Deutsche Wortbildung in Grundzügen [Reprint 2020 ed.] 9783110807189, 9783110163223

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Deutsche Wortbildung in Grundzügen [Reprint 2020 ed.]
 9783110807189, 9783110163223

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Wolfgang Mötsch

Deutsche Wortbildung in Grundzügen

1749

Schriften des Instituts für deutsche Sprache Band 8 Herausgegeben von

Hans-Werner Eroms Gerhard Stickel

W G DE

Walter de Gruyter • Berlin • New York 1999

Wolfgang Mötsch

Deutsche Wortbildung in Grundzügen

w DE

G

Walter de Gruyter • Berlin • New York 1999

© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

Die Deutsche Bibliothek — ClP-Einheitsaufnahme Mötsch, Wolfgang: Deutsche Wortbildung in Grundzügen / Wolfgang Mötsch. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1999 (Schriften des Instituts für Deutsche Sprache ; Bd. 8) ISBN 3-11-016322-5

© Copyright 1999 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teñe ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck: Werner Hildebrand, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer-GmbH, Berlin

INHALT Vorwort

xi

Kapitel 1: Grundlagen 1. 2. 3. 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 4. 5. 6.

Der allgemeine Rahmen Lexikoneintragungen Wortbildungsmuster Semantische Muster Der phonologisch-morphologische Teil Semantische Muster und morphologische Kennzeichnimg Syntaktische Alternativen zu Wortbildungsmustem Aktive und inaktive Wortbildungsmuster Zum Status linguistischer Aussagen über Wortbildungsmuster Pragmatische Aspekte der Wortbildung Das empirische Material Literaturauswahl

1 3 4 4 12 15 17 17 24 25 26 27

Kapitel 2: Verbbildung 1. 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.5.1 1.5.2 2. 2.1 2.1.1 2.1.2 2.2 2.2.1 2.2.2 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3

Semantische und syntaktische Eigenschaften von Verben Allgemeines Zur semantischen Repräsentation von Verben Zur Abbildung semantischer Repräsentationen von Verben auf die syntaktische Struktur von Verben Der allgemeine Rahmen für semantische Muster Morphologische Gesichtspunkte der Verbbildung Trennbare und untrennbare Verbpartikeln Gibt es Verbkomposita? Wortbildungsmuster für Verben Umkategorisierungen Nomen => Verb Adjektiv => Verb Muster, die die Argumentstruktur von Verben betreffen Einführung einer Thema-Stelle Einführung einer Ziel-Stelle Muster für Geschehen, die durch typische Aktanten charakterisiert sind Wortinterne Besetzung der Thema-Stelle Wie ein N tätig sein Sich wie ein N bewegen

29 29 32 39 43 45 45 48 53 53 53 53 53 54 57 58 58 60 62

vi 2.3.4 2.3.5 2.4 2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.4.4 2.4.5 2.4.6 2.5 2.5.1 2.5.2 2.5.3 2.5.4 2.6 2.6.1 2.6.2 2.6.3 2.6.4 2.7 2.7.1 2.7.2 2.7.3 2.7.4 2.8 2.9 2.9.1 2.9.2 2.9.3 2.9.4 2.9.5

Inhalt

Tun, was man mit Hilfe eines N tut Sich mit Hilfe eines N bewegen Modifikationen Ein normales Maß überschreiten Unter einem normalen Maß bleiben In geringem Maße Etwas falsch tun Etwas vollständig tun Etwas unvollständig tun Lokale Modifikation Lokale Prädikate Der Agens-Aktant wird lokalisiert Der Thema-Aktant wird lokalisiert Umformung der Argumentstruktur Phasen eines Geschehens Anfang eines Geschehens oder Zustands Ende eines Geschehens oder Zustands Punktuelles Geschehen Alle Phasen eines Geschehens Beziehungen zwischen Sachverhalten gleichen Typs Ein Geschehen verläuft vor einem Hauptgeschehen Ein Geschehen verläuft nach einem Hauptgeschehen Ein Geschehen verändert das Resultat von Geschehen Widerruf von Geschehen Wortnegation Entstehen und Verursachen von Zuständen Aktanten nehmen Eigenschaften an Verursachen, dass ein Aktant Eigenschaften annimmt Verursachen, dass ein Aktant Eigenschaften verliert Verursachen, dass ein Aktant über etwas verfugt Verursachen, dass ein Aktant die Verfügung über etwas verliert 2.9.6 Bestandteil von etwas werden 2.9.7 Bestandteile verlieren 2.9.8 Verursachen, dass ein Aktant etwas als Bestandteil hat 2.9.9 Verursachen, dass ein Aktant Bestandteile verliert 2.9.10 Zwei Aktanten verbinden sich miteinander 2.9.11 Verursachen, dass zwei Aktanten verbunden sind 2.10 Koordinative Verbkomposita 3. Überblick über die Verbbildung 3.1 Liste der Muster

63 65 66 67 68 69 70 72 75 75 75 83 92 99 105 105 108 110 111 112 112 113 113 114 115 117 117 120 126 127 130 132 134 135 137 139 140 141 144 144

Inhalt

3.2 4.

Polyfunktionalität der Affixe und Partikeln Literaturauswahl

vii

151 155

Kapitel 3: Adjektivbildung 1. 1.1 1.1.1 1.1.2 1.1.3 1.1.4 1.1.5 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7 2. 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.2.5 2.2.6 2.2.7 2.2.8 2.2.9 2.2.10 2.2.11 2.2.12 2.2.13 2.2.14 2.2.15 2.2.16

Semantische und syntaktische Eigenschaften von Adjektiven Allgemeines Zur Syntax von Adjektiven Die Wortart Adjektiv Zur semantischen Beschreibung von Adjektiven Gradierbarkeit von Eigenschaften und Antonyme Sekundäre syntaktische Verwendung Semantik der prädikativen und attributiven Verwendung von Adjektiven Restriktive und appositive Interpretation Semantik der adjunktiven Verwendung Semantik der adjektivmodifizierenden Verwendung Adjektive und alternative sprachliche Ausdrücke Semantische Muster für Adjektivbildungen Wortbildungsmuster Umkategorisierung Nomen => Adjektiv Verb => Adjektiv Adverb => Adjektiv Adjektiv => Satzadverb Relationen zu Gegenständen (Denominale Adjektive) Zusätzliche Klassenzugehörigkeit Vergleich Musterkonformität Übergeordneter Bereich Geltungsbeschränkung Bestandteil von Gegenständen Natürlicher Teil von Gegenständen Räumliche Einordnung Zeitliche Einordnung Materialangabe Agens von Geschehen Ursache von Geschehen Verfügen über etwas Mittel einer Tätigkeit Betroffenes Objekt Folge von Geschehen oder Zuständen

157 157 157 158 160 164 166 168 169 171 172 173 174 176 176 176 182 189 191 194 194 199 208 213 218 221 226 229 234 240 242 248 249 253 256 258

viii

Inhalt

2.2.17 Maßangabe 2.2.18 Muster mit privativen Relationen 2.3 Modifikation (Deadjektivische Adjektive und Adjektivkomposita) 2.3.1 Doppelte Modifikation (Adjektivische Koordinativkomposita) 2.3.2 Wortinterne Besetzung einer Argumentstelle (Adjektivkomposita) 2.3.3 Modifikation durch Relationen zu Gegenständen 2.3.4 Modifikation durch Graduierungsprädikate 2.4 Wortnegation 2.5 Relationen zu Geschehen (Deverbale Adjektive) 2.5.1 Fähigkeit, ein Geschehen zu vollziehen 2.5.2 Möglichkeit, Thema eines Geschehens zu sein 2.5.3 Resultat eines Geschehens 3. Überblick über die Adjektivwortbildung 3.1 Liste der Wortbildungsmuster 3.2 Polyfunktionalität der aktiven Affixe 4. Literaturauswahl

261 263 267 267 272 275 278 284 293 293 296 302 305 305 311 313

Kapitel 4: Nomenbildung 1. 1.1 1.2 1.3 1.4 2. 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.2 2.2.1 2.2.2 2.3 2.3.1 2.4 2.4.1 2.4.2 2.5

Semantische und syntaktische Eigenschaften von Nomen Allgemeines Die Argumentstruktur von Nomen Semantische Kategorien Der allgemeine Rahmen für semantische Muster der Nomenbildung Wortbildungsmuster für Nomen Deverbale Nomen Reine Nominalisierung (nomina actionis) Umkategorisierung und semantische Veränderung Gegenstände, die durch ihre Rolle in einem Geschehen charakterisiert sind Deadjektivische Bildungen Reine Nominalisierung (Adjektivabstrakta) Die Referenten haben eine markante Eigenschaft Denominale Bildungen Personen stehen in einer Relation zum Basisnomen Modifikation von Nominalkonzepten Derivationen Komposita Kollektiva

315 315 316 317 320 321 321 321 330 334 350 350 357 358 358 364 364 372 416

Inhalt

ix

2.5.1 2.5.2 2.6 2.6.1 2.6.2 2.6.3 3. 3.1 3.2

Denominale Kollektiva Deverbale Kollektiva Wortnegation Negation einer nominalen Eigenschaft Modifizierende Negation Negation der Aktualität Überblick über die Nomenbildung Liste der Wortbildungsmuster Polyfunktionalität der Affixe

417 420 421 421 423 425 426 426 433

4.

Literaturauswahl

435

Kapitel 5: Literatur

437

Kapitel 6: Register

442

Kapitel 7: Liste der wichtigsten elementaren Prädikate

448

Vorwort Die Deutsche Wortbildung in Grundzügen unterscheidet sich von anderen Beschreibungen durch einen strikt lexikalistischen Ansatz und durch die Betonung der semantischen Grundlagen von Wortbildungsregularitäten. Besondere Berücksichtigung findet darüber hinaus die z.T. stark eingeschränkte Möglichkeit, strikte Regeln anzugeben und zuverlässige Vorhersagen über mögliche Wortbildungen zu machen. Wir sehen darin keine Schwäche der sprachwissenschaftlichen Analyse, sondern den Ausdruck gegenstandsimmanenter Eigenschaften. Natürlich darf die Unscharfe von Wortbildungsregularitäten nicht als Freibrief für vage Spekulationen gedeutet werden. Es kommt vielmehr darauf an, die Analyse so präzise und gegenstandsgetreu wie möglich zu machen. Das wird in jedem Fall versucht. Wie jede Beschreibung eines umfangreichen Gebiets der Grammatik fußt die Beschreibung in diesem Buch auf anderen bedeutenden Arbeiten zur deutschen Wortbildung. Besonders die Deutsche Wortbildung der Innsbrucker Forschungsstelle des Instituts für deutsche Sprache sowie die Wortbildung von Fleischer/Barz (1992) wurden umfassend ausgewertet. Darüber hinaus wurden Spezialuntersuchungen, auch zur Wortbildung anderer Sprachen sowie zur Wortbildungstheorie, herangezogen. Um das Hauptanliegen, die Beschreibung der Muster, nicht zu überfrachten, wird auf eine Diskussion unterschiedlicher Beschreibungsansätze verzichtet. Im Darstellungsteil wird nur dann auf Literatur verwiesen, wenn dies zur Charakterisierung des theoretischen Hintergrundes oder einer Fragestellung unbedingt notwendig erscheint. Jedem Kapitel sind Hinweise auf Arbeiten angefugt, die eine theoretische Vertiefung, Ergänzungen der Beschreibung und einen Einblick in alternative Ansätze ermöglichen. Ich danke Hans-Werner Eroms, Gisela Harras und Gerhard Stickel, die das Manuskript durchgesehen und mir wichtige Hinweise gegeben haben. Cornelia Kayser und Franz Josef Berens danke ich für die umsichtige Herstellung der Druckvorlage. Mannheim, Mai 1998

Wolfgang Mötsch

KAPITEL 1

GRUNDLAGEN 1.

Der allgemeine Rahmen

Die hier angestrebte Darstellung der deutschen Wortbildung geht von Wortbildungsmustern aus, die als Paare von semantisch-syntaktischen und phonologisch-morphologischen Beschreibungen dargestellt werden. Die den Beschreibungen zugrunde liegenden Regularitäten bilden separate Teile der Wortstruktur. Wortbildungsmaster sind somit Muster für die Analyse komplexer Wortzeichen mit je spezifischen Laut- und Bedeutungseigenschaften. Die Kreativität der Muster, d.h. ihre Potenz, Neubildungen zu schaffen, beruht auf Eigenschaften des semantisch-syntaktischen Teils, genauer, der semantischen Muster dieses Teils, die die syntaktischen Worteigenschaften weitgehend determinieren. Obwohl der phonologisch-morphologische Teil von Derivationen in erster Linie die Funktion hat, das semantische Muster zu indizieren, kann er semantische Strukturen, die das Muster vorhersagt, blockieren oder seiegierend auf das semantische Muster zurückwirken. So verlangen zahlreiche Muster für präfigierte Verben einfache oder nichtpräfigierte Verbstämme als Basiswort. Adjektivsuffixe, die das semantische Muster 'Vergleich' indizieren, präferieren bestimmte semantische Subklassen von Basiswörtern. Wortbildungsmuster sind deshalb tatsächlich Paare von Lautund Bedeutungseigenschaften, d.h., die phonologisch-morphologische Seite darf nicht übergangen werden, sie hat ihren spezifischen Anteil an dem Muster. Wortbildungsmuster sind nach dieser Auffassung Bestandteil der Lexikonkomponente der Grammatik; und dies in zweifacher Hinsicht: 1. Sie beschreiben komplexe Lexikoneinheiten. 2. Sie verlangen keine syntaktischen Regeln, die die Kombination elementarer Einheiten vermitteln, sondern nehmen die Abbildung von Bedeutungsstrukturen auf Lautstrukturen direkt vor. Diese strikt lexikalistische Auffassung setzt voraus, dass Wortbildungsregularitäten allein mit den theoretischen Mitteln beschrieben werden können, die auch zur Beschreibung von Lexikoneinheiten benötigt werden. Vgl. Mötsch (1995a). Eine auf diesen Grundannahmen aufbauende Wortbildungstheorie muss drei zentrale Aspekte komplexer Wörter berücksichtigen: 1. Die Prinzipien für semantische Muster der Derivation und Komposition, die im Rahmen der Prinzipien für mögliche semantische Repräsentationen von Wörtern überhaupt

2

Kapitel 1

wirken. 2. Die Prinzipien phonologisch-morphologischer Beschreibungen. 3. Die Prinzipien für die Bildung von Paaren aus einem semantischen Muster und phonologisch-morphologischen Indikatoren. Die generelle Beschreibung ist durch einzelsprachliche Ausprägungen der prinzipiellen Möglichkeiten zu ergänzen, die den Charakter der Wortbildung einer Sprache maßgeblich beeinflussen können. So hat das Deutsche die Bildung von Adjektiven durch Suffixe stark ausgebaut, dagegen sind Präfigierungen für die Bildung von Verben typisch. Ferner dienen in der Gegenwartssprache vor allem Suffixe oder Präfixe als Indikatoren aktiver Muster. Die Indizierung einer Derivation durch eine Veränderung des Stamms des Basiswortes, - in älteren Nominalisierungen finden wir noch den Ablaut - , wird in der Gegenwartssprache nicht mehr für Neubildungen verwendet. Eine solche Wortbildungstheorie kann hier nur als Ziel skizziert werden, das über die Beschreibung der Wortbildung vieler Einzelsprachen erreichbar ist. Eine Beschreibung der Grundzüge der deutschen Wortbildung wird in diesem Buch versucht. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen die semantischen Muster, die in Wortbildungsmuster eingehen. Auf eine systematische Beschreibung der phonologisch-morphologischen Komponente von Wortbildungsmustern, d.h. der Affixe und Fugen bei Komposita, wird verzichtet. Zu jedem Wortbildungsmuster werden jedoch mit dem Muster verbundene Beschränkungen, Besonderheiten hinsichtlich der Wahl morphologischer Formen der Basiswörter und weitere Besonderheiten vermerkt. Zur semantischen Repräsentation der Muster werden Mittel der logischen Semantik verwendet, Prädikat-Argumentstrukturen, die von Fall zu Fall erläutert werden. Damit ist jedoch keine bestimmte Semantiktheorie verbunden, d.h., die Beschreibungsmittel werden nicht im Rahmen eines logischsemantischen Gesamtsystems begründet, sondern sind als formelhafte Abkürzungen der linguistischen Aussagen zu verstehen. Wortbildungsmuster beschreiben Wörter, die einer syntaktischen Wortkategorie angehören und für die meisten semantischen Muster ist die Wortartzugehörigkeit der in Derivationen oder Komposita eingehenden Wörter verbindlich. Dies sind Gründe für eine Unterscheidung von Wortbildungsmustern nach syntaktisch begründeten Wortkategorien. Da zwischen syntaktischen und semantischen Grundkategorien kein l:l-Verhältnis besteht, schlägt sich die nicht-isomorphe Abbildung auch in der Beschreibung der semantischen Muster nieder. Semantische Muster für Nomen erfassen z.B. sowohl physikalische und ideelle Gegenstände als auch Geschehen und Zustände, d.h., alle semantischen Grundkategorien sind in der Nomenbildung zu berücksichtigen. Beschrieben werden Muster der Verb-, Adjektiv- und Nomenbildung. Die Bildung von Adverbien ist in die Adjektivbildung eingeschlossen. Gründe für diese Entscheidung werden in Kapitel 3 angeführt. Das zentrale Ziel der Be-

Grundlagen

3

Schreibung ist ein möglichst umfassender Überblick über die semantischen Grundlagen deutscher Wortbildungen. Vollständigkeit wird nicht angestrebt.

2.

Lexikoneintragungen

Wir gehen davon aus, dass das Lexikon einer Sprache zahlreiche Wortbildungen enthält, die sowohl systematische als auch idiosynkratische Eigenschaften haben. Systematische Eigenschaften sind vorhersagbar, idiosynkratische sind von der individuellen Existenz eines Wortes abhängig. Die lexikalische Beschreibung von Wortbildungen muss beide Typen von Informationen enthalten. Die systematischen Eigenschaften ergeben sich aus den allgemeinen Eigenschaften von Lexikoneinheiten und aus den speziellen Informationen des Wortbildungsmusters, das der Bildung zugrunde liegt. Lexikalische Einheiten bilden die Grundelemente syntaktischer Konstruktionen und semantischer Verknüpfungen, sie sind aber auch Einheiten der Flexionsmorphologie und der segmentalen und suprasegmentalen Phonologie. Die Fügungseigenschaften einer Lexikoneinheit in den verschiedenen Ebenen der Grammatik sind Inhalt ihrer lexikalischen Beschreibung. Das Lexikon ist somit die zentrale Schaltstelle der Grammatik, eines Mechanismus, der die Abbildung von Bedeutungsstrukturen auf Lautstrukturen regelt. Vgl. Zimmermann (1987). Das Lexikon enthält, z.T. in Abhängigkeit von der syntaktischen Kategorie eines Wortes, systematische Informationen folgendes Typs: 1. Phonologische Form 2. Flexionsmorphologische Eigenschaften 3. Syntaktische Wortkategorie 4. Argumentstruktur 5. Semantische Repräsentation Die phonologische Form gibt die Phoneme an, aus denen die Einheit besteht. Zu den flexionsmorphologischen Eigenschaften von Verben gehört z.B. die Angabe, ob das Verb stark oder schwach flektiert wird. Die syntaktischen und semantischen Informationen stehen in einem inneren Zusammenhang. So ergibt sich die Argumentstruktur aus der semantischen Repräsentation der Einheit und Regeln, die die zu dieser Repräsentation gehörige semantische Argumentstruktur auf eine syntaktische Argumentstruktur abbilden. Vgl. ausfuhrlicher Kapitel 2, S. 29 ff. Mit der Argumentstruktur ist eine syntaktische und eine semantische Subkategorisierung verbunden. Die lexikalische Beschreibung von Wortbildungen bezieht die Informationen von Wortbildungsmustern ein. So ist die semantische Repräsentation einer Wortbildung aus einem semantischen Muster für Wortbildungen und den semantischen Repräsentationen der Lexikoneinheiten, die in das Muster

Kapitel 1

4

eingehen, zusammengesetzt. Die phonologische Form ist entsprechend den Angaben des phonologisch-morphologischen Teils eines Wortbildungsmusters erweitert. Zu den systematischen Eigenschaften können idiosynkratische kommen. Gemeinsame Teilregularitäten können auch Gruppen von lexikalisierten Wortbildungen aufweisen, die auf in historischer Zeit gültige Muster zurückgehen. Dazu gehören z.B Nomina mit dem Suffix -icht (Kehricht, Dickicht) und denominale Adjektive mit dem Suffix -bar (fruchtbar, furchtbar). Diese Regularitäten haben jedoch ihren Musterstatus verloren, d.h., entweder der semantisch-syntaktische Teil oder der phonologisch-morphologische Teil oder beide Teile des Musters sind defekt. Vgl. ausführlicher Mötsch (1988). Wir konzentrieren uns auf Wortbildungsmuster, die die in den folgenden Abschnitten beschriebenen Eigenschaften aufweisen.

3.

Wortbildungsmuster

3.1

Semantische Muster

Derivationen Semantische Muster werden als Prädikat-Argumentstrukturen beschrieben. Derivationen, d.h., Suffigierungen und Präfigierungen sind dadurch gekennzeichnet, dass das semantische Muster eine Variable enthält. Wir kennzeichnen diese Variable durch V, A oder N. Zur semantischen Repräsentation einer bestimmten Wortbildung gelangt man, wenn die Variable durch die semantische Repräsentation einer Lexikoneinheit, die der ausgewiesenen Kategorie angehört, ergänzt wird. V, A und N stehen also für die semantische Repräsentation von Wörtern der entsprechenden syntaktischen Wortkategorie. SEMANTISCHES MUSTER:

[WIE (N)](x) 'ein Bezugswort x hat prominente Eigenschaften von N' SEMANTISCHE REPRÄSENTATION VON WORTBILDUNGEN:

hündisch [WIE (HUND)] (x) 'ein Bezugswort x hat prominente Eigenschaften von Hunden' SEMANTISCHES MUSTER:

[CAUS (TUN (x^en,), WERD (A, x2theml)] ( x 1 ^ , x2,hem„ s) 'ein Aktant verursacht durch eine Aktivität, dass ein Aktant A wird'

Grundlagen

5

SEMANTISCHE REPRÄSENTATION VON WORTBILDUNGEN:

versteifen [CAUS (TUN ( x 1 ^ , WERD (STEIF, x 2 ^ ] (x1.,..,, x 2 ^ , s) 'ein Aktant verursacht durch eine Aktivität, dass ein Aktant steif wird' Die semantische Repräsentation von Wörtern kennzeichnen wir, wenn Detailanalysen nicht notwendig sind, durch große Buchstaben (HUND). Lexikoneinheiten werden als graphische Einheiten kursiv wiedergegeben {hündisch). Die Variable semantischer Muster von Derivationen nennen wir auch Basis, ein die Variable ersetzendes Wort Basiswort. Semantische Repräsentationen werden durch Paraphrasen beschrieben, die mit Anführungszeichen markiert sind. Basen können sehr verschiedenartige Plätze in der semantischen Repräsentation eines Musters einnehmen. Das wird bei der Beschreibung der semantischen Muster deutlich. Grundsätzlich lassen sich folgende Arten von semantischen Mustern unterscheiden: - R e i n e Umkategorisierung: In diesem Falle übernimmt die Bildung die semantische Repräsentation der Basis ohne jede semantische Erweiterung. Das Muster nimmt nur eine Veränderung der syntaktischen Kategorie vor. -Semantische Umkategorisierung: Die semantische Repräsentation des Musters ist umfangreicher als die semantische Repräsentation der Basis. Eine syntaktische Umkategorisierung ist semantisch bedingt. - Semantische Modifizierung: Die semantische Repräsentation und die syntaktische Kategorie der Basis bleiben erhalten. Das semantische Muster enthält modifizierende Prädikat-Argumentstrukturen. - Wortnegation: Die semantische Repräsentation der Basis wird durch den Negationsoperator verändert, die syntaktische Kategorie bleibt erhalten. - Umformung der Argumentstruktur: Es gibt Muster der Verbbildung, die lediglich eine Veränderung der semantischen Argumentstruktur vornehmen, aus der sich auch eine Veränderung der syntaktischen Argumentstruktur ergibt. Vgl. Kapitel 2, S. 99 ff. Die Angabe einer Wortkategorie ist nur eine Minimalbedingung. Die große Mehrzahl aller semantischen Muster verlangt weitere Einschränkungen. Es gehört jedoch zu den Besonderheiten der Wortbildung, dass diese Einschränkungen in der Regel nicht durch allgemeingültige semantische Subkategorien erfasst werden können. Nehmen wir das Verbbildungsmuster 'etwas falsch tun' als Beispiel. Als Basis eignen sich nicht beliebige Tätigkeitsverben, sondern besonders solche, die folgende Unterarten von Tätigkeiten bezeichnen:

6

Kapitel 1

Fortbewegung über eine längere Distanz sich verlaufen, verfahren, verfliegen; Mengen bestimmen sich verzählen, verkalkulieren, verrechnen, verschätzen; Kommunizieren sich versprechen, verquatschen, verhören. Diese semantische Analyse lässt sich nicht auf eine einzige semantische Kategorie zurückfuhren, sie fuhrt zu heterogenen und z.T. sehr marginalen semantischen Klassen. Wir betrachten das nicht als das Ergebnis einer mangelhaften linguistischen Analyse, sondern als Ausdruck einer prinzipiellen Unscharfe des Gegenstandes. Wir nehmen also an, dass semantische Muster für:Wortbildungen grundsätzlich nur relativ offene Angaben über semantische Kategorien der Basis zulassen. Die linguistische Beschreibung semantischer Muster ist in den meisten Fällen übergeneralisiert. Wir werden versuchen, zu jedem zunächst sehr generell durch syntaktische und semantische Kategorien beschriebenen Muster eine semantische Feinbeschreibung von Teilmengen nach dem Muster zu analysierender Bildungen anzugeben. Diese Feinbeschreibung ist heterogen und erfasst in vielen Fällen ad-hoc-Klassen, d.h. Klassen, die nur semantische Gemeinsamkeiten einer Teilmenge der zu einem Wortbildungsmuster gehörenden Wörter zusammenfassen. Komposita Semantische Muster für Komposita sind Prädikat-Argumentstrukturen mit mindestens zwei Variablen: SEMANTISCHES MUSTER:

[N & BESTANDTEIL VON (N', N)] (r) 'Referenten sind N, die Bestandteil von N' sind' SEMANTISCHE REPRÄSENTATION VON WORTBILDUNGEN:

Hosen N Goal > Experiencer > Thema > Location Aus der Stellung der Konstituenten in der syntaktischen Baumstruktur ergibt sich in der Sytax ebenfalls eine hierarchische Ordnung. Das Subjekt nimmt die höchste Position im syntaktischen Baum ein, das Präpositionalobjekt die niedrigste. Vgl. Chomsky (1986, S. 3 ff.): Subjekt > indirektes Objekt > direktes Objekt > Präpositionalobjekt Die Zuordnungsregel, auch Linkingregel genannt, besagt nun: Gegeben sei eine semantische Argumentstruktur als Folge von semantischen Rollen:

Verbbildung

41

Die hierarchisch höchste Rolle korrespondiert mit der höchsten syntaktischen Position, die für sie zugänglich ist. Die zweithöchste Rolle korrespondiert mit der zweithöchsten für die Rolle zugänglichen syntaktischen Position usw. Die Zugänglichkeit von semantischen Rollen zu syntaktischen Funktionen ist wie folgt geregelt: Subjekt: alle semantischen Rollen, die in der Hierarchie vor 'Thema' stehen. ( Ag, Go, Exp) indirektes Objekt: alle Rollen, die vor 'Experiencer' stehen. (Go) direktes Objekt: alle Rollen, die vor 'Location' stehen. (Go, Exp, Th) Präpositionalobjekt: alle Rollen, die nach 'Thema' stehen. (Loc) Aus diesen Regeln lässt sich ableiten: In semantischen Argumentstrukturen, die die Agent-Rolle enthalten, wird dem Agent stets die Subjektfunktion zugeordnet, d.h., die höchste semantische Rolle korrespondiert stets mit der höchsten syntaktischen Funktion. Goal wird dem Subjekt zugeordnet, wenn kein Agent vorhanden ist, sonst der zweithöchsten syntaktischen Position, dem indirekten Objekt. Experiencer wird dem Subjekt zugeordnet, wenn kein Agens und kein Goal zur semantischen Argumentstruktur gehören, sonst wird die Rolle dem direkten Objekt zugeordnet. Thema wird stets dem direkten Objekt zugeordnet, Location stets dem Präpositionalobjekt. Aus innertheoretischen und sprachvergleichenden Gründen, auf die hier nicht eingegangen werden kann, kann die Thema-Rolle nie dem Subjekt zugewiesen werden, auch dann nicht, wenn die Argumentstruktur keine Rolle enthält, die dem Subjekt zugeordnet wird. Diese Analyse führt zu einem Konflikt mit den Fakten des Deutschen. Die Thema-Rolle in der Argumentstruktur folgender Verben muss dem Subjekt zugeordnet werden. In jedem Falle wird sie nicht als direktes Objekt realisiert: stehen: Th, Loc dauern: Th, Time Es müssen Sonderregeln angenommen werden, die die Thema-Rolle in diesen Fällen von der Position des direkten Objekts in die des Subjekts heben. Wir verwenden die Rollen Agens, Possessor, Ziel, Thema, Zeit und Ort. Die Ziel-Rolle benötigen wir, da einige Wortbildungsmuster Verben mit ei-

42

Kapitel 2

nem indirekten Objekt analysieren. Die Besonderheiten der Ziel-Rolle werden im Zusammenhang mit diesen Mustern besprochen. Vgl. 'Einführung einer Ziel-Stelle'. Vgl. S. 54 f. Die Zuordnungsregeln können für unsere Zwecke stark vereinfacht werden, verlieren dadurch jedoch den Anspruch auf generelle Gültigkeit: Die erste Rolle in einer semantischen Argumentstruktur wird stets dem Subjekt zugeordnet. In mehrstelligen Argumentstrukturen mit Agens wird der Possessor-Rolle bzw. der Ziel-Rolle das indirekte Objekt zugeordnet, der Thema-Stelle das direkte Objekt. Ort oder Zeit wird einem Präpositionalobjekt zugewiesen. Die Frage, ob die Wahl von sein oder haben auf semantisch begründete Regeln zurückgeführt werden kann, wird in vielen Arbeiten zur Verbgrammatik diskutiert. Vgl. Eisenberg (1989, S. 115 ff.), Zifonun u.a. (1997, S. 1870 ff.). Häufig findet man Vorschläge, die sich sowohl auf syntaktische als auch auf semantische Eigenschaften berufen. So wählen alle transitiven und reflexiven Verben haben. Das Perfekt wird mit sein gebildet, wenn das Verb ein Geschehen charakterisiert, dessen Hauptaktant eine Zustandsveränderung erfahrt. Für diese Verben wurde die Bezeichnung mutative Verben vorgeschlagen. Änderung der Temperatur: Änderung der Lokation: Änderung der Existenz: Änderung der Farbe: Änderung des Biorhythmus:

Die Suppe ist erkaltet. Er ist zum Strand gerudert. Der Patient ist gestorben. Das Mädchen ist errötet. Er ist aufgewacht.

Folgende Verben bilden das Perfekt mit haben, obwohl auch sie Sachverhalte charakterisieren, in denen eine Zustandsveränderung vorkommt. Bewegungsverben wie rudern, schwimmen, laufen können das Perfekt auch mit sein bilden. Er Er Er Er

hat den ganzen Tag gerudert. hat den Patienten getötet. hat das Mädchen erschreckt. hat gewacht.

In diesen Fällen findet entweder keine explizite Zustandsveränderung statt oder sie betrifft nicht den Hauptaktanten. Gegen eine generelle Regel sprechen jedoch Beispiele wie: Die Schulden haben sich vermehrt. Die Schulden sind gewachsen. Er ist im Hotel geblieben. Er hat im Hotel gewartet.

Verbbildung

43

Aus semantischer Warte sind sich vermehren und wachsen mutative Verben. Da vermehren reflexiv verwendet wird, muss haben gewählt werden. Die morphologisch-syntaktische Form kann offensichtlich semantische Regularitäten aufheben, bleiben und warten charakterisieren gleichermaßen das Verharren in einem Zustand, dennoch treffen diese Verben eine unterschiedliche Wahl bezüglich der Perfektform. Weiterhin ist zu beobachten, dass der mutative Charakter von Verben nicht der einzige Grund für die Wahl des seinPerfekts ist. In einigen deutschen Dialekten wählen z.B. alle Lageverben (sitzen, liegen, stehen) das iein-Perfekt. Ebenso schwer zu erkennen ist eine einheitliche semantische Regel für die Wahl des Aaften-Perfekts. Man kann zwar feststellen, dass agentive intransitive Verben oder Agens-Verben (tanzen, lachen, überlegen) im Unterschied zu Thema-Verben (fallen, sterben, bleiben) das haben-Perfekt verwenden. Vgl. Wunderlich (1985, S. 189). Das gilt aber auch für fast alle Verben, die Zustände bezeichnen: Das Bier hat im Kühlschrank gestanden. Die Tochter hat der Mutter geähnelt. Wir ziehen aus diesen Überlegungen den Schluss, dass die Wahl zwischen haben und sein für die Perfektform nur partiell geregelt ist und dass die Regeln keine einheitliche semantische Grundlage haben müssen.

1.4 Der allgemeine Rahmen für semantische Muster Die Möglichkeiten, Verben zu bilden, werden nach folgenden Gesichtspunkten geordnet: 1. UMKATEGORISIERUNG:

Eine Anzahl von Stämmen kann ohne Veränderung der zugeordneten semantischen Repräsentation syntaktisch sowohl als Nomen wie auch als Verb verwendet werden (Fluch - fluch(en)) oder sowohl als Adjektiv wie auch als Verb (lahm - lahm(en)). Dieser Wechsel der syntaktischen Kategorie ist nicht mit morphologischen Indikatoren verbunden. Wir nehmen deshalb auch keine Wortbildungsmuster an, sondern eine doppelte Wortartzugehörigkeit der Stämme, die im Lexikon anzugeben ist. 2. MUSTER, DIE DIE ARGUMENTSTRUKTUR ERWEITERN:

Hier wird die Einführung einer Thema-Stelle (lachen - anlachen) sowie die Einführung einer Ziel-Stelle (lachen - zulacheri) behandelt. 3. MUSTER FÜR GESCHEHEN, DIE DURCH TYPISCHE AKTANTEN CHARAKTERISIERT SIND:

Hier werden Muster aufgeführt, in denen eine Argumentstelle durch ein Nomen besetzt wird, das die Basis der Wortbildung liefert; z.B.: 'Die Tätigkeit

44

Kapitel 2

eines N ausüben' (malern, mausen) oder 'Tun, was man mit Hilfe eines N tut' (angeln, hämmern). 4 . MODIFIKATIONEN:

Muster dieses Typs fuhren Prädikate ein, die ein Geschehen als Über- oder Unterschreitung eines Maßstabs charakterisieren oder als vollständig, unvollständig oder falsch ausgeführt. Es handelt sich dabei um konjunktiv ergänzte Prädikationen über den Sachverhalt, auf den sich ein Verb bezieht (sich überfressen, untertreiben, ablochen, anbeißen, sich verlaufen). 5. LOKALE MODIFIKATION:

Es gibt eine umfangreiche Anzahl von Mustern, die eine lokale Modifizierung einschließen. Wir unterscheiden drei Grundtypen: 1. Der Agens-Aktant wird lokalisiert (Er springt auf). 2. Der Thema-Aktant wird lokalisiert (Er lädt Kisten auf). 3. Das Muster nimmt eine Neugliederung der Argumentstruktur vor (Er gießt Wein auf den Braten. - Er begießt den Braten mit Wein.). 6. PHASEN EINES GESCHEHENS:

Einige Muster charakterisieren Phasen von Geschehen, d.h. Anfang (einschlafen) oder Ende (verblühen), ein punktuelles Geschehen (aufblitzen) oder alle Phasen vom Anfang bis zum Ende (durcharbeiten). Zur Beschreibung dieser Muster nehmen wir Prädikate über semantische Repräsentationen von Verben an. 7. BEZIEHUNGEN ZWISCHEN SACHVERHALTEN:

Einige Muster charakterisieren Sachverhalte als in einer bestimmten Beziehung zu anderen Sachverhalten stehend. Vorauszusetzen sind deshalb Prädikate, die Relationen zwischen dem aktuellen Sachverhalt und anderen Sachverhalten ausdrücken (vorarbeiten, nacharbeiten). 8. WORTNEGATION:

Wortinterne Negation behandeln wir als einen speziellen Typ der semantischen Veränderung von Verbbedeutungen (glücken - missglücken). 9. ENTSTEHEN UND VERURSACHEN VON ZUSTÄNDEN:

Dieser Gliederungspunkt geht von Zuständen aus, die in einem Prozess entstehen oder durch Tätigkeiten eines Agens-Aktanten verursacht werden können (Das Metall erkaltet. Er vergrößert sein Vermögen.). Die Zustände können in vielen Fällen durch Prädikate beschrieben werden, zu denen es auch ein negatives Gegenstück gibt (Er erbettelt sich ein Vermögen. 'Er hat ein Vermögen.'- Ihm entläuft der Hund. 'Er hat keinen Hund').

Verbbildung

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1.5 Morphologische Gesichtspunkte der Verbbildung 1.5.1 Trennbare und untrennbare Verbpartikeln Im Vergleich mit der Adjektiv- und der Nomenbildung weist die Verbbildung eine Reihe von Eigenheiten auf. Besonders auffallig ist, dass Muster mit Präfixen oder Verbpartikeln als morphologischen Indikatoren solche mit Suffixen zahlenmäßig bei weitem übertreffen. Es gibt überhaupt nur zwei native Suffixe (-ig: ängstigen, nötigen und -el: tröpfeln, lächeln), die inaktive oder schwach aktive Muster indizieren. Das dürfte damit zu erklären sein, dass zahlreiche Muster den Verbinhalt in einer bestimmten Weise modifizieren und die morphologischen Indikatoren dieser Muster in der Regel mit Präpositionen adjunktiver Präpositionalphrasen oder mit Adverbien korrespondieren: Die Ware aufladen = auf ein Gefährt Den Schatz eingraben — in die Erde Er springt ab = abwärts, nach unten Bei den trennbaren Verbpartikeln wird dieser Zusammenhang besonders deutlich. Auch Präfixe gehen nach den Ergebnissen sprachhistorischer Forschungen auf Präpositionen oder Adverbien zurück. Aber auch deadjektivische und denominale Muster, die Prädikate enthalten, in die die semantische Repräsentation des Adjektivs oder Nomens integriert wird, wählen in aller Regel präponierte morphologische Kennzeichnungen. Die Verbbildung ist weiterhin dadurch markiert, dass es zahlreiche Muster gibt, die trennbare Elemente enthalten. Diese trennbaren Elemente sind syntaktischen Regeln unterworfen, sie können bestimmte Stellen in Satzstrukturen einnehmen. Ferner gilt, dass in Wörtern mit trennbaren Komponenten nur der Verbstamm flexionsmorphologische Veränderungen erfährt: Der Zug ist ab+ ge+fahren. Er versucht auf+ zu+springen. Das bedeutet aber, dass in diesem Falle ein wichtiges Merkmal von Wortstrukturen verletzt ist, nämlich die Festigkeit der Positionen in Wortstrukturen. Für typische Wörter gilt: Komponenten von Wortstrukturen bilden eine Einheit, sie können weder innerhalb der Worteinheit noch aus ihr heraus bewegt werden und morphologische Regeln greifen nicht in die Wortstruktur ein. Diese Bedingungen erfüllen nur die Präfixe, die Suffixe und einige Partikeln. bewerfen: *Er wirft be. Er bewirft. *Er hat be+ge+worfen.

