm benötigt täglich eine große Zahl Gespanne, um Lebens- und Futtermittel von den Bahnhöfen in die Lager zu führen. Heute mußten fünf Fuhrwerke aus unserer Gemeinde in Neu-Ulm Dienst tun. Bis vom Günz- und Kammeltal fahren solche Fuhrwerke durch Silheim; manche müssen zu acht- bis vierzehntägigem Arbeitsdienst in Neu-Ulm bleiben. Nachmittags war ich in der Bahnstation Unterfahlheim, um allev-

falls nach Ulm jv fahren. Die Zugsverbinduvgen sind aber so unsicher, -aß ich die Fahrt unterließ. Zivilisten können in den ohne Fahrplan verkehrenden Militärzügen nur mitfahren, wenn noch Plätze frei sind. Nur ein paar Züge richten sich nach einem Mobilmachungsfahrplan; sie gehören aber in erster Linie für die Ein­ rückenden. Die ganze Umgebung von Neu-Ulm hat Einquartierung. In Unterfahlheim liegen alte, dicke Landwehrleute in nagelneuen feld­ grauen Uniformen und rohledernev Stiefeln; sie warten samt ihren schweren, schon aufgesattelten und eingeschirrten Bauern­ gäulen auf die Abfahrt nach dem Westen. Ihre Frauen und Kin­ der sind «och hergefahren, um den letzten Sonntag mit ihnen zu verleben. Viel Sorge, viel Schatten liegt auf den Mienen der Frauen;undauchmancheivMannschautvachdevklichindieZukunft. Ei» Truppenzug, fürs Feld bestimmt, fährt durch die Station: ein jeder Wagen mit frischem Grün geschmückt, zuerst Pferde, dann Maschinengewehre, zuletzt die Mannschaften. I» langsamer Fahrt, unter Winken und Zurufen, gleitet der Zug weiter. ii. August 1914. Gestern tauchte plötzlich das Gesicht des Wagners wieder auf. Er war in Speyer im Quartier gelegen, wurde aber wegen überfüllung wieder in die Heimat beurlaubt. Er erzählt von großer Begeisterung und ruhiger Siegesgewißheit der Grenzbevölkeruvg, nichts von Jammer wegen der Quartierlasten, nichts von Furcht vor dem möglichen Eindringen des Feindes. Auch weiß er von einem kühnen Gerücht, daß ein Kanal vom Rhein nach Bel­ fort geleitet werden solle, um die Festung zu überschwemmen. Der Glaube daran wird bestärkt, da in Ulm große Mengen Zement verladen werden.

Die aufgeregte Zeit ist überhaupt -er fruchtbarste Boden für Ge­ rüchte. Niemand weiß, woher sie kommen, und doch begegnet man ihnen überall: in der Eisenbahn, im Nachbardorf, in der Stadt, sogar in der Zeitung. Ein jedes, es darf noch so gruselig sein, findet gläubige Menschen. Am ersten Mobilmachungstag schon wußte man in Silheim, daß in Paris die Revolution ansge­ brochen sei und die Stadt an allen vier Ecken brenne. Dann kamen die Brnnnenvergiftungen: von überallher zog die Kunde, die Was­ serleitungen seien mit Krankheitserregern verseucht worden. Dann die Spione: immer wieder erzählt man sich, ein Ulmer Kaufmann mit tschechischem Namen habe Brieftauben nach Rußland abge­ lassen und sei deswegen erschossen worden; und wenn heute einer ans Mm kommt und bezeugt, er sei im betreffenden Laden gewesen und habe den Kaufmann mit eigenen Angen gesehen, so kommt morgen ein anderer und versichert, daß er nnn mit noch zehn an­ deren Spionen ganz bestimmt in aller Frühe auf der Wilhelmsbnrg erschossen worden sei. Oder die Geschichte vom alten General­ feldmarschall Graf Häseler, der von 1870/71 her noch im Volke lebt: er soll dem Kaiser in die Hand versprochen haben, mit 50000 Mann Paris zu erobern, und bereits auf dem Wege dorthin sein. Das Drolligste aber ist folgendes. Fährt da kürzlich in der Nacht ein Leiterwagen durchs Dorf. Am andern Morgen wird allen Ernstes erzählt, auf dem Wagen seien, ans Stroh gebettet, Sol­ daten ans der Nachbargemeinde gelegen, die vor Paris verwundet und nun in ihre Heimat zurückgebracht worden seien. So sehr sind die Menschen aus dem Geleise ihrer Gedanken geworfen, -aß sie sogar dieses Märchen glauben. . August 1914. Ulm bietet jetzt das Bild eines Ameisenhaufens, dem die Ameisen unaufhörlich neue Nadeln zutragen. Eine un-

gezählte Menge Arbeiter und Soldaten ist mit Schavfel und Pikfei am Werk, um die äußere Festung kugelfest zu machen. Die Forts werden armiert. Die Leute fragen stch, wozu dies nötig ist, ob der Feind bis zu uns vordringe. Die Stadt selbst steht immer noch im Zeichen der Mobilmachung. Reservisten werden gruppenweise, ihre Uniformen am Arm, in die Quartiere geführt, Munitionswagen fahren zur Bahn, die jungen Freiwilligen mit ihren Drillichanzügen marschieren zum Baden, auf der Friedrichsau werden einige Landwehrkompagnien exerziert und neu vom Lande gekommene Reitpferde in militärische Zucht genommen. Die Zwölferkaserne in Neu-Ulm wimmelt von Soldaten des Ersatzbataillons; das 12. Friedensregiment sowie das 12. Reserve- und 12. Landwehrregiment stehen bereits im Felde. 16. August. Unsere Silheimer stehen zum Teil schon vor dem Feind. Der Mahlknecht war Teilnehmer bei der Schlacht von Mülhausen. Er schreibt, daß er sich das Kriegen nicht so schlimm vorgestellt habe, wie es ist. Ganze Dörfer seien vernichtet worden, weil sich die Be­ völkerung hinterrücks am Gefecht beteiligt und manchen deutschen Soldaten ermordet habe. Die Zeitungen melden auch aus Belgien solche Greueltaten. Gestern rückte der erste Ersatzreservist aus unserer Gemeinde zur Ausbildung ein. 18. August 1914. Die vom Arbeitsamt vermittelten Erntearbeiter aus München — Industriearbeiter, die früher auf dem Lande ar­ beiteten — berichten von großen deutschen Verlusten bei Mül­ hausen. Amtliche Verlustlisten sind noch nicht erschienen, auch sonst fließen die Kriegsberichte sehr spärlich, so daß das Volk auf Der-

mutungen angewiesen ist. Am Sonntag ist der Kaiser gegen Mainz abgereist; daraus schließt man auf baldige größere Ereignisse. 21. August 1914. Heute scheidet noch der Bürgermeister unserer Ge­ meinde. Er ist Pionier. Seine Familie zählt sieben Kinder. Die Ernte ist größtenteils beendet dank des herrlichen Wetters und trotz des Leute- und Pferdemangels. Außergewöhnliche Zeiten ent­ binden außergewöhnliche Kräfte. 22. August 1914. Die Zeitungen bringen Nachrichten von großen Schlachten zwischen Metz und den Vogesen. Brüssel wurde von deutschen Truppe» besetzt. Eine Haussammlung für das Rote Kreuz ergab hier 116 Mark. 25. August 1914. Durch Neu-Ulm fahren viele Gefangene aus Frank­ reich. Augenzeugen berichten von ihrem schlampigen Aufzug und ihren anstößigen Manieren. 27. August 1914. Die Festung Namur in Belgien ist gefallen! Man spricht von staunenswerten Leistungen unserer 42-cm-Geschütze. In Ostpreußen aber marschieren die Russen ein. Die betroffene Bevölkerung läßt alles stehen und flüchtet nach Berlin, wo die Zahl der Notleidenden ohnehin schon groß ist. 28. August 1914. Die Zeitungen bringen eine lange bayerische Ver­ lustliste. Und doch ist sie nur ein Punkt aufs i gegenüber der wirklichen Zahl der Gefallenen. So werden jetzt in jeden Sieges­ jubel die Wermutstropfen fallen. Auch unser Mahlknecht sollschwer verwundet sein. 29. August 1914. Der Wartesaal in Unterfahlheim ist in ein Wach­ lokal umgewandelt für die von den umliegenden Gemeinden ab-

zustellenden Posten, die den Bahnkörper gegen böswillige Jerstörvngen zu schützen haben. Ans unserem Nachbardorf vernehmen wir Böllerschüsse. Die sehn­ lichst erwartete Zeitung bringt: Zurückwerfen der Franzosen und Engländer auf der ganzen Linie von den Vogesen bis Belgien. Bei dieser Nachricht spüren wir, daß vor dem Ansturm der deut­ schen Soldaten nichts bestehen kann, und wir werden zuversicht­ lich. Und noch eine gute Zeitung: eine siegreiche Russenschlacht gegen fünf Armeekorps, die bis Ortelsburg vorgedrungen waren. 30. August 1914. Der ungediente Landsturm ersten Aufgebots ist aufgerufen, sich zur Stammrolle zu melden. Dahier kommen fünf Männer in Betracht. Die Bauern fahren bei günstigstem Wetter vorzügliches Grummet ei«. Pferde sieht man nicht mehr viel, die Bauern spannen Ochsen ein. Die Fleischpreise sind nicht gestiegen: ein Pfund Kalbfleisch kostet 80 Pfg., Rind- und Schweinefleisch 85 Pfg. Weißbrot hat etwas aufgeschlagen: eine Semmel kostet 3 (früher 2%) Pfg. Viele Leute haben sich gleich bei Kriegsbeginv, die ganz Vorsichtigen schon in de» letzten Friedenstagen, mit Lebensmittelvorräten versehen. Da die Kauflust für Textil- und Metallwaren gering ist, sind sie eher billiger als teurer geworden. Man sagt sich: Kommt der Feind ins Land, so kann man keine Waren, wohl aber Geld mit auf die Flucht nehme». Der Unterricht beginnt nach den Ferien gleichmäßig an allen Schulen des Bezirks am 18. Oktober. Die Franzosen haben Lille geräumt, die Engländer wurden bei St. Quentin geschlagen; die Leute berechne» schon, daß unsere Truppen in einigen Tagen in Paris sein könnten!

ZI. August 1914. Die Grummeternte ist reichlich, so -aß die Bauer«

ihr Jungvieh behalten können. Die Sorge des Bauer» ist heute, da die Einfuhr aus dem Auslande aufgehört hat, zur Sorge des ganzen Volkes geworden. Es wird sich nun zeigen müssen, inwie­ weit unsere Landwirtschaft das Volk ernähren kann. Zur Zeit werden Merkblätter verteilt, worin der Landwirtschaftslehrer den Bauern verschiedene Ratschläge zur Mehrung und Streckung der Erträge erteilt, z. B. Stoppelfrucht zu bauen: Buchweizen, Senf. Das gehe nicht, sagen die Bauern, unsere Böden hielten es nicht aus, auch sei der Arbeit ohnehin schon zu viel. Dann: den Brot­ roggen bis zu einem Drittel mit Gerste zu mischen, so daß die Gerste mehr der Volksernährung als der Bierbrauerei zugute käme. Ferner: statt Weißbrot Schwarzbrot zu essen, weil Deutschlaad nicht Weizen-, sonder« Roggenlavd ist. Und endlich: das Jungvieh zu behalten, statt es zu Schleuderpreisen an Händler ab­ zugeben, welche sich als Armeelieferanten aufspielen. 1. September 1914. Heute erfahren wir Einzelheiten über die große Ruffenschlacht. General Hivdenburg schlug die fünf Armeekorps fast bis zur Vernichtung. Er drängte sie an die masurischen Seen und Sümpfe, so daß sie nicht mehr auskonnten. Zuerst wurden 30000 Gefangene gemeldet, dann 70000; nur 1% Korps konnten sich unter schweren Verlusten über die Grenze retten. Die Leute freuen sich über den Sieg, haben aber Besorgnis wegen der vielen Gefangenen, mit denen wir unser knappes Brot nun teilen sollen. Manche verirren sich sogar zu der Meinung, es wäre besser ge­ wesen, die Gefangenen zu erschießen. Ein Gesuch der Gemeinde um 1500 Mark Darlehen aus der Bezirkssparkasse zur Tilgung einer Brückenbauschuld wird wegen der 16

Kriegslage abgelehnt. Das Bezirksamt erklärt dazu, baß von der halben Million, die in unserem Distrikt für ansgehobeve Pferde ausbezahlt wnrde, nur 4000 Mark bei der Sparkasse angelegt worden seien. Die Bauern glauben eben, das Geld sei jetzt im Kasten am fichersteu aufgehoben; auch besteht Abneigung gegen das viele Papiergeld, das seit Mobilmachung im Verkehr ist. Neu-Ulm ist sehr belebt. Laudwehrmävuer marschieren mit ihren wildwachsenden Bärten in die Kaserne. Der Bahnhof ist mili­ tärisch abgesperrt. Eine Zuschauermenge in der Bahnhofstraße wartet ständig auf die Ankunft von Gefangenen- und Verwun-etevzügen, deren täglich mehrere durchfahren, überall herrscht Siegeszuversicht und gehobene Stimmung. 3. September 1914. Der gestrige Sedanstag fand eine Eriuuerungstat. Zwischen Reims und Verdun wurden zehn vordringende feindliche Korps geschlagen. Unsere Nordarmee dringt unaufhalt­ sam gegen Paris vor; fie ist noch 60—80 km von der Hauptstadt entfernt. 4. September 1914. Die Feldpost arbeitet schlecht. Die Soldaten haben noch keine Nachricht ihrer Angehörigen erhalten, trotzdem diese fleißig schreiben. Die nun häufig erscheinenden Verlustlisten weisen noch keinen Na­ men aus unserer Gegend auf. Unser Mahlknecht wurde totgesagt, das Gerücht hat fich aber nicht bestätigt. Der Wagner mnß wieder einrücken. 5. September 1914. Der Sieg in Ostpreußen erweist fich immer noch umfangreicher in seiner Auswirkung. Als Ergebnis werden jetzt 90000 Gefangene und 516 erbeutete Kanonen gemeldet. Das

war eine Hermannsschlacht! Mit wenig Erfolg dagegen ringen seit einer Woche in Galijien die Österreicher gegen die Rvssev. Im Westen sind Laon und La Fere übergeben; deutsche Reiter streifen vor Paris, dentsche Flieger werfen Bomben und Fähnchen auf die Straßen der französischen Hauptstadt. Die Regierung flüch­ tete, wie 1870, nach Bordeaux, nachdem sie den Parisern Mut zu­ gesprochen hatte. Viele Leute glauben an baldige Beendigung des Krieges. 6. September 1914. Wie hat sich das sonntägliche Straßenbild Ulms gegen früher verändert! Die Straßen wimmeln von Men­ schen: Soldaten mit Frauen und Kindern, Soldaten mit Vätern, mit Müttern, junge Freiwillige mit Freunden in Zivil — alle möglichen Zusammenstellungen find zu sehen, bei keiner aber fehlt der Soldat. Um ihn dreht fich jetzt alles. Er ist der geachtetste Mann im Volk. Die vornehmsten Frauen, die ihren Gatten in der Kaserne besuchten, unterhalten fich im Eisenbahnzvg aufs liebenswürdigste mit einem in ihrer Nähe sitzenden Soldaten ohne Rang.

Auf dem Bahnhof herrscht unheimliches Gedränge, denn es ver­ kehren nur vier Züge: morgens 6,25 Uhr und 12,25 Uhr, ebenso abends 6,25 Uhr und 12,25 Uhr. Meistens sind Frauen vertreten, die vielleicht zum letztenmal ihren Mann, ihren Bräutigam, ihren Sohn sehen wollte«. 7. September 1914. Aus den ersten Nachrichten vom Felde einige Auszüge: Alois Denzel, ein Sohn des Müllers, der von Norddeutschland aus, wo er in Stellung war, als Sanitäter einrückte und den Vor­ marsch gegen Paris mitmachte, schreibt: „St. Ingbert am 6.8.14.

Auf der Fahrt nach Paris in fröhlicher Stimmung. Wir bekom­ men eben durch das Rote Kreuz zum viertenmal zu essen..." — „Bufferdanze am 16.8.14. Franzosen habe ich bis heute noch nicht gesehen. Bis jetzt macht das Ganze den Eindruck, als ob wir im Kaisermanöver wären, nur daß immer scharf geladen ist und wir ab und zu auf fremde Flieger schießen..." — „In Belgien am 21.8.14. Bin bis heute noch gesund, aber sehr müde. Die letzten drei Tage unter tropischer Hitze sehr große Märsche gemacht, heute früh von 3 bis 5 Uhr das erstemal geschlafen..." — „Bertrix am 24. 8.14. Wir hatten von Samstag morgen bis Montag mittag eine große Schlacht, anfangs gegen doppelte Übermacht. In der größten Not erschien das 8. Armeekorps als rettender Engel. Unser Verbandplatz wurde plötzlich von Granat- und Schrapnellfeuer überschüttet; in größter Eile machten wir uns davon. Die Schwerverwundeten mußten wir zurücklassen; die, welche gehen konnten, mußten mit uns 5 km lang unter Geschoß­ hagel hindurch. Die Verstümmelungen und Verwundungen waren schrecklich. Am Samstag abends 9% Uhr begann unsere Armee wieder vorzugehen; bis Montag mittag dauerte die Schlacht, wir sind während dieser Zeit 60—70 km vormarschiert. Nun eben einige Stunde» Rast. Wir stad in einem feinen Hotel und trinken alle möglichen Sorten Weine, Schaumweine und Rum, wie's uns behagt..." — „26.8.14. Den Feind zurückgeschlagen und große Eroberungen gemacht. Auf dem Marsch nach Paris..." Max Zimmermann, der Schmiedmeister, der bei der Gaskolonne -er Luftschifferabteilung dient, schreibt aus Sionville an seine Frau: „Vier Wochen bin ich von Euch fort, habe seitdem schon dreimal geschrieben, jedoch bis heute noch keine Antwort von Euch erhalten. Die französischen Flieger hatten es in den letzten Tagen

sehr oft auf unser» Balloa abgesehen, jedoch ohne Erfolg. Wir schossen mit Gewehre» und die Artillerie mit Geschütze» auf sie, trafen aber keinen. Besser als wir trafen unsere Truppen vor dem Feinde, das beweisen die vielen Verwvndeten und Gefangenen, die ständig an uns vorüberziehen. Eine Bitte: Sende mir doch etwas znm Rauchen! Es gibt hier nichts, bloß einmal tm Tag Essen. Wenn der Feldzug noch lange dauert, kann ich auch noch Socken, Unterhemden und Unterhosen brauchen..." Wenn das Schicken so einfach wäre! Die Feldpost nimmt keine Pakete, sondern nur Feldpostbriefe bis zu 250 g Gewicht an. Wie soll nun da ein Hemd oder eine Unterhose befördert werden? Es find nur leichte Sachen möglich, wie Socken, Pulswärmer, Zigarren. 8. September 1914. Es geht das Gerücht, auch Spanien habe uns den Krieg erklärt. Die Österreicher mußten Lemberg den Russen überlassen. Im Westen dagegen ergab'sich, wie ein alter Veteran von 1870/71 voll Freude im Dorf verkündet, die Festung Maubeuge sttiMoooo Gefangenen. Das wird den in den letzten Tagen etwas trübe ge­ wordenen Mut des Volkes wieder heben. 9. September 1914. Die Unterstützung, die dev Familien von Kriegern anfAnsuchen gewährt wird, beträgt: für die Fra»9Mark, für jedes Kind 6 Mark monatlich. Im Winker erhöht sich der Satz für die Fra» um 3 Mark. 10. September 1914. Südöstlich von Paris soll eine große Schlacht begonnen haben; auch bei Lemberg wird neuerdings gekämpft. Vom Ausgang dieser beiden Unternehmungen wird vieles ab­ hängen.

Eine Wäschesammlung fürs Rote Kreuz nahm guten Anfang. Die Lrvte bringen beste, meist neue Wäsche ins Schnlhans, darunter vieles aus selbstgesponnener Leinwand. 13. September 1914. Die Schulmädchen kommen, da es heute Sonn­ tag ist, ins Schulhaus zum Stricken; die Großen stricken Socken, die Kleinen Pulswärmer für unsere Wäschesammlung. Die Gaben hierzu häufen fich zu erfreulichen Mengen, dabei das meiste aus guter alter Bauernleinwand. Wie muß es einem Verwundeten wohltun, wenn er in ein so kühles, sauberes Hemd schlüpft, und wie vertraut wird ihn das Leintuch aus der Heimat grüßen! Eine Reichsanleihe zu 5% im Kurs von 97,5 ist ausgeschrieben. Unsere Bauern können stch vorerst nicht recht befreunden mit dieser Art Geldanlage. 14. September 1914. Landsturm-Musterung in Neu-Ulm. Der alte Major hält eine militärisch schneidige und doch warme Ansprache an seine „lieben Landsturmleute" und dann wird oberflächlich die Menge Leute durchgemustert. Die meisten werden tauglich. Auf Straßen und Bahnhöfen Ulms begegnet man Verwundeten. Sie erzählen jedem, der etwas hören will. Der eine hat eine Schuß, wunde durch die linke Achsel, ist aber schon wieder munter und möchte bald wieder ins Feld; einem andern fehlt der Daumen, ei» dritter wurde beim Sprung durchs Handgelenk geschossen; ein vierter trägt, in eine Leinenbiade eingewickelt, ein Seitengewehr, das er einem Franzosen, der ihn durch dev Fuß geschossen, im Kampfe abgenommen hat.

3« Zug sitzen fünf Erkrankte, die von Lvveville aus heimgeschickt wurden. Seit vier Tagen sind sie unterwegs. In gedrückter Stim­ mung berichten sie: die Deutschen gingen zurück, es sei unmöglich.

die Franzosen ans ihren Verschanznngen bei Tonl zu vertreiben; die Verluste der Deutschen seien nicht geringer als die der Fran­ zosen; im Elsaß und in Lothringen wolle niemand deutsch ver­ stehen; auf einer Einöde hätten fie Wasser verlangt, eS sei ihnen aber bedeutet worden, in der ganzen Gegend gebe es keines — danach hätten fie vor dem Haus einen mit Mist zugedeckten Zieh­ brunnen gefunden. Auch wir im Lande herinnen spüren, daß der Kampf nun schwer wird. Die Franzose» setzen in der Rieseuschlacht bei Paris ihre letzten Kräfte ein, die Schlacht ist noch unentschieden. Die Öster­ reicher mußten vor Lemberg auf der ganzen Linie weichen. Sollten die Russen nach Wien kommen? i?. September 1914. Die Feldpost arbeitet nun, nachdem anfangs die Briefe aus militärischen Gründen zurückgehalten worden sind, besser. Die Beförderung eines Briefes ins Feld dauert durch­ schnittlich eine Woche. Dem Übelstand, daß die Feldpost keine Pakete übernimmt, will nun dadurch abgeholfen werden, daß mit Lastautos oder gemieteten Eisenbahnwagen Liebesgaben für ein bestimmtes Regiment übersandt werde». Von Neu-Ulm geht diese Woche noch ein Wagen fürs 12. Infanterieregiment ab. Wir ent­ schließen uns, einen Teil der gesammelten Wäschestücke bei dieser Gelegenheit mitzugeben, und packen zusammen: 27 Paar Socken, 5 Hemden, 2 Unterhosen, 20 Taschentücher, 2 Paar Pulswärmer und 50 Zigarren. 17. September 1914. Auf der Gänswiese in Ulm find kriegsgefangene Franzosen in Holzbaracken untergebracht; der Platz ist mit 2% Meter hohem Stacheldrahtzaun umringt. Der Eindruck, den die Gefangenen mache», ist nicht so ungünstig, wie es die

Zeitungen darstellen. Sie sehen zwar in ihren weiten Hosen etwas schlampig ans, sind aber nicht weniger kräftig als unsere Soldaten. Die Spannung auf den Ausgang der großen Schlacht vor Paris ist aufs höchste gestiegen. Die amtlichen Berichte sind kurz und nüchtern, sie sagen nur, daß die Schlacht fortgehe und sich bis Verdun ausgedehnt habe. 18. September 1914. In drei Kisten geht die fürs Rote Kreuj ge­ sammelte Wäsche nach Augsburg ab: 5 Kopfkissen, 17 Kiffenüber­ züge, 2 Bettüberzüge, 1 Strohsackhülle, 13 weiße Hemden, 13 weiße Leintücher, 7 wollene Bettücher, 33 Handtücher, 3 Paar Socken, i Taschentuch und ein Stück Leinwand. Nun soll auch noch für die ostpreußischen Flüchtlinge gesammelt werden. Mit Ernst und Zuversicht, aber ohne Siegesgewißheit, warten wir Tag für Tag auf die erlösende Meldung aus dem Hauptquartier über den Ausgang des Ringens im Westen. Wir fühlen, daß dort die Entscheidung liegt. Anton Zoas, ein Sohn des Boten, liegt beim 12. Reserve-Infan­ terieregiment vor Toul. Er schreibt nach Hause: „Rauville bei Luneville am 9.9.14. Wir sind schon acht Tage auf dem gleichen Fleck, und es geht nicht vorwärts. Die schwere Fußartillerie schießt die Festung Toul zusammen, dann wird bald Schluß sein. Die Offiziere sagen, der Krieg soll noch drei Wochen dauern. Ich war gestern nachmittag in einem Dorf, welches ganz zusammenge­ schossen ist, um Vieh zu holen. Das Vieh läuft fast nur mehr im Freien umher. Wir erbeuteten zirka 50 Schafe, 10 Schweine, aber kein Rindvieh. Es war ein ganz netter Trieb für unser Bataillon. Heute gibt es Hammelfleisch mit Kartoffeln. An Fleisch fehlt es nie, nur Brot ist zu wenig da. Jetzt denke ich oft, wenn ich nur eine

gute Mehlspeise hätte zur Abwechsluug! Deuu immer Fleisch, mit, tags und abends, alle Tage, das ist zu viel. Morgens gibt es Kaffee, untertags manchmal Tee. Obst haben wir ungemein viel, hauptsächlich Zwetschgen und gelbe Pflaumen. Ich koche mir nun gleich einen Feldkessel voll Zwetschgen. Sie sind wohl noch nicht ganz reif, aber ich nehme halt etwas mehr Zucker dazu. Geld habe ich bisher noch keinen Pfennig brauchen können, das hat bet uns so viel wie gar keinen Wett." 19. September 1914. Heute werden vom Westen Teilerfolge mit einigen tausend Gefangenen gemeldet, dazu der schwerwiegende Satz: „Die Mtte der deutschen Armee gewinnt langsam, aber ficher Boden." Deswegen wurde wohl geschossen und geläutet gestern io der Umgegend. Zum Jubel ist es aber zu früh! Kanu man überhaupt—auch bei günstigem Ausgang—in laute Freude ausbreche« angefichts der Opfer auf beiden Seiten? 20. September 1914. Ernster, banger Sonntag. Er brachte kein Wort über den Verlauf der Kämpfe im Westen; der Zweifel am Gelingen beginnt zu nagen. Die Kinder sind wieder beim Stricken im Schulhaus. Der Para, menten- und Burschenverein gaben zusammen 30 Mark, die Ge, meinde 10 Mark für Wolle, so daß nun alle Hände stricke» können, die guten Willens sind. Die Zeitungen bringe» die Verlustliste des 12. Regiments; sie enthält viele Krieger aus unserer Gegend. Das Bezirksamt warnt die Bauern, zu junges Vieh zum Schlach­ ten zn verkaufen, weil dadurch der künftige Fleischmartt geschwächt wird.

21. September 1914. Die Leute sind i« der Kirche, wie jede» Abend jetzt, uud beten den Rosevkranj für unsere Krieger. Die Elektrowerke erhalten nur mehr beschränkte Kohlenmengev, können daher nicht mehr so viel Strom abgeben wie bisher. Die Bauern sollen daher nicht alle gleichzeitig die Motoren benützen, sondern abwechseln; sie halte» sich aber nicht daran. 22. September 1914. Die Heeresberichte bereiten darauf vor, daß die französische Schlacht in nächster Zeit nicht zur Entscheidung kommen wird. Oer Kreis Schwaben hat bereits 275000 Mark Sammelgelder an die Landessammelstelle abgeliefert. 23. September 1914. Vom Nachbardorf her schallen drei Schüsse. Ein deutsches Unterseeboot hat drei englische Panzerkreuzer ver«ichtet. Jede Niederlage der Engländer nimmt das Volk mit großer Genugtuung auf, weil sie ohne Not, nur aus kalter Berechnung in den Krieg eingegriffen haben. Reims wurde von den Deutschen wieder geräumt. Damit wird offenbar, wie weit sie zurückweichen mußten während der letzte» Kämpfe! 24. September 1914. Es war das Unterseeboot U 9 mit 25 Mann Besatzung, das mit drei Torpedoschüsse« die drei englischen Kreuzer versenkte; die Schiffe sanken in 4—5 Minuten, 2000 Mann Be­ satzung gingen mit unter. Auch ein Geldsieg — ist dieser Krieg doch auch ein Geldkrieg — ist in diesen Tagen errungen worden: die Reichsanleihe ergab eine Zeichauvgssumme von 4% Milliarden Mark.

25. September IYI4. Seit mehr als 14 Tagen tobt die Schlacht im Westen, ein Ende ist nicht zn ahnen. So wir- die Sorge vm den Ansgang immer -rückender, und es schleichen sich Gedanken ein, wie: Wenn wir verlören? Wenn die Farbigen aus Bengale«, Tunis, Marokko, wie fie Engländer und Franzosen herbeischleppen, deutschen Boden beträten? 27. September 1914. Eine Kartoffelsammlung für arme Familien des Bezirks, vorgenommen von Schulmädchen, ergab 7 Zentner. Die Reihe des Einrückeus kommt nun an die 20 jährigen Rekruten, die Heuer ohnehin militärdienstpfiichtig gewesen wären. Bon hier trifft es zunächst zwei, dev einen zur Fußartillerie, deu andern zur Infanterie. Sie werden frische Kraft ins ermüdende Heer tragen. Die Feinde machen weit unten bei Bapaume schwere Angriffe zur Umfassung des rechten deutschen Flügels. Dagegen gelang es dev Deutschen, zwischen Toul und Verdun ein Sperrforts — Camp des Romains — zu nehmen und die Maas zu überschreiten, um so auch ihrerseits den Feind im Rücken zu bedrohen. 30. September 1914. Die Bauern werden aufgefordert, ihren Haber ans Proviantamt zu liefern, da das Heer großen Be­ darf hat. Am Abend hören wir aus der Nachbarschaft fünf Böllerschüsse. Wir lauschen und zählen, um aus der Zahl die Wichtigkeit des Ereignisses zu ermessen. 1. Oktober 1914. Der Böllerschütze des Nachbardorfes hat wenig Urteilskraft; seine Schüsse galten einem fürs Ganze unwichtigen Ereignis: der Kreuzer „Emden" hat im Indischen Ozean wieder einige englische Transportschiffe versenkt.

