Deutscher Bund und innere Nationsbildung im Vormärz (1815–1848) [1 ed.] 9783666355974, 9783525355978

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Deutscher Bund und innere Nationsbildung im Vormärz (1815–1848) [1 ed.]
 9783666355974, 9783525355978

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Jürgen Müller (Hg.)

Deutscher Bund und innere Nationsbildung im Vormärz (1815–1848)

Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften Band 101

Deutscher Bund und innere Nationsbildung im Vormärz (1815–1848) Herausgegeben von Jürgen Müller

Vandenhoeck & Ruprecht

Die Schriftenreihe wird herausgegeben vom Sekretär der Historischen Kommission: Bernhard Löffler Gedruckt mit Unterstützung der Franz Schnabel Stiftung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb:de abrufbar. © 2018, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Goethes Wohnhaus in Weimar, 1849 © Klassik Stiftung Weimar, Inventar-Nr. KGr1991/00149 Satz: Satzpunkt Ursula Ewert GmbH, Bayreuth Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-4721 ISBN 978-3-666-35597-4

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Jürgen Müller Einleitung: Der Deutsche Bund als nationales Band . . . . . . . . . . . . . 9 Reinhard Stauber Der Deutsche Bund als föderative Ordnung in der Mitte Europas. Möglichkeiten und Chancen aus der Perspektive von 1814/15. . . . . . . . 31 Marko Kreutzmann Die Kommissionen der Deutschen Bundesversammlung als Foren von Aushandlungsprozessen zwischen Bürokratie und Gesellschaft (1816–1848) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Eckhardt Treichel Die Deutsche Bundesversammlung und ihre Kommissionen. Ihre Geschäftstätigkeit und Zusammensetzung 1816–1823 . . . . . . . . . 81 Conrad Tyrichter Die sicherheitspolitischen Kommissionen des Deutschen Bundes im Vormärz. Die Mainzer Zentraluntersuchungskommission und die Frankfurter Bundeszentralbehörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Hans-Werner Hahn Verpasste Chancen? Der Deutsche Bund und die Probleme der wirtschaftlichen Einheit 1815–1848. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Paul Kahl Kulturnation und Deutscher Bund. Das Vorhaben einer Nationalstiftung im Weimarer Goethehaus von 1842/43 . . . . . . . . . . . . . . . . 151 Andreas Hofmann Zwischenstaatliche Wissenschaftskommunikation und Wissenschaftspolitik im Deutschen Bund (1815–1848). . . . . . . . . . . . . . . . 167 Mark Hewitson »Bundesstaat« oder »Bundesreich«, »Einheitsstaat« oder »Staatenreich«? Föderative Konzepte jenseits des Deutschen Bundes in der verfassungspolitischen Diskussion von 1848/49 . . . . . . . 185

6 Inhalt Andreas Fahrmeir Innere Nationsbildung im 19. Jahrhundert. Der Deutsche Bund im internationalen Vergleich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Die Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 Register. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229

Vorwort Der vorliegende Band geht zurück auf eine wissenschaftliche Tagung zum Thema »Deutscher Bund und innere Nationsbildung im Vormärz (1815–1848)«, die am 10. Oktober 2017 im Historischen Kolleg in München stattfand.1 Die Veranstaltung wurde organisiert von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Neuere Geschichte an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main und dem Exzellenzcluster »Die Herausbildung Normativer Ordnungen«. Allen beteiligten Institutionen danke ich für die organisatorische und finanzielle Unterstützung. Die Tagung verfolgte das Ziel, das nationsbildende Potential des Deutschen Bundes auszuloten und ihn als politischen Akteur in einer sich rasch wandelnden Gesellschaft neu zu verorten. Es wurde damit eine Fragestellung aufgegriffen, die in dem Forschungsprojekt »Gesellschaftliche Erwartungen und bürokratische Experten: Die Kommissionen und Ausschüsse des Deutschen Bundes als Foren politischer Aushandlungsprozesse (1816–1848)« untersucht wird. Dieses bei der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften angesiedelte Projekt wird seit 2016 mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) durchgeführt. Ziel des Vorhabens ist es, auf einer breiten Quellengrundlage – insbesondere auch der bislang nur fragmentarisch ausgewerteten Überlieferung des Deutschen Bundes und seiner Kommissionen – im Rahmen einer multiperspektivischen Kulturgeschichte der inneren Verwaltung des Deutschen Bundes die vielfältigen Kommunikationsprozesse zwischen Bürokratie und Gesellschaft, die Interdependenzen und Interaktionen zwischen Verwaltung und Verwalteten und damit die symbolische Inszenierung, Vermittlung und Aneignung der Bundesverfassung in der konkreten Lebenswirklichkeit der Menschen nachzuzeichnen. Erste Ergebnisse dieser Forschungen konnten auf der Münchener Tagung präsentiert werden; hinzu kamen in ergänzenden Referaten neue Einblicke in aktuelle Forschungen zur inneren Geschichte des Deutschen Bundes während des Vormärz, die geeignet sind, das bisherige Bild der Bundespolitik zu erweitern und teilweise zu korrigieren. Es erübrigt sich fast darauf hinzuweisen, dass das erwähnte DFG-Projekt im Zusammenhang mit dem großen Editionsprojekt zur Geschichte des Deutschen Bundes steht, das, initiiert von Lothar Gall, seit 1989 von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften durchgeführt wird. Aus diesem Projekt sind inzwischen sieben umfangreiche Bände mit Quellen zur Bundesgeschichte hervorgegangen, weitere sind in Vorbereitung. 1 Ein ausführlicher Bericht über die Tagung wurde inzwischen auf H-Soz-Kult veröffentlicht: https://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-7451.

8 Vorwort Dass die Beiträge zu der Münchener Tagung nunmehr in kurzer Frist auch in gedruckter Form vorgelegt werden können, ist der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften zu verdanken, welche sich bereit erklärte, den Tagungsband in ihrer »Schriftenreihe« zu publizieren. Dafür gebührt mein herzlicher Dank dem Präsidenten der Kommission, Gerrit Walther, den Sekretären der Kommission, Helmut Neuhaus und Bernhard Löffler, und dem Geschäftsführer Karl-Ulrich Gelberg. Letzterer hat vielfältige Unterstützung bei der organisatorischen Vorbereitung und Durchführung der Tagung geleistet. Zu Dank verpflichtet bin ich ferner den Teilnehmern der Konferenz, die erfreulicherweise die Druckfassung ihrer Beiträge zügig erstellt und eingereicht haben. Für den Herausgeber eines Sammelbandes ist eine solch vorbildliche Kooperation eine große Freude und Erleichterung. Bei der inhaltlichen Vorbereitung der Tagung wie auch der Publikation haben mich meine Kollegen Andreas Fahrmeir, Marko Kreutzmann und Eckhardt Treichel in vielfältiger Weise mit Rat und Tat unterstützt. Dafür sei ihnen herzlich gedankt. Und schließlich möchte ich meinen Hilfskräften Isabella Heil und Svenja Schäfer danken, die zuverlässig und mit großem Engagement die vielen Aufgaben erledigt haben, die im Zusammenhang mit der Tagung und der Buchpublikation angefallen sind. Jürgen Müller München / Frankfurt, im März 2018

Jürgen Müller

Einleitung Der Deutsche Bund als nationales Band

Der Deutsche Bund ist schon von den Zeitgenossen, aber in der Folge auch von vielen Historikern heftig kritisiert worden, weil er den Interessen der deutschen Nation in keiner Weise entsprochen habe. So bezeichnete ihn der österreichische Historiker Hans von Zwiedineck-Südenhorst vor 120 Jahren als eine »Mißgeburt«1, und Ernst Rudolf Huber charakterisierte ihn in seiner »Deutschen Verfassungsgeschichte« als »Negation des nationalstaatlichen Gedankens«2. Noch im Jahr 1983 beurteilte Thomas Nipperdey den Bund als »ein Unglück für die deutsche Geschichte«.3 Diese harschen Urteile wirken bis heute nach, wenn auch in der jüngeren Forschung eine differenziertere Sichtweise entwickelt wurde, die den Deutschen Bund nicht als Gegenpol zum deutschen Nationalstaat betrachtet, sondern ihn in die föderative Tradition der deutschen Geschichte einbettet. Davon ausgehend wird nicht mehr ausschließlich danach gefragt, in welcher Weise der Bund und seine Organe der nationalen Bewegung, die sich seit 1815 in Deutschland entfaltete, hemmend entgegentraten und durch welche Maßnahmen sie die innere Nationsbildung blockierten, sondern es wird vielmehr nun auch untersucht, in welcher Weise der Deutsche Bund – von sich aus oder auf äußere Anregung hin – tätig wurde, um Maßnahmen zur inneren Vereinheitlichung in Deutschland auf den Weg zu bringen. Dass der Bund nicht prinzipiell als antinationale Blockade errichtet und konzipiert worden war, geht aus vielen Bekundungen der an der Bundesgründung beteiligten Politiker und Diplomaten hervor. So hielt der österreichische Präsidialgesandte Johann Rudolf Graf von Buol-Schauenstein in seiner Eröffnungsrede in der deutschen Bundesversammlung am 5. November 1816 ein bemerkenswertes Plädoyer für die nationale Einigung Deutschlands im Gehäuse des Deutschen Bundes. Mit der Gründung des Bundes, so führte er aus, erschien Deutschland, das mit dem Ende des Heiligen Römischen Reiches zerfallen und 1 Hans von Zwiedineck-Südenhorst: Deutsche Geschichte von der Auflösung des alten Reichs bis zur Errichtung des neuen Kaiserreiches (1806–1871), 3 Bde., Stuttgart/Berlin 1897–1905, hier Bd. 1, S. 511. 2 Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 1: Reform und Restauration 1789 bis 1830, Stuttgart/Berlin/Köln 21990, S. 476. 3 Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat, München 1983, S. 97.

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unter die demütigende Fremdherrschaft des napoleonischen Frankreich geraten war, nun wieder »als ein Ganzes, als eine politische Einheit«.4 Und die Aufgabe der im Bund vereinigten deutschen Regierungen sollte es sein, das »große Band der Nationalität zu entwickeln«.5 Sechs Tage später, am 11. November 1816, führte Buol-Schauenstein in einem umfangreichen Vortrag näher aus, was damit gemeint war.6 Die Geschäftstätigkeit der Bundesversammlung sollte demnach »die vollkommene organische Gesetzgebung des deutschen Bundes in Hinsicht seiner auswärtigen, militärischen und inneren Verhältnisse« umfassen.7 Dabei gelte es, im Einklang mit den Erwartungen der Deutschen »die hohen und wahren Interessen der Nation« zu vertreten und auf der Grundlage der Bundesakte »das Gebäude des großen National-Bundes [zu] vollenden«.8 Der Deutsche Bund wurde als »umfassendes National-Band« verstanden9, das es kontinuierlich weiterzuentwickeln gelte, denn man wolle das Gebäude des Deutschen Bundes »nie für geschlossen und ganz vollendet halten«10. Hier wurde eine weitreichende Entwicklungsperspektive für den Deutschen Bund skizziert, die ausdrücklich an nationalen Zwecken und Interessen orientiert war. Es ließen sich aus den ersten Jahren des Deutschen Bundes zahlreiche ähnliche Verlautbarungen aus dem Mund von Monarchen, Ministern und Diplomaten anführen – sie sind in der großen Quellenedition von Eckhardt Treichel umfassend dokumentiert. Es blieb auch keineswegs bei wohlfeilen Absichtserklärungen. Vielmehr entfaltete die Bundesversammlung schon kurze Zeit nach der Aufnahme ihrer Geschäfte in Ausschüssen und Kommissionen eine rege Tätigkeit, um das in der 4 Protokolle der Deutschen Bundesversammlung 1816, 1. Sitzung vom 5. November 1816, § 4, S. 5–9, zit. nach: Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes. Für die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften hg. von Lothar Gall, Abt. I: Quellen zur Entstehung und Frühgeschichte des Deutschen Bundes 1813–1830, Bd. 2: Organisation und innere Ausgestaltung des Deutschen Bundes 1815–1819, bearb. v. Eckhardt Treichel, München 2016, Dok. 42, Zitat S.  176. – Die Quellenedition wird im Folgenden unter dem Kürzel QGDB zitiert. 5 Ebd. 6 Ebd., Dok. 100. 7 Ebd., S. 427. 8 Ebd., S. 425. 9 Ebd., S. 426. – Die Formulierung vom »nationalen Band«, das der Deutsche Bund darstellte, geht wahrscheinlich zurück auf die Bestimmung von Artikel 6 des Ersten Pariser Friedens vom 30. Mai 1814, wo von einem »föderativen Band« die Rede ist: »Les Etats de l’Allemagne seront indépendans et unis par un lien fédératif.« QGDB, Abt. I, Bd. 1: Die Entstehung des Deutschen Bundes 1813–1815, bearb. v. Eckhardt Treichel, München 2000, S. 158. In der Forschung wurde die Metapher mehrfach aufgegriffen, so bei Ludwig Bentfeldt: Der Deutsche Bund als nationales Band 1815–1866, Göttingen 1985; Wolf D. Gruner: Der Deutsche Bund als Band der deutschen Nation 1815–1866, in: Bernd J. Wendt (Hg.): Vom schwierigen Zusammenwachsen der Deutschen. Nationale Identität und Nationalismus im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1992, S. 49–79. 10 QGDB, Abt. I, Bd. 2 (wie Anm. 4), S. 431.



Einleitung: Der Deutsche Bund als nationales Band

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Bundesakte in diversen Artikeln ausgesprochene Ziel, bundesweite und damit implizit auch national einheitliche Regelungen in den inneren Verhältnissen herbeizuführen, in die politische Praxis umzusetzen. Es ist mithin kaum zu bestreiten, dass der deutsche Staatenbund, obwohl er ausdrücklich kein Bundes- oder Nationalstaat sein wollte, gleichwohl einen nationsbildenden Anspruch hatte. Wolfram Siemann hat in diesem Sinne schon 1995 vom Deutschen Bund als »staatliche Ordnung der Nation« gesprochen, die durchaus »Entwicklungschancen« hin zu einer »konstruktiven ›Bundesinnenpolitik‹« gehabt habe.11 Die historische Forschung hat dies indessen über 150 Jahre lang nahezu einhellig anders gesehen und den Deutschen Bund als eine der deutschen Nation sowie ihren Interessen und Bedürfnissen diametral entgegenstehende politische Ordnung charakterisiert. Dieser Sichtweise lag die Auffassung zugrunde, dass es zwischen dem Deutschen Bund als relativ lockerer föderativer Ordnung und dem von immer größeren Teilen der deutschen Öffentlichkeit nach 1815 geforderten nationalen Bundesstaat eine unüberwindbare Kluft gebe. Nur im Nationalstaat mit einheitlicher Regierung und zentralen Institutionen, so sahen es viele Zeitgenossen, und so haben es auch Generationen von Historikern bis in die jüngere Zeit hinein gesehen, konnte die deutsche Nation zur inneren Einheit, zur politischen Freiheit und – was häufig nicht so stark betont wird – zur außenpolitischen Machtentfaltung gelangen. Dieses auf die bundesstaatliche Verfasstheit fokussierte Paradigma wird erst seit etwa zwanzig Jahren in Frage gestellt durch das vor allem von Dieter Langewiesche formulierte Konzept der »föderativen Nation« beziehungsweise des »föderativen Nationalismus«.12 In diesem Zusammenhang ist in neueren Forschungen – im Anschluss an Studien zum frühneuzeitlichen »composite state«13 vom Deutschen Bund als »zusammengesetztem Staat« die Rede14, womit auf einen 11 Wolfram Siemann: Vom Staatenbund zum Nationalstaat. Deutschland 1806–1871, München 1995, S. 320 u. 322 ff. (= Neue Deutsche Geschichte, Bd. 7). 12 Dieter Langewiesche: Föderativer Nationalismus als Erbe der deutschen Reichsnation: Über Föderalismus und Zentralismus in der deutschen Nationalgeschichte, in: Ders.: Nation, Nationalismus, Nationalstaat in Deutschland und Europa, München 2000, S.  55–79, zuerst erschienen in: Ders./Georg Schmidt (Hg.): Föderative Nation. Deutschlandkonzepte von der Reformation bis zum Ersten Weltkrieg, München 1999, S. 215–242. 13 Helmut G. Koenigsberger: Monarchies and Parliaments in Early Modern Europe. Dominium Regale or Dominium Politicum et Regale, in: Theory and Society 5 (1978), S. 191–217; J. H. Elliott: A Europe of Composite Monarchies, in: Past & Present 137 (1992), S. 48–71; HansJürgen Becker (Hg.): Zusammengesetzte Staatlichkeit in der Europäischen Verfassungsgeschichte, Berlin 2006 (= Der Staat, Beiheft 16), darin: Hans-Werner Hahn: Der Deutsche Bund. Zukunftslose Vorstufe des kleindeutschen Nationalstaats oder entwicklungsfähige föderative Alternative, S.  41–69. Als neuere Fallstudie siehe vor allem Karin Friedrich: BrandenburgPrussia, 1466–1806. The Rise of a Composite State. Basingstoke 2012; ferner: D. W. Hayton/ James Kelly/John Bergin (Hg.): The Eighteenth-Century Composite State. Representative Institutions in Ireland and Europe, 1689–1800, Basingstoke 2010. 14 Dieter Langewiesche: Der europäische Kleinstaat im 19. Jahrhundert und die frühneuzeitliche Tradition des zusammengesetzten Staates, in: Ders.: Kleinstaaten in Europa, Schaan 2007,

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Begriff zurückgegriffen wird, der keineswegs eine neuere Schöpfung ist, sondern bereits im frühen 19. Jahrhundert im Hinblick auf den Deutschen Bund benutzt wurde15. In einem solchen zusammengesetzten Staat oder »Föderativstaat«, wie schon der Tübinger Historiker und Staatsrechtler Leonhard von Dresch (1786– 1836) im Jahr 1820 den Staatenbund nannte16, mussten nationale Bestrebungen nicht naturgemäß in den nationalen Bundesstaat münden, sondern es gab auch die Möglichkeit, nationale Einheitlichkeit unter dem Dach einer Föderation zu verwirklichen, die nicht bundesstaatlich verfasst war. Im Hinblick auf den Deutschen Bund wurde diese Perspektive maßgeblich von Dieter Langewiesche und Wolfram Siemann dem dominierenden nationalbundesstaatlichen historischen Narrativ entgegengesetzt. Daraus ergab sich ein neuer Forschungsansatz, indem nun unter Rückgriff auf zahlreiche bis dahin kaum beachtete Quellen danach gefragt wurde, welche Maßnahmen zur inneren Integration Deutschlands auf Bundesebene zwischen 1815 und 1866 eingeleitet wurden und zu welchen Ergebnissen diese Maßnahmen führten. Durch solche Untersuchungen kann das nationsbildende Potential des Bundes ausgelotet und damit die oft behauptete historische Zwangsläufigkeit beziehungsweise Alternativlosigkeit der innerdeutschen Entwicklung im 19. Jahrhundert hin zum nationalen Bundesstaat, der schließlich im Reich von 1871 seine Form fand, relativiert werden. Für die nachmärzliche Phase von 1850 bis 1866 konnte bereits gezeigt werden, dass von Seiten des Bundes zahlreiche Reformvorhaben eingeleitet wurden, die auf eine Vereinheitlichung der rechtlichen und ökonomischen Verhältnisse in Deutschlands abzielten und damit durchaus als ein Element der inneren Nationsbildung angesehen werden können. Die in diesen Jahren von Bundes- und Sachverständigenkommissionen betriebenen Projekte wurden von den daran beteiligten Diplomaten und Experten ausdrücklich als nationsbildende Maßnahmen S.  95–117 (= Liechtenstein. Politische Schriften, Bd. 42); Ders.: Reich, Nation, Föderation. Deutschland und Europa, München 2008; Ders.: Föderalstaatliche Traditionen und europäischer Handlungsbedarf, in: Zeitschrift für Staats- und Europawissenschaften 1 (2013), S. 6–20. 15 So schon Leonhard von Dresch: Oeffentliches Recht des deutschen Bundes, Tübingen 1820, S. 23. Langewiesche, Der europäische Kleinstaat (wie Anm. 14), S. 102, verweist auf Johann Caspar Bluntschlis 1874 in erster Auflage erschienene »Deutsche Staatslehre für Gebildete« (Nördlingen 1874), S. 142–149. Der deutsche Begriff »zusammengesetzter Staat« ist noch älter und taucht z. B. schon im Jahr 1800 auf in: Johann Christian Majer: Teutsche Staatskonstitution, Bd. 2, Hamburg 1800, S. 265. 1814 wird der Terminus in dem Artikel »Idee des deutschen Föderativstaates« benutzt, der im Archiv für Geographie, Historie, Staats- und Kriegskunst Nr. 97 und 98 vom 15. und 17. August 1814, S. 409–415, erschien, ebd. S. 410. – Gemeinhin wurde der Terminus »Föderativstaat« im Vormärz als Synonym für »Bundesstaat« benutzt, so im berühmten »Staats-Lexicon«: Staats-Lexikon oder Encyklopädie der Staatswissenschaften, hg. v. Carl von Rotteck u. Carl Welcker, Neue Aufl., Bd. 2, Altona 1846, S. 15. 16 Dresch, Oeffentliches Recht (wie Anm. 15), S. 23. Zu Dresch siehe Michael Stolleis: Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 2: Staatsrechtslehre und Verwaltungswissenschaft 1800–1914, München 1992, S.  89; Allgemeine deutsche Biographie, Bd. 5, Leipzig 1877, S. 395 f.



Einleitung: Der Deutsche Bund als nationales Band

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Abb. 1: Der Deutsche Bund als zusammengesetzter Staat – Bundeswappen, ca. 1843; Quelle: Österreichisches Staatsarchiv Wien, Abteilung Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Staatskanzlei, Deutsche Akten, Alte Serie, Kt. 91.

verstanden, wobei das Leitbild indessen nicht der nationale Bundesstaat, sondern der föderativ verfasste Staatenbund war und blieb.17 Für die vormärzliche 17 Siehe dazu Jürgen Müller: Deutscher Bund und deutsche Nation 1848–1866, Göttingen 2005 (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 71). Zur auf Bundesebene versuchten und teilweise verwirklichten innerdeutschen Rechtsvereinheitlichung siehe ferner Claudia Schöler: Deutsche Rechtseinheit. Partikulare und nationale Gesetzgebung (1780–1866), Köln/Weimar/Wien 2004 (= Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 22); des Weiteren die älteren Arbeiten von Franz Laufke: Der Deutsche Bund und die Zivilgesetzgebung, in: Paul Mikat (Hg.): Festschrift der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät der Julius-Maximilian-Universität Würzburg zum 75. Geburtstag von Hermann Nottarp, Karlsruhe 1961, S. 1–57; Heinrich Getz: Die deutsche Rechtseinheit im 19. Jahrhundert als rechtspolitisches Problem, Bonn 1966 (= Bonner rechtswissenschaftliche Abhandlungen, Bd. 70); Adolf Laufs: Rechtsentwicklungen in Deutschland, Berlin/ New York 51996; Wilhelm Mößle: Rechtsvereinheitlichung als Gegenstand der Verfassungspolitik im Deutschen Bund, in: Meinhard Heinze/Jochen Schmitt (Hg.): Festschrift für Wolfgang Gitter zum 65. Geburtstag am 30. Mai 1995, Wiesbaden 1995, S. 669–688. – Speziell zum Urheberrecht hat Elmar Wadle zahlreiche Studien vorgelegt, siehe Ders.: Geistiges Eigentum.

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Zeit steht eine derartige umfassende, auf breiter Quellenbasis fußende Untersuchung der Bundespolitik noch aus. Zu den Kommissionen und Ausschüssen des Bundes liegen erste Vorarbeiten vor18; einzelne Kommissionen wie die ständige Bundesmilitärkommission (1819–1866) und die Mainzer Zentraluntersuchungskommission (1820–1827) sind bereits in größeren Monographien untersucht worden, wobei allerdings der Fokus nicht auf die nationale Integration gerichtet war.19 Was die bislang einseitig als reaktionäre Repressionsinstrumente betrachBausteine zur Rechtsgeschichte, 2 Bde., Weinheim 1996/München 2003; Ders.: Beiträge zur Geschichte des Urheberrechts. Etappen auf einem langen Weg, Berlin 2012 (= Schriften zum Bürgerlichen Recht, Bd. 425). – Zum Handelsgesetzbuch: Helmut Rumpler: Das »Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch« als Element der Bundesreform im Vorfeld der Krise von 1866, in: Ders. (Hg.): Deutscher Bund und deutsche Frage 1815–1866. Europäische Ordnung, deutsche Politik und gesellschaftlicher Wandel im Zeitalter der bürgerlich-nationalen Emanzipation, Wien/München 1990, S.  215–234 (= Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit, Bd. 16/17). – Zum Maß- und Gewichtswesen: Jean-Claude Hocquet: Harmonisierung von Maßen und Gewichten als Mittel zur Integrierung in Deutschland im 19. Jahrhundert, in: Eckart Schremmer (Hg.): Wirtschaftliche und soziale Integration in historischer Sicht, Stuttgart 1996, S. 110–123 (= Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beihefte, Nr. 128); Florian Groß: Integration durch Standardisierung. Maßreformen in Deutschland im 19. Jahrhundert, Baden-Baden 2015 (= Schriftenreihe des Instituts für Europäische Regionalforschungen, Bd. 23). – Zum Münzwesen: Bernd Sprenger: Währungswesen und Währungspolitik in Deutschland von 1834 bis 1875, Köln 1981 (= Kölner Vorträge und Abhandlungen zur Sozialund Wirtschaftsgeschichte, H. 33); Ders.: Harmonisierungsbestrebungen im Geldwesen der deutschen Staaten zwischen Wiener Kongreß und Reichsgründung, in: Eckart Schremmer (Hg.): Geld und Währung vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Stuttgart 1993, S. 121–142 (= Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beihefte, Nr. 106). 18 Eckhardt Treichel: Die Kommissionen der Deutschen Bundesversammlung und ihre Mitglieder 1816–1820, in: Stefan Gerber/Werner Greiling/Tobias Kaiser/Klaus Ries (Hg.): Zwischen Stadt, Staat und Nation. Bürgertum in Deutschland, 2 Bde., Göttingen 2014, Bd. 1, S. 347–359; Jürgen Müller: Der Deutsche Bund und die ökonomische Nationsbildung. Die Ausschüsse und Kommissionen des Deutschen Bundes als Faktoren politischer Integration, in: Hans-Werner Hahn/Marko Kreutzmann (Hg.): Der Deutsche Zollverein. Ökonomie und Nation im 19. Jahrhundert, Köln/Weimar/Wien 2012, S. 283–302; Wolfram Siemann: Wandel der Politik – Wandel der Staatsgewalt. Der Deutsche Bund in der Spannung zwischen »Gesammt-Macht« und »völkerrechtlichem Verein«, in: Rumpler (Hg.), Deutscher Bund und deutsche Frage (wie Anm. 17), S. 59–73. 19 Wolfgang Keul: Die Bundesmilitärkommission (1819–1866) als politisches Gremium. Ein Beitrag zur Geschichte des Deutschen Bundes, Frankfurt am Main/Bern/Las Vegas 1977 (= Europäische Hochschulschriften, Rh. III, Bd. 96); mit der Tätigkeit der Militärkommission befasst sich auch ausführlich Jürgen Angelow: Von Wien nach Königgrätz. Die Sicherheitspolitik des Deutschen Bundes im europäischen Gleichgewicht (1815–1866), München 1996 (= Beiträge zur Militärgeschichte, Bd. 52); Eberhard Weber: Die Mainzer Zentraluntersuchungskommission, Karlsruhe 1970; Eberhard Büssem: Die Karlsbader Beschlüsse von 1819. Die endgültige Stabilisierung der restaurativen Politik im Deutschen Bund nach dem Wiener Kongreß von 1814/15, Hildesheim 1974. Dazu ferner der kurze Abriss von Wolfram Siemann: Die Mainzer Zentraluntersuchungskommission 1819–1828, in: Ders.: »Deutschlands Ruhe, Sicherheit und Ordnung«. Die Anfänge der politischen Polizei 1806–1866, Tübingen 1985, S. 76–86 (= Texte und Studien zur Sozialgeschichte der Literatur, Bd. 14).



Einleitung: Der Deutsche Bund als nationales Band

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teten sicherheitspolitischen Kommissionen des Deutschen Bundes angeht, so ist deren Funktion im Hinblick auf die transnationale strafrechtliche und polizeiliche Interaktion und Koordination erst in einer gerade fertiggestellten Studie von Conrad Tyrichter umfassend analysiert worden. Darauf wird weiter unten näher einzugehen sein. * Welche Möglichkeiten und Chancen sich dem Deutschen Bund als föderativer Ordnung in der Mitte Europas aus der Perspektive von 1814/15 boten, untersucht Reinhard Stauber in seinem einleitenden Beitrag zu diesem Band. Er zeigt auf, dass auf dem Wiener Kongress die Bildung eines lockeren »Staatenvereins« (Wilhelm von Humboldt)20, der durch ein »föderatives Band« (»lien fédératif«)21 zusammengehalten wurde, als die einzige realistische Möglichkeit erschien, Deutschland politisch zu organisieren. Andere Konzepte, wie die vom Freiherrn Karl vom Stein nachdrücklich verfochtene Idee der »Wiedergeburt« eines Reiches oder die zunächst von Preußen und Österreich ins Spiel gebrachte Variante einer hegemonialen Ordnung unter Führung der beiden Großmächte – eventuell in Verbindung mit den Königreichen Bayern, Württemberg und Hannover –, scheiterten sowohl am Widerstand der meisten deutschen Mittel- und Kleinstaaten als auch am aufbrechenden machtpolitischen Konflikt zwischen Österreich und Preußen. Stauber rekonstruiert die schwierige Suche nach einem Modell für das deutsche Vertragssystem, die sich vor dem Hintergrund einer instabilen politischen Situation vollzog und bei der darüber hinaus ganz unterschiedliche Machtinteressen austariert werden mussten: Auf dem Wiener Kongress rangen neben den beiden Großmächten Österreich und Preußen und den Mittelstaaten schließlich auch die sogenannten »mindermächtigen« Staaten sowie die ehemals reichsunmittelbaren Standesherren um Einfluss und Rechtsgarantien in der zu schaffenden neuen Ordnung. Dabei zeigt sich, wie im Laufe der sich lange hinziehenden und teilweise monatelang ausgesetzten Verhandlungen über die deutsche Frage von den anfänglichen Plänen einer stärker hegemonialen Bundesverfassung abgerückt werden musste und am Ende eine »Reduktion« der diversen Verfassungsentwürfe »auf einen allgemeiner gehaltenen Rahmenplan« als der einzige gangbare Weg erschien.22 Damit verbunden war eine immer deutlichere Gewichtsverlagerung hin zum föderativen Prinzip, das von der großen Mehrheit der 38 an den Verhandlungen beteiligten Einzelstaaten explizit als Garantie ihrer Autonomie und Absicherung gegen eine Doppelhegemonie der Großmächte 20 »Die Richtung Deutschlands ist ein Staatenverein zu seyn […]«; Denkschrift von Humboldt über die künftige Verfassung Deutschlands vom Dezember 1813, ediert in: QGDB, Abt. I, Bd. 1 (wie Anm. 9), S. 72–88, Zitat S. 78. 21 Siehe oben Anm. 9. 22 Siehe unten S. 37. Das Zitat ist der Einleitung von Eckhardt Treichel zu dem ersten Band der Quellenedition zum Deutschen Bund entnommen: QGDB, Abt. I, Bd. 1 (wie Anm. 9), S. LIX.

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wie auch eine Fünfer- oder Sechserherrschaft von Österreich, Preußen und den deutschen Königreichen Bayern, Hannover, Württemberg und Sachsen angesehen wurde. Die Deutsche Bundesakte, die am Ende wegen der erneut bevorstehenden militärischen Konfrontation mit Napoleon in großer Eile verhandelt und am 8. Juni 1815 paraphiert wurde, ließ wichtige Fragen ungelöst und hatte einen »unfertigen Charakter«, so Stauber. Sie hielt aber die Möglichkeit einer Fortentwicklung nicht nur offen, sondern sprach in Artikel 10 ausdrücklich die Absicht aus, unmittelbar nach der Eröffnung der Bundesversammlung in Frankfurt »Grundgesetze des Bundes« abzufassen und »organische Einrichtungen« im Hinblick auf die auswärtigen, militärischen und inneren Verhältnisse herbeizuführen.23 Reinhard Stauber bezeichnet diese Bestimmungen der Bundesakte als »Homogenitätsvorgaben« und skizziert in seinem Beitrag, wie ab 1816/17 versucht wurde, diese Vorgaben in konkrete Maßnahmen zur inneren Vereinheitlichung umzusetzen. Angesichts der vielfältigen, wenn am Ende auch erfolglosen Aktivitäten in dieser Richtung konstatiert er: »[…] die Ausgangslage war offen; es gab keine interne ›Entwicklungslogik‹, die von 1815 zwangsläufig zum Zustand von 1820 geführt und den Bund als Instrument von Repression und Restauration diskreditiert hätte.«24 Auf der anderen Seite war die Bundesverfassung offenkundig nicht »die Verfassung eines werdenden nationalen Staatswesens«.25 Der Deutsche Bund blieb ein »Staatenverein«, in dem zwar bundesstaatliche Elemente angelegt waren, die aber letztlich in der Praxis nur in sehr begrenztem Maß aktiviert werden konnten. Die nationale Vision eines homogenen und voll integrierten Staatswesens, die so oft als Maßstab herangezogen wird, entsprach indessen nicht den tatsächlichen Bedingungen der Zeit, wie Stauber im letzten Teil seines Beitrags aufzeigt. Der Vergleich mit den föderativen Ordnungen in den USA und in der Schweiz lässt erkennen, dass der Deutsche Bund in seiner Zeit gar nicht so singulär – im Sinne einer defizitären Nationalität – war, wie ihm häufig vorgeworfen wurde. Er reihte sich vielmehr ein in eine »Tradition zusammengesetzter, föderativer Staatlichkeit«, bei der »nationale Einigkeit und nationalstaatliche Einheit keineswegs deckungsgleich« waren.26 Vielmehr gelte, so Stauber: »Nie staatlich geeint gewesen zu sein – das war in Mitteleuropa der Normalfall.«27 * Nach diesem Aufriss der Situation während der Gründungsphase des Deutschen Bundes widmen sich die folgenden Beiträge der konkreten Tätigkeit, die sich in der Bundesversammlung und den zahlreichen von ihr eingerichteten 23 24 25 26 27

QGDB, Abt. I, Bd. 1 (wie Anm. 9), S. 1512. Siehe unten S. 48. Siehe unten S. 48. Siehe unten S. 54. Siehe unten S. 55.



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permanenten oder ad hoc für spezielle Anliegen berufenen Gremien entfaltete. Zunächst stellt Marko Kreutzmann erste Ergebnisse seiner im Rahmen des DFG-Projekts »Gesellschaftliche Erwartungen und bürokratische Experten: Die Kommissionen und Ausschüsse des Deutschen Bundes als Foren politischer Aushandlungsprozesse (1816–1848)« durchgeführten Untersuchungen vor. Er fasst die Kommissionen und Ausschüsse des Deutschen Bundes »als Foren von Aushandlungsprozessen zwischen Bürokratie und Gesellschaft« auf. Die Erwartungen der Öffentlichkeit, so argumentiert Kreutzmann, seien zum Maßstab des politischen Handelns der Bundesversammlung erklärt und mit einer nationalen Sinnzuschreibung versehen worden. Die Bundesversammlung sei somit ein Forum gewesen, in dem gesellschaftliche Erwartungen und staatlich-bürokratische Gestaltungsansprüche durch gegenseitige Wahrnehmungen, Deutungen und Sinnzuweisungen in einen vielschichtigen kommunikativen Austausch traten. Nicht allein die Ergebnisse der Bundestagsverhandlungen in Gestalt von Verfassungsnormen oder Gesetzestexten gelte es daher zu untersuchen, sondern auch die Strukturen jener Kommunikations- und Aushandlungsprozesse und deren Auswirkungen auf die nationale Identitätsbildung. Das zentrale Forum dieser Prozesse seien die Kommissionen und Ausschüsse der Bundesversammlung gewesen. Unmittelbar und massiv herangetragen wurden die gesellschaftlichen Erwartungen an die Bundesversammlung durch zahlreiche Eingaben von Privatpersonen, Korporationen oder Vereinen. Bis 1848 erreichten sie rund 2600 Gesuche. Marko Kreutzmann gelangt zu der Schlussfolgerung, dass die Kommissionen und Ausschüsse der Deutschen Bundesversammlung eine wichtige Rolle im soziokulturellen Prozess der Nationsbildung spielten. Sie bildeten Kristallisationspunkte einer Funktionselite und Knotenpunkte eines Netzwerkes28, das keineswegs nur als Instrument der Regierungen agierte, sondern eigene Interessen und Handlungslogiken entwickelte und zum Adressaten gesellschaftlicher Erwartungen und zum Ort von Aushandlungsprozessen zwischen Bürokratie und Gesellschaft wurde. Im Anschluss an den Beitrag von Marko Kreutzmann verfolgt Eckhardt Treichel die Zusammensetzung und Tätigkeit der Bundeskommissionen in den Jahren 1816–1823. Er geht davon aus, dass die Bundesversammlung »ein eigenständiges Machtzentrum«29 bildete, dass sofort nach seiner Konstituierung »eine rege 28 Im Hinblick auf den Deutschen Zollverein hat Marko Kreutzmann die Bildung einer transoder zwischenstaatlich vernetzten bürokratischen Führungselite bereits eingehend untersucht: Marko Kreutzmann: Die höheren Beamten des Deutschen Zollvereins. Eine bürokratische Funktionselite zwischen einzelstaatlichen Interessen und zwischenstaatlicher Integration (1834–1871), Göttingen 2012 (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 86); Ders.: Bürokratische Funktionseliten und zwischenstaatliche Integration im Deutschen Zollverein (1834–1871), in: Historische Zeitschrift 288 (2009), S. 613–645; Ders.: Die höheren Verwaltungsbeamten des Deutschen Zollvereins – eine nationale Funktionselite?, in: Hahn/Kreutzmann (Hg.), Der Deutsche Zollverein (wie Anm. 18), S. 195–226. 29 Siehe unten S. 81.

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Tätigkeit auf sehr vielen Gebieten« entfaltete, wobei die öffentliche Meinung und die Nation als »handlungsleitende Instanzen« fungierten.30 Bei der Bearbeitung der zahlreichen Eingaben, die an die Bundesversammlung gelangten, bemühte sich die mit deren Erledigung beauftragte, schon 1816 eingerichtete ständige Reklamations- oder Eingabenkommission um pragmatische Lösungen, und es gelang ihr in vielen, für sich genommen nicht sehr spektakulären Fällen, Forderungen zu befriedigen, Interessenkonflikte auszugleichen und Rechtssicherheit zu schaffen. Dabei wird auch deutlich, dass die oft kritisierte lange Dauer mancher Verfahren nicht allein auf die häufig übertriebene Schwerfälligkeit des Bundes zurückzuführen ist, sondern teilweise durch die dilatorische Haltung der Einzelstaaten verursacht wurde. Sodann richtet Eckhardt Treichel den Blick auf die personelle Zusammensetzung der Bundestagsgesandten in den ersten sieben Jahren des Deutschen Bundes. Es zeigt sich, dass diese Gruppe von ca. drei Dutzend Personen im Hinblick auf die soziale Herkunft, den Bildungsgang und die Altersstruktur ein relativ homogenes Korpus bildete. Die Bundestagsgesandten verfügten überwiegend über eine lange Berufserfahrung und waren akademisch wie beruflich in der föderativen Ordnung des Heiligen Römischen Reichs sozialisiert worden. Die meisten von ihnen waren überdies keine klassischen Berufsdiplomaten, sondern »erfahrene Staatsmänner«31. Wie sehr diese administrative Kompetenz geschätzt wurde, belegt die Zusammensetzung der Bundeskommissionen, in denen nicht vorrangig die Gesandten der großen Staaten berücksichtigt wurden, sondern durchaus auch Vertreter von mindermächtigen Staaten eine wichtige Rolle spielten. Schon in den ersten vier Jahren (1816–1820) wurden nicht weniger als 54 Kommissionen gebildet, zwischen 1821 und 1823 kamen vierzehn weitere Kommissionen hinzu, so dass sich für die ersten sieben Jahre des Bundes 68 Kommissionen ergeben. Zwei Drittel dieser Kommissionen konnten ihre Aufgabe binnen eines halben Jahres erledigen − ein Befund, der das Klischee vom langsamen und schwerfälligen Bundestag relativiert. Die Arbeitslast ruhte dabei auf relativ wenigen Schultern, da sich zumeist nur sechzehn bis zwanzig Bundestagsgesandte in Frankfurt aufhielten. Ein noch kleinerer Kreis von acht Bundestagsgesandten bildete den inneren Führungszirkel: Auf diesen entfielen 178 der 219 Kommissionsplätze. Dieser Personenkreis war es vor allem, der unter Betonung des föderativen und nationalen Charakters des Deutschen Bundes die »staatsrechtlichen Elemente der Bundesverfassung« weiterentwickeln wollte.32 Diese Konstellation löste sich seit 1821 schrittweise auf, einerseits durch den Tod einiger profilierter und erfahrener Gesandter, andererseits durch die sogenannte »Epuration« des Bundestags im Jahr 1823, das heißt die Abberufung reformorientierter Kräfte

30 Siehe unten S. 83. 31 Siehe unten S. 91. 32 Siehe unten S. 95.



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und deren Ersetzung durch konservativere Personen. Damit erlahmten dann auch die anfängliche Aktivität und der Schwung der frühen Jahre merklich. Die sicherheitspolitischen Kommissionen des Deutschen Bundes im Vormärz sind Gegenstand des Beitrags von Conrad Tyrichter. Der Autor hat diese Gremien – die Mainzer Zentraluntersuchungskommission von 1819 bis 1827 und die Frankfurter Bundeszentralbehörde von 1833 bis 1842 – in seiner am MaxPlanck-Institut für europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt entstandenen, gerade abgeschlossenen Dissertation untersucht, die voraussichtlich noch in diesem Jahr veröffentlicht wird.33 Tyrichter betrachtet die genannten Kommissionen dabei weder, wie lange Zeit üblich, »als isolierte und statische Institutionen noch als Repressionsinstrumente«, sondern als transnationale Koordinationsorgane im Bereich der Justiz- und Polizeikooperation. Im Fokus steht somit nicht die bipolare Opposition von liberaler Nationalbewegung einerseits und reaktionärer Staatsmacht andererseits. Stattdessen wird die Formierung eines transnationalen Strafrechtsregimes im Deutschen Bund als mehrdimensionaler Prozess verfolgt, der zum »juristischen nationbuilding« beitrug. Untersucht wird dabei, ob sich aus der institutionalisierten Zusammenarbeit der deutschen Einzelstaaten im Bereich der Justiz- und Polizeikooperation »weitergehende Integrations- und Harmonisierungseffekte« ergaben. Die Zentraluntersuchungskommission und die Bundeszentralbehörde werden demnach nicht auf ihre Rolle als ausführende Organe des vermeintlich konsistenten reaktionären »Systems Metternich« reduziert, sie erscheinen vielmehr als Faktoren für die Ausbildung eines transnationalen Sicherheitsregimes im Deutschen Bund. Ihre Rolle bei der »Formierung einer föderalen, gesamtdeutschen Sicherheitsarchitektur«, so lautet das Resümee von Tyrichter, war aber durchaus ambivalent. Denn die Koordination und tendenzielle Integration der Polizei- und Justizarbeit war mit der auf Partizipation der nationalen Öffentlichkeit abzielenden Vereinheitlichung der politischen Verhältnisse in Deutschland »nur bedingt kompatibel«. Dieser Befund verweist auf die häufig vernachlässigte Tatsache, dass »innere Nationsbildung« nicht umstandslos mit der von der Nationalbewegung (und späterhin der kleindeutsch-nationalliberalen Historiographie) vertretenen Zielprojektion des liberalen Nationalstaats gleichgesetzt werden darf. Nationale Integration fand durchaus auch statt, indem auf Bundesebene in Form der sicherheitspolitischen Kommissionen eine koordinierte polizeiliche und juristische Strategie gegen die nationalen, liberalen und »revolutionären« Bestrebungen eingeleitet wurde. *

33 Conrad Tyrichter: Die Erhaltung der Sicherheit. Deutscher Bund, politische Kriminalität und transnationale Sicherheitsregime im Vormärz, Diss. phil. TU Darmstadt 2017, erscheint in der Reihe »Studien zu Policey, Kriminalitätsgeschichte und Konfliktregulierung« des MaxPlanck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte.

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Nationale Identitätsbildung benötigt seit jeher nicht nur eine politische Organisationsform, die den gesellschaftlichen Kräften partizipatorische Möglichkeiten im politischen Prozess bietet. Die Ausbildung einer »Nationalidentität« bzw. die Entfaltung des »Nationalgeistes«, die seit 1815 nicht nur von Seiten der deutschen Nationalbewegung, sondern vielfach auch von Monarchen, Ministern, Diplomaten und Bundestagsgesandten beschworen wurden34, hing darüber hinaus in starkem Maße von der ökonomischen Integration sowie der kulturellen Vergemeinschaftung innerhalb des Deutschen Bundes ab. Diesen Aspekten widmen sich die Beiträge von Hans-Werner Hahn, Paul Kahl und Andreas Hofmann. Hans-Werner Hahn zeigt in seinem Überblick über die wirtschaftspolitische Entwicklung im Deutschen Bund zwischen 1815 und 1848, welch eminente Bedeutung die ökonomischen Fragen in der Bundespolitik erlangten. Schon bei der Bundesgründung 1814/15 war die binnenwirtschaftliche Integration ein wichtiges Thema in den Verhandlungen. Vielfach wurde vorgeschlagen, dass die Deutschen »alle Zölle unter sich aufheben« und sonstige Handelsbeschränkungen wie etwa Einfuhrverbote beseitigen sollten. Wegen erheblicher wirtschaftlicher Strukturunterschiede und daraus resultierender Interessendivergenzen scheiterten jedoch alle Versuche, bereits in der Bundesakte die allgemeine deutsche Zoll- und Handelsfreiheit festzuschreiben. Stattdessen blieb es bei der in Artikel 19 formulierten Absichtserklärung, »bey der ersten Zusammenkunft der Bundesversammlung in Frankfurth wegen des Handels und Verkehrs zwischen den verschiedenen Bundesstaaten, so wie wegen der Schiffahrt […] in Beratung zu treten«.35 Es war durchaus nicht die Absicht, das Thema damit auf die lange Bank zu schieben, denn bereits 1816/17 wurden intensive handelspolitische Debatten in der Bundesversammlung aufgenommen, womit auch auf externe Anstöße von Seiten früher ökonomischer Interessengruppen und den Druck der öffentlichen Meinung einerseits und Vorschläge von einzelnen deutschen Regierungen andererseits reagiert wurde. Insbesondere über die Zollfragen wurde lange und intensiv verhandelt, doch kam eine Einigung nicht zustande. Im Gegenteil, seit 1825 führte die zollpolitische Offensive Preußens, das außerhalb des Bundes separate Abkommen mit einzelnen Staaten abschloss, die sukzessive erweitert wurden und 1834 schließlich in die Gründung des Deutschen Zollvereins mündeten36, schließlich dazu, dass die zoll- und handelspolitische Spaltung des Deutschen Bundes festgeschrieben wurde. Es entstand, wie Metternich 1833 feststellte, »in dem großen Bundesverein […] ein kleinerer Nebenbund, in dem vollsten Sinne 34 Siehe die zahlreichen, in den Registern aufgeführten Belege in den diversen Bänden von QGDB, Abt. I–III. 35 QGDB, Abt. I, Bd. 1 (wie Anm. 9), S. 1517. 36 Siehe dazu Hans-Werner Hahn: Geschichte des Deutschen Zollvereins, Göttingen 1984; Thomas Stamm-Kuhlmann: Preußen und die Gründung des Deutschen Zollvereins: Handlungsmotive und Alternativen, in: Hahn/Kreutzmann (Hg.): Der Deutsche Zollverein (wie Anm. 18), S. 33–49.



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des Wortes ein status in statu, welcher nur zu bald sich daran gewöhnen wird, seine Zwecke mit seinen Mitteln in erster Linie zu verfolgen und die Bundeszwecke und Bundesmittel nur in zweiter Linie zu berücksichtigen«.37 Und schon im Jahr 1839, nur fünf Jahre nach der Bildung des Zollvereins, konstatierte der hessen-darmstädtische Ministerpräsident Karl Freiherr du Thil: »Durch den Zollverein ist Deutschland gleichsam eine Nation geworden, weit mehr als durch die Bundesacte.«38 Trotz dieser aus der Sicht des Deutschen Bundes nachteiligen Entwicklung spielte der Bund in den handelspolitischen Debatten weiterhin eine wichtige Rolle. Vor allem in den 1840er Jahren und im unmittelbaren Vorfeld der Revolution von 1848 wurden von mehreren Seiten neue handels- und zollpolitische Vorschläge gemacht, die in der Bundesversammlung diskutiert wurden. Die Zielprojektion war dabei, wie durchgehend seit 1815, dass im Deutschen Bund »ein gemeinsames Band der materiellen Interessen«39 geknüpft würde, um auf diese Weise ein ökonomisch einiges und mächtiges Deutschland zu schaffen. Der nationale Impetus ist in solchen Formulierungen unübersehbar, und es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die wirtschaftliche Integration Deutschlands, womit alle zum Deutschen Bund gehörigen Staaten gemeint waren, ein ernstgemeintes und trotz vieler Rückschläge beharrlich, wenn auch letztlich ohne durchschlagenden Erfolg betriebenes Anliegen der Bundesversammlung war. Allerdings war die Bundesversammlung, wie in vielen anderen Fragen auch, wegen der großen Interessendivergenzen politischer wie wirtschaftlicher Art im Ganzen gesehen kaum handlungsfähig – und so blieb es bei guten Absichten und wiederholten, aber fruchtlosen Beratungen. Neben der wirtschaftlichen Integration, die auf die Förderung der sogenannten »materiellen Interessen« im Gebiet des Deutschen Bundes beziehungsweise auf nationaler Ebene abzielte, spielten auch kulturelle Projekte eine zentrale 37 Richard von Metternich-Winneburg (Hg.): Aus Metternichs nachgelassenen Papieren, T. 2, Bd. 3, Wien 1882, S. 509. 38 Siehe unten S. 143. Schreiben du Thils an den preußischen Außenminister Heinrich Freiherr von Werther, Darmstadt, 12. März 1839, Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, III. HA, MdA – Ministerium des Äußeren II, Nr. 2559 (unfoliiert). 39 Siehe unten S. 147. – Der Begriff der »materiellen Interessen« erlangte seit 1850 eine weite Verbreitung in den Debatten über eine Reform des Bundes. Auf der Dresdener Konferenz wurde eine eigene Kommission damit beauftragt, über »Einrichtungen zur gemeinsamen Förderung der materiellen Interessen« zu beraten; vgl. QGDB, Abt. III: Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes 1850–1866, Bd. 1: Die Dresdener Konferenz und die Wiederherstellung des Deutschen Bundes 1850/51, bearb. v. Jürgen Müller, München 1996, S.  63. In der Folge wurde die ökonomische Entwicklung immer wieder als wichtiges Element der nationalen Integration benannt, so z. B. in einer bayerischen Denkschrift über die deutschen Zollund Handelsverhältnisse vom 31. Dezember 1850: »Das politische Selbstgefühl des deutschen Staatenbundes geht Hand in Hand mit der Entwicklung der Volkswirthschaft, und die nur in der nationalen Gesammtheit zu vollem Aufschwung gelangenden materiellen Interessen sind es, welche ein unauflösliches Band unter den verschiedenen deutschen Staaten zu knüpfen vermögen.« Ebd., S. 95.

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Rolle im Prozess der inneren Nationsbildung in Deutschland.40 Wie Kunst- und Kulturpolitik eingesetzt wurde, um in den Einzelstaaten die Identifikation der Gesellschaft mit der politischen Herrschaftsordnung und die Loyalität zur Monarchie zu fördern, ist in etlichen Studien untersucht worden.41 Auf der nationalen Ebene sind insbesondere die oppositionellen Initiativen im Hinblick auf die nationale Festkultur und die gesamtdeutsche Vereinsbewegung (Turner, Sänger, Schützen) breit erforscht worden.42 Dagegen haben die Versuche, den Deutschen Bund als Förderer und Promotor der kulturellen Gemeinsamkeit Deutschlands zu profilieren, in der Forschung bislang vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit gefunden. Zwar ist bekannt, dass die Bundesversammlung einige nationalkulturelle »Leuchtturmprojekte« finanziell unterstützte beziehungsweise deren Subventionierung durch die Einzelstaaten koordinierte. Dies betraf im Vormärz die 1819 vom Freiherrn vom Stein gegründete »Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde«, aus der die Monumenta Germaniae 40 Als knapper Überblick siehe Dieter Langewiesche: Kulturelle Nationsbildung im Deutschland des 19. Jahrhunderts, in: Ders.: Nation, Nationalismus, Nationalstaat (wie Anm. 12), S. 82– 102; eine Fallstudie bietet Ders.: Die schwäbische Sängerbewegung in der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts – ein Beitrag zur kulturellen Nationsbildung, in: ebd., S.  132–169. Knapper Überblick zur kulturellen Nationalisierung in den 1840er Jahren bei: Jürgen Müller: Der Deutsche Bund 1815–1866, München 2006, S.  24–27 (= Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 78). 41 Z. B. für Bayern: Hannelore Putz: Für Königtum und Kunst. Die Kunstförderung König Ludwigs I. von Bayern, München 2013; Manfred Hanisch: Für Fürst und Vaterland. Legitimitätsstiftung in Bayern zwischen Revolution 1848 und deutscher Einheit, München 1991; Abigail Green: Fatherlands. State-Building and Nationhood in Nineteenth-Century Germany, Cambridge 2001; Katharina Weigand: Der gelehrte Monarch und die Kulturpolitik. Johann von Sachsen und Maximilian II. von Bayern im Vergleich, in: Winfried Müller/Martina Schattkowsky (Hg.): Zwischen Tradition und Modernität. König Johann von Sachsen 1801–1873, Leipzig 2004, S. 189–202. – Der Erforschung des Verhältnisses von Staatsbildung, Kultur und Zivilgesellschaft im 19. und frühen 20. Jahrhundert in Preußen widmet sich ein großangelegtes Projekt der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, siehe: http://www. bbaw.de/forschung/pak/uebersicht; in der Reihe der Acta Borussica sind dazu inzwischen zahlreiche Quellenbände erschienen. Wolfgang Neugebauer und Bärbel Holtz haben zu dem Thema zahlreiche Studien vorgelegt. Siehe auch: Gisela Mettele/Andreas Schulz (Hg.): Preußen als Kulturstaat im 19. Jahrhundert, Paderborn 2015 (= Otto-von-Bismarck-Stiftung, Wissenschaftliche Reihe, Bd. 20). 42 Pionierarbeit leistete der Sammelband von Dieter Düding/Peter Friedemann/Paul Münch (Hg.): Öffentliche Festkultur. Politische Feste in Deutschland von der Aufklärung bis zum 1. Weltkrieg, Reinbek 1988; ferner Dieter Düding: Organisierter gesellschaftlicher Nationalismus in Deutschland (1808–1847). Bedeutung und Funktion der Turner- und Sängervereine für die deutsche Nationalbewegung, München 1984; aus der Fülle der einschlägigen Studien sei hier nur verwiesen auf Otto Dann (Hg.): Vereinswesen und bürgerliche Gesellschaft in Deutschland, München 1984 (= Historische Zeitschrift, Beiheft 9); Dietmar Klenke: Der singende »deutsche Mann« – Gesangvereine und deutsches Nationalbewußtsein von Napoleon bis Hitler, Münster 1998. Einen knappen Forschungsabriss liefert Andreas Fahrmeir: Europa zwischen Restauration, Reform und Revolution 1815–1850, München 2012, S. 76–79, 150–155 (Oldenbourg Grundriss der Geschichte, Bd. 41).



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Historica hervorging, die heute noch eine der wichtigsten und renommiertesten geisteswissenschaftlichen Forschungseinrichtungen in Deutschland darstellt.43 Schon am 12. August 1819 beschloss die Bundesversammlung, »dieses für die vaterländische Geschichte wichtige Unternehmen« der Unterstützung durch die deutschen Regierungen zu empfehlen.44 In der Folge wurde dieses »Deutsche Nationalwerk«45 durch jährliche Beiträge der Einzelstaaten finanziert, die in die Bundeskasse eingezahlt und von dieser weitergeleitet wurden. Im Jahr 1844 wurde dann ein eigener Bundesfonds für die Gesellschaft eingerichtet, der beim Bankhaus Rothschild in Frankfurt verzinslich angelegt wurde.46 In ähnlicher Weise unterstützte der Deutsche Bund in den 1850er Jahren das auf Anregung der »Versammlung deutscher Geschichts- und Alterthumsforscher« gegründete »Germanische Nationalmuseum« in Nürnberg.47 Ein anderes kulturnationales Projekt, das auf eine wesentlich breitere öffentliche Resonanz ausgerichtet war als die zuvor genannten wissenschaftlichen und musealen Unternehmen, war der Plan zur Gründung eines deutschen Nationalmuseums im Weimarer Goethehaus. Die Geschichte dieses letztlich gescheiterten Projekts, bei dem der Deutsche Bund eine sehr aktive Rolle spielte, ist in jüngster Zeit in einem Göttinger Forschungsprojekt aufgearbeitet worden.48 Paul Kahl führt in seinem Beitrag aus, wie in den Jahren 1842/43 die deutsche Bundesversammlung – auf Initiative des Königs von Preußen – den Beschluss fasste, Goethes ehemaliges Wohnhaus in Weimar anzukaufen und es zu einem Nationalmuseum zu machen. Anlass waren die in der Öffentlichkeit immer lauter werdenden Forderungen, das Gebäude, in dem der Dichter jahrzehntelang gewohnt und gearbeitet hatte, als ein Denkmal der deutschen Kulturnation allgemein 43 Harry Bresslau: Geschichte der Monumenta Germaniae historica, Hannover 1921, Nachdruck Hannover 1976; Herbert Grundmann: Monumenta Germaniae Historica 1819–1969, München 1969. 44 Protokolle der Deutschen Bundesversammlung 1819, 29. Sitzung v. 12.8.1819, § 185. 45 Vortrag der Reklamationskommission über die Leistungen der Gesellschaft, in: Protokolle der Deutschen Bundesversammlung 1824, 29. Sitzung v. 4.12.1824, § 598. 46 Protokolle der Deutschen Bundesversammlung 1844, Sitzung v. 16.8.1844, § 258, S.  791 f.; Protokolle der Deutschen Bundesversammlung 1845, Sitzung v. 23.1.1845, § 36. 47 Bernward Deneke/Rainer Kahsnitz (Hg.): Das Germanische Nationalmuseum, Nürnberg 1852–1977. Beiträge zu seiner Geschichte, München/Berlin 1978; Georg Ulrich Großmann (Hg.): Das Germanische Nationalmuseum. Gründung und Frühzeit, Nürnberg 2002 (= Begleitheft zur gleichnamigen Ausstellung vom 14. Februar bis 24. November 2002). Zu Nationalkultur und Nationsvorstellungen siehe jüngst Andreas Fahrmeir: Die Deutschen und ihre Nation. Geschichte einer Idee, Ditzingen 2017, S. 70–82. 48 Aus dem DFG-Projekt »Kulturgeschichte des Dichterhauses« sind u. a. folgende Publikationen hervorgegangen: Paul Kahl/Hendrik Kalvelage (Hg.): Das Goethe-Nationalmuseum in Weimar, Bd. 1: Das Goethehaus im 19. Jahrhundert. Dokumente, Göttingen 2015; Paul Kahl (Hg.): Das Goethe-Nationalmuseum in Weimar, Bd. 2: Goethehaus und Goethe-Museum im 20. Jahrhundert. Dokumente, erscheint Göttingen 2018. Eine ausführliche Monographie hat ebenfalls Paul Kahl vorgelegt: Die Erfindung des Dichterhauses. Das Goethe-Nationalmuseum in Weimar. Eine Kulturgeschichte, Göttingen 2015.

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zugänglich zu machen und eine Zerschlagung und den Verkauf der umfangreichen Sammlungen Goethes ins Ausland zu verhindern. Die anvisierte Nationalstiftung war, so Kahl, »ein kulturpolitisches Anliegen von nationalem Rang, das seinesgleichen sucht, nämlich […] die Gründung eines ›Deutschen Museums‹, also eines Hauses, das ›Nationaleigentum‹ werden und eine repräsentative Aufgabe für Deutschland insgesamt einnehmen soll«.49 Tatsächlich verständigten sich die Monarchen beziehungsweise Regierungen der drei größten Staaten im Deutschen Bund – Österreich, Preußen und Bayern – darauf, das Unternehmen zu fördern und es dem Deutschen Bund zur Ausführung zu übergeben, »damit es ein wahrhaft nationales werde«.50 Die Bundesversammlung leitete daraufhin Verhandlungen mit den Erben Goethes über den Ankauf des Hauses ein, die aber trotz eines mehrfach erhöhten Kaufangebots nicht zum Erfolg führten. Letztlich weigerten sich die Enkel des Dichters, dem Verkauf zuzustimmen, so dass die Verhandlungen 1844 abgebrochen wurden. Wäre der Ankauf durch den Bund gelungen und das Goethehaus in ein Nationalmuseum umgewandelt worden, so hätte dies ein wichtiges kulturpolitisches Zeichen gesetzt. Ein solches Nationalmuseum unter der Trägerschaft einer vom Deutschen Bund finanzierten Stiftung hätte eine erhebliche Ausstrahlung im sich während der 1840er Jahre stark entwickelnden nationalen Resonanzraum gehabt. Die Befürworter des Projekts, so Paul Kahl, »haben damit erstmals föderative Kulturpolitik gegen die Kleinstaaterei gestellt«.51 Einen benachbarten Politikbereich untersucht Andreas Hofmann in seinem Beitrag über die zwischenstaatliche Wissenschaftskommunikation und Wissenschaftspolitik im Deutschen Bund von 1815 bis 1848. Er greift dabei zurück auf seine 2014 vorgelegte Dissertation über die deutsche Universitätspolitik im Vormärz, in der er unter anderem die intensive Tätigkeit der Universitätskommissionen des Deutschen Bundes untersucht hat.52 Hofmann identifiziert die Universitäten als »Träger wissenschaftskommunikativen Handelns«.53 Er nimmt die Ebenen, Ziele und Akteure von Wissenschaftskommunikation und Wissenschaftspolitik in den Blick und rückt dabei wenig bekannte Institutionen und Mechanismen in den Fokus: so den »Akademischen Austauschverein«, der 1817/18 gegründet wurde und an dem sich in den 1820er Jahren bereits 26 deutsche Universitäten beteiligten, die auf diesem Wege über die Grenzen der Einzelstaaten hinweg kooperierten mit dem Ziel, durch den gegenseitigen Austausch von akademischen Schriften deren Verbreitung im gesamten Bundesgebiet zu fördern; oder die Universitätskartelle, an denen sich schließlich sämtliche deut49 50 51 52

Siehe unten S. 155. Siehe unten S. 160. Siehe unten S. 166. Andreas C. Hofmann: Deutsche Universitätspolitik im Vormärz zwischen Zentralismus, »Transstaatlichkeit« und »Eigenstaatlichkeitsideologien« (1815/19–1848), München 2014, verfügbar als elektronische Ressource unter: https://edoc.ub.uni-muenchen.de/19647/; eine Buchpublikation ist in Vorbereitung. 53 Siehe unten S. 168.



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schen Universitäten (außer den österreichischen) beteiligten und die eine direkte, nicht über politische Behörden oder diplomatische Kanäle laufende Kommunikation der Universitäten ermöglichten. Ferner verweist Hofmann auf die Akademien als Foren des wissenschaftlichen Austausches über die Landesgrenzen hinweg. Ihre zwischenstaatlichen Verknüpfungen und Kontakte harren noch einer detaillierten Untersuchung. Und schließlich trat auch die deutsche Bundesversammlung selbst als Koordinator zwischenstaatlicher Universitätspolitik in Erscheinung, indem sie 1818 und 1831 sogenannte »Universitätskommissionen« einsetzte, deren Aufgabenbereich die Verbesserung des Universitätswesens sein sollte, worunter allerdings in erster Linie die Homogenisierung der staatlichen Überwachung verstanden wurde. Hierzu trugen auch die im September 1819 zu Bundesbeschlüssen erhobenen »Karlsbader Beschlüsse« mit ihren Bestimmungen zur Überwachung der Universitäten bei. Auf dieser Grundlage wurden an den einzelnen Universitäten Regierungsbevollmächtigte ernannt, die bis 1848 amtierten und die Studierenden überwachten. Ebenfalls eine reaktionäre bzw. repressive Stoßrichtung hatten die auf der Wiener Ministerialkonferenz von 1834 geführten Verhandlungen über »zweckmäßige Reformen« im Universitätswesen. Deren Ergebnisse gingen ein in die berüchtigten »Sechzig Artikel« und wurden damit zu (vorerst noch geheimem) Bundesrecht erhoben. Zwar blieb die Universitätspolitik letztlich in der Verantwortung der deutschen Einzelstaaten, eine »nationale Universitätspolitik« gab es im Deutschen Bund nicht. Aber die auf dem Weg der korporativen Organisationen (Vereine und Kartelle) sowie durch zwischenstaatliche Bevollmächtigte betriebene Kommunikation über universitäre Angelegenheiten hatte nationale Dimensionen. * In den beiden letzten Beiträgen des Bandes wird die Perspektive über die bisher vorzugsweise in den Blick genommene, scheinbar unüberwindliche Dichotomie von Deutschem Bund und bundesstaatlich verfasster Nation erweitert. Diese Betrachtungsweise, die den Bund, wie oben bereits erwähnt, als »Negation des nationalstaatlichen Gedankens« (Ernst Rudolf Huber) bewertet, hat die Revolution von 1848 konsequenterweise als radikalen Bruch mit der staatenbündischen Ordnung interpretiert.54 In der Tat hat die Bundesversammlung im Juli 1848 faktisch ihre Selbstauflösung beschlossen, indem sie »ihre bisherige Tätigkeit« für beendet erklärte55 und damit das Ende des Staatenbundes und seine Ersetzung durch einen nationalen Bundesstaat mit einer liberalen Verfassung und parlamentarischer Partizipation akzeptierte. Zuvor hatte es von der Bundesversamm54 Zur Revolution von 1848 siehe als knappe Überblicke: Wolfram Siemann: Die deutsche Revolution von 1848/49, Frankfurt am Main 1985; Dieter Hein: Die Revolution von 1848/49, München 1998. 55 Protokolle der Deutschen Bundesversammlung 1848, Sitzung vom 12.7.1848, S. 756; Druck in: Ernst Rudolf Huber (Hg.): Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, Stuttgart 1978, S. 341 f.

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lung selbst und von einzelstaatlichen Regierungen den Versuch gegeben, auf den revolutionären Umbruch mit einer Revision der Bundesverfassung »auf wahrhaft zeitgemäßer und nationaler Grundlage« zu reagieren.56 Wenn auch diese Bemühungen, den Bund zum »gesetzlichen Organ der nationalen und politischen Einheit Deutschlands« zu machen, wie es in einem öffentlichen Aufruf der Bundesversammlung vom 1. März 1848 formuliert wurde57, unter den Bedingungen der Revolution keine Aussicht auf Erfolg hatten, so zeigen doch die intensiven Diskussionen, die im Jahr 1848/49 über die nationale Verfassung Deutschlands geführt wurden, dass der Gegensatz von Staatenbund und Bundesstaat keineswegs so absolut gedacht wurde, wie man es bei oberflächlicher Betrachtungsweise vermuten könnte. Wie sehr die staatsrechtlichen Begriffe und damit auch die verfassungsrechtlichen Konzeptionen 1848/49 zwischen staatenbündischen und bundesstaatlichen Elementen oszillierten, verfolgt der Beitrag von Mark Hewitson. Der Autor betrachtet die in den verschiedenen politischen Strömungen – Demokraten, Konservative, Liberale – diskutierten föderativen Konzepte und stößt dabei auf eine Vielzahl von Begriffen, mit denen versucht wurde, die Pluralität der deutschen Staatenlandschaft in einer neuen, den Deutschen Bund hinter sich lassenden politischen Ordnung einzufassen. Die Alternativbegriffe waren dabei weniger Staatenbund und Bundesstaat, sondern vielmehr Bundesstaat versus »Bundesreich« beziehungsweise Einheitsstaat versus »Staatenreich«. Der Anspruch war dabei offenkundig, bei der neuen Gestaltung über einen lockeren Staatenbund, wie er von 1815 bis 1848 existiert hatte, weit hinauszugehen, weil ein derartiger Bund dem Bedürfnis nach nationaler Einheit(lichkeit) nicht entsprach. Auf der anderen Seite wünschten sich viele eine politische Ordnung, die nicht als zentralisierter Bundes- oder gar Einheitsstaat organisiert war, weil dies die föderativen Traditionen und damit die einzelstaatlichen Macht- und Gestaltungsansprüche missachtet hätte. Somit gewann der Begriff des »Reiches« eine besondere Bedeutung, denn damit wurde nicht nur verbal, sondern auch konzeptionell an die mittelalterlichfrühmoderne Form politischer Organisation angeknüpft. Die Kategorie »Reich« war nicht deckungsgleich mit der Kategorie »Nation«, sie ließ vielmehr Spielraum für eine innere Differenzierung und Abstufung der Herrschaftsebenen im angestrebten neuen Nationalstaat. Am stärksten war die Tendenz zu einer unitarischen Regierungsweise nach französischem Muster bei den radikalen Demokraten ausgebildet, doch auch im demokratischen Lager blieben diejenigen in der Mehrheit, die »bloß den consti56 Beschluss der Bundesversammlung vom 8. März 1848, in: Protokolle der Deutschen Bundesversammlung 1848, S. 231, Druck in: Hans Fenske (Hg.): Quellen zur deutschen Revolution 1848–1849, Darmstadt 1996, S.  62 (= Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte der Neuzeit, Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe, Bd. 24). Siehe zur Bundespolitik in den ersten Revolutionsmonaten Müller, Deutscher Bund und deutsche Nation (wie Anm. 17), S. 41– 52. 57 Zitiert nach ebd., S. 41.



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tutionellen Bundesstaat« anstrebten und ausdrücklich nicht den »constitutionellen Einheitsstaat«.58 Auf der entgegengesetzten Seite des politischen Spektrums sprachen sich die Konservativen entschieden gegen eine zu starke Zentralgewalt im zu gründenden Reich aus. Die Auffassung, dass die Autonomie der Einzelstaaten auf keinen Fall über das unbedingt notwendige Maß hinaus eingeschränkt werden dürfe, führte zu einer großen Skepsis gegenüber den Begriffen des Bundesstaats und vor allem gegen den Einheitsstaat. Wenn schon ein Bundesstaat sein müsse, argumentierte man, so könne dieser doch durchaus an staatenbündische Formen anknüpfen. Diese Auffassung kam etwa in einem Artikel in der Neuen Preußischen Zeitung vom März 1849 zum Ausdruck, der die offenkundig zu bejahende Frage stellte: »Aber kann denn nicht eben so gut der Bundesstaat als eine Form und Entwickelung des Staatenbundes aufgefaßt werden? Sind in dieser über Nacht erwachsenen Terminologie nicht lauter noch ganz liquide Begriffe enthalten?«59 Die Liberalen setzten sich entschieden für einen Bundesstaat ein und kritisierten, dass die Einzelstaaten versuchten, sich zu starke föderative Rechte zu sichern. Doch auch bei ihnen gab es Meinungsverschiedenheiten über die Natur und Auswirkungen des bundesstaatlichen Prinzips. Manche strebten einen deutlich höheren Grad an Zentralisation an als im bisherigen Staatenbund, andere wiederum – wie Georg Gottfried Gervinus oder Johann Caspar Bluntschli – sprachen statt vom Bundesstaat lieber von einem »Bundesreich« oder einem »Staatenreich«, um die gleichermaßen geteilte und geeinte Natur (Gervinus) des föderativen Staates, der schließlich 1849 kurzzeitig ins Leben trat, zu erfassen.60 Zwar wollte niemand eine Wiederbelebung des Deutschen Bundes, doch zeigt nach Auffassung von Mark Hewitson die 1848/49 geführte intensive Debatte über föderative Strukturen, »dass der Deutsche Bund für manche politisch umstrittenen Fragen durchaus Antworten bereithalten konnte: dazu gehörten die einzelstaatlichen Identitäten, das Verhältnis zwischen Preußen und den übrigen Staaten, die Notwendigkeit von konstitutionellen ›checks and balances‹ sowie die Rolle der Exekutive, der Legislative und des Staatsoberhaupts.«61 Im abschließenden Beitrag weitet Andreas Fahrmeir die Perspektive über den deutschen und europäischen Rahmen hinaus aus und skizziert wichtige Bedingungsfaktoren und Entwicklungspfade der inneren Nationsbildung im 19. Jahr58 Siehe unten S. 189. 59 »Preußen, Oesterreich, Frankfurt und die deutsche Frage«, Beilage zu Nr. 52 der Neuen Preußischen Zeitung, 3. März 1849; siehe unten S. 192. 60 Siehe unten S. 200. Vgl. dazu auch Thomas Nipperdey: Der Föderalismus in der deutschen Geschichte, in: Ders.: Nachdenken über die deutsche Geschichte. Essays, München 1986, S. 71–109, hier S. 89. Die Formulierung »getheilte und geeinte Natur des föderativen Staates« stammt aus einem Artikel von Gervinus in der Deutschen Zeitung Nr. 125 vom 5. Mai 1848, S. 993 f. Zur nationalpolitischen Diskussion in der Deutschen Zeitung siehe Ulrike von Hirschhausen: Liberalismus und Nation. Die Deutsche Zeitung 1847–1850, Düsseldorf 1998 (= Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Bd. 115). 61 Siehe unten S. 205.

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hundert im internationalen Vergleich. Er geht aus von der Feststellung, dass der Deutsche Bund letztlich kein Modell einer »nationalen« Integration entwickeln konnte, »das in der Lage gewesen wäre, gegen einen deutschen Nationalstaat zu konkurrieren«62 – man könnte hinzufügen, dass der Bund selbst der bloßen Projektion eines solchen Nationalstaats, wie sie seit 1815 von liberalen, demokratischen und nationalen Kräften entwickelt wurde, keine »wettbewerbsfähige« Alternativkonzeption in Gestalt einer nicht bundesstaatlich organisierten Föderativordnung, die gleichwohl einen nationalen Anspruch hatte, entgegensetzen konnte. Dies war indessen, so argumentiert Fahrmeir, keineswegs ein spezifisch deutsches Problem, wie vielfach angenommen wurde. Er verweist auf eine ganze Reihe von Herrschaftskonstellationen in Europa und in Übersee, in denen sich strukturell ähnliche Probleme bei dem Versuch ergaben, das Spannungsverhältnis von (einzel-)staatlicher Pluralität und föderalistischer Ordnung auszutarieren. Konkret lässt sich dies an den nationalen Integrationsprozessen in Italien und in den USA beobachten, die ja ebenso in militärischen Konflikten kulminierten wie die »deutsche Frage«, und das überdies noch in bemerkenswerter zeitlicher Parallelität. Mit Blick auf diese und andere Nationsbildungen fragt Andreas Fahrmeir danach, was nationale Integration unter den Bedingungen des 19. Jahrhunderts bedeutete, welche Besonderheiten der Deutsche Bund vor diesem Hintergrund aufwies und welche Parallelen und Unterschiede in anderen politischen Kontexten festzustellen sind. Das Problem der »nationalen« Integration, die sich in der politischen Praxis vielfach als administrative, rechtliche und ökonomische Homogenisierung in Staaten oder Staatsverbänden (»composite states«) materialisierte, stellte sich keineswegs nur im Deutschen Bund, sondern trat im 19. Jahrhundert im Prinzip in allen Herrschaftskonstellationen auf. Allerdings warf im Deutschen Bund die nationale Integrationsfrage komplexere Fragen auf als in den westeuropäischen Proto-Nationalstaaten oder in den USA, weil sie mehrere Herrschaftsebenen betraf. Hier konkurrierten die Interessen von bis zu 38 Einzelstaaten miteinander, von denen ja viele selbst erhebliche Integrations- und Homogenisierungsanstrengungen im eigenen Staatsgebiet unternahmen, wobei sie nicht auf allgemeine Normen von Seiten des Deutschen Bundes warten wollten und konnten. Hinzu kam der machtpolitische Wettbewerb zwischen den großen Reichen Österreich und Preußen, die nicht mit allen Landesteilen dem Bund angehörten und in deren Politik sich von daher unweigerlich föderative und imperiale Ziele – oder Bundesinteressen und Reichsinteressen – ergaben, die keineswegs immer deckungsgleich waren. Und schließlich gab es das ungelöste Problem der Legitimierung einer »nationalen« Politik: Sollte diese – wie bislang alle Herrschaftsausübung – auf dem monarchischen Prinzip basieren oder, wie von der liberalen Bewegung immer drängender verlangt, auf einer breiteren gesellschaftlichen Partizipation aufbauen?

62 Siehe unten S. 207.



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Alle diese ungelösten Fragen bzw. konfliktträchtigen Widersprüche verweisen darauf, dass nationale Integration im Deutschen Bund »ein hochgradig kontroverses Projekt war, das gegen teils erhebliche Widerstände von Gemeinden (oder anderen lokalen Formen der Herrschaftsorganisation) und ›alten Eliten‹ durchgesetzt werden musste und lange prekär blieb«.63 Dass dies auch in anderen (gerade entstehenden oder schon länger bestehenden) Staaten und Konföderationen in durchaus ähnlicher Weise der Fall war, zeigt der Vergleich mit Italien, dem Vereinigten Königreich, den USA und Kanada. Der Deutsche Bund stellte also keinen Ausnahmefall dar, und deshalb führt eine Perspektive, die sein »Versagen« im Hinblick auf die »nationale Frage« thematisiert und daraus seine historische Obsoletheit und den letztlich verdienten Untergang ableitet, nicht weiter. »Das zentrale Problem des Bundes«, so das Resümee von Andreas Fahrmeir, wäre demnach »weniger die ›nationale Integration‹, die der Bund nicht leisten konnte (und auch nicht unbedingt leisten sollte), sondern die Frage nach dem Umgang mit den Spannungen, die sich aus dem ergaben, was man früher schlicht Modernisierung genannt hätte.«64 * Versucht man ein kurzes Fazit der in diesem Band versammelten Beiträge zu ziehen, so scheinen mir besonders die folgenden Aspekte Anhaltspunkte für weitere Forschungen zu geben: 1. Die innere Politik des Deutschen Bundes im Vormärz ist von der bisherigen Forschung nur fragmentarisch untersucht worden. Insbesondere bedarf die vielfältige und ausgedehnte Tätigkeit seiner Kommissionen und Ausschüsse umfassender Erforschung, um die politischen Absichten »des Bundes« beziehungsweise der in ihm verbundenen deutschen Staaten, die Erwartungen der deutschen Bevölkerung und gesellschaftlicher Interessengruppen sowie die komplexen Aushandlungsprozesse zwischen den verschiedenen politischen wie gesellschaftlichen Ebenen zu erfassen. 2. Die innere Nationsbildung war kein Prozess, gegen den sich der Deutsche Bund und seine Organe grundsätzlich sträubten. Vielmehr kamen bereits in der Frühzeit des Bundes und in der Folge immer wieder bis zu seinem Ende 1866 Anstöße von Seiten einzelner Regierungen und Monarchen wie auch aus der Gesellschaft und von der politischen Opposition mit dem Ziel, über die Bundesversammlung als föderativer Vertretung der deutschen Staaten Maßnahmen zur Vereinheitlichung und Harmonisierung verschiedenster Gegenstände wirtschaftlicher, kultureller, technischer und rechtlicher Art zu erwirken. Wie mit diesen Anregungen in der bundespolitischen Praxis umgegangen wurde, welche Erfolge erzielt wurden, welche Misserfolge sich einstellten, sollte eingehender als bisher geschehen untersucht werden – dazu liegen viele noch nicht systematisch ausgewertete Quellen vor. 63 Siehe unten S. 217. 64 Siehe unten S. 224.

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3. Der Deutsche Bund kann nicht mehr als entwicklungsunfähiges Gegenmodell zum Nationalstaat eingestuft werden. Er bildete keine prinzipielle Antithese zu dem, was sich immer größere Teile der politisch interessierten Gesellschaft unter einer »modernen« Nation vorstellten – wobei die Konzeptionen, wie diese Nation staatlich zu organisieren wäre, auch 1848/49 teilweise erheblich divergierten –, sondern der Deutsche Bund war vielmehr eingebunden in ein komplexes Geflecht einzelstaatlicher Interessen, föderativer Intentionen, gesellschaftlicher Erwartungen und den sich auf mehreren Ebenen vollziehenden Modernisierungsprozessen, die sich teilweise in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht nur in Deutschland erheblich beschleunigten, so vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet. 4. Alle diese Prozesse und Entwicklungen oder auch nur bloße Entwicklungserwartungen waren verwoben mit der Frage der nationalen »Identität«, die sich seit der »Erfindung« des modernen Nationsbegriffs65 keinesfalls nur in Deutschland stellte, sondern sich – zumindest in Europa und auf dem amerikanischen Kontinent – zu einem der drängendsten Probleme entwickelte, mit denen sich die bestehenden Herrschaftsordnungen gleich welcher Art auseinandersetzen mussten. Die Frage, was die jeweils eigene Nation sein könne oder müsse, wie sie politisch verfasst, wirtschaftlich organisiert und kulturell legitimiert sein solle, diese Frage stellte sich in großen multiethnischen Reichen ebenso wie in föderativen Verbünden einer Reihe von Staaten und in den Einzelstaaten, ob groß, mittelgroß oder klein. Die Herausforderungen, die diese Frage an den Deutschen Bund stellte, waren mithin nichts Besonderes, sondern die politische Normalität im Jahrhundert des »nation building«.

65 Einschlägig dazu Benedict Anderson: Imagined Communities. Reflections on the Origin and Spread of Nationalism, London 1983, deutsche Ausgabe: Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts, Frankfurt am Main 1988; Eric Hobsbawm/Terence Ranger (Hg.): The Invention of Tradition, Cambridge 1992; Helmut Berding (Hg.): Nationales Bewußtsein und kollektive Identität, Frankfurt am Main 1994; Dieter Langewiesche: Was heißt ›Erfindung der Nation‹? Nationalgeschichte als Artefakt – oder Geschichtsdeutung als Machtkampf, in: Historische Zeitschrift 277 (2003), S. 593–617.

Reinhard Stauber

Der Deutsche Bund als föderative Ordnung in der Mitte Europas Möglichkeiten und Chancen aus der Perspektive von 1814/15

Mit dem Zusammenbruch des Grand Empire und Napoleons Rückzug nach Frankreich Ende des Jahres 1813 stellte sich, »im Schwebezustand des Unentschiedenen«, die Frage nach der künftigen staatlichen Gestaltung Mitteleuropas. Die martialische Lyrik der ›Befreiungskriege‹ und die nationale Rhetorik des Aufrufs von Kalisch – »eher […] Glaubensbekenntnisse als anwendbare politische Programme«1 – übten scharfe Kritik am in Auflösung befindlichen Rheinbund und proklamierten die »Wiedergeburt eines ehrwürdigen Reiches«. Ihr spiritus rector war Karl vom und zum Stein, der, nach seiner Flucht aus Preußen 1808 in Diensten des Zaren stehend, die provisorische Verwaltung eines Teils der rückeroberten Gebiete übernommen hatte.2 Gegenüber diesen »Wortführer[n] der Politik einer faktischen Restauration« setzte sich der leitende Minister der Habsburgermonarchie, Klemens Wenzel von Metternich, seit dem Herbst 1813 für eine Politik ein, die von der »weitestgehenden Anerkennung des territorialen, aber auch des innenpolitischen Status quo ausging«.3 Dazu gehörte vor allem die weitere Existenz fast aller souveränen Einzelstaaten, so wie sie im Jahr 1805 bestanden hatten. Schon im eigentlichen Gründungsdokument der Vierer-Allianz, den Teplitzer Verträgen vom September 1813, war »l’indépendance entière & absolue des Etats intermédiaires« deutlich verankert.4 Dieser Befund zieht sich weiter über die Beitrittsverträge der

1 Zitate bei Wolfram Siemann: Metternich. Stratege und Visionär. Eine Biografie, München 2016, S. 489, 493. 2 Zitat aus der Proklamation von Kalisch nach Ernst Rudolf Huber (Hg.): Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803–1850, Stuttgart/ Berlin/Köln 31978, Nr. 28, S. 81; vgl. Heinz Duchhardt: Stein. Eine Biographie, Münster 2007, S. 292–307. 3 Lothar Gall: Wilhelm von Humboldt. Ein Preuße von Welt, Berlin 2011, S. 266. Vgl. Siemann, Metternich (wie Anm. 1), S. 427, 451, 516–518; Eberhard Weis: Der Durchbruch des Bürgertums 1776–1847, Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1983, S. 350 (= Propyläen-Geschichte Europas, Bd. 4). 4 Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes [künftig: QGDB]. Für die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften hg. v. Lothar Gall, Abt. I: Quellen zur Entstehung und Frühgeschichte des Deutschen Bundes 1813–1830, Bd. 1: Die Entstehung des Deutschen Bundes 1813–1815, bearb. v. Eckhardt Treichel, München 2000, Nr. 5, S. 34. –

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süddeutschen Mittelmächte und Kleinstaaten (Oktober/November 1813) und die formelle Gründung der Quadrupelallianz Anfang März 1814 bis zur lapidaren Formulierung des Artikels 6 des Ersten Friedens von Paris vom 30. Mai 1814: »Les Etats de l’Allemagne seront indépendans et unis par un lien fédératif.«5 In Bayern hatte sich der Übergang vom Bündnis mit Napoleon auf die Seite seiner Gegner unter geradezu dramatischen Umständen und größten Bedenken des Königs vollzogen.6 Im Vertrag von Ried (8. Oktober 1813) garantierte Metternich dem Königreich als Preis für den Frontwechsel vollständige Souveränität (»la souveraineté pleine et entière«), staatsrechtliche Unabhängigkeit (»l’indépendance entière et absolue«) und den aktuellen territorialen Besitzstand.7 Die souveräne staatsrechtliche Stellung des Kurfürstentums und (ab 1806) Königreichs, wie sie bereits die Rheinbundakte garantiert hatte8, war Dreh- und Angelpunkt der Außenpolitik, die Minister Maximilian Joseph von Montgelas von 1799 bis 1817 führte.9 Für Stein bedeutete Ried ein »Hindernis der Einheit in Deutschland«.10 Metternich dagegen ging es in der Situation des Spätjahrs 1813 um ein taktisches Signal an möglichst viele ehemalige Rheinbundstaaten, dem Beispiel Bayerns zu folgen, strategisch aber auch um die Etablierung eines erfolgversprechenden »Modell[s] für die Lösung der ›deutschen Frage‹ im neu zu ordnenden Europa«, systemisch beruhend auf der Anerkennung der in napoleonischer Zeit entstandenen Staatenordnung und »dem Prinzip respektierter Ebenbürtigkeit« zwischen

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Die Abschnitte I bis V des vorliegenden Beitrags nehmen durchgehend Bezug auf die grundlegende Einleitung des Bearbeiters Eckhardt Treichel zu diesem Band (S. XI–CXLII). Ebd., Nr. 27, S. 158. Grundlegend dazu Eberhard Weis: Montgelas, Bd. 2: Der Architekt des modernen bayerischen Staates 1799–1838, München 2005, S. 661–691. Weitere Hinweise auf Literatur bei Reinhard Stauber: Die Neuordnung Europas nördlich und südlich der Alpen. Bayern, Österreich und die italienischen Staaten 1814–1816, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 78 (2015), S. 481–512, 495–497. Hanns Hubert Hofmann (Hg.): Quellen zum Verfassungsorganismus des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation 1495–1815, Darmstadt 1976, Nr. 73, S. 402 (= Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte der Neuzeit, Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe, Bd. 13). In Artikel 4 als »la plénitude de la souveraineté«, enumeriert in Artikel 26: »Les droits de souveraineté sont ceux de législation, de jurisdiction suprême, de haute police, de conscription militaire ou de recrutement et d’impôt«; Huber (Hg.), Dokumente (wie Anm. 2), Nr. 2, S. 29, 32. Vgl. Michael Kotulla: Deutsche Verfassungsgeschichte. Vom Alten Reich bis Weimar (1495–1934), Berlin/Heidelberg 2008, S. 290 f. Dies ist Thema der materialreichen Studie von Wolfgang Quint: Souveränitätsbegriff und Souveränitätspolitik in Bayern. Von der Mitte des 17. bis zur ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Berlin 1971, zum hier interessierenden Zeitabschnitt vor allem S. 275–400 (= Schriften zur Verfassungsgeschichte, Bd. 15). Siehe auch Karl Otmar von Aretin: Bayerns Weg zum souveränen Staat. Landstände und konstitutionelle Monarchie 1714–1818, München 1976, S.  120– 142. QGDB, Abt. I, Bd. 1 (wie Anm. 4), Nr. 14, S. 91.



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diesen Staaten.11 Während der letzten Verhandlungen mit Napoleon in Châtillon Anfang Februar 1814 hatte Metternich im Benehmen mit seinen Kollegen aus Russland, Preußen und Großbritannien jene Kombination von Staatensouveränität und Föderativprinzip politisch festgeschrieben, die für den Friedensschluss und den Wiener Kongress handlungsleitend wurde.12 Stein warf ihm Mangel an »großen Ansichten« vor und dass er, wie von ihm gewohnt, auch die deutsche Frage wieder »nur ›auf die bequemste und kürzeste Art […] einstweilen auszuflicken‹ suchen« werde.13 Doch Berechenbarkeit und Stabilität waren im gedanklichen Inventar des österreichischen Ministers politische Kategorien von höchstem Stellenwert, und »jeder Rückgang hinter die territoriale Neuordnung Napoleons hätte ein Chaos alter und neuer Ansprüche in Bewegung gesetzt«.14

I. Die Suche nach einem Modell für das deutsche Vertragssystem 1814 Unter dieser Voraussetzung, so erkannte Wilhelm von Humboldt, der preußische Gesandte am Wiener Hof, schon im Dezember 1813, sei ein deutscher Gesamtstaat mit Wiederherstellung des Kaisertums unrealistisch; als »Band für das Ganze« könne man »bloß einen Staatenverein, einen Bund«15 bilden. Damit begannen die konkreten Planungen für die Ausgestaltung des vom Friedensschluss vorgeschriebenen Vertragssystems – mit dieser Übersetzung wird man die politische Dimension von »lien fédératif« wohl am besten erfassen. Anfangs waren diese Planungen stark dominiert von der Politik Preußens, das vorerst nur mit Hannover eine politische Abstimmung suchte. Grundlage für die zahlreichen Entwürfe von Humboldt, Johann Gottfried Hoffmann und Karl August von Hardenberg aus Berlin war und blieb noch lange das Modell einer engen Abstimmung und einer daraus resultierenden Doppelhegemonie der Großmächte Österreich und Preußen im Bund, ergänzt um Mitspracherechte für Bayern und Hannover hinsichtlich der inneren Verhältnisse. Humboldt bekannte sich gegenüber Friedrich von Gentz ausdrücklich zu dieser Vierer-Hegemonie und damit zum Prinzip der Ungleichheit (einem »subtile[n] System der Mediatisierung der Fürsten mit Aus-

11 Zitate bei Siemann, Metternich (wie Anm. 1), S.  435 f.; vgl. Kotulla, Verfassungsgeschichte (wie Anm. 8), S. 295 f. 12 In einer Instruktion vom 2. Februar 1814: »l’Allemagne composée de princes souverains uni par un lien fédératif qui assure et garantisse l’indépendance de l’Allemagne«; August Fournier: Der Congress von Châtillon. Die Politik im Kriege von 1814. Eine historische Studie, Wien/ Prag 1900, S. 307; vgl. Siemann, Metternich (wie Anm. 1), S. 451 f. 13 Duchhardt, Stein (wie Anm. 2), S. 295; vgl. Siemann, Metternich (wie Anm. 1), S. 437–439. 14 Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat, München 1983, S. 87 f. 15 QGDB, Abt. I, Bd. 1 (wie Anm. 4), Nr. 12, S. 76. Vgl. ebd., S. XXXVI–XLIV, sowie Gall, Wilhelm von Humboldt (wie Anm. 3), S. 267–271.

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nahme der beiden Großmächte«) als Bedingung für ein funktionsfähiges Vertragssystem.16 Als Humboldt im April 1814 in Dijon ein großes, dreiteiliges Memorandum über die »Affaires de l’Allemagne« vorbereitete, ging er noch davon aus, dass die Großmächte sich einschalten würden, um für die geplante Verfassung (»constitution«) Deutschlands eine Reihe heikler Punkte, die sich gegen die Interessen der großen Rheinbundstaaten richten mussten, durchzusetzen.17 Humboldt dachte dabei, weitgehend in Übereinstimmung mit dem Freiherrn vom Stein, an Rahmenvorgaben für den künftigen Status der mediatisierten Fürsten, Grafen und Herren, an die Einrichtung von Landständen in jedem Mitgliedsstaat und an die Festsetzung von Grundrechten für alle deutschen Untertanen (»droits de tout sujet Allemand«). Im Gegensatz zum Fall der Schweiz mischten sich Großbritannien und Russland aber nicht in die deutschen Angelegenheiten ein und überließen Berlin und Wien dieses Feld. Wie alle Rahmenbestimmungen des Pariser Friedensvertrags wurden sie zur genaueren Regelung an den nach Wien einzuberufenden »congrès général«18 übertragen. Hardenberg, Humboldt und Metternich hofften, in einigermaßen gründlicher Verkennung der komplizierten Sachlage, über den Sommer 1814 einen konsensfähigen Vorschlag für den »acte constitutionel de la Ligue Germanique« ausarbeiten und gleich zu Kongressbeginn genehmigen lassen zu können. Metternich, noch optimistischere Zeitpläne mehrfach korrigierend, nannte seinem Kaiser den August 1814 als Zeitpunkt für die Vorlage eines zwischen Wien und Berlin abgestimmten »Plan[s] der deutschen Verfaßung« und den 1. Oktober als Beginn des Kongresses, der nach seiner Ansicht dann höchstens sechs Wochen dauern werde – »wenn der rußische Kaiser sich nicht ganz auf Abwegen verliert«.19 Humboldts Vorschläge vom April hatten erstmals einen Namen für den politischen Föderativkörper genannt, der in der Mitte Europas entstehen sollte: »Tous les Etats de l’Allemagne formeront un corps fédératif qui portera le nom de Ligue Germanique, Deutscher Bund.«20 Entscheidendes Instrument zur Umsetzung doppelhegemonialer Konzepte in den Berliner Planungen des Sommers 1814 war ein System von vier bis neun Kreisen, das das Bundesgebiet der politisch-militärischen Aufsicht der vier größten Monarchen (Österreich, Preußen, Hannover – faktisch also Großbritannien – und Bayern) unterworfen hätte. Im Sommer wurde auf Betreiben von St. Peters16 QGDB, Abt. I, Bd. 1 (wie Anm. 4), Nr. 16 (4. Januar 1814). Zur Perspektive Steins vgl. Karl Otmar von Aretin: Vom Deutschen Reich zum Deutschen Bund, Göttingen 1980, S. 160 (Zitat) (= Deutsche Geschichte, Bd. 7); Duchhardt, Stein (wie Anm. 2), S. 307–309. 17 QGDB, Abt. I, Bd. 1 (wie Anm. 4), Nr. 21–23. 18 Ebd., Nr. 27, S. 165. 19 Klaus Müller (Hg.): Quellen zur Geschichte des Wiener Kongresses 1814/15, Darmstadt 1986, Nr. 4, S. 65 (28. Juni 1814) (= Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte der Neuzeit, Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe, Bd. 23). Vgl. Enno E. Kraehe: Metternich’s German Policy, Bd. 2: The Congress of Vienna, 1814–1815, Princeton 1983, S. 59 f., 66–73. 20 QGDB, Abt. I, Bd. 1 (wie Anm. 4), Nr. 23, S. 123.