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Er hat ihn beworfen. *be+zu+werfen zu bewerfen überfahren: *Er fährt ihn über. *Er hat ihn übergefahren. Er hat ihn überfahren. *über+zu+fahren zu übeifahren Aber: abwerfen: Er wirft etwas ab. *Er abwirft etwas. Er hat etwas ab+ge+worfen. *hat abworfen ab zu werfen *zu abwerfen Die Mehrzahl der Partikeln sind trennbar. Das gilt auch für die meisten Bildungen, die üblicherweise als Verbkomposita analysiert werden {kopfstehen, maschineschreiben). Nach dem Gesichtspunkt der Trennbarkeit lassen sich die an der Verbbildung beteiligten morphologischen Einheiten wie folgt untergliedern. Wir zählen hier nur die Einheiten auf, die in der Beschreibung von Wortbildungsmustern berücksichtigt werden: Suffixe: -ig, -el Präfixe: be-, ent-, er-, ver-, zer-, missTrennbare Partikeln: ab, an, auf aus, ein, los, nach, vor, weg, zu DoppelfÖrmige Partikeln: durch, über, um, unter Alle trennbaren Partikeln tragen in neutralen Kontexten einen stärkeren Akzent als das Verb. Sind die Partikeln untrennbar, tragen sie, wie native Präfixe, nicht den Hauptakzent des Wortes: 'auf 2laden,'^vor2fahren, 'ab 2springen um gehen, über bringen, unter graben Diese Regel wird nur durch zwei Muster außer Kraft gesetzt, die stärkeren Akzent auf der untrennbaren Verbpartikel zulassen, wenn der Verbstamm nicht mit einer betonten Silbe beginnt (^überbeanspruchen, 'unterrepräsentiereri).

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Eine Unterscheidung zwischen Präfixen und Partikeln ist deshalb sinnvoll, weil die meisten Partikeln mit separaten lexikalischen Einheiten korrespondieren, nämlich mit Präpositionen oder mit Adverbien: Er springt (auf den fahrenden Zug) auf Er klebt (einen Zettel an die Tür) an. Das Flugzeug steigt auf. Das Flugzeug steigt aufwärts. Wenige Partikeln sind wie Präfixe zu behandeln, d.h., sie erhalten ihre Bedeutung über das Muster: Sie lachte plötzlich auf. Der Turm kippt um. In einigen Fällen wird die relative Selbständigkeit dadurch unterstrichen, dass die Partikel auch in der Nomenbildung oder als prädikatives Element vorkommt: Abwasser, Abluft Der Bart ist ab. Durchhaus 'Haus mit Durchgang, der zwei Straßen verbindet' (Duden) Der Antrag ist durch. Überbein, Überdecke Auf der anderen Seite haben Verbpartikeln jedoch viele Eigenschaften mit Präfixen gemeinsam: 1. Einige Verbpartikeln sind topologisch fest mit Stämmen verbunden, d.h., sie sind untrennbar. 2. In vielen Fällen besteht keine direkte lexikalische Verwandtschaft mit Präpositionen oder Adverbien. 3. In mehreren Fällen unterscheidet sich das Basisverb vom Partikelverb durch eine Umstrukturierung der Argumentstruktur {Er gießt Wasser über den Braten. Er übergießt den Braten mit Wasser). Dieser Zusammenhang lässt sich nicht als bloße semantische Modifikation des Verbs durch eine syntaktisch selbständige Lexikoneinheit beschreiben. Da in Komposita das Zweitglied die externen syntaktischen Eigenschaften des ganzen Wortes festlegt, scheidet auch eine Analyse als Kompositum in diesen Fällen aus. 4. Es gibt zahlreiche Partikelverben, deren Stamm ein Adjektiv oder ein Nomen ist (auffrischen, abhärten', einseifen, auftischen). Die Beschreibung solcher Bildungen setzt Wortbildungsmuster voraus.

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Wir werden aus den angeführten Gründen Verbpartikeln wie Affixe behandeln, d.h. als Indikatoren semantischer Muster. 1.5.2 Gibt es Verbkomposita? In der Wortbildungsliteratur werden N + V-, A + V- und V + V-Komposita angenommen. In den meisten so analysierten Beispielen ist die erste Komponente trennbar. Es ergibt sich die Frage, ob es sich in diesen Fällen um idiomatisierte syntaktische Konstruktionen handelt oder ob man durch Wortbildungsregeln definierte Wortstrukturen annehmen kann. Wir wollen diese Frage etwas näher betrachten. Da wir die Beispiele als tentative Komposita betrachten, schreiben wir sie, z.T. abweichend von den Duden-Regeln, als ein Wort: Nomen + Verb: Eine Reihe von Lexikoneinheiten setzt sich aus einem Nomen und einem Verb zusammen: 1. Das Nomen besetzt eine Argumentstelle des Verbs: kegelschieben, haltmachen, staubsaugen, lobpreisen In gleicher Weise sind die Konstruktionen Feuer fangen, Radio hören, Zeitung lesen, Schritt halten zu analysieren. Sie werden jedoch nicht zu den Komposita gerechnet und auch orthographisch als zwei Wörter betrachtet. 2. Das Nomen geht auf eine adjunktive Präpositionalphrase zurück: bausparen, eistanzen, radfahren, seiltanzen, kopfstehen, amokfahren, kielholen, notlanden

amoklaufen,

Auch hier ist zu fragen, weshalb die folgenden Bildungen nicht als Komposita betrachtet werden: schlangestehen klavierspielen autofahren Einige dieser Bildungen kommen nur als Nominalisierung, in der Form des Infinitivs und des Partizips 2 vor. Andere Formen wirken stark auffallig: das Notlanden Das Flugzeug mußte notlanden. *Das Flugzeug notlandete. *Das Flugzeug landete not. Das Flugzeug ist notgelandet. das Seiltanzen

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Sie kann gut seiltanzen. *Sie seiltanzte. *Sie tanzte seil. Sie hat gern seilgetanzt. Was die zuletzt genannten Beispiele angeht, so wird eine Rückbildung aus den Nominalkomposita Notlandung, Seiltanz angenommen. Das ist auch für Kopfstand - kopfstehen sowie Staubsauger - staubsaugen wahrscheinlich. Die relativ geringe Anzahl von gleichartigen Bildungen, die unterschiedlichen Verwendungsbeschränkungen und die stark idiosynkratischen Züge dieser Konstruktionen deuten darauf hin, dass die angeführten Bildungen eher spezielle Lexikalisierungen von syntaktischen Konstruktionen sind als Produkte von Wortbildungsmustern. Diese Vermutung kann mit Argumenten belegt werden: Für die Existenz von Wortbildungsmustern für Komposita müssen die folgenden Bedingungen erfüllt sein: 1. Die Beziehung zwischen dem Verb und einem möglichen ersten Glied muss durch generelle semantische Regeln erfassbar sein. 2. Das erste Glied ist semantisch in die Repräsentation des Kompositums integriert, d.h. es kann nicht als referierende Nominalphrase interpretiert werden und kann nicht als Bezugswort für anaphorische Proformen dienen. 3. Es existiert ein Wortbildungsmuster, das auf 1. und 2. aufbaut und generelle Bedingungen für die morphologische Struktur von Wörtern erfüllt. Wir wollen versuchsweise annehmen, dass die deutsche Sprache das folgende Wortbildungsmuster enthält: [V (x, s) & MITTELS (N, s); PFN + PFV] Im semantischen Teil des Wortbildungsmusters tritt die semantische Repräsentation eines Verbs und die eines Nomens auf, das als Argument des Prädikats MITTELS, d.h. als Instrument oder Mittel, mit dem etwas geschieht, deutbar sein muss. Die morphologische Form des Kompositums setzt sich aus der morphologischen Form des Nomens und der des Verbs zusammen. Die Bestandteile können, nach generellen Regeln für Wortstrukturen, nicht bewegt und nicht durch andere, nicht-lexikalische morphologische Formen getrennt werden. Das Muster sagt Bildungen wie die folgenden vorher: radfahren, autofahren, fahrradfahren, sportautorasen, säbelrasseln, geigespielen, geigemusizieren, schereschneiden, messerteilen Außer radfahren wird keine dieser Bildungen als Kompositum analysiert. Die meisten Beispiele sind kaum akzeptabel und z.T. sogar schwer interpretierbar.

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Es fällt auf, dass Ergänzungen zu fahren und spielen akzeptabler sind als zu semantisch ähnlichen Verben wie rasen, flitzen, musizieren. Die Ergänzung zu spielen ist akzeptabler, wenn es sich um ein Musikinstrument handelt. Die Beispiele machen deutlich, dass die akzeptablen Bildungen die Bedingungen 1.-3. mindestens teilweise erfüllen. Tatsächlich geht in geigespielen, autofahren nur die semantische Repräsentation des Nomens ein und die Beziehung zwischen Verb und Nomen lässt sich durch eine semantische Formel beschreiben. Diese semantische Beschreibung hat jedoch nicht den Charakter eines Musters, das Neubildungen vorhersagt. Gänzlich unerfüllt bleibt die dritte Bedingung, denn alle angeführten Konstruktionen müssten in den meisten syntaktischen Umgebungen getrennt werden. In ähnlicher Weise sind alle Konstruktionen Nominalstamm + Verb zu behandeln. Wenn wir z.B. Wortbildungsmuster wie die folgenden annehmen, gelangen wir zu den gleichen Resultaten: [VERB (x) & AUF (N, x); PFN + PFV]

seiltanzen, kopfstehen, tischtanzen, eselreiten, pferdsitzen, bauchliegen [VERB (x sgeos , N t h e n J; PFN + PF V ]

radiohören, musikhören, milchtrinken, zeitunglesen, romanlesen, pilzessen, rehbeobachten, hirschsehen Wir ziehen aus diesen Befunden den Schluss, dass die als Verbkomposita analysierten Bildungen tatsächlich Lexikalisierungen mit einer z.T. sehr individuellen Geschichte sind, spezielle syntaktische-Konstruktionen, die sich aus den syntaktischen Fügungseigenschaften von Verben (wie z.B. fahren und spielen) herleiten lassen oder als ein markierter Wortbildungstyp zu betrachten sind, den Wurzel als Nomeninkorporierung bezeichnet (vgl. Wurzel 1993). Adjunktives Adjektiv + Verb: Eine nicht geringe Zahl von Verbindungen aus einem Adjektiv und einem Verb wird als Verbkomposita analysiert. Soweit solche Verbindungen kompositional interpretiert werden können, unterscheiden sie sich nicht von syntaktischen Fügungen aus Verben und adjunktiven Adjektiven. Wir vernachlässigen hier orthographische Regeln der Getrennt- bzw. Zusammenschreibung: blankbohnern, bloßlegen, brachliegen, braunbrennen, dichtmachen, feinsortieren, fertigbringen, festbinden, festschrauben, freigeben, freihalten, geheimhalten, geringachten, sich gesundstoßen, gesundschrumpfen, gleichschalten, hochachten, hochwerfen, höherstufen, kaltstellen, klarkommen,

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kleinschreiben, krankfeiern, plattmachen, rundfragen, schiefgehen, schönfärben, schönreden, übelnehmen, wahrmachen, weismachen In diesen Fällen werden häufig Lexikalisierung und z.T. eingeschränkte Kompositionalität oder das vage Kriterium 'semantische Vereinheitlichung' als Begründung ftir den Wortcharakter einiger dieser Konstruktionen angeführt. Das sind jedoch keine Kriterien für Wortstrukturen, sondern für die Lexikalisierung syntaktischer Fügungen. Die Lexikalisierung hebt in den meisten Fällen den syntaktischen Status dieser Konstruktionen nicht auf. Adjektiv und Verb nehmen nur im Rahmen genereller syntaktischer Regeln Kontaktpositionen ein. Nur in stark idiomatisierten Beispielen wie liebäugeln, schönreden, vollbringen wird die Fügung als einheitlicher Stamm behandelt. Die Willkürlichkeit vager semantischer Begründungen des Wortcharakters kommt im übrigen in inkonsequenten Orthographieregelungen zum Ausdruck. So werden nach den alten Duden-Regeln locker sitzen, sich satt sehen getrennt, geringachten, richtigstellen dagegen zusammen geschrieben. Vgl. dazu Fleischer/Barz (1992, S. 298). Wir sehen keinen Grund, neben der syntaktischen Konstruktion Verb + adjunktives Adjektiv spezielle semantische Muster für Verbkomposita anzunehmen. Auch aus morphologischer Sicht spricht nichts für den Wortbildungscharakter solcher Fügungen. Viele Konstruktionen aus Adverb und Verb stehen semantisch in der Nähe von Präfigierungen. Jedoch können auch in diesen Fällen keine Verbkomposita angenommen werden. Es handelt sich vielmehr um lexikalisierte oder häufig verwendete syntaktische Konstruktionen aus Verben und Adverbien (auf adjunktive Verwendung beschränkte Adjektive). Besonders häufig sind Lexikalisierungen mit Lokal- und Temporaladverbien. Wir vernachlässigen orthographische Festlegungen. Die Analyse dieser Beispiele als lexikalisierte syntaktische Fügungen spricht für eine konsequente Getrenntschreibung: beisammen bleiben, da stehen, dabei sein, dagegen halten, daneben greifen, dazwischen fragen, drauf legen, empor arbeiten, fehl schlagen, fort jagen, gegen zeichnen, heim kehren, heim leuchten, heran tragen, herauf ziehen, heraus fordern, herum ziehen, herum schreien, hinauf klettern, nieder legen, ran gehen, raus schmeißen, runter fallen, vorbei kommen, weg drängeln, zurecht flicken, zusammen kommen, zusammen setzen, zuwider handeln, zuwider laufen Verb + Verb Als Verbkomposita werden in einigen Wortbildungsarbeiten zwei Typen von Verbindungen zweier Verben analysiert: 1. Verb + Infinitivendung + Verb sitzenbleiben, Schlafengehen

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2. Verb + Verb drehbohren, grinskeuchen Was den ersten Typ angeht, so können die meisten Beispiele als lexikalisierte syntaktische Konstruktionen beschrieben werden. Es handelt sich um Konstruktionen aus Verben, die eine Argumentstelle für Verben oder Infinitivkonstruktionen haben. Vgl. bleiben, gehen, lassen, lernen Der zweite Typ weist wichtige Merkmale von Komposita auf. Wir nehmen deshalb ein Wortbildungsmuster für Koordinativkomposita an. Verbale Koordinativkomposita sind jedoch mit vielen Beschränkungen behaftet. Insgesamt betrachtet darf man sagen, dass die Verbbildung der deutschen Sprache von der Möglichkeit der Komposition wenig Gebrauch macht. Das dürfte nicht zuletzt damit zu begründen sein, dass durch die Lexikalisierung von syntaktischen Konstruktionen mit verbalem Kern der gleiche Effekt wie mit Komposita erzielt werden kann, freilich um den Preis der Beweglichkeit der modifizierenden Komponente entsprechender Fügungen. Nur die Fügungen aus Verbstamm + Verbstamm mit koordinativer Interpretation haben keine syntaktischen Fügungen mit Kontaktpositionen zur Seite. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang auch sogenannte ' Pseudokomposita'. Das sind komplexe Verben, die in Anlehnung an Nominalkomposita oder Zusammenbildungen gebildet wurden: seiltanzen, mähdreschen, kurpfuschen, bildhauen, notlanden, zwangsräumen, zwangsbeurlauben, kopfstehen Es handelt sich hier nicht um Produkte einer Wortbildungsregel sondern um Prozesse, die auf einzelne lexikalische Elemente bezogen sind. Meist stark idiomatisierte Nominalkomposita oder Zusammenbildungen mit einem Verbalnomen als Zweitglied werden reverbalisiert, indem die verbale Basis aktiviert wird. Bei Suffigierungen bedeutet dies den Verlust des Suffixes: Kurpfuscher Mähdresche Notlandung

-

kurpfuschen mähdreschen notlanden

Von dieser auch als Rückbildung bezeichenten Möglichkeit wird relativ häufig Gebrauch gemacht. Vgl. Asdahl-Holmberg (1976).

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2.

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Wortbildungsmuster für Verben

2.1 Umkategorisierungen 2.1.1 Nomen => Verb Während die Adjektivierung von Zustandsnomen sehr häufig ist, wird die Verbalisierung von Geschehens- oder Zustandsnomen nur in Einzelfallen morphologisch durch ein Suffix gekennzeichnet: Angst-^ MarschN

-

sich ängst + igv (en) marsch + ierv (en)

Folgende Stämme betrachten wir als doppelt kategorisiert: hunger(n), dürst(en), leid(en), trauer(n), hader(n), geiz(en) Das wollen wir auch für Verben mit dem Reflexivpronomen sich annehmen: sich ärgern, sich grämen, sich härmen Es gibt weder systematische Gründe für die Annahme einer Verbalisierung von Nomen noch für eine Nominalisierung von Verben. Die Endung -en ist als Flexionsform des Infinitivs zu analysieren, nicht als Derivationssuffix. 2.1.2 Adjektiv => Verb Bildungen, die als reine Umkategorisierung von Adjektiven in Verben durch Suffixe zu analysieren wären, scheinen nicht zu existieren. Auch die Möglichkeit den gleichen Stamm adjektivisch oder verbal zu verwenden, ist auf wenige Fälle beschränkt: krankA — krankv(en) schrillen, tollen, kranken, siechen, bangen, wachen, nässen, gleichen

2.2 Muster, die die Argumentstruktur von Verben betreffen Eine Reihe von Wortbildungsmustern erweitert die Argumentstruktur des Basisverbs oder nimmt direkten Bezug auf Rollen von Argumentstellen. So führt das elementare Prädikat CAUS eine Agens-Stelle in die semantische Repräsentation kausativer Verben ein. An dieser Stelle fuhren wir Muster an, die eine Thema-Stelle oder eine Ziel-Stelle einführen oder die die Thema-Stelle eines abstrakten Verbs besetzen.

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Kapitel 2

2.2.1 Einfuhrung einer Thema-Stelle Intransitive agentive Verben können um eine Thema-Stelle erweitert werden. Wir nehmen ein Prädikat AFFIZIEREN an, das eine Argumentstelle für einen Sachverhalt hat und eine zweite für einen Aktanten, der die Thema-Rolle einnimmt. Dieses Prädikat entspricht dem Inhalt der Thema-Rolle. Das semantische Muster hat die Form: [V (x'.ge-,) & AFFIZIER (s, x 2 them J] (x1, x2, s) 'ein Aktant tut etwas und bezieht dabei einen anderen Aktanten in seine Tätigkeit ein'

anlachen, anhauchen verspotten, verulken betrauern, beweinen verspotten und beweinen gehen auf Verben zurück, die durch eine Präpositionalphrase über + NP ergänzt werden können. Die Interpretation dieser Präpositionalphrase entspricht dem Prädikat AFFIZIEREN. SYNTAKTISCHE EIGENSCHAFTEN:

Die semantische Argumentstruktur wird regulär auf die syntaktische abgebildet. Verben des hier behandelten Typs haben alle syntaktischen Eigenschaften transitiver Verben. Die Agens-Rolle wird auf das Subjekt und die Thema-Rolle auf das direkte Objekt abgebildet. Es entstehen somit transitive Verben, die reguläre Passivkonstruktionen zulassen: Sie wird (von ihrer Tochter) angeschrien. Der Schriftsteller wird (von den Kritikern) verhöhnt. Der Verlust der Rechte wird (von den Betroffenen) beklagt. Die Basisverben lassen dagegen nur unpersönliches Passiv und Konstruktionen mit unbestimmt-persönlichem man zu: Es wird geschrien Man schreit. Über den Schriftsteller wird gehöhnt. Man höhnt über den Schriftsteller. *Von den Kritikern wird über den Schriftsteller gehöhnt. Wie alle transitiven Verben bilden die hier besprochenen das Perfekt mit haben. Attributiver Bezug des Partizips 2 ist auf ein Nomen möglich, das die Thema-Stelle besetzt. Das gilt nicht für das Partizip 2 der intransitiven Basisverben:

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*die geschriene Tochter die angeschriene Mutter Der verhöhnte Schriftsteller *Der gehöhnte Schriftsteller WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; be- PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Basisverben bezeichnen sehr häufig sprachliche oder andere Lautäußerungen: beweinen, beklagen, beschimpfen, besprechen, bequatschen, bereden, beklatschen, bejammern, bejubeln, bekiechern Nicht in semantische Gruppen einzuordnen sind: beschnüffeln, bedenken, beackern, bestreiken, berühren, betrauern, beschwindeln MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

be- ist ein Präfix. Die Bildungen enthalten keine komplexen Stämme. Zufallsbildungen sind jedoch nicht ausgeschlossen: einer, der um Mitternacht einen anderen betelefonieren will (Haefs, Matzbachs Nabel) AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv. (2) [SM; ver- PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Bildungen dieses Typs setzen Verben voraus, die durch Präpositionalphrasen mit der Präposition über ergänzt werden können. Wir lassen die Frage offen, ob diese Präpositionalphrase den Status eines Komplements hat oder als Adjunkt zu behandeln ist. Die Bedeutung von öfter kann durch 'etwas ist in eine Aktivität einbezogen' umschrieben werden. Diese Bedeutung entspricht der semantischen Charakteristik der Thema-Rolle. Die Thema-Rolle kennzeichnet einen Aktanten als einen in die Tätigkeit eines Agens einbezogenen Aktanten. Die Verben bezeichnen Geschehen, die mit dem Ziel verbunden sind, den betroffenen Aktanten verächtlich zu machen:

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56 lachen über jemanden jemanden verlachen

verspotten, verulken, verhöhnen, verlästern, verlachen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

ver- ist ein Präfix. Die Stämme der lexikalisierten Bildungen sind morphologisch einfach. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist inaktiv. Vorhersagbare Bildungen wie die folgenden sind auffallig: vergrinsen, verpöbeln, verschimpfen (3) [SM; aus PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Bildungen dieses Musters bezeichnen Lautäußerungen mit negativer Bewertung des betroffenen Aktanten: auslachen, ausschimpfen, auspfeifen, ausbuhen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

aus ist eine trennbare Präfixpartikel. AKTIVITÄT:

Das Muster ist beschränkt aktiv. (4) [SM; an PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Basisverben bezeichnen vor allem Geschehen, die mit Blickwechsel, Atemausstoß oder Sprechweise verbunden sind: anlachen, anblicken, anschauen, angucken, anglotzen anrauchen, anhauchen, anhusten, anpusten anschreien, anblubbern, anmeckern, anreden, ansprechen MORPHOLOGISCHE FORM:

an ist eine trennbare Präfixpartikel.

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AKTIVITÄT:

Das Muster ist beschränkt aktiv. 2.2.2 Einfuhrung einer Ziel-Stelle Einige intransitive und transitive Verben können um eine Ziel-Stelle erweitert werden, sie werden dann zweistellig bzw. dreistellig. Wir nehmen ein Prädikat ZIEL (s, x) an, das einem Sachverhalt einen Aktanten zuordnet, der Ziel einer Handlung ist. Die Ziel-Rolle unterscheidet sich von der Thema-Rolle dadurch, dass der betroffene Aktant als Nutznießer des Geschehens betrachtet wird. Er ist nicht nur in ein Geschehen involviert, sondern zieht daraus einen materiellen oder ideellen Nutzen. Das folgende semantische Muster enthält dieses Prädikat: [V (x agen» (X2them.,) S) & Z I E L (S, X3)] ( x \

x

ziel ,( x ') s )

'ein Aktant tut etwas und hat einen Aktanten als Zielgegenstand' jemandem zujubeln, zuprosten, zunicken jemandem etwas zustecken, zuschieben SYNTAKTISCHE EIGENSCHAFTEN:

Die Basisverben sind intransitive oder transitive Handlungsverben. Das semantische Muster führt einen neuen Aktanten ein, dem die Ziel-Rolle zugeschrieben wird. Dieser Rolle entspricht ein indirektes Objekt in der syntaktischen Argumentstruktur. Präpositionalphrasen mit der Präposition zu können nicht als Alternativen betrachtet werden, obwohl eine semantische Ähnlichkeit besteht. In vielen Beispielen wirken sie auffällig und selbst wenn das nicht der Fall ist, können sie nicht als Bedeutungsumschreibung für die abgeleiteten Verben gelten: Er winkt ihm zu. Er winkt zu ihm. Sie prostet ihm zu. Sie prostet zu ihm. Er schiebt ihr die Schuld zu. Er schiebt die Schuld zu ihr. Verben dieses Musters lassen Passivkonstruktionen zu: Dem Sieger wird zugejubelt. Dem Lehrer wird etwas zugerufen. Die Wahl des haben-Perfekts bleibt erhalten.

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WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; zu PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Nach dem Muster von intransitiven Verben gebildete Verben bezeichnen meist eine kommunikative Handlung: zujubeln, zuprosten, zuwinken, zunicken, zulachen, zulächeln, zurufen, zuschreien Transitive Basisverben bezeichnen Handlungen, die eine Bewegung eines betroffenen Aktanten enthalten. Das Geschehen schließt im zweiten Fall einen Endzustand ein, der durch HABEN (x3, x2) charakterisiert werden kann: zuwerfen, zuschieben, zureichen, zuteilen, zusenden MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

zu ist eine trennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Muster ist schwach aktiv.

2.3 Muster für Geschehen, die durch typische Aktanten charakterisiert sind 2.3.1 Wortinterne Besetzung der Thema-Stelle Eine relativ geringe Anzahl von Verben mit nominaler Basis kann auf ein semantisches Muster zurückgeführt werden, in dem das Nomen die ThemaRolle des elementaren Prädikats TUN besetzt: [TUN (Xggens9 Nu,enia, s)]

s)

'ein Aktant tut etwas, wovon N betroffen ist' buttern, ferkeln, Schlagzeilen SYNTAKTISCHE EIGENSCHAFTEN:

Es handelt sich um einstellige Verben, die ein von einem Agens initiiertes Geschehen charakterisieren. Da die Thema-Stelle durch das Basisnomen besetzt ist, ist kein direktes Objekt möglich. In Sätzen mit diesen Verben wird der Agens-Rolle das Subjekt zugeordnet. Die Perfektform von Verben dieses Typs wird mit haben gebildet. Das ist aufgrund ihres agentiven und nicht-mutativen Charakters zu erwarten.

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Das Partizip 2 kann nicht attributiv verwendet werden. Auch diese Eigenschaft entspricht intransitiven agentiven Verben: *die geferkelte Sau *die gebutterte Bäuerin Vgl.: *das gesungene Mädchen *der gearbeitete Handwerker WORTBILDUNGSMUSTER: (1) [SM; P F N ] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das stark verallgemeinerte semantische Muster wird durch Kenntnisse über die Aktanten ergänzt, die die Thema-Rolle übernehmen. So kann es sich um ein Produkt handeln, das erzeugt wird. In diesen Fällen ist eine Paraphrase 'N machen/herstellen' möglich: buttern, wursten, mosten, schroten, Schlagzeilen Oder um ein Nahrungs- oder Genussmittel, das ein Lebewesen zu sich nimmt, paraphrasierbar mit 'N essen/fressen': koksen, grasen, speisen, picknicken, lunchen, frühstücken, vespern, jausen Eine Reihe von Verben charakterisiert den Geburtsvorgang: ferkeln, kalben, fohlen, jungen, lammen Zu dem Muster gehören auch die Verben: fischen, wildern, jobben, jazzen, rocken, skaten, puzzeln MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Muster hat keinen morphologischen Indikator. Die Bildungen übernehmen die phonologische Form meist einfacher Nominalstämme. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist schwach aktiv.

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2.3.2 Wie ein N tätig sein In einer Reihe von denominalen Verben bezeichnet das Basisnomen Personen, die durch bestimmte Eigenschaften charakterisiert sind: tischlern, fußballern, flegeln, kellnern Die Bedeutung dieser Verben kann umschrieben werden durch 'jemand übt die für die Klasse, die das Basisnomen bezeichnet, typische Tätigkeit aus'. Die Tätigkeit des Agens wird also durch einen Vergleich mit der typischen Aktivität bestimmter Klassen von Aktanten charakterisert. Wir nehmen das folgende semantische Muster an: [TUN ( x ' ^ G x 2 „,,„»), s) & WIE (TUN (N^en,), s)] (x^x2), s) 'ein Aktant tut, was mit der Tätigkeit von N vergleichbar ist' Das Muster beschreibt Verben, die ein- oder zweistellig sein können (flegeln vs. ein Regal tischlern). Ihre Bedeutung lässt sich wie folgt umschreiben: Peter malert gern. 'Peter übt gern die Tätigkeit von Malern aus' 'Peter betätigt sich gern als Maler' SYNTAKTISCHE EIGENSCHAFTEN:

Es handelt sich um Geschehen mit mindestens einem Aktanten, der die Agens-Rolle einnimmt. Dem entspricht das Subjekt in syntaktischen Strukturen. Die meisten Verben sind einstellig. Einige können eine Thema-Stelle haben, der ein direktes Objekt zugeordnet wird. Der semantischen Analyse entspricht die Wahl des AaAen-Perfekts und die Unmöglichkeit, das Partizips 2 attributiv zu verwenden. WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; PF*] SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Interpretation solcher Bildungen wird durch Weltwissen über die Gegenstände, die das Basisnomen bezeichnet, erleichtert. Häufig sind Bildungen mit Berufs-, Funktions- oder Rollenbezeichnungen: schriftstellern, malern, tischlern, maurern, fußballern, gärtnern, imkern, schauspielern, schlossern, sponsern Auch Nomen, die das Verhalten oder die Tätigkeit von Personen bewerten, eignen sich für das Bildungsmuster:

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flegeln, lümmeln, Strebern, quacksalbern, spitzeln, hochstaplern, zigeunern, rackern, schulmeistern, huren, globetrottern, götzendienern Als Vergleichsgrundlage können auch Aktivitäten von Tieren dienen: büffeln, bocken, eseln, ferkeln, hamstern, mausen Eine weitere Möglichkeit bieten Eigennamen. In diesem Falle werden Tätigkeiten, Verhaltensweisen und Erfindungen, die für Individuen charakteristisch sind, herangezogen. Die detaillierte Interpretation solcher Verben setzt z.T. sehr spezielle Sachkenntnisse voraus: rilken, hegein, beckmessern, barzeln, heideggern, gaucken, röntgen, kneippen, lumbecken ('Bücher ohne Fadenheftung binden') Als eine besondere Variante des hier besprochenen Musters können Verben gelten, die sich auf das Sprechen von Dialekten beziehen. Für TUN ist in diesen Fällen SPRECHEN einzusetzen. Das Basisnomen bezeichnet Angehörige von Dialektgebieten: berlinern, wienern, sächseln, schwäbeln MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Die phonologische Form des Stammes des Basiswortes bildet den Stamm des Verbs. Das Wortbildungsmuster wird nicht morphologisch indiziert. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv. (2) [SM; P F n

-el]

SEMANTISCHE ANALYSE:

Verben dieses Typs drücken aus, dass eine Person den Dialekt der vom Basisnomen bezeichneten Bewohner eines Gebiets spricht: sächseln, schwäbeln, kurpfölzeln MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix -el tritt nicht an Nomen, die mit -er enden. Entsprechende Bildungen zu diesen Wörtern sind: berlinern, wienern, hamburgern AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv.

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Kapitel 2

2.3.3 Sich wie ein N bewegen In Beispielen für dieses Muster bezeichnet das Basisnomen Klassen von Gegenständen, für die eine bestimmte Art der Bewegung typisch ist. Wir nehmen das folgende semantische Muster an: [TUN (x1^,,,, s) & BEWEG ( x ^ . , s) & WIE (BEWEG (N), s)] (x^ ens , s) 'ein Aktant bewegt sich, wie sich N bewegen' wogen, fluten, robben, tigern Einige Bildungen charakterisieren Geschehen, in denen die Bewegungsrichtung keine Rolle spielt. Herausgestellt wird nur die Art der Bewegung: pendeln, schaukeln, eiern, federn Alle Bildungen dieses Typs enthalten eine agentive Komponente, d.h. die Bewegung des Aktanten wird nicht von einem unabhängigen Aktanten verursacht. Der gleiche Aktant tritt als Agens von TUN und als Thema von BEWEG auf. In die semantische Argumentstruktur geht nur die Agens-Rolle ein. SYNTAKTISCHE EIGENSCHAFTEN:

Da es sich um einstellige Argumentstrukturen handelt, ist die Zuordnung zum Subjekt obligatorisch. Verben wie robben und tigern setzen eine Bewegung in eine Richtung voraus. Wir können in diesen Fällen ein Präpositionalobjekt annehmen. Solche Verben haben demnach eine zweistellige Argumentstruktur mit einer Agens-Rolle und einer Orts-Rolle. In syntaktischen Konstruktionen entspricht diesen Rollen das Subjekt und ein Präpositionalobjekt. Verben ohne Richtungsangabe wählen das haben-Perfekt, solche mit Richtungsangabe das sem-Perfekt. Die Richtungsangabe charakterisiert einen Zustandswechsel des Hauptaktanten. Deshalb ist das seiw-Perfekt erwartbar. Das haben-Perfeikt der Verben ohne Richtungsangabe entspricht dem agentiven Charakter der Bildungen. Das Partizip 2 der intransitiven agentiven Verben kann nicht attributiv verwendet werden. Verben mit Präpositionalobjekten erlauben dagegen attributiven Gebrauch des Partizips 2: *das geschaukelte Mädchen *das geeierte Rad der in die Stadt getigerte Besucher der über den Exerzierplatz gerobbte Rekrut

Verbbildung

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WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; PF n ] SEMANTISCHE ANALYSE:

Als Basis eignen sich besonders Gegenstände, für die eine bestimmte Bewegungsart typisch ist: robben, tigern, hechten, storchen wogen, fluten, strömen, wirbeln MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Verben dieses Musters übernehmen den Stamm des Basisnomens. Das Wortbildungsmuster hat keine morphologische Indizierung. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist schwach aktiv. 2.3.4 Tun, was man mit Hilfe eines N tut Ein Geschehen kann als die fiir ein Instrument typische Aktivität charakterisiert werden. Wir nehmen ein Prädikat MITTELS an, das eine Argumentstelle für ein an einem Geschehen beteiligtes Mittel und eine zweite referentielle Argumentstelle für das Geschehen enthält. Die Prädikation besagt also, dass ein Sachverhalt durch ein beteiligtes Mittel charakterisiert ist. Aus der Kenntnis der Bedeutung des Mittels läßt sich die Bedeutung des Verbs erschließen. Das semantische Muster hat die Form: [TUN (x'.ge.sG-)) & MITTELS (N, s)J ( x 1 ^ , (,...), s) 'ein Aktant tut etwas, was mit Hilfe eines N getan wird' angeln, baggern, bremsen, telefonieren SYNTAKTISCHE EIGENSCHAFTEN:

Es handelt sich um ein- oder mehrstellige Verben mit einer Agens-Stelle (ihupen, geigen), einer Agens-Stelle und einer Thema-Stelle {Fische angeln, Suppe löffeln, Schlüssel feilen), einer Agens-Stelle und einer Stelle, die durch ein Präpositionalobjekt besetzt wird (mit jemandem telefonieren) sowie mit einer Agens-, einer Ziel- und einer Thema-Stelle (jemandem eine Nachricht kabeln). Der Agens-Stelle entspricht das Subjekt, der Ziel-Stelle ein indirektes Objekt und der Thema-Stelle ein direktes Objekt. Wie alle agentiven und nicht-mutativen Verben, wählen Verben des hier beschriebenen Typs das Aaften-Perfekt.

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Kapitel 2

Regulär ist auch die Möglichkeit, das Partizip 2 attributiv zu verwenden. Falls die Verben eine Thema-Stelle enthalten, kann das Partizip 2 auf eine Nominalphrase bezogen werden, die diese Stelle besetzt: die geangelten Fische der gefeilte Schlüssel der gebaggerte Graben Enthält die Argumentstruktur nur eine Agens-Stelle und keine Thema-Stelle, ist die attributive Verwendung des Partizips 2 nicht möglich: *der gegeigte Solist *die telefonierte Sekretärin Einige Bildungen enthalten zusätzlich eine Richtungsmodifizierung. Wir behandeln das entsprechende Muster im Rahmen lokaler Modifikationen: annageln, abseilen, ausgasen WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; PF n ] SEMANTISCHE ANALYSE:

Als Basis eignen sich besonders Bezeichnungen für Geräte, mit denen eine charakteristische Tätigkeit ausgeübt wird. Die folgenden Analogiegruppen lassen sich ermitteln: Das Mittel ist ein Arbeitsgerät: feilen, angeln, löffeln, hobeln, sensen, sicheln, bremsen, baggern, Computern, hebeln, kämmen, bürsten, pinseln Das Mittel ist ein Musikinstrument: geigen, flöten, trompeten, posaunen, pauken Das Mittel ist ein Kommunikationsgerät oder Medium: faxen, hupen, kabeln, telefaxen

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MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Die Verben übernehmen den Stamm des Nomens und fügen keinen morphologischen Indikator hinzu. AKTIVITÄT:

Das Muster ist schwach aktiv. Das verdeutlicht die Auffälligkeit vorhersagbarer Bildungen wie: Violinen, klavieren, hassen, waldhornen, megaphonen, maschinen, messern, scheren 2.3.5 Sich mit Hilfe eines N bewegen Verben können ein Geschehen bezeichnen, das durch eine Bewegung charakterisiert ist, die mit einem Mittel ausgeführt wird. Wir nehmen zur Beschreibung dieser Verben das semantische Muster an: [TUN (x^ggens (...), s) & BEWEG s) & MITTELS (N, s)] ( x 1 , ^ (...), s) 'ein Aktant bewegt sich mittels eines N' radeln, kutschen, rudern, paddeln SYNTAKTISCHE EIGENSCHAFTEN:

Die semantische Repräsentation dieser Verben enthält ein Agens, das mit einem bewegten Thema identisch ist. Die Richtung der Bewegung kann in allen Fällen ergänzt werden. Als semantische Argumentstruktur nehmen wir jedoch nur die Agens-Rolle an. Lokale Modifizierungen haben den Status von Adjunkten. Die Agens-Rolle korrespondiert mit dem Subjekt eines Satzes. Zu den meisten Bildungen des hier beschriebenen Typs gibt es kausative Varianten. Die Wahl der Perfektform leitet sich aus der Dominanz der Bewegungskomponente ab. Mit der Bewegung in eine Richtung ist ein Zustandswechsel des Hauptaktanten verbunden. Daraus ergibt sich die Wahl des ieiw-Perfekts: Er Er Er Er

ist nach Amerika gejettet. ist in den Wald geradelt. ist über den See gesegelt. ist zur Anlegestelle gerudert.