In Galizien müssen deutsche Truppen den Österreichern zu Hilfe kommen. Rumänien droht umzufallen. Alois Denzel liegt vor Reims. Er schreibt von schweren verlust­ reichen Kämpfen. „Unser Gegner hat fast uueiuuehmbare Stel­ lungen. Unser Regiment ist heute von der Feuerlinie zurückge­ zogen worden und hat somit den ersten Ruhetag während des ganzen Feldzugs." 4. Oktober 1914. Viele Leute können die Kriegsereigniffe nicht richtig bewerten; ein kleines Gefecht nehmen sie für eine große Schlacht und den Fall eines Forts für die Übergabe der ganzen Festung. So erzählt heute einer, in Ulm sei angeschlagen, die Österreicher hätten die Russen völlig besiegt und aus dem Land vertrieben und im Westen seien die Franzosen gehörig geschlagen worden. In Wirklichkeit schlugen die Österreicher 1% russische Brigaden, die die Karpathen überschreiten wollten, zurück und in Frankreich wurden einige Stellungen der Franzosen genommen. 7. Oktober 1914. Pferdemusterung in Kadeltshofen. Wir haben nur mehr sechs Pferde zu stellen, die übrigen sind ohnehin schon kriegsunbrauchbar. Von den sechsen wird eines tauglich befunden. 10. Oktober 1914. Böllerschießen — ungewöhnlich oft. Auf der Bahnstation, als der Zug einfährt, verkündet ein Reisender: Ant­ werpen ist gefallen! Damit ist der letzte belgische Widersiaud im Rücken unseres Heeres gebrochen. Die Gemeindekasse liefert 340 Mark Gold an die Rentamtskasse Neu-Ulm zum Umtausch gegen Papiergeld ab; das Reich ruft da­ nach zur Stärkung seines Goldgrundstocks. Das erste bayerische Armeekorps wurde nun von der lothriugi27

scheu Grenze weg «ach Rordfravkreich verschoben; die Front reicht dort jetzt bis ans Meer. Die Russen sind wieder in Ostpreußen eingedrungen. Hiudenburg wird schon kommen! . Oktober 1914. Einige Feldpostbriefe von Andreas Ebner geben Auskunft über die bisherigen Kämpfe eines unserer Heimatregi­ menter, des 12. Reserveregiments, das anfangs in Lothringen stand und nun nach Nordftankreich verlegt wurde. „Blemery, 25. 8. 1914. Wir liegen zur Zeit vor Luneville im Kampf mit dem letzten Fort, die andern sind bereits gefallen. Heute nacht soll der Sturm beginnen. Die letzte Woche hatten wir mehrere schwere Gefechte mit den Znaven und Franzosen; sie wurden überall zurückgeschlagen, es kostete aber viel Blut. Unser Regiment verlor 500 Manu. Alarm! Lebt wohl!" „Bor Toul, 4. 9. 1914. Liebe Schwester! Soeben komme ich von der ersten Belagerungslinie zurück. Wir trieben die Franz­ männer über die Vogesen zurück, jetzt haben sie sich in Toul festgesetzt. Die erste feindliche Fortslinie soll heute nacht ge­ stürmt werden, wir haben schon die Handgranaten in den Ta­ schen. DaS Elend in dieser Gegend ist groß. Die Einwohner schießen auf Patrouillen und kleine Abteilungen, was zur Folge hat, daß ganze Ortschaften niedergebrannt werden. Zum Schreiben gibt es wenig Zeit; meistens sind wir so müde, daß wir um­ fallen und einschlafe». 6.9.1914. Gestern hatten wir wieder ein schweres Gefecht mit den Turkos vnd Znaven. Die Kerle haben nicht viel Schneid und gehe» dem offenen Kampf aus dem Wege. Hier gibt es viele große Wälder, da legen sie sich in Hinterhalt, und bis man zu ihnen herankommt, sind sie

auf und davon. Wevv Du mir eine» Dienst erweisen willst, so schicke mir ein kleines Kästchen Zigarren und ein Paar gute Socke». Aber bald abschicken, da die Sachen sehr lang brauchen; ich bekam gestern erst einen Brief vom 5. August. Nun leb wohl, und sollte ich im Feldzüge fallen, so bewahre mir eia gntes Andenken, ich bin für eine gute Sache gefallen. Die Schrift mußt du entschuldigen, ich schreibe auf dem Erdboden." „Chateau—Satins, 20. 9.1914. Ihr könnt Euch meine Frende denken, als ich dev Brief und die Zigarren erhielt. So eine Zigarre ist ein Hochgenuß, wenn man Tag und Nacht im Schützen­ graben steht. Wir liegen zur Zeit in Verteidigungsstellung bei Nancy, dürfen nicht vor und nicht zurück und müssen jeden Tag den schönsten Geschoßhagel über uns ergehen lassen. Ver­ mutlich sind die Hauptstreitkräfte nach Norden abgegangen." 12. Oktober 1914. Die Schlacht in Frankreich dauert nun einen Monat. Unsere Krieger lassen nichts hören, die Post wird wohl wieder zurückgehalten. Alles glaubt, daß die Entscheidung bald fallen müsse. Die Böllerschüsse des heutigen Morgens galten keinem Sieg, son­ dern waren der letzte Gruß der Heimatgemeinden au ihre ge­ fallenen Söhne, für die Trauergottesdienste veranstaltet wurden. Wie viele solcher Feiern find wohl täglich im weiten deutschen Land? 14. Oktober 1914. Der bunte Herbst liegt auf Tal und Höhen. Die Sonne arbeitet sich durch die Morgenuebel und vergoldet die Land­ schaft, Weideglocken läuten im Wiesengrund, der Rauch von Kar­ toffelfeuern zieht stundenweit durch die klare Luft und verbreitet Herbstgeruch. Bilder des Friedens: was wollen ste heute, wo wir

an jerftampfte Schlachtfelder und zertretene Getreidehalme denken müssen, wo unsere Herzen in Krankenhäusern und unsere Augen auf Landkarten von Kriegsschauplätzen «eilen? Wir stehen vor großen Entscheidungen im Weste» und Osten. 15. Oktober 1914. Die Bauern «erden zum zweitenmal aufgefordert, Haber und Weizen an das Proviantamt zu bringen. Solch allge­ meine Aufforderungen haben indes wenig Wirkung, da verläßt fich einer auf den andern. 17. Oktober 1914. Kirchweihsamstag. So mancher Krieger wird heute au die vollen Fleischtöpfe der Heimat denken und an die beim Ab­ schied gehegte Hoffnung, an Kirchweih wieder zu Hause zu sein. 19. Oktober 1914. Schulanfang. Wir lesen das Gedicht: „Treue Liebe bis zum Grabe schwör ich dir mit Herz und Hand, was ich bin und was ich habe, dank ich dir, mein Vaterland!" Alois Denzel schreibt aus Fresnoy am 10. Oktober: „Seit sechs Tagen sind wir schon hier, und es geht sehr langsam vorwärts. Die Angriffe werden fast ausschließlich bei Nacht gemacht und jeder Angriff kostet immer größere Verluste. Unsere Schützengräben sind 400—800 Meter voneinander, und sobald einer bei Tag den Kopf herausstreckt, wird das Feuer eröffnet." Joas Anton schreibt aus Arras, die Schützengräben seien dort nur 100 Meter gegeneinander, die Zuaven werden zum Angriff vor­ geschickt, nur nachts werde Nahrung verteilt und Ablösung vor­ genommen. 22. Oktober 1914. Getreidepreise: Weizen 14,50 Mark, Roggen 13,60 Mark, Haber 11,20 Mark, Gerste 11,50 Mark. Die Zeitungen er­ wägen die Frage, ob Höchstpreise zweckmäßig wären. Kürzlich brachten die Zeitungen ein Wort des Kaisers zu den Sol-

daten: „Bis das Laub von den Bäumen fällt, seid ihr alle wieder z« Hanse." Daran klammern sich nun die Frauen und hoffe» bis Weihnachten sicher auf ein Ende. Auch gehen schon seit Kriegs­ beginn Gerüchte von Kometen nnd allerlei Figuren am Himmel. Auch -er hundertjährige Kalender schreibe den Krieg voraus uud sage bis Weihnachten Frieden an. Die Leute glauben alles, je wnnderbarer, desto lieber. Ein Herbstfinrgang zeigt die Felder im besten Zustand; alle Herbst­ arbeiten sind getan, die jnnge Saat sprießt schon wieder und die übrigen Äcker sind zur Winterruhe hergerichtet. 26. Oktober 1914. Der Söldner Gottfried Kuhn schreibt am 18.10. nach Hanse: „Wir liegen 60 Meter vor dem Feind. Da heißt es aufpassen, denn wenn sich ein bissel was regt, dann schießen sie gleich das reinste Schnellfeuer. Wir sind immer drei Tage im Schützengraben und werden wieder einen Tag abgelöst. Die Schwarzen, die haben den Fluch, das sind ganze Wildschützen. Die Franzosen dürfen wir nicht scheuen, die laufen gleich davon. Ganze Dörfer sind zusammengeschossen und niedergebrannt. Und wie das Vieh bellt! Das bekommt nichts zu fressen und z« saufen mehr. Hie und da sieht man noch einen alten Mann nnd ein altes Weib nnd Kinder. Die Kinder betteln uns um etwas Essen an, was man ihnen gerne gibt. Heute ist nun Kirchweih; wir haben Rast bis abends 6 Uhr; da müssen wir wieder vorrücken ins Ge­ fecht; hoffentlich wird es gut vorübergehen. Mit dem Kirchweih­ braten ist es heuer nichts; wir hatten Erbsensuppe mit Fleisch." 28. Oktober 1914. Ein Vertreter des Proviantamts ist hier und kauft Weizen nnd Haber auf. Die Bauer» und Bäuerinnen bringen ihm Muster ihres Getreides.

Die Kämpfe in Nordfrankreich gehen hartnäckig fort. i. November 1914. Ein Vierteljahr Krieg. Wie gnädig ging er bis­ her an nnserer Heimat vorüber! Wir haben keinen Gefallenen $n beklagen, wir leben fast wie im Frieden: die Lebensmittel find kaum tenrer, die Kinder gehen jnr Schule, die Alten ins Wirts­ haus, die Felder sind angebaut, die Stenern werden eingehoben, die Löhne ansbezahlt. Das Geld aber ist ans Papier; bis zu einer Mark herunter gibt es Banknoten und Darlehensscheine. An der Ostgrenze weichen unsere Truppen vor der russischen Über­ macht zurück. Was soll dort werden? Im Schwarzen Meer haben Türken nnd Russen die Feindseligkeiten gegeneinander eröffnet. Damit ist die Türkei, wie voranszusehen war, an unsere Seite getreten. 3. November 1914. Sechs Militärfuhrwerke holen das vorige Woche aufgekaufte Getreide, im ganzen 280 Zentner, ab. In der Wirt­ schaft ist Auszahlung. Es gelten die inzwischen amtlich festgesetzten Höchstpreise: für Weizen 13,50 Mark, für Haber 11,20 Mark. 6. November 1914. Ein deutscher Panzerkreuzer, Dock, ist auf eine unserer eigenen Minen gelaufen und mit 251 Mann gesunken. Solche Unglücksfälle drücken noch mehr auf die ohnehin dar­ niederliegende Stimmung. Sogar die Schulkinder sagen, es stehe für uns schlecht auf dem Kriegsschauplatz. 8. November 1914. Die Nachrichten von den Fronten immer trübe. Im Westen an einer Stelle vor, an der anderen zurück; der Haupt, kämpf tobt zur Zeit um Pperu. Im Osten nähern sich die Russen der preußischen Grenze. Was mögen unsere Truppen auf diesem Rückzug durch Polen ausgestanden haben! Wo wird sich die neue Schlachtliuie bilden?

Die. Flotte unterbricht ab und zu das schwere Warten mit einer frischen Tat. Bei einem Seegefecht an der Küste von Südamerika vernichtete sie wieder drei englische Schiffe. Von unseren Rekruten mnßte gestern wieder einer einrücken. Lorenz Dirr, der Wagner, schreibt aus Lille am 26.10. über seine Fahrt an die Front: „Von Mainz bis Köln reiht sich eine Schönheit an die andere, die Berge mit Reben umsäumt, mit bunten Laub­ wäldern, und fast jeder gekrönt mit den schönsten Burgen und Ruinen, im Tale die altersgrauen, an das Ufer geschmiegten Städtchen, das alles gibt ein Bild, das man empfinden, aber nicht beschreiben kann. Doch weiter rollte der Zug durch das rhei­ nische Industriegebiet mit seinen großartigen Anlagen nach der Grenzstadt Aachen. Von hier aus wurde es anders, es dehnte sich die fruchtbare belgische Ebene aus, und statt dem freundlichen Gruß in Deutschland nur finstere Gesichter. In Lüttich konnte man wenig Schaden bemerken, dagegen ist Löwe» eine einzige von der Bevöl­ kerung verlassene Ruine. Das Land, durch welches wir fuhren, hat durch den Krieg nicht gelitten; man sah überall saubere, freund­ liche Dörfer, angebaute Felder und weidende Rinder und Pferde. Das Bild änderte sich jedoch, als wir uns der französischen Grenze nähetten.Man sah hier wieder die Spuren des Kriegs, und als der Zug einmal hielt, schlug ein fernes dumpfes Rollen an unser Ohr — es war Kanonendonner der gegen die Engländer tobenden Schlacht." 10. November 1914. Tsingtau am 7. November morgens 6 Uhr gefallen. Näheres vom Schicksal der heldenhaften Besatzung wissen wir nicht. Die Zeitungen fordern auf, zur Rache dafür deutsche Truppen in England zu landen. Das ist aber leichter geschrieben als getan.

ii. November 1914. Wie schwer die Kämpfe in Nordfrankreich sind, geht ans einigen Feldpostbriefen der vergangenen Wochen hervor. Andreas Ebner schreibt: „Duy, 3.10.1914. Ich konnte den Brief so lange nicht beantworten, weil wir in letzter Zeit große Märsche hatten. Wir sind jetzt im Nordwesten von Frankreich, etwa 100 km vom Kanal entfernt. Hier hatten die Franzosen vene Truppen zusammengezogen, welche unserer Armee in dev Rücken fallen sollten. Wir kamen am 1. Oktober abends 6 Uhr in Cambrat, einer Stadt mit ungefähr 30 «»Einwohnern, an und marschierten am gleichen Tage noch 30 km. Dann ging's los. Wir hatten zuerst wenig Truppen da, und die Sache sah sehr schief aus; be­ sonders die feindliche Artillerie brachte uns schwere Verluste bei. Am 2. Oktober aber griff die zweite Division und unsere Fuß­ artillerie ein und die Franzmänner und Engländer bekamen fürchterliche Hiebe. Heute hat das Armeekorps Ruhe, unser Regiment hat die Boepostenstellung. Der Artilleriekampf dauert fort. Ich liege im Schützengraben, um uns herum Dutzende toter Franzosen, schrecklich zugerichtet und nicht am besten riechend. Der Krieg ist grausam; gestern hat er mir meinen besten Kame­ raden geraubt. Er wurde neben mir von einem Schrapnell ge­ troffen. Wir teilten den letzten Brocken Brot miteinander." „Kirchweihsonntag 1914. Wir liegen immer noch vor Arras. Gestern wurden wir in der vordersten Linie abgelöst und jetzt liegen wir in Reserve in einem zusammengeschossenen Dorf. Wir waren 16 Tage am Feind, tagsüber im Schützengraben, nachts wurden Sturmangriffe gemacht; es ist etwas Schreckliches um einen Nahkampf bei Nacht. Als Gegner haben wir alles Mögliche, sogar Neger aus Senegambien. Vor einigen Tagen wurde unser Zug von ungefähr 30 Turkos und Engländern von hinten ange-

schosse». Sie hatte» sich tot gestellt, «ad als sie hinter «aserem Rücken waren, fingen sie an j« fenern; sie wnrden alle nieder­ gemacht. Jetzt heißt es, wir sollen abgelSst werden «nd nach Dünkirchen kommen. Ob's wohl wahr ist? Von dem ewige» Kam­ pieren tm Freien wird man zuletzt ganz matt, «nd einige Wochen Rnhe wären für uns sehr notwendig, zudem wir meist verheiratete Leute bis zu 38 Jahren haben. Mir kommt es immer vor, daß ich vom Feld nicht mehr zurückkomme; täglich Verluste, zuletzt kommt man auch an die Reihe." 12. November 1914. Dixmuiden wurde erstürmt und in der Aperngegeud vorgestoßen. Es erhebt sich die leise Hoffnung, daß wir dort unten durchbrechen und damit den Druck des Schützengraben­ krieges auf Heer «nd Volk überwinde» könnten. Das kühne Schiff „Emden" wurde vom Schicksal ereilt; ein eng­ lischer Kreuzer hat es besiegt. Sein Name wird aber fortleben im Volk. 14. November 1914. Die Bauern sagen: Wenn man die Zeitung liest, kriegt man immer wieder besseren Mut. Freilich, die Zeitung! Deren Aufgabe ist es ja, dem Volke Mut zu machen, Niederlagen klein und Siege groß erscheinen zu lassen. Der furchtbare Rückzug in Polen ist dem Volke noch gar nicht richtig zum Bewußtsein ge­ kommen. Das amtliche Telegramm stellt die Sache ungefährlich dar »nd die Zeitungen unterlassen jeden Zusatz. Es ist allerdings die Frage, ob das klug ist. 15. November 1914. Ein Verwundeter aus einer Nachbargemeinde, der in Erholungsurlaub zu Hause ist, erzählt einen Abend lang vom Felde, viel Schönes, aber auch viel Grausames, besonders von den Schlichen der Schwarzen. Als Kriegsandenken zeigt er

Uhr, Revolver u»t> Orden eines schwarzen Offiziers nnd ein fran­ zösisches Seitengewehr. Er lag bei Krupp in Essen im Erholungsheim. Nun kommt Alldeutschland ersi so richtig durcheinander. 16. November 1914. Gottfried Kuhn schreibt ans Farbus, er habe einen Schrapnellsireifschuß am Kopf erhalten, könne aber seinen Dienst ohne Helm weitermachen. Er bittet nur um Schnupftabak. Lorenz Dirr schildert den Anmarsch zur Gefechtslinie so: „Alle Wege und Straßen voll Bagagen, Fahrzeuge aller Art, so daß man glaubt, es sei eine internationale Ausstellung über Fuhr­ wesen; dann wieder zurückfahrende Munitionskolonnev, Derwnndetevtransporte, Gefangene, herrenloses Vieh, frische Gräber, ver­ lassene Schützengräben, Blutlachen, tote Pferde im Straßengraben. Fast überall zerschossene und niedergebrannte Häuser und Städte, dazu hoch in der Luft das Singen der Schrapnells, welche auf feindliche Flugzeuge geschossen werden, die ständig über unseren Anmarschlinien und Artilleriestellungen kreisen. Die Kämpfe wer­ den hier mit solcher Zähigkeit geführt, daß jeder Schritt Boden mit schweren Opfern erkauft werden muß. Gestern stürmte das 16. Regiment und verlor 600 Mann..." 19. November 1914. Ein Lichtstrahl ans dem trüben Osten! Hindeuburg schlug an der preußischen Grenze die Russen zurück und machte 28000 Gefangene. Kuhn und Joas Anton, beide beim 12. Reserveregiment, schreiben von schweren Kämpfen: fünf Tage im Schützengraben, verbunden mit Nachtangriffe». Die Kompagnie Joas" in Stärke von 110 Manu kehrte nach diesen fünf Tagen mit 18 Mann zurück. Gleichzeitig trifft die Nachricht ein, daß Knhn abermals verwundet

ist: linker Arm und linkes Bein durch Granatsplitter. Er liegt in Mülheim a. d. Ruhr. 23. November 1914. Neue Einberufungen: einer unserer Rekruten jur Eisenbahntruppe und unser Geistlicher als Krankenwärter. Die Seelsorgstelle ist verwaist; der Pfarrer von Beuren, 1V2 Stunden entfernt, übernimmt die Aushilfe. Im Westen ist der Hoffnungsschimmer wieder verblichen: die Vor­ gänge haben sich verlangsamt, die Verluste sind übergroß. Mit größerem Vertrauen schauen wir nach Osten; Hindenburg steht schon wieder mitten in Polen. 24. November 1914. Es erscheinen Aufrufe jn Weihnachtssamm­ lungen fürs Heer. Sie finden keinen großen Anklang, weil allge­ mach das Vertrauen zur sicheren Beförderung und gerechten Ver­ teilung der Gaben fehlt. Man hört schlimme Urteile darüber, spricht sogar von Unterschlagungen. Viele Gemeinden verwenden daher die gesammelten Gelder nur für ihre eigenen Krieger. Die Kinder verzichten ans ihren „Klopferstag" und bringen ihre Spar­ pfennige in die Soldatenkasse. 25. November 1914. Lorenz Dirr schildert in einem Brief aus Comines vom 14.11.14 den zähen Grabenkampf in Nordfraakreich: „Bei Nacht wird an die vorderen Stellungen heranmarschiert, aus­ geschwärmt und in die Reservestellunge» eingerückt. Dann geht es in Laufgräben von einem zum andern Schützengraben vor, bis man im vordersten Graben steht. Nun heißt es gruppenweise mit Abstand gegen die feindlichen Linien anspringen und sofort ein­ grabe», aber alles lautlos; denn man steht höchstens 80—100 Meter vor dem Feind. Die Sache geht gut, solange man nicht bemerkt wird; ist aber dies der Fall, so beginnt ein rasendes Schnell-

fetter, meistens Salven und Maschinengewehre. Glücklich der­ jenige, der schon einige Schaufeln Erde herausgebracht hat, dann kann er ruhig warten, bis der Spektakel aufhört. Bevor eine Stel­ lung erstürmt werden kann, müssen meistens wir Pioniere mit Drahtscheren die Drahtverhaue abschneiden. Ehe nicht die Artillerie die Stellungen derart beschossen hat, daß sich kein Mensch mehr darin aufhalten kann, ist an keinen Sturm $tt denken. Denn sowie der Feind einigermaßen kampffähig ist, bricht alles unter dem Feuer jusammen. Cs ist schrecklich, wenn man sieht, wie ein Bataillon von etwa 1000 Mann zum Sturm vorgeht, und in fünf Minuten kommen atemlos etwas über 200 Mann in den Graben zurück. Alles andere liegt draußen, tot und verwundet, ohne dev geringste« Vorteil erzielt zu haben." 27. November 1914. Eine Siegesnachricht aus Osten! Bei Lodz 40000 Russen gefangen, die Schlacht aber noch unentschieden. Durch die Station fuhren, in Viehwagen eingepfercht, Russen; sie kommen aus Polen nach Ulm ins Gefangenenlager. 1. Dezember 1914. Der Kaiser reiste »ach Osten. Auch die NeuUlmer Truppennachschübe gehen seit kurzem nach der Ostgrenze. Unser letzter Rekrut ist eingerückt zur Infanterie. Die Sammlungen für Weihnachten und für die Ostpreußen er­ gaben 143 Mark. Wir liefern 50 Mark für die Ostpreußen und 50 Mark für die allgemeine Weihnachtssammlung ab. Den Rest behalten wir zurück, um den Kriegern der Gemeinde auf Neujahr etwas schicken zu könne». 2. Dezember 1914. Die Österreicher haben Belgrad eingenommen. Zn der ganzen Gegend wird geschossen, geläutet; da und dort weht auch eine Fahne.

Die Russen brachten nach Ulm die Cholera mit; der Weihnachts­ markt fällt deswegen aus. Sie hatten vor ihrer Gefangennahme 4—5 Tage gehungert, dann waren sie 7 Tage auf der Reise. 9. Dezember 1914. Die Deutschen haben Lodz eingenommen, die Russen sind im Rückzug. Im Westen dagegen ist Stillstand. Die Friedenssehnsvcht im Heere nimmt zu. Das Schützengrabenleben legt sich auf die Soldatennerven. Es gibt schon manche, die nicht mehr an ein deutsches Vorwärtskommen im Westen glauben. Die Rindshäute wurden nun für das Heer beschlagnahmt; die Folge wird eine Preissteigerung für Lederwaren sein. Auch die Petroleumnot ist groß. Der Wagen kommt zwar noch, gibt aber nicht einmal die halbe Menge des früheren Verbrauchs ab. Der Krämer ist daher immer gleich wieder ausverkauft. Die Vorweihnachtszeit schleicht öde und traurig dahin. Fast fürch­ tet man sich leise vor dem Friedensfest. Was sollen wir in dieser Zeit damit anfangen? 12. Dezember 1914. Eine Trauerbotschaft: die Engländer vernich­ teten an der südamerikanischen Küste fast unser ganzes Ostasiengeschwader. Die großen Kreuzer Scharnhorst und Gneisenau, die kleinen Nürnberg und Leipzig sanken nach fünfstündigem Kampfe. 2000 Menschen, tapfer und treu, liegen im Meer. Unser Bürgermeister ist nun in Antwerpen, der verwundete Kuh» im Lazarett Neu-Ulm. Nun beginnen auch die Kerzen zu mangeln. Die Leute gehen früh­ zeitig zu Bett, um Licht zu sparen; denn das Petroleum beim Krämer ist schon wieder zu Ende, und so schnell wird der Olwagen nicht wieder kommen. Wer das elektrische Licht hat, ist nun froh, 14. Dezember 1914. An die Familie Kuhns wird von seiner Kom-

pagnie das Eiserne Kreuz mit einem Schreiben des Kompagnie­ führers übersandt. Aus dem Lager Ingolstadt find vier französische Offiziere ent­ flohen. Die Bevölkerung wird aufgefordert, auf verdächtige Leute zn achten. 17. Dezember 1914. Abends läuten die Glocken ringsum und krachen Böllerschüsse überallher und meldet das Telephon in alle deutschen Winkel dev wartende» Menschen: „In Nordpole» ist die Entschei­ dung zu unseren Gunsten gefallen". Einzelheiten erfahren wir erst später; die kurze Nachricht genügt zu unserer Freude nach so langem Stillehalten. 19. Dezember 1914. Kuhn kam auf 14 Tage in Urlaub heim. Das ist ein Ereignis fürs ganze Dorf; er ist ja der erste, der aus dem Feld wiederkommt. Der sonst wenig beachtete „kleine" Mann wird nun Mittelpunkt des Dorfes sein und zwei Wochen lang erzählen müssen. Franz Berchtold, der junge Klausenbaver, schreibt aus Gissel­ fingen an der lothringischen Grenze über die schlechte Witterung: „Don dem vielen Regen stehen die Unterstände, Batterien und Laufgräben immer voll Wasser. Die Tage gehen verhältnismäßig schnell vorüber, dagegen sind die Nächte unendlich lang. Man ver­ treibt sich die Zeit mit Kartenspielen, Würfelspiel und allerhand Kurzweil." 22. Dezember 1914. Auch Lorenz Dirr jammert über die Witterung: „Die letzten Tage hatten wir starken Regen, so daß wir in den Quartieren die Zeltbahnen spannen mußte», um nicht zu ertrinken. Und erst die Schützengräben! Es ist unbeschreiblich. Don den Grabenwänden fließt der lehmige Schlamm und sammelt sich auf

der Grabensohle oft zn knietiefem Morast an, so daß uns heute nacht der Schlamm tatsächlich bei den Stiefelschäftev hineinlief. Unsere schönste Zeit ist immer der dritte Tag, da haben wir Ruhe. Wir haben uns einen Ofen requiriert und «ns heimisch eingerichtet, so gut es eben möglich war. Da wird dann zusammen Tee oder Kaffee gekocht und alles brüderlich geteilt. Es kommen auch Zei­ tungen, so daß wir immer ziemlich auf dem laufenden find." Am allerwenigsten gefällt die üble Witterung de» von den Fran­ zosen herbeigeschleppten Schwarzen. Andreas Ebner schreibt folgendes: „Bor einigen Tagen kam zu «ns ein schwarzer Über­ läufer in den Graben. Zuerst frug er, ob er erschossen werde. Als dies verneint wurde, bat er, nochmal zurücklaufen zu dürfen, er wolle noch mehrere holen. Man ließ ihn laufen und richtig, nach einer halben Stunde kam er mit 15 seiner Kameraden, die halb erfroren und froh waren, in Gefangenschaft zu kommen. Auch deutsche Fremdenlegionäre sind «ns gegenüber; einzelne sind schon nachts zu uns herübergekrochen. Da wir so nahe beieinander sind, können wir uns sogar mit ihnen unterhalten. Kürzlich, als die Artillerie schwieg, rief uns einer an: Hallo, Landsleute, seid ihr «ach? Wir gaben ihm Antwort. Er erzählte, -aß er von Tunis herübertransportiert worden ist; er traute sich aber nicht fliehen, obwohl wir ihm sagten, daß er unbedingt Pardon erhalte." Kuhn erhält für seine Kinder 20 Mark vom Roten Kreuz zu Weih­ nachten. Statt des Klopfertags für die Kinder wird für die Soldaten noch­ mals gesammelt. Ergebnis 34 Stars, so daß nun 77 Mark zur Ver­ fügung stehen, um unsere eigenen Soldaten zu erfreuen. 4i

24. Dezember 1914. Heiliger Abend! Wo ist die Weihuachtsfreude? Sie will nicht kommen. Unsere Gedanken welle» heute mehr als je in Schützengräben und an Massengräbern. Sogar die Kinder haben Kriegsweihuachten; ihre Christbäume find leer und dürftig, es fehlen die kleinen Laibchen und Figuren, die sie sonst am Klopferstag sammelten und am Weihnachtsabend an den Baum hängten. Auch das Erdöl mangelt, es heißt daher früh zu Bett. Die mitternächtliche Weihnachtsmesse, der stimmungsvollste Got­ tesdienst des ganzen Jahres, fällt in der ganzen Umgegend ans, weil die Geistlichen fehlen. Wir behelfen uns hier mit einer An­ dacht mit Kinder- und Volksgesang. Der Friedensgedanke wird wohl alle Herzen beherrschen. Aber nicht als Wirklichkeit, sondern als Wille und zielferne Sehnsucht. 27. D e z e m b e r 1914. Was für Feiertage unsere Soldaten wohl haben ? Im Osten wird jedenfalls schwer gekämpft; die Russen haben auf ihrem Rückzug wieder Front gemacht. Auch die Franzosen greifen an verschiedenen Punkten an. Die auf Weihnachten zielende Friedenshoffnung so vieler Men­ schen ist damit gründlich zerstört. Im ganzen Laude wurde folgende Wundermär umhergetragen: In einem Walde, ohne Aussicht auf Rettung, waren deutsche Soldaten vom Feinde eingeschlossen. In ihrer Not begannen sie zu beten; da erschien ihnen die Mutter­ gottes, zeigte einen Ausweg und verkündete ihnen, sie werde nun Frankreich verlassen mit ihrem Schutz, drei Tage vor Weihnachten werde Friede geschlossen werden. Unsere im Oktober eingerückten Rekruten kamen nach kurzer Aus­ bildung nun schon ins Feld. Einige Wochen noch und das ganze 20jährige Deutschland wird au der Front stehen.

zo. Dezember 1914. Nun ist auch -er Lavdsturm II, die unausgeblldeten Männer vom 39.-45. Lebensjahr, zur Meldung aufge­ rufen. Hier kommt ein Mann in Frage. Der Winter will nicht kommen. Für die Truppen wäre Frost er­ wünscht. Namentlich vom Osten wird berichtet, daß schlechtes Wetter den Kampf, der auf der ganzen Front im Gange ist, be­ einträchtige. Im Westen wurde seitens der Franzosen sogar in der heiligen Nacht angegriffen. Sylvester 1914. Welch ein Jahr geht zu Ende! Den längst vorhergesagtev, längst gefürchtete« Weltkrieg führte es mit sich. Und heute stehen wir mitte« im Geschehen und können das Ende nicht deuten. Doch — wie der Abend dämmert, läuten ringsum die Glocken und krachen die Schüsse, das gilt nicht der Jahreswende, das ist Sieg! Unser Dorf weiß nicht wo und wie, aber uns genügt die Bot­ schaft: Sieg ! Möge sie von guter Vorbedeutung sein für das dunkle, mit Hoffe» und Bangen erwartete neue Jahr! Neujahr 1915. Wir warten voll Spannung auf die Zeitung, denn immer noch weiß niemand sicher, was der Jubel gestern abend zu bedeuten hatte. „ 150 000 Franzosen gefangen!" sagen die Leute. Doch das ist ganz unmöglich, irgendeine falsch verstandene Mitteilung. Doch nun wissen wir's, die Zeitung ist da: Hindenburg hat die Siegesbeute, die er den Russen seit der gewonnenen Schlacht vom 17. Dezember auf der Verfolgung abgenommen, mitdefeilt :5600c Gefangene. Vor kurzem war ein hausierender Kraiver hier und erzählte von österreichischer Not. In seinem Heimatdorf ist eine Menge pol­ nischer und galizischer Flüchtlinge untergebracht. Sie wissen nichts vom Schicksal ihres Heims und ihrer Familie. Der Auszug vor

-en Russen mußte so schuell vor sich gehen, -aß die Glieder der einzelne« Familie» in den Eisenbahnen auseinanderkamen und an verschiedenen Orten ausgeladen wurden. Das ist die wahre Kriegsnot der Heimat, von der wir bisher, davkbar sei es anerkannt, verschont blieben. 2. Januar 1915.Heute wurden schon die im Jahre 1895 Geborenen gemustert. Don unseren Jungen waren zwei tauglich, einer, der zurückgestellt werden sollte, meldete sich freiwillig. Während des Unterrichts hören wir auf einmal das altvertraute Amboßklingen aus der Schmiede wieder. Doll Freude schreiben die Schüler in ihr Heft: „Der Schmied hat wieder gehämmert. Wir sitzen in der Schule und sprechen von Kain und Abel. Da hören wir auf einmal das Hämmern ans der Schmiede wieder. Das haben wir lange nicht mehr gehört. Darvm ist es ganz still in der Schule und alles horcht. Der Lehrer sagt: Wer hämmert denn in der Schmiede? Ein Kind erzählt: Der Schmied ist heute nacht in Urlaub gekommen. Rach der Schule laufen wir gleich zur Schmiede und schauen den Schmied an." 4. Januar 1915. Die Bauern kommen zum Schmied und bringen

ihre Pflugscharen und Wagenräder, die sehr der Ausbesserung be­ dürfen, und warten gleich, bis die Arbeit fertig ist, denn nebenbei muß der Schmied vom Krieg erzählen. Morgen muß er wieder fort. Seine Truppe ist vom Feld nach München zurückgekommen zwecks anderweitiger Verwendung. 6. Januar 1915. Die Witterung wird mit jedem Tage schlimmer, wir können nicht begreifen, wie die Soldaten in den Schützen­ gräben zurechtkommen.

Lorenz Dirr gibt ein gutes Bild von Weihnachten im Felde: „überall in den Quartieren herrschte emsige Tätigkeit. Christ­ bäume wurden geschmückt, Liebesgaben zur Verteilung bereitge­ legt. Abends waren dann, meistens kompaguieweise, die Christbaumfeiern. Es war erhebend, wie von vielen Seiten die schönen deutschen Weihnachtslieder durch die sternenklare Nacht klangen. Selbst in den Schützengräben herrschte Weihnachtsfrende. Selten fiel ein Schuß. An manchen Stellen kam es sogar zu freundschaft­ lichem Verkehr zwischen Freund und Feind. Man ging aus den Gräben und begrüßte sich auf dem dazwischenliegenden Felde, Zigarren, Zigaretten und Pfeifen wurden ausgetauscht, und es schien wirklich Friede auf Erden werden zu wollen. Leider war der schöne Traum bald zu Ende." 8. Januar 1915. Wer im Jahre 1913 das elektrische Licht nicht ein­ richten ließ, ist nun übel daran. Ein Schüler schreibt darüber in sein Aufsatzheft: „Das Petroleum geht aus. Wenn der Petroleumwagev kommt, laufen ihm viele Leute nach. Er lädt beim Boten nur 20 Liter ab. Ich muß gleich auch hinauf. Ich bekomme aber nur 3 Liter. Der Vater holt am Abend ein Dutzend Kerzen. Die Bötin sagt zu ihm: Jetzt bekommt man nicht einmal mehr so viel Kerzen, wie man will. Mein Vater sagt zu ihr: Wir brennen in der Stube lauter Kerzen. Das Petroleum brauchen wir für den Stall; denn bei offenem Licht könnte dort ja etwas angehen. Am Abend müsse» wir bald ins Bett." ii. Januar 1915. Der Jammer ist allenthalben der gleiche: das schlechte Wetter. Nichts als Regen oder Schnee mit Regen, kein Frost. Die amtlichen Berichte sagen Tag für Tag: Unsere Angriffe

leiden dvrch die Witterung. Das ist besonders in bejng auf Polen zu bedauern. Im Westen greifen die Franzosen an verschiedenen Stellen an; unsere Mauer hält aber stand. In Flandern ist die Lys an einzelnen Stellen bis zur Breite von 800 Meter aus den Ufern getreten. Unsere Soldaten sollen wandelnde Lehmklumpen sein, wenn fie aus dem Schützengraben kommen. Die Hoffnung, daß wir die feindlichen Linien durchbrechen könne«, ist allgemein geschwunden. Don Paris spricht und an die englische Landung glaubt niemand mehr. Kuhn ist schon wieder ins Feld gekommen. Es gehen in letzter Zeit viele Truppenzüge ins Feld ab. 13. Januar 1915. Gestern abend verpackte die Gemeindeverwaltung 16 Päckchen für unsere Krieger. Jeder erhielt 20 Zigarren und 5 Landjäger. Wir hätten gern mehr geschickt, aber das zulässige Ge­ wicht, zur Zeit bis zu einem Pfund, ist gleich erreicht. Zigarren-, Schokolade-, Tee-, Woll-, Papiergeschäfte und Metzger machen jetzt kein schlechtes Geschäft. Die Mehlverbrauchsbestimmuvgen wurde« vom Bundesrat neuerdings verschärft. Bäcker und Konditoren dürfen vor mor­ gens sechs Uhr nicht mehr backen, damit es kein frisches Kaffee­ brot gibt. Schwarzbrot darf auch erst altbacken verkauft werden. Die Bäcker dürfen nicht mehr hausieren gehen. Weizenbrote dürfen nicht mehr als 1008 wiegen; die bei uns üblichen „weißen Laibe" fallen damit aus. Beim Schwarzbrot ist Kartoffelmehlzusatz, beim Weißbrot Roggenmehlzusatz vorgeschrieben. 17. Januar 1915. Ei« Sieg der Deutschen über die Franzosen bei Soissovs: 5000 Gefangene, 35 Geschütze; die Franzosen sollen außerdem 5000 Tote auf dem Schlachtfeld gelassen haben. Das

ist eine Zahl wie im Jahre 1870 bei Gravelotte-St. Privat am 18. August. Doch was damals die Vernichtung einer Armee be­ deutete, ist heute nur ein Keiner Teilerfolg. 20. Januar 1915. Die Witterung bessert sich endlich. Wir haben starken Frost. Damit besteht Ausflcht auf Wiederaufnahme der Gefechte im Osten. Die Besorgnis wegen der Haltung der Neutralen hält an. Jeder Tag bringt über Italien und Rumänien neue, sich widersprechende Meldungen. Bald heißt es, Italien greife zu unseren Gunsten in den Krieg ein, bald umgekehrt. Das letztere wird als wahrschein­ lich angesehen. Daher ist die Erbitterung über die Italiener, unsere „Bundesgenossen", im Volke groß. Don Bulgarien nimmt man an, daß es an unserer Seite kämpfen wird. Die Absichten Ru­ mäniens sind völlig unklar. Was wird aus dem ganzen Hexen­ kessel noch herauskommen? 23. Januar 1915. Heute rückten zwei der jüngsten Rekruten nach Neubvrg ein. Gestern abend tranken sie noch wacker Abschied im Wirtshaus, sprachen von Paris einnehmen und England be­ setzen. Der Wurzevsepp, Veteran und Tambour von 1870/71, hielt die Abschiedsrede, worin er die Hoffnung ausdrückte, daß er zum Siegeseinzug der jetzt ausziehenden Krieger seine Trommel rühren dürfe. Zeppeline flogen in der Nacht vom 19. auf 20. Januar zum ersten­ mal nach England und warfen Bomben ab. 24. Januar 1915. Die Soldaten im Feld können sich unser Leben in der Heimat nicht recht vorstellen. Sie meinen, der Krieg werde wohl auch uns schlimme Begleiterscheinungen gebracht haben. Das stimmt nun nicht. Wir leben, von Einschränkungen in der

Ernährung abgesehen, wie im Frieden. Wenn wir früher an Krieg dachten, so dachte« wir zugleich an innere Unruhen, Polizeiherrschaft, Enteignung von Vieh und Getreide, Teuerung, Kriegssteuern, Elend und Not. Fast nichts von alledem spüren wir bis heute. Die Arbeitslofigkeit ist gering. Viele Gewerbe, die für das Heer arbeiten und nach Mm liefern, wie die Schneider, Schuster, Sattler der Umgegend, verdienen gutes Geld; der Bauer kann sein Vieh behalten. Die Fleischpreise haben fich in nichts verändert; nur einige ausgesprochene Soldatenbedürfnisse, wie Schokolade, Wollsachen, Hartwürste, find etwas teurer geworden. Unsere Zigarrenindustrie hat scheinbar so viel Tabakvorräte oder so viele holländische Einfuhr, daß sie den ungewöhnlichen Bedarf befrie­ digen kann. Der Eisenbahnverkehr ist bis auf einige Züge wieder der frühere. Nur die Männer in den Dörfern werden weniger, so daß für den Sommer Dienstbotenmangel zu befürchten ist. 28. Januar 1915. Nun habe« wir Schnee. Schnee wie schon lange nicht mehr. Die Bauern fahren wieder einmal mit Schlitten. Boa Polen wird Kälte berichtet, von den Argovaen Schnee, von Flan­ dern der alte Schmutz. Die Deutschen werden an verschiedenen Punkten der westlichen Linie lebendig. Unsere Soldaten werden nun so langsam einsehen, daß sich der Krieg in die Länge zieht. Der Wunsch in allen Briefen ist ja der Friede; aber dazwischen schreibt doch einmal einer, der Krieg scheine länger zu dauern als anfangs geglaubt wurde. Auch die Bauern schwanken zwischen Hoffen und Fürchten. Es ist zweifelhaft, ob sie Dienstboten einstellen oder auf baldige Heimkehr ihrer Söhne rechnen. Die Wahrheit einer langen Kriegsdauer will nur schwer eingehen.

s. Februar 1915. Da die Ermahnungen und bisherige« Maß­ nahme« zu sparsamem Verbrauch von Getreide uud Mehl nicht wirkten, sollen die Vorräte an Brot, Getreide und Mehl nun be­ schlagnahmt werde«. Die in unserem Dorfe noch vorhandenen Vorräte wurden gestern aufgenommen. Es ergaben stch: 228 Ztr. Weijen und Fesen, 88 Ztr. Roggen, 29 Ztr. Weizenmehl, 23 Ztr. Roggeumehl und 278 Ztr. Haber. Vom Habervorrat werden noch 137 Ztr. zur Saat benötigt. Das übrige wird größtenteils für die eigenen Rosse nötig sein. Von Brotgetreide stehen dem Bauern pro Kopf uud Monat 9 kg zu. Bei 147 Personen ergibt stch für die 7 Monate bis zur nächsten Ernte ein Eigenbedarf der Bauern von 147.7.9 kg = 9261 kg ----185 Ztr. Da der Gesamtvorrat 368 Ztr. ausmacht, verbleiben zur Enteignung 183 Ztr. Die Bauern erklären aber, daß 9 kg pro Kopf viel zu wenig sei. 3. Februar 1915. Da in dieser Woche wieder Pfundpakete zulässig find, ließen wir nochmals Sendungen an unsere Krieger abgehen: je ein Paar Socken und 15 Stück Zigarren. Mögen alle diesen Gruß ihrer Heimatgemeinde gesund und festen Mutes empfangen! Der Krieg kann die unmöglichsten Dinge brauchen. Jur Zeit ist eine Reichswollwoche. Es werden alle alten Woll- und Baumwoll­ sachen gesammelt und zu überziehwesten, Überziehhosen, Unter­ jacken und Decken verarbeitet. So suchen denn die Leute ihre Be­ stände von Großvaters Tagen durch und tragen ganze Bündel alter Schäfermäntel, Winterjackev, farbiger Strümpfe und ähn­ licher Herrlichkeiten zur Sammelstelle. 7. Februar 1915. Die Gendarmerie prüfte in einigen Häusern nach, ob die Angaben über Getreidevorräte richtig waren. Es soll nicht überall gestimmt haben.