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burg noch Württemberg zu diesem exklusiven Zirkel zugelassen. Die Einrichtung und kompetenzmäßige Verschränkung von zwei zentralen Bundesgremien (Rat der Kreisobersten; Rat der Fürsten und Stände21) hätte diesen fünf Mächten die alleinige Entscheidungsgewalt gesichert. Der Grad an Staatlichkeit, den dieser Bund hätte annehmen können, hing von seiner institutionellen Ausgestaltung ab. Hier war vor allem an die Einrichtung eines obersten Bundesgerichts gedacht, das die »Rechte der Landstände und Untertanen, insbesondere der Mediatisierten« wahren sollte (so Humboldt im September 181422), außerdem an staatenübergreifende Gesetze. Die erste Fassung von Hardenbergs »41 Artikeln« stellte dazu in Artikel 39 eine recht eindrucksvolle Liste auf: »Die Bundes Versammlung soll sich bemühen nützliche Einrichtungen und Anordnungen zum Wohl des Ganzen herzustellen, als z. B. ein allgemeines Gesetzbuch, ein gleiches Münzwesen, eine zweckmässige Regulirung der Zölle, des Postwesens, Erleichterung des Handels u.s.w.«23

Ein zentraler Indikator für die mögliche Staatlichkeit des Bundes war die Stellung, die den mediatisierten Fürsten, Grafen und Herren zugedacht war, stand ihre mögliche Aufwertung doch in direktem Zusammenhang mit Beschränkungen, die den ehemaligen Rheinbundstaaten auferlegt werden sollten. Der Freiherr vom Stein, der vor allem gegenüber Bayern und seinem »undeutsch[en]« leitenden Minister Montgelas tiefes Misstrauen hegte, trieb seit langem großen rhetorischen Aufwand, um den »sultanism« der vormaligen Rheinbundfürsten zu geißeln.24 Eine bevorrechtigte Stellung der ehemals Reichsunmittelbaren gegenüber ihren neuen Landesfürsten und in ihren neuen Ländern war unstrittig; radikale Vorschläge wie jener Hardenbergs vom Juni 1814, alle Mediatisierungen seit 1803 rückgängig zu machen25, blieben aber die Ausnahme. Die Debatten drehten sich fast zwei Jahre lang vor allem um das Ob und Wie einer Vertretung der Mediatisierten in den Bundesgremien und den Schwellenwert der Bevölkerungszahl für die Vertretung per Einzel-(Viril-)Stimme; die zweite Fassung der »41 Artikel« sah dafür die recht niedrige Zahl von 50 000 Einwohnern vor (Art. 23).26 Stein hielt es für wünschenswert, dass Österreich und Preußen nur mit einem kleinen Teil ihrer Länder dem Bund beitreten sollten, wovon er sich bessere Möglichkeiten einer zentralistischeren Ausgestaltung der Bundesverfassung versprach. Und 21 22 23 24

So in Hardenbergs »10 Artikeln« vom Juni 1814, ebd., Nr. 30. Zitiert nach ebd., S. LIV. Ebd., Nr. 31, S. 189. Die Zitate ebd., Nr. 39, S. 226 bzw. Nr. 32, S. 190. Weitere Beispiele von 1813 (»wilde[n] Neuerungssucht«, »tolle[n] Aufgeblasenheit«, »36 Häuptlinge«) bei Duchhardt, Stein (wie Anm. 2), S. 292 f. 25 QGDB, Abt. I, Bd. 1 (wie Anm. 4), Nr. 30. 26 Müller (Hg.), Quellen zur Geschichte des Wiener Kongresses (wie Anm. 19), Nr. 65, bringt beide Fassungen von Hardenbergs »41 Punkten« (in deutscher Übersetzung) in Gegenüberstellung.

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auch die Tatsache, dass nun phasenweise Begriffe wie »Landeshoheit« oder »wesentliche Regierungsrechte« in den Entwürfen auftauchten, um die Stellung der Einzelstaaten zu charakterisieren, war alles andere als ein Zufall. Stein notierte dazu: »Man muß ausdrücklich bestimmen daß die Souverainetaet in Deutschland keine unbegrenzte, sondern eine durch Gesetze beschränkte sey.«27 Er fand den Ausdruck »ausländisch und unpassend«.28 Eine internationale Anerkennung bzw. Garantie durch die Großmächte war in jedem Fall vorgesehen, doch immer noch kam aus Steins Umgebung die Forderung nach einer formalen Intervention der »hohen Alliirten«, um »Deutschland eine Verfaßung« zu geben und so die Interessen der Mittelstaaten zu konterkarieren.29

II. Die österreichische Politik und der Beginn der Wiener Verhandlungen Die zweite Fassung der »41 Artikel« Hardenbergs gelangte Anfang September 1814 nach Wien. Als Modell einer stärker hegemonialen als föderativen Verfassung waren auch sie, entsprechend dem Grundkonzept des Staatskanzlers, vom Ziel der »Machterweiterung Preußens«30 geprägt. Wie Humboldt wollte Hardenberg den Bund dezidiert als »Protektorat der beiden Großmächte« gestalten31, mit militärischen Einflusssphären im Norden und Süden, die von Mosel und Main getrennt wurden (woraus sich das lange Ringen um die Besetzung des Festungsplatzes Mainz erklärt). Ausdrücklich schrieb Hardenberg an Metternich, Österreich und Preußen müsse im Bund »la voix décisive« zukommen, allen anderen Mitgliedern entsprechend nur Konsultationsrechte.32 So sahen Metternichs Spitzenbeamte in Wien in den »41 Artikeln« vor allem ein Dokument des preußischen Macht- und Expansionswillens in Deutschland. Einigkeit herrschte nur in wenigen Sachfragen, etwa hinsichtlich einer herausgehobenen Rolle für Österreich. Kaspar Philipp von Spiegel, Mitglied eines von Metternich eingesetzten Expertengremiums der Wiener Staatskanzlei, ging so weit, eine erbliche Schutz- und Schirmherrschaft des Kaisers von Österreich über die neu zu gründende Staatengemeinschaft zu konstruieren, die er bewusst antikisierend als »deutschen Reichsbund« bezeichnete.33 27 QGDB, Abt. I, Bd. 1 (wie Anm. 4), Nr. 32, S. 190 (16. Juli 1814). 28 Quint, Souveränitätsbegriff und Souveränitätspolitik (wie Anm. 9), S. 290. 29 QGDB, Abt. I, Bd. 1 (wie Anm. 4), Nr. 37, S. 218 (Friedrich Ludwig Christian zu Solms-Laubach; 19. August 1814). 30 Gall, Wilhelm von Humboldt (wie Anm. 3), S. 273. 31 QGDB, Abt. I, Bd. 1 (wie Anm. 4), S. LII. Vgl. Wolf D. Gruner: Der Deutsche Bund 1815–1866, München 2012, S. 16. 32 QGDB, Abt. I, Bd. 1 (wie Anm. 4), Nr. 41, S. 229 (3. September 1814). Vgl. Kraehe, Metternich’s German Policy (wie Anm. 19), S. 100–114. 33 QGDB, Abt. I, Bd. 1 (wie Anm. 4), Nr. 55, S. 317 (7. Oktober 1814).



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Metternich betrieb im Rahmen von Vorgesprächen in Wien während der zweiten Oktoberwoche mit Vertretern Preußens und Hannovers »eine Reduktion des Hardenbergischen Verfassungsentwurfs auf einen allgemeiner gehaltenen Rahmenplan«.34 Das Ergebnis waren die »12 Artikel« vom 14. Oktober, die als Basis für die erste Verhandlungsrunde beim Kongress dienten – ein Kompromiss zwischen den preußischen und den österreichischen Konzeptionen, der angesichts der sich abzeichnenden Probleme um Polen den Zwang beider Mächte zur Kooperation deutlich widerspiegelte. Die Tendenz zur Doppelhegemonie fand sich durch Etablierung eines Fünfer-Direktoriums abgeschwächt, allerdings sollten nur Österreich und Preußen Allianzverträge abschließen und selbständig Krieg führen dürfen. Bundesgericht, Landstände und Kreise wurden erwähnt, aber nicht spezifiziert, und auch der Status der Mediatisierten blieb unklar. Ein Auftrag an die Bundesversammlung, sich »mit allgemeinen auf die innere Wohlfahrt gerichteten Anordnungen« zu beschäftigen, war vorgesehen.35 Schon Mitte September 1814 hatten die Vertreter der Quadrupelallianz entschieden, eine eigene Kommission »aus den Bevollmächtigten der wichtigsten deutschen Staaten« einzusetzen, die sich der »deutschen Angelegenheiten« annehmen sollte.36 Dieser Ausschuss (der erste, der beim Wiener Kongress eingerichtet wurde) begann seine Verhandlungen am 14. Oktober auf der Basis der »12 Artikel«; zu den bisherigen Verhandlern Österreich, Preußen und Hannover traten jetzt die Vertreter Bayerns und Württembergs hinzu. Wie absehbar, brachte die Zuziehung dieser beiden Mitgliedsstaaten des früheren Rheinbunds große Schwierigkeiten mit sich, denn ihre Vertreter waren instruiert, die Verteidigung der inneren Reformen seit 1806 sowie die Anerkennung ihrer Rangerhöhung, Unabhängigkeit und souveränen Stellung obenan zu stellen. Für die Konzeption des Bundes bedeutete dies aus ihrer Sicht, dessen Möglichkeiten zur Einmischung in innere Angelegenheiten der Bundesstaaten möglichst gering zu halten, die wenigen Zuständigkeiten abschließend aufzuzählen und auf außenpolitische Direktiven ganz zu verzichten. Gerade die Münchner Politik mit ihren Ambitionen auf eine europäische Machtstellung strebte, jetzt wie auch später, möglichst weitgehende Eigenständigkeit in der Außen- und Militärpolitik an.37 Die »Deutschen Konferenzen« dauerten in der ersten Runde (mit insgesamt zwölf Sitzungen) bis Mitte November 1814, mit stetem Streit um Institutionen und Kompetenzen des Bundes, um das Bündnisrecht der Mitglieder und mit wachsender Nervosität aller Beteiligten, die sich in einer geheimen Absprache zwischen Wien und Berlin über die Festsetzung eines Minimums an Bundesrech34 Ebd., S.  LIX. Vgl. Kraehe, Metternich’s German Policy (wie Anm. 19), S.  144–173 mit der Wertung, die 12 Artikel »cost Austria little and gained her much« (S. 170). 35 QGDB, Abt. I, Bd. 1 (wie Anm. 4), Nr. 58, Zitat S. 368 (Art. 6). 36 Nach der bei Müller (Hg.), Quellen zur Geschichte des Wiener Kongresses (wie Anm. 19), Nr. 18, S. 177, abgedruckten Übersetzung der Niederschrift des ersten Gesprächs von Castlereagh, Metternich und Karl Robert von Nesselrode am 16. September 1814. 37 Quint, Souveränitätsbegriff und Souveränitätspolitik (wie Anm. 9), S. 280–309; Aretin, Bayerns Weg zum souveränen Staat (wie Anm. 9), S. 145–158.

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ten und in der preußischen Mobilisierung von Unterstützung durch Russland niederschlug.38 Als die Vertreter Württembergs eine Unterbrechung verlangten, um eine »Übersicht des Ganzen« zu gewinnen39, erklärte Metternich am 19. November die Verhandlungen für ausgesetzt. Der Grund für den Abbruch lag aber nicht in den Verhandlungen selbst, so komplex sich diese gestaltet hatten (auch wegen der vielen noch ungelösten Gebietsfragen), und er lag auch nicht nur an der Haltung der Mittelstaaten (deren Vertreter zur Auslotung von Kompromissen bereit waren). Der Hauptgrund waren die sich im November aufbauenden Spannungen zwischen Wien und Berlin wegen der Ansprüche Russlands auf Polen und Preußens auf Sachsen. Deswegen zerbrach die diplomatische Zweckallianz der beiden deutschen Großmächte, und der Kongress geriet um die Jahreswende 1814/15 an den Rand des Scheiterns. Gleichwohl hatten Bayern und Württemberg wichtige Erfolge gegen das preußische Konzept der Doppelhegemonie zu verzeichnen. Die offiziellen Beratungen über die Bundesakte gingen erst sechs Monate später, unter völlig veränderten Vorzeichen, in eine zweite Runde und sollten dann statt einer hegemonialen zu einer staatenbündisch geprägten Lösung führen, bei gleichzeitiger Minimierung der Kompetenzen des Bundes.

III. Die »Mindermächtigen« Die überwiegende Zahl von kleineren Souveränen im deutschen Raum (etwa dreißig Staaten, ohne Baden), die in den Frankfurter Akzessionsverträgen 1813 einen künftigen gemeinsamen Gestaltungsrahmen für Mitteleuropa zugesagt hatten, fand sich aus den ersten Verhandlungen über den Bund ausgeschlossen. Ihre Proteste dagegen koordinierte Hans Christoph von Gagern, der Bevollmächtigte des niederländisch-oranischen Hauses. In zahlreichen Gesprächen, Memoranden und Protestnoten des Herbsts 1814 aus dieser Gruppe, die sich als »Vereinigung der mindermächtigen deutschen Fürsten und Freien Städte« konstituierte, wurden ihre Erwartungen an den künftigen Bund deutlich: ein Kaiser aus dem Haus Habsburg mit einer zentral wichtigen Rolle; starke Anlehnung an die Strukturen des Alten Reiches bei der Ausgestaltung von Legislative und Kreisen; Vertretung der eigenen Gruppe in der Bundesversammlung.40 Die Kongressinstruktion der Hansestadt Bremen umriss sogar eine Art Maximalprogramm für eine mögliche Innenpolitik des Bundes; hier war die Rede von freiem Handel und Verkehr, einem »Nationalgesetzbuch« und einem Reichsgericht, Pressefreiheit, 38 QGDB, Abt. I, Bd. 1 (wie Anm. 4), Nr. 72, 81, 84, 89. Zu den Verhandlungen der »Ersten Deutschen Konferenzen« vgl. ebd., S.  LXI–LXXV; Wolf D. Gruner: Der Wiener Kongress 1814/15, Stuttgart 2014, S. 82–107; aus der Sicht Bayerns Aretin, Bayerns Weg zum souveränen Staat (wie Anm. 9), S. 158–170. 39 QGDB, Abt. I, Bd. 1 (wie Anm. 4), Nr. 91, S. 582. 40 Zentral hierzu: Michael Hundt: Die mindermächtigen deutschen Staaten auf dem Wiener Kongress, Mainz 1996, hier vor allem S. 46–64, 74–85, 99–110 (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abt. Universalgeschichte, Bd. 164).



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gemeinsamen Normen für die christlichen Konfessionen und die jüdische Bevölkerung, gemeinsamen Festen und Orden und einer Nationalakademie.41 Eine gemeinschaftliche Note von 29 Fürsten und Städten verlangte am 16. November (am gleichen Tag, als das Deutsche Komitee seine Arbeit vorerst einstellte) unter Verweis auf gleiche Rechte und vollständige Repräsentation aller künftigen Bundesglieder die Zulassung zu den Gesprächen über die »künftige Verfaßung und Vereinigung des gemeinschaftlichen Vaterlandes« sowie ein »gemeinsames Oberhaupt« in Gestalt eines Kaisers mit umfassenden, auch militärischen Kompetenzen.42 Eine weitere, bereits 1813 gegründete Interessenvertretung von rund sechzig Familien des vormaligen Reichsadels, der von Graf Friedrich von Solms-Laubach geführte Verein der Standesherren, hatte ihren stärksten Rückhalt in der preußischen Politik und beim Freiherrn vom Stein, was entsprechende Auswirkungen auf die geschilderten Berliner Bundespläne hatte. Viele der Mitglieder der Vereinigung waren persönlich in Wien anwesend und unterhielten einen gemeinsamen Bevollmächtigten, Franz von Gärtner. In einer Audienz beim Kaiser am 22. Oktober 1814 bat eine Deputation des Vereins Franz I. um Wiederannahme der Kaiserwürde sowie Rückgabe ihres »väterlichen Erbes und der unveräußerlichen Rechte ihrer Häuser«43, erhielt aber nur die bei solchen Gelegenheiten übliche unverbindliche Antwort. Gar keine Beachtung fanden dagegen verschiedene Memoranden aus den Reihen der ehemaligen Reichsritterschaft, die, »höchst unzeitgemäß« hinsichtlich der »Wiederherstellung exklusiver adeliger Körperschaften«44, eine partielle Restitution ihrer herrschaftlichen Stellung, eine Beschränkung der Rechte der ehemaligen Rheinbundfürsten auf eine »gesetzlich eingeschränkte […] Oberherrlichkeit« und eine Wiederherstellung der Hochstifte der alten Reichskirche samt des Deutschen Ordens und des Johanniterordens verlangten.45

IV. Diskussionen bis Frühjahr 1815 und die Rückkehr Napoleons In der langen Phase vom November 1814 bis Mai 1815, in der es keine offiziellen Verhandlungen zur Neuordnung Deutschlands gab, gingen Planungen und Diskussionen gleichwohl weiter. Die »Vereinigung« der Mindermächtigen traf sich regelmäßig, um neue Bundespläne aus ihren Reihen zu besprechen. Metternich, der im Dezember 1814 deutlich von Preußen abrückte und sogar die Möglichkeit der Gründung eines Bundes ohne Preußen sondierte, ließ seinen Vertreter auf 41 QGDB, Abt. I, Bd. 1 (wie Anm. 4), Nr. 62. 42 Ebd., Nr. 128, S. 779 f.; zu dieser »Kaisernote« vgl. Hundt, Die mindermächtigen deutschen Staaten (wie Anm. 40), S. 111–149. 43 Zitiert nach QGDB, Abt. I, Bd. 1 (wie Anm. 4), S. XCI. 44 Ebd., S. XCIVf. 45 Ebd., Nr. 142, Zitat S. 826; Nr. 146.

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dem Kongress, Johann Philipp von Wessenberg, noch vor Jahresende den ersten genuin österreichischen Entwurf vorlegen, der, auf eine Kreiseinteilung verzichtend, den Interessen der Mittel- und Kleinstaaten entgegenkam.46 In München dagegen verlangte man vor allem eine Beschränkung der Bundesgerichtsbarkeit auf eine Austrägalinstanz und eine Regelung der Stellung der Mediatisierten nach der eigenen, im März 1807 dazu erlassenen Deklaration.47 Humboldt reagierte im Januar mit einem Projekt, das nur noch ein zentrales Gremium vorsah, einen »Bundesrat«, in dem alle Mitgliedsstaaten mit unterschiedlichem Stimmgewicht vertreten waren. Als zukunftsweisend erwies sich sein Vorschlag, zur Führung der laufenden Geschäfte aus diesem Kollegium einen Ausschuss mit sechs Viril- (für Österreich, Preußen, Bayern, Sachsen, Hannover und Württemberg) und fünf Kuriatstimmen zu bilden, außerdem vier ständige, ressortgebundene Kommissionen.48 Aber immer noch wurden frühere Positionen wiederholt, deren Realisierungschancen sich bereits als minimal erwiesen hatten: Franz von Gärtner verlangte für die Mediatisierten weiterhin die Anerkennung ihres Rechts auf eigenständige Herrschaft, das, offensichtlich nach eidgenössischem Vorbild, durch ein System freiwilliger Bündnisse mit den größeren Mächten überwölbt werden sollte.49 Stein zog noch einmal seinen Plan hervor, einen erblichen Kaiser aus dem Haus Habsburg als Bundesoberhaupt zu installieren, um dadurch die Interessen Österreichs enger an den deutschen Raum zu binden.50 In vielen der neuen Lösungsansätze des Frühjahrs 1815 wurde erkennbar, dass sie auf einer Interessenallianz der Wiener Politik mit den Staaten des »Dritten Deutschland« beruhten. Dementsprechend gewann das föderative Prinzip an Gewicht, wie an den Problemkomplexen Bundesgericht, Bundesversammlung, Bündnisrecht und Stellung der Mediatisierten deutlich wurde.51 Zum entscheidenden Einschnitt wurden die Entwicklungen im März 1815 mit Napoleons Rückkehr von Elba und seiner Re-etablierung als Kaiser der Franzo46 Ebd., Nr. 156. 47 Ebd., Nr. 160a/b; vgl. Quint, Souveränitätsbegriff und Souveränitätspolitik (wie Anm. 9), S. 296–310; Maria Schimke (Hg.): Regierungsakten des Kurfürstentums und Königreichs Bayern 1799–1815, München 1996, Nr. 8 (= Quellen zu den Reformen in den Rheinbundstaaten, Bd. 4). 48 QGDB, Abt. I, Bd. 1 (wie Anm. 4), Nr. 164. Zur zunehmenden Isolierung Humboldts gegenüber den Positionen sowohl Metternichs wie auch Hardenbergs vgl. Gall, Wilhelm von Humboldt (wie Anm. 3), S. 278–282, 289–295. 49 QGDB, Abt. I, Bd. 1 (wie Anm. 4), Nr. 196. 50 Ebd., Nr. 186. Dazu und zur scharf ablehnenden Reaktion Humboldts vgl. ebd., Nr. 188, 191; Duchhardt, Stein (wie Anm. 2), S. 338 f. (der die Initiative vor allem Capodistrias zuschreibt); Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 1: Reform und Restauration 1789 bis 1830, Stuttgart/Berlin/Köln 21990, S. 553–556. 51 Überblicksweise zu dieser Phase des Kongresses: QGDB, Abt. I, Bd. 1 (wie Anm. 4), S. XCV– CXVI; Kraehe, Metternich’s German Policy (wie Anm. 19), S. 299–326; Hundt, Die mindermächtigen deutschen Staaten (wie Anm. 40), S.  214–230, 246–253; Reinhard Stauber: Der Wiener Kongress, Wien/Köln/Weimar 2014, S.  82–90; Gruner, Der Wiener Kongress (wie Anm. 38), S. 141–159.



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sen. Nach der Ächtung des Korsen und der Erneuerung der Quadrupelallianz am 13. bzw. 25. März 181552 traten die militärischen Notwendigkeiten eines koordinierten Vorgehens gegen Frankreich samt den einschlägigen logistischen Fragen in den Vordergrund. So bekamen die Mittel- und Kleinstaaten einen politischen Hebel in die Hand, mit dem bis dato niemand hatte rechnen können. Für das rasche Angebot, am Krieg gegen Frankreich mit Geld und Truppen mitzuwirken, erhielten sie innerhalb einer Woche die Zusage, am Abschluss einer »Deutschen Bundesakte« mitarbeiten zu können, die sich allerdings, so Hardenberg und Humboldt, auf die »wesentlichsten Grundlagen« beschränken müsse und erst in ruhigeren Zeiten »nähere Ausführung« erlangen könne.53 Schriftlich fixiert wurde diese Vereinbarung Ende April. Metternich hatte schon im Februar 1815, auf eine »Erinnerungsnote« der Mindermächtigen nach Wiederaufnahme der Beratungen unter Mitwirkung aller Betroffenen reagierend, von der nötigen »Zusammenwirkung aller deutschen Stände« gesprochen und zog mit hohem taktischen Geschick hinter den Kulissen die Fäden Richtung Kompromiss.54 Trotzdem blieb wegen der sich überstürzenden Ereignisse lange unklar, ob in Wien ausreichend Zeit zur Verfügung stehen würde, um die stagnierenden Verhandlungen über einen Bundesvertrag abzuschließen. Noch einmal wurden Ende März und im April mehrere ebenso detaillierte wie divergierende Entwürfe für eine Ordnung des Bundes in Umlauf gesetzt. Die Gesandten Württembergs ventilierten Bayern gegenüber den Plan für einen Sonderbund der fünf größten Mitglieder des ehemaligen Rheinbundes.55 Humboldt dachte immer noch an Details wie Kreise, die Zusammensetzung der Landstände und die Rechte der Religionsgemeinschaften.56 Metternich dagegen, in stetem Kontakt mit dem Vertreter Bayerns, ließ an zwei Entwürfen arbeiten, die ausgesprochen provisorische Züge trugen und eine Fertigstellung der Grundordnung durch die Bundesversammlung anzielten, was, hauptsächlich der Defizite bei der Institutionalisierung wegen, wieder die Kritik Humboldts auf sich zog.57

52 Michel Kerautret (Hg.): Les grands traités de l’Empire. La chute de l’Empire et la restauration européenne (1811–1815), Paris 2004, S. 175–181. 53 QGDB, Abt. I, Bd. 1 (wie Anm. 4), Nr. 207, S. 1230 (29. März 1815). Vgl. dazu Hundt, Die mindermächtigen deutschen Staaten (wie Anm. 40), S. 253–267; Kraehe, Metternich’s German Policy (wie Anm. 19), S. 327–365. 54 QGDB, Abt. I, Bd. 1 (wie Anm. 4), Nr. 183, S. 1114. Siehe auch Aretin, Vom Deutschen Reich zum Deutschen Bund (wie Anm. 16), S. 162; Brian E. Vick: The Congress of Vienna. Power and Politics after Napoleon, Cambridge, Mass. 2014, S. 19: »Metternich […] wanted to present a fully united front against Napoleon.« 55 QGDB, Abt. I, Bd. 1 (wie Anm. 4), Nr. 206. 56 Ebd., Nr. 216, 200. 57 Ebd., Nr. 219, 225. Vgl. Kraehe, Metternich’s German Policy (wie Anm. 19), S. 348–365.

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V. Die »Zweiten Deutschen Konferenzen« Nach der Lösung aller mit Sachsen zusammenhängender Probleme wurde Mitte Mai 1815 die deutsche Verfassungsfrage als letztes der großen Themen des Kongresses neu aufgenommen. Am 23. Mai lag ein zwischen Österreich, Preußen, Hannover und Bayern abgestimmter »Entwurf einer deutschen Bundesakte« vor, knapp gehalten und eher den österreichischen als den preußischen Vorgaben entsprechend.58 Deutlich wird dies vor allem in Gestalt des Vorhabens, die Ausarbeitung der »Grundgesetze des Bundes«, seiner Institutionen und seiner Militärverhältnisse von der ersten Bundesversammlung (deren Eröffnung für den 1. September 1815 in Frankfurt am Main vorgesehen war) nach Einstimmigkeitsprinzip erledigen zu lassen (Art. 7). Die Stellung der Mediatisierten (Art. 11), die Rechte der Konfessionsgruppen einschließlich der »Bekenner des jüdischen Glaubens« (Art. 14), die »Verfaßung« der beiden großen Kirchen (Art. 15) und gemeinsame Rechte der »Unterthanen der deutschen Bundesstaaten« (Immobilienbesitz, Dienstnahme, freier Wegzug; Art. 16) finden sich genannt. Zuletzt wurden der ersten Bundesversammlung weitere Aufgaben mit Bezug »auf die gemeinsame Wohlfahrt« zugeteilt: Pressefreiheit, Urheberrechte, Freiheit von Handel und Verkehr (Art. 16e, 17). In diesem Entwurf waren »sämtliche Elemente einer Hegemonialstellung der beiden Großmächte […] getilgt, und Metternich hatte sich mit seiner Konzeption eines überwiegend staatenbündischen Systems durchgesetzt«.59 Er wurde zur Grundlage für die letzten, zweieinhalb Wochen währenden Verhandlungen in Wien bis Mitte Juni 1815, als die meisten Monarchen und Fürsten bereits abgereist waren. Anwesend neben dem exklusiven Fünf-Mächte-Kreis der »Ersten Deutschen Konferenzen« waren am 23. Mai Vertreter von Sachsen, Baden, Hessen-Darmstadt, Luxemburg, Holstein sowie eine fünfköpfige Deputation der Mindermächtigen. Ihrer Forderung entsprechend wurden die Beratungen dieser »Zweiten Deutschen Konferenzen« ab der dritten Sitzung am 29. Mai für sämtliche künftige Mitglieder geöffnet; insgesamt waren so 36 Staaten am Verhandlungstisch vertreten.60 Nicht repräsentiert waren Württemberg und später auch Baden (das zunächst noch eine Beobachterrolle eingenommen hatte), deren Gesandte irrigerweise annahmen, auf diese Weise den Abschluss der Bundesakte verhindern zu können. In München dachte Montgelas ähnlich, doch verhandelte sein Vertreter Aloys von Rechberg eigenständig weiter – über lange Strecken auf eigene Verantwortung, da er ohne Instruktionen blieb. Auf diese Weise konnte er,

58 QGDB, Abt. I, Bd. 1 (wie Anm. 4), Nr. 228. 59 Ebd., S. CXXI f. 60 Ebd., Nr. 229, 236; Hundt, Die mindermächtigen deutschen Staaten (wie Anm. 40), S. 268– 272.



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anders als die boykottierenden Staaten, die Interessen Bayerns mit hohem Erfolg im Spiel halten.61 Als die schon gewohnten Konflikte gleich in der zweiten Sitzung am 26. Mai erneut ausbrachen, wollten Hardenberg und Humboldt allen Debatten ein Ende machen und empfahlen Metternich, den Text der gemeinsamen Vorlage ultimativ zur Beitrittsgrundlage zu erklären.62 Metternich verfuhr anders und bemühte sich während der verbleibenden Sitzungen mit hohem persönlichen Einsatz, »mit einer solchen Ordnung, Bescheidenheit und Geduld, daß er sich dadurch von allen Lob und Beifall«63 erwarb, »um eine für alle künftigen Bundesmitglieder vertretbare Konsenslösung«64. In drei Sitzungen am 29., 30. und 31. Mai gelang es, die österreichisch-preußische Vorlage vollständig zu verhandeln.65 Der bayerische Gesandte Rechberg, in Einzelfragen unterstützt von den Vertretern Sachsens, Hessen-Darmstadts und Holsteins, war der eigentliche Gewinner dieser hektischen letzten Phase. Ob Bayern dem Bund überhaupt beitreten würde, blieb, auch wegen fehlender Anweisungen aus München, buchstäblich bis zur letzten Minute, bis zur zehnten Sitzung am 8. Juni 1815, in der Schwebe und diente dann als Hebel für die letzten Änderungen. Rechberg setzte die explizite Nennung des Prädikats »souverän« für die fürstlichen Bundesglieder im ersten Artikel sowie deren grundsätzliches Recht auf Bündnisfreiheit durch. Die Artikel über die Gleichberechtigung der Konfessionen und die Zusagen für die beiden großen Kirchen entfielen. Das geplante Bundesgericht wurde gestrichen bzw. zu einer freiwilligen Schiedsinstanz heruntergestuft. Das für Grundsatzfragen zuständige »Plenum« der Bundesversammlung sei, so lobte Rechberg sich selbst, durch die vorgeschaltete Befassung der engeren »Versammlung« in seinem Wirkungskreis »eigentlich auf gar nichts reduzirt«.66 Bezüglich der Gewährung 61 Weis, Montgelas, Bd. 2 (wie Anm. 6), S. 734–741; Quint, Souveränitätsbegriff und Souveränitätspolitik (wie Anm. 9), S. 352–368. 62 QGDB, Abt. I, Bd. 1 (wie Anm. 4), Nr. 234. 63 So Johann Friedrich Hach, der Vertreter Lübecks (31. Mai); zitiert nach Hundt, Die mindermächtigen deutschen Staaten (wie Anm. 40), S. 272. 64 Stauber, Der Wiener Kongress (wie Anm. 51), S. 191. Vgl. Siemann, Metternich (wie Anm. 1), S. 499–502, 516–518, der Metternich als »Gründungsvater des Deutschen Bundes« bezeichnet (S. 516). In diesem Sinne auch schon Weis, Durchbruch des Bürgertums (wie Anm. 3), S. 350. 65 Zu den Verhandlungen der »Zweiten Deutschen Konferenzen« vgl. überblicksweise QGDB, Abt. I, Bd. 1 (wie Anm. 4), S. CXXII–CXXXII; Hundt, Die mindermächtigen deutschen Staaten (wie Anm. 40), S. 268–277 sowie 277–325 (nützlicher Überblick über die Verhandlungen zur Endfassung der Bundesakte nach Sachpunkten bzw. Artikeln); Kraehe, Metternich’s German Policy (wie Anm. 19), S. 366–399; Gruner, Der Wiener Kongress (wie Anm. 38), S. 159– 183; Stauber, Der Wiener Kongress (wie Anm. 51), S. 190–194 sowie, aus bayerischer Perspektive sehr eingehend, Quint, Souveränitätsbegriff und Souveränitätspolitik (wie Anm. 9), S. 340–400. 66 Müller (Hg.), Quellen zur Geschichte des Wiener Kongresses (wie Anm. 19), Nr. 90, S. 417; hier auch das folgende Zitat (aus Rechbergs großem Bericht aus Wien vom 11. Juni 1815; ebenfalls gedruckt in QGDB, Abt. I, Bd. 1 [wie Anm. 4], Nr. 257). Details bei Quint, Souveränitätsbegriff und Souveränitätspolitik (wie Anm. 9), S. 368–385, zu Rechbergs eben genanntem

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der Bürgerrechte an Bekenner des jüdischen Glaubens setzten die Vertreter der Städte, ebenfalls erst am 8. Juni, eine Umformulierung durch, die diese Frage den Einzelstaaten überließ. Zuletzt gab Hardenberg auch noch den Versuch auf, die Stellung der Mediatisierten gegenüber der Diskussionsvorlage vom 23. Mai zu verbessern, der auf der Deklaration des bayerischen Königreichs über Rechte und Pflichten der Mediatisierten von 1807 beruhte. »Setzen Sie uns doch […] nicht in die Nothwendigkeit, diesen Menschen den lezten Schimmer von Hofnung zu rauben«, soll Hardenberg an Rechberg laut dessen Bericht appelliert haben. Von Ranggleichheit mit den Souveränen war keine Rede mehr, wohl aber von hervorgehobenem Status in den Einzelstaaten sowie der Ausübung eigener Gerichtsrechte. Die Einrichtung zusätzlicher Kuriatstimmen für die Mediatisierten im Plenum (dies war die letzte verbliebene preußische Forderung) sollte in die Kompetenz der ersten Bundesversammlung fallen (Art. 6 DBA). Metternich sah darin eine »gute Verbesserung«, doch war wegen der erforderlichen Einstimmigkeit eine Ablehnung absehbar. Rechberg jedenfalls nahm an, dass die Mediatisierten »der Hofnung nunmehr von selbst entsagen, jemals wieder zu einem Schein von Unabhängigkeit zu gelangen«.67 Am 5. Juni hatte Metternich das Ende der Verhandlungen angekündigt. Drei Tage später wurde die Akte, in der bereits mehrfach apostrophierten letzten Arbeitssitzung des Komitees, paraphiert (deswegen trägt sie dieses Datum, den 8. Juni 1815), am 10. Juni schließlich von den Vertretern 38 bevollmächtigter Souveräne unterzeichnet und besiegelt. Württemberg und Baden, vom Abschluss überrascht, mussten in einem rechtlich aufwendigen Verfahren nachträglich beitreten.68 Die Deutsche Bundesakte69 war deutlich geprägt vom Zeitdruck ihres Zustandekommens und von der bewussten Verschiebung wichtiger Fragen, was ihren unfertigen Charakter erklärt. Trotzdem gab es nach dem Wiener Abschluss nicht nur Protest oder Gleichgültigkeit, sondern auch verhalten positive Einschätzungen, was die Möglichkeit zu einer Fortentwicklung der rudimentären Bundesakte betraf, gerade im politischen Erwartungshorizont der Entscheidungsträger der Klein- und Mittelstaaten. Von der Bewahrung der Eigenstaatlichkeit der kleinen Souveräne und Möglichkeiten für eine »weitere Ausbildung des Bundes« sprach Lübecks Vertreter Hach, von der »Selbsterhaltung« der kleinen Staaten und einer »den vorliegenden Umständen […] auf zwekmässigste Weise« entsprechenden Vereinigung für »das getrennte Teutschland« Günther Heinrich von Berg aus Schaumburg-Lippe.70 Sogar Rechberg, dem natürlich die Sicherung der »wesent-

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Bericht ebd., S.  385–392; Hundt, Die mindermächtigen deutschen Staaten (wie Anm. 40), S. 277–293, 296–298, 307–320. Siemann, Metternich (wie Anm. 1), S. 527; Müller (Hg.), Quellen zur Geschichte des Wiener Kongresses (wie Anm. 19), Nr. 90, S. 417. QGDB, Abt. I, Bd. 1 (wie Anm. 4), Nr. 248–255. Neuester Abdruck (mit Hinweisen auf die zahlreichen älteren Druckorte) in: ebd., Nr. 250. Ebd., Nr. 261, S. 1558 bzw. Nr. 263, S. 1578. Vgl. die Wertung von Hundt, Die mindermächtigen deutschen Staaten (wie Anm. 40), S. 334, die Bundesakte sei vor allem wegen der »durch-



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lichen Souveränitäts Rechte« Bayerns am wichtigsten war, würdigte die »Befriedigung der öffentlichen Stimmung« im Sinne »einer allgemein ausgesprochenen Nazionalität«.71 Im selben Sinne meinte der Bremer Senator Johann Smidt, nun sei »doch ein Centralpunct der deutschen Nationalbestrebungen vorhanden«; demgegenüber gab sich Ernst Friedrich von Münster aus Hannover der fatalistischen Einschätzung hin, dass es immer noch »wünschenswerther sey, einen unvollkommenen teutschen Bund, als keinen einzugehen«.72 Möglicherweise aber wurden die Entwicklungsmöglichkeiten des Bundes von den Vertretern der mindermächtigen Staaten »zu optimistisch gesehen«73, vor allem wegen der schwer zu nehmenden Verfahrenshürde künftiger Einstimmigkeit.

VI. Der Deutsche Bund – Perspektiven seiner Bewertung Sehr rasch, eigentlich schon mit einigen der eben zitierten Schlussrelationen vom Kongress, begann eine bis heute nachwirkende Geschichte negativer Urteile über den Deutschen Bund74 im Zeichen eines angeblich unversöhnlichen Gegensatzes zur ›Nation‹ sowie einer Sicht des Bundes als Agent des Partikularismus und der ›Restauration‹. Hierzu seien noch einige systematische Bemerkungen angeschlossen. 1. Homogenitätsvorgaben im Staatenbund und ihre Grenzen Die Bundesversammlung konnte erst über ein Jahr nach dem geplanten Datum ihre Arbeit aufnehmen, am 5. November 1816. Dafür war nicht zuletzt der ungeschickte Versuch des preußischen Geschäftsträgers Carl von Hänlein verantwortlich, im Sinne der alten Berliner Pläne mittels Vereinbarung der beiden Großmächte doch noch eine Doppelhegemonie im Bund zu installieren. Der politische Flurschaden im Sommer 1816 war beträchtlich, und Hänlein wurde als Bundestagsgesandter durch Wilhelm von Humboldt ersetzt.75 Der Auftrag an den ersten Bundestag umfasste, wie in Artikel 10 der Bundesakte festgeschrieben, »Grundgesetze« des Bundes zu erarbeiten und diesen mit Institutionen »in gesetzten Rechtsgleichheit der Bundesglieder« von den meisten Vertretern der Mindermächtigen als Erfolg bewertet worden. 71 Müller (Hg.), Quellen zur Geschichte des Wiener Kongresses (wie Anm. 19), Nr. 90, S. 414. 72 Zitiert nach Gruner, Der Wiener Kongress (wie Anm. 38), S. 190 f.; Hervorhebung im Original. 73 Hundt, Die mindermächtigen deutschen Staaten (wie Anm. 40), S. 336. 74 Zu den Urteilen der historischen Forschung vgl. Jürgen Müller: Der Deutsche Bund 1815– 1866, München 2006, S. 51–61 (= Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 78). 75 QGDB, Abt. I, Bd. 2: Organisation und innere Ausgestaltung des Deutschen Bundes 1815– 1819, bearb. v. Eckhardt Treichel, München 2016, S. XX–XXV.

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Rücksicht auf seine auswärtigen, militärischen und inneren Verhältnisse« auszustatten. Dabei war nach Artikel 7 Einstimmigkeit herzustellen.76 Die eben angedeutete Perspektive, die Bundesakte nicht als Endpunkt zu betrachten, sondern als »Ausgangspunkt der künftigen Bundesverfassung und institutionellen Fortentwicklung des Bundes«77, hat die Arbeiten der Frankfurter Arbeitsgruppe zum Deutschen Bund um Lothar Gall mit Recht geprägt (so etwa die Gesamtdarstellungen von Jürgen Müller und Andreas Fahrmeir78) und ist im materialstarken zweiten Band der ersten Abteilung der »Quellen«, in dem Eckhardt Treichel eine Fülle von Materialien zur ersten Arbeitsphase des Bundes zugänglich gemacht hat, eindrucksvoll belegt worden. Die Jahre 1816 bis 1819 zeigen sich darin als kurze, aber intensiv genutzte Phase eigener Dignität, in der eine behutsame Weiterentwicklung des Bundes deutliche Fortschritte machte. Es waren besonders Maßnahmen in Richtung Rechtsvereinheitlichung und wirtschaftlicher Integration, die den »Rahmen einer möglichen Innenpolitik des Bundes«79 aufspannen sollten. Die Chance dazu ergab sich letztlich aus dem Zeitdruck der Schlussverhandlungen in Wien, der nicht nur eine Reihe dilatorischer Formelkompromisse mit sich brachte, sondern auch dafür sorgte, dass die Bundesakte mehrere Agenden ausdrücklich der ersten Bundesversammlung übertrug. Diese »Homogenitätsvorgaben« stehen nicht mehr im zeitlichen Fokus des vorliegenden Beitrags, seien aber wenigstens kurz genannt.80 Ein ständiges Bundesgericht war ganz am Ende der Wiener Verhandlungen am Widerstand Bayerns gescheitert. Die in Artikel 11 DBA apostrophierte »wohlgeordnete Austrägal Instanz«, ein fallweise eingerichtetes Organ freiwilliger Schiedsgerichtsbarkeit unter den Bundesgliedern, wenn ein Schlichtungsversuch der Bundesversammlung gescheitert war, wurde im Juni 1817 beschlossen. Interterritoriale Gerichte dritter Instanz, wie sie Artikel 12 der Bundesakte für kleinere Staaten und Städte vorschrieb, falls sie noch nicht über einen dreistufigen Instanzenzug verfügten, richteten z. B. die sächsisch-ernestinischen und reussischen Fürstentümer 1816/17, die Freien Städte 1820 ein. Eine lebhafte politische und publizistische Debatte zog die bekannte Verpflichtung des Artikels 13 der Bundesakte nach sich, in allen Bundesstaaten landständische Verfassungen einzuführen, nicht zuletzt 1817/18 im Rahmen der Frankfurter Bundesversammlung. Zumindest indirekt ermöglichte diese Vorschrift den Erlass von Verfassungen repräsentativen Typs 76 Zitate aus der Deutschen Bundesakte (DBA) nach dem Abdruck bei QGDB, Abt. I, Bd. 1 (wie Anm. 4), Nr. 250, S. 1512. 77 QGDB, Abt. I, Bd. 2 (wie Anm. 75), S. V. 78 Müller, Der Deutsche Bund (wie Anm. 74); Andreas Fahrmeir: Revolutionen und Reformen. Europa 1789–1850, München 2010; Ders.: Europa zwischen Restauration, Reform und Revolution 1815–1850, München 2012 (= Oldenbourg Grundriss der Geschichte, Bd. 41). 79 QGDB, Abt. I, Bd. 1 (wie Anm. 4), S. CXXXIII; Kotulla, Verfassungsgeschichte (wie Anm. 8), S. 338 f., betont dagegen, jegliche Weiterentwicklung sei nicht Bundeszweck gewesen. 80 Angelehnt an die Gliederung der Quellensammlung von Treichel, QGDB, Abt. I, Bd. 2 (wie Anm. 75) bzw. die Einleitung dazu, S.  LXV–CXX; Zitat bei Kotulla, Verfassungsgeschichte (wie Anm. 8), S. 339.



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in mehreren süddeutschen Staaten zwischen 1814 und 1820. Auf die Vorgabe einheitlicher Richtlinien dafür wurde im Mai 1818 vorerst verzichtet. Besonders das territorial zwischen West und Ost aufgeteilte Preußen betrieb, befördert durch Versorgungsengpässe in Europa nach den Missernten der Jahre 1816/17, handels- und zollpolitische Initiativen, wie sie dem Arbeitsauftrag von Artikel 19 der Bundesakte entsprachen.81 Württemberg beantragte im Mai 1817 die Aufhebung einzelstaatlicher Ausfuhrbeschränkungen für Lebensmittel, woraus wegen des Widerstands Österreichs und Bayerns nichts wurde. Im April 1819 konstituierte sich der »Deutsche Handels- und Gewerbsverein«; es begann eine Petitionsbewegung für ein allgemeines deutsches Zollsystem, die schließlich zur Gründung des Zollvereins führen sollte. Die möglichst weitgehende Vereinheitlichung der Bestimmungen zur Pressefreiheit und gegen den illegalen Nachdruck von Büchern gehörten zu den Aufträgen des Artikels 18d der Bundesakte. Der Oldenburger Bundesgesandte Günther Heinrich von Berg erarbeitete bis Oktober 1818 eine voluminöse vergleichende Übersicht über den Stand der Pressegesetzgebung in den Staaten Mitteleuropas. Die Freiheit der Presse, die etwa in der Verfassung Sachsen-Weimars ausdrücklich garantiert war, geriet nach den Ereignissen auf der Wartburg 1817 stark unter Druck. Die Wiener Staatskanzlei überlegte ab Frühjahr 1818 die Einführung eines Systems der Vorzensur, das mit den Karlsbader Beschlüssen 1819 umgesetzt wurde. Über die Ergebnisse einer vom Bundestag noch eigens eingesetzten Kommission zur Erarbeitung allgemeiner Grundsätze für die Pressefreiheit haben wir keinen quellenmäßigen Aufschluss. Nachdem der deutsche Buchhandel beim Wiener Kongress gründliche Lobbyarbeit in puncto Schutz des geistigen Eigentums von Autoren und Verlegern geleistet hatte, mündete der entsprechende Auftrag von Artikel 18d im Februar 1819 in den Entwurf einer Verordnung, der eine pauschale Schutzfrist von zehn Jahren gegen Nachdruck nach dem Tod des Urhebers vorsah, aber nicht umgesetzt wurde. Die Mobilität von Menschen und Vermögen innerhalb des Bundes sollte durch die einheitliche Gestaltung der Auswanderungsfreiheit und den Verzicht auf Nachsteuern befördert werden (Artikel 18a–c DBA). Ein Bundesbeschluss im Juni 1817 definierte die Art transferierbarer Kapitalien und erlaubte die Erhebung von Verwaltungsgebühren. Zur »Militärpflichtigkeit« kam ein Gesetzentwurf zustande, der allen Mitgliedsstaaten eine Beschränkung der Wehrpflicht auf das 18. bis 27. Lebensjahr empfahl und in Kriegszeiten die Suspendierung der Auswanderungsfreiheit erlaubte (Mai 1817). Das Jahr 1819 schließlich sah noch eine Debatte des Frankfurter Kollegiums über das Gebot von Artikel 7 der Bundesakte, in Grundsatzangelegenheiten einstimmige Beschlüsse zu fassen. In den Beiträgen lässt sich eine Tendenz zur Stärkung des Mehrheitsprinzips ausmachen, um so die Blockademöglichkeiten durch Einzelstaaten zu minimieren – auch hier freilich ohne konkrete Folgen. Für den gesamten Bereich der äußeren Verhältnisse formulierte Hardenberg, in Übereinstimmung mit Metternich, 1817 sehr deutlich, den Bund habe man 81 Siehe dazu ausführlich den Beitrag von Hans-Werner Hahn in diesem Band.

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»nicht als einen Bundesstaat, sondern als einen Staatenbund zu betrachten«, dem nicht »alle und jede Attribute eines Staats zukommen sollten«. Auf keinen Fall sei der Deutsche Bund ein Akteur auf europäischer Ebene: »In alle und jede europäische politische Verhältniße, Deutschland, in seiner Gesamtheit, als eine neue Macht einzuführen, solches kann nicht in den Absichten Österreichs und Preußens liegen.«82 Von einer in ihren »äußern Verhältnissen […] in politischer Einheit verbundene[n] Gesammt-Macht«, wie sie 1820 Artikel 2 der Wiener Schlussakte apostrophierte, konnte demnach nicht die Rede sein.83 Mit den Beschlüssen der Konferenzen in Karlsbad und Wien 1819/20 setzten die beiden deutschen Großmächte einseitig die Wende zur »konservativen Entwicklungsblockade« durch, zu deren »verhaßtem Symbol« der Bund später wurde.84 Doch die Ausgangslage war offen; es gab keine interne ›Entwicklungslogik‹, die von 1815 zwangsläufig zum Zustand von 1820 geführt und den Bund als Instrument von Repression und Restauration diskreditiert hätte. Dies war eine bewusste, 1817 bis 1819 rücksichtslos durchgesetzte Kursentscheidung der leitenden Politiker in Wien und Berlin, Metternich und Hardenberg. »Diese Blockadehaltung als von vorneherein gegeben anzunehmen, würde eine politische Logik und Stringenz unterstellen, die es so nicht gab oder die zumindest nicht alternativlos war«85, bedenkt man etwa den verfassungspolitischen Kurs der süddeutschen Staaten in diesen Jahren. Aber spätestens mit dem Wartburgfest vom 18. Oktober 1817 geriet die Frankfurter Diplomatenversammlung angesichts der Zuspitzung des Konflikts zwischen Studenten und Obrigkeiten in die Defensive. Gleichwohl wären alle hier skizzierten Versuche zur Weiterentwicklung des Bundes angesichts seiner stark föderalen Grundstruktur ein schwieriger Balanceakt für die Frankfurter Diplomaten geworden, die einerseits »Achtung für das uns Alle umfassende große Band der Nationalität«86 bezeugen sollten, andererseits auf die Rolle als Geschäftsträger ihrer Entsendestaaten reduziert blieben. Was die Bundesakte nicht war, aufgrund der politischen Ausgangslage und der Interessen der beiden deutschen Großmächte auch nicht sein konnte, war die Verfassung eines werdenden nationalen Staatswesens. Primäre Träger der Souveränität blieben die 37 Fürsten und die vier städtischen Magistrate (die Zahlen beziehen sich auf den Stand ab Juli 181787), deren Konföderation nur rudimentäre Elemente von Staatlichkeit aufwies. Unter diesem Aspekt ist die Bundesakte »lediglich ein dürres Organisationsstatut für eine Allianz von heterogenen Ein-

82 QGDB, Abt. I, Bd. 2 (wie Anm. 75), Nr. 120, S. 560. 83 Zitiert nach Huber (Hg.), Dokumente, Bd. 1 (wie Anm. 2), Nr. 31, S. 91. Dezidiert anders zur Völkerrechtsfähigkeit des Bundes Kotulla, Verfassungsgeschichte (wie Anm. 8), S. 389–391. 84 Dieter Langewiesche: Europa zwischen Restauration und Revolution 1815–1849, München 1985, S. 61 (= Oldenbourg Grundriss der Geschichte, Bd. 13). 85 Stauber, Der Wiener Kongress (wie Anm. 51), S. 202. 86 So der österreichische Präsidialgesandte Johann Rudolf von Buol-Schauenstein in seiner Eröffnungsansprache am 5. November 1816; QGDB, Abt. I, Bd. 2 (wie Anm. 75), Nr. 42, S. 176. 87 Vgl. ebd., S. XXXI f.



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zelstaaten«, bestenfalls ein »Rahmenvertrag«88; realpolitischer Bezugspunkt war und blieb eben der »Staatenverein«, den Humboldt schon im Dezember 1813 als einzig mögliche Lösung benannt hatte. Nach dem Kongress formulierte er, trotz aller Enttäuschungen über das in Wien erreichte Ergebnis, immer noch: »Ein allgemeiner Deutscher Bund war […] die einzige politische Form, durch welche sich die ungleichartige Masse grosser und kleiner Fürsten, welche Deutschland umfasst, in eine Gestalt bringen ließ, welche die Ruhe sichert […]«89

Trotzdem lässt sich (auch Humboldt tut das) der Deutsche Bund als Staatenbund »mit bundesstaatlichen Elementen«, »mit bundesstaatlichem Beiwerk« charakterisieren, da die ›Unkündbarkeit‹, d. h. das Verbot des einseitigen Austritts aus dem Bund und die »Besondere[n] Bestimmungen« der Artikel 12–19 der Bundesakte »Eingriffe in die innere Souveränität der Bundesglieder« darstellten.90 Das »eifersüchtige Bestehen auf der Souveränität der Einzelnen«91, die die Verhandlungsposition Bayerns und Württembergs so stark prägte und deretwegen Montgelas Ende 1814 im Münchner Außenministerium einen eigenen Ausschuss führender Beamter einrichtete, der alle aus Wien ankommenden Vorlagen auf die Vereinbarkeit mit den Ansprüchen des Königreichs Bayern überprüfen sollte92, hatte Metternich, maliziös an den Rheinbund erinnernd, schon früh bei den Wiener Verhandlungen mit dem Hinweis gekontert, dass alle deutschen Staaten hier »in einer doppelten Kategorie« vertreten seien: einerseits als »Souveräne«, die andererseits »ihre Rechte beschränken« müssten, da sie bald durch einen »Societätsvertrag« miteinander verbunden seien.93 In der Schlussakte der Wiener Ministerialkonferenzen von 1820, einer »konservative[n] Neuinterpretation« der Bundesakte, wurden der ›Vereinscharakter‹ des deutschen Staatenbundes und damit die Selbständigkeit der Bundesglieder noch deutlicher apostrophiert als 1815. Hier firmierte der Deutsche Bund als »völkerrechtlicher Verein der deutschen souverainen Fürsten und freien Städte« (Art. 1), bestehend »in seinem Innern als eine Gemeinschaft selbständiger, unter sich unabhängiger Staaten, mit wechselseitigen gleichen Vertrags-Rechten und Vertrags-Obliegenheiten, […]«

88 Müller, Der Deutsche Bund (wie Anm. 74), S. 6; Kotulla, Verfassungsgeschichte (wie Anm. 8), S. 327. 89 Zitiert nach Gall, Wilhelm von Humboldt (wie Anm. 3), S. 299. 90 Zitate bei Hundt, Die mindermächtigen deutschen Staaten (wie Anm. 40), S. 326; »Beiwerk« bei Jürgen Angelow: Der Deutsche Bund, Darmstadt 2003, S. 5. Vgl. die entsprechende Einschätzung Humboldts bei Gall, Wilhelm von Humboldt (wie Anm. 3), S. 300 f.; Kotulla, Verfassungsgeschichte (wie Anm. 8), S. 329, urteilt: »juristisch […] eindeutig […] ein Staatenbund«. 91 Wiederum Humboldt in der gerade zitierten Denkschrift; Gall, Wilhelm von Humboldt (wie Anm. 3), S. 300. 92 Quint, Souveränitätsbegriff und Souveränitätspolitik (wie Anm. 9), S. 310–340. 93 Ebd., S. 300 (26. Oktober 1814); vgl. Aretin, Bayerns Weg zum souveränen Staat (wie Anm. 9), S. 167 f.

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(Art. 2). Der Bund sei freilich »als ein unauflöslicher Verein gegründet«, so dass ein einseitiger Austritt eines Mitglieds nicht zur Debatte stand (Art. 5).94 Ein positives Strukturmerkmal der politischen Lösung, die der Wiener Kongress für die staatliche Reorganisation Mitteleuropas gefunden hatte, war die enge Verflechtung des Deutschen Bundes mit der Friedensordnung für Europa durch ein sorgfältig überlegtes und von den Großmächten sanktioniertes Vertragssystem. »Die Konstruktion des Bundes und die Art seiner Etablierung im Netzwerk der internationalen Politik wirkten defensiv, den Status quo wahrend und konfliktdämpfend.«95 2. Föderative Ordnungen Die Konstruktion des Bundes ging konform mit jenem Prinzip, das Dieter Langewiesche als das »föderative Grundmuster der deutschen Geschichte« bezeichnet hat.96 Für einen politischen Strukturvergleich böten sich daher, wie im Folgenden kurz angedeutet, zeitgenössische föderative Staatsverbände an, wie sie die USA mit den Konföderationsartikeln von 1777 oder die Schweizer Eidgenossenschaft mit dem Bundesvertrag von 1815 aufbauten. Die »Articles of Confederation and Perpetual Union«, abgeschlossen auf dem Zweiten Kontinentalkongress am 15. November 1777 (ergänzt am 9. Juli 1778, in Kraft seit 1. März 1781)97 zwischen den dreizehn vormals britischen Kolonien an der Ostküste Nordamerikas, die sich nun »Free and Independent States« nannten und von denen sich zehn bereits einzelstaatliche Verfassungen gegeben hatten, waren der erste Versuch, jenen Grundwiderspruch der Unabhängigkeitserklärung von einem Volk in dreizehn Staaten handhabbar zu machen, der für das System der »United States« bis heute ein grundlegendes Problem darstellt. Das Modell einer in den Debatten so genannten »federal union« (der Gegensatz dazu wäre eine »incorporative union« wie etwa zwischen England und Schottland 1707)98 definierte den Bundeszweck der »United States 94 Zitiert nach Huber (Hg.), Dokumente, Bd. 1 (wie Anm. 2), Nr. 31, S. 91. Vgl. dazu den kontrastierenden Vergleich der Zweckbestimmungen des Bundes bei Dietmar Willoweit: Deutsche Verfassungsgeschichte. Vom Frankenreich bis zur Teilung Deutschlands. Ein Studienbuch, München 21992, S. 224 f. »Konservative Neuinterpretation« bei Fahrmeir, Revolutionen und Reformen (wie Anm. 78), S. 195. 95 Vgl. Gruner, Der Deutsche Bund (wie Anm. 31), S. 13–28; das Zitat bei Stauber, Der Wiener Kongress (wie Anm. 51), S. 202. 96 Dieter Langewiesche: Nation, Nationalismus, Nationalstaat in Deutschland und Europa, München 2000, S. 69. 97 Horst Dippel: Constitutions of the World from the Late 18th Century to the Middle of the 19th Century. America, Bd. 1: Constitutional Documents of the United States of America 1776– 1860, Teil 1:  National Constitutions/State Constitutions (Alabama–Frankland), München 2006, S. 19–35. 98 Vgl. Thomas Fröschl: Staatenbund und Völkerrecht in der Gründungsphase der Vereinigten Staaten.  Die Verfassungsordnung der »Articles of Confederation«, 1776–1789, in: Gabriele



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of America« in Artikel 3 als »firm league of friendship« zur gemeinsamen Sicherung und Verteidigung der Freiheiten der Einzelstaaten. Jeder Staat behielt die Rechte von »souvereignty, freedom and independence«, soweit solche nicht ausdrücklich der zentralen Institution des Kongresses (»the United States in Congress assembled«) übertragen wurden (Art. 2). Auch in den United States verzichteten die Einzelstaaten auf auswärtige Bündnisse (»conference, agreement, alliance, or treaty«), es sei denn, der Kongress stimmte zu (Art. 6). Der entscheidende Unterschied zum Deutschen Bund lag eben in den substantiellen, dem Kongress übertragenen Rechten, dem nach Artikel 9 die Entscheidung über Krieg und Frieden, die Ratifizierung von Verträgen oder die Entsendung von Botschaftern exklusiv zukam. Diese wie andere wichtige Fragen mussten mit qualifizierter Mehrheit entschieden werden (neun der dreizehn Staaten, zwei Dritteln entsprechend). Und der Kongress fungierte auch als Schiedsinstanz bei Streitigkeiten zwischen zwei oder mehr Staaten. In der späteren Unionsverfassung von 1787/88 regelten Artikel 4 sowie der 10. Zusatzartikel von 1791 fortbestehende Rechte der Einzelstaaten und den Vorbehalt der Übertragung weiterer Kompetenzen an den Bund.99 Der Bundesvertrag der »XXII souveränen Cantone der Schweiz«, beschworen am 7. August 1815 in Zürich (der Text war von der eidgenössischen Tagsatzung bereits am 8. September 1814 verabschiedet worden), war das Ergebnis einer gezielten formalen Intervention der europäischen Großmächte in einer Situation bürgerkriegsähnlicher Unruhen in der Schweiz, die sich an der Rückgängigmachung von Reformen der Helvetik und der Mediation entzündet hatten. Die Grundlinien für die Lösung dieses Konflikts wurden durch eine Deklaration der Acht Mächte auf dem Wiener Kongress gezogen (20. März 1815); schon im August 1814 hatten die vier Großmächte für die »Suisse entière« die staatliche Ordnung eines »corps fédératif« angeordnet.100 Diese Außensteuerung war der wohl offensichtlichste gemeinsame Eingriff der alliierten Mächte Russland, Österreich, Preußen und Großbritannien in die Verfassungsangelegenheiten eines europäischen Staates 1814/15, möglich und erforderlich gleicherma

Schneider/Thomas Simon (Hg.): Verfassung und Völkerrecht in der Verfassungsgeschichte. Interdependenzen zwischen internationaler Ordnung und Verfassungsordnung, Berlin 2015, S.  37–63, 39–42 (= Beihefte zu »Der Staat«, Bd. 23); Andreas Kley: Verfassungsgeschichte der Neuzeit. Grossbritannien, die USA, Frankreich, Deutschland und die Schweiz, Bern 32013, S. 102–106; die wichtigsten Rechte des Kongresses ebd., S. 106. 99 Dippel, Constitutions of the World (wie Anm. 97), S. 60 f. (Art. 4), S. 83 (10. Amendment: »The powers not delegated to the United States by the Constitution, nor prohibited by it to the States, are reserved to the States respectively, or to the people.«). 100 Kley, Verfassungsgeschichte (wie Anm. 98), S. 270–276, Zitate S. 271; François Walter: Histoire de la Suisse, Bd. 3: Le temps des révolutions (1750–1830), Neuchâtel 2010, S. 109–111. Die Deklaration der Acht Mächte vom 20. März 1815 abgedruckt bei Comte d’Angeberg [Leonard Jakób Borejko Chod´zko]: Le Congrès de Vienne et les traités de 1815. Précédé et suivi des actes diplomatiques qui s’y rattachent. Avec une introduction historique par M. Capefigue, Paris 1863/64, S. 934–939.

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ßen aufgrund schwerer innerer Konflikte, über die auf dem Kongress durch die »plénipotentiaires des Puissances intervenantes dans les affaires de la Suisse« eingehend in einem eigenen Ausschuss verhandelt wurde.101 Für die 22 »Orte« (Kantone, darunter die drei Neuschöpfungen Wallis, Genf und Neuenburg) bestand der deutliche Druck, dieser vorgegebenen Bundesordnung beizutreten, weil nur so die angestrebte Neutralitätsgarantie für die Gesamtschweiz zu erreichen war. Von daher und wegen der ins Extrem getriebenen Dezentralisierung erklärt sich die bis heute negative Beurteilung des Bundes von 1815 in der Schweizer Geschichtsschreibung. Politische Referenz dort ist nach wie vor die in Form einer großen Revision (1999) bis heute gültige Bundesverfassung von 1848, mit der der Schweiz die Umwandlung vom Staatenbund zum Bundesstaat gelang.102 Der Vertrag selbst103 konstituierte also einen ausgesprochen lockeren Staatenbund, dessen Zweckbestimmung (»Behauptung ihrer [der Orte] Freyheit, Unabhängigkeit und Sicherheit« nach außen sowie »Handhabung der Ruhe und Ordnung im Innern«; Art. 1) inhaltlich praktisch deckungsgleich mit derjenigen des Deutschen Bundes war. Die »Tagsatzung« war, wie die Bundesversammlung, eine Zusammenkunft weisungsgebundener Gesandter, allerdings waren alle Kantone gleich stimmberechtigt und der Versammlung waren, wie dem USKongress, mehrere substantielle Aufgaben übertragen (Art. 8): Erklärung von Krieg und Frieden sowie der Abschluss von Bündnissen. Dafür war eine Dreiviertelmehrheit erforderlich; in weniger wichtigen Fällen, etwa beim Abschluss von Handelsverträgen, genügte die absolute Mehrheit. Auch die Organisation des Bundesheers (»Contingent«) (Art. 2) von 33 000 Mann sowie einer eigenen, aus Zolleinnahmen finanzierten »Kriegs-Cassa« (Art. 3) fielen in die Kompetenz des Bundes – ein Bereich, den der Deutsche Bund bekanntlich erst 1817–1822 mit der Aushandlung einer Bundeskriegsverfassung anging. Die institutionelle Ausgestaltung des Schweizer Bundes blieb minimal; neben der Tagsatzung wurde lediglich eine zweiköpfige »Eidgenössische Kanzley« eingerichtet, die dem turnusmäßig zwischen Zürich, Bern und Luzern wechselnden »Vorort« der Tagsatzung zugeordnet wurde (Art. 10). Für Lebensmittel galt in der Eidgenossenschaft Handels- und Zollfreiheit unter den Kantonen; Abzugssteuern bei Übersiedlungen blieben abgeschafft (Art. 11). Die deutliche Akzentuierung des Bundeszwecks in Richtung Bestandsgarantie, Sicherheit und Ordnung führte im Schweizer wie im deutschen Fall zum Verbot von (interkantonalen) Bündnissen gegen den Bund und zur Etablierung einer Schiedsinstanz (Art. 6 bzw. 5). Wichtiger als für den 101 Details dazu bei Stauber, Der Wiener Kongress (wie Anm. 51), S.  137–151, Zitat S.  139 Anm. 2. 102 Vgl. die Diskussion im Anschluss an den Beitrag Reinhard Stauber: Innerstaatliche Ordnung und internationales System auf dem Wiener Kongress 1814/15, in: Schneider/Simon (Hg.), Verfassung und Völkerrecht (wie Anm. 98), S. 79–99, abgedruckt S. 100–114, hier S. 101 f. (Bemerkung von Andreas Kley). 103 Die folgenden Zitate aus dem Abdruck bei Kley, Verfassungsgeschichte (wie Anm. 98), S. 466–469.



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Deutschen Bund wurde in der Eidgenossenschaft die Fortbildung der Rechtsordnung des Bundesvertrags durch multilaterale Abkommen zwischen zwei oder mehr Kantonen, sogenannte »Konkordate«.104 3. Föderalismus Das »föderative Grundmuster«, das in recht ähnlichen Zügen gerade am Beispiel der USA und der Eidgenossenschaft skizziert wurde, weist auf eine zentral wichtige Traditionslinie, eine »Geschichtsbrücke«105 der politischen Organisation Mitteleuropas hin, in die der Deutsche Bund sich einordnete. Es ist eine irreführende Verkürzung des Blicks auf das 19. Jahrhundert, vor allem von seinem Anfang her, wenn man es als die Hochphase des Nationalstaats betrachtet. Wohl war das 19. Jahrhundert eine wesentlich vom Nationalismus geprägte Epoche, in der sich die ersten nationalen Staatswesen ausbildeten. Doch zunächst war noch »das Imperium, noch nicht der Nationalstaat, die […] dominante territoriale Organisationsform von Macht«, wie Jürgen Osterhammel formuliert hat.106 Und wo bis zum Ende des 19. Jahrhunderts Nationalstaaten entstanden, konnten sie, so Dieter Langewiesche, auf ihre innere Struktur hin gesehen, in zwei unterschiedlichen Typen entstehen: als Zentralstaat oder als Föderativstaat.107 Für eine föderative Traditionslinie stehen der deutsche und der schweizerische Politikraum in ganz besonderer Weise, worauf der kurze Zentralisierungsschub der napoleonischen Zeit mit seiner Ausschaltung der Zwischengewalten und der Konzentration staatlicher Souveränität in den Einzelstaaten den Blick nicht wirklich verstellen kann. Im Erfahrungsraum und in den Zukunftserwartungen der Akteure des Wiener Kongresses waren zusammengesetzte Staatswesen frühneuzeitlicher Provenienz (»composite states«) sicher stärker verankert als zentralstaatliche Muster nach französischem Vorbild. Zu denken wäre, neben den bereits angesprochenen Fällen der Schweiz und der USA, auch an die »Acts of Union« zwischen dem Vereinigten Königreich und Irland 1801, an den Verbund zwischen Schweden

104 Vgl. hierzu ebd., S. 283 f. 105 Das Bild bei Dieter Langewiesche: Historische Reflexionen zum Föderalismus in Deutschland. Kontinuität und Wandel seit dem 19. Jahrhundert, in: Ines Härtel (Hg.): Handbuch Föderalismus. Föderalismus als demokratische Rechtsordnung und Rechtskultur in Deutschland, Europa und der Welt, Bd. 1: Grundlagen des Föderalismus und der deutsche Bundesstaat, Berlin/Heidelberg 2012, S. 129–143, hier S. 131. 106 Jürgen Osterhammel: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München 22009, S. 606; aufgenommen bei Wolfram Siemann: Der Wiener Kongress 1814/15. Restauration, Rekonstruktion oder imperiale Neuordnung Europas?, Wien 2017, S. 16–33. 107 Dieter Langewiesche: Reich, Nation, Föderation. Deutschland und Europa, München 2008, S. 184–190, 200.

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und Norwegen in Form einer die »dual statehood«108 begründenden Union von 1814 und an die 1814/15 als Königreich restaurierten Niederlande mit ihren nach wie vor siebzehn Provinzen, deren Ständeversammlungen die zweite Kammer der General-Staaten wählten. In dieser Tradition zusammengesetzter, föderativer Staatlichkeit, in die der Deutsche Bund sich einreiht, waren nationale Einigkeit und nationalstaatliche Einheit keineswegs deckungsgleich, musste nationale Einigungspolitik die Autonomie einzelstaatlicher Glieder nicht notwendigerweise zentral überformen. Gerade im Fall multinationaler Imperien lassen sich, ebenso wie bei der offenen Struktur des Deutschen Bundes, mehrfache, abgestufte Loyalitäten zwischen Region, Einzelstaat und Zentrum beobachten, die mit Kategorien wie ›Nationalität‹ erfassbar sind, nicht aber mit jenen des ›Nationalstaats‹.109 Diesen Sachverhalt sucht die neuere Forschung mit Formeln wie »föderativer Nationalismus«, »Nationalität im Staat« oder »multinational nationality« auf den Punkt zu bringen.110 Zeitgenössisch drückte sich dieses vorstaatliche Zusammengehörigkeitsgefühl in Begriffsprägungen aus wie beispielsweise vom »Band der Nationalität«, das der österreichische Präsidialgesandte Buol-Schauenstein bei der Eröffnung der Bundesversammlung 1816 apostrophierte, oder jener »allgemein ausgesprochenen Nazionalität«, durch die Rechberg die »öffentliche Stimmung« 1815 zufriedengestellt glaubte.111 Das »föderative Grundmuster der deutschen Geschichte«112 mit seiner Vielfalt kleiner und mittlerer Staaten, der Pluralität kultureller Zentren und der Fortführung der Tradition der aus mehreren eigenständigen Subeinheiten zusammengesetzten Staatswesen Alteuropas korrespondierte in der Situation der Jahre 1814/15 nicht nur mit der dort etablierten Tradition pluraler Staatswesen, sondern entsprach auch dem Grundmuster der Wiener Ordnung Europas mit seiner pluralen Hegemonie von vier, bald fünf großen Mächten. Korrespondierende Prinzipien waren ordnungspolitische Offenheit durch Verzicht auf zentral vorgegebene Verfassungsmuster, Beförderung von politischer und kultureller Vielfalt oder auch das Bekenntnis zu einem gemeinsamen Verantwortungsraum Europa. Umgekehrt bedeutete dies aber auch eine enge Kontrolle durch eine kleine Gruppe hegemonialer Staaten, die sich selbst mit aller Deutlichkeit die Führungsrolle zuschrieben: »The conduct of the business must practically rest with the leading Powers.«113 108 So das Thema einer Salzburger Tagung im September 2017, organisiert von Laurence Cole; vgl. http://www.hsozkult.de/event/id/termine-34963 (Zugriff 6.2.2018). 109 Langewiesche, Reich, Nation, Föderation (wie Anm. 107), S. 188, 206. Vgl. Vick, The Congress of Vienna (wie Anm. 54), S. 266–277, 284–288, 320, der am Beispiel des Umgangs mit der Bevölkerung des geteilten Polen sein Konzept der Anerkennung »for a multinational nationality« entwickelt (S. 287). 110 Langewiesche, Nation, Nationalismus, Nationalstaat (wie Anm. 96), S. 55; Siemann, Metternich (wie Anm. 1), S. 519; Vick, The Congress of Vienna (wie Anm. 54), S. 287. 111 Siehe oben Anm. 86 bzw. 71. 112 Langewiesche, Nation, Nationalismus, Nationalstaat (wie Anm. 96), S. 69. 113 So der britische Außenminister Castlereagh in der unübersichtlichen Situation vor Aufnahme der Wiener Verhandlungen im September 1814; Müller (Hg.), Quellen zur Geschichte



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Für eine valide Einschätzung des Deutschen Bundes müsste die zentrale Frage also eigentlich lauten: »Wieviel Staatlichkeit verträgt der Föderalismus?«114 Nie staatlich geeint gewesen zu sein – das war in Mitteleuropa der Normalfall. Und auch regionale Loyalität und das Empfinden der Zugehörigkeit zu einer deutschen Nationalität bildeten für den größeren Teil des 19. Jahrhunderts keinen Widerspruch, wie etwa Franz Schuselkas in das Umfeld von 1848 gehörende Wortprägung vom deutschen »Föderativvolk« unterstreicht, dem Zentralisierung und Uniformität fremd seien.115 Das föderalistische Prinzip der Bundesakte war präformiert in den pluralen Strukturen des Alten Reiches und des Rheinbundes, und es war im Friedensschluss von 1814 als »lien fédératif« ausdrücklich fortgeschrieben worden. Mehrere Staatsrechtler und Publizisten hatten schon in der Rheinbundzeit den Versuch unternommen, einzelstaatliche Souveränität und staatenbündische Einheit terminologisch zusammen zu denken. Johann Gottfried Pahl aus Württemberg bezeichnete 1806/07 den Rheinbund als Vorstufe zu einem »teutschen« Bund, dessen konföderative Struktur als »gesetzmässige[n] Verein mehrerer […] Staaten«. Wilhelm Joseph Behr aus Würzburg sprach 1808 vom Rheinbund als »Staaten-Bund« ohne Höchstgewalt auf der Basis gegenseitiger Anerkennung. So garantiere der Föderativverband gerade durch reziproke Anerkennung jene einzelstaatliche Souveränität, die die Fürsten, jeder für sich, nicht würden behaupten können, und verkörpere dadurch »das Prinzip […] eines auf die Gleichheit aller gebauten freyen Föderalismus«.116 Der Heidelberger Staatsrechtler Johann Ludwig Klüber, auf Einladung Hardenbergs beim Wiener Kongress präsent, registrierte durchaus die Elemente von Kontinuität zwischen 1806 und 1815 (allen voran die Anerkennung der in den Einzelstaaten gestifteten neuen Rechtsverhältnisse), war sich aber klar darüber, dass es in der Situation von 1814/15 politisch unerwünscht war, dergleichen zu thematisieren.117 Zumindest bis 1819/20 blieb, wie gezeigt wurde, die Ausgestaltung des Bundessystems durch interstaatlich gültige Richtlinien auf der Tagesordnung. Und daneben blieb, außer im Fall der inneren Sicherheit, »ein breites Spek-

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des Wiener Kongresses (wie Anm. 19), Nr. 23, S. 185. Diesen Aspekt der Wiener Ordnung und die daraus sich auf mittlere Sicht ergebenden destabilisierenden Konsequenzen betont Miroslav Šedivý: Crisis among the Great Powers. The Concert of Europe and the Eastern Question, London/New York 2017, S. 6 f., 22 f. Wolfram Siemann: Vom Staatenbund zum Nationalstaat. Deutschland 1806–1871, München 1995, S. 315 (= Neue Deutsche Geschichte, Bd. 7). Langewiesche, Nation, Nationalismus, Nationalstaat (wie Anm. 96), S. 61. Gerhard Schuck: Rheinbundpatriotismus und politische Öffentlichkeit zwischen Aufklärung und Frühliberalismus. Kontinuitätsdenken und Diskontinuitätserfahrung in den Staatsrechts- und Verfassungsdebatten der Rheinbundpublizistik, Stuttgart 1994, S. 290–300, Zitate S. 291, 293, 295 (= Frankfurter historische Abhandlungen, Bd. 36). Vgl. ebd., S. 301 f.

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trum eigenständiger Innenpolitik denkbar«118, das die modernen Verfassungen repräsentativen Typs, die mehrere süddeutsche Staaten 1814–1820 erließen, abdeckte. Wie Nationalitätenrechte waren auch Verfassungen im Entscheidungsrepertoire des Wiener Kongresses präsent, und am »Durchbruch des monarchischen Konstitutionalismus«, den Volker Sellin als Kern des politischen Modells der ›Restauration‹ mit seiner Stabilisierungsleistung beschreibt, war der Politikraum des Deutschen Bundes wesentlich beteiligt.119 Andererseits arbeiteten die großen Einzelstaaten, die neuen Freiräume bereits der Rheinbundzeit nutzend, auf ihre Konstituierung als höchstes Objekt der Loyalität aller ihrer Untertanen/Bürger hin. Im Gegensatz zu einer föderativen Republik vom Typ der USA trat im Deutschen Bund, der sich aus Kollektiven (den Einzelstaaten), nicht aus Individuen zusammensetzte, der Einzelne nicht in unmittelbare Beziehung zum Gesamtstaat. Da die »Föderativnation« für ihre Bürger einen doppelten Loyalitätsraum konstituierte, im Einzelstaat und als Gesamtheit, der Bund sich aber zunehmend »in einen Gegensatz zur Ordnungsidee Nation« setzte, »weil er sich deren Teilhabewünschen verweigerte« und auch jede nationale Symbolpolitik fehlte, konnte er letztendlich nicht nachhaltig zur politischen Nationsbildung Deutschlands beitragen.120 Gleichwohl setzte der Föderalismus als »fortdauernde Wirkkraft kleiner staatlicher Räume«121 auch nach 1815 einen entscheidend wichtigen Strukturakzent für das staatliche Grundmuster der deutschen Geschichte: für die Planungen der Paulskirchenversammlung von 1848/49, für die Verfassung des Deutschen Kaiserreichs von 1871 mit ihrem Bundesrat der 25 Mitgliedsstaaten als Prototyp einer »Föderativnation«, für die Präsenz des von den Ländern beschickten »Staatenausschusses« bei den Beratungen über die Weimarer Reichsverfassung 1919 bis hin zur Präambel des Grundgesetzes von 1949, die »das Deutsche Volk« und »die Deutschen in den Ländern« gleichsetzt. Damals wie heute garantiert das föderative Prinzip ein nicht konfliktfreies, aber friedliches Miteinander, schafft einen Schutzraum für kleine und mittlere Gebiete, räumt der Entwicklung einer dezentralen politischen Kultur weite Frei118 Willoweit, Verfassungsgeschichte (wie Anm. 94), S. 225. Vgl. Bernd Grzeszick: Der Gedanke des Föderalismus in der Staats- und Verfassungslehre vom Westfälischen Frieden bis zur Weimarer Republik, in: Härtel (Hg.), Handbuch Föderalismus, Bd. 1 (wie Anm. 105), S. 57– 99, hier S. 73. 119 Volker Sellin: Das Jahrhundert der Restaurationen 1814 bis 1906, München 2014, S. 7–11, 55–73, Zitat S.  10; Vick, The Congress of Vienna (wie Anm. 54), S.  240–258. Vgl. dazu Markus J. Prutsch: Making Sense of Constitutional Monarchism in Post-Napoleonic France and Germany, Basingstoke 2013. 120 Langewiesche, Reflexionen zum Föderalismus (wie Anm. 105), S. 135; Siegfried Weichlein: Föderalismus und Bundesstaat zwischen dem alten Reich und der Bundesrepublik Deutschland, in: Härtel (Hg.), Handbuch Föderalismus, Bd. 1 (wie Anm. 105), S.  101–127, hier S. 104–106. 121 Langewiesche, Reich, Nation, Föderation (wie Anm. 107), S. 196; vgl. Siemann, Vom Staatenbund zum Nationalstaat (wie Anm. 114), S. 321.



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räume ein und wirkt der potentiellen Machtarroganz einer einzigen Entscheidungszentrale entgegen. Trotz Theodor Heuss’ Spott über die »Quadratkilometersouveränität« der Kleinstaaten ist die deutsche Geschichte »eine Geschichte des Föderativen und ihres Wandels, bis heute«.122

122 Langewiesche, Reflexionen zum Föderalismus (wie Anm. 105), S. 140 f. (Zitat von Heuss), S. 143.

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Die Kommissionen der Deutschen Bundesversammlung als Foren von Aushandlungsprozessen zwischen Bürokratie und Gesellschaft (1816–1848) I. Einführung Die Nationalismusforschung begreift die moderne Nationsbildung nicht allein als politisch-institutionellen Prozess der Schaffung eines einheitlichen Nationalstaates, sondern ebenso als soziokulturellen Vorgang, welcher die Vorstellung einer nationalen Zusammengehörigkeit erst erzeugte, verbreitete und festigte.1 Vor diesem Hintergrund muss die Rolle des Deutschen Bundes und der Bundesversammlung in Frankfurt am Main mit ihren zahlreichen Kommissionen im Prozess der Nationsbildung neu bewertet werden. Denn obwohl der Deutsche Bund von der Nationalbewegung heftig kritisiert wurde, da er nicht deren Vorstellungen von nationaler Einheit entsprach2, so hat er doch von Anfang an den Anspruch formuliert, das »große Band der Nationalität« weiter zu entwickeln, wie es der österreichische Präsidialgesandte Johann Rudolf Graf von BuolSchauenstein bei der Eröffnung der Bundesversammlung am 5. November 1816 ausdrückte.3 In seinem ersten Geschäftsvortrag in der Sitzung vom 11. November 1816 unterstrich Buol-Schauenstein, dass »ganz Deutschland« mit »gespannter Erwartung« den Beratungen der Bundesversammlung entgegensehe und »mit Zuversicht und Vertrauen« erwarte, dass man »das Gebäude des großen National-Bundes vollenden« werde. Man wolle daher, so hieß es an anderer Stelle, 1 Aus der umfangreichen Literatur zur Nationsbildung seien hier nur exemplarisch zwei wichtige Überblickswerke genannt: Dieter Langewiesche: Reich, Nation, Föderation: Deutschland und Europa, München 2008; Hans-Ulrich Wehler: Nationalismus: Geschichte – Formen – Folgen, München 42011. 2 Zur Kritik am Deutschen Bund vgl. die grundlegenden Darstellungen: Jürgen Müller: Der Deutsche Bund 1815–1866, München 2006 (= Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 78); Wolf D. Gruner: Der Deutsche Bund 1815–1866, München 2012. 3 Rede des österreichischen Präsidialgesandten Buol-Schauenstein bei der Eröffnung der Deutschen Bundesversammlung, Frankfurt am Main, 5. November 1816, in: Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes. Für die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften hg. v. Lothar Gall [künftig: QGDB], Abt. I: Quellen zur Entstehung und Frühgeschichte des Deutschen Bundes 1813−1830, Bd. 2: Organisation und innere Ausgestaltung des Deutschen Bundes 1815–1819, bearb. v. Eckhardt Treichel, Berlin/Boston 2016, S. 169–179, Zitat S. 176.

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bestrebt sein, »gerechter Erwartung der öffentlichen Meinung zu huldigen, ihr zu entsprechen«.4 Die Erwartungen der Öffentlichkeit wurden damit zum Maßstab des politischen Handelns der Bundesversammlung erklärt und mit einer nationalen Sinnzuschreibung versehen. Die in Frankfurt tagende Bundesversammlung war somit kein von gesellschaftlichen Einflüssen losgelöstes Gremium. Vielmehr war sie ein Forum, in dem gesellschaftliche Erwartungen und staatlich-bürokratische Gestaltungsansprüche durch gegenseitige Wahrnehmungen, Deutungen und Sinnzuweisungen in einen kommunikativen Austausch traten. Dieser produktive und wechselseitige Prozess der Aneignung von Verfassung und Verwaltung wird in der neueren Forschung gegenüber älteren Vorstellungen einer einseitigen Durchsetzung bürokratischer Normen immer mehr herausgearbeitet.5 Zudem erscheint die Zeit zwischen 1815 und 1848, insbesondere die lange als Epoche der »Restauration« geltenden Jahre zwischen 1815 und 1830, im Lichte neuerer Untersuchungen als dynamische Zeit, in der der gesellschaftliche Reformdruck auf Regierungen und Verwaltungen der Staaten im Deutschen Bund wie in ganz Europa trotz der Überwindung der revolutionären Dynamik außerordentlich hoch blieb. Staatliche Herrschaft war ohne Modernisierungsund Reformmaßnahmen nicht mehr zu legitimieren.6 In diesem Sinne hatte der Bremer Senator Johann Smidt, der die Hansestadt als Gesandter zunächst auf dem Wiener Kongress und dann über viele Jahre in der Deutschen Bundesversammlung vertrat, bereits am 9. Juni 1815 über die Gründung des Deutschen Bundes bemerkt: »Der gemeinschaftliche Bund ist nun doch einmal geschlossen, es ist doch jetzt ein Centralpunkt der deutschen Nationalbestrebungen vorhanden, und die öffentliche Meynung dürfte diese nachgerade so laut ansprechen, um ein kräftiges Leben und Weben in ihm zu erwecken, daß er sich in einem dauernden Sündenschlaf unmöglich wird behaupten können.«7

4 Erster Vortrag des österreichischen Präsidialgesandten Buol, Frankfurt am Main, 11. November 1816, in: ebd., S. 423–434, Zitate S. 425 u. 427. 5 Vgl. u. a. Peter Becker: Überlegungen zu einer Kulturgeschichte der Verwaltung, in: Jahrbuch für Europäische Verwaltungsgeschichte 15 (2003), S. 311–336; Peter Becker/Rüdiger von Krosigk (Hg.): Figures of Authority. Contributions towards a Cultural History of Governance from the 17th to 19th Century, Bern u. a. 2008; Werner Daum/Peter Brandt/Martin Kirsch/Arthur Schlegelmilch (Hg.): Handbuch der europäischen Verfassungsgeschichte im 19. Jahrhundert. Institutionen und Rechtspraxis im gesellschaftlichen Wandel, Bd. 2: 1815–1847, Bonn 2012. 6 Vgl. Hans-Werner Hahn/Helmut Berding: Reformen, Restauration und Revolution 1806– 1848/49, Stuttgart 2010 (= Gebhardt Handbuch der deutschen Geschichte, 10., völlig neu bearb. Aufl., Bd. 14); Andreas Fahrmeir: Europa zwischen Restauration, Reform und Revolution 1815–1850, München 2012 (= Oldenbourg Grundriss der Geschichte, Bd. 41); Wolfram Siemann: Vom Staatenbund zum Nationalstaat. Deutschland 1806–1871, München 1995 (= Neue Deutsche Geschichte, Bd. 7). 7 Zitiert nach: Andreas Schulz: Vormundschaft und Protektion. Eliten und Bürger in Bremen 1750–1880, München 2002, S. 249 (= Stadt und Bürgertum, Bd. 13).



Die Kommissionen der Deutschen Bundesversammlung

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Mit seinem selbstgesteckten Anspruch, das gemeinsame nationale Band zu entwickeln, wurde der Deutsche Bund somit Teil jener sich verdichtenden sozialen Kommunikationsprozesse, die Karl W. Deutsch bereits 1953 in einer wegweisenden Studie als grundlegend für die Nationsbildung beschrieben hat und die dazu beitrugen, dass sich die Nation als eine »vorgestellte Gemeinschaft«, wie es Benedict Anderson 1983 formulierte, konstituieren konnte.8 Dies führt weiter zu dem von Dieter Langewiesche entwickelten Konzept der »kulturellen Nationsbildung«, womit nicht allein der Beitrag eines separaten Bereiches »Kultur« zum politischen Konstrukt der Nation gemeint ist, sondern das auch im Sinne eines grundlegenden, anthropologischen Kulturbegriffes auf die Konstruktion von nationalen Sinnzuweisungen zielt.9 Nicht allein die Endresultate der Bundestagsverhandlungen in Gestalt von Verfassungsnormen oder Gesetzestexten gilt es daher zu untersuchen, sondern auch die Strukturen jener Kommunikations- und Aushandlungsprozesse zwischen föderativer staatlicher Herrschaft und Gesellschaft sowie deren Auswirkungen auf die nationale Identitätsbildung. Das zentrale Forum dieser Prozesse waren im Hinblick auf den Deutschen Bund die Kommissionen der Bundesversammlung. Inwieweit hier gesellschaftliche Erwartungen und bürokratische Regelungsansprüche in einen kommunikativen Austausch traten und dabei explizit mit nationalen Sinnzuweisungen versehen wurden, soll im Folgenden skizziert werden.

II. Die Kommissionen der Bundesversammlung als Adressaten gesellschaftlicher Erwartungen Über die Kommissionen der Deutschen Bundesversammlung war lange Zeit wenig bekannt, obwohl sie für die laufende Arbeit, die Meinungsbildung und die Entscheidungsfindung im Deutschen Bund eine zentrale Rolle spielten. Erst in jüngerer Zeit sind sie allmählich in den Fokus der Forschung gerückt.10 Trotz des 8 Vgl. Karl W. Deutsch: Nationalism and Social Communication. An Inquiry into the Foundations of Nationality, New York 1953, Cambridge, Mass. 21966; Benedict R. Anderson: Imagined Communities. Reflections on the Origins and Spread of Nationalism, London 1983, deutsche Ausgabe: Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts, Frankfurt am Main/New York 1988. 9 Vgl. Dieter Langewiesche: Kulturelle Nationsbildung im Deutschland des 19. Jahrhunderts, in: Ders.: Nation, Nationalismus, Nationalstaat in Deutschland und Europa, München 2000, S. 82–102. 10 Vgl. Jürgen Müller: Der Deutsche Bund und die ökonomische Nationsbildung. Die Ausschüsse und Kommissionen des Deutschen Bundes als Faktoren politischer Integration, in: HansWerner Hahn/Marko Kreutzmann (Hg.): Der Deutsche Zollverein. Ökonomie und Nation im 19. Jahrhundert, Köln/Weimar/Wien 2012, S. 283–302; Eckhardt Treichel: Die Kommissionen der Deutschen Bundesversammlung und ihre Mitglieder 1816–1820, in: Stefan Gerber/Werner Greiling/Tobias Kaiser/Klaus Ries (Hg.): Zwischen Stadt, Staat und Nation. Bürgertum in Deutschland, Göttingen 2014, S. 347–359; Wolfram Siemann: Wandel der Politik – Wandel der Staatsgewalt. Der Deutsche Bund in der Spannung zwischen »Gesammt-Macht« und »völker-

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Widerstandes einiger Mittelstaaten wie Württemberg und Bayern wurden in der Bundesversammlung seit den vorbereitenden Präliminarsitzungen vom Oktober 1816 Kommissionen gebildet, die zu bestimmten Fragen Gutachten, Beschlussvorlagen oder Gesetzesentwürfe vorlegen sollten. Die Einrichtung dieser Kommissionen erfolgte spontan, sobald Verhandlungsgegenstände auf die Tagesordnung traten, deren Beratung und Entscheidung eine längere Vorbereitung erforderte. Der Vorschlag des österreichischen Präsidialgesandten Buol-Schauenstein in seinem ersten Geschäftsvortrag vom 11. November 1816, permanente Kommissionen für Auswärtiges, Militär, Gesetzgebung und Erhaltung der Bundesverfassung einzurichten, wurde aufgrund verschiedener Widerstände fallengelassen.11 Obwohl die Kommissionen somit nicht als dauerhafte Einrichtungen vorgesehen waren, wurden manche von ihnen bald zu permanenten Gremien. Die meisten Kommissionen hatten jedoch nur eine begrenzte Lebensdauer zwischen wenigen Wochen und einigen Jahren. Mitunter wurden auch bereits beendete Kommissionen wieder reaktiviert. Um die Arbeitsweise in den Kommissionen zu verbessern, wurde im April 1819 eine Geschäftsordnung für die Bundestagskommissionen erlassen.12 Diese Geschäftsordnung galt jedoch nur für die innerhalb der Bundesversammlung aus Bundestagsgesandten gebildeten Kommissionen, welche die Beschlüsse der Bundesversammlung vorbereiten sollten. Zwischen 1816 und 1848 wurden 182 solcher Kommissionen gebildet.13 Daneben gab es aber auch Fachkommissionen, die aus Experten außerhalb der Bundesversammlung bestanden und die Bundesversammlung in speziellen Fragen berieten. Davon gab es bis 1848 lediglich acht, worunter vor allem Militär- und politische Untersuchungskommissionen14 sowie Schuldentilgungskommissionen und nur eine einzige, mit rechtlichem Verein«, in: Helmut Rumpler (Hg.): Deutscher Bund und deutsche Frage 1815– 1866. Europäische Ordnung, deutsche Politik und gesellschaftlicher Wandel im Zeitalter der bürgerlich-nationalen Emanzipation, Wien 1990, S. 59–73 (= Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit, Bd. 16/17). – Die Ausführungen in diesem Beitrag beruhen auf den Zwischenergebnissen eines seit 2016 bei der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München angesiedelten, von Jürgen Müller in Frankfurt geleiteten und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts mit dem Titel: »Gesellschaftliche Erwartungen und bürokratische Experten: Die Kommissionen und Ausschüsse des Deutschen Bundes als Foren politischer Aushandlungsprozesse (1816–1848).« 11 Vgl. Erster Vortrag des österreichischen Präsidialgesandten Buol, Frankfurt am Main, 11. November 1816, in: QGDB, Abt. I, Bd. 2 (wie Anm. 3), S. 423–434, hier S. 433. 12 Vgl. Geschäftsordnung für die Kommissionen der Deutschen Bundesversammlung, in: ebd., S. 332–336. 13 Die statistischen Angaben zu den Kommissionen und ihren Mitgliedern sowie zu den Eingaben an die Bundesversammlung beruhen auf eigenen Erhebungen auf der Grundlage der gedruckten Bundestagsprotokolle. Vgl. Protokolle der Deutschen Bundesversammlung nebst den loco dictaturae gedruckten Beilagen, Frankfurt am Main 1816 ff. [amtliche Folioausgabe]. 14 Darunter werden hier auch die bekannten Beispiele der Bundesmilitärkommission und der Mainzer Zentraluntersuchungskommission verstanden. Vgl. Wolfgang Keul: Die Bundesmilitärkommission (1819–1866) als politisches Gremium. Ein Beitrag zur Geschichte des Deut-



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einem zivilen Vorhaben von nationalem Interesse befasste Kommission – nämlich die 1841 für den Ankauf der von Johann Philipp Wagner erfundenen elektromagnetischen Maschine eingesetzte Sachverständigenkommission, auf die unten näher eingegangen wird – zu verstehen sind. Erst ab 1851 schuf der Deutsche Bund im Zuge vieler Vorhaben der nationalen Gesetzgebung zahlreiche weitere Fach- oder Expertenkommissionen.15 Schließlich gab es zehn Lokalkommissionen, die im Auftrag des Bundes vor Ort tätig waren. Dies waren insbesondere die Militärlokalkommissionen, welche die lokalen Gegebenheiten für den Bau der Bundesfestungen ermittelten, aber auch eine Lokalkommission für die Verwaltung des Archivs des ehemaligen Reichskammergerichts in Wetzlar, die aus einem preußischen Beamten und einem von der Bundesversammlung bestellten Kommissar bestand.16 Alles in allem wurden vom Deutschen Bund zwischen 1816 und 1848 also genau 200 Kommissionen ins Leben gerufen. Die teils langjährige gemeinsame Tätigkeit in den Kommissionen trug sicher dazu bei, bei ihren Mitgliedern zumindest im Ansatz ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu erzeugen. Die Mitglieder der innerhalb der Bundesversammlung aus Bundestagsgesandten gebildeten Kommissionen wurden im Engeren Rat der Bundesversammlung durch Stimmenmehrheit gewählt. Dabei spielte nicht nur der Einfluss des Staates, den der jeweilige Gesandte repräsentierte, sondern auch die Persönlichkeit des Gesandten selbst eine wichtige Rolle. Von den 94 zwischen 1816 und 1848 tätigen Bundestagsgesandten wurden 82 mindestens einmal in eine Kommission gewählt, und im Durchschnitt war jeder Gesandte, der in Kommissionen gewählt wurde, in dreizehn Kommissionen tätig.17 Die Bundestagsgesandten waren auch als Kommissare nur ihren Einzelstaaten verantwortlich, konnten in den Kommissionen aber ohne Instruktionen ihrer Regierungen arbeiten. Zudem wurden die Gutachten stets im Namen der gesamten Kommission, nicht eines einzelnen Gesandten erstattet, was eine kollegialische Arbeitsweise und Verantwortlichkeit implizierte. Damit entwickelten sich die Kommissionen zu quasi behördlichen Einrichtungen, in denen sich langfristig sogar »Kristallisationspunkte zentraler Staatsgewalt« erkennen lassen.18 Das kollegialische Prinzip wurde auch gegen den Willen einzelner Regierungen verteidigt. Als im Jahr 1823 der württembergische Gesandte Karl August von Wangenheim wegen seiner liberalen Gesinnungen in der Reklamationskommission isoliert werden schen Bundes, Frankfurt am Main u. a. 1977; Eberhard Weber: Die Mainzer Zentraluntersuchungskommission, Karlsruhe 1970. 15 Vgl. Jürgen Müller: Deutscher Bund und deutsche Nation 1848–1866, Göttingen 2005 (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 71). 16 Vgl. grundlegend: Bernhard Diestelkamp (Hg.): Das Reichskammergericht am Ende des Alten Reiches und sein Fortwirken im 19. Jahrhundert, Köln 2002 (= Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, Bd. 41). 17 Eigene Erhebung auf der Grundlage der Protokolle der Deutschen Bundesversammlung (wie Anm. 13). Vgl. für die Zeit bis 1823 auch den Beitrag von Eckhardt Treichel in diesem Band. 18 Siemann, Wandel (wie Anm. 10), 63.

