Deutsches Privatrecht: Erster Band: Allgemeiner Teil und Personenrecht [3 ed.] 9783428534227, 9783428134229

Das »Deutsche Privatrecht«, dessen drei Bände »Allgemeiner Teil und Personenrecht«, »Sachenrecht« und »Schuldrecht« in d

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Deutsches Privatrecht: Erster Band: Allgemeiner Teil und Personenrecht [3 ed.]
 9783428534227, 9783428134229

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OTTO VON G I E R K E

Deutsches Privatrecht Erster Band

Allgemeiner Teil und Personenrecht

Dritte Auflage (Unveränderter Nachdruck der zweiten Auflage von 1936)

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Duncker & Humblot · Berlin

OTTO V O N GIERKE Deutsches Privatrecht Erster Band: Allgemeiner Teil und Personenrecht

Systematisches Handbuch der

Deutschen Rechtswissenschaft Unter Mitwirkung der Professoren Dr. Heinrich Brunner f, Dr. Victor Ehrenberg f, Dr. Hans Albrecht Fischer in Breslau, Dr. Heinrich Gerland in Jena, Dr. Otto von Gierke f, Dr. Julius Glaser f, Dr. C. S. Grünhut f, Dr. Albert Haenel f, Dr. Andreas Heusler f, Dr. Ernst Heymann in Berlin, Dr. Hermann Kantorowicz, früher in Freiburg i. B., Dr. Erich Kaufmann, früher in Berlin, Dr. Paul Krüger f, Dr. Franz Leonhard in Marburg, Dr. Eugen Locher in Erlangen, Dr. Otto Mayer f, Dr. Ludwig Mitteis f, Dr. Theodor Mommsen f, Dr. Johannes Nagler in Breslau, Dr. Friedrich Oetker in Würzburg, Dr. Hans Oppikofer in Leipzig, Dr. Max Pappenheim f, Dr. F. Regelsberger f, Dr. August Schoetensack in Würzburg, Dr. Claudius Frhr. v. Schwerin in München, Dr. Lothar Seuffert f, Dr. Rudolph Sohm f, Dr. Emil Strohal f, Dr. Heinrich Triepel in Berlin, Dr. Andreas von Tuhr f, Dr. Adolf Wach f, Dr. Rudolf Wagner f, Dr. Leopold Wenger in Wien, Dr. Karl Wieland in Basel begründet von

Karl Binding herausgegeben von

Dr. Friedrich Oetker Professor in Würzburg

Zweite Abteilung, dritter Teil, erster Band:

Otto Gierke, Deutsches Privatrecht. Erster Band

OTTO VON GIERKE

Deutsches Privatrecht Erster Band

Allgemeiner Teil und Personenrecht Dritte Auflage (Unveränderter Nachdruck der zweiten Auflage von 1936)

Duncker & Humblot • Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

1. Auflage 1895 2. Auflage 1936 Alle Rechte vorbehalten © 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISBN 978-3-428-13422-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706® Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort. Die Aufforderung des Freundes, der dieses Handbuch herausgiebt, gab mir den Anstois, meine noch unvollendete rechtsgeschichtliche Arbeit auf dem Felde des deutschen Genossenschaftsrechts zu unterbrechen, um ein deutsches Privatrecht zu schreiben. Diesen Entschluß zu rechtfertigen, soll der hiermit veröffentlichte erste Band versuchen. Zum Mindesten wird man aus ihm herausfühlen, was mich von innen her willfährig stimmte. Mir schien, als habe die Wissenschaft des deutschen Privatrechts sich über der Vertiefung in den wunderbaren Reichthum unserer Vorzeit neuerdings in etwas an den Aufgaben versäumt, die ihr das rasch vorwärts eilende Leben der Gegenwart stellt. Das deutsche Recht ist nicht todt. Es lebt mitten unter uns ; es webt und wirkt, obschon oft mifskannt, in unserem täglichen Thun; es bietet in der Gährung unserer Zeit den festen Grund, auf dem unser Volk stehen mufs, wenn es eine Gesundung seiner wirthschaftlichen Verhältnisse erringen und sich selbst in sittlicher und sozialer Wiedergeburt verjüngen will. Von diesem Allen aber sehen noch immer die meisten Juristen wenig oder nichts. Kraft langer Gewöhnung ist ihnen das vaterländische Recht fremder als das fremde Recht. Und weil die Juristen das Rechtsleben beherrschen, trägt das deutsche Recht noch immer nicht die Krone, die ihm gebührt. Noch immer gilt es dem Richter und leider auch dem Gesetzgeber als die dienende Magd, die der römischen Königin Gefolgschaft zu leisten und auch ihr ureignes Gut zu Lehen aufzutragen hat. So will denn auch die Kluft sich nicht schliefsen, die seit der Aufnahme der fremden Rechte zwischen unserem Volke und seiner Rechtsordnung gähnt. Hierin Wandel zu schaffen, hat nun freilich die germanistische Rechtswissenschaft sich seit ihrem Bestände redlich bemüht. Aber noch ist sie weit vom Ziel. Will sie ihm näher kommen, so darf sie nicht

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Vorwort.

rasten ; sie mufs mit der zähen Beharrlichkeit, mit der sie unter dem Schutte der Jahrhunderte das einstige Leben des deutschen Rechtes aufzudecken wufste und weifs, auch unter dem Wirrsal der Gegenwart sein heutiges Leben aufspüren und darlegen. Nicht blos ehrwürdige Trümmerstücke mufs sie sammeln, sondern dem ungebrochenen deutschen Rechtsgedanken mufs sie nachgehen, im innersten Kerne des geltenden Rechtes mufs sie ihn suchen, die Kraft und Fülle seiner schöpferischen Wirksamkeit mufs sie enthüllen. Gleichzeitig mufs sie unablässig danach ringen, das Gold, das sie aus der Tiefe fördert, immer klarer und schärfer in juristischer Begriffsmünze auszuprägen. Wenig vermag einer so gewaltigen Aufgabe gegenüber des Einzelnen schwache Kraft. Jede Arbeit aber, die auch nur ein Geringes zu ihrer Lösung beiträgt, ist nicht umsonst gethan. Denn in dem Mafse, ia dem es gelingt, das deutsche Recht als lebendig zu erweisen, wird ihm auch die Zukunft gesichert werden. Dem Blicke, dem sich das Walten der germanischen Rechtsidee im heutigen Rechte erschliefst, mufs sich auch ihr unvergleichlicher Werth für die Weiterbildung unseres Rechtes im Geiste einer heilsamen sozialen Ordnung entschleiern. Aber ist es nicht zu spät? Wird nicht bald auch die Darstellung des heute noch lebendigen deutschen Privatrechts nur noch geschichtliche Bedeutung haben? Und wenn uns wie ein unabwendbares Schicksal in Kürze doch ein deutsches Gesetzbuch übermannen sollte, das mehr römisch als deutsch ist, —- wozu dann noch der Kampf für germanisches Recht? Gewifs! Unser Volksthum hätte eine neue Niederlage auf dem Rechtsgebiete zu verzeichnen. Ja, wer will sagen, welches Verhängnifs für die friedliche Lösung der unser Volksleben im Innersten erregenden Fragen sich an die Einführung eines neuen Privatrechtes knüpfen könnte, das, wenn es nicht deutsch ist, auch nicht sozial sein kann. Folgte doch einst der Rezeption des volkswidrigen Rechtes der im grofsen Bauernkriege gipfelnde Versuch einer sozialen Revolution! Doch was immer uns bevorstehen mag: nur Kleinmuth giebt den Kampf für hohe Güter auf, weil eine Schlacht verloren gieng oder weil die Hoffnung des Sieges nur in weiter Ferne winkt. Der Kampf für deutsches Recht kann und wird nicht ruhen, so lange es ein deutsches Volk giebt. Hat das Corpus juris das deutsche Recht nicht zu ertödten vermocht, so wird auch ein bürgerliches Gesetzbuch es nicht tödtlich verwunden können. Wie vieles kerndeutsche Recht wird aufserhalb seines Paragraphengeheges lebendig bleiben, wie zahlreiche deutsche Gedankenelemente mufs es trotz Allem in seinem eignen Bereiche fortpflanzen ! Die Aufgabe der germanisti-

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Vorwort.

sehen Rechtswissenschaft wird somit durch kein wie immer beschaffenes Zukunftsrecht erledigt werden. Stets wird sie berufen bleiben, das jeweilig geltende Recht mit dem unverlierbaren nationalen Rechtsgedanken in Verbindung zu setzen. Und niemals wird sie aufhören dürfen, daran zu arbeiten, dafs unser Recht, wo es nicht deutsch ist, deutsch werde. Um so weniger wird zur Stunde, da die Zukunftsfrage noch schwebt, ein erneuter Versuch der Darstellung des deutschen Privatrechts als unzeitgemäfs verworfen werden können. Dringender vielmehr als je ergeht an uns die Mahnung, dafs wir uns dessen, was wir an deutschem Rechte wirklich besitzen, voll bewufst werden. Auf dafs wir das Erbe unserer Väter mehren und nicht mindern! Weihnachten 1894.

O. Gierke.

Inhaltsverzeichnis. (Die in Klammer beigefügton Ziffern bedeuten die Seitenzahlen.)

Erstes Buch.

Allgemeiner Theil. Erster Abschnitt. Einleitung. Erstes Kapitel.

Geschichte des deutschen Priyatrechts. Seite

§ 1. D i e Z e i t der rein n a t i o n a l e n Rechtsbildung. I. Urzeit (3). II. Fränkische Zeit (4). 1. Stammesrechte (4). 2. Reichsrecht (4). III. Zeit des deutschen Mittelalters (5). 1. Gemeines deutsches Recht (5). 2. Stammesrechte (6). 3. Rechtsbildung engerer Kreise (6). IV. Verfall des nationalen Rechts (7) § 2. Die Aufnahme der fremden Rechte. I. Die Aufnahme des römischen Rechts (8). 1. Vorgeschichte (8). 2. Wesen (9). 3. Mittel und Wege (10). 4. Innere Gründe (12). 5. Kampf und Entscheidung (14). II. Die Aufnahme des kanonischen Rechts (14). III. Die Aufnahme des langobardischen Lehn rechts (15) § 3 . Die neuere Zeit. I. Die nächsten Jahrhunderte nach der Rezeption (15). I. Fortschritt der fremden Rechte (15). 2. Fortbestand des deutschen Privatrechts (17). a. Usus modernus (17). b. Partikularrechte (17). c. Volksthümliche Satzungen und Gebräuche (19). 3. Verhältnifs zwischen fremdem und deutschem Recht (19). II. Die Wiedererstehung des deutschen Rechts im 18. Jahrhundert (20). 1. Die germanistische Rechtswissenschaft (20). 2. Das Naturrecht (21). 3. Die grofsen Gesetzbücher (21). III. Die Entwicklung des 19. Jahrhunderts (22). 1. Das Ziel der Rechtseinheit (22). 2. Das Ziel des Deutschthums im Recht (23).

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Zweites Kapitel.

Begriff und Bedeutung des deutschen Privatrechte· § 4. P r i v a t r e c h t und öffentliches Recht. I. Begriffliches (26). II. Geschichtliche Ausgestaltung (27). 1. Römische (27). 2. Germanische (28). 3. Moderne (29). III. Abgrenzung (31)

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Inhaltsverzeichnifs. Seite

§ 5. Deutsches und fremdes Recht. I. Begriffliches (33). 1. Deutschrechtliche Institute (34). 2. Deutschrechtliche Abwandlungen römisch rechtlicher Institute (36). 3. Römischrechtliche Institute (36). II. Unmittelbare Geltung des römischen Rechts (37). 1. Nicht in complexu (37). 2. Mit Abwandlungen (39). 3. Subsidiär (39). III. Mittelbare Geltung des römischen Rechts (40). 1. Bedeutung für die neueren Gesetzbücher und Gesetze (40). 2. Bedeutung für die wissenschaftliche Behandlung alles Rechts (40) § 6. Gemeines und nicht gemeines Recht. I. Begriffliches (43). 1. Gemeines und besonderes Recht (43). 2. Gemeinsames und eigenthümliches Recht (45). 3. Gemeines und partikuläres Recht (45). II. Rechtszustand im deutschen Reich (48). 1. Reichsprivatrecht (48). 2. Gemeines deutsches Privatrecht im älteren Sinne (48). 3. Gemeines Privatrecht mehrerer deutscher Länder (49). 4. Landesprivatrecht (49). 5. Ergebnifs fur die einzelnen Staatsgebiete (50). III. Aufgabe des deutschen Privatrechts (51). 1. Gemeines bürgerliches Recht und Sonderrechte (51). 2. Gemeinsames und eigenthümliches Recht (51). 3. Gemeines und partikuläres Recht (51). a. Reichsprivatrecht (51). b. Gemeines deutsches Privatrecht im älteren Sinne (51). c. Einheit des deutschen Rechtsgedankens in den Partikularrechten (53)

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Drittes Kapitel.

Quellen, Httlfsmittel und Litteratur des deutschen Privatrechts. § 7.

Quellen des gemeinen deutschen Privatrechts. I. Gemeindeutsche Gewohnheiten (54). II. Gemeindeutsche Gesetze (54). 1. Gesetze des alten Reichs (54). 2. Gesetze aus der Zeit des deutschen Bundes (55). 3. Gesetze des norddeutschen Bundes (56). 4. Gesetze des neuen Deutschen Reichs (57). 5. Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich (58) § 8. Historische Rechtsdenkmäler. Ueberhaupt (60). I. Die Rechtsquellen der fränkischen Zeit (61). II. Die meisten Rechtsquellen des deutschen Mittelalters (61). III. Viele Rechtsquellen der späteren Zeit (62) § 9. Die deutschen P a r t i k u l a r r e c h t e . I. Partikularrechtskodifikationen mit Anerkennung des gemeinen Rechts als Hülfsrecht (63). A. Stadtrechte (63). 1. Nürnberg (64). 2. Worms (64). 3. Frankfurt a. M. (64). 4. Freiburg i. B. (64). 5. Lüneburg (64). 6. Lübeck (64). 7. Hamburg (65). 8. Fortbestehende mittelalterliche Stadtrechte (65). 9. Kleinere Statutarrechte (65). B. Landrechte (66). 1. Baden (67). 2. Ostfriesland (67). 3. Mark Brandenburg (67). 4. Tirol (67). 5. Kurköln (67). 6. Jülich und Berg (67). 7. Württemberg (68). 8. Dithmarschen (68). 9. Solms (68). 10. Kursachsen (68). 11. Kurpfalz (69). 12. Catzenelnbogen (69). 13. Schaumburg (69). 14. Nassau (69). 15. Würzburg (69). 16. Kurtrier (69). 17. Magdeburg (70). 18. Hohenlohe (70). 19. Kurmainz (70). 20. Bamberg (70). 21. Ordensland Preufsen (70). 22. Bayern (70). 23. Kleinere Landrechte (71). II. Die das gemeine Recht ausschliefsenden Gesetzbücher (72). 1. Das preufsi(Die in Klammer beigefügten Ziffern bedeuten die Seitenzahlen.)

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Inhaltsverzeichnis.

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sehe Landrecht (72). 2. Das österreichische Gesetzbuch (74). 3. Das französische Gesetzbuch (76). 4. Das badische Landrecht (77). 5. Das sächsische Gesetzbuch (77). 6. Entwürfe (78). III. Einzelgesetze (78). §10. Verwandte Rechte. I. Im Allgemeinen (79). 1. Abstammung aus gleicher Wurzel (79). 2. Gemeinschaft des Kulturlebens (80). II. Einzelne verwandte Rechte (81). 1. Das Recht der Schweiz (81). 2. Baltisches Recht (82). 3. Französisches Recht (82). 4. Englisches Recht (82). §11. Litteratur. I. Nationale Rechtsbücher (83). II. Populäre Schriften über fremdes Recht (83). III. Gelehrte romanistische Litteratur (84). 1. Die auf Entscheidung praktischer Rechtsfälle gerichteten Arbeiten (84). 2. Die dogmatischen Arbeiten (86). IV. Selbständige Darstellungen des deutschen Privatrechts (89). V. Sammelwerke zum deutschen Privatrecht (95). VI. Litteratur der Partikularrechte (98). VII. Litteratur der verwandten Rechte (103) § 12. Hülf swissenschaft en. I. Geschichtswissenschaften (105). II. Rechtswissenschaften (105). III. Gesellschaftswissenschaften (106) . . . .

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Viertes Kapitel.

System und Methode· § 13. System. Erforderliche Erweiterungen des Pandektensystems (107). Zweckmäfsige Ausscheidung von Sonderrechtsgebieten (108) . . . . 107 § 14. Methode. Einbeziehung der deutschen Partikularrechte (110). Aufnahme von Rechtsgeschichtlichem (110) 110

Zweiter Abschnitt. Das objektive Recht· Erstes K a p i t e l .

Das objektive Recht überhaupt. § 15. Begriff und Wesen des objektiven Rechts. I. Begriff. Objektives und subjektives Recht (112). Definition (113). II. Wesen. 1. Das Recht als Inbegriff von Normen (113). 2. Normen, die das Wollen in unbedingter Weise bestimmen (113). Recht und Sitte (113). Das Zwangsmoment (114). 3. Normen, die das Wollen äufserlich bestimmen (114). Recht und Sittlichkeit (115). 4. Normen für freies Wollen (115). Rechtsgesetze, Naturgesetze, soziale und wirtschaftliche Gesetze (115). 5. Das Recht wurzelt in Ueberzeugung (116). Willensinhalt der Rechtssätze (116). Recht und Macht (116). 6. Die Ueberzeugung mufs erklärt sein (117). Der Rechtsbefehl (117). Recht und Staat (118). 7. Das Recht als erklärte Ueberzeugung einer Gemeinschaft (119). 8. Das Recht als spezifische Funktion des menschlichen Gemeinlebens (120> Die Idee des Gerechten (120). Der Zweck im Recht (121). 9. Der Zusammenhang des Rechts mit den übrigen Funktionen des Gemeinlebens (122) 112 § 16. Die Elemente des objektiven Rechts. I. Rechtssätze (123). 1. Abstrakte und konkrete (123). 2. Gewährende, verpflichtende und deutende (124). 3. Zwingende und nachgiebige (124). II. Rechtsinstitute (124). IIL Rechtssystem (125) 123 (Die in Klammer beigefügten Ziffern bedeuten die Seitenzahlen.)

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Inhaltsverzeichnis.

Zweites Kapitel. Das Werden des objektiven Rechts. § 17. D i e Rechtserzeugung überhaupt. Begriff und Wesen der Rechtserzeugung (125). Ungesetztes und gesetztes Recht (126). Weitere Differenzirung der Rechtsquellen (127) § 18. Dae Gesetz. I. Begriff (128). Formeller und materieller Gesetzesbegriff (129). II. Erfordernisse (131). 1. Gesetzesbildung (131). 2. Gesetzesausspruch (131). Verkündigungsformen (132). III. Kraft (133). 1. Zeitpunkt ihres Eintritts (133). 2. Verbindlichkeit für Jedermann (134). IV. Anwendung (135). Richterliche Prüfung: 1. Der gehörigen Verkündigung (135). 2. Des gehörigen Zustandekommens (136). V. Auslegung (139). Gesetzesmaterialien (140). Auslegung durch Rechtssatz (141). Analogie (141) § 19. Die autonomische Satzung. I. Begriff. 1. Erzeugnifs eines Verbandes (142). 2. Eines Verbandes, der nicht Staat ist (142). 3. Objektives Recht (143). 4. Gesetztes Recht (143). II. Geschichte (144). Mittelalterliche Auffassung (144). Lehre von den Statuta (144). Grenzziehung zwischen Partikulargesetz und Satzung (145). Kampf gegen die Autonomie (145). Neueste Entwicklung (147). III. Subjekte (148:. 1. Die Familien des hohen Adels (148). 2. Die Gemeinden (149). 3. Die Kirchen (150). 4. Die sonstigen öffentlichen Körperschaften (150). 5. Die privaten Körperschaften (150). IV. Umfang (151). 1. Die inneren gemeinheitlichen Rechtsverhältnisse (151). 2. Die mitgliedschaftlichen Sonderrechtsverhältnisse (152j. 3. Aufserkörperschaftliche Rechtsverhältnisse (152> a. Im Gebiete des öffentlichen Rechts (153). b. Im Gebiete des Privatrechts (154). V. Erfordernisse. 1. Satzungsbildung, a. Durch Beschlufs der Mitgliederversammlung (154). b. Durch Beschlufs einer engeren Versammlung (155). c. Durch Entschlufs eines Einzelnen (155). 2. Ausspruch (155). 3. Staatliche Bestätigung (156). VI. Wirksamkeit (158). § 20. Das Gewohnheitsrecht. I. Begriff (159). II. Geschichte (159). Im deutschen Mittelalter (159). Bildung und Einflufs der älteren Theorie (160). Kampf der Gesetzgebung gegen das Gewohnheitsrecht (160). Umschwung der Theorie (161). III. Geltungsgrund (161). Aeltere Theorien (162). Auffassung der historischen Rechtsschule (163). Gegenströmung (164). Die vermittelnde Ansicht (164). IV. Erfordernisse (165). 1. Bildung einer Rechtsüberzeugung, a. Trägerin eine organische Gemeinschaft (165). b. Ueberzeugung, nicht Wille (166). c. Gemeinüberzeugung (166). d. Rechtsüberzeugung (167). e. Unerheblichkeit der Beweggründe, insbesondere des Irrtums (167). f. Unerheblichkeit des Inhalts, insbesondere seiner Lauterkeit und Vernünftigkeit (169). 2. Uebung (170). V. Umfang (171). Observanz (171). Gewohnheitsrecht für ein einzelnes Rechtsverhältnifs (172). VI. Kraft (172). Einschränkende Bestimmungen der neueren Gesetzbücher (173). VII. Anwendung (174). Beweis (175) § 21. Das Juristenrecht. I. Im Allgemeinen (176). II. Praxis (177). Pr^judiziengesetze (177). Gerichtsgebrauch (178). III. Theorie (180). Die Wissenschaft niemals Rechtsquelle (180). Auch nicht das Naturrecht (181). Noch auch die Natur der Sache (182) (Die in Klammer beigefügten Ziffern bedeuten die Seitenzahlen.)

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D r i t t e s Kapitel.

Yerhältnifs der Rechtsquellen zu einander. § 22. Der Zusammenstofs der Rechtsquellen. I. Zusammenstofs weiterer und engerer Quellen desselben Rechtsgebiets (183). II. Zusammenstofs älterer und jüngerer Quellen desselben Rechtsgebiets (184). I I I . Zusammenstofs von Quellen verschiedener Rechtsgebiete (185) . § 23. D i e N i c h t r ü c k w i r k u n g der Rechtsquellen. I. Prinzip (185). II. Geschichte (186). III. Kraft (187). Der verbietende Rechtssatz und seine Tragweite (187). Der deutende Rechtssatz und seine Tragweite (189). Rückwirkung der authentischen Interpretation (190). IV. Inhalt (191). Der Begriff der erworbenen Rechte (192). Werdende Rechte (193). Gesetzliche Rechte (194). Einflufs der Aufhebung oder Umwandlung eines Rechtsinstituts (194). Die Entschädigungsfrage (195). § 24. D i e E i n z e l a n w e n d u n g des P r i n z i p s der Nichtrückwirkung. 1. Personenrecht (196). Gesetzliche Persönlichkeitsrechte (196). Individuell begründete Persönlichkeitsrechte (197). Insbesondere Rechte aus geistiger Schöpfung (197). II. Sachenrecht (198). III. Obligationenrecht (200). IV. Familienrecht. 1. Eherecht (201). Eheliches Güterrecht (202). 2. Elternrecht (203). Rechte unehelicher Kinder (204). 3. Vormundschaftsrecht (205). V. Erbrecht (205). VI. Prozefsrecht (206). Verjährung (207) § 25. D i e Geltung fremder Rechtsquellen. I. Prinzip (209). „Statutenkollision" und „internationales Privatrecht u (210). II. Geschichte (210). Entwicklung der Anerkennung fremder Rechtsquellen (210). Personalität, Dinglichkeit, Territorialität (211). Neuere Gestaltung der Lehre (211). III. Die Grundsätze des geltenden Rechts. 1. Das fremde Recht ist Recht (212). 2. Die Geltung des fremden Rechts beruht in jedem Rechtsgebiet auf Rechtssätzen des einheimischen Rechts (213). 3. Das einheimische Recht zieht der Geltung des fremden Rechts Schranken (214). 4. Das einheimische Recht regelt die Geltung des fremden Rechts (215). 5. Im Bereiche des nachgiebigen Rechts können die Betheiligten das für sie mafsgebende Recht küren (216). 6. Die Anwendung von fremdem Recht durch den Richter erfolgt nach den Regeln über die Anwendung von Rechtsnormen (216). 7. Im Zweifel ist das Recht des Gebietes anzuwenden, in das der Schwerpunkt der räumlichen Beziehungen des zu beurtheilenden Rechtsverhältnisses fällt (217) § 26. D i e Einzelanwendung des Prinzips der Geltung fremder Rechtsquellen (219). I. Personenrecht (220). 1. Bestimmung des Personalstatuts nach dem Wohnsitz oder nach der Staatsangehörigkeit (220). 2. Grundsätzliche Geltung des Personalstatuts für alle Persönlichkeitsrechte (221). Durchbrechungen dieses Grundsatzes: a. Bei Beurtheilung der Rechtsfähigkeit (223). b. Bei Beurtheilung der Handlungsfähigkeit (224). c. Bei manchen besonderen Persönlichkeitsrechten (225). d. Rechtsverhältnifs aus einem personenrechtlichen Verbände (226). II. Sachenrecht (226). 1. Liegenschaften (227). 2. Fahrnifs (228). 3. Unkörperliche Sachen (229). 4. Vermögens(Die in Klammer beigefügten Ziffern bedeuten die Seitenzahlen.)

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inbegriffe (230). III. Obligationenrecht. 1. Geschäftsobligationen, a. Form der Rechtsgeschäfte (230). b. Wirkungen der Rechtsgeschäfte (231). 2. Deliktsobligationen (234). 3. Gesetzliche Verbindlichkeiten (234). IV. Familienrecht (235). 1. Eherecht, a. Eheliches Personenrecht (235). b. Eheliches Güterrecht (237). 2. Eltern- und Kinderrecht (240). Rechtsverhältnisse der unehelichen Kinder (241). 3. Vormundschaftsrecht (242). 4. Weitere Verwandtschaft (243). V. Erbrecht (243). VI. Prozefsrecht (246). Konkursrecht (248). Verjährung (249) 219

Dritter Abschnitt. Das subjektive Recht. Erstes K a p i t e L

Das subjektive Hecht überhaupt· § 27. Begriff und Wesen des subjektiven Rechts. I. Begriff (251). II. Wesen. 1. Verhältnifs zum objektiven Recht (251). 2. Abstrakte und konkrete Fassung des subjektiven Rechts (253). 3. Das subjektive Recht als äufsere Willensmacht oder Willensgebundenheit (253) . . . § 28. D i e Elemente des subjektiven Rechts. I. Befugnisse und Pflichten (254). II. Rechtsverhältnis (255) III. Rechtsleben (256) § 29. D i e Rechte. I. Struktur der Rechte. 1. Subjekt (256). 2. Prädikat (257). 3. Objekt (257). 4. Beziehungsgegenstand (258). Möglichkeit und Wirklichkeit verschiedener Denkformen (259). II. Eintheilung der Rechte nach dem Objekt (260). 1. Rechte an der eignen Person, Persönlichkeitsrechte (260). 2. Rechte an Sachen, Sachenrechte (260). 3. Rechte an anderen Personen, persönliche Rechte (260). a. Rechte auf eine Handlung, Obligationenrechte (261). b. Rechte an fremder Persönlichkeit, Personenrechte (261). c. Rechte einer Verbandsperson an ihren Gliedpersonen und der Gliedpersonen an ihrer Verbandsperson, innere Körperschaftsrechte (262). d. Rechte am Rückstände einer weggefallenen Person, Nachlafsrechte (262). III. Eintheilung der Rechte nach dem Subjekt. 1. Nach der Beschaffenheit des Subjekts (263). 2. Nach der Bestimmtheit des Subjekts, a. Rechte mit unmittelbar bestimmtem Subjekt (263). b. Rechte mit mittelbar bestimmtem Subjekt (264). c. Rechte mit unbestimmtem Subjekt (264) § 30. Das Recht s Subjekt. I. Begriff (265). II. Arten (265). Uebermenschliche und untermenschliche Wesen als Subjekte im älteren Recht (265). Heute nur Menschen als Einzelne oder als Verbände (267). Wesen des Persönlichkeitsbegriffs (268). III. Subjektsgemeinschaften, a. Gemeinschaften mit unverbundenen Subjekten (268). b. Gemeinschaften mit verbundenen Subjekten (269) § 31. Das Rechtsobjekt. I. Begriff (269). Der Sachbegriff (269). II. Arten der Sachen (270). 1. Die Unterscheidung körperlicher und unkörperlicher Sachen, a. Körperliche Sache (270). b. Unkörperliche Sache (270). Tragweite dieses Begriffs (271). Bedeutung desselben (273). 2. Die Unterscheidung von Sachindividuen und Sachinbegriffen, a. Sachindividuen (273). b. Sachinbegriffe (275). III. Vermögen. 1. Im ob(Die in Klammer beigefügten Ziffern bedeuten die Seitenzahlen.)

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Inhaltsverzeichnis.

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jektîven Sinne (275). 2. Im subjektiven Sinne (276). Abgrenzung des Vermögensrechtes (276). Werth (277) 269 Zweites K a p i t e l .

Das Werden des subjektiven Bechts· 32. I m Allgemeinen. I. Rechts Vorgänge (278). II. Thatbestände (280). Handlungen (281). Sonstige Thatbestände (281) 33. Rechtsgeschäfte. I. Wesen (282). II. Arten (283) 1. Einseitige und mehrseitige (283). Verträge (284). 2. Rechtsbegründende, rechtsverändernde und rechtsaufhebende (285). Verzichte (285). 3. Entgeltliche und unentgeltliche (286). 4. Materielle und abstrakte (286). 5. AbWandlungen durch Nebenbestimmungen (286). III. Erfordernisse (286). Gültige und ungültige Rechtsgeschäfte (286). Rechtlich zulässiger Inhalt (287). Willensbildung und Willensäufserung (288). IV. Form (289). Rechtliche Bedeutung der Geschäftsformell überhaupt (289). 1. Sinnbilder (290). 2. Formeln (291). 3. Zeugenzuziehung (291). 4. Schriftlichkeit (291). 5. Notarielle Form (292). 6. Gerichtlichkeit (293). 7. Eintragung in öffentliche Bücher (294). V. Vertretung (296). Geschichtliche Entwicklung der freien Stellvertretung im deutschen Recht (296). Unmittelbare Stellvertretung im deutschen Recht (297). Vertretungsmacht (299). Handeln ohne Vollmacht (300). VI. Auslegung (301). 34. Gesetzliche Rechte. I. Ueberhaupt (302). II. Privilegien. 1. Begriff (302). 2. Bedeutung (303). 3. Begründung (304). 4. Inhalt (305). 5. Beendigung (306). a. Beendigung des Privilegs als Recht (306). b. Beendigung des Privilegs als Rechtssatz (307) 35. Zeitablauf. I. Ueberhaupt (308). II. Berechnung der Zeit (308). 1. Tage (309). 2. Wochen und Monate (309). 3. Jahr, Jahr und Tag (310). 4. Festtage (310). 5. Gesetzliche Zeit (310). III. Verjährung (310). I. Aelteres deutsches Recht (311). Verschweigung (311). 2. Aufnahme der fremden Rechte (312). IV. Unvordenklichkeit (313). 1. Geschichte (313). 2. Wesen (315). 3. Erfordernisse (316). 4. Anwendungsgebiet (317). 5. Beweis (318)

278

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302

308

D r i t t e s Kapitel.

Ausübung: und Schutz des subjektiven Bechts. 36. Ausübung der Rechte. I. Im Allgemeinen (319). Nichtgebrauch (319). Mifsbrauch (319). II. Ausübungsbefugnifs (320). 1. Ausübung durch Vertreter (320). 2. Ruhen der Ausübungsbefugnifs (321). 3. Legitimation zur Ausübung (321). III. Kollision der Rechte (321) . . . 319 37. Schutz der Rechte durch Klagen. I. Die Gerichtshülfe überhaupt (323). Der Anspruch auf Gerichtshülfe (323). II. Klagen (324). Das ältere deutsche Recht (325). Einflufs des römischen Aktionensystems (325). Das heutige Recht (326). Einreden (327). III. Der Prozefs (328). Zwangsvollstreckung (328). Konkursrecht (329) . . . 323 38. Sicherungsmittel der Rechte. I. Rechtsverwahrung (329). II. Sicherheitsleistung (330). III. Arrest (330). IV. Einstweilige Verfügung (331). V. Sequestration (331). VI. Inventar (331). VII. Offen(Die in Klammer beigefügten Ziffern bedeuten die Seitenzahlen.)

XV

Inhaltsverzeichnis. Seite

barungseid (331). VIII. Siegelung (332). IX. Oeffentliches Aufgebot (332). Geschichte (332). Verfahren (333). Voraussetzung (334). Wirkung (335) 329 § 39. Schutz der Rechte durch Selbsthülfe. I. Im Allgemeinen (335). Geschichte (336). Heutiges Recht (337). II. Die eigenmächtige Pfändung (338). 1. Geschichte (338). a. Die eigenmächtige Pfändung zur Befriedigung und ihr Verschwinden aus dem geltenden Recht (338). b. Die eigenmächtige Pfändung zur Sicherung und ihre Erhaltung als Schüttung und als Personalpfandung (341). 2. Wesen (341). 3. Begründung (342). a. Schadenszufügung oder blofse Besitzstörung (343). b. Antreffen auf frischer That (344). c. Nothfall (344). 4. Der Pfändungsberechtigte (344). 5. Verfahren (344). a. Auf dem Grundstück (345). b. Ohne unnöthige Gewalt (345). c. Mit Mafs (346). d. Kundmachung (347). e. Aufbewahrung (347). 6. Wirkung (348). a. Beweissicherung (348). b. Ersatzsicherung (349). c. Besitzsicherung (351) . 336

Zweites Bach.

Besonderer Theil. Erster Abschnitt. Personenrecht. E r s t e s Kapitel.

Das Recht der Einzelpersönlichkeit. Erster Titel. Die Einzelpersönlichkeit überhaupt. § 40. B e g r i f f und I n h a l t . I! Begriff (355). II. Inhalt (356). 1. Rechtsfähigkeit (356). 2. Handlungsfähigkeit (357) 355 §41. Erwerb der Persönlichkeit. I. Leibesfrucht (357). II. Geburt (358). 1. Leben nach der Geburt (358). 2. Menschliche Gestalt (359). 3. Lebensfähigkeit (359). III. Beurkundung der Geburt (360). Kirchenbücher (360). Einführung der Civilstandsregister (360). Die heutigen Standesregister (361). Anzeige und Eintragung der Geburtsfälle (362) 357 § 42. Verlust der Persönlichkeit. I. Tod (363). Beweis (363). Beurkundung (363). II. Fingirter Tod (364). 1. Friedlosigkeit und bürgerlicher Tod (364). 2. Klostertod (364). III. Vermutheter Tod (365). 1. Geschichte der Todesvermuthung (365). Aelteres deutsches Recht (365). Römisches Recht und romanistische Doktrin (367). Fortbildung seit der Rezeption (367). 2. Voraussetzungen (368). a. Verschollenheit (368). (Die in Klammer beigefügten Ziffern bedeuten die Seitenzahlen.)

Inhaltsverzeichnis. Seite

Lebensvermuthung während der Verschollenheit (368). b. Ablauf der Verschollenheitsfrist (370). Sächsisches System (370). Schlesisches System (371). See-, Kriegs-und sonstige Unfallverschollenheit(372). S.Verfahren (372). 4. Wirkung der Todeserklärung (374). Die Rechtsfolgen des natürlichen Todes werden als eingetreten behandelt (374). Bestimmung des als Todeszeit geltenden Zeitpunktes (375). 5. Wegfall der Wirkung (377). a. Todesnachweis (377). b. Lebensnachweis (377) 363 Zweiter Titel. Einflufe natürlicher Zustände. § 43. Geschlechtsunterschied. Aelteres deutsches Recht (379). Heutiges Recht (380). Zweifelhaftes Geschlecht (380) 379 §44. Altersunterschied. I. Jugendliches Alter. 1. Altersstufen (381). Aelteres Deutsches Recht (381). Mündigkeitstermine (382). Fortbildung im Mittelalter (383). Einflufs der Rezeption (384). Heutiges Recht (385). 2. Besondere Mündigkeitstermine (385). 3. Jahrgebung (385). 4. Wirkungen der Altersunreife (386). a. Kinder (387). b. Beschränkte Handlungsfähigkeit der Mindeijährigen über 7 Jahre (387). c. Erweiterungen ihrer Handlungsfähigkeit (387). d. Arglist (388). e. Privilégia minorum (388). II. Greisenalter (389) 381 § 45. Gesundheit. I. Leibliche Gesundheit (390). 1. Einflufs auf die Rechtsfähigkeit (390). 2. Einflufs auf die Handlungsfähigkeit (390). II. Geistige Gesundheit 1. Geisteskrankheit (392). 2. Verschwendung (393). 3. Trunksucht (394) 390 Dritter Titel. Einflufs der Standesunterschiede. § 46. Das Ständewesen überhaupt. I. Begriff (395). II. Privatrechtliche Bedeutung des Ständewesens (395). 1. Ihr Verhältnifs zur öffentlichrechtlichen Bedeutung des Ständewesens (395). 2. Ständerecht und gemeines Recht (395). 3. Geburtsstände und Berufsstände (396) . . §47. Der hohe Adel. I. Begriff (397). II. Geschichte (397). III. Erwerb (399). IV. Standesrechte (399). 1. Hausverfassung (400). 2. Ebenbürtigkeit (401). a. Mifsheirath (401). b. Ehe zur linken Hand (404). § 48. Der niedere Adel. I. Begriff (406). II. Geschichte (406). III. Erwerb. 1. Geburt (407). 2. Heirath (407). 3. Verleihung (407). IV. Verlust (408). 1. Verheirathung (408). 2. Verzicht (408). V. Arten des Adels (409). 1. Ahnenadel und neuer Adel (409). 2. Uradel und Briefadel (409). 3. Erbadel und persönlicher Adel (409). VI. Standesrechte (410). 1. Sonderrecht (410). 2. Ebenbürtigkeit (410). 3. Adelszeichen (411). 4. Vorrechte kraft Satzung oder Rechtsgeschäfts (411). §49. Der Bürgerstand. Der Bürgerstand des Mittelalters (411). Der Bürgerstand des heutigen Rechts (412). Höherer und niederer Bürgerstand (412) § 50. Der Bauernstand. Ehemals (413). Heutiges Recht (413) . . . . §51. Berufsstände. I. Gewerbliche Berufsstände (414). II. Oeffentliche Berufsstände (414) (Die in Klammer beigefügten Ziffern bedeuten die Seitenzahlen.) B i n d i n g , Handbuch.

I I . 3. I :

G i e r k e , Deutsches Priyatrecht.

I.

II

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406

411 413 414

Inhaltsverzeichnifs. Seite

Vierter Titel. Einflufs der Ehre. § 52. G e s c h i c h t l i c h e E n t w i c k l u n g des Rechts der Ehre. 1. Ueberhaupt (416). Grundgedanken des germanischen Rechts (416). 1. Aus der Persönlichkeit entspringt ein Recht auf Ehre (416). 2. Unversehrte Ehre ist Grundlage des Rechts der Persönlichkeit (417). II. Das Recht des deutschen Mittelalters (417). 1. Echtlosigkeit (417). 2. Rechtlosigkeit (417). a. Kraft Urtheils (418). b. Kraft Berufsmakels (419). c. Kraft Geburtsmakels (419). 3. Ehrlosigkeit (420). a. Bescholtenheit (420). I). Ehrloserklärung (420). c. Verlust einer Sonderehre (421). III. Der Einflufs der Rezeption (422). 1. Echtlosigkeit (423). 2. Rechtlosigkeit (423). a. Kraft Urtheils (423). b. Kraft Berufs- oder Geburtsmakels (424). 3. Ehrlosigkeit (425). a. Bescholtenheit (425). b. Ehrlosigkeit kraft Urtheils (425). c. Sonderehre (425). IV. Die neueste Entwicklung (425). 416 § 53. Geltendes Recht der Ehre. I. Ueberhaupt (427). 1. Das Recht der Person auf Ehre (427). 2. Die Einwirkung der Ehre auf die Persönlichkeit (427). II. Menschenehre (427). III. Bürgerehre (427). 1. Falle ihres Verlustes und ihrer Minderung (427). 2. Wirkungen des Ehrverlustes (428). IV. Sonderehre (430). Rechtliche Bedeutung (430). Ordnung und Handhabung des Rechts der Sonderehre (431). V. Individualehre (432). Erhöhung (432). Minderung (433) 427 Fünfter Titel. Einflufs der Religion. § 54. Der E i n f l u f s der Religion ü b e r h a u p t I. Geschichtliche Entwicklung. 1. Im Mittelalter (434). 2. Nach der Reformation (434). 3. Seit dem 18. Jahrhundert (435). 4. Im 19. Jahrhundert (435). II. Heutiges Recht (436). 1. Keine Beschränkung der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte (436). 2. Geltung besonderer Privatrechtssätze für die Angehörigen eines Bekenntnisses (436). 3. Rechtsfolgen der Religionsverschiedenheit (436). 4. Einwirkung des Kirchenrechts (436). 5. Satzungsrecht (436). 6. Rechtsgeschäftliche Bedingungen (437). 434 §55. Rechtsverhältnisse der Juden. I. Aelteres Recht (437). 1. Judenschutz (438). 2. Judengemeinden (439). 3. Jüdisches Recht (439). 4. Sonderrecht für die Juden (440). a. Begünstigungen (440). b. Zurücksetzungen (440). II. Heutiges Recht (441). 1. Vollgenossenrecht in Staat und Gemeinde (441). 2. Judengemeinden (442). 3. Jüdisches Recht (442). 4. Einflufs der jüdischen Religion auf das Privatrecht (442). 437 Sechster Titel. Einflufs der Staats- und G-ebietsangehörigkeit. §56. Staatsangehörigkeit. I. Begriff (443). Reichs- und Landesangehörigkeit (443). Das gemeinsame Indigenat (444). II. Privatrechtliche Bedeutung (444). Aelteres Recht (444). Heutiges Recht (445). Die privatrechtliche Gleichstellung Staatsangehöriger und Staatsfremder (445). Ausnahmen (446). Vergeltungsrecht (446). III. Einzelne Beschränkungen (Die in Klammer beigefügten Ziffern bedeuten die Seitenzahlen.)

XI

Inhaltsverzeichnis.

Seite

der Fremden (447). 1. Erwerb von Grundeigenthum (447). 2. Schiffsparten (448). 3. Vormundschaft (448> 4. Eheschliefsung (448), 5. Persönlichkeitsrechte (448). 6. Staatsschuldbuch (449). 7. Gewerberecht (449). 8. Wohnrecht (449). 9. Prozefsrecht (449). 10. Satzungsrecht (449). 11. Abzugsrecht (450). IV. Gemeindeangehörigkeit (451) . . 443 §57. Gebietsangehörigkeit. I. Im Allgemeinen (451). II. Gebietsangehörigkeit durch Grundbesitz (452). III. Gebietsangehörigkeit durch Wohnsitz (453). IV. Unterstützungswohnsitz und Heimathsrecht (455). 451 Zweites K a p i t e l .

Das Recht der Verbandspersönlichkeit. Erster Titel. Die Verbandspersönlichkeit überhaupt. §58. Geschichtliche Entwicklung. I. Ueberhaupt (456). II. Ursprüngliches deutsches Recht (457). 1. Genossenschaftliche Verbände (457). 2. Herrschaftliche Verbände (457). 3. Gemischte Verbände (457). I I I . Fortbildung im deutschen Mittelalter (457). 1. Körperschaften (458). 2. Anstalten (458). 3. Mischungen (459). IV. Einflufs der Rezeption (459). Die römischrechtliche Grundlage (459). Die romanistisch-kanonistische Theorie (460). Ihre Aufnahme in Deutschland (461). Widerstandskraft des germanischen Körperschaftsrechts (461). Die naturrechtliche Gesellschaftslehre (461). Die Gesetzgebung (462). V. Neueste Zeit (463). 1. Spaltung der Theorie (463). a. Theorien, die eine fingirte Person annehmen (463). b. Theorien, die jede Verbandspersönlichkeit streichen (464). c. Theorien der realen Verbandspersönlichkeit (466). 2. Verhalten der Gesetzgebung (468). 3. Verhalten der Praxis (468). 456 § 59. B e g r i f f und Wesen der Verbandspersönlichkeit. I. Begriff (469). Name (469). II. Wesen (470). 1. Wirklichkeit der Verbandsperson (470). 2. Persönlichkeit kraft Rechtssatzes (471). Die Rolle des Staates (471). 3. Rechtsfähigkeit der Verbandsperson (472). 4. Handlungsfähigkeit der Verbandsperson (472). 5. Die Verbandsperson als zusammengesetzte Person (473). 6. Die Verbandsperson als Gliedperson (473) 469 § 60. A r t e n der Verbandspersönlichkeit. Körperschaften (474). Anstalten (474). Mischung beider Typen (474). Der Staat (474). Andere Arten von Verbandspersönlichkeit giebt es nicht (475) . . . . . 474 Zweiter Titel. Der Staat als Verbandsperson. § 61. Der Fiskus. I. Ueberhaupt (475). Der Staat als völkerrechtliche, staatsrechtliche und privatrechtliche Person (475). Der Staat als Vermögenssubjekt (475). Einheit der Staatspersönlichkeit (476). II. Reichsund Landesfiskus (477). III. Einheit des Fiskus (477). IV. Fiskalrecht (478). Privilégia fisci (478). Verschiedenes Fiskalrecht in demselben Staatsgebiet (478) 475 (Die in Klammer beigefügten Ziffern bedeuten die Seitenzahlen.)

II*

XX

Inhaltsverzeichnifs. Dritter Titel.

Seit

D i e Körperschaften. §62. Im Allgemeinen. I. Begriff und Wesen (479). Der äufsere Begriff (479). Das Wesen der römischen universitas (479). Das Wesen der deutschen Körperschaft (479). Die romanistische Theorie (480). Die germanistische Genossenschaftstheorie (480). Ursprüngliche Fassung (480). Fortbildung (481). Der deutsche Gegensatz körperschaftlicher und gesellschaftlicher Verbindung (481). Das genossenschaftliche Prinzip und das Prinzip der gesammten Hand (482). II. Arten (482). Öffentliche und private Körperschaften (482). Weltliche und kirchliche (482). Gemeinden und Genossenschaften (482). Keine Körperschaften sind die blos publizistischen Verbandseinheiten und die Behörden (488). . 479 § 68. Entstehung der Körperschaften. I. Erzeugung des Gemeinwesens (483). 1, Grundlagen (483). a. Persönliches Substrat (484). b. Unpersönliches Substrat (484). Gebietskörperschaften (484). Vermögensgenossenschaften (484). 2. Vereinigungsakt (484). Unbewufste Willensvorgänge (485). Bewufste Willensthaten (485). Der Vereinigungsakt als sozialrechtlicher Konstitutivakt (486). Gründungsstadium (486). Körperschaftliches Vorleben (486). Individualrechtsgeschäfte im Gründungsstadium (487). II. Anerkennung des Gemeinwesens als Verbandsperson (487). 1. Persönlichkeit kraft Daseins (488). 2. Persönlichkeit kraft besonderer Kundmachung (489). 3. Persönlichkeit kraft Verleihung (490). 483 § 64. Zusammensetzung der Körperschaften. Einzelpersonen oder Verbandspersonen als Mitglieder (492). Die Mitgliedschaft als personenrechtliches Verhältnifs (492). Mögliche Umbildung zum Vermögensrecht (492). Erwerb und Verlust der Mitgliedschaft (492). Offene oder geschlossene Zahl der Mitgliedschaften (494). Uebertragbare Mitgliedschaften (494). Inhalt der Mitgliedschaft (495). Umfang der Mitgliedschaft (495). Mögliche Ungleichheit (495). Häufbare und theilbare Mitgliedschaften (496) 492 § 65. Organisation der Körperschaften. I. Ueberhaupt (496). Organe (497). Organträger (498). II. Einzelne Organe (498). 1. Die Mitgliederversammlung (498). Bildung (499). Beschlufsfähigkeit (500). Beschlufsfassung (501). Majoritätsprinzip (501). Machtbereich des Körperschaftsbeschlu*ses (503). Einschränkung auf die körperschaftliche Lebenssphäre (504). Einschränkung durch Sonderrechte der Mitglieder (504). Anfechtung von Körperschaftsbeschlüssen (505). 2. Der Vorstand (506). Bildung (506). Zuständigkeit (507). Vertretungsfunktion (507). Umfang der Vertretungsmacht (508). Verwaltungsfunktion (510). 3. Repräsentativorgane (510). Als Ersatz der Mitgliederversammlung (510). Als Ergänzung der Mitgliederversammlung (511). 4. Sonstige Organe (511). Unmittelbare (511). Mittelbare (512) 496 § 66. Rechtsfähigkeit der Körperschaften. Arten der körperschaftlichen Rechte und Pflichten (512). I. Gemeinheitliche (512). II. Gliedmäfsige (513). I I I . Individuelle (514). Vermögensfahigkeit (515). Fähigkeit zu Persönlichkeitsrechten (515). Ausnahmen von der Gleichstellung mit Einzelpersonen (516). Einschränkungen der Rechtsfähigkeit (516). Erweiterungen der Rechtsfähigkeit (517) 512 (Die in Klammer beigefügten Ziffern bedeuten die Seitenzahlen.)

Inhaltsverzeichni.

XXI Seite

§ 67. H a n d l u n g s f ä h i g k e i t der Körperschaften. I. Ueberhaupt(518). Willensorgane (518). Bewufstseins organe (519). Stellvertreter (519). II. Umfang (519). 1. Einschränkung auf den körperschaftlichen Lebenebereich (519). 2. Gebundenheit durch höheres Gemeinleben (520). Staatsaufsicht (520). Aufsicht oder Bevormundung (520). Aufserordentliche oder ständige Aufsicht (521). Prüfung der Rechtmäfsigkeit oder der Zweckmäfsigkeit (521). Abwehr oder positive Einwirkung (521). Kenntnifenahme (522). Abhelfende Mafsregeln (522). Vorbeugende Mafsregeln (523). Genehmigung (523). Gebundenheit von Gliedkörperschaften durch die Gesammtkörperschaft (524). III. Erfordernisse der Körperschaftshandlung (524). IV. Einzelne Körperschaftshandlungen (525). 1. Gemeinheitliche (525). 2. Gliedmäfsige (525). 3. Individuelle (526). a. Rechtsgeschäfte (526). b. Rechtsausübungshandlungen (527). c. Prozefshandlungen (527). V. Rechtswidrige Körperschaftshandlungen (528). Deliktsfähigkeit (528). Umfang (530). Voraussetzungen einer rechtswidrigen Körperschaftshandlung (530). Wirkungen (531). Straffolgen (531). Privatrechtliche Ersatzverbindlichkeiten (531). Haftung für fremdes Verschulden (533). Haftung ohne Verschulden (533) . . 518 § 68. Verhältnifs der Körperschaft zu i h r e n Gliedern. Rechtsbeziehungen dreifacher Art (533). I. Aufserkörperschaftliche Verhältnisse (534). Freie Sonderrechtsverhältnisse der Glieder (534. II. Rein körperschaftliche Verhältnisse(534). Reine MitgliedschaftsVerhältnisse(534). Ihr Rechtsschutz (534). Ihre Stellung zu den Individualsphären der Glieder (535). III. Verhältnisse des körperschaftlichen Sonderrechts (536). Mitgliedschaftliche Sonderrechtsverhältnisse (536). Ungleiche Ausprägung bei den einzelnen Körperschaftsgattungen (536). Unterschiede nach dem Subjekte (537). Nach dem Objekte (537). Personenrechtliche Sonderrechtsverhältnisse (537). Sachenrechtliche (538). Genossenschaftliches Gesammteigenthum (539). Begrenzte dingliche Gesammtrechte (541). Dingliche Gesammtlasten (541). Obligationenrechtliche Sonderrechtsverhältnisse (541). Genossenschaftliche Gesammtforderungsrechte (544). Genossenschaftliche Gesammtverbindlichkeiten (544). Rechtsgrundsätze (545). Begründung der körperschaftlichen Sonderrechtsverhältnisse (545). Ihr Bestand(545). Nach innen (546). Verfügung (546). Rechtsschutz (546). Nach aufsen (547). Besitzhandlungen (547). Prozefshandlungen (548). Beendigung (549) . 533 §69. Veränderung der Körperschaften. I. Begriff (550). II. Arten (550). Unwesentliche Veränderungen (550). Wesentliche (550). III. Eintritt (552). Durch eigne Handlungen der Körperschaft (552). Durch fremde Handlungen (553). IV. Wirkungen (554). V. Vereinigung und Zertheilung (555). Vereinigung (555). Zertheilung (556) § 70. Beendigung der Körperschaften. I. Eintritt (556). 1. Beendigung durch Verwirklichung eines Thatbestancles (557). a. Erreichung eines gesetzten Lebenszieles (557). b. Wegfall des persönlichen Substrats (557). c. Wegfall eines unpersönlichen Substrats (559). d. Konkurseröffnung (560). 2. Beendigung durch eigne Handlung (560). Einschränkungen des Selbstauflösungsrechtes (561). 3. Beendigung durch fremde Handlung (562). Aufhebung durch den Staat (562). II. Wirkungen (565). Die körperschaftliche Verlassenschaft (565). Sozialrecht(Die in Klammer beigefügten Ziffern bedeuten die Seitenzahlen.)

550

XXI

Inhaltsverzeichnifs. Seite

liehe Succession (565). Anfall (566). Bestimmung des Anfallberechtigten (566). Anfall an eine Ersatzperson (567). Anfall an eine höhere Verbandsperson (568). Anfall an die Mitglieder (569). Kombinationen (570). Fiskalische Nachfolge in Ermangelung eines Anfallberechtigten (570). Die sozialrechtliche Succession als Gesammtnachfolge (570). III. Verwirklichung der Auflösungsfolgen (571). Zersetzungsstadium (572). Körperschaftliches Nachleben (572). Fortdauer der objektiven Einheit des Verbandsvermögens (572). Fortdauer von Elementen der subjektiven Verbandseinheit (573). Bei dem Anfall an eine einzige Person (573). Bei dem Anfall an die Summe der Mitglieder (574). Die Körperschaft in Liquidation (574). Die Körperschaft im Konkurse (575) . . . .

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Vierter Titel. Die Gemeinden insbesondere. § 71. D i e alte Markgemeinde. I. Ursprung (576). II. Wesen (577). 1. Doppelberuf als örtliches Gemeinwesen und als ländliche Wirthschaftsgenossenschaft (577). 2. Personen Vereinigung und Markgemeinschaft (577). 3. Genossenschaftliche Ordnung (577). III. Ausgestaltung (578). 1. Dorfgemeinden und Einzelhöfe (578). a. Dorfanlage (578). Dorfraum (578). Feldmark (578). Allmende (579). Hufe (580). b. Einzelhöfe (581). 2. Ortsmarken und gröfsere Markgenossenschaften (581). 3. Freie und grundherrliche Gemeinden (582). 4. Gemeine Verbände und Sonderverbändc (583). IV. Verfassung (583). 1. Zusammensetzung (583). Vollgenossen (584). Schutzgenossen (584). 2. Organisation (585). V. Umbildung (585). 1. In den Städten (585). 2. In den Landgemeinden (587).. a. Personalgemeinden (587). b. Realgemeinden (587). c. Rechtsamegemeinden (588) 576 §72. D i e Auflösung der Markgemeinde. I. Auseinandersetzung zwischen politischer und wirthschaftsgenossenschaftlicher Gemeindeverbindung (589). 1. Durch Spaltung (590). 2. Durch Grenzziehung (591. II. Schicksale der politischen Seite der Markgemeinde (591). III. Schicksale der wirthschaftsgenossenschaftlichen Seite der Markgemeinde (592). 1. Ihre Reste in Eigenthumsbeschränkungen (592). 2. Ihre Reste in Gemeinschaftsverhältnissen (592). a. Uebergang der Allmende in ein besonderes Genossenschafts- oder Gemeinschaftsvermögen (592). b. Allmendnutzungen als Privatrechte am Gemeindevermögen (593). c. Verwandlung der Allmende in reines Gemeindevermögen (594). IV. Auflösung der Reste der Markgemeinschaft (595). Agrargesetzgebung (595). 1. Zusammenlegung (596). 2. Ablösung (597). 3. Gemeinheitstheilung (598). a. Gegenstand (599). b. Theilungsfall (599). c. Theilungsart (601). d. Theilungsfufs (601). Abfindung besonderer Rechte (602) 589 § 73. D i e Gemeinde im heutigen Recht. I. Begriff (602). II. Arten (602). III. Rechtsstellung (603). IV. Gemeindevermögen (604). 1. Eigentliches Gemeindevermögen (604). 2. Allmendvermögen (605). Ungleichartige Natur der Nutzungsrechte (605). a. Mitgliedschaftliche Sondernutzungsrechte (606). b. Bürgerliche Nutzungen (607). Umbildung im Sinne von Sonderrechten (608). c. Freie Privatnutzungsrechte (611). 3. Genossenschaftsvermögen (612) 602 (Die in Klammer beigefügten Ziffern bedeuten die Seitenzahlen.)

Inhaltsverzeichnis.

XXIII Seite

§ 74. Agrargenossenschaften. I.Begriff(612). II. Arten(613). III.Rechtsverhältnisse (614). 1. Die Agrargenossenschaften als Körperschaften (614). 2. Als selbständige Körperschaften (616). 3. Als private Körperschaften (616). 4. Als Körperschaften genossenschaftlicher Struktur (617). 5. Als Wirthschaftsgenossenschaften (618) 612 Fünfter Titel. Die Genossenschaften insbesondere. § 75. Oeffentliche Genossenschaften. I. Begriff und Wesen (619). Relativität der Unterschiede von privaten Genossenschaften (620). Rechtsstellung (622). II. Arten. 1. Kirchliche Körperschaften (622). 2. Spezialgemeinden (622). 3. Ständische Körperschaften (622). 4. Wirthschaftsgenossenschaften (623). a. Personalgenossenschaften (623). b. Realgenossenschaften (623) 619 § 76. Private Genossenschaften. I. Begriff und Wesen (624). Rechtsstellung (624). II. Arten (625). 1. Familiengenossenschaften (625). 2. Wirthschaftsgenossenschaften (625). a. Personalgenossenschaften (625). b. Realgenossenschaften (626). c. Vermögensgenossenschaften (626). 3. Vereine für ideale Zwecke (627). III. Nicht anerkannte Genossenschaften (628). 1. Im Falle der Nichtigkeit ihres Bestandes (628). 2. Im Falle der Gültigkeit ihres Bestandes (629). Widerspruchsvoller Rechtszustand (629). Abhülfe durch Annahme unvollkommener Körperschaften (629). Abhülfe durch Annahme modifizirter Gesellschaften (630). Einführung der geeammten Hand (632). Die erlaubte Privatgesellschaft des preufsischen Rechts (633) 624 Sechster Titel. Anstalten. §77. Oeffentliche Anstalten. I. Begriff(635). Anstalt (635). Oeffentliche Anstalt (635). II. Geschichte (636). Entwicklung der Theorie (636). III. Arten (637). 1. Staatsanstalten (637). 2. Gemeindeanstalten (638). 3. Kirchenanstalten (638). 4. Sonstige Körperschaftsanstalten (639). IV. Rechtsgrundsätze (639). 1. Entstehung (639). 2. Verfassung (640). Organe (640). Keine Mitglieder (641). 3. Rechtsfähigkeit (641). 4. Handlungsfähigkeit (642). 5. Innere Rechtsverhältnisse (642). 6. Veränderung und Beendigung (643). Hinterlassenschaft (644) 635 § 78. Stiftungen. I. Begriff (645). II. Geschichte (645). Entwicklung der Theorie (646). III. Wesen (647). IV. Arten (648). Milde Stiftungen (648). Kirchliche Stiftungen (649). Kommunale und korporative Stiftungen (649). V. Entstehung (649). 1. Errichtung durch private Willensthat (649). Staatliche Genehmigung (650). 2. Anerkennung der Stiftung als Person (650). 3. Der Stiftungsakt (651). a. Der soziale Schöpfungsakt (651). b. Das individuelle Rechtsgeschäft (652). Bei der Stiftung unter Lebenden (652). Bei der Stiftung von Todeswegen (653). VI. Verfassung (653). VII. Rechtsfähigkeit (655). VIII. Handlungsfähigkeit (655). IX. Innere Rechtsverhältnisse (656). Rechte und Pflichten der Organträger (656). Rechtsverhältnifs der Destinatare (656). X. Veränderung (657). XI. Beendigung (658). Der Stiftungsnachlafs (659). Liquidation (660) 645 (Die in Klammer beigefügten Ziffern bedeuten die Seitenzahlen.)

XXIV

Inhalts verzeichnifs. Drittes Kapitel.

Seite

Personenrechtliche Gemeinschaften. § 79. Personenrechtliche Gemeinschaften überhaupt. I. Begriff (660). II. Wesen (660). III. Geschichte (661). Im älteren deutschen Recht (661). Seit der Rezeption (662). IV. Arten (663) . . . 660 § 80. Gemeinschaften zur gesammten Hand. I. Begriff (663). II. Wesen (664). III. Geschichte (664). Ursprung (664). Fortbildung (665). Ausbreitung (667). Entwicklung seit der Rezeption (668). Im neunzehnten Jahrhundert (668). IV. Arten (669). Familienrechtliche Fälle (670). Erbengemeinschaft (670). Handelsgesellschaften (670). Rhederei (671). Gesellschaften des bürgerlichen Rechts (671). Zufällige Rechtsgemeinschaften (673). Forderungen und Verbindlichkeiten zur gesammten Hand (673). Vertretungsmacht zur gesammten Hand (674). Theileinheiten als Gesammthänderschaften (674). Gesammthandeverhältnisse des öffentlichen Rechts (674). Insbesondere des Prozefsrechts (674). V. Rechtsgrundsätze (674). 1. Begründung (675). 2. Personenrechtliche Verbundenheit (675). 3. Personeneinheit (676). Sonderrechte und Sonderpflichten in der Gemeinschaft zur gesammten Hand (676). Begrenzung und Ergänzung des Kollektivprinzips durch das Antheilsprinzip oder das Solidarprinzip (677). Antheile (678). Inhalt (678). Umfang (679). Verhältnifs zur personenrechtlichen Theilhaberschaft (679). Veräufserung (679). Vererbung (680). Theilungsanspruch (681). Sonderrechte oder Sonderpflichten auf das Ganze (681). 4. Rechtsfähigkeit (682). Nach aufsen (682). Nach innen (683) 5. Handlungsfähigkeit (684). Nach aufsen (684). Handeln mit gesammter Hand (684). Handeln durch Vertreter (686). Vertretung kraft Gemeinschaftsrechts (686). Nach innen (687). Gesammtwille (687). Beschlufsfassung (688). Mehrheitsbeschlüsse (688). Entschlüsse (689). Wirkungen einer Handlung der Personeneinheit (690). 6. Veränderung (690). Fortbestand mit veränderter Trägerschaft (691). Ungleiche Entwicklung der Veränderungsfähigkeit bei den verschiedenen Typen (692). 7. Beendigung (693). Beendigungsgründe (693). Wirkung (694). Verwirklichung der Auflösungsfolgen (696). Theilweise Auflösung (696) 663 §80a. Gemeinschaften k r a f t herrschaftlicher G e w a l t I. Begriff (697). II. Wesen (697). III. Geschichte (698). Entwicklung der Theorie (698). Wirksamkeit im Leben (699). IV. Arten (699). Das Haus (699). Die geschäftlichen Unternehmungen (699). Die Schiffsgewalt (700). Oeffentlichrechtliche Herrschaftsverbände (700). V. Rechtsgrundsätze (700). Personenrechtliche Verbundenheit (701). Einwirkung auf das Vermögensrecht (702) 697 Viertes Kapitel.

Persönlichkeitsrechte· Erster Titel. Die Persönliehkeiterechte überhaupt. § 81. B e g r i f f und Wesen der Persönlichkeitsrechte. I. Begriff (702). Verhältnifs der besonderen Persönlichkeitsrechte zu dem allge(Die in Klammer beigefugten Ziffern bedeuten die Seitenzahlen.)

Inhaltsverzeichnis.

XX Seite

meinen Rechte der Persönlichkeit (703). Römisches Recht (704). Deutsches und modernes Recht (704). II. Wesen (705). Mannichfaltigkeit (705). 1. Privatrechte (705). 2. Von Hause aus keine Vermögensrechte (706). Entwicklung zu Vermögensrechten (706). 3. Von Hause aus höchstpersönliche Rechte (707). Abwandlungen (707). a. Entstehung (707). b. Uebertragung (707). c. Beendigung (708) . . . . 702 § 82. A r t e n der Persönlichkeitsrechte. Eintheilung nach dem durch sie gewährleisteten Persönlichkeitsgut (708). I. Leib und Leben (709). II. Freiheit (710). ΙΠ. Ehre (711). IV. Besondere Zustände (712). V. Betätigung (713). Das Recht der Gewerbefreiheit (713). Recht auf einen individuell erworbenen Thätigkeitsbereich (713). Schutz gegen unlauteren Wettbewerb (714). Monopolrechte (715). Ausschliefsliche Gewerberechte (715). Bannrechte (716). Ausschljefsliche Aneignungsrechte (716). VI. Namen und Zeichen (717). VII. Geisteserzeugnisse (717). 708 Zweiter Titel. Namen- und Zeiohenreohte. §83. Namenrechte. I. Der bürgerliche Name (717). 1. Familien- und Vorname (717). Familienname (717). Erwerb (718). Aenderung (719). Vorname (719). Erwerb (719). Aenderung (720). Das Privatrecht am Namen (720). Führungsrecht (721). Verbietungerecht (721). Schutz gegen Anmafsung (721). Schutz gegen Mifsbrauch (722). 2. Verbandsnamen (723). 3. Angenommene Namen (723). II. Die Firma (724). Wesen (724). Erwerb (724). Recht an der Firma (725). Inhalt und Schutz (726). 717 § 84. Zeichenrechte. I. Marken (726). Ursprung des germanischen Markenrechtes (727). Fortbildung (728). Das Recht an der Marke (728). Gebrauch der Marke (728). Untersagungsrecht (730). Verfall des Markenwesens (730). II. Wappen (730). III. Siegel (731). IV. Waarenzeichen (731). Markengesetze (731). Heutiges deutsches Recht (732). I. Begründung (732). a. Subjektive Voraussetzungen (733). b. Objektive Voraussetzungen (733). α. Geeignetheit des Zeichens (733). ß. Unterscheidung von wohlerworbenen fremden Zeichen (735). c. Begründungsakt (736). β. Annahme (736). ß. Anmeldung (736). γ. Eintragung (737). Wirkung der Eintragung (737). 2. Uebertragung (738). 3. Beendigung (739). Beendigungsgründe (739). Löschung (739). Löschung auf Antrag des Berechtigten (740). Löschung von Amtswegen (740). Löschung auf Antrag eines Dritten (740). 4. Inhalt (740). 5. Schutz (741). 6. Ausländische Gewerbebetriebe (742). Schutz gegen das Ausland (743). V. Namen als Zeichen (744). 1. Personennamen (744). 2. Sachnamen (745). VI. Sonstige Waarenbezeichnungen (745). 1. Besondere Ausstattung (746). 2. Bezeichnung mit öffentlichen Wappen oder Ortsoder Gemeindenamen (746). 3. Waarenbezeichnungen, die des besonderen gesetzlichen Schutzes entbehren (747) 726 Dritter Titel. Urheberrechte. §85. Das U r h e b e r r e c h t ü b e r h a u p t I. Begriff (748). Namen (750). II. Geschichte (750). Ursprung (750). Privilegienwesen (751). Nach(Die in Klammer beigefügten Ziffern bedeuten die Seitenzahlen.)

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Inhltsverzeichnifs. Seite

drucksverbote (751). Ausbildung der Idee des geistigen £igenthums (752). Durchbruch der Idee des Urheberrechts (753). Die neuere Gesetzgebung (753). In Deutschland (754). Internationale Verträge (754). Grundrichtung der Urheberrechtsgesetzgebung (755). Gegenströmungen (755). III. Wesen (756). 1. Theorien, die ein subjektives Privatrecht leugnen (756). 2. Monopolrechtstheorien (757). 3. Verlagsrechtstheorien (758). 4. Theorie des geistigen Eigenthums (760). 5. Immaterialgüterrechtstheorien (761). 6. Theorien, die das Urheberrecht in zwei ungleichartige Rechte zerlegen (762). 7. Theorie des aus geistiger Schöpfung fliefsenden Persönlichkeitsrechtes (764). Bewährung dieser Theorie an den Sätzen dee geltenden Rechts (765). a. Ueber Begründung des Urheberrechts (766). b. Ueber seinen Inhalt (766). c. Ueber seinen Umfang (766). d. Ueber seine Uebertragung (767) e. Ueber seine Beendigung (768). IV. Arten (768). 1. Das litterarische und künstlerische Urheberrecht (768). 2. Die gewerblichen Urheberrechte (769) 748 § 86. Begründung des l i t t e r a r i s c h e n und künstlerischen Urheberrechts. I. Objektive Voraussetzungen (769). Erforderlich das äufsere Dasein eines geeigneten Geisteswerkes (769). 1. Schriftwerke (769). Sprachform (769). Aeufserliche Fixirung (769). Merkmale des Geisteswerkes (770). Sprachliche Aeufserungen, die keine Schriftwerke sind (771). Bearbeitungen, Kommentare und Sammelwerke (771). Uebersetzungen (772). Briefe (772). Veröffentlichungen in Zeitungen und Zeitschriften (772). Oeffentliehe Reden (773). Emanationen des öffentlichen Geistes (773). 2. Wissenschaftliche und technische Abbildungen (774). 3. Tonkunstwerke (774). Verbindung mit Werken der Dichtkunst (775). 4. Pantomimen unci Ballets (775). 5. Werke der bildenden Kunst (775). Künstlerischer Gedankeninhalt in Bildform (776). Merkmale des Geisteswerkes (776). Anlehnung an vorhandene Schöpfung (777). Werke der nachbildenden Künste (777). Oeifentlich aufgestellte Werke (778). Verbindung mit Schriftwerken (778). II. Subjektive Voraussetzungen (778). 1. Entstehung in der Person des Schöpfers (778). a. Gehülfe (779). b. Besteller (779). Abgeleitetes Urheberrecht des Bestellers (779). c. Herausgeber (780). Herausgeber als Urheber (780). d. Eigenthümer der das Geisteswerk verkörpernden Sache (781). 2. Urheberrechte von Verbandspersonen (781). 3. Gemeinschaftliche Urheberrechte (782). a. Miturheberrecht (782). b. Sonderurheberrechte an Theilen und Miturheberrecht am Ganzen (783). c. Sonderurheberrechte an Theilen und Sonderurheberrecht am Ganzen (784). 4. Benannte und unbenannte (anonyme oder pseudonyme) Werke (784). 5. Legitimation zur Geltendmachung (785). a. Bei benannten Werken (785). b. Bei unbenannten Werken (786). 6. Einflufs der Staatsangehörigkeit (786). III. Begründungsakt (787). Unmittelbare Wirkung der geistigen Schöpfungsthat (787). Abhängigkeit einzelner Wirkungen von besonderen Rechtshandlungen (787). Vorbehalt (787). Nennung des wahren Namens (787). Eintragsrolle (788). Privilegien (788) 769 § 87. I n h a l t und Umfang des l i t t e r a r i s c h e n und künstlerischen Urheberrechts. I. Im Allgemeinen (788). 1. In objektiver Hinsicht (788). 2. In subjektiver Hinsicht (789). II. Veröffentlichung (789). (Die in Klammer beigefügten Ziffern bedeuten die Seitenzahlen.)

Inhaltsverzeichnis.

XXII Seite

§ SB.

§89.

§ 90.

§ 91.

1. Entscheidung über das Ob der Veröffentlichung (790). a. Veröffentlichung durch Herausgabe (790). b. Veröffentlichung durch Vortrag oder Aufführung (791). c. Veröffentlichung durch öffentliche Ausstellung (791). 2. Entscheidung über das Wann der Veröffentlichung (792). 3. Entscheidung über das Wie der Veröffentlichung (792). III. Wiedergabe (792). 1. Mechanische Vervielfältigung (792). Vervielfältigung in anderer sinnlicher Form (793). Theilweise Wiedergabe (794). Entlehnungsfreiheit (794). Wiedergabe in anderer Verbindung (795). Veränderte Wiedergabe (795). Grenzen der erlaubten Benutzung (795). 2. Uebersetzung (797). 3. Oeffentliche Aufführung (798). Oeffentlichkeit (798). Theilweise Aufführung (799). Aufführung in veränderter Gestalt (799). Aufführung und Vortrag (799). 4. Nachbildung von Kunstwerken (800). Durch anderes Verfahren (801). Mittelbar (801). Einzelkopie (801). Partiell (801). In Schriftwerken (802). An Werken der Baukunst (802). An gewerblichen Erzeugnissen (802). In anderer Kunstgattung (802). Mit Veränderungen (803). IV. Verbreitung (803). Das selbständige Verbreitungsrecht (804) Uebertragung des l i t t e r a r i s c h e n und künstlerischen Urheberrechts. I. Ueberhaupt (805). II. Veräufserung (805). Ueberti agungsgeschäfte (805). Form (805). Uebertragung künftiger Urheberrechte (806). Translative und konsumtive Uebertragung (806). Absolute und relative aus dem Urheberrecht abgeleitete Rechte (807). Weitere Uebertragung von übertragenem Urheberrecht (808). Verhältnifs der weggegebenen urheberrechtlichen Befugnisse zum ursprünglichen Urheberrecht (809). Stellung des Urhebers gegenüber dem übertragenen Urheberrecht (810). Wirksamkeit der abgeleiteten Rechte gegen Dritte (810). III. Vererbung (811). IV. Ungewollter Uebergang (812). Das Urheberrecht in ehelicher Gütergemeinschaft (813). Vormundschaftliche Verfügung über Urheberrecht (813). Pfändung des Urheberrechts und Beschlagnahme des Urheberrechts durch die Konkursgläubiger (813) . Schutz des litterarischen und künstlerischen U r h e b e r rechts. I. Ueberhaupt (815). II. Besondere Urheberrechtsdelikte (815). 1. Nachdruck (815). 2. Unbefugte öffentliche Aufführung (816). 3. Verbotene Nachbildung (816). 4. Unbefugte gewerbemäfsige Verbreitung (816). 5. Unterlassung vorgeschriebener Quellenangabe (816). III. Rechtsfolgen der Urheberrechtsdelikte (816). 1. Drei Arten von Rechtsfolgen (816). a. Oeffentliche Strafe (816). b. Entschädigung oder Bufse (817). c. Einziehung (817). 2. Verschulden (818). Rechtsfolgen der schuldlosen Urheberrechtsverletzung (818). 3. Thäter (819). 4. Versuch (819). IV. Verfahren (820). V. Sachverständigenvereine (820). VI. Verjährung (821) Beendigung des l i t t e r a r i s c h e n und k ü n s t l e r i s c h e n Urheberrechts. I. Zeitablauf (821). 1. Regelmäfsige Dauer (821). 2. Verkürzte Dauer (823). 3. Verkürzte Dauer einzelner Befugnisse (823). 4. Gesetzliche Abänderung der Dauer (824). II. Sonstige Erlöschungsgründe (825) Das photographische U r h e b e r r e c h t I. Ueberhaupt (826). II. Begründung (827). 1. Objektive Voraussetzungen (827). 2. Subjektive Voraussetzungen (828). 3. Begründungsakt (828). III. Inhalt (Die in Klammer beigefügten Ziffern bedeuten die Seitenzahlen.)

788

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XXVIII

Inhalts ver zeichni fs. Seite

und Umfang (829). IV. Uebertragung (829). V. Schutz (829). VI. Beendigung (830) 826 § 92. Das kunstgewerbliche Urheberrecht. I. Ueberhaupt (831). II. Begründung (832). 1. Objektive Voraussetzungen (832). a. Neuheit (832). b. Eigenthümlichkeit (832). c. Geschmacksmuster (833). 2. Subjektive Voraussetzungen (833). a. Urheberrecht des Geschäftsherrn (833). b. Vermuthung fur Urheberschaft (834). c. Ausländische Urheberrechte (834). 3. Begründungsakt (835). Musterregister (835). Anmeldung und Niederlegung (836). Wirkung (836). III. Inhalt und Umfang (837). IV. Uebertragung (838). V. Schutz (838). VI. Beendigung (839) . . 831 § 98. Das U r h e b e r r e c h t an Gebrauchsmustern. I. Ueberhaupt (840). Das Gebrauchsmusterrecht als gewerbliches Urheberrecht (840). II. Begründung (841). 1. Objektive Voraussetzungen (841). Aeufseres Dasein eines Modells (841). Nützlichkeitsform (841). Neuheit (842). 2. Subjektive Voraussetzungen (842). 3. Begründungsakt (843). Rolle für Gebrauchsmuster (843). a. Schöpfungsthat (844). b. Anmeldung (845). c. Eintragung (845). III. Inhalt und Umfang (845). 1. Veröffentlichung (845). 2. Wiedergabe (846). 3. Verbreitung (846). 4. Gebrauch (846). IV. Uebertragung (846). V. Schutz (847). VI. Beendigung (848) . . 840 Vierter Titel.

Das Erfinderrecht. §94. Das E r f i n d e r r e c h t überhaupt. I. Begriff (848). II. Geschichte (849). Mittelalter (849). Privilegienwesen (850). Durchbruch des Erfinderrechts (850). Patentgesetze (851). Antipatentbewegung (852). Deutsche Gesetzgebung (852). Ausländische Gesetze (853). Internationale Verträge (853). III. Wesen (854). Verhältnifs zum Urheberrecht (854). Der Gegenstand des Erfinderrechts ist eine Idee als solche (854). Das Erfinderrecht ist ein aus geistiger Schöpfung fliefsendes Persönlichkeitsrecht (856). Bedeutung der staatlichen Mitwirkung bei seiner Begründung (857). Gewerberechtliche Ausgestaltung (858). Vermögensrechtliche Ausprägung (858). Oeffentlichrechtliche Beziehungen (860) 848 § 95. Begründung des Erfinderrechts. I. Ueberhaupt (861). Stellung des Patentamtes (861). Prüfungs- und Aufgebotsverfahren (862). II. Objektive Voraussetzungen (863). 1. Erfindung (863). 2. Neuheit (864). 3. Gewerbliche Verwerthbarkeit (865). 4. Aeuferes Dasein der Erfindung (865). 5. Arten der Erfindung (865). Körperliche Gegenstände als Gegenstände einer Erfindung (865). Verfahren als Gegenstand (866). 6. Patentunfähige Erfindungen (866). 7. Gesammterfindungen (867). 8. Abhängige Erfindungen (868). Zusatzpatente und Verbesserungspatente (868). ΙΠ. Subjektive Voraussetzungen (869). 1. Entstehung in der Person des Schöpfers (869). Rechte des Geschäftsherrn (869). 2. Das Recht des ersten Anmelders (870). a. Prioritätsrecht (870). b. Legitimation (871). 3. Ausländer (872). IV. Begründungsakt (872). 1. Schöpfungsthat (872). Wirkungen (873). a. Veröffentlichungsrecht (873). b. Benutzungsrecht (873). c. Recht auf Anerkennung und Nichtanmafsung durch Andere (873). 2. Anmeldung (874). Wirkungen (874). (Die in Klammer beigefügten Ziffern bedeuten die Seitenzahlen.)

Inhaltsverzeichnis.

Abkürzungen.

Berichtigungen und Nachträge.

XXIX Seite

§ 96.

§97.

§ 98.

§99.

3. Patenterteilung (875).. a. Vorprüfung (875). b. Prüfung (876). c. Aufgebotsverfahren (876). d. Ertheilung des Patents (877). e. Wirkung der Patenterteilung (878). f. Nichtige Patente (879). Das Scheinrecht (879). Die Nichtigkeitserklärung (880) I n h a l t und Umfang des Erfinderrechts. I. Ueberhaupt (881). II. Das ausschliefsliche Benutzungsrecht (882). 1. Herstellung (882). 2. Verbreitung (883). 3. Gebrauch (883). III. Einschränkungen (883). Schranken des Benutzungsrechtes (883). Schranken des Untersagungsrechtes (884). 1. Das Recht des Vorbenutzers (884). 2. Zwangsenteignung (885). 3. Fremde Fahrzeuge (885). IV. Pflichten (885). 1. Gebührenpflicht (886). 2. Ausführungspflicht (886). 3. Lizenzpflicht (887) Uebertragung des Erfinderrechts. I. Ueberhaupt (887). II. Veräufserung (888). 1. Translative (888). 2. Konstitutive (889). a. Abgeleitete absolute Rechte (889). b. Abgeleitete relative Rechte (890). Das Lizenzrecht (890). III. Vererbung (891). IV. Ungewollter Uebergang (892) Schutz des Erfinderrechts. I. Ueberhaupt (892). II. Besondere Patentverletzungen (893). Verletzter (893). Ansprüche aus Verletzung (894). III. Verfahren (894). IV. Verjährung (894). V. Patentberühmung (895) Beendigung des Erfinderrechts. I. Zeitablauf (895). II. Sonstige Beendigungsgründe (896). Verzicht (896). Verwirkung durch Versäumnifs der Gebührenzahlung (896). Zurücknahme des Patents (896). III. Rechtsfolgen der Beendigung (897)

861

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892

895

(Die in Klammer beigefügten Ziffern bedeuten die Seitenzahlen.)

Abkürzungen. Die Abkürzungen in den Citaten sind, soweit sie sich durch das ganze Buch ziehen, aus den Quellen- und Litteraturangaben in den §§ 7—12, im Uebrigen aus den Quellen- und Litteraturangaben zu den einzelnen Paragraphen oder den Anfangsparagraphen der einzelnen Materien zu verstehen. Eine römische Ziffer und eine ihr ohne Komma folgende arabische Ziffer bedeuten stets Band- und Seitenzahl.

Berichtigungen und Nachträge. Zu S. 8 Text Z. 3 v. u.: 1. „rechtliche" statt „weltliche". Zu S. 15 Text Z. 8 v. o.: 1. „canonici" statt „canonis". Zu S. 60 Anm. 29: inzwischen ist auch das IV. Buch (Familienrecht) in zweiter Lesung veröffentlicht; Berlin 1894.

XXX

Berichtigungen und Nachträge.

Zu S. 93 Anm. 48: Frankens Buch ist jetzt durch Erscheinen der letzten Lieferung vollendet Zu S. 103 Anm. 116: von dem Buche von Κ r a i n ζ ist 1894 eine zweite Auflage erschienen, die später noch benutzt ist Zu S. 104 Anm. 122: hier fehlt die Angabe der später benutzten stark veränderten 8. Auflage des Zachariaeschen Handbuchs von C. Crome, bisher zwei Bände, 1894. Zu S. 104 Anm. 123 : vgl. auch die Literaturnachweise in dem auf S. 173 Anm. 64 zuerst angeführten Werke von C. Crome § 5, sowie in der 8. Aufl. des Handbuchs von Zachariae § 20. Zu S. 105 Anm. 1: seither erschien das zuerst S. 379 Anm. 1 zu § 43 angeführte Buch von Thudichum, Geschichte des deutschen Privatrechts, Stuttgart 1894. Leider steht es nicht auf der Höhe seiner Aufgabe. Zu S. 131 Anm. 12: von Zorns Staatsrecht ist der erste Band inzwischen in 2. Aufl. erschienen; hier findet sich die angezogene Ausführung auf S. 416. Zu Zu Zu Zu

S. S. S. S.

138 139 140 162

Anm. 43: in 2. Aufl. Zorn I 418. Anm. 46: Z a c h a r i a e 8. Aufl. § 34—37. Anm. 53 u. 54: vgl. jetzt auch R.Ger. X X X I I I Nr. 32. Anm. 11 Z. 4: hinter dem Citat aus Azo fehlt in sinnverdunkelnder Weise ein Komma.

Zu S. 172 Anm. 55 a. Ε : völlig unrichtig jetzt R.Ger. X X X I I I Nr. 41. Zu S. 199 Anm. 13 Z. 4 : richtig jetzt R.Ger. X X X I I I Nr. 47 S. 217 ff. Zu S. 226 Anm. 39: vgl. auch L. Do nie, Das Fremdenrecht und die Lehre des internationalen Sachenrechts mit Berücksichtigung der geltenden Kodifikationen, Arch. f. öff. R. V I I I 249 ff. und 513 ff. Zu S. 230 Text Z. 7 v. o.: hinter dem Worte „Recht" fehlen die Worte „des Ortes". Zu S. 261 Text Z. 10 v. o.: 1. „mittelbar" statt „unmittelbar". Zu S. 297 Anm. 58 letzte Zeile: 1. „§ 80a V" statt „§ 81 V". Zu S. 311 Anm. 13: vgl. jetzt W. Immerwahr, Die Verschweigung im deutschen Recht, Heft 48 der Unters, z. D. St. u. R. Gesch., Breslau 1895. Zu S. 322 Anm. 15 Z. 2: 1. „mindere" statt „niedere". Zu S. 337 Anm. 11: der Genauigkeit wegen ist hier hinzuzufügen, dafs Entw. I I § 192 im Gegensatze zu Entw. I § 187 die Selbsthülfe der bezeichneten Art auch bei selbstverschuldeter Gefahr als „nicht widerrechtliche" Handlung qualifiziren und nur in diesem Falle dem Handelnden eine Schadensersatzpflicht auferlegen will. Zu S. 351 Text Z. 3 v. u.: 1. „aufsergerichtliche" statt „aufsergewöhnliche". Zu S. 375 Anm. 66 a. E. : vgl. jetzt Entw. I I § 1215 Abs. 2. Zu S. 379 Anm. 92: Entw. I § 1464 ist durch Entw. I I § 1482—1484 stark abgeändert. Die neue Ehe soll nur nichtig sein, wenn beide Ehegatten bei der Ehesehliefsung wufsten, dafs der fur todt Erklärte noch lebte. Allein jeder Ehegatte der neuen Ehe soll, falls er nicht in bösem Glauben war, diese Ehe, wenn der fur todt Erklärte noch lebt, binnen sechs Monaten nach empfangener Kunde anfechten können. Der anfechtende Ehegatte soll jedoch dem anderen Ehegatten, falls dieser

Berichtigungen und Nachträge. nicht etwa in bösem Glauben war, in gleicher Weise Unterhalt schulden, wie bei der Ehescheidung der schuldige Theil dem unschuldigen Theil. — Eine schwerlich glückliche Neuerung! Zu S. 391 Anm. 10 vorletzte Zeile: Entw. I I § 1722 läfst die Bestellung eines Vormundes auch wegen anderer körperlicher Gebrechen zu. Zu S. 391 Anm. 12 a. E.: Entw. I I § 88 hat laut der Mittheilung hinter der amtlichen Ausgabe des Familienrechtes zweiter Lesung S. 563 Nr. 6 später eine andere Fassung erhalten, nach der die Beschränkung der Handlungsfähigkeit der wegen körperlicher Gebrechen Bevormundeten wegfällt. Zu S. 392 Anm. 19 a E.î nachträglich ist in Entw. I I § 14 unter Z. l a eine Vorschrift, durch die eine Entmündigung wegen Geistesschwäche zugelassen wird, eingeschoben und durch die neue Fassung des § 88 der wegen Geistesschwäche Entmündigte dem Mindeijährigen über sieben Jahre gleichgestellt worden ; Familienrecht 2. Lesung S. 563 Nr. 4 u. 6. Zu S. 422 Text Z. 9 v. o.: 1. „Sonderehre" statt „Sonderrechtsehre". Zu S. 429 Anm. 16 Z. 2: der § 1249 Abs. 2 des Entw. I kehrt jetzt in Entw. I I als § 1227 Abs. 2 wieder. Zu S. 480 Text Z. 5 v. u.: 1. „unterstellte" statt „unterseilte''. Zu S. 493 Anm. 7 Z. 8: über die Nichtigkeit einer statutarischen Bestimmung, die für den Fall des Austrittes a.is einer eingetragenen Genossenschaft ein Austrittsgeld festsetzt, vgl. R.Ger. X X X I I I Nr. 16. Zu S. 538 Anm. 20 Z. 5: durchaus zutreffend ist ein solches Sonderrecht auf Beibehaltung der Mitgliedschaft nach Mafsgabe der bisherigen Satzungen in einem Unterstützungsverein vom R.Ger, in dem Bd. X X X I I I Nr. 38 entschiedenen Falle angenommen. Zu S. 540 Anm. 33 vorletzte Zeile: 1. „Rentenbezugsrechten" statt „Rentenbezugsrenten". Zu S. 541 Anm. 37: nach dem, was S. 716 über die Natur der Bannrechte gesagt ist, gehört das letzte Citat nicht in diese Anm., sondern in Anm. 28. Zu S. 606 Anm. 18 Z. 6: unrichtig jetzt auch R.Ger. X X X I I I Nr. 41. Zu S. 630 Anm 24 a. E.: sehr entschieden spricht sich auch das R.Ger. X X X I I I Nr. 38 (bes. S. 179) fur die Anwendung des Körperschaftsrechtes auf einen korporativ organisirten Verein aus. Zu S. 666 Anm. 13: vgl. jetzt auch P. Rehme, Die Lübecker Handelsgesellschaften in der ersten Hälfte des 14. Jahrh., Z. f. H.R. X L I I 367 ff., wo sich S. 373, 376 ff. u. 392 ff. Beiträge zur Geschichte der offenen Handelsgesellschaft finden. (Hauptsächlich wichtig ist dieser Aufsatz für die Geschichte der Kommanditgesellschaft und der stillen Gesellschaft, als deren Vorläuferinnen zwei verschiedene Formen kapitalistischer Vergesellschaftung für Handelszwecke aus lübischen Stadtbucheintragen nachgewiesen werden.) Zu S. 738 Anm. 69 Z. 2: 1. „eingetragen" statt „übertragen". Zu S. 771 Anm. 9 a. E.: gemeint ist Oesterr. Entw. I I : im Entw. Τ entspricht § 3 Abs. 2.

XXXII

Berichtigungen und Nachträge.

Zu S. 842 Anm. 9: über Verlust der Neuheit durch offenes Feilhalten vgl. R.Ger. X X X I I I Nr. 33. Zu S. 868 Anm. 37 u. S. 879 Anm. 92: dafs das Patentamt durch § 3 des R.Ges. v. 7. Juni 1893 nicht zuständig geworden ist, die Abhängigkeit eines Patentes sei es im Ertheilungsverfahren sei es im Nichtigkeitsverfahren festzustellen, hat jetzt auch das R.Ger. X X X I I I Nr. 32 in ausführlicher Begründung dargethan. Zu S. 888 Text Z. 13 v. o.: 1. „Entgemeinschaftung" statt „Entgemeinschaft".

Erstes Buch.

Allgemeiner Theil.

Binding, Handbuch. II. 3. I: Gierke, Deutsches Priratwcht. I.

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Erster Abschnitt.

Einleitung. Erstes Kapitel. Geschichte des Deutschen Privatrechts. § 1. Die Z e i t der rein nationalen Rechtsbildung. I. Urzeit. Bei seinem Eintritt in die Geschichte entbehrte das deutsche Volk, wie der äuiseren Einheit des Staates, so der äufseren Einheit des Rechtes. In unserer Urzeit giebt es daher kein gemeines deutsches Privatrecht. Jede einzelne Völkerschaft hat als unabhängiges Gemeinwesen auch ihr besonderes Recht, das sie in unmittelbarer Lebensgemeinschaft erzeugt und fortbildet, hütet und durchsetzt. Die Ueberlieferung ist mündlich. Feierliche Worte, Formen und Sinnbilder, die das Rechtsleben zwingend beherrschen, unterstützen das Gedftchtnifs. Durch die genossenschaftliche Verfassung, die alle freien wehrhaften Männer zur Theilnahme an den Gerichtsversammlungen beruft, ist dafür gesorgt, dafs das Recht im Bewuistsein Aller lebendig bleibt Schon aber giebt es, wenngleich kein gemeines, doch ein deutsches Privatrecht. Denn es giebt ein deutsches Volksthum, das sich im Recht wie in Sprache und Sitte, Glaube und Sittlichkeit offenbart. Während längst die Besonderung der arischen Völker so weit gediehen ist, dafs zwischen dem germanischen Rechte und den übrigen arischen Rechten zwar noch Verwandtschaft, aber nicht mehr Einheit besteht, weist das germanische Recht in den Grundzügen noch eine weitgehende Uebereinstimmung auf. Und innerhalb des germanischen l*

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tes Kapitel.

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des deutschen Privatrechts.

Rechtes haben jedenfalls die Rechte der westgermanischen Völker· Schäften, die zur Bildung des deutschen Volkes berufen waren, bei ihrer Verzweigung so viel innere Einheit bewahrt, dafs sie sich von einander nur wie Mundarten Einer Sprache scheiden. II. Fränkische Zeit. Mit der Völkerwanderung, der Konsolidation der Stämme, der Gründung gröfserer Staaten, der Annahme des Christenthums, der Wandlung aller Kulturverhältnisse und der endlichen Zusammenfassung der deutschen Stämme in dem zum Weltreich emporsteigenden fränkischen Reiche vollzog sich eine zwiefache Veränderung. 1. Es kommt zur Aufzeichnung der Stammesrechte in Gesetzesfassung. Ursprünglich fast nur das althergebrachte Gewohnheitsrecht in Schriftform giefsend, mehr und mehr aber auch mit Bewufstsein neues Recht setzend, bilden diese „Volksrechte" oder „leges barbarorum** trotz ihrer Unvollständigkeit ein kräftiges Bindemittel der stammesthümlichen Rechtsentwicklung. Freilich fehlt es nicht an Rechtsverschiedenheiten innerhalb der einzelnen Stammesrechte. Die Volksrechte selbst erwähnen zum Theil den Fortbestand eigenartiger Rechtssätze bei ehemaligen Völkerschaften, die sich als Unterabtheilungen grofser Stämme erhalten haben. So unterscheidet die lex Saxonum zwischen dem Recht der Westfalen, Engern und Ostfalen; die lex Frisionum weist auf Partikularrechte hin ; die ewa Chamavorum verzeichnet die Abweichungen des Rechtes der Chamaver vom Rechte der übrigen Franken. Sicherlich gieng im Leben die Rechtsbesonderung sehr viel weiter und setzte sich nach unten hin bis in die engsten Verbände fort. Allein das Uebergewicht war auf Seiten der Einheit des Stammesrechtes. Mit dem Range eines Stammesrechtes trat da, wo auf dem Boden des zerschlagenen Römerreichs eine freie romanische Bevölkerung dem neuen Staate eingefügt war, den germanischen Rechten das römische Recht zur Seite. Volksthümlich umgebildet und dialektisch verschoben, wurde es zum Theil ebenfalls in Gesetzesfassung gebracht. 2. Ueber den Stammesrechten erhebt sich nunmehr ein Reichsrecht, das als gemeines Recht alle Reichsangehörigen bindet. In den Kapitularien der fränkischen Könige wird daher zum ersten Male ein einheitliches Recht der Deutschen geschaffen. Indefs ward gerade das Privatrecht hiervon nur mittelbar berührt. Da die königliche Verordnungsgewalt am Volksrechte ihre Schranke fand, das Privatrecht aber den Kern des Volksrechts bildete, griffen die Kapitularien auf diesem Gebiete kaum hier und da uniformirend ein. Immerhin konnte die Reichsgesetzgebung mit der Fülle ihrer

§ 1. Die Zeit der rein nationalen Rechtsbildung.

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grundlegenden Schöpfungen im Verfassungs- und Verwaltungsrecht, im Kirchenrecht, im Prozeßrecht und im Strafrecht auch auf das Privatrecht nicht ohne Einwirkung bleiben. Soweit das Königsrecht auf Stammesrecht fufste, ging es begreiflicher Weise imfränkischen Reiche vom fränkischen Stammesrechte aus. Auf diesem Wege sind fränkische Institutionen verallgemeinert worden. Im Uebrigen ward durch die fränkische Vorherrschaft die Selbständigkeit der übrigen Stammesrechte keineswegs gebrochen1. III. Zeit des deutschen Mittelalters. Mit dem Zerfalle der karolingischen Monarchie und der Ausbildung des ostfränkischen Reichs zum deutschen Reiche sonderte sich für immer das deutsche Recht von den anderen germanischen und halbgermanischen Rechten. Dem nationalen Wesen des neuen Staats entsprach ein geschlossenes nationales Gepräge des in ihm geltenden Rechts. In der Idee verstärkt sich demgemäfs die Rechtseinheit Aber auch nur in der Idee ! Denn thatsächlich sich durchzusetzen, ist sie nicht gerüstet. Wie durchweg jene an der erlöschenden Sonne des Alterthums entzündeten Gedanken, die für uns dem fränkischen Zeitalter moderne Züge leihen, nunmehr dem Geiste des echten Mittelalters weichen, gleich als müsse auch der letzte Schimmer des Abendroths verbleichen, damit der neue Tag in frischer Herrlichkeit geboren werden könne, so steigt auch im Rechtsleben die bewufete gesetzgeberische Thätigkeit von der bereits errungenen Höhe wiederum herab. Von Neuem übernimmt das Gewohnheitsrecht die Führung. Das Gewohnheitsrecht aber strebt der Besonderung zu. Als dann das Gesetz wieder kräftiger wird, ist der nationale Staat schon zu sehr geschwächt, um seine Gesetzgebungsgewalt für die Herstellung der Rechtseinheit zu verwenden. 1. So giebt es zwar im ganzen Mittelalter ein gemeines deutsches Recht. Allein der hervorragenden Rolle, die dieses jus commune", „riches recht", „kaiserrecht" in den Köpfen der Menschen spielt, entspricht wenig die Wirklichkeit. Es fliefst aus Reichsgesetzen und gemeiner Gewohnheit. Aber die Reichsgesetze, ohnehin spärlich, berühren selten das Privatrecht. Und die gemeine Gewohnheit ist unsicher, unterliegt örtlich verschiedener Deutung und 1 Das Gegentheil behauptet S ο hm, Fränkisches und römisches Recht, Z. f. R.G. XIV (1880) S. 1 ff.: das salische Recht habe die anderen Stammesrechte aufgezehrt, nicht römisches und germanisches, sondern römisches und fränkisches Recht seien die beiden mit einander ringenden Weltrechte. Vgl. aber Stobbe, D.P.R. I (8. Aufl.) 4 A. 6; Heusler, Inet I 20 ff.; Brunner, R.G. I 257 ff.; Schröder, R.G. (2. Aufl.) § 52 A. 18.

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des deutschen Privatrechts.

empfängt nur in geringem Umfange durch Richterspruch greifbare Gestalt. Wohl entscheidet das Reichshofgericht Streitigkeiten aus verschiedenen deutschen Landen nach gemeinem Rechte2. Doch reicht seine Wirksamkeit entfernt nicht aus, um der deutschen Rechtsprechung ein gemeinsamer Leitstern zu werden. 2. In weit überwiegendem Mafse bleibt also das Privatrecht Stammesrecht. Da aber die alten Gesetzbücher in Vergessenheit gerathen, vermag auch die Einheit der Stammesrechte, auf die Gewohnheit als einzige Hüterin angewiesen und durch die Ausbreitung der Stämme und ihre Mischung in manchen neuen Siedlungsgebieten ohnehin gelockert, einer fortschreitenden Zersetzung nicht zu widerstehen. Nur theilweise wirken dem Privataufzeichnungen der Stammesrechte entgegen. Vor Allem wird dem sächsischen Rechte durch die That Eikes von Repgau, dessen Sachsenspiegel nahezu gesetzliches Ansehen erlangt, ein durch alle folgenden Jahrhunderte nicht wieder zerrissener Zusammenhalt gesichert. Andere Rechtsbücher stellen trotz ihrer auf gemeines deutsches Recht gerichteten Absicht im Erfolge Stammesrecht dar, wie der später so genannte Schwabenspiegel schwäbisches und das kleine Kaiserrecht fränkisches Recht. Im Gebiet des bayrischen Stammes kommen wenigstens theils private theils amtliche Aufzeichnungen des Landrechts gröiserer Territorien zu Stande. 3. Die eigentliche Kraft der Rechtsbildung aber zieht sich in engere Kreise zurück. Gewohnheit und Autonomie entfalten hier eine üppige Fruchtbarkeit. Allein sie treiben das Recht immer schonungsloser auseinander, bis eine schlechthin unübersehbare Zersplitterung eintritt. Das Privatrecht spaltet sich örtlich. Jede Landschaft, jedes weltliche oder geistliche Herrschaftsgebiet, jeder Gerichtsbezirk, jede Stadt, jede Mark, jedes Dorf erzeugt ein eigenartiges Recht und hütet es eifersüchtig als kostbares Besitzthum. Das Privatrecht spaltet sich aber auch nach ständischen Personenkreisen und Güterarten. Dem weltlichen Rechte stellt sich als ein grofses selbständiges Rechtssystem von zugleich privatrechtlicher Bedeutung das geistliche Recht entgegen. Neben das Landrecht treten mit dem Anspruch auf Ebenbürtigkeit das Lehnrecht, das Dienstrecht, das Hofrecht und bald auch das Weichbildrecht. Und diese Sonderung setzt sich in verschiedener Weise innerhalb der grofsen Gruppen fort. 2 F r a n k l i n , Sententiae curiae regis, Rechtssprüche des Reichshofes im Mittelalter, Hannover 1870; vgl. S. X I A. 4.

§ 1. Die Zeit der rein nationalen Rechtebildung.

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IV. V e r f a l l des nationalen Rechts. In Folge dieser Entartung des Besonderungstriebes verfiel unser nationales Recht gegen den Schlufs des Mittelalters in schweres Siechthum. Wohl blieben ihm hohe Vorzüge erhalten. Es war ein durchaus volksthümliches Recht, das an unzähligen Stellen von den Rechtsgenossen selbst fortgebildet und gehandhabt wurde. Genau schmiegte es sich den Anschauungen und Bedürfnissen der einzelnen Lebenskreise an, und innig war es mit der ererbten Sitte verwachsen. Ein unerschöpflicher Reichthum an gestaltender Kraft offenbarte sich in der Mannichfaltigkeit seiner Gebilde. Allein die Nachtheile des wuchernden Partikularismus tiberwogen. Der Geist engherziger Abschliefsung zog ein und bannte das Rechtsleben in die Schranken einer kurzsichtigen und oft selbstsüchtigen Kirchthurms- und Standespolitik. Die zur Ueberproduktion gesteigerte Rechtserzeugung verlor sich vielfach ins Kleinliche, Zufällige, Seltsame und entbehrte auch da, wo sie zeitgemäfse Fortschritte anbahnte, des freien und grofsen Zuges, den die gemeinsame Arbeit eines ganzen Volkes aufzuweisen pflegt. Selbst das Vertrauen in die Gerechtigkeit des Rechtes und der Rechtsprechung, so fest es im engsten Bereiche des eignen Verbandes begründet war, kam ins Wanken, sobald man mit Recht und Gericht eines fremden oder auch nur weiteren Verbandes zusammenstiefs und hier unbekannten Sätzen und unverstandenen Formen begegnete. An der Zersplitterung des deutschen Rechts scheiterte die nach herrlichen Anfängen mehr und mehr verkümmernde und verknöchernde nationale Rechtswissenschaft. Und alles Elend, das an der staatlichen Zerfahrenheit hieng, verdoppelte sich durch die Zerfahrenheit des Rechts. Die Zeitgenossen empfanden die Mängel dieses Zustandes. Es fehlte nicht an Versuchen, das deutsche Recht von innen heraus zu einigen. In der Aufnahme der Rechtsbücher seitens der Praxis, in der Abfassung von Rechtsbüchern, die gleich dem „Spiegel deutscher Leute" ein gemeines deutsches Recht darstellen wollten, in den städtischen Rechtsübertragungen und dem weitreichenden Einflufs der Oberhöfe, in den seit dem fünfzehnten Jahrhundert auftauchenden Entwürfen der Reichsreform gelangte die Sehnsucht nach einem gemeinen Rechte zum Ausdruck. Doch war der Erfolg ein beschränkter. Das Ziel wäre nur zu erreichen gewesen, wenn eine kräftige Reichsgewalt dazu ihren Arm geliehen, die Reichsgesetzgebung da, wo Einheit Noth that, Einheit geschaffen, ein Reichsgericht die Sorge für die Erhaltung der Einheit übernommen hätte. Wie aber stand es um das deutsche Reich? Es war der Verfall des nationalen

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des deutschen Privatrechts.

Staates, der Uber das Schicksal unseres nationalen Rechtes entschied ! Denn Hülfe mufste kommen. Und sie kam. Aber sie kam nun von aufsen. Man griff zum fremden Rechte, man nahm das römische Recht mit seinen Ergänzungen auf, nicht weil, sondern obwohl es ein fremdes war, aber weil man keinen anderen Ausweg fand. Das war nun freilich ein Heilmittel und ein sehr radikales Heilmittel für den bisherigen Krankheitszustand. Aber die Arznei enthielt ihr Gift, das neue Krankheiten heraufbeschwor ! Zumal man übermäfsige Dosen verschluckte und bald aus blofser Gewöhnung im Genüsse fortfuhr! § 2.

Die Aufnahme der fremden Rechte 1 .

I. Die Aufnahme des römischen Rechtes. Es versteht sich, dafs bei dem Vorgange, der als „Aufnahme der fremden Rechte in Deutschland" bezeichnet wird, alles Schwergewicht auf die Aufnahme des römischen Rechtes fällt. Spricht man schlechthin von der „Rezeption", so meint man die Rezeption des römischen Rechtes. 1. Vorgeschichte. Das römische Recht hat auf das germanische eingewirkt, seitdem die Germanen sich mit den Römern berührten. Ja man kann von einer ersten Rezeption römischen Rechtes sprechen, die sich nach der Gründung germanischer Reiche auf römischem Boden vollzieht. Von der hinsterbenden alten Kulturwelt übernimmt die jugendliche Barbarenwelt mit so vielen anderen Erbstücken auch staatliche und weltliche Einrichtungen und Begriffe. Allein es handelt sich hierbei nur um die Aufnahme von fremdem Stoff in den unversehrt bleibenden nationalen Rechtsorganismus. So 1 0. Stobbe, Geschichte der deutschen RechtsqueUen, Braunschweig 1860 u. 1864, I 609 ff., I I Iff.; 0. F r a n k l i n , Beiträge zur Geschichte der Rezeption des römischen Rechts in Deutschland, Hannover 1863; C. A. Schmidt, Die Rezeption des römischen Rechts in Deutschland, Rostock 1868; A. S t ö l z e l , Die Entwicklung des gelehrten Richterthums in deutschen Territorien, 2 Bde., Stuttgart 1872; Mod der mann, Die Rezeption des römischen Rechts, Uebersetzung mit Zusätzen von K. Schulz, Jena 1875; M u t h er, Zur Geschichte der Rechtswissenschaft und der Universitäten in Deutschland, Jena 1876; Ott, Beiträge zur Rezeptionsgeschichte des römisch-kanonischen Prozesses in den böhmischen Ländern, Leipzig 1879; Stint zing, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, München u. Leipzig 1880, I 3 7 f f . ; L a b a n d , Ueber die Bedeutung der Rezeption des römischen Rechts für das deutsche Staatsrecht, Strafsburg 1880; Böhlau, Kr.V.Schr. Χ Χ Π Ι 525 ff., X X V I Iff.; F r a n k e n , Romanisten und Germanisten, Jena 1882; C. Wilmanns, Die Rezeption des römischen Rechts und die soziale Frage der Gegenwart, Berlin 1890; Schröder, R.G. § 66; Regelsberger, Pand. § 1. — Quellenstellen b. K r a u t , Grundr. § 13.

§ 2. Die Aufnahme

er fremden Rechte.

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wenig wie die Sprache durch die gleichzeitige Aufnahme zahlreicher antiker Lehnwörter ihr Deutschthum einbüfst, streift das Recht durch solche Entlehnungen seine germanische Eigenart ab 2 . Nach dem Zerfall des fränkischen Reiches scheidet sich die Entwicklung in den romanischen Ländern und in Deutschland. Dort wird die Sprache romanisch, das Recht bleibt germanisch. Fränkisches Recht gilt im gröfsten Theile Frankreichs, langobardisches in Italien fort. Aber daneben erhält sich, obwohl durch germanische Einflüsse mannichfach umgestaltet, das römische Recht und findet insbesondere an mehreren Stätten Italiens und in Südfrankreich eifrige Pflege. Von hier aus dringt das römische Recht langsam wieder vor, bis durch Verschmelzung in verschiedenen Mischungsverhältnissen ein romanisch-germanisches Recht entsteht. In Deutschland dagegen werden zunächst selbst die in der fränkischen Zeit aufgenommenen römisch-rechtlichen Elemente meist wieder abgestofsen, bis seit dem zwölften Jahrhundert von Neuem einzelne römische Sätze und Formen eindringen, ohne irgendwie den Gesammtcharakter des Rechtes zu verändern. Ganz anders die zweite Rezeption des römischen Rechtes in Deutschland, die Rezeption im eigentlichen Sinne, wie sie seit der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts sich vollzieht. 2. Wesen. Dieser Vorgang gleicht nicht mehr der Bereicherung einer Sprache durch noch so zahlreiche Fremdwörter, sondern der Annahme einer fremden Sprache mit Wortschatz, Grammatik und Syntax. Das römische Recht dringt in dem geschlossenen Gefüge, das es in der Justinianeischen Rechtssammlung empfangen hat, als organisches Ganze ein. Römischer Inhalt in römischer Form, ein grofser fremder Gedankenbau mit allen seinen Zusammenhängen wird nach Deutschland verpflanzt. Nicht Fortbildung, sondern Ersatz des heimischen Rechtes durch das fremde wird erstrebt Man lernt, römisch, man verlernt, deutsch zu denken. Hiermit aber ist notwendig zugleich die Verdrängung des Volksrechtes durch Juristenrecht gegeben. Träger des Rechtslebens wird ein gelehrter Berufsstand, dessen Bildung in fremden, dem Volke unzugänglichen Quellen wurzelt. 2 Man denke z. B. an die Entlehnung des römischen Urkundenwesens: die ursprünglich fremde Einrichtung wird in eignem Geiste fortgebildet und überall dem germanischen Rechtssystem organisch eingefugt, so dafs Rechtsinstitute von durchaus nationalem Gepräge, wie Urkundungsvertrag, traditio per cartam, Werthpapiere u. s. w., entstehen. Vgl. Brunner, Zur Rechtsgeschichte der römischen und germanischen Urkunde, Berlin 1880.

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tes Kapitel.

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des deutschen Privatrechts.

Dieser merkwürdige Prozefs steht in der Völkergeschichte einzig da. Er hat sich so nur in Deutschland mit Einschlufs der Niederlande vollzogen. Denn die romanischen Völker standen zum römischen Hechte von vornherein in einem anderen Verhältnis und nahmen es als ein Stück ihres nationalen Wesens langsam wieder auf. In den übrigen germanischen Ländern aber, in England, Skandinavien und auch dem gröfsten Theil der Schweiz, beschränkte man sich stets auf die Einfügung einzelner römischrechtlicher Elemente in das heimische Recht. Und wo hätte etwa sonst ein grofses Kulturvolk sein altangestammtes und reich ausgebildetes Recht weggeworfen wie ein abgetragenes Kleid, um dafür ein vor tausend Jahren abgeschlossenes, in fremder Sprache verfafstes, aus dem Geiste einer anderen Nation gebornes Gesetzeswerk als oberste Richtschnur seines Sinnens und Trachtens einzuführen? Die deutsche Rezeption war keine Reform, sondern eine Revolution. Ihre revolutionäre Bedeutung wird dadurch nicht gemindert, dafs sie sich in der Stille einschlich und, als sie dann wohl vorbereitet an das Licht trat, einen verhältnifsmäfsig leichten Sieg erfocht. 8. M i t t e l und Wege. Mancherlei Mittel und Wege waren es im Einzelnen, die einen solchen Erfolg ermöglichten. Immer wird man an ihrer Spitze die Idee des römischen Reiches deutscher Nation zu nennen haben. Für die mittelalterliche Phantasie stand es fest, dafs die deutschen Könige als römische Kaiser Nachfolger der Caesaren, mithin auch die Gesetze Justinians Gesetze eines Vorgängers im Reiche seien. Als daher die in Italien bereits von den Hohenstaufen so nachdrücklich verwerthete Vorstellung, dafs demgemäfs das Corpus juris civilis geltendes allgemeines Reichsrecht enthalte, später auch in Deutschland amtlich und nichtamtlich verbreitet wurde, traf sie auf gläubige Gemüther. Aber nicht blos das Reich, auch die Kirche war ja römisch. Zwar hatte der Satz, dafs die Kirche als Römerin nach römischem Rechte lebe, mit der Ausbildung des kanonischen Rechts seine Geltung verloren. Allein der römischrechtliche Grundstock war im kanonischen Rechte erhalten. Und je mehr die kirchliche Gerichtsbarkeit sich ausdehnte, wurden durch sie auch Laien in ein Stück römischer Gedanken« und Formenwelt eingeweiht. In immer wachsendem Umfange ergriff sodann die neue Wissenschaft des römischen Rechts, die von der Glossatorenschule zu Bologna geweckt war und allmählich ihren Siegeslauf durch Europa antrat, auch den deutschen Geist. Zahlreiche Deutsche zogen über die Alpen, um in den Hörsälen Bolognas und anderer welscher Universitäten

§ 2.

Die Aufnahme (1er fremden Rechte.

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den Legisten zu lauschen und womöglich den Doktorgrad zu erwerben. Auch wurden über ganz Deutschland die litterarischen Hülfsmittel des römischen Rechts verbreitet, unter denen namentlich die populärer gehaltenen Schriften mit den deutschen Rechtsbüchern in Wettbewerb traten 8. Als dann auch in Deutschland Universitäten aufblühten, wurde auf ihnen gleichfalls römisches Recht gelehrt, zunächst meist von Fremden und als dürftige Einleitung in das Studium des geistlichen Rechts, mehr und mehr auch von Deutschen und als selbständiger Wissenszweig, bis gegen das Ende des fünfzehnten Jahrhunderts die deutsche Civilistik in U. Zasius bereits einen den Italienern und Franzosen ebenbürtigen Vertreter hervorbringen konnte4. Dagegen war von irgend einer Pflege des heimischen Rechtes auf den deutschen Universitäten nicht die Rede. Machtvoll wirkte zu Gunsten des römischen Rechts die auf allen Lebensgebieten vordringende Strömung, die durch Wiederbelebung der Antike das Mittelalter zur modernen Welt umzugestalten trieb. Die Rezeption ist zuletzt nur ein Theilvorgang jener Bewegung, die in der Kunstgeschichte Renaissance, in der Kulturgeschichte Humanismus heifst. Schon als ein Stück des Alterthums hatte das römische Recht Anspruch auf bewundernde Hingabe und glühende Verehrung, wie sie allem Antiken gezollt wurde. Oft steigerte sich diese Werthschätzung bis zu der noch heute nicht ganz ausgestorbenen Anschauung, dafs im Corpus juris die ratio scripta, die für alle Zeiten und Völker bindende Offenbarung der Rechtsvernunft selbst überliefert sei. Zum Mindesten aber zweifelte man nicht, dafs das römische Recht dem Naturrechte näher stehe, als die Satzungen der eignen Vorfahren, auf die man bald als „barbarische" Gebräuche des „finsteren" Mittelalters bildungsstolz herabsah. Die romanistische Denkweise gewann in demselben Mafse Einfluis auf das wirkliche Leben, in dem die von ihr beherrschten gelehrten und halbgelehrten Juristen Einflufs auf die öffentlichen Angelegenheiten des Reiches und der Territorien gewannen. In angesehenen Beamtenstellungen, als kaiserliche und landesherrliche Räthe und städtische Syndiken hatten sie mannichfache Gelegenheit, ihren Gedanken Eingang in die Gesetzgebung, in die Verwaltung und endlich auch in die Rechtsprechung zu verschaffen. Vielfach wurden sie 3 Stintzing, Geschichte der populären Litteratur des römisch-kanonischen Rechts in Deutschland, Leipzig 1867. 4 Stintzing, Ulrich Zasius, Beitrag zur Geschichte der Rechtswissenschaft im Zeitalter der Reformation, Basel 1857.

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um Rechtsgutachten angegangen, denen sie dann das ihnen allein bekannte Recht zu Grunde legten. Oft wurden sie auch unmittelbar zur Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten berufen, indem in zahlreichen Fällen kraft ständiger Vereinbarungen oder besonderer Schiedsverträge anstatt der ordentlichen Gerichte Schiedsgerichte thätig wurden, die mehr und mehr nach dem Rath von Rechtsverständigen urtheilten oder gelehrte Beisitzer empfiengen. Diese Entwicklung wurde durch das Herabsinken der Schöffengerichte von ihrer einstigen Höhe und durch das erstarrende Formenwesen des Rechtsganges wesentlich gefördert. Den Schlufsstein bildete die Umgestaltung der ordentlichen Gerichte aus Volksgerichten in Gelehrtengerichte. Sie vollzog sich von oben nach unten. Entscheidend war vor Allem die Einrichtung des im Jahre 1495 begründeten Reichskammergerichts, das mindestens zur Hälfte mit Doktoren der Rechte besetzt sein sollte6 und unter des Reiches „gemeinem" Rechte, nach dem es zu urtheilen berufen war, stets in erster Linie das römische Recht verstand. Nach seinem Vorbilde wurden bald auch die fürstlichen Hofgerichte, in welche zum Theil schon früher gelehrte Beisitzer eingedrungen waren, und einzelne städtische Obergerichte umgebildet, während erst um Vieles später bei den unteren Gerichten die alte Verfassung beseitigt wurde. Soweit aber Lücken bestanden, füllte sie die Spruchpraxis der Juristenfakultäten aus, die sich mit Ausbildung der Aktenversendung als regelrechtes Glied in das Gerichtswesen einschob und die alten SchöfFenstühle und ihre Rechtsbelehrungen bei Seite drängte. 4. Innere Gründe. Alle diese äufseren Umstände machen den Verlauf der Rezeption, wie er sichtbar sich zugetragen hat, uns Nachlebenden erklärlich. Sie geben aber keine Antwort auf die Frage, warum, was geschah, geschehen mufste. Und doch wird jedes tiefere Verständnifs eines so gewaltigen Ereignisses davon abhängen, inwieweit es gelingt, einen Zipfel des Schleiers zu lüpfen, der unserem Auge die innere geschichtliche Notwendigkeit verhüllt. Die Rezeption fällt zeitlich mit dem Eintritte des deutschen Volkes in ein neues Weltalter zusammen. Kraft ihrer geistigen und wirthschaftlichen Entwicklung den bisherigen Daseinsformen entwachsen, schickte die Nation sich an, alle jene Wandlungen zu vollziehen, die B

R.K.G.O. von 1495 § 1. Die andere Hälfte der ürtheiler soll mindestens von ritterlicher Geburt sein. Schon nach der R.K.G.O. von 1521 aber sollen die adligen Beisitzer womöglich „auch der Recht gelehrt" sein, „sofern man die haben kann, vor anderen".

§ 2. Die Aufnahme

er fremden

echte.

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wir als Grenzzeichen zwischen Mittelalter und Neuzeit zu betrachten pflegen. Hierdurch war nothwendig auch eine grundsätzliche Aenderung ihres Rechtes bedingt. Statt der örtlichen und ständischen Sonderrechte bedurfte sie eines gemeinen und gleichen Rechts, statt des mittelalterlich gebundenen Rechts eines modernen und freien Rechts, statt des blofsen Volksrechts eines wissenschaftlichen Rechts. Nun aber hinderte der oben besprochene Zustand des nationalen Rechtes dessen Umbildung in der geforderten Art. Keineswegs freilich entbehrte das deutsche Recht der Kraft und Geschmeidigkeit, um aus sich selbst heraus jeden wünschenswerthen Fortschritt in moderner Richtung zu vollziehen. Ein Blick in die Geschichte mancher Stadtrechte, etwa des lübischen Rechts, gentigt zur Widerlegung einer derartigen Auffassung. Allein es fehlte die Möglichkeit, in einheitlicher und gleichmäfsiger Weise das deutsche Recht umzugestalten. Dagegen bot sich im römischen Recht ungesucht und unbemüht ein Recht dar, das allen Anforderungen des erwachenden neuen Geistes entsprach. Es war ein gemeines und gleiches Recht, das so, wie es in den Quellen vorlag, die enge Beschränktheit des ursprünglichen jus civile abgestreift und in hohem Mafse das Gepräge der Universalität angenommen hatte. Allen Sonderrechtsbildungen stand es ablehnend gegenüber, und von einer ständischen Gliederung wufste es nichts. Es war aber auch ein modernes und freies Recht, das den Standpunkt einer reifen, ja überreifen Kultur zum Ausdruck gebracht hatte. Strebte das Individuum nach Befreiung aus der mittelalterlichen Gebundenheit, so überflügelte der Individualismus des römischen Privatrechts noch sein kühnstes Sehnen. Umgekehrt fand der moderne Staat im römischen Rechte alles Rüstzeug vor, dessen er irgend bedurfte, um seine Souveränetät zu erkämpfen. Und wenn der Uebergang von der Naturalwirtschaft zur Geldwirthschaft vollendet, der Vorrang des Grundeigenthums gebrochen, die allgemeine Verkehrsfreiheit durchgeführt werden sollte, so war im Corpus juris civilis durchweg schon das letzte Ziel erreicht. Das römische Recht war endlich auch ein wissenschaftlich durchgebildetes Recht, mit dem zugleich eine bereits hochentwickelte und in der Beherrschung des Lebens erfahrene Rechtswissenschaft in Deutschland einzog. Trotzdem wäre es völlig undenkbar gewesen, das römische Recht, wie es in den Quellen geschrieben stand, den Deutschen des fünfzehnten oder sechszehnten Jahrhunderts aufzuerlegen. Das Recht eines durchaus fremden Volkes, das Recht einer greisenhaften Kultur, das Recht einer erstarrten Technik! Dieses Recht war für immer todt

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und liefs sich am wenigsten im Sturm und Drang jener Tage zu neuem Leben erwecken. Allein was in Deutschland aufgenommen wurde, war eben nicht das römische Recht, wie es geschrieben stand, war nicht das Recht Justinians und noch weniger das Recht der klassischen Juristen. Es war vielmehr das römische Recht italienischer Prägung, das römische Recht, wie es im Laufe der Jahrhunderte in der Werkstatt der Glossatoren und Postglossatoren zubereitet worden war. Das lebende italienische Recht wanderte über die Alpen6. Dieses Recht aber war nur halb römisch und antik, halb war es germanisch und mittelalterlich. In breiter Fülle hatte es germanische und mittelalterliche Gedanken, die ihm aus dem langobardischen Recht, den italienischen Statuten, dem kanonischen Recht und der Gesainmtanschauung der Zeit zuströmten, sich einverleibt. Meist freilich in der Form von Umdeutungen der Quellen. Aber das waren nicht zufällige Mifsverständnisse, sondern geschichtlich bedingte Irrthümer, die auf der inneren Notwendigkeit der Anpassung beruhten. Ohne sie wäre das Gesetzbuch Justinians niemals zu neuem Leben erstanden. Auch als daher die elegante Jurisprudenz ein besseres Quellenverständnifs lehrte, hielt die Praxis sich fort und fort an die Glosse und mehr noch an Bartolus und Baldus. 5. Kampf und Entscheidung. Nicht ganz ohne Kampf errang das fremde Recht den Sieg. In der die Tiefen der Volksseele erregenden Bewegung des Reformationszeitalters erhob sich ein volkstümlicher Widerstand gegen die Herrschaft der Rechtsgelehrten, gegen das Schreiberwesen und gegen die Mifsachtung der heimischen Gebräuche. In der Pfalz, in Bayern und Württemberg setzten sich die Landstände zur Wehr. Die Ritterschaft und zum Theil auch die Städte waren der Veränderung abgeneigt. Ulrich von Hutten griff die Juristen mit beifsendem Spotte an. Am heftigsten wandten sich die aufständischen Bauern gegen die Neuerung. Allein die Fürsten, die Gelehrten und die Staatsmänner schirmten das römische Recht. Als daher die volkstümliche Bewegung auf allen Punkten zurückgeschlagen und die Zukunft des nationalen Lebens in die Hand der Landesherrn und der Beamten gelegt war, da war auch der Sieg des römischen Rechts endgültig entschieden. Das Jahr 1525 drückte das Siegel auf die Entscheidung. II. Die Aufnahme des kanonischen Rechtes. Das kanonische Recht galt seit seiner Bildung so gut in Deutschland, β

Vgl. Sohm, Z. f. R.G. X I V 73 ff. u. Z. f. d. P. u. ö. R. d. G. I 258. — Α. M. Regelsberger I 11.

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wie in den anderen Gebieten der abendländischen Kirche. Allein es galt nur als geistliches Recht und konnte in das Landrecht nicht eingreifen 7. Als geistliches Recht behauptete es sich auch trotz des anfänglichen Widerspruches der Reformatoren in der evangelischen Kirche. Mit der Aufnahme des römischen Rechtes aber wurde das kanonische Recht zugleich als weltliches Recht in Deutschland rezipirt. Denn nunmehr wurde das Corpus juris canonis neben dem Corpus juris civilis als Quelle des gemeinen Rechtes anerkannt. Und zwar wurde ihm hierbei als jüngerer Rechtsquelle im Falle des Widerspruches der Vorrang zugetheilt. Sachlich lag darin eine Ermäfsigung der Rezeption. Denn wo das kanonische Recht in seinen privatrechtlichen Sätzen vom römischen Recht abweicht, beruht es fast durchweg auf germanischer Rechtsanschauung. III. Die Aufnahme des langobardischen Lehnrechts. Endlich wurde auch das langobardische Lehnrecht zum gemeinen Lehnrecht Deutschlands erhoben. Dem Umstände, dafe selbst der Deutungskunst der italienischen Juristen die Herleitung des gesammten Lehnrechts aus den römischen Quellen zu schwer fallen mufste, hatte es das unter dem Namen consuetudines oder liber feudorum verbreitete Lehnrechtsbuch zu verdanken gehabt, dafs es auch nach dem Untergange der langobardischen Rechtswissenschaft an italienischen Universitäten dem Studium zu Grunde gelegt und sogar als eine den Novellen angehängte Collatio décima mit dem Corpus juris civilis verbunden worden war. So kam dieses Werk der langobardischen Rechtsschule zusammen mit dem Gesetzbuch Justiniaus nach Deutschland und theilte dessen Schicksale. Inhaltlich war es germanisches Recht, jedoch in seiner zweiten Hälfte vom römischen Rechte berührt und überall bereits von einer romanistisch geschulten Wissenschaft umsponnen. § 3. Die neuere Zeit. I. Die nächsten Jahrhunderte nach der Rezeption. 1. Fortschritt der fremden Rechte. Die Rezeption war mit dem Augenblick, in dem sie theoretisch vollendet war, praktisch keineswegs abgeschlossen1. Nach der Theorie blieb freilich, da die 7

Sachsenspiegel I Art 3 § 3. Ueber den Gegensatz der „theoretischen" und „praktischen" Rezeption vgl. Bru η η er in v. Holtzendorffs Encykl. der Rechtswissensch. (5. Aufl.) S. 291 ff. 1

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Rezeption in complexu behauptet wurde, nichts mehr zu thun übrig. In Wirklichkeit aber war zunächst nur die Einführung eines geringen Theiles der fremden Rechtssätze ins deutsche Leben gelungen. Der Juristenstand strebte daher nach steter Erweiterung der Rezeption. Immer ausschliefslicher bemächtigte er sich unter Verdrängung der „Laien" durch Beamtenthum, Fakultäten und Gerichte der Herrschaft über das Rechtsleben ; immer massenhafter setzte er römischen Rechtsstoff in tatsächliche Wirksamkeit; immer schonungsloser preiste er auch den einheimischen Rechtsstoff in die blind verehrte römischrechtliche Schablone. So schritt in der That die Rezeption längere Zeit unaufhaltsam fort. Und zwar nahm sie hierbei ihren Weg von Süden nach Norden und von den Städten auf das platte Land. Doch beschränkte dieser Fortschritt der Entnationalisirung sich auf das Gebiet des Privatrechts. Im öffentlichen Recht wurde umgekehrt, obwohl auf die theoretische Rezeption nicht verzichtet wurde, der Versuch einer praktischen Einführung des römischen Rechtes wiederum aufgegeben2. Und auch im Privatrecht fehlte es keines9

Die allgemeinen Gedanken des römischen Staatsrechts übten freilich, wie sie die Rezeption selbst in erster Linie mitveranlafst hatten, auf die Ausbildung des modernen deutschen Staatsrechts fort und fort einen bestimmenden Einflufs aus. Allein gegen die im 16. Jahrhundert übliche unmittelbare Anwendung der Sätze des Corpus juris auf die einheimischen staatlichen Verhältnisse erklärten sich schon Scipio Gentiiis (1568—1616), De jurisdictione Ρ. Ι Π c. 21 (Opera, Neap. 1763—1769, I I I 290—291) und H. Y u l t e j u s , Comm. ad titulos Codicis de jurisdictione et foro comp., Francof. 1599, epist. dedicatoria. Lebhafter noch Ch. Β es old (1577—1638), De jurisdictione imperii Romani Discürsiis, ad praesentem reip. Germ, faciem accommodatus, Francof. 1616, Prooem., c. 1, c. 10, Diss, de statu Reip. mixtae c. 2 § 8, Diss, de praemiis, poenis et legibus c. 8—9 und sonst in seinem „Opus politicum" (er meint sogar, das Gesetzbuch Justinians sei „nunquam receptum instar legis, sed loco artis juris"). Vgl. ferner die Donauwörthische Information von 1611 8. 121 und Lehmann, Chronicon Spirense (1612) V I o. 31 (bei S t i n t z i n g , Gesch. der deutsch. Rechtsw. I I 179). Sodann besondere Joh. Limnaeus, Jus publicum imperii Rom.-Germ., ed. I I Arg. 1641, Tom. I epist dedic. d. a. 1628 und lib. I c. 3 und c. 11 n. 10, sowie Joh. Wurmser, Exercitationes academicae ex jure publico depromptae, Tub. 1631, ex. I X q. 1. Die entscheidenden Schläge endlich gegen die Herleitung des geltenden jus publicum aus dem Corpus juris führten einerseits auf historischer Grundlage H. Con ring (in der Praef. zu Tacitus, De moribus Germanorum, Heimst 1635, der Schrift De origine juris Germanici, Heimet 1643 und späteren Arbeiten, vgl. die HauptsteUen bei H. Schulze, Einl. in das deutsche Staatsr. S. 60 ff. und Stintzing a» a. Ο. S. 180 ff.), andrerseits vom politischen Gesichtspunkt aus H i p p o l i t h u e a Lapide, De ratione status in imperio nostro Romano-Germ anico, 1640 (bes. Proleg. 8. 1, 2, 5 u. 6, P. I c. 18 u. P. I I I concl.). — Ueber die seitdem zur Herrschaft gelangte Auffassung vgl. P ü t t e r , Inst jur. publ. Germ. § 22 (jus Romanorum in privatis

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wegs an Gegenständen, bei welchen denn doch theils wegen des Zusammenhangs mit dem öffentlichen Recht theils wegen der völligen Unvereinbarkeit mit den deutschen Sitten das anfängliche Bemühen, das römische Recht lebendig zu machen, als hoffnungslos eingestellt werden mufste 8. 2. Fortbestand des deutschen Privatrechts. Trotz aller Siege des fremden Rechts gieng das besiegte vaterländische Recht nicht unter. Vielmehr lebte es in dreierlei Gestalt kräftig fort und trieb sogar in der Zeit seiner tiefsten Erniedrigung frische Sprosse. a. Zunächst entbehrte das gemeine Recht nicht der deutschrechtlichen Bestandtheile. Dem Corpus juriR civilis giengen die deutschen Reichsgesetze vor, die immerhin in einigen Punkten nationales Privatrecht festhielten oder schufen. Ihm giengen aber unbestritten auch gemeindeutsche Gewohnheiten vor, die stets in weitem Umfange anerkannt wurden. Anfangs setzte man freilich auch in Deutschland das naive Verfahren der älteren Legisten fort, das für die eignen Bedürfnisse und Anschauungen Unentbehrliche in die Quellen hineinzulesen. Je besser aber das Quell en verständniis wurde, desto mehr brachte man sich die Abweichungen des geltenden gemeinen Rechts vom Justinianischen Recht zum Bewufstsein und stellte sie unter den technischen Begriff des usus modernus pandectarum oder „usus modernus juris Romani in foro Germanicoa. Dabei waltete nun freilich die sonderbare Vorstellung, als sei das so anerkannte heimische Recht, das in Wirklichkeit zum grofsen Theil uralter Herkunft war, erst kraft der Abschaffung des ursprünglich geltenden römischen Rechts durch jüngere Gewohnheit in Deutschland eingeführt worden. Gleich als hätte entweder schön in den Wäldern Germaniens das Corpus juris oder bis zur Erleuchtung der deutschen Köpfe durch die Juristen überhaupt kein Recht in Deutschland gegolten! Allein der usus modernus schützte doch deutschrechtliche Institute, bog die aufgenommenen römischrechtlichen Institute in deutschrechtlichem Sinne um und gewährte für die Entfaltung nationaler Rechtskeime zu Neubildungen Raum. b. Stärker noch war der deutschrechtliche Gehalt der Partik u l a r r e c h t e , die in jedem Theile dee Reiches fortbestanden. Sie hatten, da nach einem unbestrittenen Satze der Theorie das gemeine quidem rebus auctoritate legum tum imperii tum territorialium in vim juris subeidiarii firmatum, in publico autem jure post agnitum errorem nunc merito derelictum), Litteratur des deut. Staatsr. I § 15-20, Beiträge I I 30 ff. 8 So z. B. das römische Sklavenrecht, die Pekulien, die Stipulation. B i n d i n g , Handbuch.

I I . 3. I :

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Recht nur subsidiär galt, an sich einen unbedingten Vorrang vor dem römischen Rechte. Hätte die Praxis der Theorie entsprochen, so hätte das römische Recht den gröfsten Theil seiner Zerstörungsarbeit am deutschen Rechte überhaupt nicht vollbringen können. Allein man wufste in der Praxis die Regel in die Ausnahme zu verkehren. Da nur das gemeine Recht als ein des wissenschaftlichen Studiums würdiger Gegenstand erschien, blieben die Partikularrechte den gelehrten Richtern meist unbekannt und fremdartig. Man bildete daher ein System von Vermuthungen aus, die das Gericht von der Pflicht amtlicher Erforschung der Partikularrechte entbanden und der Partei, die sich auf einen vom gemeinen Rechte abweichenden Rechtssatz berief, den Beweis seines Daseins auferlegten 4. War aber auch ein solcher Beweis geführt, so war die Anwendung des deutschen Land- oder Stadtrechts noch keineswegs gesichert. Denn wenn es Gewohnheitsrecht war, so konnte es als vernunftwidrig abgewiesen werden6. Wenn es aber geschriebenes Recht war, so liefs es sich kraft der mehr und mehr anerkannten Regel, dafs „Statute" streng und in möglichstem Einklang mit dem gemeinen Recht auszulegen seien, ganz oder theilweise wegdeuten6. Vor Allem tritt diese Mifsgunst gegen die Partikularrechte in der Praxis des Reichskammergerichtes zu Tage, dessen Urtheiler zwar geschworen hatten, „nach des Reychs und gemainen Rechten, auch nach redlichen, erbaren und leydlichen Ordnungen, Statuten und Gewonhayten der Fürstenthuinb, Herrschaften und Gericht, die für sie bracht werden", zu richten, aber schon in dieser Eidesformel einen Anhalt für eine durchaus nebensächliche Behandlung der Partikularrechte fanden. Um so wichtiger war es, dafs wenigstens in Einem Gebiete dem Partikularrecht dadurch eine gewisse Ebenbürtigkeit mit dem Reichsrecht erkämpft wurde, dafs hier über den einzelnen Land- und Stadtrechten das althergebrachte Stammesrecht als geschlossene Einheit anerkannt blieb und wissenschaftlicher Pflege und Fortbildung gewürdigt wurde. Dies geschah in den Ländern sächsischen Rechtes, in denen auf Grundlage des Sachsenspiegels und seiner Glosse unter den Händen der gelehrten Juristen das „gemeine Sachsenrecht" (jus commune Saxonicum) erwuchs und den Vorrang vor dem gemeinen römischen Rechte behauptete. Mufste sich hierbei auch das echte Sachsenrecht so manche romanistische Entstellung gefallen lassen, so war doch 4 6 6

Vgl. unten § 5 Anm. 12. Vgl. unten § 20 Anm. 40—41. Vgl. unten § 5 Anm. 16.

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die Leistung der sächsischen Jurisprudenz fUr die Erhaltung des vaterländischen Rechtes überhaupt von unermefslichem Werth. Eine Zeit lang fielen sogar für die Juristen die Gegensätze „ deutsches und römisches" und „sächsisches und gemeines" Recht fast zusammen7. c. Unverfälscht endlich erhielt sich deutsches Recht in den volksthümlichen Satzungen und Gebräuchen, nach denen sich fort und fort das Leben in den engsten Verbänden richtete. In Genossenschaften aller Art, in Gilden und Zünften wurde die alte Überlieferung fortgepflanzt. Am zähesten hielt das Landvolk am Hergebrachten fest, so dafs in den ländlichen Weisthümern noch Jahrhunderte lang stets von Neuem uraltes Germanenrecht verkündet wird, gleich als sei über diesen Boden niemals der Sturm der grofsen deutschen Rechtsumwälzung dahingebraust. Die Juristen freilich erkannten dieses Volksrecht überhaupt kaum als Recht an und blickten namentlich auf die „Possen" der Handwerker und Bauern mit vornehmem Spott herab8. Und allmählich muiste bei solcher Mifsachtung auch das lebensvollste Recht sich entweder zur blofsen Sitte verflüchtigen oder ins Enge und Formelhafte entarten. Allein gleichwohl erfüllten diese oft unscheinbaren Reste des Volksrechtes den Beruf, manchen deutschen Rechtsgedanken in geschütztem Bezirke treulich zu hegen, bis die Zeit für seine freiere Wiederentfaltung gekommen war. 3. Verhältnifs zwischen fremdem und deutschem Recht. Nachdem der Juristenstand die Herrschaft über das Rechtsleben erobert hatte, waltete zwischen dem thronenden römischen Recht und dem geduldeten heimischen Recht an der Oberfläche ungestörter Friede. In der Tiefe ruhte niemals der stille Kampf, in dem das nationale Recht Kräfte zur Wiedererhebung sammelte. Aeufserlich bahnte sich die Verschmelzung beider Rechte an. Im gemeinen Recht arbeiteten Doktrin und Praxis, in den Partikular7

Man denke z. B. an die Bezeichnung der deutschrechtlichen Beendigung der väterlichen Gewalt durch abgesonderten Haushalt als „emancipatio Saxonica". Insbesondere wurden auch im Lehnrecht langobardisches und deutsches Hecht als jus commune und jus Saxonicum einander gegenübergestellt. 8 Vgl. hinsichtlich der Weisthümer des Landvolks Gierke, Der Humor im deut. Recht (2. Aufl. Berlin 1886) S. 79—80, hinsichtlich des Handwerkerrechts Gierke, Das deut. Genossenschafter. I 942—943. Auch in den Lehrbüchern des deutschen Privatrechts fehlt im vorigen Jahrhundert selten eine spöttische Bemerkung über die Zunftgebräuche; Selchow, El. jur. Germ. priv. hod. §331— 334, behandelt sie nur kurz, weil sie „nimis sunt puerilia absurdaque, quam quae hoc loco proferri mereantur"; Pütt er, El. jur. Germ. priv. § 201, schliefst sie ganz aus, weil der Rechtsgelehrte sich mit würdigeren Dingen zu beschäftigen habe und es genüge, wenn sich daran die Weisheit der Handwerker selbst ergötze. 2*

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rechten auch die Gesetzgebung an diesem Werke. Ueberall wurden Sätze römischer und deutscher Herkunft mit einander verbunden und hierbei so weit einander angeglichen, dafs sie sich nothdürftig zum Ganzen zusammenfügten. Innerlich blieb der Zwiespalt unversöhnt, ja er verschärfte sich noch seit dem dreifsigjährigen Kriege. Denn trotz seiner deutschrechtlichen Bestandtheile blieb dieses ganze offizielle Juristenrecht, wie es in lateinischer Sprache aus Lehrvorträgen und Büchern herüberscholl und durch ein vielgliedriges Schreibewesen in Gerichtsund Kanzleistuben sich in das tägliche Brot der Gerechtigkeit umsetzte, dem Volke ein fremdes Recht. Fremd seinem Verständnifs, fremd seiner Gedankenwelt, fremd seinem Rechtsgefühl! Das Recht dagegen, das der gemeine Mann als wirkliches Recht, als sein Recht kannte und empfand, — dieses in Form und Geist nationale Volksrecht, das unaustilgbar an der deutschen Erde haftete, — es war für den gelehrten Richter nicht in der Welt. JI. Die Wiedererstehung des deutschen Rechtes im achtzehnten Jahrhundert. Langsam vorbereitet, entfaltete sich und wuchs im 18. Jahrhundert eine Bewegung, die als Renaissance des deutschen Rechtes bezeichnet werden kann. Vornehmlich waren es drei neue Mächte, die in dieser Richtung eingriffen. 1. Die germanistische Rechtswissenschaft. Vor Allem besann sich die deutsche Jurisprudenz auf ihre Zugehörigkeit zum deutschen Volk. Nachdem Hermann Coming die deutsche Rechtsgeschichte begründet und für immer die Fabeln über die Rezeption zerstört hatte, rückte plötzlich auch der Zustand des geltenden Rechtes in ein ganz anderes Licht. Auf allen Gebieten suchte man nun mit jugendlichem Eifer die vom römischen Recht verschonten Stücke des nationalen Rechtes zu sammeln und zu ordnen. Eine selbständige Wissenschaft des deutschen Privatrechts entstand. Sie bereicherte in auiserordentlichem Mafse den in den Kreis wissenschaftlicher Pflege gezogenen Rechtsstoff, sie wandte sich den lange vernachlässigten Partikularrechten und Sonderrechten zu, sie würdigte von Neuem die volkstümlichen Anschauungen und Gebräuche der Beachtung. Hier und da wagte sie sogar, obschon nur schüchtern, dem romanistischen Dogma eigne nationale Rechtsbegriffe entgegenzustellen. Lebhaft kämpfte sie für die volle Ebenbürtigkeit des deutschen Privatrechts mit dem römischen Recht. Der Versuch freilich, die herrschende Lehre von der Rezeption in complexu zu entthronen und umgekehrt eine Vermuthung für den Fortbestand des deutschen Rechts bis zum Beweise seiner Verdrängung durch römisches Recht einzuführen, hatte keinen dauern-

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den Erfolg 9. Allein allgemein drang doch die Anschauung durch, dai's das geltende Recht seine Wurzeln nicht blos in Rom, sondern auch im vaterländischen Boden habe. Auch die romanistische Rechtswissenschaft verhielt sich gegen die jüngere Schwester nur zum Theil ablehnend. Meist nahm sie den neuen Stoff willig auf, ja mehr und mehr wurde sie selbst von einem stark germanistischen Zuge ergriffen. 2. Das Naturrecht. Einen starken Bundesgenossen gewann wenigstens zeitweise das deutsche Recht im Naturrecht 10, das zwar schon im 17. Jahrhundert sein System vollendet hatte, aber nun erst sich anschickte, auch im Privatrecht das positive Recht zu tiberfluthen. Das Naturrecht wandte sich freilich gegen manches vom Mittelalter ererbte heimische Recht, gieng jedoch noch heftiger dem römischen Recht zu Leibe. Bei seinem eignen Vernunftrechtsbau bevorzugte es oft mit Bewufstsein die „einfacheren" und „billigeren" Sätze des ursprünglichen deutschen Rechts vor den römischen „Subtilitäten" n . Vor Allem aber brachte es unbewulst germanische Rechtsgedanken, die ihm das Volks- und Zeitbewufstsein als Offenbarungen der reinen Vernunft vortäuschte, in verjüngter Gestalt zur Herrschaft 12. Auch wirkte es für die Wiedererhebung der Volkssprache zur Rechtssprache. 3. Die grofsen Gesetzbücher. Die nationale und die naturrechtliche Strömung vereinigten sich in dem Drange nach Kodifikation. Man verlangte ein in deutscher Sprache verfafstes, für Jedermann verständliches, alle Zweifel und Streitfragen abschneidendes Gesetzbuch, das der Herrschaft des Corpus juris und der Unsicherheit 9

Vgl. unten § 5 Anm. 9. G i e r k e , Naturrecht und deutsches Recht, Frankfurt 1882. 11 Am entschiedensten Thomasius, Fundamenta juris naturae et gentium, Hai. et Lips. 1705, H I c. 10 § 9—11, Anmerk. zu Osses Testament und in zahlreichen Dissertationen, z. B. De jurisd. et magistr. differ, sec. mor. Germ. (1703) § 5 if., De origine successions testam. (1705), De usu practico tituli inst, de patr. pot (1712), An legum juris Just, sit frequens an exiguus usus practicus in foris Germ. (1715). Aehnlichen Anschauungen geben J. H. Böhmer, Heineccius u. A. Ausdruck. 18 Es tor, Bürgerl. Rechtsgelehrsamkeit der Teutschen, Marburg 1757 ff., I I I § 1 u. 3, hält sogar zum Nachweis der Existenz des deutschen Privatrechts die Widerlegung einer Ansicht fur nöthig, nach der „das teutsche bürgerliche Recht nichts anderes wäre als das blofse Natur- oder Vernunftrecht". Und oft wird von germanistischer Seite betont, dafs das deutsche Recht mit dem Naturrecht mehr übereinstimme als das römische Recht; vgl. z. B. P ü t t er, El. iur. Germ. § 189, 190, 192, 193. 10

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des gemeinen Rechts ein Ende machen sollte18. An ein allgemeines deutsches Gesetzbuch liefs sich im Ernst nicht denken. So giengen die gröfseren Einzelstaaten ans Werk. Nach langen Bemühungen kamen in Preufsen und Oesterreich Gesetzbücher zu Stande, die das gemeine Recht abschafften und an dessen Stelle ein neues Recht setzten, in dem fremdes und einheimisches Recht unter naturrechtlichen Einflüssen zu einem Ganzen verschmolzen war. Dazu trat in Folge der politischen Ereignisse für einen Theil Deutschlands das in vieler Hinsicht an germanischen Bestandteilen noch reichere französische Gesetzbuch. Freilich gieng damit die wichtigste Errungenschaft der Rezeption, die deutsche Rechtseinheit, wiederum verloren. Hatte schon vorher die Kräftigung der Partikularrechte das einigende Band des gemeinen Rechts vielfach gelockert, so zerfiel nunmehr Deutschland in mehrere vollkommen getrennte Rechtsgebiete. Mit dem Untergange des alten Reiches und der Verwandlung der überlebenden Territorien in souveräne Staaten war die Gefahr der dauernden Zerreifsung gesteigert. III. Die Entwicklung des neunzehnten Jahrhunderts. Der Aufschwung des deutschen Geistes in den Freiheitskriegen gab ailch dem nationalen Rechtsleben neue Impulse. Zwei hohen Zielen strebte seitdem die Nation im Recht wie im Staat unablässig zu: Einheit und Deutschthum. 1. Der Ruf nach Rechtseinheit erscholl gleich nach der Vertreibung der Fremden. Mit beredten Worten erhob vor Allem Thibaut die Forderung eines bürgerlichen Gesetzbuches für Deutschland. Ihm schleuderte Savigny jene berühmte Schrift entgegen, die das Programm der historischen Rechtsschule wurde 14. Durch die Widerlegung der Grundirrthümer des Naturrechts und die Begründung der geschichtlichen Rechtsansicht hat diese Schrift für die Wissenschaft Unvergängliches geleistet. Aber auch für das Leben hat sie ewig beherzigenswerte Winke gegeben, indem sie die Schattenseiten jeder Kodifikation aufdeckte und gegenüber rationalistischer Gesetzes18 Vgl. Stobbe, Geschichte der deutschen Rechtsquellen I I 426ff.; Baron, Franz Hotmanns Antitribonian, ein Beitrag zu den Kodifikationsbestrebungen vom XVI. bis zum XVIII. Jahrhundert, Bern 1888 (bes. S. X X V I sq. über die Vorschläge von Conring, L e i b n i t z , Burchard u. E. J. Weetphal); Behrend in v. Holtzendorffs Encykl. I 390 ff. 14 T h i b a u t , Ueber die Notwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland, Heidelberg 1814. v. Savigny, Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung u. Rechtswissenschaft, Heidelberg 1814. — Vgl. Ε. I. Bekker, Ueber den Streit der historischen und derfilosofischen Rechtsschule, Heidelberg 1888.

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macherei den unvergleichlichen Werth des geschichtlich gewordenen Rechts beleuchtete. Nur schofs sie weit über das Ziel. Sie verkannte die geschichtliche Bedeutung der That und muthete gewisser« mafsen dem lebenden Geschlechte einen Verzicht auf die Befugnifs zu, gleich allen früheren Geschlechtern Geschichte zu machen. Wenn daher auch zunächst im Zusammenhange mit der Entwicklung der politischen Zustände der Widerstand gegen ein deutsches Gesetzbuch Erfolg hatte, so liefs sich doch weder unsere Zeit den Beruf zur Gesetzgebung noch unser Volk das Begehren nach Rechtseinheit wegdisputiren. In den einzelnen deutschen Staaten wurde massenhaftes Gesetzesrecht hervorgebracht und auch eine Kodifikation des ganzen Privatrechts mehrfach angestrebt und in Einem Staate (Königreich Sachsen) schliefslich erreicht. Immer aber blieb der Drang nach einem einheitlichen deutschen Recht so mächtig, dafs schon vor der Neubegründung des deutschen Staates eine gemeinschaftliche Wechselordnung und ein gemeinschaftliches Handelsgesetzbuch zu Stande kamen. Als dann das grofse Interregnum beendigt war, schufen der Norddeutsche Bund und das Deutsche Reich alsbald auf zahlreichen Gebieten ein einheitliches Recht und in erheblichem Umfange auch ein einheitliches Privatrecht Das Deutsche Reich aber nahm sofort nach der im Jahre 1873 erfolgten Erweiterung seiner Zuständigkeit die in allen Jahrhunderten deutscher Geschichte noch niemals gelöste Aufgabe in die Hand, ein deutsches bürgerliches Gesetzbuch herzustellen. Ehe das Jahrhundert zur Neige geht, wird nach menschlichem Dafürhalten das Werk vollbracht und damit auch im Privatrecht, so mancherlei Gegenstände auch dem Landesrecht vorbehalten bleiben sollen, in der Hauptsache die Einheit verwirklicht sein. 2. Das andere Ziel aber, das unser Volk seit der Wiederbesinnung auf sein Volksthum auch im Recht sich stecken mufste, war Deutschthum. Und in der That hat der nationale Gedanke im Laute des Jahrhunderts auf das Privatrecht wie auf alles Recht umgestaltend eingewirkt. Mit der Zurückverlegung des Staates in das Volk und der Wiederbetheiligung von Laien am Rechtsleben in Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung wurde die Alleinherrschaft des Juristenrechts erschüttert. Das Recht mufste wiederum eine volksthümliche Grundlage suchen, die es nur finden konnte, wenn es sich in Form und Inhalt dem heimischen Wesen näherte. Noch freilich hat sich der klaffende Spalt zwischen unserem am fremden Recht geschulten juristischen Denken und dem führerlosen Rechtsbewufstsein des Volkes nicht geschlossen. Dennoch lehrt ein vergleichender Rückblick, dafs Manches

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gebessert, dais den Organen des Rechtes die innere Empfindung der Volksseele und dem Volke das geltende Recht wieder vertrauter geworden ist. In grofsem Umfange hat die Gesetzgebung modernes Recht gestaltet, das seine beste Kraft aus wiedergebornen vaterländischen Rechtsgedanken schöpft. Oft freilich ist sie zögernd und unsicher tastend vorgegangen, oft hat sie sogar den heimischen Trieb durch Einpressung in fremdartige Formen verkrüppelt. Wo sie aber muthig und frei den germanischen Rechtsgedanken entfaltet hat, erblüht das neue Recht in jugendlicher Lebensfülle. Tief griff die Rechtswissenschaft seit ihrer Erneuerung durch die geschichtliche Weltansicht in die Bewegung ein. Indem sie den Zusammenhang des Rechtes mit allen anderen Seiten des Volkslebens aufdeckte, wies sie die Nation darauf hin, in ihrem eignen inneren und äufseren Sein das Richtmafs ihrer Rechtsbildung zu suchen. Allein gerade im Privatrecht wurde die Jurisprudenz durch die Vertiefung der historischen Forschung in Bahnen gedrängt, auf denen sie in seltsamer Verkehrung ihrer Grundlehren zunächst sich weiter als je vom Ziele des nationalen Rechts entfernte. Ihre Spaltung in romanistische und germanistische Wissenschaft bestand fort und hat sich ja bis heute als unvermeidlich bewährt. Der Gegensatz aber zwischen beiden Zweigen der Privatrechtslehre gewann mit der Versenkung in die geschichtliche Eigenart der beiden Weltrechte nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch an Schärfe. Die von Savigny geführte romanistische Schule stellte das reine römische Recht, das sie unter dein Schutt der Jahrhunderte hervorgrub, von Neuem in den Mittelpunkt des Rechtslebens der Gegenwart. Gleich als habe Alles, was sie über den Volksgeist als Schöpfer des Rechts zu predigen fortfuhr, für jedes Volk mit Ausnahme des eignen Volkes Geltung, erstrebte sie die Beseitigung des usus modernus und forderte die Anwendung des römischen Rechtes, wie es geschrieben stand. Die Praxis gab vielfach nach und vollzog so in unseren Tagen eine neue Rezeption. Von germanistischer Seite wurde das echte deutsche Recht mehr und mehr enthüllt und im Kampfe gegen den Romanismus auf den Schild gehoben. Doch verwechselten auch die Germanisten oft die mittelalterliche Erscheinungsform des deutschen Rechts mit dessen unvergänglichem Gehalt, verkannten die geschichtliche Berechtigung der vom römischen Recht geförderten Wandlungen und versäumten insbesondere über der rechtshistorischen Forschung die dogmatische Arbeit, deren es bedurft hätte, um dem Geiste des deutschen Privatrechts eine dem Einflufs des Pandektenrechts gewachsene Macht über das juristische

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Denken zu erringen. Erst allmählich hat sich eine Verständigung angebahnt. In der Theorie herrscht heute Einigkeit, dafe das Ziel ein in sich geschlossenes nationales Recht sein mufs, in dem das ursprünglich Fremde nur soweit, als es uns ganz zu eigen geworden ist, das ursprünglich Deutsche nur soweit, als es noch lebensfähig ist, Raum hat. Aber solange Romanisten und Germanisten getrennt marschiren, wird naturgemäfs bei allem Streben nach Unbefangenheit ihr Werthurtheil im Einzelnen ungleich ausfallen. Noch heute vermag oft, wo der Romanist eine von den Römern entdeckte ewige Rechtswahrheit zu besitzen glaubt, der Germanist nur eine einseitige Formulirung des individualistisch-kapitalistischen Standpunktes zu erkennen. Und wo der Germanist von einem unverlierbaren deutschen Rechtsgedanken redet, der nicht erstickt werden könne, so lange die deutsche Zunge klingt, wittert mancher Romanist nur eine unklare Mischung von romantischer Vorliebe für mittelalterliche Gebundenheit und schwärmerischer Begeisterung für ein noch ungebornes sociales Zukunftsrecht. In dem Entwürfe eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich ist das nationale Recht nicht zu der ihm gebührenden Geltung gelangt. Wäre er so, wie er zuerst veröffentlicht worden war, zum Gesetzbuche erhoben worden, — ein mehr römisch als deutsch gedachtes, nach Form und Inhalt unvolksthümliches und doktrinäres Werk, das fast nur ein in Paragraphen gegossenes Pandektenkompendiam darstellte, — so hätte in der schicksalsvollen Geschichte des deutschen Privatrechts der Tag der endlich errungenen Einheit eine nationale Niederlage bedeutet, die schwerer zu verwinden gewesen wäre, als selbst die Rezeption. Die zweite Lesung hat, soweit sie gediehen ist, manche Verbesserung gebracht. Allein der Entwurf wird eine weit gründlichere Umgestaltung erfahren müssen, wenn er wirklich unserem Volke ein Recht bieten soll, das nicht blos einheitlich, sondern deutsch ist!

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Zweites Kapitel. Begriff und Bedeutung des deutschen Privatrechts.

Zweites Kapitel. Begriff und Bedeutung des deutschen Privatrechts. § 4.

P r i v a t r e c h t und öffentliches Recht 1 .

I. Begriffliches. Um den Begriff des deutschen Privatrechts zu finden, bedarf es zunächst der Grenzziehung zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht. Im Wesen des Menschen ist, wie das Recht selbst, so dessen Gabelung in Individualrecht und Sozialrecht angelegt. Denn der Mensch ist zugleich als Individuum eine sich selbst zugekehrte Einheit und als Gesellschaftswesen Theil eines vielgliedrigen Ganzen. Denkbar freilich ist, dafs das Recht, wie das Naturrecht träumte, nur Individualrecht oder, wie der Sozialismus begehrt, nur Sozialrecht wäre. Allein in jedem dieser Fälle wäre die Kultur, — dort durch Auflösung, hier durch Erstarrung, — mit dem Untergange bedroht Will das Recht seine Kulturaufgabe lösen, so mufs es beiden Aeufserungsformen des menschlichen Daseins gesonderte Bereiche zutheilen und zwischen ihnen ein Gleichgewicht herstellen. Individualrecht ist das Recht, insoweit es die menschlichen Willensträger als Einzelwesen zu einander in Beziehungen setzt. Das Individualrecht behandelt daher vor Allem die einzelnen Menschen als in sich abgeschlossene Einheiten. Es ergreift aber auch die menschlichen Verbände, wenn und soweit es dieselben als zusammengesetzte Einheiten den Individuen gleichstellt. Das Individualrecht beruht auf dem Verhältnifs der Nebenordnung und geht von der Unverbundenheit der Subjekte aus. Sozial recht ist das Recht, insoweit es die Beziehungen der menschlichen Willensträger als Gesellschaftswesen ordnet. Das Sozialrecht behandelt die einzelnen Menschen als Glieder von höheren Ganzen, die menschlichen Verbände als gesellschaftliche Ganze (Gemeinwesen) oder wiederum als Glieder von höheren Verbandsganzen. Es beruht auf dem Verhältnifs der Einordnung (Ueber- und Unterordnung) und geht von der Verbundenheit der Subjekte aus. 1

T h o n , Hechtsnorm und subjektives Recht S. 108 ff.; B i e r l i n g , Zur Kritik der juristischen Grundbegriffe I I 150 ff.; W a c h , Handbuch des deutschen Civilprozefsrechts I § 8; H ä n e l , Deutsches Staatsrecht I 153 ff.; J e l l i n e k , Das System der subjektiven öffentlichen Rechte, Freiburg 1892, S. 50 ff.; Ρ faff u. Hofmann, Komm. I 118 ff.; Regelsberger, Pand. I § 28 u. 49.

§ 4.

Privatrecht und öffentliches Hecht.

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Nach römischer Vorstellung deckt sich der Gegensatz von Individualrecht und Sozialrecht mit der Eintheilung des Rechtes in jus privatum und publicum. Jenes ist das Recht der singuli, dieses das Recht des populus Romanus. Da die Gesellschaft im Rechtssinne mit dem Staat zusammenfällt, giebt es kein Privatrecht, das nicht Individualrecht, und kein Sozialrecht, das nicht Staatsrecht wäre. Anders verhält es sich mit der heutigen Unterscheidung von Privatrecht und öffentlichem Recht. Nach germanischer und moderner Rechtsanschauung erschöpft sich die Gesellschaft nicht im Staat, sondern kommt zugleich in einer Fülle andersgearteter Gemeinschaften mit eignem Lebenszweck zur Erscheinung: in der Familie, in der Kirche, in der Gemeinde, in der Genossenschaft, in der internationalen Gemeinschaft. Es giebt also unendlich viel Sozialrecht, das nicht Staatsrecht ist. Der Staat aber als souveräner Verband weist diesem Sozialrecht je nach dem Werthe, den er dem dadurch geregelten Gemeinleben für sein eignes Leben beimifst, eine ungleiche Stellung zu, indem er es zum Theil mit gleichen oder ähnlichen Machtmitteln wie das Staatsrecht ausrüstet, zum andern Theil dagegen mit keiner höheren Autorität als das Individualrecht bekleidet. So ergiebt sich eine rein positive Grenzziehung zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht, die das Sozialrecht in der Mitte durchschneidet2. Privatrecht ist heute alles Individualrecht und aufserdem dasjenige Sozialrecht, das nicht durch einen staatsrechtlichen Satz dem öffentlichen Recht einverleibt ist; somit auch das Familienrecht, das Gesellschaftsrecht und das Körperschaftsrecht der privaten Verbände. Oeffentliches Recht ist alles Staatsrecht, d. h. alles Recht, das den Staat als Ganzes und die einzelnen Menschen sowie die übrigen Verbände als Staatsglieder betrifft, und aufserdem dasjenige Sozialrecht, welches wegen der Beschaffenheit der von ihm geordneten Gemeinschaft als öffentlich anerkannt ist ; somit auch das Kirchenrecht, das Gemeinderecht, das Recht der öffentlichen Genossenschaften und das Völkerrecht. II. Geschichtliche Ausgestaltung. 1. Römische. Die Römer sahen vor Allem den Gegensatz zwischen ben beiden Rechtshälften, stellten die Scheidung von jus privatum und jus publicum an die Eingangspforte ihrer Rechtsgeschichte und führten sie nicht ohne Schroffheit durch8. Indem sie das Vermögens- und Familienrecht auf die Selbstherrlichkeit des pater2 8

Die nähere Ausfuhrung s. bei Gierke, Genossenschaftstheorie S. 155 ff. G i e r k e , Deut. Genossenschaftsrecht I I I 35 ff.

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familias gründeten, schufen sie das erste wahre und volle, für den Staat selbst unantastbare Privatrecht. Aber unaustilgbar haftete diesem Privatrecht ein einseitig individualistischer Grundzug an, der zur Ausprägung der Souveränetät des Einzelwillens in abstrakter Freiheit und schrankenloser Befuguifs trieb und auch durch die sozialere Gesetzgebung der späteren Kaiserzeit nur gemildert, nicht verlöscht wurde. Das römische jus publicum dagegen hatte seinen alleinigen Träger in der souveränen Volksgesammtheit und ihrem kaiserlichen Erben und entbehrte stets, da es als ausschliefsliches Herrschaftsgebiet eines einzigen Allgemeinwillens keinen Raum für eine durch Gerichtsschutz verbürgte Gegenseitigkeit bot, der Merkmale eines wahren und vollen Rechts. 2. Germanische. Die Germanen sahen ursprünglich nur die Einheit alles Rechts und versäumten jede begriffliche Sonderung von Privatrecht und öffentlichem Recht4. Sie kannten lediglich ein einartiges Recht, das alle menschlichen Verhältnisse von den nachbarlichen Verkehrsbeziehungen bis hinauf zu dem Treuband zwischen König· und Volk in gleicher Weise umspannte5. Dieses Recht aber war durchweg wahres und volles Recht, auf Gegenseitigkeit gegründet und des Gerichtsschutzes fähig. Ein bedeutungsvoller weltgeschichtlicher Fortschritt war in dieser Allgewalt der germanischen Rechtsidee beschlossen. Doch mufste er mit den Unvollkommenheiten erkauft werden, welche die unlösliche Vermischung von Privatrecht und öffentlichem Recht auf lange Zeit hinaus bedingte. Das P r i v a t r e c h t blieb während des ganzen Mittelalters durch öffentlichrechtliche Elemente gebunden und entfaltete sich an keinem einzigen Punkte zu reinem und freiem Individualrecht. So durchdrang alle Institutionen des Personenrechts und des Vermögensrechts, insbesondere das Recht des Grundbesitzes und das Erbrecht, ein sozialer Geist. Allein das Individuum war in ein Netz von gesellschaftlichen Fesseln verstrickt, welche die Entwicklung der freien Einzelpersönlichkeit hemmten. Das öffentliche Recht blieb mit privatrechtlichen Elementen durchmischt und erhob sich nirgends zu einer allem Individuellen und Zufälligen entrückten gesellschaftlichen Ordnung. In wachsendem Mafse vielmehr gieng es in die Formen des Individualrechts und insbesondere des Vermögensrechtes ein, bis die sozialen Funktionen jeder Art zu „patrimonialen" Rechten umgebildet und öffentliche Gewalten, 4 5

Gierke, Deut. Genossenschaftsrecht I I § 7. Man denke nur an den Eingang und Fortgang des Sachsenspiegels!

§ 4. Privatrecht und öffentliches

echt

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Gerichtsbarkeiten, Aemter, Gewerbebefugnisse u. s. w. als Vermögensstücke besessen, vererbt, veräufsert, verpfändet, getheilt wurden. So ergofs sich auch durch die Ordnung des Gemeinlebens alle Kraft und Fülle der Rechtsidee. Allein unentwickelt und machtlos blieb die Staatsidee. Denn diese Verstrickung in Individualrecht hemmte die Ausbildung der souveränen Gesammtpersönlichkeit. 3. Moderne. Im Laufe der Zeit ist mit der Befreiung des Individuums und mit der Erhöhung des Staats auch bei uns die begriffliche Sonderung von Privatrecht und öffentlichem Recht durchgeführt worden. In den mittelalterlichen Städten vorbereitete, jedoch nicht ohne die starke Beihülfe des römischen Rechts verallgemeinert und vollendet, bildet diese Sonderung heute einen Grundpfeiler der Rechtsordnung. Wenn aber in der Zeit der Uebermacht des fremden Rechts bei uns (anders wie in England) über dem Gegensatze nunmehr die Einheit des Rechts fast verloren gieng, so hat seit der Wiedergeburt des nationalen Rechts auch die germanische Idee der inneren Einheit alles Rechts sich von Neuem siegreich entfaltet. Unser modernes Recht sucht Privatrecht und öffentliches Recht zwar zu trennen, aber auch zu verbinden. Es bemüht sich, jedes dieser grofsen Reiche gleichzeitig nach seinem besonderen Prinzip eigenartig auszugestalten und mit dem Geiste eines allumfassenden einheitlichen Ganzen zu durchdringen. An dem Bau unseres öffentlichen Rechts ist diese Erneuerung des germanischen Grundgedankens unschwer abzulesen. Denn wir gehen hier zwar vom Staate und seiner Souveränetät aus und stellen durchweg das Ganze vor die Glieder, die Ordnung vor die Freiheit und die Pflicht vor die Befugnifs. Allein innerhalb des hiermit gegebenen Rahmens theilen wir auch den Gliedern, Verbänden wie Einzelnen, selbständige Geltung zu, gewähren ihnen einen Bereich freier rechtlicher Gestaltungsmacht und statten sie nach dem Mafse ihrer Pflichten zugleich mit Rechten aus, in deren Sicherstellung durch einen gegen die Gemeinschaft selbst wirksamen gerichtlichen Schutz des öffentlichen Rechts wir die Vollendung des angestrebten „Rechtsstaats" erblicken7. Auch im Privatrecht aber ist die Wiederannäherung an die germanische Auffassung unverkennbar. Denn hier gehen wir zwar 6

G i e r k e , Deut. Genossen schaftsrecht I I 644 ff. Bähr, Der Rechtsstaat, Cassel u. Göttingen 1864; Gneist, Der Rechtsstaat und die Verwaltungsgerichte in Deutschland, 2. Aufl., Berlin 1879; H. Schulze, Der Rechtsschutz auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts, Leipzig 1873; Sarwey, Das öffentliche Recht und die Verwaltungsrechtspflege, Tübingen 1880. 7

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Begriff und Bedeutung des deutschen Privatrechts.

vom Individuum und seiner Freiheit aus und erkennen den Einzelnen als Selbstzweck, die freie Willensthat als Gestaltgeberin und die Befugnifs als Eigenmacht an. Allein mit dem Trugbild eines rein individualistischen Privatrechts haben wir grundsätzlich gebrochen. Da sich Einzelleben und Gemeinleben zuletzt in der unzerreifsbaren Einheit desselben Menschendaseins abspielen, sieht unser Privatrecht auch da, wo es sich als Mittel für das Individuum darbietet, doch niemals völlig von dessen Gliedstellung in der Gesellschaft ab. Die Freiheit, die es verbürgt, ist nicht Willkür, sondern sittlich gebundene Freiheit, wie sie mit dem Wohle des Ganzen bestehen kann. An den Lebensinteressen der Gemeinschaft findet die Gestaltungsmacht, die den Einzel willen in Vertrags- und Verfügungsfreiheit eingeräumt ist, feste Schranken, deren Ausbau gerade vom neuesten Recht mit verstärkter Energie unternommen wird. So tief auch die römische Vorstellung der einseitigen und schrankenlosen Befugnifs eingedrungen ist, bricht doch immer wieder die germanische Anschauung durch, dafs auch im Privatrecht zuletzt keine Befugnifs ohne Pflicht bestehen kann und jede Befugnifs in ihrer Bestimmung zugleich ihre Schranke hat. Darum scheint uns auch mit dem Recht des freiesten Gebrauches nicht das Recht des Mifsbrauches zum Schaden Anderer verliehen zu sein. Und darum mufs selbst das stärkste Recht des Einzelnen, wo das Wohl des Ganzen es erheischt, dem höheren Recht der Gesammtheit weichen. Unser Privatrecht geht aber weiter: es pafst nicht blos die Individualbereiche dem Bedürfnifs der Gemeinschaft an, sondern es nimmt in seinen eignen Schofs den Gedanken der organischen Gemeinschaft auf, um ihn in Familien-, Gesellschafts- und Genossenschaftsrecht aufsteigend zu verwirklichen ; es entfaltet zur Ergänzung und Berichtigung seines Individualrechts ein umfassendes Sozialrecht und führt dasselbe an unzähligen Punkten bis an die Grenze des öffentlichen Rechts heran. So durchweht in der That unser modernes Privatrecht ein stetig anschwellender sozialer Hauch. Und alle Zeichen der Zeit deuten darauf hin, dafs das Privatrecht in Zukunft, wenn es sich überhaupt behaupten will, seinen sozialen Beruf noch ungleich tiefer zu erfassen haben wird 8. Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches freilich würde, wenn sein durchaus individualistisch angelegtes Recht ins Leben träte, einen verhängnisvollen Rückschlag 8 Gierke, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, Berlin 1889. Vgl. auch Λ. Meng er, Das bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen, Tübingen 1890; E. E h r l i c h , Die soziale Frage im Privatrecht, Juristische Blätter, Jahrg. 1892, Nr. 9—12.

§ 4.

Privatrecht und öffentliches

echt.

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bringen. Immerhin wäre selbst dann, da er eine Fülle von Privatrecht dem besonderen Boichs- und Landesrecht überweist und namentlich die Berührung der an das öffentliche Recht anstoisenden Gebiete ängstlich vermeidet, die soziale Prägung unseres Privatrechts im Ganzen nicht verloren. III. Abgrenzung. Wie aus dem Bisherigen folgt, ist die Abgrenzung des heutigen deutschen Privatrechts gegen das öffentliche Recht mit grofsen Schwierigkeiten verbunden. Die Grenzlinie zwischen beiden im Leben in einander greifenden Reichen wird im Einzelnen durch rein positive Bestimmungen gezogen. Diese aber weichen nicht nur in den verschiedenen Ländern stark von einander ab, sondern sind auch vielfach lückenhaft und unsicher. Einen gewissen Anhalt gewährt die Ordnung der Gerichtszuständigkeit. Denn grundsätzlich decken sich die auf den Weg des Civilprozesses verwiesenen „bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten" mit den Streitfällen des Privatrechts, während Streitfälle des öffentlichen Rechts im Wege der Verwaltungsrechtsprechung oder eines anderen nicht civilprozessualen Verfahrens erledigt werden. Allein immer handelt es sich hierbei nur um ein weder überall vorhandenes noch unbedingt sicheres Anzeichen9. Da clas Reichsgesetz den Begriff der „bürgerlichen Rechtsstreitigkeit" nicht allgemein bestimmt und begrenzt, werden die Grenzen der Civilgerichtsbarkeit durch reichsgesetzliche Einzelbestimmungen und in Ermangelung solcher durch das Landesrecht festgestellt. Vielfach aber fehlt es an einer ausdrücklichen derartigen Feststellung, so dafs nun umgekehrt, um über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit des Civilprozesses zu entscheiden, die Frage nach der privatrechtlichen oder öffentlichrechtlichen Natur der Rechtssätze zuvörderst beantwortet und somit auf deren inneren Gehalt zurückgegangen werden mufs 10. Andrerseits ist, wo durch positiven Rechtssatz für Streitsachen gewisser Art der „Rechtsweg" eröffnet oder verschlossen wird, keineswegs immer hieraus ein Schlufs auf die materielle Beschaffenheit der Rechtsverhältnisse gestattet, da der 9

Ausschliefslich in der Verfolgbarkeit auf dem Wege des Civilprozesses erblickt Thon a. a. 0. S. 131 das Wesen der „Privatrechte u. Indefs abgesehen davon, dafs es unzulässig ist, den Unterschied zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht lediglich in das subjektive Recht zu verlegen, kann die Gewährung dieses oder jenes Rechtsschutzmittels den materiellen Gehalt eines Rechtes stets nur bezeugen, nicht hervorbringen. Vgl. Dernburg, Pand. I § 21 Anm. 4; Wach a. a. 0. § 83; Hänel a. a. 0. S. 163; J e l l i n e k a. a. 0. S. 57; auch R.Ger. X X X I I Nr. 86. 10 Dies geschieht daher in zahlreichen Erkenntnissen des Reichsgerichts; vgl. z. B. Erk. v. 16. Dez. 1885 XV Nr. 11 S. 40 u. 44, 22. Sept 1888 X X I I Nr. 58, 8. Febr. 1890 XXV Nr. 69.

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Begriff und Bedeutung des deutschen Privatrechts.

Gesetzgeber die Regel, nach welcher diese innere Beschaffenheit für die Ordnung der Rechtsschutzmittel mafsgebend sein soll, beliebig durchbrechen kann und mitunter durchbrochen hat. Es giebt daher Privatrecht, das nur nach Art des öffentlichen Rechts geschützt ist 11 , und öffentliches Recht, das nur im Civilprozefs durchgesetzt werden kann 12 . Somit läfet unser positives Recht hier eine Fülle von Fragen ungelöst. Auf viele dieser Fragen aber ist an sich eine doppelte Antwort möglich, wie ja schon die Rechtssätze, welche die Grenzbestimmung selbst enthalten, eigentlich jedem der beiden Gebiete angehören 1B . Wäre indefs auch eine glatte Scheidung denkbar, so wäre sie doch in der Darstellung nicht durchführbar. Zahlreiche Rechtsinstitute verweben Privatrecht und öffentliches Recht in ein Ganzes, mag dies nun Nachwirkung der alten Vermischung oder Wirkung der modernen Verbindung sein. Gehören sie mit einem bedeutenden Theil ihres Wesens jedem Gebiete an, wie etwa das Ständerecht, Gemeinderecht oder Gewerberecht, so sind sie in ihre Elemente zu zerlegen. Doch bleibt dann bei der Behandlung ihrer privatrechtlichen Bestandteile der Hinblick auf die öffentlichrechtliche Seite unerläfslich. Dagegen werden Rechtsinstitute, die überwiegend in dem einen oder andern Gebiete wurzeln, zweckmäßiger Weise ganz ihrem Heimathsgebiete eingeordnet. Darum sind bei der Darstellung der Privatrechtsinstitute zugleich diejenigen Sätze des öffentlichen Rechts aufzunehmen, welche entweder staatliche Einrichtungen im Dienste des Privatrechts (z. B. öffentliche Bücher oder Register) begründen oder das Privatrecht durch staatliche Machtmittel (z. B. Abtretungs- oder Vereinigungszwang) beschränken. So wird in der Lehre vom Grundeigenthum das Grundbuchwesen und die Enteignung, im Vormundschaftsrecht die Obervormundschaft, im Wasserrecht das Deichrecht nicht übergangen werden dürfen. Umgekehrt sind Institute des öffentlichen Rechts aus 11 So nach Reichsrecht die Ansprüche auf Unfallentschädigung (Reichsgesetz v. 22. Juli 1884 § 62—63) und Invalidities- oder Altersrente (Reichsgesetz v. 22. Juli 1889 § 75—85) oder das Recht des Erfinders auf ein Patent (Reichsgesetz v. 7. April 1891 § 13 u. 27); nach preufsischem Recht der Anspruch auf Wildschadenersatz (Ges. v. 11. Juli 1891). Andere Fälle bei W a c h a. a. 0. S. I I I Anm. 84. 19 So nach Reichsrecht der Anspruch des Reichs oder eines Einzelstaats auf Entziehung des Rechts zur Ausgabe von Banknoten (Reichsgesetz v. 14. März 1875 § 49 Z. 4 u. § 50); nach preufs. Recht mindestens einzelne der im Ges. v. 24. Mai 1861, betr. die Erweiterung des Rechtswegs dem Civilprozefs überwiesenen Rechtsverhältnisse. Andere Beispiele bei Wach a. a. 0. S. 112 Anm. 85. 18 G i e r k e , Genossenschaftstheorie S. 179 Anm. 2. Vgl. auch H ä n e l a.a.O. S. 162—163.

§ 5. Deutsches und fremdes Recht.

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dem Privatrecht auch dann vollständig auszuschliefsen, wenn in nebensächlicher Weise Privatrecht aus ihnen entspriefst. Daher ist z. B., obschon der richtigen Meinung nach die vermögensrechtliche Seite des Beamtenverhältnisses privatrechtliche Natur hat 14 , doch die Verweisung auch dieses Stückes des Beamtenrechts in das Staatsrecht angemessen. § 5.

Deutsches und fremdes Recht.

I. Begriffliches. Deutsches Privatrecht im technischen Wortsinne ist nicht alles in Deutschland geltende Privatrecht, sondern nur das in Deutschland geltende Privatrecht deutscher H e r k u n f t Ihm steht gegenüber das in Deutschland aufgenommene fremde Privatrecht. Dabei handelt es sich indefs heute in der Hauptsache nur um den Gegensatz zwischen deutschem und römischem Recht. Das kanonische Recht greift in das Privatrecht nur noch an einzelnen Punkten ein. Da es in diesen Bestimmungen keine selbstständigen Rechtsinstitute, sondern Abwandlungen römischer oder deutscher Rechtsinstitute darbietet, so ist davon theils im römischen Recht (z. B. bei der Verjährung), theils im deutschen Recht (z. B. bei den Reallasten) zu sprechen. Eine Ausnahme bildet das persönliche Eherecht, das zwar heute auch im gemeinen Rechte nur noch zum Theil unmittelbar vom kanonischen Recht beherrscht wird, jedoch in seinem ganzen Umfange auf der vom kanonischen Recht geschaffenen Grundlage ruht und sich dem tieferen Verständnifs nicht ohne stetes Zurückgehen auf die kirchlichen Quellen erschliefst. Darum wird, soweit die Scheidung des geltenden Privatrechts nach seiner Herkunft durchgeführt wird, das „Eherechttt trotz seiner vollkommenen Verweltlichung noch immer im Kirchenrecht oder doch als ein an das Kirchenrecht angelehntes besonderes Rechtsgebiet behandelt. Das langobardische Recht, dessen einst so grofse praktische Bedeutung mit der fortschreitenden Auflösung des Lehnsverbandes stetig abgenommen hat, ist zusammen mit den Trümmern des Lehnrechts dem deutschen Privatrecht einverleibt worden. Lange Zeit hindurch wahrte freilich das Lehnrecht die Selbständigkeit, die ihm nach der Rezeption gerade in Folge der Erhebung der libri feudorum zur gemeinM Erk. des R.Ger. X I Nr. 66 S. 295, X I I Nr. 16 S. 72, X V I I I Nr. 36, X I X Nr. 67 S. 349. Vgl. Gierke, Genossenschaftstheorie S. 195 Anm. 1.

B i n d i n g , Handbach.

I I . 3. I : G i e r k e , Deutsches Privatrecht.

1.

3

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Begriff und Bedeutung des deutschen Privatrechts.

rechtlichen Quelle neben dem römischen Recht erhalten geblieben war, auch gegenüber dem wiedererstandenen deutschen Privatrecht. Seit Eichhorne Vorgang aber wird allgemein das Lehnrecht als Bestandt e i l des deutschen Privatrechts betrachtet1. Mithin ist auch die Frage nach dem Verhältnifs zwischen langobardischem und deutschem Recht für das deutsche Privatrecht nicht mehr eine äufsere, sondern eine innere Grenzfrage. Dagegen steht das römische Recht innerhalb des geltenden Privatrechts dem einheimischen Recht als ein gewaltiger Bau geschlossen gegenüber. Somit ist die Abgrenzung gegen das heutige römische Privatrecht, das den Inhalt der „Pandekten" bildet, für die Begriffsbestimmung des deutschen Privatrechts von entscheidender Bedeutung. Diese Abgrenzung wird dadurch erschwert, dafs einheimisches und fremdes Recht vielfach innig verschmolzen sind. Im Allgemeinen sind dabei folgende Gesichtspunkte massgebend: 1. Dem deutschen Privatrecht gehören alle dem römischen Recht ganz unbekannten Rechtsinstitute an, die aus germanischen Rechtskeimen in Deutschland erwachsen sind. a. Sie gehören ihm an, mögen sie nun (wie Reallasten, eheliche Gütergemeinschaft, Bergrecht) aus dem Mittelalter stammen oder (wie Urheberrecht, Erfinderrecht, Verlagsvertrag) erst nach der Rezeption geboren sein. b. Sie gehören ihm an, mögen sie nun (wie Einkindschaft, Sonderrechte des hohen Adels, Interimswirthschaft) ausschliefslich in Deutschland ausgebildet oder (wie ihre weit überwiegende Masse) als europäisches Gemeingut zugleich in anderen Ländern entwickelt sein. Im zweiten Falle nicht nur dann, wenn (wie im Immobiliarsachenrecht, Familiengüterrecht, Genossenschaftsrecht) die Rechtsbildung in Deutschland sich im Wesentlichen selbständig vollzogen hat, sondern auch dann, wenn (wie im internationalen Privatrecht, dem Verschollenheitsrecht, dem Recht der Werthpapiere) das verwandte ausländische Recht von Italien oder Frankreich her einen starken oder überwiegenden Einflufs auf die moderne deutsche Rechtsgestaltung ausgeübt hat. Hierin liegt auch die Rechtfertigung für die schon erwähnte Wiedereinfügung des Lehnrechts in das deutsche Privatrecht. 1 Eichhorn begründet schon in der Vorrede seiner „Einleitung in das deutsche Privatrecht mit Einschlufs des Lehnrechts" (Göttingen 1823) diese Einverleibung. Von den späteren Bearbeitern des deutschen Privatrechts haben nur M i t t e r m ai er, Maurenbrecher, B l u n t s c h l i und W a l t e r das Lehnrecht ausgeschlossen. Vergeblich widersprach D i e c k , Z. f. D.R. I I I 160—162 der „Verbindung des Lehnrechts mit dem deutschen Privatrecht zu einem systematischen Ganzen".

§ 5. Deutsches und fremdes Recht.

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Vor Allem aber folgt hieraus, dafs an sich Handelsrecht, Seerecht und Wechselrecht Bestandtheile des deutschen Privatrechts sind2. Denn wie hoch man auch auf diesen Gebieten die Einwirkung des Rechtes der romanischen Völker auf das deutsche Recht veranschlagen mag, so sind doch eben auch bei diesen Völkern die treibenden Gedanken, denen die Ausprägung neuer und eigenartiger Gebilde verdankt wird, aus germanischer Wurzel entsprossen8. c. Sie gehören ihm an, mögen sie nun (wie eigenmächtige Pfändung, Jagdrecht, Gewerkschaft) im Wesentlichen vom römischen Recht nicht berührt oder (wie ihre überwiegende Mehrzahl) vom römischen Recht umgebildet sein. Im zweiten Falle nicht nur dann, wenn (wie bei Näherrechten, Verträgen zu Gunsten Dritter, Anerbenrecht) einzelne römischrechtliche Elemente eingedrungen sind, sondern auch dann, wenn (wie bei Erbverträgen, Familienfideikommissen, moderner Hypothek) das einheimische Institut durchaus in ein römisches Rechtsgewand gekleidet ist. Doch liegt auch dem Pandektenrechte 2

Als eolche sind sie auch von den Bearbeitern des deutschen Privatrechts stets behandelt worden. Nur aus äufseren Gründen werden sie neuerdings öfter ausgeschieden. So auch in der vorliegenden Arbeit; vgl. unten § 13. 3 Die Geschichte des Handelsrechts bei den romanischen Völkern hat eine vortreffliche zusammenfassende Behandlung gefunden in dem grofsen Werke von Goldschmidt, Universalgeschichte des Handelsrechts, 1. Lief., Stuttgart 1891 (3. Aufl. des Handbuchs des Handelsrechts I. 1, 1). G old schmidt sucht freilich fast überall römischrechtliche Anknüpfungspunkte zu ermitteln. Auch abgesehen davon aber, dafs er vielfach nur sehr unsichere Spuren nachzuweisen vermag, überschätzt er die Bedeutung solcher dünnen Verbindungsfäden. Meist handelt es sich nur um Bruchstücke des zertrümmerten Alterthums, die das Mittelalter einem von ihm in eignem Geiste errichteten Neubau eingefügt hat, wie antike Säulenfragmente seinen Domen. Ein Blick auf unser heutiges deutsches Handelsrecht zeigt, dafs gerade sein eigenster Besitz, den es vor dem Civilrecht voraus hat, überwiegend aus germanischer Quelle geschöpft ist So das Prinzip des berufsständischen Sonderrechtes überhaupt und der Art seiner Fortbildung und Handhabung. So das Personenrecht der Kaufleute; die Firma; die Marke; die Handelsregister; die Handelsbücher; das Recht der Handlungsgehilfen ; die Prokura. So das gesammte Handelsgesellschaftsrecht. So die objektive Einheit des Geschäftsvermögens; die Werthpapiere; die Beschränkungen der Fahrnifsklage; das kaufmännische Pfandrecht. So aber auch im Handelsobligationenrecht, das dem römischen Recht am meisten verdankt, eine Fülle besonderer Grundsätze und eine Anzahl neuer Vertragsarten, insbesondere das ganze Versicherungsrecht. Nicht anders liegt die Sache im Seerecht. Und schliefslich bestand ja fast durchweg die Einwirkung des romanischen Handelsrechts nur in der Umbildung von Instituten, die auch in Deutschland bereits aus einheimischen Keimen in ähnlicher Form entwickelt worden waren. 3*

Zweites Kapitel.

Begriff und Bedeutung des deutschen Privatrechts.

ein Hinweis auf derartige Erstreckungen der römischen Gedankenwelt nahe. 2. In das deutsche Privatrecht gehören ferner grundsätzliche Abwandlungen römischer Eechtsinstitute durch erhaltene oder wiederbelebte germanische Rechtsgedanken. Solche Abwandlungen begegnen vor Allem bei zahlreichen Rechtsinstituten, welche auch dem älteren deutschen Recht bekannt waren, nach der Rezeption jedoch auf römischrechtliche Grundlage gestellt wurden (z. B. bei dem Eigenthum, den meisten Verträgen, der Altersvormundschaft). Sie begegnen aber auch bei solchen römischen Rechtsinstituten, welche ein heimisches Rechtsinstitut der Forin nach ganz verdrängt, inhaltlich jedoch in sich aufgenommen haben (wie der Besitz die Gewere, die Servitut manches eigenartige dingliche Recht, die väterliche Gewalt die väterliche Munt). Und sie begegnen endlich sogar bei manchen dem nationalen Rechte völlig unbekannten römischen Rechtsinstituten, die sich bei uns nur in wesentlich veränderter Gestalt eingebürgert haben (z. B. Testament, Adoption, Dotalrecht). Dafs alle diese modernen Abwandlungen des römischen Rechtes auch das Pandektenrecht nicht unbeachtet lassen kann, liegt auf der Hand. 3. In das deutsche Privatrecht gehören nicht die römischen Rechtsinstitute als solche, mögen sie nun im Wesentlichen unverändert rezipirt sein (wie superficies, operis novi nuntiatio, restitutio in integrum) oder, wie dies bei den meisten der Fall ist, grundsätzliche Abwandlungen erfahren haben. In das deutsche Privatrecht gehören aber auch nicht diejenigen Abwandlungen des reinen römischen Rechts, welche entweder unwesentlicher Art sind oder auf der Fortbildung römischer Rechtsgedanken ohne ersichtlichen Einflufs eigentümlicher germanischer Rechtsgedanken beruhen. Darum fällt namentlich der gröfste Theil der allgemeinen Normen über Erwerb, Verlust und Schutz der Rechte und die Hauptmasse des Obligationenrechts trotz aller Fortbildung, die das Justinianische Recht erfahren hat, ausschliefslich dem Pandektenrechte anheim. Vorstehende Regeln ergeben nicht nur keine haarscharfe begriffliche Grenzlinie, sondern lassen auch bei ihrer Anwendung dem Gutdünken einen weiten Spielraum. In Folge hiervon werden viele Gegenstände sowohl im Pandektenrecht wie im deutschen Privatrecht behandelt4. 4 Hier, wie unter Behörden, ist der positive Kompetenzkonflikt häufiger als der negative. Das Pandektenrecht ist dabei in der günstigeren Lage, weil es einerseits von den Zeiten des usus modernus her den älteren Besitzstand für sich hat

§ 5.

Deutsches und fremdes Recht.

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II. U n m i t t e l b a r e Geltung des römischen Rechts. Wird so der Begriff des deutschen Privatrechts durch den Gegensatz zu dem in Deutschland geltenden römischen Rechte bestimmt, so hängt seine praktische Bedeutung wesentlich von dem Umfange ab, in welchem römisches Recht in Deutschland unmittelbar oder mittelbar anzuwenden ist. Das römische Recht hat unbestritten eine u n m i t t e l b a r e Geltung in denjenigen deutschen Ländern, in denen diese seine Geltung nicht gesetzlich wieder abgeschafft ist. Doch hat seine praktische Anwendbarkeit drei Schranken5. 1. Das römische Recht gilt nur, insoweit es r e z i p i r t ist. Seiner Rezeption liegt die gesetzliche Fassung zu Grunde, die es im Corpus juris civilis empfangen hat. Allein abgesehen davon, dafs von vornherein alle nicht glossirten Stellen desselben von der Anwendung bei uns ausgeschlossen sinde, hat die Sammlung Justinians auch im Uebrigen in Deutschland keineswegs die Kraft eines Gesetzbuchs. Vielmehr beruht die Geltung des Corpus juris als gemeines Recht auf deutschem Gewohnheitsrecht und erstreckt sich daher nur auf diejenigen Bestandtheile, die auf Grund der Ueberzeugung von ihrer Anwendbarkeit in die deutsche Uebung Eingang gefunden haben. Mithin ist vor jeder Anwendung eines Satzes des Corpus juris die Vorfrage zu stellen, ob er rezipirt ist. Die Antwort ergiebt sich meist aus der Notorietät. In Zweifelfällen aber mufs sie durch Forschung gefunden werden. Eine Vermuthung für die Rezeption und gegen den Fortbestand des einheimischen Rechts besteht nicht. In früherer Zeit herrschte fast allgemein die entgegengesetzte Ansicht, dafs das Corpus juris im Ganzen (in complexu) rezipirt sei, andrerseits bei der Besitzergreifung an neu gebildetem Recht früher auf dem Platz ist Um so entschiedener muis das deutsche Privatrecht, wenn es seine Ebenbürtigkeit wahren will, das ihm gebührende Feld behaupten. Man denke nur an die zu Gunsten des Pandektenrechts der Zukunft bereits mehrfach laut gewordenen Annexionsgelüste, wie sie ζ. Β. Ε. I. B e k k e r , System und Sprache des Entw. einee bürgerl. Gesetzbuchs f. das Deutsche Reich, Berlin u. Leipzig 1888 (Beiträge H. 2) S. 6 ausspricht! Sehr weit in der Annexion geht auch Regelsberger, Pand. § 2 und in der Ausführung. 6 Von selbst versteht es sich überdies, dafs römisches Recht niemals auf Rechtsverhältnisse angewandt werden kann, die vor der Rezeption entstanden sind; R.Ger. bei Se uff. X X X V I I I Nr. 862 (Nichtanwendbarkeit auf Eigenthumserwerb an Vorstrand und Meer seitens der Stadt Stralsund durch Verträge v. 1314 u. 1321). 6 Landsberg, Ueber die Entstehung der Regel quicquid non agnoscit glossa nec agnoscit forum, Bonn 1880; Stintzing, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft Π 19 ff.

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Zweites Kapitel.

Begriff und Bedeutung des deutschen Privatrechts.

und dafs deshalb die Geltung der in ihm enthaltenen Sätze die Regel und die Nichtgeltung eines Satzes die der Feststellung bedürftige Ausnahme bilde. Diese Ansicht wird, obwohl in verschiedener Schärfe, noch heute von der Theorie überwiegend vertheidigt7. Auch die Praxis hat sich von ihr nicht losgesagt8. Doch ist sie seit der Wiedergeburt des deutschen Rechts von germanistischer Seite bekämpft worden9 und zählt heute auch unter den Romanisten Gegner10. In der That ist sie mit dem Wesen der Gewohnheitsrechtsbildung unvereinbar, da sich eine solche nur auf einzelne im Leben angewandte Normen, nicht auf den unübersehbaren Inhalt eines ganzen fremden Gesetzbuches richten kann. Sie selbst aber ist keine Rechtsnorm, die durch Uebung hätte bindend werden können, sondern lediglich eine wissenschaftliche Theorie, die hinfällig wird, sobald sie als irrig erkannt ist. Auch dafs sie in Reichs- oder Landesgesetzen stillschweigend oder ausdrücklich anerkannt ist, verschafft ihr, da sie niemals durch 7 So von den meisten Pandektisten; vgl. z. B. v. Vangerow I § 5; W ä c h t e r , Gemeines Recht Deutschlands S. 186 ff. u. Pand. I § 11; W i n d s c h e i d l § 2 ; Bekker I § 3; Regelsberger I 12 ff. Aber auch von Germanisten; z. B. Gerber, Prinzip des gem. D.P.R. S. 154 ff. u. Syst. § 2; Stobbe, D.P.R. § 4 11. 8 O.L.G. Lübeck b. Seuff. XXXIVNr. 80. Auch das Erk. des R.Ger. b. Seuff. X X X V I Nr. 107 behandelt Justinian als deutschen Gesetzgeber und behauptet, dafs aus bisheriger Nichtanwendung eines Satzes des Corpus juris noch nicht dessen ünanwendbarkeit folge. Das O.L.G. Darmstadt b. Seuff. XLV Nr. 159 verwerthet sogar die Lehre W i n d sehe ids, um die Annahme zu begründen, dafs auch das Katzenelnbogener Landrecht, falls es nicht publizirt sei, durch Gewohnheitsrecht „in complexu" rezipirt sein könne! 9 Ueber die Geschichte dieses Kampfes vgl. Reyscher, Z. f. D.R. IX 345 ff. Nach dem Vorgange von Besold (oben § 3 Anm. 2), Conring, De orig. jur. c. 33, S c h i l t e r , Praxis juris Rom. in foro germ, etferc. I § 11 u. I I § 12 begründete zuerst K u l p is in der Schrift Co nr. Sine er us, De Germanicarum legum veterum ac Romani juris in Republica nostra origine auctoritateque praesenti, Lips. 1682, ausfuhrlich die Ansicht, dafs das Corpus juris nicht als Gesetzbuch gelte und daher dessen einzelne Sätze nicht anwendbar seien, „nisi doceantur reeeptae". Ihm stimmten Thomasius, Kestner, G. Beyer und Spätere (vgl. die bei Runde, D.P.R. § 83 Anm. a citirten Schriften) bei. Doch wurde die Herrschaft der gegenteiligen Lehre, die z. B. Joh. U. de Cramer, De praesumptione pro jure Romano contra mores antiquos Germanorum (Opuscula, 1742, I op. 1) und Strub en, Nebenstunden V (1755) Nr. 32 § 5, gegen jene Angriffe vertheidigten, nicht ernstlich erschüttert. In neuerer Zeit haben besonders Eichhorn, D.P.R. § 40 Anm. e, Beseler, Volker, u. Juristenr. S 99 ff. u. D.P.R. § 8, Reyscher a. a. Q. S. 373 ff. u. Württ. P.R. I § 71, Bluntschli, D.P.R. § 3, die Rezeption in complexu bestritten. 10 So Leist, Civilistische Studien 112ff. u. Bonorum possessio II, 2 S. 350 ff., bee. aber Dernburg, Pand. I § 4.

§ 5. Deutsches und fremdes Recht.

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Verkündigung des Corpus juris als Reichs- oder Landesgesetzbuch in eine Rechtsnorm umgesetzt ist, keine höhere Autorität 11. Nur mufe freilich, weil auch das aus Irrthum hervorgegangene Gewohnheits- oder Gesetzesrecht gilt, die durch die verwerfliche Theorie zum Schaden des deutschen Rechts thatsächlich erwirkte nachträgliche Rezeption zahlreicher einzelner römischer Sätze geachtet werden. Wenn im Zusammenhange mit der Ansicht von der Rezeption in complexu früher gelehrt wurde, dafs auch im Verhältnifs der Parteien für die Geltung jedes angerufenen römischen Rechtssatzes eine der Entkräftung durch Gegenbeweis bedürftige Vermuthung gelte12, so ist diese Theorie der sogenannten „fundata intentiotf heute allgemein aufgegeben18. Der Richter hat das Recht von Amts wegen zu erforschen. 2. Das römische Recht gilt nur mit den in Deutschland eingeführten A b w a n d l u n g e n 1 4 . Steht die Rezeption fest, so kommt doch zunächst dem Wortlaute des Corpus juris gegenüber in Frage, inwieweit wirklich das reine römische Recht oder vielmehr schon umgebildetes römisches Recht in Deutschland aufgenommen ist. Weiter fragt es sich, inwiefern etwa später in Deutschland das rezipirte Recht durch Gesetz oder Gewohnheitsrecht umgestaltet oder wieder abgestofsen ist. Doch mul's andrerseits eine nachträgliche Rezeption von römischem Recht wie es geschrieben steht insoweit anerkannt werden, als das an sich unzulässige Verfahren, den usus modernus durch besseres Quellenverständnifs zu korrigiren, zur Bildung eines wirklichen Gewohnheitsrechtes geführt hat. 8. Das römische Recht gilt nur subsidiär. Es kommt als gemeines Recht erst zur Anwendung, wenn und soweit ein partikuläres Gesetzes- oder Gewohnheitsrecht fehlt. Ob ein Partikularrecht 11

Hiermit wird der von Stobbe, Geschichte der deutschen Rechtsquellen I I 114 u. 125 ff. besonders betonte Hinweis auf die partikularrechtlichen Vorschriften über die Anwendung des römischen Rechts entkräftet. 12 Ueber die Entstehung dieser Regel vgl. Stintzing, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft I I 19 u. 183 ff. Bestimmt formulirt ist sie zuerst von L a u t e r b a c h , Conclus, for. Exerc. 1 (1662). Ihr stellte Kulpis (oben Anm. 9) die nicht minder unhaltbare umgekehrte Regel entgegen, dafs die Partei, welche sich auf altes deutsches Recht berufe, fundatam intentionem für sich habe, während Jeder, der sich auf römisches Recht stütze, dessen Rezeption beweisen müsse. 18 Auch von den Anhängern der Rezeption in complexu; vgl. Windscheid § 2 Anm. 2; Stobbe, D.P.R I 26; Wächter, Pand. § 11 S. 58. 14 Theoretisch besteht hierüber kaum ein Streit. Praktisch wird seit Savigny unaufhörlich gegen die richtigen Grundsätze verstofsen. Vgl. darüber namentlich J. Biermann, Traditio ficta, Stuttgart 1891, S. 1—8.

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Zweites Kapitel.

Begriff und Bedeutung des deutschen Privatrechts.

gilt, hat der Richter von Amts wegen festzustellen; gerade in dieser Richtung ist der Bruch mit den Irrlehren, die das römische Recht durch Vennuthungen begünstigten, besonders wichtig15. Gilt ein Partikularrecht, so hat es der Richter mit denselben Mitteln wie das gemeine Recht und lediglich aus ihm selbst auszulegen; die zum Schaden des deutschen Rechts lange gehandhabte Regel, dafs die Partikularrechte „strikt" und somit in möglichstem Einklang mit dem römischen Recht zu interpretiren seien16, wird heute allgemein verworfen. III. M i t t e l b a r e Geltung des römischen Rechts. Die Bedeutung des römischen Rechts für das heutige Privatrecht Deutschlands erschöpft sich nicht in seiner unmittelbaren Geltung, sondern reicht in zwiefacher Hinsicht weit darüber hinaus. 1. Wegen der römisch rechtlichen Bestandtheile neuerer Gesetzbücher und Gesetze. Alle seit der Rezeption auf dem Boden des gemeinen Rechts erlassenen Partikularrechte enthalten Sätze römischer Herkunft, für deren Verständnifs das römische Recht ein unentbehrliches wissenschaftliches Hülfsmittel ist. Gleiches gilt für die Gesetzbücher derjenigen Länder, in denen die unmittelbare Geltung des römischen Rechtes völlig beseitigt ist 17 . Aber auch die neuere Reichsgesetzgebung schöpft vielfach aus dem römischen Recht und fordert somit zu ihrem vollen Verständnifs dessen Beihülfe. 2. Wegen des Einflusses des römischen Rechts auf die wissenschaftliche Behandlung alles Rechts und somit auch des Privatrechts deutscher Herkunft. Denn in der Schule des römischen Rechts hat seit der Glossatorenzeit die moderne Rechtswissenschaft sich aus- und fortgebildet und das juristische Denken erzogen. 16

Die Lehre von der fundata intentio (oben Anm. 12) kehrte ihre Spitze vornehmlich gegen die Partikularrechte. 16 Diese schon im Mittelalter auftauchende Regel (vgl. Gierke, Genossenschaftsrecht I I I 388 Anm. 143 a. E.) wird bereits seit dem 16. Jahrhundert auf die deutschen Partikularrechte angewandt; vgl. G a i l l , Prack Obs. lib. I I obs. 33, Mynsinger, Responsa XIV § 26, und die Citate bei Reyscher, Z. f. D.R. I X 342 Anm. 4, Stobbe, Rechtsquellen I I 121 Anm. 26 u. D.P.R. § 4 Anm. 9, Moddermann, Rezeption S. 9 u. 89. Man sagte sprüchwörtlich: „statuta sunt stricte intelligenda contra jus commune" oder „stricte" oder gar „strictissime interpretanda". Zuletzt hat sie wohl Maurenbrecher, D.P.R. I § 4 verfochten. Als „absurd" verwirft sie unter Berufung auf Thomasius (Vernunftlehre S. 213) bereits K r e i t t m a y r , Anm. zu Bayr. Landrecht I c. 3 § 13 Nr. 6. 17 Nur darf hier niemals das römische Recht direkt zur Ausfüllung einer Lücke verwendet werden. Vgl. hinsichtlich des preufs. Landr. R.Ger. I I Nr. 83. Auch Bad. Landr. Art. 4b.

§ 5. Deutsches und fremdes

echt.

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Auch bei dem wissenschaftlichen Aufbau des deutschen Privatrechts haben wir daher die romanistischen Geisteserrungenschaften zu verwerthen. Wir haben die am Vorbilde der grofsen römischen Juristen entwickelte juristische Methode anzuwenden18. Wir können uns dem auf römischrechtlicher Grundlage erwachsenen Systeme des Privatrechts nicht entziehen19. Wir müssen endlich eine Reihe begrifflicher Kategorien, die aus dem römischen Recht in das moderne Bewufstsein übergegangen sind, als gemeingültig aufnehmen 20. Allein ihren inneren Gedankengehalt darf die Wissenschaft des deutschen Privatrechts trotz aller römischrechtlichen Schulung nur aus dem Geiste des deutschen Rechts schöpfen. Sie darf in ihren Stoff nicht römische Gedanken hineintragen, sondern muis ihm die in ihm lebendigen deutschen Gedanken entlocken. Die Rechtsbegriffe sind nicht rein logische, sondern geschichtliche Gebilde. So ist auch die Welt der römischen Rechtsbegriffe weder ewig noch allumfassend. Eigenartige Begriffe, die mit den verwandten römischen Begriffen sich keineswegs decken und zum Theil überhaupt jedes römischen Ebenbildes entbehren, weben und wirken in unserm Recht. Sie gilt es zu entdecken und zu formen. Denn die Jurisprudenz wird das Leben wahrhaft nur beherrschen, wenn sie die Wirklichkeit nicht meistert, sondern begreift. Andere Wege schlug nach der Rezeption die deutsche Rechtswissenschaft ein. In dem Glauben an ein von der Logik unbedingt vorgezeichnetes System der Reclitsbegriffe, das im Corpus juris unabänderlich und erschöpfend offenbart sei, ordnete sie auch den ererbten oder neu erworbenen heimischen Rechtsstoff dem römischen Begriffsschema ein. Mochte auch das deutsche Institut durch das fremdartige Gedankengewand wie durch eine Zwangsjacke vergewaltigt und verkrüppelt werden : was bedeutete die Zerstörung vaterländischer Geistesgebilde, wenn das Dogma gerettet war? Seitdem eine selbständige Wissenschaft des deutschen Privatrechts aufgeblüht war, fehlte es niemals an Widerspruch gegen die „romanisirende" Behandlung des deutschen Rechts21. Doch wurden zunächst nur vereinzelt schüchterne 18

Vgl. unten § 14. Vgl. unten § 13. 20 So z. B. die Unterscheidung dinglicher und persönlicher Rechte, von Universal- und Singularsuccession, von Geschäften unter Lebenden und von Todeswegen. 21 Vgl. z.B. Estor, Bürgerl. Rechtsgelehrsamkeit §731; Westphal, D.P.R. I I 19; bes. aber Pütter, El. j. Germ. § 45 (alle erhaltenen heimischen Rechtsinstitute „finnissime servanda ex mente j u r i s istius, nulla peregrini j u r i s ratione habita") u. § 63—66, sowie Runde § 84. 19

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Zweites Kapitel.

Begriff und Bedeutung des deutschen Privatrechts.

und oft sehr unbeholfene Versuche gemacht, den römischen Rechtsbegriffen eigne deutsche Rechtsbegriffe entgegenzustellen. Im Uebrigen blieben auch die Germanisten, von dem Reichthum ihres Stoffes tiberwältigt, im überlieferten Gedankensystem befangen, das freilich unter Beihülfe des Naturrechts mehr und mehr eine germanistische Färbung annahm. Erst allmählich wurde bewufst der positive Gedankengehalt des germanischen Rechts ausgeschöpft und in noch heute längst nicht vollendeter dogmatischer Arbeit begrifflich geprägt. Bis heute indefs ist nicht blos in der romanistischen, sondern auch in der germanistischen Jurisprudenz die „romanisirende" Richtung nicht ausgestorben. Immer noch macht sich die Anschauung geltend, dafs im römischen Recht das zur juristischen Formung des gesammten modernen Rechtsstoffes befähigte und berufene logische Schema zu finden sei 22 . Oder es wird doch der Rath gegeben und befolgt, bei der Konstruktion der deutschen Rechtsinstitute erst dann mit selbständigen Begriffen zu operiren, wenn die Konstruktion mit römischen Begriffen nicht möglich ist 28 . Dieser Maxime, die gewissermafsen eine Prämie auf juristische Kunststücke setzt, huldigt offensichtlich auch der erste Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuches24. Als wenn es bei der Prägung der juristischen Denkformen darauf ankäme, was allenfalls möglich, und nicht allein darauf, was angemessen ist ! Angemessen aber ist jedem Rechtsinstitut nur eine aus seinem eignen Geist geborne begriffliche Fassung. Die romanisirende Behandlung des deutschen Rechts ist auf Schritt und Tritt zu bekämpfen. Nur mufs wieder ihr positivrechtlicher Niederschlag im Gesetzes- und Gewohnheitsrecht geachtet werden. Um so ernster sollte, bevor es zu spät ist, die Wissenschaft des deutschen Rechts dahin wirken, dafs die ohnehin vielfach in das 22 Ausdrücklich wird freilich diese Meinung nur selten noch ausgesprochen (Beispiele bei Stobbe, D.P.R. I 40 Anm. 7 u. Gierke, Entwurf S. 21 Anm. 5). Allein sie liegt nicht nur zahlreichen Konstruktionen der Romanisten zu Grunde, sondern bestimmt auch das gesammte wissenschaftliche Verfahren mancher Germanisten, als deren geistiger Führer Gerber erscheint. 28 Trotz ihrer mafsvollen Form laufen hierauf im praktischen Erfolge, wie das Verhalten ihres Urhebers selber zeigt, die Anweisungen S tob b es, D.P.R. I § 4 S. 23 u. § 6 S. 39 ff, hinaus. Auch F r a n k e n , D.P.R. S. 2, geht in der Empfehlung des Anschlusses an die romanisttschen Begriffe zu weit. 24 Vgl. Gierke, Entw. S. 3, 20 ff., 280 ff., 393 ff. Am bezeichnendsten sind diejenigen Sätze des E.G. zum Entw., die gar keinen andern Zweck haben, als landesrechtlich zugelassene deutsche Rechtsinstitute in eine romanistische Konstruktion zu zwängen; solche Sätze begegnen z. B. in Art. 73 (Geschofseigenthum) u. Alt. 83—87 (Anerbenrecht).

§ 6.

Gemeines und nicht gemeines Recht

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Gebiet der Doktrin übergreifenden Konstraktionen, durch welche der Entwurf deutsche Rechtsinstitute romanisiren will, nicht in unser künftiges Gesetzbuch übergehen. § 6. Gemeines und nicht gemeines Recht 1 . I. Begriffliches. Zur Begriffsbestimmung des deutschen Privatrechts gehört endlich, da „das" deutsche Privatrecht von der Summe der in Deutschland geltenden Privatrechte zu unterscheiden ist, die Feststellung seines Verhältnisses zum Begriff des gemeinen Rechts. Dieser Begriff aber ist nicht eindeutig, empfängt vielmehr eine feste Bedeutung erst durch seinen Gegensatz. Immer liegt dabei der Begriff des Rechtsgebiets zu Grunde. Rechtsgebiet ist der räumliche Herrschaftsbereich einer Rechtsquelle, d. h. einer in einheitlicher Weise für einen Inbegriff von Lebensverhältnissen Normen setzenden Macht. Nach dem heute anerkannten Territorialitätsprinzip erscheint jede Rechtsquelle als zunächst und an sich berufen, innerhalb bestimmter räumlicher Grenzen Recht zu schaffen. Je nach dem Umfange aber, in dem diese Aufgabe in demselben Rechtsgebiet oder in mehreren getrennten Rechtsgebieten oder in mehreren in einander geschobenen Rechtsgebieten gelöst wird, ergiebt sich ein dreifacher Gegensatz zwischen Gemeinschaft und Sonderung der Rechtsbildung. 1. Gemeines und besonderes Recht (jus generale und speciale). In demselben Rechtsgebiet kann eine Rechtsquelle entweder allgemeine Geltung in Anspruch nehmen oder nur für eine besondere Lebenssphäre Recht setzen. Die besondere Lebenssphäre, für welche besonderes Recht gilt, kann in verschiedener Weise abgegrenzt sein: als ein Personenkreis (wie beim Sonderrecht des hohen Adels), ein Sachenkreis (wie beim Lehnrecht), ein Kreis von Handlungen (wie beim Wechselrecht) oder ein unter Verbindung mehrerer Gesichtspunkte ausgeschiedener Kreis von Lebensverhältnissen (wie beim Handelsrecht). 1

Reyscher, Z. f. D.R. I (1839) 12 if., X 153 ff. Beseler, Volksrecht u. Juristenrecht, Greifswald 1843, S. 91 ff.; D.P.R. § 1—4. Wächter, Gemeines Recht Deutschlands, Leipzig 1884; Pand. I § 17—18. T h ö l , Volksrecht, Juristenrecht u. s. w., Rostock u. Schwerin 1846, S. I f f . ; Einl. in das D.P.R. § 46—48. Gerber, Das wissenschaftliche Prinzip des gemeinen deutschen Privatrechts, Jena 1846; D.P.R. §5—7. Rückert, Der Begriff des gemeinen deutschen Privatrechts, Erlangen 1857. B e k k e r , Jahrb. des gemeinen deutschen Rechts I (1857) 2 ff. Windscheid, Pand. § 1. Regelsberger, Pand. § 29. S tob be, D.P.R. § 7—10. Roth, D.P.R. § 1. F r a n k e n , D.P.R. § 2.

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Zweites Kapitel. Begriff und Bedeutung des deutschen Privatrechts.

Erscheint ein derartiges besonderes Recht als ein in sich zusammenhängender Inbegriff von Rechtssätzen, so sprechen wir von einem „Sonderrecht" oder „Spezialrecht". Ihm steht dann das zu allgemeiner Geltung berufene Recht als „gemeines Recht" (gemeines bürgerliches Recht, gemeines Civilrecht, gemeines Privatrecht), im Sprachgebrauch des Mittelalters und heute noch des Lehnrechts als „Landrecht", im Sprachgebrauch neuerer Gesetze (z. B. des Handelsgesetzbuches, der Wechselordnung, mancher Bergordnungen) auch schlechthin als „bürgerliches Recht" oder „Civilrecht" gegenüber. Das germanische Recht neigte von je zur Ausscheidung von Sonderrechten. Im Mittelalter drohten die Sonderrechte das gemeine Recht völlig aufzuzehren. Heute überwiegt das gemeine Recht. Allein auch das moderne Recht hat mit dem germanischen Gedanken, dafs besondere Lebensverhältnisse ein besonderes Recht fordern, nicht gebrochen. Nur stehen heute die Sonderrechte dem gemeinen Recht nicht mehr wie ehemals als durchaus selbständige Rechtsgebäude gegenüber, spndern verhalten sich zu ihm wie Nebengebäude, die mit dem Hauptgebäude ein Ganzes bilden. Das gemeine Recht legt auch für sie den Grund und gewährt ihnen festen Halt. Aber sie sind in sich einheitlich gefügt und durch eigenartige Struktur und Färbung ihrer Bestandtheile innerlich zusammengeschlossen. Dem römischen Recht ist die Unterscheidung von gemeinem und besonderem Recht nicht völlig fremd. Allein es hat nicht blos stets nur einzelne besondere Rechtssätze, niemals ganze Sonderrechte geschaffen, sondern auch das vom Jus commune" abweichende Recht als „jus singulare" in die Stellung einer anomalen Bildung, eines gegen die ratio juris aus Zweckmäfsigkeitserwägungen eingeführten Ausnahmerechts gedrängt3. Der Begriff des singulären Rechts ist auf unser Sonderrecht schlechthin unübertragbar. Unser Sonderrecht ist so gut wie das gemeine Recht Ausflufs der Rechtsidee, der nicht durch 9

Dernburg, Pand. § 33, will auch im römischen Recht Sonderrecht und anomales Recht unterscheiden und die Aussprüche des Paulus in 1. 14 u. 16 D. de leg. 1, 3 nur als einseitige Verallgemeinerungen deuten, bei denen von wirklichen Rechtssingularitäten, wie sie als „Rudimente der Vergangenheit oder durch „Zufälligkeiten" der Rechtsbildung vorkommen, ausgegangen sei. Indefs kann Paulus unmöglich an solche Fälle gedacht haben, da er von Rechtssätzen spricht, die schon bei ihrer Einführung gegen die ratio juris verstofsen und durch irgend eine „utilitas" hervorgetrieben sind. Dafs aber die Auffassung des Paulus dem Geiste des römischen Rechts entspricht, zeigt doch dessen thatsächliche Gestaltung, zumal bei einem Vergleich mit germanischem und modernem Recht — Vgl. über das römische jus singulare Regelsberger in der Festgabe der Göttinger Jur.-Fak. f. Jhering (1892) S. 45 ff., Pand. I § 31.

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Gemeines und nicht gemeines Recht.

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gleichförmige Durchführung eines logischen Schemas, sondern durch gerechte Ordnung aller Lebensverhältnisse nach Mafsgabe ihrer Eigenart Genüge geschieht. Därum sind auf dasselbe namentlich die römischen Sätze über einschränkende Auslegung des jus singulare durchaus unanwendbar. 2. Gemeinsames und eigenthümliches Recht (jus universale und proprium). Die Rechtsquellen mehrerer getrennter Rechtsgebiete können inhaltlich übereinstimmen oder auseinandergehen. In bedeutendem Umfange giebt es heute neben dem eigenthümlichen Recht jedes Gebietes ein mehreren Gebieten gemeinsames („allgemeines" oder „materiell gemeines") Recht, das sich in mannichfacher Abstufung bis zum europäischen Recht oder sogar zum Weltrecht erhebt8. So giebt es auch ein mehreren oder vielen deutschen Rechtsgebieten gemeinsames Recht bis hinauf zu allgemeinem deutschem Rechte. Immer aber bleibt solche Uebereinstimmung blos thatsächlicher Art; sie ist, weil sie nicht auf Einheit der Rechtsquelle beruht, zwar nicht für die geschichtliche, wohl aber für die juristische Betrachtung etwas Zufälliges. Dies gilt auch dann, wenn genau dasselbe Gesetz in mehreren Staaten kraft Vereinbarung oder Entlehnung erlassen ist 4 . 3. Gemeines und partikuläres Recht (jus commune und particulare). Mehrere Rechtsgebiete können in einander geschoben sein, indem ein Rechtsgebiet zugleich Theil eines gröfseren Rechtsgebietes ist oder auch verschiedene Rechtsgebiete einander durchkreuzen. Dann beherrschen denselben räumlichen Bezirk Rechtsquellen verschiedener Erstreckung, die eine als einen Theil ihres Rechtsgebiets, die andere als ihr besonderes Rechtsgebiet oder auch als einen Theil ihres anders begrenzten Rechtsgebiets. Hieraus entsteht der Gegensatz zwischen „gemeinem" Recht im technischen Sinne („formell gemeinem Recht") und partikulärem Recht. Gemeines Recht ist das Recht, welches kraft der Beschaffenheit seiner Rechtsquelle das zusammengesetzte Rechtsgebiet als einheitliches Ganze, partikuläres Recht das Recht, welches kraft der Beschaffenheit seiner Rechtsquelle nur einen 8

Diese Unterscheidung machten auch die Römer, indem sie dem Jus proprium", das sich jede civitas setzt und das für den populus Romanus im Jus civile" besteht, das Jus gentium" als ein „commune omnium hominum jus" gegenüber stellten; Inst. I, 2 § 1; 1. 9 D. de just, et jure 1, 1. 4 So sind Wechselordnung und Handelsgesetzbuch noch heute ein dem Deutschen Reich und Oesterreich (und waren früher ein fast allen deutschen Staaten) gemeinsames, nicht aber ein für sie gemeines Recht. Ebenso ist das preufsische Bergrecht und Grundbuchrecht ein dem preufsischen Staat und anderen Staaten, die es entlehnt haben, gemeinsames, aber kein für sie gemeines Recht.

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Zweites Kapitel.

Begriff und Bedeutung des deutschen Privatrechts.

Theil dieses Gebietes ergreift 5. Der Gegensatz ist mannichfacher Abstufungen fähig, auch kann er, wo Rechtsgebiete einander durchkreuzen, sich je nach dem Standpunkte der Betrachtung verschieben6. Das Ineinandergreifen von Rechtsgebieten kann die Folge verschiedenartiger Umstände sein. Hierbei bestehen folgende Möglichkeiten, die in Deutschland sämmtlich zugleich Wirklichkeiten sind: a. Rechtsgebiet ist nothwendig jedes Staatsgebiet. Denn jeder Staat hat gesetzgebende Gewalt. Wo daher ein aus Staaten zusammengesetzter Staat (wie das Deutsche Reich) besteht, giebt es auch gleichzeitig ein Gesammtrechtsgebiet und ihm eingefügte Einzelrechtsgebiete und folgeweise gemeines Recht (Reichsrecht) und Partikularrechte (Landesrecht). b. Rechtsgebiet kann auch ein ehemaliges Staatsgebiet sein. Denn mit dem Untergange eines Staates erlischt nicht zugleich das von ihm gesetzte Recht7. Darum kann einerseits bei der Auflösung eines Staates in mehrere Staaten das ehemalige Gesammtstaatsgebiet ein Rechtsgebiet und somit sein Recht in mehreren Staaten gemeines Recht bleiben, wie dies beim Zerfalle des alten deutschen Reichs geschah8. Andrerseits kann bei der Vereinigung eines Staats mit einem anderen Staat das ehemalige Sonderstaatsgebiet als Rechtsgebiet und somit sein Recht als Partikularrecht fortbestehen, wie dies in Deutschland noch heute für zahlreiche einstige landesherrliche Territorien uod reichsstädtische Gebiete und ebenso in Preufsen für die 1866 einverleibten Staatsgebiete zutrifft. Auch kann im Falle der Veränderung der staatlichen Zugehörigkeit einzelner Gebietstheile ein ehemaliges Staatsgebiet als ein Rechtsgebiet anerkannt bleiben, das nun mehrere Staatsgebiete durchkreuzt9. B Im römischen Reich fehlte es thatsächlich keineswegs an Partikularrecht neben dem Reichsrecht; vgl. Mitteis, Reichsrecht u. Volksrecht in den östlichen Provinzen des röm. Kaiserreichs, Leipzig 1891. Allein die Jurisprudenz ignorirte es Darum ist der begriffliche Gegensatz im Corpus juris nicht formulirt Er ist erst von der mittelalterlichen Jurisprudenz entwickelt worden, die sich hierbei an durchaus unpassende Quellenstellen (besonders die oben Anm. 3 citirten) anlehnte. 6 So ist z. B. vom Standpunkte des gemeinpreufsischen Rechts das gemeine Recht im älteren Sinne, vom Standpunkte des letzteren umgekehrt das gemeinpreufsische Recht blofses Partikularrecht. 7 Anerkannt vom R.Ger. 24. Sept. 1886 X V I Nr. 60 S. 265. 8 Dies bestreitet W ä c h t e r , Gemeines Recht S. 169 ff. — Ein anderes Beispiel bietet der Fortbestand des kursächsischen Rechts (insbes. der Konst. v. 1572) in verschiedenen sächsischen Staaten. 9 Dies trifft z. B. für das Gebiet des preufsischen Landrechts zu, da es auch Theile von Bayern umfafst. Ebenso Air das Gebiet des Code civil, des öster-

§ 6.

Gemeines und nicht gemeines Recht.

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c. Rechtsgebiet ist das Geltungsgebiet einer Satzungsgewalt10. Mithin kann dem gemeinen Recht eines Staates das gewillkürte Recht eines engeren Verbandes (einer Provinz, Gemeinde, Körperschaft) als partikuläres Recht gegenübertreten. Auch kann umgekehrt das Satzungsrecht eines umfassenderen Verbandes (z. B. der katholischen Kirche) in mehreren Staatsgebieten gelten. Und wiederum kann das aus einer ehemaligen Satzungsgewalt erflossene Satzungsrecht (z. B. das Statutarrecht einer Landstadt) in Kraft bleiben, obwohl seine Quelle versiegt ist. d. Rechtsgebiet ist das Geltungsgebiet eines Gewohnheitsrechts. Das Gebiet einer Gewohnheitsrechtsbildung kann sich mit einem Gesetzgebungs- oder Satzungsgebiet decken. Es kann aber auch unabhängig von einem solchen Gebiete bestehen. In mannichfacher Abstufung kann Gewohnheitsrecht entweder gemeinem Rechte als partikuläres Recht oder partikulärem Rechte als gemeines Recht (insbesondere auch als gemeines deutsches Recht) gegenübertreten. e. Rechtsgebiet ist endlich jeder Gebietstheil, für den eine an sich ein gröfseres Gebiet beherrschende Rechtsquelle, indem sie sich selbst beschränkt, ein besonderes Recht setzt. Somit kann namentlich das Gesetz nicht blos gemeines Recht des Staatsgebiets, sondern auch Partikularrecht erzeugen. Wie übereinstimmendes Recht mehrerer Rechtsgebiete zwar allgemeines, aber nicht gemeines Recht ist, so braucht das gemeine Recht in seinem Gebiete nicht allgemeines Recht zu sein. Vielmehr ist das für ein Gebiet als Ganzes geltende Recht gemeines Recht, wenngleich es in einzelnen Gebietstheilen kraft eines abweichenden Partikularrechts nicht gilt. Wäre freilich das Ganze nichts als die Summe der Theile, so könnte es gemeines Recht in diesem Sinne nicht geben. Wie aber alles Leben auf der Kraft beruht, vermöge deren die Einheit des Ganzen der Vielheit der Theile wirkend gegenübertritt, so ist auch die in der Rechtsgeschichte von je mächtige Vorstellung eines durch partikularrechtliche Einbrüche nicht zerstörten gemeinen Rechts vollauf berechtigt11. Ja, begrifflich bleibt das gemeine Recht auch reichischen Gesetzbuchs, aber auch des Solmser Landrechts, des Mainzer Landrechts u. s. w. 10 Allerdings ist nicht jede Satzungsgewalt territorial bedingt und bestimmt· So erzeugt die Autonomie des hochadligen Hauses Rechtsnormen mit personalem Geltungsbereich. Allein vom Standpunkte des Privatrechts eines bestimmten Gebiets erscheint alles Satzungsrecht als ein innerhalb dieses Gebietes geltendes oder nicht geltendes Recht. 11 Vgl. W i n d s c h e i d , Pand. § 1 Anm. 1.

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dann noch gemeines Recht, wenn es thatsächlich auf einen geringfügigen Theil seines Gebietes zurückgedrängt ist und nun freilich bei so schattenhaftem Dasein im wirklichen Leben seine Aufgabe nicht mehr zu lösen vermag12. II. Rechtszustand im Deutschen Reich. Da im Deutschen Reich alle erwähnten Gegensätze eine Rolle spielen, ist der Zustand des in ihm geltenden Privatrechts verwickelt und bunt. Es giebt gemeines bürgerliches Recht und zahlreiche Sonderrechte, mehr oder minder allgemeines und landschaftlich eigenthümliches Recht und vor Allem in mehrfacher Abstufung und Durchkreuzung gemeines und partikuläres Recht. Tn letztgedachter Hinsicht ist zu unterscheiden. 1. Reichsprivatrecht. Formell gemeines Recht für das ganze Gebiet des Deutschen Reichs fliefst aus neuen Reichgesetzen und aus Reichsgewohnheitsrecht18. Das Reichsgesetzesrecht schliefst, soweit seine Normen sich erstrecken, im Zweifel alles Partikularrecht aus. Es kann aber sich selbst eine eingeschränktere Geltung beilegen. In der That gilt manches Reichsgesetzesrecht nur subsidiär, so dafs ihm abweichende Partikularrechte vorgehen14. Andres Reichgesetzesrecht nimmt von vornherein einzelne Theile des Reichsgebietes von seiner Herrschaft aus15. 2. Gemeines deutsches Priv at recht im ältere η Sinne. Das aus alten Reichsgesetzen und gemeiner deutscher Gewohnheit erflossene ehemalige gemeine Recht Deutschlands besteht als formell gemeines Recht in demjenigen Theile des einstigen Reichsgebietes fort, in dem es nicht aufser Kraft gesetzt ist. Aufser Kraft gesetzt ist es in den Geltungsgebieten des preufsischen, österreichischen, französischen und sächsischen Gesetzbuchs. Die übrigen deutschen Landschaften bilden also als „Länder des gemeinen Rechts" ein einheitliches 12 Die von Bruns bei Ersch u. Gruber, Encyklopädie LVII208ff., geäufserte Ansicht, dafs der Begriff des gemeinen Rechts wegfalle, wenn die Ausnahmen sich vermehren, beruht auf einer Verkennung des Verhältnisses zwischen Begrifflichem und Thateächlichem. 18 Unrichtig sagt Franken, D.P.R. S. 6: „alles Reichsrecht ist jus scriptum". Man denke aber an gemeindeutsches Handelsgewohnheitsrecht oder an gemeindeutschen Gerichtsgebrauch, dessen Bildung im Bereiche der einheitlichen Rechtsprechung des Reichsoberhandelsgerichts und des Reichsgerichts schon stattgefunden hat. 14 Vgl. ζ. B. H.G.B. Art. 308; E.G. zur C.P.O. Art. 11. Andere Beispiele bei Hänel, Deutsches Staatsrecht I 257—259. 16 So gelten besonders mehrere Reichsgesetze nicht in Bayern und andere nicht in Elsafs-Lothringen. Zum Theil ist die Reichsgesetzgebung durch die Reservatrechte zu einem derartigen Verfahren verpflichtet.

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echt.

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Rechtsgebiet. Dieses gemeine Recht ist auch einer gewohnheitsrechtlichen Fortbildung fähig. Es gilt aber nur subsidiär, so. dafs ihm Partikularrechte verschiedenster Rangstufe vorgehen. Die Ansicht, dafs das ganze gemeine Recht im älteren Sinne heute nur noch gemeinsames Landesrecht sei, ist in der Theorie stets vereinzelt geblieben16. Auf die Praxis hat sie keinerlei Einflufs gewonnen. 3. Gemeines Privatrecht mehrerer deutscher Länder. Kraft der Fortgeltung von älterem Gesetzes- oder Gewohnheitsrecht giebt es formell gemeines Recht für ein aus mehreren deutschen Staatsgebieten oder Staatsgebietstheilen zusammengesetztes engeres Rechtsgebiet innerhalb des gemeindeutschen Rechtsgebiets. Auch kann derartiges Recht sich neu bilden. Die wichtigste hierher gehörige Erscheinung im Bereiche des Privatrechts ist das „gemeine Sachsenrechta, welches noch in den sächsisch-thüringischen Staaten (nicht mehr im Königreich Sachsen) als subsidiäres Recht gilt 17 . Es geht dem gemeinen deutschen Recht älterer Art vor 18 , wird aber durch Partikularrecht gebrochen. 4. Landesprivatrecht. In jedem deutschen Einzelstaat giebt es ein aus Gesetz oder Gewohnheitfliefsendes gemeines Landesprivatrecht, dem die nur einen Theil des Staatsgebietes ergreifenden Rechtssätze als Partikularrechte gegenüberstehen. In mehreren deutschen Einzelstaaten aber zerfällt für die Hauptmasse des Privatrechts das Staatsgebiet in völlig getrennte Rechtsgebiete, in deren jedem dann wieder ein gemeines Recht über Partikularrechten herrscht. In manchen dieser Rechtsgebiete kehrt der Gegensatz von gemeinem und partikulärem Recht in noch engeren Kreisen (z. B. im Verhältnifs von Provinzialrecht zu Landschaftsrecht und von Landschaftsrecht zu Ortsrecht) wieder19. 16 Yertheidigt haben sie namentlich Wächter, Gem. Recht S. 169 ff. u. R ü c k e r t a. a. 0. S. 42 ff. u. 107 ff. 17 Vgl. Roth, D.P.R. I § 126. Weiter noch reicht das Geltungsgebiet des Sachsenspiegels. Vgl. unten S. 62. 18 O.A.G. Dresden 26. Januar 1863 b. Seuff. X V I I Nr. 7. 19 In den meisten preufsischen Provinzen z. B. stehen einem gemeinen Provinzialrecht, das theils aus älteren Quellen theils aus staatlichen Provinzialgesetzen theils auch aus Provinzialstatuten fliefst, zahlreiche Partikularrechte einzelner Landschaften und Städte gegenüber. Innerhalb dieser Partikularrechte giebt es zum Theil wieder zusammengesetzte Rechtsgebiete, in denen das gemeine Recht eines ehemaligen Territoriums und die Rechte engerer Bezirke konkurriren; so z. B. in Hannover das gemeine Recht der Herzogtümer Bremen und Verden mit mehreren Landrechten (Osterstade, Altenland, Wursten, Kehdingen), Stadtrechten

B i n d i n g , Handbuch.

Π . 3. I :

G i e r k e , Deutsches Privatrecht.

I.

4

50

Zweites Kapitel. Begriff und Bedeutung des deutschen Privatrechts.

