Der Allgemeine Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts: Erster Band: Allgemeine Lehren und Personenrecht. Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft. Zehnte Abteilung, erster Teil, erster Band. Hrsg. von Karl Binding [1 ed.] 9783428563081, 9783428163083

Andreas von Tuhrs Schrift erschien als zehnter Teil des von Karl Binding herausgegebenen Werkes »Systematisches Handbuch

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Der Allgemeine Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts: Erster Band: Allgemeine Lehren und Personenrecht. Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft. Zehnte Abteilung, erster Teil, erster Band. Hrsg. von Karl Binding [1 ed.]
 9783428563081, 9783428163083

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Der Allgemeine Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts Von Andreas von Tuhr

Erster Band Allgemeine Lehren und Personenrecht

Duncker & Humblot reprints

Systematisches Handbuch der

Deutschen Rechtswissenschaft Unter Mitwirkung der Professoren Dr. H. Brunner in Berlin, Dr. V. Ehrenberg in Göttingen, Dr. H. Gerland in Jena, Dr. 0. Gierke in Berlin, des General-Prokurators Dr. J. Glaser, früher in Wien, der Professoren Dr. C. S. GrUnhut in Wien, Dr. Ä. Haenel in Kiel, Dr. A. Heusler

in Basel, Dr. P. Krüger in Bonn, Dr. F. V. Wartitz in Berlin, Dr. 0. Mayer in Leipzig, Dr. A. Mendelssohn Bartholdy in Würzburg, Dr. L. Mitteis in Leipzig, Dr. Th. Mommsen, früher in Berlin, Dr. F. Oetker in Würzburg, Dr. M. Pappenheim in Kiel, Dr. F. Regelsberger in Göttingen, Dr. Lothar Seuffert in München, Dr. R. Sohm in Leipzig, Dr. E. Strohal in Leipzig, Dr. A. v. Tuhr in Strafsburg, Dr. A. Wach in Leipzig, Dr. R. Wagner, früher in Leipzig, Dr. C. Wieland in Basel,

herausgegeben von

Dr. K a r l

Binding,

Professor in Leipzig.

Zehnte Abteilung.

Das Deutsche Bürgerliche Recht. Erster T e i l .

Erster Baud,

v. T u h r , D e r A l l g e m e i n e T e i l des Deutschen B ü r g e r l i c h e n Rechts. Band I .

Leipzig, Verlag

von

Duncker 1910.

&

Humblot.

Der Allgemeine Teil des

Deutschen Bürgerlichen Rechts. Von

Andreas von Tuhr e

Erster

Band.

Allgemeine Lehren und Personenrecht.

Leipzig, Verlag

v o n D u n c k e r Λ : 11 u m b 1 ο t. 1910.

A l l e Rechte vorbehalten.

Altenburg * Pierereohe Hoflmchdruckerei Stephan Oeibel & Oo.

Dem

Andenken meines Vaters

Nikolaus v. Tuhr, Kaiserlich Kuesischen Geheimrats und Senators, und

meines Bruders

Dr· jur. Nikolaus v· Tuhr gewidmet.

Vorwort. Unsere Rechtsordnung besteht aus einer unübersehbaren Anzahl von Vorschriften, welche für die verschiedensten Tatbestände des Lebens Rechtsfolgen anordnen. Die Tatbestände der Rechtssätze sind abstrakt gedacht und formuliert: die Rechtsfolge soll immer eintreten, wenn Tatsachen von bestimmter Art vorliegen. Die abstrakte Natur unserer Rechtssätze beruht auf dem einer weiteren juristischen Analyse nicht zugänglichen Rechtsgefühl der Kulturmenschen, auf ihrer Abneigung gegen Willkür. Die abstrakte Beschaffenheit der Rechtssätze bedingt ihre begriffliche Formulierung: gewisse Vorgänge des Lebens sind nach einem für das Recht maßgebenden Kriterium zu Begriffen zusammengefaßt. Die Bildung von Begriffen ist das notwendige Mittel jeder Erkenntnis; auch die Erforschung der Natur und der Vorgänge des menschlichen Lebens (Psychologie, Geschichte, Wirtschaftslehre) bewegt sich in Begriffen : man sucht die Gesetze der Natur zu ergründen, d. h. festzustellen, daß aus Tatsachen gewisser Art bestimmte Wirkungen hervorgehen. Während aber auf diesen Gebieten die Begriffe nur Erkenntniswert haben, kommt den vom Recht, aufgestellten Begriffen reale Bedeutung, vis ac potestas, zu. Wenn das Recht aus den bunten Erscheinungen des Lebens allgemeine Typen hervorhebt, so geschieht das, um einen unter den Typus fallenden Lebensvorgang mit bestimmten Wirkungen auszustatten; je nachdem ζ. B. der Begriff des Besitzes gedacht ist, sind die Interessen gewisser Menschen besser oder schlechter geschützt. Mit Hilfe seiner Begriffe regelt das Recht den Konflikt der Interessen und sichert das Zusammenleben der Menschen in Staat und Gesellschaft. Wie die Natur von den erkennenden Wissenschaften, so wird das menschliche Leben vom Recht zu einem Kosmos gestaltet. Nach beiden Richtungen liegt ein im Wesen des Menschen begründetes Streben vor: Gesetze der Natur zu finden, Gesetze

vili

Vorwort.

für das geordnete Zusammenleben der Menschen aufzustellen, ist die ewige Sorge der Menschheit. Der Inhalt der Rechtssätze beruht auf der Erkenntnis und Wertung der nebeneinander bestehenden und sich bekämpfenden Zwecke und Bedürfnisse des Lebens. Bei der Abwägung des Wertes dieser Interessen für die Gesamtheit des Volkes steht der Gesetzgeber bewußt oder unbewußt unter dem Einfluß eigennütziger oder altruistischer Motive und ist in hohem Maß von den Anschauungen der Vergangenheit abhängig. Das Recht ist eine der konservativsten Mächte des menschlichen Lebens; daher hat jede Rechtsordnung Bestandteile, die sich aus dem Prinzip der Kontinuität erklären. Die Aufgabe der Wissenschaft besteht darin, den Aufbau des Rechts in seinen Grundlagen und Einzelheiten zu erfassen und darzustellen; die Aufgabe des Richters ist die Anwendung des Rechts auf den einzelnen Fall. Auf beiden Gebieten prävaliert die logische Tätigkeit: genaue Feststellung der Begriffe, die das Gesetz oft nur mit einem Worte bezeichnet; und Subsumption der vielgestaltigen Erscheinungen des Lebens unter diese Begriffe. Daher ist die Jurisprudenz stets wesentlich ein Operieren mit Begriffen gewesen. Die Wichtigkeit und Schwierigkeit ihrer Aufgabe liegt in der notwendigen Unvollkommenheit des Gesetzes: das Gesetz kann mit seinem Begriffsschema nicht alle Tatsachen des Lebens meistern; die Vorschriften des Gesetzes schneiden und kreuzen einander; es gibt immer wieder Tatbestände, deren Unterordnung unter die gesetzlichen Kategorien zweifelhaft erscheint. Daher bedarf das Gesetz der Auslegung und ist in zahlreichen Fällen auf nicht vorgesehene Tatbestände analog auszudehnen; aber auch, wenn diese logischen Hilfsmittel flicht ausreichen, hat der Richter eine Entscheidung zu finden. Es hat von jeher als selbstverständliche Richtschnur einer guten Jurisprudenz gegolten, bei mehrdeutigem Gesetzesbefehl, bei zweifelhafter Analogie und namentlich bei Lücken des Gesetzes die Entscheidung zu suchen, welche den Lebensverhältnissen am besten zu entsprechen scheint, die sententia quae rei gerendae aptior est. In neuerer Zeit wird mit Recht betont, daß der Richter dabei, ähnlich wie der Gesetzgeber, eine Abwägung der einander gegenüberstehenden typischen Interessen vorzunehmen h a t 1 ; er soll, wie man zu sagen pflegte, 1 Vgl. Heck, ArchBürgR. 4, 7 fg. ; ZHandR. 37,277 ; 38, 306 ; DJZ. 10, 1140 ; M. R ü m e l i n , B. Windscheid und sein Einfluß auf Privatrecht und Privatrechtswissenschaft, und ArchZivProz. 98, 329 fg.

Vorwort.

IX

ehe man daran dachte, den Denkprozeß im Kopf des Richters zu analysieren, eine vernünftige Entscheidung treffen. Viel weiter geht eine in den letzten Jahren auftretende und weitverbreitete Ansicht: die Theorie der sog. freien Rechtsfindung 2. Die verbindliche Kraft des Gesetzes soll auf das engste Maß beschränkt werden. Nur den klaren Wortlaut des Gesetzes soll der Richter berücksichtigen und nur in den Fällen, die vom Gesetz ausdrücklich entschieden sind. Darüber hinaus soll der Richter sich nicht bemühen, aus dem Wortlaut oder dem Sinn des Gesetzes durch Auslegung oder Analogie eine Regel zu entnehmen, sondern er soll sich der Abwägung der Interessen zuwenden und auf diesem Wege eine Entscheidung suchen. Ja, er soll sich sogar über die Vorschrift des Gesetzes hinwegsetzen, wenn die aus dem Gesetz sich ergebende Entscheidung wichtige Interessen der Allgemeinheit so schwer verletzt, daß eine Abhilfe unumgänglich not tut: in solchen Fällen soll der Richter contra legem die Entscheidung aus seiner Wertung der sozialen Verhältnisse entnehmen. Diese mit verschiedenen Nuancen und mit verschiedener Intensität vorgetragene neue Lehre mußte auf Widerspruch stoßen3. Ihre Stärke liegt auf dem Gebiet der Kritik. Es läßt sich nicht bestreiten, daß dem „Willen des Gesetzes" bisweilen mit ganz äußerlichen Mitteln (Materialien) und durch unzulässige Wortinterpretation nachgeforscht wird; und daß neben vortrefflichen auch manche minder gute Urteile seit 1900 gefällt worden sind. Aber das beruht meines Erachtens nicht auf einem Fehler der Methode, sondern auf fehlerhafter Anwendung, wie sie bei jeder Methode vorkommen werden. Zuzugeben ist vielleicht, daß Judikatur und Literatur zu sehr im Banne der Theorien gestanden haben, aus denen das BGB. erwachsen ist, und daß mehrere Kontro2

Stampe, DJZ. 10, 417, 713, 1017 und: Unsere Rechts- und Begriffsbildung; Rumpf, Gesetz und Richter; E h r l i c h , Freie Rechtsfindung und freie Rechtswissenschaft; Müller-Erzbach, JheringsJ. 53, 331; ganz extrem: Gnaeus Flavius (Kantorowicz), Kampf um die Rechtswissenschaft, und Fuchs, Die Gemeingefährlichkeit der konstruktiven Jurisprudenz. Eine gut orientierende Übersicht der neuen Lehre bei Hedemann, ArchBürgR. 31, 296 ; 34, 115. 8 Landsberg, DJZ. 10, 921; Dernburg, Allgemeiner Teil S. V.; Hellwig, ZivProz. § 93; Bülow im „Recht« 1906 S. 769; Unger, DJZ. 11, 781; Stier-Simlo, Festgabe f. Laband I I 445; R. Löning, Über Wurzel und Wesen dés Rechtes; Sohm, DJZ. 14, 1019; Vierhaus, DJZ. 14, 1169; Oertmann, Kommentar zum Allg. Teil S. XVII und: Gesetzeszwang und Richterfreiheit; Rundstein, ArchBürgR. 34, 1; Danz, JheringsJ. 54, 66.

Vorwort.

versen des bürgerlichen Rechts eine bessere Lösung finden könnten, wenn man völlige Klarheit über die typische Interessenlage gewinnt. Immerhin ist Theorie und Praxis mit Erfolg bemüht gewesen, dem neuen Gesetz den Sinn abzugewinnen, welcher den Verhältnissen des Lebens am besten entspricht. Es sind auch bereits durch Auslegung und Analogie eine Reihe von Rechtssätzen aufgestellt und in der Praxis durchgesetzt worden, die man, weil sie nicht im Gesichtskreis des Gesetzgebers lagen, als neues Recht bezeichnen kann 4 . Die neue Lehre ist, wenn sie wirklich mehr bringen will, als eine Verbesserung der alten Methode, meines Erachtens prinzipiell abzulehnen, weil sie der subjektiven Willkür des Richters Tür und Tor öffnet. Die Abwägung der Interessen ist stets vom Standpunkt des Beurteilers abhängig5. Das ist der Grund, weshalb der Staat in dem Gesetz eine möglichst feste Regel für die Entscheidung der Interessenkonflikte aufstellt und dem Richter die Befolgung dieser Regel zur Pflicht macht. Der Richter hat das Gesetz selbst dann anzuwenden, wenn es seinem Rechtsgefühl widerspricht, oder wenn sich seit Erlaß des Gesetzes die allgemeinen Anschauungen verändert haben. Nur soweit das Gesetz ausdrücklich oder durch seinen unfertigen Zustand dem Ermessen des Richters Raum gewährt, hat der Richter dasselbe auszuüben, 4

So ζ. B. die Klage auf Unterlassung einer unerlaubten Handlung, vgl. unt. S. 154; der Rücktritt wegen Gefährdung des Vertragszwecks bei Sukzessivlieferungen (sogenannte positive Vertragsverletzung). 6 Das zeigt sich sehr deutlich, wenn die Vertreter des freien Rechts ihre Kritik gegen einzelne Entscheidungen richten. So ist ζ. B. die Polemik von Stampe, DJZ. 10, 421 gegen die Entsch. des RG. 54 Nr. 77 nur ein Beweis dafür, daß Stampe die Interessenlage anders beurteilt, als die Verfasser des BGB. und ihnen folgend das Reichsgericht. Es handelt sich um die im Gesetz nicht ausdrücklich entschiedene Frage, ob die Ausschlagung einer Erbschaft von den Gläubigern des Erben außerhalb des Konkurses angefochten werden kann. Stampe hält es für zweifellos, daß das Interesse der Gläubiger geschützt werden muß, „da erfahrungsmäßig auf künftige IntestaterbSchäften oft in durchaus verständiger Weise kreditiert wird." Dagegen läßt das Gesetz in mehreren Bestimmungen erkennen, daß es auf die Freiheit der Entschließung des Erben größeren Wert legt, als auf das Interesse der am Erwerb der Erbschaft indirekt beteiligten Personen. AVenn, wie Stampe will, aus sozialen Erwägungeu entschieden werden dürfte, so würden sich gewiß Richter finden, die das Interesse der Gläubiger für ausschlaggebend halten, aber auch andere Richter, welche das Kreditieren auf künftige Erbschaften mißbilligen und das durch die Ausschlagung geschützte Interesse der Familie für wertvoller halten würden.

Vorwort.

XI

dann allerdings im Sinn der Interessenabwägung. Wo dagegen das Gesetz direkt oder indirekt eine Entscheidung gibt, hat es die Abwägung der Interessen selbst vorgenommen, und zwar in autoritativer, den Richter wie den Staatsbürger bindender Weise. Allerdings kann sich der Gesetzgeber in der Wertung der Interessen irren ; auch können sich die Zustände wesentlich verschieben ; daher ist ein allen Lebensverhältnissen in vollem Maß gerecht werdendes Gesetz ein unerreichtes Ideal. Es fragt sich aber, was vorzuziehen ist: eine feste, vielleicht hin und wieder nicht ganz zweckentsprechende Regel, nach der der Bürger sich richten kann und gerichtet wird, oder eine wechselnde und unberechenbare Interessenabwägung durch den Richter, der doch schließlich nur einer von vielen Zeitgenossen ist und durch den Zufall seiner Anstellung berufen wäre, gerade seine sozialen Anschauungen im vorliegenden Fall zur Geltung zu bringen. Vom sozialen und politischen Standpunkt scheint mir eine Unzufriedenheit mit dem Inhalt des Gesetzes weniger bedenklich (denn es kann geändert werden), als das Gefühl, von einer Interessenwertung seitens des Richters abzuhängen, deren Resultate von Außenstehenden als Willkür empfunden werden müssen. Der Streit um das „freie Recht" ist zugleich ein Streit um die Existenzberechtigung der dogmatischen Behandlung des Rechts. Für die freie Rechtsschule gibt es nur einzelne Rechtssätze, aus deren logischem Zusammenhang keine Konsequenzen gezogen werden dürfen. Dagegen ist nach bisheriger Auffassung die Rechtsordnung ein System von ineinandergreifenden Normen. Dies System kann historisch betrachtet werden, oder auch kritisch (in Bezug darauf, ob es den praktischen Bedürfnissen des Lebens entspricht); aber auch rein dogmatisch: indem man die Voraussetzungen der einzelnen Rechtssätze feststellt, ihre Tragweite prüft, und ihr Verhältnis zueinander untersucht 6. Unentbehrlich auch für die dogmatische Betrachtung ist natürlich die Kenntnis der vom Recht zu regelnden Lebensverhältnisse und des Zwecks, dem jeder Rechtssatz dient. Aber die Lebensverhältnisse sind meines Erachtens der Hintergrund für die eigentlich juristische Betrachtung, welche es in erster Linie mit den rechtlichen Begriffen und deren Konsequenzen zu tun hat 7 . Die Einrichtungen des Rechts sind die Mittel, mit 6 Über den Wert der dogmatischen Behandlung des Rechts vgl. die treffenden Worte von Lab and, Staatsrecht Bd. I S. IX. 7 Die historische, dogmatische und vergleichende Erforschung des Rechts ist meines Erachtens zugleich eines der vorzüglichsten Mittel zur Erkenntnis

Vorwort.

denen wirtschaftliche und sonstige Lebenszwecke erreicht werden: ein wirtschaftlicher Zweck (ζ. B. Sicherung des Kredits, oder Benutzung einer fremden Sache) kann mit verschiedenen rechtlichen Mitteln erstrebt werden, und umgekehrt kann ein Rechtsinstitut (ζ. B. der obligatorische Vertrag oder die Eigentumsübertragung) den verschiedensten Lebensinteressen dienen. Sache der Jurisprudenz ist es, die technische Beschaffenheit der Mittel festzustellen, die das Gesetz zur Erreichung seiner Zwecke benutzt. Für die wirtschaftliche Betrachtung und das allgemeine Rechtsgefühl des Laien kommt es ζ. B. nur darauf an, daß Verpflichtungen durch Zeitablauf erlöschen, oder daß der Schuldner eine übermäßige Vertragsstrafe nicht zu zahlen braucht, oder daß der Schenker unter Umständen das Geschenk zurücknehmen darf. Für den Juristen, der den einzelnen Fall präzis und objektiv zu entscheiden hat, ist es wichtig, daß die Verjährung in unserem Recht als Einrede gestaltet ist, daß die Herabsetzung der übermäßigen Vertragsstrafe durch konstitutives Urteil erfolgt, daß der Schenker das Geschenk bald durch Widerruf, bald durch Rückforderung zurückerhält. Aus der vom Gesetzgeber gewählten Beschaffenheit des Rechtsmittels, aus der Konstruktion des Rechtsverhältnisses, ergibt sich die Entscheidung für eine unübersehbare Anzahl von Einzelfragen, bei denen die freie Rechtsschule, die das Mittel der Konstruktion verwirft, entweder versagt, weil die Interessenabwägung kein Resultat ergibt, oder in völlige Willkür verfallen muß. Die technische Ausgestaltung des Rechts ist wie die materielle Wertung der Interessen durch den Gesetzgeber ein von Fehlern und Willkürlichkeiten nicht freies Menschenwerk (es war ein Irrtum des Naturrechts, gewissen Begriffen der Jurisprudenz eine innere Notwendigkeit zuzuschreiben); aber sie gibt dem Juristen, der das positive Recht zu erforschen und anzuwenden hat, das unentbehrliche Werkzeug seiner Denkarbeit. der tatsächlichen Verhältnisse, soweit sie für das Recht in Betracht kommen ; denn die Rechtssätze sind aus den Bedürfnissen des Lebens entstanden und spiegeln dieselben wieder. Man lernt eine typische Interessenlage meines Erachtens besser kennen, wenn man die für sie geltenden Rechtssätze erforscht, als wenn man sich mit Fuchs, DJZ. 15, 283, „in das Kontor des Kaufmanns, die Tiefen des Bergwerks oder in die weiten Gefilde der Volkswirtschaft (Landwirtschaft?)" begibt. Daß der Jurist einer allgemeinen Lebenserfahrung bedarf versteht sich von selbst, gehört aber nicht zur spezifisch-juristischen Ausbildung, die ihm erfahrungsmäßig in rechtlichen Dingen die Überlegenheit über solche Personen verschafft, welche der technischen Seite des L eben viel näher stehen, als er.

Vorwort.

XIII

Die dogmatische Forschung kann nur in der Weise erfolgen, daß man die zahllosen im Gesetz aufgestellten Begriffe miteinander vergleicht und auf Grund gemeinsamer Kriterien zu höheren Begriffen zusammenfaßt, um dadurch einen Überblick über das gesamte Gebiet zu gewinnen. Diese Methode liegt der Entwicklung des gemeinen Rechts zugrunde; sie ist für unser Gesetzbuch unentbehrlich, weil das BGB. in größerem Maß als andere Gesetzbücher, allgemeine Begriffe (ζ. B. Rechtsgeschäft, Vertrag) aufgestellt und mit Rechtsfolgen ausgestattet hat, die auf alle unter diese Begriffe zu subsumierenden Tatbestände Anwendung finden sollen. Eine Darstellung des Rechts, welche nicht von Rechtsbegriffen, sondern von Lebensverhältnissen und Interessen ausgeht, läßt sich meines Erachtens nicht durchführen 8, (jedenfalls nicht in Bezug auf die allgemeineren Rechtssätze, welche in den verschiedensten Lebensverhältnissen zur Geltung kommen), ist auch meines Wissens bisher nicht versucht worden. Dagegen ist innerhalb des Systems zur Erklärung der Entstehung und Tragweite der einzelnen Rechtssätze ein Eingehen auf die zu regelnden Lebensverhältnisse selbstverständlich geboten9. In meiner Darstellung des allgemeinen Teils des BGB. ist im großen und ganzen die gesetzliche Reihenfolge der Materien eingehalten10. Vorausgeschickt ist eine eingehende Betrachtung der subjektiven Rechte (und Pflichten) sowie des Vermögens. Es scheint mir zweifellos eine Aufgabe der Wissenschaft zu sein, die mannigfaltigen in unserem Gesetz erkannten subjektiven Rechte systematisch zusammenzustellen und sie nach ihrem Inhalt und ihren wichtigsten rechtlichen Eigenschaften zu charakterisieren. Man gewinnt dabei eine Übersicht über die Befugnisse, welche die Rechts8

Die Interessenforschung als Grundlage der Darstellung und Lehre des Rechtes vertritt Heck, DJZ. 44, 1457. Dagegen S ο hm, DJZ. 15, 114. 9 Das Buch von Heck, Das Recht der großen Havarei, ist meines Erachtens ein mustergültiges Beispiel einer auf Erforschung der tatsächlichen Interessen und Verhältnisse beruhenden Darstellung des positiven Rechts, aber eben darum kein Produkt des „freien Rechtes". Als Spezimen der freien Rechtsschule eignet sich dagegen die Abhandlung von Müller-Erzbach, Grundsätze der mittelbaren Stellvertretung aus der Interessenlage entwickelt; vgl. darüber die scharfe, aber meines Erachtens nicht unberechtigte Kritik von Neubecker, GrünhutsZ. 36, 31 fg. 10 Trotz der beachtenswerten Kritik, welche Zitelmann, GrünhutsZ. 33, 1 fg. am System des Gesetzes und der bisherigen Darstellungen des Allgemeinen Teiles übt. Vgl. auch Meumann, Observations sur le système du droit privé.

Vorwort.

Ordnung den Rechtssubjekten einräumt, ein Inventar der Elemente, mit denen das Gesetz zur Erreichung seiner Ziele arbeitet. Ebenso verdient meines Erachtens der Begriff des Vermögens und seiner Abarten (Sonder- und Gesamtvermögen) eine zusammenfassende Behandlung unter den allgemeinen Lehren des bürgerlichen Rechts. An die Lehre von den Rechten und dem Vermögen schließt sich das Recht der Personen. Dagegen scheinen mir die allgemeinen Vorschriften über Sachen, BGB. § 90—103, einen besseren Platz im Sachenrecht zu finden und sollen daher hier nicht besprochen werden. Das objektive Recht gehört meines Erachtens in die allgemeinen Lehren, die dem Privatrecht mit den übrigen Rechtsteilen gemeinsam sind, und ist daher in diesem, dem bürgerlichen Recht gewidmeten, Buch in die Einleitung verwiesen. Der zweite Band wird die Lehre von den juristischen Tatsachen (insbesondere den Rechtsgeschäften) enthalten sowie die Ausübung und den Schutz der Rechte darstellen.

Inhaltsverzeichnis. Sinleitung I. Entstehung des BGB. 1. — II. System des BGB. 4. — III. Verhältnis des BGB., zum Reichsrecht 8. — IV. Verhältnis des BGB. zum Landesrecht 11. — V. Übergangsbestimmungen 15. — VI. Arten der im BGB. enthaltenen Rechtssätze 21. 1. Inhalt der Rechtssätze 21. 2. Nachgiebiges und zwingendes Recht 25. 3. Strenges und billiges' Recht 28. 4. Verkehrssitte 30. 5. Gute Sitten 32. - VII. Auslegung des BGB. 35. — VIII. Analogie. Natur der Sache. Gerichtsgebrauch 40. — IX. Literarische Hilfsmittel für das BGB. 47.

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E r s t e s Buch. Die subjektiven Rechte und das Vermögen. Erstes K a p i t e l . Die subjektiven Rechte* 1. Das subjektive Recht I. Recht und rechtlich geschütztes Interesse. — II. Willensherrschaft 56. — III. Recht und Interesse 58. — IV. Typen der Rechte 61. — V. Passive Seite des Rechts 63. 2. Das Subjekt des Rechts I. Begriff des Rechtssubjekts. — II. Arten des Rechtssubjekts. — III. Bedeutung des Subjekts für die Bezeichnung des Rechts 65. — IV. Mittelbare Zuständigkeit des Rechts 66. — V. Duplizität des Subjekts 69. — VI. Unbestimmtheit des Subjekts 73. — VII. Subjektloses Recht 76. 3. Mehrheit des Subjekts I. Mehrere Rechtssubjekte. — II. Arten der Rechtsgemeinschat't. — III. Gesamthand: ein Recht mit mehreren Subjekten 80. — IV. Gemeinschaft nach Bruchteilen : mehrere Rechte an einem Objekt 82. — Miteigentum. Grunddienstbarkeiten 85. — Forderungen 87. — Pfandrecht 90. — V. Gemeinsame Rechte des Könnens 91. 4. Die Rechtspflicht I. Verhältnis von Pflicht und Recht. Pflichten ohne entsprechendes Recht 94. Auflage. Obligatio naturalis. — II. Pflicht und Wille des Verpflichteten 96. — III. Erzwingung der Pflicht. Schadensersatz als Indiz einer Verpflichtung. Pflicht und Bedingung von Rechtserwerb oder Rechtsverlust 97. — IV. Mittelbar zuständige

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Pflichten 102. — V. Inhalt der Pflicht: Tun und Unterlassen. Einmalige, wiederholte, dauernde Leistung. Duldungspflicht. Duldung der Zwangsvollstreckung 105. — VI. Verpflichtung und Haftung. Begriff der Haftung. Beschränkte Haftung. Haftung für fremde Schuld. Haftung des Vermögens und einzelner Gegenstände 108. — VII. Verpflichtung willensunfähiger Personen 117. — VIII. Mehrheit der Verpflichteten 121. § 5. Rechtsverhältnis I. Begriff und Arten. — II. Rechtsverhältnis und Recht 125. — III. Entstehung, Aufhebung, Übertragung der Rechtsverhältnisse 129. — IV. Zusammenhang der aus einem Rechtsverhältnis erwachsenden Rechte 132. § 6. Herrschaftsrechte I. Sachenrechte. — II. Forderungen 140. — III. Familienrechte 144. — IV. Rechte an immateriellen Gütern 146. — V. Persönlichkeiterechte 148; Recht auf Betrieb eines Gewerbes 154. — VI. Rechte an Rechten 157. § 7. Sekundäre Rechte I. Rechte des Könnens. — II. Rechtliche Eigenschaften 160. — III. Gestaltungsrechte 161. — IV. Machtbefugnisse (Vertretungsmacht, Verfügungsmacht, Geschäftsführungsmacht) 164. — V. Passive Seite der Gestaltungsrechte und Machtbefugnisse 169. § 8. Aneignungsrechte I. Begriff. — II. Aneignung herrenloser Sachen 172. — III. Aneignung fremder Sachen. — IV. Eingriffsrechte 179. §9. Anwartschaft I. Begriff. — II. Passive Seite der Anwartschaft 183. - III. Fälle der Anwartschaft. —IV. Anwartschaft künftiger Rechtesubjekte 190. § 10. Negative Rechte . . L Richtung der negativen Rechte gegen Rechtsverhältnisse oder einzelne Rechte. — II. Rechtliche Natur und Ausübung 197. — III. Wirkung ex nunc oder ex tunc 201. — IV. Forderung auf Rückerstattung der Leistung. — V. Konkurrenz negativer Rechte 202. § 11. Absolute und relative Rechte I. Absolute Rechte. — II. Relative Rechte; Beziehungen des Gläubigers zu Dritten; Beeitz des Gläubigers an der geschuldeten Sache 209. — III. Absolute oder relative Natur der Anwartschaften 217, — IV. der Aneignungsrechte 218, — V. der übrigen sekundären Rechte. § 12. Übertragbarkeit der Rechte I. Identität des Rechts bei Wechsel des Subjekts. — II. Übertragbarkeit der Rechtsverhältnisse 220. — III. Übertragbarkeit der Herrschaftsrechte, insbesondere der Forderungen 222. — IV. Übertragbarkeit der sekundären Rechte, insbesondere der Gestaltungsrechte 224. — V. Sukzession in Pflichten 227. 13. Akzessorische Rechte I. Abhängigkeit des akzessorischen Rechts in bezug auf Zweck, Entstehung, Fortbestand, Übertragung; Unablösbarkeit des akzessorischen Rechts vom Hauptrecht; selbständige Geltend-

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§ 14.

§ 15.

§ 16.

§ 17.

machung 234. — II. Privilegien der Forderung und Rang der dinglichen Rechte 235. Teilbarkeit der Rechte 1. Zerlegung in gleichartige, selbständige Rechte. — II. Teilbarbarkeit der Herrschaftsrechte 237. — III. der Gestaltungsrechte 239. Der Anspruch I. Begriff des Anspruchs. — II. Ansprüche aus relativen und absoluten Rechten, kein Anspruch aus Gestaltungsrechten 241. — III. Der dingliche Anspruch; Herausgabe von Sachen, Berichtigung des Grundbuchs, Beseitigung von Störungen; Unterlassungen weiterer Störungen 245. — IV. Außergerichtliche Geltendmachung 254. — V. Gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs. Klaglose Ansprüche 258. — VI. Durchsetzung des Anspruchs in der Zwangsvollstreckung 261. — VII. Entstehung des Anspruchs: mit der Fälligkeit der Leistung 262. — VIII. Erlöschen des Anspruchs 264. — IX. Abtretbarkeit des Anspruchs 265. Individualisierung und Konkurrenz der Ansprüche. . . I. Individualisierungsmomerite: Personen, Inhalt, Grund des Anspruchs. Gesetzeskonkurrenz 276. — II. Konkurrenz von Ansprüchen; Identität der Leistung; selbständige Ausübung konkurrierender Ansprüche 282. — III. Alternative Konkurrenz 285. — IV. Subsidiarität 287. Die Einrede I. Exceptio, Einrede im Sinne von BGB. und ZPO. — II. Einrede und rechtshindernde Tatsache 290. — III. Einrede ist ein negativus Recht; Ausübung durch den Berechtigten; Wirkungen der nicht erhobenen Einrede ; Erlöschen der Einrede, insbesondere durch Verzicht 291. — IV. Erhebung der Einrede, außergerichtlich und im Prozeß 297. — V. Selbständige und unselbständige Einreden ; Abhängigkeit der Einrede vom zugrundeliegenden Recht 298. — VI. Aufschiebende und dauernde Einreden 304. — VII. Einreden gegen Pfandrecht, Vollstreckungsrecht und Selbsthilfe 309.

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Zweites Kapitel. Das Vermögen. § 18. Das Vermögen 313 I. Kennzeichen der Vermögensrechte. — II. Bestandteile des Vermögens 318. — III. Einheit des Vermögens 320. — IV. Die Passiva 322. — V. Die Haftung des Vermögens ; Beschränkung der Haftung durch Vertrag 325. — VI. Das Vermögen als Objekt von Rechten 328. § 19. Sondergut 330 I. Begriff und Fälle. — II. Spezieller Zweck des Sonderguts 332. — III. Verwaltung des Sonderguts 333. — IV. Grenzen des Sonderguts und des Hauptvermögens 334. — V. Rechtsübertragungen zwischen beiden Vermögensmassen 335. — VI. Passiva des Sonderguts 338. — VII. Rechtsbeziehungen zwischen Sondergut und HauptverHandbuoh X . 1. I : v o n T u h r

I.

II

XVIII

Inhaltsverzeichnis. Seite

mögen 340. — VIII. Rechtsstellung der Verwalter der Sondergüter 345. 20. Gesamtvermögen 348 I. Begriff und Fälle. — II. Verwaltung des Gesamtvermögens 349. — III, Abgrenzung zwischen dem Gesamtvermögen und dem Einzelvermögen der Teilhaber. — IV. Passiva des Gesamtvermögens 350. — V. Rechtsübertragungen zwischen Gesamtvermögen und Einzelvermögen 352. — VI Obligatorische Beziehungen zwischen diesen Vermögensmassen 354. — VII. Auflösung des Gesamtvermögens 356. — VIII. Der Anteil am Gesamtvermögen 358

Z w e i t e s Buch. Die Personen. i 21. Begriff der Person 369 I. Theoretische Auffassung der juristischen Person. — II. Rechtsfähigkeit 377. — III. Handlungsfähigkeit 378.

Erstes

Kapitel.

Die natürlichen Personen. i 22. Beginn und Ende der Rechtsfähigkeit 380 I. Geburt. — II. Tod 381. — III. Personenstandsregister 384.— IV. Wahrscheinliche Lebensdauer. i 23. V e r s c h o l l e n h e i t und Todeserklärung 385 I. Verschollenheit. — II. Voraussetzungen der Todeserklärung 386. — III. Verfahren 388. — IV. Festzustellender Todesmoment 390. — V. Wirkungen der Todeserklärung 392. — VI. Lebensvermutung 393. — VII. Familienrechtliche Wirkungen der Todeserklärung 394. — Vin. Übergangsrecht 396. Rechtlich erhebliche Unterschiede der Menschen. 24. Geschlecht und A l t e r 397 I. Rechtsstellung der Frauen. — II. Altersstufen 399. —III. Voll jährigkeitserklärung 401. 25. Gesundheit 405 I. Körperliche Gebrechen. — II. Geisteskrankheit, Geistesschwäche, geistige Gebrechen im Sinne von § 1910 406. 26. E n t m ü n d i g u n g 411 I. Gründe der Entmündigung. — II. Verfahren 415. — III. Wirkung 417. — IV. Aufhebung 419. — V. Vorläufige Entmündigung 420. — VI. Übergangsrecht 422. 27. Stand. Konfession. Ehre 422 I. Geburtsstand. — II. Berufsstände 423. — III. Konfession 424. — IV. Ehrenunterechiede 425. — V. Konkurs. ι 28. Wohnsitz. Staatsangehörigkeit 426 I. Örtliche Beziehungen der Menschen. — II. Rechtliche Bedeutung des Wohnsitzes 427. — III. Begriff des Wohnsitzes. — IV. Gewillkürter Wohnsitz 428. — V. Gesetzlicher Wohnsitz 431. — VI. Übergangsrecht 434. — VII. Staatsangehörigkeit.

Inhaltsverzeichnis.

XIX Seite

§29. Verwandtschaft . 435 I. Gerade Linie und Seitenlinie. — II. Eheliche Verwandtschaft 486. — III. Uneheliche Verwandtschaft 437. — IV. Agnation und Kognation. — V. Rechtswirkungen der Verwandtschaft 438. — VI. Schwägerschaft 439. — VII. Familie. §30. Name 440 I. Erwerb des Familiennamens. — II. Erwerb des Vornamens 442. — III. Pflicht der Namensführung 443. — IV. Recht am Namen 444. — V. Ansprüche aus dem Namensrecht 445. — VI. Firma 448. — VII. Pseudonym 449. — VIII. Adelsprädikate 450.

Zweites K a p i t e l . Die juristischen Personen. § 31. A r t e n der j u r i s t i s c h e n Personen 452 I. Juristische Personen des öffentlichen und des Privatrechts. — II. Vereine und Korporationen, Stiftungen und Anstalten 454.— III. Juristische Personen des Landesrechts 455. § 32. R e c h t s f ä h i g k e i t und H a n d l u n g s f ä h i g k e i t der j u r i stischen Personen 455 I. Rechtsfähigkeit und deren Beschränkungen. — IL Handlungsfähigkeit. Organe der juristischen Person 459. Die Vereine. § 33. A r t e n der Vereine. . 466 I. Mitwirkung der Staatsgewalt bei Entstehung der Vereine. — II. Vereine außerhalb des BGB. 467. — III. Wirtschaftliche und ideale Vereine 468. — IV. Übergangsrecht 475. §34. Begründung des V e r e i n s . . . 475 I. Die Einigung der Gründer. — H. Eintragung 483. Einspruch der Verwaltungsbehörde 485. Eintragung bei Mangel gesetzlicher Voraussetzungen 490. — III. Verleihung der Rechtsfähigkeit 495. — IV. Vereine außerhalb eines Bundesstaates 497. §35. Die Satzung 498 I. Verfassung des Vereins. — II. Feststellung und Änderung der Satzung 499. — III. Rechtliche Natur der Satzung. Autonomie dee Vereins 502. §36. Die Mitgliederversammlung 506 I. Berufung. — II. Abstimmung und Beschluß in der Versammlung 508. — III. Kompetenz der Versammlung 511. — IV. Rechtliche Natur des Beschlusses 514. — V. Ungültige Beschlüsse 517. § 37. Der V o r s t a n d . 520 I. Die Bestellung des Vorstands. — IL Geschäftsführung 523. — III. Vertretungsmacht 526. — IV. Mehrgliedriger Vorstand 528. — V. Abberufung des Vorstands 532. — VI. Eintragung des Vorstands in das Vereinsregister 535. — VII. Besondere Vertreter des Vereins 537. — VIII. Haftung des Vereins für schadensstiftende Handlungen seiner Organe. §38. Die Mitgliedschaft : 542 I. Erwerb der Mitgliedschaft. — IL Verlust der Mitgliedschaft 544. — II*

XX

Inhaltsverzeichnis. Seite

§39. § 40.

§41.

§ 42.

III. Übertragung der Mitgliedschaft 548. —- IV. Pflichten der Mitglieder. — V. Rechte der Mitglieder 550. — VI. Sonderrechte 553. — VII. Trennung des Rechtskreises des Vereins und der Mitglieder 555. A u f l ö s u n g des Vereins 557 I. Auflösung. — II. Verlust der Rechtsfähigkeit 558. — III. Anfall des Vereinsvermögens 562. — IV. Liquidation 566. Der n i c h t r e c h t s f ä h i g e Verein 572 I. Verein und Gesellschaft. — II. Modifizierte Anwendung des Gesellschaftsrechts 575. — III. Haftung für Vereinsschulden 579. — IV. Wechsel der Mitglieder 584. — V. Aufhebung und Umwandlung in einen rechtsfähigen Verein 586. — VI. Parteifähigkeit 590. — VII. Übergangsrecht 591. Stiftung 592 I. Wesen der Stiftung. — II. Unselbständige Stiftung 595. — III. Stiftungsgeschäft 596. — IV. Staatliche Genehmigung 602. — V. Rechte der Stiftung gegen den Stifter 607. — VI. Verfassung 610. — VII. Rechte der Destinatare 611. — VIII. Aufhebung der Stiftung 614. — IX. Das Sammelvermögen 616. J u r i s t i s c h e Personen des ö f f e n t l i c h e n Rechts . . . 620 I. Organisation. — II. Haftung für schadensstiftende Handlungen der Organe 621. — III. Vorbehalt für das Landesrecht bei Ausübung öffentlicher Gewalt 624. — IV. Sonderrecht des Fiskus und der juristischen Personen des öffentlichen Rechts 626.

Berichtigungen. S. 73 Z. 13 v. ob. statt XI lies VI. S. 91 Z. 2 v. unt. statt VI lies V. S. 92 Note 43 statt § 356 lies § 356 Satz 2. S. 113 Note 71 Z. 8 v. ob. statt 67 lies 49. S. 140 Note 29 letzte Zeile statt § 18 Note 74 lies § 19 Note 21. S. 142 Note 39 b Z. 2 v. ob. ist das Wort andere zu streichen. S. 176 Note 18 a statt § 9 I I I 7 lies § 9 I I I 8. S. 204 Note 1 Z. 2 statt § 1631 lies § 1632. S. 211 Note 22 Z. 1 statt Planck § 823, 2a lies § 823 I I lf. S. 217 Note 39 a statt § 19 1 lies S. 333. S. 235 Note 18b Z. 3 statt 41 lies 42. S. 255 Note 53 letzte Z. statt S. 6 lies 5 b. S. 271 Note 11 statt 13 a lies 19a. S. 275 Z. 4 v. ob. statt Herrschaftsrechten lies dinglichen Rechten. S. 284 Z. 1 statt Kokurrierende lies Konkurrierende. S. 285 letzte Z. statt § 28 lies § 38. S. 287 Note 68 Z. 2 statt § 249, 2 lies § 249, 3. S. 297 Note 31 Z. 2 statt Β 26 lies Β 2b. S. 327 Note 48 Z. 2 statt S. 6 lies S. 7. S. 335 Z. 13 statt: mit Mitteln des Nachlasses „in den Nachlaß fallen" lies „mit Mitteln des Nachlasses" in den Nachlaß fallen. S. 340 Z. 6 statt VII lies VIII. S. 369 Ζ. 1 soll mit I beginnen. S. 379. Die Überschrift der Seite soll lauten: § 21. Begriff der Person. S. 397 Z. 3. v. unt. I zu streichen. S. 403 Note 31 statt § 5, 3 lies § 3, 5. S. 475 Ζ. 1 v. ob. statt I I I lies IV.

Einleitung. I . Die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs*)· Das deutsche Volk tritt in die Geschichte ein als eine größere Anzahl von Volksstämmen, deren politische Einheit im Mittelalter mühsam und notdürftig hergestellt wird und bald wieder in staatliche und kleinstaatliche Zersplitterung zerfällt, um im letzten Jahrhundert in kräftiger und glorreicher Entwicklung zur Einheit des neuen deutschen Reiches zu führen. Diesen Schicksalen entspricht in großen Zügen die Geschichte des deutschen Privatrechts. Die Stammesrechte lösen sich durch zentrifugale Entwicklung des Gewohnheitsrechts in eine unübersehbare Menge lokaler Rechtsordnungen mit zum Teil minimalem Herrschaftsgebiet auf. Dazu kommt als Stück der das deutsche Geisteslehen übermächtig überflutenden Renaissance das römische Recht. Die Rezeption wurde durch das Streben nach Rechtseinheit befördert, führte aber, da sie subsidiäres Recht schuf, im praktischen Leben nicht zu diesem Ziel; dagegen wurde das fremde Recht die gemeinsame Grundlage der deutschen Rechtswissenschaft und vermittelte ihr die unvergänglichen Errungenschaften der römischen Jurisprudenz. Die fortschreitende Loslösung der Einzelstaaten vom alten Reich und die Versuche, das fremde Recht zu verdrängen, vermehrten nur die Buntscheckigkeit des in Deutschland geltenden Rechts. Mit den ersten Bestrebungen nach politischer Einheit entsteht zugleich der Gedanke an ein einheitliches bürgerliches Recht. Noch während der Freiheitskriege verlangt T h i b a u t 1 die Abfassung eines Gesetzbuchs. Ihm tritt Savi g η y 2 mit für die damalige * Vgl. Vierhaus, Entstehungsgeschichte des Entwurfs, in Bekkers und Fischers Beiträgen zum Entwurf. Heft 1. 1 Über die Notwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Recht? für Deutschland, 1814. y Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, 1814. Handbuch, X , 1. I : τ ο η T u h r I .

1

Einleitung.

Zeit überzeugenden Gründen entgegen und eröffnet die das 19. Jahrhundert beherrschende historische Richtung der Jurisprudenz. Die Einheitsbewegung kommt wie auf politischem, so auf juristischem Gebiet zum Stillstand. Das Jahr 1848 bringt die Allgemeine deutsche Wechselordnung; dann folgt 1861 das Allgemeine deutsche Handelsgesetzbuch; beide Gesetze durch die Einzelstaaten in ihren Gebieten eingeführt. In der Verfassung des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reiches war gemeinsame Gesetzgebung für das Obligationenrecht vorgesehen. Durch Reichsgesetz vom 20. Dezember 1873 wurde die Kompetenz der Reichsgesetzgebung auf das gesamte bürgerliche Recht erstreckt. Gleich darauf begannen die Vorarbeiten der Kodifikation. Eine Vorkommission von 5 Juristen (18. März bis 15. April 1874) erstattete dem Bundesrat ein Gutachten über Plan und Methode der Arbeit. Man beschloß das in Deutschland geltende Recht, vornehmlich das gemeine Recht, dem neuen Gesetzbuch zu Grunde zu legen, und in Bezug auf die Form weniger populäre Fassung, als richtigen und exakten Ausdruck zu erstreben. Am 2. Juli 1874 beschloß der Bundesrat eine (die sogenannte erste) Kommission von 11 Mitgliedern, vorwiegend Praktikern, zur Herstellung eines Entwurfes eines BGB. zu wählen. Den Vorsitz führte P a p e ; zti den Mitgliedern gehörten P l a n c k und W i n d scheid. Es wurden zunächst für die 5 Teile des BGB. Teilentwürfe durch einzelne Redaktoren hergestellt 3 und sodann in Beratungen der Gesamtkommission zu einer Einheit verschmolzen. Am 27. Dezember 1887 wurde dieser (der sogenannnte erste) Entwurf von der Kommission dem Reichskanzler übergeben, mit 5 Bänden Motive, welche von Hülfsarbeitern ohne Verantwortung der Kommission hergestellt sind. Entwurf und Motive wurden 1888 veröffentlicht. Der Entwurf fand in der öffentlichen Meinung der Laien und Juristen mehr Widerspruch, als Zustimmung; man warf ihm einseitigen Romanismus v o r 4 ; ungenügende Berücksichtigung der Bedürfnisse der Gegenwart 6; und vor allem seinen in der Tat spitzfindigen und schwerfälligen, mit Verweisungen überladenen Stil 6 . 3

Für das Obligationenrecht wurde infolge vorzeitigen Todes des Redaktors der sogenannte Dresdener Entwurf vom Jahre 1866 zugrunde gelegt. 4 Namentlich von Gierke, der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs. 5 Vgl. M eng er, das bürgerliche Recht und die besitzlosen Klassen. 6 Vgl. die im Reichsjustizamt angefertigte, leider als Manuskript ge-

II. Die Entstehuüg des Bürgerlichen Gesetzbuchs.

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Am 4. Dezember 1890 beschloß der Bundesrat den Entwurf zur Überarbeitung einer zweiten Kommission zu übergeben; sie bestand aus 10 ständigen Mitgliedern (darunter wieder P l a n c k ) und 12 nichtständigen Mitgliedern (darunter S ohm). In dieser Kommission wurde den lautgewordenen Wünschen und Beschwerden Rechnung getragen, namentlich die Fassung des Textes wesentlich vereinfacht und verbessert 7. Der aus diesen Beratungen hervorgegangene von Grund aus umgestaltete zweite Entwurf wurde am 22. Oktober 1892 dem Reichskanzler vorgelegt. Auf Antrag seines Justizausschusses beschloß der Bundesrat einige tiefgreifende Änderungen (namentlich im Vereinsrecht und im internationalen Privatrecht). In dieser Gestalt (als sogenannter dritter Entwurf oder Reichstagsvorlage) wurde der Entwurf am 17. Januar 1896 mit einer vom Reichsjustizamt ausgearbeiteten Denkschrift dem Reichetag vorgelegt, der ihn zunächst einer Kommission von 21 Mitgliedern überwies. In dieser Kommission und im Plenum des Reichstags wurden wichtige Änderungen vorgenommen (Vereinsrecht, Eherecht, eigenhändiges Testament)8 und das Gesetzbuch sodann in dritter Lesung am 1. Juli 1896 mit 222 gegen 48 Stimmen bei 18 Stimmenhaltungen angenommen. Die Vollziehung durch den Kaiser erfolgte am 18. August, die Verkündung im Reichsgesetzblatt am 24. August 189Ö. Das Gesetzbuch ist nach Art. 1 des Einführungsgesetzes am 1. Januar 1900 in Kraft getreten 9 druckte Zusammenstellung der gutachtlichen Äufserungen zu dem Entwurf und die Zusammenstellung der Äußerungen zu dem Entwurf. 7 Veröffentlicht wurden die Teilentwürfe der zweiten Kommission und die Protokolle, bearbeitet von A c h i l l e s , Gebhard und Spahn. 8 Eine heftige Debatte entspann sich im Plenum über die zum § 835 (Wildschaden) über die Frage, ob die Haftung sich auch auf Schädigung durch Hasen erstrecken solle. 9 Nach Art. 189 ist das Inkrafttreten des Immobiliarsachenrechts, soweit dasselbe ein dem neuen Recht entsprechendes Grundbuch voraussetzt, hinausgeschoben, bis für den betreffenden Bezirk das Grundbuch als angelegt erklärt wird, was durch landesherrliche Verordnung zu geschehen hat, Art. 186. Bei Inkrafttreten des BGB. bestand ein solches Grundbuch nur in Preußen (mit wenigen Ausnahmen), Württemberg, Sachsen und einigen kleineren Bundesstaaten. — Das Geltungsgebiet des BGB. umfaßt außer dem Reichsgebiet die Konsularsgerichtsbezirke, RGes. vom 7. April 1900, soweit nicht dieses Gesetz Ausnahmen anordnet, und die Schutzgebiete (Kolonien), in denen nach dem Schutzgebietsgesetz vom 10. Dezember 1900 mit gewissen Einschränkungen dasselbe Recht wie in den Konsulargerichtsbezirken gilt. 1*

Einleitung.

I I . Das System des Bürgerlichen Gesetzbuches· Das BGB. zerfällt in 2385 Paragraphen 10, der 1. Entwurf zählte 2164, der 2. Entwurf 2359 Paragraphen 11 und ist in Anlehnung an das seit Mitte des 19. Jahrhunderts herrschende Pandektensystem in 5 Bücher eingeteilt; das 1. Buch (allgemeiner Teil) enthält das Recht der Personen sowie solche Rechtssätze, welche für alle Gebiete des Privatrechts von Bedeutung sind (insbesondere die Regeln über die Rechtsgeschäfte). Dann folgt als 2. Buch das Recht der Schuldverhältnisse, als 3. Buch das Sachenrecht 12. Im 4. Buch ist das Familienrecht geregelt, im 5. Buch das Erbrecht. Die Bücher zerfallen in Abschnitte, diese in Titel. Größere Titel sind in Rubriken zerlegt, welche ihrerseits bisweilen in Unterrubriken zerfallen. Die Überschriften der Abschnitte, Titel etc. dienen zur Übersicht, sind aber Teil des Gesetzes18 und kommen daher für die Auslegung in Betracht 14 . Wenn aber die Überschrift zu einem ihr unterstellten Paragraphen offensichtlich nicht paßt, ist die Auslegung nicht an sie gebunden; so beruhen ζ. B. Tierhaftung und Wildschadenersatz nicht auf unerlaubter Handlung, obgleich sich die §§ 833, 835 im Titel mit dieser Überschrift finden ; und das Forderungspfand ist kein Sachenrecht, obgleich es im dritten Buch geregelt i s t 1 5 . Gleichzeitig mit dem BGB. ausgearbeitet, angenommen und veröffentlicht 16 ist das Einführungsgesetz (EG.); es besteht aus 218 Artikeln und zerfällt in 4 Abschnitte. Der 1. Abschnitt (Art. 1—31) enthält hauptsächlich das vom Bundesrat aus dem 10

Ich zitiere die Absätze der Paragraphen mit römischen, die Sätze innerhalb eines Absatzes mit arabischen Ziffern. Es bedeutet z.B. § 929, 2 den zweiten Satz dieses Paragraphen, § 932 I , 2 den zweiten Satz im ersten Absatz des Paragraphen. 11 Die Vergrößerung der Paragraphenzahl beruht weniger auf Einschiebung neuer Rechtssätze, als auf Zerlegung zu umfangreicher Paragraphen und auf Tilgung von Verweisungen. 12 Im Pandektensystem ging gewöhnlich das Sachenrecht dem Obligationenrecht vor. 13 Crome § 11 Note 4; Endemann § 5, 2. 14 So gilt z. B. § 73 nur für eingetragene Vereine, weil er in der Unterrubrik mit dieser Überschrift steht. D e m b u r g § 7 II. 16 In Kraft getreten ist das EG., da es einen Zeitpunkt dafür nicht angibt, nach Art. 2 der RVerf. am vierzehnten Tage nach Herausgabe des Reichsgesetzblattes d. h. am 7. September 1896; inhaltlich ist es vom Inkrafttreten des BGB. abhängig, Planck Art. 1, 1.

II. Das System des Bürgerlichen Gesetzbuchs.

5

2. Entwurf des BGB. in das EG. verwiesene und hier nur unvollständig geregelte internationale Privatrecht 17 ; der 2. Abschnitt behandelt das Verhältnis des BGB. zu den Reichsgesetzen: der 3. Abschnitt (Art. 55—152) das Verhältnis zum Landesrecht, der 4. Abschnitt (Art. 153—218) gibt Übergangsbestimmungen 18. Zur Ergänzung des BGB. und um dasselbe nicht übermäßig anschwellen zu lassen, wurden gewisse Materien des bürgerlichen Rechts in drei gleichzeitig mit dem BGB in Kraft getretenen Sondergesetzen geregelt, welche man als Nebengesetze des BGB. zu bezeichnen pflegt. Es sind dies: die Grundbuchordnung (GBO.) vom 24. März 1897, welche in Ergänzung des 3. Buchs des BGB. das formelle Grundbuchrecht regelt; das Gesetz über Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung (ZVG.), vom selben Datum, welches eine Ergänzung sowohl des BGB. als der ZPO. ist. Es regelt Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung von Grundstücken und Schiffen als Vollstreckungsmaßregel 19 ; ferner als Maßregel des Konkursverwalters und des beschränkt haftenden Erben; und die Versteigerung zwecks Aufhebung einer Gemeinschaft; das Gesetz über freiwillige Gerichtsbarkeit (GFG.) vom 17. Mai 1898 regelt Zuständigkeit und Verfahren in den nichtstreitigen Angelegenheiten, welche durch Reichsgesetz den Gerichten überwiesen sind und enthält in bunter Zusammenstellung besondere Vorschriften für einzelne Gebiete : Vormundschaftssachen ; Nachlaß- und Teilungssachen; Registersachen (Schiffspfandrecht, Handelsregister, Vereinsregister, Güterrechtsregister). Die Ab17

Aus der älteren deutschen Literatur des internationalen Privatrechts, die bei der Lückenhaftigkeit der gesetzlichen Bestimmungen noch vielfach in Betracht kommt, sind hervorzuheben: Savigny, System Bd. 8; v. B a r , Theorie und Praxis des internationalen Privatrechts. 1889. Neuere Literatur: Z i t e l m a n n , Internationales Privatrecht, Bd. I , II. 1. 2 1897—1908); Niemeyer, Intern. Privatrecht; v. Bar in H o l t z e n d o r f - K o h l e r s Enzyklopädie; Me i l i , Intern. Zivil- und Handelsrecht; Kahn in Jherings Jahrb. Bd. 36, 39, 40, 42, 43. Zeitschrift für internationales Privat- und Strafrecht begründet von Böhm, jetzt herausgegeben von Niemeyer. 18 Die gesamten Materialien zum BGB. und EG. (Entwürfe, Motive, Protokolle, Denkschrift, Kommissionsbericht und Verhandlungen im Reichstagsplenum) sind in fünf Bänden herausgegeben von Mugdan. Ein Verzeichnis der Publikationen der Materialien gibt M a as s, Bibliographie der amtlichen Materialien zum BGB. 19 Die Zwangsvollstreckung in Grundstücke durch Eintragung einer Sicherungshypothek ist in ZPO. § 866 geregelt.

Einleitung.

grenzuDg der in dieses Gesetz aufgenommenen Materien gegen das BGB, und die ZPO. ist vielfach eine zufällige: Vorschriften, die ihrer Beschaffenheit nach zur freiwilligen Gerichtsbarkeit gezählt werden könnten 20 , finden sich in ZPO.; und umgekehrt könnten manche Paragraphen des GFG. ihren Platz besser im BGB. gefunden haben 21 . Eine tiefgreifende Änderung mußten anläßlich der Kodifikation des bürgerlichen Rechts die mit demselben eng zusammenhängenden Reichsjustizgesetze erleiden. Demgemäß wurde Gerichtsverfassung, Zivilprozeßordnung und Konkursordnung einer Bearbeitung unterworfen und erschienen in neuer Gestalt am 17. Mai 1898. Auf Grund reichsgesetzlicher Ermächtigung wurden diese Gesetze mit neuer durchgehender Paragraphirung und Gesetzeskraft vom 1. Januar 1900 publiziert 22 . Die eingreifendste Änderung hat die ZPO. erfahren 28. Sie ist von 850 auf 1048 Paragraphen angewachsen. Das Bestreben der Mitglieder der 2. Kommission ging dahin, das bürgerliche Gesetz möglichst von prozessualen Beimischungen zu befreien 24. Infolgedessen ist in manchen Materien ζ. B. bei der Erbenhaftung eine äußere Zerreißung eng zusammengehörender Rechtssätze eingetreten mit der Wirkung, daß auf diesen Gebieten BGB. und ZPO. sich jedes als ein Torso darstellt, welches ohne Zuhülfenahme des anderen Gesetzes kaum verständlich ist. Auch ist die Grenzlinie zwischen materiellem Recht und Prozeß vielfach streitig und schwer durchführbar 25. Daher konnte nicht vermieden werden, daß im BGB. hin und wieder prozessuale Vorschriften vorkommen 2e, und daß sich in der ZPO. materielle Rechtssätze finden 27. Zu bedauern ist, daß man es bei der Be20

So ist ζ. B. das Entmündigungsverfahren der ZPO. geregelt, vgl. unten § 26 .Note 17, während das analoge Verfahren der Volljährigkeitserklärung seine Stelle im GFG gefunden hat, vgl. unten § 24 III. 21 Z. B. § 32 GFG verglichen mit § 115 BGB. 22 Daher ist das Zitat der ZPO. im BGB. § 585 zu berichtigen: ZPO. § 711 entspricht dem jetzigen § 815. Ebenso in EG. § 42 I I I : statt ZPO. § 648 und 749 ist zu lesen 708 und 850. 23 Nicht alle Änderungen der ZPO. stehen mit der Neuregelung des bürgerlichen Rechts im Zusammenhang, vgl. Gaupp-Stein, Einleitung § 4. 24 Beeinflußt durch AVach, Zivilprocess § 8 und Fischer, Recht und Rechtsschutz, in Bekkers und Fischers Beiträgen zum Entwurf. 26 Ζ. B. bezüglich der Beweislast und der Rechtskraft. 26 Die im BGB. geregelten Vermutungen betreffen den Beweis und haben daher prozessuale Natur; vgl. H e l l wig, CivProc. § 1 IV. 27 Materiellrechtlich ist die Bestimmung, daß durch die Pfändung Pfand-

II. Das System des Bürgerlichen Gesetzbuchs.

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arbeitung der ZPO. nicht für möglich hielt, den Sprachgebrauch dieses Gesetzes mit der Terminologie des BGB. in Einklang zu bringen, besonders daß zwei Worte, die in beiden Gesetzen technisch sind, Anspruch und Einrede, in jedem Gesetz verschiedene Bedeutung haben28. Auch das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch vom Jahr 1861 mußte anläßlich der Kodifizierung des bürgerlichen Rechts einer Revision unterzogen werden unci wurde unter dem Namen Handelsgesetzbuch am 10. Mai 1897 erlassen 29, mit Gesetzeskraft vom 1. Januar 1900. Da das BGB. zahlreiche für den allgemeinen Verkehr bestimmte Rechtssätze des alten HGB. rezipiert hat, ζ. B. den Schutz des guten Glaubens beim Erwerb von Mobilien, so konnte man diese Sätze im neuen HGB. weglassen. Das BGB. ist daher in höherem Maß als bisher, ein Recht der Kaufleute. Die Wechselordnung ist unberührt geblieben30. Eine Anzahl sonstiger Reichsgesetze sind in EG. Art. 34—54 durch kleinere Änderungen dem BGB. adaptiert worden. Vom Personenstandsgesetz ist in Art. 46 ein großer Teil aufgehoben, da das BGB. die Voraussetzungen und die Form der Eheschließung regelt. Die Nebengesetze, Revisionen der Reichsjustizgesetze und des HGB. sind am selben Tag mit dem BGB. in Kraft getreten, aber später als dieses erlassen. Sind sie deshalb als jüngere Gesetze anzusehen und der Satz lex posterior derogat priori anzuwenden81? Zuzugeben ist, daß der Wille des Gesetzgebers in dem Moment wirksam wird, in welchem er das Gesetz erläßt. Die Reichsgesetzgebung konnte daher zwischen 1896 und 1900 das BGB. ändern. Aber die ganze Gesetzgebung dieser Jahre war als einheitlich gedacht; die neben das BGB. tretenden Gesetze sollten dasselbe ergänzen, nicht abändern. Das ist deutlich ausgesprochen für die in Art. 1 des EG. genannten Gesetze. Es ist daher bei Auslegungsschwierigkeiten eine Vorschrift des BGB. nicht deswegen zurückrecht entsteht, ZPO. § 804; die Schadensersatzpflicht aus ungerechtfertigter Vollstreckung, ZPO. §§ 302, 541, 600, 717, 945; die Entlastung des Beklagten, der bei nominatio auctoris dem Klageantrag genügt, ZPO. § 76 II. 28 Vgl. unten § 15 I, § 17 I. 29 Der sechste Titel des ersten Buches, Handelsgehilfen, ist bereits am 1. Januar 1898 in Kraft getreten. 80 Art. 80 ist durch Art. 8 des EG. zum HGB. aufgehoben. 81 So He 11 wig, Vertr. auf L. an Dr. 464 Note 944; Anspruch 393: ZivProc. § 3 Note 16.

Einleitung.

zusetzen, weil sie älteren Datums ist, als eine Vorschrift der ZPO., KO. oder eines anderen von diesen Gesetzen82. I I I . Verhältnis des Börgerlichen Gesetzbuchs zum Reichsrecht· Abgesehen von den Änderungen, die aus Anlaß der Kodifikation an bestehenden Reichsgesetzen vorgenommen wurden, bleiben die Reichsgesetze auch soweit sie privatrechtliche Materien betreffen, in Kraft, Art. 32 3 8 . Das BGB. sollte nicht das ganze reichsrechtliche Privatrecht in sich aufnehmen; es sind auch während der Kodifikationsarbeiten Einzelgesetze privatrechtlichen Inhalts erlassen worden 34 . Die reichsgesetzlichen Vorschriften treten nach Art. 32 nur soweit außer Kraft, als sich aus dem BGB. oder EG. die Aufhebung ergibt d. h. soweit durch diese Gesetze Bestimmungen früherer Gesetze inhaltlich ersetzt 35 oder durch Widerspruch beseitigt werden. Ob Widerspruch vorliegt, ist Frage der Auslegung, wobei die Regel : lex posterior generalis non derogat priori speciali maßgebend ist. Denn die meisten Vorschriften des früheren Reichsrechts sind im Vergleich zum BGB. Spezialbestimmungen. So sind z. B. § 115, 118 der Gewerbeordnung nicht aufgehoben, weil es sich um das besondere Rechtsverhältnis der Gewerbetreibenden zu deren Arbeitern handelt; § 2 des RG. vom 7. Mai 1896 ist eine Ausnahme vom allgemeineren Rechtssatz § 700, I I BGB.; die Wechselordnung ist im Vergleich zum BGB. lex specialis: daher wird die Verjährung des Wechselrechts nicht ersetzt durch die Verjährung des BGB. und das Anfechtungsrecht des BGB. § 119 fg. wird durchbrochen durch die Vorschriften von Art. 82 der WO. Dagegen liegt Widerspruch und daher Aufhebung des älteren Gesetzes vor, wenn dieselbe spezielle Rechtsfrage im BGB. anders entschieden wird, als früher. So spricht z. B. StrGB. § 34 bei Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte von einer Unfähigkeit, Zeuge bei Aufnahme von Urkunden zu sein, während BGB. § 2237 für diesen Fall eine Sollvorschrift aufstellt; in Folge dessen ist 82

Geib, ArchZivPr. 94, 339. Selbstverständlich auch die vom Reiche beschlossenen Staatsverträge P l a n c k Art. 32, 3. 84 RGes. vom 16. Mai 94 über Abzahlungsgeschäfte; RGes. vom 27. Mai 1896 über Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs; RGes. vom 5. Juli 1896 über die Pflichten der Kaufleute bei Aufbewahrung fremder Wertpapiere. 86 Z. B. ist das RGes. vom 17. Februar 1875 dadurch aufgehoben, daß BGB. § 2 den Eintritt der Volljährigkeit normiert. 38

I .

Verhältnis des Bürgerlichen Gesetzbuchs zum

esrecht.

9

ein Testament, das unter Zuziehung eines solchen Zeugen errichtet wird, nach BGB. gültig. Wenn ein früheres Reichsgesetz auf Vorschriften verweist, die durch BGB. oder EG. außer Kraft gesetzt sind, so treten nach Art. 4 an deren Stelle die entsprechenden Vorschriften des BGB. oder EG. Zweifelhaft ist die Anwendung des Art. 4, wenn im Spezialgesetz nicht ausdrücklich auf allgemeine Normen verwiesen wird, sondern solche vorausgesetzt werden oder ein Begriff gebraucht wird, der nach früherem Recht eine andere Bedeutung hatte, als nach BGB. 86 . Hier darf das BGB. dem früheren Recht nur dann substituiert werden, wenn das Spezialgesetz keine besondere Gestaltung des allgemeinen Rechts im Auge hatte, sondern sich dem geltenden allgemeinen Recht als solchem einfügen wollte. So ist ζ. B. WO. § 1: „wechselfähig ist Jeder, welcher sich durch Verträge verpflichten kanntt im Sinn des BGB. auszulegen. Ebenso das Wort „gesetzlicher Vertreter" im § 1 des RG. vom 31. Mai 1891. Dagegen hat RG. 64, 157 angenommen, daß „Genehmigung" in § 17 des Ges. über Ges. m. b. Haft, im Sinne des alten Rechts zu verstehen sei und daher die vorherige Zustimmung mit umfasse. Diese Zweifel werden durch Art. 33 für die Begriffe der Verwandtschaft und Schwägerschaft beseitigt: in den Reichsjustizgesetzen und dem Anfechtungsgesetz sollen diese Begriffe im Sinn des BGB. verstanden werden 87 ; bei sonstigen Reichsgesetzen bleibt die oben erwähnte Auslegungsfrage 88. Eine weitere dankenswerte Vereinfachung des Rechtszustands gibt BGB. 186 : für Fristen und Termine in allen Gesetzen soll BGB. § 187 fg. gelten 89 . 86

Vgl. die Kommentare zu Art. 4 und Z i t e l m a n n , Zum Grenzstreit zwischen Reichs- und Landesrecht 37 fg. 37 Vgl. Rg. 63, 92. 38 Über das StrafGB» vgl. den Kommentar von F r a n k zu § 52 IV. 39 Einen ebenso bedeutenden wie bestrittenen Einfluß hat das BGB. auf das StrafGB., insofern gewisse Tatbestände desselben von privatrechtlichen Voraussetzungen abhängen. Eine Übersicht gibt Lobe, Einfluß des BGB. auf das Strafrecht und J. U. Schröder, Arch.CivPr. 97, 361. Besonders wichtig ist die Frage, ob der für die Grenze zwischen Diebstahl und Unterschlagung entscheidende Besitz und Gewahrsam im Sinne des BGB. aufzufassen ist; vgl. darüber B i n d i n g , Lehrb. des Strafr. I S. 243; F i n g e r , KritVJSchr. 8, 579; F r a n k , Kommentar § 242 IV; Redslob, Ztschr. f. d. ges. Strafwiss. 30, 205; Bekker, JheringsJ. 34, 65; SeuffArch. 57, 35. Über den Einfluss von BGB. § 932 auf Betrug und Unterschlagung vgl. B i n d i n g a. a. Ο. S. 363, Finger a. a. 0. S. 596. Über den Einfluß der Notstandsbestimmungen des BGB. vgl. die Diss, von Pretsch, Haenle, Auer und W ü r z b u r g e r , das

Einleitung.

Jüngere Reichsgesetze gehen dem BGB. selbstverständlich vor. Eine Änderung des Gesetzbuchs ist bisher in zwei Punkten erfolgt: § 72 ist durch das Vereinsgesetz vom 19. April 1908, § 833 (Haftung für Tiere) durch RG. vom 30. Mai 1908 abgeändert worden. Kann das Recht des BGB. durch Gewohnheitsrecht abgeändert oder ergänzt werden. Während das römisch-kanonische Recht dem Gewohnheitsrecht die Schranke setzen wollte, daß es nicht gegen die Vernunft verstoßen und nicht auf Irrtum beruhen dürfe 40 , und die Kodifikationen der Neuzeit 41 (sowie noch der 1. Entwurf § 2) das Gewohnheitsrecht ausschlossen oder beschränkten, wird es vom BGB. richtiger Weise ignoriert. Denn alle Versuche, das Gewohnheitsrecht einzudämmen oder zu verbieten, haben sich als unzureichend erwiesen, weil die Gewohnheit eine dem geschriebenen Recht ebenbürtige tatsächliche Macht ist, welche die ihr gesetzten Schranken aufzuheben vermag. Aus der Nichterwähnung des Gewohnheitsrechtes ergibt sich für den jetzigen Rechtszustand, daß die Reichsgesetzgebung das bürgerliche Recht durch die Normen des BGB. vollständig und ausschließlich ordnen wollte, daß sich demnach Staatsbürger und Gerichte nach diesen Vorschriften zu richten haben. Solange diese Weisung befolgt respektive durch die Oberaufsicht des Reichsgerichts durchgesetzt wird, kann tatsächlich kein Gewohnheitsrecht entstehen; denn bei einer praeter oder contra legem aufkommenden Übung würde die opinio necessitatis jederzeit durch die Gerichte zerstört werden. Wenn ein Bedürfnis nach einem neuen Rechtssatz sich fühlbar macht, wird es bei der Intensität der heutigen Gesetzesproduktion in kurzer Zeit durch ein neues Gesetz befriedigt. Aber es ist nicht ausgeschlossen, daß die privatrechtliche Gesetzgebung ins Stocken kommt oder längere Zeit zögert, empfindliche Lücken des Gesetzes (ζ. B. im internationalen Privatrecht) auszufüllen, oder daß nach längerer Zeit gewisse Vorschriften des BGB. als obsolet erscheinen werden. Wenn sich in solchen Rechtsfragen ein fester Gerichtsgebrauch bildet, so wird man nicht umhin können, ein ergänzendes und sogar derogirendes Gewohnheitsrecht anzuerkennen 42 und wird Recht des strafrechtlichen Notstandes vor und nach dem Inkrafttreten des BGB. 40 Vgl. W i n d s c h e i d § 16 Note 3. 4. 41 Allg. Landrecht; Österr. BGB.; Code civil; Sachs. BGB. Vgl. D e r n b u r g § 28 II; Crome § 17; Endemann § 9 K o h l e r § 32 fg.; Enneccerus § 37 I I ; Biermann § 36, 3.

IV. Verhältnis des Bürgerlichen Gesetzbuchs zum Landesrecht.

dessen Entstehung nach den in der Wissenschaft des gemeinen Rechts üblichen Kriterien beurteilen. IY. Verhältnis des Bürgerlichen Gesetzbuchs zum Landesrecht· Nach Art. 2 der Reichsverfassung geht das Reichsrecht dem Landesrecht vor. Reichsrecht bricht Landrecht. Demgemäß konnte das BGB. das Landesj)rivatrecht beseitigen. Das ist in Art. 55 geschehen: „die privatrechtlichen Vorschriften der Landesgesetze treten außer Kraft soweit nicht im BGB. oder EG. ein anderes bestimmt ist", Somit ist der Standpunkt des BGB. gegenüber dem Landesrecht ein anderer als gegenüber dem älteren Reichsrecht. Das Landesprivatrecht ist prinzipiell beseitigt, vorbehaltlich bestimmter Ausnahmen. Unter Gesetz ist nach Art. 2 jede Rechtsnorm zu verstehen: Gesetz, Verordnung, Gewohnheit, autonome Rechtssätze48. Landesgesetz ist jede Rechtsnorm, die nicht von der Reichsgesetzgebung ausgeht, also nicht nur die Partikularrechte der Bundesstaaten44, sondern auch das gemeine Recht. Aufgehoben sind auch Staatsverträge privatrechtlichen Inhalts zwischen Bundesstaaten ; dagegen bleiben solche Verträge, die ein Bundesstaat vor Inkrafttreten des BGB. mit einem ausländischen Staat geschlossen hat, unberührt, Art. 56 4 5 . Aufgehoben sind die Landesgesetze nicht nur soweit sie inhaltlich im Widerspruch zum BGB. stehen, sondern in ihrer Totalität, also auch solche Bestimmungen, die mit dem BGB. übereinstimmen; daher beruht ζ. B. die Gültigkeit eines eigenhändigen Testaments im linksrheinischen Gebiet nicht mehr auf dem Code civil, sondern auf BGB. Das Landesrecht kann auch nicht zur Ergänzung des BGB. in den Fragen dienen, über welche das BGB. schweigt, so ist ζ. B. das internationale Privatrecht im EG. unvollständig geregelt; für Schuldverhältnisse aus Verträgen fehlt eine Kollisionsnorm. Diese Lücke ist aber nicht aus dem zum Teil ausführlicheren Landesrecht zu ergänzen, sondern durch Analogie und 43 Privilegien sind, insofern sie subjektive Rechte erzeugen, nach den allgemeinen Grundsätzen über Rückwirkung des Gesetzes, vgl. unten S. 15 fg., nicht aufgehoben, Dernburg § 13 Note 3. 44 Als Bundesstaat im Sinne von BGB. und EG. gilt auch das Reichs land Elsafs-Lothringen, Art. 5 EG. 46 Nach 1900 können die Bundesstaaten keine Verträge privatrechtlichen Inhalts mit ausländischen Staaten schließen außer in bezug auf die dem Landesrecht vorbehaltenen Materien, Planck Art. 56, 3.

Einleitung.

allgemeine Erwägungen aus der Natur der Sache auszufüllen : das erfordert die bei der Kodifikation beabsichtigte Rechtseinheit. Aufgehoben ist nicht nur das im Jahr 1900 geltende Landesprivatrecht, sondern es ist auch die Neuentstehung solcher Rechtssätze für die Zukunft ausgeschlossen4e. Das BGB. will nur das Privatrecht, nicht das öffentliche Recht der Landesgesetze beseitigen, Art. 55. Die Abgrenzung beider Rechtssphären ist unsicher und bestritten. Ein allgemein anerkanntes scharfes Kriterium wird sich kaum finden lassen47. Für die Subsumption eines Rechtssatzes kommt es oft darauf an, ob eine Rechtseinrichtung vorwiegend im Interesse des Staates oder zum- Nutzen der beteiligten Privatpersonen geschaffen ist; und darüber wird bei dem Ineinandergreifen beider Interessenkreise im einzelnen Fall leicht Meinungsverschiedenheit bestehen48. Die sich daraus für die Tragweite des Art. 55 ergebenden Zweifel werden zum größten Teil dadurch beseitigt, daß das EG. in zahlreichen Artikeln ganze Materien dem Landesrecht überweist, wodurch die Untersuchung, ob es sich dabei um öffentliches Recht handelt, überflüssig wird. Im übrigen ist davon auszugehen, daß ein Rechtsverhältnis, wenn es im BGB. geregelt ist, eben dadurch dem Privatrecht zugezählt und daher dem Landesrecht entzogen ist 4 9 . In diesem Sinne sind ζ. B. die Rechtssätze, welche für die Stiftung oder die Ausgabe von Inhaberpapieren staatliche Genehmigung erfordern, BGB. § 80, 795, als Bestandteile des Privatrechts zu betrachten. Ebenso ist die Haftung der Beamten, § 839, und des Fiskus für die Beamten, § 89, reichsrechtlich in das Privatrecht aufgenommen, und dadurch die landesrechtlichen Bestimmungen, soweit nicht der Vorbehalt des Art. 77 in Betracht kommt, beseitigt 60 . Ist jedoch ein Rechtsverhältnis im BGB. nicht geregelt, wohl aber im Landesrecht, so ist aus letzterem zu entnehmen, ob 46

Daher kann auch die Entstehung von partikulärem Gewohnheitsrecht nicht geduldet werden und würde nötigenfalls durch die Rechtsprechung des Reichsgerichts bekämpft werden; allerdings handelt es sich hier, wie beim Gewohnheitsrecht überhaupt, um eine Machtfrage der Zukunft. 47 Die modernen Definitionen sind nicht viel mehr als Umschreibungen oder Verdeutlichungen des römischen Satzes: publicum ju£ est quod ad statum rei romanae spectat, privatum quod ad singulorum utilitatem pertioet, § 4 1. 1, 1. 48 Vgl. unten § 31 I. 49 Endemann § 18 Note 8. 60 RG. 45, 162.

IV. Das Verhältnis des Bürgerlichen Gesetzbuchs zum Landesrecht.

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die betreffenden Rechtssätze dem öffentlichen Recht angehören und daher bestehen bleiben, oder nicht 6 1 . An zahlreichen Stellen des BGB. und in den Art. 57—152 des EG. sind Vorbehalte zu Gunsten des Landesrechts gemacht 62 . Ganze, zum Teil nicht unwesentliche Materien sind von der reichsrechtlichen Regelung ausgeschlossen. Man kann diese Artikel eine Verlustliste der deutschen Rechtseinheit nennen, wenn man vom Postulat einer absoluten Unifizierung des Privatrechts ausgeht. Aber man wollte und konnte die Rechtseinheit nicht schrankenlos durchführen. Man mußte Rücksicht nehmen einerseits auf die Verschiedenheit der lokalen (namentlich agrarischen) Verhältnisse, anderseits auf die im öffentlichen Recht hervortretende Selbständigkeit der Bundesstaaten. Aus einem dieser beiden Gesichtspunkte erklären sich die zahlreichen Vorbehalte 58 . Der Vorbehalt bezieht sich bisweilen auf einzelne Rechtssätze (z. B. Art. 71, 79, 85, 88 usw.), bisweilen auf ganze Materien ζ. B. Familienfideikommiß, Art. 63, Erbpacht, Art. 63, Anerbenrecht, Art. 64, Wasserrecht, Art. 65, Gesinderecht, Art. 95 usw. und ist in letzterem Fall bisweilen dahin beschränkt, daß einzelne Sätze des BGB. jedenfalls gelten sollen (vgl. Art. 95 II, Gesinderecht, Art. 61, 63, 68 usw.). Abgesehen von solchen Enklaven des Reichsrechts gelten für die ganze vorbehaltene Materie die landesrechtlichen Vorschriften, welche die vorbehaltene Materie speziell regeln (vorbehalten sind ζ. B. die Vorschriften, welche dem Wasser recht, Art. 65, dem Gesinderecht, Art. 95, angehören), also ζ. B. spezielle Vorschriften über Verjährung von Ansprüchen aus dem betreffenden Rechtsverhältnis ζ. B. über Verjährung des Gesindelohns. Wenn dagegen das Spezialrecht auf aufgehobenes allgemeines Landesrecht verweist, so tritt an Stelle desselben nach Art. 4 das BGB. 54 . Ebenso gilt BGB. für die Fragen, welche vor 1900 im Spezialrecht nicht besonders geregelt und daher nach allgemeinen Grundsätzen des Landesrechts zu entscheiden waren 55 . Hat ζ. B. das Landes61

Planck Art. 56, 2; D e r n b u r g § 13 I I I ; Enneccerus § 14 Note 4. Vgl. z. B. § 85, 233, 907, 919, 1315, 1784, 1807 usw. 58 Der Vorbehalt des Versicherungsrechts, Art. 75, war provisorisch gemeint bis zu einer reichsgesetzlichen Regelung und ist durch RGes. vom 12. Mai 1901 über die privaten Versicherungsunternehmungen und RGes. vom 30. Mai 1908 über den Versicherungsvertrag erledigt. Ebenso der Vorbehalt des Verlagsrechtes durch RGes. vom 19. Juni 1901 über den Verlagsvertrag. M Vgl. oben S. 9. 66 Wenn für ein Spezialgesetz, wie das preußische Eisenbahngesetz von 1838 (EG. Art. 105) keine Ergänzung aus dem allgemeinen Landesrecht zu* 62

Einleitung.

recht keine besondere Verjährung für Gesindelohn, so kommt BGB. § 196 Nr. 8 zur Anwendung. Ebenso ist, wenn in der Gesindeordnung über die Befugnis der Ehefrau, Dienstboten anzustellen, nichts bestimmt ist, jetzt BGB. § 1357 anzuwenden. Nur wenn das spezielle Landesrecht untrennbar mit einem Satz des aufgehobenen allgemeinen Landesrechts zusammenhängt und ihn notwendig voraussetzt, ist der allgemeine Satz als Bestandteil des Spezialrechts zu betrachten und daher durch den Vorbehalt geschützt 66 . Durch die Vorbehalte wird nur das BGB. ausgeschlossen sowie dessen Nebengesetze : die GBO. (das. § 83), das ZVG. (§ 2 des EG. zu diesem), das GFG. (das. § 189), nicht andere Reichsgesetze ζ. B. ZPO. oder KO. Daher gilt ζ. B. trotz Art. 95 für das Gesinderecht ZPO. § 888 I I (keine Zwangsvollstreckung zur Leistung von Diensten). Soweit die Vorbehalte reichen ist nicht nur das bestehende Landesrecht in Kraft geblieben, sondern es können auch nach Art. 3 neue landesgesetzliche Vorschriften erlassen werden resp. Gewohnheitsrecht sich bilden. Die Vorbehalte sind keine Reservatrechte der Bundesstaaten im Sinn der Reichsverfassung Art. 78. Sie können, soweit die legislative Kompetenz des Reiches reicht, im Wege der Reichsgesetzgebung beseitigt werden. Der tiefe Eingriff des BGB. und seiner Nebengesetze in das Gebiet der Landesgesetzgebung hat letztere veranlaßt, zwecks Anpassung des bestehen bleibenden Landesrechts an das Reichsprivatrecht Ausführungsgesetze zu erlassen, in welchen die vom BGB. den Landesrechten überlassenen Ergänzungen (ζ. B. die Einrichtung der Grundbücher) vorgenommen, für die Überleitung der Rechtsverhältnisse unter die Herrschaft des BGB. gesorgt und namentlich das durch die Vorbehalte der Landesgesetzgebung eingeräumte Gebiet in Einklang mit dem BGB. geregelt wird 6 7 . In den Ausführungsgesetzen sind zahlreiche Landesgesetze, deren Fortbestand nach Art. 55 zweifelhaft sein könnte, beseitigt, andere Landeslässig war, so findet auch das BGB. keine ergänzende Anwendung, RG. 63, 270 (für die Frage der Anwendbarkeit von BGB. § 254.) 86 Vgl. die einigermaßen divergierenden Anschauungen von Dernburg § 13 VII; Endemann § 18, 3; Enneccerus §14 111; Z i t e l m a n n in der oben Note 36 zitierten Schrift. 67 Die Ausführungsgesetze sämtlicher Bundesstaaten sind herausgegeben von Becher.

V. Übergangsbestimmungen.

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gesetze modernisiert ; bisweilen findet sich ein Verzicht der Landesgesetzgebung auf einen Vorbehalt, indem ein nach EG. dem Landesgesetz überlassenes Rechtsverhältnis dem BGB. unterstellt wird 6 8 . Das Landesprivatrecht ist in Folge der großen Verluste, die es durch das BGB. erlitten hat, zu einer zerrissenen und schwer zu bearbeitenden Materie geworden. Um so dankenswerter sind die als Ergänzung zum Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts von D e m b ü r g erscheinenden ausführlichen Darstellungen des Landesprivatrechts der einzelnen Bundesstaaten59. V. Übergangsbestimmungen. Daß das BGB. am 1. Januar 1900 in Kraft getreten ist, bedeutet nicht, daß von diesem Tage an alle Rechtsverhältnisse dem neuen Recht unterworfen waren. Das wäre ein gewaltsamer Eingriff in die vor 1900 im Vertrauen auf das damals geltende Recht begründeten Rechtsbeziehungen. Allerdings kann der Gesetzgeber, da er souverän i s t 6 0 , seinem Gesetz sogenannte rückwirkende Kraft 6 1 verleihen d. h. anordnen, daß auch die bereits entstandenen Rechtsverhältnisse räch neuem Recht zu beurteilen sind ; aber das widerstrebt im allgemeinen unserem Gerechtigkeitsgefühl und führt zu einer als unbillig empfundenen Schädigung der Personen, die ihre Beziehungen nach Maßgabe des früheren Rechtes geordnet haben. Auf der anderen Seite hat die konsequente Anwendung des früheren Rechtes auf bereits entstandene Rechtsverhältnisse große praktische Nachteile; die Geltung des neuen Rechts wird erheblich hinausgeschoben und die Rechtseinheit gestört ; das wäre ζ. B. der Fall, wenn man den Inhalt des Eigentums bei A anders beurteilen müßte, als bei B., weil A. das Eigentum vor 1900 erworben hat. Daher kann der Gesetzgeber bei einer Kodifikation nicht ganz auf 58 Bei Anwenduug eines solchen Rechtssatzes ist, obgleich er durch Landesgesetz eingeführt ist, Revision zulässig, RG. 59, 27. 69 Erschienen sind: Das Landesprivatrecht von Bayern (Oertmann), Sachsen (Kl ο ss), Mecklenburg (v. Buchka), Baden (Dorner), ElsafsLothringen (Kisch). 60 Soweit nicht Schranken in der Verfassung bestehen. 61 Der Ausdruck ist unpräzis. Die Wirkung eines Gesetzes, wie jeder anderen Tatsache, kann nach unseren Denkgesetzen nur in der Gegenwart oder Zukunft liegen, nicht in der Vergangenheit. Aber das Gesetz kann vorschreiben, daß ein Tatbestand, der vor 1900 liegt, von 1900 an so beurteilt werden soll, als ob das neue Recht schon damals gegolten hätte. Dafür ist Rückwirkung ein ungenauer aber bequemer Ausdruck.

Einleitung.

die sogenannte rückwirkende Kraft verzichten und muß eine angemessene Mittellinie suchen zwischen den schutzbedürftigen auf dem früheren Recht beruhenden Interessen und den Bedürfnissen, die zur neuen Regelung des Rechts geführt haben. Die gemeinrechtliche Doktrin 6 2 hat sich eifrig bemüht, allgemeine Prinzipien aufzustellen, nach welchen sich die Grenze der .zulässigen Rückwirkung bestimmen soll. Allgemein aufgestellt wird das Postulat, daß erworbene Rechte, jura quaesita, bei Wechsel der Gesetzgebung bestehen bleiben sollen, während Hoffnungen und Erwartungen eines Rechtserwerbs 68, die auf Grund des früheren Gesetzes bestanden, einen solchen Schutz nicht verdienen. Aber man ist über den Begriff des erworbenen Rechts nicht einig; bisweilen versteht man darunter nur solche Rechte, die durch eine spezielle Erwerbshandlung erlangt sind 6 4 ; diese Abgrenzung ist offenbar zu eng; warum soll ein nach altem Recht ex lege zugefallener Erwerb nicht ebenso geschützt sein, wie ein Erwerb, der auf Rechtsgeschäft beruht 66 ? Auch ist die Abgrenzung der subjektiven Rechte von den rechtlichen Eigenschaften und Fähigkeiten 6 6 eine sehr unsichere; ist die Geschäftsfähigkeit ein erworbenes Recht? Ist es die Vollmacht? Oder die gesetzliche Vertretungsmacht ? S a v i g n y 6 7 sucht das Unterscheidungsmerkmal darin, ob der neue Rechtssatz die Wirkung einer Tatsache bestimmt oder sich unmittelbar auf ein subjektives Recht, dessen Inhalt und Wirkung, dessen Dasein oder Nichtdasein bezieht. Ein Rechtssatz der ersten Art soll nur solche Tatsachen betreffen, die während seiner Geltungsdauer eingetreten sind; ein Rechtssatz der zweiten Art ergreift die schon bestehenden Rechte und regelt ihr Bestehen oder Nichtbestehen nnd ihren Inhalt. Demgegenüber ist zu bemerken 68, daß die Frage der Rückwirkung vom Gesetzgeber nicht sowohl nach dogmatischen Gesichtspunkten entschieden zu werden pflegt, als vielmehr aus der Abwägung der Interessen. Wenn ζ. B. das neue Gesetz Eigentumsbeschränkungen einführt, so wird es auf die bestehenden Eigentumsrechte Anwendung finden wollen, weil es sonvst 62 W i n d s c h e i d § 32; Regelsberger § 47—48; Gierke § 23—24; A ff oit er, Geschichte des intertemporalen Privatrechts. 68 Vgl. unten § 9. 64 Ferd. Las s alle, System der erworbenen Rechte, 1861. 06 Vgl. Dernburg, Pand. I § 43 Note 7. 66 Vgl. unten § 7. 67 System Bd. 8 § 384, und im Anschluß an ihn, Enneccerus § 56. G8 Vgl. W i n d s c h e i d § 32 Note 6.

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V. Übergangsbestimmungen.

auf unabsehbare Zeit hinaus unwirksam wäre, und nicht, weil es sich auf Rechte (statt auf Tatsachen) bezieht. Ferner ist die Unterscheidung, ob das neue Gesetz die Wirkung von Tatsachen oder den Inhalt von Rechten betrifft, überaus unsicher. In vielen Fällen lassen sich beide Auffassungen mit gleichem Recht vertreten ; wenn ζ. B. das neue Gesetz die Gefahr, die bisher der Käufer trug, dem Verkäufer auferlegt, so kann man darin ebensowohl eine Änderung des Rechtsverhältuisses sehen, als eine neue Bestimmung darüber, welche Wirkung die Tatsache des Untergangs der Kaufsache haben soll. M. Er. ist es bisher nicht gelungen, ein überzeugendes Prinzip für den Umfang der Rückwirkung aufzustellen, und es scheint, daß ein solches Prinzip sich auf diesem wesentlich von Utilitätserwägungen beherrschten Gebiet nicht finden läßt. Es läßt sich nur als Maxime für den Gesetzgeber aussprechen, daß er den bestehenden Rechtszustand nach Möglichkeit schonen und das Vertrauen, welches die Untertanen dem früheren Gesetz entgegenbrachten, nicht ohne zwingende Gründe täuschen solle. Daraus folgt, vorbehaltlich von Ausnahmen aus praktischen Gründen, daß Rechte, die bei Einführung des Gesetzes bereits entstanden sind, erhalten bleiben; ebenso daß unter dem alten Gesetz geschlossene Rechtsgeschäfte gültig bleiben. Insbesondere entspricht es der Billigkeit, daß für die Form eines Rechtsgeschäftes die zur Zeit des Abschlusses geltende Vorschrift maßgebend bleibt, tempus regit actum. Ferner ist anzunehmen, daß der Gesetzgeber die Rückwirkung, wo er sie für unentbehrlich erachtet, nicht weiter durchführen will, als notwendig ist. In der Regel wird daher die Rückwirkung in dem Sinn aufzufassen sein, daß das unter dem alten Gesetz entstandene Rechtsverhältnis vom Inkrafttreten des neuen Gesetzes an diesem unterliegt. Nur ausnahmsweise wird die Rückwirkung in der stärkeren Art vorkommen, daß bereits eingetretene Wirkungen des Rechtsverhältnisses nachträglich nach neuem Recht zu beurteilen sind. Das wird dann der Fall sein, wenn das neue Gesetz in Gestalt einer authentischen Interpretation auftritt. Aber auch dann ist anzunehmen, daß sich das neue Gesetz nicht auf Rechtsverhältnisse bezieht, welche bereits durch Erfüllung, Urteil, Vergleich oder ähnliche Rechtsakte erledigt sind. Hat ein Rechtssatz des neuen Rechts zwingenden Charakter, so ist daraus noch nicht auf Rückwirkung zu schließen 69 ; auch 69

Dernburg § 32 III.

Handbuch X . 1. I : v o n T u h r

I.

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Einleitung.

nicht notwendig bei Rechtssätzen, die auf sittlichen oder sozialen Erwägungen beruhen; denn solche Erwägungen spielen bei zahlreichen Rechtssätzen eine Rolle und unterliegen dem Wechsel der Anschauungen; daher kann sich der Gesetzgeber damit begnügen, die Zukunft nach den seiner Anschauung in diesen Fragen entsprechenden Vorschriften zu gestalten. Dagegen wird man Rückwirkung annehmen, wo das Gesetz in einem Tatbestand einen Verstoß gegen die guten Sitten sieht; daher findet der Wucherparagraph, § 138 I I , auch auf Rechtsgeschäfte Anwendung, die vor 1900 geschlossen sind 70 . Die Prozeßgesetze treten infolge ihrer öffentlich-rechtlichen Natur sofort in Kraft und gelten auch für die Beurteilung von Tatbeständen, die unter der Herrschaft des alten Rechts entstanden sind 71 . Das gilt aber nicht von materiellrechtlichen Bestimmungen, die in einem Prozeßgesetz enthalten sind 72 . Das BGB. hat, was bei dem Stand der Doktrin begreiflich war, kein allgemeines Prinzip über das Maß der Rückwirkung formuliert, sondern sich damit begnügt, die für die Rechtsanwendung wichtigsten Fragen durch einzelne Bestimmungen zu ordnen. Die Lücken des Gesetzes sind im Wege der Analogie unter Berücksichtigung der Struktur des betreffenden Rechtsverhältnisses und der Praktikabilität des Rechts auszufüllen 78. Als wichtigste Grundsätze seien hier von den Übergangsbestimmungen des EG. folgende hervorgehoben 74 : Für Form und materielle Gültigkeitserfordernisse von Rechtsgeschäften gilt altes Recht. Das ist speziell ausgesprochen für die Eheschließung, Art. 198 7δ , sowie für Errichtung und Aufhebung 70 Dagegen nicht die Ermäßigung der Vertragsstrafe nach § 843, RG. 44, 59, und des Ehemaklerlohns nach § 656, RG. 46, 152. 71 H e l l w i g , ZivProc. § 5. 72 Ζ. B. RG. 55, 254: § 57 des ZVG. findet nur dann Anwendung, wenn die Veräußerung unter der Herrschaft des neuen Rechts erfolgt. 73 Es besteht ein Parallelismus zwischen dem intertemporalen und dem internationalen Recht, so daß Analogieschlüsse zwischen diesen beiden Komplexen von Rechtsregeln zulässig sind. 74 Den maßgebenden Einfluß auf diesem von Jahr zu Jahr an Bedeutung verlierenden Gebiet hat die ausführliche Darstellung von H a b i c h t ausgeübt: Einwirkung des BGB. auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. A. 1901. Vgl. auch die Kommentare zum EG. und Ä f f ο I t e r , System des Übergangsrechts. 75 Eine nach altem Recht ungültige Ehe konvalesziert, wenn sie den Erfordernissen des neuen Rechts entspricht und die Ehegatten noch als solche miteinander leben.

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V. Übergangsbestimmungen.

von Testamenten, Art. 214, ist aber bei allen Rechtsgeschäften als Regel anzunehmen76. Dingliche Rechte unterstehen in bezug auf ihre Begründung dem Gesetz der Entstehungszeit77. Ist ζ. B. im Gebiet des französischen Rechtes Mobiliareigentum durch bloßen Vertrag erworben,· so bleibt es bestehen. Dagegen richten sich Inhalt und Schutz von Eigentum und Besitz nach neuem Recht, Art. 180, 181. Anders bei den Rechten an fremder Sache ; sie bleiben auch in Bezug auf ihren Inhalt dem alten Recht unterworfen, Art. 184. Nur die Grundpfandrechte verwandeln eich in Buchhypotheken, Art. 192. Für Schuldverhältnisse, die vor 1900 entstanden sind 78 , bleiben die bisherigen Gesetze maßgebend, Art 170. Das gilt vor Allem für den Inhalt der geschuldeten Leistung, für die Abtretbarkeit der Forderung, für das Rechtsverhältnis bei Mehrheit von Gläubigern oder Schuldnern usw. Aber das in Art. 170 ausgesprochene Prinzip wird nicht nach allen Richtungen durchgeführt. Theorie und Praxis haben angenommen, daß gewisse Tatsachen, welche nach 1900 ein früher begründetes Schuldverhältnis treffen, nach BGB. zu beurteilen sind 79 . So ist für die Höhe der Verzugszinsen entschieden worden, für die Folgen der Rechtshängigkeit, für Form und Wirkung der Zession und Schuldübernahme, für Aufrechnung, Hinterlegung usw. Nach den Motiven zum EG. S. 25t> sollen dem neuen Recht solche Tatsachen unterliegen, welche an die Obligation von außen herantreten und mit deren konkreten Beschaffenheit nicht in einem bedingenden Zusammenhang stehen. Diese Formulierung hat wenig systematischen Wert ; denn es ist ein Wortstreit, ob man ζ. B. die nachfolgende Unmöglichkeit der Leistung mit P l a n c k als eine mit der Obligation innerlich zusammenhängende Tatsache auffaßt, oder darin mit Ν i ed ne r 8 0 eine von außen hinzutretende Tatsache sieht. Im allgemeinen hat sich in der restriktiven Auslegung des Art. 170 die attraktive Kraft des neuen Rechts gegen den Wortlaut und den sich daraus unmittelbar ergebenden Sinn des Gesetzes Bahn gebrochen. Eine wichtige Ausnahme vom Prinzip des Art. 170 statuirt 76 H a b i c h t S. 130 fg. Dagegen soll die Auslegung von Rechtsgeschäften nach BGB. erfolgen, RG. 59, 82. 77 H a b i c h t S. 378 fg. 78 Bedingte Forderungen werden als schon entstandene behandelt, Planck Art. 170, 3a. 79 Vgl. Planck zu Art. 170. 80 Art. 170 I I 3 c.

2*

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das EG. für Schuldverhältnisse, die auf längere Zeit berechnet zu sein pflegen, bei denen daher die Anwendung des alten Rechtes besonders störend wäre 8 1 : Miete, Pacht und Dienstvertrag. Diese Rechtsverhältnisse sollen sich nach BGB. richten, wenn sie nicht nach dem Inkrafttreten des BGB. für den ersten nach altem Recht zuläßigen Termin gekündigt werden, Art. 171. Mieter und Pächter haben, wenn die Sache nach 1900 veräußert wird, den im BGB. bestimmten Schutz, Art. 172, Die persönliche Rechtsstellung des Menschen und seine persönlichen Beziehungen zu Anderen richten sich im allgemeinen nach neuem Recht. Das gilt besonders für die Geschäftsfähigkeit; aber wer vor 1900 die Stellung eines Volljährigen durch venia aetatis 82 oder in sonstiger Weise (durch Heirat) erlangt hat, behält sie nach Art. 153. Nach neuem Recht bestimmen sich die persönlichen Beziehungen der Ehegatten zu einander, insbesondere der Unterhaltsanspruch, Art. 199, sowie das Recht der Ehescheidung^ Art. 201, während man sich beim Güterstand der Ehegatten für das Prinzip der Unwandelbarkeit sowohl des gesetzlichen als des vertragsmäßigen Güterrechts entschieden hat, Art. 200. Das Verhältnis der Eltern und Kinder richtet sich in persönlicher und vermögensrechtlicher Beziehung nach neuem Recht, Art. 203. Für ein vor 1900 geborenes uneheliches Kind gilt in einigen Beziehungen (z. B. Unterhaltsanspruch) das alte Recht, Art. 208. Vormundschaft und Pflegschaft unterstehen dem BGB. Für die erbrechtlichen Verhältnisse entscheidet der Todestag des Erblassers, Art. 213. Insbesondere bestimmt sich das gesetzliche Erbrecht nach dem BGB., wenn der Erblasser nach dessen Inkrafttreten verstorben ist. Das Intestaterbrecht wird als jederzeit entziehbare Anwartschaft nicht geschützt; aber auch nicht das Pflichtteilsrecht, während eine durch Erbvertrag oder gemeinschaftliches Testament vor 1900 hergestellte Bindung des Erblassers bestehen bleibt, Art. 214 II. Auf der anderen Seite erhalten, wenn der Erblasser nach 1900 stirbt, solche Personen einen Pflichtteil, denen er früher nicht zukam z. B. der Ehegatte. Für die Wirkung des Zeitablaufs (Verjährung, Ersitzung) sind übereinstimmende Übergangsvorschriften erlassen, Art. 169,185. 81

Auf derselben ratio beruht Art. 173, nach welchem die Gemeinschaft nach Bruchteilen dem neuen Recht unterliegt. 8 " H a b i c h t S. 45; Savigny, System Bd. 8 S. 415, erklärte die Volljährigkeit für ein erworbenes Recht; diese Ansicht dürfte jetzt allgemein aufgegeben sein; vgl. unt. § 7 Note 4.

VI. Arten der im Bürgerlichen Gesetzbuch enthaltenen Rechtssätze.

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Ist nach altem Recht der Anspruch verjährt, die Sache ersessen, so bleibt es dabei. Ist die nötige Zeit noch nicht abgelaufen^ so kommt vor 1900 das alte Recht zur Anwendung, von da an das neue. Schwierigkeiten macht die Verschiedenheit der Zeitdauer; ist die neue Zeit kürzer, als die alte, so wird sie vom Inkrafttreten des BGB. an berechnet, wodurch eine unbillige Schädigung des verlierenden Teils jedenfalls vermieden wird; würde aber die alte Frist vor Ende der neuen ablaufen, so bleibt es natürlich dabei. Hat umgekehrt das BGB. die längere Frist, so läuft diese vom Beginn der Verjährung resp. Ersitzung. Soweit das alte Recht infolge der Übergangsvorschriften des EG. in Kraft bleibt, kann es nach Art. 218 durch Landesgesetz geändert werden. Die Ausführungsgesetze haben diese Erlaubnis vielfach dazu benutzt, das BGB. für einzelne Materien bereits früher einzuführen, als sich aus dem EG. ergeben würde, oder wenigstens das fortgeltende Landesrecht für das Übergangsstadium dem BGB. anzupassen. Insbesondere sind die Güterstände des Landesrechts meistens in die entsprechenden Güterstände des BGB. übergeführt worden 88 . VI. Arten der im Bürgerlichen Gesetzbuch enthaltenen Rechtssätze. 1. Der I n h a l t der R e c h t s s ä t z e . Untersucht man die privatrechtlichen Rechtssätze nach ihrem Inhalt, so kann man unterscheiden 84: 1. Den Kern des Privatrechts bilden die im Gesetz ausdrücklich oder häufiger implizite 85 enthaltenen Gebote und Verbote des Handelns, normae agendi 86 : dem Schuldner ist eine bestimmte, dem Gläubiger zu Gute kommende Handlungsweise (Tun oder Unterlassen) vorgeschrieben ; aus dem Eigentum und den sonstigen absoluten Rechten, auch aus dem Besitz 87 , ergibt sich ein an alle Dritte 83 Die einzelnen Vorschriften des EG. sollen bei den Rechtsverhältnissen, auf die sie sich beziehen, besprochen werden. 84 Regelsberger § 27; Crome § 19; Enneccerus § 27; Biermann § 28; E i t z b a c h e r , Handlungsfähigkeit 43fg. 85 Denn die Sprache unserer Gesetze ist nicht befehlend, sondern darstellend; es ist dies ein Vermächtnis aus der Periode des gelehrten Rechtes. 86 Entsprechend den Normen, welche B i n d i n g , die Normen und ihre Übertretung, und Handbuch § 30, als den Strafandrohungen zugrundeliegend nachgewiesen hat. 87 Deutlicher als sonst, aber immerhin nicht in imperativer Fassung,

Einleitung.

gerichtetes Störungsverbot. Auf diese Weise sind zahllose für die Beziehungen der Menschen unter einander wichtige Handlungen positiv oder negativ normiert, zur Rechtspflicht erhoben 88 ; daneben bleibt ein großes Gebiet der rechtlich indifferenten Handlungen89, 2. Neben den gebietenden und verbietenden Rechtssätzen stehen die gewährenden Rechtssätze: einem Subjekt wird eine rechtliche Herrschaft über einen Teil der Außenwelt zugesprochen, ein Herrschaftsrecht 90 (dingliches Recht oder Forderung), oder es wird ihm die rechtliche Macht verliehen, durch seinen Willen den Rechtszustand zu gestalten (sekundäre Rechte) 91 . Man kann die rechtsgewährenden Rechtssätze logisch in Normen auflösen 92 ; man kann z. B. sagen: wenn A Eigentümer einer Sache ist, so bedeutet das: es ist allen Menschen außer A die Einwirkung auf die Sache verboten; wer trotzdem eingreift, dem ist auf Verlangen des A geboten, den früheren Zustand wieder herzustellen. Auch die sekundären Rechte lassen sich durch logische Analyse auf Gebote und Verbote zurückführen. Aber dabei geht meines Erachtens die Anschaulichkeit der Rechtsbegriffe verloren ; es wird ζ. B. beim Eigentum der Schwerpunkt des Rechtverhältnisses an die Peripherie verlegt: während nach natürlicher Anschauung die Herrscherstellung des Eigentümers das Primäre ist und das Störungsverbot an Dritte zum Schutz dieser Stellung dient, müßte man vom Störungsverbot ausgehen und als Konsequenz desselben die Machttritt die Norm hervor in § 858: „wer dem Besitzer ohne dessen Willen den Besitz entzieht, handelt widerrechtlich (verbotene Eigenmacht)a. 88 Vgl. unt. § 4. 89 Die Normen des Privatrechts richten sich an die beteiligten Privatpersonen; dem Richter ist vorgeschrieben, das Gesetz richtig anzuwenden, d.h. zu konstatieren, ob die Beteiligten die für sie geltenden Normen befolgt haben oder nicht, und daraus die itn Gesetz vorgesehenen Konsequenzen abzuleiten. M. E. Mayer, Rechtsnorm und Kulturnorm, macht den interessanten Versuch, die Rechtsordnung so zu denken, daß die Vorschriften des Gesetzes als Befehle an den Richter erscheinen, während für das Handeln der Privatpersonen die aus der Lebenserfahrung entnommenen sogenannten Kulturnormen maßgebend sind. Diese Auffassung ist unverkennbar geeignet, das Problem des Rechtsirrtums im Strafrecht zu vereinfachen, hat aber nicht vermocht, im Zivilrecht die althergebrachte und wohl auch natürlichere Anschauung zu erschüttern, nach welcher die vom Gesetz statuierten Pflichten den Privatpersonen auferlegt sind; vgl. Thon, JheringsJ. 50, 12. 90 Vgl. unt. § 6. 91 Vgl. unt. § 7. 92 Thon, Rechtsnorm und subjektives Recht, B i e r l i n g , Juristische Principienlehre, W i n d s c h e i d § 27 Note 7.

,

VI. Arten der im Bürgerlichen Gesetzbuch enthaltenen Rechtssätze.

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Stellung des Eigentümers ableiten; darum ist diese Auffassung nicht als logisch unmöglich, aber als systematisch unzweckmäßig zu verwerfen. 3. Außer Normen und Rechtsgewährungen enthält jede Rechtsordnung andere Rechtssätze, welche ohne selbständige Bedeutung zu haben, zur Ergänzung und genaueren Ausgestaltung von normierenden oder rechtsgewährenden Rechtssätzen dienen. Dazu gehören : die gesetzlichen Definitionen 98 ; wenn ζ. B. das BGB. in § 90 vorschreibt, was unter Sache zu verstèhen ist, so liegt darin eine aus Gründen der Gesetzestechnik (zur Vermeidung von Wiederholungen) vorgenommene Verdeutlichung aller Rechtssätze, welche Bestimmungen über Sachen treffen 94 ; die Rechtssätze, welche den Inhalt eines anderen Rechtssatzes für gewisse Fälle einschränken 95, ausdehnen96 oder abändern 97 . Solche Zusätze sind logische Bestandteile des Hauptrechtssatzes und nur aus stilistischen Gründen zu besonders formulierten Nebensätzen gemacht: wollte der Gesetzgeber den genauen Umfang des Tatbestandes einer Rechtsvorschrift in einem grammatikalischen Satze aussprechen, so würde die Formulierung unübersichtlich und schwerer verständlich sein, als wenn der Tatbestand zunächst in großen Zügen angegeben und dann durch Zusätze in die richtigen Schranken eingeschlossen wird. Unselbstständig in einem anderen Sinn sind Rechtssätze, welche ihren Inhalt nicht in sich selbst tragen, sondern aus einem anderen Rechtssatz übernehmen. Dazu gehören die Rechtssätze, welche auf andere Rechtssätze verweisen oder deren entsprechende Anwendung anordnen. Auf diesem Wege wird ein Rechtssatz, der für einen Tatbestand ausgesprochen ist. als maßgebend für einen anderen Tatbestand erklärt, ohne daß eine ermüdende Wiederholung der 98

Die im BGB. enthaltenen gesetzlichen Definitionen sind aufgezählt bei Planck, Einleitung IV 3. 94 Nichts anderes als eine Definition ist eine Auslegungsvorschrift, die. sich auf eine gesetzliche Bestimmung bezieht, ζ. B. § 186fg. über die Berechnung gesetzlicher Fristen. Hier wird näher festgestellt, was das Gesetz unter ein Jahr, ein Monat usw. versteht. 96 Ζ. B. § 97 I, 2: „Eine Sache ist nicht Zubehör, wenn sie im Verkehr nicht als Zubehör angesehen wird." 96 Z.B. § 95 I, 2: „Das Gleiche gilt von einem Gebäude usw." 97 Z.B. § 932 I , 2: „In dem Falle des § 929 , 2 gilt dies jedoch nur dann usw."

Einleitung.

Gesetzesworte nötig wäre. BGB. hat von diesem Verfahren einen reichlichen Gebrauch gemacht , ohne in die Übertreibung zu verfallen, deren sich der I. Entwurf in dieser Richtung schuldig machte. Dasselbe Resultat, Übertragung eines Rechtssatzes auf einen neuen Tatbestand, wird vom BGB. in zahlreichen Fällen vermöge einer Fiktion erreicht 98 : um die Rechtsregel, die für den Tatbestand a aufgestellt ist, auf den Tatbestand b auszudehnen, schreibt das Gesetz vor, daß der Tatbestand b als a zu gelten habe d. h. rechtlich so zu behandeln ist, als ob a vorläge; wenn der Tatbestand b, den man die Fiktionsbasis99 nennen kann, vorliegt, wird a fingiert d. h. es werden die für a vorgeschriebenen Rechtsfolgen angewendet. Das Verfahren empfiehlt sich durch seine gesetzestechnische Einfachheit: wollte ζ. B. der Gesetzgeber in § 108 I I 2 ohne Fiktion auskommen, so hätte er sagen müssen: „wird die Genehmigung (innerhalb zwei Wochen) nicht erklärt, so wird der Vertrag definitiv ungültig" oder: „so treten dieselben Wirkungen ein, wie bei Verweigerung der Genehmigung". Kürzer und prägnanter ist die Fiktion: „so gilt die Genehmigung als verweigert" 10 °. Da der Gesetzgeber in der Anordnung von Rechtsfolgen souverän ist, so kann er für zwei verschiedene Tatbestände durch Verweisung, oder wenn es sich technisch empfiehlt, durch Fiktion dieselbe Wirkung bestimmen; aber die Tatbestände bleiben deswegen doch verschieden; es wäre daher unrichtig, aus der Fiktion den Schluß zu ziehen, daß die Tatbestände a und b, denen das Gesetz gleiche Wirkung beilegt, deswegen identisch oder auch nur gleichartig sein müßten. So ist ζ. B. der Irrtum über Eigenschaften nicht deswegen ein Fall des Irrtums in der Erklärung, weil er nach §119 I I (in Bezug auf seine rechtliche Behandlung) als solcher gelten soll. Hier wäre es zur Vermeidung unrichtiger Subsumption vorsichtiger gewesen, sich ohne Fiktion zu behelfen und § 119 I I etwa so zu fassen: „dasselbe gilt für den Irrtum über solche Eigenschaften usw." In diesem Sinne ist ein übermäßiger Gebrauch der Fiktion nicht ohne Gefahr für die Interpretation des Gesetzes. 98

Demelius, die Rechtsfiktion (1859); J h e r i n g , Geist I I I , § 58; Hèdemann, Vermutung 238; Biermann § 30; Bernhöft, Zur Lehre von den Fiktionen in der Festgabe für E. J. Bekker. 99 Bekker, Pand. § 95 Beil. I. 100 Eine der wichtigsten Fiktionen des BGB. ist § 892: „Der Inhalt des Grundbuchs gilt als richtig". Beim Mobiliarerwerb wird der Schutz des guten

VI. Arten der im Bürgerlichen Gesetzbuch enthaltenen Rechtssätze.

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2. N a c h g i e b i g e s und z w i n g e n d e s R e c h t 1 0 1 Die Rechtsordnung ist prinzipiell vom Willen des Einzelnen unabhängig : die gesetzlichen Vorschriften wirken durch den Willen des Staates. Aber das bürgerliche Recht ist ob singulorum utilitatem geschaffen; darum erlaubt der Gesetzgeber den Beteiligten, statt der vorgeschriebenen Ordnung eine andere, ihren individuellen Bedürfnissen entsprechende aufzustellen, ζ. B. die Verhältnisse des Nachlasses durch Testament (§ 1937, 1940) oder Erbvertrag (§ 1941) zu ordnen, das eheliche Güterrecht durch Ehevertrag zu regeln, § 1432. Die allgemeine Befugnis des Rechtssubjektes, seine Beziehungen zu anderen Menschen durch Vertrag zu bestimmen (Vertragsfreiheit) ist im Gesetz nicht ausdrücklich ausgesprochen, sondern als selbstverständlich vorausgesetzt, indem der Gesetzgeber Voraussetzungen, Formen und Wirkungen der Verträge regelt und der Vertragsfreiheit gewisse Schranken setzt 1 0 2 . Man kann von einer durch das Gesetz gewährten Privatautonomie sprechen in dem Sinne, daß das Rechtssubjekt über die Gestaltung seiner subjektiven Rechte innerhalb der gesetzlichen Schranken nach eigenem Willen verfügen kann. Der Privatautonomie gegenüber ist das Zivilrecht in der Regel nachgiebig: es tritt hinter die von den Parteien getroffene Verfügung zurück; es will nur in Ermangelung einer rechtsgeschäftlichen Regelung wirken oder eine unvollständige rechtsgeschäftliche Bestimmung ergänzen 103. Das nachgiebige Recht überhebt die Parteien der Notwendigkeit, spezielle Verabredungen über alle möglichen Nebenpunkte und weitere Gestaltungen ihres Rechtsverhältnisses durch künftige Ereignisse zu treffen: wer Vermögen hinterläßt, weiß, daß das Gesetz eine Verteilung des Nachlasses angeordnet hat, und braucht, wenn er mit dieser Verteilung einverstanden ist, nicht zu disponieren; wer einen Käuf abschließt, braucht nur Sache und Kaufpreis zu verabreden; über Mängel, Gefahr, Entwehrung usw. bestimmt das Gesetz in fürsorglicher Weise. Da diese Rechtssätze den Zweck haben, Verabredungen überflüssig zu machen, so werden sie vom Glaubens ohne Fiktion hergestellt: „Der Erwerber wird auch dann Eigentümer, wenn die Sache nicht dem Veräußerer gehört," § 932. 101 Regelsberger § 32; E h r l i c h , das zwingende und nichtzwingende Recht. 10a Bülow, ArchCivPr. 64, 71 fg.; Eisele, ArchCivPr. 69, 71 fg.: vgl. auch H e l l wig, CivProc. § 89 III. 103 Es will nicht zwingen, sondern nur disponieren ; daher der wenig bezeichnende, aber im Gemeinen Recht übliche Ausdruck: dispositives Recht.

Einleitung.

Gesetzgeber so formuliert, wie der durchschnittliche Wille der Parteien wäre, wenn sie die betreffenden Fragen vorgesehen und vertragsmäßig geordnet hätten 1 0 4 . Darum entspricht das nachgiebige Recht in der Regel dem vermutlichen Willen der Parteien 105 , aber es beruht nicht auf diesem Willen : es kommt auch dann zur Anwendung, wenn ein Beteiligter nachweislich den Rechtssatz nicht gekannt oder falsch aufgefaßt hat. Wird ζ. B. eine Ehe ohne Ehevertrag geschlossen, so gilt das gesetzliche Güterrecht, nicht weil es stillschweigend gewollt ist, sondern weil das Gesetz für den Fall fehlender Verabredung so bestimmt loe und eine Verabredung, gleichgültig aus welchen Gründen, nicht stattgefunden hat. Vom ergänzenden Recht ist zu unterscheiden das auslegende Recht 1 0 7 : während das ergänzende Recht nur dann zur Anwendung kommt, wenn die Parteien eine Disposition nicht getroffen haben, setzt das Auslegungsrecht gerade umgekehrt das Vorliegen einer Parteibestimmung voraus, über deren Sinn Zweifel bestehen. Auch hier kommt das Gesetz den Parteien und namentlich dem Richter zur Hilfe, indem es den Sinn des mehrdeutigen Ausdrucks für den Fall fixiert, daß sich nicht aus dem Rechtsgeschäft oder den Umständen eine andere Bedeutung nachweisen läßt. Die Auslegungsregel wirkt nicht in Ermangelung eines Parteiwillens, sondern wie 104

Historisch entsteht dispositives Recht sehr oft aus Parteiverabredungen, die für ein Rechtsverhältnis typisch und allmählich selbstverständlich geworden sind; so ζ. B. im römischen Recht die stipulatio de evictione, das pactum de vendendo beim Pfandrecht; für das Wechselrecht vgl. Goldschmidt, Universalgeschichte des Handelsrechts I 403. 106 Als Beispiel mißlungenen dispositiven Rechts im BGB. kann man die §§ 350—353 erwähnen, wélche zwar für die Wandelung passen, nicht aber für den verabredeten Rücktritt; vgl. De m burg I I § 108 VI. Solche Rechtssätze sind gefährlich, obgleich sie wegbedungen werden können; denn die Parteien unterlassen oft eine ihren Interessen entsprechende Verabredung» weil sie an die Möglichkeit des Eintritts des kritischen Falls nicht denken oder darauf vertrauen, daß das Gesetz eine angemessene Lösung gibt. 106 Der Gesetzgeber hält die von ihm gewählte Regelung für die normale ; auf diesem Gedanken beruht die auf den ersten Blick auffallende Bestimmung, daß ein Entmündigter ein Testament zwar nicht errichten, aber aufheben kann, § 2229 I I I , 2253 IL Durch Widerruf des Testamentes kommt das Intestaterbrecht zur Geltung, welches die nach Ansicht des Gesetzgebers angemessene Verteilung des Nachlasses bewirkt. 107 Stammler, Schuldverhältnisse 55 ; gegen die Unterscheidung K ö h l e r , ArchCivPr. 96, 368, De m bürg § 19 II. Von den Auslegungsregeln sind zu unterscheiden die dem Prozeßrecht angehörenden Vermutungen, Hedemann, Vermutung 227 fg.

VI. Arten der im Bürgerlichen Gesetzbuch enthaltenen Rechtssätze.

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das BGB. zu sagen pflegt, „im Zweifel". Der gemeinsame Charakterzug des ergänzenden und auslegenden Rechts besteht darin, daß die Anwendung der Rechtssätze beider Art von den Parteien ausgeschlossen werden kann: das ergänzende Recht wird bei Seite geschoben, wenn die Parteien eine Bestimmung treffen; das auslegende Recht, wenn die Parteien ihre Bestimmung so genau treffen, daß über deren Sinn kein Zweifel bleibt. Der Unterschied zwischen ergänzendem und auslegendem Recht tritt dann hervor, wenn für die Äußerung des rechtsgeschäftlichen Willens eine Form vorgeschrieben ist: das ergänzende Intestaterbrecht oder eheliche Güterrecht kann nur in der Form des Testaments oder Ehevertrags beseitigt werden : ein abweichender, aber nicht in dieser Form geäußerter Wille kommt nicht in Betracht. Wenn dagegen innerhalb eines formellen Rechtsgeschäfts (Testament oder Ehevertrag) ein Zweifel über den Sinn der Willensäußerung besteht, so können die dafür geltenden Auslegungsregeln (z. B. § 2066 fg.) durch den Nachweis des konkreten Parteiwillens bei Seite geschoben werden, ohne daß dieser Wille einen formellen Ausdruck gefunden zu haben braucht. Es gibt Rechtssätze, die durch den Willen der Beteiligten nicht abgeändert werden können; zwingendes Recht, ius cogens. Bei solchen Rechtssätzen läßt sich ein zugrundeliegendes öffentliches Interesse an der vom Gesetz vorgeschriebenen Ordnung konstatieren; trotzdem gehören sie dem Gebiet des Privatrechts an, wenn es sich um Rechtsverhältnisse der Rechtssubjekte unter einander, nicht zum Staat handelt 108 ; denn ein öffentliches Interesse besteht auch daran, daß gewisse Privatrechtsverhältnisse in bestimmter Weise geordnet sind. Zum zwingenden Recht gehört mit wenigen Ausnahmen das Verhältnis der Eltern und Kinder, die Vormundschaft sowie das persönliche Verhältnis der Ehegatten zu einander. Auf diesen Gebieten duldet das Gesetz keine Abweichung von der Ordnung, welche unseren Sitten und Anschauungen entsprechend im Gesetz aufgestellt ist. Zwingend sind die mit dem Grundbuch zusammenhängenden Einrichtungen des Immobiliarsachenrechts; im Recht der Mobilien das Prinzip, daß Eigentum und besonders Pfandrecht nur durch Besitz erworben werden kann, und der Ausschluß besonderer- Rechte an wesentlichen Be108 Darum ist der römische Ausspruch „ius publicum privatorum pactis mutari non potest" ungenau, insofern er auf zwingende Sätze des Privatrechts mitbezogen wird.

Einleitung.

standteilen, § 93. Dagegen kennt das Obligationenrecht nur ausnahmsweise zwingende Rechtsnormen zum Schutz des sozial oder ökonomisch schwächeren Kontrahenten z. B. § 138, I I (Wucherverbot), § 248 (Zinseszins), § 617, (319 (Schutzvorschriften beim Dienstvertrag). Im Erbrecht ist der Pflichtteil jus cogens. Das Verhältnis des zwingenden Rechts zum Parteiwillen kann ein verschiedenes sein : auf einigen Gebieten (ζ. B. im persönlichen Verhältnis der Ehegatten) ist jede rechtsgeschäftliche Bestimmung ausgeschlossen. Andere zwingende Rechtssätze sind für den Fall bestimmt, daß die Beteiligten in ein Rechtsverhältnis treten wollen; sie setzen einen Parteiwillen voraus und regeln in unabänderlicher Weise die Voraussetzungen und die Wirkungen des Parteiwillens; so die Formvorschriften und die \7orschriften, welche der Verabredung innerhalb eines Vertrages Schranken setzen ζ. B. § 617, 619 1 0 9 . Das BGB. hat keine feste Bezeichnung für nachgiebiges und zwingendes Recht. Bisweilen, aber nicht immer ist die zwingende Natur einer Vorschrift dadurch gekennzeichnet, daß das Gesetz entgegenstehende Verabredungen für unwirksam erklärt. Anderseits wird die Nachgiebigkeit eines Rechtssatzes durch die Zusätze „im Zweifel" oder „wenn nichts anderes bestimmt ist" zum Ausdruck gebracht. Dazwischen bleiben eine große Anzahl von Rechtssätzen, bei denen man aus Zweck und Bedeutung entnehmen muß, zu welcher Kategorie sie gehören n o . Eine Meinungsverschiedenheit hat sich bisher nur selten ergeben 111 . 3. S t r e n g e s und b i l l i g e s Recht. Ein Rechtssatz gehört dem strengen Recht an, ius strictum, wenn er für einen genau fixierten Tatbestand eine ebenso genau bestimmte Rechtsfolge anordnet. Als Beispiel kann die Festsetzung 109

Eigenartig ist die inhaltliche Beschränkung des Ehevertrags: „Unzulässig ist nach § 1433 die Verweisung auf nicht mehr geltendes oder ausländisches Recht. Ferner kann die fortgesetzte Gütergemeinschaft im Ehevertrag zwar ausgeschlossen, aber nicht abgeändert werden, §§ 1507, 1508. 110 Schutz des schwächeren Kontrahenten ist nicht ohne weiteres Indiz für zwingendes Recht, ζ. B. ist die Bestimmung des § 616, obgleich sie auf diesem Motiv beruht, nicht zwingend, wie sich aus § 619 ergibt. 111 Innerhalb der zwingenden Rechtssätze, insbesondere der Formvorschriften, unterscheidet man in bezug auf die Rechtsfolgen des Zuwiderhandelns: sogenannte Mußvorschriften (das gegen das Gesetz verstoßende Rechtsgeschäft ist unwirksam), und Sollvorschriften (die Übertretung bewirkt nicht Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts).

VI. Arten der im Bürgerlichen Gesetzbuch enthaltenen Rechtssätze.

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der Verzugszinsen auf 4 °/o dienen, § 288, die Endigung der Miete durch Kündigung nach § 565, die Abstufung der Geschäftsfähigkeit nach festen Altersgrenzen. Solche Rechtssätze haben den Vorzug, daß sie eine sichere Entscheidung ermöglichen; die Parteien wissen von vornherein, wie sich ihr Rechtsverhältnis gestaltet und können voraussehen, wie der Richter entscheiden wird. Aber das Rechtsleben läßt sich nur ausnahmsweise durch starre Vorschriften regeln. Die in abstracto unübersehbare Verschiedenheit der Verhältnisse, namentlich bei unseren hochentwickelten Verkehrsbeziehungen, würde dazu führen, daß die starre Regel in den meisten Fällen als ungerecht, weil den Umständen nicht angemessen empfunden würde. Anderseits könnte ein Versuch, durch kasuistische Ausgestaltung der Regel allen Modifikationen des Tatbestandes gerecht zu werden, aus dem Gesetz ein unübersehbares Gewirr von Detailvorschriften machen, welche doch nicht ausreichen würden, die stets sich erneuernde Mannigfaltigkeit der Tatsachen in zutreffender Weise,zu normieren; es bleibt daher dem Gesetzgeber nur der Ausweg, den schon die Römer mit ihren Formelworten ex bona fide gefunden haben; die Rechtssätze so elastisch zu formulieren, daß sie sich den wechselnden Vorgängen des Lebens anpassen können. Solche Rechtssätze können wir in Anlehnung an das römische ius aequum billiges Recht nennen 112 · Die Rücksicht auf die dem Auge und Wort des Gesetzgebers nicht zugängliche Verschiedenheit der Umstände kann sich darin zeigen, daß dem Tatbestand eines Rechtssatzes keine schroffen Grenzen gezogen werden; so z. B. in den zahlreichen Fällen, in denen das BGB. die Auflösung eines Rechtsverhältnisses aus „wichtigem Grunde" zuläßt, oder in § 328, wo der Richter „aus den Umständen, insbesondere aus dem Zweck des Vertrags" zu entnehmen hat, ob der Dritte ein Recht erworben hat ; oder in § 1568 (relative Scheidungsgründe). In anderen Fällen liegt die Elastizität des Rechtssatzes in der vom Gesetzgeber nicht fest bestimmten 112

Die historische Entwicklung führt meistens vom starren Recht, welches einer primitiven und bäuerlichen Kulturstufe entspricht, zum billigen Recht, welches allein imstande ist, einem lebhaften Verkehr und komplizierten Lebensverhältnissen zu genügen. Das beste Beispiel dieses historischen Vorgangs ist das Eindringen der bona fides in das System der römischen Kontrakte und die Milderung der Stipulation durch die exceptio doli. Bisweilen verläuft aber die Entwicklung in umgekehrter Richtung: Unsere Aufrechnung und unser Zurückbehaltungsrecht haben strenger formulierte Voraussetzungen als die exceptio doli, welche bei den Römern zu diesen Zwecken diente

Einleitung.

Rechtsfolge· Das gilt vor allem vom § 242, der für den Umfang der Leistung des Schuldners auf „Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte a verweist; sodann von den zahlreichen Fällen, in denen dem Schuldner eine „angemessene Frist" gesetzt werden kann, von der „billigen Entschädigung" des § 847 usw. Bisweilen ist die Rechtsfolge eines Tatbestands im Gesetz bestimmt fixiert, aber dem Richter erlaubt, aus besonderen Billigkeitsgründen von der Regel des Gesetzes abzuweichen, so ζ. B. in § 1635 118 . Bei elastischen Rechtssätzen ist der Gesetzesbefehl gewissermaßen in bianco erlassen; die nähere Bestimmung des Inhaltes innerhalb des vom Gesetz gezogenen Rahmens erfolgt durch die Parteien und im Fall des Streites durch den Richter; dabei hat der Richter die Umstände zu berücksichtigen; das bedeutet aber nicht, daß er willkürlich oder aus Gunst und Ungunst gegen die Personen entscheiden dürfe, sondern er hat den unbestimmten Befehl des Gesetzes im Sinn des Gesetzgebers zu vervollständigen d, h. die Entscheidung zu suchen, welche der Gesetzgeber bei einer kasuistischen Regelung des Rechtsverhältnisses getroffen hätte. Die Tätigkeit des Richters hat in solchen Fällen rechtsschöpferischen Charakter; aber was der Richter feststellt, ist kein Stück des objektiven Rechts, keine Rechtsregel, sondern das konkrete unter den Parteien bestehende Rechtsverhältnis, das sich aus der Bestimmung des Gesetzes und der richterlichen Ergänzung ergibt 1 1 4 · 4. V e r k e h r s s i t t e . An zahlreichen Stellen verweist das Gesetz auf die Verkehrssitte. Insbesondere sind Verträge mit Rücksicht auf die Verkehrssitte auszulegen, § 157; denn es ist anzunehmen, daß die Parteien bei unpräziser oder mehrdeutiger Fassung ihrer Verabredung das Verkehrsübliche gemeint haben. Auch bei näherer Bestimmung des Inhalts eines Schuldverhältnisses (sofern die Auslegung zu keinem Resultat führt, weil die Parteien an einen später wichtig werdenden Umstand überhaupt nicht gedacht haben) 113

Vgl. auch § 1612. In anderen Fällen hat der Richter die Befugnis, aus besonderen Billigkeitsgründen eine durch Parteiverabredung festgesetzte Rechtsfolge abzuändern, z.B. § 343, übermäßige Vertragsstrafe. Diese Art der richterlichen Tätigkeit hat eine Analogie zur römischen restitutio in integrum. 114 Dernburg § 19 Note 5; Z i t e l m a n n , Lücken im Recht S. 30fg„ vgl. unt. Note 148.

VI. Arten der im Bürgerlichen Gesetzbuch enthaltenen Rechtssätze.

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dient die Verkehrssitte als Anhaltspunkt, § 242. Aus der Verkehrssitte kann sich ferner ergeben, daß eine Annahmeerklärung auf eine Offerte nicht zu erwarten ist, § 151. Nach der Anschauung des Verkehrs bestimmt sich die Vertretbarkeit von Sachen, § 91, und die Zubehöreigenschaft, § 97; die nicht verabredete Vergütung bei Dienst- und Werkvertrag, § 612, 632, etc. 116 . In diesen und anderen Fällen hat der Richter die Entscheidung nicht aus dem Gesetz zu entnehmen, welches sich einer genauen Regelung des Rechtsverhältnisses enthält, auch nicht aus seiner persönlichen Ansicht über die dem vorliegenden Lebensverhältnis angemessene Normierung, sondern er hat sich nach dem zu richten, was allgemein in derartigen Verhältnissen zu geschehen pflegt. Dadurch wird die Verkehrssitte zu einer sekundären Rechtsquelle 116 ; sekundär insofern, als sie ihre Geltung dem Gesetze verdankt; darin unterscheidet sie sich vom Gewohnheitsrecht, welches eine dem Gesetz ebenbürtige Geltung beansprucht. Ferner setzt die Verkehrssitte bei den sie übenden Menschen keine opinio necessitatis voraus; die beteiligten Volkskreise wissen sehr wohl, daß vom Verkehrsüblichen in jedem Fall durch Verabredung abgewichen werden kann; es genügt, daß in Ermangelung einer besonderen Verabredung das Verhältnis in einer bestimmten Art geregelt zu werden pflegt. Mit dem Gewohnheitsrecht, und dem Recht überhaupt, hat die Verkehrssitte gemeinsam, daß sie ohne Rücksicht auf die Kenntnis der Parteien zur Anwendung kommt. Das versteht sich von selbst, wo der durch Verkehrssitte ergänzte Rechtssatz nicht auf dem Willen der Parteien beruht, ζ. B. bei der Abgrenzung der vertretbaren Sachen nach § 91. Aber dasselbe ist meines Erachtens auch da anzunehmen, wo die Verkehrssitte zur Auslegung des Parteiwillens dient, § 157 ; es ergibt sich aus Treu und Glauben, daß die Parteien, auch wenn sie den Inhalt der Verkehrssitte nicht kennen, mit der Existenz einer solchen rechnen und sich im Vertrauen auf die Angemessenheit derselben dem unbekannten Inhalt unterwerfen 117 . Die Verkehrssitte ist nach Ort und Volkskreisen und namentlich nach Geschäftsgebieten verschieden; besonders wichtig und entwickelt sind die im Handelsverkehr geltenden Gewohnheiten und 116

Vgl. auch die Ortsüblichkeit, § 919. Danz, Auslegung § 13· 117 Oertmann § 157, 2b; Staub, HGB., Allg. Einl. Anm. 25 und § 346 Anm. 9; etwas anders D e r n b u r g l § 2 8 VII, I I § 10. m

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Gebräuche, HGB. § 346. Die Verkehrssitte kann auch zeitlich wechseln; soweit das Gesetz auf sie verweist, ist es im voraus dem Wechsel der Lebensverhältnisse in gewissem Maße angepaßt 118 . 5. D i e g u t e n S i t t e n . Außerhalb der Rechtsordnung, ihr gleichstehend, aber aus anderer Quelle fließend und durch andere Mittel geschützt, steht die sittliche Ordnung. Während die Rechtsordnung die äußeren Handlungen der Menschen regelt und grundsätzlich diese Handlungen mit den Machtmitteln des Staates erzwingt oder wenigstens das Resultat herstellt, welches bei pflichtgemäßem Handeln eingetreten wäre 1 1 9 , wendet sich die Moral an die Gesinnung und beeinflußt den Menschen durch das Wachrufen von Vorstellungen, welche als Motive des Handelns wirken, sowie durch das tadelnde und ablehnende Verhalten der Mitmenschen. Infolge der Verschiedenheit des Ausgangspunkts und der Einwirkungsart von Recht und Moral ist ein Widerspruch zwischen diesen beiden das Leben des Menschen beherrschenden Mächten nicht ausgeschlossen ; ein Verhalten kann durchaus rechtgemäß sein upd doch der Moral widersprechen, wenn die Moral dem Menschen weitergehende Verpflichtungen auferlegt, als das Recht ζ. B. Unterstützung armer Verwandter. Und umgekehrt: eine Handluog kann moralisch gerechtfertigt sein, obgleich sie gegen das Recht verstößt, ζ. B. Eingriffe in fremdes Eigentum aus Mitleid und Humanität 120 . Die Rechtsordnung sucht aber solche Antinomien zu vermeiden, indem sie in zahlreichen und wichtigen Fragen auf die sittliche Ordnung Rücksicht nimmt. Dabei geht das Gesetz nicht so weit, jede sittliche Verpflichtung zu einer rechtlichen zu erheben; dadurch würde die für die Sittlichkeit charakteristische Freiwilligkeit verloren gehen und dem Richter eine nach unseren Begriffen unzulässige, weil schrankenlose, zensorische Befugnis eingeräumt werden. Daher bleiben Zuwendungen, durch die einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprochen wird, trotz dieser Umstände Schenkungen ; aber sie unterliegen in wichtigen Punkten einer besonderen Behandlung 121 ; auch können solche 118

Bisweilen wird die Verkehrssitte kodifiziert, ζ. B. die Börsenusancen; Staub, HGB., Allg. Einl. Anm. 36, 37. 119 Vgl. unt. § 15 V, VI. 180 Vgl. fr. 7 § 7 de dolo 4, 3; fr; 7 pr. depos. 16, 3. 121 § 534, 1446, 1641, «2330.

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Zuwendungen, wenn der Leistende sich aus Irrtum für rechtlich verpflichtet hielt, nicht zurückverlangt werden, § 814. Noch schärfer reagiert das Gesetz auf Verstöße gegen die guten Sitten; es will solche Handlungen nicht sanktionieren. Daher der wichtige Grundsatz des § 138 : Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig. Daher die Rückforderung einer Leistung, deren Zweck gegen die guten Sitten verstößt; bei beiderseitigem Verstoß gegen die guten Sitten versagt das Gesetz die Rechtshülfe, so daß die vollzogene Leistung dem Empfänger verbleibt, die versprochene Leistung nicht erzwungen werden kann, § 817. Noch weiter geht das BGB. in der Berücksichtigung der Sittenwidrigkeit, indem es in § 826 Ersatz des Schadens anordnet, der in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich zugefügt i s t 1 2 2 . Man streitet darüber, ob ein sittenwidriges Geschäft als verbotenes zu betrachten ist, weil es vom Gesetz für nichtig erklärt wird ; und ob eine sittenwidrige Handlung, weil das Gesetz Schadenersatz statuiert, zu den unerlaubten Handlungen zu zählen i s t 1 2 8 . Daraus, daß das Gesetz beide Tatbestände nebeneinander nennt (§ 134, 138), scheint hervorzugehen, daß im Sinn des BGB. die Vorschriften der Moral nicht, wie die Verkehrssitte, ergänzende Rechtsnormen sind, sondern daß es Handlungen gibt, welche rechtlich erlaubt sind, aber weil sie gegen sittliche Normen verstoßen, vom Gesetz in bezug auf die Rechtsfolgen den unerlaubten Handlungen gleichgestellt sind; der sittenwidrige Vertrag ist, wie der verbotene, nichtig; zu Ersatz verpflichtend ist, wie die verbotene, so die sittenwidrige Schädigung eines anderen 1 2 4 . Unter guten Sitten (boni mores) ist zu verstehen die nach herrschender Anschauung allgemein anerkannte Sittenordnung. Es handelt sich hier, im Gegensatz zur Verkehrssitte 126 , um Fragen 122

Weitere ethische Tatsachen, an welche das Gesetz Rechtsfolgen knüpft, sind: Der grobe Undank, § 530; der Mißbrauch des Rechts des Ehegatten, § 1353; das ehrlose oder unsittliche Verhalten als Grund der Scheidung § 1568, und der Entziehung des Pflichtteils, § 2333. Auch die Verzeihung § 532, 1570, 2337, ist ein ethischer Vorgang. 183 Oertmann § 138, Β 3c und § 826, 1. 124 Auch in bezug auf Notwehr steht eine Handlung des § 826 den rechtswidrigen Handlungen gleich. 125 Die Verkehrssitte entscheidet meistens moralisch indifferente Fragen, z.B. ob eiserne Öfen Zubehör sind, ob der Mieter die zur Anbringung eines Telephone nötigen Veränderungen im Hause vornehmen darf, usw. Handbuch X . 1. I :

v o n T u h r 1.

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Einleitung.

der Ethik. Ein Verhalten ist Verstoß gegen die guten Sitten, wenn es allgemein als sittenwidrig empfunden und verurteilt wird. Dabei darf sich der Richter nicht eines idealen Maßstabes der höchsten sittlichen Feinfühligkeit bedienen, sondern muß sich mit dem Durchschnittsmaßstab begnügen, nach welchem ζ. B. im Geschäftsleben ein hoher Grad eigennütziger Gesinnung toleriert wird 1 2 6 . Das Recht ist zwar ein Lehrmeister der Menschheit, aber die Ziele dieser Pädagogik können infolge der äußerlichen Einwirkung des Rechtes nicht so hoch gesteckt sein, wie die der Moral. Auf die sittlichen Anschauungen einzelner Volks- oder Berufskreise kann insofern Rücksicht genommen werden, daß eine Handlungsweise, welche allgemein betrachtet nicht zu beanstanden wäre, als Verstoß gegen die höheren Anforderungen eines engeren Menschenkreises erscheinen kann 1 2 7 . Dagegen dürfen umgekehrt Standesunsitten eines kleinen Kreises, die unter dem Niveau der allgemeinen Sittlichkeit liegen, keine Berücksichtigung finden 128. Ob der Einzelne seine Handlungsweise als sittenwidrig empfindet oder nicht, kommt für die Beurteilung nicht in Betracht, so wenig die Bemessung der Rechtsfolgen nach Gesetz oder Verkehrssitte von der Kenntnis dieser Vorschriften abhängt. Die sittlichen Anschauungen unterliegen im Lauf der Zeit einer Veränderung, wenn auch keiner so schnellen, wie die mehr von den äußeren Einrichtungen des Lebens abhängende Verkehrssitte. In diesem Sinne sind die Rechtssätze, welche auf die guten Sitten verweisen, einer allmählichen Wandelung des Inhaltes fähig 1 8 0 . 12β Mit Recht sagt ζ. B. das RG. 55, 373 : „Zwischen der Handlungsweise eines vornehmen Käufers und derjenigen eines Käufers, der im Geschäftsverkehr den Anforderungen der Redlichkeit und des Anstandes genügt, liegt ein Spielraum, der in den Grenzen der guten Sitten sich bewegt.u 187 Vgl. die Ausführungen des RG. 66, 139 über den Verkauf einer ärzt. liehen Praxis. 188 D e r n b u r g I I § 393 Note 8. 129 Oertmann § 138, B la. 180 Historisch ist die sittliche Anschauung oft die Vorläuferin eines Rechtssatzes. So galten ζ. B. gewisse Ausschreitungen im Konkurrenzkampf schon lange als unsittlich, bis sie durch das Gesetz über den unlauteren Wettbewerb verboten wurden und daher jetzt nicht mehr unter den Begriff des Verstoßes gegen die guten Sitten gebracht zu werden brauchen. Ebenso dient auch jetzt noch der Rechtssatz des § 826 zum Schutz der Interessen an der Peripherie der in fortschreitender Entwicklung befindlichen sogenannten Rechte der Persönlichkeit; vgl. unt. § 6 V.

V I I . Die Auslegung des Bürgerlichen Gesetzbuchs.

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V I I . Die Auslegung des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Äußerlich betrachtet ist das BGB. ein deutsches Gesetzbuch; die Fremdwörter sind in sehr radikaler Weise getilgt. Auch innerlich beruht vieles (z. B. das Grundbuchrecht, die Gütergemeinschaft, der Erbvertrag) auf deutschen Einrichtungen. Aber wesentliche Stücke des Gesetzes, namentlich im allgemeinen Teil und Obligationenrecht stammen aus dem römischen Recht und vor allem tragen die Denkformen und Begriffe des Gesetzbuchs das Gepräge der römischen, durch mittelalterliche und moderne Wissenschaft umgestalteten Jurisprudenz, wie sich ja auch die germanistische Wissenschaft die Vorzüge der römischen Methode angeeignet hat. Man wollte und konnte sich bei Abfassung des Gesetzbuchs dem Zusammenhang mit dem alten Recht nicht entziehen; man wollte einheitliches, nicht neues Recht schaffen und bei Gelegenheit der Kodifikation das Recht nur soweit ändern, als eine Entwicklung sich in bestimmter Richtung Bahn gebrochen hatte und zu einem Abschluß reif erschien. Daher sind die sozialen und wirtschaftlichen Grundlagen des bürgerlichen Lebens unberührt geblieben; freie Verfügung über das Eigentum und Vererblichkeit, freier Arbeitsvertrag, freie Konkurrenz in Handel und Gewerbe. Die soziale Gesetzgebung der 80 er Jahre (Arbeiterversicherung) ist weit mehr reformatorisch, als das BGB. Nur in einzelnen Punkten zeigt sich im Gesetzbuch, im Vergleich zum früheren Recht, eine soziale Tendenz : Schutz des Schwachen gegen die Übermacht des Kapitals. Dagegen suchten die Verfasser in formeller Beziehung ihre Vorgänger zu übertreffen durch genaue und unzweideutige Formulierung der Rechtssätze und deren Anordnung in ein übersichtliches System. Man kann dem BGB. das Lob nicht versagen, daß es sorgfältiger als andere Gesetzgebungen im gleichmäßigen Gebrauch seiner technischen Ausdrücke verfährt 181 und dadurch 131

Technisch gebraucht sind die Worte: Soll, muß, kann, darf, kann nicht, darf nicht; vgl. PlaDck, Einleitung IV 4. Auch die Verteilung der Beweislast ist durch festen Sprachgebrauch in der Satzbildung erkennbar gemacht, zum Teil in recht künstlicher Weise. Wir erfahren aus P l a n c k , Vorb. V zum Allgemeinen Teil, daß ein negativer Konditionalsatz eine Ausnahme vom Rechtssatz enthalten soll, wenn er init den Worten „wenn nicht u beginnt, daß er aber eine Voraussetzung des Rechtssatzes bedeutet, wenn das Wort „nicht" im Konditionalsatz weiter nach hinten steht. So ist z. B. in § 477 I die Arglist vom Käufer zu beweisen, weil es heißt: „Sofern nicht der Verkäufer den Mangel arglistig verschwiegen hat", während in § 151 der Kon3*

3t)

Einleitung.

manche überflüssige Kontroverse im Keime erstickt. Auch sind die Tatbestände und Rechtsfolgen meistens in präziser Weise festg e s e t z t 1 - 2 . Um dieser Vorzüge willen mußte man auf Volkstümlichkeit des Ausdrucks verzichten und eine, wenn auch nicht gelehrte, so doch technische Darlegung des Gesetzesinhalts wählen. Einen Vorwurf kann man meines Erachtens dem Gesetzgeber daraus nicht machen ; denn die Verhältnisse unseres Rechtslebens sind so kompliziert, daß eine dem Laien ohne weiteres verständliche Gesetzessprache nur auf Kosten der Korrektheit zu erzielen ist. Sprüchwörtliche oder formelmäßige Fassung eines Rechtssatzes prägt sich zwar dem Gedächtnis leicht ein, gibt aber keinen genügenden Aufschluß über den Sinn 1 8 8 . Die dargelegte Beschaffenheit des BGB. erleichtert die sachverständige A u s l e g u n g 1 3 4 . Einer solchen bedarf jedes, noch so trahent, welcher diesen Parapraphen anruft, zu beweisen hat, daß eine Erklärung nach der Verkehrssitte nicht zu erwarten war. Ob diese im Gesetz mehr versteckte als ausgesprochene Regel für die Auslegung bindend ist, ist streitig; vgl. Wach, Zeitschr. f. CivProc. 29, 359; L. Seuffert, das. 35,106: D e r n b u r g § 7 I I I ; Enneccerus § 51 I. 18ü Das Streben nach genauer Formulierung der Tatbestände hat dazu geführt, daß bisweilen Grundsätze von allgemeiner Tragweite in engere, nicht erschöpfende Regeln aufgelöst sind. So ist ζ. B. der Schadenersatz in Vertragsverhältnissen nur für den Fall der Unmöglichkeit der Leistung, § 276, und des Verzuges, § 286, statuiert, während doch der Schuldner auch in anderer Weise durch rechtswidriges Verhalten den Gläubiger schädigen kann und wie im früheren Recht, so auch im BGB. der Schaden zu ersetzen ist. Über die Ausfüllung dieser Lücke durch die Jurisprudenz vgl. Oertmann § 276, 5. Ferner ist die gesamtschuldnerische Haftung zweier Personen angeordnet in § 830 für den Fall einer gemeinschaftlich begangenen unerlaubten Handlung und in § 840 für den Fall, daß mehrere für eine unerlaubte Handlung haften; unerwähnt ist der Fall geblieben, daß mehrere Personen durch selbständige Handlungen (ζ. B. zwei Vertragsschuldner jeder durch Nichterfüllung seines Vertrages) denselben Schaden anrichten. Auch hier wird man, wie im gemeinen Recht, trotz Fohlens einer gesetzlichen Bestimmung die beiden Schuldigen nicht anders als solidarisch haften lassen; denn wenn der Schaden von Einem ersetzt ist, ist weiterer Schadenersatz nicht mehr möglich. Dernburg I I § 160 V. 18:1 So ist ζ. B. der bekannte Art. 2283 des Code Civil: en fait de meubles possession vaut titre viel kürzer und prägnanter als § 932 BGB. Aber der Sinn dieser Worte ergibt sich nicht aus ihnen selbst, sondern aus der traditionellèn Jurisprudenz, deren Kenntnis dem Laien meist verschlossen ist; vgl. Gierke, Sachenrecht S. 565; T u h r , Z. f, franz. ZivR. 30, 538. 134 Über Auslegung vgl. W i n d s c h e i d § 20—24; Wach, ZivProc. §20: B i n d i n g , Handbuch §95 fg.; K o h l e r §38fg.; Enneccerus §48fg.; H e 11 wig, ZivProc. § 93; B r ü t t , Kunst der Rechtsanwendung; Jung, positives Recht.

V i l . Die Auslegung des Bürgerlichen Gesetzbuchs.

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präzis gefaßte Gesetz; denn die Rechtssätze können nicht anders als abstrakt lauten und müssen daher in der Anwendung auf die konkreten Tatbestände des Lebens zu Zweifeln Anlaß geben, umsomehr als die Rechtssätze nicht unvermittelt und unabhängig nebeneinander stehen, sondern in jedem einzelnen Tall zu einem Gesamtresultat zusammenwirken müssen. Die Auslegung erfolgt durch den Richter und ihm vorarbeitend durch die Wissenschaft. Auch die Parteien müssen sich bei Ordnung ihrer Rechtsverhältnisse über den Inhalt des Gesetzes durch Auslegung eine Meinung bilden. Ausnahmsweise und in heutiger Zeit sehr selten kommt Auslegung eines Gesetzes durch ein späteres Gesetz vor, sogenannte authentische Interpretation 1 8 5 . Führt ein Gesetz in seiner Anwendung zu unangemessenen Resultaten, so gilt mit Recht die Änderung des Gesetzes als der korrektere Weg der Abhilfe: denn die authentische Interpretation zwingt den Richter das Gesetz so anzuwenden, als ob es von Anfang an den Sinn hatte, den das interpretierende Gesetz feststellt, es findet also sogenannte Rückwirkung des neuen Gesetzes statt 1 8 6 . Bei Auslegung wie des Gesetzes so auch der Rechtsgeschäfte (§ 133) ist nicht der Wortlaut der einzelnen Gesetzesbestimmung maßgebend, sondern die Bedeutung, welche ihr im Zusammenhang mit dem ganzen Gesetz und den übrigen Teilen der Rechtsordnung zukommt. Es ist, wie man zu sagen pflegt, der Wille des Gesetzgebers oder des Gesetzes zu erforschen. Dabei ist nicht an die Absichten und Ansichten der einzelnen Menschen zu denken, welche an den legislativen Vorarbeiten oder an der Beratung und Sanktionierung des Gesetzes mitgewirkt haben; denn beim Zustandekommen eines Gesetzes sind zahlreiche Personen beteiligt und jede dieser Personen kann von einer verschiedenen Meinung über die Bedeutung des Textes ausgegangen sein 1 3 7 . Unter dem kurzen und bildlichen Ausdruck: Wille des Gesetzes ist meines Erachtens der Sinn zu verstehen, den eine Gesetzesvorschrift haben muß, um in einen organischen, logisch befriedigenden Zusammenhang mit allen übrigen Vorschriften der Rechtsordnung zu stehen. Man geht dabei von dem Postulat aus, daß die Rechtsordnung, wenn sie auch stückweise zustande kommt und mit Mängeln behaftet ist, sich als einheitliches Geistesprodukt darstellen soll, welches die Lebens136

Ζ. B. Einf.G. zum HGB. Art. 14 V. Vgl. oben S. 17. 187 Das war ζ. B. nachweislich der Fall in bezug auf die sogenannten „Schutzgesetze" des § 823 I I vgl. Planck, Bern. I I I 2 zu § 823. 136

Einleitung.

Verhältnisse in zweckmäßiger und harmonischer Weise ordnet 138 . Das vom Gesetzgeber erstrebte Ideal einer widerspruchslosen und der Verschiedenheit der Umstände angepaßten Normierung wird von der Auslegung in unermüdlicher Detailarbeit weiterverfolgt; niaji sucht den Rechtssatz dahin zu präzisieren, wie es der Gesetzgeber gewollt hätte, wenn er die Tatbestände und Zusammenhänge, die sich erst bei der Anwendung des Rechtes ergeben, im Voraus hätte überblicken können. Das entspricht meines Erachtens den Absichten der gesetzgebenden Faktoren: wer ein Gesetz erläßt, weiß, daß eine Auslegung nachfolgen wird, und rechnet damit, daß die Auslegung eine Verschmelzung der einzelnen Vorschriften des Gesetzes unter sich und mit dem sonstigen Recht herbeiführen wird. Das Resultat der Auslegung ist im Vergleich zum Wortsinn ausdehnend (extensiv) 189 oder einschränkend (restriktiv) 1 4 0 , darf aber keinen mit dem Wortlaut des Gesetzes nicht vereinbaren Sinn ergeben ; an der unzweifelhaften grammatikalischen Bedeutung der Worte findet die Auslegungstätigkeit ihre unverrückbare Schranke U 1 . Eine große Bedeutung für die Auslegung haben die sogenannten 188

Jung, Logische Geschlossenheit des Rechts. Beispiele : Verfassungsmäßiger Vertreter in § 31 soll nach herrschender Meinung nicht bloß ein Vereinsorgan sein, welches im Sinne von § 164 zum Abschluß von Rechtsgeschäften befugt ist, sondern jedes Organ mit selbständigem Geschäftskreis, vgl. unt. § 37 Note 86. Eine die Grenze des Zulässigen streifende extensive Interpretation rechnet zu den zum persönlichen Gebrauch der Ehefrau bestimmten Sachen, welche nach § 1366 Vorbehaltsgut sind, auch die zu einem selbständigen Erwerbsgeschäft der Frau gehörenden Gegenstände vgl. D e r n b u r g IV § 40 1 2. 140 Beispiel: Unter dem „sonstigen Recht" des § 823 I sind nach herrschender Meinung nur absolute Rechte zu verstehen. Ein anderes Beispiel ist die von manchen vertretene Auffassung, daß die Einwilligung der Ehefrau nach § 1445 nicht erforderlich sei, wenn der Mann ein Grundstück beim Erwerb mit einer Hypothek für den Kaufpreis belastet; vgl. Dernburg IV § 58 Note 11. 141 Außer wo der Text durch ein nachweisliches redaktionelles Versehen entstanden ist, wie z.B. das Zitat des § 1500 statt 1501 in § 1511, Planck § 1511, 9. Ebenfalls auf redaktionellem Fehler beruht die Fassung des § 1923 I ; der Erbe muß nicht nur im Moment des Erbfalls leben, sondern diesen Moment überleben; vgl. unt. § 22 Note 13. In ganz seltenen Fällen hat der Wortlaut durch unrichtige Redaktion eine solche Gestalt erhalten, daß ein vernünftiger Sinn nicht zu konstatieren ist; dann bleibt der Rechtssatz tatsächlich außer Anwendung; das kann man meines Erachtens vom Schlußsatz des § 951 I I sagen, der bisher keine logisch befriedigende Erklärung geunden hat. 189

VII. Die Auslegung des Bürgerlichen Gesetzbuchs.

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Materialien, in denen die Vorarbeiten des Gesetzes niedergelegt sind. Wie jedes geistige Produkt kann auch das Gesetz erst dann voll verstanden werden, wenn man seine Entstehung kennt. Die Materialien geben Auskunft über die Bedeutung, welche eine Gesetzesbestimmung im Sinn der Urheber hatte; diese Bedeutung wird oft dem Zusammenhang des Gesetzes am besten entsprechen ; so wird man z. B., wenn feststeht, daß ein Rechtssatz als Begünstigung einer Personenklasse gemeint war, ihn nicht so auslegen dürfen, daß er als Zurücksetzung wirkt 1 4 f l . Aber die in den Materialien ausgesprochenen Ansichten über Sinn und Tragweite einer Gesetzesbestimmung sind für die Auslegung nicht bindend 148 ; es kann vorkommen, das der beabsichtigte Sinn in den Worten des Gesetzes keinen Ausdruck gefunden hat, oder daß die Bedeutung sich durch spätere Änderungen in den Vorarbeiten verschoben h a t 1 4 4 ; aber es ist auch möglich, daß ein Rechtssatz im Zusammenhang des Gesetzes eine Bedeutung gewinnt, an welche die Redaktoren nicht gedacht haben 145 , so daß das Gesetz als klüger erscheint, als der Gesetzgeber. Beachtenswert sind auch die rechtspolitischen Absichten, die Vorstellung, die die Urheber einer Gesetzesbestimmung von deren Einwirkung auf das Rechtsleben hatten ; aber .diese Absichten gehören nicht zum Gesetzesbefehl, wie die Motive der Parteien nicht zum Rechtsgeschäft gehören; die Vorschrift des Gesetzes gilt, auch wenn die Absicht des Gesetzes sich nicht verwirklicht hat, so z. B. die Unterstellung der nichtrechtsfähigen Vereine unter das Gesellschaftsrecht, obgleich die Erwartung des Gesetzgebers, daß sich die Vereine zur Eintragung veranlaßt sehen würden, sich als unrichtig erwiesen hat. Es ist begreiflich, daß in den ersten Jahren nach Publikation des BGB. die Auslegung, namentlich in den Kommentaren, sich eng an die Materialien angeschlossen hat; man fand in denselben 148

RG. 54, 184 ; 68, 321. Noch weniger die theoretische Konstruktion, von der die Redaktoren ausgingen ; wenn z. B. die Motive die Zession einen dinglichen Vertrag nennen (II S. 120) oder bei der Schuldübernahme von einer Verfügung des Schuldners über die Forderung sprechen (II. S. 144), so ist weder dieser Sprachgebrauch, noch die darin zum Ausdruck kommende theoretische Auffassung füc uns maßgebend. 144 Für die Paragraphen des BGB., die aus dem ersten Entwurf stammen, gibt es, wie bei der justinianischen Kompilation eine duplex interpretatio. 145 Z. B. die Anwendung des § 916 I 2 auf das Inkassoindossament durch H e l l wig, Rechtskraft 295. 143

Einleitung.

die nächstliegende Erklärung des Rechtssatzes, Beispiele der Anwendung und Betrachtungen über den Zusammenhang mit anderen Rechtssätzen. Aber dieser Zustand der Interpretation hat sich bereits im ersten Jahrzehnt der Geltung des BGB. zum Besseren verändert: theoretische Untersuchungen und namentlich die Fülle gerichtlicher Entscheidungen haben den Schwerpunkt der Auslegung verschoben; die Materialien sind durch andere Hilfsmittel und bessere Erkenntnis des Gesetzes verdrängt und haben ihre anfänglich übermäßige Autorität verloren. T i l l . Analogie.

Natur der Sache.

Gerichtegebrauch.

Über die Auslegung hinaus, welche so extensiv sie auch verfährt, die Grundlage des Wortlautes des Gesetzes nicht verlassen kann, führt die Analogie: die Anwendung eines Rechtssatzes, welchen das Gesetz für einen bestimmten Tatbestand aufstellt, auf einen anderen Tatbestand, der in den juristisch relevanten Stücken mit dem ersten Tatbestand übereinstimmt, ihm wie man zu sagen pflegt, rechtsähnlich i s t U 6 . Der Rechtsgedanke der Analogie findet seinen Ausdruck in der Regel: ubi eadem legis ratio, ibi eadem dispositio. Die analoge Anwendung eines Rechtssatzes erfolgt unter Berücksichtigung der die beiden Tatbestände unterscheidenden Faktoren: sie ist „entsprechende" Anwendung. Das BGB. hat sie an zahlreichen Stellen vorgeschrieben, um das Gesetz in technischer Beziehung zu vereinfachen. So ist. z. B. der im Leben selten vorkommende Tausch durch entsprechende Anwendung des Kaufrechts geregelt, § 515; die Pflegschaft in § 1915 der Analogie der aus führlich geregelten Vormundschaft unterstellt. Aber auch ohne speziellen Hinweis des Gesetzes darf der Richter die Analogie anwenden. Der dies aussprechende § 1 des I. Entwurfes ist im BGB. als selbstverständlich weggelassen worden. Die Analogie beruht, 146

Die Grenze zwischen extensiver Interpretation und Analogie ist im einzelnen Fall zweifelhaft: so soll nach RG. 60, 305 die Haftung aus § 1 des RHaftpflG. dem § 32 der ZPO. unterstehen, welcher von Klagen aus unerlaubten Handlungen spricht, obgleich § 1 des Gesetzes kein Verschulden und nicht einmal eine Handlung der Angestellten der Bahn voraussetzt. Das RG. begründet seine Entscheidung durch ausdehnende Auslegung des Begriffs unerlaubte Handlung im BGB.; meines Erachtens entfernt sich die Auslegung zu weit vom Sinn des Wortes Handlung; es wäre logisch korrekter, analoge Anwendung der Deliktsgrundsätze auf den Tatbestand des § 1 HaftpflG. anzunehmen, wie man im gemeinen Recht neben das Delikt die analoge Rechtsfigur des Quasidelikts stellte.

V i l i . Analogie.

Natur der Sache.

Gerichtsgebrauch.

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wie die heutige Interpretation des Gesetzes, vgl. oben S. 37 auf einem Postulat, welches wir in bezug auf unsere Rechtsordnung aufstellen: das Gesetz soll vernünftig und einleuchtend sein, und wie wir in der Ordnung der Natur es für ein Axiom halten, daß aus gleichen Ursachen gleiche Wirkungen hervorgehen, so verlangen wir vom Gesetz, daß es für wesentlich gleiche Tatbestände gleiche Rechtsfolgen anordne. Ist ein Rechtssatz so eng gefaßt, daß er auf einen wesensgleichen Tatbestand durch Auslegung nicht ausgedehnt werden kann, oder handelt es sich um einen Tatbestand, der außerhalb des Gesichtskreises des Gesetzgebers lag und daher von ihm nicht berücksichtigt werden konnte, so verlangt die uns innewohnende Vorstellung der Rechtsordnung als eines harmonischen Ganzen, daß wir neben dem geschriebenen Rechtssatz und nach seinem Vorbild für den analogen Tatbestand einen entsprechenden, ungeschriebenen Rechtssatz anerkennen 1 4 7 . Dieser Rechtssatz gilt als im Geist und System des Gesetzes enthalten; wenn der Richter Analogie anwendet, so geht er dabei von dem Gedanken aus, daß der von ihm vielleicht zum ersten Mal klar erkannte und formulierte Rechtssatz ein ausgesprochener Bestandteil des Gesetzes i s t 1 4 8 . Man pflegt zu sagen, daß die Analogie zur Ausfüllung der Lücken des Gesetzes dient. Wirkliche Lücken hat das Gesetz nur da, wo das Gesetz eine Vorschrift erläßt, ohne den Inhalt derselben genügend zu bestimmen 149 . So ist z. B. im gesetzlichen Güterrecht nicht gesagt, in welcher Art die Nutznießung des Ehemanns an einem Erwerbsgeschäft der Frau zu denken ist, während sich für die väterliche Nutznießung an einem Erwerbsgeschäft eine 147 Auf diesem Wege ist das Recht von jeher fortgebildet worden; das klassische Beispiel sind die actiones utiles des Prätor. 148 Ausübung der Analogie durch den Richter ist Anwendung des richtig verstandenen Gesetzes, ebenso wie Ergänzung elastischer Rechtssätze durch das richterliche Ermessen; vgl. oben Note 114. Z i t e l m a n n , Lücken im Recht 32 Note 17; He 11 wig, Klagrecht 87, CivProc. § 93 III. Dagegen stellt Bülow, Gesetz und Richteramt, passim und Geständnisrecht 131 fg., den Richter als rechtsschöpfendes Organ des Staates neben den Gesetzgeber (erst aus dem Zusammenwirken von Gesetz und Richterspruch solle sich die auf das Rechtsverhältnis anwendbare Rechtsregel ergeben); dabei wird meines Erachtens der Begriff der richterlichen Rechtsanwendung und Rechtsfindung verkannt. 149 Z i t e l m a n n a. a. 0. 27fg. Der Gesetzgeber unterläßt bisweilen absichtlich eine genaue Regelung, weil er die Frage in legislatorischer Beziehung für noch nicht reif hält. In solchen Fällen pflegen die Motive zu sagen, daß die Entscheidung der Wissenschaft und Praxis überlassen sei.

Einleitung.

angemessene Bestimmung in § 1G55 findet; diese Lücke des ehelichen Güterrechts wird durch entsprechende Anwendung des § 1655 ausgefüllt 160 . Die wichtigsten Beispiele solcher Lücken finden sich im internationalen Pr:vatrecht des EG., welches ζ. B. für Vertragsverhältnisse keine Kollisionsnorm gibt. Auch hier wird sich der Richter zunächst nach Analogien umsehen. Findet der Richter keine Anlehnung an einen entsprechend anwendbaren Rechtssatz, so kann et dennoch eine Entscheidung nicht ablehnen 1 6 1 ; es bleibt ihm, da er vom Gesetz im Stich gelassen wird und doch nicht willkürlich verfahren darf, nichts übrig, als seiner Entscheidung eine Regel zu Grunde zu legen, die er selbst aufstellt; er hat sie, wie man zu sagen pflegt, aus der Natur der Sache zu entnehmen 152 : er hat die im Rechtsverhältnis vorkommende typische Verteilung der Interessen zu würdigen, eine Mittellinie zu suchen, die beiden Teilen nach Möglichkeit gerecht wird, und so zu verfahren, wie der Gesetzgeber bei Normierung des Tatbestandes verfahren würde 1 δ 8 . Indessen sind wirkliche Lücken des Gesetzes selten. Häufiger spricht man von einer Lücke des Gesetzes im uneigentlichen Sinn schon dann, wenn ein Tatbestand in Ermangelung spezieller Regelung unter einen allgemeineren Rechtssatz fällt; hier wird bisweilen der Mangel einer dem Billigkeitsgefühl entsprechenden speziellen Gesetzesbestimmung als Lücke des Gesetzes empfunden 164. So wird ζ. B. nach allgemeinem Grundsatz nur für verschuldeten Schaden gehaftet: ausnahmsweise haftet nach § 701 der Gastwirt für unverschuldete Schädigung des Gastes; für den ähnlichen Fall des Übernachtens im Schlafwagen ist nichts bestimmt. Extensive Interpretation des § 701 ist nicht möglich, da das Wort Gastwirt bei noch so liberaler Auslegung den Schlafwagenunternehmer nicht bezeichnen kann; und doch ist die Ähnlichkeit der Situationen in bezug auf die ratio der verstärkten Haftung so groß, daß sich analoge Anwendung des § 701 rechtfertigen läßt 1 6 6 , obgleich dieser 160

Planck § 1376, 8b. Η e l l wig, CivProc. § 93 I. 152 D e r n b u r g § 30 II; K o h l e r § 28; Enneccerus § 54 II. 153 Vgl. Art. 1 des Schweiz. CivGesBuchs : „Kann dein Gesetz keine Vorschrift entnommen werden, so soll der Richter (nach Gewohnheitsrecht und, wo auch ein solches fehlt,) nach der Regel entscheiden, die er als Gesetzgeber aufstellen würde." 164 Z i t e l m a n n a. a. 0. 17 fg. 156 Oertmann § 701, lb. 151

Vili. Analogie.

Natur der Sache.

Gerichtsgebrauch.

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Paragraph eine Ausnahme vom Prinzip der Culpahaftung enthält 1 6 b . Anders verhält es sich mit der Ausnahme vom Culpaprinzip, welches das Gesetz in § 833 für die Haftung des Tierhalters aufstellt; es gibt zwar andere Sachen, bei denen die ratio dieser Sonderbestimmung (Gefährlichkeit der Sache für Dritte) ebenso zutrifft wie bei Tieren, z. B. Automobile, vielleicht auch Dampfkessel. Aber aus den Vorarbeiten des Gesetzes, in denen über das Prinzip der Culpahaftung lebhaft debattiert wurde 1 6 7 , ergibt sich, daß man nur für den Fall der Tierhaftung eine Konzession an das Prinzip der Verursachung machen wollte 1 6 8 . Die analoge Anwendung auf sonstigè gefährliche Sachen würde von Schritt zu Schritt weiterführen und den Grundsatz des Gesetzes in sein Gegenteil verwandeln. Daher herrscht Einverständnis darüber, daß eine Ausdehnung des § 833 auf andere Sachen nur im Wege der Gesetzgebung erfolgen kann 1 6 9 . Die Analogie ist ein mit Vorsicht und Takt zu übendes Verfahren 1 6 0 ; sie beruht auf einer Abwägung des juristischen Werts der Tatbestandsmomente. Ist das vom gesetzlichen Tatbestand abweichende Stück juristisch gleichgültig, so ist Analogie am Platz; hat das Unterscheidungsmerkmal eine vielleicht auf den ersten Blick nicht erkennbare Bedeutung, so ist die Analogie unzulässig und es ergibt sich statt dessen aus den Gesetzesbestimmungen für den ähnlichen aber nicht wesensgleichen Fall ein 166

Der Satz: Quod contra rationem iuris receptum est, non est producendum ad consequentias (fr. 14 D. 1, 3) ist kein Hindernis analoger Anwendung, W i n d s c h e i d §29 Note 3; nur ist die Analogie um so vorsichtiger zu handhaben, je mehr der Ausnahmssatz vom Prinzip abweicht; denn starke Abweichungen beruhen oft auf besonderen Utilitätsgründen. 167 Prot. I I S. 568. Kommiss. Bericht S. 103. 168 Die Haftung aus § 833 ist erst durch die Reichstagskommission unabhängig vom Verschulden des Tierhalters gestaltet worden. Mittlerweile ist dieser Paragraph durch RGes. vom 30. Mai 1909 abgeändert. 159 Eine Ausnahmebestimmung für Automobile ist geschaffen durch das RGes. über Kraftfahrzeuge vom 3. Mai 1909. 160 wenn das Gesetz eine Anzahl bestimmter Fälle kasuistisch aufzählt, z. B. die Gründe der Entziehung des Pflichtteils und der Erbunwürdigkeit in § 2333 und 2339, so ist die Aufzählung als erschöpfend zu betrachten und darf nicht analog ausgedehnt werden; in diesen Fällen kommt es auf die Sicherheit des Rechtszustandes an und auf dessen Unabhängigkeit von den Anschauungen des Richters (es handelt sich um Rechtsfolgen, die den Beteiligten wie eine Strafe treffen); daher hat das Gesetz eine feste Grenzlinie gezogen, was ohne eine gewisse Willkürlichkeit der Abgrenzung nicht möglich ist.

Einleitung.

sogenanntes argumentum a contrario. Ob eine Vorschrift des Gesetzes entsprechend anzuwenden ist, oder ein Gegenargument enthält, ist der Gegenstand der meisten Kontroversen 1β1 . So spricht ζ. B. § 932 vom Glauben des Erwerbers an das Eigentum des Veräußerers; man könnte fragen, ob nicht der gute Glauben auch dann vorliegt und geschützt zu werden verdient, wenn der Erwerber den Veräußerer zwar nicht für den Eigentümer hielt, aber ihm eine auf anderem Grunde beruhende Veräußerungsmacht zuschreibt 163 . Dieser Analogieschluß wird aber mit Recht abgelehnt; denn es macht einen großen Unterschied, ob der Erwerber den Veräußerer für den Eigentümer oder für vom Eigentümer ermächtigt hält; in letzterem Fall kann man ihm zumuten, sich beim Eigentümer zu erkundigen les . Daher ist aus § 932 a contrario zu schließen, daß andere Mängel des Erwerbs, außer dem fehlenden dominium autoris durch den guten Glauben nicht geheilt werden. Jenseits des positiven, durch Auslegung, richterliche Ergänzung und Analogie ausgestalteten Rechts liegt das, was der Laie und vielleicht auch der Richter mehr oder minder subjektiv für das der Billigkeit entsprechende, gelten sollende, richtige Recht hält. Daß es über dem positiven Recht ein Naturrecht gebe, dem absolute Richtigkeit zukomme, und von dem die positiven Rechte nur mangelhafte und verderbte Wiedergaben seien, ist eine Anschauung, die nach jahrhundertlanger Herrschaft durch unsere historische Betrachtung und Erklärung der menschlichen Kultur zurückgedrängt und jetzt wohl allgemein aufgegeben i s t 1 6 4 . Das Recht ist durch Ort und Zeit bedingt und kann in den mannigfaltigsten Gestalten erscheinen; es ist richtig, wenn es den Bedürfnissen des betreffenden Volkes und seinen Kulturbegriffen entspricht. Gewiß gibt es in der menschlichen Natur Ansätze und Bedingungen, die allen Menschen gemeinsam sind, wie auch bei den anderen Geistesprodukten der Menschheit sich gemeinsame Züge aufweisen lassen. Aber beim Versuch, aus dem Wesen des 161

Ist ζ. B. das Aufrechnungsverbot des § 394 auf die Retention analog anzuwenden, oder ist aus § 394 a contrario zu schließen, daß die Zurückbehaltung gegen unpfändbare Forderungen zulässig ist? Vgl. über den Stand der Kontroverse Oertmann § 273, 4. 162 So We η d t , ArchCivPr. 89, 61 fg 163 Dernburg I I I § 104 Note 1. 164 Über das Naturrecht vgl. Gierke, Naturrecht und deutsches Recht; Bergbohm, Jurisprudenz und Rechtsphilosophie; Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft Bd. 3.

V i l i . Analogie.

Natur der Sache.

Gerichtsgebrauch.

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menschlichen Geistes ein „richtiges Recht" abzuleiten, reduziert es sich auf weitgehende und daher notwendigerweise inhaltleere Abstraktionen. Mit großem Scharfsinn hat S t a m m l e r 1 6 5 denVersuch unternommen, die Fundamente des Rechtes, wie es sein sollte, in eingehender Untersuchung auf dem sozialen Ideal aufzubauen. Diesem Ideal werden als oberste Grundsätze des Rechtes entnommen : daß sich die Rechtsgenossen unbedingt gegenseitig zu achten haben, und daß die Rechtsgemeinschaft sich nicht selbst untreu werden darf. Als Konsequenz daraus werden Prinzipien von immer noch sehr allgemeinem Inhalt abgeleitet: daß eine Rechtspflicht nicht unbegrenzt sein darf; daß ein Rechtsgenosse nicht willkürlich ausgeschlossen werden darf, etc. Durch weitere Deduktionen wird der Anschluß an die speziellen Rechtsverhältnisse gesucht. S t a m m l e r verkennt nicht, daß das von ihm als richtig erkannte Recht darum noch nicht geltendes Recht ist. Aber es soll zur Auslegung und Ergänzung des positiven Rechts dienen und sogar gegen auslegende und ergänzende Vorschriften des Gesetzes durchdringen, wenn sie ein dem richtigen Recht widersprechendes Resultat ergeben. Die Schwäche dieser, wie aller deduktiver Konstruktionen des Rechts scheint mir darin zu liegen, daß der Weg von den allgemeinsten Prinzipien bis zu den konkreten Rechtsverhältnissen ein sehr weiter ist, so daß, wenn schon über die Ausgangspunkte der Betrachtung eben wegen ihrer Allgemeinheit und formalen Beschaffenheit eine Einigung verhältnismäßig leicht zu erzielen ist, die Verschiedenheit der Anschaungen bei den weiteren Deduktionen von Schritt zu Schritt zunehmen muß. Und wenn schließlich das aus vielen Obersätzen abgeleitete Prinzip im konkreten Fall mit einer Bestimmung des positiven Rechts kollidiert, so wird sich die Praxis jedenfalls und die Theorie überwiegend lieber der Regel des Gesetzes unterwerfen, welches ja auch bestrebt ist, das soziale Ideal zu verwirklichen, als dem Resultat einer noch so fein durchdachten Reihe von Schlußfolgerungen. Was im einzelnen Fall im Gegensatz und in Unzufriedenheit mit dem positiven Gesetz als billiges oder richtiges Recht empfunden wird, ist je nach dem Standpunkt, von dem der Beurteiler ausgeht, und den Interessen, die er vertritt, sehr verschieden. Man braucht nur um sich davon zu überzeugen, einen Blick in die Debatte über 166

Die Lehre vom richtigen Recht, 1902. Ree. von M. E. Mayer, KritVJSchr. 46, 178fg. Staffel, JheringsJ. 10, 301 fg.

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Einleitung.

ein größeres Gesetzgebungswerk zu werfen 1ββ . Unser Richter ist aber, anders als der Prätor, nicht über das Gesetz gestellt, sondern hat es zu befolgen, selbst wenn es seiner persönlichen Anschauung nicht entspricht. Nur eine indirekte Beeinflussung der Rechtsanwendung durch die Rechtsideale des Rechtsprechenden läßt sich nicht vermeiden; in zweifelhaften Auslegungsfragen, im Streit über die Zulässigkeit der Analogie wird der Richter mehr oder minder unbewußt, der Entscheidung den Vorzug geben, welche seiner Vorstellung von dem, wie das Recht sein sollte, am nächsten kommt. Wenn der Richter das Gesetz auslegt, ergänzt, analog anwendet, so gilt das alles nur für den zur Entscheidung stehenden Fall; der Richter ist an seine einmal bekundete Auffassung des Gesetzes nicht gebunden und kann von ihr bei Entscheidung eines anderen Rechtsstreites abweichen. Auch das Reichsgericht kann von eiüer einmal ausgesprochenen Ansicht abgehen, nur muß nach GVG. § 137 eine Entscheidung der vereinigten Zivilsenate eingeholt werden, wenn ein Zivilsenat von der Entscheidung eines anderen oder der vereinigten Zivilsenate abweichen w i l l 1 β 7 . Aber es liegt in der menschlichen Natur, daß der Richter nicht ohne erheblichen Grund von einer einmal ausgesprochenen Ansicht abweicht, und es entspricht dem Bedürfnis nach Sicherheit des Rechts, daß die Gerichte nach Möglichkeit eine feste Praxis befolgen. Die Einheitlichkeit und Konstanz der Rechtsprechung wird durch das Reichsgericht gewahrt, dessen Entscheidungen für die übrigen Gerichte zwar nicht formell bindend, aber aus äußeren und inneren Gründen in hohem Maß autoritativ sind. So entsteht nach anfänglichem Schwanken für die häufig zur Entscheidung kommenden Fragen allmählich durch wiederholte übereinstimmende Entscheidungen ein Gerichtsgebrauch 1 6 8 ; ein solcher ist zunächst noch nicht als Gewohnheitsrecht zu betrachtèn und daher für den Richter nicht bindend; der ιββ VgL auch B i n d i n g , Die Ungerechtigkeit des Eigentumserwerbs vom Nichteigentümer, der mit Recht die unbillige Härte des § 932 gegenüber dem verlierenden Eigentümer hervorhebt, während die herrschende Meinung vom Standpunkt des Erwerbers den § 932 als gelungene, dem jus aequum entsprechende, Schöpfung des Gesetzes betrachtet. 167 Entscheidung durch das Plenum, wenn ein Zivilsenat von einem Strafsenat, oder dem Plenum abweichen will. 168 Gierke, Deutsches Privatr. § 21; Regelsberger § 17, 25; Dernburg § 29; K o h l e r § 33; Enneccerus § 39; Biermann § 18; Hellwig CivProc. § 88 I 3.

IX. Literarische Hilfsmittel für das Bürgerliche Gesetzbuch.

47

Richter darf in einer wiederholt entschiedenen Frage abweichend erkennen und damit die Frage zu erneuter Prüfung durch die oberen Instanzen bringen. Erst wenn der Gerichtsgebrauch lange Zeit hindurch unangefochten bestanden hat, wenn der in ihm enthaltene Rechtssatz ins allgemeine Rechtsbewußtsein eingedrungen ist, und das Rechtsleben sich ihm angepaßt hat, kann man einen durch Gewohnheit entstandenen Rechtssatz konstatieren. Wann dieser Zeitpunkt als eingetreten zu gelten hat, ist quaestio facti. Man darf es meines Erachtens mit der Erhebung des Gerichtsgebrauchs zu einem Rechtssatz nicht leicht nehmen; denn damit verschließt man sich die Möglichkeit, ein richtigeres Verständnis des Gesetzes gegen die bisherige Praxis durchzusetzen. Oft erweist sich eine anfänglich unschädliche Anschauung in ihren weiteren Konsequenzen als so unzweckmäßig oder verkehrswidrig, daß sich das Bedürfnis einer Änderung der ganzen Betrachtungsweise aufdrängt. So hat z. B. das Reichsgericht den Begriff des wesentlichen Bestandteils, § 93, sehr extensiv interpretiert und ist darin immer weiter gegangen, bis der wachsende Widerstand der Theorie und der beteiligten Volkskreise zu einem Einlenken der Rechtssprechung geführt hat. Bei der erst zehnjährigen Geltung des BGB. scheint mir noch in keiner Frage des neuen Rechts der Moment gekommen zu sein, in welchem man einen zu Gewohnheitsrecht erstarrten Gerichtsgebrauch anzunehmen hätte. I X . Literarische Hilfsmittel für das Bürgerliche Gesetzbach169. 1. S y s t e m a t i s c h e

Darstellungen170.

D e r n b u r g , H e i n r . : Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preußens, 5 Bde. Der allg. Teil in 3. Aufl. 1906. Der sechste Band (Urheber-, Patent-, Zeichenrecht; Rechtsverfolgung) wird nach D e r n b u r g s . T o d von Κ ο h l e r herausgegeben; erschienen ist die erste Abteilung. E n d e m a n n , F r i e d r . : Lehrbuch des bürgerlichen Rechts, 1. Bd.: Allgemeiner Teil und. Schuldverhältnisse; 8. Aufl. 1903, 2. Bd.; Sachenrecht und Familienrecht, 8. Aufl. 1905, 1908: 3. Bd.: Erbrecht, 5. Aufl. 1899. C o s a c k , Ko nr. : Lehrbuch des bürgerlichen Rechts, 2 Bdè: 4. Aufl.: Bd. 1, 1 in 5. Aufl. 169

Die Pandektenlehrbücher von W i n d s c h e i d , herausg. von K i p p , Regelsberger, Bekker und Gierke, Deutsches Privatrecht, sind mit den Namen der Autoren ohne weiteren Zusatz zitiert. 170 Zitiert mit den Namen der Verfasser ohne weiteren Zusatz.

Einleitung.

48

C r o m e , C a r l : System des deutschen bürgerlichen Rechts, bisher 4 Bde. (das Erbrecht steht noch aus). E n n e c c e r u s und (früher L e h m a n n , jetzt) K i p p und W o l f f : Lehrbuch des bürgerlichen Rechts. Bd. 1 : Allgemeiner Teil und Schuldverhältnisse von Enneccerus, 4. und 5. Aufl. 1909. Κ o h i e r , Jos.: Lehrbuch des bürgerlichen Rechts, Bd. 1: Allgemeiner Teil; Bd. 2, 1: Schuldrecht. 1906. B i e r m a n n Joh.: Bürgerliches Recht. Bd. 1 : Allgemeine Lehren und Personenrecht. 1908. L a n d s b e r g , E r n s t : Das Recht des BGB., ein dogmatisches Lehrbuch, 2 Bde. 1904. M a t t h i a s , B e r n h . : Lehrbuch des bürgerlichen Rechts, 2 Bde., 3. Aufl. 1900. G o l d m a n n und L. L i I i en t h a i , das bürgerliche Recht systematisch dargestellt, 2. Aufl. L e o n h a r d , R. : Der allgemeine Teil des BGB. in seinem Einfluß auf die Fortentwicklung der Rechtswissenschaft. 1900. Z i t e l m a n n , E.: Das Recht des BGB., Allgemeiner Teil, 1900 (gibt einen Grundriß). E c k , E r n s t : Vorträge über das Recht des BGB, 3 Bde., herausgegeben von R. L e o n h a r d ; 1903 fg. • H e l l m a n n : Vorträge, 1897 (allg. Teil).

2.

Kommentare171.

P l a n c k , G.: In Verbindung mit A c h i l l e s , A n d r é, G r e i f f , R i t g e n , S t r e c k e r , S t r o h a l , U n z n e r . 3. Aufl. 1903 fg.; der allgemeine Teil ist von Planck selbst herausgegeben. S t a u d i n g e r s J. v. Kommentar, herausgegeben von L o e w e n feld, Mayring, Kuhlenbeck, E n g e l m a n n , Riezler, K o b e r , H e r z f e l d e r , W a g n e r . Der allgemeine Teil ist von L o e w e n f e l d und R i e z l e r bearbeitet. Die 3.—4. Aufl. ist im Erscheinen. O e r t m a n n , B i e r m a n n , v. B l u m e , O p e t , F r o m m h o l d , N i e d n e r ; 2. Aufl. Schulverhältnisse und allgemeiner Teil sind von O e r t m a n n bearbeitet, 1906, 1908 (in 1. Aufl. war der allgemeine Teil von Gar ei s kommentiert). H o l d e r , Schollmeyer, Heymann, Schmidt, Hedemann, Fuchs, Schultze, Wilutzki. Qer allgemeine Teil ist von H o l d e r bearbeitet. 1900. R e h b e i n , H.: Das BGB. mit Erläuterungen für das Studium und die Praxis ; Bd. 1 : Allgemeiner Teil ; Bd. 2 : Schuldverhältnisse, unvollendet; 1899 fg. 171

Die Kommentare von Planck und Staudinger sind mit diesen Namen zitiert; die übrigen Kommentare mit den Namen der Bearbeiter der einzelnen Teile. Planck § 154, 1 bedeutet: Anm. 1 zu BGB § 154. Ebenso bei den anderen Kommentaren.

IX. Literarische Hilfsmittel für das Bürgerliche Gesetzbucn.

49

3. H a n d a u s g a b e n des B ü r g e r l i c h e n G e s e t z b u c h s mit kurzen Anmerkungen. N e u m a n n , H.: Handausgabe, 3 Bde., 4. Aufl. 1905. F i s c h e r , O t t o und W. H e n l e : 8. Aufl. 1909. A c h i l l e s . Α.: Nach dessen Tod herausgegeben von M. G r e i f t ' . 6. Aufl. 1909. W a r n e y e r : Das BGB. erläutert durch die Rechtssprechung. 1905.

4. W ö r t e r b ü c h e r . B e r n h a r d i : Handwörterbuch zum BGB., 3. Aufl. G r a d e n w i t z . Wortverzeichnis zum BGB. 1902.

5. S a m m l u n g e n .von E n t s c h e i d u n g e n Gerichte.

1902.

der

oberen

Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen, herausg. von den Mitgliedern des Gerichtshofs; (zitiert als RG. mit Zahl des Bandes und der Seite). S e u f f e r t s , J. A. Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte (zitiert als Seuff.Arch. mit Nummer des Bandes und Seitenzahl). Rechtssprechung der Oberlandesgerichte auf dem Gebiet des Zivilrechts, herausg. von M u g d a n und F a l k m a n n ; (zitiert als OLG. mit Nummer des Bandes und Seitenzahl). B o l z e , Praxis des Reichsgerichts in Zivilsachen. W a r n e y e r , Jahrbuch der Entscheidungen zum BGB.

6. Z e i t s c h r i f t e n . Archiv für die zivilistische Praxis, herausg. von H e c k , R ü m e l i n , W e n d t ; (zitiert als ArchCivPr.) Jh e r i n g s Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts, herausg. von R e g e l s b e r g e r und E h r e n b e r g ; (zitiert als JheringsJ.) Archiv für bürgerliches Recht, herausg. von K o h l e r , R i n g und O e r t m a n n ; (zitiert als ArchBürgR.) Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts, begründet von I. A. G r u c h o t , herausg. von K ü n t z e l , E c c i u s , P r e d a r i ; (zitiert als GruchotsBeitr.) Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart, herausg. von G r ü n h u t ; (zitiert als GrünhutsZ.) Jahrbuch des deutschen Rechts, herausg. von H . N e u m a n n (gibt nach dem System des Gesetzes geordnete Auszüge aus Literatur und Rechtssprechung). Deutsche Juristenzeitung, herausg. von L a b a n d , H a m m , H e i n i t z ; (zitiert als DJZ.) Handbuch X . 1. I : v o n T u h r I .

4

50

Einleitung.

Das Rechtj Rundschau für den deutschen Juristentag, herausg. von Soergel. Juristische Wochenschrift (Organ des deutschen Anwaltvereins).

7. B i b l i o g r a p h i e der L i t e r a t u r des B ü r g e r l i c h e n Gesetzbuchs. M a a s , Bibliographie des bürgerlichen Rechts, sachlich geordnet, für die Jahre 1888—98; für die folgenden Jahre bis 1904 im ArchBtirgR., Bd. 18, 19, 20, 22, 24. 26. M a a s , Jurisprudentia Germaniae, 1905, 1906. H e d e m a n n , Zivilistische Rundschau im ArchBürgR., Bde. 25, 31, 34 Literaturberichte in der JurWSchr., der DJZ. und dem „Recht".

Erstes Buch. Die subjektiven Rechte und das Vermögen,

4*

Erstes Kapitel

Die subjektiven Rechte. § 1· Das subjektive Recht*. I. Der zentrale Begriff des Privatrechts und zugleich die letzte Abstraktion aus der Vielgestaltigkeit des Rechtslebens ist das Recht des Subjekts, das „subjektive Recht", wie man es im Gegensatz zum objektiven Recht (der Rechtsnorm) zu nennen pflegt. Eigentum, Forderungen und andere Befugnisse haben längst im Leben und in der Erkenntnis der Juristen existiert, ehe man an die systematische Arbeit ging, alle diese Rechtserscheinungen in einen Begriff zusammenzufassen. Die römischen Juristen haben sich für das Problem nicht interessiert, wie ihnen überhaupt rein theoretische Untersuchungen fernlagen. Auch im gemeinen Recht hatte die Definition des subjektiven Rechts mehr philosophisches Interesse, als praktische Bedeutung. Anders im BGB., in welchem infolge der Fassung des § 823 I der Schutz gewisser Rechtsgüter gegen fahrlässige Verletzung davon abhängt, ob man sie zu den subjektiven Rechten zählen will (vgl. unt. § 6 V). Das Wort „Recht" hat im täglichen Leben keine fest begrenzte Bedeutung; es bezeichnet, im allgemeinsten Sinn gebraucht, omne quod jure fit ; man kann, ohne sich den Vorwurf der Sprachwidrigkeit zuzuziehen, von einem Recht des A reden, wenn er etwas tut, was ihm erlaubt oder auch nur nicht verboten ist; oder auch dann, wenn dem Β etwas verboten ist, und A an diesem Verbot ein Interesse hat. Auch in der Gesetzgebung wird „Recht" nicht * W i n d s c h e i d § 37; Regelsberger § 14; Bekker § 18; Gierke § 27; Dernburg I § 41; Endemann I § 14; Cosack § 14; Enneccerus § 65; K o h l er § 44; Biermann § 31; Z i t e l m a n n Intern. PrivR. 1 S. 37; J e 11 i η e k, System der subj. öffentl. Rechte, 2. Aufl. S. 41 fg. ; B i n d e r , Problem der jurist. Persönlichkeit § 3.

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Erstes Buch. Die subjektiven Rechte und das Vermögen.

immer als technischer Ausdruck behandelt1. Doch hat die Jurisprudenz von jeher die Neigung gehabt, den Begriff des Rechts enger zu fassen, als es im Sprachgebrauch der Laien geschieht, und nicht jeden rechtlichen Vorteil, der dem Individuum aus der Rechtsordnung erwachsen kann, als Recht zu bezeichnen. Das entspricht auch den Anschauungen, auf Grund deren das BGB. entstanden ist. Um eine Grenzlinie zwischen den subjektiven Rechten und anderen vorteilhaften Rechtslagen zu finden, empfiehlt es sich von der Betrachtung der Rechtssätze auszugehen, aus deren Anwendung auf die Tatbestände des Lebens die subjektiven Rechte sich ergeben 2 . Die Rechtsordnung ermöglicht und befördert das Zusammenleben der Menschen, indem sie es festen Regeln unterwirft. Nicht die tatsächliche Macht des Einzelnen, sondern die Vorschrift des Staates soll über die Verteilung der Lebensgüter entscheiden. Dadurch werden diese Güter zu Rechtsgütern erhoben. Dem „Rechtsdruck", den der Staat auf das Individuum ausübt nnd den J h e r i n g (Zweck I S. 512 fg.) so anschaulich geschildert hat, entspricht die Wohltat der Rechtssicherheit. Dies Resultat erstrebt die Rechtsordnung auf zwei verschiedenen Wegen: 1. Zahlreiche Vorschriften ordnen das Zusammenleben der Menschen in der Weise, daß sie dem einzelnen Individuum ein Herrschaftsgebiet zuweisen, auf welchem sein Wille zu gelten hat, entsprechend dem individualistischen Gedanken, welcher neben starken sozialen Zügen der heutigen Wirtschaftsordnung zugrunde liegt. Das Interesse des Staates erschöpft sich darin, daß auf diesem Gebiet der Wille des Individuum sich zur Erreichung seiner eigennützigen oder wenigstens selbstgesetzten Zwecke ungestört betätige. Darum sorgt die Rechtsordnung dafür, daß Veränderungen 1

Vgl. z. B. GFG. § 20, vgl. unt. § 24 Note 26. Wenn hier der Begriff des subjektiven Rechts aus den Vorschriften der Rechtsordnung abgeleitet wird, so soll damit über eine historische Priorität des objektiven oder subjektiven Rechtes natürlich nichts gesagt sein. Ein Streit darüber scheint mir selbst auf dem Gebiete der Rechtsphilosophie müßig zu sein. Subjektive Rechte in unserem heutigen Sinn kann es ohne eine Rechtsordnung nicht gegeben haben, und eine Rechtsordnung ohne subjèktive Rechte können wir uns schwer vorstellen. Daß aber in den Anfängen juristischen Denkens beide Begriffe nicht scharf unterschieden wurden, zeigen die gemeinsamen, jetzt doppelsinnig gewordenen Bezeichnungen „Recht" und Jus". 2

§ 1. Das subjektive Recht.

55

in diesem Herrschaftsgebiet in der Regel nur mit Willen des Subjekts (durch Rechtsgeschäft) erfolgen können; nur ausnahmsweise wird eigenmächtiges Eingreifen Dritter zugelassen8; gegen ungewollte Beeinträchtigungen wird prinzipiell Rechtsschutz gewährt 4 , aber nur, wenn das verletzte Subjekt diesen Schutz anruft. Wo die Interessen des Einzelnen in dieser von seinem Willen abhängigen Weise geschützt werden, liegt ein ^Recht" des Einzelnen vor. 2. Andere Vorschriften statuieren Verpflichtungen, deren Befolgung im allgemeinen Interesse liegt und daher durch die Organe des Staates überwacht und erzwungen wird 5 . Oft kommt eine solche Vorschrift außer dem allgemeinen Interesse auch dem Interesse eines Einzelnen zugute, aber so, daß es nicht in dessen Macht steht, auf den Verpflichteten einen Zwang auszuüben oder ihn seiner Verpflichtung zu entheben. Aus solchen Rechtssätzen ergibt sich kein subjektives Recht des Individuums®, sondern ein Recht des.Staates auf Gehorsam 7 , Wenn die gesetzliche Vorschrift dazu bestimmt ist, das Interesse einer Privatperson zu schützen, so entsteht, aber erst aus der Verletzung der Vorschrift, für den Geschädigten ein Recht auf Schadensersatz nach § 823 II. Die Unterscheidung von subjektiven Rechten und geschützten Interessen könnte auf den ersten Blick als nimia subtilitas der Doktrin erscheinen8; warum, könnte man sagen, soll den nach 3 Im Interesse des Berechtigten (neg. gestio) oder im überwiegenden Interesse des Eingreifenden (Notstand und ähnliche Fälle). * Darum ist „volenti non fit iniuria" ein charakteristisches Kennzeichen des subjektiven Rechts. Eine andere Frage ist, ob der Berechtigte auf sein Recht verzichten kann, und was damit zusammenhängt, ob seine Einwilligung in die Verletzung ihn bindet oder bis zur Verletzung widerruflich bleibt, darüber unt. § 8 Note 29. Selbstverständlich kann eine Handlung, die wegen Einwilligung des Verletzten keinen Eingriff in das subjektive Recht darstellt, deswegen doch einen Verstoß gegen das objektive Recht enthalten und daher strafbar sein. B ζ. B. Impfzwang, Anzeigepflicht bei ansteckenden Krankheiten, Verbot des schnellen Reitens und Fahrens. β So entspricht ζ. B. den Vorschriften, welche den Gemeingebrauch an öffentlichen Sachen regeln, kein subjektives Recht, Biermann, öffentl. Sachen, Programm (Gießen 1905) S. 44. 7 Für den Einzelnen ist der Schutz, den seine Interessen infolge eines Rechtssatzes dieser Art genießen, eine Reflexwirkung dieses Rechtssatzes, J he ring, Geist I I I § 61 und JheringsJ. 10, 245. 8 So neuerdings Eitzbacher, Handlungsfähigkeit 104 und Unterlassungsklage 104: „Die Tatsache, daß eine Rechtsvorschrift um jemandes willen einen anderen einschränkt, ist das, was wir ein Recht nennen." Daher hat nach Eitzbacher, Unterlassung 118, jeder ein Recht darauf, „daß nicht durch

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Erstes Buch. Die subjektiven Rechte und das Vermögen.

§ 823 I I geschützten Interessen der Name eines subjektiven Rechts vorenthalten werden? Daß das Wort „Recht" in der Farblosigkeit des gewöhnlichen Sprachgebrauchs auch die geschützten Interessen umfassen kann, ist unbestreitbar. Aber es bestehen technisch juristische Gründe für diese Unterscheidung in der Struktur des Rechtssystems und insbesondere unseres Gesetzes. Nehmen wir als typisches Beispiel des subjektiven Rechts das Eigentum: die Sache ist dem Willen ihres Herrn unter Ausschluß jedes Dritten unterworfen; die Verletzung des Eigentums ist (soweit nicht eine besondere Befugnis dazu besteht) generell verboten d. h. jeder, irgendwie geartete, Eingriff in die Sache ist eo ipso rechtswidrig; an dem Eigentum des X findet die allgemeine Handlungsfreiheit der übrigen Menschen ihre Schranke ; alles, was mit vorsätzlicher oder fahrlässiger Verletzung der Sache verbunden wäre, muß unterlassen werden. Anders steht es um den Schutz des Vermögens, welches im System unseres Gesetzes kein Recht ist. Ein generelles Verbot der Schädigung fremden Vermögens hat unser Gesetz nicht aufgestellt, weil dadurch die Bewegungsfreiheit der übrigen Individuen maßlos beschränkt wäre. Dagegen sind zahlreiche Verbote solcher Handlungen (ζ. B. Strafdrohungen gegen Betrug, Erpressung etc.) aufgestellt, welche der Staat im allgemeinen Interesse nicht dulden will. Nur eine unter Verletzung einer dieser Vorschriften vorgenommene Schädigung fremden Vermögens ist verboten, also ζ. B· nur die vorsätzliche, nicht auch die fahrlässige Erregung eines Irrtums, durch welchen das Vermögen des Irrenden geschädigt wird. II. Die Auffassung des subjektiven Rechts als „Willensherrschaft" hat im gemeinen Recht dominiert und wird auch heute von der Mehrzahl der Autoren vertreten. Wenn dagegen eingewendet wird 9 , daß man, wenn es auf den Willen des Subjekts ankäme, bei Kindern und Geisteskranken nicht von Rechten sprechen dürfte, da diese keinen rechtlich relevanten Willen haben, so wird bei Tierquälerei, durch eiue öffentliche Gotteslästerung oder unzüchtige Handlung bei ihm ein Ärgernis erregt wird". Diese extreme Ausweitung des Rechtsbegriffs ist an sich nicht empfehlenswert, weil sie das System des Privatrechts mit einer Unsumme von subjektiven Rechten belastet, ohne welche Theorie und Praxis bisher ausgekommen sind, sie widerspricht aber auch zweifellos dem Standpunkt des BGB.: Alle Delikte des § 828 I I wären, als Verletzung subjektiver Rechte, schon in § 823 I enthalten. Gegen E i t z bacher vgl. L e h m a n n , Unterlassungspflicht 63fg. 9 J h e r i n g , Geist ΠΙ § 60; H o l d e r , Natürl. und jurist. Personen 117 fg.; Schwarz, ArchBürgR. 32, 34; B inder a. a. 0. S. 63. Vgl. dagegen Enneccerus § 65 I 4 und § 76 Note 1.

§ 1. Das subjektive Recht.