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und das hier ursprünglich vorgesehene Prinzip einer Abgabe der Gutachten nur im Namen der einzelnen Gesandten durchgesetzt werden sollte, solidarisierten sich die meisten der anderen Kommissionsmitglieder und der übrigen Bundestagsgesandten nicht nur mit ihrem angegriffenen Kollegen, sondern legten die Abgabe der Gutachten im Namen der gesamten Kommission auch durch einen verbindlichen, wenngleich nicht in das offizielle Protokoll aufgenommenen Beschluss fest.19 Die gesellschaftlichen Erwartungen wurden an die Bundesversammlung bereits bei ihrer Eröffnung durch zahlreiche Eingaben von Privatpersonen, Korporationen oder Vereinen herangetragen. Bis 1848 erreichten die Bundesversammlung rund 2600 Eingaben, wobei die jährliche Zahl zwischen 353 im Jahr 1817 und 30 im Jahr 1846 schwankte. Nicht eingerechnet in diese Zahlen sind jene Eingaben, die aus verschiedenen Ursachen nicht den Weg in das offizielle Einreichungsprotokoll fanden.20 So wurde der Bundesversammlung im Gefolge des Wartburgfestes vom 18./19. Oktober 1817 Anfang November desselben Jahres eine Eingabe vorgelegt, in der die Umsetzung des Artikels 13 der Bundesakte über die Einführung landständischer Verfassungen in den Bundesstaaten gefordert wurde. Auf Betreiben des österreichischen Präsidialgesandten Buol-Schauenstein wurde diese Eingabe, welche immerhin 2000 Unterschriften enthielt, letztlich zwar nicht offiziell beim Bundestag eingereicht, sie führte jedoch in der Bundesversammlung zu kontroversen Beratungen und schließlich zu einem Bundesbeschluss, nach welchem die Bundesstaaten über ihre Fortschritte bei der Einführung landständischer Verfassungen an die Bundesversammlung berichten sollten.21 Im Untersuchungszeitraum befassten sich allein 38 Kommissionen, die sogenannten Eingaben- oder Reklamationskommissionen, mit der Bearbeitung der Eingaben, da in relativ kurzen Abständen immer wieder eine neue Kommission für diese Aufgabe gewählt wurde. Die Bundesversammlung erhob grundsätzlich den Anspruch, eine Art nationale Appellationsinstanz für die Untertanen der deutschen Bundesstaaten in strittigen Rechtsfragen, aber auch ein Adres19 Siehe zu diesem Vorgang den Bericht Wangenheims, Frankfurt am Main, 22. Juni 1823, in: Landesarchiv Baden-Württemberg – Hauptstaatsarchiv Stuttgart, E 50/01 Bü. 933, Bl. 160– 168, hier bes. Bl. 164–168r. 20 Festgehalten wurden die Eingaben in den gedruckten Protokollen der Bundesversammlung, zunächst nur in der sogenannten Quartausgabe, die zwischen 1817 und 1828 als Teilsammlung für das Publikum erschien, später auch in der nur für den amtlichen Gebrauch bestimmten Folioausgabe (wie Anm. 13). Daneben sind sie im offiziellen Einreichungsprotokoll der Bundesversammlung enthalten. Vgl. für die Jahre von 1816 bis 1848: Bundesarchiv BerlinLichterfelde, DB 1/I, Nr. 515–528; die nicht im offiziellen Einreichungsprotokoll aufgenommenen Eingaben befinden sich in: ebd., DB 1/I, Nr. 112 und 113. 21 Vgl. Hellmut Seier: Der Bundestag und die deutsche Einheit 1816–1818. Bemerkungen zum Zeithintergrund des Wartburgfestes, in: Klaus Malettke (Hg.): 175 Jahre Wartburgfest: 18. Oktober 1817 – 18. Oktober 1992. Studien zur politischen Bedeutung und zum Zeithintergrund der Wartburgfeier, Heidelberg 1992, S. 61–119, hier bes. S. 100–106.



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sat für politische Forderungen zu sein. Damit knüpfte sie an die Tradition des Reichstags des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation an, den ebenfalls tausende Supplikationen von »Menschen aller Bevölkerungsschichten« erreicht hatten, zu deren Bearbeitung auf jedem Reichstag »interständisch besetzte Supplikationsausschüsse« eingesetzt wurden.22 Da »jedem Deutschen der Weg an die Bundesversammlung jederzeit offen stehen« sollte, erwog man sogar, feste Agenten zu ernennen, die als Mittler zwischen den Urhebern der Eingaben und der Bundesversammlung fungieren sollten.23 Da man hierbei jedoch die Gefahr einer zu großen interessenpolitischen Einflussnahme auf die Bundesversammlung erblickte, schreckte man vor dieser Einrichtung zurück. Dennoch etablierte sich in Frankfurt bald ein Kreis von Personen, in der Regel ortsansässige Juristen, welche die Einreichung der Eingaben bei der Bundesversammlung für die Urheber übernahmen und sich damit zu regelrechten Interessenvertretern oder Lobbyisten vor Ort entwickelten.24 Die an die Bundesversammlung gelangenden Eingaben betrafen meist Ansprüche von Personen oder Gruppen, die in der Bundesakte garantiert worden waren, wie die in Artikel 15 der Bundesakte im Anschluss an den Reichsdeputationshauptschluss von 1803 garantierten Schulden und Pensionen aus der Zeit des Alten Reiches, aber auch Klagen von Untertanen wegen verweigerter oder verzögerter Rechtspflege in den Bundesstaaten. In einem Fall wagte die Bundesversammlung sogar die offene Kraftprobe mit einem Bundesfürsten und begründete dies mit nationalen Argumenten, nämlich bei der 1816/17 beim Bundestag verhandelten Reklamation des kurhessischen Untertanen Wilhelm Hoffmann gegen seinen Landesherren wegen verweigerter Justiz im Streit um enteignete Güter, die Hoffmann während der Herrschaft des Königreichs Westfalen erworben hatte.25 Nachdem sich die Bundesversammlung auf Empfehlung der Reklamationskommission auf die Seite Hoffmanns gestellt und dafür eine scharfe Antwort des Kurfürsten geerntet hatte, betonte sie mit großer Mehrheit, dass sie sich nicht daran hindern lasse, »bedrängter Unterthanen sich anzunehmen und auch ihnen die Ueberzeugung zu verschaffen, daß Deutschland nur darum mit dem Blute der Völker von fremdem Joche befreiet und Länder ihren rechtmäsigen Regenten

22 Vgl. Helmut Neuhaus: Der Reichstag als Zentrum eines »handelnden« Reiches, in: Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 962 bis 1806. Altes Reich und neue Staaten 1495 bis 1806. 29. Ausstellung des Europarates in Berlin und Magdeburg, Bd. 2: Essays. Im Auftrag des Deutschen Historischen Museums hg. v. Heinz Schilling/Werner Heun/Jutta Götzmann, Dresden 2006, S. 43–52, Zitate S. 48; Helmut Neuhaus: Reichstag und Supplikationsausschuß. Ein Beitrag zur Reichsverfassungsgeschichte der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, Berlin 1977. 23 Vgl. Kommissionsgutachten über die Bestellung von Agenten bei der Bundesversammlung, in: QGDB, Abt. I, Bd. 2 (wie Anm. 3), S. 311–320, Zitat S. 312. 24 Vgl. ebd., bes. S. 319 f. (Fußnoten 11 bis 16). 25 Vgl. Hellmut Seier: Kurhessen und die Anfänge des Deutschen Bundes 1816–1823, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 29 (1979), S. 98–161, hier bes. S. 118–122.

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zurückgegeben worden, damit überall ein rechtmäßiger Zustand an die Stelle der Willkühr treten möge«.26 Hier wurde die gesellschaftliche Erwartung der Garantie von Rechtssicherheit mit einer nationalen Sinnzuschreibung versehen. Die Bundestagsgesandten verstanden sich dabei als Vertreter der »Gesammtheit des Bundes«, die »nie und nirgends unter einem Gliede des Bundes« stünden.27 Der niederländisch-luxemburgische Gesandte Hans Christoph von Gagern sah die Bundesversammlung in der Nachfolge der Reichsgerichte.28 Selbst der kurhessische Gesandte, Carl Friedrich Buderus von Carlshausen, vertrat zwar die Position seines Landesherrn, suchte aber gleichzeitig nach einem Kompromiss und wurde deshalb vom Kurfürsten abberufen. Dessen Nachfolger als kurhessischer Bundestagsgesandter, Georg Ferdinand von Lepel, verteidigte dann zwar konsequent die kurhessische Position in der Frage der westfälischen Domänenkäufer, schwenkte aber in anderen Fragen ebenfalls bald in eine Position zugunsten des Ausbaus der Bundeskompetenzen ein.29 Bei der Behandlung der Reklamation Hoffmanns zeigte sich auch der wachsende Druck organisierter gesellschaftlicher Interessen. Zahlreiche weitere Käufer westfälischer Domänen, denen ihr Eigentum entzogen worden war, übertrugen die Vertretung ihrer Interessen dem ebenfalls in dieser Sache als Kläger auftretenden Wilhelm Schreiber, der nicht nur als ständiger Repräsentant in Frankfurt vor Ort war, sondern auch mit Denkschriften bei den Kongressen in Aachen, Wien oder Troppau auftrat.30 Unterstützt wurde das Engagement Schreibers durch ein breites publizistisches Echo in der Presse und in Flugschriften. Die Augsburger Allgemeine Zeitung vermutete auf dem Höhepunkt des Streits zwischen der Bundesversammlung und Kurhessen sogar, dass die Bundesversammlung durch die Abfassung der organischen Gesetze »eine Art vollziehender Gewalt erhalten« werde, da sie andernfalls »bei dem besten Willen außer Stand sich befindet, Gutes zu bewirken«.31 Neben Pensions- und Schuldenfragen oder Fällen von Justizverweigerung wurden auch politische, gesellschaftliche, kulturelle oder wirtschaftliche Anliegen 26 Gegenerklärung des Bundespräsidialgesandten auf die Erklärung des kurhessischen Gesandten auf den Beschluss über die Vorstellung des Ökonomen Wilhelm Hoffmann zu Marburg, um Abwendung der Ausweisung aus seinem Eigentum, in: Protokolle der Deutschen Bundesversammlung (wie Anm. 13) 1817, 19. Sitzung vom 17. März 1817, § 105, S. 172–174, Zitat S. 173. 27 Aktenmäßiger Vortrag über die Kurhessische Erklärung in der achtzehnten Sitzung vom 13. März 1817, den Beschluss über die Vorstellung des Ökonomen Wilhelm Hoffmann von Marburg, um Abwendung der Ausweisung aus seinem Eigentum, betreffend, in: ebd., S. 175– 178 (Beilage 40 zur 19. Sitzung vom 17. März 1817), Zitate S. 175. 28 Vgl. die Äußerung Gagerns in dieser Sache, in: ebd., 20. Sitzung vom 20. März 1817, § 107, S. 181–184. 29 Vgl. Seier, Kurhessen (wie Anm. 25), S. 120–122. 30 Vgl. ebd., S. 118 f. 31 Augsburger Allgemeine Zeitung, 26. März 1817, S. 339 f.



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von nationaler Bedeutung vor die Bundesversammlung gebracht. Am bekanntesten ist wohl die Eingabe Friedrich Lists im Namen des »Deutschen Handelsund Gewerbsvereins« vom 20. April 1819 für die Einführung eines gemeinsamen Grenzzollsystems im Deutschen Bund.32 Eine gleichlautende Eingabe mit mehr als 5000 Unterschriften wurde am 1. Juli 1819 von dem Gothaer Kaufmann Ernst Wilhelm Arnoldi vorgelegt.33 Die Eingabe Arnoldis kann als eine der frühesten Massenpetitionen in Deutschland gelten, die Initiative Friedrich Lists und des Handelsvereins als eine der frühesten Aktivitäten eines modernen Interessenverbandes. In der Bundesversammlung wurden von Anfang an heftige Debatten darüber geführt, ob und für welche Eingaben sie überhaupt zuständig sei. Der österreichische Präsidialgesandte Buol-Schauenstein hatte noch in seiner ersten programmatischen Rede betont, dass man »mit patriotischer Bereitwilligkeit die Vorschläge und Wünsche in Erwägung ziehen« wolle, »welche im Laufe der Zeit über diesen oder jenen Gegenstand der öffentlichen Verhältnisse des deutschen Bundes uns zur Kenntniß kommen werden«.34 Gegen eine solch weite Auslegung der Kompetenz des Deutschen Bundes erhob sich jedoch bald Widerspruch. Bereits am 14. November 1816 forderte Bayern, dass alle Eingaben, die nicht Gegenstände beträfen, deren Regelung in der Bundesakte ausdrücklich bestimmt worden sei, vorerst nicht in Beratung genommen werden sollten.35 Auf Antrag des lübeckischen Gesandten für die freien Städte, Johann Friedrich Hach, wurde am 30. Januar 1817 zwar beschlossen, ein Verzeichnis über eingehende Vorschläge für gemeinnützige Anordnungen anzulegen, damit diese zu gegebener Zeit in Beratung genommen werden könnten.36 Jedoch beschränkte sich die Bundesversammlung letztlich auf die Beratung derjenigen Eingaben, für die ihr nach der Bundesakte ausdrücklich eine Kompetenz zustand. Dabei wurden wichtige Anstöße durch Eingaben gegeben, etwa als die Bundesversammlung das Gesuch des badischen Oberappellationsgerichtspräsidenten Karl Wilhelm Ludwig Friedrich Freiherrn Drais von Sauerbronn in der Sitzung vom 26. März 1817 zum Anlass nahm, um die Einführung gleichförmiger Verfügungen über die Pressefreiheit durch die Sammlung von Materialien zur bestehenden einzelstaatlichen Gesetzgebung vorzubereiten.37 Die Regelung dieser Frage durch 32 Vgl. Heinrich Best: Interessenpolitik und nationale Integration 1848/49. Handelspolitische Konflikte im frühindustriellen Deutschland, Göttingen 1980, S. 81–87; Abdruck der Eingabe in: QGDB, Abt. I, Bd. 2 (wie Anm. 3), S. 837–842. 33 Abdruck der Eingabe in: ebd., S. 856–876. 34 Erster Vortrag des österreichischen Präsidialgesandten Buol-Schauenstein, Frankfurt am Main, 11. November 1816, in: ebd., S. 423–434, Zitat S. 431. 35 Vgl. Bayerische Abstimmung über die Kompetenz des Bundestags bei eingereichten Vorstellungen und Eingaben, Frankfurt am Main, 14. November 1816, in: ebd., S. 434–437. 36 Vgl. Hachs Vorschlag sowie Bundestagsbeschluss zu gemeinnützigen Anordnungen, Frankfurt am Main, 30. Januar 1817, in: ebd., S. 477–480. 37 Vgl. Protokolle der Deutschen Bundesversammlung (wie Anm. 13) 1817, 22. Sitzung vom 26. März 1817, § 125, S. 200.

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die Bundesversammlung war durch Artikel 18d der Bundesakte vorgeschrieben. Eine letzte große Welle politischer Eingaben erreichte den Deutschen Bund im Zusammenhang mit dem hannoverschen Verfassungskonflikt von 1837, nämlich insgesamt 46 Eingaben von Städten, Gemeinden und Korporationen, die sich gegen die einseitige Aufhebung der Verfassung durch den neuen König Ernst August von Hannover aussprachen. Doch lehnte die Bundesversammlung am 5. September 1839 gegen die Stimmen Bayerns, Württembergs, Badens, Sachsens, der ernestinischen Staaten und der vier freien Städte ein Eingreifen zugunsten des Erhalts der hannoverschen Verfassung von 1833 ab.38

III. Politische Aushandlungsprozesse und nationale Sinnzuweisungen Fast die Hälfte der 200 Bundestagskommissionen befasste sich mit der Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Bundesgliedern, der Regulierung von Schuldenforderungen sowie mit der Klärung von Pensionsansprüchen. Als Projektionsflächen für nationale Sinnzuweisungen erscheinen diese Gegenstände auf den ersten Blick wenig geeignet. Doch wurde für die Streitigkeiten zwischen Bundesgliedern mit der Austrägalgerichtsbarkeit ein wirksames Instrument geschaffen, für das eine eigene Bundestagskommission bis 1848 zuständig war.39 Wenn auch die weitergehenden Pläne eines Bundesgerichtes oder zumindest einer permanenten Austrägalinstanz gescheitert waren, wurde damit doch ein nicht unwesentlicher Beitrag zur nationalen rechtlichen Integration geleistet. Ähnliches trifft auf die Regelung von Schulden und Pensionen zu. Die Sustentationsforderungen der überrheinischen Geistlichkeit wurden bis 1824, die Pensionsforderungen des früheren Reichskammergerichtspersonals bis 1838 reguliert.40 Bis 1843 zogen sich die Verhandlungen über die Forderungen an die ehemalige Reichsoperationskasse, also der Verbindlichkeiten des Reiches aus dem Reichskrieg gegen Frankreich, hin. Hier waren es in erster Linie kleine Kaufleute und Handwerker, die sich mit ihren Forderungen an die Bundesversammlung wandten.41 38 Vgl. Protokolle der Deutschen Bundesversammlung (wie Anm. 13) 1839, 19. Sitzung vom 5. September 1839, § 256, S. 640; vgl. auch Müller, Der Deutsche Bund (wie Anm. 2), S. 23. 39 Vgl. Michael Kotulla: Deutsche Verfassungsgeschichte. Vom Alten Reich bis Weimar (1495– 1934), Berlin 2008, S. 357–359; QGDB, Abt. I, Bd. 2 (wie Anm. 3), S. LXV–LXXV. 40 Vgl. Eric-Oliver Mader: »Heilige Schulden« des Alten Reichs. Das Problem der Entschädigung des Reichskammergerichtspersonals für den Verlust ihrer Stellen, in: Diestelkamp (Hg.), Reichskammergericht (wie Anm. 16), S.  105–142; Wolfgang Burgdorf: Der Untergang der Reichskirche und die Subdelegationskommission für das transrhenanische Sustentationswesen, in: ebd., S. 143–188. 41 Am 15. November 1838 erfolgte ein Bundesbeschluss über die Begleichung der Forderungen an die ehemalige Reichsoperationskasse. Am 14. Dezember 1843 zeigte das Großherzogtum Hessen als letzter der an diesen Schulden beteiligten Staaten die Auszahlung seiner anteiligen Beträge an. Vgl. Protokolle der Deutschen Bundesversammlung (wie Anm. 13) 1843, 26. Sitzung vom 14. Dezember 1843, § 273, S. 665 f.



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Weitere 30 Kommissionen beschäftigten sich mit der Arbeitsweise der Bundesversammlung, mit der Bundesverfassung und mit dem Bundesmilitärwesen. Zur Einrichtung einer Kommission für die Reform der Bundesverfassung kam es jedoch erst 1848 unter dem Druck der Revolution. Auch die Organisation der Arbeit der Bundesversammlung stieß auf einige Schwierigkeiten. Zwar wurde 1816 eine provisorische Geschäftsordnung beschlossen, die eine recht flexible Arbeitsweise erlaubte. Aber die Kommission zur Erarbeitung einer definitiven Geschäftsordnung verlief nach 1824 im Sande. Ähnliches lässt sich in anderen Bereichen wie der Kompetenzbestimmung oder den Abstimmungsverfahren feststellen, wo erst die Wiener Schlussakte von 1820 verbindliche Regelungen herstellte.42 Nach langen und schwierigen Beratungen wurde 1822 die Bundesmilitärverfassung beschlossen. Dabei entwickelte sich die bereits 1819 geschaffene Bundesmilitärkommission, die als Fachkommission aus Offizieren der Einzelstaaten bestand und die Bundesversammlung in militärtechnischen Fragen beriet, zu einem wichtigen gesamtnationalen Integrationsfaktor.43 Mit der nationalen, also bundeseinheitlichen Gesetzgebung befassten sich 18 Kommissionen. In engem Zusammenhang damit standen weitere fünf Kommissionen, die sich mit Angelegenheiten von allgemeinem nationalen Interesse, wie der Bekämpfung der Piraterie der sogenannten Barbareskenstaaten, und acht Kommissionen, die sich mit der Rechtsstellung einzelner Gruppen, etwa der Mediatisierten, befassten. Hier wurde der Deutsche Bund bis 1848 jedoch nur in wenigen Bereichen tätig, und die eingesetzten Kommissionen waren meist kurzlebig und brachten kaum konkrete Ergebnisse. Dies gilt etwa für den wichtigen Bereich des Handels und Verkehrs, mit dessen Regulierung sich der Deutsche Bund nach Artikel 19 der Bundesakte befassen sollte. Jedoch leisteten auch die Beratungen in den Bundestagskommissionen einen Beitrag zur allgemeinen Diskussion und bereiteten so die schließlich schrittweise außerhalb des Deutschen Bundes über zwischenstaatliche Verhandlungen erreichte Lösung der Zoll- und Handelsfragen durch die Gründung des Deutschen Zollvereins von 1834 mit vor.44 So sahen das in kurzer Zeit vorgelegte Gutachten und der beigefügte Entwurf der Kommission, welche infolge des Antrags Württembergs vom 19. Mai 1817 für die Einführung des freien Verkehrs mit Lebensmitteln zwischen den deutschen Bundesstaaten eingesetzt worden war, eine weitgehende Freiheit des Verkehrs mit Lebensmitteln im Deutschen Bund und gemeinsame Maßregeln gegenüber den nicht zum Deutschen Bund gehörigen Staaten ab dem 1. Oktober 1817 vor.45 Während die meisten Bundesstaaten dem Kommissionsentwurf zustimmten, 42 QGDB, Abt. I, Bd. 2 (wie Anm. 3), S. XXXV–LXV. 43 Vgl. Keul, Bundesmilitärkommission (wie Anm. 14). Daneben gab es die 1818 aus Bundestagsgesandten gebildete Bundestagskommission zur Erörterung der Militärverhältnisse. 44 Vgl. dazu den Beitrag von Hans-Werner Hahn in diesem Band sowie Ders.: Geschichte des Deutschen Zollvereins, Göttingen 1984. 45 Vgl. Kommissionsvortrag und Entwurf einer Übereinkunft zwischen den deutschen Bundesstaaten über die Freiheit des Handels mit Getreide und Schlachtvieh, Frankfurt am Main, 2. Juni 1817, in: QGDB, Abt. I, Bd. 2 (wie Anm. 3), S. 799–807.

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nutzte Österreich bayerische Vorbehalte dazu aus, um die Beschlussfassung zu verzögern und die Bundestagsberatungen zu diesem Gegenstand im Juli 1818 schließlich ganz auszusetzen.46 Einen konkreten Beitrag zur nationalen Rechtsvereinheitlichung leistete der Deutsche Bund in der Frage des Nachdruckschutzes, der angesichts des technischen und des damit zusammenhängenden politisch-gesellschaftlichen Wandels von nicht unwesentlicher Bedeutung war.47 Auch hier spielten gesellschaftliche Erwartungen, die von Einzelpersonen und Interessenverbänden unter anderem über Eingaben direkt an den Bund herangetragen wurden, und die daraus entstehenden Aushandlungsprozesse eine wichtige Rolle. Auf Druck einer auf dem Wiener Kongress anwesenden Deputation der deutschen Buchhändler war der Nachdruckschutz als Aufgabe des Deutschen Bundes in die besonderen Bestimmungen der Bundesakte aufgenommen worden. Nachdem 1818 eine Eingabe im Namen von 82 Buchhändlern an die Bundesversammlung gelangt war, trat eine Bundestagskommission zusammen, deren Entwurf einer Verordnung zum Schutz gegen den Nachdruck eine weitgehende Bundesgesetzgebung in diesem Bereich vorsah und von den Deputierten der Buchhändler in einem umfassenden, wiederum als Eingabe an die Bundesversammlung eingereichten Gutachten öffentlich bewertet und mit Änderungsvorschlägen versehen wurde.48 Die weiteren Verhandlungen über den Kommissionsentwurf verliefen zunächst ohne Ergebnis. Neben Staaten wie Preußen, Sachsen und Baden waren es wiederum die seit 1825 im Börsenverein zusammengeschlossenen deutschen Buchhändler, die den Anstoß zu neuen Initiativen gaben.49 Nachdem zwei Frankfurter Buchhändler einen Entwurf für den Nachdruckschutz bei der Wiener Ministerialkonferenz von 1834 eingereicht hatten, wurde der in Leipzig ansässige Börsenverein der deutschen Buchhändler durch die sächsische Regierung aufgefordert, ein Gutachten zu diesem Entwurf zu erstellen. Dieses Gutachten, das einen in sechzig Paragraphen gefassten, weitgehenden Gesetzentwurf enthielt, hatte auf die weiteren Verhandlungen einen nicht geringen Einfluss.50 In den Jah46 Vgl. die Abstimmung Österreichs in der 37. Bundestagssitzung vom 9. Juli 1818, in: ebd., S. 830–836. 47 Vgl. Müller, Deutscher Bund und deutsche Nation (wie Anm. 15), S. 457 ff. 48 Vgl. Promemoria der Deputation der deutschen Buchhändler betreffend Erlaß eines organischen Gesetzes gegen den Büchernachdruck, Leipzig, Ostermesse 1818, in: QGDB, Abt. I, Bd. 2 (wie Anm. 3), S. 888–895; Kommissionsbericht über die Abfassung gleichförmiger Verfügungen zur Sicherstellung der Rechte der Schriftsteller und Verleger gegen den Nachdruck, Frankfurt am Main, 9. Februar 1819; Entwurf einer Verordnung zur Sicherstellung der Rechte der Schriftsteller und Verleger gegen den Nachdruck, [Frankfurt am Main, 9. Februar 1819]; Gutachten des Wahlausschusses der deutschen Buchhändler über den Entwurf einer Verordnung zur Sicherstellung der Rechte der Schriftsteller und Verleger gegen den Nachdruck, Leipzig, Ostermesse 1819, alle in: ebd., S. 999–1024. 49 Vgl. Müller, Deutscher Bund und deutsche Nation (wie Anm. 15), S. 465 ff. 50 Vgl. Vortrag des sächsischen Gesandten Freiherrn von Manteuffel über gemeinsame Maßregeln in Betreff des deutschen Buchhandels, in: Protokolle der Deutschen Bundesversammlung (wie Anm. 13) 1835, 5. Sitzung vom 29. Januar 1835, § 60, S. 99–101.



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ren 1835 und 1837 kam es zunächst zu zwei Bundesbeschlüssen, die allgemeine Normen für die einzelstaatliche Gesetzgebung festlegten. Im Jahr 1845 folgte ein weiterer Bundesbeschluss, der einen bundesweit einheitlichen und vergleichsweise modernen Nachdruckschutz etablierte, der in seinen grundlegenden Elementen bis weit ins 20. Jahrhundert hinein gültig blieb.51 Der Deutsche Bund bewies damit, dass er strukturell zu einer nationalen Gesetzgebung durchaus in der Lage war. In denjenigen Bereichen, in denen die Bundesversammlung aus mangelnder Kompetenz oder aufgrund politischer Widerstände der Einzelstaaten nicht für eine nationale Gesetzgebung sorgen konnte, suchte sie mitunter auf anderen Wegen, die gewünschten Wirkungen zu erreichen. Ein herausragendes Beispiel findet sich bei der Erteilung von Patenten. Der Erfindungsschutz erhielt im Vormärz aufgrund des beschleunigten wirtschaftlich-technologischen Fortschritts eine immer größere Bedeutung.52 Zahlreiche Erfinder wandten sich mit Eingaben an den Deutschen Bund, um für dessen gesamtes Gebiet ein Patent zu erhalten. Die Erteilung von Patenten oder Privilegien war jedoch Angelegenheit der Einzelstaaten und die Bundesversammlung konnte keine bundeseinheitliche Regelung beschließen.53 Im Jahr 1840 beantragte die freie Stadt Frankfurt ein bundesweites Patent für den Frankfurter Erfinder Johann Philipp Wagner und dessen Weiterentwicklung des Elektromagnetismus als Antriebskraft für Maschinen und Schienenfahrzeuge, also des Elektromotors.54 Wagner stellte vor allem das enorme Potenzial seiner Erfindung für die Industrialisierung in Deutschland heraus, da der Elektromotor im Vergleich zur Dampfmaschine kostengünstiger und flexibler einsetzbar sei und daher die Technisierung des Gewerbes entscheidend voranbringen könne.55 Zudem könne der Elektromotor im Gegensatz zur Dampfmaschine im kleinen Maßstab gebaut und angewendet und damit auch in kleinen und mittleren Betrieben effizient eingesetzt werden. Die drohenden negativen sozialen Folgen des ökonomischen Wandels durch den Verfall des Mittelstandes könnten dadurch vermieden oder zumindest abgemildert werden. Schließlich hob Wagner auch 51 Vgl. Müller, Deutscher Bund und deutsche Nation (wie Anm. 15), S. 467–472. 52 Vgl. allgemein: Martin Otto/Diethelm Klippel (Hg.): Geschichte des deutschen Patentrechts, Tübingen 2015 (= Geistiges Eigentum und Wettbewerbsrecht, Bd. 102). 53 Vgl. Müller, Deutscher Bund und deutsche Nation (wie Anm. 15), S. 496 ff. 54 Vgl. Antrag der freien Stadt Frankfurt, ein dem Frankfurter Bürger Joh. Philipp Wagner für die Fabrikation der von ihm erfundenen Maschinen zu erteilendes Privilegium betreffend, in: Protokolle der Deutschen Bundesversammlung (wie Anm. 13) 1840, 27. Sitzung vom 3. Dezember 1840, § 321, S. 535 f.; vgl. dazu auch: Ralf Roth: Stadt und Bürgertum in Frankfurt am Main. Ein besonderer Weg von der ständischen zur modernen Bürgergesellschaft 1760–1914, München 1996, S. 392–397 (= Stadt und Bürgertum, Bd. 7). 55 Vgl. Johann Philipp Wagner: Mein Verhältnis zur Industrie Deutschlands durch Beseitigung der Hindernisse, welche der Anwendung des Elektromagnetismus als Triebkraft im Wege standen, in: Protokolle der Deutschen Bundesversammlung (wie Anm. 13) 1841, 5. Sitzung vom 25. Februar 1841, Beilage 2, S. 101–106.

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umweltpolitische Aspekte hervor, indem er auf die geringeren Abgasemissionen des Elektromotors im Vergleich zur Dampfkraft verwies. Als Vorstandsmitglied des Physikalischen Vereins und Vizedirektor des Gewerbevereins in Frankfurt war Wagner gut vernetzt, und seine Erfindungen waren durch Vorträge auf den Versammlungen der deutschen Naturforscher bereits überregional bekannt geworden.56 Die von der Bundesversammlung in dieser Angelegenheit eingesetzte Bundestagskommission erkannte das große Potenzial der Wagner’schen Erfindung. Da die Bundesversammlung jedoch kein Patent erteilen durfte, schlug die Kommission in ihrem Gutachten vom 25. Februar 1841 auf der Grundlage von Artikel 64 der Wiener Schlussakte, der der Bundesversammlung die Vereinbarung gemeinnütziger Anordnungen zur Aufgabe machte, vor, Wagners Erfindung für 100 000 Taler anzukaufen und diese »der ganzen industriellen und wissenschaftlichen Welt in Deutschland zur Benutzung und weitern Ausbildung zu übergeben«.57 Die Bundestagskommission wies zugleich darauf hin, »wie vortheilhaft es auf die Belebung des industriellen Erfindungsgeistes wirken müßte, wenn die Ertheilung von Patenten für den Umfang sämmtlicher deutschen Bundesstaaten auf gleichförmige Weise mit Leichtigkeit bei einer einzigen vermittelnden Behörde nachgesucht und erhalten werden könnte«.58 Darüber hinaus sah sich die Kommission ausdrücklich als im nationalen Interesse handelnd an und betonte, dass es »als ein Anliegen deutscher Nationalehre erscheint, den in Aussicht gestellten großartigen Resultaten deutschen Forschungsgeistes, für den Fall des Gelingens, ihre deutsche Heimath im Voraus vollständig und in jeder Beziehung gewahrt zu haben«.59 Für die technische Prüfung wurde eigens eine Expertenkommission aus drei Sachverständigen gebildet.60 Im Laufe der Vorbereitung häuften sich freilich die Schwierigkeiten. Für die von der Bundesversammlung verlangte Anfertigung einer Probemaschine fehlten Wagner technische Ressourcen, fähige Mitarbeiter und Geld. Obwohl ihm Fürst Karl Egon von Fürstenberg eine Werkstatt sowie einen Geldvorschuss in Höhe von 7000 Gulden bereitstellte61, konnte Wagner die Probleme nicht vollständig lösen. Als nach drei Jahren Vorbereitungszeit im Mai 1844 die Prüfung durch die Expertenkommission durchgeführt wurde, genüg56 Vgl. zu Wagner neben Roth, Stadt und Bürgertum (wie Anm. 54): Robert Knott: Wagner, Johann Philipp, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 40, Leipzig 1896, S. 519–521. 57 Vortrag und Gutachten der für die Erfindung Wagners eingesetzten Bundestagskommission und Beschluss der Bundesversammlung zur Unterstützung des Kommissionsvorschlages, den Ankauf der Wagnerschen Erfindung durch den Deutschen Bund betreffend, bei den deutschen Regierungen, in: Protokolle der Deutschen Bundesversammlung (wie Anm. 13) 1841, 5. Sitzung vom 25. Februar 1841, § 74, S. 92–98, Zitat S. 96. 58 Ebd., S. 95. 59 Ebd., S. 98. 60 Diese Expertenkommission bestand aus den Professoren Andreas von Ettingshausen (Wien), Ernst Ludwig Schubarth (Berlin) und Carl von Steinheil (München). 61 Vgl. Knott, Wagner (wie Anm. 56), S. 520.



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te die Maschine den durch die Bundesversammlung gestellten Anforderungen nicht. Die Leistung war zu niedrig, die Kosten für den Betrieb betrugen daher ein Vielfaches im Vergleich zur Dampfmaschine. Die Bundesversammlung zog daher ihr Kaufangebot zurück und stellte Wagner lediglich eine Entschädigung für die ihm entstandenen Kosten in Höhe von 6000 Gulden in Aussicht. Die Bundestagskommission bedauerte in ihrem abschließenden Vortrag vom 13. Juni 1844, dass es der Bundesversammlung auf diese Weise verwehrt worden sei, »auch auf dem Gebiete der materiellen Interessen und dem des Fortschrittes der Technik eine erfolgreiche Fürsorge und Wirksamkeit« entfalten zu können.62

IV. Der Deutsche Bund als Agent der Nationsbildung in den 1840er Jahren Obwohl die Erfindung Wagners durch den Deutschen Bund letztlich nicht erworben wurde, macht das angeführte Beispiel deutlich, dass sich die Bundesversammlung in den 1840er Jahren verstärkt als Agent gemeinsamer nationaler Interessen sah. In eine solche Richtung wiesen auch die etwa zur gleichen Zeit laufenden Bestrebungen des Deutschen Bundes, das ehemalige Weimarer Wohnhaus des verstorbenen Dichters Johann Wolfgang von Goethe anzukaufen und als ein deutsches Nationalmuseum zu etablieren.63 Ein wichtiger Auslöser für die erhöhte nationalpolitische Tätigkeit des Deutschen Bundes war zum einen die Entwicklung im europäischen Staatensystem. Nach einer diplomatischen Niederlage gegen die übrigen europäischen Großmächte im Kampf um politischen Einfluss im zerfallenden Osmanischen Reich strebte Frankreich die Überwindung der europäischen Ordnung von 1815 und die Ausdehnung seines Machtbereichs an. Die daraus folgende deutsch-französische Rheinkrise von 1840 führte zu intensiveren Bemühungen um die militärpolitische Integration im Deutschen Bund.64 Dieser sah sich zugleich dem wachsenden Druck der deutschen Nationalbewegung ausgesetzt. Hinzu kam schließlich der Thronwechsel von 1840 in Preußen. Der neue König Friedrich Wilhelm IV. stand den Forderungen der liberalen und nationalen Bewegung zunächst aufgeschlossener gegenüber und 62 Bericht, Gutachten und Anträge der Bundestagskommission sowie Beschluss der Bundesversammlung, in: Protokolle der Deutschen Bundesversammlung (wie Anm. 13) 1844, 19. Sitzung vom 13. Juni 1844, § 180, S. 460–465, Zitat S. 463 f. – Die Erfindungen Wagners waren jedoch keine technischen Sackgassen, sondern stellten eine wichtige Etappe in der Entwicklung der Elektrotechnik im 19. Jahrhundert dar. Vgl. Helmut Lindner: Strom: Erzeugung, Verteilung und Anwendung der Elektrizität, Reinbek bei Hamburg 1985, hier bes. S. 99–107. 63 Vgl. den Beitrag von Paul Kahl in diesem Band. 64 Vgl. Anselm Doering-Manteuffel: Die deutsche Frage und das europäische Staatensystem 1815–1871, München 32010, S. 17 f. (= Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 15); Fahrmeir, Europa (wie Anm. 6), S. 73 f.; sowie grundlegend: Jürgen Angelow: Von Wien nach Königgrätz. Die Sicherheitspolitik des Deutschen Bundes im europäischen Gleichgewicht (1815–1866), München 1996, hier bes. S. 109 ff. (= Beiträge zur Militärgeschichte, Bd. 52).

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betrieb im Deutschen Bund eine Politik, die sich vom bisherigen Anschluss an die Reaktionspolitik Österreichs allmählich abhob.65 Der entscheidende Anstoß ging jedoch nicht vom preußischen Monarchen selbst, sondern von seinen Beamten aus und hier besonders von dem langjährigen preußischen Bevollmächtigten bei der Bundesmilitärkommission, Joseph Maria von Radowitz.66 Dieser legte am 20. November 1847 einen Reformplan vor, in dem er ein vernichtendes Urteil über die bisherigen Leistungen des Deutschen Bundes für die innere Nationsbildung fällte. Durch dieses Versagen habe der Bund die »gewaltigste Kraft der Gegenwart, die Nationalität«, zur gefährlichsten Waffe in den Händen seiner Gegner gemacht. Die »Sehnsucht nach einem, an innerer Gemeinschaft wachsenden Deutschland« sei »noch immer der popularste und gewaltigste Gedanke der in unserem Volke lebt«.67 Daher müsse sich der Bund, wenn er seine künftige Existenz sichern wolle, nun endlich an die Spitze der nationalen Bestrebungen stellen. Hier wird ein bemerkenswerter qualitativer Sprung vollzogen. Hatte sich der Deutsche Bund bisher vor allem dazu bekannt, den von gesellschaftlichen Kräften getragenen nationalen Forderungen entgegenzukommen, sollte ihm nach dem Willen von Radowitz nun selbst eine aktive Rolle als Agent und treibende Kraft der inneren Nationsbildung zufallen. Bemerkenswert erscheint es weiterhin, dass der Deutsche Bund in seiner grundlegenden Organisationsform nicht in Frage gestellt wurde, sondern vielmehr weiterentwickelt werden sollte. Preußen sei zwar aufgrund seiner aus der geographischen Lage folgenden politischen Interessen besonders dazu geeignet, den Anstoß zu geben und »den Weg zu eröffnen, auf dem Deutschland seine Wiedergeburt erwarten kann«. Damit aber sei »Preußens Mission erfüllt« und die »unentbehrliche Centralautorität im Bunde« sollte ihre »verfassungsmäßige Gestalt durch freie Vereinbarung Aller erhalten«.68 Im Hinblick auf die politische Partizipation der Bevölkerung stieß Radowitz aber noch nicht zu dem bereits vielfach geforderten nationalen Parlament vor. Vielmehr sollte die Durchführung der Reformen besonderen Kommissionen der Bundesversammlung übertragen werden. Zu deren Beratungen sollten wiederum »Sachverständige aus allen Theilen Deutschlands« hinzugezogen werden, um »die besten geistigen Kräfte Deutschlands in unmittelbarem Zusammenhang mit der Thätigkeit der Bundesorgane zu bringen«.69 Auf diese Weise hoffte Radowitz, dasjenige, was »an der 65 Vgl. Walter Bußmann: Zwischen Preußen und Deutschland. Friedrich Wilhelm IV. Eine Biographie, Berlin 1990; David E. Barclay: Anarchie und guter Wille. Friedrich Wilhelm IV. und die preußische Monarchie, Berlin 1995. 66 Vgl. David E. Barclay: Ein deutscher »Tory democrat«? Joseph Maria von Radowitz (1797– 1853), in: Hans-Christof Kraus (Hg.): Konservative Politiker in Deutschland. Eine Auswahl biographischer Porträts aus zwei Jahrhunderten, Berlin 1995, S. 37–67. 67 Joseph von Radowitz: Denkschrift über die vom deutschen Bunde zu ergreifenden Maßregeln, Berlin, 20. November 1847, in: Ders.: Gesammelte Schriften, Bd. 3, Berlin 1853, S. 314–337, hier bes. S. 318 f., Zitate S. 319. 68 Ebd., S. 321. 69 Ebd., S. 326.



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jetzt so laut erschallenden Forderung nach einer Theilnahme ›des Volkes‹ an den Bundesgeschäften unbezweifelt Dienliches« sei, »in großem Maßstabe« zu realisieren.70 Radowitz sah den Bund damit noch immer als ein Projekt der Regierungen und der leitenden Beamten an. Als Reformziele nannte er die Stärkung der »Wehrhaftigkeit« des Bundes, einen besseren Rechtsschutz sowie die Befriedigung der »materiellen Bedürfnisse«.71 Allerdings sollten in Vorbereitung der Reformen zunächst einmal die Pressefreiheit hergestellt sowie die Veröffentlichung der Bundestagsprotokolle wiedereingeführt werden.72 Damit wurden über die Teilnahme der öffentlichen Meinung auch die gesellschaftlichen Kräfte wieder mit ins Spiel gebracht. Als konkrete Maßnahmen zur Erreichung der drei Hauptziele wurden neben Verbesserungen der militärischen Organisation die Einrichtung eines Bundesgerichtes für staatsrechtliche Streitigkeiten zwischen Regierungen, Ständen und Privatleuten, die Vereinheitlichung des Straf-, Handels-, Wechsel- und Heimatrechts sowie die »Anerkennung voller Freizügigkeit« gefordert. Darüber hinaus sollten gemeinschaftliche Maße, Gewichte und Münzen sowie allgemeine Regelungen für Handel, Verkehr und Kommunikation im Deutschen Bund eingeführt werden.73 Nach Radowitz sollte Preußen diese Reformen gemeinsam mit Österreich im Deutschen Bund durchsetzen. Falls sich Österreich jedoch verweigern sollte, müsse Preußen notfalls allein am Bundestag aktiv werden, und falls auch dieser Weg keinen Erfolg einbringe, müsste Preußen versuchen, durch separate Verträge mit einzelnen Bundesstaaten die gesetzten Ziele schrittweise zu erreichen.74 Der Reformplan von Radowitz war keine vereinzelte Initiative und auch kein bloßer Versuch, die preußische Machtstellung zu stärken. Auch handelte es sich bei diesem Plan nicht um eine folgenlose Absichtserklärung, denn die hier gezeichneten Grundlinien bestimmten in den letzten Jahren und Monaten vor der Revolution von 1848/49 die Politik Preußens und anderer deutscher Staaten im Deutschen Bund. In der Bundesversammlung und ihren Kommissionen konnte Radowitz dabei auf starke Unterstützung zählen. Ebenfalls im November 1847 forderte der badische Bundestagsgesandte Friedrich Landolin von Blittersdorff Österreich dazu auf, »für Deutschland das deutsche Banner zu entfalten« und in der Bundesversammlung eine »das Nationalgefühl der Deutschen« berücksichtigende Politik einzuschlagen.75 In den Verhandlungen über ein gleichförmiges, 70 Ebd. Zur Forderung nach einem nationalen Parlament im Deutschen Bund vgl. Elisabeth Fehrenbach: Verfassungsstaat und Nationsbildung 1815–1871, München 22007, S. 19 ff. (= Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 22). 71 Radowitz, Denkschrift (wie Anm. 67), S. 325. 72 Vgl. ebd., S. 331. 73 Vgl. ebd., S. 331 f. Zum Problem der nationalen Rechtsvereinheitlichung vgl. Claudia Schöler: Deutsche Rechtseinheit. Partikulare und nationale Gesetzgebung (1780–1866), Köln u. a. 2004 (= Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 22). 74 Vgl. Radowitz, Denkschrift (wie Anm. 67), S. 334–337. 75 Zitiert nach: Müller, Der Deutsche Bund (wie Anm. 2), S. 29.

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verschärftes Presserecht für alle deutschen Staaten, die seit 1842 zwischen den Regierungen und seit 1846 auch in der Bundesversammlung geführt wurden, trat Preußen gemeinsam mit anderen Staaten für die Aufhebung der Zensur ein und setzte sich damit in offenen Widerspruch zu Österreich.76 Im März 1847 beantragte Württemberg im Bundestag die Veröffentlichung der Bundestagsverhandlungen »in angemessenen Auszügen aus den betreffenden Protokollen der Bundesversammlung«.77 Damit war ein weiterer Punkt aus dem von Radowitz vorgelegten Reformplan bereits auf den Weg gebracht worden. In der Bundesversammlung war man sich der Bedeutung dieses Antrags im Hinblick auf die nationale Integrationsfunktion des Deutschen Bundes bewusst. Der Bundestagsgesandte der ernestinischen Staaten, Carl Friedrich Christian von Fritsch, selbst als Stellvertreter Mitglied der für diese Frage eingesetzten Bundestagskommission, schrieb im Vorfeld des Antrags an seine Regierungen, dass es angesichts der »erfreulichen Regungen des dermalen in Deutschland mit neuer Kraft erwachenden Nationalgefühls« äußerst ratsam sei, »diesem Gefühl einen legalen Stützpunkt in dem deutschen Bunde zu gewähren, damit es nicht dahin geführt werde, einen solchen außerhalb des Bundes zu suchen«.78 Allerdings könne die Veröffentlichung der Bundestagsprotokolle dem angestrebten Ziel nur dienen, wenn es gelänge, die Bundesversammlung »ihrer ursprünglichen Bestimmung entsprechend zum Mittelpunkt der Verhandlungen von allgemeinem deutschen Interesse zu machen, und bei diesen Verhandlungen in föderativem Sinne zu verfahren«.79 Neben der Frage der Pressezensur und der Veröffentlichung der Bundestagsprotokolle kamen in dieser Zeit noch andere Themen zur Sprache, welche als Beitrag des Deutschen Bundes für die innere Nationsbildung angesehen wurden. So beschäftigten sich die Bundesmilitärkommission und die Bundestagskommission für Militärangelegenheiten auf Antrag Österreichs mit der Bedeutung der Eisenbahnen für die militärische Verteidigung des Bundes und brachten Vorschläge für einen entsprechenden Ausbau des gesamtdeutschen Eisenbahnnetzes ein.80 Auch hierbei handelte es sich um »ein allgemeines deutsches Interesse«, wie etwa der ernestinische Gesandte Fritsch schrieb, der im Übrigen nichts dabei fand, falls sich »im Laufe der Verhandlungen einer oder der andere Staat doch 76 Vgl. ebd., S. 28 f. 77 Protokolle der Deutschen Bundesversammlung (wie Anm. 13) 1847, 9. Sitzung vom 26. März 1847, § 88, S. 274. 78 Bericht Fritschs, Frankfurt am Main, 11. Februar 1847, in: Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar, Kaiser und Reich C 2293, Bl. 11–13, hier Bl. 12v (Hervorhebungen im Original). 79 Bericht Fritschs, Frankfurt am Main, 1. November 1847, in: ebd., Bl. 201–202, hier Bl. 202r. 80 Vgl. Vortrag des hannoverschen Bundestagsgesandten Ernst Freiherr von Lenthe im Namen der Bundestagskommission in Militärangelegenheiten, den Einfluss der Eisenbahnen auf die Wehrhaftigkeit des Deutschen Bundes betreffend, in: Protokolle der Deutschen Bundesversammlung (wie Anm. 13) 1847, Separatprotokoll zur 21. Sitzung vom 15. Juli 1847, S. 586a– 586r.



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dahin gedrängt fühlen« sollte, »ein specielles Intereße dem höheren allgemeinen unterzuordnen«.81 Eine andere Frage, die zunächst durch die notwendige Kennzeichnung der anzuschaffenden Geschütze für die neuen Bundesfestungen Ulm und Rastatt als Eigentum des Bundes aufgeworfen wurde, war die Einführung eines Bundeswappens. Auch hier wurde die höhere politische Bedeutung schnell deutlich. Im Gutachten der Mehrheit der Bundestagskommission für Militärangelegenheiten hieß es, dass der alte deutsche Reichsadler, allerdings ohne die Reichsinsignien Krone, Zepter, Schwert und Reichsapfel, verwendet werden solle, da mit diesem »ein historisches Emblem vorliegt, welches Jahrhunderte lang das äußere Symbol des nationalen Zusammenhangs der deutschen Länder war«.82 Zur Umsetzung der geplanten Reformen kam es bekanntlich nicht mehr, obwohl Radowitz auf zwei diplomatischen Missionen nach Wien Ende November 1847 und im März 1848 Österreich zumindest dazu bewegen konnte, eine Ministerkonferenz nach Dresden einzuberufen, auf welcher der Bundesreformplan beraten werden sollte. Der Ausbruch der Märzrevolution durchkreuzte allerdings dieses Vorhaben.83

V. Schlussfolgerungen Aus den oben skizzierten Entwicklungen ergibt sich, dass die Kommissionen der Deutschen Bundesversammlung eine wichtige Rolle im soziokulturellen Prozess der Nationsbildung spielten. Obwohl der Bildung von Kommissionen durch die Deutsche Bundesversammlung zunächst erheblicher Widerstand von Seiten mancher Einzelstaaten entgegenschlug und die Kommissionen formal nicht nach einer übergeordneten sachlichen Systematik und auch nicht als dauerhafte Institutionen angelegt waren, entwickelten sie sich faktisch bald zu teils permanenten und zentralen Institutionen der politischen Willensbildung und Entscheidungsfindung. Sie zeigten dabei Ansätze zur Ausbildung bürokratischer Strukturen und wurden zu Kristallisationskernen einer Funktionselite84, die nicht nur als Instrument der Regierungen fungierte, sondern auch eigene Interessen und Handlungslogiken entwickelte, die zunehmend auf die innere Nationsbildung gerichtet waren. Die Kommissionen wurden zugleich zu Adressaten gesellschaftlicher Erwartungen und zu Foren von Aushandlungsprozessen zwischen Bürokratie 81 Bericht Fritschs, Frankfurt am Main, 28. Juli 1847, in: Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar, Kaiser und Reich C 2293, Bl. 124–125, Zitat Bl. 125r. 82 Vortrag des preußischen Bundestagsgesandten August Graf von Dönhoff im Namen der Bundestagskommission in Militärangelegenheiten, die Artilleriedotation der Bundesfestungen Ulm und Rastatt, insbesondere die Bezeichnung der Geschützrohre etc. mit einem eigenen Emblem betreffend, in: Protokolle der Deutschen Bundesversammlung (wie Anm. 13) 1846, 13. Sitzung vom 7. Mai 1846, § 125, S. 235 f., Zitat S. 236. 83 Vgl. Müller, Der Deutsche Bund (wie Anm. 2), S. 30. 84 Zu »Funktionseliten« vgl. Erk Volkmar Heyen (Hg.): Verwaltungseliten in Westeuropa (19./20. Jh.), Baden-Baden 2005 (= Jahrbuch für europäische Verwaltungsgeschichte, Bd. 17).

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und Gesellschaft. Diese Aushandlungsprozesse waren sicher noch weit von den modernen Formen parlamentarischer Verhandlungen und zivilgesellschaftlicher Partizipation entfernt und können auch nicht über das zwischen den Akteuren bestehende Machtgefälle hinwegtäuschen.85 Sie beruhten aber eben auch nicht nur auf bloßen Gnadenakten der Regierenden, sondern gründeten sich auf die in der Bundesakte garantierten Rechtsansprüche und auf die wachsende Macht der öffentlichen Meinung. Die Vielzahl von Eingaben, die von den Reklamationskommissionen bearbeitet wurden, die Einflüsse, welche einzelne Interessenvertreter oder Vereine und Verbände etwa in den Fragen der Zolleinheit oder des Nachdruckschutzes auf die Bundesversammlung ausübten sowie das große publizistische Echo, mit dem die Aktivitäten der Bundesversammlung begleitet wurden, zeigen, dass diese zu einem Mittelpunkt jener Kommunikationsprozesse wurde, welche die Denk- und Handlungsmuster der Menschen über die Horizonte der Einzelstaaten hinaushoben. Gleichzeitig wurden diese Aushandlungsprozesse oft mit einem nationalen Sinn aufgeladen. Obwohl die Tätigkeit der Kommissionen nicht immer zu konkreten Resultaten in Form von Bundesbeschlüssen führte, trugen die Kommissionen auf diese Weise doch dazu bei, die Vorstellung einer nationalen Zusammengehörigkeit zu erzeugen, zu verbreiten und zu festigen. Die in den 1840er Jahren zunehmenden, aus der Bundesversammlung und ihren Kommissionen selbst heraus ihre wesentlichen Impulse erhaltenden Bestrebungen, die auf eine aktivere Rolle des Deutschen Bundes bei der inneren Nationsbildung und auf eine »konstruktive Bundesinnenpolitik« (Wolfram Siemann) zielten, zeigen, dass der Deutsche Bund mehr in der Kontinuität nationaler Einheitsbestrebungen stand, als es die Vorstellung eines scharfen revolutionären Bruches im März 1848 vielleicht nahelegt.86 Dieser Befund steht scheinbar im Widerspruch zu den bisher dominierenden historiographischen Positionen, die im Deutschen Bund gerade den Gegenspieler derjenigen Kräfte sehen, die auf mehr nationale Einheit und politische Freiheit drängten.87 Und in der Tat darf man bei der Betonung der Rolle des Deutschen Bundes für die innere Nationsbildung die in der Forschung bereits vielfach beschriebene Instrumentalisierung des Bundes gegen nationale und liberale Bestrebungen und seine lange Untätigkeit in vielen Fragen der inneren Nationsbildung nicht ausblenden.88 Andererseits sollte für eine angemessene Bewertung der historischen Rolle des Deutschen Bundes auch nicht einfach die teils 85 Vgl. Andreas Schulz/Andreas Wirsching (Hg.): Parlamentarische Kulturen in Europa. Das Parlament als Kommunikationsraum, Düsseldorf 2012 (= Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Bd. 162). 86 Vgl. Siemann, Staatenbund (wie Anm. 6), S. 320–330 u. S. 375. 87 Vgl. zur überwiegend negativen Bewertung des Deutschen Bundes in der Historiographie den Überblick bei Müller, Der Deutsche Bund (wie Anm. 2), bes. S. 53. 88 Vgl. Hans-Werner Hahn: Der Deutsche Bund. Zukunftslose Vorstufe des kleindeutschen Nationalstaats oder entwicklungsfähige föderative Alternative?, in: Zusammengesetzte Staatlichkeit in der Europäischen Verfassungsgeschichte. Tagung der Vereinigung für Verfassungsge-



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polemische zeitgenössische Kritik der politischen Opposition, das Verständnis der parlamentarischen Demokratie seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts oder gar eine idealisierte kleindeutsch-preußische Perspektive einseitig als Bewertungsmaßstab angelegt werden. Für eine Zeit, in der föderative Formen der Staatlichkeit mehr der europäischen Normalität entsprachen89, als dies in einer nationalstaatlich fixierten Geschichtsschreibung lange Zeit gesehen worden ist, und in der sich moderne Formen politischer Partizipation, Rechtsstaatlichkeit und Verwaltung erst allmählich ausbildeten90, hieße dies, den Deutschen Bund in ein anachronistisches Bewertungskorsett zu pressen. Man sollte den Deutschen Bund hingegen stärker aus seinem eigenen Zeitkontext heraus betrachten. Aus der Perspektive von 1814/15 war er wohl die einzig realistische Option, eine staatsrechtliche Einheit der deutschen Staaten überhaupt zu wahren.91 Und trotz aller Defizite setzten die Kommunikations- und Aushandlungsprozesse innerhalb der Bundesversammlung und ihrer Kommissionen sowie zwischen diesen und den einzelstaatlichen und gesellschaftlichen Akteuren bei allen Beteiligten Lernprozesse in Gang, die langfristig die innere Nationsbildung und die gesellschaftliche Partizipation förderten.

schichte in Hofgeismar vom 19.3.–21.3.2001. Für die Vereinigung hg. v. Hans-Jürgen Becker, Berlin 2006, 41–69 (= Der Staat, Beiheft 16). 89 Vgl. den Beitrag von Andreas Fahrmeir in diesem Band sowie: Dieter Langewiesche/Georg Schmidt (Hg.): Föderative Nation. Deutschlandkonzepte von der Reformation bis zum Ersten Weltkrieg, München 2000. 90 Vgl. Lutz Raphael: Recht und Ordnung. Herrschaft durch Verwaltung im 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main 2000; Wolfgang Reinhardt: Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 22000. 91 Vgl. den Beitrag von Reinhard Stauber in diesem Band.

Eckhardt Treichel

Die Deutsche Bundesversammlung und ihre Kommissionen Ihre Geschäftstätigkeit und Zusammensetzung 1816−1823

Wenngleich sich die Bundesforschung in den vergangenen drei Dezennien erfreulich entwickelt hat, gibt es über die Deutsche Bundesversammlung noch immer mehr Vermutungen und Klischees als empirisch abgesicherte Untersuchungen.1 Mit der im Palais Thurn und Taxis in Frankfurt am Main tagenden Versammlung werden einerseits eine umständliche Arbeitsweise und mangelnde Geschäftserledigung verbunden2, die es in einzelnen Phasen der Bundesgeschichte und bei bestimmten Themenkomplexen fraglos gegeben hat. Andererseits wird das Korps der Bundestagsgesandten als eine Ansammlung von eher mittelmäßigen und unpolitischen Biedermännern dargestellt, die sich allzu sehr mit nebensächlichen Dingen beschäftigt hätten. Dadurch habe sich, so Heinrich von Treitschke, im »Schoße der Bundesversammlung die eigentümliche Menschenklasse der Bundesbureaukraten [gebildet] – treufleißige, gewiegte Geschäftsmänner, deren Geist niemals durch einen politischen Gedanken beunruhigt wurde«.3 Das sind zweifellos Zerrbilder, die im Folgenden auf den Prüfstand gestellt werden sollen. Im Mittelpunkt stehen dabei die Geschäftstätigkeit und die personelle Zusammensetzung der Deutschen Bundesversammlung und ihrer Kommissionen in den Anfangsjahren des Deutschen Bundes bis zur sogenannten »Epuration« des Bundestags – wie die Bundesversammlung in Anlehnung an den in Regensburg tagenden Immerwährenden Reichstag des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation auch genannt wurde –, der, so meine These, ein eigenständiges Machtzentrum neben den deutschen Bundesstaaten und den politischgesellschaftlichen Kräften bildete.

1 Dieser Beitrag führt Gedanken fort, die ich an anderer Stelle formuliert habe: Eckhardt Treichel: Die Kommissionen der Deutschen Bundesversammlung und ihre Mitglieder 1816–1820, in: Stefan Gerber/Werner Greiling/Tobias Kaiser/Klaus Ries (Hg.): Zwischen Stadt, Staat und Nation. Bürgertum in Deutschland, T. 1, Göttingen 2014, S.  347–359, und auf den ich im Folgenden verweisen werde. 2 Vgl. z. B. Heinrich von Treitschke: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert, T. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen, Leipzig 1927, S. 143 ff. − Zur lange Zeit negativen Bewertung des Deutschen Bundes siehe den Forschungsüberblick bei Jürgen Müller: Der Deutsche Bund 1815−1866, München 2006, S. 51−88 (= Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 78). 3 Treitschke, Deutsche Geschichte (wie Anm. 2), T. 2, S. 148.

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I. Die Kommissionen und ihre Aufgaben Für die ersten drei Jahre nach der Eröffnung des Bundestags am 5. November 1816 ist der Vorwurf der Untätigkeit der Bundesversammlung völlig unzutreffend, hatte die Deutsche Bundesakte vom 8. Juni 1815 dem Bundestag doch einen umfassenden Arbeitsauftrag erteilt: »Das erste Geschäft der Bundesversammlung nach ihrer Eröffnung wird die Abfassung der Grundgesetze des Bundes und dessen organische Einrichtung in Rücksicht auf seine auswärtigen, militärischen und inneren Verhältnisse seyn.«4

Dass die Bundesversammlung entschlossen war, sich dieser Herausforderung zu stellen, geht bereits aus der programmatischen Rede des österreichischen Präsidialgesandten vom 11. November 1816 hervor. Johann Rudolf Graf von BuolSchauenstein (1763–1834) unterstrich darin, es sei der »Beruf« der Bundesversammlung, »das Gebäude des großen National-Bundes [zu] vollenden«.5 Diese in den weiteren Verhandlungen des Bundestags immer wieder aufgegriffene Formulierung bringt zweierlei zum Ausdruck: zum einen die Unvollständigkeit der Bundesakte, die einen recht beliebigen und in manchen Punkten auch widersprüchlichen Katalog an Regelungen und Handlungsaufforderungen enthielt, deren Aufnahme in das erste Grundgesetz des Deutschen Bundes sich nur aus dem Gang der Verfassungsdiskussionen und -verhandlungen auf dem Wiener Kongress erklären lässt.6 Zugleich wurde in der Rede Buol-Schauensteins die Bundesversammlung ausdrücklich als eigenständiger politischer Akteur dargestellt. Die Versammlung sollte mehr sein als ein »beständiger Gesandtenkongress mit Geschäftsordnungsautonomie«7, sie war vielmehr dazu berufen, das in Wien begonnene Werk zu vollenden. Dabei sollte sie, so der Präsidialgesandte, zugleich »gerechter Erwartung der öffentlichen Meinung« entsprechen und danach streben, dass die »Bewohner der verschiedenen souverainen deutschen Staaten in nationeller Hinsicht sich näher« gebracht würden.8 Das erforderte einen schwie4 Vgl. Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes [künftig: QGDB]. Für die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften hg. von Lothar Gall, Abt. I: Quellen zur Entstehung und Frühgeschichte des Deutschen Bundes 1813–1830, Bd. 1: Die Entstehung des Deutschen Bundes 1813–1815, bearb. v. Eckhardt Treichel, München 2000, hier Dok. 250, Zitat S. 1512 (Artikel 10). 5 Vgl. QGDB, Abt. I: Quellen zur Entstehung und Frühgeschichte des Deutschen Bundes 1813– 1830, Bd. 2: Organisation und innere Ausgestaltung des Deutschen Bundes 1815–1819, bearb. v. Eckhardt Treichel, München 2016, Dok. 100, Zitat S. 425; Michael Kotulla: Deutsches Verfassungsrecht 1806−1918. Eine Dokumentensammlung, Bd. 1: Gesamtdeutschland, Anhaltische Staaten, Baden. Berlin/Heidelberg/New York 2006, S. 54, konstatiert hingegen, unter Einbeziehung der Wiener Schlussakte (!), ein Entwicklungsverbot: »Die Grundgesetze des Bundes hielten den Weg zum nationalen Bundesstaat […] gerade nicht offen.« 6 Vgl. QGDB, Abt. I, Bd. 1 (wie Anm. 4), und Reinhard Stauber: Der Wiener Kongress, Wien/ Köln/Weimar 2014, bes. Kap. 6. 7 Kotulla, Deutsches Verfassungsrecht 1806−1918, Bd. 1 (wie Anm. 5), Zitat S. 333. 8 QGDB, Abt. I, Bd. 2 (wie Anm. 5), Dok. 100, die Zitate S. 427 f.



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rigen Balanceakt: Die Bundestagsgesandten waren einerseits Beauftragte ihrer Regierungen und damit Interessenvertreter der Einzelstaaten, als Gesamtkorpus sollten sie jedoch das Wohl des Bundes im Auge haben und den inneren Zusammenhalt stärken. Neben den Fürsten und Freien Städten tauchten bereits die öffentliche Meinung und die Nation als handlungsleitende Instanzen auf, deren Bedürfnisse es zu berücksichtigen gelte.9 In den knapp drei Jahren zwischen der Konstituierung der Deutschen Bundesversammlung und dem Beginn der von Metternich einberufenen Karlsbader Geheimkonferenzen entfaltete der Bundestag eine rege Tätigkeit auf sehr vielen Gebieten. Besondere Aufmerksamkeit widmete man zunächst Maßnahmen zur Herstellung der eigenen Arbeitsfähigkeit (Vorläufige Geschäftsordnung der Bundesversammlung, Bildung von Kommissionen, Vertagung der Bundesversammlung, Kuriatstimmen für die Mediatisierten, Bestellung von Agenten am Bundestag, Aufstellung einer Bundesmatrikel, Geschäftsordnung der Bundestagskommissionen). Des Weiteren suchte man intensiv nach Mitteln und Wegen, um aus den inhomogenen Bestimmungen der Artikel 6 und 7 der Deutschen Bundesakte zur Annahme von Grundgesetzen und organischen Bundeseinrichtungen einen Ausweg zu weisen. Das geschah mit dem Bundesbeschluss vom 29. Juli 1819. Danach sollte bei der Annahme von Grundgesetzen im engeren Sinne sowie der Schaffung organischer Bundeseinrichtungen Stimmeneinhelligkeit erforderlich sein, während in allen Fällen, in denen es um die Anwendung, Vollziehung und praktische Entwicklung bestehender Grundgesetze und organischer Bundeseinrichtungen gehe, eine Entscheidung mit Stimmenmehrheit genügen sollte. Damit die Bundesversammlung nicht durch Einwendungen und Widersprüche Einzelner an der Erfüllung der Bundeszwecke und der organischen Fortbildung des Bundes gehindert werde, sollten provisorische Einrichtungen durch Mehrheitsbeschluss geschaffen werden, die so lange in Kraft bleiben sollten, bis eine definitive einvernehmliche Regelung erzielt werde. Schließlich wurde intensiv und kontrovers über die Aufgaben und Kompetenzen der Bundesversammlung diskutiert und auch hier zunächst eine provisorische Regelung verabschiedet, um zu verhindern, dass Entscheidungen »nicht aufs unbestimmte« verschoben und die Kompetenzen des Bundes auf die in der Bundesakte nur andeutungsweise umrissenen Materien beschränkt würden. Gemäß dem Kompetenzprovisorium vom 12. Juni 1817 hatten die »Fürsten und freie[n] Städte, so wie die Nation überhaupt, gleichen Anspruch auf die organische Vollendung dieses Bundes«.10 Alle diese Materien wurden mit großem Engagement und Ernst

9 Durch eine ähnliche Rollenvielfalt zeichnete sich bereits der Immerwährende Reichstag zu Regensburg aus. Vgl. Karl Härter: Reichstag und Revolution 1789–1806. Die Auseinandersetzung des Immerwährenden Reichstags zu Regensburg mit den Auswirkungen der Französischen Revolution auf das Alte Reich, Göttingen 1992, S. 57. 10 Vgl. QGDB, Abt. I, Bd. 2 (wie Anm. 5), Dok. 121, die Zitate S. 571.

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beleuchtet, auch gelang es in den meisten Fällen sehr schnell Beschlüsse zu fassen und die als notwendig erachteten Regelungen und Institutionen zu beschließen.11 Daneben gab es zahlreiche konkrete Versuche einer organischen Fortbildung und inneren Ausgestaltung des Deutschen Bundes. Dazu gehörten vor allem das Austrägalwesen, die Einführung landständischer Verfassungen in den deutschen Bundesstaaten, Initiativen zur wirtschaftlichen Integration, Bestimmungen über die Pressefreiheit und den Büchernachdruck sowie die Auswanderungs- und Nachsteuerfreiheit. In diesen Fragen favorisierte man eine behutsame Vorgehensweise und suchte nach pragmatischen Lösungen, jedoch mit dem erkennbaren Ziel, in vielen Einzelschritten die deutschen Staaten durch Rechtsangleichung, wirtschaftliche Integration, Herstellung von Freizügigkeit etc. einander näherzubringen. Dies geschah nicht systematisch auf der Grundlage eines Masterplans, sondern ähnlich der Entwicklung im Alten Reich durch viele, manchmal recht unscheinbare Maßnahmen, wobei man in den rechtlichen Formen ebenso flexibel war: Neben Bundesbeschlüssen wurden auch zwischenstaatliche Vereinbarungen erwogen, die dann in einzelstaatliches Recht hätten umgesetzt werden müssen, so dass die Souveränitätsrechte der Einzelstaaten gewahrt blieben und sogar Raum blieb für einzelstaatliche Sonderrechte.12 Die meisten dieser Maßnahmen wurden zügig erledigt. Regelungen wie die Vorläufige Geschäftsordnung des Bundestags vom 14. November 1816, die im Wesentlichen auf einem Entwurf des Bremer Senators Johann Smidt beruhte, zeichneten sich entgegen älteren Auffassungen13 zum einen durch ein »Höchstmaß an Elastizität« und »einen bemerkenswerten Grad der Flexibilität« in allen Verfahrensstadien aus. Zum anderen wurde keine »augenfällige ›machtrelevante‹ Dominanz einzelner Mächte«, sprich: Österreichs und Preußens, zum Ausdruck gebracht, sondern die rechtliche Gleichheit der Bundesglieder betont, worauf vor allem die Mittel- und Kleinstaaten großen Wert legten.14 Darüber hinaus wurde immer wieder auf die Bedürfnisse der Nation rekurriert, die jedoch nicht im Sinne eines nationalen Bundes- oder Einheitsstaats verstanden wurde, sondern eher im Sinne des von Dieter Langewiesche und Georg Schmidt entwickelten Konzepts der »föderativen Nation«.15 Zu den Kernaufgaben des Bundestags zählte auch die Bearbeitung von Eingaben und Beschwerden von Privatpersonen, Korporationen und gesellschaftlichen Gruppen, die seit Herbst 1816 in großer Zahl im Palais Thurn und Taxis eingingen. 11 Vgl. ebd., Einleitung S. XXXI–LXV und Dokumente Kap. II. 12 Vgl. ebd., Einleitung S. LXV–CXX und Dokumente Kap. III. 13 Treitschke, Deutsche Geschichte (wie Anm. 2), T. 2, S. 147, spricht hingegen von einer »lächerlich schwerfällige[n] Geschäftsordnung«. 14 Vgl. Kotulla, Deutsches Verfassungsrecht 1806−1918, Bd. 1 (wie Anm. 5), die Zitate S. 62. 15 Vgl. Dieter Langewiesche: Nation, Nationalismus, Nationalstaat in Deutschland und Europa. München 2000; Ders./Georg Schmidt (Hg.): Föderative Nation. Deutschlandkonzepte von der Reformation bis zum Ersten Weltkrieg, München 2000; zu anderen Akzentsetzungen jetzt Andreas Fahrmeir: Die Deutschen und ihre Nation. Geschichte einer Idee, Ditzingen 2017, bes. Kap. 4.



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Sie betrafen einesteils Rechte und materielle Entschädigungen von Angehörigen gesellschaftlicher Gruppen (z. B. Standesherren und Reichsritter, überrheinische Geistlichkeit, Mitglieder und Bedienstete ehemaliger Korporationen), die durch die Transformationsprozesse zu Beginn des 19. Jahrhunderts und den Untergang des Alten Reichs Verluste erlitten hatten. Andernteils wurden Schriften und Petitionen von Vertretern neuer Interessengruppen (z. B. Deutscher Handels- und Gewerbsverein) eingereicht, die eine Handlungsaufforderung an den Bundestag vor allem in Fragen von Handel und Verkehr, Freiheits- und Bürgerrechten enthielten und deren Behandlung ein Indikator dafür war, inwieweit sich der Bundestag den Sorgen und Interessen von Teilen der Bevölkerung annahm. Die Bundesversammlung knüpfte damit an das Supplikationswesen im Alten Reich an16; aufgrund des Fehlens eines ständigen Bundesgerichts und einer eigenständigen Administration war sie jedoch auf die Mitwirkung der Bundesstaaten angewiesen. Die Bundesversammlung nahm diese Herausforderung an und richtete unmittelbar nach ihrer Konstituierung eine ständige Reklamations- oder Eingabenkommission ein17, deren Mitglieder dreimal im Jahr (1821–1823 de facto zweimal im Jahr) erneuert wurden. Mit der grundsätzlichen Aussage, dass »jedem Deutschen der Weg an die Bundesversammlung jederzeit offen stehen« müsse18, etablierte sich die Bundesversammlung als nationale Appellationsinstanz im Deutschen Bund. Die daraus folgende Arbeitsbelastung war außerordentlich hoch, da von den insgesamt rund 2600 Eingaben, die laut Marko Kreutzmann zwischen 1816 und 1848 bei der Bundesversammlung eingingen und in das sogenannte Eingabenprotokoll aufgenommen wurden19, allein 1254, also knapp die Hälfte, in 16 Vgl. Martin Schennach: Art. »Supplik«, in: Enzyklopädie der Neuzeit. Im Auftrag des Kulturwissenschaftlichen Instituts (Essen) und in Verbindung mit den Fachherausgebern hg. von Friedrich Jaeger, Bd. 13, Stuttgart/Weimar 2011, Sp. 146–148; Helmut Neuhaus, Reichstag und Supplikationsausschuß. Ein Beitrag zur Reichsverfassungsgeschichte der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Berlin 1977. 17 Vgl. Protokolle der Deutschen Bundesversammlung 1816, 3. Sitzung vom 14. November 1816, § 5, S. 55 und 5. Sitzung vom 21. November 1816, Beilage 5, S. 71. Zu den Kommissionen der Bundesversammlung vgl. Johann Ludwig Klüber: Öffentliches Recht des Teutschen Bundes und der Bundesstaaten, Frankfurt am Main 41840, Ndr. 1975, § 152, S.  181−183; Wolfram Siemann: Wandel der Politik − Wandel der Staatsgewalt. Der Deutsche Bund in der Spannung zwischen »Gesammt-Macht« und »völkerrechtlichem Verein«, in: Helmut Rumpler (Hg.): Deutscher Bund und deutsche Frage 1815−1866, Wien/München 1990, S. 59−73, hier S. 63 ff.; Carl von Kaltenborn: Geschichte der Deutschen Bundesverhältnisse und Einheitsbestrebungen von 1806 bis 1856 unter Berücksichtigung der Entwicklung der Landesverfassungen, Bd. 1, Berlin 1857, S. 300 f.; Jürgen Müller: Der Deutsche Bund und die ökonomische Nationsbildung. Die Ausschüsse und Kommissionen des Deutschen Bundes als Faktoren politischer Integration, in: Hans-Werner Hahn/Marko Kreutzmann (Hg.): Der Deutsche Zollverein. Ökonomie und Nation im 19. Jahrhundert, Köln/Weimar/Wien 2012, S. 283–302, hier S. 285 ff. 18 Kommissionsgutachten über die Bestellung von Agenten bei der Bundesversammlung vom 24. November 1817, in: QGDB, Abt. I, Bd. 2 (wie Anm. 5), Dok. 79, Zitat S. 312. 19 Vgl. den Beitrag von Marko Kreutzmann in diesem Band.

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den ersten sieben Jahren eingingen. Davon entfielen jeweils ein knappes Drittel auf Besoldungs- und Pensionsforderungen (32,4  Prozent) sowie auf Schuldenforderungen aus der Epoche des Alten Reichs (29,7 Prozent). Justizbeschwerden und Eingaben von Standesherren, Adeligen sowie jüdischen und katholischen Gemeinden, die auf die Herstellung eines gesicherten Rechtszustandes zielten, machen zusammen ein knappes Fünftel (18,2  Prozent) aus. Eingereichte Aufsätze und Druckschriften bilden ein Zehntel (9,7  Prozent), während Eingaben zu Handel und Verkehr, Erfindungen und Patenten sowie zu Vereinen neuen Typs noch selten (1,3 Prozent) vorkamen. Der statistische Befund liefert also ein sehr eindeutiges Ergebnis: Die Bundesversammlung engagierte sich in der Anfangsphase des Deutschen Bundes vornehmlich zugunsten der Opfer der Umwälzungsprozesse um 1800, und zwar unabhängig davon, ob ihr diese Materien durch die Bundesakte aufgetragen worden waren oder nicht. Als nationale Appellationsinstanz trug sie damit zur gesellschaftlichen Befriedung im Deutschen Bund bei, während in die Zukunft weisende Materien wie Handel und Verkehr, Patentschutz und Pressefreiheit bei den Eingaben an die Bundesversammlung zunächst noch einen geringen Anteil hatten. Die große Anzahl von Eingaben erforderte flexible Vorgehensweisen durch den Bundestag. Grundsätzlich wurde hier arbeitsteilig verfahren. Jedes Mitglied der Reklamationskommission erhielt eine bestimmte Anzahl von Eingaben zur Bearbeitung zugewiesen, und das Ergebnis wurde dann vom Berichterstatter im Engeren Rat vorgetragen und zu Protokoll gegeben. Da es häufig um komplizierte Rechtsfragen ging, war die Begutachtung teilweise sehr zeitaufwändig und konnte in nicht wenigen Fällen erst nach vielen Jahren abgeschlossen werden. Wo immer es möglich war, wurden Eingaben, die einen bestimmten Themenkomplex betrafen, gebündelt und an eine eigens dazu gewählte Kommission abgegeben, die die Angelegenheit dann in Summa behandelte. Ein Beispiel dafür sind die 83 Eingaben von Privatpersonen mit Forderungen an die ehemalige Reichsoperationskasse20, die in den Jahren 1816 bis 1823 eingingen. Diese beliefen sich insgesamt auf einen Betrag von ca. 1,6 Millionen Gulden. Die mit der Bearbeitung beauftragte Kommission nahm sich dieser »deutsche[n] National-Angelegenheit«21 an und kam nach gründlicher Prüfung zu dem Schluss, dass der Deutsche Bund zwar nicht verpflichtet sei, sich in dieser Angelegenheit zu engagieren, gleichwohl »die Befriedigung der befraglichen Forderungen, nach dem Gefühl des Rechts, der Billigkeit und zur Aufrechthaltung der deutschen NationalEhre, zu übernehmen habe«22. Damit wurde ein kompliziertes Verfahren in Gang gesetzt, das erst im Jahre 1843 nach Durchlaufen mehrerer Verfahrensstadien abgeschlossen werden konnte. Am Beginn standen Vorschläge des Bundestags zur 20 Zur Reichsoperationskasse vgl. Härter, Reichstag und Revolution (wie Anm. 9), passim. 21 Vgl. Protokolle der Deutschen Bundesversammlung 1818, 16. Sitzung vom 9. April 1818, § 88, Zitat S. 229 (Antrag Österreichs auf Einsetzung einer Kommission). 22 Vgl. Protokolle der Deutschen Bundesversammlung 1819, 17. Sitzung vom 13. Mai 1819, § 82, S. 246 und Beilagen 17 und 18, S. 251–259, Zitat S. 253.



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Prüfung der Berechtigung der Forderungen, zur Aufbringung der Mittel durch den Bund und der Verteilung der Summe auf die einzelnen Bundesstaaten. Da die Bundesversammlung über keinen administrativen Unterbau verfügte, wurde 1824 eine Liquidationskommission eingesetzt, bestehend aus je einem österreichischen, preußischen und bayerischen Beamten, die aus der Bundeskasse bezahlt wurden. Diese Kommission legte am 24. Juli 1830 ihren Bericht vor. Die Prüfung der Vorschläge durch den Bundestag, die zuständigen Behörden der Einzelstaaten sowie die Auszahlung der Entschädigungsbeträge zogen sich dann aber noch bis zum Jahr 1843 hin, so dass die Angelegenheit erst nach 24 Jahren abgeschlossen wurde. Mit einem gewissen Recht kritisierte Heinrich von Treitschke, dass die zahlreichen Privateingaben, »denen die Mehrzahl der Bundesgesandten ein ehrliches Wohlwollen entgegenbrachte, mit schimpflicher Langsamkeit erledigt wurden«, so dass im Falle der Forderungen an die Reichsoperationskasse erst die »glücklichen Enkel der Gläubiger […] die Entschädigung für die Arbeiten ihrer Großväter aus den Jahren 1793 bis 1796« empfingen.23 Diese Langsamkeit allein dem Bundestag anzulasten, übersieht den Anteil der Einzelstaaten, die als Rechtsnachfolger des Alten Reichs eigentlich verpflichtet gewesen wären, die Sache zügig und abschließend zu regeln. Diese spielten jedoch nach dem Untergang des Alten Reichs auf Zeit und betrieben die Angelegenheit dilatorisch. Obwohl nur ein Teil der Forderungen anerkannt wurde, wären die Petenten ohne das Engagement der Bundesversammlung vermutlich weitgehend leer ausgegangen. Von daher geht die Bemerkung Treitschkes, dass der Bundestag mit der Bearbeitung so vieler Eingaben und Reklamationen »seine Zeit verdarb«24, am Kern der Sache vorbei. Es war vielmehr der Bundesversammlung zu verdanken, dass hier ein bemerkenswerter Beitrag zum Rechtsfrieden im Deutschen Bund geleistet wurde. Bei der Behandlung von eingesandten Aufsätzen und Schriften ganz unterschiedlichen Inhalts – die Palette reicht vom Kartoffelanbau bis zu kulturellen Themen – wurde wiederum ganz anders vorgegangenen. Aus den Vorträgen der Reklamationskommission ergibt sich, dass von den 1819/20 eingegangenen Schriften 40 Prozent an andere Kommissionen abgegeben wurden, etwa 50 Prozent zum Vortrag kamen, während 5  Prozent sofort ad acta gelegt wurden. Bei Letzteren handelt es sich vor allem um Eingaben, »welche sich bloß zur Anzeige bei der Bundesversammlung qualificiren«.25 Eines Vortrags im Engeren Rat für würdig befunden wurden vor allem Schriften, die von praktischem Nutzen für die Arbeit der Bundesversammlung selbst waren: z. B. »H. Herman, Sammlung der seit dem Reichsdeputations-Hauptschluß vom 25. Februar 1803 in Bezug auf Rheinhandel und Schifffahrt erschienenen Gesetze, Verordnungen und allgemeinen Instructionen« (Mainz 1820) oder »Dr. Höck, Handbuch einer Statistik der deutschen Bundesstaaten. Leipzig 1821«. Solchen Werken wurde eine kritische Würdigung 23 Vgl. Treitschke, Deutsche Geschichte (wie Anm. 2), Bd. 2, die Zitate S. 147 f. 24 Vgl. ebd., S. 152. 25 Vgl. Protokolle der Deutschen Bundesversammlung 1820, 15. Sitzung vom 6. Juli 1820, § 47, S. 95 f. und Beilage 3 bis 5, S. 109–123, Zitat S. 96.

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in Form einer Rezension zuteil und sie wurden an die Bundesbibliothek zur weiteren Benutzung abgegeben, während Abhandlungen von eher allgemeiner Natur oder solche, die sich nur vage über die Zukunft Deutschlands, des Deutschen Bundes oder zu schaffender neuer Institutionen ausließen wie die Schrift des Lübeckers Friedrich Tiburtius »Ideen über ein zu errichtendes Deutsches Nationalinstitut für Wissenschaft und Kunst. Ein Bedürfnis der Deutschen Nation, zur Berathung der hohen Deutschen Bundesversammlung« unkommentiert zu den Akten gegeben wurden. Die persönlichen Vorlieben der Berichterstatter waren dabei vermutlich nicht ganz unwichtig. Sie verweisen auf den personellen Faktor in der Bundesversammlung, der eine wichtige, bislang kaum näher untersuchte Rolle spielte.

II. Die Bundestagsgesandten und ihre Qualifikationen Über die Bundestagsgesandten im Allgemeinen und diejenigen der Jahre 1816 bis 1823 im Besonderen liegen bislang keine systematischen Untersuchungen vor. Ihre Tätigkeit am Bundestag ist zumeist eher kritisch bis abwertend beurteilt worden, und es wurde häufig, ohne sich mit der Vita der Bundesgesandten eingehender zu beschäftigen, der Schluss gezogen, es habe sich um »reichlich unbedeutende Herren«26 gehandelt. Ob und inwieweit diese Einschätzung zutrifft, soll im Folgenden in einer ersten kollektivbiographischen Skizze überprüft werden. Aus heuristischen Gründen wird dabei unterschieden zwischen der eigentlichen ›Gründergeneration‹, die von 1816 bis 1820 in Frankfurt tätig war, und einer zweiten Gruppe, bei der es sich um Nachrücker auf freigewordene Posten bis zur sogenannten »Epuration« des Bundestags 1823 handelt. Die erste Gruppe umfasst 28 Bundestagsgesandte27, die zweite Gruppe neun Personen28. Im Folgenden

26 Karl Otmar Freiherr von Aretin: Die deutsche Politik Bayerns in der Zeit der staatlichen Entwicklung des Deutschen Bundes 1814–1820, Diss. phil. (masch.), München 1954, Zitat S. 138. 27 Aretin (Bayern), Berckheim (Baden), Berg (15. Kurie), Berstett (Baden), Beust (sächsische Herzogtümer), Buol-Schauenstein (Österreich), Carlshausen (Kurhessen), Danz (Frankfurt), Eyben (Holstein und Lauenburg), Gagern (Luxemburg), Globig (Sachsen), Görtz (Sachsen), Goltz (Preußen), Gries (Hamburg), Gruben (Bayern), Grünne (Luxemburg), Gütschow (Lübeck), Hach (Lübeck), Harnier (Großherzogtum Hessen), Hendrich (sächsische Herzogtümer), Leonhardi (16. Kurie), Lepel (Kurhessen), Mandelsloh (Württemberg), Marschall (Nassau), Martens (Hannover und Braunschweig), Plessen (Mecklenburg), Smidt (Bremen) und Wangenheim (Württemberg). – Die Grunddaten wurden über die biographischen Nachschlagewerke (Allgemeine Deutsche Biographie, Neue Deutsche Biographie, Deutsche Biographische Enzyklopädie etc.) ermittelt, außerdem wurden gedruckte Universitätsmatrikeln herangezogen. – Siehe auch die Tabellen am Ende des Beitrags. 28 Blittersdorff (Baden), Both (15. Kurie), Carlowitz (Sachsen), Gruben (Großherzogtum Hessen), Hammerstein (Hannover), Meyerfeld (Kurhessen), Münch-Bellinghausen (Österreich), Pentz (Mecklenburg), Pfeffel (Bayern). – Siehe Tabelle 2 am Ende des Beitrags. – Carl Georg Curtius (Lübeck) trat zwar offiziell am 10. Juni 1822 in die Bundesversammlung ein, über-



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werden die soziale Herkunft, der Bildungsgang, die Altersstruktur und Dienstkarriere dieser 37 Gesandten in den Blick genommen. Hinsichtlich der Standeszugehörigkeit überwog im Korps der Bundestagsgesandten der niedere Adel (28), vier Mitglieder (Harnier, Martens, Pfeffel, Carlshausen) wurden im Verlauf ihrer Karriere nobilitiert, während die fünf Vertreter der Freien Städte bürgerlicher Herkunft waren. Sechs adelige Bundestagsgesandte kamen zudem in den Genuss einer Standeserhöhung: Leonhardi und Pfeffel wurden in den Freiherrnstand, Mandelsloh, Münch-Bellinghausen, Buol-Schauenstein und Eyben in den Grafenstand erhoben. Hinsichtlich der Standesverhältnisse gibt es also starke Übereinstimmungen mit den Gesandten am Reichstag zu Regensburg in der Endphase des Alten Reichs und dem diplomatischen Korps der europäischen Staaten, in denen der Adel dominierte.29 Fast alle Bundestagsgesandten verfügten über eine universitäre Bildung, und ganz deutlich tritt die Dominanz der Juristen hervor: 31 von 37 hatten ein Studium der Rechtswissenschaft absolviert30, Berg, Danz, Gries, Gruben (Bayern), Gütschow, Hach, Leonhardi und Martens außerdem den juristischen Doktortitel erworben. Der bremische Vertreter Johann Smidt hatte zwar Theologie in Jena studiert und die Ordination zum Prediger empfangen, war aber nach kurzer Tätigkeit als Professor am Gymnasium illustre in den Senat seiner Heimatstadt gewählt worden und widmete sich fortan der Politik. Kein Studium absolviert hatten der Bundestagsgesandte für Luxemburg Joseph Maria Carl Graf Hemricourt von Grünne (1769–1853), der zunächst die Offizierslaufbahn eingeschlagen hatte, später aber auch mit diplomatischen Geschäften beauftragt wurde, sowie sein kurhessischer Kollege Carlshausen, der, aus ganz einfachen Verhältnissen stammend, durch Kenntnisse und die Protektion des Kurfürsten Wilhelm I. jedoch rasch Karriere in der Finanzverwaltung gemacht hatte. Nachdem er 1806 den größten Teil des enormen kurfürstlichen Geldvermögens vor dem Zugriff der Franzosen gerettet hatte, wurde er noch im gleichen Jahr mit dem Adelstitel »von Carlshausen« belohnt. Aufschlussreich ist darüber hinaus die Wahl der Studienorte. Hier sticht einerseits eine weitverbreitete Präferenz für die jeweilige Landesuniversität oder nächstgelegene Alma Mater ins Auge: unter anderem bei Aretin (Ingolstadt), Berg (Tübingen), Harnier (Rinteln), Lepel (Marburg), Eyben (Kiel) und Carlowitz (Leipzig). Andererseits wird die enorme Anziehungskraft der 1737 nahm aber erstmals 1828 persönlich die Stimmführung der 17. Kurie und wird deshalb nicht mitgezählt. 29 Vgl. Härter, Reichstag und Revolution (wie Anm. 9), S. 58; Karl Otmar Freiherr von Aretin: Heiliges Römisches Reich 1776–1806. Reichsverfassung und Staatssouveränität, 2 Bde., Wiesbaden 1967, Bd. 1, S. 58–68. 30 Für den Präsidialgesandten Buol-Schauenstein findet sich in der Literatur keinerlei Hinweis auf ein Studium. Da einige Universitätsmatrikeln für die fragliche Zeit noch nicht in gedruckter Form vorliegen, ist jedoch nicht auszuschließen, dass Buol ebenfalls Jurisprudenz studiert hat. Vgl. Allgemeine Deutsche Biographie [ADB], Bd. 3, S. 553 f.; Neue Deutsche Biographie [NDB], Bd. 3, S. 22 f.

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gegründeten Universität Göttingen deutlich, an der zwölf von 37 Bundestagsgesandten studiert hatten. Diese kamen aus den vier Freien Städten (Danz, Martens, Hach, Gries, Gütschow) sowie den nord-, mittel- und süddeutschen Klein-und Mittelstaaten (Both, Eyben, Gagern, Hammerstein, Harnier, Hendrich, Lepel, Plessen). An der Georgia Augusta hörte damals jeder Jurastudent die Vorlesungen Johann Stephan Pütters über Reichsrecht und Reichsgeschichte und wurde somit vertraut gemacht mit der föderativen Verfassungsordnung des Alten Reichs, seinen Institutionen und seiner Rechtskultur; die dabei erworbenen Kenntnisse und Denkweisen lassen sich bis in die Zeit des Deutschen Bundes verfolgen. Dazu trug auch der Umstand bei, dass 21 von 37 Bundestagsgesandten ihr Studium noch vor Ausbruch der Französischen Revolution beendet hatten, während Berckheim, Beust, Globig, Gries, Gruben (Bayern), Hach, Leonhardi, Lepel, Marschall, Pentz, Smidt, Wangenheim ihr Studium aufnahmen, als die revolutionären Umwälzungen Deutschland bereits erfasst hatten und die Erosion der alten Reichsverfassung und der traditionalen Gesellschaftsordnung unübersehbar war. Die im Studium erworbenen Kenntnisse über die Verfassung, die Institutionen und das Rechtssystem des Heiligen Römischen Reichs wurden bei einem Teil der Bundestagsgesandten (Berg, Gruben, Martens) durch Praktika am Reichskammergericht, am Reichshofrat und/oder am Reichstag vertieft. Andere Bundestagsgesandte wurden am Beginn ihrer Dienstkarriere offenbar bewusst nach Regensburg entsandt, um neben der Ergänzung des universitären Wissens vor allem auch Kontakte zu anderen Diplomaten zu knüpfen, die für ihr Land und die weitere Karriere von Nutzen sein konnten. Friedrich von Eyben war 1799 am Reichstag zu Regensburg als dänisch-holsteinischer Geschäftsträger und von 1804 bis 1806 als Komitialgesandter tätig; Johann Friedrich Hach wurde dort 1806 zum Direktor der städtischen Kurie bestellt, Leopold von Plessen vertrat von 1802 bis 1806 als Gesandter beide Mecklenburg beim Reichstag, während Georg Ferdinand von Lepel 1798 dort als hessen-kasselischer Legationssekretär fungierte. Während die vorstehenden Nachwuchsdiplomaten offenbar von diesem Aufenthalt profitierten, scheint der spätere Präsidialgesandte Buol-Schauenstein mit seiner Aufgabe als kaiserlicher Direktorialgesandter am Reichstag (1794/95) überfordert gewesen zu sein; die Beurteilung seines kurzen Regensburger Wirkens ist ganz negativ31, wobei allerdings nicht klar wird, welchen persönlichen Anteil der gerade einmal 22 Jahre alte BuolSchauenstein daran gehabt hat. Zwei Bundestagsgesandte – der interimistische bayerische Vertreter am Bundestag Friedrich Ignaz Freiherr von Gruben und der hannoversche Bundestagsgesandte Hans Detlev von Hammerstein – waren

31 Vgl. Härter, Reichstag und Revolution (wie Anm. 9), S. 57, und Karl Otmar von Aretin: Das Alte Reich 1648–1806, Bd. 3: Das Reich und der österreichisch-preußische Dualismus (1745– 1806), Stuttgart 1997, S. 416 f.



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1793–1806 bzw. 1800/01 als Assessoren am Reichskammergericht in Wetzlar tätig.32 Bei der Auswahl der Bundestagsgesandten galten dann offenbar aber andere Kriterien als am Regensburger Reichstag. Bei Eröffnung der Bundesversammlung im November 1816 betrug das Durchschnittsalter der ersten Dienstkohorte 49,6 Jahre. Die Mitgliedsstaaten hatten also Vertreter nach Frankfurt entsandt, die über eine lange Berufserfahrung verfügten und zumeist noch mit der föderativen Ordnung des Alten Reichs groß geworden waren. Deutlich über dem Durchschnittswert lagen nur drei Bundestagsgesandte, die 60 Jahre und älter waren: der Hannoveraner Georg Friedrich von Martens war 60 Jahre alt, der sächsische Vertreter Graf Görtz und der sachsen-ernestinische Gesandte Hendrich waren beide 64 Jahre alt. Umgekehrt waren nur zwei Mitglieder jünger als vierzig Jahre: der Kurhesse Georg Ferdinand von Lepel (37 Jahre) und der Bundestagsgesandte der 16. Kurie Jacob Friedrich Freiherr von Leonhardi (38 Jahre). Hinsichtlich ihres Ausbildungs- und Berufsprofils waren die Bundestagsgesandten im Allgemeinen breit aufgestellt. Die Tatsache, dass zu den ersten Aufgaben der Bundesversammlung die Verabschiedung der Grundgesetze und die organische Fortbildung des Bundes gehörten und damit neben der Außen- und Militärpolitik auch das ganze Spektrum der Innenpolitik behandelt werden sollte, bewirkte, dass nach Frankfurt nicht die klassischen Berufsdiplomaten entsandt wurden, sondern überwiegend erfahrene Staatsmänner, die in ganz unterschiedlichen Bereichen der inneren Verwaltung, teilweise auch in der Justiz gearbeitet hatten, darüber hinaus aber auch über langjährige Erfahrungen im Bereich der Außenpolitik verfügten. Dazu zählen vor allem Aretin, Berckheim, Berg, Gagern, Gruben (Bayern), Hach, Hendrich, Mandelsloh, Marschall, Plessen und Wangenheim. Johann Adam Freiherr von Aretin (1769–1822) hatte beispielsweise 1788 seine Laufbahn in der inneren Verwaltung begonnen und war sehr schnell bis zum Vizekanzler der Oberlandesregierung in München aufgestiegen; 1808 wurde er Mitglied der Gesetzeskommission; von 1808 bis 1817 war er Leiter der Sektion für Hoheits- und Lehensachen im Ministerium des Äußeren. Während des Wiener Kongresses wurde Aretin mit der Begutachtung der Verhandlungen über die deutsche Verfassung beauftragt. In der Ära Montgelas war Aretin also sowohl am Umbau des bayerischen Staates beteiligt als auch mit zentralen Fragen der deutschen und europäischen Politik befasst und damit für den Posten eines Bundestagsgesandten hervorragend qualifiziert.33

32 Vgl. Sigrid Jahns: Das Reichskammergericht und seine Richter. Verfassung und Sozialstruktur eines höchsten Gerichts im Alten Reich, Bd. 2: Biographien, Wien/Köln/Weimar 2003, Teilbd. 2/1, S. 35–45 u. 451–457. 33 Wolfgang Quint: Souveränitätsbegriff und Souveränitätspolitik in Bayern. Von der Mitte des 17. bis zur ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Berlin 1971, Hauptteil II, S. 310 ff. (= Schriften zur Verfassungsgeschichte, Bd. 15); Karl Otmar von Aretin: Drei Leben für die bayerische Krone. Adam, Georg und Christoph von Aretin, Regensburg 2013, S. 41 ff., 86 ff., 137 ff. u. 149 ff.