Die Marineleitung kündigt an, daß vom 18. Februar au jedes feindliche Kauffahrteischiff, bas sich in den Gewässern rings «m England jeigt, ohne Schonung für die Besatzung vernichtet wird. Deutsche Truppen stehen nun auch in den Karpathen und gehue mit den Österreichern gegen die Russen vor. 9. Februar 1915. Heute ist hier das Fest der Ortsheiligev Apollonia. Der Festprediger ermahnt die Gemeinde, die Sorgen, die ihnen der Krieg bereitet, auf Gott zu werfen. Der Tag verläuft ruhig, ohne jugendliches Leben. Den ganzen Getreidehandel hat künftig der Kommunalverband in Händen. Er hat sein Lager in der Schranne der nächsten Stadt. Dort können die Müller, wenn sie für den Kommunalverband mahlen wollen, Getreide holen; sie müssen daun die entsprechende Menge Mehl (80% ausgemahlen, bei Weizenmehl 30% Roggen­ mehlzusatz) wieder zurückliefet». Händler und Bäcker erhalten die ihnen zustehende» Menge« künftig vom Kommunalverband. Unser Bürgermeister schreibt von Antwerpen aus. Er arbeitet dort als Pionier beim Bau von Minensperren und Zugbrücken über die Schelde. „Das Vorwerk „Katharina" wvrde von vier Stück 42-cm-Geschossen furchtbar verwüstet; Stahlstücke des Panzerturms von 230—270 Zentner Gewicht wurden 40—70 Meter weit geschleudert". 13. Februar 1915. Der Krieg beginnt nun auch im Inland allmäh­ lich fühlbarer z« «erden. Die Sorge vms Brot für das Volk steigert sich täglich. Der einzelne hat vielleicht volle Säcke und Truhen, für ihn besteht keine Not; er soll aber für die Not der Gesamtheit einstehe». Daserfordert mehr staatsbürgerliches Ver­ stehen und Fühlen, als im allgemeinen vorhanden ist. Schon die

Kinder werden zum Brotsparen angeleitet; sie sollen keine Semmel» «ad auch weniger Schwarzbrot essen als sonst. An Fleisch wird es vorerst keinen Mangel geben, da unsere Bestände — besonders an Schweinen — groß sind. Trotzdem steigen in den letzten Wochen die Schweinepreise von Tag zu Tag. Während sie sich im ersten Kriegshalbjahr ans niedriger Stufe hielten, 40—50 Pfg. das Pfund Lebendgewicht, schnellten sie nun rasch auf 60—65 Pfg. empor. Das hängt mit der Verteuerung der Futtermittel zusam­ men, deren Einfuhr aufgehört hat. Der Zentner Futtermehl ist von 13 auf 26 Mark gestiegen. Auch kleinere Dinge schlagen auf: i Liter Salatöl von 1 Mark auf 1,40 Mark; 1 Pfund Malzkaffes von 35 auf 40 Pfg. Aus dem Osten kommt eine Siegesnachricht. Die Russen mußten ihre alten Stellungen östlich der masurische« Seen aufgeben und 26000 Gefangene zurücklassen. Auch in den Karpathen schreiten die Kämpfe fort. 16. Februar 1915. Fastnacht! Das Generalkommando ließ in allen Gemeinden ein Verbot jeglicher Belustigungen bekanntgeben. Das war für unsere Gegend überflüssig; niemand, nicht einmal die Jugend hat Lust, sich Faschingsfreuden hinzugeben. Es gibt Heuer weder Faschings- »och Osterzeit, es gibt nur eine Zeit — Kriegs­ zeit. Und der Kriegskalender verzeichnet meist schwarze Werttage; nur selten bringt er einen roten Siegestag, doch auch dieser ist kein reiner Freudeutag, die Gedanken an die vielen Gefallenen um­ randen ihn mit Trauerstimmung. Die Gemeinde hat das übliche Scheibenfener für Heuer ver­ boten. Das dafür gesammelte Holz müssen die Kinder an den Armenhäusler abgeben. Wenn Friede wird, dann sollen

die Nammen lodern von einem bis jvm andern Ende Deutsch­ lands! Lorenz Dirr beklagt sich in einem Briefe, daß das Eiserne Kreuz nicht immer nach Verdienst verliehe» werde. Der Koch, der Kanzleischreiber, der Proviantuoteroffijier würden damit ausgezeichnet, während der Frontsoldat, der im Schützengraben unter ständigem Feuer seine Pflicht tut, oft leer ausgehe. Amerika legt gegen die deutsche Ankündigung des Handelskriegs Verwahrung ein und droht mit ernsten Gegenmaßnahmen, wenn dabei Amerikaner ums Leben kämen. Die Stimmung in Deutsch­ land ist nicht für Nachgeben; Amerika liefert unsern Feinden be­ ständig Kriegsgeräte.

17. Februar 1915. Aschermittwoch. Die Sonne bricht sich langsam Bahn durch die Morgeuuebel, man freut sich: heut gibt's einen schönen Vorfrühlivgstag! Da schwimmt aus der Ferne Glockengeläute heran, ein paar Böller brummen dazwischen — vielleicht irgendwo ein Krieger­ gottesdienst? Doch auch weit im Süden wird geschossen; und aus dem Ulmer Winkel sind Glocken zu vernehmen, dumpf und feier­ lich. Immer näher kommen die Töne, die Kirchtürme der Nachbargemeinden werden lebendig, Schüsse krache» aus Großkissendorf, aus Anhosen, aus Bühl — wir stehen in einem Kreis von Glocken­ klang und Böllersavg. Stundenlang setzt sich die gewaltige Sprache fort; wenn hier der eherne Mund sich schließt, öffnet sich dort ein anderer: das ist Sieg! Wir schicken einen Schüler in die Wirt­ schaft und lassen fragen. Bange Minuten, bis die Antwort kommt. Wir mutmaßen: Warschau geräumt? Seesieg? Endlich die Mel­ dung: an der Weichsel 50000 Russen gefangen! Noch keine Sieges-

Nachricht hat so erlösend gewirkt, so frendig ernst gestimmt wie diese. Das lange, schwere Warte» ist vorbei. So sei dieser Tag uns Sinnbild: die Sonne bricht sich durch die Nebel eine Gasse — unsere Truppen durchstoßen die dvnkleu rus­ sischen Massen und zeigen uns Licht, das Licht der Hoffnung ans endgültigen Sieg und — Frieden. 20. Februar 1915. Der Sieg ist groß: 64000 Gefangene, dazu völlige Vernichtung der russischen 10. Armee, gänzliche Befreiung Ost­ preußens. Das war die schönste Waffevtat des bisherigen Krieges. Auch wir setzte» unsere Glöcklei» am Mittwoch in Schwung; der Klausenbauer hängte seine neue Fahne zum erstenmal vors Hans. Die Schulkinder durften die Feder weglegen, das Deutschlandlied singen und Hiudenburg ein Hoch zurufen. Dann stürmten sie durchs Dorf und machte» den Sieg bekannt. Ein neuer Prophet ist aufgestanden! In Gestalt eines Buches. Die Dorfleute binden in ein Evangelien- oder Gebetbuch eine» Schlüssel, so daß dessen Bart im Buch steckt, der Ring aber frei ist. Mit beiden Zeigefingern heben sie dev Schlüsselring hoch und lassen das Buch daran baumeln. Nun wird das Buch befragt; dreht es sich, so heißt die Antwort: ja; bleibt es unbeweglich, so bedeutet das: nei«. Auf diese Weise errät das Buch den Russen­ sieg und auch die Zahl der Gefangenen. Es sagt voraus, daß der Krieg gegen Rußland im April, gegen Frankreich im August, gegen England im Dezember entschieden werden wird, daß der Zar von Rußland und der König von Belgien Selbstmord begehen werden und andere Dinge, die sich das Volk wünscht. Der Prophet arbeitet unr bei wenigen Leuten, hauptsächlich bei Frauen. 23. Februar 1915. Die neuntägige Masurenschlacht stellt sich immer

gewaltiger dar. Durch die Derfolguvgskämpfe hat sich die Beute auf iooooo Gefangene, 7 Generale, 150 Geschütze erhöht. Gavj Deutschland ruft: Hoch Hiudeuburg! Sein Name isi in aller Munde und Herzen. 27. Februar 1915. Der Unterseebootskrieg macht sich schon bemerk­ bar. Täglich bringen die Zeitungen Listen von versenkten englischen Handelsschiffen. Der Rnf nach Gelb fürs Reich ist wieder ergangen. Eine neue 5proz. Kriegsanleihe ist ansgeschriebev; Kurs 98,50. Über die Habervorräte wurde nun folgendes verfügt: Jedem Pferdebesitzer verbleiben 6 Zentner pro Pferd, außerdem 3 Zentner Saathaber pro Hektar. Der Rest, im ganze» 99 Zentner, mnß an das Militär, das demnächst die Säcke zuschickt, abgeliefert werden. 2. März 1915. Die Heimat wird immer mehr in den Krieg hinein­ gezogen. Ihr Feind ist der Hunger, ihre Waffe die Entbehrung. Der Staat ist zum Brotvater geworden, der seinen Kindern die Stücke vorschneidet. Er hat ans Grund der Getreideaufnahme berechnet, daß auf jede Person täglich nur mehr 200 Gramm Mehl, das sind in der Woche etwa 2% Pfund Brot und 400 Gramm Mehl, treffen. Das ist auf dem Lande kaum die Hälfte des früheren Verbrauchs. Ohne Bescheinigung des Bürgermeisters darf die Mehlverkaufsstelle, die beim Krämer errichtet ist, kein Mehl ab­ geben. Brothausieren ist verboten. Die Konditoren müssen ihren Kuchen Kartoffelmehl beimengen. Weizevbrote dürfe» die Bäcker nur altbacken verkaufen. Auch die Stallfütterung ändert sich. Da Futtermehle den doppel­ ten Preis von früher haben, erhalten die Schweine gesottene Kuh­ rüben, gedörrten Klee und ähnliche Ersatzmittel. Diese Schwierig-

ketten veranlassen die Bauern, ihre Schweinebestävde jn veriugern. Die Städte legen sich in Erwartung kommender Fleischnot Vor­ räte an Daverfleischwaren an. Alle diese Maßnahmen geben in der Schule fast täglich Gelegen­ heit, über die Nahrnngssorgeu des Volkes zn sprechen: wir spüren, wie abhängig die Glieder eines Volkes voneinander sind; wir sehen ein, daß Deutschland kein abgeschlossener Staat mehr sein kann, sondern ans Welthandel angewiesen ist; wir ahnen die wett­ politischen Ursache« des Kriegs. Das verkleinerte Stück Brot auf unserem Tisch ist ein eindringlicher Lehrmeister! 4. März 1915. Kuhn schreibt von überstandenen schweren Tagen. Der Feind drang in die Schützengräben ein und konnte erst nach dreitägigen Kämpfen wieder vertrieben werden. Das Regiment verlor dabei 450 Tote und Verwundete. Anton Joas schreibt recht verjagt und will nicht viel wissen von den Vorgängen in der Heimat. Andere dagegen erkundigen sich fleißig nach dem Fortschritt der landwirtschaftlichen Arbetteu. Manchem Bauernburschen mag es schwer fallen, bei beginneudem Frühling die Sehnsucht nach Feld und Pflug ju unterdrücken, und stillzuhalten im Schützengraben. Bei der Laudsturmmusternug der älteren Jahrgänge (30.—45. Lebensjahr) wurden von hier drei Männer für tauglich befunden. Zugunsten der Flüchtlingsfürsorge wurden HindenburgbUder ver­ kauft. Erlös 70 Mark. Hindenburg zieht nun als Bolksheld in jede Bauernstube ein. Für notleidende Deutsche in den Kolonien gab die Gemeindekasse 5 Mark. 15. März 1915. Am gestrigen Sonntag suchte ich die Gemeinde in einem Vortrag über den Wirtschaftskrieg und dessen Folgen für

unsere Volksernährung aufzuklären. Es sollte das Verständnis für unsere Notlage geweckt und der Wille zum Ertragen der unver­ meidlichen Einschränkungen iu unserer Lebenshaltung gestärkt werden. Die Werbung für die zweite Kriegsanleihe ist viel allgemeiner als für die erste. Die Post schickt Zeichuvvgsformulare in jedes Haus; die Postboten muntern zur Zeichnung auf. Es ist wahrscheinlich, daß auch aus unserer Gemeinde einzelne Geldbeträge in Kriegs­ anleihe angelegt werden. Die Werktagsschüler des 7. und die Souutagsschüler des letzte» Jahrgangs wurden heute schon aus der Schule entlassen, um ihren Eltern bei der Feldarbeit behilflich sein zu können. 25. März 1915. Gestern berechneten der stellvertretende Bürgermeister und ich jedem Landwirt, wieviel Getreide ihm für seinen eigenen Verbrauch mit Reichweite bis zum 15. August zusteht. Für die errechnete Menge wurde ein Freigabescheio ausgestellt, den der Bauer iu der Mühle vorzuweisen hat, wenn er mahlen lassen will. Diele Leute strecken den Roggen durch Beimengung von Gerste; andere kochen mit Polenta. Auch Reis ist beliebt, kostet jedoch 60 Pfg. pro Pfund. Die Festung Przemysl in Galizien ist nach 4^monatiger Bela­ gerung infolge Aushungerung au die Russen gefallen. Die Eng­ länder verloren im Kampfe bei de» Dardanellen vier Panzer­ kreuzer, ein Torpedoboot, eine» Minensucher; weitere drei bis vier Panzerkreuzer sind schwer beschädigt. Alles freut sich darüber, weil es Engländer sind, die davon betroffen werden. 29. März 1915. Von heute ab gibt es Brotkarten. Jeder Nichtland­ wirt erhält eine Karte mit Gültigkeit für eine Woche. Sie besteht

aus 6 Marken: z für je 100 Gramm Weizenbrot oder je 75 Gramm Mehl, 2 für je 625 Gramm Roggenbrot oder je 500 Gramm Rog­ genmehl, i für 175 Gramm Weizenmehl. Wir Silheimer können aber vorerst überhaupt kein Brot erhalte», weil unser Bäcker in der Nachbargemeiude Bühl wohnt, die in einem andern Bezirksamt liegt; wir müssen nun erst nachsuchen, daß der Bäcker aus de» Be­ ständen unseres Kommvualverbandes Mehl erhält. Wer hätte im Frieden an solche Möglichkeiten je gedacht? Die Kriegsanleihe ergab die fabelhafte Summe von 9060000000 Mark. zi. März 1915. Die Osterzeit will kommen. An Weihnachten hieß es: Wir wollen sehen, was au Ostern erzielt ist! Was ist geschehen? Mel Großes, besonders im Osten, aber nichts Entscheidendes. Cs heißt weiterhin warten und festbleiben. Der Verkauf von Ostereiern ist verboten. Nach und nach lerne» wir auch den Wirtschaftskrieg führen. 11. April 1915. Im Westen eröffneten die Franzosen zwischen Maas und Mosel eine neue Offevflve. Sie greifen Tag für Tag an; es gelingt ihnen aber nur selten, in einen deutschen Graben einzu­ dringen. Die meisten Leute find der Meinung, daß im Westen über­ haupt keine Offenfive mehr durchdringen kann, weder eine fran­ zösische noch eine deutsche. Andere wieder erwarten mit dem Früh­ ling einen kräftigen deutschen Stoß. Unbegreiflich ist, wie angesichts dieser ungeklärten Lage das Volk immer noch ans baldigen Frieden hoffen mag; besonders der Monat Mai gilt als Friedensbringer. Unsere U-Boote versenken jeden Tag ein paar englische Handels­ schiffe. Die Engländer machen nun aber auch Jagd auf die An, greiser; U 29 mit Otto Weddigen, der im Herbst die drei eug-

lischen Panzerkreuzer versenkt hatte, ging dabei verloren. Weddiugen wird vom ganzen Volk betrauert. Die Haltung Italiens schwebt wie ein Schwert über Deutschland. Wir lesen von Verbrennung deutscher Fahnen, von deutschfeind­ lichen Umzügen; viele Deutsche verlassen Rom und Neapel. Biele Landwirte, die in Garnison liegen, erhielten auf einige Wochen Urlaub zur Felderbestellung. Die Witterung ist aber sehr schlecht, so daß fich die Arbeiten verzögern. x8. April 1915. Das Leben auf dem Lande gilt nun weniger mehr dem Nachdenken über den Krieg, denn die Feldarbeiten haben, da sich das Wetter gebessett hat, begonnen. Die Sämaschine tut nun, in Ermangelung menschlicher Arme, gute Dienste. Mit welchen Hoffnungen wenden wir uns heuer an die Erde! Sie birgt einen Teil unseres Schicksals in ihrem Schoß, ein Mißjahr könnte den Verlust des Krieges bedeuten. Die rasenden Angriffe der Franzosen zwischen Maas und Mosel dauern an. Oft fünfmal im Tag rennen sie die deutschen Ma­ schinengewehre und Bajonette au; doch alles vergebens. Man fragt sich: Wo ist die Friedenssehvsncht des französischen Volkes, das teilweise von Haus und Hof vertrieben ist? Man hött oft die Mei­ nung, die Franzosen wären kriegsmüde, würden aber von den Engländer» gehindert, Frieden anzubieten. Doch wir wolle» uns lieber nicht mit falschen Hoffnungen tragen! 25. April 1915. Die Brotkarten haben sich eingelebt; in die Wirt­ schaften nimmt jeder Gast sein Brot mit. Die Stimmung in Italien wird immer häßlicher. Auch gegen Amerika sind wir aufgebracht wegen der Millionen Waffenliefe­ rungen an nufere Feinde.

Für die Hinterbliebenen der Gefallenen wurde eine Haussammlvug vorgenommen. Ergebnis: 31 Mark. 3. Mai 1915. Das Telephon meldet nachmittags einen großen Sieg im Osten; die russische Front sei an mehreren Stellen durchbrochen. Das hat niemand erwartet; um so größer unsere Freude. Wir wissen nicht, was für eine Bedeutung diese Sache haben soll. Doch kaun diese Ungewißheit die Freude über den Sieg nicht dämpfen. Die Glocken beginnen zu läute», in Großkissendorf, wo ich gerade war, als der Sieg bekannt wurde. Die Kinder kommen mit Fähn­ lein aus den Häusern und singen und springen auf dem Kirchplatz umher, die Dorfböller tönen, die Glocken werben laut. Im Dorf wollen sie gar schon von 136000 Gefangenen wissen. Und doch; über 1000 gefangene Franzosen wäre vielleicht mehr Freude als über 100000 Russen. Denn vom Westen her sind wir kleine Zahle» gewöhnt, während von 5000 östlichen Gefangenen als einer alltägliche» Erscheinung kaum mehr gesprochen wird. Unsere Offensive bei Apern konnte 3—4 km vordringen, steht aber nun wieder still. 10. Mai 1915. Weit und breit Maienzeit! Die Leute sagen, so schönes Wetter wüßte» sie schon seit Jahren nicht mehr. Die Felder stehen in prachtvoller Fülle, die Bienen summen in den blühenden Birn­ bäume», die Bauer» sind voll Hoffnung auf ein gutes Jahr. Das versöhnt mit manchem Kummer und läßt den Krieg mutiger tragen. Eine freudenreiche, aber auch sorgenschwere Kriegswoche liegt hinter uns. Die Schlacht in Westgaliziev begann am Sonntagmorgen des 2. Mai. Sie war reiflich vorbereitet und wird geführt von General Mackensen. In 2 km Breite ist die Russenfront durch­ brochen. Die Russen fliehen und ziehen auch ihre Karpathenarmee

mit. Die Verfolgung geht fort. Am Ende der Woche zählte man 70000 Gefangene. Deutsche O-Boote versenkten an der irischen Küste de« englischen Riesendampfer Lusitania, der Waffen, Gold und 2100 Leute au Bord hatte. Er kam von Amerika. 500—600 Leute sind gerettet, sonst alles dahin. Die Wolke Italien schiebt sich immer weiter vor am Kriegshimmel. Alles deutet auf nahen Bruch. Die Erbitterung gegen solche« Bundesgenossen ist groß. Am Sonntag war neuerliche Getreideaufnahme. Die Bestände sind vielfach schon sehr verringert. 15. Mai 1915. Die westgalizische Schlacht brachte schon 143000 Ge­ fangene; die Russen sind 130 km zurückgeschlagen. Dagegen kommen vom Westen schlimme Nachrichten. Zwischen Lille und Arras begannen am Sonntag den 9. Mai die Engländer und Franzosen eine» großen Angriff, der zwar im Norden zurück­ geschlagen wurde, bei Arras aber zur Einnahme der deutschen Stellungen und eines Dorfes geführt hat. Die Franzosen schreiben von 4000 gefangenen Deutschen. Die Preise steigen andauernd. 1 Pfund Butter kostet 1,40 Mark, Schweinefleisch Lebendgewicht 90 Pfg., Schlachtgewicht 1 Mark bis 1,30 Mark, 1 Liter Spiritus 50 Pfg., Salatöl 2 Mark bis 2,50 Mark. Arme Leute tun sich nun hart. Aber niemand verzagt. Das Vertrauen in unser Heer ist nicht zu erschüttern. 27. Mai 1915. Der Krieg mit Italien ist inzwischen, ohne noch Über­ raschung hervorzurufen, zur Tat geworden. Indessen geht die galizische Schlacht, die schon über 200000 Ge-

fangene brachte, am San wieder lebhafter weiter. Um Prjemysl wird gekämpft. Die französische Offensive ist zum Stehen gekommen. Andreas Ebner, der beim 12. Reserve-Regiment steht, schreibt darüber: „Bier Tage und Nächte schoß die feindliche Artillerie ununterbro­ chen auf unsere Stellungen; die ersten Gräben waren beinahe ein­ geebnet, wir hatten aber tiefe Stollen in die Erde getrieben, welche uns vollständig Deckung boten. Als die französische Infanterie zum Sturm vorging, zogen wir unsere Maschinengewehre aus der Deckung. Obwohl die Franzosen in 6 Linien daherkamen, gelang es ihnen nicht, weiter als 50 m vor unsere Stellung zu kommen. Sie wurden buchstäblich uiedergemäht und liegen haufenweise vor uns. Wir waren 10 Tage in der vordersten Linie. Sie wiederholten ihre Angriffe noch mehrmals, aber immer mit dem gleichen Er­ gebnis. Schlimmer ging es dem rechts neben uns liegenden io. Reserve-Regiment. Das in Stellung befindliche Bataillon wurde durch das Artilleriefeuer fast vollständig aufgerieben. Re­ serven konnten nicht nach vorne gebracht werden und dev Franz­ männern gelang es, bis nach Neuville und Carency durchzustoßen." Mer den gleichzeitigen Angriff der Engländer gegen die Aller Ge­ gend schreibt Lorenz Dirr: „Gestern (iz.) war der Kampf zu solcher Stärke angewachsen, daß unter der Wucht des Artilleriefeuers die Erde in andauernde wellenförmige Bewegung geriet... Der nächt­ liche Himmel war vom Feuer der Geschütze gerötet, das Platzen der Granaten und Schrapnells war wie ein riesiges Feuerwerk; das schwerste Gewitter ist wie ein sanftes Wiegenlied gegen so etwas." Am Montag sammelte ich mit dem Bürgermeister-Stellvertreter von Haus zu Haus für die Kriegsinvaliden. Ergebnis 80 Mark. Auch in der Heimat erlahmt man nicht.

s8. Mai 1915. Heute kommt die erste Trauernachricht vom Krieg io unser Dorf. Auf einer Feldpostkarle schreibt ein unbekannter Sol­ dat an Viktoria Schmid: „Tieferschüttert teile ich Ihnen mit, daß Ihr lieber Sohn Johann Schmid am 11. Mai bei der Verteidi­ gung von Neuville schwer verwnndet wurde und nach kurzer Zeit verschieden ist. Xaver Manu." Der Kamerad wird^s sei«, der seinem gefallenen Nebenmann diesen herbe« Dienst tut.

Die Nachricht drückt auf die ganze Gemeinde. Der Heldentod ist damit auch in unsere Gemeinde eingekehrt und alle, die Söhne und Mäuner im Felde haben, zittern nun viel mehr für deren Leben als bisher. 29. Mai 1915. Wir machen eine Eingabe um Soldaten zur Ernte­ hilfe unter folgenden Angaben: 220 Tagwerk Wiesen sind zu mähen; dazu stehen in der Gemeinde an Arbeitskräften noch zur Verfügung: 33 männliche, 44 weibliche, 21 jugendliche von 12—16 Jahren. 19 Männer sind eingerückt. Wir erbitten 9 Soldaten für die Zeit vom 10.—24. Juni.

Beim stellvertretenden Bürgermeister liegen Ballen von Lumpen zur Fortschaffung bereit, das Ergebnis einer Lumpensammluvg. Die Lumpen werden verkauft, der Erlös wird den Hinterbliebenen der Krieger zugewendet. 3. Juni 1915. Fronleichnamstag. Glockenklang und Böllerschießen den ganzen Morgen — aber es fehlt die rechte Stimmung zu fest­ lichem Gepränge. Der Tod Johann Schmids ist nun auch amtlich bestätigt worden.

Das selten schöne Wetter hält an. Die Bauern haben ihre Pflan­ zen gesetzt und hacken Kartoffelu. Nächste Woche soll die Heuernte

beginnen. Niemand denkt daran, daß die Arbeit nicht bewältigt werden könnte. 6. Juni 1915. Heute schulfrei zur Feier der am 3. Juni wieder­ gewonnenen Festung Przemysl. Wo überall in der Welt stehen deutsche Soldaten? In Galizien dringen ste mit den Österreichern immer weiter vor, im Weste» steht unsere Armee wie eine Maner, an der italienischen Grenze halte» unsere Feldgrauen in österreichischen Mützen Wacht, an den Dardanellen arbeiten deutsche U-Boote. Man muß staunen über die Menschenfülle. Dabei find wir noch nicht am Ende — es sind noch genug waffenfähige Leute im Land. Es hat den Anschein, als ob wir den Russen nun endgültig über­ lege» wären, als ob eine Erdrückung durch die slawischen Massen nicht mehr zu befürchten sei. 10. Juni 1915. Die Heuernte ist bei andauernd gutem Wetter im Gang; Ertrag gut und reichlich. An Arbeitskräften fehlt es nicht: gestern nachmittag kamen plötzlich 7 Feldgraue zum Dorfe herein — als Erntearbeiter. Es sind Landwehrmänner vom 15. Reserve-Regiment aus der Garnison Neu-Ulm, meist Altbayern und Franken. Einige waren schon im Feld und wurden dort ver­ wundet. Ihre Ankunft verursachte überall große Freude; sie «er­ den sicherlich keine schlechten Tage haben, solange sie bei «ns sind. Der Urlaub dauert 14 Tage, sie erhalten dev ortsüblichen Tag­ lohn. 11. Juni 1915. Gottesdienst für den gefallene» Johann Schmid. Der Deteranevvereiu, voran sämtliche Urlaubssolbaten in Uni­ form, marschierte unter Trommelschlag zur Kirche. Die Schul­ kinder hatten die Tumba mit Eichenlaub und einem großen Eiser-

neu Kreuz aus Feldblume« geschmückt; Gewehre mit Kornblumen im Lauf, Säbel und Helm eriunerteu au den Soldateutod; von der Empore sang eine Männerstimme: „Vater, dn führe mich! Führ mich zum Stege, führ mich znm Tode: Herr, ich erkenne deine Gebote; Herr, wie du willst, so führe mich! Gott, ich erkenne dich! Vater, du segne mich! In deine Hände befehl ich mein Leben: Dn kannst es nehmen, du hast es gegeben; Zum Leben, znm Sterben segne mich! Vater, ich preise dich!" Der Geistliche knüpfte seine Ansprache an das Lied au; ein Requiem beendete die ernste Feier. Inzwischen hat der Kamerad des Gefallenen nähere Mitteilungen gemacht. Das 3. Bataillon des 10. Reserve-Regiments war am 11. Mai in Stellung, das 2. Bataillon, dem Schmid angehörte, lag in Neuville in Bereitschaft. Die Franzosen durchstieße» die zusammeugeschosseue» Stellungen und drangen nach Neuville vor. Bei der Verteidigung des Dorfes, am Ortsraude, wurde Schmid von einer Granate getroffen. Sie schlug ihm beide Beine ab. Be­ wußtlos lag er noch eine Stunde, gegen 5 Uhr nachmittags starb er. Er ruht in einem Massengrab. Als er auszog aus der Heimat, es war an einem Augustmorgeu zwischen 3 und 4 Uhr, begleiteten ihn seine Dorflameraden im Frühdämmer bis zum Waldrand. Da sangen sie zusammen das trübe Lied: Morgenrot, leuchtest mir zum frühen Tod...