Spielt die Richtung keine Rolle, sondern nur die Art der Fortbewegung, dominiert der agentive Charakter des Geschehens und damit die Wahl des haÄen-Perfekts:

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Kapitel 2

Er hat den ganzen Tag gesegelt. Er hat am Sonntag gerudert. Attributiver Gebrauch des Partizips 2 ist nur mit Richtungsangaben möglich: Der nach Amerika gejettete Kaufmann Der in den Wald geradelte Gast WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; PFN] SEMANTISCHE ANALYSE:

Als Basiswort eignen sich vor allem Bezeichnungen für Fahrzeuge: radeln, kutschen, karren, jetten, skibobben, rodeln, snowboarden Auch Bezeichnungen für Geräte, mit denen man eine Bewegung vollzieht, kommen als Basisnomen vor: segeln, stelzen, rudern, paddeln, schaukeln MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Die Verben übernehmen den Stamm des Basisnomens. Eine morphologische Kennzeichnung des Musters entfallt. AKTIVITÄT:

Das Muster ist schwach aktiv. Die meisten Bildungen sind jedoch lexikalisiert.

2.4 Modifikationen An dieser Stelle werden Muster aufgeführt, die dem komplexen Prädikat des Basisverbs eine modifizierende Komponente hinzufügen. Wir unterscheiden zwischen Modifikationen des vom Verb charakterisierten Geschehens und Modifikationen von Prädikaten. Modifikationen des Geschehens ergänzen die durch den Prädikatkomplex des Basisverbs charakterisierten Sachverhaltseigenschaften. sich überfressen charakterisiert einen Sachverhalt, in dem jemand frisst und zwar übermäßig viel. Die Modifikation von Prädikaten beschränkt dagegen die mögliche Wahl von mit dem abgeleiteten Verb zu bezeichnenden Sachverhalten, einschlafen charakterisiert keinen Sachverhalt, in dem jemand schläft, sondern die Phase des Übergangs vom Wachsein zum Schlafen. Alle Bildungsmuster, die Phasen von Geschehen bezeichnen, sind durch Prädikaten-Prädikate zu beschreiben. Sie werden deshalb in einem besonderen Abschnitt 2.6 behandelt. Lokale Modifikationen von Sachverhalten

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sind besonders ausgeprägt. Deshalb behandeln wir auch sie in einem besonderen Abschnitt 2.5. 2.4.1 Ein normales Maß überschreiten Der semantischen Repräsentation des Basisverbs wird ein Prädikat ÜBER NORM hinzu gefugt, das zum Ausdruck bringt, dass das durch das Verb gekennzeichnete Geschehen normale Maßstäbe übersteigt. Das semantische Muster hat die Form: agens» (x ,hem„) s) & UBER NORM (s)] ( x agensi ( x themw) s )

'ein Aktant tut etwas (mit einem betroffenen Aktanten) in einem Aber der Norm liegenden Ausmaß' sich überfressen jemanden überfordern SYNTAKTISCHE EIGENSCHAFTEN:

Die syntaktischen Eigenschaften des Basisverbs bleiben grundsätzlich erhalten. WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; (sich) Uber- PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basisverb bezeichnet ein gradierbares Geschehen, das mehr oder weniger von einem normalen Maß abweichen kann. Grade des Geschehens können lexikalisch durch Gradwörter wie hoch, sehr, stark, wenig, gering bzw. zu hoch, zu stark, zu wenig, zu gering modifiziert werden. Die Überschreitung des normalen Maßes wird negativ bewertet. Intransitiven Basisverben entsprechen komplexe Verben mit dem Reflexivpronomen sich. Tatsächlich reflexiv sind jedoch nur Konstruktionen zu transitiven Verben: sich überschätzen, sich überfordern. Das Reflexivpronomen ist insofern gerechtfertigt, als die vom Basisverb bezeichnete Aktivität sich auf den aktiven Aktanten bezieht. Beispiele für intransitive Verben ohne Reflexivpronomen wie übertreiben sind stark lexikalisiert. itr. sich über fressen, über1 nehmen, über arbeiten, über1 schätzen, über anstrengen tr. jemanden/etwas über fordern, über1 lasten, über1 schätzen, über anstrengen, über dehnen, über1 drehen, über'düngen, über'eilen, über füttern, über1 hasten, über heizen, über'höhen, über1 spitzen

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Kapitel 2

'überbewerten, 'überbeanspruchen, 'überversichern, 'überdosieren, 1 1 1 1 übererfüllen, überinterpretieren, überkompensieren, überstrapazieren MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

über ist eine untrennbare Verbpartikel. Der Wortakzent liegt, wie bei deutschen Präfixen, auf dem Stamm. Es gibt jedoch Bildungen mit präfigierten Verben als Basis, in denen der Akzent auf der Partikel liegt. Die Partikel übernimmt den Wortakzent, wenn das Basiswort nicht mit einer betonten Silbe beginnt: 'überbewerten, 'überbetonen, 'überbeanspruchen,

'überversichern

AKTIVITÄT:

Das Muster ist aktiv. 2.4.2 Unter einem normalen Maß bleiben Als ein Muster, das Geschehen charakterisiert, in denen eine Aktivität unter einem normalen Grad bleibt, kann angenommen werden: [V ( x 1 , ^ , x2,hem„ s) & UNTER NORM (s)] ( xlvtB„ x\btm„ s) 'ein Aktant tut etwas mit einem betroffenen Aktanten in einem unter der Norm liegenden Ausmaß' unterschätzen unterbewerten, unterversichern SYNTAKTISCHE EIGENSCHAFTEN:

Die Basisverben sind transitiv. Nach dem Muster gebildete Verben verändern die syntaktischen Eigenschaften des Basisverbs nicht. WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; unter- PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet ein gradierbares Geschehen. Das Unterschreiten des normalen Ausmaßes wird negativ bewertet.

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unter schätzen, unter fordern, unter treiben 1 1 1 1 unterbewerten, unterbetonen, unterbeanspruchen, unterversichern, 'unterbezahlen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

unter ist eine untrennbare, normalerweise unbetonte Verbpartikel. Tritt die Partikel an Stämme mit unbetonter Anfangssilbe, übernimmt sie den Hauptakzent des Wortes. AKTIVITÄT:

Das Muster ist aktiv. 2.4.3 In geringem Maße Ein weiteres semantisches Muster erlaubt es, Geschehen als in geringem Grade verlaufend zu charakterisieren. Wir nehmen ein Prädikat GERING an, das eine geringe Intensität kennzeichnet: [V (x^cns, s) & GERING (s)] (x wllSj s) 'ein Aktant tut etwas in geringem Ausmaß' spötteln, hüsteln SYNTAKTISCHE EIGENSCHAFTEN:

Das Basisverb vererbt seine syntaktischen Eigenschaften auf das abgeleitete Wort. WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; PFV -el] SEMANTISCHE ANALYSE:

Als Basis kommen agentive intransitive Verben vor, die ein gradierbares Geschehen bezeichnen: hüsteln, tröpfeln, lächeln, brummein, tänzeln, liebeln, werkeln, spötteln, witzeln, förscheln (zu: forschen) Ist das Basisverb mit einer negativen Bewertung verbunden, nimmt auch diese Wertung ab: spötteln, kritteln

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Kapitel 2

MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

-el ist ein Suffix, das an den Verbstamm tritt, kritteln geht auf kritisieren zurück. AKTIVITÄT:

Das Muster ist schwach aktiv. Das Lexikon enthält nur relativ wenige Bildungen. Vorhersagbare Bildungen wie die folgenden wirken auffällig: weinein, atmeln, schmollein, liebeln, küssein 2.4.4 Etwas falsch tun Durch das Prädikat FALSCH kann ein durch das Basisverb bezeichnetes Geschehen als fehlerhaft verlaufend charakterisiert werden. Vorausgesetzt werden kontrollierbare Aktivitäten, bei deren Ausfuhrung die Kontrolle verloren geht oder in eine unerwünschte Richtung gelenkt wird. Der Plan einer durch das Basisverb charakterisierten Handlung oder der normale Ablauf von Handlungen eines bestimmten Typs misslingt. Wir schlagen das folgende semantische Muster vor: [V (x 1 ^.. (•••), s) & FALSCH (s)] (...), s) 'ein Aktant führt eine Aktivität falsch aus' sich versprechen, sich verwählen etwas missdeuten, missinterpretieren SYNTAKTISCHE EIGENSCHAFTEN:

Die transitiven Basisverben der Bildungen mit dem Präfix miss- vererben ihre syntaktischen Eigenschaften. Präfigierungen mit ver- verlieren eventuelle Objektstellen der Basisverben, müssen aber durch sich ergänzt werden. WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; (sich) ver- PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Verben dieses Typs bezeichnen eine unbeabsichtigte Fehlleistung. Die Basisverben bezeichnen Handlungen, deren normale Ausführung zu einem erwartbaren Resultat fuhrt. Das Verfehlen dieses angestrebten Ziels ist mit einer negativen Bewertung verbunden: sich versprechen, sich verplappern, sich verquatschen, sich verwählen, sich verlaufen, sich verfahren, sich verfliegen, sich verrechnen, sich verschätzen, sich verkalkulieren, sich verspekulieren, sich vergaloppieren,

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sich verhören, sich vertippen, sich verklingein, sich verzählen, sich verzeichnen, sich vermessen Das Basisverb ist transitiv: etwas verfärben, verformen, verziehen, verblättern, verschneiden MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Präfix ver- tritt an einfache native Verbstämme oder, in wenigen Beispielen, an Fremdwörter mit dem Suffix -ier(en). Das Reflexivum sich kann bei intransitiven Verben als zusätzlicher Indikator des Wortbildungsmusters betrachtet werden. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv. Auffällig ist der analogische Charakter vieler Bildungen. Vgl.: Kommunikation: sich versprechen, verplappern, verquatschen Bewegung in eine Richtung: sich verlaufen, verfahren, verfliegen Planen: sich verplanen, verrechnen, verschätzen, verkalkulieren (2) [SM; miss- PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Sowohl das Basisverb als auch das abgeleitete Verb ist zweistellig und bezeichnet eine Aktivität, in die ein betroffener Aktant einbezogen ist: missdeuten, missinterpretieren, missverstehen, misshandeln Einige Bildungen setzen ein intransitives Basisverb voraus: misslingen, missraten MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

miss- ist ein Präfix, das unbetont ist, wenn es an einfache Verbstämme tritt, betont, wenn der Stamm mit einer unbetonten Silbe beginnt: miss1 deuten 1 miss2verstehen miss'lingen und miss1 raten gehen auf die Basisverben ge'lingen und ge'raten zurück, deren unbetonte Anfangssilbe getilgt wird, sodass das für Präfigierungen unmarkierte Akzentmuster möglich wird. AKTIVITÄT:

Das Muster ist schwach aktiv.

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Kapitel 2

2.4.5 Etwas vollständig tun Die vollständige Durchführung einer Aktivität kann ausgedrückt werden durch ein Muster, das das modifizierende Prädikat VOLLSTÄNDIG enthält: IV (x1 agensi x thema' s) & VOLLSTÄNDIG (s)] (x1^,,,, x2thenu, s) 'ein Aktant verrichtet eine Aktivität vollständig' verspritzen, versprühen abwandern, abhusten durchschneiden, durchbrechen SYNTAKTISCHE EIGENSCHAFTEN:

Das Basisverb vererbt seine syntaktischen Eigenschaften an das abgeleitete Verb. WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; ver- PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Muster drückt aus, dass das Geschehen durchgeführt wird, bis nichts mehr von der Ausgangsform des betroffenen Aktanten übrig bleibt. Als Basis können Verben auftreten, die Geschehen bezeichnen, in deren Verlauf ein betroffener Aktant in kleine Teile zerlegt wird oder seine Existenz verliert: verspritzen, versprühen, verstreuen, verbrennen, verkonsumieren, verspeisen In anderen Fällen entspricht der betroffene Aktant nicht dem des Basisverbs; er wird also mit dem Bildungsmuster eingeführt: Bier saufen Kuchen backen

sein Vermögen versaufen das Mehl verbacken

verheizen, verweben (Wollreste) Auch einige Basisverben mit dem Präpositional-Objekt mit NP verlieren dieses Objekt und fuhren eine Thema-Stelle ein: verwetten, verprozessieren (sein Vermögen), vertelefonieren Um eine Thema-Stelle muss ferner die semantische Repräsentation intransitiver Basisverben erweitert werden: verprassen, verschlafen, verpennen

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Intransitive Verben können auch ohne Thema-Stelle durch das Prädikat VOLLSTÄNDIG modifiziert werden. Da diese Verben mutativ sind, wählen sie das sem-Perfekt: versickern, verrinnen, verschmachten, verröcheln, verschwinden, verhungern, verdampfen, verkochen, verschmoren MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

ver- ist ein Präfix, das an einfache Verbstämme oder Suffigierungen mit -ieren tritt. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv. (2) [SM; be- PFV] Die Bildungen drücken aus, dass ein Gebiet vollständig in die Bewegung eines Aktanten eingeschlossen ist: bereisen, befliegen, begehen ('eine Einrichtung bewerten') MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Präfix be- tritt an einfache Verbstämme. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist schwach aktiv. (3) [SM; er- PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Muster charakterisiert Tötungsakte: erdrosseln, erdrücken, erstechen, erwürgen Intransitive Verben charakterisieren Prozesse, die mit dem Tod des aktiven Aktanten enden: ertrinken, erlöschen, ersaufen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Präfix er- tritt an einfache Verbstämme. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist inaktiv.

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Kapitel 2

(4) [SM; ab PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Verben dieses Musters bezeichnen Geschehen, in denen ein Aktant einen vorgegebenen Zeitraum oder eine festgelegte räumliche Strecke vollständig überwindet. Zeitraum oder Strecke werden durch das Nomen, das die ThemaStelle besetzt, bezeichnet: absitzen, abbummeln, abwandern In anderen Fällen werden Bestandteile des betroffenen Gegenstandes vollständig entfernt: abessen, abnagen, abernten, abbeeren Möglich sind auch intransitive Verben, die die besondere Intensität des Geschehens hervorheben: abhusten, ablochen, abtanzen, abhacken, abdunsten MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

ab ist eine trennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Muster ist aktiv. (5) [SM; durch PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Verben dieses Typs drücken aus, dass eine Handlung vollständig durchgeführt wird. Das kann bedeuten 'bis eine Teilung des betroffenen Aktanten erreicht ist' {das Blatt durchreißen), 'bis ein ganzer Bereich erfaßt ist' (den Text durchstreichen) oder 'besonders gründlich' (die Hemden durchwaschen). Das Muster ist semantisch ähnlich mit dem Muster 'Alle Phasen eines Geschehens' (durchschlafen, durcharbeiten). Vgl. S . l l l f. durchstreichen, durchwaschen, durchschneiden, durchbrechen, durchtrennen, durchreißen, durchsägen, durchstechen, durchkämmen, durchwaschen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

durch ist eine trennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Muster ist aktiv.

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2.4.6 Etwas unvollständig tun Eine Aktivität kann als nicht vollständig durchgeführt charakterisiert werden, d.h. als nicht bis zum erwartbaren Ende geführt. Das semantische Muster impliziert, dass der vom Verb bezeichnete Vorgang nur einen Teil des Gegenstandes erfasst, den das Nomen bezeichnet, das die Thema-Stelle besetzt. Verben dieses Musters können als privative Gegenstücke zu denen des vorangehenden Musters analysiert werden: [V (x'agens) x'.hem,, s) & (NON (VOLLSTÄNDIG (s)))] (x\gen„ x2them>, s) 'ein Aktant führt eine Handlung nicht vollständig durch' ansägen, annagen SYNTAKTISCHE EIGENSCHAFTEN:

Nach dem Muster zu analysierende Verben sind transitiv. Damit sind sie passiv-fähig, haben attributiv verwendbare Partizipien 2 und wählen das habenPerfekt. WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; an PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Basisverben bezeichnen Arten der Nahrungsaufnahme, handwerkliche, kommunikative oder geistige Aktivitäten: anessen, anbeißen, annagen, antrinken ansägen, anbohren, anfeilen, anschneiden andiskutieren, andeuten, andenken MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

an ist eine trennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv.

2.5 Lokale Modifikation 2.5.1 Lokale Prädikate Lokale Beziehungen betrachten wir als zweistellige lokale Prädikate, die wir verallgemeinernd durch LOC (x1, x2) beschreiben. Ein Gegenstand wird in eine räumliche Beziehung zu einem anderen gestellt. Die semantische Argumentstruktur von lokalen Prädikaten umfasst die semantischen Rollen {Ort, Thema}. Wir erhalten somit die Repräsentationsform:

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Kapitel 2

[LOC (x'ort» Aftern«)] IN (SCHRANK ort, TASSE thcm>) 'durch TASSE charakterisierte Gegenstände befinden sich innerhalb eines durch SCHRANK charakterisierten abgegrenzten Raumes' Syntaktisch entsprechen den lokalen Prädikaten Präpositionalphrasen aus Präpositionen und Nominalphrasen, die in prädikative und attributive syntaktische Strukturen eingebettet werden können: Die Tasse steht im Schrank, die Tasse im Schrank Die Präposition bestimmt die syntaktische Argumentstruktur für die OrtStelle. In unserem Beispiel legt die Präposition in den Dativ fest. Die Themastelle wird als Subjekt oder als Bezugswort eines Attributs realisiert. Für Lokalangaben in Sätzen, d.h. für die lokale Modifikation von Geschehen, ergibt sich die folgende semantische Repräsentation: V ( x 1 , s ) & (LOC (x'ort) x ^ ) (s) Das Auto rostet in der Garage. ROSTEN (AUTO, s) & (IN (GARAGE, AUTO))(s) s kennzeichnet die Referenzstelle des Verbs, d.h. einen durch die Verbbedeutung charakterisierten Sachverhalt. Dieser wird durch weitere sprachliche Angaben, auf die in einer Redesituation gemeinten Sachverhalte eingeschränkt. Die angegebene Repräsentation geht von zwei gleichzeitig geltenden Prädikationen über einen Sachverhaltstyp aus: 'ein Sachverhaltstyp ist durch die mit dem Verbinhalt verbundenen Eigenschaften und zusätzlich durch den Inhalt der lokalen Prädikation gekennzeichnet.' Auf das Beispiel angewendet: 'Ein festgelegter Gegenstand, der durch AUTO charakterisiert ist, ist Aktant in einem Geschehen, das durch ROSTEN charakterisiert ist und zugleich gilt für das Geschehen, dass sich dieser Gegenstand innerhalb der Grenzen eines •durch GARAGE charakterisierten Gegenstandes befindet, der als Ort fungiert.' Typen von lokalen Prädikaten Die räumliche Einordnung von Gegenständen ist eine fundamentale Leistung der Wahrnehmung und kognitiven Verarbeitung der Umwelt durch das menschliche Gehirn. Die Untersuchung dieser Leistung gehört zu den bevorzugten Themen der kognitiven Psychologie. In neuerer Zeit stützen sich auch zahlreiche linguistische Beschreibungen der Bedeutung und des syntaktischen Verhaltens räumlicher Sprachausdrücke auf Ergebnisse der kognitiven Psychologie. Vgl. Bierwisch (1988), Wunderlich/Herweg (1989), Kauffinann (1991). Wir werden bei der Beschreibung semantischer Muster vereinfachte

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Bedeutungsangaben verwenden. Präzisere Beschreibungen können Spezialuntersuchungen entnommen werden. Wir unterscheiden topologische, direktionale und Wegstrecken-Einordnungen. Eine topologische Einordnung liegt vor, wenn ein Gegenstand relativ zu einem als Bezugsort gedeuteten Gegenstand eingeordnet wird. In einer direktionalen Einordnung ist der Bezugsort Ausgangs- oder Endpunkt der Bewegung eines Gegenstandes. Wegstreckeneinordnungen kennzeichnen abgegrenzte Strecken auf einem Weg, den ein bewegter Gegenstand durchläuft. topologisch: Das Auto steht in der Garage. direktional: Das Autoföhrt in die Garage. Wegstrecke: Das Auto fährt durch die Stadt. Topologische Einordnung Topologische Einordnungen nehmen die Präpositionen in, an, auf, vor, hinter, über, unter vor. Diesen Präpositionen entsprechen lokale Prädikate mit folgenden Bedeutungen: Wir vernachlässigen hier die Probleme, die sich aus der stark kontextabhängigen Interpretation von lokalen Prädikaten ergeben. Auf die Unterscheidung zwischen deiktischer und intrinsischer Perspektive können wir verzichten, weil in semantischen Mustern für Wortbildungen nur die intrinsische Perspektive eine Rolle spielt, d.h. eine räumliche Einordnung, die konzeptuell mit den Gegenständen verbunden ist, die den Ort der lokalen Prädikation bilden. Vgl. zu dieser Problematik Grabowski/Harras (1998). Berücksichtigt werden nur Prädikate, die in Wortbildungsmustern vorkommen. IN: Der Bezugsort ist ein abgegrenzter Raum. Es wird ausgedrückt, dass sich ein Gegenstand innerhalb der Grenzen dieses Raumes befindet. Das Auto steht in der Garage. AN: Bezugsort ist die äußere Begrenzung eines Gegenstandes. Es wird ausgedrückt, dass sich ein anderer Gegenstand unmittelbar, meist in Kontaktstellung, an dem Bezugsort befindet. Dabei wird eine horizontale Perspektive gewählt. Das Auto steht an der Garage. VOR: Setzt die Dimension VOR einer intrinsischen räumlichen Einordnung des Gegenstandes voraus, der den Lokalisierungsort bildet.

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Das Auto steht vor der Garage 'das Auto steht an der Einfahrt der Garage'. Aus rein deiktischer Perspektive könnte es auch zwischen Betrachter und der Rückseite einer Garage stehen. AUF: Setzt wie AN unmittelbares Zusammentreffen eines Gegenstandes mit der äußeren Abgrenzung eines anderen Gegenstandes voraus, der als Bezugsort gilt. Im Unterschied zu AN verlangt AUF die vertikale Perspektive. Es wird ausgedrückt, dass sich der einzuordnende Gegenstand oberhalb des Bezugsortes befindet. Das Auto steht auf der ersten Plattform. ÜBER: Setzt die vertikale Perspektive mit der Blickrichtung nach oben voraus. Der einzuordnende Gegenstand ist höher positioniert als der Bezugsort. Die Bedeutung deckt sich mit der von AUF. Im Unterschied zu AUF drückt ÜBER keinen Kontakt aus. Das Auto steht über der ersten Plattform. UNTER: In diesem Falle richtet sich der Blick nach unten. Der einzuordnende Gegenstand befindet sich tiefer als der Bezugsort. Das Auto steht unter der ersten Plattform. Direktionale Einordnung Alle aufgeführten Präpositionen können auch direktionale Einordnungen vornehmen. Präpositionen, die nur direktional verwendet werden können, sind zu und nach. Der Unterschied zwischen den beiden Einordnungsmöglichkeiten wird systematisch durch den Dativ bei topologischer Einordnung und den Akkusativ bei direktionaler ausgedrückt. Der Unterschied ergibt sich aus der Abhängigkeit der direktionalen Interpretation von Bewegungen. Direktionale Einordnungen setzen Bewegungsverben oder entsprechende implizite Interpretationen voraus. Bewegungsverben können direktional und topologisch modifiziert werden. Statische Verben lassen nur eine topologische Modifikation zu: Das Boot liegt im Hafen. Das Boot fahrt im Hafen.

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Das Boot fährt in den Hafen. *Das Boot liegt in den Hafen. Wir wollen annehmen, dass die Interpretation mit direktionaler Einordnung als das Anstreben oder Zustandekommen eines topologischen Zustands beschrieben werden kann. Dieser Zustand liegt auf dem Wege eines sich bewegenden Gegenstandes. Bewegungsverben mit Richtungsangaben drücken topologische Zustandsveränderungen eines Aktanten aus. Der semantische Unterschied zwischen der topologischen und der direktionalen Einordnung besteht also darin, dass im ersten Fall die räumliche Zuordnung für den Zustand insgesamt oder für alle Phasen eines Geschehens gilt, während eine topologische Einordnung im zweiten Fall die Abschlussphase eines Geschehens bildet: Er läuft auf dem Sportplatz. Er läuft auf den Sportplatz. Im ersten Beispiel wird ausgedrückt, dass ein durch laufen bezeichnetes Geschehen auf einem Sportplatz stattfindet. Die Person, von der die Rede ist, befindet sich während des gesamten Verlaufs des Geschehens an dem angegebenen Ort. Im zweiten Beispiel ändert sich die lokale Einordnung der Person im Verlauf des Geschehens, sie befindet sich zu Beginn des Geschehens noch nicht an dem angegebenen Ort; der Abschluss des Geschehens orientiert sich jedoch am Erreichen dieses Ortes. In anderen Fällen wird die Richtung durch das Verlassen eines Ortes bestimmt: Er springt vom Tisch. Dieser Satz drückt aus, dass eine Person eine durch springen bezeichnete Bewegung ausfuhrt, zu deren Beginn sie auf einem Tisch steht und zu deren Abschluss sie sich nicht mehr an diesem Ort befindet. Richtungsangaben drücken also die Ortsveränderung eines Aktanten im Verlauf eines Geschehens aus. Eine Veränderung des Ortes entlang eines Weges gehört zum Konzept der Bewegung. Alle Bewegungsverben können deshalb direktional modifiziert werden. Man muß jedoch zwischen Bewegungsverben unterscheiden, die die Bewegung des Agens ausdrücken und solchen, die die Bewegung eines Themas bezeichnen: gehen, laufen, springen vs. schieben, stoßen, gießen Mit der direktionalen Modifizierung der Verben, die die Bewegung des Agens bezeichnen, ist die Klassifizierung als transitionales oder mutatives Verb

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verbunden. Viele Bewegungsverben ohne direktionale Modifizierung lassen eine Ausblendung des Weges zu. Das schlägt sich in der Wahl von haben bzw. sein bei der Perfektform nieder. Er fährt einen Volvo. Er hat einen Volvo gefahren. Erfahrt nach Schweden. Er ist nach Schweden gefahren. Um den Prozesscharakter der direktionalen Einordnung herauszustellen, verwenden wir das elementare Prädikat WERDEN: V ( x 1 , s ) & WERD (LOC (x'ort, ¿«„.„J) Wegstreckeneinordnung Eine weitere lokale Einordnung erlauben Präpositionalphrasen mit den Präpositionen durch, über und um. Diesen Präpositionen liegen die Prädikate DURCH, HINÜBER und UM zugrunde, deren Bedeutung wie folgt beschrieben werden kann: DURCH: Setzt die Bewegung eines Aktanten voraus. Der Weg, den der Aktant nimmt, schließt eine Strecke ein, deren Begrenzung der eines Raums entspricht. Das Schiff fahrt durch den Ärmelkanal. Der Bus fahrt durch die ganze Stadt. HINÜBER: Charakterisiert eine Wegstrecke, die AUF oder ÜBER dem Bezugsort verläuft. Das Auto fahrt über die Brücke. Er springt über den Graben. UM: Bezeichnet einen Weg, der ganz oder teilweise der äußeren Begrenzung des Gegenstandes, der den Bezugsort bildet, entspricht. Das Auto fahrt um den Hafen. Der Bus fuhrt um die Unfallstelle. Lokale Beziehungen können Grundlage für übertragene Bedeutungen sein. So charakterisiert das lokale Prädikat IN (x1, x2) die Einordnung eines Gegenstandes in einen als Ort wahrnehmbaren Raum. Sie kann aber auch konkrete und abstrakte Gegenstände in theoretische Gebiete, Institutionen oder Strukturen einordnen. Da semantische Umdeutungen mit allen lokalen Prädikaten

Verbbildung

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verbunden sind, beschreiben wir sie im Zusammenhang mit den Mustern, die lokale Prädikate einschließen. In Verbbedeutungen integrierte lokale Prädikationen Wir unterscheiden drei Möglichkeiten, lokale Prädikationen in Verbinhalte zu integrieren. Diese Möglichkeiten beruhen auf der Argumentstruktur der Verben. 1. Bei intransitiven Verben gibt es nur einen Aktanten, der lokalisiert werden kann: [V & (LOC (ORT, x))] {x ntm , s) 'ein Aktant befindet sich an einem Ort' Das Boot liegt auf. [V & WERD (LOC (ORT, x))] (x^ens, s) 'ein Aktant gelangt an einen Ort' Der Gast reist an. 2. Bei mehrstelligen Verben kann der Aktant, der die Thema-Stelle des Verbs besetzt, lokalisiert werden: Die Kellnerin gießt neuen Wein ein. 'Wein gelangt in einen Ort' Er fährt das Heu ein. 'Heu gelangt in einen Ort' Er baut ein neues Schloss ein. 'Schloss gelangt in einen Ort' Die Bedeutung von gießen in eingießen und die Bedeutung von bauen in einbauen kann auf eine dreistellige semantische Argumentstruktur {Agens, Thema, Ort} zurückgeführt werden, der die syntaktische Argumentstruktur {Subjekt, direktes Objekt, Präpositionalobjekt} zugeordnet ist. Dass diese Verben tatsächlich dreistellig sind, wird deutlich, wenn man die Ort-Stelle weglässt: *Die Kellnerin gießt neuen Wein. *Er baut ein Schloss. Der zweite Beispielsatz wäre korrekt, wenn die Thema-Stelle als effiziertes Objekt gedeutet wird, d.h. als ein Gegenstand, der durch die Aktivität zustande kommt. Diese Bedeutung von bauen unterscheidet sich jedoch von der in unserem Beispiel. Durch die Integration der lokalen Modifikation in die semantische Repräsentation der durch Präpositionen ergänzten Verben fällt die Argumentstelle

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Kapitel 2

für den Ort weg und die Argumentstruktur der nun wortintern lokal modifizierten Verben wird zweistellig. Diese Analyse besagt, dass zweistellige Verben mit integrierter lokaler Prädikation durch eine Umformung dreistelliger Bewegungsverben zustande kommen. Genauer: diese Verben geben das lokale Prädikat mit einer unausgefüllten Ort-Stelle an die semantische Repräsentation des Basisverbs ab und verlieren die Argumentstelle für lokale Prädikationen. V (X »gen» x them«i LOC (x ort, X thema); s ) ^ [V & WERD (LOC (ORT, x2))] ( x 1 ^ , , x2them„ s) 'ein Aktant vollzieht eine Tätigkeit und ein betroffener Aktant gelangt an einen Ort' Der unspezifizierte Ort in der semantischen Repräsentation des Partikelverbs kann durch ein lokales Adjunkt spezifiziert werden: Die Kellnerin gießt neuen Wein in die Gläser ein. Er baut ein neues Schloss in die Tür ein. 3. Eine dritte Möglichkeit besteht darin, dass eine lokale Prädikation mit einer unausgefüllten Thema-Stelle in die semantische Repräsentation des Partikelverbs eingeht und die Ort-Stelle zur Thema-Stelle wird: Er wohnt in einer Villa. Er bewohnt eine Villa. Er klebt einen Streifen über die Schadstelle. Er überklebt die Schadstelle (mit einem Streifen). In beiden Beispielen geht die lokale Modifikation in verallgemeinerter Form in die Verbbedeutung ein. Die Verallgemeinerung besteht darin, dass die Thema-Stelle des lokalen Prädikats nicht besetzt wird. Das so modifizierte Verb benötigt eine Thema-Stelle, die der Aktant besetzt, der die Ortsstelle des lokalen Prädikats inne hat. Das Basisverb im ersten Beispiel verlangt neben der Stelle, die dem Subjekt zugeordnet wird, eine Ort-Stelle für eine lokale Prädikation. Es wird in ein Verb mit der semantischen Argumentstruktur {Agens, Thema} und der syntaktischen Argumentstruktur {Subjekt, direktes Objekt} umgewandelt. V (x1, LOC (x2ort, x1), s) => [V & LOC (x2, THEMA)]

x2them„ s)

Dem Verb des zweiten Beispiels liegt eine dreistellige semantische Argumentstruktur {Agens, Thema, Ort} zugrunde. Das abgeleitete Verb ist dagegen zweistellig. Es übernimmt, wie im ersten Beispiel, den Aktanten, der die Ort-Stelle des lokalen Prädikats einnimmt und überträgt ihm die Thema-Rolle.

Verbbildung

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Die Thema-Stelle des Basisverbs wird zu einer fakultativen adjunktiven Präpositionalphrase. Der Bildungsprozess ist insofern von besonderem Interesse, als die semantische Veränderung hier in einer Umdeutung der semantischen Rollen besteht. Die Sachverhalte, die die Basisverben und die Partikelverben charakterisieren, sind im Wesentlichen die gleichen: drei Aktanten sind in ein mit Bewegung verbundenes Geschehen verwickelt. Dieses Geschehen kann aus verschiedener Sicht betrachtet werden. Zum einen bewegt ein Aktant einen anderen Aktanten zu einem dritten Aktanten, der als Bezugspunkt für eine lokale Einordnung gewählt ist. Zum anderen kann der als Bezugsort betrachtete Aktant auch als der eigentlich von einer Aktivität betroffene Aktant betrachtet werden, in deren semantische Charakterisierung die Bewegungsrichtung eingeht. Der bewegte Aktant wird nun als weniger im Mittelpunkt stehend eingestuft. Es liegt also eine Verschiebung des Betrachtungsfokus vor, die sich syntaktisch dadurch äußert, dass der bewegte Aktant in einer fakultativen Präpositionalphrase als ebenfalls an dem Geschehen beteiligt erwähnt werden kann. Die Präposition mit drückt eben dieses Beteiligtsein als zusätzliche Information aus. Diese semantische Veränderung ist mit dem Unterschied zwischen Aktiv- und Passivsätzen vergleichbar. In Passivsätzen rückt der Aktant, der durch eine Aktivität betroffen ist, in denVordergrund, während der Initiator der Aktivität in den Hintergrund tritt. Wir repräsentieren diese Analyse wie folgt: V (X ggens» x themai L O C ( x o r t , X*), S) = > [V & LOC (x30rt, THEMA)] { x \ t m , x3thema)

Die drei Grundtypen für Verbbildungen mit lokalen Prädikationen betrachten wir als semantische Muster für Partikel + Verb-Bildungen. In einigen Fällen kann ein Nominalstamm an die Stelle des Verbs treten. Da für die Variable LOC zahlreiche lokale Prädikate eingesetzt werden können, ergibt sich eine große Zahl von Möglichkeiten. 2.5.2

Der Agens-Aktant wird lokalisiert

2.5.2.1 Topologische Lokalisierung Das semantische Muster hat für topologische Lokalisierungen die Form: [ V & L O C ( O R T , X)] (Xagens; S>

'ein Aktant befindet sich AN, IN oder AUF einem nicht-spezifizierten Ort' einsitzen, aufliegen, aufsitzen

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Kapitel 2

Eine Abwandlung dieses Musters ermöglicht denominale Bildungen, in denen ein Nomen die Ort-Stelle des lokalen Prädikats besetzt. In diesem Falle enthält das Muster ein elementares Prädikat: [TUN (Xl15ells) & IN/AN/AUF (Nort, x)] (xigens'

)

'ein Agens tut etwas in/an/auf N' zelten, weiden SYNTAKTISCHE EIGENSCHAFTEN:

Bildungen dieses Typs übernehmen die syntaktischen Eigenschaften der Basiswörter. Die denominalen Verben sind intransiv und bilden die Perfektform mit dem Hilfsverb haben. WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) (SM; ein PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

[V & IN (ORT, x)] (Xlgen5, s) Als Basiswörter kommen nur statische Verben in Frage, die eine Lage kennzeichnen: einsitzen (im Gefängnis), einwohnen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

ein ist eine trennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Es existieren nur wenige lexikalisierte Bildungen. Das Muster ist inaktiv. (2) [SM; PF n ] SEMANTISCHE ANALYSE:

[TUN (xWBS) & IN/AN/AUF (Nort) x ^ , ) ] (* v t m , s) zelten, nisten, horsten, hausen, tafeln, weiden, thronen, saunen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

ein ist eine trennbare Verbpartikel. Bei denominalen Bildungen ist der Stamm des Verbs identisch mit dem des Nomens. AKTIVITÄT:

Es existieren nur lexikalisierte Bildungen. Das Muster ist inaktiv.

Verbbildung

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(3) [SM; an PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

[V & AN (ORT, x)] (Xago,,, s) anliegen, anstehen, ansitzen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

an ist eine trennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Muster ist auf wenige lexikalisierte Bildungen beschränkt. Es ist inaktiv. (4) [SM; auf PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

[V & AUF (ORT, x)] (Xagcn,, s) aufliegen, aufsitzen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

aufist eine trennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Muster ist inaktiv. 2.5.2.2

Direktionale und Wegstrecken-Lokalisierung

2.5.2.2.1 In einen Raum gelangen Die folgenden semantischen Muster haben alle die Grundform: [V & WERD (LOC (ORT,x))] (x w n „ s) Sie unterscheiden sich lediglich durch die Wahl eines direktionalen oder Wegstrecken-Prädikats für die Variable LOC. Wir fuhren nur die Wortbildungsmuster an. SYNTAKTISCHE EIGENSCHAFTEN:

Alle Muster beschreiben intransitive mutative Verben, die das Perfekt mit sein bilden und attributive Partizipien 2 erlauben: der eingetretene Gast die eingesickerte Flüssigkeit

Kapitel 2

86 WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM: IN; ein PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Basisverben bezeichnen Bewegungen eines Aktanten: einlaufen (in den Hafen), einfahren (in den Bahnhof), einrasen (in die Tiefgarage), eintreten (ins Zimmer), eindringen (in eine Wohnung), einsickern (in die Erde), einsteigen (in den Bus), einbiegen (in die Hauptstraße), einfallen (in das Nachbarland), einreisen (in ein Urlaubsland), einwandern (in die Bundesrepublik), eingehen (in die Geschichte), einbrechen (in die Wohnung), einsinken (in den Schlamm) Als umgrenzte Räume können Räume im engeren Sinne, Gefäße, Substanzen, Institutionen, Einordnungsbereiche gelten: in ein Zimmer eintreten in die Schüssel einlaufen in den Sand einsickern in einen Verein eintreten in die Steuergeheimnisse eindringen Als Untermuster behandeln wir Bildungen mit dem Reflexivum sich: sich einfühlen, sich eingraben, sich einmischen, sich eindrängen, sich einbohren, sich einarbeiten, sich einlesen, sich eingewöhnen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

ein ist eine trennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv. 2.5.2.2.2 Von einem Raum weg gelangen (2) [SM: NON (ES); aus PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Bewegung ist dadurch charakterisiert, dass sich ein Aktant zu Beginn des Geschehens in einem abgegrenzten Raum befindet und sich im Verlauf des Geschehens von diesem Ort entfernt: austreten, aussteigen, ausschwärmen

Verbbildung

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Verben dieses Musters können als Gegenstück zu denen mit der Lokalisierung [IN (Ort, x)] verstanden werden (eintreten, einlaufen, einwandern). Deshalb repräsentieren wir LOC als Negation des lokalen Prädikats IN, d.h. als NON (IN). MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

aus ist eine trennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv. 2.5.2.2.3 An einen Ort gelangen (3) [SM: AN; an PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Neben Bewegungsverben (reisen, jagen) treten auch Prozessverben {wachsen, (ge)frieren) als Basis auf: anwachsen, anfrieren, anreisen, anjagen, anmarschieren, ankriechen, ankommen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

an ist eine trennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv. 2.5.2.2.4 Auf einen Ort gelangen (4) [SM: AUF; auf PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Muster setzt Verben voraus, die eine aktive Bewegung eines Aktanten oder einen Zustand, der durch eine solche Bewegung zu Stande kommt, bezeichnen: aufmarschieren, auftreten, aufsitzen, aufspringen, aufhocken, auflaufen, auffahren MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

auf ist eine trennbare Verbpartikel.