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Nur acht Bundestagsgesandte hatten die klassische Diplomatenlaufbahn eingeschlagen (Berstett, Buol-Schauenstein, Eyben, Görtz, Goltz, Harnier, Leonhardi, Lepel), in deren Verlauf sie vor allem an den Höfen der deutschen Klein- und Mittelstaaten sowie den ehemaligen Reichskreisen akkreditiert gewesen waren. Lediglich Mandelsloh (Paris), Eyben und Görtz (beide Berlin) sowie Graf von der Goltz (St. Petersburg, Kopenhagen, Warschau) waren auch an den prestigeträchtigeren Höfen europäischer (Groß-)Mächte akkreditiert. Der Präsidialgesandte Graf von Buol-Schauenstein wurde nach seinem verunglückten Start in Regensburg fast ausschließlich an Höfe der mindermächtigen Reichsstände und deutschen Staaten sowie die ehemaligen Reichskreise entsandt. Dadurch war er mit den Verhältnissen und Interessen der deutschen Klein- und Mittelstaaten immerhin bestens vertraut und durchaus für das Amt des Präsidialgesandten gerüstet, auch wenn er nicht die erste Wahl Metternichs gewesen ist. Die Bundestagsgesandten der ersten Generation verfügten zumeist nicht nur über eine langjährige Berufserfahrung, sondern sie waren bei Übernahme ihres Frankfurter Postens auf der Karriereleiter oft bis in die Spitzenpositionen ihrer Heimatstaaten aufgestiegen: Berckheim, Berg, Berstett, Gagern, Goltz, Mandelsloh, Marschall, Plessen und Wangenheim bekleideten vor und/oder während ihrer Tätigkeit in Frankfurt Ministerämter oder das Amt des Regierungschefs, andere galten als ministrabel (z. B. Aretin) oder gelangten später zu Ministerämtern (z. B. Lepel). Die übrigen hatten zumindest den Rang eines Geheimen Rates oder Staatsrats erreicht. Berg, Plessen und Marschall wurden zudem immer wieder als Bevollmächtigte zu Ministerkonferenzen – in Karlsbad (1819) und Wien (1819/20 und 1834) – entsandt, da sie das besondere Vertrauen ihrer Monarchen besaßen und eine umfassende bundespolitische Kompetenz und Erfahrung erworben hatten. Der bremische Vertreter Johann Smidt (1773–1857) wurde 1821 Bürgermeister und stieg zur beherrschenden politischen Figur seiner Heimatstadt in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf. Mit anderen Worten: vor allem die deutschen Klein- und Mittelstaaten schickten in der Anfangsphase des Deutschen Bundes ihre besten Köpfe nach Frankfurt, die mit den Vertretern der beiden Großmächte durchaus auf Augenhöhe verkehren konnten. Wie groß die Reputation und der Einfluss der Bundestagsgesandten der mindermächtigen deutschen Staaten war, zeigt sich nicht zuletzt in der Arbeit und Zusammensetzung der Kommissionen der Deutschen Bundesversammlung, auf die nun im Folgenden eingegangen wird.

III. Die Zusammensetzung der Bundestagskommissionen Über die Zusammensetzung der Bundestagskommissionen ist, abgesehen von den Jahren 1816 bis 182034, bislang nur wenig bekannt, obwohl eine solche Untersuchung in zweierlei Hinsicht fruchtbar ist, da sie Aufschlüsse sowohl über die 34 Vgl. Treichel, Die Kommissionen der Deutschen Bundesversammlung (wie Anm. 1), S. 352 ff.



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persönliche Reputation und das politische Gewicht der einzelnen Bundestagsgesandten als auch über die internen Kräfteverhältnisse und damit die inhaltliche Ausrichtung des Bundestags verspricht. Da sich der hier behandelte Zeitraum 1816 bis 1823 aus heuristischen Gründen in zwei Phasen aufteilen lässt – in die Anfangsjahre bis 1820 sowie die Zeit von der konservativ-repressiven Wende in der Bundespolitik 1819/20 bis zur »Epuration« des Bundestags 182335 –, möchte ich die Analyse auch in zwei Schritten vornehmen. Für Phase I wurden insgesamt 54 Kommissionen identifiziert – ein Viertel der insgesamt ca. 200 Kommissionen zwischen 1816 und 1848.36 Diese bestanden überwiegend aus drei oder fünf Mitgliedern, in einzelnen Fällen wurden aber auch Zweier-, Vierer-, Sechser- oder Siebenerkommissionen gebildet – je nach der Bedeutung und dem Schwierigkeitsgrad der zu bearbeitenden Materie (vgl. Tabelle 1). Der statistische Befund liefert ein in mehrfacher Hinsicht eindeutiges Ergebnis. An der Spitze rangiert eine achtköpfige Spitzengruppe (Martens, Plessen, Berg, Aretin, Wangenheim, Buol-Schauenstein, Goltz, Eyben), die sich deutlich von allen übrigen Bundestagsgesandten abhebt. Sie muss als der innere Führungszirkel der Bundesversammlung angesehen werden: Auf sie entfallen 178 der 219 Kommissionsplätze (81,3 Prozent). In dieser Führungsgruppe waren die beiden Großmächte (Buol, Goltz), die Mittelstaaten (Martens, Aretin, Wangenheim) und die sogenannten mindermächtigen deutschen Staaten (Plessen, Berg, Eyben) ausgewogen repräsentiert – ein Zeichen dafür, wie sehr man um Interessenausgleich und konsensuale Lösungen bemüht war. Gleichwohl handelt es sich nicht um eine abgeschlossene Gruppe. Die auf der Liste nachfolgenden Gesandten, die wie Berckheim, Lepel und das Führungstrio der Freien Städte (Danz, Smidt, Hach) nur gelegentlich in Kommissionen gewählt wurden, konnten zwar sehr viel weniger Einfluss auf die Kommissionsarbeit nehmen, sie waren aber keine einflusslosen Zaungäste. Dass sieben Bundestagsgesandte nur je einmal in eine Kommission gewählt wurden und drei sogar überhaupt nicht zum Zuge kamen, hatte überwiegend ganz profane und gut nachvollziehbare Gründe: 1. geringe zeitliche Verfügbarkeit für Kommissionsarbeiten (Marschall, Harnier), 2. anhaltende gesundheitliche Probleme (Görtz), 3. ein eher umständlicher Arbeitsstil (Gagern, Gries). 35 Zur Einordnung der von Metternich in Szene gesetzten Wende in der Bundespolitik 1819– 1823 vgl. jetzt auch die Vorschläge von Wolfram Siemann: Der Wiener Kongress 1814/15. Restauration, Rekonstruktion oder imperiale Neuordnung Europas?, Wien 2017 (= Wiener Vorlesungen im Rathaus, Bd. 187). 36 Die dreimal im Jahr personell erneuerte Reklamationskommission wurde jedesmal als neue Kommission gewertet, hingegen die am 20. September 1819 gewählte Kommission für alle auf die Exekution der Bundestagsbeschlüsse Bezug habenden Eingaben und Berichte, die am 15. Juni 1820 in gleicher Zusammensetzung lediglich erneuert wurde, nur einmal gezählt. Vgl. Protokolle der Deutschen Bundesversammlung 1816, S. 55, 59 f., 107, 210; 1817, S. 19 f., 200, 272, 278, 343 f., 384, 484, 606 f., 651, 716, 721, 750, 754, 868 f.; 1818, S. 3 f., 45, 228 f., 231, 253, 302 f., 308 f., 349 f., 370, 382 f., 459 f., 490, 538 f.; 1819, S. 36, 149 f., 228, 274 f., 537, 673, 676 f.; 1820, S. 30, 55, 97−99, 227−229, 381 f., 425 f.

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Positiv auf die Arbeit und Atmosphäre im Bundestag wirkten sich nicht zuletzt die oft langjährige persönliche Bekanntschaft und gegenseitige Wertschätzung aus. Das gilt insbesondere für die Vertreter der deutschen Klein- und Mittelstaaten, deren Wege sich offenbar immer wieder kreuzten. Wichtige Kontaktorte waren die Universitäten (Leopold von Plessen hörte in Göttingen z. B. Völkerrecht bei seinem späteren Bundestagskollegen Georg Friedrich von Martens37; Günther Heinrich von Berg wurde auf Empfehlung Pütters an die Universität Göttingen berufen und damit ein Kollege von Martens’38), der Reichstag zu Regensburg (von dem Lübecker Senator Johann Friedrich Hach wird berichtet, dass er in Regensburg »einen großen Teil der Diplomaten kennen[lernte], denen er in seinem späteren Leben an wichtigeren Stellen wieder begegnen sollte. Er fand unter ihnen viele, denen er nach und nach näher trat«39), die Familie (Ernst Freiherr Marschall von Bieberstein und Friedrich von Eyben waren seit 1803 über ihre Ehefrauen miteinander verschwägert), das Hauptquartier der Alliierten Mächte 1813/14 sowie vor allem der Wiener Kongress 1814/15. Zwölf Bundestagsgesandte (Berg, Berstett, Danz, Gagern, Globig, Gries, Hach, Lepel, Marschall, Martens, Smidt, Plessen) hatten an diesem europäischen Großereignis teilgenommen und waren damit unmittelbar an der Entstehung der Deutschen Bundesakte beteiligt. Der neunmonatige Aufenthalt in Wien hatte intensive Kontakte ermöglicht und zu gemeinsamen Initiativen der Mindermächtigen geführt, deren Bevollmächtigte sich vom 14. Oktober 1814 bis zum 9. Juni 1815 zu insgesamt 58 Sitzungen trafen.40 Man wusste deshalb um die politischen Präferenzen vieler Kollegen, und die Fortbildung des Deutschen Bundes war vielen eine Herzensangelegenheit. Da nicht wenige Bundestagsgesandte schon Ende 1815/Anfang 1816 nach Frankfurt kamen, ergab sich auch die Gelegenheit, die noch unbekannten neuen Kollegen bis zur konstituierenden Sitzung des Bundestags kennenzulernen. Alles das trug mit dazu bei, dass der Bundestag nach seiner Konstituierung mit voller Kraft seine Tätigkeit beginnen konnte. Über die persönliche Reputation der Bundestagsgesandten hinaus gibt die Zusammensetzung der Bundestagskommissionen aber auch Aufschluss über die inhaltliche Ausrichtung der Bundesversammlung. In den Kommissionen dominierte der Personenkreis, der das »Gebäude des großen National-Bundes«41 voll37 Vgl. L[udwig] von Hirschfeld: Ein Staatsmann der alten Schule. Aus dem Leben des mecklenburgischen Ministers Leopold von Plessen, in: Ders.: Von einem deutschen Fürstenhofe. Geschichtliche Erinnerungen aus Alt-Mecklenburg. Bd. 2, Wismar 1896, S. 1–263, hier S. 5. 38 Vgl. Martin Sellmann: Günther Heinrich von Berg 1765–1843. Ein Württemberger als Beamter und Staatsmann in Diensten niedersächsischer Staaten zur Zeit der Aufklärung und Restauration. Oldenburg 1982, S. 26 f. 39 Vgl. Joh. Kretzschmar: Johann Friedrich Hach. Senator und Oberappellationsrat in Lübeck, Lübeck 1926, Zitat S. 14. 40 Vgl. Michael Hundt: Die mindermächtigen deutschen Staaten auf dem Wiener Kongress, Mainz 1996. 41 Vortrag Buol-Schauensteins vom 11. November 1816, in: QGDB, Abt. I, Bd. 2 (wie Anm. 5), Dok. 100, Zitat S. 425.



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enden und die »staatsrechtlichen Elemente der Bundesverfassung«42 weiterentwickeln wollte. Dazu gehörten insbesondere die führenden Vertreter der deutschen Mittel- und Kleinstaaten (Martens, Wangenheim, Plessen, Berg, Eyben, Hach, Smidt). Deren Ideen und Vorschläge, die in zahlreichen Kommissionsgutachten und Gesetzentwürfen ihren Niederschlag fanden, zielten im Allgemeinen auf eine behutsame Vorgehensweise und langfristige Entwicklung ab, wie sie oben bereits skizziert worden ist. Diese für die Bundespolitik fruchtbare personelle Konstellation löste sich in Phase II (1821–1823) sukzessive auf. Die Gründe dafür waren sowohl persönlicher als auch politischer Natur. Plessen, Berg und Hach gingen, nach langjähriger Abwesenheit von ihrer Heimat auf eigenen Wunsch dorthin zurück und konzentrierten sich auf ihr Amt als Staatsminister, Oberappellationsgerichtspräsident bzw. Senator. Martens und Aretin verstarben nacheinander im Jahr 1821 bzw. 1822 und hinterließen aufgrund ihres juristischen Sachverstands und ihrer administrativen Erfahrung eine Lücke, die schwer zu füllen war. Politisch motiviert war die Abberufung Harniers, Lepels, Wangenheims und Buol-Schauensteins im Jahr 1823. Die Hintergründe dieser sogenannten »Epuration«43 des Bundestags sind allerdings noch nicht ausreichend geklärt. Die Bundesversammlung verlor mit dem österreichischen Präsidialgesandten, Wangenheim und Lepel drei ihrer bisher tonangebenden Mitglieder, die der Idee des Bundestags als »selbständiger Institution der deutschen Nation« (Buol-Schauenstein)44 anhingen. Mit der Übernahme des Präsidiums durch Joachim Freiherr von Münch-Bellinghausen (1786–1866) hielt nicht nur ein betont autoritärer Führungsstil Einzug in das Palais Thurn und Taxis, sondern auch ein repressiv-konservativer Kurs, da sich der neue Präsidialgesandte in erster Linie als verlängerter Arm des Fürsten Metternich verstand, der die Bundesversammlung domestizieren und auf Linie bringen sollte. Bereits vor seiner Berufung hatte ein weitgehender Austausch der Führungsspitze der Bundesversammlung stattgefunden. Münch-Bellinghausen wurde zwar wie Buol-Schauenstein in wichtige Kommissionen gewählt oder trat unmittelbar an dessen Stelle in bereits bestehenden Kommissionen, doch leistete der Bundestag wenigstens symbolisch Widerstand, als auf der Beliebtheitsskala nun der hannoversche Bundestagsgesandte Hans Detlev von Hammerstein (1768–1826) sowie der sächsische Vertreter Hans Georg von Carlowitz (1772– 1849) ganz oben rangierten. Metternich hatte die Berufung Hammersteins wegen dessen gemäßigter Gesinnung und seiner »detestablen Grundsätze« vergeblich zu verhindern gesucht. Deshalb waren Konflikte mit Münch-Bellinghausen vorprogrammiert. Da Hammerstein schon 1826 Suizid wegen seiner zerrütteten finanziellen Verhältnisse beging, konnte er nicht zum Kristallisationspunkt des Widerstands gegen Münch-Bellinghausen werden. Auf die beiden Spitzenreiter folgen dann die bereits verstorbenen Aretin und Wangenheim, der Präsidialge42 Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 1, Stuttgart 21975, S. 666. 43 Vgl. dazu ebd., S. 756–758. 44 Vgl. NDB, Bd. 3, Zitat S. 23.

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Eckhardt Treichel

sandte Münch-Bellinghausen und der junge badische Gesandte Friedrich Landolin Freiherr von Blittersdorff (1792–1861). Mehrfach in Kommissionen gewählt wurden auch der Frankfurter Syndikus Danz, der preußische Vertreter Graf von der Goltz und Graf von Eyben. Diese Spitzengruppe besaß aber nicht mehr die Homogenität der Anfangsjahre. Vor allem die bisher einflussreichen mindermächtigen Staaten waren die großen Verlierer; sie konnten den Abgang von Plessen und Berg nicht kompensieren.



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Die Deutsche Bundesversammlung und ihre Kommissionen

Tabelle 1: Die Zusammensetzung der Bundestagskommissionen 1816−1820 Eingaben und Reklamationen 1816–1820 (10)

Sämtliche Kommissionen 1816–1820 (54) Anzahl

Prozent

Anzahl

Prozent

Martens (Hannover und Braunschweig)

35

64,8 %

10

100,0 %

Plessen (Mecklenburg)

60,0 %

28

51,8 %

6

1

Berg (15. Kurie )

26

48,1 %

6

60,0 %

Aretin (Bayern)

23

42,6 %

7

70,0 %

Wangenheim (Württemberg)

19

35,2 %

6

60,0 %

Buol-Schauenstein (Österreich)

18

33,3 %





Goltz (Preußen)

15

27,8 %





Eyben (Holstein und Lauenburg)

14

25,9 %

2

20,0 %

Berckheim (Baden)

9

16,7 %

3

30,0 %

Lepel (Kurhessen)

8

14,8 %

4

40,0 %

Danz (Frankfurt)

4

7,4 %

1

10,0 %

Mandelsloh (Württemberg)

3

5,6 %

2

20,0 %

Hach (Lübeck)

2

3,7 %

2

20,0 %

Smidt (Bremen)

2

3,7 %

1

10,0 %

Gruben (Bayern)

2

3,7 %

1

10,0 %

Beust (sächsische Herzogtümer)

2

3,7 %

1

10,0 %

Globig (Sachsen)

2

3,7 %





Carlshausen (Kurhessen)

1

1,8 %





Hendrich (sächsische Herzogtümer)

1

1,8 %





Gagern (Luxemburg)

1

1,8 %





Leonhardi (16. Kurie2)

1

1,8 %





Grünne (Luxemburg)

1

1,8 %





Harnier (Großherzogtum Hessen)

1

1,8 %





Gries (Hamburg)

1

1,8 %





Berstett (Baden)









Marschall (Nassau)









Görtz (Sachsen)









Gütschow (Lübeck) Gesamt









219

54

52

10

Holstein-Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg. Hohenzollern, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck.

1

2

98

Eckhardt Treichel

Tabelle 2: Die Zusammensetzung der Bundestagskommissionen 1821−1823

Martens (Hannover und Braunschweig) Plessen (Mecklenburg) Berg (15. Kurie1) Aretin (Bayern) Wangenheim (Württemberg) Buol (Österreich) Goltz (Preußen) Eyben (Holstein und Lauenburg) Berckheim (Baden) Lepel (Kurhessen) Danz (Frankfurt) Mandelsloh (Württemberg) Hach (Lübeck) Smidt (Bremen) Gruben (Bayern) Beust (sächsische Herzogtümer) Globig (Sachsen) Carlshausen (Kurhessen) Hendrich (sächsische Herzogtümer) Gagern (Luxemburg) Leonhardi (16. Kurie2) Grünne (Luxemburg) Harnier (Großherzogtum Hessen) Gries (Hamburg) Berstett (Baden) Marschall (Nassau) Görtz (Sachsen) Gütschow (Lübeck) Hammerstein (Hannover) Carlowitz (Sachsen) Münch-Bellinghausen (Österreich) Blittersdorff (Baden) Pfeffel (Bayern) Pentz (Mecklenburg) Gruben (Großherzogtum Hessen) Meyerfeld (Kurhessen) Both (15. Kurie) Gesamt

Sämtliche Kommissionen 1821–1823 (14) Anzahl Prozent – – – – – – 8 57,1 % 7 50,0 % 3 21,4 % 3 21,4 % 4 28,5 % – – 2 14,3 % 5 35,7 % – – – – 1 7,1 % − – 3 21,4 % 1 7,1 % – – – – – – 3 21,4 % – – – – – – – – 1 7,1 % – – – – 15 107,1 %3 14 100,0 % 6 42,9 % 5 35,7 % 4 28,5 % 3 21,4 % 2 14,3 % 1 7,1 % 1 7,1 % 92 14

Eingaben und Reklamationen 1821–1823 (4) Anzahl Prozent – – – – – – 3 15,0 % 3 15,0 % – – – – 1 20,0 % – – 1 10,0 % 2 10,0 % – – – – – 5,0 % – – 1 5,0 % – – – – – – – – 2 10,0 % – – – – – – – – – – – – – – 2 10,0 % 2 10,0 % – – 1 5,0 % 1 5,0 % 1 5,0 % – – – – – – 20 4

Holstein-Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg. Hohenzollern, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck. 3 Die Überschreitung der 100-Prozentmarke bei Hammerstein ergibt sich daraus, dass Nachwahlen zu bereits bestehenden Kommissionen mit einbezogen wurden. 1 2

Conrad Tyrichter

Die sicherheitspolitischen Kommissionen des Deutschen Bundes im Vormärz Die Mainzer Zentraluntersuchungskommission und die Frankfurter Bundeszentralbehörde

I. Einführung Die Mainzer Zentraluntersuchungskommission und die Frankfurter Bundeszentralbehörde gelten als die beiden zentralen Institutionen der sogenannten »Demagogenverfolgungen« des Vormärz. Die historiographische Bewertung der beiden Behörden schwankt dabei zwischen der Betonung ihrer vermeintlichen Ineffizienz und Erfolglosigkeit sowie einer Darstellung ihrer Arbeits- und Wirkungsweisen, die an die totalitären Überwachungs- und Repressionsapparate des 20. Jahrhunderts erinnert.1 Derartige Bewertungen sind jedoch problematisch. Sie stützen sich nämlich kaum auf systematische Quellenarbeit, sondern primär auf die selektive Wiedergabe von Äußerungen von – mitunter selbst betroffenen – Zeitgenossen aus dem national-liberalen Spektrum, deren Wahrnehmungen und Sichtweisen unkritisch als historische »Wahrheit« ausgegeben werden, oder sie leiten besonders aus den normativen Bestimmungen der berüchtigten Karlsbader Beschlüsse Aussagen über eine vermeintliche Repressionspraxis ab, die empirisch nicht abgesichert sind.2 Denn obwohl es sich um ein im Vergleich zu anderen Bereichen der Bundespolitik häufig bearbeitetes Themenfeld handelt, ist das historiographisch belastbare Wissen über die beiden Behörden, wie über die »Repressionspolitk« des Bundes insgesamt, letztendlich gering.3 Zwar liegt eine Reihe älterer Studien vor, diese behandeln sie jedoch vor allem aus institutionsgeschichtlicher Perspektive und sind aufgrund fehlender Kontextualisierung häufig nur schwer verständlich.4 Systematische Erkenntnisse über Praxis und

1 Siehe z. B. Adam Zamoyski: Phantom Terror. The Threat of Revolution and the Repression of Liberty, 1789–1848, London 2014, S. 225. 2 Zu dieser Problematik siehe auch: Wolfgang Behringer: Tambora und das Jahr ohne Sommer. Wie ein Vulkan die Welt in die Krise stürzte, München 2015, S. 237 f.; Wolfram Siemann: Metternich. Staatsmann zwischen Restauration und Moderne, München 2010, S. 70. 3 Vgl. Jürgen Müller: Der Deutsche Bund 1815–1866, München 2006, 67 (= Enzyklopädie Deutscher Geschichte, Bd. 78). 4 Leopold Friedrich Ilse: Geschichte der politischen Untersuchungen, welche durch die neben der Bundesversammlung errichteten Commissionen, der Central-Untersuchungs-Commis-

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Conrad Tyrichter

Funktionen der Zentraluntersuchungskommission und der Bundeszentralbehörde lassen sich aus ihnen nur bedingt ableiten. Hier lässt sich lediglich auf Wolfram Siemanns zentrale Studie »Deutschlands Ruhe, Sicherheit und Ordnung« verweisen, die die Behörden aus dem spezifischen Blickwinkel der präventiv ausgerichteten »Politischen Polizei« behandelt.5 Ausgehend von diesen Beobachtungen geht es mir im Folgenden darum, eine komprimierte Darstellung der Geschichte der Zentraluntersuchungskommission und der Bundeszentralbehörde vorzulegen.6 Der Schwerpunkt liegt dabei auf (bundes-)politischen Diskursen um die beiden Behörden, von denen ausgehend ich auf normativ-institutionelle und praktische Aspekte eingehen werde. Dabei betrachte ich die beiden Behörden weder als isolierte und statische Institutionen noch als Repressionsinstrumente, sondern als sicherheitspolitische Reaktionen auf grenzübergreifende »politische Kriminalität« und die mit ihrer Bekämpfung verbundenen transnationalen Koordinationsprobleme im Bereich der Justiz- und Polizeikooperation. Unter politischer Kriminalität verstehe ich dabei ein in historischer Perspektive diachron und synchron variables Konstrukt, durch das in sicherheitspolitischen Diskursen Handlungen etikettiert wurden, die im weitesten Sinne als Bedrohung oder Angriff auf Gesellschaft und politische Ordnung verstanden wurden.7 Damit weiche ich von der üblichen, positiven Darstellung der Opposition des Vormärz ab. Dieses Bild soll aber nicht grundsätzlich in Frage gestellt werden. Vielmehr folge ich einem »historisch-konstruktivistischen« Ansatz, der es erlauben soll, strafrechtliche und sicherheitspolitische Reaktionen und Entwicklungen zu analysieren.8

sion zu Mainz und der Bundes-Central-Behörde zu Frankfurt in den Jahren 1819 bis 1827 und 1833 bis 1842 geführt sind, Frankfurt am Main 1860; Adolf Löw: Die Frankfurter Bundeszentralbehörde von 1833–1842, Gelnhausen 1932; Albert Petzold: Die Zentral-UntersuchungsKommission in Mainz, in: Quellen und Darstellungen zur Geschichte der Burschenschaft und der deutschen Einheitsbewegung 5 (1920), S. 171–258; Eberhard Weber: Die Mainzer Zentraluntersuchungskommission, Karlsruhe 1970. 5 Wolfram Siemann: »Deutschlands Ruhe, Sicherheit und Ordnung«. Die Anfänge der politischen Polizei 1806–1866, Tübingen 1985, S. 72–108 (= Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur, Bd. 14). 6 Die Darstellung beruht auf meiner 2017 an der TU Darmstadt eingereichten Dissertation: »Die Erhaltung der Sicherheit. Deutscher Bund, politische Kriminalität und transnationale Sicherheitsregime im Vormärz«. Diese wird 2018 in der Reihe »Studien zu Policey, Kriminalitätsgeschichte und Konfliktregulierung« des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte im Vittorio Klostermann Verlag erscheinen. 7 Vgl. Dirk Blasius: Geschichte der politischen Kriminalität in Deutschland (1800–1980). Eine Studie zu Justiz und Staatsverbrechen, Frankfurt am Main 1983, S. 12 f.; Karl Härter/Beatrice de Graaf: Vom Majestätsverbrechen zum Terrorismus: Politische Kriminalität, Recht, Justiz und Polizei zwischen Früher Neuzeit und 20. Jahrhundert, in: Beatrice de Graaf/Karl Härter (Hg.): Vom Majestätsverbrechen zum Terrorismus. Politische Kriminalität, Recht, Justiz und Polizei zwischen Früher Neuzeit und 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main 2012, S. 1–22, hier S. 2; Barton L. Ingraham: Political Crime in Europe. A Comparative Study of France, Germany, and England, Berkeley 1979, S. 18 f. 8 Härter/Graaf, Vom Majestätsverbrechen (wie Anm. 7), S. 4.



Die sicherheitspolitischen Kommissionen des Deutschen Bundes im Vormärz

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Die Geschichte der Zentraluntersuchungskommission und der Bundeszentralbehörde wird dabei als Teil eines Großprozesses betrachtet, der sich als die Formierung transnationaler »Strafrechts-« oder »Sicherheitsregime« beschreiben lässt. Mit der Entstehung geschlossener (national-)staatlich definierter Rechtsräume steigerte sich am Beginn des 19. Jahrhunderts die Bedeutung transnationaler strafrechtlicher und polizeilicher Interaktionen. Deren Ausführung, Ausdifferenzierung und Verrechtlichung führte zur Ausbildung von Normen, Diskursen und Praktiken zum Umgang mit grenzübergreifender Kriminalität, die sich als »Regime« beschreiben lassen. Dabei stellte neben Themen wie Rechtshilfe, Auslieferung oder Asyl besonders der Bereich der Polizei- und Justizkooperation ein zentrales Problem- und Untersuchungsfeld dar.9 Der Deutsche Bund ist dabei ein besonders lohnendes Forschungsobjekt, da sich die Formierung transnationaler Strafrechtsregime hier als mehrdimensionaler Prozess auf verschiedenen politischen »Ebenen« abspielte: Einerseits innerhalb des institutionellen Gefüges des Deutschen Bundes und weitgehend auf das Feld der politischen Kriminalität beschränkt; andererseits auf intergouvernementalen Handlungsebenen, indem die deutschen Staaten beispielsweise im großen Stil bi- und multilaterale Abkommen untereinander abschlossen. Die strafrechtlichen Beziehungen innerhalb des Deutschen Bundes als »transnational« zu charakterisieren mag dabei gerade im Zusammenhang mit der Bekämpfung der national-liberalen Bewegung irritieren. Hiermit wird jedoch der Tatsache Rechnung getragen, dass das »juristische nationbuilding«10 im Bereich des Strafrechts im Vormärz primär auf der Ebene der Bundesstaaten stattfand, die sich in diesem Bereich als »vollwertige« Nationalstaaten konstituierten und entsprechend agierten.11 Im Blick auf die Zentraluntersuchungskommission und die Bundeszentralbehörde verspricht dieser Ansatz einen doppelten Erkenntnisgewinn: Indem die beiden Behörden in einen breiteren strafrechtlichen und sicherheitspolitischen Kontext eingebettet werden, geraten neben Interdependenzen und Interaktionen vor allem Kontinuitäten und Dynamiken ins Blickfeld. Dies soll nicht nur helfen, die »multidimensionale Komplexität«12 des Deutschen Bundes und seine verschiedenen Handlungsebenen sichtbar zu machen, sondern auch dazu beitragen, die nach wie vor präsente Perspektive des vermeintlich konsistenten »System Metternich« zu hinterfragen. Zudem lässt sich an diesem Beispiel der Frage 9 Zu diesem Ansatz: Karl Härter: Die Formierung transnationaler Strafrechtsregime, in: Rechtsgeschichte 18 (2011), S. 36–65; Ders.: Security and Cross-Border Political Crime. The Formation of Transnational Security Regimes in the 18th and 19th Century Europe, in: Historical Social Research 38 (2013), S. 96–106. 10 Vgl. Rolf-Ulrich Kunze: Nation und Nationalismus, Darmstadt 2005, S. 98 ff. 11 Vgl. Härter, Die Formierung (wie Anm. 9), S. 54 ff. 12 Wolf D. Gruner: Der Deutsche Bund 1815–1866, München 2012, S. 10. Siehe zudem: Andreas C. Hofmann: Suprastaatlichkeit, Interstaatlichkeit und Transstaatlichkeit. Ein Drei-EbenenModell zur Beschreibung zwischenstaatlicher Beziehungen im Deutschen Bund, in: Melanie Hühn (Hg.): Transkulturalität, Transnationalität, Transstaatlichkeit, Translokalität. Theoretische und empirische Begriffsbestimmungen, Berlin 2010, S. 133–149.

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Conrad Tyrichter

nachgehen, ob sich aus der institutionalisierten Zusammenarbeit der deutschen Staaten im Bereich der Justiz- und Polizeikooperation weitergehende Integrations- und Harmonisierungseffekte ergaben. Auf diese Weise könnte die traditionell hervorgehobene Dichotomie zwischen »Restauration« und gesamtdeutscher »Nationsbildung« überprüft werden.

II. Strafrecht und Strafverfahren im Deutschen Bund Bevor ich auf die Geschichte von Zentraluntersuchungskommission und Bundeszentralbehörde eingehe, erscheint es wichtig, knapp die strafrechtlichen Verhältnisse im Deutschen Bund zu skizzieren, die den Rahmen der Entwicklung von Justiz- und Polizeikooperation des Deutschen Bundes bildeten. Der Deutsche Bund war kein geschlossener Strafrechtsraum, sondern umfasste mehrere »nationale« Strafrechtsordnungen. Bis auf wenige Ausnahmen basierten diese direkt oder indirekt auf dem aus dem Alten Reich übernommenen »Gemeinen Strafrecht«, dessen Grundlage keine moderne Strafrechtskodifikation, sondern die »Peinliche Halsgerichtsordnung« Kaiser Karls V. von 1532, die »Carolina«, sowie eine Reihe modifizierender und ergänzender Normen und der juristische Diskurs waren.13 Neuere, umfassende Kodifikationen bestanden zunächst nur in Preußen, Österreich, Bayern und Oldenburg. Im Blick auf die strafrechtlichen Beziehungen zwischen den deutschen Staaten ergab sich hieraus eine komplexe Situation, die sich als Spannung zwischen »Universalismus« und »nationaler Abschottung« beschreiben lässt. So dehnten die deutschen Staaten in der Tradition des Gemeinen Strafrechts ihre Strafansprüche weit über das eigene Staatsgebiet aus, grenzten sich aber gleichzeitig von Einflüssen fremder Strafrechtsordnungen ab, indem etwa Grenzverletzungen durch ausländische Exekutivorgane oder die Auslieferung eigener Staatsangehöriger abgelehnt wurden. Diese konfliktlastige Gemengelage und die dichten Beziehungen innerhalb des Bundes sorgten dafür, dass es früher als in anderen Konstellationen zu einer Vielzahl von internationalen Verträgen in diesem Bereich kam. Dabei entstanden zwischen den deutschen Staaten mehrere Vertragsnetzwerke, die auf regionalen und dynastischen Verbindungen beruhten, aber auch innerhalb des Deutschen

13 Karl Härter: Die Entwicklung des Strafrechts in Mitteleuropa 1770–1848. Defensive Modernisierung, Kontinuitäten und Wandel der Rahmenbedingungen, in: Rebekka Habermas/Gerd Schwerhoff (Hg.): Verbrechen im Blick. Perspektiven der neuzeitlichen Kriminalitätsgeschichte, Frankfurt am Main 2009, S. 71–107, hier S. 84; Sylvia Kesper-Biermann: Einheit und Recht. Strafgesetzgebung und Kriminalrechtsexperten in Deutschland vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zum Reichsstrafgesetzbuch 1871, Frankfurt am Main 2009, S. 16 f. (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, Bd. 245). Zum Gemeinen Strafrecht allgemein siehe: Karl Härter: Strafrechts- und Kriminalitätsgeschichte der Frühen Neuzeit, Berlin 2018, S. 65 ff. (= methodica, Bd. 5).



Die sicherheitspolitischen Kommissionen des Deutschen Bundes im Vormärz

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Zollvereins kam es zu entsprechenden Vereinbarungen.14 Bemerkenswert sind hier auch die polizeilichen Aktivitäten der Universitäten, die zeigen, dass sich solche Regimeformierungen im Deutschen Bund auch außerhalb intergouvernementaler Handlungsebenen abspielen konnten.15 Obwohl die »Justizhoheit« eine zentrale Kompetenz der Bundesstaaten war, wurde auch der Deutsche Bund im Bereich des transnationalen Strafrechts aktiv. Dabei bestanden zwei Möglichkeiten Einfluss zu nehmen: Zunächst konnte er gemäß des Bundeszwecks Maßnahmen zur Erhaltung der »Sicherheit Deutschlands« beschließen (Art. 2 Bundesakte). Darüber hinaus konnte die Bundesversammlung vom Bundeszweck abweichende »gemeinnützige Anordnungen« beschließen (Art. 6 Bundesakte). Auf dieser Basis erließ der Bund eine Reihe von Beschlüssen, die die strafrechtlichen Beziehungen zwischen den deutschen Staaten betrafen.16 Neben Beschlüssen zur Auslieferung von Deserteuren und »Gemeinen Verbrechern« betrafen diese vor allem den Bereich der politischen Kriminalität.17 So erließ der Bund etwa Maßnahmen zur Regulierung von Konflikten um Auslieferung und Gerichtstand bei »politischen Verbrechen« oder Bestimmungen zum Umgang mit mobilen Personengruppen wie Handwerkern und Studenten und legte so die Basis für ein komplexes und mehrdimensionales Regime zur Abwehr von Dissidenz bzw. politischer Kriminalität.18 Auch auf der Verfahrensebene dominierte in den Bundestaaten das Gemeine Strafrecht in Form des Inquisitionsverfahrens. Dieses war durch eine Zweiteilung in ein polizeiliches Untersuchungsverfahren und ein gerichtliches Entscheidungsverfahren gekennzeichnet.19 Das polizeiliche Untersuchungsverfahren wurde in der Regel durch lokale Polizei- bzw. Verwaltungsbehörden geführt, die im Blick 14 Eine Auswertung dieser Verträge habe ich im Rahmen meiner Dissertation vorgenommen. Für einen ersten Überblick siehe: August Otto Krug: Das Internationalrecht der Deutschen. Uebersichtliche Zusammenstellung der zwischen verschiedenen deutschen Staaten getroffenen Vereinbarungen über die Leistung gegenseitiger Rechtshülfe, mit Anmerkungen und Erläuterungen, Leipzig 1851. 15 Vgl. Andreas C. Hofmann: Deutsche Universitätspolitik im Vormärz zwischen Zentralismus, Transstaatlichkeit und Eigenstaatlichkeitsideologien (1815/19 bis 1848), Diss. phil. München 2014, S. 99 ff. 16 Vgl. August Wilhelm Heffter: Ueber den Einfluß der Deutschen Bundesverfassung auf die Strafrechtspflege der Einzelstaaten, in: Archiv des Criminalrechts, Neue Folge, 1840, S. 223– 237. 17 Vgl. Melitta Grimm: Das Auslieferungswesen im Recht des Deutschen Bundes, in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 48 (1928), S. 448–466. 18 Vgl. Karl Härter: Schlichtung, Intervention und Politische Polizei. Verfassungsschutz und innere Sicherheit im Deutschen Bund, in: Michael Kotulla/Johannes Kalwoda (Hg.): Schutz der Verfassung. Normen, Institutionen, Höchst- und Verfassungsgerichte, Berlin 2013, S.  129– 154. 19 Karl Härter: Strafverfahren im frühneuzeitlichen Territorialstaat. Inquisition, Entscheidungsfindung, Supplikation, in: Andreas Blauert/Gerd Schwerhoff (Hg.): Kriminalitätsgeschichte. Beiträge zur Sozial- und Kulturgeschichte der Vormoderne, Konstanz 2000, S. 459–480, hier S. 467 ff.

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auf ihre strafrechtliche Funktion zusammenfassend als Untergerichte bezeichnet wurden.20 Das Untersuchungsverfahren gliederte sich wiederum in zwei Verfahrensabschnitte, die sich in der Praxis jedoch bis zur Unkenntlichkeit überlagerten. Die Voruntersuchung (Generalinquisition) diente der Feststellung der Straftat bzw. des Tatbestandes (corpus delicti), der Ermittlung und Festnahme von Tatverdächtigen sowie der Sicherung von Beweisen. Ziel und Zweck der sich anschließenden Hauptuntersuchung (Spezialinquisition) war die Überführung der Tatverdächtigen. Das zentrale Instrument der Untersuchungsführung war das »artikulierte Verhör«, in dem der Beschuldigte (Inquisit) durch den Untersuchungsrichter (Inquirent) über die Tatumstände und darüber hinausgehende allgemeine Informationen befragt wurde und das in umfangreichen »Verhör-« oder »Inquisitionsprotokollen« dokumentiert wurde.21 Verhöre dienten jedoch nicht nur der Überführung von Tatverdächtigen, sondern waren auch mit dem Ziel verbunden, Informationen über Mittäter, weitere Verbrechen und allgemeine Strukturen des kriminellen Milieus zu generieren, so dass ihnen neben der strafrechtlichen auch eine sicherheits- oder präventivpolizeiliche Funktion zukam. Auch das Entscheidungsverfahren beruhte im Kern auf den hergebrachten inquisitorischen Verfahrensformen.22 Nach Abschluss des Untersuchungsverfahrens sandte der Untersuchungsrichter einen Bericht sowie sämtliche Akten an ein Spruchkollegium. Dabei handelte es sich in den meisten Staaten um mit Berufsrichtern besetzte Richterkollegien, die in der Regel organisatorisch in ein Gericht integriert waren und auch die Aufsicht über das lokale Untersuchungsverfahren führten. Nach dem Eingang der Akten beim Spruchkollegium wurde der Fall von einem Referenten bearbeitet, der nach strengen formellen Vorgaben ein Gutachten anfertigte (Relation), auf dessen Grundlage das Gesamtkollegium per Abstimmung das Urteil fällte. Charakteristisch für den gemeinrechtlichen Strafprozess war, dass bei der Urteilsfällung nicht nur auf die »Carolina« und ergänzende territoriale bzw. bundesstaatliche Strafgesetze zurückgegriffen wurde, sondern auch auf rechtswissenschaftliche Kommentare, Lehrbücher und Urteilssammlungen, so dass keine fixe, mit einer Strafrechtskodifikation vergleichbare normative Grundlage bestand.23 Hieraus ergaben sich ein breiter Ermessensspielraum für die Gerichte und erhebliche Differenzen in der Spruchpraxis, woran sich in der Zeit des Deutschen Bundes wenig geändert hatte.

20 Karl Josef Anton Mittermaier: Das deutsche Strafverfahren in der Fortbildung durch Gerichtsgebrauch und Particulargesetzbücher und in genauer Vergleichung mit dem englischen und französischen Strafprocesse, Erster Theil, Heidelberg 41845, S. 244 f. 21 Härter, Strafverfahren (wie Anm. 19), S. 469 ff. 22 Härter, Die Entwicklung des Strafrechts (wie Anm. 13), S. 105 f. 23 Härter, Strafverfahren (wie Anm. 19), S. 476.



Die sicherheitspolitischen Kommissionen des Deutschen Bundes im Vormärz

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III. Die Gründung der Zentraluntersuchungskommission Aus dieser komplexen Konstellation ergaben sich nun nach den Attentaten auf August von Kotzebue und Karl von Ibell 1819 zwei wesentliche Probleme: Im Blick auf das polizeiliche Untersuchungsverfahren zeigte sich, dass die grenzübergreifenden Verflechtungen der national-liberalen Bewegung transnationale Kooperation erforderlich machten. Weiterhin sollten im Blick auf das gerichtliche Entscheidungsverfahren größere Abweichungen im Strafmaß vermieden werden, da milde Urteile wegen der Ähnlichkeit der deutschen Strafrechtssysteme als Präzedenzfälle dienen konnten.24 Das Problem bestand also darin, im Blick auf die Sicherheit des Gesamtbundes die »nationalen« Strafrechtssysteme der Bundesstaaten so weit wie möglich zu koordinieren und zu harmonisieren. Bei der Vorbereitung der Karlsbader Konferenz wurde diese Problemlage zwischen Österreich und Preußen eingehender besprochen. Dabei entstand die Idee, alle politischen Strafverfahren durch eine außerordentliche »Bundesjustizkommission« bzw. ein »Bundesstrafgericht« führen zu lassen.25 Die Ausführung dieses Plans wurde jedoch schon in der ersten Sitzung der Karlsbader Konferenz von Bayern verhindert, das argumentierte, eine Untersuchung oder Verurteilung bayrischer Untertanen durch eine Bundesinstitution würde einen Verstoß gegen die bayrische Verfassung darstellen, da »Niemand seinem ordentlichen Richter entzogen werden dürfe«.26 Als Kompromiss verständigte sich die Konferenz darauf, eine »gewisse gemeinsame, vom Bunde ausgehende Central-UntersuchungsKommission« einzusetzen, die lediglich das Untersuchungsverfahren leiten und keinen Einfluss auf das Spruchverfahren nehmen sollte.27 Die Aufstellung solcher Untersuchungskommissionen war bei komplexen und außerordentlichen Fällen üblich und hatte eine lange Tradition.28 Sie nahmen dabei eine mehrdimensionale Schnittstellenfunktion zwischen lokaler Untersuchungs- und zentraler Entscheidungsebene sowie – für das Inquisitionsverfahren typisch – zwischen strafrechtlichen und polizeilichen Funktionen wahr. Strafrechtliche Funktionen der Kommissionen konnten etwa die selbstständige Durchführung von Verhören, die Kontrolle und Koordination der lokalen Untersuchungsbehörden sowie die Entlastung der Spruchinstanzen durch eine Vorsystematisierung des Unter24 Vgl. Weber, Die Mainzer Zentraluntersuchungskommission (wie Anm. 4), S. 12 ff. 25 Bericht Metternich, 1. August 1819, in: Richard Metternich-Winneburg (Hg.): Aus Metternich’s nachgelassenen Papieren, Bd. 3, Wien 1881, S. 268. 26 Bericht Rechberg, 8. August 1819, HStA München, Ministerium des Äußern, Nr. 1050. 27 Protokolle der Karlsbader Ministerialkonferenzen 1819, 1. Sitzung, in: Johann Ludwig Klüber/ Carl Theodor Welcker (Hg.): Wichtige Urkunden für den Rechtszustand der deutschen Nation, Mannheim 21845, S. 116. 28 Vgl. Mittermaier, Das deutsche Strafverfahren (wie Anm. 20), S. 173 ff. Für ein Beispiel aus dem Alten Reich siehe: Thomas Walter: Punishing Rebels, Ringleaders and Followers. Punitive Responses to the Saxon Peasant Uprising of 1790, in: Karl Härter/Angela De Benedictis (Hg.): Revolten und politische Verbrechen zwischen dem 12. und 19. Jahrhundert. Rechtliche Reaktionen und juristisch-politische Diskurse, Frankfurt am Main 2013, S. 415–446.

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suchungsmaterials sein. Darüber hinaus führten sie weitergehende »polizeiliche« Ermittlungen durch, die dem Schutz der öffentlichen Sicherheit dienten. Diese zweite Funktion konnte in der Praxis durchaus Hauptgegenstand der Kommissionsarbeit sein bzw. werden.29 Nach diffusen und komplizierten Verhandlungen, in denen vor allem Preußen versuchte, nicht nur das Untersuchungsverfahren, sondern auch das Entscheidungsverfahren unter die Kontrolle des Bundes zu bringen und mit Analogien zwischen der Verfassung des Alten Reiches und des Deutschen Bundes argumentierte, verständigte sich die Karlsbader Konferenz auf einen Minimalkompromiss.30 Die Aufgabe der Zentraluntersuchungskommission sollte nach Artikel 2 des Untersuchungsgesetzes in der »Untersuchung und Feststellung des Thatbestandes, des Ursprungs und der mannigfachen Verzweigungen der gegen die bestehende Verfassung und innere Ruhe, sowohl des ganzen Bundes, als einzelner Bundesstaaten, gerichteten revolutionären Umtriebe und demagogischen Verbindungen« liegen. Damit war die Zuständigkeit der Zentraluntersuchungskommission klar auf das inquisitorische Untersuchungsverfahren begrenzt, was bedeutete, dass sie weder präventiv überwachen noch Recht sprechen durfte. Zur Erfüllung ihrer Aufgabe sollte sie die »Oberleitung« sämtlicher politischer »Local-Untersuchungen« im Deutschen Bund übernehmen. Hierzu sollten ihr von den Untersuchungsgerichten alle relevanten Akten zur Verfügung gestellt und neue relevante Untersuchungen unaufgefordert gemeldet werden. Auf dieser Weise sollte die Zentraluntersuchungskommission Zusammenhänge zwischen den einzelnen Fällen herausarbeiten, durch formalisierten Schriftverkehr (Requisitionen) die laufenden Untersuchungen unterstützen und neue Ermittlungen anregen sowie ihre Erkenntnisse in Berichten an die Bundesversammlung aufbereiten. In Ausnahmefällen durfte die Zentraluntersuchungskommission zudem Verdächtige zum Verhör nach Mainz bringen lassen.31 Obwohl die Zentraluntersuchungskommission bereits am 14. November 1819 ihre Arbeit begann, setzten sich die politischen Diskussionen um ihre Rolle noch bis zur Wiener Ministerkonferenz im Frühjahr 1820 fort. Die Gründe hierfür 29 Vgl. Wolfram Siemann: Der Vorrang der Staatspolizei vor der Justiz, in: Dieter Simon (Hg.): Akten des 26. Deutschen Rechtshistorikertages, Frankfurt am Main 1986, S.  197–211, hier S. 200 f. (= Ius Commune. Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte, Sonderheft). 30 Siehe hierzu: Eberhard Büssem: Die Karlsbader Beschlüsse von 1819. Die endgültige Stabilisierung der restaurativen Politik im Deutschen Bund nach dem Wiener Kongreß von 1814/15, Hildesheim 1974, S. 353 ff. 31 Provisorischer Beschluss betreffend die Bestellung einer Central-Behörde zur nähern Untersuchung der in mehreren Bundesstaaten entdeckten revolutionären Umtriebe vom 20. September 1819, in: Protokolle der Deutschen Bundesversammlung 1819, 35. Sitzung, § 220,  S.  284 ff. Abgedruckt in: Ernst Rudolf Huber (Hg.): Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803–1850, Stuttgart 1978, S. 104 f.; Michael Kotulla: Deutsches Verfassungsrecht 1806–1918. Eine Dokumentensammlung nebst Einführungen, Bd. 1: Gesamtdeutschland, Anhaltische Staaten und Baden, Heidelberg 2006, S. 685 f.



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lagen in den kompromisshaften und mehrdeutigen Formulierungen des Untersuchungsgesetzes und darin, dass sehr unterschiedliche Vorstellungen über Funktionen, Kompetenzen und Ziele der Kommission bestanden.32 Streitigkeiten entstanden etwa darüber, für welche Fälle die Zentraluntersuchungskommission überhaupt zuständig war, ob sie nur im Rahmen der polizeilichen Voruntersuchung oder auch der gerichtlichen Hauptuntersuchung agieren durfte, ob sie den Behörden der Bundesstaaten hierarchisch übergeordnet sei, oder über den Einfluss einzelner Bundesregierungen auf die Kommissionsarbeit. Ein wesentliches Problem war, dass aufgrund des »intergouvernementalen« Charakters der Zentraluntersuchungskommission – die sich aus »diplomatischen« Vertretern von sieben Bundesstaaten zusammensetzte (Österreich, Preußen, Bayern, Hannover, Baden, Nassau und Hessen-Darmstadt) – interne Konflikte nicht wie in einer einzelstaatlichen Behörde gelöst werden konnten, sondern schnell politisch eskalierten. Der österreichische Kommissar Schwarz wurde etwa schon nach kurzer Zeit suspendiert, weil er sich in einem Streit abfällig über den preußischen Staatskanzler Hardenberg geäußert hatte, was von Preußen als Kränkung seiner »nationalen« Ehre empfunden wurde.33 Aus diesem Grund wurde auf der Wiener Ministerialkonferenz 1820 der Kommissionsauftrag noch einmal diskutiert und in einem Instruktionsschreiben präzisiert.34 Dabei wurde festgelegt, dass die einzelstaatlichen Untersuchungen so wenig wie möglich durch Aktenanforderungen und Zeugenvernehmungen gestört werden sollten. Dies hatte besonders zur Folge, dass die Kompetenz der Zentraluntersuchungskommission, Verhöre durchzuführen, de facto außer Kraft gesetzt war. Zudem sollte die Zentraluntersuchungskommission keine Weisungskompetenz gegenüber den Polizei- und Justizbehörden der Bundesstaaten haben, sondern diese durch Informationsversorgung lediglich unterstützen. Die Zentraluntersuchungskommission sollte damit eine eigentümliche Schnittstellenfunktion zwischen den eigentlich ganzheitlich gedachten justiziellen und polizeilichen Ebenen und Funktionen des Inquisitionsverfahrens wahrnehmen. Zwar war ihre Tätigkeit klar auf strafrechtliche Untersuchungen begrenzt, an die ihr Informationsfluss und ihre Ermittlungen gekoppelt waren. Dies hatte beispielsweise zur Folge, dass sie nicht mit den für die präventive Überwachung der Universitäten zuständigen Regierungsbevollmächtigten kooperieren konnte.35 Trotzdem stand

32 Vgl. Petzold, Die Zentral-Untersuchungs-Kommission (wie Anm. 4), S.  173 ff.; Weber, Die Mainzer Zentraluntersuchungskommission (wie Anm. 4), S. 38 ff. 33 Vgl. Hardenberg an Bernstorff, 8. Januar 1820, HHStA Wien, Staatskanzlei, Deutsche Akten, Nr. 104. 34 Vortrag über eine zweckmässigere Behandlung und Beschleunigung des der Central-Untersuchungs-Commission in Mainz aufgetragenen Geschäftes, 24. Februar 1824, HHStA Wien, Staatskanzlei, Deutsche Akten, Nr. 104. Vgl. Petzold, Die Zentral-Untersuchungs-Kommission (wie Anm. 4), S.  180; Siemann, Deutschlands Ruhe (wie Anm. 5), S.  82 f.; Weber, Die Mainzer Zentraluntersuchungskommission (wie Anm. 4), S. 38 ff. 35 Vgl. Hofmann, Deutsche Universitätspolitik (wie Anm. 15), S. 51.

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sie außerhalb des Justizsystems und hatte eine rein polizeiliche Funktion, die in der Sammlung, Auswertung und Nutzbarmachung von Informationen lag.

IV. Funktionen und Praxis der Zentraluntersuchungskommission Die Zentraluntersuchungskommission hatte nicht von Anfang an feste Verfahrens- und Arbeitsweisen, sondern entwickelte diese sukzessive anhand konkreter Aufgaben- und Problemstellungen. Zunächst arbeitete die Kommission fast nur an der Abfassung eines ersten Untersuchungsberichts, der bis in die Zeit der Befreiungskriege zurückreichen sollte. Mit Hilfe von in den Bundesstaaten generiertem Untersuchungsmaterial, aber auch durch die Auswertung von Zeitungen und Zeitschriften versuchte sie, »die Geschichte der revolutionären Umtriebe und demagogischen Verbindungen« zu rekonstruieren.36 Die Kommissionsprotokolle zeigen, dass sich die Kommunikation mit den Landesbehörden in dieser Zeit fast nur auf die Anforderung und Abgabe des für die Berichterstattung benötigten Aktenmaterials beschränkte.37 Diese setzte sich aus zwei Formaten zusammen. Dies waren zunächst 80 thematisch begrenzte bzw. fallbezogene »Vorträge« oder »Aufsätze«.38 Diese Vorträge enthielten wörtliche Zitate aus Verhören und konfiszierten Beweismaterialien sowie Quellenbelege und waren daher auch ein wichtiges Recherchemittel für die Zentraluntersuchungskommission. Die Vorträge ergänzten die eigentlichen »Berichte« der Kommission an die Bundesversammlung, die die verschiedenen Fälle zusammenhängend und übergreifend darstellten.39 Diese wurden zum Ende der Kommissionstätigkeit wiederum in eine ausführliche »Totalübersicht« und einen gekürzten »Hauptbericht« zusammengefasst.40 Inhaltlich lassen sich die Berichte unter die Gruppe der für das frühe 19. Jahrhundert typischen »aktenmäßigen Geschichten« fassen, die in einem umfassen36 Hauptbericht der Zentraluntersuchungskommission, 14. Dezember 1827, S.  5, BA BerlinLichterfelde, DB 7, Nr. 10. 37 Zu den Protokollen der Zentraluntersuchungskommission siehe: Wolfram Siemann: Die Protokolle der Mainzer Zentraluntersuchungskommission von 1819 bis 1828. Überlieferung und neue Quellen, in: Franz Quarthal/Wilfried Setzler (Hg.): Stadtverfassung. Verfassungsstaat. Pressepolitik. Festschrift für Eberhard Naujoks zum 65. Geburtstag, Sigmaringen 1980, S. 301–318. 38 Siehe: Uebersicht der von der Central-Untersuchungskommission ausgearbeiteten besonderen Aufsätze, in: Protokolle der Deutschen Bundesversammlung 1831, 10. Sitzung, § 78, Beilage 2, S. 383 ff. 39 Diese Berichte wurden überwiegend nicht gedruckt. Sie sind z. B. abgelegt in: BA Berlin-Lichterfelde, DB 7, Nr. 1 und 2. 40 Totalübersicht der gesamten Resultate der Untersuchungen, BA Berlin-Lichterfelde, DB 7, Nr. 4–8; Hauptbericht der Zentraluntersuchungskommission, 14. Dezember 1827, BA BerlinLichterfelde, DB 7, Nr. 10. Siehe zudem den auf Basis der Berichte gehaltenen Vortrag des badischen Gesandten Blittersdorff: Protokolle der Deutschen Bundesversammlung 1831, 10. Sitzung, § 78, S. 276 ff.



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den, teilweise »semifiktionalen« Erzähl- und Präsentationszusammenhang Informationen über spektakuläre und weitverzweigte Verbrechen darstellten und in der Regel von profilierten Experten, sogenannten »Criminalisten« verfasst wurden.41 Ihre Bedeutung lag demnach kaum in der Rekonstruktion konkreter Fälle. Der »Hauptbericht« stellte etwa ausgehend von einer Vielzahl mehr oder weniger kausal verbundener Einzelfälle die Entwicklung der vermeintlichen »revolutionären« Verschwörung seit den Befreiungskriegen als organisch und stringent dar.42 Entsprechend waren die Berichte in erster Linie ein Instrument, um Feindbilder und Bedrohungsszenarien zu produzieren, wodurch Maßnahmen des Bundes gerechtfertigt, gemeinsame sicherheitspolitische Schwerpunkte definiert und sicherheitspraktische Maßnahmen harmonisiert werden sollten. Aus historiographischer Perspektive ist es daher durchaus problematisch, dass sie häufig recht unkritisch als Quellen für die Darstellung der national-liberalen Bewegung des Vormärz verwendet wurden.43 Insbesondere durch die umfassende Arbeit Leopold Friedrich Ilses über die »Geschichte der politischen Untersuchungen«, die die Berichte in indirekter Form wiedergibt, gelangte diese »polizeiliche« Darstellung in den historiographischen Diskurs und wurde teilweise über mehrere Vermittlungsstufen sukzessive »historisches« Wissen.44 Der Charakter der Kommissionstätigkeit änderte sich im Zuge der Ermittlungen gegen den sogenannten »Geheimen Bund«. Hierbei handelte es sich um eine nie vollständig ermittelte konspirative Vereinigung, die sich angeblich aus einem studentischen »Jünglingsbund« und einem aus hochrangigen Persönlichkeiten bestehenden »Männerbund« zusammensetzen sollte.45 Ab Januar 1824 kam es zu 41 Andreas Blauert/Eva Wiebel: Gauner- und Diebslisten. Registrieren, Identifizieren und Fahnden im 18. Jahrhundert. Mit einem Repertorium gedruckter südwestdeutscher, schweizerischer und österreichischer Listen sowie einem Faksimile der Schäffer’schen oder Sulzer Liste von 1784, Frankfurt am Main 2001, S. 36. (= Studien zu Policey und Policeywissenschaft). Zur allgemeinen Quellenproblematik siehe: Härter, Strafrechts- und Kriminalitätsgeschichte (wie Anm. 13), S. 143 ff. 42 George S. Williamson: »Thought Is in Itself a Dangerous Operation«. The Campaign against »Revolutionary Machinations« in Germany, 1819–1828, in: German Studies Review 38 (2015), S. 285–306, hier S. 298. 43 Besonders auffällig ist dies z. B. bei Wolfgang Hardtwig: Protestformen und Organisationsstrukturen der deutschen Burschenschaft 1815–1833, in: Helmut Reinalter (Hg.): Demokratische und soziale Bewegungen zur Zeit der Restauration und im Vormärz in Mitteleuropa, Frankfurt am Main 1986, S. 37–76. Zur Problematik der Berichte von Zentraluntersuchungskommission und Bundeszentralbehörde und der Notwendigkeit einer quellenkritischen Einordnung siehe auch: Severin Roeseling: Burschenehre und Bürgerrecht. Die Geschichte der Heidelberger Burschenschaft von 1824 bis 1834, Heidelberg 1999, S. 276 (= Heidelberger Abhandlungen zur mittleren und neueren Geschichte, Neue Folge, Bd. 12). 44 Vgl. Ilse, Geschichte der politischen Untersuchungen (wie Anm. 4). 45 Zu den Ermittlungsergebnissen wegen des Geheimen Bundes, auf die sich auch die ältere, burschenschaftsnahe Literatur primär stützt, siehe: Hauptbericht der Zentraluntersuchungskommission, 14. Dezember 1827, S. 281 ff., BA Berlin-Lichterfelde, DB 7, Nr. 10. Vgl. Hans Fraenkel: Politische Gedanken und Strömungen in der Burschenschaft um 1821–1824. Männerbund und Jünglingsbund, in: Herman Haupt (Hg.): Quellen und Darstellungen zur Ge-

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einer sich über mehrere Staaten erstreckende Verhaftungs- und Untersuchungswelle, welche den eigentlichen Höhepunkt der ersten Welle der Demagogenverfolgungen darstellte und maßgeblich von der Zentraluntersuchungskommission koordiniert wurde.46 Aus einer »Institution, die zurückliegende ›Umtriebe‹ nachträglich ermitteln sollte«, wurde erst jetzt eine Behörde, die systematisch »in neuauftretenden Fällen tätig wurde«.47 Bis etwa 1826 lag der Schwerpunkt der Kommissionsarbeit in der Koordination und Unterstützung der bundesstaatlichen Untersuchungen gegen die Mitglieder des Jünglingsbundes bzw. des Geheimen Bundes, die über 100 Personen in vierzehn Bundesstaaten betrafen.48 Hierzu wertete die Zentraluntersuchungskommission das von den Untersuchungsbehörden eingesandte Material auf Zusammenhänge mit anderen Fällen sowie neue Hinweise und Verdächtige aus. Relevantes Material wurde dann an die entsprechenden Behörden übersandt, wozu unter anderem ein Lithographiegerät angeschafft wurde. Zudem glich die Kommission Verhörprotokolle auf Widersprüche ab und erstellte sogar selbst Fragebögen, auf deren Grundlage Verhöre durchgeführt wurden.49 Dabei arbeitete sie eng mit der die politischen Untersuchungen in Preußen leitenden »Ministerialkommission« zusammen, die ihre Ermittlungen durch Requisitionen über Preußen hinaus ausdehnte und sich »zum eigentlichen Aktionszentrum der Demagogenverfolgungen in ganz Deutschland entwickelte«.50 Der Vorteil der Ministerialkommission gegenüber der Zentraluntersuchungskommission war, dass ihre Ermittlungen nicht von externen Informationen abhängig waren, sondern sie aufgrund ihrer personellen Zusammensetzung de facto den preußischen Polizei- und Justizapparat unter ihrer Kontrolle hatte. Sie hatte somit

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schichte der Burschenschaft und der deutschen Einheitsbewegung, Bd. 3, Heidelberg 1912, S. 241–326. Siemann, Deutschlands Ruhe (wie Anm. 5), S. 85 f. Aus der Perspektive von Bundesstaaten sind die Aktivitäten der Zentraluntersuchungskommission dargestellt bei: Thomas Oelschlägel: Hochschulpolitik in Württemberg 1819–1825. Die Auswirkungen der Karlsbader Beschlüsse auf die Universität Tübingen, Sigmaringen 1995, S.  161 ff. (= Contubernium, 43); Martin Sellmann: Demagogenverfolgung in Oldenburg zur Zeit Peter Friedrich Ludwigs, in: Heinrich Schmidt (Hg.): Peter Friedrich Ludwig und das Herzogtum Oldenburg. Beiträge zur oldenburgischen Landesgeschichte um 1800, Oldenburg 1979, S.  111–135, hier S.  117 ff.; Heinz-Joachim Toll: Akademische Gerichtsbarkeit und akademische Freiheit. Die so genannte »Demagogenverfolgung« an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel nach den Karlsbader Beschlüssen von 1819, Neumünster 1979, S.  130 ff. (= Quellen und Forschungen zur Geschichte Schleswig-Holsteins, 73). Siemann, Deutschlands Ruhe (wie Anm. 5), S. 85. Siehe: Übersicht der gegen die wegen Theilnahme an dem geheimen Bunde zur Untersuchung gezogenen Individuen erfolgten Erkenntnisse und an die Central-Untersuchungscommission zu Mainz mitgetheilten Entscheidungsgründe, in: Protokolle der Deutschen Bundesversammlung 1831, 10. Sitzung, § 78, Beilage 1, S. 349 ff. Weber, Die Mainzer Zentraluntersuchungskommission (wie Anm. 4), S. 25. Siemann, Deutschlands Ruhe (wie Anm. 5), S. 188.



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nicht nur Einflussmöglichkeiten im Bereich strafrechtlicher Untersuchungen, sondern auch bei der polizeilichen Überwachung verdächtiger Milieus.51 Die Funktion der Requisitionen der Ministerialkommission und der Zentraluntersuchungskommission lag nicht nur in der Überführung von Tätern und Generierung von Informationen, sondern auch darin, durch kontinuierlichen Informationszufluss die anderen Behörden zu einem aktiven sicherheitspolitischen Verhalten zu bringen. Dabei nutzten sie aus, dass die Untersuchungsgerichte nach der inquisitorischen Offizialmaxime verpflichtet waren, jedem Hinweis auf eine Straftat nachzugehen und erzwangen durch die Zusendung von Informationen gewissermaßen die Eröffnung, Fortsetzung und Vertiefung von politischen Untersuchungen. Obwohl die Untersuchungen bezüglich des Geheimen Bundes überwiegend als Misserfolg bewertet wurden, hatten sie damit für die Justizund Polizeikooperation innerhalb des Deutschen Bundes eine große Bedeutung. Denn sie trugen zur Ausbildung eines Formats transnationaler Polizeikooperation bei, dass sich von dem in Karlsbad ursprünglich angedachten Format einer strafrechtlichen Untersuchungskommission loslöste, indem zunehmend die Sammlung, Systematisierung und Nutzbarmachung von polizeilichem Wissen in den Mittelpunkt rückte.52 Nach dem Abschluss der Untersuchungen gegen die Mitglieder des »Geheimen Bundes« intensivierte sich die im Prinzip seit ihrer Gründung schwelende Diskussion um die Auflösung der Zentraluntersuchungskommission.53 Dabei hatten viele Klein- und Mittelstaaten eine ambivalente Einschätzung der Zentraluntersuchungskommission: Einerseits hielten sie sie für teuer und ineffizient und befürchteten, sie werde zu einem dauerhaften Machtinstrument der beiden Großmächte ausgebaut. Gleichzeitig sahen sie in ihr aber ein »Schreckbild« und »öffentliches Zeichen«, um die Opposition einzuschüchtern.54 Dies weist auf einen wichtigen Aspekt der Sicherheitspolitik des Deutschen Bundes bzw. von Sicherheitsregimen insgesamt hin, nämlich ihren diskursiven Charakter. So dürfen die durch den Bund erlassenen Maßnahmen nicht nur unter praktischen Gesichtspunkten bewertet werden. Vielmehr muss auch bedacht werden, dass allein das öffentliche Bekanntwerden entsprechender Maßnahmen eine abschreckende Wirkung hatte und oppositionelle Bestrebungen hemmen konnte, zumal die Öffentlichkeit kaum Einblick in politische Aushandlungsprozesse und die Sicherheitspraxis hatte. Tatsächlich stellte die Abwicklung der Zentraluntersuchungskommission einen Kompromiss zwischen ihrer symbolischen und ihrer praktischen Bedeutung dar. So wurden die Kommissare zwischen 1827 und 1829 51 Vgl. Jakob Nolte: Demagogen und Denunzianten. Denunziation und Verrat als Methode polizeilicher Informationserhebung bei den politischen Verfolgungen im preußischen Vormärz, Berlin 2007, 99; Siemann, Deutschlands Ruhe (wie Anm. 5), S. 188. 52 Vgl. Härter, Schlichtung (wie Anm. 18), S. 149; Hofmann, Deutsche Universitätspolitik (wie Anm. 15), S. 50; Siemann, Deutschlands Ruhe (wie Anm. 5), S. 86. 53 Vgl. Weber, Die Mainzer Zentraluntersuchungskommission (wie Anm. 4), S. 90 ff. 54 Merveldt an Münster, 14. April 1827, HHStA Wien, Staatskanzlei, Deutsche Akten, Nr. 113.

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zwar sukzessive von ihren Regierungen abberufen, formell wurde die Kommission jedoch nicht aufgelöst.

V. Neue Formate transnationaler Justiz- und Polizeikooperation: Die Frankfurter Bundeszentralbehörde und das Mainzer Informationsbüro Zu Beratungen über neue Formate transnationaler Justiz- und Polizeikooperation im Deutschen Bund kam es im Frühjahr 1833. Ausgehend von den Erfahrungen mit dem Hambacher Fest, aber auch aufgrund von Hinweisen auf neue oppositionelle Aktivitäten bemühte sich Metternich um den Aufbau einer polizeilichen »Informationsbehörde« in Mainz, in der die präventiv-polizeilichen Überwachungsaktivitäten der größeren Bundesstaaten gebündelt werden sollten. Um langwierige politische Diskussionen zu vermeiden und um die Behördenarbeit effizienter zu gestalten, sollte es sich um keine Bundesinstitution handeln, sondern neben Österreich nur Preußen, Bayern und Württemberg beteiligt werden. Anders als die Zentraluntersuchungskommission sollte die neue Behörde nicht im Rahmen von Strafverfahren agieren, sondern präventiv legale und illegale Aktivitäten der Opposition im In- und Ausland beobachten. Hierzu sollte sie aus allen zur Verfügung stehenden Quellen Informationen sammeln, diese bearbeiten und weitergeben.55 Die Verhandlungen waren bereits weit fortgeschritten, als am 3. April 1833 eine Gruppe von Burschenschaftern und polnischen Exilanten die beiden zentralen Polizeiwachen Frankfurts angriff. Dabei kam es zu mehreren Schießereien, bei denen es mindestens neun Tote und 24 Verletzte gab.56 Nicht nur im Blick auf das Gewaltpotential, sondern auch wegen seiner transnationalen Dimension unterschied sich der sogenannte »Frankfurter Wachensturm« von vergleichbaren Aufständen und Unruhen. So waren vor allem Studenten aus Heidelberg, Würzburg und Erlangen beteiligt, wo die Aktion auch maßgeblich geplant und vorbereitet worden war.57 Hieraus ergab sich die schwierige Frage, wer für die 55 Frank Thomas Hoefer: Pressepolitik und Polizeistaat Metternichs. Die Überwachung von Presse und politischer Öffentlichkeit in Deutschland und den Nachbarstaaten durch das Mainzer Informationsbüro (1833–1848), München 1983 (= Dortmunder Beiträge zur Zeitungsforschung, Bd. 37); Siemann, Deutschlands Ruhe (wie Anm. 5), S. 136 f. 56 Zur behördlichen Darstellung des Wachensturms: Zusammenstellung der gerichtlichen Untersuchungs-Resultate in Betreff der Meuterei zu Frankfurt a. M. vom 3. April 1833, nach den, der Bundeszentralbehörde bis Ende März 1834 zugekommenen Akten, in: Reinhard Görisch/ Thomas Michael Mayer (Hg.): Untersuchungsberichte zur republikanischen Bewegung in Hessen 1831–1834, Frankfurt am Main 1982, S. 37 ff. 57 Zu Vorgeschichte und Vorbereitung des Wachensturms siehe: Cornelia Foerster: Der Pressund Vaterlandsverein von 1832–1833. Sozialstruktur und Organisationsformen der bürgerlichen Bewegung in der Zeit des Hambacher Festes, Trier 1982, S. 49 ff. (= Trierer historische Forschungen, 3); Josef Jakob: Die Studentenverbindungen und ihr Verhältnis zu Staat und Ge-



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strafrechtliche Untersuchung zuständig sein sollte bzw. wie diese organisiert werden sollte. Dabei kollidierten die Ansprüche Frankfurts als »Tatort« mit denen Österreichs, Preußens und Bayerns. Österreich bzw. Metternich plante eine »Centralbundesbehörde zur Untersuchung des Attentats v. 3. April« zu gründen, die ähnlich wie die Zentraluntersuchungskommission für den Bund das inquisitorische Untersuchungsverfahren durchführen sollte. Die neue Behörde sollte nicht nur den Wachensturm, sondern die dahinter liegende »Verschwörung« untersuchen, was bedeutete, dass sie ihre Tätigkeit thematisch und zeitlich erheblich ausdehnen konnte. Damit hatte die von Metternich entworfene Behörde einen klar »polizeilichen« Charakter. Preußen war dagegen durch die Nähe Frankfurts zu seinen Rheinprovinzen und der Teilnahme mehrerer preußischer Untertanen unmittelbarer von den Ereignissen betroffen als Österreich. Entsprechend ging es der preußischen Regierung weniger um abstrakte und übergreifende polizeiliche Ziele, sondern konkret darum, die Teilnehmer des Wachensturms konsequent und hart zu bestrafen. Preußen wollte daher wie schon 1819 nicht nur das Untersuchungsverfahren, sondern auch das Spruchverfahren unter die Kontrolle des Bundes bringen. Hintergrund war auch ein tiefes Misstrauen gegenüber den Frankfurter Behörden und Gerichten. Der preußische Justizminister Karl Albert von Kamptz schlug daher die Gründung eines »Bundestrafgerichts« oder eines unter Aufsicht der Bundesversammlung stehenden »Gemeinschafts-Gerichts« der betroffenen Staaten vor. Bayern wehrte sich indessen gemeinsam mit Sachsen und Hessen-Darmstadt gegen eine Bundesbehörde mit strafrechtlichen Kompetenzen. Stattdessen forderte die bayerische Regierung, die strafrechtliche Verfolgung der Wachenstürmer ihren Heimatländern zu überlassen. Dabei wurden zwar auch rechtliche Einwände angeführt, aber vor allem war dies eine Frage des nationalen Prestiges. Denn es war blamabel, dass nach dem Hambacher Fest 1832 erneut eine große dissidente Aktion maßgeblich in Bayern vorbereitet und von bayerischen Untertanen durchgeführt worden war.58 Die am 20. Juni 1833 gegründete »Centralbehörde des Bundes« mit Sitz in Frankfurt war ein Kompromiss zwischen diesen Interessen. Ihre Aufgabe war es, die »näheren Umstände, den Umfang und den Zusammenhang des gegen den Bestand des Bundes und gegen die öffentliche Ordnung in Deutschland gerichteten Complotts«, das hinter dem Wachensturm vermutet wurde, aufzuklären. sellschaft an der Ludwigs-Maximilian-Universität Landshut/München von 1800 bis 1833, Diss. phil. Hagen 2002, S. 211 ff.; Georg Polster: Politische Studentenbewegung und bürgerliche Gesellschaft. Die Würzburger Burschenschaft im Kräftefeld von Staat, Universität und Stadt 1814–1850, Heidelberg 1989, S. 247 ff.; Roeseling, Burschenehre und Bürgerrecht (wie Anm. 43), S. 275 ff. 58 Die Verhandlungen habe ich ausführlich in meiner Dissertation dargestellt und analysiert. Siehe auch: Harry Gerber: Der Frankfurter Wachensturm vom 3. April 1833. Neue Beiträge zu seinem Verlauf und seiner behördlichen Untersuchung, in: Paul Wentzcke (Hg.): Quellen und Darstellungen zur Geschichte der Burschenschaft und der deutschen Einheitsbewegung, Bd. 14, Berlin 1934, S. 171–212, hier S. 183 ff.; Löw, Die Frankfurter Bundeszentralbehörde (wie Anm. 4), S. 1 ff.; Siemann, Deutschlands Ruhe (wie Anm. 5), S. 93 ff.

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Hierzu sollte sie relevante strafrechtliche Untersuchungen der Bundesstaaten beobachten, die Kommunikation zwischen den Landesbehörden »befördern« und für die »Gründlichkeit, Vollständigkeit und Beschleunigung« der einzelnen Untersuchungen sorgen. Die Landesbehörden waren verpflichtet, »fortwährend und schleunigst« relevante Informationen an die Bundeszentralbehörde weiterzugeben und die Requisitionen der Bundeszentralbehörde direkt und umfassend zu bearbeiten. Die Bundeszentralbehörde hatte zudem das Recht, Kommissare als Beobachter an die Untersuchungsorte zu entsenden. Dort durften sie Akten einsehen und an Verhören teilnehmen, allerdings keinen Einfluss auf die Untersuchung nehmen.59 Die konkreten Eingriffsmöglichkeiten der Bundeszentralbehörde lagen damit deutlich hinter den ursprünglichen Vorschlägen Österreichs und Preußens, die mindestens auf die Durchführung des Untersuchungsverfahrens durch den Bund abgezielt hatten. Der badische Gesandte Friedrich von Blittersdorff, der den die Bundeszentralbehörde konstituierenden Bundesbeschluss entworfen hatte, führte gegenüber seiner Regierung aus, es handele sich eigentlich nicht um eine »Untersuchungs-Commission des Bundes«, sondern nur um eine »die Untersuchungen in den einzelnen Bundesstaaten beaufsichtigende Behörde des Bundes«.60 Trotzdem gingen die Kompetenzen der Bundeszentralbehörde in einem anderen Punkt weiter als ursprünglich geplant. Dadurch, dass sich ihr Aufgabenfeld nicht auf die Untersuchung des Wachensturms beschränkte, sondern ausgehend von Metternichs Wunsch auf das dahinter liegende »Complott« abzielte, war ein erheblicher thematischer Spielraum garantiert. Denn entsprechend der inquisitorischen Prozessmaximen hatte die Bundeszentralbehörde nun die Pflicht und Kompetenz, allen neuen Hinweisen nachzugehen. Das Narrativ des »Komplottes« bzw. der »Verschwörung« diente hier also als eine Art Generalermächtigung. Für die Ausgestaltung der Bundeszentralbehörde waren laut Blittersdorff die Erfahrungen mit der Zentraluntersuchungskommission von entscheidender Bedeutung gewesen. So habe er der neuen Behörde bewusst »keine Attributionen verliehen […], welche man früher als unpraktisch und vom Ziele ablenkend erkannte«.61 Gemeint waren die kaum genutzten, aber konfliktträchtigen Kompetenzen der Zentraluntersuchungskommission, selbst Verhöre durchzuführen, und der verunglückte Begriff der »Oberleitung«. Die wohl wichtigste Neuerung im Vergleich zur Zentraluntersuchungskommission war aber, dass die Bundeszentralbehörde eine Art indirektes Initiativrecht im Blick auf Bundesbeschlüsse hatte, womit eine Idee des badischen Staatsministers Berstett aus dem Jahr 1825 59 Bundesbeschluss wegen eines gegen den Bestand des Deutschen Bundes und die öffentliche Ordnung in Deutschland gerichteten Komplotts vom 30. Juni 1833, in: Protokolle der Deutschen Bundesversammlung 1833, 26. Sitzung, § 258, S. 575 ff., abgedruckt in: Huber, Dokumente (wie Anm. 31), Bd. 1, S. 135 f.; Kotulla, Deutsches Verfassungsrecht (wie Anm. 31), Bd. 1, S. 742 f. 60 Bericht Blittersdorff, 20. Juni 1833, Generallandesarchiv Karlsruhe, Abt. 48, Nr. 1839. 61 Blittersdorff an Türckheim, 20. Juni 1833, Generallandesarchiv Karlsruhe, Abt. 48, Nr. 1465.



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aufgriffen wurde.62 Die Bundeszentralbehörde wurde nämlich als eine Art Subkommission eines bereits 1832 gegründeten Bundestagsausschusses – der »Maßregelkommission« – konstruiert, dessen Aufgabe in der Umsetzung des Artikels 28 der Wiener Schlussakte lag.63 Dieser räumte der Bundesversammlung die Kompetenz ein, bei einer Bedrohung des Bundes durch »gefährliche Verbindungen und Anschläge« nach Rücksprache mit den unmittelbar betroffenen Regierungen legislative und exekutive Sicherheitsmaßnahmen zu beschließen. Eine wesentliche Aufgabe der Bundeszentralbehörde bestand nun darin, ausgehend von ihrer »beobachtenden« Tätigkeit die Maßregelkommission auf Problemfelder hinzuweisen und Anregungen zu Bundesbeschlüssen zu geben. Der preußische Außenminister Ancillon führte aus, die Bundeszentralbehörde sei »keine untersuchende und auch keine die Untersuchungen in den einzelnen Staaten dirigierende Behörde – sie ist vielmehr das Organ, wodurch der durch Artikel 28 der Schluss Acte angeordnete Bundestags-Ausschuss in den Stande gesetzt werden soll, die ihm nöthigen Nachrichten und Materialien zu erhalten um auf verfassungsmäßigem Wege seine Anträge bei der Bundesversammlung selbst zu machen«.64 Parallel zu den Verhandlungen um die Bundeszentralbehörde war die Ausgestaltung der von Österreich vor dem Wachensturm initiierten polizeilichen Informationsbehörde vorangegangen. Nach der Gründung der Bundeszentralbehörde sahen die anderen Regierungen die Behörde aber als nicht mehr notwendig an und zogen sich schnell von dem Projekt zurück.65 Österreich hielt jedoch an dem Projekt fest, da es die Bundeszentralbehörde und die neue Behörde nicht als konkurrierende, sondern als ergänzende Institutionen sah. Denn die 62 Vgl. Berstett an Metternich, 6. April. 1825, HHStA Wien, Gesandtschafts- und Konsulatsarchive, Frankfurt-Bundestag, Nr. 4. Vgl. Weber, Die Mainzer Zentraluntersuchungskommission (wie Anm. 4), S. 71. 63 Bundesbeschluß zur Aufrechthaltung der gesetzlichen Ordnung und Ruhe im Deutschen Bund (»Sechs Artikel«) vom 28. Juni 1832, in: Protokolle der Deutschen Bundesversammlung 1832, S. 851–864, darin Artikel IV, Abdruck in: Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes. Für die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften hg. v. Lothar Gall. Abt. 2: Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes 1830–1848, Bd. 1: Reformpläne und Repressionspolitik 1850–1834, bearb. v. Ralf Zerback, München 2003, S. 250–268. – Zum Kommissions- und Ausschusswesen des Deutschen Bundes allgemein: Jürgen Müller: Der Deutsche Bund und die ökonomische Nationsbildung. Die Ausschüsse und Kommissionen des Deutschen Bundes als Faktoren politischer Integration, in: Hans-Werner Hahn/Marko Kreutzmann (Hg.): Der Deutsche Zollverein. Ökonomie und Nation im 19. Jahrhundert. Köln 2012, S. 283–302; Wolfram Siemann: Wandel der Politik – Wandel der Staatsgewalt. Der Deutsche Bund in der Spannung zwischen »Gesammt-Macht« und »völkerrechtlichem Verein«, in: Helmut Rumpler (Hg.): Deutscher Bund und deutsche Frage. Europäische Ordnung, deutsche Politik und gesellschaftlicher Wandel im Zeitalter der bürgerlich-nationalen Emanzipation, München 1990, S. 59–73; Eckhardt Treichel: Die Kommissionen der Deutschen Bundesversammlung und ihre Mitglieder 1816–1820, in: Stefan Gerber/Werner Greiling/Tobias Kaiser/ Klaus Ries (Hg.): Zwischen Stadt, Staat und Nation. Bürgertum in Deutschland, Göttingen 2014, S. 347–359. 64 Ancillon an Eichmann, 7. Juli 1833, GStA PK, III. HA, MdA, Abt. I, Nr. 8197. 65 Hoefer, Pressepolitik (wie Anm. 55), S. 78.

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Bundeszentralbehörde hatte zwar umfassenden Zugriff auf die Daten aus polizeilich-strafrechtlichen Untersuchungen der Bundesstaaten, aber dieser »Vorzug machte zugleich ihre Schwäche aus«66, denn der Informationszufluss der Bundeszentralbehörde war auf diese Quellen beschränkt, eigene Ermittlungen und Nachforschungen konnte sie nicht durchführen. Entsprechend war sie vollständig abhängig vom Informationszufluss aus den Bundesstaaten. Da eine institutionelle Verknüpfung der beiden Einrichtungen nicht zu erreichen war, bemühte sich Österreich um eine personelle und organisatorische Verknüpfung, indem es zu einer engen Zusammenarbeit zwischen dem österreichischen Kommissar bei der Bundeszentralbehörde und der später als »Mainzer Informationsbüro« bezeichneten Nachrichtenbehörde kam.67

VI. Funktionen und Praxis der Bundeszentralbehörde Ähnlich wie der Zentraluntersuchungskommission ging es auch der Bundeszentralbehörde vor allem darum, Einfluss und Kontrolle auf die einzelstaatlichen Untersuchungen auszuüben und die Untersuchungsbehörden bei der Erlangung der für die strafrechtliche Verurteilung in den meisten Staaten essentiellen Geständnisse zu unterstützen. Das Hauptziel war jedoch nicht die strafrechtliche Überführung einzelner Personen, sondern an Informationen über die vermutete Verschwörung insgesamt zu gelangen. Grundlage war die Sammlung, Auswertung und Aufbereitung des von den Bundesstaaten zur Verfügung gestellten Untersuchungsmaterials. Insbesondere waren dies Vernehmungsprotokolle, Untersuchungsberichte und Personenlisten, aber auch Briefe, Flugschriften, Liedtexte und sonstige private Aufzeichnungen. Die so gewonnenen Informationen wurden in An- oder Rundschreiben verbreitet. Zusätzlich wurden öffentliche Quellen wie Zeitschriften ausgewertet. Diese wurden von der Bundeszentralbehörde als ergänzende Informationsquellen und Beweismittel benutzt, zudem erhielt sie so Hinweise über oppositionelle Aktivitäten im Ausland. Die Auswertung von Zeitungen diente jedoch auch der Kontrolle der Landesbehörden, da sich die Bundeszentralbehörde so selbständig über deren Aktivitäten informieren konnte. Darüber hinaus kooperierte die Bundeszentralbehörde wie die Zentraluntersuchungskommission eng mit der wiederbelebten preußischen Ministerialkommission.68 Die Kommunikation zwischen der Bundeszentralbehörde und der Bundesversammlung war durch zwei Formate geprägt: Durch »Berichte«, in denen die Bundeszentralbehörde Untersuchungsergebnisse darstellte und durch »Anträge«, in denen sie auf konkrete Problemstellungen einging und Handlungsemp66 Siemann, Deutschlands Ruhe (wie Anm. 5), S. 144. 67 Hoefer, Pressepolitik (wie Anm. 55), S.  80 ff.; Siemann, Deutschlands Ruhe (wie Anm. 5), S. 143 ff. 68 Nolte, Demagogen (wie Anm. 51), S.  99 ff.; Siemann, Deutschlands Ruhe (wie Anm. 5), S. 190 ff.



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fehlungen aussprach. Wie bei der Zentraluntersuchungskommission bestanden zwei Berichtsformate, nämlich thematisch begrenzte »Spezialaufsätze«69 und »Übersichtsberichte«70. Zur Berichterstattung gehörten zudem die sogenannten »Flüchtlingsverzeichnisse«71 sowie das 1838 erschienene und 1842 noch einmal ergänzte »Alphabetische Verzeichniß derjenigen Personen, gegen welche nach den Akten der Centralbehörde wegen revolutionairer Umtriebe, im Untersuchungswege eingeschritten worden ist«, das heute in erster Linie unter dem Namen »Schwarzes Buch« bekannt ist.72 Auch wenn das Schwarze Buch häufig herangezogen wird, um Ausmaß und Qualität der politischen Verfolgungen im Deutschen Bund zu illustrieren, war es für die Sicherheitspraxis bedeutungslos. Das Verzeichnis erschien zu spät und war für eine flächendeckende Verbreitung und den praktischen Gebrauch zu unhandlich. Aus diesem Grund wurde es auch nicht gedruckt. Preußen und Bayern ließen jedoch Abschriften anfertigen.73 Während die Berichte an die Bundesversammlung für den internen Gebrauch gedacht waren, wurde 1839 eine für die Öffentlichkeit bestimmte »Darlegung der Haupt-Resultate aus den wegen der revolutionären Complotte der neueren Zeit

69 Einzelne Spezialaufsätze sind abgedruckt bei: Görisch/Mayer (Hg.), Untersuchungsberichte (wie Anm. 56); Werner Kowalski: Vom kleinbürgerlichen Demokratismus zum Kommunismus. Die Hauptberichte der Bundeszentralbehörde in Frankfurt am Main von 1838 bis 1842 über die deutsche revolutionäre Bewegung, Berlin 1978 (= Archivalische Forschungen zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, 5/II). 70 Bericht der Bundeszentralbehörde vom 21. April 1835, z. B. in: BA Berlin-Lichterfelde, DB 8, Nr. 3; Protokolle der Bundeszentralbehörde, 107. Sitzung vom 21. April 1835, § 2235, z. B. in: GStA PK, I. HA, Rep. 77, Tit. 10, Nr. 2, Bd. 6; Aktenmäßige Übersicht der seit 25 Jahren in Deutschland stattgehabten revolutionären Umtriebe nebst einigen Andeutungen über den Ursprung und die Mittel zu einer gründlichen Hebung dieses Uebels, 2. April 1836, z. B: in: BA Berlin-Lichterfelde, DB 8, Nr. 4; Bericht der Bundeszentralbehörde vom 26. Juli 1838, in: Protokolle der Deutschen Bundesversammlung 1839, 21. Sitzung, § 282, Beilage 3, S. 709 ff.; Bericht der Bundeszentralbehörde vom 6. Juli 1839, in: Protokolle der Deutschen Bundesversammlung 1839, 21. Sitzung, § 282, Beilage 5, S.  783 ff.; Bericht der Bundeszentralbehörde vom 1. Oktober 1840, in: Protokolle der Deutschen Bundesversammlung 1840, 28. Sitzung, § 326, Beilage 2, S. 589 ff.; Bericht der Bundeszentralbehörde vom 31. Januar 1842, in: Protokolle der Deutschen Bundesversammlung 1842, 23. Sitzung, § 254, Beilage 6, S.  4591 ff.; Schlußbericht der Bundeszentralbehörde vom 9. September 1842, Protokolle der Deutschen Bundesversammlung 1842, 25. Sitzung, § 269, Beilage 1, S. 611 ff. Der Schlussbericht sowie die Berichte von 1840 und 1842 sind abgedruckt bei: Kowalski, Vom kleinbürgerlichen Demokratismus (wie Anm. 69). 71 Edgar Süss: Die Pfälzer im »Schwarzen Buch«. Ein personengeschichtlicher Beitrag zur Geschichte des Hambacher Festes, des frühen pfälzischen und deutschen Liberalismus, Heidelberg 1956, S. 19 ff. (= Heidelberger Veröffentlichungen zur Landesgeschichte und Landeskunde, 3). 72 »Schwarzes Buch«, BA Berlin-Lichterfelde, DB 8, Nr. 7. Vgl. Siemann, Deutschlands Ruhe (wie Anm. 5), S. 98 f.; Süss, Die Pfälzer im »Schwarzen Buch« (wie Anm. 71), S. 28 ff. 73 Siemann, Deutschlands Ruhe (wie Anm. 5), S. 98, Anm. 101; Süss, Die Pfälzer im »Schwarzen Buch« (wie Anm. 71), S. 30.

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in Deutschland geführten Untersuchungen« publiziert, welche die bis dahin angefertigten Berichte publikumsgerecht zusammenfasste.74 Im Blick auf die »Anträge« der Bundeszentralbehörde lassen sich zwei Typen ausmachen. Dies waren erstens »ersuchende« Anträge, die die Bundeszentralbehörde selbst betrafen und die auf die Bestätigung, Auslegung oder Anpassung des Kommissionsauftrags sowie auf die Unterstützung ihrer Arbeit in einzelnen Fällen abzielten.75 Wichtiger war jedoch ein zweiter Antragstyp, der sich als »Empfehlung« beschreiben lässt. Die Bundeszentralbehörde wies die Bundesversammlung mit diesen Empfehlungen auf Problemfelder hin, die außerhalb ihres Kompetenzbereichs lagen, ihr für die Sicherheit des Bundes jedoch relevant erschienen. Viele der zwischen 1833 und 1842 durch den Bund erlassenen sicherheitspolitischen Maßnahmen lassen sich direkt oder indirekt auf solche Empfehlungen der Bundeszentralbehörde zurückführen. Beispiele wären ein Bundesbeschluss über die Festlegung einheitlicher Standards bei der Kontrolle und der Erfassung von Personaldaten von Postreisenden, das Verbot von Urteilssprüchen durch juristische Fakultäten oder das Verbot der Ausstellung von Reisepässen durch Universitätsbehörden.76 Mit dem Abebben der großen Welle von politischen Prozessen und der zunehmenden Verlagerung oppositioneller Aktivitäten in das benachbarte Ausland erweiterte sich ab etwa 1835/36 das Tätigkeitsprofil der Bundeszentralbehörde. Wie von Metternich ursprünglich geplant, flossen in der Bundeszentralbehörde unabhängig von strafrechtlichen Untersuchungen politisch-polizeiliche Informationen zusammen, die als »vertrauliche« Hinweise oder Notizen an die Landesregierungen weitergeleitet wurden.77 Gelegentlich verband die Bundeszentralbehörde ihre Requisitionen sogar mit konkreten Bitten um weitergehende Nachforschungen oder polizeiliche Maßnahmen wie Observationen, Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmungen und sogar Verhaftungen, wobei sie aber keine »totalitäre« Durchdringung erreichte, da die Bundesstaaten gegenüber solchen Kompetenzausdehnungen skeptisch waren.78 Überhaupt ist wichtig, dass diese polizeilich/nachrichtendienstliche Funktion im Vergleich zu den anderen 74 Friedrich Moritz von Wagemann: Darlegung der Haupt-Resultate aus den wegen der revolutionären Complotte der neueren Zeit in Deutschland geführten Untersuchungen: auf den Zeitabschnitt mit Ende Juli 1838, Frankfurt am Main 1839. 75 Vgl. Löw, Frankfurter Bundeszentralbehörde (wie Anm. 4), S. 13. 76 Vgl. Johann Daniel Leutheußer: Alphabetisches Register über die Verhandlungen der deutschen Bundesversammlung vom 1. Oct. 1816 bis zum Schlusse d. J. 1821, Frankfurt am Main 1836, S. 78 ff. 77 Löw, Die Frankfurter Bundeszentralbehörde (wie Anm. 4), S.  24 f.; Siemann, Deutschlands Ruhe (wie Anm. 5), S. 95. 78 Vgl. Eckhard Werner Budach: Das Fürstentum Waldeck in der Zeit des Deutschen Bundes. Studien zur Verfassungsgeschichte der Kleinstaaten 1815 bis 1866. Die Beziehungen des Fürstentums Waldeck zum Deutschen Bund und seinen einzelnen Mitgliedern, besonders Preussen, sowie die innere Verfassungsentwicklung des Staates, Kiel 1974, S.  198 ff.; Siemann, Deutschlands Ruhe (wie Anm. 5), S. 96.



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beiden Tätigkeitsfeldern – Koordination und Kontrolle der strafrechtlichen Untersuchungsverfahren sowie Berichterstattung an die Bundesversammlung – eher ein Nebenaspekt blieb.