So gilt in Preufsen für Privatrechtsverhältnisse, die nicht das natürlich auch hier alle Landesgesetze brechende Reichsprivatrecht ordnet, zunächst das in Gesetzen für den ganzen Umfang der Monarchie enthaltene gemeinpreufsische Privatrecht (z. B. Vormundschaftsrecht) 20. Im Uebrigen aber bestehen drei getrennte Rechtsgebiete21. Erstens das Gebiet des gemeinen Rechts, in dem gemeines Recht im älteren Sinne als subsidiäres gemeines Recht gilt, als prinzipales Recht aber zahlreiche Partikularrechte in mehrfacher Stufenfolge zur Anwendung kommen. Zweitens das Gebiet des preufsischen Landrechts, in dem das preufsische Landrecht als gemeines Recht gilt, diesem aber gleichfalls Provinzial- und Statutarrechte vorgehen. Drittens das Gebiet des französischen Rechts, in dem das Recht des Code in seiner rheinischen Aus- und Fortbildung nicht nur als gemeines, sondern grundsätzlich als prinzipales Recht gilt und nur in einzelnen Punkten ausnahmsweise partikuläre Rechtsnormen Platz greifen. Aehnlich liegt die Sache in Bayern, wo jedoch zu den Rechtsgebieten des hier besonders stark durch partikuläre Land- und Stadtrechte zerklüfteten gemeinen Rechts, des preufsischen Landrechts und des französischen Rechts noch ein kleines Rechtsgebiet des österreichischen Gesetzbuches hinzutritt. Auch in Hessen zerfällt das Staatsgebiet in ein gemeinrechtliches und ein französischrechtliches Gebiet, von denen das erstere wieder zahlreiche Partikularrechtsgebiete umschliefst (Stade, Buxtehude, Verden) und dem Bremischen Ritterrecht und in ähnlicher Weise andere Territorialrechte mit Land- und Stadtrechten; so in Schleswig das Jütische Low in seinem Gebiet mit einer Anzahl von Statutarrechten; so in HessenNassau das gemeinkurhessische und gemeinnassauische Recht mit verschiedenen engeren Partikularrechten; vgl. Roth, D.P.R. I § 12—14. Andrerseits schiebt sich zwischen Provinzialrecht und gemeinpreufsisches Recht noch ein fur eine Gruppe von Provinzen gemeines Recht ein (z. B. in den für die östlichen Provinzen der Monarchie oder für die neuen Landestheile erlassenen Gesetzen). — In mehreren Provinzen durchkreuzt übrigens das Provinzialrecht die grofsen Rechtsgebiete: in Pommern und Hannover gemeines und preufsisches, in der Rheinprovinz gemeines, preußisches undfranzösisches Civilrecht. 10 Zum Theil tritt auch das Privatrecht einer Provinz oder einer Gruppe von Provinzen vor die Spaltung der Rechtsgebiete; vgl. die vorige Anm. a. E. 11 Streng genommen fünf, da in einzelnen Theilen Schleswigs friesisches (Nordetrander), in anderen dänisches Recht ohne Subsidiarrecht gilt; Roth a. a. 0. I 84. Dagegen gehört das Rechtsgebiet des Jütischen Low dem Gebiet des gemeinen Rechts an. Nach der Ansicht Mancher ist es ein selbständiges Rechtsgebiet, weil hier eine konstante Praxis das römische Recht nur anwendet, soweit seine Rezeption erweislich ist; so Roth a. a. 0. I 1 u. 80 ff. Wenn aber die Rezeption in complexu überhaupt verworfen wird, handelt es sich nur um quantitative Unterschiede. Vgl. auch R.Ger. b. Seuff. XLVffl Nr. 72.

§ 6. Gemeines und nicht gemeines Recht

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In den übrigen deutschen Ländern bildet das Staatsgebiet für die Hauptmasse des Privatrechts ein einheitliches Rechtsgebiet. Wo jedoch das gemeine Recht herrscht, wird dasselbe nicht nur durch Landesprivatrecht im ganzen Umfange des Staatsgebietes, sondern auch durch oft (z. B. in Mecklenburg, Oldenburg, Braunschweig) sehr zahlreiche und eingreifende Partikularrechte in einzelnen Gebietsteilen gebrochen. Nur in Sachsen kommen gegenüber dem sächsischen Gesetzbuch, in Baden gegenüber dem badischen Landrecht, in ElsafsLothringen gegenüber dem französischen Recht Partikularrechte nur ausnahmsweise zur Anwendung. III. Aufgabe des deutschen Privatrechts. Wie stellt sich nun zu diesem Rechtszustande die Aufgabe des deutschen Privatrechts? 1. In das deutsche Privatrecht fallen gemeines bürgerliches Recht und Sonderrechte; jenes nur zum Theil, diese wegen ihrer germanischen Herkunft in ihrer ganzen Ausdehnung. Wenn das Handelsrecht, das Wechselrecht, das Seerecht und etwa noch andere Sonderrechte als selbständige Disziplinen ausgeschieden werden, so geschieht dies lediglich aus äufseren Gründen. 2. Das deutsche Privatrecht umfafst nicht blos gemeinsames deutsches Recht, sondern auch eigenthümliches Recht einzelner deutscher Stämme, Landschaften und Ortschaften. Die Ausprägung eines gemeinsamen nationalen Rechtsgedankens in stark auseinanderlaufenden, eigenthümlichen Rechtsbildungen ist gerade ein Hauptzug unserer Rechtsgeschichte. Wollte das deutsche Privatrecht vom eigenthümlichen Rechte absehen, so müfste es beispielsweise auf jede Erwähnung des ehelichen Güterrechts verzichten. 3. Was schliefslich den Gegensatz von gemeinem und partikulärem Recht betrifft, so hat das deutsche Privatrecht eine dreifache Aufgabe zu lösen. a. Darstellung des Reichsprivatrechts, soweit nicht etwa in den privatrechtlichen Bestimmungen eines neueren Reichsgesetzes lediglich römisches Recht (z. B. das Militärtestament oder die actio Paulliana) fortgebildet wird. Hierbei bedeutet das deutsche Privatrecht eine für das ganze deutsche Reichsgebiet unmittelbar praktische Lehre. b. Darstellung des gemeinen deutschen Privat rechts, d. h. derjenigen Bestandteile des gemeinen Rechts im älteren Sinne, die deutscher Herkunft sind. Insoweit bedeutet das deutsche Privatrecht gleich dem Pandektenrechte eine für einen Theil Deutschlands unmittelbar praktische Lehre. Denn es stellt positive Rechtssätze dar, 4*

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Zweites Kapitel. Begriff und Bedeutung des deutschen Privatrechts.

die in den Ländern des gemeinen Rechts von den Gerichten anzuwenden sind, wenn es an einem partikuläreren Gesetzes- oder Gewohnheitsrecht gebricht. Solche gemeinrechtlichen Sätze gelten auch für Rechtsinstitute, die einzelnen deutschen Landschaften eigenthümlich sind (z. B. eheliche Gütergemeinschaft, Einkindschaft, Meierrecht). Dann setzt aber ihre Anwendung voraus, dafs die Anerkennung des fraglichen Rechtsinstituts in dem Gebiet, um das es sich handelt, feststeht („bedingt gemeines Recht"). In älterer wie in neuerer Zeit ist behauptet worden, dafs zwar das geschriebene fremde Recht nebst den alten Reichsgesetzen formell gemeines Recht sei, dagegen das „sogenannte gemeine deutsche Privatrecht" überhaupt keine unmittelbar anwendbaren Rechtsnormen enthalte. Vielmehr sei es nur ein freilich unentbehrliches Hülfsmittel für das Verständnifs der Landesrechte und habe daher für den Richter lediglich eine nicht bindende wissenschaftliche Autorität 22. Auf die Widerlegung dieser Behauptung haben die meisten Germanisten seit dem vorigen Jahrhundert manche Mühe verwandt28. Sie steht und fällt mit der Annahme, dafs es kein gemeines deutsches Gewohnheitsrecht geben könne. Gäbe es kein solches, so bräche auch die gemeinrechtliche Geltung des römischen Rechts zusammen. Ist aber das römische Recht formell gemeines Recht, so kommt dem gemeinen deutschen Privatrecht genau derselbe Grad von Positivität zu. Im Grunde indefs bedarf das Dasein des gemeinen deutschen Privat22

So im Ergebnifs bereits T a f i n g e r , Ueber die Bestimmung des Begriffs der Analogie des teutschen Privatrechts und die Grundsätze, dasselbe zu bearbeiten, Th. I Ulm 1877, mit dem Danz, D.P.R. 1175 ff. übereinstimmt: blofses „analogisches Recht". In schroffer Form Hufeland, Beiträge zur Berichtigung und Erweiterung der positiven Rechtswiss., St. I , Jena 1792, S. 53 ff.; Einleitung in die Wissenschaft des heutigen deutschen Privatrechts, Jena 1796: Das römische Recht gemeines Recht, das deutsche Partikularrecht. Ferner Feuerbach, Civilistische Versuche, Giefsen 1803; F a l c k , Handbuch des Schlesw.-Holst. Privatrechts I § 5 S. 8 ff.; Gerber, Das wissenschaftliche Prinzip S. 272 ff.; Stobbe, D.P.R. § 7 ff.; Roth, D.P.R. I 4. 28 Vgl. Estor, Bürgerl. Rechtsg. § 1 ff.: „von der Wirklichkeit des teutschen Rechts". Mylius, De genuino conceptu juris Germanici universalis hodierni privati civilis, Lips. 1752. Auch Pütter, El. j. G. p. § 39 ff. u. Beyträge zu dem teut Staats- u. Fürstenrecht I I Nr. 21—22 u. 27—31 (zwar „theoretisches", aber doch unmittelbar anwendbares gemeines Recht); ähnlich v. Selchow, Elem. j. G. § 6, u. Rudioff, Comm. de jure Germanico justa methodo tractando, Göttingen 1767. Ferner Runde, D.P.R. § 10 u. 79 ff.; E i c h h o r n , Z. f. gesch. R.W. I 124 ff., D.P.R. § 1 u. 39—40; Mittermaier, D.P.R. I § 37; Reyscher, Z. f. D.R. 111 ff., I X 337 ff., X 153 ff.; Be sei er, Volker, u. Juristenr. S. 91 ff., D.P.R. § 1 ff.; Renaud, D.P.R. § 5; W a l t e r , D.P.R. § 8—9; Gengier, D.P.R. § 5; F r a n k e n , D.P.R. I 11—13.

§ 6. Gemeines und nicht gemeines Recht.

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rechts keines Beweises, da es sich täglich in Lebensäufserungen betätigt. Denn nach altem Gerichtsgebrauch wenden die deutschen Gerichte beständig Sätze des gemeinen deutschen Privatrechts nach Art selbständiger und unmittelbar bindender Rechtsnormen an. Das Reichsgericht aber hat in der Durchführung der gleichen Auffassung noch nicht einen Augenblick geschwankt24. c. Darstellung des deutschen Rechtsgedankens in den Partikularrechten. Das deutsche Privatrecht besteht nicht aus der Summe der deutschen Partikularrechte. Es hat daher die deutschen Partikularrechte als solche weder ganz noch auch nur in ihren deutschrechtlichen Bestandteilen darzustellen. Allein es ist die innere Einheit eines organischen Ganzen, dem die Partikularrechte als Glieder angehören. Darum hat es den in deutschen Rechtsgedanken wurzelnden Zusammenhang der deutschen Partikularrechte zur Anschauung zu bringen. Es mufs die vielgestaltigen Gebilde aller dieser weiteren und engeren Quellen als Verästelungen desselben Grundstammes begreifen und so in der Mannichfaltigkeit die Einheit aufzeigen. Ein solches Verfahren ist möglich, weil zuletzt in der That die Partikularrechte nur Brechungen Eines deutschen Rechtsgedankens sind, aus Einem Volksgeiste in Einem geschichtlichen Prozefs hervorgebracht. Ein solches Verfahren ist aber auch nothwendig, weil weder ohne den Hinblick auf die partikulären Ausgestaltungen die Kraft und Fülle des deutschen Rechtsgedankens, noch ohne den Rückblick auf die zu Grunde liegende geistige Einheit das Wesen der Partikularrechte begriffen werden kann. Insoweit das deutsche Privatrecht diese Aufgabe löst, kann es eine unmittelbar praktische Bedeutung überhaupt nicht in Anspruch nehmen. Dagegen hat es gerade als Darstellung der idealen Einheit der Partikularrechte eine mittelbar praktische Bedeutung für ganz Deutschland. Denn es bildet ein wissenschaftliches Hülfsmittel für das Verständnifs aller Landesrechte, nicht blos der Partikularrechte im Gebiet des gemeinen Rechts, sondern auch der das gemeine Recht ausschließenden kodifizirten Rechte, des preufsischen, französischen, österreichischen und sächsischen Rechts. 24 R.G. 10. Dez. 1880 I I I Nr. 57 S. 205: „Normen des gemeinen Rechts können der Revision zu Grunde gelegt werden, mögen sie dem romischen oder dem gemeinen deutschen Recht entstammen, auf Gesetz oder deutschem Gewohnheitsrecht beruhen". Vgl. auch beispielsweise X I Nr. 89 S. 194 (gemeines Recht vor dem H.G.B. betreffs der Rhederei), Nr. 47 (gemeines Lehnsgewohnheitsrecht), X I I Nr. 52 u. XXIV Nr. 36 (gemeines deutsches Meierrecht), XXIX Nr. 33 (gemeinrechtliche Sätze über allgemeine Gütergemeinschaft).

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Drittes Kapitel. Quellen, Hlfsmittel u. Litteratur des deut Privatrechts.

Drittes Kapitel. Quellen, Hülfsmittel und Litteratur des deutschen Privatrechts. § 7. Quellen des gemeinen deutschen Privatrechts. Unmittelbare Quellen sind für das deutsche Privatrecht allein die Rechtsquellen, aus denen formell gemeines Recht deutscher Herkunft fliefst. Dies sind: I. Gemeindeutsche Gewohnheiten. Sie sind nicht offiziell aufgezeichnet, sondern werden mit Hülfe der Litteratur, in der sie durch Theorie und Praxis bezeugt werden, durch Beobachtung des Rechtslebens erkannt. II. Gemeindeutsche Gesetze. Als Gesetzesrecht fliefst gemeines Recht ungleicher Art und Tragweite aus den Rechtsetzungsakten des ehemaligen und des gegenwärtigen deutschen Gesammtstaates. 1. Gesetze des alten Reichs 1 . Das alte deutsche Reich besafs bis zu seinem Untergange eine wahre Gesetzgebungsgewalt. Die Reichsgesetze schufen daher ein an sich alle Reichsangehörigen unmittelbar ergreifendes gemeines Recht. Allein sie konnten, soweit sie nicht ausdrücklich das Gegentheil bestimmten, durch Landesrecht gebrochen werden. Preufsen schaffte sie sogar schon zu Reichszeiten mit dem übrigen gemeinen Recht völlig ab. Mit der Auflösung des Reiches fiel jede Sckranke für ihre einseitige Aufhebung. Soweit indefs eine solche nicht erfolgt ist, sind sie in Kraft geblieben. Sie sind daher zwar in den Gebieten des ausschliefslichen Landesrechts beseitigt, haben jedoch in den gemeinrechtlichen Gebieten ihre subsidiäre Geltung bis heute behauptet. Wenn bisweilen dem Art. 2 der Rheinbundsakte v. 12. Juli 1806 die Tragweite einer generellen Aufhebung der Reichsgesetze beigelegt wurde, so sind Theorie und Praxis längst dahin einig geworden, dais dieser Artikel trotz seiner sehr allgemeinen Fassung nur auf die mit 1 Neue vollständige Sammlung der Reichsabschiede, 4 Thle. in 2 Bdn., Frankfurt a. M. 1747. — Gerstlacher, Handbuch der deutschen Reichsgesetze, 11 Thle., Karlsruhe 1786—1794·, darin Th. 10 die privatrechtlichen Bestimmungen.

§ 7.

Quellen des gemeinen deutschen Privatrechts.

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der Reichsverfassung zusammenhängenden Gesetzesbestimmungen bezogen werden darf 2. Die Reichsgesetze enthalten indefs nur vereinzelte in das Privatrecht einschlagende Bestimmungen8. 2. Gesetze aus der Zeit des deutschen Bundes 4 . Der deutsche Bund entbehrte der Gesetzgebungsgewalt und konnte daher gemeines deutsches Recht nicht schaffen. Er konnte jedoch die Schaffung von allgemeinem deutschem Recht durch die Bundesglieder auf gewissen Gebieten erzwingen und im Uebrigen anregen oder fördern. Im Bereiche der Bundesgewalt konnte er durch Bundesbeschlüsse Rechtsnormen festsetzen, zu deren gesetzlicher Einführung die Einzelstaaten bundesverfassungsmäfsig verpflichtet waren. Derartige Bundesbeschlüsse erwirkten also durch Bundeszwang allgemeines deutsches Recht, traten aber, da sie erst durch die Verkündigung seitens der Einzelstaaten Gesetzesrecht wurden, immer nur als übereinstimmendes Landesrecht in Kraft 6. Als solches gelten sie trotz der Auflösung des Bundes fort, unterliegen jedoch nunmehr der freien Aufhebung durch die Landesgesetzgebung. In das Privatrecht greifen sie nur auf einzelnen Gebieten ein6. 2 So auch Erk. des B.Ger, b. Seuff. X L V I Nr. 167 S. 265. Vgl. Eichhorn, D.P.R. § 24 Anm. a; H. A. Zachariae, Staatsr. I g 37 I I I ; H. Schulze, Einleitung in das deut. Staatsrecht § 10 Anm. 1; Stobbe, D.P.R. I § 13 I. 8 Am meisten die Reichspolizeiordnungen (R.P.O.) v. 1530, 1548 u. 1577 (über Wucher, Gesinderecht, Handwerkerrecht, Vormundschaft, Buchhandel, Rentenkauf, Cession, Verkauf von Früchten auf dem Halm, Judemecht u. s. w.), die Reichsnotariatsordnung (R.N.O.) v. 1512 (Testamente), die Reichsgesetze über Erbfolgefragen (R.A. v. Freiburg 1498 § 37, Augsburg 1500 § 19, Worms 1521 § 18—19, Ed. v. Nürnberg 1521, R.A. v. 1529 § 31, Konst. v. Speyer 1529); Einiges auch der ewige Landfr. v. 1495, die Reichskammergerichtsordnung (R.K.G.O.) v. 1555, der R.D.A. v. 1600 § 32, der jüngste Reichsabschied (J.R.A.) v. 1654, der Westfälische Friede (I.P.O.), die Wahlkapitulationen (über Mifsheirathen), der Reichsdeputationshauptschluffa (R.D.H.Schl.) v. 1803. 4 G. v. Meyer, Corpus juris confoederationis Germaniae, 3. Aufl. ergänzt und bis auf die neueste Zeit fortgeführt von Zöpfl, 3 Bde., Frankfurt a. M. 1858—1868. 5 So mit Recht v. Wächter, Gem. Recht S. 223—224; Thöl, Einl. § 47 u. 49; Lab and, Staatsr. (2. Aufl.) 1 8 ; Stobbe, D.P.R. § 13 Anm. 9. Dagegen wäre nach Reyscher, Z. f. D.R. I 42 ff., Beseler, D.P.R. § 41 I I , Gerber, D.P.R. § 21, der Bundesbeschlufs durch die Publikation der Einzelsiaaten „gemeines" Recht geworden. 6 Insbesondere die Bundesakte v. 10. Juni 1815 selbst, sodann die B.B. über Nachsteuer und Abzugsfreiheit (unten § 56 Anm. 38) und über Nachdruck (unten § 85 Anm. 24).

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Drittes Kapitel. Quellen, Hlfsmittel u. Litteratur des deut. Privatrechts.

Darüber hinaus wurde durch freiwillige Uebereinkunft der deutschen Bundesstaaten die deutsche Wechselordnung als allgemeines deutsches Recht in den Einzelstaaten eingeführt 7 und unter fördernder Mitwirkung des Bundes mittels der Nürnberger Novellen ergänzt8. In derselben Weise wurde das deutsche Handelsgesetzbuch, nachdem der Bund dessen Ausarbeitung veranlafst und durch Beschlufs vom 31. Mai 1861 die unveränderte Annahme des fertigen Werkes den Bundesgliedern empfohlen hatte, durch die Einzelstaaten zu übereinstimmendem Landesrecht erhoben9. Das Unternehmen, auch ein gemeinsames deutsches Obligationenrecht zu vereinbaren, gerieth durch die Auflösung des Bundes ins Stocken10. 3. Gesetze des norddeutschen Bundes. Der norddeutsche Bund empfieng eine Gesetzgebungsgewalt, die ihn befähigte, ein für das Bundesgebiet gemeines Recht und zwar mit Vorrang vor allem Landesrecht zu schaffen 11. Seine Zuständigkeit erstreckte sich zwar 7

Freilich war der von der Leipziger Staatenkonferenz im Jahre 1847 zu Stande gebrachte und in einzelnen Staaten alsbald zum Gesetz erhobene Entwurf auf Beschlufs der Nationalversammlung im Reichsgesetzblatt v. 26. Nov. 1848 als Reichs Wechselordnung mit gemeinrechtlicher Gesetzeskraft vom 1. Mai 1849 an verkündigt worden; allein nach dem Scheitern des Reichsverfassungswerkes erschien diese Verkündigung als unwirksam, so dafb die Geltung der Wechselordnung bis zu ihrer Verwandlung in norddeutsches Bundesrecht und deutsches Reichsrecht in den einzelnen Staaten auf Landesgesetz oder Landesgewohnheitsrecht beruhte. Vgl. Goldschmidt, Handb. des H.R. (2. Aufl.) I § 12 S. 76 ff.-, Thöl, Wechselrecht § 8; H. 0. Lehmann, Lehrb. des deut. Wechselr., Stuttgart 1886, § 32. 8 Der Bund hatte unterm 19. Februar 1857 die zu Nürnberg tagende Konferenz für Ausarbeitung des Handelsgesetzbuches mit der Entwerfung der Vorschläge beauftragt und unterm 13. April 1861 die Einfuhrung der gemachten Vorschläge den Einzelstaaten empfohlen ; die Einführung erfolgte durch Landesgesetze. Vgl. Goldschmidt a. a. 0. S. 80 ff.; T h ö l a. a. 0. § 9. 9 Ueber die Entstehungsgeschichte des Handelsgesetzbuches und die Einführungsgesetzgebung in den Einzelstaaten vgl. Goldschmidt a. a. 0. § 13 ff.; T h ö l , Handelsr. (6. Aufl.) I § 18 ff.; Behrend, Handelsr. I § 11—13. 10 Aus den Berathungen einer laut B.B. v. 6. Febr. 1862 u. 13. Nov. 1862 zu Dresden zusammengetretenen Kommission der Vertreter einiger deutscher Staaten gieng der sogenannte „Dresdner Entwurf" hervor, nach der ersten Lesung als „Entwurf eines für die deutschen Bundesstaaten gemeinsamen Gesetzes über Schuldverhältnisse" im J. 1865, nach der zweiten Lesung als „Entwurf eines allgemeinen deutschen Gesetzes über Schuldverhältnissea im J. 1866 zu Dresden veröffentlicht. 11 V.U. des norddeut. Bundes v. 25. Juni 1867 Art. 2: „Innerhalb des Bundesgebietes übt der Bund das Recht der Gesetzgebung nach Mafsgabe des Inhalts dieser Verfassung und mit der Wirkung aus, dafs die Bundesgesetze den Landes-

§ 7. Quellen des gemeinen deutschen Privatrechts.

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nicht auf das ganze Privatrecht, wohl aber auf eine Fülle privatrechtlicher Materien; insbesondere auf Handels- und Wechselrecht, Obligationenrecht, Urheber- und Erfinderrecht, Gewerberecht, Versicherungswesen, Bankwesen, Post- und Telegraphenwesen, Freizügigkeit und Indigenat12. Kraft dieser Gesetzgebungsgewalt erhob der Bund die Wechselordnung nebst den Nürnberger Novellen und das Handelsgesetzbuch zu Bundesgesetzen18 und erliefs zahlreiche Einzelgesetze, die theils unmittelbar theils mittelbar das deutsche Privatrecht einheitlich umbildeten14. 4. Gesetze des neuen deutschen Reichs. Das aus der Erweiterung des norddeutschen Bundes durch Hinzutritt der süddeutschen Staaten hervorgegangene deutsche Reich führte hinsichtlich der Gesetzgebung wie aller anderen Hoheitsrechte die Staatsgewalt des norddeutschen Bundes in einem gröfseren Gebiete fort 15. Von vornherein wurden daher die Gesetze des norddeutschen Bundes mit Einschlufs der Wechselordnung und des Handelsgesetzbuches für Reichsgesetze erklärt und so aus gemeinem norddeutschem Recht in gemeines deutsches Recht verwandelt16. Der Zuständigkeitsbereich der gemeinsamen Gesetzgebung erfuhr alsbald bei der Neuredaktion der Verfassungsurkunde eine durch die Erstreckung auf das Vereinswesen auch das Privatrecht berührende Ausdehnung17. Durch Reichsgesetz vom 20. Dezember 1873 aber wurde dann die wichtige Verfassungsänderung in Kraft gesetzt, die dem Reiche die Befugnifs zur Gesetzgebung „über das gesammte bürgerliche Recht" verlieh. Das Reich hat bereits die vom norddeutschen Bunde übernommenen Reichsgesetze durch eine Fülle neuer Reichsgesetze gemehrt, die an vielen Punkten auch in das Privatrecht eingreifen. gesetzen vorgehen. Die Bundesgesetze erhalten ihre verbindliche Kraft durch ihre Verkündigung von Bundes wegen, welche vermittelst eines Bundesgesetzblattes geschieht". 19 Nordd. VU. Art. 3 - 4 . 18 Nordd. Bundesges. v. 5. Juni 1869. 14 Sie sind im Bundesgesetzblatt, das durch Ver. ν. 26. Juli 1867 eingeführt wurde, abgedruckt; heute werden sie, da sie nachträglich zu Reichsgesetzen erhoben sind, als „Reichsgesetze" citirt. 15 Art. 2 der VU. des deutschen Reichs stimmt mit Art. 2 der nordd. V.U. (oben Anm. 11) bis auf den Ersatz des Wortes „Bund" durch das Wort „Reich" wörtlich überein. 16 Ges. betr. die Verfassung des deutschen Reichs v. 16. Apr. 1871 § 2. Den Charakter von „Reichsgesetzen" haben auch diejenigen Bundesgesetze empfangen, die nicht in alle süddeutschen Staaten und insbesondere nicht in Bayern eingeführt sind. 17 R.V.U. Art. 4 Z. 16.

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Drittes Kapitel. Quellen, Hlfsmittel u. Litteratur des deut. Privatrechts.

Die Reichsgesetze sind bei den Materien, in die sie einschlagen, namhaft zu machen1β. 5. Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich 1 9 . Sofort nach erlangter Zuständigkeit nahm das Reich das grofse Werk der Herstellung eines deutschen bürgerlichen Gesetzbuches in Angriff. In wesentlicher Uebereinstimmung mit den Vorschlägen einer zur Aufstellung eines Arbeitsplanes berufenen Kommission von 5 Juristen20 setzte der Bundesrath am 2. Juli 1874 eine Kommission von 11 Juristen zur Ausarbeitung des Entwurfes eines deutschen Gesetzbuches nieder. Die Kommission, deren Mitgliederbestand übrigens mehrfach gewechselt hat, trat am 17. September 1874 zusammen und brachte auf Grund von fünf durch besondere Redaktoren ausgearbeiteten Theilentwürfen, deren Durchberathung im Plenum seit Oktober 1881 stattfand, in langjähriger Arbeit hinter verschlossenen Thüren einen Entwurf zu Stande. Laut Beschlufs des Bundesraths vom 31. Januar 1888 wurde dieser Entwurf veröffentlicht 21. Auch wurden bald darauf fünf Bände „Motive" zu demselben mit der Bezeichnung als „amtliche Ausgabe" gedruckt22. Noch in demselben Jahre wurde der von der Kommission ausgearbeitete Entwurf eines Einführungsgesetzes mit Motiven bekannt gemacht28. Im Jahre 1889 folgte die Veröffentlichung der Entwürfe zu zwei weiteren Ergänzungsgesetzen2*. 18 Uebersichten finden sich bei Stobbe, D.P.R. I 78 ff.; Beseler, D.P.R. S. 184 ff.; Roth, D.P.R. I § 4. Eine systematische Zusammenstellung des civilrechtlichen Inhaltes der Reichsgesetze bietet M an dry, Der civilrechtliche Inhalt der Reichsgesetze, systematisch zusammengestellt und verarbeitet, Tübingen 1878, 3. Aufl. 1886. Eine chronologische Sammlung ist die von E. Se hl in g, Die Gesetzgebung des deutschen Reiches auf dem Gebiete des bürgerlichen und socialen Rechts, 2. Aufl., Leipzig 1894. 19 Ueber seine Entstehungsgeschichte vgl. F. Vierhaus in H. 1 der Beiträge v. Bekker u. Fischer (unten Anm. 27); ferner E. Schwartz im Arch. f. bürg. Recht I 1 ff.; Stobbe, D.P.R. I 83 ff. 80 Gutachten v. 15. Apr. 1874 gedruckt in Z. f. d. g. H.R. XX 137 ff. 21 Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich. Erste Lesung. Amtliche Ausgabe. Berlin u. Leipzig 1888. — Citirt als „Entw. I u . 29 Motive zu dem Entwürfe eines bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich. Amtliche Ausgabe. Bd. I—V. Berlin u. Leipzig 1888. 28 Entwurf eines Einführungsgesetzes zum bürgerlichen Gesetzbuche für das deutsche Reich. Erste Leeung. Nebst Motiven. Amtliche Ausgabe. Berlin u. Leipzig 1888. — Citirt als „Entw. des E.G." 24 Entwurf einer Grundbuchordnung und Entwurf eines Gesetzes betreffend die Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen. Nebst Motiven. Amtliche Ausgabe. Berlin 1889.

§ 7. Quellen des gemeinen deutschen Privatrechts.

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Der Entwurf des Gesetzbuches regelt in 2164 Paragraphen, die nach dem Schema Allgemeiner Theil, Recht der Schuldverhältnisse, Sachenrecht, Familienrecht und Erbrecht in 5 Bücher zerlegt sind, das reine Privatrecht. Ausgeschlossen sind nicht blos die eigentlichen Spezialrechte, sondern auch zahlreiche andere privatrechtliche Materien, die der Ordnung durch besondere Reichsgesetze oder durch Landesrecht überwiesen werden25. Im Uebrigen will der Entwurf unter Beseitigung alles bisherigen gemeinen und partikulären Rechts sich ausschliefsliche Geltung beilegen26. Eine überaus umfangreiche Litteratur ist bereits aus der Kritik des Entwurfes und der Aufstellung von Gegenvorschlägen erwachsen87. 86 So das ganze Handels-, Wechsel- und Seerecht nebst dem Recht der Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften, dem Binnenschiffahrtsrecht, dem Versicherungsrecht und dem Verlagsrecht; das Urheber- und Erfinderrecht, das Recht des Marken- und Musterschutzes, das Bankrecht, das Post- und Telegraphenrecht; das Privatfürstenrecht, das Lehnrecht, das Recht der Familienfideikommisse und Stammgüter, das Bergrecht; im Wesentlichen auch das Agrarrecht (insbesondere Gemeinheitstheilungen, Ablösung von Grundlasten und Zusammenlegung von Grundstücken), das Wasserrecht, das Deich- und Sielrecht, das Forstrecht, das Fischereirecht, das Jagdrecht, das Bau- und Nachbarrecht, das Enteignungsrecht, das Gesinderecht, das Recht der Zwangs- und Banngerechtsame; zum Theil auch das Recht der Bauergüter, das Recht der Reallasten und Grunddienstbarkeiten, das Näherrecht und manches Andere (vgl. Entw. des E.G. Art. 33—91). 96 Entw. des E.G. Art 9 u. 32. 97 Eine Zusammenstellung v. 0. Mühlbrecht, Berlin 1892, füllt 58 Seiten. Bei 0. Gierke, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs und das deutsche Recht (cit. „Entw."), Leipzig 1889, sind die bis dahin erschienenen Schriften verzeichnet. Von den ausführlicheren Kritiken des Entw. im Ganzen sind hervorzuheben: 0. Bähr, Kr.V.Schr. XXX 321 ff. u. 481 ff.; E. Hölder u. G. Hartmann, Arch. f. civ. Pr. L X X I I I Iff. u. 309ff.; Ludw. Goldschmidt, Kritische Erörterungen zum Entw. eines bürg. Gb., H. I, Leipzig 1889; M. Hachenburg, Dasfranzösisch-badische Recht und der Entw. de» deut. bürg. Gb., Mannheim 1889; A. Meng er, Das bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen, Tübingen 1890; P. Stolterfoth, Beiträge zur Beurtheilung des Entw. eines bürg. Gb., Leipzig 1890; I. M eis η er, Das Preufs. Allg. Landr. u. der Entw. des deut. bürg. Gb., Berlin 1890. Eine vollständige Besprechung in Einzelbeiträgen bei Bekker und Fischer, Beiträge zur Erläuterung und Beurtheilung des Entw. eines bürg. Gb. f. d. deut Reich (cit. „Beiträge"), 18 Hefte, Berlin 1888 ff. Ferner in den von Adams, W i l k e , Mecke, Hartmann und E r y t h r o p e l herausg. Gutachten aus dem Anwaltstande über die erste Lesung des Entw. eines bürg. Gb., Berlin 1888 ff. Zahlreiche Aufsätze im Arch. f. civ. Pr., Bd. LXXHI—LXXVI, sowie in den Jahrb. f. Dogm. Bd. X X V I I u. ff., den Beitr. zur Erläut. des deut Rechts Bd. X X X I I I u. ff., der Z. f. d. P. u. ö. R. der Gegenw. Bd. XV u. ff, dem Arch. f. bürg. R. Bd. I u. ff. Dazu die Gutachten und Vorträge in den Verhandlungen des XIX., XX., XXI. u. XXII. Juristentages, Berlin und Leipzig 1888 ff, und in den Verhandlungen des K. Preufs. Landesökonomiekollegiums, Berlin 1890.

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Drittes Kapitel. Quellen, Hlfsmittel u. Litteratur des deut. Privatrechts.

Seit dem 1. April 1891 arbeitet eine vom Bandesrath berufene, aus ständigen und nichtständigen Mitgliedern zusammengesetzte neue Kommission, zu deren nichtständigen Mitgliedern auch Nichtjuristen gehören, an einer zweiten Lesung des Entwurfes. Auf Grund ihrer Beschlüsse wird durch eine besondere Redaktionskommission der Text des Entwurfes umgestaltet. Ueber den Fortgang der Arbeit werden Berichte veröffentlicht 28. In den Jahren 1892-1894 ist das Ergebnifs der zweiten Lesung in Bezug auf die ersten drei Bücher durch den Druck bekannt gemacht29. Weder der Form noch dem Inhalt nach hat der Entwurf die Hoffnungen des deutschen Volkes erfüllt. Die zweite Lesung hat in ihrem bisherigen Verlaufe zu einer Reihe wesentlicher Verbesserungen geführt. Doch ist bei dem engen Anschlufs an den Entwurf erster Lesung wenig Aussicht vorhanden, dafs es im Wege einer zweiten Lesung gelingen werde, aus dem im ersten Wurf verfehlten Werk ein der Nation würdiges und der Aufgabe unseres Zeitalters gewachsenes Gesetzbuch herauszuholen. § 8. Historische Rechtsdenkmäler. Alle deutschen Rechtsquellen, die ihre Geltung eingebüfst haben, sind für das deutsche Privatrecht nicht mehr Rechtsquellen. Sie sind aber als Denkmäler der geschichtlichen Entwicklung unseres Rechtes wichtige Erkennt η ifsquellen des heutigen deutschen Privatrechts. Denn dieses kann bei seinem eigenthümlichen Zustande weniger als Gegenentwürfe haben ausgearbeitet 0. Bahr, Kassel 1892, und E. Roch ο 11, (von Buch I I an E. Roch ο 11 u. A. Niedner), Breslau 1890 ff. Als Manuskript sind gedruckt: Bemerkungen des K. Preufs. Justizministers zum Entw. u. s. w., Berlin 1891; Bemerkungen der Grofsh. Mecklenburg-Schwerinschen Regierung zu den Entw., Schwerin 1891 u. 1892, sowie eine im Reichsjustizamt gefertigte sehr werthvolle „Zusammenstellung der gutachtlichen Aeufserungen zu dem Entw. eines bürg. Gb.", 6 Bde., Berlin 1889 ff., u. zum Entw. des E.G., Berlin 1891. 28 Fortlaufende Mittheilungen finden sich in Conrads Jahrbüchern fur Nationalökonomie und Statistik. 29 Zuerst jedes Buch gesondert. Sodann: Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich. Zweite Lesung. Nach den Beschlüssen der Redaktionskommission. I.—III. Buch. Auf amtliche Veranlassung. Berlin 1894. Citirt als „Entw. II." — Die zweite Lesung unter Gegenüberstellung der ersten Lesung mit den Erläuterungen von Reatz als Beilage zum Arch. f. bürg. R., Berlin 1894. — Ueber die zweite Lesung von Buch I vgl. Holder, Arch. f. c. Pr. LXXX 1 ff.

§ 8. Historische Rechtsdenkmäler.

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irgend ein anderes Recht ohne Heranziehung seiner Geschichte verstanden werden. Gleichwohl ist die Darstellung der historischen Rechtsdenkmäler durchaus der deutschen Rechtsgeschichte zu überlassen1. Hier ist nur auf ihren Bestand hinzuweisen. Historische Rechtsdenkmäler sind: I. Sämmtliche Rechtsquellen der fränkischen Zeit: Volksrechte, Kapitularien und Formelsammlungen2. Schon im Mittelalter antiquirt, haben sie für das heutige Recht nur die Bedeutuug von Zeugnissen über die Anfänge der deutschen Rechtsinstitute. II. Die meisten Rechtsquellen des deutschen Mittelalters. Sowohl die Gesetze und Satzungen dieser Zeit, Reichsgesetze, Landrechte, Stadtrechte, Mark-, Dorf- und Hofrechte, herrschaftliche und genossenschaftliche Beliebungen aller Art, wie auch die theilweise zu unmittelbarer praktischer Geltung gelangten Rechtsbücher und sonstigen mittelalterlichen Privatarbeiten über das Recht sind fast sämmtlich veraltet8. Sie sind für uns nur noch Zeugnisse über die 1 Zu verweisen ist vor Allem auf Stobbe, Geschichte der deutschen Rechtsquellen, Braunschweig 1860 u. 1864; hinsichtlich der Ergebnisse späterer Forschungen auf R. Schröders Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte, 2. Aufl., Leipzig 1894, und für die fränkische Zeit auf H. Brunners deutsche Rechtsgeschichte I, Leipzig 1887. Eine ausführliche Uebersicht über sie giebt der Grundrifs von Kraut § 1—12. Auch in den Lehrbüchern des deutschen Privatrechts pflegten sie früher umständlich aufgeführt zu werden; so noch bei Beseler § 43—44, Gerber § 11—19. 2 Sie werden hier nach den in den Monumenta Germaniae historica (M.G.) erschienenen Ausgaben, soweit solche vorliegen, angeführt; die Lex Salica nach der Ausgabe von Hessels, London 1880: die Lex Wisigothorum nach der Ausgabe b. W a l t e r , Corpus juris Germanici antiqui (Berol. 1824) I 415 ff.; die Leges Wisigothorum antiquiores nach der Ausgabe von Κ. Ζ e um er,. Hannov. et Lips. 1894; die angelsächsischen Gesetze nach der Ausgabe von R. Schmid, 2. Aufl., Leipzig 1858. 8 Bei ihrer Anführung werden, soweit dies erforderlich scheint, die benützten Ausgaben oder Sammelwerke bezeichnet werden. Das Landrecht des Sachsenspiegels (Sachsensp.) ist stets nach der Ausg. v. Homeyer, 3. Ausg., Berlin 1861, das Lehnrecht desselben (Sächs. Lehnr.) nebst den verwandten Rechtsbüchern nach den Ausg. b. Homeyer des Sachsenspiegels zweiter Theil, Berlin 1842 u. 1844, der Richtsteig Landrechts (Richtet Landr.) nach der Ausg. v. H o m e y e r , Berlin 1857, citirt; das Landrecht des Schwabenspiegels (Schwabensp.) und dessen Lehnrecht (Schwäb. Lehnr.) regelmäfsig nach der Ausg. v. Lassberg (L.), Tübingen 1840, das Landrecht auch nach der von Wackernagel (W.), Zürich 1840, und der von Gengier (G.), 2. Aufl., Erlangen 1875; das kleine Kaiserrecht (kl. Kaiserr.) nach der Ausg. ν. Η. E. Endemann, Kassel 1846. Die in der Sammlung der Weiethümer von J. Grimm, 7 Bde., Göttingen 1840—1878, abgedruckten Quellen sind als Grimm W. citirt; die Oesterreichischen Weisthümer, gesammelt von der

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Drittes Kapitel. Quellen, Hlfsmittel u. Litteratur des deut. Privatrechts.

Gestaltung des deutschen Rechtes in der Zeit der rein nationalen Rechtsbildung, als solche aber von hervorragender Wichtigkeit für das Verständnifs alles aus nationaler Wurzel entsprossenen Rechts. Ausnahmsweise sind einzelne mittelalterliche Rechtsquellen bis heute in Kraft geblieben. Unter den Gesetzen und Satzungen haben namentlich einige mittelalterliche Stadtrechte ihre Geltung behauptet4. Von den Rechtsbüchern bewahrten der Sachsenspiegel nebst seiner Glosse und das sächsiche Weichbild in den Ländern des gemeinen Sachsenrechts gesetzliches Ansehen, das ihnen noch heute in den sächsisch-thüringischen Staaten (Sachsen-Weimar, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Altenburg, Sachsen-Gotha, Anhalt, den beiden Schwarzburg und den beiden Reufs), in Holstein und beschränkt in Lauenburg zusteht5. Doch wird auch hier das geltende Recht regelmäßig nur noch aus dem auf den Sachsenspiegel gegründeten jüngeren Gesetzesund Gewohnheitsrecht und nur selten noch unmittelbar aus dem Rechtsbuch geschöpft6. Gemeinrechtlicher Geltung erfreuen sich noch heute die libri feudorum, von denen im Lehnrecht zu reden ist. III. Viele Rechtsquellen der späteren Zeit. Von den seit dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts unter dem Einflufs der Rezeption abgefafsten Land- und Stadtrechten ünd den zahlreichen Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien 1872 ff., als Oesterr. W. mit fortlaufender Bändezahl, wobei zu bemerken ist, dafs Bd. I die Salzburgischen Taidinge (herausg. v. Siegel u. Tomaschek), Bd. Π—V die Tirolischen Weisthümer (herausg. v. Zingerle u. Inama-Sternegg, der letzte Band v. Zingerle u. Egg er), Bd. V I Steirische u. Kärnthische Taidinge (herausg. v. Bischoff u. Schönbach), Bd. V I I Niederösterreichische Weisthümer (herausg. v. G. Winter) enthalten. 4 So in Bremen, München u. s. w. ; auch gilt in manchen Städten das lübieche Recht in seiner mittelalterlichen Form; vgl. unten § 9 Anm. 4 u. 5—7. Auch können ältere ländliche Weisthümer noch praktisch werden (vgl. R.Ger. IV 206). In das Mittelalter reichen auch manche noch geltende Hausgesetze hochadliger Häuser zurück. 6 Vgl. O r t l o f f , D.P.R. S. 65 ff.; Heimbach, P.R § 11 u. 56; Sachse, Handb. des grofsh. sächs. PR. §88ff.; Hellbach, Handb. des schwarzb.-sondershaus. P.R. S. III—IV; Paulsen, P.R. § 208; F a l c k , Schlesw.-Holst. P.R. I § 129; Grefe, Hannov. Recht I 20; R o t h , D.P.R. I 76, 91, 175, 177, 183, 188, 192, 198, 208, 211, 215. — Im Königreich Sachsen wurde ihre Geltung durch Verordnung v. 2. Januar 1863 beseitigt. 6 Ein Beispiel einer vom Reichsgericht gebilligten, unmittelbaren Anwendung des Sachsenspiegels bietet das Erk. des R.Ger. v. 20. Nov. 1883 b. Seuff. XXXIX Nr. 214; vgl auch ib. XLVII Nr. 198.

§ 9. Die deutschen Partikularrechte.

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daneben erlassenen Spezialgesetzen sind manche völlig, alle in wesentlichen Theilen antiquirt. In ihrem Gesammtinhalt ergeben sie kein Bild des heutigen Rechtszustandes, sondern des Zustandes einer überwundenen Epoche unseres Rechtslebens. Insoweit sind sie für uns nur Zeugnisse über die Gestaltung des deutschen Rechts in der Zeit der allmählichen Verschmelzung heimischer und fremder Rechtsbildung. Allein sie haben nicht nur als solche für das Verständnifs des heutigen Rechtes, dessen unmittelbar vorbereitende Stufe sie darstellen, einen besonders hohen Werth, sondern sie sind in erheblichem Umfange noch gegenwärtig geltendes Recht. Darum sind sie im Zusammenhange unter den geltenden Partikularrechten zu behandeln. § 9. Die deutschen Partikularrechte. Die geltenden deutschen Partikularrechte sind für das deutsche Privatrecht keine unmittelbaren Quellen, aber mittelbare Quellen ersten Ranges. Denn sie sind unentbehrliche Hülfsmittel zur Feststellung und zum Verständnifs des gemeinen deutschen Privatrechts; und sie sind überhaupt die einzigen Erkenntnifsquellen, insoweit dem deutschen Privatrecht die weitere Aufgabe gestellt wird, die Einheit des deutschen Rechtsgedankens in der Mannichfaltigkeit der Landesrechte aufzusuchen (oben S. 53). Sie zerfallen in drei Klassen. I. Partikularrechtskodifikationen mit Anerkennung des gemeinen Rechts als Hülfsrechts. Seit dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts wurde die Erhebung des fremden Rechts zum gemeinen Recht Deutschlands der Anlafs zur Abfassung von Stadt- und Landrechten, welche das partikuläre Recht eines Gebietes unter Anpassung an die veränderten Verhältnisse festzustellen und zu sichern suchten. Sie tragen in höherem oder geringerem Mafse den Charakter von Kodifikationen, wollen jedoch sämmtlich nur das ihrem Gebiete eigenthümliche Privatrecht umspannen, während sie imUebrigen die Geltung des gemeinen Rechtes unangetastet lassen. A. Stadtrechte. Voran gingen auf der neuen Bahn einzelne Städte, die ihr vom Mittelalter überkommenes Recht einer amtlichen Neufassung unterwarfen und in diesen sogenannten „Stadtrechtsreformationen" zuerst deutsches und römisches Recht infreilich sehr verschiedenartigen Mischungsverhältnissen verschmolzen. Doch steckten sich nicht alle Städte ein so hohes Ziel ; die meisten Landstädte waren

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Drittes Kapitel. Quellen, Hlfsmittel u. Litteratur des deut. Privatrechts.

mehr und mehr schon durch den Verlust ihrer Autonomie zu bescheidenerer Rechtsschöpfung genöthigt. 1. Nürnberg. Die älteste und einflufsreichste Stadtrechtsreformation ist die Nürnberger Reformation von 1479, die bereits einheimisches und fremdes Privat- und Prozefsrecht zu einem systematischen Gesetzbuch verarbeitete. In den Jahren 1503 und 1522 mit einzelnen Aenderungen neu verkündigt, erfuhr sie 1564 als „verneute Reformation" eine stärker romanisirende Neufassung, in der sie noch heute in dem ehemals reichsstädtischen Gebiete gilt. 2. Worms. Weit mehr römisches Recht enthält bereits die Wormser Reformation von 1498 (in 6 Büchern, von denen das 4. und 5. dem Privatrecht gewidmet sind). Sie ist dem französischen Recht gewichen. 3. Frankfurt a. M. Die Frankfurter Reformation von 1509, die nur einzelne Theile des Privatrechts betrifft, wurde durch die von Johann Fichard ausgearbeitete Reformation von 1575 ersetzt. Sie ist die umfassendste Stadtrechtskodifikation, neigt aber stark zur Bevorzugung des römischen Rechts. Im Jahre 1611 mit Vermehrungen neu publizirt, gilt sie in dieser Fassung noch heute im Stadtgebiet. 4. Freiburg i. B. Das von Ulrich Zasius verfafste neue Stadtrecht von 1520 verarbeitet einheimisches und fremdes Privatrecht in mafsvoller Weise. Es ist antiquirt. 5. Lüneburg. Die von Heinrich Husanus ausgearbeitete und in den Jahren 1577—1588 stückweise publizirte Lüneburger Reformation (Privatrecht in Th. II—VH) lehnt sich stark an die Frankfurter Reformation an. Sie steht noch in Geltung1. 6. Lübeck. In Lübeck wurden im Jahre 1586 „der Stadt Lübeck Statuten und Rechtsbuch aufs neu übersehen" in 6 Büchern (das Privatrecht im 1—3. und 6. Buch) publizirt. Dieses sogenannte „revidirte lübische Recht", das im Wesentlichen nur eine systematische Neubearbeitung des mittelalterlichen lübischen Rechtes ist, zeichnet sich vor allen anderen Gesetzbüchern dieser Zeit durch seinen rein deutschrechtlichen Charakter aus. Die neue Form des lübischen Rechts wurde auch in den nach lübischem Recht lebenden Städten Pommerns angenommen2; hier versah in Stralsund David Mevius das Gesetzbuch mit einem ausführlichen Kommentar (zuerst Leipz. 1642), in dem er vielfach unter Verkehrung des ursprünglichen Sinnes römischrechtliche Sätze einzuschmuggeln wufste; sein Werk hat indefs 1 2

Auch in Uelzen ist sie aufgenommen; Grefe, P.R. I § 22. Vgl. v. Wilmowski, Lübisches Recht in Pommern, Berlin 1867.

§ 9. Die deutschen Partikularrechte.

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nicht blos in Pommern, sondern auch in Lübeck grofsen Einflufs auf die Praxis gewonnen. Auch in den holsteinschen Städten ist nach längerem Streit die Geltung der Revision zur Anerkennung gelangt8, während sich in Städten Mecklenburgs, Schleswigs und Lauenburgs das lübische Recht in seiner älteren Gestalt behauptet hat4. 7. Hamburg. In Hamburg, wo das alte Stadtrecht von 1270 im Jahre 1497 neu bearbeitet worden war, wurden im Jahre 1605 neue Statuten von 1603 (das Privatrecht in Th. I I — I I I ) publizirt, in denen gröfstentheils das einheimische Recht festgehalten, jedoch bei dessen Ergänzung und Fortbildung dem römischen Itecht ein gröfserer Einflufs als in Lübeck verstattet wurde. Diese Statuten gelten noch heute. 8. In vielen Städten kam es zu keiner Neufassung des Stadtrechts, so dafs hier bis in die neuere Zeit m i t t e l a l t e r l i c h e Stadtrechtsquellen fortgalten. So sind in Köln die Statuten von 1437 erst durch das französische Recht verdrängt. Noch heute bilden in Bremen die Statuten von 1433 die Grundlage des Privatrechts0. Ebenso beruht das Stadtrecht von München noch heute auf dem Stadtrechtsbuch von 1347 (eigentlich 1334)e. Auch sonst sind einzelne minder erhebliche Stadtrechte des Mittelalters in Kraft geblieben7. 9. Ueberaus zahlreich sind die Städte, in denen zwar kein gröfseres Gesetzbuch, wohl aber ein mehr oder minder umfassendes neues Statutarrecht abgefafst wurde, worin eine Redaktion des einheimischen Rechts in einzelnen Stücken stattfand8. Der privatrechtliche Inhalt erstreckt sich vor Allem auf Familiengüterrecht und Erbrecht, daneben öfter auf Nachbar- und Baurecht und auf einzelne Theile des Obligationenrechts. Von diesen Statutarrechten sind manche 8

Roth, D.P.R. I § 12 Anm. 14—19, § 24 Anm. 16. R o t h I § 28 Anm. 1, § 12 Anm. 63 u. 103. Ebenso in Bergedorf, ib. § 39 Anm. 8. 6 Das Bremer Recht gilt auch in den Städten Oldenburg und Delmenhorst; Roth I 163. 6 Auer, Das Stadtrecht v. München, München 1840; Tinsch, Das Stadtrecht y. München, Bamberg 1891. 7 Z. B. die Stadtrechte v. Stade 1279, Schleswig 14. Jahrh., Flensburg 1284, Apenrade 1284, Hadersleben 1292; Roth I 83, 97. 8 Viele solche Statutarrechte sind abgedruckt bei C. F. Walch, Vermischte Beyträge zu dem deutschen Recht, 8 Bde., Jena 1771—1793; A. Fr. Schott, Sammlungen zu den teutschen Land- und Stadtrechten, 3 Thle., Leipzig 1772—1775; F. E. a Pufendorf, Observationes juris universi, 4 Bde., Hannov. 1744 sq. 4

B i n d i n g , Handbuch.

I I . 3. I : G i e r k e , Deutschee Privatrecht. I .

5

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Drittes Kapitel. Quellen, Hlfsmittel u. Litteratur des deut. Privatrechts.

wieder abgeschafft 9. Andere stehen noch heute in Kraft. So gelten auf gemeinrechtlichem Boden zahlreiche ältere Stadtrechte in den thüringischen Staaten10, in Bayern 11, in Hannover12, in SchleswigHolstein18, in Braunschweig14; hervorzuheben sind ferner das Stadtrecht von Lauenburg von 1599, das Stadtrecht von Wimpffen von 1775 und die mecklenburgischen Stadtrechte, unter denen das von Rostock im Jahre 1757, das von Wismar sogar noch 1875 neu redigirt ist 15 . Auch im Gebiete des preuisischen Landrechts aber gehören solche Statutarrechte noch zu den geltenden Rechtsquellen16. B. L a n d r e c h t e . Nach dem Vorbilde der Stadtrechtsreformationen wurden seit dem Anfange des 16. Jahrhunderts, in vielen Territorien Landrechte verfafst, um das heimische Recht in modernerer Gestalt zn kodifiziren, neu entstandene Verhältnisse zu regeln, römischrechtliche Institute dem territorialen Bedürfnifs anzupassen, Streitfragen zu entscheiden und die Rechtseinheit zu fördern. Bisweilen wurden auch einzelne Theile des Privatrechts in den im 9

So wurde das Braunschweiger Stadtr. v. 1532 (bei Pufendorf a. a. Ο. IV app. p. 78 u. im Urkb. der Stadt Braunschweig Nr, 137 S. 298) im J. 1675 wieder aufgehoben. Durchweg beseitigt sind die Statutarrechte nicht blos in den Gebieten des französ., österr. u. Bächs. Gesetzbuchs, sondern auch in manchen gemeinrechtlichen Ländern (z. B. in Württemberg) und in mehreren landrechtlichen Provinzen Preufsens. 10 Statuten v. Altstedt 1565, Apolda 1661, Bürgel 1567, Eisenach 1670, Jena 1677, Lobeda 1644, Weimar 1590 in Sachsen-Weimar; Meiningen 1565, Wasungen 1561, Themar 1629 in Sachsen-Meiningen; Altenburg 1555, Eisenberg 1610, Schmölln 1602, Orlamünde in Sachsen-Altenburg; Gotha 1579, Ohrdruif 1591, Coburg 1616 in Sachsen-Coburg-Gotha; Arnstadt 1543, Sondershausen 1555, Greufsen 1556 in Schwarzburg-Sondershausen ; Rudolstadt 1595, Blankenburg 1594, Ilm 1596, Lautenberg 1611, Teuchel 1611, Königssee 1723, Frankenhausen 1558 in Schwarzburg-Rudolstadt; Schleiz 1625, Gera 1658 in Reufs. Vgl. Roth I 179, 184, 188, 192, 194, 208, 212, 217. 11 So die Statuten v. Ingolstadt 1541, Nördlingen 1650, Ulm 1683, Schweinfurt 1724; Roth I 126, 128, 131. 12 So die Statutarrechte v. Hannover, Eimbeck 1658, Osterrode 1733, Celle 1537, Harburg 1739, Otterndorf 1541, Verden 1582, Peine 1597; Roth I 93, 94, 95, 97, 99. 18 Z. B. Stat. v. Husum 1608, Friedrichsstatt 1633, Eckernförde 1632—1635; Roth I 80, 84. 14 Stat. v. Wolfenbüttel 1602, v. Helmstadt 1589; Roth I 170. 16 Vgl. Roth I 91, 151, 156—157. 16 Vgl. z. B. über das auf Magdeburger Grundlage entwickelte Stettiner Statutarrecht Kosmann, Statutarrecht der Stadt Altstettin, Stettin 1845; über die Stadtrechte in den landrechtlichen Gebietstheilen Bayerns Roth I 134—136.

§9.

Die deutschen Partikularrechte.

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Uebrigen wesentlich Polizeirecht enthaltenden Landesordnungen und in den Gerichtsordnungen behandelt. Neben den gröfseren Gesetzeswerken begegnen kleinere Landrechte, die vielfach nur Aufzeichnungen des Gewohnheitsrechts sind. 1. Baden. Ein von U. Zasius ausgearbeitetes badisches Landrecht von 1511 machte den Anfang mit einer immerhin noch mafsvollen Umbildung des deutschen Familien- und Erbrechts im Sinne der römischrechtlichen Anschauungen17. 2. Ostfriesland. Das ostfriesische Landrecht von 1515 verarbeitet friesisches und fremdes Recht18. 3. Mark Brandenburg. Die Constitutio Joachimica von 1527 bildet bis heute die Grundlage des märkischen Provinzialrechts19. 4. Tirol. Wesentlich einheimisches Recht enthält die Tiroler Landesordnung von 1532 und ihre Reformation von 1573. In ihrer älteren Form wurde sie das Vorbild der noch geltenden Landesordnung der Grafschaft Henneberg (im Meiningschen) von 1539. 5. Kurköln. „Des Erzstifttes Köln Reformation dere weltlicher Gericht, Rechts und Pollizei" von 1538 regelte eine Anzahl privatrechtlicher Gegenstände im Anschlufs an das ältere Recht. An ihre Stelle trat die „Rechtsordnung" von 1663, die dem römischen Recht stärkeren Einflufs gewährt und alle nicht aufgenommenen Gewohnheitsrechte beseitigt20. 6. Jülich und Berg. Die „Ordnung und Reformation" für Jülich und Berg von 1555, revidirt 1556 und 1564, regelt Privatrecht 17 „Der Marggrafschaft Baden Statuten und Ordnungen in Testamenten, Erbfellen und Vormundschaften"; die späteren Landrechte f. Baden-Baden v. 1588 u. Baden-Durlach v. 1654 schliefsen sich eng an das Kurpfälzer Landrecht an; sie sind sämmtlich antiquirt. 18 Zu Grunde liegt ein Landrecht v. 1450. Hochdeutsche Ausgabe von W i c h t , Das ostfriesische Landrecht nebst dem Deich- und Syhlrechte, Aurich 1746. Das Gesetzbuch steht noch in beschränkter Geltung; Grefe, P.R. I § 72 IV; Roth I 101. 19 „Kurf. Joachim I. v. Brandenburg Constitution, willkör und ordenung der Erbfelle und anderer Sachen." Vgl. Heydemann, Die Elemente der Joachimischen Constitution, Berlin 1841. Ein nicht als Gesetz publizierter Entwurf eines Märkischen Landrechts (K.G.O. u. L.O. v. 1574 u. L.O. v. 1594) fand in der Praxis gleichwohl Beachtung. 80 Zu ihr wurde 1752 eine Erläuterung publizirt. Die Kurkölnische Rechtsordnung gilt noch in einem Theil des gemeinrechtlichen Gebietes der Rheinprovinz Roth I § 11 Anm. 10—11. — Ausg. bei Maurenbrecher, Rheinpreufs. Landrechte I 349 ff. u. 385 ff.

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Drittes Kapitel. Quellen, Hiilfsmittel u. Litteratur des deut. Privatrechts.

und Prozefs auf Grundlage des älteren, schon 1537 gesammelten Gewohnheitsrechts, begünstigt aber vielfach das römische Recht21. 7. Württemberg. Das zuerst 1555 verkündigte, 1567 revidirte und nach mehrmaliger Abänderung 1610 als drittes Landrecht publizirte Württembergische Landrecht verhielt sich in jeder neueren Fassung feindseliger gegen das deutsche Recht. In der Gestalt von 1610 gilt es bis heute nicht nur in Altwürttemberg, sondern seit dem 1. Januar 1807 auch in den neuerworbenen Landestheilen2a. 8. Dithmarschen. Das noch in Geltung stehende Dithmarsische Landrecht von 1567 hat von dem älteren Landrecht, das noch in der Fassung von 1480 einen rein germanischen und vielfach sehr alterthümlichen Inhalt aufweist, nur Weniges aufgenommen und die subsidiäre Geltung nicht nur des gemeinen Sachsenrechts, sondern auch des römischen Rechtes anerkannt. 9. Solms. Eine sehr wichtige Kodifikation ist die von Joh. Fichard verfafste Gerichts- und Landordnung der Grafschaft Solms und Herrschaft Minzenberg von 1571. Sie verarbeitet einheimisches und fremdes Recht unter Benützung der Nürnberger Reformation, des Freiburger Stadtrechts und des Württembergischen Landrechts und zeigt begreiflicher Weise eine nahe Verwandtschaft mit der Frankfurter Reformation. Das Solmser Landrecht verbreitete sich über sein ursprüngliches Gebiet hinaus in das Hanauische, das Isenburgische und die benachbarten reichsritterschaftlichen Besitzungen und gilt noch heute in den entsprechenden Theilen der preufsischen Rheinprovinz, der Provinz Hessen-Nassau und des Grofsherzogthums Hessen28. 10. Kursachsen. Die hervorragendste Landesgesetzgebung des 16. Jahrhunderts stellen des Kurfürsten August von Sachsen LandesConstitutiones von 1572 dar, die aus einer Reihe von einzelnen Gesetzen bestehen und im 3. und 4. Buch das Privatrecht ordnen. Eine Ergänzung bilden die im Anschlufs an die Reihenfolge der Konstitutionen ergangenen Decisiones électorales Saxonicae von 1661 und die neuen Decisionen von 1746. Diese Gesetze sind im Königreich Sachsen durch das bürgerliche Gesetzbuch, in dem sie übrigens inhaltlich zum grofsen Theil fortleben, seit dem 1. März 1865 aufser Kraft gesetzt. Die Konstitutionen und zum Theil auch die späteren Decisionen wurden 81

Ausg. bei Maurenbrecher a. a. Ο. I 139 ff. Alle entgegenstehenden Statuten sind beseitigt; vgl. Wächter, P.R. I § 86; Roth, D.P.R. I § 20 Anm. 2. — Das Württemb. L.R. gilt auch in einigen bayr. u. hess. Gemeinden; Roth I § 18 Anm. 20 u. 31, § 22 Anm. 25. 88 Roth I § 11 Anm. 6, § 14 Anm. 7, 14, 37, 48, § 22 Anm. 5 - 1 0 ; auch in einer bayrischen Gemeinde, ib. § 18 Anm. 40. 28

§ 9. Die deutschen Partikularrechte.

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indefs in allen Ländern des sächsischen Rechtes angenommen und gelten noch heute als Bestandteil des gemeinen Sachsenrechtß in sämmtlichen thüringischen Staaten24. 11. Kurpfalz. Das Kurpfälzische Landrecht von 1582, in seinen privatrechtlichen Theilen (Bd. II—IV) meist aus dem Württembergischen Landrecht von 1567 geschöpft, gilt noch in hessischen Gebietstheilen2δ. 12. Catzenelnbogen. Für die obere Grafschaft Catzenelnbogen wurde 1591 ein mit dem Solmser Landrecht verwandtes Landrecht erlassen, das noch in Kraft stehtae. 13. Schaumburg. Die Schaumburger Polizeiordnung von 1615 enthält privatrechtliche Bestimmungen27. 14. Nassau. Die Gerichts- und Landesordnung für NassauCatzenelnbogen von 1616, die das Privatrecht in stark romanistischem Sinne regelt, ist das erste Landrecht, das alle nicht von ihm aufgenommenen Gewohnheitsrechte aufhob. Sie steht noch in Geltung28. 15. Würzburg. Für das Herzogthum Franken, d. h. das Bisthum Würzburg wurde im Anschluss an die Praxis des kaiserlichen Landgerichtes zu Würzburg eine Landgerichtsordnung ausgearbeitet und mehrfach umgestaltet, die in der 1618 empfangenen Form auch Privatrecht (Th. III) enthält29. 16. Kur trier. Das Landrecht des Erzbisthums Trier von 1668 (revidirt 1714), das trotz seines dürftigen und stark von römischem 24

Vgl. Roth I 176, 177—178, 184, 188, 192, 194, 198, 208, 211, 215; zum Theil sind hier auch noch privatrechtliche Bestimmungen der kursächs. Prozessordnung v. 1622 u. der erläuterten Prozefsordnung v. 1724 in Kraft; Roth I 176 Anm. 9 u. 11. In einigen thüringischen Gebieten bestehen besondere Landesordnungen, die das Privatrecht berühren: Weimarsche v. 1556 u. 1589 (Roth I 178 u. 194), Gothaische (sog. Ernestinieche) v. 1653 (ib. S. 184 u. 192), Altenburgische v. 1705 (ib. S. 188), Anhaltische v. 1572 u. 1665 (ib. 8. 198). — Ueber die Geltung dee kursächsischen Rechts in den ehemals kursächs. Theilen der Prov. Sachsen vgl. Roth § 9 Anm. 15. — Aus der Litteratur über die Konstitutionen ragt hervor H. Th. Schleuer, Die Constitutionen des Kurf. Augusts v. Sachsen vom Jahr 1572, Leipzig 1857. 88 Roth I § 22 Anm. 11—14. Im Jahre 1606 wurde es auch in der Oberpfalz publizirt, hier aber 1657 durch das Bayr. Landr. v. 1616 ersetzt ae In Theilen des Grofsh. Hessens und jetzt auch Preufsens; Roth I 149 u. 117. 87 Sie güt im Kreise Rinteln u. in Schaumburg-Lippe; Roth I § 14 Anm. 4, § 34 Anm. 1. 98 In einem Theil des ehemaligen Herzogthums Nassau und Theilen der Rheinprovinz; Roth I § 11 Anm. 18, § 14 Anm. 29, 34. 20 Ueber ihre heutige Geltung vgl. Roth I § 18 Anm. 37.

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Drittes Kapitel. Quellen, Hlfsmittel u. Litteratur des deut. Privatrects.

Recht durchsetzten Inhaltes alles von ihm nicht aufgenommene Gewohnheitsrecht aufhob, gilt noch in den ehemals kurtrierschen Theilen des Bezirkes von Ehrenbreitenstein8Ü. 17. Magdeburg. Im Herzogthum Magdeburg traf die Polizeiordnung von 1688 unter Abschaffung des Sachsenrechts eine Reihe privatrechtlicher Bestimmungen81. 18. Hohenlohe. Das Landrecht der Grafschaft Hohenlohe von 1737 ist eine ziemlich vollständige Kodifikation, in der die deutschrechtlichen Institute des fränkischen Stammesrechtes eingehend geregelt sind32. 19. Kurmainz. Das Landrecht des Erzbisthums Mainz von 1756, das die einheimischen Rechtsinstitute unter Verschmelzung mit römischem Recht regelt und alles nicht von ihm aufgenommene Gewohnheitsrecht aufhebt, gilt noch in ehemals kurmainzischen Gebietstheilen Preufsens (Kurhessens), Hessens und Bayerns (Aschaffenburg) und ist auch in Wetzlar an Stelle der dortigen Stadtrechtsreformation von 1608 getreten88. 20. Bamberg. Von einem Landrecht für das Hochstift Bamberg von 1769 ist nur der erste Theil (Familien-, Erb- und Pfandrecht) publizirt und bis heute in Kraft geblieben. 21. Ordensland Preufsen. Schon im 16. Jahrhundert wurden mehrere Neubearbeitungen der im Ordenslande geltenden Kulmischen Handfeste unternommen, von denen zwar keine zum Gesetz erhoben, jedoch namentlich das sogenannte Jus Culmense revisum von 1594 in der Praxis vielfach beachtet wurde. Im Jahre 1620 kam dann für Ostpreufsen als „Landrecht des Herzogthums Preufsen" ein Gesetzbuch zu Stande, das auf der Verarbeitung des Kulmischen (wesentlich magdeburgischen) Rechts mit gemeinsächsischem und römischem Recht beruhte. Schon 1684 revidirt, wurde es nochmals von Cocceji einer Revision unterzogen und als „Friedrich Wilhelms Königes in Preufsen verbessertes Landrecht des Königreiches Preufsen" von 1721 neu publizirt. In dieser Gestalt wurde es später auch in Westpreufsen eingeführt 84. 22. Bayern. Nachdem das in Oberbayern geltende mittelalter80

Roth I 73. Sie gilt in Theilen der Provinzen Sachsen u. Brandenburg; Roth I § 9 Anm. 8 u. 46. 82 Es gilt nur noch in einem Theil seines ehemaligen Gebiets; Roth I § 18 Anm. 29. 88 Vgl. Roth I § 11 S. 72, § 14 Anm. 16, 49, § 18 Anm. 32, § 22 Anm. 15-17. 81 In Ost- und Westpreufsen ist es durch die Provinzialrechtskodifikationen beseitigt; in den ehemals westpreufsischen Theilen Pommerns ist es erst durch 31

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liehe Landrecht von 1346 (das sogen. Rechtsbuch Kaiser Ludwigs) schon 1518 zu einer „Reformation der bairischen Landrechtea umgestaltet war, wurde auf Grund derselben mit den Landständen das auch auf Niederbayern erstreckte bayrische Landrecht von 1616 vereinbart. In beiden Gesetzbüchern überwiegt noch das einheimische Recht, obwohl auch das römische Recht überall beachtet wird. Ein fast durchaus romanistisches Gepräge dagegen trägt das vom Vizekanzler v. Kreittmayr ausgearbeitete und als Codex Maximilianeus Bavaricus civilis publizirte bayrische Landrecht von 1756. Es läfst zwar das gemeine Recht als Hülfsrecht bestehen, ist aber im Wesentlichen selbst eine Kodifikation des damaligen usus modernus pandectarum und bildet als das erste deutsche Gesetzbuch, das alle Theile des Civilrechts in einein vollständigen System umfafst, den Uebergang zu den das gemeine Recht ausschliefsenden Gesetzbüchern85. 23. Kleinere Landrechte. Neben allen diesen gesetzgeberisch durchgreifenden Territorialrechten sind in der Zeit nach der Rezeption der fremden Rechte manche kleinere Landrechte abgefafst und bis heute in Geltung verblieben, die in der Hauptsache nur eine Aufzeichnung von einheimischem Gewohnheitsrecht enthalten. So das Erbacher Landrecht in Hessen86; das Hadeler Landrecht von 1583, dasOsterstadische von 1580 (Landrecht des Amtes Hagen), das Rechtsbuch des Alten Landes von 1517, das Wurster Landrecht von 1611 und das Kehdinger Landrecht in der Provinz Hannover87; die Statuta des Stedinger Landes von 1525, das westfriesische Landrecht des Landes zu Würden von 1574, das A l t ammersehe Recht von 1614 und das Budjadinger Landrecht Gesetz v. 4. Aug. 1865 unter Vorbehalt der Fortgeltung einzelner Bestimmungen abgeschafft. 85 Seinem Verständnifs dienen die umständlichen von Kreittmayr herausgegebenen Anmerkungen über den Codicem Max. Bav., 5 Bde., München 1758— 1768. Neue Ausgabe v. Danzer, Das bayrische Landrecht in seiner heutigen Geltung, München 1894. Es gilt heute in den Provinzen Oberbayern, Niederbayern und Oberpfalz und einzelnen Orten von Oberfranken und Mittelfranken, nicht aber in den übrigen bayrischen Landestheilen. Die Statutarrechte läfst es bestehen ; sie sind indefs in seinem Gebiet, vom Münchener und Ingolstädter Stadtrecht abgesehen, spärlich vorhanden. 86 Beck u. Lauteren, Das Landrecht der Grafschaft Erbach u. Herrschaft Breuberg, Dannstadt 1824. Es gilt auch in einigen zu Bayern gehörigen Ortschaften der ehemaligen Grafschaft Erbach. Vgl. Roth I § 18 Anm. 36, § 22 Anm. 18—19. — Ueber das Epsteiner Landr. vgl. ib. § 14 Anm. 25. 87 Diese Landrechte sind gedruckt bei Pufendorf a. a. Ο. I app. 3, I I app. 3, IV app. 48, I app. 60 u. 141. Ueber ihre Geltung vgl. Roth I § 13 Anm. 19—21 u. 23-27; Grefe I § 41-45.

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Drittes Kapitel. Quelle, Hlfsmittel u. Litteratur des deut Privatrechts.

von 1664 in Oldenburg88; dieNeumünsterschen Kirchspiels- und Bordesholmischen Amtsgebräuche aus dem Ende des 16. Jahrhunderts80, das Eiderstädter Landrecht von 1591 40 und das Nordstrander Landrecht von 1572 41 in der Provinz SchleswigHolstein42; dasBillwärder Landrecht von 1603 in einem Theil des Hamburger Landgebietes48. Auch gelten noch einige Ritterrechte, die in das Privatrecht eingreifen 44. H. Die das gemeineRecht ausschliefsenden Gesetzbücher. Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts führten die schon oben (§ 3 S. 21 ff.) geschilderten Bestrebungen nach Ersetzung des gemeinen Rechts durch nationale Gesetzbücher in einigen gröfseren deutschen Staaten zu einem durchgreifenden Ergebnifs. I. Das preufsische Landrecht 4 6 . In Preufsen wurde, nachdem schon Friedrich Wilhelm I. ähnliche Pläne gehegt hatte, auf Befehl Friedrichs des Grofsen von dem Grofskanzler Cocceji die Ausarbeitung eines Civilgesetzbuches für die ganze Monarchie in Angriff genommen, von dem aber nur die zwei ersten Theile als Project des Corporis Juris Fridericiani veröffentlicht wurden (Halle 1749 und 1751) und nur einige Stücke in einzelnen Landestheilen zur Einführung gelangten. Erst durch die Cabinetsordre vom 14. April 1780 brachte der König das Werk nach verändertem Plane wieder in Flufs. Die nunmehr niedergesetzte Kommission, deren Vorsitzender der Grofskanzler v. Carmer, deren Seele aber der Oberamtsregierungsrath 88 Gedruckt im Corpus Constitutionum Oldenburgicarum I I I 114, 87, 120 u. 91; das Budjadinger Landr. auch bei Pufendorf a. a. Ο. IV app. 596. Ueber ihre Geltung Roth § 24 Anm. 7—10. 89 Ausg. v. Seestern-Pauly, Schlesw. 1824. Ueber ihre Geltung Roth § 12 Anm. 24. 40 Gedruckt im Corpus Statutorum Schlesvicensium, Schlesw. 1794, I 1. Es ist eine Revision des mit dem Ditmarser Landr. v. 1567 übereinstimmenden Landr. v. 1572, das an die Stelle derfriesischrechtlichen Krone der rechten Wahrheit v. 1426 getreten war. Vgl. Roth § 12 Anm. 81—36. 41 Gedruckt im Corp. Stat Schlesv. I 431. Es trat an die Stelle der Siebenhardenbeliebung v. 1426 und gilt bei den Nordfriesen; Roth § 12 Anm. 74—76. 48 Vgl. noch über das Land- und Marschrecht Roth § 12 Anm. 21—22, über das Recht der Insel Fehmarn ib. Anm. 58—62. 48 Abgedruckt im Anhang zu den Hamburger Stat. v. 1603. Vgl. Roth § 39 Anm. 3—5. 44 So das Bremische Ritterrecht v. 1577 (rev. 1738, 1844, 1847) u. die Statuten der Calenberg-Göttingen-Grubenhagenschen Ritterschaft v. 1847; Grefe I § 7; Roth § 13 Anm. 8 u. 31. Auch das Privilegium der Haubenbandsgerechtigkeit für die Schleswig-Holsteinische Ritterschaft; Roth § 12 Anm. 28—30. 45 Ueber seine Geschichte vgl. Hey dem ann, £inl. in das System des preafs. Civilrechts I 5 ff.; Förster, Preufs. P.R. 1 1 ff.; Dernburg, Preufs. P.R. I § 3 ff.; Stölzel, Carl Gottlieb Suarez, Berlin 1885; Roth, D.P.R. I § 5.

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Suarez war, legte den „Entwurf eines allgemeinen Gesetzbuches für die preufsischen Staaten" vor, der in den Jahren 1787—1788 stückweise veröffentlicht und der allgemeinen Beurtheilung unterworfen wurde. Unter Würdigung der massenhaft eingegangenen Monita wurde der Entwurf vielfach revidirt und umgearbeit und hierauf durch Patent vom 20. März 1791 als „allgemeines Gesetzbuch für die preufsischen Staaten" publizirt, um am 1. Juli 1792 in Kraft zu treten. Bedenken gegen das neue Recht, die durch die Staatsumwälzung in Frankreich genährt wurden, führten zur Hinausschiebung des Geltungstermins auf unbestimmte Zeit durch Cabinetsordre vom 18. April 1792. Nachdem jedoch auf Grund der Cabinetsordre vom 17. April 1793 einige unbedeutende Abänderungen vorgenommen waren, wurde das Gesetzbuch durch Patent vom 5. Februar 1794 als „allgemeines Landrecht für die preufsischen Staaten" mit Gesetzeskraft vom 1. Juni 1794 an publizirt. Die bis Ende 1802 erlassenen Erläuterungen und Abänderungen wurden durch Patent vom 1. April 1803 dem Gesetzbuch als „erster Anhang" einverleibt. Das Landrecht wurde auch in mehrere neu erworbene Landestheile eingeführt und nach Beseitigung der Zwischenherrschaft in den wiedergewonnenen Landestheilen wiederhergestellt. Es gilt demgemäfs in den östlichen Provinzen der Monarchie mit Ausnahme von Neuvorpommern und Rügen, in der Provinz Westfalen und in den Kreisen Rees, Essen und Duisburg der Rheinprovinz, sowie in den vor 1815 preufsisch gewesenen Theilen der Provinz Hannover (Ostfriesland, Lingen und Eichsfeld). Aufserdem hat es in den fränkischen Fürstenthümern Ansbach und Bayreuth und einigen anderen Landestheilen Bayerns und in den ehemals Erfurtischen Gebietsteilen Sachsen-Weimars seine Geltung bewahrt46. Die in dem Patent von 1794 Artikel VII verfügte Suspension der drei ersten Titel des zweiten Theils (Familienund Intestaterbrecht) besteht nur noch in der brandenburgischen Kurund Neumark (einschliefslich der jetzt zu Pommern und Schlesien gehörigen Theile) und unter Erstreckung auf mehrere andere Stücke des Gesetzbuchs im Herzogthum Westfalen fort. Das preufsische Landrecht umfafst in seinen zwei Theilen von 23 und 20 Titeln, in denen es nach einem durchaus eigenartigen System vom Individualrecht durch das Sozialrecht zum öffentlichen Recht aufsteigt, nicht blos das gesammte Privatrecht mit Einschlufs aller Spezialrechte, sondern auch Staatsrecht, Kirchenrecht und Strafrecht. Unter allen modernen Gesetzbüchern ragt es durch seinen grofsartigen Bau und seinen sozialen Geist hervor. Obwohl es auf " Vgl. Roth, D.P.R. I 131 ff. u. 177.

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Drittes Kapitel. Quellen, Hlfsmittel u. Litteratur des deut. Privatrechts.

der gemeinrechtlichen Doktrin seiner Zeit fufst, hat es unter dem Einflufs naturrechtlicher Lehren, deutschrechtlicher Partikularrechtsbildungen und freier Lebensbeobachtung gewaltige Fortschritte im Sinne nationaler und moderner Rechtsgestaltung vollzogen. Seine Fehler liegen in gewissen allgemeinen Mängeln seiner Epoche und namentlich in einer übertriebenen Kasuistik, vermöge deren es alle Kontroversen im Voraus abzuschneiden und in mechanischer Auffassung des Rechtslebens der freien Bewegung von Wissenschaft und Praxis die engsten Grenzen zu ziehen sucht. Während das Landrecht die subsidiäre Geltung des bisherigen gemeinen Rechtes beseitigt, will es selbst nur ein subsidiäres Recht sein, dem die Provinzial- und Statutarrechte vorgehen. Doch sollte ihm eine Kodifikation sämmtlicher Provinzialrechte folgen. Diese Kodifikation ist aber nur für Ostpreufsen in den Jahren 1801 und 1802 und für Westpreufsen im Jahre 1844 zu Stande gekommen. Im Uebrigen gelten die älteren Rechtsquellen und Gewohnheitsrechte fort 47. Indefs sind in den Landestheilen, die zeitweise dem französischen Recht unterworfen gewesen waren, die inzwischen aufgehobenen Partikularrechte nicht wiederhergestellt worden48. Auch in den anderen Provinzen wurde vielfach das partikuläre Recht theils durch einheitliche Provinzialgesetze vereinfacht, theils durch die neuere Gesetzgebung überhaupt beseitigt, so dafs im Gebiet des preufsischen Landrechts heute die Rechtseinheit überwiegt. 2. Das österreichische Gesetzbuch 4 9 . Eine von Maria Theresia im Jahre 1758 zu Brünn eingesetzte Kommission zur Ausarbeitung eines Codex Theresianus brachte einen sehr weitschweifigen 47

Eine grundlegende Uebersicht über dieselben lieferte v. Kamptz, Die Provinzial- und Statutarrechte in der preufsischen Monarchie, Berlin 1826—1828. Vgl. ferner R. Maurenbrecher, Die Rheinpreufsischen Landrechte, Bonn 1830 u. 1831. Andere Sammelwerke sind bei Kraut, Grundr. § 17, nachgewiesen. Ueber den jetzigen Bestand vgl. Roth, D.P.R. I § 9, § 13 B, § 18 A II. 48 P.P. v. 9. Sept. 1814 § 2. Hiernach gelten in der Provinz Posen u. dem westpreufsischen Kreise Michelau-Culm überhaupt keine provinzialrechtlichen Bestimmungen, in den ehemals dem Königreich Westfalen einverleibten Theilen der Provinzen Sachsen u. Westfalen und in den landrechtlichen Gebieten Hannovers nur solche Provinzial- und Statutarrechte, deren Gegenstand von den französischen Gesetzen nicht berührt wurde oder im Landrecht nicht geregelt ist. 49 Ueber seine Geschichte vgl. Ph. Harras v. Harrasowsky, Geschichte der Kodifikation des österr, Civilr., Wien 1868; Ρ faff, Ζ. f. d. P. u. ö. R. d. G. I I 254 ff.; Ρ faff u. Hofmann, Komm. I 1 ff., Exkurse I 1 ff. — Die Materialien bei Harras v. Harrasowsky, Der Codex Theresianus u. seine Umarbeitungen, 5 Bde., Wien 1883—1886; Ofner, Der Urentwurf u. die Berathungsprotokolle des österr. allg. bürg. Gesetzbuche, 2 Bde., Wien 1889.

§ 9. Die deutschen Partikularrechte.

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ersten Theil zu Stande, aus dessen Umarbeitung und Fortführung durch eine Wiener Kommission der im Jahre 1766 vollendete Entwurf eines überaus umfangreichen und vielfach lehrbuchartigen Gesetzbuches hervorging. Im Jahre 1772 begannen die Berathungen einer neuen Kommission über den Codex Theresianus, wobei eine von Horten im Staatsrath vollzogene Umarbeitung zu Grunde gelegt wurde. Doch gerieth die Arbeit im Jahre 1776 ins Stocken und wurde erst unter Joseph II. wieder aufgenommen. Nach nochmaliger Ueberarbeitung wurde nun durch Patent vom 1. November 1786 der erste Theil des Codex Theresianus als Josephinisches Gesetzbuch publizirt50. Unter Leopold H. nahm eine vom Freiherrn v. Martini geleitete Kommission das Gesetzgebungswerk in die Hand und brachte auf Grund aller bisherigen Vorarbeiten einen neuen Entwurf zu Stande, der im Jahre 1797 als westgalizisches Gesetzbuch in Galizien probeweise eingeführt, im Uebrigen der Begutachtung durch juristische Fakultäten und richterliche Kommissionen überwiesen wurde. Nach Eingang der Gutachten wurde im Jahre 1801 eine Hofkommission, deren Referent Z e i l l e r war, mit der Revision betraut. Ihr in dreimaliger Durchprüfung unter mancherlei Anständen vollendetes Werk empfieng endlich am 7. Juli 1810 die kaiserliche Genehmigung und wurde durch Kundmachungspatent vom 1. Juni 1811 als „allgemeines bürgerliches Gesetzbuch" in allen damaligen österreichischen Ländern aufeer Ungarn und Siebenbürgen in Kraft gesetzt. Später wurde es auch in mehrere neu erworbene Landestheile eingeführt. Dagegen wurde die durch Patent vom 29. November 1852 erfolgte Einführung in Ungarn im Jahre 1861 wieder rückgängig gemacht51. In den Nebenländern der ungarischen Krone blieb das Gesetzbuch in Kraft, so dafs es heute in ganz Cisleithanien und überdies in Siebenbürgen, Kroatien und Slavonien gilt 62 . Aufserdem gilt es im Fürstenthum Liechtenstein58 und in einigen bayrischen Ortschaften 54. 50 Es gilt noch als sog. „Vorderösterreichisches Recht" in der ehemaligen Markgrafschaft Burgau; Roth, Bayr. C.R. § 4 Anm. 10; D.P.R. I § 18 Anm. 16. 61 Ρ faff u. Hofmann, Komm. I 40 ff. Ungarn hat daher keine Privatrechtskodifikation. Doch sind neuerdings, nachdem bereits am 16. Mai 1875 ein Handelsgesetzbuch erlassen ist, Entwürfe zu einzelnen Theilen eines Ungarischen Civilgesetzbuchs, insbesondere zum Allgemeinen Theil (1871) und zum Erbrecht (übersetzt von Th. Kern, Budapest 1887), veröffentlicht M Jedoch in diesen drei Ländern mit mancherlei Abweichungen. Das ältere deutsche Recht in Siebenbürgen enthalten die „Statuta jurium municipalium Saxonum in Transsilvania", das Eigen Landrecht der S. Sachsen, bearbeitet . · · v. Schuler v. Libloy, Hermannstadt 1853. 68 Nach Hofdekret v. 13. Febr. 1818; Pfaff u. Hofmann a. a. O. S.44 Anm. 238. Bi Im Markte Redwitz in Oberfranken und in einigen Orten der Oberpfalz; Roth, D.P.R. I § 18 Anm. 6 u. 22.

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Drittes Kapitel. Quellen, Hlfsmittel u. Litteratur des deut. Privatrechts.

Das österreichische Gesetzbuch regelt in 1502 Paragraphen nur das reine Privatrecht mit Ausschlufs aller Spezialrechte. In der Fassung kurz und bündig, aber auch dürftig, schliefst es sich inhaltlich weit stärker als das preufsische Landrecht an das römische Recht an. Doch modelt es dasselbe durchweg nach den Fordeningen des Naturrechts und bringt in Folge hiervon oft unbewufst deutschrechtliche Sätze zur Geltung. Es räumt nicht blos mit dem gerneinen Recht, sondern hinsichtlich der von ihm behandelten Gegenstände auch mit allem Partikularrecht auf. 3. Das französische Gesetzbuch 5 6 . Gleich im Beginne der Revolution wurde die Herstellung eines einheitlichen Civilgesetzbuches geplant und in der Konstitution von 1791 ausdrücklich verheifsen. Doch wurde ein durch eine Kommission des Nationalkonvents ausgearbeiteter Entwurf von 1793 nicht acceptirt56. Ebenso blieben mehrere spätere Anläufe vergeblich. Erst Bonaparte als erster Konsul brachte durch seine kräftige Initiative die Arbeit wieder in Flufs. Eine von ihm am 12. August 1800 ernannte Kommission von vier Männern stellte in vier Monaten einen Entwurf fertig, der dann im Staatsrath unter Bonapartes lebhafter persönlicher Betheiligung durchberathen wurde. Das so entstandene Projekt wurde jedoch, nachdem die gesetzgebende Versammlung den ersten Titel verworfen hatte, im Januar 1802 zurückgezogen und einer nochmaligen Umarbeitung unterworfen. In den Jahren 1803 und 1804 wurden sodann die einzelnen fertig gestellten Stücke von der gesetzgebenden Versammlung angenommen und als Gesetze verkündigt. Zusammengefafst wurden sie durch Gesetz vom 20. März 1804 als Code civil des Français und im Jahre 1807 mit einigen Aenderungen als Code Napoléon publizirt. Der Code trat von vornherein in dem damals zu Frankreich gehörigen linksrheinischen Deutschland in Kraft und wurde später während der Fremdherrschaft in viele andere deutsche Länder eingeführt. Nach den Befreiungskriegen wurde er in den rechtsrheinischen Ländern mit Ausnahme der auf dem rechten Rheinufer gelegenen Theile des ehemaligen Herzogthums Berg wieder abgeschafft, blieb dagegen auf dem ganzen linken Rheinufer in Geltung. Er gilt somit 66

Ueber seine Geschichte vgl. Schäffner, Geschichte der Rechtsverfassung in Frankreich IV 304 ff.; Z a char i a e, Handb. des frarzös. Civilr. I § 7 ff.; C. Barazetti, Einführung in das französ. Civilr. (Code Napoléon) und das badische Landrecht, Frankfurt a, M. u. Lahr 1889. Ββ Gedruckt und übersetzt findet sich der „Code de la Convention" v. 9. Aug. 1793 bei Barazetti a. a. 0. S. 313 ff.

§ 9. Die deutschen Partikularrechte.

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heute im gröfsten Theil der preufsischen Rheinprovinz, im Oldenburgischen Fürstenthum Birkenfeld, in Rheinhessen, in der bayrischen Pfalz und in Elsafs-Lothringen. Dafs er als badisches Landrecht auch in Baden herrscht, wird sich bei der Besprechung dieses Gesetzbuches ergeben. Das französische Gesetzbuch regelt in 2281 Artikeln ausschliefslich das generelle Privatrecht. Seiner Fassung werden nicht mit Unrecht, aber oft mit Uebertreibung, schlagende Kürze und logische Präzision nachgerühmt. Inhaltlich schöpft er aus dem älteren französischen Recht und beruht auf einer Verschmelzung des im pays du droit écrit vorherrschenden römischen Rechts und der im pays coutumier auf wesentlich germanischrechtlicher Grundlage aufgezeichneten Coutumes. In vieler Hinsicht ist er an germanischrechtlichen Bestandteilen reicher als irgend ein deutsches Gesetzbuch. Doch ist germanisches wie römisches Recht in ihm überall in den Dienst der sozialpolitischen Tendenz gestellt, die durch die Revolution bewirkte Umgestaltung der bürgerlichen Gesellschaft zu befestigen und möglichst auf die Dauer zu sichern. Der Code nimmt für die von ihm behandelten Gegenstände ausschliefsliche Geltung in Anspruch. Partikuläre Gesetze und Gewohnheiten läfst er nur insoweit bestehen, als er auf sie verweist. 4. Das badische Landrecht 6 7 . In Baden wurde 1808 der Code eingeführt, im Jahre 1809 aber in einer Uebersetzung mit Zusätzen als „Badisches Landrechtu unter Aufhebung des gemeinen Rechts und aller Land- und Stadtrechte publizirt. Die Zusätze sind zwischen die in unveränderter ZifFernfolge beibehaltenen Artikel des Code eingeschoben und durch Beifügung von Buchstaben gekennzeichnet Ihr Inhalt besteht theils in Abänderungen der französischrechtlichen Institute theils in Erhaltung vom französischen Recht beseitigter deutschrechtlicher Institute. 5. Sächsisches Gesetzbuch 6 8 Im Königreich Sachsen wurde schon 1851 und 1852 der Entwurf eines Civilgesetzbuchs gedruckt, jedoch wegen ungünstiger Beurtheilungen zurückgezogen. Nach völliger Umarbeitung wurde durch Publikationsverordnung vom 2. Januar 1863 das „bürgerliche Gesetzbuch für das Königreich Sachsen" promulgirt und durch Verordnung vom 9. Januar 1865 mit Gesetzeskraft vom 1. März 1865 an versehen. Dieses Gesetzbuch, das in 67

Vgl. Barazetti a. a. 0. S. 30 ff. Vgl. B. Schmidt, Vorlesungen über das im K. Sachsen geltende Privatrecht, Leipzig 1869, I § 8. 58

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Drittes Kapitel. Quellen, Hlfsmittel u. Litteratur des deut. Privatrechts.

2620 Paragraphen das Privatrecht mit Ausschlufs mehrerer Spezialrechte regelt, schöpft seinen Inhalt zum Theil aus dem alten Sachsenrecht, schliefst sich aber im Uebrigen eng an die Savignysche Pandektenlehre an. Es kennt kein subsidiäres Recht und duldet kein Partikularrecht. 6. Entwürfe zu Civilgesetzbüchern sind auch in anderen deutschen Staaten verfafst worden69. Seitdem ein Gesetzbuch für das Deutsche Reich in Sicht ist, haben sie nur noch geschichtliches Interesse. III. Einzelgesetze. Schon seit dem Mittelalter wurde das Privatrecht nicht blos durch allgemeine Gesetzbücher, sondern auch durch besondere gesetzliche Ordnungen für einzelne Rechtsgebiete fortgebildet 60. Auf diesem Wege wurden namentlich oft die in einem 59 Veröffentlicht wurden: 1. ein Entw. f. Hessen-Darmstadt seit 1842 ; 2. ein Entw. f. das Königreich Bayern seit 1861. — Lediglich zu Vorarbeiten führte das seit 1817 ins Werk gesetzte, seit 1843 der Leitung v. Savigny s unterstellte, jedoch 1848 liegen gelassene Unternehmen einer Revision des preufsischen Landrechts. 60 Solche Spezialgesetze sind massenhaft in älteren Sammelwerken zu finden, von denen hier einige, die öfter benützt und abgekürzt citirt werden sollen, angeführt werden mögen: Corpus Constitutionum Marchicarum (C. C. March.) ed. Mylius, Tom. I—VI u. Cont. I—IV, Berlin u. Halle 1736-1747, fortgesetzt als Novum Corpus Constitutionum Prusso-Brandenburgensium (N. C. C.), 13 Bde., 1751— 1806; Corpus Constitutionum Magdeburgicarum (C. C. Magd.) ed. Mylius, Magdeburg u. Halle 1714, Contin. 1717; Corpus Constitutionum Prutenicarum (C. C. Prut.) ed. Grube, Königsberg 1721; D ä h n e r t , Sammlung gemeiner u. besonderer Pommerischer u. Rügischer Landesurkunden, Gesetze u. s. w., 3 Bde. mit 2 Suppl.Bdn., Stralsund 1765—1768; Scotti, Sammlung der Gesetze . . in . . Jülich u. Berg (v. 1475—1815), 4 Bde., Düsseldorf 1821—1822; Scotti, Sammlung der Gesetze u. Verordnungen . . in . . Cleve u. Mark (1418—1816), 5 Bde., Düsseldorf 1826; Scotti, Sammlung der Kurkölnischen Gesetze u. Verordnungen, Düsseldorf 1830 ; Corpus Constitutionum Calenbergicarum (C. C. Cal.), 4 Bde., Göttingen 1739— 1740 ; Corpus Constitutionum ducatus Luneburgici et comitatus Hoyensis (C. C. Lun.), 6 Bde., Lüneburg 1741—1745; Codex Constitutionum Osnabrugensium (C. C. Osn.), 2 Bde., Osnabrück 1783 u. 1819; Corpus Statutorum provincialium Holsatiae (C. St Hols.) ed. C r ο η h e 1 m, Altona 1750 ; Corpus Statutorum Schlesvicensium (C. St. Schlesv.), Schleswig 1794; Codex Augusteus (C. Aug.), 3 Bde. u. Cont. I—UI, Leipzig 1724 sq.; Spangenberg, Sammlung der Verordnungen u. Ausschreiben, welche für sämmtliche Provinzen des Hannoverschen Staats ergangen sind, 7 Bde., Hannover 1819ff.; Sammlung fürstlich hessischer Landesordnungen u. Ausschreiben (Hess. Samml.), 8 Bde., Kassel 1776—1816; Corpus Constitutionum Nassovicarum (C. C. Nass.), 6 Bde., 1796; Reyscher, Vollständige Sammlung der Württembergischen Gesetze, 19 Bde., Stuttgart u. Tübingen 1828—1851; Corpus Constitutionum Oldenburgicarum (C. C. Old.) ed. Oettken, 6 Thle. mit 3 Suppl., Oldenburg 1722 ff.; Weingarten, Codex Ferdinandeo-Leopoldino-Josephino-Carolinus pro Regno Bohemiae, Marchionatu Moraviae et Ducatu Silesiae, Pragae 1720.

§ 10. Verwandte Rechte.

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eignen Lebenskreise wurzelnden Spezialrechte kodifizirt, gewisse zugleich in das Privatrecht eingreifende Materien des öffentlichen Rechts im Sinne des modernen Staatsgedankens geregelt oder auch einzelne Theile des gemeinen bürgerlichen Rechts zeitgemäfs reformirt. In unserem Jahrhundert hat diese Spezialgesetzgebung an Bedeutung stets zugenommen und auch da, wo umfassende Gesetzbücher in Kraft stehen, in Ergänzung oder Abänderung derselben den Rechtszustand wesentlich umgestaltet61. Zum Theil hat das Reich jetzt die Lösung dieser Aufgabe in die Hand genommen. Allein auch der Partikulargesetzgebung ist ein weites Feld für derartige Bethätigung verblieben, das selbst nach seiner Einengung durch das künftige Reichscivilgesetzbuch umfangreiche und wichtige Privatrechtsgebiete umspannen wird. Gerade solche Einzelgesetze sind es, in denen die modernen Rechtsgedanken sich zuerst Bahn zu brechen pflegten und pflegen und bei denen dann zugleich der Zusammenhang dieser Gedanken mit den Grundgedanken unseres nationalen Rechts sich deutlich offenbart. Sie haben daher für das deutsche Privatrecht eine hohe Bedeutung62. § 10. Verwandte Rechte. I. Im Allgemeinen. Aus zwiefachem Grunde sind für das Verständnifs des deutschen Privatrechts die Rechtsquellen anderer moderner Völker wichtig. 1. Wegen der Abstammung aus gleicher Wurzel. Denn kaum lebt heute ein Kulturvolk, dessen Recht nicht germanische Bestandtheile enthielte. Bei den übrigen germanischen Völkern hat sich germanisches Recht zum Theil sogar reiner als in Deutschland erhalten, bei den romanischen Völkern bildet es ein Stück ihrer germanischen Erbschaft, bei den Völkern des slavischen und magyarischen Ostens hat es als ein seit dem Mittelalter eingeführtes Kulturelement befruchtend gewirkt. 61 Die neueren Spezialgesetze sind in den offiziellen Gesetzsammlungen der einzelnen Staaten zu finden. 62 Die einzelnen Gesetze sind bei den von ihnen geregelten Materien anzuführen. Um ihre Bedeutung vorläufig zu würdigen, denke man beispielsweise, vom Handels-, Wechsel- und Seerecht ganz abgesehen, an die Spezialgesetzgebung über Agrarrecht, bäuerliches Güterrecht, gutsherrlich-bauerliche Verhältnisse, Wasser- und Deichrecht, Bergrecht, Forst- und Jagdrecht, Immobiliarsachenrecht, Lehn, Fideikommisse, Zwangsenteignung, Gesinderecht, Eherecht, Vormundschaftsrecht, Urheber- und Erfinderrecht, Gemeinderecht, Genossenschaftsrecht, Gewerberecht u. s. w.

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Drittes Kapitel. Quellen, Hlfsmittel u. Litteratur des deut. Privatrechts.

Insoweit gehören zu den Hülfsmitteln des deutschen Privatrechts nicht blos die geltenden Quellen, sondern auch die historischen Rechtsdenkmäler der übrigen europäischen Völker. So vor Allem die des skandinavischen Rechts1, unter denen übrigens das von König Waldemar II. im Jahre 1241 erlassene Jütische Low noch heute im gröfsten Theile von Schleswig als gemeines subsidiäres Landrecht gilt 2 ; so die des niederländischen Rechtes, das sich erst im Laufe der Zeit aus einem deutschen Partikularrecht zu einem selbständigen Recht entwickelt hat 8 ; so die französischen, normannischen und englischen Rechtsquellen4; so die Quellen des italienischen Rechts5. Andrerseits rücken rein deutsche Rechte, die vom geschichtlichen Standpunkt aus nicht abzutrennen wären, für die dogmatische Betrachtung in die Reihe der fremden Rechte und somit der blofsen Hülfsmittel des deuschen Privatrechts ein. Dies gilt insbesondere von den Rechten der deutschen Schweiz und der baltischen Provinzen des russischen Reiches, während das österreichische Recht mit Fug auch heute unter dem Gesichtspunks eines deutschen Partikularrechts behandelt werden kann. 2. Wegen der Gemeinschaft des Kulturlebens. Denn wie auf allen Gebieten, so führen im Recht die modernen Völker kein isolirtes Dasein, sondern stehen in jener innigen Lebensgemeinschaft, welche aus der grofsen lateinischen Gemeinschaft des Mittelalters hervorgewachsen ist. So wirkt denn die Rechtsbildung des einen Volkes auf die des anderen ununterbrochen ein. Pflegt man doch heute vor Erlals wichtiger Gesetze die Gesetzgebung der übrigen Kulturvölker zu sammeln und zu vergleichen, um das für die eignen Verhältnisse Brauchbare aus ihr zu schöpfen. Und gewisse, sei es wirkliche, sei es vermeintliche Fortschritte der Rechtsbildung brechen 1

Ueberblick über die Geschichte der nordgermanischen Rechtsquellen von K. Maurer in Holtzendorffs Encyklopädie der Kechtswiss. I Nr. 5. 8 Vgl. K. Maurer a. a. O. S. 379; Falck, Handbuch I 409 ff.; Roth, D.P.R. I 80 ff. Als offizieller Text gilt eine plattdeutsche Uebersetzung des revidirten dänischen Textes v. 1590. — In Dänemark selbst ist es durch das noch geltende Gesetzbuch Christians V. v. 1683 verdrängt. 8 Hugo de Groot, Inleyding tot de Hollandsche Rechtsgeleertheit bevestigt met Placaaten, Amst. 1860 (zuerst 1631); W a r n k ö n i g , Flandrische Staats- und Rechtsgeschichte, 3 Bde., Tübingen 1835—1842; Angabe neuer Quellenwerke b. K r a u t , Grundr. § 31 Z. 2 u. 3. 4 Ueberblick über ihre Geschichte von H. Brunner in Holtzendorffs Encyklopädie I Nr. 4. 6 Vgl. A. Pertile, Storia del diritto italiano dalla caduta delP impero Romano alla codificazione, 6 Bde., Padova 1871 ff.

§ 10. Verwandte Rechte.

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sich vermöge einer allgemeinen Gedankenbewegung, der sich auf die Dauer kein Volk entziehen kann, oft fast gleichzeitig im Privatrecht verschiedener Länder Bahn6. II. Einzelne verwandte Rechte. Unter den geltenden fremden Rechten sind einige für das deutsche Privatrecht von besonderer Wichtigkeit. 1. Das Recht der Schweiz. Das schweizerische Privatrecht zerfällt in gemeines eidgenössisches Recht und partikuläres Recht der einzelnen Kantone. Jenes fliefst aus Bundesgesetzen, von denen das seit dem 1. Januar 1883 in Kraft stehende Bundesgesetz über das Obligationenrecht vom 14. Juni 1881 einen erheblichen Theil des Privatrechts kodifizirt 7. Die überwiegende Masse des Privatrechts ist dagegen noch Kantonalrecht. Die Kantone zerfallen in 4 Gruppen. 1. In Uri, Schwyz, Unterwaiden, Appenzell, Basel, St. Gallen und Thurgau ist das Privatrecht nicht oder doch nicht vollständig kodifizirt; hier gelten theils ältere Landbücher und Statutarrechte von rein deutschrechtlichem Inhalt, theils neuere Spezialgesetze8. 2. Die welschen und halbwelschen Kantone haben theils das französische Gesetzbuch angenommen (Genf und Berner Jura), theils auf Grundlage desselben eigne Civilgesetzbücher erlassen: Waadt 1819, Freiburg 1834—49, Tessin 1837 und in neuer Fassung 1882, Neuenburg 1853—54, Wallis 18539. 3. In Bern 1824—30, Luzern 1831—39, Solothurn 1841—47 und Aargau 1847—55 wurden stückweise besondere Civilgesetzbücher eingeführt, denen das Oesterreichische bürgerliche Gesetzbuch als Vorbild diente10. 4. Die letzte Gruppe bildet Zürich mit 6 Man denke z. B. an die Aufhebung der Schuldhaft, der Zinstaxen, des Einflusses des religiösen Bekenntnisses auf die Rechtsfähigkeit u. s. w., an die Einführung der Civilstandsregister und der Civilehe, an die Durchführung der Gewerbefreiheit, an den Patent-, Marken- und Musterschutz u. s. w. 7 Es enthält aufser dem Obligationenrecht und dem gesammten Handels- und Wechselrecht auch Bestimmungen über Mobiliarsachenrecht und über Vereine. Dazu kommen Bundesgesetze über einzelne Stücke des Privatrechts, wie z. B. Grofsjährigkeit, Haftpflicht u. s. w. 8 Näheres über die hier geltenden Quellen b. Huber, Schweizer P.R. I 50ff. Vgl. übrigens unten Anm. 11. 9 H über a. a. 0. S. 52ff. —Die Gesetzbücher v. Freiburg u. Tessin weichen im System vom Code ab und stehen mehrfach auch unter dem Einflufs des österr. Gesetzbuches. 10 Hub er a. a. 0. S. 54 ff. — Für Solothurn, auf dessen Gesetzgebung auch das französische Vorbild eingewirkt hat, ist seitdem der Entw. eines neuen Civilgesetzbnchs veröffentlicht worden, Solothurn 1890.

B i n d i n g , Handbuch.

I I . 3. 1: G i e r k e , Den taches Privatrecht. I .

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Drittes Kapitel. Quellen, Hlfsmittel u. Litteratur des deut. Privatrechts.

den Kantonen, die sich die Zürcher Gesetzgebung zum Muster genommen haben. Das in den Jahren 1853—55 publizirte privatrechtliche Gesetzbuch für Zürich, das von Bluntschli verfafst und mit Erläuterungen versehen ist, hat als ein nach Stoff und Geist germanistisches modernes Gesetzbuch für die Wissenschaft wie für das Leben des deutschen Rechts eine hohe Bedeutung erlangt. Es ist im Jahre 1887 unter Weglassung der inzwischen bundesgesetzlich geregelten Materien einer von Schneider besorgten und in einer Ausgabe von 1888 auf Grundlage des Bluntschlischen Kommentars erläuterten Neuredaktion unterzogen worden. Seinem Vorbilde folgen die privatrechtlichen Gesetzbücher von Schaffhausen (1863—65), Zug (1861—75) und Glarus (1869—74), sowie das von Planta verfafste und kommentirte Gesetzbuch von Graubünden (1862), das indefs in manchen Stücken eine selbständigere Haltung wahrt 11. 2. Baltisches Recht. Eine von Bunge verfertigte und im Jahre 1864 als „Liv-, Esth- und Curländisches Privatrecht" veröffentlichte Zusammenstellung ist durch Ukas von demselben Jahre mit Gesetzeskraft versehen. 3. Französisches Recht. Das Privatrecht Frankreichs beruht bis heute auf dem Code Napoléon (jetzt offiziell wieder „Code civil"), ist aber durch neuere Gesetze mannichfach fortgebildet und somit von dem inzwischen gleichfalls umgebildeten rheinisch-französischen Recht vielfach verschieden. Aufserhalb Frankreichs gilt der Code mit einzelnen Abänderungen noch heute in Belgien, inLuxemburg und theilweise in RussischPolen. In I t a l i e n ist an seine Stelle der Codice civile vom 25. Juni 1865 getreten, der aber in der Hauptsache auf ihm beruht. Ebenso verhält es sich mit dem in Holland statt des Code jetzt geltenden bürgerlichen Gesetzbuch vom 1. Oktober 1883. Nachbildungen des Code sind ferner die Civilgesetzbücher Rumäniens (Codice civile mit Gesetzeskraft vom 1. Dezember 1865), Griechenlands, Egyptens (1875) und einiger amerikanischer Republiken12. Eine nahe Verwandtschaft mit ihm zeigt endlich auch das spanische Civilgesetzbuch vom 24. Juli 1889. 4. Englisches Recht. Das englische Recht nebst seinem amerikanischen Tochterrecht, in dem das germanische Recht in einer 11

Huber a. a. 0. S. 56 ff. u. I I 535. In Nidwaiden (1851—1859) und Thurgau (1860 revid. 1885) sind die ersten Theile von Civilgesetzbüchern, die gleichfalls das Zürcher Gesetzbuch zum Vorbild nehmen, eingeführt. 12 So in der Argentinischen Republik (1871) und in Mexiko (1871), aber auch in einigen Staaten der nordamerikanischen Union.

§ 11. Litteratur.

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durchaus eigenartigen Ausgestaltung fortlebt, ist nicht kodifizirt. Neuerdings sind jedoch auch in England und namentlich in Nordamerika umfassende Spezialgesetze über einzelne privatrechtliche Gegenstände ergangen. § 11.

Litteratur.

I. Nationale Rechtsbücher. Nachdem schon im Mittelalter dem verheifsungsvollen Anfange zur Begründung einer nationalen Rechtswissenschaft, den Eike vonRepgow gemacht hatte, keine ebenbürtige Fortsetzung gefolgt war, eilte nach der Aufnahme der fremden Rechte die deutsche Rechtsbücherlitteratur, obwohl sie noch einige verspätete Blüthen trieb, dem Untergange zu1. II. Populäre Schriften über fremdes Recht. Die Stelle der Rechtsbücher nahmen zunächst die seit dem 15. Jahrhundert sich in Deutschland mehr und mehr ausbreitenden populären Darstellungen des fremden Rechtes ein, die mindestens in deutscher Sprache zu ungelehrten Leuten redeten und ihren Stoff auch inhaltlich den einheimischen Zuständen und dem Bedürfnifs der noch nicht ganz erloschenen Schöffenpraxis einigermafsen anpafsten. Das hervorragendste und einflufsreichste Werk dieser Richtung war der von dem Nördlinger Stadtschreiber Ulrich Tengler verfafste Laienspiegel 2 , mit dem später der ältere Klagspiegel regelmäfsig verbunden wurde8. Nicht auf gleicher Höhe steht die populäre Litteratur der Folgezeit4. Als gegen Ende des 16. Jahrhunderts die 1 Das einzige selbständige Rechtsbuch nachmittelalterlicher Herkunft ist der von Matthaeus Normann um die Mitte des 16. Jahrh. verfafste und auf Rügen zu gesetzlichem Ansehen gelangte Wendisch-Rügianische Landgebrauch, ed. Gadebusch, Stralsund 1774. Aufserdem gehört hierher das im Anf. des 16. Jahrh. von Johannes Purgoldt aus einheimischem (besonders Eisenacher) und fremdem Recht kompilirte Rechtsbuch, ed. Ortloff, Jena 1860. Sodann das von Conradus Lagus um 1587 verfafste systematische Compendium juris civilis et Saxonici, ed. Gregorii, Magd. 1602 (zuerst 1597), die Differentiae juris civilis et Saxonici (zusammengefafst nach den Arbeiten von Reinhard u. Fachs herausg. v. Hackelmann, Jena 1595) und andere Arbeiten über sächsisches Recht. f Erste Ausg. Augsburg 1509. Erst in der nach Τ en gier s Tode gedruckten Ausg. v. 1511 aber erhielt das Buch seine jetzige Gestalt. Hier ist die Ausg. Strasburg 1527 benützt. 8 Der Klagspiegel, von einem unbekannten Verfasser zu Schwäbisch-Hall bearbeitet, wurde schon im 15. Jahrh. mehrfach gedruckt und 1516 von Seb. Brandt herausgegeben; hier nach der Ausg. Strasburg 1527. 4 Andreas Perneder Institutiones, Auszug und anzaigung etlicher geschriben keiscrl. und des h. Reichs rechte, wie die gegenwertiger Zeiten inn ubung gehalten werden, ed. Hunger, Ingolstadt 1564 (zuerst 1545); Leenrecht, Ingolstadt 6*

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Abdrängung des Volkes vom Rechtsleben vollendet war, hörte diese Schriftstellerei für „Laien" völlig auf. III. Gelehrte romanistische Litteratur. Die längst zur Vorherrschaft und nun zur Alleinherrschaft gelangte romanistische Jurisprudenz konnte trotz ihrer Abwendung von den vaterländischen Quellen das deutsche Recht seiner praktischen Bedeutung wegen nicht ganz vernachlässigen. Vielmehr mufste sie es insoweit anerkennen und verarbeiten, als sie entweder auf die Darstellung des gemeinrechtlichen usus modernus abzielte oder mit geltenden Partikularrechten befafst war. Darum sind die Schriften der Romanisten in demselben Mafse, in dem sie praktische Zwecke verfolgen, für die Geschichte des deutschen Privatrechts wichtig. 1. In erster Linie kommen hier die unmittelbar auf E n t scheidung praktischer Rechtsfälle gerichteten Arbeiten in Betracht. a. Vor Allem daher die Sammlungen und Bearbeitungen der Urtheile des Reichskammergerichts, wiesie schon im 16. Jahrhundert von Mynsinger und G a i l , später von Meichsner, Klock und Cramer veranstaltet wurden5. b. Aehnliche Werke wurden seit dem 17. Jahrhundert im Anschlufs an die Praxis oberer Landesgerichte verfafst. So bearbeiteten Carpzov und später Kind die kursächsischen Entscheidungen, Me vi us und Engelbrecht die Erkenntnisse des Tribunals 1565; gerichtlich. Prozefs, Ingolstadt 1564 (zuerst 1551). Justinus Gobier, Der Rechten Spiegel, Frankfurt 1550; Statutenbuch u. s. w., Frankfurt 1553. Noä M eurer, Liberey Keyserlicher, auch Teutscher Nation Landt- und Statt-Recht, Frankfurt 1597 (zuerst 1582); er verfafste auch Werke in deutscher Sprache über Jagd- und Forstrecht (2. Ausg. Frankfurt 1576) und über Wasserrecht (Frankfurt 1570). Dazu die deutsch geschriebenen Prozefshandbücher (Stobbe, Rechtsqu. I I 177 ff.) und Formularsammlungen (Stobbe a. a. O. S. 157 ff.; Stintzing, pop. Litt. S. 317 ff.; Gierke, Genossenschafter. I I I 671 Anm. 89). 6 Joachim Mynsinger a Frundeck (1517—1588), Singularium observationum Imperialis camerae centuriae V I , Lips. 1591 (zuerst 1563—1584); Andreas Gail (1525—1587), Practicarum Observationum libri duo, Colon. 1592 (zuerst 1578); Joh· Meichsner, Decisiones diversarum causarum in camera imperiali judicatarum adjunctis relationibus actorum, 4 Vol., Francof. a. M., 1603 sq.; Casp. K l o c k (1583—1655), Liber singularis relationum pro adsessoratu habitarum, ed. II, Norimb. 1680; Joh. Ulrich Cramer (1706—1772), Observationes juris universi ex praxi recentiori supremi Imperialis tribunalis haustae, 6 Vol., Wetzl. 1758—1772; Wetz1 arische Nebenstunden, 128 Thle., Ulm 1755—1773. — Die wichtigsten Entsch. v. 1495—1573, aber ohne Gründe, b. Raphael S a i l e r , Selectissimae sententiae in amplissimo summoque Imperialis camerae judicio, 3 Vol., Francof. a. M. 1572—1573.

§ 11. Litteratur.

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zu Wismar, F. Ε. Pufendorf und S trübe die Praxis des Oberappellationsgerichtes zu Gelle6. c. Bedeutungsvoll sind ferner die Sammlungen von Entscheidungen und Gutachten der Spruchkollegien, wie sie fast von jeder juristischen Fakultät vorliegen7. d. Nicht minder wichtig endlich sind die Sammlungen, in denen die praktischen Arbeiten einzelner Juristen veröffentlicht sind8. Nach dem Vorbilde der Nachbarländer gab seit Ulrich Zasius auch in Deutechand fast jeder bedeutende Jurist seine Consilia et Responsa heraus. Neben blofsen Gutachten finden sich hier dann vielfach auch • Bened. Carpzov, Decisiones Saxonicae, Lips. 1704 (zuerst 1646); F. A. K i n d , Quaestiones forenses, 4 Tom., Lips. 1792—1802, Ed. I I 1807. Dav. Mevius, Decisiones Tribunalis Wismariensis, Strals. 1664—1675; Engelbrecht, Observationes selectiores forenses, Wism. et Lips. 1748. Friedr. Esaias Pufendorf, Observationes juris universi, 4 Bde., Hannov. 1744—1770; D. G. S trübe, Rechtliche Bedenken, 5 Bde., Hannover 1761—1777. Vgl. auch Collectio notabilium decisionum supremi tribunalis appellationis Hasso-Cassellani ed. de Canngiefser, Francof. a. M. 1804ff. (12 Bde., Fortsetzung in Bd. 13—17 v. Pfeiffer). 7 Besonders wichtig sind die Decisiones Wittebergenses et Lipsienses, als „Illustres aureae solemnes diuque exoptatae Quaestionum . . . decisiones et discussiones" in 3 Vol. zu Frankfurt a. M. 1599—1608 erschienen. Ferner die Consilia s. Responsa Doctorum et Professorum Facultatis Juridicae in Academia Marpurgenei, herausg. v. H. V u l t e j u s , 4 Vol., Marburg 1605 sq. Consilia s. Responsa A l t o r f i a n a ed. C. R i t t e r s h u s i u s , Hanov. 1603; spätere Altdorfer Decisiones et Responsa von J. J. Beck, Nümb. 1734. Decisiones et Sententiae in Facilitate et Dicasterio Provinciali Jenen si pronuntiatae, ed. Domin. Arumaeus, Jen. 1608 u. 1612; spätere Jeneneer Consultationes juris selectae v. N. C. von L y n c k e r , Jen. 1704 u. 1715. Consilia A r g e n t o r e n s i a , Vol. I—II, Argentor. 1642, Vol. I I I ed. S c h i l t e r 1701. Consultationes Tubingenses ed. Christ. Β es old, Tub. 1629—1630; Collectio nova Consiliorum Juridicorum Tubingensium, 9 Vol., Tub., Francof. et Giess. 1731—1750. Decisiones Francofurtanae von J. Brunnemann, ed. Stryck Francof. a. 0. 1674. Consilia s. Responsa Helmstadiensia ed. Homborgius, Francof. et Lips. 1713. Consilia Hallensium Jureconsultorum ed. J. Ρ. von Ludewig, Hai. 1733 u. 1734; spätere bei J. H. Boehmer, Consultationes et Decisiones, Hai. 1748—1754. Facultatis Ingolstadiensis Consilia et Responsa, ed. Clingensperg, Norimb. 1734. Selectiores consultationes collegii Ictorum Academiae Gryphiswaldensis, ed. Engelbrecht, Strals. et Gryphisw. 1741. Jus Mecklenb. et Lubec. illustratum ex judiciis collegii juridici Rostochiensis, Rost. 1751. Inclytae Facultatis Juridicae Erfordiensis Responsorum et Sententiarum selectiorum collectio, ed. Sc horch, Erf. 1770. 8

Für die Anfänge der Rezeptionsgeschichte wichtig ist die Sammlung v. Laur. Kirchovius (f 1580), Consilia s. Responsa praestantissimorum Germaniae Galliae Hispaniae Jureconsultorum, 5 Vol., Francof. a. M. 1605. Ferner Martinus Uranius Prenninger (1490—1501 Prof. in Tübingen), Consilia, Francof. 1599.

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von den Verfassern herrührende Fakultäts- und Gerichtsurtheile. Hervorragende Werke dieser Art besitzen wir aus dem 16. Jahrhundert von Zasius, Goede, Schürff, Sichardt, Fichard, Mynsinger, den drei Pistoris, Wesembeck, Cothmannund vielen Anderen9; aus dem 17. Jahrhundert von Wehner, Berlich. Klock, Mevius, Brunnemann und H a r p p r e c h t 1 0 ; aus dem 18. Jahrhundert von Balth. v. Wernher, J. H. Boehmer, Homme), Pütter, v. Selchow, den Brüdern Becmann, G. L. Boehmer und G. Η. v. Berg 1 1 . 2. Auch in dogmatischen Arbeiten aber über das römische Recht, mochten sie nun als Kommentare zu den Quellen oder als 9 U. Zasius, Responsorum juris s. Consiliorum lib. I — I I , Basil. 1588 u. 1539; Henning Goede, Consilia, 2 Vol., Viteb. 1544 (darin auch einige fremde Konsilien); Hieron. Schürff, Consilia s. Responsa, 3 Vol., Francof. a. M. 1545 — 1551; Joh. Sichardt (f 1552), Responsa juris, ed. Goedelmann, Francof. a. M. 1599; Joh. Fichard (f 1571), Consilia, Francof. a. M. 1590; Joach. Mynsinger a Frundeck, Responsorum juris s. consiliorum Decades X, Basil. 1576; Modestinus Pistoris, Consilia s. Responsa, 2 Vol., Lips. 1596 u. 1599 (in Vol. I 678ff Consilia seines Vaters Simon P i e t o r i s ) ; H a r t m a n n Pistoris, Quaestionum juris tarn Romani quam Saxonici libr. I—IV, Heidelb. 1579, ed. I I 1604; Matth. Wesembeck, Consilia, 8 Vol., Witeb. 1576—1624, neue Ausg. 1601—1630; Ernest. Cothmann, Responsa juris et consultationes, 5 Vol., Francof. a. M. 1597 ff. — Aufserdem die bei Gierke, Genossenschaftsr. I I I 686—687 angef. Sammlungen von Jac. Thomingius, Nie. V i g e l i u s , Matth. Coler, Joh. Koppen, Joh, Borcholten, Ludolphus Schräder, Bernh. Wurmser et Hartmannus H a r t mannus, Frid. Pruckmann, Georg. Everardus, Nie. Reusner, Andr. Rauchbar, Hieron. T r e u t i e r a Kroschwitz u. Andr. Schöps. 10 Paul Matth. W e h n e r , Practicae juris observationes, Francof. a. M. 1608; Matth. B e r l i c h , Decisiones aureac, 2 Vol., Lips. 1625 u. 1638; Caspar K l o c k , Consilia, 4 Vol., Norimb. 1673—1676 (darin zahlreiche Konsilien anderer Verfasser); Dav. Mevius, Consilia posthuma, Francof. a. M. 1717; Joh. Brunnemann, Consilia s. Responsa, Francof. a. O. 1677, ed. I I 1707; F. Chr. Harpprecht, Responsa juris, 6 Vol., Tub. 1701—1708. 11 Joh. Balth. a Werner, Selectae observationes forenses, 3 Vol., Jen. 1756 (zuerst Viteb. 1710—1722), darin viele Wittenberger Fakultätssprüche; J. H. Boehmer, Consultationum et decisionum juris 3 Tom. in 7 part., Hal. 1733—1754; Karl Ferd. Hommel, Rhapsodia quaestionum in foro quotidie obvenientium, ed. IV, 7 Vol., Byruthi 1782—1787 (seit 1765); Joh. Steph. Pütt er, Auserlesene Rechtsfälle, 4 Bde., Göttingen 1763-1802; Joh. Heinr. Christ, von Selchow, Rechtsfälle, 4 Bde., Lemgo 1782 ff., Neue Rechtsfälle, 3 Bde., Frankfurt u. Mainz 17871789; Fratrum Becmannorum Consilia et Decisiones, 2 Bde., Gött. 1784; G. L. Boehmer, Auserlesene Rechtsfälle, herausg. v. Hoppenstedt, 3 Bde., Göttingen 1799—1802; Günther Heinr. von Berg, Juristische Beobachtungen u. Rechtsfälle, Hannover 1802—1810. In den fünf zuletzt genannten Werken finden sich viele Göttinger Fakultätssprüche.

§11.

Litteratur.

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selbständige Systeme auftreten, nahmen die deutschen Juristen, indem sie sich dem italienischen Vorbild anschlossen12, auf das geltende Recht vielfach Rücksicht18. Mehr und mehr stellten besonders die sächsischen Juristen, wie namentlich Modestinus Pistoris (1516 bis 1565) und Hartmann Pistoris (1543—1601), die Söhne des Simon Pistoris (1489—1562), und vor Allem Benedict Carpzov (1595 — 1666), das von ihnen täglich gehandhabte einheimische Recht auch in der theoretischen Betrachtung dem fremden Recht gegenüber14. Auch sonst bahnte sich allmählich eine selbständigere Behandlung und bewufstere Würdigung des von den Quellen abweichenden usus modernus an l ö , bis endlich dessen gesonderte Darstellung versucht wurde16. Zum vollen Durchbruch kam diese Richtung in der einflufsreichen Bearbeitung des in Deutschland geltenden römischen Rechts von Johann Schilter (1632—1705)17, dem Conring bezeugte, dafs er sich durch den Nachweis der Fortgeltung und des Werthes von deutschem Recht neben dem römischen um das Vaterland wohl 12 Den gröfsten Einflufs auf die Gestaltung des usus modernus in Deutschland übten die Werke von Bartolue (1314-1357, Ausg. Basil. 1562), Baldus (1327—1400, Comm. ed. Venet 1572—1573), Jason (1435—1519, Comm. ed. Aug. Tur. 1576) und zuletzt noch Antonius F ab er (1557—1624, Op. Lugd. 1658—1681). 18 So schon Zasius (1461—1535, Opera Francof. 1590 u. 1595), später namentlich Nie. Vigelius (1529—1600), Herrn. Vuitejus (1555—1634), Hieron. T r e u t i e r (1565—1607), Christoph. Besold (1517-1638) u. A. u Hierher gehören besonders: Mod. Pistoris, Illustrium Quaestionum juris tum communis tum Saxonici, P. I—IV, ed. Schultes, Lips 1599—1601; Hart m. Pistoris, Opera omnia, Lips, et Francof. 1679; B. Carpzov, Jurisprudent forensis Romano-Saxonica, Lips, et Francof. 1684 (zuerst 1638). 15 So bei Justus Meier, Argentoratense collegium, Argentor. 1657 (zuerst 1616—1617); Georg Ad. Struv, Syntagma juris civilis universi, Jen. 1653—1682, als Syntagma jurisprudentiae sec. ordinem Pandectarum cum additionibus P. M ü l l e r i , Francof. et Lips. 1692, 2. ed. 1718, 3. ed. 1738, und Jurisprudentia RomanoGermanica forensis, Jen. 1670, letzte Ausg. Francof. 1760; Wolfg. Ad. Lauterbach (1618—1678), Collegium theoretico practicum ad L Pand. libr., Tub. 1690 ff., 16. ed. 1784; Ulrich Hub er (1636—1694), Praelectiones juris Romani et hodierni ad Pand., Franek. 1656 u. 1678, Francof. 1689—1690, sowie Praelectionum juris civilis tomi III, cd. in Germania tertia, Lips. 1735 (mit Scholien ν. Τ h o m a si us); Joh. Brunnemann, Comm. in L libros Pandectarum, 5» ed., Viteb. u. Berol. 1701 (zuerst 1670), Comm. in Codicem Just., Lugd. 1715 (zuerst Leipzig 1663). 16 Am frühesten wohl bei Paulus Busius, Commentaîius in Pandectaa cum differentiis juris canonici et consuetudinum Germaniae Galliae et Belgicae ad usum hujus saeculi compositus, Bd. I Zwollae 1608, Bd. I I Franek. 1614; ed. nova Daventriae 1656. 17 Zuerst 1675—1680 als Exercitationes ad L libros Pandectarum erschienen; 2. Ausg. als Praxis juris Romani in foro Germanico, Jen. 1698; zuletzt 1733.

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Drittes Kapitel. Quellen, Hlfsmittel u. Litteratur des deut. Privatrechts.

verdient gemacht habe18. Unter den späteren Werken über den usus modernus erlangten die von Samuel Stryck (1640 —1705), Augustin v. Leyser (1683—1752) und Just Henning Boehmer (1674—1749) besonderes Ansehen19. Vielfach verstatteten nunmehr die Kompendien des Civilrechts auch den Lehren des Naturrechts einen starken Einflufs, der namentlich seit Thomasius dem deutschen Recht zu Gute kam 20 . Mit der Entwicklung einer selbständigen Wissenschaft des deutschen Privatrechts ist die Behandlung des einheimischen Rechtes in der romanistischen Litteratur zwar mehr und mehr zurückgetreten, jedoch bis heute keineswegs erstorben, so dafs auch die neueren Pandektenwerke grofsentheils zugleich der Litteratur des deutschen Privatrechts angehören21. 18

Epistola d. a. 1676 in Conringii Opera VI 505. Stryck, Usus modernus pandectarum, 9. ed., Halle 1749—1780 (zuerst 1690—1692); A. de Leyser, Meditationes ad pandectas, 11 Bde., Lips. 1717—1748, Bd. 12—18 herausg. v. L. Höpfner 1774 u. 1781, letzte Ausg. in 12 Bdn. Frankenthal 1778—1781; J. H. Boehmer, Exercitationes ad Pandectas, 6 Vol., Hanov. et Gott. 1745—1764. — Hervorzuhehen sind ferner: Jac. Frid. Lu do vi ci, Usus practicus, Hai. 1703, 4. ed. 1726, Doctrina pandectarum, Hai. 1709, 8. ed., 1743: Joh. Heinr. von Berg er, Oeconomia juris ad usum hodiernum accommodati, Lips. 1712, 8. ed. 1771; Hellfeld, Jurisprudentia forensis, Jen. 1764, 5. ed. 1779; C. Chr. Hofacker, Principia juris civilis Romano-Germanici, 3 Vol., Tub. 1788 sq.; Lobethan, Systema elementare jurisp. priv. Rom.-Germ, forensis, Hai. 1778; Christ. Dabelow, System des gesammten heutigen Civilrechts, Halle 1794, 2. Aufl. 1796; Jul. Friedr. Mal blank, Principia juris Romani sec. ordinem Dig., 3 P., Tub. 1801. 90 Zum Theil gehört hierher schon Joh. Althusius (1557—1638), Dicaeologicae libri très, totum et universum jus, quo utimur, methodice complectentes, Herborn 1617, 3. ed. Frankfurt 1649. Sodann Nie. Hieron. Gundling, Digeeta, Hai. Magd. 1723; Ausfuhrliche u. gründliche Diskourse über die sämmtlichen Pandekten, Frankfurt u. Leipzig 1739. Ferner Gottl. Gerh. T i t i u s , Juris privati Romano-Germanici libri XII, Lips. 1724 (zuerst 1709). Desgleichen Dan. Nettelbladt, Systema elem. univ. jurisprudentiae positivae communis imp. Rom.-Germ. usui accommodatum, Hai. 1749; 2. Aufl. 1762. 81 So der grofse Pandektenkommentar von Christ. Friedrich Glück, Ausfuhrliche Erläuterung der Pandekten, Erlangen 1790ff., mit seinen Fortsetzungen (noch unvollendet). Ferner die Pandektenlehrbücher von Thibaut (Jena 1803, 8. Aufl. 1834, 9. Aufl. 1846), Hufeland (Giefaen 1803—1814), Schwappe (Altona 1814, 4. Ausg. Göttingen 1828—1834), Mackeldey (Giefsen 1814, 14. Aufl. Wien 1862), von Wening-Ingenheim (München 1822—1825, 5. Ausg. 1837—1838, Erläuterungen dazu v. F r i t z , Freiburg 1833—1839), Mühlenbruch (Doctrina Pandectarum, Hai. 1823-1825, 4. Aufl. 1838, deutsch 1835-1836), Seuffert (Würzburg 1825, 4. Ausg. 1860—1871), Puchta (Leipzig 1838, 12. Aufl. 1876), von Vangerow (Marburg 1838—1847 , 7. Aufl. 1863—1869), K i e r u l f f (Theorie des gem. Civilrechts, Bd. I, Altona 1839), von Savigny (System des heutigen röm. 19

§

. Litteratur.

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IV. Selb s tändige Darstellungen des deutschen Privatrechts. Nachdem Hermann Conring (1606—1681) durch die Begründung der deutschen Rechtsgeschichte und die Umwälzung der Anschauungen über das Verhältnifs zwischen deutschem und fremdem Recht die Bahn hierfür frei gemacht hatte, erhob sich seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts die Pflege des deutschen Privatrechts zu einem selbständigen Zweige der Jurisprudenz. Dem Beispiele von Wittenberg, wo im Jahre 1707 Georg Beyer (1665—1714) die ersten Vorlesungen über deutsches Recht ankündigte, folgte man allmählich an den anderen Universitäten82. Zugleich erschienen nun zahlreiche Lehrbücher der neuen Disziplin, als deren ältestes der nach dem Tode Beyers veröffentlichte Grundrifs seiner Vorlesungen betrachtet werden mufs 28. In diesen Darstellungen begnügte man sich zunächst mit einer losen Aneinanderreihung der aus dem Pandektenrecht herausgerissenen deutschrechtlichen Bruchstücke, mit denen man ohne gehörige Sonderung zwischen geschichtlichen Grundlagen des geltenden Rechts und blofsen Rechtealterthümern Sätze des älteren und ältesten germanischen Rechts verknüpfte. So verfuhr namentlich J. G. Heineccius (1681—1741) in seinen Elementa juris Germanici tum veteris tum hodierni24. Ein ähnliches Verfahren begegnet bei Engau und Anderen26, während Joh. Steph. Pütt er den Stoff systematisch Rechts, Berlin 1840—1849), S in ten is (Das praktische gem. Civilrecht, Leipzig 1844—1851, 3. Aufl. 1869), Arndts (München 1852, 11. Aufl. 1883), Brinz (Erlangen 1857—1871, 2. Aufl. 1873—1882, 3. Aufl. seit 1884), von Wächter (herausg. v. 0. von Wächter, Leipzig 1880), Windscheid (1. Aufl. 1862, 7. Aufl. Frankfurt a. M. 1891), H. Demburg (1. Aufl. Berlin 1884 , 4. Aufl. 1894), Ε. I. B e k k e r (Weimar 1886 ff.), H ö l d e r (Allgemeine Lehren, Erlangen 1886 ff.), F. Regelsberger (Leipzig 1893 ff.). 28 In Leipzig wurde 1712 eine Professur des Lehnrechts u. sächs. Rechts, in Kiel 1712 eine Professur des jus patrium et statutarium, in Tübingen 1720 eine Professur des württemb. Rechts errichtet; erst später ernannte man Professoren des allgemeinen deutschen Rechts. 23 Delineatio juris Germanici cura M. H. Griebneri, Hal. 1718, u. cura Ch. G. Hoffmanni, Lips. 1723. 24 Zuerst Halis 1736 u. 1737; 3. ed. 1746. 85 Joh. Rud. Engau, Elementa juris Germanici civilis veteris pariter atque hodierni, Jen. 1737, 4. ed. 1753. Dazu Christ. Gottl. Riccius, Spicilegium juris Germanici ad illustris Domini J. R. Engau Elementa .juris Germanici civilis, Gott. 1750 (unvollendet). Ferner Heinr. Christ von Senckenberg, Anfangsgründe der alten mittleren und neuen teutschen gemeinen Rechtsgelehrsamkeit, Göttingen 1737 ; J. Fr. E i s e n h a r t , Institutiones juris Germanici privati, Hai. 1753; Bened. Schmid, Principia juris Germanici antiquissimi, antiqui, medii pariter atque hodierni, Norimb. 1755.

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Drittes Kapitel. Quellen, Hlfsmittel u. Litteratur des deut Privatrechts.

und juristisch zu durchdringen suchte, aber nur einen sehr dürftigen und farblosen Abrifo zu Stande brachte26. Daneben kam seit der Mitte des Jahrhunderts eine vom Naturrecht beeinflufste mehr praktische Richtung auf, die sich an das Leben hielt und namentlich durch Sammlung und Vergleichung der Partikularrechte ein allgemeines deutsches Recht zu konstruiren unternahm. In geradezu tumultuarischer Weise kündigt sich diese Wandlung in Joh. Georg Estors (1699—1773) Bürgerlicher Rechtsgelehrsamkeit der Teutschen an 27 . Besonnener führte das neue Programm Joh. Heinr. Christ, v. Selchow (1732—1795) durch, dessen Elementa juris Germanici privati hodierni einen aufserordentlichen Erfolg errangen28. Jahrzehnte hindurch blieb ihre Herrschaft unbestritten29. Gestürzt wurde sie erst durch Justus Friedrich R u n d e (1741—1807), dessen „Grundsätze des gemeinen deutschen Privatrechts" seit 1791 in immer neuen Auflagen erschienen80. Dieses Lehrbuch übertrifft seine Vorgänger nicht blos durch den Reichthum des verarbeiteten Stoffs, sondern offenbart auch in der Aufsuchung der einheitlichen Grundgedanken des deutschen Rechts und in der Durchführung eines selbständigen Systems einen neuen wissenschaftlichen Geist und zeichnet sich zugleich durch praktischen Sinn und anschauliche Darstellung in deutscher Sprache vortheilhaft aus. Doch bleibt es im naturrechtlichen Gedankenkreise befangen un$ läfst weder in der geschichtlichen Grundlegung noch in der juristischen Begriffsbildung erhebliche Fortschritte erkennen. Rundes Buch wurde von W. A. F. Dan ζ (1764—1803) in einem umfangreichen „Handbuch 96

Elementa juris Germanici privati hodierni, Gott. 1748, 3. ed. 1776. Dazu Couspectus jur. Germ. priv. hod. novo systemate tradendi, Gott. 1754. 97 Ausgefertigt von J. A. Hoffmann, 2 Thle., Marburg 1757—1758, Th. 3 Frankfurt a. M. 1767. Das Juristische geht hier völlig im Stofflichen unter, das aus Naturkunde, Technik und allen möglichen anderen Wissensgebieten zusammengeholt wird. 98 Zuerst als Institutiones jurisprudentiae Germ., Gott. 1757; dann als Elem. jur. Germ. priv. hod. ex ipsis fontibus deducta, Hannov. 1762; 8. ed. Gott. 1795. 99 Es erschienen nur unbedeutende andere Werke, wie Joh. H eu mann, Conspectus juris civilis communis Germanorum nativi et adsciti in tabulis exliibitis, Altdorf 1760, u. Joh. Paul Ferd. Schröter, Fundamenta juris privati Germ, hodierni, Lips. 1777. Das Buch von E. C. Westphal, Das deutsche und reichsständische Privatrecht, 2 Thle., Leipzig 1783, ist nur eine Sammlung γόη Abhandlungen. 80 Der ersten Auflage, Göttingen 1791, folgten drei weitere vom Verfasser selbst und dann noch vier von seinem Sohn Chr. L. Kunde besorgte Auflagen; 8. Aufl. 1829.

§11.

Litteratur.

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des heutigen deutschen Privatrechts" eingehend kommentirt81. Neben ihm erschienen längere Zeit hindurch nur unbedeutendere Lehrbücher82. Auf eine neue Stufe dagegen erhob Karl Friedrich Eichhorn (1781—1854), nachdem er durch sein schöpferisches Werk über die deutsche Rechtsgeschichte den Grund gelegt hatte, auch die Wissenschaft des geltenden deutschen Rechts. In seiner „Einleitung in das deutsche Privatrecht" verwerthete er nicht nur im Einzelnen die Ergebnisse der vertieften geschichtlichen Forschung, sondern suchte auch das deutsche Recht als ein in sich zusammenhängendes Ganze zu erfassen und dem römischen Recht gegenüber in eine feste begriffliche Stellung zu bringen88. Gleichzeitig machte sich K. J. A. Mittermaier (1787—1867) durch Verarbeitung eines gewaltigen Materials, dem er namentlich auch ausländische Quellen und Schriften einverleibte, um das deutsche Privatrecht verdient84. Unter den nachfolgenden Lehrbüchern des deutschen Privatrechts schlugen die von G. Phillips (1804—187 2 ) 3 5 und Romeo Maurenbrecher (1803—1843)86 vielfach neue Bahnen ein. Unvollendet 81

In 10 Bdn., Stuttgart 1796-1823, Bd. 1 - 6 in 2. Ausg. 1800—1802; Bd. 8 nach dem Tode des Verfassers von Schott, Bd. 9—10 von Griesinger bearbeitet. 82 Th. Schmalz, Handbuch des teutschen Land- und Lehnrechts, Königsberg 1796; G. Hufeland, Einleitung in die Wissenschaft des deutschen Privatrechts, Jena 1796; Fr. X. K r ü l l , Deutsches Privatrecht, Landshut 1805; A. G. Goede, Jus Germanicum privatum, Gott. 1806; C. E. We i f se, Einleitung in das gemeine teutsche Privatrecht, Leipzig 1817, 2. Aufl. 1832. 88 Die 1. Aufl. erschien Göttingen 1823, die 5. Aufl. 1845. Heute ist das Werk freilich in ganz anderem Sinne wie Eichhorns Rechtsgeschichte veraltet. 84 M i t t e r m a i e r veröffentlichte schon 1815 zu Landshut einen Grundrifs u. 1821 ein Lehrbuch des deutschen Privatrechts. Das umfassende Werk aber sind erst die „Grundsätze des gemeinen deutschen Privatrechts mit Einschlufs des Handels-, Wechsel- und Seerechts", Heidelberg 1824, 7. Aufl. in 2 Bdn. Regensburg 1847. Die Mängel des Buches liegen in Unübersichtlichkeit, geringer Festigkeit der Begriffe und mancherlei Ungenauigkeiten. 85 Grundsätze des gemeinen deutschen Privatrechts, 2. Bde., Berlin 1829, 3. Aufl. 1846. Elegant und gefällig, aber durch den Versuch einer Begründung des Systems auf die mittelalterlichen Begriffe und die auch sonst hervortretende Abwendung vom praktischen Recht verfehlt. 86 Lehrbuch des heutigen gemeinen deutschen Privatrechts, 2 Bde., Bonn 1832—1834, 2. Aufl. 1840 u. 1855. Reich an originellen, aber auch seltsamen Ideen.

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blieben die Werke von C. W. Wolff (1813-1888) 87 und Achilles Renaud (1819-1884) 38 . Seit dem Jahre 1847 gab Georg Beseler (1809—1888) sein , System des gemeinen deutschen Privatrechts*4 heraus, das sich in der durch erneute Auflagen empfangenen Gestalt bis heute auf der Höhe erhalten hat 89 . Hier tritt zum ersten Male das deutsche Privatrecht dem Pandektenrecht als ein ebenbürtiges Gedankensystem geschlossen gegenüber. Mit der geschichtlichen Forschung verbindet sich die Versenkung in daa volksthümliche Rechtsbewufstsein der Gegenwart, mit der sorgfältigen Verarbeitung der älteren Quellen die Ausschöpfung des deutschrechtlichen Gehaltes der neueren Gesetzgebung. Durch die Zurückeroberung mancher bis dahin rein romanistisch behandelter Gebiete ist das Reich des deutschen Rechtes äufserlich erweitert. Vor Allem aber ist es in seinem Innern durch die Wiederentdeckung und Neubelebung unverlorner vaterländischer Rechtsgedanken von so manchem Rückstände der Fremdherrschaft befreit. Nicht überall ist freilich für die neuen Gedanken alsbald eine vollkommen scharfe begriffliche Fassung gefunden. Auch haftet dem Werke unleugbar eine gewisse Schwerfälligkeit der Darstellung an. Eines noch gröfseren äufseren Erfolges erfreute sich das „System des deutschen Privatrechts" von C. F. Gerber (1823—1891)40. Die vielgerühmte Kürze erkauft dieses Buch mit Dürftigkeit und Unvollständigkeit des Inhalts, die strenge Systematik mit Zerreifsung und Vergewaltigung des in die Pandektenschablone eingezwängten Stoffs, die Klarheit der Begriffe und die Schärfe der juristischen Konstruktion mit romanisirender Verstümmelung der deutschen Rechtsgedanken. In diesem deutschen Recht ist die deutsche Seele getödtet. Doch hat das Buch durch die Hinstellung von Zielen, deren Erreichung auf anderen Wegen erstrebt werden mufs, anregend und fördernd gewirkt 41. Weitere Darstellungen des deutschen Privatrechts von J. H i l l e brand (1819 —1868) 42 , J. C. Bluntschli (1808-1887) 4 3 und 87

Lehrbuch des gemeinen deutschen Privatrechts, Bd. I, Göttingen 1843. Lehrbuch des gemeinen deutschen Privatrechts, Bd. I, Pforzheim 1848. 89 Bd. I Leipzig 1847, Bd. I I Leipzig 1853, Bd. I I I Berlin 1855, 2. Aufl. (in Einem Bande) Berlin 1866, 3. Berlin 1873, 4. Berlin 1885. 40 Zuerst Jena 1848 u. 1849; später in Einem Bande; 16. Aufl. 1891. 41 In den späteren Auflagen tritt zu den ursprünglichen Mängeln hinzu, dafs weder die neuere Gesetzgebung noch die neuere Litteratur irgend ausreichend beachtet ist. 4a Lehrbuch des gemeinen deutschen Privatrechts, Zürich 1849, 2. Aufl. 1864 u. 1865. Ungleichmäfsig und wenig selbständig. 48 Deutsches Privatrecht, 2 Bde., München 1853 u. 1854, 2. Aufl. 1860, 3. Aufl. 88

§ 11. Litteratur.

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F. W a l t e r (1794—1879)44 haben sich minder lebensfähig gezeigt. Dagegen hat sich das mehrfach umgearbeitete und in seiner neuesten Gestalt durch mancherlei Vorzüge ausgezeichnete Lehrbuch von H. G. Gen g 1er in fortdauerndem Gebrauch behauptet46. Durch die Beherrschung und Verarbeitung des gesammten Quellenund Schriftenmaterials steht das fünfbändige Handbuch des deutschen Privatrechts von Otto Stobbe (1831—1887) einzig da 46 . Durchweg gediegen und zuverlässig, verbindet dieses reichhaltige Werk mit einer eingehenden Darlegung des heutigen Rechtszustandes eine vollständige Geschichte der deutschen Privatrechtsinstitute. In der juristischen Auffassung ist es nicht besonders selbständig. Dem deutschen Rechtsgedanken wird es nicht überall gerecht. Auf eine Darstellung des gesammten in Deutschland noch geltenden Rechts unter vollständiger Ausschöpfung aller einzelnen Partikularrechte zielt das System des deutschen Privatrechts von Paul von Roth (1820—1892)47. Das neueste „Lehrbuch des deutschen Privatrechts" giebt Alex. Franken „in einem Bande" heraus48. Neben diesen Lehr- und Handbüchern sind die „Einleitung in das deutsche Privatrecht" von H. T h ö l 4 9 , die Uebersicht über „das (besorgt von F. Dahn unter Hinzufügung des Handelsrechts) 1864. Reich an germanistischen Gesichtspunkten, aber vielfach in der juristischen Konstruktion unscharf. 44 System des gemeinen deutschen Privatrechts. Bonn 1855. 45 Das deutsche Privatrecht in seinen Grundzügen, 1. Aufl. (nicht im Buchhandel) 1854, 2. Aufl. 1859, 8. Aufl. 1876, 4. Aufl. Erlangen u. Leipzig 1892. — Genglers „Lehrbuch des deutschen Privatrechts", Erlangen 1854 u. 1862, ist kein Lehrbuch, sondern ein Grundrifs mit eingestreuten sehr werthvollen Quellensammlungen und Monographien. 46 Berlin 1871-1885, Bd. 1 u. 2 in 2. Aufl. 1882 u. 1883, Bd. 1 in 3. Aufl. (besorgt von K. Schulz) 1893. 47 Bisher 3 Bde., Tübingen 1880, 1881 u. 1886. Das Buch ist durch die Fülle seiner (freilich nicht durchweg fehlerfreien) Nachweisungen sehr werthvoll. Doch ist seine Methode mehr statistisch als juristisch. Wirklich lebendiges Recht ist aus ihm nicht zu schöpfen. 48 Leipzig 1889 ff. (in Lieferungen). Das Buch enthält viel Originales und Feinsinniges, entspricht aber in Form und Inhalt wenig den an ein „Lehrbuch" zu stellenden Anforderungen. Es bietet mehr eine Kette von Einzelabhandlungen, als ein wirkliches System des deutschen Rechts. Der geschichtliche Faden wird fast ganz durchschnitten. Auch für das moderne Recht aber wird das Gebiet des deutschen Privatrechts auf das Ungebührlichste verkürzt 49 Göttingen 1851 (Historischer Theil u. Lehre von den RechtsqueUen).

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deutsche Privatrechttt von J. Behrend 6 0 und das „Deutsche Rechtsbuchtf von F. Dahn 6 1 zu erwähnen. Ferner sind zahlreiche Grundrisse zum deutschen Privatrecht erschienen62. Unter ihnen bildet der von W. Τh. Kraut (1800-1873) verfafste „Grundrifs zu Vorlesungen über das deutsche Privatrecht mit Einschlufs des Lehn- und Handelsrechts" besonders in der von F. Frensdorff besorgten Neubearbeitung eines der werthvollsten Mittel für die Belebung und Vertiefung des germanistischen Rechtsstudiums68. Eine jetzt freilich längst veraltete Behandlung der Streitfragen des deutschen Privatrechts hat Κ. A. Gründler (1769-1843) geliefert 64. Zum Theil gehören hierher auch die Werke, die deutsches und römisches Recht mit einander vergleichen66 oder gleichzeitig darstellen6β. Von hervorragender Bedeutung endlich ist auch für das geltende Recht das unter dem Titel „Institutionen des deutschen Privatrechts" erschienene Werk von A. H eu s 1er. in dem ein System des reinen 60

In Holtzendorffs Encyklopädie Bd. I, 5. Aufl. S. 565—609. Nördlingen 1877 (Darstellung für Laien und Anfänger). 52 D i eck, Geschichte, Alterthümer u. Institutionen des deutschen Privatrechts im Grundrifs mit beigefügten Quellen, Halle 1826; Ort 1 off, Grundzüge eines Systems des Teutschen Privatrechts mit Einschlufs des Lehnrechts, Jena 1828; Gareis, Grundrifs zu Vorlesungen über das deutsche bürgerliche Recht mit Einschlufs des Handels-, Wechsel- u. Seerechts nebst beigefügten Quellennach Weisungen, Giefsen 1877; F r a n k l i n , Geschichte u. System des deutschen Privatrechts, ein Grundrifs zu Vorlesungen, Tübingen 1878, 2. Aufl. 1882; Dahn, Deutsches Privatrecht, Grundrifs I. Abth. (Privatrecht u. Lehnrecht), Leipzig 1878. 58 Zuerst Göttingen 1829, 5. Aufl. Berlin 1875, 6. Aufl. neu bearbeitet v. F. Frensdorff, Berlin u. Leipzig 1886. Neben Quellen- und Litteraturangaben eine sehr reiche Sammlung von Quellenstellen sowohl zur Geschichte wie zum heutigen Bestände des deutschen Rechts. 64 Polemik des germanischen Land- und Lehnrechts, 4 Bde., Merseburg 1832-1838. BB C. A. Schmidt, Der prinzipielle Unterschied zwischen dem röm. u. german. Recht, Bd. I, Rostock u. Schwerin 1853; Fr. v. Hahn, Die materielle Uebereinstimmung der römischen u. germanistischen Rechtsprinzipien, Jena 1856. 66 A. Chr. J. Schmid, Handbuch des gegenwärtig geltenden gemeinen deutschen bürgerlichen Rechts, 2 Bde., Leipzig, 1847; Fr. Bluhme, System des in Deutschland geltenden Privatrechts mit Einschlufs des Civilprozesses, Bonn 1851, 2. Aufl. 1855 (Abth. I I seiner Encyklopädie der in Deutschland geltenden Rechte). — Wissenschaftlich werthlos ist G. Prager, Lehrbuch des gesammten Privatrechts u. s. w., 3 Bde., Berlin u. Leipzig 1888—1890. 61

§11.

Litteratur.

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deutschen Rechts, wie es vor der Aufnahme derfremden Rechte gelebt hat, dargeboten wird 67 . V. Sammelwerke zum deutschen Privatrecht. Wie auf allen Gebieten der Wissenschaft, so vollzieht auch in der germanistischen Rechtswissenschaft der Fortschritt sich mehr noch, als durch die zusammenfassenden Darstellungen, durch Einzelschriften 6 8 . Sie sind am geeigneten Orte anzuführen. Schon hier indefs ist auf Sammelwerke hinzuweisen, in denen Arbeiten über deutsches Privatrecht zu finden sind. 1. Zeitschriften. Ausschliefslich dem deutschen Recht waren zwei längst eingegangene Zeitschriften gewidmet: die Eranien zum deutschen Recht69 und vor Allem die Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft (Z. f. d. R.) 60 . Zahlreicher sind die theils gleichfalls erloschenen, theils noch blühenden Zeitschriften, die gleichzeitig das römische und das deutsche in Deutschland geltende Privatrecht pflegen 61. Dazu kommen die kritischen Zeit67 2 Bde., Leipzig 1885 u. 1886. Tief im Gedanken, geistvoll in der Auffassung, bestrickend in der Form. Jedoch in dem Streben nach Vereinfachung und künstlerischer Abrundung nicht ohne einige Willkür in der Auswahl des Quellenstoffs und in der Prägung der Rechtsbegriffe. 68 Dies erhellt schon daraus, dafs manche um das deutsche Recht hoch verdiente Männer bisher nicht genannt sind. Es genügt, zum Belege hierfür den Namen W. E. Albrecht (1800—1876) aufzurufen. w Herausg. v. Dalwigk u. F a l k , 3 Hfte, Heidelberg 1825-1828. 60 Herausg. v. Reyscher u. W i l d a , seit dem 9. Bde. auch v. Beseler u. seit dem 17. von Stobbe, 20 Bde., Leipzig u. Tübingen 1839—1861. 61 Die wichtigsten sind: Archiv für civilistische Praxis (Arch. f. c. Pr.), begründet von Gensler, M i t t e r m a i e r u. Schweitzer, jetzt herausg. v. Degenkolb, F r a n k l i n , Hartmann, Mandry u. Kohlhaas, Freiburg i. B., seit 1818. — Rheinisches Museum, Bonn 1827—1835. — Zeitschrift für Civilrecht und Prozefs (Z. f. C.R. u. Pr.), Giefsen 1827-1865.— Archiv für praktische Rechtswissenschaft (Arch. f. prakt. Rechtsw.), begründet v. Elvers, Schaffer, Seitz u. Hoffmann, Marburg u. Leipzig, später Darmstadt u. Leipzig, seit 1853. — Jahrbücher der deutschen Rechtswissenschaft u. Gesetzgebung von Schletter, Erlangen 1855—1873. — Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen u. deutschen Privatrechts (Jahrb. f. D.), v. Gerber u. Jhering begründet, seit Bd. V n v. Jhering allein, später auch v. Unger, Regelsberger u. Ehrenberg, seit Jherings Tode von den beiden Letztgenannten (in Veibindung mit Unger, Gierke u. Strohal) herausg., Jena seit 1857.—Jahrbuch des gemeinen deutschen Rechts (Jahrb. d. g. d. R.), von Bekker u. M u t h e r u. seit Bd. V v. Stobbe, Leipzig 1857—1863. — Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart (Z. f. d. P. u. ö. R. d. G.) v. Grünhut, Wien seit 1874. — Magazin für das deutsche Recht der Gegenwart, herausg. v. Bödiker, Hannover 1881—1888. — Archiv für bürgerliches Recht (Arch. f. b. R.), herausg. v. J. Kohler u. V. Ring, Berlin seit 1889.

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Drittes Kapitel. Quellen, Hülfsmittel u. Litteratur des deut. Privatrechts.

Schriften· 2, sowie die Zeitschriften für Rechtsgeschichtee8. Auch darf hier die Zeitschrift für das gesammte Handelsrecht (Z. f. H.R.) nicht übergangen werden64. 2. Rechtswörterbücher. Werthvolle germanistische Artikel sind in den Rechtslexiken von J. W e i s k e 6 6 und Fr. von Holtzen · dorff 6 6 , znm Theil auch in den StaatswörterbücherneT enthalten. 3. Sammlungen von Abhandlungen. Unter den auf Sammlung von theoretischen und praktischen Arbeiten einzelner Verfasser gerichteten Werken begegnen schon im 17. und 18. Jahrhundert solche mit ausschliefslich oder überwiegend deutschrechtlichem Inhalt 68 . 62 Kritische Jahrbücher für deutsche Rechtswissenschaft (Krit. Jahrb.), v. Richter u. Schneider, Leipzig 1837—1848. — Kritische Zeitschrift für die gesammte'Rechtswissenschaft, herausg. v. Brinckmann, Dernburg u.s.w., Heidelberg 1858—1859. — Kritische Ueberschau der deutschen Rechtswissenschaft u. Gesetzgebung (Krit. Ueberschau), v. Arndts, Bluntschli u. Pözl, München 1853—1859. — Kritische Vierteljahrsachrift (Kr.V.Schr.), herausg. v. Pözl, später auch v. Bekker, Windscheid, Brinz, jetzt v. Bechmann u. Seydel, München seit 1859. — Centraiblatt für Rechtswissenschaft, herausg. v. Kirchenheim, Stuttgart seit 1882. 68 Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft (Z. f. geschichtl. Rechtsw.), begründet v. Savigny, Eichhorn u. Göschen, 15 Bde., Berlin 1815—1850. — Zeitschrift für Rechtsgeschichte (Z. f. R.G.), begründet v. Rudorff, Bruns, Roth, Merkel u. Böhlau, Weimar seit 1861; von Bd. XIV (1880) an als Zeitschrift der Savignystiftung für Rechtsgeschichte, jetzt herausg. v. Bekker, Pernice, Schröder u. Brunner, in getrennter romanistischer u. germanistischer Abtheilung (wo nur der Band citirt wird, ist die letztere gemeint). — Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte (Unters, z. D.St. u. R.G.), herausg. v· 0. Gierke, in einzelnen Heften, Breslau seit 1878. 64 Herausg. v. Goldschmidt, jetzt auch v. Hahn, Keyfsner, Laband u. Pappenheim, Erlangen, später Stuttgart, seit 1858. w In 16 Bdn., Leipzig 1839-1861. ββ Zweiter Theil der „Encyklopädie der Rechtswissenschaft", zuerst Leipzig 1870—1871, 3. Aufl. in 3 Bdn. 1880-1881. βτ So in dem Handwörterbuch der Staatswissenschaften, herausg. v. J. Conrad, L. Elster, W. Lexis u. E. Loening, 6 Bde., Jena 1890—1894. Auch in dem Wörterbuch des deutschen Verwaltungsrechts, herausg. v. K. von Stengel, 2 Bde., Freiburg 1890, Ergänzungebände 1892 und 1893. 68 Hervorzuheben sind: J. G. Schottelius, De singularibus quibusdam et antiquis in Germania juribus et observatis, Frankfurt u. Leipzig 1671. Chr. Thomasius, Dissertationes, 4 Vol., Hai. 1774—1780. J. G. Es tor, Auserlesene kleine Schriften, 3 Bde., Giefsen 1734—1739. D. G. Strube, Nebenstunden, 6 Thle.: Hannover 1749—1765 (zuerst 1742 ff.). J. H. Ch. de Selchow, Electa juris Germanorum privati, Lips. 1747; Magazin für die deutschen Rechte, 2 Bde., Göttingen u. Lemgo 1779—1783. J. Fr. Runde, Beiträge zur Erläuterung rechtlicher Gegenstände, Göttingen 1799 u. 1802. Dazu die oben Anm. 6 u. 11 angeführten Werke und die zahlreichen weiteren Nachweisungen bei Kraut, Grundr. S. 87.

§ 11. Litteratur.

97

Von neueren Werken dieser Art sind manche wegen ihrer Anlehnung an die Rechtsprechung hervorragender Gerichtshöfe für die Erkenntnifs der Entwicklung des deutschen Rechts in der Praxis werthvollββ, andere für den Bildungsgang der germanistischen Theorie wichtig70. 4. Sammlungen von Gerichtsentscheidungen. Neben den zahlreichen Sammlungen von Entscheidungen einzelner oberer Landesgerichte71 ist das die ganze gemeinrechtliche Praxis umspannende, 69 So F. v. Bülow u. Th. Hage mann, Praktische Erörteruugen aus aUen Theilen der Rechtsgelehrsamkeit, 10 Bde., Hannover 1798—1837; Bd. 1—3 in 2. Aufl. 1806 ff. — B. W. Pfeiffer, Praktische Ausführungen aus allen Theilen der Rechtswissenschaft mit Erk. des O.A.G. zu Kassel, 8 Bde., Hannover 1825—1846. — A. Heise u. F. Cropp, Juristische Abhandlungen mit Entscheidungen des O.A.G. der freien Städte, 2 Bde., Hamburg 1827 u. 1830. — v. Langenn u. Kori, Erörterungen praktischer Rechtsfragen aus dem gem. u. sächs. Civilrechte u. Civilprozesse, 3 Bde., Dresden u. Leipzig 1829—1832, 2. Aufl. 1836 u. 1837. — Ortloff, Heimbach, Schüler u. Guy et, Juristische Abhandlungen und Rechtsf&lle mit bes. Rücksicht auf die Länder des sächs. Rechts u. die Entsch. des Gesammtoberappellationsgerichts zu Jena, 2 Thle., Jena 1647 u. 1857. — P. L. K r i t z , Sammlung von RechtsfäUen u. Entscheidungen derselben mit wissenschaftlichen Exkursen versehen, 5 Bde., Leipzig 1833 u. 1845. 70 So J. Weiske, Abhandlungen aus dem Gebiet des deutschen Rechts theoretischen u. praktischen Inhalts, Leipzig 1830. C. G. v. Wächter, Erörterungen aus dem röm., deut. u. württ. Privatrecht, 3 Hefte, Stuttgart 1845 u. 1846. Gaupp, Germanistische Abhandlungen, Mannheim 1853. Sandhaas, Germanistische Abhandlungen, Giefsen 1852. Stobbe, Beiträge zur Geschichte des deutschen Rechts, Braunschweig 1865. v.Gerber, Gesammelte juristische Abhandlungen, 2. Ausg. Jena 1878. 71 Verzeichnisse bei Beseler, D.P.R. S. 138—139 u.Kraut, Grundr.S.89-90. Hervorzuheben sind die verschiedenen Sammlungen der Erk. des O.A.G. der freien Städte zu Lübeck (die letzte v. Kierulff, 7 Bde.,. Hamburg 1865—1874), des O.A.G. zu Kassel (Pfeiffer, Hannov. 1818—1821, Strippelmann, 8 Thle., 1842—1854), des O.A.G. zu Wiesbaden (v. d. Nahmer, Frankfurt 1824—1825, Flach, Giefsen 1842—1853) u. des O.A.G. zu Rostock (Buchka u. Budde, Wismar 1855—1879). Ferner f. Bayern die Sammlung auserlesener Rechtsfälle u. s. w. von du Prel, Landshut 1836—1840, die Blätter für Rechtsanwendung, begründet von J. A. Seuffert u. Glück, München seit 1836, und die Entscheidungen des obersten Gerichtsh. f. Bayern, München seit 1872. Sodann die Annalen des K. Sächs. O.A.G. zu Dresden, 24 Bde., 1860-1879, jetzt des O.L.G. zu Dresden, 1880 ff. Weiter die Annalen der grofsh. Badischen Gerichte, 1833 ff. Nicht minder für Preufsen: Simon u. Strampff, Rechtssprüche der preufs. Gerichtshöfe, 4 Bde. 1828—1835; Entscheidungen des kgl. Obertribunals, 83 Bde., 1837—1879; Archiv f. Rechtsfälle, herausg. v. S trie thorst, 100 Bde., 1851—1880; Civilrechtl. Entsch. der obersten Gerichtshöfe Preufsens f. d. gemeinrechtlichen Bezirke, zusammengestellt v. Fenner u. Mecke, 10 Bde., Berlin 1866—1879. Endlich für Oesterreich: Sammlung von civilrechtlichen Entscheidungen des k. k. obersten Gerichtshofs, begründet v. Glaser u. Unger, jetzt herausg. v. W a l t h e r , Pfaff u. von Schey, Wien seit 1859.

B i n d i n g , Handbuch.

I I . 3. I :

G i e r k e . Deutsches Priratrecht.

I.

7

98

Drittes Kapitel. Quellen, Hülfmittel u. Litteratur des deut Privatrechts.

von J. A. Seuff er t begründete Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichtshöfe in den deutschen Staaten (Seuff.) vontiberragender Bedeutung79. Für manche Gebiete des deutschen Privatrechts kommen auch die Entscheidungen des ehemaligen Reichsoberhandelsgerichts (R.OH.G.) in Betracht78. In erster Linie aber fordert natürlich seit 1880 die Sammlung der Endscheidungen des Reichsgerichts (R.Ger.) allseitige Beachtung74. 5. Die Verhandlungen des deutschen Juristentages enthalten besonders in den darin veröffentlichten Gutachten manche schätzbare deutschrechtliche Arbeit 75. VI. L i t t e r a t u r der P a r t i k u l a r r e c h t e 7 6 Die Bearbeitung der deutschen Partikularrechte blieb lange ziemlich äufserlich und handwerksmäfsig. Erst neuerdings erfüllte auch sie sich mehr und mehr mit dem am gemeinen Recht geschulten wissenschaftlichen Geist. 1. Preufsen. a. Das preufsische Landrecht erreichte zunächst in seinem Gebiet nur allzu gut das ihm vorschwebende Ziel der Ersetzung der Rechtswissenschaft durch Gesetzeskunde. Einen höheren Schwung nahm die landrechtliche Schriftstellerei erst seit der Wiederherstellung des Zusammenhanges mit der gemeinrechtlichen Theorie. Die ersten Schritte in dieser Richtung that F. W. L. Bornemann 7 7 . Bahnbrechend wirkte Ch. Fr. Koch 7 8 . Entschiedener noch gieng 71

München 1847 ff., jetzt herausg. v. Schütt. Bringt seit Errichtung des R.Ger. auch endgültige Entscheidungen von Oberlandesgerichten. " Herausg. von den Käthen des Gerichtshofs, 25 Bde., Erlangen, später Leipzig, 1870—1880. 74 Entscheidungen des Reichsgerichts, herausg. von den MitgUedern des Gerichtshofs, Leipzig 1880 ff.; die Entsch. „in Civilsachen" und „in Strafsachen" erscheinen in gesonderten Bandreihen, von denen hier überall da, wo ein Band ohne nähere Angabe citirt wird, die erstere gemeint ist. Eine fortlaufende Uebersieht aller Entsch. bietet A. Bolze, Die Praxis des Reichsgerichts in Civilsachen, Leipzig seit 1886. — Dazu 0. Bähr, Urtheile des Reichsgerichts mit Besprechungen, München u. Leipzig 1883; L. Rocholl, Rechtsfälle aus der Praxis des Reichsgerichts, 2 Bde., Breslau 1883 ff. 78 Herausg. von dem Schriftführeramt der ständigen Deputation, Berlin seit 1860; die Verhandlungen tragen die Zahl des Juristentages, auf den sie Bezug haben, und bei jedem Juristentag besondere Bandzahlen. 76 Kurze Uebersichten über die einzelnen Partikularrechte in Holtzendorffs Encykl. 3. Aufl. (1877) S. 1041—1195 (seit der 4. Aufl. leider weggelassen). Vollständigste Litteraturübersicht bei Roth, D.P.R. I § 53 u. 55-57. 77 Systematische Darstellung des preufsischen Civilrechts, 6 Bde., Berlin 1834-1839, 2. Aufl. 1842—1845. 78 Lehrbuch dee preufsischen Privatrechts, 2 Bde., 3. Aufl. Berlin 1857—1858 (zuerst 1845). Einflufsreicher noch wurde Kochs grofser Kommentar zum Land-

§11.

Litteratur.

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Fr. Förster vor, der freilich vielfach die gemeinrechtliche Begrifisschablone nicht ohne Vergewaltigung des eigentümlichen Geistes des Gesetzbuches durchführte 79. Die reifsten Früchte trug die Rückkehr zum gemeindeutschen Mutterboden hei H. D e m bürg, der mit der gemeinrechtlichen Grundlegung die volle Würdigung des selbständigen Gedankengehaltes des Landrechts in geschichtlich-dogmatischer Erfassung zu verbinden wufste 80. Ein kürzeres Lehrbuch hat 0. Fischer verfafst 81. Mehrere Zeitschriften sind der Pflege des preufeischen Rechts gewidmet82. Auch die im Gebiet des Landrechts geltenden Provinzialrechte haben mannichfache Bearbeitung gefunden88. b. Was die gemeinrechtlichen Theile des preufsischen Staatsgebietes betrifft, so sind hier die Arbeiten über hannoversches Recht von G r e f e 8 4 , über kurhessisches von Roth und Meibom 8 5 , über nassauisches von B e r t r a m 8 6 , über Frankfurter recht, Berlin 1852—1856, nach dem Tode des Verf. in 8. Aufl. v. Achilles, Hinschius, Johow u. Vierhaus bearbeitet, 1883—1886. 70 Theorie und Praxis des preufsischen Privatrechts, Berlin 1864—1873; 3. Aufl. (4 Bde.) 1873 u. 1874; nach seinem Tode in wesentlich umgestalteter 4. Aufl., v. Eccius 1880 if.; 6. Aufl. 1892—1893. 80 Lehrbuch des Preufsischen Privatrechts und der Privatrechtsnormen des Reichs, 3 Bde., Halle 1871 ff.; Bd. I in 5. Aufl. 1894, Bd. I I in 4. Aufl. 1888, Bd. I I I in 3. Aufl. 1884. Das Werk enthält, wie schon der Titel besagt, zugleich gemeines Recht. 81 Lehrbuch des preufs. Privatrechts, Berlin u. Leipzig 1887. 82 Verzeichnifs bei D e m bürg a. a. Ο. I § 14 Anm. 1 Z. 4. Hervorzuheben: Gruchot, Beiträge zur Erläuterung des preufsischen Rechts, Berlin 1857 ff., jetzt unter dem Titel n Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts in besonderer Beziehung auf das Preufsische Recht", herausg. v. Ras sow u. Klintzel (cit. Gruchot); F. u. P. Hinschius, Zeitschrift für Gesetzgebung u. Rechtspflege in Preufsen (seit Bd. 3 herausg. v. Behrend, seit Bd. 7 auch v. Dahn), von Bd. 6 an unter dem Titel „Zeitschr. f. d. deutsche Gesetzgebung u. für einheitliches Recht", 8 Bde., Berlin 1867-1875. 88 Angaben bei Roth, D.P.R. I 305 —309. Hervorzuheben sind die Arbeiten von Seibertz, Schlüter u. Wigand f. Westfalen, Zettwach f. Pommern, Crome u. Scholtz f. Brandenburg, Wenzel f. Schlesien. 84 Hannoversches Recht, 3. Aufl. in 2 Bdn., Hannover 1860 u. 1861. Dazu Magazin für hannoversches Recht, 9 Bde., Hannover 1851—1859, neues Magazin, 8 Bde., 1860—1867, fortges. als Zeitschr. f. hannov. Recht, 10 Bde., 1869—1879, und weiter in der oben Anm. 61 angef. Zeitschr. v. Bödiker. 86 P. Roth u. V. v. Meibom, Kurhessisches Privatrecht, Bd. I , Marburg 1858; nur dieser Band (Einleitung, Personen- u. Familienrecht) ist erschienen. Eine Ergänzung bietet V. Platner, Sachenrecht mit besonderer Rücksicht auf das frühere Kurf. Hessen, Marburg 1875. 86 Das Nassauische Privatrecht, Wiesbaden 1873, 2. Aufl. 1878. 7*

100 Drittes Kapitel. Quellen, Hülfmittel u. Litteratur des deut. Privatrechts.

von Bender 8 7 und über schleswig- hol steins che s von F a l c k 8 8 und von Paulsen 8 9 hervorzuheben90. 2. Bayern. Eine Darstellung des gesammten in Bayern geltenden Rechts hat Roth geliefert 91. Dazu kommt die reiche Litteratur der bayrischen Provinzial- und Statutarrechte92. 3. Württemberg. Unvollendet ist K. G. von Wächters grofses Werk geblieben, das deshalb Epoche machte, weil es zum ersten Male unternahm, das gemeine Recht und ein deutsches Partikularrecht in ihrer Verbindung zu der lebendigen Einheit eines modernen Landesrechtes erschöpfend darzustellen98. Im Uebrigen ist unter den älteren Systemen des württembergischen Privatrechts die sorgfältige Arbeit von Reyscher hervorzuheben94. Auch in neuerer Zeit erfreut sich das württembergische Recht eifriger Pflege 95. 4. KönigreichSachsen. Darstellungen des älteren sächsischen 8T

Lehrbuch des Privatr. der freien Stadt Frankfurt, 2 Thle., Frankfurt 1835 u. 1837; Handbuch des Frankf. Privatr., Frankfurt 1848. — Kommentare zur Frankf. Ref. haben Orth (1731 u. Fortsetz. 1742—1757) und Souchay (Anmerkungen zu der Ref. d. fr. St. Fr., 2 Bde., Frankfurt 1848—1849) verfafst. 88 Handb. des Schleswig-Holsteinschen Privatrechts, Bd. I—V, 1 (unvollendet), Altona 1825-1848. 89 Lehrbuch des Privatrechts der Herzogth. Schleswig u. Holstein, Altona 1834, 2. Aufl. 1842. 90 Amtlich bearbeitet ist „das Provinzialrecht des Herzogth. Neuvorpommern u. des Fürstenth. Rügen", 6 Bde., Greifswald 1836 u. 1837. 91 Bayrisches Civilrecht, 3 Bde., Tübingen 1871—1875, Bd. I in 2. Aufl. 1881. 92 Zusammenstellungen bei G. M. von Weber, Darstellungen der sämmtlichen Provinzial- u. Statutarrechte des K. Bayern mit Ausschlufs des gemeinen preufs. u. bayr. Rechts, 5 Bde., Augsburg 1838-1844, u. F. E. Arnold, Beiträge zum teutschen Privatrecht, 2 Thle., Ansbach 1840—1842. Hervorzuheben W. Schelhafs, Darstellung des beutigen Würzburger Landrechts, Würzburg 1856. 98 Handbuch des im Königreich Württemberg geltenden Privatrechts (cit. Wtirtt. P.R.), 2 Bde., Stuttgart 1839 u. 1842—1851. Es enthält nur die Einleitung und den allgemeinen Theil. 94 Das gemeine und württembergische Privatrecht, 3 Bde., Tübingen 1846— 1848 (Bd. I u. I I in 1. Aufl. 1837 £). — Vorher Weishaar, Handb. des wtirtt. Privatr., 3 Bde., Stuttgart 1804—1808, 3. Ausg. 1831—1833. 96 Bierer, Handbuch des gesammten in Württemberg geltenden Privatrechts, 3 Bde., 1862 u. 1863. Lang, Handbuch des im K. Württemberg geltenden Personen-, Familien- u. Vormundschaftsrechts, 1871, 2. Aufl. 1881; Handb. des im K. Württemberg geltenden Sachenrechts, 2 Bde. 1876 u. 1880 ; 2. Aufl. 1893. Stein u. Kübel, Handb. des Württ. Erbrechts, 5. Aufl. 1881. — Württ. Archiv f. Recht u. Rechtsverwaltung, herausg. v. Kübel u. Sarwey, seit 1858. Jahrbücher der Württ. Rechtspflege, Stuttgart seit 1888.

§11.

Litteratur.

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Privatrechts haben namentlich C. F. Curtius und Hau b o l d 9 7 verfafst. Das Recht des bürgerlichen Gesetzbuches ist zuletzt von P. Grtitzmann bearbeitet worden98. 6. Sächsisch-thüringische Staaten. Das Recht dieser Staaten, für die zuvörderst die Litteratur des gemeinen Sachsenrechts besonders wichtig ist hat in zusammenfassender Darstellung J. H e i m bach behandelt100. Daneben giebt es Handbücher des besonderen Privatrechts der einzelnen Staaten101. 6. Grofsherzogthum Hessen. Hier fehlt es an einer vollständigen Darstellung des Partikularrechts 102. 7. Baden. Das angesehenste Werk über badisches Recht ist von Behagel verfafst 108. 96 Handbuch des in Chursachsen geltenden Civilrechts, Leipzig 1797; neueste (fur Bd. I—II 4., für Bd. III—IV 3.) Aufl. (bearbeitet v. Hänsel u. Schwarze) 1846-1858. 97 Lehrbuch des k. sächsischen Privatrechts, Leipzig 1820, 3. Ausg. in 2 Bdn. v. Hänsel 1847 u. 1848. 98 Lehrbuch des k. sächsischen Privatrechts, 2 Bde., Leipzig 1887 u. 1889. Vorher: Sin ten is, Anleitung zum Studium des bürg. Oesetzbuchs f. d. K. Sachsen, Leipzig 1864; Siebenhaar, Commentar zu dem bürg. Gesetzbuch f. d. K. Sachsen, 3 Bde., Leipzig 1864 u. 1865, 2. Aufl. 1869-1872, Lehrbuch des sächsischen Privatrechts, Leipzig 1872; B. G. Schmidt, Vorlesungen über das im K. Sachsen geltende Privatrecht, 2 Bde., Leipzig 1869. — Zeitschrift für Rechtspflege u. Verwaltung, zunächst für das K. Sachsen, Leipzig 1837—1840, N. F. 1841—1879, fortges. als Zeitschr. f. d. Praxis u. Gesetzgebung der Verwaltung, zunächst für das K. Sachsen, herausg. v. Fischer, 1880 ff. Sächsisches Archiv für bürgerliches Recht und Prozefs, herausg. v. Hoffmann u. Wulffert, Leipzig 1891 ff. 99 Daher die in Anm. 96 u. 97 angef. Werke v. Curtius u. Haubold. Ferner G. Emminghaus, Pandekten des gemeinen sächsischen Rechts, Jena 1851. 100 Lehrbuch des partikulären Privatrechts der zu den O.A.G. zu Jena u. Zerbst vereinten Grofsh. u. Herz. Sächsischen, Fürstl. Reufsisehen, Fürstl. Schwarzburgischen u. Herz. Anhaltischen Länder, Jena 1848, Nachtrag 1853. — Blätter für Rechtspflege in Thüringen u. Anhalt, v. Hotzel, Jena seit 1854. 101 Sachse, Handb. des Grofsherzoglich sächsischen Privatrechts, Weimar 1824; VöIcker, Handb. des grofsh. sachsen-weimarschen Privatrechts, Weimar 1855. Κ ü m p e 1, Handb. des Herzogl. Sachsen-Meiningechen Privatrechts, Meiningen 1828. Hesse, Handb. des Sachsen-Altenburgischen Privatrechts, Altenburg 1841. Brückner, Handb. des Herzogl. Sachsen-Gothaischen Privatrechts, Gotha 1830. J. E. Hellbach, Handb. des Schwarzburg-Sondershäusischen Privatrechts in einem Repertorio vorgetragen, Arnstadt 1820. v. Bamberg, Das Schwarzburg-Rudolstädtische Privatrecht in einer systematischen Uebersicht bearbeitet, 1844. 102 Vgl. indefs Rühl, Das gemeine deutsche Privatrecht mit vorzüglicher Hinweisung auf die besonderen Privatrechtsquellen im Grofsh. Hessen, Darmstadt 1824, 2. Aufl. 1834. Α. Β Schmidt, Die geschichtlichen Grundlagen des bürgerlichen Rechts im Grofsh. Hessen, Giefsen 1893. 108 Das badische bürgerliche Recht, Freiburg 1869, 3. Aufl. Tauberbischofsheim 1892. Ferner Hachenburg, Das badische Landrecht u. s. w., Mannheim 1887.

102 Drittes Kapitel. Quellen, Hülfsmittel u. Litteratur des deut Privatrechts.

8. Mecklenburg. Darstellung von K a m p t z 1 0 4 . Unvollendet ist leider das zugleich auf eine vollständige Darstellung des gemeinen Bechts gerichtete Mecklenburgische Landrecht von H. H. A. Bohl au geblieben105. 9. Oldenburg. Bearbeitung von H a 1 e m 1 0 β . 10. Braunschweig. Darstellung von S t e i n a c k e r 1 0 7 . 11. Waldeck. Kurze Darstellung von W e i g e l 1 0 8 . 12. Lübeck. Abhandlungen von Pauli und Duhn 1 0 f l . 13. Bremen. Ausführliche Darstellung von Α. H. P o s t 1 1 0 . 14. Hamburg. Unter den Kommentaren des Stadtrechts ragt der von J. Gries hervor 111. Eine systematische Bearbeitung hat H. Baumeister verfafst 112. 15. Oesterreich. Die Litteratur des österreichischen Rechts bewegte sich seit der Kodifikation vorzugsweise in der Form von Kommentaren zum bürgerlichen Gesetzbuch. Der erste Kommentar rührt von Franz v. Z e i l l e r , dem letzten Hauptredaktor des Gesetzbuches, her 118 . War hier der Zusammenhang mit der gemeinrechtlichen Wissenschaft noch gewahrt, so drohte derselbe in den späteren Werken auch in Oesterreich verloren zu gehen114. Den Umschwung 104

Civilrecht der Herzogtümer Mecklenburg, 2 Bde., Schwerin u. Wismar 1805-1824. 105 Weimar 1871—1880, Bd. 1—III 1 (noch im Allgemeinen Theil). — Mecklenburgische Zeitschrift für Rechtspflege und Rechtswissenschaft, seit 1881. 106 Jetzt geltendes Oldenburgisches Partikularrecht in systematischem Auszuge, 3 Bde., Oldenburg 1804—1806. — Archiv für die Praxis des gesammten im Grofsh. Oldenburg geltenden Rechts, Oldenburg 1844—1869. — Zeitschrift für Verwaltung u. Rechtspflege im Grofsh. Oldenburg, seit 1874. 107 Partikuläres Privatrecht des Herzogthums Braunschweig, Wolfenbüttel 1843. — Zeitschrift für Rechtspflege im Herzogth. Braunschweig, seit 1854. 108 Einleitung in das Waldeckische Landesrecht, Mengeringhausen 1846. 109 C. W. P a u l i , Abhandlungen aus dem Lübischen Rechte, 4 Bde., Lübeck 1837—1865. C. A. v o n D u h n , Deutschrechtliche Arbeiten, Lübeck 1877. — Vgl. C. Ρ l i t t , Das eheliche Güterrecht u. das Erbrecht Lübecks, Wismar 1872. 110 Entwurf eines gemeinen deutschen und Hansestadt-Bremisehen Privatrechts auf Grundlage der modernen Volkswirtschaft, 3 Bde., Bremen 1866—1871. 111 Kommentar zum Hamburgischen Stadtrecht v. 1603, herausg. v. Westphalen, 2 Bde., Hamburg 1837. 112 Das Privatrecht der freien und Hansestadt Hamburg, 2 Bde., Hamburg 1856. Vgl. auch L. Niemeyer, Hamburger Privatrecht, Hamburg 1893. 118 Commentar über das allg. bürg. Gesetzb. f. d. gesammten deutschen Erblander der österr. Monarchie, Wien u. Triest 1811—1813. 114 Hervorzuheben: Jos. W i n i w a r t e r , Das Oeeterreichische bürg. Recht systematisch dargestellt u. erläutert, 5 Bde., Wien 1831—1838, 2. Aufl. 1838—1846 (trotz des Titels nur Kommentar); M. v. St üben rauch, Das allgemeine bürgerliche

§11.

Litteratur.

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bewirkte Joseph Unger, der in seinem meisterhaften, aber leider unvollendeten System des österreichischen allgemeinen Privatrechts überall auf das gemeine Recht zurückgriff 116. Seitdem hat das österreichische Privatrecht mancherlei Bearbeitungen gefunden, unter denen das grofs angelegte, jedoch noch weit von der Vollendung entfernte Werk von Leopold Pfaff und Franz Hofmann in der gesammten Litteratur der Landesrechte kaum seines Gleichen hat 1 1 6 . VH. L i t t e r a t u r der verwandten Rechte. 1. Schweiz. Die schweizerische Rechtswissenschaft steht mit der deutschen in regster Wechselwirkung. Neben den Arbeiten über das Bundeeprivatrecht117 und einzelne Kantonalrechte118 ist jetzt vor Allem das grofse Werk von Eugen Huber zu erwähnen, das eine vergleichende Darstellung sämmtlicher kantonalen Privatrechte bietet 119 . Wichtige Beiträge zum deutschen Privatrecht enthält die Zeitschrift für schweizerisches Recht120. Gesetzbuch . . . erläutert, 3 Bde., Wien 1853—1858, 4. Aufl. 1884. Ueber andere Kommentare vgl. Pfaff u. Hof mann, Komm. I 61 ff. 115 Die beiden ersten Bände (AUgemeiner Theil) erschienen Leipzig 1856 u. 1859 (mehrfach unverändert neu abgedruckt), der sechste Bd. (Erbrecht) 1864, 2. Aufl. 1871. 116 Pfaff u. Hofmann, Commentai' zum österr. allg. bürg. Gesetzbuch, Wien 1877 ff.; als Beilagen dazu erscheinen gleichzeitig in besonderen Bänden „Exkurse über österreichisches allg. bürg. Recht". — Zu erwähnen sind ferner: L. v. Kirch st et ter, Commentar zum österr. aUg. bürg. Geeetzb., Leipzig u. Wien 1868, 4. Aufl. (v. M ai tisch) 1882; L. Schiffner, Systematisches Lehrbuch des österr. allg. Civilrechts, Bd. I (allg. Theil), Wien 1882; J. K r a i n z , System des österr. aUg. Privatrechts, herausg. v. Pfaff, 2 Bde., Wien 1885 u. 1889; Burkhard, System des österr. Privatrechts, Wien 1883 ff.; J. von Schey, Die Obligationsverhältnisse des österr. allg. Privatrechts, Wien 1890ff.; Pfersche, Oesterr. Sachenrecht, Wien 1893 ff. — Ueber die Zeitschriften vgl. Pfaff u. Hofmann, Komm. I 71 ff. 117 Schneider u. F i c k , Das schweizerische Obligationenrecht, Zürich 1882. 118 Litteraturübersicht bei Hub er I 16 ff. Schon erwähnt sind die Kommentare von Bluntechli u. Schneider zum Zürcher und von Planta zum Bündner Gesetzbuch (oben § 10 S. 82). Aufserdem sind die Erläuterungen von Ullmer zum Zürcher Gesetzbuch (1871 u. 1872, Suppl. 1879), K. G. König zum Berner Gesetzbuch (1879—1884) u. A. H i r z e l zum Aargauer Gesetzbuch (1868— 1869) hervorzuheben. 110 System u. Geschichte des schweizerischen Privatrechts, Bd. I—HI (das System enthaltend), Basel 1886—1889, Bd. IV (Geschichte) 1894. — Noch jetzt von Interesse ist das ältere Werk von H. J. Leu, Eydgenössisches Stadt- und Landrecht, Zürich 1727—1730. 180 Sie erscheint in Basel seit 1852, N. F. seit 1882; begründet von J. Schnell, jetzt herausg. v. A. Heusler. Mit ihr wurde 1883 die in Zürich erschienene Zeitschrift für schweizerische Gesetzgebung u. Rechtspflege (5 Bde.) verschmolzen. Ueber andere Zeitschriften vgl. Huber I 21 ff.

104 Drittes Kapitel. Quellen, Hülfismittel u. Litteratur des deut. Privatrechts.

2. Die baltischen Provinzen. Das deutsche Recht von Livland, Esthland und Kurland ist seiner Zeit von Bunge und neuerdings von Erdmann dargestellt worden121. 3. Das französische Recht. Die wissenschaftliche Behandlung des französischen Rechtes hat ihren mächtigsten Impuls von seinem deutschen Geltungsgebiete her durch das berühmte Werk von K. S. Zachariae empfangen 122. Dasselbe hat nicht nur in Deutschland den Grund für die fernere Bearbeitung des französischen Rechts gelegt128, sondern auch in Frankreich selbst auf die systematische Darstellung und theoretische Erfassung des Privatrechts grofsen Einflufs geübt124. 4. Englisch-amerikanisch es Recht Die Litteratur des englischen Rechts fufst noch immer auf dem Werke von Blackstone 1 2 δ . Ueber die Gestalt, die das englische common law in Amerika angenommen hat, ist neuerdings von 0. W. Holms berichtet worden126. 5. Osteuropäische Rechte. In deutscher Sprache geschriebene Bücher geben über die Grundzüge des älteren ungarischen 191

F. G. von Bunge, Das Liv. u. Esthländische Privatrecht, 2. Aufl. Reval 1847 u. 1848; das Kurländische Privatrecht, Dorpat 1851. C. Erdmann, System des Privatrechts der Ostseeprovinzen Liv-, Esth- und Kurland, 4 Bde., Riga 1889— 1894. 128 Handbuch des französischen Civilrechts, 4 Bde., Heidelberg 1808; 7. Aufl. v. Dreyer 1886. 128 Hervorzuheben: Bauerband, Institutionen des französischen Rechts in den deutschen Landen des linken Rheinufers, Bonn 1878; Stabel, Institutionen des französischen Civilrechts, Mannheim 1870, 2. Aufl. 1885; C. Barazetti, Einfuhrung in das französische Civilrecht (Code Napoléon) und das badische Landrecht, Frankfurt a. M. u. Lahr 1889 ; 2. Aufl. Heidelberg 1894. — Kurze Uebersicht v. Rivier in Holtzendorffs Encykl. I 693- 715. — Zeitschrift für französisches Civilrecht, Mannheim u. Strasburg seit 1869, herausg. v. Puchelt, seit 1884 v. Heinsheimer. 124 Ganz auf Zachariae beruht das in Frankreich sehr geschätzte System von Aubry et Rau, Cours de droit civil français d'après la méthode de Zachariae, 8 Bde., 4. Aufl. 1869—1879. Hervorzuheben ist ferner das Werk des Belgiers Laurent, Principes de droit civil, 33 Bde., Brüx, et Paris 1869—1878. Auch das grofse Repertorium von Dalloz. Weitere Litteratur bei Barazetti S. 64 ff., Rivier S. 696 ff. 185 Commentaries on the law of England by Sir William Blackstone, 4 Vol., Oxford 1764—1769. Neubearbeitung von H. J. Stephen, New commentaries on the laws of England (partly founded on Blackstone), 4 Vol., London 1848. Selbständiger jetzt Th. Brett, Commentaries on the present laws of England, London 1890. — Vgl. auch Gundermann, Englisches Privatrecht, Th. I (Besitz u. Eigenthum in England), Tübingen 1864. 120 The common law, Boston 1881.

§ 12. Hilfswissenschaften.

105

Privatrechts 127, des neuesten Rechts von Montenegro128 und des geltenden russischen Rechts129 Auskunft. § 12.

Hilfswissenschaften.

I. Geschichtswissenschaften. Das unentbehrlichste Hülfismittel für das wissenschaftliche Verständnifs des deutschen Privatrechts ist die deutsche Rechtsgeschichte1. Da aber die Rechtsgeschichte nur ein vom Ganzen abhängiger Theil der Geschichte ist, erscheint überhaupt die gesammte deutsche Geschichte, politische wie Kulturgeschichte, als Hülfsmittel des deutschen Privatrechts2. Gleichzeitig rücken die Hülfswissenschaften der Geschichte, wie namentlich Quellenkunde, Diplomatik und Chronologie, in die Reihe dieser Hülfsmittel ein8. Von besonderer Wichtigkeit für die Benützung der älteren Quellen ist die Kenntnifs der Sprache, in der diese Quellen abgefafst sind4. II. Rechtswissenschaften. Wegen des innigen Zusammenhanges zwischen allen Theilen des Rechtssystems sind für die Privatrechtswissenschaft alle anderen Zweige der Rechtswissenschaft unerläfsliche Hülfsmittel. Das deutsche Privatrecht berührt sich besonders 127 J. von Jung, Darstellung des Ungarischen Privatrechtes, 2 Bde., 2. Aufl. Wien 1827. — Ueber das deutsche Recht in Siebenbürgen F. Schuler v. Libloy, Das Privatrecht der Siebenbürger Deutschen (Sachsen) im systematischen Grundrifs, Hermannstadt 1858. 128 K. D i c k e l , Ueber das neue bürgerliche Gesetzbuch von Montenegro u. s. w., Marburg 1889. 189 C. £. Leuthold, Russische Rechtskunde, Leipzig 1889. 1 Jetzt vorzüglich R. Schroeder, Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte, 2. Aufl., Leipzig 1894, u. H. Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. I, Leipzig 1887, II, 1892. Weitere Litteratur bei Schroeder § 2, Brunner § 5. 8 Litteraturangaben bei K r a u t , Grundr. § 30. Besonders wichtig ist die Wirtschaftsgeschichte ; vgl. K. Th. v. Inama-Sternegg, Deutsche Wirthschaftsgeschichte, Bd. I u. I I , Leipzig 1879 und 1891; K. Lamprecht, Deutsches Wirtschaftsleben im Mittelalter, 4 Bde., Leipzig 1886. 8 Angaben darüber bei Schroeder § 2 I V , K r a u t § 30. Zur Diplomatik jetzt vorzüglich H. Bresslau, Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien, Bd. I, Leipzig 1889. 4 Für das mittelalterliche Latein ist das wichtigste Hülfsmittel C D. du Cange, Glossarium mediae et infimae Latinitatis, ed. G. A. L. Henschel, 7 Vol., Paris 1840—1850; ed. nova a L. Favre, Paris 1882 ff. — Für das ältere Deutsch ist noch immer werthvoll Ch. G. Haltaus, Glossarium Germanicum medii aevi, Lipsiae 1758. Ueber andere Hülfsmittel K r a u t § 31 S. 82; Brunner I § 4, S. 11—12.

106 Drittes Kapitel. Quellen, Hülfsmittel u. Litteratur des deut. Privatrechts.

nahe mit dem deutschen Staats- und Verwaltungsrecht5, an vielen Stellen aber auch mit dem Kirchenrecht6, dem Strafrecht 7, dem Prozeßrecht® und dem Völkerrecht9. Auf die Bedeutung der verwandten Rechte des Auslandes ist schon hingewiesen. Darüber hinaus hat die allgemeine Rechtevergleichung, wie sie von der aufblühenden vergleichenden Rechtswissenschaft angestellt wird, auch für die Würdigung des deutschen Privatrechts hohen Werth 10 . III. Gesellschaftswissenschaften. Da die Rechtswissenschaften zu den Wissenschaften vom gesellschaftlichen Sein des Menschen gehören, das gesellschaftliche Sein aber eine Lebenseinheit ist, so sind für die tiefere Erkenntnis des Rechts alle anderen Gesellschaftswissenschaften nähere .oder entferntere Hülfsmittel 11. Hier mag es genügen, auf die Bedeutung hinzuweisen, die für das Verständnis des deutschen Privatrechts und seiner Wandlungen die Volkswirtschaftslehre hat B

Hier werden vorzüglich benützt: H. A. Zachariae, Deutsches Staats- und Bundesrecht, 3. Aufl., 2 Bde., Göttingen 1865 und 1867; H. Schulze, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 2Bde., Leipzig 1881 und 1886; G . M e y e r , Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 8. Aufl., Leipzig 1891; A. H a e n e l , Deutsches Staatsrecht, Bd. I , Leipzig 1892; P. Lab and, Das Staatsrecht des deutschen Reichs, 2. Aufl., 2 Bde., Freiburg 1888 u. 1891; G. Meyer, Lehrbuch des deutschen Verwaltungsrechts, 2 Bde., Leipzig 1883 u. 1885, 2. Aufl. 1893 u. 1894; E. L o e n i n g , Lehrbuch des deutschen Verwaltungsrechts, Leipzig 1884. 6 A. L. Richter, Lehrbuch des kathol. und evangel. Kirchenrechts, 8. Aufl. v. Dove u. K a h l , Leipzig 1886; P. Hinschius, Das Kirchenrecht der Katholiken u. Protestanten in Deutschland, Bd. I— V, Berlin 1869 ff.; R. v. Scherer, Handbuch des Kirchenrechts Bd. I u. I I 1, Graz 1886 ff.; W. K a h l , Lehrsystem des Kirchenrechts u. der Kirchenpolitik I, Freiburg u. Leipzig 1894. I A. F. Berner, Lehrb. des deutschen Strafrechts, 16. Aufl. Leipzig 1891; H. Meyer, Lehrb, des deutschen Strafrechts, 4. Aufl. Erlangen 1888; F. v. Liszt, Lehrb. des deutsch. Strafrechts, 4. Aufl., Berlin 1891; K. Binding, Handbuch des Strafrechts, Bd. I, Leipzig 1885. 8 A. W a c h , Handbuch des deutschen Civilprozefsrechts, Bd. I, Leipzig 1885 (weitere Litteratur daselbst in § 14); J. Κ oh 1er, Lehrbuch des Konkursrechts, Stuttgart 1891. 9 Vgl. die Litteraturangaben zu § 25 Anm. 1. 10 Eine besondere „Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft", herausg. v. Bernhöft, Cohn u. K o h l e r , erscheint zu Stuttgart seit 1878. II Versuch einer Gesammtdarstellung der Soziallehre: Schaff le, Bau und Leben des sozialen Körpers, 4 Bde., Tübingen 1875—1878, 2. Aufl. 1881.

g 13. System.

107

Viertes Kapitel. System und Methode. § 13.

System.

Jeder Versuch, das heutige deutsche Privatrecht nach einem auf die ursprünglichen nationalen Grundbegriffe gebauten Systeme darzustellen, mufs nothwendig mifslingen. Denn seit der Aufnahme der fremden Rechte haben die hierzu geeigneten einheimischen Rechtsbegriffe, wie etwa Munt und Gewere, eine zu starke Umbildung erfahren, als dafs sie noch einen systematischen Bau zu tragen vermöchten. Auch hat das am römischen Recht ausgebildete System, da sich ihm die germanistische Rechtswissenschaft von vornherein unterwarf, einen geschichtlich begründeten Anspruch auf Beherrschung des gesammten Privatrechtsstoffes erworben. Somit mufe bei der Darstellung des deutschen Privatrechts im Allgemeinen das übliche sogenannte Pandektensystem als Richtschnur dienen. Die Bedenken hiergegen können um so eher unterdrückt werden, als ja ohnehin jedes wissenschaftliche System nur ein unvollkommenes Mittel für die geistige Erfassung der lebendigen Wirklichkeit ist1. Gerade deshalb aber darf freilich das Pandektensystem nicht sklavisch befolgt werden. Vielmehr ist überall da ein Bruch mit ihm geboten, wo es sich als unbrauchbar für eine angemessene Ordnung der deutschen Rechtsinstitute erweist oder gar dieselben durch den von ihm geübten Zwang mit Verstümmelung bedroht. Zwei grundsätzliche Abweichungen sind namentlich erforderlich. Erstens bedarf das Pandektensystem einer Erweiterung. Während im allgemeinen Theil (Β. I) neben der Einleitung (Α. I) nur gewisse Grundlehren vom objektiven Recht (A. II) und vom subjektiven Recht (A. III) abzuhandeln sind, ist im besonderen Theil (B. Q) ein eignes Personenrecht (Α. I) dem Sachen-, Obligationen-, Familien- und Erbrecht (A. II—V) voranzuschicken. Denn da die hergebrachte Systematik auf der Eintheilung der besonderen Privatrechte nach ihrem Objekte beruht2, hat sie ohne eine derartige Ergänzung der Pan1

Jedes System ist schon deshalb stets nur ein unvollkommener Nothbehelf, weil es die Rechtsinstitute gewissermafsen in einer Linie, in der sich eines immer nur mit zwei anderen an je einem Punkte berühren kann, aufreihen mufs, während in der wirklichen Rechtswelt die verschiedensten Rechtsinstitute gleich Körpern im Raum einander an vielen Punkten berühren. 2 Vgl. über diese Eintheilung unten § 29 II.

Viertes Kapitel. System und Methode.

108

dektenschablone für eine Fülle besonderer Privatrechte, die gerade im deutschen und modernen Recht eine reiche Ausprägung erfahren haben, schlechthin keine passende Stätte8. In das Personenrecht sind dann neben gewissen allgemeinen Lehren, die des Zusammenhanges wegen am besten hier erörtert werden, einerseits die Persönlichkeitsrechte zu stellen, deren Auffassung als Rechte an der eignen Person und deren begriffliche Ausweitung bis zur Umspannung aller sogenannten Immaterialgüterrechte später gerechtfertigt werden wird. Andrerseits hat hier das gesammte Recht der Verbandspersonen nebst dem Recht verwandter personenrechtlicher Gemeinschaften und somit auch die bunte Schaar der aus dem inneren Verhältnifs solcher Sozialgebilde entspringenden eigenartigen Privatrechte Platz zu finden. An sich wäre es freilich richtiger, das privatrechtliche Gemeinschafts- und Genossenschaftsrecht als einen besonderen Rechtstheil, der die Brücke zum öffentlichen Recht bildet, an den Schlufs des Systems zu verweisen. Doch ist aus äufseren Gründen eine frühere Erledigung räthlich4. Zweitens sprechen überwiegende Zweckmäl'sigkeitsgründe dafür, eine Anzahl besonderer Rechtsgebiete, auf denen der schon erwähnte Zug des germanischen und modernen Rechts zur Ausgestaltung von Spezialrecht sich stark bethätigt hat, aus dem System überhaupt auszuscheiden und als geschlossene Komplexe für sich darzustellen. Denn nur so wird die Eigenart dieser Sonderrechtsbildungen zu lebendiger Anschauung gebracht und eine unerträgliche Auseinanderreifsung des Zusammengehörigen vermieden6. Sieht man freilich im System das höchste wissenschaftliche Gut, dem alle anderen Rücksichten geopfert werden müssen, so wird man sich mit diesem Verfahren niemals befreunden können. Allein bei unbefangener Würdigung der Sachlage wird man sich der Einsicht nicht verschliefsen, dafs eine Behandlungsweise, die für Handels-, See- und Wechselrecht mehr und mehr durchgedrungen ist und hier die besten Früchte gezeitigt hat, auch 8

Dafs die Einschachtelung der Persönlichkeitsrechte und gar des gesammten inneren Körperschaftsrechts in den allgemeinen Theil unangemessen ist, liegt auf der Hand. * Insbesondere läfst sich, wenn auf eine geschichtliche Grundlegung nicht verzichtet wird, das deutsche Immobiliarrecht ohne vorherige Erörterung der genossenschaftlichen und herrschaftlichen Verbände nicht verständlich machen. 5 Sonst mufs z. B. das Bergrecht im Personenrecht, Sachenrecht und Obligationenrecht zerstückelt behandelt, das Lehnrecht und das Recht der Familienfideikommisse mindestens unter Sachen- und Erbrecht vertheilt werden.

§ 13. System.

109

bei anderen Spezialrechten zulässig und nützlich ist6. Wie weit in der Aussonderung gegangen werden soll, ist natürlich eine reine Ermessensfrage. Hier werden als besondere Rechtsgebiete (B. III) in sieben Abschnitten das Lehnrecht, das Recht der Haus- und Stamragüter, das Recht der Ritter- und Bauergüter, das Forst- und Jagdrecht, das Wasserrecht, das Bergrecht und das Gewerberecht dargestellt werden. In drei weiteren Abschnitten würden sich das Handels-, See- und Wechselrecht anzureihen haben, wenn sie nicht durch den vorgezeichneten Plan dieses Werkes ausgeschlossen wären. Da es indefs für jede systematische Arbeit, die den deutschrechtlichen Bestand im heutigen Privatrecht konstatiren will, unerläfslich ist, die deutschen Rechtsgedanken in diese Gebiete hinein zu verfolgen, so müssen nun einzelne Institute des Handels-, See- und Wechselrechts an geeigneter Stelle des Systems berührt werden7. 6

Die älteren Darstellungen des deutschen Privatrechts enthalten das Lehnrecht überhaupt nicht, gliedern dagegen das sonstige Spezialrecht einschliefelich des Handelsund Wechselrechts dem System ein. So noch Runde. Umgekehrt fugt Eichhorn das Lehnrecht dem System ein, sondert aber am Schlufs ein „Recht der Gemeinheiten und Gewerbe" aus, worin auch das Handelsrecht Unterkunft findet. M i t t e r m a i e r stellt in drei Schlufsabschnitten „besondere G liter Verhältnisse", „Gewerbe- und Zunftrecht" und „Handelsrecht" dar. W e i f s e scheidet grundsätzlich allgemeines Privatrecht und Ständerecht". Ebenso Maurenbrecher und W a l t e r , die aber beide das Handelsrecht nicht im Ständerecht, sondern im System des gemeinen Rechts bebandeln. Beseler verweist sämmtliche Spezialrechte in ein besonderes Buch, das er ursprünglich als Ständerecht, später als „Spezialrechte mit Einschlufe des Ständerechts" bezeichnete (vgl. dazu seine Ausführungen in § 11). Kraut sondert Lehn- und Stammgüterrecht, Handelsrecht, Wechselrecht und Seerecht aus. Allen solchen Abweichungen vom Pandektensystem tritt auf das Schroffste Gerber gegenüber, der auch das Handelsrecht gleich den übrigen Spezialrechten in sein System hineinstückelt. Ihm folgt H i l le brand. Aehnlich, jedoch unter Ausschlufs des Handels-, See- und Wechselrechts, verfahren Bluntschli (in der 3. Aufl. ist das Handelsrecht von Dahn hinzugefügt), Gengier, Roth, Stobbe (der jedoch die Grundzüge der handelsrechtlichen Institute darstellt) und F r a n k e n (vgL seine Ausführungen in § 4). 7

Sowohl aus diesem Grunde, als auch, weil sie vielfach in das generelle deutsche Privatrecht übergreift, ist für uns auch die besondere handelsrechtliche Litteratur von Wichtigkeit. Unter den oft benützten und deshalb abgekürzt citirten Werken seien hier hervorgehoben: W. Endemann, Handbuch des deutschen Handels-, See- und Wechselrechts, 4 Bde., Leipzig 1882 u. 1883 (die einzelnen Abh. sind mit dem Namen der Verfaeser und dem Zusatz „in Endemanns Handb." oder „bei Endemann" citirt). H. T h ö l , Das Handelsrecht, Bd. I 6. Aufl. Leipzig 1879, Bd. I I (Wechselrecht) 4. Aufl. 1878, Bd. I I I (Transportrecht) 1880. L. Goldschmidt, Handbuch des Handelsrechts, Bd. I, 1 u. I, 2 Erlangen 1864 und 1868, Bd. 1 u. I I

110

Viertes Kapitel. System und Methode.

§ 14.

Methode.

Die Methode des deutschen Privatrechts kann keine andere sein, als die Methode der dogmatischen Rechtswissenschaft überhaupt. In den endlosen Streit übei die wahre juristische Methode soll hier nicht eingetreten werden; zuletzt ist der Prüfstein jedes wissenschaftlichen Verfahrens doch nur die Leistung. Nach zwei Richtungen aber bedarf es einiger Worte über das Verhalten, das gegenüber den besonderen Schwierigkeiten, die gerade der Stoff des deutschen Privatrechts birgt, angezeigt scheint. Zunächst entsteht die Frage, inwieweit die deutschen Partikularrechte in die Darstellung einzubeziehen sind. Die Antwort ergiebt sich aus dem, was über die Aufgabe des deutschen Privatrechts gesagt ist (oben § 6 III). Soll das deutsche Privatrecht seine Aufgabe vollständig lösen, so mufs es überall die Partikularrechte zu Hülfe nehmen. Die Partikularrechte haben jedoch nirgends als solche den Gegenstand zu bilden. Vielmehr kommen sie nur als Zeugnisse für eine eigentümliche Verkörperung des deutschen Rechtsgedankens in Betracht. Darum ist ihnen nur das für das Gesainmtbild des deutschen Rechts Bedeutungsvollste zu entnehmen, auf eine Erschöpfung des partikularrechtlichen Stoffes dagegen von vornherein zu verzichten1. Sodann fragt es sich, in welchem Umfange Rechtsgeschichtliches aufzunehmen ist. Unzweifelhaft ist eine wissenschaftliche Behandlung des deutseben Privatrechts nur auf geschichtlicher Grundlage möglich. Allein das Mafs des in die Darstellung einzuführenden geschichtlichen Stoffe kann sehr verschieden gegriffen werden. Da hier das Ziel in die Aufzeigung des deutschrechtlichen Gehaltes des geltenden Rechts Lief. 1 in 2. Aufl. Stuttgart 1874 u. 1883, Bd. I, 1, 1 in 3. Aufl. Stuttgart 1891; System des Handelsrechts im Grundrifs, 4. Aufl. Stuttgart 1892. C. Gareis, Das deutsche Handelsrecht, 4. Aufl. Berlin 1892. E. C ο sack, Lehrbuch des Handelsrechts mit Einschlufs des Seerechts, Stuttgart 1888, 2. Aufl. 1893. J. Behrend, Lehrbuch des Handelsrechts, Berlin und Leipzig I, 1886 u. II, 1, 1892. R. W a g n e r , Handbuch des Seerechts, Bd. I, Leipzig 1884. H. 0. Lehmann, Lehrbuch des deutschen Wechselrechte, Stuttgart 1886. Ferner unter den Kommentaren zum A.D.H.G. besonders F. v. H a h n , Bd 1 3 . Aufl. Braunschweig 1877, Bd. I I 2. Aufl. 1875—1883, Gareis und Fuchsberger, Berlin 1891: zum Seerecht W. Lewis, Das deutsche Seerecht, 2. Aufl. Leipzig 1883 u. 1884. — Weitere Litteratur bei Behrend, H.R. I 57 ff., Goldschmidt, Syst. § 9, 141 u. 174. 1 In dieser Richtung wird hier also ein ganz anderes Ziel verfolgt, als es sich Roth in seinem deutschen Privatrecht (oben § 11 Anm. 47) gesetzt hat Soweit Roths Werk vollendet ist, liegt ohnehin kein Bedürfhifs feu einer ähnlichen Arbeit mehr vor.

§ 14. Methode.

Ill

gesetzt wird, kann die rechtsgeschichtliche Darlegung stets nur als Mittel zum Verständnifs des Rechtes der Gegenwart dienen2. Trotzdem darf sie, wenn sie einigermafsen den von ihr erwarteten Dienst leisten soll, nicht zu spät einsetzen und nicht zu dürftig verlaufen. Ist das heutige deutsche Privatrecht ein Produkt der Umbildung des ursprünglichen einheimischen Rechts durch das fremde Recht, so mufs, um es aus seinen Faktoren zu begreifen, stets zunächst auf das rein nationale Recht des Mittelalters zurückgegangen und sodann dessen Schicksal seit der Rezeption verfolgt werden. Natürlich mufs diese geschichtliche Grundlegung sich in möglichst knappem Rahmen halten. Allein sie mufe doch eine Anschauung von dem tiefen und breiten Strom unserer Rechtsentwicklung zu erwecken suchen und darf daher auch Veraltetes nicht ganz übergehen8. 2

Hierin wird also die Aufgabe enger begrenzt, als sie Stobbe in seinem deutschen Privatrecht sich gesetzt hat. Ohnehin hat Stobbe gerade in der umfassenden geschichtlichen Darstellung so Vortreffliches geleistet, dafs in diesem Punkte zunächst dem Bedürfhifs genügt ist. 8 Wenn Franken in seinem deutschen Privatrecht aUes „Antiquarische" ausscheiden, die „historische Perspektive aber dort, wo die Dogmatik Zusammenhänge nach rückwärts in Wahrheit noch aufweist", jedesmal andeuten will (S. V u. 81), so zeigt die Ausführung seines Programmes, dafs ihm über diesem Bestreben der weitere historische Blick überhaupt abhanden gekommen ist. Sonst würde er an vielen Stellen, an denen er den Zusammenhang mit der Vergangenheit für „abgebrochen" hält, recht starke Verbindungsfäden gesehen haben!

Zweiter Abschnitt·

Das objektive Recht. Erstes Kapitel. Das objektive Beeilt überhaupt. § 15. Begriff und Wesen des objektiven Rechts 1 . I. Begriff. „Recht" nennen wir sowohl den Inbegriff der Rechtssätze, wie den Inbegriff der Rechtsverhältnisse. Heute unterscheiden wir beide Bedeutungen und sprechen daher von „objektivem" und „subjektivem" Recht. Im älteren deutschen Recht dagegen fehlte es an einer bewufsten Erfassung dieses Gegensatzes, so dafs objektives und subjektives Recht einander in unlöslicher Mischung durchdrangen, Rechtssätze in Rechtsverhältnissen und Rechtsverhält1 F. J. Stahl, Philosophie des Rechts, 5. Aufl., Heidelberg 1878 (zuerst 1880ff.). A. Trendelenburg, Naturrecht auf dem Grunde der Ethik, 2. Aufl., Leipzig 1868. W. A r n o l d , Kultur und Rechtsleben, Berlin 1865. K. Binding, die Normen und ihre Uebertretung, 2 Bde., Leipzig 1872 u. 1877, Bd. I, 2. Aufl. 1890. Έ. B. Bier ling, Zur Kritik der juristischen Grundbegriffe, 2 Bde., Gotha 1877 u. 1888; Juristische^rinzipienlehre, Bd. I, Freiburg u. Leipzig 1894. A. Thon, Rechtsnorm und subjektives Recht, Weimar 1878. A. 8. Schultze, Privatrecht und Prozefs in ihrer Wechselbeziehung, Th. I, Freiburg u. Tübingen 1888. R. v. Jhering, Der Zweck im Recht, 2 Bde., Leipzig 1877 u. 1888, Bd. I, 2. Aufl. 1885. F. Dahn, Die Vernunft im Recht, Berlin 1879. A. Las son, System der Rechtsphilosophie, Berlin u. Leipzig 1882. A. M e r k e l , Juristische Eneyklop&die, Leipzig 1885 ; Elemente der allgemeinen Rechtslehre in v. Holtzendorffs Encykl. S. 3—44. G. Gareis, Eneyklopädie u. Methodologie der Rechtswissenschaft, Giefsen 1887. E. Roguin, La règle de droit, Lausanne 1889. P. Klöppel, Gesetz und Obrigkeit, Leipzig 1891. Regelsberger, Pand. § 9—18. Auch die Schriften in Anm. 1 zu § 27.

§ 15. Begriff und Wesen des objektiven Rechts.

113

nisse in Rechtssätzen stecken blieben und die Begründungstitel beider vielfach zusammenfielen2. Erst nach der Rezeption wurde die Scheidung, die vorher nur in den Städten angebahnt war 8 , in der Theorie und mehr und mehr auch im Leben allgemein durchgeführt 4, ohne dafs jedoch selbst in der Theorie alle Spuren der alten Vermengung erloschen wären5. In der Gegenwart gilt es, den Gegensatz scharf auszugestalten, jedoch über ihm die Einheit des Rechtsgedankens nicht zu verlieren6. Objektives Recht also, von dem hier zunächst die Rede sein mufs, ist der Inbegriff der Rechtssätze. Rechtssätze aber sind Normen, die nach der erklärten Ueberzeugung einer Gemeinschaft das freie menschliche Wollen äufserlich in unbedingter Weise bestimmen sollen. II. Wesen. Das Wesen des objektiven Rechts ergiebt sich aus der Entfaltung seiner Begriffsmerkmale. 1. Das Recht setzt Normen, d. h. Verhaltungsmafsregeln für Betätigungen des menschlichen Wollens. Hierin stimmt es mit Sitte und Sittlichkeit überein, während Religion, Kunst und Wissenschaft sich an das Glauben, Fühlen und Denken wenden. 2. Die Rechtsnormen bestimmen das Wollen in unbedingter Weise; sie geben nicht blos einen Rath, sondern gestatten, heischen oder verwehren in autoritativer Form ; sie wollen schlechthin bindende Richtschnur und Schranke sein. Hierin beruht der Unterschied des Rechtee von der Sitte, mit der es ursprünglich eine Einheit bildet und von der es als Gewohnheitsrecht oft schwer zu sondern ist. Auch die Sitte giebt Verhaltungsmafsregeln, die sie nicht selten tyrannisch erzwingt; allein in der Idee stellt sie anheim und wahrt daher den Schein, als beruhe ihre Herrschaft auf freiwilliger Unterwerfung. Wer sich der Sitte fügt (z. B. einem Hochzeitsgebrauch, einer Höflichkeits2

Gierke, Genossenschafter. I I 126 ff., 458 ff., 626 ff. Ganze Komplexe von Rechtssätzen erschienen als Befugnifssphären („Freiheiten", „Privilegien" u. s. w.) von Herrn und Gesammtheiten und als entsprechende Pflichtensphären von Gesammtheiten und Einzelnen, während umgekehrt Rechtsverhältnisse in Satzungsform gekleidet wurden ; Rechtsetzung und Rechtsgeschäft, Gewohnheit und Unvordenklichkeit, Gesetz oder Willkür und Vertrag oder Verfügnng flössen in einander. 3 Gierke a. a. 0. S. 633ff. 4 Auch hier leistete das römische Recht, in dem zwar gleichfalls das Wort „jus" noch den Doppelsinn gewahrt hat, frühzeitig aber die Begriffe des Gesetzes und der Befugnifs scharf von einander gesondert worden waren, wesentliche Beihülfe. 5 Vgl. unten § 19 S. 143 u. § 20 S. 163 u. 172. 6 Vgl. unten § 27. B i n d i n g , Handbnch.

I I . 3. I : G i e r k e , Deutsohee Priratrecht.

I.

8

tes Kapitel. Das objektive

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R e c h t .

form, der Trinkgeldersitte), entbehrt dabei der mit der Rechtsbefolgung verknüpften „opinio necessitatis". Darum strebt das Recht kraft seines inneren Wesens nach unbedingter Durchsetzung seiner Normen. Es hat die Tendenz, sich durch äufsere Macht ausnahmslose Geltung zu sichern und jeden Widerstand durch überlegenen Zwang zu brechen. Doch ist für das Recht nur diese Tendenz, nicht deren volle Verwirklichung wesentlich : Erzwingbarkeit gehört n i c h t zu seinen Begriffsmerkmalen. Schlechthin erzwingbar sind zuletzt die meisten Rechtssätze überhaupt nicht, da überall, wo ein Thun gefordert wird, der Zwang an unbeugsamem Starrsinn des Verpflichteten scheitern kann ; immer kann nach einer Rechtsverletzung der Zwang sich nur auf Ersatz oder Strafe richten, niemals das Geschehene, das nicht hätte geschehen sollen, ungeschehen machen ; oft bleibt das Unrecht verborgen oder triumphirt gar durch Uebermacht·, höchst unvollkommen ist mangels einer den Staaten übergeordneten Machtorganisation die Erzwingbarkeit des Völkerrechts; kein Zwang endlich erreicht die obersten Organe der Staatsgewalt, wenn sie das Verfassungsrecht mifsachten. Gleichwohl handelt es sich hier überall um wahre Rechtssätze. Im Wesen des Rechtes ist nur begründet, dafs an sich ein Zwang als angemessen empfunden wird. Vom Grade der wirklichen Erzwingbarkeit aber hängt lediglich die äufsere Vollendung des Rechtes ab 7 . 3. Durch das Recht wird das Wollen äufserlich bestimmt. Die Rechtsnormen ordnen grundsätzlich nur das äufsere Verhalten der Menschen. Sie greifen freilich auch auf die inneren Zustände zurück. Allein sie thun dies erst, wenn es erforderlich ist, um Handlungen eben als Willensäufserungen zu qualifiziren und nach ihrer wahren Beschaffenheit zu unterscheiden und zu werthen. Hierin liegt der 7

Dafs unsere nationale Anschauung ursprünglich in der Erzwingbarkeit kein Begriffemerkmal des Rechtes sah, kann keinem Zweifel unterliegen: Lehnrecht, Dienstrecht und Hofrecht galten auch dem Herrn gegenüber schon als Recht, als es kein Zwangsmittel zur Durchsetzung ihrer Normen gegen den Herrn gab. Auch wurde im Mittelalter durch die viel beklagte Unvollkommenheit der thatsächlichen Verwirklichung des Rechtsgebots die innere Kraft des Rechtsgedankens in keiner Weise geschwächt Im Volksbewufstsein ist bis heute die Vorstellung, dafs es nicht erzwingbares Recht giebt, unerschüttert geblieben. Dagegen ist in der Theorie (besonders seit Thomasius und allgemeiner noch seit Kant) die entgegengesetzte Meinung längere Zeit hindurch zur Herrschaft gelangt und wird auch jetzt noch von Jhering, Schultze S. 50 ff., Lasson, Roguin S. 101 ff. u. A. vertreten. Vgl. aber Bierling, Kritik I 140 ff., Prinzipienlehre, I 49 ff., Thon 8. 7, Dahn S. 38 ff., Gareis S. 14, Binding, Anhang zu Bd. I (2. Aufl.) S. 483 ff., Regelsberger I 63.

§ 15. Begriff und Wesen des objektiven Rechts.

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Unterschied des Rechtes von der Sittlichkeit, deren Normen das Wollen zwar gleichfalls in unbedingter Weise, jedoch innerlich bestimmen. Die sittliche Norm regelt grundsätzlich das innere Verhalten der Menschen. Sie wendet sich an die Gesinnung und ordnet das äufsere Handeln erst als Bethätigung der Gesinnung8. Auf dem Wege, den das Recht von aufsen nach innen, die Sittlichkeit von innen nach aufsen einschlägt, treffen beide in weitem Felde zusammen. In diesem gemeinsamen Bereichflielfeen sie ursprünglich in einander und werden erst allmählich scharf gesondert. Inhaltlich sollen hier ihre Normen trotzdem sich decken, können jedoch einander auch widersprechen. Jenseits des gemeinsamen Herrschaftsbezirkes hat die Sittlichkeit ein grofses Reich, in das keine Rechtsnorm hineinragt, aber auch das Recht ein umfangreiches Gebiet, das die ethischen Normen unberührt lassen. Der Wesensunterschied zwischen Recht und Sittlichkeit liegt nicht in der äufseren Erzwingbarkeit oder Nichterzwingbarkeit9. Er darf ebensowenig darin gefunden werden, dafs das Recht dem Leben der Gemeinschaft, die Sittlichkeit dem Leben des Individuums angehöre10. 4. Das Recht setzt Normen für freies Wollen. Es wendet sich an den Menschen als vernunftbegabtes Wesen, das befähigt ist, sich selbst aus sich heraus zu bestimmen. Darum begründet es kein Können und Müssen, sondern ein Dürfen und Sollen. Seine Absicht geht dahin, dafs alles Wollen kraft freier Entschliefsung sich seinem Richtmafs anpasse. In der weitaus überwiegenden Mehrzahl der Fälle wird diese Absicht erreicht. Und nur, wo sie fehlschlägt, ruft das Recht äufsere Zwangsmittel zu Hülfe. Hierdurch unterscheiden sich Rechtsgesetze sowohl von Naturgesetzen, die den Menschen als Naturwesen mit Notwendigkeit ergreifen 11, als auch von sozialen und wirthschaftlichen Gesetzen, die den Menschen als gesellschaftlich bedingtes Wesen in einen unfreien Zusammenhang einordnen. Das Recht baut sich auf der durch Natur und Geschichte gegebenen Grundlage auf und kann von den Lebens8 ID das Gebiet der Sittlichkeit reicht auch die Religion hinein, insofern sie nicht blos Glaubenssätze, sondern Verhaltungsmafsregeln aufstellt Doch nimmt die Religion auch äufsere Sitte in sich auf. Und zum Theil verdichtet sie ihre Normen zu Rechtsnormen. 9 Vgl. oben Anm. 7. Nur folgt freilich aus der Eigenart rechtlicher und sittlicher Normen, dafs äufserer Zwang zur Befolgung dort als angemessen, hier als unangemessen erscheint 10 Auch die Sittlichkeit ist ein soziales Geistesgebilde. Vgl. namentlich W. Wundt, Ethik, Stuttgart 1886. 11 Verwechselt in 1. 1 § 8 D. de just, et jur. 1, l u . pr. Inst. I, 2. 8*

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Das objektive

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bedingungen des Einzelnen und der Geineinschaft niemals absehen. Allein es fügt ihnen eine neue und selbständige Ordnung hinzu, die erst da beginnt, wo die Freiheit waltet12. 5. Das Recht wurzelt in Ueberzeugung. Seine Sätze sind in ihrem wesentlichen Kern Vernunft aussagen über die zu einer gerechten Lebensordnung erforderlichen Willensabgrenzungen. Weil aber diese Vernunftaussagen zugleich dahin lauten, dafs solchen Willensabgrenzungen womöglich mit äufseren Machtmitteln unbedingte Geltung verschafft werden mufs, nehmen sie selbst einen hierauf gerichteten W i l l e n s i n h a l t auf. Immer jedoch bleibt der Willensinhalt ein sekundärer Bestandtheil der Rechtssätze. Seiner inneren Substanz nach ist das Recht nicht Wille. Die germanische Rechtsauffassung war niemals geneigt, das Recht in den Willen zu verlegen18. Dagegen wurde in der philosophischen und juristischen Theorie seit dem Mittelalter über die Frage, ob und inwieweit das Recht Vernunft oder Wille sei, ein ununterbrochener Streit geführt 14. In der Gegenwart hat die Vorstellung, dafs das Recht sich mit dem Willen der Gemeinschaft (insbesondere des Staates) decke, eine bedrohliche Verbreitung erlangt 15. Würde mit ihr Ernst gemacht, so hätte für unseren nationalen Rechtsgedanken die letzte Stunde geschlagen. Der Name des Rechtes freilich bliebe. Aber dieser hohe Name hätte nur noch die Bedeutung, die nackte Thatsache zu verhüllen, dais unter Menschen keine andere Ordnung als die Macht des Stärkeren über das Schwächere besteht. Denn der Wille kann den Willen beugen, aber eine Schranke des Wollens über12

Dagegen definirt Jhering a. a. Ο. I 434 ff. das Recht „als die Sicherung der Lebensbedingungen der Gesellschaft in Form des Zwanges1*. 13 Vgl. das nordische RechtssprQchwort „Wille ist nicht Landrechtu (vili er ei lands lög) b. Graf u. Dietherr I Nr. 47; auch Nr. 46 (aus Kling): „Ein Eigenwille ist kein Landrecht". 14 Vgl. Gierke, Joh. Althusius S. 73-75 u. 280 ff.; Genossenschafter. I I I 610 Anm. 256. 15 Erklären doch Jhering, Geist des röm. R. III318, Thon S. 1 u. Dernburg, Pand. § 19, bei aller sonstigen Meinungsverschiedenheit Hegels Definition des objektiven Rechts als „allgemeiner Wille" in formaler Hinsicht für treffend und bündig. Und auch M e r k e l , Encykl. § 22—59 u. Elem. § 8—4, schreibt, obwohl er das im Rechtssatz enthaltene „Urtheil" (den „Rechtsgedanken") nicht verkennt, doch dem „Willen" im Recht den „Primat" zu. Wenn er sich jedoch hierfür darauf beruft, dafs die Rechtsnormen „unserem Handeln zur Richtschnur dienen wollen, auch dort wo sie unser Denken nicht beherrschen: „stat pro ratione voluntas" (Encykl. § 42), — so mischt er ungehörig das individuelle Denken der dem Recht Unterworfenen hinein, das natürlich vom allgemeinen Denken ebensogut abweichen kann, wie der individuelle Wille vom allgemeinen Willen.

§ 15. Begriff und Wesen des objektiven Rechts.

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haupt kann aus dem Willen nicht entspringen1®. Wäre also das Recht nichts als Wille, so wäre es im letzten Grunde nur Herrschaft des stärkeren Willens über den schwächeren, — eine besondere Form der Gewalt, die durch «kluge Selbstbeschränkung" den Schein erregte, als wäre sie etwas Anderes17! 6. Die Ueberzeugung mufs e r k l ä r t sein, damit Recht vorliege· Blofse innere Ueberzeugung kann nicht äufserlich binden und ist daher noch keine Rechtsnorm. Die Erklärung kann durch Handlungen oder durch Worte erfolgen 18. Immer enthält sie zugleich die Kundgebung des Willensinhaltes der Normsetzung und ist insofern Willenserklärung. Als solche lautet sie dahin, dafs das, was als Recht erkannt ist, auch als Recht gewollt wird und demgemäfs gelten soll. Insoweit ein Bedtirfnifs vorhanden und die Macht verfügbar ist, tritt sie in Befehlsform auf. Allein keineswegs besteht das Recht nur aus „Imperativen"19, und niemals ist im Rechtsbefehl der Kern der Rechtsnorm beschlossen20. Der Befehl ist nur Kleid und äufsere Zuthat21. 16 Insbesondere müssen alle Versuche, den obersten Willen selbst (sei es eines Herrschers oder der Volksmehrheit) als rechtlich gebunden zu deuken, nothwendig scheitern, wenn dieser Wille „das Subjekt des Rechtes" ist. Wird dagegen erkannt, dafs auch der souveräne Wille, sobald er etwas als „Recht" setzt, sich hierbei auf eine Vernunftaussage über die Grenzen des Wollens beruft, so ergiebt sich von selbst, dafs ihn seine eigne Rechtsetzung bindet Hierin gleicht der Rechtssatz einer neu gefundenen Wahrheit, die auch ihrem Entdecker als objektive Macht entgegentritt: „Recht ist Wahrheit, Wahrheit ist Recht", so und ähnlich lauten deutsche Rechtsspfüchwörter; Graf und D i e t h e r r I Nr. 28—29. 17 So in folgerichtiger Zuspitzung Jhering: „Das Recht ist die wohlverstandene Politik der Gewalt"; Zweck I 250, 255, 366 ff. u. sonst 18 Vgl. unten § 17 S. 126. 19 So namentlich Thon S. 2 ff., Bierling, Kritik I I 7 ff. u. 307 ff., Prinzipienlehre I 27 ff., Merkel, Elem. § 4, u. A. — Freilich hat jeder einzelne Rechtssatz Theil an dem allgemeinen Befehl des Staats oder einer anderen Gemeinschaft an Geriehte und Behörden, das Recht anzuwenden. Hieraus aber die Imperativische Natur des Rechtssatzes abzuleiten, ist um nichts besser, als wenn man die lateinischen Genusregeln fur Imperative erklärte, weil den Schülern ihre Anwendung befohlen wird. So ist z. B. ein Rechtssatz, durch den der Staat sich selbst für verpflichtet (z. B. zu einer Entschädigung) erklärt, offenbar nicht Imperativisch, da der Staat sich selbst nicht Befehle ertheilen kann, der Befehl an den Richter aber kein diesem Rechtssatz eigentümlicher Bestandteil ist Nicht Imperativisch sind aber ferner alle gewährenden Rechtssätze als solche, wennschon ihnen befehlende Rechtssätze zur Seite stehen. 80 Auf einer Ueberschätzung des Gesetzesbefehles beruhen die Ausführungen von Laband, Staatsr. (2. Aufl.) I 514 ff. Weiter noch geht Schultze, Privatr. u. Proz. S. 87 ff. Vgl. dagegen Gierke in Schmollers Jahrb. V I I 1174 ff. S1 Unsere nationale Rechtsauffassung hat niemals das Wesentliche der Rechtsetzung in der mit ihr verbundenen Willensäufserung, geschweige denn in deren

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Hieraus ergiebt sich das Verhältnifs des Rechtes zur organisirten Macht und insbesondere zum Staat als dem höchsten Machtträger. Das Recht ist an sich selbst eine Macht, aber nur innere, nicht äufsere Macht22. Darum bedarf es zu seiner Vollendung einer organisirten Macht, die sich in seinen Dienst stellt. Diesen Dienst leistet ihm vor Allem der Staat, indem er die Befolgung des Rechtes befiehlt und, soweit sein starker Arm reicht, diesem Befehle Gehorsam verschafft. Dafür dient dem Staate wiederum das Recht» indem es alle seine Ordnungen durchdringt und durch die Erhebung von Machtverhältnissen zu Rechtsverhältnissen festigt. Hieraus erwächst zugleich Herrschaft des Staates über das Recht und Herrschaft des Rechtes über den Staat, wobei sehr ungleichartige Gebietsabgrenzungen möglich sind 23 . Immer aber bleiben Recht und Staat zwei selbständige Lebensmächte. Weder ist, wie das Naturrecht annahm, erst aus dem Rechte der Staat, noch, wie die Modernsten meinen, erst aus dem Staate das Recht geboren. Recht und Staat sind einander ebenbürtig und mit einander gereift. Sie sind auf gegenseitige Ergänzung hingewiesen, aber sie decken sich nicht, sondern haben ihre eignen Reiche24. Darum können auch das Recht und die organisirte Macht, so erwünscht ihre Harmonie ist, einander feindlich gegenübertreten. Macht ist nicht Recht: es giebt rechtlose Macht26. Es giebt auch machtloses Recht26. Allein auf die Länge erträgt das menschliche Bewufstsein solchen Zwiespalt nicht. Indem Befehlsform erblickt. Das Recht wird „gefunden", „geschöpft", „gewiesen", dann auch „gekoren", „gesetzt" : Gebot und Verbot, die kraft obrigkeitlicher Banngewalt hinzugethan werden, machen nicht erst das Recht zum Recht So erscheint denn auch in allen volkstümlichen Sagen von grofsen Gesetzgebern das Recht als Weisheitsiund, nicht als Machtäufserang. 28 Ueber die innere Macht des Rechtes vgl. M e r k e l Encykl. § 47—49. 28 Im Mittelalter drohte das Recht den Staat aufzuzehren, heute ist eher die Selbständigkeit des Rechts durch Verstaatlichung gefährdet 24 Der Staat ist nicht blos Rechtsanstalt, sondern hat Kulturaufgaben, die er in freier Thätigkeit erfüllt; das Recht durchdringt nicht blos das Staatsleben, sondern alles Gemeinleben. — Die unrichtige Anschauung, dafs Staat und Recht zusammenfallen, vertritt unter den Neueren am schroffsten Las son S. 287 ff. An demselben Grundirrthum kranken die Ausführungen von Schuppe, der gleichfalls den Staat für den „objektiven Rechtswillen" erklärt; Z. f. d. P. u. ö. R. d. G. X 349 ff. u. X I 160 ff.; Der Begriff des subjektiven Rechts, Breslau 1887. 25 Zahlreiche deutsche Rechtssprüchwörter bekunden dies: „Wo Gewalt Recht hat, hat das Recht keine Gewalt", und ähnlich ·τ Graf u. Diet h err I Nr. 58—64. Vgl. auch Sachsensp. I I I a 43. 26 Auf solches beziehen sich Sprüche wie „Recht mufs Recht bleiben"; Graf u. D i e t h e r r I Nr. 92 u. 93.