57

diesem Argument der Sinn dessen verkannt, was die herrschende Meinung unter Willensherrschaft versteht: wenn man sagt, die Rechtsordnung verleihe dem Eigentümer die Befugnis, mit der Sache zu machen was er will, und schütze ihn in der Betätigung seines Willens, so denkt man natürlich nicht an den aktuellen Willen ; ein solcher Wille ist ja nur dann vorhanden, wenn der Eigentümer gerade der Sache bedarf, was oft lange Zeit hindurch nicht vorkommt; es handelt sich vielmehr um den potenziellen Willen : dem Eigentümer soll die Sache für den Fall, daß er über sie verfügen will, zu Gebot stehen, und deshalb muß sie auch in der Zeit, während welcher er sich um sie nicht kümmern will oder kann, gegen fremde Eingriffe geschützt sein. In diesem Sinne aufgefaßt ist die Willensherrschaft auch bei willensunfähigen Personen vorhanden, obgleich sie vom Subjekt nicht ausgeübt werden kann; es handelt sich um Zustände, welche vorübergehend sind (Kindheit) oder als vorübergehend gedacht werden (Geisteskrankheit); die Rechtsgüter dieser Personen werden geschützt, damit sie nach erlangter Willensfähigkeit (oder ihre Erben) ihren Willen betätigen können. Aber dieser Schutz erfolgt, da es sich um subjektive Rechte und nicht blos um Reflexwirkungen staatlicher Normen handelt, nicht durch die unmittelbare Fürsorge von Staatsorganen 10, sondern dadurch, daß die zum Wesen des Rechts gehörende Willensmacht von einer anderen dazu fähigen Person, einem Vertreter, für das willensunfähige Subjekt ausgeübt wird. Muß man, wie J h e r i n g a. a. 0. meint, wenn man den Begriff des Rechts auf die Willensherrschaft basiert, den Vertreter als Subjekt des Rechts betrachten 11? Keineswegs; denn sein Wille 10

Denkbar ware, daß der Staat sich der Interessen der Geisteskranken in ganz anderer Weise annimmt: Es könnte Anfall dec Vermögens an den Staat angeordnet sein und Unterhalt aus öffentlichen Mitteln durch Organe des Staates; dann wäre der Kranke nicht Rechtssubjekt, sondern Objekt der staatlichen Fürsorge. Welin unser Recht diesen Weg nicht einschlägt, so beruht das auf der Möglichkeit der Genesung und auf der Rücksicht auf die Erben: um dem Willen des Genesenen resp. den Erben des Geisteskranken das Herrschaftsgebiet zu erhalten, wird der Kranke trotz seiner Willensunfähigkeit als Rechtssubjekt behandelt. 11 So in der Tat H o l d e r und Binder a. a. 0.: das Kind, der Geisteskranke sollen nicht Eigentümer ihrer Sachen, nicht Gläubiger ihrer Forderung sein ; dagegen soll dem gesetzlichen Vertreter ein öffentliches, amtliches, dem Eigentum usw. inhaltlich analoges Recht zustehen, welches er im Interesse des Mündels auszuüben habe. In dieser Weise könnte ein Gesetzgeber die Verhältnisse willensunfähiger Personen regeln, aber unser Gesetzgeber hat es

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Erstes Buch.

Die subjektiven Rechte und das Vermögen.

steht im Dienste des Vertretenen, soll dessen fehlenden oder unvollkommenen Willen ersetzen, und es ist dafür gesorgt, daß dieses Abhängigkeitsverhältnis des Vertreters rechtlich zur Geltung k o m m t 1 2 . Die Rechtsfigur der Vertretung, bei welcher der Wille eines Menschen den Zwecken eines anderen dienstbar wird, ermöglicht es, die zum Wesen des subjektiven Rechts gehörende Willensherrschaft auch da herzustellen, wo das Subjekt, dessen Interessen zu schützen sind, keinen rechtlich beachtlichen Willen hat. I I I . Wenn die Rechtsordnung durch Gewährung subjektiver Rechte die Herrschaftsgebiete der Einzelnen abgrenzt, so geschieht das, um die als vernünftig anerkannten Interessen der Berechtigten zu sichern: das subjektive Recht wird verliehen, nicht damit das Subjekt sich das Vergnügen mache, seinen Willen auszuüben, sondern weil der Gesetzgeber es für angemessen hält, die Sorge für die Lebensgüter und deren Verwendung und Schutz dem Menschen selbst zu überlassen. Daß die subjektiven Rechte ihren Zweck im Interesse haben und (zum T e i l ) 1 8 in diesem ihre Schranke nicht getan, hat vielmehr, auf der bisherigen Rechtslehre fußend, kein Bedenken getragen, den Willensunfähigen Rechte zuzuschreiben, deren Ausübung und Geltendmachung dem gesetzlichen Vertreter zugewiesen ist. Diese Befugnisse des gesetzlichen Vertreters können als eigenartige, sekundäre, Rechte aufgefaßt werden (vgl. unt. § 7 IV), sie treten aber nicht an Stelle der primären Rechte, Eigentum, Forderung usw., aus denen das Vermögen des Mündels besteht, sondern neben diese Rechte. Das Eigentum des Mündels bleibt nach Auffassung unseres Gesetzes in seinem Bestand unberührt bei Einsetzung, Wechsel und Aufhebung der Vormundschaft, während nach Holder und Binder an Stelle des Eigentums ein Recht des Vormunds, an Stelle dieses Rechts das Recht des zweiten Vormunds und an dessen Stelle bei Eintritt der Volljährigkeit wieder Eigentum treten müßte. Wenn aber die Wissenschaft des positiven Rechts dazu bestimmt ist, aus den Vorschriften des Gesetzes Rechtsbegriffe zu abstrahieren, so dürfen diese Begriffe nicht mit den Grundanschauungen des Gesetzes unvereinbar sein. Was man unter subjektiven Rechten verstehen will, gehört nicht zu den Problemen, die kraft logischer Notwendigkeit nur eine absolut richtige Lösung zulassen, sondern ist aus dem Gesetz und den sich an dasselbe anlehnenden Rechtsgedanken zu entnehmen ; dabei kann die Tatsache, daß das Gesetz Rechte willensunfähiger Menschen kennt, nicht außer Acht gelassen werden. 12 Der gesetzliche Vertreter ist in der Ausübung der Willensmacht an gewisse Schranken (Verbot der Schenkungen, obrigkeitliche Genehmigung) gebunden, welche für das Subjekt, wenn es seine Rechte selbst ausübt, nicht bestehen. 13 Namentlich da, wo es sich um Beschränkungen der allgemeinen menschlichen Freiheit durch obligatorische Verpflichtungen handelt.

§ 1.

Das subjektive

echt.

linden, hat J h e r i n g 1 4 im Gegensatz zu der früheren mehr for. malen Auffassung mit Recht hervorgehoben. Aber er ist wohl zu weit gegangen, indem er, den Zweck des subjektiven Rechts zum Begriffsmerkmal erhebend, das Recht als „rechtlich geschütztes Interesse" definirte 16 . Zunächst gibt J h e r i n g selbst zu, „daß die Rechtsfrage im konkreten Fall von der Interessenfrage unabhängig ist", d. h. daß ein Recht bestehen und ausgeübt werdeu kann, obgleich das Subjekt in casu aus zufälligen Gründen keinen Genuß davon haben kann ζ. B. Aussichtsgerechtigkeit, die einem Blinden zusteht-, aber er behauptet, daß jedes Recht in abstracto auf einem von der Rechtsordnung gebilligten Interesse des Berechtigten beruhe, und zieht daraus Folgerungen für die Frage, wer in zweifelhaften Fällen ζ. B. im Recht der juristischen Personen, als Rechtssubjekt zu betrachten sei. Dabei übersieht J h e r i n g , daß es Rechte gibt, bei denen bestimmungs- und begriffsmäßig ein Interesse des Berechtigten fehlen kann; wie ζ. B. beim Recht der Eltern und besonders des Vormunds „für die Person und das Vermögen des Kindes zu sorgen". Beim Vormund ist jedes eigene Interesse ausgeschlossen, und doch ist seine Befugnis, seinen Willen in Angelegenheiten des Kindes zur Geltung zu bringen ζ. B. die Herausgabe des Kindes zu verlangen, zweifellos ein Recht, allerdings ein Recht, dessen Ausübung ihm vom Gesetz nicht freigestellt, sondern zur Pflicht gemacht ist. Aber eine WTillensherrschaft ist deswegen nicht weniger vorhanden, weil sie in einer gewissen Richtung gebraucht werden soll und ihre Ausübung nicht unterlassen werden darf; auch der Eigentümer kann ja, durch Vertrag, verpflichtet sein, die Sache in bestimmter Weise zu gebrauchen oder nicht zu gebrauchen, und gilt trotzdem als Herr der Sache. Ein anderes Beispiel von Rechten ohne eigenes Interesse des Berechtigten bieten die Verträge auf Leistung an Dritte, wenn der Dritte nach § 328. I nicht forderungsberechtigt ist. Wenn ζ. B. der Schenker eine Auflage zugunsten des X verabredet, ohne daß X die Vollziehung soll verlangen dürfen, so ist an der Leistung nur X interessiert, nicht der Schenker, der eher ein Interesse am Unterbleiben der Leistung hat, weil ihm daraus die condictio des 14

Jhe ring, Geist III § 60, 61 und zuletzt in JheringsJ. 32, 67. Wesentlich ebenso definiert Dernburg das subjektive Recht als „Anteil an den Lebensgütern, welchen der allgemeine Wille als einer Person zukommend anerkennt und gewährleistet." 16

Erstes Buch.

60

Die subjektiven Rechte und das Vermögen.

§ 527, I I erwachsen k a n n 1 6 ; trotzdem ist nicht X , sondern der Schenker Subjekt der Forderung auf Vollziehung der Auflage 1 7 . Hier zeigt sich, daß das „Wollendürfen tt ( W i n d s c h e i d ) , die Möglichkeit, die Leistung zu verlangen und auf dem Wege Rechtens zu erzwingen, nicht der Vorteil aus dieser Rechtslage, das Wesen des subjektiven Rechts ausmacht 1 8 . Wie es Rechte gibt, denen kein Interesse des Berechtigten zugrunde l i e g t , so gibt es umgekehrt Interessen, welche zwar rechtlich geschützt, aber nicht Gegenstand eines Rechts sind, weil der Schutz nicht auf einer Willensmacht des Interessenten beruht. Solche Rechtslagen ergeben sich nicht bloß aus den oben Seite 55 erwähnten Normen des öffentlichen Rechts, sondern auch aus Tatbeständen des Privatrechts. Ein gutes Beispiel geben die Veräußerungsverbote des § 135: wenn jemand ein solches Verbot erw i r k t , so hat er daraus weder ein Recht an der Sache, noch ein Recht, vom Eigentümer die Unterlassung der Veräußerung zu verl a n g e n 1 9 ; sein Interesse am Unterbleiben der Veräußerung ist in 16

Nur das materielle Interesse kann hier in Betracht kommen; wollte man, um Jherings Definition zu retten, daraufhinweisen, daß der Schenker ein Aifektionsinteresse am Vollzug der Auflage hat, so würde die Theorie des „rechtlich geschützten Interesses" mit der WillenSherrschaft u sich völlig decken. Denn ein Aifektionsinteresse daran, über sein Recht beliebig, auch unvernünftig zu verfügen, wird man bei jedem Rechtssubjekt unter allen Umständen als vorhanden annehmen müssen; wenn aber das genügt, so kommt es darauf heraus, daß das subjektive Recht eine staatlich anerkannte Willensmacht ist. 17 Ein weiteres Beispiel interesseloser Rechte sind Klagen auf Erfüllung letztwilliger Auflagen, § 2194; allerdings wird eben wegen des Fehlens eines eigenen Interesses bestritten, daß hier Rechte vorliegen ; vgl. unt. § 41. Auf dem Interesse des nasciturus beruht der Unterhaltsanspruch der Mutter, § 1963. 18 Nach E Itzbacher (ob. Note 8) besteht für jeden, um dessen willen ein anderer rechtlich gebunden ist, ein subjektives Recht. Wenn bei Verträgen oder letztwilligen Auflagen zugunsten Dritter der Dritte kein Recht hat, muß E i t z b a c h e r annehmen, daß die Gebundenheit des Verpflichteten nicht um des Begünstigten willen besteht. Das kann meines Erachtens nicht zugegeben werden: wenn der Kontrahent oder Erblasser eine Leistung an X anordnet, und das Gesetz diese Anordnung sanktioniert, so erfolgt Anordnung und Sanktion immer zu dem Zweck, damit X die Leistung erhalten solle, àlso um seinetwillen, ob nun dem X ein Recht auf diese Leistung zusteht oder nicht. Daß X trotzdem kein Recht erwirbt, beruht darauf, daß der Kontrahent oder Erblasser ihm nicht die Macht verleihen wollte, diese Leistung zu erzwingen. 19 Vgl. unt. § 9 Note 35.

§ 1. Das subjektive Recht.

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anderer und zwar intensiverer Weise geschützt, durch die relative Unwirksamkeit der Veräußerung. IV. Innerhalb des Herrschaftsgebiets, welches das Gesetz dem Willen des Subjekts zuweist, unterscheiden wir einzelne subjektive Rechte: Eigentum, Nießbrauch, Forderungen, Autorrechte usw. Innerhalb dieser Rechte kann eine genauere Analyse einzelne Befugnisse unterscheiden 20) ζ. B. im Eigentum die Befugnis, die Sache zu benutzen, Früchte zu ziehen, einem Dritten die Benutzung der Sache zu verbieten oder zu erlauben ; innerhalb der Forderung die Befugnis, die Leistung vom Schuldner zu verlangen, zu kündigen, aufzurechnen usw. Bei den meisten Rechten kommt die für ihren Wert außerordentlich wichtige Befugnis hinzu, das Recht auf einen anderen zu übertragen. Die Typen der subjektiven Rechte und ihre Abgrenzung gegen einander ergeben sich zum Teil aus der Natur der Dinge (durch die Beschaffenheit des Objekts wird in gewissen Grenzen die Art der Beherrschung bestimmt) 21 , zum Teil aus der historischen Entwicklung unserer Rechtsanschauungen. Insbesondere beruht die Zusammenfassung einzelner Befugnisse in den einheitlichen Gebilden, die wir subjektive·Rechte nennen, vielfach auf der Vorgeschichte unserer Rechtssätze und Rechtsdogmen. So ist es ζ. B. Produkt nicht einer logischen Notwendigkeit, sondern der Kontinuität des juristischen Denkens, daß wir das Pfandrecht als besonderes dingliches Recht neben der Forderung auffassen, und nicht etwa als eine der Forderung anhaftende Eigenschaft, kraft deren der Gläubiger auf gewisse Gegenstände ohne Rücksicht auf ihre Zugehörigkeit zum Vermögen des Schuldners und mit Vorrecht vor anderen Gläubigern greifen kann. Die einmal entstandenen und als lebensfähig bewährten Gebilde sind in unser Gesetzbuch übergegangen ; sie sind unentbehrlich, um sich in der Fülle der einzelnen von der Rechtsordnung gewährten Befugnisse zurechtzufinden : mit dem einen Begriff Eigentum, Pfandrecht, Forderung, bezeichnet und denkt mau alle einzelnen zu diesem Komplex gehörenden Befugnisse, ohne sie einzeln aufzählen und sich vorstellen zu müssen. Die aus der Zusammenfassung einzelner Befugnisse gewonnenen 20 W i n d s c h e i d - K i p § 37 S. 137; Crome § 29, 4; Enneccerus §65, 3: Stammler, Wirtsch. u. Recht 263; E i t z b a c h e r , Unterlassungsklage 122. ai Sachen können anders beherrscht werden als Menschen.

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Die subjektiven Rechte und das Vermögen.

subjektiven Rechte lassen sich systematisch anordnen, wobei die einzelnen Befugnisse, welche als der Kern des subjektiven Rechtserscheinen, den Ausschlag geben. Die meisten und wichtigsten subjektiven Rechte gewähreu eine Herrschaft über ein außerhalb des Subjekts stehendes Stück der Außenwelt: ein Objekt. Das Objekt kann sein eine Sache, eine Person, oder ein Geistesprodukt, dessen ausschließliche Benutzung dem Subjekt gewährleistet wird. Diese Rechte kann man als „ H e r r s c h a f t s r e c h t e t f bezeichnen22. Neben den Herrschaftsrechten gibt es eine zweite Gruppe von Rechten: wenn jemand die Befugnis hat, durch seinen Willen in dem Bestand der Herrschaftsrechte Änderungen herbeizuführen, ζ. B. durch Anfechtung eines Rechtsgeschäfts, durch Kündigung, durch Rücktritt von einem Vertrag, durch Aneignung einer Sache, so kann diese Befugnis als subjektives Recht aufgefaßt werden: wie bei den Herrschaftsrechten handelt es sich hier um eine von der Rechtsordnung anerkannte Willensmacht, allerdings von anderem Inhalt : diese Rechte verleihen keine unmittelbare Herrschaft über ein Stück der Außenwelt, wohl aber die Möglichkeit, durch Betätigung des Willens ein solches Machtverhältnis zu begründen, aufzuheben oder abzuändern. Z i t e l m a n n hat für sie den betreffenden Ausdruck „Rechte des Könnens" gefunden 28. Man kann sie im Vergleich zu den Herrschaftsrechten als s e k u n d ä r e R e c h t e bezeichnen24 Die eben besprochenen Befugnisse erscheinen in der historisch überlieferten Systematik oft als Nebenbestandteile von Herrschaftsrechten und sind daher in der dogmatischen Betrachtung bis vor kurzem ziemlich unbeachtet geblieben. So ist ζ. B. die Veräußerungsbefugnis in den meisten Herrschaftsrechten enthalten und kann daher als Eigenschaft dieser Rechte behandelt werden, die Kündigung kann als Bestandteil gewisser Forderungen respektive obligatorischer 22 Vgl. Seckel, Gestaltungsrechte 208; Enneccerus § 34 spricht von „Beherrschungsrechten". 28 Vgl. unt. § 7. Langheineken, Anspruch S. 2 spricht von „Befugnissen" im Gegensatz zu den „subjektiven Rechten", womit er nur die Herrschaftsrechte bezeichnen will. Aber der Ausdruck Befugnis scheint mir zu farblos, und die Beschränkung des subjektiven Rechts auf die Herrschaftsrechte angesichts unseres Sprachgebrauchs willkürlich zu sein. 24 Die Rechte des Könnens haben, im Gegensatz zu den Herrschaftsrechten, kein Objekt, wenn man nicht die Person oder Sache, gegen resp. an welcher ein Recht begründet werden kann, oder das der Einwirkung des Kannberechtigten unterliegende Recht als das Objekt dieses Rechtes auffassen will.

§ 1. Das subjektive Recht.

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Rechtsverhältnisse erscheinen usw. Aber solche Befugnisse können auch losgelöst von einem Herrschaftsrecht vorkommen; die Kündigungsbefugnis kann ζ. B. auch dem Schuldner zustehen, oder einem Dritten, der weder Gläubiger noch Schuldner ist (§ 1358) usw. Eine eingehende dogmatische Untersuchung muß daher neben der nur für die Herrschaftsrechte zutreffenden Anordnung der Rechte nach ihrem Objekt auch die sekundären Befugnisse berücksichtigen, welche in den Herrschaftsrechten enthalten sind oder unabhängig von ihnen vorkommen. Man kann dabei konstatieren, daß diese auf dem ganzen Rechtsgebiet zerstreuten und in den verschiedensten Herrschaftsrechten enthaltenen Befugnisse gemeinsame Charakterzüge haben und sich daher in bestimmte Kategorien (Gestaltungsrechte, negative Rechte, Aneignungsrechte usw.) einordnen lassen. So ergibt sich an manchen Stellen des Systems neben der grundlegenden Einteilung der Rechte nach ihrem Objekt eine Einteilung der einzelnen Befugnisse nach ihrem rechtlichen Inhalt. V. Betrachtet man das subjektive Recht vom Standpunkt des Objekts aus, so kann man die der Willensherrschaft des Subjekts entsprechende Unterwerfung des Subjekts als „objektiven Bestand* des Rechts25 bezeichnen. Derselbe nimmt je nach der Beschaffenheit des Objekts und des Rechts verschiedene Gestalt an: die Unterwerfuog einer Sache zeigt sich darin, daß die Einwirkung auf die Sache dem Berechtigten erlaubt, dritten Personen verboten ist. Die Unterwerfung einer Person unter die rechtliche Herrschaft einer anderen hat bisweilen (bei den Familiengewalten, vgl. unten § 6, I I I ) denselben Charakter, meist aber besteht sie darin, daß der unterworfenen Person eine Pflicht obliegt, vgl. unten § 4. Den Rechten des Könnens entspricht eine Gebundenheit des Objekts: die Sache oder Person oder das Recht ist einer Rechtsänderung ausgesetzt, die der Berechtigte durch seinen Willen herbeiführen kann 2 6 . Normalerweise erscheint der objektive Bestand des Rechtes als dessen passive Seite, als das Recht vom Standpunkt des Objektes aus betrachtet. So nennt ζ. B. der Gläubiger die Obligation seine Forderung, der Schuldner nennt sie seine Schuld. Es kann aber bei sukzessivem Entstehungstatbestand eines Rechts ein Zwischenstadium geben, in welchem das Objekt bereits gebunden ist, bevor 26 26

Jhering in seinen Jahrb. 10, 390; Bekker § 18 Beil. III. Vgl. unt. § 7 V.

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Die subjektiven Rechte und das Vermögen.

noch die Befugnisse des § 9 II· Insbesondere kann das Subjekt, für welches nicht existiert, vgl. unten

Subjekts ins Leben treten, vgl. unten dieser ßechtszustand vorkommen, wenn das Recht entstehen soll, selbst noch § 9 V.

§ 2. Das Subjekt des Rechtes*. I. Subjekt eines Rechts nennen wir den, dessen Willensmacht von der Rechtsordnung in dem Umkreise dieses Rechts anerkannt" und geschützt wird. Subjekt ist daher, wie oben Seite GO gesagt, nicht wer das Rechtsgut genießt, sondern der, dessen Wille für dasselbe maßgebend ist. Die Willensherrschaft kann für das Subjekt durch einen anderen ausgeübt werden : ist der Vertreter vom Subjekt selbst bestellt, so liegt in der Bestellung und in der Möglichkeit der Abberufung die Betätigung der Herrschaft des Subjekts; ist der Vertreter dem Subjekt von der Rechtsordnung gesetzt, so handelt es sich um vorübergehende Zustände, während welcher das Recht für die spätere Herrschaft des Subjekts reserviert und geschützt wird. Es kommt sogar vor, daß ein Recht zeitweise weder vom Subjekt noch von dessen Vertreter ausgeübt werden kann, (ruhende elterliche Gewalt, § 1676/8); auch hier will das Gesetz, indem es das Recht nicht untergehen läßt, den Willen des Subjekts, sobald das Hindernis der Betätigung beseitigt ist, zur Herrschaft bringen I I . Rechtssubjekt ist in erster Linie der Mensch ; denn was wir Wille, Herrschaft, Macht nennen, ist im ursprünglichen Sinn dieser Begriffe nur beim Individuum zu konstatieren. Aber es hat von je her und muß immer Lebensgüter geben, welche nicht den Interessen einzelner Menschen, sondern allgemeineren Zwecken dienstbar sind: sei es den Zwecken, die eine Gesamtheit von Menschen z. B. ein Verein verfolgt, sei es dem Zweck, den ein Individuum (Stifter) ein für allemal gesetzt hat und den die Rechtsordnung als berechtigt anerkennt. Der rechtliche Schutz dieser Güter könnte vom Gesetz in verschiedener Weise hergestellt werden. Unser Recht wählt die Form des subjektiven Rechts, indem es durch besondere Einrichtungen (Organisation) dafür sorgt, daß für die Gesamtheit respektive für die vom Stifter gesetzten Zwecke * W i n d s c h e i d I § 49, 50; Regelsberger § 15; Bekker § 19; Enneccerus § 68; Stammler in der Festschrift für die jur. Fakultät Gießen. 1 Crome g 611.

§ 2.

Das Subjekt des Rechtes.

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eine Willensherrschaft ausgeübt werden kann. Verein und Stiftung können so als Subjekte von Rechten behandelt werden, welche für sie von ihren Organen ausgeübt werden. I I I . Jedes subjektive Recht läßt sich bestimmen und von anderen Rechten unterscheiden durch Angabe des Subjekts, des Objekts und des Inhalts der Herrschaft. Die Bedeutung des Subjekts für die Charakterisierung des Rechts kann aber verschieden sein: 1. Es gibt Rechte, die nur durch die Person des Berechtigten ihre volle Bestimmtheit erhalten (so kann man eine Forderung in der Regel nicht genau bezeichnen und von anderen unterscheiden ohne den Gläubiger zu nennen 2 ), oder bei denen die Person des Berechtigten offiziell konstatiert ist (Immobiliarrecht). 2. Bei anderen Rechten, insbesondere bei Rechten an Mobilien ist das Subjekt weder zur Charakterisierung des Rechts erforderlich noch durch eine offizielle Veranstaltung erkennbar; die Bezeichnung des Objekts, der Sache, genügt um zu wissen, um welches Eigentumsrecht 8 es sich handelt, Der Unterschied 4 zeigt sich in der Lehre von der Verfügung : über Rechte der ersten Kategorie kann nur vom Berechtigten oder im Namen desselben verfügt werden. Eine Forderung des A kann Β nur so einziehen oder zedieren usw., daß er sie als Forderung des A bezeichnet. Hat er den Namen des A nicht genannt, so kann seine Handlung die Forderung des A nicht berühren 6 ; ebenso kann er über ein auf den Namen A im Grundbuch eingetragenes Recht nicht verfügen, ohne sich als Vertreter des A zu gerieren. Dagegen kann Β eine Mobilie des A veräußern, ohne daß er es nötig hätte, den A als den Eigentümer zu nennen (§ 185); das von der Verfügung betroffene Recht wird ausreichend durch sein Objekt, die Sache bezeichnet6. 2 Le nel, JheringsJ. 36, 10; Rümelin, ArehZivPrax. 93, 183. Nur bei Forderungen aus Inhaberpapieren ist die Person des Berechtigten zur Bezeichnung des Rechts entbehrlich. 3 Beim Nießbrauch ist das Subjekt für die Präzisierung des Rechts wesentlich: Ein Nießbrauch kann nicht bestellt werden, ohne daß bestimmt wird, wem er zustehen soll. 4 Es fehlt an einem Namen für diese Kategorien von Rechten; man könnte in Fall 2 von „anonymen" Rechten sprechen. * Ausnahmsweise, ζ. B. § 851, kann Β eine Forderung des A in eigenem Namen einziehen. 6 Dieser in der Beschaffenheit des Rechts liegende Unterschied wird meist nicht beachtet, wenn gelehrt wird, daß es dem Ehemann freisteht, die Handbuch X . i . I : v o n T u h r

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Die subjektiven Rechte und das Vermögen.

I V . Die Zugehörigkeit eines Rechts zu einem Subjekt pflegt man die Z u s t ä η d i g k e i t des Rechts zu nennen. Das Recht steht dem Subjekt zu, in dessen Person der Tatbestand der Entstehung oder des Erwerbs eingetreten ist. Durch eine Besonderheit dieses Tatbestandes ist eine Gruppe von Rechten charakterisiert, die sogenannten mittelbar zuständigen Rechte 7 : das Recht a steht immer dem zu, welcher Subjekt des Rechtes m ist; das Recht m ist das notwendige Mittel, das Medium, durch welches der Zusammenhang des Subjekts mit dem Recht a hergestellt w i r d 8 . Diese Erscheinung ist weit verbreitet. Die nächstliegenden Beispiele sind: die sögenannten subjektiv dinglichen Rechte (Grunddienstbarkeiten und andere Rechte, welche mit dem Eigentum am Grundstück verbunden sind und nach § 9'6 als Bestandteile des Grundstücks gelten sollen) ; Forderungen und sonstige Rechte, welche mit einem Inhaberpapier verbunden sind; die sogenannten Nebenrechte der Forderung : Bürgschaft, Hypothek, Pfandrecht, Eigentum am Schuldschein, Verfügungen über Gegenstände des eingebrachten Gutes, § 1375, 1376, in eigenem Namen oder im Namen der Frau vorzunehmen. Planck Erl. 3 vor § 1373; Endemann FamRt. § 176, 3b; oder daß er alle Verfügungen über eingebrachtes Gut in eignem Namen vornehmen könne; H ell wig, Anspruch § 42 Note 5; Cosack §205 Note 17; oder daß Zustimmung der Frau genüge und eine „besondere Vollmacht" der Frau nicht nötig sei, Schmidt § 1375, 2 c. Aber wie soll z. B. der Ehemann über ein Grundstück des eingebrachten Guts in eigenem Namen verfügen, da doch als Eigentümerin die Frau eingetragen ist? er muß doch zu erkennen geben, daß er eine Rechtsveränderung im Eigentum der Frau bewirken will ; wer aber so auftritt, handelt in fremdem Namfen, und die dazu nötige Zustimmung dessen, für dessen Rechtskreis er handelt, ist nichts anderes als Vollmacht. Oder wie will der Ehemann eine Forderung des eingebrachten Gutes zur Aufrechnung bringen, § 1376 Nr. 2, ohne sie als eine Forderung der Frau zu bezeichnen? Es handelt sich in beiden Fällen um Rechte, über welche nur vom Berechtigten oder in seinem Namen verfügt werden kann. Dagegen kann natürlich der Ehemann eine Verpflichtung zu einer solchen Verfügung entweder in eigenem Namen für sich selbst begründen, oder im Namen und mit Vollmacht der Frau für diese. Vgl. unt. § 7 Note 21. 7 Bekker a. a. 0. Beil. I I I ; Regelsberger §51 IV; Gierke § 29 I I I 2 ; Crome § 29, 5 spricht von „Zustandsrechten". 8 Nicht zu verwechseln mit der mittelbaren Zuständigkeit ist natürlich der Fall, daß das Recht a bei dem entsteht, der das Recht m hat, und ihm verbleibt, auch wenn er das Recht a verliert; so erwächst und verbleibt der Ersatzanspruch wegen Sachbeschädigung dem, welcher zur Zeit der Beschädigung Eigentümer war; die Eigentümerhypothek dem, der zur Zeit der Eintragung der Hypothek resp. des Erlöschens der Forderung Eigentümer war; Planck § 1163, 3d und 4d.

§ 2. Das Subjekt des Rechtes.

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welches ebenfalls stets dem Gläubiger zusteht, § 952 9 ; ferner die obligatorischen Rechte, welche ex lege für den Eigentümer aus seinem Rechtsverhältnis zum Nießbraucher 10 , Pfandgläubiger 11; oder Servitutenberechtigten 12 entstehen; endlich die aus dem Miteigentum erwachsenden gegenseitigen obligatorischen Rechte 13 . 9 Enneccerus II § 7 Note 8. Die herrschende Meinung, P l a n c k , Staudinger, Hedemann in JheringsJ. 48, 73„, RG. 51, 83, bezeichnet im Anschluß an die Protokolle den § 952 als dispositive Vorschrift. Im Gesetz ist diese Ansicht der 2. Kommission nicht zum Ausdruck gekommen. Der Zweck der Vorschrift spricht für ihren zwingenden Charakter; denn jedes Auseinanderfallen von Gläubigerrecht und Recht am Schuldschein führt zu rechtlicher Verwirrung und ermöglicht eine Ausbeutung des in Beweisnotlage befindlichen Gläubigers. Daraus ergibt sich die Unzulässigkeit der Verpfändung des Schuldscheins ohne die Forderung; das RG. will mit der herrschenden Meinung diese Unzulässigkeit damit begründen, daß der Schuldschein keinen realisierbaren Vermögenswert darstellt; aber, genau genommen, hat der Schuldschein auch in der Hand eines Dritten so viel Wert als der Gläubiger, der ihn braucht, oder der Schuldner, der ihn haben möchte, für ihn bietet. Der Schuldschein könnte daher sehr wohl verwertet werden und daher Gegenstand eines Pfandrechtes sein. Wenn man es trotzdem, meines Erachtens mit Recht nicht zulassen will, so liegt es näher, sich auf die in § 952 statuierte Zusammengehörigkeit von Forderung und Schuldschein zu berufen und diesfe Zusammengehörigkeit als UDlösbar zu betrachten. In der Konsequenz meiner Anschauung würde liegen, daß das Eigentum des Schuldscheins mit Erlöschen der Forderung vom Gläubiger auf den Schuldner übergeht. Das ist allerdings im Gesetz nicht ausgesprochen, aber mit der Bestimmung des § 371 sehr wohl vereinbar. Materiell dasselbe Resultat will Hede mann a. a. 0. 3, S. 71 erzielen, indem er aus § 371 eine a. in r. scripta ableitet, wofür ich im Gesetz keinen Anhaltspunkt finde. 10 Verpflichtung des Nießbrauchers zu ordnungsmäßiger Wirtschaft, zur Tragung des gewöhnlichen Unterhalts und der Lasten, zur Versicherung der Sache gegen Brandschaden, zur Rückgabe der Sache an den Eigentümer usw. vgl. Planck Erl. 3 vor § 1030; Dernburg I I §188; Endemann, SachenRtl § 103, 4. 11 Die Pflichten des Pfandberechtigten gegenüber dem Eigentümer entstehen nicht mit dem Pfandrecht, sondern erst dann, wenn er zum Verkauf schreitet, und beziehen sich auf den Verkauf; vgl. Planck § 1215, 1; § 1248, 1; der Pfandgläubiger hat den Verkauf anzudrohen, § 1234, und den Eigentümer von Ort und Zeit der Versteigerung, § 1237, sowie vom Resultat derselben zu benachrichtigen, § 1241. (Die Bestimmungen über den Pfandverkauf, von denen nach § 1243 die Rechtmäßigkeit des Verkaufs abhängt, statuieren nicht Pflichten, sondern Voraussetzungen der wirksamen Rechtsausübung : vgl. unt. & 4.) 18 Verpflichtung, die Anlage in ordnungsmäßigem Zustand zu erhalten

§ 1020, 2. 13

Recht auf Einwilligung zu notwendigen Maßregeln, § 744 I I , auf angemessene Verwaltung und Benutzung, § 745 II, auf anteilmäßige Tragung der Lasten und Kosten, § 749, auf Aufhebung der Gemeinschaft, § 749. 5*

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Die subjektiven Rechte und das Vermögen.

Die Fälle der mittelbaren Zuständigkeit sind nicht ganz gleich geartet: immer steht das Recht a dem jeweiligen Inhaber des Rechts m zu, aber diese Erscheinung ist in verschiedener Weise aufzufassen : 1. Meistens handelt es sich um eine besondere Art der Sukzession : das Recht a ist an das Recht m so gebunden, daß es mit dem Recht m auf das neue Subjekt übergeht. Solche Rechte bezeichnet man als akzessorisch, vgl. unten § 13. Dazu gehören insbesondere die Rechte des § 96 und die Nebenrechte der Forderung. Solche Rechte gehen auf den neuen Inhaber des vermittelnden Rechts in der Gestalt über, welche sie beim Rechtsvorgänger erhalten haben. 2. In anderen Fällen ist die mittelbare Zuständigkeit so zu denken, daß bei jedem Subjekt, welches das Recht m erwirbt, das Recht a neu entsteht. Das hat zur Folge, daß das mittelbar zuständige Recht, im Gegensatz zu den Fällen unter 1, durch Umstände, die in der Person des Vorgängers eintreten, nicht beeinflußt wird. So verhält es sich bei den Inhaberforderungen : jeder berechtigte Inhaber des Papiers ist, soweit es sich aus dem Inhalt der Urkunde ergibt, Gläubiger; Einwendungen aus der Person des früheren Inhabers können ihm nicht entgegengehalten werden, § 796. Ebenso verhält es sich grundsätzlich mit den obligatorischen Rechten des Miteigentümers gegen seine Genossen ; nur in gewissen Beziehungen bestimmt § 746, 751, daß Verabredungen des Miteigentümers den Singularsuccessor binden u ; die übrigen Forderungen aus dem Miteigentumsverhältnis ζ. B. aus § 744, II, § 745, II, § 748 können durch Verfügung des Rechtsvorgängers nicht modifiziert werden: sie entstehen neu, mit dem gesetzlichen Inhalt, in der Person jedes Miteigentümers. Fraglich kann die Subsumtion unter 1 oder 2 bei den Forderungen sein, welche dem Eigentümer ex lege gegen Pfandgläubiger, Nießbraucher oder Servitutberechtigten zustehen. Beim Pfandrecht wird angenommen, daß die nach § 1245 zulässigen Verabredungen über den Pfandverkauf den Sondernachfolger des Eigentümers binden und zwar auch soweit in der Verabredung dem Pfandgläubiger Pflichten erlassen werden, die ihm das Gesetz dem Eigentümer gegenüber auferlegt; man sieht in dem Erlaß dieser Pflichten eine Abänderung des gesetzlichen Inhalts des Pfandrechts 15. Unter u 15

Bei Grundstücken ist Eintragung erforderlich, § 1010. Vgl. Planck., § 1245. 2a: Fiseher-Henle, § 1245, 1.

§ 2.

Das Subjekt des Rechtes.

demselben Gesichtspunkt muß auch beim Nießbrauch zugelassen werden, daß der Eigentümer mit Wirkung für seinen Nachfolger dem Nießbraucher gewisse Legalpflichten erläßt 1 6 : bei Giundstücken muß, da eine Änderung des Inhalts des Nießbrauchs erfolgt, Eintragung stattfinden. Ebenso kann die Erhaltungspflicht des Servitutberechtigten durch Eintragung im Grundbuch aufgehoben werden 17 . Demnach sind die Legalforderungen des Eigentümers gegen den Inhaber des ius in re aliena als mit dem Eigentum übergehend, nicht, bei jedem Eigentümer neu entstehend zu betrachten. Als Beispiel mittelbar zuständiger Rechte wird oft in erster Linie der Mietzinsanspruch angeführt, da er nach § 571 mit dem Eigentum am Grundstück notwendig verbunden sei 1 8 . Dabei wird übersehen, daß der Mietzins eines vermieteten Grundstücks nicht immer dem Eigentümer zusteht: wenn X ein dem A gehörendes Grundstück vermietet, steht die Mietzinsforderung nicht dem A zu, auch nicht einem Dritten, der das Eigentum von A erwirbt, sondern dem X respektive dem Dritten, welcher durch Rechtsgeschäft mit X nach § 892 Eigentümer wird 1 9 . Was § 571 anordnet, ist also nicht eine Bindung von obligatorischen Rechten an das Eigentum einer Sache (Zustandsobligation), sondern Übergang des Rechtsverhältnisses des Vermieters als gesetzliche Nebenfolge der von ihm vorgenommenen Veräußerung des Grundstücks. Mittelbare Zuständigkeit beruht meist auf Vorschrift des Gesetzes (z. B. § 952, 1018), kann aber auch durch Parteiwillen begründet werden; bei dinglichen Rechten nur in den vom Gesetz zugelassenen Fällen (z. B. § 1094, 1105), bei Forderungen allgemein auf dem Wege des Vertrags zugunsten Dritter 1 9 a . So kann z. B. der Eigentümer eines Grundstücks eine Forderung erwerben auf Leistungen an sich, respektive, wenn er das Grundstück veräußern sollte, an den jeweiligen Eigentümer des Grundstücks. V. Aus dem Wesen des subjektiven Rechts scheint hervorzugehen, daß die Zuständigkeit eines Rechts eine allgemeine, allseitige sein muß; wen die Rechtsordnung als Herrn einer Sache, als Glftu16

Planck, § 1055, 2c. Da die Erhaltung der Anlage nach § 1021 dem Eigentümer auferlegt werden kann, so kann auch das minus: Entlastung des ServitutberechtigteB, dinglich verabredet werden. 18 Oertmann, § 571. 3 mit zit. Lit. 19 P l a n c k , § 571, lb. 1Θ » Vgl. Stammler, a. a. O. S. 12. 17

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biger einer Forderung anerkennt, der sollte diese Stellung allen gegenüber haben. Aber es gibt Ausnahmsfälle, in denen ein Recht in einer Beziehung dem A, in anderen Beziehungen aber clem Β zusteht. Man kann hier von D u p l i z i t ä t des Subjekts sprechen. Es kommen folgende Fälle in Betracht, in denen das Gesetz eine komplizierte Interessenlage der beteiligten Personen auf keinem anderen Wege ordnen zu können glaubte: 1. eine Verfügung kann relativ unwirksam sein (§ 135). Wenn in diesen Fällen A sein Eigentum auf Β überträgt, so ist zwar Β Eigentümer geworden, aber im Verhältnis zu gewissen Personen ist A Eigentümer geblieben20. 2. Namensaktien werden durch Zession (§ 413) oder Indossament (HGB. § 221 I I I ) übertragen, aber „im Verhältnis zu der Gesellschaft gilt nur derjenige als Aktionär, welcher als solcher im Aktienbuche verzeichnet ist", HGB. § 22, 23 I. 3. § 2026: „der Erbschaftsbesitzer kann sich dem Erben gegenüber, solange nicht der Erbschaftsanspruch verjährt ist, nicht auf die Ersitzung einer Sache berufen, die er als zur Erbschaft gehörend im Besitze hat tf . Der Erbschaftsbesitzer ist durch Ersitzung Eigentümer geworden ; der Erbschaftsanspruch würde daher in bezug auf die ersessenen Sachen nicht mehr dinglich, sondern obligatorisch sein. Das Gesetz will aber den Erben den dinglichen Schutz nicht entziehen, solange der Erbschaftsanspruch nicht verjährt ist. Darum wird dem Besitzer die Berufung auf die Ersitzung abgeschnitten; das bedeutet materiell : ihm gegenüber ist der Erbe Eigentümer geblieben21. 4. Bei Forderungen liegt eine der Duplizität ähnliche Erscheinung vor, wenn der Schuldner einen Nichtgläubiger solange 20

Die Duplizität des Rechts beim relativen Veräußerungsverbot erklärt K o h l e r S. 158 für eine unklare Anschauung, die der Rechtsordnung jede Festigkeit und allen Halt nimmt. Diese Kritik ist de lege ferenda berechtigt, kann aber meines Erachtens nicht dazu führen, eine Rechtsgestaltung, die das Gesetz positiv gewollt hat, wegzudeuten. Κ ο hl er will dem Käufer, der ein Veräußerungsverbot des § 135 erwirkt hat, bedingtes Eigentum an der Kaufsache zusprechen. Diese Wirkung ist aber jedenfalls vom Gesetz nicht gewollt und mit dem Prinzip, daß Eigentum durch Tradition übertragen wird, hicht vereinbar. 21 G r a d e n w i t z , Anfechtung und Reurecht S. 69, schlägt vor, den § 2026 analog anzuwenden in der streitigen Frage, ob der gutgläubige Erbe eines Fremdbesitzers die Sache ersitzen könne; er soll ersitzen, aber solange der obligatorische Anspruch gegen ihn nicht verjährt ist, sich dem Gläubiger gegenüber auf die Ersitzung nicht berufen können.

§ 2. Das Subjekt des Rechtes.

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als Gläubiger betrachten darf, bis er von der wahren Rechtslage Kenntnis erhält; so bei der Zession nach § 407 und in den analogen Fällen der §§ 720, 1473, 1524, 3Π1, 2019. Aber der Zedent ist in Wirklichkeit nach der Zession nicht mehr Gläubiger, auch nicht gegenüber dem Schuldner; der Schuldner ist nicht verpflichtet, an ihn zu leisten; nur damit dem Schuldner seine Unkenntnis von der Zession nicht zum Nachteil gereiche, ist bestimmt, daß Leistungen an einen Nichtgläubiger und Rechtsgeschäfte mit ihm wirksam sein sollen. Ebenso verhält es sich in den oben angeführten analogen Fällen. Dagegen ist das HGB. in einigen Fällen weiter, bis zur Statuierung einer wirklichen Duplizität gegangen. HGB. § 25: „die in dem Betriebe begründeten Forderungen gelten den Schuldnern gegenüber als auf den Erwerber übergegangen, falls der bisherige Inhaber oder seine Erben in die Fortführung der Firma gewilligt haben". HGB. § 392 I I : Jedoch gelten solche Forderungen, auch wenn sie nicht abgetreten sind, im Verhältnis zwischen dem Kommittenten und dem Kommissionär oder dessen Gläubigern als Forderungen des Kommittenten. In beiden Fällen ist der Schuldner verpflichtet, an den Erwerber (§ 25) respektive den Kommissionär (§ 392) zu leisten und wird durch diese Leistung auch dann befreit, wenn er vom wahren Verhältnis zwischen den beteiligten Personen Kenntnis hat 3 2 . 5. keine Duplizität des Subjektes möchte ich, aus dem eben dargelegten Grunde, bei unrichtigem Eintrag im Grundbuch annehmen. Der zu Unrecht Eingetragene darf nicht mit dem römischen Bonitarier verglichen werden, er ist in keiner Weise berechtigt, er s c h e i n t es nur zu sein. Wenn seine Verfügungen wirksam sind, so beruht das ausschließlich auf dem guten Glauben des Erwerbers. 6. eine nur scheinbare Duplizität des Subjekts ergibt sich aus dem Satz, daß die Rechtskraft nur inter partes wirkt. Wenn A im Eigentumsstreit gegen Β gesiegt hat, während C der wirkliche Eigentümer ist, so könnte man daran denken zu sagen: A ist dem Β gegenüber, C aber dem A gegenüber Eigentümer. Aber das Urteil hat richtiger Ansicht nach keine materielle Wirkung, Staub §25 Anm. 15, § 892 Anm. 11. Ungenau sprechen D ü r i n g e r Hachenburg § 25 I I I und Staub § 392 Anm. 5 und 11 von -gesetzlicher oder fingierter Zession. Bei Zession würde der bisherige Gläubiger in jeder Beziehung, nicht nur im Verhältnis zu gewissen Personeù, aufhören Gläubiger zu sein.

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es läßt Rechte weder untergehen noch entstehen ; A ist durch seinen Sieg über Β nicht Eigentümer geworden 28. Die abnorme Rechtsfigur der Duplizität kann meines Erachtens nur da angenommen werden, wo das Gesetz sie statuiert; sie kann durch Privatwillkür nicht hergestellt werden. A kann ζ. B. sein Eigentum nicht in der Weise auf Β übertragen, daß er gewissen Personen, insbesondere dem Β gegenüber, Eigentümer bleibt. Aller dings verbreitet sich in letzter Zeit in Literatur und Praxis eine Ansicht, der zufolge, bei den fiduziarischen Geschäften, eine Übertragung des „formellen" Rechts unter Zurückbehaltung des „materiellen" Rechts möglich sein soll 2 8 a . Diese Auffassung ist meines Erachtens mit den Grundsätzen unseres Rechts unvereinbar. Unzulässig scheint mir auch die mehrfach ζ. B. von E n d e mann I § 88 am Ende vertretene Anschauung, daß es neben dem „absolut besten Recht" des wirklichen Rechtssubjekts ein relativ besseres Recht eines Anderen geben könne d. h. daß A, ohne daß ihm das Recht zusteht, doch besser berechtigt sein könne, als B, dem das Recht ebenfalls nicht zusteht. Die von E n d e m a n n angeführten Beispiele sind : Β ist in einem nichtigen Testament zum Erben eingesetzt, A ist mit dem Erblasser verwandt, aber nicht so nah, wie C. Oder: eine Forderung ist erst an A, dann an Β abgetreten worden, noch früher aber an C. In beiden Fällen will E n d e m a n n im Prozeß zwischen A und Β dem A, weil er immerhin besser berechtigt sei als B, die Erbschaft resp. die Forderung zusprechen. Meines Erachtens kann, wenn zwei Personen ein Recht n i c h t haben, nicht gesagt werden, daß eine besser als die andere berechtigt sei; höchstens kann man dem A eine Anwartschaft auf das Recht zuschreiben, weil er durch Ausschlagung des Erstberufenen C Erbe werden, oder wenn der Zedent die Forderung von C zurückerwirbt, nach § 185 I I durch Konvalescenz Gläubiger werden 23 H e l l w i g , Rechtskr. S. 7; Zivproz. § 9 Note 12: Das rechtskräftige Urteil hat keine materielle Einwirkung auf das abgeurteilte Recht, sondern nur die prozessuale Wirkung, daß das Recht des siegenden Teils vom unterliegenden nicht mehr bestritten werden kann. a *a Vgl. als besonders deutlichen Ausdruck dieses Gedankens für das Eigentum RG. 45, 85: „Die Sache gehört dem Fiduziar zwar formell und juristisch, aber nicht materiell und wirtschaftlich;" für die Forderung RG. 53, 417: Zession, bei welcher „durch die Abrede der Parteien die zedierte Forderung materiell dem Zedenten verblieb . . . so daß das Gläubigerrecht dem Kläger übertragen wurde, ohne daß die Forderung in sein Vermögen überging".

§ 2.

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kann. Aber vorläufig ist er so wenig wie sein Gegner Β Erbe oder Gläubiger und kann daher auch nicht im Verhältnis zu Β als solcher anerkannt werden 28 b . Anders verhält es sich im Fall des § 1007 : da der Anspruch aus einem factum, unfreiwilligem Verlust des gutgläubigen Besitzes hervorgeht, und diese Tatsache für mehrere Personen, A und B, vorliegen kann, so können beide, A und B, ein Recht auf Herausgabe der Sache haben. Von diesen Rechten soll nach § 1007 I I das des A vorgehen, wenn sein Besitzverlust älter ist als der des B. Hier kann man davon sprechen» daß das Recht des A auf den Besitz „besser" d. h. stärker ist, als das des B, wie auch in anderen Fällen der Rechtskollision ein Recht sich als stärker erweisen kann als das andere 24 . XI. Das Rechtssubjekt muß in der Regel bestimmt sein 24 a : dieser oder jener Mensch, diese juristische Person. Eine unbestimmte nicht zu einer juristischen Person zusammengefaßte Menschenmenge kann zwar Interessen haben, die staatlich geschützt werden, aber keine subjektiven Rechte. Darum muß ζ. B. ein an die „Armen" ohne nähere Bestimmung hinterlassenes Vermächtnis umgedeutet werden; als bedacht soll gelten die öffentliche Armenkasse des letzten Wohnsitzes des Erblassers. (§ 2072). Soll ein Recht für eine Person begründet werden, die erst durch ein künftiges Ereignis bestimmt wird, so kann das Recht nicht eher entstehen, als bis das maßgebende Ereignis eingetreten ist. So erfolgt der Anfall eines Vermächtnisses an eine persona incerta mit Eintritt des bestimmenden Ereignisses. (§ 2178). Daraus folgt für das alternative Vermächtnis (§ 2151), daß das Vermächtnis erst entsteht, wenn entweder die vom Erblasser vorgesehene Bestimmung der Person erfolgt ist, oder es sich herausgestellt hat, daß diese Bestimmung nicht erfolgen kann resp. die dafür gesetzte Frist verstrichen ist (in letzterem Fall entsteht Gesamtgläubigerschaft). Vor Entstehung des Rechtes gibt es eine Anwartschaft 25 der eventuell als Rechtssubjekt in Betracht kommenden Personen, zu deren Schutz ein Pfleger bestellt werden kann. (§ 1913). Etwas anders ist die Rechtslage, wenn ein Recht dem A zusteht, und ein späteres Ereignis darüber entscheidet, ob A Subjekt bleibt, 2

®b Vgl. S t r o h a l , Erbrecht § 94 Note 19; Planck § 2018, 5a. Über die scheinbare Duplizität des Subjekts in § 1978 (die Forderungen gegen den Erben sollen nach Abs. 1 den Nachlaßgläubigern zustehen, nach Abs. 2 als zum Nachlaß gehörend gelten) vgl. unt. § 19. ai * Stammler, a. a. O. 25 Vgl. unt. § 9. 24

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oder aufhört es zu sein. Wenn dabei infolge des späteren Ereignisses das Recht von A auf Β übergeht, so haben wir keine Unbestimmtheit des Subjekts, sondern eine von künftigen Ereignissen abhängige Sukzession vor uns. So verhält es sich meines Erachtens in den Fällen der dinglichen Surrogation, in denen es auf Erwerb aus den Mitteln eines bestimmten Vermögens ankommt, ζ. B. §§ 1381, 1645, 2019, 2111. Solange die Mittel noch nicht aufgewendet, ζ. B. die angeschaffte Sache nicht bezahlt ist, ist die Surrogation in der Schwebe. Das bedeutet aber nicht Unbestimmtheit des Subjekts; denn Subjekt ist vorläufig der Ehemann, Erbschaftsbesitzer usw., der das Erwerbsgeschäft geschlossen hat), sondern Ungewißheit darüber, ob er Subjekt bleibt, wenn er seine eigenen Mittel zur Bezahlung des Erwerbs verwendet, oder bei Verwendung fremder Mittel, durch Surrogation aufhört es zu sein. Wollte man wirkliche Unbestimmtheit des Subjekts annehmen, so würde, solange die Mittel nicht aufgewendet sind, also ζ. B. wenn eine Sache auf Kredit gekauft ist, weder der ursprüngliche Erwerber noch der Surrogationsberechtigte in der Lage sein, die Rechte aus dem Erwerbsgeschäft geltend zu machen, was doch gewiß vom Gesetz nicht gewollt sein kann 26 . Wenn dagegen bei Eintritt des künftigen Ereignisses A aufhören soll nicht nur Subjekt zu sein, sondern auch Subjekt gewesen zu sein, mit anderen Worten: wenn das künftige Ereignis mit rückwirkender Kraft entscheidet, ob A oder Β Subjekt sein soll, dann liegt es nahe, Unbestimmtheit des Subjekts, sogenannte Pendenz des Rechtes, anzunehmen. Dabei sind aber verschiedene Fälle zu unterscheiden 2 ® a : bei Ausschlagung der Erbschaft gilt der Anfall als nicht erfolgt und der Zweitberufene als Erbe vom Moment des Erbfalls an, § 1953. Durch die Ausschlagung hat es sich entschieden, daß nicht A sondern Β als Erbe zu gelten hat und zwar vom Erbfall an. Trotzdem bleibt es wahr, daß bis zur Ausschlagung 2

« Im römischen Recht, fr. 25 § 1 D. 7, 1 ; fr. 43 § 2 D. 41, 1, wurde in ähnlichen Fällen (der Erwerb durch einen im Nießbrauch stehenden Sklaven fiel dem Eigentümer oder dem Nießbraucher zu, je nachdem aus wessen Mitteln die Gegenleistung entnommen war) schwebendes Eigentum konstruiert Nach der Fassung unseres Gesetzes liegt der Tatbestand der Surrogation nicht eher vor, als bis der Erwerb mit den Mitteln des fremden Vermögens gemacht ist. Bis dahin muß nach allgemeinen Grundsätzen der Erwerb dem zustehen, der ihn in eigenem Namen macht. So auch Η e l l wig, Grenzen der Rückwirkung 10, der aber Rückwirkung der Surrogation auf den Moment des Erwerbes lehrt. Vgl. auch Bern h oft, Festg. für E. J. B e k k e r S. 248 fg. 2β » Stammler a.a. 0. 17.

§ 2.

Das Subjekt des Rechtes.

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A Erbe gewesen ist, wenn er auch diese Rechtsstellung durch die Anschlagung mit rückwirkender Kraft verloren hat. Insbesondere bleiben seine Verfügungen trotz der Ausschlagung in gewissen Grenzen bestehen, § 1959. Die bis zur Annahme der Erbschaft vorliegende Ungewißheit bezieht sich daher nicht darauf, wer jetzt Erbe ist, sondern darauf, ob der jetzige Erbe seiue Stellung provisorisch oder definitiv innehat 26 Ein höherer Grad von Unbestimmtheit des Subjekts findet sich bei der Erbschaft, wenn ein nasciturus als Erstberufener in Betracht kommt; kommt er zur Welt, so gilt er als vor dem Erbfall geboren, § 1923 I I , und wird daher so behandelt, als sei er vom Erbfall an Erbe gewesen; wird ein Kind nicht geboren, so wird der Zweitberufene als Erbe vom Erbfall an betrachtet. Bis zur Geburt des Kindes ist es objektiv und subjektiv ungewiß, wem von beiden die Erbenstellung zukommt. In der Zwischenzeit wird keiner von beiden als Erbe behandelt; insbesondere hat der Zweitberufene nicht die Stellung, welche dem Erben während der Ausschlagungsfrist zukommt; seine Verfügungen sind nur soweit gültig, als der Dritte durch seinen guten Glauben geschützt ist. Man kann daher genau genommen davon sprechen, daß der Nachlaß in diesem Falle vorläufig ohne Erben, hereditas jacens, sei 2 7 . Aber da das Gesetz den, welchem schließlich die Erbschaft zufällt, als Erben ex tunc behandelt, so scheint es mir zulässig, für die Zwischenzeit eine Unbestimmtheit des Subjekts anzunehmen, die sich durch ein späteres Ereignis entscheidet. Dem entspricht es, daß die Fürsorge für den Nachlaß einem Nachlaßpfleger anvertraut wird, welcher nicht für den als herrenlos gedachten Nachlaß, sondern, wie das Gesetz, § I960 II, sagt, „für denjenigen, welcher Erbe wird" bestellt i s t 2 7 ». Von der Unbestimmtheit ist zu unterscheiden die Unbekanntheit 2 7 1 ', speziell die Bestrittenheit des Subjekts. Hier ist die Rechtslage objektiv fest geregelt, und nur durch tatsächliche Umstände 26

t> H e l l w i g , a. a. 0. S. 6fg. H e l l w i g , Anspruch S. 45; K i p p , Zus. 2 zu W i n d s c h e i d § 531. 27 » Ähnlich wie nach § 1913 in anderen Fällen ein Pfleger für einen „ungewissen Beteiligten" bestellt werden kann. Ein unbestimmtes Rechtssubjekt, persona incerta, kann auch außerhalb des Erbrechtes vorkommen, z.B. bei einem Vertrag zugunsten eines Dritten, dessen Person durch ein künftiges Ereignis bestimmt werden soll. 27 * Vgl. über die Rechtsfolgen, welche eintreten können, wenn das Subjekt eines Rechtes unbekannt ist; K o h l e r § 112. 27

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verdunkelt. Durch Ermittelungen resp. gerichtliche Entscheidung kann festgestellt werden, wem das Recht zusteht 27 Auch hier kann u. IL (§§ 1913, 1960) eine fürsorgliche Vertretung des unbekannten Rechtssubjekts angeordnet werden* 8. VII. Subjektive Rechte ohne Subjekt 29 scheint eine contradictio in adjecto zu sein, weil das subjektive Recht dazu bestimmt ist, die Willensherrschaft eines Individuums zu ermöglichen. Aber wie es besondere Umstände gibt, bei denen das Subjekt nicht imstande ist, einen Willen zu betätigen, und das subjektive Recht dennoch mit Rücksicht auf die Zukunft anerkannt wird, so führt ein Schritt weiter zu den Fällen, in denen das Subjekt gänzlich, aber nur zeitweilig, fehlt. Mit Rücksicht auf das künftige Rechtssubjekt kann es geboten sein, eine Rechtslage herzustellen, bei welcher, ohne daß Jemand augenblicklich als Rechtsinhaber vorhanden ist, das Objekt des Rechts in dem Zustand der Unterwerfung erhalten wird, in dem es vorher war und bei Eintritt eines neuen Subjekts wieder sein wird. Man sollte hier statt von subjektlosen Rechten, davon sprechen, daß die „Gebundenheit des Objekts" oder der „objektive Rechtsbestand" erhalten bleibt 80 . Im gemeinen Recht hatten diese Fragen eine große Bedeutung infolge der eigenartigen Gestaltung der Erbfolge: zwischen dem Erbfall und dem Antritt des Erben fehlte für den Nachlaß ein Subjekt und doch sollte der Nachlaß nicht schutzlos sein. Mit der Regelung der Erbfolge im BGB. ist dieser Hauptfall der sogenannten subjektlosen Rechte erledigt 81 . Ein zweiter Fall, Fort27 c Eine deklarative Entscheidung über die Zuständigkeit einer Forderung liegt in der „Übertragung" der Forderung gegen den Ersteher nach ZVG. § 118: Die Forderung steht anteilsweiae den am Erlös berechtigten Gläubigern, in letzter Linie dem Eigentümer zu; durch die „Übertragung", wird nicht über die Forderung verfügt, sondern amtlich festgestellt, welchem Berechtigten sie zusteht, wodurch er die Möglichkeit der Geltendmachung erwirbt. Daher wird durch eine auf Irrtum beruhende Zuteilung der Forderung keine Verschiebung des Rechtszustandes bewirkt; RG. 64, 196. 28 Vgl. Stroh al, Erbrecht I I S. 61 gegen He 11 wig, der den Nachlaßpfleger als Vertreter nicht des heres incertus, sondern des als selbständiges Vermögen gedachten Nachlasses auffaßt; vgl. unt. § 19 Note 40. 29 W i n d s c h e i d § 49 Note 3; Dernburg I § 48 I; Endemann I § 14 Nr. 3; Crome § 29 Nr. 5; Stammler a. a. 0. S. 29. 90 Wenn das neue Subjekt sich einstellt, so findet es den ganzen Tatbestand des Rechts vor und braucht nur in denselben einzurücken, um das Recht zu erwerben. 31 Dafür haben wir während des Zeitraums, welcher der römischen her. jac. entspricht, Unbestimmtheit des Subjekts.

§ 2.

Das Subjekt des Rechtes.

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bestand der Inhaberforderung bei Dereliktion des Papiers, erklärt sich ohne Schwierigkeit, wenn man in der Inhaberforderung ein mittelbar zuständiges Recht sieht, welches bei jedem neuen Eigentümer des Papiers neu entsteht 81 a . Ähnlich verhält es sich mit den Rechten des § 96, wenn das Grundstück derelinquiert wird; das Grundstück selbst wird herrenlos 92 \ damit verlieren die mit ihm verbundenen Rechte ihr Subjekt und können, als Rechte, nicht fortbestehen. Aber wenn der Fiskus sich eintragen läßt, so erwirbt er mit dem Eigentum zugleich diese Rechte so, wie sie dem letzten Eigentümer zustanden. In der Zwischenzeit ist der Eigentümer des belasteten Grundstücks ebenso gebunden, d. h. der Neuentstehung des belastenden Rechts ausgesetzt, wie der Aussteller eines Inhaberpapiers der Möglichkeit ausgesetzt ist, wieder Schuldner zu werden, wenn sich für das derelinquierte Papier ein neuer Eigentümer findet 83. Da ein Recht ohne Subjekt nicht gedacht werden kann, so kann es auch keine Rechte künftiger Personen geben; wohl aber kann der ganze zum Erwerb eines Rechts erforderliche Tatbestand schon vor der Existenz des Subjekts zur Stelle sein, so daß es nur noch der Entstehung des Subjekts bedarf, damit das Recht ins Leben tritt. Solche auf die Entstehung ihres Subjekts wartende Rechte sind, wenn man sie bereits Rechte nennen will, k ü n f t i g e Rechte, oder besser gesagt: Anwartschaften, vgl. unt. § 9 V. 81 · Solange das Papier niemandem gehört, ist der Aussteller nicht Schuldner, aber er kann es werden, sobald sich ein berechtigter Inhaber einstellt. 38 So die herrschende Meinung, Planck § 928 Erl. 4; Gierke I I 464; Crome I I I 394; dagegen behauptet H e l l w i g , Anspruch S. 233 und ZivProz. § 43 Note 10, daß das Grundstück nicht herrenlos wird, sondern in (subjektlosem) Eigentum verbleibt. Der nach ZPO. § 58, 787 zu bestellende Vertreter ist meines Erachtens als Vertreter des künftigen Eigentümers zu betrachten; vgl. darüber Ε η de mann II, § 78 Note 18. 83 Hachenburg, Vorträge, 2. Aufl. S. 523, benutzt die Rechtsfigur des subjektlosen Rechts zur Erklärung der Eigentümerhypothek; schwerlich mit Recht: An einem Subjekt, das über das Recht verfügen kann und zu dessen Vermögen es gehört, fehlt es hier nicht; die Schwierigkeit liegt nur im Zusammentreffen des umfassenden Eigentums und des beschränkten Pfandrechts in einer Person.

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§ 3.

Mehrheit des Subjekts*.

I. Normaler Weise bat jedes Recht nur ein Subjekt. Gewisse Rechte sind so beschaffen, daß innerhalb der Schranken der durch sie gewährten Macht nur ein Subjekt herrschen kann; so die persönlichen Rechte der Ehegatten und die elterliche Gewalt 1 . In der Regel aber kann die Willensherrschaft, welche den Inhalt eines Rechts ausmacht, mehreren Subjekten zustehen, so daß sie in dieser oder jener Weise an der Herrschaft beteiligt sind: eine Sache kann im Miteigentum stehen, eine Grunddienstbarkeit hat mehrere Subjekte, wenn das herrschende Grundstück im Miteigentum steht oder geteilt ist, ein Nießbrauch kann für mehrere Personen bestellt sein, eine Forderung mehreren Personen zustehen, daher auch ein Pfandrecht oder eine Hypothek 2 . Bei genauerer Betrachtung solcher Verhältnisse ergibt sich die theoretische Möglichkeit zweier Auffassungen : entweder man nimmt ein Recht mit mehreren Subjekten an, oder mehrere Rechte mit je einem Subjekt, welche in ihrer Zusammenfassung den Herrschaftskreis ausfüllen, der im normalen Fall dem Recht des Einzelsubjekts unterliegt. Keine dieser Auffassungen kann meines Erachtens als die allein zutreffende gelten, sondern je nach der Art der Rechtsgemeinschaft erscheint die eine oder die andere Konstruktion als passend. II. Rechtsgemeinschaft kommt im BGB. in zwei verschiedenen Gestaltungen vor: 1. in den wichtigsten Fällen, namentlich bei der Gesellschaft, §718, der Gütergemeinschaft, § 1438, und der Erbengemeinschaft, § 2032, bezieht sich die Rechtsgemeinschaft auf einen Komplex von Rechten, der wie ein Vermögen einem Wechsel der Bestandteile ausgesetzt ist 8 . Nur weil und solange das einzelne Recht zu diesem Komplex gehört, steht es in der Mitberechtigung. Diese * Windscheid § 51; Regelsberger § 51; Bekker § 32; Enneccerus § 69: Sohm, Gegenstand S. 60fg. 1 Planck und Stau dinger, Vorb. 4 vor § 1626, erklären die elterliche Gewalt für ein gemeinsames Recht der Eltern. Das entspricht nicht dem Gesetz: In der Regel steht die elterliche Gewalt allein dem Vater zu, neben dem die Mutter die beschränkten Rechte und Pflichten des § 1634 hat. In gewissen Fällen, § 1685, wird die Gewalt des Vaters von der Mutter ausgeübt, in anderen Fällen, § 1684, steht die Gewalt nicht dem Vater, sondern der Mutter zu. 2 Mehrheit von Berechtigten bei Immaterialgüterrechten; vgl. Crome § 518 III. 8 Vgl. unt. § 20.

§ 3. Mehrheit des Subjektes.

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Fälle bezeichnet man als Gemeinschaft zur gesamten Hand 4 . Zwischen den Gesamthändern besteht in bezug auf das gemeinsame Vermögen5 ein Rechtsverhältnis; die Summe der Rechte und Pflichten des Einzelnen aus diesem Verhältnis ist sein Anteil am Gesamtvermögen. Die Größe der Anteile bestimmt Bich meist nach einem Zahlenverhältnis 6. Da jeder Gesamthänder an den einzelnen zum Gesamtvermögen gehörenden Rechten mitberechtigt ist, könnte man auch von einem Anteil an diesen einzelnen Rechten sprechen; das tut auch das Gesetz z. B. § 719, 2033, CPO. § 859, aber nur um zu bestimmen, daß eine Verfügung des Gesamthänders über den Anteil an den. einzelnen Gegenständen ausgeschlossen ist 7 . Verfügt wird nur über das ganze dem Gesamtvermögen angehörende Recht. Wer dazu befugt ist, ergibt sich aus der Organisation der Gesamthand, die in den einzelnen Fällen verschieden ist 8 . Ebenso erfolgt die Verwaltung des gemeinsamen Gegenstandes zu Nutzen und auf Kosten des Gesamtvermögens, bei Veräußerung fällt der Erlös kraft Surrogation in das Gesamtgut; solange die Gesamthand besteht, wird der dazu gehörende Gegenstand so behandelt, wie wenn er zu einem einheitlichen Vermögen, und nicht zum Vermögen mehrerer Personen gehörte. Erst bei Aufhebung 4

Über und gegen den Begriff der Gesamthand neuerdings B i n d e r , Rechtsstellung des Erben I I I S. 6 fg., und anderseits Gierke I I § 122; Ennecceruß § 312. Vgl. die Übersicht der Literatur bei Oertmann Bern. 3 vor § 705. 6 Nur ausnahmsweise kommt in unserem Recht Gesamthandsgemeinschaft an einzelnen Rechten vor, vgl. unt. Note 26 und 42. 6 Die Anteile der Ehegatten sind gleich: die der Miterben bestimmen sich nach den Erbteilen; ähnlich die der Abkömmlinge bei der fortgesetzten Gütergemeinschaft, § 1503. In der Gesellschaft kann der Anteil eines Socius verschiedene Größe haben, je nachdem die Gesellschaft mit Gewinn oder Verlust abschließt, § 722; daher läßt sich die Größe des Anteils vor der Auseinandersetzung nicht bestimmen. 7 Daher bezeichnet RG. 68, 413 die Anteile an den einzelnen Gegenständen mit Reçht als „unpraktisch." 8 Dieser Rechtszustand wird oft, z.B. von Planck Erl. 3 vor § 705. als „dingliche Gebundenheit" des gemeinsamen Vermögens bezeichnet, was meines Erachtens in keiner. Weise zur Klärung der Anschauung beiträgt (von Dinglichkeit sollte man nur da sprechen, wo Sachenrechte in Betracht kommen). Gemeint iet, daß die Gesellschafter nicht nur, wie im römischen Recht, zueinander in einem obligatorischen Verhältnis stehen, sondern daß die Verfügung des Einzelnen über Gegenstände des Gesellschaftsvermögens ausgeschlossen ist. Aber das ergibt sich ohne weiteres, wenn man annimmt, daß das Subjekt dieses Vermögens nicht die Einzelnen, sondern alle zusammen sind.

8 0 E r s t e s

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der Gesamthand t r i t t das Recht der einzelnen Teilhaber in die Erscheinung; die noch vorhandenen resp. bei der Auseinandersetzung nach Tilgung der Verbindlichkeiten tlbriggebliebenen Gegenstände fallen ihnen im Verhältnis ihrer Anteile zu. 2. Die Fälle der Gemeinschaft, welche nicht nach dem Prinzip der Gesamthand geordnet sind, kann man „schlichte Rechtsgemeinschaft" nennen 9 ; das Gesetz, § 741, spricht von Gemeinschaft nach Bruchteilen. Das Charakteristische dieser Gemeinschaften liegt dem Tatbestand nach darin, daß sie sich auf einzelne Rechte beziehen — zwischen den Teilhabern besteht keine andere Beziehung, als die, welche durch das Miteigentum an der Sache usw. hergestellt wird —, der Rechtswirkung nach darin, daß jeder Teilhaber über sein Recht selbstständig verfügen k a n n 1 0 . I I I . Angesichts der Struktur der Gesamthand liegt es nahe, die zum Gesamtvermögen gehörenden Rechte als gemeinschaftlich in dem Sinn zu denken, daß weder A noch Β Subjekt des Rechtes ist, sondern beide zusammen, als Inhaber des gemeinsamen Vermögens 1 1 ; an einer zum Gesamtvermögen gehörenden Sache besteht 9

Cosack I § 119; H e l l w i g , Anspruch 182. Ein ähnlicher Gegensatz kann mit W o l f f , JheringJ. 44, 159 und Crome I I I § 355, 2b auf dem Gebiet des Besitzes konstatiert werden: Eine Herrschaft mit zwei Subjekten, wenn infolge von Mitverschluß die tatsächliche Gewalt von jedem Besitzer nicht anders als unter Zuziehung des andern ausgeübt werden kann; zwei einander beschränkende Sachherrschaften in den übrigen Fällen des Mitbesitzes. Dagegen aber Planck § 866, 1 und Endemann I I § 39, 17. 11 Im Gegensatz zu dieser, besonders von Gierke vertretenen, Ansicht erklären Binder a.a.O. S. 28 und S ohm S, 62 eine Mitberechtigung ohne Quotenteilung für einen unbegreiflichen Widerspruch in sich selbst. Ich kann das behauptete logische Hindernis nicht erkennen. Was hindert die Rechtsordnung, statt wie sonst dem Willen eines Menschen Herrschaft zu verleihen, für gewisse Rechtsbeziehungen den übereinstimmenden Willen zweier Menschen als maßgebend anzusehen? Warum soll man sich nicht denken können, daß zwei Menschen über eine Sache gemeinsam zu bestimmen haben, daß zwei Gläubiger von einem Schuldner die Leistung gemeinsam verlangen können? Wenn man logische Bedenken sucht, so finden sich solche meines Erachtens viel eher beim Miteigentum nach Bruchteilen: denn die Verteilung der Eigentumsbefugnisse nach einem Zahlenverhältnis läßt sich, wie weiter unten gesagt, nicl t, ganz durchführen ; wenn es nicht neben dem Gebrauch der Sache die in Quoten zerlegbare Fruchtziehung und Verfügung über die Sache gäbe, so könnte das Miteigentum nie als zwei in einem Zahlenverhältnis stehende Rechte, sondern immer nur als ein zwei Subjekten gemeinsames Recht aufgefaßt werden. Vgl. neuerdings B i n d e r , Problem der juristischen Persönlichkeit 78 fg. 10

§ 3. Mehrheit des Subjektes.

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ein Eigentum mit mehreren Subjekten ; die gemeinsame Forderung ist nicht als Summe von Forderungen des A und des B. aufzufassen, sondern als einheitliche Forderung, deren Gläubiger A und Β zusammen s i n d 1 2 . Bei dieser Auffassung ergibt sich eine große Ähnlichkeit zwischen der Gesamthand und der aus der Verbindung mehrerer Menschen entstandenen juristischen Person. Bei den juristischen Personen geht aber das Gesetz noch einen Schritt weiter als bei der Gesamthand: die Mitglieder eines Vereins sind überhaupt nicht, auch nicht in ihrer Gesamtheit, Subjekte des Vereinsvermögens; über ihnen steht ein künstlich geschaffenes Subjekt, zu welchem sie in einem Rechtsverhältnis stehen, ohne unter sich durch eine Rechtsbeziehung verbunden zu sein. Bei der Gesamthand dagegen gibt es außer und über den Teilhabern kein weiteres Subjekt, dafür aber ein Rechtsverhältnis unter den Teilhabern 1 8 . Dieser Unterschied, der de lege lata streng einge12

Die Auffassung von S ο hm S. 65, der den Gesamthändern „Anteile kraft Personenrechts" zuschreibt * ist eine zutreffende Charakterisierung der Entstehung und des Untergangs der Gesamthand, (die Gesamthand erfordert ein persönliches Rechtsverhältnis zwischen den Teilhabern und erstreckt sich auf den jeweiligen Bestand des gemeinschaftlichen Vermögens), gibt aber meines Erachtens keinen befriedigenden Aufschluß über die Frage, wer als Subjekt des Einzelnen zum Gesamtvermögen gehörenden Rechts zu denken ist. B i n d e r S. 5Öfg. will die gemeinsamen Rechte in Einzelrechte zerlegen und den Ausschluß der Verfügung als eine ihren Subjekten auferlegte Verfügungsbeschränkung auffassen; ebenso Krückmann, ArchZivProz. 103 , 294. Diese Konstruktion genügt meines Erachtens zur Erklärung einzelner, aber nicht aller Erscheinungen der Gesamthand. Daß der Schuldner einer gemeinsamen Forderung mit seiner Gegenforderung gegen einen Gesamthänder nicht kompensieren kann, ist doch wohl keine Verfügungsbeschränkung des Gesamthänders. Ferner: Wäre die gemeinsame Forderung eine Summe von Einzelrechten, so könnte der Schuldner den Anteil eines Teilhabers ausrechnen und allen gemeinsam anbieten; die Verfügungsbeschränkung kommt hier nicht in Betracht, und doch liegt eine unzulässige Teilleistung vor, weil es eben nur eine, allen Gesamthändern zustehende, Forderung auf das Ganze gibt. Endlich sieht sich Binder S. 70 zu der gewiß unannehmbaren Konsequenz gedrängt, wenn ein Gesamthänder eine Mobilie in eigenem Namen veräußert, die Anwendung des § 932 auszuschließen, weil durch diesen Paragraph bekanntlich nur der Mangel des Eigentums geheilt, nicht aber über Verfügungsbeschränkungen hinweggeholfen wird. Meines Erachtens ist § 932 zweifellos anzuwenden: A hat über die ganze Sache als fremde verfügt, wenn sie nicht ihm, sondern dem Α, Β und C als Bestandteil eines gemeinsamen Vermögens gehörte. 13

Das zeigt sich an der passiven Seite des Vermögens: Die Gesamthänder sind die Schuldner in den Verbindlichkeiten, für welche ihr gemeinschaftliches Vermögen haftet, vgl. unt. § 20 IV, während bei der juristischen Handbuch X . 1. I : v o n T u h r I .

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halten werden muß, wird leicht verwischt oder wenigstens der Gefahr der Verdunkelung ausgesetzt, wenn man mit G i e r k e 1 4 die Gesamthand als eine Personeneinheit bezeichnet, die als solche rechts- und handlungsfähig ist 1 6 . IV. Ganz andere Rechtssätze, als bei der Gesamthand, gelten bei der Gemeinschaft nach Bruchteilen: jeder Teilberechtigte ist so selbständig gestellt, als es nach Lage der Umstände möglich ist; es gebührt ihm ein Anteil an den Früchten des gemeinsamen Gegenstandes, § 743; und insbesondere kann er über sein Recht selbständig verfügen, § 747· Daher empfiehlt sich für die theoretische Auffassung ein anderer Ausgangspunkt, als für die Gesamthand; der Selbständigkeit der Teilhaber bei der schlichten Gemeinschaftentspricht es, nicht e i n Recht mit mehreren Subjekten, sondern soviele einzelne Rechte anzunehmen, als es Personen in der Gemeinschaft gibt 1 6 . Bei dieser Auffassung gibt es bei der Bruchteilsgemeinschaft genau genommen kein „gemeinschaftliches Recht" ; was BGB. § 741 fg. so nennt, ist eine Summe von inhaltlich gleichartigen und in gleichem Range stehenden Einzelberechtigungen am selben Objekt, deren Gesamtheit die Machtbefugnisse darstellt, welche einem Subjekt zustehen würden, wenn dasselbe die Alleinherrschaft über das Objekt hätte. Allerdings schwebt dem Gesetzgeber, der von „gemeinschaftlichem Recht" spricht, die Anschauung vor, daß auch bei der Bruchteilsgemeinschaft, wie bei der Gesamthand, mehrere Personen an einem Recht z. B· dem Eigentum an einer Sache beteiligt seien, nur in anderer Person diese selbst, nicht ihre Mitglieder, als Schuldner betrachtet wird. Auch im Grundbuch tritt der Unterschied deutlich hervor: Bei der Gesamthand werden die einzelnen Teilhaber mit Angabe des für sie maßgebenden Rechtsverhältnisses eingetragen,. GBO. § 48, bei der juristischen Person diese selbst. Im Prozeß sind Partei: einerseits die Mitglieder der Gesamthand, anderseits die juristische Person. " I. 682, II, 398. 16 Eine Mischung von Elementen der juristischen Person und der Gesamthand zeigt sich bei der offenen Handelsgesellschaft. Sie ist in ihrer Struktur wie die Gesellschaft des bürgerlichen Rechts, ein Gesamthandsverhältnis unter den Gesellschaftern, welche demgemäß als die Subjekte der zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Rechte zu betrachten sind. Das HGB. § 124 verleiht aber der offenen Handelsgesellschaft einige Eigenschaften (Grundbuchfähigkeit, Parteifähigkeit), welche dém Begriff der juristischen Person entsprechen. Trotzdem prävaliert der Charakter des Gesamthandverhältnisses ; daher findet das Recht der bürgerlichen Gesellschaft subsidiäre Anwendung, HGB. § 105 II. 16 Crome § 420 I I 2.

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§ 3. Mehrheit des Subjekts.

Weise als bei der Gesamthand. Aber es handelt sich hierbei um eine theoretische Konstruktion, an welche man meines Erachtens nicht gebunden ist, wenn man die Sätze des geltenden Rechts bei Zugrundelegung einer anderen Auffassung anders und besser erklären kann. Demgemäß haben wir beim schlichten Miteigentum ein Recht des A und ein Recht des Β an derselben Sache. Jedes dieser Rechte ist nicht Eigentum, denn es fehlt die Ausschließlichkeit der Herrschaft, verleiht aber eine dem Eigentum inhaltlich gleichartige Herrschaft über die ganze Sache17. Aus der gleichen Stärke der Rechte und der Gemeinsamkeit des Objekts ergibt sich, daß die Herrschaft jedes Miteigentümers an der des anderen ihre Schranke findet 18. Die Befugnisse, die im normalen Fall dem Alleineigentümer zustehen, sind unter A und Β verteilt und zwar soweit es ihre Beschaffenheit zuläßt, nach einem Zahlenverhältnis : die Bruchteile (Quoten) der Miteigentümer sind also nicht Teile eines Rechts, und noch weniger Teile der Sache, sondern der Maßstab, nach welchem sich die Herrschaft des einen Miteigentümers gegenüber der des anderen bestimmt ; nach diesem Zahlenverhältnis regelt sich der Fruchtgenuß, § 743. Gewisse Befugnisse widerstreben ihrer Natur nach einer zahlenmäßigen Abgrenzung, so vor allem der Gebrauch der Sache. Daher ist die Grenzlinie zwischen den Rechten der Miteigentümer in dieser Beziehung anders gezogen; zum Gebrauch ist jeder soweit befugt, als er den Mitgebrauch der Übrigen nicht beeinträchtigt, § 743 I I . Eine rationelle Benutzung und Verwaltung der gemeinsamen Sache verlangt Maßregeln, durch welche das Herrschaftsgebiet eines jeden Miteigentümers betroffen wird; nach römischem Recht konnten solche Maßregeln nur im Einverständnis sämtlicher Miteigentümer beschlossen werden; BGB. § 745 läßt Majoritätsbeschlüsse zu, bei denen die Größe der Anteile maßgebend ist. Wieder anders gestaltet sich das Verhältnis der Miteigentümer in bezug auf den Schutz gegen Dritte; jedem Miteigentümer steht der dingliche Anspruch in Ansehung der ganzen Sache zu, § 1011; der Her17

Objekt des Miteigentums ist die ganze Sache, nicht der „Anteil", der ja nichts anderes ist als das Maß der Mitberechtigung des Teilhabers an dem gemeinsamen Rechtsobjekt; Endemann I I § 70 Note 5. Daher kann das Miteigentum nicht, wie es Endemann a. a. 0. für möglich erklärt, als Recht an einem Rechte aufgefaßt werden. 18 Außerdem bestehen unter den Miteigentümern obligatorische Rechte und Pflichten; vgl. ob. § 2 Note 13.

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ausgabeanspruch ist aber gemäß § 432 inhaltlich so gestaltet, daß dessen Ausübung durch einen Miteigentümer den anderen nicht schaden kann 1 9 . Daß jeder Teilhaber ein selbständiges Recht hat, zeigt sich am deutlichsten an der Verfügung, § 747 : der Miteigentümer kann seinen Anteil d. h. sein eigentumsähnliches Recht an der Sache veräußern und seinen Anteil mit solchen Rechten belasten, deren Ausübung eine bruchteilsmäßige Beschränkung zuläßt 20 . Neben der Verfügung der Miteigentümer über ihre Anteile erwähnt das Gesetz in § 747,2 eine gemeinsame Verfügung über die gemeinschaftliche Sache im Ganzen. Genau genommen verfügt dabei jeder Miteigentümer über das ihm zustehende Recht; aber indem der Erwerber alle Miteigentumsrechte an der Sache erwirbt, entsteht in seiner Person Alleineigentum 21 . Durch gemeinsame Verfügung kann die Sache auch mit solchen Rechten belastet werden, welche ein Miteigentümer an seinem Anteil nicht bestellen kann, ζ. B. mit Grunddienstbarkeiten; denn da die Gesamtheit der Miteigentumsrechte denselben Inhalt hat, wie das normale Eigentum, so können die Miteigentümer durch gemeinsames Handeln dieselben Wirkungen herbeiführen, wie der Alleineigentümer. Die Aufhebung des Miteigentums, welche der Miteigentümer verlangen kann, § 749, ist nach unserer Auffassung nicht als Zerlegung eines Rechts in zwei Rechte zu denken, sondern besteht darin, daß die Gemeinschaft des Objektes für die beiden bereits bestehenden Rechte aufgehoben wird : entweder so, daß durch Zerlegung der Sache zwei Objekte hergestellt werden und den Teil19 Herausgabe der Sache an alls Miteigentümer oder einen gerichtlichen Verwahrer nach § 482. Über den Schadenersatzanspruch vgl. unt. § 15 Note 16. 20 Nießbrauch § 1066, Vorkaufsrecht § 1095, Reallast § 1106, Hypothek § 1114, Pfandrecht § 1258. Belastet ist auch in diesen Fällen die ganze Sache, aber so, daß das jus in re aliena sich in den Schranken des Miteigentums hält, aus dessen Substanz es durch konstitutive Übertragung abgezweigt ist. In diesem Sinne ist es zu verstehen, wenn das Gesetz von der Belastung eines Anteils spricht; vgl. Endemann I I §70 Note 9. Mit Grunddienstbarkeiten oder Erbbaurecht kann der Miteigentümer die Sache nicht belasten, weil die in diesen Rechten enthaltene Gebrauchsbefugnis sich nicht zahlenmäßig beschränken läßt. Abweichend Cosack § 282 Note 6. 21 Entsprechendes gilt für den Zugriff der Gläubiger, weil sich die Möglichkeit der Vollstreckung normalerweise nach der Verfügungsmacht des Schuldners richtet: wenn der Gläubiger gegen jeden Miteigentümer einen Titel hat, kanp er in die ganze Sache vollstrecken; vgl. Planck § 747, 8 Dernburg I I I § 237, 4.

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habern an Stelle des Miteigentums an der ganzen Sache Alleineigentum an einem der Stücke zugewiesen w i r d 2 2 ; oder so, daß durch Veräußerung der Sache an ihre Stelle eine Geldsumme tritt, welche unter die Miteigentümer verteilt wird. Bei der Teilung der Sache oder ihres Wertes kommt das zahlenmäßige Verhältnis der Miteigentümer zu einander am deutlichsten in Erscheinung. Die Rechtssätze über die Gemeinschaft nach Bruchteilen, § 741 fg, sind in erster Linie auf das Miteigentum berechnet, welches dem Gesetzgeber als der wichtigste Fall vorschwebte, sind aber so allgemein gehalten, daß sie auch auf andere Rechte Anwendung finden können; das Gesetz spricht in § 741 absichtlich nicht von Miteigentum, sondern von einem Mehreren gemeinschaftlich zustehenden Rechte, und nicht von der gemeinsamen Sache, sondern vom gemeinsamen Gegenstand, § 744, 745. Die Anwendung dieser Rechtssätze bietet keine Schwierigkeit bei den Rechten an immateriellen Gütern, die sich in jeder Beziehung zwanglos der Analogie des Eigentums fügen; das Urheberrecht kann mehreren Urhebern zustehen28 ; ebenso ein Patent an Mehrere erteilt werden. Die Verwaltung solcher Rechte erfolgt nach § 745, die Teilung nach § 749 fg, usw. im Zweifel nach gleichen Teilen. Die theoretische Auffassung kann hier dieselbe sein, wie bei Miteigentum: zwei selbständige Rechte am Geisteswerk oder der Erfindung, zwischen denen infolge der Gemeinsamkeit des Objekts eine Gemeinschaft der Ausübung und die Möglichkeit der Teilung besteht. Nicht so einfach gestaltet sich die Anwendung der §§ 741 fg auf andere Rechtsverhältnisse. Gibt es gemeinsame Grunddienstbarkeiten im Sinn von § 741 2 4 ? Bei Teilung des herrschenden 22 Dabei erwirbt A an dem ihm zugewiesenen Stück der Sache zu seiner bisherigen Miteigentumsquote die Quote des B, so daß aus beiden Quoten in seiner Hand Volleigentum entsteht. Wie ist zu entscheiden, wenn die von A und Β geteilte Sache ihnen nicht gehört, sondern in ihrem gutgläubigen Besitz steht? Meines Erachtens ist zu sagen: A erwirbt an dem ihm zugewiesenen Stück die Quote des Β ex bona fide. Diese Quote ist das Aequivalent, welches A für die wirksame Veräußerung seiner Quote am Stück des Β erhalten hat. Er muß daher dem Vindikanten seine ursprüngliche Quote an seinem Stück nach § 985, die von Β erworbene Quote nach § 816 herausgeben. 88 Lit. UrhGes. § 6. 94 Wird ein Grundstück zugunsten mehrerer Grundstücke mit einer Servitut belastet, wie das bei Villenkolonien oft vorkommt, D e r n b u r g I I I § 163 Note 7, so bestehen mehrere Servituten von gleichem Inhalt, nicht, wie es auf den ersten Blick scheinen könnte, eine den mehreren herrschenden

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Grundstücks spricht das Gesetz in § 1025 von einem Fortbestehen der Grunddienstbarkeit für die einzelnen Teile des herrschenden Grundstücks. Nach dem Wortlaut des Gesetzes müßte man eine Servitut annehmen, welche den beiden Eigentümern der Teilstücke gemeinsam ist. Dagegen handelt es sich in § 1024 um zwei Servituten am selben Grundstück, welche inhaltlich mit einander kollidieren. Meines Erachtens liegen auch im Fall des § 1025, wie beim Miteigentum, zwei Rechte am gleichen Objekt vor: da die Servitut nach § 96 Bestandteil des herrschenden Grundstücks ist, so muß jedem Grundstück eine Servitut zugehören; jeder Eigentümer eines der Teilstücke kann daher selbständig über das ihm zustehende Recht verfügen ζ. B. durch Verzicht. Gemeinsam ist den beiden durch Teilung des herrschenden Grundstücks entstandenen Servituten das Objekt (das dienende Grundstück) sowie die begründende Tatsache, und daher auch der Inhalt; die Ausübung beider Servituten darf für das dienende Grundstück nicht beschwerlicher sein, als die Ausübung der früher einheitlichen Servitut. Wesentlich ebenso verhält es sich im Fall des § 1024, nur daß die kollidierenden Servituten verschiedenen Ursprung und möglicherweise verschiedenen Inhalt haben; auch hier erfolgt eine gegenseitige Beschränkung in der Ausübung. Wenn das Gesetz im Fall des § 1025 von einer mehreren Personen zustehenden Servitut spricht, so will es auf diesen Fall, im Gegensatz zu § 1024, die Regeln der §§ 741 fg anwenden. Der praktische Unterschied zeigt sich bei der Regelung der Ausübung, welche nach § 745 I durch Mehrheitsbeschluß und nur wenn ein solcher nicht zustande kommt, durch richterliche Anordnung erfolgt 35 , während im Fall des § 1024 ein Mehrheitsbeschluß nicht möglich ist (weil zwischen den kollidierenden Servituten kein Zahlenverhältnis besteht) und daher die Regelung der Ausübung mangels einer Einigung nicht anders als durch richterliche Entscheidung stattfinden kann. Der zweite und ebenso wichtige Rechtssatz aus dem Recht der Gemeinschaft, der Anspruch auf Teilung, wird meines Wissens im Fall des § 1025 nicht für anwendbar gehalten, obgleich eine Teilung nach § 753 I 2 an sich möglich wäre 26 . Grundstücken gemeinsame Servitut. Ebenso handelt es sich um mehrere Servituten gleichen Inhalts, wenn mehrere Grundstücke zugunsten eines Grundstücks mit einer Servitut belastet sind; vgl. unt. § 6 Note 22a. 28 Planck § 1025, 1. 26 Steht das herrschende Grundstück im Miteigentum, so sind die Miteigentümer Subjekte der Servitut. Eine Verfügung über die Servitut durch

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Gibt es Bruchteilsgemeinschaft beim Nießbrauch ? Meines Erachtens kann es immer nur soviel Nießbrauchsrechte geben, als Nießbraucher 27 ; wird für zwei Personen an einer Sache Nießbrauch bestellt, so entstehen zwei Rechte, von denen jedes von der Lebensdauer des Berechtigten abhängt, Aber es sind zwei Fälle zu unterscheiden : a) der Nießbrauch kann für jeden der Nießbraucher an einer Quote des Eigentums bestellt werden; dieser Fall ist im Sinn des Gesetzes als „gemeinsamer Nießbrauch" zu bezeichnen d. h. er unterliegt den Grundsätzen des § 741 fg, insbesondere ist Regelung der Ausübung durch Stimmenmehrheit möglich; nicht aber Teilung, weil der Nießbrauch unübertragbar ist 2 8 . Erlischt der Nießbrauch des Einen, so bleibt der Andere auf seine Quote der Nutzungen beschränkt. b) zwei Nießbrauchsrechte an der ganzen Sache können in gleichem Rang stehen und daher kollidieren. Hier erfolgt die Regelung des Gebrauches nicht nach § 745, sondern durch richterliche Entscheidung nach § 1060. Der Wegfall des einen Nießbrauchs kommt dem anderen zu statten. Gibt es Bruchteilsgemeinschaft an Forderungen 29? Bruchteilsgemeinschaft besteht, wie wir oben angenommen haben, darin, daß zwei Rechte ein gemeinsames Objekt haben, bei dessen Beherrschung die beiden Rechtssubjekte sich gegenseitig beschränken. Betrachtet man als Objekt der Forderung die Person resp. das Vermögen des SchuldDers, so müßten alle Gläubiger desselben Schuldners in einer Gemeinschaft stehen. Eine solche Gemeinschaft ist jedoch in unserem Recht nicht anerkannt 80 : jeder Gläubiger ist in seiner Rechtsverfolgung völlig unabhängig von seinen Mitgläubigern; beim Zugriff auf das Vermögen des Schuldners herrscht das Prinzip der Prävention; erst im Konkurs tritt gegenseitige Beschränkung Verzicht kann aber nur von allen gemeinsam vorgenommen werden, Planck Erl. 2 vor § 1018; Dernburg I I I § 171 I I 1. Daher kann die Servitut als gemeinsames Recht der Miteigentümer .gelten. 27 Selbst bei Gütergemeinschaft wird der Nießbrauch nicht gemeinschaftlich, § 1439. 28 Planck § 1066, 3. 29 Vgl. S ohm, Gegenstand 61; Oertmann Bern, l a vor § 741; Eneccerus § 403 I 1. 80 Ausnahmsweise und zu bestimmten Zwecken begründet das RGes. vom 4. Dez. 1899 auf Grund der Interessengemeinschaft eine rechtliche Verbindung zwischen Gläubigern von Partialobligationen.

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der Forderungen und gemeinsame Befriedigung in einem besonderen Verfahren ein. Als Objekt der Forderung kann man aber auch, in einem anderen Sinn, statt des Schuldners und seines Vermögens, die geschuldete Leistung betrachten. Dabei ergibt sich ein rechtlicher Zusammenhang mehrerer Forderungen gegen denselben Schuldner dann, wenn die Leistung, welche mehrere Gläubiger von ihm verlangen können, von ihm nur einmal zu erbringen ist. Dabei gibt es zwei Möglichkeiten: 1) die beiden Gläubiger können Gesamtgläubiger sein, § 428 fg jeder kann die volle Leistung an sich selbst verlangen, wie wenn es neben ihm keinen anderen Gläubiger auf dieselbe Leistung gäbe. Aber gewisse in der Person des einen eintretende Tatsachen, vor allem die Erfüllung, üben auf das Recht des anderen eine mindernde oder zerstörende Reflexwirkung aus. Trotzdem wird in der heutigen Doktrin unbestrittenermaßen jedem der Gesamtgläubiger ein eigenes selbständiges Forderungsrecht zugesprochen81. Eine Rechtsgemeinschaft im Sinn von § 741 fg besteht nicht; eine Ordnung der Verwaltung, § 745, kann nicht verlangt werden, ebensowenig Aufhebung der Gemeinschaft, § 749. 2) in anderen Fällen kann jeder der zwei Gläubiger Leistung nur an sich und den anderen Gläubiger gemeinsam verlangen; so, ex lege, wenn mehrere Gläubiger eine unteilbare Leistung zu verlangen haben, § 432 32 ; oder wenn mehrere Gläubiger einer teilbaren Leistung mit dem Schuldner verabredet haben88, daß die Leistung an alle gemeinsam erfolgen solle 84 . Auch hier liegen, 81 Dernburg I I § 161 I ; Enneccerus § 313 I I ; H e l l w i g ZivProz. § 37 IV 1. 32 Ist die Leistung, zu welcher der Schuldner mehreren Gläubigern verpflichtet ist, teilbar, so schuldet er zwei Leistungen, und es entstehen nach § 420 zwei Forderungen, welche, selbst wenn sie aus einem Vertrag hervorgehen, in bezug auf ihr Bestehen und ihre Geltendmachung völlig unabhängig voneinander sind. 88 Verabreden die Gläubiger unter sich, daß die Einziehung der Forderung gemeinsam erfolgen soll, so wird dadurch nach § 137 die Verfüguug eines jeden über seine Forderung nicht beschränkt, sondern nur eine obligatorische Verpflichtung gegenüber den anderen begründet. Ungenau OLG. 17 Nr. 1: Miteigentümer, die das Haus gemeinsam vermieten, können meines Erachtens nur durch Verabredung mit dem Mieter, nicht unter sich, den Mietzins, der nach § 420 in Partialforderungen zerfallen würde, dem § 432 unterwerfen. 84 Ähnlich, aber nicht ganz gleich, gestaltet sich das Nebeneinanderstehen der Forderung des Gläubigers und dessen, der an der Forderung Nießbrauch, § 1077, oder Pfandrecht, § 1281, hat, vgl. unt.

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wie bei der Gesamtgläubigerschaft und im Gegensatz zur Gesamthand, mehrere Forderungen vor; das zeigt sich nicht sowohl daran, daß jeder der Gläubiger allein imstande ist, den Schuldner zur Leistung zu zwingen 86 , als vielmehr daran, daß die mehreren Gläubiger für alle anderen Verfügungen, außer der Erhebung der Leistung, völlig unabhängig von einander sind; so kann ζ, Β. A ohne den Β zu fragen, seine Forderung durch Erlaßvertrag mit dem Schuldner aufheben oder an X abtreten, wobei natürlich die Rechtsstellung des Β nicht affiziert wird 8 6 . Trotzdem kann unter solchen Forderungen eine Rechtsgemeinschaft nach Analogie des Miteigentums zu Bruchteilen angenommen werden; denn bei Ausübung ihrer Forderungen gegen den Schuldner sind beide Gläubiger, ähnlich wie Miteigentümer, gegenseitig beschränkt; allerdings, weil es sich nicht um Herrschaft über eine Sache, sondern um Forderungen handelt, in anderer Weise: aber wie zwei Miteigentümer nur zusammen die Herrschaft über die Sache haben, welche einem Alleineigentümer zusteht, so können beide Gläubiger nur zusammen vom Schuldner das verlangen, was er einem Alleingläubiger schulden würde. Daher gelten für Forderungen mit gemeinsamer Leistung im Verhältnis der Gläubiger zu einander die Grundsätze der Gemeinschaft, § 741 fg. Wenn ζ. B. zwei Personen, ohne Gesellschafter zu sein, gemeinsam ein Grundstück mieten oder pachten, so ist jeder zum Gebrauch desselben insoweit befugt, als nicht der Mitgebrauch des anderen beeinträchtigt wird, § 743 I I ; auch kann eine ordnungsmäßige Verwaltung durch Beschluß der Gläubiger oder Entscheidung des Gerichts angeordnet werden, § 745. Da die Leistung nur an alle Gläubiger gemeinsam zu erfolgen hat, gibt das Gesetz, § 754, 2, jedem der Gläubiger das Recht, vom anderen Mitwirkung bei der gemeinsamen Einziehung zu verlangen. Eine Teilung in Natur, § 752, ist durch die Beschaffenheit des Rechtsverhältnisses ausgeschlossen. Dagegen kann die Auseinandersetzung, wenn die Forderung noch nicht eingezogen werden kann, nach § 754, 1 durch Verkauf der „gemeinschaftlichen Forderung" d. h. der beiden auf dieselbe Leistung gerichteten Forderungen 35

Denn das kommt auch in einem Fall der Gesamthand, § 2039, vor, vgl. unt. § 20 Note 7. 34 Daher kann auch die Forderung eines jeden von seinen Gläubigern gepfändet werden. Aber dadurch ändert sich der Inhalt der Forderung nicht : der Drittschuldner hat nach wie vor nach § 432 an den Pfändungegläubiger und den anderen Gläubiger, dessen Forderung nicht gepfändet ist, gemeinsam zu leisten ; nicht ganz richtig die ob. zit. Entsch. OLG. 17 Nr. 2.

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und Teilung des Erlöses stattfinden; aber in den meisten Fällen dieser Art wird anzunehmen sein, daß die Auseinandersetzung durch stillschweigende Verabredung bis zur Einziehung der Forderung ausgeschlossen ist, § 749 II. Wie die Forderungen so verhalten sich die zu ihnen in akzessorischem Verhältnis stehenden Pfandrechte und Hypotheken. Ein Pfandrecht oder eine Hypothek können immer nur zu einer Forderung gehören, weil sie mit der Forderung untrennbar verbunden sind, § 1250, 1153 87 . Daher können Pfandrecht und Hypothek nur dann gemeinsame Rechte sein, wenn sie zu einer Forderung gehören, welche als Bestandteil eines Gesamthand ver mögen s mehrere Subjekte hat. Bestehen einzelne Forderungen, so kann es sich nur um besondere pfandrechtliche Sicherung jeder dieser Forderungen handeln, selbst wenn die mehreren Forderungen dieselbe Leistung zum Gegenstand haben. So kann z. B. ein Schuldner einem jeden seiner Gesamtgläubiger ein besonderes Pfand bestellen. Verpfändet er ihnen dieselbe Sache, so entsteht nicht etwa ein gemeinsames Pfand, sondern für jeden der Gläubiger ein eigenes Pfandrecht; die Pfandrechte stehen, wenn gleichzeitig bestellt, in gleichem Rang und bedeuten, da sie für Gesamtforderungen bestellt sind, nur eine einmalige Belastung der Sache mit der geschuldeten Summe : denn sobald der eine Gesamtgläubiger vom Schuldner oder aus der Sache Befriedigung erhält, erlischt die Forderung und damit auch das Pfandrecht des anderen. Ebenso verhält es sich, wenn mehrere Gläubiger eine unteilbare Leistung zu verlangen haben und ihnen dafür ein Pfand bestellt wird: jeder der Gläubiger hat ein besonderes Pfandrecht, über welches er selbständig verfügen kann z. B. durch Verzicht und welches er verwerten kann, sobald sich seine Forderung in Geld umgesetzt hat, § 1228. Auch eine Hypothek kann meines Erachtens für A und Β als Gesamtgläubiger nicht eingetragen werden 88, sondern nur für jeden 37

Vgl. unt. § 13, 1. Anders Planck § 1113, 4, der diese Möglichkeit ohne weitere Begründung für selbstverständlich erklärt. Aber wie soll man sich die Verfügung über eine solche Hypothek ζ. B. ihre Übertragung denken? soll A allein verfügen können, wie es seiner Stellung als Gesamtgläubiger entspricht, obgleich A und Β als Gläubiger eingetragen sind? Und wie erfolgt die Befriedigung aus einer solchen Hypothek? Wenn der Eigentümer freiwillig an A zahlt, könnte man arg. § 428 annehmen, daß durch diese Leistung auch das Recht des Β erlischt; aber wem soll bei der Zwangsversteigerung der Erlös zufallen? 38

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der beiden Gläubiger eine Hypothek auf dieselbe Summe; wird der eine Gläubiger befriedigt, so verliert auch der andere nach § 428 seine Forderung und damit zugleich sein Recht aus der Hypothek 89 . Ebenso kann bei Forderungen auf unteilbare Leistungen nur auf den Namen eines jeden Gläubigers eine besondere Hypothek für seinen eventuellen Schadensersatzanspruch eingetragen werden. Eine nach Bruchteilen gemeinsame Hypothek scheint vorzuliegen, wenn das Grundstück im Miteigentum steht und die Hypothek nach § 1163 den Eigentümern zufällt. Aber es scheint mir richtiger, für jeden Miteigentümer eine seiner Eigentumsquote entsprechende Hypothek anzunehmen, obgleich im Grundbuch nur eine Hypothek auf eine Summe eingetragen ist : denn der Eintrag entscheidet nicht mehr für den Bestand der Hypothek, soweit er ex lege unrichtig geworden ist, was bei Entstehung der Eigentümerhypothek der Fall ist. Die in gleichem Range stehenden Hypotheken der Miteigentümer sind völlig unabhängig von einander: jeder Miteigentümer kann über die ihm angefallene Hypothek verfügen, wozu er allerdings nach richtiger Ansicht erst selbst ins Grundbuch eingetragen sein muß 4 0 ; dieser Eintrag erfolgt aber im Wege der Berichtigung; eine Teilung, welche nötig wäre, wenn die Hypothek ein nach Bruchteilen gemeinsames Recht wäre, ist hier weder erforderlich noch auch möglich. Dagegen entsteht eine gemeinsame Hypothek nach § 1172, wenn eine Gesamthypothek als Eigentümerhypothek den Eigentümern der belasteten Grundstücke zufällt: die Hypothek, welche jedes der mithaftenden Grundstücke belastet, hat diç sämtlichen Eigentümer zu Subjekten. Über die Natur dieser Gemeinschaft besteht Streit 4 1 . Wenn man annimmt, was ich für richtig halte, daß die mehreren Berechtigten nur gemeinsam über die Hypothek verfügen können, solange nicht die in § 1172, I I vorgesehene Auseinandersetzung stattgefunden hat, liegt hier ein Fall der auf ein einzelnes Recht beschränkten Gesamthand vor 4 2 . VI. Mehrheit des Subjekts kann auch bei „Rechten des Könnens" vorkommen, wenn sie zu einem Gesamthandvermögen 89 Beide Hypotheken fallen dem Eigentümer zu. Will man dies vermeiden, so kann jede Hypothek als durch Bezahlung der anderen resolutiv bedingt eingetragen werden. Nach GBO. § 40 I, vgl. Planck § 1177, 4a. 41 Planck § 1172, 3b. 42 Gierke I I § 167 V I ; Bruck, Eigentümerhypothek 202.

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gehören ; so ζ. B. wenn mehrere Personen als Ehegatten in Gütergemeinschaft, Gesellschafter oder Miterben ein Recht des Rücktritts, Wiederkaufs oder Vorkaufs haben. In diesen Fällen ist nicht die Ausübung des Rechts gemeinsam, sondern das Recht selbst; jede Verfügung über das Recht, ζ. B. auch durch Verzicht, steht den Personen zu, welche nach der Organisation der Gesamthand dazu befugt sind: dem Ehemann, dem geschäftsführenden Sozius, den Miterben gemeinsam48. Sind dagegen an einem Vertragsverhältnis Mehrere beteiligt, ohne in Gesamthandsbeziehung zu stehen, haben ζ. Β. A und B, ohne Gesellschafter zu sein, zusammen eine Sache mit Vorbehalt des Rücktritts gekauft oder ein Wiederkaufs- oder Vorkaufsrecht erworben, so entsteht für jeden ein besonderes Recht, welches allerdings nach der positiven Bestimmung der §§ 356, 502, 513 nur gemeinsam mit dem Recht des Mitbeteiligten ausgeübt werden kann 44 . Daß aber die Rechte trotzdem selbständig sind, zeigt sich daran, daß jedes der Rechte einzeln erlöschen kann, insbesondere durch Verzicht, wobei beim Rücktritt auch das Recht des anderen erlischt 46 , bei Wiederkauf und Vorkauf Anwachsung eintritt 4 6 . Mehrere Rechte mit gemeinsamer Ausübung liegen auch bei der sogenannten Kollektivvollmacht vor; daß jeder Bevollmächtigte ein eigenes Recht hat, zeigt sich daran, daß er es aus Gründen in seiner Person verlieren kann, ohne daß die anderen aufhören bevollmächtigt zu sein 47 . 43

§ 356 kann hier nicht zur Anwendung kommen. Auch wenn A und Β Gesamtgläubiger sind, kann das Rücktrittsrecht nur gemeinsam ausgeübt werden, vgl. Planck § 356, 1 gegen H e l l w i g , Anspruch 197. 46 Daß durch Verzicht des einen Berechtigten das Recht des anderen untergeht, ist eine Reflexwirkung, wie sie auch sonst unter Rechten vorkommt, die aus demselben Rechtsverhältnis erwachsen; so kann ζ. B. ein Erlaßvertrag des einen Gesamtgläubigers das Recht des anderen zerstören, § 429. 423. 46 Ähnlich verhält es sich mit dem nach § 1077 I I gemeinsam auszuübenden Kündigungsrecht des Gläubigers und des Nießbrauchers einer zinstragenden Forderung. Abgesehen vom Fall des § 1078 kann keiner vom anderen Mitwirkung zur Kündigung verlangen. Daraus ist meines Erachtens zu folgern, daß jeder von beiden durch Vertrag mit dem Schuldner sein Kündigungsrecht (außer für den Fall des § 1078) aufheben und damit, wie in § 3Ó6, die Möglichkeit der Kündigung ausschließeh kann. 47 Ebenso können Miteigentümer einer Aktie nach HGB. § 225, auch wenn sie nicht im Verhältnis der Gesamthand zueinander stehen, ihre Rechte gegenüber der Aktiengesellschaft nicht anders, als durch einen gemeinsamen Vertreter ausüben. 44

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§ 4. Die Rechtspflicht *. I. Der zweite Kardinalbegriff des Privatrechts, neben dem subjektiven Recht, ist die Rechtspflicht. Rechtlich verpflichtet ist der, an den ein Befehl der Rechtsordnung ergeht 1 . Dem Privatrecht gehören die Pflichten an, welche die Beziehungen der Einzelnen zu einander betreffen. Wie oben § 1, I, 1 dargelegt, entsprechen den privatrechtlichen Pflichten des einen Menschen subjektive Rechte anderer Menschen2. Die Korrelation von Recht des A und Pflicht des Β kann mehr oder weniger eng sein: 1. Bisweilen, so bei Obligationen, ist das Recht des Gläubigers nichts anderes als die Kehrseite der Pflicht des Schuldners : Forderung und Verbindlichkeit sind beides dieselbe Obligatio, vom Standpunkt je des Gläubigers oder Schuldners aus betrachtet. 2. In anderen Fällen, ζ. B. beim Eigentum liegt es näher, den dogmatischen Akzent auf das Recht zu legen und die Pflichten als Konsequenz des Rechtes zu betrachten. In der Definition des Eigentums § 903, folgt das BGB. der natürlichen Auffassung, indem es zunächst die volle Herrschaft des Subjekts über die Sache statuiert, und daran die Verpflichtung Anderer, Einwirkungen zu unterlassen, anschließt. Die andere Auffassung: das Recht des Eigentümers ergebe sich erst aus der Summe der Verbote an alle Nebenmenschen8 ist natürlich nicht falsch, aber meines Erachtens nicht geeignet, die Anschaulichkeit der Begriffe zu fördern. * Regels berger § 16; Gierke § 26; Enneccerus § 67; Hold v. F er η eck, Begriff der Rechtswidrigkeit I 73 fg. 1 Es gibt Fälle, in denen A dem Β gegenüber zu einem Verhalten berechtigt und zugleich verpflichtet ist. Die Familiengewalten verleihen „Recht und Pflicht für die Person und das Vermögen zu sorgen" ; bei Kauf und Werkvertrag ist die Abnahme der Sache Recht und Pflicht des Gläubigers; der Pächter ist nicht nur berechtigt zum Gebrauch des Gegenstandes, sondern haftet auch bei Unterlassung des ordnungsmäßigen Gebrauchs, § 591. 2 Pflichten des Subjekts gegen sich selbst gibt es nicht, Z i t e l m a n n 166, daher auch kein Verschulden in eigenen Angelegenheiten. Wenn das Gesetz ζ. B. § 254 von einem Verschulden des Beschädigten spricht, so meint es damit ein unvernünftiges und daher gemißbilligtes Verhalten, welches, wenn es sich um fremde Angelegenheiten handelte, Verschulden wäre. Allerdings wird bisweilen ζ. B. RG. 62, 348 angenommen, daß der Beschädigte dem Täter gegenüber zur Abwendung des Schadens verpflichtet sei; aber die Irrigkeit dieser Ansicht zeigt sich, sobald man den Fall setzt, daß der Beschädigte den drohenden Schaden kennt, aber nicht weiß, daß die Gefahr von einem Menschen herrührt; wenn er die nötigen Maßregeln unterläßt, begeht er ein Verschulden, obgleich er von einer Pflicht gegen den Täter nichts wissen kann. 3 Windscheid § 38 Note 3; vgl. unt. § 11 Note 2.

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Muß jeder privatrechtlichen Pflicht ein Recht eines anderen Subjekts entsprechen, oder gibt es Verpflichtungen, ohne daß jemandem ein Recht auf Erfüllung zusteht? Diese Frage tritt uns an zwei Stellen des Systems entgegen: 1. Bei der erbrechtlichen Auflage. Der Wortlaut des § 1940 („der Erblasser kann den Erben zu einer Leistung verpflichten, ohne einem anderen ein Recht auf die Leistung zuzuwenden") spricht prima facie für das Vorliegen einer Pflicht ohne Recht 8a . Jedoch gibt es eine Reihe von Personen, welche die Vollziehung der Auflage verlangen können, allerdings ohne eigenes Interesse an der Vollziehung. Aber meines Erachtens gehört eigenes Interesse nicht zu den Erfordernissen des subjektiven Rechts (vgl. oben Seite 59) ; es genügt, daß jemandem eine rechtliche Herrschaft verliehen ist, hier die Befugnis, einen anderen zu einer Handlung zu zwingen. Allerdings unterscheidet sich das Recht aus § 2194 in wesentlichen Stücken von der normalen Forderung, wie sie etwa dem Vermächtnisnehmer zusteht4. Immerhin ist die Definition des § 1940 angesichts der Klagerechte des 2194 als unpräzis zu bezeichnen. Denn nur dann, wenn es an Klageberechtigten des § 2194 fehlt, ist wirklich eine Verpflichtung ohne Recht vorhanden; das kann ζ. B. vorkommen, wenn eine mit Auflagen beschwerte Erbschaft an den Fiskus fällt. Daß eine rechtliche Verpflichtung vorliegt, obgleich niemand ihre Erfüllung verlangen kann, zeigt sich u. a. daran, daß der Fiskus als Erbe die Kürzung der Vermächtnisse nach § 1992, 1991 IV auch mit Rücksicht auf die Auflagen vornehmen kann, wozu er nicht befugt wäre, wenn die Auflagen, weil niemand ihre Vollziehung verlangen kann, keine Verpflichtungen wären 4 a . 2è Bekanntlich ist sehr bestritten, ob ein den gemeinrechtlichen Naturalobligationen entsprechendes Gebilde auf dem Gebiet des BGB. anzuerkennen i s t 6 ; die systematisch klarsten Fälle sind Spiel und Ehevermittelung 6 . Wenn das Gesetz in § 762 und '656 sagt, 3a

Endemann I § 14 Note 15; § 47 Note 1. Vgl. Strohal, Erbrecht § 6 Note 8; H e l l w i g , ZivProz. § 32 IV 2. 4 » Verpflichtungen ohne entsprechendes Recht eines anderen Subjekts finden sich bei der Stiftung, wenn deren Erträgnisse satzungsgemäß an Destinatare zu verteilen sind; vgl. unt. § 41 Note 110. 6 Vgl. die Übersicht der Ansichten bei Oertmann Komm, zum Recht der Schuldv. Vorb. 5. 6 Einen Fall, in welchem der Gläubiger auf den Klagweg verzichtet sowie auf Zinsen und auf das Recht der Zession, behandelt RG. 67 , 390 und nimmt an, daß das Schuldverhältnis, weil es erfüllbar bleibt, nicht völlig dem Gebiet des Rechts entrückt ist; es wird vom Reichsgericht bald als natürliche 4

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daß „eine Verbindlichkeit nicht begründet wird", so soll damit zweifellos nicht nur die Klage ausgeschlossen sein, sondern auch die materiellrechtliche Befugnis 7, die Leistung zu verlangen (ζ. B. durch Mahnung), oder in irgend einer Weise (durch Aufrechnung, durch Realisierung eines Pfandes, durch Belangung eines Bürgen) Befriedigung zu erzwingen. Wenn aber die Befugnis, die Leistung zu fordern fehlt, so ist eine Verbindlichkeit im Sinne von § 241 nicht vorhanden. Denn das, was unser Gesetz „Schuldverhältnis" nennt, ist Forderung des Einen und zugleich Schuld des Anderen. Prima facie scheint daraus zu folgen, daß jede Verpflichtung zur Leistung fehlt; aber in denselben §§ 762, 656 ist die Rückforderung des auf Grund des Spiels oder als Ehemäklerlohn Geleisteten ausgeschlossen. Man kann daran denken, diesen Rechtssatz als Anwendung des § 814 aufzufassen, nach welchem die Rückforderung ausgeschlossen ist, wenn die Leistung einer sittlichen Pflicht oder dem Anstand entspricht; denn in vielen Fällen wird die Zahlung einer Spielschuld oder eines Lohns an den Ehevermittler unter diesen Gesichtspunkt fallen. Aber man muß nicht bloß den Fall beachten, daß eine solche Leistung in der irrtümlichen Annahme einer Verpflichtung vorgenommen wird, sondern auch den Fall berücksichtigen, daß in voller Kenntnis der Rechtslage geleistet wird 8 . Der Ausschluß der Rückforderung ergibt sich auch für diesen Fall aus § 814 (wissentliche Zahlung eines indebitum); aber damit ist der rechtliche Charakter der Leistung noch nicht bestimmt: die Zahlung einer Nichtschuld ist unentgeltliche Zuwendung und, wenn die Parteien über die Unentgeltlichkeit einverstanden waren, Schenkung. Stellt man in unseren Fällen jegliche Verpflichtung des Zahlenden in Abrede, so muß man seine Leistung als Schenkung, auffassen. Das hätte u. a. zur Folge, daß Zahlung einer Spielschuld nach KO. § 32 angefochten werden könnte 9 . Will man mit der herrschenden Meinung nicht so weit gehen, so muß man in der Zahlung eine Erfüllung sehen10 d. h. annehmen, daß eine Verpflichtung zur Verbindlichkeit im Sinn von § 762 bezeichnet, bald als ein mit dauernder Einrede behafteter Anspruch, was aber meines Erachtens nicht identische Begriffe sind; vgl. unt. § 17 Note 4a. 7 So mit Recht H e l l wig ZivProz. § 30 N. 31: die Klaglosigkeit ist hier nur sekundäre Folge der zivilrechtlichen Rechtsgestaltung. 8 Dieser Punkt ist, soviel ich sehe, unbeachtet geblieben bei Siber, Rechtszwang 48 und JheringsJ. 50, 69 fg. 9 So H e l l w i g , Anspruch 13 N. 22, Ziv.Proz. § 30 N. 30. 10 Dernburg I I § 3 I I I und § 205 I I 5; K l i n g m ü l l e r , Nat. Verbindl. 228; Jäger KO. 32 Anm. 4.

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Leistung besteht 11 , obgleich der Gewinnende die Leistung nicht erzwingen und nicht einmal verlangen kann. Eiüe begriffliche Uumöglichkeit einer Verpflichtung ohne gegenüberstehendes Recht dessen, an den die Erfüllung zu erfolgen hat, vermag ich nicht einzusehen12. Den Pflichten des öffentlichen Rechts entsprechen keine subjektiven Privatrechte, so gibt es ζ. B. keine Forderung gegen den Fiskus aus § 46 1 8 , keine Forderung gegen den Beamten auf Erfüllung der ihm gegenüber einem Dritten obliegenden AmtspflichtWenn aber durch Verstoß gegen öffentliche Pflichten ein Privatinteresse verletzt ist, kann daraus eine Schadensersatzforderung des Privatrechts entstehen, § 839. II. Wie das sujektive Recht so ist die Pflicht auf der psychologischen Tatsache des Willens basiert: wenn das Gesetz eine Pflicht aufstellt, so wendet es sich dabei an den Willen des Menschen, indem es motivsetzend auf ihn einwirkt; der Verpflichtete soll so handeln, wie das Gesetz ihm im gegebenen Fall vorschreibt, während der Berechtigte die Befugnis hat, im Umkreis seines Rechts so zu handeln, wie es ihm seine eigenen Motive eingeben. Aber wie beim subjektiven Recht die Willensherrschaft, so ist bei der Pflicht die Unterwerfung des Willens nicht Selbstzweck der Rechtsordnung: die Willensherrschaft ist dem Subjekt verliehen, damit es seine Interessen in freier Betätigung fördere und schütze ; die Verpflichtung wird dem Subjekt auferlegt, damit es ein der Rechtsordnung erwünschtes und für ein anderes Subjekt günstiges Resultat durch seine Handlung herbeiführe. Wenn das Gesetz es unter bestimmten Umständen für geboten hält, daß eine Sache aus dem Besitz des A in den des Β übergehe, so legt es dem A eine Herausgabepflicht gegenüber dem Β auf; wenn eine Vermögensverschiebung zwischen A und Β erfolgen soll, so wird A zu einer 11 Daher fällt Zahlung von Spielschulden meines Erachtens nicht unter § 1446 und § 1804: die Zahlung ist gültig, es kann nur in Frage kommen, ob nicht der Vormund gegen seine Pflicht gegenüber dem Mündel verstoßen hat und deshalb schadenersatzpflichtig ist. 18 Wenn W i n d s c h e i d § 287 N. 6 sagt: „das Recht kennt keine Pflicht ohne gegenüberstehendes Recht", so scheint mir das eine petitio principii zu sein. Man braucht nur an die Verträge auf Leistung an Dritte zu denken, um sich zu überzeugen, daß D verpflichtet sein kann, an X zu leisten, obgleich X von ihm nichts verlangen darf. 13 Planck zu § 46; Dernburg I § 77 VII.

§ 4.

Die Rechtspicht.

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entsprechenden Leistung verpflichtet. Statt durch eigene Organe das gewünschte Resultat herbeizuführen, wendet sich der Staat an den Willen des Subjekts, auf dessen Kosten und zu dessen Nachteil die Veränderung stattfinden soll; der Verpflichtete soll durch seinen pflichtgemäßen Willen den Zustand herstellen, der nach Vorschrift des Gesetzes bestehen soll. Durch diesen Umweg, den der Staat über den Willen des Verpflichteten nimmt, wird der selbständige Wert der Persönlichkeit anerkannt. Aber es ist nur ein Umweg. Das Ziel der Rechtsordnung ist nicht der Gehorsam des Verpflichteten (so wenig der Zweck des subjektiven Rechts darin liegt, dem Subjekt die freie Betätigung seines Willens zu ermöglichen), sondern die Herstellung des gewünschten Zustands. Das zeigt sich daran, daß die meisten Pflichten auch durch Dritte erfüllt werden können ; daß die Pflicht wegfällt, wenn der erwünschte Zustand anders als durch Handlung des Verpflichteten hergestellt ist; daß endlich in der Vollstreckung der Umweg über den Willen des Verpflichteten ausgeschaltet wird : die Herausgabe einer Sache wird nicht erzwungen, sondern durch Wegnahme seitens des Gerichtsvollziehers ersetzt; auch die Zahlung einer Geldsumme wird nicht erzwungen, sondern dadurch ersetzt, daß der Staat auf anderem Wege dem Gläubiger die geschuldete Summe aus dem Vermögen des Verpflichteten verschafft. III. Für die Erfüllung der privatrechtlichen Pflichten sorgt die Rechtsordnung in verschiedener Weise 14 , am sichersten durch die dem Berechtigten zur Verfügung gestellten Mittel der Zwangsvollstreckung; daneben kann die Nichterfüllung einer Pflicht noch andere Rechtsfolgen haben: Entstehung einer Schadensersatzpflicht, Verwirkung von Rechten usw. Die Erzwingung durch Vollstreckung scheitert bisweilen an den Umständen und der Natur der Verpflichtung 15 ; ausnahmsweise ist sie durch positive Vorschrift ausgeschlossen, so in ZPO. § 888 bei Verurteilung zur Eingehung einer Ehe, zur Herstellung des ehelichen Lebens und zu Diensten aus einem Dienstvertrag. Trotzdem liegen hier wirkliche Pflichten vor: die Herstellung des ehelichen Lebens, die Leistung der Dienste 14

Abgesehen vom strafrechtlichen Schutz. Eine Verpflichtung zur Herausgabe oder Leistung von Sachen kann nicht erzwungen werden, wenn die Sachen sich beim Schuldner nicht vorfinden, ZPO. § 887 I I I ; der Schadenersatz, auf den ZPO. § 893 verweist, ist keine Erzwingung, sondern ein neuer Anspruch, der aus der Nichterfüllung der ursprünglich auf Leistung der Sache gerichteten Forderung entsteht. Handbuch X . 1. I : v o n T u h r I .

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kann verlangt werden und wird im Urteil als Verpflichtung des Beklagten ausgesprochen16. Nicht so einfach liegen die Fälle, in denen dem A ein Verhalten im Interesse des Β vorgeschrieben und durch eventuelle Schadensersatzpflicht sanktioniert ist, ohne daß Β dieses Verhalten des A erzwingen oder auch nur verlangen kann. Hierher gehört ein grosser Teil dessen, was den Inhalt der sogenannten Diligenzpflicht des Schuldners ausmacht 17 : wenn der Schuldner die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer acht läßt und infolgedessen Verzug oder Unmöglichkeit der Leistung eintritt, so hat er den Schaden zu ersetzen, aber bis zu diesem Moment kann der Gläubiger die Vornahme einer zur Vermeidung des Verzugs oder der Unmöglichkeit erforderlichen Maßregel nicht verlangen 18 ; in dieser Lage ist ζ. B. der Käufer, wenn der Verkäufer keine Anstalten zur richtigen Erfüllung trifft 1 9 . Ebenso kann der Arbeiter, wenn der Dienstherr gegen die Vorschriften des § 618 verstößt, den Dienst kündigen oder bei eingetretenem Schaden Ersatz verlangen, aber nicht die Vornahme der Sicherungsmaßregeln fordern 1 9 a . Ähnlich verhält es sich mit gewissen Verwaltungspflichten 20: Ehemann und Vorerbe sollen Geld mündelsicher anlegen, können aber dazu nicht direkt angehalten werden 21 . In diesen und anderen Fällen könnte man zweifeln, ob es korrekt ist, von Pflichten zu sprechen; es scheint mir darauf anzukommen, wie die Voraussetzungen der Schadensersatzpflicht ausgestaltet sind: verlangt das Gesetz ein 16 Ob beim Verlöbnis eine rechtliche, aber klaglose, Verpflichtung zur Eingehung der Ehe anzunehmen ist, ist bestritten, vgl. Planck Er. 1 vor § 1297. 17 Kohler I I § 15; Si ber, Rechtszwang 88 und JheringsJ. 50, 66; Buchka, indirekte Verpflichtung. 18 Die negligentia des Schuldners bleibt folgenlos, wenn die Leistung trotzdem richtig erfolgt. 19 Nur beim Werkvertrag kann der Schuldner schon vor der Leistungszeit nach § 634 I 2 durch Fristsetzung eingreifen. lö * Planck § 611, 56; a. A. L o t m a r , Arbeitsvertrag 241; Oertmann § 618, 2 und 4. 20 Vgl. auch § 591: der Pächter kann zur Bestellung des Grundsiücks nicht gezwungen werden. 21 Die Frau kann nur unter den Voraussetzungen des § 1391 auf Sicherheitsleistung oder Aufhebung der Verwaltung klagen, der Nacherbe nach § 2128 Sicherheitsleistung ev. gerichtliche Bestellung eines Verwalters verlangen, aber beides nur bei erheblicher Gefährdung. Dagegen kann der Vormund vom Vormundschaftsgericht zu mündelsicherer Anlage angehalten werden, P l a n c k § 1806. 5.

§ 4. Die Rechtspflicht.

Verschulden, so ist das Verhalten des Schuldigen als die Verletzung einer Pflicht aufzufassen 22. Wenn dagegen Schadensersatz ohne Rücksicht auf ein Verschulden angeordnet ist, kann man nicht ohne weiteres auf eine zugrunde liegende Verpflichtung schließen; denn der Gesetzgeber kann jemanden aus einem anderen Grunde, als wegen Nichterfüllung einer Pflicht, mit Schadensersatz belasten: so wird man nicht sagen können, daß ein Schuldner, der nach § 279 sein Unvermögen zur Leistung zu vertreten hat, trotz seines Unvermögens verpflichtet war, die Leistung vorzunehmen. Ebenso haftet der Tierhalter für jeden Schaden, die Eisenbahn bis zur höheren Gewalt, und doch wird man kaum von einer Verpflichtung dieser Personen reden können, alle theoretisch möglichen, aber vielleicht praktisch untunlichen Maßregeln zur Abwendung von Schaden zu treffen. Noch weniger läßt sich auf das Vorliegen einer Rechtspflicht schließen, wenn bei Unterbleiben einer Handlung nicht Schadensersatz, sondern eine andere nachteilige Rechtsfolge eintritt: meist ist das, was in solchen Fällen in unpräziser Weise als „Pflicht 4" bezeichnet wird, nichts anderes als eine Voraussetzung des Erwerbs oder Verlustes eines Rechts oder der Ausübung einer Befugnis 23 . Wenn ζ. B. der Erbe innerhalb der ihm gesetzten Frist das Inventar nicht ordnungsmäßig errichtet, so trifft ihn die unbeschränkte Haftung: aber es wäre unrichtig, deswegen von einer Inventarpflicht zu reden: ist es doch ein für das Gesetz wie für die Gläubiger nicht unerwünschter Rechtserfolg, daß der Erbe die Nachlaßschulden voll zu bezahlen hat. Ebenso verhält es sich mit den „Pflichten" des Versicherten 24 , mit der öffentlichen Bekanntmachung, die der Pfandgläubiger gemäß § 1237, 1 vor dem Ver22

Diese Pflichten sind eigenartig, insofern ihnen kein Anspruch auf Erfüllung, sondern nur auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung entspricht. Ebenso besteht aus dem Konkurrenzverbot, dem sich ein Handlungsgehilfe unterwirft, eine Verpflichtung, obgleich HGB. § 75 I I bei Verabredung einer Konventionalstrafe den Anspruch auf Erfüllung und Schadensersatz ausschließt. Von einer naturalis obligatio (RG. 69, 12) möchte ich nicht sprechen, weil ich darunter Verpflichtungen verstehe, deren Erfüllung der Gläubiger in keiner Weise, auch nicht indirekt, erzwingen kann; vgl. ob. Note 7. 23 Aus denselben Gründen gibt es im Zivilprozeß keine EinlassungsBeweiepflicht usw. He 11 wig, ZivProz. § 69 I I 2c. 24 Vgl. K. Schneider, JheringsJ. 54, 1 fg. Das Versicherungsgesetz § 6. 32 vermeidet den Ausdruck Pflicht und spricht von Obliegenheiten. Vgl. auch RG. 70, 44. 7*

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kauf vorzunehmen hat 2 5 , mit der Anzeige an den Bürgen § 777 2 6 , mit den Vorkehrungen, welche der Geschädigte zur Verhütung oder Verminderung des Schadens vorzunehmen hat § 254 2 7 , und zahlreiche andere Fälle 2 8 . Immer steht es den Beteiligten frei, der sogenannten Pflicht nicht nachzukommen und damit die Rechtsfolgen (Nichterwerb, Verlust eines Rechts usw.) über sich ergehen zu lassen, welche Gesetz (oder Vertrag) bei Unterlassung der vorgeschriebenen Handlung eintreten läßt 2 9 . Allerdings ist die Grenze zwischen Pflichten und Bedingungen von Rechtserwerb oder Rechtsverlust rechtsphilosophisch nicht ganz einwandfrei; man könnte behaupten, daß auch bei den wirklichen Rechtspflichten der Verpflichtete immer die Wahl hat, die ihm vorgeschriebene Handlung vorzunehmen, oder sich den Rechtsfolgen des Ungehorsams (Strafe, Ersatz, Zwangsvollstreckung) zu unterziehen, ebenso wie er bei einer Bedingung die Wahl hat, die Handlung zu prästieren oder ein Recht respektive die Aussicht auf den Erwerb eines solchen zu verlieren. Trotz dieser auf der Unvollkommenheit aller Zwangsmittel beruhenden Argumentation wird man dennoch unterscheiden können: besteht die Rechtsfolge der Nichtbeachtung einer Vorschrift nur darin, daß der Betreffende ein Recht verliert oder nicht erwirbt, so liegt die Vornahme der vorgeschriebenen Handlung in seinem Interesse: er erfüllt daher nicht eine Pflicht, sondern die Voraussetzungeines für ihn vorteilhaften Zustandes. Wenn dagegen die Rechtsordnung das vorgeschriebene Verhalten durch Vollstreckung zu erzwingen sucht 26 Dagegen sind echte Verpflichtungen des Pfandgläubigers enthalten in den 1234. 1237 S. 2, 1241. Bei schuldhafter Verletzung dieser Vorschriften entsteht Schadensersatzpflicht, vgl. ob. § 2 Note 11. 26 K l e i n , Anzeigepflicht im Schuldrecht 65fg. unterscheidet in ausführlicher Untersuchung von den Anzeigepfiichten die Fälle, in denen jemand zur Wahrung seiner Interessen eine Anzeige zu machen hat. 27 Darüber, daß eine Verpflichtung zu solchen Vorkehrungen nicht besteht, vgl. ob. Note 2. Daher ist die Folge der Unterlassung solcher Maßregeln nicht Schadensersatzpflicht (auch nicht, wie Schneider a. a. 0. S. 12.16 annimmt, eine nur durch Aufrechnung geltendzumachende Ersatzpflicht), sondern nur Minderung oder gänzlicher Wegfall der eigenen Ersatzforderung. 28 Vgl. W i e l a n d , ArchZivPrax. 95, 213 zur Frage, ob die Diligenzpflicht des Assignatars, § 780, eine wirkliche Pflicht, oder Voraussetzung seines Regresses ist. 29 Ebenso untechnisch spricht man oft von einer Verpflichtung des Erb lassers zur Hinterlassung des Pflichtteils und meint damit das, was der Erb lasser zu tun oder zu unterlassen hat, wenn er die Entstehung eines Pflichtteil anspruchs gegen den Erben vermeiden will.

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oder wenigstens durch Schadensersatz ein möglichst nahekommendes Resultat herstellt, so zeigt sich daran, daß die Vorschrift im Interesse eines anderen besteht und daher diesem anderen gegenüber eine Verpflichtung begründet. Die Unterscheidung zwischen Pflichten und solchen Handlungen, welche Bedingungen für Rechtserwerb und Rechtsverlust sind, ist nicht bloß von theoretischer Bedeutung: für beide Gebiete gelten verschiedene Prinzipien. Die Haüptfolge der Pflichtverletzung, der Schadensersatz tritt prinzipiell nur bei Verschulden ein, § 276, 823, während die Wirkung der Bedingung grundsätzlich nur davon abhängt, ob die vorgeschriebene Handlung vorgenommen ist oder nicht; so ist ζ. B. der Wechsel präjudiziert, wenn der Protest nicht rechtzeitig erhoben ist, ohne daß es auf die Gründe ankommt, aus denen der Protest versäumt wurde 80 . Nur ausnahmsweise nimmt das Gesetz auf die Umstände Rücksicht, welche das Unterbleiben einer als Bedingung relevanten Handlung herbeigeführt haben; so wird ζ. B. dem Erben, der die Inventarfrist versäumt, wenigstens bei Vorliegen höherer Gewalt geholfen, § 1996; bei Minderung des Schadensersatzes wegen unterlassener Abwehrmaßregeln, § 254, verlangt das Gesetz ein „Verschulden" des Geschädigten. Der Verlust der Rechte aus dem Versicherungsvertrag ist nach §§ 6, 16 I I I , 61 des Gesetzes in weitem Maß von einem Verschulden des Versicherungsnehmers abhängig gemacht. Nur auf Erfüllung von Verpflichtungen bezieht sich die in § 278 angeordnete Haftung für Verschulden Dritter. Handelt es sich um eine Bedingung, so entscheidet, wie oben gesagt, in der Regel die objektive Tatsache der Vornahme oder Nichtvornahme der Handlung, ohne daß es darauf ankäme, durch wessen Verschulden die Handlung unterblieben ist. Wenn es aber ausnahmsweise auf das subjektive Verhalten des Rechtssubjekts ankommt liegt analoge Anwendung des § 278 nahe; sie ist für § 254 im Gesetz vorgeschrieben; dagegen soll bei den Obliegenheiten des Versicherungsnehmers, § 278, nach der Praxis des Reichsgerichts keine Anwendung finden 81. 80

Staub: WO. Art. 41 § 3. 62, 190: Unterlassung der Unfallanzeige durch Verschulden eines Beauftragten. Ebenso soll nach RG. 28, 342, wenn ein Beauftragter eine wissentlich falsche Verlustanzeige macht, § 278 nicht zur Anwendung kommen, aber die falsche Anzeige soll dem Versicherungsnehmer aus einem anderen Grunde dennoch schaden, und zwar weil sie eine den Willenserklärungen des § 166 I analoge Mitteilung sei. Meines Erachtens sind Anzeigen, die nach Abschluß 81

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IV. Die Person des Verpflichteten bestimmt sich in verschiedener Weise: manche Pflichten ergeben sich ohne weiteres aus der rechtlich anerkannten Herrschaft eines Anderen: dem Eigentum und den sonstigen dinglichen Rechten entspricht die allgemeine Verpflichtung, jeden Eingriff in diese Rechte zu unterlassen; aus der Störung entsteht die weitere Verpflichtung, zur Herstellung des rechtmäßigen Zustands mitzuwirken, vgl. unt. § 15 I I I . In obligatorischen Verhältnissen ist die Person des Verpflichteten in der Regel durch den Tatbestand der Entstehung (Vertrag, Delikt, usw.) ein für allemal bestimmt. Bisweilen aber richtet sich die Person des Verpflichteten nach dem Eigentum oder Besitz einer Sache oder nach der Zuständigkeit eines Rechts, so daß wer in diese Lage kommt, damit zugleich in die Verpflichtung einrückt. Solche Pflichten sind m i t t e l b a r z u s t ä n d i g 8 2 . Verpflichtet ist in diesen Fällen nicht die Sache, sowenig sie bei den mittelbar zuständigen Rechten (vgl. ob. § 2 IV) Rechtssubjekt ist, sondern die Person, welche zu ihr in der maßgebenden Beziehung steht. Die Fälle sind mannigfaltig 88 ; der jeweilige Eigentümer trägt ζ. B. die Verpflichtung, die auf die Sache auch »vor seiner Eigentumszeit gemachten Aufwendungen zu ersetzen, § 999 I I 3 4 ; der jeweilige Erwerber einer Aktie haftet für rückständige Einzahlungen und wiederkehrende Naturalleistungen, HGB. §§ 218—20, 212. Jeder Besitzer ist zur Vorlegung der Sache nach § 809/10 verpflichtet. Der jeweilige Servitutenberechtigte hat die Pflicht, die Anlagen auf dem belasteten Grundstück in ordnungsmäßigem Zustand zu erhalten, § 1020. Den Pfandgläubiger treffen als solchen eine Reihe von Verpflichtungen gegenüber dem Verpfänder und dem der Versicherung zu erstatten sind, viel eher nach Analogie von § 278 als von § 166 zu behandeln. Aus dem Verhalten des Vorstands einer Aktiengesellschaft in bezug auf die Obliegenheiten aus einer Versicherung sollen nach RG. 66, 183 Einwendungen gegen die Aktiengesellschaft zulässig sein. Dasselbe muß meines Erachtens auch bei anderen gesetzlichen Vertretern gelten. Dagegen bestreitet Schneider a. a. 0. jeden Einfluß der Handlungsweise des Vormunds auf den Versicherungsvertrag des Mündels; schwerlich mit Recht, vgl. Josef, JheringsJ. 55, 260fg. 88 B e k k e r § 20 Beil. I I I ; H e l l w i g ZivProz. I 205. 89 Sie decken sich zum Teil mit den Fällen, in denen man im Gem. Recht von act. in rem scriptae sprach, W i n d scheid § 45, 6. Neuere Bezeichnungen sind: Zustands- oder Realobligationen; vgl. Crome § 138, 5. 34 Der frühere Eigentümer bleibt nur dann verpflichtet, wenn er dife Verwendung genehmigt hat, § 1001; vgl. Endemann, SachRt. § 93 Note 29.

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Eigentümer . Der jeweilige Miteigentümer hat Pflichten gegenüber seinen Genossen36. Endlich ein wichtiger, aber nicht ganz gleichliegender Fall : der Eintritt des Grundstückserwerbers in die Pflichten aus dem Mietvertrag des Veräußerers, vgl. ob. § 2 IV. Wie bei den mittelbar zuständigen Rechten entsteht auch hier die Frage, ob die mittelbar zuständige Pflicht durch Vorgänge in der Person des Erstverpflichteten auch für seine Nachfolger modifiziert wird, oder beim Nachfolger im ursprünglichen Umfang entsteht. Nehmen wir als Beispiel die oben erwähnten Pflichten, mit denen das Pfandrecht behaftet ist, so ergibt sich aus § 1245, daß die Pflichten der §§ 1234 und 1237, 2 mit Wirkung für den Singularsukzessor im Pfandrecht aufgehoben werden können (sie gelten als zum Inhalt des Pfandrechts gehörend) 87, während die Pflicht aus § 1241 bei jedem neuen Pfandgläubiger trifft, wenn sie auch seinem Vorgänger erlassen wäre 87 a . Mittelbare Zuständigkeit von Pflichten kann nur durch Gesetz, nicht durch Privatwillen entstehen: man kann sich und seine Erben, nicht aber einen Singularsukzessor, mit Pflichten belasten 3 7 1 ) . Mit der mittelbaren Zuständigkeit verwandt, aber nicht identisch ist der Fall, daß für den A aus seinem Verhältnis zu einer Sache eine Pflicht entsteht, aber nicht mit der Sache auf den Β übergeht, sondern bei A verbleibt: so ζ. B. die Haftung des Tierhalters, § 833, die persönliche Verpflichtung des Eigentümers bei der Reallast, § 1108. V. Der Inhalt der Pflicht ist stets ein Verhalten des Verpflichteten, welches dem Interesse des Berechtigten zu gute kommt, oder wenigstens (soweit es Rechte ohne Interesse des Berechtigten gibt) dem Willen des Berechtigten entspricht. Es gibt Pflichten, zu deren Erfüllung nichts anderes nötig 36 Die Pflichten entstehen für den neuen Pfandgläubiger mit Erlangung des Besitzes, § 1251 II. Selbstverständlich hat er, wenn er zum Verkauf schreitet, auch dem Eigentümer gegenüber die beim Pfandverkauf vorgeschriebenen Pflichten zu erfüllen. 36 Ein weiteres Beispiel der a. in rem scripta sind die Forderungen gegen den Reeder nach HGB. § 486; Ehrenberg, Festgabe für Regelsberger S. 35. 37 Planck § 1245, 2a. 37 a Auch die Vorlegungspflicht, § 809—810 entsteht immer wieder von neuem für jeden Besitzer. 37 b Die Vormerkung macht den Erwerber des init der Vormerkung belasteten Grundstücks nicht zum Schuldner des vorgemerkten Gläubigers, vgl. unt. § 11 Note 7*.

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ist, als ein aus der Person zu erbringendes Verhalten (Arbeitsleistungen, Unterlassungen). In anderen für das Privatrecht besonders wichtigen Fällen erfordert die Erfüllung eine Aufwendung von Vermögenswerten. Dieser Unterschied ist von großer Wichtigkeit für die Schranken und das Erlöschen der Verpflichtung 870 ; die rein persönliche Leistung findet ihre Grenze an der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten resp. an dem, was man nach unseren Anschauungen einem Menschen im Interesse seines Gläubigers zumuten kann (übermäßige Anstrengung, Lebensgefahr usw.); die durch Vermögensaufwendung zu erfüllende Pflicht ist prinzipiell unabhängig von der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten: wer 100 schuldet, wird nicht dadurch frei, daß er diese 100 nicht aufbringen kann, selbst wenn er daran nicht schuld ist, § 279: die Leistung kann infolge des Unvermögens des Schuldners unerzwingbar sein, aber sie bleibt geschuldet und wird dem Berechtigten auf Klage als geschuldet zugesprochen87 d . Das persönliche Verhalten, zu welchem Jemand verpflichtet ist, kann sein: ein positives: ein Tun, facere, oder ein negatives: Unterlassen, non facere. Unterlassungspflichten sind materiell und prozessualisch vielfach anders zu behandeln, als die positiven Pflichten, an die man gewöhnlich zunächst denkt und die der Gesetzgeber bei vielen seiner Vorschriften allein im Auge hatte 88 . Der Inhalt der Verpflichtung kann ferner sein: a) eine einmalige Leistung, Tun oder Unterlassen, welche der Verpflichtete zu bestimmter oder unbestimmter Zeit zu erbringen hat: Übergabe einer Sache, Herstellung eines Arbeitserfolges, Unterlassen einer Handlung bei einer einmaligen Gelegenheit. b) eine wiederkehrende Leistung, § 1105, 1386, 1822 Nr. 2. HGB. § 212, ZPO. 258, insbesondere eine regelmäßig wiederkehrende Leistung, § 101, 103, 197, 1199; aueh hier kommen nicht nur Handlungen, sondern auch Unterlassungen in Betracht : die Pflicht kann darin bestehen, sich bei gewissen Gelegenheiten gewisser Handluogen zu enthalten. 37

c Vgl. Τ u h r , Notstand 21 fg. Ausnahmsweise ist die Vermögenslage des Schuldners bestimmend für das Maß seiner Verpflichtung, § 1603. 1361, oder gibt ihm das Recht, die Leistung zu verweigern, § 519. 38 H e l l w i g , ZivProz. § 32 Note 47; Wendt ArchZivPr. 92, 1; Lehmann, Die Unterlassungspflicht. 37 d

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c) dauernde Leistungen d. h. ein ununterbrochenes Verhalten des Verpflichteten ; ein solches kann nur in einem Unterlassen bestehen; denn jedes positive Verhalten zerfällt in einzelne zeitlich voneinander getrennte Handlungen88 a . Als Unterart des Unterlassens wird allgemein das Dulden aufgefaßt 89. Von Duldungspflicht kann man begrifflich nur da sprechen, wo Jemand verpflichtet ist, einen Widerspruch oder Widerstand, zu dem er an sich berechtigt ist, nicht auszuüben40: eine Handlung, die man von vornherein nicht verhindern kann oder darf, kann man nicht „dulden". So ergibt sich ζ. B. aus § 903, daß Störungen des Eigentümers prinzipiell verboten sind ; man kann daher nicht sagen, daß ein Dritter verpflichtet ist, die Ausübung des Eigentums durch den Eigentümer zu „dulden". Ebenso kann man, wenn A dem Β gegenüber zu einem einseitigen Rechtsgeschäft ζ. B. einer Kündigung befugt ist, von Β zwar sagen, daß er die Kündigung über sich ergehen lassen muß, aber nicht, daß er verpflichtet wäre, die Kündigung zu dulden; denn auf seinen Willen kommt es für die Wirksamkeit der Kündigung von vornherein nicht an. Allerdings ist in § 912 davon die Rede, daß der Nachbar den Überbau zu dulden hat; aber dieser Sprachgebrauch ist inkorrekt; denn der Überbau ist einer der in § 903 vorgesehenen Ausnahmsfälle, in denen der Eigentümer die Einwirkung eines Anderen auf die Sache nicht ausschließen k a n n ; er ist nicht etwa verpflichtet, den Beseitigungsanspruch, § 1004, nicht auszuüben, sondern dieser Anspruch wird ihm vom Gesetz versagt, ebenso wie er nach § 906 gewisse Immissionen „nicht verbieten kann" und nach § 904 „nicht berechtigt ist", Notstandshandlungen zu verbieten. Richtige Duldungspflichten ergeben sich aus der Struktur des Besitzes 41 . Entziehung oder Störung des Besitzes ohne Willen des Besitzers ist verbotene Eigenmacht, § 858, und zwar auch dann wenn der Täter ein petitorisches Recht auf Vornahme der Α. A. Langheineken, Anspruch 247, vgl. auch Oertmann Vorb. A 3a vor § 194. Die Verpflichtung des Vermieters, die Sache in gebrauchsfähigem Zustand zu erhalten, setzt sich aus so viel Reparaturpflichten zusammen, als Schädigungen der Sache vorkommen, die Verpflichtung aus dem Dienstvertrag aus so viel Pflichten; als Leistungen vom Dienenden verlangt werden. 89 Planck zu § 241; Endemann I § 96 Note 23; vgl. Holder JheringsJ. 51, 371. 40 H e l l w i g ZivProz. § 32 Note 43. 41 Z i t e l m a n n ArchZivPr. 99, 35.

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betreffenden Handlung hat, § 863. Eine Erlaubnis des Besitzers ist, solange er im Besitz bleibt, immer widerruflich 42 . Der Besitzer kann daher jederzeit und unter allen Umständen jeden Eingriff verbieten. Wenn das Gesetz ihm zur Pflicht macht, gewisse Eingriffe zu dulden 48 oder zu gestatten 44 , so ist er verpflichtet, ein ihm zustehendes Widerspruchsrecht unausgeübt zu lassen; die rechtliche Möglichkeit, den Eingriff zu verbieten und dadurch zu einem Akt der verbotenen Eigenmacht zu machen, hat er immer noch, aber er würde damit die ihm auferlegte Duldungspflicht verletzen. Eine solche Pflicht kann der Besitzer auch durch Vertrag übernehmen, wenn er ζ. B. dem X erlaubt, sich Bestandteile oder Erzeugnisse der Sache anzueignen,· § 956; er kann jederzeit durch Widerspruch den Eigentumserwerb des X hindern, würde aber dadurch, wenn er sich vertraglich verpflichtet hat, gegen seine Duldungspflicht verstoßen 45. Besteht die Duldungspflicht wirklich in einer Unterlassung? Hat nicht vielmehr der zur Duldung oder Gestattung verpflichtete Besitzer den Eingriff zu erlauben d. h. eine Willenserklärung abzugeben, Was zu den positiven Leistungen zu zählen wäre? 4 5 a Dafür spricht die Erwägung, daß das der Duldungspflicht entsprechende Eingriffsrecht nicht ohne Zustimmung des Besitzers ausgeübt werden darf 4 6 ; wenn jemand zum Zweck der Abholung, § 867, oder Wegnahme, § 258, ein fremdes Grundstück betreten würde, ohne sich an den Besitzer zu wenden, so würde er trotz des ihm zustehenden Rechtes verbotene Eigenmacht begehen. Daraus folgt, daß die Verpflichtung des Besitzers in solchen Fällen darin besteht, seine Zustimmung zu geben. Aber diese Zustimmung ist, wie sich aus der Natur des Besitzschutzes ergibt, stets widerruflich, daher nicht genügend zur Durchsetzung des Eingriffsrechts; der Abholungsberechtigte kann, nachdem er die Erlaubnis des Besitzers 42

. P l a n c k § 858, la. « § 917. 44 §§ 258, 495, 809, 867, 1044, 1969. 45 Überläßt er dem X den Besitz der Sache, so ändert sich die juristische Struktur des Verhältnisses: nunmehr kann der Eigentümer, wenn er eine dahin gehende Verpflichtung übernommen hat, den Eigentumserwerb des X durch seinen Widerspruch nicht mehr hindern: man kann daher nicht mehr sagen, daß er diese Einwirkung des X auf seine Sache zu dulden habe; er hat, wie jeder Dritte, Störungen des X in seinem Besitz zu unterlassen; vgl. unt. ·§ 11 Note 30. 45 a Vgl. unt. § 15 bei Note 27. 46 Außer wenn die Voraussetzungen der Selbsthülfe vorliegen, § 229.

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erhalten hat, auf einen erneuten Widerstand desselben stoßen und muß vor diesem Widerstand zurückweichen. Daher ist der duldungspflichtige Besitzer, nachdem der Eingriffsberechtigte sein Verlangen an ihn gestellt hat, nicht nur zu einer einmaligen Erklärung, sondern zu dauernder Unterlassung des Widerspruchs verpflichtet. Darum handelt es sich in den oben genannten Fällen 47 , auch da wo das Gesetz in meines Erachtens zufälliger Variation des Ausdrucks nicht von „Duldung" sondern von „Gestattung" spricht, um Pflichten, welche wesentlich in Unterlassung bestehen und daher in ZPO. § 890 mit Recht in bezug auf die Vollstreckung den Unterlassungspflichten gleichgestellt sind 4 8 : die Gestattung des Verpflichteten, welche vor dem Urteil hätte eingeholt werden müssen, um den Eingriff auszuüben, ist angesichts des Urteils nicht mehr nötig; die Duldung des Eingriffs wird nach ZPO. § 890 oder 892 erzwungen. Dagegen wird der Anspruch auf Duldung oder Gestattung in bezug auf Verjährung als Anspruch -auf positive Leistung behandelt: die Verjährung beginnt nicht erst mit einem Zuwiderhandeln, § 198, sondern in dem Moment, iu welchem der Berechtigte die Gestattung verlangen darf. Das Gesetz spricht an mehreren Stellen, insbesondere ZPO. § 737, 739, 743, 748 und BGB. § 2213, von einer Verurteilung zur Duldung der Zwangsvollstreckung 49. Prima facie könnte man daraus auf eine Verpflichtung schließen, sich einer Zwangsvollstreckung zu unterwerfen. Eine solche Verpflichtung existiert aber, wenn überhaupt, nur gegenüber dem Staat 50 , unter dessen Autorität die Vollstreckung vor sich geht; eine privatrechtliche Verpflichtung. 47

Anders verhält es sich mit der Einwilligungspflicht der §§ 744 , 2120, 2206. Es handelt sich um unwiderrufliche Einwilligungen, deren Abgabe einen dauernden Rechtserfolg herbeiführt; daher genügt die einmalige Erteilung der Einwilligung. Der Anspruch ist auf Abgabe einer Willenserklärung gerichtet ; die Vollstreckung erfolgt nach ZPO. § 894. 48 A.A. Planck für § 495 und 809. Er hält die Gestattung in diesen Fällen für eine nach ZPO. § 888 zu erzwingende Handlung. Aber es ist nicht abzusehen, warum der Besichtigungsanspruch weniger intensiv geschützt sein soll, als der Anspruch auf Herausgabe oder Abholung; nach der Ansicht von Planck könnte der Exhibitionsanspruch nicht nach § 892 ZPO. durchgesetzt werdeu, weil dieser Modus der Vollstreckung nur für die Fälle der §§ 887 und 890 zulässig ist. 49 Diese Fassung wird auch für das Urteil in der hypothekarischen Klage von der herrschenden Meinung für richtig gehalten, vgl. Planck § 1147, 2 a. 80 Lab and, Staatsrecht, 4. A. III § 84 S. 351.

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Die subjektiven Rechte und das Vermögen.

etwas zu dulden, was man so wie so, hier kraft öffentlichen Rechtes, über sich ergehen lassen muß, kann es nach dem oben Gesagten nicht geben 6 1 . Man muß sich daher, um die rechtliche Bedeutung der betr. Klagen und Urteile richtig zu erfassen, über die vom Gesetz gewählte Ausdrucksweise hinwegsetzen 52 . Es handelt sich um Fälle, in denen eine Forderung in einen Gegenstand vollstreckt werden soll, an welchem ein Dritter, d. h. nicht der Schuldner, als Nießbraucher, Ehegatte oder Testamentsvollstrecker berechtigt i s t ; unter gewissen Voraussetzungen ist die Vollstreckung ohne Rücksicht auf das Recht des Dritten zulässig. Aber das Gesetz verlangt vom Gläubiger, daß er vor Beginn der Vollstreckung das Vorliegen dieser Voraussetzungen dem Dritten gegenüber dartue und gewährt ihm zu diesem Zweck eine Klage, die es mit dem nicht glücklich gewählten Namen „Klage auf Duldung der Zwangsvollstreckung" bezeichnet 58 . V I . Neben dem Wort Verpflichtung findet sich in unserer 81

Die Zwangsvollstreckung ist ihrem Wesen nach unabhängig vom Willen dessen, gegen den sie sich richtet; er kann sie weder verbieten, noch erlauben. Nur in zwei Fällen (ZPO. § 809 und Urheberges. § 10) ist seine Zustimmung erforderlich; nur in diesen Fällen könnte eine Verpflichtung, die Vollstreckung zu dulden, bestehen ζ. B. durch Vertrag mit dem Gläubiger übernommen werden* Dagegen kommt es im normalen Fall so tfenig auf den Willen des Exequendus an, daß eine Vollstreckung, wo sie gesetzlich nicht zulässig ist, auch durch den Parteiwillen nicht zulässig wird : wenn ζ. B. jemand, der nicht Schuldner der zu vollstreckenden Forderung ist, die Pfändung seiner Sache dem Gerichtsvollzieher erlaubt, so erwirbt der Gläubiger dennoch kein Pfändungspfandrecht und ein Konventionalpfandrecht nur dann, wenn die Voraussetzungen der Begründung eines solchen vorliegen. M Dernburg I I I § 236, 3; H e l l w i g ZivProz. § 33 N. 39; Langhein e ken, Anspruch 263fg.; Geib, Rechtsschutzbegehren 29fg., 140fg. 88 Vgl. Geib, ArchZivPrax. 94 , 330fg.; Lehmann, Unterlassungspflicht 3§. Auch in § 7 des AnfechtungsGes. möchte ich trotz des Wortlautes eine obligatorische Verpflichtung, einen Gegenstand dem Zugriff des Gläubigers zu überantworten, oder „zur Zwangsvollstreckung bereitzustellen" (wie Jäger, AnfGes. 218 formuliert) nicht annehmen. Die Wirkung des § 7 besteht meines Erachtens darin, daß das Gesetz dem Gläubiger erlaubt, die Vollstreckung auf gewisse beim Anfechtungsgegner noch vorhandene ehemalige Vermögensstücke des Schuldners zu richten; vgl. Menzel, Anfechtungsrecht 26fg. (nur wenn der Gegenstand der Zuwendung sich nicht mehr beim Anfechtungsgegner unterscheidbar vorfindet, besteht eine obligatorische Verpflichtung, aber nicht auf Duldung der Vollstreckung, sondern auf Zahlung einer Geldsumme, Jäger § 7 Anm. 4). Da au9 § 7 kein Anspruch des Gläubigers erwächst, so kann auch keine Vormerkung eingetragen werden, RG. 60, 426; 67, 40; vgl. Planck § 883, lb.

§ 4.

Die Rechtspflicht.

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Rechtssprache das Wort H a f t u n g ; daß beide Ausdrücke zur Bezeichnung verschiedener Begriffe verwendet werden können und sollen, darüber ist man einig; dagegen herrscht ein lebhafter Streit über das Kriterium des Unterschiedes 54. Die Streitlage ist um so komplizierter, als historische Betrachtungen mit der dogmatischen Auffassung verquickt werden mit meines Erachtens unerfreulichem Erfolge auf beiden Gebieten: 1) man spricht von Haftung für Vorsatz, Fahrlässigkeit, Zufall, für eigenes und fremdes Verschulden. Das BGB. spricht in diesen Fällen davon, daß Jemand eines dieser Ereignisse „zu vertreten habe". Gemeint ist die Verpflichtung, den Schaden zu ersetzen, der aus Vorsatz, Fahrlässigkeit usw. erwachsen kann. Diese Verpflichtung ist, so lange ihre conditio juris, der Schaden, nicht eingetreten ist, noch nicht entstanden. Es liegt nahe und widerspricht nicht dem Geist unserer Sprache, diese eventuelle Schadensersatzpflicht mit dem Wort HaftUDg zu bezeichnen55. Wenn man Haftung in diesem Sinne zum technischen Ausdruck stempelt 56 , so hat man das Wort verbraucht, um eine, allerdings bedeutsame, Unterart der Verpflichtungen zu benennen. Haftung ist dann kein von der Verpflichtung wesentlich verschiedenes Rechtsgebilde. 2) andere Autoren 57 schlagen vor, mit „Schuld" das Leistensollen des Schuldners zu bezeichnen, mit Haftung die dem Gläubiger zu Gebote stehenden Zwangsmittel. Diese Auffassung des Gegensatzes ist für das Recht älterer Zeiten zweifellos aufklärend: Haftung, in diesem Sinn gebraucht, entspricht dem „actione teneri" der Römer sowie den Befugnissen, die im germanischen Recht der Gläubiger gegen Person und Vermögen des Schuldners ausüben konnte. Für unser Recht scheint mir dagegen die Zerlegung der Obligation in ihren aktiven und passiven Bestandteil wenig ergiebig zu sein; denn wenn, wie es die Regel ist 5 8 , der Verpflichtung 54 Vgl. B r i n z , Pand., Bd. 2 § 206 fg.; neuerdings Isay, JheringsJ. 48, 187 und dazu Bekker ibid. 49, 51; ferner K o h l e r ArchZivPrax. 91,172; Siber, Rechtszwang und JheringsJ. 50, 55; Dernburg I I § 1 ; Endemann I § 96 N. 4. 55 Insbesondere in den ob. S. 98 besprochenen Fällen, in denen eine erzwingbare Verpflichtung zur Abwendung des Schadens nicht besteht. 56 Siber a. a. 0. 67 Bekker, Isay a. a. 0.; Diimchen JheringsJ. 54, 364; Geib, Rechtsschutzbegehren 159 fg. 58 Ausnahmsweise (ob. S. 94) kommt Verpflichtung ohne entsprechendes Recht vor; aber dann fehlt es nicht nur an einer Berechtigung zum Erzwingen, sondern auch zum Verlangen der Leistung.

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Die subjektiven Rechte und das Vermögen.

des Einen ein Recht des Anderen entspricht, so versteht sich im heutigen Recht die Klagbarkeit und Erzwingbarkeit dieses Rechts von selbst. Wenn man unter Haftung den rechtlichen Zwang verstehen will, so verschwendet man meines Erachtens das gute Wort zur Herstellung einer praktisch überflüssigen Terminologie; denn unser Recht kennt nur sehr wenige Fälle einer Schuld ohne Haftung in diesem Sinne 69 , und noch weniger gibt es Haftung ohne Schuld; der Bürge, den I s a y 6 0 als Beispiel erwähnt, ist zur Leistung verpflichtet 6011 ; man könnte nur darüber streiten, was der Inhalt seiner Verpflichtung ist, ob Erfüllung oder Schadensersatz für unterbliebene Erfüllung der Schuld des Hauptschuldners 61. 3) weit ergiebiger erweist sich der Gegensatz von Verpflichtung und Haftung, wenn man bei Haftung nicht an das actione teneri (Klage und Urteil) denkt, sondern an die nach dem Urteil einsetzende Vollstreckung, welche nach unserem Recht in das Vermögen des Schuldners erfolgt. Damit haben wir sofort für Schuld und Haftung eine grundlegende Verschiedenheit, die des Objekts, konstatiert: verpflichtet (zur Erfüllung resp. zur Leistung des Schadensersatzes) ist der Schuldner; auch Klage und Urteil wenden sich an ihn. Die Haftung aber triftt nicht ihn, sondern sein Vermögen. Noch deutlicher zeigt sich der Gegensatz, wenn man die der Verpflichtung und der Vollstreckung entsprechenden Befugnisse des Gläubigers ins Auge faßt; der Verpflichtung steht gegenüber ein Verlangendürfen (Anspruch) des Gläubigers, gerichtet auf eine Leistung d. h. auf eine Willensbetätigung des Schuldners; wenn dagegen der Gläubiger in der Vollstreckung die Haftung des schuldnerischen Vermögens geltend macht, so braucht er nichts mehr zu verlangen und wendet sich nicht mehr an den Willen des Verpflichteten 62 , (wenn der Schuldner dem Urteil nicht nachkommt, so wird nicht länger auf seine Leistung gewartet), sondern er greift, ohne Rücksicht auf den Willen des Schuldners auf dessen Vermögen, indem er das Gericht resp. den Gerichtsvollzieher zu gewissen Handlungen veranlaßt, die ihm Befriedigung aus Vermögens69

Wenn eine Forderung aus besonderen Gründen klaglos ist, z. B. § 1394. A. a. 0. S. 193. 60 a Vgl. Reichel, Schuldmitübernahme 69. 61 Haftung ohne Schuld soll nach I s a y , Geschäftsführung 255 auch im Fall des § 179 vorliegen. Dagegen mit Recht Hupka, Vertretung ohne Vertr.macht 89. In der Tat ist der falsus procurator, wenn der Mitkontrahent es will, genau so zur Erfüllung verpflichtet, wie der Vertreter es wäre, wenn er genehmigt hätte. 68 Vgl. ob. II. 60

§ 4.

Die Rechtspicht.

stücken des Schuldners verschaffen 62 a . Wenn man für die Tätigkeit des Gläubigers, durch welche er sich in der Vollstreckung Befriedigung verschafft, einen prägnanten Ausdruck sucht, so bietet sich das Wort „Zugriff", womit die vom Willen des Schuldners unabhängige Macht des vollstreckungsberechtigten Gläubigers gekennzeichnet w i r d 6 2 b . So finden wir als Korrelate: Forderung und Verpflichtung, Zugriff und Haftung. Der Schuldner ist verpflichtet, sein Vermögen haftet. In diesem Sinne kann und muß meines Erachtens das Wort Haftung technisch gebraucht werden, weil wir für die Rechtslage des dem Zugriff des Gläubigers ausgesetzten Vermögens eine kurze Bezeichnung brauchen, und Haftung in dieser Bedeutung durch keinen Ausdruck unserer Rechtssprache ersetzt werden kann. Da nun aber normaler Weise das Vermögen für jede Schuld des Vermögenssubjekts und nur für Schulden dieses Subjekts haftet, so ist es erklärlich, daß Verpflichtung und die aus ihr hervorgehende Haftung oft als Synonyma gebraucht werden; man spricht von Haftung für Verschulden, Zufall usw. und meint damit eine Verpflichtung zum Schadensersatz, für welche selbstverständlich in letzter Linie das Vermögen des Verpflichteten einzustehen hat. Wo man unter Haftung die Verpflichtung mitversteht, handelt es sich stets um den Umfang der Verpflichtung, um die Frage, wofür der Schuldner einzustehen hat; daß diese Forderung aus dem Vermögen des Schuldners befriedigt werden kann, wird als selbstverständlich vorausgesetzt. Dagegen tritt das Wort Haftung in seiner oben dargelegten prägnanten Bedeutung hervor und erweist sich als unentbehrlich, wo die Regel, daß die Forderung in das ganze Vermögen des Schuldners und nur in sein Vermögen vollstreckt werden kann, von Ausnahmen durchbrochen ist. Das ist der Fall: a) bei der beschränkten Haftung 63 . Hier ist scharf zu unter62

a Durch die Vollstreckung wird dem Gläubiger das ihm Gebührende zuteil und damit das Ziel der Obligation erreicht, ohne daß der Schuldner seine Verpflichtung erfüllt hat (nur wenn die Maßregeln des § 888 ZPO. mit Erfolg angewendet sind, liegt eine wirkliche, durch psychologischen Zwang herbeigeführte Erfüllung vor); a. A. Siber, JheringsJ. 50,85fg, vgl. Dümchen das. 54, 377. 62 * Vgl. unt. § 8 I I I b. 68 Ehrenb erg, beschränkte Haftung in Festgabe für Regelsberger; Dernburg II § 4; H e l l w i g Ziv. Proz. § 33 II.

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Die subjektiven Rechte und das Vermögen.

scheiden: das Maß der Verpflichtung und das der Haftung. Die Verpflichtung kann sich ausnahmsweise nach dem Vermögensstand des Schuldners richten, so ζ. B. die Unterhaltspflicht und die Verpflichtung aus Schenkungsversprechen e4. Dann hält sich das Urteil innerhalb der durch die Beschränkung gezogenen Grenzen; zugesprochen wird dem Kläger nicht das, was er an Alimenten braucht resp. was ihm schenkungshalber versprochen ist, sondern höchstens die Summe, welche der Schuldner zu leisten vermag 66 . Man spricht hier oft von quantitativ beschränkter Haftung; deutlicher wäre es meines Erachtens von einer beschränkten Verpflichtung zu sprechen 66. Beschränkte Haftung liegt meines Erachtens nur dann vor, wenn der Gläubiger nicht in dem, was er verlangen darf, beschränkt ist, sondern in bezug auf die Objekte, auf welche er die Vollstreckung richten kann 6 7 . Der Hauptfall des· bürgerlichen Rechts, in welchem beschränkte Haftung in diesem Sinn vorkommt, sind die Nachlaßverbindlichkeiten : zunächst tritt für den Erben mit der Annahme unbeschränkte Verpflichtung und ebenso unbeschränkte Haftung ein; durch Nachlaßverwaltung oder Konkurs kann die Haftung auf den Nachlaß beschränkt werden, § 1975, d. h. die Nachlaßgläubiger können nur in den Nachlaß vollstrecken; zugleich aber fällt die Verpflichtung des Erben fort, die Nachlaßverbindlichkeiten zu berichtigen ; das ist nunmehr Sache des Nachlaß- oder Konkursverwalters 68 , wir haben es also hier nicht mit einem echten Fall beschränkter Haftung zu tun. Dagegen erlaubt das Gesetz in § 1973, 1990, 1992 69 dem Erben, die Befriedigung eines Nachlaß" Vgl. ob. Note 37 d. In dieser Art waren im römischen Recht beschränkt die Pekuliarforderungen und die Forderungen der Nachlaßgläubiger bei benef. inventarli, W i n d s c h e i d § 606 Note 9; D e r n b u r g Pand. I I I § 171. denn die Haftung des Schuldners für seine beschränkte Verpflichtung ist unbeschränkt, d. h. sie ergreift sein ganzes Vermögen. 67 H e l l wig a. a. Ο. S. 227, Sib er, Rechtszwang 195 fg. u. A. konstruieren jede Haftungsbeschränkung als Beschränkung der Verpflichtung: der Schuldner soll prinzipiell nur dazu verpflichtet sein, aus den bestimmten Haftungsobjekten Befriedigung zu verschaffen. Ich kann mich dieser Auffassung nicht anschließen: aus welchen Mitteln der Schuldner leistet, scheint mir immer ein Internum des Schuldners feu sein; für den Gläubiger kann nur in Betracht kommen, was er verlangen darf (volle Leistung oder Leistung bis zu einem Höchstmaß) und auf welche Vermögensstücke er in der Vollstreckung greifen kann (persönliche oder beschränkte Haftung); vgl. Geib ArchZivPr. 97, 165 und Rechtsschutzbegehren 163 fg. 68 Vgl. unt. Note 85 ». 09 Analog: §§ 419, 1480, 1504, 2036, 2145, 218t. 65

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Die Rechtspflicht.

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gläubigers insoweit zu verweigern, als der Nachlaß nicht ausreicht. Hier ist dem Wortlaut nach eine Beschränkung der Verpflichtung statuiert. Aber die Wirkung dieser Einrede besteht in der Regel nicht darin, daß der Anspruch des Gläubigers ganz oder zum Teil abgewiesen w i r d 7 0 , sondern darin, daß in das U r t e i l ein Vorbehalt aufgenommen wird, ZPO. § 780, vermöge dessen die Vollstreckung in das eigene Vermögen ausgeschlossen und nur in den Nachlaß zulässig i s t 7 1 . Die Geltendmachung dieser Beschränkung erfolgt, da es sich nicht um die Verpflichtung, sondern um die Haftung des Schuldners handelt, im Stadium der Vollstreckung : der Schuldner muß sich nach ZPO. § 781 auf die Beschränkung berufen und zwar durch Erhebung einer den Bestimmungen des § 767 unterliegenden Klage, ZPO. § 7 8 5 7 1 a . Diese Rechtslage entspricht dem oben dargelegten Begriff der beschränkten Haftung: der Erbe ist unbeschränkt verpflichtet 7 1 b , das Urteil lautet daher auf den 70 Nur wenn der Erbe im Prozeß die volle Erschöpfung des Nachlasses dartun kann, wird er Abweisung der Klage erzielen können, weil feststeht, daß ein Haftungsobjekt nicht mehr vorhanden ist, S t r o h a l , Erbrecht § 85 Note 8 ; Hellwig, ZivProz. § 33 Note 23. 71 Das Gesetz sagt in §§ 1973, 1990, daß der Erbe den Nachlaß resp. den Uberschuß desselben „zum Zweck der Befriedigung des Gläubigers im Wege der Zwangsvollstreckung herauszugeben habe." Daß eine Herausgabe im gewöhnlichen Sinn des Worts für die Vollstreckung nicht nötig ist und daher auch dem Erben nicht vorgeschrieben sein kann, ist herrschende Meinung; vgl. Planck § 1973, 6; H e l l w i g CivProz. § 33, Note 41. S t r o h a l , Erbrecht § 75 Note 33 konstruiert eine Verpflichtung zur Duldung der Vollstreckung, vgl. darüber ob. Note 67. Nach Planck und S t r o h a l soll der Erbe nach § 260 dem Gläubiger zur Auskunft verpflichtet sein, aber § 260 setzt eine Herausgabepflicht voraus, welche dem Erben nicht obliegt. Meines Erachtens kann die Redewendung des Gesetzes in §§ 1973, 1990 nur das bedeuten, daß die Vollstreckung in Gegenstände des Nachlasses dem Gläubiger offen steht, während die Vollstreckung in das Erbenvermögen durch Erhebung der Einrede ausgeschlossen ist. Vgl. Dernburg V § 166 VI, § 170 III. 71 a Ohne die gesetzliche Vorschrift des § 785 ZPO. würde meines Erachtens hier nicht § 767, sondern § 766 ZPO. zutreffen, weil die Haftungsbeschränkung nicht den durch das Urteil festgestellten Anspruch, sondern dessen Erzwingung, d.h. die Modalität der Vollstreckung betrifft; findet doch § 766 Anwendung, wenn die Vollstreckung gegen unpfandbare Gegenstände gerichtet wird. Aber der Gesetzgeber hat es für zweckmäßig erachtet, die Frage der Haftungsbeschränkung nicht durch das Vollstreckungsgericht, B Ondern das Prozeßgericht entscheiden zu lassen. 71 * Darum wird durch die Haftungsbeschränkung des Erben die Verpflichtung der Bürgen und die Haftung der Pfänder nicht berührt, § 768, 1137, 1211. Vgl. Westerkamp, Bürgschaft 87. Handbuch X . 1. I : v o n T u h r I .

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vollen Betrag der Forderung ; aber der Erbe kann durch Vornahme gewisser Rechtsakte den Zugriff des Gläubigers auf sein eigenes Vermögen abwehren 72. b) das Gegenstück zur beschränkten Haftung liegt vor, wenn für die Verpflichtung des Schuldners außer seinem eigenen Vermögen ein fremdes Vermögen haftet, ohne daß dem Inhaber dieses Vermögens eine Verpflichtung obliegt. Das ist der Fall: bei der Pfandhaftung für fremde Schuld; bei der Gläubigeranfechtung nach dem AnfGes. 78 ; ferner im Recht der Gütergemeinschaft: aus den Verpflichtungen des Ehemanns entsteht für die Frau keine Verpflichtung, was § 1443 I I ausdrücklich ausspricht, wohl aber eine Haftung des ihr und dem Ehemann gemeinsamen Gesamtguts, § 1459 74 . Grundlegend ist der Gegensatz von Verpflichtung und Haftung im gesetzlichen Güterrecht: die Ehefrau kann, weil sie geschäftsfähig ist, Verpflichtungen wirksam eingehen, § 1399, aber bei der Haftung des eingebrachten Guts kommen die Interessen des Ehemanns in Frage. Daher haftet das eingebrachte Gut für gewisse Verpflichtungen der Ehefrau nicht § 1411, und wo diese Haftung besteht, muß ihrer Geltendmachung eine Klage gegen den Ehemann 72 Wie verhält es sich mit der cond. indebiti, wenn ein Schuldner in Unkenntnis seiner Haftungsbeschränkung den vollen Betrag der Schuld zahlt? Für den Erben scheidet der Fall aus, daß er nach Anordnung der Verwaltung oder Eröffnung des Konkurses zahlt; denn nunmehr ist er nicht zur Zahlung verpflichtet, vgl. unt. S. 120, leistet also ein indebitum. Zahlt aber der Erbe, bevor Nachlaßverwaltung oder Konkurs besteht, so erfüllt er eine Verpflichtung: die Möglichkeit, durch Antrag Verwaltung oder Konkurs herbeizuführen, ist keine Einrede, die ihn nach § 813 zur Rückforderung berechtigen würde; vgl. auch KO. § 225. In den Fällen der §§ 1973, 1990 könnte man zweifeln, weil das Gesetz dem Erben eine Einrede gewährt, die zu den dauernden zu zählen ist; S t r o h a l § 81 VI; Planck § 813, 2c und Siber, JheringsJ. 50, 135 geben daher auch dem Erben die cond. indebiti. Beachtet man aber, daß diese Einreden nicht die Verpflichtung des Erben beschränken, so wird man sagen müssen, daß der Erbe ein debitum zahlt und daher nicht zurückfordern kann. So entscheidet Ehrenb erg, Festg. f. Regelsberger S. 8 für den Fall der beschränkten Haftung des Reeders; ebenso aus dem Begriff der beschränkten Haftung, Geib, Rechtsschutzbegehren 164. 73 Vgl. ob. Note 53. 74 Eine Verpflichtung für fremde Schuld kann durch Bürgschaft übernommen werden; bloße Haftung für fremde Schuld kann, außer durch Pfandbestellung, nicht willkürlich begründet werden; daher kann eine Ehefrau durch Zustimmung zu Rechtsgeschäften des Mannes ihr Vermögen nicht für die Verpflichtungen des Mannes verhaften.

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„auf Duldung der Zwangsvollstreckung" vorausgehen; bei dieser Klage handelt es sich nicht um eine Verpflichtung des Ehemanns, sondern nur um die Frage, ob das seiner Verwaltung unterliegende Vermögen der Frau für deren Verpflichtung haftet 75 . Betrachten wir den Begriff der Haftung etwas näher, so ergeben sich zwei Abstufungen. 1. die bisher betrachtete Haftung des Vermögens bedeutet für den Gläubiger die Befugnis, auf das jeweilige Vermögen des Schuldners zu greifen d. h. auf jeden Gegenstand, welcher im Moment des Zugriffs dem Schuldner gehört; jeder neuerworbene Gegenstand ist dem Zugriff ausgesetzt, jeder ausscheidende Gegenstand dem Zugriff entzogen. Zwischen dem Gläubiger und den einzelnen Vermögensstücken des Schuldners besteht noch keine feste Beziehung, nur die Möglichkeit, sie durch Zugriff zu seiner Befriedigung herbeizuziehen. 2. im Gegensatz zu dieser allgemeinen Haftung des Vermögens kann ein einzelner Gegenstand ein für allemal zur Befriedigung des Gläubigers bestimmt sein, so daß er ohne Rücksicht auf seine weitere Zugehörigkeit zum Vermögen des Schuldners haftet. Dann hat der Gläubiger an diesem Gegenstand eine unentziehbare Herrschaft, sei es ein aus dem Eigentum des Schuldners abgeleitetes Sachpfand in einer von dessen Gestaltungen, sei es eine von einem sonstigen Recht ζ. B. einer Forderung abgezweigte Mitberechtigung, ein Pfandrecht an einem Recht vgl. unt. § 6 VI. Das Pfandrecht beruht auf Vertrag oder Gesetz, kann aber auch durch Geltendmachung der allgemeinen Vermögenshaftung entstehen: durch den Zugriff des Gläubigers verwandelt sich die allgemeine Haftung des Vermögens in eine pfandrechtliche Spezialhaftung des Gegenstandes, auf den der Gläubiger seinen Zugriff gerichtet hat 7 6 . Für die Spezialhaftung ist es irrelevant, ob der 76 Vgl. ob. Note 67. A. A . H e i l wig, Anspruch § 44 I I I , welcher eine mit der Verpflichtung der Ehefrau konkurrierende Verpflichtung des Ehemanns annimmt, aus welcher der Mann nur so weit haftet, als er am eingebrachten Gut berechtigt ist. 76 So bei der Mobiliarpfändung, ZPO. § 804; ähulich ist die Wirkung der Beschlagnahme von Grundstücken; der Gläubiger erwirbt durch die Beschlagnahme ein vom Eigentumswechsel unabhängiges und vor später auftretenden Gläubigern bevorzugtes Recht auf Befriedigung, welches allerdings den Vorschriften des Pfandrechts nicht untersteht und daher auch nicht als Pfandrecht bezeichnet wird. Auch durch Eröffnung des Konkurses wird die allgemeine Haftung des Vermögens verstärkt (dadurch daß dem Schuldner die Verfügung entzogen wird) und in gewissem Sinne spezialisiert: das gegen8 *

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Gegenstand zum Vermögen des Schuldners gehört; er kann aus demselben ausscheiden, oder auch von vorn herein nicht zu demselben gehört haben: Verpfändung für fremde Schuld. Endlich ist es bei der Spezialhaftung möglich, daß eine Schuld überhaupt nicht existiert : die Befugnis, sich aus einer Sache durch ihre Verwertung eine Geldsumme zu verschaffen, dient zwar in der Regel zur Befriedigung einer Forderung, ist aber begriffsmäßig nicht dadurch bedingt, daß der Berechtigte die Zahlung dieser Summe von Jemandem verlangen kann. Das Verwertungsrecht kann auch ohne Zusammenhang mit einer Forderung, abstrakt bestehen. Unser Gesetz stellt neben die Pfandrechte die Grundschuld. Der Grund schuldberechtigte oder „Gläubiger", wie ihn das Gesetz in Analogie zum Hypothekengläubiger nennt, hat von Niemandem eine Leistung zu verlangen, aber er braucht es auch nicht, er holt sich das Geld selbst, aus der Sache, durch ihre \7erwertung. Hiermit lehnen wir die Lehre von der „Realobligation" 77 ab, die nur dazu führen kann, die Grenzlinie zwischen dinglichem und obligatorischem Recht zu verwischen 78. Allerdings ist der Eigentümer der haftenden Sache in einer Stellung, die der eines Schuldners ähnlich i s t 7 8 a : beide müssen zahlen, wenn sie die Realisierung der Haftung vermeiden wollen, daher können einige Sätze des Obligationenrechts auf die dingliche Haftung der Sache wärtige Vermögen des Gemeinschuldners wird für seine jetzt vorhandenen Gläubiger als Haftungsobjekt festgelegt; ob man deshalb den Konkursgläubigem ein subjektives Recht an diesem Vermögen zuschreiben darf, ist bekanntlich streitig; vgl. einerseits Seuffert, Konkufsprozeß §25 und anderseits Jäger KO. § 3 Note 41 fg. 77 Vgl. Cosack § 221; Endemann III § 112 N. 17; Crome I I I § 460 N. 41; D e r n b u r g I I I § 222, 4; Planck Note 3 vor § 113; I l e l l w i g , Anspruch 361 und ZivProz. I 204; Gierke I I § 158, Dümchen JheringsJ. 54, 361 fg. 78 Besonders nahe liegt für die Anhänger der Realobligation die Verwechslung derselben mit den Fällen der a. in rem scripta, vgl. ob. N. 33, in denen der Eigentümer als solcher verpflichtet ist, aber für diese Verpflichtung persönlich, d. h. mit seinem ganzen Vermögen haftet. 78 a Aber der Eigentümer ist zur Zahlung nicht verpflichtet: wenn er zahlt, so ist das eine Vermögensverminderung, die er vornimmt, um sich die Sache zu erhalten. Hat er nicht in dieser Absicht gezahlt, sondern im irrigen Glauben, Schuldner zu sein, so steht ihm die cond. indebiti zu (bei Annahme einer Realobligation wäre gültig gezahlt, Cosack § 221 II 2; Schwind, Wesen des Pfandrechts 131; inkonsequent von seinem Standpunkt aus Siber, JheringsJ. 50, 135) und es erweist sich, daß der Forderungsübergang, § 1143, 1225, nicht, stattgefunden hat.

§ 4.

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entsprechend angewendet werden 79 ; daß es sich dabei um Analogie handelt, ergibt sich deutlich aus dem Wortlaut des § 1146: „liegen dem Eigentümer gegenüber die Voraussetzungen vor, unter denen ein Schuldner in Verzug kommt, so gebühren dem Gläubiger Verzugszinsen aus dem Grundstück". Dieser Paragraph wäre überflüssig und geradezu unverständlich, wenn der Eigentümer der Pfandsache zur Leistung verpflichtet wäre ; denn dann würden in seiner Person nicht die Voraussetzungen vorliegen, unter denen ein Schuldner in Verzug kommt, sondern der Verzug selbst 8 0 8 0 a. VII. Hält man daran fest, daß die Befehle der Rechtsordnung sich an den Willen des Menschen richten, daß es daher Pflichten nur für Menschen geben kann, so entsteht die Frage, ob alle Menschen Subjekte von Pflichten sein können, auch solche Menschen deren Willen dem psychologischen Einfluß der Pflichtvorstellung entzogen ist. Kann man bei Kindern oder Geisteskranken von Rechtspflichten sprechen? Vielfach wird angenommen, daß solche Personen „untaugliche Befehlsempfänger" seien, da der Gesetzgeber seine Befehle nicht an Jemanden richte, von dem er wisse, daß er diese Befehle nicht verstehen und befolgen könne 81 . Diese auf den ersten Blick bestechende Auffassung erweist sich als schwer 70

So wird z. B. dem Eigentum des haftenden Grundstücks gestattet, die Grundschuld durch Aufrechnung mit einer ihm gegen den Grundschulberechtigten zustehenden Forderung zu tilgen; P l a n c k § 1192, 3, Staudinger § 1192, 113, Siber a.a.O. 50, 137. Hier wird nicht wie im Normalfall der Aufrechnung eine Forderung getilgt, sondern dein, der eine Geldsumme aus dem Grundstück zu erhalten hat, diese Summe in der Form zugewendet, daß er von einer gleich großen Geldschuld befreit wird. Dagegen kann natürlich der Grundschuldgläubiger gegen eine Forderung des Eigentümers nicht aufrechnen. 80 Ebenso ist in ZPO. § 592, 688, 794, 5 bestimmt, daß der Anspruch aus einer Hypothek als Anspruch auf Zahlung einer Geldsumme „gelten" soll. 80 a Beim Mobiliarpfand denkt niemand daran, neben der Belastung der Sache eine Zahlungspflicht des Eigentümers zu konstruieren. Das hängt vielleicht damit zusammen, daß die Verwertung des Mobiliarpfands ohne vorausgehende Klage erfolgt, während bei der Hypothek in der Regel Klage und Urteil nötig ist. Da man nun aus alter Zeit gewöhnt ist, bei Klage an eine Leistungsklage zu denken, so drängt sich die Vorstellung auf, daß der Eigentümer des Grundstücks, gegen den geklagt werden muß, zu einer Leistung verpflichtet ist. 81 Vgl. A. Merkel, GrünhutsZ. 6, 383; B i n d i n g , Normen (2. Aufl.) I S. 99 und 243 und Handbuch § 30 Note 10; Z i t e l m a n n TntPiivR. 1 S. 47 Note 8 und ArchZivPr. 99, 7; Holder, Nat. und Jur. Personen 189fg.; Hold v. Ferneck I I 1 fg. ; E Itzbacher, Handlungsfähigkeit I 41; Schwarz, ArchBürgR. 32, 81 fg.

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Die subjektiven Rechte und das Vermögen.

durchführbar bei vorübergehenden Zuständen, durch welche die Motivationsfähigkeit des Menschen ausgeschlossen wird; sollen die Rechtspflichten zessieren, solange der Verpflichtete schläft oder aus sonstigem Grunde bewußtlos ist? Aber auch bei dauernder Handlungsunfähigkeit scheint es mir für das Verständnis unseres Rechts richtiger, mit T h o n 8 2 davon auszugehen, daß die Vorschriften der Rechtsordnung auch für solche Personen gelten, obgleich eine bewußte Befolgung dieser Vorschriften nicht erwartet werden kann; das Gesetz verbietet ζ. B. zum Schutz des Eigentümers die Einwirkung auf die Sache jedem Dritten, auch den Kindern un^ Geisteskranken; Verletzung der Sache durch solche Personen ist daher rechtswidrig und kann durch Notwehr, § 227, abgewiesen werden. Allerdings fallen die übrigen Folgen des rechtswidrigen Verhaltens weg: die zurechnungsunfähigen Personen sind von Strafe befreit und für den von ihnen angerichteten Schaden nicht verantwortlich, § 827, 828. Demgemäß müßte man auch auf dem Gebiet des rechtsgeschäftlichen Verkehrs Verpflichtungen der handlungsunfähigen Personen annehmen: aus den Schuldverhältnissen, welche für solche Personen durch Erbgang oder Rechtsgeschäft des gesetzlichen Vertreters oder aus sonstigen Ereignissen entstehen können ζ. B. aus ungerechtfertigter Bereicherung. Hier ist aber näher zu prüfen, ob diese Schuldverhältnisse wirklich eine Verpflichtung des in der Geschäftsfähigkeit beschränkten Schuldners enthalten. Wenn ein Minderjähriger 100 Mk. oder als Verkäufer eine Sache schuldet, bedeutet das wirklich, daß er verpflichtet ist, die 100 Mk. zu zahlen, die Sache zu übergeben d. h. ist der Rechtsbefehl, die dazu nötigen Handlungen vorzunehmen, wirklich an ihn gerichtet? Gewiß nicht. Niemand erwartet, daß der Minderjährige tätig wird, auch das Gesetz verlangt es nicht; hat es ihm doch die Verfügung über sein Vermögen und damit die Möglichkeit der Erfüllungshandlung entzogen; es müßte ihm, wenn er wirklich verpflichtet wäre, wie jedem Schuldner, sein persönliches Unvermögen zu gute kommen. Da der Minderjährige nicht zu erfüllen hat, so kommt es für die rechtlichen Schicksale des Schuldverhältnisses auf seine Person nicht an : ob Verzug eintritt, richtet sich nicht nach seinem Verhalten; die Willenserklärungen des Gläubigers ζ. B. Kündigung, Mahnung sind nicht an ihn zu richten, § 131. Jede Mitwirkung 82

Note 9.

Thon, Rechtsnorm 92fg. und JheringsJ. 50, 23; Enneccerus § 27

§ 4. Die

echtspflicht.

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kann der Minderjährige, selbst wenn er dazu imstande wäre, ablehnen 8 2 a . Dagegen hat er nach § 278 ein Verschulden seines gesetzlichen Vertreters zu vertreten d. h. sein Vermögen haftet, wenn der Vormund das zur Befriedigung des Gläubigers erforderliche nicht tut. Von den beiden Bestandteilen der Schuld, welche im normalen Fall beim Schuldner gleichzeitig vorliegen, Verpflichtung zu einer Tätigkeit und Haftung des Vermögens, ist bei einem nicht voll geschäftsfähigen Schuldner, wenn es sich um eine aus dem Vermögen zu erfüllende Schuld Ijandelt, nur die Haftung vorhanden. Die Verpflichtung des Schuldners wird hier dadurch ersetzt, daß der Vormund durch seine Tätigkeit aus den ihm zu Gebot stehenden Mitteln des Mündels für die Befriedigung des Gläubigers zu sorgen hat. Er hat das zu tun, was das Mündel zu tun hätte, wenn es ein normales Pflichtsubjekt wäre: durch das Verhalten des Vormunds werden die Rechtsfolgen des Verzugs begründet, aus seiner Person ist zu beurteilen, ob ein Verschulden vorliegt, durch welches sich der ursprüngliche Leistungsgegenstand in Schadensersatz verwandelt, usw. Aber auf diese Leistungen, die der Vormund dem Gläubiger gegenüber zu erbringen hat, steht dem Gläubiger kein Anspruch gegen den Vormund zu: er kann gegen ihn weder auf Erfüllung klagen, noch aus seinem Vermögen Schadensersatz verlangen 88 ; wenn der Vormünd seiner Erfüllungspflicht nicht nachkommt, ist der Gläubiger ausschließlich darauf angewiesen, das Vermögen des Mündels nach § 278 für die Handlungsweise des Vormunds haftbar zu machen. Diese etwas verwickelte Rechtslage wird, um sie in Übereinstimmung mit der normalen Gestaltung des Schuldverhältnisses zu bringen, so aufgefaßt, daß man das, was der Vormund dem Qläubiger gegenüber zu tun hat, als Verpflichtung des Mündels bezeichnet, und den Vormund als Vertreter bei Erfüllung dieser Pflichten betrachtet 84 . 82 a Nur positive Schädigung der Vertragserfüllung durch den minderjährigen Schuldner sind Pflichtverletzung; beschädigt er z.B. die geschuldete Sache, so haftet er, soweit er nach § 828 zurechnungsfähig ist; und zwar, da er Schuldner ist und es zu den Pflichten des Schuldners gehört, die Vertragserfüllung nicht zu vereiteln, ex contractu, nicht ex delicto, was ζ. B. für die Verjährung, § 852, in Betracht kommt. 8 * Nur dem Mündel ist der Vormund nach § 1833 regreßpflichtig für die durch sein Verschulden herbeigeführte Haftung aus § 278 ; diesen Regreßanspruch kann der Gläubiger durch Zession oder Pfändung erwerben- und sich auf diesem Umweg an den Vormund halten. 84 Daher wird der Minderjährige zu einer Leistung verurteilt, obgleich

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Erstes Buch. Die subjektiven Rechte und das Vermögen.

Von einer Verpflichtung des Mündels kann man aber, obgleich ein persönliches Verhalten desselben nicht in betracht kommt, deswegen sprechen, weil der Inhalt dessen, was der Vormund an den Gläubiger zu leisten hat, sich aus dem Rechtsverhältnis zwischen Gläubigerund Mündel ergibt; weil ferner der jeweilige gesetzliche Vertreter des Mündels in diese Verpflichtungen e i n t r i t t ; und endlich hauptsächlich deswegen, weil hinter diesen Verpflichtungen die Vermögenshaftung nicht des Vormunds, sondern des Mündels steht85. Daß der nicht voll geschäftsfähige Schuldner nicht verpflichtet ist, sondern nur für die Erfüllungstätigkeit seines Vertreters haftet, beruht aber nicht darauf, daß er wegen seiner persönlichen Beschaffenheit nicht Pflichtsubjekt sein könnte, sondern auf der Tatsache, daß das Gesetz ihm die Verwaltung seines Vermögens und damit die Sorge für die Befriedigung der Gläubiger genommen hat. Daher kann das Auseinanderfallen von Verpflichtung der Person und Haftung des Vermögens nicht bloß durch persönliche Eigenschaften des Schuldners, sondern auch durch andere Umstände eine Erfüllungstätigkeit von ihm weder vor noch nach dem Urteil verlangt werden kann. Die Realisierung der Haftung im Wege der Vollstreckung erfolgt durch Zugriff des Gläubigers ohne Willensbeteiligung des Schuldners. Auch die Verurteilung eines Minderjährigen zur Abgabe einer Willenserklärung beweist nicht, wie Thon, JheringsJ. 50, 31 behauptet, daß dem minderjährigen Schuldner eine Verpflichtung obliegt; denn die Vollstreckung eines solchen Urteils erfolgt, wenn es nicht freiwillig, und zwar vom Vormund, erfüllt wird, automatisch durch Eintritt der Rechtskraft, ZPO. § 894. Auch wenn das Urteil auf eine durch Androhung von Strafen zu erzwingende Handlung oder Unterlassung lautet, ZPO. 888—899, handelt es sich nicht um eine Verpflichtung des verurteilten Minderjährigen; die Strafen gelten als dem Vormund angedroht und treffen im Fall der Übertretung sein Vermögen, nicht das des Mündels, Gaupp-Stein § 888 IV; § 889 III; § 890 113; H e l l wig, ZivProz. § 125 Note 68 fg. 85 Außer den Verpflichtungen, die der Vormund an Stelle des Mündels zu erfüllen hat, und die, weil für ihre Nichterfüllung das Vermögen des Mündels haftet, als Verpflichtungen des Mündels gelten, können sich für den Vormund aus der ihm obliegenden Verwaltung eigene Verpflichtungen gegenüber Dritten ergeben, für deren Nichterfüllung nicht das Vermögen des Mündels, sondern das des Vormunds haftet; dazu gehören (außer den ob. Note 84 a. E. erwähnten Fällen) die gesetzlichen Diligenzpflichten, deren Verletzung sich als Delikt nach § 823 darstellt: wenn z.B. der Minderjährige ein Haus besitzt, so ist nicht er, sondern der Vormund verpflichtet, den Bürgersteig bei Glatteis zu bestreuen, die Treppe zu beleuchten usw. Er haftet persönlich, der Minderjährige nicht, auch nicht nach § 829, vgl. L i n c k e l m a n n , Schadensersatzpflicht S. 110; Planck § 829, 2a. Vgl. unt. § 37 Note 29a.

4.

Die Rechtspflicht.

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herbeigeführt werden ζ. B. durch Anordnung einer Nachlaßverwalt.ung, § 1975 : mit diesem Moment erlischt für den Erben jede Verpflichtung zur Erfüllung, zu der er ja auch nicht mehr imstande ist, da ihm die Verfügung über den Nachlaß nicht mehr zusteht, § 1984; dagegen ist der Nachlaßverwalter zur Erfüllung der Nachlaßverbindlichkeiten verpflichtet, und zwar in dem Maß, in welchem ohne die Nachlaß Verwaltung der Erbe dazu verpflichtet geblieben wäre 85 a . Wenn man den Erben nach wie vor als den Schuldner bezeichnet, so bedeutet das, daß der ihm gehörende Nachlaß von den Wirkungen betroffen wird, die aus der Nichterfüllung der Forderungen entstehen: (Schadensersatzpflicht, Zwangsvollstreckung usw.). und das mit Aufhören der Nachlaßverwaltung die der Forderung entsprechende Pflicht wiederum beim Erben oder einer anderen Person (ζ. B. Konkursverwalter) entsteht, die den Nachlaß als Vertreter des Erben zu verwalten hat. VIII. Gibt es Verpflichtungen mit einer Mehrheit der verpflichteten Personen 86? Da die Pflicht nichts anderes ist, als ein dem Menschen von der Rechtsordnung vorgeschriebenes Tun oder Unterlassen, so kann nur von eigenen Pflichten des Menschen die Rede sein; sind Mehrere verpflichtet, so gibt es so viel Pflichten, wie verpflichtete Personen. Eine Schuldengemeinschaft in dem Sinn, wie wir oben § 3 I I I eine Rechtsgemeinschaft angenommen haben, ist wie So h m 8 7 mit Recht sagt, undenkbar. Allerdings können die Pflichten mehrerer Personen mit einander in einem Zusammenhang stehen : eine Verpflichtung kann sich zur anderen akzessorisch oder subsidiär verhalten, oder beide Pflichten können in voller Selbständigkeit so nebeneinander stehen, daß jede durch die Erfüllung der anderen aufgehoben wird: Gesamtverpflichtungen; aber auch in diesem Fall besteht für jeden der Schuldner eine eigene Verpflichtung 88 ; das selbst dann, wenn der Schuldner die Leistung 85 a

Hier liegen, anders als beim minderjährigen Schuldner, zwei selbständige Vermögensmassen vor. Daher ist ein Eingriff des Erben in die Erfüllungstätigkeit des Nachlaßverwalters, ζ. B. die Beschädigung des geschuldeten Gegenstands, nicht als Vertragsverletzung gegenüber dem Nachlaßgläubiger sondern als Delikt des Erben gegen den Nachlaß (vgl. unt. § 19 Vllb) zu behandeln; der Nachlaßverwalter hat die dem Nachlaß gegen den Erben zustehende Ersatzforderung nach § 281 an den Gläubiger abzutreten. 86 Crome I I S. 13; Biermann § 32, 6: * 7 Gegenstand S. 41. 88 Daher kann man z. B. unterscheiden, ob der Bürge seine eigene Schuld zahlt, was in der Regel anzunehmen ist, oder die des Hauptschuldners, Oertmann ArchZivPr. 82, 450.

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Die subjektiven Rechte und das Vermögen.

nicht ohne Mitwirkung des Mitverpflichtetep vornehmen kann 8 * ζ. B. wenn die Gesellschafter oder Miterben zur Übergabe eiues gemeinschaftlichen Gegenstandes verpflichtet sind; trotzdem kann von jedem die ganze Leistung verlangt und gegen jeden eingeklagt werden; daß er sie nicht allein bewirken kann, befreit ihn höchstens von den Wirkungen des Verzuges. Von der Verpflichtung der Person ist die Haftung des Vermögens zu unterscheiden. Ist ein Vermögen gemeinschaftlich, so entsteht die Frage, ob es für die Schulden der mehreren Subjekte haftet; das ist für die einzelnen Fälle der Gesamthand verschieden geregelt: bei Gesellschaft und Erbengemeinschaft haftet das Gesamtgut nur für solche Schulden, die allen Subjekten solidarisch obliegen, ZPO. 730, 747; das Gesamtgut der Gütergemeinschaft haftet für alle Schulden des Ehemanns, ZPO. § 730, einschließlich der Schulden der Frau, die zugleich persönliche Schulden des Ehemanns sind, BGB. § 1459 I. Solche Verpflichtungen, für welche ein gemeinsames Vermögen haftet, kann man gemeinschaftliche Schulden90 nennen, wenn man dabei an die Gemeinsamkeit des haftenden Vermögens, nicht der persönlichen Verpflichtung denkt ; meist wird eine solche Schuld für jedes der beteiligten Vermögenssubjekte eine Verpflichtung darstellen, aber nicht immer: so sind ζ. B. die vom Ehemann begründeten Gesamtgutsverbindlichkeiten keine Verpflichtungen der Frau, § 1443 I I 9 1 . 89

Planck, Vorb. 1 vor § 420. Endemann § 154, 3. Vgl. unt. § 20 IV. 91 Trotzdem kann mit einer Gesamtgutsverbindlichkeit gegen eine Forderung des Gesamtguts aufgerechnet werden, § 1442 I I , selbst dann, wenn die Frau nicht Schuldnerin dieser Verbindlichkeit ist. Es fehlt zwar an der vollen Gegenseitigkeit der Forderungen im Sinn von § 387; denn die eine Forderung steht beiden Ehegatten zu, während die Gegenforderung sich nur gegen den Ehemann richtet; aber es soll genügen, daß dem Gläubiger, dessen Leistung in das Gesamtgut fallen würde, dieses selbe Gesamtgut für seine Gegenforderung haftet. Die ratio des § 1442 I kommt meines Erachtens nicht nur bei der Aufrechnung in Betracht, sondern auch in anderen Fällen, in welchen dem Schuldner des Gesamtguts eine in das Gesamtgut vollstreckbare Gegenforderung zusteht: der Schuldner kann, auf eine solche Gegenforderung, auch wenn sie eine Verpflichtung nur des Ehemanns, nicht der Frau, enthält, die Einrede des nicht erfüllten Vertrags oder der Zurückbehaltung ableiten. 90

§ 5.