VII. Initiativen und Modelle zur Weiterentwicklung von Justiz- und Polizeikooperation im Deutschen Bund nach 1833 Wie im Fall der Zentraluntersuchungskommission war auch die Tätigkeit der Bundeszentralbehörde von permanenten Diskussionen um ihre Auflösung bzw. ihre Weiterentwicklung begleitet. Viele kleinere Bundesstaaten drängten frühzeitig auf eine Auflösung der Behörde, die sie für zu teuer hielten – anders als die Zentraluntersuchungskommission wurde die Bundeszentralbehörde vollständig aus Bundesmitteln finanziert – und deren Tätigkeit sie als Eingriff in ihre Justizhoheit empfanden. Zwar wollten die beiden Großmächte die Bundeszentralbehörde grundsätzlich bestehen lassen, die Zielsetzungen waren jedoch unterschiedlich: Während es Österreich vor allem darum ging, die Bundeszentralbehörde in ihrer Funktion als »polizeiliches« Expertengremium mit Einfluss auf die Bundesversammlung und Zugang zu relevanten Informationen aus den Bundesstaaten beizubehalten, sah Preußen in ihr vor allem eine »strafrechtliche« Koordinations- und Aufsichtsstelle. In diesen Perspektiven auf die Bundeszentralbehörde drückten sich zwei unterschiedliche sicherheitspolitische Schwerpunkte aus, die sich während des gesamten Vormärz beobachten lassen. Diese unterschiedlichen Ausrichtungen erklären sich daraus, dass Preußen als »deutscher« Staat von den Ereignissen innerhalb des Deutschen Bundes unmittelbarer betroffen war als Österreich, für das der Deutsche Bund nur ein Konfliktfeld von mehreren innerhalb der Habsburgermonarchie war. Ab 1835 wurde von Metternich zunächst die Idee ins Spiel gebracht, die Bundeszentralbehörde in ein polizeiliches »Informationskomitee« umzuwandeln, das von den Bundesregierungen eingesandte »Notizen über revolutionäre Umtriebe« sammeln und zusammenstellen sollte.79 Organisatorisches Vorbild sollte das in Österreich 1834 eingerichtete »Zentralinformationskomitee« sein, in welchem die Staatskanzlei, die Polizeihofstelle und die Justizabteilung ihre Informationen über oppositionelle Aktivitäten sammelten und austauschten.80 Dieses Informationskomitee sollte direkt an die Maßregelkommission angeschlossen sein und dieser kontinuierlich Bericht erstatten und Handlungsempfehlungen geben.81 Der Vorschlag war nicht identisch mit dem vom Frühjahr 1833 bezüglich einer geheimen »Informationsbehörde«. War es damals um eine vom Bund unabhängige, institutionalisierte multilaterale Kooperation zwischen den großen Bundes-

79 Metternich an Trautmannsdorff, 31. Mai 1835, GStA PK, III. HA, MdA, Abt. I, Nr. 8198. 80 Vgl. Siemann, Deutschlands Ruhe (wie Anm. 5), S. 161 ff. 81 Metternich an Trautmannsdorff, 31. Mai 1835, GStA PK, III. HA, MdA, Abt. I, Nr. 8198.

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staaten gegangen, so sollte das neue Informationskomitee durch die Verknüpfung mit der Maßregelkommission bundesrechtlich eingebettet sein. Die preußische Regierung lehnte diesen Vorschlag jedoch ab. In einem internen Gutachten führte der preußische Bundestagsgesandte Friedrich von Schoeler aus, dass die »eigenthümliche Beschaffenheit« der Bundeszentralbehörde als Hybrid zwischen Polizei- und Justizbehörde ihrem Hauptzweck geschuldet sei, die strafrechtlichen Untersuchungsverfahren in den Bundesstaaten zu unterstützen und zu kontrollieren. Damit habe sie zwar keine richterliche Funktion, dennoch habe »das polizeyliche Element sich dem strafrichterlichen untergeordnet«.82 Das von Metternich vorgeschlagene Informationskomitee sei dagegen eine reine Polizeiinstitution, die präventiv und unabhängig von strafprozessualen Normen agieren würde. Diese polizeiliche Ausrichtung der neuen Institution – »das kleinliche Nachrichten-Wesen, die Verdächtigung unbescholtener Personen durch unsichere Agenten usw.« – sei für sich genommen schon problematisch, unmöglich sei es aber, dass das »rechtsstaatliche« Preußen mit dem »polizeistaatlichen« Österreich im Bereich der politischen Polizei institutionalisiert kooperieren würde.83 Im Sommer 1837 verständigten sich die beiden Regierungen darauf, die Bundeszentralbehörde perspektivisch in eine koordinierende und beratende »Justizkommission« umzuwandeln. Die Justizkommission sollte wie die Bundeszentralbehörde Nachrichten aus strafrechtlichen Untersuchungen sammeln und weitergeben, aber keine »controllierende Einwirkung auf den Gang der Untersuchungen« mehr nehmen dürfen. Das Konzept der Justizkommission war nicht identisch mit dem von Metternich 1835/36 angeregten Modell eines politischpolizeilichen Informationskomitees.84 Vielmehr ging es darum, die Bundeszentralbehörde unter leichter Reduktion von Personal, Mitteln und Kompetenzen in eine organische Bundeseinrichtung bzw. permanente Bundeskommission umzuwandeln. Dieser Vorschlag scheiterte jedoch am Widerstand Bayerns, das befürchtete, die Justizkommission würde sich zu einem machtpolitischen Instrument der Großmächte und zu einer dauerhaften Gefahr für die einzelstaatliche Justizhoheit entwickeln.85 Auf Druck des neuen preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. beendete die Bundeszentralbehörde 1842 ihre Tätigkeit. Ein zentrales Argument war dabei, durch die öffentlich kommunizierte Vertagung der Behörde der Bevölkerung das Ende des politischen Ausnahmezustandes nach dem Frankfurter Wachensturm und die Wiederherstellung der Sicherheit im Deutschen Bund zu signalisieren.86 Neue, mit der Zentraluntersuchungskommission und der Bundeszentralbehörde vergleichbare Institutionen wurden durch den Deutschen Bund danach nicht 82 Schoeler an Ancillon, 15. Januar 1837, GStA PK, III. HA, MdA, Abt. I, Nr. 8199. 83 Ebd. 84 Vgl. Siemann, Deutschlands Ruhe (wie Anm. 5), S. 104 f. 85 Vgl. Löw, Die Frankfurter Bundeszentralbehörde (wie Anm. 4), S. 70 f.; Siemann, Deutschlands Ruhe (wie Anm. 5), S. 105 f. 86 Vgl. Protokolle der Deutschen Bundesversammlung 1842, 23. Sitzung, § 252, S. 431.



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mehr gegründet. Allerdings kooperierten die politischen Polizeibehörden der größeren Bundesstaaten im Nachmärz im sogenannten »Polizeiverein« unabhängig vom Deutschen Bund im Rahmen eines dezentralen, aber durch Konferenzen, systematischen Nachrichtenaustausch und Arbeitsteilung strukturierten Kooperationsformats.87 Bemerkenswert ist dabei, dass das Modell des Polizeivereins bereits unmittelbar nach dem Frankfurter Wachensturm 1833 im Umfeld der Bundeszentralbehörde diskutiert wurde. Der Impuls hierzu ging vom Polizeirat Friedrich Eberhardt aus Sachsen-Coburg-Gotha aus. Dieser hatte kurz nach dem Wachensturm der Bundeszentralbehörde vorgeschlagen, eine strukturierte Kooperation zwischen den Polizeibehörden der Bundesstaaten aufzubauen. In einer durch den Bund einberufenen, konstituierenden Konferenz sollten dafür zunächst leitende Polizeibeamte aus verschiedenen Staaten über eine »Vereinigung« der deutschen Polizeibehörden in Form von regelmäßigem Informationsaustausch und Arbeitsteilung bei der Bekämpfung politischer Kriminalität beraten.88 Die Besonderheit dieses Vorschlags lag darin, dass Eberhardt ein zu diesem Zeitpunkt neues Modell transnationaler Polizeikooperation andachte. So hatte es sich etwa bei dem durch Metternich eingebrachten Vorschlag eines Informationsbüros um ein zentralistisches und institutionalisiertes Kooperationsformat gehandelt, in dem die beteiligten Staaten durch Kommissare vertreten wurden, wodurch sie de facto den Charakter politischer Gremien hatten. Eberhardts Vorschlag zielte dagegen auf eine durch Konferenzen, systematische Kommunikation und Aufgabenteilung dezentral strukturierte, direkte Kooperation der eigentlichen Sicherheitsakteure ab, die im Rahmen des so geschaffenen transnationalen Freiraums ohne rechtliche und politische Barrieren zusammenarbeiten sollten.89 Die Bundeszentralbehörde griff den Vorschlag mit großem Interesse auf und leitete ihn an die Maßregelkommission. Der österreichische Kommissar Wagemann berichtete an Metternich, man habe nur auf eine Gelegenheit gewartet, der Bundesversammlung die »Organisierung eines, durch alle deutsche Staaten verzweigten, enge zusammenhängenden und in ein aus tüchtigen und erfahrenen Polizeibeamten aufgestelltes Centrum zusammenlaufenden Polizeiverbandes« vorzuschlagen.90 Die Maßregelkommission griff die Idee aber nicht auf, so dass 87 Zum Polizeiverein siehe: Friedrich Beck (Hg.): Dokumente aus geheimen Archiven, Bd. 5: Die Polizeikonferenzen deutscher Staaten 1851–1866, Weimar 1993 (= Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs Potsdam, 27); Jens Jäger: Die informelle Vernetzung politischer Polizei nach 1848, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 116 (1999), S. 266–313; Wolfram Siemann (Hg.): Der »Polizeiverein« deutscher Staaten. Eine Dokumentation zur Überwachung der Öffentlichkeit nach der Revolution von 1848/49, Tübingen 1983; Ders., Deutschlands Ruhe (wie Anm. 5), S. 242 ff. 88 Bundeszentralbehörde an Maßregelkommission, 7. Januar 1834, BA Berlin-Lichterfelde, DB 8, Nr. 1; HHStA Wien, Staatskanzlei, Deutsche Akten, Nr. 14; Protokolle der Bundeszentralbehörde, 25. Sitzung, § 303, GStA PK, I. HA, Rep. 77, Tit. 10, Nr. 2, Bd. 1. 89 Vgl. Siemann, Deutschlands Ruhe (wie Anm. 5), 244. 90 Wagemann an Metternich, 9. Januar 1834, HHStA, Staatskanzlei, Deutsche Akten, Nr. 14.

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Eberhardts Initiative im Blick auf den Vormärz eine Episode blieb. Bemerkenswert ist jedoch, dass Eberhardt – mittlerweile im sächsischen Staatsdienst – 1851 maßgeblich an der Konzeption und Gründung des Polizeivereins beteiligt war.91

VIII. Schluss Überblickt man die Entwicklung von Justiz- und Polizeikooperation im Deutschen Bund während des Vormärz abschließend, lassen sich zwei miteinander korrelierende Prozesse beobachten, nämlich »Dezentralisierung« bzw. »Föderalisierung« sowie die sukzessive Differenzierung von »Polizei« und »Strafjustiz« als getrennte sicherheitspolitische Handlungsebenen. Anders als die Vorstellung eines systematisch aufgebauten und präventiv ausgerichteten »Metternich’schen« Polizeisystems suggeriert, war diese aber nicht das Ergebnis programmatischer Erwägungen, sondern realpolitischer Gegebenheiten. So hatten die meisten politischen Akteure – auch Metternich – 1819 zunächst die Übernahme polizeilicher und strafrechtlicher Funktionen durch den Deutschen Bund vorgesehen. Dies entsprach dem Konzept des gemeinrechtlichen Inquisitionsverfahrens als Gesamtkomplex sozialer Kontrollmechanismen, in dem polizeiliche und strafrechtliche Elemente eine Einheit bildeten. Dieses etablierte Modell erwies sich aber als nicht vereinbar mit der als zentrales Souveränitätsmerkmal konzipierten Justizhoheit der Bundesstaaten. In Reaktion auf diese Problematik entstand experimentell und situativ eine in dieser Form neue transnationale polizeiliche Handlungsebene, in deren Zentrum die Zentraluntersuchungskommission und die Bundeszentralbehörde standen. Deren Besonderheit bestand darin, dass sich die Arbeit der beiden Behörden primär im Rahmen strafrechtlicher bzw. gerichtlicher Untersuchungen abspielte, allerdings nicht auf die Rechtsprechung, sondern auf die Ermittlung, Aufbereitung, Verbreitung und Nutzung polizeilichen Wissens abzielte. Damit wurde in mittel- bis langfristiger Perspektive eine für die Formierung transnationaler Sicherheitsregime insgesamt charakteristische Entwicklung eingeleitet, in deren Rahmen präventiv-polizeiliche Interaktionen sich nicht mehr in gemeinschaftlichen Institutionen, sondern auf dem Wege mehr oder weniger strukturierter, direkter Kooperation zwischen den einzelstaatlichen Sicherheitsbehörden abspielten.92 Versucht man diese Entwicklung hinsichtlich der Entstehung eines gesamtdeutschen Nationalstaats zu bewerten, kommt man zu einem ambivalenten Ergebnis. So lässt sich dieser Vorgang durchaus als Integrations- oder Harmonisierungsprozess beschreiben, indem hier Modi entstanden, die es ermöglichten, die verschiedenen partikularen Interessen innerhalb des Bundes zu berücksichtigen 91 Siemann, Deutschlands Ruhe (wie Anm. 5), S. 244 ff. 92 Vgl. Karl Härter: Security and Transnational Policing of Political Subversion and International Crime in Central Europe after 1815, in: Beatrice de Graaf/Ido de Haan/Brian Vick (Eds.): Securing Europe. 1815 and the New European Security Culture, Cambridge 2018 (im Druck).



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und so langfristig zu Formierung einer föderalen, gesamtdeutschen Sicherheitsarchitektur beitrugen.93 Darüber hinaus gingen insbesondere aus der Arbeit der Bundeszentralbehörde in ihrer Funktion als sicherheitspolitisches Expertengremium Bundesbeschlüsse hervor, die über das spezifische Feld der politischen Kriminalität ausstrahlten und zu Angleichungseffekten in den Bereichen von Polizei und Strafjustiz führten. Allerdings ist dies nur bedingt kompatibel mit der primär auf progressive Verrechtlichungs- und Vereinheitlichungsprozesse sowie die Partizipation der zivilen Öffentlichkeit – bzw. der »Nation« – abzielenden Forschungsperspektive der »inneren Nationsbildung«.94 Denn insgesamt lassen sich hier gegenläufige Entwicklungen beobachten, die auf eine »Föderalisierung« und »Versicherheitlichung« der polizeilichen Zusammenarbeit im Deutschen Bund hinausliefen. Diese knüpften stark an die Strukturen des Alten Reichs als mehrdimensionale Rechts-, Friedens- und Sicherheitsordnung an und wurden durch gemeinsame Sicherheitsinteressen der deutschen Regierungen stimuliert und legitimiert.95 Dies könnte als ein zweiter Strang des gesamtdeutschen Nationsbildungsprozesses gedeutet werden, in dem weniger »Modernisierung« als »Kontinuität« zur Vormoderne zum Ausdruck kam und in dem der Deutsche Bund eine wesentliche Rolle als »Transformator« spielte.

93 Vgl. Härter, Schlichtung (wie Anm. 18), S. 154. 94 Zum Konzept der »inneren Nationsbildung« und seiner Anwendung auf den Deutschen Bund siehe: Dieter Langewiesche: Reich, Nation, Föderation. Deutschland und Europa, München 2008, S. 188 f.; Jürgen Müller: Einleitung, in: Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes. Für die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften hg. v. Lothar Gall. Abt. III: Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes 1850–1866, Bd. 2: Der Deutsche Bund zwischen Reaktion und Reform 1851–1858, München 1998, S. XIff. 95 Vgl. Karl Härter: Sicherheit und gute Policey im frühneuzeitlichen Alten Reich. Konzepte, Gesetze und Instrumente, in: Bernd Dollinge/Henning Schmidt-Semisch (Hg.): Sicherer Alltag? Politiken und Mechanismen der Sicherheitskonstruktion im Alltag, Wiesbaden 2016, S. 29– 55.

Hans-Werner Hahn

Verpasste Chancen? Der Deutsche Bund und die Probleme der wirtschaftlichen Einheit 1815–1848

I. Einleitung »Mit der Gründung des Zollvereins war der Bund in seinem Bestande erschüttert, denn es war nun zur That geworden, daß das Gemeinsame ohne den Bund errichtet werden könne, und ohne den Bund errichtet werden müsse.«1 Mit diesen knappen Worten kommentierte die renommierte »Deutsche Vierteljahrsschrift« die auf der Dresdener Konferenz von 1851 unternommenen Versuche einer Bundesreform, die auch im Hinblick auf die dort verhandelten Wirtschaftsfragen zu keinem entscheidenden Durchbruch gelangt waren.2 Das Ausbleiben gemeinsamer Regelungen auf dem immer wichtiger werdenden Feld der Wirtschaft gehörte zweifellos zu den Hauptgründen der immer heftigeren Kritik am Deutschen Bund und veranlasste Wirtschaftsbürger wie den pfälzischen Unternehmer Ludwig Andreas Jordan 1850 sogar zur Feststellung, dass die Geschichte des Deutschen Bundes letztlich »30jähriges Elend und Schmach« bedeute.3 Im Folgenden soll danach gefragt werden, inwieweit diese auch in der Forschung vorgebrachten Vorwürfe der Untätigkeit und Unfähigkeit des Bundes4 berechtigt waren oder ob die Antwort auf die Frage nach den wirtschaftspolitischen Aktivitäten des Deutschen Bundes nicht doch differenzierter ausfallen müsste, als dies bei manchen Zeitgenossen der Fall war. Dabei geht es erstens um die Frage, warum bei der Gründung des Deutschen Bundes keine verbindlichen Regelungen für den Bereich der Wirtschaft getroffen wurden. Zweitens soll erörtert werden, warum die 1815 immerhin getroffenen Absichtserklärungen in 1 Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes. Für die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften hg. v. Lothar Gall [künftig: QGDB], Abt. III: Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes 1850–1866, Bd.2: Der Deutsche Bund zwischen Reaktion und Reform 1851–1858, bearb. v. Jürgen Müller, München 1998, S. 8. 2 Vgl. auch Hans-Werner Hahn: Die Dresdener Konferenz. Chance eines handelspolitischen Neubeginns in Deutschland?, in: Jonas Flöter/Günther Wartenberg (Hg.): Die Dresdener Konferenz. Föderalisierung des Deutschen Bundes versus Machtinteressen der Einzelstaaten, Leipzig 2002, S. 219–238. 3 Zitiert nach Henning Türk: Ludwig Andreas Jordan und das Pfälzer Wirtschaftsbürgertum. Bürgerliche Lebenswelt und liberale Politik im 19. Jahrhundert, Göttingen 2016, S. 278. 4 Vgl. den Überblick bei Jürgen Müller: Der Deutsche Bund 1815–1866, München 2006, S. 84 f. (= Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 78).

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der Frühzeit des Deutschen Bundes nicht umgesetzt werden konnten. Drittens sollen die Herausforderungen umrissen werden, welche die Gründung des von Preußen geführten Zollvereins seit den 1830er Jahren für den Deutschen Bund brachten. Und viertens soll danach gefragt werden, ob neue politische und wirtschaftliche Entwicklungen der 1840er Jahre nicht doch noch einmal Chancen für entsprechende Aktivitäten des Deutschen Bundes boten.

II. Bundesgründung und wirtschaftliche Fragen Als nach dem Ende der napoleonischen Herrschaft in Wien über eine Neuordnung Europas und der deutschen Staatenwelt verhandelt wurde, standen die wirtschaftlichen Aspekte zwar weit hinter den großen Fragen einer auf dem Mächtegleichgewicht basierenden Sicherheitsarchitektur und den Fragen der inneren staatlichen Ordnungen zurück. Dennoch fanden Wirtschaftsfragen in den Verhandlungen und Beschlüssen des Wiener Kongresses und auch bei den territorialen Neuregelungen durchaus eine gewisse Beachtung. Zum einen war dem Faktor Wirtschaft seit dem Merkantilismus und der einsetzenden Industrialisierung in vielen europäischen Staaten eine größere Bedeutung zugefallen. Zum anderen hatten gerade die napoleonischen Kriege und die von Napoleon verhängte Kontinentalsperre deutlich gemacht, welch großes Gewicht die Wirtschaft auch für die machtpolitischen Auseinandersetzungen inzwischen erlangt hatte. In dem vom Wiener Kongress geschaffenen Regelwerk fanden sich daher auch wirtschafts- und handelspolitische Fragen wieder.5 Mit der auf Großbritannien zurückgehenden Ächtung des Sklavenhandels griff man sogar über den europäischen Rahmen hinaus. Für die innereuropäischen Wirtschaftsbeziehungen waren vor allem die Schritte zur Internationalisierung der Schifffahrt auf den großen Strömen wichtig.6 Die in Wien beschlossenen neuen Grenzen nahmen zwar gerade im Falle Deutschlands auf die wirtschaftlichen Gegebenheiten oft noch wenig Rücksicht. Immerhin aber versprach man gegenüber bislang staatlich zusammengehörenden Gebieten, die wie in Polen oder beim Königreich Sachsen nun auseinandergerissen wurden, dass die wirtschaftlichen Akteure auf den jeweiligen Seiten der neuen Grenzen vor wechselseitiger Diskriminierung geschützt werden sollten. Dabei ging es jedoch nicht um die Höhe von Zöllen und Abgaben, sondern um das Verbot der Bestrafung der nun ausländischen oder der gezielten Förderung 5 Vgl. hierzu jetzt Andreas Fahrmeir: Frieden durch Handel? Der Wiener Kongress und die Wirtschaftspolitik, in: Reinhard Stauber/Florian Kerschbaumer/Marion Koschier (Hg.): Mächtepolitik und Friedenssicherung. Zur politischen Kultur Europas im Zeichen des Wiener Kongresses, Berlin 2014, S. 123–133. 6 Zu den entsprechenden Verhandlungen und Regelungen vgl. Reinhard Stauber: Der Wiener Kongress, Wien/Köln/Weimar 2014, S. 239–245. Zum Rhein vgl. Guido Thiemeyer/Isabel Tölle: Supranationalität im 19. Jahrhundert? Die Beispiele der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt und des Octroivertrages 1804–1832, in: Journal of European Integration History 17 (2011), S. 177–196.



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inländischer Anbieter.7 Umfassende Regelungen für den Waren- und Güteraustausch in bislang zusammengehörenden, nun aber durch neue Staatsgrenzen getrennten Wirtschaftsräumen blieben freilich aus. Dies galt auch für den 1815 gegründeten Deutschen Bund. Das 1806 untergegangene Heilige Römische Reich deutscher Nation hatte zwar seine Ansprüche auf die Oberhoheit über das Zollwesen nie aufgegeben, war aber mit allen Versuchen gescheitert, eine einheitliche Zollpolitik durchzusetzen. Auch der 1806 gegründete Rheinbund war den aufkommenden Forderungen nach einem Abbau der innerdeutschen Handelsschranken nicht nachgekommen. Fortschritte gab es nur innerhalb der größeren, territorial arrondierten Rheinbundstaaten wie Bayern, Württemberg und Baden, die im Zuge ihrer Reformpolitik alle Binnenzölle abschafften und ein einheitliches Grenzzollsystem einführten. Damit sollte ein dem Staatsgebiet entsprechender Wirtschaftsraum hergestellt werden, um Landwirtschaft, Gewerbe und Handel zu fördern und die Staatseinnahmen zu steigern. Den befreienden Wirkungen, die diese Reformen im Inneren der jeweiligen Staaten mit sich brachten, standen durch die Zollerhebung an den Grenzen aber neue Hindernisse im zwischenstaatlichen Handelsverkehr gegenüber, die schon in der Rheinbundzeit auf heftige Kritik der Betroffenen stießen.8 Es lag daher nahe, dass in den nach der Niederlage Napoleons einsetzenden Debatten über eine deutsche Neuordnung auch die Forderung nach einer einheitlichen deutschen Handelspolitik aufkam. So schlug der Freiherr Karl vom Stein in einer Denkschrift zur deutschen Verfassungsfrage vom 10. März 1814 vor, dass die Rheinzölle und die Zölle an der Meeresküste künftig direkt an das Direktorium eines Deutschen Bundes fließen und darüber hinaus »die Binnenzölle und Einfuhrverbote für Waren zwischen den verschiedenen Staaten des Bundes« abgeschafft werden sollten.9 Auch Fabrikanten wie der Rheinländer Johann Friedrich Benzenberg traten im Herbst 1814 öffentlich dafür ein, dass die Deutschen »alle Zölle unter sich aufheben [sollten] und bloß ein Reichszoll auf die Grenze des gemeinschaftlichen Vaterlandes« gelegt werden solle.10 Der preußische Staatskanzler Hardenberg, der schon im April 1814 gemeinsame Regelungen im Handelsverkehr gefordert hatte, bekräftigte dies in seinem 41 Artikel umfassenden Verfassungsentwurf für den Deutschen Bund und forderte, dass die künftige Bundesversammlung, »zum Wohl des Ganzen […] eine zweckmässige Regulirung der Zölle« und »Erleichterung des Handels« herzustellen habe.11 7 Vgl. Fahrmeir, Frieden durch Handel (wie Anm. 5), S. 127. 8 Vgl. Helmut Berding: Die Reform des Zollwesens in Deutschland unter dem Einfluss der napoleonischen Herrschaft, in: Geschichte und Gesellschaft 6 (1980), S. 523–537. 9 Klaus Müller (Hg.): Quellen zur Geschichte des Wiener Kongresses 1814/15, Darmstadt 1986, S. 303. 10 So in einem Artikel des »Rheinischen Merkur«. Zitiert nach Karl Obermann: Deutschland 1815–1849, Berlin/Ost 1967, S. 26. 11 QGDB, Abt. I: Quellen zur Entstehung und Frühgeschichte des Deutschen Bundes 1813– 1830, Bd. 1: Die Entstehung des Deutschen Bundes 1813–1815, bearb. v. Eckhardt Treichel, München 2000, Dok. 31, S. 189.

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Gerade Preußen drängte angesichts der zu erwartenden großen Gebietsgewinne im Westen Deutschlands in den Verhandlungen um eine deutsche Neuordnung immer wieder auf eine Bundeskompetenz in den Zoll- und Handelsfragen. Dies lag auch im Interesse der kleineren Staaten, der sogenannten Mindermächtigen, die aufgrund ihrer Bevölkerungszahl und oft komplizierter Grenzverhältnisse gar nicht in der Lage waren, eine eigenständige Handelspolitik zu treiben.12 In den Schlussverhandlungen über die deutsche Neuordnung spielten dann die Zoll- und Handelsfragen freilich eine eher untergeordnete Rolle. Angesichts des Zeitdrucks, der durch Napoleons Rückkehr entstanden war, und des massiven Widerstandes, den vor allem die souveränitätsbewussten Staaten Bayern und Württemberg gegen zu große Bundeskompetenzen an den Tag legten, kam es am Ende auch in den Zollfragen nur zu einer Absichtserklärung.13 Im Artikel 19 der Deutschen Bundesakte vom 8. Juni 1815 hieß es: »Die Bundesglieder behalten sich vor bey der ersten Zusammenkunft der Bundesversammlung in Frankfurth wegen des Handels und Verkehrs zwischen den verschiedenen Bundesstaaten, so wie wegen der Schiffahrt nach Anleitung der auf dem Kongreß zu Wien angenommenen Grundsätze in Beratung zu treten.«14

Trotz der fehlenden inhaltlichen Präzisierung schloss dieser »dilatorische Scheinkompromiss«15 immerhin eine künftige Zuständigkeit des Bundes in den Zoll- und Handelsfragen nicht aus. Vorerst aber blieben alle handelspolitischen Entscheidungen in den Händen der Einzelstaaten, die mit ihrem Vetorecht auch alle auf Vereinheitlichung zielenden Vorstöße abblocken konnten. Dennoch gab es in der Anfangsphase des Deutschen Bundes auf privater wie auf staatlicher Seite große Hoffnungen, dass solche Widerstände überwunden werden könnten.

III. Das Scheitern der wirtschaftspolitischen Integration in der Frühzeit des Deutschen Bundes Die Diskussionen über den Artikel 19 der Bundesakte wurden durch die vielfältigen wirtschaftlichen Schwierigkeiten angestoßen, unter denen gerade der deutsche Raum nach 1815 zu leiden hatte. Zum einen wirkten die schweren Kriegslasten nach. Zum anderen klagten viele Gewerbetreibende, deren Branchen unter dem Schutz der Kontinentalsperre aufgeblüht waren, über die teilweise zu Dumpingpreisen ins Land strömenden englischen Industriegüter. Vor allem aber sorgte die schwere Missernte des Jahres 1816 zu einem starken Anstieg der Getrei12 Ebd., Einleitung S. CXIII. Zur Interessenlage der Mindermächtigen vgl. ferner Michael Hundt: Die mindermächtigen deutschen Staaten auf dem Wiener Kongress, Mainz 1996. 13 Zu den Entscheidungsprozessen ausführlich QGDB, Abt. I, Bd. 1 (wie Anm. 11), S. XXIXff. 14 Ebd., S.  1517; Ernst Rudolf Huber (Hg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803–1850, Stuttgart 31961, S. 80 f. 15 So Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd. 1: Reform und Restauration 1789 bis 1830, Stuttgart 21967, S. 93.



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depreise, der die gesamte Wirtschaft schwer traf.16 Die negativen Folgen dieser Entwicklungen wurden durch die zwischen den deutschen Staaten bestehenden Zollschranken weiter verstärkt. In dieser Situation richteten sich bald mehrere handelspolitische Forderungen an die seit 1816 tagende Bundesversammlung. Den Anfang machte eine Denkschrift, in der der Geraer Textilunternehmer Ernst Weber auf der Leipziger Herbstmesse des Jahres 1816 eine Versammlung deutscher Kaufleute und Fabrikanten anregte, die sich für eine Beseitigung der innerdeutschen Handelsschranken einsetzen sollte.17 Zu ersten intensiven handelspolitischen Debatten kam es in der Bundesversammlung allerdings erst infolge der Hungerkrise von 1816/17.18 Die aufgetretenen Versorgungsengpässe hatten dazu geführt, dass einzelne Bundesstaaten wie Bayern den Getreideexport durch Ausfuhrsperren blockierten und damit einen regionalen, grenzüberschreitenden Marktausgleich erschwerten. Das von solchen Sperren besonders betroffene Königreich Württemberg stellte daher am 19. Mai 1817 in der Bundesversammlung den Antrag, innerhalb des Deutschen Bundes alle Beschränkungen des gegenseitigen Verkehrs mit den unentbehrlichsten Lebensmitteln aufzuheben. Zur Behandlung des Antrags wurde eine Bundestagskommission gebildet, in der freilich rasch die Schwierigkeiten deutlich wurden, die einer gemeinsamen Handelspolitik des Bundes entgegenstanden. Der Mecklenburger Gesandte von Plessen unterstützte in dieser Kommission nicht nur die Forderung nach Aufhebung bestehender Fruchtsperren, sondern mahnte, dass Artikel 19 der Bundesakte auf die Förderung des »gesammten Handelsverkehrs zwischen den Bundesstaaten durch allgemein verabredete Beschlußnahme« und auf Beseitigung aller »einseitigen Störungen und Beschränkungen« ziele.19 Vor allem die kleineren Bundesstaaten, die am stärksten unter den Handelssperren zu leiden hatten, hofften darauf, dass die Bundesversammlung den Antrag annehmen, damit die Handlungsfähigkeit des Deutschen Bundes unterstreichen und sein öffentliches Ansehen steigern würde. So sah der Herzog von Sachsen-Hildburghausen die Herstellung eines vollständigen freien Binnenmarktes nach den Kriegen gegen Napoleon geradezu als nationale Pflicht an und schrieb dementsprechend an den Gesandten der ernestinischen Staaten: »Der so schwer errungene Friede und die innige Verbindung der deutschen Fürsten lassen alle Bundesstaaten nicht nur wechselseitige Hilfe und Unterstützung in Nothfällen, sondern auch ein ganz freies Commerz im Innern erwarten, und dessen Herstellung ist in Ansehung aller deutscher Producte und Fabrikate desto nothwendiger, da denselben 16 Zur schwierigen Ausgangslage der deutschen Wirtschaft nach 1815 vgl. Hans-Werner Hahn: Die Industrielle Revolution in Deutschland, München 32011, S. 13–23 (= Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 49). 17 Obermann, Deutschland (wie Anm. 10), S. 26. 18 Zum Antrag und den folgenden Debatten ausführlich QGDB, Abt. I, Bd. 2: Organisation und innere Ausgestaltung des Deutschen Bundes 1815–1819, bearb. v. Eckhardt Treichel, München 2016, Einleitung S. LXXXVII ff. sowie die Dokumente Nr. 168–182, S. 777 ff. 19 Ebd. Nr. 170, S. 768.

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in mehreren auswärtigen Staaten der Eingang gänzlich gesperrt ist; dieser gemeinnützige Zweck würde aber nicht erreicht […] wenn die ietzigen Verhandlungen zur Befreiung des Verkehrs von Zwang und Druck nur auf notwendigste Lebensbedürfnisse beschränkt werden sollten.«20

Solche weitgreifenden Vorschläge gingen den meisten Mitgliedern der Bundeskommission und den Regierungen viel zu weit. Die Kommission einigte sich schließlich immerhin auf einen Entwurf, der die Freiheit des Handels mit Getreide und Schlachtvieh vorsah. Am Ende aber waren die von Bayern und Österreich ausgehenden Widerstände und Bedenken so groß, dass dieser erste Versuch, dem Deutschen Bund eine noch bescheidene Kompetenz in der Zoll- und Handelspolitik zukommen zu lassen, im Sommer 1818 gescheitert war. Auch wenn in der österreichischen Abstimmung der unternommene Regelungsversuch gelobt und zugleich die Hoffnung ausgedrückt wurde, demnächst wieder über solche Angelegenheiten zu beraten und die Verhandlungen dann »ein angemessenes gemeinsames Resultat haben möchten«21, so offenbarte der Auftakt der handelspolitischen Debatten der Bundesversammlung letztlich mehr die Schwierigkeiten gemeinsamer Lösungen als die Chance, die Handlungsfähigkeit des Deutschen Bundes auf einem wichtigen Feld künftiger Politik zu unterstreichen. Zu groß waren die jeweiligen wirtschaftlichen und fiskalischen Bedürfnisse der einzelnen Bundesstaaten und die daraus resultierenden Interessen. An dieser Konstellation hatte sich auch ein Jahr später wenig geändert, als die Bundesversammlung erneut zu Beratungen über gemeinsame zoll- und handelspolitische Regelungen aufgefordert wurde. Den Anlass bildeten zum einen die allgemein noch schwierige wirtschaftliche Lage Deutschlands, zum anderen aber vor allem die handelspolitischen Probleme, die für viele Staaten des Deutschen Bundes durch das 1818 eingeführte preußische Zollgesetz entstanden waren. Preußen hatte sich ja zunächst noch für allgemeine deutsche Regelungen ausgesprochen. Mit der Reform von 1818 führte es jedoch für sein Staatsgebiet ein modernes Grenzzollsystem ein. Obwohl die preußischen Einfuhrzölle im Vergleich zu anderen europäischen Staaten relativ gemäßigt waren, beeinträchtigten sie den Handel mit den benachbarten deutschen Staaten, zumal Preußen auch relativ hohe Transitzölle erhob und zahlreiche, von preußischen Landesteilen umschlossene Enklaven anderer Staaten faktisch in das eigene Zollgebiet einschloss.22 Das Zollgesetz führte nicht nur zu Beschwerden vieler betroffener Regierungen, sondern wurde auch in Landtagen und in der Presse heftig kritisiert.23 Es verstärkte 20 Herzog Friedrich III. an Hendrich, 31. Mai 1817, Thüringisches Staatsarchiv Gotha, Geheime Kanzlei I, A. XI. 4.5. Den Zugang zu den ungedruckten Berichten von Hendrich verdanke ich der Masterarbeit von Florian Vogt: »Mindermächtige« Politik im Deutschen Bund. Die ernestinische Bundestagsgesandtschaft von 1815–1820, Jena 2014. 21 QGDB, Abt. I, Bd. 2 (wie Anm. 18), S. 836. 22 Takeo Ohnishi: Zolltarifpolitik Preußens bis zur Gründung des Deutschen Zollvereins. Ein Beitrag zur Finanz- und Außenhandelspolitik Preußens, Göttingen 1973, S. 7 ff. 23 Vgl. Hans-Werner Hahn: Geschichte des Deutschen Zollvereins, Göttingen 1984, S. 27 ff.



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die Unzufriedenheit mit den allgemeinen deutschen Zollverhältnissen und ließ zugleich neue Erwartungen an den Deutschen Bund aufkommen. Im April 1819 wurde während der Frankfurter Ostermesse der »Deutsche Handels- und Gewerbsverein« gegründet, ein früher Interessenverband deutscher Fabrikanten und Kaufleute, dessen publizistische Arbeit der Tübinger Professor Friedrich List übernahm. List war auch der Verfasser einer umfassenden Eingabe, die der Verein noch im April 1819 an den Deutschen Bund richtete. Die mit 70 Unterschriften versehene Eingabe enthielt eine schonungslose Bestandsaufnahme der deutschen Zollverhältnisse, die jedes Aufblühen des »Nationalwohlstandes« verhindere. In der Eingabe wurde die Bundesversammlung daher aufgefordert, »dass die Zölle und Mauten im Innern Deutschlands aufgehoben, dagegen aber ein auf dem Grundsatz der Retorsion beruhendes Zollsystem gegen fremde Nationen aufgestellt werden möchte, bis auch sie den Grundsatz der europäischen Handelsfreiheit anerkennen«.24 Diese Forderungen des »Deutschen Handels- und Gewerbsvereins« fanden sehr schnell große Resonanz in der öffentlichen Meinung. In kürzester Zeit entstand ein dichtes Korrespondentennetz. 1819 gab es bereits 2000 Abonnenten des vom Verein herausgegebenen »Organs für den deutschen Handels- und Fabrikantenstand«. Allerdings konzentrierte sich die Rekrutierungsbasis des Vereins stark auf den süd- und mitteldeutschen Raum, während das Handelsbürgertum der großen Messe- und Hansestädte vor allem den Forderungen nach deutschen Schutzzöllen ablehnend gegenüberstand. Damit deutete sich bereits an, dass eine einheitliche Zollpolitik des Bundes schon wegen der großen wirtschaftlichen Strukturunterschiede und der daraus resultierenden divergierenden Interessen nicht so einfach zu erreichen war.25 Dennoch sorgte die angestoßene Debatte dafür, dass der Deutsche Bund nun unter einen starken Handlungszwang geriet. In der badischen zweiten Kammer hielt der Abgeordnete von Liebenstein am 17. Mai 1819 eine flammende Rede gegen die innerdeutschen Zollschranken und mahnte die Bundesversammlung, dass bei einer weiteren Untätigkeit in diesen Fragen die innere Sicherheit und Ordnung nur schwer aufrechtzuerhalten seien. Zuvor hatte bereits Karl Friedrich Nebenius, einer der führenden Männer der badischen Reformbürokratie, den Deutschen Bund in einer großen Denkschrift zur einheitlichen Zollpolitik aufgefordert.26 Am 1. Juli 1819 wurde die deutsche Bundesversammlung mit einer Massenpetition von über 5000 Handwerkern, Fabrikanten und Kaufleuten aus dem thüringischen, sächsischen und hessischen Raum konfrontiert. In ihr wurden nicht nur die Forderungen des »Deutschen Handels- und Gewerbsver24 QGDB, Abt. I, Bd. 2 (wie Anm. 18), Dok. 183, S. 842. 25 Zu Gründung und Entwicklung des Vereins vgl. Heinrich Best: Interessenpolitik und nationale Integration. Handelspolitische Konflikte im frühindustriellen Deutschland, Göttingen 1980, S. 81–87. 26 Vgl. Hans-Peter Müller: Das Großherzogtum Baden und die deutsche Zolleinigung 1819– 1835/36, Frankfurt am Main 1984, S. 101 ff.

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eins« bekräftigt, sondern nochmals ausdrücklich begründet, warum »die Natur des deutschen Bundes« die vorgeschlagenen Maßregeln geradezu erfordere. Man verwies darauf, dass der österreichische Gesandte bei der feierlichen Eröffnung der Bundesversammlung gesagt habe, dass Deutschlands Bestimmung »nicht ein blos politisches Schutz- und Trutzbündniß, sondern ein zugleich die Nationalität sichernder Staatenbund sey«. Deshalb stehe es jedem Mitglied des Bundes zu, »darauf zu dringen, daß der Bundescharacter und Bundeszweck in allen seinen Richtungen, mithin auch in jener nationellen Richtung, welche ihm in den besonderen Bestimmungen der Bundes-Acte und namentlich in deren 19ten Artikel gegeben ist, unverletzt erhalten werde«. Der Bund wurde somit hier für das »Gedeihen des Gesammt-National-Wohlstandes in Deutschland« in die Pflicht genommen.27 Diese erneute eindringliche Mahnung aus Mitteldeutschland hing wohl auch damit zusammen, dass die Bundesversammlung noch im Mai 1819 sehr ablehnend auf die erste Eingabe des »Deutschen Handels- und Gewerbsvereins« reagiert hatte. Der mit der Berichterstattung über die Eingabe betraute hannoversche Gesandte von Martens hatte dem formell von keiner deutschen Regierung anerkannten Verein jede Legitimation abgesprochen und die Bittschrift als eine Eingabe von Privatpersonen eingestuft. Zugleich verwies er in seiner Stellungnahme darauf, dass einer Umsetzung der Forderungen vier große Hindernisse entgegenstünden. Erstens erfordere der staatenbündische Charakter des Bundes die gleichberechtigte Mitwirkung aller Gliedstaaten. Zweitens könnten viele Mitgliedsstaaten aus finanziellen Gründen auf die eigenen Zölle nicht verzichten. Drittens stelle sich das Problem, dass die beiden großen Mächte des Bundes Gebiete besäßen, die nicht zum Deutschen Bund gehörten, und viertens bestünden Handelsverträge zwischen einzelnen Gliedstaaten des Bundes und ausländischen Staaten, deren Vereinbarungen der Bund nicht einfach negieren könne.28 Martens empfahl zwar, den Petenten mitzuteilen, dass der Bundestag die Zollfragen diskutieren und über die Förderung des innerdeutschen Handels beraten werde, ergriff aber keine entsprechende Initiative. Erst durch die folgende Eingabe aus Mitteldeutschland, die maßgeblich auf den Gothaer Kaufmann und Versicherungspionier Ernst Wilhelm Arnoldi zurückging, kam doch noch einmal Bewegung in die Sache. Arnoldi suchte den direkten Kontakt zu dem Bundestagsgesandten der ernestinischen Höfe Carl August von Hendrich. Dieser verständigte sich mit anderen Gesandten und schlug den Regierungen Sachsen-Weimars und der vier übrigen ernestinischen Herzogtümer vor, beim Bundestag einen Antrag einzubringen, in dem die Vollziehung des Artikels 19 der Bundesakte und die Einrichtung einer entsprechenden Bundeskommission gefordert wurde. Hendrich sah durchaus gute Chancen für ein solches Vorgehen, weil mehrere Gesandte seine Haltung teilten und die noch ablehnenden Regierungen »die öffentliche Stimme zu sehr

27 QGDB, Abt. I, Bd. 2 (wie Anm. 18), Dok. 186, S. 860 f., 863. 28 Ebd. Dok. 185, S. 846–856.



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scheuen, um sich dagegen zu erklären«.29 Der Vertreter der ernestinischen Staaten setzte somit auf die öffentliche Meinung, die durch die Eingaben der Kaufleute und Fabrikanten, Landtagsdebatten und Presseartikel die Bundesversammlung unter Druck gesetzt hatte. Letztlich besaß diese aber doch zu wenig Gewicht, um den Deutschen Bund zum Handeln zu zwingen. Nachdem Hendrich seinen Antrag am 22. Juli 1819 eingebracht hatte, wurde zwar eine Bundestagskommission zur Begutachtung der Angelegenheit gebildet, die nach der Sommerpause ihre Arbeit aufnehmen sollte. Auf Anregung des badischen Außenministers von Berstett wurde die Debatte über die Zoll- und Handelsfragen während der Karlsbader Konferenzen sogar auf die Ministerialebene verlagert und sollte auf den im November 1819 in Wien beginnenden Ministerialkonferenzen über die weitere Ausgestaltung der Deutschen Bundesakte behandelt werden. Hier traten dann aber rasch all jene Probleme wieder hervor, die bundeseinheitlichen Regelungen bisher entgegengestanden hatten.30 Auch die Audienzen, die Kaiser Franz I. und Außenminister Metternich Anfang Januar 1820 dem als Beobachter angereisten Friedrich List gewährten, konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass von der Präsidialmacht des Deutschen Bundes wenig Unterstützung für den Wunsch nach einer einheitlichen deutschen Zollpolitik zu erwarten war. Eine offizielle Anerkennung wurde dem von List geführten »Deutschen Handels- und Gewerbsverein« auch jetzt verweigert. Metternichs Berater Adam Müller hielt den Verein für eine »höchst bedenkliche Konföderation«, bezeichnete List als »gefährlichen Demagogen« und sah in der Errichtung eines gesamtdeutschen Zollsystems eine die Ordnung von 1815 gefährdende »Revolution«.31 Die österreichische Ablehnung eines Bundeszollsystems hing aber vor allem mit den spezifischen wirtschaftlichen, fiskalischen und administrativen Interessen der Habsburgermonarchie zusammen. Ein Bundeszollsystem hätte die durch relativ hohe Zölle geschützte österreichische Wirtschaft neuen Konkurrenzbedingungen ausgesetzt, sich negativ auf die Staatseinnahmen auswirken können und dem Handel zwischen den zum Bund gehörenden Gebieten und den übrigen Teilen der Habsburgermonarchie neue Abgaben auferlegt. Die Präsidialmacht besaß somit schon angesichts ihrer besonderen Strukturen zunächst einmal wenig Gestaltungsspielraum in der Handelspolitik des Deutschen Bundes.32 29 Gesandtschaftsbericht von Hendrich, 29. Juni 1819, Thüringisches Staatsarchiv Gotha, Geheime Kanzlei I, A. XI. 4.5. 30 Ausführlich zu diesen Bemühungen Wilfried von Eisenhart Rothe/Anton Ritthaler (Bearb.): Vorgeschichte und Begründung des Deutschen Zollvereins 1815–1834. Akten der Staaten des Deutschen Bundes und der europäischen Mächte. Eingeleitet v. Hermann Oncken, Bd. 1, Berlin 1934, S. 306 ff. (= Veröffentlichungen der Friedrich-List-Gesellschaft, Bd. 8). 31 Zitiert nach Gustav Otruba: Der Deutsche Zollverein und Österreich, in: Österreich in Geschichte und Literatur 15 (1971), S. 121–134, hier S. 123. 32 Hans-Werner Hahn: Mitteleuropäische oder kleindeutsche Wirtschaftsordnung in der Epoche des Deutschen Bundes, in: Helmut Rumpler (Hg.): Europäische Ordnung, deutsche Politik und gesellschaftlicher Wandel 1815–1866. Beiträge zur Erforschung des Deutschen Bundes,

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Aber auch die andere Großmacht im Deutschen Bund ergriff um 1820 noch keine großen eigenen Initiativen. Preußen musste sich zunächst einmal gegen heftige Vorwürfe wehren, die kleinere Nachbarstaaten wie die Herzogtümer Anhalt-Köthen und Nassau, aber auch große Teile der öffentlichen Meinung wegen des 1818 eingeführten Zollgesetzes erhoben.33 Der nassauische Minister von Marschall versuchte das preußische Zollsystem vom Standpunkt des Bundesrechts anzugreifen, indem er allen seit 1814 innerhalb des Bundes gegen andere Gliedstaaten errichteten Zollschranken die Existenzberechtigung absprach. Dem wurde freilich nicht nur von preußischer Seite entgegengehalten, dass »die Grundsätze des alten deutschen Staatsrechts über Zölle« nicht mehr fortbestünden und man nicht zwischen älteren österreichischen und jüngeren preußischen Zöllen unterscheiden könne.34 Preußen bot im Laufe der Verhandlungen lediglich an, in bestimmten Fällen bilaterale Abkommen zu treffen, »welche den Zweck haben, die inneren Scheidewände mehr und mehr fallen zu lassen«.35 Damit deutete sich zwar die künftige Richtung der deutschen Zollpolitik bereits an, ein großangelegtes Aktionsprogramm zur Gründung eines von Berlin geführten Zollvereins deutscher Staaten war dies jedoch noch nicht.36 Auf der anderen Seite kam man aber auch über den Deutschen Bund nicht weiter, auch wenn die Zollfragen in Wien nochmals an die Bundesversammlung zurückverwiesen wurden. Schon während der Wiener Verhandlungen zeichnete sich ab, dass Fortschritte in den deutschen Zoll- und Handelsfragen nur über regionale Lösungen zu erreichen waren. Friedrich List hatte schon im Juli 1819 den württembergischen König aufgefordert, bei einer anhaltenden Verweigerung der beiden Vormächte des Deutschen Bundes eine Zolleinigung des sogenannten Dritten Deutschlands anzustreben. Diese Triasidee rückte Anfang der zwanziger Jahre angesichts der Aussichtslosigkeit einer gemeinsamen Bundespolitik ins Zentrum der zollpolitischen Debatten.37 Am 19. Mai 1820 einigten sich die süddeutschen Staaten und thüringische Kleinstaaten auf eine Wiener Punktation, in der man sich zur Aufnahme von Verhandlungen über eine gemeinsame Zollunion verpflichtete. Diese begannen im September 1820 in Darmstadt, ließen aber bald ähnliche wirtschaftliche, fisWien 1990, S.  186–214, hier S.  189 f. (= Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit, Bd. 16/17). 33 Vgl. hierzu Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte (wie Anm. 15), Bd. 1, S. 802 ff. 34 Hans-Werner Hahn: Wirtschaftliche Integration im 19. Jahrhundert. Die hessischen Staaten und der Deutsche Zollverein, Göttingen 1982, S. 59 f. 35 Rothe/Ritthaler (Bearb.), Vorgeschichte (wie Anm. 30), Bd. 1, Dok. 165, S. 356. 36 Hierzu zuletzt Thomas Stamm-Kuhlmann: Preußen und die Gründung des Deutschen Zollvereins. Handlungsmotive und Alternativen, in: Hans-Werner Hahn/Marko Kreutzmann (Hg.): Der Deutsche Zollverein. Ökonomie und Nation im 19. Jahrhundert, Köln/Weimar/ Wien 2012, S. 33–49. 37 Ausführlich hierzu Peter Burg: Die deutsche Trias in Idee und Wirklichkeit. Vom Alten Reich zum Deutschen Zollverein, Stuttgart 1989 (= Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz, Abt. Universalgeschichte, Bd. 136).



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kalische und politische Interessengegensätze hervortreten wie die Verhandlungen in der Bundesversammlung und wurden nach drei Jahren erst einmal unterbrochen. Auch als die süddeutschen Staaten 1825 die Verhandlungen in Stuttgart wieder aufnahmen, blieb ein großer Durchbruch aus. Ohne konkrete Ergebnisse endeten auch Verständigungsversuche zwischen den thüringischen Staaten, die am 23. Dezember 1822 im Vertrag von Arnstadt gemeinsame handelspolitische Regelungen ins Auge gefasst hatten.38 Trotz dieser Fehlschläge waren die zollpolitischen Einigungsversuche deutscher Mittel- und Kleinstaaten durchaus eine wichtige Etappe auf dem Weg zu künftigen Lösungen. Zum einen förderten sie den Zollunionsgedanken, bereiteten Formen künftiger zwischenstaatlicher Kooperation vor und bekräftigten die Notwendigkeit föderativer Lösungen.39 Zum anderen brachten sie Anfang 1828 mit dem zwischen den Königreichen Bayern und Württemberg vereinbarten Zollunionsvertrag doch noch einen ersten konkreten Fortschritt, der schnell weitere handelspolitische Verbindungen zwischen einzelnen Bundesstaaten nach sich ziehen sollte.40 Obwohl in den Verhandlungen zwischen den Mittel- und Kleinstaaten der Artikel 19 der Bundesakte immer wieder angesprochen wurde, spielte der Deutsche Bund bei all diesen Versuchen im Grunde keine Rolle, zumal die beiden Vormächte aus unterschiedlichen Gründen wenig Interesse an einem Erfolg dieser Bemühungen hatten. In Österreich betrachtete Metternich die Triaspolitik mit großer Skepsis, weil süddeutsche Politiker in ihr ein liberales Gegengewicht gegen die seit den Karlsbader Beschlüssen betriebene Bundespolitik sahen. Preußen dagegen ging in der Zollpolitik ganz eigene Wege, die auf eine schrittweise Erweiterung des eigenen Zollgebietes durch den Anschluss oder Beitritt benachbarter Staaten hinausliefen. Schon im Juli 1821 hatte ein Textilfabrikant aus Langensalza an den preußischen Regierungsdirektor Goebel in Erfurt geschrieben: »Möchte doch Preußen […] eine Art Hegemonie übernehmen und hierdurch auch das, was aller Nachteil ist, zum Vorteil aller werden. Preußen allein wird und kann der Mittelpunkt der deutschen Nation werden, die außer Preußen in kleine Interessen und in kleine entgegenstehende Konföderationen zersplittert ist.«41

38 Hans Patze: Die Zollpolitik der thüringischen Staaten von 1815–1833, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 40 (1953), S. 28–58. 39 Zur Bedeutung der Darmstädter und Stuttgarter Verhandlungen vgl. Arnold H. Price: The Evolution of the Zollverein. A Study of the Ideas und Institutions Leading to German Economic Unification, Ann Arbor 1949, S. 63 ff. 40 Hierzu zuletzt Ruth Kappel: Bemühungen des Königreichs Württemberg um eine deutsche Zolleinigung nach 1815, phil. Diss. Tübingen 1991, S. 316 ff. 41 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin, I. HA, Rep. 92: Nachlass Hardenberg K 37.

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IV. Die preußische Zollvereinspolitik Nachdem sich die Ausweitung des preußischen Zollsystems zunächst noch auf einige mitteldeutsche Enklaven beschränkt hatte, ging die Berliner Politik unter dem 1825 zum Finanzminister berufenen Friedrich von Motz zunehmend in die Offensive. Sie verstärkte den Druck auf kleinere, im preußischen Umfeld gelegene Staaten und zwang zwischen 1826 und 1828 die drei anhaltinischen Herzogtümer dazu, sich dem preußischen Zollsystem anzuschließen.42 Vor allem gelang es dem geschickt operierenden Motz im Februar 1828, das von wirtschaftlicher Not und zerrütteten Staatsfinanzen bedrängte Großherzogtum Hessen zum Eintritt in das preußische Zollsystem zu bewegen. Preußen trug hierbei dem Souveränitätsbedürfnis des gerade noch zu den Mittelstaaten zählenden Großherzogtums Rechnung, behandelte das viel kleinere Land als nahezu gleichberechtigten Partner in einer gemeinsamen Zollunion und hoffte auf diese Weise, andere Mittelstaaten zu ähnlichen Verträgen zu bewegen. Obwohl sich der neue Vertrag für das Großherzogtum Hessen vor allem in finanzieller Hinsicht rasch auszahlte, formierte sich im Deutschen Bund erst einmal eine breite Abwehrfront gegen Preußens zollpolitischen Sprung über die Maingrenze.43 Metternich nannte den Schritt der Darmstädter Regierung, die bislang eher an der Seite Österreichs gestanden hatte, einen »tadelnswerten Leichtsinn«. Dem hielt der Darmstädter Ministerpräsident freilich entgegen, dass seine Regierung sich stets dafür eingesetzt habe, den Artikel 19 der Deutschen Bundesakte mit Leben zu erfüllen, die Untätigkeit des Deutschen Bundes aber seine Regierung dazu zwinge, andere Wege zur Bewältigung der wirtschaftlichen und finanziellen Probleme einzuschlagen.44 Aus Sorge vor einem weiteren Ausgreifen des preußischen Zollsystems ergriff Metternich zwar keine neue bundespolitische Initiative, aber Österreich unterstützte in den folgenden Wochen die Entstehung einer handelspolitischen Allianz mittel- und norddeutscher Staaten. Diese schlossen sich unter Führung der Königreiche Sachsen und Hannover am 24. September 1828 in Kassel zum »Mitteldeutschen Handelsverein« zusammen.45 Wie sehr die am Handelsverein beteiligten Staaten noch immer auf Initiativen des Deutschen Bundes hofften, kam in einem ersten Deklarationsentwurf zum Ausdruck, nach dem man mit dem Zusammenschluss und den vereinbarten tarifpolitischen Vereinbarungen letztlich der im Artikel 19 der Bundesakte enthaltenen Absichtserklärung Folge leisten wolle und sich deshalb gegenseitig »der hierunter zu wünschenden Freiheiten und Begünstigungen« versichere.46 42 Zu Motz und seiner Politik ausführlich Hermann von Petersdorff: Friedrich von Motz. Eine Biographie, Bd. 2, Berlin 1913. 43 Zum Vertrag und seinen Folgen Hahn, Wirtschaftliche Integration (wie Anm. 34), S. 75 ff. 44 Ebd. S. 89. 45 Hierzu zuletzt Oliver Werner: Konfrontation und Kooperation. Der Mitteldeutsche Handelsverein im Gründungsprozess des Deutschen Zollvereins 1828 bis 1834, in: Hahn/Kreutzmann (Hg.), Der Deutsche Zollverein (wie Anm. 36), S. 75–96. 46 Rothe/Ritthaler (Bearb.), Vorgeschichte (wie Anm. 30), Bd. 2, Nr. 414, S. 422.



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Dies konnte freilich kaum darüber hinwegtäuschen, dass man von einer Umsetzung des Artikels 19 der Bundesakte am Ende des Jahres 1828 weiter entfernt war als je zuvor. Mit dem preußisch-hessischen, dem bayerisch-württembergischen und dem »Mitteldeutschen Handelsverein« gab es innerhalb des Deutschen Bundes drei handelspolitische Allianzen, die eine Ausweitung der jeweils anderen aufhalten wollten. Viele Bundesstaaten, allen voran die Präsidialmacht Österreich gehörten keiner dieser Vereinigungen an, und durch neue Initiativen des preußischen Finanzministers drohte der Deutsche Bund handelspolitisch noch weiter ins Abseits zu geraten. Friedrich von Motz hatte in seinem Vorgehen gegen die von Preußen fast ganz eingeschlossenen anhaltinischen Kleinstaaten wenig Rücksicht auf deren vom Bundesrecht gestützte Stellung genommen. Zur Schutzfunktion des Bundes gegenüber dem kleinen Gliedstaaten selbst äußerte er sich in einem Briefentwurf für König Friedrich Wilhelm III. außerordentlich kritisch: »Sollte der Bund die aus einer übel verstandenen Souveränität hergeleiteten Anmaßungen kleinerer Staaten gegen mächtigere nicht in die gehörigen Schranken zurückweisen, so würde für diese das Bundesverhältnis bald unerträglich werden und der Bund […] allerdings in Gefahr schweben.«47

Nachdem es Motz im Mai 1829 gelungen war, zwischen dem preußisch-hessischen und dem bayerisch-württembergischen Zollverein einen umfassenden, die spätere Zolleinigung vorbereitenden Handelsvertrag abzuschließen, bekräftigte er in einem ausführlichen Memoire vom Juni 1829 eine gegen den bestehenden Deutschen Bund gerichtete Strategie. Der Handelsvertrag war für Preußen nicht nur kommerziell und finanziell von größter Bedeutung, sondern auch in politischer und militärischer Hinsicht für die beteiligten Staaten wie für »ganz Deutschland von unberechenbarer Wichtigkeit«. Motz vertrat die Ansicht, dass ein aus dem Handelsvertrag hervorgehender Zollverein langfristig auch zu einer politischen Einigung führen könne, ja müsse: »Je natürlicher jene Verbindung zu einem kommerziellen Zoll- und Handelssystem ist [...], desto inniger und fester wird auch die Verbindung zu einem politischen System sein. Denn es erscheint ganz unnatürlich, dass solche Staaten in der Politik divergierende Ansichten hegen und verfolgen sollten, deren Völker zu einem Kommerzialsystem gebunden sind und in diesem System sich wohlbefinden.«

Der preußische Finanzminister entwickelte in diesem Zusammenhang sogar die Vision, dass sich der Deutsche Bund infolge einer großen europäischen Krise auflösen und unter preußischer Führung »ein real verbündetes, von innen und von außen wahrhaft freies Deutschland erstehen« könnte.48 Auch wenn all dies in letzter Konsequenz noch nicht von der gesamten preußischen Staatsführung geteilt wurde, so stellten die Planspiele von Motz für 47 Zitiert nach Stamm-Kuhlmann, Preußen (wie Anm. 36), S. 45. 48 Rothe/Ritthaler (Bearb.), Vorgeschichte (wie Anm. 30), Bd. 3, Nr. 775, S. 534 u. 541.

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den Deutschen Bund doch eine ernste Herausforderung dar. Preußen griff mit den handelspolitischen Fragen nicht nur einen vernachlässigten, aber sehr öffentlichkeitswirksamen Bereich auf, sondern verknüpfte diesen im Hinblick auf die süddeutschen Staaten mit eigenen sicherheits- und militärstrategischen Motiven und beschritt damit auch auf dem zentralen Feld der Bundespolitik eigene Wege.49 Nach Ausbruch der französischen Julirevolution und den im Herbst 1830 auch in mehreren deutschen Staaten auftretenden Unruhen verstärkte sich der von Preußens Handelspolitik ausgehende Druck auf den Deutschen Bund. Motz war zwar schon im Juni 1830 verstorben, sein Nachfolger Karl Georg Maaßen und der Außenminister von Bernstorff setzten aber dessen Politik fort und nutzten die Chancen, die sich aus den im Gefolge der Julirevolution entstandenen politischen Verunsicherungen und Veränderungen ergaben. Im Süden des Kurfürstentums Hessen war es im September 1830 zur massiven Zerstörung von Zolleinrichtungen gekommen, und auch in der öffentlichen Meinung – in neu entstandenen Presseorganen und in den Landtagen der Verfassungsstaaten – setzte eine heftige Kritik an den zollpolitischen Zuständen Deutschlands ein.50 Preußen nutzte diese Situation und schloss 1831 weitere Enklaven seinem Zollsystem an. Zugleich erreichte Berlin, dass das Kurfürstentum Hessen im August 1831 dem 1828 entstandenen preußisch-hessischen Zollverein beitrat und dabei wie zuvor das Großherzogtum Hessen als gleichberechtigter Gliedstaat behandelt wurde. Preußen hatte damit nicht nur die seit längerem angestrebte zollpolitische Verbindung zwischen seinen östlichen und westlichen Provinzen erreicht, sondern zugleich den Lebensnerv des »Mitteldeutschen Handelsvereins« getroffen. Durch den Austritt Kurhessens gab es zwischen den nördlichen und südlichen Vereinsstaaten keine direkte Verbindung mehr. Zudem hatten sich schon in den Monaten zuvor im Verein gewisse Erosionserscheinungen bemerkbar gemacht, und es stand nun zu befürchten, dass weitere Staaten des mitteldeutschen Vereins sich Preußen annäherten. Da man sich in den Verträgen des mitteldeutschen Vereins erst einmal nur darauf verständigt hatte, auf weitere Zollerhöhungen zu verzichten und konkrete Erleichterungen für die Wirtschaft ausgeblieben waren, erschien der Verein gerade den kleinen Partnerstaaten auf Dauer nur wenig attraktiv, zumal Preußen gerade gegenüber den thüringischen Kleinstaaten mit finanziellen und handelspolitischen Vergünstigungen warb.51 Der fortschreitende Verfall des Mitteldeutschen Handelsvereins sollte schließlich den Weg zu den Beitrittsverträgen des Jahres 1833 ebnen, mit denen sich Bayern, Württemberg, Sachsen und die thüringischen Staaten dem preußisch geführten Zollverein anschlossen, wodurch dieser nun bereits mehr als die Hälfte 49 Vgl. hierzu David T. Murphy: Prussians Aims for the Zollverein 1828–1833, in: The Historian 53/2 (1991), S. 285–302. 50 Zu den Folgen der Julirevolution für die Entwicklung des Zollvereins vgl. Hahn, Geschichte des Deutschen Zollvereins (wie Anm. 23), S. 58 ff. 51 Ausführlich hierzu Werner, Der Mitteldeutsche Handelsverein (wie Anm. 45), S. 88 ff.



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der deutschen Bundesstaaten umfasste. Bevor es dazu kam, sorgte das Königreich Hannover jedoch dafür, dass die handelspolitischen Fragen auch auf der Ebene des Deutschen Bundes nochmals intensiv diskutiert wurden. Im August 1832 brachte der hannoversche Bundestagsgesandte von Stralenheim zwei Anträge ein, in denen die Bundesstaaten aufgefordert wurden, den Transithandel und den Aktivhandel zwischen den deutschen Staaten zu erleichtern. Hannover ging es dabei vor allem darum, ein Maximum für Transitzölle zu erreichen. Man berief sich dabei darauf, dass schon im Alten Reich der zwischenstaatliche Handel nicht willkürlich mit Zollabgaben belegt werden konnte, und forderte, dass die Bundesversammlung »der einzig richtige Mittelpunkt« und »das wahre Organ« zur Regelung dieser Angelegenheiten sein müsse.52 Hintergrund der Anträge war der am 1. Januar 1832 in Kraft getretene Zollvereinsbeitritt des Kurfürstentums Hessen. Auf den für viele Nachbarstaaten wichtigen kurhessischen Handelsstraßen wurden nun die preußischen Transitzölle erhoben. Sie waren höher als die bisher vom Kurfürstentum erhobenen Abgaben und widersprachen damit Verpflichtungen, die das Kurfürstentum Hessen als Mitglied des »Mitteldeutschen Handelsvereins« über 1832 hinaus eingegangen war.53 Obwohl die Anträge Hannovers von anderen Bundesstaaten, allen voran Österreich und die Hansestädte, unterstützt wurden, misslang der Versuch, den Deutschen Bund handelspolitisch noch einmal ins Spiel zu bringen. Preußen erklärte im Oktober 1832 vor der Bundesversammlung, dass die handelspolitischen Fragen viel zu kompliziert seien, um sie auf Bundesebene zu regeln und verwies auf die durch Zollvereine und Handelsverträge erreichten Fortschritte. Zudem könne man über die Herstellung eines freien Handelsverkehrs in Deutschland nur verhandeln, wenn alle Zölle und nicht nur die Transitzölle einbezogen würden. Dies wolle aber selbst Hannover offenbar nicht, so dass »die wesentliche Erfüllung des Artikels 19 der Bundesacte« nur auf dem Weg über Separatverträge angegangen werden könne.54 Die Regierungen der beiden hessischen Staaten, die mit Preußen Zollvereinsverträge abgeschlossen hatten, wollten in der Bundesversammlung zwar vor allem die Präsidialmacht Österreich nicht brüskieren, blieben aber in der Sache auf der Seite Preußens. Der Darmstädter Ministerpräsident du Thil rechtfertigte diese Haltung mit der Bemerkung: »so sehr ihm die vollständige Erfüllung des Artikels 19 der Bundesacte von jeher am Herzen gelegen« habe, so wenig könne er in dem Vorgehen Hannovers das Mittel erkennen, das »den gemeinsamen Interessen der deutschen Bundesstaaten« entspreche.55

52 QGDB, Abt. II: Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes 1830–1848, Bd. 1: Reformpläne und Repressionspolitik 1830–1834, bearb. v. Ralf Zerback, München 2003, Dok. 15, S. 91– 97, Zitat S. 92. 53 Vgl. Hahn, Wirtschaftliche Integration (wie Anm. 34), S. 107 ff. 54 QGDB, Abt. II, Bd. 1 (wie Anm. 52), Dok. 16, S. 103. 55 Erlass du Thils an den großherzoglich hessischen Bundestagsgesandten vom 13. Juli 1833, Hessisches Staatsarchiv Darmstadt, Abt. G 2 Bundestagsgesandtschaft, Konv. 39, Fasz. 5.

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Am Ende kamen Preußen und Kurhessen dem Antrag von Hannover zwar insofern entgegen, als sie unter dem Druck eines von Österreich unterstützten Austrägalverfahrens die kurhessischen Transitzölle auf den alten Stand reduzierten. Die 1833 beendeten Debatten über die Anträge Hannovers konnten aber nicht verhindern, dass im Laufe des Jahres 1833 weitere deutsche Staaten in den von Preußen geführten Zollverein eintraten. Dies lag nicht zuletzt an den sehr begrenzten Handlungsspielräumen, die sich für die Präsidialmacht in den handelspolitischen Fragen ergaben. Obwohl Metternich das Ausgreifen des preußischen Zollsystems mit großen Sorgen betrachtete, den Kaiser schon 1831 auf die zu erwartenden bundespolitischen Nachteile aufmerksam gemacht hatte und auch Veränderungen der österreichischen Zollpolitik anmahnte56, konnte er am Ende aus mehreren Gründen wenig bewirken. Zum einen hemmten ihn die aus der Administration und der Wirtschaft Österreichs kommenden Widerstände. Der badische Bundestagsgesandte von Blittersdorff schrieb im April 1833, dass Österreich zur Sicherung seines politischen Einflusses den zollpolitischen Einigungsversuchen nicht fernbleiben dürfe, im österreichischen Verwaltungssystem aber so viele Schwierigkeiten lägen, »daß zu bezweifeln steht, ob die Politik in Österreich so weit reiche, um die innere Administration zu einer gänzlichen Umgestaltung in einem so wichtigen Zweige zu nöthigen«.57 Zum anderen musste Metternich Anfang der 1830er Jahre einen offenen Bruch mit Preußen vermeiden, weil er angesichts der politischen Lage in Europa und im Deutschen Bund in vielen Fragen auf die Unterstützung Berlins angewiesen war. Zudem wurde das preußische Staatsministerium seit 1832 wieder von konservativeren Männern dominiert, die der Bundes- und Zollvereinspolitik des verstorbenen Finanzministers Motz und des ausgeschiedenen Außenministers Bernstorff skeptisch gegenüberstanden und ganz auf die Solidarität der konservativen Ostmächte Russland, Österreich und Preußen setzten. Dennoch wies der österreichische Staatskanzler auch in dieser Phase seinen Kaiser noch einmal eindringlich auf mögliche Folgen für die deutsche Politik hin. In einem ausführlichen Vortrag bezeichnete er Mitte 1833 den entstehenden großen Zollverein als eine für den Deutschen Bund, vor allem aber für Österreich »höchst nachteilige, unheildrohende Erscheinung«. Dabei maß er den kommerziellen Nachteilen eher eine untergeordnete Bedeutung bei. Weit bedenklicher erschienen ihm die politischen Rückwirkungen. Obwohl der Zollverein in seiner Verfassung den föderativen Prinzipien des Deutschen Bundes durchaus ähnelte, sah Metternich die in der Bundesakte bekräftigte Rechtsgleichheit der Gliedstaaten im Zollverein nicht gewährleistet, weil sich die beitretenden Staaten faktisch in ein Klientelverhältnis zu Preußen begeben und einen speziellen Teil ihrer

56 Vgl. hierzu jetzt in kritischer Absetzung von den negativen Urteilen der älteren Forschung über Metternichs Wirtschaftspolitik Wolfram Siemann: Metternich. Stratege und Visionär. Eine Biographie, München 2016, S. 786 ff. 57 QGDB, Abt. II, Bd. 1 (wie Anm. 52), Dok. 19, S. 123.



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Staatshoheit aufgegeben hätten. Für die Bundespolitik prognostizierte Metternich daher: »In dem großen Bundesverein entsteht ein kleinerer Nebenbund, in dem vollsten Sinne des Wortes ein status in statu, welcher nur zu bald sich daran gewöhnen wird, seine Zwecke mit seinen Mitteln in erster Linie zu verfolgen und die Bundeszwecke und Bundesmittel nur in zweiter Linie zu berücksichtigen. Nach und nach werden die Vereinsstaaten unter der tätigen preußischen Leitung und bei den sich notwendig bildenden gemeinschaftlichen Interessen in einen mehr oder weniger kompakten Körper zusammenfließen.«58

Gewiss unterstellte Metternich den Höfen und Regierungen jener Staaten, die den Zollverein mit Preußen eingegangen waren, noch keine vollständige politische Unterwerfung unter das Diktat Berlins. Er brachte sogar ein gewisses Verständnis für die Beitrittsentscheidung auf, indem er darauf verwies, dass es ja letztlich wohl finanzielle Erwägungen gewesen seien, die gerade den kleinen, »in ihrem Finanzwesen zerrütteten und von ihren Kammern bedauernswert abhängigen Regierungen« die Verträge mit Preußen schmackhaft gemacht hätten.59 Dennoch sorgte er sich aufgrund der »Lehren der Geschichte und der Staatsklugheit« darum, ob nicht zumindest langfristig die Beziehungen zwischen Österreich und den im Zollverein zusammengeschlossenen deutschen Staaten doch »erschlaffen und schließlich ganz abreißen« könnten.60 Diese Sorgen wurden nicht nur durch die Überlegung gestärkt, dass die kleineren Partnerstaaten durch die wirtschaftlichen und finanziellen Abhängigkeiten immer mehr ins politische Schlepptau Preußens geraten würden. Metternich thematisierte frühzeitig auch die Folgen der täglichen Verwaltungsarbeit im Zollverein. Dieser besaß zwar keine eigene Beamtenschaft, seine Arbeitsweise setzte aber einen engen und ständigen Austausch zwischen den höheren Beamten der Gliedstaaten voraus und ließ bei diesen schon nach wenigen Jahren ein gewisses Gemeinschaftsgefühl entstehen.61 Solche Bindungen wertete Metternich als ein dauerhaft wirkendes Element preußischer Hegemonialpolitik. Dem Münchener Gesandten Colloredo gab Metternich 1837 bezeichnenderweise die Frage mit: »Wie erträgt Bayern die Kontrolle der heimischen Mauten durch fremde Beamte?«62 Allerdings sah Metternich zu diesem Zeitpunkt die vom Zollverein ausgehenden Gefahren etwas gelassener als noch 1833 und meinte, dass aus der Zollver58 Richard von Metternich-Winneburg (Hg.): Aus Metternichs nachgelassenen Papieren, T. 2, Bd. 3, Wien 1882, S. 509. 59 Ebd., S. 505. 60 Ebd., S. 512. 61 Hierzu ausführlich Marko Kreutzmann: Die höheren Beamten des Deutschen Zollvereins. Eine bürokratische Funktionselite zwischen einzelstaatlichen Interessen und zwischenstaatlicher Integration (1834–1871), Göttingen 2012 (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 86). 62 Anton Chroust (Bearb.): Gesandtschaftsberichte aus München 1814–1848, Abt. II: Die Berichte der österreichischen Gesandten, Bd. 2, München 1941, Dok. 851, S. 662.

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einsmitgliedschaft der mittleren und kleinen Bundesstaaten noch keine unmittelbare Mediatisierungsgefahr entstehe. Zudem erkannte er an, dass die Existenz des Zollvereins zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung im Deutschen Bund beitrug. Der Abbau der Zollschranken verminderte das 1830 stark hervorgetretene Protestpotential. Die finanziellen Gewinne, die vor allem die Verfassungsstaaten des Südens nach 1834 verzeichneten, schwächten das politische Gewicht der Landtage, weil die Regierungen direkte Steuern senken konnten.63 Und die Aufhebung vieler Zollschranken, die durch die Zollvereinsbeitritte von Baden, Nassau und Frankfurt nach 1834 noch weitergegangen war, verminderte zumindest in weiten Teilen Deutschlands die Kritik an den handelspolitischen Versäumnissen des Deutschen Bundes. Ein preußischer Diplomat schrieb um 1840 deshalb, dass der Zollvereinsidee die Absicht zugrunde gelegen habe, »den subversiven politischen Bestrebungen und ihren chimärischen Theorien dadurch den Boden zu entziehen, dass man einerseits den vorwaltenden Interessen eine solidere Richtung, andererseits dem Nationalgefühl und der National-Einheit ein reales und zugleich edleres Substrat« dargeboten hätte.64 Dennoch wurde der Zollverein keineswegs zu einem Stabilitätsfaktor für den Deutschen Bund. Im Gegenteil, in der öffentlichen Meinung Deutschlands mehrten sich nach 1834 die Stimmen, die die nationale Bedeutung des Zollvereins höher einschätzten als die des Deutschen Bundes. Wirtschaftliche Fragen wurden seit den 1830er Jahren zu einem immer wichtigeren Faktor der inneren Nationsbildung.65 Dabei bot gerade der Zollverein im Vergleich zu eher amorphen Projektionsflächen wie der gemeinsamen Sprache und Kultur ein klar abgrenzbares Substrat für nationale Identitätsentwürfe. Dies zeigte sich schon an dem rasch in den allgemeinen Sprachgebrauch übergehenden Namen »Deutscher Zollverein«, der in den ursprünglichen Vertragstexten gar nicht vorkam.66 Während der Deutsche Bund am Ende der 1830er Jahre in der öffentlichen Meinung vor allem als Hort der Repression erschien, sahen viele im Zollverein ungeachtet mancher Kritik an seinen Tarifen nicht nur einen wichtigen Faktor der wirtschaftlichen Integration Deutschlands, sondern werteten ihn oft auch schon als Schritt zu mehr politischer Einheit. Der zeitweise im französischen Exil lebende Demokrat Jakob Venedey bezeichnete den Zollverein 1839 als »die größte Neuerung unserer

63 Vgl. Hierzu Hans-Werner Hahn: Der Deutsche Zollverein und die nationale Verfassungsfrage, in: Hahn/Kreutzmann (Hg.), Der Deutsche Zollverein (wie Anm. 36), S. 153 ff. 64 Anton Chroust (Bearb.): Gesandtschaftsberichte aus München 1814–1848, Abt. III: Die Berichte der preußischen Gesandten, Bd. 3, München 1949, Dok. 709, S. 160. 65 Vgl. hierzu vor allem Andreas Etges: Wirtschaftsnationalismus. USA und Deutschland im Vergleich 1815–1914, Frankfurt am Main 1999; Abigail Green: Fatherlands. State Building and Nationhood in Nineteenth-Century Germany, Cambridge 2001, S.  223–229; Harold James: Deutsche Identität 1770–1990, Frankfurt am Main 1991, S. 75 ff. 66 Hans-Werner Hahn/Marko Kreutzmann: Der Deutsche Zollverein in der Geschichte des 19. Jahrhunderts. Neue Perspektiven der Forschung, in: Hahn/Kreutzmann (Hg.), Der Deutsche Zollverein (wie Anm. 36), S. 21.



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Zeit«, die ungeachtet ganz anderer Absichten der Regierungen »nothwendig die Idee einer deutschen Einheit verbreiten helfen« werde.67 Ein Jahr später brachte der Dichter Hoffmann von Fallersleben in seinem Gedicht »Der deutsche Zollverein« anschaulich dessen nationsbildende Kraft zum Ausdruck, indem er viele der nun frei zirkulierenden deutschen Produkte anführte und daraus schloss: »Und ihr andern deutschen Sachen, Tausend Dank sei euch gebracht! Was kein Geist je konnte machen, Ei, das habet ihr gemacht: Denn ihr habt ein Band gewunden Um das deutsche Vaterland, Und die Herzen hat verbunden Mehr als unser Bund dies Band.«68

Selbst ein Regierungsvertreter wie der hessen-darmstädtische Ministerpräsident du Thil, ein eifriger Befürworter der Repressionspolitik des Deutschen Bundes, rückte in einem Schreiben an den preußischen Außenminister den Zollverein in nationaler Hinsicht in ein deutlich positiveres Licht als den Bund: »Durch den Zollverein ist Deutschland gleichsam eine Nation geworden, weit mehr als durch die Bundesacte. Diese stiftete einen Fürstenbund, der sich seit seinem Bestehen, mit dem materiellen und intellectuellen Wohle des Volkes, wofür er den Regierungen die Sorge überließ, vielleicht noch weniger beschäftigte, als sein Organismus es gestattet haben würde. Die Nation in ihren ursprünglichen, größtentheils auf Unkenntniß der Verhältnisse beruhenden, Erwartungen getäuscht, erkaltete daher immer mehr und mehr für ihn, während sie in dem Zollverein, überall wo er Wurzel faßte, einen Bund, sowohl der Völkerschaften als der Regierungen, begrüßte, der ihr ein National-Gefühl, ein, selbst den Massen einleuchtendes, National-Interesse gab, und sie jene Zerrissenheit der Gebiete vergessen ließ, welcher Deutschland sehr viel verdankt, die aber, dem Auslande gegenüber, ein Nachtheil ist.«69

Vier Jahre später schrieb der Braunschweiger Liberale Karl Steinacker: »Der Zollverein ist nun einmal vorzugsweise die Idee der deutschen Einheit geworden, und in seiner Mitte wird sie sich mit immer größerer Kraft entwickeln. Man wird sich immer mehr daran gewöhnen, namentlich im Auslande, unter Deutschland hauptsächlich das Zollverbündete zu sehen.«70 67 Jakob Venedey: Preußen und Preußenthum, Mannheim 1839, S. 218. 68 August Heinrich Hoffmann von Fallersleben: Ausgewählte Werke in vier Bänden, hg. v. Hans Benzmann, Bd. 2, Leipzig o. J., S. 91 f. 69 Schreiben du Thils an den preußischen Außenminister Heinrich Freiherr von Werther, Darmstadt, 12. März 1839, Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, III. HA, MdA – Ministerium des Äußeren II, Nr. 2559 (unfoliiert). 70 Karl Steinacker: Die politische und staatsrechtliche Entwickelung Deutschlands durch den Einfluß des Zollvereins, Braunschweig 1844, S. 36.

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Schon 1839 hatte der britische Parlamentsabgeordnete John Bowring festgestellt, dass der Zollverein das Nationalgefühl der Deutschen »aus dem Gebiete der Hoffnung und der Phantasie in das der positiven und materiellen Interessen versetzt« habe.71 In den vierziger Jahren wurde der Zollverein dann ein immer wichtigeres Thema des nationalen Diskurses. Dies zeigte sich in der politischen Lyrik ebenso wie in den Bildmedien, in der Presse und in einer zunehmenden Zahl von selbständigen Zollvereinspublikationen. Vor allem aber stand der Zollverein immer wieder im Zentrum von Landtagsdebatten, weil seine Tarifpolitik und die von ihm abgeschlossenen Handelsverträge im Unterschied zu den herkömmlichen außenpolitischen Fragen das Steuerbewilligungsrecht der Landtage berührten. Dabei wurden aber verstärkt auch die weitergehenden Aspekte wie die politischen Partizipationsrechte und die nationalen Einheitshoffnungen angesprochen. Viele liberale Abgeordnete hoben in diesem Zusammenhang hervor, dass die Einflussmöglichkeiten der Volksvertretungen auf die tarifpolitischen Regelungen des Zollvereins nicht zuletzt wegen der noch immer ausstehenden preußischen Verfassung unzureichend seien, während in Belgien, Frankreich oder Großbritannien die nationalen Parlamente ein wichtiger Faktor in diesen Entscheidungsprozessen seien.72 Als sich Vertreter des gemäßigten süddeutschen und rheinischen Liberalismus im Oktober 1847 in Heppenheim trafen, kam der Vorschlag auf, dass die Generalkonferenzen des Zollvereins durch ein von einzelstaatlichen Landtagen beschicktes Zollparlament ergänzt werden sollten. Die nationalpolitischen Hoffnungen auf den Zollverein kamen in dem Satz zum Ausdruck: »Das Ziel der Einigung Deutschlands zu einer deutschen Politik und gemeinsamen Leitung und Pflege nationaler Interessen werde wohl eher erreicht, wenn man die öffentliche Meinung für die Ausbildung des Zollvereins zu einem deutschen Vereine gewinne.«73

71 John Bowring, Bericht über den deutschen Zoll-Verband an Lord Viscount Palmerston, Ihrer großbritannischen Majestät Staatssecretair der auswärtigen Angelegenheiten, Berlin 1839, S. 2. Vgl. auch Markus Mößlang: »Side by Side with Sound Commercial Principles«. Deutscher Zollverein und deutsche Nation in der Wahrnehmung britischer Diplomaten, in: Hahn/ Kreutzmann (Hg.), Der Deutsche Zollverein (wie Anm. 36), S. 229–254. 72 Hahn, Der Deutsche Zollverein und die nationale Verfassungsfrage (wie Anm. 63), S. 153 ff. 73 Bericht über die Heppenheimer Tagung am 10. Oktober 1847, in: Hans Fenske (Hg.): Vormärz und Revolution 1840–1849, Darmstadt 1979, S. 241 (= Quellen zum politischen Denken der Deutschen im 19. und 20. Jahrhundert, Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe, Bd. 4). Vgl. auch Kurt Düwell: David Hansemann als rheinpreußischer Liberaler in Heppenheim, in: Wolfgang Schieder (Hrsg.): Liberalismus in der Gesellschaft des deutschen Vormärz, Göttingen 1983, S. 295–311 (= Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft 9).



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V. Wirtschaftspolitische Initiativen des Deutschen Bundes in den 1840er Jahren Bei alldem sollte dennoch nicht übersehen werden, dass der Deutsche Bund auch in den handelspolitischen Debatten der 1840er Jahre durchaus noch eine wichtige Rolle spielte. Auch auf der Heppenheimer Versammlung warnten südwestdeutsche Liberale davor, alles Heil allein im Ausbau des Zollvereins zu suchen. Im November 1847 legte der preußische Bundestagsgesandte Joseph Maria von Radowitz einen umfassenden Reformplan vor, in dem zwar der »beklagenswerte Zustand des Bundes« kritisiert wurde, zugleich aber für die Handelspolitik »Bundesinstitutionen im großen Stile, fähig, die allgemeine Teilnahme Deutschlands zu fesseln und das nationale Gefühl mächtig zu ergreifen«, gefordert wurden.74 Es waren vor allem zwei handelspolitische Fragen, die in den 1840er Jahren die Aufmerksamkeit noch einmal auf den Deutschen Bund lenkten: die Ansätze einer nationalen Schifffahrtspolitik und die Debatten um Schutzzoll oder Freihandel. Die schweren wirtschaftlichen Struktur- und Konjunkturkrisen der 1840er Jahre, die damit verbundene Zunahme des Pauperismus und die zeitweise sehr großen Handelsbilanzdefizite der deutschen Staaten zeigten aus der Sicht von Regierungsvertretern wie aus der der bürgerlichen Oppositionsbewegung, dass die mit dem Zollverein erreichten Fortschritte noch nicht ausreichten, um wirtschaftliches Wachstum und Wohlstand angemessen zu fördern. Auch machtpolitische Motive spielten nach den Erfahrungen mit der Rheinkrise des Jahres 1840 und der wachsenden Machtstellung Großbritanniens auf den Weltmeeren beim Wunsch nach einer Erweiterung und Vertiefung der wirtschaftlichen Integration Deutschlands eine wichtige Rolle. Schon in den 1830er Jahren hatten Vertreter der Hansestädte Hamburg und Bremen Vorschläge für eine gemeinsame deutsche Schifffahrts- und Handelspolitik unterbreitet, um besser auf Repressalien auswärtiger Staaten reagieren zu können. Weil gerade die Hansestädte in ihren Handelsbeziehungen das Fehlen einer machtpolitischen Stütze spürten, warb der Bremer Bürgermeister und Bundestagsgesandte Johann Smidt im Jahr 1841 bei den Vormächten des Deutschen Bundes für eine gesamtdeutsche Handels- und Schifffahrtspolitik. Der Deutsche Bund sollte nach außen als Staat auftreten, Bundesvertretungen im Ausland einrichten und eine Zentralbehörde für die gemeinsame Handelspolitik seiner Gliedstaaten schaffen. Während Österreich sehr zurückhaltend reagierte, versuchte die preußische Regierung in den folgenden Jahren über ein »Schifffahrtsgesetz für den Zollverein« auch diese Angelegenheit außerhalb der Bundesinstitutionen voranzutreiben und in diesem Zusammenhang zugleich die Integration der norddeutschen Küstenstaaten in den Zollverein anzubahnen. Innerpreußische Meinungsverschiedenheiten, die Widerstände anderer Zollvereinsstaaten und die Haltung Großbritanniens verhinderten aber ein Zustandekommen dieses 74 Josef von Radowitz: Denkschrift über die vom deutschen Bunde zu ergreifenden Maßregeln, Berlin, den 20. November 1847, in: Fenske (Hg.), Vormärz (wie Anm. 73), S. 243 u. 247.

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Projekts. Da London signalisierte, dass man allgemeine handelspolitische Maßregeln deutscher Staaten nur anerkennen werde, wenn sie vom Deutschen Bund ausgingen, legte der preußische Geheimrat von Kamptz im März 1847 Vorschläge zur Errichtung eines deutschen Schifffahrts- und Handelsvereins vor, der an die Pläne von Johann Smidt anknüpfte und folglich eine den ganzen Deutschen Bund umfassende Organisation vorsah.75 Auch die in den 1840er Jahren heftig geführte Schutzzolldebatte trug dazu bei, dass der Deutsche Bund in den Debatten über eine Vertiefung der wirtschaftlichen Integration noch einmal eine wichtige Rolle spielte. Der Zollverein wurde zwar nach Ablauf der ersten achtjährigen Vertragsperiode allgemein als großer Fortschritt angesehen, hinter den man nicht zurückfallen wollte. Dennoch führten die schweren Wirtschaftskrisen der 1840er Jahre, der Verfall traditioneller Gewerbezweige, der schleppende Aufbau neuer industrieller Strukturen und die noch wachsende Kluft zwischen Arbeitskräftepotential und Arbeitsplatzangebot zu heftigen Diskussionen über die Ausrichtung der künftigen Wirtschaftspolitik. Eine besondere Rolle spielte in diesem Zusammenhang Friedrich List, der die aufkeimende deutsche Industrie durch höhere Zölle schützen und so schneller an die englischen Konkurrenten heranführen wollte. List war einerseits ein entschiedener Befürworter des Zollvereins, dessen wirtschaftliche Impulse er deutlich herausstrich. Andererseits forderte er aber nicht nur höhere Zölle für die deutsche Industrie, sondern auch die Erweiterung des bestehenden Zollvereins, und zwar sowohl im Hinblick auf die norddeutschen Küstenstaaten als auch auf Österreich. Die Integration Österreichs, für die er auch bei Staatskanzler Metternich warb, sollte einem großen mitteleuropäischen Wirtschaftsraum Bahn brechen, der für die deutsche Wirtschaft Absatzchancen erweiterte, die Rohstoffzufuhr erleichterte, neue Handelswege zum Mittelmeer erschloss und der überschüssigen deutschen Bevölkerung neue Ansiedlungsmöglichkeiten eröffnen sollte.76 Solche Forderungen fanden vor allem in den süddeutschen Zollvereinsstaaten Unterstützung. Als der Landtag des Großherzogtums Hessen, das sich 1828 als erster größerer Staat Preußen angeschlossen hatte, den Verträgen zur zwölfjährigen Verlängerung des Zollvereins zustimmte, sprach er gleichzeitig die Erwartung aus:

75 Vgl. hierzu Best, Interessenpolitik (wie Anm. 25), S. 110 ff. 76 Friedrich List: Österreich und der Zollverein, in: Ders.: Die politisch-ökonomische Nationaleinheit der Deutschen. Aufsätze aus dem Zollvereinsblatt und andere Schriften der Spätzeit, hg. v. Friedrich Lenz und Erwin Wiskemann, Berlin 1931, S. 186 (= Friedrich List, Schriften – Reden – Briefe, Bd. 8). Zu List und seinen Konzepten vgl. auch William O. Henderson: Friedrich List, Düsseldorf 1984; Eugen Wendler: Friedrich List (1789–1846). Ein Ökonom mit Weitblick und sozialer Verantwortung, Wiesbaden 2013, S. 215 ff.



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»[…] es werde künftig ein gemeinsames Band der materiellen Interessen alle zu dem deutschen Bunde vereinigten Staaten umschlingen, jede Schranke des Binnenverkehrs wegfallen und das gesamte Deutschland auch in dieser Hinsicht in sich einig, groß und mächtig dem Auslande gegenüberstehen«.77

Neben dem hier zum Ausdruck kommenden machtpolitischen Motiv gab es im deutschen Süden zwei weitere Gründe, die noch immer für eine gesamtdeutsche Lösung unter Einbeziehung der österreichischen Bundesgebiete sprachen. Zum einen wünschten sich Monarchen wie Ludwig I. von Bayern schon aus politischen Gründen eine engere Bindung zwischen dem Zollverein und Österreich, um die aus den materiellen und finanziellen Vorteilen des Zollvereins resultierende Abhängigkeit von Preußen zu vermindern.78 Zum anderen hofften Regierungen und große Teile der öffentlichen Meinung auch darauf, dass die eigenen Schutzzollforderungen, die im Zollverein bislang am Veto Preußens gescheitert waren, bei einem Beitritt Österreichs leichter durchzusetzen wären.79 Die Wiener Politik schien solche Erwartungen zeitweise zu bestärken. Staatskanzler Metternich stellte im November 1841 in der Staatskonferenz den Antrag, die Zweckmäßigkeit eines Beitritts Österreichs zum Zollverein zu prüfen. Um die Annäherung zwischen dem Zollverein und Österreich zu beschleunigen, sollte man die beiderseitigen Tarife einander angleichen, wobei Österreich sein Prohibitivsystem lockern, der Zollverein seine Zölle gegenüber dem Ausland aber anheben sollte. Obwohl auch Teile der österreichischen Industrie einen Anschluss an den Zollverein befürworteten, wurde in den von Metternich angestoßenen Beratungen aber schnell deutlich, dass einem Anschluss an den Zollverein sowohl die komplizierten Verwaltungs- und Finanzstrukturen des Habsburgerreiches als auch Widerstände einflussreicher Wirtschaftskreise entgegenstanden. So setzten sich vor allem die Zucker produzierenden böhmischen Großgrundbesitzer aus Furcht vor der zollvereinsländischen Konkurrenz gegen die vorgeschlagenen Tarifänderungen zur Wehr und wurden dabei vom einflussreichsten MetternichKonkurrenten, dem Staatsminister Graf Kolowrat, erfolgreich unterstützt.80 Im Übrigen schränkte auch der im Vergleich zu Preußen deutlich schlechtere Zustand der österreichischen Staatsfinanzen den zollpolitischen Handlungsspielraum ein.81 Im Jahrzehnt vor der Revolution von 1848 waren es somit noch immer jene Probleme, die auch in der Frühzeit des Deutschen Bundes eine schnelle Verständigung über eine gemeinsame Handelspolitik verhindert hatten. Neben den vor allem Österreich betreffenden administrativen und staatsrechtlichen Schwierigkeiten waren es gerade die großen wirtschaftlichen Strukturunterschiede und 77 Zitiert nach Hahn, Wirtschaftliche Integration (wie Anm. 34), S. 247. 78 Heinz Gollwitzer: Ludwig I. von Bayern. Eine politische Biographie, München 1986, S. 643 ff. 79 Zum Schutzzollkonflikt im Vormärz vgl. Best, Interessenpolitik (wie Anm. 25), S. 105 ff. 80 Vgl. Siemann, Metternich (wie Anm. 56), S. 790 f. 81 Hierzu vor allem Harm-Hinrich Brandt: Der österreichische Neoabsolutismus. Staatsfinanzen und Politik 1848–1860, 2 Bde., Göttingen 1978, hier Bd. 1, S. 10 ff.

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Hans-Werner Hahn

die daraus resultierenden gegensätzlichen Interessen, die einer großen Lösung entgegenstanden. Dies wurde auch unter den ganz anderen politischen Bedingungen der Revolution von 1848/49 nochmals deutlich untermauert. Als die Vertreter des deutschen Bürgertums sich anschickten, einen deutschen Nationalstaat zu gründen, entfachte die Frage seiner handelspolitischen Ausrichtung einen heftigen Grundsatzstreit zwischen den Vertretern des freihändlerisch orientierten Nordens und den vor allem aus Mittel- und Süddeutschland kommenden Anhängern einer Schutzzollpolitik.82 Dass die Suche nach zollpolitischen Kompromissen auch unter den veränderten politischen Konstellationen so schwierig blieb, relativiert die teilweise massive Kritik an den handelspolitischen Versäumnissen des Deutschen Bundes.

VI. Ausblick und Fazit Nach der gescheiterten Revolution wurden in den 1850er Jahren im wiederhergestellten Deutschen Bund nochmals neue Anstrengungen unternommen, um zu einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik zu gelangen.83 Inwieweit diese weiterhin durch die divergierenden Strukturen oder aber mehr durch die machtpolitischen Strategien Preußens blockiert wurden, bedarf weiterer Diskussionen. Österreich erbrachte in den 1850er Jahren jedenfalls zahlreiche Leistungen, um den Annäherungsprozess an den Zollverein zu forcieren84, was Preußen aber am Ende geschickt blockierte. Die Berliner Politik nutzte dabei nicht nur die größere Dynamik seiner Wirtschaft, sondern vor allem auch die geopolitische Lage, die sich seit 1815 ergab. Preußen war durch die territorialen Veränderungen weit nach Deutschland hineingewachsen und war zudem von Anfang an bestrebt, die sich aus der territorialen Lücke zwischen den östlichen und westlichen Provinzen ergebenden Probleme zu lösen. Österreich hatte sich dagegen 1815 in eine andere geographische Richtung entwickelt. Welche handelspolitischen Gestaltungsmöglichkeiten sich daraus für Preußen ergaben, hat Heinrich von Treitschke 1872 wie folgt zusammengefasst: »War es möglich, Posen und das Rheinland ohne Schädigung ihrer Eigenart derselben wirtschaftlichen Gesetzgebung zu unterwerfen, so war damit zugleich erwiesen, dass diese Gesetze unter einigen Änderungen auch für Baden und Hannover gelten konnten.«85

82 Hierzu ausführlich Best, Interessenpolitik (wie Anm. 25), S. 121 ff. 83 Hierzu vor allem Jürgen Müller: Deutscher Bund und deutsche Nation 1848–1866, Göttingen 2005 (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 71). 84 Vgl. hierzu jetzt Thomas J. Hagen: Österreichs Mitteleuropa 1850–1866. Die Wirtschafts-, Währungs- und Verkehrsunion des Karl Ludwig Freiherrn von Bruck, Husum 2015 (= Historische Studien, Bd. 452). 85 Heinrich von Treitschke: Die Anfänge des Deutschen Zollvereins, in: Preußische Jahrbücher 30 (1872), S. 401 f.