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die Macht, die sich behauptet, zuletzt als Recht empfunden wird und das Recht, das sich nicht durchsetzt, allmählich abstirbt, stellt sich die Einheit wiederum her 27 . 7. Das Recht ist erklärte Ueberzeugung einer Gemeinschaft. Es ist eine Manifestation des menschlichen Gemeinlebens, nicht des Einzellebens. So wenig wie das isolirte Individuum ein Recht hervorbringt, vermag eine Summe von Individuen Recht zu erzeugen28. Vielmehr ist der Born des Rechtes der Gemeingeist, der als einheitliche Kraft in einer Gemeinschaft als in einem lebendigen Ganzen wirkt und in den Einzelnen als Gliedern dieses Ganzen sich bethätigt. Das Recht wurzelt also in der Gemeinüberzeugung und dem sie begleitenden Gemeinwillen. Hier wie überall spielt sich freilich der Lebensprozefs der Gemeinschaft in den Einzelnen ab, die nicht blos dem in sie eindringenden Strom des Gemeinbewufstseins folgen, sondern auch kraft ihres Sonderbewufstseins sich ihm widersetzen oder ihn leiten können. Allein was immer das Individuum aus seinem Eigensten zur Rechtsbildung beisteuert, das wird erst dann und insoweit wirksam, wenn und inwieweit es in das Leben der Gemeinschaft übergeht29. Zur Rechtserzeugung befähigt ist jede organische Gemeinschaft. Wie die Weltgeschichte vor Allem Völkergeschichte ist, so sind auch die Völker von je die vornehmsten Träger der Rechtsbildung gewesen80. Aber die Völker sind zu engeren und weiteren Lebens27

Die extremen Theorien, die entweder vom rein materialistischen Standpunkt . (wie neuerdings z.B. Gumplowicz, Rechtsstaat und Sozialismus, Innsbruck 1881, und in anderen Schriften), oder vom rein formalistischen Standpunkt (wie z. B. L. von Hagens, Staat, Recht und Völkerrecht, München 1890) das Recht in Macht auflösen, widersprechen gerade der geschichüichen Erfahrung, auf die sie sich berufen, in schroffster Weise. 28 Weder durch Vertrag, wie in mancherlei Formen das Naturrecht lehrte, noch durch Anerkennung, wie Β i e r 1 i η g, Kritik I 3 ff., Prinzipienlehre I 40 ff. ausführt. 29 Dies Alles setzt natürlich die Anerkennung der Gemeinschaft als einer psychischen Realität voraus. Für die Anhänger jener Ansicht, die nur den Individuen Realität zuschreibt, ist es baarer „Mystizismus". Am folgerichtigsten hat M. S e y d e l , Grundzüge einer allgemeinen Staatslehre, Würzburg 1873, die rein individualistische Vorstellungsweise auf das Recht angewandt, indem er das Recht als „ausgesprochenen Willen des Herrschers" auf Verhaltungsmafsregeln, die von herrschenden Individuen beherrschten Individuen auferlegt werden, zurückführt Vgl. dagegen Gierke, Die Grundbegriffe des Staatsrechts, Tübingen 1874, S. 19 ff. Seitdem ist Seydels Lehre von zahlreichen Schülern und Nachfolgern verkündigt worden. 80 Darum war es trotz der zu engen und überdies Räthsel mehr stellenden

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gemeinschaften verbunden, denen internationales Recht entspricht; ja zuletzt sind sie Glieder Einer Menschheit, deren Einheit sich in der gemeinmenschlichen Geltung der Rechtsidee abspiegelt81. Sodann gliedern sich die Völker in engere Gemeinschaften, in Stämme oder landschaftliche Gruppen, die ihr besonderes Recht hervorbringen können. Und endlich können Gemeinschaften, die sich nur auf eine bestimmte Lebensfunktion erstrecken, wie Religionsgemeinschaften, Stände, Berufsklassen, ein Recht erzeugen. Zur Rechtserzeugung befähigt ist in erhöhtem Mafse die org a n i s i r t e Gemeinschaft: vor Allem der Staat als organisirte Volksgemeinschaft; aber auch die Kirche, die Gemeinde, jede Genossenschaft. 8. Das Recht ist eine spezifische Funktion des menschlichen Gemeinlebens. Es läfst sich aus keiner anderen Funktion ableiten und in keine andere auflösen, sondern steht ihnen allen als ein eigenartiges Geistesgebilde selbständig gegenüber. Sein Ursprung fällt mit dem Ursprung des Menschen selbst zusammen. Der Mensch konnte nicht Mensch sein, ohne dais sich in ihm der Rechtstrieb regte 82. Der Rechtstrieb zielt auf die Verwirklichung einer einfachen und nicht weiter zerlegbaren Idee des Menschengeistes : der Idee des Gerechten 8 8 . Sie ist wie die Idee des Wahren, Guten oder Schönen als lösenden Formulirung eine unverlierbare Entdeckung, als S a vi g n y und P u c h t a den „Volksgeist" für den Schöpfer des Rechts erklärten. 81 Sie offenbart sich nicht blos dem Forscher, sondern bewährt sich auch praktisch im Verkehr mit jedem noch so rohen Naturvolke. 82 Vgl. R ü m e l i n , Ueber das Rechtsgefühl, Reden u. Aufsätze, Tübingen 1875, S. 62 ff. 83 Vgl. R ü m e l i n , Ueber die Idee der Gerechtigkeit, Reden u. Aufsätze, N. F., Freiburg u. Tübingen 1881, S. 176 ff.; Schmoller in seinem Jahrb. V 19 ff.; A. M e r k e l , Z. f. d. P. u. ö. R. d. G. V 638 ff. u. Elem. § 12—14; Lasson S. 231 ff. — Das Verhältnifs zwischen Gerechtigkeit und Recht ist dasselbe, das überall zwischen Idee und Wirklichkeit waltet. Die Idee des Gerechten ist gleich der Idee des Schönen entwicklungsfähig und unendlich mannichfacher und wechselnder Verkörperung nicht nur fähig, sondern bedürftig; das geltende Recht kann sie immer nur annähernd verwirklichen, kann ihr aber auch widersprechen. Wer deshalb, weil das wirkliche Recht ungerecht sein oder werden kann, die Idee des Gerechten aus dem inneren Leben des Rechtes austreiben und etwa in das sittliche Gebiet verweisen will, mufs folgerichtig auch die Idee des Schönen aus der Kunst und selbst die Idee des Wahren aus der Wissenschaft verbannen, da die Kunst oft Unschönes schafft und die Wissenschaft durch Halbwahrbeiten und Irrthümer hindurchgeht. Das Verhältnifs zwischen Gerechtigkeit und Recht erfährt auch dadurch keine begriffliche Verschiebung, dafs im Laufe der Kulturentwicklung die Anschauungen über das Gerechte innerhalb derselben Gemeinschaft oft auseinander

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nur mit sich selbst vergleichbar und trägt in sich selbst ihren Werth. Darum ist der oberste Zweck aller einzelnen Rechtsnormen die Verwirklichung der Gerechtigkeit, das Recht im Ganzen aber ist als verwirklichte Gerechtigkeit zunächst sich selbst Zweck84. Freilich ist es, wie alles Menschliche, nicht ausschlieislich Selbstzweck, sondern gleichzeitig Mittel für andere Zwecke86. Es tritt in den Dienst aller anderen Funktionen des gesellschaftlichen Lebens und dient im Bunde mit ihnen dem grofsen Kulturprozefs der Weltgeschichte8®. Allein um seinen Beruf zu erfüllen, mufs es vor Allem sich selbst treu bleiben und sich seiner eignen Idee gemäfs entfalten und ausleben. Wird es zum blol'sen Mittel herabgesetzt, wird die Idee des Gerechten in den Begriff des Nützlichen aufgelöst und die äufsere Zweckmäfsigkeit als einziger Mafsstab der Rechtssätze anerkannt, so wird ein so entwerthetes Recht bald auch als Mittel sich untauglich erweisen und seine Kulturaufgabç nicht mehr lösen87.

klaffen und in Folge hiervon das geltende Recht immer härter mit ungleichen Gerechtigkeitsidealen verschiedener Volksschichten zusammenstöfst. Denn stets bleibt man darüber einig, dafs nur gerechtes Recht des Bestandes werth, ungerechtes Recht verwerflich ist. Gerade dieses nie rastende Bedürfnifs, das wirkliche Recht an der Gerechtigkeit zu messen, bestätigt die Immanenz der Gerechtigkeitsidee im Begriff des Rechts. 84 Unsere nationalen Rechtsdenkmäler geben dem Gedanken, dafs das Recht ein an sich werthvolles Gut ist, den denkbar erhabensten Ausdruck, wenn sie sagen: „Got is selve recht" (Sachsensp. Vorr. 22), „Got ist recht" (kl. Kaiserr. I, 1), „Sver Got minnet der minnet recht" (Spiegel deutscher Leute 35), und ähnlich (Graf u. D i e t h e r r I Nr. 1—7; Heusler Inst. I, Iff.). Welcher Gegensatz zu den modernen deutschen Theorien, denen das Recht nichts als ein Mittel für gesellschaftliche „Interessen", ein Hebel sozialer Mechanik (Jhering, Zweck I Κ. VII—VIU), ein Inbegriff von „Mauern und Zäunen" (Merkel, Encykl. § 9 ff.) ist! 85 So ist ja zuletzt das Individuum selbst zugleich Selbstzweck und Mittel der Gesellschaft und die Gesellschaft ihrerseits ist ebenso zugleich für sich und für die Einzelnen da! — Wenn die Naturrechtslehre, indem sie in echt germanischem Geiste das Recht als Verwirklichung der Gerechtigkeitsidee in die Sphäre der an sich selbst werthvollen idealen Güter erhob, sich unsterbliche Verdienste um den Rechtsgedanken erwarb, so verfiel sie doch vielfach in die am schroffsten von Kant ausgeprägte Einseitigkeit, das Recht nur als Selbstzweck und nicht als Mittel zu begreifen. Die Reaktion hiergegen war berechtigt. Aber heute droht sie in fanatischer Uebertreibung den Rechtsgedanken selbst zu zerbrechen. 86 Köhler, Das Recht als Kulturerscheinung, Würzburg 1885. 87 Hierin liegt der innere Widerspruch und die praktische Gefährlichkeit der Zwecktheorie J her in g s und ihrer Schöfslinge, der Strafrechtstheorie von Liszts u. s. w. Die Neigung der Gegenwart zu Kampfgesetzen, Augenblicksgesetzen, Ausnahmegesetzen, Opportunitätsgesetzen birgt in sich einen zersetzenden, nicht blos rechtsfeindlichen, sondern auch kulturfeindlichen Trieb.

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9. Das Recht ist endlich Funktion eines einheitlichen Gemeinlebens und steht daher mit den übrigen Funktionen dieses Gemeinlebens im Verhältnifs gegenseitiger Wechselwirkung88. Da das Gemeinleben gleich dem Einzelleben ein organischer Vorgang ist, können seine Funktionen nicht unabhängig von einander arbeiten, sondern bedingen und bestimmen sich gegenseitig und verknüpfen sich durch tausend hinüber und herüber laufende Fäden zu einer Lebenseinheit, als deren Ausstrahlungen sie erscheinen. Wohl können sie kraft ihrer Selbständigkeit mit einander in Widerstreit gerathen. Allein solche Konflikte sind Störungen, in deren Ausgleich durch Wechselwirkung sich die Kraft des organischen Zusammenhanges bewährt. So ist auch das Leben des Rechts trotz seiner Selbständigkeit durch eine ewig rege Wechselwirkung mit jeder anderen Theilerscheinung des Gemeinlebens verwoben: in entfernterer Weise mit dem Leben der Sprache, der Wissenschaft und .der Kunst; inniger mit dem Leben des Glaubens, der Sittlichkeit und der Sitte einerseits und mit dem socialen und wirtschaftlichen Leben andrerseits ; am innigsten mit dem Leben des Staats. Ein allgemeines geschichtliches Entwicklungsgesetz bewirkt, dafs im gesellschaftlichen Lebensverlaufe die Funktionen des Gemeinlebens sich immer reicher differenziiren und immer schärfer gegeneinander abgrenzen. Bei jugendlichen Völkern wahren sie Züge ursprünglicher Ungeschiedenheit undfliefsen vielfach ineinander. Die Kultur bringt die Sonderung und die Verselbständigung. Sie bringt damit die Reife, aber sie bringt auch die grofsen und gefährlichen Spaltungen und Konflikte. Die der höheren Kultur unentbehrlichen Scheidungen festzuhalten und dennoch die Gegensätze in harmonischem Einklang zu versöhnen, ist der immer wieder neue Gegenstand des geistigen Ringens, wenn anders noch Leben und Gesundheit vorhanden ist. Denn wo die Kraft erlischt, die das Getrennte wieder verbindet, droht der Untergang. Auch das Leben des Rechts unterliegt diesem Entwicklungsgesetz. Unser nationales Recht hat in seinem Verhältnils zu Religion und Sittlichkeit, zu Sitte und Wirthschaft und vor Allem zum Staat auffallend lange den jugendlichen Typus bewahrt89. Dann ist die Scheidung schroff und oft gewaltsam vollzogen worden, und schwere Konflikte sind nicht ausgeblieben40. Heute gilt es in erster 88

Vgl. vor Allem Arnolds in Anm. 1 angeführtes Werk. Vgl. den Nachweis bei Gierke, Ueber Jugend und Altern des Rechts, Deutsche Rundschau V (1879) Heft 5 S. 205 ff. 40 Den schwersten erleben wir in dem, was wir soziale Frage nennen! 89

§ 1.

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Linie, die Verbindungsfäden neu zu knüpfen, damit der Einklang wiederkehre. § 16. Die Elemente des objektiven Rechts. I. Rechtssätze. Die Grundbestandtheile des objektiven Rechts sind einzelne Rechtssätze, die menschliches Wollen durch eine einfache Aussage bestimmen. 1. Die Rechtssätze sind nach der Natur des Rechts zunächst abstrakte Sätze. Sie haben daher überwiegend die Gestalt von Rechtsregeln, die für eine Vielheit gleichartiger Thatbestände eine identische Norm aufstellen. Doch kann ausnahmsweise ein Rechtssatz, wenn für das eine oder andere Lebensverhältnifs eine durchaus eigentümliche Norm als gerecht erscheint, sich in der Normirung eines einzigen Thatbestandes erschöpfen In dem abstrakten Rechtssatz schlummern konkrete Normen für die einzelnen von ihm umspannten Fälle. Die Auffindung der konkreten Norm für einen gegebenen Fall ist Sache der Rechtsanwendung. Da im älteren deutschen Recht zwischen Recht in abstracto und in concreto nicht scharf unterschieden wurde, flössen Rechtsetzung und Rechtsanwendung, insbesondere Weisthum und Urtheil, vielfach in einander2. Heute trennen wir sie genau, dürfen aber darüber nie vergessen, dafs auch die Rechtsanwendung rechtsschöpferische Thätigkeit ist8. Denn die konkrete Norm ist nicht blos logisches Ergebnifs, sondern lebendige Entwicklung des Rechtssatzes. 1 Vgl. Laband, Staatsr. (2. Aufl.) I 513; v. M a r t i t z Z. f. d. g. St.W. X X X V I 241 ff.; Stobbe, D.P.R. I § 18; Rosin, Das Polizeiverordnungsrecht, Breslau 1882, S. 4ff.; J e l l i n e k , Gesetz u. Verordnung, Freiburg 1887, S. 236ff.; Regelsberger, Pand. § 30 („Individualrechtssatz"); A. M. G. Meyer, Z. f. d. P. u. ö. R. d. G. V I I I 1 ff, Staatsr. I § 8 Anm. 1 und die dort angeführten Schriftsteller. — Der für einen einzigen Thatbestand aufgestellte Rechtssatz ist begrifflich gleichwohl eine abstrakte, keine konkrete Norm; er ist in seiner Anwendbarkeit nur deshalb auf einen einzigen Fall beschränkt, weil nur dieser eine Fall die für ihn mafsgebende Eigenthümlichkeit bietet. 9 Gierke, Genossenschafter. I I 129, 464 ff., 635. — Irrig aber sind die Ausführungen von A. S. Schultze a. a. 0. S. 97 ff., nach denen es im deutschen Mittelalter abstraktes Recht im Privatrecht so gut wie gar nicht gegeben hätte, die Urtheilsfindung ihrem Wesen nach nicht Rechtsanwendung, sondern Rechtsschöpfung und der Urtheilebefehl Normsetzung gewesen wäre. 8 Dies verkennt die verbreitete Anschauung, die mit Kant in der Rechtsprechung nur logische Subsumtion sieht. Ebensowenig aber darf man freilich mit K l ö p p e l a. a. 0. S. 220 ff. das Recht erst durch die „richterliche Rechtsetzung" positiv werden laesen.

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2. Die Rechtssätze sind inhaltlich gewährende, verpflichtende oder deutende 4 . Gewährende (ermächtigende, erlaubende) und verpflichtende Rechtssätze lauten unmittelbar auf eine Willensabgrenzung, jene auf ein Dürfen, diese als gebietende auf ein Sollen oder als verbietende auf ein Nichtsollen. Deutende (entwickelnde) Rechtssätze richten sich zunächst nur auf Feststellung eines für die Willensabgrenzung erheblichen Thatbestandes6. 3. Die Rechtssätze sind entweder zwingende oder nachgiebige, je nachdem sie eine abweichende Festsetzung der Betheiligten ausschliefsen oder zulassen. Das nachgiebige (vermittelnde, dispositive) Recht zerfällt aber wieder in zwei ungleichartige Klassen von Rechtssätzen. Die einen greifen unabhängig vom Willen der Betheiligten Platz und können nur eben durch besondere Willenserklärungen abgeändert werden. Die anderen setzen einen Willen der Betheiligten voraus und ergänzen nur unvollständige Willenserklärungen durch eine deutende (den Willensinhalt auslegende) Norm e. II. Rechtsinstitute. Die einfachen Rechtssätze werden in mannichfacher Weise zu zusammengesetzten Rechtssätzen und zu zusammenhängenden Inbegriffen von Rechtssätzen verknüpft. Ein Inbegriff von Rechtssätzen, der einem bestimmten Lebensverhältnis entspricht, ist ein Rechtsinstitut. Der Begriff des Rechtsinstituts ist in mehrfacher Abstufung auf einen engeren Normenkomplex und einen ihn umschliefsenden weiteren Normenkomplex anwendbar7. 4

Gegen diese namentlich von Thöl, Einl. § 88—86 begründete Eintheilung erheben die Anhänger der Lehre von der rein Imperativischen Natur des Rechtes Widerspruch; vgl. oben § 15 Anm. 19. Vgl. aber Pfaff u. Hofmann, Komm. I 326 ff.; Regel sberger, Pand. I § 27. 5 Dahin gehören Legaldefinitionen; ferner die von Windscheid, Pand. § 27, so genannten „verneinenden" und „deklaratorischen*1 Rechtssätze; endlich auch die Regeln über Willensauslegung, da ihr wesentlicher Inhalt Konstatirung von Willensthatsachen ist, während der an den Richter erlassene Befehl („im Zweifel ist anzunehmen" u. dergl.) nur dieselbe sekundäre Bedeutung wie bei anderen Privatrechtssätzen hat. 6 Treffend unterscheidet beide Klassen von Rechtssätzen das R.Ger. 8. März 1884 XIV Nr. 26. Für das deutsche Privatrecht ist es besonders wichtig, dafs in die erste, nicht in die zweite Klasse nicht nur das gesetzliche Ehegüterrecht, sondern auch das gesetzliche Erbrecht gehört, letzteres daher niemals auf den vermutheten Willen des Erblassers gegründet werden darf; Gierke, Entw. S. 507. T Rechtsinstitute sind z. B. Inhaberaktie, Inhaberpapier, Werthpapier, Urkunde; oder Eigenthümerhypothek, Hypothek, Pfandrecht, dingliches Recht. Auch durchkreuzen die Rechtsinstitute sich in mannichfachster Weise; so ist der Erbvertrag

§ 17. Die Rechtserzeugung überhaupt.

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III. Rechtssystem. Die Rechtsinstitute eines Rechtsgebiets verbinden sich zu dem einheitlichen Ganzen eines Rechtssystems.

Zweites Kapitel. Das Werden des objektiven Hechts. § 17. Die Rechtserzeugung überhaupt 1 . Objektives Recht gab es, seit Menschen leben, und giebt es, wo Menschen sind: allein es war und ist in unaufhörlichem Anderswerden begriffen. Die Beobachtung der Gegenwart wie der Geschichte zeigt uns nirgends einen Anfang, überall aber einen Wandel des Rechts. Gerade hieraus schliefsen wir auf das Wesen des Rechts und suchen wiederum aus diesem Wesen die innere Nothwendigkeit der erfahrenen Thatsache zu verstehen. Das Werden des Rechts vollzieht sich durch den Wechsel seiner Elemente und somit durch Entstehen und Vergehen einzelner Rechtssätze. Wir nennen diesen Vorgang Rechtserzeugung. Dabei unterscheiden wir grundsätzlich nicht zwischen Neuschaffung, Umschaffung und Abschaffung von Rechtssätzen. Wir begreifen also unter Rechtserzeugung auch Rechtszerstörung. In der That geht Beides stets Hand in Hand. Wie einerseits kein neuer Rechtssatz eingeführt werden kann, ohne bisheriges Recht zu verdrängen, so wird andrerseits, wenn ein alter Rechtssatz aufgehoben wird, hiermit nothwendig zugleich das Geltungsgebiet anderer Rechtssätze erweitert. Die Rechtserzeugung ist menschliche That. Das Subjekt dieser That aber sind nicht Individuen, sondern Gemeinschaften. Der einzelne Mensch, der dabei mitwirkt, handelt stets als Glied und im Dienste einer menschlichen Gemeinschaft. ein Glied sowohl des Instituts der Verfügung von Todes wegen als auch des Vertragsinstitutes. 1 Vgl. aufser den oben zu § 15 Anm. 1 angef. Werken: v. Savigny, Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung u. Rechtswissenschaft, Heidelberg 1814, Syst Bd. I 11 ff.; Puchta, Das Gewohnheitsrecht, 2 Thle., Erlangen 1828 u. 1887; Beseler, Volksrecht und Juristenrecht, Leipzig 1843, D.P.R. § 16 ff.; Bühlau, Meckl. L.R. I § 43; Binding, Strafr. I 197 ff; Regelsberger, Pand. I § 17 ff.

Zweites Kapitel. Das Werden des objektiven Rechts.

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Jeder Rechtserzeugungsakt besteht aus einem inneren und einem äufseren Vorgange: der Bildung einer Rechtsüberzeugung und ihrer Erklärung. Der innere Vorgang kann in mancherlei Hinsicht ungleich beschaffen sein: er kann sich in der Seele aller Gemeinschaftsglieder oder eines Theiles derselben oder vielleicht nur eines einzigen Repräsentanten der Gemeinschaft abspielen; ihm kann ein dunkles Gefühl oder bewufste Reflexion oder irgend ein Mittleres zu Grunde liegen; ihn kann eine schwächere oder stärkere Willensregung begleiten. Alle solche Unterschiede indefs sind mehr oder minder flüssig. Feste Unterschiede dagegen ergiebt bei dem äufseren Vorgange die ungleiche Form der Rechtserklärung. Auf ihnen beruht daher die Annahme von Arten der Rechtserzeugung, die man einander als verschiedene Rechtsquellen gegenüberstellt. Vor Allem durchzieht das ganze Rechtsleben der Gegensatz zwischen ungesetztem und gesetztem (ungenau „ungeschriebenem" und „geschriebenem") Recht2. Das ungesetzte Recht wird durch Uebung, d. h. durch Handlungen, die seine Anwendung enthalten, erklärt. Nach seiner hierdurch bedingten äufseren Erscheinungsform heifst es Gewohnheitsrecht. Hier setzt sich also die im Bewufstsein einer Gemeinschaft gebildete Rechtsüberzeugung unmittelbar durch die Lebensbethätigung dieser Gemeinschaft in Rechtssätze um. Ursprünglich zwar nicht die alleinige, wohl aber die überwiegende Art der Rechtserzeugung, tritt diese Rechtsquelle auf höheren Kulturstufen in den Hintergrund, kann aber niemals ganz versiegen. Das gesetzte Recht wird durch einen hierauf gerichteten Ausspruch, mithin durch Worte, die eine ausdrückliche Normsetzung enthalten, erklärt. Zwischen die Bildung der Rechtstiberzeugung und ihre Bethätigung durch Rechtsanwendung schiebt sich hier also eine förmliche Rechtsetzungshandlung ein, die nur innerhalb einer organisirten Gemeinschaft denkbar ist. In ihren Anfängen auch bei der 8

Treffend charakterisirt B i n d i n g a. a. O. S. 198 ff. diesen Gegensatz durch den Hinweis auf die zwiefache Möglichkeit menschlicher Erklärung durch die Sprache und durch konkludente Handlungen. Allein indem er bei jedem Rechtssatz zwei verschiedene Erklärungen, die des „Rechtsgedankens" und die des „Rechtswillens", annimmt, gelangt er zu vier Formen, von denen zwei als „unvollständig gesetztes Recht" zwischen Gesetz und Gewohnheitsrecht in der Mitte stehen sollen. In Wahrheit giebt es jedoch nur Eine entscheidende Rechtserklärung, die zugleich Gedanken- und Willenserklärung ist Das Gesetz, das einem aufser ihm erklärten Rechtsgedanken Gesetzeskraft verleiht, nimmt diesen als Bestandteil auf; der in Worten erklärte Rechtssatz, der nicht zugleich als solcher gelten zu wollen erklärt, kommt erst durch Uebung zum verbindlichen Ausspruch.

§ 17. Die Rechteerzeugung überhaupt.

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einfachsten gesellschaftlichen Organisation und somit von jeher gegeben, pflegt die ausdrückliche Rechtsetzung an Kraft und Umfang in demselben Mafse zu wachsen, in dem der Prozefs der Gemeinschaftsorganisation fortschreitet. Das gesetzte Recht ist zunächst der Ausdruck der Rechtsüberzeugung des zur Rechtsetzung berufenen Gemeinschaftsorgans. Eine gesunde Rechtspolitik fordert, dafs es womöglich zugleich Ausdruck der Rechtsüberzeugung des Gemeinschaftsganzen sei. Doch kann es sich längere oder kürzere Zeit auch dann behaupten, wenn es dem allgemeinen Rechtsbewufstsein widerspricht. Es kann aber auch, indem es erziehend wirkt, nachträglich ein ihm entsprechendes allgemeines Rechtsbewufstsein heranbilden. Innerhalb des ungesetzten Rechtes entwickeln sich mancherlei weitere Unterschiede durch die Differenziirung der Recht erzeugenden Gemeinschaftskreise. Der wichtigste Gegensatz entsteht, wenn ein besonderer Berufsstand die Handhabung des Rechtes übernimmt und hiermit zugleich einen Antheil an der Rechtserzeugung gewinnt. Dann tritt neben das Volksrecht ein Juristenrecht. Soweit der Juristenstand sein Rechtsbewufstsein aus volkstümlichen Quellen schöpft und seine Aufgabe in feinerer Durchbildung, reicherer Entfaltung und begrifflicher Klärung des aus der ganzen Volksgemeinschaft hervorgewachsenen Rechtes erblickt, wird das Juristenrecht gewissermafsen nur als die Blüthe des Volksrechts erscheinen. Allein ein Zwiespalt zwischen Juristenrecht und Volksrecht ist ausweislich unserer eignen Geschichte möglich und wird unvermeidlich eintreten, wo das juristische Bewufstsein überwiegend aus einem volksfremden Recht genährt wird. Innerhalb des gesetzten Rechts entsteht ein durchgreifender Gegensatz, sobald der Staat als souveränes Gemeinwesen alle anderen organisirten Gemeinschaften auf dem Rechtsgebiet überhöht. Denn hiermit rückt das vom Staat gesetzte Recht als Gesetz in eine überragende Stellung, während das von irgend einem anderen Verbände gesetzte Recht als autonomische Satzung mit einem bescheideneren Platze vorlieb nehmen mufs. Im Folgenden haben wir von den einzelnen Arten der Rechtsquellen in ihrer besonderen Bedeutung für das deutsche Privatrecht zu handeln. Dabei ist den Verhältnissen der Gegenwart gemäfs das gesetzte Recht voranzustellen und somit zunächst vom Gesetz und Bodann von der autonomischen Satzung zu reden. Hierauf ist das Gewohnheitsrecht zu besprechen und schliefslich nach der Stellung des Juristenrechts innerhalb des ungesetzten Rechts zu fragen.

Zweites Kapitel. Das Werden des objektiven Rechts.

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§ 18. Das Gesetz 1 . I. Begriff. Gesetz ist vom Staate gesetztes Recht. Da in Deutschland eine zwiefache Staatsgewalt besteht, tritt auch das Gesetz in der zwiefachen Gestalt von Reichsgesetz und Landesgesetz in die Erscheinung. Der Staat setzt Recht durch das verfassungsmässig dazu berufene Staatsorgan. Welches Organ in je3 A. a. O. S. 713. 8i Eine Körperschaft kann ζ. Β. eine Glückwunsch- oder Dankadresse beschliefsen, einen Nachruf widmen, Einladungen ergehen lassen, Aufzüge veranstalten u. s. w. In allen solchen Fällen kommen die Rechtssätze über den Umfang der körperschaftlichen Handlungsfähigkeit und über die Erfordernisse der Körperschaftshandlung zur Anwendung; im Uebrigen dagegen fällt die Handlung nicht in das Rechtsgebiet. 86 A. a. O. S. 721-723, 725, 730—732. 86 A. a. 0. S. 714 ff. 87 Dahin gehören Verfügungen über den eignen Bestand, Ertheilung, Entziehung und Veränderung von Mitgliedschaft oder Organträgerschaft, Anregung, Fortpflanzung und Stillstellung von Organthätigkeit ; a* a. 0. S. 715 ff. 88 Dahin gehören alle Satzungs-, Rechtsprechungs- und Verwaltungshandlungen im Bereiche der körperschaftlichen Machtsphäre, mögen sie nun dem Leben des Ganzen persönliche Dienstleistungen und sachliche Beitragsleistungen der Glieder zuführen, oder das Leben des Ganzen durch Spendung persönlicher und sachlicher Genüsse den Gliedern dienstbar machen; a. a. 0. S. 717 ff. 89 A. a. 0. S. 723 ff. 82

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Zweites Kapitel. Das

echt der Verbadspersönlichkeit.

können jedoch in gleicher Weise von Einzelpersonen in entsprechender Gliedstellung vollzogen werden40 und empfangen nur zum Theil durch die Beschaffenheit ihres Subjektes einen besonderen Inhalt 41 . 3. Die individuellen Körperschaftshandlungen gehören als solche lediglich dem äufseren Leben der Gesammtperson an 42 . Sie haben einen gleichartigen Inhalt, wie die Rechtshandlungen der Einzelpersonen im Bereiche der individuellen Freiheit, und unterstehen im Zweifel bezüglich ihrer Form und ihrer Wirkungen den gewöhnlichen Regeln des Individualrechts. a. Die Körperschaft kann daher zunächst innerhalb der Grenzen ihrer Rechts- und Handlungsfähigkeit Rechtsgeschäfte jeder Art vornehmen48. Hiebei ist im modernen Recht die Gleichstellung der Verbandspersonen mit den Einzelpersonen und untereinander grundsätzlich durchgeführt 44. 40

So z. B. Beitragsleistungen, Stimmabgaben, manche Dienstleistungen. So kann nur eine Körperschaft Mitgliederverzeichnisse, Beschlüsse, gemeinheitliche Wirthschaftspläne einreichen, übertragene staatliche Machtbefugnisse an ihren Gliedern ausüben u. s. w.; vgl. oben § 66 II. " A. a. 0. S. 725 ff. 48 Wegen der Schranken ihrer Rechtsfähigkeit kann sie z. B. keine fiamilienrechtlichen Geschäfte schliefsen und nicht von Todeswegen verfugen. Die Beschränkungen der Handlungsfähigkeit beziehen sich vielfach gerade auf bestimmte Klassen von Rechtsgeschäften; so bedarf es der staatlichen Genehmigung zu den durch die Amortisationsgesetze erschwerten körperschaftlichen Erwerbsgeschäften, ferner bei Gemeinden und höheren Gemeindeverbänden, kirchlichen Körperschaften, In* nungen (R.Gew.O. § 89), öffentlichen Wassergenossenschaften (Preufs. Ges. § 51) u. s. w., sowie allgemein nach Pr.L.R. II, 6 § 83—85 u. Code civ. Art 531,1712 und 2045 zu gewissen Veräufserungsgeschäften (Veräufserung und Belastung von Liegenschaften, Veräufserung von Gegenständen mit besonderem geschichtlichem oder Kunstwerth) und Verpflichtungsgeschäften (Anleihen, Bürgschaften), mitunter auch zu Vergleichen u. s. w.; Gierke a. a. 0. S. 668 Anm. 3. 44 Im römischen Recht sind manche Reste einer gegentheiligen Ordnung erhalten; Gierke, Genossenschaftsr. I I I S. 163 ff. Sie sind jedoch für uns bedeutungslos. So vor Allem die lex civitas (a. a. 0. S. 163 Anm. 128), die schon seit dem Mittelalter durch Umdeutung unschädlich gemacht wurde (a. a. 0. S. 164 Anm. 128, S. 229, 335, 399—400, 486 ff., 737, Kleinschrod, Ueber 1. 27 D. de reb. cred., Heid. 1851) und durch die romanistische Reaktion unseres Jahrhunderts nicht wieder lebendig geworden ist (Dernburg, Pand. I § 66 Anm. 4). Unpraktisch ist auch das von Justinian den Kirchen und milden Stiftungen verliehene Privileg des Eigenthumserwerbes aus Schenkung oder Kauf ohne Tradition; vgl. Gierke a. a. 0. S. 162 Anm. 120 u. S. 334 Anm. 276, Landsberg, Die Glosse des Accureius und ihre Lehre vom Eigenthum, Leipzig 1883, S. 108, Bier mann, Traditio ficta S. 24 ff. (der aber gleich manchen Aelteren das Privileg ganz wegdeutet), Dernburg I § 211 Anm. 2; a. M. Windscheid § 171 Anm. 2. Als gemeines Recht gilt noch die Wirksamkeit der einseitigen Pollizitation zu Gunsten 41

§ 67. Handlungsfähigkeit der Körperschaften.

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b. Ebenso ist die Körperschaft zu Rechtsausübungshandlungen gleicher Art befähigt, wie sie den Einzelpersonen zur Verwirklichung individueller Rechte und zur Erfüllung individueller Pflichten dienen46. Dies gilt namentlich auch von allen Besitzhandlungen, hinsichtlich deren die Bedenken der römischen Juristen für uns bedeutungslos sind46. c. Desgleichen vermag die Körperschaft durch Prozefshandlungen ihr Recht zu schützen47. Sie ist nicht blos parteifähig, sondern auch prozefsfähig 48. Das ältere Recht verlangte regelmäisig die Bestellung eines sei es ständigen sei es für den Einzelfall berufenen besonderen Prozefsorganes und sah sogar gerade in der Prozefsführung durch einen solchen „syndicus" oder „actor" ein Hauptkennzeichen der juristischen Person49. Nach den neueren Gesetzen ist meist der Vorstand zur „gerichtlichen Vertretung" ermächtigt60 und wird nur, wenn er selbst der Körperschaft als Prozefsgegner gegenübersteht, durch ein aufserordentliches Prozefsorgan ersetzt61. Im älteren Recht von Städten und Kirchen, Windscheid § 804, Dernburg I I § 9, RGer. XV Nr. 49 (auch zu Gunsten des Staats). — Soweit eine Körperschaft handlungsfähig ist, ist sie auch wechselfähig; R.O.£.G. XIV Nr. 80 S. 245. 46 Gierke, Genossenschaftsth. S. 278. Ueber körperschaftliche Selbsthülfe im Gebiete des Privatrechts vgl. RGer. XXV Nr. 31. 46 Gierke, Genossenschafter. I I I 162, 229, 291, 372 Anm. 71, 440 Anm. 107, 675. Auch leiblichen Gewahrsam (Detention) hat durch ihre Organe die Verbandspereon selbst; Gierke, Genossenschaftsth. S. 278 Anm. 2, RGer. XIV Nr. 102; unrichtig RGer. in Str.S. V Nr. 2. 47 Gierke, Genossenschaftsth. S. 729 ff. u. 732 ff.; Bekker, Pand. I § 63; Wach, Civilproz. S. 520 ff.; Planck, Civüproz. I 210 ff. 48 Gierke a. a. O. S. 733 Anm. 2—3. A. M. die herrschende Lehre, vgl. Wach a. a. O. S. 540ff., Planck a. a. 0. S. 216. — Natürlich werden Beschränkungen der Handlungsfähigkeit auch hier wirksam; so insbesondere das Erfordernifs höherer Genehmigung zur Prozefsführung, über das nach C.Pr.O. § 50 das bürgerliche Recht entscheidet. 49 Vgl. Gierke, Genossenschaftsr. I I I 165 ff., 231 ff., 338 ff., 400 ff., 487 ff., 676, 762 Anm. 20. Doch galt die Prozefsführung durch gesetzlich oder statutarisch ermächtigte ordentliche Vorsteher niemals als ausgeschlossen; Genossenschaftsth. S. 740 Anm. 1. 50 Vgl. oben § 65 Anm. 52; nach dem Bayr. Ges. v. 29. April 1869 Art. 16 nur mangels gegenteiliger statutarischer Bestimmung. — Ohne gesetzliche oder statutarische Berufung ist auch heute der Vorstand nicht zur Prozefsführung legitimirt; Seuff. XXV Nr. 199. Die C.Pr.O. greift nur insoweit ein, als nach § 157 jede ZusteUung gültig an den Vorstand und zwar, wenn mehrere Vorstandsmitglieder vorhanden sind, an jedes einzelne Vorstandsmitglied erfolgt ; im Uebrigen entscheidet das Verfassungsrecht der einzelnen Körperschaft. 51 RGer. V I I Nr. 123; Gierke, Genossenschaftsth. S. 710 Anm. 3 u. 740 Anm. 2. Bei Aktiengesellschaften und eingetragenen Genossenschaften ist in Pro-

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Zweites Kapitel.

Das Recht der Verbadspersönickeit.

wurden gewisse Prozefshandlungen regehnäisig der Kompetenz des ordentlichen Prozefsorganes entzogen und den körperschaftlichen Beschlufsorganen vorbehalten62. Heute pflegt die Gesammtheit der Prozefshandlungen in die Hand eines einzigen Prozefsorganes gelegt zu seinδ8. Auch zur körperschaftlichen Eidesleistung, die nach den älteren Gesetzen stets durch besonders gebildete Schwurorgane erfolgt 54, ist nach den neueren Gesetzen der Vorstand berufen 66. V. Rechtswidrige Körperschaftshandlungen. Die Körperschaft kann nicht nur rechtmäfsig, sondern auch rechtswidrig handeln. Die Deliktsfähigkeit der Körperschaften stand im älteren deutschen Recht aufser Zweifel 66. Sie blieb auch nach der Aufnahme des römischen Rechtes, das sie entschieden verneint 67, in Theorie und Praxis anerkannt68. Erst seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts wurde die Unmöglichkeit eines Körperschaftsdeliktes grundzessen mit Vorstandsmitgliedern der Aufsichtsrath, wenn aber auch Aufsichtsrathsmitglieder zu den Prozefsgegnern gehören, die durch besondere Bevollmächtigte vertretene Generalversammlung zur Frozefsführung berufen; H.G.B. Art 228 mit Art. 194—195, R.Ges. ν. 1. Mai 1889 § 37. Vgl. auch R.Ges. v. 20. April 1892 § 47 Z. 8. 52 So der Empfang der ersten Ladung, die Ertheilung einer Prozefsvollmacht, die Verfügung über den Streitgegenstand durch Geständnifs, Verzicht oder Vergleich, die Erklärung über Annahme oder Zurückschiebung des Eides; Gierke, Genossenschaftsr. I I I 228 , 842 , 401, 489 , 788 Anm. 114, 762, Genossenschaftsth. S. 741 Anm. 1. 88 Gierke, Genossenschaftsth. S. 742 Anm. 1. — Nur zum Theil wird durch die C.Pr.O. eine Konzentration der prozessualen Vertretungsmacht erzwungen; a. a. 0. S. 740 Anm. 3 u. S. 741 Anm. 1. 64 Vgl. solche Gesetze b. Gierke, Genossenschaftsr. I I I 762 Anm. 21, auch über den sächs. Gerichtsgebrauch S. 788 Anm. 115; ferner E. Viereck, Betrachtungen über die Anwendung des Beweismittels der Eideedelation und der richterlichen Notheide auf juristische Personen, Rost. u. Schwerin 1848; Wetz eil, Syst. des ord. Civilproz. (8. Aufl. 1878) S. 266 ff.; Seuff. V I I I Nr. 187-189, X I I Nr. 101, X I H Nr. 194 u. 294, XV Nr. 86, X V I I Nr. 182, X V I I I Nr. 277. Die C.Pr. 0. greift hier nicht ein; Gierke, Genossenschaftsth. S. 741 Anm. 2. 65 Gierke a. a. 0. S. 742 Anm. 1 und über die Frage, ob alle oder nur einige und welche Vorstandsmitglieder zu schwören haben, Anm. 2. 56 Gierke, Genossenschaftsr. I I 522 ff., 817 ff., 905. w A. a. 0. I I I 168 ff. 68 Vgl. über die mittelalterliche Lehre, die einstimmig am Begriff des Körperschaftsdeliktes festhielt, a. a. 0. S. 284 ff., 842 ff., 402 ff., 491 ff.; über deren Aufnahme in Deutschland ib. S. 656 Anm. 22, 667 Anm. 76, 678 Anm. 21, 681 ff., 788 ff., 768 Anm. 23; über ihre Fortführung in Theorie und Praxis Genossenschaftstheorie S. 744 Anm. 2; über die naturrechtliche Lehre vom Körperschaftsdelikt ib. Anm. 8.

§ 67. Handlungsfähigkeit der Körperschaften.

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sätzlich behauptet59. Allein obwohl die neue Lehre, nachdem der anfängliche Widerspruch verstummt war 6 0 , nicht nur in der Doktrin sich zu fast unbestrittener Herrschaft erhob 61, sondern auch auf die Gesetzgebung und die Rechtsprechung machtvoll einwirkte 62, so vermochte sie doch auf die Dauer unser Rechtsleben nicht unter ihr Joch zu beugen68. Vielmehr blieb der Begriff des Körperschaftsdeliktes selbst da, wo er theoretisch geleugnet wurde, praktisch lebendig. In neuester Zeit aber beginnt die grundsätzliche Anerkennung der Deliktsfähigkeit der Körperschaften wiederum durchzudringen. In der Theorie mehren sich die in diesem Sinne abgegebenen Stimmen64. In der Rechtsprechung ist der Sieg der deutschrechtlichen Auffassung durch die unumwundene Stellungnahme des Reichsgerichts besiegelt65. Auch die Gesetzgebung vermag sich dieser Strömung nicht zu entziehen β β . 69

Gierke, Genossenschaftsth. S. 745 Anm. 1. Die Vertheidiger der alten Lehre in unserem Jahrh. sind a. a. O. S. 746 Anm. 1 angeführt. 61 A. a. 0. S. 747 Anm. 1. ea A. a. 0. S. 749 ff. Selbst im Gebiete des preufs. Landr. gewann die romanistische Anschauung mehr und mehr Boden, obwohl das Gesetzbuch selbst die Deliktsfähigkeit der Gemeinheiten anerkennt; vgl. Rocholl, Rechtsfälle aus der Praxis des Reichsgerichts, I, Breslau 1883, S. 335 ff. 68 Ueber die tatsächliche Gestaltung der neueren deutschen Praxis vgl. E. Löning, Die Haftung des Staats aus rechtswidrigen Handlungen seiner Beamten nach deut. Priv. u. Staatsr., Frankfurt a. M. 1879, Rocholl a. a. 0., Gierke, Genossenschaftsth. S. 749 ff. 64 Vgl. Beseler, D.P.R. § 68 Anm. 3, Weiske, Prakt. Unters. I I I 141 ff., Dahn, Vernunft im Recht S. 167 ff., Bolze a. a. 0. S. 135 ff. u. 148 ff., Rocholl a. a. 0. S. 383 ff., Förster-Eccius § 282 V I I I , Regelsberger, Pand. § 83, J e l l i n e k a. a. 0. S. 246 ff; im Ergebnifs aber auch Windscheid § 59 Anm. 9, Dernburg, Pand. I § 66 u. Preufs. P.R. I § 56, Bekker, Pand. I § 62 Anm. o, Kariowa a. a. 0. S. 427 ff.; unter den Kriminalisten besonders v. L i s z t , Lehrb. des deut. Strafr. (3. Aufl. Berlin 1891) § 26, u. Merkel, Straft. § 18. 65 Vgl. die Uebersicht b. Gierke a. a. 0. S. 751 ff. Seitdem hat das Reichsgericht noch entschiedener Stellung genommen; vgl. bes. die grundsätzlichen Erörterungen XIX Nr. 67, wonach bei juristischen Personen in gleicher Weise wie bei physischen Haftung aus eignem und aus fremdem Versehen zu unterscheiden, als eignes Versehen der juristischen Person aber jedes ihr als „Willensfehler" anzurechnende Versehen eines Willensorganes, das innerhalb seiner Zuständigkeit handelt, anzusehen ist; ferner ib. Nr. 20, X X I I Nr. 53, X X X I Nr. 54, Jurist. Wochenschrift 1886 S. 21 u. 1888 S. 212, Seuff. X L I I I Nr. 114, XLIV Nr. 83, XLIX Nr. 1 (hier jedoch mit bedenklichen Einschränkungen). 66 In Entw. I I § 30 u. 77 ist die schon in Entw. I § 46 ausgesprochene Haftung der Verbandspersonen aus Delikten ihres Vorstandes (vgl. über die Unvollkommenheit dieser Bestimmung Gierke, Personengemeinschaften S. 25 ff.) zu einer Haftung aus Delikten jedes „verfassungsmäfsig berufenen Vertreters" erweitert. 60

B i n d i n g , Handbuch.

II. 3. I : G i e r k e , Deutsches Privatrecht.

I.

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Zweites Kapitel. Das Recht der Verbadspersönlichkeit.

Ueber den Umfang der körperschaftlichen Deliktsfähigkeit entscheiden die allgemeinen Grundsätze über den Umfang der körperschaftlichen Handlungsfähigkeit6T. Auch für die Voraussetzungen einer rechtswidrigen Körperschaftshandlung gelten die allgemeinen Regeln : der Körperschaft wird als eigne rechtswidrige Handlung oder Unterlassung zugerechnet, was ein Organ als solches innerhalb seiner Zuständigkeit rechtswidrig thut oder zu thun versäumt68. Sie vermag also nicht blos durch einen Körperschaftsbeschlufs oder durch das Verhalten ihres Vorstandes, sondern auch durch das Handeln oder Unterlassen mittelbarer Organe eine Schuld auf sich zu laden69. In allen Fällen aber reicht ihre rechtliche Identität mit ihrem Organe nur so weit, wie sich dessen Zuständigkeit erstreckt 70. Was daher ein Organ aufserhalb seiner Zuständigkeit rechtswidrig thut, fällt lediglich dem Individuum zur 67 Gierke, Genossenschaftsth. S. 755—758. Die ältere Theorie beachtete nicht immer, dafs eine jenseits der Grenzen des körperschaftlichen Lebensgebietes liegende Handlung auch dann kein Körperschaftsdelikt sein kann, wenn sie mit körperschaftlichen Mitteln und in körperschaftlichen Formen vollbracht ist. Umgekehrt wird seit Feu erb ach oft aus der Beschränkung der körperschaftlichen Lebensthätigkeit auf die Verfolgung eines gesetzmäfsigen Zweckes die Unmöglichkeit jedes Körperschaftsdeliktes gefolgert. Allein nothwendig reicht das mit der rechtlichen Zuweisung einer Lebensaufgabe dem Träger eines freien Gemeinwillens gewährte rechtliche Können weiter, als das rechtliche Dürfen. Auch kann die Körperschaft nicht nur durch Verabsäumung ihrer Pflichten Omissivdelikte und durch Verfolgung ihres Zweckes mit rechtswidrigen Mitteln Kommissivdelikte begehen, sondern sich auch durch Anmafsung einer Machtvollkommenheit odpr Verfolgung einesfremdartigen Zweckes, obschon das in dem usurpirten Gebiete demnächst vollzogene Handeln ihr rechtlich nicht zugerechnet wird, eine Schuld aufladen. ** A. a. 0. S. 758 ff. 89 Darum müssen auch Staat und Gemeinde die rechtswidrigen Amtshandlungen ihrer Beamten als eigne Handlungen vertreten. Lange freilich hat gerade hier die ältere Theorie nachgewirkt, die zwischen einem Verschulden der „universitas ipsa" und einem nur kraft ihrer konkuirirenden Verschuldung (culpa in eligendo vel custodiendo, Gutheifsung, Aneignung u. s. w.) auf sie zurückfallenden Verschulden ihrer „Vertreter" unterschied; vgl. a. a. 0. S. 754 Anm. 1—2 u. S. 760 Anm. 1. Allein mehr und mehr ist die richtige Anschauung durchgedrungen, dafs das wollende und handelnde Gemeinwesen durch Behörden und Beamte als Organe genau so wie durch Oberhäupter oder Versammlungen zur Erscheinung gebracht und folgeweise mit „eignem Verschulden" belastet werden kann; a. a. 0. S. 761 Anm. 1. Auch das Reichsgericht, das mehrfach den verkehrten Weg betreten hatte (bes. X I Nr. 42), hat jetzt sich grundsätzlich in diesem Sinne entschieden ; vgl. bes. XVH Nr. 25 u. XIX Nr. 67, auch XXIX Nr. 13, XXXI Nr. 54. Richtig auch das Obst. L.G. f. Bayern b. Seuff. X L I I Nr. 276. 70 Näheres über die Grenzen dieser Zuständigkeit und die hierbei aue der Relativität der Zuständigkeitsgrenzen und aus der autoritären Stellung öffentlicher Organe sich ergebenden Verhältnisse b. Gierke a. a. 0. S. 764—767.

§ 67. Handlungsfähigkeit der Körperschaften.

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Last 71 . Und überdies steckt in jedem ein Körperschaftsdelikt verwirklichenden Thatbestande zugleich ein individuelles Verschulden der betheiligten Einzelpersonen72, die daraus nicht nur der Körperschaft verantwortlich sind78, sondern auch neben, vor oder hinter der Körperschaft nach aufsen hin haftbar gemacht werden können74. Die Wirkungen eines Körperschafsdeliktes treffen immer nur die Körperschaft als solche und somit ihre Mitglieder zwar in denjenigen Beziehungen, in denen sie der Körperschaft angehören, niemals aber in ihrer Individualsphäre75. Mit dieser Beschränkung sind Straffolgen wider die Körperschaft keineswegs ausgeschlossen76 und auch aus dem geltenden Rechte nicht völlig verschwunden77. Vor Allem aber erzeugt jedes Körperschaftsdelikt für die Körperschaft eine gleichartige privatrechtliche Ersatzverbindlichkeit, wie sie aus einem entsprechenden rechtswidrigen Verhalten für die Einzelperson erwächst78. Dies gilt nicht nur in allen Fällen eines kontraktlichen Verschuldens79, sondern ebenso in den Fällen 71

A. a. 0. S. 768 Anm. 1; R.Ger. XXIX Nr. 36. A. a. 0. S. 768; R.Ger. X X V I I I Nr. 54 S. 241 ff. 73 A. a. 0. S. 770—771. u Und zwar sowohl strafrechtlich wie privatrechtlich; a. a. 0. S. 768 ff. — Doch braucht sich der durch ein Körperechaftsdelikt Geschädigte nicht zunächst auf die Ërsatzklage gegen den mithaftenden schuldigen Einzelnen verweisen zu lassen, sofern nicht durch positiven Rechtssatz die Haftung der Körperschaft zu einer blos subsidiären Haftung abgeschwächt ist; a. a. 0. S. 769 Anm. 4 u. S. 770 Anm. 1, Seuff. XXXV Nr. 287, R.Ger. XVII Nr. 25. 76 Anders im älteren deutschen Recht kraft der ursprünglichen Ununterschiedenheit von Gesammteinheit und Gesammtvielheit; Gierke, Genossenschaftsr. I I 386 ff. u. 522 ff., auch 817 ff.; E. L ö n i n g a. a. 0. S. 26 ff. Es war das hauptsächliche Ziel und das gröfste Verdienst der romanistisch-kanonistischen Korporationslehre, die Unterscheidung der die Körperschaft als eolche und der die Mitglieder als Individuen treffenden Rechtsnachtheile durchzuführen. 76 G i e r k e, Genossenschaftsth. S.771ff. — Das Nähere hierübergehört ins Strafrecht. 77 Neben der Auflösung zur Strafe, wovon unten zu reden ist, begegnet die Entziehung einzelner Rechte (z. B. des Notenprivilegs nach Reichsbankges. v. 14. März 1875 § 49 ff.) als Körperschaftsstrafe. Ueber Geldstrafen gegen Verbandspersonen a. a. 0. S. 783—784. 78 Denn hier greift der Grundsatz der Gleichstellung von Verbandspersonen und Einzelpersonen im Privatrecht durch; a. a. 0. S. 784. 79 Hierüber besteht im Wesentlichen Einverständnifs ; a. a. 0. S. 784 ff., Seuff. X L I I Nr. 276, XLIX Nr. 40. Doch wird häufig noch diese Haftung mit der Haftung des Prinzipals für kontraktliches Verschulden von Stellvertretern und Gehülfen zusammengeworfen. Richtig sondert das Reichsgericht auch hier die Haftung der Verbandspersonen aus eignem Verschulden von ihrer Haftung für fremdes Verschulden; Entsch. V I I I Nr. 38, XIX Nr. 20 u. 67, Gruchot XXV 106. 34* 72

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Zweites Kapitel. Das Recht der Verbadspersölichkeit.

eines zum Schadensersatz verpflichtenden aufserkontraktlichen Verschuldens80. Und es gilt nicht nur bei Verfehlungen der Verbandsperson in ihrem individualrechtlichen Wirkungsbereiche81, sondern ebenso bei Verfehlungen in ihrem sozialrechtlichen Wirkungsbereiche82. Somit ist auch dann, wenn ein Organ einer öffentlichen Körperschaft oder des Staates selbst durch ungehörige Ausübung oder Nichtausübung von Hoheitsrechten widerrechtlich Schaden zugefügt hat, ein privatrechtlicher Ersatzanspruch gegen die Körperschaft oder den Staat begründet88. Dies wird in der gemeinrechtlichen Theorie und Praxis überwiegend anerkannt84. Zum Theil aber wird in solchen Fällen der Ersatzanspruch gegen das Gemeinwesen eingeschränkt85 oder 80

Gierke a. a. O. S. 788 ff., R.Ger. X X X I Nr. 54. Auf diesem Gebiete ist der Grundsatz der Ersatzpflichtigkeit der Verbandspersonen aus aufserkontraktlichem wie kontraktlichem Verschulden ihrer Organe trotz mancher Schwankungen mehr und mehr durchgedrungen, so dafs insbesondere der aquilischen Klage, aber auch der actio doli und anderen Deliktsklagen gegen Verbandspersonen, die durch Verabsäumung privatrechtlicher Pflichten oder durch unerlaubte privatrechtliche Handlungen Schaden gestiftet haben, regelmäfsig stattgegeben wird; vgl. a. a. O. S. 778—793 u. seitdem R.Ger. X V I I Nr. 25, X V I I I Nr. 21, X X I I Nr. 53, X X V I Nr. 56, sowie b. Seuff. XLI Nr. 100, X L I I Nr. 210 u. 277, X L I I I Nr. 271, XLIV Nr. 83, XLIX Nr. 76, Obst. L G. f. Bayern ib. X L I Nr. 271 ; unrichtig O.L.G. Hamb. ib. X L I I Nr. 96. Ausdrücklich will Entw. I I § 30 u. 77 das Prinzip für private wie öffentliche Verbandspersonen sanktioniren. M Dies wird für Fälle des kontraktlichen Verschuldens ziemlich allgemein anerkannt, so dafs auch der Staat und die öffentlichen Körperschaften einerseits in privatrechtlichen Vertragsverhältnissen fur vertragswidrige Ausübung publizistischer Funktionen haftbar gemacht werden (Gierke a. a. O. S. 786 Anm. 1, R.Ger. V I I I Nr. 77 u. XXV Nr. 78), andrerseits in öffentlichrechtlichen Vertragsverhältnissen (ζ. Β. aus öffentlicher Hinterlegung) fur das Verschulden ihrer Organe einstehen müssen (Gierke a. a. O. S. 787 Anm. 1). Der gleiche Grundsatz aber mufs in Fällen einer aufserkontraktlichen Schadenszufügung durch rechtswidrige Ausübung oder Nichtausübung sozialer Funktionen gelten (a. a. 0. 794 ff.). 88 Die privatrechtliche Natur dieses Anspruches wird freilich von Manchen (z. B. Zachariae, Staatsr. § 140, G.Meyer, Staatsr. § 149, E. L ö n i n g a. a. 0. S. 93ff.) bestritten; sie folgt aber schon aus der Gleichartigkeit des gegen den Staat oder die Gemeinde begründeten Ersatzanspruches mit dem stets als privatrechtlich anerkannten Ersatzanspruch gegen den schuldigen Beamten ; vgl. die nähere Ausführung b. Gierke a. a. O. S. 794 ff. 84 A. a. O. S. 796 Anm. 1—3 und über einzelne Anwendungsfälle (widerrechtliche Anwendung der Zwangsgewalt durch Eingriffe in die Persönlichkeit oder durch Entziehung oder Zerstörung von Sachen, — Versehen bei der Verwaltung fürsorglicher Einrichtungen, wie der freiwilligen Gerichtsbarkeit, der Grundbuchführung oder der obervormundschaftlichen Thätigkeit, — Unterlassung der Erfüllung einer den Einzelnen gegenüber begründeten öffentlichrechtlichen Verbindlichkeit zur Vornahme von Hoheitsakten oder fürsorglichen Mafsregeln) S. 797-801. 86 Ζ. B. durch Beilegung eines blos subsidiären Charakters; vgl. a. a. 0. S. 770 Anm. 1, 787 Anm. 1, 796 Anm. 3—4, 797 Anm. 2 u. oben Anm. 74. 81

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sogar, wie namentlich in Preufsen, grundsätzlich versagt86. Doch ist überall für einzelne Gebiete amtlicher Thätigkeit die staatliche oder kommunale Ersatzverbindlichkeit durch besondere Gesetze ausdrücklich festgestellt 87. Von den Ersatzverbindlichkeiten aus eignem Verschulden der Körperschaft sind scharf die Ersatzverbindlichkeiten zu trennen, die sie aus fremdem Verschulden treffen 88. In dieser Hinsicht stehen die Verbandspersonen im Allgemeinen den Einzelpersonen gleich ; sie haften daher, während die Haftung aus eignem Verschulden als Regel eintritt, aus fremdem Verschulden nur in den gesetzlichen Ausnahmefällen, in denen eine solche Haftung durch Geschäfts- oder Hausherrschaft oder sonstige besondere Verhältnisse begründet wird 89 . Nicht minder sind von allen Ersatzverbindlichkeiten der Körperschaft aus Verschulden die Ersatzverbindlichkeiten zu unterscheiden, die ihr ohne Verschulden erwachsen, mögen sie nun in gleicher Weise bei Verbandspersonen und Einzelpersonen vorkommen oder in eigenthümlichen Verhältnissen des Gemeinlebens wurzeln90. § 68. Verhältnifs der Körperschaft zu ihren Gliedern. Im Verhältnifs der Körperschaft zu den ihr eingegliederten Personen müssen Rechtsbeziehungen dreifacher Art unterschieden werden. θβ Δ. a. 0. S. 796 Anm. 4 u. hinsichtlich des preufs. R. seitdem R.Ger. X V I I Nr. 25, X X V I I I Nr. 74, XXIX Nr. 57 u. X X X I I Nr. 37 S. 146 (mit höchst unbilligen Konsequenzen). 87 So z. B. für den Geschäftsbereich der Depositalverwaltung (oben Anm. 82), der Grundbuchführung (Gierke a. a. 0. S. 798 Anm. 3), der Obervormundschaft (a. a. 0. S. 799 Anm. 1), für die Fälle widerrechtlicher Gefangenhaltung oder Beschlagnahme (a. a. 0. S. 797 Anm. 2—3) u. s. w. Alle solche Gesetzesbestimmungen sind nur Anwendungsfälle eines allgemeingültigen Rechtsgrundsatzes; wo aber dieser Grundsatz nicht anerkannt wird, erscheinen sie als Ausnahmen, in denen das richtige Prinzip durchbricht 88 A. a. 0. S. 801 ff., auch oben Anm. 65 u. 79. 89 Vgl. R.Ger. X I X Nr. 67, XXIX Nr. 57, Seuff. X L I I I Nr. 114. — Davon im Obligationenrecht. 90 A. a. 0. S. 805 ff. Hierher gehören die Fälle einer Haftung aus schuldloser Verursachung, von denen im Obligationenrecht zu reden ist (vgl. auch schon oben § 33 Anm. 24 u. 81—82). Insbesondere können die Ersatzverbindlichkeiten, die Unger, Handeln auf eigene Gefahr, 2. Aufl. Jena 1893, unter dem gemeinsamen Gesichtspunkte der Haftung aus einem Handeln auf eigene Gefahr behandelt, fast durchweg sowohl für Verbandspersonen wie fur Einzelpersonen entstehen. Dazu treten aber Ersatzverbindlichkeiten, die nach dem Prinzip der ausgleichenden Gerechtigkeit aus einer rechtmäfsigen Schädigung Einzelner durch Anwendung sozialer Machtmittel entspringen. So bei der Zwangsenteignung und verwandten Eingriffen in individuelle Rechtssphären. Desgleichen bei der Entschädigung unschuldig Verurtheilter.

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I. Aufserkörperschaftliche Verhältnisse. Jenseits des körperschaftlichen Bereiches stehen die Körperschaft und die Körperschaftsglieder einander als unverbundene Personen gegenüber. Auf diesem Gebiete gilt daher zwischen ihnen reines Individualrecht1. Für die Körperschaft sind demgemäfs alle aufserkörperschaftlichen Rechte und Pflichten ihrer Mitglieder und Organträger freieSonderrechtsverhältnisse. Die Individualsphären der Körperschaftsglieder werden vom Körperschaftsverhältnifs in keiner Weise berührt2. Rechtsbeziehungen zwischen der Verbandsperson und den verbundenen Personen erwachsen hier erst aus besonderen individualrechtlichen Thatbeständen und unterstehen den Regeln über die Rechtsbeziehungen zwischen der Körperschaft und „Dritten"8. II. Rein körperschaftliche Verhältnisse. Innerhalb des körperschaftlichen Bereiches stehen die Körperschaft und die Körperschaftsglieder einander als einheitliche Gesammtperson und in ihr enthaltene Gliedpersonen gegenüber. Hier gilt daher zwischen ihnen reines Sozialrecht, das bei öffentlichen Verbänden sich zum Range des öffentlichen Hechts erhebt4. Für die Körperschaft sind somit alle in ihrem Bereiche beschlossenen Rechte und Pflichten von Körperschaftsgliedern reine Mitgliedschaftsverhältnisse. Die Rechtsverhältnisse dieser Gattung sind in ihrem ganzen Bestände ein Ausflufs der körperschaftlichen Ordnung. Sie werden kraft Verfassungsrechtes durch den Erwerb der Mitgliedschaft oder einer besonderen Gliedstellung begründet und gehen mit dem Verluste der Mitgliedschaft oder einer besonderen Gliedstellung, an die sie geknüpft sind, ohne Rückstand unter. Nach aufsen erscheinen sie als Bestandteile der körperschaftlichen Rechtssphäre und werden als solche von der Verbandsperson mitvertreten. Nach innen fallen sie in das Herrschaftsgebiet der Körperschaftsgewalt und sind somit der Verfügung der Verbandsperson unterworfen. Gleichwohl handelt es sich auch hier um wirkliche Rechtsverhältnisse. Nicht blos zwischen den Gliedern, sondern auch zwischen jedem Gliede und dem Ganzen stellt die körperschaftliche Lebensordnung, weil und soweit sie Rechtsordnung ist. ein Verhältnifs der Gegenseitigkeit her, das sich in beiderseitigen Rechten und Pflichten ausprägt. Darum geniefsen auch die reinen Mitgliedschaftsverhältnisse des Rechtsschutzes. Sie sind freilich, da sie ein selbständiges Dasein 1

Gierke, Genossenschaftsth. S. 176 ff. Oben § 65 Anm. 38 u. 43. 8 R.O.H.G. VI Nr. 27, XIV Nr. 37; R.Ger. IV Nr. 20. * Gierke a. a. O. S. 182 ff. 2

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aufserhalb des körperschaftlichen Zusammenhanges nicht haben, nur durch, nicht gegen die körperschaftliche Lebensordnung gesichert. Mithin müssen, bevor die Körperschaft gegen ihr Mitglied der richterlichen Hülfe bedarf oder das Mitglied gegen die Körperschaft den Rechtsweg beschreiten kann, zunächst die durch die Körperschaftsverfassung selbst gebotenen Mittel der Abhülfe erschöpft sein6. Und soweit sich bei körperschaftlichen Eingriffen in Mitgliedschaftsverhältnisse lediglich die verfassungsmäfsige Herrschaft des Verbandsganzen über seine Glieder in verfassungsmäfsiger Form bethätigt hat, ist einerichterliche Nachprüfung überhaupt ausgeschlossen6. Innerhalb der hiermit gezogenen Schranken aber steht bei Streitigkeiten zwischen der Körperschaft und den Körperschaftsgliedern über reine Mitgliedschaftsverb ältnisse der Rechtsweg offen. Nur sind bei öffentlichen Körperschaften regelmäfsig derartige Streitigkeiten unter Ausschlufs des ordentlichen Rechtsweges auf den Weg des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens verwiesen7. Dagegen ist bei privaten Körperschaften der Weg des Civilprozesses in solchen Fällen grundsätzlich unverschränkt8, so dafs z. B. eine Klage auf Anerkennung des Bestandes einer Vereinsmitgliedschaft, auf Zurücknahme eines Ausstofsungsbeschlusses, auf Gewährung von Stimmrechten, auf Einräumung einer rechtlich begründeten Organstellung u. s. w. angestellt werden kann9. In dielndidualsphären ihrer Subjekte reichen die reinen Mitgliedschaftsverhältnisse überhaupt nicht hinein. Wer kraft Mitgliedschaftsrechtes an der Beherrschung und dem Genuls des Körperschaftsvermögens Theil nimmt, hat gleichwohl keinen individuellen Antheil an diesem Vermögen oder einem einzelnen Bestandtheile desselben. Wer kraft Mitgliedschaftspflicht zur Bestreitung der Körperschaftslasten beitragen mufs, ist gleichwohl durch die Verpflichtungen der Körperschaft individuell nicht verpflichtet. Ebenso bleiben die kraft einer besonderen Organstellung begründeten Rechte und Pflichten der Individualsphäre ihres Trägers fremd. Darum gelten auch seit alter Zeit in rein körperschaftlichen Angelegenheiten die Körperschaftsglieder als zeugnifefähig und als fähig zum Richteramte10. 5

R.O.H.G. XIV Nr. 35 S. 82 if., X X I I Nr. 24 S. 104 ff. R.Ger. I I Nr. 82, X X V I Nr. 53; Seuff. X L V I I Nr. 4. 1 Gierke a. a. 0. S. 184 Anm. 3—4. Doch bestehen mancherlei Ausnahmen. 8 Und zwar nicht blos, wie Stobbe § 61 Anm. 4 meint, im Falle eines Vermögensinteresses. Vgl. R.Ger. X I I 283. 9 Preufs. O.Tr. Entsch. V I I 126; S t r i eth. V I I 292; R.O.H.G. X V I I Nr. 28, X X I I I Nr. 121; R.Ger. X X V I I Nr. 43; Seuff. XXXIX Nr. 186, XLVII Nr. 4. Vgl. auch oben § 65 Anm. 42—43. 10 Seuff. I Nr. 372, V I Nr. 70 u. 71, IX Nr. 91, XVII Nr. 164, XX Nr. 192, β

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III. Verhältnisse des körperschaftlichen Sonderrechts. Kraft des genossenschaftlichen Prinzips hat das deutsche und moderne Recht eine Fülle gemischter Verhältnisse entwickelt, die zum Theil innerhalb und zum Theil aufserhalb des körperschaftlichen Bereiehes liegen. Hier stehen die Körperschaft und die Körperschaftsglieder einander gleichzeitig in ihrer Zusammengehörigkeit als Gesammtperson und Gliedpersonen und in ihrer Selbständigkeit als Sonderpersonen gegenüber. Somit verflechten sich hier Sozialrecht und Individualrecht und folgeweise bei öffentlichen Körperschaften öffentliches Recht und Privatrecht u. Für die Körperschaft sind die aus solchen Beziehungen entspringenden Rechte und Pflichten von Mitgliedern und Organträgern mitgliedschaftliche Sonderrechtsverhältnisse. Mit den Rechten dieser Gattung, den „jura singulorum in universitate", haben sich Theorie und Praxis seit dem Mittelalter eingehend befafst 12. Geringere Beachtung haben die entsprechenden Pflichten gefunden 18. Das gemeinsame Merkmal aller dieser Verhältnisse besteht in der Doppelseitigkeit ihres Wesens, vermöge deren sie zugleich den gliedmäfsigen und den individuellen Sphären ihrer Subjekte angehören. Von freien Sonderrechtsverhältnissen unterscheiden sie sich durch körperschaftsrechtliche Gebundenheit, von reinen Mitgliedschaftsverhältnissen durch individualrechtliche Selbständigkeit. Die körperschaftlichen Sonderrechtsverhältnisse spielen bei den einzelnen Körperschaftsgattungen eine überaus ungleiche Rolle14. In dem Mafse, in dem das genossenschaftliche Prinzip durchgeführt ist, nehmen sie die Bedeutung wesentlicher Elemente des Verbandsrechtes an. Je mehr sich die Körperschaft einer Gesellschaft nähert und somit das Ganze zum Mittel für die Zwecke der Glieder herabsinkt, desto weiter erstreckt sich ihr Gebiet. Ihre höchste Steigerung erXXIV Nr. 281, X L Nr. 252; R.Ger. Π Nr. 112, V I I Nr. 92. Ueber das Geschichtliche G i e r k e , Genossenschaftsr. Ι Π 800 ff., 375, 444, 727 Anm. 90. 11 Gierke, Genossenschaftsth. S. 188 ff. 19 Ueber die mittelalterliche Theorie vgl. Gierke, Genossenschafter. Π Ι 297 ff., 393 Anm. 163, 472 ff. Unter den späteren Schriften sind hervorzuheben: GaudlitzHaubold, De finibus inter jus singulorum et universitatis regundis, Lips. 1804 (hier nach Haubolds Opuscula Vol. II); Renaud, Ζ. f. D. R. IX 88 ff; Laband in Hirths Ann. Jahrg. 1874 S. 1487 ff.; Löwenfeld, Recht der Aktiengesellschaften S. 367 ff.; Stobbe, D.P.R. § 53 I I I ; A l e x a n d e r , Die Sonderrechte der Aktionäre (1892); Regelsberger § 84; K. Lehmann, Arch. f. b. R. I X 297 ff. Vgl. auch Bernatzik a. a. O. S. 285 ff. u. 295 ff. 18 Doch hat sich die Nothwendigkeit ihrer begrifflichen Formulirung bei den Erörterungen über das Wesen der mitgliedschaftlichen Sonderhaft bei eingetragenen Genossenschaften herausgestellt. 14 Gierke, Genossenschaftsth. S. 306 ff.

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fahren sie bei den Vermögensgenossenschaften. Denn indem hier die Mitgliedschaft als Aktie, Kux u. s. w. in ein selbständiges Vermögensrecht verwandelt ist, empfängt das Mitgliedschaftsverhältnifs im Gänzen die Natur eines Sonderrechts, das die reinen Mitgliedschaftsrechte und Mitgliedschaftspflichten als unselbständige Bestandteile enthält15. Ihrem Subjekte nach sind die körperschaftlichen Sonderrechte und Sonderpflichten ungleich beschaffen, jenachdem sie für alle Mitglieder als solche oder für die Angehörigen einer bestimmten Mitgliederklasse oder für die Träger einer besonderen Glied- oder Organstellung begründet sind16. Ihrem Objekte nach lassen sie sich mit Bücksicht auf den Inhalt ihres individualrechtlichen Bestandtheils in personenrechtliche, sachenrechtliche und obligationenrechtliche eintheilen. Bei den personenrechtlichen Sonderrechtsverhältnissen ist in die körperschaftsrechtliche Beziehung ein Individualrecht des Körperschaftsgliedes an der eigenen Persönlichkeitssphäre verwoben17. Derartige Sonderrechte richten sich theils nur auf den Schutz der Persönlichkeit gegen die Körperschaft, theils auch auf die Geltendmachung der Persönlichkeit in der Körperschaft. So begegnen in allen Körperschaften, jedoch mit sehr ungleicher Tragweite und in sehr verschiedenartiger Entfaltung, Sonderrechte der Mitglieder auf Achtung des vorbehaltenen Bereiches ihrer individuellen Freiheit 18 und auf Wahrung der genossenschaftlichen Gleichheit19. In manchen Körperschaften aber 15

A. a. 0. S. 240—245, 276—279. Nach dem preufs. Landr. (vgl. über dessen Theorie R.Ger. X I I Nr. 60 S. 271 ff.) sind grundsätzlich nur die dem einen oder anderen Mitgliede als solchem zustehenden Rechte gegen Mehrheitsbeschlüsse geschützt (II, 6 § 68), während Angelegenheiten, „welche zwar nicht die Corporation als eine moralische Person betrachtet, aber doch die sämmtlichen Mitglieder derselben, als solche, betreffen", dem Körperschaftsbeschlufs unterliegen (a. a. 0. § 88). Allein diese Regel mufs zweifellos vor einer spezialgesetzlichen oder statutarischen Anerkennung von Sonderrechten sämmtlicher Mitglieder zurücktreten. 1T Gierke a. a. 0. S. 316. 18 Α. a. Ο. S. 190 ff, 253 ff., 281, 296 , 638 , 640. Insoweit für eine Erweiterung des Körperschaftsbereiches auf Kosten der Individualsphären der Weg eines qualifizirten Körperschaftsbeschlusses eröffnet ist, besteht wenigstens ein Sonderrecht auf Nichtvornahme einer solchen Grenzverschiebung in einer anderen Form; a. a. 0. S. 256. — Besonders gewährleistet ist vielfach das Recht der Austrittsfreiheit; a. a. 0. S. 237 Anm. 1, 253, 281, 298, 316, auch oben § 64 Anm. 7. 19 I aband a. a. 0. S. 1503 ff.,; Gierke a. a. 0. S. 237, 258, 282, 296; Ehrenberg, Versicherungsrecht I 135; Pr. L.R. II, 6 § 69; R.O.H.G. VIII189 ff., R.Ger. Χ Π Nr. 61 u. 62, Seuff. X L V I I I Nr. 4, sowie die bei Gierke a. a. Ο. S. 226, 227, 228, 230 Anm. 1, 231 Anm. 3 u. 232 Anm. 1 angef. Erk. in Gemeindele

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begegnen überdies verfassungsmäfsig gewährleistete Sonderrechte auf Mitgliedschaft20 oder Organträgerschaft 21, auf einen bestimmten Antheil am Gemeinleben und an der Bildung des Gemeinwillens22, ja selbst auf Untersagung oder Erzwingung gewisser Verfügungen der Körperschaft über ihren eignen Bestand28. Bei den sachenrechtlichen Sonderrechts Verhältnissen ist mit der gliedmäfsigen Beziehung zur Körperschaft ein hierdurch sozialrechtlich umgebildetes Individualrechtsverhältnifs an einer Sache verflochten 24. So kann ein mitgliedschaftliches Sonderrecht den Inhalt rechtssachen. — Selbstverständlich kann dieses Sonderrecht durch Geeetz oder Statut ausgeschlossen oder eingeschränkt sein. Auch kommen umgekehrt nicht nur individuelle Vorrechte, sondern auch Klassenvorrechte als Sonderrechte vor; a. a. O. S. 191, 238, 259. 20 Wo ein Recht auf Erwerb der Mitgliedschaft besteht (oben § 64 Anm. 5), entspricht ihm ein Sonderrecht auf Beibehaltung der Mitgliedschaft; ein solches ist aber auch sonst namentlich bei wirtschaftlichen Genossenschaften ausgebildet, vgl. Gierke a. a. 0. S. 236 Anm. 1, 237 Anm. 1, 238 Anm. 1, 239 Anm. 1, 250 ff., 280, 297. Bei Aktiengensellschaften kommen auch Sonderrechte auf Hinzuerwerb weiterer Mitgliedschaftsrechte als „Bezugsrechte" vor; a. a. 0. S. 251 Anm. 1. In dem Sonderrecht auf Beibehaltung einer erworbenen Mitgliedschaft liegt zugleich das Sonderrecht auf deren unversehrten Bestand, woraus bei den auf eine feste Zahl von Antheilen gebauten Vermögensgenossenschaften zugleich ein Sonderrecht darauf folgt, dafs die Zahl der Mitgliedschaften nicht oder doch (wie bei Aktiengesellschaften) nur unter bestimmten Voraussetzungen verändert werde; a. a. 0. S. 251 ff. u. 279. 21 So ζ. B. im hochadligen Hause das Recht des regierenden Herrn auf die Stellung als Haupt; so ehemals alle patrimonialen Rechte auf ein Amt; so die in freien Genossenschaften etwa verfassungsmäfsig gesicherten Rechte auf eine Organstellung (Schweiz. O.R. Art. 708). Regelmäfsig aber werden nach modernem Körperschaftsrecht keine Individualrechte auf Organstellung, sondern nur solche auf deren vermögensrechtliche Ausflüsse anerkannt; Gierke a. a. O. S. 187 Anm. 2. Ja vielfach ist gesetzlich die Zusicherung eines festen Rechtes auf Organstellung ausgeschlossen, wie dies ζ. B. bei Aktiengesellschaften und eingetragenen Genossenschaften hinsichtlich der Vorstands- und Aufsichtsrathsmitgliedschaft der Fall ist (H.G.B. Art. 227 Abs. 3 und Art. 224 mit Art. 191 Abs. 4, Genossenschaftsges. § 24 Abs. 3 u. § 34 Abs. 3). 22 So die Sonderrechte auf Theilnahme an der Mitgliederversammlung (Gierke a. a. O. S. 260 u. 282), auf Stimmrecht oder ein bestimmtes Stimmgewicht (a. a. 0 . S. 240 Anm., 260, 282, 298, Ehrenberg, Versicherungsr. I 135—136, K. Lehmann a. a. 0. S. 362 ff., R.O.H.G. XXV 261 ff.), auf Kontrole körperschaftlicher Lebensvorgänge (H.G.B. Art. 239 Abs. 2, R.Genoss.Ges. § 45, Preufs. Bergges. § 121, Oest. Genoss.Ges. § 34 u. 35, Schweiz. O.R. Art. 641). M Z. B. auf ihre NichtVeränderung (Gierke a. a. O. S. 821, 843 Anm. 3—4) oder Nichtauflösung (a. a. O. S. 851) oder umgekehrt auf ihre Auflösung (a. a. 0. S. 258, 840 Anm. 3, 844 Anm. 1, 845 Anm. 1). 24 A. a. 0. S. 317 ff.

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eines dinglichen Nutzungsrechtes am Körperschaftsgute haben25, eine mitgliedschaftliche Sonderpflicht in einer dinglichen Belastung des Einzelgutes bestehen26. Insbesondere aber prägt sich das genossenschaftliche Prinzip in den zwischen einer Körperschaft und ihren Gliedern begründeten sachenrechtlichen Gemeinschafts Verhältnissen aus, bei denen innerhalb einer sachenrechtlichen Gesammtsphäre eine einheitliche Gemeinsphäre und vielheitliche Sondersphären zugleich von einander geschieden und mit einander verbunden sind. Wird das Eigenthum einer derartigen Ordnung unterworfen, so entsteht ein genossenschaftliches Gesammteigenthum 2 7 . Gegenstand eines solchen Gesammteigenthums kann nicht nur eine körperliche, sondern auch eine unkörperliche Sache und insbesondere auch ein Vermögen als Ganzes sein28. Auch im Uebrigen weichen die verschiedenen Typen des Gesammteigenthums, unter denen im geltenden Recht das Familieneigenthum am Hausgut, das Gemeinde- oder Genossenschaftseigenthum an der Allmende, das Gewerkschaftseigenthum am Bergvermögen und das Aktiengesellschaftseigenthum am Gesellschaftsvermögen hervorragen, stark von einander ab 29 . UeberaJl aber findet sich eine genossenschaftliche Vertheilung der Eigenthumsbefugnisse. Darum gebührt das volle Herrschaftsrecht nur der Verbandsperson und den antheilsberechtigten Einzelnen zusammen30. Dagegen steht die Verwaltung mit 25

So z. B. ein mit einem Gemeindeamte verbundenes Gebrauchs- oder Nutzungsrecht an Gemeindeeigenthum oder die dinglichen Rechte an kirchlichen Pfründen, Begräbnifsstätten und Kirchenstühlen (a. a. 0. S. 196 ff., R.Ger. XVI Nr. 36, XXIV Nr. 34). 26 So die das inkorporirte Grundeigenthum nach Art von Servituten oder Reallaeten beschwerenden Kommunallasten, Deichlasten und Wassergenossenschaftslasten (Gierke a. a. 0. S. 237 Anm. 1 u. 240 Anm.). aT Die Rechtfertigung dieses Begriffes vom deutschen Sachenrecht her mufs später erfolgen. 28 Im älteren deutschen Recht wurden namentlich auch selbständige Gerechtigkeiten, die einer Genossenschaft verliehen waren, als Gegenstand eines in einheitliches Herrschaftsrecht der Gesammtheit und antheilige Gerechtsame der Einzelnen zerlegten Eigenthums behandelt; so ζ. B. Regalgerechtigkeiten und zünftige Gewerbegerechtigkeiten, Gierke, Genossenschaftsr.il 347 ff. u. 916 ff. Das moderne Recht hat vor Allem das Gesammteigenthum an einem Vermögensinbegriff als solchem entwickelt; G i e r k e , Genossenschaftsth. S. 325 ff. 20 Von den einzelnen Formen des Gesammteigenthums ist bei den betreffenden Genossenschaftsgattungen zu handeln. 80 Insbesondere bedarf jede Substanzverfügung, die die Antheile der Einzelnen nicht nur mittelbar berührt, sondern unmittelbar beseitigt oder schmälert, der Zustimmung der Einzelnen; vgl. Gierke a. a. 0. S. 221 Anm. 1. Dieser Satz gilt auch bei Aktiengesellschaften, bei denen aber, weil die Antheile nur an der Wertheinheit des Vermögensganzen bestehen, nur eine unmittelbar auf Preisgabe von Werth gerichtete Verfügung durch Liberalitätsakt dem Widerspruch des einzelnen

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Einschlufs mehr oder minder durchgreifender Veifügungs- und Vertretungsbefugnisse in einheitlicher Weise der Verbandsperson zu 81 . Den Mitgliedern aber eignen sonderrechtliche Antheile, die regelmäfsig einen Anspruch auf die Nutzung und immer eine Anwartschaft auf die Substanz in sich schliefsen82. Diese Antheile können sich unmittelbar auf den realen Sachgehalt beziehen und demgemäfs in Sonderrechten auf realen Gebrauch oder Genufs äufsern 88. Bei der Aktiengesellschaft und den ihr verwandten Vermögensgenossenschaften aber ergreifen sie nur die ideelle Wertheinheit des Vermögensganzen84 und erschöpfen sich daher in Sonderrechten auf einen verhältnifsmäfsigen Bruchtheil des Geldwerthes der Vermögenssubstanz85 und ihres NutzungsAktionärs unterliegt; a. a. O. S. 249 Anm. 2, R.O.H.G. XXIV Nr. 58, R.Ger. I I Nr. 39. Aehnlich bei Gewerkschaften; Preufs. Bergges. § 114 Abs. 2, Gierke a. a. O. S. 280 Anm. 1. 81 Wo die Zerlegung in Antheile sich lediglich auf das Eigenthum an einem Vermögensinbegriff als solchem bezieht, steht das Eigenthum an den einzelnen zu diesem Vermögensinbegriff gehörigen Sachen ungetheilt der Verbandsperson zu, so bei Aktiengesellschaften, vgl. a. a. 0. S. 327. 82 Die Theilnahme an der Nutzung ist, so sehr sie meist im Vordergrunde steht, doch nicht wesentlich. So kann das Statut einer gemeinnützigen Aktiengesellschaft jeden Dividendenanspruch der Aktionäre ohne Ersatz ausschliefsen; Gierke a. a. O. S. 246 Anm. 3. Bei einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung kann der Dividendenanspruch der Gesellschafter sowohl ausgeschlossen als unabhängig von den Geschäftsantheilen gestaltet werden; RGes. v. 20. Apr. 1892 § 29 u. dazu Neukamp, Komm. S. 75. Wo (wie im preufs. R.) beim Familienfideikommifs ein Familieneigenthum angenommen wird, kann den Sonderrechten der „Anwärter" durch das „nutzbare Eigenthum" des jeweiligen Besitzers jeder nutzbare Inhalt entzogen sein. In allen solchen Fällen gewähren die Antheile nur eine Anwartschaft; eine solche aber ist bei jeder Form des Gesammteigenthums in den Antheilen enthalten; Gierke a. a. O. S. 232, 248 Anm. 1—2, 279 Anm. 3, 879. 88 So bei dem agrarischen Gesammteigenthum in Nutzungsrechten am Gemeinlande (insofern nicht auch hier die Abschwächung zu Bezugsrechten stattgefunden hat, a. a. 0. S. 321 Anm. 2). Bei dem Hausgut der hochadligen Familie steht nur dem Familienhaupte nothwendig ein umfassendes reales Nutzungsrecht zu, während die Mitgenufsrechte der übrigen Familienglieder sich in Rentenbezugsrenten erschöpfen können. 84 Ueber die Natur des durch H.G.B. Art. 216 dem Aktionär ausdrücklich gewährleisteten „verhältnifsmäfsigen Antheile am Gesellschaftsvermögen" als Werthantheil und gegen die Theorien, die entweder durch Verflüchtigung des Antheils in ein Forderungsrecht den Aktionär oder durch Steigerung desselben zum Miteigenthumsantheil die Aktiengesellschaft enteignen, vgl. a. a. 0. S. 327 ff.; seitdem auch Bekker, Pand. I 268 ff., Cosack, H.R. (2. Aufl.) S. 573. Gleiche Natur hat nach neuerem Gewerkschaftsrecht der Kux; Gierke a. a. O. S. 279 ff. Ebenso der Geschäftsantheil in der Gesellschaft mit beschränkter Haftung; Cosack a. a, 0. S. 640. 86 Diesen Inhalt hat die in der Aktie für den Fall der Auflösung der Aktiengesellschaft enthaltene Anwaltschaft, die zwar als Mitgliedschaftsrecht nur nach

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ertrages 86. In ähnlicher Weise wie das Eigenthum kann ein begrenztes dingliches Rechtals genossenschaftliches Gesammtrecht einer Körperschaft und ihren Mitgliedern gemeinschaftlich zustehen87. Andrerseits findet sich auch die Ausgestaltung einer dinglichen Last zu einer genossenschaftlichen Gesammtlast, die mit der Körperschaftslast zugleich Sonderlasten der Mitglieder begründet88. Die gröfste Mannichfaltigkeit waltet bei den obligationenrechtlichen Sonderrechtsverhältnissen, die eine individualrechtliche Obligation durch Verflechtung in das Körperschaftsverhältnifs in sehr verschiedenem Grade sozialrechtlich umprägen89. Hierher gehören alle für Mitglieder oder Organträger aus ihrer Gliedstellung herauswachsenden selbständigen Forderungsrechte gegen die Körperschaft, wie sie Mafsgabe der gesetzlichen und statutarischen Bestimmungen realisirt werden kann (H.G.B. Art. 245, R.Ger. V I I Nr. 10), jedoch als Sonderrecht in ihrem wesentlichen Gehalt unantastbar ist (R.O.H.G. XXIV 224, XXV 263). Ebenso beim Kux (Gierke a. a. Ο. S. 279 Anm. 3, R.O.H.G. X I X 192 u. 194, X X V 280). 80 Diesen Inhalt hat das dem Aktionär verfassungsmäfsig zugesicherte Recht auf Dividende, das zwar als Mitgliedschaftsrecht der statutenmäfsigen Bestimmung und Festsetzung durch Körperschaftsbeschlufs unterliegt (R.O.H.G. X I Nr. 43, XXV Nr. 77, R.Ger. IV Nr. 28, XIV Nr. 38, XV Nr. 21, X X I I Nr. 20), jedoch als Sonderrecht in dem ihm statutenmäfsig einmal verliehenen Gehalt für die Körperschaft unantastbar ist (R.O.H.G. I X 272 ff., X I 118 ff., XIV 357, XXV 263, R.Ger. XV Nr. 21); vgl. Gierke a. a. Ο. S. 246 ff., Neukamp, Ζ. f. d. g. H.R. X X X V I I I 45 ff, K. Lehmann a. a. 0. S. 376 ff. Das Dividendenbezugsrecht erscheint daher als Frucht des Mitgliedschaftsrechtes; Seuff. XLVII Nr. 132. (Möglich ist übrigens auch, dafs statt oder neben dem Dividendenbezugsrecht den Aktionären ein unmittelbares Gebrauchsrecht an Vermögensobjekten der Gesellschaft als Sonden-echt eingeräumt ist, Gierke a. a. 0. S. 246 Anm. 3). Gleiche Natur hat das Recht des Gewerken auf einen verhältnifsmäfsigen Antheil der Ausbeute; Preufs. Bergges. § 102. Ebenso im Zweitel das Recht des Gesellschafters auf einen Antheil am Reingewinne der Gesellschaft mit beschränkter Haftung; R.Ges. v. 20. Apr. 1892 § 29, Neukamp, Komm. S. 72 ff. Vgl. übrigens unten Anm 41. 87 Gierke a. a. Ο. 207 ff. u. 235 Anm. 2. So ζ. B. eine für eine Gemeinde als solche begründete Weide-, Holzungs- oder Wegeservitut, kraft deren sämmtliche Gemeindeglieder oder die Mitglieder einer Klasse zur Benützung des belasteten Grundstückes für individuelle Zwecke befugt sind; vgl. ζ. B. Seuff. I Nr 1 u. 313, I I Nr. 258, V I I I Nr. 113, X V I Nr. 176, XXIV Nr. 12, X L I I Nr. 101. Oder eine in ähnlicher Weise einer Innung zum Nutzen der Mitglieder zustehende Servitut; a. a. Ο. X I I Nr. 229, R.Ger. VII Nr. 53. Auch begegnen Reallastberechtigungen gleicher Struktur; Seuff. XVI Nr. 174, XXIX Nr. 12 u. 14. Desgleichen Bannrechte, a. a. Ο. X X I I I Nr. 108. 38 So ζ. B. eine Servitut oder Reallast, die eine Gemeindegemarkung als solche und die einzelnen in ihr befangenen Grundstücke belastet; Gierke a. a. 0. S. 209, Seuff. I Nr. 1, I X Nr. 256, X V I Nr. 175, X X I I Nr. 249. 89 Gierke a. a. 0. S. 333 ff.

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Zweites Kapitel. Das Recht der

erbandspersölichkeit.

zum Theil bei Körperschaften jeder Gattung vorkommen40, zum Theil aber das eigenthümliche Wesen einer Genossenschaftsgattung bestimmen. So werden die Erwerbsgenossenschaften durch mitgliedschaftliche Sonderrechte auf Auszahlung von Gewinnantheilen charakterisirt 41; so empfangen alle wirthschaftlichen Gegenseitigkeitsgenossenschaften durch sonderrechtliche Ansprüche auf besonders geartete Vermögensleistungen, die der Verband den Mitgliedern schuldet, ihr eigenthümliches Gepräge 42; so müssen bei eingetragenen Genossenschaften überdies in 40

So die mit einem Amte verknüpften vermögensrechtlichen Ansprüche, a. a. 0. S. 195, 198, 235, 238, 274 if. Oder die Entschädigungsansprüche von Mitgliedern aus einem gegen Entschädigung statthaften körperschaftlichen Eingriffe in ihre Sondersphäre; a. a. 0. S. 192 Anm. 1, 198 Anm. 1, 232, 237 Anm. 1, Preufs. O.Tr. Entsch. XXI 277. 41 So entspringt bei der Aktiengesellschaft aus dem abstrakten Dividendenbezugsrecht (oben Anm. 36) mit statutenmäfsiger Feststellung der Jahresdividende ein konkretes Dividendenbezugsrecht, das eine Forderung auf einen bestimmten Geldbetrag zum Inhalt hat; R.O.H.G. XIX Nr. 141, X X I I I Nr. 59, R.Ger. X X I I Nr. 20. Dasselbe ist jedoch keineswegs, wie meist angenommen wird, ein freies Forderungsrecht, das der Aktionär als Dritter hätte und daher z. B. auch im Konkurse der Gesellschaft als solcher geltend machen könnte; so R.O.H.G. X V I I I Nr. 41, Cosack a. a. 0. S. 609, K. Lehmann a. a. 0. S. 349. Vielmehr bleibt es mitgliedschaftliches Sonderrecht; Ν eu k amp, Ζ. f. H.R. XXXVIII 63 ff., Komm, zum R.Ges. v. 20. Apr. 1892 S. 76 ff. Ebenso verhält es sich mit den Gewinnantheilsbezugsrechten bei Gewerkschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung. Desgleichen bei den eingetragenen Genossenschaften; Gierke a. a. 0. S. 293 Anm. 1 u. jetzt R.Ges. v. 1. Mai 1889 § 19—20 u. 46. 42 Bei den Versicherungsgesellschaften auf Gegenbeitigkeit sind die Versicherungsrechte der Mitglieder durchweg mitgliedschaftliche Sonderrechte; R.Ger. IV Nr. I l l , X I Nr. 35, XXV Nr. 33, Gierke a. a. O. S. 239 Anm. 3 u. 295, auch Ehrenberg, Versicherungsr. I 131 ff., 134 u. 138 ff. (der nur scheinbar abweicht). So auch bei eingeschriebenen Hülfskassen; R.Ges. § 7, 10 u. 12. Desgleichen bei öffentlichrechtlichen Verbänden für Sach- oder Personenversicherung; daher auch bei Knappschaften, R.Ger. X I I Nr. 61 u. 62, XXV Nr. 27 ; ebenso bei den Arbeiterversicherungsverbänden, Gierke a. a. O. S. 236 Anm. 1, Rosin, Arbeiterversich. I 428 ff. u. 524 (wo indefs nicht hinreichend betont wird, dafs der Inhalt des „mitgliedschaftlichen Fürsorgerechts" eine Forderung ist); a. M. Laband, Staatsr. I I 241 ff., Rehm, Arch. f. öff. R. V 525 ff., P i l o t y , Unfallv. S. 168 ff, Jellinek a. a. 0. S. 255 ff. — Bei Kreditgenossenschaften auf Gegenseitigkeit ist das Recht auf Kreditgewährung und etwa auch auf Annahme von Spareinlagen, bei Konsumvereinen das Recht auf entgeltlichen Waarenbezug, bei Wohnungsgenossenschaften das Recht auf entgeltliche Ueberlassung vou Wohnungen ein mitgliedschaftliches Sonderrecht, während die einzelnen Darlehns-, Kauf-, Miethsverträge u. s. w. zwischen den Mitgliedern und dem Verein als reine Individualrechtsgeschäfte, bei denen die Mitglieder als Dritte gelten, geschlossen zu werden pflegen; Gierke a. a. O. S. 295 Anm. 1, R.Ger. XXVI Nr. 23. Weiter greift zum Theil bei öffentlichen Kreditverbänden das Mitgliedschaftsverhältnifs ; Gierke a. a. O. S. 237 Anm. 1.

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Gestalt von Mitgliederguthaben eigenartige Sonderrechte mit forderungsrechtlichem Gehalt gebildet werden48. Andrerseits entspringen aus Mitgliedschaft oder Organträgerschaft Schuldverbindlichkeiten gegen die Körperschaft, die in die Individualsphäre der Verpflichteten hineinreichen44. Unter ihnen weisen namentlich die Beitragspflichten, deren ungleichartige Beschaffenheit ein Hauptunterscheidungsmerkmal der verschiedenen Körperschaftstypen bildet 46 , sehr mannichfache Mischungen von gliedmäfsiger Verpflichtung und individueller Obligation auf 46 . In eigenthümlicher Weise gelangt endlich 43 Ueber das Wesen dieser Guthaben nach dem älteren Recht, das sie als „Geschäftsanteile" bezeichnete, vgl. Gierke a. a. Ο. S. 287 ff. Das R.Ges. v. 1. Mai 1889 hat daran grundsätzlich nichts geändert. Es versteht nur unter „Geschäftsanteil" lediglich den Höchstbetrag, bis zu dem der Genosse sich zu betheiligen berechtigt und nach näherer Festsetzung durch Statut oder Generalversammlungsbeschlufs verpflichtet ist (§ 7 Z. 2, 16, 22 u. 48), nennt dagegen den innerhalb dieser Grenze durch wirkliche Betheiligung mittels Einzahlungen und Zu- und Abschreibungen gebildeten konkreten Anspruch der Genossen „Geschäftsguthaben" (§ 19). Dieses Geschäftsguthaben aber ist ein mitgliedschaftliches Sonderrecht mit forderungsrechtlichem Inhalte geblieben, das während des Bestandes der Mitgliedschaft vermöge seiner körperschaltsrechtlichen Gebundenheit aufser der im Zweifel nach ihm bemessenen Gewinn- und Verlustbetheiligung (§ 19) nur eine Anwartschaft gewährt (§ 21—22 u. 64), dagegen nach der Lösung des Bandes in eine freie Forderung von bestimmter Höhe übergeht (§ 71—73 u. 89). Die Bestimmungen über die Uebertragbarkeit der Guthaben an andere Genossen (§ 74) und über die Möglichkeit mehrerer Geschäftsanteile eines Genossen bei Genossenschaften mit beschränkter Haftpflicht (§ 128—132) ändern an dieser Natur der Guthaben nichts. 44 Hierher gehören auch die Ersatzverbindlichkeiten, die für die Träger einer Organstellung aus Verschulden im Bereiche ihrer amtlichen Verantwortlichkeit der Körperschaft (nicht den einzelnen Mitgliedern) gegenüber erwachsen; Gierke a. a. Ο. S. 269 ff., 275 Anm. 1, 336 Anm. 1. 45 Je nach Gesetz oder Statut schulden die Mitglieder Beiträge in Geld oder anderen Sachen; einmalige Beiträge (Einlagen) oder wiederkehrende; feste oder nach dem Bedürfnifs wechselnde; im letzteren Falle vorläufige (mit Rückzahlung des zu viel und Nachforderung des zu wenig Erhobenen) oder nachträgliche (Umlagen); begrenzte oder unbegrenzte ; gleiche oder nach irgend einem Mafsstabe verhältnifsmäisige. Vgl. Gierke a. a. Ο. S. 236 Anm. 1, 239 Anm. 1, 271 ff., 283 ff, 299 ff.; Rosin, Arbeiterversich. I 608 ff.; Ehrenberg, Versicherungen I 132 ff. u. 508 ff. 46 Als Mitgliedschaftspflicht hängt die Beitragsschuld regelmäfsig in höherem oder geringerem Mafse von der Festsetzung durch Körperschaftsorgane ab, ist grundsätzlich der Aufrechnung mit rein individualrechtlichen Forderungen entzogen (R.O.H.G. X V I I 215, R.Ger. VI Nr. 18, H.G.B. Art. 219 mit Art. 184 c) und andrerseits zur Aufrechnung mit mitgliedschaftsrechtlichen Forderungen geeignet (Krankenversich.Ges. § 56, Hülfskassenges. § 10), wird bei manchen Genossenschaften durch Liberirungsverbote körperschaftsrechtlich vinkulirt, hat vielfach besondere Verzugsfolgen, die in der Entziehung oder Schmälerung der Mitgliedschaft gipfeln,

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Zweites Kapitel. Das Recht der Verbandspersölichkeit.

auch hier das genossenschaftliche Prinzip in obligationenrechtlichen Gemeinschaftsverhältnissen zwischen der Körperschaft und ihren Mitgliedern zum Ausdruck47. Esfinden sich genossenschaftliche Gesammtforderungsrechte, bei denen eine einheitliche Forderung der Verbandsperson und vielheitliche Forderungen der einzelnen Mitglieder mit einander verbunden sind48. Und es begegnen genossenschaftliche Gesammtverbindlichkeiten, die auf einer verfassungsmäfsigen Verknüpfung von einheitlicher Körperschaftshaft und vielheitlicher Sonderhaft beruhen49. Unter den zahlreichen möglichen Formen einer derartigen Gesammtverbindlichkeit sind bei u. s. w. Als individuelle Schuld kann sie dem einzelnen Mitgliede ohne dessen Zustimmung niemals über seine gesetzliche oder statutarische Verpflichtung hinaus auferlegt werden; Pr. L.R. II, 6 § 64. Im Zweifel ist freilich jedes Mitglied verpflichtet, zur Erfüllung des Körperschaftszweckes und der Körperschaftsverpflichtungen verhältnifsmäfsig beizutragen, und kann somit auch einer hierfür erforderlichen Erhöhung der Beiträge durch Körperschaftsbeschlufs nicht widersprechen; Pr. L.R. II, 6 § 65; Seuff. XLIV Nr. 101. Vielfach aber besteht ein Sonderrecht auf Innehaltung engerer Grenzen. So ist die Beitragspflicht bei der Aktiengesellschaft unbedingt durch den Nominalbetrag oder etwaigen höheren Emissionsbetrag der Aktie begrenzt; H.G.B. Art. 219, R.O.H.G. X X I I I Nr. 97. Ebenso bei der Gesellschaft mit beschränkter Haftung regelmäfsig durch die Stammeinlage, möglicher Weise aber erst durch einen als Grenze einer hinzutretenden Nachschufspflicht festgesetzten höheren Betrag; R.Ges. v. 20. Apr. 1892 § 21—24, 26 Abs. 8, 28 u. 45 Abs. 8. Desgleichen bei Genossenschaften mit beschränkter Haftpflicht durch GeBchäftsantheil und etwaige höhere Haftsumme; R.Ges. v. 1. Mai 1889 § 185. Auch bei Versicherungsgenossenschaften auf Gegenseitigkeitfinden sich feste Grenzen der Beitragspflicht; Ehrenberg, Versicherungsr. I 112 u. 132. Und selbst bei öffentlichen Genossenschaften kommt das gleiche Verhältnifs vor; Krankenversich. Ges. § 31, 47, Rosin, Oeff. Genoss. S. 164ff. Bei anderen Genossenschaften ist die Beitragspflicht zwar unbegrenzt, jedoch die Befreiung von einer neu auferlegten Beitragsschuid durch Preisgabe des sonderrechtlichen Antheiles zulässig; so bei Gewerkschaften nach dem System der Zubufse (Gierke a. a. O. S. 281 ff.) und bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung im Falle der Einfuhrung einer unbeschränkten Nachschufspflicht (R.Ges. y. 20. Apr. 1892 § 26—27). Bei eingetragenen Genossenschaften mit unbeschränkter Nachschufspflicht (zu denen auch solche mit unbeschränkter Haftpflicht gehören) ist die jenseits der Einlagepflicht bestehende unbegrenzte Beitragspflicht dadurch ermäfsigt, dafs sie erst nach Auflösung der Genossenschaft zur Deckung des Ausfalles im Konkurse und nur in dem gesetzlich geordneten Umlageverfahren realisirt werden kann; R.Ges. v. 1. Mai 1889 § 98—108, 122—124. 47 Hierauf ist im Obligationenrecht zurückzukommen. 48 Gierke, Genossenschaftsr. I I 381 ff., 919, Genossenschaftsth. S. 337. 49 Gierke, Genossenschaftsr. I I 383 ff, 920, Genossenschaftsth. S. 338. Zweifellos kann auch heute eine Haftung der Mitglieder für Körperschaftsschulden in beliebigem Umfange durch Satzungsrecht begründet werden; Ehrenberg, Versicherungsr. I 142.

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den eingetragenen Genossenschaften die beiden Formen einer unbeschränkten und einer beschränkten subsidiären Solidarhaft der Mitglieder für alle Verbindlichkeiten der Verbandsperson als zulässig erklärt und genau geregelt50. — Die Rechtsgrundsätze, von denen die Verhältnisse des körperschaftlichen Sonderrechtes beherrscht werden, spiegeln durchweg die Einschränkung des Sozialrechtes durch individualrechtliche Elemente und die Verfärbung des Individualrechts durch sozialrechtliche Gebundenheit wieder. Schon zur Begründung solcher Verhältnisse müssen daher körperschaftsrechtliche und individualrechtliche Thatbestände zusammenwirken: sie beruhen auf der doppelten Grundlage der verfassungsmäfsigen Ordnung und eines selbständigen Titels51. Während ihres Bestandes gehören sie als Mitgliedschaftsverhältnisse dem körperschaftlichen, als Sonderrechtsverhältnisse dem individuellen Lebensbereiche an. Ihre rechtlichen Schicksale werden 60

R.Ges. V. 1. Mai 1889 § 2, 116—119 u. 135. Ueber die rechtliche Natur der Genossenhaftung als mitgliedschaftlicher Sonderpflicht vgl. Goldschmidt, Z. f. d. g. H.R. XXVII56 ff., G i e r k e, Krit. V. J.Schr. XXIV 393 ff., Genossenschaftsth. S. 302 ff., R.Ger. XIX Nr. 36 u. XXIV Nr. 27. (Unrichtige Konstruktionen b. Sicherer S. 229 ff. u. S t o b b e l 556). — Bei Genossenschaften mit unbeschränkter Nachschufspflicht besteht so wenig wie bei Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung irgend eine unmittelbare Verpflichtung der Mitglieder gegen die Gläubiger der Genossenschaft; hier sind daher die Verbindlichkeiten der Genossenschaft keine Gesammtverbindlichkeiten, sondern reine Körperschaftsverbindlichkeiten. 61 Darum verflechten sich hinsichtlich der unmittelbar aus der Mitgliedschaft fliefsenden Sonderrechtsverhältnisse mit den Gründungshandlungen Individualrechtsgeschäfte, die um so selbständiger hervortreten, je stärker der sonderrechtliche Inhalt der Mitgliedschaft entwickelt ist; vgl. oben § 63 Anm. 20, Gierke, Genossenschaftsth. S. 128, 130 ff, 223, 241, R.Ger. X X I I Nr. 23 (Uebernahme der Aktien durch die Gründer bei der Simultangründung als „Anschaffungsgeschäft"). Ebenso verbindet sich bei dem späteren Erwerbe einer Mitgliedschaft mit dem Eingliederungsakte ein mehr oder minder ausgeprägter rechtsgeschäftlicher Vorgang, der in vielen Fällen als ein echter Vertragsschlufs erscheint; oben § 64 Anm. 9, Gierke a. a. Ο. S. 277, 288, 295, 336 Anm. 2, Ehrenberg, Versicherungsr. I 138 ff, R.Ger. X X I Nr. 6, XXIV Nr. 20 (Begründung der Mitgliedschaft in einer preufsischen Landschaft durch Bepfandbriefung zugleich ein echter Darlehnsvertrag). Aehnlich bei dem Erwerbe einer Organstellung; oben § 65 Anm. 7. Dieselbe Doppelnatur haben, wo Sonderrechtsverhältnisse erst durch besondere Vorgänge begründet oder verändert werden, die hierfür erforderlichen Rechtshandlungen; so z. B. bei dem Hinzuerwerb von Geschäftsanteilen in Genossenschaften mit beschränkter Haftpflicht, R.Ges. v. 1. Mai 1889 § 131. B i n d i n g , Handbuch. II. 3. I : G i e r k e , Deutsches Privatrecht.

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daher zum Theil durch körperschaftliche, zum Theil durch individuelle Vorgänge und Handlungen bestimmt. Nach innen sind sie in ihrem körperschaftsrechtlichen Bestandtheile der Körperschaftsgewalt, in ihrem sonderrechtlichen Bestandteile der Herrschaft des Einzelwillens unterworfen 52. Darum endet die Macht des Körperschaftsbeschlusses, während sie die mitgliedschaftlichen Voraussetzungen und Wirkungen der Sonderrechte und Sonderpflichten ergreift, doch da, wo das Sonderrecht als solches beginnt58. Umgekehrt wird die Verfügung des einzelnen Mitgliedes über sein Sonderrecht durch dessen verfassungsmäfsige Einordnung in den körperschaftlichen Zusammenhang begrenzt54. Hiernach bestimmt sich auch Art und Umfang des Rechtsschutzes, den die Sonderrechtsverhältnisse bei Streitigkeiten zwischen der Körperschaft und ihren Mitgliedern geniefsen55. Insbesondere steht hier zwar grundsätzlich auch bei öffentlichen Körperschaften, insoweit der privatrechtliche Bestandteil des Verhältnisses in Frage kommt, der ordentliche Rechtsweg offen 66; 68 R.Ger. I I Nr. 42; Gierke a. a. O. S. 197, 225 ff., 236 Anm. 1, 246 ff., 279 ff., 290 ff., 639; auch oben Anm. 36 u. 46. 68 Vgl. oben § 65 Anm. 37—41. Der Satz, dafs Mehrheitsbeschlüsse nicht in jura singulorum eingreifen dürfen, war von je als oberster Satz in dieser ganzen Lehre anerkannt. Er gilt ausnahmslos. Man darf dabei auch nicht mit Stobbe I 482 ff. einen Unterschied zwischen privatrechtlichen und öffentlichen Körperschaften machen: ungleich und im Einzelnen überaus streitig sind nur die Grenzen des Sonderrechts. — Zutreffend neuestens K. Lehmann im Arch. f. b. R. I X 297 ff. über „Einzelrecht u. Mehrheitswille in der Aktiengesellschaft". 54 Auch wo die Mitgliedschaft selbst als Sonderrecht veräufserlich ist, unterliegt die Veräufserung gesetzlichen und statutarischen Beschränkungen genossenschaftsrechtlicher Art; oben § 64 Anm. 16 u. 24, Gierke a. a. O. S. 242 ff. und 277 ff. Hinsichtlich der einzelnen Sonderrechte ist das Verftigungsrecht der Mitglieder in mannichfacher Abstufung durch Ausschlufs oder Beschränkung der Veräufserung oder der Ueberlassung zur Ausübung, der Vererbung, der Pfändung, der Aufrechnung u. s. w. gebunden; vgl. ζ. B. über Gemeindenutzungsrechte Gierke a. a. O. S. 221 Anm. 1—3 u. Seuff. X L I I Nr. 6, über Unterstützungsansprüche in eingeschriebenen Hülfskassen Hülfskassenges. § 10, über Geechäftsguthaben in eingetragenen Genossenschaften R.Ges. v. 1. Mai 1889 § 64, 74 u. 132. 66 Die Sonderrechte als solche sind unbedingt geschützt; doch bewirkt ihr Zusammenhang mit der Mitgliedschaft, dafs der genossenschaftliche Gerichtsstand nach C.Pr.O. § 23 begründet ist (R.Ger. IV Nr. 111), dafs eine Klage erst nach Erschöpfung der körperschaftsrechtlichen Instanzen angestellt werden kann (R.O. H.G. XXII103 ff), dafs Beschränkungen der Anfechtungsklage gegen Versammlungsbeschlüsse sich auch auf sie beziehen (oben § 65 Anm. 43) u. s. w. 66 Seuff. IV Nr. 251, XIV Nr. 63, Erk. des Preufs. Komp.Ger. v. 12. Okt. 1861 (J. M.B1. 1862 S. 61), R.Ger. XXX Nr. 49. So ist ja auch gegen öffentliche Körperschaften wie gegen den Staat selbst eine Civilklage (obschon meist erst nach administrativem Vorverfahren) wegen der Entschädigungsanspruche aus Eingriffen in Individualrechte, wegen der vermögensrechtlicnen Ansprüche aus dem Beamten-

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in bedeutendem Umfange aber hat ihn die Gesetzgebung mit Rücksicht auf die Verflechtung des Privatrechtes mit öffentlichem Rechte verschlossen57. Nach aufs en fallen diese Verhältnisse an sich in ihrem körperschaftsrechtlichen Bestandtheile der Mitvertretung durch die Körperschaft, in ihrem sonderrechtlichen Bestandtheile der Selbstvertretung der Individuen anheim. Wegen der innigen Durchdringung beider Bestandtheile aber greifen die Wirkungen von Körperschaftshandlungen und Einzelhandlungen hier vielfach in einander ein. So treffen in gewissem Umfange rechtsgeschäftliche Verfügungen der Körperschaft über ihre gemeinheitliche Sphäre zugleich die Sonderrechtsverhältnisse5B, aber auch rechtsgeschäftliche Verfügungen der Mitglieder über ihr Sonderrecht die gemeinheitliche Sphäre59. So können Rechtsausübungshandlungen aus dem einen Gebiet in das andere hinüberwirken, wie dies namentlich bezüglich der Besitzhandlungen bei Gemeinderechtsverhältnissen von der Praxis anerkannt wird: die Gemeinde als solche kann mit dem körperschaftlichen Besitze an einem Gesammtrecht zugleich für ihre Mitglieder als Einzelne den Besitz an den darin enthaltenen Sonderrechten erwerben60 oder verlieren 61, aber auch verhältnifs und zum Theil auch wegen unberechtigter Abgabenerhebung meist zulässig; Gierke a. a. O. S. 192 Anm. 1, 193 Anm. 1, 195 Anm. 1. Ebenso bei Streitigkeiten über Gemeindenutzungsrechte (a. a. O. S. 234), über Innungsbeiträge (R.Gew.O. § 100 b), über Leistungspflichten und Unterstützungsansprüche in Knappschaften und öffentlichen Krankenkassen (hier aber jetzt nach Krankenvers.Ges. § 58 vorbehaltlich landesgesetzlicher Verweisung zum Verwaltungsstreitverfahren). 67 So oft bei Streitigkeiten über Gemeindenutzungsrechte (a. a. O. S. 234 Anm. 1—2) und bei allen inneren Streitigkeiten mancher öffentlicher Genossenschaften, wie z. B. Berufsgenossenschaften fur Unfallversicherung, Deichverbände, Wassergenossenschaften,Fischereigenossenschaften; Rosin, Oeffentl.Genoss. S. 169ff. Regelmäfsig aber steht dafür das Verwaltungsstreitverfahren offen. 68 Man denke z. B. an den Einflufs von Rechtsgeschäften, durch die eine Gemeinde ihr Gemeinland veräufsert oder belastet oder ein dingliches Gesammtrecht erwirbt, auf die Nutzungsrechte und Sonderlasten der Gemeindeglieder; Gierke a. a. Ο. S. 220 ff. Oder an die durch Verfügungen einer Aktiengesellschaft über ihr Vermögen möglichen Veränderungen der Aktionärrechte, insbesondere ζ. B. bei den behufs Verstaatlichung der Eisenbahnen abgeschlossenen Verträgen, gegen die ein Widerspruchsrecht der Einzelnen nicht anerkannt werden konnte; a. a. 0. S. 249 Anm. 1, R.O.H.G. X X I I Nr. 51, R.Ger. I I I Nr. 39, XIV Nr. 38. Oder an die Einwirkung von Verfügungen einer eingetragenen Genossenschaft über ihr Vermögen auf die Geschäftsguthaben; Gierke a. a. O. S. 291. 69 Enthält doch ζ. Β. die Veräufserung einer Aktie zugleich eine Verfugung über den Mitgliederbestand der Aktiengesellschaft; a. a. 0. S. 251. 60 Seuff. X X X I I I Nr. 282, X L I I Nr. 101 (Ersitzung einer Kahnfahrtgerechtigkeit für die Gemeindeglieder durch eine Dorfgemeinde). 61 Gierke a. a. O. S. 219 Anm. 2. 35*

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Zweites Kapitel.

Das Recht der Verbandspersölichkeit.

Einzelne können, indem sie eine Herrschaft als mitgliedschaftlichevs Sonderrecht für sich ausüben oder auszuüben unterlassen, zugleich einen Gemeindebesitz begründen®2 oder zerstören 68; umgekehrt kann, wenn Erwerb oder Verlust des Besitzes an einem zugleich die Gemeinde als solche und die Mitglieder als Einzelne belastenden Rechte in Frage steht, sowohl das Verhalten der Gemeinde den Einzelnen wie auch das Verhalten der Einzelnen der Gemeinde schaden64 oder nützen66. So macht sich endlich auch im Bereiche der Prozefshandlungen die gegenseitige Abhängigkeit der Gemeinsphäre und der Sonderphären geltend: die Körperschaft ist nach einem alten und befestigten Gerichtsgebrauche legitimirt, in Streitigkeiten über Gesammtrechte oder Gesammtpflichten als Klägerin oder Beklagte zugleich die Mitglieder oder eine Mitgliederklasse hinsichtlich ihrer zugehörigen Sonderrechte und Sonderpflichten zu vertreten 66; daneben 88 Dies wird bei Holzungs-, Weide-, Wege-, Fischereigerechtigkeiten u. s. w. seit alter Zeit anerkannt; Gierke, Genossenschaftsr. I I I 377 Anm. 97, 448, 676, 728 Anm. 91, 729, Genossenschaftsth. S. 219 Anm. 2, Stobbe I 489, Seuff. I Nr. 165, Π Nr. 133, I X Nr. 255, XV Nr. 205, XVI Nr. 174. Dabei wird dafür vermuthet, dafs die Einzelnen bei der Nutzung als Gemeindeglieder handelten; Seuff. X X I I S. 328 Anm. 1. 68 Vgl. über Störung des Gemeindebesitzes durch Störung Einzelner in der Ausübung des Gemeinderechts Emminghaus, Pand. S. 225 Nr. 62, Stobbe I 490. 64 Soweit die rechtsgeschäftliche Verfügungsmacht einer Gemeinde als solcher reicht, kann sie auch durch das Verhalten ihrer Organe einem Dritten den Besitz eines derartigen Rechtes verschaffen oder erhalten; Pr. L.R. I, 7 § 91 u. 95, I, 9 § 578, Lan gen η u. K o r i I I 37 ff. Andrerseits aber reicht hierzu auch das positive oder negative Verhalten sämmtlicher beteiligter Mitglieder aus ; Pr. L.R. I, 7 § 92-93, Seuff. VII Nr. 5 u. 269, Emminghaus a. a. 0. S. 224 Nr. 58, Stobbe I 489, Gierke, Genossenschaftsth. S. 220 Anm. 1. Dagegen kann das Verhalten einzelner Mitglieder der Gemeinde als solcher und den übrigen Mitgliedern regelmäfsig nicht präjudiziren; Pr. L.R. I, 7 § 90, Langenn u. K o r i I 203 ff. Zum Theil aber soll nach besonderen Gesetzen der Besitz eines die Gemeinde und alle ihre Mitglieder belastenden Rechts (ζ. B. einer Laudemialberechtigung oder eines Holzungsrechtes) schon durch Handlungen gegen einzelne Gemeindeglieder erworben werden; H a u b o l d § 480a, Anhalt-Dessauisch. Ges. v. 4. Aug. 1852, Stobbe I § 53 Anm. 45. 65 Die Gemeinde kann durch das Verhalten ihrer Organe die Entstehung eines derartigen Besitzes hindern oder den Besitz unterbrechen ; auch das einzelne Mitglied aber kann durch seine entgegengesetzte Handlung oder durch seinen Widerspruch die Besitzergreifung gegen die Gemeinde hindern ; Pr. L.R. I, 7 § 94. ββ Gierke, Genossenschaftsr. I I I 279 Anm. 95, Genossenschaftsth. S. 214 ff.; Reyscher, Z. f. D. R. XVI 133 ff., 411 ff., Langenn u. K o r i I I 33 ff., 51 ff, M a r t i n , Arch. f. prakt. Rechtswiss. X 1 ff., Bolze, Jurist. Pers. S. 31 ff, Bekker, Pand. § 67 Beil. I I I , Stobbe I 486 ff. ; Emminghaus S. 213, 223 Nr. 54; Seuff. I Nr. 1 mit Nachtr. S. 151, I I Nr. 258, XIV Nr. 6; Preufs. O.Trib. Entsch.

§ 68. Verhältnifs der Körperschaft zu ihren Gliedern.

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aber bleiben die betheiligten Mitglieder legitimirt, in Streitigkeiten über ihre Sonderrechte oder Sonderpflichten als Kläger oder Beklagte sich selbst zu vertreten 67 und insoweit zugleich mit Wirkung für und wider die Körperschaft zu handeln68. Die Beendigung eines körperschaftlichen Sonderrechtsverhältnisses erfolgt, sobald körperschaftsrechtliche und individualrechtliche Erlöschungsgründe zusammentreffen 69. Wenn dagegen entweder nur die gliedmäfsige oder nur die individuelle Beziehung wegfällt, so kann zwar das körperschaftliche Sonderrechtsverhältnifs als solches gleichfalls nicht fortbestehen. Allein es erlischt nicht ohne Rückstand. Vielmehr ergiefst es sich im ersten Falle in ein die Mitgliedschaft überdauerndes freies Sonderrechtsverhältnifs 70. Im XXXVI Nr. 221. Dahin gehören z. B. Streitigkeiten über die Allmende, über eine der Gemeinde auf fremdem Boden zu Gunsten ihrer Mitglieder oder einer Mitgliederklasse (z. B. auch der ärmeren Ortsbürger) zustehende Weide-, Wald-, Leseholz-, Streu- oder Wegegerechtigkeit, über Befreiung der Gemeindeglieder von einem Wegezoll, über das Weiderecht einer Metzgerzunft u. s. w.; Seuff. I Nr. 1 u. 313, VI Nr. 309, V I I Nr. 2, IX Nr. 255, X I Nr. 124, X I I Nr. 239, X V I Nr. 97 u. 174, X X I I I Nr. 107, XXIV Nr. 12, XXVIII Nr. 102 u. 103, XXIX Nr. 12 u. 14. Ebenso aber Streitigkeiten über eine die Mitglieder oder eine Klasse derselben belastende Servitut, Reallast, Banngerechtigkeit, Abgaben- oder Frohnpflicht; Seuff. I Nr. 1, IX Nr. 256, XVI Nr. 175 u. 192, X X I I Nr. 249, R.Ger. X V I I Nr. 45 (Passivlegitimation der Kirchengemeinde hinsichtlich einer sämmtliche Eingepfarrte treffenden Kirchenbaulast). Das für oder wider die Gemeinde ergehende Urtheil wird dann auch für oder wider die gegenwärtigen und künftigen Mitglieder als Einzelne rechtskräftig. — Ueber die Behandlung der Schadensersatzansprüche in derartigen Fällen vgl. Gierke, Genossenschaftsth. S. 215 Anm. 2. Seuff. I I Nr. 252, V I Nr. 136, V I I I Nr. 113, X Nr. 125, XVI Nr. 97, Χ Χ Ι Π Nr. 107 u. 108, X X V I Nr. 4, XXVIII Nr. 102, XXIX Nr. 12, ΧΧΧΠΙ Nr. 282. Ebenso, falls sie als parteifähig anerkannt ist, eine Mitgliederklasse als solche; Schüler I 285 ff, Seuff. I Nr. 314-316, X I I Nr. 229, XV Nr. 205, X X I I I Nr. 108. Vgl. Gierke a. a. O. S. 211 Anm. 3 u. 218—219, Stobbe I § 53 Am. 34 u. 37. — Darum steht auch den betheiligten Mitgliedern in den ihr Sonderrecht berührenden Prozessen der Körperschaft das Recht der Nebenintervention zu; Gierke a. a. O. S. 217 Anm. 2, 248 Anm. 3, 291 Anm. 1; a. M. Wach, Civilproz. I 265 Anm. 36. 68 Seuff. I I Nr. 258; Gierke a. a. O. S. 218 Anm. 2. 69 A. a. O. S. 230 ff., 251, 277, 290 ff. 70 So gehen mit der Auflösung einer Vermögensgenossenschaft die sonderrechtlichen Antheile der Mitglieder in Miteigenthumsantheile, mit dem Ausscheiden von Genossen aus einer eingetragenen Genossenschaft die Geschäftsguthaben in freie Forderungsrechte über; so bestehen auch nach Beendigung der Mitgliedschaft bereits begründete Beitragspflichten (z. B. aus der Zeichnung einer Aktie oder aus einer Nachschufspflicht zur Deckung vorhandener Verbindlichkeiten) oder Haftpflichten als individuelle Verbindlichkeiten fort; a. a. O. S. 271, 291, 302ff., 851 Anm. 2, 877 ff, R.Ger. X X X I I Nr. 13.

Zweites Kapitel. Das Recht der Verbandspersölichkeit.

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zweiten Falle aber wandelt es sich in ein reines Mitgliedschaftsverhältnifs um 71 . § 69. Veränderung der Körperschaften 1 . I. Begriff. Eine Veränderung der Körperschaft liegt vor, wenn in ihren rechtlichen Beziehungen ein Wechsel eintritt, ihre Persönlichkeit aber dieselbe bleibt. Diese Identität im Wechsel, ohne die es keine Persönlichkeit giebt, ist von je als Wesensmerkmal aller Verbandspersönlichkeit betrachtet worden. II. Arten. Die Veränderungen, die eine Körperschaft erfahren kann, sind zwiefacher Art. Viele Veränderungen lassen den rechtlichen Zustand der Verbandsperson als solcher überhaupt unberührt und können daher, mögen sie nun im Uebrigen mehr oder minder erheblich sein, als unwesentliche bezeichnet werden. Dahin gehören unter den äufseren Lebensvorgängen einer Körperschaft die Veränderungen ihres Vermögensbestandes9, unter ihren inneren Lebensvorgängen die Veränderungen im Mitgliederbestande oder im Personalbestande von Gliedverbänden oder Organen8. Andere Veränderungen ergreifen den rechtlichen Zustand der Verbandsperson als solcher und lassen sich daher als wesentliche bezeichnen. Unter den äufseren Lebensvorgängen einer Körperschaft gehört 71

So können z. B. ehemalige sonderrechtliche Gemeindenutzungsrechte in blofsen „bürgerlichen Nutzungen" fortdauern (vgl. unten S. 594 ff. u. 607 ff.). 1 Gierke, Genossenschaftsth. S. 809 ff. 2 So auch bei Vermögensgenossenschaften, falls nur das Vermögenssubstrat als solches unberührt bleibt; daher z. B. bei Aktiengesellschaften eine Erhöhung des Betriebskapitals durch Ausgabe von Prioritätsobligationen (im Gegensatz zur Erhöhung dee Grundkapitals durch Ausgabe von Prioritätsaktien) oder ein t a t sächlicher Vermögensverlust (mögen auch bei Verlust über die Hälfte und bei Zahlungsunfähigkeit oder Ueberschuldung dem Vorstande aus H.G.B. Art 240 besondere Pflichten erwachsen). — Trotzdem können natürlich Gesetz oder Statut gewisse besonders wichtige Vermögensveränderungen durch Rechtsgeschäft an gleiche Voraussetzungen wie wesentliche Veränderungen (z. B. staatliche Mitwirkung oder erschwerten Körperschaftsbeschlufs) binden; vgl. oben § 65 Anm. 29—30, § 66 Anm. 15-19, § 67 Anm. 43, auch H.G.B. Art 213d u. 213f. 8 Hieran ändert es nichts, wenn wichtige Veränderungen dieser Art an besondere Voraussetzungen gebunden sind und, wie bei allen der Publizität unterworfenen Genossenschaften, ein Wechsel im Personalbestände des Vorstandes, bei manchen Genossenschaften (vgl. bes. R.Ges. v. 1. Mai 1889 § 15 u. 67—70, auch R.Gew.O. § 104 d, Hülfskassenges. § 27, Bayr. Vereinsges. Art 18) auch ein Wechsel im Mitgliederbestande öffentlich kundgemacht werden sollen; Gierke a. a. Ο. S. 811 Anm. 1.

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dahin jede Mehrung oder Minderung ihrer Rechts- oder Handlungsfähigkeit 4 und der Erwerb oder Verlust einer besonderen rechtlichen Eigenschaft6; somit namentlich auch die vielfach gesetzlich zugelassene und geregelte Umwandlung einer Körperschaft in eine Körperschaft anderer Gattung®. Unter den inneren Lebensvorgängen aber mufs dahin jede Abänderung des gemeinheitlichen Organismus als solchen gerechnet werden, wie sie durch eine „Verfassungsänderung" im materiellen Sinne des Wortes vollzogen wird 7; somit stets eine Veränderung der Lebensaufgabe oder der Lebensdauer des Verbandes8; desgleichen eine Veränderung der Regeln über Zusammensetzung, Gliederung oder Organisation des Vereinskörpers 9; endlich aber je nach der Bauart der Körperschaft auch die Veränderung einer sachlichen Grundlage, wie z. B. bei Gebietskörperschaften des Gebietes10 oder bei Vermögensgenossenschaften des Grundvermögens11. 4

So z. B. Einordnung in einen höheren Verband oder Lösung aus einem solchen, Unterstellung unter besondere Staatsaufsicht, Entmündigung, Konkurseröffnung (falls sie nicht Auflösung bewirkt); vgl. a. a. O. S. 812 Anm. 1—2. 6 So z. B. der öffentlichrechtlichen Qualifikation, der Kaufmannseigenschaft, eines Ranges u. s. w.; desgleichen eines für die rechtliche GeBammtstellung entscheidenden Persönlichkeitsrechtes (wie z. B. der ausschliefslichen Gewerbebefugnifs bei Innungen oder des Notenprivilegs bei Banken); ferner Verlegung des Sitzes (soweit sie ohne Aufhebung der Körperschaft möglich ist); auch Aenderung des Namens oder der Firma; vgl. a. a. 0. S. 81,3 Anm. 1—8. 8 So z. B. die Umwandlung einer Landgemeinde in eine Stadtgemeinde oder umgekehrt (a. a. 0. S. 812 Anm. 3); einer schon bestehenden Genossenschaft in eine „eingetragene Genossenschaft", eine „eingeschriebene Hülfskasse" oder einen „anerkannten Verein" (oben § 63 Anm. 36); einer Gewerkschaft des älteren in eine solche des neueren Rechts (Preufs. Bergges. §235 a—235 g); einer Gewerkschaft in eine Aktiengesellschaft (R.Ger. X X V I Nr. 64); einer eingetragenen Genossenschaft mit unbeschränkter Haftpflicht, unbeschränkter Nachschufspflicht oder beschränkter Haftpflicht in eine solche mit anderer Haftart (R.Ges. v. 1. Mai 1889 § 137—139). 7 Pr. L.R. II, 6 § 27—31, Strieth. I 263. Hiermit deckt sich keineswegs der in neueren Gesetzen und Statuten überwiegende formelle Begriff der Verfassungsänderung im Sinne der Abänderung einer geschriebenen Grundsatzung. 8 Gierke a. a. 0. S. 814 Anm. 2. 9 A. a. 0. S. 673 ff, 716 Anm. 1, 814-815. 10 A. a. 0. S. 815 Anm. 2. Aehnlich bei Berufsgenossenschaften für Unfallversicherung neben einer Abänderung ihres Bezirkes eine Abänderung der Berufsabgrenzung (Unfallversich.Ges. § 31), bei Ortskrankenkassen die Zuweisung oder Ausscheidung einer Betriebs- oder Gewerbsart (Krankenversich.Ges. § 18 a u. 48), bei Innungen die Aufnahme oder Ausscheidung eines verwandten Handwerkes. 11 So bei einer Agrargenossenschaft die Mehrung oder Minderung des Gemeinlandes (vgl. Preufs. Haubergs-O. f. Siegen § 3—5 u. 10 b), bei einer Gewerkschaft die Aenderung des Grubenfeldes (Preufs. Bergges. § 51), bei einer Aktiengesellschaft die Erhöhung oder Herabsetzung des Grundkapitals (H.G.B. Art 248 u.

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Zweites Kapitel. Das Recht der Verbandspersölichkeit

III. E i n t r i t t . Veränderungen einer Körperschaft treten vielfach als unmittelbare gesetzliche oder statutarische Rechtsfolgen der Verwirklichung eines Thatbestandesein 1 2 . Im Uebrigen werden sie durch darauf gerichtete menschliche Handlungen vollzogen. Im Bereiche ihres Selbstbestimmungsrechtes kann jede Körperschaft ihre rechtlichen Beziehungen durch eigneHandlungen umgestalten und daher durch Körperschaftsbeschlufs auch eine wesentliche Abänderung ihres Bestandes und namentlich eine Verfassungsänderung herbeiführen 18. Nur wird durch Gesetz oder Statut dazu vielfach ein qualifizirter Körperschaftsbeschlufs erfordert 14 und durch neuere Gesetze zum Theil selbst bei Privatkörperschaften die Herabminderung der Hemmnisse und Erschwerungen eines solchen Beschlusses dem autonomischen Belieben entzogen16. Auch hängt bei Körperschaften, deren Entstehung durch eine öffentliche Kundmachung vermittelt wird, regelmäfsig auch die Wirksamkeit einer wesentlichen Veränderung von einer entsprechenden Kundmachung ab 16 . Insoweit aber die Körper215a, R.O.H.G. XXIV 247), bei einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung die Erhöhung oder Herabsetzung des Stammkapitals (R.Ges. v. 20. April 1892 § 56— 59). — Bei Genossenschaften mit beschränkter Haftpflicht entspricht die Erhöhung oder Herabsetzung der Haftsumme (R.Ges. v. 1. Mai 1889 § 126—127). 12 Und zwar wesentliche wie unwesentliche; Gierke a. a. Ο. S. 816 Anm. 1. 18 Vgl. oben § 65 Anm. 84. Vielfach verleihen die Gesetze (allgemein Preufs. L.R. II, 6 § 31 u. 34) und fast immer die Statuten dem Gemeinwillen ausdrücklich das Recht zu Verfassungsänderungen; Gierke a. a. Ο. S. 821 Anm. 3. 14 Oben § 65 Anm. 29—30, Gierke a. a. Ο. S. 822 Anm. 1. Die neueren Gesetze erschweren meist jede Verfassungsänderung im formellen Sinne (oben Anm. 7), wovon dann auch die Abänderung einer in die geschriebene Grundsatzung aufgenommenen unwesentlichen Festsetzung getroffen, dagegen eine ohne Abänderung der geschriebenen Grundsatzung durchführbare wesentliche Veränderung nicht getroffen wird; sie zeichnen aber gewisse wesentliche Veränderungen, wie ζ. B. Abänderung des Gegenstandes (H.G.B. Art 215 Abs. 3, Genossensch.Ges. v. 1. Mai 1889 § 16 Abs. 2), Veränderung des Grundkapitals einer Kapitalgenossenschaft (H.G.B. Art. 215 a u. 248, R.Ges. v. 20. April 1892 § 56—59) oder bei eingetragenen Genossenschaften Erhöhung der Geschäftsanteile oder der Haftsumme, Herabsetzung der Geschäftsanteile, der Einlagepflichten oder der Haftsumme, Veränderung der Haftart (R.Ges. v. 1. Mai 1889 § 16 Abs. 2 , 22, 126-127, 128 Abs. 2, 137—138) durch besondere Erschwerungen aus. Aehnlich verfahren die Satzungen. 16 Vgl. oben § 65 Anm. 36. Insoweit die statutarische Erleichterung einer Verfassungsänderung zulässig bleibt, kann doch nach den neueren Gesetzen niemals ein anderes Organ als die Generalversammlung dazu ermächtigt werden; H.G.B. Art. 215 Abs. 1, R.Genoss.Ges. § 16 Abs. 1, Hülfskassenges. § 30 Abs. 3, Schweiz. O.R. Art. 644. 18 H.G.B. Art. 214, 215a, 248, R.Ges. v. 1. Mai 1889 § 16 Abs. 3—4, R.Ges. v. 20. April 1892 § 55; Bayr. Vereinsges. Art. 5—6; Entw. I I § 61. — Bei Ge-

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schaft in ihrem Selbstbestimmungsrecht beschränkt ist. bedarf sie zur Selbstveränderung fremder Mitwirkung. So ist einerseits da, wo eine Körperschaft nur mit höherer Genehmigung begründet werden kann, im Zweifel jede wesentliche Veränderung an die gleiche Genehmigung und somit namentlich bei öffentlichen Körperschaften an Staatsgenehmigung gebunden17. Andrerseits müssen, wo einer Veränderung mitgliedschaftliche Sonderrechte entgegenstehen, diese erst durch individuelle Zustimmung der betheiligten Mitglieder überwunden werden18. Auch durch fremdeHandlungen werden nicht nur unwesentliche, sondern vielfach auch wesentliche Veränderungen von Körperschaften herbeigeführt. Das Recht, einer Körperschaft eine wesentliche Veränderung aufzuerlegen, kann als Individualrecht vorkommen19. Hauptsächlich aber begegnet es als gemeinheitliches Recht eines höheren Verbandes an seiner Gliedkörperschaft 20. Insbesondere kann der Staat nicht nur im Wege der Gesetzgebung jede Körperschaft beliebig umgestalten, ohne auf eine formelle Rechtsschranke zu stofsen, sondern auch im Rahmen der bestehenden Rechtsordnung gewisse Umwandlungen körperschaftlicher Organismen vollziehen21. Doch nimmt er diese Befugnifs heute Privatkörperschaften gegenüber grundnossenschaften des sächs. R. (§ 71) und freien Wassergenossenschaften des preufs. R. (§ 19) wird durch die Eintragung der Statutenänderung nur ihre Wirksamkeit gegen Nichtmitglieder bedingt. 17 Oben § 63 Anm. 13; Pr. L.R. II, 6 § 29—31 u. 34; Hülfskassenges. § 4 Abs. 3, R.Gew.O. § 98 b u. 104 c, Unfallvers.Ges. § 20 Abs. 4 u. 31; Preufs. Bergges. § 170, Wassergenoss.Ges. § 95; Sächs. Ges. v. 15. Juni 1868 § 72. 18 Oben § 65 Anm. 37. So weit ein Sonderrecht als solches reicht, kann die Körperschaft über dasselbe auch im Wege der Verfassungsänderung nicht verfügen; Gierke a. a. O. S. 224 Anm. 2 , 239 Anm. 3, 247 Anm. 2, 253 Anm. 3, 256 Anm. 2, 262 Anm. 1, 282 Anm. 2, 640, R.O.H.G. VIII Nr. 187, XX Nr. 14, R.Ger. X V I I Nr. 3 S. 19 ff., XXV Nr. 27 u. 33. Umgekehrt ist, soweit nach Gesetz oder Statut durch eine Verfassungsänderung in Sonderrechte eingegriffen werden kann, hiermit eben der Umfang des Sonderrechtes begrenzt, ohne dafs ihm die sonderrechtliche Sicherung bis zu dieser Grenze verkürzt wäre; vgl. oben § 65 Anm. 40, Gierke a. a. O. S. 251—252 u. 256. 19 Gierke a, a. O. S. 816 Anm. 2. Regelmäfsig begegnen aber nur Individualrechte auf Setzung unwesentlicher Veränderungen (ζ. B. auf Ein- oder Austritt als Mitglied oder auf Erwerb oder Niederlegung einer Organträgerschaft). 20 So auch in der Kirche; a. a. O. S. 817 Anm. 1. 91 Hierbei entsprechen die Machtbefugnisse des Staates zwar im Allgemeinen den Befugnissen, die er bei der Errichtung von Körperschaften der betreffenden Gattung hat, sind aber vielfach durch Anerkennung eines Rechtes der einmal errichteten Körperschaft auf unveränderten Bestand enger begrenzt; vgl Unfallvers.Ges. § 20 Abs. 4 mit Abs. 3, Krankenvers.Ges. § 24 Abs. 2 mit § 23, Preufs. Bergg. § 170 mit § 169 Abs. 2, Gierke a. a. O. S. 817 Anm. 2.

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sätzlich nicht mehr in Anspruch22. Und auch öffentlichen Körperschaften gegenüber ist sein Umwandlungsrecht vielfach beseitigt oder eng begrenzt28 und überdies meist an eine Mitwirkung der Körperschaft gebunden24. IV. Wirkungen. Die Wirkungen der Veränderung einer Körperschaft bestehen darin, dafs die gemeinheitliche Rechtssphäre eine Wandlung erfährt, ihr Subjekt aber dasselbe bleibt. Mag eine wesentliche Veränderung noch so tief in den äufseren und inneren Bestand der Körperschaft eingreifen, so bleibt doch das rechtliche Selbst ihrer Persönlichkeit unversehrt und somit die volle Kontinuität ihrer rechtlichen Beziehungen gewahrt26. Wird dagegen an Stelle der bisherigen Verbandsperson eine andere Verbandsperson gesetzt, so liegt, auch wenn der Vorgang als „Umwandlung" bezeichnet wird, im Rechtssinne keine blofse Veränderung, sondern Auflösung und Neubildung vor. Doch kann im thatsächlichen Erfolge hierbei ein sehr ähnliches Ergebnifs erzielt werden, indem die neue Verbandsperson aus den Elementen der auf22 Früher wurde aus der Korporationshoheit ein generelles staatliches jus reformandi hergeleitet; vgl. Pr. L.R. II, 8 § 191. Die neueren Gesetze gewähren dem Staat auch bei solchen privaten Genossenschaften, zu deren Aufhebung er unter Umständen befugt ist, niemals ein Umwandlungsrecht 28 Es fehlt z. B. bei Innungen und Innungsverbänden; ebenso fast ganz (von dem Falle des § 31 Z. 3 abgesehen) bei Berufsgenossenschaften für Unfallversicherung. Dagegen besteht ee in grofsem Umfange bei allen Gemeinden. Gierke a. a. 0. S. 818 Anm. 24 Bei manchen öffentlichen Genossenschaften erfolgt eine Statutenänderung zwar durch staatliche Willensaktion, aber lediglich auf Grund eines Körperschaftsbeschlusses; so bei Ortskrankenkassen (§ 24, vgl. aber § 48 a), Wassergenossenschaften (Preufs. Ges. v. 1. April 1879 § 57—58), Waldgenossenschaften (Preufs. Ges. v. 6. Juli 1875 § 45), Fischereigenossenschaften u. s. w. Zum Theil sind auch Veränderungen eines Gemeindegebietes an die Zustimmung der Gemeinde gebunden. In anderen Fällen bedarf es zu einer Bestandsveränderung eines Antrages der Körperschaft oder sonstiger Beteiligter; Unfallvers.Ges. § 31 Z. 3, Kranken vers.Ges. § 48, Haubergsordn. f. Siegen § 4—5. Endlich ist regelmäfsig da, wo eine Körperschaft wider ihren Willen umgewandelt werden kann, mindestens ihre Anhörung vorgeschrieben; so nach den meisten Gemeindeordnungen bei Veränderung des Gemeindegebietes; ebenso bei der Zuweisung eines Gewerbszweiges oder einer Betriebsart zu einer Ortskrankenkasse (Krankenvers.Ges. § 18 a). 26 So bei jeder Verfassungsänderung (irrig R.O.H.G. XIV 252); bei jeder Gebietsveränderung eines Staates oder einer Gemeinde (Seuff. V I I I Nr. 54); bei der Veränderung des Grundkapitals einer Aktiengesellschaft (R.O.H.G XXIV Nr. 62); bei der Umwandlung einer Körperschaft in eine Körperschaft anderer Gattung (R.G. ΧΧΠΙ Nr. 43, X X V I Nr. 64), daher auch bei der Eintragung einer schon bestehenden Genossenschaft in das Genossenschaftsregister (R.O.H.G. X X I I 103 ff., R.Ger. XV. Nr. 18). Vgl. Gierke a. a. 0. S. 823 Anm. 1 u. 824 Anm. 1.

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gelösten Verbandsperson gebildet und zur Gesammtnachfolge in deren Hinterlassenschaft berufen wird 26 . Immerhin wird sich der Unterschied von einer bloisen Veränderung auch praktisch in dem Nichtübergange höchstpersönlicher Rechte und Pflichten der aufgelösten Verbandsperson äufsern 27. V. Vereinigung und Zertheilung. Bei der Vereinigung und Zertheilung von Verbänden begegnen mancherlei Kombinationen von Veränderung, Auflösung und Neubildung. Eine Vereinigung mehrerer Verbandspersonen kann sich in ihrer Veränderung durch Herstellung eines personenrechtlichen Bandes erschöpfen28. Sie kann aber auch in der Weise zu Stande kommen, dafs sich mit der Veränderung der vereinigten Verbandspersonen die Neubildung einer aus ihnen zusammengesetzten Verbandsperson verknüpft 29. Umgekehrt können, indem eine hierdurch aufgelöste Verbandsperson mit einer hierdurch veränderten Verbandsperson verschmolzen wird, Veränderung und Auflösung zusammentreffen 80. Möglich ist endlich auch eine Verschmelzung, durch die alle Verbandspersonen untergehen und aus ihren Elementen ein neues Rechtssubjekt geschaffen wird 81 . 28 So konstruirt z. B. das R.Ges. v. 20. April 1892 § 78 die „Umwandlung« einer Aktiengesellschaft in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung; Seuff· X L V n i Nr. 127. Ebenso das kanonische Recht die transformatio s. mutatio vi erectionis; Hinschins, K.R. I I 396 u. 455. Vgl. auch Gierke a. a. O. S. 825 Anm. 2. — Aehnlich verhält es sich, wenn eine Gesellschaft ohne eigne Persönlichkeit in eine Körperschaft verwandelt wird; daher auch bei der Umwandlung einer Kommanditgesellschaft auf Aktien in eine Aktiengesellschaft, H.G.B. Art. 206 a. 27 So wird z. B. ein Niefsbrauch oder ein besonderes Privileg erlöschen. 28 So z. B. bei der Begründung einer Realunion zwischen Staaten; bei der kirchlichen unio per aequalitatem (Hinschius I I 425) oder per subjectionem (ib. 427); bei dem Eintritt eines Staates in einen schon bestehenden Bundesstaat, einer Gemeinde in einen Provinzialverband, einer Innung in einen Innungsverband u. s. w. 29 So bei der Vereinigung von Staaten zu einem Bundesstaate, von Gemeinden zu einem höheren Kommanaiverbande oder einer Sammtgemeinde, von Deichverbänden zu einem Sammtdeichverbande, von Innungen zu einem Innungsverbande, von Gemeinden und Ortskrankenkassen zu einem Kassenverbande u. s. w.; Gierke a. a. O. S. 827 Anm. 1. 80 So bei der Einverleibung eines bisher selbständigen Staates in einen anderen Staat oder einer Gemeinde in eine andere Gemeinde; bei der kirchlichen Inkorporation (Hinschius I I 436 ff., Seuff. XXXVII Nr. 130); bei der Fusion einer Aktiengesellschaft mit einer anderen Aktiengesellschaft (H.G.B. Art. 215 Abs. 4 u. 247). Vgl. Gierke a. a. O. S. 827 Anm. 2. 81 So bei der Verschmelzung von Staaten zu einem ganz neuen Staat, von Gemeinden zu einer ganz neuen Gemeinde ; bei der kirchlichen unio per confusionem (Hinschius I I 430); in der Regel auch bei der Verschmelzung von Innungen,

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Die Zertheilung eines Verbandes kann sich gleichfalls in der Veränderung bestehender Verbandspersönlichkeit erschöpfen 82. Sie kann jedoch zugleich Veränderung einer mit gemindertem Bestände fortbestehenden Verbandsperson und Neubildung aus den ausgesonderten Elementen geschaffener Verbandspersönlichkeit sein88. Umgekehrt kann sie in der Auflösung einer umfassenderen Verbandsperson und blofser Veränderung der hierdurch bereicherten engeren Verbandsperson bestehen84. Endlich ist auch eine Zertheilung möglich, durch die eine bisherige Verbandsperson aufgelöst und an ihre Stelle eine Mehrzahl aus ihren Elementen völlig neu gebildeter Verbandspersonen gesetzt wird 85 . § 70. Beendigung der Körperschaften. I. E i n t r i t t . Eine Körperschaft endet durch die Verwirklichung der thatsächlichen Voraussetzungen, an die das Recht den Wegfall ihrer Persönlichkeit knüpft 1. Jenachdem das Recht diese Wirkung Krankenkassen (Krankenversich.Ges. § 67 c), Knappschaften, Berufsgenossenschaften (Unfallvers.Ges. § 32 Abs. 1); bei der Fusion mehrerer Aktiengesellschaften zu einer neuen Aktiengesellschaft. Gierke a. a. Ο. S. 828 Anm. 1. 82 So bei der „theilweisen Auflösung4* eines Verbandes durch Ausscheidung yon wesentlichen Bestandteilen, falls diese entweder ganz frei werden oder in einen anderen schon bestehenden Verband übergehen (vgl. z. B. H.G.B. Art 248, KrankenversicLGes. § 48 u. 67 a, Unfallvers.Ges. § 31 Z. 2—3 u. § 32 Abs. 2); bei der Auflösung einer personenrechtlichen Gemeinschaft zwischen Verbandspersonen, z. B. der kirchlichen dissolutio unionis (Hinschius I I 434ff.); bei der Zerlegung eines gesellschaftlichen Körpers in Gliedverbände ohne Persönlichkeit (z. B. Bezirke, Sektionen, Klassen). Gierke a. a. Ο. S. 828 Anm. 2. 88 So bei der Abzweigung eines Staatstheiles als Staat oder eines Gemeindetheiles als Gemeinde (Bayr. Gem.O. Art 4 Z. 3), einer Tochterkirche durch kirchliche divisio (Hinschius U 400 ff., R.Ger. XV Nr. 35 u. 55), einer Berufsgenossenschaft (Unfallvers.Ges. § 31 Z. 4 u. § 32 Abs. 3), einer Tochtergewerkschaft (R.O.H.G. X V I I I Nr. 76); und zwar auch dann, wenn die abgezweigte Verbandsperson Gliedperson des als Gesammtperson fortbestehenden Stammverbandes bleibt. Gierke a. a. Ο. S. 828 Anm. 3. 84 So bei der Auflösung eines der oben Anm. 29 bezeichneten Verbände; a. a. 0. S. 829 Anm. 1. 86 So bei der vollkommenen Zerspaltung eines Staates in mehrere Staaten, einer Gemeinde in mehrere Gemeinden, einer Kirche in mehrere Kirchen, einer Innung in mehrere Innungen, einer Ortskrankenkasse in mehrere Krankenkassen (R.Ges. § 48) oder irgend einer Genossenschaft in mehrere Genossenschaften (Seuff. X I X Nr. 12). Gierke a. a. 0. S. 829 Anm. 2. 1 Normaler Weise verknüpft es den WegfalJ dieser Persönlichkeit mit dem Lebensende des körperschaftlichen Organismus. Wenn es jedoch, wie dies ausnahmsweise begegnet, kraft seiner formellen Allmacht entweder einer Körperschaft

§

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e n d u n g der Körperschaften.

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unmittelbar einem Thatbestande beilegt oder sie aus einer daraut gerichteten eignen Handlung der Körperschaft oder endlich aus einer entsprechenden fremden Handlung entspringen läfet, sind drei Gruppen von Beendigungsgründen zu unterscheiden. 1. Beendigung durch Verwirklichung eines Thatbestandes. a. Erreichung eines gesetzten Lebenszieles. Wenn eine Körperschaft nur auf bestimmte Zeit errichtet ist, endet sie durch Zeitablauf 2; wenn nur für die Erfüllung einer vorübergehenden Aufgabe, durch Zweckerreichung8. Dagegen geht eine auf die Dauer errichtete Körperschaft nicht ohne Weiteres dadurch unter, dafs die fernere Erfüllung ihres Zweckes unmöglich wird 4. Vielmehr kann sie nach verfassungsmäfsiger Abänderung ihrer Zweckbestimmung für eine neue Lebensaufgabe fortbestehen 5. b. Wegfall des persönlichen Substrats. Die Körperschaft endet durch den Wegfall sämmtlicher Mitglieder®. Nur bei lediglich die Persönlichkeit abspricht, ohne ihr Verbandsleben zu zerstören, oder umgekehrt die Fortdauer dieser Persönlichkeit annimmt, obwohl das Verbandsleben erloschen ist, so ist die Körperschaft im ersten Falle trotz ihres realen Fortbestandes rechtlich beendigt, im zweiten Falle trotz ihres realen Nichtbestandes rechtlich nicht beendigt. Gierke a. a. O. S. 830 ff. 2 H.G.B. Art. 242 Z. 1, R.Ges. y. 1. Mai 1889 § 77 u. v. 20. Apr. 1892 § 60 Z. 1; Preufs. Wassergenoss.Ges. § 31 Z. 1, Sächs. Ges. v. 15. Juni 1868 § 30 Z. 1, Bayr. Vereinsges. Art. 26. — Eine Fortsetzung über das Ziel hinaus mufs vor dessen Eintritt verfassungsmäfsig beschlossen sein und hat überdies mangels abweichender Satzung ein Sonderrecht jedes Mitgliedes auf Nichtfortsetzung zu überwinden; Renaud, Ζ. f. H.R. XIII141 ff., Löwenfeld a. a. O. S. 388 ff., Gierke a. a. O. S. 254 Anm. 3, vgl. oben § 68 Anm. 18 u. 23; a. M. O.Tr. Berlin b. Seuff. XXIV Nr. 57 u. R.Ger. V I Nr. 32. 8 Windscheid § 61, Wächter, Pand. § 57, Dernburg, Pand. § 64, Bekker, Pand. § 65 Anm. h, Gierke a. a. O. S. 843 Anm. 2; a. M. Stobbe § 54 Anm. la, Regelsberger § 85 III. * Seuff. I Nr: 54, X X X V I I Nr. 55, XLIV Nr. 101; Bekker § 65 Anm. i, Gierke a. a. O. S. 843 Anm. 4; a. M. T h ö l , H.R. § 174, u. Renaud, Aktienges. S. 788. — Die Unmöglichkeit der Zweckerreichung kann jedoch ein staatliches Aufhebungsrecht begründen; Pr. L.R. II, 6 § 189, R.Ges. v. 20. Apr. 1892 § 61. 6 Möglicher Weise freilich erst nach Ueberwindung entgegenstehender Sonderrechte; R.Ger. b. Seuff. X X X V I I Nr. 55. 6 Pr. L.R. II, 6 § 179; Sächs. Gb. § 56 u. Ges. v. 15. Juni 1868 § 29; R.Gew.O. § 94 Abs. 6. So überwiegend auch die ältere civilistische Theorie; Gierke, Genossenschaftsr. I I I 237, 411 Anm. 241 u. 479ff. Vgl. Ρ feifer, J.P. § 40, B r i n z , Pand. (1. Aufl.) S. 1147, Unger I 345 Anm. 60, W ä c h t e r , Pand I § 57, Dernburg, Pand. § 64 Anm. 2, Stobbe § 54 Anm. 4, M e u r e r a. a. Ο. I 93 ff, Gierke, Genossenschaftsth. S. 833 ff., Regelsberger § 85 I 1. — Dafs nicht blos der Tod, sondern auch der Austritt aller Mitglieder eine Beendigung des

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Zweites Kapitel. Das Recht der Verbandspersölichkeit.

Körperschaften mit starker Beimischung anstaltlicher Elemente wird bisweilen ein Fortbestand ohne Mitglieder angenommen, so dafs hier die Verbandsperson in Gestalt einer reinen Anstaltsperson erhalten bleibt, um im Falle der Neugewinnung von Mitgliedern das körperschaftliche Dasein ohne Bruch der Kontinuität wieder aufzunehmen7. Die Körperschaft endet aber an sich auch schon durch Wegfall aller Mitglieder bis auf Eines. Doch ist die entgegengesetzte Regel des römischen Rechtes in das gemeine Recht und neuere Gesetzbücher übergegangen8. Da es eine Körperschaft ohne die Grundlage einer Personenvereinigung nicht geben kann, ist auch der Fortbestand einer Körperschaft mit einem einzigen Mitgliede nur durch Verwendung anstaltlicher Elemente zur Erhaltung der Verbandsperson als Anstaltsperson möglich. Darum ist der römische Satz auf freie Genossenschaften unanwendbar0. Hier erlischt vielmehr, sobald kein Verein mehr besteht, die Verbandspersönlichkeit, wenn auch das Genossenschaftsvermögen in der Hand seines nunmehrigen Alleineigenthümers gebunden bleibt 10 , der objektive Restbestand der Körperschaft zu ihrer Wiederaufrichtung verwerthet werden kann11 und bei werthpapiermäüsiger Einkleidung der Mitgliedschaften das zeitweilige Nichtkörperschaftlichen Daseins ohne eine auf sie gerichtete Handlung ist, leuchtet ein ; Unger I 346 Anm. 65. — Bei Aktiengesellschaften begegnet diese Beendigungsart in Gestalt der Amortisation aller Aktien; Renaud S. 748, Hahn, I 748 § 5; a. M. Völderndorff, Komm. S. 727. 7 Vgl. ζ. Β. Pr. L.R. II, 11 § 307—308 u. Preufs. Ges. v. 13. Mai 1833; Gierke, Genossenschaftsth. S. 834, Bekker, Pand. I § 65 Beil. I. — In Folge der anstaltlichen Auffassung aller Korporationen wurde zuerst von Kanonisten und später auch von Civilisten der Fortbestand der Korporation beim Wegfalle aller Mitglieder grundsätzlich angenommen; vgl. Gierke, Genossenschafter. I I I 850ff., 497ff. u. 745. Unter den Neueren vertreten diese Meinung z. B. Savigny I I 280 u. Puchta, Inst. § 192 u. Pand. § 28 (anders noch Rechtslex. I I I 77); ähnlich auch W i n d scheid § 61 Anm. 3, Böhlau, Rechtssubj. S. 40, Arndts § 45 Anm. 1, Jhering, Jahrb. f. Dogm. X 433 ff. 8 L. 7 § 2 D. 3, 4; Gierke, Genossenschaftsr. I I I 182 Anm. 189, 237, 250, 411 Anm. 240, 497; Pr. L.R. H, 6 § 177—179 (wonach aber Auflösung eintritt, falls „nach der Natur und dem Zwecke der Gesellschaft dae allein übrig gebliebene Mitglied nicht im Stande ist, die Pflichten derselben zu erfüllen"); Stobbe § 54 Anm. 6; Meurer a. a. Ο. I 95ff. — A. M. Regelsberger § 85 I 2. 9 Gierke a. a. Ο. S. 836 ff. 10 Als ein von seinem übrigen Vermögen unterschiedenes Sondervermögen; vgl. ζ. B. Haubergsordn. f. Siegen § 34, f. Altenkirchen § 36; Gierke a. a. Ο. S. 837 Anm. 1 - 2 . 11 So namentlich bei einer Vermögensgenossenschaft, wenn nicht blos die Vermögenseinheit, sondern auch ihre Gliederung in Antheile als objektives Verhältnifs erhalten ist; a. a. O. S. 838 Anm. 1.

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Vorhandensein einer Körperschaft überhaupt nicht in den rechtlichen Horizont zu treten braucht12. Trotz der in Theorie und Praxis überwiegenden gegentheiligen Meinung endet somit auch eine Gewerkschaft durch Vereinigung aller Kuxe in Einer Hand 18 und eine Aktiengesellschaft durch Vereinigung aller Aktien in Einer Hand14. Schliefslich kann durch Gesetz oder Satzung der Untergang einer Körperschaft schon an die Herabminderung des Mitgliederbestandes unter eine bestimmte Zahl geknüpft sein15. c. Wegfall eines unpersönlichen Substrats. Je nach ihrer Bauart erlischt eine Körperschaft auch durch den Wegfall eines für sie wesentlichen unpersönlichen Substrats. Somit geht eine Ge12 So insbesondere bei Inhaberaktien, jedoch (mangels Umschreibung im Aktien- oder Gewerkenbuch) auch bei Namenaktien und Kuxscheinen; a. a. 0. S. 888 Anm. 2. 18 Preufs. O.Tr.Entsch. XX 353, L X X X I 188; Klostermann, Komm, zum Preufs. Bergges. § 100 Anm. 218. Dagegen nimmt das R.Ger. X X I I I Nr. 43, XXX Nr. 57 u. X X X I I Nr. 83 Fortbestand an; ebenso für alte Gewerkschaften Dernburg, Preufs. P.R. § 268 Anm. 37, für österreichische das Verw.Ger. zu Wien nach Z. f. Bergr. X X I I I 262. 14 Primker in Endemanns Handb. I 651 ff., Molle, Aktienges. S. 149. A. M. Bekker, Z. f. H.R. IV 560 u. Pand. § 68 Anm. vv, Kuntze, Z. f. H.R. VI 233, Renaud § 89, Keyfsner, Komm, zu H.G.B. Art. 242, Löwenfeld S. 511 ff, Stobbe § 54 Anm. 6, Cosack, H.R. S. 618. Im Erk. des R.Ger. X X I I Nr. 21 S. 116 bleibt die bei Erzählung des Thatbestandes mitgetheilte Thatsache unbeanstandet, dafs ein Einzelner unter Nachweis des Besitzes aller Aktien notariell erklärt hat, er fasse als alleiniger Aktionär einen das Statut abändernden „Generalversammlungsbeschlufs", und dafs dieser „Beschlufs" ins Handelsregister eingetragen ist Der richtigen Ansicht nach hätte der Richter auf Grund des Art 26 des H.G.B, sofort die ihm kundgewordene Auflösung der Aktiengesellschaft eintragen müssen; Gierke a. a. O. S. 839. — Ebenso endet die Gesellschaft mit beschränkter Haftung durch Vereinigung aller Geschäftsantheile in Einer Hand; Neukamp S. 222 ff. — Gleiches gilt natürlich, wenn der Wegfall aller Mitglieder bis auf Eines durch Wegfall aller Aktien bis auf Eine (so hier auch Renaud S. 828) oder aller Geschäftsantheile bis auf Einen (Neukamp S. 223) bewirkt wird. 15 Als unmittelbarer gesetzlicher Beendigungsgrund kommt eine zu starke Verminderung der Mitgliederzahl nur selten vor; vgl. jedoch Pr. L.R. II, 11 § 308 u. Ges. v. 13. Mai 1833 § 1—2 über das Erlöschen von Parochien, sowie ältere Zunftordnungen b. Gierke, Genossenschaftsr. I 956 (Auflösung durch Reduktion der Mitgliederzahl auf drei). Dagegen soll jetzt nach R.Ges. v. 1. Mai 1889 § 78 eine eingetragene Genossenschaft, falls die Zahl der Genossen unter sieben beträgt, auf Antrag des Vorstandes und, wenn der Antrag nicht binnen 6 Monaten erfolgt, von Amtswegen nach Anhörung des Vorstandes durch gerichtlichen Beschlufs aufgelöst werden. Gleiches will Entw. I I § 63 für eingetragene Vereine bestimmen, falls die Mitgliederzahl unter drei herabsinkt Vgl. auch Krankenvers.Ges. § 47 Z. 1, Preufs. Wassergenoss.Ges. § 61, Schweiz. O.R. Art. 710 Z. 2, sowie engl., franz. u. belg. R. b. Gierke, Genossenschaftsth. S. 840 Anm. 3.

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bietskörperschaft mit dem Wegfall ihres Gebietes, eine Vermögensgenossenschaft mit dem Wegfall ihrer vermögensrechtlichen Grundlage unter 16. d. Konkurseröffnung. Vermögensverlust als solcher, Ueberschuldung oder Zahlungsunfähigkeit sind keine Beendigungsgründe17. An sich wird daher auch durch Konkurseröffnung eine Körperschaft nicht aufgelöst, sondern eben nur in die Stellung eines Gemeinschuldners versetzt18. Für zahlreiche Genossenschaftsgattungen aber ist durch Gesetz der Konkurseröffnung auflösende Kraft beigelegt19. 2. Beendigung durch eigne Handlung. Eine Körperschaft vermag durch eigne Willensthat ihren Bestand selbst zu 16 Eine Agrargenossenschaft endet durch Veräufserung ihres Gemeinlandes. Eine Gewerkschaft nicht blos durch Wegfall ihres ganzen Vermögens (R.Ger. XXVIII Nr. 83), sondern schon durch Entziehung oder Veräufserung ihres Bergwerkeigenthums ; vgL Z. f. Bergr. X I I 184, XVII 489, Klostermann, Komm, zu § 100, Gierke a. a. 0. S. 841; a. M. R.O.H.G. XIX 190ff. Eine Aktiengesellschaft oder eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung durch Wegfall ihres nominellen Grund- oder Stammkapitals, was aber nicht (wie im Erk. des R.Ger. XIV Nr. 116 u. b. Neukamp S. 224 geschieht) mit dem realen Vermögensverlust verwechselt werden darf. 17 Wohl aber vielfach zwingende Beweggründe zur Beendigung durch eigne oder fremde Handlung. So werden Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung sowohl durch Zahlungsunfähigkeit wie durch Ueberschuldung (H.G.B. Art. 240 Abs. 2 u. R.Ges. v. 20. Apr. 1892 § 63—64), eingetragene Genossenschaften durch Zahlungsunfähigkeit (R.Ges. v. 1. Mai 1889 § 91—93), andere Genossenschaften durch Ueberschuldung (so nach Entw. I I § 39 Abs. 2 alle Vereine) zur Erwirkung der Konkurseröffnung, durch die dann ihre Auflösung eintritt (unten Anm. 19), verpflichtet. Bei Genossenschaften des sächs. R. ist Zahlungsunfähigkeit ein Rechtsgrund fur gerichtliche Aufhebung (Sächs. Ges. v. 15. Juni 1868 § 78 Z. 2). Eine Aktiengesellschaft konnte früher nach H.G.B. Art. 242 schon im Falle einer Minderung ihres Vermögens auf die Hälfte des Betrages ihres Grundkapitals staatlich aufgelöst werden; ähnlich eine „registrirte Gesellschaft" nach Bayr. Ges. v. 29. Apr. 1869 Art. 77. 18 Stobbe § 54 Z. 4, Bekker § 65 Anm. k, Gierke a. a. Ο. S. 841. So insbesondere Gemeinden; vgl. M e i l i , Rechtsgutachten betr. die Schuldexekution u. den Konkurs gegen Gemeinden, Bern 1885 ; Das Exekutionsverfahren gegen Gemeinden, Wien 1893; Kohler, Konkursr. S. 71 ff., 123, 154. Ebenso aber nicht nur die meisten anderen öffentlichen, sondern mangels gegenteiliger Gesetzesbestimmung auch die privaten Körperschaften. 19 So reichsgesetzlich für Aktiengesellschaften (H.G.B. Art. 242 Z. 3), eingetragene Genossenschaften (§ 94), Gesellschaften mit beschränkter Haftung (§ 60 Z. 4), eingeschriebene Hülfskassen (§ 29), Innungen und Innungsverbände (R.Gew.O. § 103 Abs. 5 u. 104m); landesgesetzlich für Gewerkschaften (Klostermann zu Preufs. Bergges. § 100 Anm. 218), freie Wassergenossenschaften (Preufs. Ges. § 31 Z. 3), anerkannte Vereine (Bayr. Ges. Art. 26). Vgl. auch Schweiz. O.R. Art. 664 Z. 3 u. 709 Z. 3. — Entw. I I § 39 für alle Vereine.

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zerstören20, Im Zweifel gentigt zur Selbstauflösung ein einfacher Körperschaftsbeschlufs 21. Meist aber wird durch Gesetz oder Satzung ein qualifizirter Körperschaftsbeschlufs für erforderlich erklärt 22. Die statutarische Herabminderung der gesetzlichen Erschwernisse ist zum Theil ausgeschlossen28. Das Selbstauflösungsrecht der Körperschaft kann durch das Recht einer anderen Person, sie beim Dasein festzuhalten, beschränkt sein. Ein derartiges Recht kann als Individualrecht vorkommen24, begegnet aber namentlich als gemeinheitliches Recht eines höheren Verbandes und vor Allem des Staates an seiner Gliedkörperschaft 2δ. Dem Staate wurde früher sogar generell die endgültige Entschliefsung über die 80 Das Gegentheil wurde früher in Folge der anstaltlichen Auffassung aller Korporationen von Kanonisten behauptet; Gierke, Genossenschaftsr. I I I 850 ff. Ebenso in neuerer Zeit von Puchta, Rechtslex. I I I 72 ff. u. Pand. § 28, Pfeifer, J. P. § 40—41, Arndts § 45, Unger I 845 ff. (anders später), Meurer, Heil. S. I 98 ff. — Unstatthaft dagegen ist wie beim Individuum ein nackter Verzicht auf die Persönlichkeit; anders Sächs. Gb. § 65 u. Ges. v. 15. Juni 1868 § 71, vgl. aber Gierke, Genossenschaftsth. S. 849 Anm. 8. 21 Gierke a. a. 0. S. 258 u. 851, Brinz S. 1148, Roth, D.P.R. § 72 Anm. 39, Ehrenberg, Versicherungen I 147, Regelsberger § 85 V. — Unrichtig fordern Viele Einstimmigkeit; so Windscheid § 61 Anm. 2, Wächter, Pand. I § 57, Dernburg, Pand. § 64 Anm. 3, Bekker I 259, Böhlau, Meckl. L.R. I I 444, Stobbe I 495 ff, auch Renaud, Aktienges. S. 250 u. 800 ff. Da die Körperschaft durch Selbstauflösung nur über sich selbst vertilgt, die Mitglieder aber lediglich entbindet, steht dem einzelnen Mitgliede ein Widerspruchsrecht grundsätzlich keineswegs zu, — es müfste ihm denn ein Sonderrecht auf Festhaltung der Körperschaft bei ihrem Bestände besonders zugesichert sein. Auch das von Beseler § 68 u. B l u n t s c h l i § 4 3 behauptete Recht der Minderheit auf Fortführung der Korporation unter sich kann nicht anerkannt werden. 88 H.G.B. Art. 242 Z. 2; R.Ges. v. 1. Mai 1889 § 76; R.Ges. v. 20. Apr. 1892 § 60 Z. 3; Hülfskassenges. § 28. Vgl. auch die Landesgesetze über öffentliche Wassergenossenschaften (z. B. Preufs. § 62, Bayr. Art. 42, Bad. Art. 57, ElsafsLothr. Art. 15) u. das Preufs. Ges. v. 6. Juli 1875 über Waldgenossenschaften. Allgemein will Entw. I I g 38 Dreiviertelsmehrheit fordern. — Einstimmiger Beschlufs ist nach Krankenversich. Ges. § 46 a zur Auflösung eines Kassen Verbandes erforderlich. — Andere Gesetze verlangen einen Versammlungsbeschlufs, begnügen sich aber mit einfacher Majorität; Gierke a. a. Ο. S. 854 Anm. 1. 88 So bei Aktiengesellschaften (H.G.B. Art. 242 Z. 2) u. eingetragenen Genossenschaften (R.Ges. § 76). Dagegen behält das R.Ges. v. 20. Apr. 1892 § 60 Z. 3. bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung abweichendes Satzungsrecht vor. Ebenso Entw. I I § 38. 84 So als mitgliedschaftliches Sonderrecht, oben Anm. 21 ; aber auch als Recht eines Dritten, Pr. L.K II, 6 § 181. 8R Das Recht des Staates kann auch hier mit dem Recht eines anderen Verbandes (z. B. der Kirche) konkurriren; Gierke a. a. Ο. S. 851 Anm. 3.

B i n d i n g , Handbuch.

I I . 3. I : G i e r k e , Deutsches Privatrecht.

I.

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Auflösung von Körperschaften vorbehalten26. Das moderne Recht gesteht allen privaten und auch manchen öffentlichen Genossenschaften ein vollkommen freies Selbstauflösungsrecht zu 27 . Bei den meisten öffentlichen Körperschaften aber bindet es den Auflösungsbeschlufs an staatliche Genehmigung28 und gewissen Körperschaften versagt es überhaupt das Selbstauflösungsrecht29. 3. Beendigung durch fremde Handlung. Das Recht, einer Körperschaft die Auflösung aufzuerlegen, kann als Individualrecht begründet sein80, kommt aber hauptsächlich als gemeinheitliches Recht eines höheren Verbandes an seiner Gliedkörperschaft 81 und vor Allem als Recht des Staates vor. Der Staat besitzt in seiner formell schrankenlosen Gesetzgebungsgewalt ein Mittel, um jede Aufhebung einer Körperschaft in das Gewand des Rechtes zu kleiden82. Im Rahmen der bestehenden 26

Die ältere civilistische Theorie forderte allgemein Staatsgenehmigung; Gierke, Genossenschaftsr. I I I 411 u. 498. Ebenso mit Savigny I I 279 u. Sintenis § 15 Anm. 31 viele Neuere. Vgl. Pr. L.R. II, 6 § 180; Sächs. Gb. § 56; Bad. Ges. v. 17. Nov. 1883 § 3 (für Vereine, die öffentliche Zwecke verfolgen und durch ministerielle Genehmigung Korporationsrechte erhalten haben). 27 Unter den öffentlichen Genossenschaften namentlich Innungen und Innungsverbänden (R.Gew.0. § 98a u. 104 b) und Kassenverbänden (Krankenversich.Ges. § 46 a); das Bayr. Wasserges. Art. 9 u. das Bad. Wasserges. Art. 4 auch öffentlichen Wassergenossenschaften. — Aus staatlicher Verleihung der Persönlichkeit oder dem Erfordernifs der Staatsgenehmigung zur Errichtung folgt an sich keineswegs eine Einschränkung des Selbstauflösungsrechtes; Un g er, Krit. Uebersch. V I 176, Stobbe I 496. 28 So z. B. vielfach bei öffentlichen Wassergenossenschaften (Preufs. Ges. § 62, Hess. Art. 20), Waldgenossenschaften (Preufs. Ges. § 45 Abs. 2) u. Fischereigenossenschaften (Bad. Ges. Art. 1); ebenso bei Berufsgenossenschaften für Unfällversicherung im Falle des § 31 Z. 1 des R.Ges.; vgl. auch R.Gew.O. § 93 u. Rosin, Oeff. Genoss. S. 145 ff. 29 So allen Gemeinden (vgl. indefs Bayr. Gem.O. Art. 4 Abs. 4), den Deichverbänden, den öffentlichen Krankenkassen (R.Ges. § 47), regelmäfsig auch den Berufsgenossenschaften für Unfallversicherung u. s. w. 80 Ein gesetzliches Sonderrecht der Mitglieder auf Auflösung, wie es im engl., franz. u. belg. Recht begegnet (Gierke, Genossenschaftsth. S. 258 Anm. 2 u. 840 Anm. 3), ist dem deutschen Recht unbekannt (a. a. O. S. 258 Anm. 1 u. 845 Anm. 1). Auch in der bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung eingeführten Auflösungsklage einer Minderheit (unten Anm. 47) ist es nicht enthalten. Dagegen kann durch Statut (z. B. bei Aktiengesellschaften nach H.G.B. Art 242 u. bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung nach R.Ges. § 60 Abs. 2) sowohl Mitgliedern wie Dritten (z. ß. Gläubigern) ein Auflösungsrecht (z. B. in der Form eines Kündigungsrechtes) eingeräumt werden. 81 So in der Kirche; Gierke a. a. O. S. 845 Anm. 2. ** A. a. O. S. 845 ff.

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Rechtsordnung dagegen vermag er das Dasein einer Körperschaft nur kraft gesetzlicher oder statutarischer Ermächtigung auszutilgen. Das ältere Recht legte dem Staate die Befugnifs bei, durch Verwaltungsakt aus mehr oder minder dringenden Zweckmäfsigkeitserwägungen jede Körperschaft aufzuheben38. Heute ist diese Befugnifs durch das entgegenstehende Recht der Körperschaften auf Festhaltung ihres Daseins stark zurückgedrängt84. Manche Körperschaften kann der Staat überhaupt nur noch durch Gesetz aufheben 85. Im Uebrigen ist die Aufhebung durch den Staat meist entweder an die Zustimmung der dem Untergange geweihten Körperschaft gebunden86 oder nur aus bestimmten Rechtsgründen zulässig. Die unfreiwillige Auflösung kann private und öffentliche Genossenschaften vor Allem als Straffolge eines Körperschaftsdeliktes treffen 87. So bedrohen neuere Gesetze jede ihnen unterstellte Genossenschaft allgemein mit der Auflösung, wenn sie sich einer rechtswidrigen Handlung oder Unterlassung schuldig macht, die das Gemeinwohl gefährdet 88. Ueberdies 88 So die ältere Theorie, vgl. Gierke, Genossenschaftsr. I I I 850, 411, 498 u. 745; von Neueren Savigny I I § 89, Pfeifer, J. P. § 41. Dazu Pr. L.R. II, 6 § 24, 189—190 (mit Entsch. des O.Tr. XVI 429), Sächs. Gb. § 56 u. andere Gesetze b. Gierke, Genossenschaftsth. S. 877 Anm. 2. Zum Theil sollte jedoch die Aufhebung aus Gründen des Gemeinwohles nur gegen Entschädigung der Betheiligten stattfinden; Pfeifer S. 118, Preufs. Ges. v. 9. Nov. 1843 § 6, Preufs. E.G. zum H.G.B. Art. 12 § 4. 84 Gierke, Genossenschaftsth. S. 847 ff. 85 So mangels abweichender Gesetzesbestimmung alle Körperschaften, deren konkretes Dasein auf Gesetz beruht; ebenso nach Bad.Gem.O. § 4 u. Braunschw. St.O. § 7 u. L.G-O. § 4 alle Gemeinden ; desgleichen heute die Aktiengesellschaften. 80 So nach vielen Gemeindeordnungen bei Gemeinden, während andere Gemeindeordnungen in dringenden Fällen die Auflösung einer Gemeinde auch wider ihren Willen zulassen; vgl. Gierke a. a. O. S. 848 Anm. 2 u. seitdem Preufs. L.G.O. v. 3. Juli 1891 § 2. So bei kirchlichen Körperschaften ; Hinschius, K.R. I I 471 ff. So auch bei Ortskrankenkassen, Betriebskrankenkassen u. Baukrankenkassen in den Fällen des Krankenvers.Ges. § 47 Abs. 2—3, § 48 Abs. 1 u. 3, § 67 c, § 68 Abs. 3 u. § 72 Abs. 3. 87 Gierke a. a. O. S. 777 ff. 88 Vgl. für Innungen u. Innungsverbände R.Gew.O. § 103 Z. 3 u. 104 g Ζ. 3, für eingetragene Genossenschaften R.Ges. ν. 1. Mai 1889 § 79 (altes § 35); ehemals auch für Aktiengesellschaften Preufs. E.G. zum H.G.B. Art. 12 § 5. Aehnlich (jedoch in etwas engerer Fassung) fur Gesellschaften mit beschränkter Haftung R.Ges. v. 20. Apr. 1892 § 91. Allgemein will Entw. H § 40 Abs. 1 die Auflösung eines Vereins zulassen, „wenn er durch gesetzwidrige Beschlüsse der Mitgliederversammlung oder durch gesetzwidriges Verhalten des Vorstandes das Gemeinwohl gefährdet. u — Die Schliefsung einer eingeschriebenen Hülfskasse kann wegen jedes gesetz- oder Statuten widrigen Generalversammlungsbeschlusses erfolgen, wenn derselbe nach Aufforderung der Aufsichtsbehörde nicht in der gesetzten Frist 36*

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begegnet die Strafauflösung vielfach wegen besonderer Verfehlungen von Genossenschaften, wie z. B. wegen Verfolgung fremdartiger Zwecke89, Nichtabänderung eines unzulässigen Statuts40, Vernachlässigung der Lebensaufgabe41, ungerechtfertigten Ausschlusses von Mitgliedern42 oder Verstöüse gegen die öffentliche Vereinsordnung48. In gewissen Fällen aber erfolgt die unfreiwillige Auflösung von Körperschaften auch wegen objektiver Mängel, wie z. B. wegen Unmöglichkeit der Zweckerreichung44, Unfähigkeit zur Erfüllung der körperschaftlichen Lebensaufgabe45 oder Herabminderung des Mitgliederbestandes unter eine bestimmte Zahl 46 . Eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung kann nicht nur wegen Unmöglichkeit der Zweckerreichung, sondern auch aus anderen in ihren Verhältnissen liegenden wichtigen Gründen aufgelöst werden, falls gegen sie von Gesellschaftern, deren Geschäftsantheile zusammen mindestens den zehnten Theil des Stammkapitales darstellen, die Auflösungsklage erhoben ist 47 . Immer setzt nach neuerem Recht die unfreiwillige Auflösung einer Körperschaft ein geordnetes Verfahren voraus48. Vielfach kann sie überhaupt nicht oder doch nicht endgültig durch Verwaltungsakt, sondern nur durch Rechtsprechung erfolgen 49. zurückgenommen wird; R.Ges. § 29 Z. 3. — Nach Schweiz. O.R. Art. 710 u. 716 Abs. 4 können Genossenschaften und Vereine aufgelöst werden, wenn sie unerlaubte oder unsittliche Zwecke verfolgen oder unerlaubte oder unsittliche Mittel anwenden. 89 R.Gew.O. § 103 Z. 3, 104g Z. 3; R.Genoss.Ges. § 79 (altes § 35); Hülfskassenges. § 29 Z. 4; Sächs. Ges. v. 15. Juni 1868 § 78; Oesterr. Ges. v. 9. Apr. 1873 § 37-38 u. 88; Entw. I I § 40 Abs. 3 - 4 . 40 R.Gew.O. § 103 Z. 1, 104 g Z. 1; Hülfskassenges. § 29 Z. 5 a. 41 R.Gew.O. § 103 Z. 2,104g Z. 2; Hülfskassenges. § 29 Z. 1, 2 u. 5; Preufs. Wassergenoss.Ges. v. 1. Apr. 1879 § 61 Z. 2. 43 Hülfskassenges. § 29 Z. 6. 48 Die Schliefsung von Vereinen auf Grund der Vereinsgesetze (Gierke a. a. Ο. S. 782 Anm. 1) vernichtet zugleich ihre Rechtsfähigkeit; so auch Entw. I I § 64 Abs. 3. 44 Vgl. oben Anm. 4. 46 So namentlich bei leistungsunfähigen Gemeinden (vgl. ζ. B. Preufs. L.G.O. v. 3. Juli 1891 § 2 Z. 2 u. 5 a) u. öffentlichen Genossenschaften (Unfallversich.Ges. § 33, Krankenversich.Ges. § 47 Abs. 1, 68 u. 72, Rosin, Oeff. Genoss. S. 151); aber auch bei eingeschriebenen Hülfskassen (§ 29) und in gewissen Fällen auch bei anderen privaten Genossenschaften (oben Anm. 17). 46 Vgl. oben Anm. 15. 47 R.Ges. v. 20. Apr. 1892 § 61. 48 Vgl. z. B. R.Gew.O. § 20—21 u. § 103 Abs. 3 - 4 , Krankenversich Ges. § 47 Abs. 3, § 48 Abs. 4, Hülfskassenges. § 29 Abs. 2 u. Entw. I I § 40 Abs. 4; ferner Unfallversich.Ges. § 31 Z. 3 u. § 33; auch Preufs. L.G.O. v. 3. Juli 1891 § 2 Z. 3—4 u. 6—7. 49 Ein Urtheilsspruch des Civilrichters ist zur Auflösung einer Gesellschaft

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II. Wirkungen. Mit der Beendigung einer Körperschaft erlöschen alle diejenigen Rechte und Pflichten der weggefallenen Verbandspersönlichkeit, die an ihr Subjekt gebunden sind50. Diejenigen Rechte und Pflichten dagegen, die ihr Subjekt überdauern, bilden eine körperschaftliche Verlassenschaft 6 1 . In diese Verlassenschaft findet eine Rechtsnachfolge statt, die als s ο z i a 1 r e c h 11 i c h e Succession eigenartigen Regeln untersteht. Der Begriff der individualrechtlichen Erbfolge ist für sie nicht verwendbar. Wenn im Gegensatze hierzu eine bis vor Kurzem herrschende und noch heute nicht überwundene Theorie, indem sie die Vorstellung der juristischen Person als eines künstlichen Individuums folgerichtig entfaltet, das erledigte Verbandsvermögen als erblose Verlassenschaft ansieht und als solche grundsätzlich dem Fiskus zuspricht52, so ist mit beschränkter Haftung bei angestellter Auflösungsklage (oben Anm. 47) und in Ermangelung eines Verwaltungsstreitverfahrens auch bei körperschaftlichem Verschulden (oben Anm. 38) erforderlich (R.Ges. v. 20. Apr. 1892 § 61 Abs. 3 u. § 62 Abs. 2); er war früher auch zur unfreiwilligen Auflösung eingetragener Genossenschaften (R.Ges. v. 4. Juli 1868 § 35) und zur Strafauflösung von Aktiengesellschaften (Preufs. Ges. v. 9. Nov. 1843 § 7 u. E.G. zum H.G.B. Art. 12 § 5) erforderlich. Vgl. ferner Sächs. Ges. v. 15. Juni 1868 § 78—79; Schweiz. O.R. Art. 710 u. 716 Abs. 4. Durch Beschlufs des Civilrichters erfolgt die Auflösung eingetragener Genossenschaften wegen Verminderung der Mitgliederzahl unter das gesetzliche Mafs (oben Anm. 15; ebenso Entw. I I § 63). — Ein Urteilsspruch des Strafrichters entscheidet nach Preufs. Ges. v. 11. März 1850 über die Schliefsung von Vereinen; ebenso früher nach Bayr. Genoss.Ges. Art. 35 über die Strafauflösung von Genossenschaften. — Ein verwaltungsgerichtliches Urtheil wird, wo ein Verwaltungsstreitverfahren besteht, reichsgesetzlich zur Strafauflösung von eingetragenen Genossenschaften nach R.Ges. v. 1. Mai 1889 § 79 Abs. 2 und von Gesellschaften mit beschränkter Haftung nach R.Ges. v. 20. Apr. 1892 Abs. 2 (von allen Vereinen nach Entw. I I § 40), sowie zur endgültigen Entscheidung über die Schliefsung von Krankenkassen (Krankenversich.Ges. a. a. O. mit § 24) berufen; desgleichen kraft reichsgesetzlicher Ermächtigung landesgeeetzlich zur endgültigen Schliefsung von Innungen, Innungsverbänden und eingeschriebenen Hülfskassen (vgl. z. B. Preufs· Ges. v. 1. Aug. 1883 § 126 u. 142, Bad. Ges. v. 14. Juni 1884 § 4 Nr. 5); ebenso nach Bayr. Ges. v. 8. Aug. 1878 Art. 8 Z. 6 u. Art 9 zur endgültigen Schliefsung von Vereinen, mögen sie nun die Rechte „anerkannter Vereine" erworben haben oder nicht. 50 Gierke a. a. O. S. 855 ff. 61 Es sind dies dieselben Rechte und Pflichten, die bei dem Tode eines Menschen dessen Erbschaft bilden; a. a. 0. S. 856—857. 59 Vgl. über die Ausbildung dieser Theorie durch die mittelalterliche Jurisprudenz, die aber dabei zwischen weltlichem und kirchlichem Fiskus unterschied, Gierke, Genossenschaftsr. I I I 238 Anm. 171, 351 Anm. 341, 412 ff., 499 ff.; über ihre neueren Vertreter Genossenschaftsth. S. 857 Anm. 3. Aufgenommen ist sie in das Sächs. b. Gb. § 57. Aber auch Entw. I § 49 Abs. 2 u. I I § 41 Abs. 2 u. § 42 Abs. 1 verrathen ihre Einwirkung.

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diese Lehre, der gegenüber besser begründete Theorien niemals ganz verstummt sind58, Angesichts der neueren deutschen Rechtsgestaltung schlechthin unhaltbar54. Die soziale Rechtsnachfolge vollzieht sich durch einen von Rechtswegen eintretenden Anfall an das nach der Rechtsordnung anfallberechtigte Subjekt. Die Bestimmung des Anfallberechtigten kann zunächst durch das besondere Verfassungsrecht der einzelnen Körperschaft erfolgen 55. Kraft gesetzlicher oder statutarischer Ermächtigung kann sie auch durch eine Verfügung der Körperschaft über ihren künftigen Nachlafs stattfinden 56. Mangels besonderer Satzung oder Verfügung 63 Diese Theorien wollten das rechtliche Schicksal des Korporationsvermögens je nach dessen Ursprung und Zweckbestimmung ungleich ordnen; so schon die Glossatoren, besonders aber Bar to lus und zahlreiche spätere mittelalterliche u. moderne Civilisten; vgl. Gierke, Genossenschaftsr. I I I 237, 413, 499, 715, Genossenschaftsth. S. 858 Anm. 1. 54 Vgl. Bluntschli, D.P.R. § 38 Anm. 7 u. § 43 Anm. 4, Rosin, Oeff. Genoss. S. 153 Anm. 31, Bekker, Pand. § 67 Beil. V u. § 69 Beil. IV, Regelsberger §86 u. andere b. Gierke a. Λ. Ο. S. 858 Anm. 2 angeführte Schriftsteller, von denen indefs Manche den Anfall an den Fiskus aus dem Titel der bona vacantia immer noch als prinzipale Norm festhalten. w Pr. L.R. II, 6 § 192; Zürch. Gb. § 47 (jetzt § 37); Schweiz. OJl. Art. 713 Abs. 1 u. 716 Abs. 3; Entw. I I § 41 Abs. 1. Bei eingeschriebenen Hülfskassen (R.Ges. § 2 Z. 8), Baukrankenkassen (R.Ges. § 72 Abs. 3) u. Innungen (R.Gew.O. § 98a Z. 11) ist sogar die Aufiaahme einer derartigen Bestimmung in das Statut gesetzlich vorgeschrieben. Neben den sonstigen gesetzlichen Schranken des autonomischen Beliebens begegnen dabei besondere gesetzliche Schranken; vgl. z. B. R.Gew.O. § 103 a Abs. 1 u. 104 o, Bayr. Bergges. Art. 190. Erfolgt die Bestimmung im Wege der Abänderung oder Ergänzung der ursprünglichen Verfassung, so bilden für sie zugleich die bereits erworbenen Rechte und namentlich auch die anwartschaftlichen Sonderrechte der Mitglieder eine Schranke; Gierke a. a. Ο. S. 860, Regelsberger § 86 He. 66 Ohne Weiteres besitzt eine Verbandsperson keineswegs gleichsam die Testirfähigkeit; vgl. Seuff. X Nr. 225, Bekker, Pand. I 260—261, Gierke a. a. Ο. S. 861 Anm. 1. Dagegen kann das Statut, insoweit es den Anfallberechtigten unmittelbar bestimmen kann, auch der Mitgliederversammlung oder einem andern Körperschaftsorgan die Bestimmung anheimgeben; Entw. I I § 41 Abs. 1. Gesetzliche Ermächtigungen der Mitgliederversammlung zu gewissen Verfügungen über den körperschaftlichen Nachlafs begegnen vielfach ; vgl. z. B. R.Gew.O. § 94 Abs. 2 und 104 ο (dazu ältere Gesetze über Zünfte bei Gierke, Genossenschaftsr. I 952 Anm. 6, 953 Anm. 7 und 956), Unfall versieh. Ges. § 32 Abs. 2, Bayr. Bergges. Art. 190, auch H.G.B. Art. 215 Abs. 4; ferner Schweiz. O.R. Art. 716 Abs. 3—4 u. Entw. I I § 41 Abs. 3; Näheres bei Gierke, Genossenschaftsth. S. 861 Anm. 2 und über die Möglichkeit einer derartigen Verfügung noch während des Auseinandersetzungsstadiums S. 863 Anm. 1. Immer müssen natürlich auch hier etwa entgegenstehende erworbene Rechte und namentlich auch anwartschaftliche Sonderrechte der Mit-

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erfolgt sie durch allgemeine Sätze des Gesetzes- oder Gewohnheitsrechtes , die aber nicht nur für die verschiedenen Körperschaftsgattungen, sondern auch je nach der Beendigungsart ungleich lauten67. Als oberster Gesichtspunkt waltet dabei im geltenden Rechte die Rücksichtnahme auf die zwischen der wegfallenden Verbandsperson und der übrigen Personenwelt bestehenden personenrechtlichen Zusammenhänge. Der körperschaftliche Nachlafs fällt daher regelmäfsig dahin, wohin die körperschaftliche Persönlichkeit selbst gefallen ist. Insbesondere erscheint sein Anfall als Folge des durch die soziale Lebensbewegung bewirkten Ueberganges der Elemente des aufgelösten Verbandslebens in anderes Leben68. Darum erfolgt zunächst in den Fällen, in denen die Elemente der aufgelösten Körperschaft zur Neuschaffung oder Umschaffung von Verbandspersönlichkeit verwandt werden, der Anfall der körperschaftlichen Verlassenschaft an die neugebildete oder umgebildete Ersatzperson. So wird bei der Umwandlung einer Körperschaft durch Auflösung und Neubildung das neue Rechtssubjekt zur Gesammtnachfolge in das Vermögen des weggefallenen Rechtssubjektes berufen 69. So succedirt einer durch Vereinigung untergegangenen Körperschaft im Falle der Verschmelzung mehrerer Körperschaften die hierdurch neu entstandene und im Falle der Einverleibung einer Körperschaft die hierdurch umgebildete Verbandsperson60. So fällt das Vermögen einer durch Zertheilung zerstörten Körperschaft den aus ihr gebildeten neuen Verbandspersonen zu verhältnifsmäfsigen Theilen an 61 . glieder erst durch Zustimmung der Berechtigten überwunden werden : a. a. 0. S. 862 Anm. 1 u. S. 868 Anm. 1. A. a. 0. S. 863. 68 A. a. 0. S. 864 ff. M Vgl. oben § 69 Anm. 26-, R.Ger. VII Nr. 23, XXVI Nr. 64; R.Ges. v. 20. Apr. 92 § 79 Abs. 1. 60 Oben. § 69 Anm. 30—31; Unfallvers.Ges. § 32 Abs. 1; Krankenvers.Ges. § 67 c. Abs. 3; Preufs. L.G.O. v. 3. Juli 91 § 3 a. E. (im Falle der Vereinigung von Gemeinden geht das Vermögen auf die neugebildete Gemeinde über); H.G.B. Art. 247. Vgl. auch R.Ger. X V I Nr. 60. 61 Seuff. XIX Nr. 12(nach dem Mafsverhältnifs der Aufnahme des „materiellen Bestandes des früheren Verbandes"); Unfallversich.Ges. § 31 Abs. 4; Krankenvers. Ges. § 48 Abs. 1 u. 4. — Verwandt ist die Vermögensübertragung, die im Wege verhältnifsmäfeiger Vermögenstheilung bei der Abzweigung einer Verbandsperson von einer fortbestehenden Verbandsperson (oben § 69 Anm. 32) und bei der Einverleibung von Wesensbestandtheilen einer fortbestehenden Verbandsperson in eine andere Verbandsperson (ib. Anm. 33) stattfindet. Neuere Gesetze gewähren auch hier feste Rechtsansprüche auf einen der Bestandsverftnderung entsprechenden Vermögensteil, die aber mangels Vereinbarung erst durch behördliche Auseinander-

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Steht eine Ersatzperson nicht bereit, so ist überall da, wo die Elemente der aufgelösten Körperschaft in das Leben eines Ganzen, dessen Glied sie war, zurückfallen, eine höhere Verbandsperson zur Rechtsnachfolge berufen. So gebührt der Kirche ein Heimfallsrecht am Vermögen der kirchlichen Rechtssubjekte62, der Gemeinde am Vermögen der kommunalen Gliedkörper68. Insbesondere aber besteht ein umfassendes Heimfallsrecht des Staates64, das nicht nur im Zweifel alle öffentlichen Körperschaften ergreift, sondern vielfach auch auf private Genossenschaften mit gemeinnützigen Zwecken erstreckt wird 65 . Diesen sozialen Heimfallsrechten liegt keineswegs der Anspruch auf erbloses Gut zu Grunde. Sie wurzeln vielmehr in dem Berufe des höheren sozialen Organismus, die leer gewordene Stelle eines gliedmäfsigen sozialen Organismus auszufüllen. Darum sind sie auch vielfach durch eine fortdauernde Zweckgebundenheit des angefallenen Vermögens beschränkt und sollen zum Theil nur dessen Ueberleitung auf eine der erloschenen Verbandsperson substituirte Ersatzperson gleicher oder ähnlicher Art vermitteln66. setzung realisirt werden können-, Kranken vers.Ges. § 47 Abs. 5—6, 48 Abs. 4, 67 a, 68 Abs. 5, Unfallvers.Ges. § 32 Abs. 2—5, Preufs. L.G.O. v. 3. Juli 1891 § 3. 68 Gierke, Genossenschaftsth. S. 868 Anm. 1.; Bündner Gb. § 96. 68 A. a. 0. S. 869 Anm. 1. Kraft positiver Vorschrift der R.Gew.O. § 94 Abs. 3 und § 103 a im Zweifel auch bei Innungen. Vgl. ferner Zürch. Gb. § 47 (jetzt § 37), Glarner § 138, Solothurner § 1226, Bündner § 96. 64 Bei Berufsgenossenschaften für Unfallversicherung succedirt das Reich, R.Ges. § 33; nur im Falle des § 93 Abs. 3 ein Einzelstaat. 65 An sich kann eine derartige Zweckbestimmung keineswegs, wie b. Seuff. X I I I Nr. 207 u. v. Regelsberger § 86 I I D l angenommen wird, den Rückfall der Persönlichkeit und somit auch des Vermögens einer freien Genossenschaft in die Individualsphären ausschliefsen; Gierke a. a. 0. S. 870 Anm. 1. Anders nach positiven Gesetzen; vgl. Pr. L.R. II, 6 § 192 ff., Sächs. Gb. § 57, Zürch. Gb. § 47 (jetzt § 37). Entw. I I § 41 will bei jedem rechtsfähigen Verein, der nicht ausschliefslich den Interessen seiner Mitglieder diente, dem Fiskus ein Anfallsrecht gewähren, jedoch bei Vereinen für ideale Zwecke die Mitgliederversammlung gesetzlich ermächtigen, den Anfall an den Fiskus durch Zuweisung des Vermögens an eine öffentliche Stiftung oder Anstalt auszuschliefsen. ββ Die Verpflichtung, heimgefallenes Körperschaftsvermögen nur fiir gleiche oder verwandte Zwecke zu verwenden und womöglich einer für einen solchen Zweck bestehenden oder neu gebildeten Verbandsperson zu überweisen, besteht nicht nur für die Kirche (Hinschius I I 462) und die Gemeinde (R.Gew. 0. § 94 Abs. 3 u. 103a, Zürch. Gb. § 48 [jetzt § 38]), sondern auch für den Staat; Gierke a. a. 0. S. 870 ff., Dernburg, Pand. § 64 Anm. 8, Seuff. X I I I Nr. 207, Schweiz. Gesetzb. b. Huber I 170—172; dazu Entw. I I § 42 Abs. 1. Doch fordert das Pr. L.R. II, 6 § 192 nur „anderweitige Verwendung für das gemeine Wohl".

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Wo im Gegensatze zu solchem Heimfalle des Gliedes an das Ganze die Elemente der aufgelösten Körperschaft in das Leben ihrer Glieder zurückkehren, vollzieht sich der Anfall der körperschaftlichen Verlassenschaft an die Mitglieder. Dieses Verhältnifs tritt ein, sobald ein wesentlich nur auf sich selbst gestellter und durch den ihm immanenten Gemeinwillen zusammengehaltener sozialer Körper in seine Bestandtheile zerfällt. Darum mufs heute bei allen privaten Genossenschaften die Rechtsnachfolge sämmtlicher zur Zeit der Auflösung vorhandenen Mitglieder als Regel geltene7. Kraft besonderer Bestimmung aber kommt die Mitgliedernachfolge auch bei öffentlichen Genossenschaften vor 68 . Da es sich auch hier nicht um eine individualrechtliche Erbfolge, sondern um eine im Mitgliedschaftsverhältnifs wurzelnde sozialrechtliche Succession handelt, vollzieht sich der Anfall nach dem Speziell ist bei dem Wegfall von Gemeinden durch manche Verf. Urk. (Hefs. § 46, Braunschw. § 45, Kob.-Gotha § 65, Meining. § 26, Altenburg § 113) die Vereinigung des Gemeindevermögens mit dem Staats vermögen untersagt. Das Vermögen einer aufgelösten Krankenkasse ist, falls die versicherungspflichtigen Mitglieder einer anderen Kasse zugewiesen werden, an diese Kasse abzuführen, sonst aber „in der dem bisherigen Zwecke am meisten entsprechenden Weise zu verwenden"; Krankenversich. Ges. § 47 Abs. 5, 48 Abs. 4, 68 Abs. 5. Vgl. auch die Bestimmungen des Bayr. Bergges. Art. 190 über Knappschaften. Ferner die älteren Gewerbegesetze über die Schicksale des Zunftvermögens b. Gierke, Genossenschaftsr. I 952 ff. 67 Unger, Krit. Uebersch. VI 179, Roth, D.P.R. § 72 Anm. 42, Bolze S. 182 ff., Rosin, Oeff. Genoss. S. 153 Anm. 31, Stobbe I 499, Gierke, Genossenschaftsth. S. 873, Regelsberger §86 I I C 2 ; für Versicherungsgesellschaften auf Gegenseitigkeit R.O.H.G. IV 201 u. Eh r en b erg, Versicherungsr. S. 149. Ausdrücklich bestimmen dies alle Spezialgesetze für die von ihnen geregelten privaten Genossenschaften. Dagegen Entw. I I § 42 nur für Vereine, die aueschliefslich den Interessen ihrer Mitglieder dienten, und auch hier bei Vereinen für ideale Zwecke vorbehaltlich einer gesetzlichen Ermächtigung der Mitgliederversammlung, den Anfall an die Mitglieder durch einen Beschlufs des oben Anm. 65 bezeichneten Inhaltes auszuschliefsen. Auch das Schweiz. O.R. Art. 716 Z. 3—4 beschränkt bei Vereinen mit idealen Zwecken der gesetzlichen Anfall an die Mitglieder durch die Bestimmung, dafs die Generalversammlung die Zuwendung des Vermögens an eine für gleiche oder ähnliche Zwecke sorgende öffentliche Anstalt beschliefsen kann, im Falle der Strafauflösung aber das Gericht eine solche Zuwendung anordnen kann und, wenn der Vereinszweck ein öffentliches Interesse hatte, anordnen mufs. Ueber Schweiz. Kantonalrechte vgl. Hub er I 170 ff. 68 So bei öffentlichen Wassergenossenschaften (Preufs. Ges. § 87 mit § 41), Waldgenossenschaften (Preufs Ges. § 46) und Haubergsgenossenschaften (Haubergs0. f. Siegen § 46). Desgleichen bei Innungsverbänden (R.Gew.O. § 104 ο Abs. 3). Bei Innungen kann hinsichtlich des durch Beiträge der Mitglieder entstandenen Vermögens ein Körperschaftsbeschlufs die Vertheilung unter die zeitigen Mitglieder anordnen (R.Gew.0. § 94 Abs. 2 u. § 103 a Abs. 3).

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Mafse der Mitgliedschaftsrechte 69 und in körperschaftsrechtlicher Gebundenheit70. In manchen Fällen findet unter Sonderung eines der bisherigen sozialen Bestimmung zu erhaltenden und eines der Auftheilung unterworfenen Bestandtheiles der körperschaftlichen Hinterlassenschaft eine Kombination des Anfalles an ein höheres Ganze und des Anfalles an die Glieder statt71. Fehlt es endlich überhaupt an einem Anfallsberechtigten, so kann ausnahmsweise der Fall vorkommen, dafs wirklich einmal der Fiskus aus dem Titel der bona vacantia zur Nachfolge berufen ist 7 2 . Ihrer rechtlichen Natur nach ist alle sozialrechtliche Succession im Einklänge mit ihrer personenrechtlichen Grundlage eine Gesammtnachfolge. Das Vermögen geht also als Ganzes mit allen in ihm enthaltenen Rechten und Pflichten über 78. Für die Verbindlichkeiten der weggefallenen Verbandsperson haftet aber ihr Rechtsnachfolger mangels persönlicher Uebernahme oder besonderer gesetzlicher Auflage nicht persönlich, sondern nur mit der Verlassenschaft 74. Als Gesammtnachfolger tritt der Anfallsberechtigte auch in die 69 Daher im Zweifel nach Köpfen; R.Genoss.Ges. § 89 Abs. 2 (altes § 47), Bayr. Vereinsges. Art. 29, Zürch. Gb. § 47 (37), Entw. I I § 42 Abs. 1. Dagegen bei Vermögensgenossenschaften nach Antheilen; H.G.B. Art. 245 Abs. 1, R.Ges. v. 20. Apr. 92 § 73; Zürch. Gb. § 46 (jetzt § 36), Gb. f. Glarus § 138. Bei-Versicherungsgesellschaften auf Gegenseitigkeit nach Versicherungsbeträgen; E h r e n berg S. 149. Bei anderen Genossenschaften nach Beitragsleistungen; z. B. bei Waldgenossenschaften nach Preufs. Ges. § 46. Bei Innungsverbänden und Kassenverbänden succediren die einzelnen Innungen oder Kassen nach Beitragsleistungen ; R.Gew.O. § 104 ο Abs. 3, Krankenversich.Ges. § 46 a Abs. 3. 70 Davon unten S. 574 ff. — Ein verwandter Vorgang ist die partielle Auftheilung des Körperschaftsvermögens bei partieller Auflösung; vgl. Gierke, Genossenschaftsth. S. 880 Anm. 2; Krankenversich.Ges. § 46 a Abs. 3. 71 Vgl. z. B. Pr. L.R. II, 6 § 192-202 (Heimfall an den Staat, aber Aus« Scheidung stiftungsmäfsiger Sondermassen und gewisser den Mitgliedern zu leistender Rückgewährungen und Abfindungen); R.Gew.O. § 94, 103a und 104ο ; Gierke a. a. 0. S. 875 Anm. 2. 78 So ζ. B. bei dem Wegfall der sämmtlichen Mitglieder einer privaten Körperschaft; dagegen tritt bei der Beendigung einer öffentlichen Körperschaft auf diesem Wege das soziale Heimfallsrecht ein, vgl. R.Gew.O. § 94 Abs. 6. 78 Pr. L.R. H 6 § 201; Sächs. Gb. § 57; H.G.B. Art. 215 Abs. 4, 245 u. 247; R.Genoss.Ges. § 88; Krankenversich.Ges. § 47; R.Gew.O. § 94, 103 a u. 104 ο, R.Ges. v. 20. Apr. 1892 § 74 u. 79; Preufs. Wassergenoss.Ges. § 37 u. 41; R.Ger. I Nr. 38, X X V I Nr. 64, X X V I I I Nr. 83, Seuff. XLVII Nr. 265; Gierke a. a. Ο. S. 876. 74 Eine gesetzliche Ausnahme besteht nach Unfallversich.Ges. § 33 zu Lasten des einer wegen Leistungsunfähigkeit aufgelösten Berufsgenossenschaft succedirenden Reiches oder Staates.

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Rechte und Pflichten der aufgelösten Körperschaft gegen ihre Mitglieder ein, soweit diese Rechte und Pflichten in ihren sonderrechtlichen Bestandteilen das Mitgliedschaftsverhältnifs überdauern75. Insbesondere entfalten gewisse mitgliedschaftliche Sonderrechtsverhältnisse, die gerade auf den Fall der Auflösung abzielen, nun erst ihre Wirksamkeit. So einerseits die subsidiären Haft- und Deckungspflichten 7 e , andrerseits die anwartschaftlichen Sonderrechte am Körperschaftsvermögen 7 7 . III. Verwirklichung der Auflösungsfolgen. Die Wirkungen der Beendigung einer Körperschaft treten in dem Zeitpunkte ein, in dem die mit Beendigungskraft ausgerüstete Thatsache oder Willensaktion vollendet ist 78 . Vielfach ist eine öffentliche Feststellung und Kundmachung der Beendigung vorgeschrieben79. Doch pflegt 78 So kann er einerseits fällig gewordene Beitragsleistungen ehemaliger Mitglieder noch einfordern (R.O.H.G. XX Nr. 72 u. X X I I Nr. 30, R.Gew.O. § 103 a u. 104 n, Hülfskassenges. § 31), auch Ersatzansprüche gegen ehemalige Organe noch geltend machen (Seuff. X L I Nr. 207). Andrerseits mufs er die bereits entstandenen Ansprüche von Mitgliedern befriedigen; so z. B. Versicherungsansprüche (Unfallversich.Ges. § 32 Abs. 2—4 u. § 33, Krankenversich.Ges. § 47 Abs. 5 u. 68 Abs. 5, Hülfskassenges. § 31, Ehrenberg S. 148), Gewinnbezugsrechte (R.Genoss.Ges. § 89 Abs. 1) u. s. w.; vgl. auch die alle solche Mitgliederansprüche deckenden Bestimmungen des Pr.L.R. II, 6 § 198-200 u. 202. 76 Eine blofse Haftpflicht für den Ausfall begründet freilich nur ein Gläubigerrecht, kein Recht des Nachfolgers der aufgelösten Körperschaft; vgl. R.Ger. I I I Nr. 7 u. V I I I Nr. 18, dazu Gierke a. a. O. S. 301 Anm. 1 u. 878 Anm. 2. Aus der mitgliedschaftlichen Deckungspflicht (Nachschufspflicht) aber entspringen Forderungsrechte des Rechtsnachfolgers gegen die ehemaligen Mitglieder, die als Aktivbestandtheile des Nachlasses zur Befriedigung der Gläubiger verwandt werden müssen; R.Genoss.Ges. § 98—108, 122—224, 135, Preufs. Wassergenoss.Ges. § 24 u. 52, Waldges. v. 6. Juli 1875 § 43. 77 Vor der Befriedigung solcher Anrechte ist kein Aktivvermögen vorhanden. So ergiebt sich bei eingetragenen Genossenschaften erst nach vollständiger Auszahlung der Geschäftsguthaben ein Ueberschufs der Aktiven des Nachlasses über die Passiva ; R.Genoss.Ges. § 89. Wo daher bei genossenschaftlichem Gesammteigenthum die antheilmäfsigen Anwartschaftsrechte das ganze Genossenschaftsvermögen erschöpfen, findet im Falle der Mitgliedernachfolge überhaupt keine eigentliche Succession, sondern eine Konsolidation statt; Beseler S. 271, Gierke a. a. O. S. 879. — Ueber die Realisirung der Anwartschaftsrechte von Aktionären, die bei der Umwandlung einer Aktiengesellschaft in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung nicht Mitglieder der neu gebildeten Körperschaft werden, vgl. R.Ges. v. 20. Apr. 1892 § 79 Abs. 2 mit § 78 Abs. 3—4. 78 Gesetzliche Fixirungen dieses Zeitpunkts finden sich z. B. im R.Genoss.Ges. § 78 Abs. 2 u. Preufs. Wassergenoss.Ges. § 63. Vgl. Gierke a. a. O. S. 881 Anm. 1. 79 H.G.B. Art. 243 und 247; R.Genoss.Ges. § 80; R.Ges. v. 20. April 1892 § 65; Sächs. Ges. v. 15. Juni 1868 § 31—32; Bayr. Vereinsges. Art. 26—28; Preufs. Wassergenoss.Ges. § 32; Schweiz. O.R. Art. 665, 669, 711—712.

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hiervon auch da, wo Beginn und Veränderung des körperschaftlichen Daseins durch eine solche Kundmachung bedingt sind, dessen Beendigung nicht abzuhängen80. Die Verwirklichung der Auflösungfolgen vollzieht sich aber meist nicht mit Einem Schlage, sondern durch eine Reihe von Handlungen und Vorgängen, die oft einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen. Auf die Beendigung der Körperschaft folgt daher regelmäfsig ein besonderes Zersetzungsstadium. Dasselbe trägt in ähnlicher Weise wie das Gründungsstadium ein zwiefaches rechtliches Antlitz. Denn insoweit, als es sich auf die Ueberftihrung der Bestandteile der aufgelösten Rechtssphäre in andere Rechtssphären richtet, bestéht es aus individualrechtlichen Handlungen und Vorgängen, die dem allgemeinen Verkehrsrechte unterstehen. Insoweit jedoch, als es auf die Dekomposition des sozialen Körpers durch Abtragung seines Rückstandes abzielt, bildet es eine einheitliche sozialrechtliche Gesammtaktion, die den Normen des Körperschaftsrechtes unterworfen bleibt81. Darum entspricht dem körperschaftlichen Vorleben des Gründungsstadiums ein körperschaftliches Nachleben des Zersetzungsstadiums. Von einem wirklichen oderfingirten Fortbestande der Verbandspersönlichkeit darf man freilich nicht reden83. Eine Person kann unmöglich sich selbst überleben, um ihre eigne Verlassenschaft zu reguliren. Vielmehr wird die soziale Nachlafsregulirung von dem Rechtsnachfolger der Körperschaft oder einem anderen dazu berufenen lebendigen Willensträger besorgt. Allein kraft Nachwirkung der ehemaligen Verbandspersönlichkeit, die ihr nunmehriger Träger bis zur ordnungemäisigen Zersetzung ihrer organischen Reste als einen gesonderten Bestandtheil seiner eignen Persönlichkeitssphäre fortzuführen hat, bleibt die Lebensordnung des abgestorbenen Gemeinwesens für einen sich unter anderen Personen abspielenden Lebensvorgang in Kraft 88. Das körperschaftliche Nachleben äufsert sich vor allern in der Fortdauer einer objektiven Einheit des Verbandsvermögens, das in der Hand des nunmehrigen Vermögensherrn als ein zweckgebundenes Sondervermögen seine volle Geschlossenheit und Selb80

Gierke a. a. Ο. S. 882 Anm. 2. — Abweichend Bad. Wasserges. Art. 57. Gierke a. a. 0. S. 888 ff. 82 In Praxis u. Theorie begegnet oft eine derartige Konstruktion; vgl. z. B. R.O.H.G. XIX 163, R.Ger. V 7, IX 18, v. Sicherer S. 284, Stobbe I 496 und weitere Nachweisungen b. Gierke S. 885 Anm. 1. Folgerichtig mufs man dann mit Löwenfeld, Aktienges. 8. 518 u. 521, u. v. Völderndorff, Komm, zu H.G.B. Art. 244 S. 730 Anm. 7, die „Auflösung" als blofse „Veränderung" deuten. 88 Gierke a. a. 0. S. 884 if.; Neukamp a. a. 0. S. 260 ff. 81

§

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ständigkeit bewahrt84. Dieses Sondervermögen ist eben kraft seiner Zweckbestimmung dem Untergange gewidmet und kann und soll diesem stufenweise zugeführt werden. Inzwischen aber ist sein Bestand rechtlich gesichert. Der Vermögensherr darf es bei eigner Verantwortung nicht vorzeitig zerstören : jedenfalls nicht vor Erfüllung oder Sicherstellung aller auf ihm lastenden Verbindlichkeiten85, vielfach nicht vor Ablauf eines gesetzlich festgestellten Mindestzeitraumes86. Die Nachwirkung ehemaliger Verbandspersönlichkeit äufsert sich aber auch in der Fortdauer von Elementen der subjektiven Verbandseinheit, indem der Rechtsnachfolger durch den Eintritt in eine noch von der körperschaftlichen Lebensordnung beherrschte personenrechtliche Stellung für die Dauer des Uebergangsstadiums eine Modifikation seiner Rechtssubjektivität erleidet. Bei dem Anfalle der körperschaftlichen Verlassenschaft an eine einzige Person entfaltet sich hauptsächlich nur die objektive Nachwirkung des beendigten Verbandslebens87. Der Rechtsnachfolger hat 84

Vgl. Gierke a. a. 0. S. 886 if. und über die Eigenartigkeit dieser nur aus der Nachwirkung erloschener Persönlichkeit erklärbaren Form von Vermögenseinheit S. 888 Anm. 3. 86 H.G.B. Art. 245, R.Genoss.Ges. § 88, R.Ges. v. 10. Apr. 1892 § 74, Sächs. Ges. v. 15. Juni 1868 § 31—32, Bayr. Vereinsges. Art. 28, Preufs. Wassergenoss.Ges. § 41; Entw. I I § 47—48. Die Gesetze treffen nähere Bestimmungen darüber, wie die bekannten Gläubiger durch besondere Mittheilungen und die unbekannten Gläubiger durch öffentliche Kundmachungen von der Auflösung in Kenntnifs zu setzen und zur Anmeldung ihrer Ansprüche aufzufordern, die angemeldeten Schuldbeträge durch Zahlung und die nicht angemeldeten bekannten Schuldbeträge durch öffentliche Hinterlegung zu berichtigen und die schwebenden oder streitigen Forderungen sicher zu stellen sind, bevor das Vermögen vertheilt oder sonst mit anderem Vermögen verschmolzen werden darf. 86 Des sogenannten „gesperrten Jahres" nach H.G.B. Art. 245 Abs. 2 u. 247 Z. 5, R.Genoss.Ges. § 88 Abs. 1, R.Ges. v. 20. April 1892 § 74 Abs. 1, Sächs. Ges. § 34, Bayr. Ges. Art. 29 u. allgemein Entw. I I § 47. Vgl. Oesterr. Genoss.Ges. § 81 u. Schweiz. O.R. Art. 667 u. 669 (bei Genossenschaften schreibt Art. 713 Abs. 2 nur ein gesperrtes Halbjahr vor). 87 So bei dem Heimfall an eine höhere Verbandsperson, vgl. Hinschius K.R. I I 463, Gierke a. a. 0. S. 889, Preufs. L.R. II, 6 § 201; dem Erfolge nach auch, wenn der Fiskus als „Erbe" behandelt wird, Sächs. Gb. § 2620, Entw. I I § 42 Abs. 1. Ebenso bei dem Uebergange auf eine zum Ersatz berufene Verbandsperson; vgl. die Vorschriften über Fusion von Aktiengesellschaften in H.G.B. Art. 247 u. R.Ger. IX Nr. 3; auch R.Ges. v. 20. April 1892 § 78—79. Endlich aber auch bei der Nachfolge einer kraft spezieller Berufung oder ale letztes Mitglied succedirenden Einzelperson; Gierke a. a. Ο. S. 836 ff. und 890. — Aehnlich verhält es sich, wenn der Anfall an mehrere untereinander nicht oder doch nicht durch den aufgelösten Verband verbundene Personen erfolgt; denn hier entsteht zwar unter den Nachfolgern eine Gemeinschaft, allein diese Gemeinschaft wird von

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Zweites Kapitel.

Das Recht der Verbandspersölichkeit.

hier zwar eine Liquidation des ihm angefallenen Sondervermögens durchzuführen, untersteht aber hinsichtlich seiner hierzu erforderlichen Willensthätigkeit der eignen Daseinsordnung. Gleichwohl fehlt es auch hier nicht ganz an subjektiven Nachwirkungen der erloschenen Persönlichkeit88. In ungleich stärkerer Weise aber tritt bei dem Anfalle der körperschaftlichen Verlassenschaft an die Summe d e r M i t g i e d e r neben der objektiven Nachwirkung die subjektive Nachwirkung des Körperschaftslebens hervor. Denn hier bleibt die Vielheit der nunmehrigen Vermögensherren, so lange das ihnen nach Antheilen angefallene Vermögen als Sondervermögen fortbesteht, für dessen Bereich zu einer von der fortwirkenden Daseinsordnung der erloschenen Körperschaft beherrschten Gemeinschaft verbunden. Hierauf beruht die als „Liquidation" im engeren Wortverstande in solchen Fällen eintretende und von den neueren Gesetzen eingehend geordnete Form der genossenschaftlichen Nachlafsregulierung 89. Die Genossenschaft „in Liquidation" ist eine durchaus eigenartige Gemeinschaft, die als eine sich zersetzende Körperschaft unter Körperschaftsrecht steht und doch keine lebendige Körperschaft mehr ist 90 . Sie bewahrt die einheitliche Rechtsfähigkeit*91: allein ihre Rechtsfähigkeit wird durch die ihr ihrem eigenen Prinzip und nicht von der Lebensordnung der ehemaligen Körperschaft beherrscht; a. a. 0. S. 891—892. 88 A. a. 0. S. 891; H.G.B. Art. 247 Z. 2 (Fortbestand des Gerichtsstandes der fusionirten Aktiengesellschaft während der Dauer der getrennten Vermögensverwaltung); R.Ger. I X Nr. 3 (bes. S. 18). 89 H.G.B. Art. 244 u. 244a, R.Genoss.Ges. § 81 ff.; R.Ges. v. 20. April 1892 § 66 ff., R.Gew.O. § 103a u. 104n, Hülfskassenges. § 30; Sächs. Ges. über j. P. § 31 ff., Bayr. Vereinsges. Art. 28—30, Preufs. Wassergenoss.Ges. § 34—43 , 64 u. 86—88; Oesterr. Genoss.Ges. § 41—51; Schweiz. O.A. A r t 666—667 u. 711—714; Entw. I I § 42 Abs. 2 bis § 48 u. § 66—67. — Auch da aber, wo es an gesetzlichen Bestimmungen fehlt, müssen analoge Grundsätze zur Anwendung kommen. So bei Gewerkschaften; vgl. gegen abweichende Entsch. preufeischer Gerichte (Z. f. Bergr. X I I 474 u. XVH 489) R.O.H.G. XIX 190 ff. u. Gierke a. a. O. S. 900 Anm. 3. Ebenso bei Versicherungsgenossenschaften auf Gegenseitigkeit; EhrenbergS. 148. Vgl. auch Stobbe I 496, Bekker, Pand. I 237 u. 259, R.Ger. XXV Nr. 41. 90 H.G.B. Art. 244 a Abs. 1 mit Art. 144 Abs. 1, R.Genoss.Ges. § 85, R.Ges. v. 20. April 1892 § 70; Bayr. Vereinsges. Art. 30 Abs. 1, Preufs. Wassergenoss.Ges. § 42; Entw. I I § 44 Abs. 2; R.O.H.G. XIX 163; Gierke a. a. O. S. 893. 91 Sie behält ihren Gerichtsstand (so die in Anm. 90 angef. Ges. u. Sächs. Ges. § 36 Abs. 1), ihren Namen (wenngleich mit einem den Liquidationszustand andeutenden Zusatz, der aber keine Namensänderung bewirkt, R.Ger. XV Nr. 22 S. 105), ihre Markenrechte (R.Ger. a. a. O.) u. s. w.; vgl. auch R.Ger. V Nr. 2 u. IX Nr. 3.

§

e n d u n g der Körperschaften.

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gestellte Aufgabe der Selbstauflösung begrenzt92. Sie bleibt handlungsfähig: allein ihre Handlungsfähigkeit reicht nicht über das zur Beendigung des körperschaftlichen Lebenswerkes erforderliche Mafs hinaus98. Sie behält die bisherige Organisation94: allein dieselbe erfährt namentlich an ihrer Spitze eine mehr oder minder durchgreifende Veränderung, die vielfach schon äufsörlich in der Ersetzung des Vorstandes durch „Liquidatoren" zu Tage tritt 95 ; die Berufung oder Abberufung von Organträgern und die Neubildung von Organen wird eingeschränkt96; die Zuständigkeiten aller Organe verengern sich97. Und mit der vollständigen Beendigung des Auflösungsstadiums verschwindet dieser ganze Rückstand körperschaftlicher Existenz98. Ein eigenthümliches Verfahren tritt stets im Falle der Konkurseröffnung über den Nachlafs einer Verbandsperson an Stelle des sonstigen Auseinandersetzungsverfahrens 99. Dabei gelten nur 98 Insbesondere mindert sich der Umfang der Körperschaftsgewalt; Gierke a. a. 0. S. 894 Anm. 2, R.O.H.G. X X I Nr. 108. 98 Gierke a. a. 0. S. 895. 94 A. a. 0. S. 896 Anm. 2; R.O.H.G. IX 163; R.Gen. I l l Nr. 16. Insbesondere bleibt regelmäfsig eine Generalversammlung oberstes Organ, ein Aufsichtsrath Kontrolorgan, ein Vorstand Vertretungs- und Regierungsorgan. Denn auch wo an Stelle des Vorstandes „Liquidatoren" treten, haben diese „die Rechte und Pflichten des Vorstandes"; H.G.B. Art. 244a Abs. 2, R.Genoss.Ges. g 87 Abs. 1, R.Ges. v. 20. April 1892 § 72, Sächs. Ges. § 36-37, Bayr. Vereinsges. Art. 30, Entw. I I § 43. 95 Im Zweifel sind zwar die bisherigen Vorstandsmitglieder, möglicher Weise aber auch andere Personen zu Liquidatoren berufen; zum Theil ist auf Antrag eines Organes oder einer Minderheit die gerichtliche Bestellung von Liquidatoren zulässig; der Eintritt (auch des bisherigen Vorstandes) in die Liquidatorenstellung und der Austritt aus derselben wird öffentlich kundgemacht; vgl. die b. Gierke a. a. 0. S. 896 Anm. 3 u. 897 Anm. 1 - 2 angef. Ges. u. dazu R.Ges. ν. 1. Mai 1889 § 81—84 u. v. 20. April 1892 § 66-68, Entw. I I § 43 u. 66. — Auch wo der Vorstand als solcher die Liquidation zu besorgen hat, kann ihm theils durch Statut oder Beschlufs (vgl. z. B. Sächs. Ges. § 37, Bayr. Vereinsges. Art. 30 Abs. 2\ theils auch durch höhere Verfügung (vgl. z. B. Hülfskassenges. § 30, R.Gew.O. § 103 a u. 104 n) ein besonderes Liquidationsorgan substituirt werden. 96 Gierke a. a. 0. S. 898 Anm. 1 - 2 ; R.Ges. ν. 1. Mai 1889 § 81 Abs. 3—4 u. v. 20. Aprü 1892 § 66 Abs. 2—3. Namentlich tritt in erhöhtem Mafse gerichtliche oder sonstige behördliche Mitwirkung ein. 97 Vor Allem die Vertretungs- und Verwaltungsmacht des Vorstandes (oder der Liquidatoren); Gierke a. a. 0. S. 898 Anm. 3, R.Ges. ν. 1. Mai 1889 § 86—87 u. v. 20. April 1892 § 71—72, Entw. I I § 44. Aber auch die Beschlufsgewalt der Generalversammlung; Gierke a. a. 0. S. 899 Anm. 1. Ebenso die Funktionen des Aufsichtsrathes; a. a. 0. S. 900 Anm. 1, H.G.B. Art. 244 a. 98 Gierke a. a. 0. S. 900 Anm. 2; R.O.H.G. XIX 164; R.Ger. XV Nr. 22; R.Ges. ν. 1. Mai 1889 § 90 u. v. 20. April 1892 § 75. 99 H.G.B. Art. 243, R.Genoss.Ges. § 91 ff, R.Ges. v. 20. April 1892 § 63—64,

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Zweites Kapitel. Das Recht der Verbandspersölichkeit.

zum Theil Abweichungen vom gewöhnlichen Konkursverfahren, das für die Erhaltung und Auflösung des als objektiver Rückstand der Körperschaft verbliebenen Sondervermögens hinreichend sorgt 100. Insoweit aber im Konkurse der Gemeinschuldner persönlich zu handeln hat, entfaltet sich auch hier die subjektive Nachwirkung der Verbandspersönlichkeit, so dafs namentlich im Falle der Mitgliedernachfolge auch während des Konkurses die in die Rolle des Gemeinschuldners versetzte Gesammtheit eine vom bisherigen Körperschaftsrecht beherrschte Gemeinschaft bleibt 101 . Vierter Titel. Die Gemeinden insbesondere. § 71. Die alte Markgemeinde 1 . I. Ursprung. Die deutsche Gemeinde war der Niederschlag der einstigen Bodenbesiedlung durch geschlechtige Verbände, die eine ihnen zugleich als Wohngebiet und als Sondervermögen zugetheilte Mark der genossenschaftlichen Ordnung unterworfen hatten. Sie war Hülfskassenges. § 29, R.Gew.O. § 103 Abs. 5 u. 104m, Sächs. Ges. § 35, Bayr. Vereinsg. Art 28 u. 31, Preufs. Wassergenoss.Ges. § 33—34; auch Oesterr. Genoss.Ges. § 60 ff. u. 85 ff., Schweiz. O.R. Art. 635 u. 711—712. Die Konkurseröflnung ist nicht blos in den vom Gesetz hervorgehobenen Fällen (R.Konk.O. § 193 Abs. 2 u. E.G. § 6), sondern stets auch noch im Zersetzungsstadium der Körperschaft möglich. 100 Ueber Abweichungen in den Voraussetzungen vgl. oben Anm. 17; im Uebrigen R.Konk.O. § 193—197 nebst E.G. § 6 u. namentlich R.Genoss.Ges. § 91-111, 116-119, 122-124 u. 134-135. 101 Dies wird zum Theil in den Gesetzen anerkannt oder vorausgesetzt; vgl. R.Gew.O. § 104m, R.Konk.O. § 196 Abs. 1, R.Genoss.Ges. § 97, 101, 108, 110—111, R.Ger. V I I I Nr. 2, Seuff. XXXIX Nr. 188. Es gilt aber allgemein. So z. B. auch fiir Aktiengesellschaften; Seuff. X L I I I Nr. 201. Vgl. auch R.Ger. XIV Nr. 116 u. XVI Nr. 78 (wo aber nicht die vollen Konsequenzen gezogen werden; Gierke a. a. O. S. 903 Anm. 1). 1 G. Hanssen, Agrarhistorische Abhandlungen, Leipz. 1880 u. 1881 (darin Wiederabdruck von Abh. seit 1835). W. Roscher, Ansichten der Volkswirtschaft, Leipzig 1861. K. Th. v. Inama-Sternegg, Deut. Wirthschaftsgesch. I 6 ff., 207 ff., I I Iff. Κ. Lamprecht, Deut. Wirthschaftsleben im M. A. S. 19 ff., 331 ff. u. 667 ff. A. Meitzen, Der Boden u. die landwirthsch. Verhältn. des preufs. Staats I 343 ff. — E. de L a v e l e y e , Das Ureigenthum, übersetzt u. vervollständigt von Bücher, Leipz. 1879. — E. Nasse, Ueber die mittelalterliche Feldgemeinschaft u. die Einhegungen des 16. Jahrh. in Engl., 1869. Seebohm, The englieh village community, 1883 (übers, von Bunsen, Heidelb. 1885). — v. Low, Ueber die Markgenossenschaften, Heidelb. 1829. F. Thudichum, Die Gau- und Markenverfassung in Deutschland, Giefs. 1856; Rechtsgeschichte der

§7.

Die l e Markgemeinde.

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daher und blieb in mannichfachem Wandel ihres äufseren und inneren Baues eine Markgemeinde. Π. Wesen. Das Wesen der Markgemeinde wird durch drei Merkmale bestimmt. 1. Sie erfüllt gleichzeitig den doppelten Beruf eines örtlich en Gem ein we sens und ein er ländlichen W i r thschaftsgenossenschaft. Mit der Eigenschaft eines politisch-sozialen Gebietskörpers im Sinne der heutigen Gemeinde verbindet sie die Eigenschaft einer vermögensrechtlichen Vereinigung im Sinne einer agrarischen Produktivgenossenschaft. Untrennbar sind darum in ihr auch öffentliches und Privatrecht verwoben. 2. Das Band, das sie zusammenhält, ist zugleich Personenvereinigung und Markgemeinschaft. Ursprünglich war die Markgemeinschaft Ausflufs einer vor ihr gegebenen persönlichen Verbundenheit gewesen. Allmählich kehrte sich mit der Verdinglichung der Gemeinde das Verhältnifs um, so dafs nun die Markgemeinschaft als Grundlage des Genossenbandes erschien. Doch hat die persönliche Seite der Verbindung ihre selbständige Bedeutung nie ganz eingebüfst. 3. In der Markgemeinde herrscht die genossenschaftliche Ordnung. Die Mark ist zwischen Gemeinde und Einzelne dergestalt vertheilt, dafs einheitliches Gesammtrecht und mitgliedschaftliche Sonderrechte an ihr einander zugleich begrenzen und ergänzen. Dabei waltet der alte Genossenschaftsbegriff, dem eine Unterscheidung der Gesammtheit als Einheit von der zusammengefafsten Vielheit der Genossen noch fremd ist. Die Grenzen zwischen GeWetterau I 1867, I I 1 1874, I I 2 1885; Gesch. des deut. Privatr. S. 69 ff. u. 403ff. — G. L. v. Maurer, Einleitung zur Geschichte der Mark-, Hof-, Dorf- u. Stadtverfassung u. der öff. Gewalt, Münch. 1854; Geschichte der Markenverfassung in Deut., Erl. 1856; Geschichte der Fronhöfe, der Bauernhöfe u. der Hofverfassung in Deut., 4 Bde., Erl. 1862; Geschichte der Dorfverfassung in Deut., 2 Bde., Erl. 1866; Geschichte der Städteverfassung in Deut., 4 Bde., Erl. 1869—1871. - G. Landau, Die Territorien, Hamb. u. Gotha 1854. — Bluntschli, Staats- u. Rechtsgesch. v. Zürich I 257 ff., I I 53 ff. Blum er, Rechtsgesch. der Schweiz. Demokr. 117 ff., 376 ff. v. Wyfs, Z. f. Schweiz. R. I 20 ff. A. Heusler ib. X 44 ff. A. v. Miaekowski, Die Agrar-, Alpen- u. Forstverfassung der deut. Schweiz in ihrer geschichtl. Entwickl., Basel 1878; Die schweizer. Allmend in ihrer geschichtl. Entwickl. vom 13. Jahrh. bis zur Gegenwart, Leipz. 1879. Hub er, Schweiz. P.R. IV 261 ff, 769 ff. — Renaud, Ζ. f. D. R. IX 1 ff. Römer ib. X I I I 94 ff. Weiske, Prakt. Unters. I I I 174ff. — Gierke, Genossenschaftsr. I § 7—9, 13-15, 21, 24, 29—30, 34, 53, Π § 8 ff. u. 26. Heusler, Inst. I § 56 ff., I I § 88. Stobbe, D. P.R. I § 55. Brunner, R.G. I 56 ff. u. 196 ff. Schröder, Z. f. R.G. XV 49 ff, Forsch, z. D. G. XIX 144 ff, R.G. § 10, 28 u. 41 (hier die umfassendsten weiteren Literaturnachweise). B i n d i n g , Handbuch. II. 8. I : G i e r k e , D entaches Privatrecht.

I.