Rechtsverhältnis.

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§ 5· Rechtsverhältnis *. I. Durch die Vorschriften der Rechtsordnung werden die Lebensverhältnisse der Menschen geregelt, Jedem ein Machtbereich zugeteilt, in welchem sein Wille maßgebend ist: Rechte verliehen und auf der anderen Seite Pflichten begründet. Dadurch werden rechtliche Beziehungen geschaffen respektive Beziehungen, die auch abgesehen von der Rechtsordnung bestehen, mit rechtlicher Bedeutung ausgestattet Die rechtlichen Folgen einer solchen Beziehung nennen wir Rechtsverhältnis 1. Der Ausdruck wird vom Gesetz gebraucht 2, aber nicht definiert; daher gehen die Ansichten darüber, wie er abzugrenzen ist, recht weit auseinander. Für das bürgerliche Recht ist das eine nicht unwichtige Frage der theoretischen Auffassung; im Prozeß ist es von praktischer Bedeutung, was man unter Rechtsverhältnis im Sinn von ZPO. § 256 verstehen will. In der Prozeßwissenschaft bestand eine jetzt überwundene Tendenz den Begriff einzuengen, teils als Nachwirkung der Schwierigkeiten, mit denen die Feststellungsklage früher zu kämpfen hatte, teils als Mittel prozessualer Ökonomie. Das Zivilrecht darf sich meines Erachtens durch die Kasuistik des § 256 nicht abhalten lassen, den systematisch unentbehrlichen Begriff des Rechtsverhältnisses auszugestalten. Gegen unerwünschten Gebrauch der Feststellungsklage hat man im Prozeß immer noch den genügenden Schutz im Erfordernis des rechtlichen Interesses. Ein Rechtsverhältnis kann bestehen: 1. Zwischen einer Person und einer Sache 3 : der Eigentümer aber auch der Besitzer steht in einer rechtlich bedeutungsvollen Beziehung zur Sache. * W i n d s c h e i d § 37a; Regelsberger § 13; Bekker § 17; Crome § 29; Enneccerus §-64; K o h l e r § 47; H e l l w i g , ZivProz. § 30.; Z i t e l mann, Intern. PrivR. I 42 fg., I I 1 fg. 1 Die Tatsachen, aus denen die Rechtsverhältnisse entstehen, dürfen nicht selbst wieder Rechtsverhältnisse genannt werden; B e k k e r a. a. 0., H e l l w i g , Anspruch S. 4. Der Vertragsschluß ist ζ. B. die Ursache, aus welcher gewisse Beziehungen A und Β entstehen, diese Beziehungen selbst sind das Rechtsverhältnis. Die Echtheit einer Urkunde ist eine Tatsache, daher kein Rechtsverhältnis, aber in ZPO. § 256 praeter regulam für feststellungsfähig erklärt. 2 Ζ. B. § 168: ,ydas der Vollmacht zugrunde liegende Rechtsverhältnis", § 183, 371 u. a. 3 Einige Autoren wollen Rechtsverhältnisse nur zwischen zwei Personen anerkennen, vgl. Enneccerus a. a. 0. Note 2; H e l l w i g , ZivProz. § 31 Note 4.

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2. Rechtsverhältnisse zwischen zwei Personen können auf den verschiedensten Gründen beruhen: auf einem Vertrag 4 , insbesondere auf einem obligatorischen Vertrag, auf Unerlaubter Handlung des Einen gegen den Anderen, auf grundloser Vermögensverschiebung; ferner auf der Tatsache, daß beide Personen an derselben Sache berechtigt sind: Miteigentum, Verhältnis des Eigentümers zum Nießbraucher und Pfandgläubiger 5, Verhältnis der Inhaber mehrerer Inhaber von jura in re aliena zu einander) 6; endlich darauf, daß zwei Personen einer dritten zu derselben Leistung verpflichtet sind respektive von ihr dieselbe Leistung zu fordern haben (Solidarität) 7 . Dagegen bestellt kein Rechtsverhältnis daher auch keine Möglichkeit einer Feststellungsklage zwischen mehreren Gläubigern eines Schuldners, obgleich jeder Gläubiger ein Interesse an der Nichtexistenz des anderen hat. Nur wenn die mehreren Gläubiger durch Pfändung desselben Gegenstandes Rechte an derselben Sache erwerben oder durch Konkurs in ein näheres Verhältnis zu der aus dem Vermögen des Schuldners ausgeschiedenen Konkursmasse treten, entsteht zwischen ihnen ein Rechtsverhältnis 8, welches die Grundlage einer Klage nach ZPO. § 878 respektive KO. § 146 bildet. Bisweilen wird auch der Umstand, daß ein Recht zwischen zwei Personen streitig ist, als Rechtverhältnis zwischen diesen Personen bezeichnet; diese Auffassung ist nicht nötig, um die Zulässigkeit der Feststellungsklage im sogenannten Prätendentenstreit zu begründen 9, denn es genügt zur Feststellungsklage, daß jeder von beiden ein in seiner Person bestehendes Rechtsverhältnis, Eigentum oder Forderung behauptet: durch die Bestreitung seitens des anderen wird das rechtliche Interesse hergestellt 10 . 4 Die Wirkungen des Vertrags entstehen zwischen den Parteien, bisweilen aber auch für dritte Personen: Vertrag zugunsten Dritter. 6 Das Rechtsverhältnis des Pfandgläubigers zum Eigentümer tritt erst im Stadium des Verkaufs hervor; vorher prävaliert das Rechtsverhältnis zum Verpfänder; vgl. ob. § 2 Note 11. 6 Rangverhältnis. 7 Regreßverhältnis. 8 Vgl. unt. § 8 Note 20. 9 H ell wig, ZivProz. S. 387 Note 17, S. 388 Note 23; G au ρ ρ Note 28 fg. zu § 256. Dagegen nimmt RG. 41 S. 347 an, daß durch die Bestreitung ein Rechtsverhältnis zwischen den Parteien entsteht. 10 Dagegen kann X keine Feststellungsklage darauf erheben, daß A dem Β etwas schuldet; denn selbst wenn X an dem Bestehen dieser Schuld ein Interesse hat, fehlt es an einem festzustellenden Rechtsverhältnis in der Person des X.

§ 5.

Rechtsverhältnis.

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Auch die Beziehung einer Person zu einem Ort, dem Wohnsitz, hat zahlreiche Rechtswirkungen, deren Gesamtheit als Rechtsverhältnis bezeichnet werden kann n , Dagegen gibt es Tatsachen und Ereignisse, die eine Person betreffen und ihr rechtliches Schicksal bestimmen, ohne sie zu etwas außer ihr Liegendem in Beziehung zu setzen. Die Rechtsfolgen solcher Umstände werden nicht als Rechtsverhältnisse, sondern zutreffender als rechtliche Eigenschaften der Person aufgefaßt 12 1 3 . I I . Der Ausdruck Rechtsverhältnis kann in zwei Bedeutungen gebraucht werden : 1. Jedes subjektive Recht enthält eine Beziehung des Subjekts zu einer Sache oder zu einer anderen Person. Daher kann jedes subjektive Recht als Rechtsverhältnis bezeichnet werden. Dann besteht zwischen beiden Ausdrücken nur der sprachpsychologische Unterschied, daß man beim Wort Recht in erster Linie an die herrschende Stellung des Subjekts denkt, während Rechtsverhältnis zugleich die passive Seite des Rechts, das Unterworfensein der Sache, die Verpflichtung des Schuldners bezeichnet. Ein obligatorisches Rechtsverhältnis nennt der Gläubiger seine Forderung, der Schuldner seine Schuld. 3. Der Begriff des Rechtsverhältnisses kann aber auch weiter gezogen werden, als der des Rechts : dann bedeutet Rechtsverhältnis die Gesamtheit der Rechtsfolgen aus einer Beziehung einer Person zu einer anderen oder zu einer Sache, ob nun diese Rechtsfolgen in einem subjektiven Ilecht bestehen, oder in der Möglichkeit der Entstehung eines solchen, oder in sonstigen Rechtswirkungen 14. 11

Enneccerus § 127 Note 1. Eine Klage auf Feststellung des Wohnsitzes dürfte mangels Interesses kaum vorkommen. 12 K o h l e r § 50 bezeichnet die Geschäftsfähigkeit und einige andere Rechtsdinge, die ich zu den Rechtsverhältnissen rechne, als „Rechtslage". Auch ich werde mich dieses unentbehrlichen Ausdrucks bedienen, aber nicht in der von Kohler vertretenen technischen Bedeutung. 13 Auch zwischen zwei Sachen könnte man ein Rechtsverhältnis annehmen, ζ. B. eine Sache ist Zubehör der anderen. Aber es liegt näher, von einer rechtlichen Eigenschaft der Zubehörsache zu sprechen. Eine Feststellungsklage müßte meines Erachtens nicht auf die Existenz dieser Eigenschaft, sondern auf die daraus hervorgehenden Folgen, z.B. Eigentum oder Pfandrecht, gerichtet werden. 14 So begründet ζ. B. die Auflassung weder ein Recht an der Sache noch ein obligatorisches Recht zwischen den Parteien, sondern nur die Möglichkeit, durch darauffolgende Eintragung Eigentum zu erwerben; vgl. unt. § 9 Note 25. Daß diese Möglichkeit vorliegt, ist ein Rechtsverhältnis zwischen A

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Eine Bezeichnung für diese Gesamtheit von Rechtswirkungen im Gegensatz zu einzelnen Rechten ist systematisch unentbehrlich 15 ; ich werde daher im Folgenden den Ausdruck Rechtsverhältnis in diesem Sinne gebrauchen. So kann man von einem Eigentumsverhältnis sprechen, wenn man außer an das dingliche Recht auch an die weiteren Rechte und Pflichten (ζ. B. aus § 999) denkt, die aus ihm erwachsen können. So ist der Besitz, ob man ihn nun zu den Rechten zählt oder nicht, jedenfalls als Rechtsverhältnis zu bezeichnen1β, insofern bei ihm als verbotener Eigenmacht die Besitzansprüche, bei Zeitablauf unter gewissen Voraussetzungen Eigentum, unter Umständen (§ 836) eine Haftung entstehen kann. Besonders wichtig ist der in diesem Sinne aufgefaßte Begriff des Rechtsverhältnisses auf dem Gebiet des Obligationsrechts : aus einem Vertrag oder vertragsähnlichem Tatbestand erwächst oft ein Recht auf eine Mehrheit von Leistungen; das Recht, eine dieser Leistungen zu verlangen, heißt Forderung. Die Forderungen auf die einzelnen Leistungen entstehen gleichzeitig mit Abschluß des Vertrags, oder sukzessiv im Lauf der Zeit. Bisweilen erzeugt der Vertrag zunächst keine Rechte und Pflichten der Parteien, sondern eine Rechtslage, auf Grund deren solche Tatsachen, welche ohne den Vertrag keine oder andere Wirkungen hätten, Rechte und Pflichten hervorbringen : der eine Kontrahent hat eine Anwartschaft auf eine Forderung, der andere ist noch nicht verpflichtet, aber bereits gebunden16 a . Man denke ζ. B. an die Mietzinsforderungen, welche pro rata temporis durch den gewährten Gebrauch entstehen (§ 537), an die Forderungen des Auftraggebers auf Herausgabe des Erlangten, des Beauftragten auf Ersatz der Auslagen, die erst mit der Einnahme respektive Ausgabe ins Leben treten. Für das obligatorische Rechtsverhältnis im Gegensatz zu den einzelnen und B, dessen Bestehen nötigenfalls Gegenstand einer Feststellungsklage sein kann; z.B. dann, wenn in der Auflassung das Grundstück falsch bezeichnet ist, und A behauptet, daß statt des genannten Grundstücks χ das Grundstück y gemeint sei, während Β dies bestreite; vgl. über diesen Fall RG. in JW. 1904, 58. ,B In anderer Weise will Κ ο hl er S. 149 zwischen Recht und Rechtsverhältnis unterscheiden; das Recht aus dem Kauf soll ζ. B. kein Rechtsverhältnis sein, „denn es drängt dahin, durch augenblickliche Erfüllung gelöst zu werden." Meines Erachtens ist beim Kauf, nicht weniger als bei anderen Verträgen, die Gesamtheit der Beziehungen des Käufers zum Verkäufer das Rechtsverhältnis, von den einzelnen zum Teil später entstehenden Rechten, ζ. B. der Wandelung, zu unterscheiden. >· H e l l wig, ZivProz. § 31 II. 16 a Vgl. unt. § 9 I I u. I I I 2.

§ 5.

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Forderungen und Anwartschaften bietet sich in der deutschen Sprache ungesucht der Ausdruck Schuldverhältnis 17. Leider hat das BGB. diesen terminologischen Vorteil nicht benutzt und spricht oft von Schuldverhältnis, wo die einzelnen Forderungen gemeint sind; so ist ζ. B. der 3. Abschnitt des II. Buches überschrieben „Erlöschen der Schuld Verhältnisse", während alle dariu geregelten Erlöschungsgründe: Erfüllung, Hinterlegung, Aufrechnung, Erlaß, sich auf die einzelnen Forderungen beziehen und die Aufhebungsgründe der Schuldverhältnisse in unserem Sinn des Wortes ζ. B. contrarius consensus, Kündigung, Tod usw. nicht erwähnt sind 1 8 . Ein Rechtsverhältnis liegt meines Erachtens auch dann vor, wenn ein Vertrag wegen Formmangel keine Rechte und Pflichten erzeugt, aber durch freiwillige Erfüllung wirksam werden kann, § 313, 5Î8, 766. Die Wirkung des Rechtsverhältnisses zeigt sich darin, daß eine Leistung, die ohne den vorhergehenden formlosen Vertrag grundlos wäre und daher zurückverlangt werden könnte, als Erfüllung einer im selben Moment entstehenden Verpflichtung zu behandeln ist. Ebenso entsteht bei der natürlichen Verpflichtung (vgl. oben Seite 94) ein Rechtsverhältnis, welches abnormer Weise nur eine Verpflichtung ohne korrespondierende Forderung erzeugt. Solche Rechtsverhältnisse können meines Erachtens Gegenstand einer Feststellungsklage sein 19 . Allerdings wird bei natürlichen Verbindlichkeiten ζ. B. Spielschulden meist ein rechtliches Interesse an der Feststellung fehlen ; wohl aber kann A, der sein Grundstück formlos verkauft hat und freiwillig erfüllen möchte, ein Interesse daran haben, den bestrittenen Inhalt des Vertrages* feststellen zu lassen, ehe er ihm durch Erfüllung Wirksamkeit verleiht 20 . 17 Wenn man jedes Recht ein Rechtsverhältnis und daher jede Forderung ein Schuldverhältnis nennt, muß man Schuldverhältnisse im weiteren und im engeren Sinne unterscheiden (so ζ. B. D e r n b u r g I I § 111; Staudinger, Vorbem. I 2 zum ObligRecht), was keine Erleichterung der Terminologie ist. H e l l w i g , Anspruch S. 41 spricht im Gegensatz zu den einzelnen Forderungen, die er Schuldverhältnisse nennt, von dem ihnen zugrunde liegenden Gesamtschuldverhältnis; dieser Ausdruck ist aber bereits in anderer Bedeutung technisch. 18 Auf diesen terminologischen Fehler des BGB. und dessen Folgen hat Bekker mehrfach hingewiesen, zuletzt in JheringsJ. 49 S. 13 und 57. Mißverständlich ist der Ausdruck Schuld Verhältnis, z.B. in § 366; vgl. Planck, Erl. 1. 19 Α. A. H e l l w i g , ZivProz. § 30 Note 32; § 58 Note 31. 20 Ein unwirksamer Vertrag kann auch insofern ein Rechtsverhältnis erzeugen, als aus ihm beiderseitige Verpflichtungen zur Rückgabe der Leistungen

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Ein Rechtsverhältnis des Obligationenrechts braucht nicht immer die Existenz oder die Möglichkeit aei Entstehung einer Forderung zum Gegenstand zu haben. Auch andere Rechtslagen, welche Forderungen betreffen, können als Rechtsverhältnis bezeichnet werden. So ist ζ. B. die Tatsache, daß zwischen A und Β zwei zur Aufrechnung geeignete Forderungen bestehen ein Rechtsverhältnis, aus welchem für jeden von beiden das Recht der Aufrechnung erwächst 21 . Ein Rechtsverhältnis dieser Art, und kein subjektives Recht wird begründet durch den Kontokorrentvertrag 2 2 . Im Familienrecht kann man unterscheiden das Rechtsverhältnis der Verwandtschaft von den einzelnen daraus erwachsenden Rechten ζ. B. den Unterhaltungsforderungen; das Rechtsverhältnis des ehelichen Kindes von der darauf beruhenden elterlichen Gewalt, der Unterhaltspflicht und Aussteuerpflicht ; das Rechtsverhältnis der Ehe von den einzelnen Rechten der Ehegatten gegen einander ; das Rechtsverhältnis des ehelichen Güterstandes von den einzelnen Rechten des Mannes und der Frau. Was man subjektives Erbrecht zu nennen pflegt ist genau bezeichnet, ein Rechtsverhältnis des Erben zum Vermögen des Erblassers, aus dem für ihn einzelne Rechte und Pflichten erwachsen 28. Ebenso besteht zwischen Vorerben und Nacherben ein Rechtsverhältnis 24 . Auch das vom Pflichtteilsanspruch zu unterscheidende Pflichtteilsrecht 25 ist genau genommen kein subjektives Recht ; denn was wäre sein Inhalt? (eine Verpflichtung des Erblassers besteht ja nicht), sondern ein Rechtsverhältnis des Pflichtteilsberechtigten zum Erblasser, aus welchem, je nachdem wie das Testament ausfällt, eine Forderung gegen den Erben oder andere Rechtsfolgen, entstehen; diese Verpflichtungen beruhen auf demselben rechtlichen Verhältnis, vgl. unt. Note 42; es besteht daher unter ihnen Retentionsrecht, SeuffA. 57, 180. 21 Ob eine Klage auf Feststellung der Aufrechenbarkeit zulässig ist, hängt vom rechtlichen Interesse ab, welches in der Regel durch die Möglichkeit, die Aufrechnung vorzunehmen, ausgeschlossen sein wird. 22 Die zum Kontokorrent gehörenden Forderungen sind mit ihrer Entstehung ipso jure der normalen Selbständigkeit entkleidet und figurieren als Posten der Rechnung. Einer Feststellungsklage darauf, daß eine bestimmte Forderung in das Kontokorrent gehört, steht meines Erachtens nichts im Wege. 28 Η e 11 wig, ZivProz. § 31 Note 85. 24 Vgl. RG. 59, 202. - B S t r o h a l , Erbrecht § 49 Note 8; Langheineken, Anspruch S. 2 Note 1.

§ 5.

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ζ. Β. Unwirksamkeit gewisser Verfügungen (§ 2306, I, 1) hervorgehen. Als Rechtsverhältnis ist endlich die Gesamtheit der Beziehungen zwischen Verein und Mitglied des Vereins zu bezeichnen26. Überblickt man diese Beispiele, so findet man, daß die aus einem Rechtsverhältnisse erwachsenden Rechte unter sich durchaus nicht gleichartig sind : aus dem Eigentumsverhältnis entstehen neben dem dinglichen Recht obligatorische Ansprüche gegen den Besitzer, auf Herausgabe von Nutzungen, auf Ersatz von Schaden. Manche Rechtsverhältnisse, die ihrem Hauptinhalt nach obligatorisch sind, haben daneben sachenrechtliche Wirkungen: Pacht, Miete, Verwahrung und andere Verhältnisse des § 868 erzeugen mittelbaren Besitzes. Das Rechtsverhältnis der Gütergemeinschaft enthält Miteigentumsrechte und Forderungen, das Rechtsverhältnis des Erben verleiht ihm dingliche und obligatorische Rechte. Bisweilen, wenn das Rechtsverhältnis auf sehr allgemeinem Tatbestand beruht, ζ. B. Verwandtschaft, kann durch Hinzutritt neuer Tatsachen zunächst ein Rechtsverhältnis spezieller Art (Alimentationspflicht) entstehen, aus dem sich dann durch weitere Tatsachen, (Ablauf der Alimentationsperioden) die einzelnen Forderungsrechte ergeben. I I I . Der Unterschied zwischen Rechten und dem, was wir hier Rechtsverhältnis nennen, zeigt sich am deutlichsten, wenn man die Tatbestände der Entstehung, Aufhebung und Änderung beider Rechtsgebilde ins Auge faßt. 1. Bisweilen ist mit der Entstehung des Rechtsverhältnisses, ζ. B. mit dem Abschluß des Vertrags, sofort ein Recht ins Leben getreten, welches den einzigen Inhalt des Rechtsverhältnisses ausmacht. So entstehen beim zinslosen Darlehn auf festen Termin das Rechtsverhältnis und die Forderung gleichzeitig und ohne daß weitere Rechte 27 sich entwickeln könnten. So erzeugt in der Regel das Delikt ein Rechtsverhältnis zwischen dem Täter und dem Verletzten und zugleich die einzige Wirkung desselben: die Schadensersatzforderung. Aber das ist die Ausnahme. Meist bildet das Rechtsverhältnis nur die Grundlage, den Boden, aus welchem in Folge weiterer Tatsachen einzelne Rechte erwachsen 28. So kommen 26 H e l l w i g § 30 Note 54; weniger zutreffend spricht Enneccerus § 66 I I von einem „zusammengesetzten" Recht des Mitglieds. Vgl. unt. § 38 Note 1. 27 Außer den Verzugszinsen. 28 So entsteht ζ. B. das Rechtsverhältnis des Auftrags consensu, die Handbuch X . 1. I : v o n T u h r I .

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zu der Darlehusforderung durch Zeitablauf die Zinsforderungen hinzu, so entsteht aus dem Mietverhältnis bei seiner Beendigung die Verpflichtung der Rückgabe 2 9 . Selbst beim Delikt kann es vorkommen, daß das Rechtsverhältnis bereits durch die Rechtsverletzung hergestellt ist, während die Forderung erst durch einen weiteren Umstand, den E i n t r i t t des Schadens, ins Leben gerufen w i r d 8 0 . 2. Noch deutlicher t r i t t die Verschiedenheit von Recht und Rechtsverhältnis hervor bei den Tatbeständen der Aufhebung 8 1 . Sie sind, wie oben Seite 127 erwähnt, gänzlich verschieden bei den obligatorischen Verhältnissen : die Forderungen aus der Miete ζ. B. endigen durch Erfüllung u s w . 8 2 , die Miete selbst durch Kündigung 8 8 oder Zeitablauf. Nach Ende der Miete können keine neuen Forderungen entstehen, aber die entstandenen und noch nicht durch Erfüllung, Aufrechnung usw. getilgten Forderungen bestehen weiter. Ebenso endigen die Rechtsverhältnisse der Geschäftsführung (Auftrag, neg. gestio usw.) meist mit dem Tod des Geschäftsführers, während die einzelnen Forderungen vererblich s i n d 8 4 . Das RechtsForderungen auf Auslagenersatz aber erst durch die Auslage, d.h. re, vgl. T u h r , A. de in r. verso S. 27. 29 Mit der Beendigung des Auftrags und der Gesellschaft entstehen die Anzeigepflichten der §§ 673, 727, vgl. K l e i n , Anzeigepflicht Note 50; aus der Auflösung der Gesellschaft entsteht die Verpflichtung zur Auseinandersetzung, aus dieser wieder die Verpflichtung jedes Gesellschafters, den anderen die auf sie entfallenden Beträge zu überlassen ; vgl. unt. § 18 Note 142. 80 H e l l w i g § 30 N. 30; § 58 N. 28; Gaupp § 256 l l l d , der unpräzis von einer bedingten Forderung spricht. Die lange Verjährung des § 852 beginnt schon mit Entstehung des Rechtsverhältnisses, also u. U. vor Entstehung des Anspruchs, Crome § 112 Ν. 25; RG. 21, 388; 61, 168; 62, 348. 31 D e r n b u r g I I § 112 III. Stammler, Schuldverhältnisse, 214; Staudinger, Bern, vor § 362. 38 Das Wort Kündigung bezeichnet zwei äußerlich gleich aussehende, in der Wirkung durchaus verschiedene Rechtsgeschäfte: die Erklärung, durch welche ein Rechtsverhältnis, ζ. B. Miete, Gesellschaft aufgehoben wird, und die Erklärung, welche die Fälligkeit einer Forderung herbeiführt. Man kann im ersten Fall von Aufhebungskündiguijg, im zweiten Fall von Fälligkeitskündigung sprechen. Die letztere steht dem gegenwärtigen Gläubiger einer Forderung zu, also auch dem Zessionar; die Aufhebungskündigung immer dem Subjekt des Rechtsverhältnisses, daher, da Rechtsverhältnisse in der Regel unübertragbar sind, nur dem Kontrahenten oder seinem Erben (ausnahmsweise nach § 725 dem Gläubiger, der den Anteil der Gesellschaften pfändet). Vgl. unt. § 12 III. Nur auf die Fälligkeitskündigung bezieht sich § 199. 34 Non mandatum aut societas, sed aes alienum transit ad heredem, fr. 6 § 6 D. 3, 2. Gewisse Verpflichtungen, §§ 673, 727, entstehen erst für den Erben des Mandatars oder Gesellschafters.

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Rechtsverhältnis.

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Verhältnis der Unterhaltungspflicht erlischt mit dem Tod des Berechtigten, die Alimentenforderung durch Erfüllung oder die sonstigen Tatbestände der §§ 362fg. 85 . Endlich eine letzte charakteristische Verschiedenheit: eine ζ. B. durch Zahlung getilgte Forderung kann nicht durch spätere Ereignisse nochmals aufgehoben ζ. B. erlassen werden ; aber es steht nichts im Wege, ein Rechtsverhältnis, nachdem einige oder sogar alle aus ihm erwachsenen Forderungen getilgt sind, durch Rücktritt oder contrarius consensus86 aufzuheben, wodurch neue Forderungen auf Rückgabe der Leistungen, § 346 entstehen. 3. Die meisten Rechte können durch Abtretung übertragen werden, die meisten Verbindlichkeiten durch Schuldübernahme auf einen anderen Schuldner übergehen. Dagegen bleibt das Schuldverhältnis als Ganzes zwischen den Personen bestehen, zwischen denen es begründet wurde 3 6 a . Das BGB. hat eine Übertragung von Rechtsverhältnissen nicht allgemein vorgesehen; sie ist deshalb nicht für unmöglich zu halten, erfolgt aber nach anderen Grundsätzen, als die Übertragung von Rechten, jedenfalls nicht ohne Willen des Gegners 87. Nur in bestimmten Fällen hat das Gesetz selbst den Übergang von Rechtsverhältnissen angeordnet, vor allem bei der Erbfolge, dann aber auch beim Erwerb eines vermieteten 85 Die Unvollkommenheit der Terminologie des BGB. zeigt sich deutlich in der schwerfälligen Fassung des § 1615 : „der Unterhaltungsanspruch erlischt mit dem Tode des Berechtigten oder des Verpflichteten, soweit er nicht auf Erfüllung oder Schadensersatz wegen Nichterfüllung für die Vergangenheit oder auf solche im Voraus zu bewirkende Leistungen gerichtet ist, die zur Zeit des Todes des Berechtigten oder des Verpflichteten fällig sind". Es wäre einfacher und korrekter gewesen, auszusprechen, daß nach dem Tode eines der Beteiligten keine weiteren Unterhaltungsansprüche entstehen 86 Wer den Unterschied von Schuldverhältnis und Forderung nicht beachtet, wird zu keiner zutreffenden Auffassung des contrarius consensus im Gegensatz zum Erlaß kommen, vgl. W i n d s c h e i d § 357 N. 5; Endemann I S 149 N. 1; Crome I I § 181 Note 6; § 195 N. 17. Erlaß ist Aufhebung einer Forderung, contr. consensus Aufhebung des Schuldverhältnis; J. De melius, Aufhebung der Schuldverh., Diss. Erl. 1902; Oertmann Vorb. 3b vor § 362. Auch der Unterschied zwischen Bürgschaft und kumulativer Schnldübernahme wird darin zu suchen sein, daß der Bürge die Schuld übernimmt, während bei der kumulativen Schuldübernahme Eintritt in das ganze Schuldverhältnis erfolgt. 36 a Zediert ein Gesamtgläubiger seine Forderung, so entsteht die Regresspflicht, wenn der Zessionar die Forderung einzieht, in der Person des Zedenten, weil er im Regressverhältnis zu seinen Mitgläubigern verblieben ist; Planck und Oertmann zu § 430. 87 Holder im „Recht" 12, 470.

9*

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Grundstücks. Zwar spricht § 571 von dem Eintritt „in die sich aus dem Mietverhältnis ergebenden Rechte und Pflichten", aber man darf meines Erachtens aus diesem Wortlaut nicht entnehmen, daß nur Rechte und Pflichten übergehen, das Mietverhältnis aber beim Veräußerer verbleibt 88 . Vielmehr ist der Erwerber in jeder Beziehung als Subjekt des Mietverhältnisses zu betrachten 89. Daher ist zweifellos die Kündigung an ihn, und nicht an den Veräußerer 40, zu richten, was doch wohl für ihn weder als Recht noch als Pflicht bezeichnet werden kann. IV. Wenn mehrere Rechte aus einem Rechtsverhältnis hervorgehen, ergibt sich daraus ein gewisser Zusammenhang unter diesen Rechten, der in verschiedenen Rechtsfolgen hervortreten kann 4 1 . Hierher gehört das Zurückbehaltungsrecht zwischen Ansprüchen aus demselben Rechtsverhältnis 42; ferner die Reflexwirkungen zwischen Forderungen im Solidaritätsverhältnis 48 ; endlich kommt es vor, daß Rechte mehrerer in einem Rechtsverhältnis zu einander stehender Subjekte nur gemeinsam ausgeübt werden können: so gewisse Befugnisse der Miteigentümer einer Sache, insbesondere die Rechte der Miteigentümer einer Aktie, HGB. § 225, so das 88

So H e l l w i g , Vertr. auf L. an Dr. 428fg.; vgl. aber ZivProz. § 42

Note 3. 89

Planck § 571, 2; Oertmann § 571, 3b; Staudinger § 571 Bd. 2. So auch H e l l w i g selbst a. a. 0. S. 431. 41 Sehr eng war im römischen Recht der Zusammenhang zwischen den Ansprüchen, aus einem Rechtsverhältnis, aus dem eine actio b. f. gegeben wurde: sie konnten und mußten, wenn keine besonderen Vorkehrungen getroffen wurden, sämtlich in der einen actio geltend gemacht werden. Einen Zusammenhang dieser Art kennt unser Gesetz nicht, nicht einmal bei den akzessorischen Ansprüchen, vgl. unt. § 13; er kann aber durch Kontokorrentvertrag hergestellt werden; vgl. ob. Note 22. 42 Allerdings spricht das BGB. § 273 im Anschluß an ältere Gesetze (Mot. I I S. 41) nicht von einem Rechtsverhältnis, sondern von einem „rechtlichen Verhältnis", doch ist dies meines Erachtens als zufällige Variation des Sprachgebrauchs zu betrachten; anders die herrschende Meinung; vgl. Oertmann § 273, 2b. Soviel ich sehe, liegt in allen Beispielen, die für das Zurückbehaltungsrecht angeführt zu werden pflegen, ein Rechtsverhältnis in der hier vertretenen Bedeutung vor, besonders wenn man die Konnexität so lax auffaßt, wie RG. 68, 32. Auf einer fast überflüssigen Vorsicht bei der Redaktion scheint mir die Zusatzbestimmung § 273 I zu beruhen; hätte man wirklich ohne diese Vorschrift daran zweifeln können, daß der Herausgabeanspruch des Vindikanten und der Verwendungsanspruch des Besitzers aus demselben, durch den Besitz einer fremden Sache begründeten, Rechtsverhältnis hervorgehen? ** Vgl. ob. § 3 S. 88. 40

§ 6.

Herrschaftsrechte.

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Recht des Rücktritts, Wiederkaufs und Vorkaufs bei mehreren an einem Vertrag beteiligten Personen, § 356, 502, 513 44 . § 6.

Herrschaftsrechte*·

Ein subjektives Recht liegt vor, wenn der Wille eines Menschen für eine rechtliche Wirkung maßgebend ist. Die wichtigsten rechtlichen Wirkungen stellen sich als Beherrschung eines Objekts dar. Daher stehen die Herrschaftsrechte im Vordergrund der juristischen Betrachtung. Das beherrschte Objekt kann eine Person oder eine Sache sein. Dazu kommen im modernen Recht gewisse immaterielle Produkte geistiger Tätigkeit, deren Ausnutzung dem Urheber oder anderen Personen ausschließlich vorbehalten ist, und die daher unter der Bezeichnung „unkörperliche Sachen" oder „immaterielle Güter" als beherrschte Objekte aufgefaßt werden können. Endlich entsteht die streitige Frage, ob auch die rechtlich geschützten Interessen des Menschen an seiner eigenen Person als Gegenstand eines subjektiven Rechts zu bezeichnen sind. I. Die Rechte, deren Objekt eine körperliche Sache ist, sind die S a c h e n r e c h t e oder dinglichen Rechte, im BGB. technisch bezeichnet mit dem Ausdruck „Recht an einer Sache". Sie gewähren in vollem oder in beschränktem Maß die Herrschaft über eine Sache. An der Herrschaft über eine Sache kann man zwei Seiten unterscheiden, die besonders deutlich in der gesetzlichen Definition des Eigentums (§ 903) hervortreten: die innere Seite, das Verhältnis des Rechtssubjekts zur Sache : der Eigentümer kann mit der Sache nach Belieben verfahren, der sonstige Berechtigte innerhalb der Grenzen seines Rechts; die äußere Seite, das Verhältnis des Rechtssubjekts zu anderen Personen: der Eigentümer kann Andere von jeder Einwirkung auf die Sache ausschließen; der sonstige dinglich Berechtigte kann verlangen, daß er in der Ausübung seiner Herrschaft von anderen, auch vom Eigentümer, nicht gestört werde 1. 44

Vgl. ob. § 3 N. 44. In anderen Fällen sind Rechte mehrerer Subjekte aus einem Rechtsverhältnis in ihrer Ausübung völlig selbständig, ζ. B. die Kaufpreisforderungen mehrerer Verkäufer einer Sache; aber auch hier besteht ein Zusammenhang vermöge der gegen jeden zulässigen Einrede aus § 320. * Windscheid § 38—40; Regelsberger § 50; B e k k e r § 25; Crome § 30; Enneccerus § 70; Gierke § 29 I I ; Dernburg § 18. 1 Ausnahmsweise kann die innere Seite fehlen, so z. B. bei der serv. alt. non toll., die dem Berechtigten keinerlei Einwirkung auf die Sache gewährt;

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Geht man vom Gedanken aus, daß Rechtsverhältnisse nur zwischen Personen möglich sind 2 , so kommt man zur Anschauung, daß das dingliche Recht ganz in dem besteht, was wir seine äußere Seite nennen : daß der Eigentümer mit seiner Sache nach Belieben verfahren darf, erscheint dann als juristisch indifferente res merae facultatis. Diese Konstruktion ist, wie oben § 4 S. 93 erwähnt, möglich, aber weder notwendig noch für das Verständnis der Sache förderlich 8 ; allerdings ist nur die äußere Seite des dinglichen Rechts des staatlichen Schutzes teilhaftig, die Beherrschung der Sache selbst ist der eigenen Kraft des Berechtigten überlassen, aber man darf nicht übersehen, daß die Ausübung der inneren Seite des Rechtes von der Rechtsordnung nicht bloß als nicht verbotene Handlung geduldet, sondern von ihr anerkannt und mit eigenartigen Rechtswirkungen ausgestattet ist. So hat ζ. B. die Veräußerung der Sache durch den Pfandberechtigten, weil sie zum Inhalt seines Rechts gehört, die Wirkung der Eigentumsübertragung. Will man dieses Resultat erklären, indem man das dingliche Recht ausschließlich als Verhietungsrecht auffaßt, so muß man dazu einen außerordentlich mühsamen Gedankengang einschlagen4. Jedenfalls ist unser Gesetz, wie die römischen Juristen, ganz unbefangen davon ausgegangen, daß der Inhalt und die Verschiedenheit der einzelnen Sachenrechte sich aus dem Maß der dem Berechtigten der Sache gegenüber eingeräumten Herrschaft ergibt, und hat den Schutz nach Außen als sekundäres Element des Sachenrechts behandelt. Das umfassendste Sachenrecht ist das Eigentum; es ist die volle Beherrschung der Sache, soweit nicht durch allgemeine gesetzliche Bestimmungen oder durch Rechte Anderer an der Sache dem Eigentümer Schranken gezogen sind 6 . Zum Inhalt des Eigentums gehört außer der tatsächlichen Benutzung der Sache auch die Befugnis, diese Herrschaft ganz oder teilweise auf einen Anderen zu übertragen. Die übrigen Sachenrechte haben im Vergleich zum Eigentum einen von vorn herein beschränkten Inhalt, sie verleihen sein Recht erschöpft sich in der Befugnis, gewisse Einwirkungen auf die Sache zu verbieten. 2 Vgl. ob. § 5 Note 3. 3 Vgl. darüber Thon, Rechtsnorm 218; Windscheid § 38 N. 3; D e r n b u r g § 18 N. 4; Endemann I I § 3 N. 13; Gierke S. 259. 4 So muß z.B. Thon a.a.O. 183 bestreiten, daß die Verkaufsbefugnis zum Inhalt des Pfandrechts gehört. 6 Durch obligatorische Verpflichtungen wird nicht das Eigentum beschränkt, sondern der jetzige Eigentümer in der Benutzung seines Eigentums.

§ 6. Herrschaftsrechte.

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Beherrschung der Sache in einer bestimmten Richtung. Ihr Inhalt ist immer ein Stück von der Herrschaft, die dem Eigentum kraft seiner umfassenden Natur innewohnt. Daraus zogen die Römer den folgerichtigen Schluß, daß diese Rechte nur an fremder Sache, als jura in re aliena bestehen können und bei Zusammentreffen mit dem Eigentum von diesem absorbiert werden. Im BGB. ist dies Prinzip in wichtigen Fällen durchbrochen 6. Jedes jus in re aliena ist Beschränkung des Eigentums : einige von den Befugnissen des Eigentums sind aus demselben ausgeschieden oder dadurch beschränkt, daß der Eigentümer die Ausübung des fremden Rechts dulden muß. Weitere jura in re aliena können nur aus dem Rechtsinhalt gebildet werden, der dem Eigentümer nach Abzweigung des ersten Rechts an seiner Sache verbleibt. Daraus ergibt sich unter mehreren Rechten an derselben Sache ein Rangverhältnis: prior tempore, potior jure. Der Inhalt der beschränkten Sachenrechte kann ein sehr verschiedener sein; Erbbaurecht und Dienstbarkeiten geben eine zum teil sehr weitgehende Befugnis zur tatsächlichen Benutzung der Sache. Die verschiedenen Arten des Pfandrechts an Grundstücken und Mobilien haben zum wesentlichen Inhalt die Befugnis, durch Veräußerung der Sache eine Geldsumme aus dem Wert 7 derselben zu erlangen 7 a . Unser Gesetz unterscheidet Hypothek, Grundschuld und Rentenschuld an Grundstücken, Pfandrecht an beweglichen Sachen und Rechten. Es sind dies aber alles nur Erscheinungsformen eines einheitlichen Rechtsgedankens8; überall haftet die Sache9 dem Berechtigten für eine Geldsumme10. Wenn diese Summe vom Eigentümer der Sache oder einem Dritten geschuldet β

Insbesondere im Grundbuchrecht. Man kann mit Köhler, ArchZivPr. 91, 155, von Wertrechten spreche η im Gegensatz zu Substanzrechten, womit K. das Eigentum und, nicht ganz zutreffend, die Nutzungsrechte bezeichnet; Crome I I I § 341 II. Aber Kohle r geht zu weit und nimmt dem Begriff des Wertrechtes die praktische und theoretische Brauchbarkeit, indem er auch die Mitgliedschaftsrechte an Vereinen, Aktiengesellschaften, Handelsgesellschaften usw., dazuzählt. Gegen diese Ausdehnung des Begriffs Ehrenberg, Festg. f. Regelsberger S. 39. Als Objekt der Wertrechte ist natürlich nicht der Wert, sondern die Sache selfcst zu denken; RG. 60, 254; Endemann I § 112, 2; Dernburg I I I § 209, 3; Hirsch, ArchBürg. R. 25, 232. 7a Resp. bei Zwangsverwaltung aus dem Ertrag der Sache. « D e r n b u r g I I I § 206 III. 9 Über das Pfandrecht an Rechten vgl. unt. VI. 10 Vgl. ob. S. 115. 7

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wird, ist das Pfandrecht akzessorisch 11; aber es kann auch, als Grundschuld und Rentenschuld, selbständig dastehen, so daß der Berechtigte nicht anders zu seinem Geld kommen kann, als durch Verwertung der haftenden Sache. In der Möglichkeit dieses Zugriffs, der vom Willen des Eigentümers nicht abhängt, besteht die direkte Beherrschung der Sache, die Dinglichkeit des Pfandrechts. In dem Zweck des Pfandrechts, dem Berechtigten eine Geldsumme zu verschaffen, liegt eine gewisse Ähnlichkeit mit der Forderung, welcher ebenfalls ein in der Zukunft liegender Zweck innewohnt12 ; verschieden sind die Wege, die zur Befriedigung des Berechtigten führen: bei der Forderung kann er vom Schuldner eine Leistung verlangen, das Pfandrecht gibt ihm die Möglichkeit, die Geldsumme ohne Beteiligung des Eigentümers zu erzielen. Wesentlich ebenso verhält es sich für die dogmatische Betrachtung mit der Reallast, die in allen für die juristische Struktur entscheidenden Punkten mit der Rentenschuld übereinstimmt 13. Daß bei der Reallast neben der Haftung des Grundstücks der Eigentümer für die während der Dauer seines Eigentums fällig werdenden Beträge persönlich verpflichtet ist, während eine solche Verpflichtung bei den Pfandrechten fehlt 1 4 , kann für die Natur der Reallast nicht ausschlaggebend sein, da es sich dabei um dispositives Recht handelt, § 1108. In die Reihe der Sachenrechte stellt das BGB. auch das dingliche Vorkaufsrecht, § 1094 fg. Es verleiht zwar dem Berechtigten keine Herrschaft über die Sache, weder bei seiner Entstehung noch im Moment der Ausübung, sondern gibt ihm einen Anspruch auf Übertragung des Eigentums, beruht also auf einer Forderung, die aber mit der abnormen Kraft ausgestattet ist, daß sie nicht nur gegen den Schuldner sondern auch gegen den jeweiligen Eigentümer des Grundstücks durchgesetzt werden kann. Dadurch ist der Eigentumserwerb des Berechtigten so gesichert, daß das BGB. ihm schon jetzt ein dingliches Recht an der Sache zuschreibt. Aus demselben Grunde hätte man konsequenter Weise auch jede andere Forderung auf Erwerb eines dinglichen Rechts, wenn sie 11

Vgl. unt. § 13. K o h l e r a.a.O. 169: Die Zweckverwandtschaft von Obligation und Pfandrecht zeigt sich besonders auch in der Möglichkeit mehrerer Forderungen und mehrerer Pfandrechte für eine nur einmal zu zahlende Summe. 13 Vgl. die Aufzählung der Unterschiede bei Planck Note 3 vor § 1119; Dernburg I I I § 247, 2; Dümchen, JheringsJ. 54, 355fg. u Vgl. ob. § 4 Note 78a. 12

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durch Vormerkung gesichert ist, als Beherrschung der Sache d. h. als dingliches Recht auffassen können, was aber im System unseres Gesetzbuchs nicht geschehen ist; nur das Vorkaufsrecht, nicht die Vormerkung, ist den Regeln des Sachenrechts, insbesondere dem § 892, unterstellt 15 . Die Sachenrechte bilden einen numerus clausus16 in dem Sinn, daß das Gesetz nur solche Rechte als dingliche zuläßt, die es selbst aufstellt. Durch Verabredung kann keine dem Gesetz unbekannte Art von dinglicher Herrschaft geschaffen werden: keine Grunddienstbarkeit 17, die den gesetzlichen Erfordernissen nicht genügt, kein Retentionsrecht mit dinglicher Kraft. Aber es wäre meines Erachtens unrichtig, nur die Rechte als dingliche zn bezeichnen, welche das BGB. in seinem dritten Buche geregelt und als Sachenrechte bezeichnet hat. Vor allem gilt dies von den Nutznießungsrechten des Ehemanns und der Eltern an den zum eingebrachten Gut resp. zum Kindesvermögen gehörenden Sachen. Diese Rechte sind zwar in Entstehung und Bestand von den übrigen dinglichen Rechten verschieden, weil sie aus einem Rechtsverhältnis des Familienrechts erwachsen 18, gewähren aber eine ebenso unmittelbare Herrschaft über die Sache, wie der ihnen am nächsten stehende Nießbrauch, und sind daher der Kategorie der Sachenrechte zuzuzählen19, obgleich das Gesetz sie nicht als solche bezeichnet, und daher die allgemeinen Vorschriften über dingliche Rechte nicht ohne weiteres anzuwenden sind 20 . Zu den dinglichen Rechten ist auch der Besitz zu zählen 21 , obgleich er von BGB. infolge der Eigentümlichkeiten seines Tatbestandes und seiner Rechtsfolgen mit dem Ausdruck „Rechte an 15

Endemann I I I § 111 N. 25: „dieser Gegensatz muß als zwar sachlich unbegründet, aber positiv verordnet hingenommen werden." 16 Planck I I I S. 7; Crome I I I § 341 N. 69. 17 RG. 51, 86. 18 Sie entstehen und vergehen ipso jure mit dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis und der Zugehörigkeit der Sache zum Vermögen der Ehefrau resp. des Kindes. lf l A. A. die herrschende Meinung, z. B. Endemann I I § 103, 2. Aber wie man auch vom Rechtsverhältnis des Ehemanns zum ganzen Vermögen der Frau denken mag (vgl. unt. III), an der einzelnen Sache steht ihm ein absolutes Recht zu, das sich in seiner Wirksamkeit nicht wesentlich von den Sachenrechten unterscheidet; vgl. z. B. OLG. 10, 173; A. Schultze, JheringsJ. 43, 26. 20 Insbesondere sird die Nutznießungsrechte nicht eintragungsfähig. 21 Gierke I I § 114, 2 I ; Crome I I 342, 5; Enneccerus §41; H e l l wig ZivProz. § 31 II.

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Sachen" nicht mitbezeichnet w j r d 2 2 . Die tatsächliche Gewalt über eine Sache, ohne Rücksicht darauf, in welcher Weise und aus welchem Grunde, ob mit oder ohne Recht erworben, ist ein Herrschaftsverhältnis, welches von Jedermann respektiert werden muß, § 858. Eine vom Gesetz anerkannte und geschützte Herrschaft ist aber nichts anderes als ein subjektives Recht, und zwar, da es sich um eine Herrschaft über eine Sache handelt, ein dingliches Recht. Die Herrschaft des Besitzers wird, wie bei den sonstigen dinglichen Rechten nicht nur so lange geschützt, als sie faktisch besteht, sondern der Besitzer hat auch Rechtsmittel, um seine Herrschaft, wenn er sie verloren hat, wiederherzustellen; allerdings können diese Rechtsmittel nicht so durchgreifend sein, wie die Rechtsmittel des sonstigen dinglich Berechtigten: denn gegenüber dem Kläger, der sich auf seinen verlorenen Besitz stützt, kann sich der Beklagte ebenfalls auf die Tatsache seines, des jetzigen, Besitzes berufen; es müssen daher weitere Umstände hinzutreten, damit das Gesetz dem früheren Besitz das Übergewicht über den jetzigen Besitz verleihen kann, sei es fehlerhafter Besitz bei den „Besitzklagen", § 861/2, sei es die Umstände des § 1007. Ferner erweist sich das Recht des Besitzers, wenn es in Konflikt mit sonstigen dinglichen Rechten insbesondere dem Eigentum kommt, als das schwächere: die Rechtsstellung des Besitzers gegenüber dem Eigentümer ist infolge des rein naturalen Tatbestands der Entstehung des Besitzes eine provisorische: der Besitzer ist gegen Eigenmacht des Eigentümers geschützt, muß aber dem Eigentümer weichen, wenn dieser den Weg des Rechts beschreitet, § 985. Die dinglichen Rechte sind individualisiert durch ihren Inhalt und ihr Objekt; ein dingliches Recht kann immer nur an einer, nicht an mehreren Sachen bestehen : gehören einem Subjekt mehrere Sachen, so gibt es soviel Eigentumsrechte, wie Sachen. Dasselbe gilt auch für die übrigen dinglichen Rechte 22 a , insbesondere für die Hypothek. Wenn die herrschende Meinung die Gesamthypothek als ein Recht an mehreren Grundstücken bezeichnet28, so entspricht das zwar der Ausdrucks weise des Gesetzes, § 1132 und 1172' und wohl auch der Ansicht der Verfasser des Gesetzes; aber wir sind an diese meines Erachtens unrichtige Konstruktion nicht gebunden : 22

BGB. zählt den Besitz neben den Rechten an Sachen auf, ζ. B. in 268. 22a Werden mehrere Grundstücke zugunsten eines Grundstücks mit einer Grunddienstbarkeit belastet, so gibt es so viel Servituten, als dienende Grundstücke; vgl. ob. § 3 Note 24. 88 Vgl. Planck § 1132, 4.

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auch bei der Gesamthypothek handelt es sich um mehrere Hypotheken 24 , welche zur Befriedigung für eine Forderung resp., (bei der Gesamtgrundschuld) dazu bestimmt sind, dem Berechtigten eine Geldsumme zu verschaffen. Dieser gemeinsame Zweck und der Umstand, daß für alle Hypotheken nur ein Brief ausgestellt wird, erweckt den Schein der Einheit des Rechts. In der Tat liegt aber zwischen den mehreren Hypotheken ein rechtlicher Zusammenhang vor, wie er sich auch in anderen Verhältnissen bei einer Mehrheit von Rechten findet 25 : die Verfügung über alle zur Sicherung einer Forderung dienenden Hypotheken kann nur gemeinsam erfolgen, insbesondere die Veräußerung nur durch Eintragung auf sämtlichen Grundstücken resp. durch gemeinsame Übergabe des Hypothekenbriefs. Ein dingliches Recht von bestimmtem Inhalt kann einem Subjekt nur aus einem Rechtsgrund zustehen 26 ; insbesondere kann man nicht aus mehreren Gründen Eigentümer einer Sache sein; amplius quam semel res mea esse non potest, 1, 14 § 2 D. 44, 2. Bestehen für ein Subjekt mehrere Erwerbsgründe, z. B. Tradition und Ersitzung, aus denen es sein Eigentum ableiten könnte, so ist nur einer dieser Gründe wirksam: entweder ist der Erwerber sofort durch die Tradition Eigentümer geworden; dann hat die Ersitzung nicht stattgefunden : oder die Tradition hat ihn nicht zum Eigentümer gemacht; dann ist er es durch Ersitzung geworden. Daher ist der Kauf einer eigenen Sache wegen Unmöglichkeit der Leistung nichtig. Eine scheinbare Ausnahme liegt bei dem nach § 1239 zulässigen Ei werb der Pfandsache durch den Eigentümer v o r 2 8 ; die juristische Möglichkeit dieses Vorgangs beruht darauf, daß durch den zweiten Erwerbsgrund, den Pfandkauf, das bisherige Eigentum aufgehoben wird; im Pfandrecht liegt die Befugnis, durch Veräußerung der Sache das Recht des Eigentümers zu vernichten und an seiner Stelle einen anderen zum Eigentümer zu machen; wenn der Pfandgläubiger die Sache dem Eigentümer zuschlägt, so verliert dieser sein bisheriges Recht und erwirbt gleichzeitig, wie ein Dritter, neues Eigentum 29 . 2i

So Lang, ArchZivPrax. 89, 322 und Bier mann im Recht 1905, 265. Bei Verpfändung mehrerer Mobilien für eine Forderung wird als selbstverständlich angenommen, daß an jeder Sache ein besonderes Pfandrecht besteht. 26 Vgl. ob. § 5 IV. 2β H e l l w i g ZivProz. § 37 I; K i p p zu W i n d s c h e i d § 121 S. 611. 27 Planck § 433, 3; Oertmann Bern. 3 vor § 275. 28 Analoge Bestimmungen in ZPO. § 816 IV; ZwVG. § 68; HGB. § 383. 29 Planck § 1239, 2; Endemann I I § 139, 19· Crome § 501, 94. Das

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Wie nur ein Eigentum eines Subjekts an einer Sache, so kann es auch nur eine Pfandhaftung einer Sache für eine Forderung geben 80 ; hat X die Befugnis, sich aus dem Wert einer Sache für eine Forderung zu befriedigen, so kann er eine zweite Befugnis dieses Inhaltes nicht erwerben, weil sie sich mit dem schon bestehenden Recht vollständig decken würde. Daher kann für eine Forderung, welche bereits durch Hypothek gesichert ist, eine weitere Hypothek auf demselben Grundstück, insbesondere eine Sicherungshypothek, nicht eingetragen werden 81. Eine Mobilie, die bereits dem X als Faustpfand haftet, kann ihm nicht nochmals für dieselbe Forderung verpfändet werden. Dagegen kann die verpfändete Sache für dieselbe Forderung gepfändet werden 82. Aber man wird meines Erachtens nicht annehmen dürfen, daß hier neben dem Vertragspfandrecht ein zweites auf Pfändung beruhendes Pfandrecht entsteht, sondern das bestehende Pfandrecht wird durch die hinzutretende Pfändung insofern verstärkt, als dem Pfandgläubiger zur Realisierung seines Rechtes nunmehr auch die Mittel und Wege der ZPO. zur Verfügung stehen88. I I . Die zweite große Gruppe von Rechteu sind die Forderungen. Sie beruhen auf einer Vorschrift der Rechtsordnung, kraft welcher eine Leistung vom Schuldner an den Gläubiger erfolgen soll. Die Macht des Gläubigers besteht in erster Linie darin, daß er vom Schuldner ein Tun oder Unterlassen fordern kann, § 241, d. h. daß er einen Anspruch (§ 194) hat, welcher in der Regel durch Klage geltend gemacht werden kann. Mit Rücksicht auf den Anspruch kann man die Person des Schuldners als Objekt der Forderung bezeichnen. Hinter der Verpflichtung des Schuldners neue Eigentum ist nach § 1242 frei von allen Pfandrechten. War der Verpfänder nicht Eigentümer, so kann er bei bona fides durch Pfandkauf Eigentum nach § 932 erwerben; vgl. unt. § 18 Note 74. 80 Ist die Sache an Gesamtgläubiger verpfändet, so entsteht für jede der beiden Forderungen ein Pfandrecht; vgl. ob. S. 90. 81 Planck § 1132, l a ; Gaupp-Stein § 867 Note 33; F scher Schäfer, ZwangsV. Erl. 4 zu ZPO. § 867-68; OLG. 6, 478; A. A. Dernburg I I I § 244 Note 11; OLG. 5, 332. 89 Planck § 1233, 2a. 83 Ein analoger Vorgang findet sich im Besitzrecht. Der Erbe ist nach § 857 mit dem Erbfall Besitzer der Nachlaßsachen, auch wenn er die tatsächliche Gewalt nicht erworben hat. Durch Erwerb der tatsächlichen Gewalt wird nun nicht ein zweiter Besitz für den Erben begründet, sondern sein schon bestehender Besitz insofern verstärkt, als von nun an gutgläubige Okkupanten von Nachlaßsachen wegen verbotener Eigenmacht haften, § 2025

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steht die allgemeine Haftung seines Vermögens 84; event, eine spezielle Haftung einzelner Gegenstände ohne Rücksicht auf ihre Zugehörigkeit zum Vermögen des Schuldners (Pfandrecht) 86. Da das Wort Forderung sowohl die Verpflichtung als die Haftung bezeichnet, so kann man mit Β e k k e r 8 6 sagen, daß die Forderung zwei Objekte hat: die Person des Schuldners und sein Vermögen. Im normalen Fall sind beide Hauptbestandteile der Forderung vorhanden, Verpflichtung des Schuldners und Haftung seines ganzen Vermögens. Aber es gibt Abweichungen: die Haftung kann auf gewisse Teile des Vermögens beschränkt sein 87 ; oder es kann vorkommen , daß eine Verpflichtung für den Schuldner nicht besteht, so wenn er verpflichtungsunfähig ist oder ihm die Verwaltung des Vermögens entzogen ist (dann sind andere Personen an seiner Stelle verpflichtet, die Leistung aus dem haftenden Vermögen vorzunehmen)88; bisweilen fehlt es ganz an einer verpflichteten Person (Nachlaßschulden vor Annahme der Erbschaft, solange kein Nachlaßpfleger bestellt ist); dann ist von den Hauptbestandteilen der Forderung vorläufig nur der eine, die Haftung, vorhanden; zu ihrem vollen Inhalt ergänzt sich die Forderung erst dann, wenn sich der andere Hauptbestandteil, Anspruch gegen einen Schuldner, hinzufindet 89. Die Haftung kann geltend gemacht werden, sobald dem Gläubiger die ihm gebührende Leistung nicht zu teil wird. Auf ein Verschulden des Schuldners oder seines Vertreters kommt es nicht an; die Zwangsvollstreckung und ebenso die Realisierung des Konventionalpfands, § 1228, sind zulässig, auch wenn der Schuldner 84 Im altrömischen Recht lastete wie die Verpflichtung, so auch die Haftung auf der Person des Schuldners; der Anspruch richtete sich gegen den Willen, der Zugriff des Gläubigers, die manus iniectio, gegen das corpus debitoris. 36 U. U. ergreift die Haftung auch solche Gegenstände, welche bereits aus dem Vermögen des Schuldners ausgeschieden sind: Anfechtung. ?e § 25 Beil. II. Ist der Schuldner im Konkurs, so ist sein bei Eröffnung des Konkurses vorhandenes Vermögen für die Befriedigung seiner damals vorhandenen Gläubiger reserviert; vgl. ob. § 4 N. 76. Das hindert ihn natürlich nicht, neue Verpflichtungen einzugehen, für welche sein Vermögen unbeschadet des Vorrechts der Konkursgläubiger haftet. Damit erledigt sich das Argument von Kipp (bei Windscheid § 39 N. 2 a. E.) gegen Bekker. 87 Vgl. ob. S. 111. 88 Vgl. ob. § 4 VII. 89 Ein ähnlicher isolierter Fortbestand der Haftung findet beim Pfandrecht statt, wenn der Anspruch durch Verjährung gehemmt ist. § 222.

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nicht im Verzug ist. Dagegen muß für die Zwangsvollstreckung und für die Realisierung der Grundpfandrechte in der Regel ein Urteil vorliegen; durch das Urteil wird konstatiert, daß die Verpflichtung des Schuldners und damit die Haftung seines Vermögens besteht resp. daß die Voraussetzungen der Haftung des Grundstücks gegeben sind; zur Realisierung des Konventionalpfandes nach § 1228 bedarf es eines Urteils nicht. Außer den zwei wichtigsten Befugnissen, Anspruch und Zugriff auf das Haftungsobjekt, hat der Gläubiger noch andere Mittel zur Durchsetzung seiner Forderung: er kann aufrechnen d. h. seine Forderung dazu verwenden, um eine gleichartige Forderung, die seinem Schuldner gegen ihn zusteht, zu vernichten ; er kann ferner auf Grund seiner Forderung eine seinerseits geschuldete Leistung verweigern (Einrede) 89 ®; endlich zeigt sich die Macht des Gläubigers auch darin, daß er die Forderung übertragen und dadurch den Schuldner in die Lage bringen kann, an einen anderen leisten zu müssen, und daß er den Schuldner durch Erlaßvertrag von seiner Schuld befreien kann 8 9 b . Auch diese Nebenbefugnisse des Gläubigers sind in der Regel Begleiterscheinungen des Anspruchs^ können aber ausnahmsweise vorkommen, ohne daß dem Gläubiger ein Anspruch zusteht; so kann ζ. B. der Besitzer einer fremden Sache den Ersatz nicht genehmigter Verwendungen nicht verlangen, § 1001, wohl aber sein Recht auf Ersatz durch Einrede, § 1000, oder durch Zugriff auf die haftende Sache geltend machen40. Die Leistung ist in der Regel an den Gläubiger zu bewirken, so daß er nicht nur der Forderungsberechtigte, sondern zugleich der Leistungsempfänger ist d. h. die Person, an welche der Schuldner mit befreiender Wirkung leisten soll und kann. Aber die beiden Elemente der Gläubigerstellung können auf verschiedene Personen verteilt sein: die Forderung kann auf Leistung an einen Dritten gehen, ohne daß der Dritte die Leistung verlangen kann, 89

a Vgl. unt. § 17 V. * Zu dem Komplex von Befugnissen, die man unter dem Namen Forderung zusammenfaßt und zusammen denkt, gehören auch noch andere Gestaltungsrechte, ζ. B. bei der alternativen Forderung das Recht der Wahl, wenn es dem Gläubiger zusteht; ferner das Recht der Fristsetzung, der Kündigung zur Herbeiführung der Fälligkeit, der Bestimmung des Umfangs der Leistung, § 316. 40 Vgl. unt. § 17 Note 44; ebenso kann der Anspruch durch Verjährung entkräftet sein, während die aus der Forderung erwachsende Einrede (§§ 822, 853) und Aufrechnung (§ 390) zulässig bleiben. 89

§ 6.

Herrschaftsrechte.

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§ 328. Als entscheidendes Element für die Zuständigkeit der Forderung gilt die Befugnis, die Leistung zu verlangen resp. zu erzwingen; wer diese Befugnis hat, ist Gläubiger, wenn auch die Leistung einem anderen zukommt 41 . Ebenso ist auf Seiten des Schuldners normaler Weise in einer Person vereinigt: die Verpflichtung und die Fähigkeit die Forderung durch Leistung zu tilgen. Aber diese Fähigkeit kann außer dem Schuldner auch anderen Personen zustehen: sie ist bei vertretbaren Leistungen jedem Dritten verliehen, sofern der Schuldner nicht widerspricht, § 267, gewissen dritten Personen auch bei Widerspruch des Schuldners z. B. § 268. Aber nicht die Erfüllungsbefugnis, sondern das Verpflichtetsein ist bestimmend für die Person des Schuldners. Während die Sachenrechte ihrer Idee nach dauernde, meist sogar wie das Eigentum, zeitlich unbegrenzte Herrschaftsverhältnisse sind, erscheinen die Obligationen als Spannungsverhältnisse 42, welche normaler Weise durch Erfüllung ihre Lösung finden; daher sorgt das Gesetz dafür, daß der Schuldner die Erfüllung selbst wider Willen des Gläubigers vornehmen kann (ζ. B. durch Hinterlegung). Einer unbegrenzten Dauer obligatorischer Verhältnisse ist die Rechtsordnung abgeneigt (Miete nicht über 30 Jahre § 567, Dienstvertrag nicht über fünf Jahre, § 624) 48 . Die Sachenrechte stellen die Abgrenzung der Herrschaftssphären im Zustand der Ruhe d a r 4 8 a , die Obligationen vermitteln die Verschiebung respektive Verteilung der Güter; ihre Hauptzwecke sind einerseits der Austausch von Gütern im Wege der Vereinbarung, anderseits der Ausgleich von Vermögensverschiebungen, welche von der Rechtsordnung nicht als definitiv betrachtet werden: Schadensersatz, Ersatz von Aufwendungen, Herausgabe einer Bereicherung. Der Gegenstand der Leistung des Schuldners kann eine Sache sein, an welcher er dem Gläubiger das Eigentum oder ein sonstiges Recht zu verschaffen hat. Damit hat aber der Gläubiger noch 41

Darum kann man in § 335 wie auch in § 2194 und beim Testamentsvollstrecker, §§ 2208, 2223, von Forderungen sprechen, die allerdings infolge des fehlenden eigenen Interesses (vgl. ob. § 1 III.) von abnormer Beschaffenheit sind. 42 In dieser Beziehung nehmen die obi. in non faciendo eine Sonderstellung ein; Thon, Rechtsnorm. 197. 48 Ausschluß der Kündigung des Schuldners beim Darlehn wird (als Verstoß gegen die guten Sitten) für unwirksam erklärt; Planck § 609, 5; Staudinger § 609, 7; Crome I I § 249 N. 13. 48 a Schloßmann JheringsJ. 45, 349fg.

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Erstes Buch. Die subjektiven Rechte und das Vermögen.

nicht, wie beim dinglichen Recht, eine eigene Herrschaft über die Sache, sondern sein Verhältnis zur Sache gilt rechtlich als durch die Person des Schuldners vermittelt 4 8 b : er hat sie vom Schuldner zu verlangen 480 , und in der Regel nur von ihm, es sei denn daß die Verpflichtung, als mittelbar zuständige, auf jeden Eigentümer der Sache übergeht. Die geschuldete Sache gehört zum Vermögen des Schuldners 48d und teilt dessen Schicksale: sie unterliegt dem Zugriff der Gläubiger des Schuldners und fällt in seine Konkursmasse. Wenn der Schuldner die Sache, die er bereits einem Gläubiger zugesagt hat, einem zweiten Gläubiger verspricht, besteht unter beiden Forderungen kein Rangverhältnis, wie bei dinglichen Rechten (vgl. oben Seite 135). Da die Forderung das rechtliche Mittel ist, welches das Gesetz dem Gläubiger zur Erlangung der Leistung bietet, so stehen mehrere Forderungen, wenn sie dem Gläubiger dieselbe Leistung verschaffen sollen, in einem inneren Zusammenhang, der sich namentlich darin zeigt, daß durch Erfüllung der einen Forderung die andere wegfällt. Dies Rechtsverhältnis kann vorkommen bei Forderungen gegen verschiedene Schuldner: Gesamtschuld. Aber auch derselbe Schuldner kann aus mehreren Forderungen zur selben Leistung verpflichtet sein : konkurrierende Forderungen, vgl. unten § 16. I I I . Eine wesentlich anders geartete Gruppe von Rechten, deren Objekt ebenfalls eine Person ist, sind die F a m i l i e n r e c h t e : Rechte der Ehegatten gegen einander, elterliche Gewalt, Recht des Vormundes. Sie unterscheiden sich von den Obligationen zu* 8 b Das ändert sich im Prinzip auch dann nicht, wenn dem Gläubiger^ der ein obligatorisches Recht auf Benutzung einer Sache hat, der Besitz dieser Sache eingeräumt i9t. Seine Benutzung beruht nicht auf eigenem Recht an der Sache, sondern auf Gestattung des Schuldners. Allerdings ist der Gläubiger durch seinen Besitz unabhängig von der Fortdauer des Erfüllungswillens des Schuldners und gegen Singularsukzessoren des Schuldners unter gewissen Voraussetzungen, §§ 986, 571, geschützt. Vgl. unt. § 11 I I 6. 48 β Daher darf der Gläubiger die geschuldete Sache nicht eigenmächtig an sich nehmen und kann, wenn er es tut, gezwungen werden, sie vorläufig an den Schuldner zurückzugeben, § 861. «d Nur in einer Beziehung, § 2169 I I I , soll eine Sache, zu deren Veräußerung sich der Eigentümer verpflichtet hat, als nicht zu seinem Vermögen gehörend gelten. Ferner kann man eine Rechtsbeziehung zwischen dem Gläubiger und der ihm geschuldeten Sache darin erblicken, daß der Käufer, wenn er die Sache zerstört, nur den Kaufpreis zu zahlen hat, § 324, aber nicht den vielleicht höheren Wert der Sache an den Schuldner und Eigentümer als Schaden zu ersetzen braucht.

§ 6.

Herrschaftsrechte.

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nächst durch ihren Zweck: dauernde Lebensbeziehungen, beruhend auf sittlicher Pflicht 44 . Deswegen sind sie in stärkerem Maß als andere Rechte in Bestand und Ausübung der Willkür ihres Subjekts entzogen ; sie können meist weder durch Verabredungen abgeändert, noch durch Verzicht aufgehoben werden ; die Schranke des Mißbrauches ist bei ihnen schärfer gezogen als sonst, weil sie begriffsmäßig nicht dem Eigennutz, sondern den Interessen beider Parteien oder nur des unterworfenen Menschen (des Mündels) dienen sollen; es findet zum Teil Überwachung und Einschreiten seitens staatlicher Organe statt. Was die juristische Struktur anbetrifft, so ist im alten römischen und germanischen Recht die Analogie der Sachenrechte augenfällig: manus, patria potestas, jus ac potestas des tutor sind eigentumsähnliche Rechte, besonders wenn man an das Sklaveneigentum denkt. Auch heute haben elterliche Gewalt und Recht des Vormundes, trotz aller Milderungen und der stärkeren Betonung des Schutzzwecks, diesen Charakter beibehalten: das Kind ist den Eltern oder dem Vormund nicht zu Leistungen verpflichtet, sondern ihrer Macht unterworfen 44 a . Die Durchsetzung des Gehorsams ist, wie bei der Sache, prinzipiell der Eigenmacht des herrschenden Subjekts überlassen. Nur die äußere Seite, die Abwehr von Eingriffen Dritter, wird durch den Staat auf dem Rechtswege geschützt 4 5 . Dagegen hat das Verhältnis der Ehegatten zu einander mehr Ähnlichkeit mit den Forderungsrechten; von einer Gewalt kann unter Ehegatten nicht die Rede sein ; sie sind einander gegenseitig zur Lebensgemeinschaft d. h. zu einem gewissen Verhalten verpflichtet § 135 3 4 5 f t . Dies Verhalten besteht, wie das des Schuldners (§ 241), in einem Tun und Unterlassen. Und doch rechnet weder das BGB. noch die bisherige Jurisprudenz die Verpflichtungen der Ehegatten zu den Obligationen.46 Worauf beruht der Unterschied? Nicht auf dem Fehlen des Vermögenswertes, wenn man, wie ich für richtig halte, dieses Erfordernis bei der Obligation nicht aufstellt. 47 Nicht auf dem unbestimmten Inhalt der Familienpflichten, denn ein Dienstvertrag kann zu Leistungen 44

Enneccerus § 39 II. a Ähnlich ist die Stellung des Lehrlings, GewO. § 127 a. 45 §§ 1631—1632, 1800; Planck § 1632, 9. 0 Vgl. ob. S. 143.

§ 15.

Der Anspruch.

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Verstärkung seines Rechts, sondern eine Rücksicht, die ihm das Gesetz im Interesse des Gegners auferlegt ; er darf den rechtswidrigen Zustand nicht eigenmächtig ändern, insbesondere nicht in den Besitz des Gegners eingreifen, selbst wenn der Gegner materiell im Unrecht ist; ebenso kann die Berichtigung des Grundbuchs ohne Zuziehung des Gegners nach GBO. § 22, 29 nur dann durchgeführt werden, wenn die Unrichtigkeit durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden nachgewiesen ist; wenn es sich um Eigentum handelt, bedarf es stets der Zustimmung des Eingetragenen, GBO. § 22 II. Am deutlichsten zeigt sich die Eigenart des dinglichen Anspruchs im Konkurs des Verpflichteten: während die Gläubiger, weil sie aus dem Vermögen des Verpflichteten Befriedigung suchen, einer gegenseitigen Beschränkung ausgesetzt sind, kommt der dingliche Anspruch durch Aussonderung oder Absonderung in ungemindertem Maße zur Geltung; denn er dient nur dazu, die durch die scheinbare Zugehörigkeit der Sache zur Konkursmasse verdunkelte Rechtslage zu verwirklichen. Aus dem Zweck des dinglichen Anspruchs ergibt sich, daß die ihm entsprechende Verpflichtung wesentlich in einem Unterlassen besteht: Duldung der Ausübung des absoluten Rechtes; was darüber hinausgeht, ist Inhalt eines neben dem dinglichen Anspruch stehenden obligatorischen Anspruchs 21. Das gilt zweifellos von den sog. Nebenleistungen bei der Vindikation: Herausgabe der Nutzungen und Ersatz des Schadens; diese Verpflichtungen sind, obwohl das Gesetz sie aus Anlaß der Vindikation im Sachenrecht regelt, obligatorischer Natur 2 2 , was sich besonders deutlich im Konkurs des Verpflichteten zeigt 2 8 . Dagegen ist die Natur des eigentlichen Inhalts der Vindikation, der Herausgabepflicht des § 985, bestritten. Wenn man die §§ 867, 1005 heranzieht, welche von „Gestattung der Aufsuchung und Wegschaffung" reden, so liegt es nahe, in der „Herausgabe" des § 985 81

Thon, Rechtsnorm 180; Z i t e l m a n n , Int. PrivRecht I I 234; Staub, ArchBürgR. 5, 25. 22 Planck, Bern, l b vor § 986; H e l l w i g , ZivProz. § 31 S. 202; diese Ansprüche gelten wegen ihres Zusammenhangs mit § 985 als Nebenforderungen im Sinne von ZPO. § 4. Dagegen fallen sie nicht in den ausschließlichen Gerichtsstand, ZPO. § 24; H e l l w i g , ZivProz. § 101 I I I l a ; a. Α. Dernburg I I I § 120 IV. Vgl. ob. § 13 Note 19. 2S Jäger § 43 Note 16.

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Buch.

Die subjektiven Rechte und das Vermögen.

eine intensivere Leistungspflicht zu sehen 2 4 . Diese weitverbreitete Auffassung erweist sich aber bei näherer Betrachtung als unbegründet; denn der Vindikationsbeklagte hat anerkanntermaßen die Sache an dem Ort herauszugeben, an welchem sie sich bei Rechtshängigkeit resp. E i n t r i t t der mala fides befindet; er braucht sie dem Kläger nicht zu bringen 2 5 , sondern t u t genug, wenn er sie ihm zur Verfügung s t e l l t 2 6 . Der Kläger mag die Sache abholen und zwar auf eigene Kosten. Die Vindikation unterscheidet sich also von den Exhibitionsklagen, §§ 807, 1005, nur in ihren Voraussetzungen, nicht in ihrem I n h a l t 2 7 . I n beiden Fällen kann dem Anspruch dadurch genügt werden, daß dem Berechtigten die Ansichnahme der Sache gestattet wird. Die Gestattung ist aber, wie ob. § 4 S. 106 dargelegt, nicht nur eine einmalige Erklärung (eine solche würde dem Vindikanten nichts nützen, weil der Be24

H e l l w i g , Anspruch § 3 Note 12; Lehmann, Unterlassungspflicht 28; vgl. ferner Mot. zu Entw. § 929; Du Chesne im Sächs. Arch. f. bürg. R. 11, 529 fg. 26 Planck § 985, 2a; Endemann I I § 91, la. Eine Verpflichtung des Besitzers, die Sache dem Eigentümer auf dessen Kosten und Gefahr zuzusenden, wird meines Erachtens ohne Grund angenommen von Dernburg I I I § 119, 7. £e Auch obligatorische Verpflichtungen zur Herausgabe einer Sache sind bisweilen da zu erfüllen, wo sich die Sache befindet; Planck § 269, 1. Aber vom Schuldner wird man, auch wenn er nicht zur Eigentumsverschaifung, sondern nur zur Herausgabe des Besitzes verpflichtet ist, auf Grund von § 242 mehr verlangen dürfen, als vom Vindikationsbesitzer: der Schuldner hat die Sache zur Abholung durch den Gläubiger zur rechten Zeit und an angemessenem Platz innerhalb des Leistungsorts bereitzustellen. Beispiel: wenn ich ein mir zur Verwahrung gegebenes Buch zu restituieren habe, kann ich dem Gläubiger nicht zumuten, es unter meinen Büchern, unter die es geraten ist, zu suchen ; verweigere ich die Mühe und event. Kosten der Nachforschung aufzuwenden, so gerate ich in Verzug. Wenn dagegen das Buch als gestohlenes vindiziert wird, so brauche ich, wenn ich es während meiner b. f. verstellt habe, nicht danach zu suchen, so wenig ich zu Nachforschungen verpflichtet wäre, wenn ich es b. f. auf der Straße verloren hätte. (Wenn die Mot. I I I S. 398 sagen, daß der Besitzer verpflichtet sei, die Sache in den Bereich der unmittelbaren Wahrnehmung und der möglichen Apprehension zu bringen, so hat dieser Gedanke meines Erachtens im Gesetz keinen Ausdruck gefunden). WTeiß ich, wo das Buch sich befindet, so darf ich es dem abholenden Eigentümer natürlich nicht verschweigen; das wäre Verstoß gegen § 826. Habe ich das Buch versteckt, um die Herausgabe zu vereiteln, so hafte ich nach § 989; Endemann a. a. 0. Note 13. 27 Abgesehen von den Nebenverpflichtungen (Nutzungen, Schadensersatz), welche aus dem Besitz einer fremden Sache entstehen und daher beim Abholungsanspruch fehlen.

§

. Der Anspruch.

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sitzer sie jederzeit zurücknehmen kann), sondern auch die dauernde Unterlassung des Widerstandes gegen die Handlung des Berechtigten. Nur wenn der Besitzer der fremden Sache sich in dieser Weise verhält, genügt er dem Anspruch des Vindikanten. Durch das Urteil wird dem Beklagten keine weitergehende Verpflichtung auferlegt: er braucht, um dem Urteil nachzukommen, nichts anderes zu tun, als die Abholung der Sache durch den Kläger zu erlauben, wenn er es nicht im eigenen Interesse vorzieht, die Sache dem Kläger zu überbringen 28. Nur wenn er der Abholung Widerstand leistet, kommt es zur Vollstreckung. Auch in der Vollstreckung wird eine Tätigkeit des Verurteilten nicht erzwuugen; in diesem Stadium differenzieren sich Mobilarvindikation und Abholungsanspruch einigermaßen: der Vindikant läßt die Sache durch den Gerichtsvollzieher wegnehmen, ZPO. § 883, ohne sich selbst an der Wegnahme zu beteiligen; der Abholungsberechtigte kann die Sache selbst an sich nehmen29 und bedarf der Hilfe der Staatsgewalt nur dazu, um sich den Zutritt der Sache zu verschaffen, sei es durch Androhung von Geldstrafe oder Haft, ZPO. § 890, sei es durch Zuziehung eines Gerichtsvollziehers, der den Widerstand des Verurteilten beseitigt, ZPO. § 892 30 . 28

Um das mit der Abholung verbundene Eindringen des Klägers in seine Besitzsphäre zu vermeiden. 29 Die ratio dieses auf den ersten Blick befremdenden Unterschiedes läßt sich vielleicht in folgender Erwägung finden: die vindizierte Sache befindet sich im Besitz des Beklagten, ζ. B. in seinem Hause. Der Vindikant soll durch das die Sache betreffende Urteil nicht die Befugnis erlangen, persönlich in das Haus des Beklagten gegen dessen Willen einzudringen; nur vor dem Gerichtsvollzieher als dem Vertreter der Staatsgewalt muß das Aifektionsinteresse des Beklagten (my house is my castle) zurücktreten. Dagegen ist im Falle des § 867 BGB. der Beklagte nicht Besitzer; die Sache kann daher abgeholt werden, ohne in die intimere Herrschaftssphäre des Beklagten einzudringen. Daher kann der Kläger den persönlichen Zutritt zur Sache erzwingen. ro Ebenso verhält es sich mit der Räumung eines Grundstücks: der Besitzer erfüllt seine Pflicht, wenn er dem Kläger erlaubt, das Grundstück in Besitz zu nehmen. Nur wenn er durch seinen Widerstand die Zuziehung eines Gerichtsvollziehers nötig macht, ZPO. § 885, hat er die damit verbundenen Kosten zu tragen. Auch zur Wegschaffung seiner auf dem Grundstück befindlichen Mobilien ist der Beklagte meines Erachtens nicht verpflichtet. Gelangt der Kläger in den Besitz des Grundstücks, so kommt er zu diesen Mobilien in das Verhältnis der §§ 867, 1005. Verzögert der Vindikationsbeklagte die Abholung, so ist der Kläger arg. § 372 zur Hinterlegung event, arg. § 383 zur Versteigerung der ihm lästigen Sachen befugt. Dieses Recht des Klägers

250Erstes

Buch.

Die subjektiven Rechte und das Vermögen.

Beim Berichtigungsanspruch § 894, der wie alle dinglichen. Ansprüche 81 auf einem rechtswidrigen Zustand (Unrichtigkeit des Grundbuchs), nicht auf einer Handlung des Gegners beruht 82 , ist der Beklagte zu einem Tun verpflichtet; Erteilung einer formgerechten Bewilligung zur Berichtigung des Grundbuchs. Das ist eine Abweichung von der Natur des dinglichen Anspruchs; sie erklärt sich aus der ob. S. 247 dargelegten Erwägung: das Gesetz erlaubt nur unter besonderen Voraussetzungen dem Berechtigten, die Berichtigung selbst herbeizuführen, damit die Berichtigung nur dann, wenn ihre Bedingungen zweifellos vorliegen, hinter dem Rücken des Eingetragenen stattfinden könne. Diese Beschränkung, die sich der Berechtigte in der Ausübung seiner Herrschaft zugunsten eines Unberechtigten gefallen lassen muß, wird dadurch ausgeglichen, daß dem Unberechtigten die Pflicht auferlegt wird, bei der Herstellung des rechtmäßigen Zustands mitzuwirken 82 ft. Daß ihm damit keine Leistung auferlegt, sondern nur Gelegenheit gegeben werden soll, sein Interesse zu wahren, zeigt sich daran, daß die Einwilligungspflicht für ihn mit keinem materiellen Opfer verbunden ist : die Kosten der Berichtigung trägt der, welcher die Berichtigung verlangt, § 897. Der negatorische Anspruch ist, soweit er sich auf die Zukunft bezieht, reiner Unterlassungsanspruch ; wenn sich aber die Störung in einem dauernden Zustand verkörpert hat, so soll der Störer nach § 1004 zur Beseitigung der Beeinträchtigung verpflichtet sein und zwar, wie allgemein angenommen wird, auf eigene Kosten 88 . Dieser Rechtssatz ist nicht nur offenbar unbillig gegen den Beklagten 84 , sondern auch eine schwer zu rechtfertigende Anomalie wird, wenn es zur Erzwingung der Räumung kommt, durch den Gerichtsvollzieher nach ZPO. § 8S5 II und III realisiert. Eine persönliche Haftung für die Kosten der WegschaiFung und Verwahrung ist dem Beklagten nicht auferlegt. 81 Daß der Berichtigungsanspruch zu den dinglichen Ansprüchen zu zählen ist, wird allgemein anerkannt; vgl. Planck § 894, 1; Dernburg I I I § 49, 3; Jäger, KO. § 43 Anm. 7. 88 Wer die Unrichtigkeit des Grundbuchs verschuldet hat, haftet nach § 823 I auf Schadensersatz; Planck § 897, 4. 93 a Vgl. ob. § 11 Note 7 a. 83 Planck § 1004 , 4a; Staudinger § 1004, 5a; Crome § 419 Note 30 u. a. Im Gemeinen Recht wurde gelehrt, daß der Beklagte nur als Urheber des rechtswidrigen Zustands zur Beseitigung verpflichtet sei, sonst nur zur Duldung der Beseitigung ; vgl. Windscheid§198 Note 4 ; RG. 45, 299. 84 K i p p , Bern. 2» zu Windsch. § 198.

§ 15. Der Anspruch.

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in unserem Rechtssystem : warum soll dem Beklagten, wenn ihm bloß eine Störung des Eigentums zur Last fällt, ein materielles Opfer aua eigenem Vermögen auferlegt werden, während er bei voller Entziehung des Besitzes nur zur Auslieferung der Sache verpflichtet i s t 8 6 ? Warum soll ferner die Herstellungspflicht beim negatorischen Anspruch -auch den schuldlosen Beklagten treffen, während dieselbe Herstellung des Zustandes (§ 249), wenn sie wegen deliktischen Handelns verlangt wird, nur dem schuldhaften Täter obliegt 86 ? Endlich bereitet die aus dem Vermögen des Beklagten zu bestreitende Beseitigung der Störung im Konkurs des Beklagten Schwierigkeiten^ auf welche H e l l w i g 8 7 aufmerksam macht, ohne eine meines Erachtens befriedigende Lösung zu geben. Angesichts dieser Rechtslage muß man sich fragen, ob sich in der Tat aus § 1004 eine Beseitigungspflicht des gutgläubigen Beklagten als Inhalt des dinglichen Anspruchs ergibt. Verpflichtet ist aus § 1004 der „Störer" das ist nach übereinstimmender Ansicht derjenige, der die störende Anlage nicht errichtet hat, sondern „hält" d. h. durch dessen Willen der rechtswidrige Zustand besteht 88 . Die Tatsache der Errichtung ist ein Eingriff in das fremde Eigentum, welcher nicht den dinglichen Anspruch, sondern einen konkurrierenden, vom Verschulden des Täters abhängigen Schadensersatzanspruch erzeugt 89 . Wenn aber der Anspruch des § 1004 auf der fortdauernden Störung durch das „Halten" der Anlage beruht, so muß er wegfallen, sobald der Nachbar die Anlage nicht mehr, „hält" d. h. mit ihrer Beseitigung einverstanden ist. Das scheint mir zweifellos für den Fäll, daß sich die störende Anlage auf dem Grundstück des Klägers befindet ; kaufe ich ζ. B. ein 88

Wenn X ein Grundstück des A b. f. besessen und auf demselben eine Anlage errichtet hat, die das Grundstück verunstaltet oder entwertet, so darf er es doch in diesem Zustand herausgeben, BGB. § 993. Warum soll er eine Anlage, durch deren Herstellung er den Besitz des Eigentümers nicht entzieht, sondern bloß stört, auf eigene Kosten wegschaffen müssen? 8e Die Grenzlinie zwischen deliktischem Eingriff und Störung im Sinne von § 1004 ist nicht immer leicht zu ziehen. Sicher fallen Zerstörungen bestehender Anlagen nicht unter § 1004, sondern unter § 823. Somit ergibt sich für die herrschende Meinung folgendes Resultat: wenn mein Nachbar meine Mauer niederreißt, hat er sie nur bei Verschulden (§ 823) herzustellen; wenn er auf meinem Boden eine Mauer erbaut, ist er auch ohne Verschulden zum Abreißen verpflichtet. 37 Anspruch § 3 Note 18. 38 Planck § 1004, 3. 39 Vgl. ob. 8. 245.

Erstes Buch.

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Die subjektiven Rechte und das Vermögen.

Grundstück von X, welcher ohne Recht auf dem Nachbargrundstück eine Mauer errichtet hat, und erkläre ich dem Nachbarn, daß ich mit dieser Mauer, die weder in meinem Besitz noch in meinem Eigentum steht, nichts zu tun habe, so kann ich nicht als Störer im Sinn von § 1004 betrachtet und zur Beseitigung der Mauer angehalten werden; ebensogut könnte man daran denken, mich für andere Delikte des X haftbar zu machen, die er im Zusammenhang mit seinem früheren Grundbesitz begangen hat. Nicht anders verhält es sich, wenn sich die Anlage auf dem gekauften Grundstück befindet, und der Käufer mit der Beseitigung durch den Nachbarn einverstanden ist, der Nachbar ist durch den Bestand der Anlage in seinem Eigentum beeinträchtigt, aber es steht in seiner Macht, diesen Zustand zu ändern, er kann daher den Besitzer des Grundstücks, auf dem sich die Anlage befindet, nicht als Störer bezeichnen. Die Klage aus § 1004 ist daher nur dann zulässig, wenn der Beseitigung der Anlage widersprochen wird ; durch diesen Widerspruch verschlechtert sich die Rechtslage des Beklagten: läßt er es zum Urteil kommen, so muß er nach der Vorschrift des Gesetzes zur „Beseitigung" verurteilt werden, welche im Weg der Zwangsvollstreckung nach ZPO. § 887 auf seine Kosten erfolgt 4 0 . Außer dem persönlichen Anspruch auf Schadensersatz und dem dinglichen Anspruch auf Wiedereinräumung der entzogenen oder gestörten Herrschaft des Berechtigten kann aus dem widerrechtlichen Eingriff in ein absolutes Recht ein weiterer Anspruch entstehen : auf Unterlassung weiterer Störungen 41. Dieser Anspruch ist im BGB. in einigen Fällen, namentlich zum Schutz des Eigentums und des Namensrechts, § 1004 und § 12, dadurch anerkannt, daß dem Berechtigten eine Unterlassungsklage gestattet wird. Theorie und Praxis haben mit Recht diese Bestimmungen auf alle absoluten Rechte ausgedehnt48. Voraussetzung dieses Anspruchs 40

Da das Urteil nach § 1004 auf Beseitigung lauten muß, so ist die Bereiterklärung zur Duldung der Beseitigung nach dem Urteil keine genügende Erfüllung der Urteilspflicht, während sie vor dem Urteil genügt hätte, um den Anspruch des Klägers auszuschließen. 41 Vgl. L a n g h e i n e k e n 253 fg. und die Schriften von Lehmann, E i t z b a c h e r , S t e p h a n über die Unterlassungspflicht bzw. die Unterlassungsklage. H o l d e r , Kommentar zu § 198 und JheringsJ. 51, 356 bestreitet die Möglichkeit eines kondemnatorischen Urteils auf Unterlassung und will nur Klage auf Feststellung einer Unterlassungspflicht zulassen. 42 Insbesondere auf die Rechte an unkörperlichen Sachen, vgl. Dernburg VI § 77 III; Oertmann, Bern. 4 vor § 823; Planck § 823 Erl. IV 2.

§ 15. Der Anspruch.

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ist aber nicht bloß ein vorgenommener Eingriff, sondern auch die Gefahr weiterer Beeinträchtigungen durch denselben Störer 48 ; liegt diese Gefahr nicht vor, handelt es sich vielmehr um einen seiner Natur nach einmaligen Eingriff, so ist zwar weitere Verletzung des absoluten Rechts dem, der es bereits einmal verletzt hat, nach wie vor verboten, aber nicht mehr oder weniger verboten als jedem beliebigen Dritten, gegen welchen, wie wir annehmen, aus diesem Verbot für den Berechtigten kein Anspruch erwächst 44. Die Unterlassung künftiger Störungen gerade von X zu beanspruchen, hat für den Eigentümer nur dann einen vernünftigen Sinn, wenn X durch seinen einmaligen Eingriff und die Gefahr weiterer Eingriffe dem Eigentümer gegenüber in die Stellung eines konkreten Gegners getreten ist. Als praktische Erwägung kommt noch hinzu, daß durch das Unterlassungsurteil eine Verschärfung der Unterlassungspflicht einzutreten pflegt: dem zur Unterlassung Verurteilten kann nach ZPO. § 890 eine Ungehorsamsstrafe angedroht werden, während ein Eingriff in das fremde Recht an und für sich nur zu Schadensersatz verpflichten würde; auch kann ihm Sicherheitsleistung für künftigen Schaden auferlegt werden. Diese Nachteile sollen billiger Weise nur den treffen, der durch sein drohendes Verhalten dem Berechtigten Anlaß gegeben hat, sich gegen künftige Rechtsverletzungen zu sichern 45 . Die im BGB. zum Schutz der absoluten Rechte gewährte Unterlassungsklage setzt einen bereits vorliegenden Eingriff in das absolute Recht voraus 46 . Von einem Dritten, der bisher mit der Sphäre des absoluten Rechts nicht in Berührung getreten ist, kann der Berechtigte nichts, auch nicht die Unterlassung künftiger Eingriffe, verlangen, daher auch keine Klage gegen ihn erheben. Mit Das RG. geht bisweilen weiter und gibt Unterlassungsklage zum Schutz der in § 823 I neben den absoluten Rechten genannten Rechtsgüter; vgl. ob. § 6 Note 69. 48 Diese Voraussetzung hat das Gesetz nicht bei allen Unterlassungsklagen ausgesprochen, sie ergibt sich aber aus dem Zweck der Unterlassungsklage; E i t z b a c h e r 179fg.; Stephan 130fg.; vgl. auch RG. 60, 154. 44 Vgl. ob. S. 243. 46 Vgl. Eitzbacher 101, 157. 46 Ausnahmsweise hat der Grundeigentümer nach § 907 einen Unterlassungsanspruch noch bevor ein Eingriff in sein Recht stattgefunden hat: er kann verlangen, daß eine Anlage nicht hergestellt wird, von ddr eine unzulässige Einwirkung auf sein Grundstück vorauszusehen ist.

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Die subjektiven Rechte und das Vermögen.

Recht hat aber H e l l w i g 4 7 hervorgehoben, daß eine Erweiterung des Klageschutzes in diesen Fällen durch die nach ZPO. § 259 zulässige Klage auf künftige Leistung eingetreten ist, da der Begriff der Leistung nach BGB. § 241 auch die Unterlassung umfaßt. Demgemäß kann der Inhaber eines absoluten Rechts nach ZPO. § 259 die Unterlassungsklage gegen einen Dritten erheben, gegen den ein zivilrechtlicher Anspruch noch nicht existiert, weil er mit dem absoluten Recht noch in keine Berührung gekommen ist. Damit sind die Bestimmungen des BGB. über die Unterlassungsklage zwar nicht aufgehoben, denn es besteht kein Widerspruch, aber überholt; denn die Unterlassungsklage ist auch ohne den nach BGB. vorausgesetzten Eingriff in das Recht des Klägers möglich. Ein solcher Eingriff kann als Fundament der Unterlassungsklage nur noch insoweit in Betracht kommen, als er in erster Linie zu den Umständen gehört, aus denen die nach ZPO. § 259 erforderliche Besorgnis weiterer Störungen hergeleitet werden kann 4 8 . Zu den absoluten Rechten gehört auch der Besitz, vgl. ob. S. 208; daher entsteht aus einer Verletzung des Besitzes einerseits ein deliktischer Schadensersatzanspruch nach § 823 I , anderseits die dinglichen Ansprüche der §§ 861/2 und 1007. Daß der frühere Besitzer mit diesen Ansprüchen nicht gegen jeden gegenwärtigen Besitzer durchdringt, wodurch der Schein einer Relativität seines Rechtes entsteht 49 , erklärt sich daraus, daß auch der gegenwärtige Besitzer rechtlichen Schutz genießt, und daß das Recht des früheren Besitzers nur unter bestimmten Voraussetzungen stärker ist als das des gegenwärtigen Besitzers; wenn das der Fall ist, hat der Anspruch des früheren Besitzers aus § 861/2, 1007 denselben Inhalt und dieselbe Intensität der Wirkung, wie der dingliche Anspruch des Eigentümers, insbesondere Aussonderungskraft im Konkurs des Beklagten 50 . IV. Die Ausübung des Anspruchs besteht in dem Verlangen der Leistung d. h. in einer Willenserklärung des Berechtigten an den Verpflichteten. Am energischsten wird dies Verlangen gestellt, 47

Anspruch 383 fg ; ZivProz. § 31 Note 9; § 57 Note 46. Gegen H e l l w i g mit verschiedener Begründung: Stein, Voraussetzungen des Rechtsschutzes 118, P a g e n s t e c h e r , materielle Rechtskraft 8 fg., Stephan a. a. 0. u. a. 49 Das scheint der Grund zu sein, weswegen Planck § 1007, 6 den Anspruch aus früherem Besitz nicht zu den dinglichen Ansprüchen rechnen will. 60 Jäger, KO. § 43 Note 8. 48

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wenn der Berechtigte zugleich die Hilfe der Staatsgewalt anruft, indem er sich der Mittel bedient, die ihm die ZPO. zu Gebote stellt. Das BGB. spricht von „gerichtlicher Geltendmachung des Anspruchs44 5 1 und versteht darunter außer der Klageerhebung auch andere Akte, die demselben Zweck dienen, ζ. B. Zustellung eines Zahlungsbefehls im Mahnverfahren, die Anrufung eines Schiedsgerichts usw. 62 . Schon aus diesem Ausdruck ist a contrario zu entnehmen, daß der Anspruch auch außergerichtlich geltend gemacht werden kann 6 8 ; das außergerichtliche Verlangen des Berechtigten ist bei Ansprüchen auf positive Leistungen die Mahnung 54 ; auch bei Ansprüchen auf Unterlassen kommt eine Aufforderung an den Verpflichteten vor, seiner bereits verletzten Verpflichtung von jetzt an nachzukommen: Abmahnung, §§ 550, 1053 6δ . Das außergerichtliche Verlangen der Leistung ist die normale und primäre Art der Ausübung des Anspruchs 66 ; in den meisten Fällen kommt es zu freiwilliger Erfüllung durch den Verpflichteten. Jedenfalls liegt es im Interesse des Berechtigten, erst den außergerichtlichen Weg zu versuchen, ehe er zur Klage schreitet : sonst 61 Vgl. H e l l w i g , ZivProz. § 32 Note 32; Langheineken S. 337; Geib, Rechtsschutzbegehren 5fg. 52 Anmeldung im Konkurs ist Ausübung der Forderung, aber nicht im genauen Sinn des Worts Erhebung des Anspruchs (denn der Anmeldende verlangt von seinem Schuldner kein Tun oder Unterlassen), sondern Geltendmachung der Haftung des Vermögens des Schuldners gegenüber den konkurrierenden Gläubigern. * 3 Dies ist einer der Hauptpunkte, in denen sich der Anspruch des BGB. von seiner Vorgängerin, der actio unterscheidet. Wenn Dernburg, §42 I I I und Holder, ArchZivPr. 93, 9fg. noch daran festhält, daß das Verlangeu in § 194 so viel bedeuten soll, wie persequi in iudicio, so ist das nur als historische Reminiszenz zu erklären. Gegen Dernburg die meisten, insbesondere H e l l wig a. a. 0.; Oertmann a. a. 0. S. 6. 64 Kündigung ist Ausübung nicht des Anspruchs, sondern eines mit der Forderung verbundenen Gestaltungsrechts, vgl. ob. § 7 Note 16, durch welches die Fälligkeit der Forderung herbeigeführt und damit der Anspruch erzeugt wird. Auch durch Vorbehalt, §§ 341, 460, 640, 1001, wird der Anspruch nicht ausgeübt, sondern eine spätere Ausübung in Aussicht gestellt. C5 Auch der Widerspruch, § 912, ist Ausübung des Anspruchs auf Unterlassung weiterer Störung; dagegen wird allerdings der davon zu unterscheidende Anspruch auf Beseitigung des Überbaues durch den Widerspruch nicht ausgeübt; W o l f f , Überbau 117. 56 Nur ausnahmsweise darf der Berechtigte, statt sich durch Ergebung des Anspruchs an den Willen des Gegners zu wenden, zur Selbsthilfe schreiten, § 229.

2 5 6 E r s t e s Buch.

Die subjektiven Rechte und das Vermögen.

riskiert er, daß ihm nach ZPO. § 93 die Kosten zur Last fallen 57 . In gewissen Fällen, § 550, 1053, ist sogar die Abmahnung vom Gesetz zur Voraussetzung der Klage erhoben 68. In der Regel hat der Verpflichtete die Leistung erst dann zu bewirken, wenn der Berechtigte sie verlangt. Ohne Aufforderung des Berechtigten hat er nur dann zu leisten, wenn die Zeit nach dem Kalender bestimmt ist, § 284 I I , oder, was meist übersehen wird, wenn sich aus dem Inhalt des Rechtsverhältnisses nach § 242 ergibt, daß der Verpflichtete tätig werden muß, ohne auf eine Aufforderung des Berechtigten zu warten; das ist ζ. B. der Fall, wenn Jemand aus Auftrag oder einem anderen Grunde die Geschäfte eines Anderen zu führen hat, ferner bei den Anzeigepflichten (z. B. § 545) 69 . Abgesehen von solchen Fällen kommt der Verpflichtete erst durch Mahnung in Verzug d. h. er hat den aus der Verspätung der Leistung erwachsenden Schaden nur dann zu ersetzen, wenn der Berechtigte die Leistung verlangt hatte. Angesichts dieses aus den allgemeinen Grundsätzen sich ergebenden Resultates ist es auffallend, daß BGB. in gewissen Fällen davon spricht, daß Jemand eine Leistung „auf Verlangen" des Berechtigten vorzunehmen hat; so ist ζ. B. der Zedent nach § 402 verpflichtet, dem Zessionar Auskunft zu erteilen, und nach § 403, ihm „auf Verlangen" eine Zessionsurkunde auszustellen. Über die besondere Bedeutung, welche in solchen Fällen dem Verlangen des Berechtigten beizumessen ist, gibt es verschiedene Ansichten 60. 67

vgl. ζ. B. OLG. 10. 189. Ausnahmsweise kann ein Recht außergerichtlich nicht ausgeübt werden, bevor eine gerichtliche Feststellung stattgefunden hat, so in 1966: Feststellung, daß außer dem Fiskus kein gesetzlicher Erbe vorhanden ist, so ferner das Recht auf Erstattung der Prozeßkosten, welches für die siegreiche Partei im Moment der Aufwendung der Kosten entsteht, aber nicht eher geltend gemacht werden kann, als bis die Kosten dem Unterliegenden auferlegt und festgesetzt sind; vgl. Gaupp-Stein IV vor § 91. 59 Will man den Verzug auf die beiden Fälle des § 284 Mahnung und Kalendertag beschränken, so muß man zur Begründung der Schadenshaftung für verspätete Ausführung eines Auftrags oder verspätete Anzeige solche Verspätungen in etwas gezwungener Weise als Unmöglichkeit der — rechtzeitigen — Leistung auffassen, oder neben den beiden gesetzlichen Gründen des Schadensersatzes, Unmöglichkeit der Leistung § 280 und Verzug § 286, als allgemeinen Grund des Schadensersatzes das vertragswidrige Verhalten des Schuldners anerkennen; vgl. Oertmann, § 276, 5. eo Vgl. Langheineken, der die Bezeichnung „verhaltene Ansprüche14 gebraucht; H e l l w i g , Klagerecht 21; Enneccerus § 203 I 4. 58

§ 15. Der Anspruch.

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Meines Erachtens sind die Fälle verschieden zu beurteilen; bisweilen hat der Zusatz „auf Verlangen" nur die Bedeutung, klarzulegen, daß der Verpflichtete auf eine Aufforderung des Berechtigten warten darf; das gilt ζ. B. von den Verpflichtungen des Dienstherrn aus § 629/30, im Gegensatz zu anderen Verpflichtungen aus dem Dienstvertrag, z. B. § 618, welche der Dienstherr unaufgefordert zu erfüllen hat 6 1 . In anderen Fällen hat der Zusatz die weitergehende Bedeutung, daß der Verpflichtete nicht leisten d a r f , bevor der Berechtigte die Leistung verlangt. Das trifft insbesondere zu, wenn die Leistung für den Gläubiger mit Kosten verbunden ist, ihm daher nicht aufgedrungen werden darf (ζ. B. Zessionsurkunde, § 403, Offenbarungseid, § 259/61); denselben Sinn hat die vertragsmäßige Verabredung der Leistung „auf Abruf" 6 2 . In beiden Arten von Fällen ist der Anspruch d. h. das Recht, die Leistung zu verlangen, schon vorhanden, bevor der Berechtigte das Verlangen ausspricht 63. Seine Willenserklärung ist, wie bei den Ansprüchen gewöhnlicher Art, Ausübung, nicht, Begründung des Anspruchs 64. Im Gegensatz zum bloßen Verlangen einer bereits geschuldeten Leistung stehen die Fälle, in denen eine Handlung des Berechtigten nötig ist, um einen bisher nicht existierenden Anspruch ins Leben zu rufen. So wenn Jemand durch Kündigung, Rücktritt, Anfechtung ein Rechtsverhältnis aufhebt und dadurch einen Anspruch auf Rückerstattung seiner Leistung erwirbt 65 . Ebenso bei Kündigung zur Herbeiführung der Fälligkeit einer Forderung (ζ. B. § 609); der Gläubiger kann erst nachdem er gekündigt hat und eine bestimmte Zeit abgelaufen ist, die Rückzahlung des Darlehens verlangen 66. Ebenso verhält es sich bei den Inhaberpapieren nach 61

In § 669 wird klargelegt, daß der Auftraggeber, solange der Beauftragte den Vorschuß nicht beansprucht, erwarten darf, daß der Beauftragte die nötigen Aufwendungen aus eigenen Mitteln macht. 63 Eine andere Bedeutung hat das Verlangen in § 1345, vgl. ob. § 7 Note 15: es handelt sich um Ausübung nicht eines Anspruchs, sondern eines Gestaltungsrechts, wodurch das Rechtsverhältnis zwischen den Ehegatten verändert wird; Langhein e ken S. 34. Die Erklärung hat daher unwiderrufliche Wirkung, § 1347 I. Für § 1478 ist es zweifelhaft, ob ein Gestaltungsrecht nach Analogie von § 1345 vorliegt, oder ein Anspruch, der mit dem Anspruch auf Auseinandersetzung nach § 1471 fg. konkurriert. A. A. Kohler I S. 186. 64 Wichtig für den Beginn der Verjährung. 06 Vgl. ob. § 10 IV. ββ Der Beginn der Verjährung wird auf den Moment der Kündigung zurückdatiert, § 199. Handbuch X . 1. I :

von T u h r I.

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2 5 8 E r s t e s Buch.

Die subjektiven

echte und das Vermögen

§ 801: der Anspruch des Inhabers entsteht und verjährt erst von der Vorlegung der Urkunde an 6 7 . V. Die gerichtliche Geltendmachung ist, wie ob. S. 254 bemerkt, die intensivere Art der Ausübung des Anspruchs. Sie hat auf dem Gebiet des materiellen Rechts mindestens die Wirkung des außergerichtlichen Verlangens der Leistung (Klageerhebung und Zustellung eines Zahlungsbefehls stehen der Mahnung gleich, § 284), in manchen Beziehungen sogar stärkere Wirkung: die Verjährung wird nicht durch Mahnung unterbrochen, wohl aber durch Klageerhebung und was ihr nach § 209 gleichsteht; dasselbe gilt von den meisten Präklusivfristen z. B. § 864, 1002 e8 . Daß ein Anspruch gerichtlich geltend gemacht werden kann, ist in unserem Recht selbstverständlich 69. Nur in wenigen Ausnahmsfällen ist einem Anspruch aus besonderem Grund der Schutz der Klage versagt. Dazu gehören nicht die ob. S. 94 besprochenen sogenannten Naturalobligationen: denn es fehlt bei ihnen nicht nur die Klage, sondern das materielle Recht, die Befriedigung zu erzwingen oder auch nur zu verlangen. Die Leistung kann nur freiwillig erfolgen, gilt aber, wenn sie erfolgt, als Erfüllung einer Verpflichtung des Leistenden. Es sind Pflichten ohne entsprechendes Recht dessen, dem die Leistung zukommen soll 7 0 . Dagegen kommen als klaglose Ansprüche in Betracht 71 : a) der Anspruch aus dem Verlöbnis auf Abschluß der Ehe 7 2 . Dieser Anspruch kann außergerichtlich erhoben werden ; die grundlose Verweigerung der Erfüllung ist Rücktritt oder gibt dem, der 67

Nach dem Wortlaut des § 801 erlischt der Anspruch mit Ablauf der Vorlegungsfrist, muß also schon früher bestanden haben. Aber was BGB. hier Anspruch nennt, ist die Forderung (vgl. ob. Note 5); das Recht, sofortige Leistung zu verlangen entsteht erst mit der Vorlegung, vgl. unt. Note 93. 68 In anderen Fällen, z. B. § 382 genügt zur Wahrung der Frist eine außergerichtliche Erhebung des Anspruchs. 69 Vgl. z.B. Endemann § 86a und die zahlreichen bei Eitzbacher, Unterlassung 81, zusammengestellten Urteile des RG. 70 Auch die ob. S. 98 erwähnten Diligenzpftichten sind nicht mit Holder, ArchZivPr. 93, 41 zu den klaglosen Ansprüchen zu zählen, weil ihnen zunächst überhaupt kein Anspruch des Gläubigers gegenübersteht; der Gläubiger kann die Prästierung der nötigen Sorgfalt nicht verlangen (und deshalb natürlich auch nicht darauf klagen), sondern nur Schadensersatz, wenn der Schuldner seine Sorgfaltspflicht vernachlässigt hat. 71 Vgl. ferner GewO. § 152, dazu LOtmar, Arbeitsvertrag I 766. 72 Wenn man eine rechtliche Verpflichtung aus dem Verlöbnis annimmt; vgl. ob. § 4 Note 16.

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§ 15. Der Anspruch.

die Erfüllung verlangt einen wichtigen Grund zum Rücktritt, in beiden Fällen mit den Rechtsfolgen der §§ 1298 fg. 7 8 . b) Nach § 1394 kann die Ehefrau Ansprüche, die ihr auf Grund der Verwaltung und Nutznießung gegen den Ehemann zustehen, in der Regel nicht vor Beendigung der Verwaltung und Nutznießung geltend machen. Mit dieser Vorschrift bezweckte der Gesetzgeber74 „Erhaltung des ehelichen Friedens und Wahrung der für die Stellung des Mannes notwendigen Selbständigkeit". Demgemäß wird allgemein angenommen, daß außergerichtliche Geltendmachung dieser Ansprüche während der Verwaltung möglich sei, insbesondere durch Mahnung oder Aufrechnung gegenüber einer Forderung des Mannes an die Frau 7 5 . Dabei wird ein Umstand übersehen, der in den beiden letzten Punkten meines Erachtens zu einer anderen Entscheidung zwingt. Die Ansprüche, welche für die Frau gegen deit Mann aus schlechter Verwaltung des eingebrachten Guts entstehen, gehören zum eingebrachten Gut, an welchem der Mann Nutznießung hat. Dadurch verändert sich der Inhalt seiner Schadensersatzpflicht: besteht der Ersatz im Geld, so ist der Mann nicht verpflichtet, das Geld an die Frau (in ihr Vorbehalt) zu zahlen, wodurch seine Nutznießung an diesem Bestandteil des eingebrachten Guts verloren ginge, sondern er hat die Ersatzsumme nach § 1377 I I für die Frau verzinslich anzulegen (ev. zur Bestreitung der Ausgaben des eingebrachten Guts bereit zu halten) 76 : die Zinsen dieser Anlage fallen ihm zu, wie ihm die Nutzungen des durch sein Verschulden untergegangenen oder beschädigten Stücks des eingebrachten Guts zugefallen wären. Daher ist eine Inverzugsetzung des Mannes durch die Frau mit der Wirkung, daß er ihr Verzugszinsen zu zahlen hätte, ausgeschlossen : ebenso aber auch eine Kompensation : es fehlt an der Gleichartigkeit der Forderungen: der Mann hat Zahlung zu verlangen; die Frau hat ein Recht darauf, daß der Mann die Ersatzsumme für sie verzinslich anlege. Diesem Anspruch, und nicht einem Anspruch auf 78 Eine andere Ansicht (vgl. die Kommentare und Hellwig, Klagerecht 28) geht dahin, daß aus dem Verlöbnis keine rechtliche, sondern eine moralische Pflicht zur Eheschließung entsteht, aus deren Verletzung der Anspruch auf das negative Interesse hervorgeht. M Denkschrift S. 183. 76 H e l l w i g , ZivProz. § 49 V; Planck § 1394, 3; Schmidt § 1394,4 u. a76 Hat ein Schuldner an der gegen ihn gerichteten Forderung nicht ehemännliche Nutznießung, sondern Nießbrauch, so braucht er, solange der Nießbrauch besteht, überhaupt nicht zu zahlen; Planck § 1075, 5.

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Die subjektiven Rechte und das Vermögen.

Zahlung, der der Frau wegen der ehemännlichen Nutznießung nicht zusteht, ist durch § 1394 die Klagbarkeit genommen. Da nun Klage, Mahnung und Kompensation ausgeschlossen ist, bleibt von einem Anspruch der Frau, der ihr während der Verwaltung zustehn soll, meines Erachtens praktisch nichts übrig. c) In § 1958 ist die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen gegen den Erben, der die Erbschaft noch nicht angenommen hat, ausgeschlossen. Ist ein außergerichtliches Vorgehen gegen den Erben zulässig? P l a n c k , § 1958, 3, bezweifelt die praktische Erheblichkeit eines solchen Vorgehens. Meines Erachtens muß man eine Leistungspflicht des Erben und damit einen Anspruch der Nachlaßgläubiger gegen ihn vor Annahme der Erbschaft ganz in Abrede stellen; denn aus § 1978 I 2 ergibt sich, daß der provisorische Erbe sich um den Nachlaß nicht zu kümmern braucht (wenn er tätig wird, ist er neg. gestor); er kann also auch nicht verpflichtet sein, die Schulden des Nachlasses zu regulieren; er kann insbesondere nicht durch Mahnung in Verzug gesetzt werden 77 . Von der Forderung gegen den Erblasser besteht also nach seinem Tode zunächst nur die Haftung des Nachlasses und die Erwartung, daß zu dieser Haftung eine Verpflichtung sei es des definitiven Erben, sei es eines Nachlaßpflegers oder Nachlaßverwalters hinzutritt78. d) KO. § 14 untersagt während der Dauer des Konkursverfahrens nur Vollstreckungsmaßregeln, nicht aber Erhebung des Anspruchs, durch Klage oder Mahnung, gegen den Gemeinschuldner7Ö. e) In einigen Fällen verlangt das Gesetz als Voraussetzung der Unterlassungsklage eine vorausgehende vergebliche Abmahnung, § 550, 1053 8 0 . Der Zweck dieser Vorschrift ist, zu verhüten, daß der Mieter oder Nießbraucher wegen jeder geringfügiger Vertragsverletzung ohne weiteres sofort verklagt werde 81 . Daraus will Ε1 tz 17

So Planck § 2017, 1; a. A. Staudinger V S. 242 Note **. Da die Leistungspflicht des definitiveu Erben durch die aufschiebenden Einreden der §§ 2014—2015 ausgeschlossen wird, vgl. unt. § 17 Note 72 a, so muß man um so mehr annehmen, daß für den provisorischen Erben, der dieser Einreden nicht bedarf, eine Verpflichtung ipso iure nicht besteht. 78 Vgl. ob. § 6 Note 39. 79 KO. § 63 bezieht sich nicht auf den Anspruch, d. h. auf die Verpflichtung des Schuldners, sondern auf die Geltendmachung der Haftung der Konkursmasse. 80 Vgl. auch § 1217. 81 Prot. Bd. I I S. 188.

§ 15.

Der Anspruch.

261

b â c h e r 8 8 das Prinzip ableiten, daß einer Unterlassungsklage aus einem Forderungsrecht stets eine Abmahnung vorausgehen müsse. Diese Ausdehnung singulärer Bestimmungen scheint mir nicht unzweckmäßig, aber de lege lata unzulässig; man wird daher Unterlassungsklagen aus anderen obligatorischen Verhältnissen ζ. B. aus § 577 oder aus einem kontraktlichen Konkurrenzverbot ohne weiteres zulassen müssen, sobald eine Verletzung vorliegt. Wie es in den eben aufgezählten Fällen Ansprüche gibt, aus denen nicht oder noch nicht geklagt werden kann, so gestattet umgekehrt ZPO. § 257 fg. in gewissen Fällen eine von der Feststellungsklage zu unterscheidende Leistungsklage88, obgleich der Anspruch noch nicht entstanden ist, weil die Forderung noch nicht fällig i s t 8 4 oder infolge der Vorschützung einer dilatorischen Einrede noch nicht geltend gemacht werden kann* 6 . VI. Die gerichtliche Durchführung des Anspruchs endigt mit der Verurteilung des Verpflichteten. Das Urteil entspricht inhaltlich genau dem in der Klage geltend gemachten Anspruch, während es im klassischen Prozeß der Römer auf eine Geldsumme lauten mußte. Mit dem Urteil ist dem Verlangen des Klägers noch nicht genügt; daher kommt es, wenn der Verurteilte den Anspruch auch jetzt nicht erfüllt, zur Zwangsvollstreckung 86. In diesem Stadium des Rechtsganges differenzieren sich die Ansprüche nicht nach ihrem Entstehungsgrund, sondern nach ihrem Inhalt: ZPO. gibt, ohne daß es auf den Grund des Anspruchs (Forderung, dingliches Recht usw.) ankommt, verschiedene Zwangsmittel, je nachdem der Anspruch zum Inhalt hat: Zahlung von Geld, Herausgabe einer beweglichen oder unbeweglichen Sache, Vornahme einer vertretbaren oder unvertretbaren Handlung, Unterlassung, oder Abgabe einer Willenserklärung. Es liegt in der Natur der Dinge, daß in keinem dieser Fälle das ideale Ziel des Rechtsganges: das pflichtgemäße Verhalten des Verpflichteten, durch die äußeren Zwangsmittel des Rechts mit 82

Unterlassungsklage 155; dagegen Stephan, Unterlassungsklage 136. Vgl. Kisch, Urteilslehre 20. 84 Vgl. unt. Note 92. 85 H e l l w i g , ZivProz. § 57 III. Auch gegen den Erben, der durch die Einrede des § 2014 seine Leistungspflicht hinausgeschoben hat, kann nach ZPO. § 805 geklagt werden; vgl. unt. § 17 Note 72a. 86 Nur ausnahmsweise ermangeln klagbare Ansprüche der Vollstreckbarkeit; vgl. ob. § 4 Note 15. 88

2 6 2 E r s t e s Buch.

Die subjektiven Rechte und das Vermögen.

Sicherheit erzwungen werden kann: denn der menschliche Wille läßt sich nur beeinflussen, nicht aber durch absoluten Zwang bestimmen. Am einfachsten und wirkungsvollsten erfolgt die Vollstreckung, wenn es sich um die Abgabe einer Willenserklärung, ZPO. § 894, handelt: mit der Rechtskraft des Urteils gilt die Erklärung als abgegeben; der Rechtserfolg, den der Verurteilte herstellen sollte, wird in Ermangelung seines Willeqs durch die Rechtsordnung selbst hergestellt. Lautet das Urteil auf Vornahme einer unvertretbaren Handlung oder auf eine Unterlassung, so besteht die Vollstreckung in dem Versuch, auf den Willen des Verpflichteten durch Androhung von Geldstrafen oder Haft einzuwirken. In den übrigen Fällen wird von einer Erzwingung des pflichtgemäßen Handelns ganz abgesehen und statt dessen mit den äußeren Machtmitteln des Staates die Herstellung des Resultates erstrebt, welches für den Kläger bei Erfüllung des Anspruchs eingetreten wäre; die Herausgabe einer Sache wird dadurch ersetzt, daß der Gerichtsvollzieher sie dem Verpflichteten abnimmt und dem Kläger übergibt, die Vornahme einer vertretbaren Handlung dadurch, daß sie auf Kosten des Verurteilten durch einen Dritten erfolgt; die Zahlung einer Geldsumme dadurch, daß diese Summe dem Berechtigten aus dem Vermögen des Schuldners durch Veräußerung oder sonstige Verwertung einzelner Gegenstände verschafft wird. In diesen Fällen tritt die Person des Schuldners ganz in den Hintergrund; Vollstreckungsobjekt ist sein Vermögen. Aus der Verpflichtung des Schuldners entwickelt sich als zweiter Bestandteil der Forderung die Haftung; an Stelle des an den Willen des Schuldners gerichteten Anspruchs tritt der Zugriff des Gläubigers auf das Vermögen 87. VII. Der Anspruch ist entstanden, sobald der Berechtigte vom Verpflichteten ein Tun oder Unterlassen verlangen kann. Das ist, wie ob. S. 243 gesagt, bei absoluten Rechten erst dann der Fall, wenn sich Jemand in Widerspruch zu einem solchen Recht setzt. Dagegen ist bei Forderungsrechten die Person des Verpflichteten von vorn herein gegeben86; man könnte daher annehmen, daß mit der Forderung immer zugleich der Anspruch entstanden ist, auch dann, wenn die Forderung betagt oder bedingt ist. Diese 87

Vgl. ob. S. 110. oder bei mittelbar zuständigen Pflichten (vgl. ob. § 4 IV) mit Eintritt des Umstandes, durch welchen die Person des Schuldners bestimmt wird. 88

§ 15. Der Anspruch.

263

Ansicht wird von H e l l w i g 8 9 vertreten. Andere Autoren sd verstehen unter Anspruch nur das Recht auf sofortige Leistung. Der Sprachgebrauch des Gesetzes ist schwankend: bisweilen ist von Anspruch die Rede, wo die Leistung nicht sofort verlangt werden kann 91 , dagegen hat in der sedes materiae, § 198, das Wort Anspruch zweifellos die Bedeutung eines Rechts auf sofortige Leistung. Mir scheint es richtiger, das Wort Anspruch, wenn man genau sprechen will, in diesem letzteren engeren Sinn zu gebrauchen 92. Uenau genommen ist nach der Auffassung des Gesetzgebers (§ 158, 103) vor Eintritt der Bedingung oder des Anfangstermins auch die Forderung selbst noch nicht vorhanden, sondern nur eine Anwartschaft auf Erwerb der Forderung (vgl. ob. S. 184); es liegt aber in der Denkweise unseres Gesetzes und unserer Jurisprudenz, das Wort Forderung schon für dieses Entstehungsstadium des Rechts zu gebrauchen und von bedingten und betagten Forderungen zu sprechen. Dieser Sprachgebrauch ist praktisch unentbehrlich; um so mehr besteht aber ein terminologisches Bedürfnis nach einem Ausdruck für das Recht auf präsente Leistung, und dazu kann, in Übereinstimmung mit dem § 198, das Wort Anspruch dienen ö8 . Der Anspruch entsteht im ersten Moment, in welchem die Leistung verlangt werden kann. Erfolgt die Leistung nicht, so kann das Verlangen immer wieder gestellt werden, aber das ist nicht als Entstehung neuer Ansprüche, sondern als Ausübung des einmal entstandenen und Mangels Befriedigung fortbestehenden Anspruchs aufzufassen. So entsteht der Herausgabeanspruch des 89

ZivProz. § 32 Note 22a; Langheineken, Anspruch 21; Enneccerus I § 203 Note 4. 90 Crome § 115, 2; Ende mann I § 86 Note 14; D e r n b u r g I § 157 I I ; K ö h l e r § 57 I I I ; H o l d e r , JheringsJ. 46, 293. 91 So ist z.B. in §§ 273, 883 von bedingten Ansprüchen die Rede, auch in § 419 sind U D t e r den Ansprüchen die bedingten Forderungen mit zu verstehen (während in den entsprechenden §§ 1086—1088 das Wort Forderung gebraucht wird); vgl. ob. Note 5. 99 Sonst muß man mit H e l l w i g a. a. 0. dem Gesetzgeber imputieren, daß er am entscheidenden Ort, § 198, unterlassen hat, auszusprechen, daß die Verjährung erst mit der Fälligkeit des Anspruchs beginnen solle, was sich angesichts der Sonderregeln der §§ 199, 200 durchaus nicht von selbst zu verstehen braucht. 93 Man wird z. B., gegen den Wortlaut des § 801, sagen dürfen, daß der Inhaber mit dem Erwerb des Papiers eine Forderung hat (welche durch 30jährige Unterlassung der Vorlegung erlischt), daß aber erst mit der Vorlegung ein Anspruch entsteht, welcher nach der Regel des § 198 mit diesem Moment zu verjähren beginnt; vgl. ob. Note 67.

264Erstes

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Die subjektiven Rechte und das Vermögen.

Eigentümers in dem Augenblick, in welchem ein Dritter die Sache in Besitz nimmt, und nicht immer wieder von Neuem mit der Fortdauer des Besitzes 94 ; der Anspruch des Gläubigers entsteht im ersten Moment, in dem er die Leistung verlangen darf, und nicht immer wieder von Neuem während des Verzugs des Schuldners ; das gilt insbesondere auch vom Teilungsanspruch, der nicht, wie oft behauptet wird, in jedem Moment der Gemeinschaft neu entsteht fl B . Auch Ansprüche auf fortdauernde Unterlassung ζ. B. aus einem Versprechen, eine Sache in gewisser Beziehung nicht zu benutzen, oder kein Konkurrenzgeschäft zu betreiben, entstehen einheitlich im ersten Moment, in welchem der Berechtigte die Unterlassung verlangen kann 9 6 . Dagegen handelt es sich um mehrere, im Lauf der Zeit neu entstehende Ansprüche, wenn im Lauf eines Zeitraums mehrere einzelne Leistungen fällig werden, so bei Alimenten, Leibrenten, Zinsen usw.: jeder Bate entspricht ein Anspruch, der im Moment ihrer Fälligkeit entsteht; neben dem unbefriedigten und deshalb fortbestehenden Anspruch auf die erste Rate entsteht, wenn der zweite Termin herankommt, ein zweiter Anspruch auf Leistung der zweiten Rate und so fort. V I I I . Die Ansprüche endigen normalerweise durch Befriedigung 97 . Bleibt ein Anspruch unbefriedigt, so kann Verjährung eintreten, welche aber den Anspruch nicht aufhebt, sondern nur durch. Entstehung einer Einrede entkräftet: das Verlangen des Berechtigten ist wirkungslos, wenn der Verpflichtete die Leistung verweigert. Der Anspruch erlischt ferner durch Untergang des Rechts, von dem er abgeleitet ist; wer nicht mehr Eigentümer ist, kann nicht Herausgabe der Sache nach § 985 verlangen, wer nicht mehr Gläubiger ist, kann nicht Erfüllung verlangen. Dagegen 94

Planck § 194, 3. W i n d s c h e i d § 106, Note 4; Oertmann zu § 758; Dernburg I § 174 I I I 3; (mit demselben Recht könnte man behaupten, daß der Anspruch des Käufers auf Übergabe der Kaufsache immer von neuem entsteht, solange ihm die Sache vorenthalten wird.) Darum ist in § 758 für den Teilungsanspruch die Unverjährbarkeit besonders bestimmt. 96 H e l l w i g , ZivProz. § 32 Note 45; Langheineken, Anspruch 255; a. A. Lehmann, Unterlassung 322. 97 Bei dauernden Leistungen (Unterlassungen, vgl. ob. §4 Note 38») wird, solange der Verpflichtete seine Pflicht befolgt, in jedem Moment der Anspruch befriedigt und entsteht wieder von neuem für die Zukunft. Langheineken 246 nennt einen solchen Anspruch „saturiert"; vgl. Oertmann a. a. 0. 4b. 96

§ 15. Der Anspruch.

265

kann bei absoluten Rechten der Anspruch erlöschen, ohne daß zugleich das Recht untergeht; der Eigentumsanspruch erlischt durch Rückgabe der Sache an den Eigentümer, aber dadurch wird das Eigentum nicht aufgehoben, sondern vielmehr verwirklicht Anders bei Forderungen: da die Forderung ein auf Befriedigung gerichtetes Spannungsverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner und nur dazu bestimmt ist, dem Gläubiger das zu verschaffen, was er vom Schuldner beanspruchen darf, so ist mit der Befriedigung des Anspruchs der Zweck der Forderung erreicht, und die Forderung erloschen. IX. Der Anspruch ist, wie ich annehme, nicht identisch mit der Forderung, hat aber, selbst wenn er aus einem absoluten Recht entspringt, eine nahe Verwandschaft zur Forderung: der Anspruch richtet sich, wie die Forderung, gegen einen bestimmten Gegner und gewährt das Recht auf ein bestimmtes Verhalten dieses Gegners. Daher liegt es nahe, Rechtssätze, die das BGB. für Forderungen aufstellt, analog auf alle Ansprüche anzuwenden, insbesondere auch auf die Ansprüche aus absoluten Rechten98. So ist allgemein anerkannt, daß die Lehre vom Verzug auch für dingliche Ansprüche gilt 9 9 . Ebenso wird man, bei Gleichartigkeit des Gegenstands, Aufrechnung mit einem dinglichen Anspruch gegen eine Forderung zulassen müssen100. Ferner wird meist als selbstverständlich angenommen, daß die Zessionsgrundsätze auf die Ansprüche Anwendung finden 101; es ist aber bei genauerer Betrachtung sehr zweifelhaft, ob ein Anspruch durch Abtretung von dem ihn erzeugenden Recht getrennt werden kann. Was die obligatorischen Ansprüche anbetrifft, so ist ihre Zession identisch mit einer Abtretung der Forderung, weil der Anspruch das wesentliche Stück der Forderung i s t 1 0 2 , wenn Ζ dem X die Befugnis überträgt, die Leistung von D zu verlangen, so sind damit auch alle übrigen in der Forderung enthaltenen 98

Planck, Vorb. I zum II. Buch; Enneccerus § 225 I ; H e l l w i g , ZivProz. § 32 I I ; Kipp I 2 zu W i n d s c h e i d § 251. 99 Das wird in § 990 nicht angeordnet, sondern vorausgesetzt; Planck § 990, 4. 100 Geldstücke vindizieren kann und einen gleichen Betrag schuldet, kann meines Erachtens seine Schuld durch Aufrechnung tilgen; er verliert seine Vindikation, die Geldstücke gehen, arg. § 931 oder § 929 I I , in das Eigentum des Besitzers über. 101 Planck § 413, 1 und § 985, 3; Oertmann zu § 413. 102 Vgl. ob. § 6 II.

266Erstes

Buch.

Die subjektiven Rechte und das Vermögen.

Befugnisse 1 0 8 (ζ. B. Aufrechnung, Kündigung) auf X übergegangen. Der Kern des absoluten Rechts ist die Herrschaft über das Objekt ; der dingliche Anspruch ist nur ein Schutzmittel für den Fall unbefugten Eingreifens dritter, aber ein unentbehrliches Schutzmittel, dessen sich der Eigentümer nicht entäußern kann, ohne zugleich das Eigentum aufzugeben. Das Gesetz gestattet meines Erachtens nicht die Herstellung schutzlosen Eigentums durch den Willen des Eigentümers 1 0 4 . Beim Mobiliareigentum scheint das Gesetz § 931, die Abtretung des Herausgabeanspruchs ausdrücklich anzuerkennen, aber nur, um anzuordnen, daß mit dieser Abtretung, wenn sie in der Absicht der Eigentumsübertragung geschieht, das Eigentum übergehen soll; Eigentum und Vindikation bleiben also im Fall des § 931 bei derselben Person 1 0 6 . Wird die Vindikation einer Mobilie zu anderem Zweck zediert, z. B. um dem Zessionar den Besitz der von ihm gemieteten Sache zu verschaffen, oder handelt 108 Nicht die mit dem Schuldverhältnis zusammenhängenden Hechte; vgl. ob. S. 226. 104 Nur durch Verjährung der Vindikation kann dieser unerwünschte Zustand eines dominium sine re eintreten; vgl. Planck § 194, 3. 108 § 931 enthält den Rechtssatz, daß der nicht im Besitz befindliche Eigentümer einer Mobilie das Eigentum durch Einigung mit dem Erwerber ohne Besitzwechsel übertragen kann ; der Erwerber ist nach § 986 I I den Einwendungen aus der Person des Vorgängers ausgesetzt. Daß dieser Vorgang vom Gesetzgeber als Zession des Herausgabeanspruchs konstruiert wird, ist eine aus dem römischen Recht stammende Einkleidung, die dem heutigen Rechtsbewußtsein ganz fern liegt und nicht einmal immer zutrifft; z. B. wird man Eigentumsübertragung auch dann zulassen, wenn die Sache sich augenblicklich in niemandes Besitz befindet, obgleich in diesem Fall eine Vindikation nicht existiert, daher auch nicht abgetreten werden kann; Abtretung der künftigen Vindikation, mit welcher Planck § 931, 3a zu helfen sucht, würde erst wirken können, sobald die Vindikation entsteht. Daß die cessio vindicationis in unserem Recht ein Konstruktionsmittel ist, dessen sich der Gesetzgeber bedienen zu müssen glaubte, zeigt sich auch darin, daß man von den Parteien eine auf Eigentumsübertragung, nicht aber auf Abtretung des Anspruchs gerichtete Absicht verlangt: in den seltensten Fällen werden die Parteien, wenn sie den Eigentumsübergang verabreden, sich bewußt sein, daß wenn die Sache sich bei einem Dritten befindet, eine Abtretung des Anspruchs dazu nötig ist; und doch wird man den Eigentumsübergang erfolgen lassen, indem man die Zession subintelligiert, und zwar selbst dann, wenn feststeht, daß die Parteien eine Zession nicht gewollt haben können ; wenn ζ. Β. A dem Β eine Sache übertragen will, von der beide glauben, daß sie sich bei Β befindet, während sie dem Β von X gestohlen ist, so wird man nicht umhin können, das Eigentum nach § 930 übergehen zu lassen, obgleich die Parteien vom Eigentumsanspruch des A nichts gewußt und daher an eine Zession desselben nicht gedacht haben.

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Der Anspruch.

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es sich um ein Grundstück, so bleibt das Eigentum von der Abtretung des Anspruchs unberührt, und es könnte scheinen, als ob der Anspruch sich durch die Abtretung vom zugrundeliegenden Recht losgelöst habe. Aber die sogenannte Zession der Vindikation hat nicht die Wirkungen, welche für die Abtretung von Forderungen wesentlich sind: allerdings kann der Zessionar Herausgabe der Sache verlangen, wie der Erwerber einer Forderung Erfüllung verlangt; aber während in letzterem Fall der Schuldner, bei Kenntnis von der Zession, nicht mehr an den Zedenten leisten darf, bleibt das bei der cessio vindication^ möglich 1 0 0 ; gibt der Besitzer die Sache an den Eigentümer zurück, so erlischt der abgetretene Eigentumsanspruch. Ferner ist es zweifellos, daß der Eigentümer, nachdem er die Vindikation an X abgetreten hat, das Eigentum (durch Auflassung) an Y übertragen kann, welchem dann ein eigener Eigentumsanspruch gegen jeden Besitzer, also auch gegen X , zusteht. Endlich hat der Zessionar der Vindikation, wenn der Eigentümer in Konkurs verfällt, keine Möglichkeit, das Eigentum zu erwerben (KO. § 15), oder die Sache dem Konkursverwalter vorzuenthalten 107 , während der Zessionar einer Forderung vom Konkurs des Zedenten unberührt bleibt. Zur Erklärung aller dieser Rechtserscheinungen muß man meines Erachtens annehmen, daß der dingliche Anspruch, so wenig wie der obligatorische, vom erzeugenden Rechte durch Abtretung getrennt werden kann, sondern stets mit diesem Recht vereinigt bleibt 1 0 8 . Was der Eigentümer tun kann und unter dem Namen einer Abtretung des Anspruchs tut, ist eine, ev. unwiderrufliche, Bevollmächtigung eines Dritten zur Ausübung dieses Anspruchs 100 : die Vollmacht hindert den Eigentümer nicht, den dinglichen Anspruch jederzeit selbst auszuüben, und wird unwirksam, sobald der Eigentümer sein Recht oder, im Konkurs, die Verfügung über dasselbe verliert 1 1 0 . Aus denselben Gründen ist die vielbestrittene Abtretung des Berichtigungsî0

« Planck § 985, 3. Planck a. a. 0. joe wie könnte sonst, wenn man annimmt, daß der Eigentümer durch Zession der rei vindicatio diesen Anspruch überträgt, also selbst nicht mehr hat, der Konkursverwalter des Eigentümers, der doch nicht mehr Rechte hat als der Gemeinschuldner, die Sache zur Konkursmasse ziehen? 109 Enneccerus § 204 1; Sohm, Gegenstand 31 Note 18; T u h r , Unwiderr. Vollm. 83fg.; W o l f f , Sachenrecht § 46 VI, § 84 Note 22. Vgl. ob. § 7 Note 21. 107

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Die subjektiven Rechte und das Vermögen.

anspruchs 111 keine Zession (denn der Eigentümer muß trotz der sogenannten Abtretung immer in der Lage sein, selbst die Berichtigung zu verlangen), sondern Erteilung einer Vollmacht 112 . Auch der Besitzer kann sich meines Erachtens nicht des Schutzes gegen Störungen berauben, indem er seinen Anspruch aus § 862 zediert, sondern nur Vollmacht zur Erhebung dieses Anspruchs erteilen, dagegen steht einem Besitzer, der den Besitz verloren hat, nichts im Wege, seinen Anspruch aus § 861 abzutreten. Ähnlich verhält es sich mit dem Verzicht auf Ansprüche. Verzicht auf einen obligatorischen Anspruch ist als Erlaß der Forderung zu betrachten, es sei denn, daß sich der Gläubiger vorbehält, die Forderung anders als durch Erhebung des Anspruchs geltend zu machen (ζ. B. durch Aufrechnung oder Retention). Verzicht auf die Vindikation einer Mobilie ist brevi manu traditio, wenn die Parteien Eigentumsübertragung bezwecken. Ist der Zweck ein anderer oder handelt es sich um Grundstücke, so oleibt das Eigentum und der mit demselben notwendig verbundene Anspruch bestehen: der sogenannte Verzicht ist eine obligatorische Verpflichtung des Eigentümers, dem Besitzer die Sache zu belassen ev. ihm das Eigentum zu verschaffen (§ 313): aus dieser Verpflichtung kann eine Einrede, § 986, gegen den Eigentumsanspruch erwachsen, wenn er vom Verzichtenden erhoben wird; dem Singularsukzessor des Eigentümers steht der Verzicht auf den Eigentumsanspruch nicht entgegen. § 16. Individualisierung and Konkurrenz der Ansprache*. I. Von welchen Umständen hängt die Individualisierung der Ansprüche ab? d. h. wann haben wir das Vorliegen verschiedener Ansprüche, wann Identität des Anspruchs anzunehmen1? Diese Frage mag auf den ersten Blick scholastisch erscheinen : denn wenn A von Β verschiedene Leistungen, nebeneinander oder nacheinander, 111 Ρ1 a n c k § 894 Erl. I 3 ; Ρ r e d a r i, Grundblichordnung S. 183, Anm. 44 ; RG. 59, 289; 62, 322. M2 Die unentbehrliche Pfändbarkeit des Berichtigungsanspruchs ergibt sich trotz der Unabtretbarkeit aus analoger Anwendung von ZPO. § 851 I I und § 886; vgl. T u h r a. a, 0. 86. * W i n d s c h e i d . K i p p § 121^ Regelsberger § 180; M i t t e i s , Individualisierung der Obligationen; Endemann §84,5; H e l l w i g , Anspruch §12 und ZivProz. §§ 37,38,149; Langheineken, Anspruch 166fg.; Last, Anspruchskonkurrenz; Siber, Passivlegitimation bei der rei vindicatio. 1 Dingliche Rechte sind individualisiert durch die Sache und den Inhalt der rechtlichen Herrschaft; vgl. ob. § 6 S. 138.

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zu verlangen hat, so kann es nicht ohne logische Willkür zugehen, wenn wir diese Rechtslage in einen Anspruch zusammenfassen oder in mehrere Ansprüche zerlegen. Und doch führt die Stellungnahme in diesem Problem zu wichtigen praktischen Konsequenzen : für den Prozeß in der Lehre von der Rechtskraft 2, im materiellen Recht insbesondere für die Anwendung der Verjährungsgrundsätze. Aus dem Begriff des Anspruchs, ergibt sich, daß drei Tatsachen als Anhaltspunkte für die Individualisierung der Ansprüche in Betracht kommen8:1. die Personen des Berechtigten und Verpflichteten ; 2. der Inhalt des Anspruchs; 3. der Grund des Anspruchs, d. h. die Tatsachen, aus denen der Anspruch abgeleitet wird. 1. Der Anspruch ist ein Rechtsverhältnis zwischen zwei Personen, A und B. Kann der Anspruch bestehen bleiben, wenn ein Wechsel in der Person des Berechtigten oder Verpflichteten erfolgt? Auf aktiver Seite ist die Frage unbedingt zu bejahen; wenn ein Recht übergeht, durch Erbgang oder unter Lebenden, so geht auch der dem Recht entsprechende Anspruch auf den Rechtsnachfolger über, d. h. was der Rechtsnachfolger nunmehr zu verlangen hat gilt als in jeder Beziehung, namentlich auch für die Verjährung, identisch mit dem Anspruch seines Vorgängers. Nicht so einfach ist die Rechtslage bei Wechsel in der Person des Verpflichteten; nur im Erbfall werden die Ansprüche gegen den Erben zweifellos als identisch mit den Ansprüchen gegen den Erblasser betrachtet. Außerhalb des Erbfalls ist bei Eintritt eines neuen Verpflichteten die Identität des Anspruchs bestritten. So vor allem bei den dinglichen Ansprüchen: sie richten sich gegen den jeweiligen Besitzer: den Störer; wenn erst Β und dann C als Besitzer der Vindikation ausgesetzt ist, so sind beide Auffassungen möglich: Fortbestand des Anspruchs trotz Wechsels des Verpflichteten 4, oder Entstehung eines neuen Anspruchs gegen den neuen Besitzer 6. Diesem durch logische Mittel nicht zu entscheidenden Streit ist vom Gesetz in § 221 die praktische Spitze abgebrochen, indem die Fortdauer der Verjährung für den Fall statuiert ist, daß der neue Verpflichtete den Besitz durch Rechtsnachfolge vom früheren Besitzer erlangt hat. Dieselbe Verschiedenheit der Auffassungen kaun bei der Schuldübernahme bestehen: Fortdauer des alten Anspruchs trotz Wechsels des Verpflichteten, 2

ZPO. § 822. Vgl. H e l l w i g , ZivProz. § 37 IV. * Vgl. H e l l w i g , ZivProz. § 41 S. 289; vgl. ob. § 12 Note 32. 6 Planck § 221, 1. 8

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oder Entstehung eines neuen Anspruchs von gleichem Inhalt gegen den Übernehmer: mir scheint letztere Auffassung die näherliegende zu sein, da hier zum Wechsel des Verpflichteten ein neuer Grund des Anspruchs, die Schuldübernahme, hinzutritt 6 . Wenn in einem Rechtsverhältnis, aus dem Ansprüche hervorgehen, auf aktiver oder passiver Seite mehrere Personen stehen, so ist zu fragen, ob e i n Anspruch oder mehrere Ansprüche vorliegen. Bei Mehrheit der Verpflichteten ist stets Mehrheit der Ansprüche anzunehmen, selbst dann, wenn es sich um dieselbe Leistung handelt und die Leistung, wie bei Gesamtschuldnern nur einmal vorgenommen zu werden braucht. Gemeinsame Verpflichtungen in dem Sinn, daß der Berechtigte sein Verlangen nicht an A oder B, sondern nur an A und Β zusammen stellen könnte, kommen in unserem Gesetz nicht vor 7 . Dagegen ist auf aktiver Seite bei Mehrheit der Berechtigten zwar in der Regel Mehrheit der Ansprüche anzunehmen, aber nicht immer. Denn es gibt Fälle, in denen ein Recht weder dem A noch dem B, sondern dem A und Β gemeinsam zusteht8. In der Konsequenz dieser Struktur liegt es, daß ein solches Recht nur gemeinsam ausgeübt werden kann, daß also, wenn es einen Anspruch erzeugt, das Verlangen der Leistung nur von A und Β gemeinsam gestellt werden kann. Die Unbeholfenheit dieses Vorgehens führt dazu, daß in wichtigen Fällen die Ausübung des gemeinsamen Rechts einem der Inhaber (§ 1442) oder bestimmten Personen (§ 715) zugewiesen ist; nur ausnahmsweise kommt das Prinzip zur Geltung: nach Aufhebung der Gütergemeinschaft können die Ehegatten Ansprüche des Gesamtguts nur gemeinsam erheben, § 1472. In einem wichtigen Fall, der Erbengemeinschaft, ist trotz der Gemeinsamkeit der Forderung jedem der Miterben ein selbständiger Anspruch verliehen § 2039: jeder Miterbe kann die Leistung verlangen, aber, da die Forderung nicht ihm allein zusteht, nicht Leistung an sich allein, sondern an sämtliche Miterben. 2. Die Identität des Anspruchs bestimmt sich ferner durch dessen I n h a l t : soviel verschiedene Leistungen A von Β zu verlangen hat, soviel einzelne Ansprüche gibt es zwischen ihnen. Das gilt auch dann, wenn diese Ansprüche auf demselben Rechtsverhältnis beruhen, ζ. B. auf einem Vertrag, in welchem der Schuldner ver8 7 5

Vgl. ob. § 12 S. 228. Vgl. ob. § 4 VIII. Gemeinschaft zur gesamten Hand; vgl. ob. § 3 III.

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schiedene Leistungen versprochen h a t 8 a , oder aus dem sich durch Ahlauf von Zeit oder Hinzutritt neuer Umstände weitere Pflichten des Schuldners ergeben. Im römischen Recht wurden solche Ansprüche aus einem Rechtsverhältnis oft in eine actio zusammengefaßt 9: sie konnten und mußten im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens geltend gemacht werden. Für uns stehen, mit dem Wegfall des spezifisch römischen Aktionenbegriffs, die einzelnen Ansprüche als selbständige Rechte nebeneinander; so hat sich der Inhalt der Vindikation in den dinglichen Herausgabeanspruch und die obligatorischen Nebenansprüche aufgelöst 10 , so treten neben den Anspruch auf das Kapital die Ansprüche auf die einzelnen Zinsraten n , so im Auftragsverhältnis neben den Anspruch auf Ersatz der ersten Auslage des Mandatars die Ansprüche auf Ersatz seiner weiteren Auslagen usw. An der Selbständigkeit der einzelnen Ansprüche darf uns nicht irre machen der Umstand, daß solche Ansprüche infolge ihres einheitlichen Ursprungs in gewisser Beziehung als Einheit behandelt werden, daß ζ. B. Bürgschaft und Pfandrecht sich auf eine Gruppe zusammenhängender Ansprüche beziehen12, daß die Verjährung eines Hauptanspruchs sich auch auf die Ansprüche auf Nebenleistungen bezieht, § 224. Soweit diese speziellen Rechtssätze nicht reichen, kommt die Selbständigkeit der Ansprüche zur Geltung. Das gilt namentlich auch von den Ansprüchen auf wiederkehrende Leistungen ζ. B. Leibrenten. Es besteht ein Rechtsverhältnis, aber eine Meirheit von Forderungen, von denen jede bei Fälligkeit einen Anspruch erzeugt. Der genetische Zusammenhang dieser Forderungen kommt in mancher Beziehung zur Geltung, namentlich beim Nießbrauch, § 1073 1 2 a und im Konkurs des Schuldners 18. Aber es gibt neben den einzelnen Ansprüchen keinen 8a

Über Ansprüche aus Wahlforderungen vgl, unt. S. 286. Mit der intentio: quidquid ob earn rem dare facere oportet exfide bona. So z. B. die act. empti venditi, locati conducti, mandati etc. 10 Vgl. ob. § 15 Note 22. 11 Vgl. ob. § 13 Note 13 a. 18 §§ 767, 1118, 1210. Die Sicherheiten sind nicht für einen einzelnen Anspruch bestellt, sondern in omnem causam, d.h. für alle aus dem Schuldverhältnis sich ergebenden Ansprüche. 12 * Die einzelnen Raten fallen dem Nießbraucher zu, wie wenn sie Nutzungen eines seinem Nießbrauch unterliegenden Rechts wären. 18 Die Leibrente wird als eine Forderung von unbestimmtem oder ungewissem Betrag nach KO. § 69 behandelt; Jäger zu KO. § 69 und § 3 Anm. 20. 9

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mit ihnen konkurrierenden Gesamtanspruch, dessen Verjährung mit der Fälligkeit der ersten Rate beginnen könnte18®. Dies Resultat kann zu praktisch bedenklichen Konsequenzen führen, weil der Zweck der Verjährung (das Zurückgehen auf Rechtsverhältnisse, die vor langer Zeit entstanden sind, zu vermeiden) hier nicht erreicht wird. Wenn man helfen will, so kann man es meines Erachtens nur durch analoge Anwendung des § 224 tun, indem man annimmt, daß mit der ersten Rate auch die später fällig werdenden Raten verjähren 181». Was L a n g h e i n e k e n 1 8 c für die Existenz eines Gesamtanspruchs vorbringt, ist meines Erachtens nicht beweisend; namentlich braucht man wegen der in ZPO. § 258 zugelassenen Klage auf künftige Raten einen Gesamtanspruch nicht anzunehmen; denn das Gesetz gestattet Klage auch in sonstigen Fällen, ZPO. § 257, 259, bevor der Anspruch durch Fälligkeit der Forderung entstanden i s t 1 8 d . Nur in einem Fall soll nach herrschender Meinung 14 im heutigen Recht ein „Gesamtanspruch" angenommen werden: der Erbschaftsanspruch soll alle Leistungen umfassen, die der Erbe vom Erbschaftsbesitzer verlangen kann. Demgegenüber behauptet H e l l w i g 1 6 , daß es auch hier nichts anderes als Einzelansprüche gäbe, teils dinglicher Natur (Herausgabe der Erbschaftsbestandteile und der Surrogate des § 2019), teils obligatorischer Natur (Bereicherung und Schadenersatz), und daß diese Ansprüche, wenn sie einzeln, oder mehrere zugleich gegen einen „Erbschaftsbesitzer" erhoben werden, den besonderen Vorschriften § 2019 fg. unterliegen : darin allein, nicht in der Zusammenfassung mehrerer Ansprüche zu einer Gesamtheit liege das Charakteristikum des „Erbschaftsanspruchs". Diese Auffassung hat den Vorzug, daß sie besser, als die herrschende, mit unseren prozessualen Bestimmungen insbesondere über Rechtshängigkeit und Rechtskraft in Einklang gebracht werden kann: die Wirkungeu der Rechtshängigkeit treten 18a

So die herrschende Meinung, vgl. Planck § 224, 2; Dernburg I § 174 Note 9; im Resultat ebenso Enneccerus § 408 II. (Die Leibrente als Ganzes ist Anwartschaft auf die einzelnen künftigen Raten). 18 b Auch in bezug auf die Dauer der Verjährung behandelt das Gesetz die wiederkehrenden Leistungen wie die Zinsen, § 197. 18 c Anspruch 144 fg. 18 à Vgl. ob. § 15 Note 84. u Planck, Bern. 4 vor § 2018; S t r o h a l , Erbrecht I I § 93fg.; Kipp zu Windscheid § 612; Langheineken, Anspruch 148. 16 Anspruch S. 62fg., ZivProz. §31 S.212; zustimmend Binder, Rechtsstellung des Erben I I I § 54, ArchBürgR. 34, 234.

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nur ein für die in der Klage bezeichneten Gegenstände16; ebenso ist die Hechtskraft auf die Gegenstände beschränkt 17 , welche in der Klage genannt und im Urteil zu- oder aberkannt sind 18 . Die Einwendungen, welche die herrschende Lehre, insbesondere S t r o h a l a. a. 0. gegen die Lehre von H e l l w i g erhebt, scheinen mir nicht durchschlagend zu sein: a) daß das Gesetz in § 2026. 2031 von einer Verjährung des Erbschaftsanspruchs redet, ist zwar ein Indiz dafür, daß den Verfassern des Gesetzes ein Gesamtanspruch nach römischem Vorbilde vorschwebte, kann uns aber in der Auslegung des Gesetzes nicht binden; unter Erbschaftsanspruch ist eben jeder Anspruch des Erben zu verstehen, der sich gegen einen Erbschaftsbesitzer richtet und daher, nach § 202G, den Vorschriften der §§ 2018 fg. unterliegt; b) die Ansprüche des Erben aus eingetragenen Rechten sind, wenn es neben den Singularansprüchen keinen Gesamtanspruch geben soll, nach § 902 unverjährbar: unbillig kann man dieses Resultat nicht nennen; denn es ist nicht einzusehen, warum der Erbschaftsbesitzer besser gestellt sein sollte, als jeder andere Besitzer eines fremden Grundstücks. Übrigens muß auch S t r o h a l S. 413 Fälle zugeben, in denen der Erbschaftsbesitzer, auch bei Annahme eines Gesamtanspruchs, infolge der Eigentümlichkeiten des Grundbuchrechts durch Verjährung nicht geschützt ist. c) Anstößig ist allerdings die von H e l l w i g 1 9 gezogene Konsequenz, daß wenn im Lauf des Erbschaftsbesitzes eine Surrogation oder eine Bereicherung des Besitzers aus dem Nachlaß eintritt, eine neue Verjährung beginnen 16

oder, wenn die Bezeichnung nach ZPO. § 254 vorbehalten ist, für die später namhaft gemachten Gegenstände. 17 Wird der Nachlaß in der Klagschrift oder vorbehaltenen Ergänzung unvollständig angegeben, so treten meines Erachtens für die nicht genannten Gegenstände die Wirkungen der Rechtshängigkeit, § 2023, nicht ein, dafür aber oft die Wirkungen des § 2024: denn wenn der Beklagte in seiner Auskunft, § 2027, den Bestand des Nachlasses wissentlich unvollständig angibt, wird er wohl meistens in bezug auf sein Erbrecht bösgläubig sein; wenn er aber b. f. einen Gegenstand nicht angibt, weil er dessen Zugehörigkeit zum Nachlaß selbst nicht kennt, so scheint es mir nicht unbillig zu sein, wenn er von der verschärften Haftung der §§ 2023, 2024 verschont bleibt. 18 Wenn der Beklagte nach dem Urteil in den Besitz weiterer Nachlaßgegenstände kommt, wird wohl auch die herrschende Meinung einen zweiten Erbschaftianspruch gestatten; dagegen müßte sie die Wiederholung der Klage wegen der Gegenstände verweigern, welche schon zur Zeit des Urteils im Besitz des Beklagten waren, aber mit oder ohne seine Schuld dem Kläger unbekannt geblieben und daher im Urteil nicht erwähnt sind. 19 Anspruch § 8 Note 4. Handbuch X . 1. I : v o n T u h r I .

18

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soll. Aber dieselbe inelegantia iuris kann nach herrschender meines Erachtens irriger Meinung auch außerhalb dos Erbschaftsverhältnisses vorkommen, vgl. unt. Note 21. Verschiedene Leistungen können nicht nur nebeneinander, sondern auch nacheinander aus einem Rechtsverhältnis geschuldet werden: der Inhalt der Verpflichtung ändert sich ζ. Β., wenn an Stelle der Erfüllung infolge ihrer Unmöglichkeit Schadensersatz tritt, oder an Stelle der Schuldbefreiung (§ 257, 329) Ersatz der Auslagen, wenn der Gläubiger die ihm abzunehmende Schuld selbst getilgt hat. Die Identität der römischen actio wurde durch solche Veränderungen der geschuldeten Leistung nicht berührt. Dagegen ist es im Sinn des modernen Rechts korrekter, anzunehmen20, daß mit jeder Veränderung des Inhalts der Forderung ein neuer Anspruch entsteht. Diese einander ablösenden Ansprüche müssen aber infolge ihres genetischen Zusammenhangs in mehrfacher Beziehung als Entwicklungsphasen des ursprünglichen Anspruchs behandelt werden, nicht nur, wie oft hervorgehoben wird, für die Haftung von Bürgen und Pfändern, sondern namentlich auch für die Verjährung 21 . 3. Die Individualität eines Anspruchs bestimmt sich nicht nur durch die beteiligten Personen und den Inhalt der Leistung, sondern 20

So für den Schadenersatz, der bei Unmöglichkeit der Leistung an Stelle der Erfüllung tritt, Planck § 280, 1; Kleineidam, Unmöglichkeit 107; Kisch, Unmöglichkeit 125; H e l l w i g , ZivProz. § 87 IV 2; Last 13fg. Wenn die Römer sagen, daß auch nach Untergang des Leistungsgegenstandes adhuc peti homo potest und: perinde agi ex stipulatu potest, ac si ea res extaret, fr. 91 § 5 D. 45, Paul. V 7 § 4, so beruht das auf dem Zwang der Formel (aus einer Stipulation : hominem Stichum dari konnte die Formel nicht anders als auf: hominem Stichum dare oportere gestellt werden) und ist für unser Recht nicht mehr maßgebend. Daher kann der Gläubiger bei eingetretener und bewiesener Unmöglichkeit nicht mehr Erfüllung, sondern nur Schadenersatz verlangen. A. A. Enneccerus § 271 Note 1. Gegen RG, 54, 28 Klage auf Erfüllung, obgleich der Schuldner sich zum Beweis der eingetretenen Unmöglichkeit erbietet) K i p p , Zus. 7 zu Windscheid § 264. 21 Allgemein anerkannt ist, daß die kurze Verjährung des § 196 sich auch auf den Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung bezieht, Planck § 196, 1; Staudinger § 196, 4; Enneccerus § 214 I am Ende. Dabei kommt, wie mir scheint, nicht zum Bewußtsein, daß es sich um eine Übertragung der Verjährung von einem Anspruch auf einen anderen handelt. Diese Übertragung ist meines Erachtens durcii -· . 1 ^ Zweck des Verjährungsinstitutes gerechtfertigt: man muß, um diesen Zweck nicht zu verfehlen, in analoger Ergänzung des § 224 die Verjährung nicht nur auf Nebenansprüche, sondern auch auf solche Ansprüche erstrecken, welche als Entwicklungsprodukt eines Anspruchs an dessen Stelle treten. Das gilt nicht nur beim

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auch durch den „ G r u n d " des Anspruchs (ZPO. § 253) d. h. durch die Tatsachen oder Rechte, aus denen der Anspruch entsteht respektive vom Kläger hergeleitet wird. Hier zeigt sich ein fundamentaler Gegensatz der Ansprüche zu den Herrschaftsrechten : bin ich Eigentümer, so kann ich es nicht nochmals werden; ich kann das mir bereits zustehende Eigentum weder von meinem Autor noch von einem Dritten nochmals erwerben ; ein dies bezweckendes Rechtsgeschäft wäre wirkungslos 82. Dagegen ist der Anspruch die Befugnis, eine Leistung zu verlangen und zwar aus einem bestimmten Grunde: weil der Gegner mir die Leistung versprochen hat, oder weil er aus einem sonstigen vom Gesetz mit dieser Wirkung ausgestatteten Tatbestand dazu verpflichtet ist. Der Anspruch ist nur ein Mittel, um dem Berechtigten die Leistung zu verschaffen; es kann aber mehrere Mittel geben, um das Ziel zu erreichen: man kann dieselbe Leistung von zwei verschiedenen Personen verlangen dürfen ; man kann aber auch gegen dieselben Verpflichteten mehrere Ansprüche auf dieselbe Leistung haben, wenn jeder dieser Ansprüche auf einem verschiedenen Tatbestand beruht 28 . So ζ. B. wenn eine Summe verlangt wird, einerseits als Kaufpreis, anderseits aus einem für den Kaufpreis ausgestellten Wechsel oder sonstigen abstrakten Schuldversprechen, § 780 24 ; ferner aus einem Vertrag und aus einem auf diese Schuld siôh beziehenden legatum Schadensersatz wegen Nichterfüllung, sondern ζ. B. auch dann, wenn an Stelle eines Liberationsanspruchs ein Anspruch auf Erstattung tritt, oder an Stelle eines dinglichen Anspruchs eine Verpflichtung zum Schadensersatz, §§ 989, 990; wenn dem nicht so wäre, so würde sich folgende Disharmonie ergeben: wenn der Besitzer einer fremden Sache sie kurz vor Ablauf der Verjährung des Eigentumsanspruchs beschädigt oder vernichtet, so wäre im Falle der Beschädigung der Schadensersatz als Nebenanspruch im Sinne von § 224 von der Verjährung des Herausgabeanspruchs mitbetroffen, während im Falle der Vernichtung eine neue Verjährung beginnen müßte. Eine Ausdehnung der Verjährung möchte ich auch dann annehmen, wenn an Stelle der Vindikation ein Bereicherungsanspruch aus § 816 tritt: warum soll dem Eigentümer, dessen Vindikation nahezu verjährt ist, eine Verbesserung der Rechtsstellung dadurch zuteil werden, daß der Besitzer die Sache wirksam veräußert? Nach S t r o h a l , JheringsJ. 34, 364 und v. Mayr, Bereicherung 630 soll der nach § 816 entstehende Bereicherungsanspruch mit einer neuen, dreißigjährigen, Verjährung ausgestattet sein. 22 Vgl. ob. § 6 S. 139. 28 Aus demselben Grunde kann es mehrere negative Rechte zur Erreichung desselben Erfolges geben; vgl. ob. § 10 V. 24 Ein zweiter Anspruch auf eine schon geschuldete Leistung kann nur durch ein abstraktes Schuldversprechen begründet werden; wird die Leistung 18 *

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debiti a s . Ebenso wenn die Herausgabe einer Sache verlangt wird aus einem Vertrag z. B. Miete, oder aus dem Eigentum an der Sache 26 , oder endlich deswegen, weil der Kläger den Besitz der Sache in bestimmter Weise verloren hat, § 861. Verschiedenheit des Tatbestandes und daher Mehrheit der Ansprüche liegt auch dann vor, wenn die Tatbestände mehrerer Ansprüche sich zum Teil decken und sich nur durch das Hinzutreten verschiedener Tatsachen unterscheiden. So entsteht, wenn jemand durch ein Tier geschädigt wird, ein Anspruch gegen den, der das Tier hält, § 833, und ein zweiter Anspruch gegen den, der bei der Beaufsichtigung des Tieres ein Verschulden begangen hat, § 833 respektive 834, beide Ansprüche können in der Person desselben Verpflichteten zusammentreffen 27. 4. Nicht mehrere Ansprüche, sondern nur ein Anspruch liegt vor, wenn derselbe Tatbestand unter mehrere Rechtssätze fällt, von denen der eine als der speziellere den anderen entweder ganz ausschließt, oder von ihm ergänzt wird. Als Beispiele für diese von H e l l w i g 2 8 mit dem Wort „ G e s e t z e s k o n k u r r e n z " bezeichnete Erscheinung seien benannt: a) der schon ob. S. 272 erwähnte Erbschaftsanspruch ; der Erbe kann als Rechtsnachfolger des Erblassers dessen dingliche und obligatorische Ansprüche erheben; tut er das gegenüber einem Gegner, der „etwas auf Grund eines ihm in Wirklichkeit nicht zustehenden Rechtes aus der Erbschaft erlangt hat", so kommen auf diesen Anspruch nach § 2026 die besonderen Vorschriften der §§ 2018 fg. zur Anwendung: z. B. ist, wenn sich herausstellt, daß der Erbschaftsbesitzer eine Sache veräußert hat, der Anspruch auf Herausgabe des Erlangten nicht obligatorisch (§ 816), sondern dinglich (§ 2019); der Erbschaftsbesitzer hat alle Nutzungen herausmit Angabe der ursprünglichen causa nochmals zugesagt, so ist das kein schuldbegründendes Versprechen, sondern ein beweisbegründendes Geständnis. 26 Vgl. Planck § 2173, 3b; Dernburg V § 83 IV; Strohal, Erbrecht § 37 II. 26 H e l l w i g , ZivProz. § 37 bei Note 40; Siber a. a. 0. 237fg. will dem Eigentümer gegen den Mieter nur einen Anspruch auf Rückgabe der Sache gewähren; vgl. unt. Note 34. 27 Nicht mehrere, sondern ein Anspruch liegt vor, wenn der Kläger die Leistung auf Grund ζλνείβΓ Tatbestände verlangt, von denen der eine den anderen ausschließt; so z.B. wenn X den Ersatz einer Auslage, die er für Y gemacht hat, aus einem Auftrag event, aus Geschäftsführung ohne Auftrag verlangt; oder eine Summe, die er dem Y geliehen hat, aus einem Darlehen event, aus ungerechtfertigter Bereicherung. 28 ZivProz. § 37, 4; Endemann § 84 Note 22.

§ 16. Individualisierung und Konkurrenz der Ansprüche.

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zugeben, § 2020 (im Gegensatz zu § 993); er kann Ersatz aller Verwendungen verlangen, § 2022 (im Gegensatz zu § 994 fg.) usw. Die Anwendung der Rechtssätze über den Erbschaftsbesitz erfolgt von Amtswegen, sobald aus dem dem Richter vorgelegten Material hervorgeht, daß die Voraussetzungen des § 2018 vorliegen. b) Der Schadensersatz für Beschädigung oder Vernichtung einer Sache ist im Gesetz unter verschiedenen Gesichtspunkten geregelt: als Verletzung einer Vertragspflicht, § 280; als Verstoß gegen die gesetzlichen Pflichten aus dem Besitz einer fremden Sache, § 989/90; oder endlich, wenn der Täter zum Eigentümer in keinerlei Rechtsverhältnis stand, als Delikt, § 823. Wenn die Voraussetzungen aller dieser Rechtssätze zugleich vorliegen, ζ. B. ein Mieter beschädigt die in seinem Besitz befindliche dem Vermieter gehörende Sache, so könnte man daran denken, seine Handlung unter jeden der genannten Rechtssätze zu subsumieren d. h. drei verschiedene Ansprüche gegen ihn zu konstruieren 29. Richtiger für unser Recht dürfte es sein, hier eine Gesetzeskonkurrenz anzunehmen80 d. h. Ausschluß der allgemeineren Rechtsnormen durch die spezielleren. Daraus ergibt sich: Wenn ein Vertragsv. hältnis besteht, richtet sich die Haftung des Schuldners für Schaden, den er durch vertragswidriges Verhalten herbeiführt 81 , dem Gläubiger gegenüber 82 nur nach Vertragsgrundsätzen, nicht daneben nach den §§ 989/90 oder, wie die herrschende Lehre 38 will, nach den Vorschriften über unerlaubte Handlungen, § 823 84 . Die Annahme einer Gesetzeskonkurrenz 29

Actio locati, rei vindicatio, a. legis Aquiliae. H e l l w i g , ZivProz. §37 Note 49, 67 und DJZ. 11, 1289; Siber a. a. O. 228 fg. 81 Schädigungen, die nicht durch Verletzung der Vertragspflichten, sondern anläßlich der Vertragserfüllung begangen sind, unterstehen nur dem Deliktsrecht; die Abgrenzung, namentlich für §278 und 831, kann in einzelnen Fällen schwierig sein. 32 Steht die Sache im Eigentum nicht des Gläubigers, sondern eines Dritten, so kann dieser nicht aus dem Vertrag Ersatz beanspruchen, sondern aus Delikt oder aus § 991 II. Ob daneben der Gläubiger auch einen Ersatzanspruch hat und mit welchem Inhalt (Leistung des Ersatzes an sich selbst oder an den Eigentümer) ist streitig; vgl. Oertmann, Bern. 3 vor § 249. 88 Planck und Oertmann, Vorb. 5 vor § 823; Windscheid^Kipp I I S. 950; Endemann § 200, l b ; Enneccerus § 449 I I ; K r ü c k m a n n , JheringsJ. 52, 428 fg. 34 Dagegen bestehen in bezug auf die Herausgabe der Sache Vertragsanspruch und rei vindicatio nebeneinander, vgl. ob. Note 26. S1 b e r a. a. O. findet darin einen Widerspruch. Aber die Herausgabeansprüche aus Vertrag und 80

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hat hauptsächlich in zwei praktischen Konsequenzen den Vorzug eines zweckmäßigeren Resultats: ist im Vertragsverhältnis eine mildere Haftung angeordnet, § 526, 600, 690, so haftet der Schuldner nicht daneben aus Delikt für culpa levis, wodurch die vom Gesetz beabsichtigte mildere Behandlung solcher Schuldner fast ganz illusorisch würde. Besteht im Vertragsverhältnis für den Schadensersatz eine kurze Verjährung, z. B. § 558 bei der Miete, so kann nach deren Ablauf der Gläubiger keinen Schadensersatz aus § 989 oder 823 verlangen 35. Wenn A die Sache des Β besitzt und beschädigt, so haftet er nach § 992 aus Delikt, wenn er sich den Besitz durch verbotene Eigenmacht oder strafbare Handlung verschafft' hat. Daraus folgt, wie allgemein zugegeben wird 8 6 , daß sich seine Haftung in den übrigen Fällen ausschließlich nach den §§ 989/90 richtet. Für die Haftung aus § 823 bleiben also nur die Fälle übrig, in denen der Täter zum Eigentümer weder in einem Vertragsverhältnis, noch im Verhältnis des unberechtigten Besitzes steht 87 . c) Ebenso kann sich Tötung und Körperverletzung sowohl als Vertragsverletzung wie als Delikt darstellen. Auch hier entsteht Eigentum unterscheiden sich bei Gleichheit des Erfolges durch ihren Tatbestand: der dingliche Anspruch setzt voraus Eigentum beim Berechtigten und Besitz beim Verpflichteten, während der obligatorische Anspruch nicht auf Eigentum und Besitz, sondern auf der Tatsache des Vertragsschlusees beruht. Dagegen ist beim Ersatzanspruch der Tatbestand identisch: schuldhafte Handlung des Verpflichteten und auf Seiten des Berechtigten stets Eigentum; denn wenn sich erweist, daß der Gläubiger nicht Eigentümer der Sache ist, hat er keinen Schadenersatz zu beanspruchen (sondern nur Entschädigung an den Eigentümer, vgl. ob. Note 32). Dieser einheitliche Tatbestand fällt unter mehrere Vorschriften des Gesetzes, von denen nur die speziellere, und das ist in diesem Fall das Vertragsrecht, Anwendung findet. 36 Rg. RG. 62, 329; 66, 364. Als weitere Konsequenz aus der Annahme einer Gesetzeskonkurrenz ergibt sich die Unanwendbarkeit des § 393 bei Vorliegen eines Vertragsverhältnisses: der Schuldner, der durch eine vorsätzliche Handlung, welche ihrem Inhalt nach Delikt sein könnte, den Gläubiger schädigt ζ. B. der Mieter, der die Sache vorsätzlich vernichtet, könnte aufrechnen. Meines Erachtens ist nach der ratio des § 393 eine analoge Anwendung auf solche Vertragsverletzungen geboten, welche bei Nichtvorliegen eines Vertrags Delikt wären. 3e Planck § 992, 1. 87 Dem § 823 gehen die spezielleren Vorschriften des § 839 vor, wenn eine dem § 823, insbesondere dem Abs. I I desselben, unterliegende Schädigung dnrch Verletzung einer dem Beamten gegenüber einem Dritten obliegenden Amtspflicht bewirkt ist.

§ 16. Individualisierung und Konkurrenz der Ansprüche.

die Frage, ob zwei Ansprüche mit einander konkurrieren, oder zwei gesetzliche Bestimmungen in bezug auf einen Anspruch zusammentreffen. Für den Ersatzanspruch, der dem Verletzten (oder, bei Tötung, seinem Nachlaß) zusteht, möchte ich Gesetzeskonkurrenz annehmen und zwar so, daß die Regeln des Vertragsrechts (Verjährung, Haftung für Angestellte nach § 278) vorgehen. Für den Inhalt des Schadensersatzes gilt die allgemeine Regel des § 249, ergänzt für den Fall der Körperverletzung durch die Vorschriften der §§ 842/3 3 7 a . Dagegen gilt Deliktsrecht: wenn zwischen dem Verletzten und dem Schuldigen kein Vertragsverhältnis besteht sowie, bei Bestehen eines solchen Verhältnisses, für die Ansprüche der Hinterbliebenen aus § 844 I I und für den Ersatz des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, § 84 7 3 7 b . d) Wer in der Absicht der Geschäftsführung in fremdes Vermögen eingreift, tritt damit zum Subjekt des Vermögens in ein vom Gesetz in § 677 fg. geregeltes Rechtsverhältnis und hat, wenn seine Geschäftsführung unrichtig ist, oder seine Einmischung ungerechtfertigt war, den Schaden nach § 677 und 678 zu ersetzen. Durch diese speziellen Vorschriften wird die allgemeinere Regel des § 823 meines Erachtens ebenso ausgeschlossen88, wie durch das Vorliegen eines Vertragsverhältnisses. Der Geschäftsführer haftet daher im Fall des § 680 nur für grobe Fahrlässigkeit, nicht noch daneben aus § 823 für culpa levis. e) Die allgemeine Bestimmung des § 1708 über den Unterhaltsanspruch des unehelichen Kindes ist verdrängt durch die speziellere Vorschrift des § 1703 für den Fall der ungültigen Ehe bei mala fides beider Ehegatten 39 . 37 a

§§ 842, 843 betreffen den Vermögensschaden und enthalten über den Ersatz desselben nähere Bestimmungen, die dem Prinzip des § 249 durchaus entsprechen. Die herrschende Meinung will diese Paragraphen wegen ihrer Stellung im Gesetz nur bei Delikten anwenden, aber es ist nicht abzusehen, inwiefern bei Körperverletzung der Ersatz des materiellen Schadens, wenn er aus Vertragsverletzung verlangt wird, einen anderen Inhalt haben könnte. Will man bei Klage aus Vertrag den Ersatz der Nachteile für Erwerb und Fortkommen, § 842, verweigern? und damit das Prinzip der vollen Entschädigung, § 249, durchbrechen? Oder soll der Ersatz für Erwerbsunfähigkeit und Vermehrung der Bedürfnisse, wenn aus Vertrag geklagt wird, nicht in einer Geldrente bestehen? während doch dieser Modus der Entschädigung dem Prinzip der Naturalherstellung am besten entspricht. 37 b Dieser Anspruch konkurriert nicht mit dem Anspruch auf Ersatz des Vermögensschadens, weil er einen anderen Inhalt hat. 38 H e l l w i g , ZivProz. § 37 Note 65; a. A. P l a n c k , Erl. V vor § 677. 39 L a n g h e i n e k e n , Anspruch 140; a. A. Planck § 1703, 1.

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f) Eine Gesetzeskonkurrenz möchte ich in den Fällen annehmen, in welchen unser Gesetz von einem Übergang der befriedigten Forderung auf den regreßberechtigten Zahler spricht, z. B. § 426, 774. Auf den ersten Blick scheinen hier verschiedene Ansprüche vorzuliegen (einer aus dem internen Verhältnis des Zahlenden X zum regreßpflichtigen Schuldner D, der andere aus dem Schuldverhältnis zwischen dem Schuldner D und seinem Gläubiger C); beide Ansprüche können auch ursprünglich einen verschiedenen Inhalt haben: X kann aus Mandat oder negotiorum gestio den Betrag seiner Auslagen mit gesetzlichen Zinsen verlangen, während der Anspruch des C gegen D vielleicht eine größere Summe mit höheren Zinsen zum Inhalt hatte. Aber in § 426 und 774 ist dafür gesorgt, daß X trotz des „Übergangs der Forderung" von D nicht mehr verlangen kann, als ihm aus seinem internen Verhältnis zu D zukommt 40 . Zur Identität des Inhalts kommt nun aber hinzu die Identität des Tatbestandes : will X seinen Anspruch auf das interne Verhältnis gründen, so muß er behaupten, daß er eine Schuld des D bezahlt und damit eine Aufwendung für ihn gemacht hat, für welche er aus Auftrag, Geschäftsführung usw. regreßberechtigt ist: will sich X auf die gesetzliche Surrogation in den Anspruch des C berufen, so muß er genau dasselbe behaupten; denn die Surrogation erfolgt nur, „soweit der Zahlende Ausgleichung verlangen kann a . Wenn aber der Kläger diese Tatsachen vorbringt, so ist es Sache des Richters, zu wissen, was das Gesetz für diesen Fall bestimmt: daß nämlich der aus den allgemeineren Rechtssätzen über Auftrag, Geschäftsführung usw. sich ergebende Regreß des Zahlenden besonders privilegiert ist, wenn der Zahlende Gesamtschuldner oder Bürge des Schuldners war; diese Bevorzugung besteht nicht, wie das Gesetz sich ausdrückt, darin, daß der Regreßberechtigte einen zweiten Anspruch bekommt 41 , 40 Nach § 426 soll die Forderung des Gläubigers auf den zahlenden Gesamtschuldner Übergehn, „soweit ein Ausgleich verlangt werden kann". In § 774 ist für die Bürgschaft dieselbe Beschränkung des Regresses in der Weise hergestellt, daß die Einwendungen des Hauptgläubigers aus seinem Rechtsverhältnis zum Hauptschuldn*er auch gegenüber der übergegangenen Forderung bestehen bleiben. Der Unterschied ist rein formell; der Gesamtschuldner wie der Bürge kann, wenn er gezahlt hat, auf Grund dieser Tatsache Regreß nehmen. Sache des Gegners ist es sowohl in § 426 als in § 774 zu behaupten, daß aus besonderen Gründen ein Regreß des Zahlenden nicht besteht. 41 Der Übergang der Forderung auf den zahlenden Gesamtschuldner oder Bürgen ist eine Reminiszenz an die römische cessio actionum und paßt nicht

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(denn bei Gleichheit der Personen, des Inhalts und des Tatbestandes kann es nur e i n e n Anspruch geben), sondern darin, daß dem auf dem inneren Verhältnis bestehenden Regreßanspruch des Gesamtschuldners und Bürgen die Eigenschaften (ζ. B. Vorrecht in Konkurs) und Nebenrechte zukommen, welche mit dem Anspruch des befriedigten Gläubigers verbunden waren 42 . g) In Gesetzeskonkurrenz sollen nach H e l l w i g 4 8 die §§ 861 und 1007 I I stehen, soweit die Tatbestände dieser §§ sich decken d. h. wenn der Beklagte dem Kläger den Besitz eigenmächtig entzogen hat; dann soll nur ein Anspruch vorliegen, mit der prozessualischen Eigentümlichkeit, daß ihm, wenn er innerhalb eines Jahres erhoben wird, petitorische Einwendungen nicht entgegenstehen. Meines Erachtens liegen aber zwei Tatbestände vor, die sich nur zum Teil decken, und daher zwei konkurrierende Ansprüche: für beide Ansprüche muß der Kläger unfreiwilligen Besitzverlust behaupten : begnügt er sich damit, so hat er den Anspruch aus § 1007 I I , welchem petitorische Einwendungen (Eigentum oder früherer unfreiwilliger Besitzverlust des Beklagten, bösgläubiger Besitzerwerb des Klägers) 44 entgegenstehen. Wenn aber zum unfreiwilligen Besitzverlust des Klägers fehlerhafter Besitz des Beklagten hinzutritt, so entsteht ein zweiter, auf ein Jahr beschränkter, Anspruch, welcher petitorischen Einwendungen nicht ausgesetzt ist. Es muß im Belieben des Klägers stehen, die in die Struktur des heutigen Rechts. Die Forderung des Gläubigers ist erloschen und soll dennoch übergehen. Keine Konstruktionskünste (vgl. Oertmann § 426 , 4d) können über diesen Widerspruch hinweghelfen; vgl. Tuhr in GrünhutsZ. 25, 36. 42 Vgl. ob. § 13 Note 18 b. Nimmt man zwei nebeneinander stehende Ansprüche des Bürgen an (aus dem inneren Verhältnis und aus der Legalzession), so ergeben sich bisweilen seltsame Resultate, ζ. B. für den Fall, daß der Schuldner zahlt, nachdem der Bürge bereits gezahlt hat. Wenn den Bürgen kein Verschulden trifft, hat er Regreß mit der a. mandati (En de m an η § 192 Note 11). Dagegen ergibt sich aus §§ 412, 407, daß seine actio cessa untergegangen ist, wenn der Hauptschuldner gutgläubig gezahlt hat. Soll nun wirklich der Bürge zur Verwirklichung des ihm doch zustehenden Regresses die Pfänder und Hypotheken nicht in Anspruch nehmen können? Und welche ratio könnte den Gesetzgeber veranlassen, den Bürgen in diesem Falle weniger ausgiebig zu schützen als eonst? 48 Rechtskraft § 50; ZivProz. § 31 I I l a ; § 37 Note 64; § 38 Note 20; Endemann I I § 46 Note 20. 44 Diese Tatsachen resp. ihr Gegenteil gehören zum Tatbestand, aus dem der Anspruch des § 1007 I I erwächst; daß sie als Einwendungen vorzubringen sind, ist nur für die Behauptungslast von Bedeutung.

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zweite Tatsache, den fehlerhaften Besitz des Beklagten, zu behaupten oder bei Seite zu lassen und damit sein Verlangen auf eine andere Basis zu stellen; der Kläger, der sich auf § 861 stützen könnte, zieht es vielleicht vor, den Anspruch aus § 1007 zu erheben, weil er dem Beklagten zur Vermeidung weiterer Prozesse schon jetzt die Möglichkeit geben will, seine petitorischen Einwendungen vorzubringen 45. Natürlich steht nichts im Wege, beide Ansprüche gleichzeitig zu erheben: das geschieht, wenn der Kläger fehlerhaften Besitz des Gegners behauptet; denn darin liegt die Behauptung des unfreiwilligen Besitzverlustes; wenn der Kläger mit seiner Behauptung der verbotenen Eigenmacht nicht durchdringt, ist zu untersuchen, ob sein Anspruch nach § 1007 gerechtfertigt ist 4 6 . I I . Zwischen mehreren Ansprüchen, welche dieselbe Leistung zum Gegenstand haben, besteht ein rechtlicher Zusammenhang derart, daß durch Erfüllung des einen Anspruchs zugleich der andere befriedigt ist. Dies Verhältnis kann vorliegen zwischen den Ansprüchen mehrerer Gläubiger oder den Ansprüchen gegen mehrere Schuldner, das sind die in § 421 fg. geregelten Gesamtschuldverhältnisse. Wesentlich ebenso gestaltet sich das Verhältnis zwischen mehreren Ansprüchen desselben Berechtigten gegen denselben Verpflichteten; hier spricht man von K o n k u r r e n z der Ansprüche 47. Die Identität der Leistung in den konkurrierenden Ansprüchen kann beruhen: 1. Auf der Beschaffenheit der Leistungen. Wenn der Berechtigte vom Verpflichteten aus verschiedenen Rechtsgründen (oder von mehreren Personen) Verschaffung des Besitzes oder Eigentums an einer Sache zu verlangen hat, so handelt es sich um eine Leistung, die nur einmal erbracht werden kann; hat der Berechtigte in Erfüllung eines Anspruchs die Sache erhalten, so ist eine Wiederholung der Leistung (solange er die Sache noch hat) begrifflich 46 H e l l w i g , Rechtskraft § 50 Anm. 21 hält einen Verzicht des Klägers auf den Ausschluß petitorischer Einwendungen für möglich; meines Erachtens liegt darin eine Basierung der Klage auf den Tatbestand des § 1007. 46 Hat der Kläger zunächst aus § 1007 II ohne Erfolg geklagt und erfährt er später, daß die Sache, die er für verloren hielt, ihm vom Beklagten eigenmächtig weggenommen war, so kann er nach H e l l w i g nicht mehr aus § 861 klagen, während ihm das meines Erachtens freisteht. 47 H e l l w i g , ZivProz. § 38 spricht von „einfacher" Konkurrenz, im Gegensatz zu den unten I I I besprochenen Fällen. Vgl. über Konkurrenz von Machtbefugnissen ob. § 7 S. 169, über Konkurrenz negativer Rechte ob. § 10 Note 27.

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ausgeschlossen, und daher der andere Anspruch erledigt 48 . Ebenso wenïi der Berechtigte von mehreren Personen Ersatz desselben Schadens verlangen kann 4 9 ; ist der Schaden ersetzt, so existiert er nicht mehr 5 0 ; dem zweiten Anspruch fehlt daher der Inhalt 6 1 . 2. Die Identität der Leistung in zwei Ansprüchen kann auf dem Willen der Parteien oder dem Gesetz beruhen. Wenn A von Β aus mehreren Gründen je 100 Mk. zu verlangen hat, so sind die Leistungen ihrer Beschaffenheit nach nicht identisch, sondern könnten nebeneinander verlangt und erbracht werden, wenn sich nicht aus besonderen Umständen ergibt, daß im Ganzen nur 100 Mk. zu zahlen sind. Wenn ζ. B. zu einem bereits bestehenden Anspruch des A auf 100 Mk. ein neuer Anspruch auf dieselbe Summe durch abstraktes Schuldversprechen oder Vermächtnis hinzutritt, so ist aus der Verabredung der Parteien oder dem Willen des Erblassers zu beurteilen, ob der Inhalt des neuen Anspruchs als identisch mit dem des alten gelten soll, oder als eine zweite kumulativ geschuldete Leistung. Ebenso konkurrieren die Ansprüche auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung einer Verbindlichkeit mit den Ansprüchen aus einer für diesen Fall versprochenen Konventionalstrafe, § 340 I I , 341 I I ; der Gläubiger hat aus beiden Gründen Geldsummen zu verlangen d. h. Leistungen, die ihrer Beschaffenheit nach nicht notwendig identisch sind; aber in der Bedingung der Vertragsstrafe liegt der Hinweis darauf, daß die Ansprüche auf die Strafe und den Schadensersatz nur zu einmaliger Befriedigung kommen sollen. 48

W i n d s c h e i d § 121 Note 11 und Endemann § 84 Note 20 lassen den Anspruch bestehen bleiben, wenn der Berechtigte, nachdem er die Sache erhalten hat, aus einem der Rechtsgründe irgend etwas anderes, z.B. die ErwerbskoBten oder den Sachwert verlangen kann (vgl. z.B. Planck § 2170, 3). Aber dieser Anspruch ist wegen Verschiedenheit des Inhalts nicht identisch mit dem erledigten Anspruch auf Verschaffung des Eigentums, sondern ist aus derselben Forderung an Stelle des weggefallenen Anspruchs entstanden. 49 Bei Schadenersatzpflicht derselben Person aus mehreren Gründen nehmen wir Gesetzeskonkurrenz an; vgl. ob. S. 277. 60 Dasselbe gilt dann, wenn ein Schadensersatzanspruch mit einem Anspruch aus einem Versicherungsvertrag konkurriert; vgl. § 67 VersGes. 61 Keine Konkurrenz besteht zwischen dem dinglichen Anspruch § 985 und dem Deliktanspruch des bestohlenen Eigentümers; allerdings erlischt mit Rückgabe der Sache der Schaden und damit der Schadensersatz; aber nicht umgekehrt mit Ersatz des Schadens durch den Dieb der dingliche Anspruch; der Eigentümer kann immer noch die Sache von jedem Besitzer, also auch vom Dieb, herausverlangen.

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Kokurrierende Ansprüche sind in ihrer Ausübung völlig unabhängig von einander. Es hängt vom Berechtigten ab, welchen von den mehreren ihm zur Verfügung stehenden Ansprüchen er erheben will. Er tut das nicht wie im Aktionenprozeß, durch Bezeichnung der Rechtssätze, die er angewendet haben will, sondern durch Angabe der Tatsachen, aus denen sich sein Anspruch ergeben soll; wenn ζ. B. ein Eigentümer seine Sache vom Mieter zurückverlangt, so ist sein Anspruch nach § 985 zu beurteilen, wenn er das Eigentum erwähnt, nach § 556, wenn er sich auf den Mietvertrag beruft. Erwähnt er beide Umstände, so hat er, was im Aktionensystem ausgeschlossen war, beide Ansprüche zugleich erhoben und dringt mit seiner Klage durch, wenn es ihm gelingt, den Tatbestand auch nur eines dieser Ansprüche zu beweisen. Dabei ist jedoch zu beachten, daß zwischen den mehreren Rechtsverhältnissen, aus denen die mehreren Ansprüche erwachsen, ein materieller Zusammenhang bestehen kann, vermöge dessen der Verpflichtete gegen den Anspruch aus dem einen Rechtsverhältnis eine Einrede aus dem anderen Rechtsverhältnis erheben kann; so kann sich ζ. B. der Mieter, wenn von ihm die Herausgabe der Sache nach § 985, ohne Erwähnung der Miete, verlangt wird, nach § 986 auf den Mietvertrag berufen; oder der Wechselschuldner vermöge der Bereicherungseinrede auf das dem Wechsel zugrunde liegende kausale Schuldverhältnis 52. Aber da der Anspruch aus § 985 resp. aus dem Wechsel ausschließlich und vollständig auf das Eigentum resp. den abstrakten Vertrag gegründet ist, so erfolgt die Heranziehung des anderen Rechtsverhältnisses (Miete resp. kausales Schuldverhältnis) nicht von Amtswegen, sondern nur infolge einer vom Verpflichteten erhobenen Einrede. Konkurrierende Ansprüche können nach einander eingeklagt werden. Durch Erhebung der Klage aus einem der Ansprüche wird der andere weder konsumiert, noch gegen ihn die Einrede der Rechtshängigkeit begründet. Eine Abweisung des einen Anspruchs steht der Erhebung des anderen nicht im Wege. Wird der eine Anspruch im Urteil zugesprochen, so ist eine Klage aus dem anderen Anspruch in der Regel überflüssig und dann unzulässig 6 8 . Nur die freiwillig oder im Weg der Vollstreckung erfolgte Befriedigung des einen Anspruchs hebt den konkurrierenden Anspruch 68 M

Planck § 780, 3a. H e l l w i g , Anspruch S. 109, ZivProz. § 26 I I 6; vgl. OLG. 15, 181.

§ 16. Individualisierung und Konkurrenz der Ansprüche.

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auf 64 . Geht der Inhalt des einen Anspruchs weiter als der des anderen (ζ. B. für einen Kaufpreis von 1000 ist ein Wechsel auf eine kleinere Summe ausgestellt; die Vertragsstrafe erweist sich als geringer als der effektive Schaden), so bleibt nach Befriedigung des kleineren Anspruchs der größere für den Überschuß bestehen. In jeder anderen Beziehung erweisen sich die konkurrierenden Ansprüche als mehrere selbständige Rechte; so insbesondere für die Dauer und für die Unterbrechung der Verjährung; wird ζ. B. die a. locati auf Rückgabe der Sache eingeklagt, so ist die Verjährung der rei vindicatio nicht unterbrochen, ebensowenig die Verjährung des Kaufpreisanspruchs durch Anstellung der Wechselklage ; eine Anerkennung kann sich auf beide Ansprüche beziehen ; ob sie so gemeint war, ist quaestio facti. Auch Verfügungen können in bezug auf einen von mehreren konkurrierenden Ansprüchen vorgenommen werden ; z. B. Zession der a. venditi ohne Übertragung des Wechsels und umgekehrt 56 . Natürlich bleiben die beiden Ansprüche, auch wenn sie verschiedenen Personen zustehen, im Konkurrenzverhältnis ; Zedent und Zessionar sind nunmehr Gesamtgläubiger des Schuldners, der nach wie vor nur einmal zu leisten hat. Auch hier ist es quaestio facti, ob sich die Zession auf beide Ansprüche beziehen soll. Das ist oft als Wille der Parteien anzunehmen, insbesondere z. B. wenn Eigentum auf dem Wege des § 931 übertragen werden soll und der Übertragende sowohl einen dinglichen als einen obligatorischen Anspruch auf Herausgabe der Sache hat 6 6 . III. Haben mehrere Ansprüche zwischen denselben Personen verschiedenen Inhalt, so stehen sie in der Regel kumulativ neben einander. Sie können aber auch zur Befriedigung eines Interesses des Gläubigers in der Art bestimmt sein, daß nur der eine oder der andere zur Geltung kommen soll. Hier spricht H e l l w i g , ZivPr. § 28 I 2 b, im Gegensatz zu den ob. I I besprochenen Fällen, 64

In der Regel erlischt der konkurrierende Anspruch ipso iure; nur wenn er aus einem abstrakten Schuldverhältnis hervorgeht, bedarf es einer Entkräftung durch Einrede ; wird z. B. ein Wechsel für einen Kaufpreis ausgestellt und bezahlt, so erlischt der Kaufpreisanspruch ; ist aber der Kaufpreis bezahlt, so bleibt der Wechsel bestehen, ist aber mit einer Einrede behaftet; vgl. dazu fr. 28 D. 19, 1. 66 Das Indossament enthält nicht zugleich eine Abtretung des dem Wechsel zugrunde liegenden Zivilanspruchs; Staub § 8 zu WO. Art. 8. 60 Planck § 931, 3a.

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von „alternativer Konkurrenz" 57 . Das typische Beispiel ist das Nebeneinanderstehen der Ansprüche auf Wandelung und Minderung 68 : der Käufer kann eines oder das andere solange verlangen, bis einer dieser Ansprüche erfüllt ist: sei es durch Zustimmung des Verkäufers (§ 465), sei es durch das die Zustimmung ersetzende Urteil, ZPO. § 894. Ein zweites Beispiel ist Schadensersatz und Buße 8 9 : aus demselben Tatbestand entsteht der zivilrechtliche Deliktsanspruch und der durch die Art seiner Verfolgung sowie durch seinen Inhalt verschiedene Anspruch auf Buße. Der Verletzte soll aber nicht beide Leistungen erhalten ; die Konkurrenz ist hier so geregelt, daß die zuerkannte Buße den Schadensersatz ausschließt 60 , der zuerkannte oder geleistete Schadensersatz bei der Bemessung der Buße angerechnet wird. Dagegen bestehen meines Erachtens keine alternativ konkurrierenden Ansprüche bei der Wahlschuld. Wenn das Wahlrecht dem Gläubiger zusteht 61 , hat er zunächst die Wahl auszuüben und kann dann erst die durch seine Wahl bestimmte Leistung verlangen 62 ; er hat also zunächst eine Forderung mit einem dazu gehörenden Gestaltungsrecht 68·, erst durch Ausübung dieses Rechts entsteht aus der Forderung ein Anspruch auf die gewählte Leistung. Steht die Wahl dem Schuldner zu, so hat der Gläubiger nur einen Anspruch auf eine Leistung, deren Inhalt sich durch den Willen des Schuldners bestimmt. Auch im Urteil wird dem Gläubiger eine noch unbestimmte Leistung (a oder b) zugesprochen. Erst die Vollstreckung kann der Gläubiger nach seiner Wahl auf die 67 Ein solches Verhältnis kann auch zwischen einem Anspruch und einem negativen Recht bestehen, ζ. B. Schadensersatz wegen Nichterfüllung und Rücktritt, §§ 325, 326. Vgl. H e l l w i g , ZivProz. § 37 Note 72; Winds cheidK i p p § 1213: 612. 58 Keine Konkurrenz, auch keine alternative, wie H e l l w i g , ZivProz. § 38 Note 16 annimmt, liegt meines Erachtens dann vor, wenn an Stelle eines Anspruchs ein anderer Anspruch von verschiedenem Inhalt tritt, ζ. B. der Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung an Stelle des wegen Unmöglichkeit der Leistung wegfallenden Erfüllungsanspruchs; vgl. ob. S. 274. 69 Dernburg I I §§ 36, 37. 60 StrGB. §§ 188, 231. 61 Hier nimmt H e l l w i g , ZivProz. § 38 Note 18 alternative Konkurrenz zweier Ansprüche an. Vgl. ferner Langheineken, Anspruch § 11 und die bei Oertmann vor § 262 zitierte Literatur. β2 In der Klage auf die eine Leistung liegt in der Regel die nach § 263 bindende Wahlerklärung des Gläubigers, vgl. aber H e l l w i g , Anspruch 110. 63 Vgl. ob. § 7 Note 15.

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eine oder die andere Leistung richten § 264 I ; aber in diesem Stadium handelt es sich nicht mehr um Ansprüche, sondern um Zugriffsrechte 64. In zahlreichen Fällen (z. B. § 249, 463 u. a.) gibt das Gesetz dem Berechtigten die Befugnis, „statt" der geschuldeten Leistung eine andere zu verlangen. Über die Struktur solcher alternativer Ermächtigungen bestehen Zweifel 66 : bisweilen (z. B. § 283, 326) sagt das Gesetz, daß der Anspruch auf die Hauptleistung ausgeschlossen ist, wenn die vom Berechtigten für die Hauptleistung gesetzte Frist verstrichen ist; darin liegt meines Erachtens ein Gestaltungsrecht des Gläubigers 66, durch dessen Ausübung er den bisherigen Anspruch auf die Hauptleistung aufhebt und an dessen Stelle den Anspruch auf die Ersatzleistung setzt. Wir haben dann also nicht zwei konkurrierende, sondern zwei einander ablösende Ansprüche 67. In vielen Fällen gibt das Gesetz keine Entscheidung darüber, wie das Nebeneinanderstehen des primären und sekundären Anspruchs zu denken ist. Nimmt man an, daß der Gläubiger sich durch das Verlangen der Ersatzleistung definitiv bindet 68 , so gibt es aus dem oben erwähnten Grunde hier keine konkurrierenden Ansprüche. Anders, wenn man dem Gläubiger gestattet, nachdem er die Ersatzleistung verlangt hat, die Hauptleistung zu beanspruchen. IV. Mit der Konkurrenz verwandt ist das Verhältnis der S u b s i d i a r i t ä t , in welchem zwei Ansprüche zu einander stehen können: beide Ansprüche dienen dazu, dem Berechtigten eine bestimmte Leistung zu verschaffen, sie können und brauchen also nicht beide erfüllt zu werden; aber, während bei der Konkurrenz der Berechtigte die freie Wahl hat, welchen Anspruch er erheben will, ist er hier an eine Reihenfolge gebunden. Das typische Beispiel ist die Verpflichtung des Bürgen, deren Subsidiarität durch die Einrede der Vorausklage, § 771, hergestellt wird. Von Subsidiarität in einem etwas anderen Sinn 6 9 kann man auch dann 64

Vgl. ob. § 15 VI. Vgl. K i p p in Festg. für Koch 124fg. 66 Vgl. ob. § 7 Note 17. 67 Vgl. ob. Note 58. 68 So für die facultas alternativa des Gläubigers aus § 249 Planck § 249, 2; H e l l w i g , ZivProz. § 34 Note 27; L i t t e n , Wahlschuld 99; F i s c h e r , Schaden 204. 69 In subsidiärem Verhältnis stehen auch die Ansprüche des mittelbaren Besitzers aus § 869 auf Überlassung der Sache an den früheren Besitzer, event, an sich. Vgl. auch § 986 I. G6

2 8 8 E r s t e s Buch.

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sprechen, wenn die sekundäre Forderung nicht von vornherein neben dem primären Anspruch besteht, sondern erst dann entsteht wenn der primäre Anspruch nicht zur Entstehung kommt (§ 1607, 822, 2339) oder nicht erfüllt wird (§ 426 I 2, 2288). § 17. Die Einrede*. I. Was das BGB. unter „Einrede" versteht, ist im Gesetz nicht definiert, ergibt sich aber unzweideutig aus zahlreichen Stellen, insbesondere aus § 202 : Einrede ist die Befugnis 1 dessen, der zu einer Leistung verpflichtet ist, diese Leistung zu verweigern 1®. Besteht diese Befugnis nur vorübergehend, so ist die Einrede aufschiebend (dilatorisch); kann die Leistung dauernd verweigert werden, so ist die Einrede dauernd, (peremptorisch). Die Einrede des BGB. steht in historischem Zusammenhang mit der römischen exceptio, ist aber mit diesem Begriff nicht identisch. Die exceptio hängt unlöslich zusammen mit der Struktur des römischen Formularprozesses: gewisse den Beklagten befreiende Tatsachen mußten in der Formel besonders erwähnt und zu diesem Zweck im Verfahren vor dem Prätor vorgebracht werden, der sie als Ausnahme von seinem Kondemnationsbefehl, exceptio, in die Formel aufnahm, während andere befreiende Tatsachen ohne weiteres, ipso jure, vom judex berücksichtigt werden durften. Ob eine Tatsache zu der einen oder anderen Kategorie gehörte, richtete sich wesentlich nach historischen Gründen: einer exceptio bedurfte es dann, wenn eine Tatsache nicht schon nach altem Recht, sondern erst durch die quasigesetzgeberische Macht des Prätors zugunsten des Beklagten wirkte. Mit der Gerichtsverfassung und dem Prozeß der Römer ist der Begriff der exceptio weggefallen, die römische Abgrenzung der Exzeptionen und der ipso jure wirkenden Befreiungsgründe für uns bedeutungslos geworden. Die Einrede des BGB. ist ferner nicht identisch mit dem, * Windscheid § 47; Regelsberger § 192; Endemann § 88; Crome §36; Enneccerus § 207; K ö h l e r § 65fg.; Biermann § 37; Z i t e l m a n n S. 24fg.; Langheineken, Anspruch und Einrede; Planck, Vorb. VIII zum Allg. Teil; H e l l w i g , ZivProz. § 36; Holder, ArchZivPrax. 93, 54fg.; Oertmann, Vorb. Β vor § 194. 1 „Einrede" kann je nach dem Zusammenhang bedeuten: die Tatsachen, aus denen das Recht der Leistungsverweigerung entsteht; das Recht, die Leistung zu verweigern; die Ausübung dieses Rechts. l a Und zwar ganz oder zum Teil oder in der Weise wie die Leistung verlangt wird.

§ 17.

Die Einrede.