Verpasste Chancen?

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Ungeachtet dieser geostrategischen Vorteile Preußens gab es in der Geschichte des Deutschen Bundes jedoch mehrfach Ansätze und Chancen einer gemeinsamen Handelspolitik. Neben den großen Strukturunterschieden, den innerösterreichischen Problemen und den machtpolitischen Strategien Preußens hing das Scheitern der großen Lösungen zumindest in den ersten Jahrzehnten des Deutschen Bundes wohl auch damit zusammen, dass es vielen Regierungen in wirtschaftspolitischer Hinsicht noch an den notwendigen Erfahrungen und Kenntnissen mangelte und sie angesichts eines immensen Problemdrucks vielfach überfordert waren. Zum einen standen nahezu alle Staaten nach 1815 vor enormen Finanzproblemen86, was viele zögern ließ, einen Teil der eigenen Hoheit über die indirekten Abgaben abzugeben, zumal der finanzielle Erfolg einer Zollunionslösung anfangs noch nicht absehbar war. Zum anderen sorgten veränderte Handelsbedingungen, der Niedergang alter Gewerbestrukturen und der Aufbau der neuen industriellen Zweige auch innerhalb der einzelnen Bundesstaaten oft für widersprüchliche Interessen. Manche Regierungen wurden gleichzeitig mit Forderungen nach Freihandel, Schutzzöllen zum Erhalt traditioneller Gewerbestrukturen oder Erziehungszöllen zum Aufbau neuer Zweige konfrontiert und mussten in einer wirtschaftlich sehr schwierigen Übergangszeit erst einmal eigene tragfähige tarifpolitische Konzepte entwickeln. Betrachtet man die harten tarifpolitischen Auseinandersetzungen, wie sie auch Frankreich und Großbritannien mit ihren dem Staatsgebiet entsprechenden Wirtschaftsräumen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts führten, so kann man ermessen, wie schwer entsprechende Kompromisslösungen in einer föderalen Ordnung wie dem Deutschen Bund fallen mussten.

86 Hans-Peter Ullmann: Der deutsche Steuerstaat. Geschichte der öffentlichen Finanzen, München 2005, S. 22 ff.

Paul Kahl

Kulturnation und Deutscher Bund Das Vorhaben einer Nationalstiftung im Weimarer Goethehaus von 1842/43

Seit 1885 trägt Goethes ehemaliges Weimarer Wohnhaus den Namen »GoetheNationalmuseum«.1 Dieser Name ist erklärungsbedürftig. Die Begriffsschöpfung stammt von Weimars Großherzog Carl Alexander: Die Nation wird in der Bezeichnung des Museums mit Goethe verbunden, mit Goethe als wichtigstem Vertreter der deutschen Sprache. Das ist – geradezu idealtypisch – Ausdruck des Konzepts einer deutschen ›Kulturnation‹ im neunzehnten Jahrhundert2: Die Nation, die sich durch Sprache, nicht durch eine Staatsgrenze zusammengehörig weiß. Offenbar war die bemerkenswerte Umwidmung eines ehemaligen Privathauses zum Nationalmuseum im Europa des neunzehnten Jahrhunderts einzigartig, und offenbar ist sie bezeichnend für die besondere Lage im damaligen Deutschland: Nicht ein Schloss, sei es ein ehemaliges oder ein schloss- oder tempelartiger Neubau, wird zum Nationalmuseum erklärt, sondern ein Wohnhaus, das ehemalige Wohnhaus eines Schriftstellers, der die Nation repräsentiert. Kern des Nationalmuseums ist nicht eine Sammlung – etwa eine Sammlung von Reichsinsignien oder Waffen oder von repräsentativen, wertvollen Kunstwerken

1 Die Ausführungen beruhen auf dem Göttinger DFG-Projekt »Kulturgeschichte des Dichterhauses«, das kurz vor dem Abschluss steht, besonders den Dokumenten zur Geschichte des Weimarer Goethehauses im 19. Jahrhundert, in denen die Bemühungen des Deutschen Bundes eingehend belegt sind, vgl. Paul Kahl/Hendrik Kalvelage (Hg.): Das Goethe-Nationalmuseum in Weimar. Bd. 1: Das Goethehaus im 19. Jahrhundert. Dokumente, Göttingen 2015. Außerdem: Paul Kahl: Die Erfindung des Dichterhauses. Das Goethe-Nationalmuseum in Weimar. Eine Kulturgeschichte, Göttingen 2015. Kurz vor dem Abschluss steht: Paul Kahl (Hg.): Das Goethe-Nationalmuseum in Weimar. Bd. 2: Goethehaus und Goethe-Museum im 20. Jahrhundert. Dokumente, erscheint Göttingen 2018. 2 Zum Begriff ›Kulturnation‹ vgl. schon Friedrich Meineckes Unterscheidung von ›Kulturnation‹ und ›Staatsnation‹ von 1907, in: Friedrich Meinecke: Weltbürgertum und Nationalstaat. Hg. und eingeleitet v. Hans Herzfeld, München 91969 (= Werke, Bd. 5), Kapitel 1: Allgemeines über Nation, Nationalstaat und Weltbürgertum. Außerdem Franz Norbert Mennemeier/Conrad Wiedemann (Hg.): Deutsche Literatur in der Weltliteratur / Kulturnation statt politischer Nation? Tübingen 1986 (= Kontroversen, alte und neue. Akten des VII. internationalen Germanisten-Kongresses 1985, hg. v. Albrecht Schöne, Bd. 9); Georg Schmidt: Friedrich Meineckes Kulturnation. Zum historischen Kontext nationaler Ideen in Weimar-Jena um 1800, in: Historische Zeitschrift 284 (2007), S. 597–621.

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Paul Kahl

oder Büchern –, sondern eine Stätte, ein Arbeitszimmer mit unbedeutenden Holzmöbeln.3 Zusätzlich aufgeladen wird der nicht selbstverständliche Vorgang durch den Stiftungsbrief des Museums.4 Den stellt Carl Alexander nicht etwa in Weimar aus, sondern auf der Wartburg, und nicht zufällig: Die Wartburg, der zweite große Symbolort deutscher Geschichte in Thüringen, von Carl Alexander als Symbolort seines Hauses inszeniert, umfasst ihrerseits ein »Dichterzimmer«, das für die Geschichte der deutschen Sprache bedeutsam gewesen ist: die damals neu inszenierte Lutherstube, Ort der Übersetzung des Neuen Testaments ins Deutsche.5 1991 zeigte Bundespräsident Richard von Weizsäcker dem Wiedervereinigungsskeptiker François Mitterrand Weimar und Eisenach, das Goethehaus und die Wartburg, und Mitterrand konnte innerhalb von zwei Stunden an den beiden Tischen sitzen, die »für die deutsche Sprache die bedeutendsten seien«.6 Und noch 1994 bezeichnete Weizsäcker das Goethehaus und die Wartburg als die Orte, »an denen die deutsche Sprache ihre gültige und prägende Form erhalten habe«.7 Eine bildungsbürgerliche Redeweise, die, obwohl erst gut zwanzig Jahre alt, inzwischen fremd erscheint: Sie wurzelt im Denken des neunzehnten Jahrhunderts, genauer: in der Zeit des Deutschen Bundes. Die Umstände sind vielschichtig und umfassen Grundfragen der deutschen Geschichte. Kurz nach seinem Regierungsantritt 1853 hatte Carl Alexander die Wartburg als Sitz des gerade in Dresden gegründeten Germanischen Nationalmuseums angeboten8 – wenn man sich auch kurz darauf für Nürnberg entschied. 3 Vgl. neben den in Anm. 1 genannten Titeln Constanze Breuer/Paul Kahl: Nationalmuseen als personalisierte Erinnerungsorte. Zu einem Phänomen des 19. Jahrhunderts am Sonderfall des Goethe-Nationalmuseums in Weimar, in: Anne Bohnenkamp/Constanze Breuer/Paul Kahl/ Stefan Rhein (Hg.): Häuser der Erinnerung. Zur Geschichte der Personengedenkstätte in Deutschland, Leipzig 2015, S. 197–209 (= Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt, Bd. 18). Vgl. außerdem: Constanze Breuer/Bärbel Holtz/Paul Kahl (Hg.): Die Musealisierung der Nation. Ein kulturpolitisches Gestaltungsmodell des 19. Jahrhunderts, Berlin 2015. 4 Großherzog Carl Alexander, Stiftungsbrief des Goethe-Nationalmuseums, Wartburg bei Eisenach, 8. August 1885, Dok. 817 in: Kahl/Kalvelage (Hg.), Das Goethe-Nationalmuseum, Bd. 1 (wie Anm. 1). Alle im Folgenden genannten Nummern beziehen sich auf diesen Band. 5 Vgl. Martin Steffens: Luthergedenkstätten im 19. Jahrhundert. Memoria – Repräsentation – Denkmalpflege, Regensburg 2008, S. 161–235.  6 Mitterrand nach: »Staatspräsident Mitterrand für ein Kulturinstitut in Erfurt. Thüringen knüpft die europäischen Bande enger«, in: Weimarer Tagespost Nr. 220, 21./22.9.1991, künftig in: Kahl (Hg.), Das Goethe-Nationalmuseum, Bd. 2 (wie Anm. 1). 7 So Richard von Weizsäcker in einer Ansprache im Nationaltheater in Weimar am 21. April 1994 mit Rückbezug auf seinen und Mitterrands Besuch in Goethes Arbeitszimmer und in der Lutherstube, nach: Richard von Weizsäcker: Reden und Interviews, Bd.  10 (1.7.1993– 30.6.1994), Bonn 1994,  S.  257, künftig in: Kahl (Hg.), Das Goethe-Nationalmuseum, Bd. 2 (wie Anm. 1). 8 Vgl. G. Ulrich Großmann: Die Wartburg und Nürnberg, in: Wartburg-Jahrbuch 1996 [1997], S. 99–102. Zur Geschichte des Germanischen Nationalmuseums vgl. schon: Ludwig Veit: Chronik des Germanischen Nationalmuseums. Nach gedruckten Quellen, insbesondere



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Später, nämlich 1885, knüpfte Carl Alexander mit dem Namen »Goethe-Nationalmuseum« an seinen Versuch von 1853 an, indem er ebendort – auf der Wartburg – die selbstbewusste, aber doch erklärungsbedürftige Gründung eines »Nationalmuseums« in Sachsen-Weimar nachholte. Vor allem aber verwirklichte er etwas, das schon 1842 beinahe geglückt wäre: die Umwidmung des Weimarer Goethehauses zum – so wäre es damals gewesen – ersten Nationalmuseum der Deutschen. Ein Vorgang, der, zuvor so gut wie unbekannt, durch umfangreiche Dokumente erschlossen werden konnte und in den Kern des Themas führt: Kulturnation und Deutscher Bund. Die Überlegung, das Goethehaus zu musealisieren, wurde bald nach Goethes Tod öffentlich erörtert, ja, sie erschien als eine ›Nationalsache‹, besonders nachdem Goethes Enkel Walther und Wolfgang von Goethe 1841 beide volljährig geworden waren. Ihr Anliegen war allerdings nur, Goethes umfangreiche Sammlungen zu verkaufen, die, blieben sie im Haus, wissenschaftlich hätten verwaltet werden müssen. Das alte barocke Bürgerhaus, bekannt als das Weimarer Goethehaus, erschien aus ihrer Sicht als Familienstammsitz; Goethe, ihr Großvater, hatte dort jahrzehntelang – nämlich mit Unterbrechungen von 1782 an – gewohnt, bis zu seinem Tod im Jahr 1832. Goethe selbst hat die Musealisierung seines Hauses nicht vorgesehen, ja, sich nicht vorstellen können, denn es gab keinen Präzedenzfall der Musealisierung eines Privathauses. Goethe wollte nur die Sammlungen beieinander halten und bewahrt wissen, am liebsten in einer öffentlichen Weimarer Anstalt. Der entscheidende Anstoß zur Gründung eines Museums im Goethehaus war insofern nicht Sache der Familie, sondern vielmehr der Öffentlichkeit, er kam wenig später aus Berlin, und zwar nicht als Anliegen eines bürgerlichen oder eines intellektuellen »Komités«, wie es nur wenig später – 1847 – im Falle des Weimarer Schillerhauses vollzogen wurde.9 Der entscheidende Anstoß für das Goethehaus kam aus der Mitte der preußischen Kulturpolitik, nämlich von König Friedrich Wilhelm IV. und seinem Umfeld. Freilich war es ein bürgerlicher Schriftsteller gewesen, der die Anregung zuerst niederschrieb und nach Berlin vermittelte: Melchior Meyr, ein bayrischer Landsmann, der eine den Jahresberichten, zusammengestellt, in: Das Germanische Nationalmuseum Nürnberg 1852–1977. Beiträge zu seiner Geschichte. Im Auftrag des Museums hg. v. Bernward Deneke und Rainer Kahsnitz, München/Berlin 1978, S. 11–124. Sowie: Jutta Zander-Seidel/Anja Kregeloh (Hg.): Geschichtsbilder. Die Gründung des Germanischen Nationalmuseums und das Mittelalter, Nürnberg 2014 (= Die Schausammlungen des Germanischen Nationalmuseums, 4). Vgl. außerdem Peter Burian: Die Idee der Nationalanstalt, in: Bernward Deneke/Rainer Kahsnitz (Hg.): Das kunst- und kulturgeschichtliche Museum im 19. Jahrhundert, München 1977, S. 11–18 (= Studien zur Kunst des neunzehnten Jahrhunderts, 39). 9 Der Großherzog von Weimar unterstützte wohl die Gründung eines Schillermuseums, dieses war aber Anstoß eines bürgerlichen Kreises um Stadtdirektor Karl Georg Hase, vgl. Paul Kahl: »...ein Tempel der Erinnerung an Deutschlands großen Dichter«. Das Weimarer Schillerhaus 1847–2007. Gründung und Geschichte des ersten deutschen Literaturmuseums. Mit Dokumentenanhang. Folge I, in: Die große Stadt. Das kulturhistorische Archiv von Weimar-Jena Jg. 1 (4/2008), S. 313–326. Folge II in Jg. 2 (1/2009), S. 40–75. Folge III in Jg. 2 (2/2009), S. 155– 176. Folge IV in Jg. 2 (3/2009), S. 217–237.

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Denkschrift über die Bedeutung des Goethehauses verfasst und dem König zugespielt hatte. Und erst dieser, Friedrich Wilhelm IV., verschaffte dem Anliegen bundesweite Aufmerksamkeit. Melchior Meyr, damals eng mit Friedrich Rückert verbunden, war mit einem Stipendium des bayrischen Kronprinzen Max in Berlin, um über Goethe zu arbeiten. Meyr war noch 1831/32 selbst mit Goethe in briefliche Verbindung getreten. 1841 lernte er das Weimarer Goethehaus kennen – Kanzler von Müller hatte ihm Zutritt verschafft10 –, und dieser Weimarer Besuch war dann, wie er später in seinen Erinnerungen (1874) erzählt, Anstoß zu dem »Wunsch […], daß dieses Haus Eigenthum der deutschen Nation werden möchte«.11 Aus einem Schreiben von Ernst Carl John an Kanzler von Müller vom Februar 1842 geht hervor, Rückert und Meyr hätten gemeinsam einen Plan für das Goethehaus als ein »National-Denkmal für Goethe« entworfen12, das mitsamt seinen Sammlungen geeignet wäre, »auf Kosten des Deutschen Bundes angekauft und zum Deutschen Museum bestimmt […] ein würdiges Denkmal für den großen Genius abzugeben«. Goethes Haus und Sammlungen erscheinen damit als Ort eines hiermit erstmals konzipierten deutschen Nationalmuseums. Neben Johns Ausführungen stehen die von Meyr selbst. Hiernach wollte Meyr einen Aufsatz veröffentlichen, »in welchem der Ankauf durch den deutschen Bund als das würdigste Mittel, das Göthe’sche Haus der Nation zu erhalten, vorgeschlagen würde«.13 Dieser Aufsatz ist nicht bekannt, nur die Denkschrift »Das Göthe’sche Haus in Weimar, mit den Sammlungen Göthe’s als Deutsches Museum« als dessen Kurzfassung. Sie wurde zum Ausgangspunkt der weiteren Überlegungen und wird deshalb ausführlich zitiert: »Es ist in öffentlichen Blättern schon ein Paarmal der Wunsch ausgesprochen worden, Haus und Sammlungen Göthe’s möchten von der deutschen Nation angekauft und der Besuch dem Publikum freigegeben werden. Folgende Gründe dienen vielleicht, diesen Wunsch zu unterstützen, der nur dahin verändert wird, daß der deutsche Bund selber diese nationale Handlung vollbringen möge. 1. Göthe verdient ein Denkmal von der ganzen deutschen Nation, und Weimar, die Pflegerin der großen Literaturepoche, verdient dieses Denkmal zu besitzen. 2. Die Erwerbung des Göthe’schen Hauses mit den Sammlungen, für die deutsche Nation, die Ernennung zum Deutschen Museum wäre das ehrenvollste Denkmal, die schönste Belohnung Göthe’s und Weimars. 3. Die Göthe’schen Sammlungen sind ein Werk Göthe’s, wie jedes andere poetische oder wissenschaftliche; sie vergegenwärtigen Neigung und Arbeit einer großen deutschen Persönlichkeit – Neigung und Arbeit einer wichtigen deutschen Epoche; aber nur 10 Meyr an Müller, 4. April 1842, in: Kahl/Kalvelage (Hg.), Das Goethe-Nationalmuseum, Bd. 1 (wie Anm. 1), Dok. 200. 11 Ebd., Dok. 173. Aus einem Tagebucheintrag vom 22. Dezember 1841 geht hervor, »daß das ›Nationalmuseum‹ ein Gedanke Müllers ist«, ebd., Dok. 180. Meyr knüpft also an Überlegungen an, die schon im Raum standen, er hat sie freilich formuliert und betrieben. 12 John an Müller, Februar 1842, ebd., Dok. 195, daraus auch die folgenden Zitate. 13 Meyr an Müller, 4. April 1842, ebd., Dok. 200.



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als Ganzes; durch Zersplitterung würde das geistige Leben, also der wahre Werth dieses Göthe’schen Werkes zerstört. Die Sammlungen sind das, was sie seyn sollen, nur in Weimar, nur im Göthe’schen Hause. 4. Indem die deutsche Nation durch Erwerbung der an sich werthvollen Sammlungen Verdienste belohnt und in Anerkennung eines ihrer Söhne sich selber ehrt, stiftet sie einen Ort ästhetischer und wissenschaftlicher Erbauung und Belehrung, dessen Besuch gebildeten Deutschen und Ausländern durch die Eisenbahnen immer mehr erleichtert werden wird. 5. Die Mitwelt überliefert dadurch der Nachwelt das sprechendste Denkmal einer großen Literaturepoche, das der Nachwelt vielleicht noch wichtiger erscheinen wird als der Gegenwart. 6. Die Führer und Vertreter des deutschen Volkes, die deutschen Fürsten, ehren, indem sie das Göthe’sche Haus für ein Deutsches Museum erklären, das deutsche Volk. Allgemeiner Dank würde dieser zugleich fürstlichen und deutschen Handlung zu Theil werden. 7. Solchen Dank zu erwerben, bedarf es einer, für die Mittel des Deutschen Bundes nur mäßigen Summe, die überhaupt nicht besser angelegt werden könnte, und noch dazu in die Hände der Nachkommen des Dichters gelangte. 8. Im Fall die deutsche Nation sich die Göthe’schen Sammlungen nicht aneignen wollte, wären die Göthe’schen Erben gezwungen, sie zu veräußern, wodurch sie zersplittert würden und vielleicht größtentheils in englische Museen wanderten. Das wäre kein Ruhm für [das] deutsche Volk, und würde, wenn es geschehen wäre, gewiß allgemein bedauert werden. Könnte der Deutsche Bund sich bewogen finden, diese Erwerbung im Namen der deutschen Nation zu vollziehen, so würde die Ausführung die wenigsten Schwierigkeiten bieten. Durch sachverständige Männer könnte der Kauf mit den Göthe’schen Erben, denen die Erhaltung der Sammlungen selbst am Herzen liegen muß, leicht zur Zufriedenheit beider Theile abgeschlossen werden. Ein Aufseher würde vielleicht am besten von dem Freunde und Testamentsexecutor Göthe’s, dem Kanzler v. Müller in Weimar vorgeschlagen, und das Ganze sodann, als deutsches Eigenthum, unter den Schutz der Weimar’schen Regierung gestellt.«14

Meyrs Sachverstand ist erstaunlich: Er formuliert ein kulturpolitisches Anliegen von nationalem Rang, das seinesgleichen sucht, nämlich – zum ersten Mal in der deutschen Kulturgeschichte – die Gründung eines »Deutschen Museums«, also eines Hauses, das »Nationaleigentum« werden und eine repräsentative Aufgabe für Deutschland insgesamt einnehmen soll. Auf Empfehlung Rückerts gelangte die Denkschrift an Friedrich Wilhelm IV.; dieser nahm die Sache »sehr huldvoll« auf, legte aber eine Befragung der anderen »Bundesglieder« nahe.15 Friedrich Wilhelm IV. war nicht unbedingt ein Goethefreund. Goethes Werke kannte der preußische König vermutlich gut, sein literarischer Geschmack ging allerdings in eine andere Richtung, er schwärmte für »Tausendundeine Nacht«, für »Ossian« und vor allem für Friedrich de la Motte-Fouqué, mit dessen Mittelaltersehnsucht 14 Ebd., Dok. 181. 15 So Meyr an von Müller, 4. April 1842, ebd., Dok. 200.

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er sich verwandt fühlte.16 Offenbar war es vor allem die gesamtdeutsche Bedeutung des Weimarer Vorhabens, die ihm wichtig schien und die ihn veranlasste, einen Schulterschluss mit Österreich und auch mit den anderen Fürsten des Deutschen Bundes anzustreben. Aus Sicht der Fürsten musste Goethe hierfür besser geeignet erscheinen als Schiller, dessen Häuser wenig später ebenfalls zu Gedenkstätten wurden, aber jeweils im Rahmen bürgerlicher Unternehmungen.17 Goethes Ansehen hätte demgegenüber im Vormärz kaum eine breite Zustimmung der Bevölkerung auslösen können.18 Friedrich Wilhelms Vorhaben einer Weimarer Nationalstiftung steht im zeitlichen Umfeld verschiedener kulturpolitischer Anstöße. 1841 hatte er das Gelände der heutigen Museumsinsel in Berlin »zu einer Freistätte für Kunst und Wissenschaft« erklärt und damit eine grundlegende Erweiterung des bisher dort allein befindlichen Königlichen (Alten) Museums eingeleitet.19 1842 hatte er gemeinsam mit Erzherzog Johann von Österreich am Dombaufest in Köln teilgenommen – und auch den Grundstein zum Weiterbau gelegt –, was »in der Öffentlichkeit große Hoffnungen im Hinblick auf eine politische Einigung Deutschlands« hervorrief.20 Wie der Kölner Dom galt das Goethehaus als ›Nationaldenkmal‹.21 Offenbar waren diese beiden Vorhaben Friedrich Wilhelms persönliches Anliegen. Für das Goethehaus geht dies aus verschiedenen Schreiben des preußischen Außenministers Heinrich von Bülow hervor, besonders gegenüber auswärtigen Regierungen. Im Schreiben an den preußischen Gesandten in Kassel Philipp Wilhelm Ulrich von Thun vom 1. Dezember 1842 heißt es beispielsweise: »Seine 16 Vgl. Frank-Lothar Kroll: Friedrich Wilhelm IV. und das Staatsdenken der deutschen Romantik. Mit einem Geleitwort v. Otto Büsch, Berlin 1990, S. 46 (= Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 72). 17 Vgl. Albrecht Bergold/Friedrich Pfäfflin (Bearb.): Schillers Geburtshaus in Marbach am Neckar, Marbach/Neckar 1988 (= Marbacher Magazin, Sonderheft 46), und nochmals Kahl, Tempel der Erinnerung (wie Anm. 9). 18 Vgl. Karl Robert Mandelkow: Goethe in Deutschland. Rezeptionsgeschichte eines Klassikers. Bd. 1: 1773–1918. Bd. 2: 1919–1982, München 1980/1989, besonders Bd. 1, zweites Kapitel: Von Goethes Tod bis zur Reichsgründung. 19 Vgl. die Denkschrift von Olfers an Friedrich Wilhelm IV. vom 20. Januar 1841, nach Bärbel Holtz/Paul Kahl: »…eine Freistätte für Kunst und Wissenschaft«. Erstedition der Gründungsdokumente der Berliner Museumsinsel, in: Jahrbuch der Berliner Museen 2012 [2015], S. 129–140, ein weit über die Spreeinsel hinausreichendes Programm für die Unterbringung und Neustrukturierung von Wissenschafts- und Kultureinrichtungen; und, Olfers’ berühmte Wendung von der »Freistätte« aufnehmend, Friedrich Wilhelms Kabinettsordre vom 8. März 1841, ebd. 20 Jürgen Müller: Der Deutsche Bund 1815–1866, München 2006, S. 26 (= Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 78). 21 Vgl. Thomas Nipperdey: Nationalidee und Nationaldenkmal in Deutschland im 19. Jahrhundert, in: Ders.: Gesellschaft, Kultur, Theorie. Gesammelte Aufsätze zur neueren Geschichte, Göttingen 1976, S. 133–173; Ders.: Der Kölner Dom als Nationaldenkmal, in: Ders.: Nachdenken über die deutsche Geschichte. Essays, München 21991, S.  189–207; außerdem: Bärbel Holtz: Nationale Museumspolitik unter preußischen Königen?, in: Breuer/Holtz/Kahl (Hg.), Die Musealisierung der Nation (wie Anm. 3), S. 57–75.



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Majestät der König [habe] mit unverminderter Wärme des Interesse’s für den in Rede stehenden Gegenstand die obwaltende Sachlage aus Allerhöchsteigener Bewegung Sich zu vergegenwärtigen geruht«.22 Bülow unterrichtete den König über die Entwicklung der Sache schriftlich und ausführlich.23 Wörtliche Äußerungen von Friedrich Wilhelm IV. sind dagegen nur wenige überliefert und zwar nur solche in beiläufigem Zusammenhang, so ein Schreiben an Bülow vom 11. Januar 1843, in dem er die Zustimmung Kurhessens zu seinem Vorhaben als »Erfüllung Meines persönlichen Wunsches« würdigt.24 Im Januar 1842 war Joseph Maria von Radowitz, Friedrich Wilhelms Vertrauter, mit Metternich in Wien zusammengetroffen25, um für das Weimarer Anliegen und für ein gemeinsames Vorgehen zu werben. Dies entsprach dem ausdrücklichen Wunsch des Königs, und es entsprach dem damaligen »Kräfteparallelogramm« zwischen Preußen und Österreich.26 Metternich ging auf das Anliegen wohl ein, wollte jedoch »die Ansichten der Kaiserlichen Familie« einholen.27 Am 11. März 1842 wandte sich Radowitz erneut an Metternich, diesmal schriftlich. Radowitz’ Schreiben ist wörtlich angelehnt an Melchior Meyrs Denkschrift, aber als »Absicht des Königs« diesem in den Mund gelegt.28 An erster Stelle fügte Radowitz einen entscheidenden Satz hinzu, der über Meyr hinausgeht: »Goethe ist die bedeutendste Erscheinung auf dem Gebiete deutscher geistiger Thätigkeit im letzten Jahrhundert. Seine Wirksamkeit umfaßt die ganze Nation und ist frei von allen politischen oder confessionellen Gegensätzen.«

Damit machte Radowitz einen überparteilich-überkonfessionellen Goethe zum einigenden Band zwischen Preußen und dem katholischen Österreich und so

22 Kahl/Kalvelage (Hg.), Das Goethe-Nationalmuseum, Bd. 1 (wie Anm. 1), Dok. 289. 23 Vgl. z. B. v. Bülows Schreiben an ihn vom 7. Juni 1842, ebd., Dok. 212, und vom 19. Dezember 1843, ebd., Dok. 489. 24 Ebd., Dok. 334. 25 Vgl. zu Metternichs Urteil über Goethe Ludwig Geiger: Goethe und Metternich, in: GoetheJahrbuch 13 (1892), S. 238 f., und Eduard Fischer-Colbie: Metternichs Urteil über Goethe aus dem Jahre 1825, in: Chronik des Wiener Goethe-Vereins 34 (1924), S. 34–36. Beide Männer sind mehrfach am Rhein und in Karlsbad zusammengetroffen, und es sind mehrere Briefe zwischen ihnen erhalten, vgl. besonders Metternichs Schreiben an Goethe im Zusammenhang der Verleihung des Commandeur-Kreuzes des österreichischen Leopolds-Ordens vom 16. Juli 1815, bei Geiger, Goethe und Metternich, S. 239. 26 Reinhart Koselleck: Vom Sinn und Unsinn der Geschichte. Aufsätze und Vorträge aus vier Jahrzehnten. Hg. und mit einem Nachwort von Carsten Dutt, Berlin 2010, S. 140. Vgl. zu Nation und Föderalismus in der deutschen Geschichte auch Reinhart Koselleck: Nation oder Föderation? Erfahrungen aus der deutschen Geschichte, in: Martin Sabrow (Hg.): Abschied von der Nation? Deutsche Geschichte und europäische Zukunft, Leipzig 2003, S. 29–44 (= Helmstedter Colloquien, H. 5). 27 Radowitz an Bülow, 20. April 1842, in: Kahl/Kalvelage (Hg.), Das Goethe-Nationalmuseum, Bd. 1 (wie Anm. 1), Dok. 204. 28 Ebd., Dok. 199, daraus auch die folgenden Zitate.

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zum Repräsentanten der ›ganzen Nation‹. Das vorgesehene Weimarer Museum wurde zum Gegenstand der allgemeinen Politik. Offenbar war man in Berlin zuversichtlich. Es waren – folgt man Radowitz – genaue Schritte vorgesehen, so ein »gemeinschaftlicher Antrag« Preußens und Österreichs in der deutschen Bundesversamlung in Frankfurt, um das Goethehaus einschließlich seiner Sammlungen zu kaufen und zum »National Eigenthum« zu erklären; außerdem solle »ein Custos bei denselben angestellt, der stets freie Zutritt gesichert, und das Ganze dem besonderen Schutze der Großherzoglich Weimarischen Regierung empfohlen« werden. Meyrs Überlegungen entsprechen den heute gültigen Museumskriterien: Gemeinnützigkeit, denn es ist kein Gewinn vorgesehen; Ständigkeit, denn die Bindung an natürliche Personen – Goethes Erben – soll ersetzt werden durch die Bindung an eine Einrichtung in der Trägerschaft der Nation (»National Eigenthum«); Zugänglichkeit, denn an die Stelle des bisher willkürlichen Vorgehens tritt eine Regelung, einschließlich eines ausdrücklich freien Eintritts (»der stets freie Zutritt« soll »gesichert« sein); endlich auch Wissenschaftlichkeit – die zumindest insofern aufscheint, indem »sachverständige Männer« einbezogen werden sollen und ein »Custos«, ja der »besondere Schutz« des Großherzogtums vorgesehen sind.29 Freilich blieb eine Antwort aus Österreich zunächst aus, und es ist unklar, ob Kaiser Ferdinand bis dahin überhaupt unterrichtet worden ist.30 Eine Weisung Bülows an den preußischen Gesandten in Wien, den Freiherrn von Canitz, vom 3. Mai 1842, unterstrich die Dringlichkeit.31 Sie trieb die Befürchtung auf die Spitze, es könne dahin kommen, »daß Goethe’s Haus, der Willkühr des Käufers überlassen, ganz von dem Erdboden verschwände […]; daß jene Sammlungen […] der Zersplitterung Preis gegeben, in die Hände Curiositäten suchender Ausländer auswanderten«. Zugleich erscheint ein möglicher Verlust des Goethehauses als »eine Schmach für Deutschland«, in »ganz Deutschland« sei der Wunsch laut geworden, »daß die gesammte deutsche Nation sich dazu vereinigen möchte, diese Schmach abzuwenden, und Goethen […] ein Denkmal, wie es ihm geziemt, und zwar in der Stadt zu stiften, welche als sein Wohnort und als die Pflegerin der großen Literatur Epoche, dasselbe vorzugsweise zu besitzen verdient«. So könne »das Bewußtseyn der dadurch von Neuem zur Evidenz gebrachten Einheit des deutschen Vaterlandes allenthalben erhöhet werden«. Kurz: Die Gründung

29 Bénédicte Savoy hat gezeigt, dass die heute anerkannten Museumskriterien in einer Museumskultur des achtzehnten, nicht etwa erst des neunzehnten Jahrhunderts, wurzeln und schon damals voll ausgeprägt waren, vgl. Bénédicte Savoy (Hg.): Tempel der Kunst. Die Geburt des öffentlichen Museums in Deutschland 1701–1815, Köln/Weimar/Wien 22015 (1. Aufl. 2006). Insofern stehen Meyrs Überlegungen und, ihm folgend, die des Deutschen Bundes, in einer gewissen Tradition; die Musealisierung eines ehemaligen Privathauses hatte allerdings kein Vorbild. 30 Vgl. zusammenfassend Bülow an Canitz, 3. Mai 1842, in: Kahl/Kalvelage (Hg.), Das GoetheNationalmuseum, Bd. 1 (wie Anm. 1), Dok. 206. 31 Ebd., Dok. 205, daraus auch die folgenden Zitate.



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eines Weimarer Goethe-Museums war ein kulturelles Kompensationsprojekt angesichts der fehlenden politischen Einheit Deutschlands. Um ein solches zu begründen, war Österreich nötig. Bülow konnte sich darauf berufen, dass schon einmal der Deutsche Bund mit Mitwirkung Österreichs, namentlich Metternichs selbst, im Sinne Goethes gehandelt hatte, nämlich bei der Privilegierung der »Ausgabe letzter Hand« gegen Nachdrucke im Jahr 1825.32 Hieran anknüpfend konnte man annehmen – so Bülow –, Österreich »werde kein Bedenken tragen, gemeinschaftlich mit Preussen den, auf obige Motivirung und auf Artikel 64 der Wiener Schluß-Akte [von 1820]33 gestützten Antrag an den deutschen Bund bringen zu lassen, daß derselbe das Haus, die Bibliothek und die wissenschaftlichen und Kunstsammlungen für Sich ankaufen und zum NationalEigenthum erklären, einen Custos dabei anstellen, und den Gebildeten aller Nationen freyen Zutritt […] für alle Zeiten zu sichern […] wolle«.34 Für Preußen stand die übergreifende Bedeutung Goethes im Vordergrund, er war Repräsentant der Nation und das Weimarer Haus ein deutsches, kein preußisches Museum, wie etwa das zeitgleich vorgesehene »Neue« Museum auf der entstehenden Museumsinsel in Berlin. Was demgegenüber der Grund für die anfängliche Zögerlichkeit Österreichs war, ist nicht ganz genau ersichtlich. Offenbar war es Misstrauen gegenüber Preußen, und offenbar waren es auch – möglicherweise vorgeschobene – Vorbehalte gegenüber Goethe selbst. Canitz berichtete in diesem letzteren Sinne am 21. Mai 1842 aus Wien, der Grund sei »die Besorgniß: 32 Vgl. Goethes Schreiben an Metternich und an die Deutsche Bundesversammlung, beide vom 11. Januar 1825, in: Johann Wolfgang v. Goethe: Werke. Hg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen. IV Abteilungen mit insgesamt 133 Bdn. (in 143 Teilbdn.), Weimar 1887– 1919. Zzgl. 3 Ergänzungsbde.: Nachträge und Register zur IV. Abteilung: Briefe, hg. v. Paul Raabe, München 1990 (= WA), hier Abt. IV, Bd. 39, S. 80–85, und Metternichs Antwort vom 6. September 1825, in: August Sauer (Hg.): Goethe und Österreich. Briefe mit Erläuterungen. 1. Theil, Weimar 1902, Bd. 1, S. 205 f. (= Schriften der Goethe-Gesellschaft, 17); Goethes Mitteilung im Intelligenz-Blatt des Morgenblatts für gebildete Stände vom 1. März 1826, in: WA, Abt. I, Bd. 42.1, S.  115 f. Außerdem Heinz Fröbe: Die Privilegierung der Ausgabe »letzter Hand« Goethes sämtlicher Werke. Ein rechtsgeschichtlicher Beitrag zur Goetheforschung und zur Entwicklung des literarischen Urheberrechts, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 2 (1960), S. 187–229; Elmar Wadle: Goethes Gesuch um ein Nachdruckprivileg des Deutschen Bundes und die preußische Politik, in: Neue Juristische Wochenschrift 52 (1999), H. 35, S. 2545–2551. 33 Dort heißt es: »Wenn Vorschläge zu gemeinnützigen Anordnungen, deren Zweck nur durch die zusammenwirkende Theilnahme aller Bundesstaaten vollständig erreicht werden kann, von einzelnen Bundesgliedern an die Bundesversammlung gebracht werden, und diese sich von der Zweckmäßigkeit und Ausführbarkeit solcher Vorschläge im Allgemeinen überzeugt, so liegt ihr ob, die Mittel zur Vollführung derselben in sorgfältige Erwägung zu ziehen, und ihr anhaltendes Bestreben dahin zu richten, die zu dem Ende erforderliche freiwillige Vereinbarung unter den sämmtlichen Bundesgliedern zu bewirken.« Protokolle der Deutschen Bundesversammlung, Bd. 9, Frankfurt am Main 1820, S. 35; Ernst Rudolf Huber (Hg.): Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803–1850, Stuttgart 31978, S. 100. 34 Kahl/Kalvelage (Hg.), Das Goethe-Nationalmuseum, Bd. 1 (wie Anm. 1), Dok. 205.

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dem Andenken eines Mannes zu große Ehre zu erweisen, der rücksichtlich seines religiösen Bekenntnisses nicht ohne Anstoß gewesen«.35 Daneben standen politische Gründe. Offenbar wollte Metternich vermeiden, dass Preußen allein mit einem angesehenen kulturpolitischen Vorhaben hervortrat; später heißt es sogar, Österreich habe das Verfahren beim Deutschen Bund deshalb verzögert, »weil diese Idee nicht von Wien aus vorgeschlagen worden ist«.36 Ebendies hat Metternich auszugleichen versucht, indem er über Preußen und Österreich hinaus andere deutsche Fürsten einbezog, außerdem die Regierungen in Kopenhagen und in Den Haag, die mit Teilen ihrer Gebiete zum Deutschen Bund gehörten. Eine gemeinsame Erklärung Preußens und Österreichs, am 25. Mai 1842 in der Staatskanzlei in Wien entworfen, griff die preußischen – ursprünglich: Meyr’schen – Gedanken auf und stellte das literarische Erbe in den Dienst politischer Einheit. Es werde, so hieß es, »der gesammten Nation ein neuer Beweis des Antheils geliefert seyn, welchen die deutschen Regierungen an der Verherrlichung des deutschen Namens durch die litterärischen Bestrebungen hochbegabter Geister nehmen«.37 Außerdem wurde ein Bundestagsausschuss mit fünf Mitgliedern angeregt. Der preußische König stimmte der gemeinsamen Erklärung zu und regte eine Nachfrage beim Weimarer Hof selbst an, außerdem auch bei den anderen großherzoglichen und königlichen Regierungen des Deutschen Bundes.38 Am 6. Juli 1842 ließ Metternich wissen, dass er sich mit dem Vorhaben »völlig einverstanden erklärt hat«39, und wenig später konnte man in der Augsburger Allgemeinen Zeitung lesen, »drei große Fürsten Deutschlands« – nämlich die Preußens, Bayerns und Österreichs – wollten »das Unternehmen fördern und damit es ein wahrhaft nationales werde, es dem Deutschen Bunde zur Ausführung übergeben«.40 Die Antworten der anderen Höfe nach Berlin waren fast alle zustimmend. Aus Kopenhagen hieß es am 17. Juli 1842, dass König Christian VIII. sich »stets Seiner Majestät dem Könige [von Preußen] Unserm Allergnädigsten Herrn anzuschließen geehrt fühlten, Sich ebenso bereitwillig finden lassen würden, in öffentlicher Anerkennung der Verdienstlichkeit eines um die deutsche Litteratur unsterblichen Mannes [Goethe], auch hier Ihre etwa erforderlichen Schritte und Bestrebungen mit denjenigen unseres Allergnädigsten Monarchen zu einen«.41 Aus Mecklenburg-Strelitz war am 21. Juli 1842 zu vernehmen, Großherzog Georg I. werde dem »in der Bundesversammlung zu stellenden behufigen Antrage aus ganzem Herzen beistimmen«.42 Besonders Bayern zeigte sich aufgeschlos35 Ebd., Dok. 208. 36 Dönhoff an Bülow, 26. Juli 1842, ebd., Dok. 234. 37 Ebd., Dok. 209. 38 So geht es aus einem Schreiben Bülows an Canitz vom 28. Juni 1842 hervor, ebd., Dok. 215. 39 Vgl. Canitz an Bülow, 6. Juli 1842, vgl. ebd., Dok. 215 mit Anm. 40 So im Bericht des aus Weimar schreibenden August Bürck, Allgemeine Zeitung, 6. August 1842, ebd., Dok. 240. 41 Ebd., Dok. 226. 42 Ebd., Dok. 231.



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sen. König Ludwig  I., Goethefreund und Goethekenner, war 1827 in Weimar gewesen und mit Goethe im Goethehaus zusammengetroffen. Goethe selbst hat ihm später seinen Briefwechsel mit Schiller (1829) gewidmet.43 Am 30. Juli 1842 ließ Ludwig wissen, die Erhaltung der Goethe’schen Sammlungen sei »schon vor früheren Jahren der allerhöchste Wunsch gewesen«.44 Bayern war wenig später das erste und einzige Land, das mit einem Gesetz dem preußischen Anliegen zustimmte.45 Auch in Wien gingen vorwiegend zustimmende Rückäußerungen ein.46 Aufschlussreich sind vor allem die Begründungen für die seltenen abwartenden oder sogar ablehnenden Haltungen, allesamt aus dem Süden oder Südwesten Deutschlands: Aus Darmstadt hieß es am 19. Juli 1842, es bleibe »dem Bunde noch soviel Anderes Wichtigeres zu thun, daß wir vorerst an die Ausführung solcher Pläne nicht denken können«.47 In Stuttgart wurden in einem Schreiben vom 20. Juli finanzielle Bedenken geltend gemacht; wenig später entschloss sich König Wilhelm I. aber, dem Antrag zuzustimmen, sofern die anderen zustimmten, und außerdem seinen Anteil privat zu bezahlen.48 Aus Karlsruhe hieß es am 4. August, dass man sich wohl den anderen anschließen würde, »ohne jedoch eine besondere Sympathie für dieses Projekt zu empfinden«.49 Aus Hessen-Kassel wurde am 5. August berichtet: »[…] sehr empfänglich für den poetischen Ruhm Deutschlands wären die heßischen Stände im Allgemeinen nicht; – Deutschland sei übrigens so reich an Nachläßen und Reliquien von Celebritäten aller Art, daß es wirklich sehr weit führen könnte, wenn […] ein in sich schöner und natürlicher Wunsch entstünde, Alles dahin gehörende zum Bundeseigenthum zu machen.«50

Erst Monate später entschloss sich Prinzregent Friedrich Wilhelm I. mit Rücksicht auf Preußen, dem Anliegen beizutreten.51 Entscheidend war allerdings die Haltung Österreichs. Am 28. Juli 1842 empfahl Metternich Kaiser Ferdinand, das preußische Anliegen zu unterstützen; es handele sich um einen Wunsch, den der 43 Vgl. Egon Cäsar Conte Corti: König Ludwig I. von Bayern und sein Verhältnis zu Schiller und Goethe, in: Chronik des Wiener Goethe-Vereins 43 (1938), S. 12–14; Horst Jesse: König Ludwig I. von Bayern und Johann Wolfgang von Goethe, in: Goethe-Jahrbuch 116 (1999), S. 300– 305. Zu Ludwigs Kulturpolitik auch Heinz Gollwitzer: Ludwig I. von Bayern. Königtum im Vormärz. Eine politische Biographie, München 1997, S. 646–653. 44 Vgl. Kahl/Kalvelage (Hg.), Das Goethe-Nationalmuseum, Bd. 1 (wie Anm. 1), Dok. 239, Anm. 45 Vgl. ebd., Dok. 308 und 340. 46 Es ist ein »Zirkular-Erlass« vom 13. Juli 1842 erhalten, mit dem Metternich eine Umfrage bei den österreichischen Gesandten in München, Stuttgart, Karlsruhe, Darmstadt, Kassel, Hannover, Dresden, Kopenhagen und in Den Haag veranlasste, die nun beauftragt waren, die jeweiligen Regierungen zu befragen, vgl. ebd., Dok. 224. 47 Ebd., Dok. 228. 48 Ebd., Dok. 229 und 250. 49 Ebd., Dok. 242. 50 Ebd., Dok. 243. 51 Ebd., Dok. 320.

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Abb. 2: Beschluss der Deutschen Bundesversammlung bezüglich des Ankaufs des Goethehauses als »deutsches Nationaleigenthum«; Quelle: Protokolle der Deutschen Bundesversammlung 1842, 25. Sitzung vom 9. September 1842, § 270, S. 598 f.



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König persönlich und »mit besonderer Vorliebe« gepflegt habe, und es scheine »um so weniger practisch, demselben unserer Seits hemmend entgegen zu treten, als Seine Majestät [der preußische König], wie ich wußte, entschloßen war, mit diesem Ihrem Plane, falls wir demselben unsere Mitwirkung versagten, auch ohne Uns am Bunde hervorzutreten«.52 Am 24. August 1842 ermächtigte Ferdinand seinen Gesandten, sich dem preußischen Antrag anzuschließen und bestimmte, die Kosten »als ein Extraordinarium der Staatskanzley aus dem Staatsschatze zur Zeit anzuweisen«.53 Am 9. September 1842 fasste dann die Deutsche Bundesversammlung in Frankfurt den Beschluss, »daß die aus den Herren Gesandten von Oesterreich, Preussen, Bayern, Königreich Sachsen und Großherzogthum Sachsen bestehende Commission ersucht werde, über die Modalitäten, unter welchen der Plan, das Haus und die Sammlungen des verstorbenen J. W. v. Goethe anzukaufen und für ewige Zeiten zum deutschen Nationaleigenthum zu bestimmen, realisirt werden könnte, vorbereitende Berathung zu pflegen und über das Ergebniß derselben Bericht zu erstatten«.54 Damit konnten offizielle Verhandlungen mit Goethes Enkeln geführt werden. Günstig erschien dabei die nachdrückliche Zustimmung der Weimarer Regierung, besonders Kanzler Friedrich von Müllers55, dessen Name durch seine »Unterhaltungen mit Goethe« (erstmals 1870) in der allgemeinen Erinnerung geblieben ist. Dem entsprach das Angebot Sachsen-Weimars, über die anteilige Finanzierung hinaus Verantwortung zu übernehmen.56 Hinzu kamen allgemeine Museumsregularien wie Öffnungszeiten, die »Revision« der Sammlungen, die Reinigung und auch Bestimmungen über das Museumspersonal (einen »Custos«). Über die Kosten von Gebäudeunterhaltung, Garten, Versicherung, Heizung und Verwaltung hätten die Weimarer Behörden »jährlich eine Rechnung zu legen, welche bei dem Bundestage eingereicht und abgenommen werden möchte«. Anders gesagt: Weimar strebte eine »Ober-Custodie« an und fühlte sich »zur diligentia in concreto« verpflichtet: »Eine diligentia in abstracto, eine unbedingte Haftpflicht für schädliche Handlungen oder gar für einen Zufall, wäre ihm keineswegs anzumuthen.« Damit war nicht nur ein modernes Museumsverständnis ausgesprochen, sondern auch die Einsicht in die Grenzen eines deutschen Kulturföderalismus, der den einzelnen Kleinstaat überfordert und diesen auf die Zusammenarbeit mit den anderen verweist, jedenfalls dann, wenn es um das Übergreifende, das Nationale geht. Zugleich steckt in Müllers Überlegungen eine frühe Vision einer ›Stiftung Weimarer Klassik‹, die nationales Literaturerbe verwaltet, während die Haftung 52 Ebd., Dok. 238. Vgl. zur Vorgeschichte den Bericht Münchs an Metternich vom 21. Juli 1842, ebd., Dok. 230. 53 Ebd., Dok. 249. 54 Ebd., Dok. 254. 55 Vgl. seine Denkschrift vom 2. Juli 1842, ebd., Dok. 217. 56 So ein Schreiben von Carl Friedrich von Fritsch, Weimars Gesandtem in Frankfurt, an den Bundesausschuss vom 18. Februar 1843, ebd., Dok. 360, daraus auch die folgenden Zitate.

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für ihren Gegenstand aber dem gesamten deutschen Volk, genauer: den einzelnen deutschen Bundesregierungen obliegt.57 Die Weimarer Regierung selbst hat nachdrücklich um die Zustimmung der Enkel Goethes geworben und hervorgehoben, dass dieses Unternehmen »in der Geschichte fast ohne Beispiel [dastehe]«.58 Gleichwohl ist das Unternehmen gescheitert, und zwar nicht etwa an fehlender Einigkeit der Fürsten, sondern an der Uneinigkeit der Enkel Goethes. Der gutachtlich empfohlene Preis für Goethes Haus, seine Grundstücke und Sammlungen betrug 40 000 Reichstaler. Die Fürsten haben ein Angebot von 60 000 Talern unterbreitet, ja eine weitere Erhöhung angedeutet.59 Doch Walther und Wolfgang von Goethe haben eine zwischenzeitlich gefasste Entschließung zum Verkauf des Hauses zurückzogen und nur den Verkauf der Sammlungen angeboten. Die Aufmerksamkeit der Fürsten war aber auf die symbolpolitisch aufgeladene Stätte, eben das Goethehaus selbst, gerichtet. Am 12. Januar 1844 befahl Friedrich Wilhelm IV. den Abbruch der Verhandlungen60, ja es wurde die Ansicht ausgesprochen, der Deutsche Bund »habe durch das den von Götheschen Erben gemachte Anerbieten das Seinige gethan, und es komme für ihn auf die wirkliche Ausführung der Sache nicht mehr viel an«.61 Wäre das Vorhaben des Deutschen Bundes verwirklicht worden, dann wäre das Goethehaus in Weimar 1842/43 zu einem »Nationalmuseum« in der Trägerschaft einer »Nationalstiftung« geworden62, und es wäre damit das erste Nationalmuseum der deutschen Geschichte gewesen – Umstände, die Goethes Weimarer Haus einordnen in eine noch ungeschriebene Geschichte deutscher Nationalmuseen.63 Was Peter-Klaus Schuster im Hinblick auf die Vorgeschichte der National57 So auch heute: die Klassik Stiftung Weimar wird zur Hälfte vom Bund getragen, ist also keine Landesangelegenheit Thüringens. 58 An Walther von Goethe, 3. März 1843, in: Kahl/Kalvelage (Hg.), Das Goethe-Nationalmuseum, Bd. 1 (wie Anm. 1), Dok. 385. 59 Vgl. das Schreiben des Vorbereitungsausschusses am Bundestag in Frankfurt an Fritsch vom 3. März 1843 und die beiden gleichlautenden Schreiben der Vormünder Büttner und Vogel an Walther und an Wolfgang von Goethe, beide vom 29. März 1843, ebd., Dok. 383 und 411. Aus einem Bericht Dönhoffs an Bülow vom 3. März 1843 geht hervor, dass eine weitere Erhöhung über 60 000 Reichstaler hinaus denkbar sei, ebd., Dok. 384. 60 Ebd., Dok. 492. Vgl. auch Fritsch an Walther von Goethe, 16. April 1844, ein Schreiben, aus dem hervorgeht, dass der König sich ausdrücklich gegen den alleinigen Ankauf der Sammlungen ohne das Haus gewandt habe, ebd., Dok. 502. 61 Fritsch an das Weimarer Staatsministerium, 21. März 1844, ebd., Dok. 494. 62 In den Quellen überwiegen die Begriffe »Nationalstiftung« (als Trägereinrichtung), »Nationaleigenthum« und »Nationaldenkmal«; es ist aber ausdrücklich auch von einem »Deutschen Museum« und auch einem »Nationalmuseum« die Rede, zuerst bei Ernst Carl John, vgl. Ders. an Kanzler von Müller, Februar 1842, ebd., Dok. 195, und dann vor allem bei Melchior Meyr, vgl. Ders. an von Müller, 4. April 1842, ebd., Dok. 200, sowie Meyrs Denkschrift, ebd., Dok. 181, und seinen Tagebucheintrag vom 22. Dezember 1841, ebd., Dok. 180.  63 Vgl. jüngst den Band von Breuer/Holtz/Kahl (Hg.), Die Musealisierung der Nation (wie Anm. 3). Die wenigen älteren Arbeiten zur Geschichte deutscher Nationalmuseen erwähnen das Goethehaus in Weimar gar nicht, weder das Vorhaben von 1842/43 und auch nicht die vollzogene Gründung von 1885; vgl. Kurt Karl Eberlein: Idee und Entstehung der deutschen Natio-



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galerie in Berlin schreibt, gilt für die gescheiterte Weimarer Nationalstiftung von 1842 erst recht: »Wenig erscheint bezeichnender für den Nationalgedanken in Deutschland, als daß die Einheit der Deutschen zuerst im Museum stattfindet.«64 Das Spannungsfeld von ›Kulturnation‹ und ›Staatsnation‹ wird beinahe idealtypisch sichtbar. Ein erstes Goethemuseum wurde zwanzig Jahre später gegründet, allerdings nicht in Weimar, sondern in Frankfurt, und zwar unter dem Dach des Freien Deutschen Hochstifts. Es waren nicht Fürsten, sondern Bürger, die – wiederum kompensatorisch – versuchten, der fehlenden Einheit der Deutschen »die freie geistige Einigung der Nation« gegenüberzustellen, so Otto Volger, der Gründer des Hochstifts.65 Während das Weimarer Goethehaus noch jahrzehntelang ein Privathaus blieb, richteten sich öffentliche Erwartungen auf das Frankfurter Elternhaus Goethes, das, 1863 erworben, Ausgangspunkt wissenschaftlicher und volksbildender Unternehmungen wurde, die auf eine umfassende ›Kulturnation‹ zielten, auch nach 1871. In einer Denkschrift von 1880 bezeichnete Otto Volger die Trennung von Deutschem Reich und Österreich als »Widerspruch gegen das Einheitsbewußtsein der Deutschen Bevölkerung beider Kaiserthume, für welches sie ihren Halt dermalen hauptsächlich in der Sprache Goethe’s und Schiller’s findet«.66 Entsprechend versuchte Volger eine gemeinsame Trägerschaft der Frankfurter wie der Weimarer Goethestätten durch das Hochstift zu verwirklichen, die gemeinsam vom Deutschen Reich wie von Österreich unterhalten würden – ein übergreifendes Vorhaben, das wie das Projekt von 1842 scheiterte. Ein Weimarer Goethemuseum wurde, wie eingangs erwähnt, erst möglich, als der letzte Enkel Goethes, Walther von Goethe, 1885 kinderlos verstorben nal-Museen, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch N.F. 1 (1930), S. 269–281; Peter Burian: Die Idee der Nationalanstalt, in: Deneke/Kahsnitz (Hg.), Das kunst- und kulturgeschichtliche Museum (wie Anm. 8), S. 11–18; Marie-Louise von Plessen (Hg.): Die Nation und ihre Museen. Für das Deutsche Historische Museum, Frankfurt am Main/New York 1992. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Nipperdey, Nationalidee und Nationaldenkmal (wie Anm. 21). Auch Nipperdey erwähnt das Goethehaus nicht, obwohl sein Begriff – Nationaldenkmal – üblicherweise auf das Haus bezogen wurde; es gehört, folgt man seiner Begrifflichkeit, zu den Denkmälern der Bildungs- und Kulturnation, es ist ein »historisch kulturelle[s] Nationaldenkmal« (ebd., S. 148). 64 Peter-Klaus Schuster: Die Geburt der Nation aus dem Geist der Kunst. Zur Wiedereröffnung der Alten Nationalgalerie, in: Nationalgalerie Berlin. Das XIX. Jahrhundert. Katalog der ausgestellten Werke, Berlin/Leipzig 2001, S. 5–12, hier S. 5. 65 So in einem Schreiben an Sachsen-Weimars Großherzog Carl Alexander vom 24. August 1880, Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, A XXVI 1175, Nr. 1. Vgl. Fritz Adler: Freies Deutsches Hochstift. Seine Geschichte. Erster Teil: 1859–1885, Frankfurt am Main 1959; Joachim Seng: Goethe-Enthusiasmus und Bürgersinn. Das Freie Deutsche Hochstift – Frankfurter Goethe-Museum 1881–1960, Göttingen 2009; Sebastian Martius: Ein Reich des Geistes. Der Beitrag des Freien Deutschen Hochstifts zur Nationsbildung 1859–1914, Stuttgart 2016 (= Frankfurter Historische Abhandlungen, Bd. 47). 66 Kahl/Kalvelage (Hg.), Das Goethe-Nationalmuseum, Bd. 1 (wie Anm. 1), Dok. 763. Zu Volgers Denkschrift vgl. Adler, Freies Deutsches Hochstift (wie Anm. 65), S. 171–175.

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war. Das kurz danach gegründete Museum gehört nicht mehr zur Geschichte des Deutschen Bundes, es war im Gegenteil das Privatunternehmen ausschließlich des Weimarer Großherzogs Carl Alexander unter den Bedingungen des Bismarckreiches. Mit dem Namen Goethe-Nationalmuseum knüpfte Carl Alexander allerdings an das an, was zuvor gescheitert war: die Nation mit Goethe zu verbinden und sie, durchaus großdeutsch gedacht, durch Kultur und Sprache zu begründen. Damit sollte ein ›Geist von Weimar‹ gegenüber einem ›Geist von Potsdam‹ unterstrichen werden. Wie schwach, ja wie zwiespältig dieser Geist von Weimar und eine solche politische Indienstnahme Goethes waren, zeigte sich vollends nur fünfzig Jahre später, als Weimarer Kulturvertreter einen völkischen Goethe propagierten und mit diesem – an die rhetorischen Muster des neunzehnten Jahrhunderts anknüpfend – die deutsche Nation insgesamt meinten.67 Dass sich aber die deutschen Fürsten der 1840er-Jahre zusammenfanden, um ein kulturpolitisches Vorhaben im Zeichen Goethes und damit im Zeichen deutscher Literatur und Sprache zu verwirklichen, ist ein Umstand, an den trotz seiner Ambivalenzen würdigend erinnert werden darf. Sie haben damit erstmals föderative Kulturpolitik gegen die Kleinstaaterei gestellt, ein Spannungsfeld, das zur historischen Tiefendimension unserer eigenen Gegenwart gehört.

67 Vgl. im Einzelnen Kahl (Hg.), Das Goethe-Nationalmuseum, Bd. 2 (wie Anm. 1).

Andreas C. Hofmann

Zwischenstaatliche Wissenschaftskommunikation und Wissenschaftspolitik im Deutschen Bund (1815–1848)* »Im Deutschen als Menschen liegt die Liebe zu den Wissenschaften. [...] Fern sei von mir, irgend einer Nation auch in dieser Beziehung zu nahe treten zu wollen; aber so soll auch nicht falsche Bescheidenheit mich binden, meine Überzeugung mit hohem Gefühle zu haben: dass Deutschland auch von dieser Seite sich wenigstens gleichzeitig mit anderen Nationen in die erste Reihe der literarischen, der Kunst- und praktischen Lebensbildung stellen kann. Sind unsere Universitäten nicht ein stolzes Denkmal deutscher Entwicklung. Selbst Ausländer, nicht immer gegen uns mit der Waagschale des Verdienstes, räumen der Form dieser wissenschaftlichen Institute, schon wegen ihrer, die Wissenschaft, alle Haupt- und Hilfszweige, als ein Ganzes berücksichtigenden Verfassung einen großen Rang ein.«1

So der österreichische Präsidialgesandte Johann Rudolf von Buol-Schauenstein (1763–1834) in seiner Eröffnungsrede zur konstituierenden Sitzung der Deutschen Bundesversammlung am 5. November 1816. Er nahm hierbei auf die Ereignisse der vorhergegangenen Jahre Bezug und zeichnete zugleich ein identitätsstiftendes Bild deutscher Eigenschaften. Die Wissenschaften und die Universitäten hob er gleichermaßen als ›nationaldemokratische‹ Kristallisationspunkte hervor.2 Aber gab es überhaupt so etwas wie eine Wissenschaftskommunikation und Wissenschaftspolitik im Deutschland des Vormärz? Bot der Deutsche Bund als damalige Manifestation der deutschen Nation überhaupt einen Rahmen für

Der vorliegende Beitrag behandelt unter Verwendung neuer Quellen sowie mit einer erweiterten inhaltlichen Ausrichtung einen zentralen Aspekt meiner bei Prof. Dr. Wolfram Siemann entstandenen und im Wintersemester 2013/14 von der Philosophischen Fakultät für Geschichts- und Kunstwissenschaften der Ludwig-Maximilians-Universität angenommenen Dissertation »Deutsche Universitätspolitik im Vormärz zwischen Zentralismus, ›Transstaatlichkeit‹ und ›Eigenstaatlichkeitsideologien‹ (1815/19 bis 1848)«, Online-Veröffentlichung München 2015/16, http://edoc.ub.uni-muenchen.de/19647, sowie als Druckfassung: Andreas C. Hofmann: Deutsche Universitätspolitik im Vormärz (1815–1848). Ein Beitrag zur Neubewertung des Deutschen Bundes, Berlin u. a. voraussichtlich 2018 (= Schriftenreihe der Stipendiatinnen und Stipendiaten der Friedrich-Ebert-Stiftung). 1 Protokolle der Deutschen Bundesversammlung [Quart-Ausgabe], Bd. I, 1. Sitzung (5.11.1816), § 4: Eröffnung der Bundesversammlung, hier S. 13 f. 2 Zur Unterscheidung zwischen nationaldemokratischem und nationalantagonistischem Selbstverständnis vgl. Wolfram Siemann: Die deutsche Revolution von 1848/49, Frankfurt am Main 71997, S. 147 (= Neue Historische Bibliothek, Neue Folge 266). *

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wissenschaftliches und wissenschaftspolitisches Agieren? Die Historiographie hatte ihn doch lange Zeit als »vorsintflutliches Monstrum« (Hagen Schulze), »unwürdige Verfassung« (Karl Griewank) oder »Negation des nationalstaatlichen Gedankens« (Ernst Rudolf Huber) bezeichnet.3 Und die Zeit des Deutschen Bundes, des Vormärz und vor allem der Karlsbader Beschlüsse war immer eine Chiffre für Unterdrückung, Kleinstaaterei, Partikularismus und »tollwütige Demagogenriecher«.4 Der Deutsche Bund war aber sowohl an der Oberfläche als auch darunter moderner denn je und seiner Zeit weit voraus! Denn er war ein wichtiger Akteur der Kommunikation über die Grenzen der Einzelstaaten hinaus und er hatte als solcher einen maßgeblichen Anteil an der Bildung der deutschen Nation durch Kommunikation.5 Der Fokus der folgenden Abhandlung liegt auf den Universitäten, die sowohl Träger wissenschaftskommunikativen Handelns als auch Gegenstand wissenschaftspolitischer Debatten waren. Ein Exkurs betrachtet sodann die Akademien der Wissenschaften und entwickelt Fragestellungen für eine weitergehende Behandlung dieser Foren von Wissenschaftskommunikation. Eine Frage für zukünftige Forschungsdebatten bleibt, inwiefern Einzelstaaten mit außerdeutschen Landesherren eine Sonderrolle einnahmen und nach Österreich, Preußen und dem „Dritten Deutschland“ (Peter Burg) zu einem „Vierten Deutschland“ (Andreas C. Hofmann) zusammenzufassen wären.

3 Hagen Schulze: Der Weg zum Nationalstaat. Die deutsche Nationalbewegung vom 18. Jahrhundert bis zur Reichsgründung, München 41994, S. 74; Karl Griewank: Der Wiener Kongreß und die europäische Restauration 1814/15, Leipzig 21954, S. 278; Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 1: Reform und Restauration 1789–1830, Stuttgart 21960, Ndr. Stuttgart u. a. 1975, S. 476. Zur Historiographie vgl. ausführlich Jürgen Müller: Der Deutsche Bund 1815–1866, München 2006, S. 51–88 (= Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 78). Eine konzise Synthese zum Deutschen Bund bietet ferner Wolf D. Gruner: Der Deutsche Bund 1815–1866, München 2012. Die Grundlinien der Epoche untersucht im europäischen Kontext Andreas Fahrmeir: Europa zwischen Restauration, Reform und Revolution 1815–1850, München 2012 (= Oldenbourg Grundriss der Geschichte, Bd. 41). 4 Der Ausdruck des »Demagogenriechens« findet sich im Zusammenhang mit dem preußischen Polizei- und Justizbeamten Karl Albert von Kamptz (1769–1849) in: Kunst der bürgerlichen Revolution von 1830 bis 1848/49, hg. v. d. Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst / Arbeitsgruppe Kunst der Bürgerlichen Revolution 1830–1848/49, Berlin 31973, S. 129 (Ausstellung im Schloss Charlottenburg, Berlin 1972/73). 5 Hierzu vgl. die bahnbrechende Untersuchung Karl W. Deutsch: Nationalism and Social Communication. An Inquiry into the Foundations of Nationality, Cambridge, Mass. 21962, Ndr. 1969. Als »Das Werden der Nation« bezeichnet die Jahre von 1806 bis 1871 Wolfram Siemann: Vom Staatenbund zum Nationalstaat. Deutschland 1806–1871, München 1995, Zweiter Teil (= Neue Deutsche Geschichte, Bd. 7). Ideengeschichtlich Andreas Fahrmeir: Die Deutschen und ihre Nation. Geschichte einer Idee, Ditzingen 2017, hier vor allem S. 69–95. Für die Bedeutung der Kommunikation vgl. fallbezogen Michael Wobring: Telekommunikation und Nationsbildung. Die politischen Konzepte früher deutscher Telegrafenplanung vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis zur Paulskirche, in: Technikgeschichte 71 (2004), S. 201–221; Otto Dann: Vereinsbildung und Nationsbildung. Sieben Beiträge, hg. v. Albert Eßer, Köln 2003.



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I. Methodische Rahmenbedingungen 1. Ebenen, Ziele und Akteure von Wissenschaftskommunikation und Wissenschaftspolitik6 Je nachdem welche Akteure miteinander agieren, sind drei verschiedene Ebenen von Wissenschaftskommunikation zu unterscheiden: Die Makroebene bezeichnet hierbei die Vermittlung von Funktionen und Leistungen der Wissenschaft als Ganzes an die Gesellschaft. Auf der Mesoebene kommunizieren wissenschaftliche Einrichtungen untereinander oder mit anderen wissenschaftsstrategischen Akteuren wie der Politik oder Wirtschaft. Die Vermittlung von Wissenschaftsthemen durch einzelne Forscher oder Forschergruppen findet auf der Mikroebene statt.7 Legt man den Fokus auf die Ziele von Wissenschaftskommunikation, kann zwischen einem offenen und geschlossenen System differenziert werden: Externe Wissenschaftskommunikation ist die Interaktion der Wissenschaft mit der Öffentlichkeit, um Forschungsergebnisse zu präsentieren und somit auch die eigene Rolle zu legitimieren. Interne Wissenschaftskommunikation stellt hingegen die Vermittlung von Forschungsergebnissen von Wissenschaftler zu Wissenschaftler innerhalb einer wissenschaftlichen Gemeinschaft dar.8 Eine Unterscheidung nach Akteuren bietet sich für eine Typologie der Wissenschaftspolitik an: Bei aktiver Wissenschaftspolitik sind die Wissenschaft, einzelne Wissenschaftler oder Wissenschaftsverbände die jeweiligen Akteure politischen Handelns. Aktive Wissenschaftspolitik ist Politik der Wissenschaft. In passiver Wissenschaftspolitik ist die Wissenschaft nur Gegenstand politischen Handelns

6 Die Geschichte der Wissenschaftskommunikation ist insbesondere für das 19. Jahrhundert noch wenig erforscht. Siehe Martin W. Bauer: Kritische Beobachtungen zur Geschichte der Wissenschaftskommunikation, in: Heinz Bonfadelli et. al. (Hrsg.): Forschungsfeld Wissenschaftskommunikation, Wiesbaden 2017, S.  17–40. »Eine kurze Geschichte der Wissenschaftskommunikation« liefern Marc-Denis Weitze/Wolfgang M. Heckl: Wissenschaftskommunikation – Schlüsselideen, Akteure, Fallbeispiele, Berlin u. a. 2016, S. 1–21. Einzelstudien zur Geschichte der Wissenschaftspolitik gibt es insbesondere zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. An einer großen Synthese zur Wissenschaftspolitik im 19. Jahrhundert mangelt es aber auch hier. Als Einstieg in die Materie vgl. R. Steven Turner: Universitäten, in: Karl Ernst Jeismann/Peter Lundgreen (Hg.): 1800–1870. Von der Neuordnung Deutschlands bis zur Gründung des Deutschen Reiches, München 1987, S. 221–249 (= Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 3). 7 Das hier vorgestellte Modell ist eine Adaption von Beatrice Bernbach/Christian Kleinert/Herbert Münder: Einleitung. Die drei Ebenen der Wissenschaftskommunikation, in: Dies. (Hg.): Handbuch Wissenschaftskommunikation, Wiesbaden 2012, S. 1–15. 8 Svenja Hagenhoff/Lutz Seidenfaden/Björn Ortelbach/Matthias Schumann: Neue Formen der Wissenschaftskommunikation. Eine Fallstudienuntersuchung, Göttingen 2007, S. 5 f. (= Göttinger Schriften zur Internetforschung, 4).

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beispielsweise bei der Gestaltung staatlicher Rahmenbedingungen. Passive Wissenschaftspolitik ist Politik über die Wissenschaft.9 Der Referenzrahmen dieser Untersuchung umfasst eine interne Wissenschaftskommunikation, die vor allem auf der Mesoebene, also zwischen wissenschaftlichen Einrichtungen und wissenschaftsstrategischen Akteuren stattfindet. Diese interne Wissenschaftskommunikation kann hierbei in einem fließenden Übergang zu aktiver Wissenschaftspolitik werden. In Erweiterung des vorgestellten Modells liegt eine mediale Wissenschaftspolitik vor, wenn sie zwischen der Wissenschaft und der Obrigkeit stattfindet. 2. Suprastaatlichkeit, Interstaatlichkeit und Transstaatlichkeit. Drei Ebenen zur Beschreibung zwischenstaatlicher Beziehungen im Deutschen Bund10 Wie allerdings beschreibt und klassifiziert man zwischenstaatliche Wissenschaftskommunikation und Wissenschaftspolitik im Deutschen Bund? Während Adjektive wie supranational, international oder vor allem transnational immer breitere Anwendung finden, unterblieb eine Anwendung auf den Deutschen Bund bisher. Im Folgenden sind die Einzelstaaten der Referenzrahmen und es wird ein Modell von drei Ebenen entwickelt, die sich komplementär zueinander verhalten. Das bedeutet, dass eine zwischenstaatliche Beziehung nicht in mehrere Ebenen eingeordnet werden kann. Suprastaatlichkeit bezeichnet in Anlehnung an Supranationalität die Übertragung von Souveränitätsrechten auf eine teilautonome überstaatliche Handlungssphäre.11 Diese wird durch den Deutschen Bund und seine Organe repräsentiert.12 9 Konkrete Beispiele bei Dagmar Simon/Andreas Knie/Stefan Hornbostel (Hg.): Handbuch Wissenschaftspolitik, Wiesbaden 22016. 10 Das Modell wurde erstmals ausführlich vorgestellt bei Andreas C. Hofmann: Suprastaatlichkeit, Interstaatlichkeit und Transstaatlichkeit. Ein Drei-Ebenen-Modell zur Beschreibung zwischenstaatlicher Beziehungen im Deutschen Bund, in: Melanie Hühn/Dörte Lerp/Knut Petzold/Miriam Stock (Hg.): Transkulturalität, Transnationalität, Transstaatlichkeit, Translokalität. Theoretische und empirische Begriffsbestimmungen, Münster u. a. 2010, S. 133–148. 11 Heinz Faßmann: Regionalismus, Föderalismus, Supranationalismus, in: Informationen zur Politischen Bildung Nr. 18 (2001): Regionalismus, Föderalismus, Supranationalismus, S. 5–10, hier S.  5; weiterführend z. B. auch Hartmut Kaelble: Supranationalität in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg, in: Heinrich August Winkler/Hartmut Kaelble (Hg.): Nationalismus – Nationalitäten – Supranationalität, Stuttgart 1993, S. 189–206 (= Industrielle Welt. Schriftenreihe des Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte 53). 12 Während des Kalten Krieges verwendete die Forschung den Deutschen Bund als Referenz für suprastaatliche Ordnungen. Vgl. Enno E. Kraehe: The United Nations in the Light of the Experiences of the German Confederation 1815–1866, in: South Atlantic Quarterly 49 (1950), S. 138–149; Wolf D. Gruner: Der Deutsche Bund – Modell für eine Zwischenlösung, in: Ders.: Deutschland mitten in Europa. Aspekte und Perspektiven der Deutschen Frage in Geschichte und Gegenwart, Hamburg 1992, S. 45–70 (= Beiträge zur deutschen und europäischen Geschichte, 5). Auch für den Deutschen Zollverein wurde die Anwendung dieses Konzepts be-



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Innerhalb einer solchen suprastaatlichen Handlungssphäre gelten formale Spielregeln, deren materiale Ausprägung allerdings nicht immer gleich ist. Mächtige Staaten können eine »Steuerungskompetenz« (Peter Burg) im Hinblick auf weniger einflussreiche Akteure entwickeln13, die einer schweren Kugel in einem Tuch gleicht. Interstaatlichkeit umfasst in Analogie zu Internationalität alle Beziehungen, die mit Zwischenschaltung einzelstaatlicher Regierungen erfolgen. Dies sind ausschließlich diplomatische Kontakte der Einzelstaaten untereinander. Als Darstellung dient das Konzept der Netzwerke, das um die Bindungsdichte erweitert wird.14 Es wird bewusst ein streng diplomatiegeschichtlicher Begriff von Internationalität / Interstaatlichkeit verwendet, um diesen von einer transnationalen / transstaatlichen Handlungsweise klarer abzugrenzen, als die Forschung dies bislang getan hat.15 Transstaatlichkeit folgt einer Definition von Transnationalität, die staatliche und nichtstaatliche Beziehungen bezeichnet, die ohne Zwischenschaltung einzelstaatlicher Regierungen geschehen.16 Diese Herangehensweise umfasst sowohl die Verbindungen von substaatlichen Einheiten wie Kommunen oder Universireits erwogen, siehe dazu Marko Kreutzmann: Der Deutsche Zollverein von 1834. Von der intergouvernementalen Staatenverbindung zur suprastaatlichen Organisation?, in: Journal of European Integration History 19 (2013), S. 189–205. 13 Peter Burg: Monoistische oder dualistische Steuerungskompetenz? Die Deutschlandpolitik Österreichs und Preußens zwischen Wiener Kongreß und Märzrevolution, in: Michael Gehler/ Rainer F. Schmidt/Harm-Hinrich Brandt/Rolf Steininger (Hg.): Ungleiche Partner? Österreich und Deutschland in ihrer gegenseitigen Wahrnehmung. Historische Analysen und Vergleiche aus dem 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 1996, S. 75–94 (= Historische Mitteilungen der Ranke-Gesellschaft, Beih. 15). 14 Manfred Faßler: Netzwerke. Einführung in die Netzstrukturen, Netzkulturen und verteilte Gesellschaftlichkeit, München 2001; ferner Sebastian Gießmann: Netze und Netzwerke. Archäologie einer Kulturtechnik 1740–1840, Bielefeld 2015. 15 Als Plädoyer für eine klare Trennung der Konzepte vgl. Patricia Clavin: Defining Transnationalism, in: Central European History 14 (2005), S. 421–439. Anders Peter Friedemann/Lucian Hölscher: Art. »Internationale, International, Internationalismus«, in: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 3, Stuttgart 1982, S. 367–397, sowie Heinz Duchhardt/Franz Knipping: Vorwort zum Gesamtwerk, in: Michael Erbe: Revolutionäre Erschütterung und erneuertes Gleichgewicht. Internationale Beziehungen 1785–1830, Paderborn u. a. 2004, S. XII (= Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen, 5). 16 »Transnational ist in: Das Adjektiv lässt sich leicht einfügen und scheint allen historischen Projekten, ob sie sich nun mit nur einem einzigen Nationalstaat oder mit mehreren befassen, eine unwiderlegbare Rechtfertigung zu verleihen.« Johannes Paulmann: Rezension zu Sebastian Conrad/Jürgen Osterhammel (Hg.): Das Kaiserreich transnational. Deutschland in der Welt 1871–1914, Göttingen 2004, in: H-Soz-u-Kult [15.9.2005], http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-5487. Trotzdem: »Was genau unter transnationaler Geschichte zu verstehen ist, war und bleibt umstritten«. Klaus Kiran Patel: Transnationale Geschichte, in: Europäische Geschichte Online, hg. v. Institut für Europäische Geschichte, Mainz 2010-12-03, http://www.ieg-ego.eu/patelk-2010-de. Es erscheint somit gerechtfertigt, Transstaatlichkeit analog innerhalb des durch Transnationale Geschichte vorgegebenen, wenn auch diffusen Definitionsbereiches festzusetzen.

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täten als auch die staatenübergreifende Zusammenarbeit nichtstaatlicher Akteure.17 Für den Deutschen Bund bedeutet dies, dass ex negativo alle Beziehungen transstaatlich sind, die weder suprastaatlich noch interstaatlich sind.18

II. Interne Wissenschaftskommunikation auf der Mesoebene 1. Der Verein zum Austausch akademischer Gelegenheitsschriften19 »Bei dem schätzbaren Vorteile für jede wissenschaftliche Anstalt und die damit verbundenen Männer, eine mit dem Fortgange der Zeit sich stets erneuernde und täglich wachsende Sammlung solcher akademischen Gelegenheitsschriften (der guten wie der schlechten) zu besitzen und dieselbe mit dem täglich neu erscheinenden auch täglich vermehrt zu sehen [...] erscheint die Bildung eines besonderen Vereins sämtlicher Universitäten unseres deutschen Vaterlandes zur gegenseitigen Mittheilung ihrer neuen literarischen Produkte über alle Fächer der Wissenschaften in gewissen bestimmten Zeitpunkten des Jahres als eine höchst wünschenswerte Sache.«20

Diesen Appell und Erläuterungen zur konkreten Umsetzung eines solchen Vereins veröffentlichte der Marburger Professor Samuel Lucä (1787–1821) im Jahre 1817 in der ›Isis‹ von Lorenz Oken (1779–1851).21 Als Vorbild diente vermutlich 17 Grundlegend für die vorliegende Definition sind die transgouvernementalen Beziehungen bei Thomas Risse-Kappen: Bringing Transnational Relations Back In. Introduction, in: Ders. (Ed.): Bringing Transnational Relations Back In. Non-State Actors, Domestic Structures and International Institutions, Cambridge 1995, S. 3–33, hier S. 9 (= Cambridge Studies in International Relations, 42), sowie im Hinblick auf die transregionale Mikrodiplomatie bei Natascha Füchtner: Netzwerke europäischer Räume. Transregionale Kooperation als wirtschaftliches und politisches Potential im Strukturwandel, Bochum 1997, S. 9 (= Mobilität und Normenwandel, 21). Wegen der Zusammensetzung aus Vertretern verschiedener Bundesstaaten waren die Überwachungsorgane des Deutschen Bundes supranationale bzw. suprastaatliche Polizeibehörden. Vgl. Franziska Reiner: Die Mainzer Zentraluntersuchungskommission 1819 bis 1829. Zum Dilemma einer ›supranationalen Polizeibehörde‹, in: aventinus nova Nr. 17 (Winter 2009), http://www.aventinus-online.de/no_cache/persistent/artikel/7831/. 18 Weiterführend Andreas C. Hofmann: Transstaatliche Verfassungsgeschichte suprastaatlicher Organisationen – Erweiterung statt Alternative, in: L.I.S.A. Das Wissenschaftsportal der Gerda-Henkel-Stiftung [26.02.2013], http://lisa.gerda-henkel-stiftung.de/?nav_id=4163. 19 Grundlegend ist die Aktenserie: Verein zum Austausch akademischer Schriften zwischen deutschen Universitäten 1816–1940, UA Marburg, 305a, Nrn. 592, 6136, 6137, 6138, 6139, 6140, 6141, 6142, 6143, 6144, 6145, 7777. 20 S[amuel] C[hristian] Lucä: Universitäten-Verbindung zum Dissertationen-Tausch, in: Isis, oder: Encyklopädische Zeitung Nr. 65/1817, Sp. 515–520, hier Sp. 517. Das Vorhaben war bereits 1816 innerhalb der Universität Marburg debattiert worden, wie es ein Rundschreiben des dortigen Prorektors festhält: Universität Marburg an alle weiteren Universitäten Deutschlands, 31.3.1817, UA Erlangen, A1/3a, Nr. 308 u. 310. 21 Stefan Höppner: Was ist eine enzyklopädische Zeitschrift? Lorenz Okens »Isis« und die Rolle der Literatur (1816–1848), in: Monika Schmitz-Emans/Christoph Benjamin Schulz/Kai Lars Fischer (Hg.): Alphabet, Lexikographik und Enzyklopädistik. Historische Konzepte und lite-



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das im 18. Jahrhundert in Schweden etablierte commercium literarium.22 Demnach waren betreffende Schriften von den Universitäten zurückzulegen und durch bevollmächtigte Buchhändler auf den Leipziger Buchmessen auszutauschen. »Aber es dürfte ein solches Institut, einmal zustande gebracht, nicht auf kurze Zeit betrieben werden, sondern das Band müsste (etwa nach Art der akademischen Kartellverträge) auf immer geknüpft sein, und darum werde es nicht durch freundschaftliche Privatkorrespondenz einzelner Glieder an Universitäten, deren Schicksale menschlich sind, sondern durch offizielle Verträge der gesamten Universitätskorporationen, der akademischen Senate, feierlich abgeschlossen«,

fuhr Lucä fort. Das Universitätsarchiv Marburg überliefert Akten zur Gründung des Vereins, wobei man mit dem Beitritt der Universitäten Prag und vielleicht auch Wien rechnete. Eine ärgerliche Szene lieferte die Universität Breslau, die ohne Rücksprache den Verhandlungsstand und eine Liste beigetretener Einrichtungen veröffentlichte: Berlin, Breslau, Bern, Dorpat, Erlangen, Gießen, Göttingen, Greifswald, Halle, Heidelberg, Jena, Kiel, Königsberg, Landshut, Marburg, Rostock und Würzburg. Dies führte zu einer Verstimmung bei der Universität Freiburg, die auf der Mitgliederliste nicht vorkam, aber Marburg schon das Interesse am Beitritt erklärt hatte.23 Es fällt auf, dass die nicht bundeszugehörige preußische Universität Königsberg dem Akademischen Austauschverein beitrat, während die österreichischen Universitäten Wien und Prag außen vor blieben.24 Die Universität Breslau trat die Flucht nach vorne an und schlug vor, dass die Universität Marburg die »Centralbehörde« dieses Vereins übernehmen solle. Nach anfänglichem Zögern stimmte die Universität Marburg zu und wurde zum »geschäftsführenden Mitglied« des Akademischen Tauschvereins bestimmt.25 Aufgabe dieses geschäftsführenden Mitglieds war es, als Multiplikator bei ihr eingehende Nachrichten und Wünsche an die anderen am Verein beteiligten Universitäten weiterzuleiten. Hierfür wurde extra ein eigenes Formular entworfen,

22 23 24 25

rarisch-künstlerische Verfahren, Hildesheim u. a. 2012, S. 161–194 (= Literatur – Wissen – Poetik, 2); Katrin Stiefel: Zwischen Naturphilosophie und Wissenschaftspolitik. Zum Profil der Isis oder Encyklopädischen Zeitschrift von Oken als naturwissenschaftliches Publikationsorgan in den Jahren 1817 bis 1822, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 26 (2003), S. 35–56. Johanna Lilja: History of the International Exchange of Publications, in: Kirsti Ekonen/Paivi Paloposki/Pentti Vattulainen (Hg.): Handbook on the International Exchange of Publications, München 52006, S. 49–68, hier S. 52. Universität Breslau an die deutschen Universitäten, 10.10.1817 / Verzeichnis der dem Verein beigetretenen Universitäten [2.9.1817] / Universität Freiburg an Universität Marburg, 26.11.1817, UA Marburg, 305a, Nr. 6145. An die Universitäten Berlin, Breslau, Erlangen, Freiburg, Gießen, Göttingen, Greifswald, Halle, Heidelberg, Jena, Kiel, Königsberg, Landshut, Rostock, 20.6.1818, UA Marburg, 305a, Nr. 6145. J[ulius] C[aesar]: Zur Geschichte des Akademischen Tauschvereins, in: Centralblatt für Bibliothekswesen 2 (1885), S. 471–473, hier S. 472.

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in welches nur noch die Adressaten und Mitteilungen einzutragen waren.26 Die Universität Marburg bezeichnete sich selbst aber auch als Präsidium des Akademischen Tauschvereins.27 Der Akademische Tauschverein wurde schnell über den Deutschen Bund hinaus bekannt. Er fand in der Öffentlichkeit erneut 1823 Erwähnung und zählte sodann insgesamt 26 Mitglieder, davon neun ausländische.28 Er wurde im Vormärz etwa um die schwedische Universität Lund, die preußische Universität Bonn, die schweizerischen Universitäten Basel und Zürich, die niederländische Universität Utrecht, die griechische Universität Athen sowie die medizinische Fakultät der Universität Straßburg erweitert.29 Die außerdeutschen Mitglieder genossen hierbei insofern eine weitreichende Autonomie, als sie nicht an die Universität Marburg gebunden waren, sondern eigene »Centralorte« bestimmen durften.30 Das Bedeutende am Akademischen Tauschverein ist, dass er über die Grenzen der Einzelstaaten hinaus eine körperschaftliche Organisation mit Namen, Mitgliedern und Organen bildete.31 Die in seinem Rahmen erfolgten zwischenstaatlichen Kommunikationen fanden direkt statt und nicht über den Umweg damals üblicher diplomatischer Kanäle. Da seine Kommunikation innerhalb des Deutschen Bundes weder suprastaatlich, noch interstaatlich war, ist der Akademische Tauschverein in den transstaatlichen Raum einzuordnen. In der Art seiner Kommunikation gleicht er somit den zeitgleich existierenden Universitätskartellen, die später noch in einem Exkurs behandelt werden.32

26 Mitteilung der Universität Jena an die weiteren Universitäten des Tauschvereins, 26.5.1818, UA Erlangen, A1/3a, Nr. 308 u. 310. 27 UA Marburg, 305a, Nr. 6145: Das Praesidium beim deutschen Universitaetenverein zum Dissertationentausch betreffend 1817–1820. 28 Beiträge zur Geschichte deutscher Universitäten, in: Literarisches Conversations-Blatt Nr. 215, 17.9.1823, S. 857–860, hier S. 859*. 29 Deutscher Universitätsverein zur gegenseitigen Mittheilung academischer Druckschriften, geschäftsführende Universität Marburg an Universität Erlangen, 6.10.1827 / Universität Marburg an Universität Erlangen, 26.3.1836 / Universität Marburg an Universität Erlangen, 18.10.1836, UA Erlangen, A1/3a, Nr. 308 u. 310; Personal-Chronik und Miszellen, in: Zeitschrift für die Alterthumswissenschaft Nr. 34, 19.03.1841, S. 288. 30 C[aesar], Geschichte (wie Anm. 25), S. 472. 31 In der Bibliothekswelt nahm er eine durchaus große Bedeutung ein. Bernhard Fabian (Hg.): Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland, Österreich und Europa, digit. v. Günter Kükenshöner, Hildesheim 2003, http://fabian.sub.uni-goettingen.de, liefert dreizehn Textstellen zu deutschen und skandinavischen Bibliotheken. 32 Der Akademische Tauschverein fand vor allem in bibliothekswissenschaftlicher Literatur noch Erwähnung: Joe W. Kraus: Prologue to Library Cooperation, in: Library Trends 24 (1975), S. 169–182; Curt D. Wormann: Aspects of International Library Cooperation. Historical and Contemporary, in: The Library Quarterly 38 (1968), S. 338–351, hier S. 341 f.; Nancy E. Gwinn: The Origins and Development of International Publication Exchange in NineteenthCentury America, PhD. Diss. [masch.] Washington D.C. 1996, S. 32. Weitere Archivquellen befinden sich im UA München, G-I-1c / X-III-21.



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Der Akademische Austauschverein erreichte nach dem Beitritt französischer Universitäten in den 1880er Jahren mit 68 Mitgliedern seinen Zenit. Er überdauerte ferner sowohl die Jahrhundertwende als auch den Ersten Weltkrieg.33 2. Die Kartelle und Bündnisse der deutschen Universitäten seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert Bereits seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert sind sogenannte Universitätskartelle nachweisbar.34 Diese beinhalteten die Pflicht der beteiligten Universitäten, sich weggewiesene Studierende jeweils wechselseitig mitzuteilen. Die Kartelle hatten anders als der Akademische Tauschverein keine körperschaftliche Struktur, sondern es handelte sich um ein bilaterales universitätsrechtliches Instrument, das jeweils eines eigenen Abschlusses bedurfte. Solche Abschlüsse wurden in der Regel vom jeweiligen Landesherren genehmigt, sofern nicht eine Generalvollmacht erteilt worden war. Erst in der Vielfalt der einzelnen bilateralen Kartellabschlüsse ergibt sich ein »Polizeiverbund der Universitäten in Deutschland«, der aber keineswegs eine flächendeckende Effizienz hatte.35 Das Besondere und bislang erst für die Nachmärzzeit Nachgewiesene an den Universitätskartellen war, dass Sie ohne Zwischenschaltung einzelstaatlicher Regierungen bzw. ohne die diplomatischen Dienstwege erfolgten.36 Das heißt, dass die beteiligten Universitäten direkt miteinander kommunizierten und die Regie33 C[aesar], Geschichte (wie Anm. 25), S. 473. 34 UA Tübingen, 44/10,1–5: Relegationen und Consilia abeundi an anderen deutschen Universitäten 1777–1828. 35 Hofmann, Deutsche Universitätspolitik (wie Anm. *), S. 135 f. – Unklar bleiben Verbindungen der Universität Würzburg zu nichtdeutschen Universitäten wie Warschau, Bratislava und Dorpat (Tartu in Estland). Prorektor der Universität Würzburg an Rektorat der Universität Bratislava, 27.3.1812 / Universität Warschau an Universität Würzburg, [?].7.1818 / Universität Dorpat an Universität Würzburg, 20.9.1814, UA Würzburg, ARS, Nr. 1803. Es handelte sich hierbei nicht um Kontakte der Universitätskartelle. Die Münchener Akten enthalten eine Liste der »mit der Universität München verbündeten Universitäten«, wozu niederländische, schwedische, polnische und russische Hochschulen zählten. Mit der Universität München verbündete Universitäten, UA München, D-XIV-22. Es ist anzunehmen, dass die Würzburger Kontakte im Rahmen dieses Bündnisses stattfanden. Wie es zustande kam, in welchem Verhältnis es zu den Universitätskartellen stand und welchen Aufbau es hatte, muss offenbleiben. 36 Diesen diplomatischen ›Dienstweg‹, wie er noch im Nachmärz galt, skizziert im Rahmen seiner Darstellung zum Polizeiverein ausführlich Wolfram Siemann: Gesellschaft im Aufbruch. Deutschland 1849–1871, Frankfurt am Main 52001, S. 44–65; vgl. auch Ders. (Hg.): Der ›Polizeiverein‹ deutscher Staaten. Eine Dokumentation zur Überwachung der Öffentlichkeit nach der Revolution von 1848/49, Tübingen 1983 (= Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur, 9). Zum Gesamtkontext vgl. Ders.: Polizei in Deutschland im 19. Jahrhundert. Institutionen, Operationsebenen, Wirkungsmöglichkeiten. Mit neuen Dokumenten, in: Jörg Schönert (Hg.): Literatur und Kriminalität. Die gesellschaftliche Erfahrung von Verbrechen und Strafverfolgung als Gegenstand des Erzählens. Deutschland, England, Frankreich 1850–1880, Tübingen 1983, S. 68–95 (= Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur, 8).

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rungen außen vor blieben. Dies bestätigt neben den entsprechenden Archivalien auch die Aufforderung des Berliner Regierungsbevollmächtigten Schulz, dass die Universität ihm doch alle bei ihr eingehenden Studierendenwegweisungen mitteilen solle.37 Und das ist das für die Nationsbildung durch Kommunikation Entscheidende und bislang für den Vormärz nicht Nachgewiesene: Dass substaatliche Universitäten direkt miteinander kommunizieren konnten, als hätte es die Landesgrenzen nicht gegeben. Die Kommunikationen sind somit in die transstaatliche Ebene einzuordnen. An diesen Kartellen beteiligten sich außer den österreichischen Universitäten alle Universitäten im Deutschen Bund zuzüglich der nicht bundeszugehörigen Universität Königsberg.38 Es besteht somit eine direkte Parallele zur Mitgliedsstruktur des Akademischen Tauschvereins. Aus dem Jahre 1823 ist eine kaiserliche Ordre überliefert, wonach sich die österreichischen Universitäten nicht an den Universitätskartellen beteiligen durften.39 Es mag dies wohl Teil eines Kanons an Maßnahmen sein, die das österreichische Universitätswesen von auswärtigen Einflüssen abschotten sollten. 3. Desiderat: Akademien der Wissenschaften als Orte zwischenstaatlicher Wissenschaftskommunikation In Deutschland existierten im Vormärz größere Akademien der Wissenschaften in Berlin, Erfurt, Göttingen und München. Die österreichische Akademie der Wissenschaften in Wien wurde erst 1847 gegründet.40 Die meisten Akademien haben gemeinsam, dass sie nur ortsansässige oder landeszugehörige Wissenschaftler zu ihren Mitgliedern ernennen. Wissenschaftler außerhalb eines bestimmten Einzugsbereiches können allerdings zu meistens nicht stimmberechtigten auswärtigen, außerordentlichen oder korrespondierenden Mitgliedern ernannt

37 Regierungsbevollmächtigter an der Universität Berlin Schulz an den Rektor der Universität Berlin, 9.5.1820, UA Berlin, Kurator, Nr. 371, fol. 3. 38 Dies belegen exemplarisch die an der Universität Berlin bis 1831 eingegangenen Relegationsanzeigen. Schreiben der deutschen Universitäten an die Universität Berlin, 10.2.1821  ff., UA Berlin, Kurator, Nr. 371, fol. 11v ff. 39 Metternich an die österreichische Polizeihofstelle, 21.12.1823 / Circular an die kk. Gesandtschaften, 21.12.1823, HHStA Wien, Staatskanzlei, Deutsche Akten, Alte Reihe, Krt. 264, fol. 363 / fol. 365–367. 40 Hans-Christof Kraus: Kultur, Bildung und Wissenschaft im 19. Jahrhundert, München 2008, S. 36 (= Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 82). Als Einstieg in die Akademiegeschichte des 19. Jahrhunderts Conrad Grau: Berühmte Wissenschaftsakademien. Von ihrem Entstehen und ihrem weltweiten Erfolg, Leipzig 1988; Ders.: Profildifferenzen und Profildifferenzierungen der Preußischen Akademie und anderer deutscher Wissenschaftler-Gemeinschaften im 19. Jahrhundert, in: Jürgen Kocka/Rainer Hohlfeld (Hg.): Die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin im Kaiserreich, Berlin 1999, S. 41–59.