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Zweites Kapitel. Das Recht der Verbandspersölichkeit.

sammtrecht und Sonderrecht können ungleich gezogen sein und erfahren im Laufe der Jahrhunderte mannichfache Verschiebungen, die im Allgemeinen in einer fortschreitenden Aufzehrung von Gesammtrecht durch Sonderrecht bestehen. Immer aber bleiben beiderlei Rechtssphären wesentlich und an und durch einander gebunden. III. Ausgestaltung. Die äufsere und innere Gestalt der Markgemeinde wird durch manche sich mehrfach kreuzende Unterschiede ungleich bestimmt. 1. Dorfgemeinden und Einzelhöfe. Regelmäfsig siedelten die Deutschen in Dörfern. In einzelnen Landschaften aber (besonders in Westfalen) fand durchweg eine Siedlung in Einzelhöfen statt. Ueberdies wurden wohl von je neben den Dörfern gutsherrliche Einzelhöfe angelegt. a. Bei der Dorf anlag e zerfiel die Mark in drei Bestandtheile2. Den ersten Bestandtheil bildet der innere Dorfraum, in dem nur Wege und Plätze dem Gesammtrecht vorbehalten, dagegen die für Haus, Hof und Garten bestimmten Hofstätten den einzelnen Genossen zu freiem Sondereigen zugetheilt sind. Im Gehege der Hofstätte findet die Hausherrschaft des selbständigen Mannes ihr dingliches Abbild. Als zweiter Bestandtheil erscheint die Feldmark, die das dem Pfluge und der Sense unterworfene Kulturland umfafst 8. An ihr wurde nach dem ursprünglichen Systeme der Feldgemeinschaft das Eigenthum der Gesammtheit bewahrt, jedem Genossen aber auf Grund wiederkehrender Vermessung, Vertheilung und Verloosung ein zeitlich begrenztes Sondernutzungsrecht an je einem Streifen (Loos, Ackerbeet) jedes der dem Anbau gewidmeten Feldstücke (Gewannen, Lagen, Kampe, Feldungen) überwiesen4. Als diese sogenannten a

Vgl. die Flurkarte b. Schröder, R.G. S. 200. Anfangs wurde die Feldmark in jedem Sommer neu ausgeschieden. Denn noch längere Zeit, nachdem der von Caesar de B.G. IV c. 1 u. VI c. 22 geschilderte jährliche Wechsel der Marken zwischen den schweifenden Genossenschaften aufgehört· hatte, herrschte in den fest gewordenen Genossenschaftsmarken das System der Wechselwirthschaft oder sog. Feldgraswirthschaft, wobei nur zur Ergänzung der überwiegenden Weidewirthschaft unerschöpfter oder ausgeruhter Boden mit Sommerfrucht bestellt wurde. Doch wird sich schon unter diesem Systeme allmählich ein fester Kern τοη Kulturland, das nicht mehr in die Wildnifs zurückfiel, sondern abwechselnd als Pflugland diente und brach lag, zur ständigen Feldmark ausgebildet haben. Vgl. Tac. Germ. c. 26. Als dann mit der Einführung der Wintersaaten das bis in unser Jahrhundert herrschend gebliebene System der Dreifelderwirthschaft entstanden war, gab es überall feste Feldmarken. Mit der Entwicklung der Wiesenkultur trat das Wiesenland als ständig ausgeschiedener Marbestandtheil hinzu. 4 Zur Zeit der Feldgraswirthschaft nur auf ein Jahr (Tac. Germ. c. 26), später auf längere Zeit. 8

§71.

Die alte Markgemeinde.

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„strenge" oder „eigentliche" Feldgemeinschaft schon nach der Völkerwanderung ziemlich allgemein verschwand5, giengen die ständig gewordenen Feldantheile in das Sondereigen ihrer Besitzer über. Keineswegs aber erlosch an ihnen das Gesammtrecht. Vielmehr blieb kraft der fortbestehenden sogenannten „laxen" oder „uneigentlichen" Feldgemeinschaft oder des sogenannten „Flurzwanges" das Eigenthum des Einzelnen an Aeckern und Wiesen, wie dies schon durch deren aus der ursprünglichen Theilungsart herstammende „Gemengelage" bedingt war, durch ein starkes Gemeinderecht gebunden und beschränkt. Der Gemeinde gebührte die Bestimmung der Fruchtfolge (jetzt fast überall nach der Regel der Dreifelderwirthschaft) und der Zeit für Bestellung und Ernte; ihr stand das Weiderecht auf der Brache und der Stoppel und während der „offenen Zeit" auch auf den Wiesen zu; sie übte das Jagdrecht und mancherlei andere Nutzungen auf der ganzen Feldmark aus6. Einen dritten Bestandtheil der Mark endlich bildet überall die A11 m e η d e (gemeine Mark, Meente, Gemein, auch „Mark" im engeren Sinne), die „Wald, Weide und Wasser", dazu Wege und Stege, öde Gründe und ähnliche Stücke umspannt. An ihr bleibt alles Herrschafts- und Nutzungsrecht ungeteilt. Weil aber die Gesammtheit Einheit und Vielheit zugleich ist, benützt sie die Allmende nicht nur für einheitliche Gemeindebedürfnisse 7, sondern auch und zwar überwiegend für die gleich5 Vereinzelt bestand sie fort oder wurde von Neuem begründet. So in den zum Theil wohl uralten, zum gröfsten Theil jedoch erst aus grundherrlichen Beunden mit höriger Betriebsgemeinschaft hervorgegangenen Gehöferechaften des Mosellandes; Hanssen I 99 ff., I I 1 ff., M e i t z e n I 348 ff., Heusler, Inst. I 294 ff., Lamprecht I 451 ff. Ebenso vermuthlich in den westfälischen Haubergsgenossenschaften; Achenbach, Die Haubergsgenossenschaften des Siegerlandes, Bonn 1863; Bernhardt, Die Haubergswirtschaft im Kreise Siegen, 1867. In gewissem Umfange wurde sie überdies durch die Verloosung einzelner Allmendstücke zu zeitweiliger Sondernutzung als Allmendäcker oder Allmendwiesen immer wieder erneut; Maurer, Markenverf. S. 175 ff., Dorfv. I 304 ff., Gierke, Genossenschaftsr. I I 222 ff., M i a s k o w s k i , Allmend S. 127 ff. 8 Gierke a. a. Ο. I I 212 ff. Dafs man sich der Fortdauer des Gesammtrechtes als Quelle aller dieser Einschränkungen bewufst war, zeigen besonders deutlich die in den Weisthümern wiederkehrenden Wendungen, nach denen Wiesen und Aecker zugleich „eigen" und „gemein" sind, die Brachzeig wieder „Allmend4, wird u. s. w. Am kräftigsten aber äufsert sich das fortbestehende Gesammtrecht in dem häufig geltenden Satze, dafs Feld, das zu Wald verwachsen ist, in die Allmende zurückfällt; Grimm, W. I 502, 513, 573, 591 § 5, I I I 414 § 9, 416 § 5, Gierke a. a. O. S. 215. - Vgl. ferner W. der Gemeinde Töfs v. 1536 b. Grimm, W. I 128 ff, u. dazu Gierke a. a. O. S. 219 ff. 7 Gierke a. a. O. S. 235-243. 37*

Zweites Kapitel. Das Recht der Verbandspersölichkeit.

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mäfsigen Bedürfnisse der verbundenen Einzelwirtbschaften 8. Jeder Genosse ist daher befugt, die gemeine Mark für seine wirtschaftlichen Bedürfnisse zu benützen; er darf im Walde das erforderliche Bauholz, Brennholz und Nutzholz schlagen; er darf mit seinem Vieh die Weide beschicken und mit seinen Schweinen die Mast geniefsen; er darf jagen undfischen, Gestein brechen u. s. w. ; ja ursprünglich darf er durch Rodung und Umhegung Stücke der Mark sich aneignen9. Nur eine zwiefache Schranke ist ihm gesetzt. Einerseits ist sein Nutzungsrecht durch sein eignes wirtschaftliches Bedürfnifs begrenzt, so dafs ihm der Verkauf der aus der Allmende gewonnenen Erzeugnisse und die Benützung der Allmende für Fremde untersagt ist und mehr und mehr eine grundsätzliche „Schliefsung" der Mark erfolgt 10. Andrerseits ist er bei der Allmendnutzung an die verfassungsmäfsige Ordnung der Gemeinschaft und die in deren Handhabung ergehenden Gemeindebeschlüsse gebunden, mufs sich daher nicht nur der genossenschaftlichen Forst-, Flur- und Weidepolizei unterwerfen, sondern sich auch die Einschränkungen und Mafsbestimliiungen gefallen lassen, die bei eintretendem Mangel nothwendig werden und nach vollendetem Ausbau des Landes in der That überall begegnen11. Innerhalb dieser Schranken aber steht das Nutzungsrecht des einzelnen Genossen dem Gesammtrecht als sein Sonderrecht gegenüber: es ist seine Allmendberechtigung, sein Markenrecht, sein Gemeindsnutzen, seine Ware, seine Gewalt, seine Rechtsame, sein Echtwort u. s. w. und wird vielfach als sein Antheil an der gemeinen Mark, sein Theil oder seine Schar bezeichnet12. Dieses Sondernutzungsrecht an der Allmende gilt, wie es wirtschaftlich die schlechthin unentbehrliche Ergänzung des bäuerlichen Besitzthums ist, rechtlich als Zubehör von Haus und Hof 18 . Hofstätte, Feldantheil und Allmendnutzen bilden als zusammengehöriges Ganze eine volle bäuerliche „Hufe" 14. 8

A. a. Ο. I 616 ff., I I 248 ff. Ueber das Recht des Neubruches, das die Begründung eines dem Flurzwange nicht unterworfenen Landeigenthums (bifang, infang, beunde, captura, aprisio, proprisio) ermöglichte und für das Wachsthum des Grofsgrundbesitzes überaus wichtig war, und über die allmählich erfolgende Abschwächung dieses Rechtes vgl. Beseler, Der Neubruch, Berl. 1868, G i e r k e a. a. 0. I 68 ff, I I 146 ff, Schröder, R.G. S. 202 u. 416 ff. 10 Gierke a. a. Ο. I 592, I I 244 ff. 11 Gierke a. a. Ο. I 616 ff., I I 247 ff. 12 Ueber diese und andere Namen vgl. a. a. Ο. I I 310 Anm. 207. A. a. Ο. I I 308 ff. 14 Huoba, hoba, angelsächs. hîd, lat. mansus; vgl. W a i t z , Ueber die altdeutsche Hufe, Gött. 1854, Brunner, R.G. I 62, Schröder, R.G. S. 201 ff. 9

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b. Wo Einzel h öfe bestehen, erstreckt sich das freie Sondereigen nicht blofs auf eine Hofstätte, sondern auf eine Hofmark, die um die Hofstätte herum das zur Hufe gehörige Bauland umfafst und in diesem ganzen Umfange als Gebiet der Einzelherrschaft abgehegt ist. Hier giebt es daher regelmäfsig keine gemeine Feldmark. Wohl aber giebt es auch hier stets eine vornehmlich aus Wald, Weide und Wasser gebildete gemeine Mark. Und auch hier entfaltet sich in der genossenschaftlichen Beherrschung und Benutzung dieser dem Gesammtrechte vorbehaltenen Allmende der wirthschaftsgenossenschaftliche Inhalt des die Einzelhöfe umschliefsenden Gemeindeverbandes. Fehlt es überhaupt an einem Dorfe, so sind sämmtliche Einzelhöfe der Mark zu einer bauerschaftlichen Markgemeinde verbunden15. Auch die neben den Dörfern vorhandenen Einzelhöfe aber stehen mit den Dörfern in Markgemeinschaft und scheiden nur dann, wenn sie sich zu Grundherrschaften auswachsen, vielfach durch Abmarkung aus dem Markgemeindeverbande völlig aus16. 2. Ortsmarken und gröfsere Markgenossenschaften. Oft bilden mehrere Dörfer oder Bauerschaften, während sie im Uebrigen selbständige Gemeinden sind, hinsichtlich einer ihnen ungetheilt zustehenden Allmende eine einzige Markgemeinde17. Derartige gröfsere Markgenossenschaften sind zum Theil aus alten Gemeindeverbänden höherer Ordnung (Hundertschaften oder verwandten Gerichtsgemeinden), denen bei der Austheilung der Ortsmarken Wald, Wasser und Weide im Gesammtgebiet ganz oder theilweise vorbehalten waren, hervorgegangen18. Meist aber wurzeln sie in ursprünglichen Ortsmarken, bei deren Ausbau durch Anlage neuer Ortschaften die Allmende zwischen der Urgemeinde und den Tochtergemeinden nicht oder doch nicht völlig aufgetheilt worden war 19 . 1δ

Gierke a. a. Ο. I 69 ff. Maurer, Einl. S. 148 ff, Markenverf. S. 11 ff., Fronh. 1285 ff.; Landau I 143 ff.; Gierke I 130, 132. 17 Low S. 6 ff.; Thudichum, Gau- u. Markenverf. S. 127 ff.; Maurer, Einl. S. 193 ff, Markenv. S. 4 ff. u. 87 ff, DorfV. I 23 ff.; Gierke I 81 ff. u. 586 ff, I I 339 ff. (hier auch von den Uebergangsformen zwischen grofser Markgenossenschaft und blofsem Gemeinschaftsverhältnifs zwischen Gemeinden). 18 Unrichtig ist jedoch die von Thudichum a. a. 0. S. 34 u. 130 ff. aufgestellte, neuerdings von Lamprecht S. 255 ff. durchgeführte und von Vielen angenommene Meinung, dafs es ursprünglich nur Hundertschafts- oder Gaumarken gegeben habe und stets erst aus deren Zertrümmerung Ortsmarken hervorgegangen seien. 19 Landau S. 115 ff; M a u r e r , Einl. S. 46 ff, 147 ff., Dorfv. I 22 ff.; Gierke I 82 ff. u. 586 ff. 16

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Zweites Kapitel. Das Recht der Verbandspersölichkeit.

3. Freie und grundherrliche Gemeinden. Die Markgemeinde war als freie Gemeinde entstanden. Seitdem aber mit der Ausbreitung der Grundherrschaft die freie Gemeinde zur Ausnahme wurde, fand die Markgemeinde in mannichfach abgestuften Formen von grundherrlichen Gemeinden ihre Fortsetzung und Erneuerung. Denn einerseits wurde durch die Unterwerfung einer ursprünglich freien Mark unter eine Grundherrschaft der genossenschaftliche Gemeindeverband nicht aufgehoben, sondern nur einem Herrschaftsverbande eingegliedert und je nach dessen Beschaffenheit schwächer oder stärker umgewandelt20. Andrerseits wurden bei dem Ausbau der Grundherrschaften durch Stiftung und Besiedlung bäuerlicher Hufen unter den Grundholden genossenschaftliche Gemeindeverbände begründet, die den Typus der Markgemeinde in einer dem grundherrlichen Verhältnifs angepafsten Gestalt wiedererzeugten und vielfach sogar besonders kräftig ausprägten21. Auch im Bereiche des Hofrechtes daher besteht unterhalb der herrschaftlichen Ordnung eine genossenschaftliche Ordnung, kraft deren die Sonderrechte der einzelnen Genossen an ihren hörigen Hufen durch ein Gesammtrecht ergänzt und gebunden werden. Allein im Gegensatze zu der selbständigen Mark des Volksrechtes bildet die hofrechtliche Mark einen Bestandtheil des im Eigenthum des Grundherrn stehenden Gebietes und ein Zubehör des ihr vorgesetzten Fronhofes. Nach Volksrecht ist, wie die Hufe Sondereigen, so die Mark Gesammteigen22. Nach Hofrecht 20 Gierke I 202 ff., 588; Heusler, Inst. I 282 ff. Ueber die Verhältnisse in gemischten Marken Maurer, Einl. S. 299 ff., Markenv. S. 69, 87 ff., 441 ff., Dorfv. I 12 ff., 79 ff., 94 ff., I I 107 ff., 200. 81 M a u r e r , Einl. S. 226ff., Fronh. 1471 ff., IV 1 ff.; Gierke I 122 ff., 142ff., 162 ff.; Schröder, R.G. S. 209 u. 413 ff.; Heusler, Inst. I 286 ff. — Ueber die hofrechtliche Wiedererzeugung der Feldgemeinschaft in Gehöferschaften oben Anm. 5; über sonstige Genossenschaftsbildungen auf Grund der hofrechtlichen Betriebs- und Lastengemeinschaft unten Anm. 26. 22 Ueber die Anwendung des Eigenthumsbegriffes auf das Recht an der Allmende und die Ueberwindung der Vorstellung, als sei das allen Gemeine herrenlos, vgl. Gierke I I 144 ff. Dafs das ursprünglich dem Volke und später dem Könige am ganzen Lande zustehende oberste Herrschaftsrecht, von dem in der Lehre vom Eigenthum zu handeln sein wird, an den Allmenden und namentlich an den gemeinen Waldungen sich besonders kräftig äufsert, steht der Annahme eines echten und vollen Eigenthums der freien Markgemeinde an ihrer Mark nicht entgegen. Ein echtes Gesammteigen ist in der That nie ganz verschwunden; vgl. die Nachweise a. a. O. S. 156 ff. Mit der Unterwerfung unter ein Herrschaftsrecht aber erfolgten Abschwächungen zu einem belasteten oder geminderten, einem zinsbaren oder vogtbaren Gesammteigen, ja vielfach zuletzt zu einem blofsen Gesammtuntereigenthum oder gar zu einem blofsen Gesammtnutzungsrecht; vgl. über diese Formen a. a. O. S. 159—168.

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dagegen erschöpft sich, wie das Sonderrecht des einzelnen Hufners in einem abgeleiteten Besitzrecht, so das Gesammtrecht der Gemeinde in einem gemeinschaftlichen Nutzungsrecht am herrschaftlichen Gute22. 4. Gemeine Verbände und Sonderverbände. Schon im Mittelalter begegnen in bunter Vielgestaltigkeit neben und in den gemeinen bäuerlichen Markgenossenschaften agrarische Sonderverbände, die zwar nach dem Vorbilde der Markgemeinde geformt sind, jedoch durch die besondere Gemeinschaft, die ihnen zu Grunde liegt, ein eigenartiges Gepräge empfangen24. Derartige Genossenschaften bestehen namentlich unter Theilhabern eines zu besonderer genossenschaftlicher Be wirthschaftung ausgeschiedenen Bestandteiles der Mark 25 oder unter den Inhabern besonders gearteter Hufen, die durch einen ihnen gemeinsam zustehenden oder obliegenden Betrieb, Dienst oder gewerblichen Beruf verbunden sind26. IV. Verfassung. In aller solcher Mannichfaltigkeit der Ausgestaltung weist die alte Markgemeinde eine in den Grundzügen übereinstimmende Verfassung auf. 1. Zusammensetzung. Die Mitgliedschaft ist ein zugleich personenrechtliches und vermögensrechtliches Verhältnifs, in dem mit dem Recht und der Pflicht zur Theilnahme am Gemeinleben ein Antheilsrecht an der Mark und eine Antheilspflicht an den gemeinen Lasten untrennbar verknüpft sind27. 28

Ursprünglich ein prekäres Gebrauchsrecht, verstärkt sich das Gesammtrecht mehr und mehr zu einer festen Nutzungsgerechtigkeit und kann dann alle Stufen bis zum vollen Eigenthum durchlaufen; Gierke a. a. O. S. 158 ff. M Vgl. Maurer, Markenverf. S. 38 ff., Dorfv. I 26 ff.; Gierke I 610 ff., Π 347 ff.; Heusler, Inst. I 293 ff.; Lamprecht I 277 ff. („Partikularmarkgenossenschaften"). Bei diesen Verbänden tritt zum Theil frühzeitig der wirthschaftsgenossenschaftliche Charakter in den Vordergrund; keinem von ihnen aber fehlt ursprünglich eine kommunale Bedeutung. 25 So die Gehöferschaften (oben Anm. 5), die Haubergsgenossenschaften (ebenda), manche Walderbengenossenschaften oder Holzmarkgenossenschaften (Thudichum a. a. O. S. 284 ff., Lamprecht I 280) und die gleichfalls in das Mittelalter zurückreichenden Alpmarkgenossenschaften (Heusler, Z. f. Schweiz. R. X 99 ff., Inst. I 295, Blumer I , 1 S. 386 ff., I , 2 S. 369 ff., M a u r e r , Markv. S. 38 ff., Gierke I 610 ff.). 28 So manche hofrechtliche Hufenverbände, die weit verbreiteten Weinbergsgenossenschaften (Gierke Η 349 Anm. 2 u. bes. Lamprecht I I 903 ff.), die Wildhuber- und Förstergenossenschaften (Gierke I I 350 Anm. 4), die Zeidlergenossenschaften (ib. Anm. 5), die auf Fischerhufen gegründeten Fischergenossenschaften (ib. S. 351) u. s. w. Zum Theil erscheint hier das Gesammtrecht an Grund und Boden nur als Zubehör eines Gesammtgewerberechtes, so dafs Uebergangsformen zwischen Gemeinde und Zunft entstehen. 27 Gierke I I § 11.

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Aktive Mitgliedschaft gebührt nur den Vollgenossen, die als Bauern, Nachbarn, Huber, Gemeinsleute u. s. w., in den grofsen Marken als Märker, Erbexen, gewerte Männer u. s. w., lateinisch als villani, vicini, commarcani u. s. w. bezeichnet werden. Vollgenossen sind die durch Geburt oder Aufnahme der Genosssenschaft angehörigen selbständigen Hufenbesitzer 28. Ursprünglich hatte der selbständig gewordene Genosse einen Anspruch auf Gewährung einer Hufe 29. Mehr und mehr wurde umgekehrt die als privatrechtliches Besitzthum verselbständigte Hufe zur Grundlage des Genossenrechts. Doch blieb einerseits gerade um des mit ihr verbundenen Gemeinderechtes willen das Privatrecht an der Hufe hinsichtlich der Vererbung, Veräufserung und Theilung durch das Genossenschaftsrecht mehr oder minder kräftig gebunden80, andrerseits der Erwerb des Vollgenossenrechts von dem Hinzutritt persönlicher Thatbestände, wie namentlich von einem eignen Hausstande (dem „eignen Rauch") und dem Wohnsitze in der Mark, abhängig31. Die Mitgliedschaftsrechte und Mitgliedschaftspflichten der Vollgenossen waren Anfangs unter einander gleich. Mit der durch Theilung und Vereinigung von Hufen herbeigeführten Ungleichheit des bäuerlichen Besitzes aber entstanden vielfach auch Ungleichheiten des Gemeinderecbtes. Es gab nun Genossen geringeren (oft gerade halben) Rechtes (Schupposer, Mentager, Halbspänner u. s. w.), die nur einen Theil einer Hufe besafsen und zugleich im Stimmrecht und im Markantheil zurückgesetzt waren, und Genossen erhöhten Rechtes, denen mit dem Besitze eines gröfseren Gehöftes auch ein überwiegender Antheil am Gemeinderecht zustand82. Neben den Vollgenossen gehörten der Gemeinde von je Schutzgenossen mit blofs passiver Mitgliedschaft an, die als unselbständige Leute durch die Vollgenossen mitvertreten wurden und an der Mark und ihren Nutzungen entweder nur mittelbar oder aus besonderer Vergünstigung Antheil hatten38. So stets die Mitglieder eines fremden Hausstandes (Weib, Kind, Gesinde). So aber auch die im Laufe der Zeit sich mehrenden Beisassen oder Hintersassen, die entweder ganz 28

G i e r k e I 598 ff., I I 268 ff; Lamprecht I 288 ff. Gierke I 74 ff., Z. f. R.G. X I I 463 ff. u. über spätere Reste Genossenschaftsr. I I 272. 80 Gierke, Ζ. f. R.G. X I I 430 ff., Genossenschaftsr. I 75 ff, 615, I I 200 ff. 31 Gierke a. a. Ο. I 594, I I 273 ff. 32 Gierke I 603, I I 281, 318 ff.; Schröder, R.G. S. 413 ff. (der aber S. 49 u. 51 wohl mit Unrecht schon eine ursprüngliche Zutheilung halber und doppelter Loose annimmt). 83 Gierke I 165 ff., 606 ff, I I 279 ff 29

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grundbesitzlos waren (Einläufige, Taglöhner, Miether) oder nur kleine Stellen ohne eigentliche Ackerwirthschaft besafsen (Kötter, Bildner, Häusler, Brinksitzer, Seidner, Handwerker) oder auf fremder Hufe siedelten (Lehner). So endlich auch die Ausmärker, die in der Mark Grundbesitz hatten, ohne in ihr zu wohnen. 2. Organisation 3 4 . Oberstes Organ der Markgemeinde war stets die Genossenversammlung, die aus den Vollgenossen gebildet wurde und auf echten und gebotenen Dingen durch Mehrheitsbeschlüsse die wichtigsten Gemeindeangelegenheiten selbst ordnete. Ihre Zuständigkeit erstreckte sich in gleicher Weise auf die Erfüllung der politisch-sozialen Gemeindefunktionen und auf die Handhabung der aus dem Gesammtrecht an der Mark entspringenden gemeinwirtschaftlichen Befugnisse. Zur Leitung der Versammlung und zur Besorgung der laufenden Geschäfte war ein Einzelvorsteher (in den Dörfern und Bauerschaften ein Dorfrichter, Dorfgrebe, Heimburge, Bauermeister, Schultheifs u. s. w., in den grofsen Marken ein Obermärker. erster Märker, Holzgraf, Centgraf, Vogt u. s. w.) berufen, dem zum Theil Schöffen und aufserdem ständige Stellvertreter und Unterbeamte (Förster, Bann warte, Weibel, Gemeindehirten u. s. w.) zur Seite traten. Ursprünglich durch Wahl besetzt, wurden die Vorsteherschaften und andere Aemter später oft erblich oder als Realrechte mit bestimmten Grundstücken verknüpft. Mit der Ausbreitung der Grundherrschaft wurde die herrschaftliche Ernennung oder doch Bestätigung zur Regel. Ueberdies fand selbstverständlich in der Grundherrschaft die genossenschaftliche Selbstverwaltung ihre Grenze an der grundherrlichen Rechtssphäre, für deren Verwaltung ein eigner herrschaftlicher Amtsorganismus bestand, der vielfach in den genossenschaftlichen Amtsorganismus hineinreichte und zum Theil mit ihm verschmolz3δ. V. Umbildung. Seitdem das deutsche Gemeindewesen durch die Ausbildung des Städtewesens eine gewaltige Veränderung erfahren hatte, giengen die Schicksale der Markgemeinde in Städten und Landgemeinden weit auseinander. 1. In den Städten gieng schon im Mittelalter die Markgemeinde in ein neues rein politisches Gemeinwesen auf 86 . An die Stelle des genossenschaftlichen Gesammtrechtes trat das gemeinheitliche Recht der einheitlichen Stadtpersönlichkeit, die Gemeindemitgliedschaft verwandelte sich in ein von der privatrechtlichen Grund84 85 86

A. a. Ο. I 624 if., I I 494 ff.; Lamprecht I 304 ff. Gierke I I 417 ff, bes. 421 ff. Gierke I I 649 ff.; Heusler, Inst. I 305 ff.

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läge gelöstes städtisches Bürgerrecht, die Gemeindeverfassung entfaltete sich in Gestalt der Rathsverfassung zu einer öffentlichrechtlichen Körperschaftsverfassung. So übernahm die Stadt als solche, wie sie das alleinige Subjekt der Gemeindegewalt im Stadtgebiet war, auch das alleinige Eigenthum am alten Gemeindevermögen. Hiermit wurde die wirthschaftsgenossenschaftliche Seite der Markgemeinde in den meisten gröfseren Städten frühzeitig ganz beseitigt. Da anstatt der Landwirtschaft Handel und Gewerbe den Lebensnerv der Stadtwirthschaft bildeten, war für Markgemeinschaft hier keine dauernde Stätte. Die städtische Allmende wurde in dem Mafse, in dem einerseits das Bedürfnifs der einzelnen Bürger Wald- und Weidenutzungen nicht mehr forderte, andrerseits das Bedürfnifs des öffentlichen Haushaltes alles Gemeindevermögen in Anspruch nahm, zum städtischen „Kämmereigut" gezogen87. Wo ein Ueberschufs blieb und als „Bürgervermögen" den wirtschaftlichen Bedürfnissen der einzelnen Bürger diente, wurden doch daran nicht mehr feste Sonderrechte, sondern nur noch unselbständige „bürgerliche Nutzungen" anerkannt88. Doch gab es von dieser Entwicklung zahlreiche Ausnahmen. In den kleinen Ackerbaustädten erhielten sich oft die ländlichen Rechtszustände89. Auch in gröfseren Städten aber verschwanden nicht immer alle Reste der Markgemeinde. Insbesondere setzte sich dieselbe bisweilen in besonderen Agrargenossenschaften fort 40. Die nachmittelalterlichen Veränderungen des Städtewesens liefsen diese Verhältnisse im Wesentlichen unberührt 41. 87

Gierke U 676 ff. A. a. O. S. 683 ff. 89 A. a. 0. S. 687-688, 690-691; Maurer, Stadtv. I 198, 255 ff., I I 179, 601 ff., 726 ff., 797. 40 Vgl. über die Kölner Bauerbänke Gierke I 336; über Agrargenossenschaften in Pommerschen Städten Päpcke, Z. f. D. R. X V I I 218 ff., Gierke I 681 ff.; über die Halbpflegegenossenschaften in Mecklenburg. Städten Buchka u. Budde, Entsch. Ι Π Nr. 21, Seuff. X I I I Nr. 124; andere Beispiele b. M a u r e r , Stadtv. I I 726 Anm. 4, 809, Michelsen, Z. f. D. R. IX 100 ff., Frensdorff, Dortmunder Stat S. LXXXIX ff. 41 Indem die Stadt, während ihre öffentlichrechtliche Stellüng der einer Staatsanstalt angenähert wurde, für das Privatrecht mehr und mehr als eine privilegirte Korporation mit dem ausschliefslichen Recht auf „bürgerliche Nahrung" erschien, nahm sie von Neuem ein halb privatrechtliches Wesen an, so dafs auch das städtische Bürgerrecht wieder einen vermögensrechtlichen Inhalt gewann und nach dem in ihm enthaltenen Antheile am städtischen Gewerbeprivileg abgestuft wurde. Allein dieser wirthschaftsgenossenschaftliche Verband war nicht auf Privatrecht an Grund und Boden, sondern auf Privatrecht an Gewerbebetrieb gebaut In unserem 88

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2. In den Landgemeinden blieb mit seltenen Ausnahmen42 die alte Agrargemeinschaft bis weit über das Mittelalter hinaus erhalten48. Nach wie vor bestand hier die Markgemeinde mit ihrem zugleich kommunalen und wirthschaftsgenossenschaftlichen Beruf, mit ihrer halb öffentlichrechtlichen und halb privatrechtlichen Grundlage, mit ihrer rein genossenschaftlichen Ordnung. Allein indem sich das Verhältnifs zwischen beiden Seiten immer mehr im Sinne einer vermögensrechtlichen Ausgestaltung des ganzen Gemeindeverbandes verschob, traten Umbildungen ein, die oft genug zu Verbildungen wurden. Insbesondere wurde auf verschiedenen Wegen der Kreis der Vollgenossen stets enger und fester geschlossen, bis er den Schutzgenossen, deren Zahl fortwährend wuchs, als eine ausschliefslich zur Marknutzung berechtigte, zugleich aber ausschliefslich die Gemeindeversammlung bildende Minderheit gegenübertrat. So entstanden neue Gemeindeformen , die sich nach der Rechtsgrundlage des Vollgenossenrechts in Personal -, Real- und Rechtsame - (oder Nutzungs-)gemeinden eintheilen lassen. a. Personalgemeinden. Bisweilen wurde das Vollgenossenrecht vom Grundbesitz ganz gelöst, so dafs nur ein eigner Hausstand in der Mark erforderlich blieb. Da aber Voraussetzung aller Gemeindemitgliedschaft Geburt oder Aufnahme ist, die Aufnahme in das volle Gemeinderecht jedoch den nicht dazu Gebornen nur gegen hohes Einkaufsgeld oder gar nicht gewährt wird, verengert sich der Kreis der Vollgenossen zu einem geschlechtigen Dorfpatriziat 44. b. Realgemeinden. Meist wurde umgekehrt der Grundbesitz zur Rechtsgrundlage des Volllgenossenrechts45. Hierbei findet indefs wieder eine ungleichartige Entwicklung statt. α. Mitunter vermag jeder Grundbesitz in der Mark, wenn er auch nur 7 Schuh mifst oder den Platz für einen dreibeinigen Jahrhundert ist er ohne Rückstand beseitigt und die Stadtgemeinde unter Wiedererhebung zu einem selbständigen Gemeinwesen als rein öffentliche Körperschaft ausgestaltet. Während daher in den älteren Lehrbüchern des deutschen Privatrechts die Städte um ihrer gewerblichen Vorrechte willen mit Fug eingehend behandelt wurden, fehlt heute hierzu jeder Anlafs. Das zum geschichtlichen Verständnifs Erforderliche wird im Gewerberecht bemerkt werden. Im Uebrigen vgl. Gierke a. a. Ο. I 697 ff. 42 Ueber solche vgl. Gierke I 631 ff, I I 448 ff., 864. 43 Gierke I 585 ff, I I 135 ff. 44 Gierke I 599, I I 307; Maurer, Dorfv. I 172 ff; insbesondere über Schweizer Verhältnisse Wyfs, Z. f. Schweiz. R. I 32 ff, Heusler ib. X 32 ff., Blum er I, 1 S. 277, I, 2 S. 355 ff. 46 Gierke I 600 ff, I I 308 ff; Heusler, Inst. I 290.

Zweites Kapitel. Das Recht der Verbandspersölichkeit.

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Stuhl oder eine Wiege bietet, das Vollgenossenrecht zu gewähren46. In diesem Falle nähert sich die Realgenieinde der Personalgemeinde. Durch Erschwerung der Aufnahme aber wird auch hier der Kreis der Gemeindeberechtigten verengt. ß. Oft wird das Vollgenossenrecht als ausschliefsliches Zubehör der altberechtigten Hofstätten (der Ehehofstätten, gewarten Güter, Gerechtigkeitshäuser, Reihestellen u. s. w.) behandelt. Den berechtigten Höfen stehen dann hier die unberechtigten Höfe, insbesondere die durch Abzweigung von einer Hofstätte oder durch Ansiedlung auf der Feldmark oder der Allmende gebildeten jüngeren Höfe gegenüber, deren Besitzer des selbständigen Gemeinderechtes entbehren47. γ. Am häufigsten wird das Vollgenossenrecht auf die volle Hufe, deren Umfang entweder herkömmlich feststeht oder satzungsmäfsig festgestellt wird, radizirt 48. Hier erscheinen die unter den Vollgenossen bestehenden Klassenunterschiede als Wirkungen der Gröfsenunterschiede des Landbesitzes. Neben den vollen Bauerhöfen (ganzen Pflügen, ganzen Gespannen u. s. w.) giebt es geringere Höfe, die zwar im Gegensatz zu blofsen Büdnerstellen ein Gemeinderecht, aber nur halbes Stimmrecht, halben Antheil an den Marknutzungen und halben Antheil an den Gemeindelasten begründen. Vielfach kommt es zu noch weiteren quantitativen Abstufungen, so dafs den Vollbauern Halbbauern, Drittelsbauern, Viertelsbauern, Achtelsbauern u. s. w. zur Seite treten, andrerseits aber auch doppeltes oder mehrfach vervielfältigtes Gemeinderecht möglich wird 49. c. Rechtsamegemeinden (Nutzungsgemeinden). Die eigenthümlichste Gemeindeform entsteht durch die in vielen Gegenden vollzogene Verlegung des Sitzes der Gemeindemitgliedschaft in den Allmendantheil als solchen. Hier ist das Nutzungsrecht an der gemeinen Mark (die Rechtsame, Ware, Meente, der Gemeindsnutzen u. s. w.) zu einem selbständigen Sachenrecht erhoben, das vom Hofe getrennt und vorbehaltlich der verfassungsmäfsigen Einschränkungen, die durch genossenschaftliche Gebundenheit des Sonderrechts und persönliche Voraussetzungen des Mitgliedschaftserwerbes bedingt werden, für sich 46

Gierke I 598 Anm. 43, I I 303. Gierke I 601, I I 309; Lamprecht I 280, 291. 48 Gierke I 602 ff., I I 317 ff. W. der Bibrauer Mark b. Grimm I 512 (1385): 32 morgen wesen u. eckir, eine hobestadt. 49 Gierke I 603 ff., I I 319; Low S. 78 ff., 87, 96 ff., 119; Bluntschli I I 81 ff.; Renaud a. a. O. S. 37 ff.; Maurer, Einl. S. 281, Markv. S. 55 ff, Fronh. I I I 201 ff., Dorfv. I 37 ff., 122 ff. 47

§ 72. Die Auflösung der Markgemeinde.

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vererbt und veräufsert, gehäuft und getheilt werden kann. Dieses Antheilsrecht aber, das nach Art einer Aktie zunächst eine ideelle Quote des Gesammteigenthums bedeutet, ist zugleich Träger der vollen Gemeindemitgliedschaft mit allen in ihr enthaltenen Rechten und Pflichten. Auch hier giebt es dann neben dem einfachen ein mehrfaches und ein bruchtheiliges Gemeinderecht50. § 72. Die Auflösung der Markgemeinde 1 . I. Auseinandersetzung zwischen politischer und wirthschaftsgenossenschaftlicher Gem ein de Verbindung. Seit der grundsätzlichen Scheidung von öffentlichem und Privatrecht wurde die Verflechtung kommunaler und agrargenossenschaftlicher 80

Bluntschli I I 82 ff., Renaud a. a. Ο. S. 48 ff., Duncker, Gesammteigenthum S. 167 ff., Römer a. a. 0. S. 97 ff., Maurer, Markv. S. 61 ff., Dorfv. I 65 ff., 173 ff., Gierke I 604 ff., 676 ff., I I 211 ff. Insbesondere über die hessischen Rechtsamegemeinden mit ausschliefslichem Vollbürgerrecht der Inhaber der als „Gemeindsnutzen", „Gemeindsgebrauch" oder „Einwart" verselbständigten Allmendantheile Sternberg, Hessische Rechtsgewohnheiten, H. I Frankf. 1842. Ferner über die Meentengemeinden Ditmarschens, in denen selbst da, wo die für sich veräufserlichen, vererblichen, häufbaren und theilbaren Meenten durch völliges oder fast völliges Verschwinden der Allmende ihren Nutzungswerth ganz oder fast ganz eingebüfst hatten, zäh an der alten Verfassung festgehalten wurde, die den Meenteninhabern allein alle Rechte und alle Lasten der Ortsgemeinde zutheilte, Michelsen, Z. f. D. R. IX 95 ff. 1 Vgl. aufser den zu § 71 Anm. 1 angef. Schriften bes. noch: Stüve, Wesen u. Verfassung der Landgemeinden u. des ländl. Grundbesitzes in Niedersachsen u. Westfalen, Jena 1851. Knapp, Die Bauernbefreiung u. der Ursprung der Landarbeiter in den alten Theilen Preufsens, 2 Theile, Leipzig 1887. A. Buchenberg er, Agrarwesen u. Agrarpolitik, Leipzig 1892. — Lette u. v. Rönne, Die Landeskulturgesetzg. des Preufs. Staats, 3 Bde., Berlin 1853—54. Fröhlich, Die badischen Gemeindegesetze, Karlsruhe 1861, S. 157 ff. B. Schiitter, Die Zusammenlegung der Grundstücke in ihrer volkswirthschaftl. Bedeutung und Durchführung, Leipzig 1886. — Gierke, Genossenschaftsr. I § 55—57. Schröder, R.G. § 68. Stobbe, D. P.R. 1 § 56. Franken, D. P.R. S. 346 ff. Dernburg, Preufs. P.R. I § 207 ff. — Roscher, Syst. der Volkswirthsch. I I Kap. 6. L. Stein, Verwaltungslehre VII (1868). Rosier, Soziales Verwaltungen I (1872) § 148 ff. E. Löning, Verwaltungsr. § 79ff. G. Meyer, Verwaltungsr. I § lOlff. — Artikel „Agrargesetzgebung" u. „Gemeinheitstheilung" von*Gierke in Holtzendorffs Rechtslex. I u. I I 72 ff. Artikel „Allmenden" v. Bücher, „Gemeinheitstheilung" v. F. Grofsmann, „Zusammenlegung der Grundstücke" v. W. W i t t i c h im Handwörterb. der Staatswiss. I 181 ff., I I I 785 ff., V I 898 ff. Artikel über „Ablösung", „Auseinandersetzungsverfahren" u. „Gemeinheitstheilung" in Preufsen v. Glatzel u. anschliefsende Artikel über die Agrargesetzgebung der anderen deut. Staaten v. G. Meyer, Schenkel, Zeller u. A. im Wörterb. des deut. Verwaltungsr. I 8 ff., 90 ff., 594 ff. - Schriften des Vereins f. Sozialpolitik X X I I - X X I V .

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Zweites Kapitel.

Das Recht der Verbandspersölichkeit.

Einrichtungen als ein innerer Widerspruch empfunden. Der überkommene Zustand wurde um so unhaltbarer, je mehr durch die Umund Verbildung der alten Gemeinde das ursprüngliche Verhältnifs verschoben und das öffentliche Gemeinderecht auf eine überwiegend privatrechtliche Grundlage gestellt war. So kam es, wie früher schon in den Städten, allmählich auch auf dem Lande zu einer freilich bis heute nicht überall vollendeten Auseinandersetzung zwischen beiden Seiten der Markgemeinde. Doch erfolgte die Scheidung auf dem Lande nur selten durch innere Entwicklung2. Meist war sie das Werk einer von aufeen eingreifenden landesherrlichen Gesetzgebung®. Diese Auseinandersetzung vollzog sich entweder im Wege einer Spaltung der Markgemeinde in zwei von einander getrennte Verbände oder im Wege einer Grenzziehung zwischen den ungleichartigen Bestandteilen des Gemeindeverbandes. 1. Eine Spaltung der Gemeinde wurde dadurch angebahnt, dafs mit der Verschiebung des Verhältnisses zwischen Vollgenossen und Schutzgenossen vielfach die Unterscheidung einer engeren und einer weiteren Gemeinde aufkam 4. Je strenger der Kreis der Vollgenossen sich als bevorrechtete Körperschaft abschlofs und die Schutzgenossen als „Ungenossen" oder „Ungemeinder" ausschlofs, desto mehr erschien er als eine für sich bestehende Gemeinde. Nun wurden aber die an Zahl und Bedeutung stets zunehmenden Schutzgenossen in wachsendem Mafse an gewissen Vortheilen des Gemeindeverbandes und in oft noch höherem Mafse an den Gemeindelasten gleichfalls betheiligt. Insbesondere wurde seit der Reformation das Armenwesen im Sinne eines auf alle Beisassen und Hintersassen erstreckten kommunalen Unterstützungsverbandes geordnet5. Ebenso wurden bei der Neuordnung der kirchlichen Dinge und des Schulwesens die Schutzgenossen zur Theilnahme an Rechten und Pflichten herangezogen. Unter diesen Umständen war es auf die Dauer unmöglich, den Schutzgenossen die Gemeindemitgliedschaft abzusprechen. Vielmehr bildete sich der Begriff einer auch sie umfassenden weiteren Gemeinde, der die alte Gemeinde als engere Gemeinde gegenübertrat. Diese weitere 2

Gierke, Genossenschaftsr. I 683 ff. A. a. O. S. 685 ff. 4 A. a. 0. S. 672 ff. 5 Schon durch die R.P.O. v. 1539 t. 34 § 1 u. 1577 t. 25 § 1, die Schweizer Tagsatzungen v. 1551 u. 1563 und zahlreiche Landesgesetze des 16. Jahrh. wurden die Gemeinden zur Fürsorge für ihre verarmten Beisitzer und Hintersassen verpflichtet; Renaud a. a. 0. S. 61 ff., Maurer, Dorfv. I 340 ff., Stüve a. a. 0. S. 131 ff., Gierke I 674 Anm. 70. 8

§ 72. Die Auflösung der Markgemeinde.

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Gemeinde stand bereit, um in dem Augenblicke, in dem die ausschlieisliche Herrschaft der engeren Gemeinde als Gemeindeversammlung zusammenbrach, in die Stellung der politischen Gemeinde einzurücken. Die engere Gemeinde aber konnte unter Festhaltung ihres Gemeinbesitzes, von dem sie nur etwa einen Theil an das Gemeindevermögen abzugeben hatte, als eine Agrargenossenschaft fortbestehen. 2. Eine Grenzziehung zwischen den kommunalen und den agrargenossenschaftlichen Rechtsverhältnissen erfolgte auch da, wo eine Spaltung der Markgemeinde in zwei getrennte Verbände nicht eintrat. Sie fiel jedoch nicht nur nach örtlichen Verhältnissen, sondern auch unter dem Einflüsse verschiedener juristischer Theorien und wechselnder politischer Strömungen überaus ungleich aus6. II. Schicksale der politischen Seite der Markgemeinde. Die politische Seite des alten Gemeindeverbandes starb nur bei den allmählich in reine Wirthschaftsgenossenschaften verwandelten Sondermarkgemeinden und regelmäfsig auch bei den grofsen Markgenossenschaften völlig ab. Im Uebrigen setzte sie sich in einer rein politischen Stadt- oder Landgemeinde fort. Denn tiberall wurde auch auf dem Lande, obschon meist erst durch obrigkeitliche Anordnung, aus der alten Genossenschaft eine politische Ortsgemeinde herausgebildet7, deren Vermögen als öffentliches Korporationsgut ausschliefslich für öffentliche Zwecke bestimmt und demgemäfs der Verwendung für individuelle Bedürfnisse der Gemeindegenossen entzogen wurde8. Diese Landgemeinde aber, die trotz ihres zunächst oft stark anstaltlichen Gepräges immer als besondere Verbandsperson galt, führte unmittelbar die Rechte der alten Markgemeinde an einem Theile des Gesammtgutes fort und ist auch bei ihrer in unserem Jahrhundert erfolgten Erhebung zu einer sich selbst verwaltenden Körperschaft das alte Rechtssubjekt geblieben. Dagegen wurde sie von der privatrechtlichen Grundlage der Markgemeinschaft begrifflich gelöst9. 6

Gierke I 663 ff. und unten S. 592 ft. Gierke I 693 ff. 8 Bezeichnend sind namentlich die wiederkehrenden Verbote des gemeinsamen Vertrinkens der Bufsen und sonstiger Gemeindeeinkünfte, das im Sinne der alten Wirthschaftsgenossenschaft als regelrechte Verwendungsart erschien; Sachsens. I I I Art. 64 § 11 und die Weisth. u. Ges. b. Gierke I I 370 ff. Zugleich wurde die Einrichtung einer Gemeindekasse, eines Gemeindehaushaltes und einer Gemeinderechnung anbefohlen und unter obrigkeitliche Kontrole genommen; Gierke I 670 ff. 9 Thatsächlich wurde freilich, während im Süden und Westen die Ortsbürgergemeinde überwog, im Norden und Osten meist der Zusammenhang zwischen Bodenvertheilung und Gemeinderecht aufrecht erhalten. Aber auch wo die Dorfgemeinde, wie im Preufs. L.R. II, 7 § 17 u. 20—22 und späteren preufs. und anderen Land7

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III. Schicksale der wirthschaftsgenossenschaftlichen Seite der Markgemeinde. Die markgenossenschaftlichen Rechte an Grund und Boden wurden in bedeutendem Umfange theils durch die Ausbildung landesherrlicher Regale theils durch die um sich greifende neuere Gutsherrschaft aufgezehrt oder doch verengt10. Auch im Uebrigen aber verlor mit der Auflösung der Markgemeinde der in ihr enthaltene wirthschaftsgenossenschaftliche Verband seine allumfassende, das ganze bäuerliche Besitzthum ergreifende Bedeutung11. Das Sondereigenthum an Grund und Boden trat nun aus dem genossenschaftlichen Bereiche ganz heraus und fiel als reines Privatrecht in die freien Einzelbereiche. Das Gesammtrecht an Grund und Boden verengte sich zu einem besonderen Gemeinschaftsverhältnisse an einem Theile der Mark. Statt der einheitlichen Markgemeinschaft bestanden daher nur Reste der Markgemeinschaft in doppelter Gestalt fort. 1. Einerseits brachten mancherlei Eigenthumsbeschränkungen nach wie vor die genossenschaftliche Gebundenheit des Einzelbesitzes zum Ausdruck. Sie erschienen aber nunmehr als Ausflüsse besonderer Privatrechte, die man als Rechte an fremder Sache und daher je nach ihrem Inhalte als Servituten, Reallasten, Näherrechte u. s. w. auffafste und regelmäfsig nicht mehr der Gesammtheit am Sondergut, sondern den einzelnen Grundbesitzern gegenseitig an ihren Grundstücken zuschrieb12. 2. Andrerseits blieben Gemeinschaftsverhältnisse an der Allmende oder einzelnen Stücken derselben erhalten. Sie empfingen aber eine sehr verschiedene Rechtsgestalt, die ihnen nur selten aus innerer Entwicklung, meist durch generalisirende Theorien unter oft schreiender Vergewaltigung des Rechtslebens aufgeprägt wurde. Im Verhältnifs zur politischen Gemeinde lassen sich drei Grundformen der fortbestehenden Allmendrechte unterscheiden. a. Vielfach wurde die Allmende dem Gemeindevermögen überhaupt entfremdet. Wo die Spaltung der Markgemeinde in zwei gemeindeordnungen (Gierke I 726 if.), als reine Grundbesitzergemeinde konstruirt wurde, erscheint dies rechtlich nur noch als eine öffentlichrechtlich motivirte Besonderheit der ländlichen Gemeindeverfassung. Um so weniger wird durch die auch in neueren Gemeindeordnungen beibehaltene Einwirkung des Grundbesitzes auf das Stimmrecht die rein öffentlichrechtliche Grundlage des Gemeindeverbandes in Frage gestellt. 10 Hiervon ist später zu handeln 11 Gierke I 658 ff. u. 675 ff. 12 So wurde die gemeine Weide auf der Feldmark in gegenseitige Weiderechte (Koppelweiderechte) aufgelöst, die Marklosung als Individualrecht ausgestaltet u. s. w. Hiervon später.

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Rechtssubjekte durchdrang, erschien sie als ein besonderes Genossenschaftsvermögen 18 . Anderswo wurde sie grundsätzlich für ein besonderes Gemeinschaftsvermögen der nutzungsberechtigten Gemeindeglieder erklärt und zum Theil geradezu den Regeln des Miteigenthums unterworfen 14. Ebenso wurden die Gesammtnutzungsrechte an herrschaftlichem oder sonstigem fremdem Gute oft der Gemeinde als solcher ganz abgesprochen und in Nutzungsrechte einer Genossenschaft, einer Personenklasse oder einzelner Grundbesitzer verwandelt15. b. Häufig wurde die Allmende zwar als Gemeindevermögen angesehen, jedoch den Sondernutzungsrechten in ihrem bisherigen Umfange die Eigenschaft von Privatrechten am Gemeindevermögen beigelegt. Dabei neigte die romanistische Theorie zur Auffassung aller solcher Nutzungsrechte als freier Individualrechte, die sie als jura in re aliéna zu konstruiren suchtele. Doch erlosch niemals eine mehr germanistische Anschauung, die in den Allmendberechtigungen mitgliedschaftliche Sonderrechte (jura singu18

Gierke I 683 ff. — Zum Theil wurde freilich der Gemeinde das Eigenthum an dem von der Genossenschaft henützten Vermögen vorbehalten; dann aber erscheint ein dingliches Nutzungsrecht am Gemeinlande als besonderes Genossenschaftsvermögen; a. a. O. S. 687. 14 So durch das Preufs. A.L.R. I I , 7 § 23, 28; vgl. Weisung des J.M. v. 12. Febr. 1845 (J.M.B1. S. 38) u. Pl.Beschl. des O.Trib. v. 17. Okt 1845 (Entsch. X I 74). Vgl. auch Osnabrücker Ver. ν. 4. Juni 1785 bei Maurer, Dorfv. I I 223 Anm. 20. In der Theorie verfochten die Annahme eines Miteigenthums Lud ο lph, Symph. I I c. 8, Reinhard, De jure forestall, vom Märkerrecht, 1738, s. Π Ι § 1—2, Strube, Rechtl. Bed. I Nr. 155 § 2, Pufendorf, Obs. Π Nr. 60, J. Möser, Osnabrück. Gesch. 1,1 § 10 Anm. a, Cramer, Nebenstunden Π Ι Nr. 5 S. 117ff., 138, Strombeck, Jurist. Abh. I I , 1 § 106, I I , 3 § 169—179, D u n c k e r , Gesammteigenthum S. 165 ff. u. Α.; vgl. Gierke I 664 Anm. 25, Stobbe I 509 Anm. 23. Doch wurde nicht nur allgemein eine Reihe von Abwandlungen des römischen Miteigenthums anerkannt, sondern vielfach der von germanistischer Seite aufgestellte Begriff eines besonders gearteten deutschen „Gesammteigenthums" auf gemeine Marken angewandt; vgl. unten die Lehre vom Eigenthum. 16 So namentlich Wald- und Weiderechte; von den grofsen Markgenossenschaften blieb nach Verwandlung der Marken in Staatseigenthum und nach Aufhebung der Märkerdinge oft überhaupt nichts als eine Summe von Waldservituten übrig; Gierke I 660. 18 Gierke I 693. In der Theorie reichen die Anfarge einer derartigen Auffassung ins Mittelalter zurück; a. a. O. I I I 377, 447. Meist nahm man Servituten oder servitutenÄhnliche Rechte an; a. a. Ο. I 664 Anm. 26, auch Kreittmayr I I c. 8 § 14 Nr. 2, Gönner, Ueber Cultur u. Vertheilung der Gemeinweiden, Landshut 1803, § 12, 20 u. 22. Bisweilen auch blofse Prekarien; soCarpzov u. Ende, vgl. Gierke a. a. Ο. Anm. 27. Neuerdings eigenthümliche Realrechte; so Renaud a. a. O. S. 95 ff., Römer a. a. O. S. 94 ff. B i n d i n g , Handbuch.

I I . 3. I :

G i θ r k e , Deutsohes Privatrecht.

I.

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lorum in universitate) erblickte17. In ähnlicher Weise verband man oft bei Gesammtnutzungsrechten die Annahme eines Gemeinderrechtes mit der Anerkennung selbständiger Privatrechte der zur Theilnahme berufenen Gemeindeglieder18. c. Endlich verschaffte sich auch eine Theorie Geltung, die in der Allmende und den Gesammtnutzungsrechten reines Gemeindevermögen sah, alle Sondernutzungen daher lediglich als Ausflüsse des politischen Gemeindebürgerrechts behandelte19. Dieser Theorie zufolge sollte also, während Erwerb und Verlust des Ortebürgerrechts nunmehr auschliefslich durch das öffentliche Recht bestimmt wurden, dem Ortsbürgerrechte nothwendig zugleich das Recht auf Mitgenufs der gemeinen Mark folgen und somit namentlich durch jede Erweiterung des Ortsbürgerrechts ohne Weiteres auch eine Ausdehnung der Allmendberechtigungen eintreten. Verwirklicht wurde diese Theorie 17

Diese Auffassung überwog in der mittelalterlichen Jurisprudenz, die zunächst das Gemeinde vermögen in Patrimonium universitatis und im Gemeingebrauche befindliche res universitatis zu unterscheiden, unter den res universitatis aber wieder die für den Gebrauch von „univeisi ut universi" bestimmten Sachen (Strafsen, Plätze, öffentliche Gebäude u. s. w.) und die dem usus der „universi ut singuli" unterworfenen Allmenden zu sondern und an den letzteren feste Sonderrechte („ex jure universitatis singulis competentia") anzunehmen pflegte; Gierke I I I 374 ff. u. 445 ff. Hieran hielten Spätere fest; a. a. 0. S. 729; P. Gilken, Comm. in-Cod., Frankfurt 1606, S. 96 ff.; D. Tulden, Inst. 2, 1 c. 11; K r e i t t m a y r a. a. 0. litt, b (obwohl als Servitut traktirt, wird doch die Nutzung „im Hauptwerk selbst nicht jure servitutis, sondern jure communitatis exerzirt"); Gaudlitz-Haubold a. a. 0. (oben § 68 Anm. 12) I I 570 ff. (jedoch trotzdem Jura in re aliéna") ; J. F. Runde, Beiträge I 19 ff; v. Bülow u. Hagemann, Prakt. Erört. Π Ι Nr. 25, IV Nr. 57, V I Nr. 6. 18 Besonders fand die von U. Zasius, Sing. Respons. I c. 11, aufgestellte Theorie Beifall, die solche deutschrechtlichen Gesammtweiderechte, Gesammtholzungsrechte u. s. w. mit dem römischen Begriff der Prädialservitut durch die Annahme zu vereinbaren suchte, dafs praedium dominans hier die Gemeindemarkung als „fundus universalis", zugleich aber jedes einzelne in ihr enthaltene Grundstück sei; A. Kohl, Exerc. (Magdeb. 1619) Nr. 6—7, M e i c h s n e r l dec. 34, Wesembeck, Cons. 311; vgl. Gierke I H 676 ff. u. 729 Anm. 93. Vgl. aber auch G a u d l i t z - H a u b o l d a. a. 0. S. 593 ff 19 Schon im Mittelalter stellten Manche die Nutzungsrechte an der Allmende mit den öffentlichen Gebrauchsrechten an Strafsen und Plätzen völlig gleich; Gierke I I I 447 ff. Später verbreitete sich diese Auffassung immer weiter; vgl. z. B. Losaeus, De jure univ. I I I c. 1; Harpprecht, Inst. 2, 1 § 6 Nr. 1—9; Manz, Inst. 2, 1 § 6 Nr. 1 - 1 4 ; Brunnemann zu 1. 6 § 1 D. 1, 8 Nr. 4; T i t i u s , Jus priv. Rom.-Germ. H I c. 14 § 8; G. L. Boehmer, El. jur. civ. I exerc. 15 c. 1 § 13 u. 18 (frei entziehbar). Besonders einflufsreich wurde die Verteidigung dieser Theorie durch Thibaut, Civilist. Abh. Nr. 18 S. 391 u. 403. Vgl. auch Maurenbrecher § 159.

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in bedeutendem Umfange namentlich bei der unter dem Einflüsse der französischen Revolution in Süddeutschland vollzogenen Umgestaltung der Gemeinden, so dafs hier mit der Demokratisirung der politischen Gemeindeverfassung zugleich eine starke Umwälzung der ländlichen Besitzverhältnisse verbunden war 20 . IV. Auflösung der Reste der Markgemeinschaft. Seit der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts setzte sich die Gesetzgebung das Ziel, die aus der alten Markgemeinde stammenden Reste der Agrargemeinschaft völlig zu beseitigen. Schon seit Jahrtausenden war ja die agrarische Entwicklung auf eine langsame Aufzehrung des Gesammtrechtes durch das Sonderrecht gerichtet gewesen. Nun aber ergriff der Staat selbst die bewufste Fortführung dieses Auflösungsprozesses als eine der volkswirthschaftlichen Aufgaben, die er durch eine umfassende Agrargesetzgebung zu lösen suchte. Die Agrargesetzgebung unseres Jahrhunderts näherte sich dem angestrebten Ziele immer mehr, bis in neuester Zeit mit der Abkehr von dem rein individualistischen Wirthschaftsideale in einzelnen Punkten eine Gegenströmung durchdrang. Da die Beseitigung der Reste der Agrargemeinschaft um des öffentlichen WoHes willen erfolgte, griff der Staat nicht nur überall fördernd, sondern vielfach auch zwingend ein. Zur Leitung und Durchführung des Werkes errichtete er zum Theil eigne Behörden21. Die Gesetzgebung wandte sich sowohl gegen die genossenschaftliche Gebundenheit des Einzelbesitzes wie gegen den ländlichen Gemeinbesitz. Hauptsächlich sind es drei Klassen von Mafsregeln, die hier in Betracht kommen: die Zusammenlegung der Grundstücke, die Ablösung der Eigenthumsbeschränkungen und die Gemeinheitstheilung22. 20

Gierke I 690 ff.; bes. Bayr. Gem.Ed. v. 1808 § 27, Nassau, v. 1816 § 2 - 3 . In Preufsen die Generalkommissionen mit den ihnen unterstellten Spezialkommissaren; darüber als Rechtsprechungsbehörde das Oberlandeskulturgericht (früher Revisionskollegium) zu Berlin. Das Verfahren in Auseinandersetzungssachen richtet sich in Preufsen nach dem Ges. v. 18. Febr. 1880. Vgl. Glatzel u. Sternberg, Das Verfahren in Auseinandersetzungsangelegenheiten, Berlin 1880. 22 Im Gebiete des preufs. Landr. werden im Begriff der „Gemeinheitstheilung" alle drei Mafsregeln zusammengefafst; so schon in den seit 1750 beginnenden Verordn. (bes. Regl. f. Schlesien v. 14. Apr. 1771), im Preufs. L.R. I, 17 § 311 ff., im Landeskultured. v. 14. Sept. 1811 u. bes. in der noch geltenden Gemeinheitstheilungsordnung v. 7. Juni 1821 nebst Ver. ν. 28. Juni 1838, Deklar. v. 31. März 1841 u. 26. Juli 1847 u. Ges. v. 2. März 1850. Aehnlich in Lüneb. Gem.Th.O. v. 25. Juni 1802 nebst Instr. v. 30. Okt. 1806 u. Braunschw. Gem.Th.O. v. 12. Dez. 1834. Im Uebrigen pflegt man unter „Gemeinheitstheilung" nur die Auftheilung der Allmenden zu verstehen. 38* 21

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1. Zusammenlegung 28 . Um das ländliche Grundeigenthum vom Flurzwange zu befreien und einer möglichst intensiven Individualwirthschaft zugänglich zu machen, wurde im gröfsten Theile Deutschlands die aus der alten Feldgemeinschaft stammende und durch spätere Vorgänge vielfach noch gesteigerte Gemengelage der Aecker und Wiesen durch deren Zusammenlegung (Verkoppelung, Arrondirung, Separation, Flur- oder Feldbereinigung, Konsolidation, Vermagschiftung) beseitigt24. Eine derartige Eigenthumsveränderung kann im Wege des vertragsmäfsigen Landtausches zu Stande kommen25. Während aber manche ältere Gesetze sich darauf beschränkten, den Abschlufs solcher Verträge durch die Anordnung obrigkeitlicher Mitwirkung und Bestätigung zu fördern und zu sichern26, haben andere Gesetze schon seit dem 18. Jahrhundert die Zusammenlegung durch einen zwingenden staatlichen Verwaltungsakt ermöglicht27. Doch fordern die neueren Gesetze einen Mehrheitsbeschlufs der Betheiligten, um die Minderheit der Betheiligten zur Einwerfung ihrer Grundstücke in 88

Hierher gehören die in der vor. Anm. angef. Gesetze, zu denen in Preufsen noch das Ges. v. 2. Apr. 1872 tritt; ferner für die Rheinprov. Ges. v. 5. Juli 1869 u. 24. Mai 1885, f. Hohenzollern Ges. v. 23. Mai 1885, f. Hannover Ges. v. 30. Juni 1842 u. 8. Nov. 1856 mit Preufs. Ges. v. 17. Jan. 1883, f. Kurhessen V. über Ablösung der Servituten, Theilung der Gemeinschaften u. Zusammenlegung der Grundstücke v. 13. Mai 1867 nebst Ges. v. 25. Juli 1876, f. Schleswig-Holstein Ges. über die Ablösung der Servituten, die Theilung der Gemeinheiten und die Zusammenlegung der Grundstücke v. 17. Aug. 1876. Oldenburg. Ges. v. 27. Apr. 1858. Sächs. Ges. v. 14. Juni 1834 u. 23. Juli 1661. Bayr. Ges. v. 10. Nov. 1861 u. 24. Okt 1888. Württemb. Ges. v. 30. März 1886. Bad. Ges. v. 5. Mai 1856 u. 21. Mai 1882. Hess. Ges. v. 24. Dez. 1857, 18. Aug. 1871 u. 28. Sept 1887. Gesetze der kleineren Staaten b. G. Meyer a. a. 0. S. 308 ff. 84 In Norddeutschland wurde zunächst die Arrondirung des zwischen die Bauerländereien verstreuten Gutslandes, dann auch die Verkoppelung des Bauerlandes ziemlich allgemein durchgeführt. In Süddeutschland und am Rhein hat die Gesetzgebung erst in neuester Zeit kräftiger eingegriffen, ohne dafs hier bis heute die Streulage durchgehende beseitigt wäre. Vielfach begnügte man sich hier behufs Aufhebung des Flurzwanges mit einer Regulirung der Feldwege. So z. B. in Nassau bei der „Konsolidation" nach Ges. v. 12. Sept. 1829 u. 2. Jan. 1830. Auch die neuesten süddeutschen Gesetze stellen behufs „Flurbereinigung" oder „Feldbereinigung" die Zusammenlegung und die blofse Wegeregulirung zur Wahl. 8B Freiwillige Zusammenlegungen begegnen vereinzelt schon seit dem 16.Jahrh.; Hanseen I I 348 ff, E. Löning S. 357ff. 86 So z. B. das Kurhess. Ges. v. 28. Aug. 1834 u. das Sächs. Ges. v. 17. März 1832. Auch in Preufsen war bis zum Ges. v. 2. Apr. 1872 die Zusammenlegung von Grundstücken, die keiner gemeinschaftlichen Benutzung unterworfen waren, nur mit Zustimmung aller Betheiligten zulässig. 87 Hanssen I I 352 ff, E. Löning S. 357 ff. Zum Theü erfolgte die Zusammenlegung von Amtswegen. Nach der Preufs. Gem.Th.O. § 2 u. 20 nebst V.

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die Theilungsmasse zu zwingen28. In solchen Fällen liegt eine Zwangsenteignung vor, bei der aber die Entschädigung in Land zu gewähren ist 29 . 2. Ablösung. Mit der Zusammenlegung der Grundstücke wurde stets die Beseitigung der aus der genossenschaftlichen Gebundenheit des Einzelbesitzes herrührenden Eigenthumsbeschränkungen verbunden80. Allein auch ohne Zusammenlegung sind die der alten Feldgemeinschaft entstammenden gegenseitigen und einseitigen Servituten theils aufgehoben theils für ablösbar erklärt worden81. Die auf Beseitigung der Servituten und Reallasten gerichtete Ablösungsgesetzgebung hat dann zugleich in die Reste der Allmendgemeinschaft insoweit zerstörend eingegriffen, als sie die aus ihr hervorgegangenen Privatrechte am Gemeinlande oder an einem der Gemeindenutzung geöffneten Herrenlande mitbetroffen hat 82 . Doch erschöpft sich die Bedeutung der Ablösungsgesetzgebung keineswegs in der Entfesselung des Grundeigenthums von den Schranken genossenschaftlicher Herkunft. v. 28. Juli 1888 § 1, der Hannov. u. Sächs. Gesetzg. mufs die Zusammenlegung stets dann stattfinden, wenn ohne sie eine beschlossene Gemeinheitstheilung nicht ausführbar ist. 28 So schon Ges. des vor. Jahrh.; vgl. Hanssen I I 357 ff. In Preufsen bedarf es nach dem Ges. v. 2. Apr. 1872 eines Mehrheitsbeschlusses zur Yerkoppelung von Grundstücken ohne Gemeinheitstheilung; nach den in Anm. 23 angef. Ges. f. die Rheinprov., Hohenzollern, Kurhessen u. Schleswig-Holstein, dem Oldenb. Ges. u. den süddeut. Ges. ist in allen Fällen der Zusammenlegung ein Mehrheitsbeschlufs erforderlich. Die Berechnung der Mehrheit erfolgt nach der Bodenfläche, meist aber in Kombination mit dem Steuerbetrage oder der Zahl der Parzellen oder der Kopfzahl oder mehreren dieser Faktoren. Im Uebrigen begnügen sich die geltenden Gesetze mit einfacher Mehrheit, während bis vor Kurzem namentlich die süddeutschen Gesetze verstärkte Mehrheit (Bayern bis 1888 Württemberg bis 1886 2 /e u. s. w.) forderten. — Gewisse Grundstücke, wie z. B. Gärten und Weinberge, sind überall von der Zwangsverkoppelung ausgeschlossen. 39 Nur zur Ausgleichung geringfügiger Werthunterschiede können Abfindungen in Kapital oder Rente zuerkannt werden. — Das als Ersatz gewährte Land tritt in allen rechtlichen Beziehungen, somit z. B. auch für Pfandgläubiger, Pächter, Niefsbraucher, an Stelle des eingeworfenen Landes; Preufs. Gem.Th.O. § 147 ff. 80 Die wechselseitigen Dienstbarkeiten (insbesondere die Koppelhut) wurden meist ohne Entschädigung aufgehoben, die einseitigen der Ablösung unterworfen. 81 In Preufsen bildet die Beseitigung der gemeinschaftlichen Benützung von Grundstücken auch ohne Verbindung mit einer Verkoppelung einen Gegenstand der „Gemeinheitstheilung". In vielen Gegenden u. namentlich in Süddeutschland wurden die gegenseitigen Weiderechte und andere Reste der Feldgemeinschaft lange vor der Verkoppelung durch selbständige gesetzliche Mafsregeln beseitigt, indem ihre Aufhebung durch Mehrheitsbeschlufs (so bei gegenseitigen Weiderechten nach Bayr. Ges. v. 28. Mai 1852) oder ihre einseitige Ablösung zugelassen wurde. 82 So namentlich die Ablösung der Waldservituten.

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Vielmehr liegt sie vor Allem in der Beseitigung der den ehemaligen Herrschaftsverbänden entstammenden Grundlasten88. 3. Gemeinheitstheilung. Den Ausgangs- und Mittelpunkt der gegen die Reste der Markgemeinschaft gerichteten Bewegung bilden die Gesetze, die auf die Auftheilung der Allmenden zu Sondereigenthum abzielen84. Waren solche Aufteilungen vereinzelt stets vorgekommen86, so wurden sie nunmehr zur Hebung der Landeskultur staatlich angeregt und auf jede mögliche Weise befördert 8®. In der That ist so der weitaus gröfsere Theil der Allmenden namentlich in Norddeutschland verschwunden. Doch ist in gewissem Umfange neuerdings eine der Erhaltung der Allmenden günstigere Strömung, die in Süddeutschland im Ganzen überhaupt das Ueber88

Wir handeln von der Ablösung bei den von ihr betroffenen Servituten u. Reallasten. 84 Vgl. die oben Anm. 22 angef. Ges. Ferner Fuldaisches Dekr. v. 1772 b. Thomas I 222 ff., Kurhess. Ges. v. 24. Okt. 1884 u. Preufs. Ges. f. Kurhessen (oben Anm. 28). Nassau-Dietz'sche V. v. 1784, Preufs. Ges. f. Wiesbaden v. 5. Apr. 1869. Hannov. Ges. v. 30. Juni 1842 u. 8. Nov. 1856, Osnabrücker Markentheilungs-O. v. 25. Juni 1822. Gem.Th.O. f. die Rheinprovinz, Neuvorpommern u. Rügen v. 19. Mai 1851. Das oben Anm. 23 angef. Preufs. Ges. f. SchleswigHolstein. Hess. Ges. v. 7. Sept. 1814 u. Gem.O. v. 30. Juni 1821 Art. 95—98. Sächs. Ges. v. 17. März 1832, Gotha, v. 2. Jan. 1832, Schwarzb.-Sondersh. v. 2. Apr. 1854, Schwarzb.-Rudolst. v. 7. Jan. 1856, andere thür. Ges. b. Heimbach § 178 Anm. 4. Oldenburg. Ges. v. 16. Dez. 1866 u. 20. Apr. 1873. Lippesches v. 16. März 1859. Brem. v. 31. Mai 1873. Bad. Gem.O. v. 31. Dez. 1831 § 92 ff., jetzige Fassung § 113 ff. u. 125 ff Bayr. Gem.O. v. 29. Apr. 1869 Art. 26 ff, f. die Pfalz Art 19ff. — Oesterr. Pat ν. 5. Nov. 1768, Ges. v. 14. Okt. 1808, Ges. ν. 7. Juni 1883. — Ueber die Schweiz Miaskowski, Allm. S. 26 ff., Huber I 169 ff, I I I 157 ff. 85 Beispiele aus dem Mittelalter b. K r a u t , Grundr. § 76 Nr. 6—7, Duncker S. 170, Lörsch u. Schröder Nr. 117, Gierke Η 186. 86 Die volkswirtschaftliche Litteratur war im 18. Jahrh. einig über die Schädlichkeit der Gemeinweiden und der gemeinen Marken überhaupt; vgl. die Nachweisungen b. Gaudlitz- Haubold S. 577 Anm. b u. Gönner a. a. O. In der Schrift „Die Aufhebung der Gemeinheiten in der Mark Brandenburg nach ihren grofsen Vortheilen ökonomisch betrachtet", Berlin 1766, heifst es S. 4 in bezeichnender Weise, die Erforschung des Ursprunges der Gemeinheiten wäre „vielleicht ebenso schwer, als die Lehre von dem Ursprung des Bösen überhaupt" ! So fordern denn auch die älteren Gesetze, dafs die Gemeinheiten „zum Besten der allgemeinen Landeskultur so viel als möglich aufgehoben" werden. Vgl. Pr. L.R. I, 17 § 311. Ebenso Preufs. Gem.Th.O. v. 1821 § 1, die in § 23 eine Vermutung dafür, dafs jede Gemeinheitstheilung kulturförderlich und ausführbar sei, hinzufügt u. in § 24 erklärt, dafs die Erreichung eines Vorteiles für alle Betheiligten kein Erfordernifs der Theilung sein soll, falls nur die Benachteiligten entschädigt werden.

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gewicht behalten hatte87, auch in Norddeutschland wieder zum Durchbruch gelangt88. a. Gegenstand der Gemeinheitstheilung ist stets nur Allmendgut, also Grundvermögen, das bisher für die Bedürfnisse der Einzelwirtschaften verwandt wurde. Grundvermögen, das den Zwecken der Gemeinde als solcher dient, ist der Theilung entzogen. Manche Gesetze nehmen aber auch das Allmendgut dann von der Theilung aus, wenn es zum Gemeindevermögen gehört und die Nutzungsrechte den Gemeindegliedern nur als solchen zustehen89. Die Theilung gemeiner Waldungen, die ursprünglich gleichfalls befördert wurde, ist neuerdings überhaupt verboten oder doch stark beschränkt worden40. b. Theilungsfall. Während Anfangs nach manchen Gesetzen die Markentheilung durch die Staatsbehörden von Amts wegen durchgeführt werden sollte41, hat nach allen geltenden Gesetzen der Staat sich zwar die endgültige Entscheidung über die Zulässigkeit einer Theilung vorbehalten, jedoch die Entschliefsung über deren Vornahme in den Willen der Betheiligten verlegt. Je nach der angenommenen Theorie aber gelangten in dieser Hinsicht entgegengesetzte Systeme 37 Hier schützte die Allmenden ihre Umwandlung in öffentliches Gemeindeveimögen, dessen Theilung umgekehrt unter dem Gesichtspunkte der darin enthaltenen Veräufserung von öffentlichem Gut wieder erschwert wurde. 88 Einen Wendepunkt bildet schon die in der folgenden Anm. erwähnte Preufs. Deklar. v. 1847. 89 So im Gegensatz zu der früheren Praxis die Preufs. Deklar. v. 26. Juli 1847 § 1—2: aufser dem eigentlichen Gemeindevermögen darf auch deijenige Theil des Gemeindevermögens nicht getheilt werden, dessen Nutzungen den Gemeindemitgliedern oder Einwohnern „vermöge dieser ihrer Eigenschaft" zukommen, mögen auch die Nutzungsrechte „noch aufserdem durch den Besitz eines Grundstückes oder durch besondere persönliche Verhältnisse bedingt" sein. Ebenso Rhein. Gem.Th.O. v. 1851 § 3; Kurhess. v. 1867 § 5; Wiesbad. v. 1869 § 3 (auch schon Nassau. Gem.O. v. 26. Juli 1854 § 43); Württ. Verw.Ed. v. 1. März 1822 § 90; Hess. Ges. v. 22. Nov. 1872 Art. 1. Nach der Bad. Gem.O. § 113 darf von der Allmende zu Eigenthum nur vertheilt werden, was nach Zuweisung eines Allmendgenufstheiles an jeden Gemeindebürger (1 Morgen Acker oder Wiese) übrig ist Die neue Gem.O. f. Elsafs-Lothringen § 53 verbietet jede Theilung. 40 So in ganz Preufsen durch das Ges. über gemeinschaftliche Holzungen v. 14. Mai 1881 § 1 u. 6, das auch alle Genossenschaftswaldungen trifft und eine Theilung nur ganz ausnahmsweise mit Zustimmung der Auseinandersetzungsbehörde gestattet. Dazu die Preufs. Haubergsordn. § 2 über Untheilbarkeit der Hauberge. Vgl. ferner das Verbot der Theilung von Allmendwald in Bad. Gem.O. § 113 Abs. 4, Bayr. Gem.O. Art. 29 u. Pfalz. Art. 22 (mit Ausnahmen), Meining. Ges. v. 9. Juli 1867 Art. 4, Kob. Ges. v. 3. Juli 1869 Art. 2. 41 So nach Oest. Pat. ν. 1768; Schles. Regl. v. 1771: „von Amtswegen ohne Zeitverlust".

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zur Geltung42. Zufolge der Miteigenthumstheorie genügt zur Einleitung des Theilungsverfahrens der Antrag eines einzigen Antheilsberechtigten48. Diesen Grundsatz hat die Gesetzgebung namentlich in Preufsen und Sachsen durchgeführt und bis heute festgehalten44. Anderswo wird der Antrag einer ansehnlichen Minderheit verlangt45. Ohne gesetzliche Grundlage dagegen ist die Anstellung einer Theilungsklage seitens einzelner Antheilsberechtigter stets unstatthaft 46. Nach der Theorie des Körperschaftseigenthums ist ein Mehrheitsbeschlufs erforderlich und ausreichend47. In diesem Sinne haben sich die meisten Gesetze entschieden48. Sie weichen jedoch, jenachdem sie ein besonderes Genossenschaftseigenthum oder ein Gemeindeeigenthum annehmen, hinsichtlich der Art der vorgeschriebenen Beschlufsfassung und der Berechnung der Stimmen vielfach von einander ab 4 9 . Manche Gesetze fordern die Zustimmung einer überwiegenden Mehrheit50. Nach der Theorie des durch selbständige Privatrechte beschränkten Körperschaftseigenthums bedarf es der Einstimmigkeit aller Betheiligten51. Dieser Ansicht hat sich kein einziges Gesetz angeschlossen. 48 Den Stand dieser „berühmten Kontroverse" zu seiner Zeit legt eingehend G a u d l i t z - H a u b o l d S. 577 ff. dar. 48 Dafür alle oben Anm. 14 Genannten; ferner bes. K r ü l l , Prüfung einzelner Theile des bürg. R. (1803) I I Nr. 1 u. IV Nr. 4. 44 Preufs. L.R. I, 17 § 316, Gem.Th.O. v. 1821 § 4 u. 17, Rhein. Gem.Th.O. u. Gem.Th.O. f. Wiesbaden; ferner V. f. Kurhess. v. 1867 § 1, Lüneb. Gem.Th.O. § 36, Osnabr. § 15 (Kraut § 76 Nr. 10), Sächs. Ges. v. 1832 § 133, die aber dem Einzelnen, wenn die Anderen keine Theilung wollen, nur einen Anspruch auf Ausscheidung seines Antheile geben. Vgl. E. Löning S. 360. 46 Vgl. G. Meyer S. 311. — Nach der Preufs. V. v. 28. Juli 1838 § 1 u. Kurhess. V. v. 1867 § 3 ist der Antrag eines Viertels der Betheiligten erforderlich, wenn mit der Theilung eine Umlegung von Ländereien verbunden werden soll. 4 * Seuff. V n i Nr. 11, X X I Nr. 201, X X I I I Nr. 109. 47 Dafür Ende, Verm. jur. Abh. I Nr. 10, Thibaut a. a. Ο., Gönner a. a. Ο., Gaudlitz-Haubold S. 581 ff., Maurenbrecher § 159. 48 So auch die ältere sächs. Gesetzgebung; vgl. diese b. G a u d l i t z - H a u b o l d S. 587 ff. 49 Manche Gesetze berechnen die Mehrheit nach Köpfen (ζ. B. Hess. Ges. v. 1814 § 41); andere nach Nutzungsrechten oder nutzungsbefugten Grundstücken (Oldenburg. Ges. v. 20. Apr. 1873 Art. 11 § 1: „nach ihrer Erbesqualität gerechnet"); wieder andere nach kombinirten Gesichtspunkten (ζ. B. Bayr. Gem.O. Art. 27 nach Köpfen und Steuerkapital). 60 So bedarf es in Braunschweig einer Zweidrittelsmehrheit (Steinacker S. 406 ff.), in Gotha, Baden (§ 125—126) u. Bayern (Art. 27) einer Dreiviertelsmehrheit. 61 Dafür ζ. B. Berger, Oecon. for. I I I t. 5 th. 32 Not. 6, Runde, Beitr. I 25 ff. u. D.P.R. § 18le (jedoch mit Vorbehalt eines Rechtes der Staatsgewalt, den Konsens zu ergänzen, wo blofser Eigensinn einzelner Genossen das gemeine Beste

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An sich kann freilich so wenig hier wie in anderen Fällen der Körperschaftsbeschlufs in Sonderrechte der Mitglieder ohne deren Einwilligung eingreifen. Allein insoweit sich das genossenschaftliche Gesammteigenthum erhalten hat, folgt hieraus ein Widerspruchsrecht des einzelnen Genossen nicht gegen die Theilung, sondern nur gegen jede Theilungsart, durch die nicht sein kraft Anfalles des Gesammtrechtes an die Sonderrechte zum freien Miteigenthumsantheil verstärkter Antheil realisirt würde 52. Nur wenn die Nutzungsrechte zu freien Privatrechten an einer fremden Sache geworden sind, kann in der That keinem Berechtigten das Nutzungsrecht entzogen und dafür ein Allmendtheil als Ersatz aufgedrängt werden. Die Gesetze schneiden jedoch eine nähere Prüfung des Inhaltes und der Stärke der Sonderrechte durch allgemeine Bestimmungen ab, nach denen alle Nutzungsrechte gegen Entschädigung durch die aus der Theilungsmasse gewährte Abfindung einseitig aufgehoben werden können. Insoweit hierin eine Zwangsenteignung liegt, wird sie durch die Berufung auf das öffentliche Interesse gerechtfertigt und durch die staatliche Mitwirkung gedeckt. c. Theilungsart. Die Auftheilung der Allmenden erfolgt im Wege der Naturaltheilung, so dafs die ideellen Eigenthumsantheile an der Mark in gesonderte Eigenthumsrechte an Realtheilen derselben übergeführt und ebenso die als Entschädigung für wegfallende Nutzungsrechte aus der Theilungsmasse geschuldeten Abfindungen in Land gewährt werden. Ausnahmsweise greift aber eine Abfindung in Kapital oder Rente Platz53. d. Theilungsfufs. Die Theilung mufs nach dem Mafsstabe der bestehenden Antheilsrechte am Allmendgenufs erfolgen. Sind feste Antheilsrechte nicht vorhanden, so mufs das nach dem Ortsherkommen und Besitzstande dem Rechtsbewufstsein der Betheiligten entsprechende Theilnahmeverhältnifs ermittelt werden. Die Gesetze stellen aber einen im Zweifel anzuwendenden gleichförmigen Mafsstab auf. Hierbei sind namentlich zwei entgegengesetzte Richtungen zur durch Widerspruch zu hindern sucht), Zachariae, Quaest 10 p, 68 sq., Biilow u. Hagemann I I I Nr. 25, Eichhorn, D.P.R. § 373, Renaud, Ζ. f. D. R. IX 93, Römer ib. X I I I 147, Bluntschli, D.P.R. § 89, Beseler, D.P.R. § 84 I I I ; für die Regel auch Langenn u. K o r i I I 17 ff. BsJ So mit zutreffender Beweisführung Gaudlitz-Haubold S. 582 ff. Ebenso O.A.G. Jena b. Seuff. I I Nr. 256. Vgl. Gierke, Genossenschaftsth. S. 231—232. — Insoweit die Nutzungsrechte zu „bürgerlichen Nutzungen" abgeschwächt sind, begründen sie überhaupt keine Schranke der körperschaftlichen Verfügungsmacht. 58 Vgl Preufs. Gem.Th.O. v. 1821 § 56, 60, 66, 77; Rhein. § 15; Kurhess. § 16, 20; Wiesbad. § 14, 16; Schlesw.-Holst. § 14.

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Geltung gekommen. Einige Gesetze lassen im Einklänge mit der in Süddeutschland überwiegenden Auffassung gleiche Theilung nach Köpfen eintreten64. Nach den meisten Gesetzen dagegen entscheidet der Umfang der bisher ausgeübten Nutzungsrechte55. Fehlt es an einer festen Bestimmung der Nutzungsrechte, so soll wiederum bald auf die Gröfse des Viehstandes gesehen werden56, bald der Umfang des Grundbesitzes oder das Verhältnifs der Beiträge zu den Gemeindelasten in Betracht kommen57. Insofern neben genossenschaftlichen Sondernutzungsrechten selbständige Marknutzungsrechte Dritter bestanden haben, bedarf es ihrer besonderen Abfindung durch volle Entschädigung58. Hat die aufzuteilende Allmende nebenbei zugleich öffentlichen Gemeindebedürfnissen gedient, so mufs auch für die Gemeinde als solche ein Antheil ausgeschieden oder eine Abfindung festgesetzt werden59. § 73. Die Gemeinde im heutigen Recht. I. füllung auf die II. 54

Begriff. Gemeinde ist eine Gebietskörperschaft für Erdes menschlichen Gemeinschaftszweckes in der Begrenzung durch örtliches Zusammenleben gesetzten Aufgaben. Arten. Urbild der Gemeinde ist die Ortsgemeinde 1 .

So Bad. Gem.O. § 127 (früher § 106, ebenso schon i. J. 1810) u. § 129 (früher § 108); Bayr. Gem.Ed. von 1808 § 27; Nassau. Gem.Ed. v. 1816 § 14. In der Theorie trat besonders T h i b a u t a. a. Ο. S. 881 ff. dafür ein; ebenso M i t t e r maier I § 180. 66 Pr.L.R. II, 7 § 32, Gem.Th.O. v. 1821 § 30; Sächs. Ges. v. 1832 § 133ff.; Hefs. Gem.O. v. 1821 Art. 96. Dafür Gönner a. a. 0., Gaudlitz-Haubold S. 582. 56 So entscheidet nach der Preufs Gem.Th.O. § 82 ff. prinzipaliter der wirkliche Viehstand nach zehnjährigem Durchschnitt, subsidiär der Durchwinterungsfufs. Ebenso nach Gem.Th.O. f. Schlesw.-Holst. § 7, auch Lüneb. Gem.Th.O. u. anderen hannov. Gesetzen. Nach Preufs. L.R., Rhein. Gem.Th.O. § 10, Kurhess. § 11, Wiesbad. § 9 entscheidet der Durchwinterungsfufs. 67 Ereteres ζ. B. 1768 in Oesterreich, Letzteres 1779 in Schleswig-Holstein. 88 So ζ. B. Nutzungsrechte der Pfarre und der Schule; Bad. Gem.O. § 130 (109), Hess. Gem.O. v. 1821 Art. 98, Bayr. Gem.O. Art. 25. Auch die Mitgenufsrechte von Beisitzern müssen abgefunden werden. 69 Nach der Bayr. Gem.O. Art. 27 soll den Theilstücken eine ablösbare Rente zu Gunsten der Gemeindekasse auferlegt werden. Vgl. ferner Hannov. L.G.O. v. 1852 § 47 (Kraut § 76 Nr. 1): auch Bad. Gem.O. § 115 (94). 1 Nachweisung der deut. Gemeindeordnungen b. Gierke Art. „Gemeinde" in Holtzendorffs Rechtslex. I I 46 ff. u. G. Meyer, Staatsr. § 110 Anm.; dazu seitdem Preufs. L.G 0. f. die sieben östl. Prov. v. 8. Juli 1891 u. f. Schlesw.Holst. v. 4. Juli 1892, St.O. f. den Bezirk Wiesbaden v. 8. Juni 1891 ; Bad. Ges. v. 22. Juni 1890; Württemb. Ges. v. 21. Mai 1891; Gem.O. f. Elsafs-Lothringen von

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Die einst auch für das Privatrecht überaus wichtige Unterscheidung der Ortsgemeinden in Städte und Landgemeinden hat heute im Wesentlichen nur noch öifentlichrechtliche Bedeutung. Möglich ist eine Spaltung der Funktionen der Ortsgemeinde durch Bildung von Theilgemeinden in einer Ortsgemeinde oder durch Verbindung mehrerer Ortsgemeinden zu einer Sammtgemeinde2. Zum Theil aber werden auch alle oder gewisse Funktionen der Ortsgemeinde auf Verbände übertragen, die keine Gemeinden sind8. Ueber den Ortsgemeinden stehen Gemeindeverbände höherer Ordnung (höhere oder weitere Kommunalverbände). Dazu gehören Amts- oder Bezirksgemeinden, Kreisgemeinden und Provinzialgemeinden 4 . III. Rechtsstellung. Die heutige Gemeinde ist eine rein öffentliche Körperschaft. Als Körperschaft untersteht sie den allgemeinen Regeln des Körperschaftsrechtes. Die Besonderheiten dagegen, die für sie als Gemeinde gelten, gehören dem öffentlichen Rechte an. Dies gilt auch von solchen Sätzen des Gemeinderechtes, die mittelbar auf das Privatrecht einwirken; somit z. B. von den Sätzen über Erwerb und Verlust der Gemeindemitgliedschaft, wennschon sie zugleich die Gemeindenutzungsrechte berühren; oder von denen über die Gemeindeorganisation, wennschon sie auch über die Darstellung der Gemeinde als Privatrechtssubjekt entscheiden; oder von denen über die Staatsaufsicht, wennschon sie auch die privatrechtliche Handlungsfähigkeit der Gemeinde einschränken. Nur hinsichtlich des Geraeindevermögens bestehen im Zusammenhange mit der alten Markgemeindeverfassung vielfach noch eigentümliche Rechtsverhältnisse, die unmittelbar in das Privatrecht hineinreichen. 1894, die voraussichtlich demnächst in Kraft gesetzt werden wird (Bearbeitung von Α. H alley, Strafsburg 1894). — Aeltere Sammlung: J. Weiske, Sammlung der neueren teutschen Gemeindegesetze, Leipz. 1848. 2 Gierke, Genossenschaftsr. I 779 ff.; Jolly, Art „Gesammtgemeinden" im Wörterb. des Verwaltungen I 571ff. — Vgl. z. B. Bad. Gem.O. § 166 (145), Hohenzollern-Sigmar. Gem.O. v. 1840 § 132 ff., Württ. Ges. v. 17. Sept. 1853, Schlesw. Holst. L.G.O. v. 1892 § 121a^-121e. 3 Keine Gemeinden sind die „selbständigen Gutsbezirke" ; vgl. unten § 80 a Anm. 19. Keine Gemeinden sind ferner die zur gemeinsamen Wahrung kommunaler Angelegenheiten gebildeten Verbände nachbarlich belegener Gemeinden und selbständiger Gutsbezirke nach Sächs. L.G.O. § 89—92 oder Preufs. östl. u. Scblesw.Holst. L.G.O. § 128—138, mögen letzteren auch gemäfs § 129 Abs. 2 die Rechte öffentlicher Körperschaften beigelegt sein. 4 Vgl. die Gesetze b. Gierke a. a. O. S. 786 ff., G. Meyer, Staatsr. § 115 bis 118, E. Löning, Verw.R. § 41—47.

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IV. Gemeindevermögen 5 . Innerhalb des Vermögens, dessen Eigenthtimerin die Gemeinde ist®, werden je nach dessen Zweckbestimmung zwei Bestandtheile unterschieden7. 1. Eigentliches Gemeinde ν ermögen, „Gemeindevermögen im engeren Sinne", in den Städten auch „Kämmereigut", auf dem Lande „Ortsvermögen" genannt, sind alle Vermögensgegenstände, die für die Zwecke der Gemeinde als solcher bestimmt sind. Dazu gehören unbewegliche und bewegliche Sachen, die vermöge ihrer Bestimmung für den öffentlichen Gebrauch unmittelbar einem Gemeindezwecke gewidmet sind8. Ebenso aber alle Vermögensgegenstände, die kraft der Bestimmung ihrer Erträge für den Gemeindehaushalt mittelbar dem Gemeindezwecke dienen9· 6 Vgl. aufser den zu § 71 Anm. 1 u. § 72 Anm. 1 angef. Schriften noch: Bitzer, Die Realgemeinderechte, ihre Entstehung und Stellung in der Gegenwart, Stuttg. 1844. Weiske, Ueber die Gemeindegüter und deren Benutzung durch die Mitglieder, Leipz. 1849. K r e i t t m a y r I I c 1 § 6. Ferner die Lehrb. des D.P.R. v. Runde § 181 b if., Eichhorn § 372, Mittermaier I § 128ff., Maurenbrecher I § 170 ff., R e n a u d i § 181 ff., Bluntschli § 59, W a l t e r § 119, Gerber § 51, Beseler § 83, Gengier § 31 u. 54. Auch E. Löning, Verw.R. § 39; E. L e i d i g , Preufsisches Stadtrecht, Berl. 1891, S. 203 ff; von Reitzenstein, Art. „Gemeindevermögen" im Wörterb. des deut. Verwaltungsr. I 540 ff. 6 An den in der Gemeindegemarkung belegenen Grundstücken mufs, da ursprünglich die ganze Mark Eigenthum der Markgemeinde war, noch heute bis zum Nachweise eines Sondereigenthums Gemeindeeigenthum angenommen werden; Seuff. XX Nr. 199, XXI Nr. 203, vgl. auch I I Nr. 252 u. V Nr. 282; Mittermaier I § 128 VIII; a. M. Stobbe § 55 Anm. 2. — Im östlichen Preufsen besteht jedoch zum Theil vielmehr eine Vermuthung fur gutsherrliches Eigenthum (Auenrecht); vgl. Dernburg, Preufs. P.R. I § 228. 7 Pr.L.R. II, 8 § 138 ff.; Preufs. östl. u. Schlesw.-Holst. L.G.O. § 68; Oesterr. Gb. § 288; Code civ. Art. 542; Bad. Gem.O. § 64—65 (53—54); HohenzollernSigmar. § 52 ff; Kurhess. § 24 u. 70. 8 Mögen sie nun (wie Strafsen, Plätze, Anlagen, Brücken, Brunnen u. s. w.) dem öffentlichen Gemeingebrauche oder (wie Rathhäuser, Schulhäuser, Markthallen, Schlachthäuser und andere öffentliche Gebäude mit ihrer Ausrüstung) einem engeren öffentlichen Gebrauche dienen. Die ältere Theorie bezeichnete alle solche Sachen als „res universitatis" und warf sie entweder völlig mit den Allmenden zusammen (oben § 72 Anm. 19) oder liefs doch den Unterschied zwischen ihnen und den Allmenden erst bei einer Untereintheilung der „res universitatis" zu Tage treten (oben § 72 Anm. 17). Auch die neuere Theorie schwankt hinsichtlich der Charakterisirung der öffentlichen Gemeindesachen. Ebenso begegnet in der Praxis vielfach noch die unbestimmte Kategorie der „res universitatis in specie sic dictae" (ζ. Β. Seuff. IX Nr. 91, XVII Nr. 5 u. 164) und deren Ausdehnung auf die AUmende (Seuff. I Nr. 165, IX Nr. 125, XXVIII Nr. 102). 9 Von der älteren Theorie als „Patrimonium universitatis" den „res universitatis" gegenübergestellt; vgl. Seuff. X X V I I I Nr. 102.

§ 7.

Die Gemeinde im heutigen Recht.

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2. Allmendvermögen, „Gemeindegliedervermögen", „Nutzungsgut", „biens communaux", in den Städten auch „Bürgervermögen", auf dem Lande „Genossengut" genannt, sind Vermögensgegen stände, deren Nutzungen für wirtschaftliche Bedürfnisse aller oder einzelner Gemeindeglieder bestimmt sind. Dazu gehören namentlich die Reste der alten gemeinen Mark 10. Neben den im Eigenthum der Gemeinde stehenden Grundstücken müssen auch nutzbare Rechte der Gemeinde an fremdem Grund und Boden, falls sie den Gemeindegliedern als Einzelnen zu Gute kommen, zum Allmendvermögen gerechnet werden. Die aus derartigem Gemeindevermögen den Einzelnen zufliefsenden Nutzungen haben einen sehr verschiedenen Inhalt: bald wird den Einzelnen ein abgesondertes Nutzungsrecht an Theilstücken der Allmende (Allmendäckern, Allmendgärten, Looswiesen u. s. w.) nach einer bestimmten Reihenfolge oder auf Grund einer Verloosung, lebenslänglich oder auf Zeit, unentgeltlich oder gegen einen geringen Zins gewährt 11; bald sind die Einzelnen zur Ausübung eines gemeinschaftlichen Nutzungsrechtes befugt, so dafs sie z. B. Vieh auf die Weide schicken, Holz schlagen, Raff- und Leseholz sammeln, Streu rechen, Plaggen hauen,fischen, Steine oder Erde gewinnen können12; bald äufsert sich, während die Gemeinde allein die unmittelbare Nutzung ausübt, die Nutzung der Einzelnen in Bezugsrechten auf gewisse Fruchterträge (z. B. Holzgaben) oder auf einen Ersatz in Gelde (Allmendthaler u. s. w.) 18 . Was aber die 10

Doch kann auch die Neubegründung von derartigem Vermögen stattfinden. So durch Umwandlung von eigentlichem Gemeindevermögen in Nutzungsgut; Preufs. östl. u. Schlesw.-Holst. L.G.O. § 69 Abs. 1 (falls die Gemeinde schuldenfrei und daraus für absehbare Zeit keine Einführung neuer oder Erhöhung bestehender Gemeindeabgaben zu besorgen ist); Bayr. Gem.O. Art. 31 Abs. 2—3 (jedoch nur in widerruflicher Weise); Wtirtt. Ges. ü. d. Gemeindeangehörigkeit v. 16. Juni 1885 Art. 20 Abs. 3; Bad. Gem.O. § 131—134 (110—113). 11 Bayr. Gem.O. Art. 28, Pfalz. Art. 21. Württ. Ges. v. 16. Juni 1885 Art 20 Abs. 1. Bad. Gem.O. § 104 if. (85 ff.); bes. § 107 (Einrücken in erledigte Genufetheile nach der Reihe, unter gleich Berechtigten Entscheidung durch das Loos), § 110 (Entziehung bei Verwahrlosung) u. § 112; dazu über die Vertheilung von bisher gemeinschaftlich benutztem Allmendgut zu Genufstheilen (im Zweifel durch das Loos nach Köpfen in möglichst gleichem Werthe) § 113, 118—124. Hohenzollern-Sigmar. Gem.O. § 88, 90, 95—107 (Weiske S. 485 ff.). Elsafs - Lothring. Gem.O. § 54 Abs. 1 Z. 2 litt, b (Einrücken in erledigte Theile nach Herkommen oder Loos). 12 Vgl. Preufs. A.L.R II, 7 § 28 u. 30 u. über Weiderechte Gem.Th.O. v. 1821 § 41ff. u. 166 ff. 18 Ueber Bürgerholzgaben vgl. z. B. Bad. Gem.O. § 104 Abs. 1 u. 3, § 105, § 106 Abs. 2, § 111, Hohenzollem-Sigmar. Gem.O. § 88, 90, 92—93 u. Bürger-

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rechtliehe Natur aller solcher Nutzungsrechte betrifft, so kommen je nach der geschichtlichen Entwicklung des Rechtszustandes in den einzelnen Gemeinden sehr ungleichartige Verhältnisse vor 14 . Bei ihrer Beurtheilung mufs daher in erster Linie stets auf das örtliche Gewohnheits- und Satzungsrecht zurückgegangen werden15. Doch hat vielfach die Gesetzgebung durch generalisirende Vorschriften theils zwingender theils subsidiärer Art eingegriffen 16. a. Mitgliedschaftliche Sondernutzungsrechte. Wo das ursprüngliche Wesen der Nutzungsrechte bewahrt ist, erscheinen sie als mitgliedschaftliche Sonderrechte17. Sie sind daher mit der Gemeindemitgliedschaft verknüpft, setzen aber überdies einen durch Herkommen oder Satzung bestimmten individualrechtlichen Titel voraus18. Insbesondere sind sie olt durch Zugehörigkeit zu einer bestimmten Mitgliederklasse, oft durch Grundbesitz oder durch besonders gearteten Grundbesitz, oft auch durch eine wiederkehrende oder einmalige Vermögensleistung an die Gemeinde (eine Abgabe oder ein Einkaufsgeld) bedingt19. Ihre Uebertragung auf andere Gemeinderechtsgee. v. 5. Aug. 1837 § 113-115 (Weiske S. 485 u. 520 ff.), Württ. Ges. v. 1885 Art. 20, Code forestier Art. 105, Elsafs-Lothring. Gem.O. § 54 Abs. 1 Z. 2 litt, b (Nutzholz nur gegen Werthersatz); über Vertheilung von Ueberschüssen Bayr. Gem.O. Art. 31 Abs. 2—3, Pfälz. Art. 24, Bad. § 103 Abs. 2 - 3 , Hohenzollern-Sigmar. ·§ 87. 14 Gierke, Genossenschaftsth. S. 198 ff. 15 R.Ger. IX Nr. 62; Seuff. I Nr. 256, I I Nr. 258, XXVII Nr. 203. 16 Dabei neigen die Gesetze zu einer theoretischen Konstruktion, die nur die Wahl zwischen reinem Mitgliedschaftsrecht in der Gemeinde und freiem Privatrecht gegen die Gemeinde läfst; Gierke a. a. Ο. S. 199 ff. 17 Die gemeinrechtliche Praxis hält an dieser Auffassung der Allmendnutzungsrechte vielfach fest; vgl. Schüler a. a. Ο. I 266 ff, Seuff. I Nr. 313, I I Nr. 258, V I I I Nr. 11 u. 118, IX Nr. 256, XIV Nr. 6, XVI Nr. 97, X X I I I Nr. 107, X X I X Nr. 12. Am allgemeinsten geschieht dies bei den Nutzungsrechten, die den Gemeindegliedern kraft einer der Gemeinde auf fremdem Boden zustehenden Gesammtgerechtigkeit gebühren, denen also nur ein im Gemeindevermögen befindliches begrenztes dingliches Recht, nicht ein Eigenthum der Gemeinde gegenübersteht; Gierke a. a. Ο. S. 207ff, oben § 68 Anm. 37, 60-68. 18 Gierke a. a. Ο. S. 223 ff.; Seuff. X X X I I I Nr. 281. Dieser Titel kann aber auch lediglich in einer von der Gemeinde ein für alle Mal erfolgten Verleihung bestehen, die auch unmittelbar durch einen zu Gunsten einer bestimmten Mitgliederklasse lautenden örtlichen Rechtssatz erfolgen kann; vgl. Seuff. XXIV Nr. 12 u. 208. Das Gegentheil wird b. Seuff. X Nr. 190. X X I Nr. 10, X X I I Nr. 9 u. X X V I I I Nr. 98 angenommen. Vgl. aber Gierke a. a. Ο. S. 200 Anm. 2, 201 Anm. 3, 223 Anm. 1. 19 Ueber Nutzungsrechte, für die aufser der Gemeindemitgliedschaft der Besitz einer „Reihestelle", eines „Bauerhofes" oder eines „altberechtigten Hauses" die Rechtsgrundlage bildet, vgl. Seuff. XVI Nr. 174, X X V I I I Nr. 102, XXIX

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glieder kann völlig ausgeschlossen, kann aber auch unter den durch das Gemeinderecht gesetzten Einschränkungen ihrer Veräufserung und Vererbung zugelassen sein20. Dem Umfange nach sind sie möglicher Weise nach den verschiedensten herkömmlichen oder satzungsmäfsigen Mafsstäben unter einander ungleich. Hinsichtlich der Ausübung sind sie je nach dem örtlichen Verfassungsrecht an die genossenschaftliche Ordnung gebunden und der Einschränkung durch Gemeindebeschlufs unterworfen 21, in ihrem Bestände dagegen sind sie der Gemeindegewalt entzogen22. Sie sind also mit der öffentlichrechtlichen Gemeindemitgliedschaft verflochtene Privatrechte28. Das alte kommunale Gesammteigenthum besteht hier an der Allmende fort 24. Ein wirthschaftsgenossenschaftlicher Bestandtheil ist in der politischen Gemeinde erhalten. b. Bürgerliche Nutzungen. Vielfach haben die Nutzungsrechte an der Allmende ihren sonderrechtlichen Charakter eingebüfst und erscheinen daher als reine Mitgliedschaftsrechte. Wo der Typus solcher „bürgerlichen Nutzungen" streng durchgeführt ist, werden die Allmendberechtigungen mit der Gemeindemitgliedschaft erworben und verloren, sind gleich ihr schlechthin unübertragbar, haben unter einander gleichen Inhalt und unterliegen der Gemeindegewalt und namentlich der Schmälerung oder Aufhebung durch Gemeindebeschlufs25. Nr. 12, XXXV Nr. 180. Ueber Nutzungsrechte, die der Klasse der Häuslinge oder der ärmeren Ortsbürger zustehen, Gierke a. a. O. S. 223 Anm. 1. Das Einkaufsgeld wird auch heute oft nur von den nicht durch Geburt zur Nutzung berufenen Mitgliedern erhoben. 20

Ob insbesondere die mit bestimmten Höfen verbundenen Nutzungsrechte vom Hofe trennbar sind, kann nur aus dem Ortsrecht entschieden werden. Ebenso, inwieweit eine Ueberlassung zur Ausübung oder eine Theilung zulässig ist. Vgl. Miaskowski, Allin. S. 86 ff.; Münchmeyer, Magaz. f. deut. R. d. Gegenw. I I 41 ff., Stegemann, ib. 69 ff., Detmold, ib. Ι Π 82 ff., Fuhrmann, ib. 219 ff., F r a n k , il. V 228 ff., Gierke a. a. O. S. 221 Anm. 3. 21

Seuff. X I I I Nr. 124, X V I I I Nr. 3, X X I I I Nr. 281. So namentlich R.Ger. I I Nr. 42; vgl. Seuff. XXXV Nr. 95. Gierke a. a. O. S. 225 ff. 22

28 R.Ger. I I Nr. 42: „kraft privaten Rechtes". Obst. L.G. f. Bayern Seuff. X L I X Nr. 3. Daher auch Rechtsschutz im Wege des Civilprozesses; Seuff. I V Nr. 251, X I V Nr. 63, X X V I I I Nr. 102. Unrichtig Seuff. X X X I I Nr. 6 u. 8. Vgl. Gierke a. a. O. S. 198 Anm. 2 u. 234. 2 * Vgl. oben § 68 S. 539 ff. 25 Gut gekennzeichnet sind die echten bürgerlichen Nutzungen im Beschl. des O.L.G. Braunschw. v. 13. Februar 1889 b. Seuff. XLIV Nr. 163. Zum Theil sucht aber die Praxis auch mitgliedschaftliche Sondernutzungsrechte in diese Kategorie hineinzudrängen; vgl. ζ. B. Seuff. V I I Nr. 147, X X I Nr. 10, X X V H I Nr. 103, ΧΧΧΠΝΓ. 6.

608

Zweites Kapitel. Das Recht der Verbandspersönlichkeit.

Sie sind daher durchweg öffentliche Rechte26. In privatrechtlicher Hinsicht steht der Gemeinde ein unbeschränktes Alleineigenthum an der Allmende zu 27 . Die neueren Gesetze haben oft die Gemeindenutzungsrechte grundsätzlich dem Begriff der bürgerlichen Nutzungen unterstellt28. Allein nur in einzelnen Ländern und auch hier nur zeitweise haben sie alle Folgerungen aus dieser Auffassung gezogen. Im Uebrigen erkennen sie in verschiedenem Umfange Abwandlungen an, vermöge deren die den Gemeindegliedern „als solchen" gebührenden Nutzungsrechte im thatsächlichen Erfolge ein sonderrechtliches Gepräge empfangen können. So behandeln sie zwar den Anspruch auf Theilnahme an den Gemeindenutzungen an sich als Ausflufs der vollen Gemeindemitgliedschaft29. Allein fast durchgängig gestatten sie, dafs der Erwerb des Nutzungsrechtes aufserdem von der Entrichtung eines seinem Werthe entsprechenden Einkaufsgeldes abhängig gemacht werde 80. Indem dann nach manchen Gesetzen die durch die Geburt 26

Daher Ausschlufs des Rechtsweges ; Seuff. IV Nr. 251, XIV Nr. 63, X L V I Nr. 25; Erk. des Preufs. Komp. Gerichtsh. im J.M.B1. v. 1856 S. 270, 1858 S. 164, 1859 S. 448, 1860 S. 314, 1861 S. 153; Bad. Gem.O. § 112 Abs. 5 u. § 173; Bayr. Gem.O. Art. 36, Pfälz. Art 27; Elsafs-Lothring. Gem.O. § 54 Abs. 4. 27 Ebenso, falls es sich um ein blofses Nutzungsrecht der Gemeinde handelt, aus dem die Gemeindeglieder solche bürgerliche Nutzungen herleiten, eine rein korporative Servitut oder Reallast; Seuff. XVII Nr. 5, X X V I Nr. 4, XXVIII Nr. 103; Württ. Ges. v. 16. Juni 1885 Art 31—32. 28 So die preufs. Gesetzgebung; vgl. Pr. L.R. Π, 7 § 28 ff., Deklar. v. 26. Juli 1847, östl. St.O. § 49 ff, Westfal. St.O. § 48 ff, Rhein. St.O. § 45 ff., Schlesw.-Holst. St.O. § 21, Westföl. L.G.O. § 51 ff, östl. L.G.O § 68 ff. Ferner Sächs. St.O. § 11, 21 u. 130, L.G.O. § 11 u. 81; Bayr. Gem.O. Art. 19 Z. 3 u. Art. 26 ff, Pfälz. Art. 19 ff; Bad. Gem.O. § 104 ff. (85 ff); Württ. Ges. v. 16. Juni 1885 Art 20 ff.; Hohenzollera-Sigmar. Gem.O. § 88 ff; Elsafs-Lothring. Gem.O. § 54. 29 Pr. L.R. Π, 7 § 28 u. dazu O.Trib. Entsch. VII 24 u. X I 74. Bayr. Gem.O. Art. 32 (alle Gemeindebürger, ihre Witwen und elternlose Kinder vormals nutzungsberechtigter Gemeindebürger, die den elterlichen Hausstand unvertheilt fortsetzen); Pfälz. Gem.O. Art. 25 (alle in der Gemeinde Heimathaberechtigten, die seit Jahresfrist dort wohnen und einen eignen Herd haben). Bad. Gem.O. § 106 (nach Zurücklegung des 25. Lebensjahres u. Gründung eines eignen Haushaltee oder Gewerbes), § 113 u. § 123 (Witwen). Württ. Ges. v. 16. Juni 1885 Art. 22 (alle männlichen, im Gemeindebezirke wohnhaften und selbständig auf eigne Rechnung lebenden Bürger über 25 Jahre) u. Art. 30 (deren Witwen). Elsafs-Lothring. Gem.O. § 54 Abs. 2 (alle Einwohner, die seit 3 Jahren in der Gemeinde eine eigne Haushaltung mit eigner Feuerstelle geführt haben, ausgenommen Militärpersonen und Reicheausländer). Hohenzollern-Sigm. Gem.O. § 89. 80 Preufs. Ges. v. 14. Mai 1860 u. 24. Juni 1861; Rhein. Gem.O. § 18; Hannov. StO. § 29; 8chlesw.-Holst. St.O. § 15; Nassau. Gem.O. § 85; Wiesb. StO. § 52; östl. u. Schlesw.-Holst. L.G.0 § 72—73 (statt oder neben einer jährlichen

§ 7.

Die Gemeinde im heutigen Recht.

609

zum Allmendgenufs berufenen Gemeindeglieder von diesem Einkaufsgelde befreit sind81, nach anderen Gesetzen auch sonstige herkömmliche Nutzungsrechte ohne Einkaufsgeld gewährt werden müssen82, kommen neben der Gemeindemitgliedschaft individuelle Erwerbstitel zur Geltung. Ueberdies werden neben den persönlichen Gemeindenutzungsrechten meist die besonderen Nutzungsrechte anerkannt, die kraft Herkommens mit dem Besitze eines Gutes oder Hauses verknüpft sind88. Vielfach werden aber überhaupt alle durch Ortsrecht den Mitgliedern einer bestimmten Klasse oder einzelnen Gemeindeangehörigen als solchen vorbehaltenen Nutzungsrechte aufrecht erhalten84. Hiermit treten dann zugleich Ausnahmen von der Unübertragbarkeit der Nutzungsrechte ein 86 . Ferner wird der Grundsatz der Gleichheit der Nutzungsrechte nur in einigen Gesetzen unbedingt Abgabe). Weimar. Gem.O. v. 18. Jan. 1874 Art. 32. Bayr. Gem.O. Art. 22. Sächs. St.O. § 21. Württ. Ges. v. 1885 Art. 22 ff. — Verboten wird jede Erhebung einer derartigen Abgabe durch die Elsafs-Lothring. Gem.O. § 54 Abs. 3. 81 So nach Württ. Ges. v. 1885 Art. 23: „Von der Bezahlung des Einstandsgeldes sind diejenigen Bürger befreit, welche ihr Bürgerrecht durch Abstammung von einem zur Theilnahme an den Gemeindenutzungen Berechtigten erworben haben"; dazu weitere Befreiungen in Art. 44. Vgl. ferner Kurhess. Gem.O. § 24, Bad. Bürgerrechtsges. § 37—39, Hess. St.O. Art. 75 u. L.G.O. Art. 63. 82 So nach Kurhess. Gem.O. § 24 u. Bayr. Gem.O. Art. 22 alle herkömmlich mit dem Besitz eines Grundstückes verbundenen Nutzungsrechte. Vgl. Schlesw.Iiolst. St.O. § 21, Wiesbad. St.O. § 52 Abs. 8. 38 Vgl. die vor. Anm.; ferner Bad. Gem.O. § 104 Abs. 2; Württemb. Bürgerrechtsges. Art. 51 u. Ges. v. 1885 Art. 28 (Realgemeinderechte); HohenzollernSigmar. Bürgerrechtsgesetz v. 5. Aug. 1837 § 109-112 b. Weiske S. 519 ff. („Hofstattr echte"). w Pr. L.R. II, 7 § 31, Westfäl. L.G.O. § 52, östl. u. Schlesw.-Holst. L.G.O. § 70; dazu über die preufs. St.O. L e i d i g S. 211 ff.; Bayr. Gem.O. Art. 32 („sofern dieselben nicht nach besonderen Rechtstiteln oder nach rechtlichem Herkommen einzelnen Klassen von Gemeindeangehörigen allein zustehen"). Vgl. auch Bad. Gem.O. § 65 u. § 104 Abs. 1 (Erhaltung des unbestrittenen Zustandes v. 1. Jan. 1833). Hohenzollern-Sigmar. Gem.O. § 53 u. 88. 06 Doch wird mehrfach die Trennung der mit einem Grundstück verbundenen Nutzungsrechte von diesem verboten ; Bayr. Gem.O. Art. 33 (abgeändert durch Ges. v. 14. März 1890, das die Untrennbarkeit nur als Regel festhält, ausnahmsweise aber mit kommunaler und staatlicher Zustimmung die Verbindung mit einem andern Grundstücke und selbst Häufung und Theilung zuläfst); Bad. § 108. Im Uebrigen ist nach der Bad. Gem.O. jede Uebertragung von Allmendberechtigungen durch Veräufserung oder Erbschaft ausgeschlossen (§ 108), die Verpachtung an Genehmigung des Gemeinderathes gebunden (§ 109), der Verkauf von Holzgaben nur nach Befriedigung des eignen Bedürfnisses gestattet (§ 111). Ebenso HohenzollernSigmar. Gem.O. § 91—93. B i n d i n g , Handbuch.

I I . 3. I : G i e r k e , Deutsches Privatrecht.

I.

39

610

Zweites Kapitel. Das Recht der Verbandspersönlichkeit

durchgeführt 86, meist dagegen nur in Ermangelung eines anderen feststehenden Maisstabes angewandt87. Manche Gesetze aber lassen überhaupt die Vermuthung für Gleichheit fallen und wollen vielmehr im Zweifel die Theilnahme an den Gemeindenutzungen nach dem Verhältnifs der Beiträge zu den Gemeindelasten oder nach dem wirtschaftlichen Bedürfnifs bemessen88. Sodann wird zwar regelmäfsig der Bestand der Nutzungsrechte dem Gemeindebeschlufs unterworfen 89 und sogar die Verwandlung des Allmendgutes in eigentliches Gemeindevermögen gestattet40. Allein überall wird den hergebrachten Nutzungsrechten mindestens ein gewisser Schutz gegen willkürliche 86

Vgl. Gierke, Genossenschaftsr. 1692; Nassau. Gem.O. § 46(Gem. Ed. v. 1816 § 3 u. 14); Pfälz. Gem.O. Art 25; Elsafs-Lothring. Gem.O. § 54 Abs. 2; Württemb. Ges. v. 1885 Art 27. Das Württemb. Ges. erkennt jedoch nicht nur Abweichungen zu Gunsten von Realgemeinderechten und besonderen Privatrechten an (Art 28), sondern läfst auch die unbedingte Geltung des Gleichheitsprinzipes bei solchen Gemeindenutzungen fallen, die aus einem nutzbaren Rechte der Gemeinde, dessen Ertrag herkömmlich vertheilt oder dessen Ausübung herkömmlich den Bürgern oder Einwohnern überlassen wird, fliefsen; hier kann vielmehr die Gemeinde je nach ihrer Wahl die Nutzungen „den Bürgern nach einem dem Herkommen entsprechenden Mafsstabe oder zu gleichen Theilen oder nach Verhältnifs des Grundbesitzes oder Viehstandes" gewähren (Art. 31—32). 87 Vgl. G i e r k e a. a. Ο. I 692 Anm 130; Bayr. Gem.O. Art. 32 (Ausnahmen „durch besondere Rechtstitel oder rechtliches Herkommen"); Bad. Gem.O. § 104—107 u. 120—123; Hohenzollern-Sigmar. Gem.O. § 88 ff.; Hess. Ges. v. 21. Juni 1852 Art. 1. 88 So entscheidet im Zweifel das Verhältnifs der Beiträge zu den Gemeindelasten, bei Gemeinweiden aber das wirthschaftliche Bedürfnifs nach Pr.L.R. II, 7 § 29 - 30 mit Gem.Th.O. v. 1821 § 41 ff. u. östl. L.G.O. § 70. Andere Gesetze verweisen im Zweifel nur auf das wirthschaftliche Bedürfnifs; vgl. Oest. Gem.Ges. v. 1849 § 75. Wieder andere überhaupt nur auf die Beliebungen und das Herkommen der Gemeinde: Gierke a. a. Ο. I 692 Anm. 131, Sächs. L.G.O. § 21. 89 Viele Gesetze enthalten nähere Bestimmungen über die Befugnifs der Gemeinde, die Nutzungsrechte mit Lasten und Abgaben zu beschweren und im Bedürfnifsfalle einzuschränken oder zu kürzen; vgl. ζ. B. Bayr. Gem.O. Art. 84, Pfälz. Art. 26; Württ Ges. v. 1885 Art. 21, 27 Abs. 2 u. 34; Bad. Gem.O. § 70 und dazu über Minderung der Holzgaben § 104 Abs. 3 u. § 105, über Entziehung von Genufsrechten zur Strafe und kraft Pfändung § 110 u. 112; Hohenzollern-Sigm. Gem.O. § 57—58 u. 94 Nach der Bad. Gem.O. § 104 Abs. 2 mit § 172 d kann die Gemeinde mit Zweidrittelemehrheit unter staatlicher Bestätigung eine Aenderung der bisherigen Benutzungsart beschliefsen. Ebenso Hohenzollern-Sigmar. Gem.O. § 88 u. 148. Die Elsafs-Lothring. Gem.O. § 54 stellt Alles in den Beschlufs des Gemeinderaths, der jedoch nach § 76 Z. 13 bei Neueinführung von Nutzungen oder Abänderung der bisherigen Grundsätze für deren Gewährung staatlicher Genehmigung bedarf. 40 So durch staatlich genehmigten Gemeindebeschlufs nach den Preufs. StO. (vgl. schon St.O. v. 1808 § 53 u. v. 1831 § 30—32 u. 123, östl. St.O. § 49 u. s. w., dazu Leidig S. 207), Westfäl. L.G.O. § 53, Kurhess. Gem.O. § 70, Nassau. Gem.O. § 31 u. östl. u. Schlesw.-Holst L.G.O. § 69 Abs. 3; ebenso nach Württemb. Verw.Ed.

§ 7.

Die Gemeinde im heutigen

echt.

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Eingriffe der Gemeindegewalt gewährt41. Und die besonderen Gemeindenutzungsrechte einzelner Mitgliederklassen werden zum Theil überhaupt jeder Verfügung der Gemeinde entzogen42. Endlich wird zwar in Ansehung des Rechtsschutzes den Gemeindenutzungsrechten der Privatrechtsschutz versagt, jedoch der Schutz des Verwaltungsstreitverfahrens zugestanden48. c. Freie Privatnutzungsrechte. Vielfach haben, obwohl die Allmende Eigenthum der Gemeinde geblieben ist, alle oder gewisse daran begründete Nutzungsrechte ihren kommunalen Charakter ganz abgestreift und erscheinen daher der Gemeinde gegenüber als freie Privatrechte44. Solche Nutzungsrechte beruhen lediglich auf einem individuellen Rechtstitel und können an sich in gleicher Weise § 65—66 u. Ges. v. 1885 Art. 20 Abs. 2. Durch einen mit Dreiviertelsmehrheit gefassten Gemeindebeschlufs, aber mit Vorbehalt der binnen 3 Monaten geltend zu machenden Ansprüche hierzu befugter Nutzungsberechtigter auf Gemeinheitstheilung, nach Sächs. St.O. § 11 u. L.G.O. § 11. 41 Bei der Entziehung oder Schmälerung der Gemeindenutzungen darf keine Bevorzugung oder Zurücksetzung Einzelner stattfinden und regelmäfsig auch der herkömmliche oder gesetzliche Theilnahmemafsstab nicht abgeändert werden: auch sind der Belastung des Nutzungsrechts meist feste gesetzliche Grenzen gezogen; vgl. Gierke, Genossenschaftsth. S. 230 Anm. 1 u. die oben Anm. 39—40 angef. Gesetzesbestimmungen. — Die Elsafs-Lothring. Gem.O. § 54 Abs. 1 Z. 2 litt, a gestattet von vornherein nur die „widerrufliche" Gewährung von Nutzungen durch die Gemeinde. 42 So nach der Bad. Gem.O. § 104 die Genufstheile, die „unwiderruflich auf dem Beeitz bestimmter Güter oder Häuser haften." Nach der Hohenzollern-Sigmar. Gem.O. § 88 die in den §§ 109—114 des Bürgerrechtsges. geregelten Hofstattrechte und Holzberechtigungen. Nach dem Württ. Ges. v. 1885 Art. 20 Abs. 2 weder die „auf rechtsbegründetem Herkommen beruhenden" noch die „in gesetzmäfsiger Weise eingeführten" Gemeindenutzungen, wohl aber die „Realgemeinderechte" und „privatrechtliche Ansprüche" (Art. 28). Auch nach der Bayr. Gem.O. Art 35 nur die „auf einem privatrechtlichen Titel" beruhenden Nutzungsrechte. Dagegen bestimmt die Preufs. östl. u. Schlesw.-Holst L.G.O. § 69 Abs. 3 schlechthin, „dafs Nutzungsrechte, welche nicht den sämmtlichen, sondern nur einzelnen Gemeindegliedern oder Einwohnern als solchen zustehen, durch Gemeindebeschlufs den letzteren wider ihren Willen nicht entzogen oder geschmälert werden dürfen." Vgl. Weim. Gem.O. v. 1840 § 32 b. Kraut § 76 Nr. 3. 48 Preufs. Zuständigkeitsges. § 18 u. 160, östl. L.G.O. § 71, Wiesb. St.O. § 49; Bad. Ges. v. 5. Okt. 1868 § 5 Z. 2 u. § 15; Bayr. Ges. v. 8. Aug. 1878 Art 8 Z. 28; Württ. Ges. v. 16. Dez. 1876 Art. 10 Z. 5; Hess. Ges. v. 12. Juni 1874 Art. 48; Elsafs-Lothring. Gem.O. § 70. 44 Gierke, Genossenschaftsth. S. 202 ff. — Die neueren Gesetze haben zum Theil alle Nutzungsrechte, denen sie überhaupt einen privatrechtlichen Charakter belassen haben, in diese Kategorie hineingedrängt; vgl. Bayr. Gem.O. Art 35—37, Pfalz. Art. 27—28; Württemb. Bürgerrechtsges. Art 50 u. Ges. v. 1885 Art. 28; Elsafs-Lothring. Gem.O. § 54; Seuff. X L H I Nr. 88, XL V I Nr. 125. In Preufsen 39*

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Zweites Kapitel. Das Recht der Verbandspersönlichkeit.

Gemeindegliedern oder Gemeindefremden zustehen. Insoweit sie an Gemeindemitgliedschaft gebunden sind, liegt hierin nur eine Besonderheit ihres Titels45, nicht aber ein Stück der Gemeindeverfassung. Die berechtigten Gemeindeglieder sind also trotzdem nur als Einzelne oder etwa als Mitglieder eines unter ihnen bestehenden besonderen Verbandes berechtigt. Je nach ihrem Titel können solche Nutzungsrechte auch als Realrechte mit bestimmten Grundstücken verknüpft oder für sich vererblich und veräufserlich sein. Unter einander können sie einen ungleichen Umfang haben. Dem Gemeindebeschlufs sind sie völlig entrückt46. Sie sind somit reine Privatrechte47. Das Eigenthum an der Allmende gebührt der Gemeinde, ist aber durch dingliche Rechte Anderer beschränkt48. 3. Genossenschaftsvermögen. Insoweit die wirthschaftsgenossenschaftliche Seite der Markgemeinde sich in einer besonderen Agrargenossenschaft fortsetzt, ist das für diese Genossenschaft ausgeschiedene Grundvermögen überhaupt nicht mehr Gemeindevermögen49. Doch kommt es vor, dafs das Eigenthum an der Allmende der Gemeinde verblieben und Qur ein Gesammtnutzungsrecht in das Genossenschaftsvermögen übergegangen ist 60 . § 74. Agrargenossenschaften. I. Begriff. Agrargenossenschaften sind Genossenschaften zum Zwecke gemeinsamer landwirtschaftlicher Benutzung eines Grundist die Entwicklung noch einen Schritt weiter gegangen, indem in demselben Umfange, in dem die Allmendnutzung als privatrechtliches Verhältnifs angesehen wurde, der Gemeinde auch das Eigenthum an der Allmende entfremdet ist; vgl. unten Anm. 49. 48 4 0 Gi erke a. a. 0. S. 202 Anm. 2. Gierke a. a. 0. S. 229 Anm. 3; Z. f. D. R. X I U 119 ff.; oben Anm. 42. 47 Daher steht der Rechtsweg offen; Bayr. Gem.O. Art. 86, Pfalz. Art. 27; Elsafs-Lothring. Gem.O. § 54 Abs. 4; L e i d i g S. 213. 48 Seuff. I I Nr. 258, V I I Nr. 271, X X V I I I Nr. 102. 49 Streng wird in Preufsen die Auffassung durchgeführt, dafs das ausschliefslich von den Hofbesitzern oder einer anderen Mitgliederklasse zu nutzende ehemalige Allmendgut als „gemeinschaftliches Privatvermögen" überhaupt nicht zum „Gemeindevermögen" gehört und daher vom „Bürgervermögen" oder „Gemeindegliedervermögen" völlig geschieden ist; so die auf Grund des Preufs. L.R. I I , 6 § 72, 7 § 32 u. 8 § 160 entwickelte Praxis, wie sie namentlich durch die Minist. Anw. v. 12. Febr. 1845 (J.M.B1. S. 38) befestigt ist; vgl. Dernburg, Preufs. P.R. I § 54 Anm. 11, Gierke a. a. 0. S. 203 Anm. 2; dazu östl. St.O. §49, Westf. St.O. § 48 u. L.G.O. § 52. Vgl. ferner Hannov. L.G.O. § 45 u. 47 (b. K r a u t § 76 Nr. 1); Bayr. Gem.O. Art 37, Pfälz. Art. 28. 60 Gierke a. a. 0. S. 211 Anm. 1; oben § 72 Anm. 13. Bis zum Nachweise des Gegentheils mufs sogar Gemeindeeigenthum angenommen werden; Seuff. X X V n i Nr. 102.

§ 7.

enossenschaften.

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Vermögens. Sie sind der Regel nach Reste der alten Agrargemeinschaft und können daher nur aus der Geschichte des Gemeindewesens begriffen werden. Doch steht der freien Neubildung gleichartiger Genossenschaften nichts entgegen1. II. Arten. Die Agrargenossenschaften weisen eine bunte Vielgestaltigkeit auf. Zu ihnen gehören die grofsen Markgenossenschaften, soweit sie sich als rein wirthschaftliche Verbände erhalten haben2. Desgleichen zahlreiche Genossenschaften älterer Herkunft, die schon vor der Auflösung der Markgemeindeverfassung als Sonderverbände für die gemeinsame Bewirthschaftung eines ländlichen Besitzthums ausgebildet waren; so manche Waldgenossenschaften (Forstgenossenschaften, Waiderbschaften u. s. w.) 8 , insbesondere aber die in Preufsen durch neuere Gesetze geregelten eigenartigen Haubergsgenossenschaften 4; so einzelne Weidegenossenschaften, unter denen die namentlich in der Schweiz blühenden Alpengenossenschaften und Sentengenossenschaften hervorragen 5; so die Gehöferschaften 6; so die 1

Vgl. Seuff. X X I I I Nr. 109 (Anerkennung einer durch Vertrag v. 28. Dez. 1829 errichteten Waldgenossenschaft als rechtsbeständiger Nachbildung einer Realgemeinde und somit als „deutschrechtlicher Genossenschaft" im Erk. des O.Trib. Stuttgart v. 26. Juni 1865). Nach dem Preufs. Ges. über gemeinschaftliche Holzungen v. 14. März 1881 § 1 entsteht eine Holzungsgenossenschaft, wenn einer Klasse von Mitgliedern oder Einwohnern einer Gemeinde durch eine Gemeinheitstheilung oder Forstservitutenablösung eine Holzung als Gesammtabfindung überwiesen wird; derartige Abfindungen dürfen aber in Zukunft immer nur als Gesammtabfindungen überwiesen werden. Vgl. auch Bad. Ges. v. 17. Apr. 1884 über Begründung einer Weidegenossenschaft durch die selbst mit Mehrheitsbeschlufs mögliche Einführung gemeiner Schafweide. 2 Vgl. oben § 71 Anm. 17—19. Auf solche „Markgenossenschaften" sind die Preufs. Ges. v. 14. März 1881 (vgl. unten Anm. 9) u. v. 5. Juni 1888 (vgl. unten Anm. 8) anwendbar. 8 Vgl. oben § 71 Anm. 25. Preufs. Ges. v. 14. März 1881 § 1 (Erbgenossenschaften) u. v. 5. Juni 1888 § 1 (Forstgenossenschaften). 4 Vgl. die im Wesentlichen übereinstimmenden Haubergsordnungen für den Kreis Siegen v. 17. März 1879, für den Dillkreis u. den Oberwesterwaldkreis v. 4. Juni 1887 u. f. den Kreis Altenkirchen v. 9. Apr. 1890; ältere Haub.O. f. Siegen v. 6. Dez. 1884, f. den Dillkreis v. 5. Sept. 1805. Litt, oben § 71 Anm. 5. Die Hauberge sind Grundflächen, die zur Erzielung von Niederwald (besonders Eichenschälwald) benützt, nach dessen periodischem (meist 16—18jährigem) Abtriebe aber zu einmaligem Körnerbau unter die Genossen vertheilt werden, daneben auch der gemeinen Weidenutzung dienen; vgl. die Haubergsordn. § 11—14 (Altenkirchener § 12—16). 5 Vgl. die Litt, über die Alpengenossenschaften oben § 71 Anm. 25; über Sentengenossenschaften Schauberg, Beitr. zur Kunde u. Förderuug Zürch. Rechtspflege, N.F. X V I I I 184 ff. 6 Vgl. oben § 71 Anm. 5. In den Gehöferschaften findet noch heute die

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Zweites Kapitel. Das Recht der Verbandspersönlichkeit.

in einigen Städten fortbestehenden Baumannschaften, Halbpflegegenossenschaften und ähnlichen Genossenschaften7. Endlich die in neuerer Zeit aus der Spaltung der Markgemeinde hervorgegangenen Wirthschaftsgenossenschaften, die in den verschiedensten deutschen Landschaften begegnen und meist schon durch die Fortführung des Gemeindenamens als Altgemeinden, Privatgemeinden, Realgemeinden, Nutzungsgemeinden, Allmend- oder Meentengemeinden, auch Htitungs-, Holz-, Moos- oder Gütergemeinden u. s. w. an ihren Ursprung erinnern8, anderswo als Genossenschaften oder Genossamen, Allmendkorporationen, Gemeinheiten, Reihemannschaften u. s. w. bezeichnet werden9. III. Rechtsverhältnisse. 1. Die Agrargenossenschaften sind Körperschaften. Als solche sind sie zum Theil ausdrücklich oder doch mittelbar von ' der Gesetzgebung anerkannt10. Aber auch wo die Gesetzgebung schweigt Benutzung einer gemeinsamen Feldmark durch wechselweise erfolgende Verloosung von Theilstücken unter die Genossen statt. Daneben haben sie Öfter gemeine Waldungen; vgl. Preufs. Ges. v. 14. März 1881 § 1. 7 Vgl. oben § 71 Anm. 40. 8 Vgl. Preufs. Ges. betr. die Verfassung der Realgemeinden in der Provinz Hannover v. 5. Juni 1888 (§ 1 : „Realgemeinden, Hütungsgemeinden, Forstgenossenschaften, Markgenossenschaften u. s. w.u). „Realgemeinden" in Württemb.; vgl. oben § 78 Anm. 33. „Nutzungsgemeinden" oder „Gemeindsnutzen" in Kurhessen; vgl. oben § 71 Anm. 50, Preufs Ges. v. 14. März 1881 § 1. „Meentengemeinden" in Dithmarschen; oben § 71 Anm. 50. „ Altgemeinden " in Sachsen; L.G.O. v. 1838 § 6, 55 u. 56, Ges. über die jur. Pers. v. 15. Juni 1868 § 2, revid. L.G.O. v. 1873 § 21. Güter-, Nutzungs-, Holz-, Moos-, Allmend-, Korporationsgemeinden u. s. w. vielfach in der 8chweiz. 0 Vgl. Preufs. Ges. v. 14. März 1881 § 1 („Realgemeinden, Nutzungsgemeinden, Markgenossenschaften, Gehöferschaften, Erbgenossenschaften und gleichartiger Genossenschaften"), Hannov. L.G.O. v. 1852 § 45 ff. u. v. 1859 § 60 ff. (Genossenschaften) u. Preufs. Ges. f. Hannover v. 5. Juni 1888 (oben Anm. 8). Preufs. V. f. Kurhessen v. 13. Mai 1867 § 1 (schützt „das Eigenthum von Mit- oder Gesammteigenthümern oder von Genossenschaften"). Braunschw. St.O. v. 19. März 1850 § 147—148 u. L.G.O. de eod. § 119—124 („Genossenschaft" oder „Gemeinheit"). Weimar. L.G.O. v. 1840 § 29—30 u. 32 („Genossenschaft"). Genossamen, Allmendgenossenschaften, Allmendkorporationen u. s. w. vielfach in der Schweiz. 10 Ausdrücklich z. B. die Haubergsgenossenschaften durch preufs. Haub.O. § 6. Mittelbar durch die Bezeichnung als „Gemeinden" oder „Genossenschaften" in den oben Anm. 2—3, 6 u. 8—9 angef. Gesetzen. In Sachsen ertheilt das Ges. v. 15. Juni 1868 § 2 den Altgemeinden mindestens die Befugnifs, über die Verwaltung und Veräufserung ihres Vermögens nach den Regeln des Körperschaftsrechtes Beschlufs zufassen. Nach dem Meining. Ed. v. 16. Juni 1829 (Heimbach § 170 Anm. 8) kann eine Klasse nutzungsberechtigter Gemeindeglieder durch einen Syndikus Prozesse führen und Mehrheitsbeschlüsse fassen: die Meining. L.G.O.

§ 7.

enossenschaften.

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oder lediglich auf das Herkommen verweist, kann ihre Persönlichkeit schon deshalb nicht bezweifelt werden, weil in ihnen ein Stück alter Gemeindepersönlichkeit fortlebt 11. So ist denn auch in der gemeinrechtlichen Praxis die Behandlung der Agrargenossenschaften als Körperschaften ziemlich allgemein durchgedrungenia. Nur im Gebiete des preußischen Landrechtes bilden nach ausdrücklicher Gesetzesvorschrift die allmendberechtigten Gemeindeangehörigen „keine besondere Korporation*, sondern blos eine „Klasse" mit „gemeinschaftlichem Privatvermögenu 1 8 ; sie fallen jedoch unter den preufsischrechtlichen Begriff der „erlaubten Privatgesellschaft14, für die wenigstens nach innen Körperschaftsrecht gilt 14 . v. 1840 Art. 10 mit Art. 2 u. 16 behandelt eine solche Klasse als einen besonderen „Verein". — Allgemein gelten in der Schweiz die Allmendgenossenschaften als Körperschaften; vgl. Bluntschli, R.G. I I 381 ff., Renaud a. a. 0. 8. 69 ff., 74, 96, Ζ. f. Schweiz. R. VI 9 ff., Stettier, Gemeinde- u. Bürgerrechtsverh. in Bern, S. 56 ff. u. 88 ff., Gierke, Genossenschaftsr. I 685 ff., Heusler, Inst I 291 ff., Huber I 157 ff. So führt denn auch das Schweiz. O.R. Art. 719 die „Allmendgenossenschaftenu als eine Gattung der durch das kantonale Recht zu ordnenden „juristischen Personen" auf. 11 Vgl. Renaud a. a. O. S. 80 ff. u. 87 ff., Römer a. a. O. S. 107 ff., Gierke, Genossenschaftsr. I 687 u. Genossenschaftsth. S. 212 ff., Gengier, D.P.R. S. 189. — Selbstverständlich kann jedoch in einzelnen Fällen ein blofses gemeinschaftliches Eigenthum (sei es nun Miteigenthum oder Eigenthumsgemeinschaft zur gesammten Hand) mehrerer Personen an einem ehemaligen Allmendgut vorliegen; insbesondere besteht vielfach zwischen mehreren Gemeinden eine blofse Gemeinschaft, die nicht oder doch nicht mehr als Markgenossenschaft mit eigner Persönlichkeit erscheint. Dann ist aber eine „Agrargenossenschaft" nicht vorhanden. 18 Vgl. Seuff. I Nr. 815, XHI Nr. 124 (Juristische Person"), XV Nr. 102, X V I H Nr. 3, X X I Nr. 201 u. 202, XXIH Nr. 107 u. 109 („deutschrechtliche Genossenschaft"), XXVII Nr. 102; Schüler I 285 ff.; Bayr. Blätter f. Rechtsanwendung XV 253 u. XIX 240; dazu Gierke, Genossenschaftsth. S. 66 Anm. 1, 67 Anm. 2 u. 4, 73 Anm. 2 u. 213. Ueber die Praxis bezüglich der württemb. Realgemeinden vgl. Bitzer a. a. O. S. 19 ff., Renaud a. a. O. S. 72 ff., Römer a. a. O. S. 94 ff., Weiske, Prakt. Unters. 48 ff.; bezüglich der hessischen Nutzungsgemeinden Renaud S. 75 ff., Weiske S. 69 ff., Sternberg I 7, 21, 23, 25, 29 u. 60. — Regelmäfsig wird daher auch einer durch ein Gesammtnutzungerecht oder eine Gesammtlast verbundenen Einwohnerklasse die selbständige Parteifähigkeit nicht nur in Prozessen wider die Gemeinde oder eine andere Einwohnerklasse, sondern auch in Prozessen mit Dritten zugestanden; Seuff. I Nr. 314—316, X I I Nr. 229, XV Nr. 205, X X I I I Nr. 108, X X V I I I Nr. 103, X X X I Nr. 199; abweichend ib. XXIH Nr. 107; vgl. oben § 68 Anm. 67. 18 Pr. L.R. II, 7 § 23 ff. — Dadurch ist indefs das Vorkommen von Agrargenossenschaften mit voller Korporationseigenschaft nicht ausgeschlossen; vgl. östl. St.O. § 49, Westfäl. St.O. § 48 u. L.G.O. § 52. M Pr. L.R. I I , 7 § 25 und 27 u. dazu Gierke, Genossenschafteth. S. 102 Anm. 2 u. 213. Auch das Preufs. Ges. über gemeinschaftliche Holzungen v. 14. März

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2. Die Agrargenossenschaften sind selbständige Körperschaften mit eigner Verfassung, eigner Mitgliedschaft und eignen Organen16. Vielfach ist allerdings der Zusammenhang mit der politischen Gemeinde nicht völlig gelöst16. Allein juristisch kann in der fortdauernden Verbindung nur noch ein zufälliges Zusammentreffen von Gemeindeverfassung und Genossenschaftsverfassung erblickt werden. Ist daher z. ß. Gemeindeangehörigkeit zur Theilnahme an der Genossenschaft erforderlich oder der jeweilige Gemeindevorstand zugleich zum Genossenschaftsvorstande berufen, so beruht dies rechtlich nicht mehr auf der Gemeindeverfassung, sondern auf einer besonderen Anordnung der Genossenschaftsverfassung 3. Die Agrargenossenschaften sind demgemäfs an sich private Körperschaften 18. Hieran ändert es nichts, wenn sie zum Theil einer bésonderen Staatsaufsicht unterstellt sind19. Manchen Genossenschaften dieser Gattung aber, wie namentlich den Haubergsgenossenschaften und für den Fall der Neuregelung ihrer Verfassung auch 1881 legt zwar den Begriff des „Miteigentums" an Genossenschaftswaldungen zu Grunde, macht aber durch das Theilungsverbot, die Unterwerfung der Benutzung unter Staatsaufsicht, den Zwang zur Bestellung einheitlicher Repräsentanten und die Ermächtigung des Mehrheitsbeschlusses zur Errichtung eines „Statutes" dabei gewisse körperschaftsrechtliche Grundsätze allgemein anwendbar und setzt der Fortgeltung oder Einführung einer vollen KörperschaftsVerfassung kein Hindernifs entgegen. — Das Ges. v. 5. Juni 1888 schweigt über die rechtliche Natur der von ihm betroffenen Realgemeinden, behandelt sie aber durchweg als eigenthumsfähige „Genossenschaften" körperschaftlicher Struktur. « Vgl. z. B. die Haubergs-O. § 14 ff. (Altenkirchener § 16 ff.). Für die Realgemeinden in Hannover ordnet das Ges. v. 5. Juni 1888 eine entweder auf Antrag von Mitgliedern oder im öffentlichen Interesse von Amtswegen zu erwirkende „Regelung der Verfassung" an (§ 3); sie erfolgt durch ein unter obrigkeitlicher Mitwirkung und Genehmigung von der Mitgliederversammlung mit Mehrheit zu beschliefsendes, im Nothfall aber vom Bezirksaueschufs festzustellendes Statut (§ 4—5 u. 7); das Statut mufs die wesentlichen Bestandteile einer Körperschaftsverfassung mit Genossenschaftsversammlung und Vorstand enthalten (§ 6). 16 Darum läfst die Praxis in Prozessen über Gesammtrechte oder Gesammtpffichten einer Klasse von Gemeindegliedern auch dann, wenn diese Klasse als parteifähig anerkannt wird, die Vertretung der Klasse durch die Gemeinde zu; vgl. oben § 68 Anm. 66, Gierke, Genossenschaftsth. S. 211. 17 Gierke a. a. Ο. S. 202 ff. u. 212 Anm. 1; Preufs. Ges. v. 5. Juni 1888 § 6 a. E.: „Durch das Statut kann der Vorstand der politischen Gemeinde zum Vorstande der Realgemeinde bestellt werden." 18 Gierke a. a. Ο. S. 162 Anm. 4 u. 212, Renaud a. a. 0. S. 80 ff., Gengler, D.P.R. S. 189; R.Ger. IX Nr. 62; dazu die oben § 73 Anm. 44 u. 49 angef. Gesetze. 19 So z. B. alle Holzungsgenossenschaften nach Preufs. Ges. v. 14. März 1881 § 6-9.

§ 7.

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den hannoverschen Realgemeinden, ist durch die Gesetzgebung die Stellung öffentlicher Körperschaften verliehen20. 4. Die Agrargenossenschaften sind Körperschaften genossenschaftlicher Struktur. Ihr Grundvermögen ist nach genossenschaftlicher Ordnung in Einheitsrecht der Verbandsperson und Vielheitsrechte der Mitglieder zerlegt. Es besteht also ein genossenschaftliches Gesammteigenthum21 oder doch, falls das Eigenthum der Gemeinde oder einem Dritten zusteht, ein entsprechendes dingliches Gesammtrecht22: die Verfügungs- und Verwaltungsbefugnisse der Genossenschaft finden ihre Schranke an den Nutzungsrechten der Genossen, diese Nutzungsrechte aber haben, wie ungleich im Uebrigen ihr Inhalt und Umfang bestimmt sein mag, durchweg den Charakter mitgliedschaftlicher Sonderrechte23. 20 Haubergsordn. § 23—33 (Altenkirchener § 25—35); Preufs. Ges. v. 5. Juni 1888 § 8. Daher tritt hier auch bei Streitigkeiten über Nutzungsrechte, Stimmrechte und Lasten der Genossen als solcher das Verwaltungsstreitverfahren ein. — Auch manche Schweiz. Ges. schreiben allen oder gewissen Allmendgenossenschaften einen öffentlichen Charakter zu; so z. B. Thurgauer Gb. § 19—23; vgl. Hub er I 161 ff., I I I 150ff., IV 770. 21 Haubergsordn. § 2: „ungeteiltes und untheilbares Gesammteigenthum der Besitzer"; Seuff. X V I I I Nr. 3: „deutschrechtliches Gesammteigenthum"; Gierke a. a. O. S. 320 ff. u. 322 Anm. 2; dazu oben § 68 S. 539 ff. — Im Erfolge kommt darauf auch das modifizirte „Miteigenthum" hinaus, das im Gebiete des preufs. L.R. (vgl. oben Anm. 14) u. zum Theil auch in der gemeinrechtlichen Praxis (vgl. ζ. B. Seuff. VIII Nr. 11 u. X X I I I Nr. 109) angenommen wird; Gierke a. a. Ο. S. 323. 22 Gierke a. a. O. S. 211 Anm. 1 u. 321 Anm. 3; Gwalter, Z. f. Schweiz. R. XX 74 ff.; Heusler, Inst. I 292 ff. So ist auch nach dem Preufs. Ges. v. 5. Juni 1888 § 1—2 für den Begriff der „Realgemeinde" unerheblich, „ob die gemeinschaftlich genutzten Vermögensgegenstände im Eigenthum der Genossenschaft oder ihrer Mitglieder, oder eines Dritten, oder im Miteigenthum mehrerer Genossenschaften sich befinden". 23 Gierke a. a. O. S. 323 ff., Heusler, Inst. I 295 ff., Gengier S. 189 ff., Huber IV 769 ff.; Preufs. Haubergsordn. § 7—9 mit § 11—14 u. 18; Preufs. Ges. v. 5. Juni 1888 § 1: „Genossenschaften, deren Mitglieder kraft ihrer Genossenschaftsangehörigkeit zur Nutzung einer Gemeinheit berechtigt sind." Dazu Seuff. X H I Nr. 124, XVIII Nr. 3, X X I Nr. 102, X X X I I I Nr. 28, XXXV Nr. 95. — Da die Nutzungsrechte keine selbständigen dinglichen Rechte an einer fremden Sache sind, gehören sie auch nicht ins Grundbuch; vielfach aber bestehen für ihre Registrirung besondere genossenschaftliche Bücher, wie die Lagerbücher bei den Haubergsgenossenschaften (Preufs. Haub.O. § 10, Altenkirch. § 11), die Mitgliederverzeichnisse bei den Realgemeinden (Preufs. Ges. v. 1888 § 6 Z. 3), die Seybücher bei den Berner Alpengenossenschaften (Heusler I 303 ff.) u. s. w.; vgl. Gierke a. a. O. S. 324 Anm. 2. — Wenn im Anschlufs an die Theorien von Renaud a. a. O. S. 95 ff. u. Römer a. a. O. S. 118 ff. auch bei den Agrargenossenschaften

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5. Die Agrargenossenschaften sind Wirthschaftsgenossenschaften. Ihr Lebenszweck ist die Befriedigung wirthschaftlicher Bedürfnisse der einzelnen Genossen durch gemeinsame Landnutzung. Darum ist der Antheil des einzelnen Genossen an der Nutzung stets der Kern seiner Mitgliedschaft24. Im Uebrigen kann jedoch ein ungleiches Verhältnifs stattfinden, indem der Nutzungsantheil entweder Ausflufs oder Grundlage der Mitgliedschaft ist. Denn in verengerter Bedeutung dauern hier die verschiedenen, aus der Umbildung der Markgemeinde entstandenen Typen von Personalgemeinden, Realgemeinden und Rechtsamegemeinden fort 25 . Insoweit hiernach die Mitgliedschaft entweder lediglich an persönliche Thatbestände oder in erster Linie an den Besitz gewisser Grundstücke geknüpft ist, bleibt der Nutzungsantheil ein Ausflufs der Mitgliedschaftae. Wo aber die Nutzungsantheile zu selbständigen Vermögensrechten geworden sind, die vorbehaltlich der durch die Genossenschaftsverfassung gezogenen Schranken für sich vererbt, veräufsert, gehäuft und getheilt werden können, erscheint der Nutzungsantheil gleich einer Aktie oder einem Kuxe als Grundlage der Mitgliedschaft27. Agrargenossenschaften, die die Konstruktion der Nutzungsrechte als jura in re aliéna immer wieder Beifall findet, so wird doch meist zugegeben, dafs diese dinglichen Rechte durchaus eigenartiger Natur sind; vgl. die bei Gierke a. a. Ο. S. 323 Anm. 2 angef. Praxis. 24 Nach dem Umfange der Theilnahmerechte an der Nutzung richtet sich im Zweifel auch das Stimmrecht in der Genossenschaftsversammlung und der Antheil an den Genossenschaftslasten (Preufs. Ges. v. 14. März 1881 § 4—5, v. 5. Juni 1888 § 5, Haubergs-O. § 8 u. 15 [Altkirchener § 9 u. 17]). 88 Insoweit haben die oben § 71 V 2 S. 587 ff. geschilderten Gemeindeformen noch praktische Bedeutung. 86 So bei den Personalgenossenschaften, bei denen Abstammung oder Gemeindeangehörigkeit oder Wohnsitz im Bezirke die Grundlage der Mitgliedschaft ist, wie dies namentlich in der Schweiz bei den Allmendgenossenschaften vielfach begegnet; vgl. Heusler, Z. f. Schweiz. R. X 32 ff, Miaskowski, Allmend S. 86 ff., H über IV 770 Anm. 44. Ebenso aber auch bei den Realgemeinden, faUs die Nutzungsrechte untrennbar an den Gütern haften, wie bei den württ. Realgemeinden, den Gütergemeinden in der Schweiz und regelmäfsig auch bei den hannov. Realgemeinden; vgl. Gierke a. a. Ο. S. 324 Anm. 2, Frank, Mag. f. D. R. V 228 ff., Seuff. XXXV Nr. 180. 27 So bei den Nutzungs- oder Rechtsamegemeinden (z. B. in Hessen und in Dithmarschen, vgl. oben § 71 Anm. 50), möglicher Weise auch bei den hannov. Realgemeinden (Preufs. Ges. v. 5. Juni 1888 § 6 Z. 6—7). So bei den Haubergsgenossenschaften, die auf „Antheile" gebaut sind, über die den Genossen die „freie Verfügung" mit Ausnahme der Theilung unter das für jeden Hauberg bestehende geringste Einheitsmafs hinab zusteht; Haub.O. § 7. So bei den Gehöferschaften ; Hanssen a. a. Ο. I 99 ff. So bei den Alpengenossenschaften, bei denen die Anthéilsrechte Kuhrechte, Kuhhessen, Alprechte, Stöfse, Gräser u. s. w. heifsen und

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in dieser Weise auf Antheile gebaut sind, bilden einen eigenartigen Typus der Vermögensgenossenschaft 28 . Fünfter Titel. Die Genossenschaften insbesondere. § 75. Oeffentliche Genossenschaften. I. Begriff und Wesen. Als „öffentliche Genossenschaften" bezeichnen wir alle öffentlichen Körperschaften, die nicht Gemeinden sind1. Der Begriff der „öffentlichen" Körperschaft wird im geltenden deutschen Recht vielfach verwandt und mit Rechtsfolgen ausgestattet2. Doch ist er weder eindeutig noch fest begrenzt. Denn einerseits gebrauchen ihn die verschiedenen Reichs- und Landesgesetze nicht immer im gleichen Sinne8. Andrerseits wird zwar nicht nur allen Gemeinden, sondern auch manchen Genossenschaften ausdrücklich die Eigenschaft von „Körperschaften des öffentlichen Rechtes" beigelegt, bei vielen Genossenschaften aber nur eine Reihe von Einzelbestimmungen getroffen, aus denen auf das Dasein der gleichen Eigenschaft geschlossen werden mufs4. Das Wesen der öffentlichen Körperschaft beruht in der Erhebung ihres Sozialrechtes zu einem Bestandtheile der öffentlichen Rechtsordnung5. Der Staat unterstellt ihr Gemeinleben, weil er es Bruchtheile solcher Antheilsrechte (z. B. bis hinab zu Viertelskuhrechten oder Füfsen) vorkommen; Blum er I I 369 ff., Gierke, Genossenschaftsr. I 611 ff., Heusler, Inst. I 295, Huber IV 769 Anm. 42 u. 770 Anm. 44. So auch bei manchen städtischen Agrargenossenschaften; vgl. Gierke a. a. O. S. 682, Seuff. X I I I Nr. 124. 28 Vgl. oben S. 484, 492 ff., 502 Anm. 26, 551, 560, 570 Anm. 69, unten S. 626. 1 So auch Rosin, Das Recht der öffentlichen Genossenschaft, Freib. 1888. Dazu aufser der hier S. 1—16 angef. Litteratur Bähr, Der Rechtsstaat S. 42 ff., Gierke, Genossenschaftsth. S. 155 ff., Bekker, Pand. § 67, Regelsberger, Pand. § 80, J e l l i n e k , Syst. der subj. öff. R. S. 250ff., Förster-Eccius (6. Aufl.) IV 676 ff. 8 Vgl. z. B. H.G.B. Art. 173 a Abs. 2 u. 207 a Abs. 2; R. Konk.O. § 54 Z. 3; Bayr. Vereinsges. Art. 1; Sächs. Ges. v. 15. Juni 1868 § 1; ferner die Nachweise aus Theorie u. Praxis b. Rosin u. Gierke a. a. Ο. Dazu Entw. I I § 77: „Körperschaften des öffentlichen Rechtes." Vgl. auch Schweiz. O.R. Art. 719. 8 Gierke a. a. O. S. 158 ff. 4 Vgl. ζ. Β. oben § 74 Anm. 20. Ebenso verhält sich die Reichsgesetzgebung bei den von ihr geregelten gewerblichen Körperschaften und sozialpolitischen Verbänden. 8 Gierke a. a. O. S. 167, dazu oben § 68 I I u. III. — Sachlich übereinstimmend Hinschius in Marquardsens Handb. I 253 ff., im Wesentlichen auch J e l l i n e k a. a. O. S. 253 ff.

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als ein für ihn selbst werthvolles Gut betrachtet, gleichartigen Normen, wie sie sein eignes Gemeinleben beherrschen. Darum gilt im Verhältnifs der Körperschaft zu ihren Gliedern eine Ordnung, kraft deren das Ganze und der Theil auch für den Staat nicht gleich werthig sind, sondern der höhere Rang des über dem Einzelleben verlaufenden Gemeinlebens zu rechtlichem Ausdruck gelangt: die Körperschaftsgewalt empfängt Attribute einer hoheitlichen Macht6, die Träger der Körperschaftsgewalt nehmen eine obrigkeitliche Stellung ein7, die inneren Streitigkeiten werden unter Ausschlufs des Civilprozesses auf den Verwaltungsrechtsweg gewiesen8. Andrerseits behält sich der Staat über die Körperschaft, der er eine so erhöhte Kraft ihres Sozialrechtes gewährleistet, eine das Mafs der allgemeinen Körperschaftshoheit überschreitende Macht vor: er bindet ihre Errichtung, Veränderung und Beendigung an seine Mitwirkung9, er beschränkt ihre Selbständigkeit durch eine gesteigerte Aufsicht 10, er nimmt zum Theil ihr Leben in seinen Dienst und legt ihr die Erfüllung ihrer Lebensaufgabe als eine Berufspflicht auf 11. Schliefslich wird auch Dritten gegenüber die Körperschaft vielfach durch einen stärkeren Schutz ihrer Rechte und Interessen über die privaten Verbände emporgehoben12. In allen diesen Punkten aber werden bei verschiedenen Körperschaftsgattungen je nach ihrer staatlichen Werthung die einzelnen Rechtssteigerungen in sehr ungleichem Mafse vollzogen. Es handelt sich eben durchweg um relative Unterschiede. Darum giebt es kein einzelnes Merkmal, an dem die öffentliche Körperschaft mit Sicherheit zu erkennen wäre. Insbesondere liegt ein solches weder in der Beschaffenheit des Körperschaftszweckes 18 noch in derZwangsβ

Vgl. oben § 66 I ; Hinschius a. a. 0. (obrigkeitliche Gewalt); Jellinek a. a. 0. (Herrschaftsrechte). Besonders häufig findet sich das Recht zur Beitreibung rückständiger Beiträge durch Verwaltungszwang·, vgl. Rosin a. a. 0. S. 9 ff., Förster-Eccius § 283 Anm. 1. 7 Gierke a. a. 0. S. 159 ff. 8 Vgl. oben § 68 Anm. 7, 56-57, § 73 Anm. 26 u. 43, § 74 Anm. 20. 9 Oben § 63 Anm. 11—13 u. 26, § 69 Anm. 17 u. 23 - 2 4 , § 70 Anm. 27—29 u. 37 ff. 10 Oben § 67 Anm. 14—27. 11 Oben § 67 Anm. 19; Rosin S. 17 ff. — Dabei bestehen aber wiederum tiefgreifende Unterschiede, jenachdem die Körperschaft unmittelbar als Staatsorgan fungirt (wie die Gemeinde) oder nur als ein mit besonderen Rechten und Pflichten ausgestattetes Staatsglied erscheint. 18 R.Str.G.B. § 34 Z. 4, § 107—109, § 132, § 196—197 u. dazu Gierke a. a. O. S. 160 ff. 18 Vgl. über und gegen die verbreitete Ansicht, dafs der Zweck mafsgebend sei, Rosin S. 12 ff., Sächs. Ges. v. 15. Juni 1868 § 38, auch oben § 70 Anm. 65.

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mitgliedschaft14 noch in irgend welchen körperschaftlichen Privilegien15 noch in bestimmten gemeinheitlichen Machtbefugnissen16 noch in einer besonderen Organ- oder Gliedstellung im Staatsorganismus17 noch auch in der dem Staate gegenüber begründeten Pflicht zur Erfüllung der körperschaftlichen Lebensaufgabe18. Entscheidend ist vielmehr die in der Rechtsordnung ausgeprägte Gesammtauffassung 19. Dabei bleibt innerhalb des Begriffes der öffentlichen Genossenschaft für eine stärkere oder schwächere Entfaltung des öffentlichrechtlichen Typus Raum20. Umgekehrt können Genossenschaften in einzelnen Punkten den öffentlichen Körperschaften gleichgestellt sein, ohne hierdurch aus der Reihe der privaten Genossenschaften auszuscheiden21. u Gierke a. a. Ο. S. 166 ff, Rosin S. 3 ff. Es giebt öffentliche Wassergenossenschaften und Feuersozietäten mit und ohne Beitrittszwang; Kirchen, kaufmännische Korporationen, Innungen sind nach heutigem deutschem Rechte keine Zwangsverbände; ebensowenig die preufsischen Landschaften. Vgl. im Uebrigen oben § 64 Anm. 4. — Noch weniger kann umgekehrt mit Jhering, Zweck im Recht I 296 ff., das Beitrittsrecht als Unterscheidungsmerkmal betrachtet werden ; vgl. Rosin S. 5 ff. 16 Vgl. Hinschius a. a. 0. S. 251, Rosin S. 2 ff, oben § 66 Anm. 21—25. — Noch weniger darf man mit E. Mayer, Krit. V. J. Sehr. XXVIII 455 ff, alle durch Spezialverleihung oder auf Grund eines gesetzlichen Ausspruches nach erfolgtem Nachweise der „Gemeinnützigkeit" mit Korporationsrechten ausgestatteten Verbände für „öffentliche" erklären; vgl. Gierke a. a. 0. S. 913, Jellinek S. 251. 16 Vgl. Rosin S. 6 ff. — Insbesondere entscheidet nicht der Verwaltungszwang ; ib. S. 8 ff. 17 Rosin S. Iff. „Oeffentliche" Rechte und Pflichten gegen den Staat haben auch private Körperschaften; oben § 66 I I , Jellinek S. 243ff. — Auch das Mafs der staatlichen Einwirkung auf das Verbandsleben ist nicht entscheidend; Rosin S. 16. 18 So Rosin S. 16 ff. Vgl. gegen ihn Gierke S. 657 Anm. 1, J e l l i n e k S. 252, Regelsberger § 80 Anm. 4, Förster-Eccius § 283 Anm. 1. Dieses Merkmal fehlt z. B. bei den anerkannten Kirchen und findet sich bei den eingeschriebenen Hülfskassen, von denen jene nur gewaltsam ihrer öffentlichrechtlichen Qualität entkleidet, diese nur gewaltsam zu öffentlichen Genossenschaften gestempelt werden können, wie dies Rosin S. 85 ff. u. 67 ff. unternimmt. 19 Gierke a. a. 0. S. 167 u. 913; Regelsberger § 80; Jellinek S. 251 ff. 20 Gierke S. 168; J e l l i n e k S. 253 (er unterscheidet „aktive" und „passive" öffentliche Verbandsqualität). 21 Gierke S. 168 Anm. 2 u. 657 Anm. 1. So werden Vereine, denen im Gebiete des preufs. Landr. die Korporationsrechte speziell verliehen sind, durch die hiermit verknüpfte Unterstellung unter eine Fülle von Rechtssätzen, die sonst heute nur für öffentliche Körperschaften gelten, noch keine öffentlichen Körperschaften. Ebensowenig alle Religionsgesellschaften mit „Korporationsrechten" durch R.Str. G.B. § 166.

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Insoweit nun hiernach eine öffentliche Genossenschaft vorliegt, untersteht sie zwar als Genossenschaft den allgemeinen Rechtssätzen über Körperschaften, empfängt aber als öffentliche Genossenschaft ihre Eigenart durch besondere Rechtssätze des öffentlichen Rechts. Manche öffentliche Genossenschaften indefs greifen vermöge der Verflechtung von Individualrecht mit ihrem Sozialrecht so tief in das Privatrecht ein, dafs ihr besonderes Recht auch im Privatrecht nichttibergangenwerden kann. II. Arten. Oeffentliche Genossenschaften sind: 1. Kirchliche Körperschaften. Vermöge der öffentlichrechtlichen Stellung der anerkannten christlichen Kirchen sind ihre Gliedkörperschaften, somit die Kirchengemeinden jeder Ordnung und die den Kirchen eingegliederten besonderen Körperschaften, öffentliche Genossenschaften22. Andere Religionsgenossenschaften dagegen nur, falls ihnen diese Eigenschaft ausdrücklich beigelegt ist 28 . 2. Spezialgemeinden. Keine Gemeinden, wohl aber öffentliche Genossenschaften sind die für einzelne an sich kommunale Zwecke gebildeten Gebietskörperschaften. So die als besondere Körperschaften vorkommenden Schul-, Armen- und Wegegemeinden24; so auch, falls sie überhaupt als Körperschaften anerkannt sind, die zur gemeinsamen Wahrnehmung einzelner kommunaler Angelegenheiten errichteten Verbände von benachbarten Gemeinden und Gutsbezirken26. 3. Ständische Körperschaften. Oeffentliche Genossenschaften sind, soweit sie sich erhalten haben, die alten Ständekörper, wie z. B. ritterschaftliche Korporationen und kommunalständische Ver22 Vgl. Hinschius a. a. O. S. 249ff., Jellinek S. 260ff., FörsterEccius IV 684 ff. — Ueber die Kirchengemeinden als Rechtssubjekte vgl. Meurer a. a. 0. I I 158 ff., 280 ff., 290 ff., 892 ff.; über die als besondere kirchliche Körperschaften anerkannten Verbandspersonen (Kapitel, Klöster, Kongregationen) ib. S. 205 ff., 245 ff., 821 ff., 388 ff. u. 402 ff. 28 Vgl. oben Anm. 21 u. § 55 I I 2. 24 Z. B. die preufsischrechtlichen „Schulsozietäten" ; Pr. L.R. II, 12 § 29 ff., O.Trib. Berlin Entsch. XXV 801, XXXVH 314, Striethorst Arch. XXX 233, R.G. b. Gruchot XXXIV 1031, Gierke, Genossenschaftsr. I 766 ff., FörsterEccius IV 702 ff. Ferner die „ Ortsarmenverbände u , sofern sie sich nicht mit einer Gemeinde decken, und immer die „Landarmenverbände"; Gierke a. a. O. S. 767ff., R.Ges. v. 6. Juni 1870 § 3 ff., R.Ger. b. Gruchot XXV 119, Förster-Eccius IV 684. Bisweilen auch Wegebauverbände; Gierke a. a. O. S. 768. 26 Nach der Preufs. östl. (ψ. Schlesw.-Holst) L.G.O. § 129 „können diesen Verbänden auf ihren Antrag mit Königl. Genehmigung die Rechte öffentlicher Körperschaften beigelegt werden".

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bände . Ebenso aber manche berufsständische Genossenschaften des neueren Rechtes, wie z. B. die kaufmännischen Korporationen, die Innungen und im Falle der Beilegung der Rechtsfähigkeit auch die Innungsverbände, die Anwaltskammern und die in Preufsen jüngst errichteten Landwirthschaftskammern 27. 4. Wirthschaftsgenossenschaften. Unter den auf einen gemeinsamen wirtschaftlichen Zweck gerichteten Genossenschaften nehmen sowohl personale wie reale Verbände die Stellung öffentlicher Körperschaften ein. a. Personalgenossenschaften mit öffentlichrechtlichem Charakter begegnen namentlich als Trägerinnen einer Personenversicherung. Dahin gehören aufser manchen sonstigen Hülfsverbänden, Sterbekassen, Witwenkassen u. s. w. die Knappschaften des Bergrechtes28 und vor Allem die reichsgesetzlich geregelten öffentlichen Krankenkassen und Berufsgenossenschaften für Unfallversicherung 29. b. Realgenossenschaften wirtbschaftlicher Art sind in noch gröfeerer Zahl als öffentliche Körperschaften eingerichtet. So namentlich Grundbesitzerverbände, die behufs Erreichung eines zugleich im öffentlichen Interesse gelegenen gemeinsamen Wirthschaftszweckes das Grundeigenthum der einzelnen Genossen binden und belasten: Deichgenossenschaften, Sielachten und öffentliche Wassergenossenschaften80; Waldgenossenschaften81 ; Jagdgenossenschaften82 ; Fischereigenossenschaften88. Desgleichen öffentliche Verbände für Immobiliarversicherung, insbesondere die „Feuersozietäten" mit oder ohne Beitrittszwang84. Ebenso manche Kreditverbände von Grundbesitzern, wie sie nach dem Muster der preufsischen Landschaften fast in ganz 28

Gierke a. a. Ο. S. 793 ff., H. Schulze, Preufs. Staatsr. I 538 ff., Bornhak, Preufs. Staatsr. I I 364 ff. 27 Von den Innungen ist noch im Gewerberechte zu handeln. Die Anwaltskammern regelt das R.Ges. v. 1. Juli 1878 § 41—61, das in § 49 Z. 5 ihre Vermögensfähigkeit anerkennt. Ueber die Landwirthschaftskammern Preufs. Ges. v. 30. Juni 1894. 28 Von ihnen im Bergrecht (unten Buch I I I Abschn. VI). 29 Hiervon im Gewerberecht (unten Buch I I I Abschn. VII), wo auch zu prüfeq ist, welche Kassen und Verbände körperschaftliche Natur haben. 80 Von ihnen im Wasserrecht (unten Buch I I I Abschn. V). 81 Von ihnen im Forstrecht (unten Buch 1Π Abschn. IV). 82 v. Brünneck, Die Jagdgenossenschaften, Halle 1867; Gierke a. a. Ο. S. 768 ff.; Näheres im Jagdrecht (unten Buch H I Abschn. IV). 88 Davon im Wasserrecht (unten Buch I H Abschn. V). 84 Gierke a. a. 0. S. 1051 ff. — In Preufsen werden jedoch die Landfeuersozietäten meist für Anstalten erklärt; Förster-Eccius IV 691.

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Deutschland gebildet sind85. Endlich auch, falls ihnen ausnahmsweise die Eigenschaft öffentlicher Körperschaften beigelegt ist, die Agrargenossenschaften, bei denen sogar der Typus der reinen Vermögensgenossenschaft in das öffentliche Recht eintritt 86. § 76. Private Genossenschaften. I. Begriff und Wesen. Alle Genossenschaften, die nicht zu den öffentlichen Körperschaften gehören, sind „private44 Genossenschaften. Entscheidend für ihr Wesen ist die Behandlung ihres Sozialrechtes als eines Bestandteiles der Privatrechtsordnung1. Der Staat legt daher zwar diesem Sozialrecht die Bedeutung der Lebensordnung eines Gemeinwesens bei, werthet es aber nicht hoch genug, um es in das Reich der öffentlichen Rechtsordnung zu erheben. Während somit das Köperschaftsrecht einer derartigen Genossenschaft in seiner Sphäre die Ueberordnung des Verbandsganzen über die Verbandsglieder zur Geltung bringt, erscheinen vor dem Forum des Staates die Gesammtperson und die Gliedpersonen als Träger gleichwerthiger Interessen. Die Körperschaftsgewalt ist blofse Privatgewalt ; die Behörden und Beamten der Körperschaft sind Privatbehörden und Privatbeamte; die inneren Rechtsstreitigkeiten werden als „bürgerliche Rechtsstreitigkeiten" im Wege des Civilprozesses ausgetragen. Dafür nimmt der Staat hier eine weit geringere Einwirkung auf das innere Verbandsleben in Anspruch. Somit fällt der Schwerpunkt des Rechtes der privaten Genossenschaften in das Privatrecht, ihm gehört nicht nur das Individualrecht, sondern auch das Sozialrecht dieser Verbände an. Keineswegs aber entbehren die privaten Genossenschaften der Beziehungen zum öffentlichen Rechte. Vielmehr haben sie sämmtlich öffentliche Rechte und Pflichten, die wiederum je nach der Besonderheit ihrer Gliedstellung im Staate und ihres Lebensberufes mannichfacher Abstufung fähig sind2. Ueberdies wird zum Theil auch das innere Körperschaftsrecht in einzelnen Punkten nach den Grundsätzen des öffentlichen 86

Von ihnen im Pfandrecht (unten Abschn. I I Kap. VIII). Vgl. oben § 74 Anm. 20 u. 28. 1 Gierke, Genossenschaftsth. S. 162 ff. 2 So treten Aktiengesellschaften und andere Privatgenossenschaften in einen besonderen Kreis öffentlicher Rechte und Pflichten ein, wenn sie auf Grund eines staatlichen Privilegs Banknoten ausgeben, ein Eisenbahnunternehmen, das Versichernngsgewerbe oder sonst ein konzessionspflichtiges Gewerbe betreiben u. s. w. Man denke ferner an die besonderen öffentlichen Rechte und Pflichten der eingeschriebenen Hülfskassen. 8β

§ 7.

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Genossenschaften.

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Rechtes behandelt, ohne hiermit im Ganzen seinen privatrechtlichen Charakter einzubüfsen8. II. Arten. Die meisten privaten Genossenschaften sind gew i l l k ü r t e Körperschaften. Doch giebt es auch gewordene Privatgenossenschaften, wie z. B. die Familien des hohen Adels und die meisten Agrargenossenschaften. Die Mitgliedschaft beruht in der Regel auf freiem Willensentschlufs. Auch hiervon aber kommen Ausnahmen vor, wie z. B. die Berufung zum Familienmitgliede durch Geburt oder der Eintritt in eine vererbliche Mitgliedschaft durch Erbfolge. Im Uebrigen unterscheiden sich die Genossenschaften hauptsächlich nach ihrem Lebenszweck. 1. Familiengenossenschaften. Als eigenartige private Genossenschaften sind gemeinrechtlich die hochadligen Häuser anzuerkennen4. Partikularrechtlich gilt jede mit einem Familiengute bewidmete Familie als Verbandsperson5. Uebrigens kann auch sonst eine Familie kraft Unvordenklichkeit Körperschaftsrechte besitzen oder sich durch freien Gesammtakt als Körperschaft konstituirene. 2. Wirthschaftsgenossenschaften. Genossenschaften, die auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet sind, nehmen als Wirthschaftsgenossenschaften eine besondere Stellung zum Vermögensrechte ein. Denn sie sind nicht nur notwendig vermögensbedürftig, sondern führen auch vermögensrechtliche Bestandteile in ihre innere Lebensordnung ein. Das geltende Recht kennt eine Anzahl typischer Rechtsformen, die in verschiedener Weise die genossenschaftliche Lösung einer wirtschaftlichen Aufgabe ermöglichen. Sie sind von Hause aus darauf angelegt, selbstnützigen Zwecken der Mitglieder zu dienen, können aber zum Theil auch ausschliefslich oder überwiegend in den Dienst eines gemeinnützigen Zweckes gestellt werden7. Je nach der Beschaffenheit ihrer Rechtsgrundlage lassen sich die Wirthschaftsgenossenschaften in drei Gruppen einteilen. a. Personalgenossenschaften. Bei den wirtschaftlichen Personalgenossenschaften bleibt die personenrechtliche Grundlage gewahrt, wird jedoch durch die verfassungsmäfeige Verknüpfung ver8

Vgl. oben § 75 Anm. 21. Oben § 47 S. 400 und unten Buch Π Ι Abschn. II. 5 Davon unten Buch I I I Abschn. II. 6 So ist im Erk. des R.Ger. XXIX Nr. 32 S. 124, 126 u. 130 die altadelige Zürcher Familie v. Orelli als parteifähige Körperschaft anerkannt. Vgl. auch R.Ger. I Nr. 123. 7 So Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung, zum Theil auch eingetragene Genossenschaften. 4

B i n d i n g , Handbuch. I I . 3. I :

G i e r k e , Deutsches Privatrecht.

I.

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Zweites Kapitel. Das Recht der Verbandspersönlichkeit.

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mögensrechtlicher Sonderrechte und Sonderpflichten mit der Mitgliedschaft mehr oder minder abgewandelt. Hierher gehören alle privaten Versicherungsgenossenschaften auf Gegenseitigkeit8, unter denen die als „eingeschriebene Hülfskassen" eingerichteten Krankenversicherungsgenossenschaften einem reichsgesetzlichen Spezialrechte unterstehen9. Desgleichen die privaten Kreditgenossenschaften (Vorschufs- und Kreditvereine, Darlehnsvereine u. s. w.), Distributivgenossenschaften (Konsumvereine, Wohnungsgenossenschaften, Rohstoffvereine, Werkgenossenschaften, Absatzgenossenschaften und Magazinvereine) und Produktivgenossenschaften. Allen solchen „Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften" stellt das Reichsrecht die eigenartige Rechtsform der „eingetragenen Genossenschaft" zur Verfügung 10. b. Realgenossenschaften. Private Genossenschaften, bei denen die Mitgliedschaft als Realrecht an bestimmten Grundstücken haftet, begegnen unter den Agrargenossenschaften. Auch gehören dazu die freien Wassergenossenschaften des preufsischen Rechts11. c. Vermögensgenossenschaften. Die Genossenschaften, deren Rechtsgrundlage ein in Antheile zerlegtes Sondervermögen bildet, fallen als Vermögensgenossenscbaften regelmäfsig in das Privatrecht 12. 8

Ihr besonderes Recht gehört ins Versicherungsrecht·, vgl. darüber Lewis, Versicherungsr. I 142 ff., u. namentlich Ehrenberg, Versicherungsr. I 103—149. 9 Davon unten im Gewerberecht (Buch I I I Abschn. VII). 10 Dafs die „eingetragene Genossenschaft" Körperschaft ist, wird jetzt nur noch vereinzelt bestritten. Die früher hiergegen aus der Solidarhaft der Mitglieder hergeleiteten Argumente sind nach dem jetzt geltenden R.Ges. v. 1. Mai 1889 hinfällig. Dieses Gesetz läfst im Gegensatz zu dem R.Ges. v. 4. Juli 1868, das nur Genossenschaften mit unbeschränkter Haftpflicht kannte, die Wahl zwischen den drei Unterformen der eingetragenen Genossenschaft mit unbeschränkter Haftpflicht, mit unbeschränkter Nachschufspflicht und mit beschränkter Haftpflicht. Kommentare v. Parisius u. Crüger, Berl. 1889, Proebst, Nördl. 1889, Joël, Berl. 1890, M a u r e r , Berl. 1890. Nebenden reichsrechtlich normirten Genossenschaften bestehen in Bayern noch die auf Grund des Ges. v. 29. April 1869 „registrirten Gesellschaften"; R.Ges. v. 1. Mai 1889 § 153. — Ueber das frühere Recht Gierke, Genossenschaftsr. I 1030 ff., Genossenschaftsth. S. 42 ff., v. Sicherer, Die Geno8senschaftsgesetzg. in Deut., Erl. 1872, Goldschmidt, Erwerbs- u. Wirthschaftsgenossenschaften, Stuttg. 1882, Stobbe, D.P.R. I § 60 u. die dort angef. weiteren Schriften. — Dazu Oesterr. Genoss.Ges. v. 9. April 1873 u. Strofs, Das österr. Genossenschaftsrecht, Wien 1887; Schweiz. O.R. Art. 678 ff.; andere ausländische Gesetze b. Maurer S. 13 ff. — Da die eingetragenen Genossenschaften Kauftnannseigenschaft haben, gehört ihr besonderes Recht ins Handelsrecht; in seinen allgemeinen Bezügen aber ist es oben in Tit. 3 überall verwerthet worden. 11 Von ihnen im Wasserrecht (unten Buch I I I Abschn. V). 12 Ueber ihren Begriff oben § 63 I l b S. 484; über ausnahmsweise vorkommende öffentliche Genossenschaften dieser Struktur oben § 75 a. E.

§ 76. Private Genossenschaften.

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Private Vermögensgenossenschaften sind namentlich manche Agrargenossenschaften; sodann die bergrechtlichen Gewerkschaften nebst den salzrechtlichen Pfännerschaften 18 ; endlich vor Allem die modernen Kapitalgenossenschaften in Gestalt der Aktiengesellschaft14 und der Gesellschaft mit beschränkter Haftung 15. 3. Vereine für ideale Ζ wecke. Genossenschaften, die nicht auf einen wirthschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet sind, bestehen in unübersehbarer Fülle für die verschiedenartigsten Zwecke, die man neuerdings als „ideale Zwecke" zusammenzufassen pflegt. Dahin gehören politische, religiöse, wissenschaftliche und künstlerische Vereine; Wohlthätigkeitsvereine ; Vereine für gemeinnützige Bestrebungen (ζ. B. Volksbildung oder Volkserziehung, Volksernährung, Wohnungswesen u. s. w.); Vereine für Interessenvertretung, Berufsverbände, Fachvereine, Gewerkvereine; Rechtsschutzvereine ; Bildungsvereine und Vereine für Leibesübung (ζ. B. Schützengilden, Turnvereine, Alpenvereine); sittlich-soziale Genossenschaften (ζ. B. Freimaurerlogen); gesellige Vereine jeder Art. Wie schon diese Beispiele zeigen, können die Zwecke solcher Vereine sowohl ausschliefslich auf das Gemeinwohl wie ausschliefslich auf das Wohl der Mitglieder gerichtet sein. Auch 18

Davon unten im Bergrecht (Buch I I I Abschn. VI). Da nach geltendem deutschem Recht alle Aktiengesellschaften Handelsgesellschaften sind, ist ihr besonderes Recht ins Handelsrecht zu verweisen; in seiner allgemeinen Bedeutung für das deutsche Körperschaftsrecht ist es oben stets berücksichtigt worden. Die körperschaftliche Natur der Aktiengesellschaft ist nach langem Streite heute in Theorie und Praxis so gut wie unbestritten. Vgl. Gierke, Genossenschaftsr. I 990 ff., Genossenschaftsth. S. 38 ff. u. die dort gegebenen Nachweise; dazu R.Ger. X X X I 21. Aus der älteren Litt, sind hervorzuheben: Renaud, Das Recht der Aktiengesellschaften, 2. Aufl. 1875; Löwenfeld, Das Recht der Aktiengesellschaften, Berlin 1879; P r i m k e r in Endemanns Handb. I 471 ff. Seit dem R.Ges. v. 18. Juli 1884 die Kommentare zu diesem v. Ring (2. Aufl. 1893), Petersen u. Pechmann (1890), von Völderndorff (1885), Kayser (2. Aufl. 1891); ferner Bekker, Pand. I § 68, Stobbe, D.P.R. I § 58, Behrend, H.R. § 96 ff., Cosack, H.R. § 91 ff. 16 R.Ges. v. 20. Apr. 1892. Kommentare v. Hergenhahn (1892), Esser (1892), Förtsch (1893) u. bes. Neukamp (1893); Goldschmidt, Alte und neue Formen der Handelsgesellschaft, Berlin 1892, S. 17 ff.; Cosack, H.R. § 99; K. Schulz b. Stobbe, D.P.R. I 539; Förster-Eccius IV 695 ff. Auch über diese Verbandsform gehört das Nähere ins Handelsrecht. In der Theorie scheint bisher Einigkeit darüber zu herrschen, dafs die Gesellschaft mit beschränkter Haftung eine Kapitalgenossenschaft mit eigner Persönlichkeit ist. In der That kann, so wenig sie in manchen Punkten dem Bilde entspricht oder doch zu entsprechen braucht, das man sich bisher von einer Körperschaft zu machen pflegte, ihre positivrechtliche Körperschaftsqualität nicht bezweifelt werden. Sie ist daher oben überall herangezogen worden. 40* 14

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kann ein Verein gleichzeitig gemeinnützige und selbstnützige Zwecke verfolgen. Die Vereine für ideale Zwecke sind meist, obschon nicht nothwendig, gleichfalls vermögensbedürftig, werden aber in ihrem inneren Bau vom Vermögensrechte nicht ergriffen. Eine besondere Rechtsform stellt ihnen das bayrische Gesetz v. 29. April 1869 in Gestalt des „anerkannten Vereins" zur Verfügung 16. In Sachsen können sie auf Grund des Gesetzes v. 15. Juni 1868 sich als „Genossenschaften" eintragen lassen17. Im Uebrigen unterstehen sie, soweit nicht für den einzelnen Verein mit der etwaigen staatlichen Spezialverleihung der Körperschaftsrechte ein besonderes Recht begründet ist, lediglich den allgemeinen Rechtssätzen über körperschaftliche Verbände. III. Nicht anerkannte Genossenschaften. Genossenschaften können tatsächlich bestehen, ohne von der Rechtsordnung als solche anerkannt zu sein. Dann ist ein Doppeltes möglich. 1. Ihr Bestand kann nichtig sein. Dies ist bei allen verbotenen Vereinen der Fall 18 . Ueberdies aber wird, soweit für Genossenschaften einer bestimmten Gattung ein Eintragungszwang gilt, einer nicht eingetragenen Genossenschaft dieser Gattung zwar die Rechtsstellung einer werdenden Genossenschaft zugestanden, dagegen die Eigenschaft einer bestehenden Genossenschaft schlechthin versagt19. Eine Genossenschaft, die rechtlich nicht oder noch nicht besteht, kann weder Rechte noch Pflichten haben. Ebensowenig vermag sie zu handeln. Was trotzdem im Bereiche eines tatsächlich vorhandenen Verbandslebens geschieht, wird rechtlich nur den betheiligten Einzelnen zugerechnet und kann nur für und wider die Einzelnen wirken. Wird im Namen einer nicht eingetragenen Aktiengesellschaft oder Gesellschaft mit beschränkter Haftung gehandelt, so haften kraft ausdrücklicher Gesetzesvorschrift die Handelnden persönlich und solidarisch20. 1β Vgl. oben § 63 Anm. 34 u. 36. Ebenso das Schweiz. O.R. Art 716; vgl. oben § 63 Anm. 35. — Entw. I I § 49—69 bietet ihnen die Rechtsform des „eingetragenen Vereines", jedoch mit der oben § 63 Anm. 40 erwähnten Beschränkung für Vereine, die „einen politischen, sozialpolitischen oder religiösen Zweck" verfolgen. 17 Vgl. oben § 63 Anm. 33 u. über die Beschränkung für Vereine, „deren Zweck sich auf öffentliche Angelegenheiten bezieht", Amn. 40. 18 Oben § 63 Anm. 24. 19 H.G.B. Art. 211 Abs. 1: „Vor erfolgter Eintragung in das Handelsregister besteht die Aktiengesellschaft als solche nicht"; R.Ges. v. 20. Apr. 1892 § 11 Abs. 1; oben § 63 Anm. 35. 80 H.G.B. Art. 211 Abs. 2; R.Ges. v. 20. Apr. 1892 § 11 Abs. 2. Aehnlich OesteiT. Genoss.Ges. § 8; Schweiz. O.R. Art. 17 („mit Vorbehalt des Rückgriffes gegen die übrigen Vereinsmitglieder"). Vgl. Renaud, A.G. S. 387—398, Gierke,

§ 7.

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Genossenschaften.

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2. Vielfach aber ist der Bestand einer nicht als Genossenschaft anerkannten Genossenschaft gültig. Dies ist überall der Fall, wo auf Grund der Vereinsfreiheit eine Genossenschaft als erlaubter Verband zu Recht besteht, jedoch kraft positivrechtlicher Einschränkungen der Körperschaftsfreiheit der Körperschaftsrechte entbehrt. Ein derartiges Verhältnifs ist nach der richtigen Ansicht dem gemeinen Rechte unbekannt21. Es begegnet aber in allen Rechtsgebieten, in denen das Landesrecht zur Entstehung einer Körperschaft in Ermangelung besonderer Gesetzesvorschriften staatliche Genehmigung fordert. Auch wird es vermöge der in der Praxis immer noch vorherrschenden irrigen Annahme, dafs ein gleicher Rechtssatz gemeinrechtlich gelte, oft in das gemeine Recht hineingetragen22. In der hierdurch geschaffenen Rechtslage befinden sich namentlich zahlreiche Vereine für ideale Zwecke, vielfach aber auch Wirthschaftsgenossenschaften. Soweit für Genossenschaften einer bestimmten Gattung ein nur fakultatives Eintragungssystem gilt, können auch eintragungsfähige Genossenschaften, wenn sie von der dargebotenen Rechtsform keinen Gebrauch machen, dieses Schicksal theiien28. Aus dem rechtlich anerkannten Bestände nicht anerkannter Genossenschaften ergiebt sich ein widerspruchsvoller Rechtszustand. Verbände, die in erlaubter Weise als Körperschaften bestehen und im Verkehr als solche auftreten und genommen werden, gelten rechtlich nicht als das, was sie sind. Um den unerträglichen Mifsständen, die hieraus für das Rechtsleben entspringen, einigermafsen abzuhelfen, werden in Theorie und Praxis zwei verschiedene Wege eingeschlagen. Zum Theil werden solche Verbände als unvollkommene Körperschaften behandelt24. Man spricht ihnen die Eigenschaft Genossenschaftsth. S. 87 Anm. 1—2. — Entw. I I § 676 will eine gleiche Bestimmung für alle nicht rechtsfähigen Vereine treffen, obwohl sie im Uebrigen als „Gesellschaften" zu Recht bestehen sollen. — Ueber das Verhältnifs im Falle der Eintragung einer wegen eines wesentlichen Mangels nichtigen Aktiengesellschaft vgl. K. Lehmann, Jahrb. f. D. X X X I I I 432 ff. 81 Oben § 63 Anm. 28. 28 Nachweise b. G i e r k e a. a. Ο. S. 59 Anm. 2. 88 Oben § 63 Anm. 36. 84 Vgl. Gierke, Genossenschaftsth. S. 62 ff. Dabei operirt die ältere Praxis meist mit dem von germanistischer Seite ursprünglich aufgestellten Zwischenbegriff der „deutschrechtlichen Genossenschaft" (oben § 62 Anm. 1), in den auch neuere Entscheidungen immer wieder zurückfallen; vgl. z. B. Schüler a. a. 0. S. 251 Anm. 18 u. S. 293 ff., Seuff. VI Nr. 2, XV Nr. 205, XIX Nr. 11, X X I I I Nr. 107 u. 109, X X V I I Nr. 102 u. dazu Gierke a. a. 0. S. 78. Im Ganzen aber ist mehr

Zweites Kapitel. Das Recht der Verbandspersönlichkeit.

voller oder eigentlicher Körperschaften ab, beurtheilt aber gleichwohl ihre inneren und äufseren Rechtsverhältnisse nach Körperschaftsrecht. Natürlich kann man auf diesem Wege mehr oder minder weit vorschreiten. Immer aber gelangt man zur Anerkennung einer selbständigen Verbandspersönlichkeit, der man nur meist den Namen der Juristischen Person" und überdies etwa einzelne Rechte der Persönlichkeit vorenthält25. Es ist klar, dafs dieses Verfahren dem wahren Wesen der Dinge annähernd gerecht wird. Soweit daher kein gesetzliches Hindernife entgegensteht, mufs es zum Mindesten eingeschlagen werden. Nur ergiebt eine nähere Untersuchung des geltenden Rechtes, dafs regelmäfsig kein zwingender Grund vorliegt, auf halbem Wege stehen zu bleiben26. Wo aber die Bahn frei ist, mufs mit allen Halbheiten und Unklarheiten gebrochen und jeder rechtsbeständige Verein, der Körperschaft ist, als volle und echte Körperschaft anerkannt werden27. Eine andere Richtung sucht durch die Behandlung der nicht anerkannten Genossenschaften als modifzirter Gesellschaften zu und mehr die Annahme einer „Körperschaft ohne Korperschaftsrechte", einer Genossenschaft „mit korporativem Charakter" durchgedrungen; vgl. z. B. Seuff. XXV Nr. 199, X X I X Nr. 212, X X X I I I Nr. 1 u. 104, XXXIV Nr. 6, XLIV Nr. 101, XLVII Nr. 290, X L V I I I Nr. 25. Dem Verbände wird daher, obschon er keine eigentliche Juristische Person" sei, eine „eigne Rechtspersönlichkeit" zugesprochen ; vgl. bes. die nassauische Praxis in Busch Arch. X I I 403 ff, Z. f. H.R. V I I 585 ff., Seuff. X X I Nr. 96. Sehr entschieden hat diesen Standpunkt das R.O.H.G. vertreten; vgl. Entsch. IV Nr. 42 u. 44 (Seuff. XXVI Nr. 219 u. 257) u. XXII103 ff. Desgleichen trotz zeitweiliger Erschütterung durch die Angriffe Roths die bayr. Praxis, die auch auf Vereine, die das Recht „anerkannter Vereine* hätten erwerben können, „die Bestimmungen über juristische Personen" anwendet; Bl. f. R.A. X X I 255, XXVHI 274, Seuff. XXX1H Nr. 103 u. XXXVII Nr. 188, weitere Nachweise b. Gierke a. a. O. S. 72 ff. u. seitdem Beschl. des Obst. L.G. b. Seuff. XLIV Nr. 178. 25

So ζ. B. die Fähigkeit, als Eigenthümer oder dinglich Berechtigter ins Grundbuch eingetragen zu werden; Stobbe § 61 Anm. 10. Oder die Erbfähigkeit; Seuff. Χ Χ Χ Ι Π Nr. 104 (dagegen zutreffende Polemik ib. S. 147 Anm. 1). Vgl. auch Schuster, Z. f. d. P. u. ö. R. d. G. IV 557 ff. 26 Denn wo das Landesrecht nicht ausdrücklich sagt, dafs aufser den als „Korporationen" oder „juristische Personen" besonders anerkannten Verbänden kein anderer Verband Persönlichkeit habe, bleibt auf Grund des gemeinen Rechtes für die Anerkennung aller rechtsbeständigen Verbände, die in Wirklichkeit Körperschaften sind, als echter und nur nicht besonders autorisirter und privilegirter Körperschaften Raum; vgl. den Nachweis b. Gierke a. a. O. S. 88 ff., auch S. 55-56. 27 Gierke a. a. O. S. 92 ff. mit S. 79 ff.

§ 7.

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Genossenschaften.

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helfen 28. Im Gegensatz zu der früheren Praxis, nach der die Unterstellung unter den Gesellschaftsbegriff in Folge der Anwendung des römischen Sozietätsrechtes die volle Rechtsverweigerung für und wider den Verband bedeutete29, ist schrittweise die Ansicht durchgedrungen, dafs unter der Einwirkung des deutschen Rechtes das Sozietätsrecht hinreichend tiefgreifender Abwandlungen fähig geworden sei, um auch ein leidlich passendes Rechtsgewand für eine Körperschaft abzugeben80. Im Einzelnen wird durch eine Reihe oft sehr künstlicher Konstruktionen sowohl nach innen wie nach aufsen der Gesellschaftsbegriff umgebogen. Nach innen wird das körperschaftliche Satzungsrecht als bindendes Vertragsrecht ausgelegt und geschützt: der vom Wechsel der Mitglieder unabhängige Vereinsbestand, der Ausschlufs der Theilungsklage, der sofortige Eintritt neuer Mitglieder in einen Antheil an den gemeinschaftlichen Rechten und Pflichten, das Erlöschen dieses Antheiles durch Wegfall der Mitgliedschaft, die bindende Kraft von Versammlungsbeschlüssen, die Zuständigkeiten von Vorständen und anderen Organen werden aus ausdrücklicher oder stillschweigender Vereinbarung hergeleitet81. Nach aufsen wird dem Vereine durch die Annahme statutarisch oder auf Grund statutarischer Ermächtigung ertheilter und beschränkter Kollektivmandate eine Art von einheitlicher Rechts- und Handlungsfähigkeit verschafft: der durch seinen Vorstand vertretene Verein wird ziemlich allgemein als Prozefspartei zugelassen82; die im Namen des Vereines erworbenen Rechte werden als Vereinsrechte anerkannt, die der jeweiligen Mitgliedergesammtheit zustehen und von ihr nur gemeinschaftlich oder durch ihre jeweiligen Vertreter geltend 28

Darüber vgl. Gierke a. a. Ο. S. 57 ff. Vgl. ζ. Β. Seuff. X I I I Nr. 57 u. 206, XX Nr. 200, ΧΧΧΙΠ Nr. 108. 80 Vgl. bes. Seuff. I Nr. 54, VI Nr. 2 S. 5 ff., ΧΠ Nr. 58—60, XX Nr. 201, X X I I I Nr. 206, X X V I I Nr. 5, X X X V I I Nr. 207, XL Nr. 198; Z. f. Rechtspfl. u. Verw. in Sachsen N. F. X I I I 261 ff.; R.Ger. V I I Nr. 53, V I I I Nr. 31, X V I I I Nr. 74. Theoretische Konstruktionen in diesem Sinne bes. b. R. Schmid, Arch, f. civ. Pr. XXXVI 183 ff., Gerber, Ges. Abh. S. 197 ff., u. Crome, Allg. Th. S. 169ff. ; dazu die unten Anm. 36 Angeführten. 81 Seuff. XX Nr. 201, XXHI Nr. 206, R.Ger. V I I Nr. 53, V I I I Nr. 31, bes. aber O.A.G. Cassel b. Heuser, Ann. X I I I 443 ff., u. O.A.G Rostock b. Seuff. X X V I I Nr. 5 u. dazu Gierke a. a. Ο. S. 63 ff. Vgl. ferner Stobbe § 61 S. 567 ff., Ehrenberg, Versicherungsr. I 106 ff. Auch Sächs. Gb. § 1367, 1383 u. 1886 u. Seuff. X L I I I Nr. 19. 82 Seuff. VI Nr. 2, R.Ger. V I I Nr. 53, V I I I Nr. 45; für eine nicht eingetragene Genossenschaft des sächs. R. Seuff. X L I I I Nr. 19. Vgl. dazu Stobbe § 61 S. 569, Roth, Genoss. S. 84 ff., Wach, Civilproz. I 520 ff., Bekker, Pand. I § 63 Beil. I, Rosin b. Gruchot XXVII 123 ff., Ehrenberg a. a. O. S. 107. Abweichend Crome S. 172 ff. 29

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Zweites Kapitel. Das Recht der Verbandspersönlichkeit.

gemacht werden können88; die im Namen des Vereins eingegangenen Verbindlichkeiten werden als Vereinsschulden behandelt, aus denen eine Klage gegen die durch den Vorstand vertretene jeweilige Mitgliedergesammtheit auf Befriedigung aus dem Vereinsvermögen entspringt84 und für die ausschliefslich das Vereinsvermögen haftet 85. Zuletzt läfst sich offenbar auf diesem Wege ein Ergebnifs gewinnen, bei dem die Verbandsperson, deren Dasein grundsätzlich verneint wird, rechtliche Wirkungen entfaltet, als sei ihr Dasein bejaht. Der innere Widerspruch, der hierbei zwischen der begrifflichen Form und dem in sie hineingeprefsten Lebensinhalte besteht, wird wesentlich gemildert, wenn bei der Konstruktion des Gesellschaftsverhältnisses der römische Gemeinschaftsbegriff durch den deutschen ersetzt und namentlich das Rechtsprinzip der gesammten Hand zu Hülfe gerufen wird 86 . Allein immer bleibt jedes Verfahren, das die in Wahrheit 88 Seuff. XX Nr. 201, XL Nr. 198. — Doch wird dem Vereine die Eintragung in die Grundbücher versagt; Stobbe I 573 und die dort Anm. 10a angef. Weimar. V. v. 12. März 1841 § 183 über die statt der Eintragung sämmtlicher Mitglieder zulässige Eintragung eines fiduziarischen „Lehnsträgers". Auch gilt der Verein nicht als erbfähig; Stobbe Î 574. Indefs hält das Sächs. Gb. § 2075 Erbeseinsetzungen und andere letztwillige Bedenkungen von „erlaubten Vereinen oder Gesellschaften, welche keine juristische Persönlichkeit haben", zu Gunsten der beim Anfall vorhandenen Mitglieder mit der Mafsgabe einer Verwendungspflicht für die Vereins- oder Gesellschaftszwecke aufrecht. 84 Seuff. I Nr. 54, XX Nr. 200; K r i t z , Sammlung I I I 312 ff.; Sächs. Z. f. Réchtspfl. u. Verw. N. F. X I I I 261 ff.; Heuser, Ann. X I I I 443 ff. 86 Seuff. XXVII Nr. 5; Stobbe I 570ff.; Roth, Genoss. S. 88 ff.; Rosin a. a. O. S. 139 ff.; Schuster a. a. 0. S. 558 ff. — Doch ist dieser Punkt stark bestritten. Manche nehmen eine Haftung sämmtlicher Mitglieder an, bald in solidum (z. B. Ran da, Arch. f. W.R. XV 345 ff., u. subsidiär auch Laband, Z. f. H.R. XXIV 27), bald pro rata (Seuff. X I I Nr. 58 u. 59, XXXVII Nr. 207, K r i t z , Samml. I I I 317 ff.), wobei überdies gestritten wird, ob ausgeschiedene Mitglieder forthaften und neu eingetretene Mitglieder haftbar werden. Andere legen den handelnden Vertretern eine persönliche und solidarische Haftung auf; so Salkowski S. 94 ff. und subsidiär Ehrenberg S. 143 ff. Das sächs. Ges. v. 15. Juni 1868 § 15 läfst die Handelnden nur mangels anderer Abrede und nur bis zur etwaigen Uebernahme der Schuld durch die zur juristischen Person erhobene Genossenschaft als Selbst- und Gesammtschuldner haften. Stobbe u. Roth a. a. 0. nehmen eine persönliche Haftung der Handelnden nur an, wenn die statutarische Haftbeschränkung dem Dritten nicht kundgemacht oder sonst bekannt war. 88 Diesen Weg hat namentlich Stobbe § 61 eingeschlagen. Ebenso Rosin a. a. 0. S. 124 ff. Vgl. auch Crome S. 171. — Ueber die Konstruktion von S ohm vgl. oben § 62 Anm. 4. — Ehrenberg a. a. 0. 104 ff. u. 142 will auf Gegenseitigkeitsgesellschaften ohne Korporationseigenschaft weder Korporationsrecht noch Sozietäterecht anwenden, sondern sie als „freie Genossenschaften" im Wesentlichen gleichen Grundsätzen unterstellen, wie sie für die erlaubten Privatgesellschaften des preufs. R. gelten.

§ 7.

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körperschaftsrechtlichen Gebilde dem Gesellschaftsrechte unterwirft, ein unsicherer Nothbehelf 37. Mithin darf ohne Noth dazu nicht gewerden88. In mehreren Rechtsgebieten aber läfst in der That das positive Recht keinen anderen Weg offen 30. Eine besondere Rechtsform ist endlich im Gebiete des preufsischen Landrechtes von der Gesetzgebung selbst für alle körperschaftlich organisirten, jedoch nicht als Körperschaften anerkannten rechtsbeständigen Verbände geschaffen worden: die „erlaubte P r i v a t gesellschaft 4 0 ". Sie soll „die inneren Rechte der Korporationen und Gemeinen" haben, dagegen nach aufsen „keine moralische Person" vorstellen. Während also zwischen dem Verbände und seinen Mitgliedern volles Körperschaftsrecht gilt, werden Dritten gegenüber die Mitglieder „nur als Theilnehmer eines gemeinsamen Rechts oder einer gemeinsamen Verbindlichkeit betrachtet". Die aus dem Bestände solcher „halben juristischen Personen" nothwendig entspringenden Wirren sind bis heute nicht überwunden. Zum Theil hat die Praxis den erlaubten Privatgesellschaften auf mancherlei Umwegen auch eine

griffen

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Gierke a. a. Ο. S. 94 ff. u. 113. Dies thut im Gegensatz zum R.O.H.G. und zum Obst. L.G. f. Bayern das R.Ger.; oben Anm. 30 u. Gierke a. a. Ο. S. 59. 89 So im Κ. Sachsen u. einigen aäche.-thür. Staaten, im Gebiete des französischen Rechts (Crome S. 168 ff.) u. nach der Annahme des R.Ger. X V I I I Nr. 74 (entgegen der Ansicht des O.L.G. Karlsruhe) auch in Baden; vgl. oben § 63 Anm. 42, Gierke a. a. Ο. S. I l l ff. — Ebenso will Entw. I I § 676 alle nicht rechtsfähigen Vereine seinem (auf das Prinzip der gesammten Hand gebauten) Gesellschaftsrechte unterwerfen, fügt aber die oben Anm. 20 erwähnte Ausnahmebestimmung hinzu, die Angesichts der in § 23 Abs. 2 u. § 55 vorgesehenen Einschränkungen des Anspruches auf Erwerb der Rechtsfähigkeit überaus unbillig ist. 40 Pr. L.R. II, 6 § 11 ff.; dazu bes. Rosin inGruchots Beitr. X X V I I 108ff., Förster-Eccius IV § 281, Dernburg I § 49ff., I I § 214, Gierke a. a. Ο. S. 98 ff. — Mit Recht hat die Praxis überwiegend nicht blos Vereine fur ideale Zwecke, sondern auch körperschaftlich organisirte Wirthschaftsverbände dem Begriff der erlaubten Gesellschaft uuterstellt; vgl. Striethorst X L I I 66, L X I 44, LXX 75, für Gegenseitigkeitsgenossenschaften auch R.O.H.G. V I I I 180 ff. u. XVIII 398 ff. Abweichend einzelne frühere Erkenntnisse (vgl. Gierke S. 102 Anm. 4), für Erwerbsgenossenschaften R.O.H.G. X X I 348 u. für alle auf private Vermögenszwecke der Mitglieder gerichteten Vereine R.Ger. IX Nr. 23 u. X V I Nr. 44, das aber XXV Nr. 41 trotzdem eine Versicherungsgenossenschaft auf Gegenseitigkeit wieder als erlaubte Privatgesellschaft behandelt. Gegen alle diese Einschränkungen vgl. Rosin S. 144ff., Dernburg I § 59 Anm. 2 u. I I § 214 Anm. 9, Gierke S. 103 u. jetzt auch E c ci us I V 653 ff. Dazu oben § 74 Anm. 14 (Agrargenossenschaften). — Ueber die Wirkungen der „Genehmigung" einer Gesellschaft nach Pr. L.R. II, 6 § 22—23 vgl. Rosin S. 111 ff., Gierke S. 100 ff., FörsterEccius IV 655. 88

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Zweites Kapitel. Das Recht der Verbandspersönlichkeit.

nach aufsen wirksame Rechts- und Handlungsfähigkeit verschafft 41· Allein abgesehen davon, dafs ihnen die Grundbuchfähigkeit vom Gesetz ausdrücklich versagt ist 42 und die Erbfähigkeit bisher von der Praxis verweigert wird 48 , ist namentlich in Ansehung der Vereinsschulden zwar die Haftung des Gesellschaftsvermögens44, nicht aber die Einschränkung der Haftung auf das Gesellschaftsvermögen durchgedrungen45. Auch sonst begegnen immer wieder Schwankungen46. Um einen festen Ausgangspunkt zu gewinnen, wird man daran festhalten müssen, dafs die erlaubten Privatgesellschaften nach der Auffassung des preufsischen Landrechtes unvollkommene Körperschaften sind: Verbände, deren körperschaftliches Wesen an sich feststeht, aber kraft positiver Satzung zum Theil nicht wirksam werden soll47. 41 Sie können unter ihrem Namen Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen (Striethorst LXVIU 341, Entsch. des O.Tr. XV 318), wobei für ihre Vertreter das Statut als Vollmacht gilt (Rosin S. 130 Anm. 72). An den so begründeten gemeinschaftlichen Rechten und Pflichten nehmen auch Dritten gegenüber ohne Rücksicht auf den inzwischen durch Ein- und Austritt erfolgten Mitgliederwechsel alle jeweiligen Mitglieder und nur sie Theil (Striethorst L X I 44, LXVIII 341, Entsch. des O.Tr. XV 318 ff.). Die Gesellschaft wird als Prozefspartei zugelassen (Strieth. X L I I 66, LXI 45, R.O.H.G. V I I I 180, X V I I I 398 ff., Seuff. X X X I I I Nr. 103, Rosin S. 180 ff., seitdem bes. auch R.Ger. X X V I I Nr. 43 u. Dernburg I § 59 Anm. 8). 48 Pr. L.R. II, 6 § 13; Dernburg I § 59; Turnau, Grundbuchordn. S. 186 ff.; Rosin S. 129. 48 Entsch. des O.Tr. L U I 62, Strieth. LUI 328. Mit Unrecht; vgl. Rosin S. 129ff. A. M. Dernburg I I I § 100, Eccius IV §251 Anm. 62 u. § 281 Anm.24. 44 Entsch. des O.Tr. XV 318 ff. (Klage gegen die jeweilige Gesammtheit auf Bezahlung aus dem Gesellschaftsvermögen). 45 Die Praxis nimmt wegen § 12 A.L.R. II, 6 eine direkte, prinzipale und unbeschränkte Haftung der Einzelnen an, jedoch anstatt der im preufsischen Recht sonst bei Schuldgemeinschaft eintetenden Solidarhaft nur eine Theilhaft, die sich auf alle gegenwärtigen Mitglieder erstrecken soll; Entsch. des O.Tr. XX 328, LXXV 252, Strieth. I I 252, LXX 57, R.O.H.G. X V I I I 408; auch Strieth. Χ Ι Π 299 (aber mit Annahme subsidiärer Solidarhaft für die Ausfälle). Eccius IV 658 ff. statuirt unter Ausschlufs jeder Gesellschaftshaftung eine prinzipale Solidarhaft aller bei der Handlung betheiligten Mitglieder, läfst aber die Abrede einer blos gesellschaftlichen Haftung zu. Rosin S. 137 ff. nimmt Gesellschaftshaftung und hinter ihr eine subsidiäre Solidarhaft aller zur Zeit des Vertragsschlusses vorhandenen Mitglieder an. Für ausschliefsliche Haftung der jeweiligen Gesammtheit mit dem Gesellschaftsvermögen Förster IV 381 und (vorbehaltlich der persönlichen Haftung der nicht für gehörige Kundmachung der Sachlage sorgenden Handelnden) Gierke S. 108 Anm. 4. 48 Insbesondere stellen Gerichte (z. B. das Kammergericht zu Berlin) und Schriftsteller (z. B. Eccius IV 660ff.) immer wieder die Parteifähigkeit in Frage. 47 Hieraus folgt, dafs im Falle des Erwerbes der Körperschaftsrechte durch eine erlaubte Privatgesellschaft nicht ein Wechsel des Subjektes, sondern nur eine

§ 77. Oeffentliche Anstalten.

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Hieraus ergiebt sieh die Berechtigung, auf solche Gesellschaften grundsätzlich das Körperschaftsrecht anzuwenden und alle Folgerungen hieraus bis zu der durch ausdrückliche Verbote gesetzten Grenze zu ziehen48. Sechster Titel. Anstalten. § 77.

Oeffentliche Anstalten 1 .

I. Begriff. Unter Ansfalt verstehen wir einen als Verbandsperson anerkannten gesellschaftlichen Organismus, den fort und fort ein ihm von aufsen eingepflanzter einheitlicher Stiftungswille durchherrscht (§ 60). Doch werden im weiteren Sinne auch dauernde Einrichtungen ohne eigne Persönlichkeit als Anstalten bezeichnet2. Eine öffentliche Anstalt ist eine solche, deren Sozialrecht einen Bestandtheil der öffentlichen Rechtsordnung bildet8. Auch im Gebiete des öffentlichen Rechtes wird der Name der Anstalt vielfach für Einrichtungen ohne eigne Persönlichkeit gebraucht4. Bis zu einem gewissen Grade kann auch einer derartigen Einrichtung ein unabhängiger Bestand gesichert und namentlich ein durch seine ZweckErweiterung der Rechtsfähigkeit eines vorhandenen Subjektes stattfindet; Dernburg I § 50, Förster-Eccius § 282 S. 663, Gierke S. 120 Anm. 1. Unrichtig daher Strieth. LXXVI 138, LXXX 54 u. namentlich auch R.Ger. b. Seuff. X L I I Nr. 112. 48 Gierke S. 109 ff. — Dagegen will Rosin S. 124 ff. die erlaubte Privatgesellschaft unter Wegdeutung der inneren Körperschaftsrechte einheitlich als deutschrechtliche Gesellschaft mit einem zur gesammten Hand besessenen Sondervermögen konstruiren. 1 Gierke, Genossenschaftsr. I I § 37, Genossenschaftsth. S. 11 ff. u. 169. Beseler, D.P.R. § 65 III. Meurer a. a. 0. 1 73 ff. Rosin, Oeff. Genoss. S. 48 ff. Preufs a.a.O. S. 249 ff. B e r n a t z i k , Arch. f. öff. R. V 254 ff. Dernburg, Pand. § 62. Regelsberger, Pand. § 75 I I u. 88ff. Förster-Eccius IV § 285. 2 So im Sprachgebrauche des Lebens auch Einrichtungen für gröfsere Privatunternehmen (Heil-, Transport-, Verkehrs-, Kunst-, Leih-, Zubereitungsanstalten u. s. w.). Dieser Sprachgebrauch ist z. B. in Art. 272 Z. 3 des H.G.B. übergegangen. 8 Die Abgrenzung gegen die privaten Anstalten mufs nach gleichen Gesichtspunkten wie bei den Körperschaften erfolgen, bleibt aber ebenso unsicher; vgl. oben § 75 I. Dazu Rosin a. a. 0. S. 21, Regelsberger § 91. Der Name „Anstalt" entscheidet noch nicht für öffentliche Natur; R.Ger. IX Nr. 70. Andrerseits kann auch eine als „Stiftung" bezeichnete Anstalt eine öffentliche sein; unten Anm. 30. 4 J e l l i n e k , Syst. der subj. öff. R. S. 212 ff.; Rosin a. a. 0. S. 49 Anm. 34, Arbeiterversich. I 449 ff.; Regelsberger § 87.

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Zweites Kapitel. Das Recht der Verbandspersönlichkeit.

bestimmung gebundenes Sondervermögen zugewiesen sein5. Soll aber die Einrichtung ganz auf sich selbst gestellt und das ihren Zwecken dienende Vermögen von allem sonstigem öffentlichen Vermögen vollkommen getrennt werden, so wird eine öffentliche Anstalt mit eigner Persönlichkeit errichtet. II. Geschichte. Der Begriff der öffentlichen Anstalt hat sich im Kirchenrechte entwickelt6. Wie die Kirche im Ganzen sich als von Gott gestiftete Heilsanstalt auffafste und ausgestaltete, so erschienen ihre seit der Besonderung des Kirchenvermögens mit selbständiger Rechtssubjektivität bekleideten Theileinheiten als anstaltliche Verbandspersonen. Durchweg herrscht bereits im kanonischen Recht der Anstaltsbegriff. In das weltliche Recht trat er seit der Umbildung alter Herschaftsverbände zu obrigkeitlichen Verbandseinheiten ein7. Mehr und mehr suchte dann der moderne Staat, wie er sich selbst als Wohlfahrtsanstalt betrachtete und formte, so nicht nur den überkommenen engeren Verbänden ein anstaltliches Gepräge zu verleihen, sondern auch einzelne neue Aufgaben durch Errichtung neuer öffentlicher Anstalten zu lösen*. Doch blieb, da im Gegensatze zur Zertheilung des Kirchenvermögens die Einheit des Staatsvermögens durchdrang, die Ausrüstung reiner Anstalten mit eigner Persönlichkeit im weltlichen öffentlichen Rechte immer die Ausnahme. Durch die Wiederbelebung des Körperschaftswesens wurde das Gebiet der öffentlichen Anstalt verengt. Auch heute aber spielt sie nicht blos im Kirchenrecht, sondern auch im weltlichen Recht eine bedeutende Rolle. Von der Theorie wurde gleichwohl bis in die neueste Zeit das eigenartige Wesen der öffentlichen Anstalt nicht erkannt. Die mittelalterlichen Juristen unterstellten sie ihrem Korporationsbegriff 9, der freilich gerade deshalb bei den Kanonisten eine anstaltliche Färbung annahm, immer aber doch auf rein anstaltliche Gebilde erst nach gewaltsamer Umbiegung anwendbar wurde 10. Später empfand man um so weniger das Bedürfnifs eines besonderen Anstaltsbegriffes, 5

Hiervon bei den Sondervermögen (unten Abschn. U Kap. 1). G i e r k e , Genossenschaftsr. I I 546 ff., I I I 116 ff., 243 ff., 799 ff. 7 A. a. O. I I 958ff., I I I 785 ff. 8 A. a. Ο. I 875 ff., 910, 960, 991 ff., 1052 ff., 1065 ff. 8 A. a. 0. I I I 115, 117 ff., 194 ff., 248 ff., 355 ff, 421 ff., 716 ff., 816 ff. Ueber unentwickelt gebliebene Keime eines selbständigen Anstaltsbegriffes ib. S. 195 u. 252. 10 So behalf man sich bei kirchlichen Instituten mit einem Einzelvorsteher mit der Ausflucht, dafs hier Einer an Stelle einer Gesammtheit stehe; a. a. 0. I I I 272, 421. 8

§ 77. Oeffentliche Anstalten.

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je mehr anstaltliche Züge man in den Korporationsbegriff hineintrug11. Aber auch nachdem man in unserem Jahrhundert den Körperschaftsbegriff schärfer und reiner erfafst und ihm einen selbständigen Stiftungsbegriff gegenübergestellt hatte, pflegte man die öffentlichen Anstalten entweder zwischen Korporationen und Stiftungen ganz zu übersehen oder den Stiftungen beizugesellen. Nur allmählich bricht sich die Erkenntnifs Bahn, dafs der hergebrachte Stiftungsbegriff zu eng ist, um alle anstaltlichen Verbandspersonen zu umfassen. III. Arten. Die öffentlichen Anstalten lassen sich nach der Beschaffenheit ihrer Lebenszwecke unterscheiden. Von gröfeerer Bedeutung aber ist die hiermit sich kreuzende Unterscheidung der Anstalten nach der Herkunft des ihnen eingepflanzten öffentlichen Willens. 1. Staatsanstalten. Als Staatsanstalten gelten nicht nur alle nachweislich vom Staate abgezweigten und nicht etwa einem engeren Verbände eingegliederten, sondern überhaupt alle nicht als Anstalten eines anderen Verbandes anerkannten öffentlichen Anstalten. Eine ßeichsanstalt mit eigner Persönlichkeit ist die Reichsbank12. Unter den Landesanstalten mit eigner Persönlichkeit begegnen Universitäten und höhere Schulen13, Versicherungs- und Rentenanstalten 1 4 , Kreditinstitute und Hülfskassen15, Armen- und Versorgungs11 Oben § 58 IV. — Die naturrechtliche Gesellschaftslehre brachte die Anstalten bei der „societas inaequalis" unter; oben S. 462 Anm. 14. 18 R.Ger. XV Nr. 54. Rosin, Oeff. Genoss. S. 50 ff. — Α. M. Laband, Staatsr. I I 136 ff., der die Reichsbank fur eine Korporation erklärt. 18 Preufs. A.L.R. II, 12 § 1 u. 54. Gierke, Genossenschaftsr. I 875 ff. Förster-Eccius IV 702. — Die Akademie der Wissenschaften gilt auch in Preufsen als Korporation: Förster-Eccius a. a. 0. Anm. 40. 14 Gierke a. a. 0. S. 1052 ff. u. 1060 ff., Lewis, Versicherungsr. S. 147 ff., Förster-Eccius IV 705, Leuthold, Sächs. Verwaltungsr. § 9 u. 36. — Ob der Charakter der Anstalt oder der der Körperschaft überwiegt, ist hier oft (ζ. B. bei den öffentlichen Feuersozietäten, den öffentlichen Witwen- und Waisenkassen u. s. w.) sehr bestritten ; vgl. oben § 75 Anm 34. Unter allen Umständen aber ist es verfehlt, wenn Eccius a. a. 0. S. 703 ff. alle in Preufsen nach § 651 A.L.R. I, 11 u. C.O. v. 29. Sept. 1833 staatlich genehmigten gemeinschaftlichen Witwen-, Sterbeund Aussteuerkassen, ferner die Knappschaften und die reichsgesetzlich geregelten Krankenkassen und Berufsgenossenschaften für Unfallversicherung nicht als Körperschaften, sondern nur als Anstalten gelten lassen will. 16 Gierke a. a. 0. S. 1065ff., Förster-Eccius IV 704ff., Leuthold a. a. 0. § 42. Dahin gehören Staatsbanken, Landeskulturrentenbanken (wie die preufs. Rentenbanken nach Ges. v. 2. März 1850, die sächs. Landrentenbank und Landeskulturrentenbank u. s. w.), Kreditinstitute (ζ. B. das kön. Kreditinstitut für Schlesien nach V. v. 8. Juni 1835 § 1), Leihhäuser (Gierke a. a. 0. S. 1067 Anm. 77), Darlehnskassen (ζ. B. die preufs. Bergbauhülfskassen nach Gesetz v. 5. Juni 1863) u. s. w.

Zweites Kapitel. Das Recht der Verbandspersönlichkeit.

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anstalten16, Erwerbsanstalten17 u. s. w. Reichsgesetzlich geregelte Landesanstalten sind die Versicherungsanstalten für Alters - und Invaliditätsversicherung 1 8 . 2. Gemeindeanstalten. Kommunale Anstalten mit eigner Persönlichkeit kommen als örtliche Gemeindeanstalten und als Anstalten höherer Kommunalverbände (Provinzialanstalten, Kreisanstalten u. s. w.) vor. So namentlich Leihhäuser19 und Sparkassen20, aber auch andere Kreditinstitute21, Unterrichtanstalten22, Versicherungsanstalten28 und Versorgungsanstalten24. 3. Kirchenanstalten. Die anerkannten christlichen Kirchen tragen als Gesammtver bände einen überwiegend anstaltlichen Charakter 26. 16

Das Preufs. A.L.R. II, 19 § 32 if. nähert alle Armen- und Versorgungsanstalten den Staatsanstalten an. Gleichwohl sind sie im Sinne des heutigen Rechtes nur insoweit für öffentliche Anstalten zu erachten, als sie ausdrücklich dazu erhoben oder zum Staate in eine besondere Beziehung gesetzt sind. 17 So die preufs. Seehandlung, die im Jahre 1772 als Aktienanstalt begründet wurde, aber auch nach der i. J. 1810 erfolgten Beseitigung der Betheiligung von Privaten eine besondere Anstaltsperson blieb, wie dies aus der C.O v. 17. Jan. 1820 deutlich erhellt. Gierke a. a. Ο. 3. 1002 Anm. 92. Α. Μ . F ö r s t e r - E c c i u s IV 705. Ein unselbständiges Glied der Seehandlung mit zweckgebundenem Sondervermögen ist das K. Leihamt zu Berlin; C.O. v. 25. Februar 1834. — Die älteren Aktiengesellschaften waren vielfach in Wahrheit staatliche Aktienanstalten; Gierke a. a. O. S. 991 ff., 1002 ff. 18 R,Ges. v. 22. Juni 1889 § 41 ff.; Bosse u. v. Wo edtke, Komm, zu § 44; Rosin, Arbeiterversich. I 644 ff. u. 649 ff. 19 Gierke a. a. O. S. 1067 Anm. 77; Seuff. IV Nr. 5, V I Nr. 135. In Preufsen wird den kommunalen Leihanstalten (Cab.O. v. 28. Juni 26) die eigne Persönlichkeit meist abgesprochen; F ö r ster-Eccius IV 705, L e i d i g , Preufe. Stadtr. S. 398 ff 20 Seuff. VI Nr. 135; Bad. Ges. v. 9. April 1880, die Rechtsverhältnisse und die Verwaltung der mit Gemeindebürgschaft versehenen Sparkassen betreffend. In Preufsen sind die Kreis- und Gemeindesparkassen (Regl. v. 12. Dez. 1838) nach der herrschenden Ansicht keine besonderen Personen; Förster-Eccius a. a. O. (vgl. jedoch das hier in Anm. 57 erwähnte abweichende Min. Reskr. v. 15. Aug. 1862), L e i d i g a. a. 0. S. 400 ff. 21 Z. B. Darlehnskassen und Pfandbriefinstitute; Gierke a. a. O. S. 1067 Anm. 78 u. 1073 Anm. 95. 22 So die städtischen Gymnasien u. Realschulen in Preufsen; R.Ger. I Nr. 38. 28 Gierke a. a. O. S. 1054. Auch die Versicherungsanstalten für Altersu. Invaliditätsversorgung können als Anstalten weiterer Kommunalverbände eingerichtet sein; R.Ges. v. 22. Juni 1889 § 41. 24 Provinziale u. städtische Waisenhäuser, Spitäler u. s. w. 25 Hinschius a. a. 0. S. 249 ff.; Meurer a. a. 0. I I 76 ff; anders nach der Auffassung des Preufs. L.R. H, 11 § 11 u 17. — Die katholische Kirche als Gesammtorganismus hat zwar eine publizistische Rechtssubjektivität (Meurer I 139 ff.), ist aber nirgends in Deutschland als Privatrechtssubjekt anerkannt (ib. I I

§ 77. Oeffentliche Anstalten.

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Unter ihren Gliedpersonen finden sich neben Körperschaften zahlreiche Anstalten26. Nach gemeinem Rechte ist sogar die einzelne Pfründe eine besondere Anstaltsperson27. 4. Sonstige Körperschaftsanstalten. Möglich ist die Abzweigung einer öffentlichen Anstalt von jeder öffentlichen Körperschaft 28. IV. Rechtsgrundsätze. Da die für öffentliche Anstalten geltenden Rechtssätze einerseits bei den einzelnen Anstaltsgattungen sehr von einander abweichen, andrerseits überwiegend dem öffentlichen Rechte angehören, ist hier nur Weniges zu bemerken. 1. Entstehung. Der Bestand einer öffentlichen Anstalt kann auf Unvordenklichkeit beruhen29. Die Neuerrichtung einer öffentlichen Anstalt erfolgt durch einen öffentlichrechtlichen Schöpfungsakt, vermöge dessen der Träger eines über den Individualwillen erhöhten öffentlichen Willens von seinem eignen Verbandsorganismus einen zu selbständigem Leben befähigten gesellschaftlichen Organismus 73 ff.). Dagegen sind sowohl die katholische Landeskirche wie die protestantischen Landeskirchen in Bayern (ib. I I 97 ff.) u. Baden (ib. S. 261 ff.) ausdrücklich für vermögensfähig erklärt. Im Uebrigen ist die privatrechtliche Persönlichkeit der katholischen Landeskirche, da sie kein selbständiger Organismus ist, zu verneinen (ib. S. 90 ff.), während die protestantischen Landeskirchen im Zweifel fur vermögensfähig zu halten sind (vgl. Preufs. Ges. v. 3. Juli 1876 § 19). M Der Anstaltsbegriff des kanonischen Rechtes hat sich in der katholischen Kirche erhalten und ist auch in der protestantischen Kirche wieder zur Geltung gelangt; Gierke a. a. 0. I I I 799 ff. Anstaltspersonen sind gemeinrechtlich und auch nach den neueren Landesgesetzen die Lokalkirchen (Kirchenfabriken), die Bisthümer, die Pfründen (unten Anm. 27) und die besonderen kirchlichen Anstalten (ζ. B. Seminare, £meritenanstalten, personifizirte Kirchenfonds u. s. w.); vgl. Meurer a. a. Ο. Π 133 ff., 164 ff., 266 ff., 277 ff., 286 ff., 384 ff. Auch im Gebiete des Preufs. L.R. ist, da in § 160 u. 170 II, 11 der richtigen Ansicht nach nur eine Vermuthung für Eigenthum der Kirchengemeinde am örtlichen Kirchenvermögen aufgestellt wird, neben dem kirchlichen Genossenschaftsgut kirchliches Anstaltsgut vorhanden; Meurer I I 290 ff. u. 307 ff., Friedberg, Kirchenr. § 175 Anm. 20—21. — Ueber die Rechtssubjektivität der kirchlichen Anstalten vgl. noch Schulte, De rerum eccles. domino, Berol. 1851, Die Erwerbs- u. Besitzfähigkeit der deut kathol. Bisthümer, Prag 1860, Die jur. Persönl. der kath. Kirche, Giefsen 1869; Hüb 1er, Der Eigentümer des Kirchenguts, Leipz. 1868, S. 112 ff.; Winterstein, Der Begriff der Kirche im kirchlichen Vermögensr., Leipzig und Wien 1888. 27 G i e r k e a. a. 0. I I I 273 ff., Meurer a. a. Ο. I I 164 ff., Seuff. XL Nr. 33; (unrichtig verneint f. Mecklenburg v. Böhlau, L.R. I I I 75 ff.). Ebenso zweifellos nach bad. R. (Meurer I I 269 ff.) u. sächs. R. (ib. S. 286ff.) f aber wohl auch nach preufs. L.R. (ib. S. 311 ff.) u. französ. R. (ib. S. 394 ff.). 28 So finden sich ständekörperschaftliche Banken und Versorgungsanstalten, landschaftliche Banken u. s. w.; Gierke a. a. Ο. I 1067 Anm. 74 u. 78. 29 Dies ist ζ. Β. bei vielen kirchlichen Anstalten der Fall.

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Zweites Kapitel.

Das Recht der Verbandspersönlichkeit.

abzweigt und durch Einstiftung eines einheitlichen Willens beseelt. Möglich ist auch, dafs eine durch privaten Stiftungsakt ins Leben gerufene Anstalt sofort oder später durch einen öffentlichrechtlichen Aneignungsakt zur öffentlichen Anstalt erhoben wird 80. Während der Staat in der Errichtung öffentlicher Anstalten unbeschränkt ist 81 , bedarf die Errichtung durch andere öffentliche Verbände regelmäfsig der staatlichen Genehmigung82. Mit der Errichtung wird meist zugleich eine Vermögensübereignung an die Anstalt verbunden88. Die Anerkennung ihrer Persönlichkeit erlangt die Anstalt entweder kraft all- s gemeiner Rechtsregel oder kraft eines für sie geschaffenen besonderen Rechtssatzes unmittelbar mit ihrer Entstehung84. 2. Verfassung. Die öffentliche Anstalt bedarf einer sie zur rechtlichen Einheit organisirenden Verfassung 85. Als Organe der Anstalt können Einzelpersonen, Kollegien oder Versammlungen fungiren. Während manche Anstalten nur ein einziges 80 Hier wird der Privatwille in den öffentlichen WiUen aufgenommen. Es sind besonders derartige Fälle, in denen für eine öffentliche Anstalt der Name „Stiftung" gebraucht zu werden pflegt. Auch Entw. I I § 77 spricht von „Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechtstf. 81 Die Errichtung der Versicherungsanstalten fur Alters- und Invaliditätsversicherung bedarf der Genehmigung des Bundesraths ; R.Ges. v.. 22. Juni 1889 § 42. Soweit nicht ein Staatsorgan zur Errichtung bestimmter Anstalten ein für alle Mal gesetzlich ermächtigt ist, mufs die Errichtung durch Spezialgesetz erfolgen. Der Staat kann nicht blos Staatsanstalten, sondern auch mit oder ohne Mitwirkung des nächstbetheiligten Verbandes Gemeinde- und Körperschaftsanstalten errichten oder Staatsanstalten in solche verwandeln. 38 So auch bei allen Kirchenanstalten. Hinsichtlich der Gemeindeanstalten vgl. z. B. Bad. Ges. v. 9. April 1880 § 1. 88 Doch kann die Dotation auch ganz oder theilweise durch Vermögenszuwendung eines Anderen, der dann oft ungenau „Stifter" genannt wird, erfolgen. Auch können manche Anstalten (z. B. Schulen, Sparkassen, Versicherungsanstalten) ohne jedes eigne Vermögen als vermögensfähige Subjekte ins Leben treten. 84 Kraft allgemeiner Rechtsregel gelten z. B. nach gemeinem R. die kirchlichen Anstalten, nach R.Ges. v. 22. Juni 1889 § 42 die Versicherungsanstalten, nach Preufs. L.R. II, 12 § 54 die Universitäten und höheren Schulen, sobald sie gehörig errichtet sind, als Personen; nach Bad. Ges. v. 9. April 1880 § 1 erlangt die Sparkasse durch die erforderliche Staatsgenehmigung „als öffentliche Anstalt das Recht der juristischen Persönlichkeit". Kraft eines besonderen Rechtssatzes trat z. B. die Reichsbank nach R.Ges. v. 14. März 1875 § 12 als „juristische Person" ins Leben. 85 Die Anstaltsverfassung beruht theils auf allgemeinen Rechtssätzen theils auf einem der einzelnen Anstalt eigentümlichen Satzungsrecht Vgl. z. B. R.Ges. v. 22. Juni 1889 § 54— 56 über das für jede Versicherungsanstalt zu errichtende „Statut", Bad. Ges. v. 9. April 1880 § 2 über die „Satzungen" der Sparkassen; auch Reichsbankges. § 40 u. Statut der Reichsbank v. 21. Mai 1875; Universitäts- und Fakultätsstatute u. s. w.