Kapitel 2

88 AKTIVITÄT:

Das Muster ist aktiv. 2.5.2.2.5 Aufwärts gelangen (5) [[V (x) & AUFWÄRTS (s)] (x, s); auf PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Richtung wird nicht durch eine Präpositionalphrase, sondern durch das einstellige Prädikat AUFWÄRTS charakterisiert. Dieses kann umschrieben werden durch: 'in vertikaler Perspektive nach oben gerichtet'. Diese Bedeutung haben auch adjunktive Adjektive oder Adverbien wie hoch, aufwärts, nach oben. Als Basisverb treten aktive Bewegungsverben und Verben, die Blickbewegungen einschließen, auf: auffliegen, aufflattern, aufsteigen, aufblicken, aufsehen, aufschauen Der Unterschied zwischen dem einstelligen Prädikat AUFWÄRTS und dem zweistelligen AUF kommt darin zum Ausdruck, dass die einstelligen Prädikate keine Spezifizierung des Bezugsortes zulassen: Er springt vom Bahnsteig auf den Zug auf Er springt vom Stuhl (*auf den Tisch) auf MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

aufist eine trennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv. 2.5.2.2.6 Von einem Ort weg gelangen (6)(a) [SM: NON (AN/AUF); (sich) ver- PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Eine Bewegung ist dadurch charakterisiert, dass ein Aktant sich von einem Ort AN oder AUF dem er sich befindet, weg bewegt. Der Ort, zu dem er sich bewegt, bleibt unspezifiziert: verrutschen, verschwinden, verlassen sich verziehen, sich verkriechen, sich verpissen

Verbbildung

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MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Präfix ver- tritt an einfache Verbstämme. Es kann durch sich ergänzt sein. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist schwach aktiv. (6)(b) [SM; ab PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basisverb bezeichnet Bewegungen des Agens-Aktanten, die von einem Ort weg fuhren: abreisen, abfliegen, abmarschieren, ablaufen, abfließen Nach dem Muster können Verben gebildet werden, die als Negation der Bewegung AN oder AUF einen Ort interpretierbar sind (anreisen, anmarschieren, anfliegen) ausgedrückt wird. Mitverstanden wird, dass die Bewegung mit dem Verlassen eines Ortes beginnt. Eine Spezifizierung des Ortes durch lokale Präpositionalphrasen ist deshalb möglich: Er reist vom Urlaubsort ab. Die Truppe marschiert von der Kaserne ab. MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

ab ist eine trennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Muster ist aktiv. (6)(c)[SM;wegPF v ] SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Basisverben bezeichnen Bewegungen des Agensaktanten: wegfahren, weglaufen, wegrennen, sich wegbewegen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

weg ist eine trennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Muster ist aktiv.

90

Kapitel 2

2.5.2.2.7 Vor einen Ort gelangen (1) [SM: VOR; vor PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Basisverben bezeichnen Bewegungen des Agensaktanten: vortreten, vorkommen, vorfahren, vorrollen, vorspringen, MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

vor ist eine trennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Muster ist aktiv 2.5.2.2.8 Vorwärts gelangen (8) [[V (x) & VORWÄRTS (s)] (x,s); vor PFV] Ein Bewegungsverb wird durch das einstellige direktionale Prädikat VORWÄRTS modifiziert, das der Bedeutung der Adverbien vorwärts und nach vorn entspricht: vorrücken, vordringen, vorschnellen, vorpreschen Eine Modifizierung durch eine lokale Präpositionalphrase mit der Präposition vor ist nicht möglich. Es gibt keine entsprechenden Bildungen, die das Prädikat RÜCKWÄRTS voraussetzen. MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

vor ist eine trennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist schwach aktiv 2.5.2.2.9 Über einen Ort gelangen (9) [SM: ÜBER; über PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Basisverben bezeichnen Bewegungen des Agens-Aktanten: überkochen, überlaufen, überfließen, überspringen

Verbbildung

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MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

über ist eine trennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv. 2.5.2.2.10 Hinüber gelangen (10) [[V (x) & WERD (HINÜBER (s))] (x,s); über PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Eine Bewegung wird durch das einstellige Prädikat HINÜBER modifiziert. HINÜBER bedeutet 'von einem Ort zu einem anderen.' Als Basiswörter kommen Verben vor, die eine Bewegung des Agensaktanten bezeichnen: übersiedeln, überlaufen (zum Feind), übertreten (zum Gegner), überspringen (das Feuer - zu den Nebengebäuden) MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

über ist eine trennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Muster ist schwach aktiv. 2.5.2.2.11 Unter einen Ort gelangen (11) [SM: UNTER; unter PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Basisverben bezeichnen Bewegungen des Agensaktanten: unterkriechen, unterschlüpfen, untertauchen, untergehen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

unter ist eine trennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Muster ist schwach aktiv.

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Kapitel 2

2.5.2.2.12 Durch einen Ort gelangen (12) [SM: DURCH; durch PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Basisverben bezeichnen Bewegungen des Agensaktanten: durchkommen, durchlaufen, durchfahren MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

durch ist eine trennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Muster ist schwach aktiv. 2.5.3 Der Thema-Aktant wird lokalisiert Die folgenden semantischen Muster haben die allgemeine Form: [V (x1, x2) & WERD (LOC (ORT, x1))] ( x 1 ^ , x \ t m e s) Sie unterscheiden sich nur durch die Wahl des lokalen Prädikats. SYNTAKTISCHE EIGENSCHAFTEN:

Dem semantischen Muster entsprechen passivfähige transitive Verben. 2.5.3.1 In einen Raum gelangen (1) [SM: IN; ein PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Als Basis kommen vor allem Verben vor, zu deren Bedeutung die Bewegung eines Gegenstandes an einen Ort gehört oder die die Herbeiführung eines entsprechenden Zustands einschließen: einschieben, einordnen, einschrauben, einscharren, einreihen, eingliedern, einfügen, eingraben, einschließen, einfahren, eintrichtern, einbläuen, einfädeln, einritzen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

ein ist eine trennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Muster ist aktiv.

Verbbildung

93

2.5.3.2 Von einem Raum weg gelangen (2) [SM: NON (BS); aus PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Verben dieses Typs können als Gegenwörter zu eingraben, einliefern, eintragen betrachtet werden. ausgraben, ausliefern, ausstrahlen, ausgießen, austragen, ausblasen, ausscheiden, ausreißen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

aus ist eine trennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Muster ist aktiv. 2.5.3.3 An einen Ort gelangen (3)(a) [SM: AN; an PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Als Basis kommen vor allem Verben vor, zu deren Bedeutung die Bewegung eines Gegenstandes an einen Ort gehört oder die die Herbeiführung eines entsprechenden Zustands einschließen: anbinden, anstricken, anhäkeln, angießen, ankleben, anhängen, anknüpfen, anschrauben, anschmieden Eine Besonderheit besteht darin, dass der Lokalisierungsort entweder durch eine lokale Präpositionalphrase oder durch eine Nominalphrase im Dativ spezifiziert werden kann: Sie häkelt einen Rand (an die Decke) an. Sie häkelt (der Decke) einen Rand an. Die Dativergänzung ist jedoch mit einer Interpretation verbunden, die zusätzlich ein possessives Verhältnis zwischen den Aktanten voraussetzt, die in einer lokalen Beziehung stehen. Der Bezugsort wird als Possessor gedeutet, der über einen Gegenstand verfügt. Diese Analyse kann durch das Prädikat HABEN (x'possessor.x^emg) repräsentiert werden. Wir erhalten dann das Muster: [V (x1, x2} & WERD (AN (x3, x2)) & HAB ( x 3 , , ^ ^ , x2)] (x igcns» * possessor? * thcmw

Daraus ergibt sich nach den Zuordnungsregeln die syntaktische Argumentstruktur {Subjekt, indirektes Objekt, direktes Objekt}.

94

Kapitel 2

MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

an ist eine trennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv. ( 3 p ) [[TUN (x1, x2) & MITTELS (N, s) & WERD (AN (ORT, x2))] l * igen» x thema9 s); a n P F N ] SEMANTISCHE ANALYSE:

Eine Tätigkeit, die mit Hilfe eines als Instrument verwendeten Gegenstandes vollzogen wird, fuhrt dazu, dass der von der Tätigkeit betroffene Aktant AN einen Ort gelangt, mit dem er fest verbunden wird: annageln, anpflocken, anketten, anpinnen, anhämmern MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

an ist eine trennbare Verbpartikel. 2.5.3.4 Auf einen Ort gelangen (4) [SM: AUF; auf PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Basisverben bezeichnen Geschehen, in denen ein Agens ein Thema irgendwohin bewegt: aufladen, auflegen, aufsetzen, aufnähen, aufprobieren, aufdecken (Geschirr) MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

au/ist eine trennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Muster ist schwach aktiv. (4)(b) [[TUN (x1, x2) & WERD (AUF (N, x2))] (x1^,,,,, x\„ em „ s); auf PFN] SEMANTISCHE ANALYSE:

Ein Aktant gerät durch die Aktivität eines Aktanten AUF einen durch ein Nomen bezeichneten Ort: aufbahren, aufbocken, auftischen, aufgabeln, aufhalsen

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Verbbildung MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

auf ist eine trennbare Verbpartikel, die hier an Nominalstämme tritt. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist schwach aktiv. 2.5.3.5 Aufwärts gelangen (5) [[TUN (x1, x2) & WERD (AUF (N, x2))]

x'.hem., s); auf PFV]

SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Basisverben bezeichnen Aktivitäten, die den betroffenen Aktanten veranlassen, eine Bewegung zu vollziehen oder solche, in denen der aktive Aktant den betroffenen Aktanten bewegt. Eine Angabe des Ortes, an dem sich der bewegte Aktant vor dem Geschehen befindet, ist möglich. Ausgeschlossen ist dagegen eine Angabe des Ortes, zu dem der Aktant gelangt: Er hebt das Messer vom Fußboden auf. Er hebt das Messer *auf den Tisch auf. MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

auf ist eine trennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist schwach aktiv. 2.5.3.6 Von einem Ort weg gelangen (6)(a) [SM: NON (AN/AUF/IN); ver- PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Bedeutung von Bildungen wie verjagen, vertreiben setzt die Wegbewegung von einem Ort voraus. Zusätzlich wird ausgedrückt, dass der Ausgangsort die normale, traditionelle Lage des Aktanten ist, sodass die Entfernung von dieser Position negativ zu bewerten ist: verjagen, vertreiben, verstoßen, verschieben, verscheuchen, verschleppen, verschlucken, verrücken, verpflanzen, versenken, verstauen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

ver- ist ein Präfix, das an einfache Verbstämme tritt.

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Kapitel 2

AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist schwach aktiv. (6)(b) [SM: NON (AN/AUF); ab PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Als Basisverben kommen alle Verben vor, die die Bewegung eines betroffenen Aktanten bezeichnen oder die die Herbeiführung eines entsprechenden Zustands einschließen: Das Muster charakterisiert die Bewegungsrichtung als von einem Ausgangsort weg verlaufend: abladen, abnehmen, abhacken, abschneiden, abbuchen, absägen, abschlagen, abbeißen, absammeln, abfegen, abbürsten, abernten, abfressen, abknicken, abklemmen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

ab ist eine trennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist stark aktiv. (6)(c)[SM;wegPFv] SEMANTISCHE ANALYSE:

Als Basis kommen vor allem Verben vor, zu deren Bedeutung die Bewegung eines Gegenstandes an einen Ort gehört oder die die Herbeiführung eines entsprechenden Zustands einschließen: wegschubsen, wegstoßen, wegdrängen, wegtragen, wegstellen, wegkippen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

weg ist eine trennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist stark aktiv. 2.5.3.7 Vor einen Ort gelangen (7) [SM: VOR; vor PFV]

Verbbildung

97

SEMANTISCHE ANALYSE:

Als Basis kommen vor allem Verben vor, zu deren Bedeutung die Bewegung eines Gegenstandes an einen Ort gehört oder die die Herbeiführung eines entsprechenden Zustands einschließen: einen Riegel vorschieben, den Schrank vorstellen, eine Kette vorlegen, eine Veranda vorbauen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

vor ist eine trennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Muster ist aktiv. 2.5.3.8 Über einen Ort gelangen (8) [SM: ÜBER; Uber PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Basisverben bezeichnen Aktivitäten, die einen betroffenen Aktanten in eine Richtung bewegen: überziehen, überdecken, überlegen, überhängen, überstülpen, überwälzen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

über ist eine trennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Muster ist aktiv. 2.5.3.9 Hinüber gelangen (9)[[V(x

igen» x po^sessor» * thema > S) & HINUBER (x ponesson 1 ttaem»)] (* «gen» possesson x themi>s)j Über PFy] x

SEMANTISCHE ANALYSE:

Dreistellige Verben, die einen Besitzwechsel bezeichnen, können durch HINÜBER modifiziert werden. Durch diese Modifikation wird die Übergabe eines Gegenstandes an einen neuen Besitzer betont. überbringen, übergeben, überreichen, überschreiben, übertragen

98

Kapitel 2

MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

über ist eine untrennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Muster ist schwach aktiv. 2.5.3.10 Unter einen Ort gelangen (10) [SM: UNTER; unter PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Als Basis kommen vor allem Verben vor, zu deren Bedeutung die Bewegung eines Gegenstandes an einen Ort gehört oder die die Herbeiführung eines entsprechenden Zustands einschließen: untergraben, unterpflügen, unterbringen, unterstellen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

unter ist eine trennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Muster ist schwach aktiv. 2.5.3.11 Durch einen Ort gelangen (11) [SM: DURCH; durch PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Basisverben bezeichnen Aktivitäten in deren Verlauf ein betroffener Aktant bewegt wird: durchschieben, durchreichen, durchwerfen, durchstecken MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

durch ist eine trennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv.

Verbbildung

99

2.5.4 Umformung der Argumentstruktur Dreistellige Verben mit der semantischen Argumentstruktur {Agens, Thema, Ort} werden zu zweistelligen Verben mit der semantischen Argumentstruktur {Agens, Thema}, wobei die Thema-Stelle dem Aktanten zugeordnet wird, dem die Basisverben die Ort-Stelle zuordnen. Der bewegte Aktant wird zu einer beteiligten Größe herabgestuft. Das semantische Muster hat die allgemeine Form: V (x ggens> x themai L O C (X ort, X thema)) s ) —>

[V (x1) & WERD (LOC (x\n, THEMA)] ( x 1 ^ , , x3thema, s) SYNTAKTISCHE EIGENSCHAFTEN:

Aus der semantischen Repräsentation ergibt sich der transitive Charakter der Verben regelhaft. Die unausgefullte Thema-Stelle kann durch eine Präpositionalphrase mit der Präposition mit spezifiziert werden: Der Koch begießt den Braten mit Wein. Sie beschmieren die Wände mit Farbe. 2.5.4.1 In einen Raum gelangen (1) [SM: IN; be- PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Basisverben bezeichnen aktive Bewegungen eines Aktanten: betreten, besteigen, befahren, bereisen, befliegen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Präfix be- tritt an einfache Verbstämme. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist schwach aktiv. 2.5.4.2 An oder auf einen Ort gelangen (2) [SM: be- PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Als Basis kommen Verben vor, zu deren Bedeutung die Bewegimg eines Gegenstandes an einen Ort gehört: bewerfen, begießen, bekleben, bestreuen, beschmieren, bestreichen, bekritzeln, bekleckern, belegen, bepinseln, bemalen, besticken, beziehen

100

Kapitel 2

In den meisten Fällen kommt eine weitere Bedeutungskomponente hinzu, die man durch 'einen markanten Teil der Fläche von x' umschreiben kann. Dadurch kann sich die Bedeutung eines be-Verbs von der einer vergleichbaren Konstruktion mit Richtungsangabe entfernen. Vgl. dazu die folgenden Beispiele: (1)(a) Er wirft einen Stein an die Tür. (b) Er bewirft die Tür mit einem Stein. (2)(a) Er wirft Steine an die Tür. (b) Er bewirft die Tür mit Steinen. (3)(a) Er klebt ein Plakat an die Wand. (b) Er beklebt die Wand mit einem Plakat (4)(a) Er klebt Plakate an die Wand. (b) Er beklebt die Wand mit Plakaten. (l)(b) ist nur sinnvoll, wenn eine mehrmalige Wiederholung der Handlung vorausgesetzt wird. Das kann als eine Umdeutung betrachtet werden, die durch das Äe-Verb erzwungen wird. Wenn ein markanter Teil der Tür betroffen sein muss, kann das nur durch mehrmaliges Werfen erreicht werden. (3)(b) ist nur sinnvoll, wenn ein beachtlicher Teil der Wand betroffen ist. Das macht deutlich, dass das Wortbildungsmuster einen eigenen Status hat. Die hier beschriebene Bedeutungskomponente ist weder in der Bedeutung des Grundverbs noch in der der Präposition enthalten. Damit scheiden sowohl rein syntaktische Erklärungen aus als auch solche, die eine bloße Funktionenkomposition (oder funktionale Komposition) als Beschreibungsgrundlage annehmen. Vgl. Olsen (1995a). MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das semantische Muster wird durch das Präfix be- indiziert. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist stark aktiv. 2.5.4.3 Vor oder auf einen Ort gelangen (3) [SM: VOR/AUF; ver- PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Als Basis eignen sich Verben, die eine Aktivität bezeichnen, in deren Verlauf ein betroffener Aktant an einen Ort gelangt.

Verbbildung

101

Er baut ein Gerüst vor den Eingang. Er verbaut den Eingang (mit einem Gerüst). Er stellt eine Truhe vor die Tür. Er verstellt die Tür (mit einer Truhe). Er hängt eine Decke über das Bild. Er verhängt das Bild (mit einer Decke). Die präfigierten Verben können eine zusätzliche Bedeutungskomponente haben. Die Konsequenzen des Geschehens werden nämlich bewertet. Was verbaut, verstellt oder verhängt ist, erfüllt seine normalen Funktionen nicht. Daraus kann sich eine negative Bewertung ergeben. MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das semantische Muster wird durch das Präfix ver- indiziert. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist schwach aktiv. 2.5.4.4 Über einen Ort gelangen (4)(a) [SM: ÜBER; über- PFV) SEMANTISCHE ANALYSE:

Als Basiswörter kommen Verben in Frage, die eine Aktivität bezeichnen, in deren Verlauf ein betroffener Aktant an einen Ort gelangt: überkleben, übertünchen, überdecken, überstreichen, überpinseln Auch Bewegungsverben sind als Basis möglich. In diesem Falle sind intransitive Verben mit Richtungsangabe vorauszusetzen: V (x'afn» LOC ( z 2 ^ X1), S) [V (I 1 ,,») & WERD (ÜBER (x2ort, x1))] (x1^,,,, x

2

^ s)

überfahren, überrollen, überrennen, überfliegen, überspringen, übergehen Einige Bildungen haben eine Bedeutungskomponente, die als übertragene Bedeutung des lokalen Prädikats ÜBER betrachtet werden kann: 'der aktive Aktant liegt auf einer Skala oberhalb des Standards, der durch den Aktanten gesetzt wird, der die Thema-Rolle einnimmt': übetragen, übersteigen, übertreffen, überwinden Die unterdrückte Thema-Stelle bei transitiven Basis-Verben, kann durch eine adjunktive Präpositionalphrase mit der Präposition mit realisiert werden:

102

Kapitel 2

Er überdeckt die Schadstelle mit einem Tuch Er überfahrt den Hund mit einem Lastwagen. MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

über ist eine unbetonte untrennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Muster ist aktiv. (4)(b) [[TUN (x1 ageos) & WERD (ÜBER (x30rt, N))] (x agens» x tbem«); ü b e r - P F N ] SEMANTISCHE ANALYSE:

Als Variante des vorangehenden Musters können denominale Bildungen betrachtet werden, in denen ein Nomen die Thema-Stelle des lokalen Prädikats ÜBER besetzt: überbrücken, überdachen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Die unbetonte untrennbare Verbpartikel über tritt an einfache Nominalstämme. AKTIVITÄT:

Das Muster ist inaktiv. 2.5.4.5. Unter einen Ort gelangen (5)(a) [SM: UNTER; unter- PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Als Basis kommen vor allem Verben vor, zu deren Bedeutimg die Bewegimg eines Gegenstandes an einen Ort gehört oder die die Herbeiführung eines entsprechenden Zustands einschließen: unterspülen, unterwandern, untergraben, unterschreiben,

unterzeichnen

Viele Bildungen dieses Musters haben übertragene Bedeutungen, d.h., das lokale Prädikat bezeichnet keine lokalen Verhältnisse: Er untergräbt die Autorität seines Vorgesetzten. MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

unter ist eine untrennbare Verbpartikel.

Verbbildung

103

AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist schwach aktiv. (5)(b) [[TUN (x 1 ^,,,) & WERD (UNTER (x3ort, N ) ) ] ^ , , » x3themll); unter- PFN] SEMANTISCHE ANALYSE:

Als Variante des vorangehenden Musters können denominale Bildungen betrachtet werden, in denen ein Nomen die Thema-Stelle des lokalen Prädikats UNTER besetzt. In diesem Falle wird die Aktivität nicht durch ein lexikalisches Verb ausgedrückt: Er baut einen Keller unter das Haus. Er unterkellert das Haus. unterkellern, untermauern, untertunneln, unterstützen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

unter ist eine untrennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Muster ist schwach aktiv. 2.5.4.6 Durch einen Ort gelangen (6) [SM: DURCH; durch- PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Basisverben bezeichnen Aktivitäten eines Aktanten mit oder ohne betroffene Aktanten. In jedem Falle verlangen sie Richtungsbestimmungen. Das semantische Muster integriert das lokale Prädikat DURCH in die semantische Repräsentation des Verbs und macht dessen Ort-Stelle zur Thema-Stelle: durchlaufen, durchbohren, durchstoßen, durchwandern, durchreiten, durchsegeln, durchstreifen

durchschreiten,

Die durch das Muster unterdrückten Thema-Stellen der Basiswörter können durch eine adjunktive Präpositionalphrase mit der Präposition mit sprachlich spezifiziert werden: Er bohrt einen Schraubendreher durch das Leder. Er durchbohrt das Leder mit einem Schraubendreher.

104

Kapitel 2

Einige Bildungen können als Varianten des Musters mit übertragener Bedeutung analysiert werden: durchschauen, durchdenken, durchforsten MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

durch ist eine untrennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Muster ist aktiv. 2.5.4.7 Sich oder etwas um einen Ort herum bewegen (7)(a) [SM; um PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Basisverben bezeichnen Aktivitäten, die entweder Eigenbewegung des Agens oder die Bewegung eines betroffenen Aktanten einschließen: umfahren, umgehen, umfliegen, umbranden, umlaufen, umranken, umschweben, umwehen umbauen, umpflanzen, umgeben, umflechten, umschlingen, umwickeln Auf die unspezifizierte Thema-Stelle des integrierten lokalen Prädikats kann mit einer adjunktiven Präpositionalphrase mit der Präposition mit Bezug genommen werden: Er baut eine Mauer um den Park. Er umbaut den Park mit einer Mauer. MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

um ist eine untrennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Muster ist schwach aktiv. (7)(b) [[TUN (x'^eils) & WERD (UM (x20rt, N»] ( x 1 ^ , , ^ t n J i um- PFN] SEMANTISCHE ANALYSE:

Als Variante des vorangehenden semantischen Musters können denominale Bildungen betrachtet werden, in denen ein Nomen die Thema-Stelle des lokalen Prädikats UM besetzt: umzäunen, umgittern, ummauern, umranden, umgarnen, ummanteln

Verbbildung

105

MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Die untrennbare Verbpartikel um tritt an einfache Nominalstämme. AKTIVITÄT:

Das Muster ist schwach aktiv.

2.6 Phasen eines Geschehens Hier behandeln wir Veränderungen der semantischen Repräsentation des Basisverbs, die nicht einfach als eine zusätzliche Prädikation über den Sachverhalt aufzufassen sind, sondern die den durch das Basisverb charakterisierten Sachverhaltstyp umdefinieren. Zu diesem Typ semantischer Veränderungen rechnen wir Prädikate, die Phasen von Geschehen herausstellen. 2.6.1 Anfang eines Geschehens oder Zustands Es besteht die Möglichkeit, die Anfangsphase eines Geschehens oder verbal gefassten Zustands zu charakterisieren. Wir nehmen ein Prädikatenprädikat BEGINN (P) an, das die Anfangsphase eines Geschehens oder Zustands zu dem Geschehen oder Zustand macht, auf das bzw. den referiert wird: [BEGINN (V (x, s » ] (x, s) 'ein A k t a n t vollzieht die A n f a n g s p h a s e eines Geschehens'

einschlafen, anfahren, aufwachen, losrennen, erstrahlen Durch die Kennzeichnung des Beginns eines Geschehens wird implizit ein Zustandswechsel des Hauptaktanten ausgedrückt. Vor Beginn des Geschehens hat er sich in einem Zustand befunden, der komplementär zu dem Zustand ist, der mit dem beginnenden Geschehen verbunden ist. Er schläft ein. 'er war zuvor wach' Das Autoföhrt an. 'es hat zuvor gestanden' Sie wacht auf 'sie hat zuvor geschlafen' Während einschlafen und aufwachen einen Wechsel zwischen zwei Zuständen bezeichnen, charakterisert anfahren den Übergang von einem Ruhezustand zu einem Geschehen. Das Prädikat kann nicht an punktuelle oder egressive Verben treten, d.h. solche, die bereits eine Phasencharakteristik enthalten: *einblitzen, *anstoppen, kaufenden, *anschließen Auch Verben, die Prozesse charakterisieren, sind nicht als Basis zugelassen: *anhärten, *anweichen

106

Kapitel 2

Mit dem Prädikat BEGINN ist ein Wechsel der semantischen Kategorie verbunden. Nach dem Muster gebildete Verben sind mutative Verben. Das drückt sich in Beschränkungen für die Wahl zeitlicher Modifikatoren aus. Während die Basisverben Bestimmungen der Dauer zulassen, gilt das für die abgeleiteten Verben nicht: Er schläft fiinf Minuten lang. *Er schläft fünf Minuten lang ein. Sie wacht eine Nacht lang. *Sie wacht eine Nacht lang auf. Er fahrt zehn Minuten lang. *Er fährt zehn Minuten lang an. Er läuft eine Stunde lang. *Er läuft eine Stunde lang los. SYNTAKTISCHE EIGENSCHAFTEN:

Basisverben und abgeleitete Verben sind intransitiv. Der durch das Muster bewirkte semantische Kategorienwechsel hat zur Folge, dass das Perfekt mit dem Hilfsverb sein gebildet wird und dass Partizipien 2 attributiv verwendet werden können. Damit sind Unterschiede zu den Basisverben möglich: Er hat geschlafen. Er ist eingeschlafen. *der geschlafene Pförtner der eingeschlafene Pförtner WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; ent- PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Nach dem Muster gebildete Verben bezeichnen den Übergang von einem Vorzustand in das vom Basisverb bezeichnete Geschehen: entbrennen, entschlafen, entflammen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das semantische Muster wird durch das Präfix ent- indiziert. AKTIVITÄT:

Das Muster ist inaktiv. Es existieren nur wenige lexikalisierte Bildungen.

Verbbildung

107

(2) [SM; er- PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Bildungen bezeichnen das Eintreten eines vom Basisverb bezeichneten Zustands oder Geschehens: erstrahlen, erglänzen, erldingen, erblühen, erglühen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das semantische Muster wird durch das Präfix er- indiziert, das an einfache Verbstäxnme tritt. AKTIVITÄT:

Das Muster ist inaktiv. (3) [SM; ein PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Bildungen bezeichnen den Übergang eines Aktanten in einen Zustand: einschlafen, einnicken, einschlummern MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

ein ist eine trennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Muster ist inaktiv. (4) [SM; los PFV ] SEMANTISCHE ANALYSE:

Der Beginn eines Geschehens kann generell mit der Verbpartikel los ausgedrückt werden: loslaufen, losschreien, losschlagen, losfahren, losarbeiten MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

los ist eine trennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Bildungsmuster ist stark aktiv.

Kapitel 2

108 (5) [SM; an PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basisverb bezeichnet Bewegungen. Das Muster charakterisiert die Anfangsphase von Bewegungen: anlaufen, anfahren, anrollen Als eine spezielle Ausprägung des semantischen Musters kann die Bedeutung von Bildungen analysiert werden, die den Beginn einer Saison ausdrücken, die durch das Geschehen, das das Basisverb bezeichnet, charakterisiert ist: anrudern anheizen anbaden

'Beginn der Rudersaison' 'Beginn der Heizperiode' 'Beginn der Badesaison in Freibädern'

MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

an ist eine trennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv. (6) [SM; auf PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Muster bezeichnet das Eintreten des vom Basisverb bezeichneten Zustands: aufblühen, aufkeimen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

auf ist eine trennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Muster ist inaktiv. 2.6.2 Ende eines Geschehens oder Zustands Das Prädikatenprädikat ENDE (P) charakterisiert die Endphase eines Geschehens oder verbal gefassten Zustands. Es geht ein in das semantische Muster: [ENDE (V (x, s))] (x, s) 'ein Aktant vollzieht die Endphase eines Geschehens' ausrollen, abheilen, verblühen

Verbbildung

109

Implizit wird ein Vorzustand vorausgesetzt, in dem das durch das Basisverb charakterisierte Geschehen abläuft, sowie ein Nachzustand, in dem das Geschehen abgeschlossen ist. Während die Basisverben einen Verlauf bezeichnen, charakterisiert das Muster eine Transition, d.h., die nach dem Muster zu analysierenden Verben charakterisieren Prozesse. Dieser semantische Kategorienwechsel von Vorgängen in Prozesse drückt sich in Beschränkungen für temporale Modifizierungen aus. Die Rose blüht eine Woche lang. "Die Rose verblüht eine Woche lang. Das Fahrzeug rollte drei Stunden lang. *Das Fahrzeug rollte drei Stunden lang aus. SYNTAKTISCHE EIGENSCHAFTEN:

Das Muster beschreibt intransitive Prozessverben, die mit einem Zustandswechsel enden. Verben dieses Typs sind nicht passivfähig, bilden das Perfekt mit sein und lassen attributive Verwendung des Partizip 2 zu. WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; ver- PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basisverb charakterisiert Vorgänge. Verben dieses Musters bezeichnen die Endphase eines Vorgangs: verblühen, vergehen, verglimmen, verglühen, verhallen, verrauschen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das semantische Muster wird durch das Präfix ver- indiziert, das an einfache Verbstämme tritt. AKTIVITÄT:

Das Muster beschreibt nur lexikalisierte Bildungen. Es ist inaktiv. (2) [SM; aus PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Muster charakterisiert den Übergang von Vorgängen, meist Bewegungen, in einen Ruhezustand: ausklingen, auspendeln, auslaufen, ausrollen

110

Kapitel 2

MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

aus ist eine trennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Muster ist aktiv. (3) [SM; ab PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Muster bezeichnet die Endphase von Aktivitäten, auch einer Saison von Aktivitäten: abklingen, abebben, abrudern, abbaden MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

ab ist eine trennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Muster ist aktiv. 2.6.3 Punktuelles Geschehen Das Prädikatenprädikat PUNKTUELL (P) charakterisiert eine kurze Phase eines Geschehens. Es werden ein Vor- und ein Nachzustand vorausgesetzt, in denen der durch das Basisverb bezeichnete Vorgang nicht abläuft. Das Geschehen wird jedoch nicht zu einem Prozess, d.h. zur Charakterisierung eines Übergangs in einen veränderten Zustand. [PUNKTUELL (V (x, s))] (x, s) 'ein Aktant vollzieht eine begrenzte Phase eines Geschehens' aufschreien, aufheulen, aufblitzen SYNTAKTISCHE EIGENSCHAFTEN:

Verben dieses Typs erben die syntaktischen Eigenschaften der intransitiven Basisverben. WORTBILDUNGMUSTER:

(1) [SM; auf PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Basisverben bezeichnen vor allem optische und akustische Vorgänge:

Verbbildung

111

aufschreien, aufheulen, aufkreischen, aufbellen, aufatmen, aufblitzen, aufschrecken, auffahren MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

auf ist eine trennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungmuster ist aktiv. 2.6.4 Alle Phasen eines Geschehens Das relationale Prädikatenprädikat (VON-BIS (BEGINN, ENDE)) (P) charakterisiert eine ganze Strecke, die durch einen Anfang und einen angenommenen Abschluss charakterisiert ist. [(VON-BIS (BEGINN, ENDE)) (V (x, s)] (x, s) 'ein Aktant vollzieht ein Geschehen vom Anfang bis zum Ende' Wir feiern durch. 'Wir feiern die vorgesehene Zeitspanne, ohne Unterbrechung' SYNTAKTISCHE EIGENSCHAFTEN:

Das Muster verändert die syntaktischen Eigenschaften des Basiswortes nicht. WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; durch PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Als Basis kommen intransitive Verben vor: durcharbeiten, durchschlafen, durchsaufen, durchjammern, durchfahren MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

durch ist eine trennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Muster ist aktiv.

durchheulen,

112

Kapitel 2

2.7 Beziehungen zwischen Sachverhalten gleichen Typs Eine Reihe von Bildungsmustern setzt Beziehungen zwischen Sachverhalten gleichen Typs voraus. 2.7.1 Ein Geschehen verläuft vor einem Hauptgeschehen Das Muster bringt zum Ausdruck, dass ein durch die Verbbedeutung charakterisierter Geschehenstyp einem Sachverhalt zuzuordnen ist, der zeitlich vor einem Sachverhalt s' gleichen Typs abläuft, der als Hauptgeschehen gilt. VORt ist ein Prädikat, das eine temporale Beziehungen zwischen zwei Geschehen ausdrückt. Ein Geschehen s läuft auf der Zeitskala früher ab als ein nicht spezifiziertes Bezugsgeschehen s'. Die Bedeutungskomponente 'früher als ein Hauptgeschehen' modifiziert den Verbinhalt: [V (x 1 agensi

( x «gen» ( x thcmai) s )

'ein Aktant vollzieht ein durch V bezeichnetes Geschehen s, das vor einem unspezifizierten Bezugsgeschehen s' abläuft' vorgehen vorfahren vorwaschen vorstreichen

'gehen bevor alle anderen gehen' 'fahren bevor alle anderen fahren' 'etwas vor der Hauptwäsche waschen' 'etwas vor dem Hauptanstrich streichen'

SYNTAKTISCHE EIGENSCHAFTEN:

Nach dem Muster zu analysierende Verben behalten die syntaktischen Eigenschaften der Basisverben. WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; vor PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Als Basiswörter kommen einstellige und mehrstellige Bewegungs- und Handlungsverben vor: vorgehen, vorarbeiten, vorfahren, vorwaschen, vorkosten, vorstreichen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

vor ist eine trennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Muster ist aktiv.

Verbbildung

113

2.7.2 Ein Geschehen verläuft nach einem Hauptgeschehen Ein weiteres Muster charakterisiert ein Geschehen s, das später als ein Hauptgeschehen s' verläuft. Es wird vorausgesetzt, dass das Hauptgeschehen misslungen ist. Das nachträgliche Geschehen gleicht einen Mangel, eine Unvollkommenheit aus: agens' ( x them») s ) & NACH, (s', S)] (* igen» ( x themv) s )

'ein Aktant vollzieht ein durch V bezeichnetes Geschehen s, das nach einem unspezifizierten Bezugsgeschehen s' abläuft' nachsitzen, nachsenden, nachreichen SYNTAKTISCHE EIGENSCHAFTEN:

Die nach dem Muster zu analysierenden Verben behalten die syntaktischen Eigenschaften des Basiswortes. WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; nach PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Als Basiswörter kommen einstellige und mehrstellige Bewegungs- und Tätigkeitsverben in Frage: nachsitzen, nacharbeiten, nachbessern, nachsenden, nachreichen Beispiele wie nachbessern und nachsitzen machen deutlich, dass das Hauptgeschehen nicht unbedingt dem gleichen Typ wie das Geschehen angehören müssen. Das Muster erlaubt mithin eine bestimmte Variation. MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

nach ist eine trennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Muster ist aktiv. 2.7.3 Ein Geschehen verändert das Resultat von Geschehen Das Muster charakterisiert ein Geschehen, das mit dem Ziel abläuft, das Resultat eines vorausgehenden Geschehens zu verändern:

114

Kapitel 2

[V (X1 ageoi» X themv s) & ANDERN (S, s')] (x'^ens) X2»hem«i s )

'ein Aktant vollzieht ein auf einen betroffenen Aktanten gerichtetes, durch V bezeichnetes Geschehen s und ändert damit das Resultat eines unspezifizierten vorausgehenden Geschehens s" umbauen, umförben, umarbeiten SYNTAKTISCHE EIGENSCHAFTEN:

Die nach dem Muster zu analysierenden Verben behalten die syntaktischen Eigenschaften des Basiswortes. WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; um PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Als Basiswörter kommen mehrstellige Tätigkeitsverben in Frage: umbauen, umförben, umarbeiten, umbetten, umladen, umverteilen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

um ist eine trennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Muster ist aktiv. 2.7.4 Widerruf von Geschehen Das Muster charakterisiert ein Geschehen, dessen Zweck es ist, die mit einem vorausgegangenen Geschehen verbundenen Verpflichtungen oder Rechte aufzuheben: [TUN (x'^gens* x2*,,»,, s) & VOR, (V (X1, x2, s') & WIDERRUF (s')] (x agens) X themi) s)

'ein Aktant vollzieht ein auf einen betroffenen Aktanten gerichtetes Gesehen s, das ein von V bezeichnetes Geschehen s', das zeitlich vor dem Geschehen s verlaufen ist, widerruft' abbestellen, absagen SYNTAKTISCHE EIGENSCHAFTEN:

Das Muster beschreibt transitive Verben, die in den meisten Fällen auf transitive Basisverben zurückgehen.

Verbbildung

115

WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; ab PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Basisverben bezeichnen sprachliche oder andere Handlungen, die mit der Erteilung von Aufträgen oder Funktionen verbunden sind: abbestellen, absagen, abberufen, abwählen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

ab ist eine trennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Muster ist schwach aktiv.