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werden.41 Die Akademien bildeten also ein Forum des wissenschaftlichen Austausches über die Landesgrenzen hinweg. Als Orte der zwischenstaatlichen Wissenschaftskommunikation im Vormärz wurden ihnen bislang aber noch keine eigenständigen Publikationen gewidmet. Da es sich wie bei Universitäten in der Regel um substaatliche Korporationen handelte, kommt für eine Einordnung ihrer zwischenstaatlichen Kontakte nur die transstaatliche Ebene in Betracht. Diese Kommunikationsprozesse würden von einer suprastaatlichen Sphäre oder einer interstaatlichen Politik nicht erfasst. Ein solches Desiderat könnte sich an folgenden Problemstellungen orientieren: Aus welchen inner- und außerdeutschen Staaten kamen die Mitglieder der Akademien? Lässt die Herkunft der Akademiemitglieder ein Muster erkennen, das auf die gezielte Ausgrenzung oder besondere Einbindung bestimmter Staaten hinweist? Wird durch eine geographische Darstellung ein Modell sichtbar, dass Rückschlüsse auf Nationsbildungsprozesse im Vormärz zulässt? Wie funktionierte der Austausch inländischer Akademiemitglieder mit deren ausländischen Kollegen? Wurde ein solcher Austausch von der Obrigkeit gefördert oder vielleicht sogar blockiert? Zur Beantwortung dieser Fragen wäre eine Auswertung der Biogramme der im Vormärz ernannten Akademiemitglieder erforderlich.42 Das Beispiel der Münchner Akademie zeigte sehr schnell die Hürden einer solchen Herangehensweise auf, da alle über 3000 verstorbenen Akademiemitglieder erst nach ihrer Wirkungszeit hätten sortiert werden müssen. In einem weiteren Schritt wären die nicht immer exakt angegebenen Wirkungsorte zu ermitteln

41 Exemplarisch vgl. Statuten der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 31.3.1838, in: Adolf Harnack: Geschichte der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Bd. 2: Urkunden und Actenstücke zur Geschichte der Königlich-Preussischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1900, Nr. 203, hier Abs. 2. 42 Gesamtverzeichnis der Mitglieder der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 1759–1984, begr. v. Ulrich Thürauf, fortgef. v. Monika Störmer, erw. Ausg. München 1984 (= Geist und Gestalt. Biographische Beiträge zur Geschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, vornehmlich im zweiten Jahrhundert ihres Bestehens, Erg.bd., erste Hälfte); Werner Hartkopf: Die Berliner Akademie der Wissenschaften. Ihre Mitglieder und Preisträger 1700–1990, Berlin 1992; Die Mitglieder der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1700– 1950, im Auftrag der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin bearb. v. Erik Amburger, Berlin 1950; Die Mitglieder der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen 1751– 2001, zusammengestellt v. Holger Krahnke, Göttingen 2001 (= Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Philologisch-Historische Klasse Folge 3, 246; Mathematisch-Physikalische Klasse Folge 3, 50); Bio-bibliographisches Handbuch der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt 1754–2004. Aus Anlaß der 250. Jahrfeier im Auftrag des Senats erarb. v. Jürgen D. K. Kiefer, Erfurt 2004. – Die von den Akademien im Internet bereitgestellten Datenbestände zu ihren jeweiligen Mitgliedern bieten in der Regel nur eingeschränkte Such- und Filtermöglichkeiten. München: http://www.badw.de/gelehrtengemeinschaft/mitglieder.html; Berlin: http://www.bbaw.de/die-akademie/akademiegeschichte/ mitglieder-historisch; Erfurt: http://www.akademie-erfurt.de/index.php/akademie/mitglieder, wobei hier nur eine kleine Auswahl historischer Mitglieder zu sehen ist; Göttingen: http:// adw-goe.de/mitglieder, wobei hier gar keine verstorbenen Mitglieder genannt sind.

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gewesen. Stichproben lassen allerdings vermuten, dass an der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften zu München österreichische Universitätsprofessoren zu Akademiemitgliedern ernannt wurden.43

III. Zwischenstaatliche Wissenschaftspolitik 1. Der Deutsche Bund als suprastaatlicher Ort des universitätspolitischen Austausches der Einzelstaaten Die deutsche Bundesversammlung selbst trat als suprastaatlicher Ort universitätspolitischer Debatten nicht in Erscheinung. Sie setzte allerdings in den Jahren 1818 und 1831 jeweils unter ähnlichen historischen Vorzeichen eine Kommission ein, die Vorschläge zu einer Verbesserung, um nicht zu sagen einer Verschärfung des Universitätswesens erarbeiten sollte. Und diese Kommissionen waren es, die sich als Ort zwischenstaatlicher Universitätspolitik etablierten. Denn hier wurden die Einzelstaaten aufgefordert, die für ihre Universitäten jeweils geltenden Vorschriften einzusenden.44 Die hierauf folgenden Diskussionen zeigten nicht nur eindrucksvoll die unterschiedlichen ›Eigenstaatlichkeitsideologien‹ auf. So schreibt der preußische Bundestagsgesandte von der Goltz am 5. August 1819, »dass das Preuß. Universitätswesen noch in seiner neuen Ausbildung begriffen ist, und dass [...] der Behörde nicht anders als sehr erwünscht sein [kann], dass sich ihr eine günstige Gelegenheit eröffnet, den weisen Schatz an Einsichten und Erfahrungen über das Universitätswesen aus ganz Deutschland, der sich beim Bundestage sammeln wird, bei ihren ferneren Arbeiten in dieser höchsten wichtigen Angelegenheit mit zu berücksichtigen.«45

Die Verhandlungen der Universitätskommission dienten manchen Staaten sprichwörtlich dazu, die jeweils besten Vorschriften der anderen Staaten zu ›plagiieren‹. In welchem Ausmaß dies tatsächlich stattfand, müsste ein umfassender Vergleich der einschlägigen Vorschriften untereinander zeigen. Leider wurden von den Kommissionssitzungen in der Regel keine Protokolle erstellt.46

43 Nur die Methoden der modernen Texterkennung von Digitalisaten machten es möglich, den gesamten Korpus des »Gesamtverzeichnis der Mitglieder der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 1759–1984« nach dem Universitätsort »Wien« zu durchsuchen. Es wurde deutlich, dass in den Jahren 1815 bis 1848 zahlreiche Professoren der Universität Wien zu auswärtigen oder korrespondierenden Akademiemitgliedern ernannt wurden. 44 Hofmann, Deutsche Universitätspolitik (wie Anm. *), S. 41–47, 56–64. 45 Note des preußischen Gesandten Grafen von der Goltz, 5.8.1819, BA Berlin-Lichterfelde, DB 1/1, Nr. 476, fol. 214 f. u. 285, hier fol. 285. 46 Diesen Befund bestätigt auch Eckhardt Treichel: Die Deutsche Bundesversammlung und ihre Kommissionen, in diesem Band.



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2. Die Wiener Ministerialkonferenzen 1834. Am Rande einer transnationalen Reorganisation des deutschen Universitätswesens47 Die Wiener Ministerialkonferenzen hatten zu ihren Beratungen fünf verschiedene Kommissionen installiert. Die Kommission für das Universitätswesen wurde mit den Gesandten Joachim von Münch-Bellinghausen (1786–1866) für Österreich, Friedrich von Gise (1783–1860) für Bayern, Ludwig von Ompteda (1767–1854) für Hannover, Johann Verstolck van Soelen (1776–1845) für Luxemburg, Karl du Thil (1777–1859) für Hessen-Darmstadt sowie Günther von Berg (1765–1843) für Oldenburg besetzt. Somit waren zwei Mitglieder der Kommission Vertreter von Einzelstaaten (Luxemburg, Oldenburg), in denen sich keine Universitäten befanden. Die Kommissionsverhandlungen sind nicht umfassend überliefert, da wie bei den Universitätskommissionen des Bundestages keine Sitzungsprotokolle geführt wurden. Die Akten im Bayerischen Hauptstaatsarchiv bieten einen Einblick in den Verhandlungsbeginn, da sie die bei der Kommissionsarbeit angefallenen Schriftstücke wie etwa Korrespondenzen enthalten.48 Diese Kommission debattierte über diverse Gutachten und Memoranden, unter ihnen das ›Promemoria über in Ansehung der Universitäten zu ergreifende Maßregeln‹. Es ist undatiert und unparaphiert, wegen seiner archivalischen Provenienz allerdings der österreichischen Staatskanzlei zuzuschreiben.49 Für den Fall, dass die deutschen Universitätsstaaten übereinkommen würden, Reformen des gesamten Universitätswesens gemeinschaftlich durchführen zu wollen, schlug das Gutachten vor, »dass die landesherrlichen Kommissarien oder Kanzler sich mit der Einrichtung der betreffenden Universität vollständig vertraut machten und nun, von ihren vorgesetzten Ministerien instruiert, vorerst mit dem betreffenden Senate die zweckmäßigen Reformen berieten; […] Nachdem über das Resultat einer solchen Beratung dem vorgesetzten Ministerium Bericht erstattet worden, wären sodann die Kanzler oder landesherrlichen Bevollmächtigten zu instruieren, und diese hätten sodann sich an einem Orte zu

47 Als jüngste Publikation zum Thema vgl. Hans Pelger: Das Schlußprotokoll der Wiener Ministerialkonferenzen von 1834 und seine Veröffentlichungen 1843–1848, in: Archiv für Sozialgeschichte 23 (1983), S.  439–472; einen Überblick geben auch die Register der Protokolle, BayHStA München, MA 1110. Vgl. auch die Edition: Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes. Für die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften hg. v. Lothar Gall [künftig: QGDB], Abt. II: Geschichte des Deutschen Bundes 1830–1848, Bd. 1: Reformpläne und Repressionspolitik 1830–1834, bearb. v. Ralf Zerback, München 2003, die allerdings das Universitätswesen naturgemäß nur am Rande behandeln kann. 48 BayHStA München, MA 23993: Die Verhandlungen bei dem Minister-Congresse in Wien im Jahre 1834, insbesondere das Universitätswesen betr. 1834. 49 Promemoria über einige in Ansehung der Universitäten zu ergreifenden Maßregeln [fortan: Promemoria], HHStA Wien, Staatskanzlei, Deutsche Akten, alte Reihe, Krt. 97, fol. 69–74. Von einer österreichischen Urheberschaft spricht auch der bayerische Gesandte Gise an König Ludwig I. von Bayern, 6.2.1834, BayHStA München, MA 1105.

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versammeln und den Gegenstand gründlich zu beraten und ihren vorgesetzten Ministerien darüber Bericht zu erstatten.«50

Das Memorandum empfiehlt, diese Konferenzen der Regierungsbevollmächtigten unabhängig von Reformen des Universitätswesens zur Beratung universitätspolitischer Tagesthemen abzuhalten. Die Einzelstaaten waren darauf erpicht, ihre Eigenstaatlichkeit zu wahren und zählten die Universitätspolitik zu ihren Souveränitätsrechten.51 In einer solchen Zeit eine Homogenisierung des Universitätswesens im Deutschen Bund vorzuschlagen, mag schon gewagt erscheinen. Doch eine ständige Konferenz der Regierungsbevollmächtigten an den Universitäten in Deutschland zur Beratung universitätspolitischer Reformen einrichten zu wollen, ist phänomenal. Auch wenn aktuelle Bezüge in der Geschichtswissenschaft nicht immer opportun sind, so drängt sich einem als Pendant der Gegenwart die ebenfalls ständige Konferenz der Kultusminister auf.52 Die Ergebnisse der Verhandlungen gingen als die Sechzig Artikel in die Geschichte ein.53 In der Tat wurde allerdings nur ein Teil davon zu Bundesrecht erhoben, während der größte Teil eine verbindliche Vereinbarung der Bundesglieder untereinander blieb. Das Original des Schlussprotokolls zeigt Ungenauigkeiten in seiner späteren, auf Johann Ludwig Klüber und Karl Theodor Welcker zurückgehenden Überlieferungsgeschichte auf.54 So ergeben manche Regelungen erst Sinn, wenn man sie in Zusammenhang mit den im Original sichtbaren Hervorhebungen sieht. Hiervon waren allerdings keine staats- oder sicherheitspolitischen Bestimmungen betroffen.55

50 Promemoria (wie Anm. 49), fol. 73. 51 Die ersten eigenständigen ›Gehversuche‹ einer bayerischen Souveränitätspolitik im Vormärz zeichnet Andreas C. Hofmann: »Schwere Gewitterwolken am politischen Horizont«. Eine Einordnung der Karlsbader Beschlüsse in die bayerische Außenpolitik von 1815 bis 1820, in: aventinus bavarica Nr. 7 (Winter 2006), http://www.aventinus-online.de/no_cache/persistent/ artikel/7750, nach; zur Universitätspolitik vgl. ausführlich Ders.:, Bayerische Universitätspolitik zwischen Eigenweg und Bundestreue. Die außerordentliche Ministerialkommission an der Universität Landshut-München 1819–1848, Magisterarbeit [masch.] München 2006. 52 Die Präambel der Geschäftsordnung der Ständigen Konferenz der Kultusminister besagt: »Die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (Kultusministerkonferenz) behandelt Angelegenheiten der Bildungspolitik, der Hochschul- und Forschungspolitik sowie der Kulturpolitik von überregionaler Bedeutung mit dem Ziel einer gemeinsamen Meinungs- und Willensbildung und der Vertretung gemeinsamer Anliegen.« Geschäftsordnung der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland gemäß Beschluss vom 19.11.1955 i.d.F. v. 29.8.2014, http://www.kmk.org/ fileadmin/Dateien/pdf/KMK/GO-GR-Fassung-29-08-2014.pdf. 53 Sechzig Artikel, 12.6.1834, in: QGDB, Abt. II, Bd. 1 (wie Anm. 47), Nr. 95, S. 552–576; auch in: Ernst Rudolf Huber (Hg.): Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803–1850, Stuttgart 31978, Nr. 47. 54 Schlussprotokoll der Wiener Ministerialkonferenzen, 12.6.1834, BA Berlin-Lichterfelde, DB 1 U/43. 55 Hofmann, Deutsche Universitätspolitik (wie Anm. *), S. 100–102.



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In den Sechzig Artikeln treten im Zusammenhang mit der Immatrikulierung der Studierenden erstmals die Regierungsbevollmächtigten als Netzwerk in Erscheinung: Ihnen wird im Falle der von einer anderen Universität weggewiesenen Studierenden aufgetragen, von den betreffenden Regierungen die Genehmigungen zur Aufnahme der Studierenden einzuholen (Artikel 45 Absatz 3). Aber auch den Vollzug der wechselseitigen Mitteilungen weggewiesener Studierender durch die Universitäten hatten sie zu überwachen (Artikel 45 Absatz 4). Da es sich hierbei um die Universitätskartelle handelte, wird zu fragen sein, wie die Regierungsbevollmächtigten diese Aufsicht wahrgenommen hatten. 3. Das Netzwerk der Regierungsbevollmächtigten an den deutschen Universitäten (1836–1848) Die Sechzig Artikel von 1834 trugen den Regierungsbevollmächtigten auf, die wechselseitigen Mitteilungen der Universitäten über Studierendenwegweisungen zu überwachen – und das waren die Universitätskartelle. Nun ereignete es sich, dass auf preußische Initiative ab 1836 die Regierungsbevollmächtigten diese Aufgabe selbst übernahmen.56 Fortan war also jeder Regierungsbevollmächtigte gehalten, von seiner Universität erkannte Studierendenwegweisungen an alle anderen Regierungsbevollmächtigten der Universitäten des Deutschen Bundes zu verschicken. Auch wenn diese Angelegenheit nun von der akademischen Trägerschaft der Universitätskartelle in die staatliche Trägerschaft der Regierungsbevollmächtigten übergegangen war, änderte sich nichts daran, dass die Kommunikationen weiterhin unmittelbar stattfanden.57 Aber war dieses Netzwerk nun lückenlos? Keineswegs! Eine chronologische Analyse der bei den Regierungsbevollmächtigten in München und Leipzig eingegangenen Studierendenwegweisungen zeigt, dass die Zahl in einem Jahr um bis zu 1.5 divergieren konnte.58 Der Leipziger Regierungsbevollmächtigte war von 56 Diese Änderung geht auf den preußischen Kultusminister Altenstein zurück, der Anfang 1836 anregte, die wechselseitigen Mitteilungen der Universitäten gemäß Art. IV des Bundesbeschlusses vom 13./14. November 1834 fortan an die Regierungsbevollmächtigten zu richten. Ein undatierter Auszug aus den Gesandtschaftsmitteilungen belegt, dass sämtliche Universitätsstaaten entweder bereits so verfuhren oder die preußischen Vorschläge bereits umgesetzt hätten. Auffällig ist, dass Österreich nicht konsultiert wurde; preußischer Außenminister Werther an preußischen Kultusminister Altenstein, 19.6.1836 / Mitteilungen der Missionen in den Bundesstaaten mit Universitäten, GStA PK Berlin, I. HA, Rep. 76 Kultusministerium Va, Sekt. 1, Tit. XII, Nr. 7, Bd. 6, fol. 5 / fol. 8–10. 57 In München eingegangene Mitteilungen von Studierendenwegweisungen belegen exemplarisch, dass die Kommunikation direkt stattgefunden hat. Die an die Ministerialkommission adressierten Korrespondenzen enthalten keine Vermerke, die dem widersprächen. Auf den Korrespondenzen angebrachte Registraturvermerke konnten bei einer exemplarischen Überprüfung der Einlaufprotokolle eindeutig der Ministerialkommission zugeordnet werden; Hofmann, Bayerische Universitätspolitik (wie Anm. 51), S. 52. 58 Hofmann, Deutsche Universitätspolitik (wie Anm. *), S. 151.

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seinem vorgesetzten Ministerium auch nicht instruiert worden. 1837 fragte er an, wieso er von seinen Kollegen an anderen Universitäten so viele Studierendenwegweisungen erhalte und ob er ähnlich verfahren solle.59 Der Bonner Regierungsbevollmächtigte Rehfuehs hingegen führte eine detaillierte Liste über bei ihm eingegangene Mitteilungen und schlug vor, säumigen Universitäten einfach selbst keine mehr zuzuschicken.60 An diesem Netzwerk war auch die Universität Königsberg beteiligt, da Preußen das Bundesuniversitätsgesetz auch dort in Kraft gesetzt hatte.61 In den wechselseitigen Mitteilungen infolge der Wiener Ministerialkonferenzen sah Metternich für Österreich keinen Nutzen.62 Denn er war überzeugt, »daß die v. Deutschen Bunde in jener Hinsicht getroffenen Verfügungen überhaupt auf die Lehranstalten des Kaiserstaates fast keine Anwendung [finden]; und daß in den wenigen Punkten, wo dies dennoch der Fall seyn sollte, in den hierländischen Einrichtungen weit wirksamere Bürgschaften für Erhaltung guter Ordnung bei den Lehranstalten liegen, als solche der Bundesbeschluß zu gewähren beabsichtigt. In dem Gefühle, daß auf diese Weise unserer Bundespflicht, in Beziehung auf den Beschluß vom 13. November 1834 vollständig und im Voraus genügt ist, werden wir uns darauf beschränken können, dieses vorkommenden Falles unseren Bundesgenossen einfach anzuzeigen.«

Es zeichnete sich ab, dass Österreich universitätspolitisch mit Restdeutschland keinen einheitlichen Rechtsraum mehr bildete und auf der Einhaltung des diplomatischen »Umweges« bestand, wie es Metternich selbst formuliert hatte.63 Trotzdem sind in den Akten der österreichischen Staatskanzlei Relegationsanzeigen auswärtiger Universitäten überliefert. Österreich nahm an dem Netzwerk der Regierungsbevollmächtigten offensichtlich indirekt teil. Die durchschnittliche Zahl der jährlich in Wien eingegangenen Relegationsanzeigen erreichte allerdings ge59 Regierungsbevollmächtigter der Universität Leipzig Falkenstein an das sächsische Kultusministerium, 17.1.1837, Staatsarchiv Leipzig, 20024 KH Leipzig, Nr. 4111, fol. 38v–39r. 60 Regierungsbevollmächtigter der Universität Bonn Rehfues an preußischen Kultusminister Altenstein, 12.4.1839, GStA PK Berlin, I. HA, Rep. 76 Kultusministerium Va, Sekt. 1, Tit. XII, Nr. 7, Bd. 6, fol. 107–110. – Beim Kurator der Bonner Universität Philipp Rehfues handelt es sich um eine schillernde Gestalt, die in der Universitätspolitik des Vormärz immer wieder aktiv hervortritt. Während die Universitätsgeschichtsschreibung des frühen 20. Jahrhunderts ihn allerdings noch zusammen mit seinen Kollegen anderer Universitäten als blinden Demagogenjäger bewertete, ist hier eine Revision des tradierten Bildes angesagt. Siehe Wolfgang Guting: Vater der Alma Mater – vor 229 Jahren. 2. Oktober 1779. Philipp Joseph Rehfues (1779– 1843) wird in Tübingen geboren, in: Kultur in Bonn [2.10.2008], http://www.kultur-in-bonn. de/bonn-passe/vater-der-alma-mater. 61 Hans Prutz: Die königliche Albertus-Universität zu Königsberg i. Pr. im neunzehnten Jahrhundert. Zur Feier ihres 350jährigen Bestehens, Königsberg 1894, S. 65 f.; Paul Stettiner: Aus der Geschichte der Albertina (1544–1894), Königsberg 1894, S. 84. 62 Grundlegend zu Metternich jetzt Wolfram Siemann: Metternich. Stratege und Visionär. Eine Biografie, München 22017. 63 Metternich an den österreichischen Kaiser, 4.7.1835, HHStA Wien, Staatskanzlei, Deutsche Akten, Alte Reihe, Krt. 265, hier fol. 115 f.



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rade etwas mehr als die Hälfte des für München errechneten Wertes.64 »Österreich steht außer Deutschland, aber es gehört zu Deutschland« – so hatte es 1862 bereits der deutsche Historiker Heinrich von Sybel formuliert.65 Für die österreichische Universitätspolitik im Vormärz sollte er jedenfalls Recht behalten.

IV. Zwischenstaatliche Wissenschaftskommunikation und Wissenschaftspolitik im Deutschen Bund (1815–1848). Der Versuch einer Annäherung 1. Zusammenfassung Bereits in der Frühzeit des Deutschen Bundes entwickelten sich die Universitäten zu institutionalisierten Trägern zwischenstaatlicher Wissenschaftskommunikation. Der 1817 gegründete »Verein zum Austausch akademischer Gelegenheitsschriften« organisierte den direkten Tausch von Dissertationen, hatte eine körperschaftliche Struktur, führte einen eigenen Namen und wählte eine geschäftsführende Universität. Ihm traten im Vormärz mit Ausnahme österreichischer Hochschulen alle Universitäten im Deutschen Bund sowie die preußische Universität Königsberg bei. Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die frühen 1830er Jahre existierten die Universitätskartelle, die sich zu einem universitätsrechtlichen Standardinstrument entwickelten. Es handelte sich um eine bilaterale Vereinbarung von Universitäten, die sich verpflichteten, sich Studierendenwegweisungen gegenseitig mitzuteilen und diese wechselseitig anzuerkennen. Auch wenn die Universitätskartelle keine körperschaftliche Struktur hatten, ergab die Vielfalt der einzelnen Kartellabschlüsse einen ›Polizeiverbund der Universitäten in Deutschland‹. Eine nationale Universitätspolitik gab es im Deutschen Bund nicht. Die Universitätspolitik war Domäne der Einzelstaaten. Die hieraus resultierende zwischenstaatliche Universitätspolitik hatte aber nationale Dimensionen. Die 1818 und 1831 eingerichteten Universitätskommissionen der deutschen Bundesversammlung entwickelten sich zu suprastaatlichen Orten des universitätspolitischen Austausches der Einzelstaaten. Preußen erklärte etwa ganz offen, dass es die Universitätsvorschriften anderer Staaten würde nachnutzen wollen. Die Wiener Ministerialkonferenzen von 1834 errichteten eine eigene Kommission für das Universitätswesen. Diese behandelte ein Memorandum, das eine komplette Reorganisation des Universitätswesens im Deutschen Bund durch eine Konferenz der Regierungsbevollmächtigten vorschlug. Die von den Wiener 64 Aufstellung der von der österreichischen Staatskanzlei an die Studienhofkommission weitergeleiteten Anzeigen 1838 bis 1848, HHStA Wien, Staatskanzlei, Deutsche Akten, Alte Reihe, Nr. 265, fol. 179 ff. 65 Heinrich von Sybel: Die Deutsche Nation und das Kaiserreich. Eine historisch-politische Abhandlung, Düsseldorf 1862, S. 122.

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Ministerialkonferenzen beschlossenen Sechzig Artikel enthielten diese Diskussionen nicht mehr. Dafür übernahmen die Regierungsbevollmächtigten nun als Netzwerk die deutschlandweite Überwachung der Studierendenwegweisungen. Ab 1836 übernahmen die Regierungsbevollmächtigten den Austausch der Studierendenwegweisungen selbst. Dies fand ohne Zwischenschaltung einzelstaatlicher Regierungen oder des Deutschen Bundes statt und ist in den transstaatlichen Raum einzuordnen. Eine Analyse der daraus resultierenden Vernetzung der Münchner und Leipziger Regierungsbevollmächtigten zeigt allerdings deutliche Lücken auf. Österreich bestand weiter darauf, den diplomatischen Umweg einzuhalten, weshalb sich seine Universitäten an diesem Netzwerk nicht beteiligen durften. 2. Ausblick Ein vielversprechender Blick auf die Akademien der Wissenschaften, die per se Foren der Wissenschaftskommunikation waren, zeigte sehr schnell die praktischen Grenzen eines solchen Vorhabens auf. Denn zur Analyse ihrer Funktion für die zwischenstaatliche Wissenschaftskommunikation hätten alle jeweils im Vormärz ernannten Akademiemitglieder auf ihre Herkunft und ihren Wirkungsort hin analysiert werden müssen, wofür bei der Lage und Qualität der vorhandenen Daten leider ein hoher Aufwand erforderlich wäre. Nicht untersucht wurde die zwischenstaatliche Wissenschaftskommunikation durch polytechnische Vereine, Geschichts- und Altertumsvereine, wissenschaftliche Kongresse, Berufungsverfahren oder studentische Wanderungsbewegungen. Ausgeklammert wurden auch die externe Wissenschaftskommunikation sowie die staatenübergreifende Wirkung wissenschaftlicher Publikationen. Offen bleibt ferner, inwiefern neben Universitäten auch andere Träger von Wissenschaftskommunikation wie Akademien Gegenstand zwischenstaatlicher Wissenschaftspolitik wurden.

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»Bundesstaat« oder »Bundesreich«, »Einheitsstaat« oder »Staatenreich«? Föderative Konzepte jenseits des Deutschen Bundes in der verfassungspolitischen Diskussion von 1848/49

I. Einleitung Während der Revolution von 1848/49 wurde der Deutsche Bund ohne große Diskussionen durch ein Deutsches Reich ersetzt.1 Auf den Beginn der Revolution hatten die Monarchen und ihre Regierungen noch mit dem Versuch reagiert, den Deutschen Bund zu mobilisieren2, wobei sie ausdrücklich in nationalen Kategorien dachten. »Beten Sie mit mir in einem Sinne«, schrieb der preußische König Friedrich Wilhelm IV. am 12. März 1848 an seinen Freund Carl von der Groeben, »daß der Herr die Dinge in Teutschland und Frankreich in Gnaden wenden 1 Das Thema wird ausführlicher behandelt in: Mark Hewitson: Nationalism in Germany, 1848– 1866. Revolutionary Nation, Basingstoke 2010, S. 24–64. Siehe ferner: Brian E. Vick: Defining Germany. The 1848 Frankfurt Parliamentarians and National Identity, Cambridge, Mass. 2002; Wolfram Siemann: Die deutsche Revolution von 1848/49, Frankfurt am Main 1985; Dieter Langewiesche: Revolution in Deutschland. Verfassungsstaat – Nationalstaat – Gesellschaftsreform, in: Dieter Dowe/Heinz-Gerhard Haupt/Dieter Langewiesche (Hg.): Europa 1848. Revolution und Reform, Bonn 1998, S. 167–195; Ders.: Republik, konstitutionelle Monarchie und »soziale Frage«. Grundprobleme der deutschen Revolution von 1848/49, in: Historische Zeitschrift 230 (1980), S. 529–548; Ders.: Die Anfänge der deutschen Parteien. Partei, Fraktion und Verein in der Revolution von 1848/49, in: Geschichte und Gesellschaft 4 (1978), S. 324–361; Manfred Botzenhart: Deutscher Parlamentarismus in der Revolutionszeit 1848– 1850, Düsseldorf 1977; Ders.: Die Parlamentarismusmodelle der deutschen Parteien 1848–49, in: Dieter Langewiesche (Hg.): Die deutsche Revolution von 1848/49, Darmstadt 1983, S. 291– 321; Wilhelm Ribhegge: Das Parlament als Nation. Die Frankfurter Nationalversammlung 1848/49, Düsseldorf 1998; Rüdiger Hachtmann: Epochenschwelle zur Moderne. Einführung in die Revolution von 1848/49, Tübingen 2002; Ders., Berlin 1848. Eine Politik- und Gesellschaftsgeschichte der Revolution, Bonn 1997; Frank Lorenz Müller: Die Revolution von 1848/49, Darmstadt 32009. 2 In vielen Studien wird dieser Versuch, den Deutschen Bund an die revolutionären Gegebenheiten »anzupassen«, als Teil der Mobilisierung reaktionärer Kräfte bzw. als Element des Scheiterns der Revolution im Jahr 1849 interpretiert. Die Diskussion wird zusammengefasst bei: John J. Breuilly: The Failure of the Revolution of 1848, in: European Studies Review 1 (1981), S. 103–116; Thomas Nipperdey: Kritik oder Objektivität? Zur Beurteilung der Revolution von 1848, in: Ders., Gesellschaft, Kultur, Theorie, Göttingen 1976, S. 259–278; Langewiesche (Hg.), Die deutsche Revolution (wie Anm. 1).

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wolle!«3 Joseph Maria von Radowitz war schon nach Wien gesandt worden, um mit dem österreichischen Staatskanzler Clemens von Metternich zu verhandeln und ihm vorzuschlagen, einen Ministerkongress für Ende März einzuberufen. Das Ziel der Mission des katholischen Diplomaten war eindeutig: die »Belebung und Kräftigung des Deutschen Bundes« durch Preußen und Österreich, wie es in der Kabinettsorder Friedrich Wilhelms IV. vom 25. Februar hieß.4 Metternich stimmte dem Plan von Radowitz zu und akzeptierte es auch, dass der Bundestag sich zum Sprachrohr der Nation machte, indem dieser am 1. März erklärte, als das »gesetzliche Organ der nationalen und politischen Einheit Deutschlands […] für die Sicherheit Deutschlands nach Außen, sowie für die Förderung der nationalen Interessen und des nationalen Lebens im Innern zu sorgen«.5 Ende März indessen war der Deutsche Bund durch das Frankfurter Vorparlament als nationale Institution überflügelt worden, Metternich war zurückgetreten, und in Preußen war Friedrich Wilhelm IV. gezwungen worden, eine konstitutionelle Regierung einzusetzen.6 Auf Initiative Heinrichs von Gagern, des Präsidenten der Nationalversammlung, wurde dann im Juni 1848 Erzherzog Johann – ein Onkel des Kaisers von Österreich – zum Reichsverweser gewählt und eine Provisorische Zentralgewalt für Deutschland eingesetzt. Welche Schlüsse lassen sich aus diesem raschen, fast beiläufigen Abrücken vom staatenbündischen System im Hinblick auf die politischen Orientierungen und Absichten der regierenden Eliten wie der Revolutionäre ziehen? In welchem Ausmaß wurde das »Reich« bewusst als ein Staatswesen konzipiert, das die Mängel des »Bundes« überwinden sollte? Die Beantwortung dieser Fragen ergibt sich aus der Beziehung zwischen Staatenbund, Bundesstaat und Nation, wie sie von den handelnden Politikern wahrgenommen wurde.

II. Die Demokraten Obwohl radikale Demokraten wie Ludwig Bamberger im Rückblick davon überzeugt waren, dass es notwendig gewesen war, den Bundesstaat »auf dem Altar einer deutschen Wiedergeburt« zu opfern, hielten viele seiner demokratischen Kollegen an der Idee eines deutschen Bundesstaats als der künftigen politischen 3 Zit. nach David Barclay: Anarchie und guter Wille. Friedrich Wilhelm IV. und die preußische Monarchie, Berlin 1995, S. 207. 4 Veit Valentin: Geschichte der deutschen Revolution von 1848/49, Bd. 1, Berlin 1930, S. 377 f. 5 Hans Fenske (Hg.): Quellen zur Deutschen Revolution 1848–1849, Darmstadt 1996, S. 46 f. 6 Zu den umfassenderen konstitutionellen Problemen der Revolutionszeit siehe Mark Hewitson: The Old Forms Are Breaking Up, … Our New Germany Is Rebuilding Itself. Constitutionalism, Nationalism and the Creation of a German Polity during the Revolutions of 1848– 49, in: English Historical Review 125 (2010), S. 1173–1214; Jörg D. Kühne: Die Reichsverfassung der Paulskirche. Vorbild und Verwirklichung im späteren deutschen Rechtsleben, Neuwied 21998; Ders.: Die Revolution von 1848/49 als Umbruch für Recht und Juristen, in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 18 (1996), S. 246–259.



»Bundesstaat« oder »Bundesreich«, »Einheitsstaat« oder »Staatenreich«?

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Form eines deutschen Nationalstaats fest.7 Für eine radikale Minderheit, unter ihnen als Prominentester Julius Fröbel, beruhte die demokratische Republik »auf dem Grundsatze der Verbündung (Föderation). Ihre Form ist der Bundesstaat.«8 Wichtige Vorbilder waren die Schweiz und die USA, obgleich Fröbel selbst im Laufe der Revolution die Überzeugung gewann, dass eine konstitutionelle oder »parlamentarische Monarchie« den deutschen Verhältnissen zumindest zeitweise mehr entsprach.9 Andere Demokraten und Radikale waren unter dem Einfluss des französischen Modells eher geneigt, eine unitarische Regierung im Namen des deutschen Volkes zu verlangen, aber auch sie wurden im Laufe der Revolution gezwungen ihre Forderungen zu mäßigen: Sie mussten sich abfinden mit den lokalen Sympathien ihrer Wähler, der fortdauernden Existenz der deutschen Einzelstaaten und dem unlösbaren Problem, die Habsburgermonarchie in einen unitarischen Bundesstaat zu integrieren.10 Angesichts einer Masse von Petitionen – 9000 allein in Leipzig –, die sich für den Erhalt der Monarchie und die Integrität des Staates Sachsen aussprachen, musste Robert Blum nach langem Zögern eingestehen, dass die Rechte der Einzelstaaten von der politischen Rechten bedroht wurden und nicht von der Linken.11 Auch Gabriel Riesser trat als Vermittler zwischen Zentralregierung und Einzelstaaten auf und ebenso zwischen den Republikanern, welche »jene Einheit schroffer und rücksichtsloser« verfolgten als das Zentrum, und der Fraktion der Partikularisten, die den Einheitsgedanken nicht wolle, »weil sie die Selbstständigkeit, das partikuläre Leben der Einzelstaaten, insbesondere die Macht der Fürsten in keiner irgend wesentlichen Weise beschränken und schmälern lassen will«.12 Im Gegensatz dazu war jedoch Riesser während der abschließenden Debatten über die Reichsverfassung von 1849 weniger über die Stimmungen seiner eigenen Wähler besorgt als über die Notwendigkeit, die Verbindung mit Österreich aufrechtzuerhalten und Preußen einzubinden. Für ihn war es offenkundig, dass 7 Ludwig Bamberger: Erinnerungen. Hg. v. Paul Nathan, Berlin 1899, S. 45. Siehe auch Christian Jansen: Einheit, Macht und Freiheit. Die Paulskirchenlinke und die deutsche Politik in der nachrevolutionären Epoche 1849–1867, Düsseldorf 2000; Jonathan Sperber: Rhineland Radicals. The Democratic Movement and the Revolution of 1848/49, Princeton 1991; Sabine Freitag: Friedrich Hecker. Biographie eines Republikaners, Stuttgart 1998; Dies. (Hg.): Die 48er. Lebensbilder aus der Revolution 1848/49, München 1997. 8 Zit. nach Rainer Koch: Demokratie und Staat bei Julius Fröbel 1805–1893, Wiesbaden 1978, S. 123. 9 Ebd., S. 112, 171 f. 10 Susanne Böhr: Die Verfassungsarbeit der preußischen Nationalversammlung 1848, Frankfurt am Main 1992, S. 112, merkt an, dass sich keine preußischen Abgeordneten für die Republik einsetzten, obwohl einige linke Abgeordnete sich einen »demokratischen Monarchen« wünschten. 11 Eugene J. Newman: Restoration Radical. Robert Blum and the Challenge of German Democracy, 1807–1848, Boston 1974, S. 132–135. 12 Franz Wigard (Hg.): Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der deutschen constituirenden Nationalversammlung zu Frankfurt am Main, Frankfurt am Main 1848/49, Bd. 8, S. 5905.

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Deutschland ein Bundesstaat sein würde, der auf längere Sicht die Deutschösterreicher anziehen würde, auch wenn sie vorerst ausgeschlossen werden mussten: »Wir hegen auch die zuversichtliche Hoffnung, daß gerade dann, wenn unser Bundesstaat stark und mächtig in’s Leben tritt, Oesterreich mit dem ebenbürtigen einigen Deutschland in ein möglichst enges Bündnis zu beiderseitigem Heile treten wird.«13

Nur ein Bundesstaat war demnach geeignet, Preußen einzubinden, dessen Macht und politische Struktur für die Einigung Deutschlands unverzichtbar waren. Und nur in einem Bundesstaat konnten die gegenseitige »Stammesabneigung« und antipreußische Stimmungen aufgehoben werden: »Man hat auch von Stammesabneigung gesprochen; nun es freut mich, daß denn doch diejenige Stimmenzahl in dieser Kammer, von der ich hoffe, daß sie die Majorität bilden werde, verehrte Abgeordnete aus allen Stämmen Deutschlands enthält; ich hoffe, daß es diesen und auch den anderen, die dann, wie ich zuversichtlich hoffe, sich uns im patriotischen Sinne anschließen werden, gelingen wird, was noch an Stammesabneigung vorhanden, und was sicher nicht so stark ist, wie man es von einigen Seiten geschildert hat, zu überwinden […] ich behaupte, diese Stammesabneigung existirt in Preußen selbst in lebhafterer Weise, als irgendwo anders, wie denn überhaupt die nähere politische Verbindung, wenn sie nicht auf Freiheit und eigner Wahl, auf einem gemeinsamen Nationalgefühl beruht, die Stammesabneigung nur um so schärfer hervortreten läßt. Ich behaupte, wenn der Name des ›Preußen‹ noch irgendwo in Deutschland von einem Theile des Volkes mit einem gewissen Widerwillen ausgesprochen wird, so ist es in der preußischen Rheinprovinz, diese Stammesabneigung wird durch Deutschland überwältigt werden. Wie Deutschland Preußens zu seiner Erstarkung, so bedarf Preußen Deutschlands zu seiner inneren Versöhnung; denn der Name des ›Deutschen‹ schlägt an alle Herzen an, der wird nirgends zurückgestoßen (Bravo.) Und Preußen, meine Herren, dessen Größe ich verehre, ist doch immer ein Kunststaat, Deutschland ist ein Volksstaat, ein Naturstaat, und so wie die Natur mächtiger ist, als die Kunst, so wie der gewaltige Strom, den die Natur geschaffen, eine größere Gewalt hat, als das künstliche Wasserwerk, das der weiseste Werkmann gefügt hat, so behaupte ich, wird, wenn Preußen und Deutschland vereint sind, die Naturkraft Deutschlands die künstliche Kraft von Preußen überwiegen. (Bravo.) Der Name ›Preußen‹ spricht mächtig zum politischen Verstand, aber der Name ›Deutschland‹ spricht zugleich zum Herzen. (Bravo; – Stimmen: Sehr gut!) Dieses Uebergewicht aber, dieses geschichtliche »Aufgehen Preußens in Deutschland« kann nur das allmälige Werk der freien, edlen Hingebung des großen Preußens an das größere Deutschland sein; aber nimmermehr können wir Preußen Bedingungen stellen, die seine Existenz aufheben; nimmermehr können wir Preußen zumuthen, daß es über Sein oder Nichtsein mit uns in Verhandlung trete; ja, ich erkläre es offen, sowohl Deutschlands als Preußens wegen dürfen wir nicht wünschen, das Preußen im mindesten in seinem Bestande erschüttert werde, bis Deutschland sicher und fest für die Ewigkeit gegründet ist.«14

13 Ebd., S. 6329 (27. April 1849). 14 Ebd., S. 5907 (22. März 1849).



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Ebenso wie Riesser war auch der Kölner radikale Demokrat Franz Raveaux davon überzeugt, dass Preußen das aktive Element in Deutschland war: »[…] dort handelt man, und hier wartet man ab«.15 Im Unterschied zu Riesser war Raveaux zwar der Ansicht, dass man Preußen widerstehen müsse, doch das Ziel, einen deutschen Bundesstaat zu errichten, blieb dasselbe: »Preußen hat eine andere Politik als Sie«, warnte er Daniel Bassermann, »Preußen will der Centralpunkt, die Sonne sein, um die sich die kleinen Planeten drehen sollen, so will es Deutschland gestalten und nicht anders, und wenn Sie nicht hindernd dem preußischen Hochmuthe begegnen, werden Sie nun und nimmermehr dahin gelangen, den Bundesstaat zu erlangen, den Sie in der Verfassung aufgestellt haben.«16

In diesem Punkt war Raveaux einer Meinung mit Ludwig Simon, einem der radikalsten Abgeordneten, der den Liberalismus kritisierte und die Provisorische Zentralgewalt in Frankfurt bedingungslos verteidigte: Ende April 1849 wehrte er sich im Streit um die Verabschiedung der Reichsverfassung gegen die Vorwürfe von gemäßigten Liberalen wie Karl Mathy, indem er erklärte, dass der Appell an das »Volk« anstatt des weiteren Vertrauens auf »feindselige Regierungen« nicht den Wunsch nach einem »Einheitsstaat« beinhalte; ebenso wenig habe der Einsatz von Gewalt von Seiten des Reichsministeriums das Ziel, »den constitutionellen Einheitsstaat« herbeizuführen, sondern »bloß den constitutionellen Bundesstaat«.17 Simon war gewiss kein Anhänger eines dezentralisierten Bundesstaats, doch er wollte auch nicht als Befürworter eines Einheitsstaats bezeichnet werden. Die Linke, beklagte sich Raveaux, wurde von den Liberalen häufig beschuldigt, mit der Rechten eine Koalition gegen die Bildung eines nationalen Bundesstaats zu bilden. Dies sei nicht wahr, protestierte er.18 Gleicherweise widersprach auch die Rechte solchen Vorwürfen und bekannte sich zum Bundesstaat. In der »Neuen Preußischen Zeitung« (Kreuzzeitung) hieß es noch Ende März 1849, die Konservativen seien für einen deutschen Bundesstaat, aber nicht für einen Einheitsstaat nach französischem Vorbild: »Einen Bundesstaat wollten die Deutschen wohl, aber keinen Einheitsstaat, den zu bilden sie ganz und gar kein Talent haben; – es widerstrebt durchaus dem deutschen Unabhängigkeitssinn, der trotz langer Abschwächung durch die französische Nachäfferei doch noch immer so stark ist.«19

Wie die Reichsminister zu Recht betont hätten, benötige ein deutscher Nationalstaat, um zu funktionieren, eine Art von Zentralgewalt, doch müsse diese auf die wirkliche Macht der deutschen Einzelstaaten gegründet sein und nicht nur in Paragraphen beschrieben werden, wie in Frankfurt: 15 Ebd., S. 6319 (26. April 1849). 16 Ebd. 17 Ebd., S. 6316. 18 Ebd., S. 6319 f. 19 Beilage zu Nr. 76 der Neuen Preußischen Zeitung, 31. März 1849; siehe auch ebd., 30. März 1849.

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»Eine Zentralgewalt muß stark sein, und Deutschland insonderheit bedarf aus mehr als einem Grunde einer recht starken Centralgewalt; aber sie wird nicht dadurch stark, daß man ihre Befugnisse auf dem Papier bis zur Allmacht steigert (eben so wenig wie man mit einer Armee auf dem Papier auch nur einen Mann schlägt), sondern dadurch, daß ihr wirklich von allen Seiten solche Macht zugestanden, daß sie von allen Einzelstaaten gehoben und getragen wird […]«20

Nur von Preußen könne eine solche Organisation ausgehen, da es mit 16 Millionen Einwohnern, von denen 14 Millionen »deutschen Stammes« seien, bei weitem die größte Macht in Deutschland bilde.21 Die anderen 27 Fürsten und 10 Millionen Deutsche würden sich an dem nationalen Werk beteiligen, sobald Preußen seine Zustimmung gebe und zum Handeln bereit sei.22

III. Die Konservativen Die preußische Rechte distanzierte sich während der Revolution in zunehmendem Maße von den bundesstaatlichen Plänen der Frankfurter Nationalversammlung und wandte sich schließlich wieder der staatenbündischen Idee zu. Die wichtigsten Etappen auf diesem Weg waren zum einen der anfängliche Widerstand der Nationalversammlung gegen die von Preußen durch den Waffenstillstand von Malmö am 26. August 1848 einseitig herbeigeführte Beendigung des preußisch-dänischen Krieges in Schleswig-Holstein und zum anderen die Ablehnung der deutschen Kaiserkrone durch Friedrich Wilhelm IV. am 28. April 1849.23 Bis zum September 1848 hatte die »Kreuzzeitung« allerdings die liberale Konzeption eines nationalen Bundesstaats im Grundsatz unterstützt. »Die Aufgabe ist: Einheit deutscher Staatsgewalt und Beteiligung des Volks an der deutschen Staatsgewalt«, hieß es in einem Artikel vom 15. Juli 1848 über den deutschen 20 Beilage zu Nr. 88 der Neuen Preußischen Zeitung, 16. April 1849. 21 Beilage zu Nr. 89 der Neuen Preußischen Zeitung, 17. April 1849; siehe auch ebd., Nr. 93 v. 22. April 1849 (Beilage). 22 Ebd., Nr. 89 v. 17. April 1849 (Beilage). 23 Zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen Liberalen und Konservativen siehe Wolfram Siemann: Die Frankfurter Nationalversammlung 1848/49 zwischen demokratischem Liberalismus und konservativer Reform, Frankfurt am Main 1976. Siehe ferner: Wilhelm Füßl: Professor in der Politik. Friedrich Julius Stahl 1802–1861, Göttingen 1998; Hans-Christof Kraus: Ernst Ludwig von Gerlach, 2 Bde., Göttingen 1994; Christoph von Maltzahn: Heinrich Leo 1799–1878. Ein politisches Gelehrtenleben zwischen romantischem Konservatismus und Realpolitik, Göttingen 1979; Eun-Sang Yu: Die Grundzüge der sozialen Gedankenwelt von Victor Aimé Huber. Eine Untersuchung seiner theologischen und politischen Grundauffassungen, Diss. Berlin 1986, S. 178–184; Sabine Hindelang: Konservatismus und soziale Frage. Victor Aimé Hubers Beitrag zum sozialkonservativen Denken im 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1983; Matthew Levinger: Enlightened Nationalism. The Transformation of Prussian Political Culture, 1806–1848, Oxford 2000, S. 163–190; Lothar Dittmer: Beamtenkonservatismus und Modernisierung. Untersuchungen zur Vorgeschichte der Konservativen Partei in Preußen 1810–1848/49, Stuttgart 1992.



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Reichsverweser bzw. das provisorische Oberhaupt eines deutschen »Reiches«: »Aber Deutschland soll darum nicht ein einfacher Staat werden, sondern ein Bundesstaat, und nicht Republik, sondern constitutionelle Monarchie.«24 Am 1. September warnte die Zeitung davor, dass »das preußische Selbstgefühl« gegen die Frankfurter Pläne Widerstand leisten könnte, falls die Nationalversammlung fortfahren würde, Preußen zu behandeln, als wolle dieses »sich von dem Werke der Einigung Deutschlands lossagen, oder nur unter der Bedingung in dasselbe eingehen, daß Preußen eine überherrschende Stellung über die andern Staaten erhalte, daß Deutschland gewissermaßen in Preußen aufgehe«.25 Bis September 1848 befürworteten somit die preußischen Konservativen eine nationale Einigung nach dem bundesstaatlichen Modell: »Fürs erste machen wir geltend die Selbstständigkeit Preußens innerhalb des deutschen Bundesstaates und unter der künftigen deutschen Centralgewalt, und das ist so wenig Ueberhebung, daß wir eben diese Selbstständigkeit, wenn wir auch zunächst sie für Preußen zu vertreten den Beruf haben, doch nicht minder auch für alle anderen deutschen Staaten fordern und überall gefordert haben. Wo wirklich ein deutscher Stamm ist, und ein deutscher Staat, der sich auf einen Stamm gründet und eine Geschichte und eine politische Bedeutung hat – Oesterreich, Baiern, Württemberg, Sachsen u.s.w. – da darf er in dem einigen Deutschland nicht untergehen, sondern muß ungeachtet der Unterordnung[,] ja der Unterwerfung unter die Souverainität des Bundesstaates sein weites Bereich [sic] der eignen Regierung und der freien eigenthümlichen Entwicklung behalten. […] wir glauben gezeigt zu haben, daß solche Selbstständigkeit wohl erhalten werden kann, unbeschadet der Einheit und Stärke des deutschen Reichs.«26

Die preußischen Konservativen stellten die Vorherrschaft und sogar die Souveränität des Reiches nicht in Frage, solange den Einzelstaaten ein gewisses Maß an Autonomie innerhalb der bundesstaatlichen Struktur gewährt wurde. Die allgemeine Zustimmung zum künftigen deutschen Bundesstaat blieb allerdings sehr oberflächlich. Ebenso wie die Fragen nach der Beteiligung des Volkes und nach dem Reich und seinem Oberhaupt blieb auch die bundesstaatliche Frage ungeklärt. Das lag auch daran, dass schon die in der politischen Debatte benutzten Begriffe verwirrend waren. »Staatenbund, Bundesstaat, Einheitsstaat – darüber auch nur ein Wort zu verlieren, wäre mehr als überflüssig«, notierte die »Neue Preußische Zeitung« im März 1849.27 Traf es überhaupt zu, dass Preußen dazu tendierte, die Idee eines deutschen Bundesstaats zu unterstützen, während Österreich einen Staatenbund vorzog? Die Antwort des konservativen Blattes auf diese Frage war negativ, da es inzwischen dazu übergegangen war, die Begrifflichkeit von »Frankfurt« zurückzuweisen:

24 Neue Preußische Zeitung, Nr. 13, 15. Juli 1848. 25 »Unser Verhältnis zur deutschen Sache«, ebd., Nr. 54, 1. September 1848. 26 Ebd. 27 »Preußen, Oesterreich, Frankfurt und die deutsche Frage«, Beilage zu Nr. 52 der Neuen Preußischen Zeitung, 3. März 1849.

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»Aber kann denn nicht eben so gut der Bundesstaat als eine Form und Entwickelung des Staatenbundes aufgefaßt werden? Sind in dieser über Nacht erwachsenen Terminologie nicht lauter noch ganz liquide Begriffe enthalten? Ist denn Oesterreich, ist Preußen irgend verbunden, sich an die in Frankfurt beliebte Interpretation zu halten? Ist das Rotteck-Welckersche Conversationslexikon der Frankfurter Staatsweisheit ein Codex des Staats- und Völkerrechts? Kann und darf in einer Krise, wobei die größten Sachen auf dem Spiel stehen, eine Differenz der Worte irgend ins Gewicht fallen – Worte, die man vielleicht etwas übereilt aufgenommen hat, ohne sich gegen jeden möglicher Weise darin liegenden, oder hinein zu legenden Stachel zu verwahren? Wir kennen übrigens keinen Grund, der uns nöthigte, anzunehmen, daß Preußen jemals die Frankfurter Interpretation des Staatenbundes anerkannt hätte, oder daß nicht die von Radowitz veröffentlichten vormärzlichen Pläne eben so gut, wenn auch als ein geringerer Entwickelungsgrad, dem später beliebten Begriff von Bundesstaat entsprochen haben würden. Doch von einer formalen Verpflichtung der Art kann nach Allem, was vorliegt, gar nicht ernstlich die Rede sein; aber sollte vielleicht eine moralische Verpflichtung hier anzuerkennen sein? weil vielleicht Preußen zu irgend einer Zeit wirklich den Ausdruck Bundesstaat so verstanden hätte, wie man ihn in Frankfurt verstand? Die einzige moralische Verpflichtung, die daraus gefolgert werden könnte, würde höchstens die eines offenen Geständnisses sein, daß man von einer verkehrten zu einer besseren Einsicht gekommen.«28

Zwar räumte die »Kreuzzeitung« ein, dass es jenseits reiner Rhetorik ein gewisses Maß an wirklicher Übereinstimmung über die Notwendigkeit eines Bundesstaates gab, doch sei noch kein Konsens erreicht über grundlegende Fragen hinsichtlich der genauen Verteilung der Befugnisse zwischen der Zentralgewalt und den Einzelstaaten und die dazu erforderlichen konstitutionellen und institutionellen Mechanismen. Obwohl viele Konservative – auch in Preußen – die Notwendigkeit einer Art von Zentralgewalt anerkannten, führten sie kaum einmal genauer aus, wie die »Unabhängigkeit« der deutschen Einzelstaaten mit der Zentralgewalt koexistieren sollte. Zu Beginn der Revolution hatten Konservative wie der preußische Außenminister Karl Wilhelm Ernst Freiherr von Canitz und Dallwitz gehofft, dass es dem geplanten Ministerkongress gelingen werde, »die Strömung der jetzigen allgemeinen Sympathien für einheitliche deutsche nationale Institutionen in ein legales Bett zu leiten«.29 In der Folgezeit habe Preußen sich zu Recht die souveräne Entscheidung darüber vorbehalten, in den Krieg gegen Dänemark einzutreten und ihn zu beenden, auch wenn dies Auswirkungen auf Deutschland als Ganzes hatte, wie die »Kreuzzeitung« feststellte.30 Die preußische Armee gehorche weder der Berliner Nationalversammlung noch der Frankfurter Nationalversammlung, sondern nur dem preußischen König.31 Die preußische Regierung für ihren Teil 28 Ebd. 29 Canitz an Dönhoff, 16. März 1848, in: Fenske (Hg.), Quellen zur deutschen Revolution (wie Anm. 5), S. 75. 30 Neue Preußische Zeitung, 14. September 1848. 31 Ebd., 7. Oktober 1848.



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habe noch nicht einmal die Pflicht, die Reichsgesetze zu verkünden und noch viel weniger, sie anzuwenden, denn »was in Frankfurt beschlossen wird«, sei »als Beschluß des deutschen Volkes, aber nicht als Beschluß der deutschen Regierungen anzusehen«, behauptete das Blatt in einem Artikel von Ende Oktober 1848.32 Bevor nicht eine neue, gerechte und rechtmäßige Vereinbarung zwischen der Nationalversammlung und den deutschen Staaten ausgearbeitet sei, sei keine Entscheidung der Nationalversammlung bindend. Doch es sei nicht abzusehen, wie eine solche Vereinbarung erzielt werden könne. »Die Form, unter welcher die deutschen Staaten bei Vollendung des Reichsverfassungswerks mit einzutreten hätten, bestimmen wir nicht«, hieß es in der Zeitung: »Sie läßt sich auf verschiedene Weise denken. Nur daß der verschiedenen Größe und Macht der Einzelstaaten dabei Rechnung getragen werde; und dies führt uns wieder auf Preußen zurück.«33 Die angeblichen Entscheidungsbefugnisse der Zentralgewalt seien vergrößert worden, teilweise um das Vakuum zu füllen, das durch »die Muthlosigkeit und Schwäche der Einzelregierungen« entstanden sei, doch die wirkliche Macht verbleibe nach wie vor in Preußen und nicht in Frankfurt.34 Infolge von Preußens Macht und Legitimität, womit implizit die Legalität des Frankfurter Parlaments in Frage gestellt wurde, könne die »Paulskirche und der aus ihr hervorgegangene Reichsverweser […] die verfassungsmäßigen Formen des Preußischen Staats nicht ersetzen«.35 Preußen sei nicht angewiesen auf die Hilfe und Garantien der Reichsgewalt, um sich »vor dem Bürgerkrieg zu retten, um die Freiheiten nicht zu verlieren«, die ihm verliehen seien: der preußische Staat sei vielmehr mächtig genug, um seine eigenen Angelegenheiten zu regeln.36 Konservative in anderen deutschen Staaten hatten ähnliche Vorbehalte gegenüber unnötigen Eingriffen von Seiten einer deutschen Zentralgewalt. Die bayerische Regierung erklärte in ihrer Antwort an die Nationalversammlung vom April 1849, dass sie die Reichsverfassung ablehne, weil diese das Vereinbarungsprinzip zwischen den verschiedenen Staaten ignoriere, der Zentralregierung die Kontrolle über die Finanzen übertrage und statt eines Bundesstaates einen deutschen Einheitsstaat schaffe.37 Andere konservative Regierungen, die unter größerem Druck seitens ihrer Bevölkerungen standen, konnten es sich nicht erlauben, derart offen die Auslegung des Bundesstaatsprinzips durch die Nationalversammlung in Frage zu stellen. Gleichwohl konnte ein Politiker wie Ferdinand von Beust, der Anfang 1849 sächsischer Außenminister wurde, aussprechen, dass die Frankfurter Nationalversammlung deshalb gescheitert sei, weil sie »in Verkennung und Unter32 33 34 35 36

Ebd., Nr. 102, 27. Oktober 1848. Beilage zu Nr. 101 der Neuen Preußischen Zeitung, 26. Oktober 1848. Beilage zu Nr. 93 der Neuen Preußischen Zeitung, 17. Oktober 1848. Beilage zu Nr. 114 der Neuen Preußischen Zeitung, 10. November 1848. Neue Preußische Zeitung, Nr. 129, 28. November 1848; siehe auch Kraus, Ernst Ludwig von Gerlach (wie Anm. 23), Bd. 1, S. 484. 37 Wigard (Hg.), Stenographischer Bericht (wie Anm. 12), Bd. 8, S. 5903 (22. März 1849).

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schätzung der materiellen, den Regierungen zu Gebote stehenden Machtmittel es vorzog, ihre Kraft in dem Prinzip der Volkssouveränität zu suchen, und nur eine ihre Beschlüsse ausführende Central-Gewalt dulden zu wollen«.38 »Ihrerseits wollte die Nationalversammlung in Frankfurt das Bedürfnis und die Nothwendigkeit einer die Regierungen vertretenden Gewalt nicht, ja nicht einmal ihre Berechtigung anerkennen«, schrieb Beust in einer Denkschrift über die deutsche Frage im Jahr 1848/49.39 Preußen habe den Plan vorgelegt, dem Reichsverweser ein siebenköpfiges Gremium von Vertretern der Einzelstaaten zur Seite zu stellen, dem Sachsen sofort zugestimmt habe, doch sei das Projekt »an dem Mangel ausreichenden Einverständnisses der Regierungen« und dem »ernsten Widerstand« der Nationalversammlung gescheitert.40 Die sächsische Regierung, schrieb Beust im August 1849, habe den preußischen Unionsplan akzeptiert, um »die bezüglich der Umgestaltung der d[eutschen] B[undes] Verfassung ertheilten Zusagen redlich zu erfüllen und den thatsächlichen Beweis [zu] liefern[,] daß sie auch schwere Opfer zu bringen wisse[,] um das von allen Parteien als dringend erkannte deutsche Verfassungswerk zu fördern und das angestrebte Ziel deutscher Einheit erreichen zu helfen«.41 Bis zum Herbst 1849 zog sich die sächsische Regierung jedoch von dem preußischen Projekt zurück und wandte sich den staatenbündischen Plänen von Bayern und Österreich zu, ohne sich allerdings über ihre Absichten näher zu äußern.42 Nach Auffassung von Beust und anderen Konservativen hatten die einzelstaatlichen Regierungen in den Jahren 1848/49 durchaus gute Gründe dafür, sich gegenseitig zu misstrauen und das Frankfurter Parlament zu verachten – oder gar zu ignorieren. Der sächsische Minister war nicht der einzige, der davon überzeugt war, dass die eigene Monarchie im Innern zwar weitgehende Einschränkungen tolerieren könne, nicht aber in ihren äußeren Beziehungen, ohne dadurch in ihrem innersten Wesen zu leiden.43 Unter diesen Voraussetzungen war es schwierig, aus den mündlichen und schriftlichen Äußerungen der Konservativen zu entnehmen, wie die Kompetenzen des Reichs und der Einzelstaaten miteinander in Übereinstimmung gebracht werden sollten.

38 Friedrich Ferdinand von Beust: Aus drei Viertel-Jahrhunderten, Stuttgart 1887, Bd. 1, S. 90. 39 Ebd., S. 101. 40 Ebd., S. 102. 41 Beust an Zeschau, 30. August 1849, zit. nach: Jürgen Müller: Deutscher Bund und deutsche Nation 1848–1866, Göttingen 2005, S. 54 (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 71). 42 Ebd. 43 Beust, Aus drei Viertel-Jahrhunderten (wie Anm. 38), S. 59.



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IV. Die Liberalen Die Liberalen waren viel zuversichtlicher im Hinblick auf die Schaffung eines Bundesstaates.44 »Das lange Unmögliche ist jetzt möglich, – die Umwandlung des deutschen Staatenbundes in einen wahrhaften deutschen Bundesstaat: und sie ist nicht nur möglich, sie ist dringend nothwendig geworden«, verkündete die »Kölnische Zeitung« am 14. März 1848.45 Insbesondere die süddeutschen Staaten seien zu einer solchen Umgestaltung bereit, weil sie wegen ihrer Nähe zu Frankreich von der politischen Schwäche und Spaltung des Deutschen Bundes am meisten bedroht seien.46 Teilweise basierten die Erwartungen der Liberalen auf nationalen Einheitsträumen, in denen es quasi von selbst zur Garantie der individuellen Grundrechte und zur institutionellen Zusammenarbeit kommen würde. »So kommt man von allen Seiten der Verständigung näher, und die durch allerlei Gewölk getrübte Aussicht auf die Gründung eines einigen deutschen Reiches wird wieder täglich heiterer«, schrieb die gleiche Zeitung einen Monat später: »›Die Freiheit will ich, welche Einheit schafft‹, sagte Uhland jüngst in Frankfurt [...] Die Einheit und Einigkeit in der Freiheit ist es, der wir alle mit Selbstverläugnung zu dienen und Opfer zu bringen haben: Einheit und Einigkeit zwischen Nord und Süd, Ost und West des großen Vaterlandes!«47

Annähernd genauso wichtig wie solche nationalen Hoffnungen und eng mit ihnen verzahnt war die Erwartung, dass ein rationales, historisches und gesetzmäßiges, im deutschen Verständnis der Freiheit verwurzeltes System von »checks and balances« entworfen werden könne, um die Kooperation zwischen einer Reichsregierung und den Regierungen der Einzelstaaten sicherzustellen: »Was das deutsche Volk endlich in Wahrheit will, das ist jene deutsche Freiheit, welche jedem Einzelnen, jedem Stamme und jedem Volke es gestattet, mit Bewußtsein und zur eigenen Freude und Befriedigung alle die edeln Kräfte zu entfalten, die ihm von der Vorsehung in die Seele gelegt sind. Um dieser Freiheit willen ist es, daß nunmehr das deutsche Volk auch eine Einheit in seinem nationalen Staats-Verbande zu besitzen verlangt, die geeignet sei, dieselbe ihm zu verbürgen. Freiheit und Friedensglück der Einzelnen, nicht kriegerischer Ruhm der ›Nation‹, ist das Ziel, nach dem überhaupt in der Gegenwart die Völker ringen, und diese Gegenwart trägt eben darin den Charakter, der den germanischen Völkern von Alters her eignet, der in Deutschland lange nur zu sehr der geliebten Freiheit die um dieser selbst willen nothwendige Einheit aufgeopfert hat, so daß wir darüber beide verloren.

44 Zu den liberalen Milieus siehe Heinrich Best: Strukturen parlamentarischer Repräsentation in den Revolutionen von 1848, in: Dowe/Haupt/Langewiesche (Hg.), Europa 1848 (wie Anm. 1), S.  629–669, sowie Ders.: Die Männer von Bildung und Besitz, Düsseldorf 1990, und Ders.: Interessenpolitik und nationale Integration 1848/49, Göttingen 1980. 45 Kölnische Zeitung, Nr. 74, 14. März 1848. 46 Ebd. 47 Ebd., Nr. 104, 13. April 1848.

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Dieses Verhältniß von Freiheit und Einheit dürfen wir nimmer umkehren! Jeder Plan einer Reichs-Einheit, der auf der Umkehr dieses Verhältnisses beruht, der auf ein Einheits-Gefühl rechnet, wie es die französische Nation bewegt, wird in Deutschland nothwendig scheitern. Hiermit hängt es zusammen, was man in Frankfurt am wenigsten wird vergessen dürfen, daß man in Deutschland von unten nach oben zu bauen, und daß man überhaupt mehr im Wege der Evolution, als im Wege der Revolution und souverainen Emanation zu gehen hat. Es wird immer darauf ankommen, daß man den Grundsatz der deutschen Freiheit, d. h. der Selbstregierung, folgerecht durchführe, daß immer dem weiteren Kreise des Staatslebens nichts überwiesen werde, was in einem engeren Kreise hinlänglich besorgt werden kann. […] Was aber einmal dem höheren Gemeinwesen angehört, das soll auch von diesem in wahrhafter Einheit verwaltet, das soll auch vollständig genügend ›centralisirt‹ werden. […] Wird die deutsche Einheit nach dem Maße dieses Grundsatzes der deutschen Freiheit erbaut, so ist das ein Bau, der allem Wetter trotzt. Diese Einheit ist nämlich keine todte, mit baukünstlerischer Weisheit nach mechanischen Gesetzen berechnete, – sondern ist eine lebendige, sich aus der Vielheit stets selbst wieder erzeugende, in der das Bedürfniß den Willen des Volkes als anhaltendes und erzeugendes Blut pulsiren läßt.«48

Dieser nationale Optimismus der Liberalen verschwand jedoch rasch. So beklagte die »Kölnische Zeitung« im Januar 1849 das »Finis Germaniae«.49 »Wenige Monate – und welch ein Wandel«, fuhr der Leitartikel fort, nachdem die Radikalen in der Nationalversammlung die Ernennung eines erblichen, ja überhaupt eines Staatsoberhaupts blockiert hatten.50 Unter dem Druck der Linken und der Rechten kämpften die gemäßigten Liberalen nun um so nachdrücklicher für die Schaffung eines Bundesstaates: »Für den Augenblick ist der Bundesstaat – wenigstens der entschiedene, mit allen Consequenzen – ernstlich in Frage gestellt; das ganze Einigungswerk droht zu einer bloßen Revision der Bundesacte hinabzusinken.«51 Wenn es nicht gelänge, einen deutschen Bundesstaat zu errichten, so ergebe sich daraus die Unmöglichkeit der nationalen Einigung: »Vor zehn Monaten beherrschte der Gedanke der Einheit die deutsche Welt. Das große einige Vaterland – diese Idee war die erste mächtige Riesenwelle, die durch die gesprengten Schleusen des Absolutismus flutete. Mit siegender Allgewalt drang dieses Losungswort der Deutschen von den Alpen bis zu unseren Nordgestaden, von der Hütte bis zu den Thronen, und wie ein Donnerschlag schlug es über unsere Gränzen bis zur Newa und zur Themse hinaus. Wem hat das Herz nicht höher geschlagen, als wir uns zuerst mit den schwarz-roth-goldenen Farben schmückten, als wir unsere Fahnen auf unsere Thürme pflanzten, als wir unsere Abgeordneten zur deutschen National-Versammlung sandten! O, es war eine selige Zeit des Hoffens: in unserem Geiste dachten

48 Ebd., Nr. 140, 19. Mai 1848. 49 Ebd., Nr. 23, 27. Januar 1849. 50 Ebd. 51 Ebd.



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wir uns schon das deutsche Reich in seiner alten Glorie aus dem Grabe des Kyffhäuser wieder auferstanden […]. Es macht einen unendlich niederschlagenden Eindruck, wenn man diese letzten Verhandlungen durchliest, wenn man sich vergegenwärtigt, aus welchen verworrenen Bestandtheilen diese Coalition gebildet ist, welche den deutschen Bundesstaat unmöglich macht. Wo sind jetzt die Grundrechte verkündigt, wie steht es mit Oesterreich, mit Baiern, mit Sachsen, mit Preußen, mit Hannover, mit den Beiträgen zu unserer Flotte, kurz: mit Allem, wo es ein ernstliches Opfer gilt? Welch ein Contrast, wenn man von hier die Erinnerung noch einmal zu dem März zurückschweifen läßt! Jenes Deutschland, das uns allen damals, wenn auch unklar, vor der Seele stand, ist vernichtet; mit Rücksicht darauf können wir nur sagen: Finis Germaniae!«52

Dass es nicht gelang, den Bundesstaat, wie er von der Nationalversammlung mit der Verabschiedung der Reichsverfassung am 28. März 1849 beschlossen wurde, ins Leben zu rufen, dass die Durchführung der Reichsverfassung am Widerstand Preußens, Bayerns, Hannovers, Sachsens und Österreichs scheiterte, war gleichbedeutend mit dem Fehlschlagen der deutschen Einigung. Umgekehrt sahen die Liberalen in dem mangelnden nationalen Einheitsgefühl bei den deutschen Dynastien und den Adligen einen Grund dafür, dass die von der Mehrheit des deutschen Volkes verabschiedete bundesstaatliche Verfassung nicht funktionierte. Mit einigem Recht machten die Liberalen im Jahr 1849 die dynastischen und konservativen Kräfte für die Zerstörung der Reichsverfassung verantwortlich. Nach der Einsetzung der Regierung Brandenburg hieß es im Dezember 1848, der preußische Hof stehe »in feindlichem Gegensatz mit der Nation selber« und sei im Begriff einen »schreienden Vaterlandsverrath« zu begehen, indem er den »bisher so überwiegend besonnen und gemäßigt auftretenden Reichsgewalten« Widerstand leiste.53 Es bestehe die Gefahr, warnte die »Kölnische Zeitung«, dass der Verrat Preußens von 1815, als es eine Verfassung und liberale Reformen in Deutschland versprochen habe, im Jahr 1849 wiederholt würde.54 Fünf Monate später klagte Welcker in ähnlicher Weise in der Frankfurter Nationalversammlung darüber, dass die deutschen Fürsten in den Jahren nach 1815 die Einführung von Verfassungen versprochen, stattdessen aber Deutschland den Bundestag und die Karlsbader Beschlüsse aufgezwungen hätten.55 »Wir haben einen Bundesstaat gewollt, und ich glaube, wir sollten uns hüten, Denen Waffen in die Hand zu geben, welche uns vorgeworfen haben, daß die Verfassung einen Einheitsstaat begründe«, sagte Karl Mathy am 26. April 1849 in der Nationalversammlung, zwei Tage bevor der preußische König den Kaisertitel und die Reichsverfassung zurückwies. Und er fuhr fort: »Die Regierungen der sechs größten deutschen Staaten haben sich entweder gegen, oder doch noch nicht für die Verfassung ausgesprochen, und in diesen Staaten wohnen 52 Ebd. 53 Ebd., 9. Dezember 1848. 54 Ebd. 55 Wigard (Hg.), Stenographischer Bericht (wie Anm. 12), Bd. 8, S. 6404 f. (4. Mai 1849).

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von den 45 Millionen Deutschen wenigstens 37 Millionen. Wollten diese die Verfassung nicht annehmen, ich glaube, wir müßten auf jeden Versuch der Durchführung verzichten.«56

Während im Frühjahr 1849 in der Nationalversammlung über die Reichsverfassung debattiert wurde, legten die meisten Einzelstaaten Einsprüche gegen die Einmischung des Reiches in ihre inneren Angelegenheiten ein. Manche, wie etwa Bayern und Sachsen, verlangten darüber hinaus »eine ausgedehntere Theilnahme an der Ausübung der Central-Gewalt«, berichtete die »Kölnische Zeitung«.57 Während die erste Forderung, obwohl sie eine »Abneigung gegen den BundesStaat« verrate, im Namen des »Princip[s] der Selbstregierung, welches wir zum Grundsteine unseres ganzes Verfassungs-Baues zu machen haben«, widerstrebend akzeptiert werden könne, sofern sie die legitime Ausübung der Befugnisse des Reiches nicht beeinträchtige, sei die zweite Forderung gleichbedeutend mit »der Aufopferung des Bundesstaates selber! nichts Geringeres, als die Forderung der Herstellung des Staatenbundes und seines Bundestages!«58 Die Einzelstaaten, so sahen es die Liberalen, hatten das Prinzip des nationalen Bundesstaats erfolgreich bekämpft. Doch auch unter den Liberalen gab es Dissens über die Natur und die Auswirkungen des bundesstaatlichen Prinzips. Zwar ging der Plan des Siebzehnerausschusses vom Frühjahr 1848, der ein Staatenhaus vorsah, dessen Mitglieder je zur Hälfte von den einzelstaatlichen Regierungen ernannt bzw. den Länderparlamenten gewählt wurden, in die Reichsverfassung von 1849 ein (Artikel 88). Von den insgesamt 192 Sitzen sollten Preußen und Österreich nur 40 bzw. 38 Sitze erhalten, um zu verhindern, dass sie die kleineren Staaten dominierten (Artikel 87). Obwohl die Verfassung dem Reich sehr umfassende Vollmachten gab – dazu zählten das Recht den Krieg zu erklären (Artikel 10) und völkerrechtliche Verträge abzuschließen (Artikel 6–9), die vollständige Kontrolle über die Armee (Artikel 11), die Pflicht die Einhaltung der Grundrechte durchzusetzen (Artikel 53), der Vorrang des Reichsrechts gegenüber dem Recht der Einzelstaaten (Artikel 66) und das Recht zum Eingreifen in den Einzelstaaten, wenn »der gemeine Reichsfrieden bedroht erscheint« (Artikel 54) –, oblag das Regierungshandeln weiterhin fast ausschließlich den Einzelstaaten, abgesehen von den auswärtigen Angelegenheiten, der Marine und den Reichsfinanzen.59 Viele Fragen blieben in der Reichsverfassung unbeantwortet. Würden die Einzelstaaten in der Lage sein, sich über eine gemeinschaftliche Ausübung der Befugnisse des Staatenhauses zu einigen, dessen Zustimmung ja für alle Gesetze 56 Ebd., S. 6289 (26. April 1849); siehe auch Karl Biedermann: Mein Leben und ein Stück Zeitgeschichte, Breslau 1886/87, Bd. 1, 378 f. 57 Kölnische Zeitung, 11. März 1849. 58 Ebd. 59 Siehe Dieter Hein: »Self-Government der Nation«. Exekutive und Legislative in der deutschen Reichsverfassung von 1849, in: Horst Dippel (Hg.): Executive and Legislative Powers in the Constitutions of 1848–49, Berlin 1999, S. 163–184, hier S. 182.



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erforderlich war (Artikel 100), um unerwünschte Maßnahmen von Seiten des Reiches oder des Unterhauses zu blockieren? Dies war vor allem im Hinblick auf die Befugnis der Reichsgewalt von Bedeutung, mit einer Zweidrittelmehrheit in beiden Kammern neue »gemeinsame Einrichtungen und Maaßregeln« zu erlassen, wenn sie diese »im Gesammtinteresse Deutschlands« für notwendig hielt (Artikel 63). Fraglich war auch, inwieweit der König von Preußen als »Kaiser der Deutschen«, der die Reichsminister ernannte (Artikel 73), bereit und in der Lage sein würde, die Interessen der Einzelstaaten zu respektieren und zu unterstützen. Als der österreichische Erzherzog Johann im Juni 1848 zum zeitweiligen Reichsverweser gewählt wurde, war man davon ausgegangen, dass er auch Politiker aus anderen Staaten zu Ministern ernennen würde, aber wie wahrscheinlich war es, dass diese Praxis vom preußischen König beibehalten würde? Angesichts der schwachen Ausprägung der bundesstaatlichen Prinzipien in der Reichsverfassung waren einige Abgeordnete der Auffassung, dass das Reich gar kein Bundesstaat war, wie gemeinhin angenommen wurde, sondern ein Einheitsstaat.60 Andere erblickten in der Reichsverfassung eine Verwirrung der Begriffe und der konstitutionellen Vorkehrungen. »Man hatte in der Nationalversammlung zu Frankfurt keine klare Einsicht in den Gegensatz von Statenbund [sic] oder, wie die Amerikaner sagen, Conföderation, und Bundesstat [sic] oder Föderation (Union)«, schrieb der liberale Schweizer Rechtsprofessor Johann Caspar Bluntschli, der seit 1848 in München lehrte.61 Nach Bluntschli herrschte immer noch eine »Verwirrung in den stats- und bundesrechtlichen Vorstellungen«.62 Zudem gab es kein Vorbild für einen monarchischen Bundesstaat, so dass selbst gelehrte Kommentatoren wie Bluntschli nicht sicher waren, wie eine Bundesregierung organisiert werden musste, um die dynastischen und regionalen Loyalitäten zu überwinden: Eine »unitarische Regierung« unter der Führung von Preußen oder Österreich wäre nicht praktikabel, wenn beide Mächte dem Bundesstaat angehörten; eine »dualistische Doppelherrschaft« von Österreich und Preußen würde »an die Stelle der Einheit die erbliche Zwietracht« setzen »und zugleich die Selbstständigkeit aller anderen deutschen Staten [sic]« bedrohen; die von Bayern vorgeschlagene »Trias« mit Österreich, Preußen und Bayern als »einem collectiven Reichsvorstand« würde zwar den Zwiespalt zwischen Preußen und Österreich mildern, ohne ihn ganz zu beseitigen, und sie würde zudem die anderen deutschen Staaten zurücksetzen und gefährden; ein Kaiser, der nach dem Beispiel des Reichsverwesers Erzherzog Johann nicht zugleich Landesfürst wäre, wäre »ganz machtlos«; ein wechselndes Staatsoberhaupt schließlich würde »jede

60 Zum Beispiel der Abgeordnete Künzberg, in: Wigard (Hg.), Stenographischer Bericht (wie Anm. 12), Bd. 8, S. 5213 f. (16. Februar 1849). 61 Johann Caspar Bluntschli: Bemerkungen über die neuesten Vorschläge zur deutschen Verfassung. Eine Stimme aus Bayern (1848), zit. nach: Ders.: Denkwürdiges aus meinem Leben, Bd. 2/1, Nördlingen 1884, S. 91. 62 Ebd.

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einheitliche dauernde Politik unmöglich« machen«.63 Bluntschli schlug stattdessen einen »Fürstenrat« vor, »obwohl auch da die Einheit der nationalen Leitung ungenügend gewahrt sei«.64 Deutschland, so schien es Bluntschli, schwankte in den Jahren 1848/49 zwischen dem Bundesstaat, der »von der Peripherie (den verbündeten Staten [sic]) aus« gegründet wurde, und dem »Statenreich« [sic], das »von dem Centrum, dem nationalen Statshaupt [sic] aus gegründet und zusammengehalten« wurde.65 Bluntschli glaubte, dass das Reich eher seiner Konzeption eines »Staatenreichs« entsprach als einem Bundesstaat, denn es ähnele eher dem alten deutschen Reich und dem Osmanischen Reich als der amerikanischen Union oder der Schweiz, weil der neue deutsche Nationalstaat überwiegend vom Zentrum in Frankfurt aus gegründet worden war.66 Viele Liberale äußerten immer wieder ihre entschieden bundesstaatliche Gesinnung, doch ihre Verwendung des Begriffs »Bundesstaat« blieb unscharf, indem sie darunter häufig lediglich einen Grad an Zentralisation verstanden, der einheitlicher und höher war als im Staatenbund, wie er in Deutschland bis 1848 bestanden hatte. Der Geschichtsprofessor und Herausgeber der »Deutschen Zeitung« Georg Gottfried Gervinus bevorzugte den Begriff »Bundesreich« anstelle von »Reich« oder »Bundesstaat«, um »die getheilte und geeinte Natur dieses föderativen Staates« deutlich zu machen, wie er es formulierte.67 Grundsätzlich war Gervinus ein »Verfechter einer mit weitreichenden Befugnissen ausgestatteten Erbmonarchie«68, die, so hoffte er, dem dynastischen Partikularismus der Einzelstaaten entgegenwirken würde. Der liberale Abgeordnete Rudolf Haym war ein typischer Vertreter dieser Widersacher des Partikularismus und des alten Deutschen Bundes. Er strebte die Föderation in einem einheitlichen Nationalstaat an und nicht in einer lockeren Konföderation von nahezu souveränen Staaten. Von daher ergriff er Partei für einen von Preußen geführten Einheitsstaat, wie er gegenüber dem früheren preußischen Finanzminister und Präsidenten der Preußischen Bank, David Hansemann, im Januar 1849 ausführte: »Wir steuern auf die preußische Kaiserkrone mit vollen Segeln zu, hoffen die Klippe des bayrischen Partikularismus umschiffen zu können, werfen Österreich als Ballast über Bord und denken mit allen diesen Dingen in spätestens acht Wochen fertig zu sein.«69

63 Ebd., S. 93 f. 64 Ebd., S. 94. 65 Ebd., S. 92. 66 Ebd. 67 Zit. nach Gangolf Hübinger: Georg Gottfried Gervinus. Historisches Urteil und politische Kritik, Göttingen 1984, S. 176; siehe Deutsche Zeitung Nr. 125 vom 5. Mai 1848, S. 993 f., Zitat S. 994. 68 Ebd. 69 Haym an Hansemann, 2. Januar 1849, in: Hans Rosenberg (Hg.): Ausgewählter Briefwechsel Rudolf Hayms, Berlin/Leipzig 1930, S.  61 (= Deutsche Geschichtsquellen des 19. Jahrhunderts, Bd. 27).



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Seine Widersacher, fuhr er fort, seien »großenteils jene, welche lüstern sind nach der Wiederherstellung eines heiligen römischen Reiches, jene, welche statt des Hohenzollern den Habsburger mit der neuen Kaiserkrone geschmückt haben wollen, jene endlich, welche mit diesen gemeinschaftliche Sache machen, um [sic] bei dem Zerschellen der idealen in der Nation lebendigen Hoffnungen den Zorn dieser Nation zu neuen revolutionären Ausbrüchen entflammen möchten.«70

Im März 1849 wiederholte Haym diese Warnung mit noch größerem Nachdruck: »Diejenigen, welche aufrichtig den Bundesstaat wollen, und diejenigen, welche ihn nicht wollen, sind in einen Gegensatz auseinandergetreten, für welchen es keine Vermittlung mehr gibt. Die Form des neu zu schaffenden Zustandes steht nicht mehr in Frage: es frägt sich nur noch, ob überhaupt ein Neues geschaffen, oder ob nichts geschaffen, sondern nur dem Alten von neuem soll Platz gemacht werden.«71

Wenn man die »Einheitsidee« aufgebe, so führe das zur Restauration des alten staatenbündischen Zustands. David Hansemann, eine der großen Hoffnungen der liberalen Märzministerien, wollte indessen seinen Plan einer lockeren Föderation, deren Regierung von einer »Trias« aus Vertretern Österreichs, Bayern und Preußens gebildet werden sollte, nicht aufgeben. Haym musste ihn deswegen gegenüber seinen Kritikern in Frankfurt verteidigen, die Hansemann vorwarfen, »daß die Sache der deutschen Einheit in [ihm] keinen Freund gefunden« habe.72 Doch Hansemann beharrte fest darauf, dass Haym und andere Liberale sich »in der Macht der Frankfurter Einheitsideen getäuscht« hätten, welche die Wünsche der Einzelstaaten und die wahren Machtverhältnisse ignorierten: »Ein schwereres Urteil wird die Geschichte über eine Versammlung fällen, die nur eine moralische Macht hatte und diese verlor, weil sie lieber ein souveräner Konvent ohne materielle Machtmittel sein, und ein unerreichbares Ziel verfolgen wollte, als sich zeitig mit den Kräften zu verständigen, die jedem nicht durch enthusiastische Träume verblendetem Auge erkennbar sein mußten.«73

Hansemann, der von preußischen Konservativen umgeben war, war sich bewusst, dass Haym und andere Liberale in Frankfurt durch den wachsenden Einfluss der Linken gezwungen waren, von ihrem anfänglichen, wenig konkreten und unverbindlichen Bekenntnis zum Bundesstaat abzurücken. Schon im Juni 1848 brachte Heinrich von Gagern mit seinem »kühnen Griff«, der zunächst von gemäßigten Liberalen wie Georg Beseler wegen der »Beiseitesetzung der Regierungen« abgelehnt worden war, die Nationalversammlung dazu, eine Provisorische 70 Ebd. 71 Haym an Hansemann, 6. März 1849, ebd., S. 72. 72 Ebd. 73 Hansemann an Haym, 19. Februar 1849, ebd., S. 69. Zur Haltung von Ludolf Camphausen, der sich angeblich auf Kosten von Frankfurt zugunsten von Preußen aussprach, siehe: Grenzboten, Jg. 1849, S. 348.

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Zentralgewalt einzusetzen und damit das den Einzelstaaten so wichtige Vereinbarungsprinzip zu ignorieren.74 Am 27. März 1849 schließlich, einen Tag vor der Verabschiedung der Reichsverfassung in der Frankfurter Nationalversammlung, wurden die Liberalen durch den heftigen Druck der Radikalen genötigt, den Reichsrat als beratendes Gremium der einzelstaatlichen Bevollmächtigten fallenzulassen. Liberale wie Hansemann erblickten in diesen Entscheidungen die völlige Abkehr vom bundesstaatlichen Prinzip zugunsten eines idealistischen Enthusiasmus und eines gefährlichen, unbegründeten Vertrauens in die nationale Einheit.

V. Fazit Obwohl sie sich häufig einer bundesstaatlichen Rhetorik bedienten, verfolgte die Mehrheit der Demokraten und Liberalen eine Politik, welche die bundesstaatliche Basis des Reichs untergrub. Seit Beginn der Revolution setzten sich Teile der Linken im Namen der nationalen Souveränität für eine Machtkonzentration ein. So hatte Friedrich Hecker nach dem Vorbild der Französischen Revolution schon Anfang April einen Antrag zur Umwandlung des Vorparlaments in eine permanente Exekutivgewalt eingebracht, der aber von Heinrich von Gagern zurückgewiesen worden war.75 Im Ausschuss der Nationalversammlung, der Vorschläge für die Bildung einer Zentralgewalt entwerfen sollte, sprachen sich nur radikale Mitglieder wie Robert Blum und Wilhelm Adolf von Trützschler dafür aus, ein Exekutivkomitee unter der Leitung eines gewählten Abgeordneten zu bilden. Im Gegensatz zur Absicht der Mehrheit des Ausschusses, der den bisherigen Bundestag zu einer Art »Staatsrat« umbilden wollte, welcher eine Verbindung zwischen den einzelstaatlichen Regierungen und einem dreiköpfigen Direktorium bilden sollte, ignorierten Blum und Trützschler die regierenden Dynastien, die einzelstaatlichen Regierungen und den Bundestag. Als Gagern im Juni 1848 seinen »kühnen Griff« tat und ausschließlich auf die Autorität der Nationalversammlung gestützt eine Provisorische Zentralgewalt eingesetzt wurde, was wenig später zur Abschaffung des Bundestags durch ein Votum der Nationalversammlung führte, sahen dies weite Kreise als eine Annäherung an die Linke an.76 In den späteren Debatten über die Befugnisse des Kaisers und der Reichszentralgewalt, die Anfang 1849 geführt wurden, beschuldigte die Mitte-Rechts-Fraktion die Linke, einen parlamentarischen Absolutismus herbeiführen zu wollen, indem sie Anträge zur Einschränkung der Macht des Staatsoberhaupts unterstützte, wie etwa das suspensive anstelle des absoluten Vetos bei der Gesetzgebung, und in74 Zit. nach Dieter Langewiesche: Liberalismus in Deutschland, Frankfurt am Main 1988, S. 52; siehe auch Friedrich Daniel Bassermann: Denkwürdigkeiten. Hg. v. Ernst von BassermannJordan u. Friedrich von Bassermann-Jordan, Frankfurt am Main 1926, S. 153, wo ähnliche Vorbehalte gemacht werden. 75 Biedermann, Mein Leben (wie Anm. 56), Bd. 1, S. 329 f. 76 Valentin, Geschichte der deutschen Revolution (wie Anm. 4), Bd. 2, S. 37.



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dem sie durch die Streichung des Reichsrats die Befugnisse der Einzelstaaten beschnitt. Die Wahrung der einzelstaatlichen Rechte war keinesfalls eine Priorität der führenden Radikalen. Konservative und auch Liberale widersprachen vehement der demokratischen Vorstellung einer rein »numerischen« Nation, wie es der ostelbische Gutsbesitzer Adolf von Thadden-Trieglaff und der Krefelder Bankier Hermann von Beckerath nannten.77 Die Nation war »nicht ein Aggregat von gleichen Individuen«, erklärte der prominente Konservative von Thadden.78 Liberale Abgeordnete wie der Historiker Georg Waitz waren der Auffassung, dass es die Aufgabe einer gebildeten und besitzenden Minderheit war, zu entscheiden, wer zur politischen Nation gehörte und wahlberechtigt sein sollte. Den Ungebildeten und Besitzlosen, so glaubten viele Liberale, mangele es an den für politische Teilhabe nötigen Eigenschaften wie Zuverlässigkeit, persönlichem Einsatz und kritischem Denkvermögen. Nur der allmähliche Fortschritt durch gesellschaftliche Reformen konnte den noch ungebildeten und besitzlosen Teil der Bevölkerung zu politisch vollwertigen Mitgliedern der bürgerlichen Gesellschaft machen.79 Ihre Abwehrhaltung gegen die radikale Demokratie veranlasste Konservative und Liberale dazu, sich wieder stärker den herkömmlichen Rechten der Einzelstaaten zuzuwenden.80 Während die radikalen Demokraten ihre Forderungen auf das revolutionäre Recht der Nation stützten und danach strebten, »den Geist der Zeit durch das lebendige Recht der Gegenwart [zu] verkörpern«, erklärte der oldenburgische Jurist Georg Mölling, ein Anhänger von Heinrich Simon, wollten die Konservativen – zu denen er auch die Liberalen zählte – diesen Geist »in das Gewand des historischen Rechts« kleiden, sie wollten »ihn bannen und festhalten durch die bestehenden Einrichtungen«.81 Selbst der Ausdruck »Souveränität des Volks« bzw., wie Gagern es weniger unscharf formulierte, »Souveränität der Nation«, war für gemäßigte Liberale wie Bassermann nicht akzeptabel.82 Im Vergleich mit der allumfassenden egalitären Gemeinschaft, die den Demokraten vor Augen stand, war für die Liberalen und Konservativen im Jahr 1848/49 die Nation definiert durch Geschichte, Recht, Hierarchie und Politik. 77 Ebd., S. 15. Siehe Thadden in: Axel Schildt: Konservatismus in Deutschland, München 1998, S. 69. 78 Ebd. 79 Elmar M. Hucko (Hg.): The Democratic Tradition. Four German Constitutions, Oxford 1987, S. 15. 80 Meine Argumentation weicht hier ab von der Auffassung, die bezweifelt, dass Liberale und gemäßigte Konservative – im Unterschied zu den reaktionären Kräften – überhaupt eine Revolution angestrebt hätten: Wolfgang Schieder: 1848/49: Die ungewollte Revolution, in: Carola Stern/Heinrich August Winkler (Hg.): Wendepunkte deutscher Geschichte 1848–1990, Frankfurt am Main 1994, S. 17–42. 81 Wigard (Hg.), Stenographischer Bericht (wie Anm. 12), Bd. 7, S. 5288; zit. nach Jörn Leonhard: Liberalismus. Zur historischen Semantik eines europäischen Deutungsmusters, München 2011, S. 467. 82 Bassermann, Denkwürdigkeiten (wie Anm. 74), S. 153.

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Derartige Auffassungen basierten offenbar auf dem Grundproblem der Verfassungsgebung, die einerseits äußere Macht und innere Einheit und andererseits innere Freiheit und politische Teilhabe herstellen sollte. »Eine Nation, deren Existenz selbst nicht in Frage gestellt ist, mag zuwarten, und auf weitere gewaltsame Prozesse der Geschichte sich vertrösten lassen«, schrieb ein Korrespondent aus Frankfurt am 27. Januar 1849 in der »National-Zeitung«: »Aber für die Deutschen handelt es sich noch um die Grundlagen des staatlichen Daseins selbst.«83 Wenig später, im März 1849, schrieb dieselbe Zeitung, viele Deutschen glaubten, dass die Freiheit in einer Verfassung festgehalten werden müsse, doch wüssten sie nicht, wie sie ihr Ziel erreichen sollten.84 Seit März 1848 hatte bei den Liberalen eine allgemeine Übereinstimmung darüber geherrscht, dass drei Verfassungsorgane geschaffen werden sollten: eine Nationalversammlung als politische Interessenvertretung des deutschen Volkes, eine föderale Kammer als Vertretung der einzelstaatlichen Regierungen und ein Staatsoberhaupt zur Ausübung einer starken Exekutivgewalt.85 Viele Liberale fügten dieser Liste noch ein Reichsgericht hinzu, um die Unabhängigkeit der Rechtsprechung zu garantieren. Vor allem aber benötige Deutschland mit seiner tausendjährigen Reichstradition einen starken Kaiser, hob Heinrich von Gagern im März 1849 in der Nationalversammlung hervor.86 Diese Elemente harmonisch in die Form eines neuen, revolutionären und nationalen Reiches einzufügen, war das größte Problem, mit dem sich die Liberalen und Konservativen in den Jahren 1848/49 im Hinblick auf die Verfassungsgebung konfrontiert sahen. Die meisten von ihnen stimmten – zumindest öffentlich – darin überein, dass Österreich zumindest zeitweise aus dem Nationalstaat ausgeschlossen werden müsse und dass es keine Rückkehr zum Deutschen Bund geben dürfe. Sie waren indessen unterschiedlicher Meinung über die Art und Weise, wie die »staatenbündischen« und »bundesstaatlichen« Elemente einer neuen politischen Ordnung in Deutschland miteinander kombiniert werden sollten.87 In dieser Hinsicht blieb die föderative Frage ungelöst. 83 84 85 86 87

National-Zeitung, Morgenblatt, Nr. 25, 27. Januar 1849. Ebd., 22. März 1849. Kölnische Zeitung, 30. März 1848. Wigard (Hg.), Stenographischer Bericht (wie Anm. 12), Bd. 8, S. 5883 (20. März 1849). Damit soll nicht bestritten werden, dass viele Konservative – zunächst privat, seit dem Herbst 1848 auch öffentlich – eine Rückkehr zum Status Quo ante befürworteten. Neben anderen hat Günther Grünthal die Rolle der konservativen Regierung bei der Durchsetzung der reaktionären Wende betont: Günther Grünthal: Das preußische Dreiklassenwahlrecht. Ein Beitrag zur Genesis und Funktion des Wahlrechtsoktrois vom Mai 1849, in: Historische Zeitschrift 226 (1978), S. 17–66; Ders.: Zwischen König, Kabinett und Kamarilla. Der Verfassungsoktroi in Preußen vom 5.12.1848, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 32 (1983), S. 119–174; Ders.: Parlamentarismus in Preußen 1848/49–1857/58. Preußischer Konstitutionalismus – Parlament und Regierung in der Reaktionsära, Düsseldorf 1982. Ausführlicher zu den weiteren Verfassungsprojekten, die auch Österreich einschlossen: Günter Wollstein: Das »Großdeutschland« der Paulskirche. Nationale Ziele in der bürgerlichen Revolution 1848/49, Düsseldorf 1977, S. 266–335; Ders.: Die Oktoberdebatte der Paulskirche. Das Votum



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Die Schnelligkeit, mit der die führenden Politiker 1848/49 vom Deutschen Bund abrückten, legt den Schluss nahe, dass der Staatenbund es während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht vermocht hatte, sich zu einem alternativen Identifikationsmodell gegenüber den bestehenden Einzelstaaten oder der projektierten deutschen Nation zu entwickeln.88 Die anhaltende Debatte über föderative Strukturen zeigt indessen aber auch, dass der Deutsche Bund für manche politisch umstrittenen Fragen durchaus Antworten bereithalten konnte: Dazu gehörten die einzelstaatlichen Identitäten, das Verhältnis zwischen Preußen und den übrigen Staaten, die Notwendigkeit von konstitutionellen »checks and balances« sowie die Rolle der Exekutive, der Legislative und des Staatsoberhaupts.89 Aus dem Englischen übersetzt von Jürgen Müller.

für Deutschland und Österreich, in: Rudolf Jaworski/Robert Luft (Hg.): 1848/49. Revolutionen in Ostmitteleuropa, München 1996, S. 279–302. 88 Zu regionalen Identitäten: Abigail Green: Fatherlands. State-Building and Nationhood in Nineteenth-Century Germany, Cambridge 2001; Wilhelm Schulte: Volk und Staat. Westfalen im Vormärz und in der Revolution 1848/49, Münster 1954; Ursula Krey: Vereine zwischen Bürgertum und Unterschichten in Westfalen 1840–1854, in: Jahrbuch zur Liberalismus-Forschung 1 (1989), S.  9–24; Hartwig Brandt: Parlamentarismus in Württemberg 1815–1870, Düsseldorf 1987; Michael John: National and Regional Identities and the Dilemmas of Reform in Britain’s »Other Province«. Hanover, c. 1800 – c. 1850, in: Laurence W. B. Brockliss/David Eastwood (Hg.): A Union of Multiple Identities, Manchester 1997, S.  179–192; Toni Offermann: Preußischer Liberalismus zwischen Revolution und Reichsgründung im regionalen Vergleich. Berliner und Kölner Fortschrittsliberalismus in der Konfliktzeit, in: Dieter Langewiesche (Hg.): Liberalismus im 19. Jahrhundert, Göttingen 1988, S.  109–135; Beate-Carola Padtberg: Rheinischer Liberalismus in Köln während der politischen Reaktion in Preußen nach 1848/49, Köln 1985; Paul Nolte: Gemeindeliberalismus. Zur lokalen Struktur und sozialen Verankerung der liberalen Partei in Baden 1831–1855, in: Historische Zeitschrift 252 (1991), S. 57–91. 89 Zur nachfolgenden Geschichte des Deutschen Bundes siehe vor allem: Müller, Deutscher Bund und deutsche Nation (wie Anm. 41).