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Organ haben86, findet sich bei anderen eine mehrgliedrige Organisation mit Vorständen, Ausschüssen und Versammlungen87. Die Organbildung erfolgt mitunter ausschliefslich und fast immer zum Theil durch Willensaktionen des der Anstalt übergeordneten Verbandes, vielfach aber auch durch Wahlen oder andere innere Lebensvorgänge der Anstalt selbst. Die Anstaltsverfassung kann sich so einer Körperschaftsverfassung stark annähern88. Doch kann die Anstalt M i t g l i e d e r im technischen Sinne nicht haben. Es giebt eine Mitgliedschaft in den zu Anstaltsorganen bestellten Kollegien, aber keine Anstaltsmitgliedschaft89. Alle Personen, die abgesehen von einer Organstellung zum Genüsse der von der Anstalt gespendeten ideellen und materiellen Vortheile berufen werden, sind nur ihre Destinatare (Genufsberechtigten). Wenn freilich verfassungsmäfsig ein fester Kreis von „Betheiligten" abgegrenzt ist, die nicht nur bestimmte Rechte und Pflichten gegen die Anstalt haben, sondern auch zur Organbildung mitberufen sind, ähnelt ihr Verhältnifs stark einer Mitgliedschaft4 3. Rechtsfähigkeit. Die ötfentliche Anstalt ist gleich anderen Verbandspersonen sowohl öffentlicher wie privater Rechte und Pflichten fähig. Auf dem Gebiete des Privatrechtes ist sie vor Allem vermögensfähig. Ihr Vermögen ist ein vollkommen selbständiges Personenvermögen, das daher stets in erster Linie und im Zweifel aus86 Die einfachste Verfassung ist die einer Pfründe, deren einziges Organ der jeweilige Inhaber ist. 87 So bei der Reichsbank Direktorium, Generalversammlung und Gentralausschufs als unmittelbare und überdies zahlreiche mittelbare Organe; R.Ges. v. 14. März 1875 § 26—84. Bei den Versicherungsanstalten Vorstand, Ausschufs und Aufsichtarath, örtliche Vertrauensmänner, Schiedsgericht; R.Ges. v. 22. Juni 188 § 46 ff. Man denke ferner an die Universitätsverfassung. 88 So bei den in der vor. Anm. erwähnten Anstalten oder bei den Bergbauhülfskassen nach Preufs. Ges, v. 5. Juni 1868. 89 Vgl. R.Ges. v. 22. Juni 1889 § 59 Ueberschrift : „Mitglieder der Organe". Solche Organmitgliedschaft ist auch, wo die Universitäten und Fakultäten als Anstalten gelten, die Mitgliedschaft in ihnen. 40 So das der Anteilseigner der Reichsbank, die die Generalversammlung bilden und den Centralausschufs wählen; Reichsbankges. § 26- 84. Oder das der betheiligten Arbeitgeber und Arbeiter bei einer Versicherungsanstalt, deren Ausschufs und Aufsichtsrath aus Vertretern der Betheiligten gebildet werden und zu deren Vorstand gleichfalls solche Vertreter gehören können und in Ermangelung eines Aufsichtsraths gehören müssen; R.Ges. v. 22. Juni 1889 § 48 ff. Vgl. auch Bad. Ges. v. 9. April 1880 § 11 (engere Ausschüsse, Generalversammlungen oder andere Organe können zur Ueberwachung der Verwaltung oder „zur Vertretung der Einleger" bei den Sparkassen bestellt werden). Binding, Handbuch. II. 3. I: Gierke, Deuts che β Privatrecht. I. 41

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Zweites Kapitel.

Das Recht der Verbandspersönichkeit.

schliefelich für alle Verbindlichkeiten der Anstalt haftet. Doch kann natürlich andere Personen eine von ihnen übernommene oder ihnen gesetzlich auferlegte bürgschaftliche Haftung für die Anstaltsverbindlichkeiten treffen. Bei manchen Anstalten ist eine allgemeine bürgschaftliche Haftung des ihnen übergeordneten staatlichen oder körperschaftlichen Verbandes durch Gesetz oder Satzung begründet41. 4. Handlungsfähigkeit. Gleich der Körperschaft vermag die Anstalt durch ihre Organe zu handeln42. Ihre Handlungsfähigkeit ist aber in engere Grenzen eingeschlossen. Denn da den Kern ihrer Persönlichkeit statt eines ihr immanenten Gemeinwillens ein ihr transcendenter Stiftungswille bildet, den ihre Organe nur entfalten, nicht abändern können, ist ihre Handlungsfreiheit nicht nur durch den ihr gesetzten Lebenszweck, sondern auch durch die ihr ein für alle Mal auferlegte Willensbestimmung eingeschränkt. Im Zusammenhange hiermit ist sie einer stärkeren Aufsicht und Mitwirkung höherer Willensträger unterworfen 48. Innerhalb ihres verfassungsmäfsigen Lebensbereiches aber kann sie Handlungen jeder Art mit rechtlicher Wirkung vornehmen. Sie kann daher auch rechtswidrig handeln und hierdurch eine Ersatzverbindlichkeit auf sich laden44. 5. Innere Rechtsverhältnisse. Zwischen der Anstaltsperson und den durch Organstellung oder Betheiligung ihr ein- oder • angegliederten Personen bestehen verfassungsmäfsige Rechtsverhältnisse sozialrechtlichter Art, die vermöge der öffentlichen Natur der Anstalt dem öffentlichen Rechte angehören45. Unberührt vom anstaltlichen 41 Staatsgarantie für die Verpflichtungen der Seehandlung in C.O. v. 17. Jan. 1820 Ζ. V. Subsidiäre Haftung der Bundesstaaten und zunächst der etwa vorgeordneten Kommunalverbände fur die Verbindlichkeiten der Versicherungsanstalten nach R.Ges. v. 22. Juni 1889 § 44. Gemeindebürgschaft für Sparkassen nach Bad. Ges. v. 9. April 1880 § 1. 42 Gierke, Genossenschaftsth. S. 629 ff., Meurer I 75 ff. u. 91 ff., Regelsberger § 90 HI. 48 Für die Staatsanstalten bestehen mitunter eigne staatliche Aufsichtsbehörden, wie z. B. das Bankkuratorium nach Reichsbankges. § 25 oder die Staatskommissare bei den Versicherungsanstalten nach R.Ges. v. 22. Juni 1889 § 63. Bei Gemeindeanstalten konkurriren kommunale und staatliche Mitwirkung und Aufsicht; vgl. z. B. Bad. Ges. v. 9. Apr. 1880 § 9 u. 16. Ebenso bei den Kirchenanstalten Kirchen- und Staatsaufsicht. 44 Anerkannt in Entw. II § 77. 45 So die amtlichen Rechte und Pflichten der Organe; so aber auch die Rechte auf Theilnahme am Anstaltsgenusse (z. B. am Unterrichte einer Universität oder höheren Schule oder an der Versicherung durch eine Versicherungsanstalt) und die Pflichten zur Betheiligung (z. B. bei Zwangsversicherungsanstalten, vgl. R.Ges. v. 22. Juni 1889 § 1 ff.), sowie die aus solcher Betheiligung entspringenden

§ 77. Oeffentliche Anstalten.

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Verbände bleiben individuelle Rechtsverhältnisse, bei denen die verbundenen Personen der Verbandsperson als Dritte gegenüberstehen46. Auch hier aber begegnen gemischte Rechtsverhältnisse, die als anstaltliche Sonderrechtsverhältnisse den körperschaftlichen Sonderrechtsverhältnissen entsprechen47. Bei vielen Anstalten werden derartige Verhältnisse unmittelbar durch die Anstaltsverfassung als wesentliche Bestandtheile des Verbandsrechtes begründet. So sind verfassungsmäfsige Sonderrechte und Sonderpflichten mitunter mit einer anstaltlichen Organträgerschaft verknüpft 48, nicht selten aber auch den Anstaltsbetheiligten zugewiesen 4 e . 6. Veränderung und Beendigung. Die öffentliche Anstalt hat im Zweifel keine Verfügung über ihren eignen Bestand50. Dagegen kann sie durch eine öffentlichrechtliche Willensaktion des Verbandes, dem ihr Leben entstammt, umgestaltet oder aufgehoben werden. Ist sie keine Staatsanstalt, so ist regelmäfsig überdies staatliche Genehmigung erforderlich 51. Der Staat kann im Wege der GesetzRechte auf Theilnahne am Anstaltsleben und Pflichten zur Unterwerfung unter die Anstaltsgewalt. 46 Dahin gehören vielfach auch die Rechtsverhältnisse aus Rechtsgeschäften, die von der Anstalt zwar in Erfüllung ihres Lebenszweckes, jedoch in den gewöhnlichen Formen des Privatrechtes (z. B. als Versicherungsverträge, Darlehnsverträge, Versorgungsverträge) mit Genufssubjekten abgeschlossen werden. 47 So die Besoldungsansprüche und die Ersatzverbindlichkeiten aus Organträgerschaft; vgl. R.Ges. v. 22. Juni 1889 § 47 u. 59. Oder die Kirchstuhlrechte und die Rechte an Begräbnifsstätten, falls sie gegenüber einer kirchlichen Anstalt und somit nicht als körperschaftliche Sonderrechte begründet sind; Gierke, Genossenschaftsth. S. 196 ff. Rechtsgeschäfte der in Anm. 46 bezeichneten Art nehmen öffentlichrechtliche Bestandtheile auf, sobald sie eine personenrechtliche Beziehung zur Anstalt bewirken oder voraussetzen. 48 So das Recht des Pfründners an der Pfründe; Gierke, Genossenschaftsr. I I I 274, 295 u. 717 Anm. 10, Genossenschaftsth. S. 196; Grofs, Das Recht an der Pfründe, Graz 1888; B e r n a t z i k a. a. 0. S. 290; R.Ger. I Nr. 76. 49 So die Rechte der Anteilseigner der Reichsbank auf Dividende und im Falle der Aufhebung der Reichsbank oder des Erwerbes der Antheile durch das Reich auf eine Quote des Bankvermögens; Reichsbankges. § 23—23 u. 41. Oder die Beitrag&pflicliten und Rentenansprüche der Versicherten bei den Versicherungsanstalten nach R.Ges. v. 22. Juni 1889 § 9 ff. 50 Doch kann nach dem Bad. Ges. v. 9. Apr. 1880 § 9 eine Sparkasse durch Beschlufs der Anstaltsorgane mit Zustimmung der Gemeindeversammlung oder Gemeindevertretung und mit Genehmigung des Staates ihre Satzungen abändern und sogar sich selbst auflösen. In gewissem Umfange kann auch eine Versicherungsanstalt durch Abänderung ihres Statutes mit Genehmigung des Reichsversicherungsamtes nach R.Ges. v. 22. Juni 1889 § 55—56 sich selbst umgestalten. 51 So durchweg bei Gemeindeanstalten, heute aber regelmäfsig auch bei Kirchenanstalten. — Zu Veränderungen in dem territorialen Bestände einer Ver41 *

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gebung jede öffentliche Anstalt umgestalten oder aufheben 52, ist aber auch bei der Verfügung über eine Staatsanstalt insoweit an Gesetzesform gebunden, als ihr Bestand auf einem Gesetze beruht 58. Durch Gesetz oder Satzung kann auch einem vom Willen unabhängigen Thatbestande abändernde oder aufhebende Wirkung beigelegt sein54. Die Hinterlassenschaft einer beendigten öffentlichen Anstalt fällt, wenn nicht durch besondere Bestimmung ein anderer Rechtsnachfolger berufen ist 55 , an den Verband, dem ihr Leben entstammt, mithin bei Staatsanstalten an den Staat, dagegen bei Gemeindeanstalten an die Gemeinde56 und bei Kirchenanstalten an die Kirche 57. Dabei findet eine Gesammtnachfolge statt, für die die Regeln der sozialen Succession gelten58. sicherungsanstalt fordert das K.Ges. v. 22. Juni 1889 § 66 ff. den Antrag eines betheiligten Ausschusses, Staates oder Kommunalverbandes, die Anhörung der anderen betheiligten Ausschüsse, Staaten und Kommunal verbände und die Genehmigung des Bundesrathes. 58 Im Uebrigen kann er über den Bestand einer kommunalen oder kirchlichen Anstalt heute nur im Falle besonderer gesetzlicher oder statutarischer Ermächtigung einseitig verfügen; Gierke, Genossenschaftsth. S. 846 ff, Hinschius, Kirchenr. I I 471 ff. 88 Gierke a. a. O. S. 848 Anm. 1. Das Gesetz müfste denn, wie das Reichsbankges. § 41, eine Aufhebung oder Umgestaltung im Verwaltungswege ausdrücklich vorbehalten haben. w An sich wird die Anstalt weder durch den Wegfall der von ihr verbundenen Personen noch durch Vermögensverlust oder (sofern sie zulässig) Konkurseröffnung beendigt; Gierke, Genossenschaftsth. S. 884 u. 842, auch oben § 70 Anm. 7. 56 Vgl. z. B. R.Ges. v. 22. Juni 1889 § 67 über die Möglichkeit, dafs mit Genehmigung der betheiligten Landesregierungen das Vermögen einer aufgelösten Versicherungsanstalt von einer anderen Versicherungsanstalt übernommen wird. Ferner Reichsbankges. § 41 Abs. 2: Anfall des Bankvermögens zur Hälfte an die Antheileeigner, zur Hälfte an das Reich. — Wird eine Anstalt durch Vereinigung oder Zertheilung aufgelöst, so succedirt ihr regelmäfsig die an ihre Stelle getretene Verbandsperson oder Verbandspersonenmehrheit; so namentlich bei Kirchenanstalten, vgl. oben § 69 Anm. 30, 31, 33 u. 35 u. § 70 Anm. 60-61. 56 Nach dem R.Ges. v. 22. Juni 1889 § 67 fällt das Vermögen einer aufgelösten Versicherungsanstalt, jenachdem sie Staatsanstalt oder Anstalt eines weiteren Kommunalverbandes ist, an den betreffenden Staat oder Kommunalverband: bei einer gemeinsamen Versicherungsanstalt erfolgt der Anfall nach Antheilen an· die betheiligten Staaten oder Kommunalverbände. 57 Gierke, Genossenschaftsth. S. 868 Anm. 1. Vielfach wird freilich das kirchliche Heimfallsrecht bestritten und nur unter grundsätzlicher Verwerfung künftiger Saekularisationen eine Verpflichtung des Staates zur Wiederverwendung des ihm anfallenden Kirchenvermögens für kirchliche Zwecke anerkannt; vgl. die a. a. 0. angef. Verfassungsbestimmungen. 68 R.Ges. v. 22. Juni 1889 § 67 Abs. 2. Ueber fortbestehende Zweckgebundenheit Gierke a. a. O. S. 871, über Liquidation ib. S. 886 ff. u. 889 Anm. 1.

§ 78. Stiftungen.

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§ 78. Stiftungen 1 . I. Begriff. Stiftung nennen wir eine als Verbandsperson anerkannte Anstalt, deren Sozialrecht in seinem Kerne dem Privatrechte angehört2. Dem Wortsinne nach bezeichnet der Name Stiftung zunächst den privaten Willensakt, der eine solche Anstalt ins Leben ruft. Im weiteren Sinne wird er auch da gebraucht, wo durch einen privaten Willensakt (wie z. B. eine Schenkung oder letztwillige Zuwendung unter einer Auflage) eine Vermögensmasse einer Zweckgebundenheit unterworfen wird, ohne dafs für sie ein besonderes anstaltliches Rechtssubjekt geschaffen würde8. II. Geschichte 4 . Stiftungen mit eigner Persönlichkeit, dem römischen Rechte ursprünglich unbekannt6, entwickelten sich innerhalb der christlichen Kirche in den durch fromme Spenden errichteten und 1 Mühlenbruch, Rechtl. Beurtheilung des Städelschen Beerbungsfalles, Halle 1828, und in Glücks Komm. XXXIX (1887) S. 442 ff., XL (1838) S. 1 ff., sowie die dort angef. sonstigen Schriften über den Städelschen Fall. R o t h , Jahrb. f. Dogm. I 189 ff. Demelius ib. IV 139 ff. Schlofsmann ib. X X V I I 1 ff. Herrmann, Z. f. Kirchenr. X 330 ff. Regelsberger ib. X I 191 ff. K o h l e r , Arch. f. bürg. R. I I I 228 ff. — Kierulff, Civilr. S. 122 ff. Pfeifer, Jur. Pers. S. 122 ff. Arndts, Pand. §46, Wächter I §58, Dernburg I § 62, Bekker I § 69, Regelsbergerl §88 ff. — W a l t e r , D.P.R. § 85 ff., Beseler §71, Roth § 73, Stobbe § 62. - Gierke, Genossenschaftsr. I I 962ff.. Genossenschaftsth. S. 12 ff. - Meurer a. a. Ο. I 73 ff., I I 250 ff., 288 ff., 313 ff., 400 ff. — Unger, Oest. P.R. I § 44. R o t h , Kurh. P,R. I 292 ff., Bayr. C.R. I § 47. FörsterEccius IV § 285. — M. Seydel, Bayr. Staatsr. IV 617 ff. Sartorius, Art. „Stiftungen" im Wörterb. des deut. Verwaltungsr. Suppl. I I 278 ff. 2 Jede „Stiftung" ist im/Rechtssinne eine „Anstalt", wennschon der Sprachgebrauch schwankt und nur für Stiftungen mit einer sichtbaren räumlichen Einrichtung das Wort „Anstalt" odei „Institut" zu verwenden pflegt; vgl. Meurer I 46 Anm. 2, Stobbe I 429 ff., Dernburg I § 62, Regelsberger § 75 I I u. § 88 1. Unrichtig wollen Windscheid I § 57 u. R o t h , D.P.R. § 59 u. § 71, „Anstalten" und „Stiftungen" als zwei verschiedene Gattungen von juristischen Personen unterscheiden. Andrerseits wird der Name „Stiftung" auch für manche öffentliche Anstalten gebraucht (oben § 77 Anm. 3 u. 30) und ist an sich, insofern auf den Errichtungsakt gesehen wird, für jede Anstalt passend. Es empfiehlt sich aber, das Wort „Stiftung'· als technischen Ausdruck nur für die Privatanstalt zu verwenden (so auch Entw. I I § 70 ff.). 8 Bekker § 69 Beil. I I I b: Meurer I I 224 Anm. 3; Kohler a. a. 0. S. 268 ff.; Regelsberger § 87 II. Möglich ist, dafs hier ein Sondervermögen konetituirt wird; darüber unten Abschn. Π Kap. I. 4 Roth, Jahrb. f. Dogm. I 189 ff. Gierke, Genossenschaftsr. I I 962 ff., I I I 119 ff., 275, 421, 806 ff. E. Löning, Gesch. des deut. Kirchenr. I 250 ff., I I 648 ff. Meurer I I 118 ff., 250 ff. Heusler, Inst. I § 65. 6 Pernice. Labeo I 254, I I I 150 ff. G i e r k e a a. Ο. I I I 65.

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vom späteren römischen Rechte den „ecclesiae" gleichgestellten und als „corpora" anerkannten Wohlthätigkeitsanstalten6. Im Mittelalter wuchsen sie an Zahl und Bedeutung und erfreuten sich als kirchliche Rechtssubjekte, die an allen Privilegien der Kirche Theil nahmen, aber auch kirchlicher Leitung und Aufsicht unterstellt blieben, der eingehenden Fürsorge des kanonischen Rechtes. Schon in den letzten Jahrhunderten des Mittelalters aber erblühte daneben ein rein weltliches Stiftungswesen7. Seitdem und in wachsendem Mafse seit der Reformation wurde das Stiftungswesen grundsätzlich von der Kirche abgetrennt. Je mehr dann einerseits ehemals kirchliche Aufgaben, wie Wohlthätigkeit und Unterricht, verweltlicht, andrerseits Stiftungen für mancherlei in dem alten Begriffe der „piae causae" überhaupt nicht enthaltene Zwecke üblich wurden, desto mehr erschien das Stiftungsrecht als ein Bestandtheil des allgemeinen bürgerlichen Rechtes und die kirchliche Stiftung nur als ein besonderer Anwendungsfall desselben. In diesem Sinne wurde das Stiftungsrecht mehrfach durch die Gesetzgebung neu geordnet8. Die Theorie versäumte bis zum Beginne unseres Jahrhunderts den Ausbau eines selbständigen Stiftungsbegriffes. Sie behalf sich hier wie bei den öffentlichen Anstalten mit ihrem Korporationsbegriffe, dem die Stiftungen als „pia corpora" wohl oder übel sich anpassen muteten9. Erst Heise führte in die civilistische Lehre von den juristischen Personen die Unterscheidung von Korporationen und Stiftungen ein 10 . Seitdem hat die Theorie, die sich namentlich aus Anlafs des Städelschen Beerbungsfallès eifrig mit den Stiftungen beschäftigte11, den selbständigen Stiftungsbegriff festgehalten. Bei dem β L. 13, 15, 17, 22, 23 C. 1, 2; 1. 32 (31), 35 (34), 42 § 6 - 9 (41 § 11—23)r 46 (45), 49 (48), 57 (55) C. 1, 3; Nov. 7, 120, 123, 131. 7 Auch die mittelalterliche Doktrin beachtet schon die rein weltlichen Stiftungen; Gierke a. a. 0. I I I 422 Anm. 13. 8 Preufs. Α. L.R. II, 19, auch II, 6 § 73 ff. u. 193 ff. Hannov. St.O. § 125-128. Bayr. Ver. ν. 6. März 1817, Gem.Ed. ν. 1. Juli 1834 u. Gem.O. v. 1869 Art. 65 ff. (Pfälz. Art 49 ff). Württ. Verw. Ed. ν. 1. März 1822 § 120 ff. u, Ges. über die Verwaltung der Gemeinden, Stiftungen und Amtskörperschaften v. 21. Mai 1891. Bad. Stiftungsges. v. 5. Mai 1870. Hamb. Ges. v. 16. Sept. 1870. — Schweiz. Ges. b. Huber I 172 ff. - Entw. I I § 70-76. 9 Gierke a. a. Ο. I I I 198, 275, 361, 421 ff, 718 Anm. 73, 816ff. Auch im Preufe. L.R. u. im Code civ. werden Korporationen u. Stiftungen grundsätzlich nicht geschieden. 10 Heise, Grundr. § 98 Anm. 15 u. § 106. 11 Oben Anm. 1. Gestritten wurde vornehmlich über drei Fragen: Erfordernifs der Staatsgenehmigung, Gültigkeit der Erbeseinsetzung einer noch nicht existenten Stiftungsperson, Unterschied „milder" und „gemeinnütziger" Stiftungen.

§ 78. Stiftungen.

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auf dieser Grundlage aufgeführten Neubau verfiel sie sogar in den umgekehrten Fehler, die innere Verwandtschaft der Stiftung mit der Körperschaft ganz zu übersehen. III. Wesen. Die Stiftung ist eine als Person anerkannte Anstalt12. Sie ist ein selbständiger gesellschaftlicher Organismus, dessen Seele der in ihm fortwirkende Wille des Stifters und dessen Körper der zur Verwirklichung dieses Willens hergestellte Verband von Menschen bildet. Gleich der Körperschaft und der öffentlichen Anstalt ist sie also eine Verbandsperson18. Man darf freilich nicht, wie dies früher vielfach geschah, den Inbegriff der die Stiftungsvortheile geniefsenden Personen zum Stiftungssubjekte erheben14. Allein nicht minder verkehrt ist die seit der Unterscheidung der Stiftung von den Korporationen herrschend gewordene Auffassung der Stiftung als eines personifizirten Vermögens15. Person ist hier wie überall nur ein 18

Beaeler § 65 III. Gi erke, Genossenschaftsr. I I 967ff., Genossenschaftsth. S. 12. Rosin, Oeff. Genoss. S. 21 ff. u. 48. Meurer I 75 ff. Regelsberger § 75 II. — Vgl. auch Unger I §44, Wächter §58, Heusler I 255 ff., Stobbe § 49 u. 62, Holder, Ueber das Wesen der jur. Pers. S. 9 ff. 13 Vor der Aufnahme des Anstaltsbegiiffes fafste das deutsche Recht die Stiftungen gleich allen kirchlichen Yerbandseinheiten als Herrschaftsverbände auf, deren Träger ein von irdischen Dienern vertretener Heiliger war; Heusler I §65. Durch den Rückzug des Heiligen zu Gunsten einer Anstaltsperson hat die Stiftung ihre Verbandsnatur nicht eingebüfst. Blieb ja doch auch die Jurisprudenz bis auf Heise schon in Folge der Anwendung des Korporationsbegriffes auf die Stiftung über deren Zugehörigkeit zu den menschlichen Verbänden einig. Nur wurde freilich gerade bei der Stiftung die Vorstellung derfingirten Persönlichkeit besonders schroff durchgeführt. Und bis heute hat die Stiftung härter als die Körperschaft um die Anerkennung der Realität ihrer Verbandspersönlichkeit zu ringen. 14 Ueber die älteren Versuche, die Rechtssubjektivität der Wohlthätigkeitsanstalten in den körperschaftlichen Verband ihrer Insassen (das „collegium miserai) ilium") zu verlegen, vgl. Gierke, Genossenschaftsr. I I 964, I I I 198, 361, 422, auch noch Müller zu Struv, Exerc. 7 th. 41 N. y, Leu, Eidgenöss. R. I Tit. 30 § 24. Heute begegnet nur noch bei der Familienstiftung bisweilen die Auffassung, dafs die Familie das Rechtssubjekt sei; vgl. z. B. Pözl, Z. f. D. R. XVI 362, W a l t e r § 89, Bluntschli § 68. Doch ist, wenn vom preufsischen Landrecht abgesehen wird, auch hier eine derartige Konstruktion unausführbar; davon später. 15 So seit Heise (oben Anm. 10) die meisten Romanisten; vgl. z. B. Mühlenbruch, Rechtl. Beurth. S. 78, Böcking, Lehrb. § 62, Rom. Privatr. § 24, Arndts § 41, Windscheid §57 Anm. 3 (der aber da, wo eine äufsere Anstalt vorhanden ist, „mit der Personifizirung des Vermögens die Personlfizirung der Anstalt" konkurriren läfst), Bekker § 69. Ebenso Renaud, D.P.R. § 56, Roth, Jahrb. f. D. I 203 u. D.P.R. § 73, Unger, Krit. Uebersch. VI 159, Gengier, D.P.R. § 26 Z. 4 S. 86 ff. Auch Seuff. XXXV Nr. 93, XLIV Nr. 241. Auf das Gleiche läuft die Zweckvermögenstheorie hinaus. Ebenso die Theorien von Bruns in Holtzendorffs Encykl. I 415, Bolze a. a. 0. S. 186 ff., K a r i o w a , Z. f. d. P. u. ö. R. d. G.

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lebendiger Willensträger: das Stiftungsvermögen ist, wenngleich die Stiftung eines Vermögens bedarf, ein blofses Objekt, das nicht zugleich sein eignes Subjekt sein kann le . Ebensowenig wird man dem Wesen der Stiftung gerecht, wenn man ihre Persönlichkeit in ihren Zweck verlegt17. Eine Zwecksetzung ist ihr unentbehrlich, spielt aber bei ihr keine andere Rolle, als bei der Körperschaft. Näher kommt dem wahren Verhältnifs die Auffassung, dafs als Stiftungssubjekt der Wille des Stifters anzusehen sei 18 . Allein dieser Wille könnte nicht fortleben, wenn er sich nicht in einem anstaltlichen Organismus verkörpert hätte, der fort und fort lebendige Willensträger ihm dienstbar macht19. IV. Arten. Die Stiftungen unterscheiden sich zuvörderst nach ihrem Zweck. Eine mannichfach bevorzugte Stellung nehmen die „frommen" oder „milden" Stiftungen (piae causae) ein. Der Begriff umfafst an sich nur Stiftungen für religiöse und mit der Religion zusammenhängende Zwecke einschliefslich der Wohlthätigkeits - und Schulzwecke20, ist aber oft auf alle Stiftungen für gemeinnützige Zwecke ausgedehnt worden21. Daneben sind Stiftungen für andere erlaubte Zwecke zulässig22. Unter ihnen bilden die Familienstiftungen eine besondere Gattung28. Mit der Eintheilung nach dem Zwecke kreuzt sich bei mancher XV 898 ff. (Interessenzentrum). — Gegen die Vermögenspersonifikation R.Ger. V Nr. 37. 16 Das Stiftungsvermögen ist nicht einmal, wie das Grundvermögen einer Vermögensgenossenschaft, ein wesentliches Substrat der Verbandspersönlichkeit. Denn die Stiftungsperson erfährt durch Mehrung oder Minderung ihres Vermögens keine Wesensveränderung (R.Ger. V Nr. 37) und kann wenigstens zeitweilig ohne Vermögen bestehen. 17 So Savigny I I 244 Anm. b, Puchta, Inst § 191, Pand. u. Vorl. § 27, Gerber, Jahrb. f. D. I I 349; ähnlich W a l t e r § 85 (die der Stiftung innewohnende Idee)r Seuff. X V I I I Nr. 4. 18 Z i t e l m a n n , Jur. Pers. S. 72 ff., Förster IV § 285, Meurer I 76 ff., Stobbe I 579 (in 1. Aufl. für Vermögenspersonifikation), Heusler, Inst. I 254. 19 Gierke, Genossenschaftsth. S. 12 Anm. 3; Regelsberger, Pand. I 293. 80 Hieran halten viele Partikularrechte fest; so Württemb. L.R. v. 1610 IU, 6 § 1—6 (anders die früheren), Henneb. L.O. III, 3 c. 4, Jus culm. I I I t. 8 c. 9. Auch mufs dieser engere Begriff als gemeinrechtlich gelten; Mühlenbruch a. a. 0. S. 141 ff., Beseler § 72 Anm. 13 u. die dort gegebenen weiteren Nachweise. 21 Vgl. die b. Gierke, Genossenschaftsr. I I I 760 Anm. 12 angef. Partikularrechte; dazu Bayr. L.R. I I I c. 4 § 5, Hamb. Stadtr. I I I t 2 Art. 2 (Gries, Komm. Π 229). Manche halten diesen weiteren Begriff für gemeinrechtlich; vgl. Beseler § 72 Anm. 14. 22 Roth, Jahrb. f. D. I 204; Stobbe I §62 Anm. 2; Regelsberger § 88 I U 1. Dagegen verlangt das Bad. Stiftungsges. § 1 einen „öffentlichen" Zweck. 28 Von ihren Besonderheiten wird bei den Familiengütern gehandelt werden.

§ 78. Stiftungen.

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Berührung die Unterscheidung der Stiftungen nach dem Glied verhältnifs zu anderen Verbandspersonen. Stiftungen, die gliedmäfsig einer Kirche angehören, treten den weltlichen Stiftungen als kirchliche Stiftungen gegenüber24. Eine weltliche Stiftung kann als kommunale Stiftung einer Gemeinde, als korporative Stiftung irgend einer anderen Körperschaft eingegliedert sein25. Soweit aber eine besondere Beziehung zu einem anderen Verbände nicht durch Gesetz, Satzung oder Herkommen begründet ist, steht die Stiftung lediglich zum Staate in einem Gliedverhältnifs. V. Entstehung. Zur Entstehung einer Stiftung bedarf es der gültigen Errichtung einer selbständigen Anstalt und ihrer Anerkennung als Person. 1. Die Errichtung erfolgt durch eine private Willensthat: den „Stiftungsakt" oder das „Stiftungsgeschäft" 26. Nach ge24

Der Zweck kommt hierbei mittelbar in Betracht, ist aber keineswegs entscheidend; Meurer a. a. Ο. I 246 ff., I I 254 ff., 267, Gierke, Genossenschaftsth. S. 869 Anm. 3. Anders das Bad. Stiftungsges. § 3 u. bes. § 10, wonach künftige Stiftungen als „kirchliche" nur für rein kirchliche Bedürfnisse, mithin z. B. nicht für Armen- öder Krankenpflege errichtet werden können. In den übrigen deutschen Staaten ist die Abgrenzung der kirchlichen Stiftungen mehr im Anschlufs an das gechichtliche Recht und den Willen des Stifters vollzogen; vgl. z. B. Preufs. Ges. v. 20. Juni 1875 § 3 Z. 4 u. § 4 Abs. 2 u. v. 4. Juni 1876 § 1 Z. 2, Württ. Ges. v. 14. Juli 1887 f. d. evang. Kirche Art. 30 u. vom gleichen Tage f. d. kathol. Kirche Art 22. Dazu Sartorius S. 285, 298, 293, 296, 801, 308. — Die kirchliche Stiftung ist, auch wenn die Kirche als öffentlicher Verband gilt, Privatanstalt: der öffentliche kirchliche Wille ist nicht (wie Meurer I 82 meint) ihr Stiftungswille, sondern nur zunächst berufen, den in ihr fortlebenden Privatwillen zu hüten und zu reguliren. Oeffentliche Kirchenanstalt wird sie nur, falls sie durch Aufnahme unter die integrirenden Bestandtheile der kirchlichen Lebensordnung zu einer solchen erhoben wird (oben § 77 Anm. 30). — Es giebt auch gemischte Stiftungen; Bad. Stiftungsges. § 4, Württ. Ges. v. 1891 Art. 45. 26 Durch die Gesetzgebung sind zum Theil alle Stiftungen mit örtlichen Zwecken den Gemeinden eingegliedert ; vgl. Bad. Stiftungsges. § 12 ff, auch Kurhess. Gem.O. v. 1834 § 71, Hannov. St.O. v. 1858 § 126 ff., Bayr. Gem.O. Art. 69. Bei den mit einer Körperschaft verbundenen Stiftungen geht das Pr. L.R. II, 6 § 73 ff. von der Annahme eines unselbständigen Zweckvermögens aus, versperrt aber damit keineswegs die Möglichkeit einer selbständigen Stiftung dieser Art. Natürlich kann eine Stiftung auch einer öffentlichen Anstalt (man denke z. B. an Universitätsstiftungen) oder einer anderen Stiftung eingegliedert sein; vgl. Bekker I 285. 28 Stiften können nicht nur Einzelpersonen, sondern auch Verbandspersonen. Auch eine öffentliche Verbandsperson kann eine private Stiftung begründen. Möglich ist ferner eine Stiftung durch eine gemeinschaftliche Willensthat mehrerer Personen. In manchen Fällen (z. B. bei öffentlichen Sammlungen für eine Stiftung) kommt die Errichtung einer besonderen Stiftungsgesellschaft vor, die mit der Erreichung ihres Zweckes verschwindet. Vgl. Gierke, Genossenschaftsth. S. 26.

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as Recht der Verbandspersönlichkeit.

meinem Rechte ist die private Willensthat ausreichend 2 7 . Fast alle Landesgesetze aber machen ihre Rechtsbeständigkeit von einer staatlichen Genehmigung abhängig28. Diese Einschränkung der Stiftungsfreiheit ist durchaus gerechtfertigt 29. Denn das Stiftungsrecht erweitert den Machtbereich des individuellen Willens weit über seine natürlichen Grenzen. Indem es dem in einer Stiftungsurkunde erstarrten Willen Verstorbener die Herrschaft über den Willen der Lebenden sichert, bringt es die von ihm ergriffenen Vermögensgegenstände in die „todte Hand". Auch vermag der Einzelwille diese beständige Geltung nur zu behaupten, wenn ihn der Gemeinwille in seinen fürsorglichen Schutz nimmt. Soll daher der Staat als Träger des höchsten Gemeinwillens einer privaten Willensthat einen derartigen Erfolg gewährleisten, so gebührt ihm die Prüfung, ob das Stiftungswerk desselben fähig und würdig ist. Doch wird durch die staatliche Genehmigung dem privaten Willensakte keineswegs seine schöpferische Kraft entzogen: der Staat setzt sich nicht an die Stelle des Stifters, sondern erklärt nur den Stiftungsakt für gültig oder ungültig80. 2. Die Anerkennung der Stiftung als Person ist durch allge27 Gierke a. a. 0. S. 84 u. die dort S. 15 Anm. 1 u. S. 19 Anm. 8 angefahrte Litteratur (bes. Beseler § 71 Anm. 6, Arndts § 46, W i n d s c h e i d § 60, Brinz 1. Aufl. S. 1069 ff., Demelius a. a. 0. S. 140 ff.), sowie seitdem Meurer I I 257 ff. u. Regelsberger § 89; Seuff. XVI Nr. 232. Stiftungsfreiheit nehmen für das gemeine Recht auch Manche (wie Puch ta, Pand. § 28, u. Bruns a. a. 0. S. 415) an, die zur Entstehung einer Körperschaft stets staatliche Mitwirkung fordern. Dagegen binden die meisten Gregner der Körperschaftsfreiheit auch die Entstehung von Stiftungen an Staaatsgenehmigung; so die b. Gierke a.a.O. S. 16 Anm. 1 angef. Schriftsteller (bes. Mühlen b rue h, Kierulff, Savigny, Pfeifer, Sintenis), von Neueren namentlich Roth, Jahrb. f. D. I 207 u. D.P.R. § 73 I, Stobbe, D.P.R. § 62 Anm. 5, u. Bekker, Parfd. § 69 Anm. 3; vgl. auch Seuff. I Nr. 359. 28 So Preufs. L.R. II, 19 § 33 ff. u. für die ganze Monarchie Ges. v. 23. Febr. 1870 § 1 (oben § 66 Anm. 19); Bayr. R. (Roth, Bayr. C.R. § 47 Anm. 7, Se y del IV 622, Seuff. XXIX Nr. 149 u. XXXV Nr. 73, Gem.O. v. 29. Apr. 1869 Art. 69); Sachs. Gb. § 52 u. Ges. v. 15. Juni 1868 § 6; Bad. Stiftungsges. § 1—2; Weim. Ges. v. 22. April 1833 § 1; Oest R. nach Unger I 350 u. Schiffner S. 203; sonstige Gesetzgebung u. Uebung b. Roth, D.P.R. § 73 Anm. 16—17, Sartorius S. 280. — Familienstiflungen sind mitunter ausgenommen; Preufs. Ges. v. 23. Febr. 1870 § 6. 89 Gierke, Entw. S. 154 ff., Personengemeinschaften S. 40 ff.; H ö l d e r , Arch. f. civ.Pr. L X X I I I 47 ff.; Schlofsmann a. a. O. S. 8 ff.; Köhler a. a. 0. S. 234 ff. — Im Gegensatz zu Entw. I will Entw. I I § 70 Staatsgenehmigung fordern. 80 Regelsberger I 350. Anders die ältere Auffassung (Gierke, Genossenschaftsth. S. 16 Anm. 1), die sich noch bei Stobbe wiederfindet. —Wird freilich

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meinen Rechtssatz an ihr rechtliches Dasein geknüpft. Sie tritt, falls sie eben als selbständige Stiftung gewollt ist, entweder als Person oder überhaupt nicht ins Leben81. Die Landesgesetze lassen meist den Erwerb der Persönlichkeit mit der staatlichen Genehmigung zusammenfallen82. Nur selten wird eine ausdrückliche Anerkennung der Stiftung als Person gefordert 88. 3. Der Stiftungsakt kann durch Verfügung unter Lebenden oder von Todeswegen vollzogen werden84. Im letzteren Falle ist er an die für Verfügungen von Todeswegen geltenden Fonnvorschriften gebunden. Aber auch im ersteren Falle ist er zum Theil einer besonderen Form bedürftig 85. Seinem rechtlichen Inhalte nach ist er gleichzeitig ein sozialer Schöpfungsakt und ein Rechtsgeschäft86. a. Der soziale Schöpfungsakt richtet sich auf die Erzeugung einer Verbandsperson. Er ist mit der Willenserklärung des Stifters keineswegs vollendet87. Vielmehr ist er erst vollendet, wenn die Stiftung als rechtlich anerkanntes soziales Lebewesen hergestellt, ein anstaltlicher Organismus eingerichtet, ein Organ gewonnen, auch die etwa erforderliche staatliche Genehmigung ertheilt ist 88 . Auch die Stiftung zur öffentlichen Anstalt erhoben; so findet eine konstitutive Thätigkeit des Staates oder eines anderen öffentlichen Verbandes statt; oben § 77 Anm. 30. 31 Gierke, Genossenschaftsth. S. 86; Regelsberger § 89. 88 Preufs. L.R. I I , 19 § 42 u. f. Familienstiftungen Cab.O. v. 23. Mai 1845; Bad. Stiftungsges. § 2 Abs. 1; Bayr. Gem.O. Art. 69 Abs. 2, Pfalz. Art. 53; Oesterr. R. nach Unger I 350 (a. M. Krainz I 184); Sächs. Ges. v. 15. Juni 1868 § 6 für die zu dauernden kirchlichen, mildthätigen oder gemeinnützigen Zwecken errichteten Stiftungen. — Natürlich kann die Genehmigung diese Wirkung nur haben, wenn die Stiftung ale selbständige Anstalt gewollt, eingerichtet und genehmigt ist; Seuff. XXXV Nr. 93. 88 So nach Sächs. Ges. v. 15. Juni 1868 § 6 bei Stiftungen für andere als die in Anm. 32 bezeichneten Zwecke. 84 Eine Stiftung unter Lebenden ist auch die durch Verfügung von Todeswegen den Erben auferlegte und von ihnen errichtete Stiftung; Roth, Jahrb. f. D. Τ 209 ff, Stobbe, I 578. 85 So, falls er eine Schenkung enthält (unten Anm. 44), der Schenkungsform : R.Ger. V Nr. 37. Allgemein will Entw. I I § 71 Abs. 1 gerichtliche oder notarielle Form vorschreiben. 88 Gierke, Genossenschaftsth. S. 140 ff., Personengemeinsch. S. 43 ff.; K ö h l e r a. a. 0. S. 235 ff. — Uebersah man früher meist die sozialschöpferische Seite, so verfallen Neuere in die umgekehrte Einseitigkeit, die privatrechtsgeschäftliche Seite ganz wegdeuten zu wollen; so z. B. Kar Iowa S. 412 ff., Schlofsmann S. 27 ff. 87 Unrichtig Seuff. X I Nr. 9, X V I I I Nr. 4. 88 Gierke, Genossenschaftsth. S. 122, Personengemeinsch. S. 45 ff.; R.Ger. V Nr. 37. — Die Gewinnung eines Organes halten Kariowa S. 419 u. Kohler S. 234 nicht für erforderlich.

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hier liegt zwischen Zeugung und Geburt ein oft langwieriges Werdestadium, in dem sich ein bereits vom Stiftungsrechte beherrschtes, jedoch für den Fall des Scheiterns der Stiftung wirkungsloses anstaltliches Vorleben entfaltet. Dabei wirken zur Erreichung des Zieles mancherlei Einzelhandlungen zusammen, an denen auch andere Personen als der Stifter betheiligt sind. Immer aber handelt es sich nur um die Fortentwicklung der stifterischen Zeugungsthat. Darum mufs der Stiftungsakt selbst die wesentlichen Grundlagen des künftigen Verbandslebens feststellen: einen geeigneten Lebenszweck, die zu dessen Erreichung erforderlichen Mittel und eine anstaltliche Lebensordnung39. In letztgedachter Hinsicht aber macht, wenn nur eine anstaltliche Verfassung in Aussicht genommen ist, ein selbst vollständiger Mangel näherer Bestimmungen den Stiftungsakt nicht nichtig; solche Lücken werden vielmehr, sofern nicht schon das Gesetz subsidiäre Vorschriften enthält, durch fürsorgliche Anordnung des Staates oder eines sonst dazu berufenen Trägers öffentlicher Willensmacht ergänzt40. b. Das individuelle Rechtsgeschäft, das sich in dem Stiftungsakte regelmäfsig mit dem konstitutiven Akte verbindet41, besteht in der Zuwendung eines zu diesem Behufe aus dem Vermögen des Spenders ausgeschiedenen Vermögens an die Stiftung 42. Da diese Zuwendung an ein noch nicht existentes Rechtssubjekt erfolgt, ist sie stets unter der Bedingung zu verstehen, dafs dieses Rechtssubjekt existent wird 43. Bei einer Stiftung unter Lebenden ist das im Stiftungsakte enthaltene Rechtsgeschäft meist eine Schenkung an die künftige Stiftungsperson44. Im Zweifel ist hier die Verfügung des Stifters bis zu 89

Regelsberger I 346; Seuff. I Nr. 97; oben Anm. 32 a. E. Roth a. a. 0. S. 215 ff., Bekker § 69 Anm. η und y, K o h l e r S. 260, Regelsberger § 88 I I I 4; R-Ger. XIX Nr. 49; Pr.L.R. II, 19 § 36; Bayr. Gem.O. Art. 65; Sächs. Ges. v. 15. Juni 1868 § 8. 41 Nothwendig ist diese Verbindung nicht; vgl. Bekker § 69 Anm. q. Die Vermögenszuwendung kann der Errichtung der Anstalt nachfolgen. Sie kann auch von Anderen als dem Stifter ausgehen. Wird ζ. B. gelegentlich eines Jubiläums Geld für eine Stiftung gesammelt, so ist es möglich, dafs der Jubilar die Stiftung errichten, das gesammelte Geld aber ohne Zwischeneigenthum des Stifters an die Stiftung abgeführt werden soll. 42 Unrichtig ist die Ansicht von K a r i o w a S. 399 ff. u. 414 ff., Schlofsmann S. 20 ff. u. Α., dafs die thatsächliche Ausscheidung des Vermögens zur Vollendung des Stiftungsaktes erforderlich sei. 48 Gierke, Genossenschaftsth. S. 123 ff. 44 P u c h t a , Vorl. § 28; Brinz 2. Aufl. § 446; Gierke a. a. 0. S. 123 Anm. 1, Personengemeinsch. S. 47; Kohler S. 242; Regelsberger I 348; 40

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dem Augenblicke, in dem die Stiftung existent geworden ist, widerruflich 45. Doch kann sich der Stifter schon vorher anderen Personen gegenüber zu Gunsten der künftigen Stiftung wirksam binden46. Sobald die Stiftung als Person ins Leben tritt, erwirbt sie die ihr zugedachten Rechte47. Insofern es zum Uebergange einzelner Vermögensrechte einer besonderen Uebertragungshandlung bedarf, ist der Stifter zu deren Vornahme verpflichtet 48. Wird eine Stiftung von Todeswegen errichtet, so kann die Vermögenszuwendung an sie im Wege der Erbeseinsetzung oder des Vermächtnisses erfolgen. Kraft eines alten Gewohnheitsrechtes ist hier die Einsetzung eines seiner Existenz nach ungewissen künftigen Rechtssubjektes gültig49. Neuere Gesetze sprechen dies ausdrücklich aus50- Tritt die Stiftung als Person ins Leben, so erwirbt sie ohne Weiteres die ihr zugedachte Erbschaft oder das ihr zugedachte Vermächtnifs51. VI. Verfassung. Die Verfassung der Stiftung beruht auf der R.Ger. V Nr. 37. Gegen die Schenkungsnatur erklären sich Roth a. a. 0. S. 208, Demelius a. a. 0. S. 145 ff., Eccius IV 699, Bekker I 281 ff, Kariowa S. 416, Schlofsmann S. 49. Allein warum soll die freigiebige Zuwendung an eine zu errichtende Stiftung eine andere rechtliche Natur haben, als die an eine bestehende Stiftung? — Ist freilich der Stifter durch eine ihm von Todes wegen (oben Anm. 34) oder unter Lebenden (z. B. bei Ueberreichung eines zu diesem Z^reck gesammelten Betrages) gemachte Auflage zu der Vermögenszuwendung verpflichtet, so schenkt er nicht; Kohl er a. a. 0., Regelsberger a. a. 0. 46 Roth a. a. 0. S. 208; Holder a. a. 0. S. 47 ff ; Schlo fsmann S. 32ff. ; Regelsberger § 88 Anm 17. — Anders Entw. I § 58. 46 Gierke, Genossenschaftsth. S. 124 Anm. 1, Personengemeinsch. S. 45 ff. Hat auf Gesuch des Stifters der Staat die Genehmigung ertheilt, so ist jedenfalls ein einseitiger Rücktritt des Stifters nicht mehr zulässig. Bis zu diesem Zeitpunkte will Entw. I I § 71 Abs. 2 den Rücktritt zulassen, jedoch nach Einreichung des Gesuches um Genehmigung nur durch Erklärung an die zuständige Behörde und nicht mehr für die Erben. 47 Gierke, Genossenschaftsth. S. 124, Kohler S. 239, Regelsberger § 89 III; Entw. I I § 71 Abs. 3. 48 Entw. I I § 71 Abs. 3. So z. B. zur Uebergabe beweglicher und zur Auflassung unbeweglicher Sachen. Eccius IV 700 nimmt im Widerspruch mit der preufs. Praxis (ib. Anm. 23) Eigenthumsübergang ohne Uebergabe oder Auflassung an; vgl. dagegen Gierke a. a. 0. S. 141 Anm. 2. 49 Vgl. über die mittelalterliche Lehre Gierke, Genossenschaftsr. I I I 373 Anm. 76 u. 441 Anm. 112, über die neuere Theorie und Praxis Genossenschaftsth. S. 126 Anm. 1; seitdem Bekker § 69 Beil. II, Kohler S. 242 Anm. 10, Regelsberger § 88 IV A, über die preufs. Praxis Eccius (6. Aufl.) § 251 Anm. 53—60. 60 Weimar. Ges. v. 1833 § 3 b. Heimbach § 172 Anm. 1; Sächs. Gb. § 2074. — Ebenso mit Zuhülfenahme einer überflüssigen Fiktion Entw. I I § 72 Abs. 2 ω 61 Regelsberger I 347.

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ihr vom Stifter oder auf Grund der stifterischen Anordnung von einer sonst dazu berufenen Person gegebenen anstaltlichen Organisation52. In einzelnen Punkten stellen die Gesetze zwingende oder subsidiäre Vorschriften auf 58. Unentbehrliches Organ ist ein vertretender und verwaltender Vorstand (Stiftungsverwaltung, Kuratel) 54. Derselbe kann als Einzelvorsteher oder als Kollegium oder auch mehrgliedrig eingerichtet sein. Seine Bildung kann durch unmittelbare Berufung seitens des Stifters oder durch Wahl seitens eines Stiftungsorganes (insbesondere Selbstergänzung) oder durch Ernennung seitens des Staates, der Gemeinde, der Kirche oder irgend einer anderen Körperschaft oder Anstalt erfolgen. Vielfach ist auch eine öffentliche Behörde oder ein sonstiges Organ einer anderen Verbandsperson zugleich zum Stiftungsvorstande berufen 55. Neben dem Vorstande 62 Preufs. L.R. I I , 19 § 35; Bayr. Gem.O. Art. 65, Pfalz. Art. 49; Sächs. Ges. v. 1868 § 8; Württemb. Verw.Ed. v. 1822 § 120, Ges. v. 1891 Art. 43. Entw. I I § 73. Für ältere Stiftungen auch Bad. Stiftungsges. § 8. 58 Sehr enge Grenzen zieht bei künftigen Stiftungen der stifterischen Autonomie hinsichtlich der Stiftungsverfassung das Bad. Stiftungsges., das im Gegensatz zu allem sonstigen deutschen Rechte überhaupt nur ausnahmsweise dem Stifter bestimmte Anordnungen über die Einrichtung der Stiftungsorgane gestattet; vgl. § 7, 20-22, 35, 36-41. 54 Für ihn gelten im Allgemeinen gleiche Regeln wie für den Körperschaftsvorstand. So auch Entw. I I § 74. 65 So nach gem. u. preufs. R. (vgl. Eccius IV 700 ff.) kraft stifterischer Anordnung oder einer mangels stifterischer Anordnung getroffenen obrigkeitlichen Ergänzungsbestimmung (oben Anm. 40). Manche Gesetze berufen ein für alle Mal bestimmte öffentliche Behörden subsidiär zur Stiftungs ver waltung; so bei allen Stiftungen das Württemb. R., vgl Sartorius S. 296 ff.; ebenso bei örtlichen Stiftungen (die Gemeindebehörden) das Bayr. R., Gem.O. Art. 65 ff. (Pfälz. Art. 49 ff.), Sartorius S. 290 ff.; vgl. auch Schweizer. Ges. b. H über I 174 ff. — Nach dem Bad. Stiftungsges. fungiren regelmäfsig nothwendig öffentliche Behörden als Stiftungs organe : bei weltlichen Stiftungen der Gemeinderath oder ein engerer Ortsverwaltungsrath (§ 14 ff.) oder auch ein örtlicher Stiftungsrath (§ 16 ff.), unter Umständen ein gleichfalls wesentlich kommunaler besonderer Stiftungsrath (§ 20 ff.), Kreis- oder Bezirksorgane (§ 33) oder staatliche Verwaltungsräthe (§ 32 u. 34); bei den auf die Angehörigen einer bestimmten Konfession beschränkten Stiftungen möglicherweise konfessionelle, aber gleichwohl kommunale oder staatliche Stiftungs- oder Verwaltungsräthe (§ 22 ff. u. 35) ; bei kirchlichen Stiftungen die Organe der kirchlichen Vermögensverwaltung (§ 42). Nur bei Familienstiftungen kann der Stifter sich selbst oder Familiengliedern die Verwaltung vorbehalten und die Nachfolge in diese Rechtsstellung regeln (§ 36), bei Stipendien- und Aussteuerstiftungen wenigstens die Verleihung des Stiftungsgenusses sich selbst oder anderen Personen vorbehalten, die Verwaltung aber einer von ihm gewählten Staats- oder Gemeindebehörde (bei Stipendien fur Theologen auch einer Kirchenbehörde) übertragen (§ 37); vgl. Sartorius S. 301 ff.

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kommen mancherlei andere Stiftungsorgane vor. Häufig ist namentlich die Verleihung des Stiftungsgenusses von der Stiftungsverwaltung getrennt und besonderen „Kollatoren'· tiberwiesen56. Mitglieder kann die Stiftung nicht haben: der weiter oder enger abgesteckte Kreis, dem sie zu Gute kommen soll, bildet nur den Inbegriff ihrer Destinatare (Genufsberechtigten) 57. VII. Rechtsfähigkeit. Die Rechtsfähigkeit der Stiftung ist die einer Verbandsperson. Milde und zum Theil überhaupt gemeinnützige Stiftungen geniefsen besondere Privilegien58. Beschränkt wird der Vermögenserwerb der Stiftungen durch die gerade auf sie mitgerichteten Amortisationsgesetzeδ9. VIII. Handlungsfähigkeit. Die Stiftung vermag gleich der Körperschaft durch ihre Organe zu handeln. Ihre Handlungsfähigkeit ist jedoch durch ihren beschränkteren Lebenszweck enger begrenzt. Ueberdies ist ihre Willensbildung durch den in sie hineingelegten Willen des Stifters ein für alle Mal fest bestimmt, so dafs die Stiftungsorgane vor Allem diesen für sie unantastbaren Willen auszuführen und nur innerhalb des von ihm frei gelassenen Spielraumes behufs Auslegung, Entfaltung und Ergänzung der stifterischen Anordnung einen Stiftungswillen neu zu bilden haben60. Auch untersteht die Stiftung überall einer ständigen Staatsaufsicht61, zu deren Aufgaben neben der Fürsorge für die Erhaltung des Stiftungsvermögens 66 So vielfach kraft stifterischer Anordnung bei Stipendienstiftungen; vgl. vor. Anm. a. E. Das Bad. Stiftungsges. § 15 kennt auch Falle einer gesetzlichen Berufung verschiedener Behörden zu Verwaltung und Verleihung. 57 Denkbar ist jedoch eine satzungsmäfsige Betheiligung der Genufsberechtigten am Stiftungsleben. Eine gesetzliche Berufung der Genufsberechtigten zur Beschlufsfassung über die Einrichtung der Stiftungsverwaltung findet sich bei konfessionellen Stiftungen im Bad. Stiftungsges. § 28—25 u. 28. M Aufzählungen b. Roth, Kurh. P.R. § 87, Brinz 1. Aufl. S. 1132 ff., 2. Aufl. § 453, Lang, Personenr. § 35, Stobbe I 581 ff. Vgl. Pr.L.R. II, 19 § 43. Aeltere Partikularrechte bei Gierke, Genossenschaftsr. I I I 760 ff. 69 Oben § 66 Anm. 15-19. 60 Gierke, Genossenschaftsth. S. 630; Stobbe I 580; Regelsberger § 90 I I I ; Seuff. IX Nr. 7, XXXV Nr. 93. 61 Preufs. L.R. II, 19 § 37 ff; Bayr. Gem.O. Art. 66; Hamb. Ges. v. 16. Sept. 1870 § 1 ff.; Bad. Stiftungsges. § 2 Abs. 2, 9 Abs. 2, 24, 26—31 u. 41; Roth, Jahrb. f. D. I 217 ff., Bayr. C.R. § 47, Kurh. P.R. § 89 Anm. 12, Regelsberger § 90 IV, G.Meyer, Verwaltungsr. I § 33, Sartorius S. 287 ff., 292 ff., 294 ff, 298 ff., 300 , 309 , 311. Bei Familienstiftungen findet regelmäfsig keine ständige, sondern nur eine aufserordentliche Aufsicht statt; Gerber, Jahrb. f. D. I I 353. In Preufsen stehen sie unter gerichtlicher Aufsicht; Förster-Eccius IV 701. Andere Befreiungen von der standigen Staatsaufsicht spricht ζ. B. das Hamb. Ges. v. 16. Sept. 1870 § 3 Abs. 3 - 4 aus.

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namentlich auch die Wahrung und Durchsetzung des stifterischen Willens gegen die Stiftungsorgane gehört62. Insoweit die Stiftung durch Satzung, Herkommen oder Gesetz einem anderen Verbände eingegliedert ist, greift zunächst die Aufsicht dieses Verbandes Platze8. Innerhalb der Grenzen ihrer Handlungsfähigkeit vermag die Stiftung nicht nur rechtmäfsig, sondern auch rechtswidrig zu handeln64. IX. Innere Rechtsverhältnisse. Da das Sozialrecht der Stiftung Privatrecht ist, sind auch die verfassungsmäisigen Beziehungen zwischen der Stiftung und ihren Organträgern und die aus ihnen erwachsenden gegenseitigen Rechte und Pflichten an sich Privatrechtsverhältnisse. Dies gilt nicht nur von den mit einem Stiftungsamte verknüpften Sonderrechten und Sonderpflichten 65, sondern auch von der Organstellung als solcher66. Doch wird durch neuere Gesetze vielfach der Rechtsweg zu Gunsten der Verwaltungsrechtsprechung eingeschränkt67. Aehnlich verhält es sich mit den Rechtsbeziehungen zwischen der Stiftung und ihren Destinataren. Möglicher Weise entspringt aus der Stiftungsverfassung ein klagbares Privatrecht bestimmter Personen auf Einsetzung in den Stiftungsgenufs 68. Immer wird im Zweifel durch 62

Pr. L.R. II, 19 § 38-40, Hamb. Ges. v. 16. Sept. 1780 § 4—7, R o t h , Jahrb. f. D. I 217 ff., Bekker I 280, Förster-Eccius IV 701. Aeufsersten Falles kann der Staat ungetreue Verwalter entsetzen. 68 Kirchenaufsicht über kirchliche, Gemeindeaufsicht über kommunale Stiftungen u. s. w. — In gewissem Umfange kann der Stifter selbst Bestimmungen über die Aufsicht treffen; Pr. L.R. I I , 19 § 35, Förster-Eccius IV 701. Nur kann er die Oberaufsicht des Staates nicht ganz ausschließen. 64 Seuff. XXIX Nr. 214; Entw. I I § 74 mit § 30. Irrig Eccius IV 698. 65 Also z. B. einerseits von etwaigen Ansprüchen der Verwalter und Beamten auf Besoldung aus dem Stiftungsvermögen, andrerseits von ihren aus pflichtwidrigem Verhalten entspringenden Ersatzverbindlichkeiten gegen die Stiftung; Seuff. IV Nr. 107 u. 116, Brinz 1. Aufl. S. 1127 ff., 2. Aufl. § 452. b6 Im Zweifel entsteht daher aus stiftungsmäfsiger Berufung zur Verwaltung der Stiftung oder zur Verleihung des Stiftungsgenusses ein klagbares Privatrecht; Seuff. IV Nr. 251 S. 413, Gierke, Genossenschaftsth. S. 187, Regelsberger § 90 II. Anders Seuff. IV Nr. 251 S. 414, XX Nr. 181, X X I I I Nr. 170. Eine privatrechtliche Verpflichtung zur Uebernahme von Stiftungsämtern kann natürlich der Stifter nicht einseitig begründen. 67 Vgl. Sartorius a. a. O. S. 283. Das Bad. Stiftungsges. läfst den Rechtsweg nur in Streitigkeiten „über den die Stiftungen begründenden privatrechtlichen Akt" und „aus dem bürgerlichen Rechtsverkehr einer Stiftung mit Dritten* offen, gestattet aber bei zahlreichen Fragen des Sozialrechtes der Stiftungen die Herbeiführung einer gerichtlichen Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes; § 11, 28 u. 40. Vgl. dazu Meurer I 82. 68 Dies ist der Fall, insoweit durch die Stiftungsverfassung ein Anrecht oder

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die gehörig erfolgte Verleihung des Stiftungsgenusses ein Privatrechtsverhältnifs begründet69. Aber auch ein den Genufsberechtigten etwa eingeräumtes Recht der Einwirkung auf die Stiftungsverwaltung gehört dem privaten Sozialrecht an 70 . Im Uebrigen dagegen können die Betheiligten ihr Interesse an ordnungsmäfsiger Verwaltung und Verleihung nur im Wege der Beschwerde bei der Aufsichtsbehörde zur Geltung bringen71. X. Veränderung. Die Stiftung kann mangels ausdrücklicher stifterischer Ermächtigung sich nicht durch eigne Willensthat verändern72. Um so unentbehrlicher ist ein staatliches Umwandlungsrecht. Der Staat kann im Wege der Gesetzgebung jede Stiftung umwandeln, ohne hierbei auf eine formelle Rechtsschranke zu stoisen. Er ist aber auch im Wege der Aufeichtsverwaltung zu einer Umwandlung befugt, wenn die unveränderte Durchführung des erstarrten Stiftungswillens sich unter den Verhältnissen der Gegenwart als unmöglich, zwecklos oder gemeinschädlich erweist78. Doch darf einerYorrecht auf den Stiftungsgenufs unmittelbar an das Dasein bestimmter persönlicher Eigenschaften geknüpft wird; nicht dagegen, insoweit ein konkretes Ermessen der Stiftungsorgane dazwischentritt. Vgl. Seuff. I Nr. 106 u. 360, I I Nr. 205, XXXVIII Nr. 259, R.Ger. IX'Nr. 55; Roth, Jahrb. f. D. 1216, Bolze a. a. O. S. 187 ff., Stobbe § 62 Anm. 14c, Gierke a. a. O. S. 187 Anm. 3, Kohler a. a. O. S. 260 ff, Bekker I § 69 Anm. m, Regelsberger § 90 V. 69 Das Genufsrecht ist oft durch Pflichten bedingt und kann durch satzungswidriges Verhalten verwirkt werden. Auch vermögensrechtliche Gegenleistungen an die Stiftung (Einkaufsgelder oder laufende Beiträge) kommen vor; Gierke, Genossenschaftsr. I I 967 Anm. 16, Bekker § 69 Anm. 1. 70 Vgl. Seuff. XXXV Nr. 800: klagbares Recht der Familienglieder gegen die Verwalter einer Familienstiftung auf Kontrole der Verwaltung. 71 Nach dem Bad. Ges. § 11 Z. 4 entscheidet „über das Vorhandensein der stiftungsmäfsigen Voraussetzungen zur Theilnahme an den Stiftungsgenüssen" auf Verlangen der Verwaltungsgerichtshof. Vgl. auch Württemb. Ges. v. 16. Dez. 1876 Art. 10 Z. 18. 78 Man darf daher nicht mit Regelsberger § 92 I I den Stiftungsorganen mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde und unter Zustimmung der Betheiligten ein Abänderungsrecht beilegen: die Kraft zur Umschaffung der Stiftung wohnt, falls sie nifcht vom Stifter selbst einem Privatwillen verliehen ist, nur dem öffentlichen Willen inne. Mangels satzungsmäfsiger Ermächtigung können die Stiftungsorgane nicht nur eine Abänderung des Zweckes, sondern auch eine Abänderung der Bedingungen oder des Umfanges der Genufsrechte niemals beschliefsen, sondern nur vorschlagen. 78 Preufs. L.R. Π, 19 § 41, II, 6 § 77; Hamb. Ges. v. 16. Sept. 1870 § 9; Bayr. Gem.O. Art 67, Pfälz. Art. 59. Gierke, Genossenschaftsr. H 968; Kohler a. a. 0. S. 250 ff.; Regelsberger § 92; Seydel IV 625 ff; Sartorius S. 281. Vgl. auch Huber I 176. B i n d i n g , Handbuch.

I I . 3. I : G i e r k e , Deutsches Privatrecht.

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Das Recht der Verbandspersönlichkeit.

seits mit Rücksicht auf die Pietät gegen den Stifter und auf die Erhaltung des zur Nährung des Stiftungssinnes unerläfslichen Vertrauens in die Beständigkeit der Stiftungen die Abänderung der ursprünglichen Stiftungsordnung niemals weiter gehen, als dies unbedingt erforderlich ist 74 . Andrerseits wird vielfach die Zustimmung der Stiftungsorgane und sonstiger „Beteiligter" verlangt75. XI. Beendigung. Durch ihr Satzungsrecht können der einzelnen Stiftung besondere Beendigungsgründe gesetzt sein7β. Im Allgemeinen vermag sie durch eigne Handlung ihr Ende nicht herbeizuführen. Dagegen endet sie nicht nur durch völlige Erreichung ihres Lebenszieles, sondern auch, da sie sich neue Aufgaben nicht zu stellen vermag, durch den Eintritt der Unmöglichkeit der Zweckerreichung77. Eine solche Unmöglichkeit liegt vor, wenn der Zweck selbst hinfällig oder unerlaubt wird. Sie ist aber auch vorhanden, wenn die Mittel für die Erfüllung des Zweckes weggefallen sind. Aus diesem Grunde endet die Stiftung durch den Verlust ihres Vermögens, es müfste denn dessen Erneuerung aus stiftungsmäfsigen Quellen vorgesehen sein78. Schliefslich kann der Staat nicht nur durch Gesetz jede Stiftung so gut aufheben wie verändern, sondern auch durch Verwaltungshandlung aus zwingenden Gründen da, wo eine blofse Umwandlung unthunlich ist, die Aufhebung einer Stiftung verfügen 79. u

Preufs. L.R. I, 6 § 77. Beseler § 72 Anm. 11. Regelsberger § 92. Bayr. V.U. IV § 10 u. Gem.O. Art. 67; Sächs. V.U. § 60; Oldenburg. V.U. Art. 216 § 2; Braunschw. V.U. Art. 217; Kob.-Gtoth. V.U. § 66; Meining. V.TJ. § 33-34; Altenburg. V.U. § 161; Waldeck. V.U. § 43; Reufs. ä. L. V.U. § 51. Nach Preufs. L.R. Π, 6 § 73—74 u. 78—79 bedarf es nur der Mitwirkung des etwa noch lebenden Stifters und der vom Stifter mit festen Anrechten ausgestatteten Dritten. Näheres b. Gierke, Genossenschaftsth. S. 818 Anm., Seydel IV 625 if., Sartorius S. 281. 76 So ζ. B. Zeitablauf oder Eintritt einer auflösenden Bedingung; Eccius IV 701, Regelsberger § 93 I. Aber auch ein Selbstauflösungsrecht kann der Stiftung gewährt sein; Gierke a. a. Ο. S. 850. 77 Gierke a. a. 0, S. 843; Beseler S. 287; Stobbe 1583; Bekker §65 Anm. h u. i; Regelsberger § 93 I 1. A. M. Meurer I 79 if. — Bei zeitweiligem Mangel an Organen geht die Stiftung keineswegs unter; Gierke a. a. 0. S. 834 Anm. 1. 78 Gierke a. a. 0. S. 842 Anm. 2; Kohler a. a. 0. S. 253; Regelsberger § 93 I 3. Manche halten den Vermögensverlust für einen unbedingten und selbständigen Beendigungsgrund; so Roth, Jahrb. f. D. I 219 u. D.P.R. § 73 Anm. 29, Unger I § 44 IV, Brinz 1. Aufl. S. 1137 ff., 2. Aufl. § 454 I , Stobbe § 62 Anm. 27. Andere wollen die Stiftung aufrecht erhalten, so lange überhaupt eine Wiedergewinnung von Vermögen möglich ist; Beseler § 7 1 Anm. 15, W i n d scheid § 61 Anm. 4, Meurer I 79, Bekker § 65 Anm. k, § 69 Anm. dd. 79 Gierke a. a. 0. S. 846 Anm. 2, Sartorius S. 281. Das Aufhebungsrecht 76

§ 78. Stiftungen.

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Der Stift ungsnach 1 als fällt nach den Grundsätzen der sozialen Succession zunächst an den etwa durch die Stiftungsverfassung berufenen Rechtsnachfolger 80. Fehlt es an einer solchen Berufung, so erfolgt der Anfall an den Verband, zu dem die Stiftung in einem gliedmäfsigen Verhältnifs stand81, und somit mangels eines anderen Zusammenhanges an den Staat82. Dieses soziale Heimfallsrecht ist jedoch durch die Verpflichtung zur Verwendung des Stiftungsvermögens für gleiche oder verwandte Zwecke gebunden88. Die Stiftungsnachist im Umwandlungsrecht enthalten, jedoch in gleicher Weise beschränkt. Vgl. insbes. Preufs. L.R. I I , 19 § 41, I I , 6 § 77, Hamb. Ges. v. 16. Sept 1870 § 9, Bayr. Gem.O. Art. 67, Bad. Stiftungsges. § 10 (bei kirchlichen Stiftungen mit kirchlicher Zustimmung, nötigenfalls aber auch ohne diese). Sowohl in den Gesetzen wie in der Theorie wird zwischen Umwandlung und Aufhebung oft nicht scharf unterschieden. Im Zweifel ist auch bei völliger Abänderung des Zweckes blofse Umwandlung anzunehmen. Dagegen liegt Aufhebung vor, wenn eine Stiftung mit einer anderen Stiftung oder einem unpersönlichen Fonds verschmolzen oder (wie z. B. im Falle der Trennung gemischter Stiftungen nach Bad. Stiftungsges. § 4) in mehrere Stiftungen zerlegt wird. 80 Gierke a. a. O. S. 859; Entw. I I § 75. Solche Anordnungen kommen häufig vor. Mitunter behält der Stifter sich selbst oder seinen Erben ein Heimfallsrecht vor. Ohne einen derartigen Vorbehalt ist nicht einmal für den noch lebenden Stifter ein Heimfallsrecht begründet; a. a. O. S. 869 Anm. 8. In gewissem Umfange gewährt aber das Preufs. L.R. II, 6 § 194 dem Stifter und seinen Erben ein Heimfallsrecht. 81 Gierke a. a. O. S. 869 Anm. 3. Bei kirchlichen Stiftungen ist also wie bei öffentlichen Kirchenanstalten (oben § 77 Anm. 57) ein kirchliches Heimfallsrecht begründet; vgl. auch Bernatzik a. a. 0. S. 308. Die neueren Gesetze gewährleisten zum Theil der Kirche wenigstens eine entscheidende Mitwirkung bei der Verfugung über kirchliches Stiftungsvermögen; ehemal. Hannov. V.U. § 75 Abs. 7, für die Regel auch Bad. Stiftungsges. § 10. Meist aber begnügen sie sich mit dem Ausschlufs der Verwendung für andere als kirchliche Zwecke; so die b. Gierke a. a. O. S. 868 Anm. 3 angef. V.U. u. Bad. Stiftungsges. § 10. — Bei örtlichen Stiftungen ist vielfach gesetzlich ein Heimfallsrecht der Gemeinde anerkannt. Zum Mindesten wird durch die oben Anm. 75 angef. Gesetze der „betheiligten" Gemeinde oder Körperschaft eine entscheidende Mitwirkung bei der Verfügung über erledigtes Stiftungsvermögen zugesichert. Das Preufs. L.R. I I , 6 § 75 fordert nur ein Gutachten der betheiligten Korporation, von dem aber ohne überwiegende Gründe nicht abgewichen werden soll. 88 Die herrschende Lehre erblickt darin eine fiskalische Nachfolge in eine erblose Verlassenschaft. Vgl. Roth, Jahrb. f. D. I 220, Stobbe 1 583, auch Preufs. L.R. H, 6 § 195 u. Sächs. Gb. § 57. 88 So nicht nur nach Kirchenrecht beim Heimfall an die Kirche (Hinschius I I 462) und nach Staatsrecht beim Heimfall an die Gemeinde (Gierke a. a. Ο. S. 871 Anm. 1), sondern auch nach gemeinem Gewohnheitsrecht (11.Ger. I Nr. 38 S. 88), vielen Verf.Urk. (vgl. die oben Anm. 75 angef. nebst Hess. Art 43—44 u. Reufs. j. L. § 49) u. Gesetzen (Preufs. L.R. Π , 6 § 193 u. I I , 19 § 41 mit 42 *

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Drittes Kapitel.

Personenrechtliche Gemeinschaften.

folge ist Gesamintnachfolge, bei der aber der Nachfolger für die Verbindlichkeiten nur mit dem Aktivvermögen haftet 84. In ähnlicher Weise, wie bei Körperschaften, erfolgt die Verwirklichung der Beendigungsfolgen in einem sozialrechtlichen Liquidationsverfahren 8 6 .

Drittes Kapitel. Personenrechtliche Gemeinschaften. § 79.

Personenrechtliche Gemeinschaften überhaupt 1 .

I. Begriff. Eine personenrechtliche Gemeinschaft ist eine Gemeinschaft, zu der mehrere Personen durch ein die Persönlichkeit als solche ergreifendes Rechtsveihältnifs verbunden sind. Im Gegensatze zur Verbandsperson ist sie ein Rechtsverhältnis, kein Rechtssubjekt. Von anderen Gemeinschaftsverhältnissen aber unterscheidet sie sich dadurch, dafs sie nicht blos äufsere Beziehungen zwischen Rechtssubjekten herstellt, sondern die Rechtssubjektivität selbst in einen besonderen Zustand versetzt. Π. Wesen. Das Wesen der personenrechtlichen Gemeinschaft beruht auf der rechtlichen Ordnung eines Zusammenhanges, der das Fürsichsein der einzelnen Menschen in einem bestimmten Bereiche aufhebt und durch Verbundenheit ersetzt. Von den verbundenen Personen löst sich kein selbständiges soziales Lebewesen mit eigner Entsch. des O.Tr. XL 94 u. des R.Ger. b. Gruchot X X V I 1044, Hamburg. Ges. v. 16. Sept 1870 § 9, Schweiz. Ges. b. Huber 1 175 ff.) beim Heimfalle an den Staat selbst. Das Mafs der staatlichen Gebundenheit ist in den Gesetzen ungleich bestimmt; vgl. Gierke a. a, 0. S. 871 Anm. 2, Sartorius S. 281—282. Immer aber handelt es sich dabei nicht blos um eine „angemessene" Mafsregel (so Stobbe § 62 a. E.), ein „Verwaltungsprinzip" (so Kohler a. a. 0. S. 258) oder eine „sittliche Pflicht" (so Regelsberger § 98 U), sondern um einen Rechtssatz und eine Rechtspflicht Vgl. Bekker § 69 Beil. IV, Gierke a. a. 0. S. 871 ff. 84 Seuff. XXXV Nr. 48; R.Ger. I Nr. 88 S. 86; Regelsberger § 98 a. E. Ueber Entschädigung wegen wegfallender fester Genufsrechte vgl. Preufs. L.R. II, 6 § 78. 86 Gierke a. a. 0. S. 889. Entw. I I § 75 will entsprechende Anwendung der Vorschriften über Körperschaftsliquidation (§ 42—48) anordnen. Während der Liquidation entfaltet sich auch hier ein anstaltliches Nachleben. 1 Oben § 30 I I I 2 S. 269. Gierke, Personengemeinschaften S. 53 ff.; Die sociale Aufgabe des Privatrechts S. 36 ff.

§ 79. Personenreclitliche Gemeinschaften überhaupt.

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Persönlichkeit ab. Allein in ihre Lebensordnungen tritt ein Stück gemeinsamer Lebensordnung ein. So ergiebt sich eine von den Sondersphären der Betheiligten rechtlich unterschiedene Gemeinsphäre, als deren Träger die verbundenen Personen eine Personeneinheit darstellen. Innerhalb der Gemeinschaft herrscht insoweit statt getrennter Einzelwillen ein durch Verschmelzung der Willensgebiete geeinigter Gemeinschaftswille. Nach aufsen erscheint insoweit die durch Zusammenfassung geeinigte Personenmehrheit als eine rechts- und handlungsfähige Kollektiveinheit. Denkt man die Verbandsperson als Organismus, so ist diese Personeneinheit zwar kein Organismus, aber eine organische Verbindung. Die personenrechtliche Gemeinschaft ist daher im Rechtssinne ein individualrechtliches Gebilde, enthält jedoch sozialrechtliche Keime. III. Geschichte. In unserem deutschen Rechte lebte und wirkte seit alter Zeit der Begriff der personenrechtlichen Gemeinschaft. Ursprünglich war er von dem Begriffe des selbständigen Verbandes durch keine scharfe Grenze getrennt2. Doch machte sich in der thatsächlichen Ausgestaltung der einzelnen Verbandstypen von je der Unterschied zwischen Gemeinwesen und blofsen Gemeinschaften geltend. Seit der Verselbständigung der Verbandspersönlichkeit trat dieser Unterschied mehr und mehr auch in der begrifflichen Ausgestaltung der Lebensgebilde zu Tage3. Da der das ganze Verbandswesen durchdringende Zwiespalt genossenschaftlicher und herrschaftlicher Ordnung diesseits wie jenseits der Grenze waltete, prägten sich nunmehr neben Körperschaften und Anstalten genossenschaftliche und herrschaftliche Gemeinschaften ohne eigne Persönlichkeit aus4. Bei ihrem rechtlichen Aufbau wurden vornehmlich die beiden germanischen Rechtsgedanken der gesammten Hand und der Munt verwerthet5. Aus 8

Vgl. oben § 58 I I S. 457. Vgl. oben § 58 I I I S. 458 if. 4 Gierke, Genossenschaftsr. I I 923 ff. u. 670. 5 Ursprünglich wirkten beide Rechtsgedanken auch auf die Gestaltung der auf selbständige Persönlichkeit angelegten Verbände ein. Dafs die gesammte Hand in der alten Genossenschaft steckte, folgt unwiderleglich aus den Quellen. In den ländlichen Weisthümern werden ständig dieselben Ausdrücke, die bei den Gemeinschaften zur gesammten Hand technisch sind, für die Gemeinschaftsverhältnisse der Markgenossen gebraucht (Gierke a. a. Ο. I I 170 ff., 362 ff, 373 ff, 429 ff, 476 ff., 485 ff.); es heifst geradezu, die Allmende werde „mit gemeiner Hand" genutzt und gebraucht (Grimm W. I I 326); und mitunter müssen alle Gemeindegenossen im wörtlichen Sinne mit gesammter Hand handeln (vgl. über Hinrichtungen mit gesammter Hand Gierke a. a. O. S. 402 Anm. 63, über Prozefsführung ib. S. 518 ff, 1. Alam. t. 84, Sachsensp. I I I Art. 86 § 2). Auch spielte die gesammte Hand bei 8

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Drittes Kapitel.

Personenrechtliche Gemeinschaften.

sinnlicher Vorstellungsweise erwachsen6, vergeistigten beide Rechtsgedanken sich mehr und mehr zu juristischen Prinzipien, die für die mannichfachsten Abwandlungen der personenrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisse fruchtbar werden konnten7. Gesammte Hand und Munt konnten sich mit einander verbinden8. Sie boten daher auch für Gemeinschaftsverhältnisse, in denen sich genossenschaftliche und herrschaftliche Bestandtheile mischten, geeignete Denkformen. Nach der Aufnahme der fremden Rechte mufsten die personenrechtlichen Gemeinschaften des deutschen Rechtes sich in die romanistische Begriffsschablone einzwängen lassen. Dem Corpus juris civilis ist die personenrechtliche Gemeinschaft fremd 9. Die mittelalterliche Jurisprudenz hatte jedoch auch hier germanische Vorstellungen in das römische Recht hineingetragen10. Auf diesen Wegen wandelte die deutsche Rechtswissenschaft fort, so dafs sie die deutschrechtlichen Gebilde zwar verstümmelte, immerhin aber ihrer Erhaltung und Neuerzeugung im Leben keine unübersteiglichen Hindernisse bereitete11. In der germanistischen Rechtslehre und mehr noch in der naturrechtlichen Gesellschaftslehre kamen die einheimischen Rechtsgedanken gerade auf diesem Gebiete neu zum Durchbruch. Dabei fiel freilich namentlich das Naturrecht in eine Vorstellungsweise zurück, für die es zwischen Verbandsperson und Personeneinheit einen begrifflichen Unterschied nicht gab12. Allein wenn man dieselben Kategorien der gleichen und ungleichen Gesellschaft mit moralischer Persönlichkeit, denen man Staat, Kirche und Körperschaft unterwarf, auf die eheliche, elterliche und hausherrliche Verbindung und manche der Ausbildung der Vermögensgenossenschaften eine Rolle (vgl. unten § 80 Anm. 14). Und manche „Ganerbschaften" giengen ohne Aenderung ihres Kamens in Körperschaften über. Unrichtig daher Heusler I 225 u. 269. Der Munt läfst sich angesichts ihrer öffentlichrechtlichen Verzweigungen eine schöpferische Mitwirkung bei der Erzeugung von selbständigen Herrschaftsorganismen kaum bestreiten. Vgl. auch Heusler I 130 ff. Allein gesammte Hand und Mimt traten in die umfassenderen Verbände mit der Neigung, zu verblassen, und mit der Bestimmung, unterzugehen, ein. Sie wurden daher mehr und mehr, für die blofsen Gemeinschafs Verhältnisse frei. 6 Und zwar beide aus dem gleichen Sinnbilde der Hand! 7 Ob hierbei der alte Name beibehalten oder abgestreift wurde, ist von untergeordneter Bedeutung. 8 So seit alter Zeit im ehelichen Verhältnifs. 9 Gierke a. a. Ο. I I 28 u. 928, I I I 39 ff. 10 Gierke a. a. Ο. HI 205 ff., 423 ff. 11 Gierke a. a. 0. I l l 718 ff. 12 Oben § 58 S. 461—462 Anm. 12—14.

§ 80. Gemeinschaften zur gesammten Hand.

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andere Gemeinschaft anwandte18, so brachte man jedenfalls das personenrechtliche Wesen solcher „Sozietäten" der römischen societas und communio gegenüber scharf zum Ausdruck. Erst die romanistische Reaktion des neunzehnten Jahrhunderts suchte mit dem deutschen Gemeinschaftsbegriffe völlig aufzuräumen und in unserem Privatrechte überall, wo sie nicht zu einer juristischen Person als alleinigem Rechtsträger griff, die Gemeinschaft auf sachenrechtliche oder obligationenrechtliche Beziehungen zwischen getrennten Personen zurückzuführen. Diesem Bestreben kamen und kommen individualistische Strömungen vielfach entgegen. Gleichwohl ist der Gedanke der personenrechtlichen Gemeinschaft in unserem Rechte nicht nur stets lebendig geblieben, sondern hat in mancher Richtung von Neuem eine ungeahnte schöpferische Kraft entfaltet. Die Rechtswissenschaft beginnt nach den von germanistischer Seite gegebenen Anregungen nur sehr allmählich ein Verständnifs für Bedeutung und Tragweite dieser Bewegung zu gewinnen. IV. Arten. Die personenrechtlichen Gemeinschaften zerfallen auch heute vor Allem in genossenschaftliche und herrschaftliche Gemeinschaftsverhältnisse. Wir bezeichnen jene unter Verwerthung des noch nicht abgestorbenen deutschen Rechtsausdruckes als Gemeinschaften zur gesammten Hand, diese als Gemeinschaften kraft herrschaftlicher Gewalt. Beiderlei Gemeinschaftsverhältnisse begegnen nicht nur im Privatrecht, sondern auch im öffentlichen Recht. Privatrecht und öffentliches Recht berühren sich aber hierbei auf das Innigste. Während daher manche privatrechtliche Gemeinschaften mit einer Fülle von Beziehungen in das öffentliche Recht fallen, fordern manche im öffentlichen Rechte wurzelnde Gemeinschaften wegen ihrer in das Privatrecht hineinreichenden Wirkungen auch im Privatrechte Beachtung. § 80. Gemeinschaften zur gesammten Hand 1 . I. Begriff. Gemeinschaft zur gesammten Hand nennen wir ein Gemeinschaftsverhältnifs, dessen Trägerin eine genossenschaftlich 13

Vgl. z. B. S. Pufendorf, De off. I I c. 2 - 5 , Jus nat. et gent. 1. VI—VII; Thomasius, Inst. jur. div. I I I c. 1—7; Leibnitz, Deut. Schriften I 414 ff.; H e r t , Opusc. I, 1 S. 286 ff. u. II, 3 S. 41 ff.; W o l f f , Inst. § 196, 380 ff., 833 ff., 854 ff., 977; Nettelbladt, Syst. nat. § 326 ff. u. 666 ff., Jurispr. pos. § 846 ff.; Daries, Inst. Jurispr. I § 517 ff, 606 ff.; Achenwall, Jus nat. Proleg. § 91 ff., I I § 1 ff. u. 41 ff. 1 Beseler, Syst. § 70, 128, 160, 261. Stobbe, Zur Gesch. des Vertragsr. S. 145 ff., Z. f. R.G. IV 207 ff., D.P.R. I § 49 S. 433, I I § 81—82, I I I § 176, IV § 224, 239. Kuntze, Z. f. H.R. VI 177 ff. Gierke, Genossenschaftsr. I I

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Drittes Kapitel.

Personenrechtliche Gemeinschaften.

verbundene Personenmehrheit ist. Der Name entstammt dem alten Rechtsbrauche, die Verbundenheit der Subjekte bei einer gemeinsamen Erwerbs-, Verfügungs- oder Verpflichtungshandlung durch das Sinnbild einer Verschlingung der Hände anschaulich zu machen2. Doch ist er frühzeitig zu einem vom Sinnbilde unabhängigen Ausdrucke des dabei zu Grunde liegenden Gedankens geworden8. II. Wesen. Die Gemeinschaft zur gesammten Hand ist eine personenrechtliche Gemeinschaft, bei der die verbundenen Personen insgesammt zur aktiven Mitträgerschaft der Gemeinsphäre berufen sind. Hier kommt also die Personeneinheit in der Gesammtheit der Theilhaber zur rechtlichen Erscheinung. Nach innen ist es ihr Gesammtwille, der als einheitlicher Gemeinschaftswille herrscht. Nach aufsen ist es die Gesammtheit, die in einheitlicher Weise berechtigt und verpflichtet ist und handelnd auftritt. Hiermit ist die Erhebung eines Theilhabers zum Gemeinschaftshaupte keineswegs unvereinbar. Nur mufs der Gesammtheit grundsätzlich die oberste Stelle gewahrt sein, so dafs über der einseitigen Herrschaftsgewalt des Hauptes die Herrschaft des Gesammtwillens steht und trotz aller Vertretungsmacht des Hauptes die volle Darstellung der Gemeinschaft nur durch Alle insgesammt stattfindet. III. Geschichte. Die gesammte Hand wurzelt im germanischen Familienrechte. Ihre älteste Erscheinungsform ist die unter Brüdern nach dem Tode des Hausvaters fortgesetzte Hausgemeinschaft4. Indem an solche oder andere gleichberechtigte Miterbeu die erledigte Hausherrschaft zu gesammter Hand fiel, trat bis zur Auftheilung des Hauswesens durch Sonderung der Hausstände an die Stelle der herrschaftlichen eine genossenschaftliche Hausgemeinschaft6. Eine solche 923 ff., Genossenschaftsth. S. 339 ff. Unger, Jahrb. f. D. XXV 239 ff. Heusler, Inst. I § 5 0 - 5 3 , I I § 128, 149 ff., 162. Kohler, Gesammelte Abh. S. 421 ff. S ohm, Die deutsche Genoss. S. 27 ff. Franken, D. P.R. § 33. — Weitere Litt, bei den einzelnen Gemeinschaftsarten. 2 Haltaus s. v. Gesamte Hand; M e r k e l , Z. f. R.G. I I 139 Anm. 105; Stobbe, Z. f. R.G. IV 219 ff. — Gleichbedeutend mit gesamte hand begegnen Ausdrücke wie gemeine hand, eine hand, conjuncta manus, par manus. Die Verbundenheit wird aber in den Quellen auch durch Ausdrücke wie to samene, gemeinlich, unverscheidenlich, simul et conjunctim, inseparate, indivise, in solidum u. s. w. bezeichnet. Die Gesammthänder heifsen Ganerben, Gemeiner, Genossen, coheredes, consortes u. s. w. Das Verhältnifs im Ganzen wird Ganerbschaft, Gemeinderschaft, Gemeinschaft u. s. w. genannt. 3 Um so mehr darf er heute auch für ganz moderne Bildungen gebraucht werden. * Gierke, Ζ. f. R.G. X I I 485 ff.; Brunner, R.G. I 78 Anm. 57. 6 Ed. Roth. 167; Cap. d. a. 818 oder 819 c. 6 u. 11 (I 282); Heusler, Inst. I 229 ff.

§ 80. Gemeinschaften zur gesammten Hand.

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Gemeinschaft von „Ganerben" (coheredes) konnte längere Zeit und sogar durch mehrere Geschlechterfolgen fortgesetzt werden. Von hier aus drang die gesammte Hand in die herrschaftliche Hausgemeinschaft selbst ein. Im Verhältnifs des Mannes zur Frau entfaltete sich neben der ehemännlichen Munt das ehegenossenschaftliche Band. Jenachdem dann die eheliche gesammte Hand nur als ein unausgeschiedener Bestandtheil des Mundialrechtes zur Geltung kam oder umgekehrt sich zu selbständiger Bedeutung erhob, schlug die Entwicklung des ehelichen Güterrechts bei den einzelnen Stämmen verschiedene Wege ein6. In ähnlicher Weise konnte im Verhältnifs der Eltern zu den Kindern das die Hausherrschaft einschränkende hausgenossenschaftliche Band sich als Gemeinschaft zur gesammten Hand verselbständigen, wie dies namentlich in mehreren Formen der zwischen dem überlebenden Ehegatten und den Kindern fortgesetzten Hausgemeinschaft geschah7. Bald überschritt die Gemeinschaft zur gesammten Hand den Kreis des Familienrechtes. Die Gemeinschaft der Ganerben gestaltete sich in den einzelnen Ständen zu besonderen Typen aus, in denen sie durch Aufnahme einer vertragsmäfsigen Ordnung zugleich gefestigt und verfärbt wurde8. So entstanden Gemeinschaftsformen, die sich von der familienrechtlichen Grundlage mehr und mehr ablösten, bis zuletzt ein auch unter Fremden möglicher Vereinigungsvertrag als ihre Rechtsgrundlage erschien. Unter dem Landvolke entwickelten sich die bäuerlichen Gemeinderschaften9 ; im niederen Adel die ritter6

Vgl. unten Abschn. IV Kap. 2. Vgl. unten Abschn. IV Kap. 3. — Nach mehreren Stammesrechten scheinen schon bei ungebrochener Ehe die Kinder unbeschadet der väterlichen Munt als Mitträger der Hausgemeinschaft und demgemäfs als Theilhaber am Haus vermögen gegolten zu haben, so dafs die Verfügung über das Hausvermögen nicht nur durch Erbenwartrechte der Kinder gebunden, sondern bis zur etwaigen Aufhebung der Gemeinschaft durch Aussonderung der Kindestheile nur mit gesammter Hand der Eltern und Kinder zulässig war; L. Bajuv. I, 1, 1. Burg. I, 1, Heusler I 229, I I 54 u. 528, Schröder, R.G. S. 269, S. Adler, Ueber das Erbenwartrecht in den ältesten bayr. R.Q. (Unters, z. D. St. u. R.G.H. XXXVII), Breslau 1891, Eheliches Güterrecht u. Abschichtungsrecht nach den ältesten bayr. Rechtsq., Leipzig 1893, bes. S. I l l if. Doch hat sich hieraus nur vereinzelt eine eheliche Gütergemeinschaft mit Theilhaberschaft der Kinder entwickelt; Stobbe § 238 Anm. 1, Gierke, Genossenschaftsth. S. 369 Anm. 1. Dagegen hat sich die fortgesetzte Gütergemeinschaft zur gesammten Hand über ganz Deutschland verbreitet. 8 Vgl. Heusler I 231 ff. Hier wird nur durch die Behauptung (S. 235), dafs dem Bürgerstande eine entsprechende eigentümliche Rechtsbildung fehle, der rechtsgeschichtliche Faden plötzlich abgeschnitten. 9 Vgl. Bluntschli, Zürch. R.G. I 450 ff., Heusler 1231, Huber IV250ff. 7

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Drittes Kapitel. Personenrechtliche Gemeinschaften.

liehen Ganerbschaften 10 ; im hohen Adel die Erb Verbrüderungen 11; im Bürgerstande Arbeits- und Erwerbsgesellschaften 12, die Handelsgesellschaft 18, die Rhederei14. Dazu kam, dafs sich das Lehnrecht der gesammten Hand bemächtigte und in der Belehnung zur gesammten Hand eine Rechtsform schuf, bei der die Herstellung einer personenrechtlichen Gemeinschaft durch eine rechtsgeschäftliche Handlung des Lehnsherrn vermittelt wurde 15. — Im alamann. u. bayr. R. heifsen sie auch Zusammentheilungen, im burgund. R. indivisions oder raffrarachements (Verbrüderungen). Im Ganzen wahrten sie den alten familienrechtlichen Typus; allein sie konnten nicht nur vertragsmäfsig geregelt, sondern auch unter Fremden eingegangen werden (Huber a. a. 0. S. 251 u. 252 Anm. 38, Grimm, W. I 297). 10 Wippermann, Ueber Ganerbschaften, Wiesb. 1873; Beseler, Erbv. I 81 ff.; Gierke, Genossenschaftsr. I 425 ff., I I 934 Anm. 11 u. I I I 719 Anm. 77 (mit Nachweis der älteren Litt.); Heusler I 232ff.; unten Buch I I I Abschn. II. — Bei der Ganerbschaft erschien der „Burgfriede" als vertragsmafsige Grundlage der Gemeinschaft und namentlich ihrer Untheilbarkeit Der Zusammentritt Fremder zu Ganerbschaften kommt schon seit dem 13. Jahrh. vor; Wippermann S. 7 ff. 11 Heusler I 234ff. ; Näheres unten Abschn. V. — Dafs die Erbverbrüderungen ursprünglich nicht Erbverträge, sondern Gemeinschaften zur gesammten Hand waren, wird heute nicht mehr bestritten; zum Beweise genügen die Stellen b. Kraut § 156. 12 Den Ursprung der Gewerbegemeinschaft aus der Ganerbschaft zeigt deutlich Sachsenep. I Art. 12. Vgl. M. Weber, Zur Geschichte der Handelsgesellschaften im Mittelalter, Stuttg. 1889, S. 44ff. ; insbes. über Handelsgesellschaften S. 53 ff. 13 Vgl. Kuntze a. a. 0. S. 208 ff.; Lastig, Z. f. d. g. H.R. XXIV 387 ff.; Gierke a. a. 0. III 424 Anm. 22; F. G. Α. Schmidt, Handelsgesellschaften in den deutschen Stadtsrechtsq. des M.A., Bresl. 1883 (Unters, z. D. St. u. R.G.H. XV); M. Weber a. a. 0. (vor. Anm.); Behrend, H.R. § 63; Cosack, H.R. § 83 a. E. Dazu Goldschmidt, Handb. I, 1, 1 S. 271 ff., der aber den Ursprung der offenen Handelsgesellschaft aus der Hausgemeinschaft nicht für erwiesen hält und gegen die Anknüpfung an die gesammte Hand sich ablehnend verhält. Ferner K. Adler, Zur Entwicklungslehre und Dogmatik dee Gesellschaftsrechts, Berlin 1895, S. 30 ff., der Alles aus Schulden- und Exekutionsrecht herleitet. 14 Gierke a. a. Ο. I 967; Goldschmidt a. a. 0. S. 340ff. Auf eine Anknüpfung an das familienrechtliche Band deutet der Ausdruck „Schiffsfreunde". — Andere Arbeits- und Erwerbsgesellschaften, deren Formation auf ganerbschaftlichen Ursprung oder doch auf vorbildliche Einwirkung der Gemeinschaft zur gesammten Hand hinweist, entwickelten sich durch den Hinzutritt einer körperschaftlichen (gildemäfsigen) Verfassung zu Genossenschaften (und zwar mit Hinneigung zu vermögensgenossenschaftlicher Struktur): so die Mühlenerbschaften (Gierke a. a. Ο. S. 968 ff.), die Gewerkschaften (Opet, Z. f. Bergr. XXXIV 218 ff.), die Sälzergenossenschaften (vgl. über die Erbsälzer zu Werl Schröder, Z. f. R.G. X 258 ff.), zuletzt auch die Aktiengesellschaften. 15 Homey er, Sachsenspiegel I I , 2 S. 457 ff.; Näheres unten Buch I I I Abschn. I. Ursprünglich ist freilich die Belehnung zur gesammten Hand auf Brüder oder andere Verwandte berechnet; sie kann aber auch Fremde vereinigen.

§ 80. Gemeinschaften zur gesammten Hand.

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Zugleich streifte die gesammte Hand ihre ursprüngliche Gebundenheit an häusliche Lebensgemeinschaft ab. Die alte Hausgemeinschaft forderte Einheit des Hausstandes16 und gieng durch Sonderung der Hausstände unter 17. Allmählich wurde bei manchen Gemeinschaftsformen die Erhaltung einer Gemeinschaft zur gesammten Hand am ehemaligen Hausvermögen trotz Trennung der Hausstände dadurch ermöglicht, dafs statt der Substanztheilung (Thattheilung, Grundtheilung) eine mehr oder minder vollständige Nutztheilung (Mutschierung, Oerterung) vorgenommen wurde18. Denn in diesem Falle galt der Satz: „Mutschierung bricht nicht gesammte Hand". War aber eine gesammte Hand ohne häusliche Lebensgemeinschaft einmal möglich, so konnte auch von vornherein eine Gemeinschaft zur gesammten Hand unter Personen begründet werden, die nur in einer bestimmten Beziehung verbunden sein wollten19. Die gesammte Hand wurde demgemäfs auch da verwerthbar, wo nur ein einzelnes Recht oder eine einzelne Verbindlichkeit vergemeinschaftet werden sollte20. Auch mochte sie Verwendung finden, wenn nur einzelne ihrer Rechtswirkungen beabsichtigt waren21. Schon im Mittelalter diente so die personenrechtliche Gemeinschaft, während sie bei den der ursprünglichen Anlage entsprechenden Gesammthänderschaften um 16 Die Gemeiner sitzen zu einem Scheffel, Rauch und Brod, in einem Mus und Brod, in einem hus und in einer kost ungeteilt (Grimm, W. I 152 § 2), en même pain, sel et conduite. Vgl. Homey er a. a. O. S. 458 u. 462, Stobbe, Z. f. R.G. IV 228 ff, Heusler I 247, Huber IV 252. 17 Bei der bäuerlichen Gemeinderschaft ist hieran stets festgehalten worden. 18 Homeyer a. a. O. S. 466 ff., Stobbe a. a. 0. S. 244ff., Wippermann a. a. 0. S. 16 ff, Heusler I 247 ff., Schröder, R.G. S. 394 ff. u. 403. — Als Mutschierungen lassen sich schon die fränkischen Reichstheilungen auffassen; Brunner, R.G. I I 26. 19 So wurde bisweilen selbst eine ritterliche Ganerbschaft von mehreren lediglich zu diesem Zwecke zusammengetretenen adligen Unternehmern in der Weise errichtet, dafs sie das Kaufgeld für den Erwerb einer Burg mit Zubehör zusammenschössen und hierfür im Verhältnisse ihrer Beiträge nutzbare Antheile an dem für gemeinschaftliche Rechnung verwalteten Besitzthume erwarben; vgl. das Beispiel der Ganerbschaft Staden b. Zimmermann, Arch. f. hess. Geschichts- u. Alterthumskunde X I I (Darmst. 1872) S. 1 ff. 20 So namentlich früh bei dem Schuldversprechen mit gesammter Hand (insbesondere seitens mehrerer Bürgen) oder an die gesammte Hand; Stobbe, Vertragsr. S. 145 ff., D.P.R. I I I § 176, Gierke a. a. Ο. I I 382, 383, 957 ff, Heusler I I 258 ff, Η über IV 848. 21 So wurde die gesammte Hand bei den Erbverbrüderungen und mehr und mehr auch bei der Gesammtbelehnung zu einem blofsen Mittel fair die Begründung oder Erhaltung von Successionsrechten, während die Gemeinschaft zum Schein herabsank.

Drittes Kapitel.

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Personenrechtliche Gemeinschaften.

ihrer selber willen bestand und erst aus sich heraus vermögensrechtliche Wirkungen erzeugte, bei manchen Formen der gesammten Hand nur als ein unselbständiges Mittel für einen sachenrechtlichen oder obligationenrechtlichen Zweck. Nach der Aufnahme der fremden Rechte erhielt sich die Gemeinschaft zur gesammten Hand in zäher Lebenskraft. Die romanistische Theorie unterwarf zwar die deutschen Gemeinschaftsverhältnisse den römischen Kategorien der societas oder communio, erkannte aber tiefgreifende „Modifikationen" der römischen Rechtssätze auf diesem Gebiete an. Von der germanistischen Rechtswissenschaft wurden gerade hier die ersten unbeholfenen Versuche gewagt, den römischen Rechtsbegriffen einen eigenartigen deutschen Rechtsbegriff gegenüberzustellen22. Das'Naturrecht verwandte den Gedanken der gesammten Hand in mehr oder minder bewufster Weise bei dem Aufbau seiner Gesellschaftslehre28. Von der Gesetzgebung wurden einzelne Gemeinschaftsformen im Sinne der gesammten Hand geregelt24. Unter den grofsen Gesetzbüchern näherte sich namentlich das preufsische Landrecht in vielen Punkten dem deutschen Gemeinschaftsbegriffe 25. Im 19. Jahrhundert gieng der Wiedererstehung des deutschen Genossenschaftsrechtes eine praktische Neubelebung und Fortbildung des deutschen Gemeinschaftsrechtes zur Seite. Auch in der Theorie erstreckte sich die auf Zurückeroberung der deutschen Rechtsgedanken gerichtete Bewegung gleichzeitig auf das Körperschaftsrecht und auf das Gemeinschaftsrecht. Wurde doch von germanistischer Seite anfänglich sogar im Begriffe der „Genossenschaft" die Gemeinschaft zur gesammten Hand mit der genossenschaftlichen Körperschaft zusammengeworfen 26. Seit der Reinigung der Genossenschaftstheorie entstand eine selbständige Theorie der Gemeinschaften zur gesammten Hand, die trotz des lebhaften Widerspruches der herrschenden romanistischen 22

In der Theorie des „Gesammteigenthums", von deren Entwicklung in der Eigenthumslehre zu reden ist. 28 Im Grunde war seine moralische Person nichts als eine kollektive Personeneinheit, so dafs, wenn nun schon bei Ehe, Miteigenthum, Gesammtbelehnung, Korrealobligation u. s w. mit der persona moralis operirt wurde, sich eine Konstruktion dieser Gemeinschaften im Sinne der gesammten Hand ergab; vgl. ζ. Β Hert, De pluribus personis unam personam sustinentibus (Opusc. II, 3 S. 41 ff.), W o l f f , Inst. § 196, 424, 573, 639 ff., 692, N e t t e l b l a d t , Syst. Jurisp. nat. § 203 ff., 223 ff., Jurispr. pos. § 203 ff. u Gierke a. a. Ο. I I I 818 ff. 26 So beim Miteigenthum, im Gesellschaftsrecht, bei der Erbengemeinschaft; vgl. unten Anm. 32, 40 u. 44. 28 Vgl. oben § 62 Anm. 1.

§ 80. Gemeinschaften zur gesammten Hand.

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Lehre mehr und mehr durchgedrungen ist. Zum Theil wählte man freilich andere Namen27. Auch gieng und geht man noch heute in der Auffassung des Wesens der gesammten Hand vielfach auseinander. Wenn man aber hierbei mitunter den springenden Punkt aus den Augen verloren hat, so bricht doch trotz aller Meinungsverschiedenheit in der einen oder anderen Form immer wieder die Erkenntnifs durch, dafs der Wesenskern der gesammten Hand in der personenrechtlichen Verbindung der Subjekte steckt28. Nur werden selten alle Folgerungen hieraus gezogen. Man pflegt von der gesammten Hand überhaupt nicht im Personenrechte, sondern nur bei den wichtigsten von ihr beherrschten vermögensrechtlichen Erscheinungen zu handeln. IV. Arten. Die gesammte Hand ist ein überaus dehnbares Rechtsprinzip, das der ungleichartigsten Verwendung und der ungleichmäfsigsten Durchführung fähig ist 29 . Das personenrechtliche Band kann einer vom Willen der Verbundenen unabhängigen Quelle oder ihrem Vereinigungsvertrage entstammen ; es kann inniger oder loser geschürzt, dauernd oder vorübergehend angelegt sein; es kann eine umfassende Lebensgemeinschaft oder eine Vereinigung für einen einzelnen Zweck erwirken. Besteht zugleich eine Vermögensgemeinschaft, so kann sie als Ausflufs oder als Grundlage der Personenverbundenheit erscheinen ; sie kann ein Vermögen im Ganzen als ein mehr oder minder geschlossenes Sondervermögen oder eine einzelne Befugnifs oder Pflicht ergreifen; sie kann dem Sachenrechte oder dem Obligationenrechte angehören. Im Zusammenhange mit allen solchen Unterschieden kann innerhalb der Gemeinschaft die Grenze zwischen den Geltungsbereichen der Personeneinheit und der Personenvielheit sehr ungleich gezogen sein, so dafs schliefslich die Gemeinschaft zur gesammten Hand sich bald einer Körperschaft bald einer rein individualistischen Gemeinschaft auf das Aeufserste annähern kann. Erwägt man diese Elastizität des Prinzips der gesammten Hand, so wird man ihm für das heutige Privatrecht eine sehr vielseitige Bedeutung zuschreiben müssen. 87 So den Namen der „kollektiven Einheit" oder „formellen Einheit": zuerst J o l l y , Z. f. D. R. X I 318 ff., dann bes. Unger, Oest. P.R. I 330 ff., Jahrb. f. D. X X I I 219, 239 ff, XXV 251 ff. Letzterer spricht auch von „unpersonifizirten Personengesammtheiten ". 28 Vgl. Beseler, Erbv. I 84, Syst. § 70 A, Stahl, Rechtsphil. II, 1 S. 386ff, Stobbe, Z. f. R.G. IV 214 ff, D.P.R. I § 49 S. 433, I I § 81 S. 69 u. § 82 S. 73 u. 77, aber auch Heusler I 250 ff., Sohm S. 29ff.·, dazu Gierke a. a. Ο. I I 928, Genossenschaftsth. S. 353 ff. 29 Gierke, Genossenschaftsr. I I 944 ff, Genossenschaftsth. S. 342 ff.

Drittes Kapitel.

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Personenrechtliche Gemeinschaften.

Unter den familienrechtlichen Gemeinschaften schliefst heute die eheliche Gemeinschaft unter allen Umständen eine gesammte Hand in sich; als Vermögensgemeinschaft zur gesammten Hand entfaltet sie sich in dem Mafse, in dem Gütergemeinschaft besteht80. In die fortgesetzte Hausgemeinschaft tritt die gesammte Hand insoweit ein, als die Kinder zu Mitträgern der Gemeinschaft berufen sind81. Der Erbengemeinschaft, die im gemeinen Rechte dem römischen Gemeinschaftsbegriffe erlegen ist, wahren Landesrechte den Charakter einer Gemeinschaft zur gesammten Hand82. Hinsichtlich einzelner Rechtsverhältnisse erzwingt sich die gesammte Hand unter Miterben auch in das gemeine Recht Eingang88. Ueberdies sind die aus der Erbengemeinschaft erwachsenen adligen Ganerbschaften und bäuerlichen Gemeinderschaften noch nicht völlig abgestorben84. Unter den vertragsmäfsigen Gesellschaften weisen die Handelsgesellschaften, insoweit sie nicht zu Körperschaften gesteigert sind, den Typus einer personenrechtlichen Gesellschaft zur gesammten Hand in vollkommenster Durchbildung auf 85. So in erster Linie die offene Handelsgesellschaft 3 6 . Ebenso aber die Kommanditge80

Gierke, Genossenschaftsth. S. 367 ff. — Näheres im Eherecht. Gierke a. a. 0. S. 407 ff. — Näheres im Eltern- und Kinderrecht. 88 So vor Allem das Preufs. L.R. I, 17 § 115 ff.; Gierke a. a. Ο. S. 361 Anm. 2, 364 Anm. 3. — Näheres im Erbrecht. 8 8 . So ζ. B. hinsichtlich der Mitgliedschaft in einer eingetragenen Genossenschaft (R.Ges. § 75) oder einer Gesellschaft mit beschränkter Haftpflicht (R.Ges. § 18). — Vgl. auch Bayr. Gem.O. Art 32 Abs. 2 Z. 4 u. Abs. 4 über den einheitlichen Gemeindenutzungsantheil elternloser Kinder, die den elterlichen Hausstand „unvertheilt" fortsetzen. 84 Vgl. Gierke a. a. Ο. S. 345 Anm. 1, 348 Anm. 1, 356 Anm. 8, 357 Anm. 1, 920; über die Gemeinderschaft im geltenden schweizer. R. Hub er I I 107, 289, 830, 441, I I I 758 ff., IV 256. 8R Gierke a. a. Ο. S. 435 ff.; Behrend, H.R. § 62. — Kuntze a. a. O. (oben Anm. 1) u. Dernburg, Pand. I 61, verwenden gleichfalls den Begriff der gesammten Hand, eistrecken ihn aber auch auf Aktiengesellschaften und Genosse. Schäften. Dieselbe ungebührliche Ausdehnung geben Jolly (oben Anm. 27), Brinkmann, H.R. § 36, und früher auch Unger dem Begriffe der kollektiven Einheit. Vgl. hiergegen Goldschmidt, Syst. § 42. 89 Als GeseUschaft zur gesammten Hand konstruiren sie namentlich Beseler, D.P.R. § 229 ff., Behrend, H.R. § 63 ff., Cosack, H.R. § 84 ff., sowie Kuntze a. a. O. u. Dernburg a. a. 0. u. Preufs. P.R. I I § 217. Ebenso R.Ger. IX Nr. 32 S. 144. Sachlich stimmt damit nicht nur die Theorie der kollektiven Einheit (oben Anm. 35, bes. aber Unger, Jahrb. f. D. XXV 251 ff.), sondern auch vielfach die Theorie der modifizirten Sozietät (z. B. v. Hahn, Komm. I 374 ff., Goldschmidt, Syst. § 42 S. 133) überein. Ueberwiegend auch die Praxis, indem sie die Gesell31

§ 80. Gemeinschaften zur gesammten Hand.

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seilschaft 8 7 und folglich auch, obschon sie einer Körperschaft zum Verwechseln ähnlich sieht, die Kommanditgesellschaft auf Aktien88. Eine eigenartige Ausprägung hat das Prinzip der gesammten Hand in der seerechtlichen Gesellschaftsform der Rheder ei empfangen39. Auch in die Gesellschaft des bürgerlichen Rechtes führen ältere und neuere Landesgesetze von Rechtswegen die gesammte schafter in ihrer Verbundenheit, als Personen Verbindung oder Personeneinheit, als kollektives Ganze u. s.w. zur gesellschaftlichen Rechtsträgerschaft beruft; Gierke a. a. O. S. 464 ff., bes. R.O.H.G. I I 39, VI 417, XIV 5, XXIV 160» XXV 279, R.Ger. VHI 92, X I 115 ff., XV Nr. 26, XIX Nr. 36, XXX Nr. 11, Seuff. X L I Nr. 35, XLVIH Nr. 275. — Doch erblicken einerseits Manche noch immer in jeder Handelsgesellschaft eine juristische Person (vgl. die b. Gierke a. a. G. S. 50 Anm. 2 Angeführten, sowie Kohl er, Markenschutz S. 235 ff. u. Z. f. d. Ρ. u. ö. R. d. G. X I I I 8, u. Eccius, Z. f. d. g. H.R. X X X I I Iff.) oder doch eine „relative" juristische Person (Dahn, Handelsr. Vortr. S. 11 ff., G are is, H.R. § 29. Gar ei s u. Fuchsperger, Komm. S. 210 ff.), eine Auffassung, die auch in der Praxis oft sich geltend macht (vgl. Gierke a. a. O. S. 84 Anm. 4, 49 Anm. 3 u. 466 Anm. 1, seitdem z. B. R.Ger. X V I 2 u. 3, 17—18, XXV 252 ff, Seuff. XLV Nr. 164, XLIX Nr. 171), überwiegend aber verworfen wird (Gierke a. a. O. S. 48 Anm. 1—3, seitdem R.Ger. X V H 365 u. 368, X V I I I 140, XIX 193 ff, XXX Nr. 46, X X X I 8 3 ff, Seuff. X L I I Nr. 127, X L I H Nr. 43, XLVI Nr. 205 u. 206, XLVIII Nr. 194). Andrerseits halten Viele an dem römischen Sozietätsbegriff fest (Gierke a. a. O S. 49 Anm. 1) oder verlegen doch, indem sie die personenrechtliche Verbundenheit leugnen oder übersehen, alle Besonderheiten der Handelsgesellschaft in die objektive Einheit des Gesellschaftsvermögens (Gierke a. a. O. S. 462 ff, dazu Bekker, Pand. I 216, u. K. A d l e r a. a. O. S. 70 ff). Ueber und wider die von Laband, Z. f. d. g. H.R. XXX 503 ff. u. X X X I 1 ff, versuchte neue Konstruktion vgl. Gierke a. a. O. S. 438 ff. 87 Die Kommanditgesellschaft des geltenden deutschen Rechtes ist, obschon ihre geschichtlichen Wurzeln anderswo liegen, nur eine Abart der offenen Handelsgesellschaft. Vgl. Renaud, Das Recht der Kommanditgesellschaften, Leipz. 1881; Wendt in Endemanns Handb. I § 96 ff.; Behrend, H.B, I § 86 ff.; Coeack, H.R. § 88; Gierke a. a. O. S. 51, 453 ff. u. 460; R.Ger. X X X I I Nr. 110. Alle in der vor. Anm. erwähnten Streitfragen beziehen sich daher auch auf sie. Nur bisweilen taucht die Meinung auf, dafs bei ihr ein stärkeres Bedürfnifs zur Annahme einer selbständigen Persönlichkeit vorliege; so v. Völderndorff, Komm, zum R.Ges. v. 18. Juli 1884, Erl. 1884, S. 16; vgl. auch Seuff. XXXIX Nr. 321. 88 Renaud a. a. O. S. 110 ff., P r i m k e r in Endemanns Handb. I 686 ff., Goldschmidt, Syst. § 63—65, G i e r k e a. a. O. S. 52 ff., 455 u. 461. Dagegen erblickt Endemann, H.R. (4. Aufl.) § 76 III, in ihr eine Körperschaft. Andere erklären die Kommanditistengesammtheit fur eine besondere juristische Person ; so Kuntze, Z. f. d. g. H.R. VI 240, Cosack, H.R. § 100, u. früher Stobbe I § 58 IV (in 2. u. 3. Aufl. zweifelnd). — Eine Körperschaft, weil Abart der Aktiengesellschaft, ist die „Kommanditaktiengesellschaft" des Schweiz. O.R. Art. 676. 89 Lewis in Endemanns Handb. IV 54 ff., Das deut. Seerecht (2. Aufl.) S. 62 ff; R. Wagner, Handb. des Seerechts I 188 ff; Cosack, H.R. § 90;

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Drittes Kapitel. Peronenrechtliche Gemeinschaften.

Hand ein 4 0 . Im gemeinen Rechte herrscht der römische Sozietätsbegriff. Allein allgemein ist die Möglichkeit anerkannt, vertragsmäßig das Sozietätsrecht im Sinne des deutschen Gesellschaftsrechtes abzuwandeln. Wir haben oben gesehen, wie unter Zuhülfenahme des Prinzips der gesammten Hand sogar Verbände, die an sich Körperschaften sind, als Gesellschaften konstruirt werden können und zum Theil nach Lage der Gesetzgebung konstruirt werden müssen41. Vielfach aber begegnen Gesellschaften, die in der That des körperschaftlichen Wesens entbehren und gleichwohl eine personenrechtliche Gemeinschaft erzeugen, bei denen daher die gesammte Hand ein durchaus passendes Rechtsgewand abgiebt42. Hierzu gehören auch die vorübergehenden Vereinigungen, die in Gestalt von Beitragsgesellschaften für die Lösung der verschiedenartigsten sozialen Aufgaben gebildet zu werden pflegen 48. Gierke a. a. O. S. 53, 345 Anm. 2 u. 359 Anm. 3. — Lewis hat seine frühere Ansicht, dafs die Rhederei eine juristische Person sei, zurückgenommen. 40 Vgl. ältere Partikularrechte b. Gierke, Genossenschaftsr. Π 819 Anm. 194. Ferner Preufs. A.L.R. I, 17 § 169 ff. u. dazu Dernburg I I § 217, 219 Anm. 7—9 u. 222. Zum Theil auch Sächs. Gb. § 1367, 1383, 1386 u. 2075. Im Gegensatze zu Entw. I (vgl. über ihn Gierke, Personengemeinschaften S. 95 ff.) will Entw. I I § 645 ff. dem Gesellschaftsvertrage eine Gemeinschaft zur gesammten Hand entspringen lassen. 41 Vgl. oben § 76 Anm. 36 u. 89. 48 Man denke ζ. B. an die nicht als Handelsgesellschaften anerkannten Gesellschaften von Minderkaufleuten und andere Erwerbsgesellschaften. — Entw. I I § 675 will ihnen die Möglichkeit gewähren, unter das Recht der offenen Handelsgesellschaft oder der Kommanditgesellschaft zu treten. Ebenso Schweiz. O.R. Art. 552 Abs. 3 u. Art. 590 Abs. 3. 48 Vgl. Krückmann, Kommissionen, Komitees, Ausschüsse, Arch. f. bürg. R. V I I I 67 ff.; dazu Brinz, Pand. 1. Aufl. S. 1020, 1062, 2. Aufl. § 440 a. E, Bekker I I § 112 Beil. II, Dernburg I § 62 Anm. 8, Regelsberger, Streifzüge im Gebiet des Civilr., Gött. 1892, S. 70 ff., Pand. § 78 III. Hier überall wird insbesondere das Rechtsverhältnifs an dem durch eine öffentliche Sammlung von einem Ausschusse oder Komitee aufgebrachten Vermögen bis zu dessen endgültiger Verwendung erörtert. Zweifellos ist dasselbe ein zweckgebundenes Sondervermögen (vgl. unten Abschn. I I Kap. I). Wer aber ist das Subjekt? Man darf weder mit B r i n z , Bekker und Dernburg ein selbständiges Zweckvermögen noch mit Regelebergerein fiduziarisches Eigenthum der Sammler noch mit Krückmann (S. 97 ff., 122 u. 166) ein bedingtes römisches Miteigenthum des Komitees oder Ausschusses annehmen. Vielmehr besteht daran eine Eigenthumsgemeinschaft zur gesammten Hand, deren Träger aber nicht die Sammler, sondern sämmtliche Beitragsspender sind. Mag auch die Beitragsgesellschaft lediglich durch einen von sich aus zusammengetretenen oder von Anderen eingesetzten Ausschufs ins Leben gerufen sein und von ihm vollkommen repraesentirt werden, so bleibt doch diese engere Personengemeinschaft Geschäftsführerin einer umfassenderen Personengemeinschaft, der jeder Beitragende beitritt. Das zweckbestimmte Sondervermögen ist

§ 80. Gemeinschaften zur gesammten Hand.

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Ebenso empfängt die zufälige Rechtsgemeinschaft theils schon durch landesgesetzliche Bestimmungen, theils durch gesetzlich zugelassene und kraft Gewohnheitsrechtes auch im gemeinen Rechte statthafte Vereinbarungen vielfach Züge einer Gemeinschaft zur gesammten Hand 44 . Bei manchen Gemeinschaftsverhältnissen erscheint eine personenrechtliche Verbundenheit der Theilhaber als Regel45. In eigenthümlicher Form wird eine derartige Verbundenheit oft bei einer in Theilbeträge zerlegten Gesammtschuld zwischen den Gläubigern hergestellt46. Eine besondere Verwerthung findet die gesammte Hand bei Forderungen und Verbindlichkeiten zur gesammten Hand, wie sie nicht nur aus umfassenderen Gemeinschaften entspringen, sondern auch für sich begründet werden können47. somit ein Gesellschaftseigenthum, an dem nach Verhältnifs der Beiträge bemessene Antheile in der durch die gesammte Hand bewirkten Gebundenheit bestehen. In vielen Fällen werden sich hieraus praktische Folgerungen ziehen lassen (Beschlufsgewalt einer Versammlung der Beitragsspender, insbesondere bei Abänderung des Verwendungsplanes; Anspruch der Gesammtheit auf Ausführung des Unternehmens, auf Hinderung der Verwendung fur fremdartige Zwecke, auf Rechnungslage; Klagerecht der Einzelnen auf Ausscheidung und Ausantwortung ihrer Antheile bei Weg. fall oder Verkehrung der Zweckbestimmung). Bei manchen Formen der Sammlung ist freilich die Gesammtheit der Betheiligten so unbestimmt und verfliefsend, dafs ihre Vermögensträgerschaft unpraktisch ist und nur als Grundlage eines öffentlichen Einschreitens (insbesondere strafrechtlich) bedeutungsvoll wird. 44 Vgl. die b. Gierke, Genossenschafter. I H 819 Anm. 196, angef. Partikularrechte u. bes. das Preufs. L.R. I , 17 § 1—114; dazu Stobbe I I § 82, Dernburg, Preufs. P.R. I § 122ff., Gierke, Genossenschaftsth. S. 361 Anm. 1. Auch Entw. U trägt in seine „Gemeinschaft" Elemente der gesammten Hand hinein; vgl. § 680-682, 685—687, 691-692. 46 So bei den nicht als Körperschaften ausgestalteten oder anerkannten Agrargemeinschaften (oben § 74 Anm. 11 u. 14, Gierke a. a. O. S. 66 Anm. 1, 360 Anm. 1) älteren Gewerkschaften (Gierke, Genossenschaftsr. I I I 823) und mancherlei anderen Gemeinschaften (ib. S. 821 Anm. 204). Vgl. ferner über Miturheberrecht unten § 86 I I 3. 46 Die Gläubigergesammtheit (Prioritätsobligationäre einer Aktiengesellschaft, Inhaber der Schuldverschreibungen einér öffentlichen Körperschaft, Pfandbriefgläubiger u. s. w.) kann vertragsmäfsig zur Personeneinheit verbunden sein; R.Ger. X X I I Nr. 11, X X X I Nr. 17. Neuere Gesetze aber begründen von Rechtswegen einen mit Mehrheit beschliefsenden und hinsichtlich des Pfandbesitzes an beweglichen Sachen und Forderungen des Schuldners durch einen Pfandhalter vertretenen Gläubigerverband; E.G. zur R.Konk.O. § 17, Kob.-Goth. Ges. v. 4. April 1885, Braunschw. Ges. v. 30. März 1881; Oest. Ges. v. 24. April 1874; Schweiz. Ges. v. 24. Juni 1874; Näheres im Pfandrecht. 47 Hiervon im Obligationenrechte. B i n d i n g , Handbuch.

II. 3. I : G i e r k e , Deutsches Priratrecht.

I.

43

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Drittes Kapitel. Peronenrechtliche Gemeinschaften.

Häufig wird ferner eine personenrechtliche Vertretungsmacht mehreren Personen zur gesammten Hand übertragen48. In verschiedener Weise dient die gesammte Hand auch der Zusammenordnung von Personenmehrheiten zuTheileinheiten privater Genossenschaften49 oder Gemeinschaften60. Mancherlei Gesammthandsverhältnisse endlich kennt das öffentliche Recht 6 A . Von ihnen wirken namentlich die prozefsrechtlichen Personenverbindungen auf das Privatrecht ein. So die Streit genossenschaft 5 2 und vor Allem die dureh das Konkureverfahren begründete Gemeinschaft der Konkursgläubiger 5 8 . V. Rechtsgrundsätze. In Folge einer so weitgehenden Verzweigung werden heute die Gemeinschaften zur gesammten Hand un48 So bei der Kollektivprokura (H.G.B. Art 41 Abs. 8) und sonstiger Sammtvollmacht ·, bei einer Mehrheit von Testamentsvollstreckern (unten Abschn. Y Kap. IV) von Vormündern u. s. w. 49 So bei den als Sondereinheiten organisirten Mitgliederklassen, insbesondere den jetzt durch das Gesetz selbst (H.G.B. Art. 215 Abs. 6, 215 a Abs. 2, 248) zu Majoritäts verbänden ausgestalteten Klassen von Aktionären; oben § 64 Anm. 21, § 65 Anm. 40. Ebenso aber bei allen kollektiven oder kollegialischen Organen; Gierke a. a. O. S. 677 ff., oben § 65 II, § 78 VI. 60 Die ausgebildetste Personeneinheit dieser Art ist die Kominanditistengesammtheit in der Aktienkommanditgesellschaft; Gierke a. a. O. S. 52, 455, 528 Anm. 1, 534 Anm. 1, 575. Vgl. ferner über die Kindergesammtheit in der fortgesetzten Hausgemeinschaft ib. S. 421 u. 424 Anm. 1 ; über die in die Stelle eines Gemeiners einrückende Nachkommenschaft ib. S. 423 Anm. 3; über die Mehrheit der Erben eines Kommanditisten ib. S. 483 Anm. 1. Hierher gehören aber auch alle Fälle gesellschaftlicher Kollektivvertretung (ib. S. 588 Anm. 4) und Kollektivgeschäftsführung (H.G.B. Art. 100 u. 136), sowie die Fälle einer Vertretung, Leitung oder Aufsichtsführung durch kollegialisch eingerichtete Ausschüsse, Vorstände, Aufeichtsräthe u. s. w. von Gesellschaften oder Gemeinschaften; G i e r k e a. a. O. S. 527, 569 ff., 575, 579, oben Anm. 43. 61 8o das Völkerrecht bei Bünden (vgl. über das ältere deutsche Recht Gierke I I 835 ff.) und organisirten Verwaltungsgemeinschaften. Das Staatsrecht und das Sozialrecht anderer öffentlicher Verbände bei Unionen (Realunion), Mitgliederklassen (bei Gemeinden hinsichtlich der Allmende vielfach zugleich von privatrechtlicher Bedeutung) und allen kollektiven oder kollegialen Organträger8chatten (Bernatzik a. a. O. S. 230 ff.). Aus dem älteren Rechte gehören hierher auch gemeinschaftliche Regierungen (H. Schulze, Erstgeburt S. 235 ff.), gemeine Vogteien (Gierke, Genossenschaftsr.il 945ff.) und mancherlei Fälle zu gesammter Hand besessener patrimonialer Herrschafts- und Amtsgewalten (a. a. 0. S. 946). 62 In welchem Umfange bei ihr eine Gemeinschaft eintritt, hängt von dem materiellen Rechtsverhältnifs ab; C.Pr.O. § 58—60. 68 Ueber sie vgl. bes. K ö h l e r , Konkursr. S. 370 ff. u. Arch. f. civ. Pr. L X X X I 341ff. (keine juristische Person, aber eine organisirte, rechts- und handlungsfähige, das Privatrecht ergreifende Gemeinschaft). Vgl. auch Wach, Civilproz. 1 590 (Prozefspersonenverein).

§ 80. Gemeinschaften zur gesammten Hand.

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beschadet ihres einheitlichen Grundgedankens von sehr verschiedenartigen Rechtssätzen beherrscht. Die Entfaltung des Prinzips der gesammten Hand kann daher im Einzelnen nur bei den von ihm ergriffenen besonderen Rechtsinstituten dargelegt werden. Doch sind hier die allgemeinen Gesichtspunkte zu bezeichnen, von denen dabei auszugehen ist. 1. Die Begründung einer gesammten Hand erfolgt stets durch einen Vorgang, den die Rechtsordnung mit personenrechtlicher Vereinigungskraft bekleidet. Dieser Vorgang kann in der Verwirklichung eines vom Willen unabhängigen Thatbestandes oder in menschlichem Handeln bestehen54. Eine auf Begründung einer gesammten Hand gerichtete Handlung bleibt im Rahmen des Rechtsgeschäftes, unterscheidet sich aber als personenrechtliches Vereinigungsgeschäft von jedem rein individualistisch angelegten Rechtsgeschäfte56. So tritt insbesondere auch neben den rein obligationenrechtlichen römischen Sozietätsvertrag ein personenrechtlicher deutscher Gesellschaftsvertrag5®. 2. Durch die gesammte Hand wird stets eine personenrechtliche Verbundenheit bewirkt 57. Das personenrechtliche Band verleiht dem Gemeinschaftsverhältnisse unter den Gesammthändern die besonderen Züge, die es von einem Gemeinschaftsverhältnisse unter getrennten Personen unterscheiden. Insoweit daher den Gegenstand der Gemeinschaft ein Vermögensobjekt bildet, wird das Vermögensrecht durch den Einflufs des Personenrechts in eigentümlicher Weise umgestaltet58. Diese Umgestaltung bewegt sich immer in der Richtung einer Annäherung des Individualrechtes an das Sozialrecht59. Im Uebrigen wird sie von der Beschaffenheit des personenrechtlichen Bandes bestimmt und fällt daher je nach dessen familienrechtlicher 84

Gierke, Genossenschaftsr. I I 936 ff. Ueber den personenrechtlichen Gehalt der Verträge über eheliches Güterrecht vgl. Gierke, Genossenschaftsth. S. 376, Seuff. XXXV Nr. 221. 58 Ueber den Handelsgesellschaftsvertrag Gierke a. a. O. S. 470 ff., über den Rhedereivertrag S. 359 Anm. 3. Darum auch Publizität. — Ein solcher Vertragsschlufs kann einer Körperschaftserrichtung ähneln und nimmt ζ. B. bei der Aktienkommanditgesellschaft durchweg die äufeeren Formen einer solchen an; a. a. O. S. 476 ff. Ebenso in den oben Anm. 41 bezeichneten Fällen. 57 Bei den familienrechtlichen Gemeinschaften bedarf sie keines Nachweises. Bei den Handelsgesellschaften findet sie in der Namenseinheit (Gesellschaftsfirma) ihren sichtbaren Ausdruck; Gierke a. a. O. S. 450. Sie fehlt aber nirgends und bildet auch da, wo sie nur als sekundäres und dienendes Stück einer Vermögensgemeinschaft erscheint, den konstruktiven Mittelpunkt des Rechtsverhältnisses; a. a. 0. S. 359 ff. r >* Gierke a. a. O. S. 353 ff. M A. a. O. S. 355. 43* 56

Drittes Kapitel. Personenrechtliche Gemeinschaften.

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oder verkehrsrechtlicher Anlage und je nach dem ihm durch Gesetz oder Rechtsgeschäft verliehenen besonderen Inhalte überaus ungleich auseo. Von der anderen Seite her wirkt aber zugleich die Beschaffenheit des Gegenstandes der Gemeinschaft auf deren Gestaltung mafsgebend ein 61 . Die gesammte Hand muls sich in ungleicher Weise entfalten, jenachdem sie ein Recht an der Person62 oder ein Eigenthum68 oder ein begrenztes dingliches Recht64 oder eine dingliche Last 65 oder eine Forderung oder Schuld66 vergemeinschaftet. Und vor Allem empfängt sie ein besonderes Gepräge, wenn die Gemeinschaft einen Vermögensinbegriff als solchen ergreift und nunmehr zugleich durch Art und Stärke der objektiven Einheit bestimmt wird, die dem ihr unterworfenen Sondervermögen als Ehe-, Haus-, Grund-, Schiffe-, Geschäfts-, Gesellschafts-, Nachlafs-, Konkursvermögen u. s. w. eignet67. 3. Im Bereiche der gesammten Hand bilden die Gemeiner eine Personeneinheit, sind daher nicht für sich, sondern in ihrer Verbundenheit, „insgesammt" oder „kollektiv", berechtigt oder verpflichtet. Hiermit ist sowohl eine Zerlegung in Antheile wie eine solidarische Berechtigung oder Verpflichtung auf das Ganze verneint. Allein diese Personeneinheit gilt nur im Bereiche der gesammten Hand und läfst für eine Sonderung der verbundenen Personen innerhalb des Gemeinschaftsverhältnisses Raum. Denn die Gemeinschaft zur gesammten Hand erschöpft sich nicht in der gesammten Hand, sondern begründet zugleich für die einzelnen Gemeiner Sondere0

A. a. O. S. 356 ff., 372ff., 407ff., 450 ff. Gierke, Genossenschaftsr. I I 65 ff., 930 ff., Genossenschaftsth. S. 362 ff. ea Z. B. Mitgliedschaft, Vertretungsmacht, Organschaft, vgl. oben Anm. 33, 48—50; oder Urheberrecht, vgl. unten § 86 I I 3. 68 Und wieder ein Eigenthum an beweglicher oder unbeweglicher, körperlicher oder unkörperlicher, Einzel- oder Gesammtsache. Hiervon unten in der Lehre vom gemeinschaftlichen Eigenthum. 64 Z.B. ein Weiderecht (Seuff. XXXVHI Nr. 108), eine Reallastberechtigung u. s. w.; vgl. G i e r k e , Personengemeinschaften S. 71 ff. — Nach der einleuchtenden Konstruktion Κ Ohlers (Konkursr. S. 99 ff., Arch. f. civ. Pr. LXXXI 329 ff.) bildet auch den Gegenstand der Konkursgläubigergemeinschaft ein dingliches Recht, — das dem Pfändungspfandrechte verwandte „Beschlagsrecht" am Konkursvermögen. 66 Ζ. B. eine Reallast bei der Einzinserei oder Tragerei; vgl. Bluntschli, Zürch. R.G. I I 228 ff., Gierke, Genossenschaftsr. I I 204, Personengemeinschaften 8. 82, Huber I I I 434 ff., 537 ff., IV 774. Ueber die mögliche Ausgestaltung der Korrealhypothek im Sinne der gesammten Hand ist später zu handeln. ββ Vgl. oben Anm. 20, Beseler § 115 II, Gierke, Genossenschaftsth. S. 361 Anm. 1, 397 ff., 520 ff., 550 ff. 67 Gierke a. a. O. S.,363 ff., 372 ff., 456 ff. Hierauf ist unten beim Sondervermögen zurückzukommen. 61

§ 80. Gemeinschaften zur gesammten Hand.

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Sphären, durch die in irgend einem Mafse die ungetrennte Sammtsphäre eingeschränkt und ergänzt wird. Wie die deutsche Genossenschaft körperschaftsrechtliche, so schliefst die deutsche Gemeinschaft gemeinschaftsrechtliche Sonderrechtsverhältnisse ein 68 . Hieraus ergeben sich eigenartige Sonderrechte und Sonderpflichten, die zwar im Gegensatze zu aufsergemeinschaftlichen Rechten und Pflichten der Theilhaber durch die gesammte Hand gebunden bleiben, jedoch im Gegensatze zu den Sammtrechten und Sammtpflichten den einzelnen Theilhabern für sich zustehen. An ihnen findet also das Kollektivprinzip seine Schranke. Diese Sonderrechte und Sonderpflichten können sich auf getrennte Objekte richten69. Sie können aber auch das gemeinschaftliche Objekt ergreifen und insoweit sich entweder in gesonderten ideellen Antheilen oder in solidarischen Berechtigungen oder Verpflichtungen auf das Ganze äufsern 70. Somit sind Antheilsprinzip und Solidarprinzip zwar aus dem Bereiche der gesammten Hand, keineswegs aber aus den Gemeinschaften zur gesammten Hand verbannt. Vielmehr können sie das Kollektivprinzip in verschiedenem Umfange begrenzen und ergänzen und der Theilhaberschaft mehr oder minder ausgeprägte sonderrechtliche Züge verleihen. In der That begegnen in vielen Gemeinschaften zur gesammten Hand gesonderte Antheile, die nur im Gegensatze zu römischen Kommunionsantheilen das Gemeinschaftsverhältnifs niemals erschöpfen und stets in stärkerem oder schwächerem Mafse durch die gesammte 68 Gierke a. a. O. S. 344 u. namentlich für die Rhederei S. 359 Anm. 8, die Eigenthumsgemeinschaft S. 361 Anm. 1 (dazu R.Ger. XX Nr. 70), die Erbengemeinschaft S. 361 Anm. 2, die eheliche Gütergemeinschaft 8. 388 ff., die fortgesetzte Hausgemeinschaft S. 411 ff. u. 421 ff., die Handelsgesellschaft S. 494ff.; für einen Gläubigerverband R.Ger. X X I Nr. 17; für die Konkursgläubigergemeinschaft Κ o h l e r , Konkursr. S. 388 ff. 69 So Sonderrechte mit personenrechtlichem Inhalte, wie Stimmrecht, Vertretungs- oder Verwaltungsrecht, Recht der Verfügung über den Gemeinschaftsbestand (Gierke a. a. O. S. 512, 528 ff., 574 Anm. 2); Sonderrechte auf Besitz und Genufs einzelner Stücke des Gemeinschaftsgutes (a. a. O. S. 352 Anm. 3, 388 Anm. 1) oder auf Zuweisung solcher Stücke bei Auflösung der Gemeinschaft (S. 392 Anm. 1, 395 Anm. 1); Sonderrechte mit forderungsrechtlichem Gehalt, ζ. B. Ersatz-, Honorar-, Gewinnansprüche (S. 538 ff.); Sonderpflichten dinglicher oder persönlicher Art, Beitrags-, Arbeits-, Ersatzverbindlichkeiten u. s. w. (S. 534 ff.). Es wiederholen sich hier die oben § 68 I H S. 537 ff. behandelten Typen mit entsprechenden Abwandlungen. 70 Dieselbe Erscheinung ist uns ja schon (oben § 68 IH) bei den genossenschaftlichen Gemeinschaftsverhältnissen (Gesammteigenthum, Gesammtnutzungsrecht, Gesammtlast, Gesammtforderung, Gesammtverbindlichkeit) begegnet.

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Drittes Kapitel. Personenrechtliche Gemeinschaften.

Hand gebunden bleiben71. Ihren Inhalt bildet ein behufs Zerlegung in Sonderrecht oder Sonderpflicht herausgehobener Theilinhalt der Gemeinsphäre. Bei manchen Gemeinschaften begründen sie überhaupt nur eine Anwartschaft für den Fall der Lösung des Bandes und stellen sich daher während des Bestandes der Gemeinschaft als „schlummernde41 („ruhende", „stillgestellte", „latente") Antheile dar 72 . Bei anderen Gemeinschaften sind sie auch während des Bestandes der Gemeinschaft wirksam und bestimmen das Theilnahmeverhältnifs an der Beherrschung und dem Genufs des Gemeinschaftsobjektes und an den gemeinschaftlichen Lasten und Pflichten 78. Ist das Gemeinschaftsobjekt ein Sondervermögen, so ergreifen die Antheile nur das Vermögensganze und lassen die in ihm enthaltenen einzelnen Rechte und Pflichten ungetheilt74. Im Falle einer rein kapitalistischen Struktur 71 G i e r k e , Genossenschaftsr. I I 947ff., Genossenschaftsth. S. 845ff., Heusler I 328ff. — Abweichend Stobbe I I § 81 ff. 78 So bei der ursprünglichen Form der gesammten Hand mit häuslicher Lebensgemeinschaft (oben Anm. 16—17) und heute noch bei der ehelichen Gütergemeinschaft und den strengeren Formen der fortgesetzten Hausgemeinschaft, wobei dann wieder, jenachdem Konsolidationsprinzip gilt oder nicht, die Antheile nur im Falle der Auflösung der Gemeinschaft unter Lebenden oder auch im Falle ihrer Auflösung von Todeswegen wirksam werden; Gierke, Genossenschaftsth. S. 390ff.,. 411 ff., 425 ff. Desgleichen kraft Vereinbarung bei manchen Gesellschaften (oben Anm. 41 u. 42) und nach Entw. I I § 660 u. 667 ff. mangels anderer Abrede bei jeder Gesellschaft. In der Hauptsache auch bei der offenen Handelsgesellschaft und Kommanditgesellschaft; jedoch nicht (wie Thöl H.R. § 36 meint) durchaus,, da nach der gesetzlichen Regel die Antheile in dem Anspruch auf eine Kapitalrente γόη 4°/o und in der Art ihres Wachsens und Schwindens eine praesente Wirksamkeit entfalten; H.G.B. Art. 108 Abs. 2, 106—107, Gierke a. a. O. S. 502ff. 78 So schon im Mittelalter vielfach bei Ganerbschaften; Gierke, Genossenschaftsr. I I 934 Anm. 11 u. 954 ff. Allgemein bei der zufälligen Rechtsgemeinschaft; Pr.L.R. I, 17 § 44 ff., Entw I I § 679 Abs. 1, 681 u. 684. Kraft vertragsmäfsiger Abrede bei Gesellschaften und namentlich auch über das gesetzliche Mafs (oben Anm. 72 a. E.) hinaus bei Handelsgesellschaften; Gierke, Genossenschaftsth. S. 503 Α. 1 u. 4. Hinsichtlich der Kommanditistengesammtheit bei der Aktienkommanditgesellschaft; a. a. O. S. 505 ff. Durchweg bei der Rhederei, bei der die Schiffsparten nicht blos die Theilnahme an Willensbildung, Gewinn und Verlust und Beitragslast bestimmen, sondern auch eine antheilige persönliche Schuldenhaftung begründen; H.G.B. Art. 458, 467—469, 474. — Insoweit die Antheile einen Nutzungsanspruch gewähren, richten sie sich regelmäfsig nur auf den Nutzungsertrag, während Besitz und Gebrauch in die ungetheilte Gesammtsphäre fallen; Pr. L.R. I, 17 § 10 ff., 25ff., 36ff., 44ff., Entw. I I § 679—682; ebenso bei der Rhederei, den Handelsgesellschaften und anderen Erwerbsgesellschaften. Sie können aber auch durch reale Besitz- und Genufstheilung in der Form der Mutschierung (oben S. 667) ganz oder theilweise zur Geltung kommen; vgl: R.Ger. X I I Nr. 49. 74 So bei der ehelichen Gütergemeinschaft und ihren Fortsetzungen (Gierke

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des Gemeinschaftsvermögens nehmen sie die Gestalt reiner Werthantheile an 76 . Ihrem Umfange nach sind die Antheile bald vorläufig unbestimmt7e, bald nach Bruchtheilen bestimmt und im letzteren Falle wieder entweder fest 77 oder veränderlich78. Regelmäfsig erscheinen sie als Ausflüsse der personenrechtlichen Theilhaberschaft; es giebt jedoch Gemeinschaften zur gesammten Hand, die umgekehrt auf Antheile gebaut sind, so dafs die personenrechtliche Theilhaberschaft dem verselbständigten Antheile an einem Vermögensobjekte folgt 79. Eine einseitige Verfügung des Gemeiners über seinen Antheil ist nach der ursprünglichen Regel ausgeschlossen und immer nur in demselben Umfange zulässig, in dem ihm die Verfügung über die von ihm eingenommene Stelle in der Personenverbindung selbst zusteht80. Wo daher die personenrechtliche Seite des Verhältnisses das Uebergewicht behalten hat, ist der Antheil unveräufserlich 81. Umgekehrt enthält a. a. O. S. 377 if., 388, 405, 448, 434), der deutschen Erbengemeinschaft (S. 364 Anm. 3), den Handcisgesellschaften (S. 511 if. u. 543 ff.) und überhaupt der deutschen Gesellschaft (S. 364 Anm. 2), der Konkursgläubigergemeinschaft. Ebenso aber bei der Rhederei, bei der freilich die nact Schiffsparten getheilten persönlichen Schulden eine Ausnahme machen, aber nur deshalb, weil sie eben nicht zum Schiffsvermögen gehören; R. Wagner, Seerecht I 188. — Bestehen die Antheile an einem überschuldeten Vermögen, so sind sie als Passivantheile negative Gröfsen ; Gierke a. a. O. S. 499 Anm. 2. 76 So vor Allem bei den Handelsgesellschaften; Gierke a. a. O. S. 497 ff.; R.Ger. X V I I I Nr. 8, XXV Nr. 52, XXX Nr. 46, X X X I Nr. 26 S. 143. 76 Dies ist vielfach bei der ehelichen Gütergemeinschaft und der fortgesetzten Hausgemeinschaft der Fall und kommt auch bei der bäuerlichen Erbengemeinschaft vor; a. a. 0. S. 345 Anm. 1, 394, 421 Anm. 2, 427 Anm. 2. 77 So bei der Erbengemeinschaft, den Ganerbschaften, der Rhederei, der Aktienkommanditgesellschaft ; bei manchen Formen der ehelichen Gütergemeinschaft (a. a. 0. S. 391 Anm. 1, 394) und fortgesetzten Hausgemeinschaft (a. a. 0. S. 412 ff., 421, 431); im Zweifel auch bei jeder zufälligen Rechtsgemeinschaft. 78 So namentlich bei der offenen Handelsgesellschaft und der Kommanditgesellschaft, wo der Antheil nach der gesetzlichen Regel durch Zu- und Abschreibungen wächst und schwindet und sogar auf einen negativen Brachtheil lauten kann; a. a. 0. S. 498 ff., 501 Anm. 1. Veränderlich sind auch die Antheile in der Konkursgläubigergemeinschaft; Kohl er, Konkursr. S. 371 ff. Ebenso die Antheile in Gesellschaften mit wechselnder Gesellschafterzahl. 79 So die Rhederei als „sachenrechtliche Gesellschaft", die Gemeinschaft der Kommanditisten bei der Aktienkommanditgesellschaft, die zufällige Rechtsgemeinschaft. — Diese Gemeinschaften entsprechen den Vermögensgenossenschaften im Körperschaftsrecht. 80 Vgl. Gierke, Genossenschaftsr. H 949 ff., Stobbe, D.P.R. I I § 81 S. 72, § 82 S. 77 ff., Heusler I 236 ff.; vgl. Entw. I I § 658. 81 So in den familienrechtlichen Gemeinschaften, der alten Erbengemeinschaft, den Ganerbschaften und Erb Verbrüderungen; Stobbe, Z. f. R.G. IV 334, Heusler

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Drittes Kapitel. Personenrechtliche Gemeinschaften.

die Veräufserung des Antheils, insoweit sie statthaft ist, zugleich eine Uebertragung von Personenrecht und bleibt im Hinblick hierauf vielfach an gewisse Schranken gebunden82. Scheidet ein Gemeiner aus, ohne dafs eine Rechtsnachfolge in seinen Antheil stattfindet, so fällt sein Antheil kraft Anwachsung (Konsolidation) den übrigen Gemeinern an. So verhält es sich bei der Erledigung eines Antheiles durch Verzicht oder Verwirkung 88. Ebenso aber bei der Erledigung eines Antheiles durch Tod, falls nicht Erbfolge eintritt. Nach der ursprünglichen Regel rücken in die Theilhaberschaft nur Nachkommen ein, während bei dem Nichtvorhandensein folgefähiger Nachkommen der Erbgang durch Konsolidation ausgeschlossen wird 84 . Bei manchen I 236 ff., Huber IV 699 Anm. 19, Gierke, Genossenschaftsth. S. 389 Anm. 4, 423, 432 Anm. 1. Ebenso bei der Gesammtbelehnung; Sachsensp. Lehnr. Art. 32 § 3. Aber auch nach der gesetzlichen Regel bei der Handelsgesellschaft, sowie überhaupt im Zweifel bei jeder deutschrechtlichen Gesellschaft; Entw. I I § 657. — Hiermit ist die Zulässigkeit einer Verfügung über den künftigen freien Antheil nach Lösung des Bandes vereinbar. So kann bei der ehelichen Gütergemeinschaft, falls durch den Tod Quoten entstehen oder frei werden, im Zweifel jeder Ehegatte über die auf ihn fallende Quote von Todeswegen verfugen; Gierke a. a. O. S. 896. Der Gesellschafter aber kann im Zweifel über seinen künftigen Auseinandersetzungsantheil auch unter Lebenden verfügen; Gierke a. a. 0. S. 507 ff., H.G.B. Art. 98, Entw. I I § 657. — Insoweit der Antheil unveräufserlich ist, ist er auch unpfändbar. 82 So bei gemeinschaftlichem Eigenthum und der neueren Erbengemeinschaft durch Näherrechte der übrigen Theilhaber (Ganerbenlosung); Gierke, Genossenschaftsr. I I 819 Anm. 196, Genossenschaftsth. S. 361 Anm. 1. Ebenso früher bei der Rhederei, bei der heute die Verfügung über die Schiffspart wenigstens noch durch H.G.B. Art. 470 eingeschränkt ist; R.O.H.G. XXIV 46 ff., Gierke a. a. Ο. S. 347 Anm. 1. Auch die in Werthpapieren verkörperten Werthantheile der Kommanditaktionäre sind zwar jetzt nach denselben Regeln wie die Aktien der Aktiengesellschaft, aber eben nur mit den gesetzlichen und möglicher Weise hinzutretenden vereinbarten Beschränkungen des Aktienrechtes veräufserlich; H.G.B. Art 173 u. 173 a, 182—183. Die Antheile der persönlich haftenden Gesellschafter einer Aktienkommanditgesellschaft sind überhaupt nur an andere persönlich haftende Gesellschafter veräufserlich; H.G.B. Art. 181. — Möglich ist indefs vollkommen freie Veräufserlichkeit der Antheile bei Festhaltung der gesammten Hand in anderen Punkten; vgl. über die preufs. Erbengemeinschaft Gierke a. a. O. S. 364 Anm. 3, über die zufällige Gemeinschaft Entw. I I § 386. 88 Gierke a. a. O. S. 395 Anm 1, Seuff. XVI Nr. 135, H.G.B. Art. 468. — Bei vielen Gesellschaften (so in den oben Anm. 41 u. 43 bezeichneten Fällen) mufs auch ohne ausdrückliche Abrede angenommen werden, dafs der Austritt eines Gesellschafters stets als Verzicht auf seinen Antheil, der Ausschlufs als Verwirkung des Antheils wirken soll. — Für jede Gesellschaft will Entw. I I § 673 bestimmen, dafs der Antheil eines ausscheidenden Gesellschafters den übrigen Gesellschaftern anwächst, jedoch der Werth des Antheils zu Gunsten oder bei Ueberschuldung zu Lasten des Ausscheidenden realisirt wird. M Stobbe a.a.O. S. 237 ff., Gierke, Genossenschaftsr. I I 950 ff., Heusler

§ 80. Gemeinschaten zur gesammten Hand.

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Gemeinschaften aber sind die Antheile überhaupt unvererblich 85, bei anderen dem gewöhnlichen Erbgange unterworfen 8«. Einen Theilungsanspruch gewährt der Antheil entweder überhaupt nicht87 oder nur in Verbindung mit dem Ansprüche auf einseitige Zerstörung der Gemeinschaft88. Auch eine solidarische Berechtigung oder Verpflichtung aller oder einzelner Gesammthänder kann hinter, neben oder vor ihrer kollektiven Berechtigung oder Verpflichtung bestehen89. Solche Sonderrechte oder Sonderpflichten auf das Ganze können nur wieder nicht wie bei einfacher Solidarität das Gemeinschaftsverhältnifs erschöpfen90 I 242ff., Huber IV 253, Schröder, R. G. S. 323. So noch heute bei manchen Formen der ehelichen Gütergemeinschaft, fortgesetzten Hausgemeinschaft und bäuerlichen Gemeinderschaft; Gierke, Genossenschaftsth. S. 348 Anm. 1, 393 Anm. 1 - 2 , 423—425; Seuff. XLVIII Nr. 97 zu II. 86 So bei der ehelichen Gütergemeinschaft, falls auch bei beerbter Ehe Konsolidation gilt; a. a. O. S. 393 Anm. 1—2, 408 ff. Ebenso aber bei Gesellschaften mit unvererblicher Theilhaberschaft, faUs der Antheil nach ausdrücklicher oder stillschweigender Abrede den Ueberlebenien anwächst; vgl. auch Krückmann a. a. 0. S. 89 u. 100. 86 Wird die Gemeinschaft durch den Tod des Theilhabers aufgelöst, so vererbt sein Antheil als freier Antheil an dem Gemeinschaftsvermögen; so nach der gesetzlichen Hegel jeder Antheil bei der Gesellschaft des bürgerlichen Hechts und bei der offenen Handelsgesellschaft und der Antheil eines persönlich haftenden Gesellschafters bei der Kommanditgesellschaft. Vielfach aber ist mit dem Antheile zugleich die Theilhaberschaft selbst vererblich; so bei Schiffsparten, Kommanditistenantheilen und Kommanditaktien, Konkursgläubigergemeinschaft, heutiger Erbengemeinschaft, im Zweifel jeder zufälligen Hechtsgemeinschaft, kraft Vereinbarung auch bei Gesellschaften einschliefslich aller Handelsgesellschaften. 87 So bei der ehelichen Gütergemeinschaft und fortgesetzten Hausgemeinschaft (Gierke a. a. O. S. 389, 422, 432 Anm. 1), der Rhederei (S. 349 Anm. 2), jeder Handelsgesellschaft (S. 502); kraft Vereinbarung bei den alten Ganerbschaften (oben Anm. 10) und jeder Gesellschaft (oben Anm. 41 u. 43) oder Gemeinschaft (Gierke, Genossenschaftsr. I I Anm. 196, Stobbe I I 70). Entw. Π will bei der Gesellschaft die Theilungsklage gesetzlich ausschliefsen (§ 658), bei der Gemeinschaft ihren Ausschlufs nur mit Einschränkungen zulassen (§ 685—687). 88 In diesem Sinne stand von je bei der Erbengemeinschaft jedem Theilhaber in jedem Augenblicke die Theilungsklage zu, woran bei der bäuerlichen Gemeinderschaft festgehalten wurde; Heusler I 240 ff. Gleiches gilt mangels abweichender Vereinbarung fur jede zufällige Gemeinschaft. 89 So vielfach bei Forderungs- und Schuldgemeinschaft; vgl. Gierke, Genossenschaftsth. S. 344 u. 346 und namentlich über die mannichfachen Formen der ehelichen Schuldengemeinschaft S. 397ff. und über die Handelsgesellschaftsschulden S. 521 ff. u. 550 ff. Aber auch bei dinglicher Lastengemeinschaft, wie z. B. bei der oben Anm. 65 erwähnten Einzinserei. 90 Darum ist z. B. bei Verbindlichkeiten zur gesammten Hand von der

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Drittes Kapitel. Personenrechtliche Gemeinschaften.

und bleiben überdies in verschiedenem Mafse von dem Gesammtverhältnifs abhängig91. 4. Kraft der gesammten Hand ist die verbundene Personenmehrheit als solche rechtsfähig. Sie kann Rechte und Pflichten haben, die zwar keiner von den verbundenen Personen verschiedenen Verbandsperson, ebensowenig aber den einzelnen Gemeinern für sich zustehen. Der Umfang dieser kollektiven Rechtsfähigkeit ist je nach der Struktur und dem Gegenstande der Gemeinschaft überaus ungleich bemessen. An sich können nicht nur Eigenthum und begrenzte Sachenrechte. Forderungen und Schulden, sondern auch Personenrechte verschiedener Art in den Bereich einer Personeneinheit fallen 92. Der Rechtsfähigkeit entspricht hier wie überall Parteifähigkeit im Prozefs 98. Nach aufs en kommt, soweit die Gemeiner insgesammt berechtigt oder verpflichtet sind, ihre Personeneinheit voll zur Geltung. Die Gesammtrechte können gegen Dritte von der Gesammtheit und nur von ihr, die Gesammtpflichten von Dritten gegen die Gesammtheit und nur gegen sie geltend gemacht werden94. Der einzelne Gemeiner fllr sich ist weder aktiv noch passiv legitimirt 95. Freilich aber sind in der Gesammtheit, da ihre Personeneinheit nur die Zusammenfassung von Personen in einer bestimmten Verbundenheit bedeutet, die Einzelnen irgendwie enthalten96. Und soweit mit der gesammten Hand antheilige oder solidarische Sonderrechte oder Sonderpflichten verknüpft sind, können auch die Einzelnen für sich wegen solidarischen Sonderhaftung der einzelnen Schuldner stets die Gesammthaftung zu unterscheiden, die sie nur in ihrer Verbundenheit trifft; a. a. O. S. 398ff., 551 ff. 91 A. a. 0. Sê 400 ff. u. 558 ff. 9a Vgl. für die Handelsgesellschaft H.G.B. Art. 111 u. 164 u. dazu Gierke a. a. 0. S. 493 Anm. 1. Von den Persönlichkeitsrechten können ζ. B. Name, Firma, Marke, Urheber- und Erfinderrecht, aber auch Stand (ζ. B. Kaufmannseigenschaft), Domizil (z. B. Ehedomizil, Handelsgesellschaftssitz) und Ehre (ζ. B. Geschäftsehre) einer kollektiven Einheit eignen. 98 Vgl. hierüber und gegen die namentlich von Wach, Civilproz. I 520 ff., durchgeführte Annahme einer blos „formellen" Parteifähigkeit Gierke a. a. Ο. S. 591 ff. u. die dort gegebenen Nachweise aus Theorie u. Praxis, seitdem auch Seuff. X L I I I Nr. 132 u. 200, XLIV Nr. 56, XLVIH Nr. 275. — Ebenso Konkursfähigkeit; Kohler a. a. 0. S. 69 ff. 94 Gierke a. a. O. S. 381 ff. u. 543 ff. » A. a. O. S. 382, 384, 543, 552. 96 So ζ. Β. in der handelsgesellschaftlichen Personeneinheit die persönlich haftenden Gesellschafter mit ihrer ganzen vermögensrechtlichen Persönlichkeit, die Kommanditisten nur mit einem Theile derselben, weshalb jene auch als Einzelne Kaufleute sind, diese nicht; a. a. G. S. 454 Anm. 1 u. 3. Vgl. auch R.Ger. X X X I I Nr. 110 (Zeugnifsunfähigkeit des Kommanditisten wie des offenen Gesellschafters im Gesellschaftsstreit).

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eines Gemeinschaftsrechtes oder einer Gemeinschaftspflicht Dritte auf einen Theil oder auf das Ganze in Anspruch nehmen oder von Dritten auf einen Theil oder auf das Ganze in Anspruch genommen werden®7. Nach innen kann, soweit lediglich die in der Sammtsphäre beschlossenen Rechtsverhältnisse in Frage kommen, die Personeneinheit überhaupt nicht wirksam werden. Vielmehr löst sich die gesammte Hand, da ihr kein von den verbundenen Personen verschie denes Rechtssubjekt entspricht, unter den Gesammthändern in gegenseitige Rechte und Pflichten auf 98 . Dagegen kann insoweit, als es sich um Beziehungen zwischen der Sammtsphäre und den Sondersphären der Theilhaber handelt, die Gemeinschaft auch einem ihrer Theilhaber als berechtigte oder verpflichtete Personeneinheit gegenübertreten. Denn obschon der einzelne Gemeiner selbst Mitträger der ihm so gegenübertretenden Personeneinheit ist, gehört er ihr doch nur im Bereiche der Verbundenheit an und bleibt als alleiniger Träger seiner Sondersphäre hiervon unberührt. Somit kann er gegenüber der Personeneinjieit, die ihn hinsichtlich seiner Betheiligung an der Sammtsphäre ihm selbst gegenüber mitvertritt, seine Sondersphäre bei Rechtsgeschäften und im Prozefs vertreten". Dabei waltet aber wieder ein Unterschied, jenachdem aufsergemeinschaftliche oder gemeinschaftsrechtliche Sonderrechtsverhältnisse in Frage stehen. Im ersten Falle kommen dieselben Regeln zur Anwendung, die für Rechtsverhältnisse zwischen der Gemeinschaft und Dritten gelten100. Im zweiten Falle dagegen bleiben die das innere Gemeinschaftsverhältnifs beherrschenden Regeln mafsgebend101. Darum ist hier auch statt der Gegenüberstellung der Gemeinschaft und des Gemeiners die Auflösung des Verhältnisses in gegenseitige Rechte und Pflichten der einzelnen Gemeiner möglich und zum Theil unerläfslich 102. A. a. 0. S. 507 ff. und 558 ff., auch S. 400 ff. u. H.G.B. Art. 474. A. a. 0. S. 523 ff. »· A. a. 0. S. 530 ff. 100 A. a. 0. S. 539 ff. Darum entscheiden z. B., wenn eine Handelsgesellschaft mit einem ihrer Gesellschafter in einer aufsergesellschaftlichen Beziehung steht, die Grundsätze über Vertretung der Gesellschaft nach aufsen (R.Ger. V I I Nr. 38), über Geschlossenheit des Gesellschaftsvermögens (R.O.H.G. X X I Nr. 42, R.Ger. V I I Nr. 30), über Gemeinschafts- und Sonderhaft u. s w.; a. a. 0. S. 541 Anm. 1 - 3 , Coeack H.R. § 85 V; vgl. auch Seuff. XLIX Nr. 171. Gierke a. a. O. S. 531 Anm. 3. 102 A. a. O. S. 532 ff. Dabei ist jedoch zu beachten, dafs insoweit, als ein Gemeiner (ζ. B. ein Kommanditaktionär) nicht unmittelbar zur Mitdarstellung der Einheit des Gemeinschaftsganzen, sondern nur zur Mitdarstellung einer an der Darstellung dieser Einheit betheiligten engeren Kollektiveinheit berufen ist, seine Sonderrechte und seine Sonderpflichten sich nicht aus diesem engeren Zusammenhange lösen lassen. — Dem Körperschaftsrechte gegenüber ergiebt sich M

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5. Kraft der gesammten Hand ist die verbundene Personenmehrheit als solche auch handlungsfähig. Sie kann im Bereiche ihrer Verbundenheit in einheitlicher Weise einen Gemeinschaftswillen bilden und erklären, der sich zwar nicht als selbständiger Gemeinwille von den verbundenen Einzelwillen ablöst, ebensowenig aber sich in der Uebereinstimmung selbständiger Einzelwillen erschöpft. Diese kollektive Handlungsfähigkeit wird durch den gesetzlichen oder vereinbarten Umfang der Verbundenheit begrenzt und ist daher bei den verschiedenen Gemeinschaften sehr ungleich bemessen. An sich kann sie sich nicht nur auf Rechtsgeschäfte, sondern auch auf Prozefshandlungen108 und sogar auf rechtswidrige Handlungen104 erstrecken. Nach aufs en tritt die Gemeinschaft als handlungsfähige Personeneinheit unmittelbar in die Erscheinung, wenn die Gemeiner als solche insgesammt handeln105. Denn die verbundenen Gemeiner sind die Gemeinschaft selbst. Ein Handeln mit gesammter Hand ist erforderlich, sobald die Gemeinschaft eine Handlung vornehmen soll, für die eine Vertretungsmacht nicht begründet ist. Im Zweifel wird daher überall da, wo eine handlungsfähige Einzelperson nicht vertreten werden kann, die Gemeinschaft zur gesammten Hand nur durch sämmtliche Gemeiner dargestellt106. Ueberdies aber ist je nach der hiernach bei den gemeinschaftsrechtlichen Sonderrechtsverhältnissen eine halbe Aehnlichkeit, während bei den inneren Verhältnissen der gesammten Hand ein voller Gegensatz, bei den äufseren Verhältnissen der Gemeinschaft eine volle Aehnlichkeit sichtbar wird. 103 Ueber die Prozefsfahigkeit der Handelsgesellschaft vgl. Gierke a. a. Ο. S. 597 if. Unrichtig nehmen Manche an, dafs die Handelsgesellschaft eine prozefsunfähige Partei mit gesetzlicher Vertretung sei; so Β ehr end I 525, Eccius a. a. O. S. 10ff., R.Ger. XIV 20, X V I I 367 ff., Seuff. X L I I I Nr. 43, X L V I Nr. 233. 104 Ueber die Deliktsfähigkeit der offenen Handelsgesellschaft vgl. Gierke a. a. O. S. 560 Anm. 1 u. 580 Anm. 2, R.Ger. XV Nr. 13 u. 26, Seuff. X L H I Nr. 45. 106 Ursprünglich mufsten sie in äufserer Verbundenheit handeln, oben Anm. 2. Heute genügt es, wenn sie sämmtlich in ihrer Eigenschaft als Gemeiner handeln. Im Zweifel ist aber auch heute erforderlich, dafs jeder Gemeiner mithandelt und nicht etwa blos der Handlung eines anderen Gemeiners zustimmt; R.Ger. I Nr. 140. Doch begnügen sich die Gesetze vielfach mit ausdrücklicher oder selbst stillschweigender Zustimmung, so dafs z. B. die Handlung des Ehemannes mit Einwilligung der Ehefrau das Zusammenhandeln der Ehegatten ersetzt; Gierke a. a. O. S. 387. Vgl. auch Seuff. XLVI Nr. 84. 106 So bei der Eidesleistung, die daher, wenn eine Handelsgesellschaft zu schwören hat, sämmtlichen Gesellschaftern mit Einschlufs der Kommanditisten obliegt; Gierke a. a. O. S. 598 ff., Wach, Ζ. f. Civilproz. IX 433 ff. (Mit Unrecht begnügt sich die herrschende Meinung mit dem Eide sämmtlicher vertretungsbefugter Gesellschafter oder sämmtlicher Liquidatoren, Gierke a. a. G. S. 600 Anm. 2 u. 601 Anm. 1—2, R.O.H.G. XV Nr. 2, X X I Nr. 110, X X I H Nr. 103,

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gesetzlichen oder vereinbarten Ordnung der einzelnen Gemeinschaft ein engerer oder weiterer Kreis von Handlungen dem Zusammenwirken aller Gemeiner vorbehalten107. Regelmäfsig ist insbesondere eine Verfügung über das Gemeinschaftsobjekt nur mit gesammter Hand möglich108. Ist das Gemeinschaftsobjekt ein Vermögensinbegriff, so gilt nach der ursprünglichen Regel des deutschen Rechtes auch die Verfügung über einzelnes liegendes Gut als Substanzverfügung, während die Verfügung über Fahrniis in den Bereich der Verwaltung fällt 109 . Bei manchen Gemeinschaften aber ist die Unterscheidung besonderer Bestandtheile in der Einheit des Sondervermögens völlig untergegangen, so dafs es nur noch zur Verfügung über die Vermögenssubstanz als solche einer Mitwirkung aller Gemeiner bedarf 110. Andrerseits kann R.Ger. b. Seuff. XXXV Nr. 231, jetzt auch Cosack H.R. § 84 Anm. 40). Ebenso ist die preufsische Erbengemeinschaft beweisfällig, wenn ein Miterbe den Eid weigert; R.O.H.G. X I Nr. 68. — Ferner kann ein Delikt nur im Falle des Verschuldens aller Gemeiner als Gemeinschaftsdelikt gelten; a. M. R.Ger. XV Nr. 26 S. 130 ff., XX Nr. 42 u. X X X I I Nr. 7, vgl. aber Gierke a. a. O. S. 584 Anm. 3. Nur im Bereiche der Haftung für fremdes Verschulden treffen die Folgen der rechtswidrigen Handlungen von vertretungsbefugten Gemeinem die Gemeinschaft selbst; R.Ger. X Nr. 88, XV Nr. 13. — Umgekehrt wird die Gemeinschaft durch die Wissenschaft auch nur eines Gemeiners in bösen Glauben, Unredlichkeit u. s. w. versetzt, da sie Dritten gegenüber sich auf Unkentnifs nur berufen kann, wenn Alle in gutem Glauben sind; vgl. für die Handelsgesellschaft R.Ger. IX Nr. 32, fur kollektive Organträgerschaft oder Vollmacht R.Ger. b. Gruchot XXIX 703, Jur. Wochenschr. 1887 S. 191 Nr. 9, Bolze I Nr. 1186, Π Ι Nr. 439, VI Nr. 351, Seuff. XLIX Nr. 109. — Uebrigens kommen in allen diesen Beziehungen auch Repräsentationsverhältnisse vor ; so spielt bei der Aktienkommanditgesellschaft die Kommanditistengesammtheit in der Vertretung durch Generalversammlung, Aufsichtsrath oder besondere Bevollmächtigte die Rolle eines einzelnen Gesellschafters; Gierke a. a. O. S. 585, 601 Anm. 1. 107 So wird die Handelsgesellschaft bei den ihren Bestand betreffenden Anmeldungen (H.G.B. Art 88, 135, 151, 155, 156) und mangels anderer Abrede bei allen ihren Bestand betreffenden Rechtsgeschäften und Prozessen (Gierke a. a. Ο. S. 583 Anm. 5 u. 597 Anm. 4) nur durch sämmtliche Gesellschafter dargestellt. Eine kollektive Vertretungsmacht oder Organzuständigkeit kann im Zweifel überhaupt nur durch alle Betheiligten gemeinschaftlich ausgeübt werden. Die zufällige Rechtsgemeinschaft, die preufsische Erbengemeinschaft und die Gesellschaft des bürgerlichen Rechts entbehren nach der gesetzlichen Regel überhaupt jeder Vertretung, so dafs sie mangels anderer vertragsmäfsiger Gestaltung des Verhältnisses nach aufsen stets nur in der Gesammtheit der Theilhaber sichtbar werden; vgl. Pr. L.R. I, 17 § 10, 36, 230 ff., Entw. I I § 649 u. 654. 108 Pr. L.R. I, 17 § 10; Entw. I I § 683. 109 Heusler I 236 u. 245. Dies ist noch heute bei der ehelichen Gütergemeinschaft und der fortgesetzten Hausgemeinschaft als Regel anzusehen; Gierke a. a. O. S. 385, 409 ff., 420, Seuff. X X X I Nr. 341. 110 So bei der Handelsgesellschaft, bei der nur die Veräufserung des Ge-

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Drittes Kapitel. Personenrechtliche Gemeinschaften.

auch bei einer auf ein Sondervermögen gerichteten Gemeinschaft die Verfügung über einzelne Stüeke durchweg oder in bestimmtem Umfange der Gesammtheit vorbehalten sein 111 . Jenseits der so gezogenen Grenzen ist die gesammte Hand der Repräsentation fähig. Zunächst ist für die Gemeinschaft als Personeneinheit nach dem Mafse ihrer Rechtsfähigkeit eine einfache Stellvertretung zulässig112. Vor Allem aber begegnet bei der gesammten Hand in mannichfacher Ausgestaltung eine eigenartige Vertretung kraft Gemeinschaftsrechtes. Eine solche Vertretung gebührt oft einer Einzelperson: einem gebornen oder gekornen Gemeinschaftshaupte118, bestimmten Mitträgern der Gemeinschaft114 oder schäftes im Ganzen und jede nicht im Rahmen einer geschäftlichen Vereinigung liegende unentgeltliche Hingabe von Vermögenswerth gemeinsam vollzogen werden mufs; Gierke a. a. O. S. 584 Anm. 1—2, Behrend H.R. § 72 S. 508. Ebenso vielfach bei der ehelichen Gütergemeinschaft und ihren Fortsetzungen, wo gleichfalls die auf Liegenschaften ausgedehnte Verfügungsmacht des Gemeinschaftshauptes sich nicht auf Verfügungen über das Vermögen als Ganzes und im Zweifel auch nicht auf reine Liberalitätsakte erstreckt; Gierke a. a. O. S. 385 Anm. 4, 386 Anm. 1, 411 Anm. 3, 420 Anm. 1 u. seitdem Seuff. XLVII Nr. 118. 111 Durchweg mangels anderer vertragsmäfsiger Ordnung bei den oben Anm. 107 a. E. bezeichneten Gemeinschaften; in gewissem Umfange bei manchen Formen der ehelichen Gütergemeinschaft, Gierke a. a. O. S. 385 Anm. 2. 113 Bei der Handelsgesellschaft wegen ihrer Kaufmannseigenschaft auch Prokura; a. a. O. S. 586, 601. — Von der Stellvertretung für die Personeneinheit ist die Vertretung des Gemeiners in der Personeneinheit (ζ. B. durch einen Vormund) scharf zu scheiden; ist ein Gemeiner bei einer gemeinschaftlichen Handlung gültig vertreten, so wird hierdurch der Handlung die Eigenschaft einer Handlung mit gesammter Hand nicht entzogen; a. a. 0. S. 582 Anm. 2, 597 Anm. 2. 118 Dem Ehemanne bei der ehelichen Gütergemeinschaft, a. a. 0. S. 381 ff.; dem überlebenden Ehegatten bei der fortgesetzten Gütergemeinschaft, a. a. 0. S. 419 Anm. 1; dem Aeltesten bei der bäuerlichen Gemeinderschaft, Grimm, W. I 152 § 2, Heusler I 246, Huber IV 253 Anm. 34; desgleichen bisweüen bei der ritterlichen Ganerbschaft, Gierke, Genossenschaftsr. I I 934 Anm. 11, 940 Anm. 13; dem Lehnsträger bei der gesammten Hand des Lehnrechts, dem Gutsträger bei der Hofesgemeinschaft und der Einzinserei, Stobbe, Z. f. R.G. I V 246 ff., Gierke a. a. 0. I I 952 ff.; dem Korrespondentrheder bei der Rhederei, R. Wagner, Seerecht I 199ff. ; dem Konkursverwalter bei der Konkursgläubigergemeinschaft, Ko hier, Konkursr. S. 400 ff. Hierhergehört auch der etwaige einzige vertretungsbefugte Gesellschafter einer Handelsgesellschaft. Auch bei anderen Gesellschaften oder Gemeinschaften ist die Bestellung eines vertretungsbefugten Einzelvorstehers möglich; Pr. L.R. I, 17 § 40 ff, 210, 231, Entw. I I § 654. 114 So nach der gesetzlichen Regel jedem persönlich haftenden Gesellschafter einer Kommanditgesellschaft und jedem unter mehreren vertretungsbefugten Gesellschaftern einer offenen oder Kommanditgesellschaft. Hierher gehört auch die der Ehefrau in ihrem Wirkungsbereiche zustehende Vertretungsmacht; Gierke, Genossenschaftsth. S. 382 ff.

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jedem einzelnen Gemeiner . Sie ist aber vielfach auch einer engeren Personeneinheit eingeräumt: einer verbundenen Mehrheit bestimmter Personen116, einem wechselnden Personeninbegriffe 117 oder der jedesmaligen Mehrheit der Gemeiner118. Die Vertretungsmacht kraft gesammter Hand kann mehr oder minder umfassend sein und hat bei manchen Gemeinschaften einen unabänderlichen gesetzlichen Umfang 119. Ihrem Wesen nach unterscheidet sie sich von einer einfachen Vollmacht dadurch, dafs sie als Ausflufs einer personenrechtlichen Stellung in der Gemeinschaft einen Bestandtheil des Gemeinschaftsverhältnisses selber bildet. Wer daher als Gesammthänder die gesammte Hand vertritt, vertritt nicht theilweise sich selbst und theilweise Andere, sondern ausschliefslich die von ihm als Träger dargestellte Personeneinheit120. Das Verhältnifs kann sich so dem eines körperschaftlichen Organes stark annähern, ohne doch jemals in ein solches überzugehen121. Nach innen wird die Gemeinschaft von dem einheitlichen Gesammtwillen der verbundenen Personen beherrscht. Dieser Gesammtwille kommt zunächst nur in der Willenseinigung aller Gemeiner zur Erscheinung. Doch vollzieht sich schon diese Willenseinigung, da sie 115

So nach der gesetzlichen Regel bei der offenen Handelsgesellschaft; a. a. O. S. 587 ff. Vgl. auch über die Vertretungsmacht jedes Ehegatten bei der Gütergemeinschaft des Münsterschen Rechtes a. a. 0. S. 884 Anm. 2, Roth, D.P.R. § 105 Anm. 21. 116 Z. B. mehreren Handelsgesellschaftern als Kollektivvertretern; H.G.B. Art. 86 Z. 4, Gierke a. a. 0. S. 588 Anm. 4. Als gesetzliche Regel gilt bei mehreren Liquidatoren die blos kollektive Vertretungsmacht; H.G.B. Art. 186. Vgl. auch Entw. I I § 650. 117 So kann eine Kollektivprokura oder sonstige Kollektivvollmacht in der Weise ertheilt sein, dafs die in ihrer Verbundenheit ermächtigte Personenmehrheit durch je zwei beliebige Mitträger dargestellt wird. Aehnlich verhält es sich bei der Repräsentation einer Gemeinschaft durch die jeweilige Majorität eines vertretungsbefugten Ausschusses oder Vorstandes. 118 So wird eine Rhederei ohne Korrespondentrheder durch die Mehrheit der Mitrheder vertreten; Cosack, H.R. S. 551. Ferner wird vielfach ein innerhalb eines Verbandes oder einer Gemeinschaft in sich verbundener Personeninbegriff, insoweit er als besondere Personeneinheit in Betracht kommt, durch seine jeweilige Majorität repräsentirt; so die Gesammtheit der Kommanditaktionäre, eine Klasse bevorrechteter Aktionäre, sonstige Mitgliederklassen, jedes kollegial eingerichtete Organ. 119 Insbesondere bei der Handelsgesellschaft; H.G.B. Art. 116; Gierke a. a. O. S. 587 ff. 120 A. a. O. S. 382 Anm. 3, 384 Anm. 1, 589 ff. 121 Der Ausdruck „Organ" wird daher hier besser ganz vermieden, wie dies auch dem Sprachgebrauche der Gesetze entspricht. In der Praxis (ζ. B. Seuff. I Nr. 72, R.O.H.G. X 357, XV 6, R.Ger. XIV 127) und Theorie (ζ. B. Kohler, Konkursr. § 65) wird oft von „Organen" der Gemeinschaft gesprochen.

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Drittes Kapitel.

Personenrechtlich Gemeinschaften.

nur die Entfaltung einer bereits vorhandenen Willensverbundenheit ist, nicht durch Vertragsschlufs, sondern durch Beschlufsfassung 122. Dartiber hinaus wird durch Rechtssatz oder Rechtsgeschäft die Bildung und Ausführung des Gemeinschaftswillens in mehr oder minder weitem Umfange einem jeweiligen einheitlichen Träger der verbundenen Willensmacht anvertraut. In vielen Gemeinschaften zur gesammten Hand werden Beschlüsse mit Stimmenmehrheit gefafst 123. Oft ist auch einem repräsentativen Ausschusse eine Beschlufsgewalt übertragen 124. 122 So bei der Handelsgesellschaft; H.G.B. Art. 103, 133 Abs. 1, 134, dazu Gierke a. a. O. S. 568. Ebenso, falls Einstimmigkeit erforderlich ist, bei der Rhederei; H.G.B. Art. 458 u. 459. Ueberhaupt aber bei jeder Gesellschaft oder Gemeinschaft. Vgl. auch Schweiz. O.R. Art 532—533, Entw. I I § 652. — Dagegen bedarf es stets (ζ. B. auch bei den familienrechtlichen Gemeinschaften) eines Vertragsschlusses, um eine den Rahmen der bestehenden Willensverbundenheit überschreitende Abänderung des Gemeinschaftsverhältnisses zu erwirken. 128 So kraft Rechtssatzes gemeinrechtlich bei der Rhederei (H.G.B. Art. 458, 459, 468, 473, R. Wagner a. a. O. S. 196 ff.), der Kommanditistengesammtheit in der Aktienkommanditgesellschaft (Gierke a. a. O. S. 574 ff.), den Aktionärklassen (H.G.B. Art. 215 Abs. 6, 215a Abs. 2 , 248), der Konkursgläubigergemeinschaft (Köhler a. a. 0. S. 426 ff.); partikularrechtlich bei der zufälligen Rechtsgemeinschaft (in weitem Umfange nach Pr. L.R. I, 17 § 12 ff., zum Theil aber auch nach Oest. Gb. § 833, Sächs. Gb. § 331 u. anderen Ges. b. Stobbe I I 75 ff., dazu Entw. I I § 681), Agrargemeinschaften (oben Anm. 45), Gläubigerverbänden (oben Anm. 46). Kraft Vereinbarung auch gemeinrechtlich bei jeder Gemeinschaft, bei Handelsgesellschaften (Gierke a. a. O. S. 567 u. 572) und bei Gesellschaften des bürgerlichen Rechts (vgl. dazu Pr. L.R. I, 17 § 209, Sächs. Gb. § 1367, Entw. I I § 649). In manchen Fällen ist eine stillschweigende Abrede dieses Inhaltes anzunehmen (oben Anm. 41 u. 43). — Die Mehrheit wird bald (wie bei den angeführten gesetzlichen Mehrheitsverbänden) nach Antheilen, bald (wie im Zweifel bei Gesellschaften nach Pr. L.R. I, 17 § 209, Schweiz. O.R. Art. 532, Entw. I I § 649) nach Köpfen berechnet. Im Zweifel bedarf es der Mehrheit der vorhandenen Theilhaber, jedoch keiner Versammlung (vgl. für die Rhederei R.O.H.G. XVI 380 ff.); zum Theil aber (wie bei der Aktienkommanditgesellschaft, den Gläubigerverbänden und oft nach Gesellschaftsverträgen) findet Beschlufsfassung in einer Versammlung und Bindung der Abwesenden wie bei Körperschaftsbeschlüssen statt. Zu manchen Beschlüssen wird auch hier verstärkte Mehrheit verlangt. — Neuerdings haben Bekker, Z. f. H.R. X V I 72 ff. u. X V I I 394 ff., u. Goldschmidt ib. XXXV 864 ff. einen besonderen Begriff der „Majoritätsverbände" aufgestellt. Indefs ist die Unterwerfung unter Mehrheitsbeschlüsse nur ein einzelnes, keineswegs aber ein unerläfsliches Symptom von Willensverbundenheit Schwerlich kann es z. B. als angemessen erachtet werden, die offene Handelsgesellschaft, je nachdem bei ihr die gesetzliche Regel gilt oder durch den Gesellschaftsvertrag Mehrheitsbeschlüsse zugelassen sind, verschiedenen Verbandsgattungen zuzutheilen. 124 So kraft Rechtssatzes dem Aufsichtsrathe der Aktienkommanditgesellschaft (H.G.B. Art. 182, 187, 194) und dem Gläubigerausschufs im Konkurse (Konk.O. § 82), kraft Vereinbarung vielfach kollegialischen Ausschüssen, Vorständen, Komitees u. s. w. von Gesellschaften.

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Wo es eines Beschlusses nicht bedarf, wird der Gesammtwille bald durch den Entschlufs eines Gemeinschaftshauptes, bald durch den Entschlufs jedes Gemeiners oder bestimmter Gemeiner gebildet125. Fast immer liegt die Willensausführung in der Hand eines verwaltenden Hauptes oder eines Geschäftsführers oder mehrerer Geschäftsführer 12e. Andrerseits sind vielfach alle oder einzelne Gemeiner oder ein repräsentativer Ausschufs zu einer Aufsichtsführung berufen 127. Indem eine derartige Vertheilung der durch die gesammte Hand vergemeinschafteten Willensmacht ein für alle Mal gesetzlich oder vertragsmäfsig geordnet wird, nähert sich die innere Einrichtung der Gemeinschaft einer körperschaftlichen Verfassung und erweckt nicht selten den Schein einer gemeinheitlichen Organisation128. 125 In irgend einem Umfange gilt überall, wo ein Haupt der Gemeinschaft anerkannt ist (oben Anm. 113), der Willensentschlufs dieses Hauptes als Gemeinschaftswille. Daneben kann aber ein zur Mitverwaltung berufener anderer Gemeiner in seinem Verwaltungsbereiche einen Gemeinschaftswillen bilden. So neben dem im Allgemeinen mit entscheidender Willensmacht betrauten Ehemanne die Ehefrau im Bereiche ihrer Schlüsselgewalt. Eine Willensbildungsmacht jedes einzelnen Gemeiners, die aber durch eine Hemmungsgewalt (Widerspruchsrecht) jedes anderen Gemeiners eingeschränkt wird, besteht nach der gesetzlichen Regel bei der offenen Handelsgesellschaft und unter Beschränkung auf die persönlich haftenden Gesellschafter bei der Kommanditgesellschaft; Gierke a. a. O. S. 568 ff., 573 ff. Dieselbe Regel gilt nach Handelsgesellschaftsrecht, falls die Geschäftsführung einem Gesellschafter oder mehreren Gesellschaftern durch Vertrag oder Beschlufs entzogen ist, im Kreise der geschäftsfuhrenden Gesellschafter. Möglich ist aber auch die kollektive Berufung mehrerer Gesellschafter zur Geschäftsführung und somit die Beseitigung des Prinzips des Einzelentschlusses durch das Prinzip des gemeinsamen Entschlusses; a. a. O. S. 569 Anm. 4, H.G.B. Art. 100 Abs. 1, R.O.H.G. XV 35. Bei der Gesellschaft des bürgerlichen Rechtes gilt die gemeinsame Geschäftsführung als Regel, tritt daher die Willensbildung durch Einzelentschlufs nur kraft Vereinbarung ein. So auch Entw. I I § 650—651. Anders Schweiz. O.R. Art. 533—534, 126 Im Zweifel decken sich Vertretungsmacht nach aufsen (oben Anm. 113 ff.) und Verwaltungsmacht nach innen. Vgl. Entw. I I § 654. Sie können indefs beliebig von einander getrennt werden. Bei den Handelsgesellschaften löst das Gesetz selbst die Geschäftsführung begrifflich von der Vertretung ab; Gierke a. a. Ο. S. 570 ff. Aber auch bei der ehelichen Gütergemeinschaft wird eine Sonderung von Vertretunge- und Verwaltungsmacht bei der Trennung der äufseren und inneren Seite der Schuldengemeinschaft sichtbar; a. a. 0. S. 357 ff. 127 So jeder auch von der Geschäftsführung ausgeschlossene offene Gesellschafter und in geringerem Umfange auch der Kommanditist (H.G.B. Art. 105, 158, 160, 172, dazu Schweiz. O.R. Art. 541 u. Entw. I I § 656); der Aufsichtsrath der Aktienkommanditgesellschaft (H.G.B. Art. 193); der Gläubigerausschufs im Konkurse (Konk.O. § 80); beliebig gebildete Kontrolinstanzen nach Gesellschaftsvertrag. iss Wie bei der Aktienkommanditgesellschaft mit Generalversammlung, Aufsichtsrath und Vorstandsrolle der persönlich haftenden Gesellschafter; Gierke

B i n d i n g , Handbuch. I I . 3. I : G i e r k e , Deutsches Privatrecht.

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Drittes Kapitel. Personenrechtliche Gemeinschaften.

Die Wirkungen einer Handlung, die als Handlung der Personeneinheit gilt, treten für und wider die Personeneinheit ein, so dafs durch sie die verbundenen Personen im Bereiche ihrer Verbundenheit unmittelbar berechtigt oder verpflichtet, dagegen in ihren getrennten Einzelbereichen weder berechtigt noch verpflichtet werden. Somit werden zwar je nach der Erstreckung des Gemeinschaftsverhältnisses in die Sondersphären der Gemeiner durch Gemeinschaftshandlungen auch Sonderrechte oder Sonderpflichten der Einzelnen begründet, umgestaltet oder aufgehoben129. Allein in ihren sonderrechtlichen Bestandtheilen sind auch die im Gemeinschaftsverhältnisse wurzelnden Rechte und Pflichten der Einzelnen sowohl der Vertretung wie der Beherrschung durch die gesammte Hand entzogen180. Und die aul'sergemeinschaftlichen Verhältnisse der Gemeiner werden von den Gemeinschaftshandlungen überhaupt nicht berührt 181. 6. Eine Veränderung der Gemeinschaft zur gesammten Hand unter Fortbestand ihrer Personeneinheit ist auf mannichfache Weise möglich132. Insbesondere aber gehört es zu ihren Eigenthümlicha. a O. S. 574 if. Oder bei der Konkursgläubigerschaft mit Gläubigerversammlung, Gläubigerausschufs und Konkursverwalter; Κ ο hl er a. a. O. S. 399 ff. 129 Insbesondere werden, obschon kraft der gesammten Hand nur die Gemeiner insgesammt mit ihrem Gemeinschaftsvermögen haftbar werden, kraft ihrer etwaigen Sonderhaftung zugleich die Einzelnen für sich antheilig oder solidarisch, beschränkt oder unbeschrankt, prinzipaliter oder subsidiär durch die Gemeinschaftshandlungen verpflichtet. Inwieweit aber lediglich eine Haftung mit dem Gemeinschaftsvermögen oder überdies eine Sonderhaftung eintritt und welcher Art im letzteren Falle die Sonderhaftung ist, richtet sich theils nach der Beschaffenheit der Gemeinschaft und ihres Sondervermögens, theils nach den Regeln des Obligationenrechtes. Vgl. unten Abschn. I I Kap. I u. Abschn. I I I Kap. I. 180 So erstreckt sich die handelsgesellschaftliche Vertretungsmacht nicht auf die Vertretung der Gesellschafter als solcher (R.Ger. I I Nr. 10, Gierke a. a. Ο. S. 583 if.) und die Verfügungsmacht über das Gesellschaftsvermögen nicht auf die Antheile der Gesellschafter (a. a. 0. S. 501). Vgl. über die Sicherung der Sonderrechte gegen Eingriffe der Gemeinschaft bei der Rhederei R.O.H.G. XIV 418 ff. u. R. Wagner a. a. 0. S. 212 ff., bei der Konkursgläubigergemeinschaft Κ ο hl er a. a. 0. S. 388 ff., bei der preufsischrechtlichen Gemeinschaft Pr. L.R. I , 17 § 11 und hinsichtlich der Erbengemeinschaft Dernburg I I I § 239 u. FörsterEccius IV § 271, bei der fortgesetzten Hausgemeinschaft Gierke a. a. 0. S. 426 Anm. 1 u. 428 Anm. 1. 181 So auch bei der allgemeinen Gütergemeinschaft unter Ehegatten; a. a. 0. S, 381 Anm. 2. Ebenso bei der Handelsgesellschaft; a. a. 0. S. 539 ff. u. 548 ff. 182 Die Veränderungen, mögen sie durch Handlungen oder vom Willen unabhängige Ereignisse bewirkt werden, lassen sich hier wie bei den Körperschaften (oben § 69 II) in wesentliche und unwesentliche eintheilen, je nachdem sie den rechtlichen Zustand der Personeneinheit als solcher ergreifen oder nicht. Bei der Handelsgesellschaft sind jedenfalls alle in das Handelsregister einzutragenden Ver-

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keiten, dafs sie einen Wechsel der verbundenen Personen überdauern und somit als dieselbe Personeneinheit mit veränderter Trägerschaft fortbestehen kann. Die gesammte Hand kann sich durch Einfügung eines neuen Gemeiners erweitern oder durch Ausscheidung eines bisherigen Gemeiners verengern oder den Ersatz eines Gemeiners durch einen kraft Erbganges oder Sondernachfolge an seine Stelle rückenden Gemeiner zulassen. Von einer solchen Veränderung bleiben alle Rechtsverhältnisse der Personeneinheit als solcher unberührt 188. Die Trägerschaft der Personeneinheit aber wird dergestalt verändert, dais der neu verbundene Gemeiner ohne Weiteres Mitträger aller Rechte und Pflichten der Gemeinschaft wird 184 und der ausscheidende Gemeiner ohne Weiteres aufhört, Mitträger dieser Rechte und Pflichten zu sein 185 . Nur erlischt insoweit, als das Gemeinschaftsverhältnifs Sonderrechte oder Sonderpflichten erzeugt hat, die Theilhaberschaft nicht ohne Rückstand. Insbesondere werden nunmehr zu Gunsten des ehemaligen Theilhabers oder seiner Rechtsnachfolger die für diesen Fall begründeten anwartschaftlichen Sonderrechte wirksam186. Und zu Lasten des ehemaligen Theilhabers oder seiner Rechtsnachfolger treten nicht nur etwaige anwartschaftliche Sonderpflichten in Kraft 187 , änderungen als wesentlich zu erachten; somit auch Aenderung der Firma, Verlegung des Sitzes, Aenderung der Vertretungsverhältnisse, bei der Aktienkommanditgesellschaft jede Abänderung des Gesellschaftsvertrages; Gierke a. a. O. S. 477. 188 Die veränderte Gemeinschaft kann daher ihren Namen oder ihre Firma fortführen und behält die sonst ihr zustehenden Personenrechte; sie setzt die bisherigen Vermögensrechte und Vermögenspflichten unmittelbar und ohne jeden Dazwischentritt einer Succession fort (R.O.H.G. V I I I 178 ff., R.Ger. IX 143 ff.), daher auch an Liegenschaften ohne Auflassung oder Bucheintrag (Gierke a. a. O. S. 516); sie bleibt im Falle der Veränderung während eines Prozesses die alte Prozefspartei (a. a. O. S. 594, R.O.H.G. XX 181). 184 Eine wichtige Folgerung hieraus zieht H.G.B. Art. 113; dazu Gierke a. a. O. S. 478, R.Ger. X V I Nr. 11 (bes. S. 57 u. 59). Vgl. auch H.G.B. Art. 471, Entw. I I § 682, 684, 691. 185 Vgl. H.G.B. Art. 127 u. 130, R.O.H.G. VHI Nr. 47; H.G.B. Art. 471; Entw. I I § 673. 186 So der Schichttheit des aus der fortgesetzten Hausgemeinschaft ausscheidenden Kindes (Gierke a. a. O. S. 412 ff., 427 ff.), der Werthantheil des ausscheidenden Handelsgesellschafters (H.G.B. Art. 130—132), im Zweifel auch der Antheil des Gesellschafters bei der Gesellschaft des bürgerlichen Rechts (Pr.L.R. I , 17 § 293 ff., dazu Entw. I I § 673 oben Anm. 83). Vielfach sind aber anwartschaftliche Sonderrechte zwar für den Fall der Auflösung der Gemeinschaft, jedoch nicht für den Fall des Ausscheidens eines Gemeiners durch Tod, Austritt oder Ausschlufs oder doch nicht für jeden dieser Fälle begründet; vgl. oben Anm. 83-85. 187 So die einem negativen Antheile entsprechende Deckungspflicht des ausscheidenden Gesellschafters; Gierke a. a. O. S. 499 ff, Entw. I I § 673 Abs. 2. 44*

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Drittes Kapitel. Personenrechtliche Gemeinschaften.

sondern bleibt vor Allem auch eine etwaige Sonderhaftung für die bereits entstandenen Sammtverbindlichkeiten bestehen188. Diese Fähigkeit zum Fortbestande mit veränderter TrÄgerschaft ist jedoch bei den verschiedenen Typen der Gemeinschaft zur gesammten Hand sehr ungleich entwickelt. Bei den familienrechtlichen Gemeinschaften wird sie durch das Familienrecht bestimmt180. Dagegen kann sie bei den verkehrsrechtlichen Gemeinschaften, soweit nicht zwingende Gesetzesvorschriften entgegenstehen, vertragsmäfsig begründet, erweitert oder verengert werden. Der Gesellschaft des bürgerlichen Rechtes eignet sie nach gemeinem Recht überhaupt nur kraft besonderer Vereinbarung 140, dagegen nach Landesrechten schon kraft gesetzlicher Regel141. Den Handelsgesellschaften wird sie durch das Gesetz selbst in einem für die verschiedenen Gesellschaftsformen je nach dem Uebergewichte der personenrechtlichen oder vermögensrechtlichen Seite der Theilhaberschaft ungleich bemessenen Umfange unter Gestattung vertragmäfsiger Erweiterung oder Verengerung beigelegt142. Bei den auf vermögensrechtliche Antheile gebauten Gemeinschaften ist der Wechsel der Theilhaber, soweit er zulässig ist, der gesetzlichen Regel nach überhaupt nur eine unwesentliche Veränderung148. Durch Vertrag kann aber auch eine an sich auf die Verbindung bestimmter Personen berechnete Gemeinschaftsform dergestalt umgebildet werden, date der Wechsel der Personen zu einer unwesentlichen Veränderung herabsinkt144. 188 Pr.L.R. I , 17 § 301; H.G.B. Art. 146-149 u. da*u Gierke a. a. Ο. S. 561 ff.; H.G.B. Art 442. 189 Eine blofse Veränderung der bisherigen ehelichen Gütergemeinschaft ist die echte fortgesetzte Gütergemeinschaft, Gierke a. a. O. S. 416 Anm. 1. Die fortgesetzte Hausgemeinschaft verändert sich durch Ausscheiden eines Kindes oder Einrücken von Kindeskindern. Bei der Erbengemeinschaft entscheidet das Erbrecht. Näheres im Familien- und Erbrecht. 140 Im Gegensatz zum römischen Rechte kann heute auch nach gemeinem Rechte die Gesellschaft vertragsmäfsig so verfestigt werden, dafs sie beim Hinzutritt eines Gesellschafters dieselbe bleibt und das Ausscheiden eines Gesellschafters überdauert; oben § 76 Anm. 30—31. Ebenso nach Sächs. Gb. § 1383 u. 1386, Entw. I I § 665, 671-672. 141 So in weitem Umfange nach Pr.L.R. I , 17 § 269 ff. u. 278 ff., in geringerem Umfange auch nach Oesterr. Gb. § 1207 u. 1210. 142 Vgl. Gierke a. a. O. S. 478-484. 148 So bei der Rhederei nachH.G.B. Art 472; bei der engeren Gemeinschaft der Kommanditaktionäre oder einer Klasse von Aktionären; bei der Konkursgläubigergemeinschaft uiid anderen Gläubigerverbänden (R.Ger. Χ Χ Π Nr. 11, X X X I Nr. 17); bei der zufälligen Rechtsgemeinschaft (Entw. I I § 682, 683, 687, 691). 144 So bei den oben Anm. 41 u. 43 erwähnten Gesellschaften. Thatsächlich

§ 80.

Gemeinschaften zur gesammten Hand.

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7. Die Beendigung der Gemeinschaften zur gesammten Hand erfolgt durch Vorgänge, denen entweder eine gesetzliche Regel oder die vereinbarte Gemeinschaftsordnung Beendigungskraft verleiht. Dahin gehören sowohl vom Willen unabhängige Ereignisse wie menschliche Handlungen. Beendigungsgründe der ersten Art können die Gemeinschaft im Ganzen treffen; so die Erreichung des der Gemeinschaft gesetzten Lebenszieles145, der Wegfall des Gemeinschaftsobjektes146 und bei manchen Gemeinschaften der Gemeinschafskonkurs147. Sie können aber auch in der Person eines Gemeiners eintreten, indem manche Gemeinschaften durch den Tod oder auch den Konkurs oder die Entmündigung eines Gemeiners erlöschen148. Eine Beendigung der Gemeinschaft durch eine darauf gerichtete Handlung kann von den Gemeinern selbst oder von einem Dritten bewirkt werden. Die Gemeiner selbst können, insoweit nicht ihr Band ihrer Verfügung überhaupt entzogen ist, die Gemeinschaft durch Willenseinigung auflösen 149. sogar bei der offenen Handelsgesellschaft, bei der jedoch rechtlich jeder noch so sehr erleichterte Personenwechsel eine wesentliche, dem Eintragungszwange unterworfene Bestandsveränderung bleibt; Gierke a. a. O. S. 480 Anm. 2. 145 Auflösung jeder Gesellschaft durch Ablauf der ihr gesetzten Zeit, falls sie nicht stillschweigend fortgesetzt wird (H.G.B. Art. 123 Z. 5, Entw. I I § 662); desgleichen durch Erreichung des vereinbarten Zwecks oder Eintritt der Unmöglichkeit seiner Erreichung (Entw. I I § 664). 146 Auflösung der Rhederei durch Untergang oder Verlust des Schiffes (R. Wagner I 193), der Eigenthumsgemeinschaft durch Untergang oder Verlust der Sache, der Forderungs- und Schuldgemeinschaft durch Erlöschen der Obligation, der Konkursgläubigergemeinschaft durch Wegfall des Beschlagerechtes (Kohler a. a. O. S. 437). 147 Konkurs der Handelsgesellschaft nach H.G.B. Art. 123 Z. 1; vgl. Gierke a. a. O. S. 486, 489, 552 Anm. 3, 562 ff. f Κ o hier a. a. O. S. 314 ff. — An sich wirkt der Gemeinschaftskonkurs keineswegs beendigend, versetzt vielmehr nur die Gemeinschaft als Personeneinheit in die Rechtsstellung eines Gantschuldners. Vgl. insbes. über den Konkurs der ehelichen Gütergemeinschaft gegen R.Ger. VTII Nr. 26 Gierke a. a. O. S. 399 Anm. 1 u. seitdem auch Ko hier a. a. O. S. 70. 148 Der Tod eines Ehegatten beendigt nothwendig die eheliche Gemeinschaft (jedoch möglicher Weise mit verändertem Fortbestande der von ihr erzeugten Gütergemeinschaft), der Tod des überlebenden Ehegatten oder des einzigen Kindes die fortgesetzte Hausgemeinschaft Durch den Tod eines Gesellschafters erlischt mangels anderer Abrede nach gemeinem Recht (nicht dagegen nach preufs. R.) jede Gesellschaft; oben Anm. 140—141. Die Handelsgesellschaft endet mangels anderer Abrede durch Tod oder Entmündigung eines offenen Gesellschafters (nicht aber eines Kommanditisten) und durch Konkurs eines offenen Gesellschafters oder eines Kommanditisten (nicht aber eines Kommanditaktionärs); H.G.B. 4rt. 123 Z. 2—3 u. 170. Auch die Kollektivprokura endet durch Wegfall eines Trägers; Behrend H.R. I 369. 149 Die eheliche Gemeinschaft ist der vertragsmäfsigen Auflösung entrückt, die aus ihr entsprungene Gütergemeinschaft kann gemeinrechtlich durch Vertrag

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Drittes Kapitel. Personenrechtliche Gemeinschaften.

Bei vielen Gemeinschaften aber kann auch ein einzelner Gemeiner durch einseitige Willenserklärung, sei es nun ohne Weiteres oder nach gehöriger Kündigung oder aus bestimmten Gründen, die Auflösung herbeiführen 150. Andere Gemeinschaften können durch Mehrheitsbeschlufs aufgelöst werden 151. Eine Aufhebung der Gemeinschaft durch fremde Handlung begegnet sowohl als Ausflufs privater Willensmacht152 wie als obrigkeitliche Verfügung 158. Die Wirkung der Beendigung ist Wegfall der gesammten Hand und der durch sie erzeugten personenrechtlichen Verbundenheit154. Mit der Personeneinheit erlöschen zugleich alle an ihr Dasein geknüpften Rechte und Pflichten der Gemeinschaft155. Dagegen bestehen aufgehoben werden, während Partikularrechte hierfür Schranken ziehen; Gierke a. a. O. S. 375 Anm. 4. — Keine Verfügung über ihren eignen Bestand haben auch kollektive oder kollegiale Organe. 160 Ohne Weiteres kann mangels anderer Abrede jeder Miterbe die Auflösung der Erbengemeinschaft, Jeder Theilhaber die Auflösung der zufälligen Rechtsgemeinschaft fordern; oben Anm. 88. Die eheliche Gütergemeinschaft kann ein Ehegatte aus bestimmten Gründen, die fortgesetzte Hausgemeinschaft der überlebende Ehegatte ohne Weiteres, ein Kind aus bestimmten Gründen zur Auflösung bringen; Gierke a. a. O. S. 390 Anm. 3, 412, 427. Bei der Handelsgesellschaft hat jeder Gesellschafter eine Auflösungsklage aus wichtigen Gründen und, wenn die Gesellschaft auf unbestimmte Zeit oder auf Lebenszeit eingegangen ist, ein freies Kündigungsrecht ; die Auflösung kann jedoch durch Fortsetzung der Gesellschaft unter Austritt oder Ausschlufs eines Gesellschafters abgewandt werden; H.G.B. Art. 123 Abs. 1 Z. 6 u. Abs. 2, 124-125, 127- 128, Gierke a. a. Ο. S. 485 Anm. 3 u. 486 Anm. 1. Aehnliches will für jede Gesellschaft Entw. I I § 661—662, 671—672 bestimmen. 161 So die Rhederei; H.G.B. Art. 473. Bei der Aktienkommanditgesellschaft hat nur die mit Mehrheit beschliefsende Versammlung der Kommanditaktionäre die bei der Kommanditgesellschaft jedem einzelnen Kommanditisten zustehende Macht über den Gesellschaftsbestand; H.G.B. Art. 186 u. 199. 158 So in Folge des dem Privatgläubiger eines Handelsgesellschafters gesetzlich verliehenen und verbürgten Kündigungsrechtes; H.G.B. Art. 123 Z. 3, 126, 132; vgl. Entw. I I § 663. Man denke auch an den Widerruf einer Kollektivprokura oder sonstiger koUektiver Vertretungsmacht. 188 Z. B. bei der Ehescheidung. Aber auch bei der Schliefsung von Vereinen, die nicht als Körperschaften anerkannt sind. 154 Ueber den Zeitpunkt des Eintrittes dieser Wirkung und die Möglichkeit, dafs mangels gehöriger Kundmachung der Auflösung das nach innen entkräftete Gesammthandsverhältnifs nach aufsen noch fortwirkt, vgl. Gierke a. a. O. S. 488 Anm. 1, auch S. 375 Anm. 4. 156 So insbesondere der Regel nach die personenrechtlichen Verhältnisse; a. a. O. S. 488 Anm. 2. Aber auch etwaige höchstpersönliche Vermögensrechte. Daher erlischt ζ. B. mit der Auflösung einer Handelsgesellschaft ein ihr gewährter Zollkredit und eine für sie geleistete Bürgschaft; Seuff. XLVU Nr. 213. Ebenso, und nicht, wie R.Ger. X V I Nr. 1 annimmt, erst mit Beendigung des Konkurses

§ 80. Gemeinschaften zur gesammten Hand.

695

die von dem Dasein der Personeneinheit unabhängigen Rechte und Pflichten der Gemeinschaft als Rechte und Pflichten der nunmehr ihrer bisherigen Verbundenheit entledigten Gemeiner oder ihrer Erben und sonstigen Rechtsnachfolger fort. Es ist möglich, dafs sie sofort einer neuen Verbundenheit verfallen und somit auf eine an die Stelle der erloschenen Personeneinheit tretende andere Personeneinheit übergehen156. Es ist auch möglich, dafs sie sich zu alleinigem Rechte oder alleiniger Pflicht eines einzigen verbleibenden Gemeiners zusammenziehen157. Im Uebrigen verwandelt sich, soweit nicht etwa das Gemeinschaftsobjekt durch eine mit der Auflösung verknüpfte rechtsgeschäftliche Uebertragung seinem bisherigen Subjekte ganz entfremdet wird 168 , die Gemeinschaft zur gesammten Hand in eine ihr entsprechende Gemeinschaft unter unverbundenen Personen159. Hierbei werden nunmehr neben sonstigen Sonderrechtsverhältnissen vor Allem die für den Auflösungsfall begründeten anwartschaftlichen Sonderrechte und Sonderpflichten der einzelnen Theilhaber wirksam160. oder der Liquidation, ein ihr eingeräumter Niefsbrauch. — Vgl. auch über Erlöschen von Gebrauchs- und Nutzungsrechten de· Gesellschaft an den ihr uberlassenen Gegenständen eines Gesellschafters Entw. I I § 668. 156 So z. B. bei dem Uebergange des Vermögens der ehelichen Gütergemeinschaft auf eine an ihre Stelle tretende (sie nicht blofs fortsetzende) Hausgemeinschaft (Gierke a. a. O. S. 429 ff.) oder eine preufsischrechtliche Erbengemeinschaft; auch bei dem Ersätze einer aufgelösten Handelsgesellschaft durch eine neu errichtete gleichartige oder umgebildete Handelsgesellschaft (a. a. O. S. 480 Anm. 8 u. 490 Anm. 1, R.O.H.G. V I 112 ff., XIX 22 ff., R.Ger. XXXII Nr. 12). 157 So bei der ehelichen Gütergemeinschaft im Falle einer durch den Tod eines Ehegatten eintretenden Konsolidation, sowie in anderen Fällen einer Konsolidation in der Hand des letzten Gemeiners; vgl. oben Anm. 88—85. Ebenso bei der Rhederei im Falle der Vereinigung aller Schiffsparten in Einer Hand; R. Wagner I 193. Auch bei einer Verbindlichkeit zur gesammten Ifand, wenn alle Schuldner bis auf Einen wegfallen. 1B8 ψιQ z < g Uebertragung des Gesellschaftsvermögens im Ganzen auf ein anderes Rechtssubjekt. Hierher gehört auch die Uebernahme des Gesellschaftsgeschäftes durch einen Gesellschafter (Gierke a. a. O. S. 480 Anm. 1) oder die Umwandlung einer offenen Handelsgesellschaft oder Kommanditgesellschaft in eine Aktiengesellschaft (R.OH.G. XXV Nr. 68, für die Aktienkommanditgesellschaft H.G.B. Art. 206 a). 169

Somit entsteht Miteigenthum oder sonstige Mitberechtigung oder Mitverpflichtung nach Antheilen (R.Ger. X X I Nr. 47) oder auch solidarische Berechtigung oder Verpflichtung; jedoch, soweit die Einheit eines Sondervermögens fortbesteht, auch jetzt nur an dem Vermögen als Ganzem (Gierke a. a. O. S. 504 Anm. 1) und, soweit die ehemalige Verbundenheit nachwirkt, auch jetzt nur in der hierdurch bewirkten Gebundenheit. 160 Anwartschaftliche Ansprüche auf einzelne Bestandtheile des Gemeinschaftsvermögens (oben Anm. 69) setzen sich nun in praesente Sonderrechte, anwart-

696

Drittes Kapitel.

Personenrechtliche Gemeinschaften.

Die Verwirklichung der Auflösungsfolgen vollzieht sich bei den auf ein Vermögensganzes gerichteten Gemeinschaften, bei denen sie oft eine Fülle von Einzelhandlungen fordert, regelmäfsig in einem besonderen Auseinandersetzungsverfahren (Liquidation), das noch von der für diesen Zweck fortgeltenden Ordnung der beendigten Gemeinschaft zur gesammten Hand beherrscht wird 161 . Inzwischen besteht die objektive Einheit des Gemeinschaftsvermögens behufs seiner Bereinigung und endlichen Zerstörung fort 162 . Aber auch die personenrechtliche Verbundenheit bleibt in dem für die Auseinandersetzung erforderlichem Umfange erhalten 168. Somit geht die Gemeinschaft zur gesammten Hand zunächst in eine Liquidationsgemeinschaft über, die einer Genossenschaft in Liquidation stark ähneln kann und nur eben nicht das Nachleben einer Verbandsperson, sondern die Nachwirkung einer Personeneinheit zum Ausdruck bringt 164 . Wird eine Gemeinschaft zur gesammten Hand theilweise aufgelöst, so greifen neben den Regeln über Veränderung die Regeln über Beendigung der Gemeinschaft Platz 165 . Die Auseinandersetzung zwischen der fortbestehenden Gemeinschaft und dem ausgeschiedenen Theilhaber erfolgt im Zweifel nach den bei der Auflösung geltenden schaftliche Antheilsrechte (oben Anm. 72) in praesente ideelle Antheile mit Theilungsanspruch um; Werthantheile gewähren aber nur einen Anspruch auf Werththeilung durch Auseinandersetzung in Gelde (Gierke a. a. O. S. 504), wenngleich Naturaltheilung, auf die sonst auch Antheile an einem Vermögensganzen im Zweifel ein Recht geben, auch hier vereinbart werden kann (a. a. O. S. 490 Anm. 2). Ebenso treten nun die den Theilhabern für den Auflösungsfall obliegenden subsidiären Deckungspflichten in Kraft (a. a. O. S. 504 Anm. 4, Entw. I I § 670 Abs. 2). 161 Gesetzlich geregelt für Handelsgesellschaften durch H.G.B. Art. 183—145, 172, 205—206. Dazu Entw. I I § 667—670. Ueber Liquidation der Rhederei R. Wagner a, a. O. S. 194 ff. Ueber Liquidation der ehelichen Gütergemeinschaft Gierke a. a. O. S. 431 Anm. 1. — Die Liquidation ist jedoch auch bei Handelsgesellschaften nicht obligatorisch, tritt vielmehr nur mangels anderer Vereinbarung ein; a. a. 0. S. 489 Anm. 3. Im Falle des Konkurses wird sie stets durch das Konkursverfahren ersetzt; H.G.B. Art. 122, Konk.O. § 198—200. 188 Gierke a. a. O. S. 491, 504, 517, 562. In gesteigertem Mafse bei der Aktien&ommanditgesellschaft nach H.G.B. Art 201—202. 168 Gierke a. a. O. S. 490 ff, 571 ff, 590 ff.; für die Rhederei R.Ger. X I Nr. 39; vgl. Entw. I I § 667 Abs. 2. - Ebenso während des Konkurses; R.Ger. X V I Nr. 69, XXVIII Nr. 28. 184 Von einem „firigirten" Fortbestande (R.O.H.G. IX 84, X 89, XXIV 145, R.Ger. V 9. X X X I I Nr. 63) sollte man auch hier nicht sprechen; besser Seuff. X L I Nr. 35, XLIV Nr. 201. 185 So in den oben Anm. 136 angeführten Fällen; bei der Kommanditgesellschaft und der Aktienkommanditgesellschaft auch in den Fällen des H.G.B. Art. 171 u. 203.

§ 80 a. Gemeinschaften kraft herrschaftlicher Gewalt.

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Grundsätzen1ββ. Bis zu ihrer Beendigung wirkt auch hier das gelöste personenrechtliche Band nach167. § 80a.

Gemeinschaften kraft herrschaftlicher

Gewalt.

I. Begriff. Gemeinschaft kraft herrschaftlicher Gewalt nennen wir ein Gemeinschaftsverhältnifs, das zwischen mehreren Personen in Folge einer personenrechtlichen Ueber- und Unterordnung besteht. II. Wesen. Zum Träger der einheitlichen Gemeinsphäre ist hier allein eine herrschende Person berufen, in der nach innen und nach aufsen die im Bereiche der Verbundenheit geltende Personeneinheit zur rechtlichen Erscheinung kommt. Gleichwohl liegt ein Gemeinschaftsverhältnifs vor, das sich nach innen in gegenseitigen Rechten und Pflichten zwischen dem Gewalthaber und den Gewaltunterworfenen offenbart, nach aufsen aber darin zu Tage tritt, dafs die Darstellung der Personeneinheit durch den Gewalthaber eine Vertretung der Gewaltunterworfenen einschliefst1. Das Wesen einer solchen Gemeinschaft wird im Sinne der gesammten Hand abgewandelt, jedoch keineswegs aufgehoben, wenn die herrschaftliche Gewalt durch eine Betheiligung der unterworfenen Gesammtheit an ihrer Ausübung beschränkt ist2. 1ββ

So auch mit den erforderlichen Abwandlungen H.G.B. Art 130—-132, Entw. Π § 673—674. — Eine durchaus eigenartige Form der Auseinandersetzung dagegen hat das deutsche Recht in dem „Setzen zu Gelde" ausgebildet, das insbesondere bei der Rhederei früher weit verbreitet war und heute noch in Mecklenburg gilt, partikularrechtlich aber auch bei anderen Gemeinschaften begegnet. Vermöge dieses Setzungsrechtes kann die überstimmte Minderheit der Theilhaber einen Geldbetrag bestimmen, für den die Mehrheit das Gemeinschaftsobjekt entweder übernehmen oder überlassen mufs. Vgl. Beseler, Z. f. D. R. XVHI 294 ff., Stobbe, Z. f. R.G. IV 226 u. 227, D.P.R. § 81 Anm. 18 u. § 82 Anm. 14, R. W a g n e r , Beiträge zum Seerecht, Riga 1880, S. 1 ff. H.G.B. Art 130 Abs. 2—4 u. dazu R.O.H.G. XV Nr. 60; Entw. I I § 674. Die personenrechtliche Gemeinschaft zwischen der Gesellschaft und dem ausgeschiedenen Gesellschafter beschränkt sich indefs auf die Abwicklung der schwebenden Verhältnisse. Im Uebrigen steht der ausgeschiedene Gesellschafter auch hin" sichtlich der im Gesellschafts Verhältnisse wurzelnden Rechte und Pflichten sofort nach der Lösung des Bandes der Gesellschaft alg Dritter gegenüber; R.O.H.G. XV Nr. 49, R.Ger. V I I Nr. 31, X I Nr. 124, Seuff. X L I Nr. 284. Darum ist auch eine hinsichtlich der vor dem Ausscheiden schon abgewickelten Geschäfte fortdauernde Gemeinschaft nur eine gewöhnliche Kommunion; R.Ger. XV Nr. 19. Vgl. B e h r e n d , H.R. I 559, Gierke a. a. O. S. 492 Anm. 1—2. 1 So war es bei der germanischen Munt (oben § 33 S. 296 Anm. 56) und so blieb es bei aller deutschrechtlichen Herrschaftsgewalt. 2 Eine solche Einschränkung erfuhr die herrschaftliche Gewalt regelmäfsig

698

Drittes Kapitel. Personenrechtliche Gemeinschaften.

III. Geschichte. Die Gemeinschaft kraft herrschaftlicher Gewalt wurzelt im germanischen Familienrechte. Ihre älteste Erscheinungsform ist die vom Hausherrn kraft seiner Munt beherrschte und vertretene Hausgemeinschaft8. Bei ihrer Erweiterung löste sie sich von der häuslichen Lebensgemeinschaft ab und entfaltete sich in einer Fülle von Herrschaftsverbänden 4, die später zum Theil in anstaltliche Verbandspersonen übergingenδ, im Uebrigen aber als personenrechtliche Herrschaftsverhältnisse fortbestanden6. Viele derartige Gemeinschaften, wie namentlich der Lehnsverband und der gutsherrlich-bäuerliche Verband, wurden in neuerer Zeit zertrümmert. Doch bildeten sich in Gestalt der modernen wirthschaftlichen Unternehmungen neue Herrschaftsverhältnisse aus, die ihrer thatsächlichen Bedeutung nach nichts Anderes als personenrechtliche Gemeinschaften kraft herrschaftlicher Gewalt sind7. Die Theorie suchte unter dem Einflüsse des römischen Rechtes alle diese Verhältnisse rein individualistisch zu konstruiren. Auch die Anläufe zu einer anderen Aulfassung in der Naturrechtslehre hatten hier keinen bleibenden Erfolg 8. Noch heute ist unserer Privatrechtswissenschaft der Begriff einer personenrechtlichen Gemeinschaft kraft Herrschaftsgewalt fremd. Wo man eine personenrechtliche Gewalt anerkennt, übersieht man doch das Dasein einer Gemeinschaft, so dafs selbst die Einheit des deutschen Hauses verloren zu gehen droht9. Aufserhalb des Familienrechtes aber erblickt man in den Herrschaftsverhältnissen überhaupt nur obligationenrechtliche Beziehungen zwischen unverbundenen Personen. überall da, wo sich innerhalb des Herrschaftsverbandes eine Genossenschaft der dienenden Leute ausbildete; Gierke, Genossenschaftsr. I § 15 u. 20—23. 8 Gierke a. a. Ο. I 15 ff.; ßrunner R.G. I § 12; Schroeder R.G. S. 320 ff. Gierke a. a. Ο. I § 11 ff., I I 42 ff., 406 ff., Brunner R.G. I 137 ff., I I 258 ff. B Oben § 58 I I I 2 u. § 77 II. β Gierke a. a. Ο. I I 970. So neben der Hausherrschaft die Herrschaftsverhaltnisse kraft Vassallität, Vogteipflichtigkeit, Hörigkeit oder Leibeigenschaft, aber auch die Herrschaft über freies Gesinde, Gesellen und Lehrlinge. 7 Gierke a. a. Ο. I 1036 ff., Soziale Aufgabe S. 40 ff. 8 Das Naturrecht konstruirte den Herrschaftsverband als eine „societas inaequalis" mit „persona repraesentativa" des Herrn und wandte diese Konstruktion, die seit Hobbes für den Staat üblich geworden war, auch auf die „societas paterna" und die „societas herilis", sowie auf die aus ehelicher, elterlicher und herrschaftlicher Gesellschaft zusammengesetzte „societas domestica" an; vgl. ζ. B. Hert, Opusc. I I , 3 p. 41 ff. sect. I, Achenwall I I § 32 ff. 9 Vgl. darüber Gierke, Das deutsche Haus und der Entwurf eines bürg. Gesetzb., Jahresbericht X X X H der Berliner juristischen Gesellschaft S. 23 ff.

§ 80 a. Gemeinschaften kraft herrschaftlicher Gewalt.

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Im Leben bricht sich der Gedanke einer personenrechtlichen Gemeinschaft zwischen Gewalthabern und Gewaltunterworfenen immer wieder machtvoll Bahn. Die Gesetzgebung hat ihn in wichtigen Folgesätzen entfaltet. Ihn grundsätzlich anzuerkennen, hat auch sie bisher sich nicht entschlossen. IV. Arten. Somit giebt es im heutigen Privatrechte keine vollkommen ausgeprägte Rechtsform der herrschaftlichen Gemeinschaft. Es giebt jedoch neben vereinzelten Trümmern älterer Herrschaftsverbände10 eine Reihe von Erscheinungen, in denen sich eine thatsächlich vorhandene herrschaftliche Gemeinschaft als rechtlich wirksam offenbart. Vor Allem mufs das deutsche Haus noch heute als eine durch die Hausherrschaft geeinte Gemeinschaft aufgefafst werden. Seine Einheit wird namentlich im Familienrechte wirksam11. Sie äufsert sich zum Theil auch im Gesinderechte und bei sonstigen Vertragsverhältnissen, mit denen ein Eintritt in die Hausgemeinschaft verbunden ist 12 . Zugleich hat sie eine weittragende Bedeutung für das öffentliche Recht18. Sodann entspringen den geschäftlichen Unternehmungen mannichfach gestaltete Herrschaftsverbände, bei denen der Geschäftsherr Träger einer Gemeinschaft ist, der auch die dem Geschäfte eingeordneten Beamten, Gehülfen und Arbeiter angehören. Das Wesen dieser Verbände als personenrechtlicher Gemeinschaften findet freilich in der heutigen Rechtsordnung keinen vollen Ausdruck, kommt aber doch in einer Fülle privatrechtlicher und öffentlichrechtlicher Wirkungen zur Geltung. So wird die Einheit des Handlungshauses im Handelsrechte wirksam14. Vor Allem aber beruht die neueste Entwicklung des Gewerberechtes durchweg auf Gedanken, die bei dem 10

Davon ist im Lehnrecht und im Hecht der Ritter- und BauergUter zu reden. Unten Abschn. IV. 12 Anerkannt im Pr. L.R. II, 5. Davon unten Abschn. I I I beim Dienstvertrage. 13 Freilich sind es wieder nur zerstreute Rechtssätze, in denen die Thatsache zum Ausdruck gelangt, dafs doch auch heute Staat und Gemeinde nicht blos auf Individuen, sondern auf Hausstände gebaut sind. 14 Namentlich in der ungleichen Rechtsstellung der „Handlungsgehilfen", die durch „Anstellung" im kaufmännischen Geschäfte dem vom „Prinzipal" beherrschten Verbände als „Diener" eingefugt sind, und aller sonstigen Gehülfen des Kaufmannes; vgl. Cosack, H.R. S. 66. — Insoweit bei der Annahme einer eignen Rechtspersönlichkeit des Geschäftes (oben § 30 Anm. 10) die Vorstellung dieser personenrechtlichen Gemeinschaft mitspielt, läfst sich der verfehlten Konstruktion das Verdienst einer berechtigten Reaktion gegen die rein individualistische Auffassung nicht absprechen. 11

Drittes Kapitel. Personenrechtliche Gemeinschaften.

700

Aufbau der gewerblichen Betriebe und insbesondere der Fabrikbetriebe aus dem Obligationenrechte ins Personenrecht und aus dem Vereinzelungsrechte ins Gemeinschaftsrecht übergehen15. Anerkannt ist eine Personen verbindende Privatgewalt in der Schiffsgewalt 1 6 . Neben solchen im Privatrechte wurzelnden Herrschaftsverbänden giebt es zahlreiche von Hause aus öffentlichrechtliche Herrschaftsverbände, die eine mehr oder minder wirksame Personeneinheit erzeugen. Dahin gehören die als Organe des Staates oder einer öffentlichen Körperschaft oder Anstalt eingesetzen Behörden, insoweit sie nicht nach dem Kollegialsystem, sondern nach dem Büreausystem eingerichtet sind17. Ebenso die als Herrschaftsverbände ausgestalteten Theileinheiten gröfserer Verbände18. Auch bildet heute trotz seiner privatrechtlichen Grundlage der aus den Ueberbleibseln der Grundherrschaft hervorgegangene „selbständige Gutsbezirk" einen rein öffentlichen Herrschaftsverband 1θ. V. Rechtsgrundsätze. Die für Gemeinschaften kraft herrschaftlicher Gewalt im Bereiche des Privatrechtes geltenden Rechtssätze können, da sie bei dem heutigen Rechtszustande ein zusammenhängendes System nicht bilden, nur bei den besonderen Rechtsinstituten 15

Dies ist im Gewerberecht zu zeigen. Vgl. auch unten § 92 I I 2 a. Darüber handelt vortrefflich R. Wagner, Handb. des Seerechts I 309ff., insbes. S. 344 ff. — Die Schiffsgemeinschaft ist heute rein herrschaftlich geordnet. Im Mittelalter war sie genossenschaftlich organisirt, so dafs die Gesammtheit der mitfahrenden Personen Trägerin der Schiffsgewalt war und nur deren Ausübung zum Theil in den Händen Einzelner lag. Nachdem die Schiffsgewalt auf den Schiffer übergegangen war, erhielt sich eine Einschränkung seiner Machtbefugnisse durch die Befugnisse des Schiffsrathes, bis endlich der Schiffsrath, obschon er bis heute aus dem Leben nicht verschwunden ist, die Bedeutung eines Rechtsinstituts überhaupt verlor. Vgl. über diese Entwicklung Wagner a. a. O. S. 6 ff., auch Goldschmidt, Z. f. H.R. XXXV 321 ff. 17 Vgl. Bernatzik a. a. 0. S. 230 ff. und dazu S. 227 die allgemeinen Bemerkungen über das Vorkommen von „Autoritätsverbänden" neben den „Majoritätsverbänden". 18 Wie das Heer und die Heerestheile (insbesondere die Regimenter), die Gerichts- und Verwaltungssprengel u. s. w. Preufs. östl. u. Schlesw.-Holst. L.G.O. § 122—127, Sächs. L.G.O. § 82—88. Der Gutsbezirk erfüllt die Funktionen der Ortsgemeinde, entbehrt jedoch der eignen Persönlichkeit. Er ist ein öffentlichrechtlicher Herrschaftsverband, dessen Trägerschaft dem Gutsbesitzer kraft eignen Rechtes zusteht. Der Gutsbesitzer übt die Verbandsgewalt entweder in Person oder durch einen Stellvertreter aus. Ehefrauen werden durch den Ehemann, Kinder unter väterlicher Gewalt durch den Vater, Bevormundete durch den Vormund vertreten. In gewissen Fällen mufs ein stellvertretender Gutsvorsteher bestellt werden. 16

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§ 80 a. Gemeinschaften kraft herrschaftlicher Gewalt.

701

dargestellt werden. Hier ist nur die Richtung anzudeuten, in der sich dabei der zu Grunde liegende Gedanke entfaltet. Ueberall besteht eine personenrechtliche Verbundenheit Die Persönlichkeit des Gewalthabers erweitert sich durch die Trägerschaft einer Personeneinheit, der die Gewaltunterworfenen mit einem Theile ihrer Persönlichkeit eingeordnet sind. Soweit die einheitliche Gemeinsphäre reicht, werden die verbundenen Personen vom Gewalthaber beherrscht und vertreten. Möglicher Weise ist er dabei in bestimmten Fällen an die Mitwirkung der Gewaltunterworfenen oder ihrer Repräsentanten gebunden20. Seine Herrscherstellung gewährt ihm Rechte, legt ihm aber auch Pflichten auf; die Gewaltunterworfenen schulden ihm Gehorsam und Dienst, er selbst schuldet ihnen Schutz und Fürsorge21. Als Vertreter der Gemeinschaft ist er mit Vertretungsmacht ausgerüstet, aber auch mit Haftung für die Gewaltunterworfenen belastet; hier wurzeln die meisten Fälle der Haftung für fremdes Verschulden22. Völlig sind die freien Sondersphären der Gemeinschaftsangehörigen, in den sonderrechtlichen Bestandteilen aber auch ihre etwa innerhalb der Gemeinschaft begründeten Sondersphären der Herrschaft und Vertretung entzogen28. Um die Durchsetzung der Herrschaftsgewalt einerseits, die Erfüllung der mit ihr verbundenen Pflichten andrerseits zu sichern und die verbundenen Personen vor Eingriffen der Verbandsmacht in die Gebiete ihrer freien Persönlichkeit zu schützen, verwendet die Rechtsordnung in umfassendem Mafse die Mittel des öffentlichen Rechtes24. 20 Während' dies in den feudalen und patrimonialen Herrschaftsverbänden des Mittelalters die Regel war, finden sich die ersten Anfänge einer gesetzlichen Anerkennung derartiger Einrichtungen in modernen Herr s ohafts verbänden in den Vorschriften der R.Gew.O. § 134 b Abs. 3, 134 d und 134 h über die Zuständigkeit ständiger Arbeiterausschüsse. 91 Das alte deutsche Recht führte die Pflichten des Herrn wie des Dieners trotz aller Verschiedenheit ihres Inhaltes auf eine gleichartige Grundpflicht des einen wie des andern zurück: die Pflicht zur Treue. 22 Vgl. Gierke, Genossenschaftsth. 8. 803. Näheres im Obligationenrecht 28 Den aufserhalb jedes Herrschaftsverbandes liegenden freien Sondersphären gehören heute nothwendig die unverzichtbaren Rechte und unabwälzbaren Pflichten des Individuums an. Sonderrechtsverhältnisse kraft Gemeinschaftsrechtes begegnen auch hier in mannichfacher Gestalt, wie z. B. vermöge des Familiengüterrechtes in den familienrechtlichen und vermöge des Lohnrechtes oder auch eines Gewinnbetheiligungsrechtes in den geschäftlichen Verbänden. 24 So vermöge der Obervormundschaft gegenüber der Familiengewalt, vermöge der Gesindepolizei gegenüber der hausherrlichen Gewalt, vermöge der Thätigkeit der Seemannsämter gegenüber der Schiffsgewalt und vermöge der Gewerbepolizei gegenüber aller geschäftlichen Herrschaftsgewalt.

Viertes Kapitel.

702

Persönlichkeitsrechte.

Die personenrechtliche Verbundenheit wirkt auch hier zugleich auf das in ihren Bereich fallende Vermögensrecht gestaltgebend ein. Unter dieser Einwirkung werden Rechtsinstitute des Sachenrechtes und des Obligationenrechtes im Sinne einer Annäherung des Individualrechtes an das Sozialrecht umgebildet26.

Viertes Kapitel.

Persönlichkeitsrechte. Erster Titel. Die Persönlichkeitsrechte überhaupt. § 81. Begriff und Wesen der Persönlichkeitsrechte 1 . I. Begriff. „Persönlichkeitsrechte" nennen wir Rechte, die ihrem Subjekte die Herrschaft über einen Bestandtheil der eignen Persönlichkeitssphäre gewährleisten. Mit diesem Namen werden sie als „Rechte an der eignen Person" gekennzeichnet und somit durch den Hinweis auf die Besonderheit ihres Objektes von allen anderen Rechten unterschieden (oben § 29 I I 1). Von Manchen werden sie in gleichem Sinne, jedoch mit nicht glücklicher Wortbildung „Indivi26

So einst die gesammte Eigenthumsordnung im Bereiche des Lehn-, Dienstund Hofrechtes; so die Ordnung des Hausvermögens im Bereiche des Familienrechtes (vormundschaftliche Gewere und daraus hervorgegangene ehemännliche und elterliche Nutzungsrechte, vgl. Gierke a. a. O. S. 354 Anm. 1); so das Vertragsrecht (insbesondere die Ordnung des Dienstvertrages) im Bereiche des Gewerberechts. 1 Puch ta, Rhein. Museum I I I 305, Inst. § 30, Pand. u. Vorl. § 22, 46, 114 if. Neuner a. a. 0. (oben § 27 Anm. 1) § 4 (dazu Bürkel, Krit V. J.Schr. X I 200 ff.). W ä c h t e r , Württ. P.R. Π § 45, Pand. I § 35. Windscheid, Pand. I § 40. B r i n z , Pand. § 66. Bruns in Holtzendorffs Encykl. (5. Aufl.) S. 446. Dernburg, Pand. I § 22 Anm. 8—11. Regelsberger, Pand. I § 50 I. — W a l t e r , D.P.R. § 91. Bluntschli, D.P.R. § 18ff., 46 ff. Dahn, Grundrifs S. 44 ff. Gar eis, Arch. f. H. u. W. R. XXXV 196 ff., Grundrifs § 40 ff., Encykl. § 20 ff. Gierke, Ζ. f. H.R. XXIX 270 ff., Entw. S. 83ff. — K o h l e r , Jahrb. f. D. XVIII 129 ff., 251ff., Recht des Markenschutzes S. 1ff., 93ff., Arch. f. H. u. W.R. XLVII 167ff. — K r a i n z , Oest. P.R. (2. Aufl.) I 63 ff. — Stahl, Rechtsphil. I I 312 ff. Lasson, Rechtsphil. S. 545 ff. Jhering, Jahrb. f. D. X 39£ Geist des." r. R. I I I Ahm. 447a, Zweck im R. Η 480ff. Thon a. a^O. (oben § 15 Anm. 1) S. 147 ff. B i e r l i n g , Kritik I I 174ff., Prinzipienlehre I 249 ff. Kärger a. a. O.

§ 81. Begriff und Wesen der Persönlichkeitsrechte.