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was die Z P 0 . l b Einrede nennt, was wie beim Wort Anspruch zu einer bedauerlichen Zweideutigkeit der Terminologie in unserem Recht führt. Einrede im Sinn der ZPO. ist jedes Vorbringen von Tatsachen, auf welche sich der Beklagte gegenüber dem Klagebegehren beruft und welche er daher zu beweisen hat. Ob eine Tatsache zur Klagebegründung gehört oder als Einrede vorzubringen ist, ergibt sich aus der wesentlich mit Rücksicht auf die Beweislast geregelten Struktur des Tatbestandes. Die Einredetatsachen im Sinn der ZPO. sind entweder r e c h t s v e r n e i n e n d e (wenn eine solche Tatsache vorliegt, ist das Recht des Klägers trotz der von ihm behaupteten Tatsachen nicht entstanden ζ. B. das Eigentum aus § 932 nicht erworben, wenn der Erwerber bösgläubig war) 2 , oder r e c h t s a u f h e b e n d e Tatsachen (das aus den Klagetatsachen entstandene Recht ist infolge der Einredetatsachen untergegangen ζ. B. durch Zahlung, Erlaß usw,); oder endlich Einredetatsachen im Sinn des BGB.; das sind Tatsachen, durch welche weder die Entstehung noch der Fortbestand des Anspruchs gehindert wird, aus denen aber für den Verpflichteten ein Gegenrecht erwächst: die Befugnis, die Leistung, obgleich sie geschuldet ist, dennoch zu verweigern 211. Für alle Tatsachen, auf welche sich der Beklagte zu seiner Verteidigung berufen kann: rechtsverneinende, rechtsaufhebende Tatsache und Einreden im Sinn des materiellen Rechts gebraucht das BGB. als zusammenfassenden Ausdruck das Wort E i n w e n d u n g 8 . Wo das BGB. von Einrede spricht, versteht es darunter die Einrede im materiellen Sinn des Wortes. Das Vorliegen einer solchen Einrede wird aber meistens nicht durch das Wort Einrede gekennzeichnet, sondern dadurch daß dem Verpflichteten die Be^ Und ältere Reichsgesetze, ζ. B. WO. Art. 82. Oder wenn ζ. B. dem Veräußerer die Geschäftsfähigkeit fehlte. Die rechtsverneinenden oder rechtsausschließenden Tatsachen sind negative Voraussetzungen der Entstehung eines Rechts, welche nach der vom Gesetz angeordneten Verteilung der Beweislast von der Partei zu behaupten sind, welche die Entstehung des Rechts beetreitet. Der Begriff der rechtsausschließenden Tatsachen wird meines Erachtens zu Unrecht bekämpft von F. L e o n h a r d , Beweislast 20fg. und Brodmann, ArchZivProz. 98, 66fg.; vgl. R ü m e l i n daselbst 98, 226. 2a Der Einrede im Sinne des BGB. entspricht ungefähr das, was im Gemeinen Recht seit Thon, Rechtsnorm 261 und JheringsJ. 28, 37 „rechtsverfolgende Einrede" genannt wurde; vgl. Regelsb erger § 192 IV 3 und Fischer JheringsJ. 34, 464. 9 Vgl. z. B. §§ 404, 417. 2

Handbuch X . 1. I :

v o n I b h r 1.

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fugnis verliehen wird, die Leistung zu verweigern, daß also die Zurückweisung des Anspruchs vom Willen des Verpflichteten abhängig gemacht ist 4 . I I . Es läßt sich nicht leugnen, daß dem Grundgedanken der Einrede des BGB. eine gewisse Künstlichkeit anhaftet: dem Recht des Klägers steht ein Recht des Beklagten gegenüber; der Anspruch des Klägers existiert, kann aber durch den Willen des Beklagten unwirksam werden 4 a . Schon in der Literatur des Gemeinen Rechts wurde bisweilen die logische Möglichkeit eines solchen Einredebegriffs bestritten 5 ; ein Recht könne nicht zugleich existieren und unwirksam sein; wenn der Beklagte die Leistung verweigern dürfe, so habe der Kläger nichts zu verlangen. Auch in der Kritik des I. Entwurfs 6 und sogar gegenüber dem BGB. 7 wurden solche Bedenken gegen die theoretische Haltbarkeit des Einredebegriffs erhoben. Das Gesetz ist aber an zahlreichen Stellen nicht zu verstehen, wenn man sich der vom Gesetzgeber angenommenen Auffassung der Einrede entzieht. Diese Auffassung hat meines Erachtens auch logisch nichts Befremdliches : daß ein Recht bestehen kann, obgleich es in der Macht des Verpflichteten liegt, es durch seinen Willen aufzuheben, begegnet uns in zahlreichen Erscheinungen unseres Rechts und ist eine für die Jurisprudenz des BGB. unentbehrliche Denkform. So gut ζ. B. ein Recht besteht, obgleich es durch Anfechtung aufgehoben, eine Forderung besteht, obgleich sie durch Aufrechnung getilgt werden kann 8 , so gut kann man sagen, daß A von Β eine Leistung verlangen kann, obgleich Β die Befugnis hat, sie ihm zu verweigern; solange Β seine Weigerung nicht ausspricht, kommt der Anspruch des A ungehemmt zur Geltung. Eine andere, aber jetzt nur noch de lege ferenda inter4 Vgl. über den Sprachgebrauch des Gesetzes Langheineken S. 45. Das Recht der „Kürzung" in § 2188 und 2322 ist nichts anderes als Einrede wie sich aus § 2187 und 2318 ergibt; ebenso ist das Recht des Schuldners, den Gläubiger auf die hinterlegte Sache zu verweisen, § 379, Einrede, vgl. RG. 59, 17. 4 a Darum ist eine mit dauernder Einrede behaftete Forderung nicht mit RG. 67, 390 als natürliche Verbindlichkeit zu bezeichnen; eine natürliche Verbindlichkeit ist eine Verpflichtung, welcher ein Anspruch eines Berechtigten nicht entspricht; vgl. ob. § 4 Note 6. 5 Am schärfsten von L e η e 1, Ursprung und Wirkung der Exzeptionen (1876). 6 F i s c h e r in seinen und Bekkers Beiträgen, Heft 6 § 9. 7 Kipp in der 8. Aufl. von Windscheids Pand. (anders in der 9. Aufl.); Holder a. a. 0. 123fg. β Vgl. ob. § 10 Note 12.

§ 17. Die Einrede.

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essierende Frage ist, ob es nötig war, den Begriff der Einrede ins Gesetz aufzunehmen. In dieser Beziehung kann zugegeben werden, daß viele Einredetatsachen ohne praktischen Nachteil zu rechtsverneinenden resp. rechtsaufhebenden Tatsachen hätten erhoben werden können; auf der anderen Seite gibt es Tatbestände, bei denen es passender ist, die befreiende Wirkung vom Willen des Verpflichteten abhängen zu lassen. Dem Verpflichteten, der nicht erfüllen will, ist nicht immer jedes Mittel der Befreiung recht; es gibt Befreiungsgründe, die ihm nicht aufgedrängt werden sollten, weil sie, wie L e o n h a r d 9 richtig hervorhebt, mit einem materiellen oder moralischen Opfer für ihn verbunden sind; der Gesetzgeber handelt richtig, wenn er solche Befreiungsgründe als Gegenrechte konstruiert, deren Ausübung in den freien Entschluß des Verpflichteten verstellt ist. Das ist der Grund, weshalb die Aufrechnung in unserem Recht facto hominis wirkt, weshalb Irrtum, Zwang, Betrug nicht Nichtigkeit sondern Anfechtbarkeit des Rechtsgeschäfts nach sich zieht, weshalb endlich die Verjährung als Einrede gestaltet ist: es muß dem Beklagten freigestellt sein, ob er seine Freisprechung dem moralisch nicht immer unbedenklichen Mittel der Verjährung verdanken will. In anderen Fällen ist die Verwendung des Einredebegriffs durch Erwägungen der Prozeßökonomie gerechtfertigt; wäre ζ. B. bei den gegenseitigen Verträgen die Frage der Gegenleistung nicht zum Inhalt einer Einrede, § 320, gemacht, so wäre in zahllosen Fällen, insbesondere im Versäumnisverfahren, dem Richter eine überflüssige Arbeit auferlegt; denn man kann damit rechneD, daß der Beklagte, wenn er die Gegenleistung zu verlangen hat, dies geltend macht 10 . Nicht immer sind die Gründe, weswegen das BGB. gewisse Tatbestände als Einreden, andere als rechtshindernde resp. rechtsaufhebende Tatsachen auffaßt, einleuchtend oder auch nur erkennbar. So ist ζ. B· oft darauf hingewiesen worden, daß ein dem Eigentum entgegenstehendes Recht gegenüber der Vindikation als Einrede wirkt, § 986, während der negatorische Anspruch nach § 1004 I I ipso jure ausgeschlossen sein soll 11 . I I I . Die Einreden gehören zusammen mit den oben besprochenen Aufhebungsrechten, insbesondere Anfechtung und Aufrechnung, zu 9

Irrtum S. 311. Motive zu Entw. I § 366. 11 Planck § 1004 , 5b will trotz des Wortlauts mit Rücksicht auf die Entstehung des Textes eine Einrede, wie bei der Vindikation, annehmen. 19* 10

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den negativen Rechten, unterscheiden sich aber von ihnen — und darum sind Anfechtung und Aufrechnung keine Einreden im Sinn des BGB. 1 2 — durch ihr Objekt und die Art ihrer Wirkung: Anfechtung und Aufrechnung richten sich gegen Rechtsverhältnisse resp. Rechte, die Einrede läßt Rechtsverhältnis und Recht unberührt und affiziert nur den aus dem Recht entstandenen Anspruch. Anfechtung und Aufrechnung wirken definitiv zerstörend, die Einrede hemmt den Anspruch, solange sie ihm entgegensteht; fällt die Einrede wieder fort, so kann der Anspruch ungehindert geltend gemacht werden 13 . 1. Wie jedes Recht muß die Einrede, um wirksam zu werden, vom Berechtigten ausgeübt werden. Hierin liegt der grundlegende Unterschied zwischen Einreden des BGB. einerseits und rechtshindernden und rechtsaufhebenden Tatsachen anderseits; auch diese Tatsachen müssen vor Gericht vorgebracht und, wenn sie bestritten sind, bewiesen werden; aber das ist nur eine Konsequenz der Verhandlungsmaxime, nach welcher der Richter nur das ihm in den Formen des Prozeßes vorgelegte tatsächliche Material berücksichtigen darf. Gewöhnlich werden Tatsachen, die dem Beklagten günstig sind, von ihm vorgebracht; wenn sich aber eine solche Tatsache aus dem Vortrag des Klägers ergibt, so hat der Richter sie in betracht zu ziehen, auch wenn der Beklagte sich auf diese Tatsache nicht berufen hat 1 4 . Anders wenn es sich um Einreden des BGB. handelt: hier steht dem Recht des Klägers nicht eine Tatsache, sondern ein Recht des Beklagten gegenüber, welches durch Abgabe einer Willenserklärung auszuüben ist l ß . Solange dies nicht geschieht, sind die Tatsachen, auf denen das Recht der Einrede beruht, wirkungslos, selbst wenn sie dem Richter aus dem Prozeßmaterial ζ. B. aus dem Vorbringen des Klägers bekannt sind; der Richter kann ζ. B. eine aus der Klage selbst hervorgehende Verjährung nicht berücksichtigen, solange sich der Beklagte nicht darauf beruft; denn es fehlt an der zur Wirksamkeit dieser Tatsachen nötigen Willenserklärung des Beklagten, und 12 Anfechtung und Aufrechnung werden im BGB. stets neben den Einreden besonders behandelt; vgl. z. B. § 404 neben § 406, § 768 neben § 770. 13 Vgl. RG. 68, 804: Verbürgung für eine mit Einrede behaftete Forderung. 14 R. S c h m i d t , ZivProz. § 72 I I ; Gaupp.Stein, Vorb. I I vor § 128. 15 Wer sich dagegen auf eine rechtsaufhebende Tatsache beruft, übt nicht ein Recht aus, sondern bestreitet das Recht des Gegners. Daher ist es ungenau, wenn § 545 I I von einer Geltendmachuug der im § 537 bestimmten Rechte spricht; denn der Wegfall oder die Minderung der Mietzinsforderung tritt nach § 537 ipso iure ein.

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eine Willenserklärung einer Partei kann vom Richter nicht suppliert werden. 2. Die Einrede kann, wie jedes Recht, nur vom Berechtigten oder seinem Vertreter ausgeübt werden, nicht von dritten Personen, welche indirekt an der Entkräftung des Anspruchs durch die Einrede interessiert sein können. Dieser Unterschied zeigt sich ζ. B. bei der Feststellung bestrittener Forderungen nach KO. § 146: der Konkursverwalter kann, da er die Rechte des Gemeinschuldners ausübt, gegen eine von ihm bestrittene Konkursforderung eine dem Gemeinschuldner zustehende Einrede vorbringen; nicht aber ein Konkursgläubiger, der eine angemeldete Forderung bestreitet 1(i . Ebenso verhält es sich meines Erachtens bei der Klage aus ZPO. § 878: wenn A und Β Gläubiger des X sind und dieselbe Sache gepfändet haben, so kann A im Verteilungsverfahren die Existenz der Forderung des Β bestreiten 17, indem er rechtsverneinende oder rechtsaufhebende Einwendungen vorbringt; aber die Erhebung der Einreden des X ist ihm verschlossen, er kann sich ζ. B. nicht darauf berufen, daß die Forderung des Β verjährt oder mit dem benef. comp, aus § 519 behaftet war, wenn X von diesen Rechtsbehelfen keinen Gebrauch gemacht hat. Eine scheinbare Abweichung von dem Satz, daß die Einrede nur von der Person ausgeübt werden kann, welcher sie zusteht, ergibt sich aus dem Wortlaut der §§ 768, 1137, 1211: der Bürge resp. Eigentümer der Pfandsache soll die dem Hauptschuldner zustehenden Einreden „geltend machen" dürfen. In der Tat handelt es sich hier um eigene Einreden, die das Gesetz dem akzessorisch Verpflichteten verleiht: wie der Gläubiger einen Anspruch gegen den Hauptschuldner und einen parallelen Anspruch gegen den Bürgen hat, so soll der Bürge in demselben Maße, wie der Hauptschuldner, zur Verweigerung der Leistung berechtigt sein 1 8 ; aber le

Jäger, KO. § 141 Anm. 9 bemerkt, daß nur der Konkursverwalter, nicht der einzelne Konkursgläubiger gegen eine Forderung des Anmeldenden aufrechnen könne, weil nur er über Rechte des Gemeinschuldners verfügen dürfe; aus demselben Grunde kann aber auch der einzelne Konkursgläubiger die Einreden des Gemeinschuldners, welche so gut wie die Aufrechnungsbefugnis, Rechte siDd, nicht geltend machen. 17 Trotz des gegen X vorliegenden Urteils, welches nur zwischen Β und X, nicht zwischen Β und A wirkt; vgl, ob. § 8 Note 20. 18 Es handelt sich hier um einen der Fälle, in denen man von Einreden aus fremdem Recht oder genauer, aus fremdem Rechtsverhältnis spricht; vgl. darüber die Schriften von Stammler und Rappaport sowie Langheineken S. 289.

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wie der Bürge mit dieser Einrede die ihm obliegende Leistung, nicht die des Hauptschuldners, verweigert, so übt er damit eine eigene Befugnis aus, nicht ein Recht des Hauptschuldners; das zeigt sich z. B. darin, daß der Verzug des Hauptschuldners nicht dadurch beseitigt wird, daß der Bürge das gegen sich gerichtete Leistungsverlangen des Gläubigers zurückweist 3. Wenn ein Anspruch mit einer Einrede behaftet ist, hängt dessen Durchsetzung vom guten Willen des Verpflichteten ab. Die darin liegende weitgehende Abschwächung des Anspruchs hat einzelne wichtige Rechtsfolgen : durch das Vorliegen aufschiebender Einreden wird die Verjährung gehemmt, § 202 18 ft ; dauernde Einreden machen die Forderung zu einem indebitum im Sinne der condictio, § 813 19 ; jede Einrede nimmt der Forderung die Eigenschaft, zur Aufrechnung verwendet werden zu können, § 390. Trotzdem besteht das Recht und sogar der aus dem Recht entspringende Anspruch; auch der Eintritt der Fälligkeit einer Forderung wird dadurch, daß ihr eine Einrede entgegensteht, nicht gehindert 20 : denn der Schuldner ist, wenn dieser Moment herankommt, zur Leistung verpflichtet; allerdings hat er das Recht, die Leistung zu verweigern, aber wenn und solange er die dazu nötige Erklärung nicht abgibt, bleibt es bei seiner Verpflichtung. Daß dem so ist, zeigt sich am deutlichsten, wenn der Gläubiger klagt und der Schuldner die Einrede nicht erhebt; er wird, wenn die Leistungszeit herangekommen ist, verurteilt, weil er die Leistung, die er verweigern dürfte, aber nicht verweigert, schuldet 20a . 18a

Für die wichtigsten aufschiebenden Einreden gilt dieser Satz nicht; die unter die Regel fallenden Einreden sind aufgezählt bei Langheineken 170. 19 und der KO. § 30 Nr. 2: der Gläubiger hat Befriedigung nicht zu beanspruchen, wenn seiner Forderung eine Einrede gegenübersteht; Jäger, KO. § 30 Anm. 44 (anders 3. Aufl. Anm. 50). 20 H e l l w i g , Anspruch S. 352; a. A. Planck, § 284, 3, der, ohne Anhalt im Gesetz, zwei Begriffe der Fälligkeit unterscheiden will; Fälligkeit im Sinne der §§ 273, 284, 1228 soll durch das Bestehen einer Einrede ausgeschlossen sein, während die Fälligkeit im Sinne des § 101 ohne Rücksicht auf Einreden zu verstehen sei. Langheineken 89 läßt bei einigen Einreden die Fälligkeit des Anspruchs ausnahmsweise eintreten, in der Regel soll aber die Eiorede ein Hindernis der Fälligkeit sein. 20 β "Weil die Leistung, solange die Einrede nicht erhoben wird, geschuldet ist, dürfte trotz des Wortlauts von § 390 auch die Aufrechnung mit einer einredebehafteten Gegenforderung wirksam sein, wenn der Einredeberechtigte sein Recht nicht ausübt, d. h. wenn er gegen die Erfüllung der Gegenforderung, die ihm in Gestalt der Aufrechnung zugemutet wird, keinen Widerspruch erhebt; vgl. Langheineken 353. Nimmt man das an, so kann niemand außer

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Darum gerät auch der Schuldner, was bisweilen bestritten w i r d 2 1 trotz der Einredemöglichkeit in V e r z u g 2 2 ; insbesondere kann ihn der Gläubiger wirksam mahnen, immer vorausgesetzt, daß der Schuldner von seinem Einrederecht keinen Gebrauch macht. Die Gegenansicht würde zu dem unlogischen Resultat führen, daß wenn der Gläubiger Kapital und Verzugszinsen einklagt und der Schuldner eine ihm zustehende Einrede nicht vorbringt, die Kapitalsumme zuzusprechen, die Verzugszinsen aber abzuweisen w ä r e n 2 2 a . 4. Das Einrederecht kann aus verschiedenen Gründen erlöschen ; die dilatorischen Einreden insbesondere durch Zeitablauf oder dadurch daß der Gläubiger der einredebehafteten Forderung gewisse dem Schuldner der einredebehafteten Forderung die Unwirksamkeit der Aufrechnung geltend machen. Hat ζ. Β. A gegen Β eine Forderung und Β eine Gegenforderung, welcher eine Einrede entgegensteht, so ist eine von Β vorgenommene Aufrechnung so lange wirksam, als A nicht auf Grund seiner Einrede widerspricht. Wenn nunmehr ein Gläubiger des A die ehemalige Forderung des A gegen Β pfändet, so kann er nicht behaupten, daß diese Forderung noch bestehe, weil die Gegenforderung des B, weil mit Einrede behaftet, nicht habe aufgerechnet werden können. 21 Z.B. Dernburg I I § 71 II. 29 H e l l w i g , ZivProz. § 36 II. Im Resultat ebenso Langheineken 853. 29 a Meines Wissens nicht ex professo behandelt ist die Frage, ob die Wirkung eines bereits eingetretenen Verzugs dadurch unterbrochen wird, daß der Schuldner von einer nachträglich für ihn entstandenen Einrede Gebrauch macht. Wenn ζ. B. ein Käufer am 1. Januar zu zahlen und die Ware am 1. Februar zu verlangen hat und mit der Zahlung des Preises im Januar in Verzug gekommen ist, so kann er vom 1. Februar an die Zahlung des Kaufpreises und der aufgelaufenen Verzugszinzen nach § 320 bis zur Bewirkung der Gegenleistung verweigern; denn nunmehr, im Februar, ist er nicht mehr zur Vorleistung verpflichtet, da mittlerweile auch für den Verkäufer der Leistungstermin herangekommen ist. Hat nun für den Käufer die Fortwirkung des früher eingetretenen Verzugs derart aufgehört, daß Verzugszinsen vom 1. Februar an nicht berechnet werden, wenn er die Einrede des nicht erfüllten Vertrags erhebt? Meines Erachtens nicht; denn die Verzugszinsen sind ein Bestandteil des Schadens, den der Schuldner nach § 286 I zu ersetzen hat. Als Schadensersatz ist aber der Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der Schuldner rechtzeitig erfüllt hätte. Wäre aber im Januar gezahlt worden, so würde der Gläubiger das Geld von da an haben und den Vorteil daraus ziehen. Ebenso verhält es sich mit der Gefahrtragung, § 287: hätte der Schuldner, wie er sollte, geleistet, bevor ihm die Befugnis der Leistungsverweigerung zustand, so hätte der Zufall den Gegenstand nicht betroffen. Daß der Schuldner die Leistung jetzt verweigern darf, befreit ihn nicht von der Verpflichtung, die Konsequenzen der Tatsache zu tragen, daß er in einem früheren Moment nicht pflichtgemäß geleistet hat; vgl. darüber auch unt. Note 73 a.

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Handlungen vornimmt: seine Verpflichtung erfüllt, Sicherheit leistet 2 8 , die Vollstreckung gegen einen anderen Schuldner vergeblich versucht usw. 24 . Einreden jeglicher Art können aufgehoben werden durch den Willen des Einredeberechtigten. Das Gesetz spricht mehrfach von Verzicht auf Einreden 26 , ohne zu sagen, ob darunter ein Vertrag oder ein einseitiges Rechtsgeschäft zu verstehen sei. Die Aufhebung von Forderungen geschieht nach § 397 durch Vertrag ; aber die Einrede ist meines Erachtens ihrem Zweck und rechtlichen Charakter nach nicht sowohl der Forderung als vielmehr den negativen Rechten, insbesondere der Anfechtung vergleichbar; man kann daher arg. § 144 einseitigen Verzicht auf die Einrede gelten lassen26. Der Verzicht kann vor wie nach Ausübung der Einrede vorgenommen werden 27 ; der Schuldner, der ζ. B. die Einrede des nichterfüllten Vertrags erhoben hatte, kann erklären, daß er nunmehr ohne Rücksicht auf die ausstehende Leistung des Gläubigers zu seiner Leistung bereit ist. Dadurch wird der bisher gehemmte Anspruch des Gläubigers von dieser Hemmung frei; es treten, wenn der Schuldner vorher gemahnt war, jetzt die Wirkungen des Verzugs ein, es kann jetzt ein Urteil gegen den Schuldner ergehen usw. In dieser Möglichkeit des Verzichtes unterscheidet sich die Einrede besonders deutlich von den rechtshindernden und rechtsaufhebenden Tatsachen : eine Tatsache, die dem Anspruch des Gläubigers hindernd oder aufhebend in den Weg getreten ist, kann nicht durch Verzicht des Schuldners beseitigt werden. Insbesondere kann die Erfüllung einer Forderung nicht nachträglich durch Verzicht des Schuldners oder Vereinbarung der Parteien aufgehoben werden 28 ; verabreden die Parteien, daß eine zur Tilgung eines Darlehens geschehene Zahlung auf eine andere Forderung angerechnet werden oder als Schenkung gelten und das Darlehen als unbezahlt weiterbestehen solle, so kann 88

Z. B. § 278 III. §§ 771, 772. 85 Z. B. §§ 768, 1211. 86 Endemann §149 Note 8; L angheineken 285; H e l l w i g , ZivProz. § 86 Note 7; a. A K i p p , Zus. 5 zu Windscheid § 47 und Planck § 805, 4. Vgl. noch R ü m e 1 i η, ArchZivPr. 97,806 und 98,342; Ε c c i u s bei Gruch. 50, Îfg. 87 Der Schuldner kann die bereits erhobene Einrede zurücknehmen, K i p p in Festg. für Koch 134, 135. Darin wird in der Regel ein definitiver Verzicht auf das Einrederecht liegen, so daß der Schuldner die zurückgenommene Weigerung nicht wiederholen kann. 88 Planck § 366, 2; Enneccerus § 207 Note 5; Oertmann, Bern. 4 vor § 362; a. A. Kipp a. a. 0. 24

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meines Erachtens die einmal getilgte Darlehensforderung nicht wieder aufleben ; sondern nur eine neue Forderung entstehen, mit demselben Inhalt, den die getilgte Darlehnsforderung hatte. IV. Die Erhebung der Einrede erfolgt gewöhnlich im Prozeß oder tritt wenigstens im Prozeß deutlich hervor. Deshalb und weil die Einrede des BGB. in historischem Zusammenhang mit der exceptio und der Einrede der ZPO. steht, liegt es nahe, an eine ausschließlich gerichtliche Geltendmachung der Einrede zu denken 2 9 . Aber wie der Anspruch im BGB, vom Prozeß losgelöst ist und das Verlangen einer Leistung, sei es gerichtlich oder außergerichtlich, bedeutet 30 , so ist auch die dem Anspruch entgegentretende Einrede im Rahmen des BGB. als die Befugnis zu bezeichnen, die verlangte Leistung so zu verweigern, wie sie verlangt wird, also außergerichtlich, wenn der Anspruch außerhalb eines Prozesses erhoben wird 3 1 . 1. Wird die Leistung außergerichtlich durch eine an den Verpflichteten gerichtete Willenserklärung des Berechtigten, Mahnung, verlangt, so erfolgt die Verweigerung der Leistung durch eine entsprechende Erklärung des Verpflichteten an den Berechtigten; eine Form ist für diese Erklärung nicht vorgeschrieben, auch ist zu ihrer Wirksamkeit nicht erforderlich, daß der Grund der Weigerung angegeben w i r d 8 2 ; verweigert ζ. B. ein Schuldner, dem die Verjährung zur Seite steht, die Erfüllung, ohne sich auf die Verjährung zu berufen, so ist der Anspruch gehemmt88. Die Einrede braucht nicht sofort nach Erhebung des Anspruchs vorgebracht zu werden 84 . Wird die Einrede erhoben, so erweist sich das Verlangen des Gläubigers als unberechtigt und zwar von dem Moment an, in 29

Z i t e l m a n n S. 29; Endemann § 88 Note 29; Biermann § 37, 3; K. Schneider in JheringsJ. 51, 29. 80 Vgl. ob. § 15 Note 53. 31 Langheineken 341; Crome I S. 184; Landsberg § 18 S. 86; H e l l w i g ZivProz. § 36 I I I 2; Oertmann, Vorb. Β 26 vor § 194. 82 So Kipp in der Festg. für Koch 135, der mit Recht darauf hinweist, daß das Gesetz bei der Zurückweisung von Erklärungen wegen gewisser Mängel, §§ 111, 174, 1060, die Angabe des Zurückweisungsgrundes verlangt; vgl. unt. Note 48. 88 Der Grund der Einrede muß im Prozeß angegeben und bewiesen werden, wenn es sich darum handelt, ob die vorgenommene Verweigerung berechtigt war. w Kohle r S. 190. Auch braucht die Einrede nicht, wie die römische exceptio und die prozeßhindernden Einreden, ZPO. § 274, in einem bestimmten Stadium des Prozesses erhoben zu werden.

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welchem der Schuldner berechtigt war, die Leistung zu verweigern ; ein bereits eingetretener Verzug des Schuldners ist mit Erhebung der Einrede als unwirksam zu betrachten 86. 2. Mit der außergerichtlichen Erhebung der Einrede ist der Anspruch gehemmt und bleibt es, bis die Einrede zurückgenommen wird oder aus anderem Grunde wegfällt. Kommt es zur Klage, so kann und braucht die bereits erhobene Einrede nicht nochmals im Prozeß ausgeübt zu werden. Allerdings wird sie vom Beklagten im Prozeß vorgebracht werden, aber dies Vorbringen ist nicht Willenserklärung, sondern Mitteilung einer vor dem Prozeß eingetretenen anspruchshemmenden Tatsache, welche vom Richter zu berücksichtigen ist, auch wenn sie aus den Behauptungen des Klägers hervorgeht. Nur eventuell, für den Fall, daß das außerprozessuale Erheben der Einrede vom Kläger bestritten wird, liegt im Vorbringen der Einrede vor Gericht eine Ausübung des Einrederechts 86. 3. Wird der Anspruch weder vor noch im Prozeß vorgebracht, so kann er vom Richter nicht berücksichtigt werden. Mit dem rechtskräftigen Urteil über den Anspruch ist die Einrede präkludiert ; denn nunmehr ist festgestellt, daß der Kläger die Leistung verlangen d. h. der Beklagte sie nicht verweigern darf 8 7 V. Die Einrede ist ihrer Natur und Wirkung nach stets ein negatives Recht, gerichtet gegen einen Anspruch. Dem Ent88

Die Einrede hat, wie Anfechtung und Aufrechnung, rückwirkende Kraft, unterscheidet sich aber von diesen beiden Rechten durch die mindere Intensität ihrer Wirkung-, vgl. ob. Note 13. 88 H e l l w i g , Anspruch § 2 Note 21, ZivProz. § 36 Note 28. Die herrschende Meinung (vgl. Oertmann a. a. 0. 2e, auch Langheineken 351, der S. 341 der außergerichtlichen Erhebung der Einrede gewisse Wirkungen beilegt), verlangen im Prozeß Vorbringen der Einrede durch den Beklagten, selbst wenn er die Einrede bereits außergerichtlich geltend gemacht hat. Oertmann beruft sich auf die Verhandlungsmaxime; aber diese Maxiihe besagt nur, daß die Tatsache der Erhebung der Einrede nicht von Amtswegen zu berücksichtigen ist, sondern von einer der Parteien, gleichgültig von welcher, behauptet werden muß. Aus dem Wesen der Einrede folgt nur, daß sie wie jedes Recht ausgeübt werden muß, daß daher die unausgeübte Einrede vom Gericht nicht beachtet werden kann. Die herrschende Meinung scheint mir in diesem Punkte wesentlich eine Folge der „Kontinuität der Rechtsentwicklung" zü sein, auf die sich Langheineken beruft; denn die exceptio war in der Tat ein prozessuales Schutzmittel des Beklagten. 87 Hellwig, ZivProz. § 36 Note 9, § 58 Note 33; Fndemann § 88 Note 36. Dagegen sind die negativen Gestaltungsrechte nicht präkludiert soweit sie nicht Gegenstand der Entscheidung gewesen sind; vgl. ob. § 10 S. 199.

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stehungsgrunde nach kann man die Einreden in zwei Klassen einteilen : gewisse Einreden beruhen auf einem positiven Recht, (Sachenrecht oder Forderung), des Einredeberechtigten ; aus dem positiven Recht geht je nach Umständen hervor ein Anspruch, wenn der Berechtigte in die Lage kommt, eine Leistung zu verlangen, oder eine Einrede, wenn sein Recht ihm die Befugnis verleiht, eine von ihm verlangte Leistung zu verweigern 88. Der Anspruch ist das offensive, die Einrede das defensive Schutzmittel des Eigentums, der Forderung oder des sonstigen positiven Rechtes. Solche Einreden werden, weil sie auf einem anderen Recht beruhen u n s e l b s t ä n d i g e Einreden genannt 89 . Im Gegensatz dazu stehen die s e l b s t ä n d i g e n Einreden d. h. solche negative Rechte, denen kein positives Recht, insbesondere kein Anspruch, entspricht ; dazu gehört ζ. B. die Verjährung, weil durch den Ablauf der Zeit keine andere Rechtswirkung entsteht außer der Befugnis des Schuldners, die Leistung zu verweigern: ebenso das beneficium competentiae des Schenkungsschuldners, § 519, das beneficium excussionis40 u. a. Die wichtigsten Beispiele der unselbständigen Einreden sind: 1. Die Einrede gegen den Eigentumsanspruch aus § 986; der Besitzer kann die Herausgabe der Sache verweigern, wenn er zum Besitz berechtigt ist, sei es aus dinglichem Recht (wie Pfandrecht und Nießbrauch), sei es aus obligatorischem Recht, ζ. B. Miete 41 . 88

Bisweilen besteht aus einer Forderung zugleich Anspruch auf Leistung und Einrede, ζ. B. 273, 320; in anderen Fällen ist kein Anspruch vorhanden, weil der tatsächliche Zustand dem Forderungsrecht entspricht, ζ. B. der Mieter ist im Besitz der Sache, vgl. ob. § 11 S. 214. Zur Aufrechterhaltung dieses Zustandes gegen einen Eigentumsanspruch des Vermieters dient dem Mieter die Einrede aus § 986. Auch der Einrede aus § 2319 liegt ein Recht zugrunde, ohne daß neben der Einrede ein Anspruch besteht, denn der Erbe kann von niemandem den Pflichtteil verlangen. 89 Mot. I S. 291; Planck, Vorb, zum Allg. Teil S. 53; Zitelmann S. 31; Enneccerus § 207 I; Crome § 36. 40 Die unselbständigen Einreden sind die Kehrseite eines positiven Rechts, welches durch die zufällige Gestaltung des Rechtslebens in Kollision mit dem Anspruch kommt. Dagegen haben die sogenannten selbständigen Einreden in ihrer Entstehung einen Zusammenhang mit dem Anspruch, welchem sie entgegentreten ; sie beruhen auf einer dem Anspruch inhärierenden Schwäche : die Verjährung darauf, daß der Anspruch während einer bestimmten Zeit nicht geltend gemacht ,/urde, das benef. comp, darauf, daß der Anspruch die Realisierung einer Schenkung bezweckt usw. 41 Gegen den Wortlaut des § 986 wird bisweilen (Friedenthal, Einrede 42; Crome § 36 Note 22, § 126 Note 9; Rappaport, Einrede aus

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Insbesondere ist der Besitzer auch dann zum Besitz berechtigt, wenn er gegen den Eigentümer einen Anspruch auf Übertragung des Eigentums hat: exc. rei vend, et traditae. 2. Die Einrede der Zurückbehaltung, § 273, und des nicht erfüllten Vertrages, § 320 4a . Hier liegt der Einrede kein Recht zum Besitz der Sache zugrunde, sondern eine Forderung mit anderweitigem Inhalt: Kaufpreis resp. Ersatz von Auslagen. Zur Sicherung dieses Rechtes besteht die Befugnis, eine geschuldete Leistung zu verweigern, insbesondere dem Kläger eine Sache vorzuenthalten 4 a . 3. Eigenartig ist die Zurückbehaltungseinrede des § 1000. Mit der Vornahme der Verwendung entsteht eine Ersatzforderung, aber zunächst noch kein Anspruch, sondern bloß eine Einrede gegen den Anspruch des Eigentümers. Erst wenn dieser die Sache wiedererlangt oder die Verwendung genehmigt, kann der Verwendende den Ersatz der Verwendung erlangen, § 1001 44 . 4. Wenn der Schuldner vom Gläubiger die Aufhebung der Forderung verlangen kann, so kann er auch die ihm zugemutete Leistung verweigern: dolo facit qui petit quod redditurus est. Auf diesem Gedanken beruhen die in § 821 und 853 erwähnten Einreden gegen eine Forderung, welche ohne rechtlichen Grund oder aus einem Delikt des Gläubigers entstanden ist 4 6 . fremdem Rverh. 202) angenommen, daß der Eigentumsanspruch durch das Gegenrecht des Beklagten ipso iure ausgeschlossen sei. Dagegen mit Recht die herrschende Lehre (mit der unmotivierten Abweichung in § 1004 muß man sich abfinden, vgl. ob. Note 11). Z i t e l m a n n , ArchZivProz. 99, 33, weist darauf hin, daß die Vindikation trotz eines auf dem Eigentum lastenden fremden Rechtes gegen Dritte ungehindert geltend gemacht werden kann; nur der Inhaber dieses Rechts kann sich durch Berufung auf sein Recht, also durch Einrede, dagegen schützen. 42 Z i t e l m a n n S. 31. Vielfach wird die exc. non ad. c. zu den selbständigen Einreden gerechnet, Mot. I S. 291; W i n d scheid § 112 Note 8; Enneccerus § 218 IV; L a n g h e i n e k e n S. 179 Note 2, obgleich sie sich meines Erachtens mit voller Deutlichkeit als Kehrseite der aus dem gegenseitigen Vertrag erwachsenden Gegenforderung darstellt; vgl. unt. Note 51. 48 Daß den Einreden aus §§ 273, 320 kein Recht zum Besitz der Sache im Sinne von § 986 zugrunde liegt, zeigt sich daran, daß sie wegfallen, wenn der Kläger seine Verpflichtung erfüllt (§ 320) oder Sicherheit leistet (§ 273), während der Kläger die Einrede aus § 986 nicht beseitigen kann. Identifizierung der Einreden aus § 273 und 986 führt zu Begriffsverwirrung, z. B. in SeuffA. 57 Nr. 102, auch Planck § 986, laß. 44 Vgl. ob. § 6 Note 40. 46 ebenso entsteht eine Einrede, wenn der Schuldner aus einem anderen

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5. Dem Recht des Käufers, Wandelung oder Minderung zu verlangen, entspricht die in § 478 erwähnte Einrede 46 . Der Käufer kann die Erfüllung des Vertrags verweigern, dessen Aufhebung oder Abänderung er vom Verkäufer verlangen darf. Die Einrede entsteht aber meines Erachtens erst dann, wenn der Käufer die Wandelung (oder Minderung) verlangt und damit die Aufhebung des Vertrags, insbesondere die Rückgabe der Sache anbietet 47 . Das unausgeübte Wandelungsrecht gibt dem Käufer nicht die Befugnis, die Kaufpreiszahlung zu verweigern; sonst könnte er die Sache benutzen, ohne seinen Verpflichtungen nachzukommen. Darum muß der Käufer, wenn er nicht bereits das Wandelungsbegehren vorher gestellt hat, bei der Verweigerung der Zahlung den Grund der Weigerung angeben; darin liegt zugleich die Geltendmachung des Wandelungsanspruchs 4 8 . Aus dem Begriff der unselbständigen Einrede folgt, daß sie nur dem Subjekt des ihr zugrunde liegenden positiven Rechts zustehen kann, ζ. B. die Einrede des Nießbrauchs gegen die Vindikation nur dem Nießbraucher, nicht einem dritten Besitzer: die Einrede der Zurückbehaltung dem Beklagten nur dann, wenn er selbst einen Gegenanspruch aus demselben rechtlichen Verhältnis hat. Nur ausnahmsweise kann nach der besonderen Vorschrift des § 986 der Besitzer, wenn er den Besitz für einen anderen ausübt und dieser andere ein Recht auf den Besitz hat, aus dem fremden Recht eine Einrede gegen die Vindikation ableiten 49 . Ebenso ist umgekehrt die Einrede nur gegen den verwendbar, gegen welchen sich das der Einrede zugrunde liegende positive Recht richtet. Hierbei kommt in Betracht, ob das positive Recht ein dingliches oder obligatorisches ist. Ein dingliches Recht kann Jedem entgegengehalten werden, der den Berechtigten in seiner Herrschaft über die Sache beeinträchtigt oder beeinträchtigen will ; Grunde vom Gläubiger die Aufhebung der Forderung verlangen kann, ζ. B. «us einem legatum liberationis, Planck § 2173, 3; S t r o h a l , Erbrecht § 37 I ; H e l l w i g , ZivProz. § 36 IV 4. 46 Über das Wesen dieser Einrede, insbesondere darüber, ob sie zu den unselbständigen Einreden zu zählen ist, herrscht lebhafter Streit; vgl. die Literatur bei Oertmann § 478, 1 und S chap er, JheringsJ. 52, 233 fg. 47 Vgl. ob. § 10 Note 11. Daher kann der Bürge des Käufers diese Einreden nur dann erheben, wenn der Käufer das Verlangen der Wandelung oder Minderung durch Klage oder Einrede gestellt hat; RG. 66, 333; Planck § 770 Anm. 10. 4 « Vgl. ob. Note 32. 49 Vgl. ob. Note 18.

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daher hat ein Besitzer, dem ein dingliches Recht (Pfandrecht, Nießbrauch) an der Sache zusteht, eine Einrede gegen jeden Kläger, der die Sache von ihm verlangt Das obligatorische Recht wirkt prinzipiell nur gegen den Schuldner : daher kann die Einrede aus solchem Recht dem Kläger nur dann entgegengesetzt werden, wenn er im obligatorischen Verhältnis der Schuldner ist, oder an dessen Stelle getreten ist, als Erbe oder ζ. B. nach § 571. Von diesem Grundsatz gibt es eine wichtige Ausnahme : wer durch Zession eine Forderung oder Eigentum (§ 931) erwirbt, ist nach §§ 404, 980 den Einreden ausgesetzt, die gegen den Zedenten begründet waren, auch wenn er in die Verpflichtungen des Zedenten nicht eintritt. Die unselbständigen Einreden erlöschen mit dem Wegfall des positiven Rechts, aus dem sie hervorgehen. So erlöschen ζ. B. die Einreden der Zurückbehaltung und des nicht erfüllten Vertrags, wenn die Forderung, zu deren Durchsetzung sie dienen, befriedigt oder durch Erlaô aufgehoben wird 5 0 . Streitig ist der Einfluß der Verjährung auf die dem verjährten Anspruch entsprechende Einrede. In §§ 821, 853 ist positiv bestimmt, daß die Einrede bestehen bleibt, nachdem der Anspruch verjährt ist, während umgekehrt in § 478 der Fortbestand der Einrede nach Verjährung des Anspruchs von einer besonderen Voraussetzung (Anzeige des Mangels) abhängig gemacht ist. Die Motive und mit ihnen ein Teil der Literatur 6 1 gehen von der Auffassung aus, daß nach Verjährung des Anspruchs keine Einrede aus der Forderung erhoben werden kann, und sehen in §§ 821, 853 positive Ausnahmen von diesem Grundsatz. Eine andere Meinung 62 hält die §§ 821, 853 für Anwendungsfälle des Prinzips und erklärt den § 478 als eine durch praktische Erwägungen gerechtfertigte Ausnahmebestimmung62 a . Diese Ansicht scheint mir zu der Struktur der Verjährung im BGB. 60

Vom vertragsmäßigen Erlaß der Forderung (§ 397) ist zu unterscheiden der einseitige Verzicht auf die Einrede, vgl. ob. Note 26, durch welchen die Forderung nur die Fähigkeit verliert eine Einrede zu erzeugen. 61 Mot. I S. 291; Planck § 194, 1; Endemann §92 Note 10; Enneccerus I § 218 V. Die exc. non ad. contr. wird von den Anhängern dieser Meinung zu den selbständigen Einreden gerechnet, vgl. ob. Note 42, und daher auch nach Verjährung des ihr entsprechenden Anspruchs zugelassen. M D e r n b u r g I § 182 VI; K i p p , Zus. 3 zu Windscheid § 112 (9. Aufl.); Crome § 114, 1; Leonhard § 63 V; Regelsberger, JheringsJ. 41, 328fg.; Staudinger § 194, 8. 58 » Eine andere Ausnahmebestimmung findet sich in GewO. § 112.

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besser zu passen68 und zugleich ein der Billigkeit entsprechendes Resultat zu ergeben 64. Ferner ist bei unselbständigen Einreden aus obligatorischem Recht bestritten, ob die Einrede durch den Konkurs dessen beeinflußt wird, gegen den sich die Forderung richtet, welche der Einrede zugrunde liegt. A hat einen Anspruch gegen Β : Β hat eine Forderung gegen A und eine aus dieser Forderung hervorgehende Einrede gegen den Anspruch des A. Kann Β im Konkurse des A dem Konkursverwalter die Einrede in vollem Maße entgegenhalten? Die Hauptbeispiele sind: A hat dem Β ein Grundstück verkauft und, ohne Auflassung, übergeben; kann Β das Grundstück dem Konkursverwalter des A nach § 986 I I vorenthalten 65 ? oder: A hat gegen Β eine Forderung, gegen welche dem Β ein Retentionsrecht zusteht; kann die Zurückbehaltung im Konkurse des A ausgeübt werden 66 ? Prima facie wird man sagen dürfen, daß durch den Konkurs des A die Lage seiner Schuldner nicht verschlechtert werden kann, daß also dem Β gegen den Konkursverwalter dieselben Schutzmittel zustehen, wie gegen A selbst. Aber dieser Satz ist soweit durchbrochen, als die Durchsetzung einer Einrede des Β zu einer Aussonderung oder Absonderung aus der Konkursmasse des A führen würde. Aussondern darf aber B, durch Klage oder durch Vorenthalten vermittelst einer Einrede, nach KO § 43 nur einen dem Gemeinschuldner nicht gehörenden Gegenstand ; daher muß er im ersten Beispiel das ihm übergebene aber nicht aufgelassene Grundstück an den Konkursverwalter herausgeben. Die Absonderung eines zur Konkursmasse gehörenden Gegenstands ist 63

Von der Verjährung wird nur der Anspruch betroffen und auch er nur gehemmt, nicht zerstört; die übrigen in der Forderung enthaltenen Befugnisse (vgl. ob. § 6 S. 142) bleiben von der Verjährung unberührt. 64 Praktische Bedeutung hat die Streitfrage, da man über die Unverjährbarkeit der exc. non ad. contr. einig ist, und andere wichtige Fälle durch positive Entscheidung geregelt sind, soviel ich sehe, nur für die Einrede des Zurückbehaltungsrechts: kann ζ. B. jemand, dessen Auslageanspruch nach § 196 Nr. 1 verjährt ist, die Gegenstände, welche er infolge seiner Geschäftsbesorgung herauszugeben hat, retinieren? Die Frage muß meines Erachtens bejaht werden, wenn man erwägt, wie nah sich die Einrede des § 273 in Zweck und Erfolg mit der Einrede aus § 320 berührt. Vgl. die Literatur bei Oertmann, Vorb. F 2 fg. vor § 194. 85 Dafür D e r n b u r g I I I § 92, 3 und Endemann I I § 93 Note 5; dagegen Jäger, KO. § 17 Anm. 14 unter Berufung auf KO. § 69. 86 Dafür Se uff e r t , Konkursrecht S. 112; dagegen Jäger, KO. § 49 Anm. 42.

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nur in den Fällen der KO. § 47 fg. gestattet ; daher muß im zweiten Beispiel Β die Sache an den Konkursverwalter ausliefern, wenn sie im Eigentum des Gemeinschuldners steht und keiner der Aussonderungsgründe der KO. vorliegt. Dagegen bleibt es bei der Regel, wenn der Anspruch des Konkursverwalters sich auf einen nicht zur Konkursmasse gehörenden Gegenstand bezieht, und daher das Spezialrecht der Aus- und Absonderung außer Spiel bleibt. Verlangt ζ. B. der Konkursverwalter mit der a. mandati Herausgabe einer Sache, welche von Β im Auftrag des Gemeinschuldners angeschaift ist, aber sich noch im Eigentum des Β befindet, so steht dem Β die Retention wegen seiner Auslagen in vollem Masse zu 6 7 . Ebenso wenn es sich um Forderungen des Gemeinschulduers handelt, gegen welche dem Β die Einreden des § 821 oder 853 zustehen. Hat ζ. B. der Gemeinschuldner von Β einen Wechsel sine causa oder durch ein Delikt erhalten, und klagt der Konkursverwalter diesen Wechsel ein, so kann ihm die Einrede im selben Umfang entgegengehalten werden, wie dem Gemeinschuldner selbst 68 . VI. Die Einreden zerfallen nach der Dauer ihrer Wirkung in aufschiebende oder dilatorische 69 und dauernde 60 Einreden. 1. Aufschiebend ist eine Einrede dann, wenn sie durch Zeitablauf wegfällt, oder durch eine Handlung des Gläubigers beseitigt werden kann 6 1 , oder dem Schuldner nur so lange zusteht, bis ein Zustand der Ungewißheit sich aufgeklärt hat 6 3 . Eine Aufzählung der im BGB. vorkommenden dilatorischen Einreden findet sich t e i L a n g h e i n e k e n S. 291. Unter ihnen ist eine der wichtigsten die Stundung, welche in § 202 ausdrücklich als Einrede bezeichnet wird. Gerade bei der Stundung ist es aber zweifelhaft und bestritten, ob eine Einrede vorliegt oder eine die Entstehung des Anspruchs ipso jure hindernde Tatsache. Wie soll eine befristete 67 Das Resultat ist dasselbe, wie es sich für gegenseitige Verträge aus KO. § 17 ergibt. 58 Verlangt Β dagegen Rückgabe des Wechsels, so kann er nach KO. § 69 nur eine Geldsumme anmelden. 89 Vgl. § 202 und Rubrik vor § 2014. 60 § 813 I. Im gemeinen Recht sprach man von peremptorischen Einreden, welcher Ausdruck für das BGB. nicht mehr zutrifft; vgl. unt. S. 309. 61 ζ. B. Erfüllung, § 320, Sicherheitsleistung, § 273. 89 Z.B. § 770: bis der Hauptschuldner das Recht der Anfechtung ausgeübt oder verloren hat, vgl. ob. § 10 Note 11. Aufschiebend ist auch die Einrede aus § 519 (Planck § 519, 1; a. A. Langheineken S. 274), bis die Verhältnisse des Schenkers sich gebessert haben.

§ 17. Die Einrede.

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Forderung, aus welcher der Anspruch noch nicht entstanden ist, sich unterscheiden von einer gestundeten Forderung, bei welcher der Anspruch bereits besteht, aber mit einer Einrede behaftet ist? Im ersten Fall wäre die verfrühte Klage von Amtswegen abzuweisen, im zweiten Fall nur dann, wenn die Einrede erhoben ist. Man hat versucht den Begriff der Stundung auf den Fall zu beschränken, daß der Leistungstermin durch spätere Verabredung festgesetzt wird 6 8 . Aber dieser Unterscheidung steht abgesehen von inneren Gründen 64 der Umstand im Wege, daß das Gesetz mehrfach, §§ 452, 454, 509, unter Stundung auch die anfängliche Festsetzung eines Leistungstermins versteht. Undurchführbar ist meines Erachtens auch die Verweisung auf den Parteiwillen 65 ; verabredet wird ζ. B. nur, daß am 1. Januar gezahlt werden soll. Ob der Gläubiger die Zahlung nicht vor dem 1. Januar verlangen, oder der Schuldner sie bis zu diesem Tag verweigern darf, ist eine Finesse der juristischen Technik, welche man nicht in die Absichten der Parteien hineininterpretieren darf 66 . Eine letzte Meinung setzt sich über den Wortlaut des § 202 hinweg und nimmt an, daß eine Befristung stets ipso jure wirkt, daß es also eine Einrede der Stundung überhaupt nicht gibt 6 7 . Diese Ansicht dürfte in der Regel zutreffen; denn es liegt kein Grund vor, der Verabredung der Parteien die stärkere Wirkung, Hinausschiebung der Entstehung des Anspruchs zu versagen. Aber es gibt Ausnahmsfälle, in denen man die Stundung als ein Versprechen des Gläubigers deuten muß, die Forderung innerhalb eines Zeitraums nicht geltend machen zu wollen (pactum de non petendo); aus einem solchen Versprechen des Gläubigers erwächst für den Schuldner eine Einrede. Das ist dann der Fall, wenn eine Abänderung der Forderung nicht oder nur in bestimmter Form möglich ist, und diese Form bei der Stundung nicht gewahrt ist. So kann ζ. B. der Verfalltag eines Wechsels nicht geändert, sondern nur ein neuer Wechsel 68

D e r n b u r g I § 179 I I 1. Nachträgliche Verabredungen haben in unserem Recht im Gegensatz zum römischen, Dernburg, Pand. I I § 47, 1, dieselbe Kraft wie Verabredungen bei Eingehung des Vertrags. Nur in prozessualer Beziehung ist die nachträgliche Stundung als neue vom Beklagten zu behauptende Tatsache stets „Einrede". 66 Planck § 163, 1; 202, 2; H e l l w i g , ZivProz. § 32 Note 23 und Anspruch § 1 Note 23. 66 K i p p , Zus. 2 zu Windscheid § 96a. 67 L a n g h e i n e k e n S. 311. e4

Handbuch X . 1. I : v o n T u h r I .

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mit anderem Verfalltag ausgestellt werden; die Prolongation ist daher als Versprechen des Gläubigers aufzufassen, sein Recht während bestimmter Zeit nicht auszuüben ; aus diesem Versprechen entsteht eine Einrede 68 . Ebenso kann die aus dem Grundbuch sich ergebende Fälligkeit bei Reallasten und Hypotheken nur durch Eintrag nach § 877 geändert werden; eine nicht eingetragene Stundung kann aber dem Gläubiger als Einrede entgegengehalten werden e9 . Die Wirkung der aufschiebenden Einrede ist in der Regel Hemmung des Anspruchs für den Zeitraum, während welches die Einrede besteht; die Leistung kann nicht verlangt werden, solange der Verpflichtete sie verweigern darf und verweigert. Demgemäß lautet das Urteil auf Abweisung der Klage, wenn nicht einer der Fälle vorliegt, in denen nach ZPO. § 257 fg. auf künftige Leistung verurteilt werden kann. Aber mit dem Wegfall des Hindernisses tritt der Anspruch wieder in Kraft und dann ist eine neue Klage möglich : denn das erste Urteil hat nur entschieden, daß zur Zeit der letzten Tatsachen Verhandlung ein ungehemmter und daher zuzusprechender Anspruch nicht vorlag. Mit Rücksicht auf die Möglichkeit einer späteren Klage pflegt man die verfrühte Klage als „zur Zeit unzulässig" abzuweisen70. Ausnahmsweise anders wirkt die Einrede der Zurückbehaltung § 2 7 3 " , und die einen speziellen Fall dieser Einrede darstellende Einrede des nicht erfüllten Vertrags § 320 : der Schuldner verweigert die Leistung nicht ohne Weiteres, sondern nur in der Art, wie sie von ihm verlangt wird; er ist, wenn er die Klage im übrigen nicht bestreitet, zur Leistung Zug um Zug gegen die ihm geschuldete Gegenleistung bereit; darum bewirkt die Einrede nach §§ 274, 322 nicht Ab«8 Staub, WO. Art. 82 § 31. 69 Planck § 1115, 5b und § 101, 3. Ein weiterer Fall der Einrede liegt meines Erachtens dann vor, wenn ein Dritter zugunsten des Schuldners, aber nicht als sein Vertreter, eine Stundung verabredet. Zugunsten Dritter kann nach § 328 nur eine Leistung, nicht ein liberatorischer Effekt verabredet werden, H e l l w i g , Vertr. 54; aber die Leistung kann darin bestehen, daß der Gläubiger seine Forderung gegen den Schuldner nicht geltend macht; aus diesem Anspruch auf Unterlassung kann der Schuldner eine Einrede ableiten. 70 Vgl. darüber H e l l w i g , ZivProz. § 24 I und § 67 Note 27. 71 Auch bei der Einrede des § 1428 spricht das Gesetz von Zurückbehaltung, aber nicht im technischen Sinne des § 273; vgl. Planck § 1428, 2. Diese Einrede führt zu einer Minderung des Urteilsbetrags.

§ 17. Die Einrede.

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Weisung der Klage, sondern Modifizierung des Inhalts der Verurteilung 7 β . Bestritten ist die Wirkung der aufschiebenden Einreden des Erben, §§ 2014, 2015. Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist der Erbe berechtigt, die Berichtigung der Nachlaßverbindlichkeit bis zum Ablauf der ersten drei Monate nach Annahme der Erbschaft resp. bis zur Beendigung des Aufgebotsverfahrens zu verweigern. Aber nach ZPO. § 305 ist durch die Geltendmachung dieser Einreden eine Verurteilung des Erben* (mit Vorbehalt der beschränkten Haftung) nicht ausgeschlossen. Auch die Zwangsvollstreckung ist zulässig; nur kann der Erbe verlangen, daß sie auf Maßregeln beschränkt wird, welche zur Vollziehung des Arrestes dienen, ZPO. § 782. Daraus entnimmt die herrschende Meinung 72 a , daß diese Einreden, abgesehen von der abnormer Weise zulässigen Klage 7 2 b und Vollstreckung, die gewöhnliche Wirkung haben, den Eintritt des Verzugs zu hindern: der Erbe könne, solange er die Leistung verweigern dürfe, auch nicht in Verzug gesetzt werden. Dagegen wird von E c c i u s 7 2 c , S t a u d i n g e r 7 2 d , jetzt auch von P l a n c k 7 3 die Meinung vertreten, daß der Erbe trotz der Einreden zur Leistung verpflichtet sei und daher auch in Verzug gesetzt werden könne; die einzige Wirkung der Einreden bestehe darin, daß der Erbe die Durchführung der Vollstreckung hindern könne; es sei unbillig, daß die Gläubiger, die sich im Interesse der Erbschaftsregulierung einen Aufschub gefallen lassen müssen, auch noch den daraus entstehenden Schaden tragen sollen, insbesondere die Zinsen des ihnen geschuldeten Geldes verlieren sollen, und daß der Erbe durch zinslose Benutzung des Geldes einen Vorteil machen dürfe, während doch die Beschränkung der Haftung und die zu ihrer Vorbereitung dienenden Einreden nur dazu bestimmt sein könnten, den 72 Nach Endemann §88 Note 46 soll hier keine Einrede, sondern eine Einwendung vorliegen: der Schuldner bestreitet das unbegründete Verlangen einer einseitigen Leistung; aber Endemann betont selbst, daß die Abhängigkeit der verlangten Leistung von der Gegenleistung nur dann berücksichtigt wird, wenn der Schuldner sich darauf beruft; darin liegt aber meines Erachtens das Wesen der Einrede. Vgl. Planck § 274, 1; Oertmann § 273, 5; H e l l w i g , ZivProz. § 36 VI. Dernburg V § 168 VI; Cosack § 380 I I I 2; S t r o h a l , Erbrecht § 74 ΙΠ. " b Klage auf künftige Leistung; H e l l w i g , Anspruch § 53 II. Gruchot 43, 607 ; 44, 898; 49, 156. 78 * Bern. 1 zu §§ 2014, 2015. 78 3. Aufl., Bern. 6 vor § 2014, abweichend von 1 u. 2. Aufl. S. 147 u. 148, wo die herrschende Lehre vertreten wurde. 20*

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Erben vor Schaden zu schützen. So beachtenswert diese Gedanken de lege ferenda erscheinen mögen, so glaube ich doch, daß eine unbefangene Auslegung des Gesetzestextes zu Gunsten der herrschenden Meinung spricht. Hätte der Gesetzgeber bestimmen wollen, daß der Erbe zur Zahlung verpflichtet sein, und nur mit der Durchführung der Vollstreckung verschont werden solle, so hätte dazu § 782 ZPO genügt, und es wäre nicht nötig gewesen, dem Erben das Recht zur Verweigerung der Leistung zu geben. Eine solche Befugnis kann nur nach zwei Richtungen von Bedeutung sein: indem es den Verpflichteten vor der Klage schützt (das soll aber nach ZPO. § 305 nicht der Fall sein), oder indem es ihn von der materiellen Verpflichtung befreit; hätten diese §§ 2014, 2015 diesen Sinn nicht, so wären sie völlig inhalts- und zwecklos. Solange aber die Leistungspflicht des Erben durch Einrede ausgeschlossen ist, kann er nach § 284 nicht in Verzug gesetzt werden78®. 2. Die dauernden Einreden 74 berechtigen den Verpflichteten, die Leistung jederzeit zu verweigern. Im praktischen Resultat kann die Leistung, da sie bei Widerspruch des Verpflichteten nicht zu erfolgen braucht, als nichtgeschuldet betrachtet werden : daher gestattet das Gesetz, § 813, bei Erfüllung in Unkenntnis der Einrede die cond. indebiti 7 4 4 . Daß aber der Anspruch, trotz der dauernden Einrede, rechtlich besteht, zeigt sich, wie bei allen Einreden, darin, daß der Verpflichtete sich auf die Einrede berufen muß, widrigenfalls sie nicht berücksichtigt wird, und an der bei dauernden Einreden allerdings fern liegenden Möglichkeit, daß die Einrede, durch Verzicht, wegfällt 76 . Wird die Einrede ausgeübt, so ist der Anspruch gehemmt: der Schuldner braucht die geschuldete Leistung nicht vorzunehmen; die Klage wird abgewiesen. Eine Wiederholung der Klage ist nur dann möglich, wenn die Einrede, durch Verzicht, beseitigt und der 78

a Die Anhänger der herrschenden Lehre, ζ. B. Dernburg, Cosack a. a. 0. nehmen an, daß ein beim Erblasser bereits eingetretener Verzug durch die Einreden der §§ 2014, 2015 unterbrochen werde; meines Erachtens wird die Fortwirkung eines einmal eingetretenen Verzugs durch eine dem Schuldner nachträglich zukommende Einrede nicht aufgehoben; vgl. ob. Note 22a. 74 Aufgezählt bei L a n g h e i n e k e n 297 und E n n e c c e r u s § 208 Note 2. 74 a Erfüllung in Kenntnis einer dauernden Einrede wird daher als Schenkung gelten müssen. 76 Die Verjährung des Anspruchs wird durch dauernde Einreden nicht gehemmt, § 202.

§ 17. Die Einrede.

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Anspruch dadurch wieder wirksam geworden ist. H e l l w i g 7 6 will der Ausübung einer dauernden Einrede eine stärkere Wirkuog beilegen; der Anspruch soll ipso jure erlöschen. Aber das Gesetz geht zweifellos von der Auffassung aus, daß der Anspruch trotz der gegen ihn erhobenen dauernden Einrede weiterbesteht, und zieht daraus Konsequenzen, deren Zweckmäßigkeit man bestreiten mag, die aber durch Auslegung nicht beseitigt werden können: wenn ζ. B. eine vorgemerkte Forderung wegfällt, so erlischt damit die Vormerkung; die Löschung kann auf dem Wege von GBO. § 22 vorgenommen eventuell durch Berichtigungsklage durchgesetzt werden 77 . Anders, wenn dem vorgemerkten Anspruch eine dauernde Einrede entgegentritt: der Eigentümer kann die Löschung nicht nach GBO. § 22 bewirken, sondern muß nach § 886 Beseitigung der Vormerkung vom Vorgemerkten verlangen. Ferner: wenn eine hypothekarisch gesicherte Forderung erlischt, so erwirbt der Eigentümer ipso jure die Hypothek nach § 1163; steht aber der Forderung eine dauernde Einrede gegenüber, so erwirbt der Eigentümer, selbst wenn die Einrede ausgeübt wird, die Hypothek nicht ipso jure, sondern muß erst nach § 1169 vom Gläubiger Verzicht auf die Hypothek verlangen 77®, wodurch die Hypothek nach § 1168 auf ihn übergeht. Ähnlich verhält es sich beim Pfandrecht, § 1254. Eigenartig und weniger intensiv, als bei den übrigen dauernden Einreden, ist die Wirkung der Verjährung : aus der Erfüllung einer verjährten Forderung entsteht keine cond. indebiti, §§ 222 II. 8 1 3 7 8 . Durch die Verjährung wird zwar der Anspruch gehemmt, aber die Realisierung der Pfandrechte und die Fortdauer der fiduziarischen Sicherheiten nicht affiziert, § 223 79 . VII. Da die Einrede die Befugnis der Verweigerung einer Leistung ist, so kann sie sich begrifflich nur gegen einen Anspruch 76

Anspruch § 2 I und ZivProz. § 36 III. Anders die herrschende Meinung, vgl. P l a n c k , Vorb. zum Allg. Teil S. 53; K i p p , Zus. 6 zu Windsch. §47; Langheineken 344; Wendt in ArchZivPr. 103, 422; Oertmann a. a. 0. 2 c. 77 Biermann, Widerspruch 221. 77 a *RG. 71, 12. 78 Darum ist die Erfüllung in Kenntnis der Verjährung nicht als Schenkung zu betrachten. In dieser Beziehung besteht eine Ähnlichkeit zwischen der verjährten Forderung und obi. naturalis; vgl. ob. Note 4a. 79 Dagegen entsteht aus der Verjährung der Hauptschuld auch für den Bürgen eine Verjährungseinrede; Oertmann § 768, 1.

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richten 8 0 ; wenn eine Leistung nicht verlangt wird, kann sie auch nicht verweigert werden. Daher gibt es Einreden nicht gegen das Eigentum, sondern gegen den Eigentumsanspruch, genau gesprochen auch nicht gegen eine Forderung, sondern gegen den aus der Forderung erwachsenden Anspruch 81 . Aber diese begriffliche Begrenzung ist im Gesetz nicht festgehalten worden; es gibt Fälle, in denen das Gesetz von Einreden spricht, obgleich die Befugnis, gegen welche sich die Einrede richtet, nicht als Anspruch bezeichnet werden kann. Es handelt sich dabei um Gegenrechte, die der Einrede analog beschaffen sind ; man könnte von Quasieinreden sprechen. Es kommen folgende Fälle in Betracht: 1. Einreden gegen Hypothek und Pfandrecht, §§ 1137, 1169, 1211, 1254. Geht man von der Anschauung aus, daß dem Pfandrecht eine sogenannte Realobligation des Eigentümers zugrunde liegt, den Gläubiger „aus der Sache" zu befriedigen, so bieten die Einreden keine dogmatische Schwierigkeit: sie sind die Befugnis des Eigentümers, die von ihm geschuldete Leistung zu verweigern. Aber das Pfandrecht enthält, wie ob. S. 116 ausgeführt, keine Verpflichtung des Eigentümers, daher auch keinen Anspruch des Pfandberechtigten , sondern eine Befugnis desselben, sich aus dem Wert der Sache ohne Leistung des Eigentümers durch eigene Tätigkeit, Pfandverkauf, zu befriedigen. Diese Befugnis kann, wie bei der echten Einrede der Anspruch, durch Willenserklärung des Gegners (Eigentümers resp. Verpfänders) gehemmt werden; der Pfandverkauf, der bei Vorliegen der Erfordernisse des § 1228 I I wirksam vorgenommen werden könnte, kann nicht mehr erfolgen, wenn der Verpfänder aus einem der in § 1211 genannten Gründe Widerspruch erhoben hat. Wie der Anspruch durch die Einrede gehemmt ist, so verliert das Verkaufsrecht seine Wirksamkeit, wenn 80

Daher soll Aach Endemann § 88 Note 30 die Replik im BGB. nicht zu den Einreden gehören, sondern eine die Einrede aufhebende Einwendung sein. In den meisten Fällen wird Ende mann recht haben: behauptet der Kläger den Wegfall eines Einrederechts, ζ. B. durch Verzicht, so macht er damit kein Gegenrecht geltend. Anders dagegen, wenn dem Recht des Beklagten, aus dem er eine Einrede ableitet, eine Einrede gegenübersteht; ζ. B.: Kläger vindiziert, Beklagter beruft sich nach § 986 auf ein Pfandrecht an der Sache; Kläger erwidert, daß ihm der Beklagte Verzicht auf das Pfandrecht zugesagt habe. Hier behauptet Kläger nicht die Nichtexistenz des Pfandrechts, sondern beruft sich gegenüber der aus dem Pfandrecht abgeleiteten Einrede auf ein Gegenrecht, durch welches die Wirksamkeit des Pfandrechts ihm gegenüber entkräftet wird; vgl. Oertmann, Vorb. C vor § 194. 81 Vgl. ob. § 6 II.

§ 17. Die Einrede.

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und solange ihm der Widerspruch des Verpfänders entgegensteht. Beim Mobiliarpfand wird der Widerspruch in der Regel außergerichtlich erhoben werden 82 ; nur wenn der Pfandgläubiger unter Mißachtung des Widerspruchs sich zur Versteigerung anschickt, wird der Verpfänder resp. Eigentümer Anlaß haben, seinen Widerspruch auf dem Weg der Klage durchzusetzen 88. Erfolgt die Versteigerung ohne daß der zulässige Widerspruch erhoben wurde, so ist meines Erachtens die Veräußerung als rechtmäßig im Sinn von § 1242 zu betrachten 84. Bei der Hypothek muß der Veräußerung ein Urteil vorausgehen, in welchem das Vorliegen der Voraussetzungen des Verkaufs konstatiert wird; in diesem Prozeß hat der Eigentümer Gelegenheit, seine Einreden vorzubringen ; tut er das mit Erfolg, so wird die Klage abgewiesen und damit der Gläubiger an der Verwertung des Grundstücks gehindert; unterläßt der Eigentümer das Vorbringen einer Einrede, so ist er durch das Urteil präkludiert. 2. Eine ähnliche Natur hat die Einrede der beschränkten H a f t u n g 8 6 . Der Erbe kann nach dem Wortlaut der §§ 1973, 1990 die Befriedigung des Nachlaßgläubigers in gewissem Umfange „verweigern"; aber damit wird nicht, wie bei normalen Einreden, die Verpflichtung des Erben ausgeschlossen oder gemindert, vielmehr wird dem Gläubiger im Urteil der volle Betrag seines Anspruchs zugesprochen 86. Der Erbe erreicht durch seine Einrede nur die Aufnahme eines Vorbehalts in das Urteil, ZPO. § 780; auf Grund dieses Vorbehalts kann der Erbe in der Vollstreckung den Zugriff des Gläubigers auf sein eigenes Vermögen abwenden, ZPO. § 781. Der die Haftung des Schuldners realisierende Zugriff des 89

Die Androhung des Verkaufs und die Wartefrist, § 1234, haben unter anderem den Zweck, dem Eigentümer Gelegenheit zum Vorbringen seines Widerspruchs zu geben. 88 Der Eigentümer kann negatorisch, § 1004, auf Unterlassung der Versteigerung klagen. Auch dem Verpfänder muß man eine dahin gehende Klage gewähren; Planck § 1211. lc. 84 Anders, wie es scheint, die herrschende Meinung in dieser ex professo nicht untersuchten Frage. Nach Planck § 1228 , 2a soll eine Forderung, wenn ihr eine Einrede anhaftet, im Sinne von § 1228 nicht fällig sein, Tgl. ob. Note 20. Dann wäre der Pfandverkauf nach § 1242 unrechtmäßig. Es ist aber nicht abzusehen, warum die in § 1211 genannten Tatbestände der Pfandverwertung ipso jure entgegenstehen sollen, während sie den persönlichen Anspruch nur dann hemmen, wenn der Gegner sich auf sie beruft. 88 H e l l w i g , ZivProz. § 32 U 2e. 88 Vgl. ob. § 4 S. 113.

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Gläubigers ist aber, wie wir ob. S. 176 gesehen haben, kein Anspruch, sondern ein Recht, welches unter die Kategorie der Aneignungsrechte gestellt werden kann; die Ausübung dieses Rechtes wird durch den Widerspruch des Schuldners in Bezug auf das eigene Vermögen ausgeschlossen, ebenso wie die Realisierung des Pfandrechts durch die Einrede gegen das Pfandrecht gehemmt wird. Eigenartig ist die Einrede der beschränkten Haftung darin, daß ihrer Ausübung in der Vollstreckung ein Vorbehalt im Urteil vorausgehen muß. 3. Wer Selbsthülfe, § 229, ausübt, verlangt vom Gegner keine Leistung, sondern sucht den rechtmäßigen Zustand durch eigenes Handeln herzustellen. Aber die Einreden, welche ihm entgegenstehen würden, wenn er vom Gegner Befriedigung seines Rechts beanspruchen würde, können auch der Selbsthilfe entgegengehalten werden; wenn der Gegner unter Berufung auf einen Umstand, der ihn zur Verweigerung der Leistung berechtigen würde, der Selbsthilfe widerspricht, hat die Selbsthilfe zu unterbleiben und ist das, was bereits auf diesem Wege erfolgt ist, rückgängig zu machen87. 87

Note 3.

H e l l w i g , ZivProz. S. 252; Kohler § 65 S. 191; Biermann § 37

Zweites Kapitel

Das Vermögen. § 18. Das Vermögen*. I. Die Gesamtheit der Rechte eines Subjekts bildet seinen Rechtskreis, die Machtsphäre, welche ihm die Rechtsordnung zugesteht. Innerhalb dieses Rechtskreises ist zivilrechtlich am wichtigsten und interessantesten ein engerer Kreis von Rechten, den man das Vermögen nennt. Außerhalb des Vermögens stehen die Familienrechte (Rechte der Ehegatten gegen einander, elterliche Gewalt usw.) und die Rechte der Person ζ. B. das Namensrecht. Über das Kriterium des Unterschiedes besteht Streit. Der Begriff des Vermögensrechts ist im Gesetz weder definiert noch aus bestimmten Merkmalen zu entnehmen. Es gibt meines Erachtens keinen Rechtssatz, der sich auf alle Vermögensrechte und nur auf Vermögensrechte bezieht \ Bèi dieser Sachlage wird man von dem Sinn ausgehen dürfen, den das Wort Vermögen im allgemeinen Sprachgebrauch hat: Vermögen ist wirtschaftliche Macht; es gibt dem Menschen innerhalb unserer auf Verteilung der Güter beruhenden Wirtschaftsordnung die äußeren Mittel zur Erreichung seiner persönlichen Zwecke, zu denen in erster Linie der materielle * W i n d s c h e i d § 42; Regelsberger § 95; Bekker §§ 40—43; Gierke § 31 I I I , § 104 I I I ; D e r n b u r g I § 103 VI; Endemann § 50 Note 14; Crome § 31; Enneccerus § 71 I I , § 124; B i e r m a n u § 35 I, § 104, 7; S ohm, Gegenstand u. ArchBürgR. 28, 179; F i s c h e r , Schaden 8; Jäger, KonkO. § 1 Anm. 4fg. 1 Nach S ohm, ArchBürgR. 28, 184 soll das gemeinsame Merkmal aller Vermögensrechte darin bestehen, daß sie Gegenstand eines Veräußerungsgeschäftes sein können oder (wie die Rechte an fremder Sache) durch ein Veräußerungsgeschäft entstehen. Trotzdem will S ohm S. 188 Eigentum und Forderung stets zu den Vermögensrechten zählen, selbst wenn diese Rechte im einzelnen Fall unveräußerlich sind: es soll genügen, daß Eigentum und Forderung „der Art nach" übertragbare Rechte sind. Vgl. dagegen Binder, ZtschrHRt. 59, 16fg.; ArchBürgR. 34, 209fg.

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Unterhalt des Lebens und der eigene Genuß verschiedenster Art, dann aber auch ideale und altruistische Bestrebungen gehören. Die Rechte, welche dem Menschen die wirtschaftlichen Mittel seiner Existenz und der Betätigung seines Willens sichern, sind die Vermögensrechte. Das äußere Kennzeichen des Vermögensrechts ist der Geldwert, weil Geld das allgemeine Tauschmittel ist und daher zur Erreichung aller wirtschaftlichen Zwecke dient. Der Geldwert eines Rechts ist in der Regel Tauschwert : er beruht auf der Möglichkeit, durch Veräußerung des Rechts Geld und darin das allgemeine Mittel zur Erreichung wirtschaftlicher Zwecke zu erlangen. Darum ist die Übertragbarkeit eine regelmäßige Eigenschaft des Vermögensrechts. Aber die Veräußerung gegen Geld ist nur die deutlichste, nicht die einzige Erscheinungsform, in welcher der Geldwert eines Rechts zutage tritt. Neben dem Tauschwert steht der Nutzwert 2 : er beruht auf der Möglichkeit, Früchte des Rechtsobjekts zu veräußern, oder die Ausübung des Rechts einem Anderen gegen Entgelt zu überlassen, oder endlich auf dem eigenen Gebrauch und der dadurch erzielten Ersparung von Ausgaben, welche der Berechtigte zur Befriedigung seiner Bedürfnisse aus seinem sonstigen Vermögen gemacht hätte. Darum können auch unübertragbare Rechte zum Vermögen gehören, § 14398. Dagegen läßt sich meines Erachtens nicht nelben dem Tauschwert und Gebrauchswert eine dritte Art des Werts aus den Herstellungs- oder Erwerbskosten eines Gegenstandes ableiten8®. Der Wert eines Gegenstandes bestimmt sich nicht durch die Aufwendung, die ich gemacht habe, um ihn zu erlangen, sondern aus dem Nutzen, den er mir gewährt ; der Preis, den ich für eine Sache zahle, kann ihren Wert übersteigen oder hinter demselben zurückbleiben. In anderen Fällen ist das, was s

Die nationalökonomische Betrachtung wird vom Nutzwert ausgehen; auf dem Nutzwert beruht der Tauschwert, wenn die Nutzungen des Rechtes so geartet sind, daß sie auch einem Erwerber des Rechtes zugute kommen können; daneben kommt für den Tauschwert auch ein Affektionsinteresse des Erwerbers in Betracht: wenn A aus persönlichen Motiven eine Sache zu haben wünscht, so hat sie infolgedessen für B, dem sie gehört, einen höheren Tauschwert; in den Händen des A kann die Sache ihren Vermögenswert verlieren, wenn außer ihm niemand an der Sache ein Interesse hat. 8 Der Nießbrauch und die Forderungen des § 399 haben keinen Tauschwert, wohl aber einen Nutzwert, insofern die Ausübung dieser Rechte dem Berechtigten pekuniären Vorteil bringt; sie sind daher Vermögensrechte. 8 » Man spricht von konsumptivem Vermögenswert; vgl. Κ ο h l e r , ArchBürgR. 12, 1; F i s c h e r , Schaden 19; Planck § 253, 1.

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man für einen Vermögenswert eintauscht, überhaupt kein Vermögensgegenstand, sondern die Befriedigung eines physischen oder geistigen Bedürfnisses ; die Verwendung zu solchen Zwecken ist die wichtigste Funktion des Vermögens. Daher sehe ich in dem häufig als Beispiel angeführten unübertragbaren Theaterbillet keinen Vermögensgegenstand : wer ein solches Billet ankauft, hat zweifellos sein Vermögen um den Kaufpreis vermindert und dafür ein nicht zum Vermögen gehörendes Recht auf einen musikalischen Genuß eingetauscht81». Eine zweite Eigenschaft, welche den Vermögensrechten, neben der Übertragbarkeit, anhaftet, und wesentlich dazu beiträgt, ihren Geldwert zu begründen, ist die Vererblichkeit 4 . Aber von dem Grundsatz, daß das Vermögen auf den Erben übergeht, § 1922, gibt es zahlreiche Ausnahmen6 ; meist, aber nicht immer, sind die unübertragbaren Rechte zugleich unvererblich 6. Die wichtigste "Eigenschaft der Vermögensrechte besteht darin, daß sie in ihrer Gesamtheit, als Vermögen, das Haftungsobjekt für die Schulden des Vermögenssubjekts bilden 7 . Aber auch hier gibt es zahlreiche Ausnahmen; aus verschiedenen Gründen sind gewisse geldwerte Rechte dem Zugriff der Gläubiger entzogen; dieser Kreis von Rechten deckt sich größtenteils mit dem Kreis der unveräußerlichen und unvererblichen Rechte8, aber nicht ganz: es gibt veräußerliche Rechte, die den Gläubigern nicht haften 9 , und umgekehrt unveräußerliche Rechte, aus denen die Gläubiger Für ein solches Billet kann aber, obgleich es nicht Bestandteil des Vermögens ist, Schadenersatz verlangt werden; vgl. unt Note 38a. 4 Der Geldwert eines Rechtes richtet sich nach der Dauer der durch das Recht gewährten Herrschaft; wer Eigentum erwirbt, will die Nutzungen der Sache fïir sich und seine Nachkommen oder sonstigen Erben haben. 8 Vgl. S t r o h a l , Erbrecht § 1 I I I ; B i n d e r , Rechtsstellung des Erben § 1. 6 Vererblich sind ζ. B. die Forderungen mit pactum de non cedendo, § 399; der nach § 1623 unübertragbare Anspruch auf Aussteuer; vgl. Binder a. a. 0. Note 21. 7 Daß nur Vermögensrechte der Schuldhaftung unterliegen, ist in ZPO. § 857 I nicht ausgesprochen, ergibt sich aber auch aus der Art und Weise, wie die Haftung realisiert wird: in der Regel durch Verkauf, bisweilen (Zwangsverwaltung und ZPO. § 857 IV) dadurch, daß die geldwerten Nutzungen des Rechts zur Befriedigung des Gläubigers verwendet werden. Da das Konventionalpfand nur durch. Verkauf ausgeübt wird, können nur Sachen mit Verkaufswert verpfändet werden; D e r n b u r g I I I § 267 1; Planck, § 1204,2a. 8 Vgl. ZPO. § 851 und BGB. § 400; ZPO. § 857 III. 9 Z.B. das Eigentum an den in ZPO. § 811 aufgezählten Sachen; das Urheberrecht nach § 10 des LiterG., § 14 der KunstG.

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(durch Aneignung ihres Nutzwertes) Befriedigung suchen können lü . In der Haftung für die Schulden des Subjekts liegt, wie B e k k e r hervorgehoben hat, der juristische Schwerpunkt des Vermögensbegriffes; ob ein Recht Vermögenseigenschaft hat, kommt am häufigsten dann zur Sprache, wenn das Recht als Gegenstand der Vollstreckung oder Bestandteil der Konkursmasse behandelt werden soll. Aber wenn man definieren wollte: Vermögen ist, was den Gläubigern des Subjekts haftet, so würde man sich in Widerspruch setzen nicht nur mit dem Sprachgebrauch der Nationalökonomie und des täglichen Lebens, sondern auch mit der Terminologie unserer Gesetze; denn aus zahlreichen Aussprüchen des Gesetzes (z. B. KO. § l ) 1 1 geht hervor, daß vom Vermögen nur ein Teil, allerdings der größte und wichtigste, dem Zugriff der Gläubiger ausgesetzt ist. In anderer Beziehung (ζ. B. in ZPO. § 23 1 2 und 807) rechnet das Gesetz zum Vermögen auch solche Rechte, die der Vollstreckung nicht ausgesetzt sind 18 . Eine volle Übereinstimmung zwischen dem, was in bezug auf Übertragbarkeit, Vererblichkeit und Haftung zum Vermögen gehört, besteht nicht; einem geldwerten Recht kann die eine oder andere für Vermögensrechte charakteristische Eigenschaft fehlen, ohne daß man es deswegen aus dem Kreise der Vermögensrechte ausschließen dürfte. In diesem Sinne wird man zu den Vermögensrechten zählen: das Eigentum 14 und die sonstigen dinglichen Rechte 16 , die For10

ZPO. § 851 II, § 857 ΠΙ. „Das gesamte einer Zwangsvollstreckung unterliegende Vermögen". 12 Stein IIa zu ZPO. § 23. 13 Die Rente aus § 843 ist nach ZPO. § 850 I I I unpfändbar und daher nach § 400 BGB. unabtretbar; sie gehört aber trotzdem zum Vermögen und daher, wenn sie einer Ehefrau zusteht, zum eingebrachten Gut; Planck § 1363, 4. 14 Ob man Eigentum an ganz wertlosen Sachen zu den Vermögensrechten zählen will, scheint mir akademische Frage zu sein. Meist wird die Wertlosigkeit nicht sofort ganz zweifellos sein; daher sind unverwertbare Sachen des Gemeinschuldners nicht ipso iure konkursfrei, sondern müssen erst freigegeben werden; Jäger, Ko. § 1 Anm. 23. 15 Auch der Besitz ist, wenn man ihn als Recht auffaßt (vgl. ob. S. 138), zu den Vermögensrechten zu zählen (a. A. S ohm, Gegenstand 26): er hat einen Geldwert, der allerdings wegfällt, sobald der Eigentümer dem Besitzer die Sache samt den Nutzungen wegnimmt. Er ist vererblich, § 857, und übertragbar (vgl. ob. § 12 Note 7 a) kann aber nicht als Gegenstand der Vollstreckung dienen, denn die Vollstreckung setzt zwar prima facie nur Gewahrsam des Schuldners voraus, ZPO. § 808, kann aber durch Widerepruchsklage des Eigentümers aufgehoben werden. 11

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derungen, soweit sie eine geldwerte Leistung zum Gegenstand haben 16 ; ferner von den Rechten an unkörperlichen Sachen das Autor- und Erfinderrecht 17 und das Warenzeichenrecht 18; auch das Erbrecht ist zwar kein Recht, aber ein Rechtsverhältnis 10 vermögensrechtlicher Natur; ebenso der Anteil an einem Gesamthandvermögen 20 und u. U. die Mitgliedschaft in einem Verein 20 a . Auch Gestaltungsrechte, insbesondere Aneignungsrechte, können Vermögenswert haben 20 b . Sieht man den für den Begriff des Vermögensrechtes entscheidenden Umstand im Geldwert des Rechts, so kann es auf den Ursprung des Rechts nicht ankommen; ein Vermögensrecht kann entstehen resp. erworben werden im geschäftlichen Verkehr (durch Rechtsgeschäft) oder infolge einer Rechtsverletzung, aber ebenso auch aus Vorgängen rein persönlicher A r t 2 1 , oder aus Tatsachen des Familienlebens; so gehören die Alimentenansprüche aus ehelicher und unehelicher Verwandtschaft dem Vermögensrecht an; ebenso die Nutznießung des Vaters und Ehemanns22, ebenso auch der Pflichtteil. Denn diese Rechte beruhen zwar auf Rechtsverhältnissen, die außerhalb der Vermögenssphäre liegen, verleihen 16

Ob Forderungen auf Leistungen ohne Vermögenswert anzuerkennen sind, ist bekanntlich bestritten; vgl. Oertmann § 241, l b ; Endemann § 109. Bei Vermächtnissen verlangt der Wortlaut des § 1939 Zuwendung eines Verraögensvorteils; vgl. aber Planck, Bern. 2. 17 Dernburg VI § 13 I I ; Crome IV § 517 S. 6. 18 Jäger, KO. § 1 Anm. 8. Bestritten ist die vermögensrechtliche Qualität des Firmenrechts. Die Firma kann nur zusammen mit dem Handelsgeschäft veräußert werden, HGB. § 22. Wenn die Firma wegen ihres Vermögenswerts zum Vermögen gerechnet wird, so kann der Konkursverwalter die Firma mit dem Handelsgeschäft veräußern; so Dernburg I § 99 Note 15; Binder, Rechtsstellung des Erben I 30 u. a. Dagegen betrachtet die herrschende Meinung die Firma als ein außerhalb des Vermögens stehendes Recht und verlangt zu ihrer Übertragung die Einwilligung des Gemeinschuldners; vgl. Jäger, KO. § 1 Anm. 7; RG. 70, 229. Das Recht am bürgerlichen Namen, BGB. § 12, wird, weil es gänzlich unübertragbar ist, nicht zum Vermögen gerechnet, obgleich es unter Umständen von großem Vermögenswert sein kann. 19 Vgl. ob. § 5 S. 128. 20 Vgl. unt. § 20 bei Note 39. 20 » Vgl. unt. § 38 Note 29. 20 b So gehört z. B. das Recht zur Annahme einer Offerte zum eingebrachten Gut, arg. § 1406. 21 Herstellung eines literarischen oder künstlerischen Werks; Erfindung. 22 A. A. S ohm, ArchBürgR. 28, 186.

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aber dein Erfolge nach dem Berechtigten wirtschaftliche Machtmittel 2 8 . II. Das Vermögen im juristischen Sinn des Worts ist die Summe der einem Subjekt zustehenden Rechte. Zu den Rechten gehören aber auch die Anwartschaften, insbesondere die sogenannten betagten und bedingten Rechte, sowie die Rechte, deren Entstehung noch von einer condicio juris abhängt; der Vermögenswert der Anwartschaften hängt natürlich davon ab, wann und mit welchem Grad von Sicherheit die Entstehung des definitiven Rechts zu erwarten ist 2 4 . Keine unmittelbaren Bestandteile des Vermögens sind die Objekte der zum Vermögen gehörenden Rechte; das Vermögen besteht aus dem Eigentum an den Sachen, die dem Berechtigten gehören, nicht aus den Sachen selbst, aus den Forderungen, nicht aus den Leistungsgegenständen, die vermöge der Forderung verlangt werden können. Doch liegt es nahe, wie es bereits die Römer getan haben, anstelle des Eigentums, weil es die volle Herrschaft über die Sache gewährt, die Sache selbst zu nennen und als Bestandteile eines Vermögens aufzuzählen : die dem Vermögenssubjekt gehörenden Sachen, die ihm zustehenden Forderungen und sonstigen Rechte 26 . Bei dieser Zusammenstellung ergibt sich als Gegensatz zu den Sachen für alle Rechte (außer dem Eigentum) die Bezeichnung „unkörperliche Sache" und als Zusammenfassung für körperliche und unkörperliche Sachen bildet sich der im Gesetz in sehr allgemeiner Bedeutung gebrauchte Ausdruck „Gegenstand" 26 a . Dieser Sprachgebrauch ist unschädlich, solange man sich bewußt bleibt, daß Sache in diesem Zusammenhang nur eine konkretere Bezeichnung für das an der Sache bestehende Eigentum ist, daß also, wo das Gesetz mit dem Ausdruck Gegenstand Sachen und Rechte zusammenfassen will, z. B. §§ 135, 161, 185, 716, 2040 usw., Eigentum und sonstige Rechte gemeint sind; in allen angeführten Gesetzesstellen könnte man das Wort Gegenstand durch 23 Man wird z. B. im Sinne von ZPO. § 23 Vermögen des Ehemanns da annehmen dürfen, wo sich eine seiner Nutznießung unterliegende Sache der Ehefrau befindet. 24 Bei entfernter Möglichkeit des Eintritts der Bedingung kann der gegenwärtige Vermögenswert gleich Null sein; vgl. ZPO. § 916. Auch die Anwartschaft aus dem Testamente eines noch lebenden (vgl. ob. § 9 S. 185) wird wegen der Möglichkeit des Widerrufs meist von problematischem Wert sein. m W i n d s c h e i d § 42 Noten 4, 5; vgl. BGB. § 1551 Π. 26 a Mot. I I I S. 33.

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Recht ersetzen, insbesondere beziehen sich Verfügungen immer nur auf Rechte: Verfügung über eine Sache ist genau gesprochen: Verfügung über das an der Sache bestehende Eigentum 26 . Das Vermögen umfaßt juristisch nur Rechte; Tatsachen und Verhältnisse des wirtschaftlichen Lebens, die für das Vermögenssubjekt vorteilhaft sind, denen aber ein subjektives Recht nicht zugrunde liegt oder entspricht, können nicht als Bestandteile des Vermögens gelten, sondern nur als Vermögensinteressen in Betracht kommen, indem sie entweder den Wert einzelner Vermögensrechte erhöhen 27, oder dem Vermögenssubjekt die Möglichkeit zum Erwerb von Vermögensrechten eröffnen. So ist ζ. B. die Arbeitskraft und Erwerbsfähigkeit des Menschen ökonomisch ein Vermögensfaktor, und zwar einer der wichtigsten, gehört aber rechtlich zu den Eigenschaften des Subjekts, nicht zu den Bestandteilen des der Herrschaft des Subjekts unterworfenen Vermögens 28. Sie ist, wie die übrigen Seiten der Persönlichkeit (ζ. B. Freiheit, Ehre) kein Recht, sondern ein rechtlich geschütztes G u t " , allerdings ein Rechtsgut von hervorragender vermögensrechtlicher Bedeutung, weil es die Quelle von Vermögenserwerb ist. Dasselbe gilt von anderen Umständen und tatsächlichen Verhältnissen, aus denen eine Erwerbsmöglichkeit hervorgeht 80 : die Kundschaft ist eine wertvolle wirtschaftliche Tatsache, aber kein Recht und hat daher keinen Platz im Katalog der Vermögensbestandteile 81; ebenso die Konnexionen, durch welche eine vorteilhafte Anstellung erlangt werden kann; ein weiteres Beispiel ist die nicht akzeptierte An26 S ohm, Gegenstand, 16 fg. 20, identifiziert Sache und Eigentum und koordiniert daher als Objekte der Verfügung: die körperlichen Gegenstände (Sachen) und die unkörperlichen Gegenstände (Rechte mit Ausnahme des Eigentums). Das ist meines Erachtens ein Rückfall in die schon von der Theorie des gemeinen Rechts überwundene römische Einteilung: res corporalis (Sache und Eigentum), res incorporalis (jedes sonstige Recht). 27 Wenn in der Nähe eines Grundstücks eine Straße oder Eisenbahn besteht, so ist das für den Eigentümer ein Vorteil, weil der Wert des Grundstücks erhöht ist, aber kein selbständiger Bestandteil seines Vermögens. 28 Daher unterliegt die Arbeitskraft nicht dem Zugriff der Gläubiger; weder der pfändende Gläubiger noch der Konkursverwalter kann die Arbeitskraft des Schuldners zur Befriedigung der Forderung heranziehen, Jäger, KO. § 1 Anm. 6 ; vgl. auch RG. 67, 171; 69, 63: keine Gläubigeranfechtung, wenn der Ehemann einen Arbeitsvertrag in der Weise schließt, daß die Lohnforderung der Frau zustehen soll; vgl. DJZ. 14, 764; RG. 70, 230. 29 Vgl. ob. § 6 V. 80 Enneccerus § 124 I, 1; Binder, Rechtsstellung des Erben I, 31. 31 Dagegen gehört die Firma, weil sie ein Recht ist, zum Vermögen.

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Weisung: sie stellt dem Assignatar den Empfang einer Geldsumme in mehr oder minder sichere Aussicht, verleiht ihm aber kein Recht gegen den Angewiesenen82. Ebenso verhält es sich, wenn A dem Β aufträgt oder durch Auflage zur Pflicht macht, eine Schenkung an C zu machen; aus diesem Vorgange entsteht für C kein Recht, wohl aber die Möglichkeit und Erwartung eines Erwerbes. Obgleich solche Sachlagen und Verhältnisse keine Rechte und deshalb nicht Bestandteile des Vermögens sind, so kann durch einen Eingriff in diese Verhältnisse ein Schaden entstehen und zwar ein Vermögensschaden, welcher in den vom Gesetz vorgesehenen Fällen (§§ 823, 826 usw.) zu ersetzen ist; denn Vermögensschaden liegt nicht nur bei Verletzung von Vermögensrechten vor 8 3 , sondern auch bei Verletzung von Vermögenswerten Rechtsgütern und sonstigen nachteiligen Eingriffen in den Stand und die Entwicklung des Vermögens, insbesondere auch durch Vereitelung eines in Aussicht stehenden Gewinnes, § 2 5 2 8 8 a . Daher kann man daraus, daß das Gesetz eine Ersatzpflicht für Vermögensschaden anordnet, nicht schließen, daß das verletzte Objekt ein Vermögensrecht ist; so ist ζ. B. der nach § 842/3 bei Körperverletzung zu ersetzende Schaden Vermögensschaden, aber nicht weil die Arbeitskraft ein Vermögensbestandteil des Verletzten wäre, sondern weil der Verletzte eine persönliche Eigenschaft verliert, die ihn in den Stand gesetzt hätte, sein Vermögen durch Erwerb zu vermehren 34. I I I . Das Vermögen wird zu einer Einheit zusammengefaßt durch das Subjekt: ein Subjekt, ein Vermögen; nur aus besonderen 82

JheringsJ. 48, 30. Fischer, Schaden 63fg. 38 a Ein weiterer Fall des Vermögensschadens ohne Verletzung eines Vermögensrechtes liegt dann vor, wenn ein Gegenstand, der ohne Vermögenswert zu haben, dem Eigentümer Anschaffungskosten verursacht hat, ζ. B. ein unübertragbares Theaterbillet (vgl. ob. Note 3 b), entzogen oder vernichtet wird. Der Schaden besteht darin, daß die Ausgabe, welche ursprünglich durch den Konsumptionszweck gerechtfertigt war, nachträglich durch Vereitelung des Genusses zwecklos wird. Eine Aufwendung gilt aber nachträglich als Schaden, wenn der Zweck, zu dessen Erreichung sie vorgenommen wurde, wegfällt. Solche unnütz gewordene Ausgaben kommen namentlich als Bestandteil des negativen Interesses in Betracht; vgl. Tuhr, KritV. JSchr. 47, 65. 84 Bei Tötung wird die Arbeitekraft zerstört. Wenn sie ein Bestandteil des Vermögens wäre, müßte ihr Kapitalwert zum Nachlaß ersetzt werden. Das ist aber nicht der Fall, sondern es wird nur der Schaden ersetzt, den die Angehörigen durch Wegfall ihres Unterhaltsanspruchs gegen den Getöteten verlieren. 88

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gesetzlichen Gründen kann innerhalb eines Vermögens eine Gruppe von Rechten als Sondergut eine vom übrigen Vermögen in gewisser Beziehung getrennte Existenz haben 84f t . Willkürlich kann das Vermögenssubjekt seine Vermögensrechte nicht in zwei Vermögensmassen auseinanderlegen; selbst wenn es durch gesonderte Verwaltung faktisch eine Trennung aufrechterhält, bleibt rechtlich Alles was ihm gehört eine Einheit. Die Einheit des Vermögens besteht auch in zeitlicher Hinsicht: alles, was das Subjekt im Lauf seiner Existenz (der Mensch während seines Lebens, die juristische Person während ihres Bestandes) erwirbt, bildet eine den Wechsel der Zeiten überdauernde Einheit. Einzelne Rechte können aus dem Vermögen ausscheiden, andere hinzutreten, sodaß schließlich keines von den ursprünglichen Vermögensstücken mehr vorhanden ist; nichtdestoweniger bleibt die Identität des Vermögens bestehen. Selbst ein so tiefgehender Eingriff in die Entwicklung des Vermögens, wie der Konkurs, vermag die Kontinuität des Vermögens nicht zu zerstören: das nach dem Konkurs erworbene Vermögen ist identisch mit dem Vermögen, welches der Konkurs dem Gemeinschuldner gelassen hat. Darum kann sich das Subjekt seines Vermögens als solchen nicht entäußern, sondern nur einzelne Bestandteile des Vermögens oder selbst alle zum gegenwärtigen Vermögen gehörenden Stücke weggeben, aber was auf den Erwerber übergeht, ist nicht das Vermögen des Veräußerers, sondern die Summe der einzelnen ihm zur Zeit gehörenden Rechte 8 4 b ; das Vermögen als solches bleibt beim Veräußerer; was er später hinzuerwirbt, ist nicht Begründung eines neuen Vermögens, sondern die Fortsetzung des früheren Vermögens, welches durch die Weggabe aller vorhandenen Vermögensrechte momentan inhaltlos geworden war. Auch mit dem Wegfall des Subjekts hört die Einheit des Vermögens in der Regel nicht auf. Beim Tode des Menschen zerfällt sein Vermögen nicht in einzelne Rechte, sondern geht als Ganzes 34

» Vgl. unt. § 19. Befinden sich Vermögensrechte eines Subjekts in verschiedenen Staatsgebieten, so wird dadurch nach der Auffassung unseres Rechts die Einheit des Vermögens nicht aufgehoben; vgl. für das internationale Privatrecht die Ausnahmsvorschrift Art. 28, für den Konkurs Jäger, KO. § 1 Anm. 72. 34 b Die Übertragung des ganzen gegenwärtigen Vermögens kann (nach § 311 in gerichtlicher oder notarieller Form) versprochen werden; die Erfüllung des Versprechens erfolgt aber durch Übertragung der Bestandteile des Vermögens auf dem Wege der Singularsukzession. Handbuch X . 1. I : v o n T u h r I .

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auf den Erben über (eventuell in Bruchteilen auf mehrere Erben). Erst durch Verschmelzung mit dem Vermögen des Erben verliert das Vermögen des Erblassers seine Individualität; aber die Verschmelzung kann durch verschiedene Rechtshandlungen oder Umstände zeitweilig aufgehalten sein, so daß der Nachlaß im Vermögen des Erben vorläufig ein Sondergut bildet. Ebenso verhält es sich, wenn das Vermögen einer aufgelösten juristischen Person an den Fiskus fällt, § 46; in den übrigen Fällen wird das Vermögen der juristischen Person in einem besonderen Verfahren (Liquidation) in seine Bestandteile aufgelöst. IV. Die Rechte, aus denen das Vermögen besteht, nennt man die Aktiva. Ihnen stehen die Passiva gegenüber; das sind die Verpflichtungen, welche aus dem Vermögen zu erfüllen sind, oder wenigstens im Fall der Nichterfüllung eine Verpflichtung zu einer Vermögensleistung erzeugen können. Daher bedeutet jedes Passivum eine künftige durch freiwillige Leistung oder Zugriff des Gläubigers in der Vollstreckung eintretende Verminderung des Aktivbestandes85. Der reine Betrag des Vermögens ergibt sich aus der Differenz der in Geld geschätzten Aktiva und der auf denselben lastenden Passiva. Dieser Wert ist eine beständig schwankende Größe. Feststellung desselben auf einen bestimmten Moment nennt man Bilanz. Eine solche ist von großer Bedeutung im Handelsrecht 8 5 a . Im BGB. gibt es Fälle, in denen der Betrag einer Forderung vom Wert eines Vermögens in einem bestimmten Zeitpunkt abhängt; ζ. B. der Pflichtteilsanspruch, § 2311; ferner Gewinn und Verlust bei der Gesellschaft; §§ 734, 735; sowie die Abfindung des ausscheidenden Gesellschafters, § 736. Die Verpflichtung des Vermögenssubjekts kann Leistung eines bestimmten im Vermögen befindlichen Gegenstandes zum Inhalt haben. Dann ist dieser Gegenstand, weil er geschuldet ist, ein transiturischer Posten im Vermögen, aber immerhin noch Bestandteil der A k t i v a 8 5 * ; das Vermögenssubjekt kann über ihn verfügen, 85

Eine Vergrößerung des Vermögens kann erfolgen durch Zunahme der Aktiva oder Abnahme der Passiva, eine Verminderung des Vermögens durch Abnahme der Aktiva oder Zunahme der Passiva. Rechtsgeschäfte, durch welche eine Abnahme (oder Veränderung) der Aktiva bewirkt wird, sind Verfügungen; die Vermehrung der Passiva durch Eingehen von Verpflichtungen läßt zunächst den Aktivbestand des Vermögens unberührt, führt aber schließlich ebenfalls zu einer Minderung der Aktiva, sei es durch freiwillige Leistung, sei es durch Zugriff des Gläubigers auf die ihm haftenden Aktiva. 85 a Vgl. Rehm, Die Bilanzen der Aktiengesellschaften. Vgl. ob. § 6 Note 48 d.

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auch unter Verletzung seiner Verpflichtung ; seine Gläubiger können auf ihn greifen 86 c . Transitorischer Posten in der Vermögensbilanz kann auch ein Passivum sein, wenn der Schuld des Subjekts ein Regreßanspruch gegenübersteht 85 d . An der Haftung des Vermögens für die Schulden seines Subjekts zeigt sich am deutlichsten die Einheit und Identität des Vermögens. Das Haftungsobjekt für die Schulden ist das ganze Aktivvermögen in seinem jeweiligen Bestand: jedes Vermögensstück des Subjekts, wann es auch erworben sein mag, haftet für jede Schuld, wann sie auch entstanden sein mag; der Gläubiger kann sich an das Vermögen seines Schuldners halten, auch wenn keines der jetzt vorhandenen Rechte bei Entstehung der Forderung zum Vermögen gehörte. Aber wie dem Gläubiger das Anwachsen des Vermögens seines Schuldners zugute kommt, so muß er sich auch das Ausscheiden einzelner Bestandteile aus dem Vermögen gefallen lassen86: jedes Recht, das durch Veräußerung oder in sonstiger Weise aus dem Vermögen des Schuldners austritt, ist damit zugleich dem Zugriff des Gläubigers entzogen. Dieser Satz ist notwendig eiDerseitß um dem Vermögensherrn, auch wenn er Schulden hat, die Verwaltung des Vermögens zu ermöglichen 87 , anderseits im Interesse des Verkehrs: um die Erwerber gegen Gläubiger des Veräußerers zu sichern. Eine Ausnahme besteht, soweit die paulianische Anfechtung reicht: in gewissen Fällen soll das aus dem Vermögen des Schuldners ausgeschiedene Recht fortfahren, dem Gläubiger zu 38

c Über das Vermögensinteresse des Subjekts an einem transitorischen Bestandteil seines Vermögens vgl. T u h r , GrünhutsZ. 25, 536 und KritVJSchr. 47, 69; W. Kunze-, Haftung des Schuldners für den Schaden Dritter 16fg. 8ß d Vgl. T u h r , A. de in rem v. 93. 86 Vgl. ob. § 4 S. 115. 37 An der Verwaltung des ihnen haftenden Vermögens haben die Gläubiger ein Interesse, aber kein Recht der Einmischung; nur im Konkurs wird das gegenwärtige Vermögen des Schuldners, soweit es der Zwangsvollstreckung unterliegt, der Verwaltung des Schuldners entzogen und dem Konkursverwalter zur Befriedigung der Gläubiger übergeben. Eine Haftung des Schuldners für schlechte Verwaltung seines Vermögens wäre zwecklos, da sie den Gläubigern keine neuen Befriedigungsobjekte verschaffen würde (anders bei beschränkter Haftung, vgl. unt. Note 44). Aber auch ein Dritter, der das Vermögen des Schuldners verwaltet, haftet für schlechte Verwaltung in der Regel nur dem Schuldner, nicht den indirekt dadurch geschädigten Gläubigern. Ausnahmsweise ist eine solche Haftung, z. B. §§ 53, 1985. HGB. § 241 IV. In den übrigen Fällen können die Gläubiger auf den Ersatzanspruch des Schuldners gegen seinen Verwalter greifen.

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haften 88 . Eine weitere Ausnahme gilt für den Fall der Vermögensübernahme, § 419: wer alle gegenwärtigen Bestandteile eines fremden Vermögens durch einen Vertrag übernimmt, tritt damit in die Verpflichtungen des Veräußerers. ein, haftet jedoch für diese Schulden nur mit den übernommenen Vermögensstücken. Geht das Vermögen als Ganzes auf ein anderes Subjekt über (Erbfall, Sukzession des Fiskus nach § 46), so bleibt die Haftung für die Schulden des bisherigen Subjekts bestehen. Der Zusammenhang zwischen Aktiven und Passiven beruht auf zwingendem Recht: weder die Anfechtung, noch die Verpflichtung des Übernehmers nach § 419, noch die Haftung des Nachlasses8811 kann durch den Willen des Vermögenssubjekts abgeändert werden. Im Gemeinen Recht war es üblich, die Passiva neben den Aktiven als Bestandteile des Vermögens aufzuzählen 89. Neuerdings wird mit großem Nachdruck betont, daß die Passiva nicht als Bestandteil, sondern nur als Belastung des Vermögens bezeichnet werden dürfen 40 . Meines Erachtens kann das Wort Vermögen ebensowohl die Summe der Aktiva bezeichnen (Bruttovermögen), als die Gesamtheit der Aktiva und der auf ihnen lastenden Passiva (Nettovermögen) 40a ; in letzterem Sinn wird das Wort gebraucht, 38

Vgl. ob. § 11 8. 216. » Der Erblasser kann die gesamtschuldnerische Verpflichtung seiner Erben, § 2058, auf der die Haftung des Nachlasses beruht, im Verhältnis zu den Gläubigern nicht abändern, sondern nur im inneren Verhältnis der Miterben durch Anordnung von Befreiungsvermächtnissen darüber bestimmen, wer die Last einer Nachlaßverbindlichkeit definitiv zu tragen hat. Ein Vermächtnis kann der Erblasser nicht mit der Bestimmung versehen, daß der vermachte Gegenstand vom Zugriff der Gläubiger des Vermächtnisnehmers ausgeschlossen sein solle (vgl. über diese im Gemeinen Recht streitige Frage W i n d s c h e i d § 678 Note 9); dagegen kann das Vermächtnis unter der resolutiven Bedingung angeordnet werden, daß es wegfallen solle, wenn ein Gläubiger des Vermächtnisnehmers die Forderung pfändet; praktisch ist dies Verfahren nur bei Rentenvermächtnissen. Endlich kann durch Ehevertrag zwar die Abgrenzung der Gütermassen der Ehefrau geregelt, aber die Haftung dieser Gütermassen für die im Gesetz bestimmten Arten von Schulden nicht abgeändert werden; Planck § 1432, 3a. 39 W i n d s c h e i d § 42 NoteB; Dernburg, Pand. §22 Note 6; Gierke § 31 I I I § 104 Note 79. 40 H e l l w i g , Rechtskraft § 45, ZivProz. § 41 Note 9; Dernburg § 103 VI 2; Enneccerus § 124; S ohm, Gegenstand 23; Binder, Rechtsstellung der Erben I S. 7 fg. und Ztschr. HRt. 59, 36 fg. ; vgl. dagegen Strohal, Erbrecht § 1 II. 4 °a Vgl. Bekker a. a. 0. § 41 Beil. I. 88

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wenn man von der in Geld abgeschätzten Höhe eines Vermögens oder von einem Vermögensschaden spricht : denn der Schaden kann in einer Verminderung der Aktiva, oder einer Vermehrung der Passiva bestehen. In anderem Zusammenhang, ζ. B. in §§ 419, 1975 41 , sind unter Vermögen nur die Aktiva zu verstehen. Welche Bedeutung das Wort im einzelnen Fall hat, wird meines Erachtens nie zweifelhaft sein können, so daß sich aus dem terminologischen Streit keinerlei Konsequenzen für das geltende Recht ergeben. Insbesondere ist die Frage, ob bei Übergang des Aktivvermögens auch die Schulden übergehen, nicht abhängig von der Definition des Worts Vermögen, sondern aus positiven Vorschriften des Gesetzes zu entscheiden : in allen Fällen, in denen das Aktivvermögen als Ganzes auf ein anderes Subjekt übergeht, bleibt die Haftung in dem oben § 4 V I dargelegten Sinn bestehen. Dagegen gibt es keine allgemeine Regel dafür, ob für das neue Subjekt des Aktivvermögens aus den Schulden seines Vorgängers eine Verpflichtung entsteht, und ob für diese Verpflichtung das eigene Vermögen des neuen Subjekts haftet 42 . V. In der Regel haftet dem Gläubiger das ganze Vermögen des Schuldners: er kann auf jedes Vermögensstück greifen solange, bis er aus einem derselben befriedigt ist. Diesen normalen Fall nennt man „unbeschränkte" oder „persönliche" Haftung 48 . Ausnahmsweise kommt beschränkte Haftung vor, insbesondere dann, wenn das Gesetz gewisse Bestandteile eines Vermögens zu einem Sondergut (unten § 19) zusammenschließt und eine Kategorie von Gläubigern zu ihrer Befriedigung auf diese Vermögensmasse anweist; der wichtigste Fall auf dem Gebiet des BGB. ist die auf den Nachlaß beschränkte Haftung des Erben für die Nachlaßverbindlichkeiten. Von der Beschränkung der Haftung ist, wie oben § 4 S. 112 dargelegt, zu unterscheiden die ebenfalls im Gesetz (z. B. §§ 519, 1(303) vorkommende Beschränkung der Verpflichtung. In letzterem Fall braucht der Schuldner nicht mehr als ein Maximum zu leisten 41

Vgl. RG. 69, 285. Keine Verpflichtung besteht für den Erben, wenn Nachlaßverwaltung angeordnet oder Konkurs eröffnet ist, vgl. ob. S. 121, 228. In den übrigen Fällen ist der Erbe zur Erfüllung der Nachlaßverbindlichkeiten verpflichtet, ebenso der Übernehmer eines Vermögens, aber die Haftung des eigenen Vermögens kann unter Umständen, §§ 1978 fg., 1990—1992, 419, ausgeschlossen sein. 48 „Persönlich" kann man die unbeschränkte Haftung nennen, weil sie sich auf das ganze hinter der Person des Schuldners stehende Vermögen erstreckt. Vgl. zum Sprachgebrauch E h r e n b e r g , Beschr. Haftung 7fg. 42

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und wird aucli darüber hinaus nicht verurteilt; für das was er schuldet, haftet er aber mit seinem ganzen Vermögen. Umgekehrt wird bei beschränkter Haftung die ganze Leistung, wie sie sich aus dem Rechtsgrund der Forderung ergibt, geschuldet und der Schuldner demgemäß auf den vollen Betrag der Schuld verurteilt, allerdings mit einem die Haftung beschränkenden Vorbehalt; nur der Zugriff des Gläubigers in der Vollstreckung ist auf einen bestimmten Kreis von Vermögensgegenständen beschränkt. Diesen Kreis von Gegenständen darf der Schuldner nicht zum Nachteil der darauf angewiesenen Gläubiger mindern; t u t er das, so t r i t t an Stelle des dem Gläubigerzugriff entzogenen Gegenstandes eine Verpflichtung mit persönlicher Haftung auf den Betrag des entzogenen Wertes 4 4 . Kann eine Beschränkung der Haftung durch Verabredung zwischen Gläubiger und Schuldner hergestellt werden? Solche 44 H e l l w i g , ZivProz. §33 Note 25; Gierke, Vereine ohne Rechtsfähigkeit S. 48 Note 91. Die ergänzende persönliche Haftung findet, wenn der haftende Teil des Schuldnervermögens ein Sondergut ist, ihre konstruktive Ausgestaltung in einer Forderung des Sonderguts gegen das Hauptvermögen auf Erstattung der Bereicherung, vgl. unt. § 19 Note 32. Der Rechtsgedanke, daß der Schuldner die für die Forderung des Gläubigers gezogenen Schranken nicht eigenmächtig zu dessen Ungunsten verschieben darf, ist meines Erachtens auch bei Beschränkung der Verpflichtung analog anzuwenden, wie ja auch die Römer in der quantitativ beschränkten a. de peculio die Klausel: si quid dolo malo factum est quo minus peculii esset aufnahmen. Wenn der Schuldner sein Vermögen vermindert, um sich der Erfüllung eines Schenkungsversprechens, § 519, oder einer Unterhaltspflicht, § 1603, zu entziehen, so kann dagegen Anfechtung nicht helfen, Jäger, AnfGes. § 1 Anm. 72, weil der Schuldner dadurch das Maß seiner Verpflichtung herabsetzt und nicht, was allein der Anfechtung unterliegt, dem Gläubiger Haftungsobjekte entzieht. Und doch muß der Gläubiger gegen ein Verfahren des Schuldners geschützt werden, das im Resultat ebenso nachteilig ist, wie eine anfechtbare Handlung. Jäger a.a. 0. verweist auf die Deliktsklage aus § 826. Meines Erachtens läßt sich das Ziel in angemessener Weise mit Hilfe des § 242 erreichen: der Schuldner hat so zu erfüllen, wie Treu und Glaube es erfordern; wenn sich das Maß der Leistung nach dem Vermögen des Schuldners richtet, so verlangt Treu und Glaube, daß der Schuldner sein Vermögen nicht eigens dazu mindert, um den Umfang seiner Verpflichtung herabzusetzen. Auf diesem Gedanken beruht es, wenn Oertmann § 519, 6a, D e r n b u r g I I § 208 1115, Planck § 519 2 u. a. das benef. comp, dem Schenker verweigern, der seine Bedürftigkeit durch Erfüllung eines jüngeren Schenkungsversprechens herbeiführt. Meines Erachtens muß dasselbe gelten, wenn der Schenker sein Vermögen durch Veräußerungen mindert, die nicht in Erfüllung eines Schenkungsversprechens erfolgen.

§

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Verträge werden selten vorkommen, da der Gläubiger sich nicht gern auf eine Beschränkung seiner gesetzlichen Machtmittel einlassen wird, die Frage ist aber wichtig für die Rechtsverhältnisse der nichtrechtsfähigen Vereine 44 a . Es ist scharf zu unterscheiden zwischen Verpflichtung und Haftung: eine Beschränkung der Verpflichtung ist selbstverständlich zulässig, weil der Inhalt der Verpflichtung in jeder Beziehung durch Verabredung der Parteien festgestellt wird 4 5 . So kann eine Bürgschaft bis zu einem Höchstbetrag eingegangen, ein Werkvertrag so abgeschlossen werden, daß der Unternehmer nicht mehr als eine bestimmte Summe aufwenden soll usw. Hierher würde auch ein Vertrag gehören, bei welchem sich der Schuldner nur soweit verpflichtet, als er die Leistung aus bestimmten Bestandteilen seines Vermögens zu erbringen vermag. An diesem Betrag findet die Verpflichtung des Schuldners, daher auch das Urteil und die Vollstreckung ihre Grenze. Fraglich ist dagegen, ob die H a f t u n g durch Vertrag beschränkt, d. h. verabredet werden kann, daß die Vollstreckung nur bei gewissen Bestandteilen des Vermögens zulässig oder bei bestimmten Gegenständen ausgeschlossen sein soll 4 6 . Denn die Vollstreckung gehört als Ausübung staatlicher Gewalt dem öffentlichen Recht an, welches im Allgemeinen zwingend ist. Erwägt man aber, daß die Vollstreckungsorgane durch den Willen des Gläubigers in Bewegung gesetzt werden, und daß die Vollstreckung Realisierung von Privatrechten des Gläubigers bezweckt47, so wird man einem Versprechen des Gläubigers an den Schuldner, gewisse Gegenstände nicht pfänden zu wollen, die Wirksamkeit nicht versagen 48. Mit welchen a Vgl. unt. § 40 Note 35. Wenn man hier von Beschränkung der „Haftung" sprechen will, so muß man die Haftung als quantitativ (Dernburg) oder ziffernmäßig beschränkt bezeichnen. Für die durch den Höchstbetrag begrenzte Schuld haftet das gesamte Vermögen des Schuldners. 46 He LI wig, ZivProz. I S. 227 findet in der Beschränkung der Haftung stets eine Beschränkung der Verpflichtung: der Schuldner sei nur dazu verpflichtet, aus dem bestimmten Haftungsobjekt Befriedigung zu verschaffen. Diese Auslegung scheint mir in der Kegel dem Willen der Parteien nicht zu entsprechen; woher der Schuldner die Mittel der Erfüllung nimmt, ist seine Sache; wenn eine Beschränkung verabredet wird, so bezieht sie sich entweder auf das Maß der Leistung oder auf den Kreis der Gegenstände, die der Vollstreckung unterliegen sollen; vgl. ob. § 4 Note 67. 47 Vgl. ob. § 8 Note 22 a. 48 So die herrschende Meinung, namentlich in bezug auf die Vertragsverhältnisse nichtrechtsfähiger Vereine; vgl. Planck I I S. 6; Oertmann, 45

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prozessualen Mitteln dies Resultat zu erreichen ist, kann zweifelhaft sein; man könnte daran denken, dem Schuldner eine Einwendung nach ZPO. § 766 zu gestatten, wie in dem Fall, daß ein ex lege unpfändbarer Gegenstand gepfändet wird 4 8 . Doch scheint mir näher zu liegen nach Analogie der in ZPO. § 780 fg. für die Haftungsbeschränkung des Erben und ähnliche Fälle (ZPO. § 786) getroffenen Regelung den Schuldner gegen den vollstreckenden Gläubiger auf eine Klage nach ZPO. § 767 zu verweisen ; man wird dann arg. § 780 auch verlangen müssen, daß die auf Vertrag beruhende Beschränkung der Haftung schon im Urteil über die eingeklagte Forderung vorbehalten wird 4 9 . Will man der Parteiverabredung über die Beschränkung der Haftung keine Einwirkung auf den Gang der Vollstreckung zuschreiben, so bleibt eine solche Verabredung jedenfalls insoweit wirksam, als der Schuldner Ersatz des durch die vertragswidrige Vollstreckung angerichteten Schadens verlangen kann. VI. Das Vermögen ist die Summe der einem Subjekt zustehenden Rechte, aber selbst kein Objekt von Rechten 59 . Weder hat das Vermögenssubjekt selbst neben den einzelnen ihm gehörenden Rechten ein Recht an der Gesamtheit dieser Rechte 61 (Eigentum am Vermögen, wie man in der Laiensprache wohl sagt) 6 3 , noch kann es für dritte Personen ein Recht an einem fremden Vermögen Schuldverhältnisse, Vorb. 6; Dernburg I I S. 16; Gierke, Vereine ohne Rechtsfähigkeit 29; Stammler, Schuldverhältnisse 23; Siber, JheringsJ. 50, 128; Geib, Rechtsschutzbegehren 172; Reichel, Schuldmitübernahme 72 Note 1; RG. 63, 62 mit Literatur. In derselben Richtung liegt eine Entsch. des RG. in SeuffA. 44 Nr. 236: eine Verabredung zwischen Gläubiger und Schuldner über Nichtausübung der Vollstreckung während bestimmter Zeit wird als wirksam anerkannt. Α. A. H o l d e r , Nat. und jur. Pers. 285. 49 Geib a.a.O. 173 Note 2. Eine volle Abweisung des Klägere wegen einer vom Beklagten nachgewiesenen vertragsmäßigen Haftungsbeschränkung, wie sie im Falle RG. 62, 63 ausgesprochen wurde, scheint mir zu weit zu gehen. 50 Vgl. B i n d e r , Rechtsstellung des Erben I I I S. 10 mit Zit.; a. A. Gierke I I § 104 S. 63. 51 Auch das Erbrecht ist kein dem Erben neben den Nachlaßrechten zustehendes subjektives Recht, sondern das Rechtsverhältnis, vermöge dessen er Subjekt der zum Nachlaß gehörenden Rechte ist; vgl. ob. § 6 S. 159. 02 Deswegen gibt es auch keinen Anspruch, welcher ein Vermögen als Ganzes zum Gegenstand hätte. Auch der Erbschaftsanspruch und der ihm nachgebildete Anspruch des § 2031 sind als Summe von Einzelansprüchen aufzufassen; vgl. ob. § 16 S. 272. Endlich kann wegen Schädigung des Vermögens nicht aus § 823 I geklagt werden; vgl. ob. § 1 S. 56.

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geben, sondern nur einzelne Berechtigungen, die aus den Vermögensrechten des Subjekts konstitutiv abgeleitet sind. Allerdings spricht das Gesetz von einem Nießbrauch an einem Vermögen, § 1085, von der Nutznießung des Ehemanns am eingebrachten Gut, § 1363, des Vaters am Vermögen des Kindes, § 1649. Aber im ersten Fall handelt es sich genau genommen nicht um ein Vermögen d. h. um die Gesamtheit der einem Subjekt jeweils zustehenden Rechte, sondern um die Summe der dem Besteller des Nießbrauchs zur Zeit der Bestellung gehörenden Rechte 6 "; diese werden einzeln mit dem Nießbrauch belastet, das Vermögen als Ganzes ist nicht Gegenstand der Verfügung: die später erworbenen Gegenstände bleiben frei vom Nießbrauch. Anders verhält es sich bei der Nutznießung des Ehemanns und Vaters: diese Rechte beziehen sich in der Tat auf das jeweilige Vermögen der Frau (mit Ausnahme des Vorbehalts) respektive des Kindes ; was hinzukommt, fällt in die Nutznießung, was aus dem Vermögen ausscheidet, wird ipso iure von der Nutznießung frei. Aber das zwingt uns nicht, als Objekt der Nutznießung das Vermögen der Ehefrau zu betrachten. Die Nutznießung des Ehemanns ist vielmehr nichts anderes, als eine Summe einzelner Nutznießungsrechte, die sich aus den einzelnen zum eingebrachten Gut gehörenden Rechten ergeben : der Ehemann ist wie ein Nießbraucher, § 1383, an jeder Sache der Ehefrau berechtigt, er hat, wie ein Nießbraucher, eine aus jeder Forderung der Frau abgeleitete Forderung gegen deren Schuldner usw. Eigentümlich ist nur die auf dem ehelichen respektive elterlichen Verhältnis beruhende Entstehung und Endigung dieser Rechte: sie sind mittelbar zuständig in doppelter Beziehung: abhängig vom Rechtsverhältnis des Ehemanns respektive Vaters zu Ehefrau und K i n d 5 4 , und abhängig von der jeweiligen Zugehörigkeit des einzelnen Gegenstandes zum Vermögen von Frau oder Kind. Außerdem besteht für den Vermögensnießbrauch und für die Nutznießung des Ehemanns und Vaters besonderes Recht in bezug auf die Schuldhaftung: -die Gläubiger des Vermögenssubjekts können ohne Rücksicht auf Nießbrauch oder Nutznießung auf das Vermögen ihres Schuldners greifen ; 68

Vgl. ob. Note 34b. Vgl. Heinsheimer, Recht des Mannes S* 60fg., dessen Definition des ehemännlichen Rechts (Recht an der Person der Frau als dem Subjekt ihres Vermögens, S. 93) mir nicht empfehlenswert scheint: das Recht des Mannes besteht nicht an der Person der Frau, sondern wird durch das familienrechtliche Verhältnis zur Person der Frau vermittelt. 54

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für gewisse Schulden kommt eine persönliche Mitverpflichtung des Nießbrauchers oder Nutznießers hinzu. Das Vermögen wird als Haftungsobjekt für die Gläubiger bezeichnet. Aber auch damit ist nur gesagt, daß der Gläubiger auf jedes jeweilig zum Vermögen des Schuldners gehörende Recht greifen kann. Ein Recht am Vermögen als solchem ist durch die Haftung nicht begründet. Erst durch die Ausübung seines Zugriffs erwirbt der Gläubiger ein Recht an dem einzelnen Gegenstand, auf den sich der Zugriff richtete 66 . Im Konkurse treten die Gläubiger in ein näheres rechtliches Verhältnis zu den Vermögensstücken des Schuldners, welche die Konkursmasse bilden. Aber auch dieses Verhältnis ist nicht als subjektives Recht der Konkursgläubiger an der Masse zu konstruieren ße. § 19.

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I. Das Vermögen ist eine Gesamtheit von Rechten, welche durch das Subjekt zu einer Einheit zusammengeschlossen wird; darum wirken die rechtlichen Tatsachen und Beziehungen, welche das Subjekt betreffen, auf alle jeweils zum Vermögen gehörenden Rechte ein: die Verfügungsmacht des Subjekts bezieht sich auf alle Gegenstände seines Vermögens, ebenso die Verfügungsmacht seines gesetzlichen Vertreters; aus den Schulden des Subjekts erwächst für die Gläubiger ein Zugriff auf jedes seiner Vermögensstücke. Wenn einzelne bestimmte Gegenstände in besonderen Rechtsbeziehungen stehen ζ. B. unveräußerlich oder unpfändbar sind, so wird durch solche Ausnahmen die Einheit des Vermögens nicht beeinträchtigt. 56 Daher besteht unter mehreren Gläubigern eines Schuldners kein Rechtsverhältnis, wie es unter mehreren Personen, die am selben Objekt berechtigt sind, bestehen würde, vgl. ob. § 5 Note 8. A kann als Gläubiger des D keine Feststellungsklage gegen Β erheben, wenn dieser behauptet, ebenfalls Gläubiger des D zu sein. Wenn aber mehrere Gläubiger denselben Gegenstand gepfändet haben, entsteht unter ihnen in bezug auf diesen Gegenstand ein Rechtsverhältnis und damit die Möglichkeit einer Feststellungsklage. 56 Vgl. Jäger, KO. § 3 Anm. 47fg. Die Wirkung der Konkurrenzeröffnung besteht darin, daß im Vermögen des Gemeinschuldners ein Sondergut entsteht, welches einer besonderen Verwaltung unterliegt und während der Dauer des Konkurses nur einer bestimmten Kategorie von Gläubigern, den Konkursgläubigern, haftet. Durch diese Rechtsbehelfe wird ein gleiches Resultat erzielt, wie wenn jeder Konkursgläubiger ein gleichstarkes Pfandrecht an jedem Bestandteil der Masse hätte.

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Dagegen wird die Einheitlichkeit des Vermögens durchbrochen, wenn für einen ganzen Komplex von Rechten mit möglicherweise wechselndem Bestand besonderes Recht gilt. Hier steht innerhalb des Vermögens ein engerer, durch besondere Kriterien fest abgegrenzter Kreis von Rechten, der wie das normale Vermögen der wirtschaftlichen Entwicklung fähig ist. Man spricht von S o n d e r v e r m ö g e n oder S o n d e r g u t 1 . Die Fälle sind im einzelnen sehr verschieden, je nachdem welche besonderen Regeln auf das Sondergut Anwendung finden. Die Hauptbeispiele des bürgerlichen Rechts2 s i n d i a : das Sondergut des Kindes, welches von der elterlichen Verwaltung resp. Nutznießung frei ist, § 1638, 1650; das Vorbehalt der Ehefrau, auf welches sich Verwaltung und Nutznießung des Ehemanns nicht bezieht; die Konkursmasse sowie der Nachlaß, wenn er vom eigenen Vermögen des Erben getrennt ist; das ist, in verschiedenem Maß, der Fall bei Nacherbschaft und Testamentsvollstreckung, ferner infolge der Maßregeln, die zu einer Beschränkung der Erbenhaftung führen: Konkurs, Nachlaßverwaltung, Aufgebot der Gläubiger, § 1973, Einrede der verspäteten Geltendmachung, § 1974, und Einreden aus § 1990/2; endlich ist der Nachlaß ipso jure Sondergut, solange der Erbe nicht angenommen hat 8 . 1 E h r e n b e r g , Beschränkte Haftung 399 fg.; H e l l w i g , ZivProz. § 44fg.; Gierke I I § 104 I I I ; K o h l e r , BürgA. 22; Enneccerus § 125. 2 Sondergut ist das Fideikomißvermögen. Im Handelsrecht hat das Schiffsvermögen die charakteristischen Eigenschaften des Sonderguts; in viel geringerem Maße das Handelsvermögen des Kaufmanns; Cosack, Handelsrecht § 14 I I 2; Dernburg I § 100. 2a Besitzt jemand ein mit Nießbrauch belastetes „Vermögen", § 1085fg., so bildet es innerhalb seines Gesamtvermögens kein Sondergut, sondern eine Summe einzelner Hechte; es gibt keine Surrogation ; Planck § 1085, 8. 8 Das zeigt sich nicht nur an der vollen Trennung der Schuldenhaftung, ZPO. § 778, sondern besonders deutlich dann, wenn der Erbe E vor Annahme der ihm zugefallenen Erbschaft des X stirbt und von mehreren Personen, A und Β beerbt wird. Diesen Miterben fällt der Nachlaß E als Gesamthandsvermögen zu, außerdem die noch nicht angenommene Erbschaft des X; dieser Nachlaß X ist aber vorläufig noch nicht Bestandteil des Nachlasses E, über dessen Stücke die Miterben nach § 2040 nur gemeinsam verfügen können; vielmehr kann jeder Miterbe, A und B, nach § 1952 I I seinen Anteil an der Erbschaft des X annehmen oder ausschlagen. Nehmen sie beide an, so verschmilzt der Nachlaß X mit dem ihnen gemeinsamen Nachlaß E (wenn er nicht durch besondere Maßregeln, ζ. B. Nachlaßverwaltung zu einem Sondergut erhoben wird), schlägt dagegen A aus und fällt daher der ganze Nachlaß X an Β (Strohal; Erbrecht § 61 d I I , Planck § 1952, 4), so steht dieser Nachlaß ganz außerhalb des zu der Erbengemeinschaft A und Β gehörenden Nachlasses E.

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Innerhalb eines Sonderguts kann ein Komplex von Rechten als Sondergut zweiten Grades bestehen, so ζ. B. wenn zum Vorbehalt der Frau, welcher ein aus ihrem Gesamtvermögen ausgeschiedenes Sondergut ist, eine noch nicht angenommene oder durch Nachlaßverwaltung oder Konkurs separierte Erbschaft gehört, oder wenn A von Β und Β von C geerbt ist und sowohl der Nachlaß A als der Nachlaß Β durch Testamentsvollstreckung, Nachlaßverwaltung usw. die Stellung eines Sonderguts einnimmt8®. II. Die besondere Stellung des Sonderguts beruht darauf, daß es für spezielle Zwecke bestimmt ist 4 . Das normale Vermögen des Menschen dient seinen allgemeinen Zwecken, welche in der Regel von ihm selbst willkürlich gesetzt werden, oder den Zwecken, welche für ihn sein gesetzlicher Vertreter pflichtgemäß zu verfolgen hat, oder endlich den Zwecken des nutzungsberechtigten Ehemanns oder Vaters, welche vermöge des Familienzusammenhanges in gewissem Sinn sich mit den Zwecken der Ehefrau und des Kindes decken. Demgegenüber ist die Zweckbestimmung des Sonderguts eine spezielle4®: Vorbehalt und freies Kindesvermögen sollen den Bedürfnissen von Frau und Kind im Gegensatz zu denen des Ehemanns und Vaters dienen; die übrigen Sondergüter unterstehen dem Liquidationszweck: sie sollen, durch das Vermögenssubjekt oder einen besonderen Vertreter, dazu verwendet werden, einen bestimmten Kreis von Gläubigern zu befriedigen. Aus dem Liquidationszweck erklärt sich, daß zum Sondergut Rechte gehören können, welche dem Vermögenssubjekt vor Ausscheidung des Sonderguts nicht zustehen konnten. So namentlich 3a Der Verwalter des Nachlasses A hat mit dem des Nachlasses Β die obligatorischen Beziehungen des § 1978 zu regeln; ebenso bestehen solche Beziehungen zwischen dem Nachlaß Β und dem Erben C. 4 Daher ist das Sondergut von Brinz., Pand. 1. Aufl. § 226 zutreffend als „Zweckvermögen" charakterisiert worden. 4a Gierke I I § 104 Note 41 und 79 rechnet zu den Sondergütern auch das von ihm als „Grundvermögen" bezeichnete Grundstück samt den nach § 1120 fg. mithaftenden Gegenständen. Dieser Komplex von Rechten bildet insofern eine Einheit, als er gewissen Gläubigern des Subjekts mit Vorzug vor den übrigen Gläubigern haftet, und zwar in einem besonders geregelten Verfahren (Zwangsvollstreckung in unbewegliches Vermögen); im übrigen aber fehlen die für das Sondergut charakteristischen Rechtssätze (ζ. B. Surrogation, Möglichkeit von Rechtsbeziehungen zwischen Hauptvermögen und Sondergut); auch kann man nicht sagen, daß dieser Teil des Vermögens für besondere Zwecke, im Gegensatz zu den allgemeinen Zwecken des Vermögenssubjekts bestimmt ist.

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das Anfechtungsrecht im Konkurs 5 . Vor dem Konkurs kann der Schuldner die Handlungen, durch welche er sein Vermögen vermindert und damit seine Gläubiger indirekt schädigt, nicht anfechten, weil das Resultat der Anfechtung ihm selbst zugute käme; darum haben die geschädigten Gläubiger als Erweiterung ihres Dormaler Weise nur auf das Vermögen des Schuldners beschränkten Zugriffs das Anfechtungsrecht 6. Mit Eröffnung des Konkurses dient der als Konkursmasse ausgeschiedene Teil des Vermögens nicht mehr den Bedürfnissen des Subjekts, sondern nur noch den Zwecken der Liquidation. 'Was bisher Schädigung der einzelnen Gläubiger war, kommt nunmehr als Verminderung des zu ihrer gemeinsamen Befriedigung dienenden Sonderguts in Betracht und muß in dieses Sondergut zurückerstattet werden. Das darauf gerichtete Recht wird nicht nur vom Konkursverwalter ausgeübt, Κ Οι § 36, sondern ist ein Aktivum der Konkursmasse, während die einzelnen Konkursgläubiger mit dem Recht der Vollstreckung, KO. § 14, zugleich die Anfechtungsbefugnis verlieren. Bei Aufhebung des Konkurses tritt wiederum anstelle des der Konkursmasse zustehenden Anfechtungsrechts das der einzelnen Gläubiger. I I I . Das Sondergut ist bisweilen der Verwaltung des Vermögenssubjekts entzogen oder in andere Hände gegeben, als die Verwaltung des Hauptvermögens 7; dann ist die Sonderung der beiden Vermögensmassen augenfällig; so beim Kindesvermögen nach § 1638, beim Vorbehalt der Ehefrau, bei der Konkursmasse, beim Nachlaß in den Händen des Testamentsvollstreckers und Nachlaßverwalters. In anderen Fällen wird das Sondergut wie das allgemeine Vermögen vom Subjekt selbst verwaltet, so daß es ihm überlassen bleibt, die Grenze beider Vermögensmassen innezuhalten; so verhält es sich mit dem Nachlaß in den Händen des Vorerben, oder des Erben in den Fällen der §§ 1973/4, 1990/2, und mit dem Nachlaß vor Annahme der Erbschaft*. 5

Die Vertreter dieser Auffassung sind aufgezählt bei Jäger, Gläubigeranfechtung 287 Anm. 1. Jäger selbst a. a. 0. und KO. § 36 Anm. 4 bezeichnet als Subjekt der Konkursanfechtung die Gemeinschaft der Konkursgläubiger. β Vgl. ob. § 11 S. 216. 7 Hier spricht H e l l w i g von „selbständigen Sondervermögen". 8 Der provisorische Erbe hat die Verwaltung des Nachlasses; so, gegen H e l l w i g a. a. 0., Planck 5c vor § 1942, D e r n b u r g , Erbrecht § 129 VI. Die Verfügungen des provisorischen Erben sind zunächst gültig und werden

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Die subjektiven Rechte und das Vermögen.

IV. Die Grenzen des normalen Vermögens ergeben sich von selbst aus der Einheit: jeder Erwerb des Subjekts, auf welchem Grund er auch beruhen mag, fließt in das Vermögen. Wenn aber neben dem allgemeinen Vermögen ein Sondergut besteht, gibt es besondere Regeln, nach welchen sich die Vermögensstücke des Subjekts unter diese beiden Massen verteilen: in das Sondergut fallen die Gegenstände, welche das Gesetz demselben zuweist; alles, was dem Subjekt sonst gehört, bildet sein allgemeines Vermögen9. Unter den Bestandteilen der Sondergüter kann man zwei Klassen unterscheiden: Bestandteile, welche von vornherein, gewissermaßen originär dem Sondergut zufallen; die Gründe sind sehr verschieden : Beschaffenheit der Sache, §§ 1366, 1650, Rechtsgeschäft des Vermögenssubjekts, § 1368, oder Dritter, § 1369, 1651 Nr. 2; Erwerb durch Arbeit, § 1367, 1650 Nr. 1 : Zugehörigkeit zu einem Vermögen im Moment der Konkurseröffnung oder des Todesfalls. Zu diesen Bestandteilen eines Sonderguts kommen als zweite Klasse solche Gegenstände hinzu, welche sich aus der wirtschaftlichen Weiterentwicklung des Sonderguts ergeben. Hier gibt es allgemeine Prinzipien, welche dem Grundgedanken des Sonderguts entsprechen ; im einzelnen ist freilich unser Gesetz für die verschiedenen Sondergüter nicht einheitlich und zum Teil lückenhaft. Allgemein dürfte gelten, selbst da wo das Gesetz es nicht ausspricht, daß die Nutzungen der zum Sondergut gehörenden Gegenstände in das Sondergut fallen 10 . Schwieriger ist die Frage der sogenannten S u r r o g a t i o n 1 1 : soll ein Gegenstand, der anstelle eines ausscheidenden Bestandteils des Sonderguts tritt, dem Sondergut zufallen? Dazu gehört: was auf Grund eines zum Sondergut gehörenden Rechts erworben wird ζ. B. die Leistung des Schuldners einer zum Sondergut gehörenden Forderung; Ersatz für Zerstörung, Beschädigung, Entziehung eines Bestandteils des Sonderguts; erst unwirksam, wenn er aüsschlägt. Ist ein Nachlaßpfleger ernannt, so konkurrieren dessen Verfügungen mit denen des provisorischen Erben, Planck und Dernburg a. a. 0. 9 Darum nimmt im Vermögen der Ehefrau nicht das eingebrachte Gut, sondern das Vorbehaltsgut die Stellung eines Sonderguts ein. 10 Ausnahme bei der Vorerbschaft, § 2111. 11 Beyer, Surrogation.

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Für diese beiden Fälle ist Surrogation bei den meisten Sondergütern angeordnet 12 und dürfte als allgemeines Prinzip auch bei den Sondergütern angewendet werden, bei denen das Gesetz schweigt 18 . Endlich kommt in Betracht der Fall, daß das Ausscheiden eines Vermögensstückes und seine Ersetzung durch ein anderes vermöge eines Rechtsgeschäftes erfolgt. Hier operierte die ältere gemeinrechtliche Theorie mit dem Satz: pretium succedit in locum rei, res in locum pretiL Dieser Satz gilt im BGB. nicht allgemein 14 , weder für das normale Vermögen, noch auch für alle Sondergüter 15 : nur für den Nachlaß in den Händen eines Erbschaftsbesitzers oder Vorerben ist bestimmt, daß ein rechtsgeschäftlicher Erwerb mit Mitteln des Nachlasses „in den Nachlaß fallen" soll, §2019, 2111. In anderen Fällen, Vorbehalt und freies Kindesvermögen, § 1370, 1638, verlangt das Gesetz für die Surrogation ein Erwerbsgeschäft, das „sich auf das Sondergut bezieht", also eine bestimmte Willensrichtung des Vermögenssubjekts beim Erwerb l e . V. Die Grenze zwischen Sondergut und Hauptvermögen ist vom Gesetz nicht unverrückbar festgesetzt, sondern kann durch den Willen der beteiligten Personen verschoben werden. In einigen Fällen können Gegenstände des Sonderguts durch einseitige Erklärung dessen, der das Sondergut verwaltet, dem Hauptvermögen zugewiesen werden: so bei der Freigabe eines Stücks aus der Konkursmasse durch den Verwalter 17 und der analog zu be18

§§ 1370, 1638, 2111. Vgl. für die Konkursmasse Jäger KO. § 1 Anm. 61. Zuwachs dieser Art fällt zweifellos auch in den Verfügungskreis des Testamentsvollstreckers und Nachlaßverwalters. 14 Für wen jemand erwirbt, bestimmt sich im allgemeinen nicht nach der Herkunft der Erwerbsmittel, sondern nach den Regeln der Stellvertretung, § 164fg. Nur in § 1381 und 1646 gilt Surrogation, kann aber durch abweichenden Willen des Handelnden ausgeschlossen sein. 16 Für den Testamentsvollstrecker gelten allgemeine Grundsätze, nicht § 2019, da er dem Erbschaftsanspruch nicht ausgesetzt ist; Planck § 2018, 2b. Auch für den Fall, daß ein Konkursverwalter aus Mitteln der Masse einen Erwerb für sich selbst machen will, fehlt es an einer Surrogationsvorschrift; vgl. Beyer, Surrogation 263. 16 Über die streitige Auslegung dieser 'Worte vgl. Planck zu § 1370 und 2041; K o h l e r , BürgA. 22, 14; Beyer a.a.O. 223, 259; Enneccerus § 125 I I A. 17 Jäger, KO. § 6 Anm. 43, 44: Erklärung des Konkursverwalters an 13

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handelnden Ausantwortung von Nachlaßgegenständen an den Erben durch den Nachlaß ver waiter 18 oder Testamentsvollstrecker 10. Bei der Freigabe geht der freigegebene Gegenstand in das Hauptvermögen über, ohne daß die Erfordernisse der Rechtsübertragung (Übergabe der Mobilie, Auflassung und Eintragung) zu erfüllen wären; auch wird der gute Glaube des Vermögenssubjekts nicht geschützt, wenn der freigegebene Gegenstand nicht dem Sondergut angehört. Die Freigabe soll dann erfolgen, wenn der betreffende Gegenstand für den Zweck, zu dessen Erreichung das Sondergut bestimmt ist, nicht oder nicht mehr nötig ist. Der Verwalter des Sonderguts kommt in die Lage, in Verfolgung der Zwecke des Sonderguts (z. B. um die nötigen Gekler zur Zahlung von Schulden oder Ausführung letztwilliger Verfügungen bereitzustellen) Bestandteile des Sonderguts zu veräußern. Solche Veräußerungen geschehen gewöhnlich an Dritte, aber es liegt kein Grund vor, warum der Gemeinschuldner oder Erbe Gegenstände, die aus der Konkursmasse oder dem Nachlaß veräußert werden, nicht für sein eigenes Vermögen soll erwerben können. Wenn z. B. der Konkursverwalter das Geschäft des Gemeinschuldners weiterführt, warum soll der Gemeinschuldner gehindert sein, aus diesem Geschäft Waren für sein konkursfreies Vermögen anzuschaffen? Fraglich könnte sein, welche Anforderungen in diesem Fall für den Übergang der Sache aus dem Sondergut in das Hauptvermögen zu stellen sind. Meines Eràchtens dürfte, wie im Fall der Freigabe, einseitige Erklärung des Sondergutsverwalters genügen; denn wie er Gegenstände des Sonderguts unentgeltlich aus demselben entlassen kann, so muß er um so mehr befugt sein, dies im Austausch ge^en andere Werte zu tuu. Es ist also bei Mobilien keine Übergabe der Sache, bei Grundstücken keine Auflassung und Eintragung nötig 2 0 . Dagegen dürften solche Rechtsübertragungen in bezug auf den Schutz der bona fides so zu behandeln sein, wie wenn sie unter Vermögensmassen verschiedener Subjekte stattfinden : denn es handelt sich nicht, wie bei der Freiden Gemeinschuldner. Die freigegebenen Sachen scheiden aus der Konkursmasse aus ohne Übergabe an den Gemeinschuldner resp. Löschung des Konkursvermerks; vgl. KO. § 114. 18 § 1986. 19 § 2217 und dazu Planck Erl. 4. 20 Auf Grund der Freigabe kann der Gemeinschuldner resp. Erbe Übergabe der Mobilie, Löschung des Konkursvermerks resp. des Vermerks der Nachlaßverwaltung (Planck § 1983, 2) verlangen.

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gäbe, um eine interne Grenzregulierung zwischen Sondergut und Hauptvermögen, sondern um einen Vorgang des rechtsgeschäftlichen Verkehrs 21 ; der Gemeinschuldner oder Erbe, der eine Sache vom Konkurs- oder Nachlaßverwalter kauft und sein Geld dafür hergibt, verdient denselben Schutz, wie wenn er von einem Dritten gekauft hätte; der Eigentümer aber, der durch die Veräußerung des Sondergutsverwalters sein Eigentum verliert, bedarf, wenn die Veräußerung an den Erben resp. Gemeinschuldner stattfindet, keines größeren Schutzes, als wenn die Veräußerung an einen Dritten erfolgte: in beiden Fällen ist seine condictio aus § 816 I Masseforderung, KO. § 59, oder Nachlaßforderung. Überführung von Gegenständen aus dem Hauptvermögen in ein Sondergut kann nicht durch einseitigen Willensakt des Vermögenssubjekts erfolgen; es gibt keine einseitige Erklärung, wie die Freigabe, durch welche der Gemeinschuldner oder Erbe ein Stück seines eigenen Vermögens zum Bestandteil der Konkursmasse oder des Nachlasses machen könnte. Dagegen kann der Sondergutsverwalter einen solchen Gegenstand durch Vertrag mit dem Vermögenssubjekt erwerben. Für solche Rechtsübertragungen müssen die allgemeinen Grundsätze analog zur Anwendung kommen : Mobilien müssen übergeben, Grundstücke aufgelassen werden 22 ; der Schutz der bona fides scheint mir hier zweifellos zu sein. Die Greoze zwischen dem eingebrachten Gut und dem Vorbehalt kann nicht durch einseitige Erkläruogen verschoben werden; insbesondere kann der Ehemann nicht auf seine Nutznießung am eingebrachten Gut oder einzelnen Bestandteilen desselben verzichten 2211 . Zur Verschiebung der Grenze zwischen beiden Vermögensmassen der Ehefrau dient der Ehevertrag; wird ein solcher geschlossen, so ist weder Übergabe noch Auflassung und Eintragung nötig, um eine Sache aus dem Vorbehalt in das eingebrachte 21 In der Tat erwirbt der Gl· emeinschuldner resp. Erbe vom Verwalter neues Eigentum, obgleich er bereits als Subjekt des Sonderguts Eigentümer war: denn der Verwalter ist in der Lage, durch eine in Ausübung seiner Funktionen vorgenommene Veräußerung ihm das Eigentum zu entziehen. Dieser Gedankengang liegt bekanntlich der Zulassung des Eigentümers zum Mitbieten beim Pfandverkauf zugrunde, Planck § 1239, 2; vgl. ob. § 6 Note 29. 22 Eine Eintragung kann nicht erfolgen, da der veräußernde Eigentümer auch als Subjekt des Sonderguts Eigentümer des Grundstücks ist. Zum Schutz gegen weitere Veräußerungen durch das Vermögenssubjekt dient der Vermerk über den Konkurs, die Nachlaßverwaltung oder Testamentsvollstreckung. P l a n c k , Vorb. 2 vor § 1418. Handbuoh X . 1. I : v o n T u h r I .

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Gut zu versetzen oder umgekehrt 28 ; auch kommt Erwerb durch bona fides nicht in Frage. Ein Ehevertrag ist aber nur dann erforderlich, wenn es sich um einen spezifisch güterrechtlichen Erfolg handelt 8 4 ; die Ehegatten können auch ohne die Form des Ehevertrags solche Rechtsgeschäfte schließen, welche auch unter Nichtehegatten möglich wären; auch auf diesem Wege kann eine Grenz Verschiebung zwischen beiden Vermögensmassen der Frau erzielt werden: die Ehefrau kann einen Gegenstand ihres Vorbehalts veräußern, wie an einen Dritten, so auch an den Ehemann ; wenn der Ehemann diesen Erwerb mit Mitteln des eingebrachten Guts macht, so fällt die erworbene Sache nach § 1381 in das eingebrachte Gut. Und umgekehrt: der Mann kann über verbrauchbare Sachen des eingebrachten Guts verfügen, § 1376; wenn die Frau diese Sachen durch ein Rechtsgeschäft erwirbt, das sich auf das Vorbehalt bezieht, so werden sie nach § 1370 Vorbehalt. Für solche Geschäfte gelten die allgemeinen Vorschriften genau so, wie wenn der Rechtsübergang zwischen zwei Vermögensmassen verschiedener Subjekte stattfindet. VI. Das Sondergut kann, wie das normale Vermögen, neben den Aktiven auch Passiva haben. Es wäre ungenau, von „Verpflichtungen" des Sonderguts zu sprechen·, denn verpflichtet, zu einem Tun oder Unterlassen, kann natürlich nur ein Mensch sein; verpflichtet ist das Subjekt des Sonderguts oder der, welcher es zu verwalten hat; aber das Sondergut kann das Vermögen sein, aus welchem solche Verpflichtungen zu erfüllen sind, und welches bei Nichterfüllung dem Gläubiger haftet. In diesem Sinn kann man von Schulden des Sonderguts sprechen. In bezug auf die Haftung kann das Verhältnis des Sonderguts zum Hauptvermögen ein sehr verschiedenes sein: Bisweilen besteht für die Schuldhaftung keine Grenze zwischen beiden Vermögensmassen; so kann nach § 1659, 1660 für jede Schuld eines Kindes sowohl das unfreie als das freie Vermögen angegriffen werden 26 . 23

Ε η de mann, Familienrecht § 182, 5c. Planck § 1432, 1. 28 das unfreie Kindesvermögen haftet selbst für solche Schulden, die ein nach §§ 1638, 1909 für das Kind bestellter Pfleger kontrahiert hat, Planck § 1659, 4. Auch umgekehrt wird man in Ermangelung einer Sonderbestimmung annehmen müssen, daß das nach § 1688 der Verwaltung des Vaters entzogene Kindesvermögen für Schulden haftet, die das Kind mit Zustimmung des Vaters oder der Vater namens des Kindes kontrahiert, obgleich dadurch die vom Zuwender im Falle des § 1638 verfolgten Zwecke gefährdet werden. 24

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In anderen Fällen haftet das Sondergut für alle Schulden des Subjekts, während das Hauptvermögen für gewisse Schulden nicht haftet. So können sämtliche Gläubiger der Ehefrau auf ihr Vorbehaltsgut greifen, während das eingebrachte Gut gewissen Gläubigern nicht haftet, § 1411 fg. ; ebenso haftet den ausgeschlossenen oder verspäteten Gläubigern, § 1973/4, und den Nachlaßgläubigern in den Fällen der §§ 1990/2 das eigene Vermögen des Erben nicht, während die eigenen Gläubiger des Erben in diesen Fällen nicht nur auf dessen eigenes Vermögen, sondern auch auf den Nachlaß greifen können 96 . Oder umgekehrt: das Sondergut haftet nur für gewisse Schulden, während das allgemeine Vermögen für alle Schulden des Subjekts haftet; so haftet die Konkursmasse nur für die zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens begründeten Ansprüche, KO. § 3, während das übrige Vermögen des Gemeinschuldners allen seinen Gläubigern einschließlich der Konkursgläubiger haftet; denn durch KO. § 14 ist das konkursfreie Vermögen nur während der Dauer des Konkurses gegen Vollstreckungsmaßregeln der Konkursgläubiger geschützt. Ähnlich verhält es sich mit dem Nachlaß in den Händen des Vorerben : er haftet nur den Nachlaßgläubigern, § 2115, ZPO. § 773, während das sonstige Vermögen des Vorerben seinen eigenen Gläubigern und, solange er keine Maßregeln trifft, auch den Nachlaßgläubigern haftet. Ebenso bei Testamentsvollstreckung: an den Nachlaß können sich nur die Nachlaßgläubiger halten, § 2214, ZPO. § 748, au das übrige Vermögen des Erben sowohl die Nachlaßgläubiger als seine eigenen Gläubiger. Endlich kommt volle Schuldentrennung vor, so daß jede der beiden Vermögensmassen ihre eigenen Schulden hat, für welche die andere Masse nicht haftet; so beim Nachlaß, wenn Konkurs eröffnet oder Nachlaßverwaltung bestellt ist. Wenn volle Schuldentrennung besteht oder eine der beiden Vermögensmassen (Hauptvermögen oder Sondergut) Schulden hat, für welche die andere Vermögensmasse nicht haftet, so ist bei Unzulänglichkeit des haftenden Vermögens ein Konkurs über eine der beiden Vermögensmassen möglich, an welchem diejenigen Gläubiger des Vermögenssubjekts teilnehmen, welchen diese Vermögensmasse allein oder neben der anderen Masse haftet. So gibt es einen Nachlaßkonkurs, KO. § 214, neben dem Konkurs über das eigene îe

Für den Fall der §§ 1990-1992 wird das von D e r n b u r g V § 170 Note 15 bestritten; vgl. aber S t r o h a l § 81 Note 12 und Planck § 1990d. 22*

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Vermögen des Erben, KO. § 234; ebenso einen Konkurs über das Vorbehaltsgut der Ehefrau 27 ; endlich neben dem Konkurs über ein Vermögen einen zweiten Konkurs über das nach der ersten Konkurseröffnung erworbene Vermögen, an welchem auch die Gläubiger des ersten Konkurses teilnehmen 27 a . VII. Die Selbständigkeit des Sonderguts gegenüber dem allgemeinen Vermögen des Subjekts zeigt sich besonders deutlich daran, daß zwischen beiden Vermögensmassen Rechtsbeziehungen möglich sind, wie sie sonst nur zwischen verschiedenen Personen vorkommen 28. a) die Konfusion von Forderung und Schuld, dinglichem Recht und Belastung, welche durch die Vereinigung des Nachlasses mit dem Vermögen des Erben erfolgt, gilt als nicht eingetreten, wenn der Nachlaß durch Nachlaßverwaltung oder Konkurs zu einem Sondergut wird, § 1976. In anderen Fällen des Sonderguts fehlt eine entsprechende Vorschrift des Gesetzes284. Aber § 1976 ist analog anzuwenden, wenn der nach §§ 1973, 1974 an die ausgeschlossenen resp. verspäteten Gläubiger herauszugebende Nachlaß festgestellt wird 2 8 b , ebenso wenn eine Erbschaft nach § 1638 I oder § 1651 Nr. 2 in das freie Vermögen des Kindes fällt und zwischen dem Nachlaß und dem sonstigen, unfreien Vermögen des Kindes Rechtsbeziehungen bestehen20. Ferner wird man bei Testamentsvollstreckung annehmen dürfen, daß in bezug auf die der Verfügung des Testamentsvollstreckers unterliegenden Gegen97 Bei Uberschuldung des eingebrachten Guts wird kein Sonderkonkurs eröflnet, sondern Konkurs über das ganze Vermögen der Frau, mit der Wirkung, daß der Ehemann das eingebrachte Gut an den Konkursverwalter zu gleichmäßiger Befriedigung beider Klassen von Gläubigern auszuliefern hat; Jäger, KO. § 2 Anm. 34 fg. 27 a Jäger, KO. § 1 Anm. 63; § 14 Anm. 13. 88 H e l l w i g , Anspruch § 33 IV; ZivProz. § 46 I. 28 » Bei der Vorerbschaft besteht, solange der Nachlaß dem Vorerben gehört und in dessen Vermögen ein Sondergut bildet, Konfusion, so daß z. B. ein Nachlaßgläubiger eine Forderung des Erblassers gegen den Vorerben nicht pfänden kann. Erst wenn mit Eintritt der Nacherbfolge der Nachlaß aus dem Vermögen des Vorerben ausscheidet, gilt die Konfusion als nicht erfolgt, § 2143. 28 * S t r o h a l , Erbrecht § 75 Note 13; B i n d e r , Rechtsstellung des Erben I I 116; Dernburg V § 166 VII. 29 Wenn das Kind Schuldner des Erblassers ist, welcher das Kind unter Ausschluß der väterlichen Verwaltung zum Erben einsetzt, so kann meines Erachtens der Pfleger diese Forderung einziehen und damit den betreifenden Vermögenswert der Verwaltung des Vaters entziehen.

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stände eine Konfusion nicht eintritt 8 0 , so daß z. B. der Testamentsvollstrecker eine Forderung des Erblassers gegen den Erben einziehen kann und umgekehrt eine Forderung des Erben gegen den Nachlaß berichtigen muß 81 . b) es können auch neue Rechtsbeziehungen zwischen Sondergut und Hauptvermögen entstehen, am leichtesten dann, wenn diev Verwaltung des Sonderguts in den Händen eines Dritten, des Konkurs- oder Nachlaßverwalters oder eines Testamentsvollstreckers, liegt und dieser mit dem Vermögenssubjekt Rechtsgeschäfte eingeht. Aber auch wenn die Verwaltung des Sonderguts vom Vermögenssubjekt geführt wird, kann das Hauptvermögen durch Geschäftsführung oder ungerechtfertigte Bereicherung Schuldner oder auch Gläubiger des Sonderguts werden 82 . Allerdings war den Verfassern des BGB. die juristische Möglichkeit solcher Forderungen nicht geläufig. So erklärt sich die sehr gezwungene Konstruktion des § 1978 I : der Erbe soll, wenn der Nachlaß durch Nachlaßverwaltung oder Konkurs zum Sondergut geworden ist, für seine bisherige Verwaltung haften; als Gläubiger dieser Forderungen werden, da man sich nicht entschließen konnte, sie als Bestandteil des Nachlasses zu betrachten, in Abs. 1 die Nachlaßgläubiger genannt ; trotzdem sollen diese Ansprüche nach Abs. 2 als zum Nachlaß gehörend gelten. Aber dies ist eine Fiktion, an welche meines Erachtens die Auslegung des Gesetzes nicht gebunden ist. Tatsächlich handelt es sich um Forderungen des Nachlasses gegen den Erben, welche vom Nachlaß- oder Konkursverwalter zum Vorteil der Nachlaßgläubiger gegen das eigene Vermögen des Erben geltend gemacht werden. Umgekehrt sind dem Erben Aufwendungen, die er auf den Nachlaß gemacht hat, aus diesem zu ersetzen, § 1978 I I ; hier sagt das Gesetz nicht, gegen wen sich der Ersatzanspruch richtet; da aber offenbar nicht die Nachlaßgläubiger als Schuldner zu betrachten sind, bleibt nichts übrig, als den Aufwendungsersatz als Schuld des Nachlasses gegenüber dem eigenen Vermögen des Erben zu betrachten. Andere Forderungen des Nachlasses gegen den Erben können aus unerlaubten Handlungen entstehen, durch welche der Erbe den Nachlaß nach dessen Absonderung schädigt; soll man auch hier die in § 1978 aufgestellte 80

Strohal, Erbrecht § 40a IV 1; a. A. Planck § 2214, 1. Erwirbt der Gemeinschuldner eine Konkursforderung, so erlischt sie durch Konfusion; Jäger, KO. § 3 Anm. 33. 32 Vgl. RG. 32, 10. 81

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Doppelfiktion zur Hilfe nehmen d. h. den Ersatzanspruch in der Person der Nachlaßgläubiger entstehen und ihn dann sofort als Bestandteil des Nachlasses gelten lassen, oder kommt man nicht der wirklichen Rechtslage näher, wenn man zugibt, daß eine Forderung des geschädigten Nachlasses gegen den Erben vorliegt, welche wie alle Nachlaßforderungen durch den Verwalter des Nachlasses ausgeübt wird? Endlich steht meines Erachtens nichts im Wege die Möglichkeit obligatorischer Verträge zwischen dem Verwalter des Sonderguts und dem Vermögenssubjekt anzuerkennen 88. Warum soll ζ. B. ein Testamentsvollstrecker, wenn er zum Zweck der Verwaltung Geld braucht, dies Geld nicht, wie von einem Dritten, so auch vom Erben leihen können? Oder umgekehrt: warum soll der Testamentsvollstrecker, wenn er zeitweilig freies Geld hat, es nicht dem Erben als Darlehen aus dem Nachlaß vorstrecken können? Unter welche anderen Grundsätze, als die des Schuldvertrages, kann man solche Tatbestände subsumieren? Auch das Vorbehaltsgut der Frau ist der Verwaltung nach von ihrem eingebrachten Gut getrennt. Trotzdem können obligatorische Verhältnisse zwischen diesen beiden Vermögensmassen durch Vertrag zwischen Mann und Frau nicht so leicht begründet werden, wie etwa zwischen Konkursverwalter und Gemeinschuldner oder Nachlaßverwalter und Erben. Der Ehemann kann zwar durch ein Darlehen aus dem eingebrachten Gut für dieses eine Forderung gegen das Vorbehalt der Frau begründen, § 1381, aber nicht umgekehrt ein Darlehen aus dem Vorbehaltsgut für das eingebrachte Gut aufnehmen. Das beruht aber nicht, wie H e l l w i g 8 4 meint, auf einer minderen Selbständigkeit des Vorbehalts im Vergleich zu anderen Sondergütern, sondern darauf, daß der Ehemann als Verwalter des eingebrachten Guts nicht Vertreter der Frau ist und sie daher nicht verpflichten kann, § 1375. Die Schwierigkeiten, welche einer Vertragsschließung zwischen den Ehegatten als Verwaltern der beiden Vermögensmassen der Ehefrau entgegenstehen, fallen weg, wenn es sich um Schuldverhältnisse aus anderen Gründen handelt, insbesondere um Geschäftsführung und ungerechtfertigte Bereicherung. Einen Fall dieser 33

Gegen diese Möglichkeit erklärt sich prinzipiell RG. 58, 194. Im gegebenen Fall, Rettungsvertrag zwischen zwei Schiffen desselben Eigentümers, spricht allerdings manches dafür, es bei der gesetzlichen Regelung der Lohnforderung bewenden zu lassen. 34 ZivProz. § 46 Note 4.

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Art hat das Gesetz in § 1417 vorgesehen: wird eine Verbindlichkeit der Ehefrau nicht aus der Vermögensmasse berichtigt, welcher sie im inneren Verhältnis der Ehegatten zur Last fällt, so hat eine Ausgleichung zwischen beiden Vermögensmassen stattzufinden. Das soll nach den Motiven 80 keine „gewöhnliche Ersatzverbindlichkeit" seiti. Das Ungewöhnliche liegt darin, daß beide Vermögensmassen einem Subjekt gehören und nur der Verwaltung nach getrennt sind. Darum müssen diese Verbindlichkeiten erlöschen, sobald die Vermögensmassen sich vereinigen; das ist dasselbe, was man bei Verbindlichkeiten zwischen zwei Subjekten Konfusion nennt. Ausdrücklich bestimmt das Gesetz, daß die Ausgleichung nur soweit zu erfolgen hat, als das mit der Ausgleichungspflicht belastete Gut reicht. Das ist meines Erachtens so zu verstehen, daß eine Ausgleichung nachträglich verlangt werden kann, wenn das verpflichtete Gut anfänglich nicht ausreicht, später aber anwächst86. Im Übrigen ist die Ausgleichungspflicht meines Erachtens nach allgemeinen Grundsätzen zu behandeln, sie ist ζ. B. verzinslich nach § 256. Ferner kann die Ausgleichungsforderung des Vorbehaltsguts wie jedes andere Aktivum dieses Sonderguts von den Vorbehaltsgläubigern zu ihrer Befriedigung herangezogen werden 87 . Der § 1417 hat den Anschein einer singulären Vorschrift, ist aber meines Erachtens nur ein Anwendungsfall des auch in anderen Fällen durchzuführenden Gedankens, daß zwischen den beiden Gütern der Ehefrau obligatorische Beziehungen entstehen können. So kann ζ. B. der Mann aus dem eingebrachten Gut andere Verwendungen für das Vorbehaltsgut machen, als die in § 1417 erwähnten; er kann Vorbehaltsgutschulden der Frau zahlen, für welche das eingebrachte Gut auch nicht nach außen hin haftet, oder Impensen für einzelne Aktiva des Vorbehalts vornehmen. Mehrfach wird hervorgehoben, daß für diese Fälle nicht § 1417, sondern die allgemeinen Grundsätze gelten 8 8 : das Resultat kann aber kein anderes sein, als in § 1417: aus den Verwendungen, die 36

Motive IV S. 260. Daher hat die quantitative Beschränkung der Ausgleichspflicht keine große praktische Bedeutung: denn ein Ausgleichungsanspruch gegen die Ehefrau, welche kein Vorbehaltsgut besitzt, wäre doch nur von platonischem Wert. 87 Α. Α. Ε η de mann FamRecht § 179 a. E. Aber warum sollen die Vorbehaltsgläubiger zu kurz kommen, wenn das Vorbehaltsgut durch Zahlungen erschöpft ist, welche im inneren Verhältnis der Ehegatten dem Eingebrachten zur Last fallen ? 38 Planck § 1417, 4; Crome IV § 582 I I 1. 36

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der Mann aus dem Eingebrachten in das Vorbehaltsgut macht, entsteht ein Anspruch, der nach § 1381 Bestandteil des eingebrachten Guts ist; der Ersatzanspruch der Frau für Verwendungen aus dem Vorbehalt in das eingebrachte Gut dürfte nach § 1370 dem Vorbehaltsgut zufallen. Diese Ansprüche können, wie die Forderungen aus § 1417, nur solange bestehen, als Vorbehalt und Eingebrachtes im Vermögen der Frau getrennt existieren. Sie sind praktisch durchführbar nur soweit das für sie haftende Gut der Ehefrau ausreicht 89 . Ist die Verwaltnng des Sonderguts in derselben Hand, wie die Verwaltung des Hauptvermögens, z. B. das unfreie und das freie, §§ 1650,1651, Vermögen des Kindes, so können Rechtsverschiebungen durch Vertrag nur im Rahmen des § 181 erfolgen. Neue obligatorische Beziehungen zwischen beiden Vermögensmassen des Kindes können aber durch Geschäftsführung und ungerechtfertigte Bereicherung entstehen; so z. B. wenn eine Schuld des Kindes nicht aus der Vermögensmasse berichtigt wird, welcher sie im inneren Verhältnis von Vater und Kind zur Lafet fällt (§ 1660 verweist auf § 1417), ferner durch sonstige Verwendungen, die der Vater aus einem Gut des Kindes in das andere macht; Verwendungen des Vaters auf das freie Vermögen des Kindes, für welche das Kind nach § 1648 ersatzpflichtig ist, ergeben, wenn sie aus dem unfreien Vermögen gemacht sind, einen Ersatzanspruch für letzteres Vermögen, § 1646; umgekehrt entsteht bei Verwendung aus dem freien in das unfreie Vermögen des Kindes ein Ersatzanspruch, welcher nach § 1651 II. und § 1638 I I . dem freien Vermögen angehört. Ähnlich verhält es sich mit dem Nachlaß, insofern er infolge der Einreden aus § 1973 und 1990, 1992 als Sondergut zu behandeln ist. Zum Nachlaß gehören Forderungen gegen den Erben 39

Ein Anspruch des eingebrachten Guts gegen die Ehefrau könnte auch dann entstehen, wenn die Frau durch deliktisches Handeln ein Stück des eingebrachten Guts schädigt; an dem zum eingebrachten Gut zu leistenden Ersatz hätte der Mann Nutznießung und würde dadurch in dieselbe Lage kommen, wie vor dem Delikt der Frau. Aber die herrschende Meinung, Planck § 1127, 1, gibt dem Nießbraucher, wenn die Sache geschädigt wird, nicht Nießbrauch an der Ersatzforderung, sondern einen eigenen auf sein Interesse gerichteten Anspruch. Nach dieser meines Erachtens unzweckmäßigen Auffassung (wie soll das Interesse des Ehemanns an einem Stück des eingebrachten Guts geschätzt werden, da doch die Dauer der Ehe sich nicht mit Wahrscheinlichkeit bestimmen läßt?) würde die Frau, welche ihr eiDgebrachtes Gut deliktisch schädigt, Ersatzschuldnerin nicht des eingebrachten Guts, sondern des Ehemanns werden.

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aus Geschäftsführung (Schadensersatz und Ersatz dessen, was der Erbe für sich verwendet hat) und ungerechtfertigter Bereicherung; und umgekehrt kann der Erbe aus dem herauszugebenden Nachlaß Ersatz der Verwendungen entnehmen, die er aus eigenem Vermögen gemacht hat. V I I . Überblickt man die in verschiedenen Abstufungen vorkommenden Erscheinungen, in denen sich die Selbständigkeit des Sonderguts dokumentiert, so ergibt sich als zusammenfassendes Resultat die Auffassung, daß zwei demselben Subjekt zustehende Vermögensmassen vorliegen. Während normalerweise alle Rechte eines Subjekts zu einem Rechtskreis zusammengeschlossen sind, welchen wir sein Vermögen nennen, kann aus besonderen gesetzlichen Gründen ein Subjekt zwei Rechtskreise h a b e n 4 0 , zwischen denen wegen der Gemeinsamkeit des Subjekts eine Art von Personalunion besteht. Werden beide Vermögensmassen vom Subjekt selbst verwaltet, so handelt er bald für das eine bald für das andere seiner G ü t e r 4 1 . Ist ihm die Verwaltung eines der Güter 40

diese Möglichkeit kannte das römische Recht nicht (das peculium war quantitative Grenze der Verpflichtung des Herrn; ebenso die Erbschaft beim Inventar). Daher basierte die Rechtswissenschaft auf dem Axiom : eine Person — ein Vermögen. Dagegen ist das heutige Recht nicht zu erklären, wenn man sich nicht mit dem Gedanken vertraut macht, daß eine Person mehrere Vermögen haben könne, und umgekehrt ein Vermögen mehrere Subjekte (vgl. unt. § 20). Sehr weit geht in dieser Gedankenrichtung Schwarz, ArchBürgR. 32 17, fg. und im Anschluß an ihn Meszlény, Das Vermögen, indem er die Person, die bisher stets als das Zentrum des Vermögens galt, aus dieser Stellung verdrängen will: jedes Vermögen, auch das des Einzelmenschen, wird nach Schwarz zusammengehalten durch einen Zweck, das Individualvermögen durch den Zweck, den Bedürfnissen dieses Menschen zu dienen; jedes Vermögen hat, damit die zur Verwaltung nötigen Handlungen vorgenommen werden können, einen Vertreter; das ist im normalen Fall der Mensch, dessen Bedürfnissen das Vermögen dient, in Ausnahmsfällen eine vom Gesetz dazu bestimmte Person. Diese Auffassung entfernt sich meines Erachtens zu weit von den Grundanschauungen, aus denen unser Gesetz entstanden ist und daher verstanden werden muß. 41 Die Trennung beider Vermögensmassen geht bei gemeinschaftlicher Verwaltung durch das Vermögenssubjekt nicht so weit, daß die Schulden, die bei der Verwaltung des Sonderguts gemacht werden, nur dieses belasten, wie es der Fall wäre, wenn ein dem Vermögenssubjekt fremdes Vermögen von ihm verwaltet würde. Vielmehr sind die Schulden, die der Vorerbe, der Erbe vor Annahme der Erbschaft und in den Fällen §§ 1973—1974, 1990-1992 im Interesse des Nachlasses eingeht, trotzdem keine Nachlaßverbindlichkeiten, Planck § 1967, 6; es kann aber daraus eine Ausgleichsforderung gegen den NaçHlpf. entstehen.

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entzogen und einem anderen Menschen übertragen, so ist dieser Verwalter, sofern er überhaupt Vertretungsmacht h a t 4 2 , als Vertreter des Subjekts in seiner Eigenschaft als Inhaber des betreffenden Guts zu betrachten 4 8 . Eine andere A n s i c h t 4 4 will die Verwalter des Sonderguts, insbesondere den Konkurs- und Nachlaßverwalter, nicht als Vertreter des Vermögenssubjekts gelten lassen, sondern bezeichnet sie als Organe, die in Ausübung eigenen Rechts und in Erfüllung amtlicher Pflicht zur Durchführung des Zwecks der Konkurs- resp. Nach42 Der Ehemann als Verwalter des eingebrachten Gutes hat eine sehr beschränkte Vertretungsmacht, D e r n b u r g I § 162 I I I ; B i e r m a n n § 73, 2. Er kann Forderungen der Frau zur Aufrechnung bringen, § 1376 Nr. 2 (was meines Erachtens nur namens der Frau geschehen kann); Bürgen und Pfänder für Forderungen der Fr^u annehmen; Planck § 1376, 7 (was ebenfalls nur durch den Gläubiger oder namens desselben geschehen kann); vgl. ob. § 2 Note 6. 49 So für den Konkursverwalter Jäger, KO. zu § 6; für den Nachlaßverwalter Planck 6b vor § 1975, S tau dinger § 1975 IV A ; für den Testamentsvollstrecker Staudinger zu § 2197 I und die dort zitierten Autoren. Eine erhebliche, aber meines Erachtens nicht unüberwindliche Schwierigkeit liegt für die Vertretungstheorie darin, daß die Verwalter des Sondergutes in die Lage kommen, mit dem Vermögenssubjekt über den Umfang des Sondergutes und die zwischen diesem und dem Hauptvermögen bestehenden obligatorischen Beziehungen Prozesse zu führen, in welchen, wenn man die Sondergutsverwalter als Vertreter des Vermögenssubjekts auffaßt, letzteres auf beiden Seiten Partei ist. Aber diese prozessuale Häresie ist eine Konsequenz der abnormen zivilrechtlichen Tatsache, daß demselben Subjekt zwei Vermögen gehören. Da zwischen beiden Vermögensmassen Unklarheit über die Zugehörigkeit einzelner Vermögensstücke und obligatorische Verhältnisse vorkommen, und da an der Entscheidung solcher Fragen mehr noch als das Vermögenssubjekt selbst dessen Gläubiger interessiert sind, so muß es die Möglichkeit eines Prozesses geben. Dabei stehen sich gegenüber, auf Seiten des Hauptvermögens das Vermögenssubjekt, auf Seiten des Sonderguts der Verwalter als gesetzlicher Vertreter des Subjektes, welchem die Verwaltung und Prozeßführung in bezug auf diese Vermögensmasse entzogen ist. Das Vermögenssubjekt kann für sein Hauptvermögen und seinen sonstigen Rechtskreis einen gesetzlichen Vertreter, ζ. B. einen Vormund haben, neben welchem dem Konkurs- oder Nachlaßverwalter die gesetzliche Vertretung für die Angelegenheiten des Sondergutes zusteht. Es kann sogar für den Nachlaß als zweiter gesetzlicher Vertreter des Erben neben dem Konkursverwalter ein Nachlaßpfleger bestellt sein, Planck § 1960, 3b 8, dessen Kompetenz sich ebenfalls auf den Nachlaß bezieht, aber auf die Wahrung der Interessen des Erben an dem Nachlaß beschränkt ist. 44 RG. in zahlreichen Entscheidungen seit 29, 29, zuletzt 65, 287; S t r o h a l , Erbrecht § 79 III. Für den Testamentsvollstrecker vgl. Planck Anm. 2 vor § 2197.

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laßverwaltung handeln. Diese Theorie scheint mir keine genügende zivilrechtliche Erklärung des Problems zu geben 46 . Auch spricht dagegen die unabweisliche Analogie des ebenfalls amtlich eingesetzten und mit gesetzlich bestimmten Aufgaben betrauten Vormunds und der übrigen Pfleger des BGB., welche trotzdem nicht als Inhaber eigener amtlicher Rechte, sondern als Vertreter des Mündels resp. Pflegling aufgefaßt werden. Wie der Vormund, so handelt auch der Konkurs- und Nachlaßverwalter Namens des Vermögenssubjektes und erzeugt dadurch Wirkungen in dessen Vermögen; damit aber ist meines Erachtens der Begriff der Vertretung im Sinne von § 164 fg. gegeben, die übrigen Tatsachen (Art der Bestellung, Zweck und Grenzen der Tätigkeit, wahrzunehmendes Interesse usw.) können bei der Vertretung sehr verschieden gestaltet sein und sind für die Art der Vertretung, nicht für ihr Wesen ausschlaggebend. H e l l w i g 4 6 schreibt dem Sondergut selbständige Rechtsfähigkeit zu und bezeichnet daher den Verwalter als gesetzlichen Vertreter des Sonderguts. Damit wird das Sondergut dem Wesen, wenn auch nicht dem Namen nach in die Reihe der juristischen Personen gestellt, was meines Erachtens der Auffassung unseres Rechtes nicht entspricht. Das Sondergut ist Vermögen eines persönlichen Subjekts (Gemeinschuldner, Erbe), welchem daneben noch ein anderes Vermögen gehört, während das Vermögen einer juristischen Person ihr selbst, und keinem außer ihr stehenden Subjekt zusteht. Dieser Unterschied zeigt sich bei der Auflösung der juristischen Person : die Rechte, welche ihr Vermögen bildeten, müssen ihr Subjekt wechseln, es findet eine Sukzession irgend welcher Art statt. Im Gegensatz dazu erfolgt beim Sondergut, wenn der Grund der Separation wegfällt (Aufhebung der Testamentsvollstreckung, der Nachlaßverwaltung oder des Konkurses, Auflösung der Ehe), eine Verschmelzung beider Vermögenmassen, wobei die zum Sondergut gehörenden Rechte ihr bisheriges Subjekt beibehalten47. 45

Sie erinnert an die Theorie, nach welcher die juristische Person und ihr Vermögen in Amtsrechte der Organe aufgelöst wird; vgl. unt. S. 376 und H o l d e r , Natürliche und juristische Personen 315. 46 Anspruch 228 fg.; ZivProz. § 46 fg.; G o l d e c h m i d t , Nachlaßpflegschaft, spricht von „Quasipersonen". 47 Die Kontroverse ist wichtiger für prozessuale Fragen (Zulassung zum Eid und zum Zeugnis), als für das materielle Recht, nach welchem die verschiedenen Ansichten fast überall zu denselben Resultaten führen. Nur in einer praktischen Frage scheint die Ansicht von H e l l w i g eine angemessenere Entscheidung zu ermöglichen als die Vertretungstheorie: wenn der Verwalter

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§ 20. Gesamtvermögen. I. Beim Sondergut hatten wir es mit einem Subjekt zu tun, welchem mehrere Vermögensmassen zustehen. Das Gegenstück dazu ist ein Vermögen mit mehreren Subjekten: das Vermögen zur gesamten Hand, vgl. ob. § 3. Mehrere Personen, von denen jede ein eigenes Vermögen hat oder haben kann, sind zugleich in ihrer Gesamtheit Subjekt eines ihnen gemeinsam zustehenden Vermögens. Das Vermögen zur gesamten Hand wird meist als ein Fall des Sonderguts bezeichnet1, weil es wie das Sondergut vom sonstigen Vermögen der Teilhaber der Gesamthand getrennt ist. Diese Subsumtion ist nicht zutreffend: denn während die juristische Eigentümlichkeit des Sonderguts darin besteht, daß es trotz der Identität des Subjekts dem Hauptvermögen selbständig gegenübersteht, ergibt sich die Selbständigkeit des Gesamthandsvermögens gegenüber dem Einzelvermögen der Teilhaber ohne weiteres aus der Verschiedenheit der Vermögenssubjekte : das Gesamthandsvermögen gehört keinem der einzelnen Teilhaber, sondern allen zusammen. Gesamthandsvermögen kommt, wie das Sondergut, nur in gesetzlich festgestellten Fällen vor: bei der Gesellschaft, Gütergemeinschaft und Erbengemeinschaft 8. Willkürliche Begründung der Gesamthand in anderen Verhältnissen ist ausgeschlossen8. eines Sondergutes, ζ. B. ein Konkursverwalter ein Stück des seiner Verwaltung nicht unterliegenden Vermögens veräußert, so sieht Jäger, KO. § 6 Anm. 42 darin eine Überschreitung der Vertretungsmacht, welche durch die bona fides des Erwerbers, § 932, nicht gedeckt wird, während nach H e l l w i g , ZivProz. § 46 Note 9, eine Verfügung über die Sache vorliegt, welche nicht dem Vertretenen cL h. der Konkursmasse gehört, so daß § 932 Anwendung finden kann. Letztere, wie mir scheint richtige Entscheidung läßt eich aber meines Erachtens auch rechtfertigen, wenn man den Konkursverwalter als Vertreter des Gemeinschuldners auffaßt: veräußert der Konkursverwalter eine konkursfreie Sache, so überschreitet er die Grenzen nicht seiner auf den Konkurszweck beschränkten Vertretungsmacht, sondern des Vermögens, auf welches sich seine VertretUDg des Gemeinschuldners bezieht; genau so, wie wenn X, der als Vertreter des A nur über dessen Vermögen verfügen darf, eine nicht dem A gehörende Sache veräußern würde. 1 Z . B. H e l l w i g , ZivProz. § 45. 2 Auch die Handelsgesellschaft, Kommanditgesellschaft und Rederei sind Gesamthandverhältnisse, bei denen aber eine Annäherung an das Recht der juristischen Personen stattfindet (vgl. ob. § 3 S. 81); eine nicht so weitgehende Annäherung findet sich beim nichtrechtsfähigen Verein; vgl. upt. § 40. 3 Ζ. B. kann eine durch Auseinandersetzung aufgelöste Erbengemeinschaft nicht wieder durch Vertrag hergestellt werden.

§ 20.

Gesamtvermögen.

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II. Die Verwaltung des Gesamtvermögens4 ist verschieden geregelt. Aus der Tatsache der Gemeinsamkeit des Vermögens könnte man a priori folgern, daß die Verwaltung gemeinsam sein müsse. Dies Prinzip ist aber nur bei der Erbengemeinschaft und Gesellschaft durchgeführt, und kann in letzterem Fall durch den Gesellschaftsvertrag abgeändert werden ; einem Gesellschafter kann mit Ausschluß der anderen die unwiderrufliche Verwaltungsmacht übertragen werden 5. Bei der Gütergemeinschaft steht die Verwaltung prinzipiell dem Mann z u 6 : nur zu gewissen Handlungen bedarf er der Zustimmung der Frau: nach „Beendigung der Gütergemeinschaft" ist die Verwaltung gemeinsam, § 1472. Wem die Verwaltung des Gesamtvermögens zusteht, der hat auch die zu demselben gehörenden Ansprüche geltend zu machen ; in Abweichung von diesem Prinzip kann nach § 2039 jeder Miterbe die zum Nachlaß gehörenden Ansprüche erheben 7. I I I . Wie beim Sondergut muß beim Gesamtvermögen die Abgrenzung gegenüber den Einzelvermögen der Teilhaber geregelt sein. Das Gesamtvermögen hat originäre Bestandteile, die ihm bei Begründung der Gesamthand zufallen: der gemeinsame Nachlaß 8 , die Beiträge der Gesellschafter 9, das bei Beginn der Gütergemeinschaft vorhandene Vermögen beider Ehegatten, soweit es nicht als Vorbehalt oder „Sondergut" (§ 1439) außerhalb der Gemeinschaft bleibt 10 . Dazu treten im Lauf der Weiterentwicklung des 4

Ich brauche den im Gesetz nicht vorkommenden Ausdruck „Gesamtvermögen", um damit jedes Vermögen zu bezeichnen, welches einer Gemeinschaft zur gesamten Hand zusteht. 5 Ein Miterbe kann von den übrigen Vollmacht erhalten, aber diese Vollmacht ist nach allgemeinen Grundsätzen nicht exklusiv; vgl. T u h r , Unwiderrufliche Vollmacht S. 18. 6 In Ausnahmsfällen die Frau, § 1450. 7 Über analoge Anwendung des § 2039 auf die Gütergemeinschaft im Stadium der Auseinandersetzung vgl. Planck § 1472, 1. Nach RG. 70, 83 soll eine dem § 2039 entsprechende Klage sich aus dem Wesen der Gesamthand ergeben und daher in allen Fällen, ζ. B. auch bei der Gesellschaft zulässig sein. 8 Über den Fall, daß zum gemeinsamen Nachlaß eine vom Erblasser noch nicht angenommene Erbschaft gehört; vgl. ob. § 19 Note 3. 9 Genau genommen schon die Ansprüche auf Leistung der Beiträge; vgl. über diese kontroverse Frage Planck § 718, la. 10 Die Gesamthandsvermögen entstehen uno actu, in dem Moment, in welchem zwischen mehreren Personen ein Rechtsverhältnis begründet wird, welches sie nach Vorschrift des Gesetzes zu Mitsubjekten eines Vermögens macht. Das ist der Fall bei der Erbengemeinschaft durch Anfall eines Nach-

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Gesamtvermögens neue Bestandteile: zum Gesamtgut der Ehegatten gehört jeder spätere Erwerb, außer den Gegenständen, welche nach § 1440, 1370 in das Vorbehaltsgut fallen 1 0 ft. Bei Gesellschaft und Erbengemeinschaft gelten ziemlich übereinstimmend, nach § 718, 2041, als Zuwachs des Gesamtvermögens folgende Posten: Nutzungen; Erwerb auf Grund eines zum Gesamtvermögen gehörenden Rechts (ζ. B. durch Einziehung einer Forderung) ; Ersatz für Beschädigung, Zerstörung und Entziehung eines Gegenstandes des Gesamtvermögens. Dagegen stimmen die Vorschriften über den Erwerb aus Rechtsgeschäften nicht ganz überein: zum Gesellschaftsvermögen gehören nach § 718 „die durch die Geschäftsführung für die Gesellschaft erworbenen Gegenstände", wobei streitig ist, ob die Absicht, für die Gesellschaft zu erwerben, nach außen hervortreten m u ß 1 1 ; Bestandteil des gemeinsamen Nachlasses wird nach § 2041 „der Erwerb aus Rechtsgeschäften, die sich auf den Nachlaß beziehen", wobei streitig ist, ob dazu schon genügt, daß der Erwerb mit Mitteln des Nachlasses gemacht ist 1 2 . IV. Das Gesamtvermögen hat, wie das Sondergut, Passiva. Verpflichtet ist natürlich immer eine Person, also eines der Subjekte oder alle Subjekte des Gesamtvermögens, je nachdem von wem die Verpflichtung eingegangen ist oder wen sie nach allgemeinen Grundsätzen, § 420 fg., trifft. Sind die Teilhaber der Gesamthand Gesamtschuldner, so besteht für jeden eine eigene selbständige Verpflichtung; Mahnung, Kündigung uud namentlich Klage erfolgt gegen jeden einzelnen und wirkt nur gegen ihn; notwendige passive Streitgenossenschaft besteht nicht 1 2 a . In bezug auf ein Vermögen kann die Fragestellung nur dahin lauten, für welche Verbindlichkeiten lasses an Miterben, bei der Gütergemeinschaft durch den Ehevertrag (resp. den darauffolgenden Abschluß der Ehe), bei der Gesellschaft durch Abschluß des Gesellschaftsvertrags, wenn man annimmt, daß bereits die Forderungen auf Leistung der Beiträge dem Gesellschaftsvermögen aDgehÖren; vgl. ob. Note 9. 10 » Schenker und Erblasser können durch ihren Willen verhindern, daß das von ihnen Zugewendete in das Gesamtgut fällt; aber nicht umgekehrt eine Zuwendung, welche das Gesetz dem Individualvermögen des Empfängers zuweist, in das Gesamtgut bringen ; so kann der Erblasser, wenn er einen in Errungenschaftsgemeinschaft lebenden Ehegatten zum Erben einsetzt, nicht bewirken, daß der Nachlaß, statt in das eingebrachte Gut, in das Gesamtgut fällt; Planck § 1521, l a ; S c h m i d t , Familienrecht § 1521, 2. 11 Vgl. Planck § 718, lb. 12 Vgl. Planck zu § 2041. lf i a H e l l w i g §125 IV 2; a. A. Gaupp-Stein III 6 zu § 62, RG. 71,370.

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welcher Personen es h a f t e t 1 8 . I n diesem Sinne kann man von Schulden des Gesamtvermögens sprechen u . Da das Gesamtvermögen mehreren Subjekten gehört, die nur gemeinsam verfügen können, und der Zugriff der Gläubiger soweit zu gehen pflegt, wie die Verfügungsmacht des Schuldners, so ergibt sich als adäquates Prinzip der Haftung, daß das Gesamtgut nur für solche Schulden haftet, aus denen alle Subjekte desselben verpflichtet s i n d 1 5 . Dies Prinzip ist durchgeführt bei der Gesellschaft und Erbengemeinschaft, ZPO. § 736, 7 4 7 l e . Dagegen nicht bei der Gütergemeinschaft: das Gesamtgut der Ehegatten haftet für alle Verpflichtungen des Mannes, auch wenn die Frau nicht mitverpflichtet ist; und für gewisse Verpflichtungen der Frau, aus denen dann der Mann zugleich persönlich verpflichtet ist; § 1459. I n allen Fällen der Gesamthand besteht neben der Haftung des Gesamtvermögens eine persönliche Haftung der oder (bei der Gütergemeinschaft) wenigstens eines der Subjekte; nur bei der Erbengemeinschaft ist die Haftung für Nachlaßverbindlichkeiten auf den Nachlaß beschränkt, solange 18

Vgl. ob § 4 VIEL Im Recht der Gütergemeinschaft haben diese Schulden den technischen Namen „Gesamtgutsverbindlichkeiten", § 1459. In den übrigen Fällen der Gesamthand fehlt es an einer gesetzlichen Bezeichnung für die Gruppe von Schulden, für welche das Gesamtvermögen haftet ILI Gesellschaftsrecht kann man dafür den im Gesetz nicht verwendeten Ausdruck „Gesellschaftsschuld* gebrauchen („gemeinschaftliche Schulden" im Sinne von § 783 sind solche Schulden, die aus dem Betriebe der Gesellschaft entstanden sind, ohne Rücksicht darauf, ob alle Gesellschafter verpflichtet sind und daher Vollstreckung nach ZPO. § 736 möglich ist); vgl. über die verschiedenen Bedeutungen, in welchen das Wort „Gesellschaftsschuld" gebraucht wird; Oertmann §718, 2d. Bei der Erbengemeinschaft gibt es keinen Ausdruck, um die gemeinsamen Nachlaßverbindlichkeiten, § 2046, und die sonstigen Schulden zu bezeichnen, für welche der Nachlaß haftet, z.B. aus Verträgen, durch welche sich die Miterben solidarisch verpflichtet haben. 15 Darin liegt der Hauptgrund, warum das Gesamthandsverhältnis nur in den gesetzlich zugelassenen Fällen begründet werden kann; wer einen Teil seines Vermögens eirem Gesamtvermögen einverleibt, erschwert dadurch den Zugriff seiner Gläubiger: sie brauchen ein Urteil gegen alle Teilhaber. 16 Ob die Solidarschuld der Gesellschafter oder Miterben ihrer Entstehung nach mit den Zwecken der Gesellschaft resp. des Nachlasses zusammenhängt, ist für die Haftung des Gesamtvermögens gleichgültig; vgl. Planck §719, 4; § 2059, l a ; Gierke, Vereine ohne Rechtsfähigkeit Note 60 Zweifelhaft könnte sein, ob Vollstreckung in das Gesamtvermögen auch dann möglich ist, wenn die Teilhaber für die Schuld nach § 420 pro parte verpflichtet sind (z. B. aus einer Bereicherung des Gesamtguts oder einer Geschäftsführung für dasselbe). Es scheint mir richtiger, die Vollstreckung zu14

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Die subjektiven Rechte und das Vermögen.

dieser ungeteilt ist, § 2059 17 . Da das Gesamtvermögen eigene, nicht zum Vermögen der Teilhaber gehörende, Aktiva hat und Passiva, für die es haftet, so ist ein Konkurs über dasselbe begrifflich möglich. Einen solchen Konkurs kennt das Gesetz beim gemeinsamen Nachlaß, bei der offenen Handelsgesellschaft, und beim nichtrechtsfähigen Verein. Dagegen findet bei der Gesellschaft des bürgerlichen Rechts Konkurs über das Vermögen der einzelnen Gesellschafter und als Folge desselben Auflösung der Gesellschaft statt; in der Gütergemeinschaft fällt das Gesamtgut, da alle Gesamtgutsverbindlichkeiten Schulden des Mannes sind und umgekehrt, in den Konkurs des Mannes. V. Das Gesamtvermögen ist vom Einzelvermögen der Teilhaber vollkommen getrennt, nicht nur, wie das Sondergut, durch die besondere Verwaltung 18 und die Abgrenzung der Schuldhaftung, sondern vor allem durch die Verschiedenheit des Subjekts: wenn A B C Genossen einer Gesamthand sind, so ist jeder Subjekt seines Einzel Vermögens; das Gesamt vermögen aber gehört keinem von ihnen, sondern der ganzen Personen gruppe A B C . Daher ist ein Recht des Gesamtvermögens nicht zugleich ein Recht des einzelnen Teilhabers; an einer Sache, die zum Gesamtvermögen gehört, hat der Teilhaber kein Eigentum, auch keinen Teil des Eigentums; er ist an ihr nur in sofern berechtigt, als er zusammen mit seinen Genossen Subjekt des Gesamtvermögens ist. Das zeigt sich besonders deutlich bei Forderungen, die zum Gesamtvermögen gehören: Gläubiger ist keiner von den Teilhabern, sondern alle zusammen nehmen die Stellung des Gläubigers ein. Eine Konsequenz dieser Auffassung ist vom Gesetz für alle Fälle der Gesamthand ausgesprochen, § 717, 1442, 2040: gegen eine Forderung des Gesamtvermögens kann nicht mit einer Forderung aufgerechnet werden, für welche nur einer der Teilhaber haftet. zulassen, wenigstens wenn die Schuld mit den Zwecken des Gesamtvermögens zusammenhängt; Gierke a.a.O. Note 58; Gaupp-Stein § 736 II. Denn es ist nicht abzusehen, warum ζ. B. ein negotiorum gestor nicht ebenso einen Zugriff auf das Gesamtvermögen haben soll, wie ein Mandatar, der die Ge: Schäfte des Gesamtvermögens geführt hat. 17 In der persönlichen Verpflichtung der Subjekte des Gesamtvermögens zeigt sich der Unterschied zwischen den Gemeinschaften zur gesamten Hand und den ihnen pft nahe kommenden juristischen Personen. 18 Der Nachlaß in der Hand eines Alleinerben wird zum Sondergut erst, wenn eine besondere Verwaltung (Nachlaßverwaltung oder Konkurs) eingesetzt ist oder die Einreden §§ 1973, 1990 erhoben sind, während er bei Miterben von vornherein selbständiges Gesamtvermögen ist.

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Da bei Gesamthand ein von den Einzel vermögen getrenntes Gesamtvermögen besteht, so können zwischen diesen Vermögerismassen Rechtsverschiebungen vorkommen: es kann ein Recht aus dem einem Einzelvermögen in das Gesamtvermögen übertragen werden und umgekehrt. Die dabei stattfindende Sukzession betrifft das ganze Recht. Wenn von den drei Teilhabern A B C einer, A, seine Sache dem Gesamtvermögen zuwendet (ζ. B. als Beitrag in eine Gesellschaft), so hat er sein ganzes Eigentum veräußert; das Eigentum ist in vollem Umfang aus einem Vermögen in ein anderes übergegangen, obgleich A als Gesellschafter zu der Personengruppe gehört, welche Subjekt des Gesellschaftsverinögens ist. Ebenso verhält es sich, wenn aus dem Gesamtvermögen eine Sache an einen Teilhaber A übertragen wird (ζ. B. ein Teilhaber kauft einen Gegenstand aus der Erbengemeinschaft oder Gesellschaft). Hierbei verfügen nicht etwa die übrigen Teilhaber Β und C über ihre Anteile am Gegenstand (das wäre nach § 719, 2033 unzulässig), sondern es verfügen alle Teilhaber gemeinschaftlich (§ 2040) resp. durch den geschäftsführenden Gesellschafter über den ganzen Gegenstand, welcher hiermit aus dem Gesamtvermögen ausscheidet und in das Einzelvermögen des A übergeht. Das zeigt sich besonders deutlich bei Grundstücken. Zur Übertragung eines Grundstücks aus einem der Einzelvermögen in das Gesamtvermögen und umgekehrt ist nach herrschender Ansicht Auflassung erforderlich und zwar in bezug auf das ganze Grundstück 19 , obgleich das Subjekt des Einzelvermögens zugleich eines der Mitsubjekte des Gesamtvermögens ist. Ja sogar wenn die Miteigentümer eines Grundstücks dasselbe in eine unter ihnen geschlossene Gesellschaft einwerfen, oder wenn umgekehrt das Grundstück aus einer zwischen A B C bestehenden Gesamthand in Miteigentum derselben Personen übergehen soll, wird konsequenter Weise Übertragung des ganzen Eigentums angenommen und Auflassung verlangt 20 . Übrigens ist der Satz, daß bei Verschiebungen zwischen Einzelund Gesamtvermögen das Eigentum in vollem Umfang übergeht, wichtig nicht nur iür die Frage der Auflassung, sondern ebenso für die Wirkung der bona fides. Wenn ζ. B. ein geschäftsführender 19 Gierke a. a. 0. Note 34a; Sohm, Gegenstand 73 Note 19; Staudinger § 2042, I I 3. 20 Planck § 925, 9; W o l f f , Sachenrecht § 88 I I I und als letzte Entscheidungen RG. 65, 233; 68, 417. Handbuch X . 1. I : v o n T u h r I .

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Sozius eine Sache von einem Gesellschafter für die Gesellschaft k a u f t , so muß meines Erachtens der gute Glaube des Geschäftsführenden genügen, um nach § 892, 932 die Sache in vollem Umfang dem Gesellschaftsvermögen zuzuführen 2 0 a . Und umgekehrt wenn ein Sozius oder Miterbe von seinen Genossen einen vermeintlich zum Gesamtvermögen gehörenden Gegenstand erwirbt, so wird er ex bona fide Eigentümer und zwar der ganzen Sache 2 1 . VI· Allgemein anerkannt ist die Möglichkeit obligatorischer Beziehungen zwischen dem Gesamtvermögen und den Einzelvermögen. Die Leistung ist in solchen Fällen in vollem Betrag geschuldet, ohne Rücksicht darauf, daß der Teilhaber als Gläubiger zugleich Mitsubjekt des schuldnerischen Vermögens ist und umg e k e h r t 2 2 . Wenn z. B. die Gesellschaft einen Gegenstand von einem Gesellschafter k a u f t , hat sie ihm den vollen Kaufpreis zu zahlen. Ebenso hat ein Sozius, welcher Geschäfte der Gesellschaft geführt hat, den vollen Betrag seiner Auslagen zu verlangen 2 8 , obgleich man sagen könnte, daß er sie zum Teil (soweit er an der 80

a Ebenso wenn als Beitrag zu einer Gesellschaft eine dem Beitragenden nicht gehörende Sache eingebracht und vom geschäftsführenden Socius bona fide angenommen wird. Der einbringende Socius haftet dem Eigentümer aus § 816; seine Bereicherung besteht in seinem Anteil an der Gesellschaft. 21 Der bisherige Eigentümer kann sich nach § 816 an die Gesellschafter resp. Miterben halten, welche seine Sache wirksam veräußert haben; zu ihnen gehört natürlich auch der Teilhaber, welcher die Sache für sich erworben hat. Die Veräußerer haften nach § 420 pro parte, aber das hindert nicht den Zugriff des bisherigen Eigentümers auf das Gesamtvermögen ; vgl. ob. Note 6. Andrer Ansicht ist in dieser meines Wissens wenig untersuchten Frage S t r o h a l , Erbrecht § 65 Note 25 : der b. f. Erwerb soll sich nicht auf den Bruchteil der Sache beziehen, der dem eigenen Erbteil resp. Gesellschaftsanteil des Erwerbenden entspricht. 32 Daher ist das Vorausvermächtnis, § 2150; in vollem Umfang Forderung des Miterben gegen den gemeinsamen Nachlaß. Im I. Entw., der die Miterbschaft als Gemeinschaft nach Bruchteilen konstruierte, mußte der Satz, daß der Prälegatar die ganze Zuwendung als Vermächtnis beanspruchen könne, besonders ausgesprochen werden, E. I. § 1845, und konnte in den Motiven V, 140, als Fiktion bezeichnet werden. Da aber im BGB. der gemeinsame Nachlaß ein selbständiges Vermögen ist, und Forderungen eines Teilhabers gegen ein solches Vermögen ihm in vollem Umfang (ohne Konfusion seines Anteils) zustehen, so ist § 2150 nicht mehr Ausnahmssatz, sondern Konsequenz aus dem Prinzip der Gesamthand. Die Literatur, S t r o h a l § 29 Note 12, Planck und Staudinger zu § 2150, scheint mir noch zu sehr von der Auffassung der Motive abzuhängen. 28 Vgl. P l a n c k § 733, 1.