Andreas Fahrmeir

Innere Nationsbildung im 19. Jahrhundert Der Deutsche Bund im internationalen Vergleich

Bei allen Kontroversen über die Legitimität oder Illegitimität des Deutschen Bundes, seine Bewertung im Verlauf der deutschen und der europäischen Geschichte oder seine Rolle als gutes oder schlechtes Beispiel für die politische Organisation eines Teils von Europa1 scheint eines klar: Er konnte kein Modell einer »nationalen« Integration entwickeln, das in der Lage gewesen wäre, gegen einen deutschen Nationalstaat zu konkurrieren – selbst gegen einen unvollständigen, »kleinen«. Diese Schwäche spielte bei der Suche nach Alternativen zum Deutschen Bund, wie sie in der Paulskirche oder dem Erfurter Parlament Mitte des 19. Jahrhunderts2 sowie im Rahmen der Bemühungen um eine Bundesreform in den frühen 1860er Jahren betrieben wurde, eine Rolle, und sie war für den raschen Untergang des Bundes scheinbar ebenso entscheidend wie für sein lange überwiegend kritisches Bild in der Historiographie, das sich allerdings in den vergangenen Jahrzehnten deutlich differenziert hat.3

1 Für die Forschungen zum Deutschen Bund sei vor allem verwiesen auf die bislang sieben Bände umfassende Edition: Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes [künftig: QGDB]. Für die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften hg. v. Lothar Gall u. Andreas Fahrmeir, München 1996–2017; Jürgen Müller: Der Deutsche Bund 1815–1866, München 2006 (= Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 78); Ders.: Deutscher Bund und deutsche Nation 1848–1866, Göttingen 2005 (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 71). 2 Vgl. Brian Vick: Defining Germany. The 1848 Frankfurt Parliamentarians and National Identity, Cambridge, Mass. 2002. 3 Das ergibt sich aus der Lektüre von Arbeiten zur Bedeutung von Nationalismus und alternativen politischen Ordnungsmustern in der deutschen Geschichte, z. B. John Breuilly (Hg.): The State of Germany. The National Idea in the Making, Unmaking and Remaking of a Modern Nation-State, London 1992; Dieter Langewiesche/Georg Schmidt (Hg.): Föderative Nation. Deutschlandkonzepte von der Reformation bis zum Ersten Weltkrieg, München 2000; Maiken Umbach (Hg.): German Federalism. Past, Present, Future, Basingstoke 2002; Dieter Langewiesche: Reich, Nation, Föderation. Deutschland und Europa, München 2008; Mark Hewitson: Nationalism in Germany, 1848–1866. Revolutionary Nation, Basingstoke 2010; Andreas Fahrmeir: Die Deutschen und ihre Nation. Geschichte einer Idee, Ditzingen 2017; siehe ebenso die neuen Darstellungen zum Wiener Kongress, etwa Heinz Duchhardt: Der Wiener Kongress. Die Neugestaltung Europas 1814/15, München 2013; Brian Vick: The Congress of Vienna. Power and Politics after Napoleon, Cambridge, Mass. 2014; Reinhard Stauber: Der Wiener Kongress, Wien 2014; Wolf D. Gruner: Der Wiener Kongress 1814/15, Stuttgart 2014.

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Die Spannung zwischen der Organisation von Herrschaft in Form eines Staatenbundes und der Existenz weitergehender nationaler Gemeinsamkeiten zwischen 1815 und 1866 wurde lange als ein spezifisch deutsches Problem betrachtet. Westlich von Deutschland schien die nationale Integration längt gegeben und mit der staatlichen Herrschaftsordnung weitestgehend übereinzustimmen; östlich von Deutschland war nicht die Existenz einer Vielzahl von Herrschaften auf dem Gebiet einer »Nation« das zentrale Phänomen, sondern die Existenz einer Vielzahl von »Nationen« im Herrschaftsbereich eines Reiches. Dieser Unterschied schien einen möglichen Schlüssel zur Erklärung der jeweils besonderen Dynamik von nationalen Bewegungen in West-, Mittel- und Osteuropa zu bieten und zumindest einen Beitrag zur Erklärung des sehr unterschiedlichen Zerstörungspotentials von Nationalismus leisten zu können.4 Der Versuch, eine andere Perspektive einzunehmen, wurde dagegen seltener unternommen. Diese könnte darauf verweisen, dass im 19. Jahrhundert eine ganze Reihe von Herrschaftskonstellationen, in denen versucht wurde, mit (weitgehender) kultureller Homogenität bei erheblichen, bisweilen auch wachsenden ökonomischen Divergenzen entweder durch staatliche Pluralität oder Formen föderalistischer Ordnungen umzugehen, in Krisen gerieten, die sich sogar teilweise zeitlich mit der Auflösung des Deutschen Bundes überschnitten. Vor dieser Krise bestand etwa in Italien staatliche Pluralität (ohne Ansätze einer staatenbündischen Ordnung), in den Vereinigten Staaten von Amerika eine Föderation, die trotz sprachlicher Einheit wegen wachsender ökonomischer und politischer Divergenzen zerbrach, um erst durch einen zerstörerischen Krieg wieder geeint werden zu können. Das Zusammentreffen des amerikanischen Bürgerkriegs mit der deutschen und italienischen Einigung hat zu einigen vergleichenden Studien geführt, die aber meist nur zwei der drei Fälle in den Blick nehmen5 – was auch daran liegen mag, dass die Frage der konkreten Verbindungen und strukturellen Parallelen zwischen den Ereignissen bereits unter den Zeitgenossen umstritten war.6 Zwar waren die diplomatischen und militärischen Verflechtungen zwischen den Entwicklungen in Deutschland und jenen in Italien offensichtlich, nach der jeweiligen nationalen Einigung entwickelten sich das Deutsche Reich und das Königreich Italien mit Blick auf ihre Verfassung, ihre politische Kultur und ihre Wirtschaftsstruktur indessen recht unterschiedlich7, auch wenn es etwa in der 4 Theodor Schieder: Nationalismus und Nationalstaat. Studien zum nationalen Problem im modernen Europa, Göttingen 21992; Hugh Seton-Watson: Nations and States. An Enquiry into the Origins of Nations and the Politics of Nationalism, London 1977; differenziert Peter Alter: Nationalismus, Frankfurt am Main 1985. 5 Etwa Stig Förster (Hg.): On the Road to Total War. The American Civil War and the German Wars of Unification, 1861–1871, Washington 1999. 6 Christof Dipper: Helden überkreuz oder das Kreuz mit den Helden. Wie Deutsche und Italiener die Heroen der nationalen Einigung (der anderen) wahrnahmen, in: Ders.: Ferne Nachbarn. Vergleichende Studien zu Deutschland und Italien in der Moderne, Köln 2017, S. 103– 136. 7 Ebd.



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Kirchenpolitik8 später gewisse Parallelen gab. Ebenso wenig schien es jenseits der militärtechnischen Fragen offensichtlich, wo die mittel- oder langfristigen Parallelen zwischen dem »Bürgerkrieg« in den USA, der eine große politische, kulturelle und ökonomische Distanz zwischen den Nord- und Südstaaten hinterließ, und einem »Bruderkrieg«, der rasch in einer nationalen Erinnerung aufgehen konnte, gelegen haben mochten.9 Die Diskussionen, die in den letzten Jahrzehnten mit Blick auf den Deutschen Bund, die Bedeutung des »Nationalen« für das 19. Jahrhundert und die Konkurrenz zwischen Reichen und Nationen geführt worden sind, haben allerdings einige Fragen aufgeworfen, die es nahelegen, die Parameter der Debatte etwas zu verschieben. Ich will versuchen, das in drei Schritten zu demonstrieren. Dabei geht es mir erstens um die Frage, was nationale Integration unter den Bedingungen des 19. Jahrhunderts bedeutete oder bedeuten konnte; zweitens um die Besonderheiten, die der Deutsche Bund vor diesem Hintergrund aufwies; und drittens um die Frage nach Parallelen und Unterschieden in anderen politischen Kontexten.

I. Nationale Integration Die Historiographie zum Deutschen Bund hat sich extensiv an der Frage der nationalen Integration abgearbeitet. Zunächst, indem ein Gegensatz konstruiert wurde: Nationale Integration sei etwas anderes als der Deutsche Bund, da sie – je nach Standpunkt – eine Zentralisierung der politischen Entscheidungsfindung, eine Beteiligung der Bevölkerung an politischen Entscheidungen oder eine Vereinheitlichung von Normen und kulturellen Praktiken voraussetze, die im Deutschen Bund auf der Ebene der Maße und Gewichte oder der Münzen ebenso ausblieb wie auf der Ebene der Rechtsordnungen oder der künstlerischen Produktion. In den 1980er Jahren deutete sich kurz eine andere Perspektive an, die den Deutschen Bund als letzte legitime Struktur betrachtete, der die Integration der (groß-)deutschen Nation in einer zumindest staatsähnlichen Struktur gelungen sei. Daher könne der Deutsche Bund, so das Argument etwa Ludwig Bentfeldts10, als Vorbild für eine engere Verbindung der damals existierenden ›deutschen‹ Staaten, der Bundesrepublik, der DDR und der Republik Österreich, dienen, die – im Gegensatz zum Kaiserreich – keine Bedrohung für Europa darstellen müsse; dieser Versuch, dem Deutschen Bund einen Modellcharakter zu-

8 Manuel Borutta: Antikatholizismus, Deutschland und Italien im Zeitalter der europäischen Kulturkämpfe, Göttingen 2010. 9 Frank Becker: Bilder von Krieg und Nation. Die Einigungskriege in der bürgerlichen Öffentlichkeit Deutschlands 1864–1913, München 2001; Mark Hewitson: The People’s War. Histories of Violence in the German Lands, 1820–1888, Oxford 2017. 10 Ludwig Bentfeldt: Der Deutsche Bund als nationales Band 1815–1866, Göttingen 1985.

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zuschreiben11, wurde mit der Wiedervereinigung 1989 freilich durch den historischen Prozess überholt. In der Diskussion über das Verhältnis zwischen ›Deutschem Bund und deutscher Nation‹ wurde – vielfach implizit – zweierlei vorausgesetzt: Erstens, dass der Bezug einer »nationalen Integration« klar war, da es sich zwingend um eine »deutsche« nationale Integration handeln musste; zweitens, dass der Zug der Zeit einer nationalen Integration in diesem Sinne zuträglich war oder sie nachgerade erforderte – bei allen Problemen, die die nationale Integration in ein politisches Herrschaftsgebiet angesichts der Realitäten der Grenzziehungen, der Sprach- und Siedlungsmuster, der ökonomischen Verflechtungen und Grenzen, der militärischen Sicherheitsfragen und der geopolitischen Interessen der großen Mächte gerade in Mitteleuropa aufwerfen musste. Aus heutiger Perspektive würde man beide Prämissen zumindest in Frage stellen. John Breuilly hat bereits in den 1980er Jahren darauf hingewiesen, es sei kein Zufall, dass das Adjektiv »national« in vielen Sprachen zwar auch auf eine »Nation« im Sinne einer größeren Gruppe von Personen bezogen sein kann, die bestimmte Eigenschaften teilen oder teilen wollen, aber in der Regel schlicht »staatlich« bedeutet. »Nationale« Integration, so ein Argument seines bahnbrechenden Buchs12, sei daher weniger als eine Angleichung von Herrschaftsstrukturen an objektiv bestehende oder subjektiv erwünschte Gemeinsamkeiten von Bevölkerungen zu betrachten als ein Prozess der Wechselwirkung zwischen staatlichen Strukturen und Bevölkerungen. Unter den Bedingungen des 19. Jahrhunderts liefen diese Wechselwirkungen vielfach auf eine administrative, rechtliche und ökonomische Homogenisierung hinaus, die wiederum sprachliche (und teilweise, wenn auch seltener und weniger intensiv, religiöse) Homogenisierung nahelegte. Diese Homogenisierung diente nicht zuletzt der Vergrößerung staatlicher Ressourcen durch den direkten Zugriff auf die einheimische männliche Bevölkerung, die wiederum zu immer größeren Teilen in Strukturen der politischen Entscheidungsfindung eingebunden und durch individuelle Loyalität in den Staat beziehungsweise in die Monarchie integriert werden sollte. Konkreter gewendet: Die latente oder explizite Konkurrenz zwischen Herrschaftsgebieten, die auch zur Übernahme besonders erfolgreicher Modelle staatlicher Organisation führte, trug dazu bei, dass Rechtsordnungen und Verwaltungsstrukturen vereinfacht und vereinheitlicht, (hoch-)sprachliche Kommunikation normiert, die Wehrpflicht ausgeweitet und das aktive und passive Wahlrecht zu in der Praxis mehr oder weniger einflussreichen parlamentarischen Versammlungen an immer größere Teile der erwachsenen männlichen Bevölkerung verliehen wurde. Insofern war die aus den Erfahrungen des Reformabsolutismus, der Französi11 Vgl. auch Wolf D. Gruner: Der Deutsche Bund – Modell für eine Zwischenlösung, in: Ders.: Deutschland mitten in Europa. Aspekte und Perspektiven der deutschen Frage in Geschichte und Gegenwart, Hamburg 1992, S. 45–69 (= Beiträge zur deutschen und europäischen Geschichte, Bd. 5), erstmals in: Politik und Kultur, Heft 5, 1982, S. 22–42. 12 John Breuilly: Nationalism and the State, Manchester 1985.



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schen Revolution, der napoleonischen Epoche und der Reformphase, die es in vielen Staaten unmittelbar nach 1815 gab, abgeleitete Vorstellung einer »Nation« als Raum rechtlicher Gleichheit und (begrenzter) politischer Partizipation13 Voraussetzung einer stärkeren Integration von Herrschaftsgebieten, die »Nation« als einer solchen Integration zugänglicher oder unterworfener Personenverband aber zugleich das Ergebnis dieser Politik – wobei im Rahmen der Nationalismusforschung intensiv und kontrovers diskutiert wurde, welche Rolle staatlichen Maßnahmen einerseits und weniger direkt vom Staat beeinflussten Entwicklungen im Bereich der Ökonomie, der Medien, der Migrationserfahrungen und der gesellschaftlichen Strukturen andererseits zukam.14 Verschiebt man die Perspektive in dieser Weise, wird es wahrscheinlich, dass es im 19. Jahrhundert dort zu Prozessen »nationaler Integration« kommen konnte oder kommen würde, wo staatliche Strukturen etabliert waren, die Prozesse der Integration initiierten und vorantrieben (oder zu ihrer Projektionsfläche wurden). In der Tat spielten – wie etwa Manfred Hanisch, Abigail Green, Brian Vick, David Bell oder Eugen Weber gezeigt haben15 – Versuche der nationalen Integration auf Staatsebene in der Epoche nicht nur im Deutschen Bund, sondern in Europa insgesamt eine wichtige Rolle. Die Prozesse nationaler Integration hatten dabei unterschiedliche Schwerpunkte: Mal stand eher die Verwaltung im Mittelpunkt, mal trat das Rechtswesen besonders hervor, mal wurde die Sprache betont und mal wurden kulturelle Besonderheiten intensiver gewürdigt. Insgesamt war die nationale Integration in diesem Sinne vielfach erfolgreich. Vergleicht man die Verhältnisse zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit jenen zu Beginn seines letzten Drittels, so wird man konstatieren, dass zumindest in Westund Mitteleuropa die Binnenfreizügigkeit weitgehend gewährt worden war16, dass es eine »nationale«, auf die jeweiligen Hauptstädte zentrierte (Medien-)Öffentlichkeit gab (die mit einer europäischen oder auf die zentralen Orte Europas

13 Zum Stand der Nationsvorstellungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit besonderer Berücksichtigung Deutschlands vgl. Vick, Congress (wie Anm. 3), S. 266–277, und Vick, Defining Germany (wie Anm. 2). 14 Vgl. John Breuilly (Hg.): The Oxford Handbook of the History of Nationalism, Oxford 2013; Timothy Baycroft/Mark Hewitson (Hg.): What is a Nation? Europe 1789–1914, Oxford 2006. 15 Manfred Hanisch: Für Fürst und Vaterland. Legitimitätsstiftung in Bayern zwischen Revolution 1848 und deutscher Einheit, München 1991; Abigail Green: Fatherlands. State-Building and Nationhood in Nineteenth-Century Germany, Cambridge 2001; Vick, Congress (wie Anm. 3); Baycroft/Hewitson (Hg.), What is a Nation? (wie Anm. 14); David A. Bell: The Cult of the Nation in France. Inventing Nationalism, 1680–1800, Cambridge 2003; Eugen Weber: Peasants into Frenchmen. The Modernization of Rural France, 1870–1914, Stanford 1979. 16 Zur regionalen und zeitlichen Differenzierung vgl. aber Klaus J. Bade/Pieter C. Emmer/Leo Lucassen/Jochen Oltmer (Hg.): Enzyklopädie Migration in Europa. Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Paderborn 32010, sowie für Deutschland Jochen Oltmer (Hg.): Handbuch Staat und Migration in Deutschland seit dem 17. Jahrhundert, Berlin 2016.

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ausgerichteten Öffentlichkeit einhergehen oder konkurrieren konnte)17, dass regionale Rechtsunterschiede abgeschafft oder vermindert worden waren, und dass es kaum mehr interne Handelsbarrieren gab (wobei externe Handelsbarrieren freilich ebenfalls abgenommen hatten). Dem stand allerdings gegenüber, dass gerade in größeren Staaten regionale sprachliche und kulturelle Unterschiede erheblich sein konnten; dass der Zugriff des Zentralstaats in der Fläche nicht überall gewährleistet war; dass Systeme sozialer Unterstützung in der Regel vor allem lokale Zugehörigkeiten in den Mittelpunkt stellten; und dass zwar alle Regionen politisch durch Abgeordnete in der Zentrale vertreten waren, dass dieses Vertretungsverhältnis aber sowohl integrativ wirken als auch bestehende Antagonismen verstärken konnte. Um es am Beispiel Frankreichs zu illustrieren: Gewiss galt im ganzen Land der Code pénal; er bedeutete aber in Paris etwas völlig anderes als auf Korsika18 oder in den Pyrenäen, nicht zuletzt deshalb, weil mindestens bis zur Mitte des Jahrhunderts ungewiss war, ob die Organe des Zentralstaats – Gendarmerie und Justiz – dort überhaupt über Tötungsdelikte unterrichtet werden würden19. Es dauerte bis weit in die 1850er Jahre, bis der Militärdienst (zu dem junge Männer bekanntlich ausgelost wurden, wenn sie keinen Stellvertreter stellen wollten oder konnten) nicht mehr überwiegend als Verrat an der eigenen Familie und Gemeinde gewertet wurde, sondern als Dienst am Vaterland präsentiert werden konnte20; Klagen über den geringen Verbreitungsgrad des Französischen als Sprache gehörten bis in die 1880er Jahre zum Repertoire von Schul- und Bildungspolitikern – ohne dass freilich ganz klar ist, welcher Realitätsgehalt ihnen zukam21. Auch in Frankreich konkurrierte somit nationale (im Sinne von gesamtstaatlicher) Integration mit regionaler22, interurbaner (etwa im Bereich von Theater, Musik und Literatur zwischen London, Paris, Wien und Berlin23), ›eu17 Vgl. Frank Bösch: Mediengeschichte. Vom asiatischen Buchdruck zum Fernsehen, Frankfurt am Main 2011, Kap. 4; Christophe Charle: Théâtres en capitales. Naissance de la société du spectacle à Paris, Berlin, Londres et Vienne, 1860–1914, Paris 2008. 18 Caroline Parsi: Le crime d’honneur en Corse (deuxième moitié du XIXe siècle), in: Hypotheses. Travaux de l’École doctorale d’histoire Université Paris I – Panthéon Sorbonne, Ècole nationale des Chartes (2012), S. 247–261. 19 John Merriman: Police Stories. Building the French State, 1815–1851, Oxford 2006; zum Vergleich: Quentin Deluermoz: Policiers dans la ville. La construction d’un ordre public à Paris (1854–1914), Paris 2012. 20 David M. Hopkin: Soldier and Peasant in French Popular Culture, 1766–1870, London 2002. 21 Weber, Peasants (wie Anm. 15), S. 67–94, 303–338; vgl. Caroline Ford: Peasants into Frenchmen: Thirty Years After, in: French Politics, Culture & Society 27 (2009), S. 84–93 (sowie die anderen Beiträge in diesem Sonderheft); Fernando Molina Aparicio: ¿Realmente la nación vino a los campesinos? Peasants into Frenchmen y el »Debate Weber« en Francia y España, in: Historia Social 62 (2008), S. 78–102. 22 Exemplarisch Stefan Leiner: Migration und Urbanisierung. Binnenwanderungsbewegungen, räumlicher und sozialer Wandel in den Industriestädten des Saar-Lor-Lux-Raumes 1856– 1910, Saarbrücken 1994. 23 Charle, Théâtres (wie Anm. 17); Sven Oliver Müller: Das Publikum macht die Musik. Musikleben in Berlin, London und Wien im 19. Jahrhundert, Göttingen 2014.



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ropäischer‹ oder gar globaler (im Rahmen der seit den 1860er Jahren eröffneten Freihandelsräume). Anders gewendet: Das Problem der »nationalen« Integration stellte sich keineswegs nur im Deutschen Bund; es nahm dort aber wegen der verschiedenen möglichen Herrschaftsebenen, die zugleich Projektionsflächen für eine gewünschte politische Ordnung bilden konnten, in Manchem andere Formen an.

II. Nationale Integration im Deutschen Bund Die Situation im Deutschen Bund und seinen Staaten war nicht prinzipiell anders als in den westeuropäischen Proto-Nationalstaaten, aber sie war komplexer, denn sie betraf mehrere Herrschaftsebenen, deren Verhältnis zueinander in unterschiedlicher Weise gedacht werden konnte. Auch bei der Konstruktion des Deutschen Bundes war dieses Verhältnis aus mehr oder weniger naheliegenden Gründen nicht völlig klar durchdacht worden. Der Deutsche Bund folgte als Form der politischen Organisation Mitteleuropas bekanntlich auf das Heilige Römische Reich deutscher Nation als besonders langlebiges24 und auf den Rheinbund25 als besonders kurzlebiges Modell. Er sollte einerseits die neu gewonnene Souveränität der verbleibenden deutschen Staaten sichern, indem seine kollektiven Verteidigungsstrukturen Schutz vor Übergriffen der Nachbarn boten.26 Das war notwendig, da der Deutsche Bund die überwiegende Mehrheit der europäischen Staaten umfasste (bis zu 42 von insgesamt etwa 6827). Anders gewendet: Die deutschen Staaten waren in ihrer Mehrzahl nicht nur sehr klein, sondern im Vergleich etwa mit den Niederlanden sehr arm und daher zur Finanzierung einer effektiven Verteidigung kaum in der Lage. Der Bund sollte seinerseits eine Integration ermöglichen, indem er in verschiedenen Bereichen 24 Joachim Whaley: Germany and the Holy Roman Empire, 2 Bde., Oxford 2012. 25 Quellen zu den Reformen in den Rheinbundstaaten, 10 Bde., München 1998–2012, Berlin 2015. 26 Jürgen Angelow: Von Wien nach Königgrätz. Die Sicherheitspolitik des Deutschen Bundes im europäischen Gleichgewicht (1815–1866), München 1996; zum europäischen Kontext Matthias Schulz: Normen und Praxis. Das Europäische Konzert der Großmächte als Sicherheitsrat, 1815–1860, München 2009. 27 Die Zählung der europäischen Staaten im 19. Jahrhundert ist nicht einfach; um den Deutschen Bund nicht künstlich zu benachteiligen, wurde versucht, auch Kleinststaaten außerhalb seiner Grenzen wie San Marino, Monaco und Andorra einzubeziehen; Polen, Finnland sowie Norwegen wurden als selbständige Königreiche gezählt; Neutral-Moresnet wurde allerdings nicht berücksichtigt. Entscheidend für das Argument sind ohnehin nicht die Details, sondern die Zahlenverhältnisse. Siehe dazu Dieter Langewiesche (Hg.): Kleinstaaten in Europa. Symposium am Liechtenstein-Institut zum Jubiläum 200 Jahre Souveränität Fürstentum Liechtenstein 1806–2006, Schaan 2007 (= Liechtenstein, Politische Schriften, Bd. 42), darin insbesondere die Beiträge von Dieter Langewiesche: Der europäische Kleinstaat im 19. Jahrhundert und die frühneuzeitliche Tradition des zusammengesetzten Staates (S. 95–117) und Jürgen Müller: Kleinstaaten »ohne Nation« im 19. Jahrhundert. Bedingungen ihres Überlebens in der Epoche des Nationalstaats (S. 118–136).

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(Teilbereichen des Rechts, des Zollsystems, der Struktur von Verfassungen, des Urheberrechts, der Migration) dieselbe Art von Normierung fördern sollte, wie sie außerhalb des Deutschen Bundes etwa in Frankreich auf der Ebene des Staates erfolgte. Dieselbe Art der Integration trieben aber auch die Mitgliedsstaaten des Deutschen Bundes voran, wobei Prioritäten, Zielsetzungen und Folgen von Staat zu Staat unterschiedlich waren – wie etwa der Kontrast zwischen den Verfassungsstaaten im Süden und dem seit Mitte der 1820er Jahre auf Integration durch Bürokratie setzenden Preußen deutlich machte.28 Klar war dagegen, dass der Bund auf der Ebene kultureller Integration nicht tätig werden sollte: Er betrieb anders als die Einzelstaaten keine Universitäten, Museen oder historischen Vereine, die (auch) zur staatlichen Identitäts- und Loyalitätsbildung beitragen sollten29, und er verfügte allgemeiner gesprochen auch über keine institutionellen oder finanziellen Mittel für eine Kulturpolitik. Das änderte sich zwar rasch, aber vorwiegend in negativer Hinsicht: Im Gefolge der Karlsbader Beschlüsse und weiterer Maßnahmen, die – je nach Deutung – die restaurative Wende des Deutschen Bundes zementierten oder eine für Europa gefährliche radikalnationalistische Mobilisierung der Studentenschaft und Teile der akademischen Eliten einhegen sollten –, wurde auch auf der Ebene des Deutschen Bundes darüber verhandelt, was in den Universitäten, den Publikationen und den kulturellen Institutionen der einzelnen Staaten sagbar sein sollte und was nicht30; es wurde aber kaum darüber verhandelt, wie Forschung und Lehre verbessert, ausgeweitet oder vernetzt werden könnten. Auch Versuche, den Deutschen Bund zum Träger kultureller Denkmäler wie des Wohnhauses Goethes in Weimar zu machen, liefen ins Leere.31 Die Verweise auf die zentrale Rolle des Deutschen Bundes für die deutsche Nation, welche die diplomatischen Repräsentanten der Gründungsmonarchien bei der Eröffnungsveranstaltung der Deutschen Bundesversammlung vortrugen32, bezogen sich somit auf eine noch genauer zu bestimmende Rolle des Bun28 Reinhart Koselleck: Preußen zwischen Reform und Revolution. Allgemeines Landrecht, Verwaltung und soziale Bewegung von 1791 bis 1848, Stuttgart 21975; Paul Nolte: Staatsbildung als Gesellschaftsreform. Politische Reformen in Preußen und den süddeutschen Staaten 1800– 1820, Frankfurt am Main 1990; Eckhardt Treichel: Der Primat der Bürokratie. Bürokratischer Staat und bürokratische Elite im Herzogtum Nassau 1806–1866, Stuttgart 1991; Georg Eckert: Zeitgeist auf Ordnungssuche. Die Begründung des Königreiches Württemberg 1797–1819, Göttingen 2016. 29 Fahrmeir, Die Deutschen und ihre Nation (wie Anm. 3), S. 70–74. 30 Gabriele B. Clemens: Zensur im Vormärz. Pressefreiheit und Informationskontrolle in Europa, Ostfildern 2013; Eberhard Büssem: Die Karlsbader Beschlüsse von 1819. Die endgültige Stabilisierung der restaurativen Politik im Deutschen Bund nach dem Wiener Kongreß von 1814/15, Hildesheim 1974; Wolfram Siemann: Metternich. Stratege und Visionär. Eine Biographie, München 2016, S. 662–735. 31 Vgl. die Beiträge von Paul Kahl und Andreas Hofmann in diesem Band. 32 QGDB, Abt. I: Quellen zur Entstehung und Frühgeschichte des Deutschen Bundes 1813– 1830, Bd. 2: Organisation und innere Ausgestaltung des Deutschen Bundes 1815–1819, bearb. v. Eckhardt Treichel, München 2016, bes. S. 172, 174, 176, 180.



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des als institutionelle Verkörperung der Zusammengehörigkeit der deutschen Staaten; als Repräsentation einer Nation, die als intern besonders pluralistisch, zugleich aber als militärisch und kulturell besonders bedeutend dargestellt wurde; und schließlich auf ein Potential künftiger Vereinheitlichung nach innen, bei dem freilich nicht völlig klar war, in wie weit die dabei unter Umständen freigesetzten Machtpotenziale mit der Vorstellung eines europäischen Gleichgewichts vereinbar sein würden. Bekanntlich stellten sich dem Potential künftiger Vereinheitlichung nach innen Schwierigkeiten in den Weg, die mit Konkurrenzverhältnissen innerhalb des Deutschen Bundes zu tun hatten. Das erste Konkurrenzverhältnis betraf die Verteilung von Aufgaben und Kompetenzen zwischen dem Bund und den Staaten, deren gesamtes Staatsgebiet innerhalb der Bundesgrenzen lag; das zweite Konkurrenzverhältnis bestand zwischen dem Bund und jenen Reichen, deren Territorien nicht alle zum Bund gehörten – also Österreich, Preußen, Großbritannien (bis 1837), Dänemark und die Niederlande. Bei den Staaten, die ganz zum Bund gehörten, konkurrierte die nationale Integration auf Staatsebene durch Gesetzeskodifikationen und gegebenenfalls Verfassungen, die eine gesamtstaatliche parlamentarische Repräsentation vorsahen, mit der Integrationsverweigerung auf der Ebene des Bundes. Denn jenseits der Verteidigungsinfrastruktur der Kommandostrukturen, Mannschaftsstärken und Bundesfestungen sowie der Koordination politischer Repression gab es vor der Revolution von 1848 kein Gebiet, auf dem es auf der Ebene des Deutschen Bundes gelungen wäre, in einer adäquaten Zeit Lösungen offener Fragen vorzuschlagen, zu beraten und zu verabschieden. Das eröffnete anderen Akteuren, nämlich Zusammenschlüssen von Mitgliedern des Bundes, Freiräume – am prominentesten im Bereich des Handels durch den Zollverein.33 Nach der Revolution von 1848 kamen durch zwischenstaatliche vertragliche Vereinbarungen etwa Kontrollerleichterungen bei Reisen (»Passkarten«) und Regelungen des Heimatrechts (»Gothaer Vertrag«) hinzu.34 Des Weiteren liefen Integrationsvorschläge auf der Ebene des Bundes seit der konservativen Wende der Bundespolitik nach 1819/20 darauf hinaus, Integrationsfortschritte auf der Ebene der Staaten in Frage zu stellen oder rückgängig zu machen, indem beispielweise Verfassungsbestimmungen durch ein ad hoc konstruiertes Bundesrecht ganz oder teilweise außer Kraft gesetzt werden sollten. Paradoxerweise entstand gerade aus dieser Konkurrenz zwischen einzelstaatlicher Souveränität und Bundesansprüchen auf der Bundesebene eine gewisse Integrationsdynamik: eine Möglichkeit, aus einer Situation auszubrechen, in welcher der 33 Hans-Werner Hahn/Marko Kreutzmann (Hg.): Der Deutsche Zollverein. Ökonomie und Nation im 19. Jahrhundert, Köln 2012. 34 Low Choo Chin: Migration and Citizenship. Legal and Political Aspects in the Pre-War German Context, in: Chronica Mundi 10 (2015), S.  26–54, hier S.  34 f.; Michael Schubert: The Creation of Illegal Migration in the German Confederation, 1815–1866, in: Journal of Borderlands Studies 2017, https://doi.org/10.1080/08865655.2017.1402197 (26.1.2018).

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Bund zwar Ansprüche formulierte, aber unterhalb einer militärischen Intervention in einzelnen Staaten keine Mittel dazu besaß, sie durchzusetzen, und zudem über weniger Legitimität verfügte als die Monarchien und ihre gewählten parlamentarischen Versammlungen, bestand darin, die Legitimität des Bundes durch eine direkte oder indirekte Parlamentarisierung zu erhöhen. Damit verband sich auf Seiten der politischen Opposition zugleich die Erwartung einer Kurskorrektur in Richtung einer liberaleren Politik, unabhängig davon, ob die Parlamentarisierung durch eine Beteiligung der Abgeordneten einzelstaatlicher Parlamente (die allerdings vor 1848 in vielen Staaten erst noch einzurichten gewesen wären, obgleich die Bundesakte sie für den gesamten Deutschen Bund vorgesehen hatte) oder durch die Wahl eines Bundesparlaments erreicht werden sollte. Bekanntlich war die Einigung auf eine solche Vertretung nur angesichts des massiven Drucks der Demonstrationen vom März 1848 möglich, und in Form der Frankfurter Nationalversammlung hatte sie nur bis 1849 Bestand. Auch der Versuch, 1863 auf dem Frankfurter Fürstentag eine Vertretung der Landesparlamente beim Deutschen Bund durchzusetzen, blieb erfolglos – obgleich die Organisation des Norddeutschen Bundes nur wenig später auf manche in diesem Zusammenhang erörterten Vorschläge zurückgriff.35 In den Reichen, die nur teilweise zum Deutschen Bund gehörten, konkurrierte die Aussicht auf eine homogenisierende Integration im Deutschen Bund mit den unterschiedlich intensiv verfolgten Plänen einer homogenisierenden Integration des jeweiligen Reichsgebiets, die von sehr verschiedenen sprachlichen, wirtschaftlichen und politischen Voraussetzungen ausgingen.36 Dabei war die Position Preußens insofern einzigartig, als es zwar nur teilweise zum Deutschen Bund gehörte, aber auf der einzelstaatlichen Ebene eine Politik der Integration betrieb, die kaum im Widerspruch zu einer Bundesintegration stand. Monarch, Hof und große Teile der preußischen Bürokratie und Öffentlichkeit setzten auf eine deutschsprachige interne Homogenisierung, die wenig auf die Autonomieansprüche anderer »Nationen« in den »preußischen Staaten« gab. Diese Haltung verstärkte sich im Laufe des Jahrhunderts tendenziell noch. Das machte unterschiedliche Perspektiven Preußens und Habsburgs auf den möglichen Nutzen einer föderativen Struktur Deutschlands wahrscheinlich und warf zugleich das Problem auf, wie in einer Nachfolgeorganisation des Deutschen Bundes zwischen einer nationalen (im Sinne von staatlichen) und einer nationalen (im Sinne von überstaatlichen und zugleich ›deutschen‹) Integration vermittelt werden sollte. Beide Fragen beschäftigten entsprechend auch den Norddeutschen Bund und das Deutsche Kaiserreich intensiv und blieben bis in den Ersten Weltkrieg hinein 35 QGDB, Abt. III: Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes 1850–1866, Bd. 4: Vom Frankfurter Fürstentag bis zur Auflösung des Deutschen Bundes 1863–1866, bearb. v. Jürgen Müller, Berlin/Boston 2017. 36 Vgl. Pieter M. Judson: The Habsburg Empire. A New History. Cambridge, Mass. 2016, S. 103– 332; Peter Wende: Das britische Empire. Geschichte eines Weltreichs, München 2008, S. 123– 240.



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ungelöst, denkt man etwa an die Diskussionen über die Aufteilung eventueller Gebietsgewinne des Reichs zwischen seinen Staaten und Dynastien.37 Diese Einschätzung klingt im doppelten Sinne vertraut: Sie ist pessimistisch, was die langfristigen Erfolgsaussichten des Deutschen Bundes betrifft; und sie verweist auf die klassischen Bruchlinien, welche in den Debatten über den Deutschen Bund von den Zeitgenossen wie von der Historiographie wieder und wieder thematisiert wurden: die großdeutsche/kleindeutsche Frage38; die Spannungen zwischen einem restaurativen oder reaktionären Deutschen Bund und den progressiveren Parlamenten mancher Einzelstaaten39; schließlich die Alternativen, die in Deutschland zu einer vom Deutschen Bund betriebenen Integration bestehen konnten. Allerdings weicht diese Erzählung in einem nicht ganz unwichtigen Punkt von den klassischen Narrativen ab: Sie benötigt keinen Rekurs auf eine starke oder schwache, zentralistisch oder föderalistisch ausgerichtete, von oben entfachte, von unten drängende oder aus der Mitte geborene Nationalbewegung, die auf die Entstehung eines spezifisch deutschen Staatswesens hinarbeitete, um die Probleme des Deutschen Bundes zu erklären. Sie verweist dagegen darauf, dass »nationale Integration« in dieser Epoche überall ein hochgradig kontroverses Projekt war, das gegen teils erhebliche Widerstände von Gemeinden (oder anderen lokalen Formen der Herrschaftsorganisation) und »alten Eliten« durchgesetzt werden musste und lange prekär blieb. Selbst Theodor Mommsen – ein Vertreter des liberalen Bildungsbürgertums, mithin ein nach allen Modellen der Nationalismusforschung prototypischer Vertreter von Positionen, die gegenüber der Gründung eines deutschen Nationalstaats zumindest offen waren – beklagte noch lange nach der Reichsgründung im Kontext des Berliner Antisemitismusstreits den »Preis«, den »die Hannoveraner und die Hessen und wir SchleswigHolsteiner« für den »Eintritt in eine große Nation« zu zahlen hatten40, nämlich den weitgehenden Verzicht auf die bisherige politische, kulturelle und rechtliche Autonomie. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass der Deutsche Bund nicht bereits deswegen zum Scheitern verurteilt war, weil es innerhalb seiner Grenzen Spannungen zwischen unterschiedlichen Vorstellungen von idealen politischen Herrschaftsordnungen und deren Bezug zu »Nationen« gab. Schließlich erwies er sich im

37 Reiner Pommerin: Bundesstaaten und Reichsleitung. Zur Entstehung deutscher Kriegsziele 1914, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 74 (2015), S. 1–26. 38 Günter Wollstein: Das »Großdeutschland« der Paulskirche. Nationale Ziele in der bürgerlichen Revolution 1848/49, Düsseldorf 1977. 39 Lothar Gall: Der Liberalismus als regierende Partei. Das Großherzogtum Baden zwischen Restauration und Reichsgründung, Wiesbaden 1968; Paul Nolte: Gemeindebürgertum und Liberalismus in Baden 1800–1850. Tradition, Radikalismus, Republik, Göttingen 1994. 40 Theodor Mommsen: Auch ein Wort über unser Judenthum, in: Karsten Krieger (Hg.): Der »Berliner Antisemitismusstreit« 1879–1881. Kommentierte Quellenedition, 2 [durchpaginierte] Bde., München 2003, S. 695–709, hier S. 708 f.

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Ergebnis trotz seines Untergangs im Jahr 186641 als eine der erfolgreicheren Formen der politischen Organisation Deutschlands im 19. und 20. Jahrhundert: an zeitlicher Dauer übertrifft ihn bislang nur die Bundesrepublik deutlich. Je genauer man hinsieht, desto weniger vorherbestimmt scheint das Scheitern des Deutschen Bundes, desto realistischer eine umfassende Bundesreform, sei es in einem der kurzen Fenster preußisch-österreichischer Annäherung, sei es durch einen Zusammenschluss der kleineren Staaten zwischen Österreich und Preußen in einem Moment, in dem die beiden Großmächte sich gegenseitig blockierten. Je genauer man hinsieht, desto stärker erscheinen auch die Kontinuitäten zwischen dem Verfassungsmodell des Deutschen Bundes, des Norddeutschen Bundes und des Kaiserreichs. Das gilt sowohl für den Fokus auf einzelstaatliche Souveränität, die sich in dem Recht der auswärtigen Vertretung spiegelte, das die Mitgliedsstaaten des Deutschen Reichs behielten, auch wenn sie es fast nicht ausübten42, als auch für das Festhalten am für die Konstitution des Deutschen Bundes so wichtigen monarchischen Prinzip, das die Regelung der Interaktion von Bundesrat, Reichstag und Kaiser in den Verfassungen des Norddeutschen Bundes und Deutschen Reichs entscheidend bestimmte.43 Folgt man dieser Interpretation, dann eröffnen sich Vergleichsperspektiven mit Konstellationen nationaler Integration, in denen es keine Spannung zwischen Staat und Nation gab (oder zu geben schien), ebenso wie mit Konstellationen, die trotz einer Spannung zwischen Staat und Nation längerfristig erfolgreich waren.

III. Vergleiche Ein naheliegender – wenn auch selten systematisch verfolgter – Vergleich ist der mit Italien.44 Ebenso wie in den deutschen Staaten gab es hier nach 1815 eine territoriale Neuordnung, welche die Veränderungen der napoleonischen Epoche teilweise bestehen ließ und teilweise modifizierte. Auch in Italien entstanden Staaten von sehr unterschiedlicher Größe, politischer Ausrichtung und innerer Verfassung: Das Spektrum reichte von der klerikalen Wahlmonarchie des Kirchenstaates über die kleinen Fürstentümer Norditaliens bis zu dem in einem zunehmend verkrusteten Absolutismus verharrenden Königreich beider Sizilien sowie dem zunächst stramm reaktionären, sich aber seit der Jahrhundertmitte liberalen Reformen öffnenden Königreich Sardinien-Piemont.45 Auch die öko41 Vgl. an einem regionalen Beispiel Bernd Heidenreich/Evelyn Brockhoff (Hg.): 1866: Vom Deutschen Bund zum Deutschen Reich. Deutschland – Hessen – Frankfurt, Berlin 2017. 42 Die Außenpolitik der deutschen Länder im Kaiserreich. Geschichte, Akteure und archivische Überlieferung (1871–1918). Beiträge des wissenschaftlichen Kolloquiums zum 90. Gründungstag des Politischen Archivs des Auswärtigen Amts am 3. August 2010, München 2012. 43 Hierzu zuletzt Oliver F. R. Haardt: The Kaiser in the Federal State, 1871–1918, in: German History 34 (2016), S. 529–554. 44 Dipper, Ferne Nachbarn (wie Anm. 6). 45 Vgl. John A. Davis: Italy in the Nineteenth Century, 1796–1900, Oxford 2006.



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nomischen Erfahrungen waren durchaus unterschiedlich: So befand sich das Königreich beider Sizilien in einem säkularen Abschwung, während die norditalienischen Regionen von der beginnenden Industrialisierung profitierten. Im Gegensatz zum Deutschen Bund erhielt Italien 1815 allerdings keine gemeinsame Sicherheitsarchitektur und somit keine Ordnung in Form eines Staatenbundes oder einer Proto-Föderation – beides erschien wegen der österreichischen Dominanz zu Lande und der britischen Kontrolle über die Inseln in Verbindung mit dem Fehlen einer benachbarten, mit beiden rivalisierenden Großmacht als überflüssig. In den einzelnen italienischen Staaten wurden Prozesse staatlicher Modernisierung zunächst eher von Anhängern der napoleonischen Reformen, die sich besonders in Verwaltung und Militär fanden, gewünscht und teilweise vorangetrieben; erst im Laufe der Zeit kamen andere Akteure hinzu. Eine Ausnahme stellten vor allem die teilweise noch im Sinne von spätjosephinischen Traditionen regierten italienischsprachigen Teile der Habsburgermonarchie dar, wo eine systematischere staatliche Integrations- und Standardisierungspolitik auf bürokratischem Wege verfolgt wurde.46 Die Folge war, dass die Idee nationaler Integration in Form einer Vereinigung der italienischen Staaten zwar ein politisches Ziel darstellen konnte; ihre institutionellen Anknüpfungspunkte waren aber noch geringer als im Fall des Deutschen Bundes. In der Revolution von 1848 setzten sich entsprechend in manchen Regionen Bewegungen durch, die eine Wiederherstellung der Strukturen des 18. Jahrhunderts forderten, etwa eine demokratisierte, aber zugleich in wesentlichen Punkten restaurierte Republik Venedig47; andernorts kamen Bewegungen zum Zug, die neben regionalen Reformen auch eine stärkere politische Integration der italienischen Territorien bis hin zum Zentralstaat anstrebten. Das Ergebnis war die Durchsetzung derjenigen (seit 1848 konstitutionellen) Monarchie, welche die nationale Integration bei sich selbst am intensivsten vorangetrieben hatte, und die sich außenpolitisch erfolgreich mit einem erstarkten Frankreich gegen ein geschwächtes Österreich verband. Im Süden des neuen italienischen Staats herrschten freilich alsbald bürgerkriegsähnliche Zustände, als es darum ging, die staatliche (nationale) Integration rasch und gewaltsam durchzusetzen – die jüngsten Werke Lucy Rialls haben diese Dynamiken intensiv hervorgehoben und deutlich gemacht, dass das italienische Problem nicht der Mangel an »Italienern« war, sondern auch die rasche Übertragung einer staatlichen Integration durch Standardisierung auf Territorien, in denen diese Maßnahmen sowohl unpopulär waren als auch als ineffektiv erschienen.48 46 Exemplarisch: Andrea Geselle: Bewegung und ihre Kontrolle in Lombardo-Venetien, in: Waltraud Heindl/Edith Saurer (Hg.): Grenze und Staat. Paßwesen, Staatsbürgerschaft, Heimatrecht und Fremdengesetzgebung in der österreichischen Monarchie 1750–1867, Wien 2001, S. 347–518; David Laven: Venice and Venetia under the Habsburgs, 1815–1835, Oxford 2002. 47 Daniela Rando: Venezia medievale nella modernità. Storici e critici della cultura europea fra Otto e Novecento, Rom 2014; Paul Ginsborg: Daniele Manin and the Venetian Revolution of 1848–49, Cambridge 1979. 48 Vgl. Lucy Riall: Under the Volcano. Revolution in a Sicilian Town, Oxford 2013.

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Ein zweites, nur selten herangezogenes Beispiel ist das Vereinigte Königreich. Selbst, wenn man nur dessen europäischen Teil in den Blick nimmt, handelte es sich bei diesem Gebilde um ein Konstrukt von beeindruckender Komplexität. Es bestand aus drei Königreichen, die sich seit 1801 ein Parlament teilten, aber über unterschiedliche Rechtssysteme und Währungen verfügten, in Verbindung mit den Kanalinseln, der Isle of Man und Helgoland49, in denen die Herrschaftsordnung von der in den Kernmonarchien abwich. Diese parlamentarische Monarchie war bis 1837 durch eine Personalunion mit einer Monarchie auf dem Kontinent verbunden, die bis zur Revolution von 1830 weitgehend als absolute Monarchie funktionierte.50 Anders gesagt: Die konstitutionelle Struktur des Vereinigten Königreichs war schwerlich als (Proto-)Nationalstaat zu beschreiben. Auch im Vereinigten Königreich spielten sich im 19. Jahrhundert analoge Prozesse der »nationalen Integration« ab, indem die Privilegien lokaler administrativer Einheiten reduziert und ihre Verwaltungsstrukturen landesweit vereinheitlicht wurden, indem interne Zollschranken, Wirtschaftsmonopole und Beschränkungen der Freizügigkeit abgebaut, die Rechtslage etwas übersichtlicher gestaltet und Unterschiede zwischen den Königreichen reduziert, aber nicht eingeebnet wurden. Das geschah mit einigen Ausnahmen, wie der Bewahrung des schottischen Rechtssystems (und irischer Besonderheiten).51 Dieser Prozess warf Fragen der politischen Legitimität auf, vor allem das Problem, warum die Mehrheit der englischen Abgeordneten auch für Schottland und Irland Gesetze beschließen konnte. Diese Frage nahm in dem Maße an Brisanz zu, in dem die ökonomischen Entwicklungen, politischen Präferenzen und kulturellen Selbstverständnisse der Landesteile divergierten. Die Folge waren bekanntlich wachsende, periodisch stärker hervor- oder zurücktretende Spannungen, die in Irland zu einer umkämpften Unabhängigkeit, in Schottland und Wales bis in die 1990er Jahre allerdings vor allem zu symbolischen Konzessionen an die partielle Eigenständigkeit der Landesteile führten, so dass im Vereinigten Königreich die Entwicklungen in England lange ebenso entscheidend blieben wie im Deutschen Reich die Entwicklungen in Preußen. Die USA werden wegen der zeitlichen Koinzidenz des Bürgerkriegs mit den deutschen Einigungskriegen und der zumindest entfernten Analogie zwischen der Krise eines Bundesstaates und eines Staatenbundes, die beide zu Bürger- bzw. »Bruder-«Kriegen führten, häufiger mit dem Deutschen Bund verglichen. Das ist insofern plausibel, weil – im Gegensatz zu Italien – in den USA eine staatenübergreifende Form der Organisation von Herrschaft bestand. Die USA waren – dem Deutschen Bund tatsächlich sehr ähnlich – ein Verbund von Staaten, die sich als 49 Jan Rüger: Heligoland: Britain, Germany, and the Struggle for the North Sea, Oxford 2017. 50 Torsten Riotte/Brendan Simms (Hg.): The Hanoverian Dimension in British History, 1714– 1837, Cambridge 2007. 51 Vgl. zu England – mit gelegentlichen Ausblicken auf Großbritannien und das Vereinigte Königreich – Boyd Hilton: A Mad, Bad, and Dangerous People? England 1783–1846, Oxford 2006; K. Theodore Hoppen: The Mid-Victorian Generation, Oxford 1998.



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bis zu einem gewissen Grade souverän verstanden, obgleich sie bestimmte Aufgaben an eine Bundesregierung übertragen hatten. Diese Aufgaben waren von Anfang an deutlich weiter gefasst als im Deutschen Bund: Zur Organisation der kollektiven Verteidigung traten hier auch das Monopol der diplomatischen Vertretung nach außen, die Organisation des die Bundesgrenzen überschreitenden Handels, ein Bundesgerichtswesen, die Garantie bestimmter Grundrechte freier Menschen und die Finanzierung des Bundesstaates durch Steuern und Anleihen. Zudem wurde die amerikanische Bundesregierung gewählt und von einer Legislative kontrolliert. Diese repräsentierte die Staatsregierungen zwar nicht direkt – die Verfassung der USA kannte keine Analogie zum Bundestag bzw. Bundesrat. Jedoch war bis 1912 die Position der Staatsregierungen insofern im Senat repräsentiert, als die Senatoren mit der Mehrheit der Stimmen der Abgeordneten in den einzelstaatlichen Parlamenten gewählt wurden. Die USA waren somit bereits im frühen 19. Jahrhundert auf dem Weg zur parlamentarisierten Version einer föderativen Ordnung, die der Bund vielleicht hätte werden können. Auch die Verfassung der USA wäre aber trotz der weitgehenden Unsichtbarkeit der einzelstaatlichen Souveränität nach außen missverstanden, wenn man sie bereits für das 19. Jahrhundert als die eines Staates betrachten würde, bei der die Souveränität klar auf den Bund übergegangen war. Gerade die Ambivalenz in dieser Frage machte die Sezession der Südstaaten zu einem Vorgang, der – je nach Interpretation der Verfassung – als illegitimer Bruch der Bundesverfassung und als legitimer Ausdruck der einzelstaatlichen Souveränität gedeutet werden konnte, was wiederum unmittelbar dazu beitrug, dass die Frage nur militärisch und nicht juristisch oder politisch entschieden werden konnte. Ein Schluss, den man aus diesem Überblick ziehen kann, ist, dass sich föderative oder intern pluralistische Ordnungen im 19. Jahrhundert besonderen Problemen gegenübersahen. Tendenzen der nationalen, landesweiten Homogenisierung, Standardisierung und Liberalisierung führten zwar überall zu erheblichen Spannungen, die das Potential hatten, in fundamentale politische Konflikte oder in offene Gewalt umzuschlagen. Föderative Ordnungen oder Staatenbünde waren dabei aber besonders gefährdet, denn sie wiesen interne Sollbruchstellen auf, da sie aus Staaten (oder allgemeiner: Verwaltungseinheiten) bestanden, welche über die Kontrolle der Gesamtheit oder zumindest eines großen Teils der ökonomischen, personellen und militärischen Ressourcen innerhalb ihrer Grenzen verfügten. Wenn die Regierung eines Staates auf eine Sezession hinarbeitete – wie die Südstaaten in den USA oder Preußen 1866 im Deutschen Bund –, standen ihr für die Verfolgung dieses Ziels erhebliche Machtmittel zur Verfügung. Der direkte Zugriff der Zentrale auf Machtmittel in der Fläche war dagegen begrenzt oder – wie im Fall des Deutschen Bundes – praktisch nicht vorhanden. Über den Ausgang eines Konflikts entschieden somit das politische und diplomatische Geschick bei der Vereinbarung von Koalitionen im Vorfeld, das Ausmaß der Machtasymmetrie und die Dauer der Auseinandersetzung. Es war für das 19. Jahrhundert charakteristisch, dass am Ende solcher Konflikte eine Verschiebung von Macht hin zu einer Zentrale stand, die Prozesse der inneren Homoge-

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nisierung weiter vorantrieb – sei es von Washington oder von Berlin aus. Diese Verschiebung diente nicht zuletzt dazu, eine Wiederholung zu verhindern. Es war aber auch charakteristisch, dass das Ausmaß der Zentralisierung bescheiden blieb. Blickt man etwa auf die Frage, wo und durch welche Instanzen über den Zugang zur Staatsbürgerschaft entschieden wurde (um nur ein Beispiel herauszugreifen), so blieben die Einzelstaaten in den USA bis 1907 und im Deutschen Reich sogar bis weit ins 20. Jahrhundert hinein deutlich wichtiger als der »Bund« – eine Beobachtung, die sich auch am Beispiel zahlreicher weiterer Politikbereiche vom Wahlrecht bis hin zur Sozialpolitik machen lassen würde.52 Aber auch eine erfolgreiche Zentralisierung konnte Belastungen in sich bergen, die früher oder später Folgen zeitigten, seien es erfolglose oder erfolgreiche Sezessionsbewegungen (wie die Unabhängigkeit Irlands oder den Zusammenbruch der Habsburgermonarchie nach dem Ersten Weltkrieg), seien es Anknüpfungspunkte für spätere Unabhängigkeitsbewegungen (wie derzeit in Norditalien oder in Schottland). Je entfernter der zeitliche Zusammenhang wird, desto konkreter stellt sich freilich die Frage danach, über wie lange Zeiträume man überhaupt damit rechnen kann, dass politische Herrschaftsordnungen ohne größere Zäsuren überdauern können, die entweder in grundlegenden territorialen Neuordnungen oder in tiefgreifenden Verfassungs- und Gesellschaftsveränderungen bestehen können. Allerdings war nicht jede föderative Ordnung besonders gefährdet. 2017 jährte sich nicht nur die Gründung des Norddeutschen Bundes, sondern auch die der Kanadischen Föderation zum 150. Mal.53 Dabei handelte es sich auch um ein recht unwahrscheinliches Konstrukt, nämlich um den Zusammenschluss unterschiedlicher, geographisch kaum verbundener und ökonomisch wie politisch wenig vernetzter Kolonien des britischen Empire, die nur auf einer Karte mit einem sehr großen Maßstab in einer Region lagen. In ihnen wurden zwei unterschiedliche Amtssprachen gesprochen, zwei Konfessionen dominierten, und im Zivilrecht galt in Teilen das Common Law, in anderen eine Variante des Code civil. Die erst 1854 in Ottawa umbenannte ehemalige Holzfällerstadt Bytown war als Hauptstadt relativ abgelegen. Die Aufgabe der Konföderation sollte es sein, Standardisierung in den Bereichen der Verteidigung, des Handels, des Bankenwesens, der Verkehrsinfrastruktur, des Strafrechts, des Eherechts, des Patentrechts und der Einbürgerung voranzutreiben; eine gemeinsame Kreditaufnahme der nach Psalm 72,8 als »Dominion« bezeichneten Konstruktion sollte überdies die Finanzierung großer Projekte ohne Rückdeckung durch die britische Regierung erleichtern. Dagegen sollte die innere Ordnung der nun als Provinzen bezeichneten ehemaligen Kolonien, die seit den 1840er Jahren faktisch von Vertretern der jeweiligen parlamentarischen Mehrheiten regiert worden waren, nicht tiefgreifend 52 Patrick Weil: The Sovereign Citizen. Denaturalization and the Origins of the American Republic, Philadelphia 2013; Oliver Trevisiol: Die Einbürgerungspraxis im Deutschen Reich, Göttingen 2006; allgemein Andreas Fahrmeir: Citizenship. The Rise and Fall of a Modern Concept, New Haven 2007. 53 Ged Martin: Britain and the Origins of Canadian Confederation, 1837–1867, Vancouver 2014.



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verändert werden. Auch dieser Schritt zur Homogenisierung war keineswegs unumstritten; vor allem die Ausweitung der Föderation nach Westen führte um 1900 zu heftigen Konflikten.54 Dennoch erwies sich die Konföderation als relativ erfolgreich. Gründe dafür könnten die relativ klare Aufgabenverteilung zwischen den Regierungsebenen, die umfassendere Regelung der Finanzbeziehungen, analoge Wahlverfahren in Provinzen und Zentrale sowie die Existenz des britischen Empire gewesen sein, die regionale Sicherheitsprobleme weitgehend ausschloss und zugleich eine Instanz bereithielt, die nur aus Londoner Sicht ›benachbarten‹ Kolonien (wie Canada und British Columbia auf der anderen Seite des Kontinents) den Schritt in die Konföderation nahelegen konnte. Das Beispiel belegt trotzdem, dass auch unter den Bedingungen des 19. Jahrhunderts die Entstehung und Entwicklung bundesstaatlicher Ordnungen zumindest gelegentlich ebenso gut möglich war wie die Entstehung und Entwicklung nationalstaatlicher Ordnungen. Was heißt das wiederum für den Deutschen Bund – und für die Fragen, die sich künftig an die Edition zu seiner Entstehung und Entwicklung richten können und werden? Für das Ende des Deutschen Bundes hat die Edition von Jürgen Müller ebenso wie seine Habilitationsschrift55 vor allem drei Punkte hervorgehoben: Erstens, dass es in den 1850er Jahren doch einen (langsamen) Fortschritt bei Reformen gab, die wiederum die Grundlage von Regelungen im Norddeutschen Bund und Deutschen Reich lieferten. Zweitens, dass das Ende des Deutschen Bundes durchaus nicht gut vorherzusehen war, sondern von den vielen rasanten Positionswechseln und Allianzverschiebungen der frühen 1860er Jahre abhing, die man allenfalls im Rückblick als konsequent und geplant verstehen konnte, die aber im konkreten Verlauf viele mögliche Ausgänge eröffneten. Drittens, dass eine Skepsis gegenüber der Leistungsfähigkeit des Bundes als Ersatz für einen in Politik und Öffentlichkeit vielfach herbeigewünschten Machtstaat ebenso wie als Surrogat einer rasch agierenden staatlichen Ordnung durchaus berechtigt war. Damit richtet sich die Frage zurück auf die Epoche, der sich die Edition nun primär zuwendet. Die Bände Eckhardt Treichels haben bis jetzt die komplexen Aushandlungsprozesse auf dem Weg zur Bundesverfassung ebenso dokumentiert wie die zunächst geweckten, vielseitigen, teilweise kaum zu erfüllenden Erwartungen an die Leistungsfähigkeit und das Entwicklungspotential des Bundes.56 Eine Frage, für welche die kommenden Bände neue Antworten versprechen, ist vor dem Hintergrund des Gesagten auch die nach den Gründen für die Aktionsunfähigkeit des Bundes, konkret, ob sie vor allem in der restaurativen Wende, in der großen Zahl der staatlichen Akteure, in der unklaren Definition der Zielsetzungen des Bundes oder in der wachsenden ökonomischen und damit auch 54 Jennifer Reid: Louis Riel and the Creation of Modern Canada. Mythic Discourse and the Postcolonial State, Albuquerque 2008. 55 Müller, Deutscher Bund und deutsche Nation (wie Anm. 1); QGDB, Abt. III, Bd. 4 (wie Anm. 35). 56 QGDB, Abt. I, Bd. 2 (wie Anm. 32).

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sozialen und politischen Divergenz innerhalb des Bundes zu suchen war. Das zentrale Problem des Bundes wäre dann weniger die »nationale Integration«, die der Bund nicht leisten konnte (und auch nicht unbedingt leisten sollte), sondern die Frage nach dem Umgang mit den Spannungen, die sich aus dem ergaben, was man früher schlicht Modernisierung genannt hätte. Man darf auf die Ergebnisse – die ja vor dem Hintergrund der Entwicklungen und Probleme der Europäischen Union durchaus eine aktuelle Resonanz haben – sehr gespannt sein.

Abkürzungen Abt. Abteilung BA Bundesarchiv Bd. Band Bl. Blatt DBA Deutsche Bundesakte Ders. Derselbe Dies. Dieselbe(n) Ebd. Ebenda fol. folio GStA PK Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz H. Heft Hg. Herausgeber HHStA Haus-, Hof- und Staatsarchiv HStA Hauptstaatsarchiv QGDB Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes UA Universitätsarchiv

Die Autoren Prof. Dr. Andreas Fahrmeir, Mitglied der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Professor für Neuere Geschichte (Schwerpunkt 19. Jahrhundert) an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main Prof. Dr. Hans-Werner Hahn, Mitglied der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, war von 1992 bis 2015 Professor für die Geschichte des 19./20. Jahrhunderts an der Friedrich-Schiller-Universität Jena Prof. Dr. Mark Hewitson, Professor of German History and Politics am University College London Dr. Andreas C. Hofmann, Referent im Zentrum für Elektronisches Publizieren / Fachinformation Geschichte der Bayerischen Staatsbibliothek Dr. Paul Kahl, Wissenschaftlicher Mitarbeiter / Lehrbeauftragter für Neuere Deutsche Literatur an der Georg-August-Universität Göttingen Dr. Marko Kreutzmann, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften im Rahmen des DFG-Projektes »Gesellschaftliche Erwartungen und bürokratische Experten: Die Kommissionen und Ausschüsse des Deutschen Bundes als Foren politischer Aushandlungsprozesse (1816–1848)« Prof. Dr. Jürgen Müller, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bearbeiter im Editionsprojekt »Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes«, apl. Professor an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main Prof. Dr. Reinhard Stauber, Mitglied der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, seit 2003 Universitätsprofessor für Neuere Geschichte und Österreichische Geschichte am Institut für Geschichte der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt Dr. Eckhardt Treichel, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bearbeiter im Editionsprojekt »Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes« Dr. des. Conrad Tyrichter, Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main

Register Aufgeführt sind Personen, Orte und Länder/Staaten sowie Sachbegriffe. Bei der Erstellung des Registers wirkte Frau Svenja Schäfer mit. Aachen 66 Adel, Adlige 39, 86 f., 89, 197 Akademien der Wissenschaften 25, 39, 168, 176–179, 184 Akademischer Tauschverein 24, 172–176, 183 Altes Reich, siehe Heiliges Römisches Reich deutscher Nation Ancillon, Jean Pierre Frédéric 115 Anhalt 97 f. Anhalt-Köthen 134 Aretin, Johann Adam Freiherr von 89, 91–93, 95, 97 f. Arnoldi, Ernst Wilhelm 67, 132 Athen 174 Augsburger Allgemeine Zeitung 66, 160 Austrägalinstanz 40, 46, 68, 84, 140 Auswanderung 47, 84 Baden 38, 42, 44, 67 f., 70, 75, 96–98, 107, 114, 127, 131, 133, 140, 142, 148 Bamberger, Ludwig 186 Basel 174 Bassermann, Friedrich Daniel 189, 203 Bayern 15 f., 24, 32–35, 37 f., 40–47, 49, 62, 67 f., 70, 87, 89–91, 97 f., 102, 105, 107, 112 f., 117, 120, 127–130, 135, 137 f., 141, 147, 160 f., 163, 178 f., 191, 193 f., 197–199, 201 Beckerath, Hermann von 203 Befreiungskriege 31, 108 f. Behr, Wilhelm Joseph 55 Belgien 144 Benzenberg, Johann Friedrich 127 Berckheim, Karl Christian von 90–93, 97 f. Berg, Günther Heinrich Freiherr von 44, 47, 89–98, 179 Berlin 33 f., 37–39, 45, 48, 92, 134, 136, 138, 140 f., 148, 153 f., 156, 158–160, 165, 173, 176, 192, 212, 217, 222 Bern 52, 173 Bernstorff, Christian Günther von 138, 140 Berstett, Wilhelm Ludwig Freiherr von 92, 94, 97 f., 114, 133 Beseler, Georg 201

Beust, Friedrich Ferdinand Graf von 90, 97 f., 193 f. Blittersdorff, Friedrich Landolin Freiherr von 75, 96, 98, 114, 140 Blum, Robert 187, 202 Bluntschli, Johann Caspar 27, 199 f. Bonaparte, Napoleon 16, 31–33, 39 f., 126–129 Bonn 174, 182 Both, Hartwig Julius Ludwig von 88, 90, 98 Bowring, John 144 Braunschweig 88, 97 f., 143 Bremen 38, 45, 60, 84, 89, 92, 97 f., 145 Breslau 173 British Columbia 223 Buchhandel, Buchhändler 47, 70, 173 Buchmesse 173 Buderus von Carlshausen, Carl Friedrich 66, 88 f., 97 f. Bülow, Heinrich Freiherr von 156–159 Bundesakte, Deutsche 10 f., 16, 20 f., 38, 41–49, 55, 64 f., 67–70, 78, 82 f., 86, 94, 103, 128 f., 132 f., 135–137, 139 f., 143, 196, 216 Bundesfestungen 63, 77, 215 Bundesgericht 35, 37, 40, 43, 46, 68, 75, 85, 221 Bundesjustizkommission 105, 120 Bundeskommissionen 10, 12, 14 f., 17–19, 29, 40, 47, 59–123, 129 f., 132 f., 178 Bundeskriegsverfassung 52 Bundesmilitärkommission 14, 62, 69, 74, 76 f. Bundesmilitärverfassung 69 Bundesoberhaupt 40 Bundesrat 40, 56, 218, 221 Bundesreform 69, 77, 125, 145, 207, 218 Bundesreich 26 f., 200 Bundesstaat, bundesstaatlich 11–13, 16, 20, 25–28, 48 f., 52, 84, 104, 110, 185–193, 195–204, 220 f., 223 Bundesstrafgericht 105 Bundestagsgesandte 9, 18, 20, 45, 47, 54, 59 f., 62–64, 66 f., 69, 75–77, 81–83, 87–96, 114, 120, 129, 132, 139 f., 145, 163, 167, 178 f.

230 Register Bundesverfassung 15 f., 18, 26, 35, 46, 52, 62, 69, 95, 106, 221, 223 Bundesversammlung 9, 10, 16–18, 20–26, 29, 37 f., 40–46, 52, 54, 59–79, 81–83, 85–88, 92–95, 103, 106, 108, 113, 115–119, 121, 127–135, 139, 159 f., 162 f., 167, 178, 183, 214 Bundeswappen 13, 77 Bundeszentralbehörde 19, 99–123 Buol-Schauenstein, Johann Rudolf Graf von 9 f., 54, 59, 62, 64, 67, 82, 89 f., 92 f., 95, 97 f., 167 Bürokratie 17, 59–79, 131, 214, 216, 219 Burschenschaften 112 Canitz und Dallwitz, Karl Wilhelm Ernst Freiherr von 158 f., 192 Carl Alexander, Großherzog von SachsenWeimar-Eisenach 151–153, 166 Carlowitz, Hans Georg von 89, 95, 98 Carlshausen, siehe Buderus von Carlshausen Châtillon 33 Christian VIII., König von Dänemark 160 Code civil 222 Colloredo-Wallsee, Franz de Paula von 141 composite state 11–13, 16, 28, 53 f. Dänemark 90, 190, 192, 215 Danz, Johann Ernst Friedrich 89 f., 93 f., 96–98 Darmstadt 134, 136, 139, 161, siehe auch Hessen-Darmstadt Demagogenverfolgung 99, 106, 108, 110, 168 Demokraten 26, 28, 142, 186–190, 202 f. Den Haag 160 Deutsche Konferenzen 37, 42 Deutscher Handels- und Gewerbsverein 47, 85, 131–133 Deutsches Komitee 39 Dijon 34 Dombaufest 156 Dorpat 173 Drais von Sauerbronn, Karl Wilhelm Ludwig Friedrich Freiherr von 67 Dresden 77, 125, 152 Dresdener Konferenz 77, 125 Drittes Deutschland 40, 134 f., 168 Eberhardt, Friedrich 121 f. Eidgenossenschaft 40, 50–53 Eigenstaatlichkeit 44, 180

Eingaben 17 f., 62, 64 f., 67 f., 70 f., 78, 84–87, 97 f., 133 Eingabenkommission, siehe Reklamationskommission Einheit, innere/nationale 10 f., 16, 26, 32, 48, 54 f., 59, 78 f., 142–144, 158–160, 165, 186 f., 190–192, 194–197, 199–202, 204, 208 Einheit, wirtschaftliche 125–149 Einheitsstaat 26 f., 84, 185, 189, 191, 193, 197, 199 f. 41 Artikel 35 f., 127 Eisenach 152 Eisenbahn 76, 155 Elba 40 England 50, 220, siehe auch Großbritannien; Vereinigtes Königreich Epuration des Bundestags 18, 81, 88, 93, 95 Erfurt 135, 176, 207 Erlangen 112, 173 Ernestinische Staaten 46, 68, 76, 91, 129, 132 f. Ernst August I., König von Hannover 68 Experten 12, 36, 62 f., 72, 109, 119, 123 Eyben, Friedrich von 89 f., 92–98 Ferdinand I., Kaiser von Österreich 158, 161, 163 Feste, Festkultur 22, 39, 48, 64, 112 f., 156 Föderalismus 53 Föderation 12, 187, 199–201, 208, 219, 222 f. föderativ 9–11, 16, 18, 24, 26–31, 36, 40, 50–54, 56 f., 61, 76, 79, 90 f., 135, 140, 166, 185, 204 f., 216, 221 f. föderative Nation, Föderativnation 11, 56, 84 Föderativkörper, Föderativstaat, Föderativverband 12 f., 15, 34, 53, 55, 200 Föderativprinzip 33 Föderativvolk 55 Frankfurt 16, 18–20, 23, 38, 42, 46–48, 59 f., 65 f., 70–72, 81, 88, 91 f., 94, 96–99, 112 f., 120 f., 128, 131, 142, 158, 163, 165, 186, 189–197, 199–202, 204, 216 Frankfurter Wachensturm 112–115, 120 f. Frankreich 10, 26, 31, 41, 53, 68, 73, 90, 138, 142, 144, 149, 175, 185, 187, 189, 195 f., 202, 212, 214, 219 Franz I., Kaiser von Österreich 133 Französische Revolution 90, 211 f. Freiburg 173 Freie Städte 38 f., 44, 46, 49, 67 f., 83, 89 f., 93 Freies Deutsches Hochstift 165

Register Freihandel 145, 148 f., 213 Freizügigkeit 75, 84, 211, 220 Friede von Paris (1814) 32, 34, 55 Friedrich III., Herzog von Sachsen-Hildburghausen 129 f. Friedrich Wilhelm I., Kurfürst von HessenKassel 161 Friedrich Wilhelm III., König von Preußen 137 Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen 73, 120, 153–157, 164, 185 f., 190 Fritsch, Carl Friedrich Christian von 76 Fröbel, Julius 187 Fürstenberg, Karl Egon von 72 Fürstentag, Frankfurter (1863) 216 Gagern, Hans Christoph Freiherr von 38, 66, 90–94, 97 f. Gagern, Heinrich Wilhelm August Freiherr von 186, 201–204 Gärtner, Franz von 39 f. Geheimer Bund 109–111 gemeinnützige Anordnungen 67, 72, 103, 159 General-Staaten 54 Genf 52 Gentz, Friedrich von 33 Georg I., Großherzog von MecklenburgStrelitz 160 Germanisches Nationalmuseum 23, 152 Gervinus, Georg Gottfried 27, 200 Geschäftsordnung (des Bundes) 69, 83 f. Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 22 f. Gesetzgebung, des Deutschen Bundes/ nationale/organische 10, 62 f., 69–71, 148, 202 Gesetzgebung, einzelstaatliche 67, 71 Gießen 173 Gise, Friedrich August Freiherr von 179 Gleichgewicht (der Mächte) 126, 215 Globig, Hans August Fürchtegott von 88, 90, 94, 97 f. Goebel, preußischer Regierungsdirektor 135 Goethe, Johann Wolfgang von 23 f., 73, 151, 153–161, 163–166, 214 Goethe, Walther von 153, 164 f. Goethe, Wolfgang von 153, 164 Goethehaus 23 f., 73, 151–166, 214 Goltz, August Friedrich Ferdinand Graf von der 92 f., 96–98, 178 Görtz, Carl Heinrich von Schlitz, genannt von 91–93, 97 f.

231

Göttingen 90, 94, 173, 176 Greifswald 173 Gries, Johann Michael 89 f., 93 f., 97 f. Groeben, Carl von der 185 Großbritannien 33 f., 51, 126, 144 f., 149, 215, 219, 222 f., siehe auch Vereinigtes Königreich großdeutsch 166, 217 Großmächte 15, 33 f., 36, 38, 42, 45, 48, 50 f., 73, 92 f., 111, 119 f., 218 Gruben, Friedrich Ignaz Freiherr von 89–91, 97 f. Gruben, Peter Joseph Freiherr von 98 Grundrechte 34, 195, 197 f., 221 Grünne, siehe Hemricourt von Grünne Gütschow, Anton Diedrich 89 f., 97 f. Hach, Johann Friedrich 44, 67, 89–91, 93–95, 97 f. Halle 173 Hambacher Fest 112 f. Hamburg 97 f., 145 Hammerstein, Hans Detlev Freiherr von 90, 95, 98 Handel, Handelspolitik 20 f., 35, 38, 42, 47, 52, 67, 69, 75, 85–87, 125–149, 213, 215, 221 Hänlein, Carl von 45 Hannover 15 f., 33 f., 37, 40, 42, 45, 68, 90 f., 95, 97 f., 107, 132, 136, 139 f., 148, 179, 197, 217 Hansemann, David 200–202 Hansestädte 38, 60, 131, 139, 145 Hardenberg, Karl August Fürst von 33–37, 41, 43 f., 47 f., 55, 107, 127 Harnier, Heinrich Wilhelm Karl von 89 f., 92 f., 95, 97 f. Haym, Rudolf 200 f. Hecker, Friedrich 202 Heidelberg 55, 112, 173 Heiliges Römisches Reich deutscher Nation 9, 18, 38, 55, 65, 68, 81, 84–87, 89–91, 102, 106, 127, 139, 201, 213 Heimatrecht 75, 215 Helgoland 220 Hemricourt von Grünne, Joseph Maria Carl Graf 89, 97 f. Hendrich, Carl August von 90 f., 97 f., 132 f. Heppenheim 144 f. Herman, H. 87 Hessen-Darmstadt (Großherzogtum) 21, 42 f., 97 f., 107, 113, 136–139, 143, 146, 179

232 Register Hessen-Kassel (Kurhessen) 65 f., 89 f., 97 f., 138–140, 157, 161 Heuss, Theodor 57 Höck, Johann Daniel Albrecht 87 Hoffmann, Johann Gottfried 33 Hoffmann, Wilhelm 65 f. Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich 143 Hohenzollern 97 f., 201 Holstein 42 f., 90, 97 f., siehe auch SchleswigHolstein Holstein-Oldenburg 97 f. Humboldt, Wilhelm von 15, 33–36, 40 f., 43, 45, 49 Ibell, Karl von 105 Immerwährender Reichstag 81, 83 Industrie, Industrialisierung 71 f., 126, 128, 146 f., 149, 219 Ingolstadt 89 Integration, innere/nationale 12, 14, 19, 28 f., 68 f., 76, 102, 122, 207–224 Integration, militärische 73 Integration, ökonomische 20 f., 46, 84, 125–149 Interessen, einzelstaatliche 30, 34, 36, 40, 43, 48, 74, 83, 92, 113, 122 f., 130, 133, 135, 142, 148 f., 199, 210 Interessen, gemeinsame 139, 141 Interessen, materielle 21, 73, 144, 147 Interessen, nationale 9–11, 73, 77, 144, 186 Interessengruppen, Interessenvertreter 20, 29, 39, 65–67, 70, 78, 83, 85, 131, 204 Internationalität, international 170 f. Interstaatlichkeit 55, 171 f., 174, 177 Irland 53, 220, 222 Isle of Man 220 Italien 28 f., 208, 218–220, 222 Jena 89, 173 Johann, Erzherzog von Österreich 156, 186, 199 John, Ernst Carl 154 Jordan, Ludwig Andreas 125 Juden 39, 42, 44, 86 Julirevolution (1830) 138, 220 Jünglingsbund 109 f. Kaisertum, deutsches 33, 38–40, 190, 197, 199–202, 204 Kamptz, Karl Albert von 113, 146 Kanada 29, 222 f.

Kanalinseln 220 Karl V., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches 102 Karlsbad 48, 83, 92, 105 f., 111 Karlsbader Beschlüsse 25, 47 f., 83, 92, 99, 105 f., 111, 133, 135, 168, 180, 197, 214 Karlsruhe 161 Kassel 136, 156, siehe auch Hessen-Kassel Kiel 89, 173 Kirchen 42 f. Kirchenstaat 218 kleindeutsch 19, 78, 217 Kleinstaaten, deutsche 15, 32, 40 f., 44, 57, 84, 90, 92, 94 f., 111, 134 f., 137 f. Kleinstaaterei 24, 166, 168 Klüber, Johann Ludwig 55, 180 Köln 156, 188 Kölnische Zeitung 195–198 Kolowrat-Liebsteinsky, Franz Anton Graf von 147 Kompetenz (des Bundes) 37 f., 44, 51 f., 66 f., 71, 83, 115, 128, 130, 215 Konföderation 29, 48, 55, 133, 135, 199 f., 222 f. Konföderationsartikel (1777) 50 Königsberg 173, 176, 182 f. Konservative 26 f., 189–194, 197, 201, 203 f. Konstitutionalismus 56, 186 f., 192, 199, 219 Kontinentalkongress 50 f. Kontinentalsperre 126, 128 Kopenhagen 92, 160 Korsika 212 Kotzebue, August von 105 Kreuzzeitung (Neue preußische Zeitung) 189–193 Kulturnation 23, 151, 153, 165 Kulturpolitik 22, 24, 153, 155 f., 160 f., 166, 180, 214 Kurhessen 65 f., 88 f., 91, 97 f., 138–140, 157, siehe auch Hessen-Kassel Landshut 173 Landstände 34 f., 37, 41 landständische Verfassungen 46, 64, 84 Landtage, einzelstaatliche 130, 133, 138, 142, 144, 146 Langensalza 135 Lauenburg 97 f. Leipzig 70, 89, 129, 173, 181, 184, 187 Leonhardi, Jacob Friedrich Freiherr von 89–92, 97 f. Lepel, Georg Ferdinand von 66, 89–95, 97 f.

Register Liberale 19, 26–28, 73, 78, 99, 101, 105, 109, 143–145, 189 f., 195–204, 217 Liebenstein, Ludwig Freiherr von 131 Liechtenstein 97 f. Lippe 97 f. List, Friedrich 67, 131, 133 f., 146 London 146, 212, 223 Lübeck 44, 67, 88, 94, 97 f. Lucä, Samuel 172 f. Ludwig I., König von Bayern 147, 161 Lund 174 Luxemburg 42, 66, 89, 97 f., 179 Luzern 52 Maaßen, Karl Georg 138 Mainz 14, 19, 36, 99, 106, 112, 116 Mainzer Informationsbüro 112, 115 f., 119, 121 Mainzer Zentraluntersuchungskommission 14, 19, 62, 99–123 Mandelsloh, Ulrich Lebrecht Graf von 89, 91 f., 97 f. Marburg 89, 172–174 Marschall von Bieberstein, Ernst Franz Ludwig Freiherr 90–94, 97 f., 134 Martens, Georg Friedrich von 89–91, 93–95, 97 f., 132 Maßregelkommission 115, 119–121 Mathy, Karl 189, 197 Maximilian II., Kronprinz/König von Bayern 154 Mecklenburg 88, 90, 97 f., 129 Mecklenburg-Strelitz 160 Mediatisierte, Mediatisierung 33–35, 37, 40, 42, 44, 69, 83, 142 Metternich, Klemens Wenzel Lothar Fürst von 19 f., 31–34, 36–39, 41–44, 47–49, 83, 92, 95, 101, 112–114, 118–122, 133, 135 f., 140 f., 146 f., 157, 159–161, 182, 186 Meyerfeld, Wilhelm August von 98 Meyr, Melchior 153–155, 157 f., 160 Migration 211, 214 f. Mindermächtige 15, 38 f., 41 f., 45, 92–94, 96, 128 Ministerkonferenzen – Dresden (1851) 77, 125 – Karlsbad (1819) 83, 92, 105 f. – Wien (1819/20) 49, 92, 106 f., 133 – Wien (1834) 25, 70, 92, 179–184 Mitteldeutscher Handelsverein 136–139 Mittelstaaten, deutsche 15, 18, 36, 38, 40 f., 44, 62, 84, 90, 92–95, 111, 135 f.

233

Mitterrand, François 152 Modernisierung 29 f., 60, 123, 219, 224 Mölling, Georg Friedrich 203 Montgelas, Maximilian Joseph Graf von 32, 35, 42, 49, 91 Motte-Fouqué, Friedrich de la 155 Motz, Friedrich von 136–138, 140 Müller, Adam 133 Müller, Friedrich von 154, 163 Münch-Bellinghausen, Joachim Eduard von 89, 95 f., 98, 179 München 37, 40, 42 f., 49, 91, 141, 176–178, 181, 183 f., 199 Münster, Ernst Friedrich Herbert von 45 Nachdruckschutz 47, 70 f., 78, 84, 159 Napoleon, siehe Bonaparte, Napoleon Nassau 97 f., 107, 134, 142 Nation 9–11, 18, 21, 25 f., 30, 45, 56, 59, 61, 65, 83 f., 88, 95, 123, 131, 135, 143, 151, 154 f., 157–160, 165–168, 186, 195–197, 201, 203–205, 208–211, 213–218 Nationalakademie 39 Nationalbestrebungen 45, 60, 78 Nationalbewegung, nationale Bewegung(en) 9, 12, 19 f., 59, 73, 208, 217 Nationalbund 10, 59, 82, 94 Nationaldenkmal 154, 156 Nationalehre 72, 86, 107 Nationaleigentum 158 f., 162 f. Nationaleinheit, nationale Einigung 142, 144, 191, 195–197, 202, 208 nationales Band 9, 10, 61 Nationalgedanke 165 Nationalgefühl 75 f., 142–145, 188, 197 Nationalgeist 20 Nationalgesetzbuch, Nationalgesetzgebung 38, 63, 69–71 Nationalidentität 17, 20, 30, 61, 142 Nationalinteresse(n) 143 f., 186 Nationalismus 11, 53 f., 59, 208, 211, 214, 217 Nationalität(en) 10, 16, 45, 48, 54–56, 59, 74, 132 Nationalkultur 22 f. national-liberal 19, 99, 101, 105, 109 Nationalmuseum 23 f., 73, 151–154, 164, 166 Nationalstaat, nationalstaatlich 9, 11, 16, 19, 25 f., 28, 30, 53 f., 59, 79, 101, 122, 148, 168, 187, 189, 200, 204, 207, 213, 217, 220, 223 Nationalstiftung 151, 156, 164 f.

234 Register Nationalversammlung 186, 190–194, 196– 199, 201–204, 216 Nationalwohlstand 131 f. National-Zeitung 204 Nationsbildung 9, 11 f., 14, 17, 19, 22, 27–30, 56, 59, 61, 73 f., 76–79, 101 f., 123, 142 f., 176 f., 207 Nebenius, Karl Friedrich 131 Neuenburg 52 Niederlande 38, 54, 66, 174, 213, 215 Norddeutscher Bund 216, 218, 222 f. Norwegen 54 Nürnberg 23, 152 Öffentlichkeit, öffentliche Meinung 11, 17 f., 20, 60, 69, 75, 78, 82 f., 123, 131, 133 f., 138, 142, 144, 147, 169, 211 f. Oken, Lorenz 172 Oldenburg 47, 102, 179, 203, siehe auch Holstein-Oldenburg Ompteda, Ludwig Karl Georg von 179 Osmanisches Reich 73, 200 Österreich 9, 15 f., 24 f., 28, 33–37, 40, 42 f., 47 f., 51, 54, 59, 62, 64, 67, 70, 74–77, 82, 84, 87, 95, 97 f., 102, 105, 107, 112–116, 119–121, 130–137, 139–141, 145–149, 156–161, 163, 165, 167 f., 173, 176, 178 f., 182–184, 186–188, 191 f., 194, 197–201, 204, 209, 215, 218 f. Ottawa (Bytown) 222 Pahl, Johann Gottfried 55 Paris 32, 34, 92, 212 Parlament, Parlamentarismus 25, 74, 78 f., 144, 187, 193 f., 198, 210, 215–217, 220–222 Partikularismus 45, 122, 168, 187, 200 Patentschutz 71–73, 86, 222 Pentz, Carl Wilhelm Friedrich David von 90, 98 Pfeffel von Kriegelstein, Christian Hubert Freiherr 89, 98 Plessen, Leopold von 90–98, 129 Polen 37 f., 112, 126 politische Kriminalität 100–103, 121, 123 Polizei, Polizeiwesen 15, 19, 100–123, 172, 175, 183 Polizeistaat 120 Polizeiverein 121 f., 175 Posen 148 Potsdam 166

Prag 173 Presse 66, 116, 130, 133, 138, 144 Pressefreiheit 38, 42, 47, 67, 75 f., 84, 86 Preußen 15 f., 20, 23 f., 27 f., 31, 33–40, 42–45, 47 f., 51, 63, 70, 73–76, 79, 84, 87, 96–98, 102, 105–107, 110, 112–117, 119 f., 126–128, 130, 134–149, 153, 155–161, 163, 168, 173 f., 178, 181–183, 185–194, 197–201, 205, 214–216, 218, 220 f. Pütter, Johann Stephan 90, 94 Pyrenäen 212 Quadrupelallianz 31 f., 37, 41 Radowitz, Joseph Maria von 74–77, 145, 157 f., 186, 192 Raveaux, Franz 189 Rechberg, Aloys Graf von 42–44, 54 Rechtsstaatlichkeit 79, 120 Rechtsvereinheitlichung 46, 70 Reform(en) 12, 18, 25, 37, 51, 60, 69, 74–77, 125, 127, 130 f., 145, 179 f., 197, 203, 207, 211, 218 f., 223 Regensburg 81, 89–92, 94 Rehfues, Philipp Joseph 182 Reich 15, 26 f., 31 Reich, Deutsches (1849) 185, 191, 194 f., 197–200, 202 Reich, Deutsches (1871) 12, 56, 165 f., 208 f., 218, 220, 222 f. Reich, nationales 204 Reichsadel 39 Reichsbund 36 Reichsdeputationshauptschluss 65, 87 Reichsgericht(e) 38, 66, 90, 204 Reichsgründung (1871) 217 Reichshofrat 90 Reichsinsignien 77, 151 Reichskammergericht 63, 68, 90 f. Reichskirche 39 Reichskreise 92 Reichsoperationskasse 68, 86 f. Reichsrecht 90 Reichsritterschaft 39, 85 Reichsstände 92 Reichstag 65, 81, 89–91, 94 Reichsverfassung (Heiliges Römisches Reich deutscher Nation) 90, 106 Reichsverfassung (1849) 187, 189, 193, 197–199, 202 Reichsverfassung (1919) 56

Register Reichsverweser 186, 191, 193 f., 199 Reklamationskommission 18, 63–65, 78, 85–87, 93 Religion, Religionsgemeinschaften 41 f., 160 Republik 56, 187, 191, 219 Restauration 16, 31, 45, 48, 56, 60, 102, 201, 214, 217, 223 Reuß 46, 97 f. Revolution (1848) 21, 25 f., 69, 75, 77 f., 147 f., 185–205, 215, 219 Rheinbund 31 f., 34 f., 37, 39, 41, 49, 55 f., 127, 213 Rheinbundakte 32 Rheinkrise 73, 145 Rheinland 127, 148 Riesser, Gabriel 187, 189 Rinteln 89 Rückert, Friedrich 154 f. Russland 33 f., 38, 51, 140 Sachsen 16, 38, 40, 42 f., 46, 68, 70, 91, 95, 97 f., 113, 122, 126, 131, 136, 138, 163, 187, 191, 193 f., 197 f. Sachsen-Coburg-Gotha 121 Sachsen-Hildburghausen 129 Sachsen-Weimar 47, 132, 153, 163 Sächsische Herzogtümer 97 f. Sankt Petersburg 34 f., 92 Sardinien-Piemont 218 Schaumburg-Lippe 44, 97 f. Schifffahrt 20, 87, 126, 128, 145 f. Schiller, Friedrich von 156, 161, 165 Schillerhaus 153, 156 Schleswig-Holstein 190, 217 Schoeler, Friedrich von 120 Schottland 50, 220, 222 Schreiber, Wilhelm 66 Schulz, Christoph Ludwig Friedrich 176 Schuselka, Franz 55 Schutzzölle 131, 145–149 Schwarz, Anton von 107 Schwarzburg 97 f. Schwarzes Buch 117 Schweden 53, 173 f. Schweiz 16, 34, 50–53, 174, 187, 199 f. Sechzig Artikel 25, 180 f., 184 Simon, Heinrich 203 Simon, Ludwig 189 Sizilien 218 f. Smidt, Johann 45, 60, 84, 89 f., 92–95, 97 f., 145 f.

235

Solms-Laubach, Friedrich Graf von 39 Souveränität, Souveränitätsrechte 31–33, 36 f., 43–45, 48 f., 51, 53, 55, 57, 84, 122, 136 f., 170, 180, 191, 200, 202 f., 213, 215, 218, 221 Spiegel, Kaspar Philipp von 36 Staatenbund 11–13, 25–27, 38, 42, 45, 48 f., 52, 55, 132, 186, 190–192, 194 f., 198, 200 f., 204 f., 208, 219–221 Staatenreich 26 f., 200 Staatenverein 15 f., 33, 49 Staatsnation 165 Standesherren 15, 39, 85 f. Ständeversammlungen 54 Stein, Karl Freiherr vom 15, 22, 31–36, 39 f., 127 Steinacker, Heinrich Friedrich Karl 143 Steuern 47, 52, 84, 142, 144, 221 Strafrecht 19, 75, 100–123 Stralenheim, Carl Friedrich von 139 Straßburg 174 Studenten 25, 48, 103, 109, 112, 175 f., 181–184, 214 Stuttgart 135, 161 Supplikationen 65, 85 Supranationalität, supranational 170, 172 Suprastaatlichkeit, suprastaatlich 170–172, 174, 177 f., 183 Tagsatzung 51 f. Teplitzer Verträge 31 Thadden-Trieglaff, Adolf von 203 Thil, Karl Freiherr du 21, 139, 179 Thun, Philipp Wilhelm Ulrich von 156 Thüringische Staaten 131, 134 f.,138 Tiburtius, Friedrich 88 Transnationalität, transnational 15, 19, 100 f., 103, 105, 111 f., 121 f., 170 f., 179 Treitschke, Heinrich von 81, 87, 148 Trias, Triaspolitik 134 f., 199, 201 Troppau 66 Trützschler, Wilhelm Adolf von 202 Tübingen 89 Uhland, Johann Ludwig 195 Universitäten 24 f., 89 f., 94, 103, 107, 118, 167–169, 172–184, 214 Universitätskartelle 24, 174–176, 181, 183 Universitätskommission 24 f., 178 f., 183 Urheberrecht 42, 214 USA 16, 28 f., 50–53, 56, 187, 200, 208 f., 220–222

236 Register Utrecht 174 Venedey, Jakob 142 Vereinigtes Königreich 29, 53, 220, siehe auch Großbritannien Verkehr, Verkehrswesen 20, 38, 42, 69, 75, 85 f., 128–130, 139, 147, 222 Verstolck von Soelen, Johann 179 Vertrag von Ried 32 Verwaltung 60, 79, 89, 91, 103, 140 f., 147, 163, 210 f., 219–221 Volger, Otto 165 Volkssouveränität 194, 203 Vorparlament 186, 202 Wagemann, Friedrich Moritz Freiherr von 121 Wagner, Johann Philipp 63, 71 f. Wahl, Wahlrecht 203, 210, 221–223 Waitz, Georg 203 Waldeck 97 f. Wales 220 Wallis 52 Wangenheim, Karl August von 63, 90–93, 95, 97 f. Warschau 92 Wartburg 47, 152 f. Wartburgfest 47 f., 64 Washington 222 Weber, Ernst 129 Wehrpflicht 47, 210 Weimar 23, 73, 151–161, 163–166, 214 Weizsäcker, Richard von 152 Welcker, Carl Theodor 180, 197 Wessenberg, Johann Philipp von 40

Westfalen 65 f. Wetzlar 63, 91 Wien 25, 33 f., 36–42, 46, 48 f., 66, 70, 77, 82, 92, 94, 107, 126, 133 f., 147, 157–161, 173, 176, 179, 182 f., 186, 212 Wiener Kongress 15, 33, 36–47, 50 f., 53, 55 f., 60, 70, 82, 91, 94, 126, 134 Wiener Ministerialkonferenz (1820) 49, 92, 106 f., 133 Wiener Ministerialkonferenz (1834) 25, 70, 92, 179–184 Wiener Punktation (1820) 134 Wiener Schlussakte (1820) 48 f., 69, 72, 115, 159 Wilhelm I., Kurfürst von Hessen-Kassel 89 Wilhelm I., König von Württemberg 161 Wirtschaft, Wirtschaftspolitik 20 f., 29 f., 46, 84, 125–149 Wissenschaftspolitik 24 f., 167–184 Württemberg 15 f., 35, 37 f., 40–42, 44, 47, 49, 55, 62 f., 68 f., 76, 97 f., 112, 127–129, 134 f., 137 f., 191 Würzburg 55, 112, 173 Zensur 47, 76 Zentralisierung 26 f., 35, 53, 55, 121, 196, 200, 209, 217, 222 Zollverein, Deutscher 17, 20 f., 47, 69, 102 f., 125 f., 134, 136–148, 170, 215 Zollwesen, Zölle 20 f., 35, 47, 52, 67, 69, 78, 125–149, 214, 220 Zürich 51 f., 174 zusammengesetzter Staat, siehe composite state