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dualrechte" genannt2. Sie gehören zu den „absoluten" Rechten und enthalten daher „Yerbietungsrechte" gegen Jeden, der unbefugt in den von ihnen abgegrenzten Herrschaftsbereich eingreift. Der Hinweis auf dieses ihnen mit anderen Rechten gemeinsame Merkmal reicht indefs zur Bestimmung ihres Begriffes nicht aus8. Die Persönlichkeitsrechte unterscheiden sich als besondere Privatrechte von dem allgemeinen Rechte der Persönlichkeit, das in dem von der Rechtsordnung gewährleisteten allgemeinen Ansprüche besteht, als Person zu gelten (oben § 30 I). Das Recht der Persönlichkeit ist ein subjektives Recht und mufs von Jedermann anerkannt und geachtet werden. Es ist das einheitliche subjektive Grundrecht, das alle besonderen subjektiven Rechte fundamentirt und in sie alle hineinreicht4, das daher so gut die öffentlichen Rechte wie (oben § 29 Anm. 8) S. 198 ff. Roguin, La règle de droit S. 258 ff. — v. L i s z t , Strafr. § 81; Die Grenzgebiete zwischen Privatrecht u. Strafrecht (H. V der Beiträge zur Erläut. u. Beurth. des Entw. v. Bekker u. Fischer) S. 4 ff. — Unter den zahlreichen Gegnern des ganzen Begriffes der Persönlichkeitsrechte sind hervorzuheben: Savigny I 335 ff.; Unger, Oest. P.R. I § 60; Gerber, D.P. R. § 219, vgl. auch § 67; Laband, Z. f. H.R. X X I I I 621 ff.; Binding, Strafr. I 169, 718; Jellinek, System (oben § 27 Anm. 1) S. 78. Ferner Mandry in Dollmanns Gesetzg. des K. Bayern V, 2 S. 99 ff. u. Civilr. Inh. (oben § 7 Anm. 18> B. I I Α. IV, der dafür „absolute Verbietungerechte nicht dinglichen Charakters" einführt. Aehnlich Franken, D.P.R. S. 115 ff., 154 ff., 402 ff.: absolute Vermögensrechte ohne Objekt, wenn man sie nicht als quasidingliche Rechte an unkörperlichen Sachen vorstellen will. Auch Stobbe I I I Iff. kennt nur „Rechte an immateriellen Gütern". Desgleichen Bekker, Pand. I § 25 Beil. IV u. Jahrb. f. D. XXX 277 ff, nur „Rechte an unkörperlichen Sachen". 2 Diesen Namen haben besonders Gar eis und Köhler in Aufnahme gebracht. Auch das R.Ger. braucht ihn, ζ. Β. VIII Nr. 4 u. Seuff. XLV Nr. 264. Allein nach der Analogie von Ausdrücken wie „Realrecht", „Personalrecht" u. s. w. weiet der Ausdruck „Individualrecht" auf das Individuum nicht als Objekt, sondern als Subjekt hin und bedeutet ein seinem Subjekte qua Individuum zustehendes Recht, mithin auch Eigenthum, körperschaftliche Sonderrechte u. s. w. Besser ist der von Gareis neuerdings (H.R. 4. Aufl. § 49 § 2, Gar eis u. Fuchsperger, Komm. S. 447 Anm. 3 u. 589 Anm. 6) vorgeschlagene Name „Individualitätsrechte". Doch verdient der Ausdruck „Persönlichkeitsrechte" schon deshalb den Vorzug, weil auch Verbandspersonen Subjekte solcher Rechte sind. 8 Es bedarf daher mindestens noch eines Zusatzes, um die Sachenrechte auszuschliefsen. So suchen sich Mandry u. Franken a. a. 0. (Anm. 1) zu helfen. Man vgl. auch Maurenbrecher, D.P.R. I § 201, wo die Statusrechte als „dingliche Rechte, die nicht auf Sachen sich beziehen", gekennzeichnet werden. Oder Β run η er in Holtzendorffs Rechtslex. s. v. „Bannrecht" I 232, wo das Bannrecht zusammen mit Urheber-, Marken-, firmen- und Patentrecht .in die Kategorie der „absoluten Rechte ohne sachenrechtliches Substrat" verwiesen wird. Alle diese Begriffsbestimmungen aber befriedigen schon deshalb nicht, weil sie das Objekt des Rechtes durch eine blofse Verneinung bezeiçhnen. * Zutreffend Regelsberger Ï 198.

Viertes Kapitel.

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Persönlichkeitsrechte.

die Privatrechte und so gut die Rechte an Sachen wie die Rechte an Personen trägt und begleitet5. Inwieweit aber aus ihm besondere Rechte herauswachsen oder in ihm der Stoff zu solchen Rechten unausgeschieden stecken bleibt, darüber entscheidet die rechtsgeschichtliche Entwicklung. Und diese Entscheidung ist gerade hinsichtlich der Rechte an der eignen Person im römischen und in unserem Rechte ungleich ausgefallen. Das römische Recht hat besondere Rechte an der eignen Person nicht ausgeprägt oder doch nicht bewufst anerkannt. Insoweit solche Rechte stofflich überhaupt vorhanden waren, traten sie aus dem allgemeinen Rechte der Persönlichkeit nicht heraus. Das Bedürfnifs ihres privatrechtlichen Schutzes wurde durch die auf den allgemeinen Schutz der Persönlichkeit gerichteten Aktionen und namentlich in umfassender Weise durch die actio injuriarum befriedigt®. Im deutschen und modernen Recht dagegen sind zahlreiche Typen von Rechten an der eignen Person zu selbständiger Ausgestaltung gelangt. Manche von ihnen sind durch die neuere Gesetzgebung in ihrem Sonderdasein so befestigt, dafs sie sich von dem allgemeinen Rechte der Persönlichkeit nicht minder scharf abheben, als das Eigenthum oder die väterliche Gewalt. Die Persönlichkeitsrechte müssen daher auch begrifflich heute als eine eigne Kategorie der besonderen Rechte anerkannt werden und fordern gebieterisch die ihnen gebührende Stelle im System7. Vieles freilich ist hier noch im Werden. Darum sind die Grenzen zwischen den besonderen Persönlichkeitsrechten und dem allgemeinen Rechte der Persönlichkeit zum Theil fliefsend und unsicher8. Jedes5

Darum kann eine Verletzung des Eigenthums zugleich eine Verletzung des Rechtes der Persönlichkeit enthalten, Jhering, Jahrb. f. D. XXIII185, Regelsberger I 199. Ebenso eine Verletzung staatsbürgerlicher Rechte (z. B. in den Fällen des Str.G.B. § 105 ff.) 6 Vgl. insbes. Jhering, Rechtsschutz gegen injuriöse Rechtsverletzungen, Jahrb. f. D. X X I I I 155 ff. 7 In den Pandektensystemen wird freilich dieses Bedürfnifs nicht empfunden, weil sie die dem römischen Rechte fremden Rechtsbildungen nur gelegentlich berühren. Dies rechtfertigt aber nicht den allgemein gehaltenen Widerspruch von Windscheid I § 40. 8 Manche Bestandtheile der Privatrechtssphäre sind durch besondere öffentlichrechtliche Garantien in bestimmter Richtung als selbständige Rechte abgehegt, ohne dafs hiermit zugleich ftir die Privatrechtsordnung ihre Ausscheidung aus dem allgemeinen Rechte der Persönlichkeit geboten wäre. Dies gilt z. B. von den Rechten auf gewisse durch einen besonderen Strafrechtsschutz gesicherte Persönlichkeitsgüter, wie Hausfriede, Brief- und Schriftengeheimnifs, Gräberruhe, religiöses Gefühl, Rechtsfriede·, v. Liszt, Grenzgebiete S. 6. Es gilt ferner von zahlreichen

§ 81. Begriff und Wesen der Persönlichkeitsrechte.

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falls erschöpfen die in feste gesetzliche Form gegossenen Persönlichkeitsrechte nicht den an sich hierfür geeigneten Stoif. Vielmehr lassen sie empfindliche Lücken. Zur Ausfüllung solcher Lücken mufs da, wo das Rechtsbewufstsein der Gegenwart dies heischt, auf das allgemeine Recht der Persönlichkeit zurückgegriffen werden, bis aus ihm ein neues besonderes Recht herausgeholt ist9. II. Wesen. Vermöge der Bestimmung ihres Objektes durch Heraushebung eines Bestandtheiles der eignen Persönlichkeitssphäre bilden die Persönlichkeitsrechte in gleicher Weise, wie die dinglichen Rechte, die Forderungsrechte oder die Familienrechte, eine durch gemeinsame Merkmale ausgezeichnete Gattung von Rechten. Diese Gattung umfafst aber mancherlei Arten und Unterarten, die in Folge der ungleichen Beschaffenheit der durch sie verselbständigten Theile der Persönlichkeitssphäre noch weiter auseinander streben, als dies bei den meisten anderen Gattungen der Rechte der Fall ist. Sind es doch Persönlichkeitsgüter von sehr verschiedenem Range und sehr verschiedener Natur, die als Gegenstände solcher Rechte erscheinen: bald die höchsten äufseren Güter des Menschen, wie Leben, Freiheit oder Ehre, bald blofse Namen und Zeichen; bald die Bedingungen, bald die Erfolge einer besonderen Thätigkeit; bald von aufsen empfangene Vergünstigungen, bald die Erzeugnisse eigenster geistiger Schöpferkraft. 1. Die Persönlichkeitsrechte sind Privatrechte. Sie sind ja gerade darauf angelegt, der Person in ihrem Fürsichsein einen eignen Bereich ihres Selbst zu sichern. Der Staat schützt sie in erheblichem Umfange durch die Strafrechtsordnung und gewährt ihnen zugleich in mannichfacher Weise seinen Verwaltungsschutz10. Grundsätzlich aber den Individuen durch das Verfassungsrecht als Grundrechte zugesicherten Rechten auf eine bestimmte Art der freien Bethâtigung der Persönlichkeit, wie Gewissensfreiheit, Recht der freien Meinungsäufserung, Lehr- und Unterrichtsfreiheit, Vereinsund Versammlungsfreiheit, Freizügigkeit, etwa auch Verehelichungsfreiheit, Erwerb von Grundeigenthum u. s. w. 9 So kann z. B. unter dem Gesichtspunkte eines Eingriffes in das Recht der Persönlichkeit die unbefugte Veröffentlichung der Briefe eines -Anderen auch dann als Rechtsverletzung erscheinen, wenn an den Briefen ein Urheberrecht nicht besteht; K ö h l e r , Jahrb. f. D. X V I I I 271 ff., Busch, Arch. XLVII 187, Arch. f. b. R. V I I 106 ff., Regelsberger § 50 Anm. 10. Ebenso die Anmafsung fremder Gewerbezeichen, wenn auch der besondere Markenschutz sich nicht auf sie erstreckt; vgl. unten § 84 V I 3. Vor Allem aber ist der Schutz gegen unlauteren Wettbewerb auf das Recht der Persönlichkeit zu stützen; vgl. unten § 82 V S. 715. Unsere Praxis verfahrt hier jedoch bisher sehr zaghaft. 10 In gleicher Weise schützt er ja auch das Eigenthum und andere Privatrechte. — Wenn fur ein Persönlichkeitsrecht lediglich dieser öffentlichrechtliche B i n d i n g , Handbuch.

I I . 3. I : G i e r k e

Deutsches PriTAtrecht.

I.

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Viertes Kapitel.

Persönlichkeitsrechte.

sind sie auch durch Klage geschützt, indem sie als absolute Privatrechte einen im Wege des Civilprozesses durchsetzbaren Anspruch gegen Jedermann auf Anerkennung und auf Unterlassung von Eingriffen und im Falle ihrer Verletzung auf Wiederherstellung oder Ersatz gewähren11. Wo der staatliche Schutz versagt, tritt gerade zu ihrem Schutze das Recht der Selhsthülfe im vollsten Mafse in Kraft. 2. Die Persönlichkeitsrechte sind als solche keine Vermögensrechte. Sie können jedoch gleich den Rechten an anderer Persönlichkeit (den Familienrechten, den Körperschaftsrechten u. s. w.) einen vermögensrechtlichen Inhalt aus sich entfalten oder in sich aufnehmen. In dem Mafse, in dem ihr so erlangter Vermögenswerth in den Vordergrund tritt, werden sie einer vermögensrechtlichen Ordnung zugänglich. Immer aber bleibt ihr personenrechtlicher Kern unversehrt. Auch kann ihr vermögensrechtlicher Inhalt oder ein Theil desselben zwar bis zu einem gewissen Grade verselbständigt, niemals jedoch völlig aus dem Zusammenhange des in dem personenrechtlichen Kerne geeinten Ganzen gelöst werden12. Manche Persönlichkeitsrechte sind somit zugleich Vermögensrechte. Insoweit erscheinen sie als „absolute Vermögensrechte", als „Rechte an unkörperlichen Sachen" oder, wie man neuerdings zu sagen pflegt, als „Immaterialgüterrechte" 18. Mag jedoch diese Seite Schutz ausgebildet ist, so wird dadurch sein privatrechtliches Wesen keineswegs verneint; Bierling, Kritik I I 153, Jhering, Geist I I I Anm. 447a, Regelsberger I 198. Wohl aber wird es dann regelmäfsig an einem Anlasse fehlen, dieses Privatrecht innerhalb des Privatrechtssystems als besonderes Persönlichkeitsrecht auszusondern; oben Anm. 8. 11 R.Ger. X V I I I Nr. 4 S. 19 u. Seuff. XLV Nr. 264 S. 442 („einen mit der Negatorienklage verfolgbaren Anspruch auf Anerkennung des Rechts und Schutz gegen fernere Störung") u. 445 if. 11 Das Verlagsrecht bleibt Ausflufs des Urheberrechts, wie der väterliche Niefebrauch Ausflufs der väterlichen Gewalt oder das Nutzungsrecht am Köiperschaftsgute Ausflufs der Mitgliedschaft. 18 Vgl. oben Anm. 1 a. E. — Ganz abweichend will Heusler, Inst. I 330 u. 836 ff., das Wesen dieser Rechte, die er mit patrimonialen Herrschaftsrechten, Reallasten und Prädialservituten in eine Gruppe vereint, nicht daraus herleiten, dafs sie Rechte an unkörperlichen Sachen sind, sondern daraus, dafs sie selbst als urkörperliche Sachen gelten. Das deutsche Recht behandle neben unbeweglichen und beweglichen Sachen gewisse „Rechtsamen", „welche das Recht des Inhabers in einem aktiven Einwirken desselben auf die Aufsenwelt zur Erscheinung bringen", als Objekte von Sachenrechten (Eigenthum, dinglichen Rechten, Gewere, dinglicher Klage). Solche „Rechtsamen" seien nicht einfache „Rechte", sondern unkörperliche Sachen, die im Rechtsleben überhaupt nur als Objekte des Sachenrechts zur Erscheinung und Verwerthung gelangen können. Sieht man aber auch von der unrichtigen Fassung des Begriffes der unkörperlichen Sache (oben § 31 Anm. 6)

§81.

Begriff und Wesen der Persönlichkeitsrechte.

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ihres Wesens noch so kräftig entwickelt sein, so darf man doch weder in dem vermögensrechtlichen Bestandtheile den Kern des Rechtes erblicken14 noch auch den vermögensrechtlichen Bestandtheil als ein durchaus selbständiges Recht von dem Persönlichkeitsrechte abtrennen16. 3. Die Persönlichkeitsrechte sind an sich höchstpersönliche Rechte, die in einer bestimmten Person entstehen, an sie gebunden bleiben und mit ihr untergehen. Allein in dem Malse, in dem ihr Gegenstand als unkörperliche Sache einen selbständigen objektiven Bestand gewinnt (oben § 31 I I 1 b), können sie mancherlei Abwandlungen ihres höchstpersönlichen Wesens erfahren. a. Entstehung. Die obersten Persönlichkeitsrechte entstehen als allgemeine gesetzliche Rechte mit der Persönlichkeit selbst. Andere treten als besondere gesetzliche Rechte mit dem Erwerbe der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Personenklasse ein. Wieder andere werden individuell erworben. Ihr Erwerbstitel kann ein vom Willen unabhängiger Vorgang oder eine fremde Handlung (öffentliche oder private Verleihung) oder eine eigne Willensthat (Aneignung oder Schöpfung) sein. Im letzteren Falle mufs jedoch bei manchen Persönlichkeitsrechten eine öffentliche Feststellung (z. B. Registereintrag) hinzutreten, damit ihr Erwerb, sei es überhaupt sei es mit voller Wirksamkeit, erfolge. b. Ueber tragung. Die Persönlichkeitsrechte sind an sich unübertragbar. Manche Persönlichkeitsrechte können jedoch ganz oder theilweise der Ausübung nach, manche sogar der Substanz nach auf eine andere Person übertragen werden. Einzelne Persönlichkeitsrechte sind zwar nicht für sich, wohl aber in Verbindung mit einem anderen Rechte, zu dem sie in ein Abhängigkeitsverhältnifs gesetzt sind, der Uebertragung fähig. Dahin gehören die als Realrechte mit und der Rechte an Rechten (ib. Anm. 14) ab, so sollte man doch meinen, dafs zum Mindesten die „Rechtsamen" erst als „Rechte" irgend einer Gattung konstituirt sein müssen, bevor sie als Objekte gesetzt werden. Oder sollen sich wirklich „Rechte" und „Recktsamen" so unterscheiden, dafs jene Objekte haben, diese Objekte sind? u Hierzu gelangen M a n d r y u. Franken a. a. 0. (oben Anm. 1), im Wesentlichen auch Bekker a. a. 0. S. 84 („Quasivermögensrechte") und anscheinend auch Windscheid § 41 Anm. 2, § 42 Anm. 1 a. E., § 137 a. E. 16 In dieser Weise zerreifst namentlich Kohler, dem Andere gefolgt sind, das Urheber- und Erfinderrecht in „Individualrecht" und „Immaterialgüterrecht". Hierüber ist unten zu sprechen. Bemerkt sei nur, dafs Κ ο hl er bei anderen Persönlichkeitsrechten die zugleich Vermögensrechte sind, wie bei dem Firmen- und Markenrechte, ein Immaterialgüterrecht nicht abtrennt, obwohl doch ein als Gegenstand des Rechtes vorgestelltes immaterielles Gut auch hier vorhanden ist. 45*

Viertes Kapitel.

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Persönlichkeitsrechte.

einem Grundstücke verknüpften Persönlichkeitsrechte. Desgleichen die Persönlichkeitsrechte, die mit einem Geschäftsbetriebe verbunden sind. Insoweit eine Uebertragung stattfindet, geht durch sie das Persönlichkeitsrecht in eine andere Persönlichkeitssphäre über und wird für deren Subjekt zu einem Rechte an seiner eignen Person. Im Falle einer konstitutiven Uebertragung entsteht aus dem mit vermindertem Inhalte beim Veräufserer zurückbleibenden Persönlichkeitsrechte ein neues Persönlichkeitsrecht, das die Persönlichkeitssphäre des Erwerbers erweitert und zu seinem Mutterrechte in einem ähnlichen Verhältnisse steht, wie ein begrenztes dingliches Recht zum Eigenthumle. c. Beendigung. Die Persönlichkeitsrechte enden an sich mit dem Wegfalle der Person, in der sie entstanden sind. Doch giebt es ver erbliche Persönlichkeitsrechte. Auch sie sind indefs der Regel nach nicht ewig. Vielmehr überleben manche (wie das gewöhnliche Urheberrecht) ihr ursprüngliches Subjekt nur während eines bestimmten Zeitraumes. Andere (wie das Erfinderrecht und manche Urheberrechte) sind in ihrer Lebensdauer von vornherein begrenzt. Einzelne Persönlichkeitsrechte aber können dauernd fortbestehen. Insbesondere sind die einem Grundstücke oder einem Geschäftsbetriebe anhaftenden Persönlichkeitsrechte regelmäfsig unbefristet. Andrerseits können Persönlichkeitsrechte schon vor dem Wegfalle der Person, in der sie entstanden sind, erlöschen. Selbst die obersten Persönlichkeitsrechte können ganz oder theilweise verwirkt werden. Andere Persönlichkeitsrechte gehen nicht nur durch Verwirkung, sondern auch durch Verzicht unter. Die mit einem Grundstücke verbundenen Persönlichkeitsrechte enden durch Untergang des Grundstückes, die an ein Geschäftsvermögen geknüpften Persönlichkeitsrechte durch Wegfall des Geschäftes. Endlich erlöschen die von vornherein zeitlich begrenzten Persönlichkeitsrechte auch dann, wenn ihr ursprüngliches Subjekt noch vorhanden ist, durch Zeitablauf. § 82. Arten der Persönlichkeitsrechte. Die Persönlichkeitsrechte zerfallen je nach dem Bestandtheile der Persönlichkeitssphäre, der ihren Gegenstand bildet, in verschiedene Arten. Von ihnen sind einige hier nur kurz zu berühren, weil sie entweder schon bei der Darstellung des allgemeinen Rechtes der 16

So das Verlagsrecht im Verhältnifs zum Urheberrecht, aus dem es geschöpft ist, an das es heimfällt und mit dem es erlischt.

§ 82. Arten der Persönlichkeitsrechte.

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Persönlichkeit besprochen sind oder zweckmäfsiger Weise erst später in anderem Zusammenhange behandelt werden oder endlich ins Handelsrecht gehören. Die übrigen sind hier näher zu betrachten. I. Leib und Leben. Jeder Mensch hat ein Recht auf Achtung seiner Leiblichkeit. Widerrechtliche Eingriffe in das Leben, den Körper oder die Gesundheit sind daher Rechtsverletzungen1. Zu ihrer Abwehr ist Selbsthülfe erlaubt2. Der Staat schützt die leibliche Seite der Persönlichkeit in umfassendem Mafse durch Strafrecht und Verwaltungsrecht. Aus der Verletzung dieses Rechtes entspringen aber auch privatrechtliche Ansprüche auf Ersatzleistungen8. Das Recht auf leibliche Unversehrtheit ist heute unverzichtbar4. Es ist zum Theil sogar der Verfügung seines Subjektes entzogen5. Auch 1

Ueber Entw. I § 704, der erst durch eine Fiktion „die Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit und der Ehre" zu einer Rechtsverletzung stempeln wollte, vgl. Gierke, Entw. S. 84, v. L i s z t , Die Grenzgebiete S. 5 ff. — Ein Recht zu Eingriffen in fremde Leiblichkeit steht unter gewissen Voraussetzungen nicht nur dem Staate, sondern auch einer Privatperson zu. So kraft Nothwehr, kraft Zùchtigungsrechtes, kraft ärztlicher Berufserfullung. Eine nach den Regeln der Kunst gebotene ärztliche Operation ist stets mit Einwilligung des Patienten oder seiner Angehörigen, unter Umständen aber, wenn sie dringend erforderlich und vorherige Befragung ausgeschlossen oder unthunlich ist, auch ohne solche Einwilligung zulässig; Seuff. XLVIII Nr. 262. Ueber die Frage, ob in der Verweigerung der Einwilligung in eine Operation eine Pflichtverletzung liegen kann, Tgl. R.Ger. b. Seuff. XLVI Nr. 189, F. Endemann, Die Rechtswirkungen der Ablehnung einer Operation seitens des körperlich Verletzten, Berl. 1893, u. dazu Eck, Juristisches Litteraturblatt v. 1893 Nr. 51. 2 Neben Str.G.B. § 53 (Nothwehr) greift hier § 54 (Nothstand) Platz. 8 Hiervon ist in der Lehre von den Deliktsobligationen zu handeln. 4 Anders im ältesten deutschen Rechte, dem die Verpfändung und das Verspielen von Leib und Leben oder von einzelnen Gliedmafsen bekannt war; Schuster, Das Spiel, Wien 1878, S. 11 ff., Kohl er, Shakespeare vor dem Forum der Jurisprudenz, Würzb. 1883, S. 59 ff. — Heute kann wirksam nur auf die privatrechtlichen Ansprüche aus erfolgter Verletzung und bei solchen Körperverletzungen, die nur auf Antrag verfolgt werden (Str.G.B. § 232), auch auf die Strafverfolgung verzichtet werden (vgl. über Zurücknahme der Privatklage Str.Pr.O. § 431 u. 432). 5 Der Selbstmord ist, obwohl nicht mehr strafbar, doch keineswegs rechtlich erlaubt, die Selbstverstümmelung unter Umständen sogar strafbar (Str.G.B. § 142). Die Einwilligung verleiht einem Anderen nicht das Recht zu Eingriffen in die Leiblichkeit des Einwilligenden, obschon die Tödtung auf ausdrückliches und ernstliches Verlangen des Getödteten milder gestraft wird (Str.G.B. § 216) und die beiderseitige Einwilligung in mögliche Verletzung den Zweikampf zu einer besonderen Strafthat stempelt (Str.G.B. § 201 ff.). Für die blofse Körperverletzung mit Einwilligung des Verletzten behaupten zwar Manche das Gegentheil; vgl. bes. Binding, Strafr. I 722 ff. Doch ist auch bei ihr daran festzuhalten, dafs sie, da dem Verletzten eine Verfügung über sein Recht auf leibliche Unversehrtheit nicht zustand,

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Viertes Kapitel.

Persönlichkeitsrechte.

kann es nur in beschränktem Sinne verwirkt werden6. Ein entsprechendes Persönlichkeitsrecht der Verbandspersonen das aber bei deren einzelnen Gattungen sowohl hinsichtlich des Schutzes gegen fremde Eingriffe wie hinsichtlich der Zulässigkeit eigner Verfügung sehr ungleich entwickelt ist, läfst sich in dem Rechte auf Unversehrtheit des eignen Bestandes finden7. Π. Freiheit. Auch ein Recht auf Achtung seiner persönlichen Freiheit wird heute jedem Menschen angeboren. Widerrechtliche Eingriffe in die Freiheit eines Anderen sind daher Rechtsverletzungen8. Zum Schutze gegen sie wird auch hier neben der Selbsthülfe und neben der öffentlichen Rechtsordnung die Privatrechtsordnung wirksam9. Das Recht auf Freiheit ist heute unverzichtbar und unveräufserlich 10. Dagegen unterliegt es der Verfügung seines Subjektes und kann daher durch Rechtsgeschäfte in seiner Ausübung eingeschränkt werden. Die Rechtsordnung zieht aber solcher Selbstbindung feste Grenzen, damit nicht die Selbstbeschränkung der Freiheit in Selbstzerstörung ausarte n. Das Recht auf Freiheit kann für eine bestimmte Zeit oder für immer verwirkt werden. Bei den Verbandspersonen entspricht das nach Umfang und Inhalt sehr verschieden entwickelte Recht auf Selbstbestimmung und Selbstverwaltung. rechtswidrig bleibt; RGer. in Str.S. I I Nr. 182, VI Nr. 21, Hälschner, Das gem. deut Strafr. I 471, I I 91, v. L i s z t , Straft. § 34 Anm. 5 u. § 88 III. Dagegen ist für die Vornahme ärztlicher Eingriffe die Einwilligung bedeutungsvoll; oben Anm. 1. Hier findet auch, wenn der Patient nicht verfügungsfähig ist, Vertretung bei der Verfügung statt. 6 Eine volle Verwirkung trat einst durch Friedlosigkeit ein. Heute wird nur dem Staate gegenüber durch todeswürdiges Verbrechen das Recht auf das Leben (dagegen in keinem Falle mehr das sonstige Recht auf körperliche Integrität) verwirkt Ueberdies verwirkt, wer einen Anderen rechtswidrig angreift, gegenüber dem Nothwehrberechtigten sein Recht auf Leih und Leben. 7 Vgl. oben § 69 III, § 70 I 2 u. 3, § 77 IV 6, § 78 X u. XL Strafrechtsschutz geniefst der Bestand des Staates; Str.G.B. § 81. 8 Ueber Entw. I § 704 vgl. oben Anm. 1. Entw. I I § 747 scheint auf der Annahme zu beruhen, dafs Freiheitsentziehung keine Rechtsverletzung sei. 9 Strafrechteschutz nach Str.G.B. § 234 ff. Ueber die Privatrechtsansprüche aus Freiheitsentziehung ist im Obligationenrecht zu handeln. ]0 Das ältere deutsche Recht kannte Veräufserung und Verpfändung der Freiheit, zuletzt noch in der Form des obstagium; vgl. Kohl er, Shakespeare S. 53 ff., unten Abschn. I I I Kap. I. 11 Hierher gehören die Einschränkungen der bindenden Kraft von Dienstverträgen, das Verbot lebenslänglicher Bindung durch Gesellschaftsverträge, die gesetzlichen Garantien der Freiheit dès Austrittes aus Genossenschaften, die Beschränkungen der Konventionalstrafen u. s. w.

§ 82. Arten der Persönlichkeitsrechte.

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III. Ehre. Das Recht auf Achtung seiner Ehre wird dem Menschen gleichfalls angeboren. Da aber, wie oben gezeigt ist (§ 53), neben der allgemeinen Menschenehre eine im Staatsbilrgerthum wurzelnde bürgerliche Ehre, eine durch die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Personenkreise bedingte Sonderehre und eine durch eigne Thätigkeit erworbene Individualehre anerkannt sind, so kann das Recht auf Ehre sich mit sehr verschiedenem Inhalte erfüllen. Widerrechtliche Ehrverletzungen sind Rechtsverletzungen12. Gegen sie wird von der Sitte bekanntlich Selbsthülfe in weit gröfserer Ausdehnung sanktionirt, als das Recht sie gestattet13. Im Uebrigen gewährt auch gegen sie der Staat sowohl Strafrechtsschutz wie Privatrechtsschutz14. Dabei kommt zum Theil der Schutz einer Sonderehre oder einer Individualehre in eigenthümlichen Rechtsbildungen zum Ausdruck16. Die Sonderehre empfängt überdies einen mehr oder minder kräftigen Sonderschutz durch die Ordnung der engeren Gemeinschaft, in der sie wurzelt10. Das Recht auf Ehre ist heute unverzichtbar und unveräufserlich 1T. Der Verfügung seines Subjektes ist es grundsätzlich nicht entzogen18. Auch kann es, wie oben bereits gezeigt ist (§ 53), in bestimmtem Umfange verwirkt werden. 12

Ueber Entw. I § 704 vgl. oben Anm. 1. So bei der von der Rechtsordnung verworfenen Institution des Zweikampfes, aber keineswegs blos bei ihr. 14 Der Strafrechtsschutz selbst nähert sich hier einem Privatrechtsschutze an ; insbesondere einerseits durch das hier (wie bei leichteren Körperverletzungen) dem antragsberechtigten Verletzten (Str.G.B. § 194—195) gewährte Recht der Privatklage (Str.Pr.O. § 414 ff., 435 ff), andrerseits durch die Gestaltung der Straffolgen, die sich zum Theil nicht nur auf Genugthuung und Ersatz, sondern auch auf Wiederherstellung der verletzten Ehre (Str.G.B. § 200) richten; vgl. dazu v. L i s z t § 59 I I 2 u. die dort Anm. 3 angef. Litt., auch Kärger a. a. O. S. 204 ff. Ueber die Privatrechtsansprüche aus Ehrverletzung ist noch im Obligationenrechte zu reden. 18 Schutz der Geschäftsehre gegen eine mit Vermögensschädigung verbundene Verletzung (Kreditverläumdung) nach Str.G.B. § 187—188; Schutz der Familien· ehre gegen Verletzung durch Beschimpfung Verstorbener nach Str.G.B. § 189; Schutz der Geschlechtsehre, wobei jedoch der Schutz der leiblichen Unversehrtheit konkurrirt; nach den älteren Strafgesetzbüchern auch besonderer Schutz der Amtsehre (jetzt nicht mehr, vgl. jedoch Str.G.B. § 196). 16 Vgl. oben § 53 S. 431 Anm. 32 ff. 17 Anders nach älterem deutschem Recht; Kohler, Shakespeare S. 62 ff. Von der Verpfändung der Ehre wird bei den Bestärkungsmitteln der Verträge noch gehandelt werden. 18 Darum wird durch Einwilligung Verletzung ausgeschlossen (volenti non fit injuria); auch tritt die Verfolgung einer Beleidigung stets nur auf Antrag ein, der bis zur Urtheilsverkündigung und bei der Privatklage bis zum Anfange der Urtheilsvolletreckung zurückgenommen werden kann (Str.G.B. § 194). 18

Viertes Kapitel.

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Persönlichkeitsrechte.

Einzelne besonders erworbene Ehrenrechte unterliegen nicht blos der Verwirkung, sondern auch dem Verzichte. Dagegen sind auch sie der Regel nach unübertragbar. Doch giebt es vererbliche und veräuferliche Ehrenrechte19. So ist anzunehmen, dafs das von einem Kaufmann für sein Geschäft erworbene Recht auf Führung bestimmter gewerblicher Ehrenzeichen mit der Firma übertragen werden kann20. Auch die Verbandspersonen haben ihre Ehre und ein Privatrecht auf deren Achtung21. Ebenso kann einer Personenmehrheit in ihrer Verbindung zur Personeneinheit ein Recht auf Ehre gebühren22. IV. Besondere Zustände. Den besonderen Zuständen, die auf den Inhalt der Persönlichkeitssphäre einwirken, entsprechen angeborne oder erworbene Zustandsrechte, die jedoch nur zum Theil sich von dem allgemeinen Rechte der Persönlichkeit in einiger Selbständigkeit abheben und regelmäfsig, soweit sie eines besonderen Schutzes überhaupt bedürfen, diesen Schutz vom öffentlichen Rechte her empfangen. An sich haben auch sie, insofern sie der Person eine von Jedermann anzuerkennende eigenthümliche Rechtsstellung in ihren individuellen Verhältnissen gewährleisten, die Natur von Privatrechten28. Dies gilt von den Zustandsrechten, die aus einer die Rechts- oder Handlungsfähigkeit bestimmenden natürlichen Beschaffenheit folgen 24; es gilt von dem Rechte der Zugehörigkeit zu einem Geburtsstande (z. B. zum hohen oder niederen Adel), zu einem Berufsstande (z. B. Kaufmannseigenschaft überhaupt oder Vollkaufmannseigenschaft insbesondere) oder zu einem Religionsbekenntnisse26; es gilt vom Wohnsitzrechte 2 6 ; es gilt auch von dem Rechte der Zugehörigkeit zu einem 19

Vererbliche Würden und Titel; Ehrenrechte als Realrechte. Dies hat das O.L.G. Dresden b. Seuff. XLVI Nr. 46 für Ehrendiplome und Preismedaillen (mit Ausnahme einer als persönlicher Orden qualifizirten Medaille) ausgesprochen. Vgl. auch K o h l er, Markenschutz S. 281 Anm. 2. — Ueber den Schutz der Rechte auf Ehrenzeichen vgl. oben § 53 S. 432 Anm. 42—43. 91 Oben § 66 S. 516 Anm. 13. 22 Oben § 80 S. 682 Anm. 92; v. L i s z t , Strafr. § 97 IV. 83 Während in der älteren Theorie das Dasein von „Statusrechten" unbestritten war, will heute die herrschende Meinung davon nichts wissen. Giebt es aber überhaupt ein Recht der Persönlichkeit, so mufs nothwendig auch jede rechtlich erhebliche Qualifikation der Persönlichkeit in den Bereich des subjektiven Rechtes fallen. Fraglich kann dann nur sein, ob und inwieweit ein besonderes Persönlichkeitsrecht oder lediglich eine Differenzirung des allgemeinen Rechtes der Persönlichkeit anzunehmen ist. Worauf nicht viel ankommt. 24 Oben § 43—45. So ist es ein Recht, als grofsjährig, als geistig gesund u. s. w. anerkannt zu werden. Es ist aber auch ein Recht, als schutzbedürftig zu gelten. 2 « Oben § 46—51 u. 54-55. 26 Oben § 57. 80

§ 82. Arten der Persönlichkeitsrechte.

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Verbände, wenn und soweit dieses eine über das Mitgliedschaftsrecht hinausreichende privatrechtliche Wirkung hat 27 . Derartige Zustandsrechte finden sich auch bei Verbandspersonen und Personeneinheiten28. V. Bethätigung. In dem Rechte der Persönlichkeit ist das Recht freier Bethätigung der eignen geistigen und leiblichen Kräfte innerhalb der von der Rechtsordnung gezogenen Schranken enthalten. Besondere Privatrechte auf einzelne Bereiche menschlicher Thätigkeit sind im Allgemeinen auch da nicht ausgebildet, wo das öffentliche Recht die Freiheit der Bethätigung der Persönlichkeit in bestimmter Richtung besonders anerkennt und gewährleistetae. Nur auf dem Gebiete der wirthschaftlichen Erwerbsthätigkeit treten besondere Persönlichkeitsrechte privatrechtlicher Prägung aus dem allgemeinen Rechte der Persönlichkeit heraus. Grundsätzlich gilt freilich auch das Recht zu beliebiger Erwerbst h ä t i g k e i t heute als unmittelbarer Ausflufs des Rechtes der Persönlichkeit, das somit an sich jeder Einzelperson und jeder Verbandsperson zusteht und nur gleich anderen Freiheiten einer Fülle öffentlichrechtlicher Einschränkungen unterliegt80. Allein schon dieses allgemeine Recht der Gewerbefreiheit stellt sich als ein besonderes Privatrecht dar 81 . Es ist unverzichtbar, kann aber durch Rechtsgeschäfte in der Ausübung beschränkt werden, sofern nur die Selbstbindung sich innerhalb der Grenzen hält, jenseits deren sie in Vernichtung der wirthschaftlichen Freiheit ausartet82. Sodann entsteht durch den Erfolg einer Erwerbsthätigkeit in gewissen Grenzen ein Privatrecht auf einen besonderen wirthschaftlichen Thätigkeitsbereich. Indem vermöge der thatsächlichen Verknüpfung von geschäftlichen Beziehungen, Kundschaft, Ruf und Vertrauen mit einem bestimmten Betriebe und seinen materiellen Unterlagen ein gewerbliches Unternehmen sich zu einem individualisirten Inbegriff ständiger Lebensverhältnisse verfestigt, besitzt darin sein Schöpfer oder dessen Rechtsnachfolger eine ökonomisch werthvolle Grundlage fernerer Erwerbsthätigkeit. Im Besitze dieses 87

Somit heute noch von der Staatsangehörigkeit; oben § 56. Oben § 66 S. 515 Anm. 7 u. S. 516 Anm. 12, § 80 S. 682 Anm. 92. 29 Vgl. oben § 81 S. 704 Anm. 8. Noch weniger ist das Recht, Rechtsgeschäfte zu schliefsen (Neuner a. a. O. S. 15 ff.) oder Rechte zu erwerben (Oest. Gb. § 18), einer Heraushebung aus dem allgemeinen Rechte der Persönlichkeit bedürftig. 80 Davon unten Buch I I I Abschn. V I I im Gewerberechte. 81 Vgl. Erk. des O.L.G. Hamb. b. Seuff. X L I Nr. 110. 82 Ueber Konkurrenzausschliefsungsverträge und Kartelle ist später zu handeln. Richtig R.Ger. XXXI Nr. 18. 28

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Viertes Kapitel.

Persönlichkeitsrechte.

individuell erworbenen Persönlichkeitsgutes wird er in weitem Umfange gegen Eingriffe der öffentlichen Gewalt geschützt33. Dagegen ist er darin gegen Eingriffe Dritter insoweit ungeschützt, als nach dem Grundsatze der Gewerbefreiheit jeder Andere mit ihm in Wettbewerb treten kann und durch Ausübung seiner eignen wirthschaftlichen Freiheit auch dann kein Recht verletzt, wenn er dadurch einen mit Arbeit und Kosten errungenen fremden Thätigkeitsbereich schädigt oder zerstört 84. Allein das Recht des Wettbewerbes hat seine Schranken. Es gewährt die Befugnifs zu beliebiger Ausnützung der eignen Freiheit, verleiht aber keinen Freibrief zur Unterdrückung oder Anmafsung der einem anderen Persönlichkeitsbereiche angehörigen Kräfte und Mittel. Darum gilt der modernen Rechtsanschauung der „unlautere" Wettbewerb, der ein nach den Anforderungen des redlichen Verkehres als Bestandtheil einer fremden wirthschaftlichen Sphäre anzuerkennendes Persönlichkeitsgut antastet, als Rechtsverletzung85. Die neuere Gesetzgebung hat einzelne Persönlichkeitsrechte zu eigenartigen gewerblichen Rechten ausgestaltet, deren besonderer Schutz zugleich der Abwehr von unlauterem Wettbewerbe dient86. Darüber hinaus aber gebührt jedem Gewerbtreibenden ein allgemeiner Anspruch auf Privatrechtsschutz gegen unlauteren Wettbewerb. Im Gegensatze zu der Praxis des französischen und englischamerikanischen Rechtes87 zögert freilich die deutsche Praxis noch immer, einen solchen Anspruch grundsätzlich anzuerkennen88. Doch 33 Und zwar in weiterem Umfange, als sich der Schutz des allgemeinen Rechtes auf Errichtung eines Gewerbebetriebes erstreckt. Vgl. über Anerkennung des älteren Besitzstandes bei Einfuhrung neuer gesetzlicher Erfordernisse der Zulassung zum Gewerbebetriebe, über feste Begrenzung der Verwirkungsfälle und über Gewährung einer Entschädigung in anderen Fällen staatlicher Entziehung R.Gew.0. § 1 Abs. 2, § 33 a Abs. 3, § 51—54. Man denke auch an die Entschädigung der Inhaber privater Gewerbebetriebe bei Einführung eines staatlichen Gewerbemonopols. 84 Ueber die Auffassung des Rechtes auf Wettbewerb in der französ. Jurisprudenz vgl. 0. Mayer, Z. f. H.R. XXVI 375 ff. 86 Vgl. Dr e y er, Z. f. H.R. XX 259 ff., O.Mayer, Die concurrence déloyale ib. XXVI 363 ff., Kohl er, Patentrecht S. 470, Recht des Markenschutzes S. 77 ff.> 91 ff., 107 ff., sowie die von diesen Schriftstellern nachgewiesene französ. Litt.; auch Goldschmidt, Syst S. 104, Dernburg, Preufs. P.R. I I 913 Anm. 2, 987 Anm. 22, Cosack, H.R. S. 64; A l e x a n d e r - K a t z , Die unredliche Konkurrenz, Berlin 1892; A. Träger b. Gruchot XXXVI 196 ff.; H. A l l a r t , Traité théorique et pratique de la concurrence déloyale, Paris 1892; A. Simon, Die concurrence déloyale, Bern 1894. 36 So die Rechte an Namen (unten § 83), Ehrenzeichen (oben Anm. 20) und Waarenbezeichnungen (unten § 84). 87 Ueber sie vgl. Dreyer a. a. 0., 0. Mayer a. a. 0. S. 376 ff., Kohler,. Markenschutz S. 78 ff., 92 ff., 108 ff. 88 Insbesondere verneint ihn das Reichsgericht, das nicht einmal in den

§ 82. Arten der Persönlichkeitsrechte.

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wäre sie durch das geltende deutsche Recht keineswegs gehindert, in andere Bahnen einzulenken und so ein dringendes Bedtlrfnifs unseres Verkehrslebens zu befriedigen 89. Denn insoweit ein erworbener wirthschaftlicher Thätigkeitsbereich die Merkmale eines individualisirten Persönlichkeitsbereiches an sich trägt, läfst sich schon aus dem allgemeinen Rechte der Persönlichkeit ein absolutes Recht auf Achtung desselben und somit auf Untersagung von unbefugten Eingriffen und auf Schadensersatz aus arglistiger Verletzung herleiten40. Endlich bestehen ausnahmsweise besondere Privatrechte auf eine bestimmte Erwerbsthätigkeit mit Ausschlufs Anderer oder doch mit Vorzug vor Anderen. Sie lassen sich als Monopolrechte zusammenfassen. Da sie die Persönlichkeitssphäre ihres Subjektes auf Kosten der allgemeinen wirthschaftlichen Freiheit erweitern, bilden sie eine Klasse der Persönlichkeitsrechte41. Sie sind aber sämmtlich zugleich von Hause aus Vermögensrechte und empfangen zum Theil sogar ein überwiegend vermögensrechtliches Gepräge. Im Zusammenhange hiermit wird ihnen neben dem Strafrechtsschutze ein voller Privatrechtsschutz gewährt. Auch nähern sie sich hinsichtlich der Uebertragbarkeit vielfach den reinen Vermögensrechten an. Monopolrechte sind die ausschliefslichen Gewerberechte r die zwar in der Hauptsache der Rechtsgeschichte angehören, jedoch auch heute nicht ganz verschwunden sind. Sie gewähren ihrem Subjekte das Recht auf den Betrieb eines Gewerbes bestimmter Art und folgeweise eine Untersagungsbefugnifs gegen Jeden, der dieses Gedeutschen Gebieten desfranzösischen Rechtes, in denen die Praxis zur Befolgung des lranzösischen Beispieles neigt (Seuff. XXXVIII Nr. 258, Κ ο hl er a. a. 0. S. 90), einen Schutz gegen unlauteren Wettbewerb gewähren will; vgl. Seuff. X L I I I Nr. 271 S. 411 ff. (wo S. 409 ff. die wohlbegründete gegentheilige Entsch. des O.L.G. Braunschweig als Vorinstanz abgedruckt ist) u. Nr. 281 S. 426 ff., Entsch. in C.S. XXIX Nr. 18 S. 61, auch I I I 67, VI 75, XXV 210. Ebenso das Obst. L.G. f. Bayern Seuff. XLVIII Nr. 263. Auch die Erk. in Z. f. H.R. X X X V I I I 188 ff., sowie das O.L.G. Frankf. b. Seuff. X L I I Nr. 317. 89 K o h l e r a. a. 0. S. 98 ff. — Α. M. 0. Mayer a. a. 0. S. 434 ff. 40 Von dem richtigen Gesichtspunkte des „Individualrechtes" geht Κ ο hl er a. a. 0. S. 77 ff. u. 99 ff. aus, während 0. Mayer a. a. 0. jedes zu Grunde liegende Privatrecht leugnet. Dieses Persönlichkeitsrecht hat Vermögenswerth und kann zwar nicht für eich, wohl aber zusammen mit dem Geschäftsvermögen vererbt und veräufsert werden. — In der ausländischen Jurisprudenz überwiegt noch immer die Vorstellung eines industriellen oder kommerziellen „Eigenthums" an den geschützten Verhältnissen ; vgl. 0. Mayer a. a. 0. S. 366 ff, Κ oh 1er a. a. 0. S. 78 ff. 41 Dagegen stellt sie Ro gui η a. a. 0. S. 308 ff. als eine eigne Klasse, Kärger a. a. 0. S. 15 ff. u. 140 ff. als Arten seiner „Zwangsrechte" den Persönlichkeitsrechten gegenüber.

Viertes Kapitel.

716

Persönlichkeitsrechte.

werbe unbefugt betreibt. Im Uebrigen können sie eine sehr verschiedene Beschaffenheit haben. Insbesondere können sie als staatliche Gewerberegale, als körperschaftliche Gewerbeprivilegien, als Realgewerberechte und als selbständige personale Gewerbegerechtigkeiten vorkommen42. Monopolrechte sind ferner die Bannrechte, die ihrem Subjekte für seinen Gewerbebetrieb das ausschliefsliche Recht auf eine bestimmte Kundschaft und folgeweise gegen die von ihnen ergriffenen Personen die Befugnifs zur Untersagung der Bedürfnifsbefriedigung bei anderen Gewerbtreibenden gewähren48. Monopolrechte sind auch die ausschliefslichen Aneignungsrechte, wie sie das deutsche Recht hinsichtlich gewisser herrenloser Sachen theils als Regale, theils als besondere Gerechtigkeiten, theils als Rechte des Grundeigenthümers ausgebildet hat 44 . Denn ihren Gegenstand bildet die okkupatorische Erwerbsthätigkeit als solche, die in bestimmtem Umfange der an sich die Okkupationsfreiheit einschliefsenden allgemeinen Freiheit entzogen und dem besonderen Thätigkeitsbereiche einzelner Personen einverleibt ist. Allerdings können solche Rechte auch als Sachenrechte vorgestellt werden. Nicht als Rechte an den der Aneignung vorbehaltenen Sachen, weil diese eben herrenlos sind45. Wohl aber als Rechte an den Grundstücken, auf denen sie ausgeübt werden. Allein wenn manche von ihnen ursprünglich als Bestandtheile der im Eigenthum begriffenen Herrschaft an Grund und Boden gegolten haben, so sind doch auch sie durch die geschichtliche Entwicklung so verselbständigt worden, dafs sie selbst in der Hand des Grundeigenthümers nicht mehr als Bestandtheile, sondern als Zubehörungen des Grundeigenthums erscheinen46. 48

Hiervon im Gewerherechte unten Buch I I I Abschn. VII. Auch von diesen Rechten, deren Wesen überaus bestritten ist, wird im Gewerberechte näher gehandelt werden. 44 Also namentlich das Jagdrecht und das Fischereirecht; nach einer verbreiteten Ansicht auch das Bergwerkseigenthum, von dem aber im Bergrecht gezeigt werden wird, dafs es nicht zu den Aneignungsrechten gehört. 45 In der preufsischen Gesetzgebung wird freilich das Bernsteinregal als „Eigenthum" am Bernstein bezeichnet; vgl. Pr. L.R. II, 15 § 80, Ges. v. 4. Aug. 1865 Art. 4, Ges. v. 22. Febr. 1867 ad IV, Westpreufs. Prov.R. § 78—74. Allein damit kann nur ein ausschliefsliches Recht auf Eigeiithumserwerb gemeint sein ; v. Brünneck, Das Recht auf Zueignung der von der See ausgeworfenen oder angespülten Meeresprodukte u. das Bernsteinregal, Königsberg 1874, S. 76 ff., Stobbe I I 654. 46 So das moderne Jagdrecht; vgl. unten Buch I I I Abschn. IV· 48

§ 8.

enrechte.

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VI. Namen und Zeichen. Eine besondere Klasse der Persönlichkeitsrechte bilden die nunmehr (Tit. II) zu besprechenden Rechte an den äufseren Persönlichkeitszeichen. Unter ihnen sind wieder die Rechte an Namen von den sonstigen Zeichenrechten zu unterscheiden. VII. Geisteserzeugnisse. Näherer Erörterung bedürfen die Rechte an Geisteserzeugnissen. Sie zerfallen in die Urheberrechte (Tit. III) und das Erfinderrecht (Tit. IV). Zweiter Titel. Namen- und Zeichenrechte. § 83.

Namenrechte.

I. Der bürgerliche Name 1 . 1. Familienname und Vorname. Mit der Persönlichkeit des einzelnen Menschen ist als ständige Bezeichnung seiner Individualität ein bestimmter bürgerlicher Name rechtlich verknüpft, der sich nach heutigem deutschem Rechte aus einem Familiennamen und einem oder mehreren Vornamen zusammensetzt2. Der Familienname drückt die Zugehörigkeit zu einer durch Geschlechtszusammenhang verbundenen Familie aus8. Er wird daher 1 K. Ein er t, Erörterung einzelner Materien des Civilrechts, 2. Aufl, Dresd. u. Leipz. 1846, S. 75if. R. Hermann, Ueber das Recht der Namensfuhrung und der Namensänderung, Arch. f. c. Pr. XLV (1862) S. 153 ff. u. 315 ff. S. Levi, Vorname u. Familienname im Recht, Giefsen 1888. J. Kohler, Das Individualrecht als Namenrecht, Arch. f. b. R. V 77 ff., auch schon Recht des Markenschutzes S. 5 ff. N i p pold, Vorname u. Familienname nach dem Entwürfe eines b. Gb. f. d. D. R. u. nach sächs. R., Sächs. Arch. f. bürg. R. u. Proz. I 861ff. 0. Fischer, Der Rechtsschutz des Namens, Arch. f. b. R. V I 306 ff. — Beseien, D.P.R. § 56. G e r b e r , D.P.R. § 34 Anm. 1. Stobbe, D.P.R. H I § 163. — Windscheid, Pand. I § 42 Anm. 2. Dernburg, Pand. I § 22 Anm. 9. Regelsberger, Pand. I 199. — Gareis in Busch Arch. XXXV 197. Jhering, Jahrb. f. D. X X I H 320ff. Bekker ib. XXX 278. — Thon, Rechtsnorm S. 153. — Rosier, Verwaltungsr. I § 19. G. M e y e r , Verwaltungsr. I § 31. v. Sicherer, Art. „Namengebung" in Stengels Wörterbuch H 158 ff. — Gierke, Entw. S. 86 ff. Κ as ere r, Ueber die Personennamen und deren Aenderung nach öst Gesetzen, Wien 1879. — Huber, Schweiz. P.R. I 417 ff. — Rechtsgutachten von Schneider, Κ o h l e r und Laband in Sachen von Orelli wider Corragioni d'Orelli, Zürich 1889. 8 Ueber die erst in unserem Jahrhundert zum Abschlufs gekommene Entwicklung des Systems der Familiennamen als Zunamen zu den ursprünglich alleinigen Vornamen vgl. Arnold, Verfassungsgesch. der deutschen Freistädte I I 197 ff., L e v i a. a. O. S. Iff. 8 Hierbei gilt als Regel das agnatische Prinzip.

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Viertes Kapitel.

Persönlichkeitsrechte.

durch Geburt erworben. Das eheliche Kind folgt dem Namen des Vaters 4, das uneheliche dem Namen der Mutter5. Aushillfsweise findet, wo der angeborne Name nicht zu ermitteln ist, staatliche Verleihung statt6. Eine Aenderung des Familiennamens erfolgt durch den Eintritt in eine andere Familie. Darum nimmt die Frau mit der Heirath den Namen des Mannes an7. Ebenso erwirbt das un4 Ausnahmen gelten nur bei Mifsheirathen und Ehen zur linken Hand im hohen Adel-, oben § 47 Anm. 20 u. 33 ff. — Kinder aus ungültigen Ehen führen dann den Namen des Vaters, wenn sie die Rechte ehelicher Kinder haben; Code civ. Art. 201, Oest. Gb. § 160, Kaserer S. 25, L e v i S. 17, N i p p o l d S. 366 ff.; abweichend Pr. L.R. H 1 § 53. Ebenso Brautkinder; Stobbe IV § 261 Anm 35, Levi S. 18, Sächs. Gb. § 1578 u. dazu Nippold S. 369. 5 Hermann S. 322 ff., L e v i S. 18 ff., N i p p o l d S. 364 ff., Pr. L.R. II, 2 § 640, Oesterr. Gb. § 165, Sächs. Gb. § 1801, Entw. Π § 1594. Nach französ. R. bedarf es jedoch erst einer Anerkennung durch die Mutter, damit das Kind ihren Namen erlange. L e v i S. 24 ff., Hinschius, Komm, zum Personenstandsges. § 25 Anm. 59. — Das uneheliche Kind der Witwe oder geschiedenen Frau führt, da es der Familie ihres früheren Ehemanns nicht angehört, nicht den durch Heirath erworbenen, sondern den ursprünglichen Namen der Mutter; Stobbe§261 Anm. 5, Koch, Anm. zu § 640 Pr. L.R. II, 2, K r a i n z § 459 Anm. 1, Entw. I I § 1594; a. M. L e v i S. 27 ff. Das uneheliche Kind der adligen Mutter führt, da es den Adel nicht erwirbt (oben § 48 Anm. 5), ihren Namen ohne Adelsprädikat. — Durch Anerkennung der Vaterschaft wird dem Kinde der Name des Vaters nicht verschafft; R.Ger. V Nr. 45. Anders nach französ. R.; L e v i S. 20 ff. Auch gestatten einige Partikularrechte, dafs dem Kinde mit Einwilligung des Vaters dessen Familienname beigelegt werde; Roth, D.P.R. § 172 Anm. 2, Stobbe IV § 261 Anm. 7, L e v i S. 21 ff. 6 So bei den Findelkindern; Personenstandsges. §24, v. S i c h e r e r , Komm. S. 108, Hinschius S. 87 Anm. 57, L e v i S. 29 ff. Unrichtig Nippold S. 371ff., der das Recht der Namenebeilegung dem Vormunde zuschreibt. Im Falle späterer Entdeckung der Herkunft des Kindes mufs der beigelegte Name dem wirklichen Namen weichen. — Partikularrechte kennen auch eine staatliche Namensbeilegung in gewissen Fällen, in denen ein uneheliches Kind weder den mütterlichen noch den väterlichen Namen erwirbt ; so das französ. R. (wenn weder Mutter noch Vater das Kind anerkannt haben), das österr. R., das Bemer Gb. § 205 u. andere Schweiz. Rechte; L e v i S. 23 ff., Huber I 417. 7 Pr. L.R. II, 1 § 192, Oest. Gb. § 92, Entw. II § 1255. Ausnahmen bei Mifsheirathen und Ehen zur linken Hand, oben § 47 Anm. 19 u. 33 ff. — Die Witwe behält den Familiennamen des Mannes. Die geschiedene Frau kann, wenn fiie für den schuldigen Theil erklärt ist, den Namen des Mannes nur mit dessen Bewilligung fortführen; sonst hat sie die Wahl, ob sie den Namen des Mannes beibehalten oder zu ihrem früheren Namen zurückkehren will. So Pr. L.R. H, 1 § 741—742, Gotha. Eheges. § 153—155, Schwarzb.-Sondersh. Ehescheidungsges. § 26, Bad. L.R. Art. 299a u. der r. M. n. auch das gem. R., vgl. Seuff. I I I Nr. 70 u. XVII Nr. 58 (a. M. L e v i S. 32). Uebereinstimmend jetzt auch Entw. H § 1478. Dagegen büfst sie nach französ. R. unbedingt das Recht auf den Namen das Mannes ein; Zachariae I I I § 485. (Hierfür erklären sich de lege ferenda Hinschius,

§ 8.

eirechte.

719 8

eheliche Kind durch Legitimation den Namen des Vaters , das Wahlkind durch Annahme an Kindesstatt den Namen des Wahlvaters oder der Wahlmutter9. Im Uebrigen kann eine Aenderung des Familiennamens von der Staatsgewalt bewilligt werden10. Ohne staatliche Bewilligung ist sie unzulässig11. Der Vorname dient als Unterscheidungszeichen des Individuums von anderen Trägern des gleichen Familiennamens. Er wird durch Beilegung erworben 12. Das Recht der Namengebung ist Ausflufs des Erziehungsrechtes und gebührt daher den Eltern mit Vorrang des Vaters und da, wo weder Vater noch Mutter vorhanden oder zur Ausübung des Rechtes im Stande sind, dem Vormunde18. Der gewählte Vorname mufs sich im Allgemeinen als Name darstellen und Arch, f, c. Pr. L X X 94 ff., Nippold S. 374). Umgekehrt behält sie nach Sächs. Gb. § 1748 stets den erheiratheten Namen. Gleiches wollte Entw. I § 1455 bestimmen. 8 L e v i S. 33, Nippold S. 375 ff. — Bezüglich adliger Namen vgl. oben § 48 Anm. 6—8. 9 Pr. L.R. II, 2 § 682, 688—689, 713, Oest. Gb. § 182, Code civ. Art 347, Entw. Π § 1642; Levi S. 33 ff., Nippold S. 377 ff. Bei der Adoption durch eine Frau nimmt das Wahlkind deren ursprünglichen Namen an. Ueberall hat das Wahlkind das Recht, daneben seinen angebornen Familiennamen fortzuführen; Entw. I § 1622 wollte sogar eine Pflicht zur Führung eines Doppelnamens begründen, was Entw. I I a. a. 0. beseitigt hat. — Ueber die Adelsprädikate vgl. oben § 48 Anm. 9 u. 18. 10 Pr. L.R. II, 20 § 1440b, Preufs. Ges. v. 30. Okt 1816, C.O. v. 15. Apr. 1822 u. Allerh. Erl. v. 12. Joli 1867; Französ. Ges. v. IL Germinal de l'an X I sur les prénoms et changements de nom tit. I I ; Oldenburg. V. v. 28. Aug./6. Sept. 1826; Bad. V. v. 16. Dez. 1875; Hermann S. 160 ff., Levi S. 35 ff., G. Meyer, Verwaltungsr. I § 31. Die Beilegung des neuen Namens erfolgt auf Antrag und nach vorheriger Prüfung der Sachlage durch das Staatsoberhaupt oder eine von ihm ermächtigte Behörde (in Preufsen die Bezirksregierungen). Zum Theil wird durch ein Veröffentlichungsverfahren Gelegenheit zu Einspruch gegeben (nach französ. R. binnen einem Jahre). Im Uebrigen mangelt es an jedem Schutze gegen Verletzung bestehender Namenrechte durch staatlich bewilligte Namensänderungen. 11 Das in 1. un. C. de mut. nom. 9, 15 anerkannte Recht eigenmächtiger Namensänderung, das auch in Deutschland vielfach geübt wurde (man denke an die Latinisirung und Gräcisirung deutscher Namen), besteht heute auch gemeinrechtlich nicht mehr ; Hermann a. a. O., Beseler § 56, Levi S. 34ft, N i p p o l d S. 863 ff.; a. M. G. Meyer, Verwaltungsr. I § 81. 12 Die Beilegung erfolgt nicht durch einen Akt vor dem Standesamte, sondern vorher. Auf die Sitte der Beilegung bei der Taufe nimmt das Personenstandsgesetz in § 22 Abs. 3 Rücksicht; vgl. oben § 41 Anm. 28. Durch die Eintragung in das Standesregister wird aber in mafsgebender Weise beurkundet, dafs und wie das Recht der Beilegung, das nur einmal ausgeübt werden kann, ausgeübt worden ist Vgl. v. Sicherer S. 101 ff., L e v i S. 8 ff., Hinschius S. 82—83, oben § 41 Anm. 22—23. 18 v. Sicherer S. 97, Levi S. 11.

Viertes Kapitel.

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PersöDlichkeitsrechte.

darf nicht wider die gute Sitte, die staatliche Ordnung oder das religiöse Gefühl verstofsen 14. Partikularrechte ziehen der Wahl der Vornamen noch engere Grenzen16. Auch die Vornamen können nicht eigenmächtig, sondern nur mit staatlicher Bewilligung geändert werden16. Der Familienname bildet sowohl für sich wie in seiner Vervollständigung durch Vornamen als bürgerlicher Name den Gegenstand eines Privatrechtes 1 7 , das sich als ein besonderes Persönlichkeitsrecht von dem allgemeinen Rechte der Persönlichkeit abhebt18. Dieses Recht ist jedoch unverzichtbar19, unübertragbar 20 und unvererblich21. u

V. Sicherer S. 98, Levi S. 12, Hinschius S. 82 Anm. 48. In Sachsen-Weimar dürfen nicht dieselben Vornamen gewählt werden, die der Vater oder ein anderer Ortseinwohner gleichen Familiennamens trägt; in Hessen nur übliche Vornamen; nach dem oben Anm. 10 angef. französ. Ges. nur kalendermäfsige oder aus der alten Geschichte bekannte Vornamen; v. Sicherer S. 97 ff., L e v i S. 13 ff., Hinschius S. 82 Anm. 48. Für Preufsen ist das französ. Ges. durch Ges. v. 23. Mai 1894 aufgehoben. 16 Hermann S. 159, v. Sicherer S. 101 Anm. 66 u. S. 102 ff., Levi S. 13 ff., Hinschius S. 82; a. M. G. Meyer I § 31. Vgl. Bad. V. v. 16. Dez. 1875 § 5, Brem. Instr. v. 10. Dez. 1875 § 35. — Ueber die Eintragung der Aenderung von Familiennamen oder Vornamen in das Standesregister vgl. v. Sicherer S. 123, Hinschius S. 98 Anm. 67. 17 Vgl. für das gem. R. R.Ger. V 172 u. XXIX 125: „ein im Rechtswege verfolgbares Privatrecht"; ferner I I 147, Bolze V I I I Nr. 32 u. 33; auch Seuff. V I Nr. 6, XLIV Nr. 30, X L V I I I Nr. 263. Die neueren Gesetzbücher erkennen das Recht am Familiennamen schon durch die Stellung, die sie den Vorschriften über Erwerb und Aenderung des Namens anweisen, als Privatrecht an; vgl. über das preufs. R. O.Trib. XLVI 193 ff., R. Ger. im J. M. Bl. v. 1884 S. 37. Von den Schriftstellern vgl. bes. Hermann S. 315ff., Beseler § 56, Thon S. 153, Gareis a. a. O., K o h l e r a. a. 0., L e v i S. 47 ff., Schneider a. a. O. S. 10 ff., L a b a n d a. a. O. S. 25 ff. — Bestritten wird das Privatrecht am Namen von E i η ert a. a. 0. S. 109 ff., Kaserer S. 14, Rosier a. a. O., Jhering a. a. 0., Gerber a. a. 0., Stobbe I I 52. 18 Als „Individualrecht" bezeichnen es Gar ei s a. a. Ο., Κ ο hl er a. a. Ο., L e v i S. 59, Obst. L.G. f. Bayern b. Seuff. X L V I I I Nr. 48. Die französ. Jurisprudenz neigt auch hier zur Annahme eines Eigenthums; Ko hier, Arch. f. b. R. V 99 ff. Ebenso spricht das O.L.G. Marienwerder b. Seuff. X L V i n Nr. 3 von einem „privatrechtlichen Eigenthum". 19 Auch durch Verzicht auf den Adel (oben § 48 IV 2) erlischt nicht das Recht auf den bisherigen Namen, falls nicht damit eine Namensänderung (oben Anm. 9—10) verbunden ist. 20 Κohler, Markenschute S. 14ff., L e v i S. 60, R.Ger. IX Iff., XXIX 132ff. (daher kein Namenserwerb durch einen behufs Namensübertragung simulirten Arrogation8vertrag). " Unrichtig Hermann S. 339 ff. Der Familienname wird nicht ererbt, sondern angeboren. Anders natürlich da, wo er sich nicht vervielfältigt, sondern erst durch den Tod des bisherigen Trägers auf einen nach Erstgeburtsrecht berufenen Nachfolger übergeht, wie der englische Peersname. 15

§ 8.

enrechte.

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Auch ist es nur in geringem Umfange der Verfügung seines Subjektes unterworfen 2a. Das Privatrecht am bürgerlichen Namen enthält zunächst das Recht zu dessen Führung, das von Jedermann anerkannt werden mufs und im Falle der Bestreitung durch Feststellungsklage zur Anerkennung gebracht werden kann28· Dem Staate gegenüber ist das Führungsrecht zugleich Führungspflicht 24, während anderen Personen gegenüber eine Pflicht zur Führung des rechten Namens nicht besteht26. In dem Privatrechte am bürgerlichen Namen ist aber auch das Recht zur Untersagung unbefugter Eingriffe Anderer enthalten. Dieses Vertretungsrecht kann im Wege der negativen Feststellungsklage geltend gemacht werden, gewährt jedoch auch einen klagbaren Anspruch auf Beseitigung vorhandener und Unterlassung künftiger Beeinträchtigungen und im Falle schuldhafter Verletzung auf Schadensersatz26. Reichsrechtlich gewährleistet ist der Schutz des bürgerlichen Namens gegen Anmafsung durch unbefugte Führung des gleichen Namens als Firma 27 . Darüber hinaus ist in der deutschen Praxis mehr und mehr die Ansicht durchgedrungen, daüs überhaupt ein allgemeiner Anspruch auf Privatrechtsschutz gegen unbefugte Anmafsung eines bürgerlichen Namens besteht28. In der That mufs, sobald das 99 Fälle einer solchen Verfügung vgl. oben Anm. 5 (Bewilligung der Führung des väterlichen Namens durch uneheliche Kinder) f Anm. 7 (Bewilligung des Mannes und Wahlrecht der Frau bei Ehescheidung) u. Anm. 9 (Wahlrecht des Wahlkindes). Vgl. ferner über Ausschlufs des Verbietungsrechtes durch frühere Einwilligung in die Führung des Namens Seuff. X V I I I Nr. 44 u. R.Ger. V 176. Andere Fälle wirksamer Verfügung b. Κ ο hl er, Arch. f. b. R. V 91 ff. 28 Seuff. X V I I I Nr. 44; Hermann S. 334 ff., Levi S. 56 ff., Fischer S. 809 ff. Ausdrücklich will Entw. H § 22 „das Recht zur Führung eines Namens" gegen Bestreitung schützen. u Str.G.B. § 360 Z. 8. Vgl. Laband a. a. O. S. 27. 28 Vgl. Seuff. XLIV Nr. 30 (Abweisung der Klage eines Vaters, der aus eignem Recht gegen seine geschiedene Ehefrau ein Verbot erzielen will, den gemeinsamen Sohn, an dem ihr das Erziehungsrecht eingeräumt ist, mit ihrem Mädchennamen zu nennen und durch Dritte nennen zu lassen). Vgl. auch unten Anm. 34. 26 Fischer a. a. 0. S. 310 ff.; Köhler a. a. 0. S. 96; Laband a. a. 0. S. 25 ff. Zur Beseitigung der Beeinträchtigung gehört auch die Einwilligung in die Abänderung der dem Rechte des Namenträgers widersprechenden Einträge in Standesregistern, Handelsregistern, Grundbüchern, Notariatsurkunden u. s. w. 27 H.G.B. A r t 27; dazu R. Ger. V I I Nr. 78, XIX Nr. 4, X X I I Nr. 10, XXV Nr. 1, Seuff. X L V I I Nr. 127. Vgl. auch H.G.B. Art 24 Abs. 2 u. dazu R.G. V Nr. 30. 28 Am frühesten zu Gunsten adliger Familiennamen anerkannt (oben § 48 Anm 35), ist doch der Privatrechtsschutz grundsätzlich immer dem Familiennamen

B i n d i n g , Handbuch. Π . 8. I : G i e r k e , Deutsches Privatrecht. I .

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Viertes Kapitel.

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Namenrecht als absolutes Privatrecht anerkannt wird, Jedermann, der zur Führung eines bestimmten bürgerlichen Namens befugt ist, ohne Weiteres auch als befugt gelten, jedem Unbefugten die Führung des gleichen bürgerlichen Namens zu untersagen. Denn da einerseits im Wesen des Namenrechtes als eines Rechtes an einem Unterscheidungszeichen die Ausschliefslichkeit liegt, andrerseits die Führung eines nicht gehörig erworbenen Namens als bürgerlichen Namens stets widerrechtlich ist, sind die Voraussetzungen einer im Rechtswege verfolgbaren Privatrechtsverletzung gegeben. Eine Verkümmerung des Klagerechtes durch die Forderung des Nachweises eines besonderen Interesses an der Unterlassung der Namensanmafsung widerspricht der Rechtskonsequenz und wird durch das Bedürfnifs keineswegs geboten29. Dem Namenberechtigten gebührt aber ein Privatrechtsschutz nicht blos gegen Anmafsung, sondern auch gegen Mifsbrauch seines bürgerlichen Namens. Reichsrechtlich besteht ein derartiger Schutz gegen unbefugte gewerbliche Verwendung eines bürgerlichen Namens als Waarenzeichen80. Nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen als solchem gewahrt worden; vgl. schon Erk. der Leipz. Juristenfak. v. 1781 b. Hermann S. 336-387, ferner Seuff V I Nr. 3, X V I I Nr. 3 u. 58, XIX Nr. 114, XXIX Nr. 79, XLIV Nr. 30, XLVIII Nr. 263, R.Ger. I I Nr. 39 S. 147 if., V Nr. 45 S. 172 if., XXIX Nr. 32 S. 125 if., französ. Praxis b. Kohl er, Arch. f. b. R. V 97 if. 29 Während Manche eine Klage überhaupt nur ausnahmsweise zulassen wollen (vgl. z. B. Hermann S. 336 ff. u. Stobbe § 163 Anm. 9—10, bei injuriösen Verletzungen auch Ε inert S. 101 u. Jhering S. 320 ff.), schränken Andere, obwohl sie grundsätzlich ein Vertretungsrecht anerkennen, dieses auf Fälle ein, in denen die Namensanmafsung den Umständen nach geeignet ist, den Schein der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Familie oder der Identität mit einer anderen Person zu erregen; vgl. L e v i S. 58, Kohler S. 77 u. 93, Nippold S. 383, auch Motive zu Entw. I Bd. IV 1005 ff. Entw. I I § 22 will das Klagerecht an die Voraussetzung binden, dafs der Kläger „in seinem Interesse" verletzt sei. Fischer S. 307 will dafür „zum Nachtheil" sagen. Einig ist man übrigens, dafs das Interesse kein vermögensrechtliches zu sein braucht; Beseler § 56. Solche Einschränkungen hätten einen Sinn, wenn es eine Freiheit der Namensänderung gäbe und somit ein legitimes Interesse gegen chikanöse Ausbeutung des Verbietungsrechtes zu schützen wäre. Dagegen werden sie durch die Ausmalung der Gefahr, dafs einmal sämmtliche Meyer oder Schmidt gegen einen sich unbefugt so Nennenden klagen könnten, nicht gerechtfertigt. Könnten sie nicht, wenn sie wirklich klagten, ein „Interesse" daran behaupten, dafs ihre ohnehin unbequem grofse Zahl nicht noch durch Eindringlinge vermehrt werde? Man kann aber wohl dieser Gefahr getrost ins Auge sehen! Die Praxis hat bisher in keinem einzigen Falle Gelegenheit gehabt, den Namenschutz wegen mangelnden Interesses zu versagen. Sie hat nur öfter das vorhandene Interesse betont, um auszuführen, dafs „mindestens" in Fällen, wie dem zu beurtlieilenden Streitfalle, ein Verbietungsrecht bestehe; so z. B. R.Ger. XXIX 126. 30 R.Ges. 30. Nov. 1874 § 13-14 u. v. 12. Mai 1894 § 14; vgl. unten § 84 V 1. Auch andere Formen des gewerblichen Namensmifsbrauches können, indem sie den

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aber kann überhaupt Jedermann einen Mifsbrauch seines Namens insoweit verbieten, als darin ein unbefugter Eingriff in seine Persönlichkeitssphäre liegt. So braucht Niemand zu dulden, dafs ein Anderer seinen Namen in irreführender Weise als Pseudonym gebrauche oder auf verletzende Art zur Bezeichnung einer Roman- oder Schauspielfigur verwende oder zur Reklame für ein bedenkliches Unternehmen benutze81. 2. Verbandsnamen. Auch die Verbandspersonen haben ihre ständigen Namen, die insoweit, als sie nicht Firmen sind, zu den bürgerlichen Namen gehören82. Der durch Unvordenklichkeit, eigne Wahl oder staatliche Beilegung gehörig erworbene Verbandsname bildet gleichfalls den Gegenstand eines besonderen Privatrechts. Jede Verbandsperson hat daher nicht nur zweifellos ein Recht auf Führung ihres Namens, sondern auch ein Vertretungsrecht gegen unbefugte Eingriffe in ihre Persönlichkeitssphäre durch Namensanmafsung oder Namensmifsbrauch88. 3. Angenommene Namen. Innerhalb eines durch die Sitte festgestellten Rahmens ist es gestattet, im Verkehre mit dem Publikum statt des bürgerlichen Namens für bestimmte Beziehungen der Persönlichkeit einen angenommenen Namen (Pseudonym) zu führen 84. Der angenommene Name kann sich vermöge des an ihn sich knüpfenden Rufes zu einem werthvollen Persönlichkeitsgute entfalten und geniefst als solches Privatrechtsschutz gegen unbefugte Eingriffe Dritter 85. Thatbestand des unlauteren Wettbewerbes begründen, nach dem oben § 82 V Bemerkten ein fremdes Recht verletzen. Vgl. 0. Mayer, Z. f. H.R. X X V I 387 ff. 81 Vgl. Kohler a. a. 0. S. 79, 83 ff. u. 87, Nippold S. 383, Fischer S. 808. Ein absoluter Schutz, wie gegen Namensanmafsung, besteht in dieser Richtung nicht, weil der Gebrauch von Phantasienamen nicht wie die Führung eines unrichtigen bürgerlichen Namens schon an sich widerrechtlich ist. 82 Oben § 66 Anm. 8. Manche Verbandspersonen haben nur eine Finna, so dafs ihr Namenrecht im Firmenrecht aufgeht. Im Uebrigen gelten über Beschaffenheit, Erwerb und Aenderung der Verbandsnamen bei den einzelnen Verbandsgattungen sehr verschiedene Regeln. 83 Und zwar sowohl gegen andere Verbandspersonen wie gegen Einzelpersonen. Vgl. Κ oh 1er a. a. 0. S. 108 ff. Auch R.Ger. XXIX 126, wo anerkannt ist, dafs, wenn eine Familie körperschaftlich organisirt ist, sowohl die Familie als solche wie jedes Familienglied für sich gegen Anmafsung des Familiennamens klagen kann. — Ueber den Mifsbrauch von Verbandsnamen als Waarenbezeichnungen vgl. unten § 84 V I 2. 84 Schriftstellernamen, Künstlernamen, Theaternamen. Man denke aber auch an Klosternamen. Ferner an Inkognitoreisen. Vgl. L e v i S. 46 ff., Köhler S. 78. Dazu oben Anm. 24—25 u. 31. 85 Aus dem allgemeinen Gesichtspunkte des Rechtes der Persönlichkeit; oben § 81 Anm. 9. Vgl. Jhering a. a. 0. S. 322 ff., Kohler a. a. 0. S. 79 ff. — 46*

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II. Die F i r m a 8 6 . Eine besondere Ausgestaltung und einen gesteigerten Schutz hat das Namenrecht als Firmenrecht empfangen87» Die Firma ist ein Handelsname; sie bezeichnet eine Person (Einzel- oder Verbandsperson) oder eine zur Personeneinheit verbundene Mehrheit von Personen als Prinzipal eines kaufmännischen Gewerbebetriebes88. Wesentlich ist ihr eine feste, schablonenhafte Form 89. Berechtigt zur Führung einer Firma ist, wer Kaufmannseigenschaft hat und nicht zu den Minderkaufleuten gehört40. Diese Berechtigung ist zugleich Verpflichtung 41. Begründet wird eine Firma durch private Willensthat, die „Annahme44'eines Handelsnamens, bei der jedoch die Freiheit der Namenbildung durch das Gebot der Firmenwahrheit und durch das Verbot des Eingriffes in bestehende Firmenrechte eingeschränkt wird 42 . Mit den gleichen EinschränUeber den Schutz von Künstlermonogrammen R.Ges. v. 9. Januar 1876 § 6 Z. 1 u. K o h l e r S. 82 ff. M Vgl. v. Völderndorff in Endemanns Handb. I 192 ff.; Behrend, H.R. § 40; Cosack, H.R. § 16; Beseler § 224 V ; Ehrenberg, Z. f. H.R. X X V I I I 25 ff. — Das Nähere gehört ins Handelsrecht 87 Die Geschichte des Firmenwesens fuhrt auf das aus der germanischen Marke entwickelte Kaufmannszeichen (unten § 84) zurück, dessen Funktion bei der Unterzeichnung von Urkunden zuerst bei Handelsgesellschaften ein gemeinsamer Handelsname übernahm, während bei Einzelkaufleuten erst später ein besonderer Handelsname üblich wurde. 88 H.G.B. Art. 15. Sie ist also Personenname, nicht Sachname (oben § 66 Anm. 8, R.Ger. I X 105); Geschäftsnamen kommen vor (z. B. für Apotheken oder Gasthöfe), sind aber keine Finnen. Sie ist Personenname des Kauimanns, nicht einer von ihm verschiedenen juristischen Person (oben § 30 Anm. 10, R.Ger. I X 106). Sie ist aber Personenname nur für einen geschäftlichen Bereich. Darum fuhrt der Kaufmann in seinen aufsergeschäftlichen Beziehungen seinen bürgerlichen Namen und kann für mehrere Geschäfte mehrere Firmen führen (R.O.H.G. XX Nr. 12). Nur bei Handelsgesellschaften und eingetragenen Genossenschaften deckt sich, weil ihre Personeneinheit oder Verbandspersönlichkeit lediglich für ihren geschäftlichen Zweck besteht, die Firma völlig mit dem Namen (oben § 66 Anm. 8). 89 R.O.H.G. IV Nr. 53, I X Nr. 96. So ist z. B. eine Firma mit abgekürztem Vornamen von der im Uebrigen gleichlautenden Firma mit ausgeschriebenem Vornamen verschieden. 40 Die Firmen von Minderkaufleuten sind keine Firmen im Rechtssinne und unterstehen daher nicht dem besonderen Finnenrecht. Solche Sätze des Firmenrechts aber, die sich mit dem allgemeinen Namenrechte decken, finden auch auf sie Anwendung; R.Ger. X I I Nr. 3, Seuff. X L V I I Nr. 3. 41 H.G.B. Art. 19 u. 26. 48 Vgl. über das Gebot der Firmenwahrheit H.G.B. Art 16—18 u. 26, R.Ges. y. 1. Mai 1889 § 8 u. v. 20. April 1892 § 4; R.Ger. X V I Nr. 12, X X V n Nr. 2; Seuff, X X X V n i Nr. 239, XXXIX Nr. 82, X L I H Nr. 280, XLIX Nr. 105. Die

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kungen unterliegt die Firma der Aenderung durch private Willenserklärung 48. Die Firma erlischt durch Wegfall des Geschäftes44. Alle auf den Bestand oder die Inhaberschaft einer Firma bezüglichen Vorgänge sollen durch Eintragung in das Handelsregister veröffentlicht werden45. Die Eintragung hat keine konstitutive Bedeutung46, verschafft jedoch dem Firmenrechte erst seine volle Wirksamkeit47. An der gehörig erworbenen Firma besteht ein Privatrecht, das gleich anderen Namenrechten die Natur eines Persönlichkeitsrechtes hat 48 . Das Recht an der Firma ist daher, obschon es einen vermögensrechtlichen Inhalt entfaltet, in seinem Kerne kein Vermögensrecht 49. Demgemäfs ist es für sich unübertragbar 60. Allein zusammen mit dem Geschäfte, auf das es sich bezieht, wird es vererbt 61 und vom Handelsgerichte durch Ordnungsstrafen zu erzwingenden Vorschriften zielen auf Anschlufs an den bürgerlichen Namen, auf Kenntlichmachung des Ob und Wie einer gesellschaftlichen oder genossenschaftlichen Bildung des Firmenträgers und auf Uebereinstimmuag der dem Namen beigefügten Zusätze mit der Wirklichkeit Sie lassen aber für unendliche Variationen bei der Wahl einer Firma Spielraum. — Ueber das Verbot des Eingriffes in bestehende Firmenrechte vgl. unten Anm. 56. — Die thatsächlich geführte ungehörige Firma ist Firma; R.O.H.G. X V I Nr. 60a, X X I I Nr. 17. An ihr besteht aber kein Recht Ein solches entsteht auch nicht durch Ersitzung; R.Ger. VII Nr. 78, XXV Nr. 1. 48 H.G.B. Art. 25; Behrend § 40 Anm. 42. 44 R.Ger. XXIX Nr. 20 S. 69. Nicht schon durch Eintritt in die Liquidation; ebenda S. 68. Auch nicht durch Konkurseröffnung; Behrend § 40 Anm. 43. 46 H.G.B. Art. 19, 25 u. 26; R.Ges. v. 80. März 1888. 46 Vielmehr ist auch die nicht eingetragene Firma eine Firma (R.O.H.G. I I I Nr. 85, X Nr. 95), und an der unbefugt geführten Firma entsteht durch Eintragung kein Recht (R.Ger. VII Nr. 78, XXV Nr. 1, anders Seuff. XLV Nr. 21). Ebenso ist die noch eingetragene, aber thatsächlich erloschene Firma keine Firma mehr (R.Ger. XXIX 70), und durch Löschung des Eintrages erlischt die Firma nicht (R.O.H.G. X Nr. 64). 47

Schutz nach H.G.B. Art. 20; vgl. unten Anm. 56. Registerrecht nach H.G.B. Art. 25 Abs. 2 - 3 ; vgl. Seuff. X L V I I Nr. 211. Andere Folgenb. Cosack § 16 Nr. 7 c. 48 Uebereinstimmend Gareis in Busch Arch. XXXV 185 ff., Dernburg, Pand. I § 22 Anm. 11, Regelsberger I § 50 I. 49 R.Ger. IX Nr. 22 S. 106. Darum unterliegt es nicht der Zwangsvollstreckung, wird vom Konkurse nicht mitumfafst, kann vom Konkursverwalter nicht gültig veräufsert werden. 50 H.G.R. Art. 23. — Der Verfügung unterliegt es insoweit, als ein Versprechen, es einer bestimmten Person gegenüber nicht geltend zu machen, bindend ist; vgl. RGer. XXIX Nr. 20 S. 70 ff. u. dazu oben Anm. 22. 61 H.G.B. Art. 22; Behrend § 40 Anm. 32. Ueber Vermächtnifs einer Firma R.Ger. IX Nr. 16.

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kann es veräufsert werden52. Insoweit fällt das Gebot der Firmenwahrheit weg58. In dem Rechte an der Firma liegt die Befugnifs, sie im Betriebe des Handelsgewerbes als Namen zu führen 54. Zugleich aber ist in dem Rechte an der Firma eine Untersagungsbefugnifs gegen Anmafsung und Mifsbrauch durch unbefugte Dritte enthalten55. Durch die Eintragung steigert sich dieses Recht zu einem ausschliefslichen Rechte, vermöge dessen die Führung einer gleichlautenden Firma an demselben Orte auch dem verboten werden kann, der sonst kraft Namenrechtes dazu befugt wäre 56. Wer in seinem Firmenrechte verletzt ist, kann auf Anerkennung seines Rechtes, auf Beseitigung vorhandener und Unterlassung künftiger Beeinträchtigungen und im Falle des Verschuldens auf Schadensersatz klagen57. Der Schutz der Firma gegen unbefugte Verwendung zur Waarenbezeichnung ist besonders geregelt58. § 84.

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I. Marken . Uralter Zeit, in der der Name nur für das Ohr vorhanden war, entstammt die Sitte, für das Auge als ständiges Zeichen 82 H.G.B. Art. 22; Behrend § 40 Anm. 33 -87; Cosack S. 55. Zur Gültigkeit ist erforderlich, dafs der Veräufserer die Firma bisher wirklich (nicht blos scheinbar) fur ein ihm gehöriges Handelsgeschäft befugter Weise geführt hat, dafs dieses Geschäft in seinem wesentlichen Bestände wirklich übertragen, und dafs es vom Erwerber wirklich fortgesetzt wird; vgl. R.O.H.G. V I Nr. 57, R.Ger. I Nr. 95, I I I Nr. 27, IX Nr. 1, X X I I Nr. 10, XXV Nr. 1. — Vgl. auch H.G.B. Art. 24. 68 Anders nach Schweiz. O.R. Art. 866, 872 u. 874, indem hier ein das Nachfolgeverhältnifs ausdrückender Zusatz, wie ihn das deutsche Recht nur gestattet, geboten ist. 64 H.G.B. Art. 15. Auch der Einzelkaufmann kann unter der Firma klagen und verklagt werden; R.O.H.G. I I I Nr. 85, X Nr. 95, XIV Nr. 99, R.Ger. VI Nr. 26. Ebenso in das Grundbuch eingetragen werden; Z. f. H.R. X X H I 263. 65 Mit Unrecht nimmt das R.Ger. XXIX Nr. 18 (vgl. auch XX Nr. 14 u. Seuff. X L I I I Nr. 281) an, dafs der Firmenschutz durch das Reichsrecht erschöpfend geregelt sei. Das allgemeine Verbot des Eingriffes in fremde Persönlichkeitsrechte und insbesondere in Namenrechte bleibt dahinter in Kraft. Vgl. Seuff. X X X I X Nr. 226. 56 H.G.B. Art. 20, R.Ges. v. 1. Mai 1889 § 3 Abs. 2. Das ausschliefsliche Recht erstreckt sich aber nicht auf eine bestimmte Schreibweise des Namens; R.Ger. H Nr. 37. 67 H.G.B. Art. 27. Ein besonderes Interesse braucht der Kläger nicht nachzuweisen; R.Ger. XIX Nr. 4. 68 Vgl. unten § 84 V 1. Die Firma wird hier nicht als Name, sondern als Waarenzeichen behandelt und geschützt. 1 Michels en, Die Hausmarke, eine germanist. Abh., Jena 1853. Homey er, Die Haus- und Hofmarken, Berlin 1870; Sitzungsber. der Berl. Akad. d. Wiss.

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der Persönlichkeit ein einfaches, aus geraden oder krummen Strichen znsammengesetztesfigürliches Zeichen (signum), die „Marke", zu verwenden. Das germanische Recht hatte schon zur Zeit der Volksrechte die Marke zu einem Rechtsinstitute ausgeprägt2 und hat im späteren Mittelalter dieses Rechtsinstitut in reicher Verzweigung um- und fortgebildet. Ursprünglich führte wohl jeder einzelne Volksgenosse seine besondere „Hausmarke44 8 . Später verfestigte sich vielfach und namentlich im Adel die Marke zu einem dauernden Familienzeichen4. Oft wurde sie auch als „Hofmarke44 auf ein bestimmtes Grundstück radizirt 5. Bei den Kaufleuten und Handwerkern trat sie mit dem Gewerbebetriebe in Verbindung6. Zu den Einzelzeichen kamen Gesellschaftszeichen7. Auch Körperschaften und Anstalten führten als Verbandspersonen ihre Marken8. Im Sinne des alten Genossenschaftsrechtes wurden die Genossenschaftszeichen vielfach zugleich von den einzelnen Mitgliedern als Genossenzeichen gebraucht oder besondere Zeichen für die Angehörigen eines genossenschaftlichen Verbandes als solche ausgebildet9. 1872 S. 611 ff. G. D i e t z e l , Das Handelszeichen und die Firma, in Jahrb. des gem. R. IV (1860) S. 227 ff. G. Las tig, Markenrecht und Zeichenregister, Halle 1889. Kohler, Das Recht des Markenschutzes, Würzb. 1884. 2 Homey er, Hausmarken S. 8 ff.; Sehr öder, R.G. S. 12 Anm. 12; Gierke, Jahrb. f. Nationalök. u. Statist., N. F. XX 371. 8 Homey er S. 136 u. 186; Schröder a. a. 0. (er vermuthet Beilegung bei der Ackerverloosung). 4 D i e t z e l S. 259; Homeyer S. 187 ff. — Ueber Führung der Marke bald neben bald in dem Wappen vgl. Homeyer S. 354 ff. 6 Homeyer S. 195 ff. und über die ähnliche Erscheinung der Hofnamen als Personennamen S. 200 ff. — Ein auf dem Stammgut radizirtes Familienzeichen ist das sächsische „Handgemal" ; der Ausdruck bezeichnet dann zugleich das Gut selbst; Homeyer, Abh. der Berl. Akad. 1852 S. 17 ff., Schröder, R.G. S. 424 Anm. 5. 6 Homeyer, Hausmarken S. 172 ff., 266 ff.; D i e t z e l S. 260 ff.; Köhler S. 41 ff.; Lastig S. 64 ff.; Goldschmidt, Handb. I 1, 1 S. 136 u. 242; Huber, Schweiz. P.R. IV 298 Anm. 31. 7 D i e t z e l S. 273 ff.; Homeyer S. 184 ff., 315 ff.; Köhler S. 52 ff.; Lastig S. 136 ff. u. 186 ff. 8 Homeyer S. 181 ff.; Lastig S. 56 ff. — Setzt eine Stadt oder Zunft ihre Marke als Beschauzeichen, Heimathszeichen oder Zollzeichen auf die im Eigenthum von Einzelpersonen stehenden Sachen, so bedient sie sich ihrer nicht weniger, als wenn sie mit ihr eigne Sachen zeichnet, zum Ausdrucke ihrer Verbandspersönlichkeit. 9 Hier wurzeln die örtlichen oder gewerblichen „Gemeinzeichen", die später freilich oft in allgemein offen stehende „Freizeichen*' übergiengen. Vgl. Homeyer S. 343 ff., Kohler S. 186 ff.

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Das Recht an der Marke war als ein besonderes Privatrecht anerkannt und geschützt10. Sein ursprünglicher Erwerb beruhte entweder auf eigner Annahme oder auf behördlicher Beilegung eines noch in Niemandes Besitz befindlichen Zeichens11. Von Hause aus war es an die Person gebunden12. Doch pflanzten Familien zeichen sich durch Geburt fort 18 War das Recht an der Marke Zubehör eines Grundstückes, einer Gerechtigkeit oder eines Gewerbebetriebes geworden, so gieng es mit der Hauptsache auf Erben und sonstige Rechtsnachfolger über 14. Zum Theil wurde das Markenrecht zu einem selbständig vererblichen und veräufserlichen Vermögensiechte15. Bereits im Mittelalter begegnen Einrichtungen, die das Markenwesen unter öffentliche Kontrole stellen: Hinterlegung der Marken, Aufzeichnung in den Matrikeln, Anmeldung und Eintragung in besondere Zeichenregister1®. In dem Markenrechte lag die Befugnifs und unter Umständen zugleich die Pflicht, die Marke zu gebrauchen17. Die mannichfachen Arten des Markengebrauches lassen sich in drei Gruppen eintheilen. Erstens diente die Marke als Personalzeichen zum unmittelbaren Aus10 Man sprach dabei von Eigenthum und Besitz, die mittelalterliche Jurisprudenz auch von rei vindicatio und interdictum uti possidetis; D i e t z e l S. 239 ff., 243, 267 ff.; Homeyer S. 306 u. 310; L a s t i g S. 191. 11 Homey er S. 300 ff., Lastig S. 182. Die bisweilen als „Okkupation" bezeichnete Annahme einer Marke mufs sich in fortgesetztem Gebrauche manifestiren und darf nicht in einen älteren Besitzstand eingreifen. Nur ausnahmsweise wurde die Marke behördlich verliehen. 19 Es erlosch daher mit dem Tode; Homeyer S. 186. Auch sollte Jeder nur Eine Marke führen; ib. S. 305, Lastig S. 188. 18 Hierin liegt so wenig wie beim Namen eine Vererbung; D i e t z e l S. 259. Ein Uebergang zur Vererblichkeit ist aber darin zu erkennen, dafs vielfach die Marke nur von Einem Famüiengliede unverändert, von den anderen mit einer Abwandlung oder einer Beimarke fortgeführt wird; Homeyer S. 189 ff. 14 Homeyer S. 194 ff., 198 ff.; Dietzel S. 26 ff., 274 ff.; L a s t i g S. 161; Köhler S. 51. 15 Homeyer S. 314, Stobbe I I I 54 Anm. 20, Kohler S. 51 ff. u. Arch. £ d. civ. Pr. L X X X I I 241, L a s t i g S. 183 ff. — Auf der Voraussetzung einer Uebertragbarkeit der kaufmännischen Marke beruhen die Erörterungen der mittelalterlichen Juristen über die im Einzelnen sehr bestrittenen Schicksale des Geeellschaftszeichens bei Auflösung der Gesellschaft; D i e t z e l S. 273 ff., Homeyer S. 315 ff., Lastig S. 185ff. 18 Homeyer S. 302 ff., Lastig S. 165 ff. Regelmäfsig dient sie nur der Kundmachung des Markenrechtes. Mitunter aber wird sie zum Erwerbe desselben gefordert; Last ig S. 182. 17 Ueber Fälle der Markenpflicht vgl. Homeyer S. 300, Lastig S. 181 ff., Köhler S. 44 ff.

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drucke der Persönlichkeit18. So wurde sie insbesondere beim Loosen als persönliches Unterscheidungszeichen in die Loosstäbchen eingeritzt19 und bei der Ausstellung von Urkunden als „Handzeichen" für oder neben den Namen gesetzt20. Zweitens wurde die Marke seit alter Zeit als Vermögenszeichen an liegendem und stehendem Gut, an Thieren und sonstiger Fahrnifs, bald auch an lagernden und schwimmenden Kaufmannswaaren angebracht, um die rechtliche Zugehörigkeit der Sache zu der Person des Markenherrn kenntlich zu machen21. Das Recht verlieh der so verwandten Marke eine besondere Kraft als Beweiszeichen22, sowie als Zeichen der Besitznahme bei der Okkupation 28 und bei der Tradition 24. Dabei konnte durch das Zeichen nicht blos Eigenbesitz, sondern auch Pfandbesitz und sonstige Rechts18

Dahin gehören die Verwendungsarten, die Homeyer als Gebrauch von „Zustandszeichen" (§ 76-83 u. 108) und „Zeichen der Willenserklärung" (§ 84—88 u. 109) sondert. Aber auch die öffentlichrechtliche Verwendung von öffentlichen Verbandszeichen als Stempel; Lastig S. 56 ff., oben Anm. 8. 19 Dieser noch heute nicht ausgestorbene Gebrauch ist sicher uralt. Vgl. Homeyer S. 215 ff.; Die Loosstäbchen, in Symbolae Bethmanno-Hollwegio oblatae, Berol. 1868, S. 69 ff. 20 Ueber das „firmare", „manu firmare", „Handfesten" der Urkunden unter Aufsetzung des „Signum" vgl. Brunn er, Rechtsgesch. der Urk. I 35 ff., 218 ff., R.G. I 896, Brefslau, Handb. der Urkundenlehre I 778 ff. An die Stelle des Handzeichens trat vielfach das Siegel, in das die Marke aufgenommen wurde; Homeyer, Haus- u. Hofmarken S. 227 ff. Bei den Kaufleuten und Handelsgesellschaften entwickelte sich die zur „firmatio u der Geschäftsurkunden verwandte Marke zur „Firma", um erst allmählich diese Funktion an den geschriebenen Namen abzugeben; D i e t z e l S. 227 ff., Homeyer S. 172 u. 184. Eine ähnliche Bedeutung hat die Anbringung der Marke auf Kerbhölzern und Rechnungen, am Rande von Geschäftspapieren, auf Geschäftsbüchern und auf der Aufsenseite von Briefen und Wechseln; Homeyer S. 214 ff, L a s t i g S. 104 ff. 81 Homeyer S. 8 ff., 237 ff, K ö h l e r S. 23 ff., Lastig S. 68 ff. 89 Ursprünglich konnte das Recht an gestohlener Fahrnifs gegen Dritte mit der Anefangsklage überhaupt nur verfolgt werden, wenn die Sache gezeichnet war und mittels der Marke rekognosoirt wurde; S ohm, Der Prozefs der lex Salica S. 57 ff., Brunner, R.G. I I 500. Allgemein blieb an die Marke eine Vermuthung für das Recht des Markenherrn an der gezeichneten Sache geknüpft; D i e t z e l S. 261 ff, Homeyer S. 322 ff., Lastig S. 70 ff. Demgemäfs entwickelte sich die Marke vielfach zu einem formellen Legitimationsmittel; vgl. über die nähere Gestaltung bei den im Zollhause lagernden und den auf dem Transporte befindlichen Waaren in Italien Lastig S. 73 ff. 88 So schon die Volksrechte, z. B. L. Sal. 27, 19, Ed. Roth. c. 319 u. 321; dazu Grimm, W. I I I 78, V 608 § 7; vgl. Homeyer S. 228 ff., Köhler S. 26, Gierke a. a. O. S. 371 Anm. 2. 84 D i e t z e l S. 271 ff, 287 ff, Homeyer S. 330 ff., Kohler, Z. f. d. P. u. ö. R. d. G. X I I 3 ff. Davon noch im Sachenrechte.

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herrschaft versinnlicht werden25. Drittens endlich entwickelte sich mehr und mehr der Gebrauch der Marke als Ursprungszeichen, um die Herkunft einer mit ihr gezeichneten Sache aus dem Thätigkeitsbereiche einer Person, aus der Werkstatt eines Künstlers, Fabrikanten oder Handwerkers oder aus dem Waarenlager eines Kaufmanns anzuzeigen26. Mit dem Rechte zum Gebrauche der Marke aber verband sich durchweg die Befugnifs, jedem Unbefugten ihren Gebrauch zu untersagen. Der Markenberechtigte konnte daher gegen den, der in sein Recht eingriff, auf Unterlassung des Eingriffes und auf Schadensersatz klagen27. Während bis zum Schlüsse des 16. Jahrhunderts das Markenwesen auf deutschem Boden in voller Blüthe stand, gerieth es seitdem in Verfall. Zum Theil wich die Marke dem geschriebenen Namen, zum Theil wurde sie durch anders geartete Zeichen ersetzt28. Was aber von der alten Uebung fortdauerte, wurde von Gesetzgebung und Rechtswissenschaft kaum beachtet und mehr und mehr in das Reich blofser Sitte verwiesen. Nur als gewerbliches Ursprungszeichen errang sich die Marke neuerdings wieder ausdrückliche gesetzliche Anerkennung und vollen gerichtlichen Schutz. Doch darf auch aufserhalb dieses Gebietes dem Markenrechte, so weit es sich im Leben erhalten hat, Anerkennung und Schutz nicht versagt werden29. II. Wappen 8 0 . Das Wappen, ein aus den Unterscheidungszeichen der Waffenrüstung (Helm und Schild) entwickeltes Bildzeichen, ist namentlich als Familienzeichen und als Körperschaftszeichen an die Stelle der Marke getreten. Für das Familienwappen gelten heute 25 Ueber die Marke als Pfandrechtszeichen vgl. Homeyer S. 827 u. L a s t i g S. 69 ff., als Zeichen von Gerechtigkeiten (z. B. an Kirchstühlen, an Erbbegräbnissen) Homeyer S. 246 ff. — Auch als Zeichen einer dem Markenherrn hinsichtlich der gezeichneten Sache obliegenden Pflicht werden Marken angebracht (z. B. an Deichkabeln); Homeyer S. 244 ff. 26 D i e t z e l S. 228 ff., Homeyer S. 277 ff., 336 ff., K o h l e r , Markenschutz S. 28 ff., 41 ff., Lastig S. 95 ff. 87 D i e t z e l S. 240 ff., 243 ff., Homeyer S. 307 ff., Stobbe I I I 54, Kohler S. 28, Lastig S. 178 ff., 191 ff. Nur vereinzelt wurde schon im Mittelalter der Schutz der Marke von ihrer Eintragung abhängig gemacht; Lastig S. 191. — Neben dem Privatrechtsschutz begegnet Strafrechtsschutz. Bestraft wurde nicht nur Gebrauch, sondern auch Tilgung fremder Marken; vgl. schon Ed. Roth c. 341. 28 Homeyer S. 344ff. 29 Ueber fortdauernde Uebung Homeyer S. 358 ff. 30 E i c h h o r n , D. St. u. R.G. I I § 341 Anm., D.P.R. § 62-63; Runde, D.P.R. § 386 ff.; Danz IV 114 ff.; Homeyer a. a. O. S. 353 ff.; Beseler § 17fr S. 807 ff.; Jhering a. a. 0. S. 319 ff.; K o h l e r , Markenschutz S. 18 ff.

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ähnliche Grundsätze, wie für den Familiennamen. Die Praxis spricht daher jedem Familiengenossen ein im Rechtswege vërfolgbares Privatrecht zu, das Wappen zu führen und jedem Unbefugten dessen Führung zu verbieten81. Auch den Verbandspersonen aber gebührt ein gegen Eingriffe Dritter geschütztes Privatrecht an ihren Wappen83. III. Siegel. Das Siegel geniefst, insoweit es Namen, Marken oder Wappen enthält, des Namen-, Marken- oder Wappenschutzes88. Dagegen ist die selbständige rechtliche Bedeutung, die das Recht der Siegelführung einst hatte, im Wesentlichen verschwunden84. Nur bei den Verbandspersonen besteht sie theil weise fort 85. IV. Waaren ζ eichen 8 6 . Im Kaufmanns- und Gewerbestande hat die Marke, während sie als persönliches Unterscheidungszeichen auch hier dem geschriebenen Namen wich und als Vermögenszeichen nur Reste ihrer alten Bedeutung wahrte, als Ursprungszeichen für Waaren sich in voller, ja durch die moderne Verkehrsentwicklung noch gesteigerter Lebenskraft erhalten. Trotzdem kamen Anerkennung und Schutz des Markenrechtes auch hier ins Wanken87. Die neuere Gesetzgebung hat jedoch in allen Kulturländern einen umfassenden gewerblichen Markenschutz wiederhergestellt oder begründet88. Dabei 81

Seuff. V I Nr. 6, XXIX Nr. 79, R.Ger. I I Nr. 39, V Nr. 45. Dies gilt so gut für bürgerliche, wie für adlige Wappen. — Natürlich darf auch Niemand ein fremdes Wappen sich als Waarenzeichen anmafsen; vgl. unten Anm. 113. 88 Vgl. oben § 66 Anm. 9. — Hinsichtlich der Verwendung öffentlicher Wappen als Waarenzeichen gelten besondere gesetzliche Bestimmungen ; vgl. unten Anm. 51 u. 107, dazu Anm. 109 u. 114. 88 Vgl. oben Anm. 20; Seuff. V I Nr. 6 u. XXIX Nr. 79; R.Ger. X V I I I Nr. 19. 84 Ueber den Wegfall des Rechtes der Siegelmäfsigkeit vgl. oben § 48 Anm. 27. 30 Vgl. oben § 66 Anm. 9 u. § 65 Anm. 58. 86 Aufser dem oben Anm. 1 angef. Werke ν. Κ ο hl er sind hervorzuheben: Krug, Ueber den Schutz der Waaren- u. Fabrikzeichen, Darmst. u. Leipz. 1866; Endemann, Der Markenschutz, Berl. 1875 (aus Busch Arch. X X X I I 1 ff); Beseler, D.P.R. § 217; Stobbe, D.P.R. I I I § 163 I I I ; Thöl, H.R. § 209; v. Völderndorff in Endemanns Handb. 1208ff.; Behrend, H.R. I § 41; Gareis u. Fuchsperger S. 74 ff.; Cosack, H.R. § 17; Daude, Lehrbuch des Urheberrechts (unten § 85 Anm. 1) S. 283 ff.; Κ ο hl er in Schönbergs Handb. der polit. Oekon. I I (3. Aufl., 1891) S. 800 ff. — Selig söhn, Komm, zum Reichsges. v. 12. Mai 1894, Berlin 1894. — Zeitschrift für gewerblichen Rechtsschutz, Berlin seit 1892. — Weitere u. bes. auch ausländ. Litt, bei Behrend § 41 Anm. 1, Kohl er, Markenrecht S. V I I ff. 87 Meist wird sogar behauptet, nach älterem gemeinem Rechte habe es überhaupt kein Markenrecht gegeben; Krug S. 8 u. 27, Behrend S. 272. Vgl. aber Köhler S. 53 ff. 38 Ueber die Gesetzgebung des Auslandes vgl. Behrend S. 283 ff., Kohler S. 61 ff, Seligsohn S. 8 Anm. 9. Von neueren Markenschutzgesetzen sind

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hat sie einerseits mehr und mehr den Schutz der Marken von einer öffentlichen Konstatirung ihres Erwerbes abhängig gemacht, andrerseits das Markenrecht auf verwandte Waarenbezeichnungen ausgedehnt. In Deutschland trat an Stelle der älteren Landesgesetze, die einen zum Theil freilich sehr unvollkommenen Markenschutz eingeführt hatten89, das Reichsgesetz über den Markenschutz vom 30. November 1874. Jetzt gilt das neue Reichsgesetz zum Schutze der Waarenbezeichnungen v. 12. Mai 1894 (nebst Ausführungsverordnung v. 30. Juni 1894), das das Markenrecht, das im Gesetze von 1874 als rein handelsrechtliches Institut ausgestaltet war, zu einem Institut des gemeinen Privatrechts erhoben und im Einzelnen stark umgebildet hat. 1. Begründung. Die deutsche Gesetzgebung gewährt die Möglichkeit, durch öffentliche Kundmachung der Annahme eines Waarenzeichens ein ausschliefsliches und gegen Jedermann geschütztes Recht an diesem zu begründen. Während nach dem Gesetze von 1874 für diese Kundmachung die bei den Gerichten geführten Handelsregister bestimmt waren, ist durch das Gesetz von 1894 dafür eine beim Patentamte in einheitlicher Weise für ganz Deutschland geführte Zeichenrolle geschaffen 40. Hierbei ist zugleich das bisherige reine Anmeldeverfahren durch ein Prüfungsverfahren ersetzt41 und in gehervorzuheben: Oesterr. v. 7. Dez. 1858 (b. Schroeder, C.J.C. I 296 ff.) u. an Stelle desselben das Ges. v. 6. Jan. 1890 (Z. f. H.R. X X X V I I I 515 ff.); Schweiz, v« 19. Dez. 1879 (ib. X X V I I 255 ff.), neues v. 26. Sept. 1890; Französ. v. 23. Juni 1857, 26. Nov. 1873 u. 3. Mai 1890 (ib. I 285 ff., X X I 152 ff., XXXIX 597 ff.); Engl. v. 25. Aug. 1883 u. 23. Aug. 1887 (ib. XXX 584 ff. u. XXXV 160 ff.); Amerikan. v. 3. März 1881 (ib. X X V I I 274 ff.); Ital. v. 30. Aug. 1868 (ib. X I V 376 ff.); Belg. v. 1. Apr. 1879 (ib. X X V I 115 ff.); Niederländ. v. 25. Mai 1880 (ib. XXVII 262 ff.), neues v. 30. Sept 1893; Norweg. v. 26. Mai 1884 (ib. XXXV 207 ff.); Schwed. v. 5. Juli 1884 (ib. 214 ff.); Dän. v. 11. Apr. 1890 (ib. X X X I X 557 ff., früheres v. 2. Juli 1880 ib. X X V I I 269 ff.); Serb. ν. 30. Mai 1884 (ib. XXXIV 512 ff.). 89 Vgl. Krug a. a. 0. S. 50 ff., Klostermann, Patentgesetzgebung S. 393 ff., Kohler S. 54 ff., Seligsohn S. 8 ff. Einflufsreich wurden die Preufs. Gesetze zum Schutz der Eisen- und Stahlmarken Westfalens u. der Rheinprovinz (V. v. 18. Aug. 1847 u. Ges. v. 24. Apr. 1854) u. die Bayr. V. v. 6. März 1840 u. 21. Dez. 1862. 40 Die Zeichenrolle ist öffentlich; ihre Einsicht steht Jedermann frei, alle Eintragungen und Löschungen werden öffentlich bekannt gemacht; auch soll das Patentamt in regelmäfsiger Wiederholung Uebersichten über die inzwischen eingetragenen und gelöschten Zeichen veröffentlichen; R.Gee. § 8. 41 In den Gesetzgebungen begegnen hier ähnliche Unterschiede wie beim Erfinderrecht; vgl. unten § 95 I. In Frankreich, Belgien und Italien gilt das Anmeldeverfahren, in Nordamerika und Schweden das Prüfungsverfahren; in der Schweiz u. Oesterreich das An melde verfahr en in Verbindung mit dem Rückziehungs-

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wissem Umfange dem Patentamte einerichterliche Entscheidung über das Dasein des Markenrechtes übertragen42. a. Subjektive Voraussetzungen. Während nach dem Gesetze von 1874 nur ein in das Handelsregister eingetragener Kaufmann den Markenschutz erwerben konnte, ist hierzu jetzt Jedermann befähigt, der in seinem Geschäftsbetriebe zur Unterscheidung seiner Waaren von den Waaren Anderer sich eines Waarenzeichens bedienen will 48 . Gleich dem Kaufmann und dem Fabrikanten kann also der Handwerker, der Bergbautreibende, der Landwirth sich den Zeichenschutz verschaffen. Doch erwirbt die Person jedes Waarenzeichen immer nur als Zubehör eines Geschäftsbetriebes und als Ursprungszeichen für bestimmte Arten von Waaren 44. b. Objektive Voraussetzungen. Ein Zeichenrecht kann nur an einem dazu geeigneten und nicht schon von einem Anderen erworbenen Zeichen entstehen. o. G e e i g η e t ist zum Waarenzeichen jedes Zeichen, durch dessen Anbringung an einer Waare oder ihrer Verpackung ein sichtbares Unterscheidungsmerkmal hergestellt werden kann46. Gemäfs der Entrathschlage (unten § 95 Anm. 9), in England das Prüfungsverfahren in Verbindung mit einem Aufgebotsverfahren. Vgl. Köhler S. 311 ff. 42 Das Patentamt entscheidet hier wie in Patentangelegenheiten als Gerichtshof endgültig über gewisse Privatrechtsansprüche, während im Uebrigen die ordentlichen Gerichte zuständig bleiben und durch ihre Sprüche über Bestand oder Nichtbestand eines Anspruches auf Eintragung oder auf Löschung eines Zeichens das Patentamt binden. Endgültig ist namentlich die Entscheidung des Patentamtes, durch die ein Zeichen als ungeeignet zurückgewiesen oder dessen Löschung von Amtswegen verfügt wird. Endgültig aber auch die Feststellung der Uebereinstimmung eines angemeldeten Zeichens mit einem früher angemeldeten Zeichen; R.Ges. § 6 (keineswegs dagegen die Verneinung der Uebereinstimmung, vgl. Se I i g s oh η S. 92). — Das Verfahren beim Patentamte richtet sich nach den für Beschlüsse in Patentangelegenheiten geltenden Vorschriften; es besteht eine besondere „Abtheilung fïlr Waarenzeichen", gegen deren Beschlüsse eine Beschwerde bei der Beschwerdeabtheilung I zulässig ist; R.Ges. § 10 u. Ausfiihrungsver. § 1—5 u. 8. — Nebenbei ist das Patentamt zur Abgabe von Gbergutachten in Prozessen über eingetragene Zeichen verpflichtet; R.Ges. §11. 48 R.Ges. v. 1874 § 1, v. 1894 § 1. Natürlich auch eine Verbandsperson und eine als rechtsfähige Personeneinheit anerkannte Gemeinschaft. 44 Vgl. R.Ger. X X I X Nr. 14. — Eine Person kann für mehrere Geschäftsbetriebe oder mehrere Waarengattungen, ja auch für dieselbe Waarengattung mehrere verschiedene Zeichen erwerben. 45 Ein „Waarenzeichen" mufs dem allgemeinen Begriffe eines „Zeichens", d. h. eines dem Auge sich als Merkzeichen darbietenden Gesammtbildes entsprechen, kann daher ζ. B. nicht aus einer längeren schriftlichen Ausführung bestehen; R.Ger. X V I I I Nr. 13. Es mufs ferner als besonderes Merkmal an der Waare oder ihrer Verpackung oder Umhüllung angebracht werden können, kann daher nicht

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Wicklung des Warenzeichens aus der alten Marke dienen diesem Zwecke vorzugsweise figürliche oder bildliche Darstellungen46. Das Zeichen kann jedoch Zahlen, Buchstaben oder Wörter in sich aufnehmen47. Ausschliefslich aus Zahlen oder Buchstaben kann es nicht bestehen48. Nach dem Gesetze von 1874 war auch ein lediglich aus Wörtern bestehendes Zeichen unzulässig49. In dem Gesetze von 1894 wird dies nur für solche Wörter aufrecht erhalten, die über Art, Zeit und Ort der Herstellung, über die Beschaffenheit oder Bestimmung der Waare, über Preis-, Mengen- oder Gewichtsverhältnisse Auskunft geben; dagegen können nun im Uebrigen reine Wortmarken, insbesondere also Phantasienamen, zu Waarenzeichen erhoben werden60. Unzulässig sind Zeichen, die in- oder ausländische Staatswappen oder inländische Orts- oder Gemeindewappen enthalten51. Desgleichen Zeichen, die Aergernifs erregende Darstellungen oder solche Angaben enthalten, die ersichtlich den thatsächlichen Verhältnissen nicht entsprechen und die Gefahr einer Täuschung begründen52. Endlich sind mit einer der Waare selbst oder ihrer Hülle verliehenen eigenthümlichen Form zusammenfallen; a. M. Ko hl er S. 208 ff. Hieran hat das Ges. v. 1894 nichts geändert. — Ueber Waarenzeichen und „Etikette" R.Ger. I Nr. 84, Sei ig s oh η S. 30 ff. 46 Wie ζ. B. das Zwillingszeichen der Stahlwaarenfabrik J. A. Henckels. Natürlich kann man aber nur eine konkrete Figur, nicht generell „ein Dreieck", „eine Glocke" u. s. w. anmelden; Seuff. X L I I I Nr. 54. 47 Sie sind dann als Bestandtheile mitgeschützt; ebenso Preismedaillen; vgl. Kohler S. 184, 199 ff., R.Ger. in Str.S. V I I Nr. 66. — Blofse figürliche Zuthaten, wie Umrahmungen oder Randverzierungen, machen ein Zahl-, Buchstaben- oder Wortzeichen nicht zumfigürlichen Zeichen; R.Ger. X Nr. 15, X I X 170, Z. f. H.R. X L I 215. 48 R.Ges. v. 1894 § 4 Abs. 1 Z. 1. 49 R.Ges. v. 1874 § 3 Abs. 2. Ebenso noch Schweiz. Ges. v. 1879 Art. 4, sowie Oesterr. v. 1890 § 3 Z. 2. Fast alle anderen neueren Gesetze lassen Wortmarken zu. 60 R.Ges. v. 1894 § 4 Abs. 1 Z. 1; dazu unten Anm. 104. — Ungeeignet sind hiernach auch blofse Gebrauchsanweisungen oder Reklamen. Vgl. Seligsohn S. 58 ff. 61 R.Ges. § 4 Abs. 1 Z. 2. (Das R.Ges. v. 1874 § 3 sprach allgemein von „öffentlichen" Wappen, was die Praxis nur von inländischen verstand; R.O.H.G. XXIV 79, R.Ger. H Nr. 22; dagegen Kohl er S. 167). Die Aufiiahme des Wappens macht das ganze Zeichen unzulässig, R.Ger. in Str. S. X Nr. 105; anders Oesterr. Ges. v. 1890 § 3 Z. 2 u. 4, wonach das Wappen Bestandteil eines Zeichens sein kann. — Dem Gemeinwesen selbst kann die Anmeldung des eignen Wappens als Marke für einen Geschäftsbetrieb unmöglich verwehrt sein; vgl. Kohl er S. 166, Seligsohn S. 61. Das R.Ger. b. Seuff. XLV Nr. 37 nimmt dies aber auf Grund des Wortlautes des Gesetzes an. 62 R.Ges. § 4 Abs. 1 Z. 3. Das dem R.Ges. v. 1874 § 3 noch unbekannte

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Zeichen, die als Freizeichen im Gemeingebrauche stehen, der Aneignung entzogen68. ß. Auch ein an sich geeignetes Zeichen kann nicht erworben werden, wenn es schon von einem Anderen für dieselben oder gleichartige Waaren erworben ist. Jedes neu angemeldete Waarenzeichen mufs sich also von jedem anderen Waarenzeichen gleicher Bestimmung, an dem ein älteres Recht anerkannt ist, hinlänglich unterscheiden54. Das ausschliefsliche Recht auf ein Zeichen entsteht aber erst durch dessen Anmeldung, so dafs man durch frühere Anmeldung sich auch ein bereits von einem Anderen in Besitz genommenes Zeichen aneignen kann55. Doch haben die Gesetze bei der ersten Einführung des Eintragungssystemes stets den älteren Besitzstand durch Uebergangsbestimmungen geschützt, die ein bisher im Verkehr als Marke eines Ge werbtreibend en anerkanntes Zeichen dem Zugriffe Anderer dann entziehen, wenn dessen Anmeldung binnen einer bestimmten Frist erfolgt 66. In ähnlicher Weise werden bei einer Aenderung der Gesetzgebung die auf Grund älterer Gesetze erworbenen Markenrechte gesichert67. Ist das Recht an einer Marke erloschen, Verbot der irreführenden („dezeptiven") Marke findet sich in den meisten Gesetzen : vgl. Ko hier S. 170 ff., Oesterr. Ges. v. 1890 § 3 Z. 4. 88 R Ges. § 4 (Ges. v. 1874 § 10 Abs. 2); vgl. R.Ger. I I I Nr. 24, XXIV Nr. 15, K o h l e r S. 186 ff., Seligsohn S. 50 ff, Oesterr. Ges. § 3 Z. 3. — Als Bestandtheil eines Waarenzeichens hat aber ein Freizeichen an dessen Schutz Theil; R.Ger. I I I Nr. 22. 54 R.Ges. § 5 u. 9; Seligsohn S. 72 ff. R5 R.Ges. § 9 Z. 1 (Ges. v. 1874 § 8). Nur kann, wer arglistig eine fremde Marke nur deshalb anmeldet, um sie dem Berechtigten zu entziehen, nach allgemeinen Grundsätzen hierdurch kein Recht erwerben; R.Ger. X I I I Nr. 38, Κ ο hl er S. 263 ff., Dernburg, Preufs. P.R. Π 984 Anm. 7, Cosack S. 60. Abweichend R.Ger. X V I I I Nr. 16, wo die formelle Handlung für rechtswirksam erklärt wird, wenn sie auch in noch so chikanöser Weise das materielle Recht verletzt! 66 Das R.Ger. v. 1874 § 9 gewährte allen bisher verkehrsmäfsig anerkannten Waarenzeichen eine derartige Anmeldungsfrist bis zum 1. Okt. 1875 und fügte in § 3 hinzu, dafs die Eintragung solcher Zeichen überhaupt nicht versagt werden dürfe; vgl. R.Ger. I I I Nr. 23 und IV Nr. 8 (auch fur ausländische Marken). Das R.Ges. v. 1894 § 9 Abs. 2 gewährt nur dem verkehrsmäfsig anerkannten Inhaber eines bisher nicht eintragungsfahigen Zeichens, falls dieses für einen Anderen in die Zeichenrolle eingetragen wird, bis zum 1. Oktober 1895 einen Anspruch auf Löschung der Eintragung. Das gelöschte Zeichen darf dann sofort für ihn eingetragen werden. Einen Anspruch auf Eintragung von Zeichen, die den Anforderungen des Gesetzes nicht entsprechen, giebt nach dem Ges. v. 1894 der Besitzstand nicht. 57 Das Ges. v. 1874 § 3 u. 9 bestimmte für bisher landesgesetzlich geschützte Zeichen Gleiches wie für verkehrsmäfsig anerkannte Zeichen. Nach dem Gesetz

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so fällt sie ins Freie und kann von Jedermann angemeldet werden. Nach dem Gesetze von 1894 darf aber ihre Eintragung für einen Anderen als ihren bisherigen Inhaber erst zwei Jahre nach der Löschung erfolgen 68. c. Begründungsakt. Man mufs Annahme, Anmeldung und Eintragung scheiden. a. Die Annahme wird durch den privaten Willensakt der Besitzergreifung an einem beliebig gewählten Zeichen vollzogen. Mit ihr entsteht, sofern nicht ein Rechtssatz oder ein fremdes Recht entgegensteht, ein Recht der Zeichenführung. Denn Jedermann darf sich auch unangemeldeter Waarenzeichen so lange bedienen, bis sie ihm ein Anderer durch Anmeldung entfremdet. Eine Anmeldungspflicht giebt es nicht69. ß. Die Anmeldung, die bisher bei dem Gerichte der Hauptniederlassung in der für Anmeldungen zum Handelsregister vorgeschriebenen Form zu bewirken war, ist jetzt in schriftlicher Form unter Bezeichnung des Geschäftsbetriebes, dem das Zeichen dienen soll, unter Angabe der Waaren, für die es bestimmt ist, und unter Beifügung einer Darstellung und etwa erforderlichen Beschreibung des Zeichens beim Patentamte einzureichen60. Zugleich sind Gebühren zu entrichten61. Die gehörige Anmeldung hat eine doppelte Rechtswirkung , indem sie einerseits, wie schon gesagt ist, jeden Anderen vom Erwerbe des Zeichens ausschliefst, andrerseits einen Anspruch auf dessen Eintragung begründet62. v. 1894 § 24 bleibt für die in die Zeichenregister eingetragenen Marken das Ges. v. 1874 bis zum 1. Oktober 1898, an welchem Tage sein Schutz erlischt, in Kraft, falls sie nicht vorher in die Zeichenrolle übertragen werden. Diese Uebertragung erfolgt, wenn sie vor dem 1. Oktober 1898 angemeldet wird, unter dem Zeitpunkte der ersten Anmeldung. Doch ist sie nur bei den auf Grund eines älteren landesgesetzlichen Schutzes in die Zeichenregister eingetragenen Marken unversagbar, sonst an die Erfüllung der Erfordernisse des neuen Gesetzes gebunden. 68 RGes. § 4 Abs. 2. Die Ausnahme des § 9 Abs. 2 oben Anm. 56. 69 Dagegen kennt das Oesterr. Ges. v. 1890 § 6 Fälle einer Verpflichtung zur Führung einer registrirten Marke. 60 R.Ges. § 2. Sonstige Erfordernisse bestimmt das Patentamt; vgl. Bekanntm. v. 21. Juli 1894 b. Seligsohn S. 36 ff. —- Ueber das bisherige Recht nach Ges. v. 1874 § 1—2 u. 4 vgl. R.Ger. X X I Nr. 1, Behrend I 275. 81 R.Ges. § 2 Abs. 3: für jedes Zeichen 30 Mark, wovon im Falle der Nichteintragung 20 Mark erstattet werden; unentgeltlich erfolgt nach § 24 die Uebertragung aus dem Zeichenregister. — Ueber das bisherige Recht R.Ges. v. 1874 § 7. 68 Dagegen bewirkt sie nicht mehr, wie nach dem Gesetz v. 1874 (vgl. R.O.H.G. XXIV Nr. 79, R.Ger. I I I Nr. 70), die Ausschliefslichkeit des Rechtes der Zeichenführung. — Der Zeitpunkt des Einganges der Anmeldung wird, da er auch

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y. Die Eintragung muiste nach dem Gesetze von 1874 durch das Gericht vollzogen werden, sobald eine formale Prüfung der Anmeldung kein Hindernife ergab88. Dagegen hat nach dem Gesetze von 1894 das Patentamt eine zugleich materielle Vorprüfung anzustellen, die sich nicht nur auf die Geeignetheit des Zeichens einschliefslich der Frage, ob nicht etwa ein Freizeichen vorliegt, sondern auch darauf erstreckt, ob an dem angemeldeten Zeichen schon ein Anderer ein Recht erworben hat. Erachtet das Patentamt das angemeldete Zeichen für übereinstimmend mit einem früher angemeldeten Zeichen, so macht es dem Inhaber des letzteren hiervon Mittheilung Erhebt dieser nicht binnen einem Monate Widerspruch, so erfolgt die Eintragung des neu angemeldeten Zeichens. Andernfalls entscheidet das Patentamt, ob die Zeichen übereinstimmen. Jenachdem dieser Beschlufs verneinend oder bejahend ausfällt, wird die Eintragung vollzogen oder versagt. Steht aber dem Anmelder trotz der festgestellten Uebereinstimmung ein Anspruch auf Eintragung zu, so kann er diesen Anspruch im Wege der Klage gegen den Widersprechenden zur Anerkennung bringen. Die Eintragung auf Grund einer ihm günstigen Entscheidung wird dann unter dem Zeitpunkte der ursprünglichen Anmeldung bewirkt64. Während das Gesetz von 1874 der Eintragung eine selbständige privatrechtliche Wirkung nicht beilegte65, stattet das Gesetz von 1894 die Eintragung mit der Wirkung aus, dafs sie die gesetzlich anerkannte und geschützte Ausschliefslichkeit des Rechtes der Zeichenführung begründet66. Keineswegs indefs wird durch sie das Zeichenrecht geschaffen. Vielmehr bedeutet sie nur eine öffentliche Feststellung eines vorhandenen Privatrechtes, das sich durch sie und nur durch sie zu einem in besonderer Weise geschützten Rechte entfaltet. Darum kann sie, wenn in Wahrheit ein Recht des Anmelders auf ein Zeichen nicht bestand, ein Zeichenrecht nicht erzeugen. Vielmehr ist das ungehörig eingetragene Zeichenrecht nur ein Scheinrecht. Diesem Scheinrechte steht freilich der gesetzliche Schutz so lange zur Seite, bis die durch die öffentliche Feststellung begründete Legitimation durch eine gegentheilige Feststellung zerstört und demgemäfs die Einnach der Eintragung die Priorität bestimmt, in die Zeichenrolle eingetragen; R.Ges. § 3. β8 R.O.H.G. XXIV 79 ff.; Behrend I 278. 64 R.Ges. § 5—6. 66 R.Ger. I I I Nr. 22 S. 70: Die Eintragung begründet kein Recht, das nicht schon durch die Anmeldung begründet ist. ββ R.Ges. § 12 Abs. 1. B i n d i n g , Handbuch. II. 3. I : G i e r k e , Deutsches Prïyatreeht. L

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tragung wieder gelöscht ist. Allein wenn die Löschung erfolgt, so wird durch sie nicht ein bis dahin bestehendes Recht beendigt, sondern nur konstatirt, dafs ein Recht von Anfang an nicht bestanden hat. Darum können in einem solchen Falle Rechte aus der Eintragung auch für die Zeit, in der das Zeichen eingetragen war, nicht mehr geltend gemacht werden67. 2. Uebertragung. Nach dem Gesetze von 1874 ist das Markenrecht Zubehör einer Firma und theilt deren rechtliche Schicksale68. Das Gesetz von 1894 hat diesen Zusammenhang gelöst69. Es behandelt aber das Zeichenrecht als Zubehör des Geschäftsbetriebes, für den es bestimmt ist, und läfst seinen Uebergang auf eine andere Person immer nur zusammen mit diesem Geschäftsbetriebe zu 70 . Mit dieser Einschränkung ist sowohl das Recht aus der Anmeldung wie das Recht aus der Eintragung des Waarenzeichens vererblich und veräufserlich 71. Das Recht aus der Eintragung kann jedoch der Rechtsnachfolger erst geltend machen, nachdem der Uebergang in der Zeichenrolle vermerkt ist 72 . 07 R.Ges. v. 1894 § 12 Abs. 2. Aus dieser Rückwirkung der Löschung ergiebt sich deutlich, dafs der Eintragung keine konstitutive Kraft zugeschrieben werden darf. Vgl. auch Seligsohn S. 110. A. M. Schanze, Zeitschr. f. gewerbl. Rechtsschutz 1893 S. 166. Die Sache liegt ähnlich, wie bei der Patentertheilung; vgl. unten § 95 IV 3e—f. Auch hier kann natürlich der vorhanden gewesene anerkannte Besitzstand nicht ungeschehen gemacht und mufs namentlich die Wirkung des guten Glaubens anerkannt werden. 68 R.Ges. v. 1874 § 4, § 5 Z. 1 - 2 ; R.Ger. X I Nr. 27, XX Nr. 37, XXX Nr. 1 ; Z. f. H.R. XXXVIII 555. Bei der Verlegung der Firma mufs die Marke mit übertragen, bei ihrer Aenderung zur Beibehaltung angemeldet werden, wenn sie nicht erlöschen soll. Wechselt der Firmeninhaber, so geht sie ohne Weiteres und ohne Umschreibung mit der Firma über. Ohne die Firma ist sie schlechthin unübertragbar. 69 Aenderungen im Namen oder Wohnort des Zeicheninhabers sollen zwar nach R.Ges. § 3 Z. 3 in die Zeichenrolle übertragen werden, berühren aber den Bestand des Zeichenrechtes nicht. 70 R.Ges. § 7 Abs. 1 mit § 9 Abs. 1 Z. 2, auch § 2 Abs. 1 u. § 3 Abs. 1 Z. 2; Seligsohn S. 25 u. 79 ff. Aehnlich Oesterr. Ges. § 9 und andere ausländ. Gesetze. Vgl. Kohler in Schönbergs Handb. a. a. O. S. 804. 71 R.Ges. § 7 Abs. 1. 72 R.Ges. § 7 Abs. 2 u. § 3 Z. 3. Die Umschreibung erfolgt auf Antrag des Rechtsnachfolgers, wenn er die Einwilligung des Berechtigten oder die Nachfolge von Todeswegen nachweist. Der Uebergang des Rechtes selbst ist unabhängig von der Umschreibung; vgl. Seligsohn S. 85 ff. Die ausschliefsliche Legitimation des eingetragenen Inhabers besteht aber sowohl Dritten gegenüber, wie gegenüber dem Patentamte; R.Ges. § 7 Abs. 3. — Nach dem Oesterr. Ges. v. 1890 § 9 Abs. 2 erlischt dss Markenrecht, wenn der neue Besitzer des Unternehmens nicht binnen drei Monaten die Umschreibung bewirkt; ausgenommen den

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3. Beendigung. Das Zeichenrecht endet durch Verzicht des Berechtigten. Es endet ferner nach dem Gesetze von 1874 durch Wegfall der Firma, nach dem Gesetze von 1894 durch Wegfall des Geschäftsbetriebes, zu dem es gehört78. Sodann endet es durch Ablauf von zehn Jahren seit der ursprünglichen oder wiederholten Anmeldung, falls nicht der Inhaber durch eine besondere Rechtshandlung sein Erlöschen abwendet. Hierzu bedarf es, während das Gesetz von 1874 sich mit einer gebührenfreien Anmeldung der Beibehaltung begnügt, nach dem Gesetze von 1894 einer erneuten Anmeldung, bei der eine Erneuerungsgebühr zu entrichten ist 74 . Endlich geht das Zeichenrecht nach dem Gesetze von 1894 auch unter, wenn Umstände eintreten, in Folge deren der Inhalt des Zeichens den thatsächlichen Verhältnissen nicht mehr entspricht und die Gefahr einer Täuschung begründet7δ. Die Wirkung der Eintragung endet durch Löschung. Im Falle ungehöriger Löschung büfst daher das Zeichenrecht, obschon es fortbesteht, den gesetzlichen Schutz ein 7β . Umgekehrt bleibt es bis zur Löschung gesetzlich geschützt, wenn es auch schon vorher in seinem rechtlichen Bestände vernichtet ist. Doch können wieder, falls die Löschung erfolgt, Rechte aus der Eintragung für die Zeit, in der bereits der Rechtsgrund der Löschung vorhanden war, nicht mehr geltend gemacht werden77. Die Löschung ist also in gleicher Weise erforderlich und in gleicher Art wirksam, wenn das eingetragene Zeichenrecht von vornherein nicht rechtsbeständig war und wenn es später sein Ende erreicht hat. Sie findet entweder auf Antrag des Inhabers oder von Amtswegen oder auf Antrag eines Dritten statt. Fall der Fortführung des Unternehmens durch die Witwe oder mindeijährige Erben oder für Rechnung einer Verlassenschafts- oder Konkursmasse. 78 R.Ges. v. 1874 § 12, v. 1894 § 9 Abs. 1 Z. 2. 74 R.Ges. v. 1874 § 5 Z. 3, § 7 Abs. 3, § 12 Z. 2; R.Ges. v. 1894 § 2 Abs. 3, § 3. Z. 4, § 8. Die Erneuerungsgebühr beträgt 10 Mark. — Die Gefahr des Zeichenverlustes ist jedoch einerseits durch das in § 8 Abs. 3 vorgesehene Verfahren vor der Löschung (unten Anm. 79), andrerseits durch die in § 4 Abs. 2 angeordnete Sperrfrist nach der Loschung (oben Anm. 58) abgeschwächt; vgl. Seligsohn S. 68 ff. u. 88 ff. 76 R.Ges. § 9 Z. 3. 76 Ueber die Wirkung ungehöriger Löschung nach dem Gesetz v. 1874 vgl. R.Ger. XX Nr. 37. 77 R.Ges. § 12. Es gilt das oben Anm. 67 Gesagte; vgl. auch Seligsohn S. 118 ff. — Nach dem Gesetz v. 1874 büfst das Markenrecht mit seiner materiellen Beendigung schon vor der Löschung jede Wirksamkeit ein; § 12. 47*

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Auf Antrag des Inhabers wird das Zeichen jederzeit in der Rolle gelöscht78. Von Amtswegen wird es gelöscht, wenn sich nachträglich herausstellt, dafs seine Eintragung hätte versagt werden müssen, und wenn die zehnjährige Frist verstrichen ist. Doch hat das Patentamt zuvor dem Inhaber Mittheilung zu machen. Erhebt dieser binnen einem Monate Widerspruch, so wird darüber durch BeschlulSs des Patentamtes entschieden. Soll die Löschung wegen Zeitablaufes erfolgen, so kann der Inhaber bis zum Ablaufe des Monats die Erneuerung der Anmeldung unter Entrichtung der doppelten Gebühr nachholen79. Ein Dritter kann die Löschung in drei Fällen beantragen. Erstens ist hierzu der in Wahrheit Zeichenberechtigte befugt, wenn sein Zeichen für einen Anderen eingetragen steht80. Zweitens kann Jedermann die Löschung beantragen, wenn der Geschäftsbetrieb, zu dem das Zeichen gehört, vom eingetragenen Inhaber nicht mehr fortgesetzt wird 81 . Drittens kann Jedermann den Antrag auf Löschung eines Zeichens stellen, dessen Inhalt den thatsächlichen Verhältnissen nicht entspricht und die Gefahr einer Täuschung begründet82. Der Antrag auf Löschung ist im Wege der Klage gegen den eingetragenen Inhaber oder dessen Erben geltend zu machen88. 4. Inhalt. Das eingetragene Zeichenrecht gewährt die ausschliel'sliche Befugnifs, das Zeichen als Waarenzeichen für Waaren 78

R.Ges. § 8 Abs. 1. Vgl. Ges. v. 1874 § 5 Abs. 1. R.Ges. § 8 Abs. 2 - 3 . Vgl. Ges. v. 1874 § 5 Abs. 2. 80 R.Ges. § 9 Abs. 1 Z. 1 u. Abs. 2; oben Anm. 55. Hierher gehört auch der oben Anm. 56 erwähnte Löschungsanspruch von nur transitorischer Bedeutung. — Nach dem Ges. v. 1874 § 11 kann auch im Falle der Eintragung eines Freizeichens jeder an dessen Gebrauch Betheiligte die Löschung verlangen. Das Ges. v. 1894 scheint in solchem Falle die Klage auf Löschung versagen zu wollen, so dafs die in ihren Rechten Bedrohten kein anderes Mittel haben, als beim Patentamte die Löschung von Amtswegen anzuregen. 81 R.Ges. § 9 Abs. 1 Z. 2. Ein Interesse braucht er nicht nachzuweisen. Die Klage ist vielmehr eine Art von Popularklage, die sich auf das Gemeininteresse daran stützt, dafs das Freiwerden des Zeichens und somit die Zulässigkeit einer neuen Aneignung desselben zur Anerkennung gebracht werde. 82 R.Ges. § 9 Abs. 1 Z. 8. Auch hier braucht ein besonderes Interesse nicht nachgewiesen zu werden. 88 R.Ges. § 9 Abs. 8—5. Wenn vor oder nach Erhebung der Klage ein Uebergang des Zeichens auf einen Anderen stattgefunden hat, ist die Entscheidung auch gegen den Rechtsnachfolger wirksam und vollstreckbar. — Der Antrag auf Löschung wegen Wegfalles des Geschäftsbetriebes kann auch zunächst an das Patentamt gerichtet werden, das dann, wenn der eingetragene Zeicheninhaber binnen einem Monate nach Empfang der Mittheilung nicht widerspricht, ohne gerichtliche Entscheidung löscht. 79

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der angemeldeten Art zu gebrauchen. Das Gesetz von 1874 behält dem Berechtigten nur die Befugnifs vor, die Waaren selbst oder deren Verpackung oder Umhüllung mit dem Zeichen zu versehen und die so bezeichneten Waaren in Verkehr zu setzen; das Gesetz von 1894 fügt die Befugnifs hinzu, das Zeichen auf Geschäftspapieren, wie Ankündigungen, Preislisten, Geschäftsbriefen, Empfehlungen und Rechnungen, anzubringen84. Jede derartige Gebrauchshandlung kann der Zeicheninhaber Anderen untersagen85. Ein von ihm nicht bewilligter Gebrauch des Zeichens wird dadurch nicht erlaubt, dafs das Waarenzeichen mit solchen Abweichungen wiedergegeben wird, die nicht hinreichen, um die Gefahr einer Verwechselung im Verkehre auszuschließen86. Dagegen wird durch das Zeichenrecht Niemand gehindert, seinen eignen Namen, seine Firma, seine Wohnung oder Angaben über Herstellung, Beschaffenheit, Bestimmung oder Preis-, Mengenoder Gewichtsverhältnisse von Waaren, sei es auch in abgekürzter Gestalt, zur Waarenbezeichnung oder sonst im Geschäftsverkehre zu gebrauchen87. 5. Schutz. Das Zeichenrecht ist als absolutes Privatrecht durch eine civilrechtliche Klage geschützt, mit der die Anerkennung seines Bestandes von Jedermann erzwungen, die Beseitigung unbefugter Störungen durchgesetzt und ein Verbot künftiger Eingriffe erzielt werden kann88. Wird der Berechtigte dadurch verletzt, dafs ein Anderer wissentlich oder aus grober Fahrlässigkeit das Waarenzeichen widerrechtlich gebraucht oder widerrechtlich gezeichnete Waaren in Verkehr bringt 84

R.Ges. § 12, Die bisherige Praxis versagte den Schutz in dieser Richtung; R.Ger. X V I I Nr. 23. 85 Und zwar, da der Markenschutz nicht gleich dem Patentschutz territorial beschränkt ist, so gut im Auslande wie im Inlande; R.Ger. X V I I I Nr. 7. Auch ist sein Untereagungsrecht nicht durch Vermögensbeschädigung bedingt; R.Ger. in Str.S. IV Nr. 62. 88 R.Ges. § 20. Das Ges. v. 1874 § 18 erklärte nur Abänderungen, „welche nur durch Anwendung besonderer Aufmerksamkeit wahrgenommen werden können", fur unerheblich. Entscheidend ist der Eindruck des Gesammtbildes in seiner Individualität. Vgl. R.Ger. V I Nr. 19, X I X Nr. 31, Seligsohn S. 180ff. 87 R.Ges. § 13. Vgl. Ges. v. 1874 § 10 Abs. 1. Dazu Seligsohn S. 127ff. 88 R.Ges. v. 1874 § 13; R.Ger. XXV Nr. 85. Das R.Ges. v. 1894 erwähnt diesen allgemeinen Privatrechtsßchutz als selbstverständlich nicht; vgl. Seligsohn S. 120 ff. — Natürlich hat auch, wer von einem Andern auf Grund eines angeblichen Markenrechtes oder eines fälschlich behaupteten Inhaltes eines Markenrechtes in dem Gebrauche eines Zeichens gehindert wird, eine negative Feststellungsklage; R.Ger. X X I I Nr. 16, Z. f. H.R. XXXVIII 556.

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oder feilhält, so kann er zugleich auf Entschädigung klagen89. Auch kann er die Beseitigung der widerrechtlich angebrachten Zeichen oder, wenn diese Beseitigung anders nicht ausführbar ist, die Vernichtung der gezeichneten Waaren verlangen90. Im Falle einer wissentlichen Verletzung seines Rechtes durch eine derartige Handlung kann er überdies den Antrag auf Strafverfolgung stellen91. Die angedrohte Strafe besteht in Geldstrafe von 150 bis 5000 Mark oder Gefängnifs bis zu sechs Monaten. Im Strafverfahren kann auf Verlangen des Beschädigten neben der Strafe auf eine an Stelle der Entschädigung tretende Bufse bis zum Betrage von 10000 Mark erkannt werden92. Auch ist dem Verletzten die Befugnifs zuzusprechen, die Verurtheilung auf Kosten des Verurtheilten öffentlich bekannt zu machen98. 6. Ausländische Gewerbebetriebe. Wer im Inlande eine Niederlassung nicht besitzt, hat auf den Schutz des deutschen Gesetzes nur Anspruch, wenn im Staate seiner Niederlassung laut einer im Reichsgesetzblatt enthaltenen Bekanntmachung deutsche Waarenbezeichnungen in gleichem Umfange wie inländische zum gesetzlichen Schutze zugelassen werden. Er kann überdies den Anspruch auf Schutz eines Waarenzeichens und das durch die Eintragung begründete Recht nur durch einen im Inlande bestellten Vertreter geltend machen. Auch wird das ausländische Waarenzeichen in die Zeichenrolle erst eingetragen, wenn nachgewiesen ist, dafs der Inhaber dafür in seinem Heimathsstaate den Markenschutz nachgesucht und erhalten hat. Endlich ist, sofern nicht Staatsverträge ein Anderes bestimmen, die Eintragung nur dann zulässig, wenn das ausländische Zeichen den Anforderungen des deutschen Gesetzes entspricht94. 89

R.Ges. § 14 Abs. 1. Das Ges. v. 1874 § 14 gab nur im Falle wissentlicher Verletzung einen Entschädigungsanspruch; R.Ger. XIV Nr. 16. 90 R.Ges. § 19 Abs. 1. Vgl. Ges. v. 1874 § 17 Abs. 1. 91 R.Ges. § 14 Abs. 2. Die Zurücknahme des Antrages ist zulässig. 98 R.Ges. § 18. Ebenso, aber nur bis zu 5000 Mark, Ges. v. 1874 § 15. Von der Natur dieser Bufse und der gleichartigen Bufsen, die im Urheber- und Erfinderrechte begegnen werden, ist im Obligationenrecht zu handeln. 98 R.Ges. § 19 Abs. 2; Ges. v. 1874 § 17 Abs. 2. 94 R.Ges. § 23. Das Ges. v. 1874 § 20 schrieb die Anmeldung der ausländischen Waarenzeichen bei dem Handelsgerichte in Leipzig vor, verlangte eine ausdrückliche Unterwerfung unter die Gerichtsbarkeit dieses Gerichts in Markenrechtsstreitigkeiten und beschränkte den Umfang und die Dauer des Markenschutzes auf das Mafs des der Marke in ihrem Heimathsstaate gewährten Schutzes; R.Ger. X Nr. 17. Dagegen forderte es nicht die Bestellung eines Vertreters und enthielt keine Bestimmungen über die Voraussetzungen desfremden Markenrechts. Letztere waren daher lediglich nach ausländischem Rechte zu beurtheilen; Z. f. H.R. X X X V I I I

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Im Uebrigen richtet sich der Schutz ausländischer Warenbezeichnungen nach den völkerrechtlichen Verträgen, wie sie das Deutsche Reich mit fast allen europäischen und mehreren nichteuropäischen Staaten abgeschlossen hat 95 . Einen besonderen Schutz gegen das Ausland gewährt das Gesetz von 1894 den in die Zeichenrolle eingetragenen Waarenzeichen durch die Bestimmung, dafs ausländische Waaren, die widerrechtlich mit einem solchen Zeichen versehen sind, auf Antrag des Verletzten bei ihrem Eingange in Deutschland der Beschlagnahme durch die Zollund Steuerbehörden und der Einziehung durch Strafbescheid der Verwaltungsbehörden unterliegen96. Eine derartige Beschlagnahme und Einziehung ausländischer Waaren kann auch dann erfolgen, wenn bei ihrer Einfuhr Auflagen nicht erfüllt sind, die der Bundesrath kraft Vergeltungsrechtes angeordnet hat. Zur Ausübung des Vergeltungsrechtes ist der Bundes· rath ermächtigt, wenn in einem fremden Staate deutsche Waaren bei der Ein- oder Durchfuhr eine Kennzeichnung ihrer deutschen Herkunft 558 u. 559. Nur die Zurückweisung γόη Marken, die eine Aergernifs erregende Darstellung oder ein öffentliches Wappen enthalten, war auch nach dem Ges. v. 1874 als ausschliefsliche Norm zu erachten; R.Ger. XIV 234 u. X V I I I 85. 96 Sie sind aufgezählt bei Daude S. 300ff. u. Sehling, Die Gesetzgebung des Deut. Reichs, Leipz. 1894, S. 102 Anm. 1. Die neuesten Verträge mit Oesterreich-Ungarn v. 6. Dez. 1891 (R.G.B1. S. 289 ff.), Italien v. 18. Jan. 1892 (R.G.B1. S. 293 ff.) u. der Schweiz v. 13. Aug. 1892 (R.G.B1. v. 1894 S. 511 ff.) regeln mit dem gegenseitigen Markenschutz zugleich den gegenseitigen Patent- und Musterschutz, der Vertrag mit Serbien v. 21. August 1892 (R.G.B1. v. 1893 S. 317 ff.) wenigstens den Musterschutz. In den neuesten Verträgen ist ausdrücklich bestimmt, dafs die Eintragung einer im Heimathsstaate gehörig eingetragenen Marke in dem anderen Vertragsstaate nicht deshalb versagt werden kann, weil sie den hier geltenden gesetzlichen Anforderungen nicht entspricht; diese Abreden hält § 23 des Ges. v. 1894 aufrecht. Ferner ist dem, der im Gebiete eines Vertragsstaates eine Marke gehörig angemeldet hat, in dem Gebiete des anderen Vertragsstaates ein Prioritätsrecht eingeräumt, kraft dessen er hier binnen drei Monaten jene Marke mit derselben Wirkung anmelden kann, als wenn diese spätere Anmeldung am Tage der ersten Anmeldung geschehen wäre. — Nicht beigetreten ist das Deutsche Reich dem durch den Pariser Vertrag v. 20. März 1883 begründeten Staatenvereine zum Schutze der „propriété industrielle" an Erfindungen, Mustern und Modellen, sowie Marken und Firmen. Es hat daher auch keinen Theil an dem seit 1892 zu Bern geführten internationalen Zeichenregister, das durch Eintragung der in einem Vereinsstaate angemeldeten Zeichen einen in den anderen Vereinsstaaten wirksamen Schutz begründet; Z. f. H.R. X L I I 118 ff. Dem Vereine gehören Frankreich, England, Italien, die Niederlande, Belgien, Spanien, Portugal, die Schweiz, die drei skandinav. Staaten, Serbien, die Vereinigten Staaten und andere nichteuropäische Staaten an. Nicht dagegen Oesterreich und Rufsland. 96 R.Ges. § 17. Vgl. Seligsohn S. 167 ff.

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tragen müssen oder bei der Zollabfertigung in Bezug auf die Warenbezeichnung ungünstiger als die Waaren anderer Länder behandelt werden97. V. Namen als Zeichen. Namen können von zwei Seiten her unter Zeichenrecht fallen. 1. Personennamen können an Sachen angebracht werden, um entweder ihre rechtliche Zugehörigkeit zu oder ihre Herkunft aus einem Persönlichkeitsbereiche anzuzeigen. An sich liegt in solcher Sachbezeichnung eine nach Namenrecht zu beurtheilende Ausübung des Rechtes der Namensführung 98. Das deutsche Recht unterstellt aber die gewerbliche Verwendung von bürgerlichen Personennamen und kaufmännischen Firmen als Ursprungszeichen dem Zeichenrechte99. Es knüpft daher an die widerrechtliche Anbringung fremder Namen oder Firmen auf Waaren oder deren Verpackung oder Umhüllung oder auf Geschäftspapieren und an die Inverkehrsetzung oder Feilhaltung der widerrechtlich so gekennzeichneten Waaren gleiche Rechtsfolgen, wie an die Anmafsung eingetragener Waarenzeichen100. Wer im Inlande eine Niederlassung nicht besitzt, geniefst auch diesen Schutz nur im Falle verbürgter Gegenseitigkeit101. 07

R.Ges. § 22. Vgl. Seligsohn S. 190 ff. Dies gilt auch für die Zeichnung mit abgekürztem oder angenommenem Namen. Ueber Künstlermonograinme vgl. oben § 88 Anm. 35. 99 Ges. v. 1874 § 13—19, v. 1894 § 14, 18—21; Strafrechtsschutz schon durch Str.G.B. § 287. Aehnlich nach allen ausländischen Gesetzten; Kohl er S. 119 ff., Oest. Ges. v. 1890 § 10 u. 24 ff. Auch nach den älteren deut. Landesgesetzen, von denen manche sogar überhaupt nur die Warenbezeichnung mit Namen oder Firma schützten; so (während das preufs. L.R. II, 20 § 1451 auch andere „Merkmale" geschützt hatte) das Preufe. Ges. v. 4. Juli 1840, das Hess. Ges. v. 8. Okt. 1866 (Z. f. H.R. XV 195ff.) u. s. w.; vgl. Ko hl er S. 56 ff. 100 Oben Anm. 87—93. Auch hier also Privatrechtsklage unabhängig vom Vermögensinteresse und schon aus objektiv widerrechtlichen Eingriffen; O.L.G. Dresden in Z. f. H.R. X L I 216. Auch hier bei wissentlicher oder grobfahrlässiger Verletzung zugleich Anspruch auf Schadensersatz und auf Zeichenvernichtung. Auch hier bei wissentlicher Verletzung überdies Strafdrohung und Anspruch auf Bufse statt Schadenersatzes und auf Urteilsveröffentlichung. Durch Abweichungen, die die Gefahr einer Verwechslung nicht ausschliefsen, wird auch hier die Verfolgung des Eingriffes nicht gehindert. Zum Gebrauche seines eignen Namens als Waarenzeichen bleibt aber natürlich Jedermann befugt, mag dieser auch dem fremden Namen gleich oder ähnlich lauten. 101 Ges. v. 1874 § 20, v. 1894 § 23 Abs. 1; dazu die oben Anm. 95 angeführten völkerrechtlichen Verträge, die sich auch auf den gegenseitigen Schutz der Namen und Firmen erstrecken. — Die Voraussetzungen des Rechtes am Namen oder der Firma richten sich hier lediglich nach dem Rechte des Heimathsstaates; somit ist ζ. B. die ausländische Firma, falls dies ihrem heimathlichen Rechte ent98

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2. Sachnamen, wie sie körperlichen und unkörperlichen Sachen (Liegenschaften, Thieren, Geschäftsetablissements, Gerechtsamen, Geisteserzeugnissen u. s. w.) oder bestimmten Sachgattungen durch private oder öffentliche Beilegung gegeben werden oder herkömmlich anhaften, dienen an sich nur zur Individualisirung und Unterscheidung der Rechtsobjekte102. Allein ein Sachname kann, indem er in den Kreis der von ihm erweckten Vorstellungen den Erfolg einer persönlichen Thätigkeit hineinzieht, zugleich zu einem Zeichen für einen Bestandtheil einer Persönlichkeitssphäre und somit zu einem für sich selbst werthvollen Persönlichkeitsgute werden. Insoweit dies der Fall ist, gebührt kraft des Rechtes der Persönlichkeit dem Schöpfer eines solchen Zeichens oder seinem Rechtsnachfolger ein Schutz gegen widerrechtliche Eingriffe Anderer. So kann unter dem Gesichtspunkte des unlauteren Wettbewerbes die Anmafsung eines fremden Geschäftsnamens, eines Gasthofsnamens oder Wirthshausschildes, eines Zeitungstitels oder Zeitungstheiltitels u. s. w. als Rechtsverletzung erscheinen108. Ein Sachname für eine Waarengattung aber kann, insoweit er sich als individualisirter Name zur Unterscheidung der Waaren eines Gewerbtreibenden von allen gleichartigen Waaren Anderer eignet (Phantasiename), nach dem Gesetz vom 12. Mai 1894 als Waarenzeichen (Wortmarke) angemeldet werden und hierdurch den vollen Schutz des Markenrechtes erlangen104. VI. Sonstige Waarenbezeichnungen. Das Gesetz vom 12. Mai 1894 hat den Schutz der Waarenbezeichnungen über den Kreis der eingetragenen Marken und der Namen und Firmen hinaus erweitert. spricht, auch dann, wenn sie in kein Handelsregister eingetragen ist, in Deutschland zu schützen, während die deutsche Firma eingetragen sein mufs, um geschützt zu werden; Z. f. H.R. X X X V I I I 559. — Die oben Anm. 96 erwähnte Schutzmafsregel erstreckt sich auf ausländische Waaren, die widerrechtlich „mit einer deutschen Firma und Ortsbezeichnungu versehen sind. 102 Hierdurch können sie natürlich in mannichfacher Richtung eine rechtliche Bedeutung gewinnen ; diese liegt aber aufserhalb des Bereiches des Personenrechts. 108 In aUen diesen Beziehungen gewährt die französ., engl. u. amerikan. Praxis Schutz; vgl. 0. Mayer, f. H.R. XXVI 394 ff., Kohler a. a. 0. S. 92 ff., Autorrecht S. 133 ff., Ueber das Recht an Zeitungstiteln (aus Gellers Zentralblatt f. d. jur. Pr.) S. 4 ff. — Das österr. Ges. v. 1890 § 10 u. 24 ff. behandelt die unbefugte Bezeichnung von Waaren „mit der geschäftlichen Benennung des Etablissements" eines Anderen als Markenrechtsverletzung. Die drei skandinav. Ges. (oben Anm. 38) § 1 stellen der Waarenbezeichnung mit dem Personennamen die mit dem Namen des Grundbesitzes gleich. — Vgl. auch unten § 87 Anm. 2—3. 104 Oben Anm. 50. Ueber den Schutz der Phantasienamen durch engl. Ges. vgl. Z. f. H.R. XXXVII 150.

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Viertes Kapitel.

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1. Es schützt in gewissem Umfange die besondere Ausstattung, die in betheiligten Verkehrskreisen als das Kennzeichen der Waaren eines bestimmten Gewerbtreibenden gilt. Wer zum Zwecke der Täuschung in Handel und Verkehr Waaren oder deren Verpackung oder Umhüllung oder Geschäftspapiere ohne Genehmigung des Berechtigten mit einer solchen Ausstattung versieht oder so gekennzeichnete Waaren in Verkehr bringt oder feilhält, ist dem Verletzten zur Entschädigung verpflichtet und unterliegt auf Antrag der Strafverfolgung 1 0 δ . Hiermit ist also durch ausdrückliche Gesetzesbestimmung ein besonderes Privatrecht an derartigen Zeichen einer Persönlichkeitssphäre anerkannt106. 2 Lediglich mit einer öffentlichen Strafe wird bedroht, wer Waaren oder deren Verpackung oder Umhüllung oder Geschäftspapiere fälschlich mit einem Staatswappen oder mit dem Namen oder Wappen eines Ortes, einer Gemeinde oder eines weiteren Kommunalverbandes zu dem Zwecke versieht, über Beschaffenheit und Werth der Waaren einen Irrthum zu erregen, oder zu gleichem Zwecke derartig bezeichnete Waaren in Verkehr bringt oder feilhält 107. Die Verwendung von Namen, die nach Handelsgebrauch zur Benennung gewisser Waaren dienen, ohne deren Herkunft bezeichnen zu sollen, wird hiervon nicht betroffen 108. Ein Privatrecht sei es des Verbandes, der den Namen oder das Wappen führt, sei es der Gewerbtreibenden, die zu einer derartigen Bezeichnung ihrer Waaren befugt sind, ist hiermit nicht anerkannt, ebensowenig aber verneint 109. 106 Angedroht wird Geldstrafe von 100 bis 3000 Mark oder Gefangnifs bis zu 3 Monaten (§ 15). Die Vorschriften über Bufse statt Entschädigung (§ 18), über Beseitigung der widerrechtlichen Kennzeichnung und Veröffentlichung des Urtheils (§ 19), über das Mafs der die Rechtsverletzung ausschliefsenden Abweichungen (§ 20) und über den Schutz ausländischer Gewerbebetriebe (§ 23 Abs. 1) finden auch hier Anwendung. Vgl. Seligsohn S. 149 ff. 106 Zweifellos ist daher eine Klage auf Unterlassung der in § 15 aufgeführten Handlungen auch dann zulässig, wenn sie ohne Täuschungsabsicht vorgenommen werden. So auch Seligsohn S. 153· 107 Ges. v. 1894 § 16 Abs. 1 (Geldstrafe von 150 bis 5000 Mark oder Gefangnifs bis zu 6 Monaten). Beseitigung der Kennzeichnung nach § 19 Abs. 1» Abweichungen nach § 20. Vgl. Seligsohn S. 155 ff. 108 § 16 Abs. 2 (ζ. B. Berliner Blau, Frankfurter Würste, Wiener Schnitzel). 109 Da an sich in der Bezeichnung von Waaren mit dem eignen Namen oder Wappen nur eine Ausübung des Namen- oder Wappenrechtes liegt, folgt aus dem jeder Verbandsperson zuzusprechenden Privatrechte an ihrem Namen (oben § 83 Anm. 33) und Wappen (oben Anm. 32) zunächst zweifellos die Befugnifs, Waaren mit diesem Namen oder Wappen zu zeichnen oder Andere zu solcher Zeichnung zu ermächtigen. Diese Befugnifs besteht, wenn auch die Zeichnung mit dem Ver-

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3. Waarenbezeichnungen, die des besonderen gesetzlichen Schutzes entbehren, sind darum nicht schutzlos, geniefsen vielmehr desjenigen Rechtsschutzes, der sich aus dem allgemeineif Schutze des Rechtes der Persönlichkeit ergiebt. Die Praxis hat freilich angenommen, dafs das Markenschutzgesetz von 1874 den Schutz der Waarenbezeichnungen erschöpfend regele 110. Jedoch mit Unrecht 111! Auch dem Gesetze von 1894 darf eine derartige Tragweite nicht beigelegt werden. So verbietet z. B. auch dieses Gesetz nicht ausdrücklich die Anmeldung eines fremden Familienwappens als Waarenzeichen oder den Gebrauch eines nicht als Waarenzeichen eingetragenen fremden Familienwappens zur Waarenbezeichnung112. Unmöglich kann jedoch dem Wappenberechtigten ein Schutz hiergegen versagt werden! Dieser Schutz fliefst nur eben nicht aus dem Markenrechte, sondern aus dem Wappenrechte118. Aehnlich verhält es sich mit den im Gesetz von 1894 nicht erwähnten Wappen der nicht zu den inländischen Gemeindeverbänden gehörigen öffentlichen und aller privaten Körperschaften und Anstalten114. In gleicher bandsnamen nicht den Markenschutz genieist (oben Anm. 99) und gewisse Verbandswappen nicht als Waarenzeichen angemeldet werden können (oben Anm. 51). Aber auch die Befugnifs, Unbefugten die Benützung ihres Namens oder Wappens als Waarenzeichen zu untersagen, mufs den Verbandspersonen auf Grund des Namenoder Wappenrechts zuerkannt werden. — Die Befugnifs einzelner Gewerbtreibender, sich eines Verbandsnamens oder Verbandswappens zur Waarenbezeichnung zu bedienen, beruht in vielen Fällen auf einem herkömmlich fur alle Verbandsangehörigen begründeten Rechte des Gemeingebrauches. Sie kann auch aus einer besonderen oder allgemeinen Ermächtigung seitens des Verbandes fliefsen. So ist z. B. allen deutschen Fabrikanten der Gebrauch des kaiserlichen Adlers zur Waarenbezeichnung mit der Mafsgabe, dafs der Gebrauch nicht in Form eines Wappenschildes stattfinden darf, gestattet worden; Allerh. Erl. v. 16. März 1872 u. Bekanntm. des Reichskanzlers v. 11. Apr. 1872. Gegen Aneignung solcher im Gemeingebrauche befindlichen Waarenbezeichnungen durch Anmeldung als Waarenzeichen schützt das Freizeichenrecht (oben Anm. 53 u. 80). Eine Untersagungsbefugnifs aber gegen den Gebrauch durch Unbefugte hat der, dem an solchen Waarenbezeichnungen nur dae Recht des Gemeingebrauches zusteht, weder kraft Namen- oder Wappenrechtes, noch kraft Markenrechtes, sondern lediglich insoweit, als die Voraussetzungen eines in seine Persönlichkeitssphäre eingreifenden unlauteren Wettbewerbes vorliegen. 110 Vgl. z. B. R.Ger. Π Nr. 14, XXV Nr. 26, XXIX Nr. 18. 111 Vgl. insbes. Kohl er, Markenschutz S. 77 ff., 88 ff., 302 ff. 112 Anders das Oesterr. Ges. § 10 u. 24 ff. 118 Vgl. oben Anm. 31. Sein eignes Wappen darf Jedermann zur Waarenbezeichnung verwenden. Er kann es auch als Waarenzeichen oder Bestandtheil eines Waarenzeichens anmelden, erwirbt aber dann durch die Eintragung kein Recht, einen zur Führung des gleichen Wappens befugten Familiengenossen an dem Gebrauche desselben zu hindern; so nach Analogie des § 13 des Ges. v. 1894. 114 Sie können ihre Wappen als Waarenzeichen gebrauchen und auch (sofern

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Viertes Kapitel.

Persönlichkeitsrechte.

Weise müssen Personennamen, insoweit sich der besondere Markenschutz auf sie nicht erstreckt, doch kraft Namenrechtes gegen Anmafsung als Waarenzeichen und gegen Mifsbrauch durch Waarenbezeichnung geschützt werden 115. Endlich aber kann überhaupt insoweit, als die Merkmale des unlauteren Wettbewerbes vorliegen, jeder Eingriff in eine fremde Persönlichkeitssphäre durch Anmafsung oder Mifsbrauch von Zeichen als Waarenzeichen auch dann als Rechtsverletzung abgewehrt werden, wenn ein besonderer gesetzlicher Schutz kraft Zeichenrechtes nicht begründet ist 1 1 6 . Dritter Titel. Urheberrechte. § 85. Das Urheberrecht überhaupt 1 . I. Begriff. Urheberrecht ist das ausschliefsliche Recht des Schöpfers eines Geisteswerkes, über dessen Veröffentlichung und Wiedergabe zu verfügen. Geisteswerk ist ein durch Formgebung insie nicht Freizeichen sind) anmelden, den Gebrauch durch Unbefugte untersagen lind die Eintragung als fremde Waarenzeichen hindern oder anfechten. 116 So nach dem oben Anm. 109 Gesagten die in § 16 des Ges. v. 1894 erwähnten Verbandsnamen. So aber auch die Namen anderer Verbandspersonen, mögen sie auch keine Firmen sein. So ferner Schriftsteller- oder Künstlernamen und andere erlaubter Weise im Verkehr angenommene und anerkannte Namen; vgl. oben § 83 I 3; abweichend R.Ger. XXV Nr. 26. 116 So hinsichtlich nicht eingetragener Marken (oben S. 736); hinsichtlich der auf einen bestimmten Kreis beschränkten Freizeichen; hinsichtlich der Grtsoder Herkunftsbezeichnungen (a. M. R.Ger. XXIX Nr. 18); hinsichtlich der Etablissementsnamen (a. M. R.Ger. I I Nr. 14), der Wirthshausnamen und anderer Sachnamen (oben Anm. 103); hinsichtlich der Ladenschilder u. s. w. 1 Aeltere Schriften: Pütter, Der Büchernachdruck nach ächten Grunds, des Rechts geprüft, Gött. 1774; Von Bücherprivilegien, Beyträge zum Teut. Staatsund Fürstenr., Gött. 1777, I 241 if. Griesinger, Der Büchernachdruck, Stuttg. 1822. Neuetetel, Der Büchernachdruck nach röm. R. betrachtet, Heidelb. 1824. Kramer, Die Rechte der Schriftsteller u. Verleger, Heidelb. 1827. Homeyer in Hinschius Jur. Wochenschr. 1838 S. 212 ff. u. 221 ff. Renouard, Traité des droits d'auteurs, Paris 1838. Jolly, Die Lehre vom Nachdruck, Heidelb. 1852. Bluntschli in Krit. Uebersch. I (1853) Iff. Eisenlohr, Das litterarischartistische Eigenthum, Schwerin 1855. Harum, Die gegenwärtige österr. Prefsgeeetzgebung u. s. w., Wien 1857. Friedländer, Der einheimische u. ausländische Rechtsschutz gegen Nachdruck u. Nachbildung, Leipz. 1857. 0. Wächter, Das Verlagsrecht mit Einschlufs der Lehre vom Verlagsvertrag u. Nachdruck, 2 Bde., Stuttg. 1857 u. 58. M. Lange, Kritik der Grundbegriffe vom geistigen Eigenthum, Schönebeck 1858. Gerber, Jahrb. f. D. I I I (1859) 359 ff.; Ges. Abh. S. 261 ff. H. Ortloff, Jahrb. f. D. V (1861) 263 ff. v. Orelli, Z. f. Schweiz. R. X H (1864)

§ 85. Das Urheberrecht überhaupt.

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dividualisirter Gedankeninhalt. Die Formgebung kann sich des Mittels der Sprache, der Töne oder der bildlichen Darstellung bedienen, der Gedankeninhalt dem Reiche der Wissenschaft, der Kunst oder der Technik angehören. Da bei den einzelnen Arten der Geisteswerke 109 ff. R. Spöndlin, Ueber das Wesen des Verlagsrechts, Zürich 1867. G. Mandry, Das Urheberrecht an literar. Erzeugnissen u. Werken der Kunst, ein Kommentar zum Bayr. Ges. v. 28. Juli 1865, Erlangen 1867 (in Dollmanns Gesetzg., vgl. oben § 81 Anm. 1). Klostermann, Das geistige Eigenthum an Schriftwerken, Kunstwerken u. Erfindungen, 2 Bde. 1867 u. 69. F. Korb, Was heifst und ist das geistige Eigenthum an literar. Erzeugnissen, Bresl. 1869. — Runde, D.P.R., Vorrede zur 2. Aufl. (1795) u. § 197c. Danz I I 224 ff. Eichhorn § 886. Mittermaier Π § 296a. Maurenbrecher § 506 ff. Bluntschli § 46ff. Hillebrand § 135. — Heydemann u. Dambach, Die Preufs. Nachdrucksgesetzgebung, erläutert durch die Praxis des Kön. literar. Sachverständigenvereins, Berl. 1863. Neuere Schriften (seit dem deut. R.Ges. v. 1870): Dambach, Die Gesetzgebung des Norddeut. Bundes betr. das Urheberrecht u. s. w., Berl. 1871; Nachdruck u. Nachbildung, in Holtzendorffs Handb. des Strafr. H I (1874) 1022 ff.; Urheberrecht, in Holtzendorffs Handb. des Völkerrechts I I I (1887) 583 ff. Endemann, Das Gesetz betr. das Urheberrecht u. s. w., Berl. 1871. F. Dahn in Behrends Z. f. Gesetzg. u. Rechtspfl. in Preufsen V (1871) Iff.; Grundrifs des D.P.R. S. 44 ff. 0. W ä c h t e r , Das Autorrecht, Stuttg. 1875; Das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste, Stuttg. 1876. Klostermann, Das Urheberrecht an Schrift- und Kunstwerken u. s. w., Berl. 1876; Das Urheberrecht, in Endemanne Handb. des H.R. I I 236 ff. Gar ei s in Busch Arch. XXXV (1875) 185 ff. Reuling in Z. f. H.R. X X H I 70 ff. P o u i l l e t , Traité théorique et pratique de la propriété littéraire et artistique, Paris 1879. Kohler, Das Autorrecht, Jena 1880 (auch Jahrb. f. D. X V I I I 129 ff.); Autor-, Patent- u. Industrierecht, Busch Arch. X L V I I 167ff. ; Das literarische u. artistische Kunstwerk u. sein Autorschutz, Mannheim 1892; Die Idee des geistigen Eigenthums, Arch. f. c. Pr. L X X X I I (1894) 141 ff. v. Anders, Beiträge zur Lehre vom literar. u. artist. Urheberrecht, Innsbr. 1881. Kaerger, Die Theorien über die jurist. Natur des Urheberrechts, Berl. 1882. Gierke, Ζ. f. H.R. XXIX, (1884) 266 ff. v. O r e l l i , Das schweizer. Bundeeges. betr. das Urheberrecht, Zürich 1884. Daude, Lehrbuch des deut. litterarischen, künstlerischen u. gewerblichen Urheberrechts, Stuttg. 1888. Schürmann, Die Rechtsverhältnisse der Autoren und Verleger sachlich-historisch, Halle 1889. Streifsler, Das Recht fur Urheber, Buchhandel u. Presse, Leipzv 1890. Klöppel in Gruchots Beitr. z. Erl. des d. R. XXXIV 7 ff., XXXV 76 ff. Schuster, Das Urheberrecht der Tonkunst, München 1891; Das Wesen des Urheberrechts, Wien 1891. G. Scheele, Das deutsche Urheberrecht an literar., künstler. u. photograph. Werken, Leipz. 1892. A. Osterrieth, Altes u. Neues zur Lehre vom Urheberrecht, Leipz. 1892; Arch. f. öff. R. V I I I 285 ff. Ph. A l l f e l d , Die Reichsges. über das Urheberrecht u. s. w., München 1893; Handwörterb. der Staatswiss. V I 398 ff. R. Voigtländer, Das Verlagsrecht an Schriftwerken, musikalischen Kompositionen u. Werken der bildenden Künste, 2. Aufl., Leipz. 1893. v. Freydorf, Autorrecht u. Rechtssystem, Mannheim 1894. — Gerber, D.P.R. § 219. Beseler § 210. Stobbe I I I § 157 ff. Gengier § 132. Franken S. 402 ff. — Förster-Eccius I I § 134. Dernburg, Preufs. P.R. I I § 304 ff.

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Viertes Kapitel.

Persönlichkeitsrechte.

eine Veröffentlichung und Wiedergabe auf verschiedene Weise und mit verschiedener Wirkung möglich ist, gewinnt bei ihnen das dem Urheber gewährleistete Herrschaftsrecht über sein Geisteserzeugnifs einen mannichfach ungleichen Inhalt. Der Name „Urheberrecht" ist in Deutschland der von den Gesetzen gebrauchte Ausdruck. Ihn ganz oder theil weise durch „Autorrecht" zu ersetzen, liegt kein Anlafs vor2. Der im Leben vielfach gebrauchte Ausdruck „geistiges Eigenthum" ist nicht zu beanstanden, sobald nur die an ihn sich knüpfenden theoretischen Irrthümer vermieden werden8. Verfehlt ist es, mit dem Namen „Verlagsrecht", der nur ein aus dem Urheberrecht abgeleitetes Recht ausdrückt, das Urheberrecht selbst bezeichnen zu wollen4. II. Geschichte 5 . Dem Alterthum und dem Mittelalter unbekannt, entwickelte sich seit der Erfindung des Buchdruckes zunächst das Urheberrecht an Schriftwerken, dem dann die übrigen Urheberrechte nachgebildet wurden6. Der Buchdruck ermöglichte in bisher unbekanntem Mafse die ökonomische Verwerthung von Geisteserzeugnissen. Alsbald aber bemächtigte sich auch der Nachdruck der neuen Kunst, um Verfassern und Verlegern die Früchte ihrer Arbeit und ihres Kostenaufwandes mühelos zu entwinden. Das Rechtsbewufstsein empfand den Nachdruck als eine dem Diebstahle oder Raube vergleichbare Handlung. Mandry, Civilr. Inh. der Reichsges. § 53. — Dam bach, Gutachten des K. Preufs. litterar. Sachverständigenvereins, Leipz. 1874; Fünfzig Gutachten u. s. w., Berl. 1891. SonstigeLitt., insbesondere auch ausländische, nachgewiesen b.O. Wächter, Autorrecht § 3, Urheberrecht § 3, Kohl er, Krit. V. J. Sehr. X X I 189 if., 510 ff., Osterrieth S. 107 ff. 2 0. Wächter u. K o h l e r (Arch. f. c. Pr. L X X X I I 197) scheinen den Ausdruck „Autorrecht" für das litterarische Urheberrecht als Gattung des „Urheberrechts" gebrauchen zu wollen. Dies ist jedoch willkürlich. 3 Vgl. unten ΠΙ 4. 4 So noch 0. Wächter in seinem ersten Werke; ebenso Spöndlin a. a. 0. B Vgl. 0. Wächter, Verlagsr. S. 3 ff., Autorr. S. 19 ff., Urheberr. S. 4 ff; Klostermann, Das geist. Eigth. S. 35 ff.; Stobbe § 159; Schuster, Urheberr. der Tonkunst S. 6 ff; Gsterrieth S. 5 ff; K ö h l e r , Arch. f. c. Pr. L X X X I I 166 ff.; Schürmann, Die Entwicklung des deut. Buchhandels zum Stande der Gegenwart, Halle 1880; Kapp, Geschichte des deut. Buchhandels bis in das 17. Jahrh., Leipz. 1886; Voigtländer a. a. O. S. 1 ff. 6 Ein Urheberrecht an Tonwerken entwickelte sich frühzeitig aus der gleichen Behandlung von Notendruck und Buchdruck; Schuster S. 7 ff. Auch die Keime eines Urheberrechts an Bildwerken finden sich bereits im 16. Jahrh. (Schutz von Holzschnitten u. s. w. in Nürnberg 1532 u. 1550), blieben aber lange unentfaltet.

§ 85. Das Urheberrecht überhaupt.

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So entstand die feste Ueberzeugun«?, dafs hier auf der einen Seite ein Recht vorhanden sei und auf der anderen Seite eine Rechtsverletzung begangen werde7. Da aber bereits die Herrschaft der gelehrten Jurisprudenz angebrochen war, fand das den römischen Quellen unbekannte neue Recht in dem System der allgemein anerkannten Privatrechte keine Stätte. Es konnte sich daher zuvörderst nur als ein besonders begründetes Ausnahmerecht Bahn brechen, das durch kaiserliche, landesherrliche oder städtische Privilegien einzelnen Verlegern für bestimmte Werke verliehen wurde8. Durch solche Privilegien, die dann dem Buche vorgedruckt zu werden pflegten, wurde eine ausschliefsliche Druckberechtigung gewerblicher Art geschaffen und jeder Nachdruck als Eingriff in diese Berechtigung mit Strafe bedroht9. Weiter giengen die allgemeinen gesetzlichen Nachdrucksverbote, die vereinzelt schon im sechszehnten Jahrhundert erlassen wurden10 und in den folgenden Jahrhunderten sich mehrten11. Denn indem 7 Diese Ueberzeugung giebt sich in den Vorreden Luthers und den Aussprüchen anderer Schriftsteller kund. Vg. Dambach, Wider den Nachdruck; Aussprüche berühmter deutscher Gelehrter, Schriftsteller, Dichter u. s. w., Berl. 1872. Ueber den Streit zwischen Conr. Lagus und dem Frankf. Buchhändler Egenolf, der eine Schrift des Lagus ohne Ermächtigung herausgegeben hatte, vgl. Muther, Zur Gesch. der Rechtswiss. S. 855 ff. Ueber den Fall Giphanius Κ o h l e r a. a. O. S. 168 ff. 8 Das älteste bekannte Verlagsprivileg ertheilte die Republik Venedig i. J. 1486 dem Marc. Anton. Sabellus für seine Geschichte Venedigs. In Deutschland ertheilte der Bischof von Bamberg 1490 ein Privileg für ein Missale, das Reichsregiment 1501 dem Konrad Celtes ein Privileg für die Werke der Hroswitha, der Kaiser Privilegien seit 1510, Nürnberg 1582 ein Privileg für A. Dürers Werk über Proportionen u. s. w. Vgl. über die ältesten Privilegien G. D. Hoffmann, Von den ältesten kaiserl. u. landesh. Bücher-, Druck- u. Verlagsprivilegien, 1777; Pütter, Beitr. I 241 ff.; Wächter, Verlagsr. S. 7 ff.; Renouard I 108 ff.; Kapp 8. 736 ff.; Schuster S. 7 ff. (hier ein kaiserl. Priv. für Tonwerke v. 1533). 9

Der gewerbliche Standpunkt offenbart sich darin, dafs der Privilegienschutz einerseits den Autoren selbst nur als Verlegern, andrerseits den Verlegern auch für den Druck von alten Handschriften, Gesetzen u. s. w. gewährt wurde. Ursprünglich wurden nur zeitlich begrenzte, später auch ewige Privilegien ertheilt. 10 Eine Basler Ver. ν. 1531 (Basler Rechtsq. I 259) verbot jeden Nachdruck binnen 3 Jahren nach dem Erscheinen eines Buches; vgl. Hub er IV 298 Anm. 31. Das Nürnberger Stat. v. 1550 verbot sowohl den Nachdruck, wie die Nachbildung von Holzschnitten durch Formschneider binnen einem halben Jahre; Kohler, Autorrecht S. 243 ff., Schuster S. 14 ff. 11 Nürnb. V. v. 1633 (Kapp S. 753) u. 1673 (Siebenkees, Beytr. zum teut R. I 222 ff.); Kaiserl. Mand. v. 1685 (Kohler, Arch. f. c. Pr. L X X X H 172);

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Viertes Kapitel. Persönlichkeitsrechte.

sie nicht blos generelle Strafbestimmungen für die Verletzung von Verlagsprivilegien trafen 12, sondern auch den Nachdruck nicht privilegiirter Werke verboten, stempelten sie den Nachdruck zu einer an sich widerrechtlichen Handlung. Doch schützten sie nur inländische Verfasser und Verleger und konnten somit zumal in Deutschland, wo das geplante Reichsgesetz gegen den Nachdruck niemals zu Stande kam 18 , nur eine beschränkte Wirksamkeit entfalten 14. Die besonderen Privilegien blieben daher werthvoll und wurden nach wie vor gesucht und ertheilt 16. Auch zielten die Nachdrucksverbote gleich den Privilegien hauptsächlich nur auf den Schutz des Buchhandel» und führten daher nicht über ein Verlagsrecht hinaus. Den Standpunkt des Verlagsrechtes hielt auch das preufsische Landrecht fest, das jedoch grundsätzlich auch fremde Verlagsrechte anerkannte16. Inzwischen war aber in Theorie und Praxis mehr und mehr eine Auffassung durchgedrungen, die auf die Quelle des Verlagsrechtes in der geistigen Schöpfung zurückgieng und demgemäfs dem Urheber selbst ein als geistiges Eigenthum vorgestelltes Herrschaftsrecht über sein Geisteswerk zuschrieb17. Entschieden kam diese Auffassung, der Kursächs. Mand. v. 1686 (Cod. August. I 413) u. v. 1773 (ib. I I cont. I 39, Schürmann S. 71 ff.); Hannov. V. v. 1778 u. Oesterr. V. b. Wächter, Verlagsr. S. 14 Anm. 7 u. S. 16 Anm. 8. 12 Es fehlt nicht an Gesetzen, die sich hierauf beschränken ; so die älteren Kursächs. Reskr. v. 1617, 1620 u. 1628 u. noch die V. v. 22. Jan. 1661, sowie das kaiserl. Pat. ν. 4. März 1662; Kapp S. 753 ff. 18 W ä c h t e r , Autorr. S. 24. Insbesondere blieb das Versprechen Leopolds II. in seiner Wahlkapitul. Art. V I I § 1 unerfüllt. 14 Am wirksamsten waren wegen ihrer Erstreckung auf alle zur Leipziger Messe gebrachten Bücher die kursächs. Gesetze; Schürmann S. 65 ff. 16 Zum Theil artete das »Privilegienwesen in ein Privilegienunwesen aus; Generalprivilegien (Kapp S. 747), ja Nachdrucksprivilegien (nach Runde, Vorr. zur 2. Aufl. des D.P.R., „Kaperbriefe fur Seeräuber") wurden ertheilt 16 Pr. L.R. I, 11 § 996 ff, 1033 ff, U, 20 § 1294 ff. Dazu Schürmann S. 137 ff., Osterrieth S. 13 ff. 17 Für Deutschland vgl. Pütter, Büchernachdruck S. 118 ff, Jolly S. 5 ff. u. bes. Kohl er a. a. O. S. 166 ff. Man führte demgemäfs die Privilegien auf ein zu Grunde liegendes natürliches Recht zurück (so schon Carpzov, Jurispr. eccles. I I 25 def. 414; Runde § 197c bezeichnet sie als blofse Schildwachen, die zum Schutze gegen Räuber vor das Haus gestellt sind). Man erklärte den Nachdrück schon an sich für unerlaubt (Leipziger Schöffenspr. v. 1674, Entsch. der Leipz. Fak. v. 1706, der Wittenberger v. 1722 b. Kohler S. 170 u. 175). Man rechtfertigte und forderte allgemeine Nachdrucksverbote als Mafsregeln des Eigenthumsschutzes; so A. Beier 1690, B. Wernher 1722, H. Gundling 1726, J. H. Boehmer 1731, Thurneisen 1738, Pütter 1774, Ehlers 1784, Gr äff 1794, Runde 1795 („nothwendige Sicherung eines wohlerworbenen Eigenthums"). — Die Keime dieser Auffassung finden sich schon im 16. Jahrh.; vgl. oben Anm. 7.

§ 85. Das Urheberrecht überhaupt

753

sich die englische Gesetsgebung schon 1710 genähert hatte18, in der französischen Gesetzgebung der Revolutionszeit zum Durchbruch19. Sie bekundete sich darin, dafs der Urheberrechtsschutz auf die Person des Urhebers gestellt und ihm selbst während seines Lebens, seinen Erben während eines bestimmten Zeitraumes nach seinem Tode gewährleistet wurde20. In neuerer Zeit hat eine umfassende Gesetzgebung in allen Kulturländern das Urheberrecht ausgebaut21. Mehr und mehr errang dabei der Gedanke eines unmittelbar aus geistiger Schöpfung fliefsenden Rechtes den Sieg. Zugleich wurde der Schutz dieses Rechtes zeitlich und gegenständlich ausgedehnt und insbesondere das künstlerische Urheberrecht dem litterarischen ebenbürtig gestaltet. Daneben wurden 18 Uebersicht über die englische Entwicklung b. Osterrieth S. 14 ff. Der Schutz gegen Nachdruck wurde hier namentlich durch eine grofse Gilde der Verleger erzwungen. Das Ges. v. 1710 aber, das den Autoren oder ihren Rechtsnachfolgern 14 Jahre lang und für den Fall, dafs bei Ablauf dieser Frist der Autor noch lebt, noch weitere 14 Jahre das Alleinrecht des Druckes und des Verkaufes einräumt, läfst den Gedanken des Urheberrechts deutlich erkennen. Fortbildung durch Ges. v. 1784, 1766, 1776, 1777, 1814 u. s. w. 19 Ueber die ältere französ. Entwicklung, die auf Verallgemeinerung des Privilegienschutzes hinauslief, vgl. Renouard I Iff., Osterrieth S. 21 ff. 20 Das Dekret v. 24. Juli 1793 gewährt den Schriftstellern, Komponisten und Graveuren während ihres Lebens, ihren Erben 10 Jahre lang ein „droit exclusif de vendre, faire vendre, distribuer leurs ouvrages dans le territoire de la république et d'en céder la propriété en tout ou en partie". Das Reglern, v. 5. Febr. 1810 erweiterte die Garantie des „droit de propriété" für die Wittwe auf ihre Lebenszeit, fiir die Kinder auf 20 Jahre. Seitdem zahlreiche Ergänzungsgesetze. 21 Uebersicht über die ausländische Gesetzgebung b. Osterrieth S. 37 ff. — Auf gemeinsamem Boden mit dem deut. R. steht das österreichische; hier gilt noch das Patent v. 19. Okt. 1846; der Entw. eines neuen umfassenden Ges. über das Urheberrecht an Werken der Litteratur, Kunst und Photographie ist in Gestalt einer Regierungsvorlage und ihrer Umarbeitung durch eine Herrenhauskommission als Nr. 271 der Beilagen zu den stenograph. Protok. des Herrenhauses XI. Session gedruckt: im Folgenden citirt als Oesterr. Entw. I und II. In Ungarn gilt das dem deut. Ges. nachgebildete Ges. v. 26. Apr. 1884. Nahe verwandt dem deut. Ges. ist auch das Schweiz. Bundesges. v. 23. Apr. 1883 (Komm. v. O r e l l i oben Anm. 1). Hervorzuheben sind ferner: Engl. Ges. v. 1. Juli 1842 nebst Novellen (Zusammenstellung v. 1878) u. Ges. v. 10. Aug. 1882 (musikal. Urheberrecht); Dän. Ges. v. 29. Dez. 1857 (litterarisches) u. v. 31. März 1864 (künstlerisches Urheberrecht) mit Novellen; Schwed. Ges. v. 3. Mai 1867 (künstlerisches) u. v. 10. Aug. 1877 (litterar. Urheberrecht); Portugies. bürg. Gb. v. 1867 Art. 570-612; Norweg. Ges. v. 8. Juni 1876 (litterar.) u. v. 12. Mai 1877 (künstler. Urheberrecht); Span. Ges. v. 10. Jan. 1879; Niederländ. v. 28. Juni 1881; Ital. v. 18. März 1882; Russ. Bestimm, v. 1886; Ges. der Vereinigten Staaten v. 8. Juli 1870, 18. Juni 1874 u. 3. März 1891. — Sammlung: Gesetze über das Urheberrecht im In- und Auslande Leipzig 1890 (G. Hedeler).

B i n d i n g , Handbuch.

I I . 3. I : G i e r k e , Deutsches Privatrecht.

I.

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Viertes Kapitel.

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Persönlichkeitsrechte.

eigenartige Urheberrechte mehr gewerblicher Art ausgebildet, die als Abzweigungen vom Hauptstamme ihr Sonderleben führen und zum Theil eine stark abweichende gesetzliche Ordnung gefunden haben22. In Deutschland23 ergiengen auf Grund einer in Art. 18 der Bundesakte gegebenen Zusage mehrere Bundesbeschlüsse, die einen gegenseitigen Urheberrechtsschutz in den Staaten des Bundesgebietes erwirkten und gemeinsame Grundzüge des Urheberrechtes feststellten 24. Nähere Bestimmungen wurden durch zahlreiche Landesgesetze getroffen 2 5 . Im Deutschen Reiche wurde das ältere Recht durch Reichsrecht ersetzt. Das Urheberrecht an Schriftwerken, Abbildungen, musikalischen Kompositionen und dramatischen Werken ist durch das Reichsgesetz vom 11. Juni 1870, das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste durch das Reichsgesetz vom 9. Januar 1876 eingehend geregelt26. Ueber die gewerblichen Urheberrechte sind die drei besonderen Reichsgesetze vom 10. u. 11. Januar 1876 und vom 1. Juni 1891 ergangen27. Erweitert wurde der Urheberrechtsschutz durch internationale Verträge, die eine gegenseitige Anerkennung der fremden Urheberrechte verbürgten28. Solche Verträge wurden früher von den deut22

Ueber ihre Geschichte vgl. unten § 91 I, 92 I u. 93 I. Geschichte der deut. Gesetzg. seit 1815 b. Wächter, Autorr. S. 25 ff., Urheberr. S. 4 ff, Osterrieth S. 28 ff. 24 B.B. v. 6. Sept. 1832, 9. Nov. 1837, 22. Apr. 1841, 19. Juni 1845, 6. Nov. 1856, 12. März 1857. 25 Uebersichten b. Wächter, Verlagsr. S. 39 ff, Klostermann, Geist. Eigth. S. 86 ff, Osterrieth S. 29 Anm. 122. Dazu Eisenlohr, Sammlung der Ges. u. internationalen Verträge zum Schutz des litterarisch artistischen Eigenthums in Deut., Frankr. u. Engl., Heidelb. 1857. Grundlegend wurde das Preufs. Ges. v. 11. Juni 1837. Aufser ihm ist bes. das Bayr. Ges. v. 28. Juni 1865 (an Stelle des Älteren v. 15. Apr. 1840) hervorzuheben. 28 Im Folgenden als R.Ges. I u. R.G. I I citirt. — Das Ges. v. 11. Juni 1870, als Gesetz des Norddeutschen Bundes ergangen, wurde in Baden, Württ. u. Hessen mit der Reichsverfassung, in Bayern durch R.Ges. v. 22. Apr. 1871 § 11, in ElsafsLothringen durch R.Ges. v. 27. Jan. 1873 eingeführt. 27 Vgl. unten § 91, 92 u. 93. 28 W ä c h t e r , Verlagsr. I I 742 ff.; Klostermann, Geist. Eigth. S. 73 ff; Endemann, Komm. S. 106 ff; Heydemann, Der internationale Schutz des Autorrechts, in den Festgaben für A. W. Heffter, Berl. 1873, S. 173 ff.; Dambach in Holtzendorffs Handb. des Völkerr. I I I 585 ff.; v. Orel I i , Der internationale Schutz des Urheberrechts, Hamb. 1887; Daude S. 129—185; M e i l i , Die internationalen Unionen, Leipz. 1889; v. Bar, Internat. Privatr. I I 233 ff; Schuster, Urheberr. der Tonkunst S. 320 ff. — Ohne Weiteres sind nur in Frankreich seit Ges. v. 28. März 1852 u. in Belgien seit Ges. v. 1886 Art. 38 fremde Urheberrechte wie einheimische geschützt. 28

§ 85. Das Urheberrecht überhaupt.

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sehen Einzelstaaten mit Staaten des Auslandes geschlossen29 und sind auch vom Deutschen Reiche vielfach eingegangen80. Eine umfassende Vereinbarung zwischen einer Mehrzahl von Staaten, zu denen das Deutsche Reich gehört, ist als Berner Konvention am 9. September 1886 zu Stande gekommen81 und wird durch einen internationalen Verband behütet82. Die Urheberrechtsgesetzgebung der einzelnen Länder weicht vielfach von einander ab, stimmt aber in der Grundrichtung überein. Sie geht einerseits davon aus, dafs durch die Schöpfung eines Geisteswerkes in der Person seines Schöpfers ein gutes Recht entsteht, über das Ob und Wie der Veröffentlichung des Werkes allein zu verfügen und die hierdurch bedingten ideellen und materiellen Vortheile zu geniefsen. Sie hält aber andrerseits daran fest, dafs dieses Recht durch das Recht des Gemeingebrauches an dem einmal veröffentlichten Werke beschränkt wird und schliefslich durch Zeitablauf zu Gunsten der menschlichen Gemeinschaft erlischt. Zwei entgegengesetzte Strömungen, die immer wieder hervorzubrechen drohen, sind damit zurückgedämmt. Einmal die dem Urheberrechte grundsätzlich feindliche Strömung, die sich ihm seit seinen ersten Anfängen entgegengestemmt und ihm in jedem Stadium seines Wachsthums Hindernisse bereitet hat 88 . In 29

Praktische Bedeutung haben noch die Verträge zwischen Preufsen u. England v. 13. Mai 1846 u. 14. Juni 1855, zwischen Hannover u. England v. 4. Aug. 1847 u. zwischen Hamburg u. England v. 16. Aug. 1853; vgl. Daude S. 174ff. — Verträge von Preufsen mit Frankreich v. 2. Aug. 1862, mit Belgien v. 28. März 1863 u. s. w. 80 Mit der Schweiz v. 18. Mai 1869 u. 23. Mai 1881; m't Frankreich v. 19. Apr. 1883; mit Belgien v. 12. Dez. 1883; mit Italien v. 20. Juni 1884 (vorher 12. Mai 1864); mit England v. 2. Juni 1886; mit den Vereinigten Staaten v. Amerika v. 15. Januar 1892. Nach dem letztgedachten Vertrage haben indefs, während in Deutschland amerikanische Urheberrechte wie deutsche geschützt werden, deutsche Werke in Amerika immer erst einen unvollkommenen Schutz (nach Mafsgabe des amerikan. Ges. v. 3. März 1891) erlangt; bis zum Jahre 1891 verweigerten die Vereinigten Staaten ausländischen Urhebern jeglichen Schutz! 81 R.G.Bl. v. 1887 S. 493 ff. Aufser Deutschland haben Frankreich, Belgien Spanien, England, Hayti, Italien, Liberia, die Schweiz u» Tunis den Vertrag unterzeichnet. Beigetreten sind Luxemburg (R.G.B1. v. 1888 S. 227) u. Montenegro (R.G.B1. v. 1893 S. 136). 82 Organ des Verbandes ist das zu Bern errichtete „Bureau des internationalen Verbandes zum Schutze von Werken der Litteratur u. Kunst". Vgl. dazu R.Ges. v. 4. Apr. 1888 u. Kaiserl. Ver. ν. 11. Juli 1888 (R.G.Bl. S. 139 u. 225). Dieses Bureau giebt eine Monatsschrift heraus: „Le droit d'auteur". 88 Vgl. über den Widerstand von Juristen und Nationalökonomen in England Osterrieth S. 20; über die franzosische Opposition ib. S. 38; über die noch im 48*

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Viertes Kapitel.

Persönlichkeitsrechte.

ihrfliefsen alle theoretischen und praktischen, juristischen und nationalökonomischen Anschauungen und Strebungen zusammen, denen der Güter höchstes die wirthschaftliche Freiheit ist, das Urheberrecht aber als künstliche Verkehrsfessel, als Monopol, als singuläres Privileg gilt· Es giebt eine Jurisprudenz, die in einem Reehte, das sich nicht romanistisch konstruiren läfst, kein gutes Recht zu sehen vermag. Und es giebt eine Nationalökonomie, die das Eigenthum so heilig hält, dafs ihr ein Recht, das kein Eigenthum ist, auch nicht heilig däuclit. Die Gesetzgebung erwehrt sich aber auch der zur Uebertreibung des Urheberrechtes drängenden Strömung, die in das Verlangen nach voller Ausschliefslichkeit und ewiger Dauer des geistigen Eigenthums ausmündet84. In dieser Strömung verbinden sich mit einseitigen praktischen Interessen theoretische Anschauungen, die in der Gleichstellung des Rechtes an einem Geisteswerke mit dem Eigenthum an einer körperlichen Sache einem materialistischen Zuge folgen und in der Verkennung des Rechtes* der Gemeinschaft einem kulturfeindlichen Individualismus huldigen. III. Wesen. Das Urheberrecht ist ein Persönlichkeitsrecht, dessen Gegenstand ein Geisteswerk als Bestandtheil der eignen Persönlichkeitssphäre bildet. Da es aber einerseits erst in langem geschichtlichem Ringen sich voll entfaltet hat, andrerseits durch die Beschaffenheit seines Gegenstandes ein eigenartiges Gepräge empfängt, sind über sein Wesen mancherlei abweichende Ansichten laut geworden. Auch unter denen, die das Dasein von Persönlichkeitsrechten anerkennen, legen Viele dem Urheberrechte ganz oder zum Theil einen anderen Rechtscharakter bei. 1. Noch ist nicht ganz die aus der Zeit der älteren Nachdrucksgesetzgebung stammende Meinung verstummt, dafs das Urheberrecht überhaupt kein Recht, sondern nur der Widerschein von Verbotsgesetzen sei85. Doch hat selbst der Einflufs Gerbers dieser von ihm erneuten Lehre nur spärlichen Anhang gewonnen. In Wahrheit Jahre 1870 in Deutschland erhobenen Einwände die Verhandl. des norddeut. Reichstages (Protok. der 7. Sitzung S. 8 ff. u. der 28. Sitzung S. 502 ff.). 84 Ueber diese Bestrebungen vgl. Anders S. 263 ff. u. Osterrieth S. 19 ff., 24 ff. u. 95 ff., der selbst auf das Lebhafteste für die zeitliche Unbeschränktheit des Urheberrechts eintritt. 85 So in schroffer Form Maurenbrecher § 507. Im Wesentlichen aber auch Phillips, D.P.R. I § 84, Walter § 324—326 u. 385 u. Jolly S. 87 ff. Dann besonders Gerber, Jahrb. f. D. I I I 372 ff. u. D.P.R. § 219, dessen Ausfuhrungen von Laband, Z. f. H.R. X X I I I 621 ff., 624 ff. u. Staatsr. I I 222, u. 0. Mayer, Z. f. H.R. XXVI 364 u. 422 ff., gebilligt werden. Folgerichtig verweist man die ganze Materie in die Lehre von „Forderungen aus unerlaubten Handlungen"·

§ 85. Das Urheberrecht überhaupt.

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ist eine derartige Konstruktion überhaupt keine Konstruktion, sondern eine Insolvenzerklärung der Privatrechtsjurisprudenz Angesichts der vom geltenden Rechte erhobenen Forderungen. Denn wenn irgend ein bestehendes Privatrecht seinen Geburtsschein aufweisen kann, so ist es das Urheberrecht 86. 2. Verbreiteter ist noch heute die verwandte Ansicht, dafs das Urheberrecht ein Monopolrecht sei 37 . Meist verbindet sich damit die Vorstellung eines aus Zweckmäfsigkeitsgründen vom Gesetzgeber geschaffenen singulären Rechtes, das als verallgemeinertes Privileg die ehemaligen besonderen Privilegien ersetzt habe. Das Privilegienwesen war aber nur die Hülse, in deren Schutz das neue Recht keimte und wuchs, bis es sie zu sprengen vermochte. Heute trägt es genau so reguläre Züge, wie das Sacheigenthum. Manche geben dies mehr oder minder unumwunden zu, halten aber gleichwohl für die juristische Konstruktion an dem Gesichtspunkte des Monopolrechtes fest. In der That hat ja das Urheberrecht mit den gewerblichen Monopolrechten nicht nur die allgemeinen Merkmale der Persönlichkeitsrechte, sondern insoweit, als es dem Urheber und seinem Rechtsnachfolger einen bestimmten Bereich wirtschaftlicher Thätigkeit vorbehält, auch einen besonderen Inhalt gemein. Allein einmal erschöpft es sich nicht in seinem gewerblichen Bestandtheile. Und sodann unterscheidet es sich von jedem ausschliefslichen Gewerberechte dadurch, dafs es nicht 36

Widerlegungen der Theorie Gerbers b. Ortloff a. a. O. S. 227 ff., Harum, Oest. Vierteljahrsschr. X I 270 ff, Stobbe I I I 7 ff, K a r g e r a. a. 0. S. 7 ff, Kohler, Autorr. S. 5 ff, Schuster, Wesen des Urheberr. S. 23 ff. 87 Diese Ansicht herrschte zur Zeit des Privilegienwesens bei Allen, die den Nachdruck nicht privilegirter Werke für erlaubt hielten; vgl. die Citate b. Pütter a. a. 0. S. 118. Sie starb aber nach der Verallgemeinerung des Urheberrechtsschutzes keineswegs aus; vgl. Ko h 1er, Autorr. S. 63 ff. Schroff wurde sie z. B. von Macaulay (1841) u. Carey (Briefe über schriftstellerisches Eigenthum, übersetzt v. Dühring, Berl. 1866) verfochten. Unter den französ. Schriftstellern huldigen ihr die meisten Gegner der Theorie des geistigen Eigenthums; so Renouard a. a. Ο. I 461 ff, Lebret, La propriété littéraire et artistique, Paris 1868, M o r i l l o t (vgl. Köhler, Krit. VJ.Schr. X X I 514) u. A. Lebhaft vertheidigt sie Roguin, La règle de droit S. 308 ff. Von deutschen Schriftstellern spricht Sc hm id, Arch. f. c. Pr. XLIV 197 ff, von einem „ausschliefslichen dinglichen Gewerberechte". Auch Zorn, Staatsr. I I 120 ff., u. Ran da, Das Eigenthumsrecht I (2. Aufl., Leipz. 1893) S. 55 Anm. 43, verweisen das Urheberrecht unter die „Monopolrechte". Ebenso laufen die Ausführungen von Schaff le, Die nationalökonomische Theorie der ausechlieisenden Absatzverhältnisse, Tüb. 1867, auf die Monopolrechtstheorie hinaus. Ein „Monopol", jedoch ohne den Charakter des subjektiven Rechts, nehmen auch W a l t e r , Gerber und Laband a. a. 0. (oben Anm. 35) an.

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gleich diesem erst durch Einschränkung der wirtschaftlichen Freiheit einen individuellen Thätigkeitsbereich schafft, sondern einen durch individuelle Schöpfungsthat hergestellten Thätigkeitsbereich gegen Anmafsung unter dem Deckmantel der wirthschaftlichen Freiheit schützt. Denn das oft behauptete „natürliche" Recht des Nachdrucks hat einem gesunden Rechtsbewufstsein niemals eingeleuchtet88. 3. In mancherlei Gestalt begegnen Auffassungen, die sich aus dem Begriffe des Verlagsrechtes entwickelt haben. Die einstmals herrschende und in der älteren Gesetzgebung mehr oder minder deutlich ausgeprägte Vorstellung, dais ein gegen Dritte wirksames Recht erst beim Verleger oder durch den Verleger entstehe, kann freilich dem geltenden Rechte gegenüber nicht festgehalten werden89. Allein man erblickt den Kern des dem Urheber selbst zustehenden Rechtes in den Befugnissen, die er behufs Verwerthung seines Geisteswerkes einem Verleger einzuräumen pflegt, und konstruirt daher das Urheberrecht im Sinne eines originären Verlagsrechtes40. Diesem Standpunkte nähern sich alle Theorien, die das Urheberrecht in eine besondere Kategorie der absoluten Vermögensrechte ohne sachliche Unterlage verweisen41. Bei einer derartigen Auffassung wird der wesentliche Inhalt des Urheberrechtes in die Befugnifs verlegt, Anderen die Vornahme bestimmter zur Nutzbarmachung des Geisteswerkes dienlicher Handlungen zu verbieten. Indem man aber so da& 88 Als Ausflufs der natürlichen Freiheit vertheidigten noch Griesinger a. a. O. S. 16 ff. und Andere (vgl. Κ oh 1er, Arch. f. c. Pr. L X X X I I 189 ff.) den Nachdruck; vgl. auch W a l t e r § 123 u. 324. — Gegen die Monopolrechtstheorie kräftig schon Runde § 197 c; neuerdings bes. Kohler, Autorr. 8. 63 ff. u. 82 ff. 89 Doch wird von buchhändlerischer Seite mehrfach verlangt, dafs wenigstens theilweise eine Rückbildung vollzogen und ein vom Persönlichkeitsrechte des Verfassers unabhängiges Recht des Verlegers anerkannt werde; so namentlich Schürmann und Voigtländer a. a. 0. (oben Anm. 1 u. 5). — Auf einem anderen Boden steht die Forderung von Osterrieth, Arch. f. öff. R. V I I I 291 ff., dafs neben dem unversehrten „geistigen Eigenthum" des Urhebers in gewissen Fällen ein besonderes „Verlagseigenthum" (ζ. B. an einem eigenartigen Geschäftsplane) anerkannt werde. 40 So namentlich 0. W ä c h t e r , Verlagsr. § 9ff., Autorr. § 1 u. Urhebern § 4, sowie Klostermann, Geist. Eigth. S. 113 ff., Urheberr. S. 6 ff. u. b. Endemann I I 243 ff. u. I I I 728. Aehnlich Kramer a. a. 0. S. 20 ff., F r i e d l ä n d e r , Eichhorn § 386, M i t t e r m a i e r I I § 296a, Förster § 184. Folgerichtig wird das Urheberrecht in der Lehre vom Verlagsvertrage abgehandelt. 41 So ζ. B. Mandry, Urheberr. S. 98 ff, Civilrechtl. Inh. Β. I I Α. IV (oben § 81 Anm. 1). Reuling a. a. 0. S. 70 ff. Dernburg a. a. 0. („private Gewerbeberechtigung" und „Vermögensrecht"). Gengier § 182. Daude S. 11. Auch Kärger, Zwangsrechte S. 75 ff. u. 94 ff. (eine Gattung der „Zwangsrechte" und zwar der „Gewerberechte").

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eigentliche Objekt des Urheberrechts in bloise fremde Unterlassungen verflüchtigt oder doch den positiven Inhalt des Rechts hinter dessen negative Wirkungen zurücktreten läfst, beraubt man dieses Recht der besonderen gegenständlichen Beziehung, durch die es sich von anderen absoluten Rechten unterscheidet42. Und indem man einseitig von der nutzbaren Seite des Geisteswerkes ausgeht, verkümmert man das Urheberrecht zu einem blofsen Vermögensrechte43. Das Urheberrecht ist jedoch kein blol'ses Vermögensrecht44. Wenn auch unzweifelhaft sein Schutz nicht nur geschichtlich vom Schutze des Verlagsrechtes ausgegangen ist, sondern auch heute vor Allem die wirthschaftliche Ausbeutung fremder Geisteswerke hindern will, so umspannt er doch nach geltendem Rechte in gleicher Weise die idealen und die materiellen Interessen, die sich für den Urheber an seine Schöpfung knüpfen. Die dem Schöpfer eines Geistes Werkes vorbehaltene Herrschaft soll ihm einen möglichen Gewinn, sie soll ihm aber auch die Durchführung seiner wissenschaftlichen und künstlerischen Absichten und seine Errungenschaften an Ruhm und Ehre sichern. Nun wird zwar in neuerer Zeit auch von Anhängern der vermögensrechtlichen Auffassung dem Urheberrechte die Kraft eines mittelbaren Schutzes solcher Persönlichkeitsgüter zugestanden45. Auch wird darauf hingewiesen, dafs 42 Hierdurch berühren sich die Verlagsrechtstheorien mit den Monopolrechtstheorien, wie denn auch Klostermann das Urheberrecht als „ausschliefsliche Gewerbeberechtigung" bezeichnet und Dernburg und Kärger es zu den „Gewerberechten" zählen. Oft freilich wird einerseits irgendwie das Geisteswerk als Objekt (z. B. als „Gegenstand ausschliefslicher Nutzung") eingeschoben, andrerseits die Befugnifs zur eignen Vornahme der den Anderen verbotenen Handlungen in den Rechtsinhalt aufgenommen. Der erste dieser Wege führt zu einer Annäherung an die sachenrechtlichen Theorien, wie denn z. B. Homeyer a. a. 0. von einem „dinglichen Untersagungsrechte" spricht und Klostermann, Geist. Eigth. S. 114, das Urheberrecht zu den „dinglichen Rechten" zählt (umgedeutet b. Endemann I I 243). Auf dem zweiten Wege erfolgt eine Annäherung an die Theorie des Persönlichkeitsrechtes, wie denn Wächter meint, dafs das Urheberrecht an sich eigentlich ein Personenrecht sei und erst durch Beilegung der Ausschliefelichkeit zum Vermögensrechte werde (vgl. bes. Urheberr. S. 30). — Gegen die Konstruktion des Urheberrechts als eines blos negativen Rechts vgl. Schuster, Wesen S. 20ff. 48 Hiermit stimmen auch viele Anhänger der zu 1 u. 2 besprochenen Theorien (z. B. Jolly S. 40 ff, Schmid S. 193 ff.) und Alle, die mit Kohler das Persönlichkeitsrecht vom Urheberrecht abtrennen (unten zu 6), überein. 44 Vgl. bes. Harum, Prefsgesetzg. S. 53 ff., Lange S. 45 ff, Beseler § 210, Dambach, Komm. S. 12 ff, Spöndlin S. 28ff, Stobbe I I I 12, Anders S. 98ff., Gierke a. a. O. S. 267ff., Schuster, Wesen S. 37.ff. Uebereinstimmend die neuere Praxis; vgl. bes. R.O.H.G. X V I 228, O.L.G. Stuttg. b. Seuff. X X X V I I Nr. 61, R.Ger. X I I Nr. 12, X V I I I Nr. 4, Str. S. I I Nr. 102. 45 So von Mandry, Urheberr. S. 36 ff, Gerber, Abh. I I 271, W ä c h t e r , Autorr. S. 5 Anm. 8, Urheberr. S. 32, Reuling S. 71, Daude S. 11.

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ja ebenso das Sacheigenthum und manches andere Vermögensrecht zugleich in den Dienst idealer Interessen treten könne48. Allein das Urheberrecht hat seine Wurzeln nicht in der äufseren Güterwelt, sondern in der geistigen Welt und wächst aus dieser in jene, nicht aus jener in diese hinein. Es ist in seinem Kerne kein Vermögensrecht. 4. Dem geistigen Wesen unseres Rechtes sucht die Theorie des geistigen Eigenthuras gerecht zu werden. Sie trat seit dem achtzehnten Jahrhundert den das Urheberrecht verkümmernden Theorien siegreich gegenüber, blieb aber vielfach unklar und schillernd47. Zum Theil verstand sie unter Eigenthum nur die irgend einem Rechte entsprechende volle Herrschaftsmacht, womit sie zwar einer deutschrechtlichen Anschauung Ausdruck gab, jedoch vom Urheberrechte nichts weiter aussagte, als dafs es eben ein gutes und volles Recht sei 48 . Zum Theil knüpfte sie an das Eigenthum an der Handschrift oder dem künstlerischen Urbilde an und leitete aus ihm ein Eigenthum auch an dem geistigen Inhalte her 49 , während doch das Sacheigenthum an der körperlichen Unterlage und das Urheberrecht oft (z. B. bei Briefen oder Kunstwerken) von Hause aus sich zweien und Urheberrechte auch ohne körperliche Unterlage entstehen (z. B. bei Vorträgen) oder nach deren Zerstörung fortbestehen. In ihrer vollen Entfaltung stellt die Theorie das geistige Eigenthum auf gleiche Stufe mit dem körperlichen Eigenthum, betrachtet aber als seinen Gegenstand lediglich das verselbständigte Geisteserzeugnifs60. Allein das 46 So von Kärger, Theorien S. 42 ff., Dernhurg a. a. 0., Köhler in Busch Arch. X L V I I 176 ff., 184, Arch. f. c. Pr. LXXXII 227 ff., Franken S. 407. 47 Ueber ihre Geschichte in Deutschland vgl. Κ ο hl er, Arch. f. c. Pr. L X X X I I 173 ff. 48 Hierauf reduzirt sich bei näherer Betrachtung meist die Annahme eines Eigenthums der Schriftsteller und Verleger an den Büchern in der älteren deut. Jurisprudenz; so b. Α. Β ei er 1690 u. einer Entsch. der Leipz. Fak. v. 1706 (b. Pütter, BüchernachdruckS. 127 ff.), W ernher, Obs. for. Χ ο. 448 (1722), J. Η. Böhmer 1731 u. Thurneisen 1738 (b. Köhler a. a. O. S. 178 ff.), Pütter a. a. O. S. 25 ff., Rund e § 197 c (Eigenthum am Verlagsrecht). Ebenso nehmen Schmid a. a. 0. S. 192 u. Homeyer a. a. 0. S. 221 ff. ein Eigenthum am Vervielfältigungsrechte an. 49 Diese namentlich in der älteren französ. Jurisprudenz herrschende Auffassung hat im Bad. L.R. Art. 577 db Ausdruck gefunden. 50 Angedeutet ist diese Auffassung in Deutschland schon 1726 von Gundling (vgl. Köhler a. a. 0. S. 177) u. später von Ehlers (1784), Becker (1789), Gräff (1794) u. A. (Kohler a. a. 0. S. 180 ff.); voller entwickelt von Fichte in der Berliner Monatsschrift v. 1793 (Sämmtliche Werke V I I I 123 ff.), Hegel (Rechtsphilos. § 69) u. Schopenhauer (Handschriftl. Nachlafs, herausg. v. Frauenstädt, Leipz. 1864, S. 380: „immaterielles Eigenthum"). Spätere Ver-

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Geisteserzeugnifs ist, insoweit es Gegenstand eines ausschliefslichen Rechtes ist, von der Person des Urhebers nicht völlig gelöst, insoweit es dagegen von ihr völlig gelöst ist, nicht Gegenstand eines ausschliefslichen Rechtes. Stünde es wirklich zu seinem Erzeuger in dem gleichen Verhältnifs, wie ein von ihm verfertigtes Geräth, so müfste freilich an ihm auch ein gleichartiges Eigenthum hervorspringen. Dann aber wäre auch die Forderung nicht abzuweisen, dafs diesem Eigenthum die volle Ausschliefslichkeit und der immerwährende Bestand des Sacheigenthums gewährt werde51. Mit unserem geltenden Rechte ist die Annahme eines dem Sacheigenthum gleichartigen geistigen Eigenthums nicht zu vereinigen52. 5. Von der Theorie des geistigen Eigenthums haben sich andere Theorien abgezweigt, die an Stelle des Eigenthums das Recht an einer unkörperlichen Sache oder, wie nach Kohlers Vorgang oft gesagt wird, das Immaterialgüterrecht setzen53. In der theidiger dieser Lehre in Deutschland sind Eisenlohr a. a. O. S. 42 ff., Korb ä. a. 0. (Eigenthum „an dem von der Person getrennten geistigen Produkt"), sowie jetzt Osterrieth S. 78 ff. (vgl. aber unten Anm. 57) und v. Freydorf S. 117 ff. In Frankreich herrscht sie; vgl. Z a c h a r i a e , Handb. (7. Aufl.) I § 193b, P o u i l l e t , Traité S. 16 ff. Ueber andere Anhänger vgl. Klostermann, Geist. Eigth. S. 116 ff., W ä c h t e r , Verlagsr. I 62 ff., Kärger, Die Theorien S. 28 ff., Osterr i e t h S. 85 Anm. 66. — In der näheren Bestimmung des Eigenthumsobjektes gehen diese Theorien vielfach auseinander; insbesondere wird bald (z. B. von Fichte) nur die Form, bald auch der Gedankeninhalt des Werkes als Gegenstand des Eigenthums vorgestellt. 51 Zu dieser Forderung werden in der That die folgerichtigen Vorkämpfer der Lehre vom geistigen Eigenthum immer wieder gedrängt; vgl. Osterrieth S. 95ff. 62 Die deutsche Gesetzessprache hat die Bezeichnung des Urheberrechtes als „Eigenthum", wie sie früher üblich war (Kohler a. a. 0. S. 196), seit dem Bayr. Ges. v. 1865 fallen lassen. In Oesterreich findet sie sich im Ges. v. 1846, aber nicht mehr in dem neuen Entwürfe. Dagegen hält die französ. Gesetzessprache an dem Ausdruck „propriété" fest. Vollen Ernst macht mit der Theorie des geistigen Eigenthums das spanische Recht, indem hier das Civilgesetzb. v. 1889 Art. 429 vorschreibt, dafs auf das geistige Eigenthum subsidiär alle Bestimmungen über das Eigenthum anzuwenden sind. — Unter den Widerlegungen der Eigenthumstheorie sind hervorzuheben: Jolly S. 31 ff, Harum S. 30 ff, Wächter, Verlagsr. I 99 ff, Autorr. S. 12 ff, Lange S. 7 ff, Gerber a. a. 0. S. 262 ff, M i t t e r m a i e r § 296a, Bluntschli § 46c, Beseler § 210, Ortloff S. 319 ff, Mandry, Urheberr. S. 33 ff, Klostermann, Geist Eigth. I 114 ff, Urheberr. S. 120 ff. u. b. Endemann I I 244, Stobbe I I I 9 ff, Kärger, Theorien S. 31 ff, Roguin S. 319 ff., Schuster, Wesen S. 31ff, Randa a.a.O. S. 54ff, K o h l e r , Autorr. S. 1 ff. u. Arch. f. c. Pr. XLXXXII 225 ff; weitere Gegner zählt Osterrieth S. 86 Anm. 66 auf. ßs Hierher gehören die Theorien von Spöndlin S. 23ff, Stobbe I I I 13ff, Bekker, Pand. I 62 ff. (oben § 81 Anm. 1 a. E.), Schuster, Wesen S. 11 ff. und

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That gewährt das Urheberrecht eine Herrschaft über eine unkörperliche Sache oder, was im Rechtssinne dasselbe ist, über ein „immaterielles Gut". Es steht sogar nichts im Wege, diese Herrschaft, sobald die Unvergleichlichkeit ihres unsinnlichen Gegenstandes mit einem Sachkörper fest ins Auge gefafst wird, als ein „Eigenthum" zu bezeichnen. Allein auch diese geläuterte Theorie des geistigen Eigenthums verkennt das Wesen des Urheberrechts, weil auch sie das Geisteswerk seinem Erzeuger lediglich als ein von seiner Person gelöstes Objekt gegenüberstellt. Sie vermag weder zu erklären noch zu rechtfertigen, dafs die positive Rechtsordnung die Grenzen ~ der Herrschaft an einem so verselbständigten Gute aus der Person seines Schöpfers bestimmt54. Und sie nimmt nur kraft eines wenig folgerichtigen Verfahrens in den Inhalt dieses dinglich angelegten Rechtes an einem äufseren Gute auch den Schutz der rein persönlichen Beziehungen des Urhebers zu seinem Werke auf 66. 6. Solchen Schwierigkeiten suchen neuere Theorien dadurch zu entgehen, dafs sie das Urheberrecht in zwei ungleichartige Rechte zerlegen, in deren eines sie dessen personenrechtlichen Gehalt verweisen, um das andere rein vermögensrechtlich konstruiren zu können. Dieser Richtung hat namentlich Kohler Bahn gebrochen, der das Urheberrecht als „Immaterialgüterrecht" im Sinne einer durchaus sachenrechtlich gearteten Herrschaft auffafst, vor und neben es aber das als „Individualrecht" bezeichnete Recht an der eignen 36ff.; (lesgleichen die von Heusler, Inst. I 350ff. u. 344 (vgl. oben § 81 Anm. 13); im Wesentlichen auch die von Anders S. 84 ff. (vgl. die Voriede S. V I I ff.) u. von Klöppel a. a. 0. (Recht auf die Ausschliefslichkeit einer bestimmten Verwendung der werthschaffenden Kraft, die sich in geistigen Gestaltungen niedergeschlagen hat, dazu Kohler, Arch. f. c. Pr. X L X X X I I 220 ff.). Eine starke Annäherung an diese Auffassungsweise findet sich auch b. Reuling a. a. 0. S. 95ff* u. bes. b. Franken S. 407. Vgl. auch oben Anm. 42. — Ueber Kohl er selbst, der die Theorie der Rechte an immateriellen Gütern schon 1878 in seinem Patentrechte S. 7 ff. entwickelt hat, vgl. unten Anm. 56. 84 Fur die beschränkte Zeitdauer des Urheberrechts werden höchstens Billigkeitsgründe geltend gemacht; vgl. z. B. Reuling a.a.O. S. 96ff., Bekker, Pand. I 82, Schuster, Wesen S. 32. 65 So namentlich Spöndlin u. Stobbe, die dem Urheberrechte einen nichtvermögensrechtlichen Inhalt zuschreiben, ohne zu erklären, wie denn ein Recht an einem unpersönlichen Gute etwas Anderes als ein Vermögensrecht sein soll. Ebenso Schuster, der das Urheberrecht rein sachenrechtlich konstruirt (S. 11 ff., 44), aber wegen der mit dem Geisteswerke als Sache verknüpften idealen Interessen (S. 87 ff.) als ein „zugleich ideales und wirtschaftliches Güterrecht" („Idealgüterrecht") charakterisirt (S. 47.) Ferner Anders, der das Urheberrecht für ein aus Personenrecht und Sachenrecht „gemischtes" Recht erklärt (S. 96 ff.). Dagegen halten Reuling u. Franken das Urheberrecht für ein Vermögensrecht, das

§ 85. Das Urheberrecht überhaupt.

Person stellt56. Andere, die in gleicher Weise unterscheiden, führen hinsichtlich des zum Vermögensrechte verengerten Urheberrechts die Theorie des geistigen Eigenthums durch57 oder erfinden dafür eine ganz neue Art von dinglichem Recht58. Auch bei Anhängern der gewerblichen Auffassung des Urheberrechtes begegnet eine derartige Ausscheidung der aus der Persönlichkeitfliefsenden Rechte, die dem Urheber in mehr oder minder vollem Mafse zugestanden, jedoch nicht als Bestandtheile des Urheberrechtes anerkannt werden69. Allein jede solche Zerreifsung des Urheberrechtes ist verwerflich 60. In der Getetzgebung hat sie keine Stütze. Sie widerspricht aber auch dem geschichtlich entwickelten Rechtsbewufstsein und den Bedürfnissen der Wissenschaft. Die Herrschaft des Urhebers über sein Geisteserzeugnils kann sich freilich zu mancherlei besonderen Befugnissen entfalten, bleibt aber in allen ihren Aeufserungen ein einheitliches Recht. Sie nimmt in dem Mafse, in dem das Geisteswerk sich von seinem Schöpfer ablöst, Züge der Sachherrschaft an, geht jedoch niemals in ein reines Sachenrecht oder irgend ein anderes reines Vermögensrecht über. Vielmehr erreicht sie genau an dem Punkte, an dem das selbständige Dasein des Geisteswerkes als eines unpersönlichen Gutes beginnt, überhaupt ihr Ende. Was aber am Geisteswerke ihr unterworfen bleibt, das ist nach wie vor Persönlichkeitsgut. Vergeblich bemüht man sich, auf rein objektiver Grundlage aus dem Gesammtinhalte des Begriffes eines Geisteswerkes einen Theilinhalt auszusondern, der an und für sich den Gegenstand des Urheberrechtes gleichwohl zugleich die persönlichen Beziehungen des Urhebers umspanne. — Gegen die Immaterialgüterrechtstheorie vgl. Gierke a. a. O. S. 272, Kärger, Theorien S. 30 ff., Roguin S. 322 ff., Osterrieth S. 83 ff. " K ö h l e r , Autorr. S. 123 ff., Busch Arch. XLVII 176 ff, 303 ff., Arch. f. c. Pr. L X X X I I 191. Zustimmend Regelsberger, Pand. § 50 VI. 67 So namentlich Osterrieth S. 78 ff, der aber dem von ihm daneben in sogar übertriebenem Mafse gewahrten „Individualschutze" (S. 66ff.) die Natur eines Privatrechtsschutzes abspricht und überall nur „Reflexwirkungen eines strafrechtlichen Schutzes" gelten läfst Aehnlich schon Korb a. a. O. S. 7 u. 25 ff. 68 So Las s on, Rechtsphilos. S. 625 ff., der das Urheberrecht als ein „dingliches Recht auf die vom Stoff trennbare und beliebig übertragbare Form" oder eigentlich „auf den Vermögenswerth der Form" konstruirt und hierbei an ein wirkliches dingliches Recht an fremden körperlichen Sachen (also an allen vorhandenen Exemplaren des Geisteswerkes) denkt. 89 So insbesondere b. Klostermann, Urheberrecht S. 23 u. in Endemanns Handb. I I 245 u. I I I 728. Desgleichen b. Kärger, Theorie S. 26. Vgl. auch schon Jolly S. 59 ff. β0 Dagegen Gierke a. a. O. S. 267, Beseler § 210 Anm. 8, Schuster, Wesen S. 40, H. Lehmann, Z. f. d. g. H.R. X L I I 354 ff.

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bildete61. Die Frage nach den Grenzen des Urheberrechtes an einem veröffentlichten Geisteswerke deckt sich eben mit der Frage, inwieweit das Werk der Persönlichkeitssphäre seines Schöpfers noch angehört oder nicht mehr angehört. Ebensowenig läfst sich nach den äufseren Merkmalen der Uebertragbarkeit und Vererblichkeit eine Scheidung zwischen Persönlichkeitsrecht und Vermögensrecht vollziehen. Denn das Ueheberrecht ist, soweit es überhaupt auf einen Anderen übergehen kann, auch in seinen nicht vermögensrechtlichen Bestandtheilen veräufserlich und vererblich 62. Und je schärfer das Vermögensrecht vom Persönlichkeitsrechte getrennt wird, desto weniger wird es jemals gelingen, für die zeitliche Begrenzung des Urheberrechtes und deren regelmäfsige Abmessung nach der Lebensdauer des Urhebers eine befriedigende Erklärung zu finden 68. 7. Das Urheberrecht ist somit in seinem ganzen Umfange als ein aus geistiger Schöpfung fliefsendes Persönlichkeitsrecht zu konstruiren. Diese Auffassung, der zuerst Kant einen freilich seltsam eingekleideten Ausdruck gab64, ist in neuerer Zeit mehrfach und namentlich von germanistischer Seite verfochten und fortgebildet worden66. Auch liegt sie ersichtlich unserer deutschen Reichsgesetzet Den bedeutendsten Versuch dieser Art hat Κ ο hl er in seinem Werke über das litterar. u. artist. Kunstwerk (ohen Anm. 1) unternommen. Allein das „imaginäre Bild", das er als Objekt herausschält, entbehrt der für ein Rechtsobjekt erforderlichen Festigkeit. 62 Hinsichtlich der Vererblichkeit anerkannt vom R.Ger. X I I Nr. 12 S. 52. Zweifellos kann aber der Urheber auch durch Verfügung unter Lebenden oder von Todeswegen die Entscheidung über das Ob und Wie der Veröffentlichung seines Werkes, die Macht über dessen inneren Bestand u. s. w. einem Anderen übertragen. 63 Dies ist auch Kohler, Autorr. S. 47 ff. u. Arch. f. c. Pr. L X X X I I 226ff., nicht gelungen, da die an sich zutreffenden Erwägungen, mit denen er die Ewigkeit des Urheberrechts bekämpft, doch keinen Rechtsgrund für die Umwandlung des Sondergutes in Gemeingut und am wenigsten ihr die Bemessung der Frist nach der Lebensdauer des Urhebers ergeben. Vielmehr läfst sich den entgegengesetzten Sehlufsfolgerungen von O s t e r r i e t h S. 96 ff. die Folgerichtigkeit nicht absprechen. 64 K a n t , Von der Unrechtmäfsigkeit des Büchernachdrucks, Berliner Monatsschrift, Mai 1785 ; Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Königsb. 1797, S. 127ff. Er konstruirt ein „persönliches bejahendes Recht", das er damit begründet, dafs das Buch eine Rede des Autors ans Publikum sei, die der Verleger als sein Bevollmächtigter halte, während der Nachdrucker als unbeauftragter Geschäftsführer wider Willen des Autors in dessen Namen spreche. Völlig an Kant schliefst sich D a η ζ I I 228 ff. an. — Anklänge an die Idee des Persönlichkeitsrechtes finden sich auch in den älteren Fassungen der Theorie des geistigen Eigenthums (ζ. B. b. Ρ utter u. Runde, oben Anm. 48), sowie später bei Vertretern einer gewerberechtlichen Auffassung (so besonders b. Kr amer S. 57ff., aber auch b. Renouard, Homeyer u. W ä c h t e r , vgl. oben Anm. 37 u. 42). 66 So von Neustetel a. a. O. S. 44 ff.; Bluntschli, Krit Uebersch. I 9,

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gebung zu Grunde66. Doch waltet unter ihren Anhängern keine volle Uebereinstimmung67 und nicht immer volle Klarheit über die besondere Natur dieses Persönlichkeitsrechtes68. Es kommt vor Allem darauf an, sein Objekt scharf zu bestimmen und seinem Subjekte gegenüber in der ihm eignenden Gegenständlichkeit zu erfassen 69. Dieses Objekt ist ein Geisteswerk, das kraft seiner Individualisirung einen gesonderten Bestand, kraft seiner äufserlichen Fixirung ein unabhängiges Dasein und kraft seiner Beschaffenheit als unleibliches Gut einen selbständigen Werth hat. Das Geisteswerk ist aber nicht in seiner Totalität, sondern nur insoweit, als es Persönlichkeitsgut seines Schöpfers ist und bleibt, Objekt des Urheberrechts. In dem Rechte an ihm wird also dem Urheber die Herrschaft über einen Bestandtheil der eignen Persönlichkeitssphäre gegen Jedermann gesichert. Mit dieser Konstruktion stehen die eigentümlichen Sätze, die D.P.R. § 46ff. ; Harum, Prefsgesetzg. S. 53 ff; Lange a. a. O. S. 40 ff; A. W. Volkmann, Zeitschr. f. Rechtspflege u. Verw., N. F. V I 262 ff; Ortloff a. a. 0. S. 325 ff; H i l l e b r a n d , D.P.R. § 135; Dambach, Komm. S. 12ff. u. in Behrends Z. f. d. deut. Gesetzg. V I 55 ff; Dahn in derselben Zeitschr. V 7 ff., Deut. Rechtsbuch S. 110 ff. u. Grundrifs S. 44 ff.; Gar eis, in Busch Arch. X X X V 197 ff. u. Encykl. § 21; Beseler § 210; Gierke a. a. O. S. 269ff; Lewis in Holtzendorffs Rechtslex. I I I 958. ββ Noch entschiedener kommt sie im Oesterr. Entw. I u. I I zum Ausdruck. 67 Neustetel geht von der actio injuriarum wegen Engriffes in die Freiheit des Urhebers, der allein über die Veröffentlichung zu bestimmen habe, aus. Ebenso knüpft Harum an die Veröffentlichungsfreiheit an. Volkmann, Ortloff und Dahn behandeln den Inbegriff der dem Urheber vorbehaltenen Handlungen als Gegenstand seines Rechts. Lange erblickt im Urheberrechtsschutze, ähnlich wie Pu cht a im Besitzschutze, einen Willensschutz. Bluntschli (wie auch Ortloff) spricht von einem höchstpersönlichen Rechte und läfst dessen Objekt im Unklaren. Bei ihm wie bei Lange tritt die vermögensrechtliche Seite des Urheberrechtes ganz zurück, während Harum und Beseler sie als besonderen Bestandtheil desselben hervorheben. Gar ei s stellt das Urheberrecht zu den „Individualrechten", die ihm zugleich sämmtlich „Rechte an immateriellen Gütern" sind. 68 Bezeichnend hierfür ist es, wenn ζ. B. V o l k m a n n u. Ortloff S. 342 ff. für das Urheberrecht trotz „höchstpersönlicher" Natur immerwährende Dauer fordern, Dahn, Krit. V.J. Sehr. XX 359 ff., aus der Theorie des Persönlichkeitsrechtes die Uebersetzungsfreiheit herleitet, B l u n t s c h l i das Urheberrecht gleichzeitig für „höchstpersönlich" und für „übertragbar" erklärt. 69 An die in diesem Punkte den personenrechtlichen Theorien vorzuwerfenden Versäumnisse halten sich ihre Gegner; so ζ. B. Wächter, Verlagsr. I 90ff, Autorr. S. 5 ff, Klostermann, Geist. Eigth. S. 125 ff. u. b. Endemann I I 244ff. u. I I I 727 ff, S p ö n d l i n a. a. 0. S. 11 ff, Stobbe I I I l l f f , Kärger, Theorien S. 20 ff., Franken S. 406, Schuster, Wesen S. 14 ff., K o h l e r , Arch. f. c. Pr. L X X X I I 190 ff.

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Persönlichkeitsrechte.

insbesondere das geltende deutsche Recht über Begründung, Inhalt, Umfang, Uebertragung und Beendigung des Urheberrechtes aufstellt, in vollem Einklänge70. a. Begründet wird das Urheberrecht durch individuelle geistige Schöpfungsthat. Auf Originalität, nicht auf Verkehrsbrauchbarkeit des Geisteserzeugnisses kommt es an. Wer ein Geisteswerk nicht schafft, sondern nur ans Licht bringt, erwirbt daran kein Urheberrecht für sich. Kein Urheberrecht für sich erwirbt aber auch, wer nicht in individueller Weise, sondern als Werkzeug geistiger Gemeinarbeit schafft. b. Den I n h a l t des Urheberrechtes bildet die ausschliefsliche Befugnifs zur Verfügung über die Veräufserlichung des Geisteswerkes. Der Urheber allein hat als Herr seines Geisteserzeugnisses darüber zu entscheiden, ob, wann und wie es von seiner Person sich lösen «oll. Ihm und nur ihm gebührt die Bestimmung über Zerstörung oder Erhaltung, über Geheimhaltung oder Veröffentlichung, über Umänderung oder Umbenennung, über Art und Mais der Vervielfältigung oder Reproduktion seines Werkes. Dieser ganze dem Urheber vorbehaltene Herrschaftsbereich ist an sich personenrechtlicher Natur. Wer unbefugt in ihn eingreift, wer ohne Bewilligung des Urhebers sein Werk veröffentlicht, verändert oder vervielfältigt, begeht eine Urheberrechtsverletzung, mag auch weder er selbst einen Vermögenszweck verfolgen noch dem Urheber ein Vermögensnachtheil erwachsen71. Auch an einem Geisteswerke, das keinen Vermögenswerth hat oder dessen Vermögenswerth niemals ausgenutzt wird, besteht ein Urheberrecht. Das Urheberrecht kann sich jedoch unbeschadet seines personenrechtlichen Kernes zugleich zum Vermögensrechte entfalten. Denn der Urheber hat als Herr seines Werkes auch darüber ausschliefslich zu verfügen, ob und wie dasselbe nutzbar gemacht werden soll. Ihm und nur ihm gebührt daher auch der etwaige Nutzungsertrag. Jedes nutzbare Recht eines Anderen an seinem Geisteswerke kann nur aus seinem Urheberrechte entspringen. c. Der Umfang des Urheberrechts erstreckt sich so weit, wie die Zugehörigkeit des Geisteswerkes zu der Persönlichkeitssphäre des Urhebers reicht. Darum wird er durch die Veröffentlichung des 70

Die Belege für das Folgende werden sich aus der Einzeldarstellung in § 86 if. ergeben. 71 So auch R.Ger. X I I Nr. 12, X V I I I Nr. 4, Str. S. I I Nr. 102, O.L.G. Stuttg. Seuff. XXXVII Nr. 61. Vgl. Schuster, Wesen S. 49 ff.

§ 8.

Das Urheberrecht überhaupt.