2.8 Wortnegation Das Muster charakterisiert einen Geschehenstyp, der dadurch gekennzeichnet ist, dass die semantische Repräsentation des Basisverbs nicht zutrifft: [NON (V)] (x1,..., s) 'ein Aktant vollzieht ein Geschehen, das durch die Negation des Prädikatkomplexes V charakterisiert ist' misstrauen, missgönnen, missachten Mit der Wortnegation wird ein Sachverhaltstyp herausgestellt. Das gilt für vergleichbare Satznegationen nicht. Vgl.: Das Unternehmen glückt nicht. Das Unternehmen missglückt. Er gönnt ihm seine Erfolge nicht. Er missgönnt ihm seine Erfolge. Er traut seinem Anwalt nicht. Er misstraut seinem Anwalt. Wenn man feststellt, dass ein Unternehmen MISSGLÜCKT, trifft die vorausgesetzte Erwartung, dass es glückt, nicht ein. Die Satznegation ist dagegen schwächer, sie lässt offen, welche Erfolgserwartungen der Sprecher hegt. missglücken wirkt deshalb stärker als nicht glücken. 'Jemandem die Erfolge nicht gönnen' setzt keine Missgunst als psychische Haltung voraus. Genau das wird aber durch missgönnen ausgedrückt. Wer seinem Anwalt misstraut,

116

Kapitel 2

begegnet ihm mit Misstrauen. Traut er ihm dagegen nicht, so kann dies auf Zweifeln beruhen, die noch kein Misstrauen sind. SYNTAKTISCHE EIGENSCHAFTEN:

Die nach dem Muster zu analysierenden Verben erben die syntaktischen Eigenschaften ihrer Basisverben. WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; miss- PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Als Basiswörter kommen vor allem Verben vor, die psychische Zustände von Personen oder das Gelingen von Handlungen bezeichnen: missglücken, missachten, misstrauen, missgönnen, missbilligen, misshagen, missbehagen, misslingen, Das semantische Muster ist vergleichbar mit dem Muster 'etwas FALSCH tun': misshandeln missdeuten missraten missleiten missverstehen

'auf ungewöhnliche Weise behandeln' 'falsch deuten' 'nicht wie erwünscht geraten' 'falsch geleiten' 'falsch verstehen'

MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

miss- ist ein Präfix, das auch an abgeleitete Verbstämme tritt. Tritt das Präfix an einfache Stämme, ist es unbetont. Tritt es an Stämme mit unbetonter Anfangssilbe, ist es betont, aber dennoch nicht trennbar: miss1 trauen, miss1glücken 'missbehagen Einige Bildungen dieses Typs kommen nur als Partizipien vor: missgestimmt, missgelaunt Das Präfix des Stammes entfällt in folgenden Beispielen: gelingen geraten gefallen behagen gefallen

misslingen missraten missfallen misshagen missfallen

Verbbildung

117

AKTIVITÄT:

Das Muster ist auf lexikalisierte Bildungen beschränkt, ist also inaktiv.

2.9 Entstehen und Verursachen von Zuständen 2.9.1 Aktanten nehmen Eigenschaften an Das Muster charakterisiert Prozesse, deren Zielzustand durch eine Eigenschaft ausgedrückt wird, die dem Aktanten des Prozesses zugeschrieben wird: [WERD (A (x)] (Xthem» s ) 'ein Aktant durchläuft einen Prozess, der dazu führt, dass ihm die Eigenschaft A (in zunehmendem Maße) zukommt' Der Apfel fault. faulen, reifen erblinden, ergrauen verarmen, verdummen, verblöden, verbürgerlichen abmagern, abstumpfen aufheitern, aufklaren Man kann zwischen einer absoluten und einer relativen Variante des Musters unterscheiden. Im ersten Falle ist der Zielzustand als Abschluss vorausgesetzt {erblinden, reifen, verblöden), im zweiten Falle wird eine Zustandsfolge vorausgesetzt, in der jeder Folgezustand die Eigenschaft in einem höheren Grad erreicht als der Vorzustand (abmagern, aufklaren). SYNTAKTISCHE EIGENSCHAFTEN:

Nach diesem Muster zu analysierende Verben sind intransitive mutative Verben, die das Perfekt mit sein bilden und attributive Verwendung des Partizips 2 zulassen. WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; PFJ SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Muster charakterisiert Prozesse, deren Zielzustand durch eine Eigenschaft ausgedrückt wird, die dem Aktanten des Prozesses zugeschrieben wird: faul(en), reif(en) MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Muster beschreibt deadjektivische Bildungen ohne morphologischen Indikator.

118

Kapitel 2

AKTIVITÄT:

Das Muster ist inaktiv. (2) [SM; er- PF*] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Muster charakterisiert Prozesse, deren Zielzustand durch eine Eigenschaft ausgedrückt wird, die dem Aktanten des Prozesses zugeschrieben wird: erblinden, ertauben, ergrauen, erstarren, erkalten, erblassen, ermatten, ermüden, erstarken MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

er- ist ein Präfix, das an einfache Adjektivstämme tritt. AKTIVITÄT:

Das Muster ist auf lexikalisierte Bildungen beschränkt. Es ist inaktiv. (3) [SM; (sich) ver- PF*] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Muster charakterisiert Prozesse, deren Zielzustand durch eine Eigenschaft ausgedrückt wird, die dem Aktanten des Prozesses zugeschrieben wird: verarmen, verdummen, verblöden, verelenden, verfaulen, veralten, verdorren, vereinsamen, verfetten, vergilben, verheilen, verknöchern, verrohen, verwelken, verwildern sich verdichten, verdicken, verflüssigen, verfinstern, verkürzen, verlängern MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

ver- ist ein Präfix, das vorwiegend an einfache Adjektivstämme tritt. AKTIVITÄT:

Das Muster ist inaktiv. (4) [SM; ab P F J SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Muster charakterisiert Prozesse, deren Zielzustand durch eine Eigenschaft ausgedrückt wird, die dem Aktanten des Prozesses zugeschrieben wird: abstumpfen, abmagern

Verbbildung

119

MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

ab ist eine betonte, trennbare Verbpartikel, die an einfache Adjektivstämme tritt. AKTIVITÄT:

Das Muster ist inaktiv. (5) [SM; auf PFJ SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Muster charakterisiert Prozesse, deren Zielzustand durch eine Eigenschaft ausgedrückt wird, die dem Aktanten des Prozesses zugeschrieben wird: aufheitern, aufklaren MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

au/ist eine trennbare Verbpartikel, die an einfache Adjektivstämme tritt. AKTIVITÄT:

Das Muster ist inaktiv. (6) [SM; ver- PFN] Semantische Analyse: Das Muster charakterisiert einen Prozess, in dessen Verlauf ein Aktant die Eigenschaften annimmt, die mit einem Nominalkonzept verbunden sind. Das semantische Muster kann als Variante des vorausgehenden Musters betrachtet werden: [WERD (N (x))] (Xthem» S)

'ein Aktant durchläuft einen Prozess, der dazu führt, dass ihm die Eigenschaften von N (in zunehmendem Maße) zukommen' vergreisen, verstädtern, verbauern, verschlampen, verspießern, vertrotteln, versteinern, versumpfen, verlanden, verslumen, verschulen, verdunsten, verschlicken, versnoben, verholzen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

ver- ist ein Präfix, das an Nominalstämme tritt. AKTIVITÄT:

Das Muster ist aktiv. Die Kahlschläge sind verheidet. (Wellershoff, Einladung)

120

Kapitel 2

Manche meinen, es hat keinen Sinn mehr, schöpferisch tätig zu sein. Sie verschnecken sich. (Hoppe, Jubeldeutsch) 2.9.2 Verursachen, dass ein Aktant Eigenschaften annimmt Das Muster ist das kausative Gegenstück zum vorangehenden Muster. Der absolut oder relativ zu einem bestimmten Zustand führende Prozess wird durch die Aktivität eines Aktanten verursacht: [CAUS (TUN (x1^,,,), WERD (A, x\ helM ))] (x^ ell5 , x 2 , ^ s) 'ein Aktant verursacht durch eine Tätigkeit einen Prozess, dessen Zielzustand darin besteht, dass ein Aktant die Eigenschaft A annimmt' etwas etwas etwas etwas

weiten, härten, töten verkleinern, vertiefen erweitern, erhöhen bereinigen, beschönigen

In einigen Fällen können der verursachende und der von dem Prozess betroffene Aktant identisch sein. Das wird durch das Reflexivpronomen sich ausgedrückt: sich verkleinern, sich verbessern, sich erhöhen SYNTAKTISCHE EIGENSCHAFTEN:

Die erste Argumentstelle des Prädikats CAUS enthält eine Agens-Stelle, die, ebenso wie die Thema-Stelle des Prädikats WERD, in die Argumentstruktur des abgeleiteten Verbs übertragen wird. Der semantischen Argumentstruktur {Agens,Thema} entspricht die syntaktische Argumentstruktur {Subjekt, direktes Objekt}. Das Muster beschreibt somit transitive Verben. WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; ver- PFjJ SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Aktivität eines Aktanten verursacht einen absolut oder relativ zu einem bestimmten Zustand fuhrenden Prozess: verkleinern, vergrößern, verschlechtern, verdünnen, vertiefen, verflachen, verdicken, verbilligen, verdichten, verengen, verjüngen, versüßen, verwirren, verdeutschen, vergegenständlichen, versinnbildlichen, verstaatlichen, verweichlichen, verwestlichen

Verbbildung

121

MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Es handelt sich um Präfixbildungen, die Adjektivstämme als Basis haben. Der Adjektivstamm kann durch den Komparativ erweitert sein. Auch derivierte Adjektive kommen als Basis vor. AKTIVITÄT:

Das Muster ist aktiv. (2) [SM; PFA] SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Aktivität eines Aktanten verursacht einen absolut oder relativ zu einem bestimmten Zustand führenden Prozess: weiten, härten, leeren, kürzen, töten, schmälern, bessern MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Bildungen dieses Musters enthalten keinen morphologischen Indikator für das Muster, sie übernehmen Adjektivstämme. In einigen Fällen ist das Adjektiv durch den Komparativ erweitert (schmälern, bessern). AKTIVITÄT:

Das Muster ist inaktiv. (3) [SM; er-PF*] SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Aktivität eines Aktanten verursacht einen absolut oder relativ zu einem bestimmten Zustand führenden Prozess: erhöhen, ermüden, ermuntern, erfrischen, ergänzen, erweitern, ermutigen, ermöglichen, erniedrigen, ertüchtigen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

er- ist ein Präfix, das an Adjektivstämme tritt, die z.T. die Komparativform haben. Auch derivierte Adjektive sind als Basis zulässig. AKTIVITÄT:

Das Muster ist inaktiv. Gelegenheitsbildungen sind jedoch nicht ausgeschlossen: Kunzes Beteuerung erstolzte sie sogar. (V. Braun, Hinze-Kunze-Roman)

122

Kapitel 2

(4) [SM; be-PFJ SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Aktivität eines Aktanten verursacht einen absolut oder relativ zu einem bestimmten Zustand führenden Prozess: befeuchten, befreien, befremden, bereichern, beruhigen, beunruhigen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Muster verwendet das Präfix be- als morphologischen Indikator. Es lässt auch komplexe Adjektive als Basis zu. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist inaktiv. (5) [SM; be- PFA -ig] SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Aktivität eines Aktanten verursacht einen absolut oder relativ zu einem bestimmten Zustand führenden Prozess: beschönigen, bereinigen, besänftigen, begradigen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Muster verwendet ein Zirkumfix be- -ig als morphologischen Indikator. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist inaktiv. (6) [SM; ver- PFN] SEMANTISCHE ANALYSE:

Eine Aktivität führt dazu, dass ein Aktant die Eigenschaften eines Nominalkonzepts annimmt. Das Muster kann als kausatives Gegenstück zu dem Wortbildungsmuster betrachtet werden, das den Bildungen vertrotteln, vergreisen, verbauern zugrunde liegt. [CAUS (TUN (x 1 ^,), WERD (N, x 2 «^.))] ( x1^,,,, X2themt, s) 'ein Aktant verursacht durch eine Tätigkeit einen Prozess, der dazu führt, dass ein betroffener Aktant die Eigenschaften von N annimmt' versklaven, verbeamten, sich verbrüdern, sich verfeinden, vergöttern, verketzern, verteufeln, verkitschen, verjazzen, vergesellschaften, verschulen, verseifen, verwurschten

Verbbildung

123

MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Es handelt sich um Präfixverben mit nominalen Stämmen. AKTIVITÄT:

Das Muster ist aktiv. (7) [SM; PFnJ SEMANTISCHE ANALYSE:

Als Variante des Musters betrachten wir Beispiele, in denen der verursachte Zustand die Teilung eines Ganzen ist: das Erbe dritteln 'in drei Teile zerlegen' den Aufsatz gliedern 'in Glieder zerlegen' dritteln, vierteln, gliedern, teilen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Muster hat keinen morphologischen Indikator. AKTIVITÄT:

Das Muster ist aktiv. (8) [SM; PF n ] SEMANTISCHE ANALYSE:

Vom Basisnomen bezeichnete psychische Zustände des betroffenen Aktanten sind der verursachte Zustand: quälen, langweilen, ärgern Eine Aktivität bewirkt, dass einem betroffenen Aktanten Bewertungen oder andere soziale Eigenschaften zukommen: ehren, rühmen, tadeln, loben, schützen, segnen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das semantische Muster wird morphologisch nicht indiziert. Die phonologische Form des Nominalstamms bildet die phonologische Form des Verbstamms.

124

Kapitel 2

AKTIVITÄT:

Das Muster ist inaktiv. (9) [SM; P F n -ig ] SEMANTISCHE ANALYSE:

Vom Basisnomen bezeichnete psychische Zustände können der verursachte Zustand des betroffenen Aktanten sein: ängstigen, nötigen, peinigen Wir nehmen an, dass die Aktanten identisch sein können, d.h. Er ängstigt seine Nachbarn, und Er ängstigt sich, gehen auf das gleiche Muster zurück. MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das semantische Muster wird durch das Suffix -ig indiziert, das an Nominalstämme tritt. AKTIVITÄT:

Das Muster ist inaktiv. (10) [SM; zer- PFV] Die vom Basisverb bezeichnete Aktivität bewirkt, dass der betroffene Aktant in kleine Teile zerlegt wird, unbrauchbar wird oder aufhört zu existieren. Das Grundmuster hat die Form: [CAUS (V (x1^,,,,), WERD (UNBRAUCHBAR, x\ he[M )] ( x 1 . ^ , x2thelM, s) zerbeißen, zerbomben, zerlesen, zergliedern, zerhacken, zerhauen, zerkauen, zerquetschen, zerreißen, zerschlagen, zerschneiden Auch einige intransitive Verben können durch das Muster beschrieben werden. Da diese Verben mutativ sind, wählen sie das sem-Perfekt. zerbrechen, zerlaufen, zerschmelzen Zu diesem Muster zählen wir auch denominale Bildungen, deren Nomen Gegenstände bezeichnet, in die der betroffene Aktant zerlegt wird. Das semantische Grundmuster nimmt in diesem Fall die Form an: [CAUS (TUN ( x ^ . ) , WERD (N, x\ hemt ))] (x^ eBS , x

2

^ s)

zerfetzen, zerfledern, zerfleischen, zerkörnern, zerlumpen

Verbbildung

125

MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

zer- ist ein Präfix, das an einfache Verb- oder Nominalstämme tritt. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv. (11) [SM; an- PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Muster hat Verben als Basiswörter, die für das Prädikat TUN stehen. Das von den Verben bezeichnete Geschehen verursacht einen durch AN charakterisierten Zustand: [CAUS (V (x1^«,), WERD (ZUSTAND, (x2thelM))] (x 1 ^,,,, x2,helM, s) das Licht anschalten 'durch Schalten verursachen, dass das Licht leuchtet' die Kerzen anzünden 'durch Zünden verursachen, dass die Kerzen brennen' anschalten, anmachen, anstellen, anzünden, anbrennen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

an ist eine trennbare Verbpartikel, die auch selbständig als Prädikativ auftreten kann: Das Licht ist an. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv. (12) [SM; auf PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Durch eine vom Basisverb bezeichnete Aktivität wird der Zustand verursacht; der betroffene Aktant ist GEÖFFNET: aufstoßen, aufbrechen, aufschlagen, aufsägen, aufknacken MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

auf ist eine trennbare Verbpartikel, die auch selbständig als Prädikativ auftreten kann: Die Tür ist auf

126

Kapitel 2

AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv. (13) [SM; zu PFvI SEMANTISCHE ANALYSE:

Durch eine Aktivität wird der Zustand verursacht: der betroffene Aktant ist GESCHLOSSEN: zuschlagen, zukleben, zuschließen, zuschmeißen, zunageln, zuschrauben MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

zu ist eine trennbare Verbpartikel, die auch als Prädikativ verwendet werden kann: Die Tür ist zu. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv. 2.9.3 Verursachen, dass ein Aktant Eigenschaften verliert Das Muster drückt aus, dass eine nicht spezifizierte Handlung dazu fuhrt, dass ein durch ein Geschehen geschaffener Zustand aufgehoben wird. Das Basiswort, das ein Adjektiv, ein Verb oder ein Nomen sein kann, benennt diesen Zustand: [CAUS (TUN (x^ eil ,), WERD (NON (A/V/N), x2«,,,«))] (x1^,,,, x2theml, s) 'ein Aktant verursacht durch eine Tätigkeit, dass ein betroffener Aktant die vom Basiswort bezeichneten Eigenschaften nicht mehr hat' Die Vorschläge entspannen die Lage. 'die Vorschläge verursachen, dass eine Situation entsteht, in der die Lage nicht mehr gespannt ist' sie entßrbt das Tuch. 'sie verursacht durch eine Tätigkeit, dass das Tuch eine Farbe nicht mehr hat' Wer entbürokratisiert die Verwaltung? 'Wer verursacht durch eine Tätigkeit, dass die Verwaltung nicht mehr bürokratisiert ist?' SYNTAKTISCHE EIGENSCHAFTEN:

Das Muster analysiert transitive Verben.

Verbbildung

127

WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; ent- PF^/n]

enthärten, entsichern, entmündigen, entpersönlichen, entheiligen enttarnen, entbürokratisieren, entnazifizieren, entmythologisieren, rifizieren;

entglo-

entfärben, entmannen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

ent- ist ein Präfix, das an Adjektiv-, Verb- oder Nominalstämme tritt. AKTIVITÄT:

Das Muster ist aktiv, besonders mit Basisverben auf -ier. 2.9.4 Verursachen, dass ein Aktant über etwas verfugt Die Tätigkeit eines Agens kann verursachen, dass ein Aktant über einen Gegenstand verfügt: [CAUS (V (X agens)) W E R D (HAB (X2poj8esson ^themi))) ( x igen» x2pos5tssor? ^them»)

'ein Aktant verursacht durch eine Tätigkeit V, dass ein Aktant über einen betroffenen Aktanten verfügt' Der Anwalt erkämpfte seinem Mandanten einen Sieg. vermieten, verleihen erkämpfen, erbetteln beschaffen, besorgen antrainieren, anerziehen aufbürden, aufpfropfen einprägen, eintrichtern Der Possessor kann mit dem Aktanten identisch sein, der Agens der Aktivität ist: Der Boxer erkämpfte sich den Sieg. Bei einigen Verben ist nur Identität der Aktanten möglich: sich etwas erträumen sich einen Bauch anessen SYNTAKTISCHE EIGENSCHAFTEN:

Der semantischen Argumentstruktur {Agens, Possessor, Thema} entspricht die syntaktische Argumentstruktur {Subjekt, indirektes Objekt, direktes Ob

128

Kapitel 2

jekt}. Das indirekte Objekt entfällt oder wird durch das Reflexivpronomen besetzt, wenn Agens und Possessor identisch sind: Er erringt einen Erfolg. Er erkämpft sich seine Rechte. WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; ver- PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Tätigkeit eines Agens verursacht, dass ein anderer Aktant über einen Gegenstand verfugt: vermieten, verleihen, verkaufen, verpachten, vererben MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

ver- ist ein Präfix, das an einfache Verbstämme tritt. AKTIVITÄT:

Das Muster ist aktiv. (2) [SM; er- PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Tätigkeit eines Agens verursacht, dass der Agens-Aktant oder ein anderer Aktant über einen Gegenstand verfügt: erkämpfen, erbetteln, ertanzen, erträumen, erarbeiten, erstreiten, ertrotzen, erkaufen, erramschen, ergaunern, erlügen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

er- ist ein Präfix, das an einfache Verbstämme tritt. AKTIVITÄT:

Das Muster ist aktiv. (3) [SM; be- PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Tätigkeit eines Agens verursacht, dass der Agens-Aktant oder ein anderer Aktant über einen Gegenstand verfügt: beschaffen, besorgen

Verbbildung

129

MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

be- ist ein Präfix, das an einfache Verbstämme tritt. AKTIVITÄT:

Das Muster ist inaktiv. (4) [SM; an PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Tätigkeit eines Agens verursacht, dass der Agens-Aktant oder ein anderer Aktant über einen Gegenstand verfügt: antrainieren, anerziehen, anessen, anfuttern, anlesen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

an ist eine trennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Muster ist aktiv. (5) [SM; auf PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Tätigkeit eines Agens verursacht, dass der Agens-Aktant oder ein anderer Aktant über einen Gegenstand verfügt: aufprägen, aufbürden, aufladen, aufpfropfen, aufzwingen, aufoktroyieren MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

au/ist eine trennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Muster ist aktiv. (6) [SM; ein PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Tätigkeit eines Agens verursacht, dass der Agens-Aktant oder ein anderer Aktant über einen Gegenstand verfugt: einprägen, eintrichtern, einreden, einbläuen

130

Kapitel 2

MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

ein ist eine trennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Muster ist schwach aktiv. (7) [SM; über- PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Tätigkeit eines Agens verursacht, dass ein anderer Aktant über einen Gegenstand verfügt: überbringen, übergeben, überschreiben, überreichen, überspielen, übertragen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

über ist eine untrennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Muster ist aktiv. 2.9.5 Verursachen, dass ein Aktant die Verfügung über etwas verliert Das semantische Muster beschreibt die privativen Gegenstücke zum Muster 'verursachen, dass ein Aktant über etwas verfugt': [CAUS (V ( x ^ ^ W E R D (NON (HAB ( x 1 ^ ^ , x 3 ^ ) ) ] (X agens) * possesson ^ thema)

'ein Aktant verursacht durch eine Tätigkeit V, dass ein Aktant nicht mehr über einen Gegenstand verfügt' abjagen, abkämpfen, abschwindeln entnehmen, entreißen, entlocken; SYNTAKTISCHE EIGENSCHAFTEN:

Die semantische Argumentstruktur {Agens, Possessor, Thema} wird systematisch auf die syntaktische Argumentstruktur {Subjekt, indirektes Objekt, direktes Objekt} abgebildet.

Verbbildung

131

WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; ent- PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Ein Agens-Aktant verursacht durch eine Tätigkeit V, dass ein anderer Aktant nicht mehr über einen Gegenstand verfügt: entreißen, entlocken, entnehmen, entwenden, entwinden, entfiihren, entleihen, entziehen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

ent- ist ein Präfix, das an einfache Verbalstämme tritt. AKTIVITÄT:

Das Muster ist aktiv. (2) [SM; ent- PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Aktivität eines Aktanten fuhrt dazu, dass er nicht mehr in der Verfügung eines anderen Aktanten ist. In diesem Fall ist der Aktant, der die Agens-Rolle einnimmt, mit dem Aktanten identisch, über den ein Aktant, der die Possessor-Rolle spielt, verfügt. Bei Bewegungsverben ist mit dem Prozess implizit die Entfernung von einem Ort verbunden. Durch die Verschmelzung der NON (HABEN)-Prädikation mit dem Verbinhalt entstehen zweistellige Verben, deren semantische Argumentstruktur {Agens, Possessor} ist. Daraus ergibt sich die syntaktische Argumentstruktur {Subjekt, indirektes Objekt} nach den allgemeinen Zuordnungsprinzipien. entfliehen, entlaufen, entkommen, entspringen, entgehen, entschlüpfen, entschweben, entströmen, entweichen, entwischen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

ent- ist ein Präfix, das an Verbalstämme tritt. AKTIVITÄT:

Das Muster ist schwach aktiv.

132

Kapitel 2

(3) [SM; ver- PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

In diesem Muster sind Agens und Possessor identisch. Es werden deshalb nur die Agensstelle und die Themastelle in die semantische Argumentstruktur übernommen. Die syntaktische Argumentstruktur {Subjekt, direktes Objekt} ist voraussagbar. verwetten, verspielen, vertelefonieren, verdösen, verträumen, vertrödeln MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

ver- ist ein Präfix, das an einfache Verbstämme oder an Suffigierungen mit -ier tritt. (4) [SM; ab PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Ein Agens-Aktant verursacht durch eine Tätigkeit V, dass ein anderer Aktant nicht mehr über einen Gegenstand verfugt: abjagen, ablisten, abkämpfen, abschwindeln, abfeilschen, abgaunern MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

ab ist eine trennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv. 2.9.6 Bestandteil von etwas werden Das Muster charakterisiert Prozesse, die dazu fuhren, dass ein Aktant in markanter Weise mit etwas versehen ist, was durch ein Nominalkonzept charakterisiert wird: [WERD (BESTANDTEIL VON (N, x))] (x, s) 'ein Aktant wird mit dem durch N charakterisierten Bestandteil versehen' verstauben, verschlammen, vermodern sich bewölken, sich bedecken SYNTAKTISCHE EIGENSCHAFTEN:

Das semantische Muster beschreibt intransitive Prozessverben, die das Perfekt mit sein bilden und attributive Verwendung des Partizip 2 zulassen. Die Re-

Verbbildung

133

flexivpartikel sich bewirkt die Wahl von haben und verhindert die attributive Verwendung des Partizip 2. WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; ver- PFNJ SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Muster charakterisiert Prozesse, die dazu führen, dass ein Aktant in markanter Weise mit etwas versehen ist, was durch ein Nominalkonzept charakterisiert wird. Bildungen mit dem Präfix ver- drücken aus, dass der Prozess unerwünscht ist: verstauben, verschlicken, verschlammen, versanden, verschimmeln, verrosten, vermodern, verwalden, verunkrauten, vereitern, verkrusten, verschmutzen, vereisen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

ver- ist ein Präfix, das an Nominalstämme tritt. Die meisten Bildungen haben einfache Stämme. Möglich sind jedoch auch komplexe Stämme: verunkrauten AKTIVITÄT:

Das Muster ist aktiv. (2) [SM; sich be- PFN] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Muster charakterisiert Prozesse, die dazu führen, dass ein Aktant in markanter Weise mit etwas versehen ist, was durch ein Nominalkonzept charakterisiert wird: sich bewölken, sich bedecken MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Muster verwendet das Präfix be- und das Reflexivpronomen sich. AKTIVITÄT:

Das Muster ist auf wenige lexikalisierte Verben beschränkt, es ist inaktiv.

134

Kapitel 2

(3) [SM; PFn] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Muster beschreibt Geschehen, die dazu fuhren, dass ein Aktant zunehmend mit Gegenständen versehen ist, die durch das Basisnomen bezeichnet werden: knospen, fussein, keimen, rosten, schimmeln, modern Die Einbeziehung dieser Verben in das semantische Muster 'Aktanten werden Bestandteil von Aktanten' ist insofern zu bedenken, als diese Verben das Perfekt mit haben bilden. Unsere Analyse setzt aber eine Zustandsveränderung voraus und damit den Übergang in die Kategorie mutativer Verben, die ein .sew-Perfekt bilden. MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Muster verwendet keinen morphologischen Indikator. Die abgeleiteten Verben übernehmen den Nominalstamm des Basiswortes. AKTIVITÄT:

Das Muster ist auf lexikalisierte Bildungen beschränkt, es ist also inaktiv. 2.9.7 Bestandteile verlieren Ein Prozess fuhrt dazu, dass ein Aktant, der mit (Bestand)teilen versehen ist, diese verliert. Wir beschreiben den mit dem Prozess verbundenen Zustandswechsel als Negation der Relation BESTANDTEIL VON: [WERD (NON (BESTANDTEIL VON (N, x)))] (x, s) 'ein Aktant durchläuft einen Prozess, der dazu führt, dass die durch N charakterisierten Gegenstände nicht mehr seine Bestandteile sind' haaren, sich häuten, sich pellen SYNTAKTISCHE EIGENSCHAFTEN:

Zu dem Muster gehören neben einigen Verben mit der Reflexivpartikel sich auch solche ohne diese Partikel. Alle Verben des Musters wählen haben als Perfektform.

Verbbildung

135

WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; (sich) PFN] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Muster lässt sich in vielen Beispielen auch als Vorgang deuten, in dessen Verlauf ein Aktant mehr und mehr Bestandteile verliert bzw. absondert: haaren, bluten, qualmen, schleimen, stauben, harzen, duften, krümeln sich häuten, sich pellen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Wortbildungsmuster enthält keinen morphologischen Indikator. Einige Fälle verlangen das Reflexivum sich. AKTIVITÄT:

Das Muster ist inaktiv. 2.9.8 Verursachen, dass ein Aktant etwas als Bestandteil hat Das Muster drückt aus, dass ein Aktant als Folge einer Handlung mit einem vom Basiswort bezeichneten Gegenstand versehen wird. [CAUS (TUN (x1^,,,), WERD (BESTANDTEIL VON (N, x2,hemi)))] AGENS) ^ THEMI; S)

'ein Aktant verursacht durch eine Tätigkeit, dass durch N charakterisierte Gegenstände Bestandteil eines Aktanten werden' kleiden, fiittern, färben vernickeln, versilbern, verchromen bedachen, bestuhlen, bedecken Der Aktant kann auch mit dem Agens der verursachenden Tätigkeit identisch sein: Sie verschleiert sich. Er kleidet sich elegant. Einige Bildungen sind mit Mustern vergleichbar, die die Herbeiführung lokaler Zustände ausdrücken: das Pferd satteln 'einen Sattel auf das Pferd legen' das Haus bedachen 'ein Dach auf das Haus bringen'

136

Kapitel 2

SYNTAKTISCHE EIGENSCHAFTEN:

Das Muster erfasst zweistellige transitive Verben mit der syntaktischen Argumentstruktur {Subjekt, direktes Objekt}, die sich regelhaft aus der semantischen Argumentstruktur {Agens, Thema} ergibt. WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; PF n ] SEMANTISCHE ANALYSE:

Als Basis eignen sich Bezeichnungen für beliebige physikalische Gegenstände: kleiden, satteln, jauchen, rahmen, wachsen, ölen, salben, salzen, pfeffern, würzen, fliesen, kacheln, pflastern, kalken, lacken, krönen, windeln, panzern MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Wortbildungsmuster enthält keinen morphologischen Indikator. Das abgeleitete Verb übernimmt die phonologische Form eines einfachen Basisnomens. AKTIVITÄT:

Das Muster ist aktiv. (2) [SM; ver- PFN] SEMANTISCHE ANALYSE:

Als Basis eignen sich Bezeichnungen für beliebige physikalische Gegenstände: vergittern, vergolden, verzinnen, verrohren,

verschalen, verglasen, verschleiern, verbeulen, verschrammen, verkabeln, verschmutzen, verköstigen, verminen, verzinken, verplomben, vernebeln, verströmen (eine Eisenbahnstrecke), verpflichten

MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das semantische Muster wird durch das Präfix ver- indiziert, das an einfache Nominalstämme tritt. AKTIVITÄT:

Das Muster ist aktiv.

Verbbildung

137

(3) [SM; be- PFN (ig)] SEMANTISCHE ANALYSE:

Als Basis eignen sich Bezeichnungen für beliebige physikalische Gegenstände: bedachen, belasten, bebändern, bebildern, beampeln, beflaggen, bekohlen (eine Lokomotive), bekränzen, bepudern, beschildern, bereifen, besohlen, bespucken, bestuhlen Der Bestandteil ist ein Abstraktum: bezuschussen, beglücken, begrenzen, bemitleiden, beschämen, beschirmen, begnadigen, benachteiligen, beschützen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das semantische Muster wird durch das Präfix be- indiziert, das auch an komplexe Nominalstämme tritt, begnadigen, benachteiligen haben zusätzlich ein Suffix -ig. AKTIVITÄT:

Das Muster ist aktiv. 2.9.9 Verursachen, dass ein Aktant Bestandteile verliert Das Muster beschreibt privative Gegenstücke zum Muster 'verursachen, dass etwas Bestandteil eines Aktanten wird'. [CAUS (TUN (x1,,,,,,), WERD (NON (BESTANDTEILVON (N, x2,hen„))))] ( x igens' * thema)

'ein Aktant verursacht durch eine Tätigkeit einen Prozess, der dazu führt, dass ein durch N bezeichneter Gegenstand nicht Bestandteil eines Aktanten ist' pellen, schälen, köpfen entkernen, enthülsen abpellen, abbalgen, abschälen SYNTAKTISCHE EIGENSCHAFTEN:

Das Muster erfasst zweistellige transitive Verben mit der syntaktischen Argumentstruktur {Subjekt, direktes Objekt}, die sich regelhaft aus der semantischen Argumentstruktur {Agens, Thema} ergibt.

138

Kapitel 2

WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; ent- PFN] SEMANTISCHE ANALYSE:

Als Basis eignen sich Bezeichnungen für beliebige physikalische Gegenstände: entkernen, enthülsen, entsteinen, entrümpeln, enteisen, entgiften, entgräten, entbeinen, enthaaren, entkalken, entrosten, entsaften, entwaffnen, entwanzen, entwurmen Das Prädikat BESTANDTEIL VON ist in Bildungen mit einem Abstraktum als Basiswort mit übertragener Bedeutung zu interpretieren. entmachten, entlasten, entschulden MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das semantische Muster wird durch das Präfix ent- indiziert, das an einfache Nominalstämme tritt, entrümpeln geht auf Gerumpel zurück. Das Präfix des Nominalstammes muss eliminiert werden, um prosodischen Anforderungen zu genügen. AKTIVITÄT:

Das Muster ist aktiv. (2) [SM; ab PFN] SEMANTISCHE ANALYSE:

Als Basis eignen sich Bezeichnungen für beliebige physikalische Gegenstände: abpellen, abbalgen, abschälen, abspecken, abbeeren MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

ab ist eine trennbare Verbpartikel. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv.

Verbbildung

139

(3) [SM; PFn] SEMANTISCHE ANALYSE:

Als Basis treten Wörter auf, die Teile von etwas bezeichnen: schälen, pellen, köpfen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Wortbildungsmuster enthält keinen morphologischen Indikator. Das abgeleitete Verb übernimmt die phonologische Form des einfachen Basisnomens. AKTIVITÄT:

Das Muster ist inaktiv. 2.9.10 Zwei Aktanten verbinden sich miteinander Ein Prozess fuhrt dazu, dass zwei Aktanten fest miteinander verbunden oder vereinigt werden: [WERD (VERBUNDEN (x\ x2)] ( x ^ . , x2,hem„ s) 'ein Aktant wird in einem Prozess mit einem Aktanten verbunden' verschmelzen, verwachsen SYNTAKTISCHE EIGENSCHAFTEN:

Die semantische Argumentstruktur {Thema, Thema} wird syntaktisch durch intransitive Verben abgebildet, deren Subjekt ein im Plural stehendes Nomen oder zwei koordinativ verknüpfte Nominalphrasen bilden: Die Teile verschmelzen. Anfang und Ende verschmelzen. Möglich ist auch die syntaktische Realisierung durch ein Subjekt und eine Präpositionalphrase mit der Präposition mit. Das Prinzip, dass Verben nur eine Argumentstelle für eine semantische Rolle zulassen, wird nicht verletzt, wenn man Koordination von Aktanten und Plural als mögliche Spaltungen einer Stelle betrachtet. WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; ver- PFV]

140

Kapitel 2

SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet Prozesse: verschmelzen, verwachsen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

ver- ist ein Präfix, das an einfache Verbstämme tritt. AKTIVITÄT:

Das Muster ist auf wenige lexikalisierte Bildungen beschränkt, es ist inaktiv. 2.9.11 Verursachen, dass zwei Aktanten verbunden sind Durch eine vom Basisverb bezeichnete Aktivität wird erreicht, dass zwei Aktanten fest miteinander verbunden oder vereinigt werden: [CAUS (V ( x 1 ^ ,

WERD (VERBUNDEN (x\ t l m 3 x3,hem,)))]

(X i i e m X thcmw * them» *)

'ein Aktant verursacht durch eine Tätigkeit V, dass zwei Aktanten miteinander verbunden werden' verschweißen, verrühren SYNTAKTISCHE EIGENSCHAFTEN:

Die semantische Argumentstruktur {Agens, Thema, Thema} wird syntaktisch durch ein Subjekt sowie durch den Plural eines Nomens, durch ein direktes Objekt und eine Präpositionalphrase mit der Präposition mit oder durch zwei koordinativ verknüpfte Nominalphrasen realisiert. Das Prinzip, dass Verben nur eine Argumentstelle für eine semantische Rolle zulassen, wird nicht verletzt, wenn man Koordination von Aktanten und Plural als mögliche Spaltungen einer Stelle betrachtet. Er Er Er Er

verbindet die Enden des Kabels. verbindet zwei Kabel. verbindet das Kabel mit der Steckdose. verbindet das Kabel und die Steckdose.

WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; ver- PFV] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet Aktivitäten, die mit einem Zielzustand verbunden sein können:

Verbbildung

141

verschweißen, vereinigen, verbinden, verkleben, verrühren, verkneten, verflechten, verlöten, vermengen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

ver- ist ein Präfix, das an einfache Verbstämme tritt. AKTIVITÄT:

Das Muster ist aktiv. (2) [SM;ver-PFN] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Muster unterscheidet sich von dem vorangehenden dadurch, dass die Tätigkeit, durch die der Zustand bewirkt wird, zusätzlich durch ein vom Basisnomen bezeichnetes Mittel oder Instrument charakterisiert ist: [CAUS (TUN (x1^«,) & MITTELS (N, s), WERD (VERBUNDEN (x2, x3)))] (x agen» 1 Ibin» * them» ®) 'ein Aktant verursacht durch eine Tätigkeit, die mittels N erfolgt, dass zwei Aktanten miteinander verbunden werden' vernieten, vernetzen, verschrauben, vertäuen, verketten, verquirlen, verzahnen Da das Zusammenbringen von Gegenständen auch lokal interpretiert werden kann, besteht eine Verwandtschaft mit dem Muster, das annageln, anketten, anschrauben zugrunde liegt. Vgl. S. 93 f. MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Wortbildungsmuster wird durch das Präfix ver- indiziert, das an den einfachen Stamm des Basisnomens tritt. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist schwach aktiv.