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Gesellschaft beteiligt ist) im eigenen Interesse gemacht hat 2 4 . Und umgekehrt: wenn ζ. B. ein Teilhaber das Gesamtvermögen schädigt, so hat er den Schaden in vollem Maß an das Gesamtvermögen zu ersetzen; das ist. nicht anders möglich, wenn der Schadensersatz durch Herstellung erfolgt, gilt aber auch bei Geldersatz 2 5 . Der Vertragsschluß, welcher zu Rechtsverschiebungen zwischen dem Gesamtvermögen und dem Vermögen eines Teilhabers nötig ist, gestaltet sich einfach, wenn das Gesamtvermögen eine besondere Verwaltung hat, an welcher der Teilhaber, mit welchem kontrahiert werden soll, nicht teilnimmt, wenn ζ. B. der geschäftsführende Socius mit einem von der Geschäftsführung ausgeschlossenen Gesellschafter kontrahiert, oder bei der Gütergemeinschaft der Ehemann mit der für ihr Vorbehaltsgut handelnden Ehefrau einen Vertrag abschließt. Dagegen besteht eine konstruktive Schwierigkeit, wenn der Teilhaber A, mit dem der Vertrag geschlossen werden soll, zugleich an der Verwaltung des Gesamtvermögens teilnimmt, wenn ζ. B. einer der geschäftsführenden Gesellschafter oder ein Miterbe einen Vertrag schließen will, der die Beziehungen zwischen seinem eigenen Vermögen und dem Gesamtvermögen betrifft. Da Verwaltung und Verfügung gemeinsam ist, müßte A als Kontrahent auf Seiten des Gesamt vermögen s auftreten; da er zugleich der Gegenkontrahent ist, scheint § 181 entgegenzustehen; aber man darf meines Erachtens annehmen, daß es dem A in solchen Fällen durch die Zustimmung seiner Genossen Β und C gestattet ist, eine Doppelstellung einzunehmen. Das zeigt sich am deutlichsten, wenn über ein Grundbuchrecht eines Gesamtvermögens zugunsten eines Teilhabers verfügt wird: die Eintragsbewilligung wird von allen Teilhabern, auch von A, erteilt werden müssen, bei der Auflassung treten auf der einen Seite Α, Β und C auf, auf der anderen Seite A. Soll eine Forderung des Teilhabers A gegen das dem Α , Β und C gehörende Gesamtvermögen begründet werden, und ist er an der Verwaltung beteiligt, so kann er den Schuldvertrag nicht mit sich selbst, sondern nur mit seinen Genossen Β und C resp. mit einem Vertreter schließen, der im Namen sämtlicher Teilhaber handelt. Daraus erwirbt er Forderungen nur gegen Β und C, für diese Forderung haftet aber das Gesamtvermögen ; trotz des Wortlautes von ZPO. §§ 736, 748 muß man nämlich annehmen, daß 24

RG. 59,363: Verkauf eines Nachlaßgrundstücks an einen der Miterben. - 5 Vgl. Binder, Rechtsstellung des Erben I I I 220. 23*

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Forderungen in das Gesamtvermögen vollstreckt werden können, wenn alle Gesellschafter oder Miterben verurteilt sind, bis auf einen, dieser eine aber gerade der Kläger ist 2 6 . VII. Das Gesamthandsvermögen löst sich auf, wenn die Rechtsbeziehung aufhört, kraft deren mehrere Personen als Mitsubjekte des Vermögens verbunden waren. Die Erbengemeinschaft ist von vornherein darauf angelegt, sich aufzulösen : sie ist ein Übergangsstadium, welches dazu dient, den Übergang der Vermögensstücke des Erblassers in das Einzelvermögen der Miterben zu vermitteln ; daher kann die Auseinandersetzung abgesehen von den Ausnahmsfällen der §§ 2043, 2045 jederzeit verlangt werden. Gesellschaft und Gütergemeinschaft haben dauernden Zweck ; nur aus bestimmten Gründen tritt Auflösung der Gesellschaft, § 728 fg., Aufhebung der Gütergemeinschaft, § 1468 fg., ein Die vom Gesetz so bezeichneten Vorgänge bedeuten nicht einen ipso iure eintretenden Zerfall des Gesamtvermögens, sondern Endigung des bisher bestehenden Zwecks der Gesellschaft resp. Gütergemeinschaft und Änderung der diesem Zweck entsprechenden Organisation der Verwaltung des Gesamtvermögens 27: das Gesamtvermögen selbst besteht weiter, aber nur noch mit dem Zweck der Auseinandersetzung (§ 730 I I ) ; daher gelten für den Zuwachs zum Vermögen von jetzt an zum Teil abweichende Regeln (vgl. § 1473). Zur Auflösung des Gesamtvermögens und Überführung von dessen Bestandteilen in die Einzelvermögen der Teilhaber ist stets eine Auseinandersetzung 28 26

Planck § 713, 2; 2058, 4; Oertmann § 713, 5. Die Verwaltung des Gesellschaftsvermögens erfolgt nunmehr durch alle Gesellschafter, auch die, welche früher von der Geschäftsführung ausgeschlossen waren, § 730 I I ; die Verwaltung des Gesamtguts steht beiden Ehegatten zu, § 1472. 28 Die Auseinandersetzung des Gesamtvermögens heißt bei der offenen Handelsgesellschaft Liquidation und ist ihrem Wesen nach identisch mit der Liquidation des Vermögens eines aufgelösten Vereins, § 47 fg., und sonstiger juristischer Personen; überall handelt es sich darum, daß ein Vermögen aufhören soll, als solches zu existieren und daß seine Bestandteile in andere Vermögensmassen übergeführt werden. Nur bei Gesamthandverhältnissen spricht BGB. von Auseinandersetzung; die Gemeinschaft nach Bruchteilen wird nicht auseinandergesetzt, sondern „aufgehoben", § 749. Der Unterschied beider Begriffe beruht nicht, wie B i n d e r , Rechtsstellung des Erben I I I 85 u. a. annehmen, darin, daß bei der Auseinandersetzung gewisse Schulden aus dem Gesamtvermögen zu bezahlen sind; denn das ist auch bei der Aufhebung der Bruchteilsgemeinschaft vorgeschrieben, § 755, sondern in der Beschaffenheit des Objekts der Gemeinsamkeit: das Gesamtvermögen und daher jedes dazu gehörende Recht ist gemeinsam in dem Sinne, daß es alle Teilhaber der Ge27

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nötig 2 9 , welche nach Bezahlung der auf dem Gesamtvermögen haftenden Schulden darin besteht, daß die übrigbleibenden Aktiva des Gesamtvermögens in das Vermögen der Teilhaber übertragen werden 80 . Die dazu nötige Verfügung über die Aktiva des Gesamtvermögens erfolgt durch sämtliche Teilhaber Α, Β und C. Das ist evident, wenn ein Gegenstand, bei Ausschluß der Naturalteilung, an Dritte oder an einen der. Teilhaber A veräußert wird ; aber auch bei Naturalteilung, wobei Α, Β und C jeder ein Stück des vorher in Gesamthand befindlichen Gegenstands zu Einzeleigentum erhalten, ist der rechtliche Vorgang so zu denken, daß die Sache in drei Teile zerlegt, und jede neue Sache von allen Teilhabern auf einen übertragen wird 8 1 . Daraus würde folgen, daß aus dem Teilungsvertrag, in welchem sich alle Teilhaber verpflichten, eine der durch die Teilung entstehenden Sachen an A zu übergeben, weil dieser Vertrag gemeinschaftlich geschlossen ist (§ 427), alle Teilhaber dem A solidarisch haften. Jedoch verweist' das Gesetz, §§ 734, 731, 2047, 2042 II, bei der Auseinandersetzung der Gesamthand auf die Regeln der Gemeinschaft nach Bruchteilen, insbesondere auf § 757; daher haften die Teilhaber bei Eviktion oder Mängeln der dem A zugeteilten Sache nicht solidarisch, sondern entsprechend ihren Anteilen 8151 . samthand zu Subjekten hat, während beim Miteigentum nach Quoten an der Sache so viel selbständige sich gegenseitig beschränkende Rechte bestehen, als es Miteigentümer gibt. 29 Im Gegensatz zum Gesamtgut löst sich das Sondergut ipso iure auf, sobald der Zweck, welchem die Sonderung dient4 wegfällt; vgl. ob. S. 347. ?0 Darum bleiben bei unvollständiger Auseinandersetzung die ungeteilten Gegenstände im Gesamthandsverhältnis; Planck, § 2042, 2. 81 Planck, § 2042, 4 c. Anders ist der Vorgang bei Teilung einer nach Bruchteilen gemeinsamen Sache: steht sie im Miteigentum des A und Β und wird sie dem A zugewiesen, so erfolgt dabei eine Übertragung nicht des ganzen Eigentums., sondern nur des Rechts, welches Β an der Sache hatte; wird die Sache in natura geteilt, so überträgt A sein Recht an dem Stück, welches dem Β zugewiesen wird, auf B, und Β sein Recht an dem Stück, welches dem A zufällt, an Α.; vgl. ob. S. 84. 31 » Steht die aus dem Gesamtvermögen einem Teilhaber A zugewiesene Sache nicht im Eigentum der Teilhaber, so kann A sie ex bona fide erwerben, und zwar die ganze Sache, nicht nur eine dem Anteil seiner Genossen entsprechende Quote. Der Erwerb ist unentgeltlich, weil dem Gesamtvermögen, welches durch die Teilung aufgelöst wird, kein Gegenwert zukommt. Daher ist A nach § 816 I 2 dem früheren Eigentümer zur Herausgabe der Sache verpflichtet.

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V I I I . Das Gesamtvermögen hat mehrere Subjekte; alle zusammen haben zum Gesamtvermögen die Stellung, welche im normalen Fall dem Einzelsubjekt zukommt. Die Stellung des einzelnen Teilhabers zum Gesamtvermögen nennt man den „ A n t e i l " . Die rechtliche Natur des Anteils wird sehr verschieden aufgefaßt. Nur wenn man mit G i e r k e 8 2 und anderen Germanisten von einem Eigentum am Vermögen sprechen will, um die Rechtsstellung des Subjekts zu seinem Vermögen zu bezeichnen, kann man auch den Anteil als ein Recht von „sachenrechtlichem Gehalt" charakterisieren 88 . Dieser Sprachgebrauch ist meines Erachtens unschädlich, solange er nur zur kürzeren und gewissermassen bildlichen Bezeichnung der Rechtslage dient: so wird man ζ. B., um in wenigen Worten die Rechtsverhältnisse des eingebrachten Guts zu beschreiben, sagen dürfen, daß dem Mann die Nutznießung, der Frau das Eigentum daran zustehe, ohne dabei zu verkennen, daß im Sinn des BGB. Eigentum nur Herrschaft über Sachen d. h. über körperliche Gegenstände (§ 90) bedeutet. Es wäre meines Erachtens kein Fortschritt der Rechtstechnik, wenu man den Begriff Eigentum über diese ihm vom Gesetz gezogenen Schranken ausdehnen wollte. Noch weniger ist der Anteil, wie das Reichsgericht 84 gelegentlich ausspricht, eine Forderung 85 . Allerdings hat der Teilhaber bei der Erbengemeinschaft ohne Weiteres, in den anderen Fällen dann, wenn ein Aufhebungsgrund der Gesamthand vorliegt, das Recht, von seinen Genossen die Mitwirkung bei der Auseinandersetzung zu verlangen, aber diese eine Befugnis erschöpft bei weitem nicht die Machtstellung, welche dem Teilhaber als Mitsubjekt des Gesamtvermögens zukommt, insbesondere nicht seine Mitbeteiligung an der Verfügung über die zum Gesamtvermögen gehörenden Rechte; daß ohne ihn nichts veräußert werden kann, beruht doch wohl nicht auf einem Anspruch gegen die übrigen Teilhaber, sondern darauf, daß er eines der gleichberechtigten Subjekte des Vermögens ist. Man wird meines Erachtens vergeblich versuchen, 3a

I I § 104 Note 71. § 122 Note 63. M §§ 31, 143; 56, 100. 85 Zweifelhaft kann allerdings sein, ob man die Verpfändung und Pfändung des Anteils nach Analogie der Forderung behandeln und demgemäß arg. BGB. § 1280 und ZPO. § 829 I I I Anzeige resp. Zustellung an die übrigen Teilhaber wie an Drittschuldner verlangen soll, wofür meines Erachtens gute praktische Gründe sprechen. Dafür, bei der Erbengemeinschaft, RG. 49, 406 und Planck § 2033, 3; dagegen, bei der Gesellschaft, RG. 47, 415. 38

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die Rechtsstellung des Teilhabers zum Gesamtvermögen, seinen Anteil, unter eine der Kategorieen der subjektiven Rechte zu bringen : so wenig dem Subjekt des Einzelvermögens außer den einzelnen Rechten, aus denen das Vermögen besteht, noch ein Recht am Ganzen zuzuschreiben ist, so wenig ist der Anteil ein „Recht am Gesamtvermögen". Und wie der Inhaber eines Einzel Vermögens seine Rechtsstellung zu demselben und alle daraus fließenden Befugnisse mit einem Worte, etwa „Vermögensherrschaft" bezeichnen könnte 86 , so wird mit dem Wort „Anteil" das Rechtsverhältnis bezeichnet, welches sich für A daraus ergibt, daß er zugleich mit Β und C Subjekt eines Gesamtvermögens ist. Aus diesem Rechtsverhältnis ergeben sich außer der Fähigkeit, über das Gesamtvermögen gemeinschaftlich mit den Genossen zu verfügen 37 , obligatorische Rechte gegen die Teilhaber ζ. B. das Recht auf Zustimmung zu gewissen Verwaltungsmaßregeln 88, insbesondere aber das Recht, Mitwirkung bei der Auseinandersetzung zu verlangen. Der Anteil hat einen Vermögenswert, welcher zum Teil darauf beruht, daß der Ertrag des Gesamtvermögens den einzelnen Teilhabern zufällt 8 9 , vor allem aber auf der in näherer oder fernerer Zukunft bevorstehenden Auseinandersetzung, durch welche die Bestandteile des Gesamtvermögens in das Vermögen der Teilhaber übergeführt werden; je größer das Gesämtvermögen, um so bedeutender ist der in Aussicht stehende Zuwachs der Einzelvermögen. Daher kann ein Teilhaber den Wert des seinem Anteil entsprechenden Anteils am Gesamtvermögen bereits zu seinem eigenen Vermögen zählen, obgleich die Gegenstände des Gesamtvermögens noch nicht zu seinem Vermögen gehören; denn er hat eine durch Auseinandersetzungsanspruch oder wenigstens Anwartschaft auf einen solchen Anspruch vermittelte Aussicht, daß diese Gegenstände ihm in natura oder dem Wert nach zufallen 40 . 36

Nur für das Rechtsverhältnis des Erben zum Nachlaß haben wir den technischen Ausdruck „Erbrecht"; vgl. ob. § 18 Note 51. 37 Beim Ehemann: Befugnis zu selbständiger Verfügung über das Gesamtgut, § 1443; bei der Gesellschaft: Verfügungsbefugnis des oder der geschäftsführenden Gesellschafter, § 710. 38 § 2038 I. 80 § 721 I I ; 2038 II. 40 Daher ist ζ. B. Überführung eines Gegenstandes des Gesamtguts in Quoteneigentum der Teilhaber wirtschaftlich kein Neuerwerb für den Teilhaber; so, für die Stempelpflicht, RG. 68, 380. So wäre ferner bei unentgeltlicher Zuwendung einer Sache aus dem Gesamtgut an einen Teilhaber Be-

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In Beziehung auf die Teilung des Ertrags und auf die Auseinandersetzung kommt die Größe des Anteils in Betracht 41 . In der Gütergemeinschaft sind die Anteile beider Ehegatten gleich. § 1476; bei der Erbengemeinschaft ergeben sich die Anteile zunächst aus den vom Gesetz oder durch Verfügung des Erblassers festgestellten Bruchteilen, wobei aber die Ausgleichung, § 2050 fg., modifizierend eingreifen kann 4 2 ; der Gesellschaftsvertrag regelt die Größe nicht der Anteile am Gesamtvermögen, sondern am Gewinn oder Verlust (§ 722), welcher sich ergibt, nachdem aus dem Nettovermögen der Gesellschaft die Beiträge zurückerstattet sind, § 734, § 735. Was die Verfügung über den Anteil anbetrifft so ist davon auszugehen, daß die Vorschriften über Abtretung (§ 398 fg.) auf Forderungen und andere Rechte (§ 413) Anwendung finden, nicht aber auf Rechtsverhältnisse ζ. B. nicht auf „Schuldverhältnisse" in dem Sinn, wie das Wort im Gegensatz zu Forderung gebraucht werden sollte, vgl. oben § 12 I I ζ. B. kann der Käufer seine Rechte aus dem Kaufvertrag nach § 398 übertragen, nicht aber seine ganze Rechtsstellung als Käufer. Aus demselben Grund ist der Anteil, weil er kein Recht ist, sondern ein Rechtsverhältnis, in welchem der Teilhaber zum Gesamtvermögen steht, nicht nach den Regeln § 398 übertragbar. Aber damit ist nicht gesagt, daß eine Übertragung von Rechtsverhältnissen unmöglich sei 4 8 ; es besteht für den Gesetzgeber kein begriffliches Hindernis anzuordnen, daß Jemand unter bestimmten Voraussetzungen in ein für einen anderen begründetes Rechtsverhältnis einrücke 44 . So gestattet § 2033 I I aus erheblichen legislativen Gründen die Übertragung eines Erbanteils. Dagegen sind die Anteile am Gesamtgut, § 1442, und am Gesellschaftsvermögen, § 719, unübertragbar; aber letzterer Satz ist dispositiven Rechtes 45 : es kann im Gesellschaftsvertrag ausgemacht sein, daß reicherung und Schenkung unter Abzug dessen zu berechnen, was ihm vermöge seines Anteils am Gesamtgut wirtschaftlich bereits gehört. 41 Für die Verfügung über Rechte des Gesamtguts ist die Größe der Anteile gleichgültig, da gemeinsames Handeln verlangt wird. 42 Uber den Einfluß der Ausgleichung auf das Recht an den Früchten vgl. Planck § 2055, 3. 43 Bei der Quotengemeinschaft ist die Übertragbarkeit der Anteile selbstverständlich, weil die Anteile bei dieser Art der Gemeinschaft Rechte sind; so ist ζ. B; der Anteil des Miteigentümers ein dem Eigentum analoges Herrschaftsrecht über die Sache. 44 Vgl. § 571. 48 Staub, Exk. zu HGB. § 122 Anm. 29; S ohm, Gegenstand S. 68 Note 9.

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ein Gesellschafter seinen Anteil veräußern könne ; auch ohne solche Klausel kann mit Zustimmung der übrigen ein Gesellschafter über seinen Anteil verfügen. Die Übertragung des Anteils betrifft nicht die einzelnen zum Gesamtvermögen gehörenden Rechte, sondern das Rechtsverhältnis, in welchem der Teilhaber zum ganzen Gesamtvermögen steht; es findet nicht Übergang von Rechten aus einem Vermögen in ein anderes statt, sondern Wechsel in den Subjekten eines Vermögens, dessen objektiver Bestand unverändert bleibt. Daher gelten die Formen und Regeln der Singularsukzession nicht 4 6 : nicht erforderlich ist Auflassung der Grundstücke, Übergabe der Mobilien, die zum Gesamtvermögen gehören ; der gute Glaube verschafft dem Erwerber des Anteils nicht mehr Rechte, als dem Gesamtvermögen angehören. Eine Verschiebung der Anteile kann bei der Gesellschaft dadurch eintreten, daß ein Gesellschafter ausscheidet; dann findet Anwachsung seines Anteils zu Gunsten der übrigen statt, § 738. Ebenso erfolgt nach herrschender aber nicht unbestrittner Ansicht bei Aufnahme eines neuen Gesellschafters entsprechende Abwachsung der Anteile der bisherigen Gesellschafter 46 a . Soweit ein Anteil übertragbar ist, kann er auch Gegenstand eines Nießbrauchs oder Pfandrechts sein 47 . Von der Möglichkeit der Übertragung hängt nach allgemeinen Grundsätzen auch die Pfändbarkeit ab; worüber der Schuldner verfügen kann, darauf können seine Gläubiger greifen. Aber bei Anteilen an einem Gesamtvermögen ist die Pfändung in weiterem Maß zulässig, als die 49

Vgl. über die Übertragung eines Erbteils S t r o h a l , Erbrecht §6411. In bezug auf ein Gesamtvermögen als Ganzes gibt es keine Universalsukzession. Es kann, wie beim Individualverinögen, vgl. ob. § 18 Note 34 b, nur eine Verpflichtung zur Übertragung begründet werden, z. B. § 1444; deren Erfüllung durch Übertragung der einzelnen Rechte erfolgt. 46 a Vgl. Oertmann 736, 4; Gierke, Ver. ohne Rechtsf. 26. Der Erwerb eines Anteils durch einen neuen Teilhaber kann nicht dazu führen, daß die Haftung des Gesamtvermögens wegfällt. Nun erfordert aber die Vollstreckung in einen gemeinsamen Nachlaß oder in ein Gesellschaftsvermögen ein Urteil gegen alle Teilhaber, ZPO. §§ 736, 747, vgl. ob. Note 16. Demgemäß ist in § 2382—2383 bestimmt, daß der Erwerber eines Erbteiles in die Nachlaßverbindlichkeiten eintritt mit einer auf seinen Anteil am Nachlaß beschränkten Haftung. Entsprechendes wird mit Recht für den Eintritt eines neuen Gesellschafters angenommen, wobei man sich auf die Analogie des § 419 berufen kann. 47 Planck § 2033, 2d.

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Die subjektiven Rechte und das Vermögen.

Verfügung: pfändbar ist nicht nur der nach § 2033 veräußerliche Erbteil, sondern auch der Anteil des Gesellschafters am Gesellschaftsvermögen und der Anteil des Ehegatten am Gesamtgut, letzterer jedoch erst nach Beendigung der Gemeinschaft 48. Die Pfändbarkeit des Anteils ist eine bei der Struktur der Gesamthand unentbehrliche Einrichtung: denn durch den Eintritt in ein solches Verhältnis entzieht der Schuldner den Teil seines Vermögens oder Erwerbs, welcher in das Gesamtvermögen fällt, seinen Gläubigern, sofern sie nicht zugleich Gläubiger der übrigen Teilhaber der Gesamthand sind 49 . Der notwendige Ausgleich liegt in der Pfändung des Anteils, wodurch der Gläubiger die Befugnis erhält, die Auseinandersetzung herbeizuführen und aus den seinem Schuldner zufallenden Vermögenswerten sich zu befriedigen. Über die durch Pfändung eines Anteils entstehenden Befugnisse des Gläubigers fehlt es im Gesetz an erschöpfenden Bestimmungen. Nur für die Pfändung des Gesellschaftsanteils ist in § 725 gesagt, daß der Gläubiger vor Auflösung der Gesellschaft auf die Geltendmachung des Gewinnanteils beschränkt ist, daß er aber die Auflösung durch sofortige Kündigung herbeiführen könne. Tut er das, so kommt das Gesellschaftsvermögen in das Liquidationsstadium, in welchem Sich der gemeinsame Nachlaß von vorn herein befindet und das Gesamtgut der Ehegatten von dem Moment an, in welchem die Pfändung des Anteils zulässig ist. In diesem Stadium kann der Pfändungsgläubiger die Auseinandersetzung des Gesamtvermögens verlangen und sich aus dem Erlös derselben befriedigen 60. Das Gesetz schweigt darüber, wie es sich im Liquidationsstadium mit der Verfügung über die Bestandteile des Gesamtvermögens verhalten soll. Meines Erachtens ist die Mitverfügung des Teilhabers, dessen Anteil gepfändet ist, insofern beschränkt, als sie nicht ohne Zustimmung des Pfändungsgläubigers erfolgen kann, arg. § 1276:

48

ZPO. § 859, 860. Bei der Gütergemeinschaft sind nicht die Gläubiger des Mannes, wohl aber gewisse Gläubiger der Frau vom Zugriff auf das Gesamtgut ausgeschlossen ; durch die Errungenschaftsgemeinschaft entzieht die Frau sogar ihren vorehelichen Gläubigern ihren in die Zeit der Gemeinschaft fallenden Erwerb, § 1530 fg. 80 Das ist in GFG. §§ 86, 99 für Erbengemeinschaft und Gütergemein, schaft ausgesprochen, gilt aber selbstverständlich auch für die Gesellschaft, denn die Kündigungsbefugnis wäre zwecklos, wenn der Pfändungsgläubiger die Auseinandersetzung nicht herbeiführen könnte. 49

§ 20.

Gesamtvermögen.

363

denn in der Verfügung über einen Gegenstand des Gesamtvermögens liegt eine Änderung des Inhalts des Anteils 01 . Der „Anteil" an einem Gesamtvermögen ist, wie oben S. 359 gesagt, ein Rechtsverhältnis, aus welchem für den Teilhaber verschiedene Befugnisse erwachsen, darunter auch Forderungen gegen die Genossen, insbesondere das Recht, die Auseinandersetzung zu verlangen. In der Auseinandersetzung werden gewisse Schulden aus dem Gesamtgut berichtigt die übrigbleibenden Sachen, wenn sie in natura teilbar sind, in Teilstücke zerlegt sonst veräußert, gemeinsame Forderungen eingezogen. Diese Handlungen müssen von den Teilhabern gemeinsam oder durch einen gemeinsamen Vertreter vorgenommen werden. Jeder Teilhaber kann von seinen Genossen verlangen, daß sie dabei mitwirken und zwar, wenn keine Vereinbarung zustande kommt, in der vom Gesetz vorgeschriebenen Weise. Am Ende der Auseinandersetzung kann der Teilhaber Überlassung der auf ihn entfallenden Sachen oder Geldsummen verlangen: dies ist der Anspruch „auf dasjenige, was dem Teilhaber bei der Auseinandersetzung zukommt 52 " oder, wie man der Kürze halber zu sagen pflegt, das Auseinandersetzungsguthaben. Daß dieser Anspruch nicht identisch mit dem Anteil, sondern eine aus dem Anteil infolge gewisser Tatsachen (Vornahme der Auseinandersetzung) erwachsende Forderung i s t 5 8 , ergibt sich für das Recht des BGB. aus folgenden Erwägungen: Bei der Gesellschaft erlaubt § 717 die Zession des Auseinandersetzungsguthabens64, während der Anteil in der Regel unabtretbar ist. Der Zessionar kommt nicht in die Stellung eines Gesellschafters, hat keine Mitverfügung über das Gesellschaftsvermögen, kann nicht kündigen, auch nicht, wenn die Gesellschaft sich auflöst, an der Auseinandersetzung teilnehmen 65 . Seine Rechtsstellung 61

Vgl. OLG. 12, 366. Dasselbe muß auch bei Verpfändung eines Anteils gelten; a. A. OLG. 12, 368, weil die Verfügung über veräußerliche Rechte durch Rechtsgeschäft nicht beschränkt werden könne, § 137. Aber eine solche Beschränkung infolge des Rechtsgeschäfts der Verpfändung ist im Gesetz in §§ 876, 1071, 1276 statuiert. 82 § 7 1 7 . 63 Für die Identität von Anteil und Auseinandersetzungsanspruch Ende· mann I § 181 Note 50; Crome §282 Note 51 u. a.; dagegen Gaupp-Stein zu ZPO. § 859. Vgl. ob. § 12 S. 221. 64 und zwar schon vor Aufhebung der Gesellschaft, also noch bevor der Anspruch entstanden ist. Über die Zulässigkeit der Abtretung künftiger Ansprüche vgl. ob. § 12 Note 19. 55 Nicht einmal Rechenschaft über die Auseinandersetzung kann der Zessionar verlangen, RG. 52, 35; Vgl. Oertmann § 717, 3.

364Erstes

Buch.

Die subjektiven Rechte und das Vermögen.

besteht ausschließlich darin, daß das Guthaben, welches bei der Auseinandersetzung dem Gesellschafter zufällt, infolge der antizipierten Zession, in seiner Person zur Entstehung kommt 56 . Aus der Abtretbarkeit des Guthabens folgt auch die Möglichkeit der Pfändung. Auch die Pfändung verleiht kein Recht zu kündigen oder an der Auseinandersetzung mitzuwirken, sondern nur darauf, sich aus dem, was bei der Auseinandersetzung dem Gesellschafter zukommt zu befriedigen. Daher wird ein Gläubiger eines Gesellschafters stets vorziehen, statt des Guthabens den Anteil zu pfänden, was keine größeren Schwierigkeiten bereitet, als die Pfändung des Guthabens57. Auch bei der Gütergemeinschaft muß man meines Erachtens streng den Anteil des Ehegatten von dem aus dem Anteil erwachsenden Auseinandersetzungsguthaben unterscheiden. Der Anteil ist auch nach Beendigung der Gütergemeinschaft nicht übertragbar, aber pfändbar. Wer den Anteil pfändet kann die Auseinandersetzung beantragen 58 und ist am Verfahren beteiligt. Dagegen würde eine Abtretung oder Pfändung des Guthabens nur ein Recht auf das Resultat der Auseinandersetzung verleihen, ohne die Befugnis dies Verfahren herbeizuführen oder dabei mitzuwirken. Dieser Anspruch kann meines Erachtens, wie alle Forderungen, auch bevor er entstanden ist d. h. bei bestehender Gütergemeinschaft abgetreten, daher auch gepfändet werden 59 . Ebenso und noch deutlicher treten Anteil und Auseinandersetzungsguthaben bei der Erbengemeinschaft auseinander 60: beide 66

Der Gesellschafter, der seinen Auseinandersetzungsanspruch zediert hat, ist nicht gehindert, im Einverständnis mit den übrigen Gesellschaftern über das Gesellschaftsvermögen zu verfügen und die Auseinandersetzung nach seinem Belieben zu gestalten; daher ist die Rechtsstellung des Zessionars sehr prekär; vgl. Cosack-§ 277 Note 48. 67 Im Gegensatz zum bürgerlichen Recht verleiht nach HGB. § 135 ( = Art 126 a. F.) bei der offenen Handelsgesellschaft die Pfändung des Guthabens das Recht der Kündigung. Aber dafür gibt es bei der offenen Handelsgesellschaft keine Pfändung des Anteils. Diese Abweichung des Handelsrechts vom bürgerlichen Recht ist meines Erachtens materiell ungerechtfertigt, soweit sie sich auf das Objekt der Pfändung (Guthaben statt Anteil), nicht auf die besonderen Voraussetzungen der Pfändung nach HGB. § 135 bezieht. 58 GFG. §§ 99, 86. 59 ZPO. § 860 verbietet die Pfändung des Anteils bei bestehender Gütergemeinschaft, damit das Gesamtgut seiner Bestimmung nicht entzogen werde. Diese Gefahr besteht nicht bei Pfändung des künftigen Anspruchs auf das Ergebnis der Auseinandersetzung. 60 Wen dt, ArchZivPr. 89, 420 fg. erklärt Übertragung des Erbteils für

§ 20.

Gesamtvermögen.

365

sind übertragbar, aber für die Übertragung des Erbteils ist in § 2033 gerichtliche oder notarielle Form vorgeschrieben, während das Guthaben, wie alle Forderungen, formlos zediert werden kann, und zwar, ebenfalls nach allgemeinen Grundsätzen, auch als künftige Forderung d. h. vor Ende und sogar vor Beginn der Auseinandersetzung01. Das RG. 60,126 fg. bestreitet die Möglichkeit der Zession des Guthabens bei der Erbengemeinschaft 62, weil das Gesetz eine solche Zession nicht erwähnt (während es bei der Gesellschaft in § 717 geschehen ist), und weil der Erwerber des Anteils in eine prekäre Lage käme, wenn das Guthaben bereits an einen Dritten abgetreten sei 68 . Diese Argumente scheinen mir nicht überzeugend zu sein. Ich halte das Guthaben bei der Erbengemeinschaft wie bei den soustigen Fällen der Gesamthand für abtretbar, komme aber doch auf anderem Wege zum gleichen Resultat wie das Reichsgericht in dem von ihm entschiedenen Fall: daß nämlich ein späterer Erwerber des Anteils ein stärkeres Recht hat als ein früherer Zessionar des Guthaben. Das Guthaben ist, wie gesagt, eine künftige Forderung, solange die Auseinandersetzung nicht vollendet d. h. nicht festgestellt ist, was der Teilhaber aus dem aufgelösten Gesamtvermögen zu bekommen hat 6 4 . Die Übertragung künftiger Rechte wird nur dann wirksam, wenn das Rechtsverhältnis aus dem das künftige Recht entstehen soll, fortbesteht und zwar in der Person dessen, der über die künftige Forderung verfügt hat 6 6 . Ist aber das Rechtsverhältnis, hier der identisch mit Abtretung des Anspruchs auf das Ergebnis der Auseinandersetzung. Gegen ihn die herrschende Meinung; vgl. Planck § 2033, 2c; S t r o h a l , Erbrecht § 64 Note 19. 61 Zustimmend Planck § 2033, 2f. 62 Vgl. auch RG. 61, 76, wo ein Vertrag für ungültig erklärt wird, in welchem ein Miterbe seine Erbansprüche an den gesamten Grundbesitz nebst Inventar des Erblassers verkauft. Ich sehe darin einen Verkauf resp. eine Abtretung des Auseinandersetzungsguthabens, soweit es in Grundstücken bestehen wird, und halte die Gültigkeit eines solchen Vertrages für zweifellos. 68 Dagegen die zutreffende Polemik von Pringsheim, Abtretung und Pfändung des Erbteils (Breslauer Diss. 1906) S. 35 fg. 64 RG. a. a. 0. 60, 130 hält den Anspruch auf das Guthaben für eine gegenwärtige Forderung, selbst bei einer Gesellschaft, die noch nicht gekündigt ist. Meines Erachtens gibt es kein treffenderes Beispiel für das, was man allgemein unter einer künftigen Forderung versteht, als den Anspruch auf das Ergebnis einer Auseinandersetzung, die noch nicht vollendet ist und sogar, solange die Gesellschaft nicht gekündigt ist, nicht verlangt werden kann. 68 Vgl. ob. § 12 I I S. 221.

3 6 6 E r s t e s Buch.

Die subjektiven Rechte und das Vermögen.

Erbteil auf X übergegangen, bevor durch Auseinandersetzung der Anspruch auf das Betreffnis entstanden ist, so entsteht dieser Anspruch für den jetzigen Inhaber des Erbteils X, und nicht für den ursprünglichen Miterben, daher auch nicht für den, welchem er diesen Anspruch im Voraus abgetreten hatte. Analog wäre zu entscheiden, wenn der Anteil von X nicht erworben, sondern gepfändet wird 6 6 . Das sofort entstehende Pfandrecht am Anteil ist stärker, als die antizipierte Verfügung über das Guthaben, welches aus der später erfolgenden Auseinandersetzung entsteht 67 . Hätte dagegen der Erbe sein Guthaben nach vollendeter Auseinandersetzung abgetreten, so wäre die Zession sofort wirksam und eine nachfolgende Übertragung des Anteils würde inhaltlos sein: dies Resultat kann ich nicht mit dem Reichsgericht für unannehmbar halten : wer einen Erbteil erwirbt, trägt immer ein Risiko, besonders wenn er es nach der Auseinandersetzung tut; gegen die Schuldenhaftung aber, auf welche das Reichsgericht besonders hinweist, kann und muß er sich auf alle Fälle sichern. 68

Zustimmend Staudinger § 2033, 4. Daß ein älteres Pfandrecht am Anteil einer späteren Pfändung des Auseinandersetzungsguthabens vorgeht, ist selbstverständlich und beruht nicht, wie das RG. 67, 331 annimmt, auf einer Identität von Anteil und Guthaben: das Pfandrecht am Anteil erfaßt alle einzelnen aus dem Rechtsverhältnis des Anteils hervorgehenden Rechte, insbesondere den Anspruch auf das Guthaben, auf welchem der Wert des Anteils hauptsächlich beruht. eT

Zweites Buch. Die Personen.

§ 21. Begriff der Person*. Unter Person versteht die Rechtswissenschaft und unser Gesetz ein rechtsfähiges Wesen d. h. ein Wesen, welchem die Rechtsordnung die Fähigkeit beilegt, Subjekt von Rechten zu sein. Das Gesetz unterscheidet natürliche Personen (Menschen) und juristische Personen (Vereine, Stiftungen, juristische Personen des öffentlichen Rechts). Der Begriff des subjektiven Rechts, wie wir ihn in § 1 entwickelt haben, ist eine Abstraktion aus den Rechten, deren Subjekt ein Mensch ist: die Willensherrschaft, die den Kern des subjektiven Rechts ausmacht, findet sich, abgesehen von den schöpferischen Einrichtungen der Rechtsordnung, nur beim Menschen; auch die Interessen, denen die Willensherrschaft zu dienen bestimmt ist, sind in erster Linie Zwecke des Einzelnen : Erhaltung seiner Existenz und Erreichung der von ihm freigewählten Ziele. Aber neben den individuellen Zwecken hat es von je her und mit der Verfeinerung der Kultur in immer höherem Grade allgemeine Zwecke gegeben, für welche die Menschen einen Teil der ihnen zufallenden Güter auszusetzen bereit sind. Solche Zwecke kann der Mensch mit Hilfe seines Vermögens verfolgen, indem er einzelne Teile dazu verwendet, vielleicht auch sich durch Vertrag mit Gleichgesinnten zu einer solchen Verwendung verpflichtet. Die Rechtsordnung eröffnet daneben einen zweiten Weg: der Mensch kann Vermögensstücke definitiv aus seiner Rechtssphäre ausscheiden, um sie einem von späterer Willensänderung unabhängigen Zweck * W i n d s c h e i d §49; Regelsberger §§ 56, 75,76; Bekker§§44, 59; Gierke §§ 30, 58, 59; Dernburg §§ 48, 651; Endemann §§ 24, 39; Crome §§ 37, 48; Enneccerus §§ 76, 96; K o h l e r §§ 100, 131; Biermann §§ 32, 126, 127; Oertmann, Komm. 1. Abschn. 2., Titel, Vorb. 1—3; Holder, Natürliche und juristische Personen; B i n d e r , Problem der Rechtspersönlichkeit; 0. Mayer in Festg. f. Laband I 1 fg.; H o l d e r , JheringsJ. 53, 40, 54. Handbuch X . 1. I : v o n T u h r I .

24

370

Zweites Buch.

Die Personen.

zu widmen, sei es in Verbindung mit anderen Menschen (Verein), sei es durch einseitigen Akt (Stiftung). Die ausgeschiedenen Rechte bilden ein selbständiges Vermögen, welches dem gemeinsam oder einseitig festgestellten Zweck dient: ein Zweckvermögen. Um dies Vermögen zu verwalten und seiner Bestimmung gemäß zu verwenden, bedarf es menschlicher Tätigkeit. Daher verlangt das Gesetz für Verein und Stiftung eine Organisation d. h. eine Einrichtung, vermöge welcher bestimmte Menschen unter bestimmten Voraussetzungen einen für das Zweckvermögen maßgebenden Willen betätigen können. Die Organe betrachtet aber das Gesetz nicht als Subjekte des Zweckvermögens und der zu demselben gehörenden Rechte, sondern die Rechte werden dem Verein oder der Stiftung zugeschrieben, die das Gesetz als Personen d. h. als rechtsfähige Wesen denkt und bezeichnet. Die zum Begriff des subjektiven Rechts gehörende Willensmacht wird für Verein und Stiftung durch deren Organe ausgeübt. Damit werden von der Rechtsordnung Wesen geschaffen, die man mit gutem Grund juristische Personen nennen kann, weil ihre Existenz eine bloß rechtliche ist: Verein und Stiftungen würden nicht existieren, wenn sie nicht von der Rechtsordnung anerkannt und mit der Möglichkeit ausgestattet wären, in das Rechtsleben wirksam einzugreifen. Neben den juristischen Personen erscheint der Mensch als natürliche Person, obgleich auch die Rechtsfähigkeit des Menschen auf der Rechtsordnung beruht und ihm vom Gesetz ganz oder teilweise entzogen werden kann; denn der Willensorganismus, der bei den juristischen Personen durch rechtliche Einrichtungen geschaffen wird, beruht beim normalen Menschen auf der psychologischen Tatsache der Willensfähigkeit, die Zwecke, welche für Verein und Stiftung durch Rechtshandlungen festgelegt werden, entstehen für das Individuum durch den natürlichen Vorgang der Willensbildung 1 ; und die Ausübung der Willensherrschaft erfolgt durch den Menschen selbst, nicht durch besonders dazu bestimmte Organe. 1 Daß der satzungsgemäße Zweck der juristischen Person den freigewählten Lebenszwecken des Individuums entspricht, zeigt sich deutlich bei der Schenkuug: wie es Schenkung ist, wenn ich einem Menschen eine Zu wendung zu freier Verfügung, d. h. zur Verfolgung der von ihm frei zu bestimmenden Zwecke mache, so ist es auch Schenkung, wenn ich einer juristischen Person eine Zuwendung für ihre satzungsgemäßen Zwecke mache; daß diese Zwecke nicht, wie beim Menschen, willkürlich verändert werden können, entspricht dem Wesen der juristischen Person und schließt das Vorliegen einer Schenkung nicht aus; vgl. BG. 71, 140.

§ 21. Begriff der Person.

371

Die juristischen Personen sind eine Schöpfung des Rechts. Sie sind vom Gesetz als Vermögenssubjekte dem Menschen gleichgestellt. Dies Verfahren des Gesetzes wurde oft als Fiktion bezeichnet 14 und als solche in neuerer Zeit heftig bekämpft. Aber es handelt sich genau genommen nicht um eine Fiktion 2 , eine solche würde vorliegen, wenn das Gesetz vorgeschrieben hätte oder die Theorie verlangen würde, daß die juristischen Personen als Menschen zu betrachten sind, was sie in der Tat nicht sind. Das Gesetz tut das aber nicht und verkennt nicht, daß die juristischen Personen auch in rechtlicher Beziehung ganz anders beschaffene Wesen sind, als das Individuum. Trotzdem gibt das Gesetz den juristischen Personen dieselbe Stellung, welche die einzelnen Menschen als Subjekte eines Rechts oder eines Vermögens haben. Es wird der Kreis nicht der menschenähnlichen Wesen, sondern der Rechtssubjekte erweitert, was durchaus in der Kompetenz des Gesetzgebers liegt, da er allein die Rechte schafft und verteilt. Personen sind nach unserem Recht nicht bloß Menschen, sondern auch andere Wesen, welche im Gegensatz zum Menschen keine körperliche Existenz haben, sondern nur in der Vorstellung der Menschen leben. Aber diese Art der Existenz teilen sie mit allen Erzeugnissen des Rechts: auch das Eigentum, die Forderung und die sonstigen Rechte sind Gedankendinge, aber deshalb nicht weniger real d. h. der Welt des Wirklichen angehörend, wie die Gegenstände der äußeren Wahrnehmung 8; denn real ist, was in der Außenwelt wirkt und Änderungen in derselben herbeizuführen vermag. Die Rechtseinrichtungen, die in den Köpfen der Menschen leben, manifestieren sich durch die Einwirkung, die sie auf das menschliche Verhalten ausüben. Das Eigentum, die Forderung kommen zur Geltung, indem sich andere Menschen darnach richten. Ebenso wird die Herrschaft einer juristischen Person über die ihr zugewiesenen Teile der Außenwelt genau so viel oder so wenig respektiert, wie die rechtliche Herrschaft eines Menschen ; wie der Mensch seinen rechtlich anerkannten Willen zur Geltung bringt, so vermag es die juristische Person durch ihre Organe, eine Herrschaft auszuüben und nötigenfalls den staatlichen Schutz anzurufen. So namentlich Savigny I I § 85fg.; Puchta, Rechtslexik. I I I S. 65; Windscheid a. a. 0. 2 Vgl. 0. Mayer S. 17. 3 Vgl. Bekker, Geistige Realitäten im Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie Bd. I. 24*

372

Zweites Buch.

Die Personen.

Mit dieser Auffassung nähern wir uns der von Β e s e i e r * begründeten und von Gierke® zur vollen Entfaltung gebrachten sogenannten organischen Theorie, welche der juristischen Person als „Verbandspersönlichkeit" eine reale Existenz zuschreibt. Die Angriffe, denen diese Theorie ausgesetzt ist, richten sich teils gegen mittlerweilen zurückgenommene Übertreibungen, teils gegen bildliche Ausdrücke, ohne welche man bei der Darstellung geistiger Dinge nie ganz auskommen wird. Mit vollem Recht geht G i e r k e von dem Gedanken aus, daß die neben und über dem Individuum stehenden menschlichen Verbände nicht bloß Abstraktionen, sondern tatsächliche Gebilde sind, welche Wirkungen ausüben und erleiden, eine Entwicklung durchmachen und, soweit der Mensch den Sinn und Zusammenhang des Lebens erfassen kann, als den einzelnen überdauernde und überragende Wesen erscheinen. Daher ist es nicht Willkür des Gesetzgebers, sondern tief in der Einrichtung des Menschengeschlechts begründet, daß menschliche Verbände und allgemeine Zwecke auch im Rechtsleben eine hervorragende Rolle spielen und als Rechtssubjekte auftreten. Daß die Beschaffenheit dieser Wesen eine ganz andere ist, als die der Individuen, daß insbesondere ihre Existenz, Einheit und Bedeutung nur dem geistigen Auge erkennbar ist, wird von G i e r k e 6 nicht verkannt, ebenso daß ihre rechtliche Persönlichkeit auf Rechtssatz beruht 7 , wenn auch natürlich das Gesetz nur solche Verbände und Einrichtungen zu Rechtssubjekten erhebt, die sich durch Zweck und Beschaffenheit zu rechtlicher Existenz eignen. Auch für G i e r k e beruht das, was die Jurisprudenz als den Willen einer juristischen Person bezeichnet, nicht wie beim Individuum auf psychologischen Vorgängen, sondern auf rechtlich geregelten Handlungen der dazu bestimmten Organe; ob man die Organe unter die Kategorie der Stellvertretung bringt, oder mit G i e r k e und seinen Anhängern der Stellvertretung gegenüberstellt, scheint mir eine wesentlich terminologische Kontroverse zu sein 8 . Dagegen muß man meines Erachtens G i e r k e recht geben, wenn er hervorhebt, daß der Abstand zwischen Einzelperson und juristischer Person infolge germanischer Einwirkungen in unserem 1

Volksrecht und Juristenrecht S. 158; DeutschPriv. R. § 66. Genossenschattsrecht; Genossenschaftstheorie; DeutschPrivR. § 58fg.; JheringsJ. 35, 169; Wesen der menschlichen Verbände. 6 Wesen der menschl. Verb. 17. 7 DeutschPrivR. I S. 469, 471. * Vgl. unt. § 32. 6

§ 21. Begriff der Person.

373

Recht nicht so groß ist, als er im römischen Recht war: das Gesamthandsverhältnis ist ein Zwischengebilde, bei welchem eine Mehrheit von Personen Vermögenssubjekt ist; daraus ergibt sich eine unverkennbare Verwandtschaft zwischen diesen Vermögensmassen und dem Vermögen einer juristischen Person ; aber G i e r k e 9 gibt zu, daß beiderlei Gebilde trotz ihrer Ähnlichkeit im positiven Recht verschiedenartig ausgestaltet sind, und daß wir sie daher durch einen scharfen begrifflichen Einschnitt zu sondern haben 10 : bei der Gesamthand eine Mehrheit von in fester Beziehung zueinander stehenden Rechtssubjekten; bei der juristischen Person ein sich über die Mitglieder erhebendes, vom Gesetz als Einheit gedachtes Wesen. Im Ganzen betrachtet und von der in solchen Fragen immer schwierigen Formulierung abgesehen, scheint mir der Gegensatz der organischen Theorie zu der von ihr so heftig bekämpften Fiktionstheorie nicht unüberbrückbar zu sein. Denn die Angriffe gegen die Fiktionstheorie beziehen sich mehr auf den nicht ganz zutreffend gewählten Ausdruck Fiktion und den diesem Ausdruck anhaftenden Beigeschmack des Willkürlichen und Mechanischen, als gegen den Kern der Lehre; daß die juristischen Personen Rechtssubjekte sind, deren Existenz und Funktionen auf Rechtseinrichtungen beruhen, wird mit verschiedenen Worten und Bildern und mit verschiedener Betonung sei es der Einwirkung des Gesetzes sei es der zugrunde liegenden Lebensverhältnisse, von der älteren Doktrin wie von G i e r k e und seiner Schule gelehrt. WTenn aber G i e r k e 1 1 gelegentlich der Fiktionstheorie vorwirft, daß sie die juristische Person durch ein juristisches Kunststück zustande kommen lasse, so scheint mir darin eine für den Stand der etwas überhitzten Kontroverse charakteristische Übertreibung zu liegen: denn wenn G i e r k e gesagt hätte, was mit seinen eigenen Ausführungen übereinstimmt , daß nämlich die juristische Person und ihre in manchen Fällen bis aufs feinste ausgeklügelte Organisation nicht ein Kunststück, sondern ein Kunstwerk und zwar eine der höchsten Leistungen schöpferischer Rechtstätigkeit sei, so würde er damit zugleich die Ansicht der von ihm bekämpften Gegner ausgesprochen haben· Die in verschiedenen Variationen von der nüchternen Annahme 9 10 11

DeutschPrivB,. I S. 480. Vgl. ob. § 3 III. Wesen menschl. Verbände S. 7.

374

Erstes Buch. Die Personen.

einer Fiktion bis zur G i e r k e 1 sehen Verbandpersönlichkeit hervortretende Auffassung der juristischen Person als eines im Rechtsleben über den Individuen stehenden von der Rechtsordnung geschaffenen Wesens hat von Alters her in der Jurisprudenz geherrscht und ist meines Erachtens unentbehrlich zum Verständnis unseres positiven Rechts, das sich unter dem Einfluß dieser Ideen entwickelt hat. Aber das Problem der juristischen Person hat stets zu einer über den Rahmen der Rechtswissenschaft hinausgehenden, bisweilen das Gebiet der Mystik streifenden philosophischen Spekulation eingeladen. Auch hat es nicht an Versuchen gefehlt, die zu erklärenden Rechtsverhältnisse unter Beiseiteschiebung des im Gesetz rezipierten Begriffs der juristischen Person zu konstruieren. So hat B r i n ζ 1 2 an die Stelle der juristischen Person den ihr innewohnenden Zweck gesetzt; bei den Rechten, die zum Vermögen einer juristischen Person gehören, soll die Frage nicht, wie üblich, so gestellt werden: wem sie gehören? sondern: wofür sie gehören? es seien Rechte, die ohne ein Subjekt zu haben, einem bestimmten Zwecke dienen und von den mit der Durchführung dieses Zwecks betrauten Personen ausgeübt werden. Die energische Hervorhebung des Zweckmoments durch B r i n z hat erheblich zur Vertiefung des Problems beigetragen, ist aber meines Erachtens zur Erklärung des positiven Rechts der juristischen Personen nicht ausreichend; denn die Theorie von B r i n z beruht auf einer Spaltung der begrifflichen Einheit des subjektiven Rechts: das subjektive Recht wird von B r i n z , wenn es einem Einzelnen zusteht, als Willensmacht bezeichnet, soll aber als Bestandteil des Vermögens einer juristischen Person etwas wesentlich anderes sein, nämlich die Gebundenheit von Gütern für einen bestimmten Zweck. Unserem Gesetz liegt aber offensichtlich die Auffassung zu Grunde, daß Wesen und Beschaffenheit eines subjektiven Rechts sich nicht dadurch verändert, daß es einem Individuum oder einer juristischen Person zusteht. In radikaler Weiterführung der von Brinz begonnenen Gedankenreihe bezeichnet S c h w a r z 1 3 jedes Vermögen, auch das des einzelnen Menschen, als Zweckvermögen, insofern es einer Gruppe von Zwecken dient: beim Individualvermögen ist der Zweck die Existenz des Einzelnen und die Erreichung der von ihm frei ge12 13

Pand. 1. Aufl. S. 979fg.; 3. Aufl. I S. 224fg. ArchBürgR. 32, 17fg.; vgl. ob. § 19 Note 40.

§ 21. Begriff der Person.

375

wählten Ziele; während bei den juristischen Personen der Zweck durch den Gründungsakt festgelegt ist. Was man subjektives Recht nennt, ist nach dieser Lehre in beiden Fällen, bei natürlichen wie bei juristischen Personen, kein Machtbegriff, sondern ein Bestimmtsein von Gütern für gewisse Zwecke. Jedes Vermögen muß zur Erreichung der Zwecke, für welche es bestimmt ist, durch menschliche Tätigkeit verwaltet werden und daher einen Vertreter haben. Diese Funktionen versieht beim Individualvermögen der Mensch, dessen Bedürfnissen das Vermögen gewidmet ist, bei dem juristischer Personen die ihr gesetzten Organe. So erscheint das Individuum nicht als Subjekt seines Vermögens und der dazu gehörenden Rechte, sondern als Vertreter eines Vermögens, welches, ohne ihm im hergebrachten Sinn des Worts zu gehören, zur Befriedigung seiner Lebenszwecke bestimmt ist. Diese Lehre hat den unbestreitbaren Vorzug, einen vollständigen Parallelismus zwischen natürlichen und juristischen Personen herzustellen, entfernt sich aber zu weit von den Grundideen unseres Gesetzes, welches auf den Begriffen Rechtssubjekt und Vermögenssubjekt basiert ist, als daß sie zur Erklärung und Darstellung des geltenden Rechts verwendet werden könnte. Man darf nicht vergessen, daß es sich bei den obersten Abstraktionen der Jurisprudenz um Gedankengebilde handelt, die eine verschiedene Ausgestaltung zulassen; wenn aber in der Rechtslehre seit Jahrhunderten eine Auffassung zur Geltung gekommen ist, und eine tiefgehende Einwirkung auf die Gesetzgebung gehabt hat, so darf man meines Erachtens das alte Geleise, in der sich die dogmatische Entwicklung bewegt, nicht ohne zwingenden Grund verlassen. Auf anderem Wege hat J h e r i n g 1 4 versucht, den Begriff der juristischen Personen zu eliminieren: das diesen Personen zugeschriebene Vermögen soll den zum Genuß des Vermögens berufenen Einzelnen zustehen, den Mitgliedern des Vereins, den Destinataren der Stiftung. Aber diese Auffassung läßt sich nur wirtschaftlich, nicht rechtlich durchführen; denn die Zuständigkeit eines Rechts wird nach der bei uns herrschenden rechtlichen Anschauung, nicht durch den Genuß, sondern durch die Macht bestimmt, welche das Recht gewährt 16 ; wenn, um mit B e k k e r 1 6 zu sprechen, in u Geist des röm. R. I I I , 1 S. 216fg., 366 fg.; Zweck im Recht I 469. Ähnliche Anschauungen bei Meurer, die juristischen Personen nach deutschem Reichsrecht. 16 Vgl. ob. § 1 III. 16 JheringsJ. 12, 11; Pand. § 19 Beil. I.

Zweites Buch. Die Personen.

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einem Rechtsverhältnis „Verfüger tt und „Genießer" verschiedene Personen sind, so gilt der Verfüger, nicht der Genießer als das Subjekt des Rechts. Daher kann J h e r i n g , obgleich er die juristische Person nicht als Subjekt ihres Vermögens gelten lassen will, nicht umhin, sie als einen aus konstruktiven Gründen unentbehrlichen „mechanischen Rechtsträger" zu bezeichnen, womit er sich im Resultat dem althergebrachten Gedanken eines von der Rechtsordnung als Kern des Zweckvermögens geschaffenen Rechtssubjekts so ziemlich anschließt. Von einem der Jhering'schen Ansicht diametral entgegengesetzten Ausgangspunkt aus wollen neuerdings H o l d e r und im Anschluß an ihn B i n d e r den Begriff der juristischen Person beseitigen 17 . Das subjektive Recht ist für H o l d e r und B i n d e r wesentlich Willensmacht und kann daher einem willensunfähigen Subjekt nicht zustehen18. Da aber die Gebilde, welche nach herrschender Lehre die Rolle der juristischen Person spielen, eines wirklichen Willens ermangeln, so können sie auch nicht Subjekt der ihnen zugeschriebenen Rechte sein. Und doch müssen die dem Zweck der juristischen Person dienenden Rechte ein Subjekt haben. Aus diesem Dilemma finden H ö 1 d e r und B i η d e r für die Stiftung den Ausweg, daß sie (wie bei den Rechten willensunfähiger Menschen)19 als Rechtssubjekt die Person betrachten, welche man bisher als Vertreter der Stiftung (resp. des willensunfähigen Menschen) bezeichnete. Da bei der Stiftung der Vorstand die Person ist, deren Wille bei Ausübung der zur Stiftung gehörenden Rechte maßgebend ist, so sollen diese Rechte ihm zustehen, allerdings nicht zu beliebiger Verwendung, wie die Rechte, aus denen sein Individualvermögen besteht, sondern so, daß er verpflichtet ist, sie im Interesse des Stiftungszwecks auszuüben. Diese Rechte sollen ein vom Individualvermögen des Vorstands getrenntes „ Amtsvermögen0 bilden und, da sie öffentlichen Zwecken dienen, öffentlichrechtlichen Charakter haben; daher sind die der Stiftung zugeschriebenen Rechte nicht Eigentum, Forderung usw. im gewöhn17

Als französischer Vorgänger dieser Theorie wird von G i e r k e , DeutschPrivR. § 58 Note 29 angeführt: Serment, Associations et Corporations, 1877. 18 Binder S. 49fg. verlangt, daß man das Rechtssubjekt nicht als „Dingbegriff 1', sondern als „Relationsbegriff" auffasse. Gegen diese meines Erachtens das Verständnis nicht fördernde Neuerung H öl der, in JheringsJ. 53, 47. 19 Vgl. ob. § 1 II.

§ 21. Begriff der Person.

377

liehen Sinn des Wortes, sondern „Amtsrechte" des Vorstands 20, welche inhaltlich den Befugnissen des Privatrechts analog gestaltet sind. Bezüglich der Konstruktion der Vereine trennen sich die Wege von H o l d e r und B i n d e r : ersterer will die „altruistischen" Vereine wie die Stiftungen behandeln d. h. ihr Vermögen als „Amtsvermögen" des Vorstands auffassen, während er die „egoistischenα Vereine unter den Begriff der Gesellschaft subsumiert und daher die Mitglieder als Rechtssubjekte bezeichnet. Für B i n d e r sind bei allen Vereinen die Gesamtheit der Mitglieder das Rechtssubjekt. Diese Theorieen leiden an dem offensichtlichen Mangel, daß sie die im Gesetz als Spezies eines Genus behandelten Vereine und Stiftungen unter ganz verschiedene Gesichtspunkte stellen. Sodann ist das „Amtsrecht" des Stiftungsvorstands, wie des Vormunds, ein dem geltenden Recht völlig fremder Begriff, welcher ohne einen Vorzug vor der bisherigen Betrachtungsweise aufzuweisen, ähnliche dogmatische Schwierigkeiten bereitet, wie die Brinz'sche Lehre: die rechtliche Beherrschung einer Sache soll einen gänzlich verschiedenen Charakter tragen, je nachdem die Sache einem Individuum oder einem Stiftungsvermögen gehört: dort Eigentum, hier ein aus dem Gebiet des Privatrechts herausragendes Amtsrecht. Die Durchführung dieses Gedankens würde eine weitgehende Umdeutung zahlreicher Rechtssätze verlangen; denn unser Rechtssystem beruht zweifellos auf der Voraussetzung, daß Eigentum, Forderung und die sonstigen Rechte ohne Wesensveränderung bald einem Einzelnen bald einem Zweckvermögen angehören können. Dieser für die dogmatische Ordnung und Handhabung des Rechts unentbehrliche Dienst wird von der Personifikation oder, wenn man will, Fiktion geleistet, durch welche in Ermangelung eines Individuum ein anders geartetes Rechtssubjekt geschaffen wird. Diesen Vorteil kann die Doktrin nicht eher preisgeben, als bis eine neue Betrachtungsweise gefunden wird, welche die zu beurteilenden Rechts Vorgänge klarer und einfacher darstellt, als es mit Hilfe der Begriffe der juristischen Person und der Vertretung möglich ist. Eine diesen Anforderungen genügende neue Auffassung des Problems ist aber meines Erachtens bis jetzt nicht vorgebracht worden. I I . Die wesentliche rechtliche Eigenschaft der Person ist die Rechtsfähigkeit. Sie kommt nach unserem Recht prinzipiell jedem 20

Nat. und jurist. Person 186.

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Zweites Buch.

Die Personen.

Menschen z u 2 1 ; die Rechtsfähigkeit des Menschen, sagt BGB. § 1, beginnt mit der Vollendung der Geburt. Weitere Voraussetzungen hat das Gesetz für die Rechtsfähigkeit nicht aufgestellt. Das entspricht so sehr unseren Vorstellungen über die ethische Bedeutung des Menschen, daß ausländische Gesetze über Sklaverei oder bürgerlichen Tod nach Art. 30 von der Anwendung in Deutschland ausgeschlossen sind 2 2 . Die gemeinrechtlichen Vorschriften über die Rechtsunfähigkeit der Klostergeistlichen und den sogenannten bürgerlichen Tod 2 8 sind stillschweigend beseitigt 24 . Die Rechtsfähigkeit braucht aber nicht immer in vollem Maße vorzuliegen; sie kann in bezug auf das Haben oder den Erwerb einzelner Rechte fehlen. In diesem Sinn kann man von der allgemeinen Rechtsfähigkeit die besondere Rechtsfähigkeit in bezug auf bestimmte Arten von Rechten unterscheiden 25. So kann nach Art. 87 die Rechtsfähigkeit der Ordensangehörigen in bezug auf Schenkungen und Erwerb von Todeswegen, nach Art. 88 die Rechtsfähigkeit der Ausländer in bezug auf Liegenschaftserwerb durch Landesgesetz beschränkt werden 26 . Von der Rechtsfähigkeit hängt nach ZPO. § 50 die Parteifähigkeit ab 2 7 . I I I . Die wichtigste rechtliche Eigenschaft des Menschen ist die Handlungsfähigkeit 28 d. h. die Beschaffenheit des Willens, welche vom Gesetz für erforderlich erachtet wird, um aus den Handlungen eines Menschen Rechts Wirkungen hervorgehen zu lassen29. Handlungs21

Über die Rechtsfähigkeit juristischer Personen vgl. unt. § 32. Dagegen ist Sklaverei in den deutschen Schutzgebieten möglich; vgl. Enneccerus § 76 Note 4; K o h l e r , ZVerglR. Bd. 14 und 15. 23 W i n d s c h e i d § 55 Note 9. 24 Ausländische Rechtssätze dieser Art dürften meines Erachtens nach Art. 30 in Deutschland nicht zur Anwendung kommen; vgl. Oertmann, Vorb. l c vor § 1. 88 Vgl. über diese Unterscheidung im internat. Privatrecht Niemeyer, Intern. PrivR. 117; Niedner zu Art. 7 Bern. 1. 86 Es handelt sich hier nicht um Geschäftsfähigkeit, da die Beschräilkungen auch für solchen Erwerb gelten, der ohne Handlung des Erwerbenden oder durch einen Stellvertreter erfolgt; vgl. Z i tel mann, IntPrivR. I I 82; B i e r m a n n § 33 Note 5. 87 Vgl. H e l l w i g , ZivProz. § 23 I I I und § 43. 28 Rechte- und Geschäftsfähigkeit sind nicht subjektive Rechte, sondern rechtliche Zustände des Menschen, welche es ihm ermöglichen, subjektive Rechte zu haben resp. auf den Rechtszustand einzuwirken, vgl. ob. § 7 II. 29 Der Unterschied von Rechts- und Handlungsfähigkeit ist unbestritten gewesen bis auf H o l d e r , Natürl. ujid jur. Personen 117, und Binder, Problem 28

§ 22. Beginn und Ende der Rechtsfähigkeit.

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unfähig sind Kinder und Geisteskranke; die zur Ausübung ihrer Rechte und Wahrnehmung ihrer Interessen nötigen Handlungen werden von ihren gesetzlichen Vertretern vorgenommen. Ebenso wird bei den juristischen Personen der Mangel eines eigenen Willens durch die Organe ersetzt, deren Willensäußerungen unter gewissen Voraussetzungen als Handlungen der juristischen Person gelten 80 . Das BGB. hat Wort und Begriff der Handlungsfähigkeit nicht aufgenommen und begnügt sich damit, die Fähigkeit zur Vornahme der wichtigsten Arten menschlicher Handlungen zu regeln: die Fähigkeit zur Abgabe wirksamer Willenserklärungen, Geschäftsfähigkeit, § 104 fg., und die Voraussetzungen der Verantwortlichkeit für unerlaubte Handlungen und Vertragsverletzungen, §§ 827, 828, 276: Deliktsfähigkeit, oder da es sich nicht bloß um Delikte handelt, Zurechnungsfähigkeit. Keine Entscheidung findet sich im Gesetz darüber, welcher Grad von Handlungsfähigkeit zur Wirksamkeit solcher erlaubter Handlungen nötig ist, die nicht zu den Rechtsgeschäften gehören. Die Geschäftsfähigkeit kommt in verschiedenen Abstufungen vor: sie kann unbeschränkt, oder durch die Zustimmung anderer Menschen beschränkt sein; sie kann für gewisse Rechtsgeschäfte besondere Voraussetzungen haben ; in diesem Sinn gibt es neben der allgemeinen Geschäftsfähigkeit eine besondere Ehefähigkeit und Testierfähigkeit 31 . der jur. Persönlichkeit 62, welche den handlungsunfähigen Personen auch die Rechtsfähigkeit absprechen und deren gesetzliche Vertreter als die Subjekte der Rechte betrachten, welche von der herrschenden Meinung den willensunfähigen Personen zugeschrieben werden; vgl. ob. Note 18. 80 Umgekehrt gab es bei den Römern Menschen, die handlungsfähig waren, ohne rechtsfähig zu sein: Hauskinder und Sklaven. 81 Auch die Zurechnungsfähigkeit kann infolge der konkreten Beurteilung nach § 828 I I für gewisse Delikte vorliegen, für andere fehlen.

Erstes Kapitel.

Die natürlichen Personen. § 22. Beginn und Ende der Rechtsfähigkeit*. I. „Die Rechtsfähigkeit des Menschen beginnt mit der Vollendung der Geburt", § 1. Unter Vollendung der Geburt ist die vollständige Ausscheidung eines lebenden Kindes aus dem Mutterleibe zu verstehen x. Ein Kind, das nicht lebend zur Welt kommt, hat für das Zivilrecht nicht existiert 2 . Aus § 1 des Gesetzes ergibt sich, daß das Kind im Mutterleibe, der nasciturus keine Rechte haben kann. Aber es können für einen nasciturus, ja sogar für einen noch nicht erzeugten Menschen8, Anwartschaften begründet sein 4 d. h. es können Tatsachen, die vor der Geburt des Menschen eingetreten sind, eine Rechtslage herbeigeführt haben, aus welcher durch Hinzutreten des noch fehlenden Subjekts ipso iure ein Recht für dasselbe entsteht. Aus diesen Anwartschaften erwachsen erst mit der Geburt des Menschen Rechte. Nur für den erbrechtlichen Erwerb soll nach § 1923 I I der nasciturus, wenn er zur Zeit des Erbfalls bereits erzeugt w a r 4 a , als vor dem Erbfall geboren gelten. Durch diese Fiktion 6 wird bewirkt, daß, wenn der nasciturus der • W i n d s c h e i d §§ 52, 93; Regelsberger §§ 58—60; Β e k k e r § 45, 46; Gierke §§ 41, 42; Dernburg § 49; Endemann § 26; Cosack § 17; Crome §§ 89, 40; Enneccerus § 77; K o h l e r § 111; Z i t e l m a n n S. 43. 1 Nicht erforderlich ist nach herrschender Meinung Trennung der Nabelschnur, Lebensfähigkeit (welche vom Code C. art. 725 verlangt wird), Mot. I S. 28, sowie normale menschliche Gestalt. 2 Anders das Strafrecht: Tötung eines Kindes während der Geburt wird als Kindsmord, nicht als Abtreibung der Leibesfrucht bestraft; StrGB. § 217. 3 BGB. § 1912 spricht von „künftigen Rechten". 4 Vgl. ob. § 9 IV. 4a Über die Berechnung der Empfängniszeit vgl. Planck § 1923, 3. 5 Nach H e l l w i g , Anspruch § 6 Note 1 und ZivProz. § 43 Note 9, soll trotz der gesetzlichen Fiktion der Nachlaß in dem Zeitraum vor Geburt des erwarteten Erben eine selbständige Vermögensmasse ohne Rechtssubjekt sein. Diese Auffassung scheint mir dem Gedanken des Gesetzes nicht zu ent-

§ 22.

Beginn und Ende der Rechtsfähigkeit.

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nächstberufene zu einer Erbschaft ist, der Nachlaß nicht zuerst auf den Zweitberufenen tibergeht und sodann bei Geburt des Kindes diesem, als Nacherben, zufällt, sondern daß der nasciturus, wenn er lebend zur Welt kommt, vom Moment des Erbfalls an der Erbe gewesen ist 6 ; wird aber der nasciturus nicht lebend geboren, so ist der Zweitberufene von Anfang an der Erbe gewesen. Somit besteht bis zur Geburt für den Nachlaß Unbestimmtheit des Subjekts7. Abgesehen von der Fiktion des § 1923 I I bleibt es bei der Regel, daß die Existenz des Menschen in rechtlicher Beziehung nicht von der Erzeugung, sondern von der Geburt datiert. So ist ζ. B. die Existenz eines naciturus kein Hindernis der Adoption 8 ; ebenso ist im Sinn des § 1762 nur das geborene Kind, nicht der nasciturus „ein schon vorhandener Abkömmling 9 ". Die Tatsache der Geburt muß wie jede andere Tatsache von dem bewiesen werden, der aus dieser Tatsache Rechtswirkungen für sich ableitet ; ebenso der Zeitpunkt der Geburt, insbesondere daß eine Person vor oder nach einer anderen zur Welt gekommen i s t 9 a . I I . Mit dem Tode endet wie die physische so auch die rechtliche Existenz des Menschen. Von seinen Rechtsverhältnissen (Rechten und Pflichten) gehen einige unter, die meisten gehen auf eine andere Person, den Erben, über. Da die Rechtsfähigkeit mit dem Tode erlischt, kann ein Verstorbener keine Rechte erwerben; wenn ein Mensch, dem ein Recht sprechen : der Nachlaß hat während des kritischen Zeitraumes ein alternatives Subjekt, A oder B; der Schwebezustand kann sich nur zugunsten der einen von diesen beiden Personen entscheiden. Das ist meines Erachtens etwas anderes als eine Situation, in welcher ein Vermögen keinen Herrn hat und erst durch ein späteres Ereignis einen Herrn findet. 6 K ö h l e r § 151 bezeichnet den nasciturus, weil er vermöge der Fiktion des § 1923 Rechtssubjekt ist, ohne ein Mensch zu sein, als stillschweigende oder konstruktive juristische Person. Damit wird der Begriff der juristischen Person ohne ersichtlichen Nutzen für die Jurisprudenz auf Erscheinungen ausgedehnt, welche mit den anerkannten Fällen der juristischen Person wenig gemeinsames haben. T Daher wird die Auseinandersetzung aufgeschoben, § 2043. 8 Planck § 1741, 1. 9 Dagegen genügt nach § 2162 zur Wirksamkeit des Vermächtnisses an künftige Personen, daß der Bedachte vor Ablauf von 30 Jahren nach dem Erbfall erzeugt wird. Dasselbe ist für die Nacherbschaft, § 2109 anzunehmen ; Planck § 2108. 4b(3. Der Moment der außerehelichen Erzeugung kommt in Betracht nach Art. 208 II. 9 » Über die Beweisschwierigkeiten, die sich bei Zwillingsgeburten ergeben können, vgl. Planck § 1, 5; Enneccerus § 78 I I ; Oertmann § 1, 4.

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Zweites Buch.

Die Personen.

zufallen soll, den Moment des Anfalls nicht erlebt, so kann das Recht nicht ihm zufallen, sondern nur, wenn die Anwartschaft auf das Recht vererblich war, seinem Nachlaß d. h. seinem Erben. Aber da der Moment des Todes zugleich der letzte Moment des Lebens ist, so kann ein Recht, welches im Moment des Todes einer Person entsteht, insbesondere ein Recht, welches durch den Tod bedingt ist, noch vom Sterbenden erworben werden, so daß es für ihn, und nicht gleich für seinen Nachlaß entsteht. So gehört bei der Lebensversicherung (die nicht zu Gunsten eines Dritten eingegangen ist) die mit dem Tod des Versicherten entstehende Forderung in diesem entscheidenden Momente zu seinem Vermögen; sie fällt daher, wenn der Versicherte in allgemeiner Gütergemeinschaft lebte, in das Gesamtgut, nicht in den Nachlaß des Versicherten 1 0 . Nur beim Erwerb von Todeswegen, durch Erbrecht oder Vermächtnis, muß der Erwerber (Erbe, Vermächtnisnehmer) den Moment des Erwerbes (des Todes des Erblassers) nicht nur erleben, sondern überleben. Dies Erfordernis war im I. Entwurf 1 1 im Anschluß an das Gemeine Recht 12 deutlich ausgesprochen, während das BGB. §§ 1023, 2160, nur Leben zur Zeit des Erbfalles verlangt. Aber dieser irreführende Wortlaut ist durch ungeschickte redaktionelle Änderung entstanden13. Es steht fest, daß bei gleichzeitigem Versterben des Erwerbers und des Erblassers ein Erwerb von Todeswegen nicht stattfindet 14 . Über den Wortlaut des Gesetzes pflegen sich die Ausleger tacito consensu hinwegzusetzen16. Mit dem Tode erlischt der Wille des Menschen. Bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen ist nach § 130 I I der entscheidende Moment die Abgabe der Erklärung: die Erklärung ist wirksam, auch wenn sie erst nach dem Tode des Erklärenden dem Erklärungsgegner zugeht 16 . Die Rechtswirkungen, welche der Mensch bei 10 Vgl. Staudinger § 1439, 2b; Endemann I I § 188 Note 4. Anders bei der Errungenschaftsgemeinschaft, § 1522. 11 1752, 1868. 12 Vgl. Motive und W i n d s c h e i d § 676 Note 19. 18 Prot. V S. 4. 14 Auf dieser Voraussetzung beruht § 20. 18 So sagt z. B. Strohal, Erbrecht §3 IV 1: „es kann nicht erben, wer zur Zeit des Erbfalls nicht mehr am Leben ist. Das trifft auch für denjenigen zu, welcher mit dem Erblasser gleichzeitig verstorben ist." Mit gleichem Recht könnte man meines Erachtens auch sagen, daß ein mit dem Erblasser gleichzeitig versterbender Mensch zur Zeit des Erbfalls am Leben gewesen ist. 16 Erklärungen an einen Menschen sind wirkungslos, wenn sie ihm nicht

§ 22. Beginn und Ende der Rechtsfähigkeit.

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Lebzeiten durch seinen Willen hergestellt hat, überdauern ihn, insoweit seine Rechtsverhältnisse, so wie er sie gestaltet hat, auf seinen Erben übergehen. Außerdem kann der Mensch durch letztwillige Verfügungen den nach seinem Tode eintretenden Rechtszustand regeln, insbesondere die Person des Erben beliebig bestimmen, Nacherben einsetzen, Vermächtnisse und Auflagen anordnen, Vorschriften über die Auseinandersetzung aufstellen und einen Testamentsvollstrecker ernennen, der in einer vom Erblasser bestimmten Weise über den Nachlaß zu verfügen hat. Durch diese Mittel kann der Erblasser sein Interesse an der nach seinem Tode eintretenden Gestaltung der Dinge betätigen 17 ; als Schranke für diese Einwirkung auf die Zukunft ist eine Frist von in der Regel 30 Jahren seit dem Tode gesetzt 18 . Daß und wann ein Mensch verstorben ist, hat der zu beweisen, der sich auf diese Tatsache beruft. Besonders wichtig kann es werden, die Reihenfolge des Versterbens solcher Personen zu konstatieren, zwischen denen durch Gesetz oder letzten Willen eine Berufung zur Erbfolge besteht: denn wer behauptet, daß A den Β beerbt hat oder umgekehrt, muß das Überleben des Erben beweisen. Sind aber A und Β verstorben, ohne daß sich feststellen läßt, wer zuerst gestorben ist 1 9 so kann weder behauptet werden, daß A den Β noch daß B, den A beerbt hat; die Erbfolge muß dann für einen jeden so geregelt werden, als ob der andere nicht in Betracht käme. Das römische Recht hatte bei Versterben von Aszendenten und Deszendenten in gemeinsamer Gefahr eine wenig hei Lebzeiten zugehen. Es ist Auslegungsfrage, ob eine an X gerichtete Erklärung als eventuell an seine Erben gerichtet aufzufassen ist; Planck § 158, 2; vgl. RG. 58, 48: Wechselprotest gegenüber dem verstorbenen Akzeptanten. 17 Schwarz, ArchBürgR. 32, 42fg. behauptet, man könne ein den Tod überdauerndes Interesse des Verstorbenen an gewissen Vorgängen nach seinem Tode annehmen, zu dessen Schutz lebende Personen (Erbe, Testamentsvollstrecker) berufen seien. Vgl. auch Endemann I § 38 Note 2. Meines Erachtens ist Interesse im gebräuchlichen Sinne des Wortes ohne interessiertes Subjekt nicht möglich. Wenn das Gesetz die Möglichkeit bietet, den Willen eines Verstorbenen durchzusetzen, sein Gedächtnis gegen Vérunglimpfungen zu schützen, Leichnam und Beerdigungsstätte vor Störungen zu bewahren, so beruhen diese Einrichtungen zum Teil auf dem Interesse, welches der Mensch bei Lebzeiten an diesen Dingen hatte, zum Teil auf dem Interesse der Überlebenden an der Person des Verstorbenen. 19 §§ 2109, 2162, 2210. 19 Man spricht in diesen Fällen von Kommorienz.

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Zweites Buch.

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begründete Präsumption des Vorversterbens 20. Im Gegensatz dazu bestimmt BGB. § 20, daß wenn mehrere Personen in gemeinsamer Gefahr umkommen 21 , vermutet werden soll, daß sie gleichzeitig gestorben seien. Diese Regel hat nur geringe praktische Bedeutung : denn sie bestimmt nichts anderes, als was man auch ohne Vorschrift des Gesetzes annehmen müßte : denn auch bei mehreren Personen, die in verschiedenen Gefahren so umkommen, daß die Reihenfolge der Todesfälle unbeweisbar ist, kann nicht anders entschieden werden, weil es willkürlich wäre, von einer dieser Personen anzunehmen, daß sie die andere überlebt habe 22 . I I I . Geburt und Tod 2 8 werden nach dem Personenstandgesetz vom 2. 6. 187 5 2 4 in das vom Standesbeamten geführte Register eingetragen 25 , auf Grund von Anzeigen, zu deren Erstattung gewisse Personen innerhalb bestimmter Fristen verpflichtet sind 26 . Die Standesregister sowie die Auszüge aus denselben beweisen die Tatsachen, zu deren Beurkundung die Register bestimmt und welche in denselben eingetragen sind, bis der Nachweis der Fälschung, der unrichtigen Eintragung oder der Unrichtigkeit der Anzeigen und Feststellungen, auf Grund deren die Eintragung stattgefunden hat, erbracht ist 2 7 . Ist das Register unregelmäßig geführt, so entscheidet das richterliche Ermessen über die Beweiskraft der Ein20

W i n d s c h e i d § 53 Note 5. Vgl. darüber Oertmann § 20, 2. — Einen Anwendungsfall des § 20 findet Enneccerus 3. Aufl. § 78 Note 4 in § 2354 Nr. 3; zur Erlangung eines Erbscheins muß der Antragsteller nachweisen, daß er durch näherstehende Personen von der Erbfolge nicht ausgeschlossen werde, daß also eine näherstehende Person den Erblasser nicht überlebt habe. Dieser Nachweis sei nach § 20 erbracht, wenn eine solche Person in gemeinsamer Gefahr mit dem Erblasser umgekommen sei. Aber auch hier muß man meines Erachtens fragen, ob denn ein Erbschein nicht erteilt werden soll, wenn feststeht, daß der nähere Verwandte zwar nicht in gemeinsamer Gefahr, aber unter solchen Umständen umgekommen ist, daß die Reihenfolge des Versterbens nicht ermittelt werden kann. Über die Anwendung des § 20 bei Todeserklärung vgl. unt. § 391. 23 sowie die wichtigsten Vorgänge des Familienrechts: Eheschließung, Scheidung, Nichtigkeitserklärung der Ehe, Aufhebung und Wiederherstellung der ehelichen Gemeinschaft, Legitimation, Annahme an Kindesstatt. 24 Abgeändert durch Art. 46 EG. und § 186 GFG. 25 Die Beurkundung des Personenstandes von Reichsangehörigen im Auslande ist geregelt durch Gesetz vom 4. Mai 1870, abgeändert durch Art. 40 EG. 26 PersStG. §§ 18, 57. 27 PersStG. § 15. Das Gesetz hat hier nicht eine Vermutung, sondern eine Beweisregel aufgestellt; vgl. Endemann I § 26 Note 10; Hedemann, Vermutung, 252 Note 2. 21

§ 23. Verschollenheit und Todeserklärung.

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tragungen. In Ermangelung von Eintragungen in das Register kann der Beweis von Geburt und Tod in anderer Weise erbracht werden. IV. In gewissen Fällen kommt es darauf an, festzustellen, wie lange ein Mensch wahrscheinlich noch leben wird 2 8 , oder wie lange er wahrscheinlich noch gelebt hätte, wenn er nicht das Opfer eines Ereignisses geworden wäre 29 . Für solche mutmaßliche Berechnungen stellt unser Gesetz keine Regel auf; der Richter ist auf die durch die Erfahrung gegebene Wahrscheinlichkeit (statistische Tabellen) angewiesen80. § 23. Verschollenheit und Todeserklärung*. I. Der Begriff der Verschollenheit wird vom Gesetz nicht definiert. Als verschollen gilt nach allgemeinem Sprachgebrauch ein Mensch, über den keine Nachrichten vorliegen und zwar unter solchen Umständen, daß das Eintreffen von Nachrichten hätte erwartet werden können, so daß aus dem Fehlen von Nachrichten Zweifel am Leben des Verschollenen entstehen. Die Verschollenheit beginnt nicht mit dem Eingehen der letzten Nachrichten, sondern erst dann, wenn weitere Nachrichten, auf welche man bei normalen Verhältnissen rechnen konnte, ausgeblieben sind; daher läßt sich ein bestimmter Zeitpunkt für den Beginn der Verschollenheit nicht angeben Meist ist der Verschollene abwesend d. h. nicht an seinem Wohnsitz resp. Aufenthaltsort befindlich ; aber es kann vorkommen, daß Jemand in Verschollenheit gerät, ohne daß festgestellt wird, daß er sich von seinem Aufenthaltsort entfernt hat 2 . Die Verschollenheit hat rechtliche Wirkungen : ein im Grundbuch eingetragener Eigentümer, der in Verschollenheit geraten ist, 28 Anmeldung einer Leihrente im Konkurs des Schuldners; Jäger, KO. § 69 Anm. 2. 89 Geldrente, zu berechnen nach der mutmaßlichen Lebensdauer des Getöteten, § '844; HaftpflG. § 3. 80 Endemann § 26 Noten 28, 29. * W i n d s c h e i d § 53; Regelsberger § 61; Bekker § 47; Gierke § 42; Dernburg § 51; Endemann § 38; Cosack § 18; Crome § 40; Enneccerus §§ 79-81; Kohler § 114fg.; Biermann § 119; Z i t e l mann S. 44. 1 So Oertmann § 13 2d, während Planck § 13, 2 die Verschollenheit mit dem Ausbleiben von Nachrichten beginnen, H eil mann, KritVSchr. 40, 179 sie eist dann eintreten läßt, wenn die Voraussetzungen der Todeserklärung vorliegen. 2 OertmaDn § 13, 2a. Das kann insbesondere bei der Unfallverschollenheit vorkommen, z. B. bei Erdbeben oder Theaterbrand. Handbuch X . 1. I :

v o n T u h r 1.

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kann nach § 927 durch Aufgebotsverfahren ausgeschlossen werden. Bei Verschollenheit liegen meistens die Voraussetzungen vor, unter denen nach § 1911 ein Abwesenheitspfleger ernannt werden kann. Die durch Verschollenheit herbeigeführte Schwierigkeit, den Tod des Verschollenen zu beweisen, wird dadurch behoben, daß das Gesetz die Möglichkeit bietet, den Verschollenen bei Vorliegen gewisser Voraussetzungen für tot zu erklären 8 . I I . Voraussetzung der Todeserklärung ist, daß während einer bestimmten Zeit keine Nachricht über das Leben des Verschollenen eingegangen ist. In § 14 wird für den gewöhnlichen Fall der Verschollenheit die Frist auf 10 Jahre festgesetzt; kürzere Fristen statuiert das Gesetz in §§ 15, 17 für den Fall, daß der Verschollene sich zuletzt in außergewöhnlich gefährlicher Lage befunden hat (qualifizierte Verschollenheit). 1. Bei Todeserklärung wegen gewöhnlicher Verschollenheit, § 14, darf „seit 10 Jahren keine Nachricht über das Leben des Verschollenen eingegangen sein". Die Wortfassung ist ungenau; gemeint ist, daß keine Nachricht darüber vorliegt, daß der Verschollene in den letzten 10 Jahren noch gelebt hat; entscheidend ist nicht der Moment des Zugehens der Nachricht, sondern der Zeitpunkt, auf den sich der Inhalt der Nachricht bezieht4. Die Frist ist länger, wenn es sich um eine jugendliche Person handelt : die Todeserklärung darf nicht vor dem Schlüsse des Jahres erfolgen, in welchem der Verschollene das 31. Lebensjahr vollendet haben würde: ein im Jahre 1900 geborener Mensch kann nicht vor 1932 für tot erklärt werden, selbst wenn seit seiner Geburt keine Nachrichten über sein Leben eingegangen wären 5. Die Frist, die seit den letzten Nachrichten abgelaufen sein muß, ist nur fünfjährig, wenn der Verschollene das 70. Lebensjahr vollendet haben würde. Beide Fristen des § 14, die fünf- und die zehnjährige, werden vom Schluß des letzten Jahres gerechnet, in welchem der Verschollene den vorhandenen Nachrichten zufolge noch gelebt hat. 8

Ist ein Mensch seit so langer Zeit verschollen, daß sein Fortleben in Anbetracht des Alters, das er erreicht haben müßte, als unmöglich zu betrachten ist, so bedarf es zur Annahme seines Todes keiner Todeserklärung; Oertmann, § 13, lc. 4 P l a n c k § 14, 1; Oertmann § 14, 2aß. 8 Der Grund dieser Sondervorschrift dürfte nicht in der Annahme einer größeren Widerstandsfähigkeit jugendlicher Personen, sondern darin zu suchen sein, daß von jugendlichen Personen weniger Nachrichten zu erwarten sind als von Erwachsenen.

§ 23. Verschollenheit und Todeserklärung.

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2. Eine dreijährige Frist statuiert § 15 für den qualifizierten Fall der Kriegsverschollenheit. Ein Angehöriger einer (nicht notwendig der deutschen) bewaffneten Macht, einschließlich die in Abs. I I genannten Personen, welche sich in einem Amts- oder Dienstverhältnis oder zum Zwecke freiwilliger Hilfeleistung bei der bewaffneten Macht befinden, kann für tot erklärt werden, wenn er im Kriege vermißt wurde und seitdem verschollen war und seit dem Friedensschluß drei Jahre verstrichen sind. Hat ein Friedensschluß nicht stattgefunden, so beginnt die Frist mit dem Schlüsse des Jahres, in welchem der Krieg beendet worden ist. Der Begriff des Krieges ist hier nicht auf die völkerrechtlich als Krieg anerkannten Fälle zu beschränken, sondern wegen Gleichheit der ratio soweit auszudehnen, daß alle kriegsmäßig geführten militärischen Unternehmungen, wie ζ. B. die Bekämpfung der Boxerunruhen in China, des Hereroaufstands oder Bürgerkriege wie der amerikanische Sezessionskrieg mit umfaßt werden 6. 3. Ein weiterer qualifizierter Fall ist die Todeserklärung wegen Seeverschollenheit, § 17. Ein Jahr genügt, wenn sich Jemand bei einer Seefahrt auf einem während der Fahrt untergegangenen Fahrzeug befunden hat, und seitdem verschollen ist. Als Seefahrt ist jede Fahrt auf offenem Meere zu verstehen einschließlich die d^azu erforderliche Zugangs- und Durchfahrt durch Flußmündungen, Kanäle usw. 7 , nicht aber eine Fahrt, die sich bestimmungsgemäß auf Binnengewässer beschränkt. Das Fahrzeug muß untergegangen sein. Da aber der Nachweis des Untergangs nicht immer erbracht werden kann, sind in § 16 I I ergänzende \7ermutungen für den Untergang des Fahrzeugs aufgestellt: wenn das Fahrzeug am Ort der Bestimmung nicht eintrifft oder in Ermangelung eines festen Reiseziels nicht zurückkehrt, so wird je nach dem Meere, durch welches die Fahrt gehen sollte 8 , nach 1, 2 oder 3 Jahren der Untergang des Fahrzeuges vermutet 84 . Sind seit dßm Antritt der Reise Nachrichten über das Schiff eingegangen, so werden diese Fristen so berechnet, wie wenn das Schiff von dem Ort, an welchem es sich nach den letzten Nachrichten befunden hat, die Fahrt angetreten hätte; wenn ζ. B. ein von China nach Stettin zurückkehrendes 6

Oertmann § 15, ld. Oertmann § 16, 2a. * Oertmaou § 16, 2a gegen Mot. S. 40 und Planck § 16, 3. 8 a Die Vermutungsfristen bei der Seeversicherung, HGB. § 862 sind erheblich kürzer. 7

25*

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Schiff zuletzt in der Ostsee gesehen wurde, so gilt für die Vermutung des Untergangs die einjährige Frist. 4. Eine auf zutreffenden praktischen Erwägungen beruhende Neuerung des BGB. ist die im § 17 geregelte Unfallverschollenheit. Voraussetzung ist eine nicht unter § 15, 16 (Krieg oder Untergang eines Fahrzeugs) fallende Lebensgefahr ζ. B. Erdbeben, Theaterbrand, gefährliche Bergbesteigung oder Expedition. Wer in solche Lebensgefahr geraten und seitdem verschollen ist, kann für tot erklärt werden, wenn seit dem Ereignis, durch welches die Lebensgefahr entstanden ist, drei Jahre verstrichen sind. Wenn das lebengefährdende Ereignis sich auf längere Zeit erstreckt ζ. B. mehrtägiges Erdbeben oder Expedition in gefährliche Gegenden, so kommt meines Erachtens für den Beginn der dreijährigen Frist das Ende des gefährlichen Zeitraums in Betracht, also ζ. B. der letzte Tag des Erdbebens, an welchem sich Menschen in den Häusern befanden und verschüttet werden konnten, oder die Rückkehr der Expedition in ungefährliche Gegenden, Ist das Ende nicht zu konstatieren ζ. B. bei einer Ballonfahrt oder Expedition, über deren Schicksal nichts bekannt ist, so muß als Anfang der Frist der Zeitpunkt dienen, in welchem das Unternehmen bei günstigem Ausgang beendet gewesen wäre 9 . In den drei qualifizierten Fällen § 15—17 beginnt die Frist nicht, wie in § 14, mit dem Ende des Jahres, sondern mit einem innerhalb des Jahres gelegenen Tag. I I I . Die Todeserklärung erfolgt auf Grund eines Aufgebotsverfahrens, welches durch ZPO. § 949 fg., insbesondere §§ 960 976 geregelt i s t 9 a . 1. Das Verfahren wird eröffnet auf Antrag des gesetzlichen Vertreters des Verscholleneh 10 oder einès Interessenten ζ. B. des Ehegatten, eines Erben, Vermächtnisnehmers, Nacherben usw.; ZPO. § 962 n . 9

Vgl. über die verschiedenen Ansichten betreffs den Anfang der Frist Oertmann § 17, 3; Enneccerus § 79 I,2c. 9 a Dies Verfahren wird von W a c h , Handbuch S. 59, 60 zur freiwilligen Gerichtsbarkeit, von H e l l w i g , ZivProz. § 9 I 10, zur streitigen Gerichtsbarkeit gerechnet. 10 Der gesetzliche Vertreter bedarf der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts. Als gesetzlicher Vertreter kann nach herrschender Meinung auch der Abwesenheitspfleger den Antrag stellen; D e r n b u r g § 53 Note 5. 11 Ferner der Inhaber einer auf den Tod dee Verschollenen gestellten Versicherungspolice. Gläubiger und Schuldner des Verschollenen haben, wenn

§ 23. Verschollenheit und Todeserklärung.

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2. Der Antragssteiler muß die für die Todeserklärung erforderlichen Tatsachen behaupten und glaubhaft machen. ZPO. § 964 12 . Da die im BGB. genannten Fristen für die Todeserklärung, nicht für den Beginn des Aufgebotsverfahrens vorgeschrieben sind, so ist meines Erachtens ein vor Ablauf dieser Fristen gestellter Antrag nicht abzuweisen, sondern das Verfahren so einzurichten, daß die Entscheidung erst nach Ablauf der Frist erfolgt 18 . 3. Das Aufgebot enthält die Aufforderung an den Verschollenen sich innerhalb einer, in der Regel sechsmonatlichen Frist zu melden, widrigenfalls die Todeserklärung erfolgen werde, sowie die Aufforderung an Alle, welche Auskunft über Leben und Tod des Verschollenen zu geben vermögen, dem Gericht Anzeige zu machen, ZPO. § 964. Das Aufgebot ist an der Gerichtstafel anzuheften und, außer in den Fällen §§ 15 17 sowie wenn seit der Geburt 100 Jahre verstrichen sind, in öffentlichen Blättern zu publizieren, ZPO. § 966. 5. Das Gericht hat von Amtswegen die zweckdienlich erscheinenden Ermittelungen vorzunehmen, ZPO. § 968, ζ. B. durch Anfragen bei der Polizei, bei Konsulaten usw. 6. Meldet sich der Verschollene während der Aufgebotsfrist, so ist das Verfahren in der Regel erledigt. Bestreitet aber der Antragsteller, daß die Person, die sich gemeldet hat, mit dem Verschollenen identisch ist. so wird das Verfahren nach ZPO. § 969 ausgesetzt; über die Identität kann zwischen dem, der sich gemeldet hat, und dem Antragsteller ein Feststellungsprozeß geführt werden u . 7. Wenn das Gericht die Voraussetzungen der Todeserklärung für erwiesen erachtet, und die Aufgebotsfrist abgelaufen ist, wird das Urteil gefällt, in welchem die Todeserklärung ausgesprochen und ein Zeitpunkt des Todes festgestellt wird, ZPO. § 970 1δ . 8. Das Urteil kann durch Klage angefochten werden ; aus formellen Gründen, ZPO. § 957, aber auch wegen materieller Unrichtigdie Forderung nicht vom Leben des Verschollenen abhängt, kein Interesse an der Todeserklärung, da sie die Leistung vom Abwesenheitspfleger verlangen resp. an ihn entrichten können; D e r n b u r g a. a. 0. Note 6. 12 Event, durch Versicherung1 an Eidesstatt; ZPO. § 294. 13 H o l d e r § 14, l a und Oertmann § 14, 5 verlangen, daß der Antragsteller den Ablauf der Frist behaupte; Staudinger § 14, 13, daß er ihn glaubhaft mache. 14 Gaupp-Stein zu ZPO. § 969. 16 Die Kosten der Todeserklärung fallen dem Nachlaß zur Last; ZPO. §§ 969, 971.

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keit, wenn die Todeserklärung zu Unrecht erfolgt oder der Zeitpunkt des Todes unrichtig festgestellt ist, ZPO. § 973. Anfechtungsberechtigt ist jeder Interessent, ZPO. 974. Die Anfechtungsklage muß, wenn sie auf materielle Unrichtigkeit der Todeserklärung basiert ist, innerhalb eines Monats seit Erlaß der Todeserklärung erhoben werden, ZPO. § 976. Die Todeserklärung ist ein konstitutives Urteil in dem Sinn, daß durch das Urteil ein Rechtszustand (eine Vermutung) entsteht, der vorher nicht bestand 16 : der Verschollene gilt nunmehr als in einem bestimmten Moment verstorben; und zwar gilt diese Vermutung für und wider Alle, nicht bloß für und wider einen Antragsteller. Dieselbe Wirkung hat nach ZPO. § 976 I I I das Urteil, welches auf Grund einer Anfechtungsklage die Todeserklärung aufhebt oder abändert 17 . I V. Als Zeitpunkt des Todes gilt nicht der Moment, in welchem die Todeserklärung ergeht, sondern ein in der Todeserklärung festzustellender früherer Zeitpunkt, § 18 I 1 8 . Als solcher kommt nach § 18 I I zunächst der Moment in Betracht, welchen die Ermittelungen ergeben haben, sei es daß ein Tag als bestimmter 19 oder als wahrscheinlicher 20 Todestag konstatiert worden ist. Ist über den Todestag des Verschollenen nichts ermittelt worden, so bestimmt das Gesetz, welcher Moment als Zeitpunkt des Todes angenommen werden soll, und zwar ist dies: 1β

H e l l w i g , ZivProz. § 9 II, 10; K i s c h , Urteilslehre 67. Mot. I S. 51; H e l l w i g , Anspruch § 59 Note 77; Gaupp-Stein zu § 970. 18 Die Todeserklärung wirkt ex tunc, nicht ex nunc, oder wie man früher zu sagen pflegte, deklarativ, nicht konstitutiv. Dieser Sprachgebrauch ist zu vermeiden; denn die Todeserklärung ist konstitutiv in dem jetzt gebräuchlichen Sinne des Ausdrucks, indem sie eine mit dem wirklichen Zustande nur zufällig zusammentreffende Vermutung erzeugt und damit die Rechtslage ändert; vgl. ob. Note 16. 19 D e r n b u r g § 53 Note 10 hält eine Todeserklärung für unzulässig, wenn derTodestag des Verschollenen festgestellt ist. Dagegen die herrschende Meinung, vgl. Oertmann § 18, 4 und Enneccerus § 80 Note 2, mit guten Gründen; denn die Ermittelungen, welche die Überzeugung des Aufgebotsrichters begründet haben, sind nicht immer ausreichend, um andere Personen oder Behörden, 2. B. den Standesbeamten, zu überzeugen. 20 Es kann innerhalb einer dauernden Gefahr ein Moment als der gefährlichste konstatiert werden, so daß der Tod des Verschollenen in diesem Augenblick als wahrscheinlich erscheint, ζ. B. der Verschollene hat während des Krieges an einer Schlacht teilgenommen und ist nach derselben vermißt worden. 17

§ 23. Verschollenheit und Todeserklärung.

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bei der allgemeinen Verschollenheit der Zeitpunkt, in welchem die Todeserklärung zulässig geworden ist, bei der Kriegsverschollenheit der Friedensschluß resp. der Schluß des letzten Kriegsjahres; bei der Seeverschollenheit der Moment des nachgewiesenen oder vermuteten Untergangs des Fahrzeuges ; bei der Unfall verschollenheit der Zeitpunkt , in welchem das Ereignis stattgefunden h a t 2 1 . Ist nur der Tag des Todes festgestellt, so soll nach § 18 I I I das Ende des Tages als Zeitpunkt des Todes gelten. Wenn mehrere Verschollene sich in gemeinsamer Gefahr befunden haben, was bei qualifizierter Verschollenheit vorkommen kann, so entsteht die streitige Frage, ob die Kommorienzvermutung des § 20 bei den Todeserklärungen in Betracht kommt. In Ermangelung besonderer Anhaltspunkte werden die Todeserklärungen für beide Personen denselben Todesmoment feststellen. Ist aber für eine Person ein bestimmter oder wahrscheinlicher Zeitpunkt des Todes anzunehmen, während für die andere Person der gesetzliche Todesmoment nach § 18 I zugrunde gelegt wird, so ist meines Erachtens für § 20 kein Raum, weil die Vermutung dieses Paragraphen für Personen gilt, die in gemeinsamer Gefahr nachweislich, nicht bloß vermutlich gestorben sind 2 *. Eine andere Ansicht 28 will die Vermutung des §20 als speziellere Vermutung der des § 18 I I vorgehen lassen, so daß die Feststellung verschiedener Todesmomente unzulässig sein soll. Demgemäß müßte, wenn für eine der beiden Personen ein wahrscheinlicher Todesmoment festgestellt werden kann, dieser Moment auch für die andere Person gelten, selbst wenn nichts dafüj: spricht, daß diese Person gerade in diesem Moment verstorben sein soll. Endlich versuchen einige Autoren 24 das Problem in der Weise zu lösen, daß im Verhältnis beider Verschollenen zueinander nach § 20 Gleichzeitigkeit des Todes vermutet werden soll, während im Verhältnis zu Dritten für jeden der in seiner Todeserklärung festgestellte Moment zu gelten habe 26 . 21 Erstreckt sich das gefährliche Ereignis .auf mehrere Tage, so wird man wie für den Beginn der Frist (vgl. ob. Note 9), so auch für den Moment des vermuteten Todes den letzten Tag als maßgebend betrachten; Planck § 18, 5. 22 Planck § 20, 2; Crome § 40 Note 44; Oertmann § 20, 2d. 88 Dernburg § 49 I I I ; Bockel, ArchZivProz. 93, 478fg. 24 Holder § 20, 3; Hedemann, Vermutung 332. 26 Über den Fall, daß sich zwei Todeserklärungen .auf dieselbe Person beziehen ; vgl. H e d e m a η n a. a. Ο. 328.

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Y. Die Wirkung der Todeserklärung besteht hauptsächlich in der Vermutung, daß der Verschollene zu der im Urteil festgestellten Zeit verstorben ist. Nach dieser Vermutung werden die Rechtsverhältnisse des Verschollenen geregelt, insbesondere die Erbfolge in seinen Nachlaß. Aber auch für Rechte, die mit dem Tode des Verschollenen entstehen (Lebensversicherung, Pensionsansprüche der Hinterbliebenen) oder endigen (Nießbrauch, Leibrente) ist der im Urteil genannte Moment maßgebend ; ebenso für die Ehelichkeit eines von der Ehefrau des Verschollenen geborenen Kindes nach §§ 1591, 1592 ae . Die Todesvermutung kann, wie jede Vermutung, durch den Beweis ihrèr Unrichtigkeit widerlegt werden, ZPO. § 292. Die Widerlegung der Vermutung ist zu unterscheiden von der Beseitigung der Vermutung, die nur auf dem Wege der Anfechtungsklage innerhalb bestimmter Fristen erfolgen kann 2 7 . Die Beseitigung der Vermutung wirkt für und wider alle, während die Widerlegung nur für und wider die Personen wirkt, unter denen der Beweis der Unrichtigkeit der Todeserklärung geführt wurde 28 . Die Vermutung kann widerlegt werden durch den Verschollenen selbst, indem er zurückkehrt 29 oder Nachrichten von seinem Leben gibt, aber auch durch jeden dritten Interessenten, ζ. B. durch eine Versicherungsgesellschaft, wenn sie gegenüber dem Anspruch auf die Lebensversicherungssumme das Fortleben des Versicherten beweist, oder durch einen Erbprätendenten, wenn er im Streit mit einem anderen Prätendenten, der sich auf die Todesvermutung stützt, einen anderen Todesmoment nachweist, als den in der Todeserklärung festgestellten. Widerlegt der Verschollene die Todesvermutung, so kann eiserne Rechte als ihm noch zustehend geltend machen, insbesondere Herausgabe seines Vermögens von denen, die es an sich genommen haben, verlangen. Ist das auf Grund eines vermeintlichen Erb2

· RG. 60, 169; OLG. 12, 298; DJZ. 1903, 149. Vgl. ob. I I I 8; Hede mann) a.a.O. 314 fg.; RGEnt. vom 2. Februar 1903 in DJZ. 1903 S. 223; HG. in JWSchr. 39, 104. 28 Planck § 18, 3. 29 Die Rückkehr des Verschollenen wird von D e r n b u r g §53 IV fälschlich als „Aufhebung" der Todeserklärung bezeichnet; es handelt sich um Widerlegung der Todeserklärung, wobei die Identität des Zurückgekehrten, wenn sie bestritten wird, von ihm bewiesen werden muß; dieser Beweis wirkt nur unter den Parteien; K i p p S. 238 zu W i n d c h e i d § 53; Oertmann § 18, 2a. 27

§ 23. Verschollenheit und Todeserklärung.

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rechts geschehen, so sollen nach § 2031 die Grundsätze des Erbschaftsanspruchs gelten. Die Verjährung dieses Anspruchs wird nicht vor dem Ablauf eines Jahres seit dem Zeitpunkt vollendet, in welchem der Verschollene von der Todeserklärung Kenntnis erhielt 2 9 a . Die Todeserklärung hat für gutgläubige Dritte, die sich mit dem Quasierben auf Rechtsgeschäfte einlassen, dieselbe Wirkung, wie ein Erbschein, § 2370 I. Ist dem Quasierben ein Erbschein erteilt, so hat der zurückgekehrte Verschollene gegen ihn die Rechte aus § 2362: er kann Herausgabe des Erbscheins an das Nachlaßgericht verlangen und Auskunft über den Bestand der Erbschaft und den Verbleib der Erbschaftsgegenstände 80. VI. In der Vermutung des § 18, daß der für tot Erklärte an dem im Urteil festgesetzten Tage verstorben ist, liegt mit logischer Notwendigkeit eine Vermutung des Lebens bis zu diesem Zeitpunkt 81 . Darüber hinaus wird in § 19 eine Lebensvermutung auch für solche Verschollene aufgestellt, welche nicht für tot erklärt sind: es soll vermutet werden, daß ein Verschollener bis zu dem Zeitpunkt lebt, welcher nach den gesetzlichen Vorschriften des § 18 bei einer Todeserklärung als Zeitpunkt des Todes anzunehmen wäre 82 . Diese Vermutung ist wichtig für den Erwerb und Fortbestand von Rechten und Pflichten des Verschollenen 88, insbesondere für seinen erbrechtlichen Erwerb; ist ζ. B. nach der Regel des § 18 zu vermuten, daß der Verschollene bis zum 29 a

Im übrigen wird durch Verschollenheit des Berechtigten die Verjährung weder gehemmt noch deren Ablauf hinausgeschoben. 80 Über analoge Anwendung des § 2031 auf den Fall, daß jemand das Vermögen eines Verschollenen an sich nimmt, indem er sich für den Verschollenen ausgibt, vgl. S t r o h a l , Erbrecht §94 I i 2a und P l a n c k § 2031, 1. 31 Nur für das außerordentliche Testament des Verschollenen wird die Lebensvermutung nicht durchgeführt; ein solches Testament gilt als nicht errichtet, wenn seit der Errichtung drei Monate verstrichen sind und der Erblasser noch lebt, § 2252 I. Die Lebensvermutung würde daher die Unwirksamkeit des Testaments zur Folge haben. Daher bestimmt § 2252 IV, daß das Testament seine Kraft behält, wenn die Frist zu der Zeit, zu welcher der Erblasser den vorhandenen Nachrichten zufolge noch gelebt hat, noch nicht verstrichen war; vgl. auch § 1974 I 2. 82 Wer sich auf die Vermutung des § 19 beruft, hat die Verschollenheit und die Dauer der nach § 18 zu berechnenden Frist zu beweisen; Enneccerus § 80 Note 6; Oertmann § 19, 6; Fr. L e o n h a r d , Beweislast 273. 88 Aus der Lebensvermutung kann nicht gefolgert werden, daß der Verschollene durch ununterbrochenen Aufenthalt im Auslande die deutsche Staatsangehörigkeit nach § 21 des RGes. vom 21. Juni 1870 verloren habe; OLG. 6, 305; 10, 17.

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31. Dezember 1908 gelebt hat, so können ihm Erbschaften und Vermächtnisse von Personen, die vor diesem Tage verstorben sind, zufallen. Ebenso gebühren ihm bis zu diesem Moment Leistungen, welche mit seinem Tode wegfallen würden (ζ. B. Leibrenten), wie auch seinerseits solche Leistungen geschuldet werden, zu denen er lebenslänglich verpflichtet war (ζ. B. wiederkehrende Unterstützungen, § 5 2 0 ) K o m m t es zu einer Todeserklärung, so wird in der Regel derselbe Zeitpunkt als Todesmoment festgestellt, bis zu welchen nach § 19 sich die Lebensvermutung erstreckte; wird auf Grund der Ermittelungen ein anderer Moment festgesetzt, so wird die Lebensvermutung des § 19 durch die aus der Todeserklärung sich ergebende Vermutung korrigiert; denn für letztere Vermutung besteht in concreto eine größere Gewähr der Wahrscheinlichkeit. Die Lebensvermutung des § 19 gilt nach richtiger Ansicht nur für Verschollene 85, nicht dagegen für solche Personen, deren Tod festgestellt ist, ohne daß der Zeitpunkt ihres Todes nachgewiesen werden könnte 86 . Ist die Zeit, für welche nach § 19 das Leben des Verschollenen vermutet wird, abgelaufen, so besteht keine Vermutung, weder für das Leben noch für den Tod des Verschollenen; wer das eine oder das andere behauptet, muß es beweisen; erst durch Todeserklärung tritt an Stelle des vermutungsfreien Zustandes die Todespräsumption. VII. Im Familienrecht hat die Todeserklärung Wirkungen, die über die Todesvermutung hinausgehen ; denn in bezug auf familienrechtliche Verhältnisse wird vom Gesetz eine Sicherheit angestrebt, welche durch die widerlegbare Vermutung des Todes nicht hergestellt werden kann. 1. Aus der Todeserklärung entsteht nach § 18 die Vermutung, daß die Ehe des Verschollenen durch seinen Tod aufgelöst sei; lebt der für tot erklärte noch, so besteht die Ehe; aber die Ehe ist, nachdem der eine Ehegatte für tot erklärt ist, für den anderen Ehegatten kein Ehehindernis im Sinn von §§ 1309, 1326: schließt 84 Diese Rechte und Pflichten des Verschollenen sind durch den Abwesenheitspfleger wahrzunehmen. 85 Enneccerus § 80, 5; Fr. L e o n h a r d , Beweislast 272; Oertmann § 19, 3. 86 Wenn z. B. die Leiche des X gefunden wird, ohne daß man nachweisen kann, wann er gestorben ist, und es ist in der kritischen Zeit ein Verwandter des X verstorben, so muß der, welcher behauptet, daß X diesen .Verwandten überlebt und beerbt hat, dies beweisen, ohne daß ihm die Vermutung des § 19 zur Seite steht.

§ 23. Verschollenheit und Todeserklärung.

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der andere Ehegatte eine zweite Ehe, so ist diese Ehe gültig und damit die Ehe mit dem Verschollenen aufgelöst, außer wenn beide Ehegatten der zweiten Ehe bei der Eheschließung wußten, daß der Verschollene die Todeserklärung überlebt hat, § 1348 8 7 . Die zweite Ehe ist selbst dann gültig und die erste aufgelöst, wenn die Todeserklärung in Folge einer Anfechtungsklage aufgehoben wird, § 1348 I I 3 8 . Jeder der Ehegatten der zweiten Ehe, nicht aber der für tot erklärte Ehegatte, hat das Recht, die zweite Ehe anzufechten, wenn der für tot erklärte noch lebt, § 1350 fg. 2. Mit dem in der Todeserklärung festgesetzten Zeitpunkt endigt nach § 1420 Verwaltung und Nutznießung des in Verschollenheit geratenen Ehemanns. Wenn er noch lebt und die Ehe nicht durch Wiederverheiratung der Ehefrau nach § 1349 aufgelöst ist, besteht nach § 1426 Gütertrennung. Der Ehemann kann nach § 1425 auf Wiederherstellung seiner Rechte klagen; mit dem Urteil erlangt er Verwaltung und Nutznießung ; die Nutzungen, welche das eingebrachte Gut in der Zwischenzeit abgeworfen hat, verbleiben der Frau und vergrößern, soweit sie noch vorhanden sind, das eingebrachte Gut. Vorbehaltsgut wird nach § 1425 I I I , was ohne die Aufhebung der Rechte des Mannes Vorbehalt geblieben oder geworden wäre ζ. B. Arbeitserwerb, den die Frau in der Zwischenzeit gemacht hat 8 9 . Abweichend vom gesetzlichen Güterrecht wird die allgemeine Gütergemeinschaft und Fahrnisgemeinschaft (§ 1549) durch die Todeserklärung eines Ehegatten nicht aufgehoben, sondern nur nach § 18 die Vermutung der Aufhebung begründet 40 ; ist die Vermutung 87

Dieses Wissen genügt zur mala fides, auch wenn die Ehegatten der zweiten Ehe überzeugt sind, daß der Verschollene nach der Todeserklärung verstorben ist. Ist er in der Tat zwischen der Todeserklärung und dem Abschluß der zweiten Ehe gestorben, so ist die zweite Ehe. gültig, ohne daß es auf § 1348 ankommt. 38 Ist eine Anfechtungsklage erhoben, so darf die Ehe nicht vor Erledigung des Prozesses geschlossen werden, § 1349. 80 Todeserklärung der Frau begründet nur die Vermutung, daß der Tod der Frau und damit der Wegfall der Rechte des Ehemanns in dem nach § 18 zu bestimmenden Zeitpunkt eingetreten ist ; lebt die Ehefrau, so bestehen die Rechte des Ehemanns trotz der Todeserklärung weiter; er kann von den Quasierben der Frau die Nutzungen des eingebrachten Guts für die Zeit verlangen, während welcher die Frau zu Unrecht als verstorben galt, und muß umgekehrt die Nutzungen der Zeit herausgeben, während welcher das Fortleben der Frau zu Unrecht präsumiert wurde; Planck § 1420, 1. 40 Planck; Vorb. 1 vor § 1468; Endemann I I I § 186 Note 1; Crome § 593 Note 9; a. A. Der nburg IV § 60 Note 1, der mit Recht die praktischen

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widerlegt, so werden dië Rechtsverhältnisse entsprechend der wahren Sachlage beurteilt; kéhrt z. B. der verschollene Ehemann zurück, so nimmt er Teil an dem Erwerb, den die Ehefrau nach der Todeserklärung gemacht hat, falls sie nicht zu einer zweiten Ehe geschritten ist. Dagegen endigt die fortgesetzte Gütergemeinschaft durch Todeserklärung des überlebenden Ehegatten in dem Zeitpunkt, der als Moment des Todes gilt, § 1494; ebenso die Errungenschaftsgemeinschaft durch Todeserklärung eines der Ehegatten, § 1544. In letzterem Fall kann der zu Unrecht für tot erklärte Ehegatte auf Wiederherstellung der Gemeinschaft klagen, § 1547. 3. Die elterliche Gewalt des Verschollenen erlischt durch die Todeserklärung mit dem Moment, der als Zeitpunkt des Todes gilt, § 1679 I , selbst wenn die Todeserklärung materiell unrichtig ist und der Verschollene noch lebt 4 1 . Ist der Vater für tot erklärt, so steht die elterliche Gewalt der Mutter zu, § 1684. Der Verschollene kann nach § 1679 I I die elterliche Gewalt durch Erklärung gegenüber dem Vormundschaftsgericht wiedererlangen 48. 4. Mit dem Moment der Todeserklärung (nicht mit dem als Todesmoment festgestellten Zeitpunkt) endigt die Vormundschaft, wenn der Mündel oder der Vormund für tot erklärt ist, § 1884 II, 1885 I 4 8 . VIII. Das EG. gibt ausführliche Bestimmungen für das Übergangsrecht : 1. Ist eine Todeserklärung vor Inkrafttreten des BGB. erfolgt, so bestimmen sich nach Art. 158 die Wirkungen prinzipiell nach altem Recht (ζ. B. für die Frage der konstitutiven oder deklarativen NaHr der Todeserklärung) ; jedoch mit zwei Ausnahmen ; der EheUnzuträglichkeiten hervorhebt, welche der Fortbestand der Gütergemeinschaft nach der Todeserklärung mit sich bringt, aber das entscheidende arg. a contrario aus § 1494 und 1544 übersieht. 41 Todeserklärung des Kindes wirkt nur als Vermutung nach § 18; Planck § 1679, 1. 42 Diese Erklärung wirkt ex nunc. Die Nutzungen der Zwischenzeit verbleiben dem Kinde. Arg. § 1425 I I I wird man annehmen können, daß ein Erwerb, den das Kind in der Zwischenzeit macht und der bei bestehender elterlicher Gewalt freies Vermögen wäre, bei Wiederherstellung der elterlichen Gewalt diese Eigenschaft erhält; P l a n c k § 1679, 3. 48 Ebenso endigt die Abwesenheitspflege mit der Todeserklârréfé des Abwesenden, § 1921; das Amt eines Mitgliedes des Familienrats *ait der Todeserklärung des Mitgliedes, § 1878.

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gatte des für tot Erklärten kann, auch wenn es nach altem Recht unzulässig ist, eine neue Ehe eingehen, wofür §§ 1348 1350 gilt, Art. 159; die Todeserklärung hat nach Art. 160 die im BGB. statuierte aufhebende Wirkung für elterliche Gewalt, Vormundschaft, Pflegschaft und ähnliche Rechtsverhältnisse. 2. Ein bei Inkrafttreten des BGB. anhängiges Verfahren der Todeserklärung ist nach bisherigem Gesetz zu erledigen und hat die im alten Recht angeordnete Wirkung (zu welcher die Wirkungen des Art. 159—160 hinzutreten), Art. 161. 3. Dasselbe gilt von einem Verfahren, das auf Verschollenheitserklärung oder Einweisung in den Besitz des Vermögens des Verschollenen gerichtet ist (französisch-badischss Recht, welches keine Todeserklärung kennt) 4 4 ; dies Verfahren hat nur vermögensrechtliche Wirkungen ; daher gestattet Art. 162 neben diesem Verfahren eine Todeserklärung nach den Vorschriften des BGB. und mit Wirkung nur für die Rechtsverhältnisse des Verschollenen, welche vom landesgesetzlichen Rechtsakt nicht betroffen werden. 4. Ist bei Inkrafttreten des BGB. noch kein Verfahren anhängig, so ist in Ermangelung einer Vorschrift des EG. anzunehmen, daß eine Todeserklärung unter den Voraussetzungen und mit der Wirkung des BGB. zulässig ist, selbst wenn die Voraussetzungen (Beginn der Verschollenheit) vor 1900 liegen, und selbst mit der Wirkung, daß als vermutlicher Todestag ein vor 1900 liegender Zeitpunkt festgesetzt wird 4 5 . Auch die Lebensvermutung, § 19, kommt zur Anwendung. Es handelt sich bei Todes- und Lebensvermutung um prozessuale Vorschriften, und diese gelten auch dann, wenn der zu beurteilende Tatbestand vor der Einführung der Vorschrift eingetreten ist 4 6 .

Rechtlich erhebliche Unterschiede der Menschen. § 24. Geschlecht und Alter*. I. Das bürgerliche Recht beruht auf dem Prinzip der Rechtsgleichheit: alle Menschen werden als gleichwertige Rechtssubjekte behandelt und können in gleichem Maße auf die Gestaltung der 44

Planck, Bern. 3 vor Art. 158. Die Beerbung des für tot Erklärten erfolgt nach altem Recht, Art. 213. 46 Vgl. ob. Einl. Note 71. Planck, Art. 158, 2; Enneccerus § 81 II. * W i n d s c h e i d § 54; Regelsberger §§ 62, 63; Bekker §§ 48, 49; Gierke §§ 43, 44; Dernburg § 59; Endemann § 30; Cosack §§ 19, 20; 45

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Rechtsverhältnisse einwirken. Aber dies Prinzip kann nicht ausnahmslos durchgeführt werden; es gibt natürliche Verschiedenheiten der Menschen und Unterschiede in der staatlichen und beruflichen Stellung, welche das bürgerliche Recht nicht ignorieren kann. I. Der Unterschied in der rechtlichen Stellung der beiden Geschlechter war im älteren Recht der Römer und besonders der Germanen ein tiefgreifender, zurückgehend auf die Zeiten, in denen die staatliche und rechtliche Stellung des Menschen auf seiner Wehrhaftigkeit beruhte. Daher stand die Frau lebenslänglich unter der Gewalt eines Mannes ; sie war bei den Germanen in bezug auf Grundbesitz und Erbrecht zurück gesetzt ; dazu trat bei den Römern der Gedanke, daß die Frauen im Geschäftsverkehr eines besonderen Schutzes bedürfen (privilegia muliebria). Die Tendenz des späteren römischen Rechts war Emanzipierung der. Frauen von ihrem Sonderrecht. In Fortführung dieser Entwicklung und im Einklang mit der modernen Auffassung hat das BGB. die Frau dem Mann prinzipiell gleichgestellt. Dieser Grundsatz gilt unbedingt im geschäftlichen Verkehr; der Frau sind alle Rechtsgeschäfte zugänglich 1 ; auf ihre größere Unerfahrenheit wird vom Gesetz keine Rücksicht genommen2. Die Frau kann als Solemnitätszeuge fungieren 8. Sie kann auch Mitglied und Vorstand juristischer Personen sein 4 5 . In der Ehe hat der Mann die dominierende Stellung; er entscheidet in den das gemeinschaftliche Leben betreffenden Angelegenheiten 6 und gibt der Ehefrau Namen und Wohnsitz. Die Ehefrau Crome § 41; Enneccerus §§ 82—84; K o h l e r § 128; Biermann §§ 120, 121; Planck, Rechtliche Stellung der Frau nach BGB.; Jastrow, Das Recht der Frau. 1 Vom Besuch der Börse sind Frauen ausgeschlossen; BörsenGes. § 7. 2 Wo Unerfahrenheit in Betracht kommt, wird man den Schutz des Gesetzes einer Frau leichter zu Teil werden lassen, als einem Manne. Ebenso wird der Richter in der Frage, ob jemand durch arglistige Täuschung oder Drohung bestimmt worden ist, § 123, mit der erfahrungsmäßig größeren Leichtgläubigkeit und Ängstlichkeit der Frauen zu rechnen haben. 3 Vgl. Planck § 1317, I I I ; § 2237, 4; Mot. V. S. 268. 1 Staub, HGB. § 231 Anm. 10 (Aktiengesellschaft). 5 Als Schiedsrichter kann die Frau abgelehnt werden; ZPO. § 1032, II. 6 Wenn die Anhänger der Frauenbewegung gegen die privilegierte Stellung des Ehemannes opponieren, so ist zu erwägen> daß es unter zwei Personen eine Majorität nicht gibt. Der Gesetzgeber muß daher, wenn er nicht bei jeder Meinungsverschiedenheit das Vormundschaftsgericht entscheiden

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bleibt geschäftsfähig; sie kann erwerben und Verpflichtungen eingehen. Aber Verträge, durch welche sie sich zu persönlichen Leistungen verpflichtet, kann der Mann mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts kündigen, wenn die ehelichen Interessen beeinträchtigt werden § 1358; und am Vermögen der Frau, soweit es nicht Vorbehalt ist, hat der Mann Verwaltung und Nutznießung· Dem entspricht es, daß die Frau in der Verfügung über ihr Vermögen beschränkt ist, und daß ihre Gläubiger nur unter gewissen Voraussetzungen auf das dem Recht des Mannes unterliegende Vermögen der Frau greifen können. Eine wichtige Neuerung des BGB. gegenüber dem gemeinen Recht besteht darin, daß die Kinder nicht mehr unter väterlicher, sondern unter elterlicher Gewalt stehen. Diese Gewalt steht zunächst dem Vater zu, entsprechend seinem Vorrang in der Ehe; in Ermangelung des Vaters aber der Mutter, § 1684. Einen Bestandteil der elterlichen Gewalt, die Sorge für die Person des Kindes, hat die Mutter nach § 1634 neben dem Vater, aber so, daß bei Meinungsverschiedenheit die Meinung des Vaters vorgeht. Die elterliche Gewalt der Mutter ist insofern schwächer als die des Vaters, als der Mutter vom Vormundschaftsgericht ein Beistand zur Seite gestellt werden kann, § 1687, und als sie die Gewalt mit ihrer Wiederverheiratung verliert, § 1697, während der pater binubus die elterliche Gewalt behält. Auch das Amt der Vormundschaft kann eine Frau bekleiden, aber nur mit Zustimmung ihres Ehemannes7. Einer Begünstigung erfreuen sich die Töchter vor den Söhnen, indem ihnen das Gesetz in § 1620 einen klagbaren Anspruch auf Aussteuer gewährt, während den Söhnen bei ihrer Verheiratung eine Klage auf Ausstattung nicht zusteht. Im Erbrecht sind die Frauen den Männern reichsgesetzlich vollkommen gleichgestellt8. I I . Die Eigenschaften des Menschen, welche die natürliche Grundlage seiner Handlungsfähigkeit bilden, sind ihm nicht anlassen will, die Leitung der Ehe in die Hand eines der Ehegatten legen. Für den Ehemann spricht im Durchschnitt der Fälle die natürliche Überlegenheit des höheren Alters und der Geschäftskunde und vor allem der Umstand, daß er der erwerbende Teil zu sein pflegt und den ehelichen Aufwand trägt. 7 § 1783. Zum Mitglied eines Familienrats kann eine Frau ohne Zu^ Stimmung des Ehemanns bestellt werden; Planck § 1866, 2g. 8 Das Landesrecht kann im Recht der Familienfideikommisse (Art. 59) und im Anerbenrecht (Art. 64) die Frauen zurücksetzen.

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geboren, sondern entstehen ini Lauf des Lebens durch allmähliche Entwicklung. Daher muß die Rechtsordnung den unerwachsenen Menschen eine andere Rechtsstellung einräumen als den erwachsenen. Die Römer hatten drei Stufen des jugendlichen Alters: die infantia bis zum 7. Lebensjahr, die impubertas bis zum 14. (bei Mädchen bis zum 12.) Jahr, die minor aetas bis zum 25. Jahr. Im gemeinen Recht wurden die minores den impuberes gleichgestellt, sodann durch das Personenstandsgesetz vom Jahr 1875 die Volljährigkeit auf das vollendete 21. Jahr gesetzt9. Daraus sind die zwei Altersstufen des BGB. entstanden: das Kindesalter bis zum vollendeten 7. Lebensjahr 10; und die Minderjährigkeit, welche bis zum vollendeten 21. Lebensjahre dauert, § 2 1 1 . Den Kindern fehlt die Geschäftsfähigkeit, § 104, und die Zurechnungsfähigkeit, § 828, vollkommen 12 ; Minderjährige sind beschränkt geschäftsfähig, § 106 fg. 1 2 », ohne daß das Gesetz einen prinzipiellen Unterschied zwischen dem achten und dem einundzwanzigsten Lebensjahr für das Gebiet der Rechtsgeschäfte macht. Dagegen bildet für die Zurechnungsfähigkeit das vollendete 18. Lebensjahr einen wichtigen Abschnitt: vom 7. bis zum 18. Lebensjahr wird im einzelnen Fall untersucht, ob der Täter die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht hat 1 2 b ; vom 18. Lebensjahr an besteht die Verantwortlichkeit unbedingt, § 929 I I 1 8 . Bis zur Erreichung der Volljährigkeit steht der Mensch unter 9 Bei allen Altersstufen wird der Tag der Gehurt mitgezählt, § 187, so daß das kritische Lebensjahr mit dem Ende des Tages vollendet ist, welcher dem Geburtstag vorangeht, z. B. das 21. Lebensjahr mit Ablauf des Tages, welcher dem 21. Geburtetag vorangeht 10 Das sechste Lebensjahr ist bei Knaben entscheidend für die Sorge um die Person des Kindes, wenn die Eltern geschieden und beide für schuldig erklärt sind, § 1685. 11 Abweichend vom BGB. kann ein anderes Alter der Volljährigkeit festgesetzt sein für die Angehörigen der landesherrlichen Häuser und der ihneä gleichgestellten Familien auf Grund des Vorbehalts, Art. 57. Ob auch für die Angehörigen des hohen Adels nach Art. 58, vgl. Oertmann §§ 2, 5. 12 H. D i t t e n b e r g e r , Schutz des Kindes gegen die Folgen eigener Handlungen. 12 a Daher soll ein Minderjähriger nicht zum Vormund bestellt werden, § 1781 ; aber die Bestellung ist nicht nichtig. 18 1> Der Mangel der erforderlichen Einsicht muß vom Minderjährigen behauptet und bewiesen werdeo, RG. 61, 239; Planck § 828, 2. 18 Die Strafmündigkeit ist vom 12.-18. Jahr bedingt, vom 18. Jahr an unbedingt; StrGB. §§ 55—57.

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elterlichen Gewalt oder, in Ermangelung derselben, unter Vormundschaft. In einzelnen Beziehungen kommt ein vor der Volljährigkeit liegendes Lebensalter in Betracht: vom 14. Lebensjahr an ist die Einwilligung des Kindes erforderlich zur Ehelichkeitserklärung und zur Adoption, §§ 1726, 1728, 1750, und Anhörung des Kindes zur Entlassung aus dem Staatsverband, § 1827 1 8 f t ; mit 16 Jahren beginnt die Testierfähigkeit, § 2229, sowie die Ehemündigkeit der Frau, § 1303 u . Bis zum 16. Jahr hat das uneheliche Kind gegen seinen Erzeuger Anspruch auf Alimente, § 1708 15 ; vom 18. Jahre an soll der Mündel vom Vormundschaftsgericht gehört werden, wenn das Gericht die Genehmigung zu größeren Geschäften des Vormunds zu erteilen hat, § 1827. Ein höheres Alter als das der Volljährigkeit kommt selten in Betracht: das 50. Lebensjahr wird erfordert für die Annahme an Kindesstatt, § 1726. Das 60. Lebensjahr gibt das Recht, eine Vormundschaft abzulehnen und Entlassung aus einer Vormundschaft zu verlangen, §§ 1768, 1889. I I I . Volljährigkeitserklärung. Venia aetatis. Die Volljährigkeit kann vor Erreichung des 21. Jahres durch Beschluß des Vormundschaftsgerichts hergestellt werden 18 , § 3. Das Verfahren untersteht dem GFG. Der Antrag ist nach § 56 dieses Gesetzes vom Minderjährigen zu stellen oder von demjenigen gesetzlichen Vertreter des Minderjährigen, welchem die Sorge für die Person zusteht 17 . Die Verfügung, in welcher die Volljährigkeitserklärung 18 Vgl. ferner GFG. § 18; Beschwerde in den die Person betreffenden Angelegenheiten. 14 Dispens ist zulässig. Eine Minderjährige wird durch die Ehe nicht volljährig und daher auch nicht geschäftsfähig. Aber der gesetzliche Vertreter hat für die Person der minderjährigen Ehefrau nicht zu sorgen, sondern nur sie in diesen Angelegenheiten zu vertreten, § 1633. Da nun aber dem Ehemann nach § 1354 die Entscheidung nur in gemeinschaftlichen Angelegenheiten zusteht, so hat die minderjährige Ehefrau tatsächlich in ihren persönlichen Angelegenheiten selbst zu entscheiden; vgl. Landsberg, BGB. § 27 I 3b. 15 Mit dem 16. Lebensjahr beginnt die Eidesmündigkeit; ZPO. § 893, StrfPO. § 56. 16 Landesgesetze können diese Entscheidung einer anderen Behörde übertragen; Art. 147, GFG. § 196 I. 17 Also ζ. B. nicht vom Vater, der wegen Verschuldens geschieden ist; § 1635. Handbuoh X . 1. I : τ ο π T u h r I .

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ausgesprochen wird, tritt mit der Rechtskraft in Wirksamkeit, § 56 I I 1 8 , und unterliegt der sofortigen Beschwerde, § 60 Nr. 6, welche binnen zwei Wochen seit der Bekanntmachung der Verfügung an den Beschwerdeführer einzulegen ist, § 22 1 9 . Die Beschwerde kann nach § 20 von jedem erhoben werden, dessen Recht beeinträchtigt wird, also vom Inhaber der elterlichen Gewalt oder vom gesetzlichen Vertreter 20 . Die materiellen Voraussetzungen der Volljährigkeitserklärung sind: 1. Vollendung des 18. Lebensjahres, BGB. § 3 1. 2. Einwilligung des Minderjährigen, § 4 I. Stellt der Minderjährige den Antrag, so ist in demselben die Einwilligung enthalten. Die Einwilligung ist vom Minderjährigen selbst, nicht von dessen gesetzlichem Vertreter zu erteilen. Form und Adressat ist für diese Erklärung nicht vorgeschrieben 21. 3. Einwilligung des Inhabers der elterlichen Gewalt, § 4 I I (denn durch die Volljährigkeitserklärung geht diese Gewalt unter). Die Einwilligung ist nicht erforderlich : a) wenn dem Inhaber der elterlichen Gewalt weder die Sorge für die Person noch für das Vermögen zusteht. Das ist der Fall, wenn die elterliche Gewalt ruht, §§ 1676, 1677 22 ; ob auch dann, wenn der Vater an der Ausübung der elterlichen Gewalt tatsächverhindert ist, § 1685, ist bestritten 28 . Ruht die elterliche Gewalt des Vaters und wird sie nach § 1685 von der Mutter ausgeübt, so hat die Mutter die Einwilligung zu erteilen 24 ; 18

Vgl. GFG. § 196 II. Gegen Ablauf dieser Frist kann d^m Beschwerdeberechtigten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erteilt werden, § 22 II. Weitere sofortige Beschwerde, §§ 27, 29 II. 80 und von der Mutter, wenn ihr die Sorge für die Person nach § 1635 zusteht; Entsch. KG. 25, 3; Entsch. FG. 3, 112. 81 Vgl. Oertmann § 4, 1. 22 Die dem Inhaber der elterlichen Gewalt nach § 1678 verbleibende Nutznießung kann ihm durch eine ohne seine Zustimmung erfolgende Volljährigkeitserklärung entzogen werden; die Interessen des Minderjährigen haben als prävalierend zu gelten. 28 Ich halte gegen P l a n c k , Staudinger und Oertmann zu § 4 mit G o l d m a n n - L i l i e n t h a i S. 38 Note 4 und Holder § 4, 2a die Einwilligung des Vaters in diesem Fall für erforderlich: ist die Verhinderung des Vaters vorübergehend, so scheint es mir unbillig, ihm das Einwilligungsrecht zu entziehen ; bei dauernder Verhinderung kann nach § 1677 das Ruhen seiner elterlichen Gewalt herbeigeführt werden; die dadurch veranlaßte Verzögerung der Volljährigkeitserklärung wird selten erhebliche Nachteile zur Folge haben. 24 PJanck, Oertmann a. a. 0. 19

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b) wenn eine minderjährige Witwe für volljährig erklärt werden soll 2 5 . Die Einwilligung des Vormunds ist nicht erforderlich. 3. Die Volljährigkeitserklärung soll nur erfolgen, wenn sie das Beste des Minderjährigen befördert, § 5 2 6 . Wenn diese Voraussetzungen vorliegen und die Volljährigkeitserklärung dennoch nicht ausgesprochen wird, kann der Minderjährige nach GFG. § 20 Beschwerde führen. Ein „Recht" auf die Volljährigkeitserklärung 27 möchte ich trotzdem dem Minderjährigen nicht zuschreiben 28; denn die Würdigung der Umstände, die das „Beste" des Minderjährigen betreffen, steht im freien Ermessen des Gerichts; mit der Beschwerde wendet sich der Minderjährige vom Ermessen des Vormundschaftsgerichts an das des vorgesetzten Gerichts. Wie verhält es sich im umgekehrten Falle, wenn das Gericht die Volljährigkeitserklärung ausspricht, obgleich die Voraussetzungen nicht vorliegen? In § 5 ergibt sich schon aus dem Wortlaut, daß es sich um eine Sollvorschrift handelt 2 9 ; auch inhaltlich kann der Gesetzgeber nicht gewollt haben, daß der Eintritt der Volljährigkeit von dem nur vermutungsweise feststellbaren Umstand abhängen soll, daß das Beste des Minderjährigen befördert wird. Dagegen ist das Erfordernis des 18. Lebensjahres und der nach § 4 nötigen Einwilligungen in seiner Bedeutung bestritten: einige Autoren 30 halten die Volljährigkeitserklärung bei Verstoß gegen diese Vorschriften für unwirksam. Eine andere und meines Erachtens richtige Ansicht 81 geht dahin, daß ein rechtsgestaltender Staatsakt, wie die Volljährigkeitserklärung 82 , 26

Das Erfordernis der elterlichen Einwilligung bei Volljährigkeitserklärung von verheirateten oder geschiedenen Frauen ist streitig; Oertmann § 4, 2b. 26 Ökonomische, aber auch moralische Interessen, ζ. B. Ermöglichung der Ehe mit einem vom Minderjährigen verführten Mädchen, Oertmann § 5, 2. Eine gewisse Selbständigkeit im Erwerbsleben kann dem Minderjährigen auch ohne Volljährigkeitserklärung nach §§ 112, 113 verliehen werden. 27 In § 20 GFG. ist das Wort Recht in einem ganz allgemeinen Sinne gebraucht; vgl. ob. § 1, Note 1. 28 Oertmann § 5, 3. 99 Dasselbe gilt natürlich vom Erfordernis des Antrags; GFG. § 56. 80 Opet, Verwandtschaftsrecht 290; Holder § 3, 1 (mit Konvaleszenz bei Eintritt des gesetzlichen Alters). 81 Planck § 5, 3; Enneccerus § 84 Note 8; Oertmann § 3, 2; §4, 1. 82 ferner die Entmündigung, die Einsetzung eines Vormunds usw.; vgl. unt. § 34 Note 64.

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selbst wenn die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorliegen, nicht nichtig ist, sondern nur auf formellem Wege (hier durch sofortige Beschwerde, vgl. ob. Note 19) aufgehoben werden kann. Für diese Ansicht spricht vor allem das praktische Bedürfnis, die schweren Komplikationen zu vermeiden, welche entstehen müßten, wenn eine formell unanfechtbare Volljährigkeitserklärung aus materiellen Gründen als unwirksam zu erachten wäre. Eine rechtskräftig gewordene Volljährigkeitserklärung kann nicht aufgehoben werden, etwa wegen veränderter Umstände, ζ. B. wegen unerwarteter Geschäftslast oder Unvernünftigkeit des für volljährig Erklärten 88 . Durch die Volljährigkeitserklärung erhält der Minderjährige in jeder Beziehung die rechtliche Stellung eines Volljährigen, insbesondere auch die Ehemündigkeit 84 . Elterliche Gewalt und Vormundschaft erlöschen. Nur wo das Gesetz nicht von Volljährigkeit, sondern vom vollendeten 21. Jahre spricht, hat die Volljährigkeitserklärung keine Wirkung 8 6 . Ist die Volljährigkeit in einem Rechtsgeschäft als Anfangs- oder Endpunkt von Rechtswirkungen festgesetzt, so ist es Auslegungsfrage, ob die Volljährigkeit serklärung der Volljährigkeit gleichwertig ist 8 e . Eine vor Inkrafttreten des BGB. erfolgte Völljährigkeitserklärung bleibt nach Art. 153 in Kraft ; etwaige landesrechtliche Beschränkungen der Geschäftsfähigkeit fallen weg. Dasselbe gilt für jemanden, der unter der Herrschaft des alten Rechts in sonstiger Weise (durch Heirat) die Stellung eines Volljährigen erlangt hat. Die Emanzipierten des französisch-badischen Rechts erhalten durch Art. 154 die Stellung von Volljährigen, wenn sie bei Inkrafttreten des BGB. das 18. Lebensjahr vollendet haben; andernfalls verliert die Emanzipation ihre Wirkung 8 7 . 88

Daher kann § 32 GFG. bei Volljährigkeitserklärung keine Anwendung finden, außer in dem Falle, daß der Beschluß infolge einer nach der Rechtskraft erhobenen Beschwerde (§ 22 II) aufgehoben wird; vgl. Denkschrift S. 42. 84 Da dem Mann für die Eheschließung kein Dispens vom Erfordernis der Volljährigkeit erteilt wird, § 1303, so ist für ihn venia aetatis der einzige Weg, um vor erreichtem '21. Jahr heiraten zu können. 88 Das ist der Fall bei der Einwilligung der Eltern zur Eheschließung und zur Adoption, §§ 1305, 1747, sowie bei der Einwilligung der unehelichen Mutter zur Legitimation, § 1726; vgl. auch § 1822 Nr. 5. 86 Vgl. die Beispiele bei Enneccerus § 84 a. E. 87 Die Ehemündigkeit richtet sich nach BGB., P l a n c k , Art. 153, 5. Wer nach altem Recht testierfähig war und ein Testament errichtet hat, behält die Testierfähigkeit; Art. 215 I.

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I. Körperliche Gebrechen haben im bürgerlichen Recht wenig Bedeutung, insbesondere beeinträchtigen sie nicht die Geschäftsfähigkeit. Dagegen kann die Geschäftsbesorgung unter Umständen tatsächlich in hohem Maaße erschwert sein. Kann der Gebrechliche, insbesondere wenn er taub, blind oder stumm ist seine Angelegenheiten oder einen bestimmten Kreis derselben ζ. B. die Vermögensangelegenheit nicht besorgen und ist er weder unter elterlicher Gewalt noch unter Vormundschaft, so kann ihm das Vormundschaftsgericht einen Pfleger für seine Person und sein Vermögen oder für den bestimmten Kreis von Angelegenheiten bestellen, § 1910. Das geschieht aber nur mit Einwilligung des Gebrechlichen, außer wenn eine Verständigung mit ihm nicht möglich ist, § 1910 I I I . Auch durch die Pflegschaft wird die Geschäftsfähigkeit des Gebrechlichen weder ausgeschlossen noch beschränkt, so daß er konkurrierend mit dem Pfleger jede Rechtshandlung vornehmen kann 2 . Dagegen hat die Einsetzung einer Pflegschaft zur Folge: Ruhen der elterlichen Gewalt, § 1676, Unfähigkeit zur Vormundschaft, § 1781, und zum Amt eines Testamentsvollstreckers, §§ 2201, 2225 ; auch kann die Ehefrau des Pflegebefohlenen auf Aufhebung der Verwaltung und Nutznießung, § 1418, sowie der Errungenschaftsgemeinschaft, § 1542, klagen und, solange die Pflegschaft dauert, ihren Beitrag zum ehelichen Aufwand zur eigenen Verwendung zurückbehalten, § 1428. Die Pflegschaft ist auf Antrag des Pflegebefohlenen jederzeit aufzuheben, § 19208. Auf die tatsächliche Erschwerung der Geschäftsbesorgung durch körperliche Mängel nimmt das Gesetz Rücksicht, indem es den Gebrechlichen gestattet, Vormundschaften abzulehnen, § 1786 Nr. 4 4 , und besondere Vorschriften für den Abschluß formeller Geschäfte durch solche Personen aufstellt: so in § 168 GFG. für die gerichtliche oder notarielle Beurkundung der Rechtsgeschäfte tauber, * Windscheid § 71; Regelsberger §§ 64, 65; Bekker §§ 50, 51; Gierke § 45; Dernburg §§ 63, 64; Endemann § 31; Cosack § 29; Crome § 42; Enneccerus § 85; K ö h l e r § 125. 1 Es kommen auch andere Gebrechen in Betracht, z. B. Lähmung. M Nur für einen Prozeß, in welchem der Gebrechliche durch seinen Pfleger vertreten wird, gilt er als prozeßunfähig ; ZPO. § 53. 3 Der Ehemann kann auf Wiederherstellung der Verwaltung und Nutznießung sowie der Errungenschaftsgemeinschaft klagen; §§ 1425, 1547. 4 Taube und Stumme können als Schiedsrichter abgelehnt werden; ZPO. § 1032.

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blinder oder am Sprechen behinderter Personen, in §§ 2243 und 227 für Testament und Erbvertrag eines am Sprechen verhinderten Erblassers. Wer Geschriebenes nicht zu lesen vermag, kann ein Testament nicht anders als in öffentlicher Form durch mündliche Erklärung errichten, §§ 2247, 2238 II. Auf die Zurechnungsfähigkeit haben körperliche Gebrechen keinen Einfluß. Nur die Taubstummheit hat, da sie auf die geistige Entwicklung ungünstig einzuwirken pflegt, zur Folge, daß der Taubstumme wie ein Minderjähriger von 7—18 Jahren behandelt wird, § 828 6 . Körperliche Gebrechen können Unvermögen zur geschuldeten Leistung, § 275, herbeiführen sowie einen wichtigen Grund zur Kündigung eines Dienstvertrags oder einer Gesellschaft, §§ 626, 723, abgeben : sie gehören ferner zu den persönlichen Eigenschaften oder Umständen, wegen deren eine Ehe nach § 1333 (Irrtum) oder § 1334 (arglistige Täuschung) angefochten werden kann 6 ; sind aber nicht Scheidungsgrund. II. Von viel größerer Bedeutung sind die geistigen Gebrechen, weil sie den juristischen Kern der Person, die Willensfähigkeit affizieren. Das Gesetz unterscheidet drei Stufen der geistigen Abnormität : 1. Der stärkste Grad wird in § 104 und 827 bezeichnet7 als krankhafte Störung der Geistestätigkeit, durch welche die freie Willensbestimmung ausgeschlossen wird 8 . Dieser Zustand hebt die Zurechnung auf,t§ 827, und bewirkt Nichtigkeit der während desselben abgegebenen Willenserklärungen § 105 I I . Wenn der Zustand seiner Natur nach nicht vorübergehend ist 9 , tritt Geschäftsunfähigkeit ein, § 104 Nr. 2 1 0 . Die Geschäftsunfähigkeit des Geisteskranken beginnt ipso iure mit der Erkrankung und endigt ebenso mit der Genesung. Wenn im Lauf der Krankheit sog. lucida intervalla vorkommen, in denen die Willensbestimmung in 6

Vgl. ob. § 24 Note 12 b. P l a n c k § 1833, 8a. 7 Im Anschluß an StrGB. § 51. 8 Unter freier Willensbestimmung ist nicht die indeterministische Willensfreiheit zu verstehen, sondern die normale Zugänglichkeit des Willens für solche Motive, durch welche die Handlungen der Menschen bestimmt zu werden pflegen. 9 Ζ. B. Rausch, Fieber, Hypnose. 10 Bei Geschäftsunfähigkeit und vorübergehender Störung der Geistestätigkeit ist, wie jedes andere Rechtsgeschäft, auch die Eheschließung nichtig; § 1325 I. β

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normaler Freiheit vorsichgeht, so muß während dieser Zeiträume die Geschäftsfähigkeit anerkannt werden, mögen auch vom medizinischen Standpunkt aus die Krankheitsperioden trotz der lichten Zwischenräume als einheitlicher Prozeß erscheinen 11. Besonders gilt dies bei intermittierenden Erkrankungen, wie sie bei Alkoholikern (Quartalsäufern) und bei zirkulärem Wahnsinn vorkommen. Geisteskranke können entmündigt werden, § 6 Nr. 1 1 1 a Die Entmündigung aus diesem Grund hat Geschäftsunfähigkeit zur Folge, § 104 Nr. 3. Da der Begriff der Geisteskrankheit in § 6 nicht definiert ist und anderseits in den §§ 104, 827 sich das Wort Geisteskrankheit nicht findet, so wird von der herrschenden Meinung 12 bestritten, daß es sich in beiden Fällen um die gleiche psychische Abnormität handelt. Meines Erachtens versteht aber das Gesetz in § 6 unter Geisteskrankheit denselben Zustand, dessen Merkmale in §§ 104, 827 aufgezählt sind 18 . Dafür spricht vor allem, daß die Entmündigung wegen Geisteskrankheit nach § 104 Nr. 3 dieselbe Wirkung, Geschäftsunfähigkeit, hat, wie der in § 104 Nr. 2 beschriebene Krankheitszustand. Ist die freie Willensbestimmung nicht ausgeschlossen und doch ein Schutzbedürfnis vorhanden, so kann dem Kranken durch Entmündigung wegen Geistesschwäche oder in milderen Fällen durch Pflegschaft nach § 1910 geholfen werden 14 . Dazu kommt, daß schon die drei vom Gesetz anerkannten Stufen geistiger Abnormität sich schwer genug auseinanderhalten lassen; die weitere Unterscheidung zwischen Geisteskrankheit und krankhaftem Ausschluß der freien Willensbestimmung würde eine meines Erachtens nicht durchführbare Exaktheit der psychiatrischen Konstatierungen voraussetzen. Bestritten ist die Behandlung der Fälle, in denen die freie Willensbestimmung in Folge von fixen Ideen, Manieen und ähn11

So die herrschende Meinung; vgl. Planck § 104, 2; Endemann § 32 Note 5; Biermann § 59 Note 3; Oertmann § 104, 3f. 11 » Unabhängig von der Entmündigung ist die Frage der Unterbringung Geisteskranker in eine Heilanstalt, welche als medizinalpolitische Maßregel im Wege der Verwaltung auch gegen Willen des Kranken zu seiner Heilung und zum Schutz Dritter durchgeführt werden kann; vgl. Oertmann § 6, 2a und Verhandlungen des 25. Juristentags 2, 210; 3, 281. Der Juristentag hat es für wünschenswert erklärt, bezüglich der Unterbringung und Festhaltung in Irrenanstalten ausreichenden Rechtsschutz zu gewähren. 12 Vgl. Planck § 6, 2b; Oertmann, § 6, 2a und § 104, 3b. 18 So auch Hölder § 104, 3 und G o l d m a n n - L i l i e n t h a l 140. 14 Bei vorübergehendem Ausschluß der Willensbestimmung wird man meines Erachtens immer mit der Pflegschaft auskommen können; a. A. Oertmann § 6, 2 a.

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licher Zustände nach gewissen Richtungen ausgeschlossen ist, während der Kranke im Übrigen zu vernünftigen Entschließungen fähig ist. Die Medizin bezeichnet einen solchen Menschen wegen des allgemeinen Zusammenhangs aller Geistesfunktionen als geisteskrank. Soll er deswegen geschäftsunfähig sein, mit der Wirkung, daß auch seine vernünftigen Handlungen nichtig sind 16 ? Meines Erachtens trifft § 104 nur dann zu, wenn die freie Willensbestimmung ausgeschlossen ist d. h. wenn sie in jeder Richtung, nicht nur auf gewissen Gebieten des Lebens fehlt. Die auf der fixen Idee usw. beruhende Handlung ist trotzdem nichtig, aber auf Grund von § 105 I I l e . Für diese Ansicht spricht vor Allem die Rücksicht auf den Verkehr, welcher den Menschen, solange seine Abnormität nicht hervortritt, als geschäftsfähig behandelt. Der nötige Schutz kann auch hier durch Entmündigung wegen Geistesschwäche oder Pflegschaft gewährt werden. Geisteskrankheit ist Scheidungsgrund, § 1569. Der Begriff der Geisteskrankheit ist hier derselbe, wie in §§ 6 und 104, es muß aber hinzukommen, daß die Krankheit während der Ehe mindestens drei Jahre gedauert und einen solchen Grad erreicht hat, daß die geistige Gemeinschaft zwischen den Ehegatten aufgehoben, auch jede Aussicht auf Wiederherstellung dieser Gemeinschaft ausgeschlossen ist. 2. Die zweite Stufe geistiger Abnormität nennt das Gesetz in § 6 Geistesschwäche. Durch diesen Zustand wird weder die Geschäftsfähigkeit noch die Zurechnungsfähigkeit gemindert 17 . Die Geistesschwäche ist nach § 6 Nr. 1 Grund zu einer Entmündigung, welche aber, anders als bei Geisteskrankheit, nicht Geschäftsunfähigkeit, sondern Beschränkung der Geschäftsfähigkeit zur Folge hat 1 8 . Das Gesetz gibt keine Definition des Unterschieds zwischen Geisteskrankheit und Geistesschwäche. Die Psychiatrie kennt die Geistesschwäche nicht als technischen Begriff, sondern sieht in ihr eine Form der geistigen Erkrankung. Nach der Auffassung des täg15 So Planck § 104, 2 mit der Begründung, daß das BGB. eine partielle Geschäftsunfähigkeit nicht kenne. 16 Dernburg §63 I I ; Oertmann § 104, 3f; ebenso für das frühere RG. 38, 194; SeuffA. 47, 134. 17 Ein Schutz der Geistesschwachen gegen Übervorteilung ergibt sich aus § 138, RG. 67, 393; da schon die Ausbeutung der Unerfahrenheit das Geschäft nichtig macht, so muß das um so mehr bei Ausnützung geistiger Minderwertigkeit der Fall sein. 18 Der entmündigte Geistesschwache steht in Ansehung der Geschäftsfähigkeit dem Minderjährigen gleich; § 114.

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lichen Lebens spricht man von Geistesschwäche dann, wenn die geistige Entwicklung in auffallendem Maße zurückgeblieben oder die Geisteskräfte in hohem Alter bedeutend zurückgegangen sind, ohne daß die äußeren Symptome einer Krankheit im Sinn der Laiensprache vorliegen 19 . Nach der herrschenden und meines Erachtens richtigen Ansicht 20 ist die Grenzlinie zwischen den rechtlichen Begriffen der Geisteskrankheit und Geistesschwäche weder nach den Erscheinungsformen der Erkrankung zu bestimmen, noch nach den pathologischen Ursachen (ob die Abnormität angeboren oder im Lauf des Lebens entstanden ist, ist irrelevant), sondern ausschließlich nach dem Grad ihrer Einwirkung auf die Willensbetätigung: Geisteskrankheit im Sinn des Gesetzes ist die Anomalie, bei welcher die freie Willensbestimmung ausgeschlossen und daher Entmündigung mit der Folge der Geschäftsunfähigkeit am Platz ist; Geistesschwäche ist die leichtere Stufe der Anomalie, bei welcher die Willensbestimmung zwar krankhaft ist, aber nur so weit, daß man dem Kranken nicht jede Betätigung seines Willens zu entziehen braucht, sondern daß es genügt, ihm zu seinem Schutz durch Entmündigung die rechtliche Stellung eines Minderjährigen zu geben. Da die Grenzlinie zwischen beiden Arten der geistigen Störung mit Rücksicht auf ihre Bedeutung für das praktische Leben und die dieser Bedeutung angemessenen Rechtsfolgen zu ziehen ist, so ist der Richter an die Meinung der medizinischen Sachverständigen nur insoweit gebunden, als sie über den Einfluß der Abnormität aiif die Willensbestimmung Aussagen machen. Die Bewertung dieser Resultate für die Bedürfnisse des Rechtslebens und daher die Subsumtion des Tatbestandes unter die Begriffe der geistigen Krankheit oder Schwäche ist Sache des Richters 21 . 3. Die dritte Stufe geistiger Abnormität ist das geistige Gebrechen, welches den Betroffnen an der Besorgung einzelner seiner Angelegenheiten, oder eines bestimmten Kreises seiner Angelegenheiten, insbesondere seiner Vermögensangelegenheiten, hindert, §. 1910 II. Durch ein solches Gebrechen wird die Geschäftsfähigkeit nicht gemindert, auch kein Grund zur Entmündigung gegeben, sondern'nur Anlaß zur Einsetzung einer Pflegschaft. Auch durch die Pflegschaft erleidet der Gebrechliche keine Beschränkung seiner 19 Für Unterscheidung in diesem Sinne Oertmann § 6, 2b; dagegen Enneccerus § 86 Note 2. fl0 Planck § 6, 2b; Endemann § 33 Note 6; Dernburg § 63 I I I und die grundlegende Entsch. RG. 50, 203. 21 Vgl. Oertmann § 6, 2c.

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Geschäftsfähigkeit. Die Pflegschaft darf, wie bei körperlichen Gebrechen 92 , nur mit Einwilligung des Gebrechlicheil angeordnet werden, es sei denn, daß eine Verständigung mit ihm nicht möglich ist. Dem Tatbestande nach berührt sich das geistige Gebrechen des § 1910 sehr nahe mit der Geistesschwäche. Denn auch dem Geistesschwachen überläßt das Gesetz, selbst wenn er entmündigt ist, die freie Betätigung für einen gewissen Kreis von Angelegenheiten, zu denen die wichtigsten Entscheidungen des Familienrechts gehören 28 : das Gesetz anerkennt also beim Geistesschwachen, wie beim Gebrechlichen, für gewisse Angelegenheiten ein genügendes Maß vernünftiger Willensbestimmung. Das Institut der Pflegschaft ist, gerade weil es in vielen Fällen mit der Möglichkeit einer Entmündigung konkurriert, eine willkommene Ergänzung des Entmündigungsrechts : wenn der geistig abnorme Mensch seinen Zustand selbst einsieht und sich der Notwendigkeit eines obrigkeitlichen Eingreifens bewußt ist, kann das zeitraubende Entmündigungsverfahren mit seinen unvermeidlichen moralischen Härten vermieden und, solange der Gebrechliche sich die Pflegschaft gefallen läßt, ungefähr dasselbe Resultat, vernünftige Besorgung der Angelegenheiten erreicht werden, wie durch die Entmündigung. Die Pflegschaft ist, weil sie auf der Einwilligung des Gebrechlichen beruht, auf seinen Antrag aufzuheben, § 1920. Für bedenklich halte ich die vom RG. 65,200 sanktionierte Praxis 24 , bei Ausschluß der freien Willensbestimmung durch krankhafte Störung der Geistestätigkeit eine Pflegschaft nach § 1910 ohne Einwilligung des Gebrechlichen einzusetzen, „weil eine Verständigung mit ihm nicht möglich sei",' und einen Antrag des Gebrechlichen auf Aufhebung der Pflegschaft, wenn er sich im Zustand des § 104 Nr. 2 befindet, unbeachtet zu lassen. Damit wird meines Erachtens der Grundcharakter der Pflegschaft, die Freiwilligkeit, zerstört und eine Zwangspflegschaft eingeführt, ohne die Garantieen des Entmündigungsverfahrens: persönliche Vernehmung, Zuziehung von Sachverständigen, Beteiligung des Staatsauwalts. Allerdings ist die Pflegschaft kein so schwerer Eingriff in die Rechtsstellung der Person, wie die Entmündigung, weil sie die Geschäftsfähigkeit unberührt läßt ; aber immerhin wird dem Pfleger ein Teil der Rechtssphäre des Gebrechlichen, oft das ganze Vermögen, ausgeliefert. 23 23 2i

Vgl. ob. S. 405. Ζ. B. Anfechtung der Ehe, § 1336; Scheidung, ZPO. § 612. Vgl. Planck § 910, 2d; Endemann I I § 228 Note 7.

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Ein solcher Eingriff durch bloße Verfügung des Vormundschaftsgerich'ts ist nur gerechtfertigt, wenn er prinzipiell auf der Einwilligung des Gebrechlichen beruht. Unmöglichkeit der Verständigung im Sinn von § 1910 I I I liegt meines Erachtens nur dann vor, wenn sich ζ. B. während einer akuten Erkrankung nicht konstatieren läßt, ob der Kranke einwilligt oder nicht; dagegen nicht, solange der Gebrechliche faktisch imstande ist, Widerspruch gegen die Errichtung der Pflegschaft zu erheben oder ihre Aufhebung zu beantragen; ob sein Wille normal ist oder nicht, kommt meines Erachtens für die Zulässigkeit der freiwilligen Pflegschaft nicht in Betracht 25 . So gut das Gesetz, ZPO. §§ 664, 675, den zu Entmündigenden zu Wort kommen läßt, obgleich sein Geisteszustand bestritten ist, ebenso und noch mehr muß das bei der grundsätzlich freiwilligen Pflegschaft der Fall sein. Fehlt dem Gebrechlichen die freie Willensbestimmung und ist daher ein zwangsweises Einschreiten nötig, so bietet sich dafür der vom Gesetz vorgeschriebene Weg der Entmündigung. Eine Entmündigung ist aber meines Erachtens auch in den vom RG. a. a. 0. genannten Fällen (wenn der Kranke zur Besorgung nicht aller Angelegenheiten unfähig, oder wenn eine Fürsorge nicht für alle Angelegenheiten nötig ist) zulässig: sie kann wegen Geistesschwäche ausgesprochen werden, wobei dem Entmündigten die Entscheidung in gewissen Angelegenheiten ex lege verbleibt und im Übrigen, soweit es erforderlich und angemessen ist, vom Vormund überlassen werden kann. § 26.

Entmündigung*.

I. Entmündigung ist ein gerichtliches Verfahren, durch welches die Geschäftsfähigkeit eines Menschen aufgehoben oder beschränkt wird 1 . Sie ist nach § 6 in folgenden Fällen zulässig: 25 Ipso iure wirkt die Geisteskrankheit nur insofern, als Willenserklärungen des Kranken nichtig sind, § 105. Soll aber der Kranke wegen seiner Krankheit unter die Gewalt eines anderen kommen, welchem die Verfügung über seine Angelegenheiten übertragen wird, so genügt dazu nicht, daß die Krankheit vorliegt, sondern sie muß in dem dafür angeordneten Entmündigungsverfahren formell konstatiert werden. * Endemann § 32—35; Enneccerus § 86; L e v i s , Entmündigung Geisteskranker; E. Schultze, Stellungnahme des RG. zur Entmündigung wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche und zur Pflegschaft. 1 Auch Minderjährige können entmündigt werden, obgleich sie schon durch ihr Lebensalter in der Geschäftsfähigkeit beschränkt sind. Durch die Entmündigung wird ihnen die mit dem 16. Jahr beginnende Testierfähigkeit ent-

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1. Wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche, wenn der zu Entmündigende infolge eines dieser Zustände seine Angelegenheiten nicht zu besorgen vermag. Zu den Angelegenheiten des Menschen sind hier zu rechnen die Sorge für seine eigene Person, sowie alle Aufgaben, welche ihm im Kreise seiner Rechtsgenossen zugeteilt sind, insbesondere die Ausübung seiner Rechte und die Erfüllung seiner Pflichten 2. Die Unfähigkeit der Besorgung darf sich nicht auf einzelne Angelegenheiten oder einen Kreis einzelner Geschäfte beziehen; in solchen Fällen ist Pflegschaft nach § 1910 am Platz 8 . Dagegen geht RG. 50, 204 entschieden zu weit, indem es die Entmündigung für unzulässig erklärt, wenn der Kranke auch nur einzelne seiner Angelegenheiten zu besorgen vermag 4 ; daß eine partielle Fähigkeit zur Geschäftsbesorgung mit der Entmündigung vereinbar ist, ergibt sich schon aus den gesetzlichen Folgen der Entmündigung wegen Geistesschwäche: der Entmündigte kann Erwerbshandlungen und gewisse wichtige Entscheidungen des Familienrechts selbständig vornehmen; das Gesetz setzt also die Möglichkeit einer Entmündigung voraus, auch wenn dem Kranken die Entschlußfähigkeit nicht auf allen Gebieten des Lebens fehlt. Meines Erachtens wird schon die Unfähigkeit zur Vermögensverwaltung oft zur Entmündigung wegen Geistesschwäche genügen, auch wenn der Kranke in Familienangelegenheiten vernünftig zu handeln vermag; denn solche Handlungen bleiben ihm bei dieser Art Entmündigung unbenommen6. Wenn der Kranke keine Anzogen und der Eintritt der Geschäftsfähigkeit bei Erreichung der Volljährigkeit verhindert; Planck § 6, 6; D e r n b u r g § 63 Note 10; Levis 107. 2 Dabei kommen Pflichten wie des bürgerlichen, so auch des öffentlichen Rechts in Betracht; dagegen ist Nichtausübung öffentlicher Rechte und vollends Gleichgültigkeit gegen öffentliche Interessen kein Entmündigungsgrund ; Oertmann § 6, 2c. 8 Verweigert der Kranke seine Einwilligung, so ist die Pflegschaft meines Erachtens unzulässig; vgl. ob. § 25 Note 24. Handelt es sich um Geschäfte, deren Besorgung unerläßlich ist und die ohne Pfleger nicht besorgt werden können, so kann grundloser Widerspruch des Gebrechlichen gegen die Pflegschaft als Unfähigkeit zu vernünftiger Besorgung der Angelegenheiten gelten und daher Entmündigung wegen Geistesschwäche vorgenommen werden. 4 Planck § 6, 2a; Oertmann § 6, 2c. Ί Der sogenannte Querulantenwahnsinn ist eine Form der Geistesschwäche und kann meines Erachtens Entmündigungsgrund sein, insofern der Kranke durch seinen auf abnormen Vorstellungen beruhenden Kampf ums Recht an der vernünftigen Besorgung seiner Angelegenheiten gehindert ist; vgl. Levis 67; D e r n b u r g § 63 Note 8; Oertmann § 6, 2c.

§ 26.

Entmündigung.

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gelegenheiten hat, die der Fürsorge bedürfen (ζ. B. er hat kein Vermögen und ist persönlich oder in einer Anstalt gut aufgehoben), so besteht kein Grund zur Entmündigung. Der Unterschied von Geisteskrankheit und Geistesschwäche ist, wie ob. S. 409, erörtert, ein quantitativer: es kommt darauf an, welches Maß von geistiger Leistungsfähigkeit dem Kranken verblieben ist; danach sind die Wirkungen der beiden Arten der Entmündigung abgestuft. Die Entmündigung wegen Geisteskrankheit ist in ihren Voraussetzungen und Wirkungen ein Plus im Vergleich zu der Entmündigung wegen Geistesschwäche6. Der Zweck der Entmündigung in beiden Fällen ist Schutz der Interessen des Kranken und Sicherung der Dritten, die mit ihm in rechtlichen Verkehr treten, gegen die Gefahr, daß die Rechtsgeschäfte sich wegen Handlungsunfähigkeit des Kranken als nichtig erweisen; dagegen nicht: Schutz des Publikums gegen Gemeingefährlichkeit des Kranken 7 . 2. Wegen Verschwendung kann entmündigt werden, wer sich oder seine Eamilie der Gefahr des Notstandes aussetzt. Verschwendungssucht ist eine geistige Anomalie, welche sich in schwereren Fällen als eine Erscheinungsform der Geisteskrankheit oder Geistesschwäche darstellt; dann ist aus einem dieser Gründe zu entmündigen8. Die leichteren Fälle, bei denen sich die Symptome der Anomalie bloß auf dem Gebiete der Verwaltung und Verwertung des Vermögens zeigen, werden vom Gesetz im Anschluß an die althergebrachte Auffassung des Lebens zu einem besonderen Tatbestand unter dem Namen Verschwendung zusammengefaßt, bei dessen Beurteilung medizinische Gesichtspunkte ausscheiden und nur der Maßstab der vernünftigen Lebensführung in Betracht kommt. Es handelt sich bei der Verschwendung nicht um einmalige, noch so große oder unvernünftige Ausgaben, sondern um ein finanzielles Gebahren, welches auf einer Charakteranlage, einem krankhaften und daher durch Vernunftsgründe nicht zu bändigenden Trieb oder Hang zu übermäßigen Ausgaben beruht 9 . 6 Daher kann, wenn im Antrag Geisteskrankheit behauptet ist, Entmündigung wegen Geistesschwäche ausgesprochen werden, RG. 50, 203; Oertmann, § 6, 2e, aber nicht umgekehrt; Gaupp-Stein § 645, 1. 7 Hier greift die Internierung auf dem Verwaltungswege ein; vgl. ob. § 25 Note IIa. 8 Endemann § 34 Note 2. 9 RG. in SeuffA. 60, 257.

Zweites Buch.

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Die Personen.

Maßgebend ist ferner der Zweck dieser Ausgaben: ist der Zweck durch Vernunft und Sittlichkeit gerechtfertigt, so gilt eine noch so weitgehende und ungewöhnliche Verminderung des Vermögens nicht als Verschwendung; die verschwenderische Ausgabe braucht anderseits nicht gerade unsittlich zu sein; Verschwendung liegt schon dann vor, wenn die übermäßige Ausgabe aus zwecklosen, sozial und sittlich nicht zu billigenden Gründen erfolgt 10 . Dabei kommt es endlich auf Person und Umstände an: Ausgaben für Hazard, Rennpferde, Vergnügungen, kostspielige Sammlungen können je nach den Vermögens- und Erwerbsverhältnissen und der sozialen Stellung des Menschen bald innerhalb bald außerhalb der Grenze der Verschwendung liegen 11 . Da die Verschwendung rechtlich nicht als Abart geistiger Erkrankung behandelt wird, so ist die Entmündigung nicht ohne weiteres zulässig, sondern erst dann, wenn die Gefahr des Notstandes besteht 12 . Notstand liegt dann vor, wenn der Verschwender nicht mehr die Mittel zum standesgemäßen Unterhalt 18 für sich und seine Familie besitzt; Unter Familie wird man hier die Personen zu verstehen haben, welchen der Verschwender gesetzlich zum Unterhalt verpflichtet ist oder werden kann. Sobald dieser Zustand vorauszusehen ist, was bei konstatierter Verschwendungssucht erfahrungsmäßig bereits der Fall ist, bevor das Vermögen aufgebraucht ist, liegt Grund für die Entmündigung vor. Sie erfolgt im Interesse des Entmündigten, um ihn gegen die Folgen seiner Handlungsweise zu schützen, aber auch zum Schutz seiner Angehörigen, und auch im Interesse des öffentlichen Verbandes, dem der Verschwender schließlich zur Last fallen würde. Die Rechtsgeschäfte , in denen die Verschwendung hervortritt und welche den Anlaß zur Entmündigung geben, bleiben in ihrer Gültigkeit durch die Entmündigung unberührt, soweit nicht § 138 II, Ausbeutung des Leichtsinns, in Betracht kommt. Abgesehen von der Entmündigung hat die Verschwendung gewisse Rechtsfolgen: die Ehefrau des Verschwenders kann Aufhebung der 10

Endemann § 34 Note 4. Verschwendung durch sinnloses Unterlassen von Maßregeln, die zur ordentlichen Wirtschaft gehören? H o l d e r § 6, 6 I c ; Oertmann § 6, 3a. 18 Daher ist sinnlose Verwaltung eines fremden Vermögens, sofern daraus nicht eine Ersatzpflicht entsteht, kein Entmündigungsgrund. 13 Oertmann § 6, 3a; Dernburg § 64 I I 4 verlangt Gefährdung des notdürftigen Unterhalts. 11

§ 26.

Entmündigung.

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Gütergemeinschaft verlangen, § 1468 13 a ; der Pflichtteil des Verschwenders kann beschränkt werden, § 2338. 3. Entmündigung kann erfolgen wegen Trunksucht 14 , d. h. wegen einer krankhaften unwiderstehlichen Neigung zum Genuß berauschender, alkoholischer 15 Getränke. Auch hier hat das Gesetz eine abnorme Charakterschwäche, die vom medizinischen Standpunkt aus zu den Geistesanomalien gehört, zu einem selbständigen Tatbestand erhoben und damit der medizinischen Beurteilung entrückt. Die Entmündigung wegen Trunksucht verlangt als weitere Voraussetzung: entweder Unfähigkeit des Trunksüchtigen zur Besorgung seiner Angelegenheiten (wie bei Geisteskrankheit und Geistesschwäche), oder Herbeiführung der Notstandsgefahr für sich oder die Familie (wie bei der Verschwendung), oder endlich Gefährdung der Sicherheit anderer. Der Zweck der Entmündigung im letzten Falle ist die Ermöglichung der zwangsweisen Unterbringung in eine Trinkerheilanstalt 16 . I I . Das Verfahren der Entmündigung ist in der ZPO. geregelt (§ 645 fg.: Geisteskrankheit und Geistesschwäche, § 680fg. : Verschwendung und Trunksucht). Ob das Verfahren seinem Wesen nach zur streitigen und unfreiwilligen Gerichtsbarkeit gehört, ist bestritten 17 . Jedenfalls sind zur Ergänzung von ZPO. § 645 fg. die übrigen Bestimmungen der ZPO. nicht die des GFG. heranzuziehen. Die Entmündigung erfolgt durch Beschluß des Amtsgerichts auf Antrag. Antragsberechtigt sind der Ehegatte, die Verwandten, der gesetzliche Vertreter, dem die Sorge für die Person zusteht 18 , 13

» Gefahr des Notstandes braucht nicht vorzuliegen; es genügt erhebliche Gefährdung des Gesamtguts; Planck § 1468, 46. 14 Ausführliche Literaturnachweise zu dieser Frage bei Endemann § 34 Note 7. 16 Analoge Ausdehnung des § 6 auf übermäßigen Genuß anderer schädlicher Substanzen (Morphium, Kokain usw.) dürfte nicht zulässig sein, weil diese Erscheinungen nicht in dem Maße gemeingefährlich und allgemein verbreitet sind, wie die Trunksucht; vgl. Oertmann §6, 4c mit Zit. Morphiumsüchtige können unter Umständen wegen Geistesschwäche entmündigt werden. le Bei Geisteskrankheit und Geistesschwäche wird der Schutz Dritter gegen Verletzungen durch den Kranken nicht durch Entmündigung, sondern durch polizeiliche Maßregeln bewirkt, vgl. ob. Note 7. Nur für die Internierung Trunksüchtiger ist in § 6 eine gesetzliche Grundlage gegeben; vgl. über diese Inkonsequenz des Gesetzes Landsberg, BGB. § 27 Note 2. 17 H e l l w i g , ZivProz. § 9 I I 8; Gaupp-Stein, Bern. I I I vor § 645; Levis § 13fg. 18 Nicht der Pfleger des § 1910.

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Zweites Buch.

Die Persone.

bei Geisteskranken und Geistesschwachen auch der Staatsanwalt, § 646 19 . Wird der Antrag zurückgenommen oder stirbt der Antragsteller oder verliert er das Antragsrecht 20 , so muß das Verfahren, wenn kein Antrag eines anderen Antragsberechtigten vorliegt, eingestellt werden 21 . Im Entmündigungsverfahren herrscht die Offizialmaxime : das Gericht hat von Amtswegen die erforderlichen Ermittelungen vorzunehmen und die erheblich scheinenden Beweise zu erheben, § 653; der zu Entmündigende ist in der Regel persönlich zu vernehmen, § 654; das Gericht muß einen oder mehrere Sachverständige hören, § 655; bei Trunksucht kann das Gericht die Beschlußfassung aussetzen, wenn Aussicht besteht, daß der zu Entmündigende sich bessern werde, § 681. Der Entmündigungsbeschluß wird der Vormundschaftsbehörde mitgeteilt und dem Entmündigten, außer im Falle der Geisteskrankheit, zugestellt; bei Geisteskranken, die unter elterlicher Gewalt oder bereits unter Vormundschaft stehen 22 , erfolgt die Zustellung an den gesetzlichen Vertreter, §§ 660, 683. Mit der Zustellung des Beschlusses tritt die Entmündigung in Wirksamk e i t 2 2 » ; hat der Geisteskranke keinen gesetzlichen Vertreter, so wird die Entmündigung erst mit der Bestellung eines Vormunds durch das Vormundschaftsgericht wirksam, § 661 2 8 . Die Entmündigung wegen Verschwendung und Trunksucht wird öffentlich bekannt gemacht, § 687. Gegen einen Beschluß, der die Entmündigung ablehnt, hat der Antragsteller (bei Geisteskrankheit und Geistesschwäche auch der Staatsanwalt) die sofortige Beschwerde, § 663. Der Beschluß, der die Entmündigung ausspricht, kann innerhalb eines Monats angefochten werden, §§ 664, 684. Anfechtungsberechtigt ist der 19 Nicht bei Verschwendung und Trunksucht, obgleich gerade in letzterem Falle das öffentliche Interesse (Schutz Dritter) eine Rolle spielt. Dagegen läßt § 680 I I I die landesgesetzlichen Vorschriften unberührt, nach denen bei Verschwendung und Trunksucht die Gemeinde oder der Armenverband den Antrag stellen können. 20 Z.B. der Ehemann durch Scheidung; vgl. auch SeuffA. 57, 84. 21 Gaupp-Stein § 645 II. 22 Vgl. ob. Note 1. Nicht erst mit der Rechtskraft des Beschlusses: der Entmündigte soll möglichst bald den Schutz der Entmündigung genießen. 23 Auch .wenn die Bestellung des Vormunds, wegen Unfähigkeit (§ 1780) nichtig ist?

§ 26.

Entmündigung.

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Entmündigte, selbst dann, wenn die Entmündigung wegen Geisteskrankheit ausgesprochen i s t 2 4 ; außerdem bei Entmündigung wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche der gesetzliche Vertreter, dem die Sorge für die Person zusteht, und die übrigen in § 646 genannten Personen, auch der Staatsanwalt 26 . Die Aufhebung der Entmündigung erfolgt mit der Rechtskraft des die Aufhebung aussprechenden Urteils, § 672 2 5 a . I I I · Die Wirkung der Entmündigung ist, wenn sie wegen Geisteskrankheit erfolgt, Geschäftsunfähigkeit, § 104 Nr. 3; in den anderen Fällen : Beschränkung der Geschäftsfähigkeit in dem Maße, wie sie bei Minderjährigen vorliegt, § 114 2 6 . Die Entmündigung ist, wie die Volljährigkeitserklärung und die Todeserklärung 27, ein konstitutiver, rechtsgestaltender Staatsakt 28 , durch welchen einem Menschen die rechtliche Eigenschaft der Geschäftsfähigkeit entzogen oder geschmälert wird. Diese Wirkung der Entmündigung dauert so lange, bis die Entmündigung wegen Wegfall ihres Grundes aufgehoben wird. Daher kommen für den wegen Geisteskrankheit Entmündigten, dem, wenn er wirklich geisteskrank ist, die Geschäftsfähigkeit ipso iure fehlt, lucida intervalla nicht in Betracht, während er ohne die Entmündigung in diesen Augenblicken als geschäftsfähig zu betrachten wäre 29 . Geistesschwache, Verschwender und Trunksüchtige sind vor der Entmündigung geschäfts24

Er wird für den Prozeß als geschäftsfähig behandelt, RG. 68, 404; auf seinen Antrag wird ihm ein Rechtsanwalt als Vertreter beigeordnet, § 668. 25 Diese Personen sind auch dann anfechtungsberechtigt, wenn sie selbst den Antrag auf Entmündigung gestellt haben; denn der Zweck des ganzen Verfahrens ist nicht Durchsetzung eines subjektiven Rechts des Antragstellers auf Entmündigung eines anderen Menschen ( H e l l w i g , ZivProz. § 9 Note 50), sondern Fürsorge für den zu Entmündigenden, falls er wirklich krank ist. 26 a Anders als im Wege der Anfechtung kann die Gültigkeit der Entmündigung nicht in Frage gestellt werden ; wenn z. B. jemand mit einem Entmündigten einen Vertrag geschlossen hat, so kann er seine Klage nicht auf die Behauptung stützen, daß die Entmündigung zu Unrecht erfolgt sei; vgl. § 115 und unt. § 34 Note 64. 26 Im Unterschied vom Minderjährigen ist der Entmündigte testierunfähig, § 2229 I I I (aber fähig zum Widerruf eines Testaments), und kann nicht zum Vormund bestellt werden (vgl. ob. § 24 Note 12 a); dagegen kann er, mit Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters, heiraten; § 1304. 27 Vgl. ob. § 24 Note 32 und § 23 Note 16. 28 Oertmann § 6, l b ; H e l l w i g , ZivProz. § 9 Note 48; S t a u d i n g e r § 6 Β VI 3. 80 Vgl. ob § 25 Note 11. Handbuch X . 1. I : v o n T u h r

I

27

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Die Personeil.

fähig und erleiden erst durch die Entmündigung 80 eine Beschränkung dieser Fähigkeit; in diesen Fällen tritt der konstitutive Charakter der Entmündigung besonders deutlich hervor. Für die Zurechnungsfähigkeit kommt die Entmündigung nicht in Betracht : Geisteskranke haften für den durch sie angerichteten Schaden nicht, auch wenn sie nicht entmündigt sind : entmündigte Geistesschwache, Verschwender und Trunksüchtige haften wie normale Menschen81. Ist ein Volljähriger entmündigt, so wird ihm vom Vormundschaftsgericht ein Vormund bestellt, § 1896. Wird die Entmündigung auf dem Wege der Anfechtung aufgehoben, so entfällt die durch die Entmündigung bewirkte Aufhebung oder Beschränkung der Geschäftsfähigkeit, und zwar ex tunc 8 1 \ Daher sind die in der Zwischenzeit von oder gegenüber dem Entmündigten vorgenommenen Rechtsgeschäfte ohne Rücksicht auf die durch Anfechtung aufgehobene Entmündigung zu beurteilen, § 115: sie sind wirksam, wenn der Entmündigte tatsächlich nicht geisteskrank war; unwirksam, wenn sich herausstellt, daß er trotz der Aufhebung der Entmündigung geisteskrank 8 2 (nicht bloß geistesschwach) war 8 8 . Die Vormundschaft endigt mit der Rechtskraft des die Entmündigung auf hebenden Urteils 8 4 ; die vom Vormund in der Zwischenzeit vorgenommenen Rechtsgeschäfte bleiben gültig, § 115 I 2 8 5 . Die Entmündigung hat außer ihrer Einwirkung auf die Geschäftsfähigkeit noch andere Folgen : die Ehefrau des Entmündigten 80 Nicht schon durch den Antrag auf Entmündigung, selbst wenn der Antrag zur Entmündigung führt. Nur die Testierfähigkeit ist bereits durch den Antrag entzogen; § 2229 III. 81 Aber durch die Bestellung des Vormunds wird dem Entmündigten die Verwaltung seines Vermögens genommen, und er damit der Pflicht enthoben, für die Erfüllung der auf diesem Vermögen lastenden Verbindlichkeiten zu sorgen; vgl. ob. § 4 VII. 81 » Weil das Urteil auf der Annahme beruht, daß die Entmündigung nicht hätte erfolgen sollen. 88 Der Krankheitszustand kann während des Anfechtungsprozesses unerkennbar gewesen sein ; oder der Anfechtung mußte stattgegeben werden, weil kein gültiger Antrag vorlag. 88 Noch weiter geht § 2230 I : ein Testament, welches der Entmündigte während der Anfechtungsfrist errichtet, ist ohne Rücksicht auf die Entmündigung zu beurteilen, wenn der Entmündigte während dieser Frist stirbt. 84 Planck § 1897, 2. 85 Über die Kollision zwischen Verfügungen des Entmündigten und seines Vormunds vgl. Oertmann § 115, 2.

§ 26.

Entmündigung.

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kann Aufhebung der Verwaltung und Nutznießung, § 1418 Nr. 3, und der Errungenschaftsgemeinschaft, § 1542, verlangen. Wird die Entmündigung mit Erfolg angefochten, so tritt das aufgehobene Güterrecht nicht von selbst wieder in Kraft, kann aber durch Klage des Mannes wiederhergestellt werden, §§ 1425, 1547. Aufhebung der allgemeinen Gütergemeinschaft kann die Ehefrau nur dann verlangen, wenn die Entmündigung wegen Verschwendung ergangen ist, § 1468 Nr. 4, nicht bei Entmündigung wegen Geistesschwäche oder Trunksucht 86 ; Wiederherstellung der Gütergemeinschaft nach erfolgreicher Anfechtung der Entmündigung soll der Ehemann mangels einer gesetzlichen Vorschrift nicht verlangen dürfen 8 T . IV. Die Entmündigung ist wiederaufzuheben, wenn ihr Grund wegfällt, § 6 II. Von der Anfechtung unterscheidet sich die Wiederaufhebung dadurch, daß die Entmündigung als rechtsgültig ergangen vorausgesetzt und eine Änderung der Umstände angenommen wird, welche den Fortbestand der Entmündigung als nicht mehr gerechtfertigt erscheinen läßt. Die Wiederaufhebung erfolgt durch Beschluß des Amtsgerichts auf Antrag des Entmündigten oder des gesetzlichen Vertreters, welchem die Sorge für die Person zusteht (bei Geisteskranken oder Geistesschwäche auch des Staatsanwalts), ZPO. 685. Der Wegfall des Entmündigungsgrundes wird mit denselben Mitteln konstatiert, wie sein Vorliegen. Gegen den Aufhebungsbeschluß hat nur der Staatsanwalt die sofortige Beschwerde1 § 678 I I 8 8 . Wird der Antrag auf Aufhebung der Entmündigung abgelehnt, so kann innerhalb beliebiger F r i s t 8 9 beim Landgericht Klage auf Aufhebung erhoben werden, §§ 679, 686. Klageberechtigt ist der gesetzliche Vertreter (und der Staatsanwalt); will der gesetzliche Vertreter die Kiage nicht erheben, so kann dem Entmündigten ein Rechtsanwalt als Vertreter für diese Klage beigeordnet werden 40 . Die Wirkung des die Entmündigung auf86 In diesen Fällen geht die Verwaltung des Gesamtguts auf den Vormund des Ehemannes über, § 1457. Die daraus für die Frau entstehenden Unzuträglichkeiten können durch Ernennung der Frau zum Vormund vermieden werden; vgl. En de mann I I § 186 Note 10. 87 Planck § 1468, 4a; Endemann a. a. 0. 88 Den Antragberechtigten des § 646 bleibt es überlassen, Entmündigung wegen wiedereingetretenen Entmündigungsgrundes zu beantragen. 89 Gaupp-Stein § 679 I; unrichtig Staudinger § 6 C 5. ZPO. §664 findet nicht entsprechende Anwendung; § 679. 40 Es hängt daher vom Ermessen des Vorsitzenden des Prozeilgerichts ab, ob dem Entmündigten, dessen Antrag auf Wiederaufhebung vom Amtsgericht zurückgewiesen ist, die Möglichkeit der Klage gewährt werden soll. 27·

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hebenden Beschlusses resp. Urteils tritt erst mit der Rechtskraft ein 4 1 , so daß der Entmündigte, obgleich der Entmündigungsgrund schon während des Verfahrens nicht mehr vorliegt, bis zu diesem Moment nicht voll geschäftsfähig ist und unter Vormundschaft bleibt 4 2 . Nur die Testierfähigkeit des Entmündigten wird auf den Moment des Aufhebungsantrags zurückdatiert, § 2230 II. Nach der Wiederaufhebung, wie nach der Anfechtung der Entmündigung kann der Ehemann auf Wiederherstellung der durch die Entmündigung aufgehobenen Verwaltung und Nutznießung und der Errungenschaftsgemeinschaft klagen, §§ 1425, 1547. Der Geisteszustand des Entmündigten kann sich auch insofern ändern, daß nunmehr ein anderer Entmündigungsgrund vorliegt, als der, aus welchem die Entmündigung ausgesprochen wurde ; die Geisteskrankheit hat sich ζ. B. soweit gebessert, das jetzt nur noch von Geistesschwäche gesprochen werden kann; oder umgekehrt: was im Entmündigungsverfahren als Geistesschwäche, Verschwendung oder Trunksucht angesehen wurde, hat sich jetzt zur Geisteskrankheit verstärkt. In solchen Fällen kann eine Umwandlung der Entmündigung erfolgen 48 . V. Das Entmündigungsverfahren ist zum Schutz gegen ungerechtfertigte Entmündigung mit so vielen Kautelen ausgestattet, daß die Durchführung der Entmündigung längere Zeit beansprucht. I n der Zwischenzeit bedarf der zu Entmündigende u. U. eines vorläufigen Schutzes für den Fall, daß der Entmündigungsgrund wirklich vorliegt. Der Geisteskranke ist durch seine ipso »iure bestehende Geschäftsunfähigkeit einigermaßen geschützt: aber bei Geistesschwachen und besonders bei Verschwendern und Trunksüchtigen, die sich alle bis zur Entmündigung der vollen Geschäftsfähigkeit erfreuen, ist zu befürchten, daß sie während des Verfahrens ihr Vermögen vergeuden oder unwiderbringlich schädigen. Auf dieser Besorgnis bejuht die Befugnis des Vormundschaftsgerichts, einen Volljährigen 4 4 , dessen Entmündigung beantragt ist, unter vorläufige 41

P l a n c k § 1897, 2; Gaupp-Stein § 678 II, nicht schon, wie Endemann § 35 Note 14 lehrt, mit der Zustellung des Beschlusses an den Entmündigten. 42 Nur den Antrag auf Wiederaufhebung kann der Entmündigte selbständig stellen; für den Aufhebungsprozeß ist der ihm zugeteilte Anwalt als sein gesetzlicher Vertreter zu betrachten; G a u p p - S t e i n § 679 II. 48 Über die prozessuale Natur der Umwandlung vgl. Dernburg § 63 a. E. und Oertmann § 6, 8. 44 Minderjährige sind durch die elterliche Gewalt oder die Altersvormundschaft geschützt.

§ 26.

Entmündigung.

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Vormundschaft zu stellen, wenn es zur Abwendung einer erheblichen Gefährdung seiner Person oder seines Vermögens erforderlich ist, § 1906. Die Anordnung der vorläufigen Vormundschaft erfolgt von Amtswegen45. Gegen die Verfügung findet sofortige Beschwerde statt, GFG. § 60 Nr. 5. Die Verfügung tritt in Kraft: wenn die Entmündigung wegen Geisteskrankheit beantragt ist, mit der Bestellung des vorläufigen Vormunds; in den übrigen Fällen mit der Bekanntmachung an den zu Entmündigenden, GFG. § 52. Ihre Wirkung ist in allen Fällen Beschränkung der Geschäftsfähigkeit, § 114. Die vorläufige Vormundschaft endigt, wenn der Entmündigungs. antrag zurückgenommen oder abgewiesen wird, § 1908 I. Da sich nunmehr herausgestellt hat, daß ein Grund für die vorläufige Vormundschaft nicht vorlag, so werden die Rechtsgeschäfte des vorläufig Entmündigten ohne Rücksicht auf die weggefallene Vormundschaft beurteilt; ebenso wenn die Entmündigung zwar erfolgt, aber durch Anfechtung aufgehoben ist; die Rechtsgeschäfte des vorläufigen Vormunds bleiben wirksam, § 115 I I . Kommt es zur Entmündigung, so endigt die vorläufige Vormundschaft nicht schon mit dem Inkrafttreten der Entmündigung, sondern erst mit der Bestellung des definitiven Vormunds, § 1908 I I . Denn da die Entmündigung nach ZPO. § 661 schon vor Bestellung eines Vormunds durch Zustellung des Beschlusses an den Entmündigten in Wirksamkeit treten k a n n 4 6 , so könnte ein Zeitraum entstehen, in welchem der Entmündigte ohne gesetzlichen Vertreter wäre; das wird durch die Vorschrift des § 1908 I I verhindert. Die vorläufige Vormundschaft ist vom Vormundschaftsgericht aufzuheben, wenn der Bevormundete des Schutzes nicht mehr bedarf, § 1908 I I I 4 7 . Die Aufhebung wirkt ex nunc 4 8 : für die Zeit, während welcher die Vormundschaft bestand, bleibt es bei der beschränkten Geschäftsfähigkeit. 45 Das Entmündigungsgericht hat dem Vormundschaftsgericht Mitteilung zu machen, wenn es eine Fürsorge für erforderlich hält; ZPO. § 657. 4β Vgl. ob. Note 22 a. 47 Ζ. B. wenn der Zustand sich so weit gebessert hat, daß man ihm die Führung, seiner Geschäfte überlassen kann. 48 Denn die Aufhebung der Vormundschaft beruht nicht auf der Annahme, daß sie nicht hätte angeordnet werden sollen, sondern auf Änderun der Verhältnisse.

Zweites Buch.

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Die Persone.

VI. Für die Übergangszeit ergibt sich eine Schwierigkeit daraus, daß das bisherige Recht die Abstufung der geistigen Abnormität (Geisteskrankheit und Geistesschwäche) nicht kannte. Entmündigt wurde stets wegen Geisteskrankheit, zu welcher man auch die leichteren Fälle zählte, welche BGB. als Geistesschwäche bezeichnet. Demgemäß verordnet Art. 155, daß wer bei Inkrafttreten des BGB. wegen Geisteskrankheit entmündigt ist 4 9 , den Vorschriften des BGB. über Entmündigung wegen Geisteskrankheit untersteht d. h. geschäftsunfähig ist (ohne daß es darauf ankommt, ob sein Zustand im Sinn des BGB. Geisteskrankheit ist) 6 0 . Wer nach altem Recht wegen Verschwendung entmündigt ist (oder nach französischem oder badischem Recht einen Beistand erhalten hat), soll nach 1900 einem nach BGB. entmündigten Verschwender gleichstehen, Art. 156. War Vormundschaft wegen Geistesschwäche, ohne Entmündigung, angeordnet, so verwandelt sie sich nach Art. 210 in eine Vermögenspflegschaft im Sinn von § 1910 I I 6 1 . § 27.

Stand.

Konfession.

Ehre*.

I. Der Geburtsstand, nach dem sich in früheren Jahrhunderten das Privatrecht gliederte, hat heutzutage durch das zum Durchbruch gekommene Prinzip der bürgerlichen Rechtsgleichheit seine Bedeutung für das Zivilrecht verloren. Als Überrest früherer Rechtsformation hat sich nur die Sonderstellung des hohen Adels erhalten, und zwar in zwei Abstufungen: Nach Art. 57 gelten für die landesherrlichen und die ihnen gleichgestellten Familien die vom BGB. abweichenden besonderen 49 Ist das Entmündigungsverfahren bei Inkrafttreten des BGB. noch nicht erledigt, d. h. die Anfechtungsfrist noch nicht abgelaufen, so findet BGB Anwendung; P l a n c k Art. 155, 5. 50 Darin liegt eine Härte, wenn der Entmündigte nur geistesschwach im Sinne des BGB. ist. Die Abhilfe liegt in der Möglichkeit einer Umwandlung der Entmündigung; vgl. ob. Note 43. 61 Die Bestellung eines Beistandes für einen Geistesschwachen nach französischem oder badischem Becht erlischt sechs Monate nach Inkrafttreten des BGB., Art. 211. Innerhalb dieser Zeit kann, wenn nötig, Entmündigung beantragt werden. * W i n d scheid §§ 55, 56; Regeleberger § 66—68; Bekker § 53 bis 55; Gierke § 46—57; D e r n b u r g § 58; Endemann § 25; Cosack § 31—34; Crome §§ 43, 44; Enneccerus §§ 87, 88, 90; K o h l e r §§ 103, 121, 122. Bierm ann §§ 122, 123.

§ 27. Stand. Konfession.

Ehre.

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Vorschriften 1 der Hausverfassungen und Landesgesetze2. Eine sachliche Begrenzung hat dieser Vorbehalt nicht; Abweichungen vom BGB. kommen hauptsächlich vor für die Volljährigkeit, die Eheschließung, die elterliche Gewalt, das Erbrecht und die Rechtsstellung des Hausvermögens. Nach Art. 58 bleiben für die reichsständischen Familien und die Familien des vormaligen Reichsadels sowie für die diesen gleichgestellten Familien die Landesgesetze und nach Maßgabe derselben die Hausverfassungen in Kraft, aber nur in Ansehung der Familienverhältnisse und Güter 8 . Im Übrigen gehört der Adel dem öffentlichen Landesrecht an und kann zivilrechtliche Bedeutung nur auf den dem Landesrecht überlassenenRechtsgebieten haben4. Erwerb und Verlust des Adels richten sich ausschließlich nach Landesrecht5. II. Die Berufsstände berührten sich im Mittelalter nahe mit den Geburtsständen und hatten wie diese ihr eigenes Privatrecht, während das römische Recht auf dem Höhepunkt seiner Entwicklung eine solche Differenzierung nur in geringem Maße kannte, um so mehr aber in den letzten Jahrhunderten der Kaiserzeit. Das heutige Recht hat die Tendenz, den Bedürfnissen der Berufsstände durch Schaffung von Sonderrecht entgegenzukommene. Vor allem ist das 1

Nicht die allgemeinen Vorschriften des Landesrechts, welche für alle Personen galten. Daher fällt ζ. B. das landesherrliche Scheidungsrecht, weil es kein Sonderrecht für die Familien des hohen Adels war, nicht unter den Vorbehalt des Art. 57; vgl. Stölzel in DJZ. 1902, 84. 2 Als subsidiäre Quelle für das Hecht des hohen Adels kommt das deutsche Privatfürsten recht in Betracht; Eehm, Modernes Fürstenrecht. 8 Über den Umfang dieses Vorbehalts vgl. Planck Art. 58, 2 a. 4 Nach bairischem und badischem Recht können Familienfideikommisse (Art. 59) nur von adligen Personen errichtet werden. Selbstverständlich kann bei Korporationen und Stiftungen die Zugehörigkeit resp. der Genuß von Vorteilen vom Adel oder einer bestimmten Beschaffenheit des Adeîs abhängig sein. 5 Über die Zugehörigkeit zum preußischen Adel entscheidet das unter dem Min. des K. Hauses stehende Heroldsamt. Über die Frage, ob und wieweit die Gerichte an solche Entscheidungen gebunden sind; vgl. OLG. 10, 42; RG. 67, 845; Dernburg § 56 Note 6; Hein, DJZ. 15, 398. β Der Maßstab des standesmäßigen Unterhalts, §§ 1610, 1603, 1578, 528, 829, bestimmt sich, wie aus der Definition in § 1610 hervorgeht, nach der Lebensstellung (vgl. § 1360), welche ihrerseits vom Beruf, den Vermögensverhältnissen und der sozialen Stellung abhängt, aber auch von der Geburt: der Sohn eines reichen Vaters kann höhere Alimente verlangen, als der Sohn eines unbemittelten Mannes; Planck 1610, 4.

Zweites Buch.

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Die Persone.

Handelsrecht im Wesentlichen ein Sonderrecht der Kaufleute 7. Das gilt vom neuen HGB. in höherem Maß, als vom alten HGB., nachdem aus diesem Gesetzbuch eine Anzahl von Rechtssätzen, die den allgemeinen Verkehr regeln, in das BGB. übernommen worden sind. Ferner gibt es ein sehr spezialisiertes, auch in das bürgerliche Recht eingreifendes Sonderrecht für den Gewerbebetrieb, und besonders für die Arbeitsverhältnisse in Fabriken (Gewerbeordnung, Arbeitsversicherungsgesetze). Sonderrecht gilt in einigen wichtigen Materien für die Beamten: Kündigung der Miete, § 570; Abtretung des Diensteinkommens, § 411; Pfändung des Diensteinkommens und gewisser Gegenstände der Beamten, ZPO. § 811 Nr. 7, 8, § 850 Nr. 8; auch nimmt das BGB. Rücksicht auf die nach Landesrecht erforderliche Erlaubnis zur Eheschließung von Beamten und zur Übernahme von Vormundschaften durch dieselben, §§ 1315, 1784, 1888. In einigen dieser Vorschriften sind den Beamten gleichgestellt: Geistliche und Lehrer an öffentlichen Unterrichtsanstalten; Rechtsanwälte, Notare, Ärzte. Die Verschiedenheit des Berufsstandes kommt auch in Betracht für die kurzen Verjährungen des § 19(3. Für Militärpersonen gelten einige Bestimmungen des Beamtenrechts: §§ 411, 570, 1315 (ZPO. §§ 811,. 850 gilt nur für Offiziere) und außerdem besonderes Recht in bezug auf Wohnsitz, § 9, Verschollenheit, § 15, und Testamentserrichtung, § 44 des ReichsmilGes. vom 2, 5, 74 (EG. Art. 44). I I I . Völlig beseitigt im Zivilrecht ist der früher grundlegende Unterschied der Konfession. Nachdem das BundGes. vom 3, 7, 69 alle aus der Verschiedenheit des religiösen Bekenntnisses hergeleiteten Beschränkungen der bürgerlichen Rechte aufgehoben hatte, ist der Unterschied der Konfession im BGB. mit Stillschweigen übergangen, außer auf dem Gebiet des Erziehungsrechts: bei der Auswahl des Vormunds soll auf die Konfession Rücksicht genommen werden, § 1779; dem Vormund kann, wenn er nicht demselben Bekenntnis, wie der Mündel angehört, die Sorge für die religiöse Erziehung entzogen werden, § 1801; nach Art. 134 bleiben die landesrechtlichen Vorschriften über die religiöse Erziehung unberührt. Zulässig ist natürlich die Berücksichtigung der Konfession in Rechtsgeschäften: ζ. B. Stiftungen für Angehörige einer bestimmten Konfession. Belohnungen und Konventionalstrafen für 7

Vgl. über die Berechtigung der Trennung zwischen bürgerlichem und Handelsrecht Heck in ArchZivPr. 92, 438.

§ 27.

Stand.

Konfession.

Ehre.

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den Wechsel oder Nichtwechsel der Konfession können u. U. gegen die guten Sitten verstoßen 8. IV. Verhältnismäßig unempfindlich ist das bürgerliche Recht gegen die Ehrenhaftigkeit des Menschen und deren Minderungen8®. Der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, welcher in bestimmten Fällen für bestimmte Zeit als Nebenstrafe ausgesprochen wird, StrGB. §§ 32—84, hat zivilrechtlich nur ganz geringe Wirkungen : Untauglichkeit (nicht Unfähigkeit) 9 zur Vormundschaft und zur Mitwirkung als Zeuge bei Eheschließung, Errichtung von Testamenten und öffentlichen Urkunden, §§ 1318, 2237, GFG. § 173; Ausschluß vom Börsenbesuch, BörsG. § 7 ; Ausschließung aus einer Erwerbs- und Wirtschaftsgen., GenG. § 68 ; dagegen nicht Unfähigkeit zum Amt eines Testamentsvollstreckers oder eines Vorstands eines Vereins oder einer Aktiengesellschaft. Von größerer Bedeutung für das Zivilrecht ist das ehrlose oder unsittliche Verhalten: es ist Ehescheidungsgrund, § 1568; es kann dem Vormundschaftsgericht Anlaß geben, zum Schutz der Person des Kindes einzuschreiten, § 1666; es berechtigt zur Entziehung des Pflichtteils gegenüber einem Abkömmling, § 2333 Nr. 5 ; es kann endlich einen „wichtigen Grund" abgeben zur Kündigung des Dienstvertrags oder der Gesellschaft und zum Verlangen der Auseinandersetzung bei Gemeinschaft und Miterbschaft, §§ 626, 723, 749, 2042. Ferner kommt der Lebenswandel in Betracht, wo das Ermessen des Richters waltet ζ. B. bei der Auswahl des Vormunds, § 1779. Der ehrlose oder unsittliche Lebenswandel muß, um diese Wirkungen hervorzubringen, tatsächlich vorliegen und bewiesen werden; der schlechte Ruf, die Bescholtenheit, ist nicht erforderlich, aber auch nicht genügend 1 0 . V. Der Konkurs hat im öffentlichen und im Zivilrecht für die Person des Gemeinschuldners Wirkungen, die man als Ehrenfolgen zu bezeichnen pflegt. Im bürgerlichen Recht ist es hauptsächlich die mit Eröffnung des Konkurses beginnende Untauglichkeit zur Vormundschaft § 1781, und die mit Rechtskraft des Eröffnungsbeschlusses eintretende Beendigung der ehemännlichen Verwaltung und Nutznießung der elterlichen Verwaltung, sowie der Errungen8

Dernburg I § 125 Note 21. » Süßheim in GrünhutsZ. 29, 491 fg. » Planck Art. 32, 2c. 10 Bescholtenheit im Sinne von § 1300 bedeutet einen kundbar gewordenen schlechten Lebenswandel; Endemann I I § 153 Note 23. 8

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schaftsgemeinschaft, §§ 1419, 1543, 1647. Die ratio dieser Bestimmungen scheint mir nicht sowohl eine Ehrenminderung des Gemeinschuldners zu sein, als die aus dem Konkurs sich ergebende Präsumption seiner Unfähigkeit zu einer ordnungsmäßigen Verwaltung n . § 28. Wohnsitz*.