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Werkes uothwendig verengt72. Denn insoweit, als es der Oeffentlichkeit übergeben ist, löst sich das Werk von der Person seines Schöpfers. Der Urheber selbst hat auf die ausschliefsliche Herrschaft über seine Gedankenwelt verzichtet und sie in gewissem Umfange zum Gemeingut gemacht. Unmöglich konnte er, was er Allen mittheilen wollte, dennoch für sich behalten. An dem veröffentlichten Werke besteht daher ein Recht des Gemeingebrauches. Jedermann kann es nicht nur empfangend geniefsen, sondern auch schaffend benutzen. Ist es doch die Bestimmung geistiger Schöpfungen, neuen geistigen Schöpfungen als Mittel zu dienen. Keineswegs aber ist damit das Band zwischen dem Werke und seinem Schöpfer zerschnitten. Immer noch ist dieses Werk sein Werk, eine Offenbarung seines persönlichen Geistes, ein ihm erworbenes Persönlichkeitsgut. Die Verfügung über den inneren Bestand seines Werkes, über dessen fernere Vervielfältigung und über eine etwaige erneute Veröffentlichung hat er nicht in Jedermanns Hand gelegt. Auch die hierdurch bedingte Nutzbarmachung seines Werkes hat er folgeweise nicht freigegeben. In allen diesen Beziehungen sichert ihm daher das Urheberrecht den Fortbestand seiner ausschliefslicheii Herrschaft mit den aus ihr fliefsenden ideellen und materiellen Vortheilen. Es bedarf aber einer Abmarkung zwischen seinem Rechte und dem Rechte des Gemeingebrauches, die in angemessener Weise durch positive Grenzbestimmungen vorzuzeichnen das Gesetz berufen ist. d. Eine Uebertragung des Urheberrechtes ist, da es in Verfügungsgewalt über ein von der Person ablösbares Persönlichkeitsgut besteht, in weitem Mafse möglich. Immer aber ist das Urheberrecht nur der Ausübung nach übertragbar. Der Substanz nach haftet es untrennbar an der Person, in der es entstanden ist. Bei seinen Lebzeiten pflegt der Urheber überhaupt nur einzelne und insbesondere nutzbare Bestandtheile seines Rechtes als Verlagsrecht, Aufführungsrecht, Nachbildungsrecht, Uebersetzungsrecht u. s. w. zu übertragen. Er kann auch die volle Verfügungsgewalt über den äufseren und inneren Bestand seines Werkes einem Anderen einräumen. Selbst dann aber bleibt das von ihm erzeugte Urheberrecht, insofern es überhaupt als dasselbe fortbesteht, mit der Wurzel in seine Person gesenkt. Ja auch nach seinem Tode schöpft das Urheberrecht, obschon es in vollem Umfange auf die Erben übergeht, allein aus seiner Persönlichkeit Dasein und Lebenskraft. Noch immer ist das Geisteserzeugnifs, das er hinterlassen hat, sein Geisteswerk, und nur 72

Umsonst bemuht sich Schuster a. a. O. S. 26 ff., dies wegzustreiten.

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Viertes Kapitel.

Persönlichkeitsrechte.

als Geisteswerk des Verstorbenen wird es in der Hand der Erben geschützt. e. Beendigt wird das Urheberrecht, falls es nicht aus einem besonderen Grunde früher erlischt, durch den Ablauf einer gesetzlichen Frist, die seiner Lebensdauer gesetzt ist. Der Grund, aus dem ihm ein ewiger Bestand versagt wird, liegt nicht in der Beschaffenheit der Geisteswerke, denen Unsterblichkeit beschieden sein kann, sondern in der Vergänglichkeit der Beziehungen, die ein Geisteswerk zum Persönlichkeitsgute stempeln. Diese Beziehungen wurzeln in dem Verhältnifs zwischen dem geistigen Erzeugnifs und seinem Erzeuger und werden daher an sich durch das Leben des Urhebers zugleich erhalten und begrenzt. Darum bleibt regelmäfsig das Urheberrecht während des Lebens des Urhebers unbedingt in Kraft. Dagegen büfst es durch den Tod des Urhebers die sprudelnde Quelle seiner Lebenskraft ein. Seine Tage sind nun gezählt. Es erlischt nicht sofort und kann nicht sofort erlöschen, weil ja einerseits sonst in Folge der Zerbrechlichkeit des menschlichen Daseins sein Werth unerträglich unsicher wäre, andrerseits die Persönlichkeit des Verstorbenen im Kreise seiner Angehörigen fortdauernd mit besonderer Lebendigkeit nachwirkt und für sie in ihrem irdischen Rückstände ein geheiligtes, schutzwürdiges Persönlichkeitsgut bildet. Allein nicht länger besteht es fort, als bis die Zeit verflossen ist, nach deren Ablauf die über den Tod hinaus fortwirkende geistige Individualität in keinem Sinne mehr dem engeren Kreise seiner Erben und Rechtsnachfolger und ganz nur noch der Nation und der Menschheit zu gehören scheint. Das deutsche Recht hat diesen Zeitraum kraft einer Durchschnittsregel auf ein Menschenalter zu dreifsig Jahren bemessen. In diesen Bestimmungen über die regelmäfsige Dauer des Urheberrechts kommt dessen Wesen als Persönlichkeitsrecht zu besonders klarem Ausdruck78. Doch wird es auch dadurch nicht verdunkelt, dafs ausnahmsweise theils der Bestand eines Urheberrechtes überhaupt theils dessen Schutz in einer bestimmten Richtung durch einen unabhängig von der Lebensdauer des Urhebers abgemessenen Zeitraum begrenzt wird. IV. Arten. Unter den vom heutigen deutschen Rechte anerkannten und geschützten Urheberrechten sind zwei Gruppen zu unterscheiden. 1. Das litterarische und künstlerische Urheber73 R.Ger. X I I Nr. 12; vgl. bes. S. 54 (das Gesetz will den Autor in der nächsten Generation der Erben noch fortleben lassen).

§ 86. Begründung des litterarischen und künstlerischen Urheberrechts. 769

recht. Die Urheberrechte dieser Gruppe bringen den Typus des Urheberrechtes zu reiner und voller Erscheinung. Für sie gelten daher im Grundgedanken übereinstimmende, wennschon bei den einzelnen Arten besonders ausgestaltete Rechtssätze, die zunächst im Zusammenhange darzustellen sind (§ 86—90). 2. Die gewerblichen Urheberrechte. Dieser Gruppe gehören die Urheberrechte an photographischen Werken, an Geschmacksmustern und an Gebrauchsmustern an. Bei ihnen erfährt der Typus des Urheberrechtes Trübungen und Abschwächungen, denen der Zug zur Einführung gewerberechtlicher Gedanken gemein ist. Im Uebrigen weichen sie von einander so stark ab, dafs auch die bei ihnen geltenden Abwandlungen des Urheberrechtes durchaus ungleicher Art sind und daher gesonderter Darstellung bedürfen (§ 91—93). §86. Begründung des l i t t erarischen und künstle rischen Urheberrechts. I. Objektive Voraussetzungen. Zur Entstehung eines litterarischen oder künstlerischen Urheberrechtes ist das äufsere Dasein eines Geisteserzeugnisses erforderlich, das von der Rechtsordnung als ein litterarisches oder künstlerisches Geisteswerk anerkannt wird. 1. Schriftwerke. Geisteswerke dieser Art sind vor Allem die „Schriftwerke" 1. Sie können der Wissenschaft, der Dichtkunst oder der Technik angehören2. Schriftwerk ist ein Geisteswerk in Sprachform. Denn was in Sprachform gegossen ist, kann durch Schriftzeichen wiedergegeben werden. Das Schriftwerk ist vorhanden, sobald es dergestalt äufserlich fixirt ist, dafs die Wiedergabe durch Schriftzeichen erfolgen kann. Mithin nicht erst, wenn es gedruckt ist, sondern schon, wenn es in Handschrift vorliegt8. Desgleichen dann, wenn es in einer die Aufzeichnung durch Andere ermöglichenden Form mündlich mitgetheilt ist; 1 R.Ges. I § 1. Die älteren Gesetze sprachen von „litterarischen Erzeugnissen" oder „Werken der Litteratur"; vgl. W ä c h t e r , Autorr. S. 43 ff. u. 49 ff., Klostermann, Urheberr. S. 36 ff. u. b. Endemann I I 252 ff. 2 Zu den Schriftwerken gehören auch die „dramatischen Werke", die aber hinsichtlich des Aufführungsrechtes mit den musikalischen Werken eine gemeinsame Gruppe und innerhalb dieser Gruppe mit den dramatisch-musikalischen Werken die engere Gruppe der „Bühnenwerke" bilden; vgl. B.Ges. I § 50 ff., Oesterr. Entw. I I § 4 Z. 2. 8 R.Ges. I § 5 litt. a.

B i n d i n g , Handbuch.

Π . 3. I : G i e r k e , Deutsches Privatrecht. I .

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Viertes Kapitel.

Persönlichkeitsrechte.

auch Vorträge, Predigten, Reden, dichterische Improvisationen u. s. w. können daher als Schriftwerke erscheinen4. Um aber ein Schriftwerk zu sein, mufs das sprachliche Erzeugnifs die Merkmale eines Geistes werkes tragen, sich also als ein durch Formgebung individualisirter Gedankeninhalt darstellen. Man nennt ein solches Geisteserzeugnifs ein „litterarisches" Erzeugnifs. Dabei darf jedoch das entscheidende Gewicht nicht darauf gelegt werden, ob das Werk sich für den litterarischen Verkehr eignet, ob es „verlagsfähig" oder „vermögensrechtlich verwerthbar" ist5. Noch weniger darauf, ob es vom Verfasser für den litterarischen Verkehr bestimmt ist6. Auch nicht darauf, welcher ionere litterarische Werth ihm zugemessen werden kann7. Vielmehr allein darauf, ob es vermöge einer ihm eigenthümlichen Verbindung von Idee und Form als ein individualisirtes Ganze erscheint8. Es mufs sich als originale geistige Schöpfung offenbaren, die so nur aus der Arbeit eines bestimmten persönlichen Geistes hervorgehen konnte. 4 Das R.Ges. I § 5 litt, h schützt ausdrücklich gegen unbefugten Abdruck „Vorträge, welche zum Zwecke der Erbauung, der Belehrung oder der Unterhaltung gehalten sind", während es in § 7 litt, d den Abdruck öffentlicher Reden freigiebt (unten Anm. 19). Man mufs § 5 litt. b. als Regelanwendung, § 7 litt, d als Ausnahmebestimmung auffassen; Wächter, Autorr. § 9 (u. schon für das ältere Recht Verlagsr. § 15), Kohler 8. 196; uurichtig Klostermann, Urheberr. S. 20 u. b. Endemann I I 256 (auch fur das ältere Recht Geist. Eigth. S. 160 ff), Daude S. 25 ff, Scheele S. 31 ff. Mithin sind mündlich mitgetheilte Geisteserzeugnisse, falls sie nur nicht unter § 7 litt, d fallen, auch dann des Schutzes als Schriftwerke fähig, wenn sie nicht zu den in § 5 litt, b hervorgehobenen Vorträgen gehören. Andrerseits müseen auch Vorträge der in § 5 litt, b bezeichneten Art, um ein Urheberrecht zu begründen, Geisteswerke sein; Dambach, Komm. S. 59; unrichtig Klostermann b. Endemann I I 257. 6 Verlagsfähigkeit fordern Jolly S. 101 ff, Harum S. 70 ff, W ä c h t e r , Verlagsr. I 157 ff, Autorr. S. 45 u. 54ff, Dam bach S. 15ff, Daude S. 13 ff., Scheele S. 5 ff; vgl. dagegen Seuff. XXXVII Nr. 61 S. 96 ff, Spöndlin S. 59 ff, Stobbe § 160 Anm. 4 S. 25, Kohl er, Autorr. S. 159 ff. „Vermögensrechtliche Verwerthbarkeit" fordert Klostermann, Geist. Eigth. S. 150 ff., Urheberr. S. 40 ff, b. Endemann S. 150 ff.; vgl. gegen ihn R.O.H.G. XVI 228, Seuff. a. a. O. S. 95, Stobbe a. a. O. S. 24, Gierke a. a. O. S. 267 ff. „Gewerbliche Verwerthbarkeit" fordert F r a n k e n S. 408. 6 Wie Endemann S. 5 ff. will; hiergegen Seuff. a. a. 0. S. 97, Mandry S. 78, Dambach S. 15, Wächter, Autorr. S. 46 ff, Stobbe S. 25. 7 Vgl. Wächter a. a. 0. S. 46 Anm. 9, Daude S. 15, Scheele S. 6 ff., R.Ger. Str. S. XIX 200, Dambach, Fünfzig Gutachten S. 106. — Auch unsittlicher oder verbotener Inhalt hindert an sich nicht, wie Wächter, Verlagsr. I 180 u. Autorr. S. 91, Harum S. 71 u. Kohler S. 198 behaupten, die Entstehung eines Urheberrechts; vgl. Mandry S. 147 ff., Spöndlin S. 53, Stobbe § 160 Anm. 5, Scheele S. 13 u. bes. Schuster S. 53 ff. 8 Vgl. bes. Stobbe I I I 24 ff, Kohler, Autorr. S. 160ff. u. Kunstwerk S. 7ff.

§ 86. Begründung des litterarischen und künstlerischen Urheberrechts. 771

Keine Schriftwerke sind daher sprachliche Aeufserungen, die nur auf die Mittheilung von Thatsachen gerichtet sindt wie z. B. Zeitungsnachrichten, Telegramme, Wetterberichte, Familienanzeigen, Geschäftsanzeigen u. s. w.9 Sie werden auch dadurch keine geistigen Schöpfungen, dafs etwa die Entdeckung oder Erkundung der Thatsachen Mühen und Kosten verursacht hat. Keine Schriftwerke aber sind auch sprachliche Aeufserungen, die zwar einen eigenthümlichen Gedanken kundgeben, jedoch der individualisirenden Formgebung entbehren, wie z. B. blofse Mittheilungen wissenschaftlicher oder technischer Methoden, künstlerischer Pläne, juristischer Konstruktionen, politischer Meinungen und Vorschläge u. s. w. Mag auch in ihnen sich eine geistige Schöpfung offenbaren, so sind doch Ideen als solche keine Gegenstände des Urheberrechts 10. Schriftwerke sind dagegen nicht blos vollkommen selbständige geistige Schöpfungen, sondern auch solche Werke, die ein Gegebenes in selbständiger Weise umbilden, ergänzen oder zusammenfügen. So z. B. Bearbeitungen, Kommentare und Sammelwerke. Solche Werke treten, falls sie in ihrer Art originale Geisteserzeugnisse sind, den ihnen zu Grunde liegenden, von ihnen erläuterten oder in ihnen enthaltenen Schriftwerken als besondere Schriftwerke und daher als Gegenstände eines besonderen Urheberrechtes entgegen11. Sie erzeugen auch dann ein Urheberrecht, wenn an den von ihnen benützten Schriftwerken ein Urheberrecht niemals entstanden ist oder nicht mehr besteht12. Ja selbst dann, wenn die zusammengefügten 9 Ebensowenig an sich Waarenverzeichnisse, Preislisten, Theaterzettel, Festprogramme, Bücher- oder Gemäldekataloge u. s. w., falls nicht ihr Beiwerk sie zu Geisteswerken macht Vgl. Wächter, Autorr. S. 57 ff., K o h l er, Autorr. S. 160ff., Kunstwerk S. 17ff., R.Ger. in Blums Annalen X 119, Z. f. H.R. X L I 216, Dambach, Fünfzig Gutachten S. 70 ff., 125, 207 ff., 218. — Vgl. auch Oest. Entw. § 5 Abs. 2. 10 Wer sie wiedergiebt, handelt durchaus rechtmäfsig; wer sie als die seinigen wiedergiebt, begeht zwar ein Plagiat, aber keine Urheberrechtsverletzung. — Anders beim Erfinderrecht; vgl. unten § 94 III. 11 Ausdrücklich wird in R.Ges. I § 2 bei Werken, die aus Beiträgen Mehrerer bestehen, jedoch ein einheitliches Ganze bilden, das doppelte Urheberrecht an den Einzelbeiträgen und dem Ganzen anerkannt. Vgl. Oest. Entw. I I § 8. Dazu W ä c h t e r , Autorr. S. 65 ff., Dambach S. 17 ff., Scheele S. 15 ff. 12 So z. B. eine Bearbeitung von Volkssagen oder Volksmärchen (vgl. für die Grimmschen Haus- und Volksmärchen Erk. des O.A.G. Dresden im Börsenblatt f. d. deut. Buchhandel 1862 Nr. 116), eines Katechismus (Heydemann u. Dambach a. a. O. S. 167 ff., R.O.H.G. VHI Nr. 92), eines Klassikers. So ferner eine Einleitung oder Erläuterung, ein Kommentar oder eine Variantenangabe, überhaupt der sog. „kritische Apparat" zu der Textausgabe eines Schriftstellers, eines Gesetzbuches, einer neu aufgefundenen Handschrift u. s. w.; Wächter a. a. 0. S. 67. 49*

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Bestandtheile an sich überhaupt keine Schriftwerke sind, kann ein Sammelwerk, falls es vermöge der ihm eigenthümlichen Auswahl und Anordnung des Stoffes ein originales Ganze bildet, als Schriftwerk erscheinen. So z. B. ein Wörterbuch, eine Sammlung von Sprüchwörtern oder geflügelten Worten, eine Zahlentabelle, ein Adrefsbuchj ein Kursbuch, ein Kochbuch u. s. w. 18 Zu den Schriftwerken gehören hiernach zweifellos auch Uebersetzungen 1 4 . Briefe sind keine Schriftwerke, wenn sie lediglich der Uebermittlung von Nachrichten oder dem Austausche von Gedanken dienen15· Sie sind dagegen Schriftwerke, wenn sie einen geistigen Gehalt in eigenthümlicher Form ausprägen16. Auch Tagebücher und andere Aufzeichnungen, die der Verfasser zunächst nur für sich selbst macht, können Schriftwerke sein17. Inwieweit die in Zeitungen und Zeitschriften veröffentSo endlich eine Sammlung von Kirchenliedern, eine Gedichtsammlung, eine Anthologie, eine Chrestomathie, ein Lesebuch u. s. w., wenn auch alle einzelnen Stücke gemeinfrei Bind; Wächter a. a. O. S. 71 ff. 18 Vgl. Kohler, Autorr. S, 179ff. u. Kunstwerk S. 21 ff, Wächter, Autorr. S. 59 ff, Daude S. 16 ff, Scheele S. 7; dazu über Tabellenwerke Heydemann u. Dambach a. a. 0. S. 131, 135 ff, 218 ff., über Fibeln ib. S. 96, über Kochbücher ib. S. 74 u. 82, über Adrefsbücher ib. S. 411 ff. u. 416 ff., RGer. X I I Nr. 25, Str.S. X V I I Nr. 48, über Kursbücher Dambach, Fünfzig Gutachten S. 54 ff. Daher ist auch z. B. eine Zeitung als Ganzes geschützt, mag sie auch nur aus ungeschützten Nachrichten bestehen; Dambach, Komm. S. 89, K l ο st ermann, Urheberr. S. 16, W ä c h t e r , Autorr. S. 81. Ebenso ein Formularbuch, obschon einzelne Formulare kein Gegenstand des Urheberrechts sind; Heydemann u. Dambach S. 204ff., Wächter a. a. 0. S. 62, Daude S. 16. u R.Ges. I § 6 Abs. 6; W ä c h t e r a. a. 0. S. 51; K o h l e r , Autorr. S. 172ff. u. 208 ff, Kunstwerk S. 23ff. ; Daude S. 27. Das Urheberrecht an der Uebersetzung darf auch der Verfasser des Originals nicht verletzen; R.Ger. b. Seuff. XLV Nr. 211, Z. f. H.R. X L I 217. — Die Beschränkung des Urheberrechtes auf „rechtmäfsige" Uebersetzungen, wie sie sich im Oesterr. Pat. § 6 u. in anderen ausländ. Gesetzen (auch in Berner Uebereink. Art. 6) findet, ist dem deut. R. fremd. 16 Also z.B. Familienbriefe, gewöhnliche Geschäftsbriefe u. s.w.; vgl. D a m bach, Komm. S. 20ff, W ä c h t e r , Autorr. S. 63 ff, Daude S. 23, Scheele S. 9. Α. M. Endemann S. 22 u. zum Theil auch Klostermann, Urheberr. S. 13# — Die unbefugte Veröffentlichung eines solchen Briefes kann jedoch einen Eingriff in das allgemeine Recht der Persönlichkeit enthalten; oben § 81 Anm. 9. 16 Anerkannt vom O.L.G. Stuttg. b. Seuff. XXXVII Nr. 61. Vgl. auch Heydemann u. Dambach S. 234ff.; Goltdammer, Arch. f. Preufs. Strafr. IX 535; Wächter ib. X I 384 ff., Verlagsr. I 238 ff, Autorr. S. 63ff.; Klostermann, Geist. Eigth. S. 322 ff.; Mandry S. 153 ff.; Harum S. 94ff.; Dambach S. 19; Scheele S. 9. 17 Wächter, Autorr. S. 45.

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lichten Geisteserzeugnisse Schriftwerke sind, richtet sich an sich nach ihrer besonderen Beschaffenheit. Das Gesetz erkennt jedoch nur an novellistischen Erzeugnissen und wissenschaftlichen Ausarbeitungen auch dann, wenn sie in Zeitschriften oder anderen öffentlichen Blättern erschienen sind, unbedingt ein Urheberrecht an. Auferdeni gewährt es die Möglichkeit, an „gröfseren Mittheilungen" durch ein an ihre Spitze gesetztes Nachdrucksverbot ein Urheberrecht vorzubehalten. Im Uebrigen versagt es den in öffentlichen Blättern enthaltenen Artikeln den Urheberrechtsschutz18. Insoweit hiervon auch Artikel betroffen werden, die an sich Schriftwerke sind, liegt der Grund hierfür in der gesteigerten Oeffentlichkeit, in der und für die die Presse wirkt. Aus verwandten Gründen erkennt das deutsche Gesetz an Reden, die bei den Verhandlungen der Gerichte, der politischen, kommunalen und kirchlichen Vertretungen, sowie der politischen und ähnlichen Versammlungen gehalten werden, ein Urheberrecht nicht an 1 9 . An sich würden solche Reden nur insoweit, als sie blofse Meinungsäufserungen sind, keineswegs aber insoweit, als sie die Merkmale originaler geistiger Schöpfungen tragen, aus dem Bereiche des Urheberrechtsschutzes herausfallen. Weil aber der Redner sie in der Oeffentlichkeit und für die Oeffentlichkeit, ja zum Theil überhaupt nur als Organ eines Gemeinwesens hält, bleibt ihr individueller Gehalt stets unbeachtet. Endlich bilden, obwohl sie in der Regel an sich Schriftwerke sind, Gesetzbücher, Gesetze, amtliche Erlasse, öffentliche Aktenstücke und öffentliche Verhandlungen aller Art keinen Gegenstand des Urheberrechtes 20. Wäre an ihnen ein 18 R.Ges. I § 7 litt b. Vgl. W ä c h t e r , Verlagsr. 1155 ff., Autorr. S. 75ff.: Klostermann, Geist. Eigth. S. 155 ff., b. Endemann I I 258ff.; K o h l e r , Autorr. S. 165 ff. u. 177 g.·, Daude S. 20 ff.; Scheele S. 50 ff.; R.O.H.G. VI Nr. 35; R.Ger. in Str. S. XV Nr. 17. — Vgl. Berner Uebereink. Art. 9, Oesterr. Entw. I I § 26—27. 19 R.Ges. I § 7 litt. d. Auch eine Sammlung von Reden desselben Urhebers, an der das Bayr. Ges. v. 1865 Art. 3 ein Urheberrecht anerkannte (ebenso Ungar. Ges. § 6 Z. 6), ist ungeschützt Dagegen fallen „Vorträge", die vor einer derartigen Versammlung gehalten werden, nicht unter diese Ausnahmebestimmung. Vgl. Wächter, Autorr. S. 86 ff., Dambach, Komm. S. 97 ff., Klostermann b. Endemann I I 257, Kohl er, Autorr. S. 194 ff., Daude 26 ff. — Der Oesterr. Entw. I I § 5 Abs. 1 schliefst alle „Reden und Vorträge, welche bei Verhandlungen oder Versammlungen in öffentlichen Angelegenheiten gehalten wurden", vom Schutze des Urheberrechtes aus. 20 R.Ges. I § 7 litt c; Dambach, Komm. S. 93, Wächter, Autorr. S. 54ff., Daude S. 23 ff., Scheele S. 54 ff.; R.O.H.G.'XXV 83. Vgl. Oesterr. Entw. I I § 5 Abs. 1. Anders nach Oesterr. Pat. ν. 1846 § 18; vgl. unten Anm. 62.

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Urheberrecht anerkannt, so würde es nicht den bei ihrer Hervorbringung thätigen Einzelpersonen, sondern dem Staate oder einer anderen Verbandsperson gebühren. Ein solches Urheberrecht wird aber deshalb nicht in Anspruch genommen, weil dem Zwecke der Emanationen des öffentlichen Geistes die möglichste Erleichterung ihrer öffentlichen Verbreitung entspricht. Sind dagegen gleichartige Schriftwerke von Einzelpersonen nicht als Organen eines Gemeinwesens, sondern als Individuen geschaffen, so entsteht an ihnen ein Urheberrecht 21. 2. Wissenschaftliche und technische Abbildungen. Den Schriftwerken sind Geisteswerke in Bildform gleichgestellt, falls sie nicht dem Gebiete der Kunst, sondern den Gebieten der Wissenschaft oder der Technik angehören22. Das Gesetz rechnet dazu „geographische, topographische, naturwissenschaftliche, architektonische, technische und ähnliche Zeichnungen und Abbildungen, welche nach ihrem Hauptzwecke nicht als Kunstwerke zu betrachten sind". Auch plastische Abbildungen, wie z. B. Reliefkarten, können darunter fallen 23. Geisteswerke dieser Art sind erst vorhanden, wenn sie im Bilde fixirt sind. Erforderlich ist auch hier eine originale geistige Schöpfung. 3. Tonkunstwerke. Ausschliefslich dem Gebiete der Kunst gehört das durch „musikalische Kompositionen" begründete musikalische Urheberrecht an 24 . Eine musikalische Komposition ist ein durch Formgebung in Tönen individualisirter künstlerischer Gedankeninhalt. Das Tonkunstwerk ist vorhanden, sobald es äufserlich dergestalt fixirt 81

Dafs Jemand in „amtlicher Eigenschaft" oder „in amtlichem Auftrage" ein Schriftwerk (z. B. einen Gesetzentwurf, ein Gutachten u. s. w.) verfafst hat, ist noch nicht hinreichend, um sein Urheberrecht auszuschliefsen; vgl. Wächter a. a. O. S. 54 Anm. 5, Daude S. 25. 22 R.Ges. I § 43; Dambach S. 213 ff., Wächter a. a. 0. S. 289 ff., Klostermann b. Endemann I I 258, Daude S. 78 ff, Scheele S. 112 ff; vgl. Oesterr. Entw. I I § 4 Z. 3. — Auch kunstgewerbliche Erzeugnisse gehören nicht hierher; W ä c h t e r S . 290; a. M. Klostermann a. a. 0. — Werke in Bilderschrift (z. B. Rebusse) sind Schriftwerke, nicht Abbildungen; W ä c h t e r S. 50. — Abbildungen können natürlich nicht nur für sich, sondern auch in Verbindung mit Schriftwerken Gegenstände eines Urheberrechts sein; Wächter S. 291ff., Klostermann a. a. 0. 28 Klostermann, Urheberr. S. 65, Mandry S. 268, Kohler, Autorr. S. 186, Scheele S. 114 ff; Oesterr. Entw. I I § 4 Z. 3. A.M. Dambach S. 216, Endemann S. 71, Wächter S. 290, Daude S. 79. 24 R.Ges. I § 45. Vgl. Klostermann, Geist. Eigth. I 173 ff. u. b. Endemann I I 259; Wächter, Autorr. S. 294 ff; Köhler, Autorrecht S. 221 ff. Kunstw. S. 188 ff; Daude S. 81 ff; Schuster S. 51 ff; Scheele S. 118 ff.

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ist, dais seine Wiedergabe in Tönen erfolgen kann. Hierzu genügt seine Niederschrift oder anderweite Aufzeichnung in Tonzeichen, unter Umständen aber auch der blofse Vortrag 26. Seiner inneren Beschaffenheit nach mufs sich das Werk als eine originale geistige Schöpfung darstellen26. Auch hier aber kann sich die geistige Schöpfung an Gegebenes anlehnen. Insbesondere kann durch die Bearbeitung oder Sammlung von Tonwerken, an denen kein oder fremdes Urheberrecht besteht, ein selbständiges Urheberrecht begründet werden27. Im Bereiche des Gesanges treten die Werke der Tonkunst mit Werken der Dichtkunst in Verbindung28. Diese Verbindung ist am innigsten bei den musikalisch - dramatischen Werken, bei denen Dichtung und Komposition ein untrennbares Ganze bilden29. 4. Pantomimen und Ballets. Bestritten ist, ob es ein Urheberrecht an Werken der mimischen Kunst mit Einschlufs der Tanzkunst giebt80. Die Frage ist nach deutschem Rechte insoweit zu bejahen, als ein solches Werk unter den Begriff eines „dramatischen" Werkes fällt. Dies ist anzunehmen, wenn in ihm ein dramatischer Gedankeninhalt zu eigenthümlichem Ausdrucke gelangt. Denn ein solcher Gedankeninhalt kann so gut in der Form der Geberdensprache, wie in der Form der Lautsprache individualisirt werden. 5. Werke der bildenden Künste. Das künstlerische Urheberrecht im engeren Sinne des Wortes besteht an den Werken der bildenden Künste81. Dies sind die Werke der zeichnenden Kunst, 25 Sei es aus dem Gedächtnifs oder kraft Improvisation; Endemann S. 72, Wächter S. 295, Stobbe I I I 30, Daude S..82, Schuster S. 63ff. u. 84ff. 26 Auf Yerlagfähigskeit kommt es auch hier nicht an; a. M. Dam bach S. 220, Wächter S. 295, Daude S. 81. Ebensowenig auf den künstlerischen Werth; auch an Tanzstücken, Uebungsstücken, Signaltonsätzen giebt es ein Urheberrecht; Schuster S. 59 ff., Scheele S. 119. 27 Vgl. bes. Schuster S. 69 ff.; auch Scheele S. 119. 28 Das Urheberrecht an Text u. Komposition bleibt gesondert. In einigen Punkten erweist sich aber das musikalische Urheberrecht als das stärkere. Vgl. R.Ges. I § 48 u. 51 Abs. 2; dazu unten Anm. 71. 29 Zu ihnen gehören daher nicht dramatische Werke mit eingelegten Musikstücken; Dambach S. 239, Wächter S. 319, Schuster S. 230 ff. Andrerseits nicht musikalische Werke mit Wechselgesang verschiedener Personen, aber ohne sichtbare Darstellung einer Handlung, daher z. B. nicht Oratorien; Schuster S. 228 ff.; a. M. Kohler, Autorr. S. 237. 80 Dafür bes. Hinschius, Jahrb. f. D. XXVI185 ff.; ebenso Kohler S. 187, Daude S. 88, Schuster S. 231. A. M. Mandry S. 308, Klostermann, Urheberrecht S. 67 u. b. Endemann I I 260, Scheele S. 133. Ausdrücklich schützt „choreographische" Werke das italien. Ges. v. 1882 § 2 (Hinschius S. 186 Anm. 4); ebenso Oesterr. Entw. I I § 4 Z. 2. 31 R.Ges. I I § 1 ff. Vgl. Klostermann, Urheberr. S. 70 ff. u. b. Endemann

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der Malerei und der Plastik. Die Werke der Baukunst, die an sich gleichfalls darunter fallen, sind durch ausdrückliche Gesetzesvorschrift ausgenommen32. Ein Werk der bildenden Kunst ist vorhanden, wenn ein künstlerischer Gedankeninhalt in Bildform ausgeprägt ist. Die Formgebung mufs durch sichtbare Umbildung eines Stoffes vollzogen sein33. Der zur Erscheinung gebrachte Gedankeninhalt aber mufs ganz oder in der Hauptsache dem Reiche der Kunst angehören. Dies ist der Fall, wenn das Werk im Wesentlichen auf eine Versinnlichung der Idee des Schönen gerichtet ist und somit seinem Hauptzwecke nach sich an das ästhetische Gefühl wendet34. Darum entsteht an einem Werke, das mit gleichartigen Darstellungsmitteln einen wissenschaftlichen oder technischen Ideengehalt veranschaulicht und somit hauptsächlich auf den Verstand wirken will, kein künstlerisches, sondern ein litterarisches Urheberrecht 35. Ebenso entsteht kein künstlerisches, obwohl vielleicht ein kunstgewerbliches Urheberrecht, sobald zwar eine ästhetische Wirkung bezweckt, diese aber einer materiellen Gebrauchsbestimmung des Werkes untergeordnet und somit die Idee des Schönen in den Dienst der Nützlichkeitsidee gestellt wird 36 . Erforderlich ist auch hier, dafs ein Geis te s werk vorliege. Ob das Werk für den „artistischen Verkehr" geeignet oder bestimmt ist, I I 261 ff.; Wächter, Urheberr. S. 41 ff.; Daude S. 101 ff; Kohler, Kunstwerk S. 37 ff; Scheele S. 169 ff. 82 R.Ges. Π § 3. Vgl. Wächter a. a. O. S. 43, Kohler a. a. 0. S. 189ff. Somit ist das ausgeführte Bauwerk überhaupt ohne Urheberrechtsschutz, die architektonische Zeichnung gegen Ausführung im Bau ungeschützt. Dagegen wird die architektonische Zeichnung nach R.Ges. I § 43 als technische Abbildung (passender nach Oesterr. Entw. I I § 4 Z. 6 als Werk der bildenden Kunst) geschützt; vgl. oben S. 774. 88 Dies ist aber schon bei einer Skizze der Fall, an der daher ein Urheberrecht entsteht; Wächter a. a. 0. S. 48, K o h l e r a. a. 0. S. 57 ff, Scheele S. 170. 84 Die „Idee des Schönen" umspannt das Häfsliche, insoweit es vermöge seiner Kontrastwirkung ein ästhetisches Ausdrucksmittel sein soll. Sie liegt daher auch der Karrikatur zu Grunde. Unrichtig ist es freilich, von dem Kunstwerke zu verlangen, dafs es „das Schöne" darzustellen strebe; hiergegen mit Recht Stobbe I I I 31 Anm. 25. 88 Oben Anm. 22. Ueber die Grenzen Kohler a. a. 0. S. 191 ff. 86 Vgl. Harum S. 108, Mandry S. 219, Klostermann, Geist. Eigth. S. 173, Urheberr. S. 69 ff, Wächter, Urheberr. S. 62 ff., Daude S. 106. Die Grenzen sind oft zweifelhaft, ζ. B. bei Vasen, Tafelaufsätzen u. s. w. Dadurch allein, dafs ein Kunstwerk an einem Werke der Industrie angebracht ist, verliert es jedenfalls nicht seinen Charakter als Werk der bildenden Künste.

§ 86. Begründung des litterarischen und künstlerischen Urheberrechts. 777

kommt nicht in Betracht87. Auch hängt der Urheberrechtsschutz nicht von dem künstlerischen Werthe des Erzeugnisses ab, wird vielmehr auch Bildwerken gewährt, die auf den Namen von „Kunstwerken41 keinen Anspruch machen können88. Wohl aber mufs sich das Werk als eine originale geistige Schöpfung darstellen. Doch kann sich auch hier die geistige Schöpfung an eine bereits vorhandene Schöpfung anlehnen. Durch selbständige Ergänzung, Umbildung oder Zusammenfügung von Werken oder Werkstücken, an denen kein oder fremdes Urheberrecht besteht, kann ein künstlerisches Urheberrecht begründet werden89. Vor Allem geniefsen daher die Werke der nachbildenden Künste eines eignen Urheberrechtsschutzes40. Dieser Schutz beruht auf der Anerkennung der in der Nachbildung enthaltenen eigenartigen Geistesschöpfung und kommt somit auch einer nicht rechtmäfsigen Nachbildung insoweit zu Gute, als ihn nicht das verletzte Urheberrecht am Urbilde ausschliefst41. Damit jedoch die Nachbildung als ein besonderes Geisteswerk anerkannt werden könne, mufs die Wiedergabe des Urbildes „mittels eines anderen Kunstverfahrens" stattfinden. Darum gelten zwar Kupferstiche, Holzschnitte, Steindrucke, Werke der Modellirkunst u. s. w., nicht jedoch rein mechanische Vervielfältigungen als Werke der bildenden Künste42. Aber auch die 87 A. M. Wächter a. a. O. S. 52 ff., Daude S. 105. Klostermann, Urheberr. S. 47, fordert auch hier ein „vermögensrechtliches Interesse". 88 So z. B. Bilderbogen, Bilderbüchern u. s. w., sofern sie sich an das ästhetische Gefühl, wenn auch nur von Kindern oder Ungebildeten, wenden und nicht etwa blos belehrenden oder praktischen Zwecken dienen. Vgl. Dam bach S. 213ff., Klostermann S. 99, Wächter a. a. 0. S. 67ff., Stobbe I I I 31, Daude S. 105, Scheele S. 171. 89 So z. B. an der Ergänzung eines unvollendeten Werkes, an dem Porträt eines Verstorbenen nach einer vorhandenen Zeichnung oder an einem aus Einzelbeiträgen verschiedener Künstler nach einem künstlerischen Plane gebildeten Sammelwerke. 40 R.Ges. I I § 7 ; dazu R.Ges. v. 10. Jan. 1876 § 8, wo die gleiche Behandlung der Nachbildung einer photographischen Aufnahme durch die zeichnende, malende oder plastische Kunst vorgeschrieben wird. Vgl. Klostermann, Geist. Eigth. S. 182 ff. u. b. Endemann Π 261 ff.; Wächter a. a. 0. S. 53 ff.; Daude 8. 107 ff.; Scheele S. 196 ff. — Der Schutz der Kupferstiche, Holzschnitte und Litographien ist geschichtlich sogar älter als der Schutz der Gemälde; vgl. oben § 85 Anm. 6 u. 8, Pr. L.R. I, 11 § 997. 41 Dem widerspricht scheinbar der Wortlaut des R.Ges. I I § 7. Vgl. aber K o h l e r , Autorr. S. 174, Kunstwerk S. 183ff., Scheele S. 199. Α. M. Klostermann, Urheberr. S. 124, Wächter a. a. 0. S. 55. — Selbstverständlich erwirbt auch der Urheber des Originals an der von ihm selbst angefertigten Nachbildung ein besonderes Urheberrecht; Wächter a. a. 0. S. 60, M an dry S. 238. 42 Vgl. Mandry S. 235 ff., Wächter a. a. 0. S. 59 ff., Scheele S. 197 ff. — Photographien werden jedoch als solche geschützt; unten § 91.

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durch ein Kunstverfahren erzeugten Nachbildungen begründen kein Urheberrecht, wenn sie das Urbild mittels desselben Kunstverfahrens, durch das es entstanden ist, wiedergeben48. Eine Kopie eines Oelgemäldes, ein Kupferstich nach einem Kupferstich, ein Bronzegufs nach einem Bronzegufs ist kein neues und eigenartiges Geisteswerk. Eine starke Abschwächung erfährt das künstlerische Urheberrecht an Werken, die auf oder an Strafsen oder öffentlichen Plätzen bleibend sich befinden. Wer sein Werk dergestalt in die Oeffentlichkeit hineingestellt hat, ist nur noch gegen dessen Nachbildung „in derselben Kunstform" geschützt, während im Uebrigen das Werk als Gemeingut gilt 44 . Im Gebiete der I l l u s t r a t i o n treten Werke der bildenden Kunst mit Schriftwerken in engere oder losere Verbindung45. II. Subjektive Voraussetzungen. 1. Das Urheberrecht an einem dazu geeigneten Geisteswerke entsteht in der Person seines Schöpfers 46 . Erzeugung durch eigne geistige Arbeit ist der einzige originäre Erwerbstitel von Urheberrecht. 43 So nach R.Ges. I I § 7 (ebenso nach Preufs. Ges. y. 1837 § 29, Sächs. Ges. v. 1844 § 2, Bayr. Ges. v. 1865 Ali;. 27, während der Entw. des Bundesges. v. 1870 § 62 nur die „auf mechanischem Wege" hergestellten Nachbildungen ausschliefsen wollte); vgl. Wächter a. a. O. S. 56 ff., Scheele S. 198. 44 R.Ges. I I § 6 Z. 3. Dafs der Begriff der „ Kunstform tt ein engerer ist als der unmittelbar vorher in Z. 2 zu Grunde gelegte Begriff der in der Fläche erfolgenden oder plastischen Formgebung, liegt auf der Hand. Im Uebrigen ist seine Tragweite bestritten; vgl. Klostermann, Urheberrecht S. 75 ff, b. Endemann I I 264, Wächter a. a. 0. S. 156 ff., Stobbe I I I 32 Anm. 31, Köhler, Kunstwerk S. 44 u. 187ff, Scheele S. 191 ff. Man darf nicht, wie Klostermann u. Stobbe thun, „Kunstform" mit „Kunstverfahren" identifiziren, sondern mufs daranter mit Wächter u. Kohler die äufsere Form der sinnlichen Erscheinung verstehen. Uebereinstimmend R.Ger. in Str.S. X V I I I 34 ff. Somit dürfen z. B. Freskogemälde nicht in Fresko, wohl aber durch Photographie, Stich oder Tafelbild wiedergegeben werden; Marmorstandbilder sind gegen Nachbildung in Marmor, aber der richtigen Meinung nach auch gegen Gipsabgufs, Erzgüsse gegen Wiedergabe in Gufs geschützt. — Ueber das ältere Recht, das zum Theil öffentliche Denkmäler schlechthin für Gemeingut erklärte, vgl. Mandry S. 256 ff, Wächter S. 153 ff. — Mit dem deut. Ges. stimmt das Schweizer. Art. 11 Z. 7 überein. Der Oesterr. Entw. I I § 39 Z. 4 giebt die Nachbildung frei, „ausgenommen die Nachbildung von Werken der Plastik durch die Plastik." 45 Wächter a. a. 0. S. 61 ff. Bildwerke und Text können Gegenstände gesonderter Urheberrechte sein, wobei, jenachdem das eine oder das andere die Hauptsache ist, das künstlerische Urheberrecht zum litterarischen oder das lit terarische zum künstlerischen in ein Abhängigkeitsverhältnifs treten kann. 46 Dambach S. 13; Endemann S. 3; Wächter, Autorr. S. 89 ff., Urheberr. S. 68 ff.; K o h l e r , Autorr. S. 201 ff; Schuster S. 83 ff.

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a. Kein Urheberrecht erwirbt, wer als Gehülfe bei der Hervorbringung eines Geisteswerkes thätig war, mag er auch wesentliche Beiträge zu dessen Inhalt oder Form geliefert haben47. b. Kein Urheberrecht erwirbt der Besteller eines Geisteswerkes, mag auch von ihm die geistige Schöpfung nicht nur angeregt, sondern durch Plangebung nach Inhalt und Form bestimmt sein48. Denn wer seine geistige Arbeit in den Dienst eines Anderen stellt, büfst hierdurch seine Urheberschaft so lange nicht ein, als nicht dieser Andere die eigentlich produktive geistige Thätigkeit leistet und somit selbst als der Urheber erscheint, der sich nur eines Gehülfen bedient. Allerdings kann der Besteller sich ausbedingen, dafs das in der Person des Urhebers entstandene Urheberrecht alsbald zur Ausübung auf ihn übergehe. Allein dann erwirbt er eben ein abgeleitetes Urheberrecht. Und dieser Erwerb erfolgt kraft eines besonderen Vertrages, nicht von Rechtswegen. Hiervon gilt jedoch eine Ausnahme bei Porträts und Porträtbüsten, bei denen das Nachbildungsrecht unmittelbar kraft gesetzlicher Vorschrift auf den Besteller übergeht49. Der Grund dieser Ausnahme liegt in dem Vorrange, der hier dem Persönlichkeitsrechte an dem Abbilde der eignen Gestalt vor dem Urheberrechte eingeräumt wird 50. Auch hier jedoch entsteht das Urheberrecht in der Person des Künstlers und wird vom Besteller nur derivativ erworben51. 47

Wächter, Autorr. S. 93 if., Urheberr. S. 72; Scheele S. 10. — Man darf jedoch nicht den Begriff des Gehülfen so weit ausdehnen, wie dies Reuling S. 108 ff. thut. 48 Wächter, Autorr. S. 94ff., Urheberr. S.74ff.; Dambach, Fünfzig Gutachten S. 30; R.Ger. in Str.S. XV 406. - Anders ältere Gesetze, wie das Pr. L.R. I, 11 § 1021—1022, Bad. L.R. § 577 d a, Oesterr. Gb. § 1170 u. noch das Oesterr. Pat. v. 1846 § 1 Abs. 2 litt, a; vgl. dazu Schuster S. 109 ff. 49 R.Ges. I I § 8 (aus dem Bayr. Ges. von 1865 Art. 35). Ebenso Oesterr. Entw. I I § 13 für den Fall entgeltlicher Bestellung. — Durch Vereinbarung kann dies geändert werden. 50 Freilich wird das Gesetz diesem Gedanken nur unvollkommen gerecht, indem es einerseits keinen Schutz gegen die Verbreitung nicht bestellter Bildnisse gewährt, andrerseits dem Besteller das Nachbildungsrecht auch an dem Bildnisse einer anderen (und nicht blos einer ihm angehörigen oder von ihm vertretenen) Person einräumt. 51 Vgl. W ä c h t e r , Urheberr. S. 76ff., Klostermann b. Endemann I I 267ff., Scheele S. 202. — A. M. Kohler, Autorr. S. 203, der das Urheberrecht beim Besteller entstehen läfst. Dann müfste es sich auch hinsichtlich seiner Dauer nach der Person des Bestellers richten, — und zwar selbst für den Fall, dafs sich der Künstler das Nachbildungsrecht vorbehalten hätte, da hierin eine Uebertragung von

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c. Kein Urheberrecht erwirbt der Herausgeber eines Werkes52. Wer ein fremdes Geisteswerk, an dem ein Urheberrecht besteht, veröffentlicht, übt befugter oder unbefugter Weise das ursprüngliche Urheberrecht eines Anderen aus. Dies gilt auch bei der Herausgabe eines anomymen oder Pseudonymen Werkes58. Es gilt ebenso bei der Herausgabe eines posthumen Werkes, falls an ihm das in der Person des verstorbenen Urhebers entstandene Urheberrecht noch nicht erloschen ist 54 . Wer dagegen ein fremdes Geisteswerk, an dem ein Urheberrecht nicht besteht, veröffentlicht, begründet überhaupt kein Urheberrecht. Somit wird nach deutschem Rechte auch durch die erstmalige Herausgabe eines Werkes, dessen Schöpfer vor mehr als dreifsig Jahren verstorben ist, ein Urheberrecht nicht begründet55. Mag der Herausgeber auch mit Mühe und Kosten eine verborgene Handschrift oder ein vergessenes Kunstwerk ans Licht gebracht, ein schwer lesbares Manuskript oder ein Palimpsest entziffert haben, so bleibt er doch immer ein blofser Entdecker. Selbst an Konjekturen, durch die ein Herausgeber einen Text zu berichtigen oder zu ergänzen sucht, kann ihm ein Urheberrecht nicht zugestanden werden, da er seiner eignen Behauptung nach nur den ursprünglichen Text von Neuem entdeckt, nicht aber etwas Neues geschaffen hat 56 . Insoweit jedoch ein „Herausgeber" zugleich Schöpfer eines Geisteswerkes ist, erwirbt er als solcher ein Urheberrecht. Damm steht fremdem Urheberrechte läge! — Ausdrücklich sagt das Schweiz. Ges. Art. 5 Abs. 2: „Das Vervielfaltigungsrecht gilt . . als mitveräufsert." 62 Wächter, Autorr. S. 97 ff., Urheberr. S' 78 ff. δ3 Das R.Ges. I § 28 Abs. 3 ermächtigt einen solchen Herausgeber nur, „die dem Urheber zustehenden Rechte wahrzunehmen" ; vgl. unten Anm. 77. Ebenso Oesterr. Entw. I I § 11. Dagegen schreibt das geltende Oesterr. Pat. § 1 Abs. 2 litt, b ihm unmittelbar das Urheberrecht zu; vgl. Schuster S. 117 ff. 54 R.Ges. I § 12, I I § 11. Anders zum Theil nach ausländischem Recht; vgl. unten § 90 Anm. 6. 56 Stobbe I I I 27; Kohler, Autorr. S. 164 ff, Z. f. d. P. u. ö. R. d. G. XV 207 ff. — Dagegen erkennen ausländische Gesetze ein Urheberrecht des Herausgebers an gemeinfreien Inedita an; so das Span. Ges. v. 1879 Art. 2 Z. 4; in beschränktem Umfange früher auch das Bayr. Ges. v. 1865 Art 11 u. 18; vgl. Mandry S. 221 ff. Dem Erfolge nach auch das Oesterr. Pat. § 14 litt, d (vgl. Harum S. 78 u. 192 ff), das Schweiz. Ges. v. 1884 Anm. 2 Abs. 2 (Ore Iii S. 43) u. andere Gesetze; vgl. unten § 90 Anm. 6. 88 Vielfach erblickt man in dieser folgerichtigen Versagung des Urheberrechtsschutzes für die Herausgabe gemeinfreier Inedita eine der Ausfüllung bedürftige Lücke des deutschen Rechtes ; so Harum S. 78, Dahn in Behrends Zeitschr. V 12, Stobbe a. a. 0. Anm. 10, Bähr, Arch. f. b. R. V I I 150 ff. Hiergegen vgl. bes. Ko h 1er a. a. Ο.

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namentlich dem Herausgeber eines Sammelwerkes, falls dieses ein einheitliches Ganze ist, ein Urheberrecht an dem von ihm geschaffenen Ganzen zu 57 . d. Kein Urheberrecht endlich hat der Eigen t hü m er einer das Geisteswerk verkörpernden Sache. Der Eigenthümer einer Handschrift, eines Kunstwerkes oder des einzig vorhandenen Druckes oder Abbildes eines verlornen Originals kann freilich unter Umständen die Veröffentlichung oder Vervielfältigung des Geisteswerkes hindern, da er nicht verpflichtet ist, zu diesem Zwecke seine Sache einem Anderen, sei dies auch der Urheber selbst, herauszugeben68. Ein Recht aber, über das in der Sache verkörperte Geisteswerk zu verfügen, ist in dem Sacheigenthum nicht enthalten. Zu einer solchen Verfügung ist daher der Eigenthümer, falls an dem Geisteswerke ein fremdes Urheberrecht besteht, überhaupt nicht befugt 69. Ist aber das Geisteswerk gemeinfrei, so übt der Eigenthümer, wenn er es veröffentlicht oder vervielfältigt, nur das ihm wie Jedermann zustehende Recht des Gemeingebrauches aus und genieist daher keinerlei urheberrechtlichen Schutz60. Umgekehrt begeht, wer ohne Genehmigung des Sacheigenthümers das Geisteswerk veröffentlicht oder vervielfältigt, hierdurch auch dann, wenn er sich widerrechtlich die Möglichkeit dazu verschafft hat, keinerlei Eigenthums Verletzung61. 2. Ein Urheberrecht kann nicht nur als Recht einer Einzelperson, sondern auch als Recht einer Verbandsperson entstehen. Denn ein Geisteswerk kann von einer Verbandsperson in ihrem Wirkungsbereiche durch ein hierzu berufenes Organ geschaffen werden. 57

R.Ges. I § 2 Abs. 1. Vgl. Wächter, Verlagsr. I 203 ff., Autorr. S. 99 ff. Urheberr. S. 82 ff.; Kohler, Autorr. S. 207 ff.; Schuster S. 115 ff.; Scheele S. 15 ff. 68 Für Kunstwerke ausgesprochen in R.Ges. Π § 8 Abs. 2. Gleiches gilt ζ. B. regelmäfsig für den Empfänger von Briefen kraft des von ihm erworbenen Sacheigenthums; Κ ο hl er, Arch. f. b. R. V I I 95 ff. Ebenso für den Staat oder eine Gemeinde hinsichtlich ihrer Archivalien. — Allgemein. Oesterr. Entw. I I § 19. 59 R.Ges. I § 5 litt, a, I I § 8 Abs. 1; Wächter, Autorr. S. 111, Urheberr. S. 113 ff. — Darum hat auch der Empfänger von Briefen trotz seines Eigenthums an den Briefen kein urheberrechtliches Veröffentlichungsrecht; Harum S. 96 ff., Klostermann, Geist. Eigth. I 322 ff. u. b. Endemann Η 268, Bluntschli, Krit. Uebersch. I 17 u. D.P.R. §49 Nr. 8, Wächter, Autorr. S. 125 ff., Stobbe I I I 27, Scheele S. 9; a. M. Jolly S. 121 ff., Goltdammer, Arch. f. Preufs. Strafr. IX 539 ff. 60 Anders nach französ., engl. u. sonstigem ausländ. R.; R e n o u a r d n 291 ff., Pouillet S. 323 ff. u. 340 ff., Kohler, Z. f. d. P. u. ö. R. d. G. XV 215. — Für das Urheberrecht des Eigentümers an Inedita tritt Bähr a. a. O. S. 156 ff. ein. 61 Kohler a. 0. S. 216 ff. A. M. Bâhr a. a. 0. S. 154ff.

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Die wichtigsten Erzeugnisse des Gemeingeistes sind freilich, wie bereits gezeigt ist, als öffentliche Werke dem Urheberrechte entzogen. Ausdrücklich aber ist anerkannt, dafs „Akademien, Universitäten, sonstige juristische Personen, öffentliche Unterrichtsanstalten, sowie gelehrte oder andere Gesellschaften", wenn sie ein aus Beiträgen Mehrerer gebildetes Werk herausgeben, an dem von ihnen geschaffenen einheitlichen Ganzen ein Urheberrecht erwerben 62. 3. Wenn m e h r e r e Ρ e r s ο η e η bei der Schöpfung eines Geisteswerkes zusammengewirkt haben, so erwächst an diesem Werke für jede von ihnen ein ursprüngliches Urheberrecht. Hierbei begegnen namentlich drei verschiedene Formen urheberrechtlicher Gemeinschaft. a. Im Falle gemeinsamer Schöpfung eines Werkes durch eine zu einheitlicher Thätigkeit zusammenfliefsende Mitarbeit entsteht an dem Werke ein Miturheberrecht, das durchweg die Züge einer Rechtsgemeinschaft zur gesammten Hand trägt 68. Subjekt des Urheberrechtes sind hier die Miturheber in ihrer Verbindung zur Personeneinheit. Darum richtet sich die Dauer dieses Urheberrechtes nach 63 R.Ges. I § 13. Aehnlich Oesterr. Pat. § 15 u. Entw. I I § 46, Ungar. Ges. § 15, Ital. § 11, Dan. Ges. v. 1857 § 7, Norweg. v. 1876 § 8. Andere ausländische Gesetze kennen auch ein Urheberrecht von Verbandspersonen an Einzelwerken; so das Schweiz. Ges. Art. 2 Abs. 2 (Orel Ii S. 43 ff.), das französ. R. (Pouillet S. 116 ff.), das span. Ges. Art. 4, das engl. R. (vgl. SchusterS. 126ff). Zum Theil nimmt der Staat auch an öffentlichen Akten ein Urheberrecht in Anspruch; so nach Oesterr. Pat. § 18 (dazu Schuster S. 121 ff). — Eine verbreitete Meinung hält in Verkennung des Wesens der Verbandspersönlichkeit nur ein abgeleitetes Urheberrecht juristischer Personen fur möglich und erblickt in den gesetzlichen Bestimmungen, die es als ursprüngliches behandeln, eine Fiktion; so Kloster mann, Geist. Eigenth. S. 224 ff, Urheberr. S. 106 ff, b. Endemann I I 266 ff, Wächter, Autorr. S. 103 ff., Urheberr. S. 85 ff, Scheele S. 10 u. 64, Schuster S. 119 ff. (der sogar eine doppelte oder dreifache Fiktion entdeckt!) Hiergegen vgl. die oben § 66 Anm. 10 Genannten. 68 Richtig Stobbe I I I 26. Aehnlich Bluntschli § 49 Nr. 3, H a r u m S. 134 ff. Ferner Jolly S. 195 ff. u. Mandry S. 108 ff., die ein „solidarisches Recht" annehmen. Auch Dambach S. 103 u. 115, Endemann S. 33 u. Scheele S. 58, die mit den Motiven von einer „Kollektivperson" sprechen. Ausführlich und mit ähnlichen Ergebnissen K o h l e r , Autorr. S. 205 ff. u. 249 ff. Desgleichen S chu s ter S. 133 ff. (aber ohne genügende Unterscheidung zwischen gemeinsamer Schöpfung eines Ganzen und Hervorbringung eines Ganzen durch gesonderte Schöpfung von Theilen). Ausdrücklich will der Oesterr. Entw. I I § 7 sagen : „An den von Mehreren gemeinsam hergestellten Werken steht das Urheberrecht allen Miturhebern gemeinschaftlich und ungetheilt zu". — Dagegen nimmt Wächter, Verlagsr. I 207, Autorr. S. 92 u. Urheberr. S. 70 ff., eine communio mit gesonderten ideellen Antheilen (und zwar im Zweifel nach Köpfen) an. Ebenso Klostermann, Urheberr. S. 110 ff, Daude S. 28 u. 109.

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der Lebensdauer des längstlebenden Gemeiners64. Darum steht die Verfügung über das Geisteswerk nur den Miturhebern gemeinschaftlich zu 65 . Darum ist eine Theilung des Miturheberrechtes zwar hinsichtlich der Ausübung und der Nutzung in mannichfacher Weise möglich, hinsichtlich der Substanz aber ausgeschlossen66. Darum ist endlich der unausgeschiedene Urheberrechtsantheil jedes Miturhebers zwar als solcher in dem Mafse, in dem das Urheberrecht überhaupt übertragbar ist, vererblich und veräufserlich 67, wächst aber im Falle seiner Erledigung den verbleibenden Gemeinern an 68 . b. Sind unterscheidbare Bestandtheile eines Werkes von verschiedenen Urhebern geschaffen, so entsteht in der Person jedes Urhebers ein gesondertes Urheberrecht an dem von ihm geschaffenen Bestandtheile 6 9 , während an dem Werke als einem Ganzen auch hier ein Miturheberrecht zur gesammten Hand erwächst70. Die Regeln der gesammten Hand erfahren 64 R.Ges. I § 9. Ebenso Ungar. Ges. § 12, Belg. Art. 5, Norweg. § 7, Schwed. § 7, auch die französ. Praxis. Abweichend Oesterr. Pat. § 14 litt. c. u. auch Entw. I I § 43 Abs. 3. 65 Stobbe a. a. 0., Schuster S. 143 ff. Das R.Ges. I § 51 hebt nur die Notwendigkeit der Zustimmung jedes Miturhebers zu einer öffentlichen Aufführung hervor. Zweifellos ist aber bei uns geltendes Recht, was der Oesterr. Entw. I I § 7 bestimmen will: „Sie können nur einverständlich über das Werk (insbesondere durch Herausgabe, Nachbildung, Aufführung) verfügen; jeder für sich ist aber befugt, Eingriffe in das gemeinsame Recht gerichtlich zu verfolgen". Vgl. auch Belg. Ges. Art. 6, Schwed. Ges. § 20, Norweg. § 31. Abweichend Ungar. Ges. § 1 Abs. 2—3, Ital. § 5, „im Zweifel" auch Oesterr. Pat. § 8; vgl. Schuster S. 148 ff. ββ Gegen die von Wächter, Urheberr. S. 101, u. Klostermann a, a. 0. S. 114 behauptete Zulässigkeit der Theilungsklage vgl. Stobbe a. a. 0. Anm. 7. Ueber die verschiedenen Möglichkeiten einer Nutztheilung vgl. Köhler a. a. 0. S. 272 ff., Schuster S. 147 ff. 67 Vgl. Oest. Entw. Η § 7 Abs. 2. 68 So im Falle des Verzichtes oder des Todes ohne Hinterlassung von Erben ; vgl. Ungar. Ges. § 3 Abs. 3. Dagegen mufs den Erben des erstverstorbenen Miturhebers die Verlängerung der Schutzfrist zu Gute kommen, so dafs sie bis zum Erlöschen des Urheberrechtes Theilhaber bleiben; Ko hl er S. 265, Belg. Ges. Art. 5. 69 So nicht blos im Falle der Verbindung ungleichartiger Schöpfungen, wie Schriftwerk und Komposition (oben Anm. 28) oder Schriftwerk und Bild (oben Anm. 22 u. 45), sondern auch bei der Zusammenfügung gleichartiger Geisteserzeugnisse, ζ. B. mehrerer Abhandlungen, Gedichte, Erzählungen u. s. w. zu einem Schriftwerke, mehrerer Tonsätze zu einem Tonwerke, mehrerer Bildwerke zu einem Kunstwerke u. s. w.; vgl. Wächter, Autorr. S. 93, Urheberr. S. 72, Schuster S. 133 ff. 70 Dies gilt auch im Falle der Verbindung ungleichartiger Schöpfungen, so dafs an sich über ein illustrirtes Schriftwerk Bildner und Schriftsteller und über ein poetisch-musikalisches Werk Komponist und Dichter nur gemeinsam durch

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jedoch Abwandlungen, wenn und soweit dem einen Sonderurheberrechte ein Uebergewicht über das andere eingeräumt wird, wie dies im deutschen Rechte zu Gunsten des Urheberrechtes an einer musikalischen Komposition im Verhältnifs zu dem Urheberrechte an ihrem Texte geschehen ist 71 . c. Wenn endlich ein Sammelwerk in seinen einzelnen Bestandteilen von verschiedenen Mitarbeitern, als einheitliches Ganze aber von einem Herausgeber geschaffen ist, so entstehen neben einander in den Personen der Mitarbeiter Sonderurheberrechte an den einzelnen Beiträgen und in der Person des Herausgebers ein Sonderurheberrecht am Ganzen 7 2 . 4. Das Urheberrecht entsteht in der Person des Schöpfers eines Geisteswerkes unabhängig davon, ob er sich durch Kundmachung seines Namens zur Urheberschaft bekennt. Wird aber das Geisteswerk veröffentlicht, so nimmt das Urheberrecht hinsichtlich seiner Dauer und in einigen anderen Punkten eine verschiedene Beschaffenheit an, jenachdem das Werk als benanntes Werk unter dem Namen des Urhebers oder als pseudonymes oder anonymes Veröffentlichung, Vervielfältigung, Aufführung u. s. w. verfügen können. Grundsatzlich anderer Ansicht in Bezug auf das Verhältnifs von Musik und Text ist Schuster 241 ff. Vgl. aber Kohler, Autorr. S. 246 ff. u. Arch. f. c. Pr. L X X X I I 232 ff. — Erlischt eines der Sonderurheberrechte, so konsolidirt sich auch hier das Urheberrecht an dem Werke als einem Ganzen bei dem verbleibenden Theil· haber, während der von dem anderen Theilhaber geschaffene Bestandtheil fur sich dem Gemeingebrauche anheimfallt. 71 Nach R.Ges. I § 48 darf ein bereits veröffentlichtes Schriftwerk in Musik gesetzt und in Verbindung mit der Komposition abgedruckt werden, es müfste denn ein seinem Wesen nach nur für den Zweck der Komposition bedeutungsvoller Text (z. B. Opern- oder Oratorientext) sein. Und nach R.Ges. 1 § 51 Abs. 2 genügt zur öffentlichen Aufführung eines Tonwerkes mit Text einschliefslich der dramatischmusikalischen Werke die Genehmigung des Komponisten. Dagegen bleibt hinsichtlich der ersten Veröffentlichung des Gesammtwerkes durch den Druck das Miturheberrecht und hinsichtlich des Abdruckes des Textes ohne die Musik das Sonderurheberrecht des Dichters unverkürzt. Auch erstreckt sich das Aufführungsrecht des Komponisten nicht auf dramatische Werke mit eingelegter Musik; vgl. oben Anm. 29. Aehnlich Oesterr. Pat. § 7, Dän. Ges. § 13 Z. 3, Norweg. § 16 litt, c, Schwed. § 11; vgl. Näheres b. Schuster S. 247 ff. u. 259. 72 R.Ges. I § 2 ; ebenso Oesterr. Entw. I I § 8. Mangels anderer Abrede darf daher jeder Mitarbeiter über seinen Beitrag nach Belieben anderweit verfügen (der Oesterr. Entw. a. a. 0. will ihn aber bei Veranstaltung von Einzelausgaben zur Angabe des Werkes, in dem der Beitrag erschienen ist, verpflichten). Bei periodischen Werken jedoch erst nach Ablauf von zwei Jahren seit dem Erscheinen; R.G. I § 10, Π § 12; Oesterr. Entw. I I § 8. Der Herausgeber seinerseits kann über die einzelnen Beiträge nur insoweit verfügen, als ihm das Recht hierzu übertragen ist.

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Werk, sei es unter einem anderen Namen oder sei es ohne jede Nennung eines Urhebers, erschienen ist. Ein benanntes Werk liegt nur vor, wenn bei der Veröffentlichung der „wahre Name des Urhebers", d. h. sein bürgerlicher Name, in einer vom Gesetze vorgeschriebenen Form mitveröffentlicht ist 78 . Ist dies nicht geschehen, so ist und bleibt das Werk ein im Rechtssinne unbenanntes (anonymes oder pseudonymes) Werk, mag auch der Name des Urhebers in anderer Weise offenkundig gemacht oder geworden oder der gebrauchte Name allgemein als Schriftsteller- oder Künstlername einer bestimmten Person bekannt sein74. Doch kann das unbenannte Werk nachträglich dadurch rechtswirksam in ein benanntes umgewandelt werden, dafs der Urheber oder sein legitimirter Rechtsnachfolger vor Ablauf der dem unbenannten Werke gewährten Schutzfrist den wahren Namen des Urhebers zur Eintragung in die Eintragsrolle anmeldet75. 5. An die Art der Veröffentlichung des Geisteswerkes knüpfen sich zugleich gewisse Rechtswirkungen für die Legitimation zur Geltendmachung des Urheberrechts. a. Wird ein Werk als benanntes Werk veröffentlicht, so gilt kraft einer Rechtsvermuthung bis zum Gegenbeweise der in gehöriger Weise als Urheber Genannte als Urheber 76. 78

Bei der Veröffentlichung von Schriftwerken, Abbildungen oder Tonwerken durch den Druck mufs der wahre Name auf dem Titelbiatte, unter der Zueignung oder unter der Vorrede, bei Beiträgen zu einem Sammelwerke an der Spitze oder am Schlufs des Beitrages angegeben sein; R.Ges. I § 11 Abs. 1—2, § 48, § 45. Bei der Veröffentlichung von Werken der bildenden Kunst mufs der wahre Name des Urhebers auf dem Werke vollständig genannt oder durch kenntliche Zeichen (z. B. ein Monogramm) ausgedrückt sein; R.Ges. I I § 9 Abs. 2. Bei der öffentlichen Auffuhrung eines durch den Druck noch nicht veröffentlichten Bühnenwerkes mufs der wahre Name des Urhebers irgendwie kundgemacht sein ; R.Ges. I § 52 Abs. 2. — Genauere Bestimmungen enthält der Oesterr. Entw. I I § 10 (auch für den Fall des Erscheinens eines Werkes durch öffentliche Ausstellung). 74 Vgl. Wächter, Verlagsr. I 488 ff., Autorr. S. 52 u. 139 ff., Harum S. 181, Endemann S. 35, Dambach S. 110, Stobbe I I I 48 Anm. 18, Klostermann b. Endemann I I 272, Scheele S. 61. Ausführlich, aber zum Theil abweichend Schuster S. 94 ff., der einen notorischen Autornamen als „wahren* Namen behandeln will. 76 R.Ges. I § 11 u. 52, I I § 9. Irgend eine andere Art der Namensveröffentlichung genügt nicht. Auch nicht eine neue Veröffentlichung des Werkes unter dem wahren Namen. Nur bei dem vor der Veröffentlichung durch den Druck anonym oder pseudonym aufgeführten Bühnenwerke steht der Bekanntmachung durch die Eintragsrolle die Herausgabe unter dem wahren Namen gleich. — Vgl. dazu Oesterr. Entw. I I § 44. 76 R.Ges. I § 28 Abs. 2, I I § 16; bei der Veröffentlichung durch öffentliche Aufführung ist dies der „bei der Ankündigung der Aufführung" als Urheber BeB i n d i n g , Handbuch.

I I . 3. I : G i e r k e , Deutsches Priyatrecht.

I.

50

786

Viertes Kapitel.

Persönlichkeitsrechte.

b. Bei einem unbenannten Werke ist kraft einer gesetzlichen Vollmacht der Herausgeber, wenn aber ein solcher nicht angegeben ist, der Verleger berechtigt, die dem Urheber zustehenden Rechte wahrzunehmen77. Ueberdies gilt hier der auf dem Werke angegebene Verleger ohne weiteren Nachweis als Rechtsnachfolger des anonymen oder Pseudonymen Urhebers78. 6. Bei der Begründung des Urheberrechtes spielt die Staatsangehörigkeit des Urhebers eine Rolle. Ein deutscher Reichsangehöriger erwirbt an dem von ihm geschaffenen Geisteswerke stets ein vom deutschen Gesetze geschütztes Urheberrecht, mag das Werk unveröffentlicht oder veröffentlicht und im letzteren Falle im Inlande oder im Auslande veröffentlicht sein79. Den gleichen Urheberrechtsschutz erwirbt ein ausländischer Urheber durch Veröffentlichung seines Werkes bei einem Verleger, der im Gebiete des Deutschen Reiches seine Handelsniederlassung hat 80 . Unter Voraussetzung der Gegenseitigkeit wird der Urheberrechtsschutz des deutschen Gesetzes einem ausländischen Urheber für ein unveröffentlichtes Werk auch dann, wenn er im ehemaligen deutschen Bundesgebiete staatsangehörig ist, für zeichnete, R.Ges. I § 53. Aehnlich schon Bayr. Ges. v. 1865 Art. 51. Ebenso Oesterr. Entw. I I § 10. Dazu Berner Uebereink. Art. 11. Vgl. Wächter, Autorr. S. 269 Anm. 9, Urheberr. S. 263, Klostermann b. Endemann I I 265 if., Schuster S. 92 if. — Die nachträgliche Kundmachung des Namens durch die Eintragsrolle (oben Anm. 75) bewirkt eine derartige Vermuthung nicht; Dambach S. 180, Scheele S. 97. Ueber ausländisches Recht vgl. Schuster S. 85 ff. 77 R.Ges. I § 28 Abs. 3, I I § 16. Ebenso Oesterr. Entw. I I § 11. Vgl. Wächter, Autorr. S. 98 ff., Urheberr. S. 79 ff., Dambach S. 179 ff, Endemann S. 61, Schuster S. 98 ff. — Der Urheber selbst ist hierdurch keineswegs gehindert, aus seiner Verborgenheit herauszutreten und seine Rechte selbst geltend zu machen; nur mufs er seine Urheberschaft beweisen; Arch. f. Preufs. Strafr. X I I 705, Wächter, Autorr S. 275 Anm. 31, Scheele S. 97. — Das Oesterr. Pat. § 14 kennt eine gleiche gesetzliche Vertretungsmacht des Verlegers (Schuster S. 101), während es den gehörig genannten Herausgeber, Unternehmer, Besteller als Urheber behandelt; oben Anm. 53. Ueber andere ausländ. Ges. Schuster S. 101 ff. 78 R.Ges. I § 28 Abs. 3 a. E., I I § 16; dazu Berner Uebereink. Art. 11 Abs. 2. Somit hat der Verleger, falls kein Herausgeber genannt ist, die Wahl, ob er als Vertreter des Urhebers in fremdem Namen oder kraft präsumtiv übertragenen Urheberrechtes in eignem Namen auftreten will. Im letzteren Falle ist aber Gegenbeweis zulässig. Auch bezieht sich die Vermuthung der Rechtsnachfolge nicht auf das innere Verhältnifs zwischen Verleger und Urheber. Vgl. Wächter, Autorr. S. 275, Urheberr. S. 112. 79 R.Ges. I § 61 Abs. 1, I I § 20 Abs. 1. Ebenso für Österreich. Staatsangehörige Oesterr. Entw. I I § 1. 80 R.Ges. I § 61 Abs. 2, I I § 20 Abs. 2. Nach dem österr. Entw. I I § 1 soll es genügen, wenn das Werk „im Inlande erschienen" ist.

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ein veröffentlichtes Werk auch dann, wenn es aufserhalb des Reichsgebietes iin ehemaligen Bundesgebiete erschienen ist, gewährt; jedoch niemals für eine längere Frist, als sie das Heimathsrecht des Urheberrechts zugesteht81. Im Uebrigen richtet sich der Schutz der ausländischen Urheberrechte nach dem Inhalte der internationalen Verträge 83. III. Begründungsakt. Das Urheberrecht entsteht durch die geistige Schöpfungsthat. Es entsteht durch sie unabhängig von einem darauf gerichteten Willen und selbst wider Willen. Auch dem Kinde oder dem Geisteskranken erwächst aus seiner Schöpfung ein Urheberrecht. Jede Stellvertretung ist dabei ausgeschlossen88. Die Hervorbringung eines Geisteswerkes ist eine rechtserzeugende Handlung, aber kein Rechtsgeschäft84. Das Urheberrecht wird unmittelbar durch die Schöpfungsthat begründet. Es ist vorhanden, wenn und soweit das Geisteswerk äufserlich vorhanden ist 85 . Und es wird vom geltenden Rechte im Allgemeinen geschützt, sobald es vorhanden ist. Nur in einzelnen Beziehungen werden zum Erwerbe oder zur Wahrung des Urheberrechtsschutzes noch besondere Rechtshandlungen gefordert. Der Schutz veröffentlichter Schriftwerke gegen Uebersetzung, veröffentlichter Tonwerke gegen öffentliche Aufführung und der in öffentlichen Blättern erschienenen gröfseren Mittheilungen gegen Nachdruck wird erst durch einen mitveröffentlichten besonderen Vorbehalt erworben86. Sodann hängt bei allen Geisteswerken die Wahrung des vollen Urheberrechtsschutzes im Falle der Veröffentlichung von der gehörigen Mitveröffentlichung des wahren Namens des Urhebers ab 87 . Endlich 81 R.Ges. I § 62, I I § 21; vgl. oben § 56 Anm. 3 u. dazu § 26 Anm. 34. Ebenso Oesterr. Entw. I I § 2 Abs. 1 hinsichtlich der deutschen Staatsangehörigen und des deutschen Reichsgebietes. 83 Vgl. oben § 85 Anm. 28—32 u. dazu § 26 Anm. 34-35; insbes. Berner Uebereink. Art. 2. 83 Wer durch seine Schöpfung ein Urheberrecht für einen Anderen begründen will, begründet es dennoch für sich und übertragt es nur zur Ausübung. Hiervon giebt es beim litterarischen und künstlerischen Urheberrecht nach deutschem Recht auch keine gesetzliche Ausnahme; vgl. oben Anm. 48, 51, 57, 62. — Stellvertretung betrachten als zulassig Reuling a. a. O. S. 107 ff., Kohler, Autorr. S. 202 ff. u. Z. f. d. P. u. ö. R. d. G. X I I I 296. 84 Ein Rechtsgeschäft sieht darin Kohl er, Autorr. S. 6 ff, Z. f. d. P. u. ö. R. d. G. X I I I 287, Arch. f. c. Pr. L X X X I I 209; auch schon Ortloff a. a. 0. S. 295 ff. Vgl. dagegen Klöppel a. a. Ο. XXXIV 21, Schuster S. 83 ff. 85 Auch schon an einem Bruchstücke oder einer Skizze; vgl. oben Anm. 3—4, 25 u. 33. 86 Vgl. oben S. 773 u. unten 798. 87 Vgl. oben Anm. 73. 5*

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Viertes Kapitel.

Persönlichkeitsrechte.

wird beim Stadtrathe in Leipzig eine öffentliche Eintragsrolle geführt 88, durch die gewisse urheberrechtliche Thatbestände kundgemacht werden müssen, um ihre rechtliche Wirkung zu entfalten 89. Das Urheberrecht wird nur durch geistige Schöpfungsthat begründet. Insbesondere ist die Ertheilung urheberrechtlicher Privilegien nicht mehr zulässig90. Die Reichsgesetze haben jedoch den Inhabern älterer Privilegien freigestellt, ob sie unter den Schutz des neuen Rechtes treten oder ihre Privilegien festhalten wollen91. Im letzteren Falle ist aber der Privilegienschutz auf das Gebiet des Staates, von dem das Privilegium ertheilt ist, beschränkt und durch Vordruck des Privilegiums vor dem Werke oder Bemerkung desselben auf oder hinter dem Titelblatte bedingt32. § 87. I n h a l t und Umfang des litterarischen und künstlerischen Urheberrechts. I. Im Allgemeinen. Inhalt des Urheberrechtes ist eine dem Urheber vorbehaltene Herrschaft über sein Geisteswerk. Ueber den Umfang dieser Herrschaft entscheidet einerseits der objektive Bestand des Geisteswerkes, andrerseits dessen subjektive Verknüpfung mit dem Urheber. 1. In objektiver Hinsicht ergreift die Herrschaft des Urhebers das Geisteswerk sowohl im Ganzen wie in seinen Theilen1. Sie ergreift aber nur das Geisteswerk. Mithin erstreckt sie sich nicht auf dessen Bezeichnung (Titel), da der einer unkörperlichen Sache gegebene 88 R.Ges. I § 39—42, I I § 9 Abs. 3; dazu Instrukt. v. 7. Dez. 1870 u. 29. Febr. 1876. Die Eintragungen erfolgen auf gehörige Anmeldung ohne Prüfung und werden im Börsenblatt für den deutschen Buchhandel bekannt gemacht. 89 Insbesondere die Aufdeckung des wahren Namens des Urhebers bei anonymen und Pseudonymen Werken; oben Anm. 75. Ferner Beginn und Vollendung einer Uebersetzung ; unten § 87 Anm. 50. Sodann unter Umständen ältere Privilegien; unten Anm. 92. Endlich nach älteren internationalen Verträgen vielfach ausländische Urheberrechte, was aber die neueren Verträge beseitigt haben. 90 R.Ges. I § 60 Abs. 1, Π § 19 Abs. 1. Anders noch Oesterr. Pat ν. 1846 § 17. 91 R.Ges. I § 60 Abs. 2, I I § 19 Abs. 2. Auch ein als reines Verlagsprivilegium für ein gemeinfreies Werk verliehenes Privilegium besteht fort; so ζ. B. ein ewiges, jedoch räumlich beschränktes Privilegium einer Verbandsperson zum alleinigen Drucke, Verlage und Verkaufe eines Kirchengesangbuches und eines Katechismus nach R.Ger. XVII Nr. 60. 92 R.Ges. I § 60 Abs. 3—4, I I § 19 Abs. 3—4. War eine solche MitveröffentlichuDg des Privilegs nicht erfolgt oder unausführbar, so mufste das Privileg bei Vermeidung des Erlöschens binnen drei Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Eintragung in die Eintragsrolle angemeldet werden. 1 So ausdrücklich Oesterr. Entw. I I § 3.

§ 87. Inhalt und Umfang des litterarischen und künstlerischen Urheberrechts. 789

Name nicht ihr Theil ist2. Doch kann der Urheber unter Umständen den Gebrauch derselben Bezeichnung für ein anderes Werk, obschon nicht kraft Urheberrechtes, kraft seines allgemeinen Persönlichkeitsrechtes untersagen8. Noch weniger bildet die Bezeichnung der Person des Urhebers einen Gegenstand des Urheberrechtes4. Vielmehr richtet sich der Schutz des Urhebers hinsichtlich seines wahren wie hinsichtlich eines angenommenen Namens nach Namenrecht5. 2. In subjektiver Hinsicht erstreckt sich die Herrschaft des Urhebers so weit, als das Geisteswerk sein Persönlichkeitsgut ist. Sie gewährt daher die Befugnifs, alle Handlungen, die eine Verfügung über das Geisteswerk als Persönlichkeitsgut enthalten, selbst vorzunehmen und Anderen zu untersagen. Der Kreis dieser Handlungen verengt sich, sobald das Geisteswerk vom Urheber oder mit seiner Ermächtigung veröffentlicht ist. Darum ist das Veröffentlichungsrecht, obwohl es zum Theil durch gleiche Handlungen wie die Wiedergabe und Verbreitung eines schon veröffentlichten Werkes ausgeübt wird, von den dem Urheber auch nach der Veröffentlichung noch zustehenden Rechten zu trennen. II. Veröffentlichung. Den primären Inhalt des Urheberrechtes bildet die Befugnilis, das Geisteswerk zu veröffentlichen und seine Veröffentlichung Anderen zu unsersagen6. 2 Dambach 8. 22, W ä c h t e r , Verlagsr. I I 492 ff., Autorr. S. 166 ff., P o u i l l e t S. 63, Daude S. 14 Anm. 2, Kohler, Autorr. S. 133 ff.; R.Ger. X I I 116, Str. S. XVII 200. 8 Vgl. oben § 84 Anm. 103. Das Oesterr. Recht gewährt dem Urheber einen Anspruch auf Entschädigung und bei fortlaufenden oder periodischen Werken auf Verbot des Weitergebrauches, wenn ohne sachliche Nothwendigkeit einem Werke der Litteratur oder Tonkunst der Titel seines früher erschienenen Werkes gegeben und hierdurch eine Irreführung über die Identität der Werke nahegelegt wird; Pat. § 5 litt, d u. 6 litt, d, dazu Entw. I § 4, I I § 22. Ebenso das Bayr. Ges. v. 1865 Art. 4. Als Eingriff in das Urheberrecht erscheint auch hier die Titelanmafsung nicht Vgl. Harum § 60, Schuster S. 206 ff. 4 Wächter, Autorr. S. 168. Vgl. über den Fall Hauff-Clauren Krit. Zeitschr. f. Rechtswiss. I I I (Tüb. 1827) S. 72. 6 Oben § 83 Anm. 31 u. 35, § 84 Anm. 98. β Es ist ein grofser Fortschritt, dafs der Oesterr. Entw. das Recht der Veröffentlichung durchweg (II § 23, 31, 37 u. 40) als primäre Urheberrechtsbefugnifs hervorheben und zugleich (II § 6) feststellen will, wann ein Werk in Folge rechtmäCßiger Veröffentlichung als „erschienen" gelten soll. Allein auch das geltende deutsche Gesetzesrecht enthält, obschon es weniger deutlich spricht, die Anerkennung des Veröffentlichungsrechtes und fordert eine Feststellung des Begriffes der Veröffentlichung, da es an bereits veröffentlichten Werken wichtige Abschwächungen des Urheberrechtes statuirt. Unrichtig daher Wächter, Autorr. S. 16 u. 181 ff., Urheberr. S. 39 u. 176, Stobbe § 158 Anm. 14 u. Andere, die

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Viertes Kapitel.

Persönlichkeitsrechte.

1. Hierin liegt vor Allem die Entscheidung über das Ob der Veröffentlichung. Unbefugte Veröffentlichung ist ein Eingriff in das Urheberrecht. a. Bei Geisteswerken jeder Art ist eine Veröffentlichung durch Herausgabe möglich. Herausgabe ist die Verbreitung von Vervielfältigungen eines Geisteswerkes in Gestalt körperlicher Sachen, die es zu sichtbarer Erscheinung bringen7. Dahin gehört die Verbreitung von Drucken oder anderen mechanischen Vervielfältigungen eines litterarischen oder musikalischen Manuskriptes, eines nicht öffentlich gehaltenen Vortrages oder einer unveröffentlichten Abbildung, sowie von mechanischen oder nicht mechanischen Nachbildungen eines unveröffentlichten Werkes der bildenden Künste. Wer eine derartige Veröffentlichung unbefugt vornimmt, begeht eine Urheberrechtsverletzung 8 . Er begeht sie auch dann, wenn er nur Theile des Werkes oder ein Werk von geringem Umfange in einer Weise wiedergiebt, wie sie veröffentlichten Werken gegenüber erlaubt ist 9 ; wenn er ein Schriftwerk in einer Uebersetzung, die er nach dessen Veröffentlichung hätte herausgeben dürfen, veröffentlicht 10; wenn er ein Werk der Dichtkunst, dessen Benutzung als Text zu einer musikalischen Komposition ihm nach dessen Veröffentlichung frei gestanden hätte, in Verbindung mit der Komposition herausgiebt11; wenn er eine Inhaltsangabe, einen Auszag oder irgend eine das Geisteswerk in einem wesentlichen Bestandtheile an die Öffentlichkeit zerrende Bearbeitung von solcher Art, wie sie bei einem veröffentlichten Werke zulässig gewesen wären, erscheinen läfst 12. ein besonderes Veröffentlichungsrecht verneinen. Vgl. dagegen Dahn a. a. 0. S. 7, Anders a. a. 0. S. 235 ff. u. R.Ger. unten Anm. 19. 7 Vervielfältigung ohne Verbreitung ist keine Veröffentlichung, vertrauliche Mittheilung keine Verbreitung. Darum ist z. B. ein Schriftwerk, das der Urheber in lithographirten oder gedruckten Exemplaren bestimmten Personen zugestellt hat, noch nicht „erschienen", sondern unveröffentlicht. — Eine qualifizirte Veröffentlichung mit gesteigerter Wirkung ist umgekehrt die Herausgabe in öffentlichen Blättern; oben § 86 S. 773. 8 R.Ges. I § 5 litt, a u. b, § 43, § 45, I I § 5; Seuff. XXXVII Nr. 61. Gleich steht die Verbreitung von Nachdrucken oder Nachbildungen eines zwar schon vervielfältigten, aber noch nicht verbreiteten Werkes; oben Anm. 7. 9 R.Ges. I § 7 litt, a, § 43 u. § 47, offenbar aber auch § 44 u. I I § 6 Z. 4. 10 R.Ges. I § 6 Abs. 5; Oesterr. Entw. I I § 28. 11 R.Ges. I § 48; Oesterr. Entw. I I § 25 Z. 6. 12 So sind z. B. Referate, wie sie über erschienene Werke in Rezensionen oder über öffentlich gehaltene Vorträge in Zeitungsberichten publizirt werden dürfen, gegenüber nicht erschienenen Werken oder vertraulich gehaltenen Vorträgen Urheberrechtsverletzungen; so ausdrücklich nach Oesterr. Entw. I I § 25 Z. 3, aber

§ 87. Inhalt und Umfang des literarischen und künstlerischen Urheberrechts. 791

b. Bei Geisteswerken in Wort-, Ton- oder Geberdensprache ist überdies eine Veröffentlichung durch öffentliche Vorführung möglich, durch die das Werk für das Ohr oder das Auge oder zugleich für Ohr und Auge zur einmaligen sinnlichen Erscheinung gelangt. Ein Schriftwerk kann zuerst durch öffentlichen Vortrag an die Oeffentlichkeit treten 18, ein Tonwerk oder ein Bühnenwerk (Drama, Musikdrama, Ballet) zuerst durch öffentliche Aufführung erscheinen14. Wer unbefugt eine derartige Veröffentlichung vornimmt, begeht eine Urheberrechtsverletzung. Dies ist für die öffentliche Aufführung ausdrücklich und zwar auch für rein musikalische Werke unabhängig von dem im Falle ihrer Drucklegung erforderlichen Vorbehalte anerkannt15. Es mufs aber auch für den öffentlichen Vortrag eines unveröffentlichten Schriftwerkes gelten16. c. Werke der bildenden Künste können auch durch öffentliche Ausstellung veröffentlicht werden17. Die unbefugte öffentder Natur der Sache gemafs auch nach geltendem Recht. Ebenso wird bei anderen Formen der Wiedergabe, wenn das Werk unveröffentlicht ist, ein strengerer Mafsstab als bei veröffentlichten Werken anzulegen sein. Inwieweit, ist Sache des richterlichen Ermessens. — Der Urheberrechtsschutz unveröffentlichter Artikel, die für öffentliche Blätter bestimmt sind, richtet sich nach den allgemeinen Regeln; vgl. oben S. 773. Weiter geht der Oesterr. Entw. I I § 27 (abweichend von I § 19 Abs. 3), indem er alle „behufs Aufnahme in die Tagesblätter gesammelten und vervielfältigten Mittheilungen und Notizen" so lange schützen will, bis ihre Veröffentlichung durch eines der hierzu befugten Blätter erfolgt ist; vgl. auch Ungar. Ges. § 6 Z. 7. 18 Ist dies auf îechtmâfsige Weise geschehen, so kann es nicht mehr als unveröffentlicht gelten, geniefst daher der richtigen Ansicht nach in den oben Anm. 9—12 angegebenen Beziehungen nur noch den Schutz veröffentlichter Schriftwerke. — Eine qualifizirte Veröffentlichung, die das Werk völlig gemeinfrei macht, ist die durch öffentliche Rede; oben § 86 S. 773. 14 Oesterr. Entw. I I § 6 Abs. 2. Ein rechtmafsig öffentlich aufgeführtes Werk ist in den oben Anm. 9—12 angegebenen Beziehungen als veröffentlicht anzusehen; a. M. hinsichtlich der Uebersetzung Wächter, Autorr. S. 213. Vgl. auch R.Ges. I § 52 Abs. 2 mit der Modifikation in Abs. 3 (oben § 86 Anm. 73 u. 75). Dagegen erfolgt die in R.Ges. I § 50 Abs. 2 vorgesehene Abschwächung des musikalischen Urheberrechtes nur durch Herausgabe; ebenso Oesterr. Entw. I I § 34. 15 R.Ges. I § 50. 16 Ausdrücklich will dies der Oesterr. Entw. I I § 23 Abs. 3 bestimmen. — Abweichend W ä c h t e r , Autorr. S. 16. 17 Oesterr. Entw. I I § 6 Abs. 2. Für das deutsche Recht ist darin gleichfalls eine „Veröffentlichung" zu erblicken; so namentlich im Sinne des R.Ges. I I § 9 Abs. 2—3; vgl. oben § 86 Anm. 73. — Eine qualifizirte Veröffentlichung, die das Urheberrecht stark abschwächt, ist (lie bleibende Aufstellung an einem öffentlichen Orte; vgl. oben § 86 S. 778.

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Viertes Kapitel.

Persönlichkeitsrechte.

liehe Ausstellung eines noch unveröffentlichten Kunstwerkes ist ein Eingriff in das Urheberrecht 18. 2. Das Veröffentlichungsrecht enthält ferner die Verfügung über das Wann der Veröffentlichung. Eine wider den Willen des Urhebers verfrüht erfolgte Veröffentlichung ist ein Eingriff in das Urheberrecht, wenn sie auch zu einer späteren Zeit befugt gewesen wäre. 3. Im Veröffentlichungsrechte liegt endlich die Bestimmung über das Wie der Veröffentlichung 19. Der Urheber hat darüber zu entscheiden, wo, auf welchem Wege, in welchem Umfange und in welcher Form sein Werk an die Oeffentlichkeit treten soll. Auch wer zur Veröffentlichung befugt ist, begeht einen Eingriff in das Urheberrecht, wenn er unbefugt das Werk anderswo oder in anderer Art, als der Urheber bestimmt hat, erseheinen läfst; wenn er es über das ihm gesetzte Mals hinaus vervielfältigt und verbreitet 20; wenn er es unter einem anderen Namen oder mit einer anderen Bezeichnung, als der Urheber verfügt hat, veröffentlicht 21; wenn er es bei der Veröffentlichung durch WTeglassungen, Einschiebungen oder Veränderungen in seinem inneren Bestände antastet22. III. Wiedergabe. Im Urheberrechte liegt ferner die Befugnifs, über das Geisteswerk in bestimmter Weise durch Wiedergabe (Reproduktion) zu verfügen und solche Wiedergabe Anderen zu verbieten. Das ausschliefsliche Recht der Wiedergabe umfafst einerseits auch die Wiedergabe, die keine Veröffentlichung ist. Es erstreckt sich aber andrerseits für den Fall, dafs in der Wiedergabe keine Veröffentlichung liegt, nicht auf jede Art der Wiedergabe, die als Mittel der Veröffentlichung dem Urheber vorbehalten wäre 28. 1. Mechanische Vervielfältigung. Bei Schriftwerken, Abbildungen und Tonwerken hat der Urheber das ausschliefsliche Recht, das Werk „auf mechanischem Wege zu vervielfältigen" 2 4 . Der Begriff 18 Vgl. Oesterr. Entw. I I § 37 Abs. 1 mit § 6. Das R.Ger. in Str. S. I I Nr. 102 hat dies anerkannt, indem es sogar in das Urheberrecht des Bestellers an einem photographischen Bildnisse die Befugnifs hineinlegt, einen öffentlichen Aushang des Bildnisses zu untersagen. Vgl. auch Anders a. a. 0. S. 186 u. 254. 19 So richtig das R.Ger. X I I 51, X V I I I 18 ff, Str. S. I I 249. 20 R.Ges. I § 5 litt, c u. d, § 43, § 45, I I § 5 Z. 4 u. 5. 21 Hinsichtlich des Titelblatts anerkannt vom R.Ger. X V I I I Nr. 4 S. 17 ff — Hier liegt die Sache anders als bei dem oben Anm. 2 - 5 besprochenen unbefugten Gebrauche des Titels oder Namens. Die Benennung als Modalität der Veröffentlichung gehört zum Inhalte des Urheberrechts. 22 So auch R.Ger. X I I Nr. 12 S. 51, XVIII Nr 4 S. 18 ff. 23 Vgl. oben Anm. 9—12 u. 15. 24 R.Ges. I § 1, 43 u. 45. Vgl. Oesterr. Pat. § 2—3, Dan., Schwed. u. Norweg.

§ 87. Inhalt und Umfang des litterarischen und künstlerischen Urheberrechts. 793

der mechanischen Vervielfältigung ist vom Buchdrucke ausgegangen, umfafst aber auch jedes andere technische Verfahren, das geeignet ist, eine Vielheit gleichförmiger körperlicher Sachen (Exemplare) herzustellen, die ein Geisteswerk sinnfällig wiedergeben25. Durch ausdrückliche Gesetzesvorschrift ist er auf das Abschreiben ausgedehnt, „wenn es dazu bestimmt ist, den Druck zu vertreten" 26. Die Vervielfältigung bleibt eine mechanische, wenn sie auch durch eine nicht mechanische Nachbildung vermittelt wird 27 . Auch liegt eine mechanische Vervielfältigung schon vor, wenn auf einem zur Herstellung vieler Exemplare geeigneten Wege nur ein einziges Exemplar hergestellt ist 28 . Dagegen wird eine nicht mechanische Nachbildung auch durch vielfache Wiederholung nicht zur mechanischen Vervielfältigung 29. Gleichgültig ist, in welcher sinnlichen Form die Wiedergabe erfolgt. Der Begriff der mechanischen Vervielfältigung wird dadurch nicht ausgeschlossen, dafs das Geisteswerk mittelst einer anderen Gattung von Schrift-, Bild- oder Tonzeichen wiedergegeben wird 80 . Ges. § 1. Niederländ. Art. 1. — Andere Gesetze behalten dem Urheber nicht blos die mechanische, sondern jede Vervielfältigung oder Reproduktion vor; so Bchweiz. Art. 1, Ital. § 32, Span. Art. 7, Belg. Art. 1, das französ. R., der Oesterr. Entw. I I § 23 u. 31. 25 So z. B. Litographie, Metallographie, Photographie, Stahlstich, Kupferstich, Holzschnitt, Kopirmaschine, Durchdruck u. s. w.; vgl. W ä c h t e r , Autorr. S. 176 ff. 28 R.Gee. I § 4 Abs. 3; ebenso Ungar. Ges. § 5. Das Gegentheil bestimmte das Bayr. Ges. Art. 5. Umgekehrt versteht sich für die Gesetze, die jede Vervielfältigung untersagen, die Einbeziehung der Abschriften von selbst. — Ueber die prinzipielle Frage vgl. Jolly S. 145 ff., W ä c h t e r , Verlagsr. I I 511 ff., Autorr. S. 178 ff, Mandry S. 27 ff, Anders S. 224ff, Schuster S. 156 ff. u. 165 ff. 87 Z. B. Druck eines Vortrages nach einer Niederschrift oder eines Druckes oder Manuskripts nach einer erlaubten Abschrift, Vervielfältigung von Abbildungen nach einer Nachzeichnung u. s. w. 28 Somit kann auch eine einmalige Abschrift, wenn sie ein Druckexemplar vertreten soll, mechanische Vervielfältigung sein. A. M. R.Ger. XX Nr. 20 u. Str.S. XIV Nr. 14 (einmaliges Abschreiben einer Partitur sei niemals Vervielfältigung, auch wenn es behufs öffentlicher Aufführung erfolge). Vgl. auch Oesterr. Entw. I I § 25 Z. 3 u. § 33 Z. 4, der einzelne Vervielfältigungen nur dann gestatten will, wenn ihr Vertrieb nicht beabsichtigt wird. 29 Vielmaliges Abschreiben, das den Druck nicht vertreten soll, kann somit der Urheber nicht untersagen. Ebensowenig vielmalige Wiedergabe einer Abbildung der in R.Ges. I § 43 bezeichneten Art durch Nachzeichnung, Nachmalung u. s. w. 80 Mit Recht hat daher das R.Ger. X X I I Nr. 35 u. X X V I I Nr. 15 die Herstellung durchlochter Papptafeln oder mit Vertiefungen versehener Blechscheiben, die als auswechselbare Notenblätter im Falle der Einfügung in ein Musikinstrument ein Musikstück zu Gehör bringen (Ariston, Herophon, Ciariophon u. s. w.), als mechanische Vervielfältigung des Tonwerkes behandelt. Dagegen Schuster

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Viertes Kapitel.

Persönlichkeitsrechte.

Nicht als mechanische Verviefältigung aber gilt die Herstellung einer körperlichen Sache, die das Geisteswerk überhaupt nicht unmittelbar zur Erscheinung bringt, sondern nur ein Werkzeug für dessen mechanische Wiedergabe bildet81. Gleichgültig ist, in welchem Umfange die Wiedergabe stattfindet. Auch die Vervielfältigung eines Theiles seines Werkes kann der Urheber jedem Anderen untersagen32, vorausgesetzt nur, dafs in diesem Theile sich ein Stück seiner geistigen Schöpfung offenbart 88. Sobald aber das Werk veröffentlicht ist, verengt sich das Urheberrecht durch die in dem nunmehr begründeten Rechte des Gemeingebrauches enthaltene Entlehnungsfreiheit. Sie umfafst zunächst die Citirfreiheit, kraft deren Jedem die wörtliche Anführung einzelner Stellen oder kleinerer Theile eines veröffentlichten Schriftwerkes und die Anführung einzelner Stellen eines veröffentlichten Tonwerkes frei steht84. Darüber hinaus ist die Aufnahme veröffentlichter Schriften von geringerem Umfange und veröffentlichter kleinerer Kompositionen in ein anderes Werk zulässig, wenn dieses entweder ein gröfseres Ganze ist, das sich seinem Hauptinhalte nach als ein selbständiges wissenschaftliches Werk darstellt, oder eine aus den Werken mehrerer Urheber veranstaltete Sammlung für einen die Aufnahme rechtfertigenden Zweck bildet85. Einzelne Abbildungen dürfen überdies in ein Schriftwerk übernommen werden, falls das Schriftwerk als die Hauptsache erscheint und die Abbildungen nur zur Erläuterung des S. 159 ff. Aehnlich verhält es sich mit der Wiedergabe eines Schriftwerkes in Bilderschrift oder Blindenschrift. 81 So ist im Schlufsprot. Z. 3 zur Berner Uebereinkunft v. 9. Sept. 1886 ausdrücklich anerkannt, dafs die Anfertigung von Musikinstrumenten mit festen Bestandteilen zur mechanischen Wiedergabe eines Tonwerkes (Spieldosen, Drehorgeln u. s. w.) keinen Eingriff in das musikalische Urheberrecht enthalt; vgl. Schweiz. Ges. Art. 11 Z. 11, Oesterr. Entw. I I § 36, Scheele S. 120 ff. Man denke auch an Phonographen. 32 R.Ges. I § 4 Abs. 2, § 43, § 45. 33 Diese Schranke, aber auch nur sie, gilt schon vor der Veröffentlichung; oben Anm. 9. 34 R.Ges. I § 7 litt, a, § 47; Oesterr. Entw. I I § 25 Z. 1 u. § 33 Z. 2. Vgl. Wächter, Autorr. S. 192, 195 ff., 305, Schuster S. 201 ff. 35 R.Ges. 1 § 7 litt, a, § 47 ; Oesterr. Entw. I I § 25 Z. 2, § 33 Z. 3. Ueber das Erfordernifs des selbständigen wissenschaftlichen Charakters, der nicht vom wissenschaftlichen Werthe abhängt, vgl. R.O.H.G. V I 172. Privilegirte Sammlungen sind bei Schriftwerken solche „zum Kirchen-, Schul- oder Unterrichtsgebrauch oder zu einem eigentümlichen litterarischen (nach Oesterr. Entw. auch künstlerischen) Zwecke" (vgl. R.Ger. in Str.S. I Nr. 93 u. I I I Nr. 29), bei Tonwerken nur solche zur Benutzung in Schulen, ausschliefslich der Musikschulen. Der zulassige Umfang der Entlehnung bemifst sich nach den Umständen ; R.O.H.G. VII 173 ff. Der Oesterr.

§ 87. Inhalt und Umfang des litterarischen und künstlerischen Urheberrechts. 795

Textes dienen86. In allen Fällen aber mufs jede Entlehnung aus einem fremden Werke durch Angabe des Urhebers oder der benutzten Quelle als das, was sie ist, gekennzeichnet werden87. Gleichgültig ist, in welcher Verbindung die Wiedergabe erfolgt. Nur mufs sich der Urheber eines bereits veröffentlichten Schriftwerkes insoweit, als das geltende Recht dessen Benutzung als Text einer musikalischen Komposition frei giebt, auch die Vervielfältigung seines Werkes in Verbindung mit der· Komposition gefallen lassen88. Gleichgültig ist endlich, mit welchen Veränderungen das Geisteswerk wiedergegeben wird. Erscheint es in der Vervielfältigung ganz oder theilweise in seinem wesentlichen Bestände wieder, so liegt eine mechanische Vervielfältigung vor, wenn auch eine vielleicht sehr bedeutende geistige Thätigkeit aufgewandt ist, um im Uebrigen dem Werke eine neue Gestalt zu verleihen- Das Recht, die Wiedergabe seines Werkes auch in veränderter Gestalt zu untersagen, büfst der Urheber auch durch Veröffentlichung nicht ein. Doch sind nunmehr Inhaltsangaben oder Referate, die das Werk nur in seinem Dasein beschreiben, allgemein zulässig89. Und vor Allem darf das veröffentlichte Werk seiner Bestimmung gemäfs von Jedermann zu eigner geistiger Schöpfung ausgebeutet werden40. Die Grenzen zwischen unbefugter veränderter Wiedergabe und erlaubter Benutzung zu eigner Schöpfung sind bei Schriftwerken und Abbildungen vom Gesetze nicht vorgezeichnet41. Entscheidend ist, ob das Werk trotz der VerändeEntw. will ihn bei Schriftwerken durch das Höchstmafs eines Druckbogens begrenzen. — Vgl. Wächter. Autorr. S. 196 if., Kohler, Autorr. S. 244 ff., Schuster S. 201 ff, Scheele S. 46 ff. u. 126 ff. 86 R.Ges. I § 44. Sonst gilt nach § 48 hinsichtlich der Entlehnungen Gleiches wie fiir Schriftwerke. Vgl. Scheele S. 117. 87 R.Ges. I § 7 litt, a, § 44 u. § 47. 88 R.Ges. I § 48 u. dazu oben § 86 Anm. 70—71 u. S. 790 Anm. 11; Endemann S. 77, Dambach S. 230, Wächter S. 296 ff. u. 307. — Eine analoge Anwendung dieser Ausnahmebestimmung, wie sie z. B. Wächter a. a. O. S. 195 Anm. 19 u. Urheberr. S. 193 u. Scheele S. 48 bei der Benutzung eines Schriftwerkes als Text fur ein Werk der bildenden Kunst wollen, ist unzulässig. 89 Vgl. oben Anm. 12. 40 Das geltende Recht behandelt freilich eine solche Benutzung auch dann nicht als Eingriff in das Urheberrecht, wenn sie vor der Veröffentlichung des Werkes ohne Einwilligung des Urhebers erfolgt. Allein immer bleibt sie unrechtmäfsig. Auch kann in manchen Fallen die unbefugte Veröffentlichung einer Bearbeitung vor der Veröffentlichung des Originalwerkes sich als Nachdruck darstellen, während eine gleiche Bearbeitung des veröffentlichten Werkes hätte herausgegeben werden dürfen. Vgl. oben Anm. 12. 41 Dagegen will der Oesterr. Entw. I I § 24 Z. 3 eine Bestimmung darüber treffen; vgl. auch Berner Uebereink. Art. 10.

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rung noch immer als individuelle Offenbarung der fremden Persönlichkeit erscheint oder mit seiner Individualität ganz in der originalen Hervorbringung einer anderen Persönlichkeit aufgegangen ist 42 . Das aus der Verbindung von Idee und Form entstandene eigenthtlmliche Ganze darf Niemand in einem wesentlichen Bestandtheile aus der Persönlichkeitssphäre des Schöpfers in die eigne Persönlichkeitssphäre verpflanzen, die einzelnen Elemente dieses Ganzen aber darf Jedermann sich aneignen und zur Erzeugung eines neuen Ganzen verwenden48. Hiernach ist z. B. die Dramatisirung einer fremden Novelle oder eines Romanes unerlaubt oder erlaubt, jenachdem das Drama sich nur als eine Bearbeitung der Erzählung für die Bühne oder als eine Verarbeitung des übernommenen Stoffes zu einem selbständigen Kunstwerke darstellt44. Bei Tonwerken verbietet das Gesetz ausdrücklich alle ohne Genehmigung des Urhebers herausgegebenen Bearbeitungen, die nicht als eigenthümliche Kompositionen betrachtet werden können, „insbesondere Auszüge aus einer musikalischen Komposition, Arrangements für einzelne oder mehrere Instrumente oder Stimmen, sowie den Abdruck von einzelnen Motiven oder Melodien 42 Man darf nicht mit W ä c h t e r , Autorr. S. 187 if., entscheidendes Gewicht auf die vermögensrechtliche Beeinträchtigung des Urhebers legen. Andrerseits gelangt Kohl er, Kunstwerk S. 83 ff., indem er dem Urheber ein ausschliefsliches Hecht an dem von ihm hervorgebrachten „imaginären Bilde" beilegt, zu einer über das geltende Recht hinausgehenden Einschränkung der Benutzungsfreiheit. 48 So darf man einem wissenschaftlichen Schriftwerke, obschon man es auch in einer Bearbeitung nicht wiedergeben darf, doch für ein eignes wissenschaftliches Werk die festgestellten Thatsachen, das zusammengebrachte Material, die konstruktiven Gedanken, das System, die Methode und die Formulirung der Ergebnisse entnehmen. Man darf einer Abbildung, während man sie auch mit veränderten Abmessungen oder Farben nicht reproduziren darf, behufs Herstellung einer eignen Abbildung den wissenschaftlichen oder technischen Gehalt an Thatsachen und Gedanken und die Methode der Darstellung entlehnen. Und man darf aus einem Werke der Dichtkunst, obwohl man es auch in einer Umformung nicht vervielfältigen darf, für ein eignes Dichtwerk den Stoff, die Fabel, den künstlerischen Gedanken schöpfen oder seine poetische Form bei Bearbeitung eines anderen Stoffes nachbilden. 44 Vgl. R.Ger. in Str.S. VIII Nr. 124 u. in Blums Annalen X 164 ff.; Dam· bach, Fünfzig Gutachten S. 306 ff.; Scheele S. 27. Die ältere Ansicht neigte zur Verneinung jedes Urheberrechtsschutzes gegen Dramatisirung; vgl. Heydemann u. Dambach S. 516 ff., Wächter, Autorr. S. 189 ff, Daude S. 54. Umgekehrt dehnt Kohler, Autorr. S. 215 ff. u. Kunstwerk S. 100 ff., den Urheberrechtsschutz gegen „Adaption" weiter aus. Der Oesterr. Entw. I § 22 u. 23 Z. 1 enthielt besondere Bestimmungen über die Dramatisirung; Entw. I I hat sie fallen lassen. — Aehnliche Gesichtspunkte entscheiden bei der Versifikation, der Parodie u. s. w.

§ 87. Inhalt und Umfang des litterarischen und künstlerischen Urheberrechts. 797

eines und desselben Werkes, die nicht künstlerisch verarbeitet sind u45 . Dagegen ist die künstlerische Verarbeitung fremder Tonsätze zu eigenthümlichen Kompositionen eigner Schöpfung gestattet46. 2. Uebersetzung. Die Vervielfältigung eines Schriftwerkes in einer Uebersetzung fällt an sich unter die dem Urheber ausschliefslich zustehenden Handlungen47. Denn obschon die Uebersetzung selbst eine geistige Schöpfung ist, so gehört sie doch zu den Bearbeitungen, in denen das Geisteswerk in seinem wesentlichen Bestände wiedererscheint. Das deutsche Recht schützt jedoch den Urheber unbedingt nur gegen eine solche Wiedergabe in Uebersetzung, die zugleich unbefugte Veröffentlichung ist. Nach der Veröffentlichung gewährt es den vollen Urheberrechtsschutz lediglich einem zuerst in einer todten Sprache erschienenen Werke gegen Uebersetzung in eine lebende Sprache48, einen auf fünf Jahre abgekürzten Urheberrechtsschutz auch einem gleichzeitig in verschiedenen Sprachen erschienenen Werke gegen Uebersetzung in eine dieser Sprachen49. Im Uebrigen statuirt es Uebersetzungsfreiheit und gesteht dem Urheber nur für den Fall, dafs er sich das Uebersetzungsrecht auf dem Titelblatte oder an der Spitze des Werkes vorbehalten hat, einen durch rechtzeitige und gehörig kundgemachte Herstellung einer rechtmäfsigen 46

R.Ges. I § 46. Der Oesterr. Entw. I I § 32 Z. 1 fügt die Potpourris hinzu, denen nach R.Ges. I § 46—47 die Erlaubtheit der musikalischen Citate auch dann, wenn sie keine selbständigen Geisteswerke sind, zu Gute kommt. 46 So namentlich bei Variationen, Phantasien, Etüden u. s. w.; vgl. OesterrPat. § 6, Entw. I I § 33 Z. 1. Im Einzelnen ist hier viel Streit; vgl. Dambach S. 222 ff., Endemann S. 74 ff, Wächter a. a. O. S. 301 ff, K o h l e r , Autorr. S. 221 ff, Kunstwerk S. 150 ff, Arch. f. c. Pr. LXXXII 237 ff, Schuster S. 174 ff, Scheele S. 123 ff. Am weitesten in der Einschränkung der Benutzungsfreiheit geht man in Frankreich („droit de mélodie"); Or el I i , Der internat. Schutz S. 42 ff. 4T Vgl. Wächter, Verlagsr. S. 557 ff, Autorr. S. 202 fl., Klostermann, Geist. Eigth. S. 389 ff, K o h l e r , Autorr. S. 209 ff A. M. Jolly S. 152 ff, Dahn (oben § 85 Anm. 68), Schäffle a. a. 0. S. 235, eigentlich auch Stobbe I I I 39. — Vollständig wird das Uebersetzungsrecht dem Urheber vom französ. R. gewahrt; Ρ ou i l l et S. 426 ff. Ebenso vom Belg. Ges. Art. 12. Grundsätzlich auch im Schweiz. Ges. Art. 1 Abs. 1 (aber beschränkt durch Art. 2 Abs. 8). Dagegen steht das Oesterr. Pat. § 5 litt, c auf dem Standpunkte des deut. Rechts ; ebenso Ungar. Ges. § 17, Oesterr. Entw. I I § 28-29. 48 R.Ges. I § 6 litt. a. Eine todte Sprache ist jede, die nicht mehr Volkssprache ist, wie Lateinisch, Altgriechisch, Hebräisch oder Syrisch; Dam bac h S. 65. — Uebertragung in eine andere Mundart (z. B. aus dem Plattdeutschen ins Hochdeutsche) ist keine Uebersetzung, daher stets dem Urheber vorbehalten; W ä c h t e r a. a. 0. S. 207, Dambach S. 76. 49 R.Ges. I § 6 litt, b mit § 15 u. 16; Wächter S. 208 ff. Die 5 Jahre laufen seit dem Ablaufe des Kalenderjahres, in dem das Originalwerk zuerst erschienen ist.

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Uebersetzung bedingten und auf die Dauer von fünf Jahren seit deren Erscheinen beschränkten Schutz gegen Uebersetzung zu 50 . Doch hat die Berner Uebereinkunft die Uebersetzungsfreiheit erheblich eingeschränkt, indem sie jedem einem Verbandslande angehörigen Urheber während des Zeitraumes von zehn Jahren seit der Veröffentlichung seines Werkes in einem Verbandslande ohne Weiteres in jedem anderen Verbandslande ein ausschliefsliches Uebersetzungsrecht einräumt61. 3. Oeffentliche Aufführung. Bei Bühnenwerken und Tonwerken hat der Urheber das ausschliefsliche Recht der Wiedergabe durch öffentliche Aufführung; bei rein musikalischen Werken büist er jedoch durch Herausgabe des Werkes dieses Recht ein, falls er es sich nicht auf dem Titelblatte oder an der Spitze des Werkes vorbehält63. Nur die öffentliche Aufführung gehört zum Inhalte des Urheberrechtes. Oeffentlich ist jede Aufführung, zu der nach der Absicht des Veranstalters der Zutritt einem unbestimmten Kreise offen steht. Sie ist öffentlich, ob sie nun unter freiem Himmel oder unter Dach, an einem öffentlichen Orte oder in einem Privatlokale, von Künstlern oder von Dilettanten, entgeltlich oder unentgeltlich, zu p0 R.Ges. I § 6 Abs. 1 litt, c u. Abs. 2—4 mit § 15. Bei einem in mehreren Bänden oder Abtheilungen erscheinenden Werke mufs der Vorbehalt auf jedem Bande oder jeder Abtheilung wiederholt werden. Die vorbehaltene Uebersetzung mufs in einem Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres der Veröffentlichung begonnen und in drei Jahren vollendet, bei dramatischen Werken aber schon binnen sechs Monaten seit dem Tage der Veröffentlichung des Originals vollständig erschienen sein. Beginn und Vollendung der Uebersetzung bedürfen überdies der rechtzeitigen Eintragung in die Eintragsrolle; oben § 86 Anm. 88—89. — Vgl. Wächter a. a. O. S. 209 ff., Klostermann, Urheberr. S. 219 u. b. Endemann I I 288; dazu Oesterr. Entw. I I § 28-29. 61 Berner Uebereink. Art. 5. Daneben gelten weiterreichende Bestimmungen der Einzelverträge fort-, so z. B. Art. 10 des deutsch-französ. Vertrages, vgl. Daude S. 159 Anm. 29. 62 R.Ges. I § 50. Das Preufs. Ges. v. 1837 § 32 u. der B.B. v. 22. Apr. 1841 gewährten das Aufführungsrecht in allen Fällen dem Urheber nur bis zur Veröffentlichung seines Werkes durch den Druck (ebenso Oesterr. Pat. § 8); das Preufs. Ges. v. 20. Febr. 1854 § 2 u. der B.B. v. 12. März 1857 § 2 erkannten das Aufführungsrecht des Urhebers auch an herausgegebenen Werken, jedoch in allen Fällen nur auf Grund eines vorgedruckten Vorbehaltes an. Der erweiterte Schutz gegen öffentliche Aufführung kommt auch den unter der Herrschaft des älteren Rechtes durch Veröffentlichung oder vorbehaltlose Veröffentlichung schutzlos gewordenen Werken zu Gute; R.Ges. I § 58, R.O.H.G. X 113 ff., XV 193 ff. — Näheres über die Geschichte des Aufführungsrechtes b. W ä c h t e r , Verlagsr. I I 632 ff., Klostermann, Geist. Eigth. S. 170 ff., Schuster S. 25 ff. u. 219 ff. — Das französ. R. fordert zur Erhaltung des Aufführungsrechtes auch bei rein musikalischen Werken keinen Vorbehalt. Der Oesterr. Entw. I I § 23 Abs. 2, § 30, § 31 u. § 34 will sich an das deutsche Recht anschliefsen.

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künstlerischen oder anderen Zwecken stattfindet 58. Gemeinfrei dagegen ist jede private Aufführung, insbesondere auch die Aufführung vor einer dazu geladenen Gesellschaft oder den Mitgliedern eines geschlossenen Vereins54. Das Aufführungsrecht des Urhebers erstreckt sich auch auf einzelne Τ heile seines Werkes56. Es umschliefst ferner auch die Wiedergabe des Werkes mit solchen Veränderungen, die seinen wesentlichen Bestand nicht aufheben 56. Somit kann der Urheber die öffentliche Aufführung einer Bearbeitung seines Werkes regelmäfsig dann untersagen, wenn die Bearbeitung von solcher Beschaffenheit ist, dais ihre mechanische Vervielfältigung als Nachdruck anzusehen wäre 67. Insbesondere ist der Urheber eines Dramas, wenn und so lange er die Wiedergabe seines Werkes in einer Uebersetzung verbieten kann, auch gegen die von ihm nicht gestattete öffentliche Aufführung einer Uebersetzung seines Werkes geschützt58. Andrerseits erwirbt der Urheber einer Bearbeitung, die ein selbständiges Geisteswerk ist, und somit namentlich jeder Verfasser einer Uebersetzung ein ausschliefsliches Recht der öffentlichen Aufführung an seiner Schöpfung69. Als Aufführung ist dem Urheber jede sinnfällige Darstellung 68

Vgl. W ä c h t e r , Verlagsr. I. 633 ff., Autorr. S. 331 ff, Klostermann, Geist. Eigth. S. 404 ff., Stobbe I I I 434, Schuster S. 223 ff Weiter fafst den Begriff Ko hl er, Autorr. S. 241. Enger z. B. Harum S. 212 (Ausschlufs der Strafsenmusik). Das Schweiz. Ges. Art. 11Z. 10 erlaubt jede Aufführung ohne Gewinnabsicht, auch wenn eine Einnahme zur Kostendeckung oder zu wohlthätigcn Zwecken erzielt wird. 54 Hiergegen ist auch ein unveröffentlichtes Werk nicht geschützt. 55 Dambach S. 246ff, Klostermann, Urheberr. S. 234, Wächter, Autorr. S. 332, Scheele S. 134. Unrichtig Endemann S. 84. Veröffentlichten Werken gegenüber wird jedoch hier die Entlehnungsfreiheit wirksam; oben Anm. 34 u. 45. δβ R.Ges. I § 54 Abs. 1: „mit unwesentlichen Veränderungen". 57 Für musikalische Werke in R.Ges. I § 50 Abs. 4 bestimmt. (Anders nach Oesterr. R., vgl. Schuster S. 233, auch Entw. I I § 35). Gleiches mufs für dramatische Werke gelten, insbesondere auch fiir rechtswidrige Dramatisirungen fremder Schriftwerke; Κ ο hl er, Kunstwerk S. 110, oben Anm. 43—44. 68 R.Ges. I § 50 Abs. 4, Berner Üebereink. Art. 9 Abs. 2. 69 Das R.Ges. I § 50 Abs. 3 spricht dies nur für „rechtmäfsige" Uebersetzungen aus. Gemäfs § 6 des Ges. aber kann nach dem oben § 86 Anm. 14 Bemerkten hierin nur ein Hinweis darauf gefunden werden, dafs das durch die Uebersetzung erworbene Aufführungsrecht nicht gegen das im Urheberrechte am Originale enthaltene Recht, die Wiedergabe in Uebersetzung zu verbieten, durchdringen kann; vgl. Κ oh 1er, Kunstwerk S. 183 ff, Scheele S. 136. Selbstverständlich hat der Verfasser der Bearbeitung oder Uebersetzung kein Untersagungsrecht gegen die Aufführung einer anderen Bearbeitung oder Uebersetzung desselben Originals.

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vorbehalten, die das Werk mit den seiner Kunstform entsprechenden Mitteln zur Erscheinung bringt. Zur Aufführung eines dramatischen Werkes gehört dessen sichtbare Darstellung durch mimische Handlungen 6 0 , zur Aufführung eines musikalischen Werkes dessen hörbare Darstellung durch Töne61, zur Aufführung eines dramatisch-musikalischen Werkes die Verbindung von mimischer und klingender Darstellung62· Keine Aufführung ist der Vortrag im Wege der Vorlesung oder Recitation. Gegen Wiedergabe durch öffentlichen Vortrag ist daher ein einmal veröffentlichtes dramatisches Werk so wenig geschützt, wie irgend ein anderes veröffentlichtes Schriftwerk hiergegen selbst dann geschützt ist, wenn der Urheber es lediglich durch Vortrag veröffentlicht oder ausschliefslich zum Vortrage bestimmt hat 68 . 4. Nachbildung. Bei Werken der bildenden Künste hat der Urheber das ausschliefsliche Recht, sein Werk „ganz oder theilweise nachzubilden"e4. Hier ist ihm also nicht blos wie bei Schriftwerken und den ihnen gleichgestellten Abbildungen die „mechanische Vervielfältigung" , sondern auch die Wiedergabe auf nicht mechanischem 60 Unerheblich fur den Begriff der Aufführung ist die ezenische Einrichtung und das Kostüm; Dambach S. 244, W ä c h t e r , Autorr. S. 831. Das gesprochene Wort kann bei einer Pantomime wegfeilen. 61 Gleichgültig ist, sobald nur das Tonwerk in seinem wesentlichen Bestände zu Gehör gebracht wird, das verwandte Musikinstrument. Auch die öffentliche Wiedergabe des Tonwerkes durch einen Musikmechanismus ist öffentliche Aufführung und mit der Freigabe der Herstellung solcher Mechanismen (oben Anm. 31) nicht ohne Weiteres freigegeben; Schuster S. 161. Anders Oesterr. Entw. I I § 36. 62 Darum ist die Aufführung ohne Aktion, z. B. der Konzertvortrag einer Oper, keine Aufführung des dramatisch-musikalischen Werkes als solchen; Dam bach S. 246, vgl. Bayr. Ges. v. 1865 Art. 41 Abs. 2, Dän. Art. 17, Norw. Art. 30, Schwed. Art 13; a. M. Klostermann, Geist Eigth. S. 405, Urheberr. S. 233, Schuster S. 231. Sie bleibt indefs Aufführung des musikalischen Theiles des Werkes, so dafs der Komponist eine derartige öffentliche Auffuhrung vor der Herausgabe seiner Komposition unbedingt, nach der Herausgabe im Falle eines gehörigen Vorbehaltes untersagen kann. 63 W ä c h t e r , Autorr. S. 331. — Der Oesterr. Entw. I I § 23 Abs. 3 will das Urheberrecht an Vorträgen, insolange sie noch nicht rechtmäfsig herausgegeben sind, auf „das ausschiefsliche Recht der öffentlichen Abhaltung" ausdehnen. 64 R.Ges. I I § 1. — Durch Veröffentlichung büfst er dieses Recht nicht ein. Dagegen mufs er nach dem Oesterr. Pat. § 10 bei der Veröffentlichung sich das Nachbildungsrecht vorbehalten und diesen Vorbehalt binnen zwei Jahren in Ausführung bringen, widrigenfalls jede Nachbildung unumschränkt erlaubt ist; Harum S. 111 ff., Anders S. 250 ff. Der Oesterr. Entw. I I § 87 will diese Einschränkung beseitigen.

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und zur Herstellung vieler gleichförmiger Exemplare nicht geeigneten Wege vorbehaltenβδ. Nachbildung ist auch die Wiedergabe des Werkes durch ein anderes als das beim Original werke angewandte Verfahren 6 6 . Entscheidend ist lediglich die Uebereinstimmung des durch irgend ein sei es mechanisches sei es künstlerisches Verfahren hervorgebrachten Abbildes mit dem Urbilde. Nachbildung ist auch die mittelbare Nachbildung, mag sie nun nach einer unrechtmässigen oder nach einer rechtmäfsigen Nachbildung des Original Werkes geschaffen sein67. Eine unbefugte mittelbare Nachbildung kann daher gleichzeitig in das Urheberrecht eines Nachbildners und das Urheberrecht des Schöpfers des Urbildes eingreifen 6 8 . Nachbildung ist auch die Einzelkopie (Handkopie). Sie ist jedoch erlaubt, sofern sie ohne die Absicht der Verwerthung angefertigt wird 69 . Nur darf in keinem Falle der Name oder das Monogramm des Urhebers auf der Kopie angebracht werden70. Nachbildung ist auch die partielle Nachbildung, falls sie einen 65 Das ältere deutsche Hecht schützte auch den Künstler meist nur gegen mechanische Vervielfältigung; Wächter, Verlagsr. S. 575 ff. Auf diesem Standpunkte steht noch das Oesterr. Pat. § 3, vgl. Anders S. 226 ff, während der neue Entw. sich dem jetzigen deut. 11. anschliefsen will. Das Schweiz. Ges. Art. 1 u. 5 wahrt dem Urheher hier wie bei Schriftwerken einfach das „Vervielfältigungsrecht"; ebenso andere ausländische Ges., vgl. oben Anm. 24, Dän. Ges. v. 1864 § 1, Schwed. v. 1867 § 1—2, Norweg. v. 1877 § 1—2. ββ R.Ges. I I § 5 Ζ. 1; Oesterr. Entw. Π § 38 Ζ. 1; Wächter, Urheberr. S. 172 ff. u. 205 ff, Scheele S. 181 ff. 87 RGes. Π § 5 Z. 2; Oesterr. Entw. Π § 38 Z. 2 mit § 37 Abs. 2; Wächter a. a. O. S. 168 ff. u. 175, Scheele S. 182. 68 Wer ζ. B. unbefugter Wei s einen Kupferstich oder Gypsabgufs photographisch vervielfältigt, verletzt sowohl das Urheberrecht an dem Kupferstich oder Gypsabgufs (oben § 86 Anm. 40—43), wie das Urheberrecht an dem zu Grunde liegenden Gemälde oder plastischem Werke. 69 R.Ges. I I § 6 Z. 1; Mandry S. 223ff, Klostermann, Urheberr. S. 228, Wächter, Urheberr. S. 179 ff, Scheele S. 186ff Erlaubt ist hiernach die Kopie zu Studienzwecken, zu eignem Gebrauch oder Genufs u. s. w., aber auch zum Verschenken ; und eine ursprünglich nicht in Verwerthungsabsicht hergestellte Kopie wird auch durch spätere Verwerthung nicht unerlaubt. — Der Oesterr. Entw. I I § 39 Z. 2 will „einzelne Nachbildungen" und insbesondere „Einzelkopien" überhaupt gestatten, „wenn deren gewerbsmäfsiger Vertrieb nicht beabsichtigt wird." 70 R.Ges. I I § 6 Z. 1; Oesterr. Entw. I I § 39 Z. 2. Die Uebertretung dieses Verbotes verletzt aber nicht das Urheberrecht, sondern das Namenrecht; vgl. oben § 88 Anm. 35 u. § 84 Anm. 98, W ä c h t e r a. a. 0. S. 208 ff.

B i n d i n g , Handbuch.

II. 3. I : G i e r k e , Deutschee Privatrecht.

I.

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Theil wiedergiebt, in dem sich ein Stück des künstlerischen Ganzen offenbart 71. Nachbildung ist auch die Wiedergabe in einem Schriftwerke. Doch dürfen Nachbildungen einzelner Kunstwerke unter Angabe des Künstlers oder der benutzten Quelle in ein Schriftwerk aufgenommen werden, falls dieses als die Hauptsache erscheint und die Abbildungen nur zur Erläuterung des Textes dienen72. Nachbildung ist auch die Nachbildung an einem Werke der Baukunst 7 8 . Nachbildung ist auch die Nachbildung an einem gewerblichen Erzeugnisse 7 4 . Wer indefs eine derartige Nachbildung einmal gestattet hat, geniefst gegen weitere Nachbildungen an gewerblichen Erzeugnissen nur noch den kunstgewerblichen Urheberrechtsschutz76. Nachbildung ist auch die Nachbildung in einer anderen Kunstgattung. Unser positives Recht erklärt jedoch die Nachbildung eines Werkes der in der Fläche schaffenden (zeichnenden oder malenden) Kunst durch die plastische Kunst und umgekehrt für gemeinfrei 7 6 . Die nicht künstlerische, sondern rein mechanische Wieder71

R.Ges. I I § 1; Wächter a. a. 0. S. 187 ff. R.Ges. I I § 6 Z. 4; Oesterr. Entw. I I § 39 Z. 5; Wächter a. a. 0. S. 189 ff. So z. B. Illustrationen zu einer Kunstgeschichte. — Trotz des Schweigens des Gesetzes kann hier wie bei Schriftwerken die Entlehnung nur unter der Voraussetzung als gestattet gelten, dafs das Werk bereits veröffentlicht ist; oben Anm. 9. A. M. Wächter S. 193, Scheele S. 194. Der Oesterr. Entw. will dies ausdrücklich sagen. — Ueber die Verpflichtung zur Quellenangabe Wächter S. 211ff. 73 Dies ist an sich selbstverständlich, jedoch im R.Ges. I I § 5 Z. 3 besonders hervorgehoben, weil die Werke der Baukunst selbst ungeschützt sind; ebenso Oesterr. Entw. I I § 38 Z. 3. 74 R.Ges. I I § 5 Z. 3 (an einem Werke „der Industrie, der Fabriken, Handwerke oder Manufakturen"). Das altere deut. R. (so noch Bayr. Ges. Art. 31) gab die Nachbildung an Industrieerzeugnissen frei. Ebenso Oesterr. Pat. § 9 litt b (anders Entw. I I § 5 Z. 3). Ueber die Geschichte dieser Ausdehnung des künstlerischen Urheberrechtes in Deutschland, wo an dem Streite über deren Mafs die Regelung des artistischen Urheberrechts in R.Ges. I scheiterte, vgl. Wächter S. 198ff. 75 R.Ges. I I § 14; R.Ger. XXHI Nr. 20, Str. S. I I I Nr. 135. — In jeder anderen Richtung bleibt das künstlerische Urheberrecht unversehrt. 76 R.Ges. I I § 6 Z. 2. Ebenso Preufs. Ges. v. 1834 § 24, Bayr. v. 1865 Art. 30; vgl. auch Oesterr. Entw. I I § 39 Z. 3. — Dagegen gab das Preufs. Ges. v. 20. Febr. 1854 § 1 nur die Reproduktion auf nicht mechanischem Wege frei. Noch enger wird die Ausnahme im Oesterr. Pat. § 9 litt, c—d begrenzt. — „Litophanie" oder „Diaphanie" (Bildausprägung in Porzellan oder Papiermasse, bei der der Bildeindruck durch Transparenz des Lichtes hervorgebracht wird) nach der Photographie eines geschützten Gemäldes ist Wiedergabe in der Fläche und somit nicht gestattet; R.Ger. XVIH Nr. 17, Str. S. XVII Nr. 97; Scheele S. 189. A. M. Kohler b. Busch XLVIII 132 ff. 72

§ 87. Inhalt und Umfang des litterarischen und künstlerischen Urheberrechts. 803

gäbe des Werkes in einer anderen Kunstgattung ist hiermit nicht freigegeben 77. Ist aber ein Kunstwerk bleibend in die Oeffentlichkeit hineingestellt, so schrumpft das Urheberrecht an ihm zu dem ausschliefslichen Rechte auf Nachbildung in derselben „Kunstform" zusammen 7 8 . Nachbildung ist überhaupt auch jede veränderte Wiedergabe, falls trotz der Veränderung in dem Abbilde das Urbild seinem wesentlichen Bestände nach ganz oder theilweise wieder zum Vorschein kommt. Keine Nachbildung dagegen ist die freie Benutzung eines fremden Werkes zur Hervorbringung eines neuen Werkes 79. Niemand darf das durch die Verbindung von Idee und Form geschaffene eigenthümliche Ganze, in dem die schöpferische That einer bestimmten künstlerischen Persönlichkeit sichtbar geworden ist, sich als sein Persönlichkeitsgut aneignen. Jedermann aber darf den Ideengehalt fremder Werke ausschöpfen und die fremde Formgebung nachahmen, um mit Hülfe des vor ihm von Anderen Errungenen zu eigner Schöpfung vorzudringen80. IV. Verbreitung. Das Urheberrecht enthält endlich in gewissen Grenzen ein ausschliefsliches Verbreitungsrecht. Verbreitung ist jede Handlung, durch die das Geisteswerk einer Mehrzahl von Personen zugänglich gemacht wird 81 . Sie kann durch Mittheilung von Exemplaren, durch Vorlesung oder Aufführung und durch Ausstellung oder Auslegung erfolgen. Jede Verbreitung ist dem Urheber insoweit vorbehalten, als durch sie das Werk veröffentlicht wird 82 . Da aber eine Veröffentlichung ohne Verbreitung undenkbar ist, fällt insoweit das Verbreitungsrecht mit dem Veröffentlichungsrechte zusammen. Hinsichtlich der Aufführung von Tonwerken und Bühnenwerken deckt sich das Verbreitungsrecht auch mit dem Wiedergaberechte. Im Uebrigen besteht das Wiedergaberecht zwar unabhängig von nachfolgender Verbreitung, erstreckt sich aber nur auf die in Verbreitungsabsicht erfolgende Wiedergabe88. Eine Vervielfältigung oder Nachbildung seines Werkes, bei der überhaupt nicht beabsichtigt wird, in sein Verbreitungsrecht einzugreifen, 77

Also z. B. nicht die Photographie von Werken der Plastik; R.Ger. X V I I I Nr. 30, Str. S. X V I I I 34, Wächter a. a. 0. S. 197. 78 Hierüber oben § 86 Anm. 44. 79 R.Ges. I I § 4; Oesterr. Entw. I I § 39 Z. 1. 80 Ueber die Grenzen vgl. Wächter S. 183 if. u. bes. Köhler, Kunstwerk S. 37 ff. 81 Anders a. a. 0. S. 255 ff; R.Ger. in Str. S. XIV 47. 88 Oben S. 790 ff Anm. 7-18. 88 R.Ges. I § 18, 43, 45, I I § 5; Wäch ter, Autorr. S. 220, Urheberr. S. 221ff, Dambach S. 46, 133 ff, Scheele S. 73 ff. u. 181. 51*

Viertes Kapitel.

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Persönlichkeitsrechte.

kann der Urheber Niemandem untersagen84. Doch genügt die Absicht irgend einer Art von Verbreitung, um die vom Urheber nicht gestattete Wiedergabe unerlaubt zu machen85. Kommt hier überall das urheberrechtliche Verbreitungsrecht nur sekundär oder mittelbar zur Geltung, so ist es doch in Einer Richtung vom Gesetze zur selbständigen Befugnifs ausgeprägt. Denn das Gesetz gewährt dem Urheber ein besonderes Recht, die gewerbemäfsige Verbreitung von Exemplaren seines Werkes, die durch eine von ihm nicht gestattete Vervielfältigung oder Nachbildung hergestellt sind, zu untersagen86. Dieses selbständige urheberrechtliche Verbreitungsrecht erstreckt sich auf jede Art von gewerbemäfsigem Vertriebe von Exemplaren87. Dagegen ergreift es weder die nicht gewerbemäfsige Verbreitung 88, noch die Verbreitung, die in anderer Weise als durch Vertrieb von Exemplaren, wie z. B. durch die öifentliche Ausstellung eines Kunstwerkes, bewirkt wird 89 . 84

Jedermann kann für seinen eigenen Gebrauch ein Schriftwerk nicht blos abschreiben, sondern auch mechanisch vervielfältigen, übersetzen u. s. w., ein Kunstwerk nicht blos kopiren, sondern auch photographiren u. s. w. 86 Nur bei der Handkopie eines Kunstwerkes ist Verwerthungsabsicht erfordere lieh; oben Anm. 69. Im Uebrigen genügt auch die Absicht, Exemplare unentgeltlich zu vertheilen oder an Freunde zu verschenken (so dafs z. B. der Eigenthümer eines noch geschützten Kunstwerkes es nicht photographiren lassen darf, um die Photographien zu verschenken, Klostermann, Urheberr. S. 228). Ebenso die Absicht, die Reproduktion einer Mehrzahl von Personen vorzulesen, sie fur die Aufführung in einem gröfseren Kreise, sei diese auch nicht öffentlich, zu benutzen (z. B. in einem Gesangverein, R.O.H.G. XV 311 ff.), sie auszustellen (R.Ger. in Str. S. Π 248) u. s. w. Gleichgültig ist auch, ob die Verbreitung nur im Auslande erfolgen soll; R.Ges. I § 18, R.Ger. in Str. S. IX Nr. 33. 86 R.Ges. I § 25, 43, 45, Π § 16. Der Oesterr. Entw. I I § 23, 31 u. 37 will in den Inhalt des Urheberrechtes bei Werken der Litteratur und der Tonkunst das ausschliefsliche Recht, „das Werk zu vertreiben", bei Werken der bildenden Künste das ausschliefsliche Recht, „Nachbildungen zu vertreiben", aufnehmen. 87 Das R.Ges. I § 25 hebt das Feilhalten und Verkaufen hervor, stellt aber Verbreitung „in sonstiger Weise" gleich. Darunter fallt insbesondere auch das gewerbemäfsige Verleihen durch Leihbibliothekare; Klostermann, Urheberr. S. 38, Dambach S. 164, Wächter, Autorr. S. 227, Stobbe H I 431. Gleichgültig ist auch hier, ob die Verbreitung im Inlande oder im Auslande erfolgt. 88 Also ζ. B. nicht die unentgeltliche Vertheilung oder das unentgeltliche Ausleihen, aber auch nicht den Verkauf einzelner Exemplare ohne Gewerbeabsicht. Vgl. Wächter, Autorr. S. 225 ff., Urheberr. S. 227 ff. 89 Das Recht der öffentlichen Ausstellung ist, sofern es nicht zu unbefugter Veröffentlichung mifsbraucht wird (oben Anm. 18), im Eigenthum am Sachkörper enthalten. Der Oesterr. Entw. I § 30 wollte es in den Inhalt des künstlerischen Urheberrechtes aufnehmen; Entw. I I hat dies gestrichen. — Auch das Vorlesen von Nachdrucksexemplaren wird nicht getroffen; Dambach S. 164, Klostermann a. a. O. S. 39, Wächter, Autorr. S. 227.

§ 8.

§ 88.

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des litterarischen und künstlerischen Urheberrechts. 805

Uebertragung des litterarischen und künstlerischen Urheberrechts.

I. Ueberhaupt. Das Urheberrecht ist seiner Substanz nach unübertragbar, jedoch der Ausübung nach übertragbar 1. Die Uebertragung der Ausübung erfolgt durch Rechtsgeschäft und kann entweder den ganzen Inhalt des Urheberrechtes oder nur einen Theilinhalt umfassen. Behufs Uebertragung eines Theilinhaltes kann der Inhalt des Urheberrechtes beliebig in einzelne Befugnisse oder Befugnifsinbegriffe zerlegt werden. In Folge einer solchen Zerlegung erscheint dann die Uebertragung zugleich als Begründung eines eigenartigen neuen Rechtes, das zu dem Urheberrechte in dem Verhältnifs eines Tochterrechtes zu seinem Mutterrechte steht. Unter gewissen Voraussetzungen geht das Urheberrecht von Rechtswegen auf einen Anderen über. Vollständig geht es, soweit es überhaupt übertragbar ist, auf die Erben des Urhebers über. Desgleichen auf den Besteller eines Porträts oder einer Porträtbüste8. In anderen Fällen erstreckt sich der Uebergang kraft Gesetzes nur auf einen Theilinhalt des Urheberrechtes. II. Veräufserung. Eine Uebertragung des Urheberrechtes kann durch Rechtsgeschäft unter Lebenden vollzogen werden. Ein solches Rechtsgeschäft ist ein Veräufserungsgeschäft. Es kann Kauf, Tausch, Schenkung oder irgend ein anderes entgeltliches oder unentgeltliches Veräufserungsgeschäft sein. Zu einem besonderen rechtsgeschäftlichen Typus ist der Verlagsvertrag ausgebildet, durch den im Normalfalle Urheberrecht gegen Uebernahme der Verpflichtung zur Vervielfältigung und Verbreitung des Werkes übertragen wird 8. Irgend einer Form bedarf die Uebertragungshandlung als solche nicht. Das Urheberrecht geht vielmehr durch jede darauf gerichtete und an sich rechtsgültige Willenserklärung über. Auch eine still1

Vgl. oben § 85 Ι Π 7d. Uebereinstimmend Dahn in Behrends Zeitschr. Y 5 u. Krit. V.J.Sehr. XX 358, Reuling a. a. O. S. 73ff., zum Theil auch Anders S. 120 ff. Ferner Oesterr. Entw. I I § 16. — Dagegen lehrt die herrschende Meinung volle Uebertragbarkeit; vgl. bes. Endemann S. llff., Wächter, Autorr. S. 107ff. u. Urheberr. S. 107ff., Stobbe I I I § 1621, Klostermann b. Endemann I I 267ff, Osterrieth S. 94 ff. — Dafs in den deut. R.Ges. I § 3 u. I I § 2 die Uebertragbarkeit ohne Vorbehalt ausgesprochen wird, ist gegenüber den sonstigen Bestimmungen, die eine vollkommene Losreifsung des Urheberrechtes von der Person des Urhebers ausschliefsen, bedeutungslos. a Vgl. oben § 86 Anm 49—51. 8 Von dem Verlagsvertrage und den ihm verwandten Geschäften ist im Obligationenrechte zu handeln.

Viertes Kapitel.

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Persönlichkeitsrechte.

schweigende Willenserklärung genügt. Eine solche liegt aber noch nicht in der Uebertragung des Eigenthums an der Handschrift einea Schriftwerkes oder Ton Werkes4 oder an dem Originale eines Kunstwerkes6. Den Gegenstand der Uebertragung kann nicht nur ein schon begründetes, sondern auch ein erst durch Herstellung eines Werkes zu begründendes Urheberrecht bilden6. Als unverbindlich wird jedoch wegen unzulässiger Selbstbeschränkung der Persönlichkeit regelmäfsig ein Vertrag zu behandeln sein, durch den Jemand im Voraus die Urheberrechte an allen seinen künftigen Werken oder einer ganzen Gattung derselben abtritt7. Die Veräufserung kann den ganzen I n h a l t des Urheberrechtes einschliefslich der Verfügung über den inneren Bestand des Geisteswerkes umfassen8. Gewöhnlich aber bezieht sie sich nur auf einen Theilinhalt. Der Urheber kann an seinem Werke verschiedenen Personen ungleichartige Befugnifsinbegriffe übertragen, indem er z. B. an einem Drama das Vervielfältigungsrecht, das Uebersetzungsrecht und das Aufführungsrecht oder an einem Kunstwerke das Recht der Nachbildung durch Kupferstich, das Recht der Vervielfältigung durch Photographie und das Recht der kunstgewerblichen Verwendung getrennt veräufsert. Er kann aber auch mehreren Personen gleichartige Befugnisse einräumen. Der Umfang des übertragenen Rechtes kann 4

Vgl. oben § 86 Anm 59. Doch können die begleitenden Umstände die Einsendung eines Manuskriptes und insbesondere dessen Verkauf zu einer Uebertragung von Urheberrecht durch konkludente Handlung stempeln; vgl. Wächter, Autorr. S. 117 ff. Der Oesterr. Entw. I I § 17 will bei unentgeltlicher Ueberlassuug gegen, bei entgeltlicher für Urbeberrechtstibertragung vermuthen. — Ueber Preisschriften vgl. Wächter a. a. O. S. 119. 5 R.Ges. I I § 8 Abs. 1 ; ebenso schon Bayr. Ges, Art. 85 ; vgl. Schweiz. Ges. Art 5, Oesterr. Entw. H § 18 Abs. 1. Anders vielfach das ältere Recht. Das Oesterr. Pat. § 11 läfst mangels anderer Abrede das Vervielfältigungsrecht übergehen. Das Preufs. Ges. von 1837 § 28 liefs das Urheberrecht erlöschen, fall» der Urheber sich vor Beginn einer Vervielfältigung des Eigenthums an seinem Kunstwerke begeben hatte und nicht eine ausdrückliche anderweitige Abrede getroffen und beim Kuratorium der Künste zur Anzeige gebracht war; vgl. dazu R.Ger. in Str. S. V Nr. 24, VIH Nr. 74. — Vgl. Wächter, Verlagsr. S. 228 ff., Urheberr. S. 113 ff., Mandry S. 260 ff., Klostermann, Urheberr. S. 181. 6 Dies kommt bei Verlagsverträgen häufig vor; vgl. auch oben § 86 S. 779; dazu Oesterr. Entw. I I § 16 Abs. 2. 7 Der Oesterr. Entw. I I § 16 Abs. 3 will bei einem solchen Vertrage jedem Theile ein unverzichtbares einjähriges Kündigungsrecht einräumen. 8 Der Urheber kann z. B. eine Handschrift einem Verleger zu beliebigem Gebrauche einhändigen, so dafs dieser sie vernichten oder veröffentlichen und im letzteren Falle nach eignem Ermessen kürzen oder verändern darf.

§ 8.

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durch beliebige Mafsbestimmungen, wie z. B. durch Festsetzung der Zahl der Vervielfältigungs- oder Nachbildungsexemplare, beschränkt werden. Ebenso ist eine zeitliche oder räumliche Begrenzung der übertragenen Befugnisse möglich. Fehlt es an einer ausdrücklichen Abrede, so mufs der Vertragsinhalt durch Willensauslegung ermittelt werden, bei der vor Allem die Verkehrssitte zu befragen ist 9 . Das aus dem Urheberrechte abgeleitete Recht kann als absolutes oder relatives Recht gestaltet sein. Ein absolutes Recht geht über, wenn urheberrechtliche Befugnisse mit dem Merkmale der Ausschliefslichkeit übertragen werden. Dagegen wird nur ein relatives Recht begründet, wenn die Ermächtigung zur Vornahme einer dem Urheber vorbehaltenen Handlung ohne Ausschliefsungsbefugnifs ertheilt wird 10 . Insoweit der Gegenstand des Urheberrechtes als unkörperliche Sache erscheint und somit die Kategorien des Vermögensrechtes anwendbar sind, verhalten sich die aus dem Urheberrechte abgeleiteten absoluten Rechte zum Urheberrechte wie die begrenzten dinglichen Rechte zum Eigenthum11, während die entsprechenden relativen Rechte den sachenrechtlichen Inhalt des Urheberrechtes ungeschmälert lassen und nur aus seinem personenrechtlichen Inhalte den Stoff zu eigenartigen persönlichen Befugnissen schöpfen12. Ob und inwieweit eine urheberrechtliche Uebertragung absolut oder relativ wirkt, hängt vom Parteiwillen ab und ist daher in Ermangelung ausdrücklicher Abrede durch Willensauslegung zu ermitteln. Zu den im Zweifel absoluten Rechten gehört namentlich das Verlagsrecht, indem das durch den eigentlichen Verlagsvertrag übertragene Vervielfältigungsund Verbreitungsrecht innerhalb der ihm gezogenen Grenzen mangels anderer Vereinbarung dem Verleger ausschliefslich gebührt18. Um9

Subsidiäre gesetzliche Regeln bestehen hier zum Theil beim Verlagsvertrage. Manche sehen hierin überhaupt keine Uebertragung von Urheberrecht; so Wächter, Autorr. S. 116, Urheberr. S. 90. Dies wäre richtig, wenn das Urheberrecht ein Eigenthum oder ein anderes Sachenrecht wäre. Da es aber ein Persönlichkeitsrecht ist, liegt in jeder Einräumung einer Verfügungsmacht über das gewährleistete Persönlichkeitsgut auch eine partielle Uebertragung. 11 Demgemäfs kann zwar nicht an dem Urheberrechte als Ganzem, wohl aber an seinem Gegenstande insoweit, als er Vermögensobjekt ist, auch ein Niefsbrauch bestellt werden; Köhler, Autorr. S. 279 ff., Osterrieth S. 95. Ebenso ein Pfandrecht; Endemann S. 10, Kohler S. 283 ff., Osterrieth S. 95; a. M. Wächter. Autorr. S. 110. 12 Unrichtig will Kohler S. 296 ff. auch ein blofses „Lizenzrecht" als Jus in re immateriali", wennschon als nur persönliches Gebrauchsrecht ohne Ausschliefslichkeit, konstruiren. 18 Vgl. Klostermann, Geist. Eigth. S. 293ff, Urheberr. S. 145ff, b. Endemann I I I 717 u. 725ff, Wächter, Verlagsr. S. 241ff., Autour. S. 117ff, Urheberr. 10

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Viertes Kapitel.

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gekehrt entbehrt das vom Urheber übertragene Recht der öffentlichen Aufführung im Zweifel der Ausschliefslichkeit, ohne dafs es unzulässig wäre, durch besondere Vereinbarung ein ausschliefsliches Aufführungsrecht zu begründen14. Aehnlich verhält es sich mit dem Uebersetzungsrechte15 und mit den einzelnen Gattungen der künstlerischen Nachbildungsrechte16. Im Allgemeinen wird bei der entgeltlichen Ueberlassung von Urheberrecht die Uebertragung eines absoluten Rechtes anzunehmen sein, wenn ohne Ausschliefslichkeit das eingeräumte Recht nicht den entsprechenden Werth hätte. Dagegen ist die unentgeltliche Gestattung einzelner urheberrechtlicher Handlungen regelmäfsig als Begründung eines blos relativen Rechtes aufzufassen. Uebertragenes Urheberrecht ist weiterer Uebertragung an sich zugänglich. Doch kann jedes aus dem Urheberrechte Abgeleitete Recht so gut als höchstpersönliches wie als übertragbares Recht begründet und im letzteren Falle an beliebige Schranken der Veräufserung und der Vererbung gebunden werden. Mangels ausdrücklicher Abrede mufs auch in dieser Hinsicht bei der Auslegung des Parteiwillens die Verkehrssitte zu Rathe gezogen werden. Im Allgemeinen wird bei ausschliefslichen Rechten eher für, bei relativen Rechten gegen Uebertragbarkeit zu vermuthen sein17. Eine Fülle von Zweifeln S. 107 ff., Kohler, Autorr. S. 284 ff., Osterrieth S. 103ff., V o i g t l ä n d e r S. 5S. — Das Verlagsrecht ist ein durchaus eigenartiges Recht, indem es einerseits in eigenthümlicher und zwar mannichfach verschiedener Weise beschränkt, andrerseits mit Pflichten durchmischt zu sein pflegt. Es ist daher in seiner regelmäfsigen Gestalt dinglich-persönlich. Kohler S. 291 vergleicht es insoweit zutreffend mit dem vassalitischen Rechte. Hierauf ist beim Verlagsvertrage zurückzukommen. 14 Ein ausschliefsliches Aufführungsrecht kommt namentlich in der Beschränkung auf einen Ort oder für einen bestimmten Zeitraum, aber auch unbeschränkt vor; vgl. Wächter, Autorr. S. 321 Anm. 17, Schuster S. 236 ff. 18 Aus der blofsen Gestattung einer Uebersetzung folgt nicht, dafs der Urheber sich des Rechtes begeben habe, auch andere Uebersetzungen zu autorisiren. Das Gegentheil kann aber nicht nur ausdrücklich bedungen werden, sondern fur Uebersetzungen in dieselbe Sprache auch aus den Umständen als bedungen erhellen. 16 Wer sein Kunstwerk zu kopiren, zu stechen, zu photographiren, an einem gewerblichen Erzeugnisse nachzubilden erlaubt, ist im Zweifel nicht gehindert, Anderen die gleiche Erlaubnifs zu geben. Ein Verlagsrecht ist auch hier im Zweifel ausschliefslich; doch beschränkt sich die Ausschliefslichkeit des Kunstverlagsrechtes regelmäfsig auf eine bestimmte Art der Nachbildung, so dafs z. B. der Künstler, der sich des photographischen Verlages entäufsert hat, Kopien, Kupferstiche, kunstgewerbliche Nachbildungen u. s. w. Anderen gestatten kann. 17 Das Verlagsrecht ist im Zweifel veräufserlich und vererblich ; Endemann S. 13 ff., W ä c h t e r , Autorr. S. 110, Urheberr. S. 89, Scheele S. 22 ff., R.Ger. in Str.S. X V n Nr. 69; a. M. Kohler S. 283ff. u. Schuster S. 209. (Eine andere Frage ist, inwieweit die Pflichten des Verlegers aus dem Verlagsvertrage über-

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waltet aber namentlich bei den Aufführungsrechten 18. Die Substanz des Urheberrechtes bleibt stets beim Urheber zurück. Sobald daher ein von ihm veräufsertes Recht erlischt, wachsen die weggegebenen urheberrechtlichen Befugnisse dem Urheber von selbst wiederum zu 19 . Niemals werden, so lange das Urheberrecht überhaupt besteht, die von ihm abgesplitterten Bestandtheile Gemeingut20. Vielmehr bewährt sich durch die ihm innewohnende Kraft der Konsolidation das Urheberrecht fort und fort als ein in «einem Kerne an der Person des Urhebers haftendes einheitliches Ganze. Auch der Ausübung nach aber bleibt natürlich das Urheberrecht insoweit, als es nicht übertragen ist, beim Urheber zurück. Für jeden Inhaber von übertragenem Urheberrecht ist das zurückbehaltene Urheberrecht in gleicher Weise fremdes Recht, wie für jeden Dritten. Nimmt er daher urheberrechtliche Handlungen vor, zu denen ihn sein abgeleitetes Recht nicht befugt, so begeht er einen Eingriff in fremdes Urheberrecht 21. Ob und inwieweit in seinem Vergehen. Hiervon ist beim Verlagsvertrage zu handeln). — Umgekehrt ist die Ermächtigung zu einer Uebersetzung, einer Bearbeitung, einer Nachbildung u. s. w. im Zweifel höchstpersönlich zu verstehen.

Wird aber z. B. die Befugnifs zu einer

photographischen oder gewerblichen Nachbildung dem Inhaber eines Gewerbebetriebes eingeräumt, so ist anzunehmen, dafs diese Befugnifs mit dem Gewerbe18 betriebe veräufsert Vgl. Nissen, und vererbt Z. f. H.R. werden X V Ikann. I I 346 ff., Wächter, Autorr. S. 320 ff., Daude S. 91 ff, Schuster S. 237ff, Scheele S. 136ff. u. über die deut. Theaterpraxis R.O.H.H. X I I 339 ff. Als Regel ist anzusehen, dafs das Aufführungsrecht einem Theaterdirektor oder sonstigen Unternehmer von Aufführungen nicht für seine Person, sondern für die von ihm geleitete Anstalt übertragen ist, so dafs es einerseits bei einem Wechsel der Direktion auf den neuen Leiter übergeht, andrerseits von dem ersten Erwerber nicht auf einer anderen Bühne ausgeübt werden kann. (Ueber die entgegengesetzte Praxis in Oesterreich vgl. Schuster S. 238). Auch ein ausschliefsliches Aufführungsrecht kann als unveräufserliches Recht gemeint sein, wird aber im Zweifel dahin ausgelegt werden müssen, dafs es in seinem Bereiche zur Ertheilung des Aufführungsrechtes an Andere ermächtigt. Der Urheber kann auch das Recht, Aufführungsrechte zu gewähren, als ein besonderes ausschliefsliches Recht auf einen Anderen (z. B. einen Theateragenten oder einen Verleger) übertragen. 19 Der Oesterr. Entw. I I § 20 will dem Urheber, der sein Werk einem Anderen zur Herausgabe oder öffentlichen Aufführung überlassen hat, ein unverzichtbares Rückfallsrecht an seiner Verfugungsmacht fur den Fall gewähren, dafs die Herausgabe oder Aufführung ohne seinen Willen und sein Verschulden drei Jahre lang unterbleibt. 20 Auch nicht, wenn ein Verlagsrecht oder ein vererbliches Aufführungsrecht nach R.Ges. I § 17 u. I I § 15 als erbloses Gut erlischt; vgl. unten § 90 Anm. 23. 21 Nach R.Ges. I § 5 litt, c u. d u. I I § 5 Z. 4 u. 5 begeht der Verleger „Nachdruck" oder „verbotene Nachbildung", wenn er das Werk vertragswidrig neu

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halten zugleich eine Vertragsverletzung liegt, richtet sich nach den Grundsätzen des Obligationenrechts22. Andrerseits mufs auch der Urheber das von ihm übertragene Urheberrecht als fremdes Recht achten. Hat er einem Anderen ein absolutes Recht eingeräumt, so kehrt sich die Ausschliefslichkeit dieses verselbständigten Stückes seines Urheberrechtes dergestalt gegen ihn selbst, dafs er sogar hinsichtlich seines eignen Geisteswerkes einer Urheberrechtsverletzung schuldig werden kann28. Dagegen kann er gegenüber einem von ihm übertragenen relativen Rechte immer nur eine Vertragsverletzung begehen. D r i t t e n gegenüber entfalten die aus dem Urheberrechte abgeleiteten absoluten Rechte eine selbständige dingliche Wirksamkeit, während die blos relativen Rechte einer solchen entbehren. Somit kann namentlich der Inhaber eines Verlagsrechtes die ihm zu ausschliefslicher Vornahme überlassenen Handlungen jedem Dritten untersagen und Eingriffe in den Kreis seiner Befugnisse unabhängig vom Urheber als Urheberrechtsverletzungen verfolgen 24. Dieselbe dingvervielfältigt oder eine zu grofse Anzahl von Exemplaren herstellt Darin liegt keineswegs, wie G engler § 132 Nr. 13 meint, eine singuläre Hinüberziehung von zwei einzelnen Fällen des KontraktbrucheB in das Gebiet des Strafrechtes, sondern eine Anwendung des vorher in R.Ges. I § 4 u. I I § 4 ausgesprochenen Prinzips. Schon Runde § 197c sagt: Zuvieldruck ist Nachdruck. Ebenso macht sich der Aufführungsberechtigte einer unbefugten öffentlichen Aufführung im Sinne des R.Ges. I § 54 schuldig, wenn er häufiger oder auf einer anderen Bühne, als ihm gestattet war, aufführt. Urheberrechtsverletzung aber, obschon nicht „Nachdruck", „verbotene Nachbildung" oder „unbefugte Aufführung", liegt auch vor, wenn der Verleger oder Aufführungsberechtigte unbefugt das Werk verändert, umbenennt, übersetzt u. s. w. 22 Zutreffend über die Konkurrenz von Urheberrechtsverletzung und Vertragsverletzung R.Ger. X I I Nr. 24. 28 So nach R.Ges. I § 5 litt, c u. I I § 5 Z. 4, wenn er durch vertragswidrige Veranstaltung einer neuen Vervielfältigung in das von ihm begründete Verlagsrecht eingreift. Vgl. Dambach S. 62 ff., Wächter, Autorr. S. 215 ff., Urheberr. S. 218ff., Scheele S. 34, R.Ger. V Nr. 71. Dafs diese Handlung als „Nachdruck" oder „verbotene Nachbildung" mit Strafe bedroht ist, folgt nicht ohne Weiteres aus der Natur des Verlagsrechtes, beruht vielmehr auf positiver Satzung. Darum mufs z. B. mangels einer ähnlichen positiven Bestimmung in R.Ges. I § 54 angenommen werden, dafs der Urheber, der sein Werk unter Verletzung eines von ihm übertragenen ausschliefslichen Aufführungsrechtes anderweit aufführen läfst, zwar einen Eingriff in eine fremde urheberrechtliche Befugnifs, jedoch nicht das Delikt der unbefugten öffentlichen Aufführung begeht. — Der Oesterr. Entw. I I § 21 Abs. 2 will die vertragswidrige Verfügung des Urhebers über sein eignes Werk niemals als Urheberrechtsdelikt behandeln. 24 R.Ges. I § 28 Abs. 1; Wächter, Autorr. S. 269 ff., Urheberr. S. 264 ff., Klostermann b. Endemann I I I 736 ff. Das Recht des Urhebers, auch seinerseits

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liehe Kraft wohnt jedem anderen ausschliefslichen Rechte urheberrechtlicher Herkunft inne. Sie bewährt sich auch im Verhältnifs mehrerer aus demselben Mutterrechte abgeleiteter, mit beschränkter Ausschliefslichkeit ausgerüsteter Rechte zu einander25. Insbesondere kann bei einem räumlich getheilten Verlagsrechte der einzelne Verleger dem Mitverleger die Verbreitung von Exemplaren in dem ihm vorbehaltenen Bezirke untersagen26. HI. Vererbung. Das Urheberrecht geht seinem ganzen Inhalte nach und somit nicht nur in seinen vermögensrechtlichen, sondern auch in seinen personenrechtlichen Bestandtheilen auf die Erben über 27. Der Erbe hat daher dasselbe ausschliefsliche Verfügungsrecht über das Geisteswerk, wie dessen Urheber: er hat über Vernichtung oder Erhaltung, Geheimhaltung oder Veröffentlichung nachgelassener Werke, über erneute Herausgabe erschienener Werke, über Vornahme von Aenderungen, Bearbeitungen, Uebersetzungen u. s. w. zu entscheiden und kann seine Rechte vollständig oder theilweise auf Andere übertragen. Miterben können dieses Verfügungsrecht, da es seinem Wesen nach untheilbar ist, nur gemeinschaftlich ausüben28; Eingriffe in das Verlagsrecht, die zugleich das im Kerne bei ihm verbliebene Urheberrecht antasten, zu verfolgen, besteht daneben. 25 So kann z. B., wer ein ausschliefsliches Uebersetzungsrecht erworben hat, dem Verleger die Verbreitung des Werkes in der Uebersetzungssprache verbieten; wer zur ausschliefslichen Aufführung eines Werkes an einem Orte befugt ist, kann dem zur Aufführung an einem anderen Orte Befugten die Aufführung in seinem räumlichen Bereiche untersagen ; wer den ausschliefslichen photographischen Verlag eines Kunstwerkes erworben hat, kann den zur Herausgabe eines Holzschnittes Ermächtigten an photographischer Vervielfältigung hindern. 26 Freilich wird nach dem deut. R.Ges., da die betreffende Bestimmung des § 73 der Regierungsvorlage gestrichen ist, die Verbreitung rechtmäfeig hergestellter Exemplare im fremden Verlagsgebiete nicht als Nachdruck verfolgt, während in den Litterarverträgen mit Frankreich, Belgien u. Italien Art. 11 bei musikalischen und dramatisch-musikalischen Werken die Behandlung der unbefugten Verbreitung der nur für das eine Land bestimmten Exemplare in dem anderen als Nachdruck zugesagt ist. Allein die dingliche Wirkung der räumlichen Theilung des Verlagsrechtes besteht unabhängig von der Strafsanktion. Vgl. über das getheilte Verlagsrecht, das besonders bei Tonwerken üblich ist, Klostermann, Geist Eigth. S. 353 u. b. Endemann I I 293 u. I I I 731, V o l k m a n n , Z. 1. Rechtspfl. u. Verw. XIV 110 ff. u. XLV 97 ff, Mandry S. 167 ff, W ä c h t e r , Verlagsr. S. 621 ff, Autorr. S. 227 ff. u. 297, Dambach, Der deutsch-französ. Litterarvertr. S. 34ff, Stobbe 111 431 ff, Daude S. 33, Schuster S. 215 ff, Scheele S. 19 ff. u. 91. 27 R.Ger. X I I Nr. 12 (oben § 85 Anm. 62). Unrichtig Wächter, Urheberr. S. 91 ff, Anders S. 121 u. 130 ff. 28 Ob dabei Stimmenmehrheit entscheidet, wie Schuster S. 150 allgemein annimmt, richtet sich nach den Regeln über Erbengemeinschaft. Die Miterben

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ihre gesonderten Antheile beziehen sich nur auf die aus Nutzbarmachung des Urheberrechtes bereits entstandenen oder später entstehenden vermögensrechtlichen Ansprüche29· Der Urheber kann durch Verfügung von Todeswegen sowohl das Urheberrecht im Ganzen wie jede einzelne in ihm enthaltene Befugnifs einem seiner Erben oder einer anderen Person übertragen 80. Dagegen kann er das von ihm hinterlassene Urheberrecht nicht mit rechtlicher Wirksamkeit einschränken und somit z. B. die Veröffentlichung eines Werkes durch sein Verbot nicht hindern81. Ein Heimfallsrecht des Fiskus oder anderer zu erblosen Verlassenschaften berechtigter Personen findet auf das Urheberrecht und die aus ihm abgeleiteten Rechte nicht statt82. IV. Ungewollter Uebergang. Abgesehen vom Erbgange unterliegt das Urheberrecht keineswegs in demselben Umfange, in dem es übertragbar ist, auch einem ungewollten Rechtsübergange. Wo vielmehr ein solcher Uebergang stattfindet, erstreckt er sich nur auf die vermögensrechtlichen Ausflüsse, nicht auf den personenrechtlichen Kern des Urheberrechtes 88. Der Urheber kann die Verfügung über sein Geisteserzeugnifs einem Anderen anvertrauen, sie kann ihm aber nicht ohne seinen Willen abhanden kommen oder von einem Anderen entwunden werden. In der gleichen Lage befindet sich der Erbe des Urhebers 84. Und selbst die einem Dritten vom Urheber oder seinen Erben übertragene Verfügungsmacht kann mit dem Rechte einer weiteren Uebertragung ausgerüstet sein, ohne hiermit dem ungewollten Rechtsübergange zu verfallen 85. können das Verfügungsrecht vollständig einem unter ihnen übertragen. Auch richterliche Adjudikation ist möglich. 89 Ideelle Quoten am Urheberrechte selbst nimmt unrichtig W ä c h t e r , Autorr. S. 137 u. Urheberr. S. 92, an. Vgl. dagegen Bekker, Pand. § 32 Beil. IV. 30 Er kann also z. B. die Entscheidung über die Veröffentlichung seines litterarischen Nachlasses in die Hand eines Freundes oder eines Testamentsvollstreckers legen, die Bearbeitung einer neuen Auflage einem Schüler übertragen u. s. w. 81 Endemann S. 21, Wächter, Autorr. S. 127, Urheberr. S. 92 ff.; a. M. Schuster, Wesen S. 48. Natürlich kann er aber die NichtVeröffentlichung in der Form einer Bedingung oder Auflage sichern oder einem Dritten (z. B. auch einem Testamentsvollstrecker) das Recht übertragen, dem Erben die Veröffentlichung zu untersagen. 82 R.Ges. I § 17, I I § 15; Oesterr. Pat § 13, Entw. I I § 15. 88 Eine Ausnahme bildet der Uebergang des Urheberrechts auf den Besteller eines Porträts; vgl. oben Anm. 2. 84 Jedoch abgesehen von dem inneren Verhältnifs einer Erbengemeinschaft; oben Anm. 08. 86 Man denke z. B. an ein einem Sprachkundigen mit der Befugnifs der Abtretung an geeignete Personen eingeräumtes Uebersetzungerecht.

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Hiernach wird z. B. durch die eheliche Gütergemeinschaft das Verfügungsrecht über das von einem Ehegatten oder dessen Erblasser geschaffene Geisteswerk nicht vergemeinschaftet, während die aus getroffener Verfügung entspringenden nutzbaren Rechte in die Gemeinschaft fallen 86. Ebenso erstreckt sich eine vormundschaftliche Verfügungsmacht über fremdes Vermögen nicht auf personenrechtliche Befugnisse urheberrechtlicher Herkunft 87. Endlich ist das Urheberrecht in seinem personenrechtlichen Inhalte unpfändbar und somit auch dem Beschlagnahmerechte der Konkursgläubiger entzogen88. Dem Urheber selbst können die Gläubiger nicht nur niemals eine ungewollte Veröffentlichung seines Geisteswerkes abnöthigen89, sondern auch nach erfolgter Veröffentlichung keine erweiterte oder veränderte Veröffentlichung durch Veranstaltung einer neuen Auflage oder Uebersetzung oder durch Ertheilung neuer 86

Gierke, Genossenschaftsth. S. 381 Anm. 2. Der Altersvormund und der Vormund eines Geisteskranken ist kraft seiner zugleich personenrechtlichen Vertretungsinacht an sich auch zur Verfügung über die von seinem Mündel geschaffenen oder ererbten Urheberrechte befugt. Doch wird man auch ihm eine solche Verfügungsmacht versagen müssen, sobald der Minderjährige schon oder der Geisteskranke noch die zu eigner Verfügung erforderliche Einsicht besitzt. Die Ehevogtei, die Vormundschaft über Abwesende und die Vormundschaft über Verschwender gewähren keinerlei Verfügungsmacht über Geisteswerke. Vgl. Bekker, Pand. I 84. 88 Vgl. über die sehr streitige Frage Renouard I I 349 ff, M a n d r y S. 829 ff., Dambach S. 36 ff, Endemann S. 15 ff, Klostermann, Urheberr. S. 140 ff. u. b. Endemann I I 269 ff, W ä c h t e r , Autorr. S. 111 ff, Urheberr. S. 102 ff., Stobbe I I I 46, Anders S. 133 ff, K ö h l e r , Autorr. S. 137 ff, Arch. f. c. Pr. L X X X I I 228 ff. u. Le droit de Fauteur (oben § 85 Anm. 32) V I I 82 ff, Daude S. 36 ff, B e k k e r , Pand. I § 25 Beil. IV, Wach, Civilproz. I 420 ff, Schuster, Wesen S. 41 ff, Tonkunst S. 132, Osterrieth S. 105, Scheele S. 11 ff. — Die deut. Gesetzgebung schweigt, da über den § 44 der Regierungsvorlage, der die Zwangsvollstreckung in das Recht des Urhebers und seiner Rechtsnachfolger grundsätzlich ausschlofs, keine Einigung erzielt wurde. Das Bayr. Ges. v. 1865 Art. 50 versagte die Zwangsvollstreckung gegen den Urheber selbst, der Oesterr. Entw. IT § 14 Abs. 2 will sie gegen den Urheber und seine Erben versagen. Vgl. auch Ungar. Ges. § 4, Belg. Art. 9. 39 Hierüber ist man im Wesentlichen einig. Doch halten Kohler u. Osterr i e t h die Zwangsveröffentlichung nur so lange für unzulässig, bis der Urheber sein Werk erkennbar zur Veröffentlichung bestimmt hat. Der Urheber kann aber vielmehr, ohne dafs die Gläubiger widersprechen könnten, bis zur wirklich erfolgten Veröffentlichung seinen Entschlufs ändern, den begonnenen Druck einstampfen lassen, das Kunstwerk vernichten u. s. w. — Der Zwangsvollstreckung entzogen ist jede Art von Veröffentlichung, nicht blos die durch Herausgabe oder Aufführung, sondern auch die durch Ausstellung oder Vorlesen (a. M. Anders S. 144ff). 87

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Aufführungsrechte oder Nachbildungsrechte aufzwingen 40. Im gleichen Umfange sind die Erben des Urhebers gegen Zwangsvollstreckung geschützt41. Aber auch in der Hand sonstiger Rechtsnachfolger sind die aus dem Urheberrechte abgeleiteten personenrechtlichen Befugnisse nicht nur selbstverständlich insoweit, als sie unübertragbar sind, sondern überhaupt insoweit, als sie nicht blos unselbständige Bestandtheile eines Vermögensrechtes bilden, der Pfändung entrückt42. Dagegen unterliegen alle aus bereits erfolgter Nutzbarmachung des Urheberrechtes entsprungenen vermögensrechtlichen Befugnisse der Zwangsvollstreckung48. Sobald daher der Urheber oder seine Erben eine Veröffentlichung oder eine neue Wiedergabe oder Verbreitung wollen, können sie die ihnen hieraus erwachsenden Vermögensrechte ihren Gläubigern nicht vorenthalten44. Und soweit übertragenes Urheberrecht sich als ein selbständiges Vermögensrecht darstellt, ist es der Pfändung unterworfen 46. 40 Harum S. 167, Endemann S. 15, Wächter, Autorr. S. 112 ff. u. Ur. heherr. S. 103 (anders Verlagsr. S. 318\ Dambach S. 37, Stobbe a. a. 0. (jedoch mit einer Inkonsequenz in Anm. 12), Anders S. 136, Bekker a. a. 0. S. 84, Schuster a. a. 0., Scheele S. 13. — Abweichend Klostermann, Urheberr. S. 26 u. 142 u. b. Endemann I I 270, u. namentlich Kohl er a. a. 0. (für neue Auflagen wie neue Aufführungen). 41 Harum a. a. 0., Endemann a. a. 0., Dambach S. 36 ff., Stobbe a. a. 0., Anders S. 137, Bekker a. a. 0., Daude S. 37, Schuster, Wesen S. 47 ff. — Abweichend Wächter, Urheberr. S. 104 (während er Autorr. S. 114 mindestens den Zwang zur ersten Veröffentlichung auch gegen die Erben ausschlofs). 48 Also z. B. ein unter Lebenden oder von Todeswegen eingeräumtes Bearbeitungsrecht, Lebersetzungsrecht, künstlerisches Nachbildungsrecht (durch Kopie, Stich u. dergleichen) u. s. w., aber auch das Recht zur diskretionären Entscheidung über Veröffentlichung, Veranstaltung einer neuen Auflage u. s. w.; dazu oben Anm. 35. — Unrichtig Wächter, Autorr. S. 114 u. Urheberr. S. 104, u. B e k k e r a. a. 0. S. 83 litt. c. 43 Oesterr. Entw. I I § 14 Abs. 2: „alle kraft des Urheberrechts erworbenen vermögensrechtlichen Ansprüche". Dazu gehören nicht blos Honorar- oder Tantiemeansprüche aus urheberrechtlichen Verträgen, sondern auch Ansprüche auf Entschädigung oder Bufse aus Urheberrechtsverletzungen. — Handschriften, Kunstwerke, Vervielfältigungs- und Nachbildungsexemplare als körperliche Sachen sind natürlich pfändbar (Oesterr. Entw. a. a. 0., Dambach S. 88, Stobbe a. a. 0.), solche Pfändung überträgt aber kein Urheberrecht. 44 Bekker a. a. 0. litt, f u. S. 84. — Veräufserungen von Urheberrecht zur Verwerthung als Vermögensobjekt sind vor der Konkurseröffnung aus R.Konk.O. § 22 ff. u. R.Ges. v. 21. Juli 1879 § 8 anfechtbar, nach der Konkurseröffnung durch R.Konk.O. § 6 gebunden. 45 Somit namentlich Verlagsrechte und Aufführungsrechte. Der Urheber mufs sich hier die von ihm gewollte Veröffentlichung und Wiedergabe auch durch einen ihm nicht genehmen Dritten gefallen lassen, da er die Befugnifs zu diesen Hand-

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§ 89. Schutz des litterarischen und künstlerischen Urheberrechts. I. Ueberhaupt. Das Urheberrecht ist als absolutes Privatrecht durch eine civilrechtliche Klage auf Anerkennung und auf Beseitigung vorhandener und Unterlassung künftiger Beeinträchtigungen gegen Jedermann geschützt. Diesen Schutz geniefst der Berechtigte auch gegen solche Bedrohungen oder Störungen seines Rechtes, die nicht durch eine ausdrückliche Gesetzesbestimmung verboten sind1. Im Falle schuldhafter Verletzung seines Rechtes kann er nach allgemeinen Grundsätzen auch Ersatz eines ihm zugefügten Schadens fordern. Dagegen ist nach dem Satze „nulla poena sine lege" jede Straffolge einer nicht ausdrücklich mit Strafe bedrohten Urheberrechtsverletzung ausgeschlossen 2 . II. Besondere Urheberrechtsdelikte. Der Urheberrechtsschutz ist dadurch verstärkt, dafs bestimmte Urheberrechtsverletzungen besonders verboten und zu strafbaren Handlungen gestempelt sind8. Ihre Strafbarkeit hängt freilich von dem Hinzutritt subjektiver Voraussetzungen ab. Immer aber erscheinen sie als vom Gesetze selbst für objektiv rechtswidrig erklärte Handlungen. Solche besonderen Urheberrechtsdelikte sind: 1. Der Nachdruck, d. h. die in Verbreitungsabsicht erfolgte unbefugte mechanische Vervielfältigung eines Schriftwerkes, einer lungen einem mindestens unter Umständen übertragbaren Vermögensrechte einverleibt hat. — Soweit das Urheberrecht pfändbar ist, richtet sich die Pfändung nach C.Pr.O. § 754. 1 So das R.Ger. X I I Nr. 4 S. 17 ff., auch X I I Nr. 12; vgl. Beseler § 211 Π, Kohler, Autorr. S. 304 ff. Unrichtig O.L.G. Frankf. b. Seuff. X L I I Nr. 317. — Hierher gehört der schon erwähnte Schutz des Urheberrechtes gegen unbefugte Veröffentlichung durch Vortrag (oben § 87 Anm. 16) und Ausstellung (ib. Anm. 18), gegen Eingriffe des Verlegers oder Aufführungsberechtigten in den inneren Bestand des Werkes (§ 87 Anm. 21—22 u. § 88 Anm. 21), gegen unbefugte Verbreitung bei getheiltem Verlagsrechte (§ 88 Anm. 26), gegen Eingriffe des Urhebers selbst in ein ausschliefsliches Aufführungsrecht (ib. Anm. 23). Zweifellos kann ferner kraft des Urheberrechtes gegen den, der sich fälschlich die Urheberschaft oder ein aus ihr abgeleitetes Recht anmafst, auf Feststellung der Nichtberechtigung und folgeweise z. B. auf Löschung eines unrichtigen Eintrags in der Eintragsrolle geklagt werden. 2 Dies betont mit Recht Schuster S. 260 ff. u. sonst; er gelangt aber zu unrichtigen Ergebnissen, weil er durchweg „strafbare Urheberrechtsverletzung" und „Urheberrechtsverletzung" identifizirt. 8 R.Ges. I § 4 - 6 , 18—25 , 43 , 45-46 , 54—56, I I § 5 u. 16. Vgl. dazu Schweiz. Ges. Art. 12—14, Oesterr. Entw. I I § 53—55.

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wissenschaftlichen oder technischen Abbildung oder eines Tonwerkes4. Unter den Begriff des „Nachdruckes" fällt auch der rechtswidrige Erstdruck einer Handschrift oder eines Vortrages; die Vervielfältigung durch ein dem Druck gleichgestelltes Verfahren und insbesondere auch durch Abschreiben; der vertragswidrige Neudruck des Verlegers oder des Urhebers selbst und der vertragswidrige Zuvieldruck des Verlegers; die rechtswidrige Vervielfältigung einer Uebersetzung oder einer Bearbeitung des Werkes®. 2. Die unbefugte öffentliche Aufführung eines dramatischen, musikalischen oder dramatisch-musikalischen Werkes6. 3. Die verbotene Nachbildung, d.h. die in Verbreitungsabsicht erfolgte unbefugte Nachbildung eines Werkes der bildenden Künste7. 4. Die gewerbemäfsige Verbreitung von rechtswidrig hergestellten Exemplaren eines Werkes8. δ. Die Unterlassung der Quellenangabe bei erlaubten Entlehnungen aus einem fremden Werke9. III. Rechtsfolgen der Urheberrechtsdelikte. Die möglichen Folgen eines Urheberrechtsdeliktes sind sowohl strafrechtlicher wie privatrechtlicher Natur 10. Nur die Unterlassung der Quellenangabe zieht immer nur Straffolgen nach sich11. 1. Drei Arten von Rechtsfolgen sind zu unterscheiden. a. Oeffentliche Strafe. Die Urheberrechtsverletzung ist * R.Ges. I § 4 Abs. 1, § 43 u. § 45 u. dazu oben § 87 Anm. 84-85. 6 R.Gea. I § 4 Abs. 2 - 3 , § 5—6 u. § 46; dazu oben § 87 Anm. 8 ff., 24ff., 30 ff., 42 ff., 47 ff., § 88 Anm. 21 u. 23. 6 R.Ges. I § 54; vgl. oben § 87 Anm. 15 u. 52—62. 7 R.Ges. I I § 5. Unter diesen Begriff lallt auch die nicht mechanische, die mittelbare, die kunstgewerbliche, die partielle, die abändernde, sowie die vom Verleger unter Verletzung des Urheberrechtes oder vom Urheber unter Verletzung des Verlagsrechtes begangene Nachbildung; oben § 87 I I I 4 u. § 88 Anm. 21 u. 23. 8 R.Ges. I § 25 u. I I § 16; oben § 87 IV. 9 R.Ges. I § 24, 44, 47, I I § 6 Z. 4. — Dazu tritt die in R.Ges. I I § 6 Ζ. 1 mit Geldstrafe bis zu 500 Mark bedrohte Anbringung des Namens oder Monogrammes des Urhebers auf einer erlaubten Einzelkopie, die aber nicht Urheberrechtsverletzung, sondern Namenrechts Verletzung ist; oben § 87 Anm. 70. — Noch andere Delikte, die über den Kreis der Urheberrechtsverletzungen hinausreichen, will der Oesterr. Entw. I I § 54 Z. 4 u. § 55 mit Strafe bedrohen. 10 Ueber die Straffolgen gehört das Nähere ins Strafrecht Die privatrechtlichen Ansprüche aus Urheberrechtsverletzung gehören ins Obligationenrecht, sind aber des Zusammenhanges wegen hier zu erwähnen. 11 R.Ges. I § 24 schliefst ausdrücklich jeden Entschädigungsanspruch aus. Vgl. W ä c h t e r , Autorr. S. 265 ff.

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als Vergehen mit einer Geldstrafe bis zu 8000 Mark, die im Unvermögensfalle in eine Freiheitsstrafe bis zu 6 Monaten umzuwandeln ist, bedroht12. b. Entsctiädigung oder Bufse. Der Verletzte hat einen Anspruch auf Schadensersatz18. Darüber, ob ihm ein Schade entstanden ist und wie hoch sich dieser beläuft, entscheidet freies richterliches Ermessen14. Nur bei der unbefugten öffentlichen Aufführung ist der Betrag der Entschädigung gesetzlich auf die gesammte Bruttoeinnahme von jeder Aufführung festgesetzt15. Statt der Entschädigung kann dem Verletzten auf sein Verlangen neben einer erkannten Strafe eine Bufse bis zum Betrage von 6000 Mark zuerkannt werden, die dann aber jeden weiteren Entschädigungsanspruch ausschliefst16. c. Einziehung. Die vorräthigen Nachdrucks- oder Nachbildungsexemplare und die zur widerrechtlichen Vervielfältigung ausschliefslich bestimmten Vorrichtungen unterliegen der Einziehung und sind nach rechtskräftig erkannter Einziehung entweder zu vernichten oder ihrer gefährdenden Form zu entkleiden17. Hierbei handelt es 12 R.Ges. I § 18, 25, 54. Wegen Rückfalles findet nach § 23 keine Erhöhung der Strafe über dieses Mafs statt. — Auf Unterlassung der Quellenangabe steht nur Geldstrafe bis zu 60 Mark, die nicht in Freiheitsstrafe umgewandelt werden kann. — Vgl. Wächter, Autorr. S. 241 ff., 336, Urheberr. S. 242 if., Da m bach in Holtzendorffs Handb. des Strafr. I I I 1022 ff., v. Liszt, Strafr. § 124—125. 13 R.Ges. I § 18, 20, 25, 43, 45, 54, I I § 16. u R.Ges. I § 19. Dies ist nach C.Pr.O. § 260 keine Besonderheit mehr. Vgl. übrigens Wächter, Autorr. S. 236 ff, Urheberr. S. 236 ff; über das ältere Recht Verlagsr. S. 666 ff. u. Klostermann, Geist. Eigth. S. 425 ff. 15 R.Ges. I § 55. Ist dae Werk in Verbindung mit anderen Werken aufgeführt, so tritt ein verhältnifsmäfsiger Theil der Einnahme an die Stelle. Wenn die Einnahme nicht zu ermitteln oder eine solche nicht vorhanden ist, entscheidet auch hier freies richterliches Ermessen. — Vgl. W ä c h t e r , Autorr. S. 334 ff, Daude S. 97 ff, Scheele S. 148 ff, R.O.H.G. X 116. 16 R.Ges. I § 18 Abs. 3—4. Auch im Falle unbefugter öffentlicher Aufführung; R.Ger. in Str.S. I Nr. 158, V I Nr. 131. — Vgl. W ä c h t e r , Autorr. S. 248 ff. u. 336 Anm. 32, Urheberr. S. 246 ff., Stobbe I I I 433 u. 434, Scheele S. 76 ff. — Ueber die Natur dieser Bufse ist im Obligationenrecht zu handeln. 17 R.Ges. I § 21, 25, 43, 45, I I § 16. Vgl. Klostermann, Geist. Eigth. S. 415 ff. u. b. Endemann I I 249 ff, W ä c h t e r , Autorr. S. 255 ff, Urheberr. S. 253 ff, Dambach, Urheberr. S. 151 ff, Endemann S. 50 ff, Stobbe I I I 433 ff, Daude S. 61 ff, Scheele S. 84 ff, Schuster S. 276 ff. und über das Oesterr. R. S. 264 ff — Die Einziehung bezieht sich auf Formen, Platten, Steine, Stereotypabgüsse u. s. w., nicht aber auf den zerlegbaren gewöhnlichen Drucksatz. — Bei unbefugter öffentlicher Auffuhrung ist die Einziehung der Vorrichtungen vom Gesetze nicht vorgesehen, hierdurch aber eine Beschlagnahme zur Sicherung nicht ausgeschlossen; Wächter, Autorr. S. 336, Daude S. 99 ff.

B i n d i n g , Handbuch. I I . 3. I : G i e r k e , Deutsches Privatrecht.

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sich nicht um eine strafrechtliche Konfiskation, sondern um einen rein privatrechtlichen Anspruch des Urhebers oder seines Rechtsnachfolgers auf Sicherung18. Darum darf der Eingriff in das Eigenthum an den gefährdenden Gegenständen nicht weiter erstreckt werden, als dies der Sicherungszweck erheischt19. Auch ist die Einziehung nur statthaft, so lange sich die Gegenstände im Eigenthum Jemandes befinden, dem sie eine verbotene Vervielfältigung oder Verbreitung ermöglichen20. Andrerseits steht es dem Berechtigten frei, die Gegenstände ganz oder theilweise gegen Ersatz der Herstellungskosten zu übernehmen, insofern nicht die Rechte eines Dritten dadurch verletzt oder gefährdet werden21. 2. Verschulden. Strafe wie Entschädigungspflicht treten nur im Falle eines Verschuldens ein. Den gewerbemäfsigen Verbreiter treffen sie nur bei vorsätzlicher Urheberrechtsverletzung 22. Bei den übrigen Urheberrechtsverletzungen genügt Fahrlässigkeit28. Doch fällt die Strafe weg, wenn der Thäter auf Grund eines entschuldbaren thatsächlichen oder rechtlichen Irrthums in gutem Glauben gehandelt hat 24 . Auch die schuldlose Urheberrechtsverletzung bleibt aber keineswegs ohne Rechtsfolgen. Vielmehr steht dem Verletzten in jedem Falle der Anspruch auf Anerkennung seines Rechtes und auf 18

Α. Μ. Κ lost er mann a. a. 0.; vgl. aber die übrigen in Anm. 17 genannten Schriftsteller, auch R.Ges. I § 26 Abs. 2. 10 Ist eine Unschädlichmachung ohne Vernichtung ausführbar, so ist sie vorzunehmen; die Gegenstände sind dann dem Eigenthümer zurückzugeben. Bei blos partiellem Nachdruck oder partieller Nachbildung erstreckt sich die Einziehung nur auf den gefährdenden Theil. R.Ges. I § 21 Abs. 1—2. 20 Das R.Ges. I § 21 Abs. 3—4 verordnet die Einziehung gegen den Veranstalter des Nachdrucks, den Veranlasser, den Drucker, den Sortimentsbuchhändler, den gewerbemäfsigen Verbreiter und die Erben des Veranstalters oder Veranlassers. Keiner Einziehung unterliegen insbesondere die in das Eigenthum von Geniefsern übergegangenen Exemplare. 21 K.Ges. I § 21 Abs. 5. Dies ist ein singuläres Aneignungsrecht, das dem Berechtigten zu seiner Sicherung gewährt ist, aber über seinen Zweck hinausreicht. Man darf es nicht mit Klostermann, Geist. Eigth. S. 415 ff., aus einem kraft Urheberschaft von Rechtswegen eintretenden Eigenthumserwerbe herleiten. 22 R.Ges. I § 25 Abs. 1. 23 R.Ges. I § 18 Abs. 1, § 20 Abs. 1, § 24 Abs. 1, § 54, I I § 16. 24 R.Ges. I § 18 Abs. 2. Diese Straffreiheit geht im Falle des Rechtsirrthums über das — freilich sehr bestrittene — Mafs hinaus, in dem sonst der Rechtsirrthum von Strafe befreit; mit der Strafe fällt auch die Bufse, nicht aber die Entschädigung weg. Vgl. W ä c h t e r , Autorr. S. 221, Urheberr. S. 224, Klostermann, Urheberr. S. 37, Dambach S. 136 ff., Daude S. 57; R.Ger. in Str.S. X Nr. 118, XV Nr. 126.

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Beseitigung vorhandener und Unterlassung künftiger Störungen zu 25 . Darum erfolgt die Einziehung der Exemplare und Vorrichtungen auch im Falle schuldloser Urheberrechtsverletzung und gegen schuldlose Eigenthümer26. Ueberdies haftet der Veranstalter eines Nachdruckes oder einer verbotenen Nachbildung, wenn ihn kein Verschulden trifft, dem Urheber oder seinem Rechtsnachfolger für den entstandenen Schaden trotzdem bis zur Höhe seiner Bereicherung, der Veranstalter einer unbefugten öffentlichen Aufführung sogar unbedingt auf Höhe seiner Bereicherung27. 3. Thäter. Die Rechtsfolgen der Urheberrechtsverletzung treffen in den Fällen des Nachdruckes, der verbotenen Nachbildung und der unbefugten öffentlichen Aufführung nicht blos den Veranstalter, sondern auch den Veranlasser28. Haben Beide schuldhaft gehandelt, so haften sie dem Berechtigten solidarisch29. Auch die übrigen Theilnehmer an einem Urheberrechtsdelikte sind nach allgemeinen Grundsätzen strafbar und ersatzpflichtig 80. Sind mehrere Betheiligte zu einer Bufse verurtheilt, so haften sie für die Bufse stets als Gesammtschuldner81. 4. Versuch. Strafe und Entschädigungspflicht knüpfen sich nur an die vollendete Urheberrechtsverletzung. Der Nachdruck oder die verbotene Nachbildung sind aber bereits vollendet, wenn ein Exemplar im In- oder Auslande rechtswidrig hergestellt ist 82 . Die 25 Was oben S. 815 unter I gesagt ist, gilt natürlich auch gegenüber allen ausdrücklich verbotenen Eingriffen in das Urheberrecht. 26 R.Ges. I § 21 Abs. 4 u. oben Anm. 20. 97 R.Ges. I § 18 Abs. 6 u. § 55 Abs 4; dazu R.Ger. X I I Nr. 23 (auch wer durch einen nicht von ihm selbst, aber von einem Anderen in seinem Namen und für seine Rechnung veranstalteten Nachdruck bereichert ist, haftet) R.O.H.G. ΧΧΙΓ Nr. 80 (Bereicherung aus Auffuhrung). Vgl. Endemann S. 85, Dambach S. 148, 251, Wächter, Autorr. S. 222, 233, 335 ff., Urheberr. S. 232 ff, Schuster S. 276, Scheele S. 77 ff. u. 149. 28 R.Ges. I § 20 Abs. 1 u. § 54 Abs. 2; W ä c h t e r , Autorr. S. 232 ff. u. 334, Urheberr. S. 232 ff. 29 R.Ges. I § 20 Abs. 2. 80 R.Ges. I § 20 Abs. 3. Hiernach sind Gehülfen und Begünstiger im Falle des Verschuldens ersatzpflichtig und zwar solidarisch. — Der gewerbemäfsige Verbreiter haftet nicht als Gehülfe, sondern aus einem eignen Delikte, somit auch nicht solidarisch mit dem Veranstalter oder Veranlasser des Nachdruckes oder der Nachbildung; der Veranstalter und Veranlasser können aber, wenn sie als solche haftfrei sind, als Verbreiter strafbar und entschädigungspflichtig sein; R.Ges. I § 25 Abs. 3. 31 R.Ges. I § 18 Abs. 4. 82 R.Ges. I § 22. Es mufs aber ein zur Verbreitung geeignetes vollständiges Exemplar hergestellt sein; Endemann S. 53 ff., Wächter, Autorr. S. 223 ff., 52*

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Einziehung der Nachdrucks- oder Nachbildungsvorrichtungen erfolgt auch im Falle des blofsen Versuches88. IV. Verfahren 8 4 . Die Verfolgung der Urheberrechtsverletzungen findet bei den ordentlichen Gerichten im Wege des Strafprozesses oder des Civilprozesses statt85. Das gerichtliche Strafverfahren wird nur auf Antrag des Verletzten eingeleitet86. Berechtigt zur Verfolgung ist Jeder, der in seinem Urheberrechte oder seinem aus dem Urheberrechte abgeleiteten ausschliefslichen Rechte beeinträchtigt oder gefährdet ist 87 . V. Sachverständigenvereine. In allen Staaten des deutschen Reiches bestehen litterarische, musikalische und künstlerische Sachverständigenvereine88, die als öffentlich bestellte Kollegien auf Erfordern des Richters Gutachten über technische Fragen abzugeben haben89 und überdies befugt sind, auf Anrufen der Betheiligten über streitige Entschädigungsansprüche und die Einziehung von Exemplaren Urheberr. S. 225 ff., Dambach S. 157, Stobbe I I I 431. Unrichtig Klostermann, Urheberr. S. 35: schon die HersteUung eines Druckbogens sei vollendeter partieller Nachdruck. — Ueber Versuch unbefugter Aufführung vgl. Daude S. 99, Scheele S. 146. — Ueber das ältere Recht Wächter, Verlagsr. S. 507, 612 ff., Klostermann, Geist. Eigth. S. 400 ff.; über das österr. R. Schuster S. 263 ff. 88 R.Ges. I § 22 Abs. 2. M R.Ges. I § 26—32, 43 , 45 , 56, I I § 16; Wächter, Autorr. S. 267 ff., 337 ff., Daude S. 66ff., 86 ff., 100ff., 127 ff. — Das Nähere gehört ins Prozefsrecbt. 88 Auf Strafe und auf Bufse kann nur der Strafrichter erkennen; wer eine Bufse fordert, mufs sich gemäfs Str.Pr.O. § 443 -446 der öffentlichen Klage als Nebenkläger anschliefsen. Auf blofse Entschädigung erkennt der Civilrichter. Die Einziehung kann sowohl im Strafrechtswege beantragt, wie im Civilrechtswege verfolgt werden; R.Ges. I § 26 Abs. 2. 36 R.Ges. I § 25. Der Antrag kann bis zur Verkündigung eines Strafurtheiles zurückgenommen werden. Das Antragsrecht erlischt mit Ablauf von drei Monaten nach erlangter Kenntnifs von dem Vergehen und der Person des Thäters; § 35. 87 R.Ges. I § 28 u. dazu oben § 88 Anm. 24—26. Eine Legitimation zum Antrage und zur Klage wird durch die oben § 86 Anm. 76—78 besprochene Legitimation zur Geltendmachung der Urheberrechte begründet. 88 R.Ges. I § 31, 49, I I § 16 Abs. 2; Instruktionen des Bundeskanzleramtes v. 12. Dez. 1870 u. des Reichskanzleramtes v. 29. Febr. 1876, mit Abänderungen v. 16. Juli 1879 u. 25. Okt. 1882 (b. Daude S. 72ff. u. 231 ff.). Den litterarischen Sachverständigenvereinen gehören Gelehrte, Schriftsteller, Buchhändler und andere geeignete Personen, den musikalischen Komponisten, Musikverständige und Musikalienhändler, den künstlerischen Künstler verschiedener Kunstzweige, Kunsthändler, Kunstgewerbtreibende und andere Kunstverständige an. 89 Der Richter braucht ein Gutachten nicht einzuholen und wird durch das Gutachten nicht gebunden; er kann auch andere Sachverständige befragen; R.Ges. I § 30.

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de litterarischen und künstlerischen Urheberrechts.

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oder Vorrichtungen als Schiedsrichter zu verhandeln und zu entscheiden 4 0 . VI. V e r j ä h r u n g 4 1 . Die Strafverfolgung der Urheberrechtsverletzungen und die Klagen auf Entschädigung aus solchen mit Einschlufs der Bereicherungsklage verjähren in drei Jahren42. Der Lauf der Verjährung beginnt bei Nachdruck und verbotener Nachbildung mit dem Tage der ersten Verbreitung, bei unbefugter gewerblicher Verbreitung mit dem Tage der letzten Verbreitung, bei unbefugter öffentlicher Aufführung mit dem Tage der Aufführung 48. Ueber die Unterbrechung der Veijährung entscheiden die allgemeinen Rechtssätze44. Keiner Verjährung unterliegt der Anspruch auf Einziehung von Exemplaren und Vorrichtungen45. § 90. Beendigung des litterarischen und künstlerischen Urheberrechts. I. Zeitablauf. Das Urheberrecht hat eine zeitlich begrenzte Lebensdauer \ Es erlischt daher durch Zeitablauf. Mit ihm erlöschen alle aus ihm abgeleiteten Rechte. Das Geisteswerk, an dem es bestand, wird somit Gemeingut2. 1. Regelmäfsige Dauer. Der Regel nach besteht das Urheberrecht während der Lebengdauer des Urhebers und dreifsig Jahre nach seinem Tode8. Das Todesjahr wird hierbei nicht einge40

R.Ges. I § 31 Abs. 2. R.Ges. I § 33-34 u. 37—38, 43, 45, 56, I I § 16; W ä c h t e r , Autorr. S. 286 ff., Urheberr. S. 269 ff, Daude S. 76 ff, 101, 127, Scheele S. 105 ff. 42 Die Strafverfolgung wegen Unterlassung der Quellenangabe verjährt schon in drei Monaten seit dem Tage der ersten Verbreitung des Abdrucks; R.Ges. I § 37. 48 Wegen jeder Aufführung läuft eine besondere Verjährung ; R.G.H.G. XXIV 281· 44 R.Ges. I § 38. Die Verjährung der Entschädigungsklage wird durch Einleitung des Strafverfahrens und die Veijährung der Strafverfolgung durch Anstellung der Entschädigungsklage nicht unterbrochen. 45 R.Ges. I § 36. Der Anspruch erlischt jedoch, sobald das Urheberrecht selbst erlischt. 1 Oben § 85 Ι Π 7 e S. 768. Dazu W ä c h t e r , Verlagsr. S. 426 ff, Autorr. S. 138 ff, 297 ff, 327ff, Urheberr. S. 125ff; Klostermann, Geist.Eigth. S. 268ff, Urheberr. S. 159 ff, b. Endemann I I 270 ff; Harum S. 176 ff; Dambach S. 99 ff.; Anders S. 262 ff; Stobbe § 162 I I ; Daude S. 37 ff, 93 ff, 113 ff; Osterr i e t h S. 52 ff. u. 95 ff; Schuster S. 288 ff. 2 Der Urheber selbst, sofern das Urheberrecht ausnahmsweise bei seinen Lebzeiten erlischt, und seine Erben und Rechtsnachfolger üben nunmehr, falls sie solche Handlungen, wie sie ihnen bisher kraft Urheberrechtes zustanden, fernerhin vornehmen, nicht mehr Urheberrecht, sondern die allgemeine Freiheit des Gemeingebrauches aus. 8 R.Ges. I § 8, § 52 Abs. 1, I I § 9 Abs. 1. — Uebereinstimmend Oesterr. 41

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Viertes Kapitel.

Persönlichkeitsrechte.

rechnet4. Im Falle der Miturheberschaft erlischt das zur gesammten Hand erworbene Urheberrecht erst dreiüsig Jahre nach dem Tode des letztlebenden Miturheberse. Diese regelmäßige Dauer des Urheberrechtes ist unabhängig davon, ob das Werk unveröffentlicht oder ob und wann es veröffentlicht ist. Folgerichtig läfst daher das deutsche Recht auch an posthumen Werken das Urheberrecht dreifsig Jahre nach dem Tode des Urhebers erlöschen6. Bei veröffentlichten Werken ist jedoch die regelmäfsige Dauer des Urheberrechtes dadurch bedingt, dafs das Werk als ein gehörig benanntes Werk veröffentlicht oder rechtzeitig in ein solches umgewandelt ist7. Pat. § 13 u. Entw. I I § 43 Abs. 1, Schweiz. Ges. Art. 2 Abs. 1. Dagegen beträgt die regelmäfsige Schutzfrist nach Französ. Ges. v. 14. Juli 1866 Art. 1, Ungar. § 11, Dän. Ges. v. 21. Febr. 1868, Schwed. Ges. v. 1877 Art. 7, Norweg. v. 1876 § 7, Russ. § 2, Portug. Gb. Art. 579 u. Belg. Ges. Art. 2 fünfzig und nach Span. Ges. Art. 6 sogar achtzig Jahre nach dem Tode. — Abweichende Systeme gelten nach engl. u. niederländ. R. (Minimalfristen von 42 resp. 50 Jahren seit dem Erscheinen und Verlängerungen im Falle längerer Lebensdauer), amerikan. R. (vgl. Osterr i e t h S. 53 Anm. 239), Italien. Ges. Art. 9 (40 Jahre oder längere Lebenszeit, dann aber noch 40 Jahre lang ADspruch auf fünf Prozent des Ertrages) und anderen Ges. (vgl. Osterrieth a. a. 0.). — Zeitlich unbeschränkt ist das Urheberrecht der Regel nach in Mexiko, Guatemala u. Venezuela (O s t e r r i e t h a. a. Ο. 52 Anm. 231). — Verlängerung der Schutzfrist durch Privileg ist noch nach dem Oesterr. Pat. § 17 zulässig, nach deut R. unzulässig (vgl. oben § 86 Anm. 90). — Ueber das ältere deut. R. vgl. W ä c h t e r , Verlagsr. S. 426 ff., Klo st er mann, Geist. Eigth S. 268 ff., Anders S. 285 Anm. 100. 4 R.Ges. I § 16, I I § 13. 5 R.Ges. I § 9 Abs. 1 u. dazu oben § 86 Anm. 64 u. Anm. 70. Dagegen erlischt das Miturheberrecht nach dem Oesterr. Pat. § 14 litt, c 30 Jahre (nach Entw. I I § 43 Abs. 3 40 Jahre) nach dem Erscheinen. — Gesonderte Urheberrechte an Bestandtheilen desselben Werkes oder an dem Ganzen und den Theilen eines Werkes haben ein jedes seine besondere Dauer; R.Ges. I § 9 Abs. 2, oben § 86 Anm. 69 u. 72 β R.Ges. I § 12, § 52 Abs. 1 u. 2, I I § 11; oben § 86 Anm. 54. Ebenso Oesterr. Entw. I I § 43 Abs. 1 (jedoch bei Werken, die in den letzten 5 Jahren der Schutzfrist erschienen sind, erst 5 Jahre nach dem Erscheinen). Vgl. Ungar. Ges. § 14 (50 Jahre nach dem Tode, aber bei Werken, die in den letzten 5 Jahren erschienen sind, noch 5 Jahre). — Anders natürlich die Gesetze, die dem Herausgeber oder dem Eigenthümer von Inedita ein Urheberrecht zuschreiben; vgl. oben § 86 Anm. 55 u. 60. Aber auch Gesetze, die nicht auf diesem Standpunkte stehen, gewähren für posthume Werke eine vom Erscheinen an berechnete Schutzfrist; so ehemals der B.B. v. 19. Juni 1845 u. jetzt das Oesterr. Pat. § 14 litt. d. u. das Schweiz. Ges. Art. 2 (vgl. jedoch Art. 3) eine Frist von 30, das Norweg. Ges. § 10, Schwed. § 8, Russ. § 3 u. Portug. Art. 585 eine Frist von 50 Jahren seit dem Erscheinen. Die deut Regierungsvorlage v. 1870 § 12 wollte 30 Jahre nach dem Erscheinen, aber nur im Falle des Erscheinens vor Ablauf von 30 Jahren nach dem Tode schützen. 7 Hierüber oben § 86 Anm. 73—75.

§

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des litterarischen und künstlerischen Urheberrechts.

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2. Verkürzte Dauer. Eine abgekürzte Lebensdauer von dreifsig Jahren seit der Veröffentlichung des Werkes haben die Urheberrechte von Verbandspersonen8 und die Urheberrechte an anonymen und Pseudonymen Werken9. Das Kalenderjahr des ersten Erscheinens wird in diesen Zeitraum nicht eingerechnet10. Wird ein Werk in mehreren Bänden oder Abtheilungen herausgegeben, so läuft die Frist für jeden Band oder jede Abtheilung besonders; nur wenn das Werk in solchen Theilen eine einzige Aufgabe behandelt und ein in sich zusammenhängendes Ganze bildet, geniefst es einer einheitlichen Schutzfrist, die erst von dem Erscheinen des letzten Stückes an berechnet wird; doch wird dieser Zusammenhang durch jede mehr als dreijährige Pause zwischen dem Erscheinen eines Stückes und seiner Fortsetzung unterbrochen11. 3. Verkürzte Dauer einzelner Befugnisse. Im All8 R.Ges. I § 13. Ebenso Schweiz. Ges. Art. 2 Abs. 2, Ungar. Ges. § 15, Oesterr. Pat. § 15 (jedoch 50 Jahre für gewisse privilegiirte Verbandspersonen) u. Entw. I I § 46 (ohne diese Verlängerung). Nach norweg., schwed., russ., portug. u. belg. R. gilt eine Schutzfrist von 50 Jahren, nach Ital. Ges. Art. 11 nur eine solche von 20 Jahren. In Frankreich neigt man zur Annahme einer ewigen Dauer; P o u i l l e t Nr. 150 ff. 9 R.Ges. I § 11 Abs. 3, § 52 Abs. 1 u. 2, I I § 9 Abs. 3. — Erscheint aber ein posthumes Werk anonym oder pseudonym, so kann der Schutz nie länger als 30 Jahre nach dem Tode dauern; W ä c h t e r , Autorr. S. 146; unrichtig Ε η dein an η S. 35. 10 R.Ges. I § 16 u. § 52 Abs. 1, I I § 13. Doch läuft nach R.Ges. I § 52 Abs. 2 die dreifsigjahrige Schutzfrist eines zuerst durch Aufführung veröffentlichten anonymen oder Pseudonymen Werkes gegen unbefugte Aufführung „vom Tage der ersten rechtmäfsigen Aufführung" an. Zweifelhaft bleibt, ob in einem solchen Falle die dreifsigjährige Schutzfrist gegen Nachdruck gleichfalls von dem Aufführungstage an laufen oder ob das Werk in dieser Richtung als unveröffentlicht gelten und daher im Falle spaterer anonymer oder pseudonymer Herausgabe nooh 30 Jahre seit dem Ablaufe des Herausgabejahres geschützt sein soll. Mit Rücksicht auf § 52 Abs. 1 u. 3, auf die im Gesetze beabsichtigte Gleichmachung der Schutzfristen gegen Nachdruck und unbefugte Auffuhrung und auf die Natur der öffentlichen Aufführung als „Veröffentlichung" (oben § 87 Anm. 14) mufs man sich für die erste Alternative entscheiden. Anders W ä c h t e r , Autorr. S. 327 ff. — Bei einem Werke der bildenden Kunst wird auch durch anonyme oder pseudonyme öffentliche Ausstellung die dreifsigjährige Frist in Lauf gesetzt, wofür hier auch der Wortlaut des Gesetzes (§ 9 u. bes. § 13) deutlich spricht. Α. M. Klostermann, Urheberr. S. 166, Wächter, Urheberr. S. 137. Aber soll es denn für immer ungewifs bleiben, ob ein in einem Museum ausgehängtes namenloses Bild, dessen Urheber Niemand kennt, nachgebildet werden darf? 11 R.Ges. I § 14, I I § 10; ebenso Oesterr. Pat § 16 u. Entw. I I § 51. Vgl. W ä c h t e r , Autorr. S. 148 ff., Urheberr. S. 135 ff., Dambach S. 120 ff., Scheele S. 65 ff.

Viertes Kapitel.

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Persönlichkeitsrechte.

gemeinen bleibt dem Urheberrechte, soweit es nicht durch Veröffentlichung des Geisteswerkes überhaupt abgeschwächt wird oder durch vorbehaltlose Veröffentlichung eine EinbuTse erleidet, während der ganzen Dauer seines Bestandes sein voller Inhalt gewahrt. Hiervon bestehen jedoch zwei Ausnahmen, indem einerseits bei veröffentlichten Schriftwerken das ausschliefsliche Uebersetzungsrecht des Urhebers in kürzerer Frist erlischt12, andrerseits bei Kunstwerken der Urheber sich das ausschliefsliche Recht der Nachbildung an gewerblichen Erzeugnissen von dem Augenblicke an, in dem er einmal eine solche Nachbildung gestattet hat, nur noch während der für den Muster- und Modellschutz gewährten kürzeren Frist erhalten kann18. Im Uebrigen ist die Wiedergabe in jeder Art von Bearbeitung oder Nachbildung, soweit sie überhaupt zum Inhalte des Urheberrechtes gehört, dem Urheber oder seinem Rechtsnachfolger während der ganzen Dauer des Urheberrechtes vorbehalten14. Insbesondere aber ist die kürzere Dauer des urheberrechtlichen Aufführungsrechtes, das nach dem älteren deutschen Rechte nur zehn Jahre nach dem Tode des Urhebers währte 15, aus dem geltenden deutschen Rechte verschwunden l e . 4. Gesetzliche Abänderung der Dauer. Im Zweifel richtet sich die Dauer jedes Urheberrechtes nach den zur Zeit seiner Begründung geltenden Rechtssätzen. Ziemlich allgemein haben jedoch die neueren Gesetze den von ihnen eingeführten Verlängerungen der Dauer des Urheberrechtes oder einzelner urheberrechtlicher Befugnisse 12

R.Ges. I § 15—16, Berner Uebereink. Art. 5 u. oben § 87 Ι Π 2 S. 797 ff. R.Ges. I I § 14 u. oben § 87 Anm. 75 S. 802. 14 Dagegen läfst das Oesterr. R. das ausschliefsliche Recht des Tondichters auf Herausgabe von Arrangements seines Tonwerkes schon ein Jahr nach Ablauf des Erscheinensjahres der Originalkomposition erlöschen ; Pat. § 6. (Entw. I I § 48 will eine Schutzfrist von 10 Jahren an die Stelle setzen; Entw. I § 41 Abs. 2 wollte eine Schutzfrist von 5 Jahren seit der rechtmäfsigen Herausgabe eines Arrangements einfuhren und Aehnliches für ein vorbehaltenes Dramatisirungsrecht bestimmen.) Ferner will der Oesterr. Entw. I I § 49 das ausschliefsliche Recht der Nachbildung eines Kunstwerkes „mittels eines Kunstverfahrens" mit dem Tode des Urhebers erlöschen lassen. — Das Preufs. Ges. v. 1837 § 2Θ—28 gestand dem ausschliefslichen Vervielfältigungsrechte an Kunstwerken regelmäfsig nur eine zehnjährige Dauer zu. 15 So nach Preufs. Ges. v. 1837 § 32, Sächs. v. 1846 § 1, Bayr. v. 1867 Art. 42 u. B.B. v. 12. Apr. 1857; der B.B. v. 22. Apr. 1841 Art. 2 hatte das Aufführungsrecht nur fur 10 Jahre seit der ersten rechtmäfsigen Aufführung gegeben. 18 Dagegen gilt sie noch nach Oesterr. Pat. § 22; Entw. I § 40 wollte 20 Jahre an die Stelle setzen, Entw. I I § 43 will diese Ausnahme von der dreifsigjährigen Frist beseitigen. 13

§

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des litterarischen und künstlerischen Urheberrechts.

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rückwirkende Kraft beigelegt und hierdurch sogar schon erloschene Urheberrechte wieder ins Leben gerufen 17. Die deutschen Reichsgesetze haben umgekehrt auch die in ihnen enthaltenen Verkürzungen urheberrechtlicher Schutzfristen mit rückwirkender Kraft ausgestattet18. II. Sonstige Erlöschungsgründe. Vor der Zeit erlischt das Urheberrecht durch Verzicht19 und durch erblosen Tod 20 . In beiden Fällen bleiben jedoch die aus dem Urheberrechte abgeleiteten absoluten Rechte bis zu dem Zeitpunkte bestehen, in dem das Urheberrecht ohne den Dazwischentritt dieser Erlöschungsgründe sein Ende gefunden hätte21. Andrerseits endigen durch Verzicht und erblosen Tod auch die aus dem Urheberrechte abgeleiteten Rechte88. 17 Vgl. hierüber und über die daraus entstandene Streitfrage hinsichtlich der Dauer der aus dem Urheberrechte abgeleiteten Aufführungsrechte Dritter oben § 24 Anm. 9. 18 Vgl. oben § 24 Anm. 8. Hiervon sind insbesondere die Urheberrechte an posthumen Werken betroffen; vgl. R.Ges. I § 12 u. I I § 11 mit dem B.B. v. 19. Juni 1845 (oben Anm. 6). Aufserdem zum Theil das Uebersetzungsrecht an Schriftwerken, das nach dem früheren preufs., sächs., braunschw. u. weimar. Recht die gleiche Dauer wie das Urheberrecht überhaupt hatte; doch hat in dieser Hinsicht das R.Ges. I S 59 den landesgesetziichen Vorschriften über die Förmlichkeiten des Vorbehaltes des Uebersetzungsrechtes und über die für das Erscheinen der ersten Uebersetzung mafsgebenden Fristen fortdauernde Anwendung auf früher erschienene Schriftwerke gesichert. 19 Der Verzicht kann ausdrücklich oder stillschweigend erklärt werden, mufs aber, um das Werk zum Gemeingut zu machen, irgendwie zu öffentlicher Kunde gebracht sein. Verzicht auf die Geltendmachung des Urheberrechts gegen bestimmte Personen hat keine dingliche Wirkung. Vgl. Wächter, Autorr. S. 159 ff, Urheberr. S. 152 ff., Scheele S. 23. 80 R.Ges. I § 17, 43, 45, 52 Abs. 1, I I § 15. Gleichzustellen ist die Auflösung einer berechtigten Verbandsperson. — Andere Erlöschungsgründe kennt das deutsche Recht nicht. So nicht die Verwirkung durch Nichtgebrauch oder die staatliche Entziehung, wie sie ältere Gesetze und noch jetzt manche ausländische Gesetze kennen; Anders S. 146 ff., Schuster S. 810 ff. Ebensowenig den Verlust durch vorbehaltlose Veräufserung oder Veröffentlichung eines Kunstwerkes, wie ihn für den ersten Fall das ältere preufs. Recht anordnete (oben § 88 Anm. 5), für den zweiten Fall das österr. Recht bestimmt (oben § 87 Anm. 64). — Der Untergang des Geisteswerkes ist nicht mit Wächter, Autorr. S. 159 u. Urheberr. S. 151, als Erlöschungsgrund aufzuführen. Solange das Geisteswerk trotz Zerstörung seiner Verkörperung in irgend Jemandes Gedächtnifs lebt, ist die Reproduktion aus dem Gedachtnifs dem Urheber vorbehalten. Ist die Reproduktion unmöglich, so kann das Urheberrecht nicht ausgeübt werden, ist aber an sich nicht erloschen. Richtig Schuster S. 307. 21 Die relativen Rechte dagegen erlöschen, da sie kein selbständiges Dasein haben ; die Handlungen, zu denen sie befugten, kann jetzt Jedermann vornehmen. 22 Für den Fall des erblosen Todes folgt dies aus den in Anm. 20 angef. G esetzesbestimmun gen.

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Viertes Kapitel. Persönlichkeitsrechte.

Sie fallen indefs, so lange das Urheberrecht besteht, niemals ins Freie, sondern an ihr Mutterrecht zurück28. § 91. Das photographische Urheberrecht 1 . I. Ueberhaupt. Die photographische Aufnahme ist kein künstlerisches, sondern ein technisches Verfahren. Eine Photographie kann daher zwar unter Umständen vermöge einer ihre Herstellung begleitenden künstlerischen Thätigkeit, wie sie sich namentlich in dem zu Grunde liegenden Arrangement offenbaren kann, als ein Werk der bildenden Künste erscheinen. Regelmäfsig aber sind Photographien keine originalen geistigen Schöpfungen, sondern gewerbliche Erzeugnisse, die ein auf mechanischem Wege hergestelltes Abbild eines Naturgegenstandes oder eines Menschenwerkes darbieten. Mangels einer besonderen gesetzlichen Bestimmung entsteht somit durch eine photographische Aufnahme ausnahmsweise ein künstlerisches Urheberrecht, regelmäfsig dagegen überhaupt kein Urheberrecht. In diesem Sinne entschied sich ausdrücklich das Bayrische Gesetz vom 28. Juni 18652. Da jedoch einerseits die Grenze zwischen beiden Gattungen von Photographien unsicher ist 8 , andrerseits auch Photographien ohne eignen künstlerischen Gehalt des Schutzes fähige und oft würdige individuelle Schöpfungen sind4, haben neuere Gesetze ein 28 A. M. für den Fall einer vollständigen Uebertragnng des Urheberrechtes Da m bach S. 127 u. sogar fur den Fall der Uebertragung einzelner Befugnifsinbegriffe Schuster, Wesen S. 30 ff., Tonkunet S. 308 ff. Vgl. dagegen Klostermann, Urheberr. S. 52, Wächter, Autorr. S. 163, Urheberr. S. 160. Aus der richtigen Auffassung der Uebertragung folgt der Rückfall von selbst; oben § 88 S. 809. 1 Klostermann, Urheberrecht S. 78ff. u. b. Endemann I I 804ff.; W ä c h t e r , Urheberr. S. 273 ff.; Daude S. 186 ff.; Scheele S. 215 ff. 8 Art. 28 schützt Photographien, wenn sie als Werke der Kunst zu betrachten sind, in gleichem Umfange wie andere Kunstwerke; vgl. M an dry, Urheberr. S. 209 ff. 8 In Frankreich werden Photographien im weitesten Umfange als artistische Erzeugnisse anerkannt. In England (Zusammenstellung v. 1878 Art. 21) und Amerika geniefsen sie kraft Gesetzes durchweg volles Kunstwerksrecht • Die Photographie eignet sich zum Persönlichkeitsgut, weil ihr der Verfertiger durch die Auswahl des Gegenstandes, durch dessen Aufnahme von dieser oder jener Seite oder in dieser oder jener Beleuchtung oder Entfernung und durch die Art der Erregung, Leitung und Ergänzung des chemisch-physikalischen Prozesses individuelle Züge aufprägt. Aufserdem kommt in Betracht, dafs auf die Originalaufnahme vielfach Mühe und Kosten verwandt werden, durch deren Ersparung ein Nachbildner einen unbilligen Vortheil im Wettbewerbe hätte. Man denke z. B. an die Aufnahme von entlegenen Landschaften, Strafsenszenen, schwer zugänglichen Kunstwerken u. s. w.

§9.

Das

t g r i c h e Urheberrecht.

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einheitliches und eigenartiges photographisches Urheberrecht eingeführt. Zum Theil wird dasselbe als eine Abart des künstlerischen Urheberrechtes behandelt6. In Deutschland dagegen ist es durch das Reichsgesetz v. 10. Januar 1876 als ein besonderes Urheberrecht ausgestaltet, das zwar dem künstlerischen Urheberrechte nachgebildet ist, überwiegend jedoch als ein gewerbliches Urheberrecht von wesentlich abweichender Art erscheint6. II. Begründung. 1. Objektive Voraussetzungen. Erforderlich ist ein durch Photographie hergestelltes Werk 7. Der Photographie steht jedoch jedes ihr ähnliche Verfahren gleich8. Ob das Werk die Merkmale eines Kunstwerkes trägt oder nicht, ist gleichgültig9. Auch kommt nichts darauf an, ob es ästhetische, wissenschaftliche oder praktische Bedürfnisse befriedigen soll. Ebenso macht es keinen Unterschied, ob die Photographie nach der Natur oder nach einem Geisteswerke aufgenommen ist. Doch entsteht aus der Photographie eines Werkes, an dem noch ein Urheberrecht besteht, niemals ein selbständiges Urheberrecht10 Vielmehr geniefst eine solche Photographie nur desjenigen Schutzes, den ihr ein aus dem Urheberrechte am Originale abgeleitetes Recht verschafft 11. 5

So im Schweizer. Ges. v. 23. Apr. 1883 Art. 9; vgl. Orel I i S. 67 if. Aehnlich ein Dan. Ges. v. 24. Marz 1865 u. ein Norweg. Ges. v. 12. Mai 1877. Das Ungar. Ges. v. 1884 handelt in einem bes. Kap. VI vom Schutz der Photographien. Der Oesterr. Entw. I u. I I will zwar das photographische Urheberrecht in Verbindung mit dem litterarischen und künstlerischen regeln, ihm aber (schon in der Ueberscbrit't) die Stellung einer besonderen Urheberrechtsart anweisen und in der Sache meist dem deutschen Vorbilde folgen. 7 R.Ges. § 1. Nach § 12 findet aber das Gesetz auf eine vor dem 1. Juli 1876 angefertigte photographische Aufnahme nur Anwendung, wenn die erste rechtmäfsige Vervielfältigung erst nach diesem Tage erschienen ist. 8 R.Ges. § 11. Dieses ist jedes technische Verfahren, das durch Einwirkung des Lichtes ein Abbild hervorbringt. Vgl. Scheele S. 234 ff. Dazu Oesterr. Entw. I I § 4 Abs. 2. 9 Auch im ersteren Falle entsteht also ein photographisches, kein künstlerisches Urheberrecht. Doch ist für Bayern gemäfs R.Ges. § 12 Abs. 2 das auf Grund des Bayr. Ges. v. 1865 (oben Anm. 2) vor dem 1. Juli 1876 begründete künstlerische Urheberrecht an Werken der Photographie in Kraft geblieben. 10 R.Ges. § 1 Abs. 2; Scheele S. 219 ff. 11 Somit eines Schutzes gegen Dritte nur, sofern ihrem Verfertiger ein aus dem Urheberrechte am Originale abgeleitetes absolutes Recht übertragen ist. Dagegen iet der Photograph nicht nur dann, wenn er die Photographie unbefugt, sondern auch dann, wenn er sie kraft eines blos relativen Rechtes angefertigt hat; gegen Nachbidung seines Werkes ungeschützt; Schutz kann ihm im letzteren Falle nur der Urheber des Originales verschaffen. Vgl. Wächter a a. O. S. 278 ff. — 6

828

Viertes Kapitel.

Persönlichkeitsrechte.

2. Subjektive Voraussetzungen. Auch dieses Urheberrecht kommt in der Person des Schöpfers des Werkes und nur in ihr zur Entstehung12. Bei photographischen Bildnissen geht es in gleicher Weise wie bei künstlerischen Porträts auch ohne Vertrag auf den Besteller über 18. Der Verfertiger des photographischen Werkes mufs jedoch, um ein vom deutschen Rechte annerkanntes photographisches Urheberrecht zu erwerben, Inländer sein14. Photographische Erzeugnisse von Ausländern werden nur auf Grund völkerrechtlicher Verträge geschützt. Solche Verträge hat jedoch das Deutsche Reich bisher nicht abgeschlossen15. 3. Begründungsakt. Das photographische Urheberrecht wird durch die Verfertigung einer photographischen Aufnahme begründet, besteht jedoch nur fort, wenn jede rechtmäfsige photoAngemessener will der Oesterr. Entw. I I § 42 nur bestimmen, dafs insoweit, als Werke der Photographie ohnehin als Nachbildungen von Werken der Litteratur oder Kunst oder als Bestandtheile litterarischer Werke geschützt sind, die besonderen Bestimmungen über den photographischen Urheberrechtsschutz keine Anwendung finden. 12 R.Ges. § 1. Zweifellos reicht indefs die Möglichkeit, sich zur Verfertigung von photographischen Aufnahmen eines Gehülfen zu bedienen, sehr viel weiter, als die entsprechende Möglichkeit bei der Herstellung von Kunstwerken. In Anbetracht der gewerblichen Natur des photographischen Urheberrechtes wird man als geltendes deutsches Recht anzusehen haben, was der Oesterr. Entw. I I § 12 ausdrücklich bestimmen will: „Bei gewerbsmäfsig hergestellten Photographien stehen die Rechte des Urhebers dem Inhaber des Gewerbes zu". 18 R.Ges. § 7; R.Ger. in Str.S. I I Nr. 246, XV Nr. 77. Die Bestimmung erreicht ihren Zweck hier bei der blos fünQährigen Dauer des Urheberrechts in noch unvollkommenerem Mafse, wie bei Kunstwerken ; vgl. oben § 86 Anm. 49—51, Daude S. 192—193. — Der Oesterr. Entw. I I § 13 will die gleiche Bestimmung durch den Zusatz ergänzen, dafs aufserdem bei Photographieporträts die Ausübung des Urheberrechtes stets an die Zustimmung der dargestellten Person gebunden sein soll (ausgenommen Photographien zu amtlichen Zwecken). 14 R.Ges. § 9 mit der Verweisung auf R.Ges. v. 11. Juni 1870 § 61 Abs. 1. Inländischer Verlag verschafft hier dem ausländischen Urheber keinen Schutz. (Ueber eine Ausnahme auf Grund des Bayr. Ges. v. 1865 Art. 66 vgl. Wächter S. 285 ff.). — Der Oesterr. Entw. I I § 1—2 behandelt ausländische photographische Urheberrechte wie ausländische künstlerische Urheberrechte. 15 DambachinHoltzendorffsVölkerr.III 594ff, Daude S. 190ff., Scheele S. 222 ff. In dem Schlufsprotokoll zur Berner Uebereinkunft v. 1886 Z. 1 haben nur diejenigen Verbandsstaaten, die den photographischen Werken den Charakter von Werken der Kunst nicht versagen, die Verpflichtung zu entsprechendem Schutze fremder photographischer Werke übernommen. Aufserdem ist den rechtmäfsigen Photographien geschützter Kunstwerke während der Dauer des Urheberrechts am Originale gegenseitiger Schutz „in den Grenzen der zwischen den Berechtigten abgeschlossenen Privatverträge" zugesagt; vgl. dazu oben Anm. 11.

§9.

Das

t g r i c h e Urheberrecht.

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graphische oder sonstige mechanische Abbildung der Originalaufnahme auf der Abbildung selbst oder dem Karton den Namen und Wohnort des Verfertigers oder Verlegers und das Kalenderjahr des ersten Erscheinens angiebt16. III. I n h a l t und Umfang. Das photographische Urheberrecht gewährt die ausschliefsliche Befugnifs, das Werk zu veröffentlichen 17, es ganz oder theilweise auf mechanischem Wege nachzubilden18 und Nachbildungsexemplare gewerbemäfsig zu verbreiten 19. Im Gegensatze zum künstlerischen Urheberrechte enthält also das photographische Urheberrecht kein Verbietungsrecht gegen Nachbildung des Werkes durch ein Kunstverfahren 20. Auch bietet es keinen Schutz gegen solche Nachbildungen, die sich an gewerblichen Erzeugnissen befinden 21. Im Uebrigen entspricht sein Inhalt dem des künstlerischen Urheberrechtes 22. IV. Uebertragung. Die Uebertragung des photographischen Urheberrechtes untersteht gleichen Regeln, wie sie für die Uebertragung anderer Urheberrechte gelten28. V. Schutz. Auch der Schutz des photographischen Urheber16 R.Ges. § 5. — Ebenso Ungar. Ges. § 69. Aehnlich Oesterr. Entw. I I § 40 Abs. 2, aber nur für „erschienene" Werke und mit Ausnahme der Porträts; „erscheinen" kann nach § 6 ein photographisches Werk durch Herausgabe oder öffentliche Ausstellung; vgl. dazu auch § 10 Abs. 2 u. 4. — Das Schweiz. Ges. Art. 9 verlangt die Einschreibung in ein Register. — Vgl. auch Dän. Ges. § 1, Norweg. § 2. 17 Dies folgt aus seiner Natur als Urheberrecht; der Oesterr. Entw. I I § 40 will es ausdrücklich sagen. 18 R.Ges. § 1. Der Oesterr. Entw. I I § 40 sagt „auf photographischem Wege". 19 R.Ges. § 9 mit R.Ges. v. 11. Juni 1870 § 25; Oesterr. Entw. I I § 40. 20 Die Nachbildung einer Photographie durch ein Werk der malenden, zeichnenden oder plastischen Kunst steht nicht nur Jedermann frei, sondern erzeugt für ihren Schöpfer ein künstlerisches Urheberrecht; R.Ges. § 8. 81 R.Ges. § 4. Vgl. Wächter S. 293 ff. 28 Die mechanische Nachbildung ist daher auch dann ohne Genehmigung des Urhebers uuzulässig, wenn sie durch ein anderes Verfahren oder mittelbar erfolgt ; wenn nur eine Einzelkopie in Verbreitungsabsicht angefertigt wird; wenn die Wiedergabe sich auf einen Theil des Werkes beschränkt oder das Werk mit Abänderungen reproduzirt; R.Ges. § 3, Wächter S. 290 ff, Daude S. 193 ff. Erlaubt dagegen ist die freie Benutzung einer Photographie zur Hervorbringung eines neuen Werkes; R.Ges. § 2. Erlaubt auch die Entlehnung einzelner erschienener photographischer Abbildungen, wenn sie unter Quellenangabe in ein Schriftwerk behufs Erläuterung des Textes aufgenommen werden; R.Ges. § 9 mit der Verweisung auf § 44 des R.Ges. v. 1. Juni 1870; vgl. Oesterr. Entw. I I § 41 Z. 2. 88 R.Ges. § 7 (übereinstimmend mit R.Ges. v. 9. Jan. 1876 § 2).

Viertes Kapitel.

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Persönlichkeitsrechte.

rechtes richtet sich nach den für das litterarische und künstlerische Urheberrecht mafsgebenden Grundsätzen24. Besondere Urheberrechtsdelikte sind hier die in Yerbreitungsabsicht hergestellte mechanische Nachbildung25, die gewerbemäfsige Verbreitung rechtswidrig angefertigter Nachbildungsexemplare26 und die Unterlassung der Quellenangabe bei der erlaubten Entlehnung photographischer Abbildungen27. Die Rechtsfolgen der Urheberrechtsverletzungen, das Verfahren bei ihrer Verfolgung und die Verjährung sind durchweg nach den für das litterarische und künstlerische Urheberrecht geltenden Bestimmungen geregelt. Zur Abgabe von Gutachten über die Nachbildung photographischer Aufnahmen bestehen besondere photographische Sachverständigenvereine 2 8 . VI. Beendigung. Ein Hauptunterschied des photographischen Urheberrechtes vom litterarischen und künstlerischen Urheberrecht besteht in seiner sehr viel kürzeren Lebensdauer. Diese beträgt nur fünf Jahre seit dem Ablaufe des Kalendeijahres, in dem die rechtmäfsigen photographischen oder sonstigen mechanischen Abbildungen der Originalaufnahme zuerst erschienen sind29. Wenn solche Abbildungen nicht erscheinen, erlischt das Urheberrecht fünf Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem das Negativ der photographischen Aufnahme entstanden ist 80 . Wird also eine photographische Aufnahme später als fünf Jahre nach Ablauf des Jahres ihrer Entstehung veröffentlicht, so tritt sie sofort als Gemeingut in die Erscheinung ; dagegen ist sie, wenn ihre Veröffentlichung innerhalb 24

R.Ges. § 9 verweist auf die §§ 18—38 des R.Ges. v. 11. Juni 1870. Es gilt aber auch das oben § 89 I Gesagte. 25 R.Ges. § 8. Dafs die Verbreitungsabsicht schon in der Absicht des öffentlichen Aushanges (zur Reklame) liegt (oben § 87 Anm 85), hat gerade für Photographien das R.Ger. Str.S. I I Nr. 102 festgestellt. 26 R.Ges. § 9 mit § 25 des R.Ges. v. 11. Juni 1870. 27 R.Ges. § 9 mit § 24 des R.Ges. v. 11. Juni 1870. — Der Oesterr. Entw. 11 § 54 Ζ. 3 fügt als eine besondere Art der „Uebertretung" die urheberrechtliche Verfügung über ein Photographieporträt ohne Zustimmung der dargestellten Person oder ihrer Erben hinzu. 28 R.Ges. § 10 u. Best, des Reichskanzlers v. 16. Juli 1879 u. 25. Oktober 1882 — Diese Vereine bestehen aus Künstlern, Kunsthändlern, anderen Kunstverständigen und Photographen. Im Uebrigen (auch hinsichtlich des Schiedsricbteramtes) gilt für sie das oben § 89 V S. 820 Gesagte. 89 R.Ges. § 6 Abs. 1. Erscheint das Werk in mehreren Abtheilungen oder Bänden, so gelten nach Abs. 3 die Regeln des § 14 des R.Ges. v. 11. Juni 1870 (vgl. oben § 90 S. 823). 80 R.Ges. § 6 Abs. 2.

§ 92. Das kunstgewerbliche Urheberrecht.