iy. Juni 1915. Eine Segenswoche. Bei herrlichem Sommerwetter, ohne einen Tropfen Regen, ist das Hen nahezu geborgen. Die Soldaten mit ihren weißen Drillichhosen waren kräftige HUfen. Auch die Schulkinder wurden angehalten, fest mitzutun. Mittelund Oberklasse erhielten die ganze Woche über schulftet. Diese Kriegsernte wird uns in Erinuernng bleiben! 25. Zn ui 1915. Unsere Erntesoldaten reisten gestern wieder ab, nach­ dem sie im Wirtshaus lustigen Abschied gefeiert hatten. Sie haben dem Dorf viel geholfen und der Dank begleitet sie in die Kaserne. Ihr Taglohu betrug 2 Mark. Die Wirtin ließ sie zur Bahn fahren. Heute schulfrei — Lemberg ist am Dienstag nachmittags 4 Uhr von österreichischen Truppen genommen worden. Die Russen sind überall auf dem Rückzug. Alles hofft auf eine noch völlig glückende Überwindung der Ruffenflut. „Wenn nur die Russen geschlagen sind, dann müssen die andern doch auch nachgeben", meinen die reute. Dabei wird häufig die Frage erörtert, ob der Krieg wohl nochmals einen Winter dauert. Wer weiß es ? Mit Prophezeiungen sind wir vorsichtig geworden. Aus der Gegend von Arras, wo die Westmächte ihren Entscheiduugskampf kämpfen, wird von fürchterlichem Blutvergießen und große« Leiden unserer Soldaten berichtet, die mutvoll standhalten. Die Verletzungen und Tötungen erfolgen alle durch Granatfever. 29. Juni 1915. Die Kämpfe bei Arras haben nachgelassen. Diele Söhne unserer Gegend mußten dort standhaft dev Tod erwatten. Der Abbruch der Schlacht ist eine Erlösung für das ganze Vater­ land. Der Wirtschaftskrieg in der Heimat ist für heuer gewonnen, wen« auch die neuartige Organisation viele Mängel und viele Kritiker

hatte. Unsere Sorge gilt der neuen Ernte. Den Schwerarbeitendeu wird nun eine Znsatzbrotkarte gegeben; die Landwirte gelte« als Schwerarbeiter. Gerüchte wollen wissen, daß in den Getreide- vvd Mehllagern viele Vorräte verderben, daß in Ulm verdorbenes Mehl in die Dona« geworfen worden sei. Das wird besonders von denen erjählt, die nicht genügend Getteide abliefern. Am vergangenen Mittwoch war Musterung der 19jährigen. Zwei aus unserem Dorfe find tauglich befunden worden: einer für die Infanterie, einer für die Cisenbahntruppe. . Juli 1915. Der Bürgermeister ist auf i4tägigeu Urlaub hier. Er erzählt allerhand ans Antwerpen. Unsere Soldaten draußen glau­ ben alle an unser» endgültigen Sieg und an die noch kommende deutsche Offenfive im Westen. Da sind wir in der Heimat etwas schüchterner in unsern Erwartungen. Die Schätzung der Ernteflächen, die morgen in der Gemeinde vor­ genommen wird, soll einen Überblick über die neue deutsche Ernte geben. Die Zusatzmarke für einen Schwerarbeiter bettägt 280 Gramm Mehl «Schenttich. Der Brotpreis ist immer gleich: 100 Gramm kosten 8 Pfg. Sonstige Preise: 1 Pfd. Kriegsmehl 26 Pfg., i Pfd. Schweinefleisch 1,20 Mark, Kalb- oder Rindfleisch 1 Mark; i Pfd. Magerkäse 1 Mark; 1 Ei 12 Pfg.; 1 Pfd. Butter 1,50 Mark; i Liter Salatöl 2,40 Mark; 1 Liter Spiritus 45 Pfg. . Juli 1915. Heiße, trockene Tage. Futternot wird befürchtet; das Getteide jedoch wird gut. Unsere Lage ist auf allen Kriegsschauplätzen gut. Im Osten steht unser Heer zwischen Bug und Weichsel mit Front gegen Norden auf russischem Boden, starkem Feind gegenüber; in Frantteich ist

die Durchbruchsgefahr vorüber; die Jtalieuer suchte« iv 7 tägiger Schlacht «ach Görz vorjudrivge«, jedoch vergebens. 11. Juli 1915. Der Urlaub des Bürgermeisters ist j« Code. Gestern abend hatte ihn die Gemeindeverwaltung jv einem Abschieds­ trunk geladen. Dabei machte sich erstmals der Biermangel be­ merkbar: ab ii Uhr wurde nichts mehr ausgeschenkt. Das Schwerste für jeden Urlauber ist aber der Abschied von der Familie. Manche Frau sagt: Wenn mein Man» doch wieder fort muß, dann wär mir fast lieber, er erhielte gar keinen Urlaub. Die Herbheit solcher Scheidestunde liegt heute wie ein Druck auf der ganzen Gemeinde. Nach dem Sonntagsgottesdienst drückt jeder verlegen dem scheidenden Bürgermeister die Hand und wünscht ihm Glück. Und daheim in der Stube sammelt die Mutter ihre 7 Kinder, herunter bis zum Zweijährigen, das den Bater gar nicht wiedererkannte, als er vom Feld zurückkam. Alles liegt schon be­ reit: auf dem Stuhl der verdeckte Helm; auf dem Tisch der offene Tornister, bepackt mit frischer Wäsche, Würsten, Zitronensaft, Brot, Eiern. Am Kleiderhaken, «0 sonst des Bauern blauer Schurz und Arbeitskittel friedlich baumeln, hängt straff und eisern das Ge­ wehr mit der Patronentasche. Welches Bild in einer Bauernstube! Wenn die Glocke Mittag läutet, schreitet der Urlauber schwerbe­ packt auf staubiger Landstraße dem Walde zu, ihm zur Seite sein Weib. Ein stummes Weh setzt sich in jedem Hause mit zu Tisch heute. 14. Juli 1915. Morgen beginnen in Stadt und Land die Ferien. Die Schularbeit war diesen Sommer durch viele Störungen gehemmt; auch die vielen Säumigen brachten Unordnung in die Schulstube. 16. Jvli 1915. Der Zweite. Anton Joas,der Sohn vom Boten, iffs. Seit Anfang stand er im Feld, hat so vieles mitgemacht, alles Leid s*

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und Schrecken des 12. Reserve-Regiments getragen, das Eiserne Kreuz sich erworben, ist jum Gefteiten befördert worden, und nun, in der Nacht vom 9. auf 10. Juli, nach fast ganzjährigem Aushar­ ren, der Heldentod. Eine feindliche Mine hat ihn gebracht. Noch 4 Kameraden starben mit ihm. Und der, der verschont blieb, setzte sich hin und schrieb die traurige Kunde in die Heimat; heute mittag kam der Brief. „Ich hatt" einen Kameraden" schreibt er, und er werde dem Gefallenen einen Sarg machen und ihn begraben. Aus heiterem Himmel schlug die Nachricht in die Familie ein. Mau glaubte nach den heftige» Arras-Kämpfe» wieder etwas sicher sei» zu dürfen und gab sich der Hoffnung mehr als sonst hin. Doch „Ach, vielleicht, indem wir hoffen, hat uns Unheil schon getroffen!" Da stehen sie nun, dev Brief in der Hand und wissen nicht, wo ein und wo aus. Bor das Haus rennen sie und rufen den Nachbar um HUfe — doch was soll der helfen? Sie klagen und wollen avklageu und wissen nicht wen. Fort wollen sie, um ihn nochmals zu sehen, und wissen nicht wohin. Besonders schwer trifft es die Mutter: „Der liebste von meinen Buben war er mir. Für ihn habe ich gearbeitet, auf ihn gewartet, nun ist all mein Werk umsonst. Nun ist mir alles gleich, ob die Franzosen kommen oder nicht." Sie setzt sich auf die „Schlacht" vor dem Haus und beginnt zu sinnen und mit sich selbst Zwiesprache zu halten. Wie brav, wie gewissenhaft ist er gewesen! Wie hat er alles zusammengehalten, wie gut ist er mit dem Vater ausgekom­ men! Und jedesmal legte er ein Blümlein aus Frankreichs Erde in den Brief, bestimmt für die Mutter. „Er war mir aus Herz ge­ wachsen!" Als er ins Feld zog, da sagte sie: „Anton, wenn am

Abend die Sonne umergeht, dann schau ich immer t« ihr hinauf, mach^s auch so und denk dabei an mich!" Du alte, grave Mutter! Da sitzt du auf dem harten Stein. Die Sonne ist untergegangen für dich. 18. Juli 1915. Die Leute erzählen von vielen Truppeabeförderungen von Ost «ach West. Auch viele Soldaten aus der Garnison kamen in letzter Zeit ins Feld, darunter Kühner Hans nach knapp zwei­ monatiger Ausbildung. Man vermutet eine deutsche Offensive im Westen. 25. Juli 1915. Unsere Vermutungen über eine Westoffevstve waren falsch. Das Gegenteil ist eingetreten: im Osten greifen die deutschösterreichischen Truppen von der Ostsee in Kurland drunten bis hinauf zum Dujestr au. Die große galizische Schlacht war also nur Vorbereitung zu diesem allgemeinen Sturm. Nun erst geht es ums Ganze, nun kämpfen alle gegen alle. Bisher sind Glück und Erfolg auf unserer Seite. Das ganze Russenheer, von einem mächtigen Halbkreis umfaßt, zieht sich auf seine Festungen zurück, die allent­ halben angegriffen werden. Mit Bangen erleben wir diese weltgeschichtlichen Ereignisse. 26. Juli 1915. Am Gottesdienst für Anton Joas nahm die ganze Umgegend tell. Er ruht mit den vier Kameraden, die gemeinsam mit ihm starben, auf dem Soldatenfriedhof zu Gaverelles. Unter seinen hinterlassenen Habseligkeiteu, die vom Felde nach Hause geschickt wurden, fand sich neben dem Eisernen Kreuz ei« Tägebüchlein, geführt bis zum 8. Februar. Die Stichworte und knappen Sätze, geschrieben auf dem Tornister, im Biwak, im Un­ terstand, im Quartier, atmen die scharfe Luft des Krieges selbst.

Wir entnehmen daraus: „Ansmarsch am 12. August 1914, früh 4 Uhr. Erstes Quartier in Leiweiler. — 15. August deutschen Flieger abgeschossen, Biwak. — 20. August schwieriges Gefecht am Bannerwald am Saarkanal. — 21. August Vormarsch bis Grenze, große Bente au Brot, Hafer usw.—22. August 200 Ge­ fangene. — 27. August Fort Manonvillers abends 5 Uhr ge­ fallen. Wache in Herbreville. — 1. September fürchterliches Schrapnellfeuer den ganzen Tag. — 2. September Rasttag. 8. September Meh, Schafe beitreibev. — 28. September ver­ lade» in Metz-Sablov, ansgeladen bei Cambrai. 2 Tage Vormarsch nach Douai, Gefecht bei Oppy. — 3. Oktober im Kloster bei Oppy; Hemd, Wein. — 4. Oktober Gefecht, nachts Sturmangriff, Braun gefallen, zwei Verwundete. — 6. Oktober morgens Bahnüber­ gang, eigenes Artilleriefeuer, nachmittags Schrapoellfener, abends Turkos gefangen, teilweise erschossen. — 8. Oktober Sturmangriff mißlungen, dann Ablösung durch Preußen, abends Ortschaft Farbns. — 24. Oktober früh 1 Uhr Abmarsch, Schützengrabenmachen unter Artilleriefeuer, 2 gefallen, 2 verwundet; abends un­ gemeines Artilleriefeuer, dann Angriff der Franzosen, Signal blasen hören. — 26. Oktober ein Blindgänger einen Meter hinter meinem Schützenloch eingeschlagen; nachts abwechselnd wachen. — 27. Oktober Jufanteriefeuer, um 2 Uhr gemeines Artillerie­ feuer, Verzweifiungsfener. — 4. November nachts 12 Uhr Sturm auf Messoplance, im Garten den Tornister zurückgelassen, nachts wieder geholt. — 5. November nachmittags 4 Uhr zurück wegen zu starkem Artilleriefeuer, schwere Verluste. Abends wieder in die Stellung vor, nachts starkes Jufanteriefeuer. — 6. Novem­ ber morgens Verwundete sammeln, tagsüber in den Schützen­ gräben fast kern Feuer. — 8. November abends abgelöst, noch

i8 Mas«. — 16. Janaar morgens fravzSsischer Angriff, fast ge­ fangen, 40 Mann Verlust. — 20. Januar in Farbus Granat­ splitter am Finger. — 8. Februar nach Frenoi jvr Königsparade." 1. August 1915. Der Jahrtag des Kriegsbegiuvs ist Opfettag für das Rote Kreuj und für Kriegsiuvalide; Ergebnis dahier 71 Mark. Eine Versammlung für Lajarette erbrachte 200 Stück. Das neue Wirtschaftsjahr wird vorbereitet. Oie alten Mahlscheive laufen am 15. August ab; um die neue« muß jetzt schon nachgesucht werden. Um einen Überblick über die verfügbaren Mengen ju be­ kommen, mußten schon im voraus Eruteschätzungeu vorgenom­ men werden. Die hiesige Schätzkommissiov, bestehend aus dem stellvettretendeu Bürgermeister und einigen Landwirten, nahm für hener an: eia Hektar Land erträgt 24 Zentner Weizen oder 16 Zentner Roggen oder 14 Zentner Gerste oder 20 Zentner Haber. Die Höchstpreise betragen für den Zevtaer Weizen 13,40 Mark, Roggen 11,50 Mark, Gerste und Haber je 15 Mark. Der Bauer darf für seinen eigenen Bedarf ungefähr die gleichen Mengen zurückbehalten wie bisher: von Weizen, Fese» oder Roggen ins­ gesamt 9 kg pro Kopf und Monat, außerdem bas Saatgut; von Haber 1 Zentner pro Monat und Pferd, außerdem wieder das Saatgut; von Gerste die Hälfte zu beliebiger Verwendung. Die Einbringung der neuen Ernte, von der doch schon bald gelebt werden soll, verzögert sich infolge der wechselhaften Witterung. Auch erhielten die Banern nicht so viele Erntesoldaten, wie sie ver­ langt hatten; es sind nur sieben eingewiesen worden. 8. August 1915. Die Geueraloffeusive im Osten hat schon zu ganz großen Ergebnissen gefühtt. Am Donnerstag nachmittags 2 Uhr, die Bauern arbeiteten alle auf dem Felde, fing es in mehreren 7i

Ortschaften zu läüteu nvd jv schießen an. Die Lavdleute riefen einander jn, das Mrde wohl Warschau bedeuten. Abends erfuhren wir dann, daß die polnische Hauptstadt tatsächlich gefallen ist. Ist nun der Krieg bald jn Ende? fragen die ewig Hoffenden. Die Rus­ sen ziehen fich auf die Buglinte zurück. Jn den letzten Dogesenkämpfen erlitt Josef Knaier einev Schuß durch die linke Achsel. 15. August 1915. Die Ernte ist zu Ende. Allgemeiubefnnd gnt, die Schätzungen der Kommission dürsten übertroffen sei«. Auch die Erntesoldaten mußten wieder fort, heute die letzten. Die Gemeinberechnungeu für 1914 wurden aufgestellt. Sie find vom Krieg fast gar nicht beeinflußt. Mit Ausnahme von ein paar WohltätigkeitSspeuden und Rekrutengelderu (jeder Einrückende erhält 5 Mark) stellte der Krieg keine Anforderungen an die Ge­ meindekasse. Die Umlagen «nrden sogar von 147% «wf 100% herabgesetzt. Unterdessen marschieren im Osten unsere Truppen in Gewaltmär­ schen nach Rußland hinein: Hivdenburg von Norden, Prinz Leo­ pold von Westen, Mackensen von Süden. — Die Balkanvölker liegen immer noch auf der Lauer und können fich nicht entscheiden. Bulgarien wird, so meine» wir, den Anstoß geben, indem es an Serbien den Krieg erklärt. Was dann die andern tun, ist dunkel. 27. August 1915. Ganz Deutschland jubelt diese Wochen in Freude — es ist Siegeszeit. Fast jeden Tag hören wir von gefallenen Festnngeo, großen Gefa«gene»zahlev; Läuten und Böllerschießev ohne Ende. Die Einnahme der Festung Nowo-Georgiewsk bei Warschau brachte allein 85000 Gefangene und 700 Geschütze.

Gestern abend wurde bekannt, daß auch das Bollwerk am Bug, Brest,Litowsk, bereits gefallen ist. Hans Kühner kämpft in Rußland in vorderster Reihe. 30. August 1915. Die Grummeterute konnte bet guter Witterung in voriger Woche großenteils geborgen werden. Auch hier reichliche und gute Erträge. 7. September 1915. Wie hat sich die Sountagsuuterhaltung im Wirtshaus gegen früher geändert. Da erjählt et» Urlauber, der hier Bekannte besucht hat, von den Minen, und Handgranaten, kämpfen bei St. Mihiel; Sankt Michel, sagt er, und hat recht; so isss gut deutsch. Wie vergeht, kommt ein anderer Feldgrauer aus dem Nachbardorf jur Tür herein; er ist eben vom Lazarett entlassen worden, war in Rußland bei der Offensive in Galijien und dem Sturm auf Prjemysl dabei und wurde in Polen verwundet. Da gibt'S zu erzählen! Don unendlichen Märschen, an deren Ende die müden Soldaten hinsinken auf dem Fleck, wo sie stehen, und ein, schlafen vor Hunger und Durst; von elenden Hütten mit einem einzigen Raum für Menschen und Vieh; von Dreck; von „Bauern" mit einem Tagwerk Grundbesitz, die vor dem Haus mit zwei Stei, neu eigenhändig das Getteide zermahlen und daraus Schrot­ kornbrot backen; von großen MeierhSfen mit Taufenden von Hettar, die im Besitz der Juden sind. Da horchen die Bauern auf und verstehen den Unterschied zwischen Rußland und Deutschland. Und wenn der von Rußland eine Pause macht, fällt oben am Tisch Alois Denzel, der in Urlaub hier ist, ein und berichtet vom deut­ sche» Vormarsch durch Belgien und Nordfrankreich, von Frankti, reurs, von SchlSssern mit Wein, seidenen Betten und gebratenen Gänsen. Welch eia Gegensatz! — Und dann kommen die Finaaz-

fragen jur Sprache. Die dritte Kriegsanleihe, 5%, Kurs 99, ist ausgeschrieben, man lernt das Getriebe des Geldwesens kennen, man bemüht sich jv sparen, weil alles jeichaen will.

Avch unser zweiter Vogesenkämpfer, Anton Zahn, liegt verwundet in Kolmar. Eine kurze, amtliche Mitteilung besagt: Schwer ver­ wundet am linken Oberarm. 11. September 1915. Am Donnerstag, den 9., Wiederbeginn des Unterrichts. Heute wurden ans Silheim 315 Zentner Haber ans Heer abge­ liefert.

Unsere Heere schreittn weiter nach Rußland vor. 15. September 1915. Am Sonntag hatten wir, der stellverttetende

Bürgermeister und ich, die schöne Aufgabe, von Haus zu Haus alles Messing, Kupfer und Nickel aufzuschreiben. Die Hausfrauen machten böse Gesichter, als sie ihre messingene» Pfannen und kupfernen Herdschiffe angeben mußten. Reiunickel war nicht vor­ handen. Nebenbei hatten wir auch Zählung der Gerstenvorräte und Werbung für die Kriegsanleihe. Heute müssen sich alle früher gänzlich Ausgemusterten zur Stamm­ rolle anmelden. Sie haben nächstens Musterung. Alles erwattet eine baldige Offensive der Deutschen im Weste«, weil man meint, der Krieg solle vor dem Winter noch zu Ende gehen. 2g. September 1915. Kartoffelernte. Die Leute brauchen ihre Kin­ der, wir müssen daher für die obere» Klassen de» Unterricht doch nochmals aussetzen.

Der russische Vormarsch macht Riesenschritte. Man gewöhnt sich so sehr au die Siegesnachrichteu, daß die Einnahme von Wilna

ganz stillschweigend und als Selbstverständlichkeit hingenommen wird. Gestern die überraschende Meldung, daß deutsche Kanonen nach Serbien hineiuschießen. Wo etwas geschehen soll, müssen der deutsche Soldat und Führer voran. Österreich kaun selbständig wenig unter­ nehmen. Nun muß sich die Balkanspanuung doch bald lösen. a;. September 1915. Die Eingaben an die Behörden mehren sich von Tag jv Tag. Will der Bauer für seinen Sohn oder die Bäuriu für ihren Mann Ernte- oder Saatnrlaub, so müsse» sie darum nachsuchen. Kaum ist daun der Urlauber zu Hanse, so wird nm Verlängerung der Urlavbsjeit eingegeben. Auch verschiedene Geld«uterstützvngen werden nur ans Grund von Eingaben gewährt. Da wird daun, um des Erfolges willen, gar oft geheuchelt, ver­ elendet, ja gelogen und geschwindelt, daß auf die Dauer der Cha­ rakter des Volkes unter dieser unschönen Begleiterscheinung des Krieges leiden muß. Die Bürgermeister können meist nicht anders, als diese Eingaben zu bestätigen und sie mit dem Amtsflegel ver­ sehen weiterzuleiten. Wie solle» nun Bezirksamt und Truppenteil den wirklichen Notstand herausfinden? So ist es kein Wunder, wenn Urlaub und Unterstützung nicht immer dahin fallen, wo sie am nötigsten wären. Kartoffelernte beendet: ungewöhnlich reichlich. Kühner steht nun auf dem serbischen Kriegsschauplatz, Belgrad gegenüber. 27. September 1915. Der Sturm im Westen hat, wie die gewitter­ schwülen Wochen ahnen ließen, begonnen; jedoch: Engländer und Franzosen sind die Stürmer! Wir wieder in Verteidigung. Nach tagelangem Artilleriefeuer griff der Feind an zwei Stellen au:

zwischen Aper« und Arras die Engländer, Wische« Reims vud Argonnen die Franzosen. Die Angriffe, monatelang vorbereitet, sind schwerster Art, ste sollen nach dem Willen vaserer Feinde de» großen Durchbruch nach Belgien und dem Rhein bringen. Unsern Truppe» stehen harte Tage, vielleicht Wochen, bevor. Die dritte Kriegsanleihe brachte 12 Milliarde». Der hiesige Armenfoud mit 600 Mark wurde dazu gegeben. Auch sonst haben die Leute eifrig gezeichnet. 2. Oktober 1915. Der erste Blick in die Zeitung gilt jetzt dem west­ lichen Kriegsschauplatz. Die begonnene Offensive scheint wieder stecken zu bleibe». Sie kostete uns zwar viele tausend Gefangene, aber -er Durchbruch ist mißlungen. Hoffen wir auch ferner auf gute Nachrichten! Im Osten langsame Fortschritte; schon wochenlang wird um Düna­ burg gekämpft. Die Aussichten auf Frieden in diesem Jahre noch «erden immer trüber. 9. Oktober 1915. Sine Woche mit schlechter, kalter Witterung. Mt Schaudern deutt man au die nun wieder beginnende Verschlam­ mung der Schützengräben. Im Westen gehen die wütenden Angriffe der Franjoseu in der Champagne fort. Fast Tag für Tag rennen sie gegen die dentscheu Linien an, äußerste Anstrengung unserer Truppen nur kann diese Stürme der Verzweiflung aufhalten. Die Engländer haben ihre Angriffe eingestellt. Und was geht in Südost vor? Der brodelnde Kessel muß nun doch Gestalten aufsteigen lassen. Bulgarien wird gegen Serbien gehen, das ist nun klar. Rumänien wird vorläufig neutral bleiben. In Griechenland geht alles drunter «ud drüber. Inzwischen lan-

dev die Westmächte Truppe» iu Saloniki, um den Serbe» j« Hilfe j» eilen, in deren Land die Österreicher und Deutschen bereits ein­ marschiert sind. Die Preise für Lebensmittel steigen: ein Ei kostet 15, ein Krautkopf 32, ein Pfund Maljkaffee 60 Pfg.; ei» Pfund Fleisch 1—1,40 Mark, ein Pfund Butter 1,80 Mark. Die Frage: was sollen wir essen? ist mit jedem Tag schwieriger zu beantworten. Die Bauer» be­ helfen sich meist damit, daß sie die Mahlvorschriften umgehe» und größere Mengen in die Mühle fahren, als auf dem Mahlschein stehen. 12. Oktober 1915. Die 10000 Deutschen, die in russischer Gefangen­ schaft leben, sollen mit Liebesgabe» erfreut werden. Zu diesem Zwecke wird j«r Zeit Geld gesammelt. Dahier wurden 29 Mark gespendet. 16. Oktober 1915. Kirchweihsamstag. Als die Soldaten im August 1914 ausmarschierten, hofften sie an Kirchweih wieder daheim ju sein. Nun ist die zweite Kirchweih und kein Mensch traut sich getrost behaupten, daß sie an der dritten Kirchweih zu Hause sind. Die Bauer» säen und legen damit unbewußt de» Grund zur Wet­ terführung des Krieges.

Die Kriegslage ist zur Zeit nicht ungünstig für uns: Belgrad ge­ fallen, Bulgarien an unserer Seite, Rumänien «ob Griechenland neutral bleibend — das ist mehr als wir zu hoffen wagte». Und doch werde» Volk und Heer langsam kriegsmüde. Einer unserer Neunzehnjährigen mußte bereits einrücken. 23. Oktober 1915. Auch die Arrasfront, «0 unser 12. Reserve-Regi­ ment liegt, war in letzter Zeit wieder den Angriffen der Franzosen ausgesetzt. Andreas Ebner schreibt darüber: „28.9. Die Fran-

rosen setzen wieder alles daran, nm dnrchrvkommen. Die Artillerie verschießt eine Unmenge Munition, jedoch ihre Infanterie tränt sich nicht heraus. Wenn sie von vns Maschinengewehre hören, laufen sie alle davon. 5.10. Bei uns ist die französische Offensive vollständig gescheitert. Zwei Tage und Nächte beschossen sie unsere Stellung mit Kanonen aller Kaliber. Auch verweudeteo sie Gasund Stinkgrauaten; über 500 Minen schwerster Gattung warfen sie auf unseren Kompagvierayon. Wir paßten aber scharf auf, und als die erste» zum Sturm ansetzten, eröffnete unsere Artillerie ein solches Feuer aus 15# und 21-cm-Mörsern, daß niemand mehr dev Grabe» verlassen konvte. Dreimal versuchten sie den Sturm vergebens." Die Briefe sind geschrieben in Mache. Zi. Oktober 1915. Das Fleisch beginnt zu mangeln. Daher verfügte

der Bundesrat: Ab i. November dürfen an Dienstagen und Frei­ tagen nirgends mehr Fleisch, Fleischware und Fleischspeise verkauft werde»; an Montagen und Donnerstagen darf in Wirtschaften kein Fleisch abgegeben werden, das mit Fett gekocht ist; an Sams­ tagen gibt es kein Schweinefleisch. Unsere Truppen dringen von Norden her immer weiter ins ge­ birgige Serbien ei»; die Bulgaren arbeiten ihnen von Süden und Osten her in die Hände. Nachträglich erfähtt man, daß der Über­ gang über die Donau sehr schwierig und verlustreich war. Im Westen lassen die feindlichen Angriffe endlich nach. Dagegen rennen die Italiener wieder einmal vergebens gegen die öster­ reichische Stellung an. 1. November 1915. Allerseelenzeit! Auf unserm Dorffriedhof sieht in der Südosiecke eia sinniges Feldgrab zur Erinnerung an unsere

Gefallene«: ein ««behauenes Holjkreuz, umgebe« von Tvje« und Weißtannen. 6. November 1915. Wieder ei« schwarzer Tag! Johann Joas ist gefallen. Der zweite aus einem Haus. Doch, was fragt der Krieg danach! 8. November 1915. Nisch, der serbische Hauptwaffeuplatz, wurde vo« de« Bulgare« erobert. Die Regierung ordnete deswegen einen schnlfreien Tag an. Die ne« angeschaffte schwarz-weiß-rote Fahne weht zum erstenmal vom Schulhansgiebel.

Josef Berchtolb ist in Urlaub hier; das vordere Glied des rechten Zeigefingers ist ihm abgeschossen. Der 30. Oktober war ein Unglückstag für unsere Gegend. Es fielen mit Joas Hans zwei seiner Kameraden ans der Nachbargemeinde Großkiffendorf; es wurde beim gleichen Angriff Wolf Josef, der mit Joas im Januar einrückte, schwer verwundet. Lauter junge Menschen von 20 Jahren! 15. November 1915, Johann Joas starb einen schnellen Tod: Kopf­ schuß. Der dentsche Heeresbericht vom 30. Oktober meldete, daß bayerische Truppen nordöstlich von Neuville, nördlich von Arras, ein Stück der franzöfischen Stellung in Länge von 1,1 km ge­ nommen haben. Diese Unternehmung, die lediglich eine Ver­ besserung der Grabenlinie bezweckte, kostete Joas das Leben. Ein Kamerad ans seiner Kompagnie berichtet darüber: In der Mor­ gendämmerung wurden vier dentsche Minen abgeschossen; das war das Zeichen znm Angriff. Die Nachbarkompagnien stürmten vor, wir blieben in Bereitschaft. Der Angriff glückte mit wenig Verlusten. Mittags 12% Uhr mußten wir die Truppen im er­ oberten Graben ablösen. Der Graben war schlecht ausgebaut und

bot wenig Deckung. Um i Uhr setzte fravjöfisches Trommelfeuer eiu und dauerte eivige Stunden. Gegeu 4 Uhr machten die Fran­ zosen Vorbereitungen zu einem Gegenangriff, wagten ihn aber nicht, da unser Graben dicht besetzt war. Mit Gewehrfeuer und Handgranatenwerfen ging das Geplänkel fort. Die Gruppe, bei der Joas war, stand an einem ungünstigen Grabenstück und war besonders dem Fener ausgesetzt. Da traf ihn zwischen 6 und 7 Uhr abends ein Querschläger ans einem Jnfanteriegewehr mitten auf die Stirn. Cr fiel rücklings nieder, seinem Nebenmann in die Arme, und war sofort tot. Wegen der heftigen Beschießung war es uumbglich, ihn nach rückwärts zu tragen. Er mnßte noch am gleichen Abend mit zwei Kameraden an der Stelle, wo er gefallen war, be­ erdigt werden. Das Grabenstück wurde bald darauf aufgefüllt und eingeebnet; kein Kreuz bezeichnet sein Grab. Die Stelle liegt yz Stvnde nördlich von Dimy auf der Höhe. 24. November 1915. Die Getreide-, Mehl- und Fettvorräte wurden aufgenommen. Die Zählung ergab hier: 264 Zentner Roggen, 180 Zentner Weizen, 397 Zentner Fesen, 218 Zentner Gerste, 252 Zentner Haber, 25 Zentner Roggenmehl, 31 Zentner Weizenmehl, 8 Pfnud Butter, 35 Pfund Butterschmalz, 144 Pfund Schweine­ schmalz. Die Angaben werden wohl zu niedrig sein; die Bauern lassen sich nicht mehr gern in ihre Speicher und Töpfe gucken — je weniger sie angeben, desto weniger brauche» sie abliefern. Für Gerste werden zur Zeit von Branereien hohe Preise bezahlt. Ein kleiner Söldner erhielt für 18 Zentner Gerste 312 Mark. Nun wird schon für die zweite Soldateuweihnacht gesammelt. Er­ gebnis: 51 Mark. Serbien ist am Ende seiner Kraft, fast das ganze Land ist besetzt.

28. November 1915. Früher Winter. Viel Schnee, hohe Kälte. Doch ist die Besorgnis «m unsere Truppen Heuer geringer, weil wir wissen, daß fie für den Winter besser vorbereitet sind als im Vor­ jahre; den ganjen Sommer und Herbst wurde am Ausbau der Stellungen gearbeitet. Lorenz Dirr ist in Urlaub hier und erzählt allerhand vom Krieg, Gutes und Schlimmes. Die Berichte der Soldaten über die Ver­ hältnisse an der Front sind sehr verschieden. Das deutet daraufhin, daß Stimmung, Verpflegung, Haltung der Vorgesetzten bei den einzelnen Truppenteilen ungleich sind. Das Bedenklichste ist wohl, daß sich im Heer so langsam die Meinung breit macht, der Krieg wäre nicht notwendig gewesen, sei vielmehr eine gewollte Veran­ staltung der „Großen" aller Länder. Das Wort „Schwindel" dringt immer häufiger von der Front in die Heimat. Dazu werden die Friedenshoffnnngen immer wieder getäuscht. Der November, auf den die Leute als äußersten Termin vor dem Winter hofften, ist ohne Friedensaussicht zu Ende gegangen. 2. Dezember 1915. Gottesdienst für Johann Joas. Die Jungfrauen der Gemeinde hatten Tumba und Feldgrab geschmückt. Zn seinem Andenken «ud dem Andenken all jener einfachen Men­ schen, die den Krieg erleben wie er: in einer Mischung von Hnmor und Angst, sei einer seiner ungekünstelt-natürlichen Feldpostbriefe festgehalten: „Schützengraben den 10.9.15. Meine Lieben! Habe alle drei Pakete erhalten, wofür ich bestens danke. Bin immer ge­ sund und habe guten Humor, was hier das beste ist. Ihr habt er­ fahren, daß es mir schon nahe gestanden ist; ich hab es Euch nicht geschrieben, daß Ihr nicht so erschreckt seid. Es ging so: Als wir am selbigen Abend abgelöst wurden, merkten dies die Franzmänner,

da es so trocken war «ad man das Trappen weit hörte. Ich «nd noch sieben Kameraden waren ungefähr zehn Meter von unserem Unterstand weg im Schützengraben an die Wand gelehnt. Auf ein­ mal kam eine Granate und zwar der Flachbahnseppl — das ist die leichte Artillerie — über uns hinweg und schlug fünf Meter über meinem Unterstand ein. Es warf mich an die Wand, daß meine linke Hand eine Viertelstunde kein Gefühl mehr hatte. Einen sol­ chen Luftdruck hat so ein Eisen- oder Stahlklotzen! Und die Splitter schlugen neben mir ein. Dann ging es so schnell wie möglich in den Unterstand hinein. Da schlug die zweite einen Meter von meinem Tornister entfernt, der vor dem Unterstand lehnte, ein; es war zum Glück ein Blindgänger. Sonst ist unsere Stellung sehr gut. Hemden habe ich 5 Stück bei mir. Ich habe immer noch das erste au. Es kommt nur herunter, wenn man lausen tut; denn Läuse gibt es wie die Zwetschgen so groß; die lassen einem keine Ruh bei Nacht. Bin ganz verstochev am ganzen Leib vom Kopf bis zum Fuß. Die Hose kam noch nicht von den Füßen weg. Ihr könnt mir Kaffee schicken, aber gemahlen; man hat den ganzen Tag Zeit zum Kaffeekochen hier im Schützengraben. Wenn wir zurückkommen ins Quartier, so können wir auch Mllch dazu kaufen. Der Infanterist ist die reinste Wühlmaus, ist das mindeste Geschöpf in diesem Krieg. Er steht da im Schützengraben und weiß nicht, wann es ihn trifft, jetzt oder gleich. Und der Artillerist ist der „Mäxe" in meiner Stel­ lung hier; die wissen nicht, was sie alles anfangen und saufen müssen. Sonst gibt es nichts Neues hier." Und nun haben wir ihm, dem kaum Zwanzigjährige», Lebens­ frohen, schon das Requiem gesungen. 3. Dezember 1915. Der serbische Feldzug wird für beendet erklärt; 82

ganz Serbien ist besetzt, das Heer gefangen und geschlagen. Deutsche Truppen, die dort kämpfte», werden nach Frankreich verschoben. 5. Dezember 1915. Die strenge Kälte ist warmem Tauwetter ge­ wichen. Unsere Achtzehnjährigen waren bei der Musterung; drei von ihnen find tauglich befunden, die übrigen zurückgestellt worden. lg. Dezember 1915. Zahn Josef ist in Urlaub hier. Sein Arm ist lahm, zwei Schrapvellkugel» haben die Nerven des Oberarms durchschlagen. Durch Operation wurde versucht, den Arm wieder bewegungsfähig zu machen. Im Ulmer Bahnhof fallen die vielen Truppenzüge nach Westen auf. Alles spricht von der kommenden deutschen Offenflve. Die Sozialdemokraten stellten im Reichstag dev Antrag, mit Frie, densangeboten an die Feinde heranzutreten. Sie finden damit wenig Echo; trotz aller Friedenssehnsvcht glaubt niemand an den Erfolg eines solchen Schrittes bei der gegenwärtigen Kriegslage. Man befürchtet im Gegenteil, daß die Feinde ein Friedensangebot als Zeichen unserer beginnenden Schwäche deuten und daraus neuen Mut schöpfen. 25. Dezember 1915. Zweite Kriegsweihnacht! Viele Garvisonssoldaten find über die Feiertage in Urlaub hier. Wetter lau und schmutzig. Sylvester 1915. Die erbitterten Kämpfe des Jahres 1915 haben draußen im Feld dazu geführt, daß Heuer nicht einmal der Weihaachtsfriede geachtet wurde. Andreas Ebner schreibt in einem knap­ pen Brief aus dem Schützengraben am 25.12: „Heute ist Weih­ nachten. Wir find in erster Linie südlich von Arras bei TUoi. Bei 6*

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den Franzmännern gibt^s kein Weihnachten. Sie schossen die ganze Nacht und heute auch. Natürlich regnet es immer noch." Wie an der Front, so beginnt auch in der Heimat die Gesinnung zu verwildern. Hier wie dort sind die Entbehrungen und Opfer zu ungleich verteilt. Die Vorschriften über Brotsireckung z. B. wer, dev von den Bauern längst nicht mehr beachtet. Nur wer auf die Brotkarte angewiesen ist, ißt Kartoffelbrot und Semmeln aus dunklem Mehl. Die Bauern backen wieder wie früher. Lautet ihr Mahlschein auf i Zentner, so nehmen sie das Doppelte mit in die Mühle. Kommt zufällig eine Kontrolle, so werden Müller und Bauer um einige Mark bestraft. Das schreckt nicht; denn Geld ist heute mehr im Bauernhaus als je. Die Erzeugnisse sind hoch im Preis und sehr begehrt. So wird der Krieg für viele Menschen (nicht nur aus der Landwirtschaft sondern auch aus Handel, Gewerbe und Industrie) zum guten Geschäft. Daher darf man leider nicht jeden Friedenswunsch, der heute an der Jahreswende geäußert wird, ernst nehmen. 7. Januar 1916. Nun haben wir wieder seit Wochen diesen häßlichen Winter mit Regen, Regen, Wind und Schmutz. Wir denken wieder an die Soldaten in überschwemmten Gräben, in einfallenden Unter­ ständen. Es ist unglaublich, was in diesem Krieg an Geduld und Ausdauer getragen wird! 13. Januar 1916. Heute schulfrei, well die Engländer in der Nacht zum 9. Januar die Halbinsel Gallipoli vollends räumen mußten. Das bedeutet für unsere türkischen Bundesgenossen einen großen Erfolg; die Gefahr für ihre Hauptstadt und für ihren Staat ist damit zunächst abgewendet.