2.10 Koordinative Verbkomposita Die semantische Repräsentation zweier Verben kann zur Charakterisierung eines Sachverhaltstyps zusammengefasst werden. Wir nehmen ein Muster an, das Repräsenationen von transitiven und intransitiven Verben koordinativ verknüpft:

142

Kapitel 2

[V1 & V'] (x1, (x2,) s) 'ein Aktant vollzieht zugleich V und VJ (mit einem betroffenen Aktanten)' grinskeuchen, stöhnschnappen, rollrasseln Das semantische Muster enthält eine koordinative Verknüpfung, die nicht festlegt, welches von zwei Verben Erstglied bzw. Zweitglied wird. Eine Umkehrung der Reihenfolge ist deshalb ohne Bedeutungsveränderung möglich: Festliche Stimmung schwatzlachte an Bord. Mit schwatzlachen wird ein einheitliches Geschehen charakterisiert, das durch SCHWATZ- und LACH-Aktivitäten charakterisiert ist. Weder eine Reihenfolge noch eine Dominanz des LACHENS über das SCHWATZEN ist festgelegt. Deshalb wäre auch die umgekehrte Reihenfolge möglich: Festliche Stimmung lachschwatzte an Bord. In vielen Fällen wird jedoch eine Informationsgewichtung vorgenommen, die dem Zweitglied Priorität zuweist: Ich streute noch Schweinespeckbrösel knirschkaute genüsslich.

über den Rohkostsalat

und

Die Interpretation des Verbs knirschkauen kann durch eine Paraphrase mit einem weiterfuhrenden Nebensatz verdeutlicht werden: Ich kaute genüsslich den Salat und knirschte dabei. Die Informationsgewichtung kann auch durch Konstruktionen ausgedrückt werden, die grammatische Subordination voraussetzen. So kann das Erstglied in der Form eines Partizip 1 adjunktiv auf das Zweitglied bezogen werden: Ich kaute den Salat knirschend und genüsslich. In diesem Beispiel wird nicht die Art des 'Kauens' charakterisiert, sondern das Geschehen insgesamt wird durch das gleichzeitige Vorhandensein von 'Knirsch-Geräuschen' charakterisiert, die der mit 'Speckbröseln' versehene 'Salat' beim 'Kauen' hervorruft. Dieser Interpretation entspricht die semantische Repräsentation: VJ (x1, x2, s) & V1 (x2, s ) & A(s) 'ein Aktant kaut Salat und der Salat knirscht und der Aktant tut es genüsslich' Der Unterschied zu koordinativen Verbkomposita besteht nur darin, dass die mit dem zweiten Verb verbundene Prädikation hier nicht in die semantische Interpretation des Zweitgliedes integriert ist. Besonders in fachsprachlichen Termini wird das Gesamtgeschehen eher durch das Zweitglied als durch das Erstglied charakterisiert, spülbohren ist

Verbbildung

143

vor allem 'Bohren', das von 'Spülen' begleitet ist und nicht 'Spülen', das von 'Bohren' begleitet ist. Ebenso bezeichnet schwingschleifen ein Gesamtgeschehen, in dem jemand etwas 'schleift', 'jemand schleift etwas und das benutzte Gerät schwingt dabei'. Das Erstglied kann jedoch nicht als Determinativum des Zweitgliedes interpretiert werden, in dem Sinne, dass es sich um eine besondere Art des 'Bohrens' oder 'Schleifens' handelt. Es bezeichnet in jedem Falle eine begleitende Aktivität. Das Erstglied kann auch als Ursache gedeutet werden: brennhärten 'etwas hart machen durch brennen' streckreduzieren 'etwas durch Strecken reduzieren' Diese Deutungsmöglichkeiten lässt die koordinative Verknüpfung zu. Die angeführten Beispiele sind deshalb kein Grund dafür, Verb+Verb-Komposita als Determinativkomposita zu analysieren. SYNTAKTISCHE EIGENSCHAFTEN:

Nach dem Muster gebildete Verben übernehmen, wie alle Komposita, die syntaktischen Eigenschaften des Zweitgliedes. Häufig sind sie auf infinite Verbformen oder auf den substantivierten Infinitiv beschränkt. Finite Formen treten an das Zweitglied: Man fließpresst volle oder hohle Formteile, die prägepolierten Bohrungen streckreduzierte Rohre Sowohl Blechscheiben als aus Blech gezogene Werkstücke können fließgepresst werden. WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM;PFv' + PF v J ] SEMANTISCHE ANALYSE:

Bildungen dieses Typs bezeichnen Geschehen, die durch den gleichzeitigen Verlauf von Geschehen unterschiedlichen Typs charakterisiert sind. Die koordinative Verknüpfung lässt weitere, meist durch Spezialwissen vermittelte Beziehungen zwischen Erst- und Zweitglied offen: grinskeuchen, stöhnschnappen, rollrasseln, schnaufwittern, fluchbeten, lobtadeln; brennhärten, presspolieren, ziehschleifen, sprengnieten, tauchhärten, stanzschneiden, schmelzschweißen

144

Kapitel 2

MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Bildungen dieses Musters setzen sich vor allem aus einfachen Verbstämmen zusammen. Es handelt sich um echte Komposita, deren Erstglied nicht abtrennbar ist. Flexionspräfixe müssen jedoch zwischen den Stamm des Erstund Zweitgliedes treten: fließgedrückt *gefließdrückt AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv, jedoch nur in speziellen Textsorten. Es findet vor allem in Fachsprachen Verwendung sowie in literarischen Texten. In die Umgangssprache gelangen nur wenige Bildungen dieses Typs.

3.

Überblick über die Verbbildung

3.1 Liste der Muster 1. Muster, die die Argumentstruktur von Verben betreffen Einführung einer Thema-Stelle [V (x'agCTS) & AFFIZIER (s, x (1) [SM; be- PFV] (2) [SM; ver- PFV] (3) [SM; aus PFV] (4) [SM; an PFV]

2

^ ] (x\ x2, s) beweinen, beklagen verlachen, verlästern auslachen, ausschimpfen anmeckern, anreden

Einfuhrung einer Ziel-Stelle [V (x agens» (Xfcen»,) S) & Z I E L (S, X 3 )] ( x \ X ^ ,

(1) [SM; zu PFV]

,(X2,) s)

zuwinken, zunicken

2. Muster für Geschehen, die durch typische Aktanten charakterisiert sind wortinterne Besetzung der Thema-Stelle [ T U N (x a g e n s , Nthema* S)] (x a g en5 , s) (1) [SM; PFN] buttern, frühstücken

wie ein N tätig sein [TUN (x'agens (,x2 Ae™), s) & WIE (TUN (Nagens), s)] (x'(x2), s)

Verbbildung

(1) [SM; PFN] (2) [SM; PF n -el]

145

büffeln, bocken sächseln, schwäbeln

sich wie ein N bewegen [TUN (x'agens, s) & BEWEG ( x 1 ^ , s) & WIE (BEWEG (N), s)] (x' agem , s) (1) [SM; PFN]

robben, tigern

tun, was man mit Hilfe eines N tut [TUN (x'agens (,...)) & MITTELS (N, s)] (x'agens (,...), s) (1) [SM; PFN]

feilen, angeln

sich mit Hilfe eines N bewegen [TUN (x'agens (...), s) & BEWEG (x'FTE™, s) & MITTELS (N, s)] (x'agens (...), s) (1) [SM; PFN ] 3.

radeln, kutschen

Modifikationen

ein normales Maß überschreiten [V(x' 2

agens» (x ü,ema,)

s) & ÜBER NORM (s)] (x1 agens> ( x

thema>) s )

(1) [SM; (sich) über- PFV] sich überfressen, überversichern unter einem normalen Maß bleiben [V ( x'agens,

X 2 ,h e m a ,

s) & UNTER NORM (S)] ( x'agens, X^thema, s)

(1) [SM; unter- PFV]

untertreiben, unterbewerten,

in geringem Maße [V (Xagens, S) & GERING (s)] (xagCTS, s) (1) [SM; PFV -el]

hüsteln, tröpfeln

etwas falsch tun [V (x'agCTS (...), s) & FALSCH (s)] ( x ' a g e n s (.••). s) (1) [SM; (sich) ver- PFV] (2) [SM; miss- PFV]

sich versprechen, verlaufen missverstehen, misshandeln

etwas vollständig tun [V (x'agens, x 2 ^ , s) & VOLLSTÄNDIG (s)] (x'agens, x2thema, s)

146

Kapitel 2

(1) [SM; ver- PFV] (2) [SM; be- PFV] (3) [SM; er- PFV] (4) [SM; ab PFV] (5) [SM; durch PFV]

versprühen, verstreuen bereisen, befliegen erstechen, erwürgen absitzen, abbummeln durchreißen, durchsägen

etwas unvollständig tun agens> * thema>

s) & (NON (VOLLSTÄNDIG (s)))] (x agem, x

(1) [SM; an PFV] 4.

thema.

annagen, ansägen

Lokale Modifikation

der Agens-Aktant wird lokalisiert [V & LOC (ORT, x)] (xagens, s) (1)(a) [SM: IN; ein PFV] (b) [SM; PF N ] (c) [SM: AN; an PFV] (d) [SM: AUF; auf PFV]

einsitzen, einwohnen zelten, nisten anliegen, anstehen aufliegen, aufsitzen

[V & WERD (LOC (ORT,x))] (xagens, s) (2) [SM: IN; ein PFV] (3) [SM: NON (IN); aus PFV] (4) [SM: AN; an PFV] (5) [SM: AUF; auf PFV] (6) [SM: AUFWÄRTS; auf PFV] (7)(a) [SM: NON (AN); ver- PFV] (7)(b) [SM; ab PFV] (7Xc) [SM; weg PFV] (8) [SM: VOR; vor PFV] (9) [SM: VORWÄRTS; vor PFV] (10) [SM: ÜBER; über PFV] (11) [SM: HINÜBER; über PFV] (12) [SM: UNTER; unter PFV] (13) [SM: DURCH; durch PFV]

einsteigen, einbiegen austreten, aussteigen anfrieren, anreisen aufsitzen, aufspringen aufsteigen, auffliegen verrutschen abreisen, abfliegen wegfahren, weglaufen vorkommen, vorfahren vorrücken, vordringen überlaufen, überfließen übersiedeln, überlaufen unterkriechen durchlaufen

der Thema-Aktant wird lokalisiert [V & WERD (LOC (ORT, x2))] ( x 1 ^ , x 2 ^ , s) (1) [SM: IN; ein PFV] (2) [SM: NON (IN); aus PFV] (3)(a) [SM: AN; an PFV]

einschrauben ausgraben, ausliefern anbinden, anstricken

s)

147

Verbbildung

(3)(b)[SM: A N ; an P F N ] (4)(a)[SM: A U F ; auf P F V ] (b) [SM: A U F ; auf P F N ] (5) [SM: A U F W Ä R T S ; auf P F V ] (6)(a)[SM: N O N ( A N ) ; ver- P F V ] (6)(b)[SM: N O N ( A N ) ; ab P F V ] (6)(c)[SM: N O N ( A N ) ; weg P F V ] (7) [SM: V O R ; vor P F V ] (8) [SM: Ü B E R ; über P F V ] (9) [SM: H I N Ü B E R ; über- P F V ] (10) [SM: U N T E R ; unter P F V ] (11) [SM: D U R C H ; d u r c h P F V ]

annageln, anketten aufladen, auflegen aufbahren, aufbocken auflagen, aufheben verjagen, vertreiben abhacken, abschneiden wegstoßen, wegdrängen vorschieben, vorlegen überstülpen, überhängen überbringen, übergeben unterpflügen durchstecken

Umformung der Argumentstruktur V (x agens> x thema> LOC (x grt X thema)> ®) ^ [V (x1) & WERD (LOC (x\n, THEMA))] (x\gem, (1) [SM: IN; be- P F V ] (2) [SM: AN/AUF; be- PFV] (3)(a) [SM: VOR; ver- PFV] (3)(b) [SM; vor PFV] (4)(a) [SM: ÜBER; über- PFV] (4)(b) [SM; über- PFN] (5)(a) [SM: UNTER; unter- PFV] (5)(b) [SM; unter- PFN] (6) [SM: DURCH; durch- PFV] (7)(a) [SM: UM; um- PFV] (7)(b) [SM; um- PFN] 5.

s)

betreten, besteigen bewerfen, begießen verbauen, verstellen vorbauen, vorstellen überkleben, übertünchen überbrücken, überdachen unterspülen, untergraben unterkellern, untertunneln durchbohren umfahren, umgehen umzäunen, ummauern

Phasen eines Geschehens

Anfangsphase eines Geschehens [BEGINN (V (x, s))] (x, s) (1) (2) (3) (4) (5) (6)

[SM; ent- PFV] [SM; er- PFV] [SM; ein PFV] [SM; los PFV ] [SM; an PFV] [SM; auf PFV]

Endphase eines Geschehens [ENDE (V (x, s)] (x, s)

entschlafen, entflammen erklingen, erblühen einschlafen, einnicken loslaufen, losschreien anlaufen, anfahren aufblühen, aufkeimen

148

(1) (2) (3)

Kapitel 2

[SM;ver-PFv] [SM; aus PFV] [SM; ab PFV]

verblühen, verglimmen ausklingen, auspendeln abklingen, abrudern

punktuelles Geschehen [PUNKTUELL (V (x, s))] (x, s) (1)

[SM; auf PFV]

aufschreien, aufheulen

alle Phasen eines Geschehens [VON-BIS (BEGINN, ENDE) (V (x, s))] (x, s) (1)

[SM; durch PFV]

durcharbeiten, durchschlafen

6.

Beziehungen zwischen Sachverhalten gleichen Typs

ein Geschehen verläuft vor einem Hauptgeschehen agens» ( x thema») s )

agens»

(1)

[SM;vorPFv]

vorgehen, vorarbeiten

ein Geschehen verläuft nach einem Hauptgeschehen [V(x' agens» (1)

(x2fl,em».) s) & NACH, (s\ s)] (x1agens» ( x

[SM;nachPFv]

thema>) s )

nachsitzen, nacharbeiten

ein Geschehen verändert das Resultat eines Geschehens agens» x'thema» s ) & ÄNDERN (s, s')] (X1 agens» X thema» s ) (1)

[SM; um PFV]

umbauen, umfärben

Widerruf eines Geschehens [TUN (x' p n s , x 2 ^ . , s) & VOR,(V (x1, x2, s')) & WIDERRUF (s')] agens» X thema»

(1)

[SM;abPFv]

7.

Wortnegation

abbestellen, absagen

[(NON (V))] (x',..., s) (1)

[SM; miss-PFV]

missglücken, missachten,

Verbbildung

8.

Entstehen und Verursachen von Zuständen

Aktanten nehmen Eigenschaften an [WERD (A, x)] (x, s) (1) (2) (3) (4) (5) (6)

[SM; PFA] [SM; er- PFA] [SM; (sich) ver- PFA] [SM; ab PFA] [SM; auf PFA] [SM; ver- PFN]

faulen, reifen ergrauen, erstarren, verarmen sich verdichten abstumpfen, abmagern aufheitern, aufklaren vergreisen, verstädtern

verursachen, dass ein Aktant Eigenschaften annimmt [CAUS (TUN (x'agens), WERD (A, x 2 ^ ) ] (x'agens, x (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) (9) (10) (11) (12) (13)

[SM; ver- PFA] [SM; PFA] [SM; er- PFA] [SM; be- PFA] [SM; be- PFA -ig] [SM; ver- PFN] [SM; PFN] [SM; PFN ] [SM; PF n -ig ] [SM; zer- PFV] [SM; an PFv] [SM; auf PFv] [SM; zu PFV]

2

^ s)

verdünnen, vertiefen kürzen, töten erhöhen, ermüden befeuchten, befreien besänftigen, begradigen versklaven, verbeamten dritteln, gliedern quälen, langweilen ängstigen, nötigen zerschmelzen, zerstückeln anschalten, anstellen aufsägen, aufknacken zunageln, zuschrauben

verursachen, dass ein Aktant Eigenschaften verliert [CAUS (TON (x'agens), WERD (NON (A/V/N, x 2 ^ ) ) ] ( x agens' X thema, s )

(1)

[SM; ent- PFA/V/N]

enthärten, enttarnen, entmannen

Verursachen, dass ein Aktant über etwas verfugt [CAUS (V (x'agens)^ WERD (HAB ( x

2

_ x3thema))]

(X agens» X posses&or» X thema)

(1) (2) (3) (4) (5)

[SM; ver- PFV] [SM; er- PFV] [SM; be- PFV] [SM; an PFV] [SM; auf PFV]

vermieten, verleihen erkämpfen, erbetteln, beschaffen, besorgen antrainieren, anerziehen aufbürden, aufladen

150

(6) (7)

Kapitel

[SM; ein PFV] [SM; über- PFV]

2

einprägen, eintrichtern überbringen, übergeben

Verursachen, dass ein Aktant die Verfügung über etwas verliert [CAUS (V ( x ' ^ W E R D (NON (HAB ( x 2 ^ ™

x3ftema))))]

( x agens» X possessor* X thema)

(1) (2) (3) (4)

[SM;ent-PFv] [SM; ent- PFV] [SM; ver- PFV] [SM; ab PFV]

entlocken, entwenden entfliehen, entlaufen verwetten, verspielen abjagen, ablisten

Bestandteil von etwas werden [WERD (BESTANDTEIL VON (N, x))] (x, s) (1) (2) (3)

[SM; ver- PFN] [SM; sich be- PFN] [SM; PFN]

Bestandteile

verwalden, verunkrauten sich bewölken, sich bedecken keimen, rosten

verlieren

[WERD (NON (BESTANDTEIL VON (N, x)))] (x, s) (1)

[SM; (sich) PFN]

haaren, sich häuten

verursachen, dass ein Aktant etwas als Bestandteil hat. [CAUS (TUN (x'ageJ, WERD (BESTANDTEIL VON (N, x2thema)))] ( x ^ . x 2 * , (1) (2) (3)

[SM; PFN] [SM; ver- PFN] [SM; be- PF n (-ig)]

ölen, salben verglasen, verschleiern bedachen, belasten

verursachen, dass ein Aktant einen Bestandteil verliert [CAUS (TUN (x'ageJ, WERD (NON (BESTANDTEIL VON (N, x2thema))))] (x1 X thema)

(1) (2) (3)

[SM;ent-PF N ] [SM; ab PFN] [SM; PFN]

entkernen, enthülsen abbalgen, abschälen schälen, pellen

zwei Aktanten verbinden sich miteinander [WERD (VERBUNDEN (x1, x2)] (x1 ftema, x2thema, s) (1)

[SM; ver- PFy]

verschmelzen, verwachsen

151

Verbbildung

verursachen dass zwei Aktanten verbunden sind [CAUS (V ( x 1 , ^ , x

2

^ , WERD (VERBUNDEN ( x

2

^ x3thema)))]

( x agens* ^ themai * thema»®)

(1) (2)

[SM; ver- PFV] [SM; ver- PFN]

9.

Koordinative Verbkomposita

[V1 & VJ] (x1, (x2,) s)

verschweißen, vereinigen vernieten, vernetzen

grinskeuchen, brennhärten

3.2 Polyfimktionalität der Affixe und Partikeln Nur wenige Affixe bzw. Partikeln indizieren nur ein semantisches Muster: -ig verursachen, dass ein Aktant Eigenschaften annimmt

ängstigen, nötigen

be- -ig verursachen, dass ein Aktant Eigenschaften annimmt

besänftigen, begradigen

durchUmformung der Argumentstruktur zerverursachen, dass Aktant Eigenschaften annimmt losAnfangsphase eines Geschehens nach ein Geschehen verläuft nach einem Hauptgeschehen um ein Geschehen verändert das Resultat

durchlaufen, durchbohren zerhacken, zerfetzen

loslaufen, losschreien nacharbeiten

umfärben

Die große Mehrzahl aller Affixe und Partikeln indiziert mehrere Muster: beEinfuhrung einer Thema-Stelle etwas vollständig tun Umformung der Argumentstruktur 1 Umformung der Argumentstruktur 2 verursachen, dass ein Aktant Eigenschaften annimmt

beweinen, beklagen bereisen, befliegen betreten, besteigen bewerfen begießen befeuchten

152

Kapitel 2

Verfügung über etwas erlangen Bestandteil von etwas werden verursachen, dass ein Aktant Bestandteile hat.

beschaffen, besorgen sich bewölken bedachen

entAnfangsphase eines Geschehens verursachen, dass ein Aktant Eigenschaften verliert Verfügung über etwas verlieren (dir. Objekt) Verfügung über etwas verlieren verursachen, dass ein Aktant Bestandteile verliert

entschlafen, entflammen enthärten, enttarnen entlocken, entreißen entlaufen, entfliehen entkernen, entkorken

etwas vollständig tun Anfangsphase eines Geschehens Aktanten nehmen Eigenschaften an verursachen, dass ein Aktant Eigenschaften annimmt Verfügung über etwas erlangen

erstechen, erschießen erklingen, erblühen ergrauen, erstarren erniedrigen erkämpfen, erbetteln

missetwas falsch tun Wortnegation

missinterpretieren missglücken, missachten

Einführung einer Thema-Stelle etwas falsch tun etwas vollständig tun der Agens-Aktant wird lokalisiert der Thema-Aktant wird lokalisiert Umformung der Argumentstruktur Endphase eines Geschehens Aktanten nehmen Eigenschaften an Aktanten nehmen Eigenschaften an (denominal) verursachen, dass ein Aktant Eigenschaften annimmt verursachen, dass ein Aktant E annimmt (denominal) Verfügung über etwas erlangen Verfugung über etwas verlieren Bestandteil von etwas werden verursachen, dass ein Aktant Bestandteile hat zwei Aktanten verbinden sich miteinander verursachen, dass Aktanten verbunden sind verursachen, dass Aktanten verbunden sind (denominal)

verlachen, verspotten sich versprechen versprühen, verstreuen sich verkriechen verjagen, vertreiben verbauen, verstellen verblühen, verglimmen verarmen, sich verdichten vergreisen, verstädtern verdünnen versklaven vermieten, verleihen verwetten, verspielen verwalden, versanden verglasen verschmelzen, verwachsen verschweißen vernetzen

-el wie ein N tätig sein in geringem Maße

sächseln, schwäbeln hüsteln, lächeln

ab etwas vollständig tun der Agens-Aktant wird lokalisiert

absitzen, abbummeln abreisen, abfliegen

Verbbildung

153

der Thema-Aktant wird lokalisiert Endphase eines Geschehens Widerruf eines Geschehens Aktanten nehmen Eigenschaften an Verfügung über etwas verlieren verursachen, dass ein Aktant Bestandteile verliert

abhacken, abbinden abklingen, abrudern abbestellen, absagen abstumpfen, abmagern abjagen, abnehmen abbalgen, abbeeren

an Einführung einer Thema-Stelle etwas unvollständig tun der Agens-Aktant wird lokalisiert der Thema-Aktant wird lokalisiert der Thema-Aktant wird lokalisiert (denominal) Anfangsphase eines Geschehens verursachen, dass ein Aktant Eigenschaften annimmt Verfügung über etwas erlangen

anlachen, ansprechen annagen, ansägen anfrieren, anreisen anbinden, anstricken anketten, anpflocken anfahren, anlaufen anschalten antrainieren

auf der Agens-Aktant wird lokalisiert (topologisch) der Agens-Aktant wird lokalisiert (direktional) der Thema-Aktant wird lokalisiert der Thema-Aktant wird lokalisiert (denominal) Anfangsphase eines Geschehens punktuelles Geschehen Aktanten nehmen Eigenschaften an verursachen, dass Aktanten E annehmen Verfügung über etwas erlangen

aufliegen, aufsitzen aufspringen aufsetzen, auflegen aufbahren, aufbocken aufblühen, aufkeimen aufschreien aufheitern, aufklaren aufsägen, aufhacken aufdrängen, aufladen

aus Einführung einer Thema-Stelle der Thema-Aktant wird lokalisiert Endphase eines Geschehens

auslachen ausladen, ausliefern auspendeln

durch etwas vollständig tun der Agens-Aktant wird lokalisiert

durchsägen durchkommen

der Thema-Aktant wird lokalisiert alle Phasen eines Geschehens

durchwerfen durchschlafen

ein der Agens-Aktant wird lokalisiert der Agens-Aktant wird lokalisiert (direktional) der Thema-Aktant wird lokalisiert Anfangsphase eines Geschehens Verfügung über etwas erlangen

einsitzen einsteigen, einbiegen einscharren, eingraben einschlafen, einnicken einprägen, eintrichtern

154

Kapitel 2

über der Agens-Aktant wird lokalisiert der Thema-Aktant wird lokalisiert

überlaufen, überfließen überhängen

überein normales Maß überschreiten Umformung der Argumentstruktur Umformung der Argumentstruktur (denominal) Verfugung über etwas erlangen

sich überfressen überkleben überbrücken überbringen

umUmformung der Argumentstruktur Umformung der Argumentstruktur (denominal)

umfahren, umgehen umzäunen, ummauern

unter der Agens-Aktant wird lokalisiert der Thema-Aktant wird lokalisiert

unterkriechen unterpflügen

unterunter einem normalen Maß bleiben Umformung der Argumentstruktur Umformung der Argumentstruktur (denominal)

untertreiben untergraben unterkellern

vor der Agens-Aktant wird lokalisiert der Thema-Aktant wird lokalisiert ein Geschehen verläuft vor einem Hauptgeschehen

vorkommen, vorfahren vorschieben, vorlegen vorarbeiten

weg der Agens-Aktant wird lokalisiert der Thema-Aktant wird lokalisiert

wegfahren, weglaufen wegstoßen, wegdrängen

Einführung einer Ziel-Stelle verursachen, dass ein Aktant Eigenschaften annimmt

zuwinken, zuprosten zuschrauben

Zahlreiche Muster haben keine morphologischen Indikatoren. Die Basis besteht in diesen Fällen nur aus dem Stamm eines Adjektivs oder Nomens: wortinterne Besetzung einer Thema-Stelle wie ein N tätig sein sich wie ein N bewegen tun, was man mit Hilfe eines N tut sich mit Hilfe eines N bewegen der Agens-Aktant wird lokalisiert Aktanten nehmen Eigenschaften an verursachen, dass ein Aktant Eigenschaften annimmt verursachen, dass ein Aktant E annimmt (denominal) Bestandteil von etwas werden

buttern, frühstücken büffeln, beckmessern robben, tigern feilen, angeln radeln, kutschen zelten, nisten faulen, reifen kürzen, töten dritteln, gliedern keimen, rosten

Verbbildung

Bestandteile verlieren verursachen, dass Aktant Bestandteile hat verursachen, dass Aktant Bestandteile verliert

4.

haaren, sich häuten ölen, salben schälen pellen

Literaturauswahl

Allgemein Semantische und syntaktische Beschreibung von Verben: Büring, Daniel (1992) Chomsky, Noam (1986) Davidson, Donald (1967) Dowty, David R. (1989) Eisenberg, Peter (1989) Engelberg, Stefan (1994) Heibig, Gerhard (1992) Jackendoff, Ray (1983), (1991) Higginbotham, James (1985) Levin, Beth (1993) Pustejovsky, James (1991) Riemsdijk, Henk van/Williams, Edward (1986) Vendler, Zenon (1972) Wunderlich, Dieter (1985), (1992) Zifonun u.a. (1997) Verbwortbildung insgesamt: Kühnhold, Ingeburg/Wellmann, Hans (1973) Fleischer, Wolfgang/Barz, Irmhild (1992, S. 289 ff.) Präfigierung, Partikelverben: Eichinger, Ludwig M. (1982) Eroms, Hans-Werner (1980), (1982), (1987) Harnisch, Karl-Rüdiger (1982) Hundsnurscher, Franz (1982) Günther, Hartmut (1974), (1987) Marchand, Hans (1971) Mungan, Güler (1986) Olsen, Susan (1995a), (1995b) Risch, Gabriela (1995)

156

Kapitel 2

Schröder, Jochen (1988) Stiebeis, Barbara (1996) Stiebeis, Barbara/Wunderlich, Dieter (1994) Zifonun, Gisela (1973)

KAPITEL 3

ADJEKTIVBILDUNG 1.

Semantische und syntaktische Eigenschaften von Adjektiven

1.1

Allgemeines

1.1.1 Zur Syntax von Adjektiven Viele der üblicherweise als Adjektiv klassifizierten Wörter können in fünf verschiedenen syntaktischen Konstruktionen verwendet werden, die wir attributiv, appositiv, prädikativ, adjunktiv und adjektivmodifizierend nennen wollen. Wir verzichten hier auf eine genauere syntaktische Analyse im Rahmen einer speziellen Grammatiktheorie und gehen davon aus, dass unsere sehr offen formulierten syntaktischen Angaben ausreichen, um die fünf Positionen hinreichend genau bestimmen zu können. Attributive Verwendung liegt vor, wenn das Adjektiv Bestandteil einer Nominalphrase ist. Das Adjektiv ist in diesem Fall auf ein Nomen bezogen, das den Kern einer Nominalphrase bildet. Attributive Adjektive werden in Abhängigkeit von der Flexion des Nomens und determinierender Einheiten z.B. des Artikels - flektiert. Die Einordnung attributiver Adjektive in Nominalphrasen ist somit im Deutschen morphologisch gekennzeichnet: (einD auserlesenerA Geschmack^NP (derD neueA Direktor^ NP Von appositiver Verwendung spricht man, wenn das zu einer Nominalphrase gehörende Adjektiv dem Nomen nachgestellt ist. In diesem Falle wird es nicht flektiert: (Sein GeschmackN, auserlesenA ,)NP hinderte ihn an einer zu schnellen Entscheidung. Bei prädikativer Verwendung bildet das Adjektiv zusammen mit einem Hilfsverb eine Prädikatphrase, die auf das Subjekt eines Satzes bezogen ist: ((sein Geschmack)NP (istm auserlesen ^VP)Satz ((Der neue Direktor)NP, (istHV strengt VP)Satz

Kapitel 3

158

Von adjunktiver Verwendung sprechen wir, wenn das Adjektiv in die Verbalphrase eines Satzes integriert ist: ((Er)NP(greiftv plötzlichA an.) VP)Satz ((Die Schauspieler)NP( verlassen v schnellA die Bühne.) VP)Sat2 Adjektivmodifizierende Verwendung liegt vor, wenn ein Adjektiv ein anderes Adjektiv, - oder Adverb - , als Bezugswort hat, d.h., wenn es als modifizierendes Element in eine Adjektivphrase eingeht: (außerordentlichA empfindlich¿)Ap (ungewöhnlichA schnell^ AP (starkA verschmutzt 1.1.2 Die Wortart Adjektiv In den meisten Grammatiken werden lexikalische Modifikatoren, die attributiv, appositiv und prädikativ verwendet werden können, als Adjektive klassifiziert, Modifikatoren, die adjunktiv und adjektivmodifizierend verwendbar sind, als Adverbien. Als Adverbien werden darüber hinaus auch Wörter klassifiziert, die Sätze modifizieren: (vermutlichAdv (hat er sich verletzt)Sat2)Satz (gewöhnlichAdv (kommt er zu spät)Satz)Salz Die Klasse der Adverbien ist offensichtlich syntaktisch heterogen. Satzadverbien bilden eine Klasse für sich. Adjunktiver und adjektivmodifizierender Gebrauch sind ebenfalls syntaktisch sehr verschieden. Am schwerwiegendsten ist jedoch, dass auch die klassischen Adjektive in der Regel adjunktiv und adjektivmodifizierend verwendet werden können. Diese syntaktischen Positionen haben somit keine klare distinktive Funktion. Tatsächlich kann die Mehrzahl aller traditionell als Adjektiv klassifizierten Wörter auch Positionen einnehmen, die zur Definition von Adverbien in Anspruch genommen werden, d.h., diese Adjektive können auch adjunktiv oder adjektivmodifizierend verwendet werden: attributiv: prädikativ: adjunktiv: adjektivmodifizierend:

eine feinsinnige Erwiderung Die Erwiderung ist feinsinnig. Sie erwiderte seine Vorwürfe feinsinnig. die feinsinnig erwiderten Vorwürfe

Diese Beispiele verdeutlichen ein Klassifikationsdilemma. Nimmt man die syntaktischen Positionen als Grundlage für die Wortartbestimmung, so könnten mehrere Positionen eine Wortart definieren. Es gibt Wörter, die nur attributiv verwendbar sind:

Adjektivbildung

159

Pariser Gespräche väterliche Wohnung die hiesigen Verhältnisse Andere sind nur prädikativ verwendbar. In der Regel sind prädikativ verwendbare Adjektive jedoch auch attributiv verwendbar. Eine Beschränkung auf die prädikative Verwendung trifft nur auf wenige Wörter zu, die als Ausnahmefalle betrachtet werden können: barfuß, schuld, allein, entzwei Beispiele für nur adjunktiv verwendbare Wörter sind: bereits, stets, links, hier, dort, heute, morgen Nur adjektivmodifizierende Wörter gibt es nicht. Wörter, die diese Funktion ausüben können, sind auch auf gradierbare Verben beziehbar: sehr, besonders, äußerst Die satzmodifizierenden Wörter sind nur zum Teil auf eben diese syntaktische Funktion festgelegt, sie können meist auch attributiv und adjektivmodifizierend verwendet werden: sicherlich), wahrscheinlich, vermutlich, möglicherweise, glücklicherweise, vernünftigerweise Eine strikte Klassifizierung der Modifikatoren nach den genannten syntaktischen Positionen führt zwangsläufig zur Mehrfacheinordnung zahlreicher Wörter in die resultierenden Klassen. Eine Mehrfacheinordnung wird aber auch durch die Annahme zweier Klassen, Adjektive und Adverbien, nicht vermieden, denn aus rein syntaktischer Warte können die meisten Adjektive auch die typischen Positionen von Adverbien einnehmen, nämlich die adjunktive und die adjektivmodifizierende Position. Als Ausweg bietet sich an, eine einzige Wortart anzunehmen, die Wörter umfasst, die alle fünf syntaktischen Funktionen ausüben können. Diese Wortart bezeichnen wir als Adjektiv. Die Beschränkungen einiger Adjektive auf bestimmte syntaktische Funktionen müssen dann als besonderes lexikalisches Merkmal ausgewiesen werden. Adverbien erscheinen dann als Adjektive, die nur adjunktiv und in einigen Fällen auch adjektivmodifizierend verwendet werden können. Nuradjunktive Adjektive werden wir weiterhin Adverbien nennen. Sie bilden jedoch eine ausgezeichnete Subklasse von Adjektiven und sind von Satzadverbien abgegrenzt, die eine selbständige syntaktische Klasse begründen. Diese Sonderbehandlung ist aus der Sicht der Wortbildung sinnvoll, da es Wortbildungsmuster gibt, die auf nur-adjunktive Adjektive spezialisiert sind.