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dieser fünf Jahre, sei es auch noch so kurz vor deren Ablaufe, erfolgt, noch volle fünf Jahre gegen Nachbildung geschützt81. § 92. Das kunstgewerbliche Urheberrecht 1 . I. Ueberhaupt. Schon seit dem Beginne des vorigen Jahrhunderts entwickelte sich in den Gebieten des englisch-amerikanischen und des französischen Rechtes in Anlehnung theils an das Erfinderrecht theils an das künstlerische Urheberrecht ein besonderer Musterschutz, kraft dessen den Schöpfern von Mustern oder Modellen für Industrieerzeugnisse die Verwerthung ihrer Vorbilder während eines bestimmten Zeitraumes vorbehalten wurde. Im Laufe unseres Jahrhunderts wurde der Musterschutz durch die ausländische Gesetzgebung, eifrig fortgebildet 2. Auch in Oesterreich wurde unterm 7. Dezember 1858 ein Musterschutzgesetz erlassen3. Dem deutschen Rechte blieb, soweit nicht das französische Recht eingriff, der Musterschutz fremd, bis ihn das Reichsgesetz vom 11. Januar 1876 betr. das Urheberrecht an Mustern und Modellen einführte 4. Das deutsche Gesetz geht von dem Begriffe eines durch die Er81 Klostermann, Urheberr. S. 170; Wächter S. 288; Scheele S. 228 ff. — Mit dem deut. R. stimmte das Ungar. Ges. § 70, das Dan. § 1 und das Norweg. § 8 überein. Das Schweiz. Ges. Art. 9 litt, b schützt 5 Jahre seit der Einschreibung. Der Oesterr. Entw. I I § 50—52 schliefst sich an das deutsche System an, verlängert aber sowohl die erste (seit „dem Bestehen der unmittelbar nach dem Originale hergestellten Matrize" laufende), wie die zweite (seit dem „Erscheinen" binnen der ersten Frist laufende) Frist auf 10 Jahre. 1 Klostermann, Patentgesetzgebung S. 380ff., Urheberr. S. lOOff., b. Endemann I I 298 ff.; Dambach, Das Musterschutzgesetz v. 11. Jan. 1876, Berl. 1876; W ä c h t e r , Urheberr. S. 297 ff.; Daude S. 199 ff.; E. Meier in Holtzendorffs Rechtslex. I I 826 ff.; Dernburg, Preufs. P.R. I I § 307 ; Kohler b. Schönberg a. a. 0. (oben § 84 Anm. 36) S. 795ff. ; H aufs im Handwörterb. der Staatswiss. IV 1262 ff. 2 Ueber die engl. Gesetzgebung vgl. Z. f. H.R. XXX 576ff. u. X X X V n 149ff.; die Gesetze von 1842, 1843, 1850, 1861 u. 1875 wurden durch die Patente Designs and Trade Marks Act v. 25. Aug. 1888 (von Mustern Th. III) aufgehoben; Abänderungen vom 24. Dez. 1888. Nordamerikan. Ges. v. 8. Juli 1870 (an Stelle älterer Gesetze, bes. v. 1842 u. 1861) sect. 71—76 ib. XVI 437. Ueber das französ. Dekr. v. 18. März 1806 und die Weiterbildung durch die Praxis 0. Mayer ib. XXVI 427 ff. Ital. Ges. v. 30. Aug. 1868 ib. XIV 380. Schweiz. Ges. v. 21. Dez. 1888 ib. XXXVI 479 ff. Russ. Ges. v. 11. Juli 1864. 8 Abgedruckt mit den durch Ges. v. 23. Mai 1865 verfügten Abänderungen b. Schröder, C. j. c. S. 87 ff. 4 Nach § 12 in Kraft seit dem 1. April 1876; auf vorher angefertigte Muster nur anwendbar, soweit nicht schon ein Nachbildungserzeugnifs verbreitet war; jedoch mit Aufrechthaltung eines älteren landesgesetzlichen Schutze& (nur für die Gebiete desfranzös. R. bedeutungsvoll).

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Viertes Kapitel.

Personlichkeitsrechte.

zeugung von Mustern oder Modellen begründeten Urheberrechtes aus5. Es bezieht sich nur auf sogenannte „Geschmacksmuster"6 und behandelt daher das von ihm geregelte Recht als ein dem künstlerischen Urheberrechte verwandtes, jedoch um der gewerblichen Zweckbestimmung willen eigenartig ausgestaltetes kunstgewerbliches Urheberrecht. II. Begründung. 1. Objektive Voraussetzungen. Zur Entstehung eines kunstgewerblichen Urheberrechtes gehört das äufsere Dasein eines „gewerblichen Musters oder Modelles", d. h. eines Vorbildes, das eine zur Uebertragung auf ein gewerbliches Erzeugnifs geeignete Form darbietet. Das Muster oder Modell kann diese Form graphisch oder plastisch versinnlichen; es kann in einem blofsen Formbilde oder in einem vollständig hergestellten Probeexemplare bestehen; es kann auf Vervielfältigung durch Handfertigkeit oder durch ein mechanisches Verfahren berechnet sein ; es kann sich zur Verwendung nur in einem Gewerbszweige oder in mehreren Gewerbszweigen (z. B. für gewebte Stoffe und Tapeten) eignen. Immer aber mufs es drei Eigenschaften aufweisen : a. Es mufs neu sein. Neu ist es nicht, wenn es in seiner wesentlichen Erscheinung schon vorhanden und im Verkehre war 7. b. Es mufs eigenthümlich sein. Eigentümlich ist es nur, wenn sich in ihm eine aus originaler Bethätigung formenschöpferischer 5 Ebenso die meisten ausländischen Gesetze (auch das englische, das von copyright spricht). Dagegen behandeln das nordamerik. R. u. das Ital. Ges. v. 1868 das Musterrecht als Abart des Erfinderrechts und machen daher seinen Schutz von Musterpatenten abhängig, deren Ertheilung in Amerika für 31/», 7 oder 14 Jahre, in Italien nur für zwei Jahre verlangt werden kann. 6 Dies nahm auf Grund der Entstehungsgeschichte des Gesetzes mit Dam· bachS. 15ff. gegen Klostermann, Urheberr. S. 100, Stobbe I I I 37 u. Kohler, Patentr. S. 54 u. b. Schönberg S. 796, die Praxis an; vgl. R.O.H.G. XXIV 10, R.Ger. XIV 46 ff. Seit Erlafs des besonderen Gesetzes über den Schutz von Gebrauchsmustern (unten § 93) ist die Streitfrage erledigt. Auch in Frankreich bezieht man den Musterschutz nur auf Geschmacksmuster. In Oesterreich und der Schweiz steht der Wortlaut der Gesetze ihrer Erstreckung auf Gebrauchsmuster nicht entgegen. Die vom Begriff des Erfinderrechts ausgehenden Musterschutzgesetze machen zwischen Geschmacks- und Gebrauchsmustern keinen Unterschied. 7 R.Ges. § 1; Dambach S. 20, Daude S. 202 Anm. 6. Der Urheber selbst kann nach § 7 Abs. 2 an einem Muster, das bereits vor der gehörigen Anmeldung in den Verkehr gekommen war, kein ausschliefsliches Recht mehr erwerben. Ebensowenig entsteht ein Urheberrecht, wenn Jemand unbewufst eine von einem Andern schon früher ersonnene und verbreitete Form wieder hervorbringt. (Diese Möglichkeit ist hier nicht, wie bei Kunstwerken, völlig ausgeschlossen). — Vgl. Schweiz. Ges. Art. 7 Z. 1.

§ 92. Das kunstgewerbliche Urheberrecht

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Kraft entsprungene individuelle Form als gewerbliches Vorbild darbietet. Aus der Nachbildung eines Werkes der bildenden Kunst oder eines etwa neu aufgefundenen altertümlichen Gegenstandes oder eines Naturgegenstandes entsteht kein kunstgewerbliches Urheberrecht. Liegt aber eine individuelle geistige Schöpfung vor, so wird die Eigentümlichkeit des Musters dadurch nicht ausgeschlossen, dafs bei seiner Hervorbringung die Motive und Formelemente, die ein Kunstwerk oder ein älteres gewerbliches Erzeugnifs oder die Natur enthält, in freier Weise benutzt sind8. c. Es mufs ein Geschmacksmuster sein. Ein solches liegt vor, wenn die neue und eigenthümliche Form sich an das ästhetische Gefühl wendet9. Ob die Formgebung einem geläuterten Geschmacke entspricht und in Wahrheit den Schönheitssinn befriedigt oder ob sie nur dem wechselnden Geschmacke der Mode huldigt und vielleicht einem entarteten Formensinne schmeichelt, ist unerheblich10. Auch kann dasselbe Formerzeugnifs mit der Eigenschaft eines Geschmacksmusters die eines Gebrauchsmusters oder einer Erfindung verbinden n . 2. Subjektive Voraussetzungen. Das Urheberrecht an einem Geschmacksmuster entsteht in der Person seines Schöpfers. Hierbei gelten im Ganzen gleiche Grundsätze wie beim künstlerischen Urheberrechte. Nur in drei Punkten begegnen Abweichungen. a. Urheberrecht des Geschäftsherrn. Wird ein Muster oder Modell von einem in einer inländischen gewerblichen Anstalt beschäftigten Zeichner, Maler, Bildhauer u. s. w. im Auftrage oder für Rechnung des Eigentümers der Anstalt angefertigt, so gilt mangels anderer Abrede der Eigenthümer der Anstalt als Urheber 12. Hier erwirbt also der Geschäftsherr auch dann, wenn der Verfertiger keineswegs nur als sein Gehülfe, sondern als alleiniger Urheber thätig war, aus fremder Urheberschaft ein originäres Urheberrecht. Diese Bestimmung ist durchaus singulärer Natur. Ihre Erklärung mufs in einer freilich sehr weit erstreckten Wirksamkeit der durch den Eintritt in ein Geschäft begründeten personenrechtlichen Gemeinschaft gesucht werden. Nach der Annahme des Gesetzes kann ein Ange8

Vgl. R.Ges. § 1, Dambach S. 20 ff., Wächter S. 303 ff. R.Ger. b. Seuff. X L I I Nr. 317; Dambach S. 15 ff. Die Form kann sehr einfacher Art sein, so dafs z. B. neue und eigenthümliche Buchstabenformen auf Patrizen, Matrizen oder Typen schutzfähig sind; R.Ger. XIV Nr. 15 S. 47. 10 R.Ger. XIV Nr. 15 S. 46. 11 Dann kann der Urheber gleichzeitig den Gebrauchsmusterschutz oder ein Erfindungspatent erwerben. 18 R.Ges. § 2 (aus dem Russ. Ges. v. 11. Juli 1864). 9

B i n d i n g , Handbuch.

II. 3. 1: G i e r k e , Deutsches Privatrecht.

I.

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Viertes Kapitel.

Persönlichkeitsrechte.

stellter seine Persönlichkeit dergestalt in den Dienst eines gewerblichen Unternehmens stellen und hat sie im Zweifel dergestalt in diesen Dienst gestellt, dafs seine geistigen Schöpfungen auf kunstgewerblichem Gebiete als Hervorbringungen des gewerblichen Verbandes und demgemäfs als Persönlichkeitsgüter des zum alleinigen Träger dieses Verbandes berufenen Geschäftsherrn erscheinen18. In jedem anderen Verhältnisse kann auch an Mustern oder Modellen der blofse Besteller oder der stoffliche Eigenthümer niemals ein originäres, sondern immer nur ein abgeleitetes Urheberrecht erwerben 14. b. Vermuthung für Urheberschaft. Wer ein Muster oder Modell gehörig zur Eintragung in das Musterregister angemeldet und niedergelegt hat, gilt kraft einer Rechtsvermuthung bis zum Gegenbeweise als Urheber 16. c. Ausländische Urheberrechte. Das deutsche Gesetz findet auf alle Muster und Modelle inländischer Urheber und solcher ausländischer Urheber, die im Gebiete des Deutschen Reiches ihre gewerbliche Niederlassung haben, Anwendung; jedoch bei Inländern wie bei Ausländern nur insofern, als die nach den Mustern oder Modellen hergestellten Erzeugnisse im Inlande verfertigt sind, mag nun ihre Verbreitung im Inlande oder im Auslande erfolgen 16. Darüber hinaus ist durch völkerrechtliche Verträge des Deutschen Reiches mit zahlreichen Staaten ein gegenseitiger Musterschutz auch für ausländische Urheber, die in dem Gebiete des anderen Staates keine gewerbliche Niederlassung haben, vereinbart worden17. 18 Vgl. oben § 80a S. 699 if. — Wächter S. 307 ff. u. Gareis, Encykl. § 21 V, sprechen von einer gesetzlichen Fiktion; Dahn, Deut. Rechtsbuch S. 125, meint, es könne eigentlich nur von einem Uebergange der Ausübung des Urheberrechts die Rede sein. 14 So erwirbt auch der Zeichner, der in einem Geschäfte nicht angestellt ist, sondern nur einzelne Aufgaben für dieses vertragsmäfsig zu losen übernommen hat, das Urheberrecht für sich. Ebenso der Angestellte, der aufserhalb seines Anstellungsbereiches Muster oder Modelle anfertigt. Dambach S. 26, W ä c h t e r S. 309, Daude S. 214 u. 215. — Zum Uebergange des Urheberrechts auf den Besteller bedarf es eines besonderen Uebertragungsvertrages; R.Ger. in Str.S. X I I Nr. 71. 16 R.Ges. § 13; ebenso Oesterr. Ges. § 8. Der Gegenbeweis kann sich auf eigene Urheberschaft, aber auch darauf, dafs das Muster nicht neu, nicht eigentümlich oder kein Geschmacksmuster sei, richten; Dambach S. 20, W ä c h t e r S. 306 ff, Daude S. 203 u. 215, R.Ger. V I I I Nr. 16. 16 R.Ges. § 16; Dambach S. 79 ff, Wächter S. 320 ff, Klostermann b. Endemann I I 300, Daude S. 215 ff. — Vgl. auch R.Ges. § 2 oben Anm. 12. 17 Nachweisungen b. Daude S. 216 ff. u. Sehling a. a. O. S. 152 Anm. 1. Die oben § 84 Anm. 95 angeführten Verträge mit Oesterreich, Italien u. der Schweiz

§ 92. Das kunstgewerbliche Urheberrecht.

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3. Begründungsakt. Ungleich dem künstlerischen Urheberrechte bedarf das kunstgewerbliche Urheberrecht, um den Schutz gegen Nachbildung zu gewinnen, einer öffentlichen Konstatierung seiner Begründung durch Anmeldung des Musters oder Modelles zum Musterregister und durch Niederlegung eines Exemplares oder einer Abbildung des Musters oder Modelles bei der Registerbehörde18. Die Musterregister werden von den mit der Führung der Handelsregister beauftragten Gerichten geführt 19. Sie sind öffentlich 20. Die Muster und Modelle selbst können offen oder versiegelt, einzeln oder in Packeten niedergelegt werden21. Doch erfolgt die Eröffnung der versiegelt niedergelegten Muster spätestens drei Jahre nach der Anmeldung und kann in Streitfällen über die Schutzberechtigung eines Musters zur Herbeiführung der Entscheidung von der Registerbehörde auch früher angeordnet werden2a. Die auf die Eintragung bezüglichen Schriftstücke sind stempelfrei; für jede Eintragung und Niederlegung eines einzelnen Musters oder eines Packetes werden aber Gebühren regeln den gegenseitigen Musterschutz gleichzeitig mit dem Patent- und Markenschutz, der Vertrag mit Serbien gleichzeitig mit dem Markenschutz. In den Verträgen werden die Ausländer regelmäfsig den Inländern gleichgestellt, können aber nicht mehr Recht gewinnen, als die Inländer. Sie müssen daher ihre Muster und Modelle in Deutschland gehörig anmelden und erlangen den Musterschutz bei uns nur für die in Deutschland gefertigten Erzeugnisse und höchstens für die deutsche Schutzfrist, während eine frühere Beendigung ihres Musterrechtes nach dessen Heimathsgesetz auch bei uns beendigend wirken mufs. Die neuesten Verträge gewähren hier wie bei den Marken (oben § 84 Anm. 95) auf Grund der in einem Vertragestaate erfolgten Anmeldung ein dreimonatliches Prioritätsrecht für die Anmeldung in dem anderen Vertragsstaate. — Die internationale Union v. 1883, der das Deutsche Reich nicht angehört, bezieht sich auch auf Muster und Modelle. 18 R.Ges. § 7. — Ein ähnliches System gilt nach allen ausländischen Musterschutzgesetzen ; vgl. Oesterr. Ges. § 5 ff., Schweiz. Art. 9 ff. Das englische und das russische Recht fordern aber aufserdem, dafs jedes einzelne Nachbildungserzeugnifs mit einer Registrirungsmarke versehen werde. 19 R.Ges. § 9; dazu Bestimmungen des Reichskanzlers über Führung des MuBterregisters v. 29. Februar 1876 (b. Daude S. 208ff.) nebst Bekanntmachungen v. 23. Juli 1876, 12. Nov. 1883 u. 23. Dez. 1886. 20 Bekanntmachungen der Einträge auf Kosten des Anmeldenden im Reichsanzeiger ; R.Ges. § 9 Abs. 6. Recht auf Einsichtnahme und Ertheilung beglaubigter Auszüge für Jedermann; § 11. 21 R.Ges. § 9 Abs. 4. Doch keine Packete mit mehr als 50 Mustern oder Modellen und mit mehr als 10 Kilogramm Gewicht. 22 R.Ges. § 9 Abs. 5 u. § 11. Im Uebrigen kann Niemand die Eröffnung versiegelter Muster verlangen, auch nicht, um sich zu überzeugen, ob ein bestimmtes Muster niedergelegt und somit geschützt ist. Ueber das Bedenkliche dieses Zustandes vgl. Klostermann b. Endemann I I 301. 53*

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Viertes Kapitel.

Persönlichkeitsrechte.

erhoben, deren Betrag sich nach der Länge der beanspruchten Schutzfrist abstuft 28. Von der gehörigen Anmeldung und Niederlegung des Musters hängt der Schutz des Urhebers gegen Nachbildung ab 24 . Gehörig ist die Anmeldung und Niederlegung nur, wenn sie erfolgt, bevor ein nach dem Muster gefertigtes Erzeugnifs verbreitet ist 26 . Sie mufs ferner bei dem zuständigen Gerichte bewirkt sein26. Auch ist die Angabe erforderlich, ob das angemeldete Muster für Flächenerzeugnisse oder für plastische Erzeugnisse bestimmt ist 27 . Mit dem Augenblicke der gehörigen Anmeldung und Niederlegung, nicht erst mit dem der Eintragung, tritt der Urheberrechtsschutz in Kraft 28. Anmeldung und Niederlegung haben jedoch nur deklaratorische Bedeutung. Konstitutiv ist auch für dieses Urheberrecht die geistige Schöpfungsthat. Somit entsteht einerseits aus der Erzeugung de& Musters oder Modelles bereits ein Recht des Urhebers, das sich nicht nur in dem Ansprüche auf Erwerb eines ausschliefslichen Nachbildungsrechtes durch Anmeldung und Niederlegung, sondern auch in der Befugnifs, jedem Anderen die Anmafsung eines Urheberrechtes 28 R.Ges. § 12. Die Gebühren betragen für jedes der drei ersten Jahre je 1 Mark, für jedes weitere Jahr bis zum zehnten Jahre je 2 Mark, für jedes Jahr vom elften bis zum fünfzehnten je 3 Mark; aufserdem je 1 Mark für jeden Eintragungsschein oder sonstigen Auszug. 24 Auch der Inhaber eines künstlerischen Urheberrechts, der einmal die Nachbildung des Kunstwerkes an einem gewerblichen Erzeugnisse gestattet hat, erlangt den Schutz gegen fernere derartige Nachbildungen (oben § 87 Anm. 75) nur durch Anmeldung und Niederlegung des Werkes als Muster oder Modell; R.Ger. Χ Χ Π Ι Nr. 20. 26 R.Ges. § 7 Abs. 2. Auch eine Verbreitung durch Gebrauchsüberlassung oder durch Mittheilung zur Kenntnifsnahme, sowie eine ohne Wissen des Urheber» durch einen Andern bewirkte Verbreitung schneidet den Erwerb des Urheberrechts ab; R.Ger. IV 110. Nicht aber eine nur behufs Anregung oder Kontrole von Bestellungen an Kunden erfolgte Mittheilung oder Versendung von Musterproben; R.Ger. in Str.S. V 351. 26 Zuständig ist das Gericht der Hauptniederlassung oder in Ermangelung einer eingetragenen Firma das Gericht des Wohnortes; bei Urhebern, die im Deutschen Reiche weder eine Niederlassung noch einen Wohnsitz haben, das Handelsgericht in Leipzig; R.Ges. § 9 Abs. 2—3. Eine Anmeldung bei einer unzuständigen Behörde ist wirkungslos; Dambach S. 61, Wächter S. 314, Daude S. 204. 27 Bekanntm. des Reichskanzlers v. 29. Apr. 1876 § 6. Eine Anmeldung desselben Musters für Flächenerzeugnisse und plastische Erzeugnisse ist unzulässig. Somit können z. B. nun Buchstabenformen entweder nur als Muster für Flächenerzeugnisse zum Schutze gegen Nachbildung durch Druckereien oder als Muster fur plastische Erzeugnisse zum Schutze gegen Herstellung gleicher Typen durch Schriftgiefsereien angemeldet werden; R.Ger. XIV Nr. 15. « R.Ges. § 7 Abs. 1.

§ 92. Das kunstgewerbliche Urheberrecht.

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an dem Muster oder Modelle zu untersagen, äufsert 29. Andrerseits wird durch Anmeldung und Niederlegung niemals ein kunstgewerbliches Urheberrecht begründet, wenn nicht die objektiven und subjektiven Voraussetzungen für ein solches erfüllt sind. Darum erfolgen zwar die Eintragungen in das Musterregister ohne vorherige Prüfung über die Berechtigung des Antragstellers und die Richtigkeit der angemeldeten Thatsachen80. Allein jede materiell unbegründete Eintragung ist wirkungslos81. Der angebliche Urheber kann aus ihr keine Rechte geltend machen. Umgekehrt kann, wer durch die Eintragung in einem Rechte verletzt oder bedroht wird, eine Klage auf Feststellung ihrer Nichtigkeit und auf Herbeiführung der Löschung anstellen82. Nur trifft freilich in Folge der schon erwähnten Vermuthung für das Urheberrecht dessen, der ein Muster oder Modell gehörig angemeldet und niedergelegt hat, den Gegner stets die Beweislast. III. I n h a l t und Umfang. Das kunstgewerbliche Urheberrecht gewährt die ausschliefsliche Befugnifs, das Muster oder Modell ganz oder theilweise nachzubilden88. Wie bei dem künstlerischen Urheberrechte ist auch hier ohne Genehmigung des Berechtigten so gut die nichtmechanische wie die mechanische, die theilweise wie die völlige, die mittelbare wie die unmittelbare und die veränderte wie 29

Vgl. R.Ger. VIII Nr. 4 S. 19. Auch der Urheber, der für sich keinen Urheberrechtsschutz in Anspruch nimmt oder ihn durch Verbreitung vor der Anmeldung verwirkt oder durch Ablauf der Schutzfrist verloren hat, kann jeden Anderen an dem Erwerbe eines ausschliefslichen Nachbildungsrechtes an seinem Muster hindern. Zweifellos hat ferner der Urheber im Falle der Entwerthung seines Urheberrechts durch unbefugte Veröffentlichung (oben Anm. 25) einen Ersatzanspruch; vgl. unten § 93 Anm. 21. 80 R.Ges. § 10. 81 So auch die Eintragung eines Gebrauchsmusters; R.Ger. b. Seuff. X L I I Nr. 317. 82 Dies wird vom R.Ger. b. Seuff. X L I I Nr. 317 grundsätzlich anerkannt. Trotzdem wird hier dem wahren Urheber eines In das Musterregister eingetragenen Gebrauchsmusters ein derartiges Klagerecht versagt, weil die ohnehin wirkungslose Eintragung ihn nicht beeinträchtige. Mit Unrecht! Denn immerhin liegt auf Seiten des Gegners die Anmafsung eines fremden Urheberrechtes vor, die zu beseitigen er dem wahren Urheber gegenüber verpflichtet ist. — Näher geregelt ist die Nichtigkeitsklage im Schweiz. Ges. Art. 7. Vgl. auch Oesterr. Ges. § 10. 88 R.Ges. § 1 Abs. 1. Dazu tritt auch hier nach § 14 mit der Verweisung auf § 25 des R.Ges. v. 11. Juni 1870 ein besonderes Recht der ausschliefslichen gewerbemäfsigen Verbreitung. Dagegen wird das Veröffentlichungsrecht des Urhebers hier durch die Anmeldung und Niederlegung insoweit aufgezehrt, als nicht ein Rest desselben in der dem Urheber für eine gewisse Zeit vorbehaltenen Verfügung über die Eröffnung versiegelter Muster fortbesteht.

Viertes Kapitel.

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Persönlichkeitsrechte.

die unveränderte Nachbildung unzulässig84. Insbesondere wird eine Nachbildung dadurch nicht erlaubt, dafs sie durch ein anderes als das bei dem Originalwerke angewandte Verfahren hervorgebracht oder für einen anderen Gewerbszweig bestimmt oder in anderen räumlichen Abmessungen oder Farben hergestellt oder mit Abänderungen , die nur bei besonderer Aufmerksamkeit wahrgenommen werden können, versehen ist 85 . Erlaubt ist dagegen die freie Benutzung einzelner Motive eines,Musters oder Modelles zur Herstellung eines neuen Musters oder Modelles86. Erlaubt jede Nachbildung ohne Verbreitungsabsicht87 und die nichtmechanische Einzelnachbildung schon dann, wenn nicht ihre gewerbemäfsige Verbreitung und Verwerthung beabsichtigt wird 88. Erlaubt die Nachbildung der für Flächenerzeugnisse bestimmten Muster durch plastische Erzeugnisse und umgekehrt89. Erlaubt endlich die Aufnahme von Nachbildungen einzelner Muster oder Modelle in ein Schriftwerk 40. IV. Uebertragung. Das kunstgewerbliche Urheberrecht ist in gleichem Mafse wie andere Urheberrechte veräufserlich und vererblich41. Auch vor der Anmeldung und Niederlegung kann das Recht des Urhebers ganz oder theilweise übertragen werden und geht auf die Erben über. Dem ungewollten Uebergange aber unterliegt auch dieses Urheberrecht nur, soweit es zum Vermögensrechte entfaltet ist. Darum kann zwar das durch Anmeldung und Niederlegung erworbene ausschliefsliche Nachbildungsrecht gepfändet, keineswegs aber der Urheber oder sein Erbe im Wege der Zwangsvollstreckung zur Anmeldung und Niederlegung eines Musters genöthigt werden. V. Schutz. Der Schutz des kunstgewerblichen Urheberrechts 84

R.Ges. § 5; Dambach S. 29 ff. u. 84 ff, Wächter S. 327 ff, Daude S. 221 ff; R.O.H.G. XXIV 401. 85 R.Ges. § 5 Z. 1 u. 2. 86 R.Ges. § 4. 87 R.Ges. § 5. Also namentlich die Anfertigung von Nachbildungserzeugnissen zu eignem Gebrauch. Dagegen liegt in jeder Mittheilung oder Zugänglichmachung eines Nachbildungserzeugnisses an Andere eine Verbreitung, mag sie auch unentgeltlich oder durch blofse Ausstellung im Schaufenster oder Laden oder durch Zusendung zur Ansicht erfolgen; Dambach S. 37, RGer. in Str.S. V 851. 88 R.Ges. § 6 Z. 1; Dambach S. 40. 89 R.Ges. § 6 Z. 2; Dambach S. 43 ff, Wächter S. 331 ff, oben Anm. 27. 40 R.Ges. § 6 Z. 3. Die im Ges. v. 9. Januar 1876 § 6 Z. 4 gezogenen Schranken der Entlehnungsfreiheit bestehen hier nicht; unerlaubt aber bleibt die Herausgabe einer blofsen Sammlung fremder Muster; Dambach S. 45. 41 R.Ges. § 3 (wörtlich wie § 2 des Ges. v. 9. Jan. 1876). — Das Schweiz. Ges. Art. 4 fordert zur Wirksamkeit jeder Uebertragung Dritten gegenüber die Registrirung.

§ 92. Das kunstgewerbliche Urheberrecht.

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richtet sich nach den für das künstlerische Urheberrecht geltenden Rechtssätzen42. Nur werden hier die vorräthigen Nachbildungen und die zur widerrechtlichen Vervielfältigung bestimmten Vorrichtungen im Falle ihrer Einziehung nicht vernichtet, sondern nach Wahl des Eigentümers auf seine Kosten entweder ihrer gefährdenden Eigenschaft entkleidet oder bis zum Ablaufe der Schutzfrist amtlich aufbewahrt43. Auch bestehen besondere gewerbliche Sachverständigenvereine, die aus Künstlern, Gewerbtreibenden verschiedener Gewerbzweige und anderen mit dem Muster- und Modellwesen vertrauten Personen zusammengesetzt sind44. VI. Beendigung. Das kunstgewerliche Urheberrecht hat nur eine kurze Lebensdauer, die mindestens ein Jahr und höchstens fünfzehn Jahre seit der Anmeldung währt 45. Der Berechtigte hat bei der Anmeldung nach eigner Wahl die Schutzfrist für sein Urheberrecht innerhalb dieser Zeitgrenzen zu bestimmen; er kann aber, wenn er eine Schutzfrist unter drei Jahren gewählt hat, zu jeder Zeit deren Verlängerung bis zu drei Jahren und überdies stets bei Ablauf der dreijährigen und ebenso bei Ablauf der etwa erworbenen zehnjährigen Schutzfrist deren Verlängerung bis zu fünfzehn Jahren anmelden46. Die Schutzfrist beginnt mit dem Tage der Anmeldung und endet mit dem Ablaufe des entsprechenden Kalendertages47. Mit diesem Augenblicke wird das Muster oder Modell Gemeingut48. Hinsichtlich der sonstigen Erlöschungsgründe gilt für das kunst42

R.Ges. § 14 verweist auf die §§ 18—36 u. 38 des R.Ges. v. 11. Juni 1870. Besondere Urheberrechtsdelikte sind hier nur die verbotene Nachbildung in Verbreitungsabsicht und die gewerbemäfsige Verbreitung. 48 R.Ges. § 14 Abs. 1. — Somit kommt hier auch das Aneignuugerecht des Verletzten (oben § 89 Anm. 21) in Wegfall; Klostermann b. Endemann I I 303. A. M. Dambach S. 102. 44 R.Ges. § 14 Abs. 2 u. dazu die Bestimmungen des Reichskanzleramts v. 29. Febr. 1876 mit Abänderungen v. 16. Juli 1879 (b. Daude S. 231 ff.). 46 R.Ges. § 8. — Nach dem Oesterr. Ges. § 4 kann der Urheber nur eine Schutzfrist bis zu 3 Jahren, nach dem Schweiz. Art. δ eine solche von 2, 5, 10 oder 15 Jahren erwerben. In England dauert die Schutzfrist 5 Jahre. Ueber die Schutzfristen in Nordamerika u. Italien vgl. oben Anm. 5. 46 R.Ges. § 8. Natürlich gegen Zahlung der erhöhten Gebühren; vgl. oben Anm. 23. Die Verlängerung wird in das Musterregister eingetragen und durch den Reichsanzeiger auf Kosten des Anmeldenden bekannt gemacht; § 9 Abs. 6. 47 Vgl. oben § 35 Π 2. 48 Selbstverständlich aber nur in dem Sinne, dafs Jedermann es nachbilden darf, nicht in dem Sinne, dafs ein Anderer es sich aneignen könnte; vergl. oben Anm. 29. — Durch den nach drei Jahren eintretenden Verlust des Rechtes auf Geheimhaltung versiegelter Muster (oben Anm. 22) wird das ausschliefsliche Nachbildungsrecht nicht berührt.

Viertes Kapitel.

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Persönlichkeitsrechte.

gewerbliche Urheberrecht nach deutschem Rechte nichts Besonderes. Unbekannt ist dem deutschem Rechte namentlich die Verwirkung des Musterschutzes durch Nichtgebrauch49 und durch Verzug mit der Gebührenzahlung50. § 93. Das Urheberrecht an Gebrauchsmustern 1 . I. Ueberhaupt. Das Reichsgesetz vom 1. Juni 1891, betreffend den Schutz von Gebrauchsmustern, hat ein besonderes Gebrauchsmusterrecht geschaffen 2. Bis dahin konnte, da das Reichsgesetz vom 11. Januar 1876, wie wir gesehen haben, sich nur auf Geschmacksmuster bezieht, der Schöpfer eines Gebrauchsmusters in Deutschland einen Schutz nur erwerben, wenn seine Schöpfung zugleich die Merkmale einer Erfindung trug und er kraft seines Erfinderrechtes ein Patent nahm8. Das Gebrauchsmusterrecht ist ein gewerbliches Urheberrecht 4 . In seiner gesetzlichen Ausgestaltung erscheint es freilich als ein Zwischengebilde zwischen dem Urheberrechte und dem Erfinder49

Dagegên mufs nach dem Oeeterr. Ges. der Berechtigte binnen einem Jahre nach der Hinterlegung das Muster im Inlande auf Industrieerzeugnisse anwenden und diese in Verkehr bringen (§ 9), widrigenfalls sein Recht erlischt (§11 litt. a). Ueberdiee verwirkt der Hinterleger sein Recht auch durch Einführung von Waaren, die im Auslande nach dem Muster verfertigt sind (§11 litt b). Im Falle der Einfuhr aus Deutschland fällt nach dem Vertrage v. 6. Dez. 1891 Art 6 dieser Rechtsnachtheil weg. — Nach dem Schweiz. Ges. Art. 6 Z. 2 verliert das Musterrecht, wer das Muster im Inlande nicht in angemessenem Umfange zur Ausführung bringt, während im Auslande angefertigte Erzeugnisse desselben Musters eingeführt werden. Im Verhältnifs zum Deutschen Reiche treten aber diese Rechtsnachtheile nach dem Vertrage v. 13. April 1892 Art 5 nicht ein. 50 Das Schweiz. Ges. Art. 6 Ζ. 1 läfst das Recht durch zweimonatlichen Gebührenverzug verloren gehen. 1 Lafs, Das Urheberrecht an Gebrauchsmustern, Marburg 1892. Seligsohn, Das Patentgesetz u. das Gesetz betr. den Schutz von Gebrauchsmustern, Berl. 1892, S. 271 ff. Haufs a. a. 0. (oben § 92 Anm. 1) S. 1266 ff. Landgraf im Wörterb. des deut. Verwaltungsr. Suppl. I 35 ff. 2 Dazu Ausführungsverordnung v. 11. Juli 1891 u. v. 30. Juni 1894 § 9. 8 So noch jetzt nach französ. R., während in Amerika u. Italien Musterpatente in gleicher Weise für Gebrauchs- und Geschmacksmuster ertheilt werden; vgl. oben § 92 Anm. 6. In England wurde, während das Ges. v. 10. Aug. 1842 nur Geschmacksmuster schützte, durch ein besonderes Gesetz v. 22. Aug. 1843 der Schutz auf Nützlichkeitsmuster ausgedehnt; das Ges. v. 25. Aug. 1883 behandelt beide Arten von Mustern, hält aber Unterschiede fest. In Oesterreich ist ein Entwurf eines Gesetzes zum Schutze von Gebrauchsmustern veröffentlicht, der im Wesentlichen dem deutschen Vorbilde folgt 4 Das Gesetz vermeidet die Ausdrücke „Urheberrecht" und „Urheber" und

§ 93. Das Urheberrecht an Gebrauchsustern.

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rechte und nähert sich in vielen Punkten sogar mehr diesem als jenem an. Allein seinem rechtlichen Wesen nach ist es kein Erfinderrecht, sondern ein Urheberrecht. Entscheidend hierfür ist, dafs es nicht an einer Idee als solcher, sondern nur an einem aus der Verbindung von Idee und Form hervorgegangenen Geisteswerke bestehen kann. Allerdings kann ein Geisteserzeugnifs gleichzeitig Gebrauchsmuster und Erfindung sein. Dann hat der Schöpfer die Wahl, ob er den billigeren, aber schwächeren Gebrauchsmusterschutz oder den kostspieligeren, aber kräftigeren Patentschutz oder etwa beiderlei Schutz nebeneinander erwerben will. Jenachdem er aber den einen oder den anderen Weg einschlägt, bringt er verschiedene Seiten seines Geisteserzeugnisses zur Geltung: als Urheber die aus der Idee geborne zweckmäfsige Form, als Erfinder die in der Form ausgedrückte nutzbare Idee. Und keineswegs immer decken sich Gebrauchsmuster und Erfindung. Vielmehr kann die einem Gebrauchsmuster zu Grunde liegende neue und eigenthümliche Idee sich in einer reinen Formidee erschöpfen, die nicht über eine sinnreiche Kombination von Formelementen hinausreicht und darum eine Erfindung nicht enthält. Erfindungen aber brauchen sich überhaupt nicht in einer äufseren Form zu verkörpern und sind namentlich in allen Fällen, in denen sie ein Verfahren als solches zum Gegenstande haben, dem Gebrauchsmusterrechte unzugänglich. II. Begründung. 1. Objektive Voraussetzungen. Zur Entstehung eines Gebrauchsmusterrechtes gehört das äufsere Dasein eines Geisteswerkes, das in der Ersinnung einer neuen zweckmäfsigen Form für körperliche Sachen besteht. Das Gesetz nennt ein solches Geisteswerk „Modell". Ein Modell ist äufserlich vorhanden, sobald es in sinnlich wahrnehmbarer Weise dargestellt ist. Die Herstellung eines Probeexemplars oder eines Modelles im Sinne des gewöhnlichen Sprachgebrauches ist nicht nothwendig; vielmehr genügt eine Abbildung auf der Fläche oder auch eine blofse Beschreibung, sofern nur aus ihr die ersonnene körperliche Form deutlich erhellt5. Das Modell ist aber nur dann ein Gebrauchsmuster, wenn es sich auf Arbeitsgeräthschaften oder Gebrauchsgegenstände oder Theile von solchen bezieht und wenn es durch neue Gestaltung, geht überhaupt jeder Bezeichnung des subjektiven Rechtes, dessen „Schutz" beabsichtigt ist, aus dem Wege; vgl. La Ts S. 10. 6 Lafs S. 5.

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Anordnung oder Vorrichtung dem Arbeits- oder Gebrauchszwecke dienen soll6. Endlich mufs, damit ein Urheberrecht entstehe, das Modell neu sein. Hier wie bei allen Urheberrechten ist eine originale geistige Schöpfung erforderlich. Allein einerseits gilt hier als ausschliefsliches Kennzeichen einer solchen die Neuheit des hervorgebrachten Werkes7. Andrerseits entspringt hier auch der originalen geistigen Schöpfung kein Urheberrecht, falls dem Werke die Neuheit fehlt 8. Nach gesetzlicher Vorschrift gilt aber ein Modell insoweit nicht als neu, als es zur Zeit seiner Anmeldung bereits in öffentlichen Druckschriften des In- oder Auslandes beschrieben oder im Inlande offenkundig benutzt ist9. 2. Subjektive Voraussetzungen. Auch dieses Urheberrecht entsteht in der Person des Urhebers. Haben jedoch mehrere Personen unabhängig von einander dasselbe Modell geschaffen, so erwirbt den gesetzlichen Urheberrechtsschutz nicht der frühere Schöpfer, sondern der frühere Anmelder10. Ueberdies wird durch die Eintragung eines Gebrauchsmusters eine bis zur Löschung wirksame Legitimation 6 R.Ges. § 1 Abs. 1; Lafs S. 5 ff. Arbeitsgeiäthschaften sind Werkzeuge jeder Art; zu den Gebrauchsgegenständen gehören auch Spielsachen und ähnliche Gegenstände. — Vorausgesetzt wird nach R.Ges. § 4 Abs. 1 gewerbliche Verwerthbarkeit, nach allgemeinen Grundsätzen ein nicht unsittlicher oder ungesetzlicher Gebrauchszweck; Seligsohn S. 282. 7 Bei dem kunstgewerblichen Urheberrechte wird aufserdem gefordert, dafs das Werk „eigentümlich" sei; oben § 92 I I 1 b; bei den übrigen Urheberrechten versteht sich, wenn das Werk original ist, die Neuheit von selbst, während aus blofser Neuheit noch nicht die Originalität folgt. Hier ist dagegen in der Neuheit stets auch die Eigenthümlichkeit enthalten, weil jede neue Nützlichkeitsform eine selbständige Bedeutung hat. 8 Hier wie beim kunstgewerblichen Urheberrecht (oben § 92 I I 1 a) entsteht also kein Urheberrecht, wenn entweder das Werk vor der Anmeldung in den Verkehr gebracht oder bereits von einem Anderen das gleiche Werk erzeugt und veröffentlicht ist. Bei dem litterarischen und künstlerischen Urheberrecht fällt die erste Möglichkeit weg, weil es keiner Anmeldung bedarf, die zweite, weil die originale Wiedererzeugung eines schon vorhandenen Schrift-, Ton- oder Kunstwerkes nicht vorkommen kann. Dagegen wächst bei Gebrauchsmustern, die durch Nachdenken, durch Versuche und selbst durch Zufall gefunden werden können, die schon bei Geschmacksmustern nicht ausgeschlossene Möglichkeit, dafs Mehrere original dasselbe Werk hervorbringen. Immerhin ist die Wahrscheinlichkeit hierfür geringer, als bei Erfindungen; vgl. unten § 94 I I I S. 854 u. § 95 I I I 2 a S. 870. 9 R.Ges. § 1 Abs. 2; Lafs S. 20 ff, Seligsohn S. 283 ff. 10 Lafs S. 37. — Natürlich nur, wenn nicht vorher einer von ihnen das Modell in denVerkehr gebracht hatte; denn dann kann, da das Modell nicht mehr neu ist, keiner von ihnen mehr den Urheberrechtsschutz erwerben.

§ 93. Das Urheberrecht an Gebrauchsustern.

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der eingetragenen Person als Urheber oder Rechtsnachfolger des Urhebers erzeugt11. Das deutsche Gebraucbsmusterrecht ist Inländern und Ausländern in gleicher Weise zugänglich. Wer aber im Inlande einen Wohnsitz oder eine Niederlassung nicht hat, kann den Schutz des deutschen Gesetzes nur erwerben, wenn in dem Staate seines Wohnsitzes oder seiner Niederlassung nach einer im Reichsgesetzblatt enthaltenen Bekanntmachung deutsche Gebrauchsmuster geschützt werden12. Auch mufs er gleichzeitig mit der Anmeldung seines Gebrauchsmusters einen im Inlande wohnhaften Vertreter bestellen18. 3. Begründungsakt. Das Gebrauchsmusterrecht wird zwar durch geistige Schöpfung begründet, jedoch nur durch eine öffentliche Feststellung zu einem ausschliefslichen Rechte erhoben. Dieser Feststellung dient die von dem Patentamte zu Berlin für das ganze Deutsche Reich geführte R ο 11 e für Gebrauchsmuster u . Wer für ein Modell den Schutz als Gebrauchsmuster verlangt, mufs dasselbe schriftlich unter Beifügung einer Nach- oder Abbildung des Modelles und unter Angabe der dem Modelle beizulegenden Bezeichnung und der neuen Gestaltung oder Vorrichtung, die dem Arbeits- oder Gebrauchszwecke dienen soll, beim Patentamte anmelden15. Gleichzeitig ist für jedes angemeldete Modell eine Gebühr von fünfzehn Mark einzuzahlenle. Das Patentamt verfügt, sobald eine formell ordnungsmäfsige Anmeldung vorliegt, ohne materielle Prüfung die Eintragung 11

R.Ges. § 4 Abs. 1 u. 3 u. § 6 Abs. 2. Dazu unten Anm. 30. R.Ges. § 13 Abs. 1, Seligsohn S. 309 ff. Dazu die oben § 92 Anm. 17 angeführten Verträge, von denen die neueren auch für Gebrauchsmuster das gegenseitige dreimonatliche Prioritätsrecht begründen. 18 R.Ges. § 13 Abs. 2. Name und Wohnsitz des Vertreters werden in die Rolle eingetragen. Der eingetragene Vertreter ist zur Vertretung des Schutzberechtigten in Prozessen und zur Stellung von Strafanträgen befugt Der Ort seines Wohnsitzes oder in Ermangelung eines solchen der Ort, wo das Patentamt seinen Sitz hat, gilt im Sinne des § 24 der C.Pr.O. als der Ort, wo sich der Vermögensgegenstand befindet und somit der Gerichtsstand wegen vermögensrechtlicher Ansprüche gegen den Auswärtigen begründet ist. 14 Für die Angelegenheiten des Gebrauchsmusterschutzes besteht eine besondere Abtheilung des Patentamtes, die „Anmeldestelle für Gebrauchsmuster", gegen deren Verfügungen die Entscheidung des Präsidenten des Patentamtes angerufen werden kann; Ver. ν. 11. Juli 1891 § 19-21, Lafs S. 37 ff. 15 R.Ges. § 2 Abs. 1—3. Das Patentamt kann nach Abs. 4 weitere Erfordernisse aufstellen; vgl. die von ihm unterm 31. August 1891 veröffentlichten Bestimmungen b. Seligsohn S. 284 ff. Ueber Anmeldungen durch Bevollmächtigte vgl. Ver. v. 11. Juli 1891 § 28. Dazu Lafs S. 40 ff. 16 R.Ges. § 2 Abs. 5; Lafs S. 33 ff. u. 42. ia

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in die Rolle17. Die Eintragung mufs den Namen und Wohnsitz des Anmelders und die Zeit der Anmeldung angeben18. Sie wird durch den Reichsanzeiger bekannt gemacht19. Die Rolle und die den Einträgen zu Grunde liegenden Anmeldungen stehen für Jedermann zur Einsicht offen 20. Für die Begründung des Urheberrechtes an Gebrauchsmustern kommen hiernach drei Handlungen in Betracht, an deren jede sich besondere Rechtswirkungen knüpfen: a. DieSchöpfungsthat. Schon vor der Anmeldung entsteht aus der Erschaffung eines Gebrauchsmusters ein Recht des Urhebers, das sich nicht blos in dem Ansprüche auf Erwerb der Schutzberechtigung, sondern auch in urheberrechtlichen Befugnissen gegen Jedermann äufsert. Der Urheber hat zweifellos das ausschliefsliche Recht der Veröffentlichung seines Modelles und kann daher gegen den, der unbefugt durch eine Veröffentlichung, die dem Werke die Neuheit entzieht, sein Recht entwerthet, einen Ersatzanspruch geltend machen21. Er hat aber ferner das Recht, jedem Dritten die Anmafsung der Urheberschaft zu untersagen. Läfst Jemand für sich ein Gebrauchsmuster eintragen, dessen wesentlicher Inhalt fremden Beschreibungen, Zeichnungen, Modellen, Gerätschaften oder Einrichtungen ohne Einwilligung des Berechtigten entnommen ist, so gewährt das Gesetz ausdrücklich dem wahren Urheber einen zwiefachen Schutz. Erstens versagt es dem eingetragenen Rechte die Wirksamkeit gegenüber dem wahren Rechte, so dafs der Verletzte den Eingetragenen, falls dieser gegen ihn auftritt, mit einer Einrede zurückschlagen kann22. Zweitens gesteht es dem Verletzten einen Anspruch auf Löschung zu, so dafs der wahre Berechtigte im Wege der Klage die Nichtigkeitserklärung des eingetragenen Scheinrechtes durchzusetzen vermag28. 17 R.Ges. § 3 Abs. 1. Es kann afso, wenn die Anmeldung formell mangelhaft ist, entweder sie sofort zurückweisen oder die Beseitigung des Mangels anheimgeben. Ob aber das angemeldete Modell ein Muster für Arbeitsgeräthe oder Gebrauchsgegenstände, ob es neu und ob der Anmelder sein Urheber oder dessen Rechtsnachfolger ist, hat das Patentamt nicht zu prüfen. Hier gilt also das reine Anmeldesystem; das Patentamt ist in Gebrauchsmustersachen blofse Registerbehörde. Lafs S. 43 ff., Seligsohn S. 288 ff. 18 R.Ges. § 3 Abs. 2. — Der Eingetragene erhält eine Ausfertigung des Eintragungsvermerkes ; Ver. v. 11. Juli 1891 §23. 19 R.Ges. § 3 Abs. 3; dazu Seligsohn S. 290 ff. 20 R.Ges. § 3 Abs. 4. — Das Patentamt kann auch nach seinem Ermessen Abschriften und Auszüge ertheilen; Ver. ν. 11. Juli 1891 § 29. 91 Dies folgt, wenn auch das Gesetz schweigt, aus allgemeinen Grundsätzen. Vgl. auch Lafs S. 23. 22 R.Ges. § 4 Abs. 3; Seligsohn S. 298. 28 R.Ges. § 6 Abs. 2; Seligsohn S. 303.

§ 9.

Das Urheberrecht an Gebrauchsustern.

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b. Die Anmeldung. Durch gehörige Anmeldung sichert sich der Berechtigte die Priorität seines Urheberrechtes gegenüber später angemeldeten Urheber- und Erfinderrechten 24. Ein anderer Urheber desselben Modelles kann nun überhaupt kein Recht mehr erwerben 25. Wenn dagegen ein später angemeldetes Gebrauchsmusterrecht oder Erfinderrecht mit dem früher angemeldeten Gebrauchsmusterrecht nur kollidirt, so ist das jüngere Recht zwar an sich rechtsbeständig, darf aber insoweit, als es in das ältere Recht eingreift, ohne Erlaubnifs des kraft früherer Anmeldung Besserberechtigten nicht ausgeübt werden26. c. DieEintragung. Durch die Eintragung wird das Gebrauchsmusterrecht zu einem vollkommen geschützten ausschliefslichen Rechte erhoben27. Diese Wirkung tritt jedoch in Folge der blos deklarativen Bedeutung der Eintragung nur insoweit ein, als die materiellen Erfordernisse des Gebrauchsmusterrechtes vorhanden sind. Mangelt es an den objektiven Voraussetzungen, so hat Jedermann gegen den Eingetragenen einen Anspruch auf Löschung28. Ist der Eingetragene nicht der wahre Urheber oder dessen Rechtsnachfolger, so kann der in seinem Rechte Verletzte die Löschung fordern 29. In beiden Fällen wird durch die Löschung nicht die Beendigung, sondern die Nichtentstehung des Rechtes konstatirt und somit nur der Schein eines Rechtes zerstört 80. III. I n h a l t und Umfang. 1. Veröffentlichung. Den primären Inhalt des Urheber24 Yon zwei an demselben Tage eingegangenen Anmeldungen gilt im Zweifel diejenige als frühere, die die niedrigere Geschäftsnummer trägt; Ver. ν. 11. Juli 1891 § 27. 25 Vgl. oben Anm. 10. 28 R.Ges. § 4 Abs. 2 u. § 5 Abs. 2. Gleiches gilt zu Gunsten eines früher angemeldeten Patents gegenüber einem später angemeldeten Modelle; § 5 Abs. 1. — Das jüngere Recht kann sich nach Beendigung des älteren Rechtes frei entfalten und bleibt inzwischen vererblich und veräufserlich; Dritte können sich auf das Verbotsrecht des Besserberechtigten, mit dessen Erlaubnifs ja das jüngere Recht stets ausgeübt werden kann, nicht berufen; vgl. Lafs S. 35 ff., Seligsohn S. 296 ff. u. 299 ff. 27 R.Ges. § 4 Abs. 1. 28 R.Ges. § 6 Abs. 1. Die Klage ist eine Art von Popularklage, die sich daraus erklärt, dafs die Anmafsung eines Gemeingutes abgewehrt werden soll. 29 R.Ges. § 6 Abs. 2; oben Anm. 23. 80 Mit Unrecht nimmt dies Lafs S. 30 ff. nur für den ersten, nicht für den zweiten Fall an. Allerdings aber liegt im ersten Falle eine absolute, im zweiten nur eine relative Nichtigkeit vor. Auch kann natürlich die bis zur Löschung vorhanden gewesene Legitimation des Eingetragenen zur Rechtsausübung (oben Anm. 11) nicht nachträglich aus der Welt geschafft werden; vgl. unten § 95 S. 879 ff.

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rechtes bildet auch hier die ausschliefsliche Befugnifs zur Veröffentlichung des Werkes. Diese Befugnifs spielt aber hier lediglich vor dem Erwerbe des vollen Urheberrechtsschutzes die schon besprochene Rolle81. Denn damit der volle Urheberrechtsschutz eintrete, mufs die Veröffentlichung in Gestalt der Anmeldung und Eintragung erfolgt sein. Durch jede andere Art der Veröffentlichung aber wird die Entfaltung dieses Urheberrechtes überhaupt abgeschnitten82. 2. Wiedergabe. Nach der gehörigen Veröffentlichung' des Werkes durch Eintragung enthält das Gebrauchsmusterrecht die ausschliefsliche Befugnifs zur gewerbsmäfsigen Nachbildung des Modelles88. Verboten ist ohne Genehmigung des Berechtigten auch die Nachbildung eines Theiles des Modelles, die Herstellung einer Nachbildung auf einem neu erfundenen Wege, die mittelbare Nachbildung und die Nachbildung mit unwesentlichen Veränderungen84. Verboten ist jedoch nur die gewerbsmäfsige Nachbildung85. 3. Verbreitung. In dem Gebrauchsmusterrecht liegt ferner die ausschliefsliche Befugnifs zur gewerbsmäfsigen Verbreitung der durch Nachbildung hervorgebrachten Geräthschaften und Gegenstände, die daher Niemand ohne Genehmigung des Berechtigten in Verkehr bringen oder feilhalten darf 86. Ob die Nachbildung selbst rechtswidrig war oder nicht, kommt hierbei nicht in Betracht87. 4. Gebrauch. Endlich enthält das Gebrauchsmusterrecht die ausschliefsliche Befugnifs zum gewerbsmäfsigen Gebrauche der durch Nachbildung hervorgebrachten Geräthschaften und Gegenstände88. Auch hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Nachbildung selbst verboten oder erlaubt war. Doch ist nur gewerblicher, nicht häuslicher Gebrauch ohne Genehmigung des Berechtigten unzulässig. Ein derartiges ausschliefsliches Gebrauchsrecht begegnet bei keinem anderen Urheberrechte, wohl aber beim Erfinderrechte. IV. Uebertragung. Das Gebrauchsmusterrecht ist in jedem 81

Oben S. 844. Oben S. 842. 88 R.Ges. § 4 Abs. 1; Seligsohn S. 294 ff. 84 Vgl. L a fs S. 14 ff. — Erlaubt ist die freie Benutzung zur Herstellung eines neuen Modelles. 85 Also nicht die Nachbildung zum eignen Gebrauche. Dagegen ist die gewerbsmäfsige Nachbildung auch verboten, wenn die Verwerthung der Gegenstände erst nach Ablauf der Schutzfrist beabsichtigt wird. Vgl. Lafs S. 14 u. 16. 86 R.Ges. § 4 Abs. 1. Vgl. unten § 96 I I 2 S. 883. 87 Somit ist es auch verboten, nicht gewerbemäfsig hergestellte oder dem Berechtigten abhanden gekommene oder im Auslande angefertigte Nachbildungserzeugnisse in Deutschland gewerbsmäfsig in Verkehr zu bringen oder feilzuhalten. 88 R.Ges. § 4 Abs. 1. Vgl. unten § 96 I I 3 S. 883. 82

§ 93. Das Urheberrecht an Gebrauchsraustern.

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Stadium seiner Entwicklung veräufserlich und vererblich 89. Die Uebertragung ist an eine Form nicht gebunden40. Doch werden Aenderungen in der Person des Berechtigten auf Antrag in der Rolle für Gebrauchsmuster vermerkt 41. Durch Veräufserung können aus dem Gebrauchsmusterrechte absolute und relative Rechte abgeleitet werden42. Das eingetragene Gebrauchsmusterrecht unterliegt als gewerbliches Vermögensrecht der Pfändung; dagegen ist das Recht des Urhebers, bevor der Urheber selbst oder sein Erbe es zur Verwerthung bestimmt hat, der Zwangsvollstreckung entzogen48. V. Schutz. Gleich allen Urheberrechten ist das Gebrauchsmusterrecht durch eine civilrechtliche Klage auf Anerkennung des Rechtes und Unterlassung von Störungen gegen Jedermann geschützt44. Dagegen gewährt d as Gesetz einen Entschädigungsanspruch wegen Verletzung dieses Urheberrechtes nur gegen den, der wissentlich oder aus grober Fahrlässigkeit einen im Gesetze ausdrücklich verbotenen Eingriff in das eingetragene Gebrauchsmusterrecht begangen hat 46 . Strafbar ist ein solcher Eingriff nur, wenn er wissentlich begangen ist 46 . In diesem Falle kann statt der Entschädigung neben einer erkannten Strafe dem Beschädigten auf sein Verlangen eine Bufse bis zu zehntausend Mark zuerkannt werden, die dann aber jeden weiteren Entschädigungsanspruch ausschliefst47. Auch hat der Verletzte, wenn auf Strafe erkannt ist, die Befugnifs, die Verurtheilung auf Kosten des Verurtheilten öffentlich bekannt zu machen48. 80 Das R.Ges. § 7 sagt nur von dem eingetragenen Rechte, dafs es auf die Erben übergehe und beschränkt oder unbeschränkt durch Vertrag oder Verfügung von Todeswegen auf Andere übertragen werden könne. Gleiches aber gilt von dem Rechte des Urhebers vor der Eintragung; vgl. Lafs S. 24, der jedoch mit Unrecht die Vererbung ausschliefst. 40 In der Uebertragung des Eigenthums an Nachbildungserzeugnissen liegt im Zweifel keine Veräufserung des Nachbildungsrechtes, wohl aber die Ermächtigung zu Gebrauch und Verbreitung. 41 R.Ges. § 3 Abs. 4. Bekanntmachung findet nicht statt. 42 Vgl. L a fs S. 25 ff. Zu den am Gebrauchsmuster möglichen absoluten Rechten gehören auch Pfandrecht und Niefsbrauch. Relative Rechte entstehen namentlich aus Lizenzertheilungen, von denen beim Erfinderrecht zu reden ist. Ein Lizenzzwang besteht hier nicht. 43 Richtig Lafs S. 24. 44 Das Gesetz erwähnt diesen Anspruch als selbstverständlich nicht. Vgl. Lafs S. 16 ff. 45 R.Ges. § 9 Abs. 1; Lafs S. 17 u. 49 ff. 46 R.Ges. § 10. Geldstrafe bis zu 5000 Mark oder Gefängnifs bis zu 1 Jahre; Strafverfolgung nur auf Antrag. 47 R.Ges. § 11. 48 R.Ges. § 10 Abs. 3. — Weitere Ansprüche gewährt das Gesetz dem Ver-

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Viertes Kapitel. Persönlichkeitsrechte.

Das Verfahren in Gebrauchsmusterstreitigkeiten ist der ordentliche Civil- oder Strafprozefs 4 9 . Die civilrechtlichen Klagen wegen Verletzung des eingetragenen Gebrauchsmusterrechtes verjähren hinsichtlich jeder einzelnen sie begründenden Handlung in drei Jahren50. VI. Beendigung. Das Gebrauchsmusterrecht erlischt mit dem Ablaufe der Schutzfrist, die nur drei Jahre seit dem Beginne des auf die Anmeldung folgenden Tages beträgt, jedoch gegen Zahlung einer weiteren Gebühr von sechszig Mark vor ihrem Ablaufe um drei Jahre verlängert wird 51 . Vor Ablauf der Frist erlischt das Gebrauchsmusterrecht durch einen dem Patentamte gegenüber erklärten Verzicht des Berechtigten und die auf Grund des Verzichtes erfolgte Löschung der Eintragung52. Eine Verwirkung des Gebrauchsmusterrechtes durch Gebührenverzug oder durch Nichtgebrauch findet nicht statt. Mit dem Gebrauchsmusterrechte erlöschen zugleich alle aus ihm abgeleiteten Rechte58. Das Modell wird Gemeingut54. Vierter Titel. Das Erfinderrecht. § 94. Das Erfinderrecht überhaupt 1 . I. Begriff. Erfinderrecht ist das ausschliefsliche Recht des Schöpfers einer Erfindung, über deren Veröffentlichung und gewerbletzten nicht. Somit auch nicht den bei den übrigen Urheberrechten anerkannten Bereicherungsanspruch. Ebensowenig den Anspruch auf Einziehung von Nachbildungsvorrichtungen und Nachbildungserzeugnissen zur Sicherheit (strafrechtliche Einziehung bleibt möglich, Lafs S. 57). 40 Höchste Instanz ist das Reichsgericht ; R.Ges. § 12. — Das Patentamt hat auf diesem Gebiete keinerlei richterliche Funktion. Ueber Abgabe von Gutachten durch das Patentamt vgl. V. v. 30. Juni 1894 § 9. 50 R.Ges. § 9 Abs. 2. — Die Strafverfolgung verjährt erst in 5 Jahren; bis dahin bleibt auch der Anspruch auf Bufse zulässig; Lafs S. 5. 81 R.Ges. § 8 Abs. 1. Die Verlängerung wird in der Rolle vermerkt. Weder die Verlängerung noch die nach Ablauf der Schutzfrist erfolgende Löschung werden bekannt gemacht. 69 R.Ges. § 8 Abs. 2. Diese Löschung sowie die Löschungen in Folge siegreicher Nichtigkeitsklagen (oben Anm. 28 —30) werden bekannt gemacht; Abs. 3. 68 Dies gilt hier auch im Falle des Verzichtes; der durch vertragswidrigen Verzicht des Eingetragenen geschädigte Rechtsnachfolger hat nur Ersatzansprüche gegen den Verzichtenden; Lafs S. 32. 54 Die mit der Anmeldung überreichten Modelle können zurückverlangt werden ; über Modelle, deren Rückgabe nicht binnen 4 Jahren nach Ablauf der Schutzfrist beantragt ist, verfügt der Präsident des Patentamts; V. v. 11. Juli 1891 § 24. 1 Klostermann, Die Patentgesetzgebung aller Länder, 2. Aufl., Berlin 1876

§ 94. Das Erfinderrecht überhaupt.

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liehe Benutzung zu verfügen. Erfindung ist ein neuer Gedanke, der durch eine bisher unbekannte Kombination der Naturkräfte einen wesentlichen Fortschritt der Technik schafft. II. Geschichte. Dem Mittelalter war ein besonderes Erfinderrecht unbekannt. Bei der vorwaltenden genossenschaftlichen Organisation des Gewerbewesens wurden die Bedürfnisse, denen das Erfinderrecht dient, durch die ausschliefslichen Gewerbeberechtigungen der Gilden und Zünfte gedeckt. Die technischen Fortschritte vollzogen sich im (1. Auti. 1869); Das Patentgesetz tür das Deutsche Reich, Berlin 1877; Das Recht des Erfinders, Busch Arch. XXXV 11 ff. ; Das Patentrecht, in Endemanns Handb. des Handelsr. 11 307 ff. — Dambach, Da« Patentgesetz für das Deutsche Reich, Berlin 1877. — Landgraf, Das deutsche Reichsges. betr. den Schutz von Erfindungspatenten, Stuttgart 1877; Das Patent- und Gebrauchsmusterrecht, Berlin 1891 ; auch in Stengels Wörterb. des Verwaltungsrechts I I 207 ff. u. Suppl. I 67 ff. — Gar eis, Das deutsche Patentgesetz v. 25. Mai 1877, Berlin 1877. — Grothe, Das Patentgesetz f. das Deutsche Reich, Berlin 1877. — Köhler, Deutsches Patentrecht, Mannheim und Strafsburg 1878; Jahrb. f. D. XXVI 414 ff.; Forschungen aus dem Patentrecht, Mannheim 1888; Aus dem Patent- und Industrierecht, I u. I I , Mannheim 1889 u. 1891; Patentschutz b. Schönberg a. a. 0. (oben § 84 Anm. 36) S. 779 ff. — F. Dahn, Das Reichspatentgesetz u. seine Litteratur, Krit. V.J.Schr. XX 345 ff. u. 541 ff. — Rosenthal, Das Patentgesetz, Erlangen 1881. — E. Meier, Erfindungspatente, in Holtzendorffs Rechtslex. I 715 ff. — Daude, Lehrb. des Urheberrechts S. 334 ff. — v. Bojanowski, Ueber die Entwicklung des deutschen Patentwesens, Leipzig 1890. — H a r t i g , Studien in der Praxis des Kais. Patentamts, Leipzig 1890. — Robolski, Theorie u. Praxis des deutschen Patentrechts, Berlin 1890; Patentrecht, im Handwörterbuch der Staatswissenschaften V 125 ff. — M e i l i , Die Prinzipien des schweizerischen Patentgesetzes, Zürich 1890. — Bolze, Der Entwurf einer Patentnovelle, Leipzig 1890. — Seligsohn, Das Patentgesetz u. das Gesetz betr. den Schutz von Gebrauchsmustern, Berlin 1892. — v. B e c k - M a n n a g e t t a , Oesterr. Patentrecht, Berlin 1893. — Fr. Zoll jun., Privatrechtliche Studien aus dem Patentrecht, Z. f. d. P. u. ö. R. d. G. X X I 533 ff. u. 642 ff. — M i t t e r m a i e r , D.P.R. I I § 296; Beseler § 214; Dahn, Grundr. S. 52 ff.; F r a n k l i n , Grundr. § 198; Stobbe I H § 160 VII, § 161 III, § 162 14 u. I I 7; Gengier § 138; F r a n k e n S. 429 ff, — Dernburg, Preufs. P.R. I I 308 ff. - T h ö l , H.R. § 208. — L a b a n d , Staatsr. I I 221 ff.; G. Meyer, Verwaltungsr. I § 139. — Patentblatt, beransg. von dem Kais. Patentamte; Berlin seit 1877. — G are is, Die patentamtlichen u. gerichtlichen Entscheidungen in Patentsachen, Berlin seit 1881. — Zeitschr. f. gewerbl. Rechtsschutz (oben § 84 Anm. 36). Von der ausländischen Litt, hervorzuheben: Renouard, Traité des brevets d'invention, 3. éd., Paris 1865. P o u i l l e t , Traité théorique et pratique des brevets d'invention et de la contrefaçon, 3. éd., Paris 1888. Edmunds, The law and practice of Letters Patent for Invention, London 1890. Weitere Litteraturnachweise b. Klostermann, Patentgeset/gebung S. 108 ff. (ältere Litt.) u. in Endemanns Handb. I I 319, Kohler, Patentrecht S. CXIII ff. u. Krit. V.J.Schr. X X I 189 ff. u 491 ff., Dahn, Krit. V.J.Schr. a. a. 0., Laband Z. f. H.R. X X I I I 616 ff., Beck-Mannagetta S, 78--85. B i n d i n g , Handbuch.

I I . 8> I : G i e r k e , Deutsches Privatrecht.

I.

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Rahmen des genossenschaftlichen Lebens; was der einzelne Meister an Verbesserungen erfand, wurde zu genossenschaftlichem Gemeingut, das von der Genossenschaft eifrig gehütet und womöglich geheim gehalten wurde. In ihrer ausschliefslichen Gewerbeberechtigung aber besafs jede Genossenschaft das Mittel, den ererbten geistigen Schatz fortdauernd nutzbar zu machen. Als das Zunftwesen erstarrte, als grofse technische Verbesserungen mehr aufserhalb als innerhalb der gewerblichen Körperschaften erfunden wurden, als das Individuum dem körperschaftlichen Verbände entwuchs, als so die ausschliefslichen Gewerbeberechtigungen alter Art aus Hebeln zu Hindernissen des gewerblichen Fortschrittes wurden, entstand das Bedürfnifs eines besonderen Erfinderschutzes. Gleich dem Urheberrechte brach sich auch dieses neue Recht zuerst in der Form von Privilegien Bahn. Unter Durchbrechung der Zunftschranken wurden seit dem fünfzehnten und sechszehnten Jahrhundert einzelnen Personen Privilegien ertheilt, die für den Berechtigten ein zeitlich begrenztes Recht zur ausschliefslichen gewerblichen Verwerthung einer Erfindung begründeten und Eingriffe in dieses Recht mit Strafe bedrohten. Solche Privilegien aber gewährte man nicht blos den Erfindern oder ihren Rechtsnachfolgern, sondern auch Anderen, die etwa eine neue Art gewerblicher Thätigkeit einführen oder auch eine längst bekannte Erfindung ausschliefslich ausnützen wollten. Die erfinderrechtlichen Privilegien waren daher längere Zeit hindurch von allen möglichen Handels- und Gewerbemonopolen durch keine scharfe Grenze geschieden. Auch hieng ihre Verleihung wie ihre Zurücknahme von Willkür ab und wurde vielfach als Finanzquelle ausgebeutet. Gerade die Mifsbräuche des Privilegienwesens zeitigten ein Rechtsbewufstsein, das sich einerseits gegen die Monopole auflehnte, andrerseits dem wirklichen Erfinder einen Anspruch auf ein ihn für bestimmte Zeit schützendes Privileg zugestand. Zuerst in England errang sich der so geborne Gedanke des Erfinderrechts die gesetzliche Anerkennung. Eine Parlamentsakte von 1628 sprach ein allgemeines Verbot der Monopole aus, machte aber eine Ausnahme zu Gunsten der für neue Erfindungen auf 14 Jahre oder darunter ertheilten Privilegien, die dann gültig sein sollten, wenn sie dem wahren und ersten Erfinder verliehen würden2. Ein festes Recht auf Gewährung des Privilegs war hiermit freilich dem Erfinder noch nicht eingeräumt. Allein in 2 Die Monopolakte (21 James I ch. 3) will mit dieser Ausnahme (Abschn. VI), wie sie ausdrücklich hinzufügt, kein neues Recht schaffen, sondern den Erfindungsprivilegien nur ihre vom früheren Recht anerkannte Geltung sichern.

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der Praxis gelangte mehr und mehr der Grundsatz zur Anerkennung, dais das nachgesuchte „Patent", wie das Erfindungsprivileg immer allgemeiner genannt wurde, nur aus gerechten Ursachen versagt werden dürfe 8. In den Vereinigten Staaten von Nordamerika, in die das englische Recht übergegangen war, sicherte die Verfassungsurkunde vom 17. September 1787, indem sie den Erfindungsschutz der Bundesgesetzgebung überwies, zugleich ausdrücklich den Erfindern ein zeitlich begrenztes ausschliefsliches Recht auf Benutzung ihrer Erfindungen zu 4 . Und mit voller Entschiedenheit legte in Frankreich das Gesetz vom 7. Januar 1791 den Erfindungspatenten ein dem Erfinder an seiner geistigen Schöpfung gebührendes Recht zu Grundeδ. Seither drang der Gedanke des Erfinderrechtes in allen Kulturländern durch. Ueberall wurden Patentgesetze erlassen, die zwar in sehr wesentlichen Punkten auseinandergehen, jedoch in der Anerkennung eines Erfinderrechtes übereinstimmen. Sie halten freilich sämmtlich daran fest, dafs der Erfinder ein gegen Dritte geschütztes ausschliefsliches Recht erst durch den Erwerb eines besonderen Erfindungspatentes erlangt. Allein sie gewähren dem Erfinder im Falle der Erfüllung der gesetzlichen Bedingungen einen gesicherten Rechtsanspruch auf ein Patent. Die Erfindungspatente haben daher, obwohl sie die Spuren ihrer Herkunft aus Privilegien vielfach noch an sich tragen6, doch die rechtliche Natur von Privilegien abgestreift. Die staatliche Ertheilung eines Patentes ist nicht mehr eine willkürliche Vergünstigung, sondern die öffentliche Konstatirung eines vorhandenen Privatrechts. Sie hat statt ihrer einstigen konstitutiven mehr und 8

Das Ges. v. 1623 blieb bis zu der Kodifikation v. 1883 (unten S. 853) die Grundlage des englischen Patentrechtes und wurde nur durch Gesetze über das Verfahren bei der Patenterteilung (v. 1835, 1839 u. bes. 1852) ergänzt 4 Art. I sect 8 § 8. Auf Grund dieser Verfassungsbestimmung ergiengen die Ges. v. 10. Apr. 1790, 21. Febr. 1793 u. 17. Apr. 1800, denen dann bis zu der Kodifikation v. 1870 (unten S. 853) noch 25 weitere Gesetze folgten. Vgl. Reul i n g , Z. f. H.R. XVI 428 ff. 5 Vorher war in Frankreich die Ertheilung von Erfindungsprivilegien dem Ermessen des Königs überlassen und nur durch Ordonnanz v. 24. Dez. 1762 das Recht der Privilegieninhaber in einigen Punkten allgemein geordnet. Das Ges. v. 7. Jan. 1791 stellt in Art. 1 den Satz an die Spitze: „Toute découverte ou nouvelle invention dans tous les genres d'industrie est la propriété de son auteur". In dem Ges. v. 5. Juli 1844 (unten S. 853) Art. 1 ist der Ausdruck propriété durch „le droit exclusiv d'exploiter" ersetzt. 6 In Oesterreich ist ihnen sogar bis heute der Name „Privilegien" verblieben. Doch haben sie auch hier nicht mehr, wie freilich nochUnger I 592 ff. u. Pfaff u. Hoffmann, Exkurse S. 422, annehmen, die Natur von Privilegien; vgl. BeckMannagetta S. 26, Z o l l a. a. O. S. 540 Anm. 2. 54·

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mehr eine blos deklarative Bedeutung angenommen und erscheint unter allen Umständen nicht mehr als Schaffung eines singulären Rechtssatzes für den einzelnen Fall. Diese Entwicklung vollzog sich nicht ohne Kampf. Eine starke und wohlorganisirte „Antipatentbewegung" verlangte statt der Verallgemeinerung vielmehr die Abschaffung der Erfindungspatente, die sie mit den Argumenten der abstrakten wirtschaftlichen Schule als schädliche Monopole bekämpfte7. Das moderne Erfinderrecht ist aus diesem Kampfe als Sieger hervorgegangen und hat bereits so tiefe Wurzeln im allgemeinen Rechtsbewufstseiji geschlagen, dafs es neue Anfechtungen nicht mehr zu fürchten braucht. In Deutschland hat es den endgültigen Sieg erst verhältnifsmäfsig spät errungen. Zu den Zeiten des alten Bundes beruhte der Erfinderschutz auf verschiedenem Landesrecht, das zum Teil sehr unvollkommen ausgebildet war und überdies jenseits der Landesgrenzen versagte8. Nur geringe Abhülfe gewährte die Vereinbarung einiger gemeinsamer Grundsätze über Erfindungspatente unter den Staaten des Zollvereins9. Es war daher von grofser Wichtigkeit, dafs in der Verfassungsurkunde des norddeutschen Bundes und des Deutschen Reichs (Art. 4 Z. 5) die Erfindungspatente unter die der Reichsgesetzgebung unterworfenen Gegenstände aufgenommen wurden. Doch kam erst nach langen Schwankungen und umfassenden Vorarbeiten unterm 25. Mai 1877 ein Reichspatentgesetz zu Stande10. Dieses Gesetz entfaltete alsbald 7 Ihren Höhepunkt erreichte diese in Frankreich, England und Deutschland eingeleitete Bewegung seit Anfang der sechsziger Jahre unseres Jahrhunderts. In Deutschland, wo sie namentlich im volkswirtschaftlichen Kongrefs ein rühriges Organ fand (insbesondere seit dessen patentfeindlichem Dresdner Beschlufs v. 1863), gewann sie die Regierungskreise Preufsens u. des norddeutschen Bundes und zunächst auch des Reiches für sich. Von der anderen Seite her wirkten der Patentschutzverein und der Verein deutscher Ingenieure für den seit Ueberwindung der einseitig freihändlerischen Richtung sich vollziehenden Umschwung. 8 In Preufsen wurde das System der in jedem einzelnen Fall besonders normirten königlichen Gnadenakte durch die Bekanntmachung v. 14. Okt.· 1815 verlassen, die allgemeine Normen Uber Erfindungspatente aufstellte (eingeführt in Schleswig-Holstein durch V. v. 24. Juni 1867). In Bayern wurden unterm 11. Sept. 182o, in Württemberg unterm 5. Aug. 1836, in Sachsen unterm 11. Juli 1843 u. 20. Juni 1853 allgemeine Voi Schriften über Patente erlassen. — In Oesterreich brach schon das Ges. v. 16. Jan. 1810 mit dem bis dahin herrschenden System der reinen Privilegien; es folgten Privilegiengesetze v. 1820 und v. 1832, an deren Stelle dann das Privilegiengesetz v. 15. Aug. 1852 trat; vgl. die eingehende quellenmafsige Darstellung der Geschichte des Erfindungsschutzes in Oesterreich-Uugarn b. Beck-Mannagetta S. 86 ff. 9 Uebereinkunft v. 21. Sept. 1842; bestätigt im Zollvereinsvertrage v. 8. Juli 1867. 10 Dazu Ausführungsverordn. v. 18. Juni 1877 u. 1. Mai 1878.

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eine höchst umfangreiche Wirksamkeit11. In seinen Grundzügen bewährte es sich Allein in einzelnen Punkten erschien es als verbesserungsbedürftig und wurde daher nach erfolgter Revision durch das jetzt geltende Patentgesetz vom 7. April 1891 ersetzt12. In Oesterreich gilt noch das Privilegiengesetz vom 15. August 1852; in der Schweiz das Bundesgesetz betreffend die Etfindungspatente vom 29. Juni 1888; in Frankreich das Gesetz vom 5. Juli 1844 mit Zusatzgesetz vom 31. Mai 1856; in England ist das Erfinderrecht in dem Patent-, Muster- und Markengesetz vom 25. August 1883 neu geordnet; in der amerikanischen Union ist ein neues Patentgesetz am 8. Juli 1870 ergangen und mit einigen Aenderungen in die Kodifikation der Bundesstatuten vom 22. Juni 1874 aufgenommen18. Eine Erweiterung des Schutzes der Erfinderrechte durch internationale Verträge hat später und in geringerem Umfange als bei den Urheberrechten stattgefunden. Der schon beim Marken- und Musterrechte erwähnten internationalen Union zum Schutze des gewerblichen Eigenthums vom 20. März 1883, die sich in erster Linie auch auf Erfindungen bezieht, ist das Deutsche Reich nicht beigetreten ; dagegen hat es besondere Verträge, die einen umfassenden gegenseitigen Patent-, Marken- und Musterschutz begründen, am 6. Dezember 1891 mit Oesterreich - Ungarn, am 18. Januar 1892 mit Italien und am 13. April 1892 mit der Schweiz abgeschlossen14. 11

Unter seiner Herrschaft sind über 60000 Patente ertheilt! Dazu Ausfiihrungsverordn. ν. 11. Juli 1891. — In Kraft geblieben sind die inzwischen im Wesentlichen erledigten Uebergangsbestimmungen der §§ 42 ff. des Ges. v. 25. Mai 1877, die den älteren Landespatenten unter Verbot der Verlängerung ihrer Dauer den Fortbestand sicherten, zugleich aber unter bestimmten Voraussetzungen die Umwandlung in Reichspatente ermöglichten; vgl hierzu K o h l e r , Patentr. S. 689 ff., Alexander-Katz, Ueber sog. Umwandlungspatente, Patentblatt 1881 S. 159 ff, K l o s t e r m a n n b. Endemann I I 334 ff. 13 Hervoizuheben sind aufserdem von ausländischen Patentgesetzen das Belg, v. 24. Mai 1854 u. 27. März 1857, Ital. v. 30. Okt. 1859 u. 31. Jan. 1864, Span. v. 30. Juli 1878, Russ. v. 22. Nov. 1883, Schwed. v. 16. Mai 1884, Norweg. v. 16. Juli 1885 u. das Portugies. Civilgesetzb. Art. 613 ff. — Sammlung der wichtigeren Patentgesetze, Ausführungsvorschriften, Verordnungen, welche gegenwärtig in Geltung stehen, herausg. v. Gar eis, fortgesetzt v. A. W e r n e r , Berlin seit 1880 (5 Bde.). Das Oesterr. Privilegienges. nebst Ausführungsvorschriften u. späterem Gesetzgebungsroaterial auch b. Beck-Mannagetta S> 548 ff. Das Schweizer. Ges. in der Z. f. H.R. XXXVI 469 ff. Ueber das engl. Recht vgl. auch oben § 84 Anm. 38, § 92 Anm. 2 u. § 93 Anm. 3, über das amerik. u. ital. oben § 92 Anm. 2 u. 5. — In Oesterreich ist der Entwurf eines neuen Patentgesetzes veröffentlicht, der sich im Wesentlichen an das deutsche Patentgesete anlehnt 14 Vgl. oben § 84 Anm. 95 u> § 92 Anm. 17. Dazu Vertrag mit Spanien v. 12. Juli 1883. — Eine besondere Patentunion ist unter den Staaten Südamerikas am 12

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III. Wesen. Das Erfinderrecht ist gleich dem Urheberrechte ein aus geistiger Schöpfung fliefsendes Recht an einem Geisteserzeugnisse. Es ist daher dem Urheberrechte nahe verwandt. Gleichwohl darf es nicht, wie neuerdings meist geschieht, als eine Unterart des Urheberrechtes aufgefafst werden15. Vielmehr besteht zwischen Urheberrecht und Erfinderrecht ein Wesensunterschied, der in der ungleichartigen Beschaffenheit ihres Gegenstandes wurzelt16. Das Geisteserzeugnifs, das den Gegenstand des Erfinderrechtes bildet, ist nicht ein durch Verbindung von Idee und Form individualisirtes Geisteswerk, sondern eine Idee als solche. Ein dem technischen Fortschritte dienender und gewerblich verwerthbarer neuer Gedanke ist es, der als Erfindung geschützt wird. Auf dem Gebiete des Urheberrechtes ist die Idee als solche schutzlos: wer eine neue wissenschaftliche Methode erdenkt, eine geschichtliche oder naturwissenschaftliche Hypothese aufstellt, eine juristische Konstruktion oder einen mathematischen Lehrsatz findet, einen dichterischen Plan ersinnt oder von einem künstlerischen Gedanken inspirirt wird, erwirbt daran kein ausschliefsliches Recht17. Dem Erfinder dagegen soll in der That an einer Idee, die er zuerst gehabt hat, ein ausschliefeliches Recht gewährt werden, um ihm gewisse aus der Verwirklichung dieser Idee erwartete Vortheile zu sichern. Der wissenschaftliche oder künstlerische Prioritätsstreit kann in einem Prozesse über das Urheberrecht nicht ausgefochten werden18. Dagegen spielt der Streit über die Priorität einer Erfindung sich im Prozesse über 16. Jan. 1889 geschlossen. (Patentblatt 1889 Nr. 37.) Ueber den gegenwärtigen Stand des internationalen Patentrechts überhaupt vgl. B e c k - M a n n a g e t t a S. 52 ff. 15 So insbesondere D a h n , Krit. V.J.Schr. XX 354 ff., 359, Beseler § 210 Anm. 6 u. § 214, Stobbe I I I 34, K ä r g e r , Zwangsrechte S. 123 ff., Mandry, Civilr Inh. § 53 IV, Dernburg a. a. 0., Beck-Mannagetta S. 7. 16 Vgl» Klostermann, Geist. Eigenth. S. 237 u. 307, Patentrecht b. Endemann I I 307 ff.; Ran da, Das Eigenthumsrecht (2. Aufl.) I 56 Anm. 45; auch Schuster, Wesen des Urheberrechts S. 14 u. 19 (der aber unrichtiger Weise das Erfinderrecht für ein Recht ohne Objekt erklärt). — Κ oh 1er, der beim Erfinderrecht die Beschaffenheit des Gegenstandes als einer blofsen Idee scharf hervorhebt, nähert doch von der anderen Seite her das Urheberrecht dem Erfinderrechte dadurch an, dafs er auch dessen Gegenstand zu einer Idee — dem „imaginären Ideenbilde" — verflüchtigt; Arch. f. c. Pr. L X X X I I 157. 17 Vgl. oben § 86 Anm. 10. 18 Man denke an den Prioritätsstreit über die Entdeckung der Differentialrechnung oder des Gesetzes der Erhaltung der Kraft. — Ein juristischer Prioritätsstreit im Gebiete des litterarischen oder künstlerischen Urheberrechts kann überhaupt nicht vorkommen, da er nur stattfinden könnte, wenn es denkbar wäre, dafs Mehrere unabhängig von einander ein im Wesentlichen identisches Buch, Gedicht, Tonstück, Gemälde u. s. w. erzeugen. Dagegen ist er im Gebiete des Muster-

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das Erfinderrecht ab. Selbst gegen das Plagiat der Idee versagt das Urheberrecht 19. Das Erfinderrecht dagegen sucht einen Schutz gegen das Ideenplagiat zu begründen. Demgemäfs schränkt auch das Erfinderrecht in ganz anderem Mafse als das Urheberrecht die wirthschaftliche Freiheit ein. Während das Urheberrecht sich nur gegen ihren Mifsbrauch wendet, zieht das Erfinderrecht auch ihrem Gebrauche Schranken. Insoweit erscheint dieses Recht als eine wirkliche Verkehrsfessel. Doch ist es darum nicht minder ein gutes Recht. Seine Legitimation liegt in unserem geschichtlich entwickelten Rechtsbewufstsein, das gebieterisch die Anerkennung einer ausschliefslichen Berechtigung verlangt, durch deren Vorbehalt dem Erfinder, wenn er durch Hingabe einer in seiner Persönlichkeit entsprungenen Idee an die Gemeinschaft das wirthschaftliche Leben befruchtet und mit neuen Werthen bereichert, ein äufserer Vortheil aus seiner geistigen Schöpfung gesichert wird. Eine Einrichtung, die so als Forderung der Gerechtigkeit empfunden wird, bedarf nicht erst der Rechtfertigung durch Zweckmäfsigkeitserwägungen. Denn es ist die Aufgabe der Rechtsordnung, dem Individuum zu geben, was ihm gebührt. Das Erfinderrecht hat sich aber auch als eine dem Gemeinwohl förderliche Einrichtung bewährt. Die Erfahrung aller Länder hat gelehrt, dafs ein wohlgeordnetes Patentrecht in wirksamster Weise den technischen Fortschritt unterstützt und die Blüthe der Industrie zeitigt, während der Mangel eines ausreichenden Erfindungsschutzes einerseits den Erfindungsgeist lähmt, andrerseits der Geheimhaltung wichtiger Erfindungen Vorschub leistet. Um so weniger vermag dieses Recht durch Berufung auf die wirthschaftliche Freiheit erschüttert zu werden. Denn die wirthschaftliche Freiheit ist kein unantastbares Heiligthum: ihr Reich endet, wo eine bindende Ordnung gerecht und nützlich ist. Nur bedarf eben das Erfinderrecht um seiner Eigenart willen einer anderen rechtlichen Ausgestaltung, als sie das Urheberrecht fordert. Als Recht an einer Idee kann es nicht gleich dem Rechte an einem schon durch seinen Bestand individualisirten Geisteswerke unmittelbar mit der Hervorbringung seines Gegenstandes fertig ins Leben treten, sondern erheischt eine besondere Individualisirung dieses Gegenstandes durch öffentlich festgestellte Ausscheidung und Umgrenzung des Erfindungsgedankens. Bei seiner Anerkennung und weiteren Entwicklung mufs die wirthschaftliche Verwerthbarkeit der Erfindung eine entscheidende schutzes möglich, da eine zufällige Uebereinstimmung nicht blos der Idee, sondern auch der Form bei Geschmacksmustern nicht ausgeschlossen ist, bei Gebrauchsmustern sogar häufig begegnet; vgl. oben § 92 Anm. 7 u. § 93 Anm. 8. 19 Oben § 86 Anm. 10.

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Rolle spielen. Nach Inhalt und Umfang mufs es sich mit einem geringeren Mafse von Ausschliefslichkeit als das Urheberrecht begnügen und eine festere und kräftigere Einschränkung durch Gemeinschaftsrecht dulden. Eine kürzere Lebensdauer ist ihm angemessen. Ueberall ist hierbei dem gesetzgeberischen Ermessen ein breiter Spielraum eröffnet, weshalb denn auch die Patentgesetze der Kulturvölker weit gröfsere Verschiedenheiten als ihre Urheberrechtsgesetze aufweisen. In allen diesen Punkten tritt freilich der Gegensatz zwischen Urheberrecht und Erfinderrecht in voller Schärfe nur bei der Vergleichung des Erfinderrechtes mit dem reinen Urheberrecht hervor 20. Zum Theil bilden sogar dem litterarischen und künstlerischen Urheberrechte gegenüber die gewerblichen Urheberrechte zusammen mit dem Erfinderrechte eine gemeinsame Gruppe21. Allein auch die Zwischengebilde, die hier wie so oft im Rechtsleben die begriffliche Kluft thatsächlich überbrücken, werden doch durch die ihnen vom positiven Rechte verliehene Struktur der einen oder der anderen Gattung von Rechten zugetheilt22. Mag nun aber das Erfinderrecht dem Urheberrechte ein- oder nebengeordnet werden, so gehört es jedenfalls gleich ihm zu den Rechten an der eignen Person. Es ist ein Persönlichkeitsrecht, durch das ein Geisteserzeugnifs als Bestandtheil einer bestimmten Persönlichkeitssphäre anerkannt und deren Träger eine Herrschaft über diesen Bestandtheil seiner Persönlichkeitssphäre gewährt wird. Hierüber besteht unter den Anhängern einer gleichen Auffassung des 20 Auch innerhalb des Erfinderrechts besteht in dieser Richtung ein Unterschied, indem das Wesen des Erfinderrechtes am reinsten hervortritt und folgeweise von dem des Urheberrechts sich am schärfsten abhebt, wo ein Verfahren als solches patentirt wird, während bei der Patentirung eines den Erfindungsgedanken verkörpernden Gegenstandes eine Annäherung an urheberrechtliche Grundsätze stattfindet. 81 Gleichwohl darf man nicht mit Beck-Mannagetta S. 5 ff. die Urheberrechte an Mustern und das Eifinderrecht als „gewerbliches Urheberrecht" zusammenfassen und dem „geistigen Urheberrecht" gegenüberstellen. — Dafs in Gesetzen wie im engl. Ges. v. 1883) und Verträgen (oben S. 853) eine solche Zusammenfassung begegnet, ist hierfür um so weniger entscheidend, als dabei auch das doch sicher anders geartete Recht an Waarenzeichen eingeschlossen wird. Allen diesen Rechten sind eben neben den allgemeinen Merkmalen der Persönlichkeitsrechte besondere Merkmale gemeinsam, die in ihrer gewerblichen Natur wurzeln. Der Begriff des „gewerblichen Eigenthums" aber ist kein Rechtsbegriff. 22 Dies geschieht freilich in den verschiedenen Gesetzgebungen auf verschiedene Weise (vgl. oben § 92 Anm. 5 u. § 93 Anm. 3), so dafs auch nach den Verträgen mit Oesterreich, italien u. der Schweiz ein dort als Erfinderrecht angemeldetes Recht in Deutschland als urheberrechtliches Gebrauchsmusterrecht angemeldet werden kann und umgekehrt (Art. 4 litt. d).

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Urheberrechtes kein Streit 28. Im Uebrigen dagegen wiederholen sich hier die Kämpfe, die über das Wesen des Urheberrechtes geführt werden. Doch gewinnen sie in mehrfacher Hinsicht durch die Eigenart des Erfinderrechts eine besondere Färbung. Zunächst bietet die in der Patenterteilung gipfelnde staatliche Mitwirkung bei der Begründung des Erfinderrechtes hier einen selbständigen Stützpunkt für alle Konstruktionen, die an die alten Erfindungsprivilegien anknüpfen. Seitdem indefs ein allgemeiner gesetzlicher Anspruch auf die Ertheilung eines Patentes anerkannt ist, haben die Ansichten, nach denen hier überhaupt kein subjektives Recht oder nur ein aus Gunst oder um der Billigkeit willen verliehenes singuläres Recht vorliegt, nur scheinbar einen festeren Boden als beim Urheberrechte unter sich24. Aber auch die Versuche, den Begriff eines durch eine besondere staatliche Willensaktion geschaffenen Rechtes mit dem Gedanken eines aus der geistigen Schöpfung selbst entspringenden Rechtes zu verbinden, haben jede Berechtigung verloren 25. Denn durch die Ertheilung des Patentes wird heute überhaupt nicht ein neues Recht geschaffen, sondern ein vorhandenes Recht festgestellt und mit der ihm entsprechenden Wirksamkeit bekleidet: das Erfinderrecht wird mit der Erfindung geboren und empfängt im Patentrechte nur den ihm durch die Rechtsordnung bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen zugesicherten Schutz28. 28

Vgl. von den oben § 85 Anm. 65 angef. Schriftstellern bes. Dahn (dazu Krit. V.J.Schr. XX 354 ff.), Gareis u. Beseler; auch Gierke, Ζ. f. H.R. XXIX 271 u. 274 ff. 24 Ueber die namentlich von Laband für das Erfinderrecht durchgeführte Annahme, dafs kein subjektives Recht vorliege, vgl. oben § 85 Anm. 35—36. Die Theorie des reinen Privilegs herrscht in der älteren Litteratur; dabei wird häufig ein Billigkeitsanspruch des Erfinders auf Lohn für seine erfolgreiche Arbeit zu Grunde gelegt; vgl. bes. Renouard a. a. 0. (oben Anm. 1) S. 22 ff, M i t t e r maier I I § 296, Schäffle a. a. 0. (oben § 85 Anm. 37) S. 259. Gegen die Lohntheorie vgl. Kohler, Patentr. S. 10 ff, Β eck-Mannagettä S. 22 ff. ^ Einen solchen Versuch stellt namentlich die früher verbreitete, aber auch noch in den Vorberathungen des deutschen Patentgesetzes von 1877 zum Ausdruck gekommene u. von Daude a. a. 0. S. 235 u. G eng 1er § 133 vorgetragene Theorie dar, nach der das Patent auf einem Vertragsverhältnisse zwischen dem Erfinder, der seine Erfindung im Interesse Aller der Oeffentlichkeit preisgiebt, und dem Staate, der ihm dafür ein ausschliefsliches Benutzungsrecht gewährt, beruhen soll. Vgl. hiergegen Kohler, Patentr. S. 16 Anm., Beck-Mannagetta S. 11 ff., Schanze, Arch. f. off. R. IX 184 ff. 26 Vgl. bes. Kohl er, Patentr. S. 77 ff, R o bol ski, Theorie u. Praxis S. 48 ff. u. Handwörterb. der Staatswiss. V 129, Bolze S. 159, vortrefflich auch R.Ger. XXIX Nr. 16 S. 55 ff. - Dagegen meint Stobbè I I I 34, dafs die Erfindung noch kein Recht, sondern erst eine Rechtshoffnung begründe; ein Recht erstehe erst

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Sodann leistet die gewerberechtliche Ausgestaltung des Erfinderrechtes hier den Theorien Vorschub, die von dem Begriffe des Monopoles oder des Bannrechtes oder irgend einer verwandten ausschliefslichen Gewerbeberechtigung ausgehen27. Gewifs hat das Erfinderrecht einen Theil seines Inhaltes mit den ausschliefslichen Gewerbeberechtigungen gemein. Auch steht es ihnen nicht nur sehr viel näher, als das litterarische und künstlerische Urheberrecht, sondern auch näher, als die gewerblichen Urheberrechte. Allein diese Uebereinstimmung trifft doch immer nur theilweise zu und erstreckt sich jedenfalls nur auf die im Erfinderrechte enthaltenen negativen Befugnisse. Das Erfinderrecht erchöpft sich aber nicht in den gegen die Vornahme gewisser gewerblicher Handlungen durch Andere gerichteten Untersagungsbefugnissen28. Vielmehr hat es vor Allem einen positiven Inhalt. Es gewährt seinem Subjekte in der Herrschaft über das von ihm geschaffene Geisteserzeugnifs eine positive Befugnifs, die Erfindung zu benutzen und über sie zu verfügen 2Ö. Nur um das aus geistiger Schöpfung erworbene Recht am eignen Persönlichkeitsgute ungehindert geniefsen zu können, empfängt überhaupt der Erfinder seine Verbotsrechte gegen Dritte. In diesem seinem positiven Kerne aber hat das Erfinderrecht offenbar nichts gemein mit den ausschliefslichen Gewerbeberechtigungen, deren positiver Inhalt in einem ihrem Subjekte von aufsen her zugewiesenen Thätigkeitsbereiche besteht80. Ferner gewährt die vermögensrechtliche Ausprägung durch die Ertheilung des Patents, die hier dasselbe sei, was bei einem litterarischen Werke die Form. Auch Mandry, Civilr. Inh. S. 502, Laband, Staatsr. I I 234, G. Meyer, Verwaltungsr. I 446ff., u. Seligsohn S. 34 ff. erkennen kein Erfinderrecht vor der Patentirung an. 27 Vgl. die oben § 85 Anm. 27 genannten Vertreter der Monopoltheorie (in der Anwendung auf das Patentrecht bes. Renouard, Schäffle, L a b a n d , Roguin und Ran da). Zu den ausschliefslichen Gewerberechten zählen auch Klostermann b. Endemann I I 308 ff., Kärger a. a. 0. u. Dernburg a. a. 0. das Erfinderrecht. Schuster a. a. 0. S. 19 hält es für ein objektloses Zwangsrecht 28 Wird schon das Urheberrecht vielfach als blofses Untersagungsrecht konstruirt (oben § 85 S. 758), so fand beim Patentrechte eine derartige Auffassung in der negativen Fassung des § 4 des deut. Patentges. v. 1877 einen starken Anhalt. Auch das R.Ger. IX Nr. 28 schlofs sich ihr auf Grund des Wortlautes des § 4 an. Vgl. ferner Gar eis, Patentges. S. 18 u. 82; Robolski, Theorie S. 193 ff. u. 232; Ran da a. a. 0. S. 56. 80 Vgl. die jetzige positive Fassung des § 4 des Patentgesetzes. Ferner namentlich Kohler, Patentr. S. 97 ff., Forsch. S. 108, Seligsohn S. 51, BeckMannagetta S. 149 ff., Z o l l a. a. 0. S. 553 ff. 80 Vgl. oben § 82 V S. 715 ff.

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des Patentrechtes hier einen besonderen Anhalt für alle Auffassungen, die das Erfinderrecht vom Vermögensrechte her zu begreifen suchen. Doch stöfst zunächst die Theorie des geistigen Eigenthums, sobald sie mehr als eine Zugehörigkeit der Erfindung zur Rechtssphäre des Erfinders aussagen will, hier auf noch gröfsere Schwierigkeiten als beim Urheberrechte 81. Denn in noch höherem Mafse als das Geisteswerk entzieht sich der Erfindungsgedanke jeder mit dem körperlichen Eigenthum vergleichbaren Herrschaft; und noch unerträglicher wären hier die Folgen, wenn das Recht am Geisteserzeugnisse dem Vorbilde des Sacheigenthums in Umfang und Dauer nacheifern wollte82. Ebenso vermag die Theorie des Immaterialgüterrechts dem Erfindungsgedanken noch weniger als dem Geisteswerke jene gegenständliche Selbständigkeit und Abgeschlossenheit zu verschaffen, deren es bedürfte, um das Erfinderrecht lediglich aus dem Gesichtspunkte einer sachenrechtlich angelegten Herrschaft an dem unleiblichen Gute oder der unkörperlichen Sache erklären und begrenzen zu können83. Aber auch die Theorien, die unter Vermeidung jeder sachenrechtlichen Analogie das Erfinderrecht dem Begriffe eines eigenartigen absoluten Vermögensrechtes unterstellen, setzen den Theil für das Ganze34. Denn das Erfinderrecht ist in seinem Kerne überhaupt kein Vermögensrecht. Sobald es sich freilich zum Patentrechte entfaltet hat, erscheint es als ein überwiegend vermögensrechtliches Gebilde. Geboren aber wird es als reines Personenrecht. Als solches springt es aus der vollendeten Erfindungsthat hervor. Seinen ursprünglichen Inhalt bildet wie den des Urheberrechtes die alleinige Befugnifs, über das Ob, Wann und Wie der Veröffentlichung des eigenen Geisteserzeugnisses 81 Die Anwendung der Theorie des geistigen Eigenthums auf die Erfindung begegnet schon in dem französ. Ges. v. 1791 (oben Anm. 5). Ebenso bei den meisten Schriftstellern, die ihr für das Urheberrecht huldigen; vgl. oben § 85 Anm. 50. Vgl. ferner die Nachweisungen b. Beck-Mannagetta S. 14 Anm. 3. — Dagegen die oben § 85 Anm. 52 Genannten, sowie speziell Beck-Mannagetta S. 15 ff. 82 Die beim Urheberrechte erhobene Forderung ewiger Dauer ist denn auch hier kaum jemals laut geworden. 88 Die Theorie des Immaterialgüterrechts ist von Κ ο hl er gerade für das Erfinderrecht zuerst entwickelt (vgl. oben § 85 Anm. 58). und auch von Stobbe zugleich mit für dasselbe aufgestellt. Sie billigen Hob ο 1 ski, Theorie S. 49, u. Z o l l a. a. G. S. 537 ff. Auch Bekkers, Heuslers und Frankens Theorien der Hechte an unkörperlichen Sachen, sowie die Theorie Klöppels beziehen sich zugleich auf das Erfinderrecht; vgl. oben § 85 Anm. 53. 84 Hierher gehören die Theorien von Klostermann in Busch Arch. XXX 12 ff. u. b. Endemann I I 308 ff, M a n d r y , Civilr. Inh. § 53 I V , Ran da a. a. 0. S. 56, Beck-Mannagetta S. 24.

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zu entscheiden. Von dieser Entscheidung hängt es ab, ob das Erfinderrecht einen vermögensrechtlichen Inhalt entwickelt. Der Erfinder kann seine Erfindung vorläufig oder dauernd geheim halten, ohne hierdurch sein Erfinderrecht einzubüfsen. In diesem Falle kann er möglicher Weise auf die Nutzbarmachung seiner Idee zur Zeit oder endgültig verzichten. Er kann aber auch das Geheimnifs gerade deshalb wählen, um unter dessen Schutz seine Erfindung selbst oder durch Andere in möglichst grofsem Umfange und für möglichst lange Zeit auszunutzen. Dann vermag die Erfindung, insoweit die Wahrung des Geheimnisses gelingt, thatsächlich einen hohen Vermögenswerth zu gewinnen, ohne dafs doch in das Erfinderrecht als solches ein vermögensrechtlicher Inhalt einträte. Will der Erfinder seine Erfindung veröffentlichen, so kann er wieder einen doppelten Weg einschlagen. Er kann unter Verzicht auf ein eignes ausschliefsliches Nutzungsrecht die Erfindung in beliebiger Weise offenkundig machen und damit dem Gemeingebrauche preisgeben. Geschieht dies, so ist die Entfaltung des Erfinderrechtes zum Vermögensrechte für immer abgeschnitten, ohne dafs doch alsbald jede rechtliche Wirkung des Erfinderrechtes wegfiele. Der Erfinder kann aber endlich auch, indem er sein Recht auf ein Patent geltend macht, seine Erfindung in einer besonderen gesetzlichen Form veröffentlichen, um das ihm unter dieser Voraussetzung vorbehaltene, inhaltlich und zeitlich beschränkte ausschliefsliche Nutzungsrecht zu erwerben. Dann und nur dann entfaltet sich das Erfinderrecht zu einem Vermögensrechte. Sein personenrechtlicher Kern bleibt auch jetzt unversehrt. Das Recht als Ganzes aber wird in umfassendem Mafse vermögensrechtlichen Schicksalen zugänglich. Bei dieser Sachlage darf auch hier der primäre personenrechtliche Gehalt nicht zum sekundären Ausflusse eines Vermögensrechtes umgedeutet werden85. Ebensowenig ist es zulässig, das Erfinderrecht in ein Recht an der eignen Person und ein reines Vermögensrecht zu zerlegen86. Vielmehr ist das Erfinderrecht ein einheitliches Recht, das seinem inneren Wesen nach ein Persönlichkeitsrecht bleibt, wennschon es in seiner vollen Entfaltung zugleich ein Vermögensrecht ist und überwiegend durch seine vermögensrechtlichen Ausstrahlungen bestimmt wird. Schliefslich hat die Fülle von besonderem öffentlichem Recht, das die Patentgesetze behufs Verwirklichung und Einschränkung des 88 Dies geschieht auch hier auf den oben § 85 Anm. 45—46 u. 55 angegebenen Wegen. 86 So verfährt auch hier Kohler; vgl. oben § 81 Anm. 15 u. § 85 Anm. 56. Zustimmend Regelsberger § 50 VI.

§ 9.

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Erfinderrechtes geschaffen haben, Zweifel an der rein privatrechtlichen Natur des Erfinderrechtes erweckt87. Allein das Erfinderrecht ist so gut wie das Urheberrecht ein reines Privatrecht. Sein privatrechtliches Wesen wird dadurch nicht berührt, dafs der Anspruch auf die zu seiner vollen Entfaltung erforderliche staatliche Mitwirkung ein öffentlichrechtlicher Anspruch ist 88 . Auch dafs dieser Anspruch nicht im ordentlichen Rechtswege durchgesetzt werden kann, ist für die Natur des ihm zu Grunde liegenden Persönlichkeitsrechtes gleichgültig89. Am wenigsten aber wird das privatrechtliche Wesen des Erfinderrechts durch die ihm vom öffentlichen Rechte her auferlegten Einschränkungen und Verpflichtungen irgendwie verändert 40. §. 95. Begründung des Erfinderrechts. I. Ueberhaupt. Das Erfinderrecht entsteht durch die Schöpfung einer Erfindung, entfaltet sich aber zu einem ausschliefslichen Rechte erst durch einen besonderen staatlichen Feststellungsakt. Dieser erfolgt durch die Ertheilung eines „Patentes" (in Oesterreich „Privileg", in Frankreich „brevet" genannt). Für das Patentwesen besteht in Deutschland eine besondere Reichsbehördel. Sie führt den Namen „Patentamt", hat ihren Sitz zu Berlin und setzt sich aus einem Präsidenten und aus rechtskundigen und technischen Mitgliedern zusammen2. Dem Patentamte sind zugleich die staatlichen Funktionen hinsichtlich der öffentlichen Feststellung der Rechte an Gebrauchsmustern und an Waarenzeichen überwiesen3. Für Patentsachen sind in ihm besondere Abtheilungen für die Patentanmeldungen (Anmeldeabtheilungen), eine Abtheilung für die Anträge auf Erklärung der Nichtigkeit oder auf Zurücknahme von Patenten (Nichtigkeitsabtheilung) und Abtheilungen für die Be87 Einen theils privatrechtlichen, theils öffentlichrechtlichen Inhalt schreiben dem Erfinderrechte z.B. Haenel, Staatsr. I § 129, u. Beck-Mannagetta S. 25 zu. 88 Dies betont Haenel a. a. 0. Aber auch der Anspruch auf Eintragung des Eigenthums oder eines dinglichen Hechtes in das Grundbuch ist öffentlichrechtlich. 89 Vgl. oben § 4 S. 82. 40 Sonst ware auch das Grundeigenthum kein Privatrecht. Richtig Z o l l a. a. ü. S. 549. 1 Aehnliche Spezialbehörden bestehen in England, den Vereinigten Staaten und der Schweiz. Anderswo erfolgt die Patentirung durch die Ministerien für Handel und Gewerbe; vgl. über Oesterreich u. Ungarn Beck-MannagettaS. 251 ff. 2 R.Ges. § 18. Das Nähere über die Organisation dieser Behörde gehört ins öffentliche Recht; vgl. Laband I I 224 ff, Robolski, Theorie S. 59ff, und über die durch das Ges. v. 1891 getroffenen wichtigen Aenderungen Sei igsohn S. 120ff. 8 Oben § 93 S. 843 ff. u. § 84 IV S. 732 ff.

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schwerden (Beschwerdeabtheilungen) gebildet4. Bei dem Patentamte wird eine Rolle geführt, in die Gegenstand und Dauer der ertheilten Patente nebst Namen und Wohnort der Patentinhaber und ihrer etwa bestellten Vertreter, Anfang, Ablauf, Nichtigkeitserklärung und Zurücknahme von Patenten, sowie Aenderungen in der Person des Patentinhabers oder seines Vertreters eingetragen werden. Die Patentrolle ist öffentlich. Die Einsicht der Rolle und der den Patentertheilungen zu Grunde liegenden Beschreibungen, Zeichnungen, Modelle und Probestücke steht Jedermann frei. Gleichzeitig mit der Eintragung werden die den Bestand der Patente bestreffenden Thatsachen im Reichsanzeiger bekannt gemacht. Aufserdem erscheint ein amtliches Patentblatt, durch das die Beschreibungen und Zeichnungen veröffentlicht und die Bekanntmachungen des Reichsanzeigers wiederholt werden5. Ausgenommen von der Oeffentlichkeit sind allein die vom Reiche für die Zwecke des Heeres oder der Flotte genommenen Patente6. Bei der Patentertheilung gilt in Deutschland das Prüfungsverfahren, das die Behörde zu einer Prüfung der materiellen Voraussetzungen des Patentes beruft 7. Das Prüfungsverfahren ist auch in einigen anderen Ländern durchgeführt 8. In den meisten Ländern dagegen gilt das Anmeldeverfahren, bei dem die Behörde nur die formellen Voraussetzungen der Patentanmeldung prüft, während die Entscheidung über die sachlichen Erfordernisse des Patentes lediglich den ordentlichen Gerichten in den nachträglich etwa eintretenden Streitfällen zusteht9. Mit dem Prüfungsverfahren verbindet sich in Deutschland ein Aufgebotsverfahren, das die Betheiligten, indem es zur Erhebung und Erledigung von Einsprüchen gegen die Patentertheilung Gelegenheit giebt, zur Mitwirkung bei der amtlichen 4 R.Ges. § 14—17 u. Ausführungsv. v. 11. Juli 1891 § 1—11. Die Neuerungen in der Einrichtung der Abtheilungen sind von besonderer Erheblichkeit. B R.Ges. § 19; über das Patentblatt und die zugehörigen Patentschriften Seligsohn S. 145 ff. β R.Ges. § 19 Abs. 3 - 4 , § 23 Abs. 5. 7 So auch bei den Eintragungen in die Zeichenrolle (oben § 84 S. 737), während bei den Eintragungen in die Rolle für Gebrauchsmuster das Anmeldeverfahren gilt (oben § 93 Anm. 17). 8 Insbesondere in den Vereinigten Staaten u. in Rufsland ; in beschränkterem Umfange auch nach Schwed. Ges. v. 1884 u. Norweg. Ges. v. 1885. 9 So mit freilich ungleicher Abgrenzung der zu prüfenden formellen Erfordernisse in Oesterreich (seit 1832), Frankreich, Belgien, England, Italien, Portugal u. s. w. ; desgleichen in der Schweiz, hier jedoch modifizirt durch das System des Rückziehungerathschlages (avis préalable), wobei die Behörde die Neuheit der Erfindung prüft und ein ungünstiges Ergebnifs dem Anmelder mittheilt, diesem aber anheimstellt, ob er trotzdem das Patent nehmen will.

§ 9.

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Prüfung heranzuziehen sucht10. Durch das Prüfungsverfahren wird die rechtliche Natur der Patentertheilung als eines blofsen Feststellungsaktes nicht verändert. Wohl aber wird durch dasselbe in die Hände des Patentamtes zugleich eine richterliche Entscheidung über das Dasein oder Nichtdasein eines Erfinderrechtes gelegt. Diese Entscheidung ist nach deutschem Rechte hinsichtlich des Rechtes auf Ertheilung des Patents endgültig11, während gegen die Entscheidung des Patentamtes über die Nichtigkeit oder Zurücknahme eines einmal erworbenen Patentes eine Berufung an das Reichsgericht offen steht. Das Patentamt ist also gleichzeitig Verwaltungsbehörde und Gerichtshof 12. Aufserdem ist es zur Abgabe von Obergutachten in Civil- und Strafprozessen über Patente berufen 18. II. Objektive Voraussetzungen. 1. Damit ein Erfinderrecht entstehe, mufs eine Erfindung vorliegen. Erfindung ist ein Gedankengebilde, das durch eine bisher unbekannte Kombination von Naturkräften einen wesentlichen technischen Fortschritt schafft 14. Keine Erfindung ist die Entdeckung, die nicht Neues hervorbringt, sondern Vorhandenes enthüllt1δ. Keine Erfindung ist eine Neuerung in der wirthschaftlichen Verwendung 10

Ebenso in Schweden u. Norwegen. Natürlich läfst sich ein Aufgebotsverfahren auch mit dem Anmeldesystem verbinden; eine solche Verbindung findet in England statt, wo indefs nur Einsprüche auf Grund älterer Patentrechte, nicht sonstige Einsprüche gegen die Patentfähigkeit zulässig sind. — Ueber die verschiedenen Systeme, ihre Vorzüge und Nachtheile und ihre Kombinationen vgl. Kohl er, Patentr. S. 321 ff. u. b. Schönberg S. 783 ff, Klostermann a. a. O. S. 336 ff, Robolski, Theorie S. 64 ff, Beck-Mannagetta S. 37 ff. 11 Anders in Amerika, wo eine Berufung an den obersten Gerichtehof in Columbia, aber auch eine gerichtliche Klage auf Anerkennung zulässig ist. De lege ferenda spricht sich für Zulassung der Klage Bolze S. 31 ff, 159 ff. aus. 12 Ebenso bei Waarenzeichen; vgl. oben § 84 Anm. 42. Als Gericht verhandelt das Patentamt in den Formen des Verwaltungsstreitverfahrens; inhaltlich aber ist seine Gerichtsbarkeit eine Privatrechtsjurisdiktion. 18 R.Ges. § 18. Ebenso in Prozessen über Waarenzeichen und Geschmacksmuster; vgl. oben § 84 Anm. 42 u. § 93 Anm. 49. 14 Ueber den Begriff der Erfindung vgl. bes. Kohl er, Patentr. S. 32 ff, Forsch. S. 3 ff, Klostermann, Patentges. S. 112 u. b. Endemann I I 320 ff, Dambach, Patentges. S. 2 ff, Gareis, Patentges. S. 27 ff, Η artig a. a. 0. S. 30, R o b o l s k i , Theorie S. 3 ff. u. Handwörterb. V 127, Seligsohn, S. 7 ff, G. Meyer 1 447, Beck-Mannagetta S. 134. 16 Somit auch nicht die Entdeckung eines in der Natur vorhandenen Stoffes (ζ. B. eines chemischen Elementes), einer Naturkraft, einer bisher unbekannten Wirkung eines bekannten Gegenstandes. Vgl. bes. Κ oh 1er, Forsch. S. 20 ff, R o b o l s k i , Theorie S. 21 ff., Beck-Mannagetta S. 132 ff, R.Ges. C. S. XX Nr. 10 u. Patentbl. 1889 S. 209 ff.

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Kräfte 16. Keine Erfindung ist ein neuer Gedanke ohne technisches Ergebnifs 17. Keine Erfindung liegt vor, wenn das technische Ergebnifs nicht einen wesentlichen Fortschritt gegenüber dem bisherigen Stande der Technik darstellt. Nicht patentfähig sind Formveränderungen bekannter Gegenstände ohne einen wesentlich neuen technischen Effekt 18, Summirungen bekannter Elemente ohne wesentliche Veränderung ihrer Wirkung 19, Vertauschungen des Stoffes oder der Mittel bei der Lösung einer technischen Aufgabe, wenn dadurch nur ein gleichwerthiger Erfolg, wie durch eine bereits bekannte Lösung in einem anderen Stoße oder mit einem anderen Mittel, herbeigeführt wird 20 . Die Erfindung mufs einen ihr eigentümlichen geistigen Gehalt haben, durch den sie die menschliche Herrschaft über die Naturkräfte, erweitert 21. 2. Die Erfindung mufs neu sein. Nach der Bestimmung des Patentgesetzes ist sie nicht neu, wenn sie zur Zeit ihrer Anmeldung in öffentlichen Druckschriften aus den letzten hundert Jahren bereits derart beschrieben oder im Inlande bereits so offenkundig benutzt ist, dafs danach die Benutzung durch andere Sachverständige möglich erscheint22. Diese Bestimmung erschöpft die Fälle, in denen eine Ermenschlicher

16

Z. B. eine neue Methode des Ackerbaues, des Bergbaues, der Buchführung, ein Finanzplan, ein Plan für ein Handelsunternehmen u. s. w.; Motive zum Patentges. v. 1877 S. 17. 17 Z. B. eine blofse spekulative Idee, der noch die zur praktischen Durchführung erforderliche Ausgestaltung fehlt, Ko hier, Forsch. S. 88 ff. ; oder eine überhaupt unausführbare Idee, R.Ger. X X I I Nr. 24. 18 Vgl. über die Grenzen zwischen Erfindung und „Konstruktion" Kohler, Forsch. S. 29 ff., Robolski, Theorie S. 3, Seligsohn 8. 10. 19 K ö h l e r , Patentr. S. 48 ff., Forsch. S. 45 ff., Robolski, Theorie S. 9, Seligsohn S. 12. 80 Vgl. über die Lehre von den „Aequivalenten* Kohler, Jahrb. f. D. XXVI 414 ff., 424 ff, Forsch. S. 55 ff, Robolski, Theorie S. 217 ff., Seligsohn S. 11. 21 Κ oh 1er, Forsch, b. 41 ff, Robolski, Handwörterb. V 127. 22 R.Ges. § 2 Abs. 1. Zu Gunsten dessen, der ein Patent für eine von ihm oder seinem Rechtsvorgänger bereits im Auslande angemeldete Erfindung nachsucht, sollen nach Abs. 2 die amtlich herausgegebenen Patentbeschreibungen derjenigen fremden Staaten, in denen die Gegenseitigkeit verbürgt ist, bis zum Ablaufe von drei Monaten seit dem Tage der Herausgabe nicht als öffentliche Druckschriften angesehen werden. — Näheres über die im Einzelnen vielfach streitigen Voraussetzungen für die gesetzliche Verneinung der Neuheit vgl. b. K o h l e i , Patentr. S. 32 ff., Forsch. 8. 73 ff, Robolski, Theorie S. 27 ff., Seligsohn S. 21 ff.; über den Begriff der Offenkundigkeit auch R.Ger. I Nr. 90, I I I Nr. 25. — Ueber das im Wesentlichen übereinstimmende österreichische R. vgl. Beck-Mannagetta S. 139 ff. — Ueber Spezialgesetze zum Schutze der auf öffentlichen Ausstellungen kundgemachten Erfindungen vgl. Beck-Mannagetta S. 245 ff.

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findung als nicht neu der Patentfähigkeit entbehrt28. Somit wird z. B. einer Erfindung die Neuheit dadurch nicht entzogen, dafs sie vor der Anmeldung in einem öffentlichen Vortrage dargelegt oder schon in einem mehr als hundert Jahre alten Buche beschrieben oder im Auslande offenkundig angewandt oder ausgestellt ist. Dagegen ist es für den Verlust der Neuheit gleichgültig, ob der Erfinder selbst oder ein Anderer, sei es auch widerrechtlich, die Erfindung veröffentlicht hat. 3. Die Erfindung mufs gewerblich verwerthbar sein. Sie mufs sich also nicht blos als ein ideales, sondern als ein wirthschaftliches Gut ausweisen. Doch genügt die Möglichkeit gewerblicher Verwerthung. Ob die Erfindung wirklich praktisch brauchbar ist, ob sie den angestrebten Erfolg vollständig erreicht, ob ihre Ausbeutung lohnenden Gewinn verspricht, ist nicht zu untersuchen24. 4. Zur Entstehung des Erfinderrechts gehört das äufsere Dasein der Erfindung. Der Erfindungsgedanke mufs in seiner vollständigen Entwicklung nicht nur gedacht, sondern auch dergestalt geäufsert sein, dafs auf Grund dieser objektiven Erscheinung das gewonnene technische Ergebnifs wiederholt hervorgebracht werden kann. Eine solche Aeufserung kann durch Niederschrift einer Beschreibung, durch Herstellung einer Zeichnung, einer Abbildung oder eines Modelles, durch eine Probeausführung, durch mündliche Darlegung oder Demonstration erfolgt sein. 5. Verschiedene Arten der Erfindung ergeben sich daraus, dais der Erfindungsgedanke sich entweder in einer neuen Form körperlicher Gegenstände oder in einem neuen Verfahren zur Erreichung eines Erfolges ausdrückt. Im ersten Falle wird der körperliche Gegenstand zugleich als Gegenstand der Erfindung bezeichnet und patentirt. In Wahrheit ist der einzelne körperliche Gegenstand niemals Objekt des Erfinderrechts, sondern nur ein Darstellungsmittel des Erfindungsgea3

Kohler, Patentr. S. 35 ff., Dambach S. 10 ff, Dahn a. a. O. S. 373 ff, Stobbe § 160 Anm. 42, Robolski, Theorie S. 27 ff, Seligsohn S. 13, Entsch. des Pat.A. im Patentbl. 1882 S. 41 ff. — Andere meinen, in § 2 seien nur Beispiele der Nichtneuheit aufgeführt; so Landgraf S. 15 ff., Klostermann, Komm. S. 123 ff. u. b. Endemann I I 322 ff, Gareis S. 56 ff, Rosenthal S. 60 ff, D e r n b u r g § 308 Anm. 10, Laband I I 229, G. Meyer § 139 Anm. 14. 84 Κohler, Patentr. S. 64 ff, Aus dem Patent- und Industrierecht I I 57, Robolski, Theorie S. 36 ff, Seligsohn S. 14 ff. — Der Begriff des „Gewerblichen" ist hierbei im weitesten Sinne zu nehmen und schliefst die Urproduktion ein; der Widerspruch von Landgraf, Komm, zürn Ges. v. 1877 S. 3 ff, ist vereinzelt geblieben. — Ueber das österr. R. vgl. Beck-Mannagetta S. 146 ff. B i n d i n g , Handbuch.

II. 3. I : G i e r k e , Deutschee Privatrecht.

I.

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dankens, an dem das Erfinderrecht besteht2δ. Auch die neue typische Form als solche bildet hier nicht wie beim Musterschutze ein Objekt ausschliefslicher Berechtigung. Wohl aber wird sie insoweit vom Erfinderrechte mitergriffen, als sie Ausflufs des Erfindungsgedankens ist. Somit erstreckt sich hier das Erfinderrecht auf alle denselben Erfindungsgedanken offenbarenden Gegenstände von gleicher Art, durch welches Verfahren immer sie hergestellt sein mögen26. Im Uebrigen kann der körperliche Gegenstand der Erfindung wieder entweder ein unmittelbar zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse dienendes Arbeitserzeugnifs (Konsumtionsgegenstand, Fabrikat, Waare) oder ein der Erzeugung von Gütern dienendes Arbeitsmittel (Produktionsmittel, Maschine, Werkzeug, Geräth) sein27. Ist ein Verfahren Gegenstand der Erfindung, so reicht das Erfinderrecht so weit, wie sich der in diesem Verfahren verwirklichte Erfindungsgedanke erstreckt. Es bezieht sich daher nicht auf die Erreichung desselben Ergebnisses durch ein anderes Verfahren. Wohl aber ergreift es zugleich die durch das erfundene Verfahren unmittelbar hergestellten körperlichen Gegenstände, weil sie Erzeugnisse des Erfindungsgedankens sind28. 6. An gewissen Erfindungen entsteht niemals ein Erfinderrecht. Hierzu gehören erstens Erfindungen, deren Verwerthung den Gesetzen oder guten Sitten zuwiderlaufen würde29. Zweitens sind kraft posi26

Κ Ohler, Aus dem Patent- u. Industrierecht I I 8 ff., Forsch. 8. 41 ff.; Seligsohn S. 9. 86 R.Ger. XIV Nr. 17. Hier wird sogar die Patentirung eines Fabrikates mit der Beschränkung, dafs nur dessen Herstellung durch ein bestimmtes Verfahren geschützt sei, für unzulässig erklärt. 27 Das Erfinderrecht an einem Arbeitserzeugnisse ergreift dessen Herstellung mit jedem beliebigen Arbeitsmittel, so dafs ζ. B. der Inhaber eines älteren Patentes auf ein Fabrikat dem Inhaber eines jüngeren Patentes auf eine zur Erzeugung dieses Fabrikats neu erfundene Maschine die gewerbemäfsige HersteUung und Verbreitung des Fabrikates untersagen kann; R.Ger. IX Nr. 28. Dagegen erstreckt sich das Erfinderrecht an einem Arbeitsmittel nicht auf das Arbeitserzeugnifs, falls dasselbe durch ein anderes Arbeitsmittel hergesteUt wird. 28 So bestimmt jetzt ausdrücklich das R.Ges. § 4. Mit Recht hat aber schon unter der Herrschaft des R.Ges. v. 1877 das R.Ger. X X I I Nr. 3 u. Str. S. X X I Nr. 76 in gleichem Sinne entschieden; vgl. auch Kohl er, Aus dem Patent- u. Industrierecht I 22 ff. Anders O.L.G. Dresden ib. S. 17 ff. — Abweichend von allen anderen Patentgesetzen läfst das Schweiz. Ges. v. 1888, indem es Darstellbarkeit der Erfindung durch ein Modell verlangt, die Patentirung eines Verfahrens überhaupt nicht zu. 29 R.Ges. § 1 Abs. 2 Ζ. 1. Der Satz würde auch ohne Gesetzesbestimmung gelten; unrichtig begründet ihn Laband I I 229 Anm. 2. Er gilt jedoch nur fur Erfindungen, die für einen rechtswidrigen oder unsittlichen Zweck entweder aus-

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tiver Gesetzesbestimmung Erfindungen von Nahrungs-, Genufs- und Arzneimitteln, sowie von Stoffen, welche auf chemischem Wege hergestellt werden, dem Erfinderrechte entzogen80. Dagegen wird durch die Erfindung eines bestimmten Verfahrens zur Herstellung solcher Gegenstände ein Erfinderrecht begründet81. 7. Besonderheiten gelten bei G e s a m m t e r f i η d u η g e η 8 a . Eine Gesammterfindung liegt vor, wenn durch eine neue Kombination einzelner Elemente zu einem Ganzen ein technisches Ergebnifs erzielt wird, das über die Wirkung einer blofsen Summirung dieser Elemente hinausreicht88. In einem solchen Falle steckt in der Kombination als solcher ein selbständiger Erfindungsgedanke, der ein zu einem sogenannten „Kombinationspatente" berechtigendes Erfinderrecht erzeugt. Die einzelnen Elemente können bekannt oder aus einem anderen Grunde nicht patentfähig sein. Dann sind sie für sich gemeinfrei. Sie können aber auch einen Theil des Erfindungsgedankens in sich tragen. Dann werden sie insoweit, als sie dem Zwecke der Kombination dienen, von dem Erfinderrechte an der Gesammterfindung mitumspannt84. Endlich können sie sich auch als selbständige Erschliefslich geeignet oder ausdrücklich bestimmt sind; die Möglichkeit des Mifsbrauches macht eine Erfindung noch nicht patentunfähig, so dafs ζ. B. Gifte oder Sprengstoffe patentirt werden können. Vgl. K o h l e r , Patentr. S. 70, Aus dem Tatent- u. Industrierecht I I 61, Robolski, Theorie S. 40, Seligsohn S. 16. — Dafs die Erfindung einem positiven Kulturzwecke diene, ist nicht erforderlich; auch Spielereien, Luxusgegenstände u. s. w. sind patentfähig; Robolski a. a. O. S. 36. 80 R.Ges. § 1 Abs. 2 Z. 2. Insoweit es sich um eine blofse Entdeckung eines in der Natur vorhandenen Stoffes handelt, würde auch ohne diese Gesetzesbestimmung ein Erfinderrecht nicht entstehen. Die Ausnahme bezieht sich aber auch auf wirkliche Erfindungen, wie sie in neuen künstlichen Stoffverbindungen liegen. Ueber die vielfach zweifelhaften Grenzen der Ausnahme vgl. Dambach S. 5 ff., Gareis S. 40 ff., Klostermann, Komm. S. 117 ff, Rosenthal S. 49 ff, K o h l e r , Patentr. S. 71 ff, Robolski a. a. 0. S. 40 ff, Seligsohn S. 16 ff. 81 Hier wird daher das oben Anm. 28 Bemerkte besonders wichtig. — So lange kein anderes als das vom Entdecker oder Erfinder eines Nahrungs-, Genufsoder Arzneimittels oder eines chemischen Erzeugnisses erfundene Verfahren zur Herstellung des Gegenstandes bekannt oder gangbar ist, bleibt hiernach thatsächlich auch die Monopolisirung des Gegenstandes selbst möglich. Vgl. Kohl er, Forsch. S. 43 ff, 98 ff, 102 ff, Robolski, Theorie S. 215 ff, Handwörterb. V 128, Sei ig söhn S. 12 ff, 169, 173 u. 174. 88 Ueber blofse Summirung vgl. oben Anm. 19. 84 Vgl. Kohler S. 49 ff, der in diesem Falle von einer „Totalitätserfindung" und einem „Totalitätspatente" spricht; Robolski, Theorie S. 216, Seligsohn S. 13. Während das Patentamt dem Kombinationspatente vielfach jede Schutzwirkung für einzelne Bestandtheile der Kombination versagt hat, nimmt das Reichs55*

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findungen darstellen. Dann entstehen neben einander Erfinderrechte an der Kombination und an den Elementen, so dafs der Erfinder gleichzeitig mit dem Kombinationspatente auch Einzelpatente erwerben kann86. 8. Ist eine Erfindung nur unter Benutzung einer noch geschützten älteren Erfindung verwerthbar, so ist sie eine abhängige Erfindung 3 6 . Eine solche Erfindung erzeugt ein selbständiges Erfinderrecht, das jedoch durch das ältere Erfinderrecht an der von ihr vorausgesetzten Erfindung beschränkt wird. Man bezeichnet daher das für sie ertheilte Patent als ein „Abhängigkeitspatent"87. Zu den abhängigen Erfindungen gehört die unmittelbar auf Weiterbildung einer noch geschützten Erfindung gerichtete Verbesserungserfindung. Treffen die Erfinderrechte an der Verbesserungserfindung und der verbesserten Erfindung in derselben Person zusammen, so kann der Patentinhaber für die neue Erfindung ein blofses „Zusatzpatent" erwerben, durch das sie in ein rechtliches Zugehörigkeitsverhältnifs zu der früheren Erfindung gesetzt wird 88 . Er gericht in bestandiger Praxis an, dafs die Bestandtheile insoweit, als sie Erfindungscharakter haben, durch das Kombinationspatent mitgeschützt werden. 85 Er kann sich natürlich auch mit einem Kombinationspatente, das dann als Totalitätspatent wirkt (oben Anm. 34), begnügen. — Steht an den Elementen einem Anderen als dem Erfinder der Kombination ein Erfinderrecht zu, so ist die Gesammterfindung zugleich eine Abhangigkeitserfindung. 86 Kohler, Forsch. S. 64 ff.; Robolski, Theorie S. 111 ff., Handwörterb. V 128 ff; Seligsohn S. 40 ff; vgl. auch Beck-Mannagetta S. 215 ff. 87 Die Abhängigkeit kann im Patent ausgedrückt werden; doch steht eine richterliche Entscheidung über Abhängigkeit und Nichtabhängigkeit nicht dem Patentamte, sondern ausschliefslich den ordentlichen Gerichten zu; R.-Ger. X I I Nr. 27, Patentbl. 1885 S. 19 u. 20, K o h l e r , Forsch. S. 111 ff, Seligsohn S. 42. A. M. mit dem Patentamte selbst Robolski S. 114 ff, H a r t i g S. 259 ff. Die Novelle v. 1891 hat die Frage, obwohl man sie durch § 3 Abs. 1 zu Gunsten der Zuständigkeit des Patentamtes zu lösen beabsichtigte, in Wirklichkeit nicht gelöst; Seligsohn S. 42 ff. 88 R.Ges. § 7; Kohler, Patentr. S. 253 ff, Forsch. S. 67 ff; Hartig S. 244ff.; Reuling im Patentbl. 1883 S. 451 ff; Robolski, Theorie S. 118 ff, Handwörterb. V 129; Seligsohn S. 83 ff. — Die Pertinenzqualität des Zusatzpatentes äufsert sich besonders in der Beschränkung seiner Lebensdauer auf die des Hauptpatentes und bei der Gebührenberechnung. Im Falle der Nichtigkeitserklärung des Hauptpatentes aber und bei vorzeitiger Beendigung desselben durch Verzicht wird das Zusatzpatent für den Rest seiner Lebensdauer zum selbständigen Patent. — Auf eine abhängige Erfindung anderer Art kann ein Zusatzpatent nicht genommen werden. — Die Einrichtung der Zusatzpatente ist auch dem engl., französ., belg., ital. R. u. s. w. bekannt, dagegen z. B. dem österr. R. fremd; B e c k - M a n n a getta S. 152.

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kann jedoch auch so gut wie ein anderer Erfinder für die Verbesserungserfindung ein selbständiges Patent nehmen („Verbesserungspatent")89. III. Subjektive Voraussetzungen. 1. Das Erfinderrecht entsteht in der Person des Schöpfers der Erfindung und nur in ihr 40 . Schöpfer ist, wer den Erfindungsgedanken durch geistige Thätigkeit originär hervorgebracht hat. Haben Mehrere eine Erfindung gemeinschaftlich geschaffen, so erwerben sie ein Miterfinderrecht* 1. Einer Verbandsperson erwächst ein ursprüngliches Erfinderrecht, wenn die Erfindung aus einer verfassungsmäfsig dem Verbandsleben angehörigen Thätigkeit von Organen entsprungen ist42. Kein Erfinderrecht erwirbt der blofse Gehülfe fremder geistiger Schöpfungsthat48. Kein Erfinderrecht entsteht umgekehrt in der Person des Geschäftsherrn aus der geistigen Schöpfungsthat seines Beamten, Angestellten oder Arbeiters 44. Doch kann durch Vertrag im Voraus wirksam bedungen werden, dafs das Erfinderrecht an allen oder gewissen Erfindungen einer Pereon sofort mit seiner Entstehung auf eine andere Person zur Ausübung übergehen soll45. Und bei 89

Wo Zusatzpatente unbekannt sind, hat er nur diesen Weg; so in Oesterreich, Privilegienges. § 23. Der andere Erfinder kann immer nur ein Verbesserungspatent fordern. — Das Französische Ges. Art. 18 gewährt dem Patentinhaber für alle Verbesserungserfindungen zu seiner Erfindung während eines Jahres ein jeder fremden Anmeldung vorgehendes ausschliefsliches Hecht auf ein Patent. Aehnlich Ital. Ges. Art. 26 u. 57, Norweg. Art. 4. Dem deut. R. ist dieses Vorrecht fremd. 40 Stellvertretung ist ausgeschlossen; a. M. Kohl er, Patentr. S. 59 ff. u. Forsch. S. 4, dazu oben § 86 Anm. 83. 41 Dasselbe ist gleich dem Miturheberrechte (oben § 86 S. 782 ff.) ein Gemeinschaftsrecht zur gesammten Hand, über das nur gemeinsam und einheitlich verfügt werden kann. Vgl Köhler, Patentr. S. 57, Forsch. S. 8 ff, Klostermann b. Endemann I I 324, Patentbl. v. 1879 S. 411. 42 Dies trifft z. B. regelmäfsig bei Erfindungen in Staatsanstalten für militärische Versuchs- oder Konstruktionszwecke zu. Vgl. auch K o h l e r , Patentr. S. 61, Seligsohn S. 46, R o b o l s k i , Theorie S. 58. 48 Κ o h l e r , Patentr. S. 56 ff., Forsch. S. 7. — Ebensowenig, wer als Organ erfindet; vorige Anm. 44 Einen originären Erwerb des Erfinderrechts durch Beauftragte und Angestellte nehmen K o h l er, Patentr. S. 61 u. Forsch. S. 4 ff, u. Seligsohn S. 46 an. Allein da hier eine gesetzliche Bestimmung, wie sie bei Geschmacksmustern getroffen ist (oben § 92 I I 2 a), fehlt, eine solche Bestimmung aber zwar möglich, jedoch keineswegs nothwendig ist, kann die Erstreckung der dienstlichen Unterordnung auf die geistig schaffende Persönlichkeit nicht für geltendes Recht erachtet werden. 46 Solche Verträge sind zwischen Geschäftsherrn und Angestellten (ζ. B. in chemischen Fabriken) sehr häufig, können aber auch sonst vorkommen. Dahin

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gewerblichen Unternehmungen ist sogar regelmäfsig ein abgeleitetes Erfinderrecht des Geschäftsherrn an Erfindungen, die von ständig angestellten Technikern in ihrer dienstlichen Thätigkeit gemacht werden, ohne Weiteres als vereinbart anzunehmen46. 2. Das Recht auf Entfaltung des Erfinderrechtes zum Patentrechte wird vom deutschen Gesetze nicht dem Erfinder, sondern dem ersten Anmelder gewährt47. Damit ist indefs das Patentrecht keineswegs vom ursprünglichen Erfinderrechte losgerissen48. Vielmehr hat das Recht des ersten Anmelders eine doppelte Bedeutung. a. Die Anmeldung begründet ein Prioritätsrecht an der Erfindung, so dafs, wenn Mehrere dieselbe Erfindung unabhängig von einander gemacht haben, nicht das früher entstandene, sondern das früher angemeldete Erfinderrecht vorgeht49. Wer eine Erfindung zuerst anmeldet, schneidet jedem anderen Erfinderrechte an der gleichen Erfindung die Möglichkeit der Erhebung zum Patentrechte ab 60 . Gleichwohl geht das vorher begründete Erfinderrecht als solches nicht unter 51. Ja insoweit, als ihm bereits vor der fremden Anmeldung gehört auch Ertheilung und Annahme eines Auftrages zu einer bestimmten Erfindung; R.Ger. im Patentbl. 1889 S. 117. — Immer aber bleibt genau wie bei nachträglicher Veräufserung das ursprüngliche Erfinderrecht mit seinem idealen Werthe und seiner Ehre beim Erfinder zurück; vgl. unten § 97. 46 Vgl. Dambach S. 14 ff., Kohler, Patentr. S. 60 ff., Forsch. S. 5 ff., Gar eis, Ueber das Erfinderrecht von Beamten, Angestellten und Arbeitern, Berl. 1879, R o s e n t h a l S. 82 ff, Klostermann a. a. 0. S. 824 ff., Robolski, Theorie S. 54 ff., Seligsohn S. 44 ff. — Aehnlich verhält es sich mit Erfindungen von Gesellschaftern im Rahmen ihrer gesellschaftlichen Thätigkeit; Seligsohn S.47. 47 R.Ges. § 3 Abs. 1. Ebenso nach den meisten ausländ. Gesetzen, insbesondere nach österr., französ., belg., ital., span. R. ; dagegen wird im amerikan. u. engl. R. eine (in Amerika eidliche) Versicherung des Anmelders, dafs er sich für den ersten Erfinder halte, verlangt. Vgl. K l o s ter man η a. a. O. S. 824, BeckM a n n a g e t t a S. 137. 48 Vgl. bes. K o h l e r , Patentr. S. 33 ff.. 90 ff., Forsch. S. 86 ff, Robolski, Theorie S. 48 ff. 49 K o h l e r , Patentr. S. 81, Forsch. S. 87 ff. Dagegen entscheidet nach amerikan. R. die Priorität der Erfindung. 60 R.Ges. § 3 Abs. 1: „Eine spätere Anmeldung kann den Anspruch auf ein Patent nicht begründen, wenn die Erfindung Gegenstand des Patents des früheren Anmelders ist. Trifft diese Voraussetzung theilweise zu, so hat der spätere Anmelder nur Anspruch auf Ertheilung eines Patentes in entsprechender Beschränkung". Das Patentamt hat die Deckungsfrage von Amtswegen zu prüfen; § 21 Abs. 8 u. § 22 Abs. 1. Ein versehentlich trotzdem über den Gegenstand einer älteren Anmeldung ertheiltes Patent ist ganz oder theilweise nichtig; § 10 Abs. 1 Z. 2, Abs. 3. Diese Nichtigkeit ist eine absolute, die Jedermann rügen kann: § 28. Vgl. Seligsohn S. 38 ff, unten Anm. 104. 61 Zum Mindesten die Ehre mufs ihm bleiben.

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ein Nutzungsbesitz zur Seite getreten ist, kann es vermöge der gesetzlichen Bestimmung, nach der die Wirkung des Patentes einem älteren Nutzungsbesitze gegenüber nicht eintritt, auch fernerhin ausgeübt werden62. b. Die Anmeldung bewirkt ferner für den Anmelder eine Legitimation zur Ausübung des Erfinderrechtes durch Geltendmachung des Rechtes auf ein Patent68. Der Anmelder braucht den Rechtsgrund seines Anspruches nicht aufzudecken. Ob er sich auf ursprüngliches oder abgeleitetes Erfinderrecht stützt und welche Beziehungen im letzteren Falle zwischen ihm und dem Erfinder bestehen, kann er im Dunkeln lassen. Die Anmeldung kann für eine Einzelperson oder eine Verbandsperson oder eine Personenmehrheit erfolgen, ohne dafs eine entsprechende Zuständigkeit des Erfinderrechts darzuthun wäre 64. Aber auch der etwaige völlige Mangel einer subjektiven Berechtigung wird durch die Legitimation des Anmelders zunächst gedeckt und tritt dann, wenn der wahrhaft Berechtigte schweigt, überhaupt niemals in die Erscheinung66. Immer jedoch handelt es sich um eine blofse Legitimation, deren Wirkung der wahre Erfinder oder sein Rechtsnachfolger durch Aufdeckung des Sachverhaltes zerstören kann. Denn das Gesetz gewährt dem Erfinderrechte gegen unbefugte Anmafsung durch fremde Anmeldung einen doppelten Schutz66. Wenn der wesentliche Inhalt der Anmeldung den Beschreibungen, Zeich62 R.Ges. § 5 Abs. 1. Diese in § 96 I I I 1 (unten S. 884 if.) noch zu behandelnde Bestimmung schützt freilich nicht blos den Erfinder und seine Rechtsnachfolger, sondern jeden thatächlichen Vorbenutzer. Allein hier wie überall wird der Besitz um des normaler Weise hinter ihm stehenden Rechtes willen geschützt. Man darf daher nicht mit Rosenthal S. 78 u. Seligsohn S. 85 die Bedeutung dieses Schutzes für die Anerkennung des Erfinderrechtes als solchen leugnen. 68 Vgl. bes. Laband I I 225 ff., auch Rosenthal S. 77, R o b o l s k i S. 50, Seligsohn S. 34. Irrig ist die Behauptung, der Anmelder werde als Erfinder präsumirt (so Gar ei s S. 72) oder gar fingirt (so Klostermann a. a. 0. S. 824). 54 Ueber Anmeldungen durch Verbandspersonen und durch mehrere Personen vgl. Seligsohn S. 37 ff. 55 Der Berechtigte gilt dann als einwilligend. Darum hat das Patentamt das subjektive Recht des Anmelders von Amtswegen nicht zu prüfen; R.Ges. §21—22. Und ein Anderer als der Verletzte kann weder Einspruch gegen die Patentirung erheben (§ 24 Abs. 2) noch das ertheilte Patent als nichtig anfechten (§ 28 Abs. 2). Dagegen läfst das amerik. R. auch hier die Anfechtung durch Jedermann zu. Be Dieser Schutz kommt nicht blos dem ursprünglichen, sondern auch dem abgeleiteten Erfinderrechte und zwar auch dem letzteren gegen das erstere zu; darum kann, wenn ein Erfinder das von ihm mit der Entstehung (oben Anm. 45—46) oder später zur Ausübung abgetretene Erfinderrecht anmeldet, der Ausübungsberechtigte gegen die Ertheilung des Patentes Einspruch erheben und das ertheilte Patent als nichtig anfechten; Robolski, Theorie S. 53 ff, Seligsohn S. 44 u. 103.

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nungen, Modellen, Gerätschaften oder Einrichtungen eines Anderen oder einem von diesem angewandten Verfahren ohne dessen Einwilligung entnommen ist, so kann dieser Andere sowohl gegen die Ertheilung des Patentes Einspruch erheben, wie auch die Nichtigkeitserklärung des ertheilten Patentes beantragen57. Hat der Einspruch Erfolg, so kann der Einsprechende durch Anmeldung der Erfindung binnen einem Monate seit Empfang der Mittheilung das Patent sich selbst sichern, indem er verlangen kann, dafs als Tag einer solchen Anmeldung der Tag vor Bekanntmachung der früheren Anmeldung festgesetzt werde58. Dagegen erzielt er, wenn der Antrag auf Nichtigkeitserklärung Erfolg hat, immer nur den Wegfall des fremden Patents, da er selbst die Erfindung, weil sie nicht mehr neu ist, nicht mehr anmelden kann59. 3. Ausländer sind hinsichtlich des Erfinderrechts den Inländern gleichgestellt, falls nicht kraft einer mit Zustimmung des Bundesraths erlassenen Anordnung des Reichskanzlers gegen die Angehörigen eines ausländischen Staates ein Vergeltungsrecht zur Anwendung gebracht wird. Wer jedoch nicht im Inlande wohnt, kann sowohl das Recht auf ein Patent wie die Rechte aus dem Patent nur geltend machen, wenn er im Inlande einen Vertreter bestellt hat 60 . IV. Begründungsakt. 1. Schöpfungsthat. Das Erfinderrecht entsteht durch die vollendete Schöpfungsthat61. Die Schöpfungsthat fordert als geistigen Inhalt die Erkenntnifs, dafs die angewandten Mittel den beabsichtigten 67

R.Ges. § 3 Abs. 2, § 10 Abs. 1 Z. 3 u. Abs. 2. Auch hier genügt Besitz an der entlehnten Erfindung, um als „Verletzter" aufzutreten; R.Ger. I I Nr. 36, Robolski S. 53 ff. Man darf aber hier so wenig wie in dem oben Anm. 52 erwähnten Verhältnifs mit Rosen thaï S. 78 u. S el ig söhn S. 35 dem Besitzschutze die Bedeutung des Erfinderrechtsschutzes abstreiten. — Das Recht auf das Patent wird durch jede objektiv widerrechtliche Entlehnung des Gegenstandes ausgeschlossen, auch für den gutgläubigen Rechtenachfolger ; R.Ger. I I Nr. 86, Patentamt im Patentbl. 1882 S. 27, Robolski a. a. O. S. 54, Seligsohn S. 43. 68 R.Ges. § 3 Abs. 2. Hierdurch wird der mangels einer solchen Bestimmung im Ges. v. 1877 bisher den Einsprechenden bedrohenden Gefahr vorgebeugt, dafs seine eigne Patentanmeldung an dem Untergange der Neuheit der Erfindung oder dem durch eine Zwischenanmeldung begründeten Prioritätsrechte eines Dritten scheitere. Vgl. Robolski S. 51, Seligsohn S. 48 ff. 69 Ueber Abhülfe mit den ordentlichen Schutzmitteln der Privatrechte unten Anm. 69. 60 R.Ges. § 12; Seligsohn S. 111 ff. Prozefsvollmacht des Vertretersund Erweiterung des Gerichtsstandes wie bei Gebrauchsmustern; oben § 93 Anm. 13. 61 Oben § 94 S. 857. Die Schöpfungsthat ist jedoch nicht, wie K o h l e r , Patentr. S. 57ff. u. Forsch. S. 4, meint, ein Rechtsgeschäft; vgl. oben § 86 Anm. 84.

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Erfolg haben62. Ob diese Erkenntnifs durch Nachsinnen oder durch Eingebung, durch mühsame Versuche oder durch Zufall, mit oder ohne Einsicht in den tieferen naturgesetzlichen Zusammenhang gewonnen wurde, ist gleichgültig68. Vollendet ist die Schöpfungsthat, sobald die Erfindung zum ersten Male den beabsichtigten Erfolg zeigt und der Erfinder anzugeben vermag, auf welchem Wege sich derselbe wiederholen läfst 64. Mit diesem Augenblicke ist die Erfindung ein rechtlich anerkanntes Persönlichkeitsgut des Erfinders geworden. Das an ihr begründete Recht, das der Vererbung und Veräufserung unterliegt65, äufsert sich vor Allem in dem Ansprüche auf Ertheilung eines Patents. Es erschöpft sich aber keineswegs in diesem Ansprüche, enthält vielmehr eine Reihe von Befugnissen, die von seiner Anmeldung unabhängig sind. a. Es gewährt zunächst die Befugnifs, über die Erfindung durch Veröffentlichung zu verfügen 66. Der Erfinder kann jedem Anderen die Veröffentlichung untersagen. Wer unbefugter Weise einer Erfindung durch Veröffentlichung die Neuheit und damit die Patentfähigkeit entzieht, ist dem Verletzten zum Schadensersatze verpflichtet 67. b. Sodann liegt in dem unangemeldeten Erfinderrechte die Befugnifs zur Benutzung der Erfindung. Die Benutzung kann stattfinden, ohne die Erfindung der Oeffentlichkeit preiszugeben und hiermit zum Gegenstande des Gemeingebrauches zu machen. Mit einem Untersagungsrechte gegen die Benutzung durch Andere ist dieses Benutzungsrecht gleichwohl nicht verbunden. Es verfestigt sich aber gegenüber einem durch Patent mit einem Untersagungsrechte versehenen fremden Erfinderrechte insoweit zu einem besonderen und eigentümlichen Rechte, als bereits vor der Anmeldung des Patentes ein Nutzungsbesitz begründet war 68 . c. Endlich theilt das unangemeldete Erfinderrecht mit allen Persönlichkeitsrechten den allgemeinen Anspruch auf Anerkennung, kraft dessen sein Träger von Jedermann verlangen kann, dafs er das fremde Persönlichkeitsgut als solches achte und sich nicht als das seine anmafse. Gegen unbefugte Anmafsung des Erfinderrechtes durch 62 K o h l e r , Forsch. S. 10 ff. Willensinhalt ist nicht erforderlich. bedarf es auch keiner Handlungsfähigkeit; Kohl er, Patentr. S. 149 ff. 68 K o h l e r , Forsch. S. 89 ff, Robolski, Theorie S. 19 ff. e * Robolski, Handwörterb. V 129. 86 Unten § 97 S. 888. ββ Oben § 94 I I I S. 859 ff. 67 Seligsohn S. 29. Vgl. oben § 92 Anm. 29 u. § 93 Anm. 21. 68 Oben Anm. 52 u. unten § 96 I I I 1 S. 884 ff.

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Anmeldung besteht der schon erwähnte patentrechtliche Schutz. Aufserdem aber darf dem Erfinderrecht der allgemeine Schutz der Privatrechte im ordentlichen Rechtswege nicht versagt werden. Darum kann der Berechtigte, dem ein Anderer die Erfindung durch Patentnahme vertragswidrig oder arglistig entrissen hat, gegen diesen mit der Vertragsklage oder Deliktsklage nicht nur einen Anspruch auf Schadensersatz, sondern auch einen Anspruch auf Uebertragung des erschlichenen Patentes durchsetzen69. 2. Anmeldung. Zur vollen Entfaltung des Erfinderrechtes bedarf es der gehörigen Anmeldung beim Patentamte, die in schriftlicher Form erfolgen mufs, nur Eine Erfindung zum Gegenstande haben darf und in einer Anlage eine so genaue Beschreibung der Erfindung enthalten mufs, dafs danach deren Benutzung durch andere Sachverständige möglich erscheint70. Abänderungen der Anmeldung sind bis zum Beschlüsse über ihre Bekanntmachung zulässig71. Die gehörige Anmeldung bewirkt die Legitimation zur Geltendmachung des Anspruches auf das Patent. Sie sichert ferner dem an69 Dies ist hinsichtlich der Vertragsklage ziemlich allgemein anerkannt; vgl. R.Ger. im Patentbl. 1889 S. 119. Mit Recht aber bejaht das R.Ger. XXIX Nr. 16 den gleichen Anspruch im Falle der Deliktsklage. Ebenso Köhler, Patentr. S. 87 ff. u. Forsch. S. 89, Robolski, Theorie S. 52 ff, auch die franz. u. belg. Praxis. A. M. Selig söhn S# 49 ff. Der Verletzte hat einen Anspruch auf Rückerstattung des entzogenen Persönlichkeitsgutes, der nur auf dem Wege der Patentabtretung befriedigt werden kann, da durch die Nichtigkeitserklärung jenes Persönlichkeitsgut entwerthet würde. Die relative Nichtigkeit des Patente« wird dabei durch die Zustimmung des Berechtigten geheilt. — Eine noch weiter tragende QuasiVindikation des Patentes ist nach deut. Recht nicht zu konstruiren, wohl aber auf Grund des Oesterr. Ges. §46 zulässig; B e c k - M a n n a g e t t a S. 138ff. — Die inzwischen aus dem erschlichenen Patentrechte abgeleiteten Rechte gutgläubiger Dritter mufs der Erstreiter des Patentes anerkennen. 70 R.Ges. § 20. Die Anmeldung mufs einen unter genauer Bezeichnung des zu schützenden Gegenstandes formulirten Antrag auf Ertheilung des Patentes enthalten, die Anlage am Schlüsse der Beschreibung dasjenige angeben, was als patentfähig unter Schutz gestellt werden soll (Patentanspruch). Auch sind die erforderlichen Zeichnungen, bildlichen Darstellungen, Modelle und Probestücke beizufügen. Ueber die sonstigen Erfordernisse bestimmt das Patentamt; vgl. solche Bestimmungen b. Seligsohn S. 162 ff. u. 177 ff. Gleichzeitig mit der Anmeldung sind zwanzig Mark für die Kosten des Verfahrens einzuzahlen. — Ueber die Erfindungseinheit vgl. Kohler, Patentr. S. 338 ff. u. Forsch. S. lOOff, H a r t i g S. 155ff, R o b o l s k i , Theorie S. 74 ff, Selig söhn S. 168 ff. Ueber die Erfordernisse der Beschreibung Reulaux, Patentbl. 1877 S. 9 ff, Hartig S. 136 ff, 170 ff., 206 ff, Robolski S. 71 ff, Stercken, Die Formulirung von Patentansprüchen u. die Anfertigung von PatentbeBchreibungen und -Zeichnungen, Berl. 1890, Sei ig s oh η S. 171 ff. — Zur Anmeldung ist Handlungsfähigkeit erforderlich: Gar ei s S. 73, Seligsohn S. 86. 71 R.Ges. § 20 Abs. 3.

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gemeldeten Anspruch den Vorrang vor allen später angemeldeten Ansprüchen72 und schneidet die Zerstörung der Neuheit der Erfindung durch spätere Vorgänge ab 78 . Als entscheidender Zeitpunkt mufs hierbei auch dann, wenn eine Verbesserung oder Ergänzung der Anmeldung erforderlich ist, der Augenblick der ersten Anmeldung gelten, falls nur die Beseitigung der Mängel innerhalb der dafür gesetzten Frist erfolgt und der wesentliche Inhalt der Anmeldung nicht geändert wird 74 . 3. Patentertheilung. Die Patentertheilung erfolgt auf Grund eines mehrgliedrigen Verfahrens 75, das den richterlichen Spruch des Patentamtes über die Begründetheit des Patentanspruches in sich schliefst und darum zur Ladung und Anhörung der Betheiligten, zur Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen, zur Vornahme sonstiger Ermittlungen und zu kontradiktorischer Verhandlung führen kann76. a. Das Verfahren beginnt mit einer Vorprüfung der Anmeldung durch ein Mitglied der Anmeldeabtheilung. Die Vorprüfung erstreckt sich sowohl auf die Erfordernisse der Anmeldung wie auf 72 Oben Anm. 50. Bei gleichzeitiger Anmeldung hat jeder Anmelder einen selbständigen Patentanspruch; K o h l e r , Patentr. S. 83 ff., Rosenthal S. 97. A. M. Staub, Patentbl. 1888 S. 74 ff, u. Selig söhn S. 33, die ein gemeinsames Patent geben wollen. Zunächst entscheidet jedoch die in der Ausführungsver. v. 11. Juli 1891 § 27 (oben § 93 Anm. 24) aufgestellte Vermuthung. 78 Oben S. 864 Anm. 22. 74 Vgl. K o h l e r , Patentr. S. 82 ff., Forsch. S. 91 ff., Robolski S. 81 ff. Seligsohn S. 21 ff. A.M. mit den Motiven zum Ges. v. 1877 S. 32 Dambach S. 56, Grothe S. 105, Gareis S. 61, Rosenthal S. 61 u. 97. — Hinsichtlich der Neuheit kommt es nur auf den Tag, hinsichtlich der Priorität auf Stunde und Minute des Einganges an; Seligsohn S. 23 u. 36. — Eine Zurückdatirung der Anmeldung findet aufser dem oben Anm. 58 erwähnten Falle nach den Verträgen mit Oesterreich, Italien und der Schweiz Art. 3 u. 4 kraft des dreimonatlichen Prioritätsrechtes statt, das den in einem dieser Länder anerkannten Erfinderrechten im Falle ihrer Anmeldung in Deutschland seit dem Ablaufe des Tages der fremden Patentertheilung eingeräumt ist; vgl. dazu oben § 84 Anm. 95 u. § 92 Anm. 17. — Unbekannt ist dem deutschen Rechte eine vorläufige Anmeldung zur Sicherung des Patentanspruchs, wie sie das amerikan. R. als „Caveat", das schweizer. Ges. Art. 16 als Anmeldung eines auf zwei Jahre wirksamen „provisorischen Patentes" kennt. 76 R.Ges. § 21—27 nebst Ausführungsver. § 1—18. Dazu Seligsohn S. 180 ff. Ueber das Ertheilungsverfahren nach dem Ges. v. 1877 vgl. K ö h l e r , Patentr. S. 321 ff., Robolski S. 83 ff. Ueber das österr. Verfahren BeckMannagetta S. 297 ff. 78 R.Ges. § 25 u. 26 Abs. 3; Ausführungsver. § 12—13. Die Gerichte sind zur Rechtshülfe verpflichtet; R.Ges. § 32. Geschäftssprache ist die Gerichtssprache; Eingaben müssen in deutscher Sprache abgefafst sein; R.Ges. § 34.

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die von Amtswegen zu prüfenden Voraussetzungen einer patentfähigen Erfindung, zu denen aufser den objektiven Voraussetzungen auch die Voraussetzung der Nichtidentität mit einer früher angemeldeten Erfindung gehört. Ergeben sich Anstände, so theilt sie der Vorprüfer dem Patentsucher durch einen Vorbescheid mit der Aufforderung mit, Mängel der Anmeldung in bestimmter Frist zu beseitigen, über Bedenken gegen die Patentfähigkeit der Erfindung aber sich in bestimmter Frist zu äufsern. Erklärt sich der Patentsucher hierauf nicht rechtzeitig, so gilt seine Anmeldung als zurückgenommen. Andernfalls fafst die Anmeldeabtheilung Beschlufs77. b. Der Vorprüfung folgt die Prüfung durch die Anmeldeabtheilung. Sie erstreckt sich auf die gleichen Punkte wie die Vorprüfung. Ergiebt sie, dafs der Anspruch auf ein Patent nicht begründet ist, so erfolgt die Zurückweisung der Anmeldung durch Beschlufs. Gegen diesen Beschlufs kann der Patentsucher binnen Monatsfrist nach der Zustellung Beschwerde bei der Beschwerdeabtheilung einlegen. Wird die Beschwerde versäumt oder verworfen, so ist der Anspruch auf das Patent rechtskräftig abgewiesen78. Erachtet dagegen das Patentamt die Anmeldung für gehörig erfolgt und die Ertheilung eines Patents für nicht ausgeschlossen, so beschliefst es die Bekanntmachung der Anmeldung79. Auf Antrag des Patentsuchers ist die Aussetzung der Bekanntmachung für einen Zeitraum bis zu sechs Monaten gestattet und bis zu drei Monaten geboten80. Ohne jede Bekanntmachung wird dem Reiche auf seinen Antrag ein für die Zwecke des Heeres oder der Flotte nachgesuchtes Patent ertheilt 81. c. Mit der Bekanntmachung beginnt das Aufgebotsverfahren. Sie erfolgt durch Veröffentlichung des Namens des Patentsuchers und des wesentlichen Inhaltes seines Antrages im ßeichsanzeiger unter gleichzeitiger öffentlicher Auslegung der Anmeldung mit sämmtlichen Anlagen beim Patentamte82. Mit der Veröffentlichung treten die 77

R.Ges. § 21. Das Vorpriifungs verfahr en war dem Ges. v. 1877 fremd. R.Ges. § 22, 16 u. 26. Die erneute Anmeldung der gleichen Erfindung ist jedoch nicht abgeschnitten, da es sich nur um formelle Rechtskraft handelt; Schanze, Arch. f. öff. R. IX 198. 79 R.Ges. § 23 Abs. 1. 80 R.Ges. § 23 Abs. 4. Diese Einrichtung bezweckt, der Erfindung behufs Anmeldung in solchen fremden Ländern, in denen die deutsche Bekanntmachung als Zerstörung der Neuheit gilt und den in Deutschland patentirten Erfindungen ein Prioritätsrecht nicht eingeräumt ist, die Neuheit erhalten zu können. 81 R.Ges. § 23 Abs. 5; vgl. oben Anm. 6. 82 R.Ges. § 23 Abs. 2—8. Die im Verordnungswege zulässige Anordnung 78

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Wirkungen des Patentes zu Gunsten des Patentsuchers einstweilen ein 83 . Zugleich aber läuft nun eine zweimonatliche Frist. Innerhalb dieser Frist mufs der Patentsucher die erste Jahresgebühr zahlen, widrigenfalls seine Anmeldung als zurückgenommen gilt 84 . Vor Allem aber kann bis zu ihrem Ablaufe gegen die Ertheilung des Patentes Einspruch erhoben werden. Der Einspruch, der schriftlich erfolgen und mit Gründen versehen sein mufs, kann sich sowohl auf den Mangel einer patentfähigen Erfindung wie auf den Mangel der subjektiven Berechtigung des Patentsuchers stützen. Insoweit die von Amtswegen zu prüfenden Erfordernisse des Patentes in Frage stehen, ist Jedermann zum Einspruch befugt. Dagegen kann aus dem Grunde unbefugter Entlehnung der Erfindung nur der Verletzte Einspruch erheben. Nach Ablauf der Aufgebotsfrist hat das Patentamt über die Ertheilung des Patentes Beschlufs zu fassen85. Gegen den Beschlufs der Anmeldeabtheilung stehjfc im Falle der Versagung des Patentes dem Patentsucher, im Falle der Ertheilung dem Einsprechenden die Beschwerde an die Beschwerdeabtheilung offen 86. Wird das Patent versagt, so ist wiederum, entgegen der vorläufigen Annahme, das Dasein des Rechtes auf ein Patent rechtskräftig verneint. Mithin gelten die Wirkungen des einstweiligen Schutzes nun als niemals eingetreten. Dies wird durch den Reichsanzeiger bekannt gemacht. Auch wird die eingezahlte Jahresgebühr zurückerstattet. Gleiche Folgen, wie an die Versagung, knüpfen sich an eine nach der Veröffentlichung erfolgte Zurücknahme der Anmeldung87. d. Wird die Ertheilung des Patentes endgültig beschlossen, so erläist das Patentamt darüber eine Bekanntmachung im Reichsanzeiger, fertigt für den Patentinhaber eine Urkunde (Patenturkunde) aus und verfügt die Eintragung in die Patentrolle88. Die Ertheilung des Patentes wird indefs nicht erst durch diese Handlungen, sondern schon durch die Zuerkennung des Patentes seitens des Patentamtes vollendet. Mit dem Augenblicke der Rechtskraft des Ertheilungsbeschlusses vereiner Auslegung auch aufserhalb Berlins ist durch § 16 der Ausführungsver. der näheren Bestimmung des Reichskanzlers überlassen. 88 R.Ges. § 23 Abs. 1. Nach Abs. 2 ist der Eintritt des einstweiligen Schutzes im Reichsanzeiger mitanzuzeigen. Auch das Recht auf Anmeldung eines Zusatzpatentes (oben Anm. 38) ist hieimit einstweilen begründet; Seligsohn S. 83 ff. 84 R.Ges. § 24 Abs. 1. Vgl. unten § 96 S. 886. 85 R.Ges. § 24 Abs. 2 - 3 . 86 R.Ges. § 16 u. 26. 87 R.Ges. § 27 Abs. 2. Dazu oben Anm. 84. p8 R.Ges. § 27 Abs. 1 u. § 19 (oben S. 862).

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wandelt sich daher das einstweilen anerkannte Patentrecht in ein endgültig anerkanntes Patentrecht89. e. Die Wirkung der Patentertheilung ist die eines rechtskräftigen Feststellungsaktes, an den sich kraft eines allgemeinen Rechtssatzes die Entfaltung des Erfinderrechtes zu einem ausschliefslichen und voll geschützten Rechte knüpft 90. Da die Patentertheilung kein neues Recht schafft, sondern ein vorhandenes Recht entwickelt, kommt durch sie das Patentrecht nur zu Stande, wenn die Voraussetzung des Daseins eines Erfinderrechtes erfüllt ist. Durch die Patentertheilung ist rechtskräftig festgestellt, dafs ein zur Gewährung des staatlichen Schutzes hinreichender Grund für die Annahme der Erfüllung jener Voraussetzung vorliegt. Diese Feststellung mufs so lange, bis sie durch die rechtskräftige Feststellung des Nichtdaseins eines Erfinderrechtes entkräftet ist, die ihr entsprechenden Wirkungen äufsern. Dagegen ist in ihr eine rechtskräftige Feststellung des wirklichen Daseins eines Erfinderrechts nicht enthalten. Mithin wird durch die Patentertheilung das Patent nicht unbedingt, sondern unter 89 Somit, wenn gegen den Beschlufs eine Beschwerde statthaft war, mit dem Ablaufe der Beechwerdefrist, sonst bereits mit der Zustellung des Beschlusses; R o b o l s k i S. 106 ff., Seligsohn S. 203 ff. — Die Bekanntmachung ist für den Fristenlauf bei der Verschweigung der Anfechtungsrechte (unten Anm. 95) und bei der Patentverwirkung (unten § 96 Anm. 20—21) bedeutungsvoll; die Eintragung in die Patentrolle bewirkt für die als Patentinhaber eingetragene Person eine subjektive Legitimation (unten § 97 Anm. 9); die Ausfertigung der Patenturkunde entbehrt überhaupt der privatrechtlichen Bedeutung. 90 Ueber das Wesen der Patentertheilung handelt ausführlich Schanze, Arch. f. öff. R. IX 173 ff. Die Patentertheilung ist nicht, wie Laband I I 224 u. 234, G. Meyer I 446 ff, Seligsohn S. 5 ff u. das R.Ger. b. Gareis Entsch. I V 275 annehmen, ein »konstitutiver Verwaltungsakt", sonderndem Rechtsanwendungsakt; vgl. Schanze S. 181 ff u. 186 ff. Dabei verbindet sich eine Rechtsentscheidung (vgl. Kohler, Autorr. S. 117, Bojanowski S. 34 ff, Schanze S. 175) mit Handlungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Kohler, Patentr. S. 279 ff., Forsch. S. 86, v. Sarwey, Das öffentliche Recht S. 348, Schanze S. 179 ff). Dieser Rechtsanwendungsakt hat nicht, wie auch D e r n b u r g I I 963, Mandry S. 502, M ei I i S. 23 ff. und (unter Vergleichung mit dem Theilungsurtheile) Schanze S. 183 ff. behaupten, konstitutive Bedeutung, sondern deklarirt ein vorhandenes Recht, das freilich hierdurch erst perfizirt, aber darum so wenig geschaffen wird, wie das dingliche Recht durch den Grundbucheintrag oder die Persönlichkeit der Aktiengesellschaft durch die Eintragung ins Handelsregister; vgl. Kohler, Patentr. S. 77 ff, 95, Forsch. S. 86 ff, Sarwey S. 348, Pouillet Nr. 2, Z o l l S. 552 ff, 571 Anm. 59. In dieser Hinsicht besteht kein Unterschied zwischen dem Prüfungsverfahren und dem Anmeldeverfahren, wie Schanze S. 175 Anm. 5a meint. Denn die Einschiebung einer Rechtsentscheidung kann am wenigsten dem deklarativen Wesen der Patentertheilung Abbruch thun.

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der auflösenden Bedingung des Nichtdaseins eines Erfinderrechtes zuerkannt. f. Demgemäfs ist das Patent nichtig, wenn ein Erfinderrecht, das sich durch die Patentertheilung zum Patentrechte hätte entfalten können, in Wirklichkeit nicht vorhanden war, mag nun eine der objektiven Voraussetzungen einer patentfähigen Erfindung gefehlt oder dem Patentinhaber ein Recht auf das Patent nicht zugestanden haben91. Trifft einer der Mängel nur theilweise zu, so ist das Patent nur theilweise nichtig92. Die Nichtigkeit ist im Falle der Entlehnung der Erfindung aus fremdem Erfindungsbesitz eine blos relative, wird daher durch nachträgliche Einwilligung des Verletzten geheilt98. In den übrigen Fällen ist die Nichtigkeit eine absolute94. Die absolute Nichtigkeit ist im Falle der Deckung mit einem älteren Patentrechte unheilbar. Dagegen wird sie dann, wenn sie auf dem Mangel einer objektiven Voraussetzung des Erfinderrechtes beruht, vermöge einer eigentümlich gearteten Verschweigung dadurch geheilt, dafs bis zum Ablaufe von fünf Jahren seit dem Tage der Bekanntmachung der Patentertheilung Niemand sie durch Erhebung der Nichtigkeitsklage gerügt hat 95 . Aus dem nichtigen Patente entsteht nur der Schein eines Patentrechtes90. Dieses Scheinrecht vermag freilich bis zur Feststellung seiner Nichtigkeit alle Wirkungen eines wirklichen Rechtes zu äufsern. Der Inhaber des Scheinpatentes befindet sich in einem ihm durch staatliche Erklärung zugeteilten und öffentlich anerkannten Besitze des Patentrechtes, der bis auf Weiteres gegen Jedermann geschützt 91

R.Ges. § 10 Abs. 1. Die Nichtigkeitsgründe decken sich mit den Einspruchsgründen. Sonstige Mängel, wie z. B. Formwidrigkeit der Anmeldung, Fehler der Beschreibung u. s. w., begründen keine Nichtigkeit. Vgl. Robolski S. 150 ff., Seligsohn S. 101 ff. 92 R.Ges. § 10 Abs. 2. Die Nichtigkeitserklärung erfolgt hier in der Form einer entsprechenden Beschränkung des Patents. Dazu gehört aber niemals die Erklärung der Abhängigkeit eines Patentes von einem anderen Patente (oben Anm. 37.), die daher im Wege der Nichtigkeitsklage nicht durchgesetzt werden kann ; R.Ger. X I I Nr. 27. Vgl. K o h l e r , Forsch. S. 109 ff, R o b o l s k i S. 154 ff. u. 171 ff, Seligsohn S. 105 ff. 93 R.Ges. § 28 Abs. 2. Vgl. Kohler, Patentr. S. 245 ff. 94 K o h l er, Patentr. S. 232 ff. 95 R.Ges. § 28 Abs. 3. Auf ältere Patente findet diese im Ges. v. 1891 neu eingeführte Verschweigung der Anfechtungsrechte nach Art. I I mit der Mafsgabe Anwendung, dafs die Nichtigkeitsklage mindestens bis zum Ablaufe von 3 Jahren seit dem 1. Okt. 1891 statthaft blieb. 9e Kohler, Patentr. S. 232 ff, Forsch. S. 105 ff, Robolski S. 172 ff, Z o l l S. 571 Anm. 59.

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wird 97. Allein wenn die Feststellung der Nichtigkeit erfolgt, wird durch sie eben nur ein falscher Schein zerstört und somit nicht ein vorhandenes Patentrecht beendigt, sondern mit rückwirkender Kraft deklarirt, dafs ein Patentrecht niemals vorhanden war 98. Die Wirkungen des Patentrechtes gelten daher als nicht eingetreten99. Nur müssen, da die Thatsache des inzwischen anerkannt gewesenen Besitzstandes nicht ungeschehen gemacht werden kann, die lediglich aus dem Besitze als solchem entsprungenen Wirkungen bestehen bleiben100. Die Nichtigkeitserklärung erfolgt in einem besonderen Verfahren beim Patentamte101. Bis zur rechtskräftigen Nichtigkeitserklärung steht zwar nicht die Gültigkeit des Patentes, wohl aber der äufsere Schein seiner Gültigkeit rechtskräftig für und wider Jedermann fest 102. Das Nichtigkeitsverfahren wird nur auf Antrag 91 Vgl. Z o l l S. 553 u. 570 ff., dem das Verdienst gebührt, den Begriff des Patentbesitzes ausführlich entwickelt und als mafsgebend für die Würdigung der Wirkungen nichtiger Patente erwiesen zu haben. 98 Darum kann auch die Nichtigkeitserklärung schon erloschener Patente erfolgen; Kohler, Patentr. S. 237, Klostermann a. a. 0. S. 333 Anm. 10, Dahn S. 556, Laband I I 237 Anm. 5, Seligsohn S. 101, R.O.H.R. XXV 110. — Die Vertheidiger der konstitutiven Natur der Patentertheilung müssen natürlich auch der Nichtigkeitserklärung konstitutive (deietorische) Kraft zuschreiben und sie somit für eine Rückwärtsvernichtung eines bestehenden Rechtes erklären ; vgl. z. B. Laband I I 237, G.Meyer I 453, Seligsohn S. 104 ff. u. bes. Schanze S. 200 (wo in Anm. 75 das Nichtigkeitsverfahren in wenig glucklicher Weise dem Wiederaufnahmeverfahren im Civil- und Strafprozefs gleichgestellt wird). 99 Insbesondere stellen sich daher frühere Eingriffe nun als Handlungen heraus, die keine Rechtsverletzungen waren und somit weder Ersatzpflichten noch Straffolgen erzeugten; R.Ger. in Str.S. VII Nr. 46, XIV Nr. 66, Seligsohn S. 245 u. 255. 100 Darum können auch Verträge des Inhabers des Scheinpatentes über entgeltliche Uebertragung von Patentrecht nicht, wie Ko h 1er, Patentrecht S 178 ff., u. Staub, Pat.Bl. 1888 S. 55 ff, wollen, einfach rückwärts rescindirt, sondern müssen für die Vergangenheit insoweit als wirksam behandelt werden, als sie eine Uebertragung von Patentbesitz zur Folge hatten ; vgl. R.O.H.G. XIX 404 ff., R.Ger. X V I I Nr. 12 S. 55 ff, XX Nr. 29, Klostermann b. Busch XXXV 84 ff, Rosent h a l S. 143 ff., Robolski S. 173 ff, Seligsohn S. 104 ff. Ebenso ist trotz der Gegenausiuhrungen von Kohl er, Patentr. S. 245 u. Forsch. S. 105 ff, die der beständigen Praxis entsprechende Nichtrückzahlung der wahrend des Patentbesitzes bezahlten Gebühren gerechtfertigt; Gareis S. 148, Rosenthal S. 171, Robolski S. 176, Seligsohn S. 104 ff. 101 R.Ges. § 28—31; K o h l e r , Patentr. S. 371 ff., Klostermann b. Endemann I I 847 ff, Robolski S. 159 ff, Seligsohn S. 207 ff. 102 Darum können auch die Gerichte im ordentlichen Prozesse die Nichtigkeit des Patentes nicht nur nicht als Gegenstand des Urtheils, sondern auch nicht als Praejudizialpunkt für das Urtheil feststellen, müssen vielmehr, wenn Nichtigkeit in Frage kommt, die Entscheidung bis çur Entscheidung im patentrechtlichen Nichtig-

§ 96. Inhalt und Umfang des Erfinderrechts.

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eingeleitet108. Zur Erhebung der Nichtigkeitsklage ist auf Grund der Entlehnung nur der Verletzte, sonst Jedermann befugt. Die Nichtigkeitsklage auf Grund des Nichtvorhandenseins einer patentfähigen Erfindung ist also eine Popularklage, bei der das allgemeine Interesse daran, dafs ein Gemeingut nicht angeeignet werde, den Nachweis eines besonderen Interesses des Klägers ersetzt 104. Nach vorausgegangener Verhandlung entscheidet die Nichtigkeitsabtheilung des Patentamtes106. Gegen die Entscheidung des Patentamtes ist die Berufung an das Reichsgericht zulässig106. § 96. I n h a l t und Umfang des Erfinderrechts. I. Ueberhaupt. In dem ursprünglichen Erfinderrecht ist, wie schon gezeigt ist, das ausschliefsliche Recht zur Verfügung über die Erfindung durch Veröffentlichung, die Befugnifs zur Benutzung der Erfindung und der Anspruch auf Achtung des durch die Erfindung erworbenen Persönlichkeitsgutes enthalten1. Dieser Inhalt wird durch die Entfaltung des Erfinderrechts zum Patentrecht theils aufgezehrt theils gesteigert. Aufgezehrt wird das Veröffentlichungsrecht, da die keitsverfahren aussetzen; R.Ger. in Str.S. I I I Nr. 95, Y I I Nr. 46; Laband I I 237; Schanze S. 200. A. M. hinsichtlich der Praejudizialfrage Kohler, Patentr. S. 239, Forsch. S. 114 ff., Seligsohn S. 99 ff. 108 R.Ges. § 28. Ueber die Erfordernisse des Antrages vgl. auch Robolski S. 161 ff, Seligsohn S. 211 ff. 104 Vgl. Gareis S. 232, Dambach S. 34, Rosenthal S. 337, Klostermann a. a. O. S. 348 Anm. 2, Seligsohn S. 207 ff. Dagegen fordert K o h l e r , Patentr. S. 215, ein besonderes Interesse. — Auch die Nichtigkeit wegen Deckung mit einem früher angemeldeten Patent, die bis zur Novelle von 1891 nach der Annahme der Praxis überhaupt nicht im Wege des patentrechtlichen Nichtigkeitsverfahrens festgestellt werden konnte (R.Ger. V I I Nr. 30, Klostermann im Pat.Bl. 1882 S. 17 ff, Robolski S. 154, Seligsohn S. 99), kann jetzt Jedermann beim Patentamte geltend machen. In der That liegt auch hier ein allgemeines Interesse vor, weil das nichtige Patent den Gebrauch der Erfindung durch eine zweite Fessel binden und vielleicht ihre Verwandlung in Gemeingut verzögern würde. Vgl. Kohler, Forsch. S. 90 ff, Robolski S. 158. 106 R.Ges. § 29—31. Die Verhandlung ist kontradiktorisch; nur wenn der Patentinhaber sich binnen Monatsfrist auf den ihm mitgetheilten Antrag des Nichtigkeitsklägers nicht erklärt, kann ohne Verhandlung entschieden werden. - Gegen Beschlüsse der Nichtigkeitsabtheilung, die nicht die Endentscheidung enthalten, ist eine Beschwerde an die Beschwerdeabtheilung zulässig; R.Ges. § 16, Robolski S. 166. 106 R.Ges. § 33. Die Berufung ist binnen 6 Wochen nach der Zustellung beim Patentamte schriftlich anzumelden und zu begründen. Das Verfahren beim Reichsgericht richtet sich nach der Ver. ν. 1. Mai 1878. 1 Vgl. oben § 94 Π Ι S. 857 ff. u. § 95 IV 1 S. 873 ff. B i n d i n g , Handfanch. Π . 3. I :

G i e r k e , Deutsche« Privatrecht

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Viertes Kapitel.

Persönlichkeitsrechte.

Veröffentlichung in bestimmter Form Voraussetzung der Patentertheilung ist 2 . Dafür wird das Benutzungsrecht zum ausschliefslichen Rechte gesteigert. Zugleich empfängt der Anspruch auf Achtung des Persönlichkeitsgutes durch besonderen staatlichen Schutz eine erhöhte Sanktion8. Das so ausgestattete Erfinderrecht wird aber nicht nur bestimmten Einschränkungen unterworfen, sondern auch mit Pflichten durchmischt. II. Das ausschliefsliche Benutzungsrecht. Das aus dem Patente fliefsende ausschliefsliche Benutzungsrecht ergreift die Erfindung sowohl im Ganzen wie in ihren Bestandteilen4. Es ist aber einerseits kraft des die Patentgesetzgebung beherrschenden Territorialitätsprinzips streng auf die Benutzung im Inlande beschränkt, so dafs, wer sich auch gegen die Benutzung im Auslande sichern will, ein ausländisches Patent hinzuerwerben mufs. Andrerseits ist wegen der gewerblichen Natur des Patentrechts dem Berechtigten nur die gewerbsmäfsige Benutzung der Erfindung vorbehalten, während ihre Benutzung für häusliche oder Studienzwecke Niemandem verwehrt ist. Mit diesen Mafsgaben erstreckt sich das Patentrecht auf Nutzungshandlungen von dreifacher Art 5 . 1. Herstellung. Der Patentinhaber ist, falls ein körperlicher Gegenstand als Gegenstand der Erfindung patentirt ist, ausschliefslich zur gewerbsmäfsigen Herstellung dieses Gegenstandes im Inlande befugt \ 2 Selbstverständlich mit der oben § 95 Anm. 6 u. 81 erwähnten Ausnahme. . 8 Davon unten § 98. Erledigt wird naturlich durch das Patentrecht da«* Recht auf das Patent; zu dem besonderen Inhalte des Patentrechtes gehört aber das Recht auf ein Zusatzpatent; oben § 95 Anm. 38—39. 4 Darum sind bei einem geschützten Gegenstande auch dessen einzelne Theile und bei einem geschlitzten Verfahren dessen einzelne Abschnitte insoweit, als sie einen für den Gesammterfolg wesentlichen Theil des Erfindungsgedankens in sich tragen, durch das Patent geschützt; vgl. Pat. Bl. 1881 S. 253, 1884 S. 225. So auch bei Kombinationspatenten; oben § 95 Anm. 34. Ebenso wird eine vom Patentinhaber nicht bewilligte Benutzung nicht durch die Einfügung eines aequivalenten Stoffes oder Mittels (oben § 95 Anm. 20) erlaubt; R.Ger. b. Seuff. XLVII Nr. 148. — Dagegen schützt ein Patent auf einen bestimmten Gegenstand nicht gegen die Herstellung solcher Gegenstände, die zwar für die Nutzbarmachung der Erfindung unentbehrlich, jedoch keine Theile des patentirten Gegenstandes sind; vgl. R.Ger. XXXII Ifr. 14 (ein Patent auf einen neuen Flaschenverschlufs schützt nicht gegen fremde Herstellung der zu dessen Anbringung geeigneten Flaschen). 6 R.Ges. § 4. Hier werden die vier Befugnisse, „herzustellen, in Verkehr zu bringen, feilzuhalten oder zu gebrauchen", koordinirt; das Feilhalten ist aber nur eine Unterart des Inverkehrbringens. β Auch die Herstellung zur Verbreitung im Auslande kann er untersagen; R.Ger. in Str.S. X Nr. 104, Κ ο hl er, Aus dem Patent- u. Industrierecht I 12 ff.

§ 96. Inhalt und Umfang des Erfinderrechts.

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2. Verbreitung. Er ist ferner ausschliefslich befugt, den Gegenstand der Erfindung im Inlande gewerbsmälsig in Verkehr zu bringen oder feil zu halten. Dieses Recht bezieht sich, wenn ein körperlicher Gegenstand patentirt ist, auf jeden irgendwie hergestellten Gegenstand solcher Art, wenn dagegen ein Verfahren patentirt ist, nur auf jeden unmittelbar durch ein derartiges Verfahren hergestellten körperlichen Gegenstand7. In beiden Fällen ergreift es auch die im Auslande hergestellten Gegenstände8. 8. Gebrauch. Der Patentinhaber ist endlich ausschliefslich befugt, den Gegenstand der Erfindung im Inlande gewerbsmäfsig zu gebrauchen. Dieses Recht umfafst jede gewerbliche Verwendung eines patentirten oder unmittelbar durch ein patentirtes Verfahren hergestellten körperlichen Gegenstandes und jede gewerbliche Anwendung eines patentirten Verfahrens. Hinsichtlich des Gebrauches körperlicher Gegenstände macht dabei das geltende deutsche Recht zwischen Arbeitsmitteln und Arbeitserzeugnissen keinen Unterschied9. III. Einschränkungen. Jedes Patentrecht findet seine Schranke an entgegenstehenden Rechten Anderer. Das Benutzungsrecht des Patentinhabers kann insoweit nicht ausgeübt werden, als ihm ein fremdes Untersagungsrecht entgegensteht. Insbesondere ist, falls an dem Gegenstande der Erfindung ein dem Dagegen ist die Herstellung im Auslande erlaubt, wenn auch die Einführung ins Inland, aber nur zu privatem Gebrauche, erfolgen soll -, R.Ger. a. a. 0. 7 Vgl oben § 95 S. 866 Anm. 28. 8 R.Ger. X I I I Nr. 117, X X I I Nr. 3. — Ein Inverkehrbringen im Inlande liegt auch in der Ausfuhr ins Ausland; Klostermann, Komm. S. 156, Gare is S. 97, Rosenthal S. 124, Seligsohn S. 56, R.Ger. in Str.S. X Nr. 104, X X I Nr. 76; a. M. K ob 1er, Patentr. S. 111. Desgleichen in der durch gewerbliche Veräufserungsgeschäfte veranlafsten Durchfuhr; Klostermann a. a. 0., Gare is S. 98, Rosenthal a. a. G., Seligsohn a. a. 0., R.Ger. in Str.S. X X I Nr. 76; a. M. Köhler a. a. 0., sowie Aus dem Patent- u. Industrierecht I 16, Dambach S. 23, Laband I I 234 Anm. 7, R o b o l s k i S. 214. — Dagegen ist der Vertrieb der im Auslande durch ein in Deutschland patentirtes Verfahren hergestellten Erzeugnisse im Auslande auch dem Inländer gestattet, somit auch ein in Deutschland darüber geschlossener Vertrag zulässig; R.Ger. XXX Nr. 16. 9 Inders das Ges. v. 1877 § 4 Abs. 2, das dem Patentinhaber nur den Gebrauch patentirter Arbeitsmittel, diesen aber ohne ausdrückliche Einschränkung auf den gewerblichen Gebrauch vorbehielt. Ob der nicht gewerbliche Gebrauch trotzdem gemeinfrei sei, war bestritten; dafür Klostermann a. a. 0. S. 143 ff., Kohler, Patentr. S. 106 ff, Laband I I 234 Anm. 5, Robolski S. 208; dawider Dambach S. 19, Gareis S. 89, Rosenthal S. 111 ff. Jetzt ist ausdrücklich nur der gewerbliche Gebrauch, dieser aber auch bei Gebrauchsgegenständen (z. B. Flaschenverschlüssen, Speisegeräthen, Automaten u. s. w.) ohne Einwilligung des Patentinhabers untersagt. 36 *

Viertes Kapitel.

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Persönlichkeitsrechte.

Patentrechte vorgehendes ausschliefsliches Benutzungsrecht eines Anderen, wie z. B. ein älteres Patentrecht oder ein Gebrauchsmusterrecht, besteht, jede in dieses fremde Benutzungsrecht eingreifende Nutzungshandlung an die Bewilligung des Anderen gebunden10. Das aus der Ausschliefslichkeit des Benutzungsrechtes folgende Unter sag ungerecht fällt insoweit weg, als einem Anderen ein eignes Benutzungsrecht an der Erfindung zusteht. In dieser Richtung zieht das Gesetz selbst dem Patentrechte eine dreifache Schranke. 1. Es gewährt dem Vor benutz er, der zurZeit der Anmeldung des Patentes bereits im Inlande dieselbe Erfindung in Benutzung genommen oder die zur Benutzung erforderlichen Veranstaltungen getroffen hatte, ein dem Patent gegenüber wirksames eignes Benutzungsrecht11. Vorausgesetzt wird hierbei ein Nutzungsbesitz, der aus einer anderen als der angemeldeten Erfindungsthat stammt12. Dagegen kommt das Verhältnifs dieses Erfindungsbesitzes zu dem fremden Erfinderrechte dem Patentrechte gegenüber nicht in Betracht18. Das Benutzungsrecht des Vorbesitzers besteht nicht blos in dem Umfange des früheren Besitzstandes, sondern reicht so weit, wie sich die Möglichkeit der Fortentwicklung des einmal begründeten Nutzungs10

So beim Abhängigkeitspatente; vgl. oben § 95 S. 868 Anm. 36-37 mit S. 866 Anm. 27. Den Fall der Kollision zwischen Patent und Gebrauchsmuster regelt § 5 des R.Ges. v. 1. Juni 1891; vgl. oben § 93 S. 845 Anm. 26. Unbedingt geht dem Patentrechte ein staatliches Monopolrecht vor. 11 R.Ges. § 5 Abs. 1, dazu oben § 95 S. 871 Anm. 52 u. S. 873 Anm. 68. Die Benutzung braucht keineswegs eine offenkundige gewesen zu sein. Ebensowenig eine gewerbliche; R.Ger. in Str.S. V Nr. 124. Hinsichtlich der Zeit der Anmeldung gilt auch hier das oben § 95 S. 875 Gesagte; abweichend R.Ger. in Str.S. V I I Nr. 127. Ueber das Mafs der „erforderlichen Veranstaltungen" vgl. R.Ger. X Nr. 25, XXX Nr. 20, Str.S. XVI Nr. 126. — Vgl. über das Recht des Vorbenutzers überhaupt insbes. K o h l e r , Patentr. S. 92 ff. u. 137 ff., AlexanderKatz im Pat.Bl. 1879 S. 368 ff., Robolski S. 221 ff., Seligsohn S. 65 ff; dazu Pouillet Nr. 428, Z o l l S. 562 ff 18 Es mufs also der Fall einer Doppelerfindung vorliegen; R.Ger. XXVI Nr. 14, Robolski S. 233 ff. Der Patentirte selbst oder sein Rechtsnachfolger kann sich einem späteren Patentinhaber gegenüber niemals auf § 5 Abs. 1 berufen; R.Ger. im Pat. Bl. 1882 S. 101 u. 1885 S. 177. Ebensowenig, wer seinen Erfindungsbesitz kraft seiner dienstlichen Stellung oder kraft heimlicher Entlehnung aus der Erfindung des Patentinhabers geschöpft hatte; R.Ger. im Pat.Bl. 1885 S. 177, Kohler, Jahrb. f. D. XVUI 246, Robolski S. 224, Seligsohn S. 66; a. M. A l e x a n d e r - K a t z S. 369, Gareis S. 102. 18 Ob der Vorbenutzer die Erfindung geschaffen oder rechtmäfsig erworben oder ob er sie sich rechtswidrig angeeignet hat, geht den Patentinhaber nichts an; seine Berufung auf unredlichen Besitz des Gegners wäre ein Einwand aus dem Rechte eines Dritten; richtig Robolski S. 224.

§ 96. Inhalt und Umfang des Erfinderrechts.

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besitzes für die Bedürfnisse des eignen Betriebes erstreckt 14. Es kann nur im Ganzen und zusammen mit dem Betriebe vererbt und veräufsert werden15. Konkurrirende Benutzungsrechte Anderer lassen eich daher aus ihm nicht ableiten. Innerhalb dieser Grenzen aber ist es ein selbständiges erfinderrechtliches Benutzungsrecht, das mit dem vollen Inhalte des Patentrechtes ausgestattet ist und sich von diesem nur durch den Mangel der Ausschliefslichkeit unterscheidet16. 2. Das Gesetz ermächtigt ferner das Reich und jeden deutschen Einzelstaat, im Wege der Zwangsenteignung sich oder Anderen ein für das Heer oder die Flotte oder sonst im Interesse der öffentlichen Wohlfahrt erforderliches Benutzungsrecht an der Erfindung zu verschaffen. Ueber das Dasein des Enteignungsfalles entscheidet ausschliefslich und endgültig der Reichskanzler. Die Höhe der Vergütung, die dem Patentinhaber vom Reiche oder dem in seinem besonderen Interesse die Enteignung betreibenden Einzelstaate zu zahlen ist, wird mangels einer Verständigung im Rechtswege festgesetzt. Das Patentrecht als Ganzes kann nicht enteignet werden. Vielmehr ist immer nur die Begründung eines Benutzungsrechtes zulässig, das dem Untersagungsrechte des Patentinhabers Schranken setzt, selbst aber mit einem Untersagungsrechte nicht verbunden ist 17 . 3. Endlich sind Einrichtungen an Fahrzeugen, die nur vorübergehend in das Inland gelangen, der Wirkung des Patentes entzogen18. IV. Pflichten. Das Patentrecht ist mit Pflichten durchmischt, 14

Das Ges. v. 1891 hat die schon vorher in diesem Sinne geübte Praxis (vgl. R.Ger. V I I Nr. 19, Str.S. VI Nr. 39, A l e x a n d e r - K a t z S. 370, Robolski S. 225), gegen die sich Klostermann, Komm. S. 153, u. Kohl er, Patentr. S. 137 ff., erklärten, ausdrücklich bestätigt; vgl. Seligsohn S. 66 ff. 15 R.Ges. § 5 Abs. 1. Bisher war, da das Ges. v. 1877 schwieg, über die Uebertragbarkeit viel Streit; für dieselbe z. B. Dambach S. 22, Κ ο hl er, Patentr. S. 139, Robolski S. 226, gegen dieselbe Gareis S. 104, Klostermann S. 158. 10 So mit Recht das R.Ger. X X V I Nr. 14, auch schon Str.S. V Nr. 124, V I Nr. 6 u. 39. Der Benutzungsberechtigte kann also den Gegenstand der Erfindung herstellen, in Verkehr bringen und gebrauchen, und die von ihm veräufserten körperlichen Gegenstände sind insoweit, als sie in seine Erfinderrechtssphäre fallen, auch in der Hand dritter Personen von der Wirkung des Patentes befreit. Dagegen ist mit diesem Benutzungsrechte keinerlei Untersagungsrecht gegen dritte Benutzer verbunden. — Z o l l a. a. 0. will dieses Recht als eine Dienstbarkeit an dem Patentobjekte konstruiren; allein der Gegenstand ist nicht dasselbe, sondern ein anderes Geisteserzeugnifs. Laband I I 235 Anm. 4 bestreitet das Dasein eines subjektiven Rechtes überhaupt. 17 R.Ges. § 5 Abs. 2. Robolski S. 227. Nicht ganz zutreffend Seligsohn S. 70 ff. — Ein volles Expropriationsrecht gilt nach Schweiz. Ges. Art. 13. 18 R.Ges. § 5 Abs. 8.

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Persönlichkeitsrechte.

deren Erfüllung jedoch nicht unmittelbar erzwingbar ist, sondern nur mittelbar durch Androhung des Rechtsverlustes gesichert wird. 1. Gebührenpflicht. Für jedes Patent ist vor der Ertheilung eine erste Jahresgebühr von dreifsig Mark und sodann für jedes folgende Jahr eine weitere Jahresgebühr zu entrichten, die für das zweite Jahr fünfzig Mark beträgt und weiterhin jedes Jahr um fünfzig Mark wächst. Zusatzpatente sind von der Jahresgebühr mit Ausnahme der Ertheilungsgebühr befreit lö. Die weiteren Jahresgebühren werden mit Beginn des Patentjahres fällig und sind binnen sechs Wochen nach der Fälligkeit zu entrichten; nach Ablauf der Frist kann die Zahlung noch sechs Wochen lang unter Zuschlag einer Gebühr von zehn Mark nachgeholt werden. Einem bedürftigen Patentinhaber können die erste und zweite Jahresgebühr bis zum dritten Jahre gestundet und, wenn das Patent im dritten Jahre erlischt, erlassen werden. Die verfrühte Zahlung der Gebühren ist zulässig ; für den Fall der Nichtigkeitserklärung oder vorzeitigen Beendigung des Patents erfolgt die Rückzahlung der nicht fällig gewordenen Gebühren. Durch Beschlufs des Bundesraths kann eine Herabsetzung der Gebühren angeordnet werden. Sind die Gebühren nicht rechtzeitig bei der Kasse des Patentamtes oder zur Ueberweisung an dieselbe bei einer Postanstalt im Reichsgebiete eingezahlt, so erlischt das Patent20. 2. Ausfühiungspficht. Der Patentinhaber ist verpflichtet, im Inlande die Erfindung in angemessenem Umfange zur Ausführung zu bringen. Er soll die Erfindung, an der ihm ein ausschliefsliches Ausbeutungsrecht eingeräumt ist, nicht brach liegen lassen, damit nicht das in ihr enthaltene wirthschaftliche Gut zum Schaden der Allgemeinheit ungenützt bleibe. Er soll aber auch sein Recht, das den inländischen Verkehr beschränkt, nicht dergestalt ausüben, dafs 19 Wird das Zusatzpatent selbständig (oben § 95 Anm. 38). so bestimmt sich zwar der Fälligkeitstag der Gebühren auch fernerhin nach dem Anfangstage des Hauptpatents, dagegen ihr Jahresbetrag nach dem Anfangstage des Zusatzpatents. 20 R.Ges. § 8—9. — Ueber die Natur der Jahresgebühren vgl. Köhler, Patentr. S. 141 ff., Robolski S. 137 ff. u. Seligsohn S. 89, die in ihnen Ertragssteuern sehen. Von anderen Steuern unterscheiden sie sich jedenfalls dadurch, dafs hier von der Leistung einer öffentlichen Abgabe der Fortbestand eines Privatrechtes abhängt. — Eine ganz andere Natur haben die echten Gebühren, die für die Kosten des Verfahrens bei der Anmeldung des Patents (oben § 95 Anm. 70), der Einlegung der Beschwerde (zwanzig Mark nach R.Ges. § 26) und dem Antrage auf Nichtigkeitserklärung oder Zurücknahme (fünfzig Mark nach R.Ges. § 28 Abs. 4) einzuzahlen sind, widrigenfalls die Anmeldung nicht als gehörig erfolgt, die Beschwerde überhaupt nicht als eingelegt und der Antrag überhaupt nicht als gestellt gilt.

§ 9.

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des Erfinderrechts.

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davon ausschliefslich oder überwiegend der ausländische Gewerbfleifs Vortheil zöge. Wenn er es schuldhafter Weise unterläist, die Ausführungspflicht zu erfüllen oder doch Alles zu thun, was zur Sicherung der Ausführung erforderlich ist, so verwirkt er sein Patent. Dasselbe kann daher zurückgenommen werden. Doch ist die Zurücknahme erst nach Ablauf von drei Jahren seit der Bekanntmachung der Patentertheilung zulässig21. 3. Lizenzpflicht. Der Patentinhaber ist endlich verpflichtet, die Erlaubnifs zur Benutzung der Erfindung gegen angemessene Vergütung und genügende Sicherstellung insoweit an Andere zu ertheilen, als dies im öffentlichen Interesse geboten erscheint. Durch die Verweigerung der Lizenz verwirkt er gleichfalls sein Recht. Darum kann auch in diesem Falle das Patent nach Ablauf von drei Jahren zurückgenommen werden22. § 97.

Uebertragung des Erfinderrechts.

I. Ueberhaupt. Gleich dem Urheberrechte kann das Erfinderrecht aus der Persönlichkeitssphäre, in der es entsprungen ist, mit seiner Wurzel nicht herausgerissen werden1. Allein der Aus21

R.Ges. § 11. Dazu Kohler, Patentr. S. 132 ff., 206 ff., R o b o l s k i S. 183 ff., Seligsohn S. 107 ff. Die Ausführungspflicht bezieht sich nur auf das Wesentliche der Erfindung; Pat.Bl. 1884 S. 321 ff. Eine gehörige Sicherung der Ausfuhrung kann im Abschlüsse von Lizenzverträgen liegen; Pat.Bl. 1881 S. 167 ff. Der Ausführungspflicht wird weder durch Ausübung des Patentrechtes im Auslande noch durch Einfuhr aus dem Auslande genügt; Pat.Bl. 1884 S. 321 ff, 1887 S. 169, 1889 S. 25, R.Ger. b. Seuff. XL VI Nr. 215. In den Verträgen mit Oesterreich, Italien u. der Schweiz ist jedoch in beiderlei Hinsicht die volle gegenseitige Gleichstellung des fremden Staatsgebietes mit dem Inlande vereinbart (Art. 5). Ueber die Zurücknahme vgl. unten § 99 S. 896. — Die Ausführungspflicht ist auch den fremden Patentgesetzen bekannt; unter der Herrschaft des Anmeldesystems knüpft sich an ihre Nichterfüllung unmittelbar das Erlöschen des Patents; vgl. Schweiz. Ges. Art 9 Z. 3, Oesterr. Ges. § 39 Z. 2a u. Beck-Mannagetta S. 156 ff. u. 429 ff. — Das Französ. Ges. Art. 33 verbietet überdies dem Patentinhaber bei Verlust seines Rechtes jede Einfuhr des patentirten Gegenstandes aus dem Auslande. Nach dem Schweiz. Ges. Art. 9 Z. 4 verwirkt er das Patent durch Einfuhr aus dem Auslande dann, wenn er gleichzeitig billige schweizerische Lizenzbegehren abgelehnt hat. 28 R.Ges. §11 Z. 2; Kohler, Patentr. S. 133 ff, 212 ff, Robolski S. 188 ff; über die Zurücknahme unten § 99 S. 896. — Fremde Gesetze kennen zum Theil einen stärkeren Lizenzzwang; vgl. über das engl. R. K o h l e r b. Schönberg S. 794 u. Robolski im Handwörterb. VI 135. Das Schweiz. Ges. Art. 12 statuirt neben der schon erwähnten Lizenzpflicht im Falle des Art. 9 Z. 4 (oben Anm. 21) eine gegenseitige Lizenzpflicht zwischen den Inhabern von Haupt· und Abhängigkeitspatenten. 1 Ein Erk. des Obst. Gerichtsh. zu Wien v. 21. Nov. 1866 b. Glaser Nr. 3225 nimmt freilich an, dafs die Ehre der Erfindung gegen Entgelt abgetreten werden

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Viertes Kapitel.

Persönlichkeitsrechte.

Übung nach ist schon das ursprüngliche Erfinderrecht übertragbar 2. Uebertragbar ist daher vor Allem auch das aus dem Erfinderrechte fiiefsende Recht auf ein Patent8. Ist vollends das Erfinderrecht zum Patentrechte entfaltet, so unterliegt es kraft seiner gewerblichen Ausgestaltung allen Schicksalen der Vermögensrechte4. II. Veräufserung. Das Erfinderrecht kann unbeschränkt oder beschränkt veräufsert werden. Da hierbei das aus dem Persönlichkeitsrechte entsprungene absolute Recht an einer unkörperlichen Sache in Frage steht, tragen die Veräufserungsgeschäfte ein saehenrechtliches Gepräge5. 1. Translative Veräufserung. Eine Veräufserung des Vollrechtes an der Erfindung ist in jedem Stadium des Erfinderrechtes möglich. Sie liegt auch in der Vergemeinschaftung oder Entgemeinschaft des Erfinderrechts e. Ausgeschlossen ist nur wegen der Untheilbarkeit des Gegenstandes jede Substanztheilung7. Die Veräufserung kann entgeltlich oder unentgeltlich erfolgen, das Veräufserungsgeschäft sich als Kauf, Tausch, Schenkung u. s. w. darstellen8. Der Uebergang des Rechtes vollzieht sich bis zur Patentertheilung durch den Vertragsschlufs ; nach der Patentertheilung tritt zwar mit dem Vertragsschlusse der. Uebergang des Rechtes im Verhältnisse der Vertragschliefsenden zu einander, allein erst mit der Eintragung der Subjektkönne; vgl. Z o l l S. 567 Anm. 57. Allein diese Ehre ist Ausflufs der schlechthin unübertragbaren Eigenschaft als Erfinder. 2 Vgl. oben § 95 Anm. 45—46 u. § 96 Anm. 15; Beck-Mannagetta S. 201. 8 R.Ges. § 6. Dafs der öffentlichrechtliche „Anspruch auf Ertheilung des Patentes", der durch die Anmeldung nicht erst (wie Seligsohn S. 72 meint) erzeugt, sondern nur geltend gemacht wird (Schanze S. 196), rechtsgeschäftlicher Verfügung unterliegt, ist die Folge seiner Zugehörigkeit zu einem Privatrechte; vgl. J e l l i n e k , System der subj. öff. R. S. 328 Anm. 1. 4 R.Ges. § 6; R.Ger. X X X I Nr. 11 S. 57. 6 Vgl. bes. R.Ger. X X X I Nr. 67 („eine Herrschaft sachenrechtlicher Art über das geistige Produkt der Erfindung"), sowie Nr. 11 (Anwendung der preufsischrechtlichen Regeln über das Recht zur Sache). β K o h l e r , Patentr. S. 151 ff. 7 Eine Auseinandersetzung unter Gemeinern mufs daher durch Nutztheilung oder Veräufserung geschehen; Ko hl er S. 153 ff. 8 Unrichtig ist die Meinung Klostermanns, Komm. S. 159 ff. u. b. Endemann H 328 ff, es liege „Cession" vor. Vgl. für die Natur der entgeltlichen Uebertragung als Verkauf R.Ger. im J.M.B1. von 1887 S. 53, bei Gruchot XXXV 962, C.S. X X V I I I 253 u. X X X I 299. — Ueber die Gewährleistungspflicht vgl. Z. f. H.R. XXV 252, R.Ger. XX Nr. 18, Seuff. XLI. Nr. 216, Rosenthal S. 142 ff, Seligsohn S. 73 ff.

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des Erfinderrechts.

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Veränderung in die Patentrolle die Wirksamkeit des Rechtsüberganges Dritten gegenüber ein9. 2. Konstitutive Veräufserung. Durch Veräufserung eines Theilrechtes an der Erfindung können mannichfache aus dem Erfinderrechte abgeleitete Rechte begründet werden. Diese Rechte können absolut oder relativ sein. a. Absolute Rechte lassen sich bereits von dem ursprünglichen Erfinderrechte im Bereiche seiner absoluten Wirkungen abspalten10, werden aber vorzugsweise erst aus dem Patentrechte geschöpft. Der Patentinhaber kann an der ihm gebührenden ausschliefslichen Nutzung der Erfindung einen Niefsbrauch oder ein Pfandrecht einräumen11. Er kann aber auch durch Uebertragung eines ausschliefslichen Benutzungsrechtes an der Erfindung in bestimmten örtlichen oder zeitlichen Grenzen oder in bestimmter sachlicher Beschränkung eigenthümliche erfinderrechtliche Nutzungsrechte mit Wirkung gegen Jedermann begründen12. 9 R.Ges. § 19 Abs. 2; R.Ger. X X X I 56. Die Eintragung spielt eine ähnliche Rolle, wie bei körperlichen beweglichen Sachen die Besitzübertragung; vgl. Z o l l S. 578 Anm. 73. In Ermangelung eines rechtsgültigen Titels überträgt sie kein Hecht, schafft aber eine bis zum Gegenbeweise wirksame Legitimation, die auch dritten gutgläubigen Erwerbern, die ihr vertraut haben, zu Gute kommen mufs. So im Wesentlichen übereinstimmend K ö h l e r , Patentr. S. 185 ff. 488, Klostermann, Komm. S. 159 ff., Rosenthal S. 236 ff. Eine beschränktere Wirkung legt André im Pat.Bl. 1879 S. 354 ff. der Eintragung bei. Robolski S. 130ff, Seligsohn S. 142 u. das R.Ger. in St. S. X I 266 ff. schreiben ihr lediglich die Bedeutung einer Legitimation gegenüber dem Patentamte zu. Da m bach zu § 6 Nr. 4 sieht in ihr nur einen nachrichtlichen Vermerk. — Gleiche Wirkung legt das R.Ges. § 19 Abs. 2 der Eintragung einer Veränderung in der Person eines angemeldeten Vertreters bei. Diese beiden Verhältnisse sind die einzigen, bei denen die Eintragung in die Rolle eine privatrechtliche Wirkung hat. — Ueber die Registrirung der Privilegiumsübertragungen nach österr. R. vgl. Oesterr. Ges. § 36—37 u. dazu Beck-Mannagetta S. 202 ff, Z o l l S. 577 ff. 10 Schon das ursprüngliche Veröffentlichungsrecht kann für sich ganz oder theilweise übertragen, das Recht auf das Patent kann verpfändet werden u. s. w. 11 Vgl. über Niefsbrauch Kohl er, Patentr. S. 155 ff, über Pfandrecht ib. S. 166 ff. Auch ein gesellschaftliches Nutzungsrecht an einem von einem Gesellschafter quoad usum eingebrachten Patente ist möglich, ib. S. 156 ff. — Dafs in solchen Fällen die Eintragung in die Patentrolle erforderlich sei, läfst sich nicht mit Kohler S. 190 behaupten; vgl. Robolski S. 135, Seligsohn S. 139. 12 Klostermann b. Endemann I I 328 ff, Robolski S. 230 ff., Seligsohn S. 74 ff. ; R.Ger. X X X I Nr. 67 S. 300 ff. Das übertragene ausschliefsliche Benutzungsrecht wirkt in seinem Bereiche auch gegen den Patentinhaber selbst und die von ihm etwa nachträglich an Andere gegebenen Lizenzen. Es ist im Zweifel vererblich und veräufserlich. — Einer Eintragung in die Patentrolle be-

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Viertes Kapitel.

Persönlichkeitsrechte.

b. Relative Rechte entstehen dmch Uebertragung erfinderrechtlicher Befugnisse ohne Mitübertragung eines gegen Jedermann wirksamen Untersagungsrechtes. Hinsichtlich der Benutzung der Erfindung sind aus dem ursprünglichen Erfinderrechte, da in diesem ein Untersagungsrecht gegen iremde Benutzung nicht enthalten ist, überhaupt nur relative Rechte ableitbar18. Aus dem Patentrechte abgeleitete relative Nutzungsrechte werden durch Lizenzertheilungen begründet14. Der Lizenzvertrag hat nicht einen blos obligationenrechtlichen Inhalt15. Er bewirkt vielmehr zugleich einen Uebergang von Erfinderrecht auf den Lizenzträger 16. Darum besteht das gehörig begründete Lizenzrecht auch gegenüber jedem späteren Patentinhaber, der das Patentrecht nur insoweit erwerben konnte, als es nicht schon auf Andere übertragen war 17 . Das Lizenzrecht entbehrt jedoch der darf es nicht; Klostermann a. a. 0. S. 329 Anm. 3, Robolski S. 135; a. M. Rosenthal S. 236. 13 Vgl. oben § 95IV 1 b S. 873. Solche aus einem nicht patentirten Erfinderrechte abgeleiteten Nutzungsrechte bleiben, wenn die Erfindung patentirt wird, dem Patentrechte gegenüber nach Mafsgabe ihres Rechtstitels in Kraft. Stammen sie dagegen aus einer anderen als der patentirten Erfindung, so verfestigen sie sich dem Patentrechte gegenüber nach Mafsgabe eines vor dessen Anmeldung begründeten Nutzungsbesitzes zu selbständigen relativen Nutzungsrechten mit beschränkter Uebertragbarkeit (oben § 96 I I I 1), während sie insoweit, als sie noch nicht in Besitz genommen waren, erlöschen. 14 Die Lizenzerteilung kann entgeltlich oder unentgeltlich erfolgen; die Vergütung kann in einer einmaligen oder periodischen Zahlung bestehen; besonders häufig besteht sie in einer festen Lizenzgebühr, die fur jedes mil dem patentirten Arbeitsmittel oder dem patentirten Verfahren hergestellte Stück oder für jedes verkaufte patentirte Erzeugnifs zu zahlen ist. — Der Lizenzvertrag ist ein eigenthümlicher Vertrag, der weder nach Analogie der Servitutenbestellung (so K o h l e r , Patentr. S. 157 ff.) noch nach Analogie des Pachtvertrages (so Seligsohn S. 77 ff.) behandelt werden darf. Solche Analogien werden schon durch die Unerschöpflichkeit der Erfindung, an der beliebig viele Lizenzen ertheilt werden können, ausgeschlossen. Aus dem Wesen der Erfindung folgt, dafs der Lizenzertheiler im Zweifel dem Lizenzträger zwar für das Dasein, nicht aber für die gewerbliche Verwerthbarkeit der patentirten Erfindung haftet, der Lizenzträger vielmehr das Risiko der praktischen Brauchbarkeit übernimmt; R.Ger. b. Seuff. XLIX Nr. 190.— Ueber Lizenzverträge auf Grund nichtiger Patente vgl. oben § 95 Anm. 100. 15 Die herrschende Meinung konstruirt die Lizenzertheilung als einen blofsen Verzicht auf das Untersagungsrecht und legt ihr daher nur obligationenrechtiiche Wirkung bei; vgl. Klostermann b. Endemann I I 329, Robolski S. 232 ff, R.O.H.G. XIV 403 ff, R.Ger. X V I I Nr. 12, X X X I Nr. 11 S. 301, Seuff. X L I I Nr. 246. 16 So bes. Kohler, Patentr. S. 159 ff, Seligsohn S. 77 ff, Bolze b. Gruchot XXXVIII 75 ff - u. XXXIX 1 ff. 17 Hierdurch wird indefs das Lizenzrecht noch nicht, wie Kohler, Seligsohn u. Bolze annehmen, zu einem „absoluten" Rechte. Die Wirkung der erfolgten Veräufserung wider den Rechtsnachfolger des Veräufserers besteht auch bei relativen Rechten.

§ 9.

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Wirksamkeit gegen Dritte ; es ist mit keinerlei Untersagungsrecht gegen Benutzung der Erfindung durch Andere verknüpft 18. Der Umfang des Lizenzrechtesrichtetsich nach dem Vertrage ; das Lizenzrecht kann örtlich oder zeitlich begrenzt oder auf eine bestimmte Art der Erfindungsbenutzung beschränkt sein19. In vielen Fällen ist eine stillschweigende Linzenzertheilung anzunehmen; insbesondere liegt regelmäfsig in dem Verkaufe eines patentirten Gegenstandes die Gestattung sowohl des Gebrauches wie der Inverkehrsetzung20. Das Lizenzrecht ist mangels anderer Abrede vererblich und veräufserlich 21. Lizenzrechte können nicht nur vom Patentinhaber selbst, sondern auch von jedem Träger eines abgeleiteten absoluten Rechts im Bereiche seines Nutzungsrechtes und von jedem Lizenzträger nach Mafsgabe der ihm ausdrücklich oder stillschweigend ertheilten Ermächtigung begründet werden22. III. Vererbung. Das Erfinderrecht ist in jedem Stadium seiner Entwicklung vererblich; es geht auf die Erben über und kann durch Verfügung von Todeswegen ganz oder theilweise auf Andere übertragen werden23. Die beim litterarischen und künstlerischen Ur18 Auch wenn der Lizenzertheiler dem Lizenzträger vertragsmäfsig verpflichtet ist, weitere Lizenzen nicht oder nur beschränkt zu ertheilen, kann der Lizenzträger vertragswidrig ertheilte Lizenzen nicht anfechten, sondern nur seinen Vertragsanspruch gegen den Lizenzertheiler geltend machen. Ebenso verhält es sich, wenn der Lizenzertheiler einer von ihm übernommenen Pflicht zur Verfolgung von Patentverletzungen nicht nachkommt. 19 Die Lizenz kann die Herstellung, das In verkehrsetzen oder den Gebrauch betreffen; in der Gestattung der Herstellung wird aber regelmäfsig auch die Gestattung der beiden anderen Benutzungsarten enthalten sein. 20 Kohler, Patentr. S. 160 ff., R o b o l s k i S. 284, Seligsohn S. 76 ff. Dagegen entsteht an einer dem Berechtigten abhanden gekommenen Sache auch beim gutgläubigen Erwerber, selbst wenn er das Eigenthum erlangt, kein dem Patentrechte widerstreitendes Recht. 21 Kohler a. a. O. S. 158 ff, Robolski S. 233, Seligsohn S. 75 ff.; a. M. Klostermann, Komm. S. 163 u. b. Busch XXXV 85. Meist wird jedoch die Lizenz an ein bestimmtes Etablissement geknüpft und ist dann nur mit diesem übertragbar. — Ueber Verpfändung von Lizenzen Ko h 1er 8. 163 ff. 22 Ueber Lizenzerteilungen von Lizenzträgern vgl. Kohler a. a. 0. S. 165 ff. Stillschweigende Ermächtigungen zu weiteren Lizenzertheilungen sind z. B. in den Lizenzen zum Verkaufe hinsichtlich des Gebrauches und des Weiterverkaufes enthalten. 28 R.Ges. § 6. Neben dem „Recht aus dem Patent" wird hier ausdrücklich nur der „Anspruch auf Ertheilung des Patents" (vgl. oben Anm. 3) genannt; zweifellos gilt jedoch Gleiches für das ursprüngliche Erfinderrecht in allen seinen Lebensäufserungen. — Auch die aus dem Erfinderrecht abgeleiteten Rechte sind im Zweifel vererblich ; vgl. oben Anm. 21. — Ueber die gesetzliche Einschränkung der Vererblichkeit des erfinderrechtlichen Vorbenutzungsrechtes vgl. oben § 96 Anm. 15.

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Viertes Kapitel.

Persönlichkeitsrechte.

heberrecht angeordnete Ausschliefsung desfiskalischen Heimfallsrechtes ist auf das Erfinderrecht nicht zu erstrecken24. IV. Ungewollter Uebergang. Dem ungewollten Uebergange unter Lebenden ist das Erfinderrecht nur unterworfen, wenn und insoweit es zum Vermögensrechte entfaltet ist. Während es daher nach seiner Erhebung zum Patentrechte in jeder Hinsicht den das Vermögen seines Subjektes treffenden Rechtsschicksalen folgt 25 und dem Zugriffe der Gläubiger offen steht26, kann vor diesem Zeitpunkte dem Erfinder oder seinem Rechtsnachfolger die Entscheidung über das Ob und Wie der Veröffentlichung der Erfindung nicht ohne seinen Willen entwunden werden27. Denn in diesem seinem ursprünglichen Kerne ist das Erfinderrecht kein Vermögensbestandtheil, sondern ein Bestandtheil der Persönlichkeitssphäre: Niemand kann den Erfinder hindern, seine Erfindung geheim zu halten oder auch zum Gemeingut zu machen, Niemand ihn zwingen, für sie ein Patent zu erwerben. Selbst nach erfolgter Anmeldung bleibt das Recht auf das Patent so lange der ungewollten Uebertragung auf Andere entzogen, bis durch die Bekanntmachung der Anmeldung der Entschlufs des Berechtigten, das Erfinderrecht in ein Vermögensrecht überzuführen, für wie wider Dritte wirksam geworden ist 28 . § 98. Schutz des Erfinderrechts. I. Ueberhaupt. Das Erfinderrecht geniefst als absolutes Privatrecht des allgemeinen Privatrechtsschutzes gegen Jedermann. Mithin kann im Wege einer civilrechtlichen Klage die Anerkennung seines Bestandes, die Beseitigung und künftige Unterlassung von Störungen und im Falle schuldhafter Verletzung auch die Wiederherstellung oder Ersatzleistung durchgesetzt werden. Dem ursprüng" Seligsohn S. 72 ff. A. M. Kohler S. 183 ff, Gareis S. 117 ff. 25 Das Patentrecht fällt daher z. B. in die eheliche Gütergemeinschaft und unterliegt der vormundschaftlichen Verfügungsmacht über das Vermögen. 28 Das Patentrecht unterliegt der Pfändung und der gerichtlichen Zwangsveräufserung und ist Bestandtheil der Konkursmasse; R.G.II.G. X X I I Nr. 78; R.Ger. in Str. S. VII Nr. 121; Kohler S. 168 ff; B e k k e r , Pand. I 83; Wach, Civilproz. 1420ff. ; Robolski, Theorie S. 231 ff; Seligsohn S. 80 ff: Schanze a. a. O. S. 197; Beck-Mannagetta S. 209 ff. 27 A. M. Beck-Mannagetta a. a. 0., der schon die fertig gestellte Erfindung der Zwangsvollstreckung unterwirft. 28 A. M. Kohler S. 79 u. Seligsohn a. a. 0., die bereits durch die Anmeldung ein pfändbares Vermögensrecht entstehen lassen. Vgl. aber Bekker u. Schanze a. a. 0.

§ 9.

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des Erfinderrechts.

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liehen Erfinderrechte steht lediglich der allgemeine Privatrechtsschutz, dieser aber, soweit es eben überhaupt wirksam ist, unverkürzt zur Seite1. Dem zum Patentrechte entwickelten Erfinderrechte wird überdies ein besonderer privatrechtlicher und strafrechtlicher Schutz gegen gewisse Eingriffe gewährt. Doch gebührt auch ihm vor und neben diesem besonderen Schutze der allgemeine Privatrechtsschutz2. Nur innerhalb des von ihm geordneten Bereiches zehrt der besondere Schutz den hierdurch theilweise verkürzten allgemeinen Schutz auf 8. II. Besondere Patentverletzungen. Als Patentverletzungen sind durch besondere gesetzliche Bestimmung alle Handlungen verboten, die einen rechtswidrigen Eingriff in ein fremdes ausschliefsliches Benutzungsrecht an einer Erfindung enthalten. Eine Patentverletzung begeht daher, wer unbefugt den Gegenstand einer patentirten Erfindung gewerbsmäfsig herstellt, in Verkehr bringt, feil hält oder gebraucht4. Die Patentverletzung wird dadurch nicht ausgeschlossen, dafs nur ein wesentlicher Theil der fremden Erfindung in Benutzung genommen ist6. Verletzter kann nicht nur der Patentinhaber, sondern auch jeder Träger eines aus dem Patentrechte abgeleiteten ausschliefslichen Benutzungsrechtes, nicht dagegen ein blofser Lizenzträger sein. 1

Vgl. oben § 95 IV 1 a u. c; über den Schutz des Benutzungsrechtes aus Vorbenutzung Seligsohn S. 66. 2 Der Patentinhaber hat daher bei Erfüllung der Voraussetzungen des § 231 der C.P.O. eine Feststellungsklage auf das Bestehen eeines Rechts; R.Ger. in Jurist Wochenschr. 1889 S. 367. Er hat ferner eine Klage auf Beseitigung und Unterlassung von Störungen seines Rechtes, mögen diese auch nicht unter die vom Patentgesetze verbotenen Handlungen fallen; R.Ger. I I I N. 47. Diese Klagen stehen ihm unabhängig vom guten oder bösen Glauben des Gegners zu. Vgl. K o h l e r , Patentr. S. 430ff., Robolski, Theorie S. 235 ff., Seligsohn S. 59 ff.— Umgekehrt ist gegen Anmafsung eines Patentrechtes eine negative Feststellungsklage zulässig; K o h l e r b. Busch X L V H 335 ff., Seligsohn S. 62 ff. — Aehnliches gilt für die aus dem Patentrechte abgeleiteten Rechte. 8 Darum kann aus den im Patentgesetze behandelten Patentverletzungen ein Anspruch auf Schadensersatz, falls die dafür vom Patentgesetz aufgestellten Erfordernisse (vgl. unten Anm. 7) nicht erfüllt sind, überhaupt nicht geltend gemacht werden. Auch wegen verschuldeter Eingriffe solcher Art hat daher der Patent inhaber keinerlei Ersatzanspruch, wenn nicht grobe, sondern nur gewöhnliche Fahrlässigkeit vorliegt; ja, bis zur Novelle hatte er einen solchen Anspruch nicht einmal bei einem groben Verschulden des Gegners. Vgl. R.Ger. X X I Nr. 13; K o h l e r , Patentrecht S. 456 ff, Seligsohn S. 252. 4 R.Ges. § 35 ff. mit § 4—5; dazu oben § 96 S. 882 ff. Ueber das österr. R. Beck-Mannagetta S. 319 ff. 5 Vgl. oben § 96 Anm. 4.

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Persönlichkeitsrecte.

Aus jeder Patentverletzung erwächst dem Verletzten eine Klage auf Beseitigung der Störungen seines Rechtes und auf Unterlassung fernerer Eingriffe 6. Ist die Patentverletzung wissentlich oder aus grober Fahrlässigkeit begangen, so hat der Verletzte aufserdem einen Anspruch auf Entschädigung7. Die wissentliche Patentverletzung ist überdies mit Strafe (Geldstrafe bis zu fünftausend Mark oder Gefängnifs bis zu einem Jahre) bedroht8. Doch tritt die Strafverfolgung nur auf Antrag ein. Wird auf Strafe erkannt, so ist zugleich dem Verletzten die Befugnifs zuzusprechen, die Verurtheilung auf Kosten des Verurtheilten öffentlich bekannt zu machen. Auch kann in diesem Falle dem Beschädigten auf seinen Antrag statt der Entschädigung eine Bufse bis zum Betrage von zehntausend Mark zuerkannt werden9. III. Verfahren. Die Verfolgung der Patentverletzungen findet vor den ordentlichen Gerichten im Wege des Civilprozesses oder des Strafprozesses statt10. Handelt es sich um eine Erfindung, die ein Verfahren zur Herstellung eines neuen Stoffes zum Gegenstande hat, so wird der Verletzte, wenn er Entschädigung fordert, hinsichtlich der Beweisführung durch eine gesetzliche Vermuthung begünstigt, kraft welcher bis zum Beweise des Gegentheils jeder Stoff von gleicher Beschaffenheit als nach dem patentirten Verfahren hergestellt gilt 11 . IV. Verjährung. Die Klagen wegen Verletzung des Patent6

Oben Anm. 2. — Ein Privatrecht auf Einziehung zur Sicherung, wie beim Urheberrecht (oben § 89 I I I 1 c), ist hier nicht anerkannt; nur strafrechtliche Einziehung nach Str.G.B. § 40 ist möglich; Kohl er, Patentr. S. 575 ff., Robolski, Theorie S. 252 ff. 7 R.Ges. § 35. Das R.Ges. v. 25. Mai 1877 § 34 liefs die civilrechtliche wie die strafrechtliche Haftung nur bei wissentlicher Patentverletzung eintreten. 8 R.Ges. § 36. Oeffentliche Strafen fur Patentverletzungen kennt auch das österr., Schweiz., französ. u. ital. Recht; unbekannt sind sie dem engl., belg. u. russ. Recht. 9 R.Gee. § 37. Für die Bufse gelten gleiche Regeln wie bei Urheberrechtsverletzungen; oben § 89 Anm. 16 u. 31. 10 Der Civilrichter kann nur auf Entschädigung erkennen; Strafe und Bufse kann nur der Strafrichter verhängen, der aber, wenn er eine Strafe ausspricht, auch Entschädigung zuerkennen kann. Die Entscheidung letzter Instanz gebührt in allen bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, in denen durch Klage oder Widerklage ein Anspruch auf Grund der Bestimmungen des Patentgesetzes geltend gemacht wird, dem Reichsgericht (§ 38;. — Ueber das Verfahren im Eingriffsstreit nach österr. R. vgl. Beck-Mannagetta S. 360 ff. 11 R.Ges. § 35 Abs. 2 u. dazu oben § 95 Anm. 28.

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rechts verjähren rücksichtlich jeder einzelnen dieselbe begründenden Handlang in drei Jahren12. V. Patentberühmung. Das Patentgesetz enthält eine Bestimmung, nach der mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark bestraft wird, wer einen durch ein Reichspatent nicht geschützten Gegenstand mit einer Bezeichnung versieht oder öffentlich anpreist, die geeignet ist, den Irrthum zu erregen, als sei der Gegenstand durch ein Reichspatent geschützt. Mit dem Schutze des Erfinderrechts hat diese Strafandrohung nichts zu thun. Sie richtet sich vielmehr gegen eine besondere Form der Täuschung des Publikums18. § 99. Beendigung des Erfinderrechts. I. Zeitablauf. Das ursprüngliche Erfinderrecht ist unbefristet 1. Dagegen hat das Patentrecht eine begrenzte Lebensdauer, die nach deutschem Rechte fünfzehn Jahre, also ein halbes Menschenalter, beträgt 2. Der Lauf dieser Zeit beginnt nicht erst mit dem Eintritt des Patentschutzes. sondern schon mit dem auf die Anmeldung der Erfindung folgenden Tage8. Durch die Lebensgrenze eines Hauptpatents wird zugleich die Dauer jedes von ihm abhängigen Zusatzpatentes begrenzt4. 12 R.Ges. § 39. Diese Verjährung bezieht sich nicht auf die Strafverfolgung; sie beginnt mit der Verletzung zu laufen und wird durch Antrag auf Bufse im Strafverfahren nicht unterbrochen; R.Ger. XVI Nr. 3. 18 R.Ges. § 40; v. L i s z t , Strafr. § 125 V 2; Kohler, Patentr. S. 681 ff.; Seligsohn S. 264 ff. 1 Das Recht auf ein Patent geht, so lange die Erfindung nicht veröffentlicht ist, durch ihr noch so hohes Alter nicht unter. Auch der Schutz gegen unbefugte Veröffentlichung der Erfindung und gegen ihre Entwendung behufs Patenterschleichung ist unbefristet. 2 R.Ges. § 7. Dieselbe Frist gilt nach vielen ausländischen Gesetzen; so nach österr., schweizer., ital. u. skandinav. R.; ebenso nach französ. R., das aber auch eine Patentirung auf 5 oder 10 Jahre kennt. In Rufsland kann ein Patent auf 3, 5 oder 10 Jahre genommen werden. In England beträgt die Patentdauer 14 Jahre, in den Vereinigten Staaten 17 Jahre, in Belgien und Spanien 20 Jahre. — Eine Verlängerung des Patentes wäre in Deutschland nur durch Spezialgesetz möglich. In Oesterreich kann sie durch landesherrlichen Gnadenakt erfolgen; Privilegienges. § 9 litt, c, Beck-Mannagetta S. 200. Das Engl. Ges. v. 25. Aug. 1883 § 25 kennt eine Verlängerung um 7 und ausnahmsweise 14 Jahre im Verwaltungswege, wenn nachgewiesen wird, dafs die Erfindung dem Publikum erheblich genützt, dem Erfinder aber bisher angemessenen Gewinn nicht gebracht hat. 8 R.Ges. § 7; dazu Kohler, Patentr. S. 192 ff., Seligsohn S. 83. 4 Vgl. oben § 95 Anm. 38. 1st daher das Zusatzpatent durch Nichtigkeit*-

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Viertes Kapitel. Persönlichkeitsrechte.

II. Sonstige Beendigungsgründe. Vorzeitig erlischt das Patentrecht durch Verzicht des Patentinhabers5. Aufserdem geht es vorzeitig unter, wenn die Erfüllung der patentrechtlichen Pflichten unterbleibt. Dieser Untergang tritt im Falle nicht rechtzeitiger Gebührenzahlung von Rechtswegen ein6. Dagegen wird das Patentrecht wegen Verwirkung durch Nichtgebrauch oder durch Lizenzverweigerung nur verloren, wenn die in jedem dieser Fälle nach Ablauf von drei Jahren zulässige Zurücknahme des Patentes erfolgt 7. Das Verfahren wegen Zurücknahme des Patentes findet beim Patentamte statt und folgt im Allgemeinen den für das Verfahren wegen Nichtigkeitserklärung geltenden Regeln8. Zur Erhebung der Klage auf Zurücknahme ist Jedermann befugt9. Soll die Zurücknahme wegen Lizenzverweigerung ausgesprochen werden, so mufs ihr eine Androhung der Zurücknahme unter Angabe von Gründen und unter Festsetzung einer angemessenen Frist vorausgehen10. Gegen die Entscheidung des Patentamtes ist auch hier die Berufung an das Reichsgericht zulässig. Die Zurücknahme stellt sich als richterliche Aberkennung des verwirkten Patentrechtes dar 11 . Das Patentrecht erlischt mit dem Einerklärung des Hauptpatentes zu einem selbständigen Patent geworden, so erlischt es gleichwohl fünfzehn Jahre nach dem auf die Anmeldung des Hauptpatentes folgenden Tage; R.Ges. § 7 Abs. 2. 5 R.Ges. § 9. Der Verzicht ist formlos und einer Erklärung an eine bestimmte Person oder einer Annahme nicht bedürftig. Vgl. Köhler, Patentr. S. 224 ff., Robolski S. 199 ff. Der Verzichtende mufs verfügungsfähig und verfügungsbefugt sein. Steht die Patentinhaberschaft einer Mehrheit von Personen zu, so erlischt das Patentrecht nur durch Verzicht Aller, während im Uebrigen Anwachsung eintritt. Vgl. Kohl er S. 225 ff. Ein Verzicht auf einen Theil des Patentes ist nicht zulässig. Vgl. Robolski S. 200. A. M. Kohler, Aus dem Patent- und Industrierecht I I 22. 6 R.Ges. § 9; dazu oben § 96 Anm. 20. Die Mehrzahl der Patente erlischt auf diesem Wege. Da die Nichtzahlung der Gebühren das einfachste Mittel ist, ein nicht lohnendes Patent fallen zu lassen, sind Verzichte selten. 7 R.Ges. § 11; dazu oben § 96 Anm. 21—22, wo auch bereits erwähnt ist, dafs der von ausländischen Gesetzen angedrohte Verlust des Patentrechtes durch Einfuhr ausländischer Erzeugnisse dem deutschen Recht unbekannt ist. 8 R.Ges. § 2 8 - 3 1 ; dazu oben § 95 S. 880 ff. Vgl. Kohler, Patentr. S. 206 ff, Robolski S. 189 ff. 9 Seligsohn S. 208. Der Antragsteller braucht daher ein eignes Interesse an der Zurücknahme nicht nachzuweisen; wohl aber mufs er im Falle der Lizenzverweigerung das spezielle öffentliche Interesse darthun, das eine Lizenzertheilung gebietet; R.Ger. IX Nr. 29. 10 R.Ges. § 30 Abs. 3. 11 Sie darf nur ausgesprochen werden, wenn einerseits ein öffentliches Interesse an der Zurücknahme besteht, andrerseits ein Verschulden des Patentinhabers

§ 9.

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tritte der Rechtskraft des Urtheils12. III. Rechtsfolgen der Beendigung. Die Beendigung des Patentrechtes wird in die Patentrolle eingetragen und veröffentlicht, ohne dafs jedoch hiervon ihre Wirksamkeit abhienge18. Soweit eine Erfindung Gegenstand eines Patentrechtes gewesen ist, wird sie durch dessen Beendigung zum Gemeingut. Mit dem Patentrechte erlöschen daher zugleich alle aus ihm abgeleiteten Rechte. vorliegt. Mit Bücksicht auf die besonderen Umstände des Falles kann auch dann, wenn eine Zurücknahme zulässig wäre, die Zurücknahme unterbleiben, während die Nichtigkeitserklärung, sobald ihre Voraussetzungen verwirklicht sind, erfolgen mufs. Vgl. R.Ges. § 11 mit § 10 u. dazu Seligsohn S. 107. 12 Kohler, Patentr. S. 222 u. 410 ff. — Die Zurücknahme beendigt also mit konstitutiver Kraft ein bestehendes Recht, während die Nichtigkeitserklärung nur das Nichtdasein eines Rechtes deklarirt und somit überhaupt nicht zu den Beendigungsgründen gehört. 18 R Ges. § 19.

B i n d i n g , Handbnch.

I I . 3. I : G i e r k e , Deutsches Priyatrecht

I.

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