In Montenegro geht der Vormarsch der Österreicher langsam, aber ficher weiter. iy. Januar 1916. Die erste kleine Friedensglocke! Gestern kam die überraschende Meldung, daß König und Regierung von Monte­ negro an Österreich mit der Bitte um Friedevsverhandlungen herangetreten find und die verlangte bedingungslose Waffen­ streckung angenommen haben. Eine Schwalbe macht zwar noch keinen Sommer, aber sie ist doch Vorbote des Sommers und gibt «ns Hoffnung auf bessere Zeit. Einer der englischen Vasallen hat nun sein feierliches Versprechen, keinen Sonderfrieden zu schließen, gebrochen: vielleicht folgen noch mehrere diesem Beispiel! 24. Januar 1916. Josef Müller, anfangs zurückgestellt, muß morgen zum Leibregiment einrücken. Einige Preise sollen die wirtschaftliche Lage wieder etwas beleuchten: 1 Ei heute 18 Pfg. (im Frieden 8 Pfg.); 1 Pfund Butter 1,75 Mark (1,20 Mark); 1 Pfund Schweineschmalz 2 Mark (1 Mark); 1 Pfund Rinderschmalz 2 Mark (1,30 Mark); 1 Pfund Seife 1,20 Mark (32 Pfg.); i Pfund Kerzen 2,40 Mark (60 Pfg.): 1 Pfund Salatöl 2 Mark (70 Pfg.); 1 Pfund Haferflocken 72 Pfg. (40 Pfg.); iPfund Rollgerste 70 Pfg. (24 Pfg.); 1 Pfund Malzkaffes 60 Pfg. (3 5 Pfg.); i Pfund Reis 70 Pfg. (24 Pfg.); 1 Pfund Rindfleisch 1,10 Mark (90 Pfg.); i Pfund Kalbfleisch 1 Mark (85 Pfg.); 1 Pfund Schweine­ fleisch 1,40 Mark (90 Pfg.); 1 Pfund Weizenmehl 27 Pfg. (20 Pfg.). Die Preise für Butter, Schweinefleisch und Weizenmehl sind gesetz­ liche Höchstpreise, sonst wären sie erheblich höher. Nicht feststellbar ist der Aufschlag in Woll- und Baumwollwaren, Pelzen, Schuhwerk, Geräten aller Art, Möbeln, Löhnen usw. Die Teuerung be­ trägt für Gegenstände des täglichen Bedarfs durchschnittlich gegen

100%. i Pfund Strickwolle j. B. kostet 7,50 Mark (3,50 Mark); Gummischuuller für kleine Kinder sind kaum mehr ju haben. ES wird nur mehr das Notwendigste gekauft. Das muß gute Geschäfte gebe» nach dem Krieg. 27. Januar 1916. Eine neuerliche Aufnahme der Getreide- und Mehlbestände jeigt deutlich, wie ungenau die Leute ihre Angaben im Herbst machten. Cs wurden diesmal fast ebenso hohe, in Weizen sogar höhere Angaben gemacht als am 16. November 1915, trotz­ dem doch inzwischen verkauft und verbraucht wurde. Auf Grund der niedrigen Angaben von damals erklärte die Reichsstelle für Brotversorguvg, zu strengeren Maßnahmen greifen zu müssen: kürzere Brotkarte und dunkleres Mehl. Das wäre bei richtiger An­ gabe nicht nötig gewesen. Durch solche Kurzstchtigkeit wir- die Not, die ohnehin groß genug ist, noch künstlich gesteigert. 6. Februar 1916. Bei unserer letzten Preisliste hätte das Brennholz nicht fehlen dürfen. Die Klafter Fichtenholz kostet 40 Mark, Hart­ holz 50 Mark. Die Waldbesitzer schlagen jetzt viel Holz, weil es guten Erlös gibt. Auf den Kriegsschauplätzen Winterruhe; nur im Westen Einzelkämpfe, wobei meistens die Deutschen die Angreifer sind. Vorbe­ reitung einer Offensive? 14. Februar 1916. Eine neuerliche Viehzählung zeigte, daß sich der Viehstand auf der Höhe hält. Cs wird zwar viel Vieh verkauft, aber auch viel nachgezogen. 19. Februar 1916. Ruhe vor dem Sturm — so liegt es in der Lust und auf den Nerven des Volkes. Alles spricht von der kommenden großen Westoffensive. Die ganz Gescheiten wissen auch, wo und wie

sie beginnt, sogar wie lange die Artillerievorbereitung dauert. Ge­ wiß wirb im Frühling ein neuer, zäher (letzter?) Kampf auhebeu; die ganze Welt harrt darauf. Unsere Sorge muß sein. Laß das, was kommt, gelingt, alles andere ist Nebensache. Wolf Josef, der bei der gleichen Unternehmung, die Joas Haus das Leben kostete, verschüttet wurde, ist nun wieder soweit herge­ stellt, daß er dieser Tage znm Ersatzbataillon einrücken konnte. Cr wird jedoch nicht mehr kriegsverwendnngsfähig werden; denn seine Verletznngen waren sehr schwer. Er erzählte darüber: „Als ich nm 1/48 Uhr mit den andern ans dem Graben springen wollte, um nachzustürmen, schlug vor dem Graben eine feindliche Mine ein. Das aufgerissene Erdreich begrub mich bei lebendigem Leibe im Graben. Ein Kamerad grub sofort meinen Kopf aus und rettete mir da­ durch das Leben. Weiterzugraben hatte er keine Zeit, er mußte mit den andern vorstürmen. Erst nach einer Stunde kamen Pioniere und gruben mich vollends aus. Sanitäter trugen mich in den Unterstand, wo ich das Bewvßtsein verlor. Als ich wieder zu mir kam, wurde der Graben heftig beschossen. Ich machte mich auf und ging auf einem Bein, mich mit den Händen an de« Grabenwävdeu stützend, znm Hauptverbandplätze zurück, wo ich zusammenbrach. Im Kriegslazarett Douai kam ich endlich zur Ruhe. Die Ver­ schüttung hatte einen Bruch der Schädelbasis, eine Rückenquetschung, Quetschungen des rechten Beines und der rechten Hand verursacht." 27. Februar 1916. Nach dem milden Winter gibt es vnn noch Schnee. Aus Rußland hört man von großer Kälte. Unser Bürgermeister, der dort im Abschnitt von Baravowitschi liegt, kümmert sich trotz Kälte und Krieg um seine Gemeinde. Er gibt den Rat, die Ge-

meindeumlagen nicht zu niedrig anzusetzen, weil die Bauern jetzt mehr Geld haben als vielleicht nach dem Krieg. Im Westen werden die Einzelvorstöße der Deutscheu kräftiger. Die letzten erfolgten nordöstlich von Verdun in io km Breite. Es wur­ den mehrere Dörfer und 10000 Gefangene genommen. Wir kennen das Ziel des Angriffs noch nicht, die Zeitungen schreiben nur von Frontverbeffernngen. Mein Nachbar wollte wissen, Verdun mit 70000 Mann sei bereits gefallen. Es kommt nun wieder die Zeit der schwirrenden Gerüchte wie im Sommer 1915! Möge sie ebenso glücklich verlaufen wie diese—mit Glockengetön und Fahnenwehen! An den Verein für Sanitätshuude schicke ich 6 Mark als Erlös für Ansichtskarten, die die Schulkinder kauften. .Februar 1916. Nun wird es offenbar, daß -er Angriff von Verdun aufs Ganze geht. Er stellt die beginnende deutsche West­ offensive dar. Mit beständig zitternder Sorge richten wir unsere Augen dorthin, wo ein Teil unserer Zukunft auf dem Spiele steht, wo deutsche Brüder in unendlicher Zahl blute» und sterben. Es wäre ein harter Schlag, wenn all die Opfer und Mühen umsonst wären. Und doch ist das Vorhaben so schwer, daß wir auf ein Ge­ lingen kaum zu hoffen wagen. Die bisherigen Erfolge gipfeln in der Erstürmung des Forts Dovaumont, des nördlichen Eckpfeilers der Festung. Seit 1. Januar werden für Brotgetreide Zuschläge bis zu 1,40 Mark, für Gerste und Haber bis zu 3 Mark für den Ztr. bezahlt. Dadurch soll eine größere Ablieferung erreicht und die immer steigende Verfütterung von Roggen verhindert werden. Die Maß­ nahme ist bedenklich; jene Bauern, die ihre Überschüsse nicht zu­ rückgehalten haben, sind nun benachteiligt.

7. März 1916. Im Kalender sieht Fasching. Wir sind voll ernster Sorge um den Ausgang des Ringens bei Verdun. Nach einer Woche deutschen Vordringens folgte eine Woche französischer Ge­ genangriffe. Und nun ist die Witterung so schlecht — Schnee und Nässe —, daß wohl keine Kampftätigkeit möglich ist. Der Schmied, der aus der Gegend von Verdun in Urlaub gekommen ist, erzählt von riesigen Vorbereitungen und fürchterlichem Artilleriefeuer. 14. März 1916. Heute Dorfereignis ersten Ranges! Die Gemeinde

suchte vor einiger Zeit um Kriegsgefangene als Ersatz für fehlende Dienstboten nach. Vom Lager Lechfeld trafen nun heute fünf Serben mit einem deutschen Wachmann ein. Mit Fuhrwerk wur­ den sie auf der Station abgeholt, zuerst in ihr Quartier gebracht, das ihnen in einem leeren Pfründehäuschen bereitet ist, und dann zu ihren Arbeitgebern geleitet. Möge es ihnen gut gehen dahier! Sie haben jedenfalls schon genug des Schlimmen erfahren. Vor Verdun brachte die abgelaufene Woche wieder einige Erfolge. Westlich der Maas konnte die deutsche Front um 3 km vorgetrie­ ben werden. Hstlich der Maas wird um das Fort Vaux blutig ge­ kämpft. Die Franzosen führen ihre Leute vnunterbrochen zu Gegen­ angriffen vor; ihre Verluste sollen schon über 100000 Mann be­ tragen. 18. März 1916. Die Schüler schreiben über die Serben: „Als wir aus der Schule kamen, fuhren sie gerade ins Dorf herein. Ich sagte zu meinem Bruder: Das sind Russen! Nein, sagte er, das sind Serben! Sie haben eine schwarze Uniform an und eine braune hohe Kappe auf. Der, welcher zum Wirt kam, heißt Milan. Er mußte gleich Mist verrühren. Wir Kinder schauten ihm zu. Die zwei Serben beim Boten hatten so Hunger, daß sie drei Schüsseln voll Kartof-

fett* mit den Schalen aßen. Dann mußten sie Holz scheiten; sie können es ganz gut." 22. März 1916. Heute um ein Uhr war die Frist zur Zeichnung auf die vierte Kriegsanleihe zu Ende. Cs wurde hiefür viel geworben in Stadt und Land. Aus bäuerlichen Kreisen sind die Zeichnuvgssummen sicherlich nicht klein. Auch die Darlehenskassen haben Über­ fluß an Geldeinlagen. So ist der Krieg: Geld genug, aber Mangel an Nahrung. Oft ist aber auch viel Opfersiv» dabei, wen» die Leute ihr Geld zur Kriegsanleihe hingeben. Ein alter Mann gibt sei» Sparkassenbuch zur Umwechslung mit denWorten: „An diesem Geld hängt viel Arbeit; ich und mein Weib mußten 30 Jahre lang schaffen und uns plagen, bis wir es beisammen hatte«. Früher hat man das Geld nicht so leicht verdient wie jetzt!" Und eine alleinstehende Frau spricht, indem sie ihr bescheidenes Erbgut herleiht: „Nicht wahr, mein ganzes Geld gibt einen einzigen Kanonenschuß? Lieber Gott, wenn nur der Krieg zu Ende ginge!" Auch die Schulen betelligteu sich diesmal an der Zeichnung. Hier legten die Kinder 700 Mark zusammen. Die Eltern wollten damit ihren Kivdem einen Spargrundstock für später schaffen. Manche Leute waren aber auch kopsscheu gemacht durch die Redensart, die man hören kann: Es ist besser, nichts zu zeichnen, dann geht der Krieg eher aus. 24. März 1916. Die Zeichnungen für Kriegsanleihe betragen io unserem Postbezirk diesmal 24000 Mark. Das ist nur ein Teil der Gesamssumme; denn das meiste wurde bei Sparkassen, Darlehensvereiven und Banken gezeichnet. Bei Verdun immer das gleiche Bild: größere Zwischenpausen mit sorgfältiger Artilleriebeschießung, dann wieder Jnfanterieangriffe an einem Teil der Front. Die Russen begannen von Riga bis

Wilna mit einer Cntlastungsoffensive für die Franjosen, bisher ohne Erfolg. Auch die Italiener greifen wieder an. zo. März 1916. Das Interesse der Kinder gehört immer noch den Serben. In all ihrem Tun und Treiben werden sie sorgsam beob­ achtet, wie folgender Schüleraufsatz zeigt: „Am Sonntag nach­ mittag gehen wir jetzt immer zn den Serben. Sie tragen den Tisch vor ihr Häuslein und setze» sich heraus. Sie rauchen Zigaretten und sprechen laut und lustig miteinander. Ich verstehe gar nichts. Gestern sagte der Sonderholzer Toni zu den Serben: Serbien kaput! Da wurde der Schipko zornig und sprang ihm nach. Wir schrien und liefen davon. Aber bald trauten wir uns wieder näher hin. Da kam des Boten Knecht und sagte: Lasar, bewa (das heißt singen). Nun fingen sie an zu singen. Der Lasar sang ganz laut und hoch, die andern brummten so mit. Beim Singen machte» sie ernste Gesichter und schauten immer in die Ferne. Ich glaube, daß sie a» ihre Heimat dachten."

Wo singen wohl unsere gefangenen Brüder überall die deusscheu Heimatlieder? 4. April 1916. Die Kriegsanleihe erbrachte 10600000000 Mark. Das ist weniger als das letztem«!, daher Enttäuschung. Wenn nur nicht mehr solche Enttäuschungen kommen! Die lange Kriegsdauer drückt auf die Stimmung von Truppe und Volk immer mehr. Sonderbarer Eindruck, wenn jetzt die Serben mit unsere» deutschen Mädchen zur Feldarbeit gehen und wenn am Abend die schwermütigen slawischen Volkslieder durch die Dorfstille schweben!

Die Lebensmittelpreise steigen weiterhin; Zucker wird knapp. Die Derdunkämpfe gehen langsam und zähe weiter. Die Ruffev-

offensive ist wieder eingestelltere Rnssen sollen dabei 140000 Manu verloren haben. Bei herrlichem Frühlingswetter ist Saatzeit. Abermals Kriegs­ saat i Alle in Garnison weilenden Silheimer Soldaten sind in Saatnrlanb hier. 15. April 1916. Wir liefern einen halben Zentner Jeitnngspapier, von den Schulkindern gesammelt, an die Garnisonsverwaltnvg Nen-Ulm ab. Damit sollen den Soldaten Bettsäcke gefüllt werden, um das spärliche Stroh zn sparen. Da neues Papier mangelt, wer­ den die Zeitungen wohl bald dünner werden. Bei einer Nachmusterung aller Zurückgestellten wurden zwei Sil­ heimer tauglich. 19. April 1916. Eine Kuh kostet nun 1400—1500 Mark, ein Ochse 2000 Mark und darüber, ein Paar junge Schweine 170 Mark. Am meisten Kopfschütteln erregt der Zuckermangel. Im vorigen Jahre rechneten unsere Ernährungsprofeffore« ans, daß Zucker genug im Lande sei, da wir früher ja ausgeführt haben. Und nun kommt die Verfügung, daß auf Kopf und Monat nur mehr zwei Pfund treffen. Das ist sehr wenig! Auch der freie Spiritusverkanf ist ge­ sperrt. Die Fleischfrage ist nun teilweise gelöst durch Einführung der Fleischkarte ab i. Mai. Es treffen pro Kopf und Woche 800 Gramm, für Kinder unter sechs Jahre» 400 Gramm. Den kleinen Mann nützt die Fleischkarte wenig, weil er das teure Fleisch doch nicht zu kanfen vermag. 25. April 1916. Verschiedene Zählungen, darunter als wichtigste die Fleischaufuahme. Die Fleischversorgung soll nun ähnlich geregelt werden wie die Brotversorgung. Leider kommen die Höchstpreise jetzt zu spät; das Fleisch ist inzwischen schon viel zu teuer geworden.

Künftig soll gelten: I Zentner Lebendgewicht bei Kälbern ioo Mark, bei Schafen ohne Wolle ioo Mark, bei Kühen und Ochsen 95 bis 110 Mark. Das Fleisch wird also im Metzgerladen kaum unter 1,50 Mark pro Pfund kosten. Die Aufnahme dahier ergab 450 Pfund Sur- und Rauchfleisch. Wenn die Bauern außer ihren Vor­ räten noch Fleisch kaufen wollen, brauchen sie hierju eine Fleisch­ karte wie die übrigen Verbraucher. Sie verzichten aber meistens darauf. Das Vieh kann künftig nur an die vom Kommvnalverband aufgestellten Aufläufer verkauft werden, die es dann erst den Metzgern zuweisen. 2. Mai 1916. Seit gestern morgen haben wir die „deutsche Sommer­ zeit, berechnet nach dem 30. Längengrad. Die Uhren wurden um eine Stunde vorgerückt, so daß am Morgen eine Stunde Tages­ licht gewonnen wird. Am Abend kann Licht gespart werden. Für die Stadt ist die Regelung jedenfalls sehr zweckmäßig; aufdem Land ging es immer schon nach der Regel: früh zu Bett und früh auf! 18. Mai 1916. Der Frühling prangt in weißer Blütenlust. Da­ zwischen versteckt die alten Häuser mit den alten Sorgen. Krieg — wann wirst du enden? Bei Verdun unaufhörliche französische Gegenangriffe; seitens der Deutschen erfolgen nur örtliche Vorstöße in großen zeitlichen Ab­ ständen. über Sinn und Ausgang dieser Dinge wissen wir nichts. Was hört man in der Stadt nicht alles an Gerüchten, falschen Hoffnungen, Schwarzfärbereien! Man ist froh, wenn man diesem müßigen Gerede wieder entronnen ist. Vom Dorfe aus, wo die Menschen schweigsamer sind, sieht man die Dinge viel klarer. Die Zeitung bringt das Nötigste; was daran Schönfärberei ist, ist leicht zu erkennen und abzuziehen.

25. Mai 1916. Heute rückt Hans Wolf ju den Pionieren ein. Am 2. Juni müssen auch schon zwei Neunzehnjährige fort. Nun ist nicht mehr viel Taugliches hier. Die Arbeitskräfte werde» im Som­ mer fehlen, jnmal unsere Serben oft krank sind. Mathiä mußte nach Ulm ins Lazarett gebracht werden, Dobriwoj liegt hier schwer krank, Milisar ist auch kränklich — bleiben nur noch Lazar und Schipko, welch letzterer auch schon manchmal aussetzen mußte. Sie sind entweder das deutsche Arbeitstempo nicht gewöhnt oder von der langen Kriegszett her siech; die meisten stehen schon vier Jahre im Krieg, da sie vor Ausbruch des Weltkrieges den Balkavkrieg mitmachen mußten. 29. Mai 1916. Die Bolksstimmuag auf dem Lande ist in raschem Niedergehen. „Ist das auch noch menschlich, die Leute so zur Schlachtbank zu führen wie bei Verdun? Lauter Lumperei und Schwindel auf der Welt!" So sprechen die meisten; wohin wird das führen? Die Kämpfe bei Verdun sind in der Tat unmensch­ lich. Jeder Gegner wirft seine besten Kräfte hin und sucht in Vor, teil zu kommen. Heute stürmen die Deutschen auf dem rechten Maasufer eine Höhe, verlieren aber auf dem linken einen Graben; morgen geht es umgekehrt. Und das alles unter riesigen Verlusten. Es sieht wahrlich so aus, als handle es sich nicht mehr um den Fußbreit Boden, sondern nur darum, sich gegenseitig zu vernichten. Die Österreicher steigen aus Südtirol ins Etschtal nieder und greifen die Italiener an: bisher 24000 Gefangene und 25oGeschütze. 5. Juni 1916. Der Unterricht fällt heute aus, die Schulhausfahne weht: am Skagerrak spielte sich die erste große Seeschlacht zwischen Deutschen und Engländern ab. Die englische Flotte wurde mit schweren Verlusten geschlagen, darob große Freude im ganzen Volk.

ii. Juni 1916. Der Krieg hat mm allenthalben seinen Höhepunkt er, reicht: unerhört wütige Kämpfe bei Verdun — Fort Vaup ist wieder in deutscher Hand; Offensive der Russen von der rumäni, schen Grenze bis hinunter zu den großen Sümpfen in einer Aus­ dehnung von 350 km — nur mühsam können die Österreicher diesem Andrang standhalten; österreichischer Vormarsch nach Italien mit Einnahme der Festungen Arsiero und Asiago. Unsere Verluste machen sich in Entleerung der Kasernen und da­ durch bedingten neuen Einberufungen bemerkbar. Knaier Johann und Müller Josef kamen nach ihrer Ausbildung Ende Mat in das Kampfgebiet von Verdun. Von Knaier kam bereits Nachricht über schwere Verwundung des linken Armes. Wie viele dieser Jungen, die vor kaum zwei Wochen erst der Heimat Lebewohl sagten, deckt jetzt schon der Rasen! Sie fallen wie „Kräuter im Maien". Neu einberufen sind: Marti» Baue zur Feldartillerie und ich selbst als Krankenwärter nach München. Die Schule wird, da großer Mangel an Lehrkräften besteht, meine Frau, die ftüher Lehrerin war, übernehmen. Mit ihrer Hilfe «erde ich auch diese Aufzeich­ nungen, wenn vielleicht auch in größeren Abständen, weiterführen. 27. Juni 1916. Alois Denzel, der von Anfang an die Kämpfe um Verdun mitmachte, wurde dort verwundet und ist nun, genese», in Urlaub hier. Einiges aus seinen Erzählungen: „Am 11. Februar kamen wir in Dille an. Am gleichen Tage habe ich einige 42 cm# Mörser gesehen. Überall wurde Artillerie eingebaut und zum Sturm hergerichtet. Am 21. begann das Trommelfeuer. Der zweite Sturmtag war für die Verwundete» besonders schlimm. Denn am Abend begann es zu schneien und die Nacht war sehr kalt. Die Verwundeten, die bis Mitternacht nicht geborgen werde»

konrrten, waren zumeist erfroren. Die Franzosen hatten bessere Wäsche und Kleidung als wir. Auch ihr Fleisch und ihre anderen Konserven schmeckten besser als unsere Sachen. Besonders will­ kommen war uns ihr gutes Weißbrot, das wir überall, wo Fran­ zosen gehaust hatte«, in größeren Mengen vorfanden. Am 9. März wurden wir abgelöst und kamen nach Ville zurück. Dort erhielten wir endlich wieder Post, ich bekam neun Pakete auf einmal, dazu mehrere Briefe und Karten. Doch gleich am anderen Tage wurden wir wieder «formiert, denn die Franzosen bereiteten einen Gegen­ angriff vor. Das Artilleriefeuer hatte sich zu einem einzigen Dauerrollen gesteigert. Wir mußten in der Todesschlucht, wo früher schon einige deutsche und französische Bataillone vernichtet worden waren, schanzen und lagen dann mehrere Tage im Foßwald. In unserer Nähe wurde ein großes Lager Leuchtkugeln und Handgranaten in Brand geschossen und explodierte unter mächtigem Krach. Am 21. März marschierten wir in sternklarer Nacht nach Merkes, 30 km hinter der Front, in die Quartiere. Wir bekamen Ersatzmannschaf­ ten, meist junge 19jährige Leute, und mußten stramm exerzieren und Parademarsch übe». Den» unsere ganze Division mußte zur Kaiserparade antreten. Außer dem Kaiser und dem Großherzog von Hessen waren viele Generale anwesend. Der Kaiser sagte in seiner Ansprache: Verdun wird und muß fallen. Wir Soldaten glaubten nicht daran und waren wegen des unnützen Blutver­ gießens verdrossen. Darum kam das Hurra nach der Kaiser­ rede nicht aus freiem Herze»; manche riefen überhaupt nicht mit." 10. Juli 1916. Seit zwei Wochen ist eine große englische Angriffs­ schlacht an der Somme in einer Breite von 40 km im Gang. Sie soll die bei Verdun schwer bedrängten und sich in unaufhörlichen Gegenangriffen verblutenden Franzosen entlasten. Nach Gas-

angriffen und Trommelfeuer, acht Lage und Nächte hindurch fort, gesetzt, stürmen die Engländer nun in immer neuen Wellen vor, ohne den Widerstand unserer Truppen brechen ju können. . Juli 1916. Nach sechs Wochen Lazarettdienst bei Schwerverwun­ dete» bin ich heute jum erstenmal in Sovntagsurlaub hier. Auf Halmen und Zweigen liegt sommerlicher Sonnenschein. Das Heu ist längst geborgen, das Getreide steht vor dem Schnitt. Möge fich die Witterung endlich dauernd jvm Gute» «enden, damit die Körner nicht auf dem Felde verderben! Wir brauchen so notwendig Brot. Jetzt, wo der Krieg ans allen Linien zur entscheidenden Höhe aufflammt, wo die blutigste» Anstürme der Feinde an der Somme, an der Maas, am Pruth, an der Düna, am Jsonjo deutsche Stand­ haftigkeit nicht brechen können, jetzt soll uns auch der Hunger nicht besiegen! Dann müssen wir dem Frieden doch ein Stück näher­ kommen. Die Schätzung der Erträge der heurigen Ernte, die die Bauern freilich sehr zu ihren Gunsten möglichst niedrig halten, ergab für je ein Tagwerk: bei Roggen 9 Zentner, bei Weizen 13 Zentner, bei Fesen 12 Zentner, bei Gerste 11 Zentner und bei Haber 11 Zentner. .August 1916. Zwei Jahre Krieg! Der Himmel war ebenso blau wie heute, die Bauern fuhren ihr Korn heim—da kam die schwere Botschaft. Heute noch, wenn wir an jene Stunden und Tage denken, zittert die Erschütterung, die damals jeden Nerv erfaßte, in uns nach. Aber nicht nur den Schrecken, auch die Größe des Erlebnisses verwahre» wir in uns: wie nie fühlten wir damals das Volk in «ns wallen, einer sah im andern den Bruder. Heute ist es nicht mehr so. In viele kleine Herzen ist die Selbstsucht wieder eingezogen. Sie sprechen die wunderlichsten Dinge über de»

Krieg und seine» Anlaß, sie snche» Nutzen zu schlagen ans dem Schicksalstag des Volkes. Und dranßen im Feld besteht das schlim­ me Mißverhältnis jwischen Front und Etappe weiter: die einen hungern und frieren in Grauatlöcher», die andern sitzen in «armen Quartieren und sorgen für ihren Leib, ohne sich in ihrer Ehre ver­ letzt zu fühlen, wenn sie von den Frontsoldaten „Etappenschweine" genannt werden. 5. August 1916. Der 1. August war Opfertag. Eine Sammlung für verwundete und gefangene Krieger ergab hier 32 Mark. Sieben Haushaltungen spendeten gar nichts mehr; auch das ist ein Zeichen der veränderten Gesinnungen des Volkes. 12. August 1916. Das Bezirksamt fordert schon zum zweitenmal auf, die Schulkinder zum Sammeln von Brennesseln zu veranlassen. Daraus sollen Spinnfasern als Ersatz für Wolle und Baumwolle gewonnen werden. Wir werden also bald Kleider aus Brennesselstoff tragen. Außerdem wird die Stoffnot durch die Reichsbeklei­ dungsstelle mittels des Bezugsscheins, der seit kurzem eingeführt ist, bekämpft. Wer Stoffe kaufen will, muß sich beim Bürgermeister erst das Bedürfnis hiefür bescheinigen lassen, sonst darf das Ge­ schäft keine Ware abgeben. Dazu die Ledernot: auch für Schuhe steht der Bezugsschein in Aussicht. Und die Gumminot: nun sind auch die Fahrradschlänche beschlagnahmt worden. Und die Fett­ not: ab 1. September kommt die Fettkarte, die pro Person und Woche 90 Gramm Fett oder Butter gewährt. Auch über Eier­ karten wird schon beraten. Not an allen Ecken und Enden! Ein Glück, daß wenigstens das Getreide unter anhaltendem Sonnen­ schein geborgen werden kann. 25. August 1916. Andreas Ebner schreibt von der Somme: „Wir 98

waren fünf Tage vorne -ei Maurepax. Da ist die Hölle, -eschrei-en kan« man so etwas nicht. Die Verluste find sehr schwer. Eine z8-cm-Granate durchschlug einen Unterstand und tötete 6 Offiziere und 76 Mann." Und wie hier, so auch -ei Verdun. Es ist unglaub­ lich, was unsere Truppen in diesen Wochen verbissener Angriffs­ wut unserer Feinde aushalten! 1. September 1916. Rumänien hat sich zu unseren Feinden ge­ schlagen! Griechenland wird wohl den gleichen Weg gehen. Der Krieg will also noch schwerer werden. Trotzdem faßt das Volk ge­ rade in diesen Tagen neuen Mut; denn Hindenburg, dem allein alles Vertrauen gehört, wurde endlich zum Führer des ganzen deutschen Heeres ernannt. 3. September 1916. Man hört von großen Trvppenverschiebuugen. Sollte sich schon etwas Neues, Hindenburgsches vorbereiten? Wir hoffen und vertrauen! Denn es tut not. Im Westen stehen wir in harter Verteidigung; die österreichische Offensive in Italien ist miß­ glückt; die Österreicher mußten an die Karpathen eilen, um die Russen mit deutscher Hilfe aufzuhalten. Der Krieg verschlingt unvorstellbare Summen Geld. Schon wieder ist eine Anleihe ausgeschrieben — die fünfte! Aber viele Leute halten mißtrauisch den Geldbeutel zu, der Krieg dauert ihnen zu lauge, sie glauben nicht mehr, daß das Reich die vielen Schulden jemals wird bezahlen können. Die Getreideernte kam vorzüglich unter Dach, und nun ermöglicht die günstige Witterung auch noch eine gute Grummeternte. Damit sind wir zwar nicht dem Hunger, wohl aber der Gefahr der Aus­ hungerung wieder auf ein Jahr entronnen. Freilich ist die Fleischnot groß. Viele Leute gewöhnen sich daran, nur alle 14 Tage eiu-

mal Fleisch zu kaufen; denn es ist sehr teuer (i Pfuud Ochsevfleisch kostet bis zu 2,80 Mark) uub selbst gegeu Fleischmarkev oft nicht zu haben. 10. September 1916. Ist es ein Wunder, daß ein Volk in unserer Lage von der Angst geplagt wird, die gavje Welt hätte es auf seine Vernichtung abgesehen? So laufen in jüngster Zeit Gerüchte um, die Schweiz, Dänemark und Holland würden an uns den Krieg erklären. Auch fürchten die Leute für ihre Sparguthaben; es wird deren Beschlagnahme durch das Reich zwecks Deckung der Kriegs­ kosten vermutet. Das Bezirksamt teilt mit, daß auf diese Gerüchte hin größere Abhebungen und Kündigungen bei den Sparkassen erfolgt seien, und fordert auf, die Leute aufzuklären und die Ge­ rüchteverbreiter anzuzeigen, weil sonst die BeteUiguog bei der fünften Kriegsanleihe Schaden leide. 17. September 1916. Die Deutschen marschieren nach Rumänien hinein. Sie haben Tutrakau «ad Silistria genommen und sind nun wohl schon Herr der Dobrudscha. Das hebt die gedrückte Stim­ mung des Volkes. Im Westen aber gehen die Kämpfe an der Somme unter unend­ lichen Verlusten weiter. Von Angriff zu Angriff steigert sich das Trommelfeuer — und doch kein entscheidendes Vorwärts der Feinde. Wie zermürbend aber diese unmenschliche Kampfesweise auf die Soldaten wirkt, zeigt wieder ein Brief Andreas Ebners: „Wir sind heute von der Kampffront zurückmarschiert und liegen in einem Dorf in Ruhe. Ich bin also Gott sei Dank heil und ge­ sund aus diesem Morden zurückgekommen. In welchem Zustand aber ich und meine Kameraden sind, kann ich nicht schildern. Wir wurden zweimal eingesetzt. Die Kompagnien, welche mit 240 Mann

ins Gefecht gingen, kehrten mit durchschnittlich 20—40 Man« zu­ rück. Alles andere gefallen, gefangen, verwundet oder vermißt. Am meisten dauern einen die Verwundeten, welche vielfach hilf­ los liege» bleiben, bis sie eines qualvollen Todes sterben. Ich weiß noch nicht, was mit uns weiter geschieht. Es sind 600 Mann Ersatz da, ich befürchte, sie schicken uns nochmals vor. Der Krieg ist noch nicht aus; und wenn unsere Gegner noch zu mehreren solche» Stößen ausholen können, kann die Sache noch gehen, wie sie will." 30. September 1916. Die deutsche Sommerzeit geht heute wieder zu Ende. Wir können also morgen früh um eine Stunde länger schlafen, weil die Uhren wieder zurückgerückt werden. Die Brenneffelsammlung ergab im ganzen Reich 2000 Tonne» getrocknete Stengel. Daran ist auch unser Dorf beteiligt. Die Kin­ der zogen dicke Handschuhe an und schnitte» au allen Zäune» und Rainen mit Sicheln die Nesseln ab. Dann wurden sie sorgsam, damit sie nicht abknicken, zum Trocknen an die Sonne gelegt und hernach zur Sammelstelle gebracht. Mit Einführung der Butterkarte mußte die private Buttererzeuguvg aufhören, sonst kaufen die Leute, die es sich leisten könne». Mit mehr als ihnen zusteht. 9. Oktober 1916. Die fünfte Kriegsanleihe erklomm die Summe von 10y2 Milliarden Mark. Ohne den siegreichen Vormarsch unserer Truppen in Rumänien wäre dies Ergebnis wohl nicht möglich gewesen. 18. Oktober 1916. Es geht dem Winter entgegen. Die Ernte ist zu Hause; sie lieferte in Getreide mittelmäßige, in Kartoffeln geringe Erträge. Oie gleichmäßige sparsame Verteilung der Lebensmittel unter das Volk wird daher auch in Zukunft eine schwere Aufgabe

bleibe«. Die Brotversorgung klappt im allgemeinen. Dagegen ist es schwierig, mit Fleisch, Eiern und Fett jnm Rechten ju kommen. Die Fleischkarte mißt nur mehr ein halbes Pfund pro Kopf in der Woche. Man vergleiche damit den Fleischverbrauch im Frieden, um die Opferfähigkeit unseres Volkes ermessen ju können! I« de» Städten müssen die Leute dajv noch stundenlang vor dev Läden anstehen und warten, bis sie mit ihrer Fleischkarte an die Reihe kommen. Auch draußen an den Fronte» geht es — zum drittenmal! — in dev Winter hinein. In den Karpathen, wo unser Alpenkorps gegen die Russen steht, liegt schon tiefer Schnee; nicht anders wird es in Siebenbürgen sein, wo deutsche Truppen unter Falkenhayns Füh­ rung die Rumänen aufs Haupt schlugen und bis auf die Grenzhöhen zurückdrängten. Die Westfront freilich ist so lebendig wie je. Die Sommeschlacht dauert mit nur geringen Teilerfolgen unserer Feinde an. Der Höhepunkt ist auch dort wohl überwunden. Was wird nun kommen? Niemand hat mehr Hoffnung auf bal­ digen Frieden. Wird der Winter wieder der Rüstung und der nächste Sommer abermals dem Kampf gelten ? Fragen ohne denk­ bare Antwort! 23. Oktober 1916. Alois Denzel, der an der Somme stand, wird fett einigen Wochen vermißt. Nun kämpfen noch zwei unserer Leute an der Somme. Berchtold Franz steht in Rumänien, Kühner Hans am Stochod in Rußland. So verteidigt ein Dorf von 180 Ein­ wohnern an allen Ecken sein Vaterland! Und die serbischen Ge­ fangenen legen indessen die Saat in die heimatliche Erde. 5. November 1916. Alois Denzel ist in englischer Gefangenschaft. Johann Knaier, der bei Verdun die linke Hand verloren hat, ist

vom Lazarett aus iu Urlaub hier. Sein Bericht, sparsam mit Wor­ ten und schlicht, gibt das Schicksal viel tausend junger, frischer Men­ schen, das sich an den schrecklichen Namen Verdun knüpft, wieder. Er erzählt: „Am 24. Mai kam ich ins Feld zum 12. InfanterieRegiment bei Fleury. Gleich am 27. abends mußten wir iu die Stellung marschieren. Wir marschierten vier Stunden. Es gab keine rückwärtigen Stellungen, keine Laufgräben, keine Unter­ stände, kein Dorf — es gab nur Granatlöcher. Die ganze Zone, vier Stunden breit, lag unter dem beständigen Feuer der weit­ tragenden feindlichen Geschütze, nur bei Nacht war der Zugang zur Stellung möglich. Die Stellung vorne war ganz schwach be­ setzt; denn die Verluste waren zu groß. Wir saßen 6—8 Man« in einem Loch, so groß wie eine Kammer, über uns ein Fleckchen Him­ mel und spähende Flieger, sonst sahen wir nichts. Untertags krachten unaufhörlich die Geschosse, nachts machten die Leucht­ kugeln das Gelände hell. Abends brachte man uns immer das Essen vor. Wir litten sehr viel Durst. Wir waren schon über eine Woche ohne Ablösung in dieser Lage, da ereilte mich am 4. Juli das Unheil. Nachmittags gegen 4 Uhr platzte über uns ein Schrap­ nell. Trümmer des Geschoßbodens flogen in unser Loch. Ein Stück traf einen Kameraden am Oberschenkel, ein anderes fuhr mir iu den linken Handrücken zwischen Daumen und Zeigefinger, so daß die vier Finger nur mehr an der Haut hingen. Wir verbanden «ns notdürftig mit unseren Verbandpäckchen, das hatte aber wenig Wert. Das Blut ließ sich nicht halten. Erst um 9 Uhr abends, als es dunkel wurde, konnten wir zurückmarschieren. Ich stützte meinen Kameraden, er kam aber nicht weit, ich mußte ihn nach einigen hundert Schritten allein zurücklassen. Am andern Morgen wurde er, da ich Meldung gemacht hatte, von Sanitätern geholt, starb aber

bald darauf. Ich wanderte weiter durch die öde, uubekanvte Ge­ gend, kein Mensch war auf weiter Sttecke, ich wußte nicht, welche Richtung ich ging. Es war früh 4 Uhr, als ich einen preußischen Bataillousvuterstand erreichte. Hier erhielt ich endlich von einem Arjt den ersten Verband. Dann wurde ich j«r Feldbahn getragen «nd ins Feldlazarett Romagve verbracht. Hier wnrden mir drei Finger abgenommen. Ich wollte, daß der Zeigefinger und der Daumen erhalten blieben. Aber nach fünf Tagen, als ich ins Kriegslazarett Movtmedy überführt wvrde, war mein Arm schon blau. Die Hand mnßte sofort abgenommen werden. Die Schmer­ zen wnrden nun geringer und nach sechs Tagen schon konnte ich «ach Fenerbach bei Stnttgart verbracht werden." 12. November 1916. Nun müssen auch die zinnernen Bierkrugdeckel einrücken! Die Wirte müssen fie von den Krügen wegmachen und bis zum Februar nächste» Jahres an die Metallsammelstelle in Neu-Ulm bringen. Für 1 kg Zinn werden 8 Mark vergütet. Alle übrigen Zinasachev können freiwillig abgeliefert werden. Sttickwolle mangelt derart, daß es jetzt verboten ist, im Handarbeits­ unterricht neue Wolle zu verwenden. Die Schulkinder ziehen nun alte Strümpfe auf, um Wolle zu gewinnen. 23. November 1916. Der alte Kaiser Franz Joseph ist gestorben. Das stärkste Sinnbild deutsch-österreichischer Bnndestrene ist mit ihm gewichen. In Rumänien marschieren unsere Truppen aus den Gebirgsenge» hinaus in die walachische Ebene hinein. 30. November 1916. Gebt uns Getreide! Gebt uns Kartoffeln! Gebt uns Fett! Das ist der beständige Ruf der Bersorguugsbehördeu an die Bauern. Um zu rascher Getreideablieferung anzureizen.