160

Kapitel 3

1.1.3 Zur semantischen Beschreibung von Adjektiven Die Bedeutung von Adjektiven ist sehr eng mit der Bedeutung von Nomen und anderen möglichen Bezugswörtern verbunden. Eine semantische Beschreibung muss diesen Zusammenhang systematisch erfassen und aufzeigen, welcher Typ von Eigenschaften mit welchen Typen von Bezugswörtern in Verbindung gebracht werden kann. Wenn wir sehr generell davon ausgehen, dass Nomen typischerweise Gegenstände, Verben typischerweise Geschehen und Adjektive typischerweise Eigenschaften bezeichnen, ergibt sich ein Rahmen für die Untersuchung der semantischen Verknüpfungspotenz von Adjektiven, der kurz umrissen werden soll. Betrachten wir zunächst die folgenden Beispiele: heißes Wetter gesunder Patient Er arbeitet flink. Er arbeitet fleißig. Er ist unheilbar krank. In der Nominalphrase heißes Wetter bezeichnet das Nomen Wetter eine als Gegenstand gefasste Summe von Naturerscheinungen, die u.a. im Hinblick auf Temperaturwerte spezifiziert werden kann. Genauer: die semantische Repräsentation von Wetter enthält eine spezifizierbare Variable für den Eigenschaftstyp Temperatur. Die Eigenschaft HEISS ist ein Temperaturmodifikator, d.h., sie charakterisiert einen bestimmten Wertbereich innerhalb der Temperaturskala. Die semantische Repräsentation von Patient enthält neben den Eigenschaften GEGENSTAND und PERSON - und vielen weiteren Merkmalen - eine Variable für das physische Befinden, gesund bezeichnet eine Eigenschaft, die eben diese Variable spezifiziert. arbeiten bezeichnet ein Prädikat, das Tätigkeiten charakterisiert. Tätigkeiten werden von Tätern ausgeführt und sie können u.a. im Hinblick auf den Zeitaufwand spezifiziert werden, flink bezeichnet eine Eigenschaft, die einen geringen Zeitaufwand charakterisiert. fleißig bezeichnet eine Verhaltenseigenschaft von Personen. Im angeführten Beispiel bezieht sich FLEISSIG primär auf den Täter, sekundär aber auch auf die Art und Weise des Arbeitens, speziell auf die Menge der bearbeiteten Gegenstände oder Arbeitsaufgaben. Die Bedeutung schließt deshalb die Interpretation ein 'er produziert viel' oder 'er bewältigt viele Aufgaben'. Wir können also von einem Doppelbezug ausgehen, der bereits in der Bedeutung von fleissig angelegt ist. KRANK ist eine Eigenschaft, die sich auf den Gesundheitszustand von Lebewesen, speziell von Menschen und den Menschen nahestehenden Tieren,

Adjektivbildung

161

bezieht. Es handelt sich um eine skalare, d.h. um eine gradierbare Eigenschaft. UNHEILBAR charakterisiert einen extremen Grad der Eigenschaft. Zwischen Eigenschaften und möglichen Bezugswörtem besteht also ein inhärentes Selektionsverhältnis. Die genauere semantische Beschreibung von Adjektiven muss deshalb Kontextangaben enthalten, die angeben, welche Kategorien von Bezugswörtern grundsätzlich für Verknüpfungen in Frage kommen. Die durch Adjektive ausgedrückten Eigenschaften können in vielen Fällen in Eigenschaftstypen eingeteilt werden, die Komponenten von Gegenstands- oder Geschehensrepräsentationen sind. Beispiele für Typen von Gegenständen zugeordnete Typen von Eigenschaften sind: - Physikalische Gegenstände: horizontale Ausdehnung: breit, kurz, weit vertikale Ausdehnimg: hoch, tief, niedrig Form: rund, eckig, großräumig, voluminös Material: golden, seiden, eisern, hölzern Gewicht: schwer, leicht Temperatur: heiß, kalt, lau, warm Farbe: blau, weiß, gelb, rot Sensorische Eigenschaften: sichtbar, hörbar, laut, leise, süß, sauer - Personen: Körperlicher Zustand: müde, hungrig, krank, nervös Alter: alt, jung, jugendlich, greisenhaft Emotionaler Zustand: ängstlich, glücklich, eifersüchtig Intellekt: klug, intelligent, dumm, blöd Verhalten: mutig, ruhig, ängstlich Sozialverhalten: schweigsam, gesprächig, zutraulich Sozialstatus: verheiratet, geschieden, ledig Eigentum: reich, arm, wohlhabend Kleidung: salopp, elegant Gesichtsfarbe: bloss, gerötet Haarfarbe: blond, dunkelhaarig, rothaarig - Artefakte: Nutzen: nützlich, zweckmäßig, ertragreich - Geschehen: Geschwindigkeit: schnell, langsam, flink, blitzartig Präzision: genau, präzise, schlampig Dauer: lange, kurz, tagelang

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- Eigenschaften: Grad: äußerst, stark, besonders, extrem, wenig Bereich: klanglich(gut), preismäßig (günstig) Einstellung; unglaublich (teuer), merkwürdig (still) Diese Beispiele sollen nur einen Hinweis auf die allgemeinen Grundlagen der Beziehung von Eigenschaften auf Gegenstände, Geschehen und Eigenschaften geben. Das Grundprinzip besteht darin, dass Typen von Eigenschaften systematisch mit Typen von physikalischen Gegenständen, Geschehen und Eigenschaften korrespondieren. Vgl. Aarts/Calbert (1979). Es gibt nun Eigenschaften mit mehr oder weniger starken Kontextbeschränkungen. Der Beschränkungsgrad hängt von den Beschränkungen der Eigenschaftstypen ab. So kommt eine Reihe von Eigenschaftstypen nur in den semantischen Repräsentationen für Personen vor (Intellekt, Sozialstatus, Kleidung, Gesichtsfarbe). Andere gehen auch in die Bedeutungsbeschreibung von Tieren ein (körperlicher Zustand). Eigenschaftstypen, die in die Kategorie physikalische Gegenstände eingehen, haben - wegen des allgemeinen Charakters dieser Kategorie - einen besonders großen Radius. Sie gehen in alle Subtypen von physikalischen Gegenständen ein. Der Grad der Beschränkung kann auf der anderen Seite durch zusätzliche Untergliederungen einiger Eigenschaftstypen beträchtlich sein. Die Eigenschaft, die blond bezeichnet, hat z.B. einen sehr kleinen Spielraum. Das liegt daran, dass in diesem Fall nicht nur der Eigenschaftstyp Farbe determinierend wirkt, sondern auch die zusätzlichen Beschränkungen 'Haare von Menschen'. Viele Adjektive sind mehrdeutig. Sie können deshalb mehreren Typen zugeordnet werden. Zum Teil beruht die Mehrdeutigkeit auf Umdeutungen primärer Bedeutungen. Primäre Bedeutungen unterscheiden wir von metaphorischen. heißer Tee ein heißer Kopf ein heißes Gefecht ein großes Tor großer Lärm eine große Dummheit ein grüner Zaun die grüne Tomate eine grüne Göre heiß bezeichnet eine Eigenschaft des Typs Temperatur, heißer Tee bezeichnet 'einen hohen Temperaturgrad von Tee'. Ein heißer Kopf bezeichnet 'einen Kopf, der sich in einem Zustand heftiger geistiger Erregung befindet'. Ein

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heißes Gefecht bezeichnet 'ein Gefecht, das mit höchster Anspannung geführt wird'. groß bezeichnet primär eine Eigenschaft, die eine vertikale Erstreckung charakterisiert. Diese Bedeutung liegt in großes Tor vor. In den beiden anderen Fällen bezeichnet groß 'einen hohen Grad'. grün bezeichnet primär eine Farbeigenschaft. Diese Bedeutung finden wir in grüner Zaun. Ein durch grüne Tomate bezeichneter Gegenstand hat grüne Farbe, ist jedoch zugleich UNREIF. Eben diese zusätzliche Bedeutung findet man als einzige Eigenschaft im Beispiel grüne Göre. Metaphorische Bedeutungen können lexikalisiert sein, wie in den angeführten Beispielen, sie treten aber auch im aktuellen Redezusammenhang auf, d.h., sie können ad-hoc-Charakter tragen: ein geiziges Bühnenbild geizig bezeichnet primär die Verhaltenseigenschaft von Personen 'übertrieben sparsam, geringe Bereitschaft zum Teilen materiellen Besitzes'. Im angeführten Beispiel kann man die Interpretation 'das Bühnenbild manifestiert übermäßige Sparsamkeit der Schöpfer im Hinblick auf Mittel und Effekte' annehmen. Die Beschränkung auf materiellen Besitz von Personen ist also aufgehoben. Die angeführten Beispiele machen deutlich, dass die Deutung von Konstruktionen mit Adjektiven in sehr vielen Fällen eine beachtliche Interpretationsleistung verlangt. Häufig muss nicht nur zwischen mehreren Lesarten und metaphorischen Uminterpretationen gewählt werden, sondern es müssen semantische Komponenten interpoliert, d.h. hinzu gedacht werden. ein glücklicher ein glückliches eine glückliche eine glückliche

Gewinner Lächeln Woche Reise

Im ersten Beispiel bezieht sich glücklich direkt auf das Bezugswort. Im zweiten Beispiel muss hinzugedacht werden, dass 'das Lächeln einen Glückszustand dessen manifestiert, der lächelt'. Im dritten Fall ist die Interpretation 'Woche, in deren Verlauf eine Person(engruppe) einen Glückszustand erlebt' anzunehmen. Das vierte Beispiel ist zu interpretieren 'Reise, die bei den Reisenden einen Glückszustand bewirkt.' Die semantischen Beziehungen zwischen Typen von Eigenschaften und semantischen Kategorien von Bezugswörtern, die hier nur angedeutet werden können, bilden auch die Grundlage der Interpretation syntaktischer Konstruktionen mit Adjektiven. Wir gehen darauf in den folgenden Abschnitten noch ausfuhrlicher ein.

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1.1.4 Gradierbarkeit von Eigenschaften und Antonyme Von Adjektiven bezeichnete Eigenschaften können relativ oder absolut sein. Relative Eigenschaften sind gradierbar, d.h., sie sind auf Skalen beziehbar, die einen Pluspol und einen Minuspol haben. Zum Pluspol nimmt der Grad der Eigenschaft zu, zum Minuspol nimmt er ab: - + - + Das Adjektiv bezeichnet einen Normalwert, der zu- oder abnehmen kann. Die Zunahme im Vergleich zum Normalwert oder im Vergleich verschiedener Bezugswörter kann durch den Komparativ ausgedrückt werden: ein älteres Haus das Haus ist älter als sein Besitzer Der Superlativ bietet die Möglichkeit, einem Element in einer Vergleichsmenge den höchsten Grad einer Eigenschaft zuzusprechen: das älteste Haus der Stadt Eine Gradierung in der Richtung zum Pluspol kann auch durch lexikalische Mittel ausgedrückt werden: sehr alt äußerst müde höchst erfreut Die Richtung zum Minuspol kann nur mit lexikalischen Mitteln ausgedrückt werden: wenig erfahren etwas sauer geringfiigig erkältet Einige Eigenschaften sind nach Maßsystemen messbar. Sie haben Maßangaben als mögliche Ergänzungen: drei Meter lang fiinf Jahre alt ein Kilo schwer Andere skalierbare Eigenschaften setzen unscharfe Maßsysteme voraus. Auch der Normalwert bleibt unscharf: klug, bekannt, süß

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Der Normalwert von genau messbaren Eigenschaften ist abhängig von den Bezugswörtern. Ein großer Hund ist verglichen mit Elefanten klein. Der Normalwert von GROSS variiert also von Gegenstandskategorie zu Gegenstandskategorie. Die Gradskalen einer Reihe von Eigenschaften überlagern sich. So nähert sich weniger KLEIN der Eigenschaft GROSS und weniger GROSS der Eigenschaft KLEIN. Es besteht somit die Möglichkeit, Eigenschaften dieser Art systematisch aufeinander zu beziehen: - + - + Viele Adjektive, deren Eigenschaften in dieser Weise aufeinander bezogen werden können, bilden Antonymenpaare: groß - klein dick- dünn süß - sauer klug - dumm Bei messbaren Eigenschaften ist eine Eigenschaft als Orientierungseigenschaft hervorgehoben. Nur das Adjektiv, das diese Eigenschaft bezeichnet, lässt Maßangaben als Ergänzung zu: er ist 1,80 m groß *er ist 1,80 m klein Die Nominalisierung dieses Adjektivs ist eine Bezeichnung für eine Eigenschaftsdimension: Größe: groß - klein Länge: lang - kurz Nicht alle Adjektive, die skalierbare Eigenschaften bezeichnen, haben lexikalisierte Antonyme. Die Möglichkeit, antonyme Eigenschaften herauszustellen und sprachlich zu benennen, besteht jedoch grundsätzlich: eine schulmeisterhafte Belehrung eine unaufdringliche Belehrung eine fürstliche Entschädigung eine jämmerliche Entschädigung Der Begriff Antonymenpaar bezieht sich jedoch nur auf Paare von lexikalisierten Adjektiven: Antonymenpaare von skalierbaren Adjektiven charakterisieren konträre Eigenschaften. Eigenschaften sind konträr, wenn die Negation nicht das Zu-

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treffen der Eigenschaft des entsprechenden antonymen Adjektivs sondern nur einen Wertebereich auf der Skala zum Pluspol oder zum Minuspol impliziert. Das wird deutlich an adversativen Ausdrücken: Das Auto ist nicht groß, aber auch nicht klein. 'das Auto ist kleiner als normal, aber nicht unbedingt klein' Die Apfelsine ist nicht sauer, aber noch lange nicht süß. 'die Apfelsine überschreitet den Normalwert von sauer, erreicht aber den Normalwert von süß noch lange nicht' Absolute Eigenschaften lassen keine Skalenbildung zu. Sie sind deshalb weder morphologisch noch lexikalisch gradierbar. tot, verheiratet, lebend, hölzern, schriftstellerisch, eckig Auch Adjektive, die absolute Eigenschaften bezeichnen, können Antonymenpaare bilden. Voraussetzung dafür ist jedoch die Möglichkeit, Paare von komplementären Zuständen zu bilden. Wenn einem Eigenschaftsträger eine Eigenschaft des Paares zugesprochen wird, gilt grundsätzlich die Negation der zweiten, zu dem Paar gehörenden Eigenschaft. Adversative Konstruktionen sind nicht zulässig oder verlangen Uminterpretationen: tot - lebend verheiratet — unverheiratet Die Schlachttiere sind nicht tot *aber auch nicht lebend. Er ist nicht verheiratet *aber auch nicht unverheiratet. Wir bezeichnen diese Paare im Unterschied zu den konträren Antonymen als komplementäre Antonyme. Nicht alle absolute Eigenschaften bezeichnenden Adjektive haben komplementäre Eigenschaften zur Seite. So können die sogenannten 'relationalen Adjektive' keine komplementären Paare bilden: ein dreirädriges Fahrzeug die väterliche Wohnung der ärztliche Rat ein sprachwissenschaftlicher Begriff die polizeiliche Anordnung 1.1.5 Sekundäre syntaktische Verwendung Zu fragen ist nun, welche semantische Interpretation mit den syntaktischen Verwendungsweisen verbunden ist. Bevor wir diese Frage zu beantworten versuchen, ist auf eine Besonderheit der Beziehungen zwischen Syntax und Semantik hinzuweisen, die auf Wortbildungsprozesse zurückzufuhren ist.

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Durch eine Umkategorisierung der Bezugswörter von Adjektiven kann sich die syntaktische Position eines Adjektivs ändern. Vgl. dazu die folgenden Beispiele: Er greift hastig nach der nächsten Zigarette, sein hastiger Griff nach der nächsten Zigarette Er ist außerordentlich zähe, seine außerordentliche Zähigkeit Im ersten Beispielpaar nimmt das Adjektiv eine adjunktive bzw. eine attributive Position ein. Die semantische Beziehung zwischen Adjektiv und Verb bzw. Adjektiv und Verbalnomen ändert sich durch den Wortbildungsprozess nicht, sie wird gewissermassen vererbt. Im zweiten Beispielpaar wird das Adjektiv adjektivmodifizierend bzw. attributiv verwendet. Wiederum stellen wir keine Veränderung der semantischen Beziehung zwischen modifizierendem und modifiziertem Adjektiv fest. Für einige nur adjunktiv verwendbare Adjektive gibt es Varianten, die eine attributive Verwendung bei Nominalisierungen erlauben. Zum Teil wird dieser Funktionswechsel durch Suffixe ausgedrückt: Der Tenor tritt heute auf. der heutige Auftritt des Tenors Der festgenommene Dieb versuchte mehrmals zu fliehen, der mehrmalige Versuch des Diebs zu fliehen Der neue Lehrer urteilt besonders streng, die besondere Strenge seines Urteils Die Beispiele verdeutlichen, dass die semantischen Grundverhältnisse von syntaktischen Umkategorisierungen der primären Bezugswörter unberührt bleiben. Wir werden deshalb von den Beziehungen zu Bezugswörtern ausgehen, die nicht umkategorisiert sind. Betroffen sind neben Nominalisierungen, die zu sekundären attributiven Verwendungen führen können, auch Adjektivierungen von Verben: Der Scheinwerfer leuchtet plötzlich auf. der plötzlich aufleuchtende Scheinwerfer Der Gast beschenkt die Kinder reichlich, die reichlich beschenkten Kinder Das Verbrechen kann leicht aufgeklärt werden, das leicht aufklärbare Verbrechen In diesen Beispielen wird eine primär adjunktive Beziehung durch Adjektivierung eines Verbs zu einer adjektivmodifizierenden. Die semantische Interpre-

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tation bleibt jedoch erhalten. Primäre und sekundäre Verwendung entsprechen der Unterscheidung zwischen Tiefen- und Oberflächenstruktur in älteren Versionen der Generativen Grammatik.

1.2 Semantik der prädikativen und attributiven Verwendung von Adjektiven Wir gehen davon aus, dass die semantische Repräsentation von Adjektiven mindestens eine Argumentstelle für das Bezugswort enthält, die wir als x symbolisieren: GROSS (x) Einige Adjektive können weitere Argumentstellen haben: FREI VON (NP, x)) FROH ÜBER (NP/Satz, x) Bei der prädikativen Verwendung von Adjektiven wird die Argumentstelle für das Bezugswort durch das Nomen der Subjektnominalphrase eines Satzes besetzt. Bei der Attribution besetzt das Nomen, das den Kern der Nominalphrase bildet, zu der das Adjektiv gehört, die Argumentstelle für das Bezugswort. Das gleiche gilt für den appositiven Gebrauch. Der generelle semantische Effekt ist im Prinzip der gleiche: der Prädikatkomplex eines Nomens wird durch das adjektivische Prädikat ergänzt, d.h., einer den Referenzbereich eines Nomens charakterisierenden Prädikatenmenge wird ein weiteres Prädikat zugeordnet: (RUND (BALL) Der Ball ist rund, der runde Ball Die semantische Repräsentation BALL, die die Bedeutung von Ball angibt, wird durch die Eigenschaft RUND angereichert. Der eigentliche Unterschied zwischen prädikativer und attributiver Verwendung geht über diese allgemeine Zufügung einer Eigenschaft hinaus. Mit der prädikativen Verwendung ist eine explizite Information über einen Sachverhalt verbunden, der zugleich zeitlich und modal bestimmt wird. Darüber hinaus - und das unterstreicht den besonderen Charakter der prädikativen Verwendung - muss die Kernproposition eines Satzes, die durch die Besetzung der Argumentstellen des Adjektivkonzepts zustande kommt, durch einen Satzmodus ergänzt werden, der ausdrückt, ob der Sprecher den charakterisierten Sachverhalt als existent, problematisch oder deontisch möglich bzw. notwendig erachtet, d.h., der Satz muss als Deklarativ-, Interrogativ- oder Imperativsatz erkennbar sein.

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Bei der attributiven Verwendung ist die Zuordnung eines Prädikats zu einem Nomen dagegen ein in die Kennzeichnung des Referenzbereichs des Nomens integrierter Schritt. Prädikative und attributive Verwendung sind somit Mittel der Informationssteuerung, das bedeutet, sie dienen der Unterscheidung kommunikativer Kategorien. Mit prädikativen Adjektiven werden Sprechakte vollzogen, mit attributiven dagegen Modifikationen von Gegenstandskonzepten im Rahmen von Sätzen.

1.3 Restriktive und appositive Interpretation Man unterscheidet zwischen restriktiver und appositiver Interpretation des Bezugs von Adjektiven auf Nomen in Nominalphrasen. Bei der restriktiven Interpretation ist das von einem Adjektiv bezeichnete Prädikat an der Charakterisierung der Klasse beteiligt, die zur Abgrenzung des Referenzbereichs eines Nomens benutzt wird. Bei der appositiven Interpretation genügen der Prädikatkomplex des Nomens und die referenzfixierenden sprachlichen Mittel, um den Gegenstand bzw. die Gegenstände festzulegen, denen Prädikate zugeordnet werden. Appositiv interpretierte Adjektive tragen eine zusätzliche Information. Dieser Unterschied wird in der linguistischen Literatur auch als klassifizierender und deskriptiver Gebrauch bezeichnet. Vgl. Bolinger (1967). Durch klassifizierende Adjektive wird der Referenzbereich des Bezugsnomens eingeschränkt. Deskriptive Adjektive schränken dagegen den Referenzbereich des Bezugswortes nicht ein. Dieser Unterschied kann mit den üblichen Mitteln der logischen Semantik nicht dargestellt werden. Wenn man pragmatische Operatoren wie ZUDEM hinzunimmt, können die beiden Interpretationen wie folgt ausgedrückt werden. Wir vernachlässigen alle Probleme, die sich aus der Erweiterung logischer Semantiktheorien durch solche Operatoren ergeben: Adjektiv: A (x) Nomen: N (r) Restriktiver Gebrauch: [A(N)](r) Appositiver Gebrauch: ZUDEM (N(r), A(r» Zeichenerklärung: A = semantische Repräsentation des Adjektivs N = Prädikatkomplex eines Nomens (r) = Referenzstelle des Nomens

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ZUDEM = pragmatischer Operator, der eine Nebeninformation kennzeichnet. Bei der restriktiven Verwendung wird das Prädikat A eines Adjektivs in den Prädikatkomplex N eines Nomens integriert. Bei der appositiven Verwendung wird das Prädikat eines Adjektivs separat auf die Referenzstelle eines Nomens bezogen. Appositive Verwendung kann deshalb auch als sekundäre Prädikation aufgefasst werden, als Vermittlung einer zwar separaten aber im Vergleich zur eigentlichen Prädikation untergeordneten Information. Diese Unterscheidung spielt eine wichtige Rolle bei der Ermittlung von elementaren Einheiten der Textstruktur. Restriktive Verwendung fällt nicht mit Kontrastbetonung zusammen. Während es zu den Besonderheiten der appositiven Verwendung gehört, dass eine Differenzierung von gleichartigen Gegenständen durch ein hervorgehobenes Merkmal ausscheidet, und damit auch Kontrastbetonung, lässt die restriktive Verwendung eine Kontrastierung zu. Bei der restriktiven Verwendung wird das Prädikat des Adjektivs zwar in den Prädikatkomplex des Nomens integriert, aufgrund der sprachlichen Präsenz dieses Prädikats ist aber eine Hervorhebung der durch das Adjektiv charakterisierten Eigenschaft möglich: Mir gefallt besonders das rote Kleid. Restriktive Verwendung ist auf der anderen Seite nicht an kontrastive Hervorhebung gebunden: Mir gefallen fleißige Handwerker. 'Mir gefallen diejenigen Handwerker, die fleißig sind' Die fleißigen Bienen schwirren den ganzen Tag umher. 'Die Bienen, die ja fleißig sind, schwirren den ganzen Tag umher' Das erste Beispiel ist restriktiv und nicht kontrastiv. Dennoch unterscheidet sich die Interpretation von einer appositiven, wie sie im zweiten Beispiel anzunehmen ist. Einige Adjektive lassen keine appositive Interpretation zu: die gestrige Sitzung die besondere Vorsicht die ärztliche Praxis die polizeilichen Ermittlungen Diese Beschränkung ist damit zu erklären, dass in diesen Fällen keine sekundäre Prädikation möglich ist. Die Integration der Adjektivbedeutung in die des Nomens gehört zum Wortbildungsmuster.

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Die appositive Verwendung, d.h. dem Nomen nachgestellte Adjektive innerhalb einer Nominalphrase, lässt nur die appositive Interpretation zu: Der Lehrer, unzufrieden mit den Ergebnissen, lässt die Arbeit wiederholen. Die Urlauber, braungebrannt, berichten von ihren Erlebnissen.

1.4 Semantik der adjunktiven Verwendung Aus syntaktischer Sicht nehmen adjunktiv verwendete Adjektive bestimmte Positionen in der Verbalphrase ein. Auf Details der komplizierten Adverbialsyntax, die zahlreiche Subklassen zu berücksichtigen hat, verzichten wir hier. Zu den Besonderheiten der Interpretation adjunktiv verwendeter Adjektive gehört es, dass das vom Adjektiv bezeichnete Prädikat unterschiedliche Bestandteile eines Geschehens oder Zustands modifizieren kann. Obwohl es syntaktisch Konstituente einer Verbalphrase ist, kann es sich semantisch auch auf das Subjekt eines Satzes beziehen. Grundlage für die semantische Interpretation ist somit das Verb mit seiner ganzen Argumentstruktur. Adjunktiv verwendete Adjektive können das ganze Geschehen, das durch die Kernproposition charakterisiert wird, modifizieren: Er kam zeitig nach Hause. In anderen Fällen werden Aktanten eines Geschehens, die durch besetzte Argumentstellen des Verbs charakterisiert werden, durch das adjunktive Adjektiv modifiziert. In folgenden Beispielen bezieht sich das Prädikat des Adjektivs auf die semantische Repräsentation des Subjektnomens: Der Urlauber kam braungebrannt nach Hause. Der Besitzer bewacht eifersüchtig sein Eigentum. Beispiele für den Bezug auf syntaktische Objekte sind: Er traf ihn betrunken an. Er trinkt den Kaffee kalt. Er streicht die Tür weiß. Bei Objektbezug ergeben sich zusätzlich unterschiedliche Interpretationen, je nachdem, welcher Kategorie von Sachverhalten die Verben der Sätze zuzuordnen sind. Im ersten Beispiel handelt es sich um einen Zustand, der den Teilzustand 'betrunkener Aktant' einschließt. Im zweiten Beispiel wird ein Vorgang TRINKEN mit einem betroffenen Aktanten KAFFEE bezeichnet. Der Vorgang wird zu einem Zeitpunkt vollzogen, zu dem der durch Kaffee bezeichnete Gegenstand die Eigenschaft KALT annimmt. Im dritten Beispiel wird ein Prozess STREICHEN bezeichnet, der mit einer Zustandsveränderung des betroffenen Aktanten TÜR endet. WEISS charakterisiert eben diese Zu-

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standsveränderung. Zur Unterscheidung von Zuständen, Vorgängen und Prozessen siehe Kapitel 2, S. 39 f. Schließlich besteht auch die Möglichkeit, das vom Adjektiv bezeichnete Prädikat auf die semantische Repräsentation des Verbs zu beziehen und diese zu modifizieren: Er trinkt den Kaffee hastig. Die Tätigkeit TRINKEN erfolgt HASTIG. Der von der Tätigkeit betroffene Gegenstand wird dadurch nicht berührt. Die hier nur angedeuteten Möglichkeiten hängen in jedem Fall von den Eigenschaftstypen und ihrer Verknüpfbarkeit mit Typen und Subtypen von Gegenständen ab. Aber nicht jedes Geschehen oder Zustände bezeichnende Verb lässt alle Arten des Bezugs zu. Vgl.: *Sie trinkt den Kaffee rothaarig. Sie beobachtete ihn blond. Die einschlägigen Beschränkungen müssen noch genauer erforscht werden. Die adjunktive Verwendung von Adjektiven in Konstruktionen, die Zustände bezeichnen, ist semantisch beschränkt. Spezifizierbar sind jedoch stets Zeitspanne oder Zeitpunkt, für die der Zustand gilt: Er liegt stundenlang in der Sonne. Er ist ganztägig beschäftigt. In anderen Fällen bezieht sich das Adjektiv auf das als Subjekt fungierende Nomen: Er steht breitbeinig in der Tür. Er wartet angetrunken auf den Abschluss der Veranstaltung.

1.5 Semantik der adjektivmodifizierenden Verwendung Adjektive, die andere Adjektive modifizieren, charakterisieren vor allem den Grad skalarer Eigenschaften: sehr zufrieden ungewöhnlich müde außerordentlich heiß wenig erfreulich Eine zweite Möglichkeit ist die Beschränkung des Geltungsbereichs einer Eigenschaft: gesundheitlich zufrieden gehaltsmäßig unterbezahlt

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klanglich gut geistig rege Eine weitere Möglichkeit ist die Angabe eines Vergleichsgegenstandes: riesig groß damenhaft elegant knabenhaft schüchtern Schließlich besteht die Möglichkeit, Eigenschaften durch Adjektive, die Einstellungen bezeichnen, zu modifizieren: erfreulich billig merkwürdig still unglaublich bescheiden

1.6 Adjektive und alternative sprachliche Ausdrücke Mit der attributiven Verwendung von Adjektiven alternieren einige andere Formen von syntaktischen Attributen: Präpositionalphrasen (PP), Nominalphrasen im Genitiv (NPgen), Relativsätze (Rel.). Auch das erste Glied eines Nominalkompositums (NN) entspricht z.T. attributiv verwendeten Adjektiven. das nachbarliche Haus PP: NPgen: Rel: NN:

das Haus von meinem Nachbarn das Haus des Nachbarn das Haus, das meinem Nachbarn gehört das Nachbarhaus

Mit prädikativ verwendeten Adjektiven alternieren syntaktische Konstruktionen mit prädikativen Nominalphrasen und Präpositionalphrasen: Peter ist närrisch NP: Peter ist ein Narr PP: Peter ist wie ein Narr Die adjunktive Verwendung von Adjektiven alterniert mit Präpositionalphrasen und adverbialen Sätzen (AS): Peter verlässt die Partei unwiderruflich. PP: Peter verlässt die Partei ohne Widerruf. AS: Peter verlässt die Partei, ohne dass ein Widerruf möglich ist.

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Die Beziehung zwischen derivierten Adjektiven und alternativen syntaktischen Ausdrucksmöglichkeiten werden wir in die Beschreibung von semantischen Mustern für Wortbildungen einbeziehen. Hervorzuheben ist, dass die syntaktischen Alternativen nicht für jedes derivierte Adjektiv und auch nicht für jedes semantische Muster zur Verfügung stehen. Man darf jedoch, bis auf gegenwärtig z.T. undurchschaubare Beschränkungen, sagen, dass ein semantisches Muster für derivierte oder komponierte Adjektive in der Regel durch mehrere syntaktische Konstruktionen sprachlich realisiert werden kann. In unserer Darstellung der semantischen Muster wird nur exemplarisch auf Alternativen hingewiesen. Die für individuelle Wortbildungen bestehenden Beschränkungen können nicht weiter analysiert werden.

1.7 Semantische Muster für Adjektivbildungen Grundlage für Wortbildungsmuster sind semantische Muster. Aus einem semantischen Muster ergibt sich in den meisten Fällen, ob nach dem Muster gebildete Adjektive morphologisch gradiert werden können, d.h., ob sie Formen mit Komparativ und Superlativ zulassen. Auch die syntaktische Verwendbarkeit lässt sich aus dem semantischen Muster ableiten. Schließlich ermöglicht es das semantische Muster, einen Vergleich mit anderen syntaktischen Konstruktionen vorzunehmen, die (weitgehend) gleiche semantische Interpretationen haben. Ein semantisches Muster kann mit einem oder mehreren morphologischen Indikatoren verbunden sein, d.h. verschiedenen Wortbildungsmustern zugrunde liegen. Aus diesen allgemeinen Voraussetzungen ergibt sich die Untergliederung des folgenden Abschnitts, in dem die Wortbildungsmuster angeführt werden. Wir gliedern die semantischen Muster nach folgenden Gesichtspunkten: 1. Umkategorisierungen Hier werden die Möglichkeiten aufgeführt, die Zuordnung der syntaktischen Kategorie zu ändern ohne spezielle semantische Effekte. 2. Relationen Die vom Bezugswort bezeichneten Gegenstände, Geschehen oder Eigenschaften können durch eine bestimmte Beziehung zu dem vom Basiswort bezeichneten Gegenstand gekennzeichnet werden. Als Basiswörter kommen Nomen in Frage, die Bildungen sind somit denominal. Auf die fundamentale Rolle von Relationen für die Repräsentation konzeptueller Strukturen weisen kognitionspsychologische Richtungen hin. Vgl.

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Chaffin/Henmann (1988). Dass die für die Beschreibung semantischer Muster vorzuschlagenden Relationen nicht willkürlich sind, lässt sich durch folgende Beobachtungen rechtfertigen: - Fast alle Relationen werden auch benötigt, um die semantischen Beziehungen zwischen den Konstituenten von Komposita aus zwei Nomen sowie zwischen Bezugswörtem und anderen Formen von Attributen oder Adjunkten beschreiben zu können. Das verdeutlichen die zu den semantischen Mustern angeführten syntaktischen Alternativen. - Die herausgestellten Relationen charakterisieren zentrale Aspekte der semantischen Struktur lexikalischer Einheiten und sie lassen sich z.T. auch nach Ähnlichkeiten ordnen. Ein Vergleich der Relationen fuhrt zu folgender Gliederung: (i) Eigenschaften eines Nominalkonzepts werden auf die semantische Repräsentation des Bezugsworts übertragen. Die Relation UND (x, y) ermöglicht es, alle Eigenschaften der semantischen Repräsentation des Basiswortes den vom Bezugswort bezeichneten Gegenständen zuzusprechen. Sie spielt eine wichtige Rolle in mehreren Ebenen der Sprachstruktur. Die Relation WIE (x, y) erlaubt es, typische Eigenschaften von Gegenstandskonzepten auf die vom Bezugswort bezeichneten Gegenstände zu beziehen. Die Relation MUSTER VON (x, y) hebt die Eigenschaften von Ordnungssystemen und Verfahrensschemata heraus und überträgt sie auf die vom Bezugswort bezeichneten Gegenstände oder Geschehen. (ii) Verdeutlichung der internen Struktur und Beschaffenheit von Bezugswörtern. Die Relationen TEIL VON (x, y) und BESTANDTEIL VON (x, y) ermöglichen es, auf natürliche Strukturen oder auf Koexistenzbeziehungen von Gegenständen hinzuweisen. Die Relation MATERIAL VON (x, y) stellt die materiale Beschaffenheit von physikalischen Gegenständen heraus, die zu den Grundelementen der konzeptuellen Repräsentation dieser Kategorie gehört. (iii) Verdeutlichung der Einordnung in externe Bereiche. Die Relation BEREICH VON (x, y) erlaubt es, die Referenten der Bezugswörter als Komponenten eines übergeordneten Bereichs zu kennzeichnen. Die Relation BESCHRÄNKUNG VON (x, y) ermöglicht es, den Geltungsbereich von Bezugswörtem herauszuheben. Die Relation VERFÜGEN VON (x, y) gestattet es, soziale Rechte und Verantwortung gegenüber Referenten der Bezugswörter zu deren Kennzeichen zu machen. Die Relationen ORT VON (x, y) und ZEIT VON (x, y) schaffen die Voraussetzungen für eine räumliche und zeitliche Einordnung von Referenten der Bezugswörter. Sowohl die Einordnung in übergeordnete Zusammenhänge als auch die in Raum und Zeit kann als grundlegender Gliederungsaspekt konzeptueller Strukturen betrachtet werden.

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(iv) Die Rolle in Geschehen. Die Relationen AGENS VON (x, y), THEMA VON (x, y), CAUS (x, y), MITTEL VON (x, y) schaffen die Möglichkeit, Bezugswörter durch Aktanten von Geschehen oder durch Ursache-FolgeBeziehungen zu modifizieren. Auch diese Relationen sind fundamental für semantische Repräsentationen. 3. Modifikation von Adjektiven Adjektive können auf verschiedene Weise mit Wortbildungsmitteln modifiziert werden. So entstehen deadjektivische Adjektive, d.h. Derivationen mit einem Adjektiv als Basiswort oder Komposita mit einem Adjektiv als Zweitglied. 4. Wortinterne Negation von Adjektiven Adjektivkonzepte können durch Wortnegation anderer Adjektivkonzepte gebildet werden. 5. Bezug auf Geschehen Hier werden Möglichkeiten aufgeführt, deverbale Adjektive zu bilden. Zu jedem semantischen Muster werden Angaben über die Gradierbarkeit und die syntaktischen Verwendungen der nach dem Muster gebildeten Adjektive sowie über syntaktische Alternativen gemacht. Darauf folgen die mit dem semantischen Muster verbundenen Wortbildungsmuster.

2. Wortbildungsmuster 2.1 Umkategorisierung 2.1.1 Nomen => Adjektiv Nomen, die Eigenschaftskonzepte bezeichnen, können durch Adjektivsuffixe adjektiviert werden. Damit wird die Möglichkeit geschaffen, die lexikalisch auf nominalen Gebrauch festgelegten Konzepte für attributive, appositive, prädikative, adjunktive oder adjektivmodifizierende Verwendung zugänglich zu machen. Die hier aufzuführenden Nomen charakterisieren Eigenschaften oder Zustände als abstrakte Gegenstände. Ihre semantische Repräsentation schließt, wie die aller Nomen, eine Referenzstelle ein. Auf Besonderheiten des Referierens dieser Nomen gehen wir hier nicht ein. Zur semantischen Repräsentation dieser Konzepte gehört weiterhin eine Relation zu einem Träger des charakterisierten Zustands:

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N (x, r) Der Zorn des Betrogenen war grenzenlos. Der Eifer des Beamten ist ungewöhnlich. Im ersten Beispiel wird der psychische Zustand ZORN einer Person zugeordnet, die durch das Nomen Betrogener bezeichnet wird und kontextuell näher zu bestimmen ist. Im zweiten Beispiel wird die Eigenschaft EIFER einer Person zugeordnet, die durch Beamter bezeichnet ist. In vielen Fällen ist eine Ergänzung möglich, die die Ursache des psychischen Zustands oder den Gegenstand, auf den er sich richtet, charakterisiert: N (ÜBER (y), x, r) Der Zorn des Betrogenen über den Geldverlust war grenzenlos. N (NACH (y), x, r) die Gier nach Geld Solche Argumentstellen haben jedoch nicht alle Nomen, die psychische Zustände bezeichnen. Das Schema für semantische Repräsentationen von Nomen, die psychische Zustände oder Eigenschaften bezeichnen, hat die allgemeine Form: N ((ÜBER/NACH (y),) x, r) Diesen Nomen entsprechende Adjektive haben keine Referenzstelle, statt dessen jedoch eine Argumentstelle für ein Bezugswort. Diese Stelle entspricht der Stelle für den Eigenschaftsträger in der semantischen Repräsentation des entsprechenden Nomens. Die Argumentstelle für die Ursache des Zustands geht ebenfalls an die semantische Repräsentation des Adjektivs über: A (ÜBER (y), x) der über den Geldverlust zornige Betrogene Die grammatische Besetzung der Argumentstellen des Nomens und der Argumentstelle des Adjektivs, die die Ursache angibt, ist fakultativ. Werden die Stellen nicht durch sprachliche Ausdrücke besetzt, ist immer eine aus Kontext- oder Weltwissen ableitbare rein semantische Besetzung möglich. Im Unterschied zum Nomen muss beim Adjektiv die Argumentstelle für den Eigenschaftsträger durch sprachliche Mittel besetzt werden. Als Nomen lexikalisierte Zustandskonzepte charakterisieren in der großen Mehrzahl psychische Zustände von Personen oder Tieren. Lexikalisch elementare Nomina, die nur Zustände von Tieren bezeichnen, wie Brunst, scheinen auf Einzelfalle beschränkt zu sein.

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Es überwiegen Bezeichnungen für emotionale Zustände. Interessanterweise scheint es nur für menschliche Lebewesen primär nominal gefasste Konzepte für psychische Zustände in nennenswertem Umfang zu geben, d.h. Eigenschaftskonzepte, die als nichtabgeleitete Nomen lexikalisiert sind. Einige davon lassen sich auch auf Tiere und Pflanzen übertragen. Die Möglichkeit einer Umkategorisierung hebt mit der lexikalischen Festlegung der syntaktischen Kategorie verbundene Verwendungsbeschränkungen auf, d.h., das gleiche Konzept kann in nominale und adjektivische Umgebungen eingehen. Während es zahlreiche Möglichkeiten gibt, die Umkategorisierung mit Suffixen zu indizieren, sind Adjektive, im Unterschied zu den Verben, nur in Ausnahmefällen syntaktisch doppelt kategorisiert: Dunkel Elend Ernst

-

dunkel elend ernst

In den folgenden Beispielen entspricht die semantische Repräsentation des Adjektivs nur z.T. der des Nomens: Barock Klasse Schmuck

-

barock klasse schmuck

Wir sehen keinen Grund, diese innerlexikalische Beziehung als ein Wortbildungsmuster zu beschreiben. GRADIERBARKEIT:

Adjektive dieses Typs bezeichnen relative Eigenschaften. Sie sind deshalb gradierbar. SYNTAKTISCHE VERWENDUNG:

Die Bildungen sind attributiv, prädikativ und adjunktiv verwendbar: - Attributive Verwendung: ein mutiger Gegner das hungrige Kind der geizige Chef - Prädikative Verwendung: Der Gegner ist mutig. Das Kind ist hungrig. Der Chef ist geizig.