Staatsangehörigkeit.

I. Die örtlichen Beziehungen des Menschen sind in mehrfacher Hinsicht von rechtlicher Bedeutung1. Die Beziehung eines Menschen zu einem Ort kann in verschiedener Stärke bestehen: Ein wenn auch nur vorübergehender Aufenthalt kommt in Betracht nach §§ 1944, 1954 (Aufenthalt des Erben im Ausland zur Zeit des Erbfalls), ferner als Gerichtsstand für Meß- und Marktsachen, ZPO. § 30, und als subsidiärer allgemeiner Gerichtsstand, ZPO. § 16. Gleichzeitige Anwesenheit zweier Personen an einem Ort ist Voraussetzung der Willenserklärung „unter Anwesenden", §§ 147, 130, 121, 152, und ist für gewisse Rechtsgeschäfte vorgeschrieben, §§ 925, 1317, 1434, 2276. Wichtig kann die Tatsache werden, daß der Aufenthalt einer Person unbekannt ist; dann ist öffentliche Zustellung zulässig, ZPO. § 203, auch für Willenserklärungen, § 132 I I ; ferner ist Unbekanntheit des Aufenthalts Ehescheidungsgrund, wenn ein Ehegatte sich ein Jahr lang gegen den Willen des anderen in böslicher Absicht von der häuslichen Gemeinschaft ferngehalten hat, § 1567. Bei dauernder Unbekanntheit des Aufenthalts fällt das Erfordernis der elterlichen Einwilligung zur Eheschließung fort, § 1305 I I , und kann Anlaß zur Einsetzung eines Abwesenheitspflegers entstehen, § 1911. Aufenthalt von längerer Dauer begründet einen Gerichtsstand für vermögensrechtliche Ansprüche, ZPO. § 20; der gewöhnliche Aufenthalt begründet die Zuständigkeit des Standesbeamten, § 1320. 11

Der Ehemann hat kein Recht auf Wiederherstellung seiner Verwaltung und Nutznießung oder der Errungenschaftsgemeinschaft (dagegen kann die Frau auf Wiederherstellung der Gemeinschaft klagen, § 1547). Dem Vater kann das Vormundschaftsgericht nach Aufhebung des Konkurses die Verwaltung des Kindesvermögens wieder übertragen, § 1647. * W i n d s c h e i d § 36; Regelsberger § 74; Bekker § 52; Gierke § 57; Dernburg § 57; Endemann § 36; Cosack § 38; Crome § 46; Enneccerus § 89; K o h l e r § 104; Biermann § 124. 1 Daher kann man die örtliche Beziehung als Rechtsverhältnis bezeichnen; vgl. ob. § 5 Note 11.

§ 28.

Wohnsitz.

Staatsangehörigkeit.

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Endlich erwähnt das Gesetz mehrfach den Wohnort: er wird für beide Ehegatten durch den Ehemann bestimmt, § 1354; er kommt für das Kündigungsrecht der Beamten in Betracht § 570. II. Die für das Recht bedeutsamste örtliche Beziehung des Menschen nennt das Gesetz Wohnsitz, domicilium. Nach dem Wohnsitz bestimmt sich vor allem der allgemeine Gerichtsstand, ZPO § 13, und in zahlreichen Fällen die Zuständigkeit des Gerichts für Akte der freiwilligen Gerichtsbarkeit, GFG. §§ 36, 40, 43, 45, 66, 73. Der Wohnsitz des Schuldners ist im Allgemeinen der Leistungsort; Geld hat der Schuldner dem Gläubiger an dessen Wohnsitz zu übermitteln, §§ 269, 270. Nach dem Wohnsitz des Ehemanns bestimmt sich das Güterrechtsregister, in welchem die Eintragungen zu erfolgen haben, § 1558, und die Zulässigkeit der Ausbedingung eines ausländischen ehelichen Güterrechts, § 1433 I I ; nach dem Wohnsitz des Erblassers bestimmt sich die Frist für die Ausschlagung und deren Anfechtung, §§ 1944, 1954. Der Wohnsitz des Schuldners kommt in Betracht im Bürgschaftsrecht, §§ 772, 775, und bei der staatlichen Genehmigung zur Ausgabe von Inhaberpapieren, § 795; der Wohnsitz des zur Vormundschaft Ausgewählten ist wichtig für die Ablehnung, § 1786 Nr. 5. Endlich ist Wohnsitz oder gewerbliche Niederlassung in Deutschland Voraussetzung für den Schutz einiger Rechte an immateriellen Gütern, wenn sie Ausländern zustehen, GebrMustG. § 13, MustG. § 16, WarenZG. § 23. Die große Bedeutung, welche der Wohnsitz im Gemeinen Recht für das internationale Privatrecht hatte, ist durch das EG. und die neuere Tendenz der Wissenschaft sehr geschmälert, indem an Stelle des Wohnsitzes vielfach die Staatsangehörigkeit getreten ist. Die meisten Wirkungen knüpfen sich an den jeweiligen Wohnsitz der Person, so daß sie bei Wechsel des Wohnsitzes eintreten oder wegfallen ; aber der Leistungsort des Schuldners bestimmt sich definitiv nach dem Wohnsitz zur Zeit der Entstehung des Schuldverhältnisses, § 269, während Geld an den jeweiligen Wohnsitz des Gläubigers zu übermitteln ist, § 270. I I I . Eine Definition des Wohnsitzes gibt das Gesetz nicht, verlangt aber zur Begründung desselben ständige Niederlassung, § 7. Der Tatbestand des Wohnsitzes kann nicht identisch sein mit dem dauernden Aufenthalt des § 20 ZPO., weil dessen Wirkungen bezüglich des Gerichtsstandes geringer sind, als die des Wohnsitzes nach § 13 ZPO. Dagegen wird der Wohnsitz meist mit dem Wohnort (§§ 570, 1354) zusammenfallen ; aber während der Wohnort sich

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ausschließlich aus der Tatsache des Wohnens an einem Ort ergibt, kommen für den Wohnsitz auch andere Tatsachen in Betracht, (domicilium necessarium), so daß der Wohnsitz eines Menschen u. U. nicht da ist, wo er tatsächlich wohnt. Wohnsitz ist der Ort, von dem aus der Mensch seine Angelegenheiten leitet, den er, um mit Diokletian1® zu sprechen, nicht ohne bestimmten Grund verläßt, und an den er nach Erledigung des Geschäftes, das ihn zu einer Reise veranlaßte, wieder zurückkehrt. Den Wohnsitz kann man bildlich als den Mittelpunkt der Lebensverhältnisse und der Tätigkeit eines Menschen bezeichnen. Durch seine allgemeine und zentrale Bedeutung für den Menschen unterscheidet sich der Wohnsitz von der gewerblichen Niederlassung 2, welche für gewisse Rechtsfolgen an Stelle oder neben den Wohnsitz tritt. Die gewerbliche Niederlassung ist der Schwerpunkt der gewerblichen Tätigkeit, der Wohnsitz der Mittelpunkt des gesammten Lebens, wenn ζ. B. ein Fabrikant in A seine Fabrik betreibt, und in Β mit seiner Familie dauernd wohnt, so ist Β sein Wohnsitz8. IV. Der Wohnsitz ist entweder gewillkürt, domicilium voluntarium, oder gesetzlich, dom. necessarium. Der gewillkürte Wohnsitz wird begründet durch ständige Niederlassung, § 7 I. Dazu gehört ein äußeres Verhalten und ein auf die Ständigkeit der Niederlassung gerichteter Wille. Wenn ein Aufenthalt auf einem speziellen, als vorübergehend gedachten Zweck beruht, ist er auch bei längerer Dauer nicht genügend zur Entstehung des Wohnsitzes8®. Darum haben ζ. B. Dienstboten, Soldaten, Schüler und Studierende am Ort ihrer Tätigkeit in der Regel keinen Wohnsitz 4 ; ebenso wenig die Bewohner von Krankenhäusern und Strafanstalten 6. Dagegen wird die Ständigkeit der Niederlassung nicht ausgeschlossen durch Unterbrechungen des Aufenthaltes, selbst wenn sie regelmäßig wiederkehren, wie ζ. B. bei Geschäftsreisenden und See1, 7 § 1 C. de incolis 10, 40: unde cum profectus est, peregrinari videtur, quo si rediit, peregrinari iam destitit. 2 §§ 269, 270, 772—775, 795; ZPO. § 21. 8 Der Begriff des Wohnsitzes, wie er sich aus dem BGB. ergibt, ist nach Art. 4 maßgebend für die Reichs- und Landesgesetze, soweit diese Gesetze die Voraussetzungen des Wohnsitzes nicht besonders geregelt haben, was ζ. B. im Gesetze über den Unterstützungswohnsitz vom 5. Juni 1870 geschehen ist D e r n b u r g § 57 II. 8 » SeuffA. 56, 121. * Wohl aber Gerichtsstand des dauernden Aufenthalts; ZPO. § 21. B SeuffA. 56, 484.

§ 28.

Wohnsitz.

Staatsangehörigkeit.

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leuten; selbst wenn sie den größeren Teil ihrer Zeit auf Reisen verbringen, haben sie ihren Wohnsitz da, wo sie zwischen zwei Reisen sich als zu Hause befindlich betrachten. Ebenso ist der Wohnsitz vereinbar mit der Absicht oder Hoffnung, unter gewissen Umständen den Wohnort zu wechseln, so ζ. B. bei einem Beamten, der auf Versetzung rechnet 6. Die Absicht der ständigen Niederlassung muß durch äußere Handlungen verwirklicht sein; meist wird das Beziehen oder wenigstens das Mieten einer Wohnung erforderlich sein 7 . Wie zur Begründung, so ist auch zur Aufhebung des Wohnsitzes zweierlei erforderlich, § 7 I I I : der Wille, den Wohnsitz aufzugeben d. h. die Absicht, den bisherigen Wohnort nicht mehr als Zentrum der Lebenstätigkeit zu betrachten, und die Verwirklichung dieser Absicht durch entsprechendes Verhalten. Man hat ζ. B. seinen Wohnsitz noch nicht aufgegeben, wenn man den Haushalt auflöst und die Möbel in einem Speicher unterbringt, in der Absicht, eine längere Reise anzutreten und nachher eine neue Wohnung am bisherigen Ort zu beziehen. Man hat aber den Wohnsitz selbst dann nicht verloren, wenn man den festen Entschluß faßt, den bisherigen Wohnort für immer zu verlassen, aber noch nichts tut, um diesen Entschluß auszuführen. Die Begründung eines neuen Wohnsitzes ist zur Aufgabe des bisherigen Wohnsitzes nicht erforderlich. Der die Begründung und Aufhebung des Wohnsitzes bewirkende Willensentschluß ist eine Handlung mit rechtlicher Wirkung, eine sog. „Rechtshandlung", aber kein Rechtsgeschäft 8: die Niederlassung muß als ständige gewollt sein, aber die Rechtsfolge dieser Handlungsweise, der Erwerb des Wohnsitzes, braucht nicht innerhalb des Willens oder auch nur des Wissens der Person zu liegen : wer sich ständig niederläßt, erwirbt den Wohnsitz, wer seinen Wohnort für immer verläßt, verliert den Wohnsitz selbst wenn er die Absicht hätte, den Wohnsitz nicht zu erwerben resp. zu verlieren, und diesen Willen noch so deutlich zum Ausdruck brächte 9. Auf Rechtshandlungen finden in Ermangelung spezieller gesetzlicher Vorschriften die Rechtssätze über Rechtsgeschäfte entsprechende Anwendung : wieweit man dabei zu gehen hat, ist für jede Art von β 7 8 9

OLG. 10, 56; 13, 306. OLG. 13, 307. M a n i g k , Willenserklärung 678 fg. Z. ß. durch polizeiliche An- und Ahmeldung.

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Rechtshandlungen nach ihrer Beschaffenheit und Wirkung zu bemessen. Ausdrücklich bestimmt ist in § 8, daß geschäftsunfähige oder in der Geschäftsfähigkeit beschränkte Personen Wohnsitz nicht ohne den Willen ihres gesetzlichen Vertreters begründen oder aufheben können (entsprechend dem § 107, da durch Begründung oder Aufhebung des Wohnsitzes nicht lediglich ein rechtlicher Vorteil erlangt wird). Zum Willen des gesetzlichen Vertreters muß, wie bei geschäftsfähigen Personen, ein tatsächliches Moment, die Herstellung oder Aufhebung der ständigen Niederlassung, hinzutreten ; diesen Zustand herbeizuführen, liegt in der Macht des gesetzlichen Vertreters, §§ 1631, 1793, 1915 10 . Wird ein Geisteskranker von seinem Vormund in einer Anstalt interniert, und geschieht dies mit der Aussicht auf Heilung, so entsteht kein Wohnsitz; handelt es sich aber um Unterbringung bei voraussichtlicher Unheilbarkeit und wird der Haushalt des Kranken definitiv aufgelöst, so kann darin Verlegung des Wohnsitzes liegen n . Das Gesetz anerkennt die Möglichkeit eines mehrfachen Wohnsitzes, § 7 II. In der Tat kann es vorkommen, daß für die Lebenstätigkeit einer Person zwei Orte maßgebend sind, ohne daß man sagen könnte, an welchem von beiden sich der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse befindet, ζ. B. wenn ein Gutsbesitzer sein Gut bewirtschaftet und außerdem eine ständige Niederlassung in der Stadt hat, oder wenn ein Arzt seine Praxis im Winter in der Stadt, im Sommer in einem Badeort betreibt. In solchen Fällen sind beide Orte gleichzeitig als Wohnsitz zu betrachten, so daß an jedem der beiden Orte allgemeiner Gerichtsstand begründet ist, jeder Ort für die Erfüllung von Verbindlichkeiten, für die Zusendung von Geld, §§ 269, 270 usw. in Betracht kommt. In Abweichung von der herrschenden Meinung 12 nimmt D e r n b u r g 1 8 an, daß hier ein abwechselnder Wohnsitz vorliege, so daß ζ. B. der Gutsbesitzer seinen allgemeinen Gerichtsstand im Sommer auf dem Land, im Winter in der Stadt habe. Dagegen spricht die Unsicherheit, welche dadurch für dritte Personen entstehen würde : soll der Wechsel des 10

Ein beschränkt Geschäftsfähiger kann mit Erlaubnis des gesetzlichen Vertreters seinen Wohnsitz durch eigenes Handeln begründen oder aufheben, ζ. B. im Falle des § 112. 11 SeuffA. 55, 134, ohne Rücksicht darauf, wo die Vermögensverwaltung für den Kranken geführt wird und sein Vermögen sich befindet. 18 Planck § 7, 5; Oertmann § 7, 5; Biermann § 124, 3; Enneccerus Note 17. 18 § 67 IV 2; auch H ö l d e r § 7, 4a.

§ 28. Wohnsitz.

Staatsangehörigkeit.

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Wohnsitzes von den gewöhnlichen Wohnzeiten des Gutsbesitzers auf dem Land und in der Stadt abhängen, oder soll er sich nach dem jeweiligen, vielleicht ganz zufälligen, Aufenthalt an einem der beiden Orte bestimmen? Umgekehrt kann es vorkommen, daß Jemand keinen Wohnsitz hat, wenn er ζ. B. seinen Wohnsitz aufgegeben hat und nicht dazu gekommen ist, einen neuen Wohnsitz zu begründen, oder es (etwa zur Vermeidung der Steuerpflicht) absichtlich unterlassen hat, und zu diesem Zweck ohne längeren Aufenthalt von Ort zu Ort zieht. Für solche Personen bestimmt sich der allgemeine Gerichtsstand nach dem Aufenthaltsort in Deutschland, und wenn ein solcher nicht bekannt ist, nach dem letzten Wohnsitz, ZPO. § 13. Im Bürgschaftsrecht, §§ 772—775, ist in Ermangelung eines Wohnsitzes der Aufenthaltsort maßgebend; dasselbe muß man für §§ 269—270 annehmen u . V. Gesetzlichen Wohnsitz kennt das BGB. in drei Fällen: 1. Militärpersonen haben ihren Wohnsitz am Garnisonsort, § 9. Wer Militärperson ist, bestimmt sich nach dem MilStrGesB. § 4 und dem RMilitG. § 38 1 6 . Hat der Truppenteil keine Garnison im Inland, so bestimmt sich der Wohnsitz nach dem letzten inländischen Garnisonsort des Truppenteils; das gilt ζ. B. für Schutzoder Okkupationstruppen· Der gesetzliche Wohnsitz bestellt nicht für Militärpersonen, die nur zur Erfüllung ihrer Wehrpflicht dienen (dazu gehören auch die Freiwilligen und die zu Übungen eingezogenen Offiziere des Beurlaubtenstandes) sowie für Militftrpersonen, welche wegen Minderjährigkeit einen Wohnsitz nicht selbständig begründen können le . Das Domizil des Garnisonsortes ist zwingenden Rechts : es kann weder durch Anordnung der Behörde noch durch den Willen der Militärperson beseitigt werden. Der gesetzliche Wohnsitz des § 9 ist aber auch als exklusiv zu betrachten 17 , so daß ein nach § 7 begründeter Wohnsitz dadurch aufgehoben wird, daß Jemand in die Reihe der Militärpersonen tritt. Für Zivilbeamte und Geistliche gibt es kein gesetzliches Domizil; im öffentlichen Recht ist für diese Personen meist eine Residenzpflicht angeordnet und kann durch disziplinare Maßregeln erzwungen werden; aber u

Planck § 269, 4; Oertmann § 269, 3. Der Begriff ist enger als der der Angehörigen der bewaffneten Macht in § 15; vgl. Oertmann § 9, 2a. 16 Dagegen haben solche Personen nach ZPO. § 20 I I am Garnisonsort den Gerichtsstand des dauernden Aufenthalts. 17 Oertmann § 9, 4. 16

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der Wohnsitz richtet sich nicht nach dem Amtssitz, sondern nach der ständigen Niederlassung im Sinn des § 7, kann sich also ζ. B. an einem dem Amtssitz benachbarten Ort befinden 18. 2. Die Ehefrau teilt den Wohnsitz des Mannes, § 10, d. h. sie hat ihr gesetzliches Domizil immer da, wo der Ehemann seinen gewillkürten oder gesetzlichen Wohnsitz hat. Der gesetzliche Wohnsitz der Ehefrau ist exklusiv und zwingenden Rechts: sie kann auch mit Zustimmung des Ehemannes keinen selbständigen Wohnsitz begründen 19. Auf den tatsächlichen Wohnort der Ehefrau kommt es nicht an : in der Regel bestimmt der Ehemann auch den Wohnort, § 1354, aber die Frau braucht sich dieser Bestimmung nicht zu fügen, wenn darin ein Mißbrauch des ehemännlichen Rechtes liegt; und während des Scheidungsprozeßes kann das Gericht nach ZPO. § 627 das Getrenntleben der Ehegatten gestatten ; trotzdem hat die Ehefrau ihren gesetzlichen Wohnsitz am Wohnsitz des Mannes20. Nur einen Ausnahmsfall kennt das Gesetz, in welchem die Ehefrau das Domizil des Mannes nicht teilt, §§ 10 I 2: wenn der Ehem a n n seinen Wohnsitz im Ansi an à an einem Ort begründet, an den ihm die Frau nicht folgt und (nach § 1354) zu folgen nicht verpflichtet ist d. h. wenn es ein Mißbrauch seitens des Mannes wäre, wenn er von seiner Frau verlangen würde, daß sie sich an dem von ihm gewählten Ort im Ausland niederläßt. In diesem Fall und ebenso wenn der Ehemann kein Domizil (weder im Inland noch im Ausland) hat, kann die Frau selbständig einen Wohnsitz haben, § 10 I I , und hat ihn an dem Ort, an welchem sie sich ständig niederläßt, § 7. Der gesetzliche Wohnsitz der Ehefrau endigt mit Auflösung der Ehe: durch Tod des Ehemanns oder mit der Rechtskraft eines Scheidungsurteils 20a ; die Aufhebung der ehe18

Oertmann § 7, 3. Abweichende Verträge unter den Ehegatten sind unwirksam; Staudinger § 10, 1. 20 So RG. 59, 339 und die herrschende Meinung; vgl. Planck § 10, 5; Oertmann § 10, 4a gegen D e r n b u r g § 57 V 2 und K o h l e r § 104 IV, welche annehmen, daß die Ehefrau eigenen Wohnsitz haben kann, wenn sie nach § 1354 der Bestimmung des Wohnorts durch den Mann sich zu fügen nicht verpflichtet ist. Mit Recht weist das RG. a.a.O. darauf hin, daß es für Dritte mißlich wäre, wenn das Domizil der Frau von dem schwer feststellbaren Tatbestand des § 1854 I I abhinge. a0a Ebenso wenn die Ehe für nichtig erklärt wird, und zwar mit rückwirkender Kraft; a. A. D e r n b u r g IV § 21 Note 6. Bis zur Rechtskraft des Urteils kann der gesetzliche Wohnsitz der Frau nicht bestritten werden, §§ 1329, 1343. Eine Aussetzung des Verfahrens nach ZPO. §§ 151, 152 kann aber meines Erachtens die Ehefrau nicht verlangen (a. A. Planck § 10, 2); 19

§ 28. Wohnsitz.

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liehen Gemeinschaft hat dieselbe Wirkung, wie die Scheidung21. Die verwitwete oder geschiedene Ehefrau kann ihren Wohnsitz selbst bestimmen; behält sie am bisherigen Wohnort ihre ständige Niederlassung, so hat sie an diesem Ort einen Wohnsitz nach § 7 2 2 . 3. Kinder haben ein gesetzliches Domizil, § 11: ein eheliches (oder durch Legitimation ehelich gewordenes) Kind teilt den Wohnsitz des Vaters 28 ein uneheliches Kind teilt den Wohnsitz der Mutter, ein angenommenes Kind den Wohnsitz des Annehmenden. Legitimation oder Adoption eines Volljährigen hat keinen Einfluß auf den Wohnsitz. Hat der Vater resp. die Mutter kein Domizil, so bestimmt sich der Wohnsitz des Kindes nach den allgemeinen Grundsätzen des § 7 2 4 . Gibt der Vater oder die Mutter den Wohnsitz auf, ohne einen neuen zu begründen, so behält das Kind den bisherigen gesetzlichen Wohnsitz, bis der Vater für sich und damit auch für das Kind einen neuen Wohnsitz begründet 25 . Minderjährigkeit oder elterliche Gewalt ist nicht Voraussetzung des gesetzlichen Wohnsitzes des Kindes; auch nicht tatsächliches Verweilen am Wohnort des Vaters. Verlegt ζ. B. der Vater seinen Wohnsitz, so ist damit zugleich auch der Wohnsitz für die Kinder (und die Ehefrau) verlegt, selbst wenn er seine Familie am bisherigen Wohnort beläßt, oder sich nicht weiter um sie kümmert 26 . Der gesetzliche Wohnsitz des Kindes ist, anders als der gesetzliche Wohnsitz der Militärpersonen und der Ehefrau, kein notwendiger: das Kind kann ihn aufheben, insbesondere durch einen neuen Wohnsitz ersetzen, § 10 I 2; der neue Wohnsitz kann ein gesetzlicher sein (Garnisonsort, Wohnsitz des Ehemannes) oder ein gewillkürter. Ist das Kind minderjährig, so ist zur Aufgabe des bisherigen und zur Begründung eines neuen Wohnsitzes die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters erforderlich, § 8. Ist der gesetzliche Wohnsitz des Kindes einmal aufgegeben, so lebt er nicht wieder auf; kehrt ζ. B. das Kind nach Aufgabe seines sonst könnte sie sich durch die Behauptung, ihre Ehe sei nichtig oder anfechtbar, der RechtsverfolguDg aus solchen Rechtsverhältnissen entziehen, welche materiell mit der Ehe nicht zusammenhängen. 21 RG. 1. 59, 341; Oertmann § 10, 3b. 22 Oertmann § 10, 6 gegen D e r n b u r g § 57 Note 20, welcher für die Witwe das Domizil fortbestehen läßt, das sie während der Ehe als gesetzliches hatte. 28 Über Kinder aus nichtigen Ehen vgl. De r n bur g Note 24. u Oertmann § 11, 3a. 26 OLG. 10, 56; 12, 2. 2β OLG. 12, 1. Handbuch X . 1. I : v o n T u h r I .

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selbständigen Wohnsitzes zu den Eltern zurück, so kann es an deren Wohnort nur einen gewillkürten Wohnsitz erwerben 27. VI. Für den Wohnsitz hat das EG. keine Übergangsbestimmungen 28 . Es wird, wohl mit Recht, angenommen, daß sich die Voraussetzungen und Wirkungen des Wohnsitzes nach dem jeweils geltenden Recht bestimmen29. Es ist daher nach BGB. zu bemessen, ob die örtliche Beziehung, in der sich jemand befindet, den Charakter des Wohnsitzes h a t 8 0 . Das gilt auch für den gesetzlichen Wohnsitz: er entsteht mit dem BGB., wenn seine Voraussetzungen bei Inkrafttreten des Gesetzes vorliegen; er erlischt in diesem Moment, wenn seine Voraussetzungen nach altem Recht, nicht aber nach BGB. vorhanden sind. VII. Die Staatsangehörigkeit ist von erheblicher und in neuerer Zeit wachsender Bedeutung für die Kollisionsnormen des internationalen Privatrechts, d. h. für die Frage, ob auf ein Rechtsverhältnis inländisches oder ausländisches Recht anzuwenden ist: dagegen kommt der Unterschied der Staatsangehörigkeit im materiellen bürgerlichen Recht sehr wenig zur Geltung: die Vorschriften des BGB. gelten, wo sie zur Anwendung kommen, in grundsätzlich gleicher Weise für Ausländer wie für Inländer. Eine Zurücksetzung der Ausländer kommt nur ausnahmsweise vor, so z.B. im literarischen und künstlerischen Urheberrecht 81 . Die Landesgesetze dürfen nach § 1315 I I die Eingehung der Ehe durch einen Ausländer von einer Erlaubnis (einer inländischen Behörde) oder von einem Zeugnis (einer ausländischen Behörde) abhängig machen und nach Art. 88 für den Erwerb eines Grundstücks durch einen Ausländer staatliche Genehmigung verlangen 82 . Eine Zurück27

OLG. 10, 56. Außer über den gewählten Wohnsitz des französischen und badischen Rechts, der nach Art. 157 für Rechtsverhältnisse, die sich nach Landesrecht bestimmen, bestehen bleibt. » H a b i c h t § 11. 30 Etwas ander? P l a n c k Art. 157, 2a: wer vor 1900 Handlungen vorgenommen hat, die nach damaligem Recht zur Begründung des Wohnsitzes genügten, soll ihn nach 1900 behalten. 31 § 54 LitGes.; § 51 KunstGes. Vgl. D e r n b u r g VI § 6. 32 Die meisten Landesgesetze machen von diesem Vorbehalt nur für ausländische juristische Personen Gebrauch. Vgl. aber Hamb. AG. § 28 und Hess. AG. § 15; Dem Art. 88 gehen Staatsverträge vor, in denen den Ausländern die Befugnis des Grunderwerbs zugestanden ist; vgl. Planck zu Art. 88. 28

§ 29.

Verwandtschaft.

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Setzung der Angehörigen gewisser fremder Staaten kann sich daraus ergeben, daß die Anwendung eines Gesetzes vom Erfordernis der Gegenseitigkeit abhängt; so kann ζ. B. nach Art. 25 gegen den Nachlaß eines Ausländers ein Deutscher erbrechtliche Ansprüche aus deutschem Recht erheben, wenn nicht im betreffenden fremden Staat für die Beerbung eines Deutschen die deutschen Gesetze ausschließlich maßgebend sind. Nach Art. 31 kann durch Anordnung des Reichskanzlers mit Zustimmung des Bundesrats bestimmt werden, daß gegen Angehörige eines fremden Staates das Vergeltungsrecht zur Anwendung kommen soll. Ist jemand zugleich deutscher und fremder Staatsangehöriger, was beim mangelnden Ineinandergreifen der Gesetze über Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit vorkommen kann, so ist er vom Standpunkt des deutschen Rechts aus als Deutscher zu behandeln88. Die Zugehörigkeit eines Deutschen zu einem oder dem anderen Bundesstaat ist zivilrechtlich bedeutungslos. Schon nach Art. 3 der Reichsverfassung besteht für alle Deutschen ein gemeinsames Indigenat mit der Wirkung der bürgerlichen Rechtsgleichheit. Das BGB. anerkennt diesen Rechtszustand, indem es die Angehörigkeit zu einzelnen Bundesstaaten mit Stillschweigen übergeht. Nur für das gesetzliche Erbrecht des Fiskus, § 1936, kommt es darauf an, welchem Bundesstaat der Erblasser angehörte. § 29. Verwandtschaft *. Verwandtschaft ist das Rechtsverhältnis zwischen Personen, die von einander oder von einem gemeinsamen Vorfahren abstammen. Das Rechtsverhältnis der Verwandtschaft ist nicht mehr, wie auf früherer Kulturstufe, das Zentrum der Rechtsstellung des Menschen, aber immer noch von großer rechtlicher Bedeutung: aus der Verwandtschaft entstehen, unter Hinzutritt weiterer Tatsachen, verschiedene Rechte und Pflichten. I. Das Gesetz unterscheidet in § 1589 Verwandtschaft in der geraden Linie: zwischen Personen, deren eine von der anderen abstammt; und Verwandtschaft in der Seitenlinie: zwischen Personen, die ohne in gerader Linie verwandt zu sein, von derselben dritten Person abstammen. Die Nähe der Verwandtschaft wird, wie im römischen Recht, nach Graden bestimmt: der Grad be33

K o h l e r § 103 II. * Windscheid § 56a, § 56b; Regelsherger §§ 70—73; B e k k e r §§ 56—58; Cosack § 35; Crome § 45; Enneccerus §§ 91, 92. 28·

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Die Persone.

stimmt sich nach der Zahl der die Verwandtschaft vermittelnden Geburten: quot generationes tot gradus. Geschwister sind im zweiten Grad verwandt, Geschwisterkinder im vierten, Onkel und Neffe im dritten usw. 1 Das gesetzliche Erbrecht bestimmt sich zunächst nicht nach der Gradesnähe, sondern nach dem aus germanischem Recht abgeleiteten Prinzip der Parentelen, welche im BGB. Ordnungen genannt werden : die Nachkommen des Erblassers bilden die erste Ordnung, die Nachkommen der Eltern und deren Nachkommen die zweite Ordnung, die Großeltern und deren Nachkommen die dritte Ordnung usw. Diese Abstufung der Verwandtschaft entspricht, besser als die Gradeszählung, der sich aus der Lebensauffassung ergebenden Nähe der Verwandtschaft und führt zu dem im allgemeinen erwünschten Resultat, daß der Nachlaß der jüngeren Generation innerhalb der Verwandtschaft zugute kommt; so scheint es ζ. B. angemessener, daß der Erblasser von seinem Neffen (zweiter Ordnung), als von seinem Onkel (dritter Ordnung) beerbt wird, obgleich beide im dritten Grade verwandt sind. I I . Die Verwandtschaft ist ehelich, wenn alle sie vermittelnden Geburten ehelich sind. Ehelich ist ein Kind, das von einer Ehefrau während der Ehe oder von einer verwitweten oder geschiedenen Ehefrau innerhalb 302 Tagen nach Auflösung der Ehe geboren und vom Ehemann erzeugt ist, § 1591. Für letztere Tatsache hat das Gesetz Präsumptionen aufgestellt: es wird vermutet, daß das Kind vom Ehemann erzeugt ist, wenn er während der Empfängniszeit 2 der Frau beigewohnt hat; diese Vermutung kann nur durch den Nachweis (1er offenbaren Unmöglichkeit der Erzeugung durch den Ehemann widerlegt werden; die Möglichkeit der Erzeugung durch einen Dritten (nachgewiesener Ehebruch) genügt nicht zur Bestreitung der Ehelichkeit. Es wird ferner vermutet, § 1591 II, daß der Ehemann während der Empfängniszeit der Frau beigewohnt hat; soweit die Empfängniszeit in die Zeit vor der Ehe fällt, gilt die Vermutung nur, wenn der Mann gestorben ist, ohne die Ehelichkeit des Kindes angefochten zu haben. Die Ehelichkeit eines von einer Ehefrau geborenen Kindes kann in der Regel 1

Das kanonische Recht zählt in der Seitenverwandtschaft nur die Grade der einen (bei Ungleichheit der längeren) Seite, so daß ζ. B. Onkel und Neffe im zweiten Grade verwandt sind. 2 Die Empfängniszeit wird in § 1592 auf 181—302 Tage vor der Geburt festgesetzt, außer wenn feststeht, daß die Empfängnis früher als am 302. Tage vor der Geburt erfolgt ist.

§ 29.

Verwandtschaft.

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nur vom Ehemanne durch Anfechtungsklage bestritten werden § 1593, und zwar innerhalb eines Jahres von dem Zeitpunkte an, in welchem er die Geburt des Kindes erfährt, § 1594 8 . Nur wenn der Ehemann verstorben ist, ohne das Anfechtungsrecht verloren zu haben (durch Fristablauf oder Anerkennung, § 1598), können dritte Interessenten die Unehelichkeit des Kindes durch Feststellungsklage geltend machen. I I I . Ein Kind ist unehelich, wenn es nicht von einer Ehefrau geboren oder wenn die Ehelichkeit eines von einer Ehefrau geborenen Kindes mit Erfolg angefochten ist. Im Verhältnis zur Mutter und deren Verwandten hat das uneheliche Kind die Stellung eines ehelichen, § 1705. Dagegen besteht keine Verwandtschaft zwischen dem unehelichen Kinde und dem Vater sowie dessen Verwandten, daher insbesondere kein Erbrecht. Das uneheliche Kind hat gegen den Vater einen Unterhaltsanspruch, § 1708, der in wesentlichen Punkten anders geartet ist als der Unterhaltsanspruch des ehelichen Kindes. In bezug auf das Ehehindernis der Verwandtschaft steht die uneheliche Abstammung vom Vater der ehelichen gleich, § 1310 I I I . Unehelich sind auch die Kinder aus ungültigen Ehen; wenn aber auch nur einer der Ehegatten bei Eingehung der Ehe gutgläubig war (Putativehe), gilt das Kind als ehelich, § 1699. Ein uneheliches Kind kann durch Legitimation (nachfolgende Ehe der Eltern oder Ehelichkeitserklärung), die Stellung eines ehelichen erhalten, § 1719; die Wirkungen der Ehelichkeitserklärung erstrecken sich nicht auf die Verwandten des Vaters, § 1737. Ein fremdes Kind kann durch Annahme an Kindesstatt die Stellung eines ehelichen Kindes des Annehmenden erhalten, § 1741 fg. Die Wirkungen erstrecken sich nicht auf die Verwandten des Annehmenden, § 1763. IV. Unter Geschwistern kann man unterscheiden: vollbürtig (germani) sind solche Geschwister, welche beide Eltern gemeinsam haben ; halbbürtig sind solche Geschwister, die nur den Vater oder nur die Mutter gemeinsam haben4. Aus der Parentelenordnung 3

Dagegen kann die Behauptung, daß das Kind nicht von der Ehefrau geboren (untergeschoben) ist, von jedem Dritten jederzeit durch Festetellungsklage vorgebracht werden. 4 Uneheliche Kinder sind mit den ehelichen Kindern derselben Mutter halbbürtig verwandt. Wenn jeder Ehegatte Kinder in die Ehe mitbringt, besteht unter diesen Kindern keinerlei Verwandtschaft.

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ergibt sich, daß die vollbürtigen Geschwister einen größeren gesetzlichen Erbteil haben als die halbbürtigen, § 1927. Ob Geschwister den Vater gemeinsam haben (consanguinei) oder die Mutter (uterini), macht für das Recht des BGB. keinen Unterschied. Das römische Recht unterschied die durch Männer und die durch Frauen vermittelte Verwandtschaft : agnatio, cognatio. Entsprechend im germanischen Recht: Schwertmagen und Spindelmagen. Dieser Unterschied tritt heute noch darin zutage, daß die agnatische Verwandtschaft einen gemeinsamen Familiennamen führt und ist außerhalb des BGB. von Bedeutung für Familienfideikommis, Lehen und im öffentlichen Recht für die Thronfolge. Der für diese Rechtsverhältnisse in Betracht kommende deutschrechtliche Begriff der Agnation deckt sich nicht ganz mit dem römischen : zu den römischen Agnaten gehörte auch die durch Männer verwandte Frau, während der Kreis der germanischen Agnaten nur Männer umfaßt. V. Die wichtigsten Rechtswirkungen der Verwandtschaft sind : 1. Das gesetzliche Erbrecht, welches den Verwandten ohne Begrenzung auf einen Grad der Verwandtschaft zusteht6. Ein engerer Kreis von Verwandten (Aszendenten und Deszendenten) haben Pflichtteilsrecht. 2. Unter Aszendenten und Deszendenten besteht Unterhaltspflicht. 3. Ehehindernis besteht unter Aszendenten und Deszendenten sowie unter Geschwistern, § 1310. 4. Der Großvater väterlicher- und mütterlicherseits ist zur Vormundschaft berufen, § 1776. Verwandte des Mündels sind bei der Auswahl des Vormundes zunächst zu berücksichtigen, § 1779. Zu Mitgliedern des Familienrates sind in der Regel Verwandte zu bestellen, § 1867. 8

Darin liegt zweifellos eine Übertreibung des Familiengedankens. Wo der verwandtschaftliche Zusammenhang im Leben nicht mehr empfunden wird, und das ist in der Kognation schon bei nicht sehr fernem Verwandtschaftsgrad der Fall, sollte auch kein Intestaterbrecht bestehen. Eine meines Erachtens zu weitgehende Korrektur des unbegrenzten Intestaterbrechts wollte der nicht zum Gesetz gewordene Entwurf über das Erbrecht des Staates vornehmen: in der dritten Ordnung sollten nur die Großeltern, nicht deren Nachkommen zur Erbschaft berufen sein, also z.B. nicht Vettern und Basen des Erblassers. In diesem Grade wird meines Erachtens der verwandtschaftliche Zusammenhang noch sehr deutlich empfunden.

§ 29.

Verwandtschaft.

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5. Verwandte jeglichen Grades sind berechtigt, den Antrag auf Entmündigung zu stellen; ZPO. §§ 646, 680. 6. Aus dem Prozeßrecht ist zu erwähnen die besondere Behandlung, welche nahen Verwandten als Zeugen zuteil wird; ZPO. §§ 383, 393. VI. Schwägerschaft, affinitas, § 1590, ist das Rechtsverhältnis eines Ehegatten zu den Verwandten des anderen Ehegatten. Ein besonderer Fall der Schwägerschaft wird als Stiefverwandtschaft bezeichnet: das Verhältnis eines Ehegatten zu den Nachkommen des anderen Ehegatten aus früherer Ehe. Zwischen den Verwandten beider Ehegatten besteht keine Schwägerschaft. Die Schwägerschaft dauert nach Auflösung der Ehe fort, kann aber nach Auflösung der Ehe nicht entstehen: der geschiedene Ehegatte ist mit den Kindern des anderen Ehegatten aus späterer Ehe nicht verschwägert. Die Wirkungen der Schwägerschaft sind viel geringer als die der Verwandtschaft: sie kommt im BGB. in Betracht als Ehehindernis und in der ZPO. bei der Zeugnispflicht. VII. Das Wort Familie hat weder im Sprachgebrauch des Lebens noch im Gesetz eine feststehende Bedeutung. Es kann alle Verwandten eines Menschen ohne Rücksicht auf den Grad bezeichnen und außer den Verwandten den Ehegatten und verschwägerte Personen. In diesem Sinne ist der Begriff der „Familienangehörigen" in § 1969 und der Familie in § 1093 zu verstehen 6. In anderen Fällen bezeichnet Familie einen engeren Kreis von Personen ; so sind z. B. unter Familie in § 6 der Ehegatte und die Personen zu verstehen, denen gegenüber eine familienrechtliche Unterhaltspflicht besteht 7 ; ebenso bei einem Vermächtnis, durch welches dem Erben zur Pflicht gemacht wird, „für den X und seine Familie zu sorgen" 8. Die Gesamtheit der mit einander verwandten Personen ist im Recht des BGB. kein als Einheit zusammengefaßter Personenverband 9; die aus der Verwandtschaft sich ergebenden Rechte stehen jedem einzelnen zu, ohne daß eine gemeinsame Verfügung über diese Rechte möglich wäre. Dagegen können beim Familienfideikommiß durch Einstimmigkeit der lebenden Anwärter Beβ

Planck § 1969, 2a, § 1093, 4a; Staudinger § 1969, 4. Oertmann § 6, 3a, vgl. ob. S. 414. 8 Die „häusliche Gemeinschaft", § 2028 umfaßt außer dem Ehegatten und Verwandten auch Personen, die im Dienstverhältnis stehen, § 617. 9 Bekker § 60 Beil. I A. 7

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schltlese gefaßt werden, welche für alle Agnaten verbindlich sind; daher kann die Gesamtheit der Agnaten als ein körperschaftlich gestalteter Verband aufgefaßt werden 10 . § 30.

Name*.

Zjir individuellen Bezeichnung der Menschen und gewisser Sachen (Tiere, Grundstücke, Schiffe) dient der Name d. h. ein Wort, welches dem Individuum zum Unterschied von Individuen derselben Art dauernd beigelegt ist 1 . Da eine feste Bezeichnung des Menschen nicht nur für ihn selbst, sondern auch für die staatlichen Rechtsverhältnisse von großer Bedeutung ist, so untersteht das Namenswesen sowohl dem öffentlichen wie dem bürgerlichen Recht. Die bei uns übliche Namensbezeichnung des Menschen hat zwei Bestandteile: den Familiennamen, der den agnatischen Verwandten gemeinsam ist, und den Vornamen, der innerhalb dieses Kreises den einzelnen Menschen bezeichnet lb . Der Familienname ergibt sich regelmäßig aus gewissen familienrechtlichen Tatsachen ipso iure, während der Vorname dem Menschen durch den Willen eines anderen Menschen beigelegt wird; ein dritter Entstehungsgrund des Namens ist staatliche Verleihung. I. Der Familienname bestimmt sich in erster Linie durch den Familienkreis, dem der Mensch durch seine Geburt (resp. die Ehefrau durch die Verheiratung) angehört. Da der Mann das Oberhaupt dieses Kreises ist, so erhalten eheliche Kinder den Namen des Vaters, § 1616; ebenso Kinder aus Putativehen und Kinder, die durch nachfolgende Ehe der Eltern oder Ehelichkeitserklärung legitimiert sind 1 *. Ein an Kindesstatt angenommenes Kind erhält 10

D e r n b u r g H I $ 126 Note 11. * W i n d s c h e i d § 41 Note 2; Regelsbergér § 50 Note 6; Gierke I § 83; D e r n b u r g I §§ 55 , 56; Endemann § 37; Cosack § 37; Crome § 30; Enneccerus § 93; Biermann § 125; Z i t e l m a n n S. 51 fg.; Opet, ArchZivPr. 87, 313; K ö h l e r , ArchBürgR. 5,77; Olshausen, Verhältnis des Namensrechts zum Firmenrecht. 1 Über den Namen juristischer Personen vgl. unt. § 32 Note 7. Die Anerkennung der Vaterschaft, § 1718, hat keine Wirkung auf den Namen des Kindes. Kein Bestandteil des Namens ist der Zusatz Frau oder Fräulein. Diese Bezeichnungen sind aber meines Erachtens in manchen Beziehungen analog dem Namen zu behandeln; z. B. dürfte eine Klage aus § 12 zulässig sein, wenn einer weiblichen Person die Berechtigung bestritten wird, sich als Frau resp. Fräulein zu bezeichnen.

§ 30

Name.

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den Namen des Annehmenden, § 1758 2 ; wird das Kind von einer Frau adoptiert, die in Folge von Verheiratung einen anderen Namen führt, so erhält das Adoptivkind den Mädchennamen der Frau; wird das Kind von einem Ehepaar adoptiert, so erhält es den Namen des Ehemanns; das Adoptivkind darf dem neuen Namen seinen früheren Namen hinzufügen ; diese Befugnis kann durch den Adoptionsvertrag ausgeschlossen werden 8. Ein uneheliches Kind erhält den Namen der Mutter, § 1706, da es in die Familie derselben eintritt. Ist die Mutter vor oder während der Geburt des Kindes verheiratet, so erhält das Kind den Mädchennamen der Mutter 4 . Der Ehemann der Mutter kann durch Erklärung gegenüber der zuständigen Behörde dem Kinde mit Einwilligung des Kindes und der Mutter seinen Namen erteilen. Die Ehefrau erhält den Namen des Mannes, § 1355. Ihren Mädchennamen darf sie nicht mehr führen, auch nicht dem Namen des Mannes hinzufügen, außer mit dem Zusatz: „geborene, verwitwete, geschiedene". Die Ehefrau behält den Namen des Mannes, wenn die Ehe durch Tod des Mannes aufgelöst wird ; ebenso grundsätzlich bei der Scheidung, § 1577 ; sie kann aber durch Erklärung an die zuständige Behörde ihren früheren Namen wiederannehmen; ist sie bei der Scheidung der allein schuldige Teil, so darf sie nur ihren Mädchennamen, nicht dagegen den Namen, den sie in einer früheren Ehe trug, annehmen ; auch kann ihr der geschiedene Ehemann in diesem Fall die Führung seines Namens untersagen, wodurch sie ihren Mädchennamen wiedererlangt. Ist die Ehe für nichtig erklärt, so steht der Frau der Name zu, den sie vor Abschluß der Ehe führte 4 4 . Abgesehen von diesen im BGB. geregelten Entstehungs- und Endigungsgründen kann der Name durch privatrechtliche Tatsachen nicht geändert werden 5 ; insbesondere ist willkürliche Namens2 Erfolgt die Adoption nur zu dem Zweck, dem Angenommenen den Namen des Annehmenden zu verschaffen, und sind alle übrigen Wirkungen der Adoption im Vertrage ausgeschlossen, so wird der Vertrag als simuliert und daher als nichtig betrachtet, SeuffArch. 60, 130; Enneccerus § 93 Note 7. 3 Planck § 1758, 3. 4 Planck § 1706, 111. Ob man rückwirkende Kraft annehmen will (Endemann I I § 171 Note 11) oder nicht (Dernburg IV § 21 Note 6), ist gleichgültig; denn jedenfalls hat die Ehefrau bis zur Rechtskraft des Urteils im Nichtigkeits- oder Anfechtungsprozeß den Namen des Ehemanns zu führen; §§ 1329. 1343 Π. 6 Eine Ersitzung des Namens kennt das BGB« nicht. Sie ist, wo sie nach Landesrecht zulässig war, durch Art. 55 aufgehoben, RG. in SeuffArch.

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änderung unzulässig5 a , weil dadurch eine unerträgliche Verwirrung des privaten und öffentlichen Rechtszustandes eintreten könnte. Namensänderung kann nur durch einen staatlichen Akt erfolgen, dessen Voraussetzungeo und Formen sich nach Landesrecht richten. Die Verleihung eines neuen Namens kann aber nicht ohne Einwilligung des betreffenden Menschen stattfinden, weil ihm der nach BGB. zustehende Name nicht ohne seinen Willen genommen werden kann. Verlieheo kann ein Name werden, den bereits ein anderer Mensch führt, ohne daß dem bisherigen Namensträger ein privatrechtliches Verbietungsrecht dagegen zusteht5 b . Findelkindern wird an Stelle ihres unbekannten Namens, provisorisch, bis der wirkliche Name festgestellt werden kann, ein Name verliehen. Da es sich um Namensänderung handelt, so bestimmt sich auch hier die Befugnis der Namenserteilung nach öffentlichem Recht 6 . II. Der Vorname wird dem Kinde durch den Willen eines anderen Menschen beigelegt7. Das Recht der Namensgebung ist Bestandteil der elterlichen Gewalt und steht daher in erster Linie dem Vater, ausnahmsweise (§ 1684 fg.) der Mutter zu. Für das uneheliche Kind kommt es darauf an, ob man die Namensgebung zu der gesetzlichen Vertretung 8 oder zu der Sorge für die Person des Kindes rechnet 9 ; in letzterem Fall ist der Name nicht vom Vormund, sondern von der Mutter, § 1707, zu bestimmen; diese Ansicht entspricht unserem Rechtsgefühl, da es sich bei der Wahl des Vornamens um individuelle Geschmacksrichtung handelt, und hat kein Bedenken, weil durch Bestimmung des Vornamens die Rechtsstellung des Kindes nicht geschädigt werden kann. Für den Vornamen der Findelkinder gelten die Vorschriften des öffentlichen Rechts ebenso wie für ihren Familiennamen. Der Vorname wird in das Geburtsregister eingetragen und ist, wenn er zur Zeit der 59, 397 und die herrschende Meinung; a. A. Oertmann §§ 12, 28. Dagegen wird der Beweis des durch Abstammung erworbenen Namens in vielen Fällen nicht anders als durch unvordenkliche Zeit geführt werden können. 5 » In Preußen strafbar nach KabO. vom 15. April 1822. Woermann in DJZ. 5, 436. 6 Oertmann §. 12, 2 aß. Weyl, Name des Findelkindes 28, gibt dem Vormund, D e r n b u r g § 55 Note 8 dem Anzeigenden das Recht der Namenserteilung. 7 Unter mehreren Vornamen, die einem Menschen beigelegt sind, steht ihm der Gebrauch des einen oder anderen als sogenannten Rufnamen frei. 8 Endemann I § 37 Note 13; Oertmann § 12, 2b. 9 Mot. IV. S. 712; Endemann I I § 196 Note 10; Planck § 1616, 2.

§ 30. Name.

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Geburtsanzeige noch nicht feststeht, binnen zwei Monaten nach der Geburt anzuzeigen, PersStandG. § 22. In der Auswahl des einzutragenden Vornamens kann das öffentliche Recht Beschränkungen aufstellen 10 ; anstößige Vornamen sind arg. 138 unzulässig. Der im Geburtsregister eingetragene Vorname kann ohne staatliche Genehmigung nicht geändert werden, weil sonst der Zweck, den das PersStandG. mit der Eintragung der Vornamen verfolgt, vereitelt werden würde n . Darum liegt in der Anzeige des Vornamens an das Standesamt die eigentliche Namensgebung; vorherige Benennung des Kindes ζ. B. in privaten Geburtsanzeigen ist rechtlich irrelevant. I I I . Eine Verpflichtung, den richtigen Namen zu führen, besteht nach öffentlichem Recht gegenüber dem Staat. Wer sich eines ihm nicht zustehenden Namens einem zuständigen Beamten gegenüber bedient, ist nach StrGB. § 360 Nr. 8 strafbar. Dagegen ist Gebrauch eines unrichtigen Namens gegenüber einer Privatperson straflos, wenn nicht der Tatbestand eines Betrugs oder einer Urkundenfälschung vorliegt 12 . Bei Eintragungen in öffentliche Bücher und Register (ζ. B. Grundbuch, Güterrechtsregister), ebenso in gerichtlichen und notariellen Urkunden 18 ist der richtige Name der beteiligten Personen zu verwenden; der Beamte hat seine Mitwirkung zu verweigern, wenn sich die beteiligte Privatperson eines ihr nicht zustehenden Namens bedient. Doch wird durch Unrichtigkeit des Namens der rechtliche Vorgang nicht unwirksam, wenn die Identität der beteiligten Person feststeht u . Ebenso sind Privaturkunden, die mit unrichtigem Namen unterzeichnet sind, deswegen nicht ungültig, wenn über die Person des Unterzeichnenden kein Zweifel besteht 16 . Das gilt auch für das Testament 16 . Eine zivilrechtliche Verpflichtung, den richtigen Namen zu führen, besteht für die Frau gegenüber ihrem Ehemann; er kann 10

Planck § 1616, 2; Endemann I § 196 Note 10. Oertmann § 12, 3b; Cosack § 37 I 2 gegen Opet S. 350 u. a. 12 Vgl. B i n d i n g , Lehrb. des StrafR. Besonderer Teil I I S. 233i die Unterzeichnung mit unrichtigem Namen ist keine Urkundenfälschung, wenn keine Irreführung über den wirklichen Aussteller vorliegt. Zu weit scheint mir die Entsch. des RG. in DJZ. 1900 S. 48 zu gehen. 13 Vgl. GFG. § 176; Josef, ArchZivPr. 100, 444. 14 Dernburg § 55 I I I ; Josef a. a. O. 439. Über Gebrauch unrichtiger Namen im Prozeß vgl. H e l l w i g , ZivProz. § 113 III. 16 Planck § 126, 2. Durch den Gebrauch eines unrichtigen oder unvollständigen Namens (Vorname) kann Zweifel an der Ernstlichkeit oder Vollständigkeit der Erklärung entstehen; Josef a. a. 0. 421. RG. 71, 273 verlangt beim Wechsel Richtigkeit des Familiennamens, nicht des Vornamens. 16 Planck § 2231, 3a; Josef a. a. 0. 433. 11

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gegen sie aus § 1353 klagen, wenn sie sich eines anderen Namens bedient 17 . Dagegen hat der Vater keine solche Klage gegen das Kind, selbst dann nicht, wenn es in seiner elterlichen Gewalt steht 18 . IV. Der Name ist nicht bloß eine durch öffentliches Recht geschützte Einrichtung, sondern Gegenstand eines subjektiven Privatrechts, dessen Erwerb und Verlust zum Teil von öffentlichrechtlichen Tatsachen (Namensänderung) abhängt. Diese Auffassung war schon im gemeinen Recht durchgedrungen 19 und ist im BGB. durch die Ansprüche zum Ausdruck gekommen, welche das Gesetz in § 12 zum Schutze des Namens verleiht. Dieser Schutz richtet sich gegen Bestreiten des Namens und gegen unbefugten Gebrauch des Namens durch einen Dritten. In beiden Fällen kann der Namensträger Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen und, wenn weitere Beeinträchtigungen zu besorgen sind, auf Unterlassen klagen. Durch diesen, dem negatorischen Anspruch des § 1004 analogen, Rechtsschutz charakterisiert sich das Namensrecht als absolutes Recht; es ist ein Herrschaftsrecht über die als immaterielles Gut vorgestellte Personenbezeichnung und findet seinen systematischen Platz neben den Autor- und Erfinderrechten 20. Das Namensrecht ist unablöslich mit der Person des Namensträgers verbunden. Es ist unvererblich: das Kind erwirbt den Namen, den der Vater trägt, nicht durch Sukzession, sondern originär durch die Geburt. Testamentarische Verfügung über den Namen ist ausgeschlossen. Auch durch Rechtsgeschäft unter Lebenden kann man, abgesehen vom Fall des § 1706 I I , seinen Namen einem Anderen nicht verleihen. Wenn A dem Β erlaubt, seinen Namen zu führen, so erwirbt dadurch Β nicht den Namen des A, sondern nur eine Einrede gegen den Untersagungsanspruch des A aus § 1 2 2 1 ; andere Personen, die den Namen A führen, sind nicht gehindert, gegen Β aus § 12 zu klagen 22 . 17

Staudinger § 12, 5 Die elterliche Gewalt wird gegen das Kind durch Selbsthilfe, nicht durch Klage durchgesetzt; vgl. ob. § 15 Note 8a. 19 Vgl. RG. 5, 171; 29, 124. 20 Vgl. ob. § 6 Note 55; Ohlshausen 94fg. 21 Opet 360; Staudinger §§ 12, 113; Oertmann § 12, 7; OLG. 15, 302; a. A. Z i t e l m a n n , ArchZivPr. 99, 68, welcher der Erlaubnis zur Namensführung keinerlei Wirkung zuschreibt. 28 Die Erlaubnis zur Führung eines fremden Namens dürfte, da sie kein Recht auf diesen Namen verleiht und ein mit der Person des Erlaubenden 18

§ 30. Name.

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V. Das Namensrecht kann verletzt werden durch Bestreitung oder durch Anmassung des Namens Seitens eines Dritten. Nach beiden Richtungen gibt § 12 dem Namensberechtigten einen Anspruch 2 2 ft; 1. Bestreiten des Namens liegt nicht schon dann vor, wenn Jemand den X mit unrichtigem Namen bezeichnet, sondern nur, wenn er behauptet, daß der von X geführte Name ihm nicht zusteht. Diese Behauptung kann gegenüber dem X oder Dritten, oder öffentlich aufgestellt sein. Der Bestreitung seines Namens kann der Namensträger mit der Feststellungsklage, ZPO. § 256, entgegentreten. Aber der durch § 12 BGB. gewährte Rechtsschutz geht weiter als die Feststellungsklage28: der Berechtigte kann Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen: das Mittel der Beseitigung besteht, entsprechend der Art des Bestreitens, in der Zurücknahme der Bestreitung gegenüber den Personen, denen gegenüber die Bestreitung geäußert wurde, also u. U. durch öffentliche Erklärung. Schadensersatz kann nur bei Verschulden nach § 823 I verlangt werden 24. Ferner kann mit der Klage aus § 12 Verurteilung zur Unterlassung (mit Androhung von Geldstrafe oder Haft) erreicht werden. Die Namensbestreitungsklage kann auch gegen eine öffentliche Behörde erhoben werden 26 , außer wenn die Behörde innerhalb ihrer Kompetenz eine Anordnung über Namensführung getroffen h v at 26 . 2. Der zweite Anspruch aus § 12 richtet sich gegen unbefugten Gebrauch des Namens. Hier verlangt das Gesetz als weitere Voraussetzung der Klage eine Verletzung des Interesses des Beeng zusammenhängendes Recht betrifft, jederzeit, C ο sack §37 114, oder wenigstens ex iusta causa, Oertmann § 12, 7, widerruflich sein. 22 a Von der Klage aus § 12, in welcher es sich um das Namensrecht handelt, ist zu unterscheiden die Feststellungsklage darüber, ob unter den Parteien das Rechtsverhältnis der Verwandtschaft besteht. 28 Zum Schutz des Eigentums gegen Bestreitung dient nur die Feststellungsklage, nicht die a. negatoria; Planck § 1004, 2c. 24 Und nur für Vermögensschaden, § 847. 25 SeuffA. 60, 129 (OLG. Hamburg): Klage gegen die Polizeibehörde, wenn sie die Eintragung des richtigen Namens in das Melderegister verweigert; vgl. OLG. 20,23. 26 So wäre ζ. B. gegen ein Amtsgericht, welches eine beantragte Berichtigung des Standesregisters ablehnt (PersStandG. § 66 fg.; GFG. §84), nur die Beschwerde möglich, nicht Klage aus BGB. § 12; vgl. die Entsch. bei Gruchot 49, 828; 50, 881.

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rechtigten. Das Interesse kann ein ideales oder ökonomisches sein und besteht in der Gefahr der Verwechslung oder darin, daß durch den Gebrauch desselben Namens der Schein einer Familienzusammengehörigkeit zwischen dem Namensträger und dem Gegner hervorgerufen wird 2 7 . Bei vulgären Namen wird der Fall einer Schädigung durch unbefugte Namensführung viel seltener eintreten, als bei wenig gebräuchlichen Namen 28 . Der Anspruch richtet sich gegen jeglichen unbefugten 29 Gebrauch des Namens80. Ein Gebrauch des Namens liegt vor, wenn Jemand seine Person mit dem Namen bezeichnet (oder durch Dritte bezeichnen läßt), indem er sich so nennt, oder den Namen auf seiner Visitenkarte anbringt, oder auf einem Türschild; oder den fremden Namen in seine Firma 8 1 oder sein Warenzeichen 82 aufnimmt, oder in das Titelblatt eines von ihm herausgegebenen Buches 88 ; oder wenn sich Jemand unter fremdem Namen bei der Polizei anmeldet. Um Gebrauch eines fremden Namens handelt es sich meines Erachtens auch dann, wenn Jemand ein Attest oder einen Wahlaufruf mit fremdem Namen unterschreibt 84 ; denn damit bezeichnet sich der Unterschreibende mit einem ihm nicht zustehenden Namen; daß er zugleich den Schein erweckt, als ob der Namensträger den Wahlaufruf oder das Attest unterschrieben habe, ist ein mit der Verletzung des fremden Namens konkurrierender und unter § 826 fallender Verstoß gegen die guten Sitten. Dagegen liegt ein Gebrauch des fremden Namens im Sinn von § 12 nicht vor, wenn der Name nicht zur Bezeichnung eines Menschen verwendet wird; so ζ. B. wenn Jemand seinem Haus, oder ein Fabrikant seinen Zigarren den Namen eines Politikers 27

RG. 69, 310: ist der Name eines Fabrikanten zu einer allgemein üblichen Warenbezeichnung geworden (Libertyseide), so hat der Fabrikant kein Interesse, die unbefugte Verwendung seines Namens zu verbieten. 28 RG. 42,147 hat angenommen, daß, wenn jemand unbefugterweise seinem Namen den seiner Mutter hinzufügt, das Interesse der mütterlichen Verwandten dadurch nicht verletzt wird. 29 Unbefugt ist der Gebrauch nicht, wenn dem X der Name, den A bereits führt, durch staatlichen Akt verliehen ist, vgl. ob. Note 5 b. 30 Auch gegen Führung des Namens mit geringer Abweichung (ζ. B. im Vornamen), Oertmann § 12, 4b αα, oder als Zusatz zum eigenen Namen „vormals X"; RG. 56, 187; SeuffA. 60, 305; OLG. 16, 83. 81 RG. 66, 323; SeuffA. 60, 305. 32 RG. 54, 42. 83 Oertmann § 12, 4 b γγ gegen Z i tel mann 52. 34 Ο ρ et 386; K o h l e r 86 gegen Endemann Note 10; Enneccerus Note 2.

§ 30.

Name.

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oder Schriftstellers beilegt, oder wenn ein Dichter die von ihm dargestellte Person mit einem Namen bezeichnet, der von Jemandem als bürgerlicher Name geführt wird; denn hier fehlt die für den Schutz des Namensrechts charakteristische Gefahr derVerwechseluug oder der falsche Schein eines Familienzusammenhanges; allerdings kann ein solches Verhalten u. U. eine Ehrverletzung oder ein Verstoß gegen die guten Sitten, § 82(3, sein, aber die Rechtswidrigkeit liegt nicht im Mißbrauch des fremden Namens; denn es kann, wie O e r t m a n n 8 6 mit Recht hervorhebt, auch ohne Gebrauch eines fremden Namens unstatthaft sein, eine Bühnen- oder Romanfigur so nach dem Vorbild eines Menschen zu gestalten, daß ihm daraus ein Nachteil in der öffentlichen Meinung erwächst. Der Inhalt des Anspruchs ist derselbe, wie bei der Bestreitung des Namens: Beseitigung der Beeinträchtigung (ζ. B. durch Löschung des fremden Namens in der Firma, dem Warenzeichen oder dem Aushängeschild; Berichtigung des Registers, in welchem der fremde Name eingetragen ist; Änderung des Buchtitels, welcher den Autor mit unrichtigem Namen bezeichnet, usw.) und Verurteilung zur Unterlassung weiterer Beeinträchtigung, wenn eine solche zu besorgen ist, was bei mala fides des Beklagten eher angenommen werden kann, als wenn er sich des fremden Namens in gutem Glauben bedient hatte 36 . Schadensersatz kann nach § 823 I bei Vorsatz oder Fahrlässigkeit verlangt werden. Ein Schutz des Namens ergibt sich aus dem Warenzeichengesetz vom 12. 5. 94. Wer einen fremden Namen in einer in § 14 dieses Gesetzes genannten Weise gebraucht, ist zu Schadensersatz verpflichtet; die unzulässige Kennzeichnung der Ware wird beseitigt, eventuell, wenn das nicht anders möglich ist, der Gegenstand selbst vernichtet, § 19 des Ges. Diese Bestimmungen gelten aber nur dann, wenn der unbefugte Gebrauch des fremden Namens wissentlich oder aus grober Fahrlässigkeit geschehen ist, und sind durch § 12 BGB. überholt; denn Beseitigung des zu Unrecht gebrauchten Namens kann nach BGB. auch bei gutem Glauben des Beklagten, Schadensersatz auch bei leichter Fahrlässigkeit verlangt werden. Dagegen geht das WarenZG. insofern über das BGB. hinaus, als statt des Schadensersatzes Busse verlangt werden kann, § 18, und bei Vorsatz Bestrafung eintritt, § 14 I I . 35 86

§ 12, 4b β 88. Op et 394.

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Endlich kommt für den Schutz des Namens in Betracht § 8 des RGes. über unlauteren Wettbewerb : wer im geschäftlichen Verkehr einen Namen in einer Weise benutzt, die darauf berechnet und geeignet ist, Verwechslungen mit dem Namen eines Anderen hervorzurufen, ist zu Schadensersatz verpflichtet und kann auf Unterlassung beklagt werden. Diese Ansprüche setzen doloses Handeln voraus, gehen aber weiter als BGB. § 12, indem sie sich auch gegen den Gebrauch des eigenen Namens richten, wenn dieser Name mit dem des Klägers gleich oder ähnlich lautet und wenn die Synonymität zum Zweck des unlauteren Wettbewerbs benutzt wird. VI. Vom bürgerlichen Namen ist zu unterscheiden die Firma 87 : der Name, unter welchem ein Kaufmann oder eine Handelsgesellschaft Handelsgeschäfte betreibt, HGB. § 17. Die Firma stimmt grundsätzlich mit dem bürgerlichen Namen des Kaufmanns überein ; sie soll den Familiennamen und mindestens einen ausgeschriebenen Vornamen erhalten, § 18. Aber dies Prinzip kann nicht streng durchgeführt werden; da die Firma wegen der mit ihr verbundenen Kundschaft einen großen wirtschaftlichen Wert haben kann, gestattet das HGB. Abweichungen von der sog. Firmenwahrheit, insbesondere bei Vererbung oder Veräußerung des Handelsgeschäfts. Die Firma wird in das Handelsregister eingetragen; mit der Eintragung entsteht ein exklusives Recht an der Firma in dem Sinn, daß jede neue Firma an demselben Ort oder in derselben Gemeinde sich von den bereits eingetragenen Firmen deutlich unterscheiden muß, HGB. § 29; ein Kaufmann, der mit einem bereits eingetragenen Kaufmann denselben Vor- und Familiennamen hat, darf daher diesen Namen nicht ohne unterscheidenden Zusatz als Firma führen. Name und Firma sind daher oft nicht identisch, Namensrecht und Firmenrecht sind verschiedene, wenn auch im Wesen gleichartige Rechte. Selbst wenn Jemand seinen bürgerlichen Namen als Firma führt, hat er zwei nebeneinander stehende Rechte, von denen das eine durch BGB. § 12 geschützt wird, während das andere dem HGB untersteht. Das Firmenrecht wird im HGB. § 37 in ähnlicher Weise geschützt, wie das Namensrecht in § 12 BGB. Das HGB. kennt keinen Anspruch gegen Bestreitung einer Firma 8 8 und begnügt sich mit einem Anspruch gegen unbefugten Gebrauch einer Firma 87 38

Für Minderkaufleute gilt das Recht der Firma nicht; HGB. § 4. Nötigenfalls kann die Feststellungsklage, ZPO. § 256, aushelfen.

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§ 30. Name.

Dieser Anspruch steht jedem zu, der „in seinen Rechten" verletzt wird, also vor allem dem Inhaber der zu Unrecht gebrauchten Firma, u. zw. im Gegensatz zu § 12 BGB. ohne daß er die Verletzung eines Interesses zu behaupten braucht 39 ; dann aber auch jedem, der in einem anderen Recht ζ. B. in seinem Namensrecht verletzt i s t 4 0 . Die Klage geht auf Unterlassung des Gebrauchs der Firma 4 1 , ohne daß, wie in § 12 BGB., die Besorgnis eines künftigen Gebrauchs vorzuliegen braucht. Von der in § 12 BGB. erwähnten Beseitigung der Beeinträchtigung spricht HGB. § 237 nicht; doch gestattet die Praxis eine Klage auf Löschung der zu Unrecht eingetragenen Firma 4 a . In Bezug auf Schadensersatz verweist HGB. auf die sonstigen Vorschriften d. h. auf § 823 BGB. VII. Wie die Firma so ist auch das Pseudonym eine vom bürgerlichen Namen abweichende Personenbezeichnung, die aber keine gesetzliche Sanktion gefunden hat. Auf gewissen Lebensgebieten (hauptsächlich künstlerische und literarische Tätigkeit) ist es Sitte, u. U. an Stelle des bürgerlichen Namens eine andere Bezeichnung zu wählen, durch welche die Identität des auf diesem Gebiet auftretenden Menschen verdeckt wird. Der Gebrauch eines Pseudonyms ist erlaubt, soweit nicht StrafGB. § 360 Nr. 8 in Betracht kommt, darf aber nicht gegen das Namensrecht eines anderen verstoßen: wer einen fremden bürgerlichen Namen als Pseudonym ohne Erlaubnis des Namensträgers benutzt, unterliegt dem Anspruch aus § 12, wenn der Kläger eine Verletzung seines Interesses beweisen kann. Ob das Pseudonym als subjektives Recht zu betrachten ist und daher selbst den Schutz des § 12 genießt, ist sehr bestritten 48 . Meines Erachtens ist unter Namen im Sinn von § 12 nur der bürgerliche Name zu verstehen, dessen Erwerb und Verlust nach gesetzlichen Vorschriften erfolgt, nicht die Bezeichnung, welche sich Jemand willkürlich und zu bestimmtem Zweck beilegt. Beim Pseudonym könnte es sich höchstens um entsprechende Anwendung des § 12 handeln 44 . Aber die Analogie scheint mir hier nicht zuzu89

Dernburg I § 99 Note 25; Staub, HGB. § 37 Anm. 15. Hier konkurrieren § 37 HGB. und § 12 BGB. Führt jemand eine mit seinem bürgerlichen Namen nicht übereinstimmende Firma, so kann er gegen unbefugten Gebrauch dieser Firma nur aus HGB. § 37 klagen; RG. 59, 285· 41 Vollstreckung nach ZPO. § 890. 42 Staub, HGB. § 37 Anm. 22; D ü r i n g e r ; HGB. § 37, IV. 48 Dafür Oertmann § 12, 6 und die dort Zit.; dagegen Planck § 12, 4; Z i t e l m a n n 51; Cosack § 37 I I I ; Biermann § 125, 3 u. A. 44 Enneccerus § 93 Note 5. 40

Handbuch, X . 1. I : τ ο η T u h r I .

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Zweites Buch.

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Die Persone.

treffen, weil der Tatbestand der Entstehung eines Pseudonyms sich mit dem des Namenserwerbs nicht vergleichen läßt und an einer großen Unbestimmtheit leidet ; einmaliger Gebrauch eines fingierten Namens könnte zum Erwerb eines ausschließlichen Rechts auf diese Bezeichnung nur dann genügen, wenn sie mit einem dauernden literarischen oder künstlerischen Werk verbunden ist, nicht dagegen wenn sich Jemand unter einem Pseudonym vorübergehend ζ. B. als Schauspieler oder Sänger betätigt hat; welche Intensität der Betätigung erforderlich wäre, um in solchen Fällen ein Recht auf das Pseudonym zur Entstehung zu bringen, ließe sich schwer bestimmen. Bei dieser Sachlage dürfte es genügen, den Schutz des Pseudonyms gegen Anmassung seitens Dritter, ohne Annahme eines absoluten namensähnlichen Rechts, aus § 826 abzuleiten 45 , wobei es dem Ermessen des Richters überlassen bleibt, je nach der Schutzwürdigkeit des Pseudonyms und dem Verhalten des Gegners einen Verstoß gegen die guten Sitten anzunehmen oder nicht. V I I I . Sehr bestritten ist die Frage, ob die den adligen Namen beigefügten Worte „von", Freiherr, Graf usw. Bestandteile des Namens sind, oder eine vom Namen zu sondernde Bezeichnung der Zugehörigkeit zum Adel ί β . Die erste Auffassung würde dazu führen, daß diese Prädikate die Schicksale des Namens, wie sie durch das BGB. geregelt sind, teilen müßten, so daß ζ. B. ein von einem Adligen adoptiertes Kind oder das uneheliche Kind einer adligen Mutter das Prädikat führen dürfte. Nach letzterer Ansicht würde das Prädikat, als ein zum Namen hinzutretender, den Adel bezeichnender Zusatz, wie der Adel selbst, sich ausschließlich nach Landesrecht richten, so daß in den beiden genannten Beispielen das Kind nach den meisten Landesrechten das Prädikat nicht führen dürfte 4 7 . Diese Ansicht verdient entschieden den Vorzug, da nach unserer Sitte und sozialen Gewohnheit das Wort „von", und noch mehr der Freiherrn- und Grafentitel, als Kennzeichen der Zugehörigkeit zum Adel gelten, so daß eine Verwirrung der Standesbegriffe eintreten würde, wenn ein adliger Name mit dem Prädikat „von" von Personen geführt werden könnte, die nicht dem Adel angehören. Anders verhält es sich mit bürgerlichen Namen, 46

Auch § 8 des RG. über unlaut. Wettb. kann in Betracht kommen. v. B ü l o w , DJZ. 96 , 432 und 00, 373; Götze, JheringsJ. 48, 399: Sohm, DJZ. 99, 8; S t a u d i n g e r , DJZ. 98, 362; Planck § 12, 3; Oertmann § 12, 5. 47 Durchgedrungen auf dem 25. Juristentage, auf Referat von Gierke. 4e

§ 30.

Name.

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die das Wort „von" enthalten; hier ist dieses Wort nichts anderes, als ein Bestandteil des Namens und richtet sich ganz nach dem Recht des BGB 4 8 . Obgleich das Adelsprädikat kein Teil des Namens ist, so dient es doch, wie der Name, zur Bezeichnung der Person und verdient daher denselben Schutz, den § 12 dem Namen erteilt. In entsprechender Anwendung dieser Vorschrift können Ansprüche gegen Bestreitung oder Anmassung des Prädikats erhoben werden; wenn sich ζ. B. Jemand, der Bülow heißt, v. Bülow nennt, so kann es ihm von einem berechtigten Träger des Namens v. Bülow arg. § 12 untersagt werden 49 . Ebenso ist analoge Anwendung des § 12 auf das (adlige oder bürgerliche) Wappen zulässig, soweit das Wappenrecht im Landesrecht anerkannt ist 5 0 . Zweifelhaft und in der Praxis m. WT. nicht vorkommend ist die in der Literatur vielfach für zulässig erklärte analoge Ausdehnung des Namensschutzes auf Titel und Orden; es handelt sich hier um Einrichtungen, die nach ihrer Entstehung und Bedeutung ganz dem öffentlichen Recht angehören und durch die Mittel desselben meines Erachtens genügend geschützt sind; eine ungerechtfertigte Bestreitung von Titel oder Orden wird meist eine strafbare Beleidigung enthalten; gegen Anmassung solcher Auszeichnungen genügt die Möglichkeit, das Einschreiten der Obrigkeit (StrafGB. § 360 Nr. 8) zu veranlassen. Daneben scheint mir ein Bedürfnis dafür nicht vorzuliegen, daß ζ. B. der Kommerzienrat X gegen Y, der sich zu Unrecht ebenfalls Kommerzienrat nennt, eine Klage aus § 12 BGB. anstellen könne. 48

OLG. 20, 24. Planck § 12, 5; Enneccerus § 93 Note 11; Biermann § 125 I I 2. 60 Planck, Enneccerus, Biermann a. a. 0.; Dernburg § 55 Note 20; F. Hauptmann, Das Wappenrecht. 49

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Zweites Kapitel.

Die· juristischen Personen. § 31. Arten der juristischen Personen*. I. Das BGB. regelt seinem Zweck und Namen entsprechend nicht alle juristischen Personen, sondern nur die, welche dem Privatrecht angehören (Vereine und Stiftungen), und überläßt andere juristische Personen dem öffentlichen Reichs- oder Landesrecht; nur zwei Rechtssätze des BGB. sollen nach § 89 auf die öffentlichrechtlichen juristischen Personen in gewissen Schranken zur Anwendung kommen. Das Prinzip, nach welchem sich die juristischen Personen des Privatrechts und des öffeDtlichen Rechts unterscheiden, ist, wie überhaupt die Grenze zwischen diesen beiden Gebieten unserer Rechtsordnung, nicht leicht zu definieren. Daß die Tätigkeit einer juristischen Person das öffentliche Interesse berührt oder Angelegenheiten betrifft, denen auch der Staat seine Fürsorge zuwendet1, genügt nicht, um die Kompetenz des öffentlichen Rechts zu begründen; denn ein Verein, welcher politische, sozialpolitische oder religiöse Zwecke verfolgt, oder sich der Armenpflege oder Erziehung widmet, untersteht trotzdem dem bürgerlichen Recht. Die Beziehung des Staates zur juristischen Person muß eine engere sein, um derselben den öffentlichrechtlichen Charakter zu verleihen. Ein gutes Kriterium ist darin zu finden, daß die juristischen Personen des öffentlichen Rechts dem Staat gegenüber zur Erfüllung ihrer Zwecke verpflichtet sind 2 ; aber mit Recht weist O e r t m a n n 8 darauf hin, daß die Staatsgewalt auch * W i n d s c h e i d § 57; B e k k e r § 60; Gierke I § 60; Dernburg § 65; Endemann § 40; Crome § 49; Enneccerus § 97; K o h l e r §§ 151 bis 153; Biermann § 128; Oertmann, Komm. 1. Abschn. 2. Titel Vorb. 4 und § 89, 1. 1 D e r n b u r g a. a. 0. I I I 1; dagegen W i n d s c h e i d - K i p p , Zus. zu § 57. 2 Rosin, Recht der öffentlichen Genossenschaft S. 18. 8 Oertmann § 89, lc.

§ 31. Arten der juristischen Personen.

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bei Vereinen und Stiftungen in gewissem Maße, event, durch Entziehung der Rechtsfähigkeit, auf die Erfüllung des Zwecks einwirken kann 3 a . E i t z b a c h e r 4 sucht das Unterscheidungsmerkmal in der Freiwilligkeit der Mitgliedschaft im Privatrecht im Gegensatz zu der Zwangsmitgliedschaft bei den juristischen Personen des öffentlichen Rechts; das trifft im allgemeinen zu 6 , aber es gibt juristische Personen des öffentlichen Rechts, aus denen der freie Austritt gestattet ist, so aus der Kirche und aus dem Staat 6 . Ein anderer, und meines Erachtens besserer Ausgangspunkt für die Unterscheidung liegt in der Entstehung der juristischen Person7. Vereine und Stiftungen werden durch den Willen von Privatpersonen begründet, durch ein Rechtsgeschäft, zu welchem allerdings ein staatlicher Akt (Genehmigung, Eintragung) hinzutritt, aber ohne dem ganzen Vorgang den rechtsgeschäftlichen Charakter zu nehmen. Alle auf diesem Wege entstehenden juristischen Personen gehören ohne Rücksicht auf ihren Zweck und die durch ihre Tätigkeit geförderten Interessen dem privatrechtlichen Gebiet an. Dagegen gilt wie für den Staat so für die von ihm ins Leben gerufenen juristischen Personen das öffentliche Recht; ebenso für solche juristische Personen, die zwar nicht von der Staatsgewalt geschaffen, aber von ihr als Stücke der öffentlichen Rechtsordnung organisiert (Gemeinden) oder anerkannt (Kirche) sind 8 . Ob letzteres der Fall ist, entscheidet sich nach öffentlichem Recht (Reichsoder Landesrecht) ; so hat das Landesrecht darüber zu bestimmen, ob eine Religionsgemeinschaft dem öffentlichen oder dem Privatrecht untersteht 8 a . 8

» Auch die Verwaltung einer juristischen Person durch eine Behörde ist kein Beweis für ihren öffentlichrechtlichen Charakter; vgl. § 86. 4 Handlungsfähigkeit 90. 6 Darum sind die Deich-, Wasser- und Waldgenossenschaften des preußischen Rechts, soweit der Beitritt zwangsweise erfolgt, dem öffentlichen Recht beizuzählen; Dernburg I § 72 III. Anders, wie es scheint, K o h l e r § 145 I. 6 § 17 RG. über Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit. 7 Crome a. a. Ο. 8 Gierke I § 75 Ι ; 0. Mayer, Festg. für Laband I S. 42. Daher gehören zum öffentlichen Recht: die Innungen, die Berufsgenossenschaften und die Versicherungsanstalten des Reichsversicherungsrechts, Rosin, Arbeiterversicherung 2, 278; ob die eingeschriebenen Hilfskassen, ist streitig, vgl. Dernburg § 71 Note 4. Dagegen möchte ich gegen Dernburg § 71 VI die Kolonialgesellschaften zum Privatrecht rechnen. 8 * Die Frage, ob eine juristische Person dem öffentlichen, oder dem Privatrecht angehört, kann im BGB. für § 45 wichtig sein.

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Zweites Buch.

Die Persone.

I L Ihrer Struktur nach zerfallen die juristischen Personen, die des Privatrechts wie die des öffentlichen Rechts, in zwei Klassen, welche im BGB. durch die Typen des Vereins und der Stiftung vertreten sind. Wesentlich für den Verein 9 ist eine Mehrheit von Mitgliedern, welche den Verein zur Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks begründen, und deren Wille für die weitere rechtliche Existenz und Betätigung des Vereins maßgebend ist; die Mitglieder können den Zweck des Vereins abändern; sie können den Verein auflösen; sie sind das herrschende Element im Verein. Anders bei der Stiftung; hier ist der Zweck, dem das Stiftungsvermögen gewidmet ist, ein für allemal durch den Stifter festgesetzt und kann selbst durch den Stifter nicht mehr geändert werden; die zur Verwaltung der Stiftung bestellten Menschen sind dienende Organe 10 . Andere juristische Personen außer Verein und Stiftung kennt das BGB. nicht 1 1 . Entsprechend, nur nicht so scharf durchgeführt, ist die Unterscheidung der öffentlichrechtlichen juristischen Personen in zwei Gruppen : dem Verein entspricht im öffentlichen Recht die Körperschaft; sie hat Mitglieder, denen ein entscheidender Einfluß auf die Tätigkeit der juristischen Person zusteht. Den Stiftungen des Privatrechts entsprechen im öffentlichen Recht die Anstalten 12 , 9 Das Wort „Verein44 ist erst seit dem BGB. technisch geworden zur Bezeichnung der juristischen Personen, denen eine Mehrheit von Mitgliedern wesentlich ist. Daher tragen mehrere Arten von juristischen Personen, die unter den Begriff des Vereins fallen, andere Bezeichnungen: Aktiengesellschaften, Erwerbsgenossenschaften usw. 10 Auf einen weiteren Unterschied von Verein und Stiftung hat B e k k e r § 60 Beil. I I aufmerksam gemacht: das Stiftungsvermögen scheidet gänzlich aus dem Vermögen des Stifters aus; dagegen können beim Verein die Mitglieder Anteilsrecht am Vereinsvermögen haben, so daß das Vermögen der juristischen Person zwar formell selbständig ist, aber materiell, dem Werte nach, sich im Vermögen der Mitglieder wiederfindet wie beim Gesamthandsvermögen, vgl. ob. § 20 Note 40. Das ist am deutlichsten der Fall bei der Aktiengesellschaft. Es gibt aber Vereine ohne Anteil der Mitglieder am Vereinsvermögen, anderseits Stiftungen mit der Bestimmung, daß das Stiftungsvermögen unter Umständen an den Stifter zurückfällt. 11 Die „stillschweigenden juristischen Personen", von denen K o h l e r , § 151 spricht und zu denen er in bunter Zusammenstellung den nasciturus (vgl. ob. § 22 Note 6), den Nachlaß bei Testamentsvollstreckung und Nachlaßverwaltung sowie das Sammelvermögen zählt, haben in der Jurisprudenz mit Recht keinen Anklang gefunden; Dernburg § 65 Note 10. 12 Zwischen Anstalten und öffentlichen Stiftungen, welche §§ 45, 89 nebeneinander nennen, wird ein wesentlicher Unterschied nicht zu konstatieren sein,

§ 32. Rechtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit der jurist. Personen.

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deren Verwaltung nach festen Regeln durch dienende Organe erfolgt. Die Grenze zwischen Körperschaft und Stiftung ist unter Umständen schwer zu ziehen, weil das Maß der Selbstbestimmung der Körperschaften ein sehr verschiedenes ist; es gibt Körperschaften, bei denen die Willensmacht der Mitglieder durch das Statut so sehr beschränkt i&t, daß sie sich dem Begriff der Anstalt nähern 18 . I I I . Grundsätzlich unberührt vom Recht des BGB» bleiben juristische Personen, welche einem für das Landesrecht vorgehaltenen Rechtsgebiet angehören (Wasserrecht, Art. 65, Deichund Sielrecht, Art. 66, Bergrecht, Art. 67, Fischerei, Art. 69 usw.), mögen sie privatrechtlichen oder öffentlichrechtlichen Charakter haben, Korporationen oder Anstalten sein. Nur wenn das BGB. allgemein von juristischen Personen spricht, §§ 1061, 2101, 2105, 2109, 2163, sind auch solche juristische Personen gemeint 14 . § 32. Rechtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit der juristischen Personen*. I. Wie das rechtliche Wesen der Persönlichkeit in der Rechtsfähigkeit besteht (vgl. ob. § 21 II), so liegt die Bedeutung der juristische η Person darin, daß sie (und nicht die Mitglieder des Vereins oder die Destinatare der Stiftung) als Subjekt der Rechte betrachtet wird, welche zugunsten ihrer Zwecke aus dem Privatvermögen der Einzelnen ausgeschieden sind 1 . Die Rechtsfähigkeit Planck §89, 1; Oertmann, Vorh. 4 vor § 80. Im Sprachgebrauch des Lebens hat Anstalt eine ganz allgemeine Bedeutung und bezeichnet eine den allgemeinen Zwecken dienende Einrichtung, und zwar hauptsächlich in ihrer äußeren Erscheinung (Gebäude usw.), ohne Rücksicht auf die Struktur der juristischen Person, welche hinter dieser Einrichtung steht. So nennt man ζ. B. ein Waisenhaus eine „Anstalt", ob es nun von einem Verein, einer Stiftung oder einer Gemeinde erhalten wird. 18 Eine Mischung von körperschaftlichen und Anstaltselementen zeigt sich in der Organisation der Universitäten, Endemann §49 Note 3; Oertmann § 89, 1 a. E.; D e r n b u r g § 72 IV. 14 W i n d s c h e i d - K i p p , Zus. zu § 57. * W i n d s c h e i d §§ 58, 59; Regelsberger §§ 81—83; Bekker §§ 61, 62; Dernburg §§ 66, 67; Endemann § 39; Crome § 48; E n n e c c e r u s § 96 II, 98; K ö h l e r §§ 132, 133; Biermann §§ 129, 130. 1 Die Rechtsfähigkeit ist kein subjektives Recht, vgl. ob. § 21N. 28. Daher ist es eine ungenaue Redewendung, wenn man davon epricht, daß einem Verein „die Rechte der juristischen Person verliehen werden." Die Rechtsfähigkeit

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Zweites Buch.

Die Persone.

der juristischen Person ist in unserem Privatrecht 1 a eine allgemeine: alle Rechte und rechtlichen Eigenschaften können ihr zustehen, außer denen, für welche bei der juristischen Person die tatsächlichen Grundlagen fehlen : da die Verwandtschaft ein Rechtsverhältnis zwischen Menschen ist, so können deren Rechtsfolgen (Erbrecht, Unterhaltungsanspruch) bei der juristischen Person nicht vorkommen. Die Rechtsfähigkeit der juristischen Person zeigt sich vor allem im Vermögensrecht: Vermögen zu haben ist für die Stiftung wesentlich, für den Verein wenigstens eines der Hauptmittel seiner Betätigung. Jedes Vermögensrecht kann einer juristischen Person zustehen : dingliche Rechte einschließlich Besitz 2 , insbesondere auch Grundbuchrechte, wobei die juristische Person als solche eingetragen wird 8 , Forderungen, Autor- und Erfinderrechte, Rechte an Warenzeichen 4, Erbrecht aus Gesetz oder Testament δβ , ferner die sekundären Rechte (Gestaltungsrechte, Machtbefugnisse, insbesondere Vollmacht 7 ); eine juristische Person kann Mitglied eines Vereins sein 8 . Jede juristische Person hat kann meines Erachtens auch nicht mit Oertmann, Vorb. 6a vor §21 u. a., als Eigenschaft der juristischen Person bezeichnet werden ; denn die Existenz eines Wesens ist nicht eine Eigenschaft, sondern die Voraussetzung aller Eigenschaften. la Auch im öffentlichen Recht kann eine juristische Person subjektive Rechte haben, ζ. B. aktives Wahlrecht. 2 Unmittelbarer Besitz, wenn man die Organe der juristischen Person als Besitzdiener betrachtet, mittelbarer Besitz, wenn man den Organen unmittelbaren Besitz zuschreibt. 8 Hier zeigt sich der Unterschied zwischen der juristischen Person und dem ihr in mancher Beziehung nahekommenden Gesamthandsverinögen ; vgl. ob. § 3 Note 18. 4 und Schutz gegen unlauteren Wettbewerb. 6 Filr eine noch nicht bestehende zum Nacherben eingesetzte juristische Person kann ein Pfleger nach § 1913 eingesetzt werden; Enneccerus Note.2. 6 Eine Beerbung der juristischen Person findet nicht statt. Das Schicksal ihres Vermögens nach ihrer Auflösung ist anders geregelt, in einem Falle, § 46, allerdings nach Analogie des gesetzlichen Erbrechts. Eine Analogie zur testamentarischen Verfügung kann man in dem nach § 45 I I zulässigen Beschluß erblicken. 7 H e l l w i g , ZivProz. § 123 Note 18. Auch Nachlaßverwaltung und Testamentsvollstreckung kann einer juristischen Person übertragen werden, D e r n b u r g § 66 Note 7. Bei der landesrechtlich zulässigen Anstaltsvormundschaft, Art. 136, ist der Vorstand der Anstalt, nicht diese selbst, Vormund, Biermann § 129 Note 2. 8 Auch Mitglied einer offenen Handelsgesellschaft, vgl. darüber Lehmann, Handelsrecht § 55 Noten 4, 5; Staub, HGB. § 105 Anm. 19.

§ 32.

Rechtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit der jurist. Personen.

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einen N a m e n 9 , der nach Analogie von § 12 geschützt w i r d 1 0 . Juristische Personen, welche ein Handelsgewerbe betreiben, haben eine F i r m a 1 1 und die Rechtsstellung von K a u f l e u t e n 1 2 . Von den persönlichen Rechtsgütern kann bei der juristischen Person nur die Ehre in Frage kommen ; ob eine juristische Person Objekt einer Beleidigung sein kann, ist im Strafrecht b e s t r i t t e n 1 8 ; das R G . 1 4 hat sich dagegen erklärt, meines Erachtens mit Recht; denn die Ehre und deren Verletzung sind Tatsachen, deren Voraussetzungen in der Moralität und im Empfindungsleben des Menschen liegen. Damit entfällt auch der Schadensersatzanspruch aus § 823 I I . 9

Der Name der juristischen Person wird frei gewählt durch die Gründer des Vereins, § 57 I, resp. durch den Stifter. Änderungen des Namens können beim Verein durch Satzungsänderung erfolgen. Der Name einen eingetragenen Vereins soll sich nach § 57 I I von den Namen der an demselben Ort oder in derselben Gemeinde bestehenden eingetragenen Vereine deutlich unterscheiden, Oertmann § 57, 2b. Mit der Eintragung erhält der Name eines Vereins den Zusatz „eingetragener Verein", § 65. 10 So die herrschende Meinung, vgl. Planck § 12, 6; Oertmann § 12, 2 a. Die Klage nach Analogie von § 12 hilft aber nur in den nicht häufigen Fällen, in denen eine juristische Person einen ihr nicht zukommenden Namen führt. Wünschenswert ist aber ein Schutz auch dann, wenn eine juristische Person sich einen Namen beilegt, der zu Verwechslungen mit bereits bestehenden juristischen Personen führt oder den Schein der Zugehörigkeit zu -einer bestimmten Klasse von juristischen Personen hervorruft. Die Vorschrift des § 57 I I genügt nicht, weil sie Sollvorschrift ist und sich auf einen lokalen Bezirk beschränkt. Allerdings sind generelle Bezeichnungen für gewisse Arten von juristischen Personen (ζ. B. Konsumverein oder Turnverein) dadurch nicht monopolisiert, daß sie bereits als Namen einer juristischen Person verwendet sind; so kann z.B. die Bezeichnung „Korps" von einer Studentenverbindung gewählt werden, auch wenn sie sich von den schon bestehenden Korps in ihren Grundsätzen völlig unterscheidet. Dagegen darf die Bezeichnung nicht so gewählt werden, daß der falsche Schein der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Kreis gleichartiger juristischer Personen entsteht. Die Abhilfe kann, soweit nicht § 8 des RG. über unlauteren Wettbewerb zutrifft, in § 826 BGB. gefunden werden. 11

HGB. § 33. Staub, HGB. § 33 Anm. 8-, Lehmann, Handelsrecht § 32 Note 4. 12 Lehmann, Handelsrecht § 15 Nr. 4. Aktiengesellschaften ünd Gesellschaften mit beschränkter Haftung gelten als Handelsgesellschaften und unterstehen daher dem Recht der Kaufleute, HGB. § 6, auch wenn sie kein Handelsgewerbe betreiben, HGB. §§ 210, 320; RG. vom 20. April 1892 § 13. Beruf einer juristischen Person im Sinne von § 833, vgl. OLG. 20, 271. 18 K ö h l e r , Arch. f. Strafr. 47, 141; Dernburg § 66 Note 7. 14 Entsch. in Strafe. 9, 1.

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Die Persone.

Dagegen ist die Anwendung des § 824 (Kreditschädigung) auf juristische Personen unbedenklich und unentbehrlich 15 . Die juristische Person kann nicht nur Rechte, sondern auch Verbindlichkeiten haben. Verpflichtet zur Erfüllung dieser Verbindlichkeiten sind die jeweiligen Organe, die Haftung für die Nichterfüllung lastet auf dem Vermögen der juristischen Person 16 ; gegen sie wird die Klage erhoben; zur Vollstreckung in ihr Vermögen ist ein Urteil gegen sie erforderlich und genügend. Die juristische Person hat einen dem Wohnsitz des Menschen entsprechenden Sitz, der in erster Linie durch die Satzung bestimmt wird, und wenn das nicht geschehen ist, sich an dem Ort befindet, wo die Verwaltung geführt wird, §§ 24, 80 1 7 . Von Staatsangehörigkeit kann im eigentlichen Sinn des Wortes nur bei Menschen die Rede sein, aber in analoger Übertragung dieses Begriffs unterscheidet man juristische Personen, die dem Inland oder dem Ausland angehören, Art. 10 1 7 f t . Die Angehörigkeit bestimmt sich durch den Sitz 1 8 . In diesem Sinn versteht man unter „Ausländer 11 in Art. 88 auch eine juristische Person mit Sitz im Ausland 19 . Die Rechtsfähigkeit einer juristischen Person kann Beschränkungen unterliegen 20 . Es kann durch ihre Verfassung der Erwerb gewisser Rechte ausgeschlossen oder an erschwerende Voraussetzungen gebunden sein. So bedürfen Innungen und Versicherungs15

RG. 60, 5. Vgl. ob. § 4 VII. 17 RG. 59, 106 (Aktienges.)· Die Bestimmung des Sitzes in der Satzung soll nach Oertmann § 24, 2b, Biermann § 124 Note 22, W i n d s c h e i d Kipwp, Zus. zu § 58 u. a. unwirksam sein, wenn sie rein fiktiven Charakter trägt. Diese Ansicht ist nicht ohne Bedenken : allerdings kann sich für Dritte eine Belästigung daraus ergehen, daß der Sitz und daher nach ZPO. § 17 der Gerichtsstand des Vereins sich nicht an dem Ort befindet, wo die Verwaltung geführt wird. Aber noch größer scheint mir der Nachteil der Unsicherheit zu sein, welche dadurch eintritt, daß man für den Sitz des Vereins die Satzung nicht unbedingt maßgebend sein läßt; vgl. Wiedemann, Ideale Vereine 381. Die Analogie des Wohnsitzes, der sich stets nach den tatsächlichen Verhältnissen richtet, trifft nicht zu: denn ein Verein, der die Verwaltung ursprünglich an seinem Sitz führt, ist nicht gehindert, die Verwaltung an einen anderen Ort zu verlegen, ohne den Sitz zu ändern; zu einer Verlegung des Sitzesr durch Statutenänderung, kann er meines Erachtens nicht gezwungen werden 17 a Isay, Staatsangehörigkeit juristischer Personen. 18 P l a n c k , Art. 10, 1. 19 Planck zu Art. 88. 20 Über die Rechtsfähigkeit des Vereins im Liquidationsstadium vgl. Oertmann § 49, 2. und unt. § 39, 10

§ 32. Rechtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit der jurist. Personen.

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Unternehmungen zum Erwerb von Grundstücken der Zustimmung ihrer Aufsichtsbehörde 21. Ähnliche Beschränkungen können durch Satzung aufgestellt sein, ζ. B. Ausschluß von Grunderwerb. Allgemein sind Beschränkungen dieser Art der Landesgesetzgebiïng freigestellt, soweit es sich um einen Erwerb im Wert von über 5000 Mk. handelt, Art. 86 2 2 . Ein Recht hat, wenn es einer juristischen Person zusteht, denselben Inhalt, wie wenn es zum Vermögen eines Menschen gehört; darin zeigt sich der konstruktive Vorteil, den der Begriff der juristischen Person für unser Rechtssystem bringt 2 8 . Eine Abweichung ergibt sich bei Rechten, die mit der Lebensdauer zusammenhängen; Nießbrauch dauert bis zur Auflösung der juristischen Person, § 1061; die Anwartschaften aus bedingten oder betagten Vermächtnissen, sowie aus Nacherbeneinsetzung erlöschen, wenn sie zugunsten einer juristischen Person bestehen, ausnahmslos in 30 Jahren seit dem Erbfall, §§ 2163, 2109 28a . Privilegien, wie sie das gemeine Recht kannte, haben die juristischen Personen im allgemeinen nicht. Nur gewisse öffentlichrechtliche juristische Personen haben ein Vorzugsrecht im Konkurs, KO. § 61 Nr. 2, 3; zugunsten einiger juristischer Personen des öffentlichen Rechts kann die Landesgesetzgebung eine Beschränkung der Zwangsvollstreckung anordnen 24. II. Die juristische Person muß zur Erfüllung ihrer Zwecke, insbesondere zur Verwaltung ihres Vermögens und zur Ausübung ihrer Rechte, dieselben Rechtsgeschäfte und Rechtshandlungen vornehmen können, durch welche sich der Mensch auf rechtlichem Gebiet betätigt; denn der privatrechtliche Güteraustausch wird durch den von der Rechtsordnung sanktionierten Willen der Rechts21

GewO. § 89 b; RG. über priv. VersUnt. § 54. Vgl. über diese Landesgesetze (sogenannte Amortisationsgesetze, weil sie die Amortisation, d. h. die Zuwendung an die tote Hand beschränken) Dernburg §67, Endemann §39 Note 10—12. Es handelt sich um eine Schranke der Rechtsfähigkeit, nicht der Handlungsfähigkeit, Biermann § 129 Note 3; vgl. ob. § 21 N. 26. Das Landesgesetz kann die Erwerbsbeschränkungen für die verschiedenen Arten der juristischen Personen verschieden gestalten ; es kann auch juristische Personen, die dem eigenen Bundesstaat angehören, günstiger behandeln als solche, die ihren Sitz in einem anderen Bundesstaat haben, Planck Art. 86, 2. 23 Vgl. ob. § 21 S. 377. 28 a Ein Mietvertrag einer jur. Person ist nach 30 Jahren stets kündbar; die Ausnahme für Miete auf Lebenszeit wird nicht analog auf jur. Personen angewendet; Planck § 567, 2, D e r n b u r g I I § 215 I. 24 EG. zu ZPO. § 15; Dernburg § 66 Note 9. 22

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Subjekte in Bewegung gesetzt. Ein Wille im psychologischen Sinn des Worts kommt aber nur beim Menschen vor, nicht bei der juristischen Person. Das ist evident bei der Stiftung. Beim Verein könnte man an den Willen der Mitglieder denken; aber da nach unserer Rechtsanschauung der Verein als juristische Person von der Summe der Mitglieder zu unterscheiden ist, so ist ein Willensentschluß einzelner oder auch aller Mitglieder nicht ohne weiteres als Wille des Vereins zu betrachten. Das Fehlen des eigenen Willens der juristischen Person wird durch eine Summe von Rechtssätzen ersetzt, welche man als Verfassung oder Organisation bezeichnet; durch die Verfassung wird bestimmt, daß der Wille ge wisser Menschen, wenn er unter bestimmten Voraussetzungen und in béstimmten Formen geäußert ist, als Wille der juristischen Person gilt, d. h. für die Rechtsverhältnisse der juristischen Person dieselbe Wirkung haben soll, wie der Wille des Menschen für seinen Rechtskreis. Die durch die Verfassung mit dieser Aufgabe betrauten Menschen pflegt man Organe der juristischen Person 26 zu nennen, indem man dabei in unwillkürlicher anthropomorpher Vorstellung an den menschlichen Körper als Vorbild denkt. Die Organe handeln mit Wirkung für die juristische Person ebenso wie die gesetzlichen Vertreter für die geschäftsunfähigen Menschen, bei denen ein psychologischer Wille zwar vorhanden ist, aber vom Gesetz nicht als vollwertig anerkannt wird. Solange eine juristische Person keine Organe hat, kann sie nicht handeln 26 ; sie wird aber im BGB. nicht unter den geschäftsunfähigen Personen mitverstanden. In § 104 fg sind nur Menschen gemeint, die aus besonderem Grunde der Geschäftsfähigkeit ermangeln, während es sich bei juristischen Personen von selbst versteht, daß sie nicht anders als mit Hilfe ihrer Organe tätig werden können; so kann z. B. die Frage, ob eine Willenserklärung an den Geschäftsunfähigen oder seinen Vertreter zu richten ist, § 131, bei einer juristischen Person gar nicht aufgeworfen werden, weil die Zustellung einer Erklärung an einen Verein oder Stiftung als solche physisch unmöglich ist 2 7 . Die Rechtssätze des BGB., in denen von geschäftsunfähigen Personen die Rede ist, z. B. § 206, gelten daher nicht für die juristischen Personen 28. 88

BGB. § 32 spricht gelegentlich von Vereinsorganen. Gierke I § 59 Note 17. 87 H e l l w i g , ZivProz. § 116 Note 21. 28 Planck § 26, 2. Der legislative Grund, weswegen juristische Personen, solange sie keinen Vorstand haben, gegen Verjährung ihrer Ansprüche 88

§ 32. Rechtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit der jurist. Personen.

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Wie beim Individuum, so kann man auch bei der juristischen Person zwei Gebiete unterscheiden, auf denen sich der Wille zu betätigen hat: das Gebiet der inneren Verwaltung (Ordnung der eigenen Angelegenheiten, an denen kein Dritter beteiligt ist, und Beschlußfassung über die nacji außen vorzunehmenden Maßregeln) ; und die nach außen gerichtete Tätigkeit : Vollziehung von Rechtsgeschäften und Rechtshandlungen gegenüber Dritten, Für diese nach außen gerichtete Wirksamkeit muß jede juristische Person ein Organ haben; es ist der Vorstand. Der Vorstand hat nach § 26 I I die Stellung eines gesetzlichen Vertreters. Der Gesetzgeber hat es vermieden, den Vorstand direkt als gesetzlichen Vertreter zu bezeichnen, mit Rücksicht auf die zur Zeit der Abfassung des BGB. und jetzt noch herrschende Doktrin, welche einen spezifischen Unterschied zwischen Organ und Vertreter behauptet 29 . Man sagt: das Organ handle nicht an Stelle der juristischen Person, sondern diese handle selbst vermittelst des Organes ; die juristische Person komme in der Handlung ihres Organs gleich unmittelbar zur Erscheinung, wie der Mensch in der Rede des Mundes oder der Bewegung der Hand 3 0 ; das Organ handle als Teil der juristischen Person, ebenso wie wenn, sobald sich die Hand rührt, die Hand und der Mensch zugleich tätig sind 81 . Dieser Anschauung kann ich nicht beistimmen32. Sie setzt ein Bild an Stelle der Wirklichkeit 3 8 . In der Tat ist die Handlung des Vorstandes seine eigene Handlung, nicht die der juristischen Person, nur daß die Wirkungen dieser Handlung, vermöge des Rechtssatzes, der ihn zum Organ macht, nicht ihn selbst, sondern nicht geschützt sind, liegt darin, daß bei Vereinen die Mitglieder, bei Stiftungen die aufsichtsführende Behörde, in der Lage sind, dafür zu sorgen, daß ein Vorstand rechtzeitig bestellt wird, während es bei Menschen, die eines gesetzlichen Vertreters bedürfen, namentlich bei Geisteskranken, viel leichter vorkommen kann, daß sie ohne Fürsorge bleiben. 29 Gierke, Genossenschaftsrecht I I I 218fg., 308fg. und an anderen Stellen? K a r i o w a , GrünhutsZ. 15, 418; Regelsberger; W i n d s c h e i d K i p p ; Oertmann in ArchBürgR. 10, 192 und Komm. § 26, 5a; Crome; Cosack; Enneccerus; K o h l e r ; Preuß. JheringsJ. 44, 429. 80 Gierke I § 59 I I 4. 81 Kohler § 136 I. 32 Gegner der Organtheorie sind: B e k k e r ; H o l d e r , Komm. 1. Absch. 2. Titel IV; L e o n h a r d , Allg. Teil § 34; M e u r e r , Jurist. Pers. 156; G. R ü m e 1 i η , Zweckverm. und Genossenschaft 80 fg. ; S c h 1 ο ß m a η η, JheringsJ. 44, 289; Biermann § 126 Note 5. 88 Schloßmann a. a. Ο. 309 spricht nicht mit Unrecht von einem sacrificium intellectus, welches die Organtheorie ihren Anhängern zumutet.

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die juristische Person treffen. In dieser Beziehung sehe ich keinerlei Unterschied zwischen dem Organ und einem Stellvertreter 34 . Auch kann man nicht mit J e l l i n e k 8 5 sagen, daß hinter dem Vertreter die vertretene Person steht, „während hinter dem Organ nichts steht"; denkt man bei dem, was hinter dem Vertreter stehen soll, an einen rechtlich erheblichen Willen, so fehlt ein solcher auch bei der Vertretung geschäftsunfähiger Menschen; denkt man an ein Wesen, in dessen Rechtskreis die Wirkungen der Vertreterhandlung eingreifen, so steht, wie hinter dem Vormund der Mündel, so hinter dem Vorstand die juristische Person. Juristisch unerheblich scheint mir vollends das mehrfach vorgebrachte Argument 3e , es sei der juristischen Person, insbesondere des Staates unwürdig, wenn seine Tätigkeit mit Hilfe einer Fiktion erklärt wird. Es handelt sich aber bei der Annahme des Vertretungsgedankens gar nicht um eine Fiktion; es wird nicht fingiert, als ob das Wort des Organs ein Wort der juristischen Person sei; sondern es wird dem Wort eines Menschen die Kraft zugeschrieben, das rechtliche Schicksal einer juristischen Person zu bestimmen. Es ist nicht abzusehen, warum diese Auffassung unwürdig, oder gar, wie Dernb u r g meint, schädlich sein soll. Ist doch ζ. B. die Autorität des Monarchen ebenso stark, ob man nun sagt, daß er unter gewissen Voraussetzungen für den Staat handle, oder daß in diesen Fällen der Staat durch ihn handle. Den Vorwurf einer Fiktion kann man aber mit viel besserem Recht der Organtheorie machen; sie lehrt in der Tat, daß durch den Mund des Vorstands der Verein spreche, daß die Unterschrift des Monarchen eine Handlung des Staates sei 8 6 a . Endlich hat man sich für die Organtheorie auf 84 Auch der Rechtssatz, daß Willensmängel, Kennen und Kennenmüssen der Organe für und wider die juristische Person wirkt, gilt ebenso bei der Vertretung, § 166. Schloßmann a.a.O. 323; Rümelin a. a. 0. 87. 36 System der subj. öffentl. Rechte 29. 86 Sogar von Dernburg § 66 II. ae » Ja sogar, daß ein Verschulden des Vorstandes bei Erfüllung einer Verbindlichkeit der juristischen. Person als eigenes Verschulden der juristischen Person zu gelten habe, vgl. Oertmann § 31, 5 a. Schon die Übertragung des Pflichtbegriffs auf nichthandlungsfähige Rechtssubjekte ist dogmatisch nicht ohne Schwierigkeit, läßt sich aber durch die damit erzielte Vereinfachung der juristischen Denk- und Sprechweise rechtfertigen, vgl. ob. § 4 S. 120. Dagegen halte ich für ebenso gewaltsam wie überflüssig die Fiktion, kraft welcher die Organtheorie den gänzlich auf menschliches Denken und Tun abgestellten Schuldbegriff auf die juristische Person anwendet. Welche Vorstellung, kann man sich fragen, kommt der Wirklichkeit näher : daß im Handeln oder Unter-

§ 32.

Rechtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit der jurist. Personen.

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den Sprachgebrauch des Lebens berufen: R e g e l s b e r g e r 3 7 meint, man könne wohl davon sprechen, daß die Stadt ein Darlehen aufnimmt, oder daß eine Aktiengesellschaft ein Grundstück kauft, nicht aber davon, daß ein Geisteskranker oder ein Minderjähriger ein Grundstück erwirbt. Meines Wissens sind beide Redewendungen gleich üblich und werden im selben Sinne verstanden 87®. Eine Theorie, die mit so großem Nachdruck verfochten wird, sollte sich in ihren praktischen Konsequenzen bewähren ; wenn man Organ und Vertreter scharf von einander trennt, so muß sich dieser Unterschied in einer Verschiedenheit der rechtlichen Behandlung zeigen. Tatsächlich aber werden alle wesentlichen Rechtssätze der Vertretungslehre auf die Organe angewendet88. Nur in einem Punkt gilt verschiedenes Recht; die juristische Person haftet unbedingt für den Schaden, den ein Organ in Ausführung seiner Verrichtungen Dritten zufügt, § 31, während für die Delikte eines Vertreters nur nach § 831 (mit Exkulpationsbeweis) gehaftet wird, und für die Delikte eines gesetzlichen Vertreters, ζ. B, des Vormunds, eine Haftung des Vertretenen überhaupt nicht besteht. Auf die Haftung aus § 31 laufen daher auch alle Darstellungen der Organtheorie hinaus; weil die juristische Person durch ihr Organ selbst handelt, darum soll sie auch für die Delikte des Organs einstehen. Diese Haftung der juristischen Person ist im gemeinen Recht der Gegenstand heftigen Streites gewesen; die lassen des Vorstandes ein Verschulden des Vereins oder gar der Stiftung liegt? oder daß die Schuld den Vorstand trifft, und der Schadensersatz nach gesetzlicher Bestimmung, § 278 oder § 31, dem Vermögen der juristischen Person zur Last fällt? § 82 I. 87 » Auch in einem anderen Sinn wird das Wort Organ dazu benutzt, einen meines Erachtens nicht vorhandenen Gegensatz zur Vertretung zu bezeichnen: die Verwalter von Sondergütern (Testamentsvollstrecker, Nacblaßund Konkursverwalter) sollen nicht Vertreter des Vermögenssubjekts, sondern Organe sein, vgl. ob. S. 346, womit eine amtliche oder quasiamtliche Stellung mit eigenem Recht bezeichnet werden soll, während im Recht der juristischen Person „Organ" auf eine Identität der juristischen Person und den zu ihren Diensten stehenden Menschen hinweisen soll. 88 Das wird zugegeben von K o h l e r § 136, der aber in dem Bestreben, einen Unterschied zwischen Organ und Vertreter zu finden, so weit geht zu behaupten, daß nur die Organe, nicht die Vertreter, ein Recht auf ihre Funktion haben. Er denkt dabei nur an die Vertretung, welcher ein Dienst- oder Werkvertrag zugrunde liegt, nicht an die gesetzliche Vertretung, welche so gut wie die Stellung des Vorstandes als subjektives Recht gelten kann, vgl. ob. § 7 Note 31.

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Verhältnisse der modernen Produktion und unseres Verkehrslebens sowie das daraus entstehende Rechtsgefühl drängten zu einem Hinausgehen über das römische Recht, nach welchem nur der Vertreter der juristischen Person, nicht diese selbst, haftet. Diesem Postulat kam die Organtheorie entgegen, ihm verdankt sie ihre weite Verbreitung; man konnte mit ruhigem romanistischem Gewissen die Haftung der Aktiengesellschaften und anderer großer Unternehmungen für die Delikte ihrer Leiter vertreten. Darum gipfelt auch noch die heutige Darstellung der Organlehre in dieser einen Konsequenz. Nachdem nun aber das gewünschte Resultat gesetzlich festgestellt ist, könnte man meines Erachtens die Waffe der Organtheorie, die ihren Dienst getan hat, mit dankbarem Gefühl an die Wand hängen. Denn der Rechtssatz des § 31 beruht nicht auf der theoretischen Auffassung des Organs; nicht deshalb haftet die juristische Person, weil sie durch Hand oder Mund des Vorstands gehandelt und daher selbst den Schaden angerichtet hat, sondern weil es billig und recht erscheint, daß eine Vermögensmasse, welche die Vorteile einer Verwaltung genießt, auch den durch diese Verwaltung angerichteten Schaden tragen soll 8 9 , wie ja auch das Vermögen des Einzelsubjekts durch seine Handlungen ebenso vergrößert, wie mit Schadensersatzpflicht belastet wird. Dieser Rechtsgedanke würde, wenn er nicht im Gewände der Organtheorie aufgetreten wäre, auch bei der gesetzlichen Vertretung zum Durchbruch gekommen sein. Denn es ist unbillig, daß ein Schaden, den ein Vormund mit den Mitteln des Mündelvermögens anrichtet, nicht von diesem Vermögen getragen wird. Diesen Schritt hat aber der Gesetzgeber nicht getan, weil er, der herrschenden Theorie folgend, ihn nur bei den Organen juristischer Personen tun zu dürfen glaubte. Das Resultat ist nicht sehr befriedigend: wenn der Vormund die dem Mündel gehörende Fabrik leitet und durch unvorsichtigen Betrieb Dritte schädigt, so haftet das Mündelvermögen nicht; wird aber die Fabrik in eine Aktiengesellschaft verwandelt, so haftet diese für das Versehen des Vorstandes, selbst wenn die Aktien sämtlich im Vermögen des Mündels verblieben sind. 89 Der Vorstand einer juristischen Person hat als solcher eine viel weitere Möglichkeit, in die Interessen Dritter schädigend einzugreifen, als er es in seiner Eigenschaft als Privatperson tun könnte. Es wäre daher unbillig, für diesen Schaden nur ihn mit seinem vielleicht unzulänglichen Vermögen haften zu lassen.

§ 32. Rechtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit der jurist. Personen.

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Wenn die Organe der juristischen Person sich durch nichts von den Vertretern, insbesondere den gesetzlichen Vertretern physischer Personen unterscheiden, so darf anderseits nicht verkannt werden (und hierin liegt meines Erachtens ein richtiger Kern der Organtheorie), daß die Organe nicht nur nach außen tätig sind, sondern auch das innere Leben der juristischen Person produzieren. Neben der Vertretung gibt es das Gebiet der Geschäftsführung 40. Der Vorstand hat Verwaltungsfunktionen 41. Außerdem hat der Verein ein weiteres Organ, die Mitgliederversammlung, welche die inneren Angelegenheiten des Vereins zu ordnen und dem Vorstand Instruktionen für seine Tätigkeit zu erteilen hat. In dieser Hinsicht sind die Organe der juristischen Person keine Vertreter (so wenig wie ein Vormund oder Vermögensverwalter, so lange er sich auf dem Gebiet der Geschäftsführung bewegt), denn § 164 beschränkt die Vertretung auf Rechtsgeschäfte, die namens der Vertretenen Dritten gegenüber vorgenommen werden. Aber auch in diesen Fällen handelt die juristische Person nicht selbst vermittelst ihres Organs, sondern es handelt die durch die Verfassung bestimmte Person mit Wirkung für Verein oder Stiftung; nicht der Verein beruft die Mitgliederversammlung, sondern der Vorstand kraft der ihm zustehenden Verwaltungsmacht; nicht der Verein äußert seinen Willen in der Mitgliederversammlung, sondern die Mitglieder, und zwar so, daß der Wille der Majorität auf Grund der Verfassung für den Verein maßgebend ist. Die Handlungsfähigkeit, die der juristischen Person dadurch zukommt, daß ihre Organe mit Wirkung für sie zu handeln vermögen, bezieht sich teils auf ihre inneren Verhältnisse (Statutenänderung, Wahl des Vorstands, Instruktionen an denselben), teils auf Rechtsgeschäfte gegenüber dritten Personen. In dieser Richtung geht die Geschäftsfähigkeit der juristischen Person ebenso weit wie die der physischen Person: sie kann, soweit sie rechtsfähig ist, Rechte erwerben, Rechte veräußern, Verbindlichkeiten eingehen. Eine Beschränkung der Geschäftsfähigkeit kann sich ergeben aus einer Beschränkung der Vertretungsmacht des Vorstandes oder, bei öffentlich rechtlichen juristischen Personen, aus landesgesetzlicher Bestimmung42. Reichsgesetzlich sind die Innungen in der Veräußerung von Grundstücken und gewisser Mobilien, sowie in der Aufnahme von Darlehen beschränkt, GewO. § 89 b. 40 41 42

Vgl. ob. § 7 Note 25. Gierke I § 65 Note 31; R ü m e l i n a. a. 0. 84. Dernburg § 67 III.

Handbuch X . 1. I : ν ο η T u h r I .

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Die Vereine*· § 33.

Arten der Vereine**·

I. Die physischen Personen entstehen durch Geburt, die Rechtsordnung findet den Menschen vor und hat seine Rechtsfähigkeit nur anzuerkennen und die ihm zufallenden Rechte zu schützen. Dagegen ist die juristische Person eine künstliche Schöpfung des Rechtes; gewisse Gütermassen werden dem Gebrauch und dem natürlichen Egoismus der Einzelnen entzogen und für nichtindividuelle Zwecke reserviert. Das geschieht bei den juristischen Personen des Privatrechts durch den Willensakt mehrerer oder einer Person (Begründung des Vereins, Stiftungsgeschäft). Im gemeinen Recht war es, namentlich in bezug auf die Vereine, streitig, ob und in welcher Weise zu dem privaten Willensakt eine Sanktion der Staatsgewalt hinzutreten müsse, um die juristische Person ins Leben zu rufen. In der Literatur wurde überwiegend das Prinzip der freien, ohne Mitwirkung des Staates erfolgenden Vereinsbildung vertreten, während die Praxis vielfach und die Partikularrechte meistens an dem Erfordernis einer staatlichen, im einzelnen Fall zu erteilenden Genehmigung, der sog. Konzession oder Verleihung, festhielten 1. Für die Mitwirkung der Staatsgewalt bei der Entstehung von Vereinen sprechen zwei Erwägungen ; es ist wünschenswert, die Entstehung einer juristischen Person scharf zu sondern von sonstigen Vereinigungen mehrerer Menschen zu einem gemeinsamen Zweck, aus denen nicht eine juristische Person, sondern nur ein Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten (societas) entsteht; diese Unterscheidung tritt am deutlichsten hervor, wenn für die juristische Person eine staatliche Sanktion erforderlich ist. Anderseits hat der Staat ein Interesse an der Überwachung des Vereinswesens, welches am besten dadurch gewahrt wird, daß dem Staat die Kontrolle über die Entstehung der Vereine zugewiesen wird. * L e i s t , Vereinsherrschaft und Vereinsfreiheit. Strafgewalt moderner Vereine: Untersuchungen zum inneren Vereinsrecht; Wiedemann, Beiträge zur Lehre von den idealen Vereinen (deutsches und schweizerisches Recht). ** W i n d s c h e i d §. 60; Regelsberger §§ 77, 78; Bekker § 64; Gierke § 63; D e r n b u r g §§ 73, 74; Endemann § 41; Crome § 50; Enneccerus §§ 99, 100; K o h l e r §§ 154, 165; Biermann §§ 132, 133; Oppenheimer, JheringsJ. 47, 99. 1 Vgl. die Nachweise bei W i n d s c h e i d , Regelsberger, Gierke, Bekker.

§ 33. Arten der Vereine.

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Die Nachteile des Konzessionssystems liegen in der Erschwerung der Vereinsbildung durch ihre Abhängigkeit von dem diskretionären Ermessen der Behörde. Ein angemessener Mittelweg hat sich in dem System der sog. Normativbestimmungen gefunden; die Voraussetzungen, unter denen ein Verein die Rechtsfähigkeit erlangen kann, sind gesetzlich festgelegt; sind diese Voraussetzungen erfüllt, so hat der Verein ein Recht darauf 111 , die Rechtsfähigkeit zu erlangen, u. zw. durch Eintragung in ein dazu bestimmtes Register, wodurch zugleich dem Bedürfnis der Publizität genügt wird und eine scharfe Grenze zwischen juristischen Personen und nichtrechtsfähigen Gebilden gezogen ist. Dieses System ist in der Reichsgesetzgebung zuerst durchgedrungen bei den Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften im Bundesgesetz vom 4. 7. 1868, sodann in der Aktiennovelle vom 11. 7. 1870 (während das Allg. D. HGB. 208 noch am Konzessionssystem festhielt) und ist in zahlreichen Reichsgesetzen und im BGB. (mit gewissen Beschränkungen) das herrschende geworden. Es zeigt sich hier, wie auf anderen Rechtsgebieten, die Tendenz, von Privilegien zu abstrakten Rechtssätzen überzugehen. II. Das BGB. regelt nicht alle rechtsfähigen Vereine des Privatrechts. Außerhalb des BGB. bleiben prinzipiell die Vereine, welche einem Rechtsgebiet angehören , das dem Landesrecht vorbehalten ist, vgl. ob. § 31 I I I ; sodann die zahlreichen Vereinsarten, welche unter verschiedenen Namen in der Reichsgesetzgebung ihre Regelung gefunden haben, Art. 32., so namentlich die im HGB. behandelte Aktien- und Aktienkommanditgesellschaft die Gesellschaft mit beschränkter Haftung, RGes. vom 20. 4. 92,; die eingetragene Genossenschaft, RGes. vom 1. 5. 89; die Kolonialgesellschaft, RGes. vom 15. 3. 88; die Versicherungsgesellschaft auf Gegenseitigkeit, RGes. vom 12. 5. 1901 und and. Die meisten dieser juristischen Personeu erwerben die Rechtsfähigkeit durch Eintragung; die beiden letzteren durch Verleihung. Diese juristischen Personen fallen trotz ihrer ausgeprägten Eigenart und der ζ. T. sehr spezialisierten Rechtssätze, die für sie in den betreffenden Gesetzen aufgestellt sind, unter den umfassenderen Begriff des Vereins nach BGB., wie sich schon aus dem Wortlaut des § 22 ergibt. Daher findet das Vereinsrecht des BGB. auf sie ergänzende Anwendung, soweit nicht ein spezieller Rechtssatz oder die Struktur der durch eines der Spezialgesetze geregelten Dieses Recht ist ein publizistischer Anspruch gegen den Staat. 30 *

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juristischen Person dem entgegensteht 2 . Als u. U. anwendbar kann man aus dem Vereinsrecht des BGB. bezeichnen die §§ 27 I I I . 28. 29. 35, besonders aber § 31 (Haftung für Delikte der Vereinsorgane) 8 . I I I . Die Vereine, welche nicht unter Spezialgesetze fallen, sondern vom BGB. geregelt werden, zerfallen in zwei Klassen : die Vereine, „deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist" oder, wie man sie kürzer zu nennen pflegt : die wirtschaftlichen Vereine erlangen die Rechtsfähigkeit durch staatliche Verleihung; die Vereine, deren Zweck nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, die sog. idealen Vereine, erlangen die Rechtsfähigkeit durch Eintragung in das Vereinsregister, § 2 1 8 a . Für sie gelten außer den allgemeinen Vorschriften des Vereinsrechts, (§ 24—53) auch noch die besonderen Vorschriften der §§ 55—79. Der Unterschied von wirtschaftlichen und idealen Vereinen ist ebenso wichtig, wie schwer zu definieren und in den einzelnen Fällen anzuwenden 8 b . 2

W i n d s c h e i d - K i p p , Zus. zu § 57; Oertmann, Vorb. 8 vor § 21; Lehmann, Handelsrecht § 70 Note 2; Staub-Hachenburg, Ges. m. b. Haft., Einleitung; K o h l e r § 154 lehrt analoge Anwendung einiger Sätze des BGB. Dagegen will En dem an η § 40, 2 das BGB. nur so weit anwenden, als in den Spezialgesetzen darauf verwiesen wird. D e r n b u r g 82 IV leugnet die subsidiäre Anwendbarkeit des BGB. auf Handelsgesellschaften, und macht nur für den § 31 eine Ausnahme. 3 So auch RG. 57, 94 für Ges. m. b. H. Anders RG. in DJZ. 1906, 824, ebenfalls für Ges. m. b. H., aber nur infolge von restriktiver Auslegung von GewUnfVersG. § 136, 2, wo auffallenderweise Aktiengesellschaften, Innungen, eingetragene Genossenschaften aufgezählt, die Gesellschaft mit b. H. aber nicht erwähnt ist. Umgekehrt ist analoge Anwendung des Rechts der Aktiengesellschaften und der sonstigen juristischen Personen des Handelsrechts auf die eingetragenen Vereine zwar nicht ausgeschlossen (denn das Recht der Aktiengesellschaften ist eingehender geregelt als das der Vereine), aber mit großer Vorsicht vorzunehmen; denn der geschäftliche Betrieb, für den die Aktiengesellschaften usw. gewöhnlich bestimmt sind, verlangt ein jus singulare. Vereine zu idealem Zweck können sich auch als Aktiengesellschaften oder Gesellschaften m. b. H. konstituieren, weil diese Arten von juristischen Personen zwar gewöhnlich wirtschaftlichen Zwecken dienen und daher dem Recht der Kaufleute unterstehen, ob. § 32 Note 12, aber auch zu jedem andern gesetzlich zulässigen Zweck errichtet werden können, § 1 des Ges. vom 20. April 1892; D e r n b u r g §80 Note 9; Oertmann, Vorb. 8c vor §21. Bei Religionsgesellschaften und geistlichen Gesellschaften kann die Verleihung der Rechtsfähigkeit durch Landesgesetz der Gesetzgebung vorbehalten sein, Art. 84; so namentlich in Preußen (VerfUrk. § 13); A h l b r e c h t in DJZ. 1910, 123. Innerhalb der idealen Vereine kann man solche unterscheiden, die ausschließlich den Interessen der Mitglieder dienen, und solche, die eine ge-

§ 33. Arten der Vereine.

Zunächst kann man dem Gesetzgeber den Vorwurf einer unpräzisen Wortfassung nicht ersparen 4; daß der Zweck einer Unternehmung auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, wird genau genommen bei einem Verein sowenig vorkommen, wie bei einem Menschen ; der Geschäftsbetrieb ist immer nur ein Mittel zur Erreichung eines anderen Zweckes, der meistens in eigenem Vermögensgewinn, u. U. aber auch darin bestehen kann, daß dritten Personen ein Vermögensgewinn oder andere Vorteile zugeführt werden sollen. Gemeint ist, und so muß das Gesetz ausgelegt werden, daß ein wirtschaftlicher Verein einen Zweck hat, dessen Erreichung bestimmungsgemäß4* vermittelst eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes erstrebt werden soll. Wichtiger, als dieses redaktionelle Bedenken, ist die Schwierigkeit, auf die man bei der Auslegung der Worte „wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb" stößt. Die weitgehende Zersplitterung der Meinungen beweist, daß es dem Gesetzgeber nicht gelungen ist, den Kreis der nichteintragungsfähigen Vereine klar abzugrenzen6. Einen Anhalt für die Auslegung kann man der Fassung entnehmen welche § 21 im Entw. I I I hatte: „Vereine zu gemeinnützigen, wohltätigen, geselligen, wissenschaftlichen, künstlerischen oder anderen nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichteten Zwecken." Hier sind die wichtigsten Arten von Vereinen genannt, denen der Gesetzgeber die Möglichkeit der Eintragung eröffnen wollte. Die jetzige Fassung des § 21 wurde von der Reichstagskommission beschlossen, ohne die Absicht einer sachlichen Änderung ; meinnützige Tätigkeit bezwecken. Dieser Unterschied kommt nicht bei der Errichtung des Vereins, sondern bei der Auflösung zur Geltung, für das Schicksal des übrigbleibenden Vermögens, § 45 III. 4 Holder und Levis in DJZ. 5, 412, 479; Oppenheimer S. 167. 4 a Entscheidend für die Eintragung ist die aus der Satzung hervorgehende Bestimmung und Tätigkeit des Vereins, RG. 47, 389; ä. A. Oertmann § 21 S. 90, der auch das tatsächliche Wirken des Vereins (vor der Eintragung) berücksichtigen will; aber ein Verein, der sich eintragen läßt, bekundet die Absicht, sich nach der bei der Eintragung vorgelegten Satzung zu richten, und diese Absicht ist meines Erachtens von der Behörde als ernstgemeint aufzufassen; wenn sich herausstellt, daß die Tätigkeit des Vereins von der Satzung abweicht, kann dem Verein die Rechtsfähigkeit nach § 43 entzogen werden, vgl. unt. § 34 Note 41. 5 Die Verschiedenheit der Auslegung des § 21 ist praktisch um so bedauerlicher, als eine reichsgerichtliche Entscheidung dieser Frage nicht zu erwarten ist, weil die Beschwerde wegen verweigerter Eintragung nicht bis zum Reichsgericht geht; vgl. unt. § 34 Note 30.

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man glaubte die Beispiele weglassen zu müssen, um damit deutlicher auszusprechen, daß alle Vereine, „die einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb nicht bezwecken", eintragungsfähig sind. So vorsichtig man im Prinzip in der Verwendung der Vorarbeiten sein muß, so scheint mir doch da, wo ein zweifelhafter Wortlaut erst in letzter Stunde entstanden ist, ohne daß die Absicht einer Änderung des Sinnes vorlag, eine Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte des Gesetzes am Platz zu sein. Man wird daher bei der Auslegung des § 21 darnach trachten müssen, den gemeinnützigen, wohltätigen, geselligen usw. Vereinen das Vereinsregister zugänglich zu machen. Anf der anderen Seite ist der Zweck zu beachten, den der Gesetzgeber sich bei der Aufstellung seiner Regel gesetzt hat oder vernünftiger Weise hat setzen können. Überblickt man die Gestaltung, welche das BGB. den idealen Vereinen gibt, im Vergleich mit den wirtschaftlichen Vereinen, welche auf Grund der Spezialgesetze oder durch Verleihung nach § 22 entstehen, so ist nicht zu verkennen, daß bei idealen Vereinen die Entstehung erleichtert und die Geschäftsführung freier gestaltet ist, als bei den wirtschaftlichen Vereinen, insbesondere finden sich bei den idealen Vereinen weniger Schutzvorschriften für die Gläubiger. Man darf daher annehmen, daß der Gesetzgeber unter idealen Vereinen solche Vereine verstand, welche nach der typischen Art ihrer Betätigung mit dem Geschäftsleben in weniger intensive Berührung kommen, als die wirtschaftlichen Vereine, insbesondere weniger Anlaß haben, Kredit zu beanspruchen. Betrachten wir nun die beiden Worte, mit denen das Gesetz den wirtschaftlichen Verein charakterisiert, so fragt sich zunächst, was unter Geschäftsbetrieb zu verstehen ist. Der Ausdruck ist mehrdeutig und wird auch sehr verschieden ausgelegt. Versteht man darunter mit Ö r t m a n n 6 „eine dauernde planmäßige Tätigkeit zur Besorgung der in den Bereich der Vereinsaufgaben gehörigen Angelegenheiten", oder mit K i p p „eine fortgesetzte systematische wirtschaftliche Tätigkeit", so wird man bei jedem gut funktionierenden Verein einen Geschäftsbetrieb konstatieren können. Demnach wäre nicht der Geschäftsbetrieb, sondern nur die Wirtschaftlichkeit desselben als Unterscheidungsmerkmal beider Klassen von Vereinen zu gebrauchen. Ich glaube aber, daß man dem Wort 6

§ 21, lb.

§ 33. Arten der Vereine

Geschäftsbetrieb hier, wo es offenbar nicht die Tätigkeit eines jeden Vereins bezeichnen soll, eine engere Bedeutung beilegen kann und muß. Geschäftsbetrieb liegt meines Erachtens nur dann vor, wenn die Tätigkeit des Vereins darin besteht, regelmäßig, und nicht nur gelegentlich, Rechtsgeschäfte mit dritten Personen einzugehen7, so daß der Verein im ordnungsmäßigen Betrieb seiner Geschäfte in die Lage kommt, Forderungen gegen Dritte zu erwerben und namentlich Verbindlichkeiten zu übernehmen8. Ein solcher Geschäftsbetrieb findet bei den Handelsgesellschaften, den eingetragenen Genossenschaften und ähnlichen juristischen Personen statt; daher die Rücksicht, , welche die betr. Gesetze auf die Gläubiger nehmen, und bei den übrigen wirtschaftlichen Vereinen das Erfordernis der Konzession in § 22, wobei eine staatliche Kontrolle der Kreditgrundlage des Vereins möglich ist. Wo ein Geschäftsbetrieb in diesem Sinne fehlt, haben wir es meines Erachtens stets mit einem idealen Verein zu tun. Daher sind eintragungsfähig Vereine, deren Zweck darin besteht, ihren Mitgliedern Auskunft zu erteilen, oder Arbeitsgelegenheit nachzuweisen ; oder Forderungen einzutreiben 9; ferner die Kartelle von Gewerbetreibenden, welche ohne nach außen hervorzutreten ihren Mitgliedern die Verpflichtung zur Einhaltung bestimmter Preise auferlegen 94 ; Vereine, die sich die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs zur Aufgabe machen10. 7

Oppenheimer 125. Der Geschäftsbetrieb wird in den meisten Fällen die Produktion oder den Umsatz von Gütern zum Gegenstand haben, kann aber auch in anderer Tätigkeit bestehen, ζ. B. in der Übernahme einer Versicherung gegen Unfälle oder der Aufbewahrung von Sachen usw. 9 Dazu gehören die sogenannten Kreditreformvereine; vgl. die verschiedenen Meinungen in Literatur und Praxis bei Oertmann § 21 S. 86. 9 » OLG. 20, 25. 10 Gee. über unlaut. Wettbew. § 1. Ferner die meisten geselligen, wissenschaftlichen und künstlerischen Vereine, da ihre Tätigkeit in geselligen Veranstaltungen, Vorträgen, Ausstellungen usw. besteht und Rechtsgeschäfte mit Dritten nicht zum regelmäßigen Betrieb gehören. Aus demselben Grunde können sich Studentenverbindungen als ideale Vereine konstituieren, wobei die Erbauung eines Korpshauses als einmalige Unternehmung und deswegen nicht als Geschäftsbetrieb anzusehen ist, vgl. D e r n b u r g §74 Note 10. Auch Strebe- und Hilfskassen möchte ich zu den idealen Vereinen zählen, wenn ihre Tätigkeit sich nur auf die Mitglieder erstreckt. Aus demselben Grunde wären Versicherungsgesellschaften auf Gegenseitigkeit als ideale Vereine zu betrachten, wenn sie nicht im RG. vom 12. Mai 1901 eine Sonderstellung erhalten hätten. 8

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Dagegen liegt meines Erachtens Geschäftsbetrieb vor bei Vereinen zum gemeinsamen Ankauf von Loosen oder Grundstücken 11. Der Geschäftsbetrieb muß wirtschaftlich sein. Wirtschaftlich ist ein vieldeutiger und bestrittener Begriff. Wirtschaftlich ist ein Betrieb meines Erachtens jedenfalls dann, wenn er auf Erzielung eines Geschäftsgewinnes angelegt ist. Dabei kommt es nicht darauf an, wem dieser Geschäftsgewinn zufällt: ob unmittelbar den Mitgliedern 12 (wie bei einem Konsumverein, der die Waren zum Engrospreise ankauft und mit einem möglichst geringen Aufschlag an die Mitglieder verkauft); oder ob der Geschäftsgewinn der Vereinskasse zugeführt wird 1 8 ; und in diesem Fall scheint es mir wieder für den wirtschaftlichen Charakter des Vereins gleichgültig zu sein, ob der Geschäftsgewinn indirekt den Mitgliedern zufließt (ζ. B. der Konsumverein erhebt etwas höhere Detailpreise und verteilt ain Ende des Jahres den Gewinn an die Mitglieder) oder ob er zum weiteren Ausbau der Vereinseinrichtungen oder endlich zu irgendeinem sonstigen Zweck verwendet w i r d 1 4 ; ich halte ζ. B. einen Verein, der einen Milchhandel oder eine Druckerei betreibt und die Überschüsse des Geschäfts einem Waisenhause zukommen läßt, für einen wirtschaftlichen, sogut wie ein Privatmann Handel oder ein Gewerbe betreibt, auch wenn er den Erlös seiner Tätigkeit zu wohltätigen Zwecken verwendet; denn die wirtschaftliche Beschaffenheit des Betriebs und namentlich die Beziehungen zu Dritten sind unabhängig von der Verwendung der Überschüsse. Ich möchte aber noch weiter gehen und mit K o h l e r 1 5 annehmen, daß die Wirtschaftlichkeit eines Betriebes eine Gewinnabsicht nicht notwendig voraussetzt. Wirtschaftlich ist ein Betrieb schon dann, wenn er auf einem Gleichgewicht von Einnahmen und Ausgaben beruht 16 tt, so ζ. B. ein Bauverein, der aus den Mietzinsen der erbauten Häuser nur die laufenden Ausgaben und die übliche Ver11

Α. A. Oppenheimer 163; Oertmann § 21, la. H o l d e r , Komm, zu § 21 und DJZ. 5, 412, Endemann § 43 Note 2, Oppenheimer 171, Wiedemann S. 241 fg. u. a. sehen das Charakteristikum des wirtschaftlichen Vereins in der Förderung der materiellen Wohlfahrt der Mitglieder. 18 Nach Dernburg § 74 I I I und Enneccerus § 100 I I ist ein Verein wirtschaftlich, wenn ein pekuniärer Gewinn für den Verein erstrebt wird. 14 So Planck, K i p p , Oertmann u. a.; vgl. auch Lehmann, HRt. § 15, lb. 18 § 165. 15 » Anders OLG. 14, 6: der Betrieb soll nicht wirtschaftlich sein, wenn nur die Kosten gedeckt werden; ebenso OLG. 20, 27. 12

§ 33. Arten der Vereine.

zinsung des Baukapitals denken will, ohne seinen Mitgliedern irgendwelche Vorteile zu gewähren le ; oder eine Volksküche, welche die Speisen zum Herstellungspreise abgibt. Der wirtschaftliche Unterschied zwischen einem solchen Betrieb und einem auf Gewinn berechneten Geschäft ist nur quantitativ: in beiden Fällen wird Kostendeckung erstrebt und ein Gewinn, der in den Fällen letzterer Art auf ein Minimum oder auf 0 berechnet ist. Dagegen ist der Geschäftsbetrieb nicht wirtschaftlich, der Verein daher als idealer zu betrachten, wenn die Ausgaben bestimmungsgemäß nicht aus den Einnahmen des Betriebes, sondern aus den Beiträgen der Mitglieder zu decken sind. Eine Volksküche, welche die Speisen umsonst oder zu nominellem Preise hergibt, betreibt kein Geschäft, sondern Wohltätigkeit 17 . Ein Musikverein, der die Kosten der Konzerte aus den Beiträgen deckt, ist ein idealer Verein, während es ein geschäftliches Unternehmen wäre, wenn ein Individuum oder ein Verein Künstler zu Konzerten engagiert und die Mittel dazu durch Verkauf von Billetten aufbringt 18 . Allerdings kann nach dieser Ansicht ein aus idealen Motiven gegründeter Verein aus dem Kreis der eintragungsfähigen Vereine ausgeschlossen sein 19 , aber für die Klassifizierung eines Vereines ist nicht die wechselnde und nicht immer zweifelsfreie Absicht der Gründer und Mitglieder entscheidend, sondern die Beschaffenheit des Betriebs. Manche Vereine, die in gemeinnütziger Absicht einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb einrichten wollen, können sich als eingetragene Genossenschaften konstituieren, was ζ. B. bei Vereinen zur Herstellung billiger Wohnungen in gemeinnütziger Absicht oft geschieht; bietet keines der Spezialgesetze eine dem Vereinszweck angemessene Gestaltung, was nicht 16 Die landesübliche Verzinsung ist nicht als Gewinn der Mitglieder anzusehen ; oft verliert der Beitretende damit die Möglichkeit einer vorteilhafteren Verwendung seines Geldes. 17 Oertmann § 21 S. 88. Ebenso ein Bibel verein, der die Bibeln verschenkt oder unter dem Herstellungspreise verkauft. 18 Auch ein Verein, der eine Schule gründet, ist meines Erachtens nach diesen Grundsätzen zu beurteilen: soll die Schule sich wesentlich aus dem Schulgeld erhalten, so liegt ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb vor; ist die Schule auf Beiträge begründet, so ist der Verein eintragungsfähig. OLG. Hamburg, 15, 323, betrachtet einen solchen Verein, bei fehlender Gewinnabsicht, stets als idealen. 19 Die meisten der in Entw. 1 aufgezählten Vereine zu gemeinnützigen, wohltätigen, geselligen, wissenschaftlichen, künstlerischen Zwecken fallen unter § 21, weil entweder kein Geschäftsbetrieb stattfindet oder weil der Geschäftsbetrieb nicht wirtschaftlich ist, d. h. nicht auf dem Prinzip der Kostendeckung beruht.

Zweites Buch.

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Die Persone.

oft der Fall sein wird, so bleibt nichts übrig, als sich um die Verleihung nach § 22 zu bewerben 20. Ein Verein ist wirtschaftlich, wenn sein Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, d. h., wie ob. S. 469 gesagt, wenn sein Zweck derart ist, daß dessen Erreichung bestimmungsgemäß durch wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb anzustreben ist. Der Zweck eines Vereins kann aber so geartet sein, daß zu seiner Erreichung verschiedene Mittel, unter anderen auch ein Geschäftsbetrieb verwendet werden ; als Beispiel können dienen Geselligkeitsvereine, die in ihrem Lokal einen Restaurationsbetrieb unterhalten, oder Alpenvereine, die in ihrer Hütte eine Wirtschaft einrichten 21 . Soll der Verein wegen eines solchen Betriebes die Eintragungsfähigkeit verlieren? Man ist überwiegend, und wohl mit Recht, der Ansicht, daß es darauf ankommt, in welchem Verhältnis der Geschäftsbetrieb zu der übrigen Tätigkeit des Vereines steht 22 ; ist er das Hauptmittel zur Erreichung des Vereinszwecks, so ist der Verein als wirtschaftlicher zu betrachten; ist der Geschäftsbetrieb nebensächlich, so daß der Verein ohne ihn existieren und seine Ziele im Wesentlichen verfolgen konnte, so bleibt der Verein eintragungsfähig. Die Abgrenzung kann im einzelnen Fall schwierig sein: den Alpenverein wird man wohl, trotz der Wirtschaft, als idealen Verein betrachten; beim Kasino mit Restauration wird es eher zweifelhaft sein. Steht ein Geschäftsbetrieb gleichwertig neben der sonstigen Betätigung eines Vereins, so fällt der Verein nicht unter § 21 2 8 . 20

Einen übersichtlicheren Rechtszustand hätten wir, wenn BGB. die idealen Vereine in ergänzenden Gegensatz zu den eingetragenen Genossenschaften gestellt hätte: bei den Genossenschaften verlangt § 1 des RG. einen Geschäftsbetrieb und Förderung des Erwerbs oder der Wirtschaft der Mitglieder. BGB. hätte bestimmen können, daß ein idealer Verein vorliegt, wenn ein Geschäftsbetrieb nicht stattfindet oder nicht zum Vorteil der Mitglieder ausgeübt wird. Aber diesen Sinn kann man meines Erachtens dem § 21 bei seiner vorliegenden Fassung nicht beilegen: denn ein Betrieb kann wirtschaftlich genannt werden, ohne Rücksicht darauf, wem die Erträgnisse zufallen, vgl. ob. Note 14. 21 Oder ein Gesangverein, der gelegentlich Konzerte mit Eintrittsgeld veranstaltet. 22 P l a n c k § 21, 3; Endemann § 42 Note 6; D e r n b u r g §74 Note 9; Oppenheimer 172. 28 Ein solcher Verein kann die Rechtefähigkeit durch Verleihung erlangen, Planck § 21, 5; Oertmann § 21 S. 89. Denn § 22 verlangt nicht, daß der Verein ausschließlich wirtschaftliche Zwecke verfolgt.

§ 34.

Begründung des Vereins.

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I I I . Vereine, die am 1. Januar 1900 bereits existierten, unterliegen nach Art. 163 dem Recht des BGB. mit Ausnahme der § 55—79, welche vom Vereinsregister und den damit zusammenhängenden Rechtssätzen handeln. Die Anwendung des neuen Rechts wird aber sehr eingeschränkt durch Art. 82, nach welchem bei Vereinen, deren Rechtsfähigkeit auf staatlicher Verleihung beruht, die Vorschriften der Landesgesetze über die Verfassung erhalten bleiben. Die meisten der vor 1900 entstandenen Vereine verdanken aber ihre Entstehung einer Konzession. Bei solchen Vereinen findet das neue Recht nur auf solche Fragen Anwendung, die nicht zur Verfassung gehören, also namentlich auf die Rechtsbeziehungen des Vereins zu dritten Personen : Haftung aus § 31, Schutz der Gläubiger in der Liquidation usw.?4. Gänzlich dem Landesrecht bleiben unterstellt: die beim Inkrafttreten des BGB. bestehenden Realgemeinden und ähnlichen Verbände, Art. 164, die nach bayrischem oder sächsischem Recht eingetragenen Vereine, Gesellschaften und Genossenschaften, Art. 165/6, und die landschaftlichen und ritterschaftlichen Kreditanstalten, Art. 167. § 34. Begründung des Viereins*. Zur Entstehung eines Vereins ist erforderlich ein Willensakt der ersten Mitglieder (Gründer) und ein hinzutretender Staatsakt, sei es Eintragung in das Vereinsregister, sei es Verleihung der Rechtsfähigkeit. I. Der Willensakt der Gründer ist eine Einigung mehrerer Personen über die Begründung des Vereins. Dazu ist erforderlich die Feststellung einer Satzung. Die Satzung muß, damit der Verein eingetragen werden kann, Zweck, Namen und Sitz des Xereins enthalten und ergeben, daß der Verein eingetragen werden soll, § 57. Außerdem soll die Satzung nach § 59 Bestimmungen über die wichtigsten Punkte der Verfassung enthalten. Die Satzung ist schriftlich abzufassen 1 und soll den Tag der Errichtung enthalten, sowie von mindestens 7 Mitgliedern unterzeichnet sein, § 59 I I I . 24

Vgl. unt. § 35 Note la. * Dernburg §§ 75, 76; Endemann §§ 42, 43; K o h l e r §§ 145, 146, 167—171; Biermann § 134. 1 § 59 I I spricht von einer Urschrift der Satzung; vgl. Oertmann § 57, 3; a. À*. Enneccerus § 100 Note 6.

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Zweites Buch. Die Persone.

Ferner müssen sich die Gründer über die Bestellung des ersten Vorstandes einigen, und zwar ebenfalls in schriftlicher Form, § 59 I I 2. Über Inhalt und Form der Einigung bei Vereinen, welche der Konzession bedürfen, sagt das Gesetz nichts, weil es vom Ermessen der Behörde abhängt, welche Anforderungen sie an den Gründungsakt stellen will; im wesentlichen wird wohl dasselbe verlangt werden, wie beim einzutragenden Verein. Über das juristische Wesen des Gründungsakts besteht Meinungsverschiedenheit, weil der Gründungsakt im System unseres Privatrechts eine eigenartige Erscheinung ist. G i e r k e 2 bezeichnet ihn als einen sozialen Konstitutivakt, der außerhalb des Gebiets der Rechtsgeschäfte liegt: die Gründung sei kein Rechtsgeschäft, weil sie keine Rechtsverhältnisse, sondern ein Rechtssubjekt erzeugt 8. Das scheint mir eine unbegründete Einengung des Begriffs Rechtsgeschäft zu sein; versteht man unter Rechtsgeschäft jeden Tatbestand, in welchem ein Parteiwille wesentlich ist und welcher diesem Willen entsprechende Rechtsfolgen hat, so fällt auch die Vereinsgründung unter diesen Begriff, obgleich ihre Wirkungen anders sind, als bei der Mehrzahl der Rechtsgeschäfte, sonst müßte man auch das Stiftungsgeschäft, durch welches ebenfalls eine juristische Person erzeugt wird, aus dem Gebiet der Rechtsgeschäfte ausschließen. Die Vereinsgründung ist ein Zusammenwirken mehrerer Personen, eine Einigung über die von den Mitwirkenden gewollten Rechtsfolgen. Geht man von der üblichen Unterscheidung der Rechtsgeschäfte in einseitige und zweiseitige aus, so gehört die Gründung in die zweite Kategorie. Der Typus des zweiseitigen Geschäfts ist der Vertrag. Als Vertrag ist auch die Gründung von der älteren Doktrin in unbefangener Weise betrachtet worden. Mit Recht wurde aber bemerkt, daß die Gründung kein obligatorischer Vertrag i s t 4 , denn seine Wirkung ist nicht, oder wenigstens nicht in erster Linie, Herstellung obligatorischer Rechte, sondern Schaffung einer juristischen Person und der dazu gehörenden Mitgliedschaftsverhältnisse. Eine neuere Doktrin tfill die Gründung aus dem Gebiet der Verträge ausweisen und als eine neben dem Vertrag stehende besondere Spezies des Rechts8 8 4

§ 63 I 2. Gierke § 33 Note 2. Regelsberger § 77 VI.

§ 34. Begründung des Vereins.

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geschäfts auffassen, als sog. Gesamtakt 5 . Der Gegensatz des Gesamtakts zum Vertrag wird in zwei Richtungen gesucht: einerseits wird betont, daß die Wirkungen des Vertrages sich auf die Rechtsverhältnisse der Parteien beziehen, während bei der Gründung ein außerhalb des Rechtskreises der Parteien liegender Erfolg : Entstehung einer juristischen Person, erreicht w i r d 6 . Dieser Gegensatz ist meines Erachtens nicht entscheidend, denn es gibt Verträge (zugunsten Dritter), durch welche Rechtsverhältnisse geschaffen werden, die außerhalb des Rechtskreises wenigstens eines der Kontrahenten, liegen, und anderseits entsteht durch die Gründung nicht nur die juristische Person, sondern zugleich auch die Rechtsverhältnisse der Gründer zu derselben. Das Charakteristische des Gesamtakts soll aber auch in der Beschaffenheit der in ihm enthaltenen Willenserklärungen liegen 6 a . Man denkt sich die Gründung nicht als einen Austausch von übereinstimmenden Erklärungen unter den Gründern, sondern als eine Summe von einseitigen, parallelen Erklärungen, die jeder Gründer nicht an die anderen, sondern neben den anderen abgibt 7 . Fraglich i s t , wer als der 8

Gierke, Genossenschaftsth. 132; Kuntze, Gesamtakt; Bekker § 94 Beil. I ; K i p p bei Windscheid § 60, l a ; Dernburg § 83 Note 13; L e h mann Handelsrecht § 78, 5; Oertmann, Vorb. 5 vor § 21. Unter den Begriff des Gesamtakts werden bisweilen noch zwei andere Tatbestände gebracht, die mit der Gründung nichts zu tun haben; einerseits das gemeinsame rechtsgeschäftliche Handeln mehrerer Personen, die an einem Rechtsgeschäft als gleichstehende Subjekte beteiligt sind (ζ. B. Miteigentümer, die eine Servitut bewilligen), oder als Haupt- und Nebenperson zusammenwirken (ζ. B. Rechtsgeschäft eines Minderjährigen mit Einwilligung des gesetzlichen Vertreters); das gemeinsam geschlossene Rechtsgeschäft kann je nach seinem Inhalt ein Vertrag oder ein einseitiges Rechtsgeschäft (ζ. B. Kündigung) sein; die beiden gemeinsam handelnden Personen geben übereinstimmende, parallele Erklärungen an Dritte ab, ohne miteinander einen Vertrag zu schließen, Κ ohi er § 245. Diese Fälle versteht E i t z b a c h e r , Handlungsfähigkeit 165fg. und Biermann §45, 5 unter dem Namen Gèsamtakt; daß sie mit der Vertragsgründung nicht, wie Kuntze meint, in eine Kategorie gehören, hat Gierke § 33 Note 3 richtig erkannt. Anderseits werden zu den Gesamtakten bisweilen auch die Mehrheitsbeschlüsse gerechnet; dagegen Kuntze 72 und Gierke a. a. 0., welche den Mehrheitsbeschluß, meines Erachtens zu Unrecht, überhaupt nicht als Rechtsgeschäft gelten lassen wollen, vgl. unt. § 36 Note 36. 6 Z.B. K i p p a. a. 0. „die Gründer handeln nicht in bezug aufeinander, sondern gemeinschaftlich zu einem dritten Zweck;" Kuntze S. 45. 6 * Daß die Erklärungen der Gründer bindend sind, auch bevor die Eintragung stattgefunden hat, scheint allgemein vorausgesetzt zu werden; anders, wie es scheint, Kuntze § 45 II. 7 Κ ohi er § 145 I I nennt die Gründung eine einseitige Tätigkeit, spricht aber § 145 I I I von Parallelerklärungen, die der eine an den anderen richtet.

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Zweites Buch.

Die Persone.

Adressat der Gründererklärung zu denken ist. Eine Erklärung an die Registerbehörde darf man meines Erachtens nicht konstruieren 8 , weil die Anmeldung beim Vereinsregister als Mitteilung von der geschehenen Vereinsgründung, nicht als die Gründung selbst zu betrachten i s t 8 a , und weil nicht nur die Personen, welche das eingereichte Exemplar unterschreiben, als Gründer zu betrachten sind, sondern alle, welche sich am Gründungsakt beteiligt haben. Auch müßte man, wenn man das Register als Adressaten der Gründungserklärung betrachtet, die Gründung eines nichtrechtsfähigen Vereins aus ganz anderem Gesichtspunkt beurteilen, als die eines rechtsfähigen Vereins, während doch der Vorgang, soweit nicht die Eintragung in Betracht kommt, in beiden Fällen in ganz gleicher Weise verläuft, \ndere Autoren sprechen von einer Erklärung „an den Verkehr" 9 . Da der Verkehr keine Person ist, an welche man eine Erklärung richten kann, so würde es sich bei dieser Auffassung um nichtempfangsbedürftige Erklärungen handeln nach dem Sprachgebrauch, wie er sich nach dem BGB. eingebürgert hat. Diese Annahme scheint mir aber dem Vorgang, wie er sich tatsächlich bei der Vereinsgründung abspielt, zu widersprechen: soll man annehmen, daß wenn die Satzung beraten und beschlossen und unterschrieben ist, darin keine Erklärung eines jeden an die Mitunterzeichnenden liegt? und soll jemand, der mit der Gründung einverstanden ist, aber seinen Willen nicht an die Mitgründer erklärt hat, sondern an Dritte, vielleicht an die Registerbehörde, deswegen als Mitgründer gelten? Außerdem kommt in Betracht, daß die Gründung einer Gesellschaft und eines (dem Gesellschaftsrecht unterstehenden) nichtrechtsfähigen Vereins nicht anders vor sich geht, als die eines rechtsfähigen Vereins; in beiden Fällen ist Zustimmung der Beteiligten erforderlich; auch bei der Gesellschaft kann man sagen, daß nicht nur Beziehungen unter den Gesellschaftern entstehen, sondern, wenn auch keine neue Person, so doch ein neues, dem Willen des Einzelnen entzogenes Vermögen ; auch die Verabredung einer Gesellschaft ist in diesem Sinn ein Kreationsakt, und doch findet die Begründung einer Gesellschaft anerkanntermaßen innerDann liegt also die Einseitigkeit der Gründung nicht in der Art der Erklärung, sondern in etwas anderem, was Κ ο hl er nicht genügend präzisiert. 8 H e l l w i g , Vertr. auf L. an Dritte 252. 8 a Vgl. unt. S. 490. 9 So Staub, HGB § 186 Anm. 20; § 189 Anm. 24.

§ 34.

Begründung des Vereins.

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halb des Vertragsbegriffes ihren Platz. Ich sehe daher keinen zwingenden Grund, die Vereinsgründung aus dem Gebiet der Rechtsgeschäfte oder auch nur der Verträge auszuscheiden10. Betrachtet man die Gründung als Rechtsgeschäft, so ergibt sich das Erfordernis der vollen Geschäftsfähigkeit im Sinne von § 107 n . Damit sind auch die Anhänger der Gesamtaktstheorie einverstanden 12. Dagegen zeigt sich der latente Zweck dieser Theorie in der Frage der Willensmängel. Eine feststehende Judikatur beschränkt die Geltendmachung von Willensmängeln, insbesondere die Anfechtung wegen Täuschung, bei der Gründung von Aktiengesellschaften: der Zeichner soll seinen Beitritt nicht anfechten können, wenn er von einem Gründer durch Betrug dazu veranlaßt ist 1 8 . Ebenso wird entschieden bei der Gesellschaft m. b. H . u und bei der eingetragenen Genossenschaft 15. Zur Rechtfertigung dieser in der Praxis durchgedrungenen Abweichung von den allgemeinen Rechtssätzen über Willensmängel soll die Lehre dienen, daß die Gründung nicht Vertrag, sondern Gesamtakt sei. Meines Erachtens ist diese Erklärung weder richtig, noch genügend, denn gerade wenn die Aktienzeichnung resp. die Gründungserklärung beim Verein eine einseitige nichtempfangsbedürftige Erklärung wäre, wäre sie nach § 123 BGB. der Anfechtung wegen Täuschung in höherem Maß ausgesetzt, als ein Vertrag, nämlich ohne Rücksicht darauf, wer den Betrug begangen oder von ihm Kenntnis gehabt hat 1 6 . Der eigentliche, in den Gerichtsentscheidungen mit 10

Für die Vertragsnatur der Gründung Planck § 25, 1, Enneccerus §99 Note 2, wohl anchEndemann §42, 1: „durch den sozialen Schöpfungsakt wird ein körperschaftlicher Verband hergestellt, der auf V e r e i n b a r u n g einer Satzung beruht." Biermann § 135, 2 bezeichnet die Gründung nicht als Vertrag, sondern als Beschluß, wobei aber das Charakteristische der Beschlüsse, die Mehrheitsentscheidung, nicht zutrifft. 11 Biermann § 134 Note 19. Ist ein Gründer geisteskrank oder minderjährig, so ist sein Beitritt nichtig. Ob der Verein durch die Tätigkeit der übrigen Gründer zustande kommt, ist nach § 139 zu entscheiden. Vgl. S taubHachenburg, Ges. m. b. Haft. § 2 Anm. 21, 22. 12 Staub, HGB. § 189, 24. 13 SeuffA. 60, 407; RG. 54, 131; 71,97; S t a u b - H a c h e n b u r g § 2 Anm. 23; Jacobsohn, JheringsJ. 56, 387fg. " SeuffA. 54, Nr. 241. 18 RG. 57, 292 (Plenarentscheidung); vgl. auch RG. 51, 33 für die Kommanditgesellschaft. 16 So verhält es sich ζ. B. bei der Anfechtung der Annahme und Ausschlagung einer Erbschaft; Planck § 1954, 1.

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Die Personen.

voller Deutlichkeit ausgesprochene Grund der die Anfechtung einschränkenden Praxis liegt nicht in der dogmatischen Auffassung des Gründungsaktes, sondern in der rechtspolitischen Rücksicht auf die Gläubiger der juristischen Person. Den Gläubigern soll jemand, der als Gründer einer Aktiengesellschaft aufgetreten ist, seinen Beitrag nicht entziehen können, selbst wenn er zu Unrecht in die Gründung hineingezogen worden i s t 1 6 a . I m Interessenkonflikt zwischen dem Schutz der Gläubiger in ihrem Vertrauen auf die Kreditgrundlage der Aktiengesellschaft und dem Schutz, der nach den allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechts bei Willensmängeln eintreten soll, haben sich die Gerichte auf die Seite der Gläubiger gestellt und damit für diese A r t von Rechtsgeschäften eine Abweichung von den Grundsätzen des BGB. durchgesetzt 1 7 . Nicht aus der Struktur der Gründung, sondern aus der Interessenlage ist dieser Rechtssatz der Praxis zu erklären 1 8 . 16 » RG. 71, 99: „das Interesse des Einzelnen muß zurücktreten gegenüber dem Interesse, das die Allgemeinheit daran hat, daß die Kapitalgesellschaft so, wie im Handelsregister eingetragen und demnächst öffentlich bekannt gemacht ist, wirklich ins Leben getreten ist; deshalb sind die Übernahme· und Zeichnungserklärungen der Anfechtung wegen Irrtums, Drohung und Betrugs entzogena; der folgende Satz: „sie gelten als gesellschaftliche, rechtspolizeiliche Akte, die der Allgemeinheit gegenüber erklärt sind" enthält meines Erachtens keine weitere Begründung der Entscheidung, sondern soll den Anschluß an die Theorie vermitteln; es ist aber nicht einzusehen, warum „gesellschaftliche Akte" an sich der Anfechtung entzogen sein sollen, und „rechtspolizeilicher Akt tf ist in der Dogmatik des Zivilrechts ein noch ganz ungeklärter Begriff. Im Bestreben, das Kapital der Aktiengesellschaft für die Gläubiger sicherzustellen, ist die Praxis in den letzten Jahren so weit gegangen, Schadensersatz gegen die Aktiengesellschaft zu versagen, wenn jemand vom Vorstand durch Betrug zum Ankauf von Aktien der Gesellschaft veranlaßt wird, obgleich es sich hierbei um einen Kaufvertrag, und nicht um einen rechtspolizeilichen Akt handelt. Dieser Satz ist aber vom RG. 68, 309, 71, 97 (mit Literaturangaben) wieder aufgegeben worden. 17 Darum zeigt sich die den Gläubigern günstige Tendenz nicht nur bei den Willensmängeln, sondern auch in anderen Fragen. RG. 69, 235 setzt sich über den Mangel der Vollmacht bei der Gründungserklärung hinweg. Dernb u r g § 83 Note 13 geht in dem Bestreben, die Gläubiger zu schützen, so' weit, daß er die Aktienzeichnung auch bei Geschäftsunfähigkeit des Zeichners für gültig erklärt. Ganz konsequent, wenn es darauf ankommt, die Sicherheit der Gläubiger unter allen Umständen zu gewährleisten, aber aus dem BGB. nicht zu rechtfertigen, ob man nun die Zeichnung als Vertrag oder als eine Summe paralleler einseitiger Erklärungen bezeichnet; denn warum soll eine einseitige Willenserklärung einen Geschäftsunfähigen mehr binden als ein Vertrag? 18 Dieser Zusammenhang wird nicht aufgeklärt, sondern eher verdunkelt, wenn L e i s t , ArchZivPr. 102, 279 die Aktienzeichnung als „verantwortliche

§ 34. Begründung des Vereins.

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Es fragt sich, ob die Unempfindlichkeit gegen Willensmängel, welche bei der Gründung von Aktiengesellschaften und ähnlichen juristischen Personen durchgedrungen ist, auch bei den Vereinen des BGB. anzunehmen ist. Auch der Verein kann Gläubiger haben, und für die Gläubiger kann es schädlich sein, wenn eine Anzahl von Gründern (oder später hinzugetretenen Mitgliedern) ihren Beitritt anfechten und damit dem Verein ihre Beiträge entziehen. Aber auf der anderen Seite steht das im BGB. prinzipiell anerkannte Schutzbedürfnis bei Willensmängeln. Von diesen beiden Interessen dürfte beim idealen Verein, der einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb nicht haben soll, das Interesse der Gläubiger nicht das stärkere sein. Der singuläre durch die Rechtssprechung eingeführte Rechtssatz reicht nur soweit, als seine ratio: Schutz der Gläubiger; und diese ratio hat bei den idealen Vereinen nicht dieselbe Kraft, wie bei den wirtschaftlichen. Man wird daher dem Gründer eines solchen Vereines , der durch Irrtum (in der Erklärung), Drohung oder Täuschung zur Gründung veranlaflt wurde, die Anfechtung, wie bei den übrigen Verträgen, gestatten müssen 18a . Durch den Gründungsvertrag werden die rechtlichen Grundlagen des Vereins, der durch die Eintragung entstehen soll, festgestellt; dazu gehören aber außer Zweck, Namen, Sitz und Organisation des Vereins auch die rechtlichen Beziehungen zwischen dem Verein und seinen Mitgliedern : die Rechte und Pflichten des Vereins gegenüber den Mitgliedern. Solche Rechte und Pflichten können von den Gründern nicht nur allgemein für alle jetzigen und künftigen Mitglieder festgesetzt werden, sondern auch speziell für die Gründer oder einige von ihnen 19 . Denn da der Verein von den Gründern ins Leben gerufen wird, so können sie seine ursprünglichen Rechtsbeziehungen nach ihrem Willen ausgestalten. Darin zeigt sich die Eigenart des Gründungsvertrags, weswegen man ihn, ohne ihn aus der Reihe der Verträge auszuschließen, Erklärung" (vgl. RG. 51, 37) bezeichnen und damit in Gegensatz zu den Rechtegeschäften stellen will. Denn im Sinne des BGB. ist jede Willenserklärung, welche auf einen vom Gesetz sanktionierten Rechtserfolg gerichtet ist, ein Rechtsgeschäft, für welches der Erklärende die zivilrechtliche Verantwortung trägt, allerdings nicht, wenn er nicht geschäftsfähig war oder unter dem Druck eines Willensmangels stand. 18 a Aber nicht die Berufung auf Simulation; § 117 kann, wie unt. Bd. 2 darzulegen ist, nicht auf alle Verträge Anwendung finden. 19 Regelsberger § 77 Note 12; Endemann § 43 Note 4; aus der neueren Judikatur RG. 64, 191. Handbu< h X . ]. I :

v o n Τ υ h r 1.

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Die Personen.

mit G i e r k e einen Konstitutivakt nennen kann. Die Gründer können dem Verein gegenüber besondere Pflichten übernehmen 20 (ähnlich wie der Stifter 2 0 a ) und sich Sonderrechte ausbedingen, sei es durch besondere Ausgestaltung ihrer Mitgliedschaftsrechte, sei es durch obligatorische Belastung des Vereins zu ihren Gunsten. Diese Festsetzungen müssen im Gründungs vertrag getroffen werden und treten ipso jure mit der Eintragung des Vereins in Kraft, da der Verein so entsteht, wie ihn die Gründer gewollt haben. Verträge mit Dritten zugunsten und Lasten des Vereins sind nicht möglich, so lange der Verein noch nicht eingetragen ist, weil niemand Vertretungsmacht für den künftigen Verein hat 2 1 , auch nicht der im Gründungsakt gewählte Vorstand, dessen Wirkungskreis sich zunächst auf die Bewirkung der Eintragung beschränkt (vgl. unten). Doch können nach allgemeinen Grundsätzen, wie für jede künftige Person, so auch für den noch nicht eingetragenen Verein, Verträge auf dem Weg der negotiorum gestio geschlossen werden, so daß sie nach Eintragung des Vereins der Genehmigung der dazu berufenen Vereinsorgane unterliegen 22 . Durch die Willenseinigung der Gründer ist der rechtsfähige Verein noch nicht entstanden, sondern nur die Grundlage für die Eintragung geschaifen, durch welche der Verein als juristische 20

Es handelt sich nicht, wie Gierke §63 1 2 u. Α. annehmen, um einen mit der Gründung kombinierten Vertrag zugunsten des Vereins: der Gründer verspricht nicht seinen Mitgründern eine Leistung an den Verein, sondern er schafft durch die Vereinbarung mit den Mitgründern den Verein und stattet ihn zugleich mit Rechten gegen sich aus; H e l l w i g , Vertr. auf L. an Dritte 252. Nur so läßt sich erklären, daß dem Verein bei der Gründung auch Pflichten auferlegt werden können; denn es gibt keinen dem Vertrag zugunsten Dritter entsprechenden Vertrag zu Lasten Dritter. 80 a Andere Rechte als Forderungen gegen die Gründer, können dem Verein bei der Gründung nicht mitgegeben werden; insbesondere kann für ihn vor der Eintragung kein Eigentum begründet werden. Hat aber ein Gründer sich zu einer Zuwendung an den Verein verpflichtet, so wird man arg. § 82 annehmen dürfen, daß Rechte, zu deren Übertragung der Abtretungsvertrag genügt, mit der Eintragung auf den Verein übergehen. Zuwendungen des Gründers an den Verein bei der Gründung sind nicht unentgeltlich; der Entgelt liegt im Mitgliedschaftsrecht, selbst wenn dieses keinen Vermögenswert hat. 21 Daß ein Vertrag, der mit Dritten für die künftige Aktiengesellschaft geschlossen ist, durch Aufnahme in den Gesellschaftsvertrag für die Aktiengesellschaft wirksam wird, HGB. § 186, sogenannte Übernahme, ist eine Spezialität des Aktienrechts. 22 Vgl. ob. § 9 S. 194.

§ 34. Begründung des Vereins.

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Person ins Leben treten soll. Es fragt sich, welches juristische Gebilde in dem Zeitraum zwischen dem Gründungsakt und der Eintragung besteht. Die herrschende Meinung 28 geht dahin, daß durch die Gründung zunächst ein nichtrechtsfähiger Verein entsteht, an dessen Stelle dann durch die Eintragung der rechtsfähige Verein tritt, ähnlich wie wenn ein Verein zunächst als nichtrechtsfähiger beabsichtigt und begründet wird und die Mitglieder sodann die Eintragung des Vereins beschließen24. Daß bereits im Gründungsstadium ein Verein besteht, zeigt sich am deutlichsten an dem Vorhandensein von Organen; insbesondere muß schon vor der Eintragung ein Vorstand da sein, um den Verein zur Eintragung anzumelden25. Ist der Verein mit der von vornherein bestehenden Absicht der Eintragung begründet, so kann man annehmen, daß die Gründung resoluti ν bedingt ist, oder meines Erachtens richtiger: daß die Auflösung des Vereins für den Fall, daß die Eintragung nicht zustande kommt, erfolgen soll 26 . Auch wird die Vertretungsmacht des Vorstandes in der Regel auf die zur Bewirkung der Eintragung nötigen Maßregeln beschränkt sein. II. Die Eintragung eines idealen Vereins in das Vereinsregister erfolgt durch das zuständige Amtsgericht, § 21, und ist ein Akt der freiwilligen Gerichtsbarkeit 27. Zuständig für die Eintragung des Vereins (und für alle weiteren den Verein betreifenden Eintragungen) ist das Amtsgericht des Bezirks, in welchem der Verein seinen Sitz hat, § 5 5 2 7 a . Da der Sitz durch das Statut bestimmt wird, § 57, so haben es die Gründer in der Hand, den Verein bei 23 En de man η § 42 Note 4; Oertmann, Vorb. 6 vor § 21; a. A. Dernburg § 74 I; Staub-Hacbenburg, Ges. m. b. H. § 11 Anm. 2 konstruiert vor der Eintragung eine Gesellschaft des BGB. 24 Vgl. über die Verwandlung eines nichtrechtsfähigen in einen rechtsfähigen Verein unt. § 40. 26 Auch die Mitgliederversammlung kann schon vor der Eintragung funktionieren, ζ. B. um eine Änderung der einzutragenden Satzung zu beschließen, und zwar meines Erachtens mit derselben Majorität, welche in der Satzung für Änderungen derselben vorgesehen ist, vgl. RG. 58, 55. 26 Wenn die Eintragung des Vereins beabsichtigt ist, ist anzunehmen, daß die Beiträge nur so weit zugesichert sind, als sie für die Gründungskosten erforderlich sind; darüber hinaus nur unter der Bedingung, daß es zur Eintragung kommt. Der Verein wird daher im Stadium vor der Eintragung in der Regel kein erhebliches Vermögen haben. 27 Vgl. GFG. § 159. 27 a Örtliche Unzuständigkeit des Gerichts schadet der Gültigkeit der Eintragung nicht, GFG. § 7; a. A. Staudinger VII 1 zu § 21; W. J e l l i n e k , 31*

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dem Amtsgericht eintragen zu lassen, welches sie zu diesem Zweck aussuchen28. Die Eintragung soll nur erfolgen, wenn die Zahl der Mitglieder mindestens 7 beträgt, § 56. Das Gesetz will nur solche Vereine als juristische Personen entstehen lassen, bei denen ein Minimum von Lebensfähigkeit vorliegt. Diese Bestimmung deckt sich nicht mit der formellen Vorschrift des § 59 I I I , daß die einzureichende Satzung von 7 Mitgliedern unterzeichnet sein muß, denn es kann ζ. B. ein Mitglied, welches die Satzung unterschrieben hat, sich als geschäftsunfähig erweisen oder seinen Beitritt zur Gründung anfechten; dann wäre trotz der 7 Unterschriften dem Erfordernis des § 56 nicht genügt. Die Eintragung erfolgt, wie die meisten Handlungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, nicht von amtswegen, sondern auf Antrag, den das Gesetz hier „Anmeldung" nennt, § 59. Die Anmeldung geschieht durch den Vorstand, § 59 I 2 8 a , mittelst öffentlich beglaubigter Urkunde, § 77, oder zu Protokoll des Registergerichts, § 128 GFG. 28 b . Der Anmeldung sind beizufügen eine Abschrift der Urkunde über die Bestellung des Vorstandes sowie die Satzung, § 59 II. Das Gesetz bestimmt, welchen Inhalt die Satzung haben muß, § 57, und soll, § 58. Die Anmeldung ist vom Amtsgericht durch Beschluß unter Angabe der Gründe zurückzuweisen, § 60, wenn den oben genannten Erfordernissen der §§ 56/59 nicht genügt ist oder wenn die Eintragung aus sonstigen Gründen unstattDer fehlerhafte Staatsakt S. 98. Das unzuständige Amtsgericht, bei welchem der Verein eingetragen ist, wird aber dadurch für weitere den Verein betreffende Eintragungen nicht zuständig. ïR Vgl. ob. § 32 N. 17. Würde ζ. B. das Amtsgericht X eine strengere Praxis in bezug auf den „wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb" haben, als das benachbarte Amtsgericht, so steht meines Erachtens nichts im Wege, daß sich der Verein in Y eintragen läßt, obgleich der Schwerpunkt seiner Tätigkeit in X liegt. Einen mehrfachen Sitz kann ein Verein meines Erachtens nicht haben. Planck § 24, 1; a. A. Oertmann § 24, 1. Sonst könnten bei allen den Verein betreffenden Eintragungen schwer lösliche Konflikte entstehen. Sind in der Satzung zwei Sitze angegeben und ist der Verein in das Register zweier Gerichte eingetragen, so müßte meines Erachtens dahin entschieden werden, daß der erste Eintrag wirksam ist und den Sitz des Vereins bestimmt. 28 a Ist der Gründungsakt von einem Notar beurkundet oder beglaubigt, so gilt der Notar als ermächtigt, die Eintragung im Namen des Vorstandes zu beantragen, GFG. §§ 129, 159. 28 * Die Anmeldung kann, solange die Eintragung nicht erfolgt ist, vom Vorstand zurückgenommen werden.

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haft ist, insbesondere wenn der Zweck des Vereins, wie er sich aus der Satzung ergibt, nach Ansicht des Amtsgerichts auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist 2 0 . Gegen einen zurückweisenden Beschluß findet nach § 60 I I sofortige Beschwerde an ' das Landgericht statt nach den Vorschriften der ZPO. § 577, d. h. binnen einer Notfrist von 14 Tagen. Weitere Beschwerde an das OLG. kann erhoben werden, wenn in der Entscheidung des Landgerichts ein weiterer selbständiger Beschwerdegrund enthalten ist, ZPO. § 568 I I 8 0 . Durch diese Regelung ist der Streit über die Eintragung des Vereins dem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit entzogen und die zeitlich unbegrenzte Beschwerde nach GFG. § 19 ausgeschlossen80 a , und zwar nicht nur dann, wenn die Zurückweisung der Anmeldung auf Verstoß gegen die §§ 56/59 beruht, sondern auch wenn sie aus anderem Grunde, ζ. B. wegen Wirtschaftlichkeit des Vereinszwecks erfolgt 81 . Das System der Normativbestimmungen ist für die idealen \'ereine nicht konsequent durchgeführt. Man hat dem Standpunkt der Regierungen, welche eine staatliche Kontrolle über den Erwerb der Rechtsfähigkeit und der dadurch ermöglichten Vermögensmacht durch Vereine für nötig hielten, in sofern Rechnung getragen, als der Verwaltungsbehörde das Recht verliehen ist, bei gewissen Kategorien von idealen Vereinen Einspruch gegen die Eintragung zu erheben und dadurch die Eintragung zu verhindern, § 61 I I . Dazu gehören einerseits die Vereine, welche nach dem öffentlichen Vereinsrecht unerlaubt sind oder verboten werden können; nach dem Reichsvereinsgesetz vom 19. April 1908 sind aber Vereine. 29

Ferner ist die Eintragung abzulehnen, wenn der Zweck des Vereins gegen das Gesetz oder die guten Sitten verstößt (denn der Gründungsvertrag wäre nach §§ 134, 138 in diesem Falle nichtig), sowie wenn die Satzung Bestimmungen enthält, die gegen zwingende Vorschriften des Gesetzes verstoßen, z.B. wenn im Statut die Haftung aus § 31 ausgeschlossen wäre; Oertmann § 60 2c. 80 Gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts findet eine weitere Beschwerde nicht statt, ZPO. 568 IV, so daß eine einheitliche Rechtsprechung durch das Reichsgericht in dieser Frage ausgeschlossen ist. 80 a Die Versäumung der Beschwerdefrist bringt dem die Eintragung wünschenden Verein keinen dauernden Nachteil; denn es steht nichts im Wege, nach Abweisung der Anmeldung eine neue Anmeldung vorzunehmen W. J e l l i n e k a.a.O. 154, und gegen Zurückweisung dieser Anmeldung Beschwerde einzulegen. 81 RG. 47, 368 und die herrschende Meinung; vgl. Planck und Oertmann zu § 60; D e r n b u r g § 75 Note 7.

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die den Strafgesetzen nicht zuwiderlaufen, erlaubt. Anderseits unterliegen dem Einspruch Vereine, welche einen politischen, sozialpolitischen oder religiösen Zweck verfolgen 82. Die Definition des politischen Vereins ist sehr bestritten 83 ; es stehen sich gegenüber eine extensive Auslegung, die jede Einwirkung auf öffentliche Angelegenheiten für Politik erklärt 8 4 , und eine engere Auffassung des Begriffs mit verschiedenen Varianten 85 . Meines Erachtens ist unter Politik eine Tätigkeit zu verstehen, welche darauf abzielt, das staatliche oder kommunale Leben zu beeinflussen, und zwar nicht durch Belehrung oder Verbreitung allgemeiner Anschauungen, sondern durch die Machtmittel, welche die Verfassung dem Bürger zur Verfügung stellt, um auf Gesetzgebung und Verwaltung einzuwirken, also insbesondere durch Wahlen 86 . Ein Verein verfolgt einen politischen Zweck, wenn er darnach strebt, die Staatsgewalt seinen Zielen und den von ihm vertretenen Interessen dienstbar zu machen, nicht wenn er sich mit Fragen des öffentlichen Lebens blos theoretisch beschäftigt. Ebenso bestritten ist der Begriff des sozialpolitischen Vereins. Sozial kann man einen Verein nennen, wenn er sich mit Fragen 82

Nach (Ter Reichstagsvorlage § 58 sollten aüch Vereine für Erziehung und Unterricht dem Einspruch unterliegen; dies Gebiet der Vereinstätigkeit wurde durch die Reichstagskommission vom Einspruch befreit. Die Auslegung der Begriffe politisch, sozialpolitisch und religiös im Sinne von § 61 ist nicht an die zum Teil verschiedene Auffassung der Landesgesetze gebunden, sondern ist eine dem Reichsrecht angehörende und daher einheitlich zu lösende Frage, Planck § 61, 2b; a. A. Staudinger § 61 IV 2 B. 88 Vgl. die Zusammenstellung der Meinungen bei Oertmann § 61, 5; Wiedemann S. 175fg. 84 Vgl. z.B. Biermann § 134 Note 10: Verein für Feuerbestattung oder zur Bekämpfung der Vivisektion sollen politisch sein. 88 Dernburg § 75 I I I ; K o h l e r § 169; Enneccerus § 100 IV 1; Oertmann. 8e Darum können nur allgemeinere Fragen des öffentlichen Lebens in das Gebiet der Politik eingreifen. Für Feuerbestattung oder gegen Vivisektion wird ein Verein auf die Staatsorgane, wie auf das Publikum, nur durch die unpolitischen Mittel der Belehrung und Aufklärung wirken können, dagegen schwerlich hoffen dürfen, eine auf solche Spezialfragen basierte Partei zu bilden und auf dem Wege der Politik eine staatliche Maßregel durchzusetzen. Mit Recht wird daher von Dernburg und Ο ert ma η η Vereinen, welche auf „technische Teile der Gesetzgebung" einzuwirken streben, der politische Charakter abgesprochen. Dagegen sind andere Probleme und Bestrebungen, wie ζ. B. Begünstigung der Landwirtschaft oder Zurückdrängung der Staatsbürger semitischer Abstammung, von so allgemeiner Natur und Tragweite, daß ihre Betätigung im öffentlichen Leben als Politik zu gelten hat.

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des sozialen Lebens beschäftigt, d. h. mit der Gliederung der Gesellschaft in Menschenklassen, wie sie sich durch Beruf und Vermögen differenzieren und einander im wirtschaftlichen Interessenkampf gegenüberstehen. Ein Verein, der sich auf diesem Gebiet theoretisch betätigt oder auch eine praktische Wirkung erstrebt, ist aber deshalb noch kein sozialpolitischer; es kommt auch hier auf die Mittel und Wege an, welche der Verein zur Erreichung seiner Ziele wählt ; es muß eine Einwirkung auf die Gesetzgebung des Staats oder der Gemeinde beabsichtigt sein, und zwar nicht durch Verbreitung von Kenntnissen oder allgemeinen Anschauungen über soziale Dinge, sondern durch die politischen Mittel, durch welche der Einzelne seinen Willen in öffentlichen Angelegenheiten zur Geltung bringt, insbesondere durch Bildung einer Partei, welche bei Wahlen und innerhalb der politischen Körperschaften eine Einwirkung auf den Gang der Staatsgeschäfte ausübt. Die Sozialpolitik ist daher nur ein Teil der Politik 8 7 , aber heutzutage der aktuellste, weshalb auch der Gesetzgeber es für gut befunden hat, sie neben der Politik besonders zu erwähnen. Ein Verein, der die sozialen Zustände mit anderen Mitteln zu beeinflussen sucht, ist nicht sozialpolitisch, mögen diese Mittel auch noch so wirkungsvoll sein (z. B« Veranstaltung und Unterstützung von Arbeitseinstellungen), denn es handelt sich dabei nicht um das für den Begriff der Politik wesentliche Nutzbarmachen des Staatsorganismus für bestimmte Zwecke, sondern um soziale Selbsthilfe 88. Religiöse Vereine sind solche, welche das religiöse Leben anders als mit Mitteln der Politik zu fördern bestrebt sind 8 9 , oder auch gewisse Gestaltungen des religiösen Lebens bekämpfen, ζ. B. Freidenkervereine oder Vereine zur Beförderung des Austritts aus einer kirchlichen Gemeinschaft. Ein Verein wird dadurch nicht zum religiösen, daß er seine anderweitigen, ζ. B. wirtschaftlichen oder geselligen Zwecke unter Beschränkung auf Konfessionsgenossen verfolgt. 37

Planck § 61, 2b. Oertmann § 61, 2c. 39 Die Tätigkeit eines religiösen Vereins kann sich nach außen richten (Mission, Propaganda), oder sich im Kreise der Mitglieder abspielen. Ein engerer BegriiF sind die Religionsgesellschaften und geistlichen Gesellschaften des Art. 84, für welche das Landesgesetz zur Erlangung der Rechtsfähigkeit den Weg der Gesetzgebung vorschreiben kann; es sind Vereine zur Abhaltung von Gottesdienst oder sonstigen religiösen Übungen; insbesondere gehëren dazu die Ordensgesellschaften, vgl. OLG. 8, 164. 38

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Die Personen.

Als Voraussetzung des Einspruchs verlangt das Gesetz, daß der Verein einen der drei genannten Zwecke verfolgt; das bedeutet, wie beim wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb der §§ 21, 22, daß die Tätigkeit des Vereins wesentlich auf einen dieser Zwecke gerichtet ist. Ein Verein, der bei einer politischen Wähl seine Mitglieder auffordern würde, für einen Kandidaten zu stimmen, welcher die Zwecke des Vereins billigt, würde, wenn er seine Zwecke im Übrigen auf anderem Wege verfolgt, deshalb noch nicht politisch oder sozialpolitisch sein. Ebenso ist ein Verein, der den Angehörigen einer politischen Partei die Mitgliedschaft versagt (ζ. B. ein Kriegerverein, der keine Sozialdemokraten aufnimmt), deswegen nicht als politischer Verein zu bezeichnen40. Maßgebend ist meines Erachtens der in der Satzung festgestellte Zweck des Vereins, nicht etwa die bisherige Betätigung der Gründer und eine daraus zu vermutende Absicht, den Verein zu politischen usw. Zwecken zu benutzen. Auch wenn der einzutragende Verein bisher als nichtrechtsfähiger Verein bestanden und in diesem Stadium politische usw. Zwecke verfolgt hat, ist meiDes Erachtens der Einspruch nicht statthaft, wenn sich aus der Satzung ergibt, daß der einzutragende Verein nicht für diese Zwecke bestimmt ist 4 1 . Das Gesetz sorgt dafür, daß der Verwaltungsbehörde Gelegenheit gegeben wird, ihren Einspruch vor der Eintragung des Vereins zu erheben : das Amtsgericht hat die Anmeldung, wenn es sie nicht zurückweist, der Verwaltungsbehörde mitzuteilen, § Ol I. Welche Behörde zuständig ist, richtet sich nach Landesrecht. Der Einspruch erfolgt durch Erklärung der Verwaltungsbehörde an das Amtsgericht und ist von diesem an den Vorstand mitzuteilen, § 62 I. Das Recht des Einspruchs 42 steht der Behörde zu, wenn einer der Gründe des § 6J vorliegt d. h. wenn der Verein nach 40

Oertmann § 61, 5a. Planck § 61, 2b; a. A. Dernburg § 75 Note 13, Oertmann § 61, 4 b u. A. Selbst wenn man den nichtrechtsfähigen Verein für identisch mit der durch Eintragung aus ihm entstehenden juristischen Person hält, muß man für den jetzigen Zweck des Vereins zunächst die Satzung entscheiden lassen; denn der Einspruch ergibt sich aus dem Zweck, den der Verein zur Zeit der Eintragung verfolgt, nicht früher einmal verfolgte oder später verfolgen wird; vgl. ob. § 33 Note 4a. 42 Es ist ein publizistisches Recht, welches nach seiner juristischen Struktur zu den negativen Rechten, vgl. ob. § 10, zu stellen ist: Befugnis, eine Rechtsänderung, hier die Entstehung einer juristischen Person, zu hindern. 41

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öffentlichem Recht unerlaubt ist oder einen der in § 61 genannten Zwecke satzungsgemäß verfolgt. Die Ausübung des Einspruchsrechts liegt im freien Ermessen der Behörde 48 . Der Einspruch kann durch den Vorstand angefochten werden, § 62 I I 4 4 , im Wege des Verwaltungsstreitverfahrens, wo ein solches besteht, und das ist in fast allen Bundesstaaten der F a l l 4 6 ; widrigenfalls im Wege des Rekurses nach GewO. § 20. 21. Die Anfechtung kann sich nur darauf stützen, daß die gesetzlichen Voraussetzungen des Einspruchs fehlen, nicht darauf, daß der Einspruch im gegebenen Fall den Verhältnissen nicht angemessen oder inopportun sei; denn darüber hat die Behörde nach freiem Ermessen zu entscheiden. Das Amtsgericht darf den Verein nicht eher eintragen, als bis die Frage des Einspruchs erledigt ist, § 63; das ist der Fall, wenn die Verwaltungsbehörde dem Amtsgericht mitteilt, daß Einspruch nicht erhoben wird; ferner wenn seit der Mitteilung der Anmeldung an die Verwaltungsbehörde 6 Wochen verstrichen sind und ein Einspruch nicht erhoben i s t 4 6 ; endlich wenn der erhobene Einspruch endgültig aufgehoben ist, durch Zurücknahme oder im Wege der Anfechtung. Einzutragen ist nicht der ganze Inhalt der Anmeldung, sondern nur die in § 64 genannten Tatsachen ; Name und Sitz des Vereins, Datum der Satzung und die Bestimmung derselben über die Beschlußfassuug des Vorstandes, sowie die Namen der Mitglieder des Vorstandes. Die Eintragung wird im Amtsblatt veröffentlicht, die Urschrift der Satzung mit der Bescheinigung der Eintragung dem 48

So die herrschende Meinung. K o h l e r § 171 hält es für unzulässig, daß die Behörde gegen Vereine bestimmter Art prinzipiell, ohne Prüfung des Einzelfalls, Einspruch erhebe; meines Erachtens ist die Behörde nicht gehindert, sich bei Ausübung des Einspruchsrechts an von ihr selbst aufgestellte Grundsätze zu halten; nur muß natürlich bei jeder einzelnen Anmeldung ein besonderer Einspruch erhoben werden. Es ist streitig, ob die Behörde bei Erhebung des Einspruchs angeben muß, auf welchen der gesetzlichen Gründe sie ihn stützt; dafür Oertmann, dagegen Planck zu § 62. 44 In wessen Namen handelt dabei der Vorstand? Nach Oertmann § 62, 1 b im Namen des Vereins, der insofern schon vor der Eintragung parteifähig sein soll. Meines Erachtens im Namen der Mitglieder des vor der Eintragung bestehenden nichtrechtsfähigen Vereins; vgl. ob. Note 23; vgl. W. J e l l i n e k , a. a. 0. 33 Note 1. 45 Oertmann § 44, la. 46 Wird nach Ablauf der sechs Wochen, aber vor der Eintragung Einspruch erhoben, so hat die Eintragung zu unterbleiben; so die herrschende Meinung, Oertmann § 63, 3.

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Vorstand zurückgegeben, eine Abschrift der Satzung vom Amtsgericht beglaubigt und mit den übrigen Schriftstücken (ζ. B. der Urkunde über die Bestellung des ersten Vorstands, § 59) aufbewahrt. § 66 4 7 . Das Vereinsregister ist öffentlich, § 79: die Einsicht in das Register und die Vereinsakten ist Jedermann freigestellt; auch können beglaubigte Abschriften der Einträge verlangt werden. Es bleibt noch die Frage zu besprechen, wie es sich verhält, wenn das Gericht die Eintragung vornimmt, ohne daß die gesetzlichen Voraussetzungen derselben vorliegen. Handelt es sich um bloße Sollvorschriften, so ist die Eintragung pflichtwidrig, aber gültig, und der rechtsfähige Verein entstanden. Sollvorschriften liegen nach der Fassung des Gesetzes anerkanntermaßen vor in den §§ 56, 57 II. 58, 59 I I I . Streitig ist die Bedeutung der Erfordernisse der Anmeldung, § 59 I. Bisweilen wird die Anmeldung als wesentliche Voraussetzung der Entstehung des Vereins bezeichnet 48 ; dafür scheint die Erwägung zu sprechen, daß der Verein nicht ohne Willen der Gründer entstehen kann. Aber dieser allerdings unerläßliche Wille ist im Gründungsvertrag zu suchen. Zu diesem muß ein außerhalb der rechtsgeschäftlichen Sphäre liegender Staatsakt, die Eintragung, hinzukommen, ähnlich wie bei den Geschäften des Grundbuchrechts zu der rechtsgeschäftlichen Einigung die Eintragung hinzutritt. Da aber die Behörde in solchen Fällen nicht von Amtswegen handelt, so muß ihre Tätigkeit durch eine Erklärung der beteiligten Personen provoziert werden. Wie nun der Antrag im Grundbuchrecht zweifellos als formales Erfordernis der Eintragung gilt und deren Gültigkeit nicht beeinflußt 40, so hat man meines Erachtens dasselbe für die Anmeldung zum Vereinsregister anzunehmen5Ü. Dagegen gibt es andere Voraussetzungen der Eintragung, welche als wesentlich für die Entstehung des Vereios zu bezeichnen sind. Wesentlich ist vor allem eine Mehrheit von Menschen, die sich in gültiger Weise zur Gründung eines rechtsfähigen Vereins 47

Aus diesen Schriftstücken entstehen die sogenannten Vereinsakten, entsprechend den Grundakten beim Grundbuch. 48 Holder § 59, 1; Rehbein, Bern. 4 vor § 55fg. 49 P l a n c k , Bern. I I I 4 vor § 873 80 Planck § 59, 1; Biermann § 134, 4a. Oertmann § 59 l d hält den Antrag für wesentlich (Löschung der Eintragung bei fehlendem Antrag), dafür aber die auf der Mußvorschrift § 57 I beruhende Einigung der Gründer über die Eintragung für unwesentlich.

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verbunden haben. Allerdings beruht die Siebenzahl der Gründer auf einer Sollvorschrift § 56 ; der Verein kommt auch bei weniger als 7 Gründern zu Stande; aber mindestens 2 Mitglieder muß er haben, um ein Verein zu sein 51 . Würde sich herausstellen, daß von den 7 Unterschriften unter der eingereichten Satzung nur eine die wirksame Erklärung eines verpflichtungsfähigen Menschen darstellt, so wäre trotz der Eintragung kein Verein entstanden52. Doch dürfte bei diesem Fehler Konvaleszenz durch nachträgliches Hinzutreten von Mitgliedern anzunehmen sein 68 . Eine weitere wesentliche Voraussetzung ergibt sich aus der Mußvorschrift des § 57 : die Satzung muß Zweck, Namen und Sitz des Vereins enthalten. Fehlt es an diesen Bestimmungen, so ist der Verein durch die lückenhafte Eintragung nicht entstanden. Man wird aber arg. HGB. § 310 Heilung durch nachträglichen Beschluß der Gründer und Eintragung der Ergänzung annehmen dürfen. Wesentliche und unheilbare Mängel der Vereinsentstehung sind endlich : wirtschaftlicher Zweck des Vereins, § 21, und Mißachtung des Einspruchs der Verwaltungsbehörde, § 61 6 4 . In allen Fällen eines wesentlichen Mangels kann die Eintragung, wenn der Mangel nicht nachträglich geheilt ist, nach GFG. §§ 159, 142, 143 von Amtswegen gelöscht werden, durch das Amtsgericht oder das vorgeordnete Landgericht 65 . Streitig ist die Rechtslage eines Vereins, dessen Eintragung mit solchen Mängeln behaftet ist. Ist eine Eintragung, die nach GFG. § 143 gelöscht werden kann, als nichtig zu betrachten, so daß der Verein nie existiert hat 5 6 ? Die Nichtigkeit eines eingetragenen Vereins, der im Ver61 Denn der Verein entsteht durch Willenseinigung und ist begrifflich eine Mehrheit von Menschen. Wiedemann S. 339fg. verlangt zur Entstehung des Vereins mindestens drei Mitglieder (très faciunt collegium), weil die Möglichkeit einer Majoritätsentscheidung zum Wesen des Vereins gehöre. 82 Planck und Staudinger zu § 56; Staub-Hachenburg, Ges. m. b. H. § 2 Anm. 42. 63 Köhler § 145 IV 2; vgl. auch D e r n b u r g § 75 Note 21. 54 Ist die Eintragung vor Ablauf der in § 63 genannten Frist erfolgt, dann aber ein Einspruch während dieser Frist unterblieben, so ist der Fehler nicht als wesentlich zu betrachten, Holder § 63, 2; Oertmann § 63, 4. 65 Der Vorstand kann gegen die Löschung Widerspruch erheben und gegen eine diesen Widerspruch zurückweisende Verfügung des Landgerichts sofortige Beschwerde beim Oberlandesgericht einlegen; GFG. § 143 II. Be So Planck § 21, 6, Endemann § 42 Note 28 u. a. OLG. 14, 8; 20, 25. Bei Mißachtung des Einspruchs will Planck § 63, 2 den Verein als

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kehrsieben als juristische Person aufgetieten ist, führt zu Verwirrung und Unzuträglichkeiten. Allerdings werden die Gläubiger des Vereins dadurch, daß sich die Eintragung als nichtig erweist, nicht sonderlich benachteiligt sein; denn man kann unbedenklich einen Gläubiger, der mit dem vermeintlich rechtsfähigen Verein kontrahiert hat, als Gläubiger des bei Ungültigkeit der Eintragung nichtrechtsfähigen Vereins betrachten 67 , so daß ihm das Vereinsvermögen und außerdem der Vorstand nach § 54 persönlich haftet 58 . Auch den Erwerb, den der Vorstand für den eingetragenen Verein machen wollte, kann man in Ermangelung der Rechtsfähigkeit desselben dem Vermögen des nichtrechtsfähigen Vereins zusprechen. Schwierigkeiten ergeben sich beim Grundbuch: Eintragungen auf den Namen des eingetragenen Vereins sind ungültig, weil ein solcher als Rechtssubjekt nicht existiert; die betr. Rechte sind aber auch nicht für die Mitglieder (und damit für das Vermögen des nichtrechtsfähigen Vereins) erworben, weil die Mitglieder im Grundbuch nicht eingetragen sind 5 8 a . Ähnlich verhält es sich mit den Namens des eingetragenen Vereins angestellten Klagen; sie sind, wenn die Eintragung als nichtig angesehen wird, abzuweisen, weil der Kläger nicht existiert 69 . Eine besonders anstößige Konsequenz der Nichtigkeitstheorie möchte ich darin erblicken, daß jedes Gericht, vor welchem der eingetragene Verein eine Klage anstellt, in die Lage kommt, die Voraussetzungen der Eintragung zu prüfen, insbesondere seine Ansicht über den „wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb" zur Geltung zu bringen ; ein Verein, der im Bezirk X eingetragen ist, kann im Bezirk Y als parteiunfähig behandelt werden, während das Gericht in Ζ sich der Ansicht des Amtsgerichts X anschließt. rechtsfähig bestehen lassen, bis die Eintragung nach GFG. § 142 gelöscht wird. Es liegt aber kein Grund vor, einen Verstoß gegen § 63 anders zu bewerten als einen Verstoß gegen § 21; in beiden Fällen handelt es sich um einen Verein, dem die Rechtsordnung aus Gründen des öffentlichen Interesses die Eintragung versagt. 57 Wer mit einem Vereinsvorstand kontrahiert, wird oft nicht wissen, ob der Verein eingetragen ist oder nicht, und stets die Absicht haben, Gläubiger des Vereins zu werden, ob derselbe rechtsfähig ist oder nicht. 68 Durch die Eintragung des Vereins haben die Mitglieder die Vertretungsmacht des Vorstandes in der Art beschränkt, daß für die von ihm begründeten Schulden nur das Vereinsvermögen haftet. 58 a Das Grundstück steht daher noch im Eigentum des Veräußerers; aber die Mitglieder des nichtrechtsfähigen Vereins haben gegen den Veräußerer aus dem Kausalgeschäft, ζ. B. Kauf, einen zu ihrem Vereinsvermügen gehörenden obligatorischen Anspruch auf Übertragung des Eigentums an sie. So ζ. B. OLG. 14, 8. Endemann § 42 Note 3.