wurde die Druschprämie eingeführt: wer bis zum io. Oktober Brotgetreide abliefert, erhält für de» Zentner eine Mark über de» Höchstpreis. Trotzdem halten die Bauern jurück. Sie rechnen wohl auf höhere Preise im Frühjahr. Die halbe Druschprämie wird da­ her noch bis Mitte Dejember weiterbejahlt. Zu besonderen Sorgen gibt die geringe Kartoffelernte Anlaß. Im Dorf wird bekanntgegeben: „Eine Erhöhung des Kartoffelpreises ist ausgeschlossen. Schwere Verantwortung laden die Landwirte auf sich, wenn sie die für die Bolksernährung der städtischen Be­ völkerung so dringend notwendigen Kartoffeln zurückhalten." Lei­ der wirken solche Mahnungen kaum mehr. Der Spekulationsgeist hat sich schon zu sehr eingenistet im Dorf. Und die Gewissenhafte», deren es gewiß noch viele gibt, sagen sich: Warum sollen nur immer wir abliefern und für die Allgemeinheit sorgen, während die andern ihrem Vorteil leben? Auch Strafandrohungen werden nicht mehr ernst genommen. Denn die Zahl der Verbote und Verordnungen ist so groß, baß die Übertretungen gar nicht alle festgestellt und geahndet werde» können. Neuerdings ist auch die Verschrotung von Brotgetreide, um dessen Verfütterung zu verhindern, ver­ boten. Der Bürgermeister muß die Schrotmühlen mit dem Ge­ meindestegel verschließen. Das Vieh soll aber auch kein Hinter­ getreide, keine Kartoffeln, welche »och als Speise- oder Fabrik­ kartoffeln tangen, keine Vollmilch, kein Mehl, kein Brot erhalten. Wer nun soll das alles beaufsichtigen? 7. Dejember 1916. Siegesoachrlcht: Bukarest ist von unseren Trup­ pen genommen. Wo blieb für Rumänien die Hilfe seiner Verbün­ dete» ? Don der Somme berichten unsere Soldaten: „Das Feuer ist jwar

nicht mehr so stark wie im August; jedoch ist der Dreck hier unbe­ schreiblich." 16. Dezember 1916. Wenn die Bauern, wie gebräuchlich, auf Weih­ nachten ein Schwein schlachten wollen, so ist das Heuer eine weit­ läufige Angelegenheit. Sie brauchen hierzu erst die Erlaubnis deS Bezirksamts, die über den Bürgermeister und den Fleischbeschaner erteilt wird. Sofort nach der Schlachtung muß dann der Fleischbeschauer das Schlachtgewicht feststellen und daraus berechnen, wieviel Speck der Bauer an die Fettstelle abzuliefern hat; auf 2 Zentner Schlachtgewicht treffen z. B. 5 Pfund Speck, zu ver­ güten mit 2 Mark pro Pfund. Vermutlich werden die Bauern einen kürzeren Weg finden — trotz der angedrohten Strafen —, um zu ihrem Weihnachtsschweinebraten zu kommen. 2z. Dezember 1916. Für die Weihnachtswoche wird die Fleischration von 250 auf zoo Gramm erhöht. Für Gänse gelten Höchst­ preise: 2,80 Mark für das Pfund geschlachteter Gaus. Zucker wird künftig nur gegen Marken abgegeben. Da die Fliegerangriffe tief in deutsches Land hinein fich mehren, geben die Behörden der Bevölkerung ausführliche Anweisungen über ihr Verhalten bei Fliegeralarm: Deckung suchen, fich auf den Boden werfen, in die Keller flüchten, bei Nacht die Lichter löschen. Auch heuer wieder sammelten wir zu einer Weihnachtsspende für die Soldaten. Ergebnis 154 Mark, wovon 119 Mark für die Krieger aus unserer eigenen Gemeinde verwendet werden. 27. Dezember 1916. Das Jahr geht — nach trüben, freudlosen Weihnachtstagen — seinem Ende zu. Der letzte Monat brachte noch bedeutende Ereignisse. Rumänien ist in kurzem Siegeslauf erobert worden; die Erdölquellen und Getreideböden des Landes

arbeite» nun für »vs; 150000 Rumänen sind in Gefangenschaft. Das vermochte deutsche Kraft trotz allem im dritten Kriegswinter, während gleichzeitig die Westmächte an der Somme und bei Verdun, die Russen io den Karpathen, die Balkantruppen bei Monastir angriffen. Aber — wo bleibt der Friede? „Im Gefühle ihrer Macht" boten die Mittelmächte den Feinden Frieden an. Kurz vor Weihnachten traf von Amerika eine Note ein, die dev Frieden anbahnen will. Ungläubig und mißtrauisch horchen wir auf den Flug solcher Friedenstauben. Das Echo von feindlicher Seite ist ei» kriegerisches; der Krieg wird daher wohl weitergehen im nächsten Frühjahr und noch schwerer werden als bisher. Die Achtzehnjährigen sind schon einberufen, der ungediente Landsturm bis zu 45 Zähren mußte vollends einrücken, die in der Heimat zu, rückgebliebeneo Männer zwischen 17 und 60 Jahren können nach einem neuen Gesetz zu vaterländischem Hilfsdienst, besonders zur Munitionserzeugung, herangezogen werden. Der Krieg wird immer mehr zum Volkskrieg. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember zählt unsere Gemeinde 159 Einwohner und 8 Kriegsgefangene. 22 Gemeindeangehörige stehen im Kriegsdienst, 3 sind gefallen. Der älteste im Soldatenrock zählt 44 Jahre. Wenn wir zurückblicken auf das scheidende Jahr, so möchte uns das Herz brechen ob der dahingesunkenen Jugend, möchten «ns die Sorge» erdrücken bei dem Gedanken an unsere Helden im Graben und Gebirgsschnee, an unsere Verstümmelten in den La­ zaretten, beim Gedanken an unterernährte Kinder und hungernde Familien. Und blicken wir vorwärts, so möchte uns grauen vor dem dunklen Tor des neuen Jahres. Nicht mit fliegenden Fahnen,

sonder« im Zwange naansweichlicher Notwendigkeit schreiten wir schweren Herzens hindurch. 9. Januar 1917. Das deutsche Friedensangebot ist schroff zurückge­ wiesen worden; die Gegner halten es für ein bloßes Kriegsmanöver. In Rumänien marschieren unsere Truppen immer noch vorwärts. Foesani wurde eingenommen. Aus unserer Gemeinde kämpfen fünf Soldaten ans dem rumänischen Kriegsschauplatz. 15. Januar 1917. Das Bezirksamt ersucht die Bürgermeister, Geist­ lichen und Lehrer, die Bevölkerung von der Ansammlung des Metallgeldes abzuhalten. Die Leute trauen dem Papiergeld nicht mehr und legen dafür Silbergeld in den Kasten. Wenn solches Miß­ trauen einmal etngeschliche« ist, helfen Belehrungen und Mah­ nungen wenig. Das erfahren wir deutlich bei den verschiedenen Sammlungen von Haus z« Haus. Das Vertrauen, daß die ge­ sammelten Gelder zweckdienlich verwendet werden, ist geschwunden und nicht wieder herzustellen. Daher das Bestreben, nur für die Soldaten aus der eigenen Gemeinde zu spenden. Drei Gemeinden des Bezirks lieferten zur allgemeinen Weihnachtsspende des letzten Jahres überhaupt nichts mehr ab. „Sie glaubten genug zu tun, wenn ste für die Krieger ihrer eigenen Gemeinde sorgten", bemerkt tadelnd das Bezirksamtsblatt. 24. Januar 1917. Der Preis für Rind- und Ochsenfleisch wurde auf 2,10 Mark pro Pfund, der Bierpreis auf 34 Pfg. pro Liter festge­ setzt. Die Brauereien dürfen nur mehr die Hälfte der Friedensmevge an die Wirte abgeben. Die Kartoffeln sind so knapp, daß verfügt werden mußte: Der Erzeuger darf pro Tag und Kopf höchstens 1 Pfund, die übrige Bevölkerung höchstens % Pfund verbrauchen.

i2. Februar 1917. Der Winter ist hart wie lauge nicht mehr. Die Städte leide» unter Kohlenmaugel. Schulen, Theater, Konzert­ säle wurden zum Teil geschlossen, die Polizeistunde auf abends 10 Uhr festgesetzt. Damit sind viele in Kriegszeitev unnötige Ver­ gnügungen abgeschnitten. I« der Winterkälte stvd auch die Fronten erstarrt. Aber wir fühlen die fieberhaften Vorbereitungen auf das Jahr 1917, das, wie wir hoffe«, das Entscheidungsjahr werden soll. Wir fühlen, wie auf alle» Seiten die Maschinen zu höchster Kraft geheizt werden. Wenn die Kälte gebrochen ist, kann jeden Tag irgendwo der Anprall kommen. Es wird schwere Kämpfe geben. Doch das Vertrauen zu Hindenburg ist stark. Wir erwarten von ihm vor allem, daß er uns kein blutendes Verdun bereite. Am 1. Februar begann der rücksichtslose Unterseebootskrieg, der kein Schiff, auch kein neutrales, in den feindliche» Gewässern schone» will. Das brachte «ns einen neuen Feind: Amerika. Oer Krieg ist zwar noch nicht erklärt, der Botschafter aber von Berlin abberufen worden. Doch schreckt das niemand. Ein Wehen des Geistes von 1914 ist spürbar, ein verzweifelter Entschluß, den Frieden nun, da wir ihn nicht anders haben können, mit harter Faust zu erzwingen. 26. Februar 1917. Gestern abend flammte trotz Kriegszeit, trotz Holzkvappheit und Kohlenmangel wieder das altgewohnte Scheibeafeuer auf. Die Kinder haben genug am Entsagen, fie wollen ohne Rücksicht auf frierende Städter ihre Lust. Die Klafter Holz kostet heuer 60—70 Mark. Eine arme Familie hätte sich mit dem vuzeitig verbrannten Holzstoß viele Wochen die Stube heizen können. Kohlen sind ohnehin nur auf Bezugschein, pro Woche ein Zentner, zu haben.

io. Märj 1917. Der junge Serbe beim Klausenbauer will nicht mehr arbeiten. Er erinnert sich der schweren Arbeit im vorigen Jahr und fürchtet sich vor dem neuen Arbeitssommer. Die Leute glauben allerdings, die Gefangenen hätten sich allgemein verschworen, die Arbeit ju verweigern und dadurch den Anbau zu verhindern. Die Schüler schreiben über diesen Vorfall folgenden Aufsatz: „Der Serbe im Keller. Beim Klausenbauer wollte der Serbe nicht mehr schaffen. Darum wurde er in den Keller gesperrt. Vor das Keller­ fenster schob man Holjstumpen, auf die Kellerfalle legte man schwere Säcke, daß er nicht herauskonnte. Zum Essen bekam er nur Wasser und Brot. Auf dem Pflaster mußte er schlafen. Am dritten Tag polterte er fest an die Falle. Der Wachmann ging hin, der Serbe rief: Ich schon arbeit! Der Posten ließ ihn herauf. Jetzt schafft er wieder." 15. März 1917. Gestern war Entlassungsprüfung in der Volksschule. Einer der entlassene» Sonntagsschüler muß sich bereits zur Stamm­ rolle anmelden. Die schlecht genährten Stadtkinder sollen über die schwierigen Mo­ nate bis zur neuen Ernte aufs Land gebracht werden. Elf hiesige Familien erklärten sich zur kostenlosen Aufnahme von Kindern bereit. Die Kinder müssen sich allerdings durch Mithilfe bei der Arbeit etwas nützlich machen. 16. Märj 1917. In Rußland ist die Revolution ausgebrochen! 25. Märj 1917. Unsere Lebensmittelvorräte werden knapp und knap­ per. Auch auf dem Lande werden nun die Zügel etwas straffer angejogen. Es besteht seit einigen Wochen in jedem Dorf eine Lebens­ mittelsammelstelle, die den Auflauf für den Kommunalverbavd besorgt. Dadurch soll verhindert werden, daß zuviel an Verwandte

uvd Bekannte und an solche, die hohe Preise zahlen können, ver­ kauft wird. Die Einrichtung wird sich besonders für die Versorgung mit Eiern bewähren. Die Verbraucher könne» nun ihren Bedarf au Eiern und Butter mittels Eierkarte (ein Ei pro Kopf und Woche) und Fettkarte (90 Gramm pro Kopf in der Woche) nur mehr in der Sammelstelle decken. Eine kleine Weiberrevolution gab es, als kürzlich die Anordnung kam, daß außer dem Boten (Sammelstelle) niemand mehr buttern darf, sondern alle Milch in die Molkerei abzuliefern ist. Der Bürger­ meister mußte die Zentrifugen versiegeln und die Butterfässer in Verwahrung nehmen, was ihm schwere Angriffe und Schmä­ hungen eintrug. Der Bäcker bringt seit 14 Tagen keine Semmeln mehr. Vom 15. April ab soll die Brotkarte verringert, dafür die Fleischkarte erhöht werden. Was sagt dazu der Geldbeutel armer Leute? Kleider, Stoffe und Schuhe werden nun nur mehr gegen Bezug­ scheine abgegeben. Der Bürgermeister, der die Scheine ausstellt, muß dabei prüfen, ob die Anschaffung notwendig ist oder nicht. Der arme Mann ist nicht zu beneiden! zi. März 1917. Am letzten Samstag wurden in der hiesigen Sammel­ stelle 1000 Eier abgeliefert. Die Sammelstellen des Kommunal­ verbandes, der das halbe Bezirksamt umfaßt, lieferten 40000 Stück an den Verband ab. Dazu haben wir Heuer keinen guten Legfrühliug: bis heute noch keinen warmen Tag. In Rußland noch alles unklar. An der Westfront Wetterleuchten, aber noch kein Gewitter. Hindevburg hat die deutsche Front zwi­ schen Arras und Aisne in vorbereitete Stellungen zurückverlegt und dadurch verkürzt. Ob damit eine feindliche Offensive vereitelt oder eine eigene vorbereitet werden soll, wissen wir nicht. in

9* April 1917. Einige Zählergebnisse: Ende Januar, also vor der Zentrifugensperre, betrug die wöchentliche Milchabliefernag an die Molkerei 1057 Liter; daneben butterten fünf Haushaltungen, be, sonders die größeren, selbst. — Am 14. Februar waren noch vor, Handen: 80 Zentner Roggen, 9 Zentner Weizen, 127 Zentner Fesen, 142 Zentner Gerste, 190 Zentner Haber. — Kartoffelvor­ räte am 1. März: 800 Zentner.—Der Viehbestand hält sich immer auf der gleichen Höhe trotz der Futterkvappheit. Neuerdings wird behördlicherseits sogar empfohlen, den Kaffeesatz als Futtermittel zu verwerten. Run müssen auch schon die Kirchenglocken angemeldet werden. Sie werden sich nach vnd nach in Kanonen verwandeln. 11. April 1917. Zur Zeit liegt die sechste Kriegsanleihe zur Zeichnung auf. Das Bezirksamt regte an, die Gemeinden sollen Geld auf­ nehme» und es zur Kriegsanleihe verwenden, ©effera befaßte sich die Gemeindeversammlung mit diesem Plan. Der Vorschlag, 10000 Mark bei der Darlehenskasse auf laugftistige Abzahlung aufzunehmen, stieß anfangs auf Mißtrauen und Ablehnung. Der Bürgermeister aber, der zur Zeit aus Rußland in Urlaub hier ist, setzte sich als Frontsoldat warm für die Sache ein. Gegenüber den Gerüchte», daß die Kriegsanleihen den Krieg verlängern, sagte er: „Wenn ihr hört, daß die Soldaten au der Front sagen: Wir wollen Frieden! so dürft ihr nicht glauben, daß sie damit meinen, wir allein wollen Frieden. Rein, sie meinen, allgemein soll der Friede kommen, und zwar so, daß es für «ns ein guter Friede ist. Solche, die Frieden um jeden Preis wollen, findet ihr keine hundert in jeder Division." Daraufhin wurde der Vorschlag ange­ nommen. Die Schuld zahlt sich zum Tell selbst ab, da der Dar-

lehensverein 4% Zins verlangt, die Kriegsanleihe dagegen 5% abwirst. Die Werbegewandtheit nimmt mit jeder Anleihe jv. Diesmal wird besonders in den Garnisonen viel gejeichvet. Das Ersatz­ bataillon des 12. Infanterieregiments in Ren-Ulm brachte 800000 Mark zusammen. Die Zeichner dürfen dafür in Urlaub fahren. 15. April 1917. Unsere Unterseeboote haben im Monat März 435 Handelsschiffe versenkt. Morgen beginnt wieder die deutsche Sommerzeit. 18. April 1917. Das Gewitter im Westen ist losgebrochen! Rechts und links von Arras, wo schon so viel Bayernblut geflossen, griffen am Ostermontag die Engländer, zwischen Reims nnd Aisne eine Woche später die Franzosen an. Zehn Tage laug trommelte die französische Artillerie in 40 km Breite auf die deutschen Stel­ lungen, bevor der Znfauterieaugriff gewagt wurde. Der beab­ sichtigte Durchbruch, der den Krieg endlich entscheiden sollte, ist nicht gelungen. Engländer und Franzosen haben ungehenre Opfer an Menschen gebracht. Die schweren Kämpfe gehen noch weiter. Bei jedem dieser Anstürme geht ein Herzklopfen durch die Heimat. Wir haben Gefühle wie die Fahrgäste eines Schiffes im Sturm. Wir sind voll Dertraueu auf unser gutes Schiff und seine tapfere Bemannung, sehen aber mit jeder andringende» Woge die Ge­ fahr des Untergangs und halten dev Atem an. Während im Westen die Kriegsfackel noch hellauf brennt, steigt im Osten eine nebelhafte Gestalt ans dem Erdboden auf, vorerst in zarten Umrissen nur, blaß und schemenhaft: der Friede! Don Oste» kam der Krieg — soll von daher auch der Friede kommen? Die Revolution hat sich mit Macht über die morsche Zareutyrannei Sttegele, Deutsche- Dorf tm Weltkrieg.

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gestürzt; diese fiel auf deu erste» Stoß. Nu» ist das Gewtrre der Streruvgev groß u»d undurchsichtig für uns. Wir höre» Kriegs­ töne, aber »och mehr Friedevsflöte». Und wir glauben an die letzteren und hoffe«, vielleicht zum erstenmal mit einigem Grund, auf baldigen Frieden wenigstens mit Rußland. 20. April 1917. Das Kriegsanleiheergebuis mit 12,7 Milliarden ist das höchste bisher. Welche Leistung nach drei Jahren Krieg! 24. April 1917. Da die Brotkarte verkürzt wird, müsse» auch die Bauer» »och einen Teil der thuen zugestandenen Menge Getreide abgeben: nämlich pro Kopf und Monat 5 Pfund, berechnet vom 15. AprU bis 15. August. Das hält natürlich schwer. Wir gingen zu dreien von Haus zu Haus, machten die Notwendigkeit der Ver­ kürzung klar und berechneten die Ablieferungsmenge. Das half aber wenig. Wir mußten die schlimmsten Schmähreden über dev Bundesrat und Batocki, den Ernährnugsmivister, anhören. Mit Müh und Not brachten wir die 34 Pflichtzevtner zusammen, die auf die Gemeinde treffen. Morgen werde» sie in die Schranne ab­ geliefert. Die Nachwelt aber soll wissen, daß Deutschland im Jahre 1917 solche Brotnot hatte, daß das Getreide de» Bauern nicht mehr nach Zentnern, sondern »ach Pfunden ab­ verlangt wurde. Für die Nichtlandwirte sieht der Speisezettel künftig so aus: Eine Familie mit zwei Erwachsene» und einem Kind erhält wöchentlich 2% Pfund Fleisch, 4050 Gramm Brot, 600 Gramm Mehl, 270 Gramm Fett und 3 Eier; dazu monatlich 4% Pfund Zucker. Die Marken hiefür werben alle 4 Wochen beim Bürgermeister verteilt. Außerdem gibt es Marken für Seife und Waschpulver. Manche Haushaltungen suchen Seife selbst herzustellen; das ist neuerdings

verböte» worden. Ja den Städten gibt es Marken auch für Käse, Kartoffeln und Bier. 2. Mai 1917. Von Neu-Ulm find acht Stadtkinder eingetroffen und in bäuerlichen Familien untergebracht worden. Unter den Schulkindern herrscht schon seit den Wintermovate» Krätze. Bei dem Mangel an Seife ist fie, besonders in Familien, die ohnehin j« Unreiulichkeit neigen, schwer zn bekämpfen. 8. Mai 1917. Die Bierregelung will noch nicht klappen. Das Bier wurde nun auf 3,5—4% Stammwürzegehalt, der Preis für einen Liter auf 22 Pfg. festgesetzt. Die Wirtschaften dürfen nur zwischen i i und l Uhr mittags und 4 und 9 Uhr abends Bier ausschenken. Wer dort Brot und Wurst will, muß dafür Marken abgeben. 14. Mai 1917. Unsere Serben lassen fich gerne photographieren, am liebsten in voller Uniform. Schipko holte sogar den Fuchsen seines Baueru aus dem Stall und ließ fich hoch zu Roß aufnehmen. 29. Mai 1917. Zu den fortgesetzt schweren Kämpfen im Westen gesellt fich nun eine italienische Offeufive am Jsonzo, die schon acht Tage im Gauge ist. Auch bei Saloniki wird gekämpft. Von allen Seiten arbeiten unsere Feinde zusammen, um die Entscheidung herbei­ zuführen. Unsere Truppe« halten den furchtbaren Angriffen überall stand. Der Unterseebootskrieg brachte im April eine Beute von i Million versenkter Tonnen. 26. Mai 1917. Rot lehrt sparen. Das Bezirksamt fordert auf, altes Schuhleder sowie alle Abfälle aus Metall und Gummi wie SoldatenkuSpfe, Bleikugeln, Zinnsoldaten durch die Schulkinder sam­ meln zu lassen und an die Sammelstellev abzuliefern. Bedachungen aus Kupfer, kupferne Dachrinne« und Abfallrohre find beschlag8*

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nahmt und werden nach und nach entfernt. Auch Aluminium wandert in den großen Kriegskeffel. Für i kg Kupfer werden 1,85 Mark, für 1 kg Aluminium 12 Mark vergütet. 4. Juni 1917. Der Tauschhandel nimmt immer mehr überhand. Die Geschäftsleute geben ihre Waren mit Vorliebe gegen Butter, Schmalj, Ger, Mehl ab. Es wird jwar gedroht, solche Geschäfte zu schließen; aber der Vorteil ist beiderseits so groß, daß solche Drohungen gern in Kauf genommen werden. Der Bauer kommt zu guter, billiger Frtedeusware, der Kaufmann ju Lebensmitteln über die Markevration hinaus. Dazu kommen die Städter immer mehr aufs Land, um Lebens­ mittel aufzukaufen. Wer kann, bietet höhere Preise als die gesetz­ lichen, um die Bauern zur Abgabe ihrer Erzengvisse zu bestimmen. Das führt zu schlimmen Zuständen. Wer Zeit und Geld hat, ver­ sorgt sich doppelt und dreifach, für die übrigen aber müssen die Zuweisungen immer geringer werden, weil die unter der Decke verschacherten Lebensmittel für die Allgemeinheit verloren sind. 9. Juni 1917. Die große« Angriffsschlachten in Frankreich und Italien gelten nun als endgültig gescheitert. Damit ist der erste Ansturm des Jahres glücklich abgeschlagen. Die Zeitungen be­ richten aber schon von der Vorbereitung einer neuen, umfassen­ den Sommeroffevstve, an der sämtliche Feindstaaten einschließlich Rußlands betelligt sein sollen. Wir hoffen, daß auch dieser General­ sturm auf die Festung Deutschland abgeschlagen wird. 16. Juni 1917. Die Uuterseebootspeude ergab hier 43 Mark. Nur mit Mühe war die Summe zusammenzubringen. Niemand will mehr etwas geben; der Bürgermeister muß seinen ganzen persönliche« Einfluß aufwenden, um eine kleine Gabe herauszupressen.

2Z. Juni 1917. Um der Hamsterei von Silber- und Nickelgeld ein Ende zu machen, werden die Silber- und Nickelmünzen außer Kurs gesetzt und müssen daher in nächster Zeit gegen Papiergeld umge­ tauscht werden, wenn sie nicht ungültig werden sollen. Die Orgeln werden zur Zeit ihrer zinnernen Pfeifen beraubt. Auch unsere Kirchenorgel wird demnächst an die Reihe kommen. z. Juli 1917. Die Hoffnung auf Frieden mit Rußland war eitel — der Arbeiter- und Soldateurat hat Verhandlungen über einen Sonderfrieden abgelehnt. Die russischen Truppen wollen, aufge­ peitscht von den Engländern, ihr Glück nochmal versuchen, sie greifen in Galizien in großen Masse» an, bisher ohne Erfolg. Auch Griechenland wurde zum Eintritt in den Krieg gegen uns ge­ zwungen. 9. Juli 1917. Ein Schlosser aus der Nachbargemeinde geht durchs Dorf und nimmt die kupfernen Herdschiffe heraus; sie werden durch solche aus Zinkblech ersetzt. 14. Juli 1917. Nu» müssen auch die Stadtkinder das Barfußgehen lerne». In den Schulen wird den Kindern empfohlen, ihre Schuhe für den Winter aufzusparen, weil die Ledervorräte zum größten Teil für nnsere Soldaten benötigt werden. 2i. Juli 1917. Die Arbeitskräfte für die Ernte, die vor der Tür steht, sind spärlich. Da die Gefangenen alle vergebe» sind und die Ur­ lauber, soweit sie Landwirte sind, auf ihre eigenen Anwesen ge­ schickt werden, will die Wirtschaftsstelle für den sonstigen Bedarf Handwerker beurlaubeu und Mittelschüler aufs Land zur Hilfe schicke». Die Bauern sträuben sich dagegen, weil diese Arbeitskräfte teurer find als die Gefangenen und vermutlich weniger leisten. ii7

25« Juli 1917. Mt Ungeduld wartet das hungernde Volk auf die neue Ernte, besonders auf Kartoffeln. Um die Ernte unreifer Früchte ju verhindern, hat das Bezirksamt verboten, daß vor dem 1. August Frühkartoffeln aus dem Boden genommen werden. Der Preis wurde auf 9 Mark pro Zentner festgesetzt. In Galizien sind unsere Truppen zum Gegenstoß vorgegavgev und haben die russischen Linien an mehreren Stellen durchbrochen. Die russischen Divisionen sind in Flucht und Auflösung. 28.1 uli 1917. In Flander« beginnt ein neuer englischer Durchbruchs­ versuch. Die Artillerie wütet seit einigen Tagen und läßt eine schwere Schlacht erwarten. 5. August 1917. Unsere Truppen in Flandern hielten stand trotz Schmutz und Regen, trotz Artillerietanks und Schwärmen von Fliegern, trotz erbitterter Jnfauterieangriffe. Die Heimat atmet wieder auf. 8. August 1917. Die Flandernkämpfe forderten ein Opfer aus unsrer Gemeinde: Josef Müller ist nach schwerer Verwundung und nachdem ihm im Feldlazarett das linke Bein abgenommen worden war, gestorben. Sein Leben ist ganz für andere gegeben. Er selbst, eia armseliger Bavernknecht ohne Heimat, ohne Angehörige, hatte nichts zu ver­ teidigen. Ms Kind einer landfiüchtigen Fabrikarbeiterin fiel er der Heimatgemeinde seiner Mutter zu. Die Gemeinde ließ ihn ver­ steigern; er kam an die Familie, die das geringste Kostgeld ver­ langte. Als sich dies herzlose Feilbieten bald darauf wiederholen sollte, erbarmte sich eine Silheimer Base des Kindes und nahm es im Alter von 11 Monaten zu sich, um es als ihr Pflegekind auf­ zuziehen. Im Mai 1916 kam Müller ins Feld nach Verdun. Gleich 118

das erstemal, als er iv Stellung vorne war, wurde er verschüttet. Er schreibt darüber: „Meine Kompagnie war 180 Manu stark, als wir in Stellung gingen. Bis wir in die vorderste Linie kamen, waren es nur noch halb soviel. Früh io Uhr hatten wir einen Sturm, welchen ich noch gut mitmachen konnte. Mittags nach i2 Uhr wollte ich in ein anderes Loch springen, wobei mich ein Granatschuß verschüttete." Sein Kamerad grub ihn aus. Nach seiner Wiederherstellung mußte Müller die Kämpfe in Galijte» und Rumänien mitmachen, bis sein Regiment wieder nach Weste» kam. Er schreibt aus Flandern unter dem englischen Artilleriefeuer: „Wir find genau so iv den Löchern umher wie voriges Jahr bei Verdun. Gräben gibt es überhaupt nicht. Daju sehr schlechtes Wetter, so daß man schier versauft im Dreck." Sein Trost war die Aussicht auf baldigen Urlaub. Jedoch während der Ablösung brachte eine feindliche Mine die Verletzung, die jvm Tode führte. Er starb am 3. August. „Begräbnisstätte unbekannt" schreibt sein Feldwebel. Wie sei« Grab, so wird auch sein schlichtes Leben bald im Dunkeln liegen. Und doch wiegt sein Opfer schwerer als das der Besitzenden und Betrauerte«. 17. August 1917. Auf dem Unglücksfeld von Verdun beginnt der dritte Att der feindlichen Sommeroffeusive: die Fraujoseu greife« an, unterstützt von neuem Vorstürmen der Engländer in Flandern. Wir spürenwiederdas Zittern im Körper des schwer kämpfenden Schiffes. Die Ernte ist im Gang. Alle möglichen Arbeitskräfte: Gefangene, Urlauber, Städter, sind zu sehen. Für baldige Ablieferung von Getreide wird wieder die Frühdruschprämie gewährt. Der Papst hat den Völkern Friedevsvorschläge gemacht. Niemand wagt auf einen Erfolg j« hoffen.

26. August 1917. Seit Tage» stürmen auch die Italiener am Jsoujo. Unsere Soldaten, einer dreifache« Hölle gegenüberstehend, in Flandern, bet Derdun, in Rorditalien, harren aus. Die Heimat kennt die Gefahr nicht genug, sonst müßte sie alles Kleine ver­ gessen in diesen Wochen. 5. September 1917. Die Amerikaner haben den Friedensvorschlag des Papstes abgelehnt. Alle Hoffnungen dürfen begraben «erden. Unsere Truppen in Rußland helfe» uns die schwere Zeit tragen. Sie marschieren unaufhaltsam vor. Riga wurde eingenommen. 12. September 1917. Die Wissenschaft hat entdeckt, daß Queckenwarzeln zu gutem Futter für Pferde und Hühner verarbeitet wer­ den können. Run sollen die Schulkinder auf den Äckern Quecken sammeln. Die Bauern schimpfen darüber und behaupten, solches Zeug fräßen die Tiere nicht. Ein paar Mitglieder der Gemeindeverwaltung müsse» mit dem Bürgermeister in den Häusern umhergehen und nach kupfernen und messingenen Gegenständen suchen, die noch nicht abgeliefert worden sind. Daß sie bet diesem Geschäft überall liebreich aufge­ nommen werden, läßt sich denken. Die Hausfrauen verteidigen ihre schönen Messingpfanuev und Kupferkare, soweit sie sie nicht schon vorher versteckt haben, bis aufs Blut. 22. September 1917. Die Kartoffeln werden geerntet, gottlob in größerer Menge als im Vorjahr. Da auch die Weizeuerute gut war, dürfen nun wieder Semmeln gebacken werden; auch das Schwarzbrot, dem in letzter Zeit vielfach Rüben- statt Kartoffelmehl zugesetzt wurde, wird wieder besser schmecken mit Kartoffelzusatz. Die Hausfrauen können ihre Kartoffelspeisenrezepte, die im Kriege

besonders geschätzt sind, wieder vorsuche». Die Nahruvgssorgen sind etwas gelindert. 29. September 1917. Das Ende des Monats ist so schwer wie sein Anfang, überall wiederholen sich die heftigen Angriffe ans unsere Stellungen. 6. Oktober 1917. Die endlosen Angriffe in Flandern sind eine sonder­ bare Begleitmusik zu dem vielen Gerede über de» Frieden, das von den Staatsmännern herüben und drüben in diese» Woche» jn hören ist. 13. Oktober 1917. Die Getreideverteilung ist neu geregelt worden. Der Bauer darf für die Zeit vom 15. November bis 15. August 1918 für den Kopf seines Haushalts 163 Pfund Brotgetreide zu­ rückbehalten. Die Müller müssen Roggen nnd Wetzen zu 94% ausmahlen. Der Preis für Haushaltuvgsmehl wird auf 29 Pfg. für das Pfund festgesetzt. 20. Oktober 1917. Die siebente Kriegsanleihe endete mit 12% Mil­ liarden Mark. Eine Sammlung, die ausnahmsweise einmal Freude bereitet, führten wir dieser Tage durch: die Altpapiersammlung. Besonders die Gemeiuderegistratnr reinigten wir von überflüssigem Ballast. Ob wir das Papier in Form von Papierstoff wiedersehen müssen? 29. Oktober 1917. Jn Italien haben unsere Truppen den Stiel um­ gedreht und sind zum Gegenangriff vorgegangen. Sie treibe« die Italiener im Sturmschritt vor sich her. Mehr als 30000 Gefangene sind gemeldet. Wir gönnen unsern ehemaligen Bundesgenossen die Niederlage. Und doch will keine rechte Siegesstimmung auf­ kommen; wir leiden mit unsern Soldaten im Westen, die unter

beständigen Großangriffen der Engländer in Flandern und neuer­ dings wieder der Franjosen bei Soissons Unerhörtes ausjustehen haben, um die Heimat vor dem mit allen Mitteln versuchten Ein­ bruch zu schützen. Ein paar Sätze ans einem Feldpostbrief Andreas Ebners sagen alles: „Wir find immer noch in Flandern. O du schreckliches Poelkapelle mit deinem Schlamm und Dreck, könnte dich nicht die Hölle verschlingen! Es ist hier jvm Wahnsinnigwer­ den! Und dabei spricht man vom Frieden; nein, so steht er nicht ans." 3. November 1917. Schulfrei und Fahuenflattern wegen des großen Sieges über die Italiener am letzten Oktobertag. 60000 Gefangene an einem Tag! 8. November 1917. Mt großer Genugtuung nimmt das Volk die Nachrichten über die fürchterlichen Niederlagen der Italiener auf. Sie büßten in einer eivjigen Woche 200000 Gefangene und 1800 Geschütze ein. Die Offensive geht weiter, beglückwünscht vom ganzen Volke.

Zn Rußland beginnt es wieder zu gären. Die Zeitungen berichten von bolschewistischen Aufständen. Die Front ist morsch und bricht, wo sie angestoßen wird. Trotzdem lassen die Westmächte den Frieden nicht zu. Sie warten und hoffen nun, nachdem ihre Offensiven nicht geglückt und ihre Aushuugervngspläne vereitelt sind, auf die Hilfe Amerikas und vielleicht auch auf vnsere innere Uneinigkeit. Der Streit um die Kriegsjiele ist bei uns in voller Schärfe entbrannt. Die einen ver­ langen große Eroberungen, die andern versöhnlichen Ausgleich ohne Ländererwerb. Ebenso wird um die Neugestaltung der inneren Verhältnisse, wie sie nach dem Krieg erfolgen soll, gestritten. Zwei

Reichskanzler wurden dem Streit geopfert, der dritte, Hertling, ist eben in diesen Tagen ernannt worden. Er setzt fich zum Ziel die innere Einigung des Volkes. 13. November 1917. Um das Obst der Volkservährung nicht zu ent­ ziehen, ist die Herstellung von Most verboten. Die Mehlmenge, die nach der Ernte wieder 220 Gramm in der Woche betrug, wird schon wieder auf 200 Gramm gestutzt. Auch die den Bauern zuge­ standene Menge von 162 Pfund wird auf 153 Pfund zurückgesetzt. Die Ernteerhebvng im ganzen Reich scheint also keine günstigen Ziffern geliefert zu haben. Die Angaben waren wohl allenthalben viel zu gering. Denn immer mehr kommt das Hamstern in Schwung, das dem Bauern höhere Preise bringt, als er sie vom Kommunalverband erhält. Es bilden sich zwischen Stadt- und Landfamilieu häufig feste Beziehungen heraus. Fast jeden Sonn­ tag kann mau die gleichen Leute aus der Stadt in den Bauern­ häuser» sitzen sehen, ihre Rucksäcke neben sich. Wie aber geht es denen, die nicht Zeit und Geld haben zu dieser Art Zuschußversorgung? Was macht z. B. eine Frau mit kleinen Kinder«, deren Mann im Felde steht? 24. November 1917. Holz ist sehr teuer. Amtliche Richtpreise: für einen Ster Weichholz erster Klasse 16 Mark, Hartholz 20 Mark ohne Fracht oder Fuhrlohn. Eine Umschau nach den im Felde stehenden Soldaten aus unserer Gemeinde ergibt: 7 sind im Westen, darunter 2 in Flandern, 3 sind in Rumänien, je 1 ist in Galizien, Riga, Mazedonien und Palästina. Josef Sonderholzer liegt in rumänischen Lazaretten infolge Ver­ wundung und Ruhr.

3. Dezember 1917. Ja dea Garmsonsstädteu werde» die fürs Feld bestimmte» Truppe» immer «och mit Mvstk zum Bahnhof be­ gleitet. Jedoch war die Abschiedsstimmnng ia dea verschiedeaen Kriegszeiten nicht immer die gleiche. Die erste» Abschiede, anno 1914, die waren wild und stürmisch, voller Kampfesungeduld «nd Kraftüberschwang. Dann wvrden sie stiller, gedrückter, schwerer. Das war besonders 1916 so, wo wir Verdun vnd Somme zn be­ stehen hatten. Es gab einen Stich ins Herz, wenn wir damals einem Trnppenabmarsch begegneten; der Gedanke an ein Leichen­ begängnis drängte fich ans. So war es auch die trostlosen Monate des Jahres 1917 hindurch. Heute aber spürt man wieder mehr Zuversicht, mehr Uberlegenheitsgefühl. Es geht an eine Front des Sieges, nach Italien; das ist ei» Trost und eine Genugtunvg für die Soldaten. Dazu kommt das Gefühl, als ob wir bald über dem Berge wären und das Schwierigste hinter uns hätte», als ob es dem Friede» entgegenginge — der nahende Waffenstillstand mit Rußland hebt die Brust vnd stärkt den Arm zum letzten Voll­ bringen. 17. Dezember 1917. Eine frohe Kunde: der Waffenstillstand mit Rußland ist unterzeichnet! Ein weltgeschichtliches Ereignis, -essen Tragweite wir heute nicht zu ermessen vermöge». Wir haben im Kriege gelernt, auch bei großen Nachrichten stille zu bleiben. Viel­ leicht tu» wir unrecht, nicht zu jubeln. Aber «er weiß das? 23. Dezember 1917. Weihnachten naht wieder. Die Soldaten drän­ gen aus den Garnisonen in Urlaub nach Hause. Die Verkehrs­ schwierigkeiten jedoch sind groß: Kohlen-, Wagen-, Personalmangel, wenig Züge, ungeheurer Andrang. Die Urlauber wurden gleich­ mäßig auf Tage und Züge verteilt. Trotzdem gab und gibt es

angstvolle Drängereien ans den Bahnhöfen. Unvernünftige reißen die Sperrgitter ein oder klettern darüber, viele kommen überhaupt nicht mit. Die Leute in dev Zügen sprechen prophetisch von den kommenden Dingen. Ein paar Österreicher erjählev, viele ihrer Kameraden seien au die deutsche Westfront gekommen; ein Badener spricht von den jahlreichen Truppenzügen, die nach Frankreich rollen; nnd endlich haben sie auch den Offenstvplan des deutschen Generalstabs entdeckt: nächste Woche soll es losgehev, und zwar in Flandern nnd Italien gleichzeitig. Der Friede muß dann bald nachkommen, meinen fie. GlüMche Leute! Eines jedoch ist stcher: der russische Waffenstillstand brachte eine Hochhebuug der Dolksstimmnng fast auf den Stand von 1914. Mt diesem Geiste wird uns zweifellos vieles glücken. 29. Dezember 1917. In Brest-Litowsk begannen die FriedeusverHandlungen zwischen Rußland und den Mittelmächten. Den übri­ gen Feindmächten wurde angeboten, sich daran zu beteiligen ans der Grundlage: keine gewaltsame Einverleibung fremder Lavdestelle, keine Kriegsentschädigungen. Die französische Kammer hat bereits darauf geantwortet: ei« tobendes Rein! Diese Haltung ist uns unverständlich. Was wollen die Franzosen noch erwatten? Können sie hoffen, jetzt noch zu siegen, da unsere Truppen im Osten frei werden? Zi. Dezember 1917. Der letzte Tag eines schrecklichen Jahres! Wir waren hoffnungslos lange Monate hindurch Amboß: im Früh­ jahr bei Arras und an der Aisne, im Sommer und Herbst bei Verdun und in Flandern. Kein Wort ist groß genug, um das aus­ zudrücken, was die Heimat dem Frontsoldaten an Dank schuldet;

kein Wort aber auch hart genug, um diejenige« ju brandmarken, die angesichts solchen Heldentums ihrem Eigennutz zu leben ver­ mögen; die sich durch Lüge und Henchelei von jeglichem Vater­ laadsdienst zu drücken versuchen; die Schmierwesen und Günst­ lingswirtschaft dulden; die sich als Vorgesetzte nicht zur Notund Pflichtgemeinschaft des einfachen Soldaten bekennen.

Die heurige Weihnachtsspende für die Soldaten ergab 109 Mark. Neujahr 19x8. Ernster, trüber Neujahrstag. Draußen graut der Nebel und hängt der Reif an den Bäumen; nicht weniger düster ist es drinnen in der Menschenbrust. Da liegen graue Vergangen­ heit und undurchsichtige Zukunft gleich schwer beieinander. Wird einer der 365 Tage des neuen Jahres derjenige sein, an dem die Friedensglocken läuten, an dem sich die vielen zerrissenen Familien wieder schließen, an dem die Soldaten in ihre« Friedensberuf zurückkehren? Lauter Fragen ohne Spur einer Antwort. Unsere Hoffnungsbäume sind kahl geworden. Wie bestimmt wurde das Jahr 1917 als das letzte der Kriegsjahre vorhergesagt! Heuer trauen sich nicht einmal mehr die Zeitungen prophezeien, daß das Jahr 1918 den Krieg beende. Schwer wird uns jeder neue Tag des neuen Jahres werden; doch wir müssen sie wohl oder übel tragen; sind wir doch nicht des Schicksals Meister, sondern seine Werkzeuge. 15. Januar 1918. Die Fettkarte wurde um 20 Gramm verringert. 3. Februar 1918. Es gärt im Innern des Reiches. Der Streik schlich sich die vergangene Woche durch die Städte. Auch in München gab es Umzüge und stürmische Versammlungen, geleitet von dem Berliner Schriftsteller Eisner. Die Streikenden wollen Frieden, besonders schnelleres Verhandeln mit Rußland, Brot und mehr Recht im künftigen Deutschland. Der Bewegung fehlt die beste

Stützer die Zustimmung des breiten Volkes, das so vernünftig ist einzusehen, daß auf diese Weise unsern Feinden in die Hände ge­ arbeitet wird. 7. Februar 1918. Die Streikzeit ist vorüber, die Führer sind ver­ haftet. Z» Rußland tobt der Bürgerkrieg fort; jede» Tag lesen wir von neuen Republiken, die sich abgesplittert haben. Die Not an Schnhzeug führt zu allen möglichen Ersatzmitteln, wie Holzschnhen und Papiersohlen. Strohschnhe machen sich die Leute selbst; sie werden besonders von Kindern gern getragen. 11. Februar 1918. Friedensschluß mit der Ukraine, dem bisherigen Südrußlavd! Er wurde am 9. Februar nachts 2 Uhr unterzeichnet. Wie das Ereignis in Silheim gefeiert wurde, zeigt folgender Kin­ deraufsatz: „Die erste Friedensfeier. Wir gingen zum Wurzensepp. Jedes Kind kaufte ein Fähnlein. Der Baue Jakob hatte eine große Fahne. Dann stellten wir uns auf. Vorn war der Sepp mit der Trommel. Wir zogen durch das Dorf. Der Wurzensepp trommelte, Wir sangen Lieder. Die Leute schauten heraus und lachten." Der Wurzensepp ist ein Veteran vom Krieg 1870/71. Wegen Mangel an Brennstoffen muß die Schule in diesem Winter den Unterricht an sehr kalten Tagen aussetzen. 23. Februar 1918. Da die Russen die Verhandlungen in die Länge ziehen wollen, marschieren unsere Truppen, ohne viel Widerstand zu finden, in das weite, aufgelöste Reich hinein, plündernde und ordnuvgslose Soldatenhorde» vor sich her treibend. Tausende von Geschützen, Gefangenen, Eisenbahnwagen sind erbeutet. Auch mit Rumänien sind nun Friedevsverhandlungen eingeleitet. 6. März 1918. Der Friede mit Rußland ist nnterzeichnet. Kein Ber127

stäudigungsfriede — die Russen fügten sich den deutschen Be­ dingungen. Darum ist auch die Freude darüber nur gering. Die Kinder läuten zwar zwischen ii und 12 Uhr mit dreimaligem Aus­ setzen die Glocken, erhalten auch einen schulfreien Tag, aber nie­ mand glaubt an die Haltbarkeit des erzwungenen Friedensschlusses. Außerdem fürchten die Bauern, sie müssen ihre russischen Gefan­ genen abgeben, bevor ihre Söhne heimgekehrt sind. Im Jahre 1915, als Hivdeuburg den Grund legte zu diesem Frieden, da flogen die Fahnen von selbst in die Luft—nun aber hängen sie müde und pflichtgemäß an den Giebeln. 21. März 1918. Folgender Heeresbericht ist heute angeschlagen: „In breiten Abschnitten der Westfront ist heute früh die Artillerieschlacht mit voller Wucht entbrannt. Österreichisch-ungarische Artillerie hat sich am Kampfe gegen Engländer und Franzosen beteiligt/' Das ist der lang erwartete Beginn der deutschen Offensive. Heute, am Tage des Frühlingsanfangs! Man wir- still bei dieser Nachricht und geht zitternde« Herzens seine Wege. 23. März 1918. Der Erzbischof von München hat für letzten Sonntag eine allgemeine Kriegsbetstuvde um das Gelingen der Offensive angeordnet. Der letzte große Ausfall aus der Festung soll sie sein, die den Feind zum Abzug zwingt. Es wäre auch an der Zeit, daß wir Luft bekämen. Die Stickluft von Schwindel und Keiegswvcher wird immer dicker, die zur Kriegführung vöügen Rohstoffe werden immer weniger. Vergangene Woche wurden bei uns die Kupferdrähte der elektrischen Hochleitungen heruntergenommen und durch Zinkdrähte ersetzt; kupferne Kirchenkuppeln werden abgedeckt, Kircheaglocken eingezogen. 62 Glocken lieferte unser Bezirk schon ab, viele Türme haben nur mehr eine einzige Glocke. Die beiden

Glocken unseres Kirchleins wurden bisher verschont wegen ihres hohen Alters; wie lauge »och? Dagegen steht unsere Orgel mit leere» Augenhöhlen da, ihre Zinnpfeifev fehlen. 26. März 1918. Die große Schlacht zwischen Arras und La Fere hat zum Durchbruch der feindlichen Stellungen geführt. Peronne und Ham find wieder in unseren Händen, 30000 Gefangene und 600 Geschütze erbeutet. Ein weittragendes Geschütz beschießt auf 120 km Entfernung Paris. Der im Westen nicht mehr für möglich ge­ haltene Bewegungskrieg ist da! Nun haben die Kriegssprecher im Land wieder Oberwasser, fie malen fich den Fortgang der Kämpfe in den schönsten Farben aus. 4. April 1918. Die Offensive ist zum Stillstand gekommen; frei­

willig oder erzwungen? Die Bauern bauen wieder Flachs. Ein Teil davon muß abgeliefert werden, dev Rest können sie für sich verwerten. Die Spinnräder waren diesen Winter schon in verschiedenen Häusern in Tätigkeit. 12. April 1918. Im Westen wird wieder an mehreren Stellen, be­ sonders bei Armentieres, erfolgreich weitergekämpft. Doch ach, die Todesanzeigen in den Zeitungen erzählen uns, wie teuer die Er­ folge erkauft sind! Die Trvppenbefehlshaber zeigen den Tod ihrer Offiziere an: 7 von einem Regiment, 8 von einem andern, dazu täglich gefallene Flieger. Frauen veröffentlichen die Todesanzeigen für ihre Männer. Eltern geben in bitterem Stolze von gefallenen Söhnen, oft schon dem zweiten und dritten, Nachricht. In letzter, stummer Opferbereitschaft und Siegessehnsucht tragen die Be­ troffenen, trägt das Volk die schweren Wunden. 20. April 1918. Wie eine Übersicht des Bezirksamts zeigt, sind von

August 1914 bis Sude März 1918 an die Familien der hiesigen Kriegerim ganzen 15131 Mark Unterstützungen ausbezahlt worden. 24. April 1918. Der vom ganzen Volke gefeierte Flieger Richthofen, der 80 feindliche Flugzeuge abgeschossen hat, ist gefallen. Die achte Kriegsanleihe erreichte die außerordentlich hohe Summe von 14% Milliarden. Unsere Schulkinder sind mit 1000 Mark daran beteiligt. 27. April 1918. Unsere Truppen haben den Kemmelberg, ein Boll­ werk Flanderns, gestürmt. Wir beflaggen wohl, aber die Fahnen hängen «eh und lang an der Wand, mehr eine Totenklage als ei» Siegesgruß. Denn wir ahnen die Opfer dieses Sturms, und die Frage beginnt zu nagen: Komme» wir durch solch mühsame, stück­ weise Einzeleroberungen dem Frieden näher? 9. Mai 1918. Tabak ist sehr teuer. Die billigste Zigarre kostet35bis 40 Pfg. Ein Päckchen echten Tabaks zu erwischen ist für den Rau­ cher ein Glücksfall. Als Ersatz werden Buchenblätter in die Pfeife gestopft. Zn den meisten Havsgärten wird Tabak für den Selbst­ gebrauch angebaut. 18. Mai 1918. Bei herrlichem Wetter erwarten wir das Pfingstfest und — den zweiten Teil des Großangriffs im Westen. An solchem Gottestage wie heute quält der Gedanke, warum das Eis des BSlkerhaffes nicht brechen will, doppelt. Man möchte die Men­ schen alle herausführen in die Einsamkeit der Natur, um sie zur Selbstbesinnung zu bringen. 26. Mai 1918. Draußen an der Front immer noch Kampfpause. Herinnen im Land: gute Witterung, schönes Wachstum in Garten und Feld, teure Preise, Herabsetzung der Brot- und Fleischratiov,

viel Glockenläuten für Gefallene, Hoffnung auf Friede im heu­ rigen Jahre noch. 30. Mai 1918. Seit vorgestern ist die Offensive wieder mächtig im Gang. Sie geht von Laon und vom Damenweg ans südlich. Bis­ her schon große Erfolge. 5. Juni 1918. Unsere Truppen drangen vor bis an die Marne, wo sich schon 1914 unser Schicksal wendete. Der Vormarsch beträgt stellenweise 50 km; Soiffons ist erobert, 50000 Gefangene sind gemacht. Die Franjvsen werfen ihre Reserven dem Angreifer entgegen nnd suchen ihn jnm Halten jv bringen. 13. Juni 1918. Südlich und westlich von Noyon hat eine neue An­ griffsschlacht der Deutschen begonnen. Die Pariser beraten über die Verteidigung ihrer Stadt. Wir leben die Vorgänge an der Front in höchster Nervenanspannung mit. Die Sorgen der Heimat können uns jetzt, im entscheidenden Augenblick, nicht berühren. 25. Jnni 1918. Im Westen seit langem Kampfpause. Die Österreicher kämpfen mit wechselndem Erfolg gegen Italiener und Amerikaner. Drei unserer Jüngsten müssen heute einrücken. Einer davon ist erst 17V2 Jahre alt. 7. Juli 1918. Anton Doser, der als erster einrückte, damals strotzend von Gesnudheit und Lebenslust, ist halb blind, das Gesicht voller Operationsnarben, mit gebrochener Kraft ans dem Lajarett in Urlaub hier. Er erjählt seine Leidensgeschichte: „Am 5. März 1917 morgens y2? Uhr lagen wir au der Bimy-Höhe in zweiter Linie. Ich schlief mit mehrere« Kameraden im Unterstand. Da rief plötz­ lich einer: Hinaus! Ich riß die Türe auf— da stand der Graben voller Schottländer! Sie hatten die erste Stellung überrannt und

waren bei uns eingedrungen. Ich ging sofort wieder zurück, aber schon krachte eine Wurfmine, von der mich ein Splitter ins Gesicht traf und bewußtlos machte. Die Engländer beschütteten dev Unterstand, wie mir meine Kameraden nachher erzählten, mit Benzin und zündeten ihn an. Ich lag zwei Stunden darin, ver­ brannte aber nicht, da ich durch herabgerutschte Erde gegen das Fever geschützt war; jedoch war meine Gestchtshaut noch monate­ lang schwarz. Die Engländer wurden aus dem Graben wieder ver­ trieben, und ich kam in ein Feldlazarett vor Douai. Dort lag ich drei Wochen bewußtlos und wurde künstlich ernährt. Erst am 28. März kam ich zu mir — aber es war Nacht um mich, ich war blind. Nun erst erfuhr ich, wie schwer meine Verletzungen waren: das rechte Auge war herausgeschossen und verloren; das linke, ebenfalls aus seiner Höhle gedrungen, konnte wieder eingenäht werden, war aber mit dem Wundstar behaftet und daher blind; Stirn- und Nasenbein waren zertrümmert. Ich kam in Lazarette nach Bamberg und München. 13 Operationen mußte ich ausstehen. Es wurden Knochen versetzt, es wurde aus meinem Schienbein ein Stück herausgemacht und als Nasenbein eingesetzt, eine neue Stirnhaut aus dem Oberschenkel geschnitten und so mein Gesicht wieder zusammengeflickt. Am 7. Dezember, nachdem ich 9 Monate blind gewesen, wurde der Star operiert, und ich erhielt mein Augen­ licht wieder." 15. Juli 1918. Nach längerer Krankheit bin ich vom Militärdienst zunächst beurlaubt und habe meine Schule, die 2 Jahre von meiner Frau geführt wurde, wieder übernommen. Die Höchstpreise für Brotgetreide aus der neuen Ernte sind: Roggen 15,75 Mark, Weizen 16,75 Mark für den Zentner.

2i. Juli 1918. Zu den Getreidehöchstpreisen ist auch Heuer wieder eine Frühdruschprämie ausgesetzt: für Ablieferung vor demi6.Juli beträgt fie 6 Mark und verringert sich jeden halben Monat um i Mark. Gegenden mit spätem Erntebegivv, wie die unsere, sind benachteiligt, was zu Unzufriedenheit führt. Im Westen hat eine neue Kampfhandluug begonnen. Unsere Truppen griffen beiderseits Reims an, die Franzosen und Ameri­ kaner jedoch gingen sofort zur Gegenoffensive über, so daß nun ein mächtiges Ringen entstanden ist, dessen Ausgang niemand voraussehen kann. Sollte es die letzte Entscheidung bringen? Oder, wie wir fast fürchten, eine abermalige Hinauszögerung des Endes ? Was dann geschähe, bei der verworrenen Haltung der Österreicher, bei der Friedevssehvsucht des eigene» Volkes, beim Heimweh der Soldaten, läßt sich schwer denken. 2. August 1918. Wiederum Kriegsneujahrl Wir denken an die Friedensjahre wie an kivderselige Jvgevdzeit. Die Last des Krieges beginnt gerade in diesen Tagen, da sich die Zukunft neuerdings verhüllt, übermäßig schwer zu werden. Alle Hoffnung auf baldigen guten Ausgang ist im Wanken. An der Westfront beginnen beider­ seits die Vorbereitungen zv neuen Kämpfen, nachdem die fran­ zösische Gegenoffensive nach einigem Gelävdegewinn zum Still­ stand gekommen ist. Im Osten wüten blutige Gewaltmenschen; der Zar wurde in der Gefangenschaft erschossen. I» der Heimat hat bei guter Witterung die Ernte begonnen; sie verspricht reichlich zu werden. Leider sind die Bauern geneigt, das Getreide zu früh zu schneiden, weil sie eine möglichst hohe Früh­ druschprämie erwischen wollen. Eigene und fremde Soldaten sind als Erntearbeiter hier. Die Schulkinder sammeln wieder eifrig

Brennesseln. Trotzdem wird die Stoffnot nicht geringer. Bon

einem Anjugpreis von 1000 Mark sind wir nicht mehr alljvweit entfernt. Daher verlangt die Reichsbekleidnngsstelle von den wohl­ habenden Kreisen Ablieferung aller überflüssigen Mänuerkleidvng; es solle» damit die Arbeiter in kriegswichtigen Betrieben versorgt werde«. Unser Bezirk sollte 330 Anzüge aufbringen, bisher gingen aber erst 90 ein. 13. August 1918. Seit zehn Tagen ununterbrochen Regen! Und draußen liegt die reife Frucht und kan» nicht eingebracht werden. Dazu schlimme Nachrichten von der Front. Engländer und Fran­ zose» greifen unter mächtigem Einsatz von Artillerie und Tanks an. Rückzug der Deutschen auf der ganzen Linie. Die Stimmung der Urlavbssoldaten und daher auch des Volkes steht auf Null. Die Gewißheit eines neue» Winterfeldzuges rückt näher, die Hoffnung auf unsern Sieg ferner. 19. August 1918. Heute beginnt die erste fleischlose Woche, drei wei­ tere «erden im Lauf der Monate September und Oktober folgen. Die Fleischkarten sind in diesen Wochen ungültig. Auf dem Lande, «0 ohnehin wenig Fleisch gegessen wird, ist das nicht schwer zu er­ tragen. 24. August 1918. Opfertag. Jetzt, wo die offene Gefahr im Westen steht, hilft die Angst die Geldbeutel öffnen. Es wurde» 84 Mark gespendet. Die Witterung hat sich vor acht Tagen gebessert, die Ernte ist zu Hause. Roggen vnd Gerste haben gelitten, die übrigen Früchte wurden in gutem Zustande geborgen. Die Bauern sagen, ihre Scheunen seien schon lange nicht mehr so voll gewesen wie heuer. Die Serben wollten während der Ernte nicht mehr recht angreifen.

Der Krieg dauert ihnen zu lange. Sie waren häufig „krank", be­ sonders an arbeitsreichen Tagen. Da blieben fie dann in ihrem Quartier, kochten, holten Bier und ließen sich's wohl sein. Da sie aus ihrer Heimat oft Lebensmittel erhalten, können sie besser leben als wir. Der Serbe bei unserem Nachbarn, der schon mit 15 Jahren heiratete und 4 Kinder zu Hause hat, ist mit unserm kleinen Buben sehr lieb; kürzlich schenkte er ihm sogar ans seiner Heimatsevdung ein Stück Zwieback. Zi. August 1918. Die Grummeternte ist bei gutem Wetter in vollem Gang. Die Großschlacht im Weste» geht unvermindert weiter. Die Heimat weiß nicht mehr, soll sie hoffen oder zagen. Unsere Soldaten schrei­ ben, daß in den letzten Monaten halbe Regimenter an Grippe krank gewesen seien. Sollte auch das zu unsern Mßerfolgen bei­ getragen haben? 4. September 1918. Bei der kürzlichen Viehzählung stimmen wohl die Angaben über das Federvieh am wenigsten. Wegen der ge­ fürchteten Eierablieferung geben die Bäuerinnen ihren Hühnerhof so klein wie möglich an. Sie verkaufen ihre Eier lieber an Hamsterer oder geben sie in Geschäften in Tausch gegen Waren. Ei» Bild aus der Kriegszeit: Ich sitze mit dem Bürgermeister, der in Urlaub hier ist, bei einem Glas Dünnbier im Wirtshaus. Da kommt der Gendarm und fragt nach dem Wirt. Cr übergibt ihm ein Schreibe», worin festgestellt ist, daß der Wirt drei Kälblein aus dem Nachbardorf Bühl gekauft hat, was in doppelter Hinsicht „strafmäßig" ist. Erstens: Bühl gehört zu einem ander» Bezirks­ amt als Silheim, und ohne dessen Erlaubnis darf nichts über die Grenze „ausgeführt", also ins nächste Bezirksamt verkauft werde».

Zweitens: da die Kälber schon über 3 Monate alt waren, durfte» sie im freien Handel überhaupt nicht mehr verkauft werden, son­ dern mußte» au die Aufkäufer des Kommvnalverbaudes abge­ geben werden. So ist die ganze Wirtschaft jetzt gebunden, wie es $»t Zeit der Zünfte nud Zollschranken kaum der Fall war. Nicht ein­ mal Obst aus meinem Hausgarte» darf ich ohne Erlaubnis au irgendeine Privatperson schicken. Nicht nur Getreide, Vieh, Obst, Stoffe, Kupfer, Aluminium, Leder, Zinn, Glocken, Orgelpfeifen usw. sind beschlagnahmt, sondern auch Bett- und Tischwäsche, Fässer, Ferngläser, Walnüsse, Seegras, Flachs, Holjspäne, ge­ tragene Schuhwaren usw. Für alle diese und noch viel mehr Dinge, z. B. Most, Spinat, Sauerkraut, Waldbeeren, Zündhölzer usw. gelten Höchstpreise, über diese Menge von Vorschriften und Ein­ engungen wird natürlich viel hin- und hergeredet, geschimpft und gespöttelt. Wenn das Gericht alle, die dagegen sündigen, fasse» wollte, wären die Gefängnisse voll. 15. September 1918. Der Krieg dauert ohne Aussicht auf ein Ende fort. Die Feinde greifen nun unsere alten Siegfrtedstelluugeu an; hoffentlich rennen sie sich daran die Köpfe ein! Ein österreichisches Friedensangebot an unsere Feinde wurde ablehnend beantwortet. Sie rechnen also, ermuntert durch die letzten Erfolge und durch die Hilfe Amerikas, auf Sieg. Die neunte Kriegsanleihe liegt auf. Die Lust zur Zeichnung ist be­ greiflicherweise schlecht. Die Höchstpreise für Obst betragen 47—56 Pfg. für das Pfund. 28. September 1918. Bei gutem Wetter ernten die Bauer» große Mengen Kartoffeln.

Unser Geistlicher, Expositus Lang, ist vom Felde zurück. Cr hat die Seelsorge wieder übernommen. i. Oktober 1918. Die Ferien sind heute zu Ende. Die schwersten Tage des bisherigen Krieges scheinen angebrochen zu sei«. Die Anstürme ans unsere Truppen im Westen sind furcht­ bar. Die ganze Engländer-, Franzosen- und Amerikanerfront ist zum Generalsturm losgegaugen nod hämmert mit aller Gewalt ihrer Menschen- und Waffenübermacht auf unsere Stellungen ein, sie da und dort einstoßend. Auch von unseren Verbündeten kom­ men Uuheilsbotschaften: die Türken erlitten in Palästina eine schwere Niederlage, die Bulgaren wollen auf eigene Faust Frieden schließen. Dazu unsere inneren Nöte! Eine neue Kanzlerkrise ist ausgebrochen, die Geldkurse fallen — es sieht aus, als ob plötzlich alles wankte, als ob wir verloren wären! Was soll man dem ver­ zweifelnden Volke sagen? Das erstemal während der vier Kriegs­ jahre legt man sich ernsthaft die Frage vor: Wär^s möglich, daß der Feind ins Land käme?

7. Oktober 1918. Die gestrigen Zeitungen bringen so bedeutsame Meldungen, daß ein schmerzliches Umdenken nötig ist, um sie in ihrer Tragweite zu fassen. Die neue Reichsregierung unter Prinz Max von Baden sieht unsere Lage so an, daß sie ein sofortiges Friedensangebot unter Annahme der Wilsonschen Bedingungen nach Amerika zu richte» für nötig hielt. Damit erscheinen wir als die Besiegten. Unsere Niederlage im Westen brachte die entschei­ dende Wendung. Wenn es schon so weit ist, so hilft uns wohl nichts jetzt, als erst recht jusammenzustehe», um das Vaterland in seiner größten Not nicht zu verlassen, um, wenn die Feinde unser Angebot ablehnen sollten.

unsere letzte Kraft zum Widerstand der Verjweiflvng zu sammeln, nm, wenn sie es annehmen, den kommenden schwere» Frieden mit Mut und in Rnhe zu tragen. Dahier wurde kürzlich die große Glocke vom Turm genommen, nm für den Krieg eingeschmolzen zu werden. Sie machte seit 1847 ihren vielöedeutevdev Dienst; nun steht sie in der Kirche und wartet ihres Schicksals. 8. Oktober iyi8. Die Gedanken sind beim große» Weltgeschehen. Unsere Truppen wurde ans Bulgarien zurückgezogen. Auch aus Palästina marschieren sie über Damaskus nach Norden. Damit ist unsere Balkanpolitik und unser Streben nach Erhaltung der Türkei gescheitert. Die große Idee der geraden Verbindung unseres Landes mit Konstantivopel und über Bagdad mit dem freien Meer ist begraben. England wird nun dort herrschen, ebenso wie in unsern Kolonien, die uns im Namen der „Freiheit und Menschlichkeit geraubt werden. Nun, da unser Arm erlahmt, bleibt gegenüber solcher Heuchelei nichts übrig als zu schweigen und zu hoffen, daß wenigstens der eine Punkt der Wilsoaschen Bedingungen Erfüllung findet, der freien Handel und freies Meer für alle Völker vorsteht. Dann wollen wir in Gottes Namen mit deutschem Fleiß wieder vorne beginnen, das Reich im Gedenken unserer Toten aufzu­ bauen. i2. Oktober 1918. Aus den fleischlosen Wochen werden bei uns auf dem Laude meist fleischlose Doppelwochen. Da ist es dann wirklich ein Ereignis, der Aufzeichnung wert, wenn der Metzgerwagen mit zwei Pfund Fleisch vors Haus fährt, wie heute geschehen. 16. Oktober 1918. Heute wird die Note Wilsons auf das deutsche Friedensanerbieten bekannt. Sie zeigt, wie tief wir uns beugen

müssen, um aus dev Händen des heuchlerischen Amerika und der haßerfüllten Westfiaaten Frieden ju bekommen. Soll es wirklich so weit kommen, daß uns das Ausland vorschreiben kann, wie wir unser Reich im Innern gestalten? Aber wir können dev Forde­ rungen der Feinde keinen einheitlichen Willen mehr entgegensetzen, überall gärt es. Die Schreier kommen obenan. Das Landvolk steht diesen Ereignissen ratlos gegenüber. Gerüchte blühen auf wie zu Kriegsbeginn: Kaiser und Kronprinz danken ab, Bayern macht sich selbständig, das Reich löst sich auf. Unsere Glocke steht immer noch in der Kirche. Kein Bauer gibt sein Fuhrwerk für den Abtransport her. Am Sonntag berechnete» wir in der Gemeindeverwaltung die Ablieferuvgsschuldigkeit der einzelnen Landwirte für das neue Ernte­ jahr und kamen dabei zu einer Summe von 656 Zentner. Als Durchschnittsertrag wurde pro Tagwerk angenommen: bei Weizen 10, bei Fesen 8, bei Roggen 7 Zentner. Hiervon verbleibt dem Bauern das Saatgut (115 Pfund Roggen, 130 Pfund Fesen oder Weizen pro Tagwerk) und der Eigenverbrauch (216 Pfund pro Person und Jahr). Bon verschiedenen Landwirten wird freiwillig über die Pflichtmenge hinaus abgeliefert werden. 19. Oktober 1918. Neue Höchstpreise: 1 Liter Milch 30 Pfg., 1 Pfund Butter 3,10 Mark. Unsere Westfront bewegt sich fortdauernd rückwärts, Lille und Douai, seit Jahren in deutschen Händen, wurden geräumt. 26. Oktober 1918. Um das Dreigestirv „Pest, Hunger und Krieg" vollzumachen, zieht zur Zeit die Grippe durch die Länder. Es gibt Masseverkravkungen mit vielen Todesfällen. Hier tritt die Krank­ heit bisher noch milde auf.