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Diese Nachteile werden vermieden, wenn man mit D e r n b u r g 6 0 der Eintragung eine die Fehler der Gründung heilende Kraft zuschreibt: der Verein soll durch die Eintragung unter allen Umständen entstanden sein; ist ein Verstoß gegen wesentliche Vorschriften des Gesetzes vorgekommen, so kann ihm die Rechtsfähigkeit entzogen werden. Diese Ansicht findet aber keine Stütze im BGB. Die Fälle der Entziehung der Rechtsfähigkeit sind in § 43 aufgezählt, ohne daß die Entziehung der Rechtsfähigkeit wegen wesentlicher Mängel der Eintragung erwähnt wäre. Die Analogie der Aktiengesellschaft, HGB. § 311, und der übrigen juristischen Personen des Handelsrechts 61 scheint mir nicht zuzutreffen 62 ; denn diese Gesetze existierten bereits bei Abfassung des BGB., und es hätte nahegelegen, eine entsprechende Vorschrift in das BGB. aufzunehmen. Daß dies nicht geschehen ist, läßt sich aus dem wesentlich geschäftlichen Zweck der Aktiengesellschaft und ähnlicher juristischer Personen und ihrer größeren Bedeutung für den Vermögensverkehr rechtfertigen. Einen vermittelnden Standpunkt nimmt H e l l w i g 6 3 ein, indem er die Eintragung des Vereins zu den konstitutiven Staatsakten rechnet, welche, selbst wenn sie unter Mißachtung der gesetzlichen Voraussetzungen ergangen sind, zunächst gültig sind und den Rechtszustand herstellen den das Gesetz als ihre Wirkung bezeichnet; dazu gehört namentlich die Ernennung von Vormündern 63a und sonstiger gesetzlicher Vertreter 64 . Solche Akte verlieren ihre Wirkung erst durch formelle Aufhebung 65 , die Eintragung des 60

§ 75 VII. Zustimmend für alle oder einige Mängel der Vereinsgründung, Enneccerus § 100 VI; Biermann § 134, 4c; Ivohler § 165VI; K i p p , Zus. 1 zu Windscheid § 60; W. J e l l i n e k a. a. 0. 147, 163. 61 Ges. über Gesellsch. m. b. H. § 75; Ges. über eingetr. Genoss. §94. 68 Auf diese Analogie beruft sich außer D e r n b u r g auch Oertmann, Vorb. 2 vor § 55. Die volle Durchführung der Analogie würde dazu führen, den Mitgliedern des Vereins eine Nichtigkeitsklage arg. HGB. § 309 einzuräumen, was meines Wissens nicht geschieht. 63 Grenzen der Rechtskraft 29 fg. und ZivProz. § 125 I 3b. Zustimmend Oertmann § 21, 3 und Vorb. 2 102 § 55. Eigenartig und meines Erachtens unzutreffend Wiedemann S. 722fg. ef l a Planck § 1773, 5. ei Auch die Entmündigung, vgl. ob. § 26 Note 28. 65 Anders verhält es sich mit der Eintragung im Grundbuch ; sie ist, wie die Eintragung des Vereins, zum Eintritt der Rechtswirkung erforderlich, in diesem Sinn also ebenfalls konstitutiv, bleibt aber wirkungslos, wenn die übrigen Erfordernisse (Einigung der Parteien) nicht vorliegen. Dieser Rechtszustand läßt sich ertragen, weil die Folgen einer unrichtigen Grundbuch-

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Vereins also erst durch Löschung im Register nach GFG. § 142. Bis dahin ist der Verein trotz wesentlicher Mängel der Entstehung als rechtsfähig zu behandeln ; insbesondere können dritte Personen, ζ. B. Schuldner, gegen die der Verein klagt, ihm den Mangel der Rechtsfähigkeit nicht entgegenhalten. In dieser Richtung wird man den Ausführungen H e l l wigs zustimmen müssen; es handelt sich bei dieser Gruppe von Staatsakten um Verfügungen, welche für einen großen Kreis von Menschen von Bedeutung sind; eine Nachprüfung ihrer Gültigkeit kann nicht gelegentlich durch zufällig mit dieser Frage befaßte Gerichte und mit möglicherweise verschiedenem Resultat erfolgen, sondern nur einheitlich in dem dazu bestimmten Verfahren 66 . Die Aufhebung solcher Staatsakte, hier die Löschung des Eintrags, soll nach H e l l w i g rückwirkende Kraft haben, wenn der Staatsakt zurückgenommen wird, weil er nicht hätte erfolgen sollen (nicht wenn die Aufhebung wegen veränderter Verhältnisse stattfindet). Während also der zu Unrecht eingetragene Verein nach D e r n b u r g die Rechtsfähigkeit hat und dann erst durch Entziehung verliert, soll er nach H e l l w i g bis zur Löschung als rechtsfähig behandelt werden, nach der Löschung aber so, als ob er von Anfang nicht rechtsfähig gewesen sei. Der Unterschied zeigt sich u. And. bei der Behandlung des übrigbleibenden Vermögens: nach D e r n b u r g findet Liquidation und Verteilung des Überrestes nach §45 statt; nach H e l l w i g muß der Überrest, da ein rechtsfähiger Verein nicht existiert, nicht nach Vereinsrecht, sondern nach Gesellschaftsrecht verteilt werden: keine Zuweisung an öffentliche Stiftungen oder Anstalten, kein Anfall an den Fiskus. H e l l w i g S. 31 zieht für die Rückwirkung der Aufhebung konstitutiver Staatsakte eine Schranke: Dritte sollen die Rechtsstellung, die sie auf Grund eines solchen Aktes erlangt haben, nicht dadurch verlieren, daß dieser vernichtet wird. Die gesetzliche Grundlage sucht H e l l w i g in § 32 GFG. Die analoge Aneintragung sich im Verhältnis der beiden Beteiligten und ihrer Gläubiger abspielen, und gutgläubige Dritte durch besondere Vorschriften geschützt sind, an denen es bei der Eintragung von Vereinen fehlt. 66 W. J e l l i n e k a.a.O. 167. Ob das Amtsgericht die Frage des wirtschaftlichen Zwecks falsch entschieden oder gar nicht geprüft hat (in letzterem Falle will Oertmann, Vorb. 2 vor § 55 Nichtigkeit der Eintragung annehmen), scheint mir keinen Unterschied zu machen, um so mehr, als es bedenklich ist, das Schicksal des Vereins von einem schwer zu beweisenden Vorgang in der Seele des Amtsrichters abhängig zu machen.

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wendung dieses Rechtssatzes auf den Verein ergibt, daß die Rechtsgeschäfte, welche von oder gegenüber dem Vorstand vorgenommen sind, trotz der Löschung der Eintragung wirksam bleiben. Es sollen also insbesondere die Verpflichtungen, die der Vorstand eingegangen, und die Verfügungen, die er getroffen hat, gültig bleiben. Aber diese ergibt sich meines Erachtens auch ohue Berufung auf § 32 GFG. daraus, daß der Vorstand, wenn der Verein nicht rechtsfähig war, als Vorstand des nichtrechtsfähigen Vereins gehandelt hat und als solcher alle diese Wirkungen für das Vereinsvermögen herbeiführen konnte, vgl. ob. S. 492. Die Schwierigkeit des Problems liegt in den Grund buchein trägen und den Aktivprozessen des Vereins. Sie sind, wenn der Verein nicht rechtsfähig ist, unwirksam, nicht weil dem Vorstand die Vertretungsmacht fehlt (dagegen würde § 32 GFG. helfen), sondern weil das Rechtssubjekt nicht vorhanden ist, welches im Grundbuch resp. in der Klage als Kläger genannt ist. Wenn H e l l w i g 6 7 so weit geht, die Rückwirkung der Löschung des Vereins nicht nur für die Rechte Dritter, sondern auch für die Namens des Vereins erworbenen Rechte auszuschließen, so scheint er mir damit seinen Ausgangspunkt zu verlassen; es bleibt dann für die rückwirkende Kraft der Löschung so gut wie nichts übrig; dann ist für H e l l w i g , wie für D e r n b u r g , der Verein trotz seiner wesentlichen Mängel rechtsfähig geworden und verliert erst jetzt die Rechtsfähigkeit durch Entziehung; es erfolgt Liquidation, wie wenn sich der Verein aus sonstigen Gründen auflöst 68 . Will man nicht soweit gehen, die Vereine des BGB. nach Analogie der Aktiengesellschaft zu behandeln, und meines Erachtens darf man das nicht, so bleibt nichts übrig, als die Konsequenzen der Nichtigkeit eintreten zu lassen, allerdings mit der Maßgabe, daß diese Konsequenzen erst dann geltend gemacht werden können, wenn die Eintragung des Vereins auf dem Wege der Löschung rückgängig gemacht ist. I I I . Vereine, deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist 6 9 , erlangen die Rechtsfähigkeit durch staatliche Verleihung, § 22, wenn sie nicht unter die Bestimmungen eines 67

S. 33 Note 3. Darum stützt sich H e l l w i g S, 34 subsidiär auf die Analogie von HGB. § 311. 09 Ausschließlich, oder gleichwertig neben einem idealen Zweck, vgl. ob. § 33 S. 474. 68

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Reichsgesetzes (Handelsgesetzbuch, Ges. über Gesell, mit b. H., über eingetr. Genossenschaften usw.) fallen 70 . Da diese Gesetze für fast alle in Betracht kommenden Zwecke passende Einrichtungen bieten, wird es nicht oft vorkommen, daß ein wirtschaftlicher Verein sich um die Verleihung der Rechtsfähigkeit zu bewerben hat. Ideale Vereine können die Rechtsfähigkeit nur durch Eintragung, nicht durch Verleihung erlangen ; doch wird man zur Vermeidung eines negativen Kompetenzkonflikts annehmen dürfen, daß einem Verein, dessen Eintragungsgesuch abgelehnt ist, weil das Registergericht den Vereinszweck als wirtschaftlichen betrachtet, die Rechtsfähigkeit verliehen werden kann, selbst wenn die verleihende Behörde den Vereinszweck als idealen ansieht 71 . Zuständig für die Verleihung ist der Bundesstaat, in welchem der Verein seinen Sitz hat 7 2 . Die Wirkung der Verleihung ist nicht auf das Gebiet dieses Bundesstaates beschränkt. Die zuständige Behörde und das Verfahren der Verleihung bestimmt sich nach Landesrecht 78. Die Verleihung der Rechtsfähigkeit ist ein Verwaltungsakt, der sich auf einen oder gleichzeitig auf mehrere Vereine beziehen kann, aber nicht in abstracto für bestehende und künftige Vereine von einer bestimmten Beschaffenheit ergehen kann 7 4 ; denn das BGB. will solche Vereine dem im einzelnen Fall auszuübenden Ermessen der Verwaltung, nicht der Regelung durch Landesgesetzgebung überlassen. Die Verleihung steht im freien Ermesseh der Behörde; es gibt keinen publizistischen Anspruch auf Verleihung; die Behörde kann daher beliebige Bedingungen in bezug auf die Satzung stellen 75 , insbesondere auch die Rechtsfähigkeit unter Vorbehalt des Widerrufs verleihen. Ist einem Verein, der in Anbetracht seines Zwecks eingetragen werden könnte, die Rechtsfähigkeit verliehen, so ist die Verleihung fehlerhaft, aber wirksam, da sie mindestens ebensosehr wie die Eintragung den Charakter eines konstitutiven Staatsakts an sich 70

Entspricht ein Verein einem dieser Spezialgesetze, so kann er die Rechtsfähigkeit nur nach diesem Gesetz, nicht durch Verleihung erlangen. 71 D e r n b u r g § 76 I ; Oertmann § 21, 2; a. A. Planck § 21, 3. 72 Unzuständigkeit des Bundesstaates hat nach allgemeinen Grundsätzen Ungültigkeit der Verleihung zur Folge; § 7 GFG. findet hier keine Anwendung. 73 Aufzählung der zuständigen Behörden bei Oertmann § 23, 2. 74 Endemann § 43 Note 3; Oertmann § 23, 2; a. A. Dernburg § 76 Note 4. . 75 Art. 82; Planck § 22, 3.

§ 34. Begründung des Vereins.

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trägt (vgl. ob. S. 494). Die Verleihung kann aber in solchen Fällen zurückgenommen werden, und zwar mit rückwirkender Kraft. Die zuständige Behörde und das Verfahren bei der Rücknahme richtet sich nach Landesrecht 76. IV. Vereine, die ihren Sitz in keinem Bundesstaat haben, können die Rechtsfähigkeit weder nach § 21 noch nach § 22 erwerben. Sie kann ihnen in Ermangelung besonderer reichsgesetzlicher Vorschriften 77 nach § 28 durch Beschluß des Bundesrats verliehen werden, ohne Unterschied, ob sie wirtschaftlichen oder idealen Zwecken dienen. Das gilt für Vereine, die ihren Sitz in deutschen Kolonien oder Schutzgebieten, oder in deutschen Konsulärbezirken haben 78 . Hat ein Verein seinen Sitz im Ausland und ist er nach ausländischem Recht rechtsfähig, so kann er die Rechtsfähigkeit nicht nach den Vorschriften des deutschen Rechts erwerben und braucht es nicht; denn eine nach ausländischem Recht in dem fremden Staat existierende juristische Person wird prinzipiell auch im deutschen Rechtsgebiet als Rechtssubjekt anerkannt 79 . Das gilt insbesondere für die Aktiengesellschaften 80 und sonstigen juristischen Personen des Handelsrechts, sowie für Stiftungen und die juristischen Personen des öffentlichen Rechts. Nur für Vereine, welche unter §§21 und 22 BGB. fallen (ideale Vereine und solche wirtschaftliche Vereine, für die kein Spezialgesetz gilt) hat Art. 10 die erschwerende Bestimmung aufgestellt, daß die ihnen nach ausländischem Recht zukommende Rechtsfähigkeit in Deutschland einer Anerkennung durch Beschluß des Bundesrats bedarf. Die Anerkennung des Art. 10. unterscheidet sich von der Verleihung 76

Planck § 21, 6; Oertmann § 21, 3b. Z. B. § 11 des SchutzgebietGes. vom 10. Sept. 1900. 78 Nach herrschender Meinung kann einem Verein, der seinen Sitz in einem ausländischen Staat hat, die Rechtsfähigkeit nach § 23 verliehen werden. Als Beispiel werden angeführt Vereine zur. Unterstützung von Deutschen im Auslande. Jedoch würde eine Verleihung der Rechtsfähigkeit in einem solchen Fall einen schwer zu rechtfertigenden Eingriff in den Herrschaftskreis des fremden Rechts bedeuten und dem Verein wenig nützen; denn der ausländische Staat würde die Verleihung der Rechtsfähigkeit für sein Gebiet nicht gelten lassen; ein Unterstützungsverein für Deutsche in Paris würde z.B. in Frankreich, wo er seinen Sitz hat, die Rechtsfähigkeit nicht haben, sondern nur in Deutschland; vgl. Wiedemann S. 387 fg. 79 Planck Art. 10, 1. 80 Staub, HGB. § 178 Anm. 13. 77

Handbuch X . 1. I : v o n T u h r I .

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des § 23 insbesondere dadurch, daß sie jederzeit, nicht bloß nach Maßgabe des § 43, widerrufen werden kann 8 1 . § 35. Die Satzung *. I. Unter Verfassung einer juristischen Person versteht man den Inbegriff der Regeln, welche die Identität und das innere Leben derselben bestimmen. Dazu gehört beim Verein die Festsetzung von Zweck, Namen und Sitz; ferner die Organisation, d. h. die Regeln, aus denen sich ergibt, welche Menschen, unter welchen Umständen und in welchen Formen die für den Verein maßgebenden Entschlüsse zu fassen haben, insbesondere wer im Namen des Vereins Rechtsgeschäfte mit Dritten vornehmen kann; zur Verfassung gehören weiterhin die Vorschriften über den Eintritt und Austritt von Mitgliedern, sowie über deren Rechte und Pflichten gegenüber dem Verein ; endlich die Regeln über die Auflösung des Vereins und das Schicksal des Vereinsvermögens nach der Auflösung 1. Die Verfassung der Vereine, die im HGB. und sonstigen Reichsgesetzen geregelt sind, ergibt sich aus diesen Gesetzen. Für die Verfassung der Vereine, welche die Rechtsfähigkeit nach § 22 durch Verleihung erhalten, ist in Art. 82 ein Vorbehalt zu Gunsten der Landesgesetze gemacht la . Bei den eingetragenen Vereinen des BGB. bestimmt sich die Verfassung nach den Vorschriften des Gesetzes und nach der Vereinssatzung, § 25. Die Vorschriften des BGB. sind teils zwingende, teils dispositive (aufgezählt in § 40), so daß für die Verfassung des Vereins in Betracht kommen: in erster Linie die zwingenden 81

Planck Art. 10, 2b. * Dernburg § 77; Endemann § 44; Crome § 51; Enneccerus § 101; Biermann § 136. 1 Nicht zur Verfassung des Vereins gehören die Rechtssätze, nach denen sich die Beziehungen des Vereins zu Dritten richten: für Rechtsgeschäfte gelten die allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechts, für Delikte der Vertreter die Spezialbestimmung des § 31. Auch die §§ 42—44 (Verlust und Entziehung der Rechtsfähigkeit) gehören nicht zur Verfassung, Planck Art. 82, 3 a, meines Erachtens auch nicht die Vorschriften über Liquidation, soweit die Gläubiger daran interessiert sind. Vgl. ob. § 33 Note 24. Es finden alle Vorschriften des Landesrechts Anwendung, nicht nur besondere Vorschriften, die sich auf konzessionierte Vereine beziehen, Planck Art. 82, 3b; a. A. Dernburg § 73 IV. Landesrecht gilt insbesondere für die Verfassung von Vereinen, die vor 1900 konzessioniert sind.

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Vorschriften des BGB., sodann die Bestimmungen der Satzung, endlich in letzter Linie die dispositiven Rechtssätze des BGB. Das wichtigste Stück der Verfassung ist die Organisation, weil der Verein, wie jede juristische Person, nur durch Organe handeln kann. Zum Wesen des auf eine Mehrheit von Mitgliedern sich aufbauenden Vereins gehört das Vorhandensein zweier Organe. Der Verein muß einen Vorstand haben, § 20, der die Geschäfte des Vereins führt und nach außen als Vertreter handelt, und eine Mitgliederversammlung, welche in den wichtigsten Angelegenheiten des Vereins beschließt und die Tätigkeit des Vereines leitet. Die Mitgliederversammlung bestellt und entläßt den Vorstand und erteilt ihm Instruktionen, und ist daher als das oberste Organ cles Vereins zu bezeichnen. Sie ist für den Verein unentbehrlich, was im Gesetz nicht ausgesprochen, aber als selbstverständlich vorausgesetzt wird 2 ; denn nur in der Versammlung können die Mitglieder ihren Willen zur Geltung bringen; eine juristische Person, deren wichtigste Angelegenheiten nicht durch den Beschluß einer Mehrheit von Menschen geregelt würden, hätte keine Mitglieder und wäre daher kein Verein, sondern eine Stiftung oder eine juristische Person des öffentlichen Rechts. Außer den beiden notwendigen Organen, Vorstand und Mitgliederversammlung, kann der Verein auf Grund seiner Satzung noch weitere Organe haben: Vertreter für einzelne Geschäftskreise, § 30, oder kontrollierende Organe (Aufsichtsrat). Die Kompetenzen der verschiedenen Organe können durch die Satzung in mannigfaltiger Weise geregelt sein. II. Die Satzung wird bei der Gründung des Vereins von den Gründern vereinbart und dem Amtsgericht bei der Anmeldung vorgelegt. Eingetragen in das Register wird das Datum der Satzung sowie die Bestimmungen derselben, welche die Verfügungsmacht des Vorstandes beschränken oder die Beschlußfassung eines mehrköpfigen Vorstandes abweichend vom Gesetz regeln. Eine Abschrift der Satzung wird vom Amtsgericht aufbewahrt, § (iö. Die Satzung ist verbindlich nicht nur für die Gründer, sondern auch für alle dem Verein später beitretende Mitglieder. Sie kann durch Beschluß der Mitgliederversammlung abgeändert werden. Das Gesetz verlangt dazu eine Mehrheit von S U der erschienenen Mitglieder, § 33. Darin zeigt sich besonders deutlich die herrschende Stellung der Mitglieder im Verein und der Gegensatz des Vereins a Oertmann § 32, 6; a. A. Endemann § 44 Note 7; Dernburg § 77 II.

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zu der Stiftung: der Verein kann, nachdem er einmal durch die Gründer ins Leben gerufen ist, sich abweichend von ihrem Willen entwickeln, während die Organe der Stiftung den Willen des Stifters auszuführen haben, ohne ihn abändern zu können. Da § 33 dispositives Recht enthält (§ 40), so kann durch Bestimmung der Satzung die Änderung der Satzung oder eines Teils derselben erleichtert oder erschwert sein: durch Festsetzung einer größeren, als der gesetzlichen Majorität, oder durch das Erfordernis einer wiederholten Abstimmung, oder durch eine Anfangsfrist für das Inkrafttreten des satzungsändernden Beschlusses. Die Erschwerung der Satzungsänderung kann so weit gehen, daß dafür in der Satzung Einstimmigkeit vorgeschrieben wird 3 . Dagegen kann die Satzung nicht bestimmen, daß sie selbst bei Einstimmigkeit der Mitglieder nicht geändert werden könne 4 ; das widerspricht dem Begriif des Vereins, in welchem den Mitgliedern, jedenfalls dann, wenn sie einig sind, die Herrschaft zusteht. Gesetzlich erschwert ist die Satzungsänderung, wenn sie den Zweck des Vereins betrifft 5 : BGB. § 33 verlangt in diesem Fall Zustimmung aller Mitglieder; die Zustimmung der in der Versammlung nicht erschienenen Mitglieder muß schriftlich erfolgen. Diese Strenge erklärt sich durch die dominierende Bedeutung des Zweckes für Wesen und Tätigkeit des Vereines". Aber auch diese Vorschrift ist nicht zwingend ; in der Vorschrift kann die Änderung des Zweckes erleichtert sein; es kann ζ. B. bestimmt sein, daß die Zustimmung der nichterschienenen Mitglieder nicht erforderlich ist, oder daß ein Majoritätsbeschluß genügt. Wer sich einem solchen Verein anschließt, weiß, daß der Zweck des Vereines auch 8

Oertmann § 33, 2c. Die Entwicklung des Vereins kann durch eine so weit gehende Erschwerung der Satzungsänderung wesentlich gehemmt sein. das Korrektiv liegt in der Möglichkeit des Austritts und der Auflösung des Vereins. * Kohler § 172 I. 5 Ob eine Satzungsänderung den Zweck des Vereins tangiert, kann quästio facti sein, Oertmann § 33, 3a. 6 Eine Änderung des Zweckes ist nicht mit H o l d e r , Oertmann u. a. als Auflösung des bisherigen und Gründung eines neuen Vereins aufzufassen; ein solcher Vorgang verläuft anders und verlangt namentlich Liquidation des Vereinsvermögens ; auch wäre auf diese Weise eine durch die Satzung erlaubte Zweckänderung durch Mehrheitsbeschluß nicht zu erklären. Dagegen handelt es sich um Auflösung des Vereins und Begründung einer neuen juristischen Person, wenn ein Verein sich in eine AktGes., eine Ges. m. b. H. oder eine eingetr. Genossensch, verwandelt; vgl. RG. 64, 11.

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ohne seinen Willen geändert werden kann. Ist eine solche Erleichterung der Zweckänderung im ursprünglichen Statut nicht enthalten, so kann sie später nicht durch Majoritätsbeschluß, sondern nur mit Zustimmung aller Mitglieder in die Satzung aufgenommen werden; sonst könnte die nach dem Gesetz erforderliche Einstimmigkeit, auf welche die Gründer und später beitretenden Mitglieder rechnen durften, dadurch umgangen werden, daß eine Majorität von 3 U der Mitglieder erst eine die Zweckänderung erleichternde Bestimmung in die Satzung aufnimmt und sodann auf Grund dieser neuen Bestimmung der Satzung den Zweck des Vereins ändert 7. Eine Satzungsänderung bedarf bei Vereinen, deren Rechtsfähigkeit auf Verleihung beruht, der Genehmigung des Bundesstaats resp. des Bundesrats, § 33 I I . Bei eingetragenen Vereinen muß die Änderung der Satzung zu ihrer Wirksamkeit in das Vereinsregister eingetragen werden, § 71 8 . Es gelten dabei dieselben Vorschriften, wie bei der Eintragung des Vereins 9. Die Satzungsänderung ist vom Vorstand beim Registergericht anzumelden10. Die Anmeldung kann zurückgewiesen werden ζ. B. wenn der Beschluß nicht von der erforderlichen Mehrheit gefaßt ist oder wenn sich der neue Zweck des Vereines als wirtschaftlicher erweist. Die Verwaltungsbehörde hat das Recht des Einspruchs, wenn sich aus der Satzungsänderung ergibt, daß der Verein nunmehr einen politischen, sozialpolitischen oder religiösen Zweck verfolgen soll. Aber wie, wenn der Verein schon bisher einen dieser drei Zwecke 7

Oertmann § 33, 3b. Diese Eintragung ist, wie die des Vereins selbst, konstitutiv. 9 Nach dem Wortlaut des § 71 könnte es scheinen, daß der satzungsändernde Beschluß in vollem Umfange einzutragen ist, während bei der Eintragung des Vereines nach § 64 nur einzelne Bestimmungen der Satzung eingetragen werden. Ans der in § 71 vorgeschriebenen entsprechenden Anwendung des § 64 ergibt sich aber, daß auch bei der Satzungsänderung nur die in § 64 genannten Tatsachen einzutragen sind. Dem Erfordernis der Publizität ist dadurch genügt, daß aus dem Register die Tatsache und das Datum der Satzungsänderung erhellt, und der Inhalt der Änderung aus den jedermann zugänglichen Vereinsakten ersichtlich ist, § 79. Planck und Oertmann zu § 71; a. A. Staudinger § 71, 5. Veröffentlichung der Satzungsänderung ist nicht vorgeschrieben. § 71 bestimmt entsprechende Anwendung nur des ersten, nicht des zweiten Absatzes von § 66. 10 Der Vorstand ist dem Verein gegenüber zur Anmeldung verpflichtet und kann nach § 78 vom Amtsgericht durch Ordnungsstrafen zur Anmeldung angehalten werden. 8

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verfolgte? Soll die Behörde, die den Einspruch erhoben hatte, jetzt bei der Satzungsänderung zum Einspruch berechtigt sein 11 ? Man wird das jedenfalls dann annehmen müssen, wenn der Verein in Folge der Satzungsänderung einen anderen von den drei dem Einspruch unterliegenden Zwecken, als bisher, verfolgen soll, wenn sich ζ. B. ein religiöser Verein in einen politischen verwandelt oder umgekehrt. Das Einspruchsrecht wird aber auch dann vorliegen, wenn ein Verein innerhalb eines der drei Gebiete sich durch Satzungsänderung eine wesentlich andere Aufgabe stellt, wenn sich ζ. B. ein Verein, der bisher überseeische Mission trieb, der inneren Mission zuwendet, oder ein freisinniger Verein zu der Sozialdemokratie übergeht. Denn bei solchen Zweckveränderungen bleibt zwar die privatrechtliche Identität des Vereins bestehen, es liegt aber vom Standpunkt der öffentlichen Verwaltung ein neues Gebilde vor, über dessen Ausstattung mit Rechtsfähigkeit die Verwaltungsbehörde nach dem Zweck des Einspruchsrechts soll entscheiden dürfen 12 . I I I . Über das juristische Wesen der Satzung bestehen verschiedene Meinungen. Sie entsteht ursprünglich aus einer Verabredung der Gründer. Während aber sonstige Vertragsprodukte durch die Kontrahenten und nur auf dem Wege einer neuen Vereinbarung abgeändert werden können, kann die Satzung, nachdem der Verein einmal entstanden ist, nicht durch die Gründer abgeändert werden, wohl aber durch das Hauptorgan des Vereines, die Mitgliederversammlung, und zwar in der Regel durch einen Mehrheitsbeschluß, der für den Verein und alle seine Mitglieder einschl. der Gründer verbindlich ist. Die Satzung enthält die Grundsätze der Organisation des Vereins und allgemeine Vorschriften über die Tätigkeit der Organe und die Rechte und Pflichten der Mitglieder gegenüber dem Verein. In Bezug auf den Inhalt besteht eine weitgehende Analogie zwischen der Satzung des Vereins und der Verfassung des Staates. Die Satzung enthält abstrakte Bestimmungen, welche für alle Mitglieder oder gewisse Kategorien derselben gelten, nur ausnahmsweise Sonderbestimmungen für einzelne Mitglieder. Daher wird die Satzung oft als ein Stück 11

Die verschiedenen Ansichten sind bei Oertmann, § 71, 2c zusammengestellt. 12 Würde ein Verein ohne Satzungsänderung tatsächlich eine solche Änderung des Zweckes vornehmen, so könnte ihm die Ptechtsfähigkeit nach § 43 I I I entzogen werden. Vgl. unt. § 39 Note 13.

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objektiven Rechtes bezeichnet18 und dem Verein, insofern er seine Satzung nach dem Willen der Majorität seiner Mitglieder gestalten kann, Autonomie zugeschrieben14. Unter Autonomie wird verschiedenes verstanden. Autonomie kann bedeuten eine von der Staatsgewalt unabhängige Quelle des Rechts; in diesem Sinn ist der Verein nicht autonom, denn die Fähigkeit der Vereine, ihre inneren Verhältnisse durch Satzung zu regeln, beruht auf der gesetzlichen Bestimmung des § 25 und kann jederzeit durch Änderung des Gesetzes beschränkt oder aufgehoben werden. Bisweilen versteht man unter Autonomie nichts anderes, als daß der Verein seine Angelegenheiten durch Beschlüsse seiner Organe ohne Einmischung der Staatsgewalt ordnen kann. So spricht ζ. B. RG. 49, 155 von Autonomie anläßlich der Frage, ob der Verein den Ausschluß von Mitgliedern statutarisch regeln könne. In diesem vulgären Sinn hat aber nicht nur der Verein, sondern au.ch das Individuum in seiner Rechtssphäre Autonomie, indem es ihm die Rechtsordnung innerhalb gewisser Schranken überläßt, seine Rechtsverhältnisse durch Vertrag, Testament usw. zu gestalten. Allerdings sind die Verhältnisse des Vereins schon dadurch, daß er Mitglieder hat, anders und weit komplizierter geartet, als die Verhältnisse des Individuum, in dessen Rechtssphäre sich daher auch für die meisten der durch die Satzung geregelten Fragen keine Analogie vorfindet; das Individuum ist Alleinherr seines Vermögens ; seine Entschlüsse sind psychologische, nicht juristische Vorgänge und bedürfen daher keiner rechtlichen Regelung. In einem anderen Sinn wird das Wort Autonomie gebraucht, wenn man dem Verein seinen Mitgliedern gegenüber eine quasigesetzgeberische Gewalt zuschreibt Ua . Der Verein kann durch satzungsgemäßen Majoritätsbeschluß ev. durch eine mit Mehrheit beschlossene Satzungsänderung sein Rechtsverhältnis zu den Mitgliedern abändern, ihnen Rechte verleihen oder nehmen, Pflichten 13 Dabei wird übersehen, daß abstrakte Vorschriften für gleichartige Tatbestände auch durch Rechtsgeschäft hergestellt werden können, so ζ. B. durch den Tarifvertrag, vgl. Oertmann 3f vor § 611. M Gierke § 19 I I I 5; Regelsberger § 24; Windscheid § 19Note4; L e i s t , Vereinsherrschaft 59; Cosack § 31; Oertmann § 25, 4; Biermann § 136, 4; H e l l w i g , ZivProz. §88 Note 4. Gegen Autonomie: Endemann § 8 Note 6; Crome § 18 am Ende, § 49 Note 1 Enneccerus § 40, 12; K o h l e r § 31 I. u » Autonomie des Vereins soll auch bedeuten, daß für Streitigkeiten zwischen Verein und Mitgliedern der Rechtsweg ausgeschlossen sein soll, vgl. unt. § 38 Note 25.

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auferlegen oder abnehmen. Solche Rechtsänderungen erfolgen nicht wie sonst durch Vertrag, sondern durch den einseitigen Willen des Vereins. Diesen Beschlüssen sind die Mitglieder unterworfen, wie die Staatsbürger den Gesetzen und den Verfügungen der Staatsgewalt; sie können sich der Vereinsherrschaft nur durch Austritt aus dem Verein entziehen, wie der Bürger durch Entlassung aus dem Staats verband. Wer dem Verein wegen dieser Befugnisse gegenüber seinen Mitgliedern Autonomie zuschreibt, geht von dem Gedanken aus, daß derartige Machtverhältnisse auf dem Wege des Rechtsgeschäftes nicht hergestellt werden können. Dabei wird meines Erachtens außer acht gelassen, daß auch im Vertragsrecht ein Kontrahent sich in weitgehendem Maße in Abhängigkeit von dem Willen des anderen oder einer dritten Person begeben kann, § 315—317. Auch ist es grundsätzlich möglich, Vertragsverhältnisse so zu gestalten, daß die Beziehungen der Kontrahenten durch Mehrheitsbeschlüsse der Kontrahenten oder auch dritter Personen bestimmt werden sollen. Die Unterwerfung unter Majoritätsentscheidungen führt unter Umständen zu einer nach unseren Anschauungen unzulässigen Abhängigkeit von fremder Willkür und findet daher, wenn die Abhängigkeit durch die Interessenlage nicht gerechtfertigt ist. ihre Schranke am § 138. Die Mehrheitsbeschlüsse sind am Platz im Gesellschaftsverhältnis ; hier kann der Majorität nicht nur die Geschäftsführung 1 5 , sondern auch die Entscheidung über die Grundlagen der Gesellschaft überlassen werden 16 . Noch stärker tritt das Majoritätsprinzip hervor beim nichtrechtsfähigen Verein, der im BGB. als Abart der Gesellschaft gedacht ist und daher, wie diese, auf vertraglicher Grundlage aufgebaut ist. Wenn nun aber dieser Zustand bei der Gesellschaft durch Vertrag hergestellt werden kann, so ist nicht ersichtlich, warum man das aus der Vereinbarung (1er Gründer hervorgehende Statut deswegen als objektives Recht ansehen müßte, weil es das Majoritätsprinzip sanktioniert. Auch die Geltung der Satzung für die späteren Mitglieder läßt sich rechtsgeschäftlich konstruieren, d. h. auf ihren Willen zurückführen; wer einer Gesellschaft beitritt, in welcher das Majoritätsprinzip gilt, schließt einen Vertrag, dessen Inhalt durch die Beschlüsse künftiger Majoritäten abgeändert werden kann; ähnlich verhält es sich beim Verein; mag 16

BGB. § 709 I I ; HGB. § 119 II. Staub, HGB. § 119 Anm. 4. Auch eine Erhöhung der Beiträge durch Majoritätsbeschluß kann im Gesellschaftsvertrag vorgesehen sein; Planck § 707, 1. 16

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der Beitritt des Mitglieds Vertrag sein, oder einseitige Erklärung des Mitglieds an den Vorstand, jedenfalls erfolgt er durch den Willen des Beitretenden, der sich damit der jetzigen Satzung und deren späteren Abänderungen unterwirft. Allerdings ist die Unterwerfung unter den Willen künftiger Mehrheiten, die bei der Gesellschaft eigens verabredet werden muß, und außerhalb der Gesellschaft nur mit Vorsicht zugelassen werden kann, beim \ r erein eine durch dispositiven Rechtssatz aufgestellte Regel ; aber das erklärt sich aus dem Zweck des Vereins, aus der im Durchschnitt beträchtlichen Zahl und dem bestimmungsgemäßen Wechsel der Mitglieder. Ich sehe daher keinen zwingenden Grund, die Satzung, die durch Rechtsgeschäft der Gründer entsteht, und von der Mitgliederversammlung durch Mehrheitsbeschlüsse, die meines Erachtens ebenfalls als Rechtsgeschäft zu bezeichnen sind, abgeändert werden kann, als Produkt des objektiven Rechts aufzufassen; sie ist vielmehr eine für den Verein und dessen Mitglieder maßgebende Vorschrift, die auf Rechtsgeschäften eigener Art beruht 17 . Die Kontroverse ist im großen ganzen rein theoretisch; es gibt meines Wissens nur eine praktische Frage des bürgerlichen Rechts, für welche die Entscheidung anders ausfallen würde, je nachdem ob man dem Verein Autonomie zuschreibt oder n i c h t 1 8 ; und gerade diese Frage scheint mir vom Standpunkt der Autonomie aus nicht die richtige Lösung zu finden: die Anhänger der Autonomie behaupten, daß eine im Statut festgesetzte Strafe für Nichterfüllung von Mitgliedschaftspflichten vom Richter nicht herabgesetzt werden könne 19 . Darin liegt eine übermäßige und unter Umständen gefährliche Ausdehnung der Vereinsherrschaft. Wenn man dagegen die Satzung als Produkt rechtsgeschäftlichen Willens auf faßt, dem sich das Mitglied durch Beitritt unterwirft, so ist die entsprechende Anwendung des § 343 nicht von der Hand zu weisen, denn es handelt sich um eine Strafe, zu welcher sich das Mitglied vielleicht nicht durch Vertrag, aber jedenfalls durch eine Willenserklärung verpflichtet hat und für deren Ermäßigung im Fall der Unverhältnismäßigkeit alle die Gründe sprechen, aus denen der § 343 entstanden ist 2 0 . 17 Anders verhält es sich bei den juristischen Personen des öffentlichen Rechts: ihre Verfassung ist stets objektives Recht, auch wenn sie nicht auf Gesetz beruht, sondern durch Beschlüsse ihrer Organe hergestellt ist. 18 Im Zivilprozeß kommt die Frage in Betracht für ZPO. § 293. 19 Leist, Vereinsrecht 58; Oertmann § 25, 4. 20 Vgl. Kohler § 156 IV.

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§ 36· Die Mitgliederversammlung*. Die Mitglieder sind das herrschende Element im Verein; nach ihrem Willen regelt sich das innere Leben und die äußere Betätigung des Vereins. Aus ihnen besteht „das oberste Organ" des Vereins: die Mitgliederversammlung, § 32 in welcher die Majorität der erschienenen Mitglieder entscheidet2. Dem Beschluß einer Mitgliederversammlung steht gleich ein einstimmiger schriftlicher Beschluß sämtlicher Mitglieder, § 32 II. I. Die Mitgliederversammlung muß ordnungsmäßig berufen sein, damit jedes Mitglied Gelegenheit hat, an der Versammlung teilzunehmen. Die Berufung erfolgt durch den Vorstand oder ein anderes in der Satzung bezeichnetes Organ, ζ. B. den Aufsichtsrat. Die Satzung soll Bestimmungen über die Form der Berufung enthalten, § 58 Nr. 4, d. h. über die Mittel, durch welche das Stattfinden der Versammlung zur Kenntnis der Mitglieder gebracht werden soll; in der Satzung kann vorgeschrieben sein Publikation in Zeitungen, Anschlag an einem dazu bestimmten Ort oder Mitteilung an die einzelnen Mitglieder, event, durch eingeschriebenen Brief 8 . Auch kann die Satzung eine Frist bestimmen, welche zwischen der Berufung und der Versammlung liegen muß. Hat die Satzung nichts bestimmt, so genügt eine Kundgebung, welche nach ihrer Beschaffenheit geeignet ist, zur Kenntnis der Mitglieder zu kommen, also unter Umständen eine Publikation in den Zeitungen4, und eine angemessene Frist zwischen der Berufung und dem Zeitpunkt der Versammlung. Ist die Berufung nicht ordnungsmäßig erfolgt, ζ. B. ohne die vorgeschriebene spezielle Mitteilung an die Mitglieder, so ist der Beschluß, sofern die Satzung nicht anders bestimmt, ungiltig, es sei denn, daß alle Mitglieder erschienen * Vgl. Literaturangaben bei § 35. Gierke § 65; Enneccerus § 104; K o h l e r §§ 162—164; Biermann § 138, 3. 1 Diesen Ausdruck braucht das Gesetz über priv. Versicherungsunt. § 29. 2 Da § 33 dispositives Recht ist, § 40, können die gesetzlichen Vorschriften über die Mitgliederversammlung durch die Satzung modifiziert werden, es kann aber die Versammlung nicht aus der Verfassung des Vereins eliminiert werden, weil das dem Begriff des Vereins widersprechen würde, vgl. ob. S. 499. 3 Vorgeschrieben in § 51 des RG. über Ges. m. b. H. RG. 60, 144 hat für diesen Fall entschieden, daß die Berufung mit Aufgabe des Briefes zur Post bewirkt ist. 4 So HGB. § 310 I I bei der Aktiengesellschaft für den Fall, daß im Statut eine Bestimmung über die Form der Berufung der Generalversammlung fehlt.

§ 36. Die Mitgliederversammlung.

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sind und keiner den Fehler der Berufung gerügt hat; denn der Zweck der ordnungsmäßigen Berufung, Möglichkeit der Teilnahme an der Versammlung, ist damit trotz des Formverstoßes erreicht. Zur Giltigkeit des Beschlusses ist erforderlich, daß der Gegenstand bei der Berufung angegeben wird, § 32 I 2; den Mitgliedern soll dadurch Gelegenheit gegeben werden, Informationen einzuziehen und ihren Entschluß zu überlegen. Ist die Bezeichnung unterblieben und erscheinen alle Mitglieder, ohne Protest zu erheben, so ist auch dieser Mangel geheilt 5 . Die Berufung der Versammlung hat zu erfolgen, § 37: 1. In den durch die Satzung bestimmten Fällen, § 58 Nr. 4; die Satzung kann ζ. B. periodische Versammlungen zu bestimmten Zeiten vorschreiben. 2. Wenn das Interesse des Vereins 6 es erfordert; das wird dann der Fall sein, wenn es sich um eine zwar in der Kompetenz des Vorstands liegende, aber ungewöhnliche und für den Verein wichtige Maßregel handelt 7 . Der Vorstand ist in beiden Fällen dem Verein gegenüber zur Berufung der Versammlung verpflichtet und macht sich ersatzpflichtig, wenn dem Verein aus der Unterlassung der Berufung ein Schaden erwächst. Das einzelne Mitglied hat aus § 36 keinen Anspruch gegen den Vorstand 8. 3. Die Mitgliederversammlung ist zu berufen, wenn der zehnte oder ein von der Satzung bestimmter kleinerer oder größerer Teil der Mitglieder es verlangt, § 37 9 . Die eine Versammlung wünschenden Mitglieder müssen ihr Verlangen schriftlich unter Angabe des Zwecke der Versammlung und der Gründe ihres Begehrens an den Vorstand richten. Der Vorstand ist verpflichtet, diesem Verlangen ohne Prüfung der Richtigkeit oder Erheblichkeit der Gründe zu 6

Enneccerus § 104, l a ; Biermann § 138, Note 17. Ein Interesse von Mitgliedern genügt nicht. 7 Vgl. die Kontroverse zu HGB. § 253, Staub, Anm. 4. 8 Denn der Vorstand hat Verpflichtungen gegenüber dem Verein, nicht gegenüber den Mitgliedern; a. A. Holder zu § 36. 9 Die Satzung kann das Recht auf Berufung der Versammlung beschränken, indem sie die Mitwirkung eines größeren Teils der Mitglieder verlangt, aber nicht ganz beseitigen, weil § 37 nach § 40 ein zwingender Rechtssatz ist. Oertmann § 37, 5 nimmt mit Recht an, daß jedenfalls die Hälfte der Mitglieder das Recht haben muß, die Berufung der Versammlung durchzusetzen. 6

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entsprechen 10. Zur Erzwingung dieses Rechts haben die Mitglieder keinen Anspruch gegen den Vorstand, sondern ein schneller zum Ziel führendes Mittel: sie können beim zuständigen Amtsgericht beantragen, daß es sie zur Berufung der Versammlung ermächtige, § 37 II. Das Amtsgericht hat den Vorstand zu hören, GFG. § 160, und nicht nur die formellen Voraussetzungen des Antrags zu prüfen, sondern kann den Antrag zurückweisen, wenn die Gründe der die Berufung der Versammlung wünschenden Mitglieder chikanöser Natur sind n . Gegen die Verfügung des Amtsgerichts findet sofortige Beschwerde statt, GFG. § 160. Kommt die Berufung auf diesem Wege zustande, so muß in derselben auf die Ermächtigung Bezug genommen werden, § 37 I I 2 1 2 . II. Die Mitgliederversammlung wird vom Vorstand geleitet, wenn die Satzung nicht anders bestimmt ; im Fall des § 37 I I kann das Amtsgericht über die Führung des Vorsitzes Bestimmungen treffen. Auch die Regeln der Geschäftsordnung sind aus der Satzung zu entnehmen, ζ. B. daß und wie einem Mitglied in der Diskussion das Wort gegeben werden muß 18 . Die Beschlußfassung erfolgt auf Anträge, die der Vorstand oder ein Mitglied stellt, durch Abstimmung, d. h. dadurch, daß die Mitglieder ihre Zustimmung oder Ablehnung in der von der Satzung bestimmten Form, mündlich oder schriftlich, abgeben. 10

Planck § 37, 1; Oertmann § 37, 2b. Da zwischen dem Vorstand und der Minorität eine Meinungsverschiedenheit besteht, kann man es nicht dem Vorstand überlassen, die Gründe, aus denen die Minorität eine Versammlung wünscht, zu würdigen. Auch ist die Beratung einer Angelegenheit in einer Mitgliederversammlung an und für sich für den Verein nicht schädlich ; in dringenden Fällen kann der Vorstand, wenn die vorzunehmende Maßregel innerhalb seiner Kompetenz liegt, auf eigene Gefahr handeln, sofern er überzeugt ist, daß die Versammlung ihm Recht geben wird. 11 Planck § 37, 2; etwas anders Oertmann §37,3; vgl. Staub, HGB. § 254 Anm. 17. 12 Man kann die Gruppe von Mitgliedern, welche eine Versammlung beruft, mit K o h l e r als Vereinsorgan bezeichnen. 13 Die Diskussion kann zur Auslegung des Beschlusses herangezogen werden, aber nur mit Vorsicht: was ein Mitglied als den Sinn eines Antrags oder als das Motiv seiner Zustimmung bezeichnet, ist für die anderen vielleicht nicht maßgebend gewesen. Wichtiger sind Mitteilungen von Tatsachen in der Diskussion, insofern aus der Kenntnis solcher Tatsachen auf den Sinn des Beschlusses geschlossen werden kann. Aber nur das, was in der Versammlung gesagt ist, kommt in Betracht; privates Wissen der Mitglieder kann nicht zur Auslegung des Beschlusses dienen; vgl. RG. 70, 134.

§ 36. Die Mitgliederversammlung.

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Bei der Abstimmung soll nach § 32 I 3 die Mehrheit der erschienenen Mitglieder entscheiden u . Daraus ergibt sich, daß nicht alle Mitglieder in der Versammlung zugegen sein müssen; die Satzung kann bestimmen, daß eine Mindestzahl von Mitgliedern zur Beschlußfähigkeit nötig ist; fehlt es an einer solchen Bestimmung, so genügt eine noch so kleine Anzahl von Mitgliedern, man muß sogar annehmen, daß wenn nur ein Mitglied erscheint, dieses die Versammlung darstellt und die Beschlüsse fassen kann 1 5 . Die Mehrheit muß eine absolute sein, d. h. ein Beschluß kommt zustande, wenn mehr als die Hälfte der erschienenen Mitglieder ihm zustimmt, ζ. B. von 15 Mitgliedern 8 1 6 . Relative Majorität genügt nicht: hat einer von mehreren Anträgen mehr Stimmen als die übrigen, aber weniger als die Hälfte aller Stimmen auf sich vereinigt,'so ist er nicht angenommen. Das gilt auch bei Wahlen : erhält von drei Kandidaten keiner die absolute Majorität, so ist keiner gewählt 17 . Das Gesetz, § 32, 33 spricht von der Mehrheit der erschienenen Mitglieder, während HGB. § 251 Mehrheit der abgegebenen Stimmen verlangt; es wird aber allgemein angenommen 1 8 , daß auch nach § 32, 33 nur die Mitglieder mitzuzählen sind, welche sich an der Abstimmung in der vorgeschriebenen Form beteiligen18 a . Im Zweifel hat jedes Mitglied eine Stimme. Die Satzung kann gewissen Klassen von Mitgliedern oder einzelnen Mitgliedern stärkeres Stimmrecht verleihen, oder auch ihnen das Stimmrecht absprechen (inaktive Mitglieder). Gesetzlich, § 34, ausgeschlossen von der Abstimmung ist ein Mitglied, wenn die Beschlußfassung 14 Die Satzung kann eine höhere als die einfache Majorität vorschreiben. Das Gesetz, § 33, verlangt für Satzungsänderung Dreiviertelmajorität, für Änderung des Zweckes Einstimmigkeit der erschienenen sowie schriftliche Zustimmung der nichterschienenen Mitglieder. 16 So RG. 34, 116 für die Aktiengesellschaft, 16 Es ist ungenau, mit G are is § 32, 8 und Staub, HGB. § 251 Anm. 1 zu sagen: „eine Stimme mehr als die Hälfte der Mitglieder"; denn dann wäre bei 15 Mitgliedern die Mehrheit nicht 8, sondern VÌ2 + 1 = 8Va. 17 Holder und Oertmann zu § 32 lassen bei Wahlen relative Majorität entscheiden, weil die Wahl ein Ergebnis haben müsse, Enneccerus §104 Note 3 will aus demselben Grunde Stichwahl eintreten lassen. Beide Ansichten lassen sich aus dem Gesetz nicht begründen. Es ist auch nicht richtig, daß die Wahl ein Ergebnis haben muß; solange ein Vorstand mangels absoluter Mehrheit nicht gewählt ist, gilt § 29, vgl. unt. § 37 Note 11. 18 Planck, Gareis, Oertmann zu § 32. i8a Wird durch Abgabe von Zetteln abgestimmt, so sind meines Erachtens unbeschriebene Zettel als abgegebene Stimmen zu betrachten.

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die Vornahme eines Rechtsgeschäftes mit ihm oder die Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreites zwischen ihm und dem Vereine betrifft. Die ratio dieser Bestimmung ist, wie im § 181, im Vorliegen einer Interessenkollision zu suchen; ein Mitglied soll nicht in einer Angelegenheit mitwirken, in welcher es die Stellung eines Gegenkontrahenten oder Prozeßgegners des Vereins einnimmt und daher präsumtiv nicht in der Lage ist, die Interessen des Vereins zu wahren; § 181 ist nicht direkt anwendbar, weil das Mitglied bei seiner Abstimmung nicht als Vertreter des Vereins handelt, sondern bei dem Entschluß mitwirkt, in dessen Ausführung das betr. Rechtsgeschäft resp. die prozessuale Handlung durch den Vorstand vorgenommen werden soll. Ob ein Interessenkonflikt im einzelnen Fall vorliegt, kommt bei der Fassung des § 34 nicht in Betracht 19 ; auch wenn das zur Beratung stehende Rechtsgeschäft für den Verein zweifellos vorteilhaft ist, darf das Mitglied nicht mitstimmen, während es stimmen darf, wenn es indirekt, nicht als Vertrags- oder Prozeßgegner, am Beschluß interessiert ist 2 0 . Nicht unter § 34 fällt die Wahl des Vorstandes oder eines anderen Vereinsorgans; bei solchen Wahlen kann ein Mitglied für sich selbst stimmen 21 . Die Wahl ist kein BeschluG über ein mit einem Dritten vorzunehmendes Rechtsgeschäft, sondern eine Rechtshandlung der Versammlung, durch welche ein Vereinsorgan geschaffen wird; ein Mitglied, das sich selbst zum Vorstand wählt, tritt damit in keinen Gegensatz zum Verein, sondern bekundet, in vielleicht unbescheidener Weise, daß es sich für die geeignete Person hält, die Interessen des Vereins zu vertreten. Eine nach § 34 unzulässige Abstimmung ist ohne Einfluß auf die Giltigkeit des Beschlusses, wenn die erforderliche Mehrheit auch ohne die unzulässige Stimme vorhanden war 2 2 . Bei der Abstimmung ist das Mitglied in keiner Weise gebunden, insbesondere kann man anders stimmen, als man einem Dritten versprochen h a t 2 8 ; solche Verabredungen sind unter Umständen als gegen die guten Sitten verstoßend nichtig 24 . Die Mit19

Oertmann § 34, 2. Ein Mitglied, welches zugleich zwei Vereinen angehört, kann, wenn zwischen den Vereinen ein Vertrag geschlossen werden soll, in beiden Vereinen stimmen. 81 RG. 60, 172; vgl. Staub, HGB. § 252 Anm. 26. 22 RG. 65, 242; Oertmann § 34, 3. 88 RG. 60, 174. 2i RG. 57, 205: vgl. die Strafbestimmung in HGB. § 317. 80

§ 36.

Die Mitgliederversammlung.

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glieder dürfen sich durch ihre eigenen, bei Geldfragen auch durch eigennützige Interessen leiten lassen; ein Beschluß ist nicht deshalb ungiltig, weil er eine rücksichtslose Ausnützung der Majoritätsrechte bedeutet oder auf willkürlichen und unvernünftigen Gründen beruht oder gegen das Interesse des Vereins verstößt 25 ; das folgt aus der herrschenden Stellung der Mitglieder, deren Mehrheitswille nur in der Satzung und in letzter Linie in dem ursprünglich festgestellten Zweck des Vereins eine Schranke findet. Der Beschluß der Versammlung ist gefaßt, sobald sich in der Abstimmung die erforderliche Mehrheit ergeben hat. Die Satzung kann vorschreiben, in welcher Weise die Beschlüsse zu beurkunden sind, § 58, Nr. 4. ζ. B. durch gerichtliches oder notarielles Protokoll 2 6 , durch Unterschrift einer Anzahl von Mitgliedern oder des Vorstandes 27. I I I . Die Mitgliederversammlung hat als oberstes Organ des Vereins alle Angelegenheiten zu ordnen, soweit sie nicht von anderen Vereinsorganen zu besorgen sind, § 32. Sie hat insbesondere: den Vorstand zu bestellen und die Bestellung zu widerrufen, § 27, Änderung der Satzung vorzunehmen, § 33, über die Auflösung des Vereins und das Schicksal des Vereinsvermögens in diesem Fall zu bestimmen, §§ 41, 45 II, und vor allem die Verwaltung des Vereins zu leiten. Die Vertretung des Vereins und die Geschäftsführung steht dem ausführenden Organ, dem Vorstand, zu, welcher dem Verein gegenüber nach § 27 I I I die Stellung eines Quasimandatars einnimmt. Die Funktionen des Auftraggebers versieht dem Vorstand gegenüber die Mitgliederversammlung; sie kann ihm durch ihre Beschlüsse Instruktionen erteilen, welche er zu befolgen hat; wenn der Vorstand ohne zwingenden Grund, § 665, gegen solche Anweisungen der Versammlung verstößt, so hat er einen für den Verein daraus entstehenden Schaden zu ersetzen; der Vorstand hat der Versammlung Rechenschaft über seine Geschäftsführung zu legen, 26

RG. 68, 235; vgl. aber RG. 68, 317: ein Beschluß kann gesetzwidrig sein, wenn die Mehrheit in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise zum Nachteil der Aktiengesellschaft oder der Minderheit handelt. 26 So HGB. § 259 für die Generalversammlung der Aktionäre; vgl. unt. Note 35. * 7 In letzterem Falle kann die Beurkundung kein Erfordernis der Gültigkeit des Beschlusses sein; sonst würde es vom Vorstand abhängen, ob ein Beschluß der Mitgliederversammlung zustande kommt.

Zweites Buch.

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Die Personen.

§ 666, und erhält von ihr die Entlastung, Déchargé 28. Die Satzung kann bestimmen, welche Maßregeln der Vorstand nicht vornehmen darf, ohne vorher die Versammlung zu befragen; gesetzlich ist er verpflichtet, die Versammlung in wichtigen Fällen zu berufen, § 36 ; außerdem kann ein Zehntel der Mitglieder die Berufung der Versammlung verlangen resp. erzwingen, § 37. Durch diese Mittel und in letzter Linie durch die Möglichkeit der Absetzung des Vorstandes kann die Versammlung die Verwaltung der Vereinsgeschäfte ihrem Willen gemäß gestalten und insbesondere den Vorstand veranlassen, die dazu nötigen Rechtsgeschäfte namens des Vereins zu schließen. Die Vertretung des Vereins steht aber nur dem Vorstand oder den Personen des § 30 zu, nicht der Versammlung, welche ihrer Struktur nach zum Handeln gegenüber Dritten nicht geeignet ist 2 9 . Beschließt die Versammlung ein Rechtsgeschäft mit einem Dritten, so bedeutet dieser Beschluß eine Weisung für den Vorstand und kann durch einen neuen Beschluß aufgehoben werden 29 a ; für den Dritten entstehen daraus keine Rechte, bis auf Grund des Beschlusses eine Willenserklärung des Vorstandes an ihn ergangen ist 8 0 . Die Vertretungsmacht des Vorstandes kann in der Satzung beschränkt sein, § 26 II, insbesondere dahin, daß gewisse Rechtsgeschäfte zu ihrer Giltigkeit der Zustimmung der Versammlung bedürfen. Daraus folgt aber nicht, daß für solche Rechtsgeschäfte 28

D e r n b u r g I I § 40; Oertmann § 259, 4; vgl. HGB. § 260. Planck § 32, 1; RG. 43, 286; Staub-Hachenburg, Ges. m. b. H. § 45 Anm. 6. Hellwig, ZivProz. § 116 Note 23. Bisweilen wird behauptet, daß die Mitgliederversammlung mit Personen, die zum Vorstand bestellt werden sollen, durch ihren Beschluß Vereinbarungen treffen könne, ohne sich eines Vertreters zu bedienen, RG. 63, 208; Staub, HGB. § 250 Anm. 5. Aber Beschluß der Versammlung und Zustimmung des Gewählten ist meines Erachtens kein Vertrag; soll ein Vertrag geschlossen werden, so muß das durch einen Vertreter geschehen; vgl. unt. § 37 Note 10. 29 a Α. Α. Oertmann § 31, 8, der einen Beschluß der Mitgliederversammlung über den Verkauf einer Sache als Offerte gelten läßt, welche von dem anwesenden Käufer sofort angenommen werden kann. Meines Erachtens muß erst auf Grund des Beschlusses eine Offerte durch den Vorstand gestellt werden. 80 RG. 64, 153. Wenn dagegen die Versammlung den Mitgliedern als solchen Rechte einräumt oder Pflichten auferlegt, z.B. Beiträge ausschreibt, so ist ein solcher Beschluß, weil er die inneren Angelegenheiten des Vereins ordnet, sofort wirksam; er bedarf keiner Mitteilung an die Mitglieder, auch nicht an die nichterschienenen. 29

§ 36. Die Mitgliederversammlung.

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die Vertretung des Vereins der Versammlung zusteht 81 . Man denke ζ. B. an die in Vereinssatzungen häufig vorkommende Bestimmung, daß der Vorstand nicht befugt sei, Grundstücke zu veräußern oder Prozesse zu führen. Meines Erachtens sind solche Klauseln so auszulegen, daß die Vertretungsmacht des Vorstandes in diesen Fällen durch einen zustimmenden Beschluß der Versammlung bedingt i s t 8 1 * . Die Beschlüsse der Versammlung müssen, um giltig zu sein, sich innerhalb der Schranken des Gesetzes und der Satzung halten 8 1 b . Auch eine zur Satzungsänderung genügende Majorität kann sich nicht über die Satzung hinwegsetzen82, sondern muß, wenn sie einen mit der Satzung unvereinbaren Beschluß fassen will, erst eine Satzungsänderung beschließen und in das Vereinsregister eintragen lassen, § 71, und kann dann erst den gewünschten Beschluß fassen 88. Ebenso wird ein satzungswidriger Beschluß nicht dadurch nachträglich giltig, daß die Satzung so geändert wird, daß der Beschluß jetzt giltig gefaßt werden könnte 88 a . Außer Gesetz und Satzung hat die Mitgliederversammlung noch eine, im Gesetz nicht ausgesprochene, aber aus der Natur des Vereins und aus dem Majoritätsprinzip sich notwendig ergebende Schranke : im Verein gilt, ähnlich wie im Staat, der Grundsatz der Rechtsgleichheit, soweit nicht im ursprünglichen Statut Abweichungen enthalten sind, denen sich die Gründer und die später beitretenden Mitglieder unterwerfen. Durch Satzungsänderung kann die prinzipielle Gleichberechtigung der Mitglieder nicht ohne Zustimmung der Benachteiligten, also in der Regel nur durch einstimmigen Beschluß, beeinträchtigt werden, 880 . Es 31

A. A. Oertmann § 26, 4a und § 32, 1. » Ist die Vertretungsmacht des Vorstandes in dieser Weise nicht beschränkt, so kommt für Dritte nur die Vertretungsmacht des Vorstandes, nicht der ihn zu einem Rechtsgeschäft anweisende Beschluß der Versammlung in Betracht: ist dieser Beschluß ungültig, so ist eine innerhalb der Vertretungsmacht vorgenommene Rechtshandlung des Vorstandes dennoch wirksam. 31 b Da der Zweck durch die Satzung bestimmt wird und nur einstimmig geändert werden kann, § 33, ist ein Mehrheitsbeschluß, der gegen den Zweck des Vereins verstößt, ungültig. 32 Oertmann § 32, 2d. 38 Selbst ein einstimmiger Beschluß ist, wenn er gegen die Satzung verstößt, nichtig. 88 a Der ungültige Beschluß kann nicht bestätigt, sondern nur von neuem gefaßt werden, § 141 I. 83 * Enneccerus § 105 I I I 2a; K ö h l e r § 173 I I I l c und d; K i s c h , GrünhutsZ. 29 , 337. 346. End e mann §45 Note 11 sucht den Schutz der 31

Handbuch X . 1. I :

v o n T u h r 1.

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kann keine Zurücksetzung einzelner Mitglieder oder ganzer Klassen von Mitgliedern durch Stimmenmehrheit beschlossen w e r d e n 8 8 0 ; ebenso aber auch keine Begünstigung einzelner Mitglieder, denn darin liegt eine Zurücksetzung der übrigen. Ganze Klassen von Mitgliedern können durch satzungsändernden Mehrheitsbeschluß nur dann besser gestellt werden, wenn jedem Mitglied die Möglichkeit gegeben wird, in diese Klasse einzutreten, ζ. B. durch einen erhöhten Beitrag 8 4 . Dagegen würde die Besserstellung einer nach willkürlichen Merkmalen abgegrenzten Mitgliedergruppe, ζ. B. aller Mitglieder, die für einen Beschluß gestimmt oder den X zum Vorstand gewählt haben, gegen das Prinzip der Rechtsgleichheit verstoßen und daher nichtig s e i n 3 4 a . I V . Der Beschluß der Mitgliederversammlung ist ein Zusammenwirken mehrerer inhaltlich übereinstimmender Willenserklärungen, also ein mehrseitiges Rechtsgeschäft 36 , aber kein Vertrag; denn Minorität gegen Satzungsänderungen in den §§ 138, 226. Diese Schranken scheinen mir zu vag und sind angesichts der prinzipiellen Zulässigkeit des eigennützigen Handelns bei der Abstimmung, vgl. ob. Note 25, schwer festzustellen. Noch unbestimmter ist die Lehre von Dernburg § 69 VII: Statutenänderungen sollen insoweit unzulässig sein, als sie nicht mit Rücksicht auf geänderte Lebensverhältnisse oder zur Verbesserung der Einrichtungen nötig oder wünschenswert sind. Da über die Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit einer Maßregel stets zwei Meinungen bestehen können, so könnte jede Statutenänderung der gerichtlichen Nachprüfung unterzogen werden; damit wäre die Selbstverwaltung der Vereine so gut wie vernichtet. 88 c Aus diesem Grunde wäre ungültig die von Dernburg § 69 bei Note 20 als Beispiel angeführte Satzungsänderung des Inhaltes, daß die einer bestimmten Konfession angehörenden Mitglieder des Vereins in ihren Rechten zurückgesetzt werden sollen. Ist eine Beschränkung der Mitgliedschaftsrechte durch die Verhältnisse geboten und kann sie nicht gleichmäßig für alle Mitglieder durchgeführt weiden, so kann durch Satzungsänderung bestimmt werden, daß 'das Los entscheiden soll; darin liegt kein Verstoß gegen das Prinzip der Gleichstellung der Mitglieder. 84 Vgl. die Vorzugsaktien, welche unter dieser Voraussetzung geschaffen werden können, Staub, HGB. § 185 Anm. 2, obgleich man strenggenommen auch schon dieses Verfahren als Eingriff in die Gleichberechtigung der Mitglieder bezeichnen könnte, La band in DJZ. 1902, 229. 84a Für die Zulässigkeit einer Satzungsänderung, durch welche eine Klasse von Mitgliedern bevorzugt oder zurückgesetzt wird, L e i s t , Vereinsrecht 94, und Oertmann § 35. 4a. 86 In bezug auf die in § 259 HGB. vorgeschriebene gerichtliche oder notarielle Beurkundung wird der Bescbluß der Generalversammlung nicht als Rechtsgeschäft, sondern als tatsächlicher \Torgang aufgefaßt und daraus die Konsequenz gezogen, daß für die Beurkundung nicht das GFG. § 167fg.,

g 36. Die Mitgliederversammlung.

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an Stelle des zum .Vertragsbegriff notwendigen Konsenses entscheidet, beim Beschluß in der Regel die Majorität; auch werden die Erklärungen der Abstimmenden nicht wie beim Vertrag ausgetauscht, sondern sämtlich, parallel, an den Leiter der Versammlung abgegeben ; die Abstimmung eines Mitgliedes braucht nicht zur Kenntnis der anderen zu kommen (geheime Abstimmung); auch das Resultat der Abstimmung wird zwar in der Regel verkündigt, braucht aber zur Wirksamkeit des Beschlusses nicht zur Kenntnis aller Mitglieder zu kommen, ζ. B. der Mitglieder, die sich vor Schluß der Versammlung entfernt haben. Durch diese Eigentümlichkeiten seines Tatbestandes nimmt der Beschluß unter den Rechtsgeschäften eine eigenartige Stellung ein 8 6 . Er wird bisweilen mit dem Gründungsakt und den gemeinsamen Rechtsgeschäften zu einer Gruppe zusammengefaßt und als Gesamtakt bezeichnet. Der Gründungsakt ist aber, wie ob. § 34 I dargelegt, zu den Verträgen zu rechnen, weil er Austausch der Erklärungen und Konsens erfordert. Mit den gemeinsamen Rechtsgeschäften hat der Beschluß nur eine äußere Ähnlichkeit, insofern er, wie das gemeinsame Handeln, aus mehreren parallelen Erklärungen besteht; dagegen ist beim gemeinsamen Rechtsgeschäft (ζ. B. bei Verfügungen von Miteigentümern über die ganze Sache, § 747, 2) der Erfolg nur dann erreicht, wenn alle Erklärungen vorliegen, während beim Beschluß in der Regel der Wille der Mehrheit ausreicht; ferner hat das gemeinsame Handeln keinen spezifischen Inhalt, sondern kann bei Rechtsgeschäften jeder Art vorkommen; eine Kündigung, die von zwei beteiligten Personen ausgeht, bleibt Kündigung, eine Vertragsofferte, die von zwei Personen gemeinsam gestellt wird, bleibt Offerte. Dagegen ist der Beschluß ein Rechtsgeschäft von eigenartiger Bedeutung und Wirkung: durch den Beschluß wird, wenn er eine Wahl ist, das ausführende Organ des Vereins geschaffen; wenn er ein Verwaltungsbeschluß ist, ein Imperativ, ausgestellt, welcher als Wille sondern ausschließlich HGB. § 259 zur Anwendung kommt, Staub, HGB. § 259 Anm. 2, Dernburg § 137 I. Dieses Resultat ergibt sich meines Erachtens nicht aus der juristischen Natur des Beschlusses, sondern aus der speziellen Vorschrift des § 259 HGB. Wenn in der Satzung eines Vereins gerichtliche oder notarielle Beurkundung der Beschlüsse vorgesehen ist, so muß, da es sich um Rechtsgeschäfte handelt, GFG. § 167 fg. sinngemäße Anwendung finden. 36 Oertmann, Bern, l a vor § 145: Bierinann § 45, 5a: vgl. ob. § 34 Note 5. 33*

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des Vereins gilt und von den Mitgliedern sowie den ausführenden Orgauen zu befolgen i s t 8 7 . Beim Beschluß gelten für die Abstimmung eines jeden Mitglieds die allgemeinen Vorschriften über Willenserklärungen. Daher ist die Abstimmung eines geschäftsunfähigen Mitglieds ungiltig. Dagegen schadet Beschränkung der Geschäftsfähigkeit nicht 88 . Prinzipiell kommen auch die Willensmängel in Betracht 89 , doch ist dabei zu beachten, daß die Regeln des BGB. über Willensmängel auf Verträge und einseitige Rechtsgeschäfte, nicht dagegen auf Vereinsbeschlüsse berechnet sind. Daher erscheint bei der Eigenart des Vereinsbeschlusses zweifelhaft die Anwendung des von der Simulation handelnden § 117: da die Erklärung des Abstimmenden gegenüber dem Leiter der Versammlung abzugeben ist, so kann sie jedenfalls nur dann nichtig sein, wenn sie mit Einverständnis des Vorsitzenden zum Schein abgegeben wird ; aber die Abstimmung des einen Mitglieds ist nur ein Stück des Rechtsgeschäftes, an dem die übrigen Abstimmenden mitbeteiligt sind; man wird daher sagen dürfen, daß die Simulation nur dann in Betracht kommt, wenn sie mit Einverständnis aller abstimmenden Mitglieder vorgenommen ist. Irrtum berechtigt zur Anfechtung der Stimmabgabe nach § 119, wenn das Mitglied eine Erklärung abgegeben hat, die es nicht abgeben wollte, ζ. B. mit Ja statt mit Nein abgestimmt hat, oder wenn das Mitglied den Wortlaut des Antrags falsch verstanden hat. Ebenso kann ein Mitglied seine Erklärung anfechten wegen Drohung oder wegen Täuschung, in letzterem Fall aber nur dann, wenn die Täuschung vom Leiter der Versammlung ausging oder ihm bekannt war. Die Anfechtung er87 Mehrheitsbeschlüsse kommen nicht bloß bei juristischen Personen vor, sondern auch bei der Verwaltung gemeinsamer Vermögensmassen : Gesellschaft, Erbengemeinschaft, Gemeinschaft nach Bruchteilen. Auch hier ist der Beschluß, daß etwas zu geschehen habe, ζ. B. daß das gemeinsame Haus zu veräußern sei, § 745, zu unterscheiden von der Ausführung dieses Beschlusses durch gemeinsames Handeln, § 747, 2, oder durch Bestellung eines gemeinsamen Vertreters. 38 § 165 kommt nicht in Betracht; denn das Mitglied ist nicht Vertreter des Vereins, sondern übt bei der Abstimmung sein eigenes Recht aus. Aber man kann annehmen, daß in der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters zum Eintritt in den Verein die Ermächtigung zur Ausübung des Stimmrechtes enthalten ist, OLG. 15,324; Enneccerus § 104 Note 2. 89 Vgl. Staub-Hachenburg, Ges. m. b. H. §45 Anm. 8; a. A. Köhler § 137 III.

§ 36. Die Mitgliederversammlung.

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folgt arg. § 143 gegenüber dem Verein 40 . Die Wirksamkeit des Beschlusses wird durch die Ungiltigkeit der Abstimmung eines Mitgliedes nur dann betroffen, wenn seine Stimme für die erforderliche Majorität nötig war. V. Welche Rechtsmittel stehen dem Mitglied zu Gebot, um sich eines gegen Gesetz oder Satzung verstoßenden und deshalb ungiltigen Beschlusses zu erwehren? HGB. § 271 fg. hat bei der Aktiengesellschaft die Ungiltigkeit des Beschlusses der Generalversammlung als Anfechtbarkeit ausgestaltet und von gewissen Voraussetzungen abhängig gemacht; die Anfechtung erfolgt durch Klage innerhalb eines Monats; die Klage steht nur solchen Mitgliedern zu, welche gegen den Beschluß protestiert haben ; es kann Sicherheitsleistung angeordnet werden für den Schaden, den die Aktiengesellschaft durch eine unbegründete Anfechtung erleidet. Durch diese Vorschriften werden die Beschlüsse der Generalversammlung gegen grundlose und verspätete Bestreitung gesichert, was für die ruhige Entwicklung der Aktiengesellschaft von großem Vorteil ist. Dieselben Bestimmungen gelten nach § 51 des Gesetzes über eingetragene Genossenschaften und werden, ohne Anhalt im Gesetz, von der Praxis bei der Gesellschaft mit b. H. analog angewendet41. Für den Vèrein wurde in der 2. Kommission ein Antrag auf Einführung ähnlicher Bestimmungen abgelehnt. Man kann die Vorschriften des HGB. über die Anfechtung von Beschlüssen wegen ihrer positiven Natur nicht auf die Vereine übertragen 42 und muß daher ungiltige Beschlüsse der Mitgliederversammlung als nichtig betrachten. Daraus folgt, daß der Vorstand sie nicht ausführen darf und sich ersatzpflichtig macht, wenn dem Verein aus der Ausführung ein Schaden erwächst 42 a : daß der Registerrichter keine auf ungiltigem Beschluß beruhende Eintragung (z. B. einer nicht mit der nötigen Majorität beschlossenen Satzungsänderung) vornehmen darf; daß Mitglieder und Dritte solche Beschlüsse ignorieren dürfen, z. B. braucht ein Mitglied einen Beitrag, der durch ungiltigen Beschluß festgestellt ist, nicht zu zahlen; ein Dritter kann, wenn ein ungiltig bestellter Vorstand namens des Vereins gegen ihn klagt, dessen Vertretungsmacht bestreiten. 40

Biermann § 138, 4. Staub-Hachenburg, Kommentar zu § 45 Anm. 11 fg. 42 So die herrschende Meinung; vgl. Planck § 32, 4; Oertmann § 32, 3c; Biermann § 138, 4; Enneccerus § 104, 3. 48 » Allerdings kann die Mitgliederversammlung mit derselben Mehrheit, die den ungültigen Beschluß gefaßt hat, dem Vorstand Entlastung erteilen. 41

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Die Personen.

Aus dem Wesen der Nichtigkeit ergibt sich, daß es keine Klage auf Aufhebung des nichtigen Beschlusses gibt 4 8 . Dagegen ist Feststellungsklage, ZPO. § 256, am Platz: jeder Beschluß modifiziert den Rechtszustand des Vereins, und dadurch dessen Rechtsverhältnis zu den Mitgliedern; das rechtliche Interesse ist dann gegeben, wenn der ungiltige Beschluß von den Vereinsorganen als giltig behandelt wird. Die Klage ist zu richten gegen den Verein, vertreten durch den Vorstand; will der Vorstand selbst die Klage erheben, so wird arg. § 29 ein provisorischer Vorstand bestellt werden 48 a . Während im Recht der Aktiengesellschaft nach HGB. § 273 I ein Urteil, welches den Beschluß einer Generalversammlung für nichtig erklärt, für und wider alle Aktionäre wirkt, soll das Urteil in der Feststellungsklage nach herrschender Meinung nur unter den Parteien wirken. Man kann meines Erachtens der herrschenden Lehre den Vorwurf nicht ersparen, daß sie es unterlassen hat, die Konsequenzen ihres Grundsatzes sich zu vergegenwärtigen. Nehmen wir ζ. B. an, daß beschlossen ist, 100 Mk. aus der Vereinskasse zu einem Statuten widrigen Zweck zu verwenden. Das Mitglied A klagt auf Feststellung der Ungiltigkeit dieses Beschlusses. Das Urteil soll aber nur für A, nicht für andere Mitglieder, insbesondere nicht für die Mitglieder der Majorität, wirksam sein. Soll nun der Vorstand die 100 Mk., wie beschlossen, auszahlen, oder nicht? oder nur einen Teil? und welchen? Oder: es ist X statutenwidrig zum Vorstand gewählt worden ; das Mitglied A läßt vom Gericht feststellen, daß die Wahl ungiltig ist ; wenn das Urteil nur für A wirken soll, so ist X im Verhältnis zu A nicht Vorstand, wohl aber im Verhältnis zu den übrigen Mitgliedern; da nun A in der Minorität ist und daher keinen Vorstand für den Verein wählen kann, so käme er in die sonderbare Lage, Mitglied eines Vereins zu sein, der ihm gegenüber keinen Vorstand hat 4 4 . An diesen und ähnlichen Konsequenzen zeigt sich meines Erachtens die Unhaltbarkeit der herrschenden Lehre. Man scheint nicht 43 Unrichtig, weil widerspruchsvoll, SeuffA. 55, 193: die Nichtigkeit des Beschlusses kann durch Klage auf Aufhebung desselben geltend gemacht werden. 43 a In dringenden Fällen kann eine einstweilige Verfügung ergehen. 44 Ferner: soll der Registerrichter den X als Vorstand eintragen, § 67, wenn ihm ein von einem Mitglied erwirktes Urteil vorliegt, nach welchem die Wahl des X ungültig ist? oder soll er eintragen, daß X Vorstand des Vereins ist, aber nicht im Verhältnis zu dem einen Mitglied?

§ 36. Die Mitgliederversammlug.

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daran zu denken, daß die Frage der Giltigkeit oder Ungiltigkeit eines Vereinsbeschlusses so beschaffen ist, daß sie nur einheitlieh für alle Mitglieder entschieden werden kann 4 5 ; ein Beschluß kann nicht für ein Mitglied gelten, für die anderen nicht, denn er gilt überhaupt nicht für die einzelnen Mitglieder, sondern zunächst für den Verein und erst infolge dessen auch für sämtliche Mitglieder. Wenn nun, wie nicht bezweifelt wird, ein Mitglied die Befugnis hat, die Ungiltigkeit eines Beschlusses feststellen zu lassen, so muß dies Urteil gegenüber dem Verein und infolge dessen mit Rechtsnotwendigkeit gegenüber allen Mitgliedern gelten 46 . HGB. § 273 I 1 ist daher nicht, wie die sonstigen Vorschriften über die Anfechtungsklage (ζ. B. die kurze Frist) eine Singularität des Aktienrechts, sondern eine notwendige Konsequenz aus der Struktur des Vereins und muß daher auch für die im übrigen den allgemeinen Vorschriften unterstehende Feststen ungsklage gelten. Ich zweifle nicht daran, daß die Gerichte, sobald ihnen ein solcher Fall vorliegen wird 4 7 , zu dieser Entscheidung kommen werden, weil nur auf diesem Wege ein vernünftiges Resultat erreicht werden kann; hat, im ersten Beispiel, A feststellen lassen, daß die beschlossene Auszahlung satzungswidrig ist, so muß sie unterbleiben; hat A feststellen lassen, daß X nicht giltig zum Vorstand bestellt ist, so hat der Registerrichter die Eintragung des X zu unterlassen, resp. zu streichen, GFG. § 159, 142 ; der Verein hat einen neuen Vorstand zu wählen; kommt die Wahl nicht zustande, so gilt § 29 4 8 . Das Urteil, welches die Ungiltigkeit eines Beschlusses ausspricht, gilt nur für die Mitglieder, denn nur ihnen gegenüber ist eine einheitliche Entscheidung durch ihr Verhältnis zum Verein 45

Ähnlich wie die Frage, ob ein Gläubiger an der Konkursmasse partizipieren kann; wird im Prozeß des Anmeldenden mit einem Konkursgläubiger festgestellt, daß dies nicht der Fall ist, so wirkt das Urteil für alle Konkursgläubiger, KO. § 147, und zwar kraft logischer Notwendigkeit, vgl. Jäger, KO. § 146, Anm. 9; RG. 58, 375; Wach, Zur Lehre von der Rechtskraft 18; H e l l w i g , Wesen der Rechtskraft 26. 46 Kisch in GrünhutsZ. 29, 337. 47 Man scheint bisher immer nur an ungültige Beschlüsse zu denken, durch die ein Mitglied zu Unrecht ausgeschlossen oder in einem Sonderrecht beeinträchtigt wird. \Vird die Nichtigkeit eines solchen Beschlusses konstatiert, so ist das Urteil, wie der Beschluß selbst infolge seines Inhalts, nur für den Kläger von Bedeutung. 48 Anders, vom Standpunkt der herrschenden Meinung aus, Planck § 67, 2.

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notwendig. Hat dagegen ein Dritter, ζ. B. ein Schuldner des Vereins, die Vertretungsmacht des Vorstandes mit Erfolg bestritten, so ist anderen Schuldnern des Vereins gegenüber nicht festgestellt, daß X nicht Vorstand i-g Wird die Klage eines Mitglieds, welches die Ungiltigkeit eines Beschlusses behauptet, abgewiesen, so hindert dieses Urteil weder nach HGB. § 273, noch nach der Beschaffenheit des Vereinsverhältnisses andere Mitglieder, auf Feststellung der Ungiltigkeit zu klagen, und zwar selbst dann, wenn der Vorstand widerklagsweise die Giltigkeit des Beschlusses hat feststellen lassen49. Denn jedes Mitglied hat ein Recht, die Ungiltigkeit eines Beschlusses zu behaupten, und dieses Recht kann ihm dadurch nicht genommen werden, daß ein anderes Mitglied bereits den vergeblichen Versuch gemacht hat, die Ungiltigkeit feststellen zu lassen50. § 37. Der Vorstand*. I. Das ausführende Organ des Vereins ist der Vorstand, § 26. Er besteht aus einer oder mehreren Personen die meist Mitglieder des Vereins sind, aber es nicht zu sein brauchen. Eine geschäftsunfähige Person kann nicht Vorstand sein, weil sie die Funktionen des Vorstands, Abgabe und Entgegennahme von Willenserklärungen nicht ausüben kann. Dagegen ist beschränkte Geschäftsfähigkeit kein Hindernis, arg. § 1652. Die Bestellung des Vorstands erfolgt durch Beschluß der Mitgliederversammlung, § 27 I. Das Statut kann einen anderen Modus feststellen ζ. B. Wahl durch den Aufsichtsrat oder Kooptation durch die bisherigen Mitglieder des Vorstands. Auch kann in der Satzung die Ernennung des Vorstandes einer dritten Person überlassen sein ζ. B. einer Behörde. Endlich kann in der Satzung eine 40

Auch hier trifft die Analogie der Bestreitling einer zum Konkurs angemeldeten Forderung zu: überwindet der Anmeldende einen Opponenten, so ist der Widerspruch anderer Konkursgläubiger damit nicht beseitigt, Jäger, KO. § 146 Anm. 9, § 147 Anm. 1. 50 Man denke auch an die Möglichkeit, daß die Feetstellungsklage des erstklagenden Mitgliedes infolge von schlechter Prozeßführung oder Kollusion mit dem Vorstand abgewiesen wird. * Gierke §65; Enneccerus §§ 102, 103; Kohler § 161; Biermann § 137. 1 Eine Maximalzahl der Mitglieder des Vorstandes ist nicht aufgestellt. Die Satzung kann daher auch bestimmen, daß sämtliche Mitglieder des Vereins den Vorstand bilden sollen, wodurch der Mitgliederversammlung zugleich die Funktionen des ausführenden Organs zukommen würden. Planck §62, 1. 2 Oertmann § 27, 2b.

§ 37. Der Vorstand.

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bestimmte Person ζ. B. einer der Gründer, als Vorstand bestellt sein, oder es kann bestimmt sein, daß der Inhaber einer gewissen Stellung ζ. B. der jeweilige Direktor einer Bank Vorstand sein solle 8 . Die Wahl des Vorstandes durch die Mitgliederversammlung ist ein internes Rechtsgeschäft, durch welches sich der Verein ein Organ schafft 4. Der Beschluß wird, wie die übrigen Beschlüsse der Versammlung, für den Verein und dessen Mitglieder wirksam in dem Momente, in welchem er zustande kommt, resp. im Moment der Beurkundung, wenn eine solche in der Satzung für die Gültigkeit der Beschlüsse vorgeschrieben ist 6 . Eine Mitteilung des Beschlusses an den Gewählten ist meines Erachtens zur Wirksamkeit der Wahl nicht erforderlich 6: ist X gewählt, so kann ihm die Stellung als Vorstand nicht dadurch vorenthalten werden, daß die Versammlung beschließt, ihm die Wahl nicht mitzuteilen oder daß der Leiter der Versammlung diese Mitteilung unterläflt. Zustimmung des Gewählten ist meines Erachtens nicht erforderlich zur Begründung der Vertretungsmacht des Vorstands 7 , wohl aber zur Entstehung der ihm obliegenden Pflichten außer wenn in der Satzung den Mitgliedern zur Pflicht gemacht ist, die ihnen durch Wahl zufallenden Vereinsämter zu verwalten 8. Die Zustimmung des Gewählten kann in der Versammlung erklärt werden, oder auch an ein dazu bestimmtes Organ des Vereins (Aufsichtsrat, bisheriger Vorstand); sie kann auch stillschweigend durch Übernahme der Geschäfte geäußert werden. Der Beschluß der Versammlung und die Zustimmung des Gewählten dürfen meines Erachtens nicht zusammen als Tatbestand eines Vertrags aufgefaßt werden9 ; denn der Wahlbeschluß ist ein internes Rechtsgeschäft des Vereins und bedarf zu seiner Wirksamkeit keiner an den Gewählten gerichteten Erklärung. Dagegen kann der Verein 8

Planck § 27, 4; a. A. K ö h l e r § 161V. Die Wahl ist kein Rechtsgeschäft des Vereins mit dem zu wählenden; daher findet § 34 keine Anwendung. Vgl. ob. § 36 Note 21. 8 Vgl. ob. § 36 Note 26. 6 Der Vorstand ist Vertreter des Vereins, aber seine Bestellung ist nicht Erteilung einer Vollmacht, sondern ein dem Vereinsrecht eigentümlicher Rechts« akt, und erfolgt daher nicht durch empfangsbedürftige Erklärung. 7 Insbesondere nicht für seine Legitimation zur Entgegennahme von Erklärungen Dritter an den Verein; a. A. Planck § 27, 5; H o l d e r , zu § 27; Enneccerus § 102 Note 9; Biermann § 137 Note 4. 8 Oertmann § 26, 4b. 9 Dernburg §77 Note 5 erklärt die Bestellung des Vorstandes für einen Vertrag. 4

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Die Personen.

mit dem Vorstand oder einer als Vorstand in Aussicht genommenen Person einen Vertrag schließen, in welchem der Vorstand dem Verein gegenüber besondere, über das gesetzliche Maß hinausgehende, Pflichten übernimmt oder sich Rechte, insbesondere eine Vergütung, ausbedingt, die ihm nach der Satzung nicht zustehen; ein solcher Vertrag muß, wie alle Verträge des Vereins, durch einen Vertreter (bisherigen Vorstand oder SpezialVertreter des § 30) auf Grund seiner Kompetenz oder eines besonderen Beschlusses der Versammlung geschlossen werden 10 und besteht, wie alle Verträge, aus zwei empfangsbedürftigen Erklärungen. Der Vorstand ist, wie die Mitgliederversammlung, ein notwendiges Organ des Vereins; der Verein muß einen Vorstand haben, § 26, d. h. die Satzung kann nicht bestimmen, daß es keinen Vorstand geben sollte : dadurch wäre dem Verein die Möglichkeit genommen, sich nach außen zu betätigen und Dritte könnten weder Rechtsgeschäfte gegenüber dem Verein vornehmen, noch Klage gegen ihn erheben. Es kann aber vorkommen, daß ein Vorstand oder die nach der Satzung erforderliche Zahl von Vorstandsmitgliedern zeitweise fehlt (ζ. B. durch Tod, Widerruf oder Kündigung) u , oder durch tatsächliche oder rechtliche Gründe am Tätigwerden für den Verein verhindert ist 1 ^. Für solche Fälle gibt das Gesetz in § 29 eine Hilfe : das Amtsgericht bestellt in dringenden Fällen auf Antrag eines Beteiligten (Vorstandsmitglied, Vereinsmitglied, Dritter, der mit dem Verein ein Geschäft vornehmen will) einen Vorstand für die Zeit bis zur Hebung des Mangels d. h. bis die Bestellung eines Vorstands durch die Mitgliederversammlung oder in sonstiger statutenmäßiger Weise erfolgt 18 . Die Bestellung wird nach GFG. § 16 wirksam durch Zustellung den Verfügung an die zum Vorstand ernannte Person 14. 10

Vgl. oh. § 36 Note 29. Oder dadurch, daß die Wahl eines Vorstandes am Mangel einer absoluten Majorität gescheitert ist, vgl. ob. § 36 Note 17. 12 Planck und Oertmann wollen §29 auch dann anwenden, wenn der Vorstand sich weigert, seine Funktionen auszuüben. Meines Erachtens ist hier Widerruf des Vorstandes am Platz ; die dazu nötige Mitgliederversammlung kann iiach § 37 erzwungen werden. 18 Nach Planck und Oertmann soll der provisorische Vorstand so lange fungieren, bis er durch eine Verfügung des Amtsgerichts entlassen wird; meines Erachtens ist die Ernennung eines Vorstandes nach § 29 ipso iure mit Endtermin ausgestattet. u Eine Pflicht zur Übernahme der Vorstandsstellung besteht meines Erachtens nicht; die Analogie der Vormundschaft, § 1785, und Pflegschaft, § 1915, trifft nicht zu. 11

§ 37.

Der Vorstand.

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II. Innerhalb der Rechtsstellung des Vorstands zum Verein unterscheidet man zwei Gebiete ; die Geschäftsführung und die Vertretung 15 . Auf die Geschäftsführung sollen nach § 27 I I I die für den Auftrag geltenden Vorschriften der §§ 664/70 entsprechende Anwendung finden: Der Vorstand hat die ihm obliegenden Geschäfte selbst zu besorgen, § 664; für Gehilfen haftet er nach § 278. Zur Substitution ist er nicht befugt, wenn nicht die Satzung oder ein Beschluß der Mitgliederversammlung ihm gestattet oder dringende Umstände ihn zwingen, ein Geschäft des Vereins einer anderen Person zu übertragen 1 6 . War die Substitution gestattet, ζ. B. die Bevollmächtigung eines Anwalts mit der Führung eines Prozesses, so hat der Vorstand nur ein ihm bei der Substitution zur Last fallendes Verschulden zu vertreten. Der Vorstand kann, wie ein Beauftragter, von den ihm erteilten Weisungen nur aus besonderen Gründen und in dringenden Fällen abweichen, § 665. Die Weisungen werden von der Mitgliederversammlung oder einem sonstigen dazu bestimmten Vereinsorgan ζ. B. dem Aufsichtsrat erteilt 17 . Diese Organe sind selbst an Gesetz und Satzung gebunden. Weisungen, welche dagegen verstoßen, sind ungültig und daher vom Vorstand nicht zu befolgen; tut er es doch, so macht er sich dem Verein gegenüber haftbar 18 . Diese 16

Vgl. ob. § 32 Note 40, 41. Soweit die Geschäftsführung des Vorstandes reicht, kann er auch in eigenem Namen über solche Gegenstände des Vereins verfügen, bei denen eine Verfügung auf Grund interner Einwilligung, § 185 I, möglich ist (Mobilien). Aus den Befugnissen der Geschäftsführung, Vertretung und Verfügung setzt sich die Verwaltungsmacht des Vorstandes zusammen, vgl. ob. S 166. Seine Rechtsstellung ist, abgesehen von der Eigenartigkeit ihrer Begründung, nicht wesentlich verschieden von der eines Vormundes oder sonstigen Vermögensverwalters. Es liegt kein Grund vor, sie als „Statusrecht" oder „Persönlichkeitsrecht" zu bezeichnen oder als „qualifizierte Gliedpersönlichkeit", Oertmann, Bern. 7 vor § 21. Letztere Bezeichnung ist schon deswegen unrichtig, weil der Vorstand nicht Mitglied zu sein braucht. 16 Der Substitut wird namens des Vereins vom Vorstand beauftragt und steht daher zum Verein in einem Mandatsverhältnis, während der Gehilfe, im Gegensatz zum Substituten, zum Vorstand in einem Dienst- oder Auftragsverhältnis steht. Die herrschende Meinung, Planck § 664, la, die diesen Unterschied nicht macht, hat meines Erachtens kein zutreffendes Kriterium zur Unterscheidung von Substitut und Gehilfen. 17 Vgl. ob. S. 511. 18 Nach Staub, HGB. § 241 Anm. 4 und Ges. m. b. H. § 43 Anm. 5, soll der Vorstand, der einen statutenwidrigen Beschluß der Mitgliederversammlung ausführt, nur dann haften, wenn er diesen Beschluß dolos veranlaßt hat; es

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Haftung kann aber dadurch beseitigt werden, daß die Versammlung dem Vorstand Entlastung erteilt 1 9 . Auch in bezug auf Auskunftspflicht und Rechenschaft, § 666 ; hat dem Vorstand gegenüber die Mitgliederversammlung resp. ein anderes damit betrautes Organ die Stellung des Auftraggebers. Der Vorstand hat Geld, welches er für sich verwendet, zu verzinsen, § 668. Er braucht die Ausgaben des Vereins nicht aus eigenen Mitteln zu bestreiten. Einen Anspruch auf Vorschuß, § 669, kann er nur dann erheben, wenn ein anderes mit der Kassenführung betrautes Vereinsorgan im Besitz von Vereinsmitteln ist. Jedenfalls kann aber der Vorstand, wenn ihm Vereinsmittel nicht zu Gebote stehen und von der Mitgliederversammlung nicht gewährt werden, die im Interesse des Vereins nötigen Maßregeln unterlassen, ohne sich haftbar zu machen. Macht der Vorstand Aufwendungen aus eigenen Mitteln, so hat er Regreß wie ein Beauftragter, § 670. Die Klage ist gegen einen SpezialVertreter, § 30, zu richten oder, wenn ein solcher nicht vorhanden ist, gegen den Nachfolger im Amt des Vorstandes. Einen Anspruch auf Vergütung seiner Dienste hat der Vorstand prinzipiell nicht. Es kann aber durch Statut oder Beschluß der Mitgliederversammlung eine Vergütung festgesetzt oder ihm durch Vertrag zugesichert sein. Der Vorstand ist Geschäftsführer des Vereins, nicht der Mitglieder; er hat die Interessen des Vereins zu wahren und haftet aus Fehlern der Geschäftsführung nur dem Verein, nicht den Mitgliedern 20 , auch nicht den Gläubigern des Vereins 21 . Auch der Regreß des Vorstandes, § 670, richtet sich gegen den Verein, nicht gegen die Mitglieder, auch nicht gegen die Mitglieder, welche für soll gegen Treu und Glauben verstoßen, wenn der Verein den Vorstand für die Ausführung seiner eigenen Beschlüsse haftbar machen wollte. Aber der Verein ist nicht identisch mit der Mitgliederversammlung, die den statutenwidrigen Beschluß gefaßt hat, und ist nur an solche Beschlüsse seines beratenden Organes gebunden, welche den Vorschriften des Gesetzes und der Satzung entsprechen, vgl. D e r n b u r g § 91 Note 9 (eingetr. Gen.). 19 Vgl. ob. § 36 Note 42 a. RG. 59, 50: zwischen dem Vorstand und den einzelnen Mitgliedern besteht kein Kontraktverhältnis (eingetr. Gen.) 21 Nur bei Verzögerung des Antrags auf Konkurseröffnung haftet der Vorstand den Gläubigern, § 42 II.

§ 37.

Der Vorstand.

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den Beschluß gestimmt haben, in dessen Ausführung der Vorstand die Aufwendungen gemacht hat. Streitig ist die besitzrechtliche Stellung des Vorstandes zu den im Besitz des Vereins befindlichen Sachen : ist er als Besitzdiener, § 855 22 , oder als unmittelbarer Besitzer, § 868 28 , zu betrachten? Der Unterschied kommt nicht zur Geltung, so lange der Vorstand im Amt ist; denn die Eigenmacht, welche dem Besitzer gegen den Besitzdiener zusteht, kann weder vom Verein selbst noch von einem anderen Vereinsorgan gegen den Vorstand geübt werden. Praktisch wird der Gegensatz der Meinungen, wenn der Vorstand abgesetzt und durch einen anderen ersetzt ist : kann der neue Vorstand Eigenmacht üben, oder ist er auf den Weg der Klage angewiesen? Meines Erachtens muß man unterscheiden : die Gegenstände, welche äußerlich als Vereinsvermögen erkennbar in den Händen des Vorstands sind (Vereinslokal und was sich darin befindet), sind im unmittelbaren Besitz des Vereins, so daß der Vorstand in dieser Beziehung Besitzdiener ist 2 4 . Dagegen sind Sachen, die der Vorstand in eigenem Gewahrsam hat (Vereinsvermögen, das er bei sich aufbewahrt) im unmittelbaren Besitz des Vorstands und im mittelbaren Besitz des Vereins. Zur Geschäftsführung des Vorstandes gehört es, dafür zu sorgen, daß die obligatorischen Verpflichtungen des Vereins gegenüber Dritten erfüllt werden 25 . Für Verschulden des Vorstandes 26 in dieser 22

Dernburg I I I § 15, 7; Endemann I I § 31 Note 21, § 38 Note 12; K i p p , Zus. I l g zu Windscheid §§ 148—155. 28 Planck § 854, 5. 24 Zweifelhaft gestaltet sich die Besitzlage, wenn der Vorstand nur aus wichtigem Grund abgesetzt werden kann, § 27 II, und er im Fall der Absetzung das Vorliegen eines wichtigen Grundes bestreitet. Hier wird man dem neuen Vorstand die Eigenmacht nicht erlauben. Ein Vorstand, dessen Stellung nicht unbedingt widerruflich ist, muß wie ein geschäftsführender Gesellschafter (Endemann I I § 31 Note 21) als unmittelbarer Besitzer gelten. 25 Das Gesetz, § 278, läßt den Schuldner für das Verschulden seiner gesetzlichen Vertreter, d. h. des Vaters, Vormundes, Vorstandes etc. haften. Aber der wahre Grund dieser Haftung liegt nicht darin, daß diese Personen gesetzliche Vertreter sind, d. h. Namens des Vermögenssubjektes Rechtsgeschäfte schließen, sondern in der ihnen gesetzlich zustehenden Vermögensverwaltung. Daher würde, wenn ein Mitglied des Vorstandes auf die Vertretung beschränkt und die Verwaltung ganz dem anderen überlassen wäre, der Verein nur für dieses letztere Mitglied haften; denn nur bei diesem Mitglied kann ein Verschulden in bezug auf die Erfüllung von Vereinsverpflichtungen vorliegen. Umgekehrt haftet die Ehefrau aus § 278 für das Verschulden des Ehemanns, der nicht ihr Vertreter ist, bei Erfüllung ihrer aus dem eingebrachten Gut zu

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Richtung haftet der Verein nach § 27 8 2 7 und hat Regreß gegen den Vorstand aus dem Quasimandatsverhältnis. Dieser Regreßanspruch hat Befreiung von der dem Verein aufgebürdeten Haftung zum Inhalt und kann vom Verein an den Gläubiger zediert resp. vom Gläubiger gepfändet werden 28 . Aus seiner Stellung erwachsen dem Vorstand außer seinen Verpflichtungen gegenüber dem Verein auch Verpflichtungen gegenüber dritten Personen: er ist bei Überschuldung des Vereins den Gläubigern desselben verpflichtet den Konkurs anzumelden28» und haftet ihnen für den, aus Verzögerung des Konkursantrags entstandenen Schaden, § 42. Der Vorstand ist ferner verpflichtet, gewisse Tatsachen (Änderung des Vorstands und erneute Bestellung eines Vorstandsmitglieds, § 67, Satzungsänderung, § 71, Auflösung des Vereins, § 74, Person der Liquidatoren, § 76) beim Amtsgericht zur Eintragung anzumelden sowie dem Amtsgericht auf Verlangeii ein Bescheinigung über die Zahl der Mitglieder einzureichen, § 72. Er kann zu diesen Handlungen durch Ordnungsstrafen angehalten werden, § 78. Es handelt sich hierbei nicht um Verpflichtungen des Vereins, die durch den Vorstand zu erfüllen sind, sondern um eigene Pflichten des Vorstandes 280 ; daher treffen die Folgen der Nichterfüllung nicht das Vereinsvermögen, sondern das eigene Vermögen des Vorstands 29 . I I I . Das zweite Gebiet der Tätigkeit des Vorstands ist die Vertretung: der Vorstand vertritt den Verein gerichtlich und aussergerichtlich ; er hat die Stellung eines gesetzlichen Vertreters, erfüllenden Verpflichtungen; nicht weil sie sich seiner zur Erfüllung dieser Verbindlichkeiten bedient, sondern weil ihm die Verwaltung des eingebrachten Gutes und damit die Sorge für die Befriedigung der Gläubiger gesetzlich überlassen ist. 2β Die Organtheorie, vgl. ob. § 32 Note 36 a, lässt den Verein bei Nichterfüllung seiner Verbindlichkeiten durch den Vorstand nicht aus § 278, sondern aus eigenem (meines Erachtens fiktivem) Verschulden haften, vgl. Oertmann § 81, 5 a. 27 Vgl. ob. § 4 VII. Durch Verschulden des ATorstandes verwirkt ferner der ' erein seine Rechte aus einer Versicherung, RG. 66, 181 ; vgl. ob. § 4 Note 31. 28 Eine direkte Haftung des Vorstands gegenüber dem Gläubiger entsteht nur dann, wenn die Nichterfüllung der Verbindlichkeit des Vereins zugleich ein Delikt gegen den Gläubiger enthält, ζ. B. Beschädigung oder Unterschlagung einer den* Verein anvertrauter Sache. 28 a Weitergehende Pflichten des Vorstandes gegenüber den Gläubigern statuiert HGB. § 241 bei der Aktiengesellschaft. 28 O L G . 20, 29. 29 Vgl. ob. § 4 Note 85,

§ 37.

Der Vorstand.

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§ 26 I I 8 0 ; es finden daher die Rechtssätze über die Stellvertretung auf den Vorstand Anwendung; er muß Namens des Vereins handeln, um Wirkungen für den Verein herbeizuführen, § 164 ; Erklärungen gegenüber dem Verein sind an den Vorstand zu richten; Willensmängel, Kennen und Kennenmüssen gewisser Umstände wird aus der Person des Vorstandes beurteilt, § 166 81 ; er kann nicht mit sich selbst kontrahieren, es sei denn, daß es sich ausschließlich um Erfüllung von Verbindlichkeiten handelt, § 181 : der Vorstand kann daher den ihm gebührenden Auslagenersatz aus der Vereinskasse entnehmen und in die Kasse einzahlen, was er dem Verein schuldet. Der Umfang der Vertretungsmacht des Vorstands ist im Gesetz nicht bestimmt. Soll man daraus schließen, daß er, wie der Vorstand einer Aktiengesellschaft 82, zu allen irgend möglichen Rechtsgeschäften befähigt ist? 8 8 . Es scheint mir dem Charakter des idealen Vereins besser zu entsprechen und den Bedürfnissen des Verkehrs zu genügen, wenn man die Vertretungsmacht des Vorstandes als durch den Zweck des Vereins beschränkt ansieht und Rechtsgeschäfte, welche für den Mitkontrahenten erkennbar außerhalb dieses Zweckes liegen, aus dem Gebiet der Vertretungsmacht ausschließt84. Dazu werden u. U. Schenkungen aus dem Vereinsvermögen gehören, wenn sie im Zweck des Vereines keinerlei Rechtfertigung finden 86. Eine Beschränkung der Vertretungsmacht (mit Wirkung gegen Dritte) kann durch die Satzung bewirkt werden, § 27 I I 2 8 e , und 30 Man könnte daran denken, den Vorstand zu den gewillkürten Vertretern zu zählen, weil er durch Wahl, d. h. durch Rechtsgeschäft bestellt wird. Aber die Wahl ist eine Willensäußerung nicht des Vereins, den der Vorstand zu vertreten hat, sondern der mit dem Verein nicht identischen Mitgliederversammlung, vgl. H e l l w i g , ZivProz. § 123 Note 9. Die Qualität eines gesetzlichen Vertreters ist besonders wichtig im Prozeß: der Vorstand hat den Parteieid zu leisten, ZPO. § 473, und kann dementsprechend nicht als Zeuge vernommen werden, H e l l w i g , ZivProz. c. § 125 IV 2. Der Vorstand kann nicht Schiedsrichter in einem Rechtsstreit des Vereins sein Gaupp-Stein, Bern. II. s. vor ZPO. § 1025. 31 RG. 65, 295. 82 HGB. § 235. 88 Planck § 26, 3. 84 Oertmann § 26, 4a. 86 Ein Schenkungsverbot, wie für den Vater und Vormund, § 1641, 1804, hat das Gesetz nicht aufgestellt. 86 Auch eine Erweiterung der Vertretungsmacht ζ. B. durch Gestattung des Kontrahierens mit sich selbst, RG. 68, 173, kann meines Erachtens nur durch die Satzung herbeigeführt werden.

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nur durch die Satzung 86 a , nicht durch Beschluß der Mitgliederversammlung. Solche Beschlüsse haben nur die Bedeutung von Instruktionen, welche das mandatsähnliche Verhältnis des Vereins zum Vorstand betreffen und nicht das rechtliche Können, sondern nur das Dürfen des Vorstandes beschränken 87. Die Beschränkung der Vertretungsmacht kann darin bestehen, daß gewisse Rechtsgeschäfte ζ. B. Erwerb oder Veräußerung von Grundstücken gänzlich verboten oder erschwert werden 87 a ; es kann in der Satzung bestimmt sein, daß Rechtsgeschäfte bestimmter Art nur dann gültig sind, wenn sie unter Beobachtung einer Form 8 8 (schriftlich oder notariell beurkundet) oder unter der Bedingung geschlossen werden, daß die Mitgliederversammlung ihre Zustimmung gibt. Die Vertretungsmacht des Vorstandes kann beschränkt, aber ihm nicht gänzlich entzogen werden; denn der Verein muß ein nach außen tätiges Organ haben. Ist dem Organ, welches die Satzung als Vorstand bezeichnet, die Vertretung entzogen und einer anderen Person ζ. B. einem Direktor übertragen, so ist, da nicht das Wort Vorstand sondern die Beschaffenheit der Rechtsstellung entscheidet, der sog. Direktor im Sinn des Gesetzes Vorstand und als solcher einzutragen, während dem als Vorstand bezeichneten Organ eine andere Funktion z.B. die eines Aufsichtsrats zukommt 89 . Aus Geschäften, die der Vorstand unter Überschreitung seiner Vertretungsmacht abschließt, haftet er dem Dritten nach § 179 40 . IV. Der Vorstand kann aus mehreren Personen bestehen, welche die Geschäfte des Vereins zu führen und ihn zu vertreten haben41. Wenn in der Satzung einem Mitglied des Vorstands (dem Vor3 6 ft Beschränkungen der Vertretungsmacht werden in das Vereinsregister eingetragen, § 64, 71. 87 Bei Kollusion des Dritten mit dem pflichtwidrig handelnden Vorstand ist der Verein durch §§ 826, 853 geschützt. 87 » Vgl. ob. § 12 Note 1. 38 RG. 64, 414. 39 Planck § 26, 4. 40 Liegt in der Überschreitung der Vertretungsmacht durch den Vorstand ein Delikt des Vorstandes gegen den Dritten (§ 826), so haftet der Verein nach § 31, aber nur auf das negative Interesse, da der Vertrag ungültig ist, Holder § 26, 4d. So ζ. B. wenn der Vorstand den Dritten arglistigerweise in den Glauben versetzt, dfcß eine nach der Satzung erforderliche vorhergehende Zustimmung der Mitgliederversammlung vorliegt Ein solcher Betrug ist meines Erächtens nicht weniger in Ausführung der dem Vorstand zustehenden Verrichtungen begangen, als etwa eine Sachbeschädigung bei Besorgung der zur Verwaltung gehörenden Geschäfte. A. A. Oertmann § 26, 4e. 41 Westmann in Leonhards Studien zur Erläuterung des bürgerl. Rechts ; B r o i c h er, ArchBürgR. 24, 192 fg.

§ 37. Der Vorstand.

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sitzenden) oder mehreren Mitgliedern die Vertretung unter Ausschluß der übrigen übertragen ist, so entsteht die Frage, ob die ausgeschlossenen Mitglieder noch als Vorstandsmitglieder im Sinn des Gesetzes gelten können, was für die passive Vertretung des Vereins, § 28 II, von Wichtigkeit ist. Meines Erachtens liegt der Kern der Vorstandsstellung nicht in der Geschäftsführung, an der auch die Mitgliederversammlung Teil hat, sondern in der Vertretung; ferner ist eine Satzungsbestimmung, durch welche einem Mitglied des „Vorstandes" die Vertretung entzogen wird, durch extensive Auslegung auch auf die passive Vertretung zu beziehen; daher möchte ich solchen Personen die Rechtsstellung des Vorstandes, auch im Sinn von § 28 II, absprechen42. Bei mehrgliedrigem Vorstand kann das Zusammenwirken der Mitglieder verschieden geordnet sein; es ist zu unterscheiden : die Geschäftsführung, die aktive Vertretung und die passive Vertretung ; für letztere enthält § 28 I I den zwingenden Satz (§ 40), daß die Abgabe von für den Verein bestimmten Willenserklärungen gegenüber einem Mitglied des Vorstands genügt 48 : dritte Personen sollen dadurch, daß der Vorstand aus mehreren, vielleicht aus vielen Personen besteht, nicht mit der Notwendigkeit mehrerer Erklärungen belästigt sein. In analoger Anwendung von § 28 I I wird man auch Mitteilungen von Tatsachen an ein Mitglied des Vorstandes genügen lassen und ebenso ein nicht durch Mitteilung hergestelltes Kennen oder Kennenmüssen Seitens eines Mitglieds des Vorstands dem Verein anrechnen 44. Die Satzung kann jedem Mitglied des Vorstandes einen Kreis von Angelegenheiten zur Geschäftsführung und Vertretung überlassen; in diesem Kreise kann das Mitglied selbständig handeln und den Verein vertreten. Aber auf die passive Vertretung hat die Teilung der Geschäftskreise keinen Einfluß; § 28 I I gewährt dem Dritten die Möglichkeit, seine Erklärungen an jedes Mitglied des Vorstandes zu richten ; man kann dem Dritten nicht zumuten, durch Auslegung der Satzung zu konstatieren, ob seine Erklärung in den Geschäftskreis des einen oder anderen Mitglieds gehört. 42

Vgl. ob. Note 39; Planck § 26, 4; A.A. Enneccerus § 102 Note 6; Oertmann § 26, 2c und die dort Zit. Wiedemann S. 366 fg. Es ist Sache des Registerrichters darauf einzuwirken, daß Organe, denen nach der Satzung keine Vertretungsmacht zusteht, in der Satzung nicht als Vorstand bezeichnet werden, weil dadurch Dritte irregeführt werden können. 43 Vgl. HGB. § 232, 13 (Aktiengesellschaft); ZPO. § 171 I I I (Zustellung). 44 Staub, HGB. § 115 Anm. 13. Handbuch X . 1. I : v o n T u h r I .

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Die Personen.

Die Satzung kann ferner anordnen, daß jedes Mitglied des Vorstandes in allen Vereinsangelegenheiten selbständig handeln und die Vertretung des Vereins allein ausüben kann. Man wird hier arg. HGB. § 115 und BGB. § 711 annehmen dürfen, daß jedes andere Mitglied des Vorstandes widersprechen darf und daß bei Widerspruch die Handlung zu unterbleiben hat. Auf die Vertretungsmacht kann meines Erachtens ein solcher Widerspruch nur dann einwirken, wenn er zur Kenntnis des Dritten kommt 45 . Endlich kann die Satzung bestimmen, daß eine bestimmte Anzahl von Mitgliedern oder alle bei der Geschäftsführung zusammenwirken müssen; dem entspricht nach außen die Kollektiv- oder Gesamtvertretung 4e. Subsidiär hat das Gesetz in § 28 I das Majoritätsprinzip aufgestellt 46 a . Es gelten dieselben Vorschriften, wie für den Beschluß der Mitgliederversammlung: bei der Berufung des Vorstandes ist der Gegenstand des Beschlusses zu bezeichnen: es entscheidet die Mehrheit der erschienenen Mitglieder 47 ; ein Mitglied kann nicht abstimmen, wenn es sich um ein Rechtsgeschäft oder einen Rechtsstreit mit ihm handelt 48 . Das Gesetz spricht in § 28 I von der 45 Bei der offenen Handelsgesellschaft wird die Vertretungsmacht durch den Widerspruch nicht entzogen, Staub, HGB. § 115 Anm. 5, bei der Gesellschaft des bürgerl. Rechts ist die Frage streitig: Staudinger § 711, 2b hält den Widerspruch für wirkungslos, Planck §714, 6 und Oertmann zu §711 wollen ihn auch dann wirken lassen, wenn er nicht nach außen erklärt ist. 46 Jedes Mitglied des Vorstandes hat eine Erklärung gleichen Inhaltes, wie die übrigen, an den Dritten abzugeben; Gleichzeitigkeit der Erklärungen ist nicht vorgeschrieben; auch brauchen die Erklärungen nicht persönlich abgegeben zu werden; daher können die Mitglieder des Vorstandes einen von ihnen ermächtigen, die Erklärung an den Dritten zugleich in ihrem Namen abzugeben (ausdrücklich zugelassen in HGB. § 232). Hat ein Mitglied des Vorstandes ohne diese Ermächtigung der übrigen, aber in ihrem Namen gehandelt, so können die übrigen genehmigen; hat er in eigenem Namen gehandelt, so können die übrigen ihre Erklärungen an den Dritten nachholen. 4β » Abweichende Bestimmungen der Satzung sind aus dem Vereinsregister ersichtlich, §§ 64, 71. 47 Daher kann, wie bei der Mitgliederversammlung, vgl. ob. § 36 Note 15, ein Mitglied, wenn es allein erschienen ist, entscheiden. Holder zu § 28; a. A. Dernburg § 77 Note 3. 48 Endemann § 44 Note 15 und Oertmann § 28, 1 meinen, daß § 34 als Bestandteil von § 28 I dispositiven Rechts sei (§ 40). Ich halte trotz der unrichtigen Redaktion des Gesetzes den Ausschluß des interessierten Mitgliedes bei deT Beschlußfassung des Vorstandes für ebenso zwingend, wie in der Mitgliederversammlung.

§ 37. Der Vorstand.

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Beschlußfassung, durch welche das, was in Vereinsangelegenheiten geschehen soll, dem Verein und dessen Organen gegenüber festgelegt wird. Soll das Mehrheitsprinzip auch für die Vertretung gelten? So die herrschende Meinung 49 im Anschluß an die in den Protokollen ausgesprochene Absicht der 2. Kommission50. Einige Autoren 61 wollen die Mehrheitsentscheidung auf die Beschlußfassung d. h. auf die Fragen der Geschäftsführung beschränken und verlangen bei der Vertretung Mitwirkung aller Mitglieder des Vorstandes (wie bei der Aktiengesellschaft nach HGB. § 232). Dagegen spricht meines Erachtens entscheidend der Umstand, daß statutarische Abweichungen von § 28 I nach § 64 in das Vereinsregister einzutragen sind ; würde es sich in § 28 nur um die innere Verwaltung des Vereins handeln, so wären Dritte an der Regelung dieser Frage nicht interessiert, die Eintragung wäre daher zwecklos. Anderseits ist die herrschende Meinung undurchführbar, wenn sie, wie es scheint, die Grundsätze des § 32 unterschiedslos auch auf die Vertretung durch einen mehrgliedrigen Vorstand anwendet: soll der dritte Kontrahent prüfen müssen, ob die Vorstandsmitglieder, die mit ihm kontrahieren wollen, die Mehrheit der in einer vorausgehenden Versammlung erschienenen Mitglieder darstellen und ob diese Versammlung ordnungsmäßig berufen war? Da die Vertretung des Vereins nicht durch den Beschluß einer Versammlung, sondern durch Willenserklärungen gegenüber Dritten erfolgt, so kann die nach § 28 I maßgebende Majorität nicht als Mehrheit der in einer Vorstandsversammlung erschienenen, sondern nur als Mehrheit der vorhandenen Mitglieder aufgefaßt werden: die zu einer solchen Mehrheit gehörende Anzahl von Mitgliedern kann und muß der Dritte aus dem Vereinsregister konstatieren 52. 49

Vgl. Oertmann § 28, 1, Bd. 1 S. 512, 513. 61 Broicher 218; Enneccerus § 102 Note 7. OLG. 10, 407 entscheidet die Frage nicht, sondern interpretiert die Satzung eines Vereins. 62 Besteht ζ. B. der Vorstand aus 5 Personen und wird in ordnungsmäßig berufener Versammlung, in welcher 3 Mitglieder erschienen sind, mit Majorität von 2 gegen 1 beschlossen, einen Vertrag zu schließen, so kann meines Erachtens die Offerte nicht von den 2 Mitgliedern, welche den Beschluß zustande brachten, gestellt werden, sondern nur von mindestens 3 Mitgliedern des Vorstandes. Es ist daher möglich, daß die Mehrheit, welche die Vornahme eines Rechtsgeschäftes beschließt, nicht imstande ist, den Beschluß ohne Mitwirkung eines weiteren (nichterschienenen oder überstimmten) Mitgliedes durchzuführen. Aber da der Beschluß für den Verein und seine Organe verbindlich ist, sind alle Mitglieder des Vorstandes, so lange der Beschluß nicht aufgehoben ist, verpflichtet, zu seiner Ausführung beizutragen. 60

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Gemeinsames Handeln der Vorstandsmitglieder verlangt das Gesetz, § 77, bei den Anmeldungen zum Vereinsregister 68. Dagegen genügt für die Konkurseröffnung über den Verein der Antrag eines Vorstandsmitglieds68 a . Dem \7erein gegenüber, haften mehrere Mitglieder des Vorstandes, wenn sie durch Fehler bei der Geschäftsführung Schaden gestiftet haben, als Gesamtschuldner64. V. Die Bestellung des Vorstandes kann auf Zeit erfolgen oder unter einer auflösenden Bedingung ζ. B. bis ein bestimmtes Mitglied sich bereit erklärt, das Amt des Vorstandes zu übernehmen. Abgesehen von solchen Endigungsgründen kann die Bestellung des Vorstandes jederzeit widerrufen werden, § 27 I I 5 6 . Durch die Satzung kann die Widerruflichkeit nicht ganz ausgeschlossen werden, sonst wäre der Verein der Willkür des Vorstandes preisgegeben; es kann aber der Widerruf auf den Fall beschränkt werden, daß ein wichtiger Grund, insbesondere grobe Pflichtverletzung oder Unfähigkeit zu ordnungsmäßiger Geschäftsführung vorliegt 66 . Diese Beschränkung des Widerrufs kann zu bedenklichen Resultaten führen ; denn das Vorliegen eines wichtigen Grundes kann zweifelhaft sein und vom abberufenen Vorstand bestritten werden mittelst einer Klage auf Feststellung, daß er trotz der ungültigen Abberufung zum Verein im Rechtsverhältnis des Vorstandes steht 67 . Wenn das Gericht feststellt, daß die Abberufung des A Mangels M

Die Satzung kann nicht bestimmen, daß diese Anmeldungen durch ein Mitglied des Vorstandes zu erfolgen haben; OLG. 20, 29; denn es handelt sich, nicht um Vertretung des Vereins bei Erfüllung seiner Pflichten, sondern um eigene gesetzliche Verpflichtungen des Vorstandes, vgl. ob. Note 28 b. Wie bei der Aktiengesellschaft, KO. § 2081, Jäger, KO. § 213, Anm.5; a. A. Kohler § 161 IV 1. 54 Anders Mot. I, 96 und im Anschluß daran Broicher S. 202. Wenn mehrere Vorstandsmitglieder bei einem Geschäft des Vereins mitzuwirken haben, sind sie Schuldner einer unteilbaren Leistung. Der Schadensersatz wegen Nichterfüllung solcher Verpflichtungen sollte nach Entw. I § 341 unter den Schuldnern geteilt sein. Diese Bestimmung wurde gestrichen; daher besteht für den Schadensersatz aus §431 Solidarität, Oertmann und Planck zu §431; Enneccerus § 315 Note 4. 66 Bei mehrgliedrigem Vorstand kann ein Mitglied abberufen werden, während die übrigen Mitglieder in ihrer Stellung verbleiben, D e r n b u r g §77 Note 6; Oertmann § 27, 3c. 56 Ebenso Rges. über Ges. m. b. H. § 38, während bei der Aktiengesellschaft, HGB. § 231, und den eingetr. Gen., Rges. § 34, die Widerruflichkeit absolut ist. r>7 Unrichtig formuliert Oertmann, Anm. 7 vor § 21 „Klage auf Einräumung der Organstellung" und Dernburg § ,89 V „Klage auf Beseitigung

§ 37.

Der Vorstand

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eines wichtigen Grundes statu ten widrig und daher ungültig i s t 5 8 , so ist damit zugleich festgestellt, daß auch die Bestellung des Nachfolgers Β ungültig i s t 5 9 : denn solange A noch Vorstand ist, kann nicht an seiner Stelle Β zum Vorstand bestellt werden. Daher besteht, wenn der Abberufene den wichtigen Grund bestreitet, bis zum Ergehen eines Urteils Üngewißheit darüber, wem die Geschäftsführung und, was für Dritte gefährlich ist, wem die Vertretung des Vereins zusteht 6 0 . Auch der Registerrichter, dem die Änderung des Vorstandes angemeldet wird, kommt in Verlegenheit: meines Erachtens hat er die angemeldete Änderung einzutragen, ohne sich auf die nur im Prozeßwege mögliche Prüfung des Vorliegens eines wichtigen Grundes einzulassen. Der Widerruf des Vorstandes hat von dem Organ des Vereins auszugehen, durch welches die Bestellung erfolgt, also in der Regel von der Mitgliederversammlung resp. vom Aufsichtsrat 6 1 oder, bei Kooptation, von den übrigen Mitgliedern des Vorstandes 6 2 . Wird der Abberufung". Die Vorstandsstellung gehört zu den Rechten, aus denen kein Anspruch und daher keine Leistungsklage hervorgeht, vgl. ob. S. 244. Die Feststellungsklage ist gegen den Verein zu richten, wenn der Kläger ein dem Verein gegenüber rechtskräftiges Urteil haben will. 68 Staub Hachenburg; Ges. m. b. H. § 38 Anm. 5, 6 hält die Abberufung des Vorstandes, wenn sie ohne den nach der Satzung erforderlichen wichtigen Grund erfolgt, nicht für nichtig, sondern für anfechtbar, vgl. ob. § 36 Not* 41. Das läßt sich für die Vereine des BGB. nicht behaupten. 69 Daraus ergibt sich eine Schwierigkeit für die Vertretung des Vereins im Feststellungsprozeß: wenn der abberufene Vorstand A die Unwirksamkeit des Abberufungsbeschlusses behauptet, so bestreitet er damit zugleich die Vertretungsmacht des neugewählten Vorstandes B; wenn das Gericht der Klage stattgibt, so hätte es zugleich festgestellt, daß der Verein in diesem Prozeß durch Β nicht richtig vertreten war. Bei dieser perplexen Sachlage wird man arg. § 29 annehmen dürfen, daß der Verein einen für diesen Prozeß zur Vertretung ermächtigten Vorstand nicht hat, und, wenn es keinen anderen Vertreter gibt, einen Vorstand nach § 29 ernennen. 30 Dieselbe Rechtslage ergibt sich bei der Gesellschaft des bürgerlichen Rechts aus § 712. Aber hier sprechen überwiegende legislative Gründe dafür, die Fintziehung der Geschäftsführung nur aus wichtigem Grunde zu gestatten: die Stellung des geschäftsführenden Socius beruht nicht auf Wahl, sondern auf dem Gesellschaftsvertrag, durch welchen er einen Teil seines Vermögens in die Gesellschaft einbrachte. Bei der offenen Handelsgesellschaft erfolgt die Entziehung der Geschäftsführung durch Urteil, HGB. § 127, also erst nach Feststellung des wichtigen Grundes. 61 Durch Stimmenmehrheit oder einstimmigen Beschluß, entsprechend dem bei der Wahl des Vorstandes geltenden Verfahren. 62 Der Widerruf ist wirksam mit dem Beschluß, nicht erst mit der Zu-

Zweites Buch.

Die Personen.

der Vorstand nach der Satzung nicht durch ein Vereinsorgan, sondern durch eine dritte Person bestellt 63 , so steht auch der Widerruf dieser Person zu: aber der Widerruf aus wichtigem Grunde ist ein Rechtsbehelf, dessen sich der Verein in der Satzung nicht begeben kann, § 40; er muß daher auch in diesem Fall zulässig sein u. zw., wenn nichts anderes bestimmt ist, durch Beschluß der Mitgliederversammlung. Ebenso, wenn in der Satzung eine generell bezeichnete Person ζ. B. der Inhaber eines Amtes zum Vorstand bestellt ist; der darin enthaltene Verzicht des Vereins auf den Widerruf läßt den auf zwingender Norm beruhenden Widerruf aus wichtigem Grunde unberührt 64 . Ein vom Amtsgericht ernannter Vorstand, § 29, kann nur durch das Gericht abberufen werden 65 . Mit dem Widerruf endigen die Pflichten des Vorstandes und die aus seiner Stellung hervorgehenden Rechte, insbesondere die Befugnis zur Geschäftsführung und Vertretung. Die Vergütung des Vorstandes kann auf der Satzung benuhen; dann ist durch Auslegung der Satzung festzustellen, ob und wieweit die Vergütung für die Zeit nach dem Widerruf beansprucht werden kann 66 . War die Vergütung in einem vom Vorstand mit dem Verein geschlossenen Vertrag vereinbart 67 , so ist der Vertrag in der Regel nach den Grundsätzen des Dienstvertrags zu beurteilen: die Vergütung ist, wenn kein wichtiger Grund, § 626, vorliegt, bis zu dem Zeitpunkt zu entrichten, auf welchen ein Dienstvertrag nach § 621 oder 622 gekündigt werden könnte 68 . Analog möchte ich den Fall behandeln, daß zwar kein Vertrag geschlossen ist, daß aber die Mitgliederversammlung vor oder nach der Wahl des Vorstandes einen Beschluß über eine Vergütung gefaßt hat; wenn der Vorstand im Vertrauen auf einen solchen Beschluß das Amt übernimmt oder fortführt, so wird man die Vergütung, obgleich die Bestellung zum Vorstand kein Vertrag ist, ebenso wie eine vertragsmäßige Verstellung desselben an den Abberufenen, vgl. ob. Note 6. Der Widerruf ist, wie die Wahl, ein inneres Rechtsgeschäft des Vereins, nicht aber ein Rechtsgeschäft gegenüber dem Abberufenen. «3 Vgl. ob. Note 3. ei Planck § 27, 4 und Oertmann § 27, 3f verlangen in diesem Falle zum Widerruf eine Änderung der Satzung. 68 Oertmann § 27, 3e. ββ Wegfall der Vergütung mit dem Moment des Widerrufs ist angenommen in SeuffA. 39 Nr. 184. e7 Vgl. ob. Note 10. 68 Nach § 627, wenn dem Vorstand keine festen Bezüge zugesichert sind.

§ 37. Der Vorstand.

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gütung behandeln d. h. bei grundlosem Widerruf nicht wegfallen lassen. Kündigung der Vorstandsstellung durch den Vorstand wird vom Gesetz nicht erwähnt. Man wird unterscheiden müssen69 : sind die Mitglieder durch die Satzung verpflichtet, ein ihnen durch Wahl zukommendes Amt zu verwalten, so kann der Vorstand sich nur durch Austritt aus dem Verein dieser Pflicht entziehen. Besteht eine solche Verpflichtung nicht, so steht es dem Vorstand frei, sein Amt niederzulegen. In Ermangelung besonderer Bestimmungen in der Satzung oder einem mit dem Vorstand geschlossenen Vertrag wird man, wenn der Vorstand eine Vergütung bezieht, die §§ 620 fg., wenn seine Tätigkeit unentgeltlich ist, den § 671 I I entsprechend anwenden 69a . Die Kündigung erfolgt durch Erklärung an ein zur Entgegennahme kompetentes Vereinsorgan ; als solches ist auch die Mitgliederversammlung zu betrachten, da die Bestellung des Vorstandes zu ihrem Geschäftskreis gehört. VI. Aus dem Vereinsregister soll im Interesse des Verkehrs ersichtlich sein, aus welchen Personen der Vorstand des Vereines besteht. Darum werden die Namen des ursprünglichen Vorstandes eingetragen, § 64; ebenso ist jede Änderung des Vorstandes, das Ausscheiden eines bisherigen Mitglieds und die Bestellung eines neuen Vorstands, einzutragen, § 67; ebenso, wenn der bisherige Vorstand nach Ablauf seiner Amtsdauer von neuem bestellt wird 7 0 . Der Eintrag erfolgt auf Anmeldung des Vorstandes, zu welcher dieser verpflichtet ist und durch Ordnungsstrafen angehalten werden kann, § 78. Ein nach § 29 bestellter Vorstand wird von Amtswegen eingetragen. Die Eintragung des Vorstandes wirkt nicht konstitutiv — sein Amt beginnt mit der Bestellung — sondern deklaratorisch, während die Eintragung des Vereines sowie der Eintrag von Satzungsänderungen, § 71, insbesondere von Änderungen, welche die Vertretungsmacht des Vorstandes beschränken oder die Beschlußfassung abweichend von § 28 I regeln, konstitutive Bedeutung haben71. Die Eintragung des Vorstandes genießt keinen öffent69

Oertmann § 27, 3g. » Hat der Vorstand der auf ihn gefallenen Wahl nicht zugestimmt, vgl. ob. Note 7, so kann er sein Amt ohne Rücksicht auf die Geschäftslage des Vereins niederlegen. 70 Eine Eintragung ist nicht nötig, wenn ein Vorstand, bevor seine Abberufung eingetragen ist,, wieder gewählt wird, RG. 70, 384. 71 Vgl. ob. § 35 Note 8. 69

Zweites Buch.

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Die Personen.

lichen Glauben 72 : ist eine Person als Vorstand eingetragen, die in unwirksamer Weise oder überhaupt nicht zum Verstand bestellt ist, so ist sie nicht Vorstand und gilt auch nicht im Verhältnis zu gutgläubigen Dritten als Vorstand. Daher wird der Beweis der Zusammensetzung des Vorstandes durch einen Auszug aus dem Vereinsregister nicht voll erbracht 78 : wer als Vorstand auftritt, muß den Beweis seiner Bestellung führen 74 . Nur gegenüber Behörden (Gericht, Grundbuchamt) wird die Legitimation des Vorstandes durch ein Zeugnis des Amtsgerichts erbracht 75 . Die Bedeutung der Eintragung für Dritte ergibt sich aus den Vorschriften des § 68: ist die Änderung des Vorstandes nicht eingetragen, so kann sie einem Dritten, wenn zwischen ihm und dem bisherigen Vorstand ein Rechtsgeschäft vorgenommen ist, nur dann entgegengehalten werden, wenn er sie bei Vornahme des Rechtsgeschäftes (d. h. bei Abgabe seiner Erklärung oder beim Empfang der Erklärung des bisherigen Vorstandes) kannte; ist dagegen die Änderung des Vorstands eingetragen, so muß sie der Dritte gelten lassen, außer wenn sie ihm ohne Fahrlässigkeit unbekannt geblieben ist. Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht läßt, § 276 ; das wird man schon dann annehmen müssen, wenn der Dritte unterlassen hat, das Register einzusehen, § 79; entschuldbare Unkenntnis wird daher nur dann vorliegen, wenn der Eintrag unmittelbar vor dem Rechtsgeschäft stattfindet, nachdem der Dritte das Register eingesehen hat. War die Eintragung der Änderung unterblieben oder wegen entschuldbarer Unkenntnis dem Dritten gegenüber nicht wirksam, so kann der Dritte ein mit dem bisherigen Vorstand geschlossenes Rechtsgeschäft als gültig behandeln, obgleich es von oder gegenüber einer Person ohne Vertretungsmacht vorgenommen ist. Der Dritte kann sich aber auch auf den Mangel der Vertretungsmacht berufen und die Wirksamkeit des Geschäftes bestreiten 76. 72

Planck § 68, 1; Oertmann § 68, 5. Für die Richtigkeit des Vereinsregisters hat das Gesetz eine Vermutung, wie beim Grundbuch und Erbschein, nicht aufgestellt. 74 Ist das geschehen, so hat der Gegner nachzuweisen, daß eine Änderung eingetreten ist; Planck zu § 69. 76 Über die zeitliche Wirkungsdauer eines solchen Zeugnisses vgl. Oertmann zu § 69. 76 Oertmann § 68, 2a. 73

§ 37.

Der Vorstand.

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Dieselben Rechtssätze gelten nach § 70 für den Fall, daß in der Satzung die Vertretungsmacht des Vorstandes beschränkt oder die Beschlußfassung desselben abweichend von § 28 I geregelt ist: sind solche Bestimmungen der ursprünglichen Satzung (unter Verletzung des § 64) nicht eingetragen, so wirken sie nur gegen den Dritten, der sie kennt; sind sie eingetragen, so kann sich der Dritte auf entschuldbare Unkenntnis berufen. Wird die Bestimmung durch Satzungsänderung eingeführt, so ist sie, wie jede Satzungsänderung, nach § 71 ohne Eintragung wirkungslos, auch gegenüber dem Dritten, dem sie bekannt ist; ist die Bestimmung eingetragen, so braucht sie der Dritte bei entschuldbarer Unkenntnis nicht gelten zu lassen. Die Vorschriften des § 68 sind dem § 15 des HBG. nachgebildet, welches den Eintragungen in das Handelsregister eine ähnliche Bedeutung für Dritte beilegt 77 . Nach demselben Grundgedanken , aber im Einzelnen vom Vereins- und vom Handelsregister abweichend, ist das Güterrechtsregister, § 1435, gestaltet 78 . VII. Neben dem Vorstand kann der Verein nach § 30 auf Grund der Satzung besondere Vertreter für gewisse Geschäfte haben. Solche Spezialvertreter unterscheiden sich von einem Vorstandsmitglied mit speziellem Geschäftskreis, vgl. ob. S. 529 dadurch, daß ihre Geschäftsführung und Vertretungsmacht grundsätzlich auf ein bestimmtes Gebiet beschränkt ist, daher auch die passive Vertretung, § 28 I I : nur solche Erklärungen können an sie gerichtet werden, welche sich auf die ihnen zugewiesenen Geschäfte beziehen. Die allgemeinen Funktionen des Vorstands z. B. Berufung der Mitgliederversammlung, Anmeldung zum Register, stehen ihnen nicht zu. Ob Jemand als Vorstandsmitglied mit speziellem Geschäftskreis zu betrachten ist oder als Spezialvertreter, wird bisweilen vom Wortlaut der Satzung abhängen; ist z. B. gesagt: „der Vorstand besteht aus drei Mitgliedern und dem Kassier", so ist letzterer 77

Die wichtigsten Unterschiede sind: 1. beim Handelsregister kommt es auf Eintragung und Bekanntmachung an, während nach § 68 nur die Eintragung entscheidet (Publikation der Änderung des Vorstandes ist nicht vorgeschrieben); 2. § 68 bezieht sich nur auf Rechtsgeschäfte, nicht auf Delikte (hat der abberufene Vorstand einen Dritten geschädigt, bevor die Abberufung eingetragen war, so haftet der Verein nicht nach § 31) oder Prozesse, während HGB. § 15 dem Dritten allgemein die Stellung verleiht, die sich ergeben würde, wenn die nicht eingetragene Tatsache nicht vorhanden wäre. 7S Der Eintrag in das Güterrechtsregister ist von Bedeutung für Rechtsgeschäfte und Prozesse. Ist eine Tatsache in das Güterrechtsregister eingetragen, so kann sich der Dritte nicht auf entschuldbare Unkenntnis berufen.

Zweites Buch.

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Die Personen.

Vorstandsmitglied; ist der Kassier neben dem Vorstand genannt, so ist er Spezialvertreter. Die Spezialvertreter sind Organe des Vereins ; ihre Kompetenz muß auf der Satzung beruhen 79. Sie haben, wie der Vorstand, die Stellung eines gesetzlichen Vertreters u. zw. in der Regel neben dem Vorstand; da aber die \Tertretungsmacht des Vorstands im Statut beschränkt werden kann, § 26 I I , so kann die Kompetenz des SpezialVertreters exklusiv sein. Die Bestellung erfolgt nach den Vorschriften der Satzung durch die Mitgliederversammlung oder ein anderes Organ ζ. B. den Vorstand ; ebenso die Abberufung, welche für den Fall eines wichtigen Grundes durch die Satzung nicht ausgeschlossen werden kann, aïg. § 27 II. Auf das innere Verhältnis des SpezialVertreters zum Verein findet § 27 I I I entsprechende Anwendung. Von den verfassungsmäßig berufenen SpezialVertretern sind zu unterscheiden die Vertreter, welche von einem Vereinsorgan durch eine Namens des Vereins erteilte Vollmacht bestellt werden. Die Vollmacht ist ein nach außen gerichtetes Rechtsgeschäft des Vereins und kann daher nur von solchen Organen erteilt werden, welche zur Vertretung des Vereins ermächtigt sind, also in der Regel vom Vorstand, nicht dagegen von der Mitgliederversammlung, welche die Erteilung einer Vollmacht nur beschließen und dem Vorstand zur Pflicht machen kann, vgl. ob. S. 512. V I I I . Begeht ein Vereinsorgan eine anerlaubte Handlung 80 , so haftet es dem Geschädigten persönlich und kann sich zu seiner Entschuldigung nicht auf Beschlüsse der Mitgliederversammlung oder Weisungen anderer Organe berufen; solche Beschlüsse und Weisungen sind, wie Aufträge zu verbotenen Handlungen, unwirksam 81 . Beschlüsse der Mitgliederversammlung können meines Erachtens nicht als unerlaubte Handlung gelten 82 , einerseits, weil ein Beschluß erst dadurch nach Außen wirkt, daß er vom Vorstand oder einem anderen ausführenden Organ befolgt wird; haupt79

Das Gesetz nennt sie daher in § 31: verfassungsmäßig berufene Vertreter. Die Satzung kann die Bestellung eines SpezialVertreters bindend vorschreiben, oder nur fakultativ, für den Fall des Bedürfnisses, Oertmann § 30, lb. In Ermangelung einer Satzungsbestimmung kann die Mitgliederversammlung einen Spezialvertreter des § 30 nicht bestellen. 80 Aus Nichterfüllung von Verpflichtungen des Vereins haftet der Vorstand dem Gläubiger nicht, sondern ist nur dem Verein für dessen aus § 278 entstehende Haftung regreßpflichtig; vgl. ob. Note 28. 81 Vgl P l a n c k § 662, 3; RG. 72, 11. 82 A. A. Oertmann § 31, 8.

§ 37.

Der Vorstand.

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sächlich aber weil es Verschulden nur bei einzelnen Personen gibt : nur den einzelnen Mitgliedern, welche für einem Dritten gegenüber rechtswidrigen Beschluß gestimmt haben, könnte ein Verschulden zugerechnet werden. Neben dem schuldigen Organ läßt BGB. § 31, einem Bedürfnis der Verkehrssicherheit folgend 88 , auch den Verein selbst haften 84 . Denn das Vereinsorgan kommt in Folge seiner Stellung in Beziehungen zu Dritten und durch die ihm zur Verfügung stehenden Vereinsmittel in die Lage, Dritte zu schädigen. Es entspricht dem heutigen Billigkeitsgefühl, daß ein Vermögen haftet, wenn seine Verwaltung zu einer Schädigung Dritter geführt hat. Wie das Individuum die Folgen seiner Handlungen trägt, so soll der Verein für die Handlungen der Organe, durch deren Tätigkeit er seine Aufgaben erfüllt, auch dann einstehen, wenn sie in fremden Rechtskreis rechtswidrig eingreifen. Die Haftung des Vereins ist zwingenden Rechts § 40. Sie ist absolut: eine Entlastung durch den Nachweis von diligentia in eligendo usw. ist nicht gestattet; denn der Verein haftet nicht, wie das Individuum, welches sich eines Angestellten bedient, § 831, aus einem präsumptiven eigenen Verschulden; von einem solchen Verschulden kann meines Erachtens bei einer juristischen Person überhaupt nicht die Rede sein: aueh wird der Vorstand und die sonstigen Vertreter nicht von einem Vereine selbst bestellt, sondern von einem dazu bestimmten Organ, insbesondere von der Mitgliederversammlung ; wird eine ungeeignete Person gewählt, so kann darin nur ein Verschulden der für diese Person stimmenden Mitglieder liegen. Auch in custodiendo kann den Verein kein eigenes Verschulden treffen; denn auch die Überwachung von Organen kann nicht vom Verein selbst , sondern nur durch andere Organe vorgenommen werden. Wollte man daher den Verein, aus guten Gründen, für die Delikte seiner Organe haften lassen, so konnte diese Haftung nicht auf ein Verschulden des Vereines basiert, daher auch keine Exkulpation des Vereines zugelassen werden. Der Verein haftet für den Schaden, den der Vorstand anrichtet, oder bei mehrgliedrigem Vorstand ein Mitglied desselben; das gilt auch dann, wenn die Satzung kollektive Vertretung und Geschäftsführung anordnet 85 ; denn dadurch wird nur die Gültigkeit des 83

Vgl. ob. § 32 S. 464. Gierke, Gutachten für den 28. Juristentag 1, 102; K l i n g m ü l l e r , Haftung für Vereinsorgane; Lenel, DJZ. 1902, 9fg. 86 RG. 57, 93. 8i

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Die Personen.

rechtsgeschäftlichen Handelns, nicht aber die Möglichkeit deliktischer Schädigung beschränkt. Ferner haftet der Verein nach § 31 für die Handlungen seiner „sonstigen verfassungsmäßigen Vertreter". Dazu gehören außer den SpezialVertretern des § 30 nach herrschender Lehre 86 auch solche Organe, denen ein mit Vertretung nicht verbundener Geschäftskreis zugewiesen ist ζ. B. ein Arzt, der durch die Vereinssatzung mit der Leitung eines Krankenhauses betraut ist, auch wenn er nur zu ärztlichen Leistungen und nicht zu rechtsgeschäftlichem Handeln verpflichtet ist. Das Wort „Vertreter" ist im § 31, wo es sich nicht um Rechtsgeschäfte, sondern um Delikte handelt, untechnisch im Sinn von Vereinsorgan gebraucht. Statutenmäßige Berufung liegt schon dann vor, wenn die Stellung und Kompetenz in der Satzung vorgesehen ist; ob das Vereinsorgan von der Mitgliederversammlung gewählt, oder auf Grund der Satzung von einem anderen Organ bestellt wird, ist für die Haftung des Vereins aus § 31 gleichgültig. Die Haftung des Vereins bezieht sich auf die zu Schadensersatz verpflichtenden Handlungen seiner Organe; das sind in erster Linie die unerlaubten d. h. schuldhaften Handlungen im Sinne von § 823 f g . 8 7 , dann aber auch solche Handlungen, bei denen der Schaden auch ohne Verschulden zu ersetzen ist ζ. B. unerlaubte Selbsthülfe, § 231, und Notstandshandlungen, § 904. Die Handlung muß, wie in § 831, in Ausführung der dem Organ zustehenden Verrichtungen begangen sein, nicht bloß bei Gelegenheit dieser Verrichtungen; es muß ein nicht bloß äußerer (zeitlicher oder örtlicher) Zusammenhang zwischen der schuldhaften Handlung und den Funktionen des Organs bestehen. So haftet ζ. B. der Verein, wenn der Vorstand bei Abschluß eines Vertrages den Mitkontrahenten betrügt 8 7 a , nicht aber, wenn der Vorstand während der Vertragsverhandlungen einen Diebstahl begeht. Der Verein haftet dem geschädigten Dritten. Dazu gehört auch ein Vereinsmitglied, wenn es von einem Vereinsorgan in deliktischer Weise geschädigt wird, ζ. B. durch Unterschlagung eines dem Verein zur Aufbewahrung gegebenen Gegenstandes 86

P l a n c k § 31, 2; Dernburg § 66 Note 16; Enneccerus § 103 Note 2; Oertmann § 81, 3b; Lenel 11; RG. 53, 279. 87 Bei Nichterfüllung von Pflichten des Vereins durch die Organe kommt nicht § 31, sondern § 278 zur Anwendung; denn es liegt keine das Organ zu Schadensersatz verpflichtende Handlung vor, vgl. ob. Note 28; a. A. K i p p , Zus. 2 zu Windscheid § 59. 87 a Vgl. ob. Note 40.

§ 37. Der Vorstand.

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(wenn die Aufbewahrung zu den Verrichtungen des Vorstands gehört) oder durch arglistige Täuschung bei einem Vertrag, den das Mitglied mit dem Vereine schließt 88 . Das schuldige Organ und der Verein haften als Gesamtschuldner, § 840. Das Organ ist regreßpflichtig nach § 840 I I oder aus dem inneren mandatsähnlichen Verhältnis. Für Angestellte, die nicht verfassungsmäßig berufen sind, sondern vom Vorstand oder einem anderen Organ in Angelegenheiten des Vereins verwendet werden, haftet der Verein nicht nach § 31, sondern nach der für physische und juristische Personen gleichmäßig geltenden Vorschrift des § 83 1 8 9 . Hier kommt es nicht darauf an, ob den Angestellten, mit oder ohne sein Verschulden, eine Ersatzpflicht trifft, sondern darauf, ob die erforderliche Sorgfalt in der Auswahl und Leitung des Angestellten durch die Organe des Vereins ausgeübt wurde. Kann dies nachgewiesen werden, so hat sich der Geschädigte nur an den Angestellten, falls ihn ein Verschulden trifft, zu halten; ist die Sorgfalt verabsäumt worden, so haftet dem Dritten das mit der Auswahl und Leitung des Angestellten betraute Vereinsorgan, arg. § 831 I I , und für das Verschulden dieses Organes, welches dem geschädigten Dritten gegenüber deliktischen Charakter trägt, der Verein nach § 31 9 0 . 88 Eine Ausnahme macht die Praxis bei Aktiengesellschaften und ähnlichen Kapitalvereinigungen im Interesse der Erhaltung des Grundkapitals: die juristische Person soll nicht filr den Schaden haften, den ein Mitglied dadurch erlitten hat, daß es durch Verschulden des Vorstandes zum Eintritt veranlaßt oder am Austritt verhindert wurde, RG. 68 , 347. Staub, HGB. § 232 Anm. 43; vgl. die auf ähnlichen Erwägungen beruhende Beschränkung der Anfechtung der Gründererklärung, ob. § 34 Note 13. 89 Nur ausnahmsweise kann § 831 bei Schadensstiftung durch ein Organ zur Anwendung kommen, Oertmann §31, 5b: wenn der Vorstand einen verfassungsmäßigen Vertreter zu bestellen hat und eine unzurechnungsfähige Person dazu ernennt, so haftet diese Person für den durch sie angerichteten Schaden nicht und daher auch nicht der Verein aus § 31; wohl aber haftet dem Dritten der Vorstand, wenn ihn ein Verschulden bei der Auswahl trifft, nach Analogie von § 831 II, und für dieses Verschulden des Vorstandes haftet der Verein nach § 31. 90 Wenn ein Verschulden des Angestellten und des Ausstellenden vorliegt, haften dem Geschädigten drei Personen als Gesamtschuldner: der Angestellte, der anstellende Vorstand und der Verein.

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Zweites Buch.

§ 38.

Die Personen.

Die Mitgliedschaft*·

Zwischen Verein und Mitglied besteht ein Rechtsverhältnis, aus welchem für das Mitglied Rechte und Pflichten verschiedener A r t gegenüber dem Verein hervorgehen. Dieses Rechtsverhältnis kann man mit dem Gesetz (§ 38) Mitgliedschaft nennen 1 . Der Mitgliedschaft fähig sind alle rechtsfähigen, auch die juristischen 2 , Personen. Für Klagen aus den auf der Mitgliedschaft beruhenden Rechten und Pflichten ist das Gericht zuständig, bei welchem der Verein den allgemeinen Gerichtsstand hat, ZPO. § 22. In der Satzung kann für derartige Rechtsstreitigkeiten ein Schiedsgericht vorgesehen s e i n 8 ; aus dem Wesen des Schiedsgerichtsinstituts ergibt sich, daß Vereinsorgane, insbesondere der Vorstand, nicht als Schiedsrichter zwischen Verein und Mitglied fungieren können 4 . I. Der Verein ist im Gegensatz zu der ebenfalls zur Verfolgung gemeinsamer Zwecke dienenden Gesellschaft des büigerlichen Rechts auf eine unbestimmte Anzahl 5 und einen Wechsel * Regelsberger §-84; Gierke § 68 und Genossenschaftstheorie 174fg.; Dernburg § 69; Endemann § 45; Crojne § 52; Enneccerus § 105; Kohler § 155-159; Biermann § 138. 1 Der Komplex von Rechten und Pflichten des Vereinsmitglieds hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Anteil eines Teilhabers an einem Gçsamthandvermögen, vgl. ob. S. 359, nur daß das Rechtsverhältnis in letzterem Falle zwischen den Genossen (in bezug auf das gemeinsame Vermögen) besteht, während es beim Verein diesen mit den einzelnen Mitgliedern verbindet. Rechtsbeziehungen zwischen den Mitgliedern des Vereins bestehen in der Regel nicht, können aber nach Analogie des Vertrages auf Leistung an Dritte durch die Satzung begründet werden. a Oertmann § 38, 2b; K o h l e r § 178. Besteht ein Verein (Zentralverein) aus einer Anzahl von Vereinen, so ist oft bestimmt, daß die Mitglieder der Einzelvereine eine (mittelbar zuständige, vgl. ob. § 2 IV) Mitgliedschaft im Zentralverein haben; vgl. SeuffA. 59, 217; Oertmann § 38, 7. 3 ZPO. § 1025 verlangt eine Vereinbarung. Aber selbst wenn man die Gründung und den Beitritt nicht als Vertrag ansehen will oder kann, liegt jedenfalls in der Unterwerfung der Mitglieder unter die Satzung ein der Vereinbarung analoger Vorgang, vgl. ob. § 35 Note 20. Können durch die Satzung die Streitigkeiten der Mitglieder untereinander einem Schiedsgericht unterworfen werden? OLG. 20, 29. 4 K o h l e r § 156 V; Biermann § 138 Note 32; a. A. G i e r k e , JheringsJ. 35, 198. 6 Geschlossene Zahl der Mitgliedschaftsrechte hat die Aktiengesellschaft. Das Mitgliedschaftsrecht (Aktie) kann mehreren Personen gemeinsam zustehen und kann in diesem Fall nur gemeinsam ausgeübt werden, vgl. ob. § 3 Note 47.

§ 38.

Die Mitgliedschaft.

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6

der Mitglieder angelegt . Darum verlangt § 58, daß die Satzung Bestimmungen über den Eintritt von Mitgliedern enthalte. Zum Eintritt ist stets erforderlich eine Willenserklärung des Eintretenden 7 . Da dies Rechtsgeschäft nicht lediglich rechtlichen Vorteil bringt, sondern auch Pflichten begründet, so bedürfen beschränkt geschäftsfähige Personen der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters, § 107. In Ermangelung statutarischer Bestimmungen8 ist zum Eintritt Zustimmung des Vereins erforderlich 9. Da die Aufnahme von Mitgliedern ein das innere Leben des Vereins berührender Akt ist, gehört sie nicht zur Vertretung und daher nicht zur Kompetenz des Vorstandes, sondern zu den Obliegenheiten der Mitgliederversammlung 10. Anmeldung des Eintretenden und Aufnahmebeschluß der Versammlung sind zusammen kein Vertrag 1 1 ; eine Erklärung der Versammlung an den Aufzunehmenden ist nicht erforderlich. Die Aufnahme von Mitgliedern kann durch die Satzung einem Organ, insbesondere dem Vorstand, übertragen sein ; ist das der Fall, so erfolgt die Aufnahme durch übereinstimmende Erklärungen des Aufzunehmenden und des Vorstands, also durch Vertrag 12 . Für den Eintritt neuer Mitglieder kann die Satzung positive und negative Voraussetzungen aufstellen. Positive Voraus6

Das Amtsgericht kann nach § 72 (abgeändert durch das Vereinsgesetz vom 19. April 1908) jederzeit vom Vorstand eine Bescheinigung über die Zahl der Vereinsmitglieder verlangen. 7 Für die Wahl zum Ehrenmitglied (Mitgliedschaft, die mit Pflichten nicht verbunden ist) verlangt Oertmann § 38, 4a keine Zustimmung des Gewählten, gibt ihm aber ein Ausschlagungsrecht, was sich arg. § 333 und 2176 rechtfertigen läßt. 8 Die Satzung kann bestimmen, daß Personen, bei denen gewisse Voraussetzungen vorliegen, die Mitgliedschaft durch bloße Anmeldung erwerben können. 9 Der Verein hat volle Freiheit, jemanden, der sich zur Aufnahme meldet, als Mitglied anzunehmen oder abzulehnen. Grundlose Zurückweisung ist kein Verstoß gegen 826, RG. 60, 103; a. A. D e r n b u r g § 91 Note 19 mit Berufung auf RG. 47, 79, wo aber die Verpflichtung zur Aufnahme aus einem Vertrag zugunsten des Aufzunehmenden abgeleitet wird. 10 Planck zu § 58, Oertmann § 38, 4a, § 58, 2a; a. A. Staudinger § 58 I I 1. 11 Vgl. ob. § 37 Note 9. « RG. 60, 409; a. A. Kohler § 157 III, Oertmann, Vorb. 5 vor § 21. Allerdings ist der Vertrag eigenartig in bezug auf Gegenstand und Wirkung ; ebenso wie der Vertrag, durch welchen ein neuer Gesellschafter in eine Gesellschaft aufgenommen wird, Oertmann § 736, 3b: es entsteht, wie bei der Gesellschaft ein neuer Anteil, so beim Verein eine neue Mitgliedschaft.

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Die Personen.

enthalten, wenn der Eintritt nicht durch bloße Anmeldung, sondern durch Aufnahme seitens des Vorstandes erfolgen soll, eine Instruktion an den Vorstand und verleihen dem sich Anmeldenden kein Recht auf Aufnahme 18. Negative Schranken (ζ. B. daß Personen, bei denen gewisse Umstände vorliegen, nicht aufgenommen werden sollen) können als nach § 26 I I zulässige Beschränkungen der Vertretungsmacht aufgefaßt werden und bewirken dann Ungültigkeit der Aufnahme 1 4 . Der Eintritt kann durch die Satzung mit der Verpflichtung zu einer einmaligen Leistung, Eintrittsgeld, verbunden sein 16 . II. Ein Mitglied kann aus dem Verein ausscheiden. Damit erlöschen die aus der Mitgliedschaft sich ergebenden Rechte und Pflichten. Rückzahlung seiner Beiträge oder Auszahlung eines Anteils am Vereinsvermögen kann das ausscheidende Mitglied in Ermangelung einer statutarischen Bestimmung nicht verlangen. Das Ausscheiden kann ipso iure erfolgen, wenn Ereignisse eintreten, denen die Satzung diese Wirkung beilegt, ζ. B. Änderung des Wohnsitzes, Nichtzahlung von Beiträgen, Wegfall gewisser Voraussetzungen der Mitgliedschaft, Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte usw. Die Satzung soll nach § 58 Bestimmungen über den Austritt von Mitgliedern enthalten. Der Austritt ist eine einseitige Willenserklärung, zu richten an den Vorstand oder ein Mitglied desselben, § 28 II. Die Möglichkeit des Austritts ist den Mitgliedern durch zwingenden Rechtssatz, § 39 I, garantiert. Es liegt darin der wirksamste Schutz gegen Majorisierung, insbesondere bei Satzungsänderung : das überstimmte Mitglied soll sich jederzeit durch Austritt der Majoritätsherrschaft entziehen können. Darum ist, ebenfalls in zwingender Weise, bestimmt, daß der Austritt durch die Satzung nur in zwei Beziehungen erschwert werden kann, § 39 I I : die Satzung kann anordnen, daß der Austritt nur am Schlüsse des Geschäftsjahrs erfolgen kann, und daß eine Kündigungsfrist, die aber höchstens zwei Jahre betragen kann, einzuhalten ist. Andere Erschwerungen sind als unzulässig zu betrachten; so kann ζ. B. der Austritt nicht abhängig gemacht werden von der Angabe von Gründen oder von der Erfüllung der Vereinspflichten des AusSetzungen

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RG. 47, 79. Anders RG. 60, 409 für die Aufnahme in eine eingetragene Genossenschaft auf Grund von § 27 des Gesetzes. 15 Entsprechend dem Beitrag des Gründers, vgl. ob. § 84 Note 19. 14

§ 38. Die Mitgliedschaft.

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tretenden ; auch kann die Satzung für die Austrittserklärung keine Form vorschreiben 16. Über die Ausschließung von Mitgliedern schweigt das Gesetz17. Daher ist es streitig, ob dem Verein in Ermangelung statutarischer Bestimmungen eine solche Befugnis zusteht 18 . Meines Erachtens wird man dem Verein dies Recht nicht absprechen können, ohne die Tätigkeit der Vereine aufs schwerste zu gefährden ; man denke an die Lage, in welche ein politischer oder religiöser Verein geraten kann, wenn ein Mitglied gegen die Zwecke des Vereins agitiert und nicht ausgeschlossen werden könnte. Aber die Mitglieder können nicht ex lege der Willkür der Organe preisgegeben sein 18 a ; darum wird man nach Analogie der Gesellschaft §§ 723, 737, das Ausschließungsrecht auf den Fall beschränken, daß in der Person des Mitglieds ein wichtiger Grund vorliegt; als solcher wird namentlich vorsätzliche oder grobfahrlässige Verletzung oder Unfähigkeit zur Erfüllung der Vereinspflichten gelten. Die Satzung kann Bestimmungen über Ausschließung enthalten, insbesondere über die zuständigen Organe, über das Verfahren und die Gründe der Ausschließung. Die Satzung kann dem Verein eine absolute, an Gründe nicht gebundene, Ausschließungsbefugnis geben19. Eine freiwillige Unterwerfung der Mitglieder unter die Willkür der Vereinsorgane in der Frage des Ausschlusses scheint mir die Grenzen des § 138 nicht zu überschreiten, denn der Verein vertritt dem Mitglied gegenüber das höhere, weil gemeinsame, Interesse, welches unter Umständen die Ausscheidung eines Mitgliedes ohne greifbaren oder ohne angegebenen Grund erheischen kann. Auch gegen offenbare Unbilligkeit hat meines Erachtens ein Mitglied, welches sich dem freien Belieben der Vereinsorgane ausgesetzt hat, keinen Rechtsschutz20. 16

Planck § 39, 2. Dagegen halten es Hölder § 39, 1 und K o h l e r § 159 I I für zulässig, daß die Satzung für die Austrittserklärung Schriftform vorschreibt, weil darin keine Erschwerung enthalten sei. 17 Über Amortisation von Aktien HGB. § 227 vgl. Staub zu § 227, K ö h l e r § 159 IV, RG. 49, 77. Ausschluß aus einer eingetr. Genossenschaft, RG. § 68, L e i s t , Vereinsrecht 112. 18 L e i s t , Vereinsrecht 116 fg. und Zit. bei Oertmann § 35 S. 131. 18 a RG. vom 23. März 1910 JWSchr. 39, 467. 19 Eine solche Bestimmung kann auch durch Satzungsänderung eingeführt werden, wenn dadurch das Prinzip der Gleichstellung der Mitglieder nicht verletzt wird, vgl. ob. § 36 Note 33b. ao A. A. Enneccerus § 105 V, der in Übereinstimmung mit einer Entsch. in Bad. Rechtspraxis 01, 317 für die Ausschließung immer einen wichtigen Handbuch X . 1. I : v o n T u h r I .

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Die Personen.

Die Ausschließung kann begriffsmäßig nicht mehr erfolgen, nachdem das Mitglied ausgetreten i s t 2 1 ; sie ist möglich in der Zwischenzeit zwischen der Austrittserklärung und dem in der Satzung vorgeschriebenen Ablauf des Geschäftsjahrs oder der Kündigungsfrist. Ist die Ausschließung zu Unrecht erfolgt (unter Verletzung der Satzung oder, in Ermangelung statutarischer Bestimmungen, ohne wichtigen Grund), so hat der Ausgeschlossene nach allgemeinen Grundsätzen Rechtsschutz gegen den Verein; das Rechtsverhältnis der Mitgliedschaft ist durch die unwirksame Ausschließung nicht aufgehoben, sondern nur bestritten ; der Ausgeschlossene kann daher auf Feststellung seiner Mitgliedschaft klagen 22 . Das rechtliche Interesse braucht kein pekuniäres oder eigennütziges zu sein ; es kann schon darin gefunden werden, daß der Ausgeschlossene Wert darauf .legt, sich an der Tätigkeit des Vereins zu beteiligen. Selbstverständlich müssen zuerst die durch die Satzung gebotenen Mittel der Abhilfe (ζ. B. wenn der Ausschluß durch den Vorstand erfolgt, Anrufung der Mitgliederversammlung) benutzt werden 28 ; solange die Ausschließung nicht endgiltig ist, fehlt es für die Klage am rechtlichen Interesse. Der gerichtliche Schutz des Mitgliedes gegen ungerechtfertigte Ausschließung ist in Theorie 24 und Praxis 2 4 a bestritten, aber zum Teil mit meines Erachtens unzulänglichen Argumenten ; es handelt sich nicht, wie die führende Entscheidung Grund verlangt (RG. 49, 151 ist zu Unrecht zitiert. Es handelte sich um einen Fall, in welchem die Ausschließungsgründe im Statut geordnet waren). 21 RG. 51, 66; SeuffA. 62, 305; Dernburg § 69 Note 13; K o h l e r § 159 III. Ist jemand als Mitglied aufgenommen, der nach dem Statut nicht Mitglied sein kann, so kann er nicht ausgeschlossen, wohl aber kann konstatiert werden, daß er nicht Mitglied ist resp. war. 22 Auch hier, wie bei der unwirksamen Abberufung des Vorstandes, vgl. ob. §37 Note 57 kommt die falsche Formulierung vor : Klage auf Wiedereinräumung der Mitgliedschaftsrechte, ζ. B. Bie rma nn § 138 bei Note 28. Außerdem kann, wenn der Ausschluß auf einem Verschulden des Vorstandes oder eines Spezialorganesj § 30, beruht, Schadensersatz verlangt werden, RG. 72, 11. 28 Gierke § 68 Note 5. 24 Vgl. L e i s t , Vereinsrecht 118; Oertmann § 35, 3 S. 132. D e r n b u r g § 69 VI gibt Rechtsschutz nur bei grobem Mißbrauch der Ausschließungsbefugnis. Endemann § 45 Note 2 will gerichtliche Nachprüfung ausschließen bei Vereinen, die der Geselligkeit oder Kameradschaft dienen. 24 » Die Praxis hält überwiegend gerichtliche Nachprüfung des Ausschlusses für unzulässig (vgl. die Lit. bei Oertmann a. a. 0.) oder beschränkt die Nachprüfung auf die formellen Voraussetzungen des Ausschlusses, OLG. Karlsruhe in DJZ. 15, 543.

§ 38.

Dié Mitgliedschaft.

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des RG. 49, 154 meint, um ein staatliches Aufsichtsrecht über den Verein, sondern um den zivilprozessualen Schutz eines dem bürgerlichen Recht angehörenden Rechtsverhältnisses; ebenso wenig darf man meines Erachtens mit dem Reichsgericht von einem unberechtigten Eingriff in die Rechtsstellung des Vereins sprechen; denn eine gerichtliche Nachprüfung seiner Rechtshandlungen muß sich jedes Rechtssubjekt, also auch eine juristische Person, gefallen lassen. Wenn man sich endlich auf die Autonomie des Vereins beruft, so ist mit diesem vieldeutigen Wort 2 5 meines Erachtens nicht bewiesen, daß die Verhältnisse des Vereins zu seinen Mitgliedern der staatlichen Rechtssprechung entzogen sind. Ich sehe daher keinen Grund, warum nicht beim Verein, wie bei der Gesellschaft, § 737, das Gericht darüber zu entscheiden hätte, ob eine Ausschließung den in der Satzung vorgeschriebenen Formen und Voraussetzungen entspricht 26 . Wäre aber in der Satzung der Rechtsweg ausgeschlossen, so halte ich eine solche Bestimmung für unwirksam 2ea , da die Klagbarkeit von Rechtsverhältnissen dem öffentlichen Recht angehört und nicht durch Parteidisposition beseitigt werden kanri 27 . Daß aber die in der Satzung aufgestellten Regeln objektives Recht seien, wird zwar oft behauptet, kann aber aus unseren Gesetzen nicht bewiesen werden. In der Satzung kann bestimmt sein, daß ein Schiedsgericht entscheiden soll, aber die schiedsrichterliche Entscheidung kann keinem Vereinsorgan zugewiesen werden, vgl. ob. Note 4. Daß, wie ob. Note 19 angenommen wurde, in der Satzung ein absolutes, grundloses, Ausschließungsrecht ohne gerichtliche Nachprüfung statuiert werden kann, ist kein Widerspruch ; denn es macht für das Mitglied einen Unterschied, ob die Ausschließung ohne Grund, nach freiem Ermessen der Vereinsorgane erfolgt, oder unter Angabe eines Grundes, der vielleicht in der Tat nicht vorliegt; in letzterem Falle verliert der Ausgeschlossene nicht nur eine Rechtsstellung, die er als gesichert betrachten durfte, sondern er müßte sich auch, mangels gerichtlicher Nachprüfung, gefallen lassen, daß der Verein « Vgl. ob. § 35 Note 14. 26 Das gilt meines Erachtens bei Vereinen jeglicher Art, auch bei religiösen Vereinen, wenn sie nicht als Bestandteil der Kirche dem öffentlichen Recht angehören, vgl. Dernburg § 69 Note 19. 26a Anders die bei Oertmann a. a. 0. zitierten Entscheidungen und OLG. 20, 34. 27 H e l l w i g , ZivProz. §26 I I a . E.; a. A. Langheineken, Anspruch 192. 35*

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Die Personen.

ihm gegenüber Tatsachen (ζ, B. ein ehrenrühriges Verhalten) als gegeben annimmt, während er diese Behauptungen zu bestreiten und zu widerlegen bereit ist. Darin würde eine de facto über die Vereinsangelegenheiten hinaus wirkende Judikatur des Vereins über seine Mitglieder liegen; eine solche Judikatur ist meines Erachtens in unserer Rechtsordnung nicht anerkannt und würde zu großen MißStänden führen. I I I . Die Mitgliedschaft ist weder übertragbar noch vererblich, § 38, 1 2 8 ; sie kann daher als höchstpersönliches Rechtsverhältnis bezeichnet werden und gehört zum Vermögen des Mitglieds nur insoweit, als sie pekuniäre Vorteile bietet 29 . Da § 38 dispositives Recht ist, § 40, kann die Satzung Vererblichkeit 80 und Veräußerlichkeit der Mitgliedschaft bestimmen81. Die Übertragung erfolgt nach § 413 durch formlose Einigung, es kann aber in der Satzung Anzeige an den Verein oder Zustimmung des Vereins zur Übertragung vorgeschrieben sein. Die Verbindung der Mitgliedschaft mit einem Inhaberpapier ist bei der Aktiengesellschaft vorgesehen, HGB. 179, beim Verein mangels gesetzlicher Zulassung nicht möglich 82 . Auch die Ausübung der Mitgliedschaft kann nicht einem anderen überlassen werden, § 38, 2. Damit ist die gewillkürte Stellvertretungausgeschlossen88; dagegen dürfte die gesetzliche Vertretung zulässig sein, soweit es sich nicht um Rechte des persönlichen Genusses und Gebrauches handelt 84 . IV. Aus der Mitgliedschaft entstehen für das Mitglied Pflichten gegenüber dem Verein. Die Pflicht kann insbesondere in einem Beitrag bestehen d. h. in einer vermögensrechtlichen Leistung an den Verein, aber auch in persönlichen Leistungen, ζ. B. Übernahme 28

Die Mitgliedschaft in der Aktiengesellschaft ist vererblich und veräußerlich und daher in vollem Maße Vermögensrecht; ebenso die Mitgliedschaft in der Ges. m. b. H., § 15 des Ges., und in der eingetr. Gen., § 76 des Ges. 29 Vgl. ob. § 18 Note 20 a. 30 Die Vererbung kann im Statut auf die gesetzlichen Erben beschränkt sein. 31 Wenn veräußerlich, ist die Mitgliedschaft auch pfändbar, ZPO. § 857; man wird aber arg. § 725 dem Gläubiger nur den Gewinnanteil und den Anteil, der dem Mitglied bei Auflösung des Vereins zufällt, zuweisen, nicht die Geltendmachung der übrigen in der Mitgliedschaft enthaltenden Rechte. Außerdem kann Verwertung durch Veräußerung stattfinden, ZPO. § 857 V. Ein Recht, den Verein zur Auflösung zu bringen, steht dem Gläubiger nicht zu. 32 K o h l e r § 141 II. 38 A.A. D e r n b u r g § 69 II. u Enneccerus § 105 Note 2.

§ 38. Die Mitgliedschaft.

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einer Tätigkeit als Vereinsorgan , und in jeglichem Verhalten, durch welches die Zwecke des Vereins gefördert werden 36 . Durch solche Pflichten kann die freie Bewegung des Mitglieds im Erwerbsleben in weitgehendem Maß beschränkt werden; die Grenze der Zulässigkeit solcher Bestimmungen der Satzung liegt in § 138; jedoch ist zu beachten, daß der Austritt und damit die Befreiung von der Pflicht dem Mitglied freisteht, § 39, so daß ein Übermaß der Bindung in zeitlicher Beziehung ausgeschlossen ist. Bei der Erfüllung seiner Pflichten haftet das Mitglied für omnis culpa 37 . Die Erfüllung kann vom Verein durch Klage erzwungen werden, wenn der Inhalt der Pflicht es zuläßt, ζ. B. Zahlung des Beitrags. Außerdem kann das Statut für den Fall der Nichterfüllung Strafen festsetzen, welche in einer Leistung an den Verein (entsprechend der Vertragsstrafe) 38 oder im Verlust oder der Hemmung von Mitgliedschaftsrechten (Suspension) bestehen können 39 . Ein Mitglied kann seinen Beitrag durch Aufrechnung mit einer ihm zustehenden Forderung gegen den Verein erbringen; ein geschuldeter Beitrag kann dem Mitglied durch den Vorstand, wenn seine Kompetenz soweit reicht, erlassen werden; in beiden Punkten gilt das Gegenteil für die Aktiengesellschaften, HGB. § 221, Ges. m. b. H. und die eingetr. Gen.40, weil bei diesen im Erwerbsleben stehenden Vereinigungen das Interesse der Gläubiger an der effektiven Einzahlung des Kapitals vom Gesetz als überwiegend anerkannt wird 4 1 . Die Pflichten der Mitglieder beruhen auf der Satzung und treffen nach dem das Vereinsrecht beherrschenden Grundsatz alle Mitglieder 42 gleichmäßig43. Die Satzung soll nach § 58 Bestimmungen darüber enthalten, ob und welche Beiträge von den 86

Vgl. ob. § 37 Note 8: Beispiele bei Lei«t, Vereinsrecht 3 fg. 37 Der mildere Maßstab des § 708 gilt nur für Gesellschaften. 88 Strafe kann auch für Nichterfüllung von Verpflichtungen bestimmt sein deren Inhalt keinen pekuniären Wert hat, Dernburg I I § 101 Note 3. Das Maß der Strafe kann arg. § 315 der Fixierung durch ein Vereinsorgan überlassen sein; bei unverhältnismäßiger Höhe kann der Richter die Strafe herabsetzen, vgl. ob. § 35 Note 20. 89 Auch kann für Verstoß gegen Vereinspflichten Ausscheiden resp. Ausschließung aus dem Verein angeordnet sein. Anders bei der Ges. m. b. H., vgl. OLG. 19, 364. 40 Vgl. Dernburg I I § 128 I I 2. 41 Vgl. ob. S. 481. 42 Vgl. ob. S. 513. 43 Bei der Gründung können alle oder einzelne Gründer besondere Pflichten übernehmen, vgl. ob. § 34, Noté 19, ebenso später einzelne Mitglieder durch 86

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Die Personen.

Mitgliedern zu leisten sind. In der Satzung kann es der Mitgliederversammlung oder dem Vorstand überlassen sein, das Maß der Beiträge festzusetzen. Die Beitragspflicht entsteht pro rata temporis, aus der Mitgliedsstellung; auf den Moment der Fälligkeit des Beitrags kommt es nicht an 4 4 . Ein ausscheidendes Mitglied hat demgemäß den Beitrag im Verhältnis der Zeit zu entrichten, während welcher er dem Verein angehörte; eine Ausstoßung mit Fortdauer der Beitragspflicht würde gegen den zwingenden Rechtssatz des § 39 I I verstoßen. Eine Erhöhung der Beiträge kann nur für die Zukunft, nicht mit rückwirkender Kraft beschlossen werden, denn das Mitglied muß die Möglichkeit haben, sich beschwerlichen Leistungen, denen es nicht zustimmt, durch Austritt zu entziehen ; das wäre aber vereitelt, wenn ihm solche Leistungen für einen bereits abgelaufenen Zeitraum zur Pflicht gemacht werden könnten. Ist in der Satzung eine Beitragspflicht nicht bestimmt, so besteht sie nicht 4 5 . Aber durch Satzungsänderung kann eine Beitragspflicht eingeführt werden 46 . Der Schutz der Minorität liegt in der Möglichkeit des Austritts. Ebenso kann die im Statut festgesetzte Beitragspflicht durch Satzungsänderung gemindert oder aufgehoben werden, aber nur gleichmäßig für alle Mitglieder 47 . V. Ebenso mannigfaltig, wie die Pflichten, sind die aus der Mitgliedschaft hervorgehenden Rechte 48 . Einige dieser Rechte geben, dem Mitglied Anteil an der Verwaltung des Vereins, andere Vertrag mit dem Verein oder durch eine mit ihrer Zustimmung ergehende Satzungsänderung. Solche Pflichten kann man im Gegensatz zu den Pflichten aller Mitglieder Sonderpflichten nennen. 44 Hier dürfte die Analogie von § 103 zutreifen. 48 Planck und Staudinger zu § 58; a. A. L e i s t 35 fg. 4e Oertmann § 35, 5a; a. A. Kohler § 172 I I I lb. Anders bei der Gesellschaft, § 707: dem Gesellschafter kann durch Mehrheitsbeschluß keine Erhöhung des vereinbarten Beitrags auferlegt werden, außer wenn die Zulässigkeit solcher Beschlüsse im Gesellschaftsvertrag ausgesprochen ist. Dagegen herrscht im Vereinsrecht prinzipiell das Majoritätsprinzip. 47 Vgl. ob. § 36 Note 84. 48 Von den Mitgliedschaftsrechten sind zu unterscheiden die Rechte, die jemand nicht in seiner Eigenschaft als Mitglied, sonderm aus anderem Grunde gegen den Verein hat ζ. B. aus Verträgen mit dem Verein, aus Delikten eines Vereinsorgans, § 31; ferner dingliche Rechte an einer dem Verein gehörenden Sache. In bezug auf solche Rechte steht das Mitglied dem Verein wie ein Dritter gegenüber (nur ist das Stimmrecht in solchen Angelegenheiten nach § 34 ausgeschlosssen). Vgl. Entsch. des RG. vom 28. 4. 09. (DJZ. 1909, 770.)

§ 38.

Die Mitgliedschaft.

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gewähren ihm individuelle Vorteile· Man kann mit Κ ο h 1 e r § 139 fg. von Organschaftsrechten und Wertrechten 48 β sprechen. Zu den ersteren gehört vor allem das Stimmrecht in der Mitgliederversammlung, das einzige Recht, welches dem Mitglied aus dem Gesetz, § 32, zusteht 49 . Das Stimmrecht gehört zu der Gruppe von Rechten, die ich ob. § 7 IV unter der Bezeichnung „Machtbefugnisse" zusammengefaßt habe; es ist eine den Gestaltungsrechten verwandte Befugnis eines Menschen, durch seinen rechtsgeschäftlichen Willen in der Sphäre eines anderen Rechtssubjekts Wirkungen herbeizuführen oder an der Herbeiführung solcher Wirkungen sich zu beteiligen; wie der Vertreter nach außen für den Verein handelt, so wird durch die Abstimmung des Mitglieds in der Versammlung der Beschluß hergestellt, welcher als der innere Wille des Vereins gilt. Alle anderen Mitgliedschaftsrechte beruhen auf der Satzung. Wenn die Satzung bestimmt, daß die Vereinsorgane Mitglieder sein müssen60, so hat das Mitglied sog. passives Wahlrecht, d. h. die rechtliche Fähigkeit, durch Wahl in die Stellung des Vorstandes zu gelangen61. Die Organschaftsrechte haben die ob. § 7 V hervorgehobene Eigenschaft, daß der Versuch ihrer Verletzung an den Vorschriften des Gesetzes scheitert 61 a ; wird ein Mitglied nicht ordnungsmäßig geladen oder nicht zur Abstimmung zugelassen oder wird seine Stimme nicht gezählt, so ist, wenn seine Stimme entscheidend war, der Beschluß ungiltig 52 . Ebenso verhält es sich mit dem passiven Wahlrecht : wird jemand gewählt, der den statutarischen Erfordernissen nicht entspricht, so ist die Wahl ungiltig; entspricht er den Voraussetzungen, so hat er durch die Wahl die Stellung des Vorstandes erhalten und kann sich gegen Bestreitung durch Feststellungsklage verteidigen 68. Als Wertrechte kommen vor : Rechte auf Benutzung der Gegen48

a Vgl. Ob. § 6 Note 7. Da § 32 dispositives Recht ist (§ 40), kann es nach der Satzung Mitglieder ohne Stimmrecht geben. 80 Organschaftsrecht steht den Mitgliedern auch dann zu, wenn die Satzung bestimmt, daß gewisse Vereinsamter durch Loos oder in einem Turnus unter den Mitgliedern besetzt werden. 61 Vgl. ob. § 7 Note 6. 61 » Ungerechtfertigter Ausschluß affiziert die Organschaftsrechte nicht; anders RG. über eingetr. Genossensch. § 68; RG. 72, 6. 62 Vgl. ob. § 36 4. 63 Vgl. ob. § 37 Note 57. 49

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etände und Einrichtungen des Vereins; Rechte auf Zahlungen aus dem Vereinsvermögen (Unterstützungen, Gewinnanteil); Rechte auf Anteil am Vermögen bei Auflösung des Vereins. Es handelt sich in allen diesen Fällen um Forderungen des Mitglieds gegen den Verein, insbesondere auch bei den Benutzungsrechten 64; es besteht meines Erachtens weder die Möglichheit noch das Bedürfnis, das Benutzungsrecht eines Mitglieds ζ. B. an der Vereinsbibliothek als dingliches Recht an den Raum (der vielleicht nicht im Eigentum des Vereins steht) oder an den Büchern zu konstruieren ; das Mitglied ist durch eine Forderung gegen den Verein genügend geschützt. Das Recht auf Unterstützungen oder auf einen Gewinnanteil kann im Statut fest bestimmt sein, oder so, daß es durch Beschluß eines Vereinsorgans (Vorstand oder Mitgliederversammlung) festgesetzt wird. In letzterem Fall besteht zunächst eine Anwartschaft, aus der durch den Beschluß eine Forderung gegen den Verein erwächst. Die aus der Mitgliedschaft hervorgehenden Forderungen sind infolge ihres Ursprungs eigenartiger Natur 6 5 ; sie sind, wie die Mitgliedschaft selbst, § 39, unübertragbar und unvererblich, wenn nicht die Satzung anders bestimmt; sie stehen im Konkurs des Vereins hinter den Forderungen anderer Gläubiger zurück 5 6 ; das gilt nicht nur, begriffsmäßig, vom Gewinnanteil, sondern meines Erachtens auch von sonstigen satzungsmäßig bewilligten Auszahlungen an die Mitglieder 67 . Ferner können alle Mitgliedschaftsrechte, insbesondere auch die Anwartschaften auf Auszahlungen aus dem Vereinsvermögen, durch Satzungsänderung (wenn dieselbe alle Mitglieder gleichmäßig trifft) gemindert oder 64

A.A. Oertmann §35, 4c, D e r n b u r g § 69 V. Die angeführten Beispiele für dingliche Mitgliedschaftsrechte gehören dem Landesrecht an : Kirchenstühle und Begräbnisplätze, Art. 113; Gemeindeservituten, in bezug auf welche aber RG. in SeuffA. 59, 127 dem Gemeindemitglied ein gegen Dritte verfolgbares Recht abspricht. 55 Die festgesetzte Dividende des Aktienrechts ist ein von der Mitgliedschaft abgelöstes und den gewöhnlichen Grundsätzen unterliegendes Forderungsrecht: übertragbar, selbst wenn die Aktie nicht oder in erschwerter Form übertragbar ist; im Konkurs der Aktiengesellschaft den sonstigen Forderungen gleichstehend, Staub, HGB. § 213 Anm. 12. Das ist Singularrecht der Aktiengesellschaft. ee Crome § 52 Note 4; K o h l e r § 143 I ; Jäger, KO. § 213. 57 Pensionen, Unterstützungen etc. an Mitglieder können nicht als unentgeltliche Auszahlungen bezeichnet werden, wenn ihnen ein Beitrag gegenübersteht.

§ 38. Die Mitgliedschaft

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aufgehoben werden 68. Diese Schwäche (Revokabilität) der Mitgliedschaftsrechte wird durch den gemeinsamen Zweck, welchem sich die Mitglieder unterworfen haben, notwendig erfordert; der Verein kann seinen Mitgliedern nicht mehr bieten, als seine Mittel gestatten; ist durch Satzung oder Beschluß der Mitgliederversammlung eine Zuteilung der Vereinsvorteile an die Mitglieder erfolgt, so haben sie, so lange diese Regel besteht, ein Recht darauf; aber die Regel kann, wie sie durch die Mehrheit aufgestellt ist, so auch wieder aufgehoben werden, wenn die Mehrheit glaubt, daß das Wohl des Vereines es erfordert 69 . Nur wenn die Aufhebung von Mitgliedschaftsrechten sich als Änderung des Vereinszwecks darstellt, findet der Wille der Majorität an § 33 I 2 eine Schranke 60. VI. Von den allgemeinen Mitgliedschaftsrechten unterscheidet das Gesetz, § 35, die Sonderrechte und bestimmt, daß sie durch Beschluß der Mitgliederversammlung (also auch durch Satzungsänderung) nicht ohne Zustimmung der Sonderberechtigten beeinträchtigt werden kann. Begriff und Abgrenzung der Sonderrechte von den gewöhnlichen Mitgliedschaftsrechten war schon vor dem BGB. sehr streitig 61 und ist es nach Erlaß des Gesetzes geblieben. Einige Autoren 62 suchen das Kriterium des Unterschiedes in der durch § 35 angeordneten Rechtsfolge und nennen daher Sonderrecht jedes Mitgliedschaftsrecht, sofern es nicht ohne Zustimmung des Berechtigten aufgehoben werden kann. Dann wäre § 35 ein tautologischer, d. h. inhaltsleerer Rechtssatz und würde nur besagen, daß die nicht aufhebbaren Mitgliedschaftsrechte den Namen 68 So kann ζ. B. bestimmt werden, daß für die Benutzung einer Vereinseinrichtung, welche den Mitgliedern bisher freistand, ein Eintrittsgeld erhoben werden soll; a. A. Dernburg § 87 I I 4 (für Aktienges.). 69 Durch Beschlüsse der Vereinsorgane kann die Verwaltung des Vereinsvermögens nur für die Zukunft, nicht mit rückwirkender Kraft geändert werden. Daher kann eine beschlossene Auszahlung an Mitglieder nur so lange durch neuen Beschluß sistiert werden, als sie noch nicht ausgeführt ist; denn eine Verpflichtung zur Rückerstattung ausgezahlter Beträge kann durch Beschluß nicht begründet werden; haben aber einige Mitglieder die Zahlung bereits erhoben, so würde eine Sistierung der Auszahlung an die übrigen eine unzulässige ungleiche Behandlung der Mitglieder enthalten. 60 Enneccerus § 105 I I I 2c. 61 Gierke, Genossenschaftsth. 174, PrivRecht § 68 I I I ; Lehmann, ArchBürgR. 9, 297 fg. 62 Planck § 35, 1; Staub, HGB. § 250 Anm. 9; Oertmann § 35, 4a. Dernburg § 69 III/IV unterscheidet: Sonderrechte im weiteren Sinn und versteht darunter alle unentziehbaren Mitgliedschaftsrechte, und Sonderrechte im engeren Sinn: Vorrechte einzelner Mitglieder.

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Sonderrecht tragen sollen. Die Frage, ob ein Recht entziehbar ist oder nicht, wäre nicht aus § 35 zu entscheiden, sondern aus allgemeinen Erwägungen e3, welche bei den einzelnen Schriftstellern zu verschiedenen und meines Erachtens unsicheren Resultaten führen 64 . Diese Auffassung führt ferner dazu, Rechte, die allen Mitgliedern zustehen, wenn sie nicht willkürlich entzogen werden können, als Sonderrechte zu bezeichnen. So nennt ζ. B. Planck die Mitgliedschaft, d. h. das ganze Rechtsverhältnis, in welchem das Mitglied zum Verein steht, ein Sonderrecht des Mitglieds. Damit wird jeder Zusammenhang mit der sprachgemäßen Bedeutung des Wortes aufgegeben; ein Recht, welches jedem Mitglied essentiell zusteht (ohne welches es nicht Mitglied wäre) im Gegensatz zu den allgemeinen Mitgliedschaftsrechten als Sonderrecht zu bezeichnen, klingt fast wie lucus a non lucendo. Der Fehler dieser Theorie scheint mir in der Annahme zu liegen, daß ein Mitglied, soweit es sich nicht auf ein Sonderrecht stützen kann, der Willkür der Mehrheit ausgesetzt ist. Dabei wird übersehen, daß es auch für die gewöhnlichen Mitgliedschaftsrechte Schranken der Mehrheitsherrscîiaft gibt. Das Vereinsrecht wird durch das im Gesetz allerdings nicht ausgesprochene Prinzip der Gleichstellung der Mitglieder beherrscht 66. Aus diesem Grunde, und nicht weil ein Sonderrecht vorliegt, kann einem einzelnen Mitglied die Benutzung der Vereinseinrichtungen oder der Gewinnanteil nicht entzogen werden; daß es sich um allgemeine Mitgliedschaftsrechte handelt, zeigt sich daran, daß diese Befugnisse durch Mehrheitsbeschluß gemindert werden können, wenn davon alle Mitglieder gleichmäßig betroffen werden. Aus demselben Grunde, und nicht weil die Mitgliedschaft ein Sonderrecht ist, kann ein Mitglied nicht willkürlich ausgeschlossen werden 66 , denn das wäre der weitgehendste Verstoß gegen die allen Mitgliedern prinzipiell zustehende Gleichberechtigung. Nach der meines Erachtens richtigen und wohl auch herrschen68

So L e i s t , Vereinsrecht 92. Vielfach z.B. von Planck und Oertmann wird die Eigennützigkeit des Rechts, d. h. der Vorteil des einzelnen Mitgliedes als Kennzeichen des Sonderrechts betrachtet. Aber auch das Stimmrecht, welches nicht zu den Sonderrechten gezählt wird, kann in eigennützigem Interesse ausgeübt werden, vgl. ob. § 36 Note 25. 65 Vgl. ob. § 36 Note 33 b. ββ Vgl. ob. S. 545. 64

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den Ansicht 67 kann man als Sonderrechte nur bezeichnen Vorrechte einzelner Mitglieder oder einzelner Klassen von Mitgliedern, Ausnahmen von der prinzipiellen Gleichstellung der Mitglieder, ζ. B. Anrecht eines Mitglieds auf ein Vereinsamt 68, verstärktes Stimmrecht, Freiheit von Beiträgen, privilegiertes Benutzungsrecht oder erhöhtes Anteilsrecht am Gewinn. Eine solche Ausnahmsstellung kann in der ursprünglichen Satzung für einen oder alle Gründer ausbedungen sein; sie kann auch durch Satzungsänderung geschaffen werden, aber, weil dadurch die Gleichstellung der Mitglieder beeinträchtigt wird, nur mit Zustimmung aller, auch der zurückgesetzten Mitglieder 69 . Sonderrechte können meines Erachtens auch durch Beschluß der Mitgliederversammlung (mit Zustimmung aller Mitglieder) 70 verliehen werden; es ist aber Auslegungsfrage, ob nicht durch einen solchen, nicht in die Satzung aufgenommenen Beschluß bloß eine prekaristische, d. h. durch späteren Beschluß aufhebbare Vergünstigung gewährt werden sollte. Als Kehrseite des Prinzips, daß die Gleichberechtigung nur mit Zustimmung aller Mitglieder durchbrochen werden kann, erscheint der Rechtssatz des § 35, daß die giltig erlangte Sonderstellung nicht ohne Zustimmung des privilegierten Mitglieds ihm entzogen werden kann 7 1 . VII. Die Mitglieder haben durch die Organschaftsrechte, insbesondere durch die Abstimmung in der Versammlung, die Herrschaft über das rechtliche Leben des Vereins; sie können auch, soweit Gewinnanteile oder Anwartschaft auf das Vermögen bei Auflösung des Vereins besteht, ein Vermögensinteresse an den Schicksalen des Vereins haben 72 , aber in bezug auf die rechtliche Zuständigkeit des Vereinsvermögens ist im römischen wie in unserem Recht der Gedanke der juristischen Person durchgedrungen und muß konsequent durchgeführt werden 72 *. Der Verein ist, obgleich 67

Z i t e l m a n n S. 65; Cosack § 34 I I ; Crome § 51, 4; Endemann § 45 Note 14; Enneccerus § 105 I I I ; Biermann § 138, 2; RG. 49, 150. 68 Vgl. ob. § 37 Note 3 und Oertmann § 35, Sa. Dieses Sonderrecht hat meines Erachtens die für die Existenz des Vereins unentbehrliche Schranke, daß es zwar nicht willkürlich, aber aus wichtigem Grunde entzogen werden kann. 69 Vgl. ob. § 36 Note 34. 70 Biermann § 138 Not* 9. 71 Auf diesen Zusammenhang wird in der Entscheidung des RG. 57, 174 mit Recht hingewiesen, aber es ist nicht ganz exakt, das Prinzip der Gleichberechtigung als Konsequenz des § 35 zu bezeichnen. 72 Bei der Gesamthand ist das stets der Fall : der Wert des gemeinsamen Vermögens findet sich als „Anteil" im Vermögen der Teilhaber wieder, vgl. ob. § 20 Note 40. 72 a Vgl. ob. S. 81

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die Mitglieder an seiner Organisation beteiligt sind und in dieser Eigenschaft beim Zustandekommen seiner Rechtshandlungen mitwirken, ein selbständiges Rechtssubjekt; sein Vermögen ist völlig getrennt von dem der Mitglieder; Subjekt der Rechte ist, nicht wie bei der Gesamthand die Gesamtheit der Mitglieder, sondern der von dieser Gesamtheit zu unterscheidende und über ihr stehende Verein. Wird ein dem Verein gehörendes Recht verletzt, so wird dadurch das Interesse der Mitglieder mitbetroffen, insbesondere kann die Anwartschaft auf den Anfall des Vereinsvermögens beeinträchtigt sein, aber der Ersatzanspruch entsteht nur für den Verein 78 . An den Sachen des Vereins, die von den Mitgliedern benutzt werden, haben die Mitglieder keine dingliche Mitberechtigung 74 , auch keinen Besitz; sie sind als Besitzgehilfen im Sinn von § 855 zu betrachten, so daß die Besitzklage nicht dem gestörten Mitglied, sondern dem Verein zusteht. Mietet der Verein eine Sache, so wird die Benutzung durch die Mitglieder meistens zum vertragsmäßigen Gebrauch gehören; bei der Benutzung üben die Mitglieder kein eigenes Recht aus, sondern das Recht des Vereines 76 . Die Schulden des Vereins sind nicht Schulden der Mitglieder 76a . Der Gläubiger kann sich nur an das Vermögen des Vereins halten und als Bestandteil desselben die noch ausstehenden Beiträge pfänden 76. Die Satzung kann eine Nachschußpflicht der Mitglieder anordnen, woraus aber das Mitglied nur dem Verein, nicht dem Gläubiger gegenüber verpflichtet ist. Eine direkte Verpflichtung gegenüber dem Vereinsgläubiger kann bei der eingetr. Genossenschaft durch Satzung geschaffen werden 77, nicht aber beim Verein des BGB. 78 73

Vgl. ob. § 11 III. Vgl. ob. Note 54. 76 Für Verschulden der Mitglieder haftet der Verein dem Vermieter nach § 278. 76 a Umgekehrt sind Schulden der Mitglieder nicht Schulden des Vereins ^ selbst wenn alle Mitglieder solidarisch verpflichtet sind ζ. B. aus einer gemeinsam übernommenen Bürgschaft, kann diese Forderung weder gegen den Verein eingeklagt, npch in dessen Vermögen vollstreckt werden; anders beim nichtrechtsfähigen Verein, vgl. unt. § 40 Note 28 a. 76 Der Vorstand kann zum Offenbarungseid über ausstehende Beiträge angehalten werden, ZPO. § 809. Erlaß von Beiträgen, vgl. ob. Note 40, fcann vom Gläubiger des Vereins angefochten werden. 77 RGes. § 2. 78 A. A. Crome § 51 Note 49; aber die Satzung kann nur die Beziehungen der Mitglieder zum Verein, nicht zu Dritten, regeln, vgl. ob § 35 Note 1. 74

§ 39. Auflösung des Vereins.

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Die Vertretung des Vereins steht dein Vorstand zu und den sonstigen ausführenden Organen (§ 30X nicht dem einzelnen Mitglied. Daher entscheidet ζ. B. beim Erwerb von Sachen für den Verein der gute Glaube des Vorstands, nicht der Mitglieder. Handelt ein Mitglied namens des Vereines, so liegt negotiorum gestio vor, wie bei der Handlung eines Fremden. Für Delikte eines Mitglieds haftet der Verein nicht, außer wenn ein mitwirkendes Verschulden eines Vereinsorgans vorliegt 79 . Auch im Prozeß wird der Verein nicht durch die Mitglieder vertreten; daher wird das Mitglied nicht zum Parteieid zugelassen, wohl aber zum Zeugeneid und zur Ausübung des Amts eines Richters und Schiedrichters 80. § 39. Auflosung des Vereins*. I. Die Existenz des Vereins endigt durch Auflösung oder durch Verlust der Rechtsfähigkeit. Die Auflösung erfolgt: 1. Durch Beschluß der Mitgliederversammlung, § 41 \ mit einer Mehrheit von drei Vierteln der erschienenen Mitglieder 2 . Die Satzung kann sich mit einer kleineren Mehrheit begnügen8, oder die Auflösung erschweren; sie kann vorschreiben, daß der Beschluß wiederholt in mehreren Versammlungen gefaßt sein muß ; sie kann eine größere Mehrheit oder sogar Zustimmung aller vorhandenen Mitglieder verlangen; aber die Gesamtheit der Mitglieder hat die durch Satzung nicht entziehbare Möglichkeit, den Verein aufzulösen 4. Staatliche Genehmigung ist zur Auflösung seihst dann nicht erforderlich, wenn der Verein nach § 22 die Rechtsfähigkeit durch Verleihung erhalten hat 5 . 79

Ζ. B. der Vorstand eines Sportvereins verabsäumt Vorsichtsmaßregeln und ermöglicht dadurch die Verletzung Dritter durch fahrlässiges Handeln eines Mitgliedes. 80 Dernburg § 68 I I ; K o h l e r § 156 V. 1. * W i n d s c h e i d §§ 61, 62; Regelsberger §§ 85, 86; Gierke § 70; Dernburg § 77 VI., VII.; Crome §§ 53, 54; Enneccerus §§ 106, 107; Kohler §§ 148, 173—177; Biermann §§ 139, 140. 1 Die Satzung kann die Auflösung des Vereins anderen Organen zuweisen. a Auch dieser Beschluß der Versammlung kann durch schriftliche Zustimmung aller Mitglieder ersetzt werden, § 32, II. Oertmann § 41, 2c; a. A. Holder § 41, 4. 8 Anders bei der Aktiengesellschaft, HGB. § 292, und eingetragenen Genossenschaften, Ges. § 78. 4 K i p p , Bern. 1 zu W i n d s c h e i d § 61; K ö h l e r § 175 I I ; Biermann § 139 Note 2. 6 Oertmann § 41, 2d; a. A. Crome § 53 Note 2. Die Satzung kann

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2. Die Satzung kann bestimmen, daß der Verein sich ipso iure in einem bestimmten Zeitpunkt oder bei Eintritt einer Bedingung auflöst, § 74 II. 3. Der Verein kann durch die Verwaltungsbehörde auf Grund des öffentlichen Vereinsrechts aufgelöst werden, § 74 I I I . Das kann nach § 2 des Vereinsgesetzes nur geschehen, wenn der Zweck 6 des Vereins den Strafgesetzen zuwiderläuft. Die Zuständigkeit richtet sich nach Landesrecht ; der Beschluß kann im Verwaltungsstreitverfahren oder, wenn ein solches nicht besteht, nach GewO. § 20/1 angefochten werden. 4. Auflösung tritt begriffsmäßig ein, wenn alle Mitglieder weggefallen sind 7 . Solange noch ein Mitglied vorhanden ist, besteht der Verein 8 . 5. Der Verein löst sich auf (wie die Gesellschaft, § 726), wenn sein Zweck erreicht oder die Erreichung des Zwecks unmöglich geworden ist 9 . Anders die herrschende Meinung 10 ; man weist darauf hin, daß die Mitglieder in einem solchen Fall entweder Auflösung oder Änderung des Zwecks beschließen können. Aber zu letzterem Beschluß ist Zustimmung aller Mitglieder erforderlich, § 33 I 2. Sind ζ. B. von 12 Mitgliedern 10 für Änderung des Zwecks, 2 für Auflösung, so käme das Vereinsleben zu einem völligen Stillstand; das Vereinsvermögen würde ohne Zweck weiterexistieren, bis sich das Stimmenverhältnis ändert. Diese unerfreuliche Situation wird vermieden, wenn man den Verein als aufgelöst ansieht 11 ; den 10 Mitgliedern bleibt es überlassen, für den neuen Zweck einen neuen Verein zu gründen und ihm ihre Anteile am Vermögen des alten Vereins zu überweisen. II. Verlust der Rechtsfähigkeit tritt ein: 1. Durch Eröffnung des Konkurses über den Verein, § 42 I. Der Konkurs über einen Verein kann eröffnet werden bei Zahlungsunfähigkeit oder bei Überschuldung, KO. 207 (213). Zahlungsauch nicht bestimmen, daß die Auflösung der Zustimmung dritter Personen bedürfen soll, K ö h l e r § 175 III. 6 D. h. der Zweck, den der Verein tatsächlich verfolgt. 7 Planck § 41, 4c; Enneccerus § 106 I 4. 8 Fr. 7 § 2 D. 3, 4. So lange ein Mitglied vorhanden ist, ist ein Beitritt neuer Mitglieder möglich. 9 Dernburg § 77 VI 5. 10 Planck §41, 4a; Enneccerus § 106 Note 1; Oertmann § 41, 4e. 11 Κ ο h 1 e r § 175 IV gibt jedem Mitglied einen Auf lösungsanspruch ; aber es ist nicht abzusehen, wie dieser Anspruch durchgeführt werden soll.

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Unfähigkeit ohne Überschuldung kann namentlich dadurch entstehen, daß Beiträge von Mitgliedern ausstehen. Bei Überschuldung ist jedes Mitglied des Vorstandes verpflichtet, die Eröffnung des Konkurses zu beantragen, und haftet bei schuldhafter Unterlassung den Gläubigern auf Schadensersatz; mehrere Mitglieder des Vorstandes haften als Gesamtschuldner, § 42 I I . Wird der Eröffnungsbeschluß auf Grund sofortiger Beschwerde aufgehoben, KO. § 109, so hat der Verein die Rechtsfähigkeit nicht verloren ; anders, wenn das Verfahren eingestellt oder wegen Zwangsvergleichs aufgehoben wird 1 1 a . 2. Die Rechtsfähigkeit kann durch die Verwaltungsbehörde entzogen werden in den vier Fällen des § 43: a) bei Gefährdung des Gemeinwohls durch einen gesetzwidrigen Beschluß der Versammlung oder durch gesetzwidriges Verhalten des Vorstandes; b) wenn der Verein entgegen seiner Satzung einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb ausübt; diese Bestimmung richtet sich gegen Umgehung des § 21, nach welchem solche Vereine nicht eingetragen werden können; c) wenn ein Verein, der nach seiner Satzung einen politischen, sozialpolitischen oder religiösen Zweck nicht hat, einen solchen Zweck verfolgt. Das Einspruchsrecht der Behörde, § 61, soll nicht dadurch vereitelt werden können, daß ein Verein sich zunächst mit einem einspruchsfreien Zweck konstituiert und sodann zu einem Zweck übergeht, welcher dem Einspruch unterlegen hätte. Daher wird man annehmen müssen, daß einem Verein, der einen dieser drei Zwecke in seiner Satzung angibt und sich später einem anderen dieser Zwecke zuwendet, ζ. B. sich aus einem religiösen in einen politischen Verein verwandelt, die Rechtsfähigkeit entzogen werden kann 1 2 . Ebenso wenn ein Verein, der innerhalb eines der drei dem Einspruch unterliegenden Gebiete satzungsgemäß eine bestimmte Aufgabe zu verfolgen vorgibt, tatsächlich eine wesentlich verschiedene Tätigkeit entfaltet, so ζ. B. wenn sich ein Vereiu, der sich als liberaler Verein hat eintragen lassen, der sozialdemokratischen Partei anschließt. Wie eine in dieser Richtung vorgenommene Satzungsänderung dem Einspruch unterliegt, vgl. ob. § 35 Note 12, so muß auch eine im Widerspruch zur Satzung Jäger, KO. § 213 Anm. 13. Planck § 43, 2c; Enneccerus § 106 Note 6; a. A. S t a u d i n g e r § 43 I I I 3; Biermann § 139, 3c. 18

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stehende Betätigung des Vereins der Verwaltungsbehörde die Möglichkeit des Einschreitens geben. Es ist dies eine, vielleicht unerwünschte, aber praktisch unvermeidliche Konsequenz des Einspruchrechts, ohne welche dieses Recht wertlos wäre 1 8 ; d) wenn ein konzessionierter Verein (§ 22) einen anderen, als den in der Satzung bestimmten Zweck verfolgt. Zuständigkeit und Verfahren bestimmen sich nach den landesgesetzlichen Vorschriften über das Verwaltungsstreitverfahren; in Ermangelung eines solchen ist Rekurs nach GewO. § 20/1 statthaft. 1st die Rechtsfähigkeit durch den Bundesrat verliehen, § 23, so erfolgt auch die Entziehung durch Beschluß des Bundesrats, § 44. Die Wirkung der Entziehung tritt ein mit der Rechtskraft der Entscheidung, welche sich ihrerseits nach Landesverwaltnngsrecht bestimmt. Ist die Entziehung auf Grund des § 43 erfolgt, so ist sie wirksam, auch wenn die Voraussetzungen tatsächlich nicht vorlagen 1 4 ; dem Verein bleibt es unbenommen, nochmals die Eintragung zu beantragen oder um Verleihung der Rechtsfähigkeit zu bitten 16 . 3. Die Entziehung der Rechtsfähigkeit erfolgt durch Beschluß des Amtsgerichts, wenn die Mitgliederzahl eines eingetragenen Vereins unter drei sinkt, § 73; auf Antrag des Vorstandes oder, wenn binnen drei Monaten kein Antrag erfolgt, von Amtswegen; gegen den Beschluß ist sofortige Beschwerde nach ZPO. zulässig; der Beschluß wirkt im Moment seiner Rechtskraft. 4. Verlust der Rechtsfähigkeit dürfte anzunehmen sein, wenn der Verein seinen Sitz ins Ausland verlegt 16 . Der Verlust der Rechtsfähigkeit ist erst in der Reichstagskommission von der Auflösung des Vereins unterschieden worden; man nahm in der Kommission an, daß der Verein auch nach Verlust der Rechtsfähigkeit als nichtrechtsfähiger Verein weiterbestehen könne. In der Tat kann die Satzung (wenn sie es auch selten tun wird) oder die Mitgliederversammlung bestimmen, daß der 18

O e r t m a n n § 43, 2c; Enneccerus a. a. 0.; K i s c h , GrünhutsZ. 29, 206. u Planck und Oertmann zu § 44. Die Entziehung der Rechtsfähigkeit ist, wie die Eintragung, vgl. ob. § 34 Note 65, ein konstitutiver Staatsakt, dessen Wirkung nur durch eine nach Erschöpfung des Instanzenwegs nicht mehr mögliche formelle Aufhebung beseitigt werden könnte. 16 Vgl. ob. § 34 Note 30 a. 16 Biermann § 139 Note 4. Dagegen hat Verlegung des Sitzes in ein deutsches Schutzgebiet meines Erachtens den Verlust der Rechtsfähigkeit nicht zur Folge, weil der Verein dem deutschen Recht unterworfen bleibt.