-.November 1918. Andreas Ebner schreibt von der Front über de» „ewigen Rückzug": „Der Druck der Feinde wird immer stärker. Unsere Leute find ausgepumpt und die Kompagnie ist so schwach. Die Feinde wissen ganz genau, daß wir aus dem letzten Loch pfeifen und hören nicht auf." Alles ist in Erwartung der Waffeustillstavdsbedivgungev, die be­ reits in Händen der -evtschen Regierung sein sollen. Niemand glaubt daran, daß wir uns ihnen ernsthaft widersetzen können, und weit» sie noch so hart sind. Unsere Lage ist schlimmer und unsere Zukunft trüber, als sich das kriegsmüde und durch die schweren Jahre zermürbte Volk vorstellen will und kann. Die Türkei ver­ handelt bereits gesondert mit dem Feind, Österreich hat sich so gut wie losgesagt von «ns und geht seiner inneren Auflösung ent­ gegen; deutsche Truppen müssen an die böhmische Grenze gelegt werden, um einen Einfall der Tschechen zu verhüten. Alles, was wir augenblicklich wünschen können, ist, daß deutscher Bode» vollends vom Feinde verschont bleibt! Ängstliche Leute stapeln Papiergeld im Kasten anf, weil fie glauben, daß es ihnen dann nicht mehr genommen werden könne. Dadurch ist ein großer Mangel an Bargeld entstanden, der sich insbesondere in den Fabriken bei Auszahlung der Löhne fühlbar macht — eine gefährliche Sache bei der gegenwärtigen Volksstimmung; gerade von den Arbeitern sollte jeder Zündstoff ferngehalten werden. Die Grippe ist noch im Wachsen. Viele Schulen in den Städte» und in der Umgebung sind geschlossen. Die Krankheit fordert zahl­ reiche Todesopfer. Das von den Bäckern aus dem Mehl des Kommvualverbands ge­ backene Brot, auf das alle Nichtlandwirte angewiesen sind, ist in letzter Zeit so schlecht, daß es kaum mehr zu essen ist. Die Bauer»

habe» ihr gutes, selbstgebackenes Roggenbrot, dazu die „weißen Laibe" aus Weijeumehl. Tafelobst wird Heuer mit 36 Mark, Mostund Fallobst — letzteres wird meist zu Marmelade verarbeitet — mit 15 Mark pro Zentner bezahlt. Ein Viertel Wein kostet 2,20 Mark. Stoffe und Schuhe sind fast nicht mehr zu haben; der Tausch­ handel, Lebensmittel gegen Stoffe, breitet sich immer mehr aus. Sogar Hefe mangelt. Die ohnehin genug bedrängten Haus­ frauen werden dadurch vor neue Schwierigkeiten gestellt, besonders in den fleischlosen Wochen. Sie haben viel zu denken und zu laufen, um da und dort wieder ein paar Pfund Mehl, Brot oder einige Eier zu bekommen. Mit der behördlich zugewiesenen Mehlmenge, die z. B. für eine dreiköpfige Familie 6 Pfund in vier Wochen (darunter zwei fleischlosen) beträgt, ist nicht zu leben. Das Stadt­ volk kommt in immer größeren Scharen bis in die entlegensten Dörfer zum „Hamstern". 3. November 1918. Immer wieder bringt das Bezirksamtsblatt Be­ kanntmachungen wie diese: „Wegen unerlaubten Verkehrs mit Kriegsgefangenen wurde die Dienstmagd (oder Landwirtstochter oderLandswirtsehefrau)N.N.z«vierWochen Gefängnis verurteilt." 5. November 1918. Die Gemüter sind erregt durch Gerüchte über harte Waffeustillstandsbedingungen; es wird von der Räumung der Pfalz gesprochen. Hsterreich hat mit Italien bereits Waffen­ ruhe vereinbart. Wir befürchten, daß darin freier Durchmarsch für die Italiener gewährt ist; dann haben wir in 14 Tagen den Feind an der bayerischen Grenze! Auch die Türken haben mit den Fein­ den bereits abgeschlossen zu schmählichen Bedingungen. Wir stehen allein, bedroht von allen Seiten, durch innere Zwietracht der Faust der Sieger ausgeliefert.

Und in diesen schweren Tagen wagt das Reich noch einmal den Rnf nach Geld. Die nennte Kriegsanleihe ist avsgeschrieben. Im Anftrage des Bezirksamts fand im Schvlsaal Gemeindeversamm­ lung statt, die hierzu Stellung nehmen sollte. Soll und darf man die Leute nochmal aufmuntern zu zeichnen? Diele Gründe sprechen dafür: Es ist vor allem nötig, das aufgestapelte Papiergeld wieder in Umlauf zu bringen, um Unruhen zu verhüten; es ist besser, wir zeigen unsern Feinden, daß wir unser Land auch in der Not nicht im Stiche lassen; bei einem Reichsbankerott würden die Geldscheine nicht weniger entwertet als die Kriegsanleihen, denn beide find Schuldverschreibungen des Reichs; jetzt nach Sündenböcken zu suchen, hat wenig Wert; auch die Loslösung Bayerns vom Reich, die viel erwogen wird, kann uns nicht retten; es gibt nur eines: Zusammenstehen in Glück nud Unglück! Mit solchen Gründen traten Bürgermeister Mayer, der den ganzen Krieg hindurch das Gemeindeamt als Stellvertreter leitete und in allen schwierigen Lagen zwischen dem Wohl des Bauern und dem des Gesamtvolkes ehrlich und vernünftig vermittelte, und ich für die Zeichnung ein. 7. November 1918. Die Schulkinder zeichneten zur Kriegsanleihe 900 Mark. 10. November 1918. Revolution! Am Freitag den 8. blieben die Zeitungen von München aus. Garnisonssoldaten, die ohne Urlaub heimgekehrt find, erzähle«, daß in München die Revolution ausgebrochen sei. Die heute wieder erschienenen Zeitungen bringen volle Bestätigung. Bayern ist Republik. Die „unabhängigen Sozia­ listen" mit Kurt Eisner an der Spitze überrumpelten die Stadt und damit das Laud, das von Revolution nichts wissen wollte. Die „Urlaubes ohne Urlaubsschein erzählen von den Vorgängen,

besonders von der völligen Ausplünderung des Bekleidungsamtes. Viele Menschen setzten in ihrer Verjweiflung die Hoffnung darauf, daß das Revolntionsfieber auch auf unsere Feinde über­ greifen und dadurch ein vernünftiger Friede möglich werde. Kaiser und Kronprinz haben abgedankt — die Abdankung macht aber keinen tieferen Eindruck mehr. i2. November 1918. Wir müssen heute die Schule schließen, mehr als ein Drittel der Kinder ist an Grippe erkrankt. Die Revolution breitet sich über das ganze Reich aus. Eben bringt die Zeitung die Meldung, daß die Waffen seit gestern, Montag, den 11. November mittags, ruhen. Die Bedingungen sind nach dem einmütigen Urteil all derer, die ihre Hoffnung nicht auf die Weltrevolutio» setzen, schmählich: die Blockade bleibt, unsere Ge­ fangenen dürfen nicht zurückkehren, Belgien und Elsaß-Lothringen sind innerhalb 14 Tagen zu räumen, eine Menge Kriegsmaterial, Eisenbahnen, Kraftwagen, Kriegsschiffe ist abzugeben, das linke Rheinufer ist zu räumen, alle unsere Erfolge im Osten werde» rückgängig gemacht. Wie ganz anders haben wir uns den ersten Tag der Waffenruhe vorgestellt alle die Jahre her! 16. November 1918. Heute zum erstenmal erscheint das Bezirksamtsblatt ohne den bisherigen Zusatz: „Königreich Bayers. Die neue Regierung läßt in den Gemeinden Aufrufe anschlagen, die zur Arbeit anhalten und vor Plünderungen warnen: „Schon hatte sich auch bei uns gezeigt, daß eine Reihe von Menschen die Umgestaltung der politischen Verhältnisse benützte, um zu rauben und zu stehlen. Die Regierung ist entschlossen, Leben und Eigentum auf jede Weise zu schützen. Bezirksämter und Gemeindeverwal­ tungen müssen diesen Schutz sofort selbst in die Hand nehmen. Nur

hingebungsvollste Arbeit kann Land nnd Volk retten. Jeder einjelne hat darunter zu leiden, wenn die Kartoffeln im Erdboden verfaulen, die Wintersaat nicht bestellt, die Lieferuvgspflicht nicht peinlich erfüllt wird. Hungern die Städte, so find Plünderungen der Bauernhöfe die traurige Folge." Davon, daß die Bauern ihrer Arbeit nicht nachgingen, kann bei uns keine Rede sein; sicher aber ist, daß die Abneigung, die Erzeugnisse zwangsweise abzuliefern, künftig noch größer sein wird als bisher schon. 25. November 1918. Die Grippe raffte dahier ein junges Mädchen dahin. In vielen Häuser» ist alles krank; schlimmer noch ist es in de» Städten, wo der Tod unter den ausgehungerten Menschen reiche Beute findet. Fürwahr, eine trostlose Zeit! Keine Macht, kein Schutz mehr im Lande, das Reich mit seinem früheren Glanz, seinem Heer, seiner Flotte, seinem Welthandel liegt am Boden, der Rache der Feinde preisgegeben. Vielleicht weiß eine spätere Zeit gar nicht mehr, wie stolz wir auf unser junges, aufstrebendes Reich waren. Und in dieser Stimmung sollen wir die heimwärts marschierenden Soldaten empfangen und ihnen, die vier Jahre lang Unmensch­ liches getan und gelitten, Freude bereiten. Das wird eia schmerz­ liches Freuen werben! Es ist bereits Einquartierung von Truppen, die in der Ulmer Gegend abgerüstet werden, angesagt. Die Leute flechten Kränze und schmücken die Häuser, während unser Heer in Eilmärschen das Feindesland verläßt. 28. November 1918. Das „Hamstern" stellt die ehrliche Gesinnung der Dorfbewohner auf harte Proben; immer liegt die Versuchung nahe, die Not des Städters auszunützen und fich die Lebens­ mittel höher als erlaubt bezahlen zu lassen. Aber auch manche

hamsternden Städter zeigen sich nicht von der besten Seite. Die Schüler wissen in ihren Aufsätzen allerhand davon zn erzählen. Ein paar Stellen seien hergesetzt: „An einem Abend trat eia großer Mann zur Tür herein vnd bat nm Eier. Meine Mutter holte ihm eia paar. Als der Mann die Eierschachtel aufmachte, sah er, daß einige Eier einen Riß hatten. Wir gingen mit ihm in die Küche und halfen ihm die Eier frisch einpacken. Zuerst kamen zwei zer­ brochene heraus. Er trank fie ans und gab mir die Schalen. Ich ging aufs Kornhaus und holte Spreu für ihn. Bis ich kam, lagen schon wieder drei leere Eier auf dem Herd. Da mußte ich lachen. Aber er mußte noch mehr austrinken, im ganzen zwölf. Die übrigen Eier packte er besser ein. Dann wollte er noch Schmalz und Milch haben. Seitdem war er schon so oft da, daß wir ihn nun bald hinaussperrev. Das letztem«! fragten wir ihn, wohin er die vielen Eier tut, die er immer hamstert. Da wurde ergänz rot und sagte: Ich bin kein Schleichhändler! Wir glauben es ihm aber nicht." — „Zwei Männer kamen beim Hof herein. Die Mutter ging schnell ins Kämmerlein und versteckte sich. Die Männer kamen in die Küche nnd fragten nach der Frau. Wir sagten: Sie ist nicht da. Da sagten fie: Gebt uns ein paar Eier! Wir höre» gerade die Henne» schreien, geht nur hinaus und holt gleich die frischgelegten Eier herein! Wir werden die Frau dann schon antreffen und es ihr sagen. So bettelten sie eine halbe Stunde lang. Aber wir gaben ihnen nichts. Als sie draußen waren, schlossen wir die Haustüre zu." — „Eines Tages kam ein Hamsterer und sagte: Haben Sie keine Eier für mich? Ich komme bis von Augsburg. Das Hamstern ist eine große Pein. Ja, ja, das ist es für uns auch, sagte die Mutter, den» jetzt kommen zahllose Hamsterer. Er ging nicht, bis sie ihm zwei Eier gab. Cr fragte, was eines kostet. Die Mutter sagte:

zwanzig Pfennige. Er zahlte vnd ging. Als er fort war, sagte die Mvtterr Jetzt habe ich schon wieder zwei Eier hergegeben; bald bin ich so daran, daß ich selbst kein Et mehr habe! Am andern Tag kam der Hamsterer wieder und sagte: Da habt ihr wüsten Leut eure Eier wieder! überall habe ich große Eier bekommen, nur bei euch so kleine Klückerlein! Da sagte meine Mutter: Gebt sie her! Kein Mensch soll euch mehr etwas geben! und jagte ihn zur Tür hinaus. Draußen schimpfte er über die Bauern und ging brummend fort." 30. November 1918. Da die heurige Ernte außergewöhnlich viele kleine Kartoffeln aufweist, wurde verfügt, daß nur solche Kartoffeln verfüttert werden dürfen, welche kleiner als ein Zoll (2,7 cm) sind. Die Bauern werden sich kaum daran halten. In Neu-Ulm werden die landesüblichen Wagen einer ungarischen Division, die auf dem Heimmarsch vom westlichen Kriegsschauplatz ist, versteigert. Ebenso versteigerte eine österreichische Division dort ihre Pferde. 6. Dezember 1918. Gestern zogen zum erstenmal zurückkehrende Truppen auf der Landstraße von Ulm her durch vnsern Ort. Es war Artillerie, ein langer Wurm vom Walde bis nach Großkisseudorf hinauf. Wir ließen die Fahne zur Begrüßung flattern. Müde Rosse, mit bayerischen und deutschen Fähnchen besteckt, zogen die Wagen. Eine trübe, stille Heimkehr! Dafür um so mehr Einkehr bei sich selbst. Kein Hurrarufe«, aber ein sinnendes Stehe» und Nachblicken, manche Träne im Aug', viel Dank und Bewunderung im Herzen. io. Dezember 1918. Auf der Dorfstraße bei der Kirche prangt ein grüner Ehrenbogen, errichtet von den hiesigen Mädchen zum Emp­ fang unserer Krieger. Die Kränze winden sich um das gleiche Holz­ ig

gerüst, das schon 1871 die heimkehrenden Krieger empfing. Es hing die fünfzig Jahre durch unbenützt an einer Stadelmauer. Josef Sonderholzer, der beim Sturm ans den Kemmel verwundet worden ist, ist ans dem Lazarett zurückgekommen. Er erzählt: „Am 25. April morgens 7 Uhr setzte nach furchtbarem Trommel­ feuer und Gasschießen der Angriff ein. Es ging nnr langsam und ruckweise vorwärts. Um y2n Uhr mittags lagen wir in einer Mulde vor der letzten Höhe. Da schlug eine Granate hinter mir ein nud ein Splitter davon fuhr mir durch den Stahlhelm in den Hinterkopf. Es schleuderte mich den Hang hinab. Ich konnte selbst noch znm Verbandplatz zurückgehen, wo mir der Splitter heraus­ gezogen wnrde. Hierauf kam ich in die Lazarette Mecheln und Deinze bei Gent. Dort wurde ich gleich am zweite» Tag operiert. Nach der Operation war ich einen Tag bewußtlos und hatte noch lauge danach heftige Kopfschmerzen. Am i.Jnni kam ich mit Lazarettzug nach Marienburg in Westprenßen und später «ach München." 18. Dezember 1918. Die Empfangsfeier für unsere Krieger haben wir ans den Stefanstag angesetzt. Sie soll so herzlich wie möglich werden. Fast jeder Tag bringt die Rückkehr eines Soldaten. Ein jeder von ihnen weiß vom Rückzug zu berichten. Martin Baur: „Ende August setzte der Rückzug über Perovne, Maubeuge ein. Die Fran­ zosen waren hart hinter uns her. Bis November wurde kein Pferd mehr abgesattelt." Anton Walter machte in sein Tagebuch folgende Einträge: „Abgerückt am 26. Oktober nach Tavaux, Massevquartter. Am 28. nach Martigny marschiert, 22 km; Brücken und Weichen gesprengt. Am 7. November nach Agny, Bahnhof zer10*

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stört, Franzosen ans dev Fersen. Abend- abmarschiert, nachts ein Uhr einquartiert in einem Heustadel im ersten Dorf in Belgien." Der Marsch ging dann weiter über Namur, der Maas entlang, über die Eifel bis Coblenz: eine Strecke von 430 km. Josef Berchtold, der zuletzt in Lothringen lag: „Bei der Kunde vom Waffenstillstand verließen die Truppen die Gräben und reichten fich die Hand zum Frieden. Am 15. November erfolgte der Abtransport über den Rhein, dann Fußmarsch über den Schwarzwald bis Dovaueschingen." Lorenz Dirr: „Am 11. November mittags i2 Uhr war nach starkem Feuer plötzlich Ruhe und Waffenstill­ stand. Wir konnten es gar nicht glauben, daß nun wirklich wieder Frieden werden solle. Jeder war herzlich froh, daß der Krieg zv Ende geht, aber der Gedanke an die Zukunft, die einem solchen Frieden folgen mußte, ließ doch keine rechte Freude aufkommen." Georg Wiedenmann: „Wir lagen bis an der Marne und hatten den ganzen Rückzug mitzumachen. Zuletzt waren die Franzosen dicht hinter uns her. Da erkrankte ich noch an Grippe und konnte nicht mehr reiten. Sobald ich aber nur einen Tag zurückblieb, geriet ich in die Hände der Franzosen. Da marschierte ich trotz der Krankheit zu Fuß weiter und kam glücklich an den Rhein." Der Bericht Anton Sonderholzers läßt das unbegreifliche Jahr 1918, das unsere stärksten Hoffnungen so jäh vernichtete, nochmals ab­ laufen: „Am 21. Mai 1918 rückten wir in die Gegend von Reims ab, wo bereits am 27. Mai die deutsche Offensive begann. Unsere Pioaierkompagnie wurde, trotzdem sie dem Landsturm angehörte, auf zwei Sturmkompagnien vertellt. Ich selbst erhielt mit 12 Mann ein Kommando; wir mußten den Sturmtruppev folgen und bei La Neuville eine Brücke über einen Bach und Kanal herstelle«. Nachdem die Sturmtruppev vorgedrungen waren, standen wir

wie befohlen draußen auf unserem Platz und warteten den ganze» Tag vergeblich auf die versprochene Zufuhr von Material. Abends io Uhr fuhren die Artillerei und die Kolonnen an und konnten nicht mehr weiter; es gab eine mächtige Stauung. Da schafften wir Material auf dem Rücken vor und bauten eine Behelfsbrücke. Am Abhang des Forts Thiry westlich Reims blieben wir dann in Stellung. Am 15. Juli begann eine neue Angriffsschlacht der Deutschen in dieser Gegend — es war die letzte. Wir wurden zwi­ schen Infanterie und Minenwerfern im Graben aufgestellt. Das deutsche Trommelfeuer setzte um 1 Uhr nachts ein, um Uhr morgens sollte der Sturm beginnen — da setzte viel stärkeres franzSsisches Trommelfeuer ein. Es gab große Verluste. Um %6 Uhr wurde dann doch gestürmt, jedoch waren die feindlichen Stel­ lungen leer. In der zweiten Stellung der Franzosen blieben wir liegen und hatten Stellungskampf bis zum 20. September. Doch der Feind war im Vordringen. Am 27. September wurden 62 kampffähige Pioniere, darunter auch ich, vorgeschickt zur Unter­ stützung der Gardedivision. Am 28. schon erfolgte der Angriff der Amerikaner. Die vorgelagerten Maschinengewehrtruppen ver­ ließen nach Gasangriff ihre Stellungen, wir 62 Mann hielten den Angriff mit Gewehrfever auf. Drei Tage lagen wir vorne, litten Mangel an Nahrung und wurden kraftlos. Die Kompagnie nebenan gab sich zur Hälfte gefangen und floh zur anderen Hälfte. Da mußten wir auch diese Lücke noch ausfüllen; es traf von 12 zu 12 Meter noch einen Mann. Am 29. abends drangen zwei Tanks durch unsere Stellung und rollten sie auf. Am rechte» Flügel mußten sich 17 Mann unserer Kompagnie ergeben, wurden aber von den Amerikanern erschossen. Wir auf dem linken Flügel hatten bessere Deckung und konnten uns zurückziehen. Wir suchten unsere i49

Kompagnie und fanden fie in Sivry. Am 11. Oktober wurden wir nachts aus der Ortschaft herausgeschossen und biwakierten dann in Kälte und Nebel auf einer Höhe. Am Morgen wurden fünf Gruppen in Stellung befohlen, darunter auch die meintge. Doch bald lag auf der Stellung bis zurück zu den Zufahrtsstraßen schwerstes Trommelfeuer. Wir mußten uns zwischen den Feuer­ wellen durchwinden und erreichte» ganz erschöpft die Kompagnie. Nun rückten wir dauernd rückwärts, machten immer wieder Draht­ verhaue «ud baute» Pontonbrücken, meist im Artilleriefeuer. Bet Mouzon bauten wir über die Maas zwei Brücken. Am 7. Novem­ ber marschierten wir weiter nach Carigvau. Dann bauten wir wieder Stellungen bis znm Tag des Waffenstillstands." 24. Dezember 1918. Die Silheimer ziehen ihre Glocke, die zum Ein­ schmelzen fort sollte, wieder auf den Turm. Alles freut stch, daß nun die Stunde wieder schlagen und mit zwei Glocken zum Gottes­ dienst geläutet werden kann. 25. Dezember 1918. Welch stille, herbe Weihnacht! Unsere Gedanken brauchen nicht mehr durch ferne Kriegsschauplätze zu schweifen wie in den vergangenen vier Jahren. Das über seine Ufer getretene Volk ist zurückgeströmt auf engeren Raum als zuvor. Geschlagen und gedemütigt, halten wir bittere Einkehr bei uns selbst. Bor der Weihnachtskrippe des Jahres 1918 lernen wir, uns in Selbstbe­ scheidung unter den Armutsgedanken von Bethlehem zu beugen und die zurückgeschlagene Flamme, mit der wir eine Welt erleuch­ ten wollten, in unsern Herzen zu sammeln, um daran unser eigenes Volk genesen zu lassen. So ausgepumpt hat uns der Krieg, daß wir kaum ein Kinderspielzeug unter den Christbaum legen konnten. Unser Dreijähriger

erhielt eine aus Stoffresten gefertigte Kuh, wir Großen erstanden einen halben Ater sauren Wein zu 4,40 Mark und versuchten daraus eine Art Punsch ju brauen. August Baue ist an Krücken jurückgekommev. Er erzählt: „Ende Mai durchbrachen wir in der Champagne die feindlichen Stel­ lungen und drangen bis Fismes vor. Unsere Verluste waren schwer; bei meinem Maschinengewehrtrnpp waren wir von 45 Mann noch 2. Am 15. Juli sollte die Offensive weitergehen. Wir kamen vor bis an das Marneufer. Doch hier wendete sich das Glück. Die Franzosen waren zum Gegenangriff gerüstet, wir mußten zurück. Als wir wieder in der Nähe von Fismes waren, hatte ich eben einen Verwundeten zurückgetragen vud im Unter­ stand abgeliefert, da traf mich ein Granatsplitter und zerschmetterte mir das linke Fußgelenk." 27. Dezember 1918. Gestern feierte die Dorfgemeiuschaft die Heim­ kehr der Krieger: Vormittags feierlicher Gottesdienst, nachmittags Umzug der Kinder im Dorf, abends Begrüßung im Wirtshaussaal mit Weihnachts- und Heimatliedern, Gedichtvorträgen und Ansprachen. Die Krieger erhielten von der Gemeinde Braten und Würste, vom Wirt Bier und vom stellvertretenden Bürgermeister Zigarren. Die Zier des Christbaums und des Saales hatten die Mädchen besorgt. Es waren 26 heimgekehrte Krieger anwesend. Außer den vier Gefallenen vermißten wir: Alois Denzel, der in englischer Gefangenschaft ist, und Wilhelm Denzel, der zuletzt in Palästina stand. Damit ist unser Dorf äußerlich wieder geschlossen. Sind aber die Menschen noch dieselben wie am 31. Juli 1914, als der Kriegsruf ins Dorf fiel? Nach all den aufwühlenden Erlebnisse» draußen

an der Front nnd herinnen im Wirtschaftskrieg? Als Brotjelle des Volkes wird das Dorf ja auch künftig weiterbestehen müssen. Welches Schicksal aber wird ihm bereitet sein als uralte Zelle deutschen Gemütslebeas, deutscher Gläubigkeit, deutschen Naturempfindens, deutscher Heimatliebe? Zi. Dezember 1918. Am letzten Tag dieses Jahres, das eine Welt, unsere Welt, zerbrochen hat, wenden wir den Blick über das Keine Dorf hinaus auf das große Volk, dessen Zukunft in tiefer Dunkel­ heit liegt. Wir stehen mitten im Gewirre und können keinen Schritt weit sehen. Bei dem vergeblichen Versuch, die Lage des deutschen Volkes zu begreife», steigt eine Erinnerung in mir auf, die fich an einen kriegsblinde» Lazarettgenossen, einen Berliner Transport­ arbeiter, knüpft, der mir eines Tages im Hof des Lazaretts von seinem Schicksal sprach. „Ja, Kamerad, so ist es mir ergangen, unterbrach er seine Leidensgeschichte und erhob fich, um nach der Sonne zu suchen. Groß und hager, den blaugestretften Krankevmantel am Leib, eine rote Bettdecke über den Schultern, mit vor­ gebeugtem Haupt, die Arme ausgestreckt wie ein segnender Priester des Alten Testaments: so tastet er nach vorne. Seine Schläfen find eingefallen, seine Augäpfel trübe wie erloschene Lichtkugelv am Heiligen Grab der Charwoche. „Ah, da ist sie!" ruft er, als seine Fingerspitze» ins Licht ragen, und läßt fich, ein trippelnder Greis, von der Sonne in ihre warmen, tröstlichen Arme ziehen. Ich rücke die Stühle nach, er greift «ach der Lehne, betastet dev Sitz und läßt fich vorfichtig nieder. „Die gute Sonne!" Er nimmt die Mütze ab. „So kalt ijl'tf in meinem Kopf, erst wenn ich die Sonne spüre, wird^s warm." Dann nimmt er den Faden seiner Geschichte wieder auf. „Nun

kam ich also ins Heimatlazarett. Die Fahrt ging im Lazarettzug durch Belgien. Ich hatte damals noch einen schwachen Schein vor einem Auge. Das andere war schon ganz erloschen. Es war Herbst und die Witterung milde. Ich lag am Fenster und fühlte die warme Luft. Ms wir stundenlang schon gefahren waren, erkannte ich am dump­ fen Rollen des Zuges, daß wir über eine große Brücke glitten. Der Rhein! riefen die Kameraden und ließen die noch geschlossenen Fenster herunter. Da hob auch ich meinen Kopf und schaute zum Fenster hinaus, um etwas vom Rhein zu sehen. Ich nahm alle Kraft zusammen. Nur irgend etwas wenn ich gesehen hätte: die Bewegung des Wassers, einen Umriß, eine Andeutung der Uferhöhen! Aber nichts, gar nichts; alles war zu weit weg! — Als der Rhein längst hinter uns war, habe ich die Hoffnung aufge­ geben und mich in die Kiffen zurückgelegt. Ich mußte daran denken, wie schön es beim Ausrücken anno 14 war, als wir über den Rhein fuhren! Und ich dachte an die erste Urlaubsfahrt anno 15, wie ich mich gefreut hatte auf den Rhein! Schon fast zu Hause hatte ich mich gefühtt, als wir damals über die Brücke fuhren. Und jetzt? Kamerad, das war so furchtbar hart, daß ich mir nicht mehr helfen konnte. Zum erstenmal mußte ich bitterlich weinen über mich und mein Elend. Und heute noch, wenn ich daran denke — nun ja! DaS machte mich so schwach, daß ich einschlief und erst am andern Tag im Lazarett wieder so recht zur Besinnung kam. Und diesen ersten Tag im Heimatlazarett, den werd^ ich auch in meinem Leben nicht vergessen; es war nochmals ein schwerer. Meine Frau wußte noch gar nicht, wie schlecht es mit mir steht, man schreibt ja nicht gleich das Schlimmste heim. Um 3 Uhr nachmittags kam sie mich besuchen.

Da mußte ich es ihr sage«! Mutter', sagte ich uud nahm sie bei der Hand, Mutter, wenn du so gauj dichte bei mir stehst, dauu kaun ich mit dem einen Auge noch einen Schimmer von dir sehen. Aber — es kommt der Lag, Mutter, wo auch dieser Schimmer «eg ist.' So mußte ich zu ihr sagen. Da hat sie sich auf den Stuhl niedergelassen, der neben meinem Bette stand, und es wurde ganz stille im Zimmer. Die gute Mutter sagte gar nichts, aber ich merkte, wie ihre Hand zitterte und wie sie leise «einte. Das war wohl eine bittere Stunde für sie. Aber es dauerte nicht zu lange, da stand sie auf, drückte mir die Hand und sagte: ,Ja, Vater, es wird schon wieder recht werden!'----Da wurde mir das Herz leicht, Kamerad, und ich war froh, daß ich eine so tapfere Frau habe. Am andern Tag kam sie wieder und da war es schon besser. Wir konnten nun schon dies und das zusammen besprechen. Und nun wird es schon wieder werden. Wenn ich erst mal wieder feste beieinander bin, will ich ja wieder arbeiten gehen und wenn es nur sechs bis acht Stunden des Tages sind. Und Mutter ist immer tüchtig gewesen. Sie geht jetzt in die Munitionsfabrik und hilft dort in der Kantine kochen. Da verdient sie ganz schön. Und die Kinder stad auch heraus aus dem Gröbsten. Ich bekomme dann noch meine Rente dazu — Gott, dann ist es ja wieder gut! Und wenn man mal wieder in den gewohnten Verhältnissen lebt und die Be­ kannten von früher trifft, ist's auch besser. Ich habe gut gelebt mit meiner Fra«, wir sind zusammen auch zum Vergnügen ge­ gangen — warum soll das nicht wieder möglich sein? Sieh, Kame­ rad, mir ist nun nicht mehr bange."

So saßen wir an der Sonne, die er so sehnlich suchte. Ich glaube, dieser blinde Souvensucher hat auch den Weg ju jener andern Sonne, die ihm im ersten Unglückstaumel erloschen schien, längst wieder gefunden — den Weg znr Lebenssonne. Denn er hatte den Mut, auch bei Nacht auf die Suche zu gehen. Dürfen wir hoffen, daß das deutsche Volk fich mit gleich stiller Kraft und gleich zähem Lebenswillen wie dieser eine seiner Söhne durch die Nacht seines Unglücks zu neuem Licht emporarbeitet? Mit dieser schweren Frage an die Zukunft seien unsere Aufzeich­ nungen am Ende eines Weltgeschehens, dessen Werkzeuge wir waren, am Anfang einer neuen Zeit, deren Lichter wir noch nicht sehen, beschlossen.

Das Bauernkind

kahl spmngenschmid

139 Seite«. 8*. 1926. Gebunden M. 3.—

,r .. Aus dem von ihm Gesehenm und Erlebten heraus läßt uns der Ver­ fasser die äußere und innere Welt des Bauem, seine Arbeit, sein Hauswesen, sein Heimalgefühl, seine religiösen Begriffe, die Verbundenheit von Mensch, Tier und Pflanze schauen und verstehen."

Das kleine Schultheater karl spmngenschmid 8 kurze volkstümliche Baueruspiele. 59 Seite«. K1.-8*. 1932. Broschiert M. —.70 „.. ♦ Ein sehr brauchbares Spielhest für die ländliche Jugend, das ausgezeich­ net geeignet ist, die Spiellust der Bauernkinber zu befriedigen und insbesondere dem Lehrer und Volksbildner wertvolle Dienste leisten wirb."

Die Schule als Heimat

hans braun

108 Seite«. 8*. 1922. Broschiert M. I.—

„Der Charakter des Heimatlichen ist nicht etwas Geographisches, sondern ein Lebensverhältnis; zur Heimat erziehen heißt dieses LebenSverhältniS in seinen verschiedenen Möglichkeiten anbahnen."

Der deutsche Bauernkrieg

Günther franz

506 S., 24 2Cbb. Gr.-8* 1933 Dr. M. 17.- geb. M. 18.50

,r. ♦ Gerade in Nährstandskreisen wird das Erscheinen dieser ersten objektiven und wissenschaftlichen Geschichte deS deutschen Bauernkrieges lebhaft begrüßt. Die früheren Tendenzschristen haben unendlich viel Verwirrung gestiftet. Der deutsche Bauernstand will in einer Geschichte deS Bauernkrieges lediglich lesen, waS sich 1525 zugetragen hat, welche Ursachen den Aufstand veranlaßten und waS seine Folgen waren. DaS Werturteil ergibt sich dann für den bäuerlichen Leser von selbst." Nationalsozialistische Landpost Demnächst erscheint:

FRANZ HUBER

Bauerntum und Bauernbildung im Neuen Reich .. Man spricht mit Recht heute von einer Landbewegung, die bestimmend auf die Gestaltung der Staats- und Volksführung einwirkt und durchaus kein künstliches und gemachtes Gebilde unserer Zeit darstellt, vielmehr sich folge­ richtig als Ergebnis der wirtschaftlichen bzw. kulturellen Entwicklung der letzten Jahrzehnte herausgebildet hat. Zu lange wurde das Land vernachlässigt; zu einseitig wurde die Stadt und die städtische Wirtschaft bevorzugt, so sehr und so lang, daß sich eine ländliche Krise herausentwickeln mußte."

R.OLDENBOURG . MÜNCHEN 1 UND BERLIN