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Verein, nachdem er die Rechtsfähigkeit verloren hat, seine Zwecke mit dem vorhandenen Vermögen weiterverfolgen solle. In solchen Fällen wird bisweilen ein wirkliches Fortbestehen des Vereins angenommen17, indem man die Rechtsfähigkeit als eine Eigenschaft auffaßt, welche ein Verein erwerben oder verlieren kann, ohne seine Identität einzubüßen. Meines Erachtens ist aber die Rechtsfähigkeit nicht eine Eigenschaft, sondern Wesen der Person im rechtlichen Sinn 1θ , so daß Existenz und Identität des Vereins von derselben abhängt; der Verein, welcher nach Verlust der Rechtsfähigkeit dieselben Zwecke mit demselben Mitgliederstand und Vermögen verfolgen soll, ist rechtlich, wenn auch nicht sozial, ein neues Gebilde; das Vermögen des rechtsfähigen Vereins war ein Einheitsvermögen und hatte die juristische Person zu seinem Subjekt, während das Vermögen jetzt den Mitgliedern gehört, die zu einander im Verhältnis der Gesamthand stehen. Daß der Verein nach Verlust der Rechtsfähigkeit nicht weiterbestehen, sondern nur neugegründet werden kann, hat zur Folge, daß dem neuen nichtrechtsfähigen Verein nur die Mitglieder des alten Vereins angehören, die es wollen, denn zur Gründung eines Vereins gehört Einstimmigkeit. Nur wenn die Satzung die Verwandlung in einen nichtrechtsfähigen Verein durch Mehrheitsbeschluß vorsieht, sind die überstimmten Mitglieder daran gebunden und werden ipso jure Mitglieder des nichtrechtsfähigen Vereins. Dasselbe gilt aber in gleicher Weise auch bei Auflösung des Vereins; auch hier können die Mitglieder, soweit sie es wollen, sofort zu einem nichtrechtsfähigen Verein zusammentreten und ihm ihre Anteile am Vermögen des aufgelösten Vereins zuweisen; auch für den Fall der Auflösung kann in der Satzung bestimmt sein, daß die Mitglieder einen nichtrechtsfähigen Verein bilden und das Vermögen des aufgelösten Vereins diesem Verein zufallen soll. Ferner gelten für Auflösung und Entziehung der Rechtsfähigkeit dieselben Vorschriften über das Schicksal des Vermögens und die Liquidation, insbesondere die zwingenden Vorschriften über Befriedigung der Gläubiger aus dem Vereinsvermögen und über das Sperrjahr, § 45,47. Daher kann man meines Erachtens der durch die Reichstagskommission vorgenommenen Änderung nur terminologische Bedeutung beimessen; es handelt sich auch beim Verlust der Rechtsfähigkeit um den rechtlichen Untergang, d. h. 17 Gierke, Vereine ohne Rechtsf. S. 8; Oertmann § 42, 1. " Vgl. ob. § 32 Note 1. Handbuch X . 1. I : v o n T u h r I .

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um die Auflösung des Vereins 19 , mit der selbstverständlich vorhandenen Möglichkeit, daß die Mitglieder sich zu einem nichtrechtsfähigen Verein verbinden 20. Bei eingetragenen Vereinen soll die Auflösung sowie die Entziehung der Rechtsfähigkeit in das Vereinsregister eingetragen werden, § 74 I. Bei Konkurs wird die Konkurseröffnung, nicht der dadurch eintretende Verlust der Rechtsfähigkeit eingetragen, § 75 ; denn bei Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses hat der Verein die Rechtsfähigkeit nicht verloren 20 ft. Die Auflösung hat der Vorstand zur Eintragung anzumelden; bei Entziehung der Rechtsfähigkeit erfolgt der Eintrag auf Anzeige der zuständigen Behörde, § 74, I I . Diese Eintragungen sind nicht konstitutiv. I I I . Bei Auflösung des Vereins oder Verlust der Rechtsfähigkeit muß das Vermögen, da sein bisheriges Subjekt wegfällt, auf eine andere Person übergehen. Wem das Vermögen anfällt, ist in § 45 in erschöpfender Weise geregelt; in erster Linie hat die (ursprüngliche oder abgeänderte) Satzung den Anfallberechtigten zu bestimmen. Die Satzung kann die Bestimmung der Mitgliederversammlung oder einem anderen Vereinsorgan 21 zuweisen. Durch die Satzung oder einen auf Grund der Satzung gefaßten Beschluß kann jede beliebige Person zum Anfallberechtigten gemacht werden 20. Bei idealen Vereinen kann die Mitgliederversammlung auch ohne Ermächtigung durch die Satzung das Vermögen einer öffentlichen Stiftung oder Anstalt zuweisen28, und zwar mit einfacher Mehrheit. Die Bestimmung des Anfallberechtigten durch die Mitgliederversammlung oder ein anderes Vereinsorgan kann nur vor der Auf10

So die herrschende Meinung, vgl. Planck § 41, 2; Enneccerus § 106 I I 4; Biermann § 139, 5. 20 * Vgl. ob. Note IIa. 20 Daher ist ein Beschluß, die Rechtsfähigkeit aufzugeben, Kohler § 174, 3, nichts anderes, als Auflösung mit gleichzeitiger Gründung eines nichtrechtsfähigen Vereins, Enneccerus, §106 Note 1, Biermann § 139 Note 1. An der Gründung sind nur die zustimmenden Mitglieder beteiligt. 81 Nicht einer dritten Person. 22 Insbesondere kann die Satzung bestimmen, daß das Vermögen einem aus den letzten Mitgliedern bestehenden nichtrechtsfähigen Verein zufallen soll, vgl. ob. S. 561. 88 Zuweisung an private, wenn auch gemeinnützige Stiftungen ist unzulässig, a. A. K i p p , Bern. I zu W i n d s c h e i d §62; dagegen wird man bei der Unbestimmtheit des Begriffs Anstalt, vgl. ob. § 31 Note 13, die Zuweisung an öffentliche Körperschaften, wie Gemeinden, Provinzen und insbesondere an den Fiskus, mit Enneccerus § 107 Note 2 für zulässig erachten dürfen.

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lösung oder dem Verlust der Rechtsfähigkeit erfolgen 24 ; denn mit diesem Moment beschränkt sich die Kompetenz der Vereinsorgane auf den Liquidationszweck. Ist ζ. B. die Entziehung der Rechtsfähigkeit nach § 43 erfolgt, so kann ein Beschluß nur gefaßt werden, wenn ein Rekurs eingelegt ist, durch welchen die Rechtskraft der Verfügung der Behörde aufgeschoben wird. Hat die Mitgliederversammlung die Auflösung beschlossen, so kann sie picht mehr über das Schicksal des Vermögens bestimmen; dabei ist aber zu beachten, daß die Auflösung auf einen künftigen Moment, z. B. den Schluß des Jahres beschlossen werden kann; dann kann bis zu diesem Zeitpunkt ein Beschluß über den Anfall des Vermögens gefaßt werden; wenn Auflösung und Anfall des Vermögens auf einer Tagesordnung stehen, so muß korrekterweise zuerst über den Anfall, dann über die Auflösung beschlossen werden; wird diese Reihenfolge nicht beobachtet, so wird man annehmen dürfen, daß die Auflösung mit Wirkung für den Schluß der Versammlung beschlossen ist 2 6 . Hat der Verein das Schicksal seines Vermögens weder in der Satzung noch durch Beschluß geregelt, so entscheidet das Gesetz; wenn der Verein ausschließlich den Interessen der Mitglieder dient (was auch bei idealen Vereinen vorkommt, wenn sie ihre Tätigkeit auf den Kreis ihrer Angehörigen beschränken), so fällt das Vermögen an die im Moment der Auflösung vorhandenen Mitglieder zu gleichen Teilen; andernfalls an den Fiskus des Bundesstaats, in welchem der Verein seinen Sitz hat 2 6 . Nach Art. 85 kann das Landesrecht an Stelle des Fiskus eine Köiperschaft, Stiftung oder Anstalt des öffentlichen Rechts setzen. Der Anfall des Vereinsvermögens an den Fiskus untersteht nach § 46 den Grundsätzen des gesetzlichen Erbrechts des Fiskus; es findet Universalsukzession statt, im Moment der Auflösung des Vereins oder des Verlusts der Rechtsfähigkeit ; das Nachlaßgericht hat festzustellen, daß ein anderer Anfallberechtigter als der Fiskus nicht vorhanden ist, arg. § 1964/5; erst nach dieser Feststellung kann vom Fiskus oder gegen ihn ein Recht aus dem Anfall geltend gemacht werden, § 1966. Der Fiskus kann den Anfall nicht aus24

Planck § 45, 2a; Staudinger § 45 I I 6; Oertmann § 45, 2a. Die Zuweisung des Vereinsvermögens kann unter einer Bedingung erfolgen und, da es sich um unentgeltlichen Zweck handelt, mit einer Auflage belastet sein. 26 An den Reichsfiskus, arg. § 1936, wenn der Verein seinen Sitz nicht in einem Bundesstaat hat, Planck § 45, 2; Oertmann § 45, 2a. 26

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schlagen, § 1942 I I . Er haftet für die Verbindlichkeiten des Vereins beschränkt, auch ohne Vorbehalt im Urteil, ZPO. § 780; eine Inventarfrist kann ihm nicht gesetzt werden, § 2011 27 . Der Fiskus hat das Vermögen tunlichst in einer dem Zweck des Vereins entsprechenden Weise zu verwenden 28: durch Zuwendung an eine juristische Person, welche ähnliche Ziele verfolgt, oder auf dem Wege der eigenen Verwaltung. Es ist dies eine Pflicht des öffentlichen, nicht des Privatrechts 29 ; daher hat niemand einen Anspruch gegen den Fiskus auf Vornahme der Verwendung 80. Fällt das Vermögen nicht an den Fiskus, so findet Liquidation 81 statt, § 47, d. h. ein Verfahren, in welchem die Verbindlichkeiten des Vereins berichtigt und der Überschuß des Vermögens an den Anfallsberechtigten herausgegeben wird. Während der Liquidation gilt der Verein als fortbestehend, soweit der Zweck der Liquidation es erfordert, § 49 II. Was das Gesetz Auflösung oder Verlust der Rechtsfähigkeit nennt, ist daher, wie die Auflösung der Gesellschaft, § 730, und die Beendigung der Gütergemeinschaft, § 1471 8a , nicht ein momentanes Auseinanderfallen des Vereins und seines Vermögens, sondern der Beginn eines Stadiums, innerhalb dessen durch Vornahme einzelner Rechtsgeschäfte die Bestandteile des Vereinsvermögens in das Vermögen anderer Personen übergeführt werden. Während dieses Vorganges besteht der Verein als juristische Person, wenn auch mit engbegrenztem Zweck und entsprechender Kompetenz der Organe, und ist das Subjekt des in Liquidation stehenden Vermögens 88. Ein von selbst, ipso jure, wirkender Über27

Diese Rechtssätze gelten meines Erachtens auch dann, wenn das Vereinsvermögen dem Fiskus nach § 45 I oder I I zufällt: das Gesetz sieht von einer Liquidation ab, weil es annimmt, daß die Interessen der Gläubiger bei Anfall an den Fiskus nicht gefährdet sind; das trifft auch dann zu, wenn die Satzung oder ein Vereinsorgan das Vermögen dem Fiskus zuweist; a. A. Planck und Oertmann zu § 46. 28 Diese Verpflichtung besteht meines Erachtens nicht, wenn der Fiskus das Vermögen nach § 45 I oder I I erwirbt, ohne daß in der Satzung oder im Beschluß die Auflage einer bestimmten Verwendung ausgesprochen ist. 29 Vgl. oben § 4 Note 18. Bier m an η § 140 Note 4 spricht von einer moralischen Verpflichtung. 30 Cosack § 35 I I 1 und Staudinger, Vereinsrecht S. 57, wollen jedem Interessenten oder den früheren Mitgliedern einen Anspruch geben. 31 Wimpfheimer, die Gesellschaften im Stadium der Liquidation. 83 Vgl. ob. § 20 Note 27. 83 Aus der Begrenzung des Zweckes eines Vereins in L. ergibt sich, daß das Ende eines dem Verein zustehenden Nießbrauches, § 1061, schon mit der Auflösung eintritt d. h. mit dem Beginn der Liquidation, nicht erst mit dem

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gang des Vermögens an die Anfallberechtigten findet, außer beim Fiskus, nicht s t a t t 8 4 . Die Anfallberechtigung ist vielmehr eine Forderung gegen den Verein auf Ausantwortung des nach Bezahlung der Schulden sich ergebenden Reinvermögens oder eines Teils desselben 35 . Diese Forderung entsteht aus den Tatbeständen des § 45, d. h. aus der Satzung oder einem Beschluß eines Vereinsorgans oder ex lege, im Moment, den das Gesetz als Auflösung oder Verlust der Rechtsfähigkeit bezeichnet. Sie ist ein dem Anfällberechtigten ohne Wissen und Willen und ohne Gegenleistung zufallender E r w e r b 8 6 ; daher wird man nach Analogie von § 333, 1942 I , 2180 ein Recht der Ausschlagung annehmen dürfen 8 7 und zwar durch Erklärung an den Vorstand oder Liquidator. Die Liquidation des Vereinsvermögens ist zwingenden R e c h t s 3 8 ; Abschluß derselben, Planck § 1061, 3; a. A. Dernburg I I I § 185, 2. Denn der Nießbrauch soll den Zwecken des Vereins dienen, welche aber im Stadium der Liquidation nicht mehr verfolgt werden können. Aus demselben Grund kann man annehmen, daß eine Erbschaft oder ein Vermächtnis, die einem Verein zugedacht sind, ihm nicht mehr anfallen, wenn er in Liquidation getreten ist; jedenfalls könnte Anfechtung nach § 2078 I I erfolgen. Steht der Verein in obligatorischen Beziehungen, welche mit dem Tode eines Kontrahenten endigen, so wird man die Auflösung nach Analogie des Todes behandeln, ζ. B. die Anstellung eines Kapellmeisters durch einen Musikverein oder die Anstellung des Vorstandes gegen Gehalt (außer wenn der Vorstand als Liquidator weiter fungiert). Erfolgt die Auflösung durch Beschluß, § 41, so läßt sich fragen, ob darin nicht eine vom Verein zu vertretende Erfüllung liegt, so daß § 324 zur Anwendung käme, vgl. über den analogen Fall des Selbstmordes des Dienstberechtigten, Kisch, Unmöglichkeit 76 Note 9. 34 A.A. Gierke, Verein ohne Rechtsf. 47; Holder zu § 45; Leonhard, Allg. Teil 141; H e l l w i g Vertr. auf L. an Dr. 393, Anspruch 31 I I 2, Rechtskraft 203; ZivProz. § 40 I 2; Bern h oft, Festgabe für Bekker 261. Das Vermögen soll nach dieser Ansicht den Anfallberechtigten gehören und von den Organen des Vereins (dessen Weiterexistenz zu diesem Zweck fingiert wird) liquidiert werden. 38 Für diese Ansicht Planck § 45, 3; Dernburg § 77 VII; K ö h l e r § 176-11; Enneccerus § 107 I 6; Oertmann § 45, 3. 8e Der Erwerb des Anfallberechtigten ist unentgeltlich im Sinne von §816 12; denn das Vermögen soll ja durch Auslieferung der übrigbleibenden Aktiva zur Auflösung gebracht werden. Wenn dem Anfallberechtigten eine dem Verein nicht gehörende Sache zugeteilt wird, so kann er durch guten Glauben Eigentum erwerben, muß aber die Sache nach § 816 I 2 dem früheren Eigentümer herausgeben, vgl. ob. § 20 Note 31a. Ist das Vermögen unter mehrere Anfallberechtigte geteilt worden, so dürfte eine Haftung arg. § 757 eintreten. 87 Staudinger § 45 I I 4. 88 Oertmann § 47, 1; Biermann § 140 Note 5; a. A. D e r n b u r g § 77 VII.

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sie dient hauptsächlich zum Schutz der Vereinsgläubiger, denen durch die Auflösung des Vereinsvermögens das Haftungsobjekt entzogen wird; denn die Mitglieder haften für die Vereinsschulden nicht 8 9 . Daher kann meines Erachtens die Liquidation nicht in der Art umgangen werden, daß der Vorstand (mit Ermächtigung der Versammlung) einen Vertrag schließt, durch welchen der Verein verpflichtet wird, sein ganzes gegenwärtiges Vermögen einer physischen oder juristischen Person zu übertragen, § 311 4 0 . Allerdings wäre der Vermögensübernehmer nach § 419 verpflichtet, die Vereinsschulden zu zahlen, aber die Vereinsgläubiger würden mit den eigenen Gläubigern des Übernehmers konkurrieren müssen und hätten keine Garantie für ordnungsmäßige Abwicklung der Geschäfte. Ein aolcher Vertrag könnte daher wegen Benachteiligung der Gläubiger angefochten werden ; er kommt aber auch in seinem praktischen Effekt der Auflösung des Vereines gleich; der Vorstand, der einen solchen Vertrag ausführt, müßte daher meines Erachtens arg. § 53 den Vereinsgläubigern haften 40 a . Nur wenn der Verein durch Konkurseröffnung die Rechtsfähigkeit verliert, § 42, tritt keine Liquidation ein, weil die Aufgabe derselben durch die Konkursverwaltung gelöst wird. Aber auch während des Konkurses, wie während der Liquidation, besteht der Verein weiter und tritt, wenn nach Aufhebung des Konkurses Vermögen übrigbleibt, in das Liquidationsstadium41. IV. Die Liquidation erfolgt durch den Vorstand, wenn nicht durch Statut oder Mitgliederversammlung eine andere Person als Vorstand bestellt ist, § 48 I. Die Liquidatoren haben die Stellung des Vorstandes, d. h. die außergerichtliche und gerichtliche Vertretung des Vereins 42 ; aber ihre Kompetenz ist durch den auf die Liquidation beschränkten Zweck des Vereins begrenzt, § 48 I I 4 8 . 39

Anders hei der Gesellschaft: die Gesellschafter haften persönlich und können daher die Liquidation nach ihrem Belieben gestalten, § 731. 40 A. A. Crome § 54 S. 257. 40 a Die Regeln des HGB. § 303 fg über Veräußerung des Vermögens im Ganzen und über Fusion sind Spezialrecht der Aktiengesellschaft. 41 Staub, HGB. § 272 Anm. 7; Jäger, KO. § 203 Anm. 8; Oertmann § 47, 3. 42 Der Verein haftet für Delikte des Liquidators nach § 31. 43 U. U. geht die Verfügungsmacht des Liquidators eben infolge des Liquidationszwecks über die des Vorstandes hinaus: wenn dem Vorstand die Veräußerung gewisser Sachen, z. B. Grundstücke, gänzlich untersagt ist, vgl. ob'. § 37 Note 37a, so muß diese Beschränkung im Liquidationsstadium wegfallen, vgl. Enneccerus § 107 Note 8.

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Ferner gilt unter mehreren Liquidatoren anders als bei mehrgliedrigem Vorstand § 28, nicht das Majoritätsprinzip, sondern das Kollektivprinzip, § 48 I I I 4 4 . Auch die Mitgliederversammlung fungiert im Stadium der Liquidation weiter, mit einer ebenfalls durch den Liquidationszweck beschränkten Kompetenz; sie erteilt dem Liquidator innerhalb dieser Schranken Instruktionen und Entlastung, sie hat den Liquidator zu bestellen und die Bestellung zu widerrufen. Die Aufgaben der Liquidation sind in § 49 bestimmt 46 : Beendigung der laufenden Geschäfte, Einziehung der Forderungen, Umsetzung des Vermögens in Geld, Befriedigung der Gläubiger, Ausantwortung des Überschusses an die Anfallberechtigten. Neue Geschäfte können die Liquidatoren eingehen, soweit es zur Beendigung schwebender Geschäfte erforderlich i s t 4 5 a , z.B. Untervermietung eines vom Verein gemieteten Lokals. Ein neues Geschäft, welches diesem Zweck nicht dient, liegt außerhalb der Kompetenz des Liquidators und ist daher für den Verein nicht verbindlich 46 . Auch die Mitgliederversammlung ist an diese Schranke gebunden; ein liquidationswidriges Geschäft ist auch dann ungiltig, wenn es auf Beschluß der Versammlung eingegangen wird 4 7 . Ob ein Geschäft innerhalb des Liquidationszwecks liegt, ist vom Standpunkt 44 Beim eingetragenen Verein sind die Liquidatoren in das Vereinsregister einzutragen, ebenso eine von § 48- I I I abweichende Regelung ihrer Beschlußfassung, 76. Die Eintragung hat, da den Liquidatoren die rechtliche Stellung des Vorstandes zukommt, § 48 II, dieselbe Wirkung, wie die des Vorstandes: der Dritte, zwischen dem und dem Liquidator ein Rechtsgeschäft vorgenommen wird, braucht sich eine Änderung oder Beschränkung, wenn sie nicht eingetragen ist, nur dann entgegenhalten zu lassen, wenn er sie kennt; ist sie eingetragen, auch dann, wenn er sie nicht kennt und seine Unkenntnis auf Fahrlässigkeit beruht, arg. §§ 68 70. 45 Vgl. die inhaltlich übereinstimmenden Vorschriften in HGB. 149, 298 (off. Handelsges. und AktGes.); Ges. über eingetr. Gen. § 88; Gesetz über Ges. mit b. H. § 149. 4 *a Wimpfheimer 161; RG. 72, 237. 46 Eine Beschränkung der Rechtsfähigkeit des Vereins liegt darin nicht, sondern nur eine Beschränkung der Vertretungsmacht der Organe, vgl. über die verschiedenen Konstruktionen Wimpfheimer 135 fg. Der Verein in L. kann prinzipiell jegliches Recht erwerben (vgl. aber ob. Note 33); denn ein Rechtserwerb als solcher, abgesehen von dem damit verbundenen Kausalgeschäft verstößt nicht gegen den Liquidationszweck, vgl. Oertmann § 49, 2. 47 Jedes Mitglied kann auf Feststellung der Ungültigkeit des Beschlusses klagen. Wollen die Mitglieder des aufgelösten Vereins die Vereinstätigkeit wieder aufnehmen, so müssen sie einen neuen Verein gründen. Ganz abweichend Wimpfheimer 158 fg.

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des Mitkontrahenten zu beurteilen 48 ; jedes Geschäft, das seiner Beschaffenheit nach dem Liquidationszweck dienen kann, ist für den Verein verbindlich, außer wenn dem Mitkontrahenten bekannt war, daß der Liquidator eiûen anderen Zweck verfolgte 40 . Die Einziehung der Forderungen und die Versilberung des Vermögens braucht nur soweit zu erfolgen, als es zur Befriedigung der Gläubiger und zur Verteilung des Überschusses nötig ist. Sind die Schulden bezahlt, so kann der Überrest des Vermögens in natura an die Anfallberechtigten, ζ. B. einen anderen Verein mit gleichem Zweck, ausgeantwortet werden. Sind die letzten Mitglieder des Vereins anfallberechtigt, so können sie einen neuen nichtrechtsfähigen Verein gründen, an welchen das noch vorhandene Vermögen des aufgelösten Vereins ungeteilt übergeben werden kann. Dem neuen Verein gehören aber, wie oben S. 561 gesagt, sämtliche Mitglieder des aufgelösten Vereins nur dann an, wenn es in der Satzung bestimmt ist, sonst nur die Mitglieder, welche dem neuen Verein freiwillig beitreten; wer nicht beitritt, kann seinen Anteil vom aufgelösten Verein beanspruchen, und zwar in natura, wenn das möglich ist, sonst in Geld. Die Mitgliederversammlung kann dem Liquidator nur Instruktionen über die Modalitäten der Liquidation erteilen, sie kann abér weder die Rechte der Gläubiger schmälern, noch die der Anfallberechtigten, denen ja ebenfalls eine Forderung auf den Überschuß des Vermögens zusteht. Nur die Anwartschaft auf den Vermögensanfall kann dem Mitglied durch Statutenänderung oder Beschluß der Versammlung nach § 45 I I entzogen werden, nicht aber das mit der Auflösung des Vereins endgiltig erworbene Anfallrecht. Der wichtigste Zweck der Liquidation ist die Befriedigung der Gläubiger, denen durch die Auflösung des Vereins das Haftungsobjekt entzogen wird. Darum legt das Gesetz den Liquidatoren besondere Verpflichtungen gegenüber den Gläubigern auf : sie haben die ihnen bekannten Gläubiger zur Anmeldung ihrer Forderung aufzufordern, § 50 II, sie haben die Auflösung des Vereins in der vom Gesetz näher bestimmten Weise öffentlich bekannt zu machen50 4

® Wie bei der kausalbeschränkten Vertretungsmacht des Testamentsvollstreckers, § 2206. Planck Bern. 3. 49 Planck §49, 2; Staudinger §49 VI; Ennecoerus § 107 Note 6. 7; Staub, HGB. § 149 Anm. 2. 19; Wimpfheimer 201. 60 In dem durch die Satzung bestimmten Blatt, in Ermangelung eines solchen in dem für die Bekanntmachungen des Amtsgerichts bestimmten Blatt. Die Bekanntmachung gilt mit dem Ablauf des zweiten Tages nach der Einrückung oder der ersten Einrückung als bewirkt.

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mit der Aufforderung der Gläubiger zur Anmeldung der Ansprüche , § 50 I. Insbesondere haben die Liquidatoren das sog. Sperr jähr zu beobachten, § 51, d. h. vor Ablauf eines Jahres seit Veröffentlichung der Auflösung des Vereins darf das Vermögen den Anfallberechtigten nicht herausgegeben werden, damit die Gläubiger, insbesondere die den Liquidatoren unbekannten Gläubiger, Zeit haben, ihre Forderungen anzumelden. Erst nach Ablauf des Jahres kann mit einiger Sicherheit festgestellt werden, ob ein Überschuß vorhanden ist, der den Anfallberechtigten zugute kommt. Die Forderungen der Anfallberechtigten sind daher während des Sperrjahres als nicht bloß betagte, sondern als bedingte zu betrachten 51 , so daß bei vorzeitiger Zahlung Rückforderung (§ 813) stattfinden kann. Während des Sperrjahres sind die sich meldenden Gläubiger zu befriedigen; stellt sich dabei Überschuldung des Vereines heraus, so hat der Liquidator nach § 42 I I , 48 I I Konkursantrag zu stellen 51 a . Das Sperrjahr ist keine Ausschlußfrist für die Gläubiger ; auch nach Ablauf des Jahres hat der Liquidator, soweit Vermögen vorhanden ist, sie zu befriedigen und muß ihre Forderungen bei der nunmehr zulässigen Auszahlung der Anfallberechtigten berücksichtigen. Die Behandlung der nicht angemeldeten, aber dem Liquidator bekannten Forderungen ist in § 52 geregelt: der geschuldete Betrag ist zu hinterlegen, wenn die Voraussetzungen des § 372 vorliegen, d. h. wenn der Gläubiger im Annahmeverzug ist oder wenn der Liquidator aus einem anderen in der Person des Gläubigers liegenden Grund oder infolge unverschuldeter Ungewißheit über die Person des Gläubigers die Schuld nicht oder nicht mit Sicherheit erfüllen kann 62 . Ist die Zahlung zur Zeit nicht ausführbar (ζ. B. weil die Forderung noch nicht zahlbar ist § 271) oder ist sie streitig, so soll der Liquidator vor Ausantwortung des Vermögens an die Anfallberechtigten dem Gläubiger Sicherheit bestellen. Der Liquidator haftet, wie der Vorstand arg. § 27 I I I , dem Verein für seine Verwaltung; er muß den Schaden ersetzen, den das Vereinsvermögen durch schlechte Verwertung der Aktiva, durch Versäumung der Einziehung von Forderungen usw. erleidet. Indirekt werden dabei auch die Anfallberechtigten geschädigt, indem 61

Staudinger § 52, 2, a Konkurs ist möglich, solange die Verteilung des Vermögens nicht vollzogen ist, KO. § 207 II. 62 Bei nichthinterlegbarem Schuldgegenstand ist der Liquidator zum Selbsthülfeverkauf, § 393, befugt. 51

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der ihnen zukommende Überrest des Vermögens sich um so niedriger stellt. Einen direkten Anspruch gegen den Liquidator haben die Anfallberechtigten nicht; aber da der Ersatzanspruch gegen den Liquidator zum Vereinsvermögen gehört, so können die Anfallberechtigten vom Verein verlangen, daß ihnen dieser Anspruch mit den übrigen Aktiven des Vereins ausgeliefert wird. Ebenso können sich die Gläubiger helfen, wenn sie infolge ordnungswidriger Liquidation aus dem Vereins vermögen nicht befriedigt werden ; sie können den Ersatzanspruch des Vereins gegen den Liquidator pfänden 62 a . Aber der Liquidator kann die Gläubiger schädigen, ohne daß zugleich das Vereinsvermögen Schaden leidet: indem er den Konkursantrag verzögert, die Bekanntmachung der Auflösung ünterläßt oder Auszahlungen an die Anfallberechtigten macht, bevor das Sperrjahr abgelaufen oder die Hinterlegung der Sicherstellung erfolgt ist. Es könnte zweifelhaft sein, ob darin ein Verstoß gegen Schutzgesetze im Sinn von § 823 I I liegt 6 8 ; dieser Zweifel wird dadurch beseitigt, daß § 53 den Gläubigern ausdrücklich einen Ersatzanspruch gegen den Liquidator wegen Verletzung der §§ 42, 50—2 verleiht 64. Mit der Herausgabe des Überschusses der Aktiva an den Anfallberechtigten ist die Liquidation und damit in der Regel die Existenz des Vereins definitiv beendet66. Es kann aber trotz des Sperrjahres und der in § 52 vorgeschriebenen Vorsichtsmaßregeln vorkommen, daß ein dem Liquidator unbekannt gebliebener Gläubiger des Vereines keine Befriedigung erhalten hat. Auf den ersten Blick könnte es scheinen, daß dieser Gläubiger seine Forderung mangels eines Schuldners verloren hat. Man darf aber nicht über52 a Aber nicht wie Oertmann § 53, 1 für möglich hält, vom Verein die Durchführung dieser Ansprüche verlangen und erzwingen. 88 Planck § 823 I I I 2d. 64 Dieser Anspruch ist als Deliktsanspruch zu betrachten und unterliegt daher der Veijährung des § 852. Nach HGB. § 241, RG. üb« eingetr. Genoss. § 99, RG. über G. m. b. H. § 64 hat der Vorstand resp. Liquidator an die Gesellschaft Ersatz für Zahlungen zu leisten, die er nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit vornimmt. Ein solcher Anspruch läßt sich für den Verein nicht begründen, auch nicht aus § 27 I I I ableiten ; denn Zahlung an Gläubiger ist keine Schädigung des überschuldeten Vereinsvermögens. Auch im Konkurs des Vereins werden die Ersatzansprüche der Gläubiger aus §§ 42, 53 von ihnen selbst ausgeübt, nicht vom Konkursverwalter (wie nach HGB. §§ 171, 217, Staub zu HGB. § 241 Anm. 16). 66 Die Beendigung der Liquidation wird in das Vereinsregister nicht eingetragen; anders bei der Aktienges., HGB. § 302, und der offenen Handelsges., HGB. § 157.

§ 9. Auflösung des Vereins.

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sehen, daß der Anfallberechtigte, wenn eine Forderung unbezahlt geblieben ist, eine um den Betrag dieser Forderung größere Summe erhalten hat, als ihm gebührt; denn sein Recht bezieht sich nur auf den reinen Überschuß des Nachlasses. Er ist daher dem Verein zur Rückgabe des zuviel Erlangten verpflichtet, § 814 66 . Dieser Anspruch ist ein dem Liquidator entgangenes Vermögensstück des Vereines. Solange aber der Verein Vermögen hat, ist die Liquidation nur scheinbar beendet und der Verein besteht nach § 49 I I noch fort (auch wenn sich die Mitglieder nicht um ihn kümmern und die Vereinsorgane ihre Tätigkeit eingestellt haben). Daher hat der übergangene Gläubiger seine Forderung gegen den Verein nicht verloren: er kann, wenn der Liquidator seine Tätigkeit nicht wieder aufnehmen will oder kann, als Beteiligter die gerichtliche Bestellung eines Liquidators erwirken, § 29, gegen den Verein klagen und dessen cond. indebiti, wenn sie ihm nicht freiwillig abgetreten wird, pfänden 57. Auf kürzerem Wege sucht H e l l w i g 5 8 dem Gläubiger gegen den Anfallberechtigten zu helfen, indem er letzteren nach Analogie von § 419 für die unbezahlte Vereinsschuld haften läßt. Dadurch würde die Stellung des Anfallberechtigten bedeutend verschlechtert; er würde nicht, wie bei der cond. indebiti, bis zu der noch vorhandenen Bereicherung haften, sondern wäre nach § 419 I I 1991,1978 dem Gläubiger für die Verwaltung des Erhaltenen wie ein Beauftragter verantwortlich. Darin liegt meines Erachtens eine Unbilligkeit gegen den Anfallberechtigten ; der Vermögensübernehmer des § 419 weiß, daß er ev. mit den Gläubigern des Vermögensübergebers zu tun haben wird, und hat sich darnach zu richten; der Anfallberechtigte wird im Vertrauen auf die vorangegangene Liquidation darauf rechnen dürfen, daß der ihm zugewiesene Betrag den reinen Überschuß des Vereinsvermögens darstellt, und darüber frei verfügen. Andere Autoren 59 halten einen Bereicherungsanspruch des Gläubigers gegen den Anfallberechtigten aus § 812 für möglich, indem sie davon ausgehen, daß mit Aus66 Anders im Aktienrecht: was ein Aktionär ordnungsmäßig d. h. nach Ablauf des Sperrjahres und Hinterlegung oder Sicherheitsleistung für die Gläubiger (HGB. § 801) als Liquidationserlös erhalten hat, braucht er nicht zurückzuerstatten, wenn sich herausstellt, daß ein Gläubiger unbezahlt geblieben ist, Staub, HGB. § 217 Anm. 8 und 20, § 802 Anm. 16. w Planck § 53, 3. 68 Verträge auf L. an Dritte 393. R9 Oertmann § 52, 4; Enneccerus § 107 Note 14 und and.

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schüttung des Vermögens an die Anfallberechtigten die Liquidation jedenfalls beendet ist und der Verein nicht mehr existiert. Aber nach § 49 I I besteht der Verein fort bis zur Beendigung der Liquidation, nicht bis zu dem Zeitpunkt, in welchem der Liquidator (irrtümlich) seine Aufgabe für erledigt hält 6 0 . Besteht aber der Verein, so hat er auch die cond. indebiti gegen den Anfallberechtigten; neben diesem Anspruch ist für einen Bereicherungsanspruch des Gläubigers gegen den Anfallberechtigten kein Platz und kein Bedürfnis. Somit scheint mir der von P l a n c k 6 1 gewiesene Weg der richtige zu sein; daß er umständlich ist, hat sich der zu spät auftretende Gläubiger selbst zuzuschreiben. § 40.

Der nichtrechtsfähige Verein*.

I. Es gibt Vereine, denen die Rechtsfähigkeit fehlt. Viele Vereine wollen die zur Eintragung oder Verleihung der Rechtsfähigkeit erforderlichen Schritte nicht vornehmen, weil sie sich der damit verbundenen staatlichen Kontrolle ihrer Verhältnisse nicht unterziehen wollen; anderen Vereinen wird die nachgesuchte Verleihung oder Eintragung (ζ. B. in Folge eines Einspruchs der Verwaltungsbehörde) versagt. Aui solche Vereine sollen nach § 54,1 die Vorschriften über die Gesellschaft Anwendung finden ; es gelten aber daneben einige vom Gesellschaftsrecht abweichende Vorschriften : nach § 54,2 haftet, wer im Namen eines solchen Vereins ein Rechtsgeschäft vornimmt, persönlich ; nach ZPO. § 50 II. kann der Verein verklagt werden und hat dann im Rechtsstreit die 60 Würde sich ζ. B. herausstellen, daß Aktiva des Vereins existieren, die der Liquidator nicht bemerkt hat, so wäre er zweifellos befugt und verpflichtet, eine nachträgliche Verteilung derselben vorzunehmen. 61 Wenn der Liquidator wissentlich mehr auszahlt, als dem Anfallberechtigten gebührt, hat der Verein nach § 814 keine cond. indebiti; ist der Anfallberechtigte dabei in bösem Glauben, so ist die Auszahlung unwirksam, weil sie dem Liquidationszweck nicht entspricht, vgl. ob. Note 49, war aber der Anfallberechtigte in gutem Glauben, so hat der Verein keine Rückforderung und daher der Gläubiger keine Möglichkeit, sich durch Pfändung dieser Forderung zu befriedigen. Bei dieser Sachlage, (mala fides des Liquidators und bona fides des Anfallberechtigten) wird man dem Gläubiger einen Anspruch aus § 812 gegen den Anfallberechtigten gewähren dürfen: es liegt eine wenn auch entfernte Analogie zum Tatbestand des § 822 vor. * D e r n b u r g §§ 78, 79; Endemann§46; Crome §55; Enneccerus §§ 108, 109; Kohler § 179; Gierke, Vereine ohne Rechtsfähigkeit, 2. Aufl.; H e l l w i g , ZivProz. § 45; Neubecker, Vereine ohne Rechtsfähigkeit I (allgemeine Grundbegriffe und geschichtliche Entwicklung) E c k s t e i n , JheringsJ. 55, 243.

§ 40. Der nichtrechtsfähige Verein.

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Stellung eines rechtsfähigen Vereins ; nach ZPO. § 735 genügt zur Vollstreckung in das Vereinsvermögen ein gegen den Verein ergangenes Urteil; nach KO. § 213 kann über das Vermögen des Vereins Konkurs eröffnet werden. Diese weitgehenden Abweichungen vom Gesellschaftsrecht geben dem Verein eine Sonderstellung innerhalb des Gesellschaftsrechts, welchem er nach § 54,1 prinzipiell unterstellt ist. Daraus folgt, daß nicht jede Gesellschaft als Verein zu betrachten i s t 1 ; man muß daher die vom Gesetz nicht fixierte Grenze zwischen diesen beiden Arten der Verbindung zu gemeinsamem Zweck festzustellen suchen. Der nichtrechtsfähige Verein ist ein Personenverband, der sich in seiner Struktur dem rechtsfähigen Verein nähert, bisweilen so sehr, daß er sich in seiner Tätigkeit äußerlich vom rechtsfähigen Verein kaum unterscheidet. Es gibt kein einzelnes Merkmal, nach welchem ein Personenverband den Vereinen oder den Gesellschaften zuzuzählen wäre: man kann die im einzelnen Fall zweifelhafte Klassifizierung nur nach mehreren zusammentreffenden Kennzeichen vornehmen 2. Vor allem ist für jeden, auch den nichtrechtsfähigen, Verein charakteristisch, daß ei auf einen Wechsel der Mitglieder 8 und daher auf eine vom jeweiligen Bestand der Mitglieder unabhängige Existenz angelegt ist 4 , während die Gesellschaft im Prinzip eine durch einmaliges Zusammentreten entstandene Verbindung von Menschen ist und ein Wechsel im Bestand der Gesellschafter als Ausnahmstatsache erscheint. Ferner ist wesentlich für den Verein eine korporative Organisation nach dem Muster der Organisation des rechtsfähigen Vereins : eine Mitgliederversammlung, in der das Majoritätsprinzip herrscht®, während in der Gesellschaft prinzipiell Einstimmigkeit erfordert wird; ein Vorstand, der von der Versammlung bestellt und abberufen wird, während der geschäftsführende Gesellschafter seine Stellung durch Vertrag erhält und nur aus wichtigem Grunde verlieren kann (§§ 712, 715); eine Satzung, welche durch Majoritätsbeschluß ge1

Vgl. Oertmann § 54, lb. Gierke S. 11; RG. 60, 96. 3 Eine unbeschränkte Zahl von Mitgliedern braucht der Verein nicht zu haben; es kann eine Maximalzahl festgesetzt sein. 4 RG. 54, 299. B Und zwar ist charakteristisch für den Verein, der meistens aus zahlreichen Mitgliedern besteht, deren Interesse am Verein nicht immer ein reges ist, daß die Majorität der erschienenen, nicht der vorhandenen Mitglieder entscheiden soll. 2

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ändert werden kann, während bei der Gesellschaft der Vertrag die prinzipiell unabänderliche Grundlage des Rechtsverhältnisses bildet. Endlich wird sich wohl jeder Verein einen Namen beilegen6, während die Gesellschaft in der Regel keinen eigenen Namen führt 7 . Dagegen wird man aus dem Zweck des Personenverbandes einen Schluß auf seine rechtliche Struktur nur selten ziehen können; es gibt Vereine und Gesellschaften, die den Nutzen der Mitglieder befördern wollen; und solche, welche uneigennützige Zwecke verfolgen. Nur wenn die Einlagen einen erheblichen Geldwert haben und entsprechend hohe Gewinne erwartet werden, wird man eher Gesellschaft als Verein annehmen dürfen 8. Ein Gebilde dieser Art könnte ein rechtsfähiger Verein sein, wenn den formalen Erfordernissen, die zur Erlangung der Rechtsfähigkeit nötig sind, genügt wäre. Ist das nicht der Fall, so soll der Verein, obgleich er sich in charakteristischen Stücken von der Gesellschaft unterscheidet, nach § 54 dem Gesellschaftsrecht unterstehen. Der Gesetzgeber hat es so gewollt, weil man annahm, daß die körperschaftlich organisierten Personenverbände sich um die Rechtsfähigkeit bewerben würden, und weil man den Vereinen, welche die Rechtsfähigkeit verschmähen, nicht besonders entgegenkommen wollte 9 . Die Folge dieses Verfahrens ist, daß die nichtrechtsfähigen Vereine einem Komplex von Rechtssätzen unterstellt sind, von denen die wenigsten zur Organisation und den Funktionen des Vereins passen. Dieser Zustand des Gesetzes wird dadurch gemildert, daß das Gesellschaftsrecht fast in allen Stücken dispositiv ist, so daß die meisten für das Vereinsleben lästigen Bestimmungen wegbedungen werden können. Man wendet das Gesellschaftsrecht nur soweit an, als es mit Organisation und Funktion des Vereines nicht in Konflikt kommt ; unpassende Sätze des Gesellschaftsrechts gelten als durch die Satzung stillschweigend aufgehoben10. Im Resultat und in Abweichung vom Wortlaut des § 54 werden nichtrechtsfähige Vereine, soweit es die Nachgiebig6

Daß ein Personenverb arid sich selbst Verein nennt, ist zwar kein Beweis, aber ein Indiz dafür, daß ihm Vereins Charakter zukommt, Oertmann § 54, 2c, während Gesellschaft eine neutrale Bezeichnung ist und ebenso für Vereine wie für eigentliche Gesellschaften gebraucht wird. 7 Abgesehen von der Firma der Handelsgesellschaft. 8 Ist für den Fall der Auflösung Anfall des Vermögens an die Mitglieder verabredet, B O spricht das eher für Gesellschaft; sollen die Mitglieder nicht anfallberechtigt sein, so liegt darin ein Indiz für Vereinscharakter. 9 Prot. I I 457. 10 Gierke S. 14; Dernburg § 79 III; Eckstein 244.

§ 40. Der nichtrechtsfähige Verein.

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keit des Gesellschaftsrechts gestattet, ebenso behandelt, wie die rechtsfähigen. Nur kann die liberalste Auslegung des Gesetzes nicht darüber hinauskommen, daß der rechtsfähige Verein eine selbständige juristische Person ist, während der nichtrechtsfähige Verein als Abart der Gesellschaft sich als Rechtsverhältnis zwischen den Mitgliedern darstellt. II. Der Verein entsteht durch formlose Einigung der Gründer über die Satzung. Die Gründung ist, was bei rechtsfähigen Vereinen bestritten w i r d 1 1 , nach § 54 als Vertrag aufzufassen u. zw. als Gesellschaftsvertrag, dessen Inhalt dem Vereinszweck soweit angepaßt ist, als es die Nachgiebigkeit des Gesellschaftsrechts erlaubt. Für die wichtigsten Punkte ergeben sich aus der modifizierten Anwendung des Gesellschaftsrechts folgende Resultate: Da nach § 709 in der Gesellschaft das Majoritätsprinzip aufgestellt werden kann, so kann die Entscheidung in Vereinsangelegenheiten einer Versammlung der Mitglieder übertragen werden, in welcher die Mehrheit (ev. eine qualifizierte Mehrheit) der Erschienenen entscheidet11». In der Gesellschaft ist in der Regel nur die Geschäftsführung der Majorität unterworfen, aber es steht nichts im Wege, die Majoritätsherrschaft weiter auszudehnen, so daß sie sich auch auf die Grundlagen der Gesellschaft bezieht, insbesondere Abänderung des Gesellschaftsvertrages umfaßt 12 . Die Möglichkeit einer Satzungsänderung durch Mehrheitsbeschluß wird bei der Vereinsgründung fast immer ausgesprochen oder stillschweigend gewollt sein; ist über die dazu erforderliche Majorität nichts gesagt, so wird man nach Analogie von § 32 Zweidrittelmajorität verlangen dürfen 18 ; denn es ist nicht anzunehmen, daß das Gesetz bei vereinsähnlichen Gesellschaften den Minoritätsschutz für weniger nötig hält, als bei rechtsfähigen Vereinen. Aus demselben Grund wird zur Änderung des Zweckes Zustimmung aller Mitglieder erforderlich sein. Die Satzungsänderung ist wirksam sobald sie beschlossen ist (beim rechtsfähigen Verein bedarf es noch der Eintragung·); daher kann die Versammlung jederzeit mit der für Satzungsänderung genügenden Mehrheit einen Beschluß fassen, welcher der bisherigen Satzung widerspricht 18 a . 11

Vgl. ob. S. 476. a Ist der dem Gesellschaftsrecht fremde § 34 analog anzuwenden? 12 Vgl. ob. § 35 Note 16. 13 Oertmann § 54, 2d. 13 » Vgl. ob. § 36 Note 33.

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Ein nichtrechtsfähiger Verein, der sich korporative Organisation geben will, tut gut daran, seine Satzung ausführlich zu gestalten ; denn es ist zweifelhaft, ob man die zahlreichen Vorschriften, durch welche das Gesetz die Verfassung rechtsfähiger Vereine vervollständigt, analog anwenden darf ζ. B. den § 29 (Ersatz des fehlenden Vorstandes) oder § 37 (Recht der Minorität auf Berufung der Versammlung). Ohne solche Kautelen kann aber das Majoritätsprinzip zu schweren Unzuträglichkeiten führen. Nach § 710 kann einem oder mehreren Gesellschaftern die Geschäftsführung mit Ausschluß der übrigen übertragen werden 13 b . Das wird beim Verein mit seiner größeren und wechselnden Zahl von Mitgliedern stets geschehen, in der Form, daß die Geschäftsführung einem Vorstand überwiesen wird, der aus einer oder mehreren Personen besteht. Die Bestellung des Vorstandes kann in der Satzung der Mitgliederversammlung übertragen werden, entsprechend dem § 27; ebenso die Abberufung, welche nach § 712 (wie nach § 27 II) jedenfalls bei wichtigem Grunde zulässig ist. Der Vorstand hat nicht, wie beim rechtsfähigen Verein (§ 26), die Stellung eines gesetzlichen Vertreters ; aber seine Vertretungsmacht reicht nach § 714 im Zweifel soweit, wie seine Geschäftsführungsbefugnis und leistet im rechtsgeschäftlichen Verkehr dieselben Dienste, wie eine gesetzliche Vertretungsmacht ; sie kann, wie diese, durch die Satzung (Gesellschaftsvertrag) beschränkt werden 14 . Wie die Gesellschafter, so sind die Mitglieder eines Vereins zur Leistung der vereinbarten d. h. in der Satzung bestimmten Beiträge verpflichtet, die in Geld oder persönlicher Tätigkeit bestehen können. § 707 ist dispositiven Rechts; es kann daher in der Satzung bestimmt sein, daß eine Erhöhung der Beiträge durch Mehrheitsbeschluß statthaft ist; das wird, als dem Wesen des Vereins entsprechend, auch wenn es in der Satzung nicht ausdrücklich gesagt ist, als im Sinn der Satzung liegend anzunehmen sein 16 . Auch § 708 (Haftung der Gesellschafter für dilig. quam in suis) kann durch Verabredung aufgehoben werden ; das persönliche Verhältnis, welches unter den wenig zahlreichen Gesellschaftern zu bestehen pflegt und die mildere Haftung rechtfertigt, wird beim nichtrechtsfähigen Verein meist fehlen; daher ist für die Haftung 18

1> Die Mitglieder haben ein nach § -716 unverzichtbares Kontrollrecht. Bei Abberufung und Beschränkung der Vertretungsmacht sind gutgläubige Dritte nach §§ 168—173 geschützt. 18 Vgl. ob. § 38 Note 46. 14

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der Mitglieder, insbesondere des Vorstandes, der normale Maßstab angemessen und kann als in der Satzung festgestellt gelten 1 6 e . Der nichtrechtsfähige Verein hat, wie der rechtsfähige, ein Vermögen, welches aus den Beiträgen der Mitglieder entsteht 16 und sich durch Geschäfte, die für den Verein geschlossen werden, und durch Surrogation vermehrt, § 718. Subjekt des Vermögens ist nicht der Verein, weil er keine Person ist, sondern die Mitglieder" 1 1 ; aber es gehört ihnen zur gesamten Hand, § 719, ist daher eine von ihrem Privatvermögen völlig gesonderte Vermögensmasse, so sehr, daß zwischen dem Vereinsvermögen und den einzelnen Mitgliedern alle Rechtsverschiebungen und obligatorischen Beziehungen möglich sind, wie zwischen den Vermögen verschiedener Rechtssubjekte17. Die Verfügung über das Vereinsvermögen steht dem Vorstand zu, nicht den einzelnen Mitgliedern. Bei der nahen Verwandtschaft zwischen einem Gesamthandsvermögen und dem Vermögen einer juristischen Person 18 ist der Mangel der Rechtsfähigkeit für die Stellung des Vereinsvermögens im rechtsgeschäftlichen Verkehr wenig fühlbar. Er kommt aber in Betracht im Gründbuchrecht: Eintragungen können nur auf den Namen sämtlicher Mitglieder erfolgen, wobei nach GBO. § 48 anzugeben ist, daß sie Mitglieder eines nichtrechtsfähigen Vereins sind 19 . Durch Einbringen seitens der Mitglieder und durch Rechtsgeschäfte des Vorstands Namens des Vereins können Rechte jeder Art dem Vereinsvermögen zugeführt werden. Möglich ist auch ein Erwerb durch Schenkung: eine Schenkungsofferte an den Verein ist als an alle Mitglieder gerichtet zu betrachten und kann vom Vorstand, dessen Vertretungsmacht sich soweit erstreckt, angenommen werden; dann fällt die Schenkung als ein durch Geschäftsführung für den Verein erworbener Gegenstand nach § 718 I in das Vereinsvermögen. Dagegen kann ein nichtrechtsfähiger 16

» Eckstein 259. Abweichend Enneccerus § 109 I I I 1. Schon die Ansprüche auf Leistung der Beiträge gehören zum Vereinsvermögen, vgl. ob. § 20 Note 9; Enneccerus § 109 Note 4; RG. 54, 300. 16 » Jedes Mitglied hat am Vereinsvermögen einen Anteil, welcher dem Mitgliedschaftsrecht beim rechtsfähigen Verein (vgl. ob. § 38 Note 1) um so ähnlicher ist, je mehr der nichtrechtsfähige Verein durch seine >Satzung nach dem Muster des rechtsfähigen gestaltet ist. Der Anteil ist unveräußerlich, § 719 soweit nicht die Satzung Übertragung zuläßt, vgl. ob. § 20 Note 45. 17 Vgl. ob. § 20 S. 353 fg. 18 Vgl. ob. § 3 S. 81. 19 Daher wird es der Verein oft vorziehen, den Vorstand fiduziarisches Eigentum am Grundstück erwerben zu lassen. 16

Handbuch X . 1. I : τ o n T u h r I .

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Verein nicht zum Erben eingesetzt werden: denn Erbe ist stets eine (natürliche oder juristische) Person, nicht aber eine noch so selbständig ausgestaltete Vermögensmasse; so kann bei der Gütergemeinschaft nur der Ehemann oder die Ehefrau, nicht das Gesamtgut als solches Erbe sein; bei der Gesellschaft nicht das Gesellschaftsyermögen, sondern einzelne oder alle Gesellschafter 20. Daher ist die Einsetzung des Vereins nach § 2084 umzudeuten in Einsetzung der Mitglieder mit der Auflage, ihre Erbteile dem Vereinsvermögen zuzuführen 21. Vielfach wird angenommen, daß die Erbteile dem Vereinsvermögen ipso iure anfallen, so daß Annahme und Ausschlagung des ganzen Nachlasses dem Vorstand zustehen würde 22 . Das läßt sich meines Erachtens nicht rechtfertigen: denn der Erblasser kann, abgesehen von einzelnen Ausnahmsfällen, §§ 1369, 1440, nicht bestimmen, in welche von mehreren Vermögensmassen des Erben die Erbschaft fallen soll, insbesondere nicht bewirken, daß die Erbschaft in ein Gesamtvermögen gelangt, an welchem der Erbe anteilsberechtigt i s t 2 8 ; er kann nur dem Erben die Verpflichtung auferlegen, den Nachlaß in dies Gesamtvermögen einzubringen. Wie bei der Erbschaft, so verhält es sich auch beim Vermächtnis : ein Vermächtnis an einen nichtrechtsfähigen Verein ist umzudeuten in ein Vermächtnis an die Mitglieder mit der Auflage, den Gegenstand des Vermächtnisses dem Vereinsvermögen zuzuwenden. Zum Vermögen eines nichtrechtsfähigen Vereins kann auch die Mitgliedschaft in einer juristischen Person gehören, ζ. B. eine A k t i e 2 4 ; das mit der Aktie verbundene Recht steht sämtlichen Mitgliedern des Vereins zu ; die gemeinsame Ausübung (HGB. § 225) erfolgt durch den Vorstand. In dieser Weise kann auch ein nichtrechtsfähiger Verein Mitglied eines rechtsfähigen Vereins sein 2 5 ; denn die Satzung des rechtsfähigen Vereins kann die Mitgliedschaft den jeweiligen Mitgliedern eines nichtrechtsfähigen 20

A.A. Planck § 718, l b ; Staudinger § 718 I I I ld. S t r o h a l , Erbrecht § 24 Note 8a; D e r n b u r g § 79 VI; Josef, ArchBürgR. 20, 229. 22 Planck § 54, 3f; Gierke 21; Enneccerus § 109 Note 6; Oertmann § 54, 4. 2 » Vgl. ob. § 20 Note 10 a. 24 Dasselbe gilt für die Ges. m. b. H., Staub-Hachenburg § 2 Anm. 18. 28 Gierke, in DJZ. 1907, 209; Oertmann § 38, 2c; a. A. OLG. 20, 30. 21

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Vereins einräumen und bestimmen, daß deren Mitgliedschaftsrechte gemeinsam durch ihren Vorstand auszuüben sind 26 . Ob dem nichtrechtsfähigen Verein ein nach § 12 geschütztes Namensrecht zukommt, ist bestritten 27 . Name im Sinne von § 12 ist Bezeichnung einer Person; als solche gilt der Verein nicht, wenn ihm die Rechtsfähigkeit fehlt. Aber der Vereinsname ist (wie die Firma bei der off. Handelsgesellschaft) eine Bezeichnung der Mitglieder in ihrer auf den Vereinszweck gerichteten Tätigkeit. Will man den Schutz des § 12 auf willkürliche, für gewisse Gebiete der Tätigkeit gewählte Bezeichnungen (ζ. B. auf Pseudonyme) erstrecken 28, so muß man diesen Schutz auch dem Namen des nichtrechtsfähigen Vereins zukommen lassen; andernfalls sind die Mitglieder gegen Mißbrauch des von ihnen gewählten Namens auf § 826 angewiesen. I I I . Der Vorstand des nichtrechtsfähigen Vereines kann innerhalb seiner Kompetenz Verbindlichkeiten eingehen. Für diese Verbindlichkeiten und für Verpflichtungen aus gesetzlichen Tatbeständen (Bereicherung, negotiorum gestio) haftet, wie beim rechtsfähigen Verein, das Vereinsvermögen 28a. Diese Haftung ergibt sich aus ZPO.: nach § 50 kann der Verein verklagt werden 28 *: nach § 735 genügt ein gegen den Verein ergangenes Urteil zur Vollstreckung in das Vereinsvermögen. Zu diesem Vermögen gehören auch die Forderungen des Vereins auf die ausstehenden Beiträge ; sie können daher dem pfändenden Gläubiger überwiesen werden 29. Der nichtrechtsfähige Verein bietet dem Gläubiger weniger Garantien, als der rechtsfähige, insbesondere deshalb, weil die zwingenden Rechtssätze über Liquidation nicht zur Anwendung kommen. Daher bestimmt § 54,2 in Abweichung von den Rechts26 Dagegen soll, aus besonderen Gründen, ein rechtsunfähiger Verein nicht Mitglied einer eingetr. Gen. sein können, KG. in OLG. 19, 354. 27 Dafür Gierke Note 43b; dagegen Oertmann § 54, 5. 28 Vgl. ob. § 30 VII. 28 «• Da das Vermögen des nichtrechtsfähigen Vereins den Mitgliedern gehört, so haftet es, anders als beim rechtsfähigen Verein (vgl. ob. § 38 Note 75 a) nach ZPO. § 736 auch für solche Verpflichtungen sämtlicher Mitglieder, die mit den Angelegenheiten des Vereins nicht zusammenhängen, z. B. für eine Bürgschaft, welche alle Mitglieder übernommen haben. 28 * Vgl." unt. VI. 29 RG. 54, 298. Selbstverständlich können auch sonstige Forderungen des Vereins von dessen Gläubigern gepfändet werden, SeuffA. 60, 239. Gierke Note 79.

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Sätzen über Stellvertretung, daß wer Namens eines solchen Vereins ein Rechtsgeschäft vornimmt, dem Gläubiger persönlich haftet 29 *· Diese Haftung trifft meistens den Vorstand oder sonstige Vereinsorgane (§ 31), aber auch ein Mitglied oder einen Dritten, der Namens des Vereins kontrahiert, u. zw. ohne Rücksicht darauf, ob er von den Mitgliedern bevollmächtigt ist, oder nicht 80 . Ist Jemand vom Vorstand bevollmächtigt, Namens des Vereins zu handeln, so haftet aus § 54 der Substitut und nur er, nicht der Vorstand 81 . Was § 54 persönliche Haftung nennt, ist Verpflichtung zur Erbringung der versprochenen Leistung mit Haftung des eigenen Vermögens, welche neben die Haftung des Vereinsvermögens tritt. Diese Legalverpflichtung ist in Rechtsgrund und Charakter verwandt mit der Verpflichtung des falsus procurator aus § 179 82 . Sie beruht nicht auf Delikt, unterliegt daher nicht der Verjährung des § 852, sondern der Verjährung, die für das abgeschlossene Rechtsgeschäft g i l t 8 8 ; auch ist unbeschränkte Geschäftsfähigkeit des Handelnden arg. § 179 I I I erforderlich 84. Die Verpflichtung des Handelnden kann durch Verabredung mit dem Dritten wegbedungen84 a , aber nicht im Statut ausgeschlossen werden; denn § 54,2 soll gerade dem Gläubiger die Möglichkeit geben, sich um die der Öffentlichkeit nicht zugängliche Satzung nicht zu kümmern, wenn er seinen Mitkontrahenten für zahlungsfähig hält. Neben der Haftung des Vereinsvermögens und der Verpflichtung des Handelnden kann eine Verpflichtung der Vereinsmitglieder in Betracht kommen. Nach den Grundsätzen des Gesellschaftsrechts, §714, wären die Mitglieder aus den vom Vorstand Namens des Vereins kontrahierten Schulden persönlich verpflichtet u. zw. nach § 427 als Gesamtschuldner. Diese Haftung wird aber von dem gewöhnlich nicht auf Geschäftsbetrieb gerichteten Zweck des Vereins nicht erfordert und widerspricht meistens der Absicht der Mit29

» Auch wenn der Gläubiger Mitglied des Vereines ist, OLG. 20, 32. Nach § 54 ist der Handelnde stets zur Erfüllung des von ihm geschlossenen Vertrags verpflichtet, auch wenn er den Mangel seiner Vertretungsmacht nicht kannte; handelt er ohne Vertretungsmacht, so kann aber der Gläubiger nach § 179 I statt der Erfüllung Schadensersatz verlangen, Ennec-. cerus § 109 Note 8. 81 OLG. 12, 3 in Abweichung von OLG. 10, 57; Oertmann § 54, 3b. 82 Oertmann § 179, 4. 88 OLG. 12, 3. 34 Oertmann § 54, 3b. 84 » Dazu genügt aber nicht, daß sich der Handelnde als Vertreter des Vereins zu erkennen gibt, a. A . B i e r mann § 141 Note 21. 30

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glieder; bei absoluter Haftung für die Vereinsschulden wäre der Beitritt zu den zahlreichen Vereinen, denen der moderne Mensch anzugehören pflegt, wie G i e r k e S. 38 mit Recht sagt, als unverantwortlicher Leichtsinn zu bezeichnen. Kein Mitglied eines solchen Vereines denkt daran, daß er etwas anderes aufs Spiel setzt, als seinen gezahlten oder noch geschuldeten Beitrag. Dies Resultat wird erreicht, wenn der Vorstand die Verträge Namens des Vereins mit der Klausel schließt, daß die Haftung der Mitglieder auf das Vereinsvermögen beschränkt sein soll 8 5 . Ob sich diese Klausel von selbst versteht, wenn der Vorstand Namens des Vereins kontrahiert, ist bestritten 86 und meines Erachtens zu verneinen. Es kann aber auch in der Satzung die Vertretungsmacht des Vorstandes in der Weise beschränkt werden, daß er Verträge nur mit beschränkter Haftung der Mitglieder schließen kann 8 6 4 . Dann braucht die Haftungsbeschränkung mit dem Mitkontrahenten nicht verabredet zu werden und kommt zur Geltung, auch wenn sie dem Mitkontrahenten unbekannt geblieben ist. Denn wer mit einem Vertreter kontrahiert, hat sich nach allgemeinen Grundsätzen über die Vertretungsmacht und deren (Grenzen zu erkundigen. Fraglich ist, ob bei Schweigen der Satzung über die Grenzen der Vertretungsmacht des Vorstandes aus dem Zweck und der Struktur des nichtrechtsfähigen Vereines entnommen werden darf, daß der Vorstand eine Haftung der Mitglieder mit ihrem persönlichen Vermögen nicht begründen könne 87 . RG. 63,63 hat sich dafür entschieden88 „jedenfalls dann, wenn der Dritte die Kenntnis von den Verhältnissen des Vereins hatte, bei welcher eine persönliche Haftung der Mitglieder als ausgeschlossen gelten müßte.α Wie es aber nicht darauf ankommt, ob der Dritte den Wortlaut der Satzung kennt, so kann auch das Maß der Haftung der Mitglieder nicht davon abhängen, daß der Dritte die Tatsachen, aus denen sich eine Beschränkung der Vertretungsmacht des Vorstandes ergibt, kennt und richtig beurteilt 8 9 ; denn es ist immer Sache des Dritten, den Umfang der Ver88

Über die Zulässigkeit einer vertragsmäßigen Beschränkung der Haftung vgl. ob. § 18 Note 47. 86 Dafür Dan ζ, DJZ. 1907 377 d; dagegen R ü m e l i n , ArchZivPr. 101, 361. 88 » Eine solche Beschränkung der Vertretungsmacht durch die Satzung hält Eckstein 253 für unzulässig. 87 Gierke 39; Planck § 54, 3h; Endemann § 46 Note 16; Enneccerus § 109 Note 7; Biermann § 141, 4a u. A. 88 Anders OLG. 12, 249. 89 Oertmann § 54, 3a.

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tretungsmacht seines Mitkontrahenten festzustellen. Gegen die Zulässigkeit einer in der Satzung nicht ausdrücklich ausgesprochenen Beschränkung der Vertretungsmacht sind mehrfach Bedenken geäußert worden 40 ; man weist darauf hin, daß damit die Grenze zwischen nichtrechtsfähigen und rechtsfähigen Vereinen verwischt werde ; aber das ist eine Folge der Nachgiebigkeit des Gesellschaftsrechts 4 1 . Ferner soll die Rechtslage des Dritten ungebührlich gefährdet sein, wenn er ohne deutlichen Ausspruch der Satzung auf das Vereinsvermögen und die Haftung des Vorstandes nach § 54, 2 verwiesen wird. Es pflegt sich aber der Dritte nicht darum zu kümmern, ob der Verein eingetragen ist oder nicht, und beim eingetragenen Verein steht sich der Dritte eher noch schlechter, weil die persönliche Haftung des Vorstandes fehlt. In der Regel vertraut der Dritte auf die Solvenz des Vereins und auf die Bereitwilligkeit der Mitglieder, ein eventuelles Defizit zu decken. Glaubt er darin keine genügende Sicherheit zu finden, so kann er Übernahme der Schuld durch ein oder mehrere Mitglieder verlangen. Unterläßt er das, so scheint es mir mehr der Billigkeit zu entsprechen, daß er den Schaden trägt, als die Mitglieder, welche nach unseren Lebensgewohnheiten damit rechnen durften, nicht über den Beitrag hinaus zu haften. Es handelt sich um die Abwägung von typischen Interessen und Rechtslagen für den Fall, daß der Vorstand den Verein über seine Mittel hinaus verpflichtet: wer ist am ehesten in der Lage, solchen Schaden zu vermeiden: die Mitglieder, die von der Geschäftslage des Vereines gewöhnlich erst am Ende des Jahres in einer Versammlung oder durch einen Geschäftsbericht oberflächliche Kenntnis erhalten? oder der Mitkontrahent, der bei Abschluß des Vertrages Anlaß und Gelegenheit hat, sich über Beschaffenheit und Zahlungsfähigkeit des Vereins zu erkundigen? Ich glaube, daß in der Mehrheit der Fälle dem Dritten kein Unrecht geschieht, wenn er mit seiner Forderung auf das Vereinsvermögen und die Haftung des Handelnden angewiesen ist 4 2 . 40

Rümelin a. a. 0.; L e n e l , DJZ. 1907, 463. Die Absicht, die Eintragung der Vereine dadurch zu befördern, dafr man die Mitglieder eines nichtrechtsfähigen Vereins einer Haftung aussetzt, sollte bei Auslegung des Gesetzes nicht mitwirken. Denn trotz der Unsicherheit der Haftungsverhältnisse sieht die Mehrzahl der Vereine von der Eintragung ab ; das wird sich nicht ändern, wenn man hin und wieder ein Mitglied für Vereinsschulden haften läßt. Das würde nur größere Vorsicht bei Eintritt in Vereine zur Folge haben und das Vereinsleben schädigen. 42 Wenn die Haftungsfreiheit der Mitglieder sich einbürgert, so wird der 41

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Anders verhält es sich bei der Gesellschaft; allerdings kann die Vertretungsmacht des geschäftsführenden Gesellschafters in Abweichung von § 714 beschränkt werden 48, auch so, daß die Gesellschafter nur mit dem Gesellschaftsvermögen haften 44 , aber dies entspricht nicht dem Wesen der aus wenigen und ständigen Mitgliedern bestehenden Gesellschaft und ist daher, wenn nicht im Gesellschaftsvertrag ausgesprochen, nur bei Vorliegen ganz besonderer Umstände anzunehmen. Ist die Haftung der Vereinsmitglieder durch die Satzung auf das Vereinsvermögen beschränkt, so kommt sie praktisch überhaupt nicht in Betracht, denn der Gläubiger wird, um auf das Vereinsvermögen zu greifen, den einfacheren Weg der Beklagung des Vereins nach ZPO. § 50 vorziehen, statt die Klage gegen alle einzelnen Mitglieder zu richten 46 . Die für den Verein eingegangenen Verbindlichkeiten sind vom Vorstand aus dem Vereinsvermögen zu erfüllen. Für ein Verschulden des Vorstands haftet nach § 278 das Vereinsvermögen ; der Vorstand ist zwar nicht gesetzlicher Vertreter, aber Verwalter des Vermögens 48 und kann daher als eine Person bezeichnet werden, deren sich die Mitglieder zur Erfüllung der auf dem Vereinsvermögen lastenden Verbindlichkeiten bedienen. Für Delikte des Vorstandes haftet der Verein nicht; § 31 ist eine singulare Vorschrift und daher nicht über den Kreis der juristischen Personen hinaus auszudehnen47, obgleich beim Vermögen eines nichtrechtsfähigen Vereins, aber auch beim Vermögen geschäftsunfähiger Menschen48, ähnliche Billigkeitsgründe vorliegen, wie die* aus denen § 31 erwachsen ist. Die Mitglieder eines nichtrechtsfähigen Vereins können für den durch ihren Vorstand angerichteten Schaden nur nach § 831 haftbar gemacht werden, wobei sie den EntKredit der nichtrechtsfähigen Vereine gemindert. Dieser Nachteil scheint mir aber für das Vereinsleben nicht so bedeutend, wie eine Gefährdung der Mitglieder durch Vereinsschulden. 48 Eine Beschränkung der persönlichen Haftung ist ausgeschlossen bei der offenen Handelsgesellschaft, HGB. § 128. 44 Planck § 714, 3. 46 Vgl. Dernburg § 79 Note 12. 46 Auch beim rechtsfähigen Verein beruht die Haftung aus § 278 darauf, daß der Vorstand Verwalter des Vermögens ist, vgl. oh. § 37 Note 26. 47 Planck § 54, 3h; E n n e c c e r u s § 109 I I I 4; Oertmann § 54, 3 c.u. And.; für Anwendung des § 31 Dernburg § 66 IV. § 79 V; RG. 60, 106 läßt die Frage unentschieden. 48 Vgl. ob. § 32 S. 464.

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lastun gebe weis führen können, daß sie bei der Bestellung des Vorstandes die diligentia in eligendo beobachtet haben. IV. Für den Austritt eines Mitglieds gilt zunächst Gesellschaftsrecht ; die Gesellschaft löst sich auf durch Kündigung, § 723 48 a , Tod, § 727, oder Konkurs eines Gesellschafters, § 728. Es kann aber im Gesellschaftsvertrag bestimmt sein, daß die Gesellschaft in diesen Fällen fortbestehen und der betr. Gesellschafter ausscheiden soll, § 736. Das wird beim nichtrechtsfähigen Verein in der Satzung ausgesprochen oder als im Sinn der Satzung liegend anzunehmen sein. Beschränkungen des Austritts durch die Satzung sind zulässig, aber nach § 723 I unwirksam, wenn ein wichtiger Grund vorliegt; ein solcher wird z. B. anzunehmen sein, wenn ein Mitglied in einer wichtigen Frage überstimmt wird. Auch die Kündigung durch einen Gläubiger eines Mitglieds, der dessen Anteil gepfändet hat, § 725, kann durch den Gesellschaftsvertrag die Wirkung des Ausscheidens erhalten 49 und wird beim Verein stets diese Wirkung haben. Möglich ist auch nach § 737 der Ausschluß eines Mitgliedes aus einem in der Satzung festgestellten oder einem wichtigen Grunde im Sinn von § 723 I. Die Ausschließung erfolgt durch einstimmigen Beschluß der übrigen Mitglieder, kann aber durch die Satzung der Mehrheit in der Versammlung oder einem sonstigen Vereinsorgan, z. B. dem Vorstand, übertragen sein 50 . Die Ausschließung ist nur dann wirksam, wenn der Grund tatsächlich vorliegt; darüber kann im Wege der Feststellungsklage gestritten werden 61 . Die Satzung kann aber, wie beim rechtsfähigen Verein, willkürliche Ausschließung durch die Versammlung oder den Vorstand gestatten; dann ist gerichtliche Nachprüfung ausgeschlossen62. Beim Ausscheiden eines Mitglieds findet nach § 738 Anwachsung seines Anteils zugunsten der übrigen Mitglieder statt; dementsprechend erfolgt im Vereinsvermögen keine Änderung der Bestandteile, sondern eine Verminderung der Zahl der im Gesamtverhältnisse stehenden Subjekte. Dieser Vorgang ist mit der Universalsukzession verwandt: Übergang des Rechtsverhältnisses, in welchem der Ausscheidende zum Vereinsvermögen stand, auf andere 48 » Beim Verein ist diese Kündigung an den Vorstand, nicht an alle Mitglieder zu erklären, OLG. 20, 31., Planck § 73Ç, 1. Planck § 737, 4. 61 Planck § 737, 3. Nach SeuffArch. 57, 266 soll diese Klage nur gegen den Vorstand, nicht gegen einzelne Mitglieder möglich sein. 62 Vgl. ob. § 38 Note 19.

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Personen 58; keine Übertragung einzelner Rechte; daher braucht der Anteil an den einzelnen Mobilien nicht übergeben, der Anteil an Grundstücken nicht aufgelassen zu werden 54 . Der Verein erwirbt auch nicht ex bona fide den Anteil des Ausscheidenden an solchen Sachen, die dem Vereinsvermögen nur scheinbar angehörten. Der ausscheidende Gesellschafter kann nach § 738 den Wert seines Anteils am Gesellschaftsvermögen beanspruchen. Dieser Anspruch kann aber durch den Gesellschaftsvertrag ausgeschlossen werden, und das ist beim Verein als selbstverständlich anzunehmen55. Mit dem Ausscheiden erlischt die Haftung des Mitglieds für die Vereinsschulden, wenn sie auf seinen Anteil am Vereinsvermögen beschränkt ist. Der Gläubiger kann sich nach wie vor an das Vereinsvermögen halten, indem er die übrigen Mitglieder oder, was einfacher ist, den Vorstand verklagt. Die Aufnahme neuer Gesellschafter ist im Gesellschaftsrecht nicht erwähnt, die herrschende Meinung hat aber nach Überwindung gewisser Bedenken sich für die Möglichkeit eines solchen Vorganges entschieden und betrachtet ihn nach Analogie von § 738 als einen uno actu erfolgenden Erwerb eines Anteils am Gesellschaftsvermögen auf Kosten der bisherigen Gesellschafter, bei denen infolge desseß eine der Anwachsung des § 738 entsprechende Abwachsung eintritt 5 6 . Wird der neue Gesellschafter Mitsubjekt des Gesellschaftsvermögens, so kann dadurch die Haftung dieses Vermögens gegenüber den Gläubigern nicht beeinträchtigt werden ; da aber ZPO* § 736 zur Vollstreckung ein Urteil gegen alle Gesellschafter verlangt, so muß ein solches Urteil möglich sein, d. h. der neue Gesellschafter muß in die auf dem Gesellschaftsvermögen lastenden Schulden wenigstens soweit eintreten, daß er für sie mit seinem Anteil am Gesellschaftsvermögen haftet. Das entspricht 58

Vgl. ob. § 20 S. 861. Das Ausscheiden eines Mitgliedes kann als Berichtigung eingetragen werden-, Eckstein 247. M Planck § 54, 3k und § 738, 6; Gierke 33; Dernburg § 79, VI; L e i s t , Vereinsrecht 138; Oertmann §54, 2f. Daher ist die nach ZPO. § 859 mögliche Pfändung des Anteils eines Mitgliedes wertlos: der Gläubiger kann nach BGB. § 725 kündigen, wodurch er das Ausscheiden des Mitgliedes erreicht, aber bei Änderung des § 738 durch die Satzung kein Befriedigungsrecht gewinnt. Aus demselben Grunde wird Konkurs des Mitgliedes, § 728, weder Auflösung des Vereins noch auch Ausscheiden des Gemeinschuldners bewirken ; denn wenn der Ausscheidende keinen Anspruch gegen den Verein hat, so hat auch die Konkursmasse mit der Mitgliedschaft des Gemeinschuldners nichts zu tun. M Gierke 24; Planck § 736, 2. A.A. R e i c h e l , Schuldmitübernahme 96, 104. 64

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durchaus der Billigkeit und hat eine Analogie im Schuldeintritt des Vermögensübernehmers nach § 41 9 5 7 . Beim nichtrechtsfähigen Verein ist der Eintritt neuer Mitglieder von vornherein ins Auge gefaßt; er läßt sich mit den dargelegten Grundsätzen des Gesellschaftsrechts vereinbaren 58. Der Eintritt ist bei der Gesellschaft und daher auch beim Verein ein Vertrag des Eintretenden mit den bisherigen Mitgliedern. Es kann aber der Abschluß dieses Vertrages dem Vorstand überlassen werden, nach seinem Ermessen oder mit der Maßgabe, daß ein Beschluß der Versammlung erforderlich ist 5 9 . V. Die Auflösung des nichtrechtsfähigen Vereins erfolgt, da Kündigung, Tod und Konkurs über das Vermögen eines Mitglieds diese Wirkung nicht hat, aus folgenden Gründen: 1. Durch Auflösungsbeschluß, der jedenfalls einstimmig gefaßt werden kann; die Satzung kann einen Mehrheitsbeschluß für genügend erklären 60 . 2. Durch Eintritt der in der Satzung bestimmten Zeit oder Bedingung. 3. Durch Verfügung der Verwaltungsbehörde auf Grund des öffentlichen Vereinsrechts. 4. Dadurch, daß nur ein Mitglied übrigbleibt, denn mindestens zwei Personen müssen vorhanden sein, damit ein Gesamthandsverhältnis bestehen kann. Kündigung, Tod oder Konkurs einer dieser beiden Personen bewirkt nicht ihr Ausscheiden, sondern Auflösung der Gesellschaft 61; sonst würde das Gesell Schaft svermögen in der Hand des letzten Gesellschafters mit seinem eigenen Vermögen verschmelzen, da es nur infolge des Gesamthandsverhältnisses eine Sonderstellung einnimmt 62 . 5. Erreichung oder Unmöglichwerden des Zweckes, § 726. 6. Konkurs über das Vereinsvermögen, KO. § 213. Der rechtsfähige Verein verliert durch den Konkurs nach § 42 die Rechts57

Vgl. ob. § 20 Note 46 a. Der Eintritt des neuen Mitgliedes in die Schuldhaftung ist beim Verein von geringer praktischer Bedeutung, weil der Gläubiger sich die Vollstreckung ins Vereinsvermögen durch Klage gegen den Vorstand eröffnen kann. 69 Vgl. Planck a. a. 0. 80 Soll § 41 (Dreiviertelmehrheit) Anwendung finden? Vgl. ob. Note 13. 61 Planck § 736, 1. 68 Anders beim rechtsfähigen Verein, vgl. ob. § 39 Note 8; das Vermögen gehört nicht den Mitgliedern, verschmilzt daher auch nicht mit dem Vermögen des letzten Mitgliedes. 08

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fähigkeit, das ist aber gleichbedeutend mit der Auflösung, vorbehaltlich die Möglichkeit, einen neuen Verein mit demselben Zweck zu errichten 68 . Auch beim nichtrechtsfähigen Verein wird durch den Konkurs die Grundlage der Existenz zerstört; er verliert jedenfalls zunächst die Verwaltung des Vermögens und in den meisten Fällen das Vermögen selbst Das ist meines Erachtens ein so tiefgreifendes Ereignis, daß es auch ohne Bestimmung in der Satzung (die den Konkurs nicht vorauszusehen pflegt) dem Fortbestand des Vereins ein Ende machen muß 64 . Nach der Auflösung muß, wie bei jedem Gesamthandsvermögen66, eine Auseinandersetzung erfolgen, § 730. Dabei sind zunächst die Gesellschaftsschulden zu berichtigen, sodann die Einlagen zurückzu erstatten und endlich Gewinn und Verlust unter die Gesellschafter zu verteilen, nach dem verabredeten resp. durch § 722 festgesetzten Maßstab. Das ist aber dispositives Recht; daher kann die Satzung des Vereins bestimmen, daß die Einlagen nicht zurückzugeben sind; daß das Vermögen einer bestimmten Person, ζ. B. einer Stiftung, zufallen soll ; daß die Mitgliederversammlung oder ein anderes Organ über das Vermögen verfügen soll 66 . In beiden Fällen ist der Gesellschaftsvertrag, insofern er das Vermögen direkt oder indirekt Jemandem zuweist, ein Vertrag zugunsten Dritter, aus welchem dem Dritten eine Forderung gegen den Verein erwächst. Ist ein Anfallberechtigter nicht bestimmt, so ist das Vermögen unter die letzten Mitglieder zu verteilen, § 722. Ein Anfall an den Fiskus kommt beim nichtrechtsfähigen Verein nicht vor. Jeder Gesellschafter, daher auch jedes Vereinsmitglied kann nach § 733 verlangen, daß vor der Austeilung des Vermögens die Gesellschaftsschulden berichtigt werden. Das ist aber ein Recht der Mitglieder, nicht der Gläubiger; die Vorschriften, die das Gesetz beim rechtsfähigen Verein zum Schutz der Gläubiger aufstellt (Sperrjahr, § 51) fehlen bei der Gesellschaft und daher auch beim nichtrechtsfähigen Verein. Es darf daher beschlossen werden, «8 Vgl. ob. § 39 S. 560. A. A. Gierke Note 83a. Jedenfalls ist Konkurs über das Vereinsvermögen ein wichtiger Grund des sofortigen Austritts. 65 Vgl. ob. § 20. Bis zur Beendigung der Auseinandersetzung bleibt das Gesamthandsvermögen, mit verändertem Zweck, bestehen. 66 Ohne solche Bestimmung der ursprünglichen oder abgeänderten Satzung kann das Vermögen keinem Dritten zugewiesen werden, auch nicht wie beim rechtsfähigen Verein, einer öffentlichen Stiftung oder Anstalt. 64

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das Vermögen ohne vorherige Berichtigung der Schulden dem Anfallberechtigten auszuliefern oder unter die Mitglieder zu verteilen. Aber die Gläubiger des Vereins sind nicht schutzlos67: zunächst kommt in Betracht die gerade für solche Fälle wichtige persönliche Haftung des Vorstands aus § 54, 2. Ist das ganze Vermögen an einen Anfallberechtigten ausgeantwortet, so haftet er nach § 419 68 . Haben die Mitglieder das Vermögen unter sich verteilt, bevor die Schulden bezahlt sind, so haftet jedes Mitglied infolge seiner auf das Vereinsvermögen beschränkten Haftung, mit dem, was es erhalten hat; denn es ist eine meines Erachtens notwendige Ergänzung jeder beschränkten Haftung, daß der Schuldner bis zu dem Betrag, um welchen er das Haftungsobjekt vermindert, dem Gläubiger persönlich verpflichtet wird 6 9 . Um Auflösung des nichtrechtsfähigen Vereins handelt es sich meines Erachtens auch dann, wenn der Verein durch Eintragung oder staatliche Verleihung die Rechtsfähigkeit erlangt. Allerdings wird die Meinung vertreten, daß die Rechtsfähigkeit eine die Identität des Vereius nicht berührende Eigenschaft sei 7 0 ; das Vereins vermögen soll nach wie vor denselben Mitgliedern zustehen, nur daß sie bisher in einem Gesamtverhältnis standen und nach der Eintragung zu einer selbständigen Verbandsperson zusammengeschlossen sind 71 . Ich kann mich dieser Auffassung, welche die Grenze zwischen Gesamthand und juristischer Person gänzlich verwischt, nicht anschließen72. So sehr sich auch der nichtrechtsfähige Verein infolge der dispositiven Natur des 87

Vgl. K o h l e r § 179 I I 2g. H e l l w i g , Vertr. auf Leist an Dritte 397; Gierke Note 91; Oertmann § 419, 6. 89 Vgl. ob. § 18 Note 44. Wird das Vermögen eines rechtsfähigen Vereins den Anfallberechtigten vor Bezahlung der Schulden ausgeliefert, eo ist die Rechtslage eine andere, vgl. ob. S. 570, denn der Anfallberechtigte darf sich auf die Liquidation verlassen, hat aber auch nur Anspruch auf das Ergebnis derselben. Der Verein hat daher gegen ihn eine cond. indebiti, welche zur Befriedigung der unbezahlten Gläubiger dient. Dagegen können sich Gesellschafter resp. Mitglieder eines nichtrechtsfähigen Vereins über die Vorschrift der vorherigen Befriedigung der Gläubiger hinwegsetzen; der Verein hat daher keine cond. indebiti und den unbezahlten Gläubigern muß auf anderem Wege geholfen werden. 70 Vgl. ob. § 32 Note 1. 71 .Gierke 9; D e r n b u r g § 74 Note 2 (anders § 78 V): Staudinger § 21 VIII; Biermann § 135, 1; Staub-Hachenburg, Ges. m. b. H. § 11 Anm. 1—4; SeuffA. 56, Nr. 214; OLG. 20, 28; Oertmann, Vorb. 6 vor § 21. 72 Planck zu § 65; Enneccerus § 100 VII. 68

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Gesellschaftsrechts in seiner Struktur dem rechtsfähigen Verein nähern kann, so hat doch das Gesetz eine feste Schranke gezogen ; der nichtrechtsfähige Verein ist keine Person; Subjekt seines Vermögens ist nicht er selbst, sondern die Summe der Mitglieder im Verhältnis der Gesamthand. Dagegen ist der rechtsfähige Verein eine Person und Subjekt seines Vermögens ; man kann daher nicht sagen, daß der Verein durch die Eintragung nur eine ihm bisher fehlende Eigenschaft erwirbt, sondern es entsteht in diesem Moment eine Person, ein bisher nicht existierendes Vermögenssubjekt. Die dazu nötige Vereinbarung kann von den Mitgliedern des nichtrechtsfähigen Vereins bei der Auflösung getroifen werden und dabei kann, soweit es die Satzung zuläßt, beschlossen werden, das Vermögen des aufgelösten Vereins dem zu gründenden rechtsfähigen Verein zuzuwenden72 a . Dabei erfolgt ein Subjektwechsel bei den Rechten, die zum Vermögen des aufgelösten Vereins gehörten 78 , aber keine Gesamtnachfolge 74; denn die Übertragung des ganzen gegenwärtigen Vermögens, §§ 311, 419, wird in unserem Gesetz nicht als Universalsukzession aufgefaßt 76, sondern es müssen die einzelnen Bestandteile des Vermögens auf den rechtsfähigen Verein übertragen werden: durch Tradition, durch Zession, durch Auflassung und Eintragung. Wenn der Vorstand des bisherigen Vereins seine Stellung im rechtsfähigen Verein behält, so kann er die Übertragungsverträge nach § 181 mit sich selbst schließen, da es sich um Erfüllung der aus dem Überweisungsbeschluß entstandenen Verpflichtungen handelt. Ein Bedenken könnte gegen die Annahme einer Singularsukzesion erhoben werden : der rechtsfähige Verein kann ex bona fide solche Sachen erwerben, die dem Vermögen des aufgelösten Vereins nur scheinbar angehörten. Dies der Billigkeit widersprechende Resultat wird aber dadurch erheblich gemildert, daß der Erwerb des rechtsfähigen Vereins aus dem Überweisungsbeschluß unentgeltlich ist und daher der Bereiche78 » Ist der Verein von vornherein mit der Absicht der Eintragung gegründet, so liegt im Gründungsbeschluß die Vereinbarung, das Vermögen, welches der Verein vor der Eintragung erwerben sollte, auf den rechtsfähigen Verein zu übertragen, vgl. ob. § 34 S. 483. 78 Es scheint mir ein schwer zu lösender Widerspruch, wenn Gierke und Biermann a. a. 0. einerseits Identität des Vereins vor und nach der Eintragung annehmen, und anderseits von einer Sukzession des eingetragenen Vereins in das Vermögen des nichtrechtsfähigen Vereins sprechen. 74 A. A. Gierke Note 87; K o h l e r § 146. 76 Vgl. ob. § 18 Note 34 b.

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rungsklage aus § 816 12 ausgesetzt ist 7 6 . Soweit die Schulden des aufgelösten Vereins nicht berichtigt sind, haftet der rechtsfähige Verein arg. § 41976», danebep der Kontrahent der Schuld aus § 54, 2 und die Mitglieder des aufgelösten Vereins aus dem ob. Note 69 angegebenen Grund. VI. Eine Einrichtung von zweifelhaftem Wert ist die den nichtrechtsfähigen Vereinen durch ZPO. § 50 I I verliehene passive Parteifähigkeit. Im gemeinen Hecht bestand in letzter Zeit die Tendenz, den Vereinen, auch wenn sie nicht juristische Personen waren, Parteifähigkeit zuzusprechen77, wie ja auch die offene Handelsgesellschaft, obgleich sie nach herrschender Ansicht nicht als juristische Person gilt, klagen und verklagt werden kann, HGB. § 124. Eine solche Behandlung der Vereine würde sich aus praktischen Gründen, zur Erleichterung und Vereinfachung des Verfahrens, sehr empfehlen; denn bei größerer Zahl der Mitglieder sind Erhebung und Zustellung der Klage, Parteieide usw. mit großen Weitläufigkeiten verbunden, wenn die einzelnen Mitglieder als Prozeßpartei in Betracht kommen. Solchen Belästigungen wollten die Verfasser des BGB. den Kläger, der einen nichtrechtsfähigen Verein belangt, nicht aussetzen ; daher wurde in ZPO. § 50 die Möglichkeit eröffnet, den Verein zu beklagen77 a . Im Rechtsstreit erhält der Verein die Stellung eines rechtsfähigen Vereins; der Vorstand fungiert als gesetzlicher Vertreter ; ihm ist die Klage zuzustellen, ZPO. § 171 I I , er hat den Parteieid zu leisten, ZPO. § 478, während die Mitglieder nicht die Parteistellung einnehmen, daher als Zeugen vernommen werden können 77 b . Bei Aktivprozessen wollte man dem nichtrechtsfähigen Verein diese 76

Vgl. ob. § 39 Note 36. a y g l . auch Reineke in DJZ. 13, 245; RG. 71, 378. 77 Vgl. Bekker § 63 Beil. I. 77 » Die Klage gegen den Verein ist nur dann zulässig, wenn die Schuld in Angelegenheiten des Vereins entstanden ist, nicht wenn das Vereinsvermögen für sonstige Verpflichtungen sämtlicher Mitglieder haftet, vgl. ob. Note 28a. ZPO. § 50 will nur dem Gläubiger, der sich mit dem Verein eingelassen hat, helfen. Auch im Konkurs des Vereins, KO. § 213, können nur solche Forderungen angemeldet werden, die gegen den Verein als solchen begründet sind, Hellwig. ZivProz. § 155 Anm. 30.. 77 * Materiellrechtlich sind trotz der gegen den Verein gerichteten Klage die Mitglieder die Verpflichteten; daher ist es unzulässig, neben dem Verein die Mitglieder zu beklagen, sofern sie nur mit dem Vereinsvermögen haften; und die Rechtskraft eines Urteils gegen den Verein trifft auch die Mitglieder als Subjekte des Vereinsvermögens, vgl. Gierke S. 44. 76

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Stellung nicht geben, um ihn dem rechtsfähigen Verein nicht zu sehr anzunähern und um seine rechtliche Existenz nicht zu sehr zu erleichtern. Es ist dies eine der rechtspolitischen Maßregeln, durch welche man die Eintragung der Vereine, ohne Erfolg, befördern wollte 78 . Daher muß eine Klage für den Verein namens sämtlicher Mitglieder erhoben werden ; dazu wird aber in der Regel die dem Vorstand zustehende Vertretungsmacht genügen 79 ; die Parteieide sind von den Mitgliedern zu leisten; sie sind von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen und können nicht als Zeugen vernommen werden 79 a . Die Spaltung der Parteifähigkeit führt zu bedenklichen Komplikationen, weil sich die aktive und passive Rolle im Prozeß nicht streng sondern lassen80. Ein verklagter Verein kann in die Lage kommen, Widerklage zu erheben, Gegenansprüche in besonderem Verfahren geltend zu machen, Vollstreckungsgegenklage aus ZPO. § 767 zu erheben, Schadensersatz aus ZPO. §§'302, 717 zu verlangen usw. Soll er in solchen Fällen parteifähig sein? Die herrschende Meinung behandelt den Verein als parteifähig in allen Situationen, die mit der gegen ihn erhobenen Klage zusammenhängen und sucht dadurch die im Prinzip des § 50 ZPO. liegende Inkonsequenz zu mildern. Noch weiter wollen H e l l w i g und G i e r k e 8 1 gehen, indem sie vom Richter den Mut verlangen, sich über die praktisch mißliche Gesetzesvorschrift hinwegzusetzen .und dem nichtrechtsfähigen Verein auch die aktive Parteifähigkeit zukommen zu lassen. Soweit ist jedoch bis jetzt weder die Praxis 82 noch die Theorie 88 gegangen. VII. Vereine, die.beim Inkrafttreten des BGB. bereits bestanden, ohne juristische Person zu sein, unterstehen dem bisherigen Recht 8 4 ; denn in Art. 163 ist die Anwendung des neuen Rechts 78

Vgl. ob. Note 41. Hellwig, ZivProz. § 127 hote 6; Dernburg § 79 VII. 79 » Da die Klage Namens der Mitglieder, nicht des Vereins, erhoben wird, so werden bei Abweisung einer Klage die Kosten den Mitgliedern auferlegt. Darin liegt bei der oft unsicheren Solvenz des nichtrechtsfähigen Vereins ein nicht zu unterschätzender Schutz des zu Unrecht Beklagten« 80 Vgl. A. S. Schultze in GrünhutsZ, 28, 518 und die Komment, zu ZPO. § 50. 81 H e l l w i g , ZivProz. § 45, Gierke 45. 82 RG. 54, 300 ; 57, 91; OLG. 15, 70; 20, 33. 88 Dernburg § 79 Note 18; Enneccerus § 109 Note 16; Biermann § 141 Note 5; L e i s t , Vereinsherrschaft 36; a. A. Eckstein 249. 84 RG. 51, 160; Dernburg § 78 IV; Biermann § Ì47, 8; a. A. Enneccerus § 113 I I 4. 70

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nur für juristische Personen vorgeschrieben und § 54 BGB. nicht erwähnt. Dagegen gilt für solche Vereine die Vorschrift des § 54 II, wonach aus Rechtsgeschäften namens des Vereins der Handelnde persönlich haftet 85 . Ebenso gelten die neuen prozessualen Vorschriften, ZPO. §§ 50, 735. KO. § 213, auch für bereits bestehende nichtrechtsfähige Vereine; insbesondere haben solche Vereine nach 1900 nur noch passive Parteifähigkeit 86 . § 41. Die Stiftung* I. Neben dem Verein kennt das BGB. eine zweite Art der juristischen Person: die Stiftung: ein selbständiges Vermögen, welches einem ein für alle Mal festgesetzten Zweck zu dienen bestimmt ist. Während der Verein durch den Willen mehrerer Gründer entsteht und den Beschlüssen seiner Mitglieder unterworfen ist, wird die Stiftung durch den einseitigen Willen des Stifters ins Leben gerufen und von diesem, in der Satzung niedergelegten, Willen dauernd beherrscht ; die Stiftung hat kein souveränes Organ (wie die Mitgliederversammlung des Vereins), welches über Zweck und Fortbestand entscheiden könnte, sondern nur dienende Organe, welche den Willen des Stifters auszuführen haben. Die Stiftung war bereits im gemeinen Recht 1 als juristische Person anerkannt und ist es zweifellos im Recht des BGB. Die theoretische Konstruktion ist ebenso streitig, wie die der Vereine 2 . Am einfachsten und klarsten ist die Annahme einer Fiktion: Subjekt des Stiftungsvermögens ist eine in Wirklichkeit nicht existierende, aber als existierend zu denkende Person. Diese Anschauung wird als äußerlich und künstlich bekämpft; man sucht ohne Fiktion auszukommen und das Problem realistisch zu erfassen. In diesem 85

Denn es handelt sich um die Rechtsfolgen eines unter neuem Hecht entstandenen Schuldverhältnisses (Art. 170); H ahi cht 128; Gierke 49; OLG. 10, 56; RG. 63, 63; a. A. Planck Art; 163, 6. 88 So die herrschende Meinung, vgl. SeuffA. 56, 291. * W i n d s c h e i d § 57, 2; Regelsberger § 87fg.; Bekker § 69; Gierke § 78; D e r n b u r g § 92; Endemann § 47fg.; C o s a c k § 36; Crome § 56; Enneccerus §§ 110, 111; K ö h l e r § 180fg.; Biermann § 142fg.; Z i t e lmann S. 70fg.; Behrends, Stiftungen nach dem BGB. 1 Die Stiftung kommt in der christlichen Kaiserzeit als pium corpus auf und behält im Mittelalter diesen Charakter. Seit der Reformation werden Stiftungen für weltliche Zwecke anerkannt. In der Doktrin wurde die Stiftung früher unter den Begriff der Körperschaft gestellt. 8 Tgl. ob. § 21.

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Sinn erklärt B r i n z das Stiftungsvermögen für subjektlos 8 , die dazu gehörenden Rechte seien nicht für ein Subjekt, sondern für einen Zweck bestimmt; die Stiftung sei ein selbständiges Zweckvermögen. Gegen diese Anschauung spricht das ob. S. 374 dargelegte Bedenken, daß man die Struktur eines Rechtes verschieden denken muß, je nachdem es einer Stiftung oder einem Menschen zusteht. Anderseits sucht man nach einem realen Subjekt der Stiftung; man findet es bisweilen im fortwirkenden Willen des Stifters 4 ; aber dem kann entgegengehalten werden, daß der in der Satzung niedergelegte „Wille" des Stifters als psychologische Realität nicht mehr existiert und tatsächlich nichts anderes ist, als die Vorschrift, welche von den Stiftungsorganen bei der Verwaltung befolgt wird. G i e r k e 6 bezeichnet die Stiftung als „selbständigen gesellschaftlichen Organismus, dessen Seele der in ihm fortwirkende Wille des Stifters und dessen Körper der zur Verwirklichung dieses Willens hergestellte Verband von Menschen bildet". Daß es sich hier um eine mehr bildliche als begriffliche Auffassung handelt, scheint mir unverkennbar; denn Seele und Körper in Anwendung auf ein nichtmenschliches Wesen sind keine juristischen Begriffe. Läßt man diese bildliche Auffassung fallen, so kann man mit Enneccerus® die Stiftung bezeichnen als „eine mit juristischer Persönlichkeit ausgestaltete Organisation zur Verwirklichung bestimmter Zwecke 7 ". Allzugroße Bedeutung scheinen mir diese nach Temperament und Denkart der Rechtsforscher differenzierten Auffassungen nicht zu besitzen, jedenfalls nicht für die Anwendung des Rechts. Auch ist meines Erachtens der Unterschied zwischen der Fiktionstheorie und der Lehre, welche die Realität der juristischen Person be3

Pandekten, 2. Aufl. I §§ 59—63, I I I § 432 fg. Zitelmann, Wesen der juristischen Person 72. 5 Deutsches PrivRt. § 78 III. Gierke rechnet die Stiftungen mit den Vereinen zu den von ihm sogenannten Verbandpersonen. Dieser Ausdruck ist für die Stiftung zu beanstanden, da eine Mehrheit beteiligter Personen zum Wesen der Stiftung nicht gehört. 8 § 110, I. 7 Abzulehnen ist die von J h e r i n g aufgestellte und jetzt von Meure r S. 243fg. vertretene Ansicht, nach welcher Destinatare Subjekt der Stiftung sind; sie sind Gläubiger der Stiftung, vgl. unt. Note 106. Ebenso abzulehnen die Ansicht von H o l d e r und Binder, welche die Stiftungsorgane als Subjekte der Stiftung ansieht und ihnen an Stelle der Hechte, die nach herrschender Ansicht das Stiftungsvermögen ausmachen, sogenannte Amtsrechte von entsprechendem Inhalte zuweist, vgl. ob. § 21 S. 376. 4

Handbuch X . 1. I : v o n T u h r I .

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hauptet, nicht so tief, wie er sich in der jetzt allmählich erlöschenden Polemik darstellt. Es ist unbestritten, daß die Stiftung ein tatsächlich existierendes und bisweilen sehr wirkungsvolles Wesen ist, aber ebenso unbestreitbar, daß diese Existenz und Wirksamkeit nur durch die gesetzliche Sanktion ermöglicht ist; würde das Gesetz den Willen des Stifters nicht schützen, die Verwalter des Vermögens nicht überwachen, für zeitgemäße Änderungen der Stiftungsverfassung nicht sorgen, so könnte die Stiftung nicht funktionieren; sie ist also ein reales, aber im Vergleich zum Individuum, künstliches Gebilde. Ferner ist zuzugeben, daß das Gesetz nie und nirgends vorgeschrieben hat, die Stiftung als Menschen zu fingieren; aber es bezeichnet die Stiftung als Person d. h. als Rechtssubjekt und stellt sie als solches neben die physischen Personen ; daher sind alle Rechtssätze und Vorstellungen über Rechte und Pflichten, die in erster Linie auf den Menschen zugeschnitten sind, da er das wichtigste und anschaulichste Subjekt solcher Beziehungen ist, auf die juristische Person entsprechend anzuwenden. Daher kann man von einem Willen und von juristischen Handlungen der Stiftung sprechen, obgleich die juristische Analyse nur von Willensäußerungen und Handlungen der Organe weiß, die der Stiftung zugerechnet d. h. mit Wirkungen für das Stiftungsvermögen ausgestattet werden. Darin liegt meines Erachtens keine Fiktion, sondern eine sich unwillkürlich aufdrängende und, wenn man nicht in Pedanterie verfallen will, unvermeidliche anthropomorphe Denk- und Sprechweise, welche unschädlich bleibt, solange man sich der zu Grunde liegenden Tatsachen bewußt bleibt: daß das Stiftungsvermögen durch die Vorschriften der Rechtsordnung für den vom Stifter bezeichneten Zweck reserviert ist, daß die nötigen Verwaltungshandlungen von den durch die Verfassung bestimmten Organen vorgenommen werden; daß diese Handlungen auf das Stiftungsvermögen in* ähnlicher Weise einwirken, wie die Handlungen eines Vertreters einer physischen Person auf deren Vermögen ; und daß dieser Tatbestand, da wir einmal gewohnt sind, das subjektive Recht als Befugnis eines Subjekts und das Vermögen als Herrschaftsgebiet eines Vermögensherrn zu denken, sich am einfachsten so vorstellen läßt, daß man der Stiftung juristische Persönlichkeit beilegt 8 d. h. das Stiftungsvermögen einem Rechtssubjekt zuschreibt, dessen Wille in den Entschließungen der verfassungsmäßigen Organe zu Tage tritt. 8

Vgl. Bekker § 59 Beil. II, § 60 Anm. a.

§ 41. Die S t i f t g .

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II. Die Stiftung hat als juristische Person einen Rechtskreis, der vom Rechtskreis anderer Personen streng gesondert ist, ein selbständiges Vermögen, welches nicht Bestandteil eines anderen Vermögens ist. Darum gehören nicht zum Begriff der Stiftung im Sinn des BGB. die zahlreichen Zuwendungen zur dauernden Verfolgung gemeinnütziger Zwecke, welche an bereits bestehende juristische Personen, Vereine oder Stiftungen 811 , gemacht werden. Man bezeichnet sie als unselbständige Stiftungen 9. Soll die Zuwendung für die satzungsmäßigen Zwecke der juristischen Person verwendet werden, so liegt eine gewöhnliche Schenkung v o r 1 0 ; ist eine bestimmte Verwendung in verbindlicher Weise verabredet , so ist der Vorgang als Schenkung mit Auflage aufzufassen. In beiden Fällen ist ein Vertrag in der Form des § 518 erforderlich 11 , dagegen nicht die in § 80 vorgeschriebene staatliche Genehmigung; nur wenn der Wert des zugewendeten Gegenstandes 5000 Mk. übersteigt, kann das Landesrecht nach Art. 86 staatliche Genehmigung verlangen 12. Die Vollziehung der Auflage kann der Schenker und sein Erbe verlangen, ev. ein begünstigter Dritter, § 330; nach dem Tode des Schenkers bei Vorliegen eines öffentlichen Interesses auch die zuständige Behörde, § 525. Das Maß der übernommenen Verpflichtung ist nach derb Gesetz unabhängig vom Betrag der Schenkung; nur wenn die Zuwendung mit Rechts- oder Sachmängeln behaftet ist, kann die Erfüllung der Auflage soweit verweigert werden, als der Wert der Zuwendung in Folge dieser Mängel hinter der zur Vollziehung der Auflage erforderlichen Aufwendung zurückbleibt, § 526. Meistens wird aber das Maß der Auflage bei der Schenkung so bestimmt sein, daß es vom Wert resp. dem Ertrag der Schenkung abhängt 13 . Die zugewendeten 8

» Über Sammlungen zu vorübergehenden Zwecken vgl. unt. IX. K o h l e r , ArchBürgR. 3, 268fg.; Regelsberger § 87: Planck Vorb. vor §80; Oertmann, Vorb. vor § 80. Zuwendungen mit gemeinnützigem Zweck köDnen auch an Individuen gemacht werden ; aber das Einzelvermögen bietet keine Gewähr für dauernde Verwendung des Kapitals zum bestimmten Zweck. 10 Vgl. ob. § 21 Note 1. 11 Oder, bei Zuwendung von Todeswegen, Testament oder Erbvertrag. 12 Nach D e r n b u r g § 67 I I A ist bei Berechnung dieser Grenzsumme der Wert der Auflage abzuziehen, so daß, wenn die Auflage darin besteht, die ganze Zuwendung zu einem bestimmten Zweck zu verwenden, staatliche Genehmigung nicht erforderlich wäre. 18 Z.B. Zuwendung von 10000 Mk. mit der Auflage, die Zinsen in bestimmter Weise zu verwenden. 0

3*

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Gegenstände fallen in das Vermögen der empfangenden juristischen Person und teilen daher dessen rechtliche Schicksale; sie haften namentlich den Gläubigern der bedachten juristischen Person in Zwangsvollstreckung und Konkurs 14 . Das ist auch dann anzunehmen, wenn bei der Zuwendung getrennte Verwaltung des zugewendeten Kapitals verabredet ist; denn durch getrennte Verwaltung entsteht ohne gesetzliche Vorschrift kein Sondergut im Vermögen des Empfängers 15. Der Schenker hat bei Nichterfüllung der Auflage nur das obligatorische Rückforderungsrecht des § 527 l e . Jedoch kann die Vorschrift getrennter Verwaltung dazu führen, daß die Zuwendung als selbständige Stiftung aufzufassen ist mit der Bestimmung, daß die Verwaltung dieser Stiftung dem jeweiligea Vorstand einer schon bestehenden juristischen Person zustehen soll 1 7 . Wenn die Zuwendung so auszulegen ist, und das kann quaestio facti sein, dann ist die Errichtung der Stiftung nach § 80 zu beurteilen 17 a . I I I . Die Stiftung entsteht durch den Willen des Stifters (Stiftungsgeschäft) und hinzutretende staatliche Genehmigung. Da das Stiftungsvermögen auf grundsätzlich unbegrenzte Zeit dem Verkehr der Individuen (die Römer würden sagen : dem commercium) entzogen und für einen fest bestimmten Zweck reserviert wird, hat sich der Staat mit Recht die Kontrolle über die Entstehung solcher u

Das vielfach behauptete Aussonderungsrecht bei fiduziarischer Übertragung ist meines Erachtens de lege lata unbegründet, vgl. ob. § 2 Note 23 a. 10 Vgl. ob. § 18 S. 821. Im gemeinen Recht wollte man vielfach das zugewendete Kapital in diesem Falle dem Zugriff der Gläubiger des Fiduziars entziehen, Bekker § 69 Beil. I l l b ; K o h l e r a. a. 0. 281; Regelsberger § 87 Note 4. 16 Die Zuwendung kann, außer bei Grundstücken, unter auflösender Bedingung erfolgen, A. Schultze, JheringsJ. 43 , 34fg.; doch wird der Zuwendende selten daran denken, eine solche Bedingung zu setzen, da ihm der Gedanke, daß das Zugewendete seinem Zwecke entfremdet werden könne, fernznliegen pflegt. 17 Vgl. unt. VI. 17 a Aus demselben Grunde, wie die unselbständige Stiftung, ist von der Stiftung zu unterscheiden das Familienfideikommiß ; es dient demselben Zweck, wie eine Familienstiftung, hat aber eine ganz verschiedene juristische Struktur: das Fideikommißvermögen gehört dem jeweiligen Inhaber des Fideikommisses und entbehrt einer besonders organisierten Verwaltung, während die Familienstiftung, wie jede Stiftung, eine juristische Person mit selbständigem Vermögen und eigener Verwaltung ist. Vgl. Bekker § 60 Beil. I; W i n d s c h e i d § 57 Note 11; K o h l e r § 183 V; RG. 61, 28.

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Vermögensmassen, der sog. „toten Hand", vorbehalten 18. Denn die Interessen und Werturteile innerhalb der menschlichen Gesellschaft unterliegen einem beständigen wenn auch langsam verlaufenden Wechsel, und der Staat muß dafür sorgen, daß die wirtschaftliche Freiheit künftiger Generationen nicht dadurch eingeengt wird, daß jetzt lebende Stifter allzu große Vermögensmassen für die ihnen wichtig scheinenden Zwecke festlegen 19. Das Stiftungsgeschäft ist ein einseitiger Willensakt des Stifters. Wesentlicher Inhalt dieses Willensaktes ist die Festsetzung eines genügend präzisierten Zweckes der Stiftung. Für diesen Zweck hat der Stifter einen Teil seines Vermögens als Stiftungskapital auszusetzen u. zw. mit der Bestimmung, daß dieses Kapital ein selbständiges Vermögen bilden soll. Eine Stiftung, für welche der Stifter kein Opfer bringen will, wird die staatliche Genehmigung nicht erhalten. Jedoch ist die Ausstattung der Stiftung mit einem Kapital meines Erachtens kein Essentiale des Stiftungsgeschäftes 20 · das Gesetz bestimmt kein Minimum für das der Stiftung mitzugebende Vermögen ; auch scheint es mir zweckwidrig zu sein, eine genehmigte Stiftung als nicht entstanden zu betrachten, wenn sich herausstellt, daß die vom Stifter zugewendeten Gegenstände wertlos waren 20 a ζ. B. Aktien einer zur Zeit der Stiftung bereits insolventen Gesellschaft; denn eine solche Stiftung kann mittlerweilen von anderer Seite Vermögen erworben haben. Zum Inhalt des Stiftungsgeschäftes gehören ferner Bestimmungen über die Organisation der Stiftung : der Stifter hat den Modus festzusetzen, nach welchem sich die Person des Vorstandes ev. weiterer Organe bestimmen soll. Eine Stiftung ohne Organisation ist nicht lebensfähig und wird daher nicht genehmigt werden. Fehlt die Bestimmung des Stifters und kann sie nicht auf Veranlassung der genehmigungsberechtigten Behörde durch den Stifter ergänzt werden, 18

Auch Vereine haben eine zeitlich unbegrenzte Existenz; aber in der Befugnis der Mitgliederversammlung die Satzung abzuändern und den Verein aufzulösen, liegt die Möglichkeit der Anpassung an veränderte Zeitumstände. 19 Auf denselben Gründen beruht die zeitliche Beschränkung der Nacherbschaft sowie der bedingten und befristeten Vermächtnisse, §§ 2109, 2162, und die staatliche Genehmigung bei Errichtung von Familienfideikommissen. 20 Die Frage ist bestritten, vgl. Oertmann § 80, 9: für ein Vermögen als Entstehungserfordernis der Stiftung Endemann § 48 Note 7; Planck § 81, 3 u. Α.; dagegen Staudinger § 80, I I I 2, H o l d e r § 80, 4, Dernburg § 92 Note 6. 80 a Oder wenn sie dem Stifter zurückgegeben werden müssen, vgl. unt. S. 607.

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so kaun die Stiftung nicht ins Leben treten, es sei denn daß das Landesrecht der Behörde gestattet, an Stelle des Stifters die nötigen organisatorischen Bestimmungen zu treffen 21 . Unentbehrlich ist eine Bestimmung des Stifters über den Sitz der Stiftung; denn nach dem Sitz richtet sich die Kompetenz des genehmigungsberechtigten Bundesstaats, § 8 0 2 1 a . Endlich wird der Stifter seiner Stiftung einen Namen beilegen, ev. von der genehmigenden Behörde dazu angehalten werden; aber für die Entstehung der Stiftung kann die Festsetzung des Namens nicht als wesentlich angesehen werden. Das Stiftungsgeschäft kann sowohl unter Lebenden als auch von Todeswegen vorgenommen werden; in letzterem Fall erfolgt die Stiftung in der Form einer Verfügung von Todeswegen, § 83, d. h. in einem Testament oder Erbvertrag, wobei der Stifter die Stiftung zugleich zum Erben einsetzt oder mit einem Vermächtnis bedenkt 22 oder auch einem Erben oder Vermächtnisnehmer auferlegt, die Stiftung mit einem Kapital auszustatten28. Das testamentarische Stiftungsgeschäft kann wie alle testamentarischen Verfügungen widerrufen werden. Im Erbvertrag zählen nach § 2278 nur Erbeseinsetzung, Vermächtnis und Auflage zu den vertragsmäßigen und daher unwiderruflichen Verfügungen, § 2299, nicht die Stiftung; daher kann die im Erbvertrag enthaltene Stiftungserklärung widerrufen werden 24 , wodurch die ihr zugedachte Zuwendung (Erbeseinsetzüng, Vermächtnis, Auflage) hinfällig wird. Unter Lebenden erfolgt das Stiftungsgeschäft 25 in einer ein21

Oertmann § 86, 2g. a Vgl. unt. Note 53. 22 Das Stiftungskapital kann auch durch Einsetzung der Stiftung zum Vor- oder Nacherben, oder zum Ersatzerben beschafft; werden, Oertmann § 83, 1 b ; die Genehmigung wird nur dann erteilt werden, wenn die Nachoder Ersatzerbfolge eine sichere Anwartschaft begründet. 28 Dann ist der Erblasser der Stifter: er bestimmt Zweck und Organisation der Stiftung und verschafft durch die Auflage das erforderliche Stiftungskapital. Anders wenn der Erblasser einem Bedachten durch Auflage oder seinem Testamentsvollstrecker die Errichtung einer Stiftung zur Pflicht macht, hier wird die Stiftung zwar auf Veranlassung des Erblassers, aber durch Rechtsgeschäft unter Lebenden begründet, vgl. Oertmann § 81, lb. 24 Oertmann § 83, l a ; anders die herrschende Meinung (Planck § 83, 1; Endemann § 47 Note 20; Enneccerus § 110 Note 14): das Stiftungsgeschäft wird als Bestandteil der Zuwendung und daher, wie diese, für unwiderruflich angesehen; aber die Errichtung der Stiftung ist juristisch die primäre Verfügung und die Voraussetzung, durch welche Erbeseinsetzung und Vermächtnisanordnung erst möglich wird. 26 Das Stiftungsgeschäft erfordert volle Geschäftsfähigkeit, § 107. Bis21

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seitigen Erklärung in schriftlicher Form, § 81 2 e . Da das Gesetz nicht verlangt, daß die Stiftungserklärung gegenüber einer bestimmten Person abzugeben ist, gehört das Stiftungegeschäft zu den sog. nichtempfangsbedürftigen Erklärungen und ist als vollendet anzusehen, sobald der Wille seinen Ausdruck in schriftlicher Form gefunden d. h. sobald der Stifter die Urkunde unterschrieben hat 2 7 . Es ist auf die Wirksamkeit der Stiftung ohne Einfluß, wenn der Stifter nach diesem Moment stirbt oder geschäftsunfähig wird, § 130 II. Allerdings müssen, damit die Stiftung ins Leben tritt, noch Schritte getan werden, um die staatliche Genehmigung zu erwirken: aber diese Schritte brauchen nicht vom Stifter auszugehen; sie können, wenn der Stifter stirbt, vom Erben oder Testamentsvollstrecker vorgenommen werden ; wenn der Stifter entmündigt wird, von seinem Vormund 2 8 , und trotzdem gilt die Stiftung als vom Verstorbenen resp. Entmündigten errichtet. Die Stiftungserklärung ist mit Herstellung der Urkunde perfekt, aber widerruflich bis zur Erteilung der staatlichen Genehmigung, § 81 2 9 . Der Widerruf ist formfrei 80 (denn die für die Errichtung eines Geschäfts vorgeschriebene Form ist im Allgemeinen zur Aufhebung nicht erforderlich) und, wie die Errichtung der Stiftung, eine nichtempfangsbedürftige Erklärung; sie kann insbesondere darin bestehen , daß der Stifter die Urkunde vernichtet. Erst wenn die Genehmigung bei der zuständigen Behörde nachgesucht ist, kann der Widerruf nicht anders, als durch eine Erklärung an diese Beweilen wird behauptet, daß die Stiftung nicht durch Stellvertreter erfolgen könne, D e r n b u r g § 92 Note 14, K o h l e r § 183 I. Ich sehe keinen Grund, warum es unzulässig wäre, jemanden zur Errichtung einer Stiftung zu bevollmächtigen; beim gesetzlichen Vertreter wird die Stiftung allerdings außerhalb seiner Kompetenz liegen, arg. § 1804. ae Die Schriftform kann durch gerichtliche oder notarielle Beurkundung ersetzt werden, § 126 III. Die Schriftform genügt zur Stiftung auch dann, wenn ein Grundstück zugesichert wird, und auch dann, wenn man die Zuwendung des Stifters als Schenkung auffaßt; denn die staatliche Genehmigung ist ein stärkeres Hemmnis übereilter Zusagen als die Form der §§ 313, 518. 87 Planck § 81, 1; Dernburg § 92 I I I 1; a. A. H o l d e r § 81, 1, der die Vollendung der Stiftungserkiärung in das Genehmigungsgeeuch verlegen will. 28 Es liegt meines Erachtens im officium des Vormunds, das Genehmigungsgesuch zu stellen, wenn die Stiftung als vernünftig und angemessen erscheint. 29 Perfektion und Widerruflichkeit eines Rechtsgeschäftes sind kein Widerspruch: nach Herstellung der Urkunde kann die Stiftung ohne weitere Tätigkeit dee Stifters ins Leben treten, aber er kann dies durch einen neuen Willensakt, den Widerruf verhindern, vgl. ob. § 10 Note 12. 80 Für den Widerruf genügt beschränkte Geschäftsfähigkeit, § 107.

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hörde erfolgen. Das Recht des Widerrufs 81 ist vererblich und kann nach § 2040 von Miterben nur gemeinsam ausgeübt werden 82 . Der Erbe kann aber nicht widerrufen, wenn der Stifter das Genehmigungsgesuch bei der zuständigen Behörde eingereicht oder im Fall der gerichtlichen oder notariellen Beurkundung des Stiftungsgeschäfts das Gericht oder den Notar bei oder nach der Beurkundung mit der Errichtung betraut hat. Durch diese Handlungen hat der Stifter seinem Willen eine Festigkeit verliehen, der gegenüber ein abweichender Wille des Erben nicht in Betracht kommt. Bei Stiftungen von Todeswegen, wie bei allen Verfügungen von Todeswegen, steht der Widerruf nur dem Erblasser, nicht dem Erben zu 8 8 . Die Stiftung kann von mehreren Stiftern gemeinsam errichtet werden; unter den Stiftern wird eine Einigung also ein Vertrag vorliegen. Aber während beim Verein die Einigutig mehrerer Gründer zum Wesen der Gründung gehört und der Wille eines Einzelnen einen Verein nicht ins Leben rufen kann, verhält es sich bei der Stiftung gerade umgekehrt: zum Tatbestand des Stiftungsgeschäfts genügt ein einseitiger Willensakt; das Zusammenwirken mehrerer Personen ist akzidentiell. Darum scheint es angemessen, die von mehreren Stiftern unterzeichnete Urkunde als den Ausdruck mehrerer paralleler einseitiger Erklärungen aufzufassen 84. Allerdings wird zwischen beiden Stiftungserklärungen ein Zusammenhang derart bestehen, daß wenn die Erklärung des Einen ungültig ist oder die staatliche Genehmigung nicht erhalten soll, auch die Erklärung des Anderen als für diesen Fall nicht gewollt zu gelten hat. Daß es sich um zwei Stiftungserklärungen in einer Urkunde handelt, zeigt sich in der Frage des Widerrufs: jeder der Stifter kann selbständig widerrufen, auch dann, wenn er sich dem Mitstifter gegenüber zur Errichtung der Stiftung resp. zur Unterlassung des Widerrufs der Stiftungserklärung verpflichtet hat. Ein solcher Vertrag, — man kann ihn Vorvertrag zum Stiftungsgeschäft nennen — kann meines Erachtens den Stifter nicht stärker binden, als es nach gesetzlicher Vorschrift durch das Stiftungs81

Vgl. ob. § 10 Note 4. D e r n b u r g § 92 Note 21; Staudinger § 81 I I b ; Oertmann § 81, 4f; at Α. P l a n c k § 81, 5. 88 Planck § 88, S; Oertmann § 83, 2. 84 Planck § 81, 6; D e r n b u r g § 92 Note 15; Oertmann § 81, la. Daher ist meines Erachtens § 427 nicht analog anzuwenden; von mehreren Stiftern haftet jeder nur für die von ihm zugesagte Summe; ist für beide eine Summe genannt, so gilt § 420; a. A. S t i n t z i n g 436. 82

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geschäft selbst geschieht. Daher ist weder Klage auf Unterlassung des Widerrufs oder auf Stellung des Genehmigungsantrags zulässig 85 , noch auf Zahlung der zugesagten Summe an die Stiftung 86 , wenn sie auf Antrag des Mitstifters genehmigt wird, noch selbst auf Schadensersatz an den Mitstifter 87 . Denn das Gesetz will dem Stifter bis zur staatlichen Genehmigung die Freiheit des Widerrufs belassen ; darin liegt ein Korrelat zur erleichterten Form des Stiftungsgeschäfts (Schriftform im Vergleich zur Schenkungsform, § 518). Dieser Schutz des Stifters gegen Übereilung wäre aber illusorisch, wenn der Widerruf durch Vertrag des Stifters mit einem Dritten ausgeschlossen oder erschwert werden könnte 88 . Die Ausstattung der Stiftung durch den Stifter ist eine unentgeltliche Zuwendung, denn das Stiftungskapital scheidet aus dem Vermögen des Stifters aus, ohne daß dieser dafür ein Äquivalent erhält 89 . Trotzdem will die herrschende Meinung 4 0 die Zuwendung des Stifters nicht unter den Begriff der Schenkung subsumieren; der Zweck der Zuwendung sei nicht Bereicherung einer schon bestehenden, sondern Herstellung einer neuen Person, oder, wenn man die Ausstattung der Stiftung nicht als wesentliches Erfordernis der Errrichtung betrachtet 41 , wenigstens Beschaffung der Existeirzbasis für die zu kreierende juristische Person. Mir scheinen diese Erwägungen nicht durchschlagend zu sein; es handelt sich um eine mit der Schaffung einer juristischen Person in engem Zusammenhang stehende und daher der besonderen Form des § 8 1 4 2 unterworfene unentgeltliche Zuwendung48, durch welche der Stifter 85

Für eine solche Klage mit Vollstreckung nach ZPO. § 887 S t i n t zing 410, Oertmann a. a. Ο. 3β Einen Vertrag zugunsten der Stiftung konstruiert K ö h l e r § 188 VI. 81 P l a n c k § 81, 6. 88 Die Rechtslage ist ähnlich wie bei einem Vorvertrag zu einem formellen Vertrag: wenn die Form dazu bestimmt ist, den Kontrahenten vor Übereilung zu schützen, muß auch der Vorvertrag der Form unterliegen, vglOertmann § 125, 6; ß i e r m a n n § 64, 7. 89 Rechte, die sich der Stifter gegenüber der Stiftung vorbehält, sind als Auflagen zu behandeln. 40 Vgl. Planck, Vorb. 3 vor § 516; D e r n b u r g § 92 Note 25; Oertmann § 81, lb. Die Frage war im gemeinen Recht streitig, vgl. B e k k e r § 69 Beil. I ; Regelsberger § 88 IV Β 2. 41 Vgl. ob. Note 20. 42 Einseitigkeit und Schriftlichkeit der Erklärung. 43 Anders nur, wenn der Stifter für seine Zuwendung von anderer Seite ein Äquivalent erhält, ζ. B. wenn die Errichtung der Stiftung Bedingung einer Erbenseinsetzung oder eines Vermächtnisses ist.

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ärmer und die Stiftung reicher wird; daß vor dieser Zuwendung noch kein Stiftungskapital vorhanden war, schließt den Begriff des Reicherwerdens nicht aus. Mag man nun die Zuwendung des Stifters als Schenkung auffassen oder nicht, so sind jedenfalls die Vorschriften über Schenkung, direkt oder entsprechend, anzuwenden. Das ist herrschende Meinung für die wichtigsten Einzelfragen 44 ; insbesondere wird die Haftung des Stifters wie die des Schenkers, § 521/4, behandelt 45 ; dem Pflichtteilsberechtigten wird gegen Stiftungen derselbe Schutz gewährt wie gegen Schenkungen46, § 2325 47 ; auch soll in der Gütergemeinschaft der Ehemann für Stiftungen wie für Schenkungen, § 1446, der Zustimmung der Ehefrau bedürfen 48 . Meines Eracntens muß man in der analogen Anwendung des Schenkungsrechts konsequent sein; so ist ζ. B. das Schenkungsverbot für Vormünder und andere Verwalter fremden Vermögens, § 1804, auf die Stiftung auszudehnen49; ferner ist aus denselben Gründen, aus denen man die Pflichtteilsberechtigten gegen Stiftungen des Erblassers schützt, auch dem Stifter selbst das benef. competentiae, § 519, zu gewähren 60, sowie das Rückforderungsrecht wegen Verarmung, § 528 51 . IV. Die staatliche Genehmigung ist, wie die Verleihung der Rechtsfähigkeit an Vereine. § 2 2 5 1 a , ein konstitutiver Staatsakt 63 , der zum Stiftungsgeschäft hinzutreten muß, damit die Stiftung als juristische Person ins Leben treten kann. Zuständig ist der 44

Vgl. auch RG. 54, 143 (preuß. StempelsteuerGes.) ; RErbschSteuerG. § 55 III. 45 Plançk § 83, 3; Endemann § 48 Note 11, Enneccerus § 110 IV Bei Stiftung von Todeswegen haftet der Erbe, wenn das Stiftungskapital als Vermächtnis oder Auflage zugewendet ist, wie bei sonstigen Vermächtnissen oder Auflagen. 46 Planck § 2325, 2a; RG. 54, 399 (sind der Stiftung Zuwendungen an den Pflichtteilsberechtigten auferlegt, so sind diese Zuwendungen wie Schenkungen auf den Pflichtteil anzurechnen, dagegen K o h l er § 182 VI 3). Die Gläubigeranfechtung ist bei Stiftungen selbstverständlich zulässig, weil KO. § 32 und AnfGes. § 3 nicht von Schenkung, sondern von unentgeltlicher Verfügung spricht, Jäger, KO. § 32 Anm. 3, Gläubigeranf. § 3 Anm. 45. 47 Dasselbe muß beim Erbvertrag, § 2587, gelten. 48 P l a n c k § 1446, 4; A. Schmidt § 1446, 3. 49 Vgl. ob. Note 28. 80 A.A. K o h l e r § 145 V. 61 Dagegen fehlt die Grundlage für analoge Anwendung des Widerrufs, § 530. 81 » Vgl. ob. § 34 Note 76. 68 Kein Rechtsgeschäft im Sinn von § 182 fg.

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Bundesstaat, in dessen Gebiet die Stiftung nach der Bestimmung des Stifters ihren Sitz haben soll, § 80 δ 8 . Die zuständige Behörde bestimmt sich nach Landesrecht 54. Soll die Stiftung ihren Sitz nicht in einem Bundesstaat haben, so ist die Genehmigung des Bundesrats erforderlich, § 80, 2; das bezieht sich auf Stiftungen in Schutzgebieten und Konsulargerichtsbezirken 55. Die Genehmigung liegt im freien Ermessen der Behörde. Das Landesrecht kann Vorschriften aufstellen, nach denen sich die Behörden zu richten haben, aber nicht das reichsrechtlich aufgestellte Erfordernis der Genehmigung durch Normativbestimmungen ersetzen 56. Die Genehmigung erfolgt auf Antrag, der vom Stifter oder einem Beauftragten desselben gestellt w i r d 5 7 ; nach dem Tode des Stifters, insbesondere bei Stiftung von Todeswegen, ist der Erbe und der Testamentsvollstrecker antragsberechtigt; bei Stiftung von Todeswegen hat nach § 83 das Nachlaßgericht die Genehmigung einzuholen58, wenn sie nicht vom Erben oder Testamentsvollstrecker nachgesucht wird. Die herrschende Lehre 5 9 sieht im Antrag ein wesentliches Erfordernis der Entstehung einer unter Lebenden errichteten Stiftung; die Stiftung soll nicht ins Leben treten, wenn sie ohne Antrag des Stifters genehmigt wurde. Meines Erachtens ist hier, wie in anderen Tatbeständen, in denen zu einem Rechtsgeschäft ein staatlicher Akt hinzutreten muß 6 0 , das Erfordernis des Antrags nur als Vorschrift des Verfahrens aufzufassen, deren 58

Vgl. ob. Note 21a. BGB. § 80, 3 sagt: „als Sitz der Stiftung gilt, wenn nicht ein anderes bestimmt ist, der Ort, an welchem die Verwaltung geführt wird". Das kann sich nur auf Stiftungen beziehen, die vor 1900 entstanden sind. Denn eine Stiftung, deren Sitz der Stifter nicht bezeichnet, kann nicht genehmigt werden, da es nach § 80, 1, 2 an einer zuständigen Behörde fehlt. 64 Vgl. Nachweisungen bei Oertmann §80, 4a, Staudinger § 80 V 4. 66 Über die Bedenken gegen Genehmigung einer Stiftung mit Sitz in einem ausländischen Staat vgl. ob. § 34 IV. 88 Oertman § 80, 5, 6. Vgl. ob. § 34 Note 74. 67 Insbesondere vom Gericht oder Notar, von denen das Stiftungsgeschäft beurkundet ist. Eine gesetzliche Vermutung für Beauftragung des Notars /um Antrag (GBO. § 15; GFG. § 129) gibt es hier nicht. 88 Vgl. das Einschreiten der Behörde zur Durchführung des Willens eines Verstorbenen bei der Auflage, §§ 525, 2194. 69 Planck § 81, 7; Staudinger § 80 VII; D e r n b u r g § 92 I I I 2; Oertmann § 80, 2a. 60 Ζ. B. Eintrag ins Grundbuch oder in das Vereinsregister, vgl. ob. § 34 Note 50. Anders, wenn der Antrag zugleich die Willenserklärung enthält, welche durchHinzutritt des staatlichen Aktes in Wirksamkeit treten soll, so ζ. B. der Antrag des Vaters auf Ehelichkeitserklärung, § 1725.

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Befolgung für die Giltigkeit des Staatsakts nicht entscheidend ist. Die Behörde soll und wird, wenn ihr die Stiftungsurkunde vorliegt, in den Verhandlungen mit dem Stifter konstatieren, ob die Genehmigung seinem Willen entspricht, und wird seinem Widerrufsrecht nicht vorgreifen; aber der Stiftungswille ist in der Urkunde niedergelegt, das Stiftungsgeschäft mit Herstellung der Urkunde vollendet; eine weitere Tätigkeit des Stifters ist nicht erforderlich 61 . Hätte das Gesetz den Antrag des Stifters für wesentlich erachtet, so wäre das Stiftungsgeschäft als Erklärung an die Behörde konstruiert worden. Da das nicht geschehen ist, kann meines Erachtens die Existenz einer genehmigten Stiftung nicht deswegen in Frage gestellt werden, weil es an einem Antrage gefehlt hat 6 2 . Die Stiftung kann nur so genehmigt werden, wie sie vom Stifter errichtet i s t 6 8 ; wünscht die Behörde eine Änderung, so kann sie den Stifter veranlassen, eine solche vorzunehmen; bei Stiftungen von Todeswegen ist diese Möglichkeit ausgeschlossen, da die Erben die Stiftung nicht widerrufen, daher auch nicht abändern können. Die Verweigerung der Genehmigung ist definitiv; die Behörde kann die einmal verweigerte Genehmigung nicht nachträglich erteilen ; das würde eine unerträgliche Unsicherheit der Verhältnisse herbeiführen. Mit der Verweigerung der Genehmigung wird das Stiftungsgeschäft hinfällig. Das wird für die Stiftung von Todeswegen allgemein zugegeben64. Dagegen soll nach herrschender Meinung die Stiftung unter Lebenden nach verweigerter Genehmigung insofern noch fortbestehen, als sie auf wiederholten Antrag des Stifters genehmigt werden kann 66 . Meines Erachtens muß nicht der Antrag, den ich für ein bloß formelles Stück des Verfahrens halte, sondern das Stiftungsgeschäft selbst wiederholt werden, und zwar in schriftlicher Form, § 81, wobei natürlich der Stifter seine .

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Vgl. ob. Note 27. Oertmann §81, 5 will die Stiftung wenigstens dann entstehen lassen, wenn der Stifter in die ohne Antrag erfolgte Genehmigung nachträglich einwilligt. 68 K o h l e r § 183 VIII. Die Behörde kann nicht, wie Κ ο hl er für möglich hält, einen Teil des der Stiftung zugedachten Kapitals anderen Personen, ζ. B. den nächsten Verwandten des Stifters zuwenden. Vgl. unt. Note 112. 64 Planck § 84, 3; Oertmann § 84, 4. 66 Planck § 81, 8; Oertmann § 81, 6; Enneccerus § 110 I I I 2. ef l

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frühere Urkunde zum Bestandteil der neuen Stiftungserklärung machen kann 6 6 . Zweifelhaft ist, wie beim eingetragenen Verein 67 , so bei der Stiftung, das Verhältnis des Stiftungsgeschäfts zur Genehmigung. Sind beides gleichwertige Entstehungsgründe, oder soll man annehmen, daß nach erfolgter Genehmigung etwaige Mängel des Stiftungsgeschäfts nicht mehr in Betracht kommen? Die herrschende Meinung 68 läßt durch die Genehmigung eine Heilung des fehlerhaften Stiftungsgeschäfts nicht eintreten. In der Tat wäre es eine Härte gegen den Stifter und andere Interessenten, wenn ihnen nach der Genehmigung kein Mittel zustünde, um den durch die. fehlerhafte Stiftung erlittenen Schaden auszugleichen ; man denke an eine Stiftung, die durch einen Geschäftsunfähigen oder unter dem Einfluß von Drohung oder Täuschung errichtet ist. Anderseits hat es große Bedenken, einer juristischen Person, bei deren Entstehung die Staatsgewalt mitgewirkt hat und die vielleicht in zahlreiche Rechtsbeziehungen eingetreten ist, infolge eines Fehlers der rechtsgeschäftlichen Begründung nachträglich die Existenz abzusprechen. Eine angemessene Lösung des Problems läßt sich meines Erachtens am ehesten finden, wenn man die beiden im Stiftungsgeschäft liegenden Elemente, die Begründung der juristischen Person und die Ausstattung derselben mit Kapital, einzeln ins Auge faßt. Die Entstehung der juristischen Person ist das für Dritte wichtige Faktum. Es wird durch den Beschluß einer Behörde, und zwar in der Regel einer hochstehenden Behörde, hergestellt, nachdem die privatrechtlichen Voraussetzungen (das Stiftungsgeschäft) geprüft und giltig befunden sind. Es scheint mir unzulässig, daß jedes Gericht, welches mit Angelegenheiten der Stiftung befaßt wird, incidenter die Giltigkeit des Stiftungsgeschäfts nachprüfen könne, wobei widersprechende Entscheidungen möglich wären, so daß die Stiftung von einem Gericht für bestehend, von einem anderen Gericht für nicht bestehend erklärt wird. Ich möchte daher mit H e l l w i g 6 9 annehmen, daß die juristische Perββ

S t a u d i n g e r § 81 I I I ; Biermann § 143, 7. Vgl. ob. § 84 S. 490 fg. 88 E n d e m a n n § 49, 1; S t a u d i n g e r § 80 V 3; E n n e c c e r u s §110 111 2; K o h l e r § 183 I X ; Biermann § 143, 4; K i p p , Zus. 2 zu Windscheid § 60; Oertmann § 80, 8. Ebenso für das gemeine Recht RG. 5, 140. 69 Grenzen der Rückwirkung 29, ZivProz. § 125 Note 10; vgl. ob. S. 493. 87

Zweites Buch.

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Die Personen.

sönlichkeit der Stiftung so lange zu respektieren ist, bis die staatliche Genehmigung durch die kompetente Behörde zurückgenommen ist. Das kann geschehen, wenn sich erweist, daß die Voraussetzung der Genehmigung, ein gültiges Stiftungsgeschäft, in der Tat nicht vorlag 70 . Ein Verfahren, wie es für eingetragene Vereine nach GFG. § 142 besteht, ist reichsrechtlich nicht vorgesehen, sondern richtet sich nach Landesrecht. Das Landesrecht kann auch die Wirkungen bestimmen, welche bei Zurücknahme der Genehmigung eintreten sollen. Dabei ist zu beachten, daß die Rechtslage eine andere ist, als bei der Löschung eines zu Unrecht eingetragenen Vereins: dort kann man die Namens des Vereins abgeschlossenen Rechtsgeschäfte (mit Ausnahme der Grundbuchgeschäfte) für und wider den nichtrechtsfähigen Verein wirken lassen, der bei Unwirksamkeit der Eintragung an Stelle des eingetragenen Vereins existiert; würde man aber die Rücknahme der Stiftungsgenehmigung ex tunc wirken lassen, so wäre kein Rechtssubjekt vorhanden, für und gegen welches die Rechtsgeschäfte wirken könnten. Die für die scheinbar bestehende Stiftung erworbenen Gegenstände wären im Eigentum des Stifters resp. der dritten Personen verblieben, welche sie der Stiftung zuwenden wollten; den Gläubigern der vermeintlichen Stiftung würde in Ermangelung eines Schuldners keinerlei Forderung zustehen. Dies Resultat ist den Verhältnissen so wenig angemesen, daß man nicht umhin kann, die dazu führende Konstruktion aufzugeben und die Rücknahme der Genehmigung als Aufhebung der Stiftung aufzufassen. Allerdings hat die Aufhebung der Stiftung, wenn sie wegen Mängel des Stiftungsgeschäfts erfolgt, meines Erachtens andere Wirkungen als in den Fällen des § 87: das nach Bezahlung der Schulden übrigbleibende Vermögen ist nicht nach § 88 zu verwenden, sondern dem Stifter zurückzugeben resp. den sonstigen Personen, welche der Stiftung Zuwendungen gemacht haben. Die Zurücknahme der Genehmigung steht, wie die Erteilung, im Ermessen der Behörde. Sie wird der Stiftung die rechtliche Existenz nicht nehmen, wenn erhebliche Interessen an ihrem Fortbestand vorliegen, d. h. wenn die Stiftung von dritter Seite erhebliche Zuwendungen erhalten hat oder zu dritten Personen in schwer lösbare Beziehungen getreten ist. Dann ist der Fortbestand der irregulär begründeten Stiftung das kleinere Übel im Vergleich zur Verwirrung, die durch den Wegfall der Stiftung eintreten würde. 70

Nicht aber wenn sich die Behörde über tatsächliche Verhältnisse irrte, welche für die Genehmigung maßgebend waren.

§ 41.

Die Stiftung.

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Von der Unwirksamkeit der Stiftung ist die Ungültigkeit der Zuwendung des Stifters (oder eines dritten Schenkers) zu unterscheiden* Hier handelt es sich um ein Vermögensinteresse des Stifters, seiner Erben oder Gläubiger, welches nicht minder Schutz verdient, als wenn der Stifter sein Vermögen zu einem anderen Zweck durch ein ungiltiges Rechtsgeschäft vermindert hätte. Die zivile Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit der Zuwendung kann meines Erachtens trotz der Genehmigung durchgeführt werden : der Stifter oder die sonstigen Klageberechtigten können das Zugewendete mit dinglicher oder obligatorischer Klage von der Stiftung zurückverlangen. Dadurch kann, wenn die Stiftung keinen Erwerb von anderer Seite gemacht hat, der Konkurs der Stiftung herbeigeführt werden 71 . V. Die Stiftung entsteht im Moment der Genehmigung72. In diesem Augenblick erwirbt die Stiftung das ihr vom Stifter zugedachte Vermögen, und zwar ohne daß es einer Annahme der Erklärung des Stifters bedarf und ohne daß eine Zurückweisung möglich wäre. Denn die Stiftung ist ein einseitiges Rechtsgeschäft, dessen zwei vom Stifter zugleich gewollte Wirkungen, Kreierung der juristischen Person und Ausstattung derselben, nicht auseinandergerissen werden dürfen 78 . Aus der Zusage des Stifters im Stiftungsgeschäft entsteht zunächst eine Forderung der Stiftung gegen den Stifter auf Übertragung des zugesicherten Vermögens; in Erfüllung dieser Verpflichtung müssen Mobilien übergeben, Grundstücke aufgelassen und eingetragen werden 74 . Nur bei Rechten, zu deren Übertragung der Abtretungsvertrag genügt 75 , findet Legalübergang statt, § 82, sofern sich nicht aus dem Stiftungsgeschäft ein anderer Wille des 71 Im Konkurs steht der Rückforderungsberechtigte, wenn er auf einen obligatorischen Anspruch angewiesen ist, den sonstigen Gläubigern der Stiftung gleich. Ungenau H e l l w i g , ZivProz. § 125 Note 10. ΐ 2 Rückwirkung der Genehmigung auf den Moment des Stiftungsgeschäfts findet nicht statt; denn es handelt sich nicht um Genehmigung im Sinne von § 182fg.; vgl. ob. Note 52. 78 Oertmann § 83, 3. Auch Erbschaften und Vermächtnisse, welche der Stifter seiner Stiftung zuwendet, können nicht ausgeschlagen werden, Planck § 83, 3; Biermann § 143, 6b. 14 Mobilien können an den designierten Vorstand der Stiftung übergeben werden, so daß sie mit der Genehmigung in das Eigentum der Stiftung übergehen. 75 Forderungen (für welche keine Hypothek bestellt ist), Urheber-PatentVerlagsrechte; auch Eigentum an Mobilien, wenn die Sache im Besitz eines Dritten ist, § 931.

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Stifters ergibt 76 . Die Haftung des Stifters richtet sich, wie ob. Note 45 gesagt, nach den Grundsätzen der Schenkung. Streitig ist, ob die Haftung erst mit der Genehmigung eintritt, oder bereits mit der Errichtung des Stiftungsgeschäfts beginnt. Wie soll es ζ. B. gehalten werden, wenn der Stifter einen in der Urkunde genannten Gegenstand vor der Genehmigung vorsätzlich zerstört oder veräußert? Gegen die Haftung spricht, daß vor der Genehmigung mangels eines Gläubigers noch keine Verpflichtung des Stifters vorliegt, und nicht einmal eine Gebundenheit vorzuliegen scheint, wie etwa bei bedingten Verträgen, weil der Stifter zum Widerruf berechtigt ist. Daher bestreitet P l a n c k 7 7 die Haftung des Stifters, während andere Autoren 78 eine Haftung nach Analogie der bedingten Verpflichtung, § 160 fg., annehmen. Letztere Ansicht scheint mir die richtige zu sein : der Stifter ist durch das Stiftungsgeschäft insofern gebunden, als ohne weitere Tätigkeit seinerseits die Stiftung und damit seine Verpflichtung entstehen kann; daß er widerrufen kann, hebt seine Bindung nicht auf; denn wenn er den Widerruf nicht ausübt, hat die Widerruflichkeit keine Folgen 79 . Das Resultat scheint mir auch der Billigkeit zu entsprechen, denn es wäre inkorrekt, wenn der Stifter, ohne zu widerrufen, die als Grundlage für die Genehmigung dienende Ausstattungszusage vermindern wollte, so daß die Stiftung mit einem geringeren Kapital ins Leben treten würde, als die genehmigende Behörde im Auge hatte. Eine Rückziehung der Genehmigung tritt nach § 84 ein, wenn die Stiftung nach dem Tod des Stifters genehmigt wird ; dann soll die Stiftung für die Zuwendungen des Stifters als schon vor dessen Tode entstanden gelten 80 . Diese Vorschrift bezieht sich in erster Linie auf Stiftungen von Todeswegen ; ist die Stiftung zum Erben eingesetzt, so wird durch die Fiktion des § 84 dem Erfordernis der Koexistenz von Erblasser und Erben genügt, § 1923. Ohne diese Fiktion wären in der Zeit zwischen dem Erbfall und der Genehmigung die gesetzlichen Erben des Stifters Vorerben und 76

Das ist ζ. B. der Fall, wenn der Stifter eine ihm zustehende Forderung in einem späteren Zeitpunkt an die Stiftung abzutreten verspricht. 77 § 82, 2; ebenso Staudinger § 82, 3; Oertmann § 82 2a. 78 Holder § 82, 2; Meurer S. 276. 79 Ebenso ist der Schuldner, wenn ihm eine Einrede zusteht, trotzdem gebunden, vgl. ob. § 17 Note 8. 80 Oertmann § 84, 2.

§ 41.

Die Stiftung.

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die Stiftung hätte die Stellung eines Nacherben 81. Ist die Stiftung mit einem Vermächtnis bedacht, so gilt der Anfall als mit dem Tode des Stifters erfolgt, was für die Früchte der vermachten Gegenstände in Betracht kommt, § 2184. Die Rückwirkung der Genehmigung gilt auch für Erbeseinsetzungen und Vermächtnisse, die der Erblasser nicht im Stiftungsgeschäft, sondern in einer anderen Verfügung von Todeswegen vornimmt, und auch, was bestritten wird 8 2 , für Stiftungen unter Lebenden, die nach dem Tode des Erblassers genehmigt werden 88 ; die Wirkung des § 84 beschränkt sich allerdings in diesem Fall darauf, daß der Legalübergang der in § 82, 2 genannten Rechte bereits mit dem Tod des Erblassers als eingetreten gilt 8 4 , so daß diese Rechte, falls die Stiftung genehmigt wird, nicht zum Nachlaß gehört haben. Das Widerrufsrecht des Erben, § 81 II, wird durch § 84 nicht ausgeschlossen, aber wenn er von diesem Recht keinen Gebrauch macht, sind die der Stiftung zufallenden Rechte seiner Verfügung und dem Zugriff seiner Gläubiger entzogen 86 . Auf Zuwendungen Dritter bezieht sich § 84 nicht. Für solche Zuwendungen datiert die Entstehung der Stiftung vom Tag der Genehmigung. Daher ist eine von einem Dritten zum Erben eingesetzte Stiftung vor der Genehmigung als Nacherbe zu betrachten, § 2101 I I ; für Vermächtnisse gilt § 2178/9; Zuwendungen unter Lebenden sind nur in der Weise möglich, daß das Zuwendungs81

Vor der Genehmigung ist der Nachlaß tatsächlich ohne Erben; man kann daher mit H e l l w i g , ZivProz. § 43 I I von einer hereditas jacens sprechen. Aber da das Gesetz sowohl die Stiftung, wenn sie genehmigt wird, als auch bei verweigerter Genehmigung den gesetzlichen Erben nachträglich vom Erbfall an als Erben betrachtet, scheint es mir korrekter, während der Schwebezeit eine objektive ÜDgewißheit der Person des Erben anzunehmen, vgl. ob. § 2 Note 27. 82 Endemann § 47 Note 23; Holder § 84, 2; Meurer 286. 88 Planck § 84, 2; Biermann § 143, 6b; Oertmann § 84, lc. 84 Die Forderung der Stiftung auf Übertragung der zugesicherten Gegenstände ist Nachlaßverbindlichkeit; aber sie wäre es auch ohne den § 84, wie eine Forderung aus einem bedingten Rechtsgeschäft des Erblassers, wenn die Bedingung nach seinem Tode eintritt. 86 Planck § 84, 2 und Oertmann § 84, 3 wollen nach Analogie von § 184 I I Verfügungen des Erben oder seiner Gläubiger, die vor der Genehmigung getroffen sind, gegen die rückwirkende Kraft der Genehmigung aufrechterhalten ; aber § 184 I I schützt nur die Verfügungen des Genehmigenden, nicht die Verfügungen der Person, deren Vermögen von der Genehmigung betroffen wird. Handbuch X . 1. I : v o n T u h r I .

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geschäft mit einem negotiorum gestor der künftigen Stiftung vorgenommen wird 8 6 . VI. Die Verfassung der Stiftung ergibt sich, wie die des Vereins, teils aus dem Gesetz86 a , teils aus der im Stiftungsgeschäft enthaltenen Satzung. Die Vorschriften des Gesetzes sind zwingend oder dispositiv; in letzterem Fall geht ihnen die Satzung vor. Neben dem Reichsrecht soll nach § 85 das Landesgesetz in Betracht kommen 87 ; dieser Vorbehalt zugunsten des Landesrechts ist ein Korrelat zu der den Bundesstaaten zustehenden Genehmigung der Stiftung. Das Verhältnis beider Rechtsquellen ist so zu denken, daß zwingendes Reichsrecht dem Landesrecht vorgeht, dispositives Reichsrecht vom Landesrecht ergänzt oder abgeändert werden kann 88 . BGB. § 86 regelt die Verfassung der Stiftung durch Verweisung auf die entsprechenden Bestimmungen des Vereinsrechts. Im einzelnen ergibt sich: Die Stiftung muß einen Vorstand haben ; die Person des Vorstandes bestimmt sich nach der Satzung ev. nach Landesrecht, ebenso die Abberufung des Vorstandes 89. Die Verwaltung kann durch Satzung oder Landesrecht einer öffentlichen Behörde übertragen sein; diese Behörde ist als Vorstand zu betrachten. Der Vorstand hat die Stellung eines gesetzlichen Vertreters ; seine Vertretungsmacht kann durch Satzung oder Landesrecht beschränkt sein 9 0 ; für die Geschäftsführung gelten die Regeln des Auftrags, § 27 I I I 9 0 a . Bei mehrgliedrigem Vorstand entscheidet die Mehrheit; für Willenserklärungen an die Stiftung genügt Abgabe an ein Mitglied des Vorstandes, § 28. Fehlt ein erforderliches Mitglied des Vorstandes, so kann ein solches vom Amtsgericht provisorisch bestellt werden, § 29. Neben dem Vorstand kann die Stiftung für besondere Zwecke besondere Organe haben, § 30 9 1 . 88

Vgl. ob. S. 194. » Für die zur Zeit des Inkrafttretens des BGB. bestehenden Stiftungen gilt von dieser Zeit an das Recht des BGB., Art. 163. Habicht, Einwirkung des BGB. § 13 I 6. 87 Eine ausführliche Regelung hat die Familienstiftung im Preuß. AusfG., Art. 1—3, gefunden, vgl. Dernburg § 93. 88 Crome § 56, 6; Oertmann § 85, 2d. 89 OLG. 7, 201. 90 Über Ausschluß der Veräußerung gewisser Gegenstände vgl. ob. § 12 Note 1. 90 a Die Untreue des Verwalters einer Stiftung ist mit Strafe bedroht, StrGB. § 266. 91 Aufsichtsrat zur Überwachung oder Ergänzung des Vorstandes: „Kolla86

§ 41.

Die Stiftung.

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Für Schaden, den die Stiftungsorgane in Ausführung ihrer Verrichtungen begehen, haftet die Stiftung nach § 31 9 2 . Etwas anders gestaltet sich die Verwaltung, wenn eine öffentliche Behörde als Vorstand fungiert; die Geschäftsführung ist für den Beamten als Erfüllung einer Amtspflicht zu betrachten, aus deren Verletzung er der Stiftung nicht nach Mandatsgrundsätzen, sondern nach § 839 haftet; die Beschlußfassung einer mehrgliedrigen Behörde regelt sich nach öffentlichem Recht: ebenso entscheidet die Organisation der Behörde über die Abgabe von Erklärungen an die Behörde in ihrer Eigenschaft als Stiftüngsvorstand und über die Ersetzung eines zeitweilig fehlenden Mitglieds der Behörde 92 a . VIL Außer den Verwaltungsorganen hat die Stiftung keine anderen Organe, insbesondere keine Mitglieder 9 2 1 5 ; die Destinatare oder „Stiftlinge", denen die Erträgnisse der Stiftung zugute kommen sollen, haben keine der Mitgliedschaft im Verein entsprechende Stellung : keinen Anteil an der Verwaltung und an der Bestellung und Abberufung des Vorstands, auch keinen Einfluß auf etwaige Abänderung der Satzung oder Aufhebung der Stiftung 98 » Dagegen können die Destinatare ein Recht auf die Nutzung des Stiftungsvermögens haben, und zwar nicht bloß dann, wenn das Landesrecht ihnen ein solches Recht zuschreibt 94 , sondern auch ohne gesetzliche Bestimmung auf Grund des im Stiftungsgeschäft ausgesprochenen Willens des Stifters. Für diese Ausnahme vom Prinzip des § 305, daß Forderungen aus Vertrag entstehen, fehlt es allertoren* zur Verteilung des Stiftungsgenusses unter die Destinatäre, Staudinger § 86 I I 6; OLG. 20, 87. 92 Diese Haftung kann weder durch das Statut, noch durch Landesgesetz beseitigt werden. »aa Für solche Stiftungen kann das Landesrecht besondere Vorschriften aufstellen über die Vollstreckung von Geldforderungen in das Stiftungsvermögen, EG. zu ZPO. § 15 Nr. 3, und ihnen ein Recht auf Eintragung einer Sicherungshypothek verleihen, Art. 91. 92 1> Der Stifter hat aus dem Gesetz keine Rechte gegenüber der Stiftung, kann sich aber, wie der Gründer eines Vereins, (vgl. ob. § 34 Note 19), im Stiftungsgeschäft Rechte vorbehalten : Organrechte (ζ. B. Sitz im Vorstand, Bestätigung gewisser Beschlüsse des Vorstandes, Bestimmungsrecht über die Vergabungen aus dem Stiftungsvermögen) oder Vermögensrechte, z.B. Leibrente aus den Erträgnissen der Stiftung. 98 Anders bei Familienstiftungen nach dem Preuß. Ausführungsgesetz vgl. Dernburg § 93 V. 94 Zitelmann S. 74. 39*

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dings an einer gesetzlichen Grundlage; aber die herrschende Lehre 95 sieht darin mit Recht eine Lücke des Gesetzes und gewährt dem Destinatar praeter legem einen Anspruch aus dem einseitigen Willen des Stifters 96 . Man kann dabei auf die Analogie des Vermächtnisses hinweisen97, oder auf die Analogie des Vertrages zugunsten Dritter; in beiden Fällen entsteht für den Begünstigten ein Anspruch aus einem nicht ihm gegenüber vorgenommenen Rechtsgeschäft. Ein unmittelbar aus dem Willen des Stifters hervorgehendes Reciit des Destinatars kann aber nur dann angenommen werden, wenn der Stifter die Person des Bezugsberechtigten mit genügender Bestimmtheit angegeben hat; das kommt ζ. B. bei Familienstiftungen vor oder bei einer Stiftung, deren Erträgnisse unter alle sich meldenden Personen einer bestimmten Kategorie nach vorgeschriebenem Maßstabe zu verteilen sind. Häufiger kommt es vor, daß der Stifter nur den Personenkreis bezeichnet, aus welchem ein damit betrautes Stiftungsorgan die Bezugsberechtigten auswählen soll, oder daß die Stiftungsorgane den Betrag der Auszahlungen nach ihrem Ermessen zu bestimmen haben. Es wird im SiDn der Stiftung liegen, daß die Organe dabei nicht nach Willkür, sondern nach billigem Ermessen verfahren sollen. Trotzdem wird man eine gerichtliche Überprüfung dieser Entscheidungen auf Klage eines Interessenten nicht zulassen 98 ; auch bei Unterbleiben oder Verzögerung der Entscheidung gibt es für die Destinatare keinen Klageschutz99. In solchen Fällen hat die Aufsichtsbehörde von Amtswegen, ev. auf Anregung eines Destinatars, darauf einzuwirken, daß die Stiftungsorgane 9 * Dernburg § 92 Anm. 25; Cosack § 36 VII; Kohler § 192; Biermann § 144, 4; Oertmann § 86, 5; Enneccerus § 111 II. 96 Das geschah bereits im gemeinen Recht, vgl. Windscheid § 58 Anm. 2b; Regelsberger § 90 V; Gierke § 78 Anm. 68fg. Bei der unvollständigen Regelung, die das Stiftungsrecht im BGB. gefunden hat, ist nicht anzunehmen, daß die Destinatäre schlechter gestellt sein sollen als im bisherigen Recht. 97 RG. in SeuffA. 56, 385. 98 Die Analogie der §§ 315fg. trifft nicht zu; denn während es sich in § 315 fg. um Rechte handelt, die durch Vertrag erworben und nur bezüglich ihres Umfanges in das Ermessen eines anderen gestellt sind, hat der Destinatar vor der Verleihung überhaupt kein Recht. Seine Rechtslage ist eher zu vergleichen mit der eines alternativen Vermächtnisnehmers, § 2151, dem kein Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Bestimmungsberechtigten zusteht; Planck § 2151, 1. 99 Die Abhilfe, welche das Gesetz in § 2151 I I I und § 2154 gegen unterlassene oder verzögerte Bestimmung gewährt, scheint mir zu singulär zu sein, um entsprechend angewendet zu werden.

§ 41.

Die Stiftung.

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satzungsgemäß verfahren. Ein Recht gegen die Stiftung entsteht für den Destinatar erst durch die zu seinen Gunsten erfolgte Entscheidung des Stiftungsorgans. Es ist streitig, ob diese Entscheidung durch einseitige Erklärung des Stiftungsorgans an den Begünstigten erfolgt 100 , oder ob eine vertragsmäßige Einigung erforderlich i s t 1 0 1 Meines Erachtens kann man nach Analogie von §§ 315, 318, 211 I I einseitige Erklärung genügen lassen, muß aber nach dem in unserem Gesetz mehrfach anerkannten Rechtsgedanken beneficia non obtruduntur 102 dem Begünstigten ein Ausschlagungsrecht gewähren 1 0 8 . Die Bestimmung des Begünstigten durch das Stiftungsorgan unterliegt den allgemeinen Vorschriften über Rechtsgeschäfte; sie kann unter einer Bedingung getroffen werden; sie ist anfechtbar wegen Drohung, Täuschung und I r r t u m 1 0 4 . Das unmittelbar aus der Satzung oder durch Verleihung entstehende Recht des Destinatars ist, wie das entsprechende Recht der Vereinsmitglieder 100 , stets eine Forderung 106 . Die Forderung kann verschiedenen Inhalt haben : Gebrauch und Genuß von Gegenständen, die zum Stiftungsvermögen gehören, oder Zuwendungen aus dem Stiftungsvermögen in das Vermögen des Destinatars. Diese Zuwendungen sind bestimmungsgemäß aus den Erträgnissen der Stiftung zu nehmen und durch die Höhe derselben begrenzt. Es versteht sich von selbst, auch wenn es in der Erklärung an den Destinatar nicht zum Ausdruck gekommen ist, daß die Auszahlung der verliehenen Summe von den vorhandenen Stiftungsmitteln abhängt, und daß daher die Forderung des Destinatars hinter den Gläubigern der Stiftung aus Verkehrsgeschäften zurückzustehen h a t 1 0 7 ; das gilt meines Erachtens selbst dann, wenn die Forderung des Destinatars bereits fällig i s t 1 0 8 . Dernburg § 92 Anm. 25. Kohler § 182 IV; Biermann a. a. 0. 101 Oertmann a. a. 0.; Dernburg § 92 Anm. 25. 108 Vgl. ob. § 39 Note 37. 108 Kohler a. a. 0. 104 Irrtum in den Motiven der Verleihung (es wird fälschlicherweise angenommen, daß beim Destinatär gewisse Tatsachen vorliegen, oder daß er sich Verdienste erworben hat) begründet nach allgemeinen Grundsätzen weder Anfechtung noch cond. sine causa; a. Α. Κ ο hl er § 182 IV. 108 Vgl. ob. 38 Note 54. 100 Diese Forderung ist unpfändbar nach ZPO. § 850, 3. 107 Aus diesem Grunde zählt Κ ο hl er § 182 V das Recht des Destinatärs nicht zu den Forderungen, sondern zu den von ihm sogenannten „Wertrechten", vgl. ob. § 6 Note 7, § 38 V. Meines Erachtens handelt es sich um eine in eigenartiger Weise quantitativ beschränkte Forderung. 108 Α. A. Köhler a. a. 0. 100

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Die Personen.

Die Zuwendungen aus dem Stiftungsvermögen an die Destinatare sind keine Schenkung 109 ; denn die Stiftung handelt in Gemäßheit des ihr vom Stifter gesetzten Zweckes, also nicht freigebig, sondern gewissermaßen in Erfüllung einer Pflicht 110 . Daher bedarf die Verleihung einer satzungsmäßigen Zuwendung, selbst wenn man sie als Vertrag auffaßt, nicht der Form des § 518, welche erforderlich wäre, wenn sich die Stiftung zu einer außerhalb ihres Zweckes liegenden unentgeltlichen Zuwendung verpflichten wollte. Dagegen wird man den Erwerb des Destinatärs als unentgeltlich bezeichnen müssen; daher kann die Zuwendung bei der Verleihung mit einer Auflage belastet werden (ζ. B. Verwendung des Geldes in bestimmterWeise) 111 ; daher ist, wenn ein der Stiftung nicht gehörender Gegenstand zugewendet wird, der Empfänger dem Bereicherungsanspruch aus § 816 I 2 ausgesetzt; daher unterliegt der Erwerb bei Konkurs der Stiftung der Anfechtung aus KO. § 32 (soweit die Bereicherung reicht, KO. § 37 II). VIII. Die Auflösung der Stiftung erfolgt: 1. aus den im Stiftungsgeschäft genannten Gründen; der Stifter kann für die Existenz der Stiftung einen Endtermin oder eine auflösende Bedingung setzen, oder auch den Fortbestand der Stiftung von einem Widerruf der Genehmigung durch die Behörde abhängig machen 112 ; 2. die Stiftung erlischt nicht durch Verlust ihres Vermögens 118 ; denn solange der Zweck und die ihm dienende Organisation besteht, kann neues Vermögen erworben werden. Dagegen verliert die Stiftung durch Konkurseröffnung über ihr Vermögen nach §§ 86, 42 die Rechtsfähigkeit und damit die rechtliche Existenz; denn es gibt keine rechtsunfähigen Stiftungen. Der Vorstand ist nach § 42 I I zur Anmeldung des Konkurses verpflichtet; 3. die Stiftung kann von der zuständigen Behörde 114 auf109

Dernburg § 92 Anm. 25; Köhler § 172 VI. Wenn man bei Fehlen eines Berechtigten von einer Pflicht sprechen kann; vgl. ob. § 4 Note 4a. 111 Kohler a. a. 0. 1,2 Nach herrschender Lehre (Planck § 88, 1. Staudinger § 87 U 5) kann die staatliche Genehmigung der Stiftung in widerruflicher Weise erteilt werden. Meines Erachtens ist das nur dann zulässig, wenn der Stifter eine Stiftung mit so prekärer Existenz begründen will; denn die genehmigende Behörde kann die Stiftung nur so genehmigen, wie sie vom Stifter gewollt ist, vgl. ob. Note 63. 118 Vgl. Oertmann § 87, 2c mit Zit. 114 Zuständigkeit und Verfahren bestimmt sich nach Landesrecht. 110

§ 41. Die Stiftung.

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gehoben werden, § 87, wenn die Erfüllung des Stiftungszweckes unmöglich geworden ist oder das Gemeinwohl gefährdet 115 ; Gefährdung des Gemeinwohls durch gesetzwidriges Verhalten des Vorstandes genügt nicht (wie beim Verein, § 43) zur Auflösung. Die Behörde kann, statt die Stiftung aufzuheben, die Zweckbestimmung ändern 1 1 6 und, soweit die Umwandlung des Zweckes es erfordert, die Verfassung der Stiftung ändern m . Dabei ist die Absicht des Stifters tunlichst zu berücksichtigen 118 ; insbesondere sollen die Erträge des Stiftungsvermögens dem Personenkreis, für welchen der Stifter sorgen wollte, nach Möglichkeit erhalten bleiben. Das sind Sollvorschriften, aus denen für die Destinatare keine Ansprüche erwachsen. Vor Änderung des Zweckes oder der Verfassung soll der Vorstand gehört werden. Das radikale Mittel der Aufhebung ist nur dann am Platze, wenn die Umwandlung des Zwecks untunlich ist oder dem mutmaßlichen Willen des Stifters nicht zu entsprechen scheint. Aufhebung und Umwandlung sind, wie die Genehmigung der Stiftung 1 1 9 , konstitutive Staatsakte, deren Wirksamkeit nicht von dem tatsächlichen Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen abhängt 120 . Ob es gegen den Aufhebungsbeschluß ein Rechtsmittel gibt und mit welcher Wirkung, hängt vom Landesrecht ab; 4. die Bestimmungen des § 87 können durch landesgesetz 115

Über Unmöglichkeit und Gefährdung des Gemeinwohls vgl. Oertmann § 87, 3a. Unmöglichkeit liegt auch dann vor, wenn der Zweck der Stiftung erreicht ist. Die Aufhebungsgründe des § 87 sind extensiv zu interpretieren, Crome, § 56 Anm. 26, und auch dann als vorliegend anzunehmen, wenn der satzungsmäßige Zweck so veraltet ist, daß er im Widerspruch zu den Verhältnissen und Bedürfnissen der Gegenwart steht, vgl. auch Gradenwitz, Festg. zur Erinnerung an J. Kant. 116 Trotz Änderung des Zweckes bleibt, wie beim Verein, vgl. ob. § 35, Note 6, die rechtliche Identität der Stiftung bestehen; a. A. Oertmann § 88, 1. 117 Ein dringendes Bedürfnis der Verfassungsänderung kann sich auch ohne Umwandlung des Stiftungszweckes ergeben, z. B. wenn in der Satzung dem Vorstand die Veräußerung von Grundstücken untersagt ist, vgl. ob. Note 90, und die ursprünglich ländlichen Grundstücke durch Änderung der Besiedelungsverhältnisse den Charakter von Bauland bekommen haben; es kann im Interesse wie der Stiftung so der Allgemeinheit liegen, daß die Veräußerung der Grundstücke (und Ersatz derselben durch andere Grundstücke) ermöglicht wird; die dazu nötige Änderung der Verfassung wird nach Analogie von § 87 I I für zulässig zu erachten sein. 118 Diese Absicht braucht meines Erachtens nicht gerade aus der Stiftungsurkunde hervorzugehen; a. A. Oertmann § 87, 3b. 119 Vgl. ob. Note 52. 180 Planck § 87, 2; Oertmann § 87, 2b; Staudinger § 87 V.

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ergänzt werden, indem das Landesgesetz weitere Gründe der Auflösung einer Stiftung aufstellt 121 . So gestattet das Preuß. AusfG Art. 4 1 2 2 Auflösung der Stiftung durch Beschluß des Vorstandes mit staatlicher Genehmigung, wenn die Verfassungsverhältnisse der Stiftung sich überlebt haben oder zweckwidrig werden 128 . Das Vermögen der erloschenen Stiftung fällt nach § 88 an die in der Verfassung bestimmten Personen. Die Verfassung bestimmt sich aber nach § 85 durch Reichsrecht, Landesrecht und Stiftungsgeschäft. Da weder das Reichsrecht noch die Landesgesetze 124 zwingende Vorschriften über den Vermögensanfall enthalten, so entscheidet in erster Linie die Satzung, sodann, in Ermangelung einer Bestimmung des BGB., das Landesrecht. Die meisten Landesgesetze126 bestimmen Anfall an den Fiskus 126 . In diesem Falle kommen die Rechtssätze unter das gesetzliche Erbrecht des Fiskus zur Anwendung (§ 40). Fällt das Vermögen an sonstige Personen, so findet Liquidation statt, während welcher die Stiftung mit einem auf die Liquidationsgeschäfte beschränkten Zweck fortbesteht. Auf die Liquidation sind die Vorschriften des Vereinsrechts, ob. S. 564fg. entsprechend anzuwenden; wird die Stiftung von einer öffentlichen Behörde verwaltet, so gelten die Regeln des öffentlichen Rechts auch während des Liquidationsstadium127. IX. Im Gegensatz zur Stiftung, welche einen dauernden und meist auf unbestimmte Zeit berechneten Zweck verfolgt, steht das zu vorübergehendem Zweck durch öffentliche Sammlung zusammengebrachte Vermögen. Gemeinsam ist der Stiftung und der Samm121

Planck § 88, 1; Oertmann § 87, 1; Dernburg § 92 IX 4; Biermann § 145, 4; a. Α. Κ ο hl er § 186 III, der die Aufhebungsgründe des § 87 für erschöpfend hält. la2 Familienstiftungen können nach Art. 2 § 1 nicht durch Beschluß des Vorstandes, sondern durch Familienschluß mit staatlicher Genehmigung aufgehoben werdeo 188 Vgl. für das Bayer. Recht S tau dinger § 87 II. 194 Endemann § 48 Anm. 27 und And. bestreiten dem Landesrecht die Möglichkeit, den Anfallberechtigten abweichend vom Willen des Stifters zu bestimmen. Anders die herrschende Meinung, vgl. Planck §88, 2; Oertmann § 88, 2a. 120 Aufgezählt bei. Oertmann § 88, 2b. 126 Nach Preuß. AusfG. Art. 5 § 2 fällt das Vermögen an die Gemeinde oder Korporation des öffentlichen Rechts, von der die Stiftung errichtet ist oder verwaltet wurde; nach E.-L. AusfG. § 7 an die gesetzlichen Erben des Stifters; über die Unzuträglichkeiten dieser Bestimmung vgl. Kisch, E.-L. LandesprivatR. § 21 VI 2. 127 Oertmann § 88, 3b.

§ 41. Die Stiftung.

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lung die Widmung eines Vermögens zu einem nichtindividuellen Zweck 127 a . Während aber die Stiftung im Reichs- und Landesrecht eine wenn auch nicht vollständige, so doch ausreichende Regelung gefunden hat und ihre Struktur als juristische Person außer Zweifel ist, hat das Gesetz für die Sammlung sich mit dem einen Rechtssatz des § 1914 begnügt. Daher besteht über die Konstruktion dieses Rechtsverhältnisses und die sich daraus ergebenden Rechtsfolgen die größte Meinungsverschiedenheit 128. Manche Autoren 1 2 9 sehen in der Sammlung ein stiftungsähnliches Gebilde, welches kein individuelles Rechtssubjekt hat, sondern, wie die Stiftung einem Zweck dient. Demgemäß wäre die Sammlung unter die juristischen Personen zu stellen. Diese Auffassung ist meines Erachtens für das BGB., welches die Arten der juristischen Personen (Vereine, Stiftungen) erschöpfend aufzählt, ausgeschlossen, um so mehr, als die Sammlung nur in ihrem Zweck, nicht in ihrer Entstehung stiftungsähnlichen Charakter hat: das Sammelgeschäft ist formlos und bedarf nicht der staatlichen Genehmigung129 a . Es gibt meines Erachtens nur zwei Standpunkte, von denen aus man die Rechtsverhältnisse des SammelVermögens in den Rechtsformen des BGB. konstruieren kann: entweder nimmt man an, daß die zu einem Komitee zusammentretenden Sammler 180 eine Gesellschaft oder einen Verein bilden 1 8 0 a und zu den Spendern in ein auftragsähnliches Verhältnis treten 1 8 1 , oder man läßt aus den Beiträgen zu einem gemeinsamen Zweck eine Gesellschaft resp. einen Verein unter den Spendern entstehen, so daß die Sammler in die Stellung von geschäftsführenden Gesellschaftern kommen. Beide i87a Auf dem Wege der Sammlung können auch Geschäfte mit eigennützigem Zweck geschlossen werden, ζ. B. die Sammlung von Subskribenten. 128 Übersicht bei Fischbach, Sammelvermögen; O e r t m a n n , Bern. 6 vor § 80; Bartsch, Verh. des 30. DJT. 1, 154fg. 129 Bekker .§ 112 Beil. II; Dernburg § 94. K o h l e r § 151 I 3. i29a Auch Art. 86 kommt nicht zur Anwendung. 130 Bei öffentlichen Sammlungen ist eine Mehrzahl von Sammlern so sehr die Regel, daß man diesen Fall als normal voraussetzen kann. 18 °a Crome § 56; Endemann I I § 228, 5. 181 Die Sammler sind wie Mandatare verpflichtet, das Sammelvermögen zum kundgetanen Zweck zu verwenden; aber der Spender kann seinen „Auftrag" nicht widerrufen, denn die Sammlung ist ein Geschäft, an welchem der Spender nicht allein interessiert ist, sondern auch der Sammler durch seine aufgewendete Mühe und die übrigen Spender (jeder zeichnet seinen Beitrag mit Rücksicht auf erfolgte oder erhoffte Beiträge Anderer). Vgl. Tuhr, unwiderr. Vollmacht S. 47 Note 3.

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Anschauungen ergeben, daß das Sammelvermögen als Gesellschaftsvermögen den Gläubigern der einzelnen Sammler resp. Spender nicht haftet, ZPO. § 736 1 8 2 , wohl aber den Gläubigern aus Rechtsgeschäften, welche vom Komitee resp. dessen Vorstand in Angelegenheiten der Sammlung eingegangen werden 1 8 2 a ; daß die Zusagen der Spender der Schenkungsforin des § 518 nicht bedürfen 1 8 8 ; daß Destinatare der Sammlung nur dann einen Anspruch haben, wenn für eine oder mehrere bestimmte Personen mit festgesetztem Verteilungsmaßstäb gesammelt wird, nicht dagegen, wenn die Verteilung nach dem Ermessen der Sammler erfolgen soll 1 3 4 . Die erste Auffassung (Gesellschaft der Sammler 185 ) hat prima facie den Vorzug der Einfachheit, weil das Komitee aus einer kleineren Anzahl von Mitgliedern besteht, wodurch namentlich Klageerhebung in Angelegenheiten der Sammlung erleichtert wird. Wenn ein Mitglied durch Tod oder Austritt ausscheidet, wächst sein Anteil den übrigen an, wobei Verzicht auf die Abfindung des § 738 als verabredet angenommen werden kann. Schwierigkeiten entstehen aber, wenn das Komitee sich auf ein Mitglied reduziert: denn nunmehr verschmilzt das bisherige Gesellschaftsvermögen mit dem eigenen Vermögen des letzten Sammlers 186 , der aber den Spendern zur bestimmungsmäßigen Verwendung des Geldes verpflichtet bleibt. Fällt auch der letzte Sammler fort, so kann nach § 1914 ein Pfleger bestellt werden, dem der letzte Sammler resp. J8a Darum scheint es mir überflüssig, eine dingliche Gebundenheit des Sammelvermögens anzunehmen, wie das von K r ü c k m a n n , ArchBürgR. 8, 67 und A. Schultze, JheringsJ. 43, 35 geschieht. i82a Daneben haftet der Kontrahent aus § 54, 2 persönlich, wenn er nicht seine Haftung durch Verabredung mit dem Gläubiger ausschließt, vgl. ob. § 40 Note 34 a. 188 Nimmt man Gesellschaft der Spender an, so ist die Zeichnung einer Spende Zusage eines Beitrags; bei Gesellschaft der Sammler hat die Zusage der Spende eine eigenartige, RG. 62, 286, meines Erachtens auftragsähnliche causa. 184 Ähnlich wie bei der Stiftung, vgl. S. 611 und Heinsheimer, DJZ. 1909, 422. Ausnahmsweise wird man den Sammler als negotiorum gestor des Destinatärs anzusehen haben, dann müßte die Zeichnung eines Beitrags in der Form des § 518 erfolgen. 185 Regelsberger §87 III, Endemann a. a. 0., Oertmann, Vorb. 6 vor § 80 nehmen fiduciarisches Eigentum des Sammlers an, beachten aber meines Erachtens zu wenig, daß fast immer eine Mehrheit von Sammlern und daher Eigentum zur gesamten Hand vorliegt. 136 Vgl. ob. § 40 Note 62.

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dessen Erbe das Vermögen herauszugeben hat. Aber wer soll Eigentümer des dem Pfleger ausgelieferten Geldes sein? Soll man das Eigentum dem Pfleger zuschreiben 187 , wie es früher den Sammlern zustand? Das ist mit der Stellung eines Pflegers schwer vereinbar. Oder steht jetzt das Eigentum wieder den Spendern zu, nachdem sie es durch Einzahlung an die Sammler seinerzeit aufgegeben haben? und welcher Art Gemeinschaft wäre unter ihnen anzunehmen? Diese Bedenken werden vermieden, wenn man eine Gesellschaft 188 , oder, was bei der von vornherein unbestimmten Anzahl von Mitgliedern richtiger scheint, einen nichtrechtsfähigen Verein unter den Spendern annimmt 189 . Daß die Spender miteinander in keine Beziehungen treten, ist kein Hindernis der Gesellschaftsresp. Vereinsbildung; man kann annehmen, daß der Spender durch Zeichnung seines Beitrags den Sammler bevollmächtigt, die Vereinbarung mit den sonstigen Spendern zu treffen. Das Sammelvermögen als Gesellschaftsvermögen der Spender bleibt in seiner Selbständigkeit erhalten, wenn das Komitee der Sammler sich auf ein Mitglied reduziert oder ganz auflöst; der Pfleger des § 1914 tritt kraft obrigkeitlicher Ernennung in die Stellung, welche die Sammler einnahmen. Die Vorzüge dieser Auffassung werden aber meines Erachtens mehr als aufgewogen durch den praktischen Nachteil der sich aus der halben Parteifähigkeit des nichtrechtsfähigen Vereins ergibt : für die Gläubiger aus Verträgen des Komitees ist durch ZPO. § 50 I I gesorgt: sie können die Mitglieder des Komitees persönlich belangen oder den Verein der Spender, vertreten durch die Sammler, und in das Sammelvermögeu vollstrecken. Für Aktivprozesse des Sammelvermögens wäre aber nur der Pfleger als gesetzlicher Vertreter der Spender legitimiert; dagegen müßte das Komitee, um gezeichnete Beiträge einzuklagen oder um aus Verträgen, die zur Ausführung des Sammlungszweckes geschlossen sind, zu klagen, eine Vollmacht sämtlicher Spender beibringen, was nach Lage der Umstände unmöglich ist. Nur wenn man mit G i e r k e und H e l l w i g dem nichtrechtsfähigen Verein aktive Parteifähigkeit zuschreibt 140 , kann man als Sub137 188 189

So A. Schultz e a. a. Ο. 45. Gierke § 80 Anm. 43 fg. I Hellwig, Vertr. auf L. an Dr. 238, Anspruch § 41 II, ZivProz. §45

Anm. 22/ 140

Vgl. ob. § 40 Note 81.

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jekt des Sammelvermögens einen Verein der Spender bezeichnen; sonst wäre das Sammelvermögen bei dieser Aulfassung ein hilfloses Gebilde. Solange der nichtrechtsfähige Verein der aktiven Parteifähigkeit ermangelt, ist für das Sammelvermögen der Theorie der Vorzug zu geben, nach welcher das Vermögen einer Gesellschaft der Sammler gehört. Die oben erwähnte Schwierigkeit (wer ist Subjekt des Vermögens in den Händen des Pflegers ?) ist mehr theoretischer als praktischer Natur. Denn die auf amtlicher Bestellung beruhende und nur auf diesem Wege aufhebbare Verwaltungs- und Verwendungsbefugnis des Pflegers läßt die Frage nach dem Subjekt des Vermögens in den Hintergrund treten. Will man sie nicht unbeantwortet lassen, so muß man sich meines Erachtens für Eigentum der Spender entscheiden: der Pfleger ist ihr gesetzlicher Vertreter und erhebt beim letzten Sammler das Geld, welches dieser den Spendern nach § 667 herauszugeben hat. Als Vertreter erwirbt er an der ihm ausgezahlten Geldsumme Miteigentum für die Spender im Verhältnis ihrer Beiträge. Da unter den Spendern eine Gesellschaft nicht bestand und auch durch Bestellung des Pflegers nicht begründet wird, so steht das Miteigentum nicht unter den Regeln der Gesamthand; trotzdem ist die Verfügung des Einzelnen über seinen Anteil und der Zugriff seiner Gläubiger ausgeschlossen; denn das Sammelvermögen ist der exklusiven Verfügungsmacht des Pflegers unterworfen. § 42.

Juristische Personen des öffentlichen Rechts*.

I. Die juristischen Personen des öffentlichen Rechts sind vom Staat geschaffen oder staatlichen Zwecken dienstbar. Demgemäß gilt für ihre Entstehung und Organisation öffentliches Recht: für den Reichsfiskus und die sonstigen vom Reich begründeten oder den Aufgaben des Reiches dienenden Korporationen und Anstalten gilt das öffentliche Recht des Reiches1 ; für den Fiskus der Bundesstaaten und die sonstigen mit dem Organismus der Bundesstaaten verbundenen juristischen Personen gilt das öffentliche Landesrecht, Art. 55. Nach dem öffentlichen Recht des Reiches resp. der Bundesstaaten entscheidet sich insbesondere die Frage, ob eine Behörde oder Anstalt als besondere juristische Person, oder nur als Ver* Vgl. ob. § 31. Der Militärfiskus ist, außer in Bayern, Reichsfiskus, RG. 54, 198: Dernburg § 70 Note 15. 1

§ 42.

Juristische Personen des öffentlichen Rechts.

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waltungsstelle einer umfassenderen juristischen Person zu betrachten i s t 2 ; ferner die Frage, wem die gesetzliche Vertretung zusteht 8 , wie die Vertretung von einer mehrgliedrigen Behörde auszuüben i s t 4 ; in welcher Form der Vertreter eine Willenserklärung namens der juristischen Person zu erteilen hat 5 , und ähnliche Fragen. Nur zwei die Verfassung der juristischen Person betreffende Rechtssätze des BGB. sollen nach § 89 auf juristische Personen des öffentlichen Rechts zur Anwendung kommen. Der eine dieser Rechtssätze, § 42 I I (Verpflichtung des Vorstandes zur Anmeldung des Konkurses bei Überschuldung) ist von relativ geringer Bedeutung; denn er findet nur Anwendung, soweit bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts Konkurs zulässig ist, worüber aber das Landesrecht entscheidet6. II. Um so größer ist die Wichtigkeit der in § 89 vorgeschriebenen Anwendung des § 31 auf die öffentlichrechtlichen juristischen Personen 7 . Die entsprechende Anwendung des § 31 bietet aber in Theorie und Praxis große Schwierigkeiten 8, insbesondere bezüglich der Abgrenzung des Personenkreises, für welche der Fiskus, die Gemeinden und die sonstigen öffentlichrechtlichen juristischen Personen haften sollen. In § 31 sind genannt der Vorstand und andere verfassungsmäßig berufene Vertreter. Welche Personen sind dementsprechend als verfassungsmäßige Vertreter des Fiskus, der Gemeinden usw. zu betrachten? Das Wort Vertreter ist aus den ob. S. 540angegebenen Gründen nicht im Sinn des § 164 aufzufassen; es kann bei der Haftung für Schadensstiftung nicht darauf ankommen, ob ein Angestellter die Kompetenz für den Abschluß von Rechts2

Der Fiskus gilt privatrechtlich als einheitliche juristische Person, trotz der verschiedenen Verwaltungszweige (stationes fisci); Dernburg § 70 Note 16. RG. 59, 404. H e l l w i g , ZivProz. § 74 Note 9. 8 Öffentliche juristische Personen von größerem Wirkungskreis, insbesondere der Fiskus, haben keinen allgemeinen, dem Vorstand des Privatrechts entsprechenden, Vertreter, sondern gesetzliche Vertreter für einzelne Verwaltungsgebiete, welche den besonderen Vertretern des § 30 entsprechen. 4 RG. 58, 62 entscheidet, daß mangels besonderer Vorschriften nach allgemeinen Grundsätzen alle Mitglieder mitwirken müssen. » RG. 68, 408. « EG. zu ZPO. § 15 Nr. 3. EG. zum Ges. betr. Änderung der KO. Art. IV. Jäger, KO. § 213. Anm. 1-3. 7 § 89 gilt für alle juristische Personen des öffentlichen Rechts, auch für solche, die unter die Vorbehalte des EG. Art. 65—69 fallen, Oertmann § 89, 3 c. 8 Vgl. Übersicht bei Oertmann § 80, 3.

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gesehäften der juristischen Person hat 9 . Ferner ist es evident, daß hier unter Verfassung nicht das verstanden werden kann, was im staatsrechtlichen Sinn zur Verfassung gehört; vielmehr bedeutet Verfassung hier, wie bei allen juristischen Personen 10, die Summe der Rechtssätze, durch die bestimmt wird, welche Menschen in Angelegenheiten der juristischen Person mit Wirkung nach Innen und Außen tätig werden können. In diesem Sinne hat das Reichsgericht 11 in feststehender Praxis die Redeutung der Worte „verfassungsmäßig berufene Vertreter" in Anwendung auf öffentlichrechtliche juristische Personen erläutert: es sollen zu diesem Kreise die Beamten gehören, „deren Stellung auf organisatorischen Verwaltungsbestimmungen beruht". Sie sind die Organe der juristischen Person. Im Gegensatz zu ihnen stehen die Menschen, welche nicht auf Grund der Verfassung, sondern in Folge eines von den Organen ihnen erteilten Auftrags für die juristische Person tätig werden; für sie haftet die juristische Person, wie das Individuum, nach § 831 d. h. nur dann, wenn der Beweis der (für die juristische Person von ihren Organen auszuübenden) diligentia in eligendo usw. nicht erbracht werden kann. Während sich aber die Verfassung der Vereine und Stiftungen mit wenig zahlreichen Organen zu begnügen pflegt und selbst bei weitverzweigter Tätigkeit die meisten Hilfskräfte durch vertragsmäßige Anstellung seitens der Organe beschafft werden, verhält es sich anders bei den öffentlichrechtlichen juristischen Personen, besonders beim Staat und den Gemeinden: sie bedienen sich zur Erreichung ihrer Aufgaben vorwiegend der Hilfe von Beamten, deren Kompetenzen, Rechte und Pflichten durch feste organisatorische Rechtssätze abgegrenzt sind. Das gilt aber nicht nur von den höheren, sondern von allen Beamten; versteht man unter Verfassung die organisatorischen Verwaltungsvorschriften jeglicher Art, so kann von jedem Beamten gesagt werden, daß er eine ihm yon der Verfassung zugewiesene Stellung einnimmt. Legt man daher, wie es in den ersten Entscheidungen des Reichsgerichts 1 2 geschieht, den Nachdruck nicht auf die Art der Tätigkeit, sondern darauf, ob der Geschäftskreis des Angestellten durch Rechtssatz oder durch Auftrag bestimmt ist, so kann man sich der Konsequenz nicht entziehen, daß die Haftung aus § 89 sich auf alle 9

RG. 53, 280 und in JürWoch. 1902, 266. Vgl. ob. § 35 I. 11 53, 280; 55, 176; 62, 34. 18 Namentlich 53, 280. 10

§ 42.

Juristische Personen des öffentlichen Rechts.

Beamte der juristischen Person erstreckt 18 . Damit wäre aber für die juristischen Personen des öffentlichen Rechts eine Haftung hergestellt, welche weit über die Haftung der juristischen Personen des Privatrechts aus § 31 hinausgeht, während die Absicht des Gesetzes nur dahin geht, den Rechtssatz des § 31 auf die öffentlichen juristischen Personen entsprechend zu übertragen, und kein Grund ersichtlich ist, warum diese Personen schärfer haften sollten, als die privatrechtlichen juristischen Personen, von denen, manche durch die Größe und Gefährlichkeit ihres Betriebs ebenso stark/ wenn nicht stärker, in das Verkehrsleben eingreifen, als der Staat oder die Gemeinde14. Der Sinn des § 89 geht dahin, daß der Staat, die Gemeinden usw. für die Handlungen ungefähr desselben Personenkreises haften sollen, wie die Vereine und Stiftungen des § 31. Dieser Kreis pflegt aber bei Verein und Stiftung nur solche Personen zu umfassen, welchen eine leitende Stellung zukommt; denn nur die Stellung solcher Personen wird in der Satzung vorgesehen, während die Organisation des Staates und der sonstigen öffentlichen juristischen Personen in viel detaillierterer Weise durch Rechtssätze geregelt ist. Will man daher für diese juristischen Personen praktisch dieselben Grenzen einhalten, so muß man aus dem Kreise der verfassungsmäßig berufenen Vertreter solche Beamte ausscheiden, deren Tätigkeit vorwiegend nicht in selbständiger Entscheidung, sondern in Ausführung der dienstlichen Befehle vorgesetzter Beamter besteht. Diese, meines Erachtens aus dem Begriff der „verfassungsmäßigen Berufung" nicht ableitbare Beschränkung wird in der letzten Entscheidung des Reichsgerichts als selbstverständlich ausgesprochen 15: auf „Hilfsbeamte" soll sich die Haftung aus § 89 nicht beziehen. Die Grenzlinie kann nicht ohne einige Willkür gezogen werden, weil es im Wesen der Beamtenhierarchie liegt, daß überall, selbst bei hohen Ämtern ein Unterordnungsverhältnis besteht, und anderseits auch bei niederen Beamten sich ein Spielraum für pflichtgemäßes Ermessen wird konstatieren lassen1β. Die Handlung, für welche gehaftet wird, muß den Erforder18

Diese Ansicht vertritt Gierke in Verh. des 28. Juristentag 1, 111. Vgl. Le nel, DJZ; 1902, 11. w 62, 36: der Kreisbaumeister ist verfassungsmäßig berufener Vertreter des Kreises, der Chausseeaufseher ist unselbständige Hilfsperson. Vgl. auch RG. vom 30. Sept. 1909 in Ztschr. f. Rechtspfl. in Bayern 6, 37. 16 Vgl. die überaus kasuistische Judikatur in Neumanns Jahrb. des deutschen Rechts zu § 89 und bei Delius, Haftpflicht der Beamten 336. u

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nissen des § 31 entsprechen ; sie muß in Ausführung der dem Beamten zustehenden Verrichtungen begangen sein, und muß den Beamten zu Schadensersatz verpflichten. I I I . Das Prinzip des § 89 ist durch einen sehr weitgehenden Vorbehalt zugunsten des Landesrechts durchbrochen, Art. 77: für Schaden, den die Beamten des Staates, der Gemeinden oder anderer Kommunalverbände (Provinzial-, Kreis-, Amtsverbände) in Ausübung der ihnen anvertrauten öffentlichen Gewalt, zufügen, kann das Landesrecht: die Haftung des Staates oder des Kommunalverbandes abweichend von § 89 regeln: ausschließen oder von besonderen Voraussetzungen abhängig machen, die Haftung des schuldigen Beamten durch die Haftung des Staates oder des Kommunalverbandes ersetzen 1 7 . Die Grenze zwischen der Ausübung der öffentlichen Gewalt und den sonstigen Verrichtungen der Staats- und Kommunalorgane ist nicht leicht zu ziehen 18 . Der Fiskus und die Kommunalverbände haben zwei Seiten der Betätigung : sie sind Subjekt eines Vermögens; die zur Verwaltung desselben erforderlichen Verrichtungen der Organe fallen unter die Regel des § 89. Anderseits sind Staat und Kommunalverband Träger der öffentlichen Gewalt; wenn die Organe bei Ausübung derselben ein Verschulden begehen, so gilt nach Art. 77 Landesrecht 19 . Es gibt Organe, deren Verrichtungen sich nur auf eines dieser beiden Gebiete beziehen, und Organe, die auf beiden Gebieten tätig sind 20 . Zu den privatrechtlichen Verrichtungen der Staatsorgane gehören solche Handlungen, welche ebensogut von Privatpersonen als Subjekt ihres 17

Dagegen kann das Landesrecht nicht die Haftung des Beamten aus § 839 ohne Ersatz durch eine Haftung des Staates ausschließen oder beschränken. Reichsgesetzlich, GBO. § 12, tritt an Stelle der Haftung des Grundbuchbeamten eine Haftung des Staates oder der Körperschaft, in deren Dienst der Beamte steht. 18 Gierke a. a. Ο. S. 116 fg.; v. Stengel, Annalen des deutschen Rechts 34, 481; D o c k , Arch. f. öff. Recht 16, 244. 19 Es ist davon auszugehen, daß § 89 die Regel enthält, welcher gegenüber die Vorschrift des Art. 77 sich als Ausnahme darstellte Bleibt es zweifelhaft, ob Ausübung der öffentlichen Gewalt vorliegt, so ist in dieser Frage in dubio contra fiscum zu entscheiden, Endemann § 49 Anm. 25; Dernburg § 70 I I ; Delius a. a. 0. S. 8. Ζ. B. hat der Landesgerichtspräsident neben seiner richterlichen Tätigkeit, in welcher er öffentliche Gewalt ausübt, auch Verwaltungsfunktionen in bezug auf die sachlichen Einrichtungen des ihm unterstellten Gerichts.

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Vermögens vorgenommen werden könnten; also vor allem die Vermögensverwaltung: z.B. Errichtung, Niederreißen, Unterhalt von Gebäuden und anderen Werken 2 1 ; und der Betrieb gewerblicher Unternehmungen 22. Diese Handlungen unterstehen dem § 89 nicht nur dann, wenn sie ausschließlich dem Erwerbszweck dienen, sondern auch, wenn die Befriedigung allgemeiner Lebens- und Kulturbedürfnisse bezweckt wird. (Straßenbahnen, Gas- und Elektrizitätswerke werden von den Gemeinden als Erwerbsquelle und zugleich als gemeinnützige Einrichtung betrieben.) Dagegen gehören zur Ausübung öffentlicher Gewalt die Handlungen, bei denen der amtliche Charakter des Handelnden wesentliche Voraussetzung für die Zulässigkeit und Wirkung der Handlung ist; daher vor allem die Fälle, in denen ein staatliches Befehlsund Zwangsrecht ausgeübt wird: die Handlungen des Richters und der Vollstreckungsorgane 28; der Verwaltung«- und Polizeiörgane bei Erlaß und Durchsetzung ihrer Befehle 24 ; die Handlungen der Militärbehörden in Ausübung ihrer Befehlsgewalt 26; die Maßregeln zur Vollziehung der Freiheitsstrafe 26 ; wohl auch die Maßregeln der Lehrer und Schulbehörden in Durchführung der Schulpflicht 27. Die Ausübung öffentlicher Gewalt besteht nicht notwendig in der Ausübung eines staatlichen Zwangsrechtes 28, sondern umfaßt auch solche Handlungen von Beamten, die ohne Zwangscharakter zu haben, die amtliche Qualität des Handelnden voraussetzen; dazu gehört ζ. B. die Genehmigung von Rechtsgeschäften des Vormundes durch das Vormundschaftsgericht, die Tätigkeit des Richters bei Errichtung eines öffentlichen Testaments 29 oder bei Erteilung eines Erbscheins 80 und in sonstigen Fällen der freiwilligen Gerichtsbarkeit 81. 81

RG. 54, 53 (Instandhaltung eines öffentlichen Weges); 68, 365 (Kanal-

betrieb). 82

RG. 68, 285 (Verwaltung einer städtischen Sparkasse). RG. 56, 89 (Gerichtsvollzieher in der Zwangsvollstreckung) H e l l w i g , ZivProz. § 84 Note 71. 24 OLG. 14, 3 (Zwangslotse). RG. 71, 44. 25 Dazu gehören militärische Übungen, RG. 54, 204, aber nicht Verwaltung des Eigentums des Militärfiskus, RG. 55, 171. 26 RG. 56, 220. 27 Vgl. Oertmann § 89, 3a. 28 RG. 56, 89. 29 Planck § 2232, 3. 80 Planck, Vorb. 4 vor § 2353. 81 Haftung des Staates für die Vormundschaftsrichter, Endemann, Familienrecht § 215 a. E. 28

Handbuch X . 1. I : v o n T u h r I .

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Die Landesgesetze haben vom Vorbehalt des Art. 77 sehr verschiedenen Gebrauch gemacht82. In Preußen haftet nach dem Gesetz vom 1. August 1909, wenn ein unmittelbarer Staatsbeamter in Ausübung der ihm anvertrauten öffentlichen Gewalt die ihm nach § 839 BGB. obliegende Amtspflicht verletzt, der Staat an Stelle des schuldigen Beamten. Ähnlich in Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden und einigen kleineren Bundesstaaten. In Hessen, Elsaß-Lothringen und einigen anderen Bundesstaaten haftet der Staat wie ein Bürge neben dem schuldigen Beamten. In einer letzten Gruppe von Bundesstaaten gibt es keine Haftung des Fiskus für rechtswidrige Ausübung der öffentlichen Gewalt durch Beamte. Die Haftung des Staates resp. des Beamten richtet sich nach dem Recht des Bundesstaates, in dessen Dienst der Beamte steht 88 . Die durch Art. 77 vorbehaltenen Landesgesetze gelten auch für die Haftung des Reiches für Schaden, welcher von Reichsbeamten in Ausübung der öffentlichen Gewalt angerichtet w i r d 8 4 ; dabei untersteht der Reichsfiskus dem Gesetz des Bundesstaates, in dessen Gebiet der schuldige Beamte seinen amtlichen Sitz hat. Dem Reichstag liegt ein Gesetzentwurf vor, nach welchem die Haftung des Reichsfiskus für die Reichsbeamten nach dem Beispiel des Preußischen Gesetzes vom 1. August 1909 geregelt wird. IV. Soweit die juristischen Personen des öffentlichen Rechts in rechtsgeschäftlichen Verkehr treten, gilt das Recht des BGB., namentlich die Haftung der juristischen Person aus § 278 für Nichterfüllung ihrer Verbindlichkeiten durch ihre gesetzlichen Vertreter. Ausnahmsweise ist dem Fiskus 86 und anderen öffentlichen juristischen Personen eine bevorzugte Stellung eingeräumt (privilegia fisci): gegen eine Forderung des Fiskus oder eines Kommunalverbandes ist Aufrechnung nur zulässig, wenn die Leistung an dieselbe Kasse zu erfolgen hat, aus der die Forderung des Aufrechnenden zu berichtigen ist, § 395. Ferner ist die Abtretung des Diensteinkommens und ähnlicher Bezüge der auszahlenden Kasse gegenüber nur dann wirksam, wenn die Kasse durch öffentlich beglaubigte Urkunde von der Abtretung benachrichtigt ist, § 411. Nach Art. 92 kann das Landesrecht vorschreiben, daß 32

Vgl. Delius a. a. 0. S. 46. Delius a. a. 0. S. 17. 34 RG. 54, 198. 86 W e i l , Der Fiskus im gegenwärtigen deutschen Privatrecht (Festgabe für Hänel). 33

§ 42. Juristische Personen des öffentlichen Rechts.

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Zahlungen aus öffentlichen Kassen an der Kasse in Empfang zu nehmen sind, (in Abweichung von § 270). Art. 91 gestattet dem Landesrecht, den öffentlichen juristischen Personen zur Sicherung gewisser Forderungen ein Recht auf Eintragung einer Hypothek an Grundstücken des Schuldners zu verleihen 86 . Die Forderungen des Fiskus und gewisser anderer juristischer Personen sind in KO. §§ 49. 61 und ZVG. § 10 privilegiert. Zu erwähneu wären noch die singulären Rechte, welche dem Fiskus und anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts zustehen : das Aneignungsrecht an herrenlosen Grundstücken, § 928; das Recht der Gemeinde resp. des Fiskus an gefundenen Sachen resp. deren Erlös, §§ 976, 981; das Erbrecht des Fiskus, § 1923, und sein Recht am Vermögen aufgelöster Vereine und Stiftungen, §§ 45, 88. 86 Die Grundstücke des Fiskus und anderer juristischer Personen können durch landesherrliche Verordnung vom Rechnungszwang ausgenommen werden, GBO. § 90.

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