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Adjunktive Verwendung ist möglich, wenn eine Zuordnung der Eigenschaft sowohl auf das vom Verb bezeichnete Geschehen als auch auf den vom Subjektnomen bezeichneten Gegenstand möglich ist: Er raucht gierig. Er kämpft mutig. Er arbeitet eifrig. Kaum akzeptabel sind dagegen Beispiele wie: *Er schläft gierig. *Er wartet geizig. Adjektivmodifizierende Verwendung ist nur bei adjektivierten Verben möglich, geht also primär auf eine Interpretation zurück, die mit adjunktiver Verwendung verbunden ist: ein gierig verschlungenes Brötchen der auffallig gekleidete Partygast SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Es gibt keine syntaktischen Alternativen. WORTBILDUNGSMUSTER: (1) [SM; PF N -ig] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet einen emotionalen Zustand von Lebewesen, meist Menschen: gierig, grimmig, freudig, lustig, ruhig, trotzig, wütig, zornig Das Basiswort bezeichnet Charaktereigenschaften oder Eigenschaften des Sozialverhaltens: anständig, anmutig, ehrgeizig, eifrig, fleißig, geduldig, gnädig, geizig, mutig, listig, stumpfsinnig, würdig Das Basiswort bezeichnet intellektuelle Qualitäten: einsichtig, verständig, witzig Das Basiswort bezeichnet einen physischen Zustand von Lebewesen: hungrig, durstig, brünstig

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Kapitel 3

In begrenztem Maße werden auch Eigenschaften, die nicht auf Lebewesen bezogen sind, durch lexikalisch elementare Nomen bezeichnet {Farbe, Form). Auch zu diesen Nomen gibt es Adjektivierungen. Bildungen zum Basiswort Form verlangen eine Spezifizierung. Farbe kann auch ohne Spezifizierung adjektiviert werden. Wir betrachten jedoch -farbig und -förmig als Suffixe. Vgl. Kapitel 1, S. 12. farbig, erdfarbig, keilförmig, kegelförmig MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Als Basiswort kommen einfache Stämme (Gier, Ruhe, Wut), Komposita (Stumpfsinn, Ehrgeiz) und nur stark lexikalisierte Derivationen {Anstand, Verstand) vor. Sehr häufige Bildungen wie fressgierig, schuleifrig können sowohl Derivationen zu Komposita (Fressgier, Schuleifer) sein, als auch Adjektivkomposita (N/V + gierig, N/V + eifrig). AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster wird kaum für Neubildungen genutzt. Grund dafür dürfte die begrenzte Zahl von primär nominalen Eigenschaftskonzepten im deutschen Wortschatz sein. Alle semantisch und morphologisch zulässigen Bildungen sind lexikalisiert. Folgende Bildungen sind Adjektivkomposita: wortgeizig 'geizig, was die Worte betrifft' fressgierig, saufgierig, weibergierig, geldgierig 'gierig, was Fressen, Saufen, Weiber, Geld betrifft' diensteifrig, schuleifrig, trinkeifrig 'eifrig, was Dienst, Schule, Trinken betrifft' angriffslustig, eroberungslustig, streitlustig 'Lust haben anzugreifen, zu erobern, zu streiten' angriffswütig, verfolgungswütig, zerstörungswütig 'Wut haben, anzugreifen, zu verfolgen, zu zerstören' (2) [SM; P F N -haft] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet vorwiegend eine Eigenschaft des Sozialverhaltens von Menschen: ehrenhaft, gewissenhaft, lasterhaft, schamhaft, skrupelhaft, sündhaft, tugendhaft

Adjektivbildung

181

AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist auf eine begrenzte Teilmenge des Wortschatzes beschränkt. Es ist inaktiv. Gelegentlich werden zu Basiswörtem, die durch andere, die Umkategorisierung indizierende Suffixe adjektiviert werden, Bildungen geschaffen: gierhaft, zornhaft (Th. Mann), geizhaft, (Th. Mann) (3) ISM; PF N -lieh] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort charakterisiert psychische Zustände von Menschen: ängstlich, glücklich, grämlich, zuversichtlich AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist auf wenige lexikalisierte Bildungen beschränkt, es ist inaktiv. Neubildungen sind Ausnahmen. Möglich sind Bildungen, die sowohl als Kompositum + Suffix {Flugangst + lieh) wie als Adjektivkompositum analysiert werden können (Flug + ängstlich): flugängstlich, berührungsängstlich,

kontaktängstlich

(4) [SM; PFN -isch] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet psychische Zustände von Personen und z.T. auch von Tieren: launisch, skeptisch, ironisch, argwöhnisch, neidisch, tückisch AKTIVITÄT:

Bildungen dieses Typs sind lexikalisiert. Das Wortbildungsmuster ist inaktiv. Möglich sind doppelt interpretierbare Bildungen wie: sozialneidisch (vgl. futterneidisch),

weinlaunisch

(5) [SM; PF N -sam] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet einen auf die (soziale) Umwelt bezogenen Zustand, zu dem Personen besonders neigen: ehrsam, friedsam, furchtsam, gewaltsam, tugendsam

Kapitel 3

182 AKTIVITÄT:

Das Muster ist inaktiv und auf wenige Bildungen beschränkt. Vgl. jedoch dichterische Bildungen wie: weihesam, würdesam (Th. Mann) 2.1.2 Verb => Adjektiv Einige Verben drücken Zustände oder Verhaltensweisen von Lebewesen aus: Das Kind zappelt. Der Kellner schwatzt. In der habituellen Lesart 'Das Kind zappelt gewohnheitsmäßig' bzw. 'Der Kellner hat die Eigenschaft zu schwatzen' sind sie gleichbedeutend mit entsprechenden adjektivischen Prädikaten. Das Kind ist zapplig. Der Kellner ist schwatzhaft. Die Adjektivierung durch Suffixe ermöglicht einen Kategorienwechsel mit einer Festlegung der habituellen Lesart: ein schläfriger ein mürrischer

Wächter Pförtner

In den Beispielen wird eine Neigung zum SCHLAFEN bzw. MURREN ausgedrückt, d.h., es gehört entweder zu den Verhaltensweisen einer Person, häufig zu schlafen oder zu murren oder die Neigung ist auf eine eingeschränkte Situation begrenzt. Diese zusätzliche Interpretation kann als semantische Wirkung der Umwandlung eines verbal gefassten Zustands in eine Eigenschaft betrachtet werden. Bei der Umkategorisierung wird die externe Argumentstelle des Verbs, d.h. die Argumentstelle, die mit dem Subjekt verbunden ist, zur Argumentstelle des Bezugswortes eines Adjektivs. Ein als Verb kategorisiertes Prädikat wird zu einem als Adjektiv kategorisierten Prädikat. Mit der syntaktischen Umkategorisierung ändert sich die syntaktische Verwendbarkeit des Wortes, das das Prädikat bezeichnet. Wir nehmen das auf die Umkategorisierung beschränkte semantische Muster an: [V (x\ x2, ...,x")]A (x1^...)) weinend; schläfrig, schwatzhaft,

mürrisch

Adjektivbildung

183

Das Partizip 1 bietet generell die Möglichkeit, Verben für die attributive Verwendung zugänglich zu machen. Wir betrachten Partizipien 1 deshalb als Wortbildungen: Das Kind weint, das weinende Kind Der Sturm zerstört das Gebäude, der das Gebäude zerstörende Sturm Zwischen Partizipien 1 und anderen Mustern der Umkategorisierung besteht jedoch ein Unterschied. Partizipien 1 bleiben eng mit der Interpretation von syntaktischen Strukturen, die Verben als Kern haben, verbunden. Sie sind unbegrenzt mit Verben kombinierbar. Die mit gewöhnlichen Adjektivsuffixen bewirkte Umkategorisierung setzt dagegen Verben voraus, die spezielle Kategorien von Prädikaten bezeichnen, Zustände bzw. Eigenschaften, d.h. solche, die sich für die Adjektivierung besonders eignen. Beim Partizip 1 kann man von reiner Umkategorisierung sprechen. Bei der reinen Umkategorisierung wird das externe Argument eines Verbs zum Argument für das Bezugswort eines Adjektivs. Alle Stellen für interne Argumente und freie Adjunkte bleiben erhalten: Der Vater schenkt seiner Tochter großzügig einen teuren BMW zum Abitur. der seiner Tochter großzügig einen teuren BMW zum Abitur schenkende Vater Der Vater prügelt seine Söhne wegen jeder Kleinigkeit sadistisch, der seine Söhne wegen jeder Kleinigkeit sadistisch prügelnde Vater. GRADIERBARKEIT:

Die durch Partizipien 1 bezeichneten Eigenschaften sind absolut, d.h., sie sind nicht skalierbar. Deshalb ist auch morphologische Gradierung durch Komparativ und Superlativ ausgeschlossen. SYNTAKTISCHE VERWENDUNG:

Neben attributiver und appositiver Verwendung ist auch adjunktive Verwendung mit Bezug auf das Subjektnomen möglich: Er erledigt die Arbeit sitzend. Er hört schweigend zu. Sie ging lachend aus dem Zimmer.

184

Kapitel 3

Adjektivmodifizierende Verwendung ergibt sich nur sekundär, wenn ein Verb adjektiviert wird, zu dessen Adjunkten ein adjunktiv verwendetes Partizip 1 gehört: ein sitzend die Arbeit erledigender Mann ein schweigend zuhörender Gast Eine Beschränkung, die den besonderen Status von Partizipien 1 unterstreicht, ist das Fehlen von Nominalisierungen: *die Sitzendheit *die Lachendheit Nominalisierungen gehen direkt auf den Verbstamm zurück. SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Eine Alternative zum attributiven Gebrauch bieten Relativsätze mit verbalem Prädikat: ein weinendes Kind ein Kind, das weint Die Alternative zur ausgeschlossenen prädikativen Verwendung bilden Sätze mit Verben: *Das Kind ist weinend. Das Kind weint. Eine Alternative zum adjunktiven Gebrauch bieten weiterführende Nebensätze sowie koordinativ verknüpfte Sätze: Sie ging lachend aus dem Zimmer. Sie ging aus dem Zimmer, wobei sie lachte. Sie ging aus dem Zimmer und lachte. Einen zweiten Typ bilden Adjektive, deren Basiswörter intransitive Verben sind, die auffällige Verhaltensweisen von Menschen und Tieren oder charakteristische Eigenschaften von Gegenständen bezeichnen: die schwatzhafte Nachbarin ein zappliges Kind eine naschhafte Köchin Mit der Adjektivierung ist in diesen Fällen die Bildung von Eigenschaftskonzepten verbunden. Die Zuordnung einer solchen Eigenschaft wird als charakteristisches Merkmal des Bezugswortes gedeutet. Die Bedeutung dieser Adjektive wird häufig mit 'neigt zum Verben' bzw. 'verbt leicht' paraphrasiert.

Adjektivbildung

185

GRADIERBARKEIT:

Da die bezeichneten Eigenschaften skalar sind, ist morphologische Gradierung möglich. SYNTAKTISCHE VERWENDUNG:

Außer der adjektivmodifizierenden Verwendung sind alle Verwendungsweisen von Adjektiven möglich. Bei adjunktiver Verwendung wird die Eigenschaft auf das Subjektnomen bezogen: Die Sekretärin ist schwatzhaft. die schwatzhafte Sekretärin Die Sekretärin, schwatzhaft, unterhält die Gäste. Die Sekretärin unterhält schwatzhaft die Gäste. SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Als Alternative zur attributiven Verwendung können Relativsätze mit verbalem Prädikat betrachtet werden: eine naschhafte Köchin eine Köchin, die nascht Alternativ zur prädikativen Verwendung sind Sätze mit verbalem Prädikat, das habituell zu interpretieren ist: Der Junge ist zappelig. Der Junge zappelt. WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; PF V -end] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Partizip 1 bietet grundsätzlich die Möglichkeit, Verben attributiv verwendbar zu machen, d.h., es bestehen keine semantischen Beschränkungen fur das Basiswort. Durch Lexikalisierung kann auch prädikative Verwendung möglich werden. Mit der Umkategorisierung ist vor allem die Möglichkeit gegeben, von Verben bezeichnete Konzepte als Eigenschaften zu verwenden, die Nominalkonzepte modifizieren. Während Verben zum Vollzug von Sprechakten verwendet werden, dienen Partizipien 1 der Modifizierung von Nominalkonzepten. Die grammatisch festgelegte temporale und modale Modifizierung von Verben geht mit der Adjektivierung verloren. Partizipien 1 lassen offen, ob das als Eigenschaft gefasste Geschehen, das sie bezeichnen, zeitlich begrenzt oder habituell zu interpretieren ist:

186

Kapitel 3

Das stotternde Mädchen fand keinen Tänzer. Dieser Satz hat zwei Lesarten. Er kann bedeuten 'das Mädchen stotterte, als es aufgefordert wurde und fand deshalb keinen Tänzer' oder 'das Mädchen hat einen Sprachfehler und fand deshalb keinen Tänzer'. MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

-end wird als Adjektivsuffix analysiert. Basiswörter können einfache und komplexe Verbstämme sein. Möglich sind auch Wortkombinationen, d.h. Zusammenbildungen: friedliebend, wohlwollend, glückbringend AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist stark aktiv. (2) [SM; PFy -ig] SEMANTISCHE ANALYSE:

In den meisten Fällen bezeichnet das Basiswort eine physische Verhaltensweise von Lebewesen, meist Personen: taumelig, zappelig, bummelig, schläfrig, dösig, kurzatmig Das Basiswort kann auch emotionale, soziale und intellektuelle Verhaltensweisen von Personen charakterisieren: feinfühlig, zartfühlig, leichtlebig, wendig, findig, gläubig Auf Gegenstände, die keine Lebewesen sind, beziehbare Eigenschaften sind: bröckelig, rutschig, wacklig, holprig, flackerig, schlüpfrig, knitterig, kratzig, ergiebig, augenfällig MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Muster erlaubt Zusammenbildungen: feinfühlig zu fein fühlen' kurzatmig zu 'kurz atmen' zugehörig zu 'dazugehören' AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster wird nur in Einzelfällen als Vorbild für Neubildungen benutzt, es ist schwach aktiv. *weinig ist z.B. kaum akzeptabel (vgl. jedoch weinerlich). Das gilt auch für semantisch vorhersagbare Bildungen wie *hqffig, *wünschig. Neubildungen können z.T. als Zusammenbildungen ge-

Adjektivbildung

187

schaffen werden. Die Nähe zu einzelnen lexikalisierten Bildungen ist unübersehbar. Es liegt also Analogiebildung zu Einzelwörtem vor: erfolgsstrebig, vorwärtsstrebig (zielstrebig), grobfiihlig, sanftßihlig (feinfiihlig), lockerlebig (leichtlebig) (3) [SM; PFV -lieh] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort charakterisiert ein Verhalten von Lebewesen, meist Personen: beweglich, nachdenklich, überheblich, vorsorglich, zauderlich, zögerlich, zudringlich Weitere, semantisch schwer eingrenzbare Möglichkeiten, Verbkonzepte in adjektivische Eigenschaftskonzepte umzuwandeln, sind: bedrohlich, hinderlich, befremdlich, erschrecklich, maßgeblich, erbaulich, ergötzlich, erquicklich, erfreulich, ähnlich, genierlich, bedränglich, veränderlich, ärgerlich, beweglich, dienlich, gedeihlich, ausfiihrlich, einträglich, eindringlich, unaufhörlich, unausbleiblich, herkömmlich, hinlänglich, betrüblich Die Adjektive erben z.T. Prädikatstellen der Basisverben: jemandem ähnlich jemandem dienlich ärgerlich über etwas MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Als Basis sind einfache und komplexe Verbstämme möglich. AKTIVITÄT:

Neubildungen sind auf Analogiebildungen zu einzelnen lexikalisierten Wörtern begrenzt. Vgl. einbringlich zu einträglich, hemmlich zu hemmend. Das Muster ist inaktiv. (4) [SM; PFV -isch] SEMANTISCHE ANALYSE:

Als Basiswort kommen fast ausschließlich Bezeichnungen für Verhaltenseigenschaften von Personen vor: mürrisch, zänkisch, misstrauisch

188

Kapitel 3

MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

In enger Beziehung zu diesem Typ stehen Bildungen mit nomina agentis als Basis: angeberisch, grüblerisch, träumerisch, nörglerisch, gebieterisch, schlafwandlerisch In diesen Fällen ist meist nicht zu entscheiden, ob das semantische Muster 'Umkategorisierung', 'Vergleich' oder 'Zusätzliche Klassenzugehörigkeit' anzunehmen ist: ein angeberischer Mensch kann interpretiert werden als (angeb + erisch) 'jemand, der dazu neigt, anzugeben', (angeber + isch) 'jemand, der die typischen Eigenschaften von Angebern hat' und (angeber + isch) 'jemand, der ein Angeber ist.' Obwohl eine Tendenz zu einer Suffixerweiterung -erisch in anderen Fällen zu beobachten ist, nehmen wir in den angeführten Beispielen keine Suffixerweiterung (wie in wählerisch, trügerisch, regnerisch (Wetter)), sondern nomina agentis als Basiswörter an. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist inaktiv. Entsprechende Eigenschaften können jedoch über nomina agentis und die Muster 'Zusätzliche Klassenzugehörigkeit' oder 'Vergleich' gebildet werden. (5) [SM; PFV -sam] SEMANTISCHE ANALYSE:

Bildungen dieses Musters kennzeichnen vor allem soziale Verhaltenseigenschaften von Personen, einige lassen sich auch auf Tierbezeichnungen beziehen: duldsam, strebsam, empfindsam, arbeitsam, folgsam, regsam, wachsam (Hund), anschmiegsam (Katze), schmiegsam, sparsam, aufmerksam, mitteilsam Eigenschaften anderer Gegenstände, auch von Geschehen oder Zuständen, bezeichnen: kleidsam(e Traurigkeit) (Strittmatter, Bienkopp), bedeutsam(e Rede), heilsam(e Erfahrung) AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist auf lexikalisierte Bildungen beschränkt, es ist inaktiv. Stark auffällige Gelegenheitsbildungen sind:

A djektivbildung

189

animiersame Kellnerin beharrsame Traditionshüter lauersamer Charakter tüchtig und kochsam, das Hertchen (Strittmatter, Ole Bienkopp) (6) [SM; PFV -haft] SEMANTISCHE ANALYSE:

In der großen Mehrzahl bezeichnen die Basisverben Verhaltenseigenschaften von Personen: ßunkerhaß, naschhaft, schwatzhaft, wehrhaft, zaghaft ANDERE EIGENSCHAFTEN:

schmeichelhaft, wohnhaft, wechselhaft, lehrhaft AKTIVITÄT:

Nichtlexikalisierte Bildungen sind stark auffällig. Das Muster ist inaktiv: lauerhafte Gespräche eine plauderhafte Frau (Th. Mann) 2.1.3 Adverb (nur-adjunktive Adjektive) => Adjektiv Einige Adverbien, d.h., nur adjunktiv verwendbare Adjektive, können durch -ig attributiv verwendbar werden: [ A D V ] A (X)

dortig, hiesig, nebig, obig, drübig, hübig, nebenherig GRADIERBARKEIT:

Die Bildungen sind, ebenso wie die Basiswörter, nicht gradierbar. SYNTAKTISCHE VERWENDUNG:

Die Bildungen sind auf attributive Verwendung beschränkt: das gestrige Treffen die dortigen Verhältnisse die hiesigen Behörden SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Eine Alternative zur attributiven Verwendung der derivierten Adjektive ist die postnominale Stellung der Basiswörter:

190

Kapitel 3

Das Treffen gestern die Verhältnisse dort die Behörden hier WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; PFADV -ig] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet eine lokale oder Richtungsangabe: dortig, hiesig, nebig, obig, drübig, hübig, nebenherig, rückwärtig, seitwär-

ts Das Basiswort bezeichnet eine temporale Angabe: gestrig, heutig, morgig, vorherig, nachherig, jetzig WEITERE FÄLLE:

sonstig, ein-, mehr-, viel-, oftmalig MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Adverbien, die auf -s enden (oftmals, seitwärts), verlieren diese Endung, die historisch als Kennzeichnung für adjunktive Verwendung (Adverbien) analysiert werden kann. AKTIVITÄT:

Das Muster ist inaktiv. Gelegenheitsbildungen sind jedoch nicht ausgeschlossen: eine schlechthinnige Beliebtheit (Prosinger, Scenesprache) Adjektiv => Adverb Partizipien 1 können durch -weise in nur adjunktiv verwendbare Adjektive umgewandelt werden: [AJADVOO

Er geht lesenderweise durch den Park. Er fährt telefonierenderweise Auto. Er steigt schnaufenderweise die Treppe hinauf GRADIERUNG:

Die Bildungen sind nicht gradierbar.

Adjektivbildung

191

SYNTAKTISCHE VERWENDUNG:

Die Bildungen sind nur adjunktiv verwendbar. SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Als Alternative kann die adjunktive Verwendung der Partizipien 1 gelten: Er geht lesend durch den Park. Er fährt telefonierend Auto. Er steigt schnaufend die Treppe hinauf. WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; PF a -erweise] SEMANTISCHE ANALYSE:

Im Unterschied zu den Basiswörtern sind Bildungen dieses Musters als umständlich konnotiert. MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

-weise kann als Suffix analysiert werden. Die Erweiterung durch -er- ist obligatorisch. Deshalb muss eine Suffixerweiterung -erweise angenommen werden. Der historische Zusammenhang zu Konstruktionen mit dem Nomen Weise ist jedoch teilweise nachvollziehbar: in schnaufender Weise AKTIVITÄT:

Das Muster ist im Rahmen der konnotativen Beschränkungen aktiv. 2.1.4 Adjektiv => Satzadverb Die Suffixe -weise und -maßen bieten die Möglichkeit, Adjektive in satzmodifizierende Wörter umzuwandeln. Obwohl diese Muster keine Adjektive beschreiben, sondern Satzadverbien, behandeln wir sie im Kapitel Adjektivbildung, da wir ein besonderes Kapitel für unzweckmäßig halten. GRADIERBARKEIT:

Die Bildungen sind nicht gradierbar. SYNTAKTISCHE VERWENDUNG:

Die Bildungen sind auf die satzmodifizierende Verwendung beschränkt.

192

Kapitel 3

SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Als syntaktische Alternativen können Sätze angesehen werden, deren Subjekt ein auf einen Satz verweisendes Prowort ist und deren Verbalphrase aus der Kopula und einem prädikativen Adjektiv besteht: Er ist erfreulicherweise rechtzeitig gekommen. Er ist rechtzeitig gekommen. Das ist erfreulich. Er hat sich anständigerweise entschuldigt. Er hat sich entschuldigt. Das ist anständig. Auch weiterweisende Nebensätze sind als Alternative möglich: Er ist rechtzeitig gekommen, was erfreulich ist. Er hat sich entschuldigt, was anständig ist. WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; PF a -erweise] SEMANTISCHE ANALYSE:

Adjektive, die soziale Verhaltensweisen von Menschen bezeichnen, können als Bewertung der sozialen Bedeutung eines Geschehens oder Zustands durch den Sprecher verwendet werden. Die Verhaltenseigenschaft wird dem Initiator des Geschehens, der durch das Subjekt eines Satzes bezeichnet wird, zugeschrieben: Er hat mich freundlicherweise benachrichtigt. 'Er hat mich benachrichtigt und das betrachte ich als freundlich.' Er hat sie törichterweise verlassen. Er hat mich höflicherweise vorgelassen. Die Zuschreibung einer wertenden Eigenschaft durch den Sprecher kann als sekundäre Prädikation betrachtet werden, als eine nebengeordnete Information, die auch als Ausdruck von wertenden Sprechakten wie Lob, Tadel, Kritik, Vorwurf gedeutet werden kann. Während sich adjunktiv verwendete Adjektive auf Komponenten der durch das Verb gestifteten Kernproposition beziehen und damit Aspekte von Geschehen spezifizieren, sind die Modifikationen mit -erweise wertende Prädikationen des Sprechers einer Äußerung über das durch einen Satz ausgedrückte Geschehen: Er hat ihn freundlich empfangen. 'Er hat ihn empfangen und verhielt sich dabei freundlich.'

193

Adjektivbildung

Er hat ihn freundlicherweise empfangen. 'Er hat ihn empfangen und das betrachte ich, der Sprecher, als freundlich.' anständigerweise, lächerlicherweise, unverschuldeterweise, weise, klugerweise

fahrlässiger-

Nur eine Einstellung des Sprechers zu einem Geschehen oder Zustand, ohne ausdrückliche Bewertung des Verhaltens des Initiators des Geschehens oder des Eigenschaftsträgers, drücken Bildungen aus wie: Er ist erfreulicherweise rechtzeitig gekommen. Der Schlüssel steckte glücklicherweise im Schloss. beängstigenderweise, dankenswerterweise, erklärlicherweise, erschrekkenderweise, erschütternderweise, fälschlicherweise, merkwürdigerweise, möglicherweise, notwendigerweise, seltsamerweise MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

-erweise wird als Suffix analysiert. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv. (2) [SM; PF a -ermaßen] SEMANTISCHE ANALYSE:

Einige adjektivische Partizipien 2 können als Prädikate auf Geschehen oder Zustände bezogen werden, die zum Ausdruck bringen, dass das Geschehen oder der Zustand von an der Kommunikation Beteiligten bestätigt wird. Der Sprecher schließt sich an: Er hat ihn zugegebenermaßen zu hart angepackt. 'Er hat ihn zu hart angepackt. Das gibt jeder zu.' erwiesenermaßen, erklärtermaßen, anerkanntermaßen,

bekanntermaßen

In Bildungen wie gezwungenermaßen ist eine kausale Interpretation anzunehmen. MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

-ermaßen ist nur als Suffix zu analysieren, das an Partizipien 2 tritt. Eine erkennbare Ähnlichkeit zu einer der Bedeutungen der Lexikoneinheit Maß besteht nicht.

194

Kapitel 3

AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist auf lexikalisierte Bildungen beschränkt. Es ist inaktiv.

2.2 Relationen zu Gegenständen (Denominale Adjektive) 2.2.1 Zusätzliche Klassenzugehörigkeit Es besteht die Möglichkeit, den Prädikatkomplex eines Nomens durch den eines anderen Nomens, das zu einem Adjektiv umgeformt wird, zu erweitern. Gegenstände, die durch die semantische Repräsentation des Bezugswortes charakterisiert sind, werden zusätzlich durch die Eigenschaften charakterisiert, die zur semantischen Repräsentation des Basiswortes eines derivierten Adjektivs gehören. Durch die Adjektivierung verliert das Basisnomen seine Referenzstelle, es bekommt in der Form des Adjektivs jedoch eine Argumentstelle, die durch die semantische Repräsentation des Bezugsnomens besetzt wird. Über diese syntaktisch vermittelte Kombination beziehen sich die Prädikatkomplexe beider Nomina auf eine Referenzstelle. Wir setzen die Relation UND (x, y) voraus, die wir als koordinative Verknüpfung von Nominalkonzepten deuten. Damit ist zugleich die Bedingung verbunden, dass beide Konjunkte eine gemeinsame Einordnungsinstanz aufweisen müssen, x und y müssen z.B. Personenbezeichnungen, Zustände oder Tätigkeitsbereiche sein. Das semantische Muster hat die Form: [UND (N)J (x) 'die Eigenschaften eines Nominalkonzepts N sind zugleich Eigenschaften von x' angelsächsische Autoren 'Autoren, die Angelsachsen sind' demokratische Staaten 'Staaten, die Demokratien sind' eine hypothetische Annahme 'eine Annahme, die eine Hypothese ist' In mehreren Fällen ist auch die Deutung als Vergleich oder als Zugehörigkeit zu einem Bereich möglich: ein griesgrämiger Pförtner 'ein Pförtner, der ein Griesgram ist' 'ein Pförtner, der sich wie ein Griesgram verhält'

Adjektivbildung

195

eine katholische Gemeinde 'eine Gemeinde, deren Mitglieder Katholiken sind' 'eine Gemeinde, die der katholischen Kirche angehört' GRADIERBARKEIT:

Das Muster charakterisiert in vielen Fällen nichtskalierbare Eigenschaften. Die Zuordnung zu einer zweiten Klasse von Gegenständen ist absolut. Werden gleichlautende Adjektive gradiert, ist eine Interpretation 'wie ein N' oder 'typisch für ein N' anzunehmen, die offen lässt, ob alle Eigenschaften von N zutreffen oder nicht: noch fürstlichere Herrschaften 'Herrschaften, die noch mehr die typischen Eigenschaften von Fürsten haben als vergleichbare Herrschaften' der angelsächsischste Autor 'der Autor, der am meisten typische Eigenschaften von Angelsachsen hat' die vorbildlichste Haltung 'die Haltung, die am meisten der eines Vorbilds entspricht.' Bezeichnet das Basiswort einen menschlichen Verhaltenstyp, ist eine Skalierung möglich: Der neue Pförtner ist noch trotteliger als sein Vorgänger, der angeberischste Vorgesetzte der heuchlerischste Kollege SYNTAKTISCHE VERWENDUNG:

Bildungen, denen dieses semantische Muster zugrunde liegt, können attributiv, appositiv und prädikativ verwendet werden. Adjunktive Verwendung scheidet aus, da es sich um Eigenschaften handelt, die nur auf physikalische Gegenstände bezogen werden können. Die adjunktive Verwendung von Wörtern mit der gleichen morphologischen Form setzt andere semantische Muster voraus: sie heiratet katholisch 'sie heiratet nach den Vorschriften der katholischen Kirche' '*sie heiratet und ist Katholikin' der Freund handelt egoistisch 'der Freund handelt wie ein Egoist' '*der Freund handelt und ist ein Egoist' Adjektivmodifierende Verwendung scheidet ebenfalls aus.

196

Kapitel 3

SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Eine Alternative zur attributiven Verwendung sind nominale Appositionen, die jedoch auf appositive Interpretation beschränkt sind: Sein Freund, ein Egoist, ließ ihn allein. Die Klubmitglieder, Protestanten, sind Moralisten. Seine Haltung, ein Vorbildför jedermann, erregte Aufsehen. Als Alternative zur prädikativen Verwendung kann ein Prädikatsnomen betrachtet werden: Sein Freund ist ein Egoist. Die Autoren sind Angelsachsen. Seine Haltung ist ein Vorbild för jedermann. WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; PFn -isch] SEMANTISCHE ANALYSE:

Basiswort und Bezugswort bezeichnen Personen. Die semantische Repräsentation des Basiswortes charakterisiert die Personen als Angehörige einer Nation, einer Religionsgemeinschaft, eines Berufs, einer ideologischen oder künstlerischen Richtung, einer sozialen Gruppierung oder eines Charaktertyps: französischer Edelmann angelsächsische Autoren jüdischer Dissident moslemischer Geistlicher künstlerisches Personal advokatorische Herrschaften faschistische Machthaber marxistischer Philosoph postkommunistische Minister chauvinistische Politiker formalistische Künstler diebische Köchin idiotischer Vorgesetzter snobistische Kulturträger angeberischer Chef draufgängerischer Spieler ausbeuterische Klassen

Adjektivbildung

197

Basis- und Bezugswort bezeichnen Zustände: apathische Stimmung lethargische Gemütslage euphorische Einstellung MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

-isch ist ein Suffix. Beschränkungen der morphologischen Form des Basisworts sind nicht feststellbar. Das Muster bevorzugt Fremdwörter. AKTIVITÄT:

Das Bildungsmuster ist besonders mit Personenbezeichnungen stark aktiv. Dennoch sind auch hier Beschränkungen zu verzeichnen. Während kaufmännische Belegschaft, künstlerisches Personal voll akzeptable Bildungen sind, ist bäckerisches Personal, tischlerische Belegschaft auffällig. Sehr häufig sind Bildungen zu Nomina agentis mit bewerteten Verbkonzepten: schwarzmalerisch, schuldenmacherisch, langschläferisch (2) [SM; P F n

-ig]

SEMANTISCHE ANALYSE:

Beide Nomen bezeichnen Personen: griesgrämiger Nachbar schlafmütziger Pförtner flegeliger Verkäufer schlampige Putzfrau trotteliger Professor wendehalsiger Genosse Die Bildungen stehen in enger Beziehung zu solchen, die nach dem semantischen Muster 'Vergleich' gebildet sind, das typische Eigenschaften des Basiskonzepts herausstellt, und gradierbare Eigenschaften bezeichnet: schlampige Putzfrau 'Putzfrau, die eine Schlampe ist' schlampig arbeiten 'arbeiten, wie es für Schlampen typisch ist' schlampige Arbeit 'Arbeit, wie sie für Schlampen typisch ist'

198

Kapitel 3

Basis- und Bezugsnomen bezeichnen abstrakte oder ideelle Gegenstände: kitschige Dekoration schnulziges Lied unsinnige Bestrafung zufällige Begegnung leichtsinnige Aktion Bildungen dieser Art sind gradierbar: eine noch kitschigere Dekoration 'eine Dekoration, die noch mehr Kitsch ist als eine vergleichbare andere' das Lied ist noch schnulziger 'das Lied ist noch mehr eine Schnulze als ein vergleichbares' die leichtsinnigste Aktion 'die Aktion erreicht den höchsten Grad von Leichtsinn' MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

-ig ist ein Suffix. Im Unterschied zu den Bildungen mit -isch werden Fremdwörter als Basis gemieden. AKTIVITÄT:

Das Bildungsmuster ist aktiv, besonders in ästhetisch anspruchsvolleren Textsorten. Vgl. die Bildungen: lümmeliger Diener dummköpfiger Redner einfaltspinseliger Beamter schreihalsiger Verkäufer vielfräßige Gäste (3) [SM: PFN -lieh] SEMANTISCHE ANALYSE:

Basis- und Bezugswort bezeichnen Personen: fürstliche Gäste königliche Hoheit kleinbäuerliche Bevölkerung Basis- und Bezugswort bezeichnen Institutionen: gewerkschaftliche Vereinigung

A djektivbildung

199

Basis- und Bezugswort bezeichnen abstrakte Gegenstände: nebensächliche Bemerkung zusätzliche Mühen eidliche Aussage MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

-lieh ist ein Suffix, das im Unterschied zu -isch Fremdwörter als Basis meidet. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist schwach aktiv. Vgl. die belegten aber auffälligen Bildungen: knäbliche Freunde vorwandliche Begründung 2.2.2 Vergleich Durch die Vergleichsrelation WIE (x, y), 'x ist wie y', werden durch ein Bezugswort x bezeichnete Gegenstände, Geschehen, Zustände oder Eigenschaften mit prominenten Eigenschaften eines Nominalkonzepts y in Bezug gesetzt. Das hier zu behandelnde semantische Muster hat die Grundform: [WIE (N)l (x) 'die prominenten Eigenschaften eines Nominalkonzepts N sind Eigenschaften von x' ein schulmeisterlicher Vorgesetzter 'ein Vorgesetzter hat prominente Eigenschaften von Schulmeistern.' Was prominente oder typische Eigenschaften innerhalb des Prädikatkomplexes eines Nomens sind, ist durch Lexikalisierung festgelegt oder aus dem Weltwissen zu erschließen. In unserem Beispiel sind es die Eigenschaften BELEHREND, PEDANTISCH, HUMORLOS. Die Vergleichsrelation kann in folgender Weise differenziert werden: - ein Teil von x hat Eigenschaften eines entsprechenden Teils von N: ein raubtierhaftes Gebiss 'ein Gebiss, das prominente Eigenschaften des Gebisses von Raubtieren hat'

200

Kapitel 3

- das Geschehen x hat Eigenschaften des typischen Verhaltens von N: eine schulmeisterhafte Belehrung 'eine Belehrung, die durch die prominenten Eigenschaften von Schulmeistern modifiziert ist' - die Gestalt von x hat Eigenschaften der Gestalt von N: wurstige Finger 'Finger, deren Form durch typische Eigenschaften der Form von Würsten charakterisiert ist' - der Zustand x hat Eigenschaften des identischen Zustands von N: engelhafte Geduld 'Geduld, die gleich der Geduld von Engeln ist' GRADIERBARKEIT:

Die Bildungen bezeichnen skalierbare Eigenschaften und sind deshalb morphologisch gradierbar. SYNTAKTISCHE VERWENDUNG:

Alle syntaktischen Verwendungen von Adjektiven sind möglich. Das gilt auch für die adjektivmodifizierende. Das ist deshalb möglich, weil die Vergleichsrelation auch Eigenschaften als Bezugswort zulässt: ein geckenhafter Verkäufer Der Verkäufer ist geckenhaft. Der Verkäufer begrüßt uns geckenhaft, ein geckenhaft stolzer Verkäufer SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Syntaktische Alternativen sind Präpositionalphrasen mit der Präposition wie, die in allen syntaktischen Positionen der Adjektive auftreten können: - Attributive Verwendung: ein riesenhafter Kerl ein Kerl wie ein Riese ein bullenhafter Boxer ein Boxer wie ein Bulle

Adjektivbildung

201

- Prädikative Verwendung: Der Kerl ist riesenhaft. Der Kerl ist wie ein Riese. Der Boxer ist bullenhaft. Der Boxer ist wie ein Bulle. - Adjunktive Verwendung: Er schläft murmeltierhaft. Er schläft wie ein Murmeltier. Er arbeitet berserkerhaft. Er arbeitet wie ein Berserker. - Adjektivmodifizierende Verwendung: bullenhaft stark stark wie ein Bulle wieselhaft flink flink wie ein Wiesel Als Alternativen zur attributiven Verwendung können auch Nominalkomposita betrachtet werden: Riesenbockwurst Athletenfigur Raubtiergebiss Schulmeistermanieren WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; PFN -haft] SEMANTISCHE ANALYSE:

Als Vergleichsgröße kommen insbesondere solche Wörter in Frage, deren semantische Repräsentation charakteristische Eigenschaften aufweist oder mit prominenten Stereotypen assoziiert ist, mit anderen Worten, Nomen, aus deren Prädikatkomplex sich leicht eine Teilmenge besonders hervorstechender Eigenschaften abheben lässt. Das Basiswort bezeichnet Personen, die nach Rollen, Fähigkeiten, körperlichen oder Verhaltenseigenschaften bewertet sind: akrobatenhaft, herrenhaft, laienhaft, spezialistenhaft, banausenhaft, dandyhaft, kleinkrämerhaft, schwerenöterhaft, schurkenhaft, hünenhaft, gigantenhaft, grenadierhaft(e Waden)

202

Kapitel 3

Das Basiswort bezeichnet fiktive Personen: nixenhaft, feenhaft, engelhaft, götterhaft, Don-Quichotehaft, Don-Juanhaft Das Basiswort bezeichnet Tiere: tigerhaft, entenhafi, löwenhaft Das Basiswort bezeichnet Pflanzen oder Pflanzenteile: mimosenhaft, blumenhaft, blütenhaft Das Basiswort bezeichnet künstlerische Genres: märchenhaft, opernhaft, operettenhaft, kolportagehaft, orakelhaft Das Basiswort bezeichnet Naturereignisse oder -gegenstände: kometenhaft, sonnenhaft, mondhaft, steppenhaft, wolkenhaft, frühlingshaft, sturmhaft, nebelhaft Beispiele für Bildungen mit weiteren Typen von physikalischen Gegenständen als Basiswort sind: eldoradohaft, großstadthaft, spachtelhaft Ideelle oder abstrakte Gegenstände bezeichnet das Basiswort der folgenden Bildungen: ergusshafte Rede rekordhafte Geschwindigkeit krisenhafte Zeiten floskelhaft, phrasenhaft MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Mit dem Suffix -haft sind keine Beschränkungen für die morphologische Form des Basisworts verbunden. Der Stamm kann durch Fugen erweitert sein. AKTIVITÄT:

Der Wortbildungstyp ist stark aktiv: ein schmetterlingsha.fi nachgiebiges Flatterding (Broch, Die Schuldlosen) in der für ihren Schreibstil bezeichnenden sentenzhaft trippelnden Art (Spengler, Lenins Hirn) twiggyhaft schlanker Körper schnabelhaft vorspringende Schnauze (Th. Mann) ferienhaft helle Straße (U. Johnson, Achim)

Adjektivbildung

203

(2) [SM; PF n -lieh] SEMANTISCHE ANALYSE:

Als Vergleichsgrößen dienen vorrangig Verwandtschaftsbezeichnungen und Bezeichnungen für soziale Funktionen und Rollen: brüderlich, väterlich, mütterlich, kindlich, königlich, fiirstlich, landesväterlich, meisterlich Das Basiswort kann auch eine Jahreszeit oder besondere Kalendereinheiten bezeichnen: herbstlich, sommerlich, winterlich, spätsommerlich, dezemberlich, weihnachtlich (e Stimmung), feiertäglich (e Kleidung) Das Basiswort bezeichnet Geschehen: festlich,

feierlich

MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix -lieh tritt an einfache und komplexe Nominalstämme. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist schwach aktiv. Man vergleiche die als ungewöhnlich einzustufenden Bildungen: *opalich, *omalich, *tantlich Die Basiswörter dieser Bildungen sind ohne besondere Auffälligkeiten alle mit -haft kombinierbar. (3) [SM; PF n -isch] SEMANTISCHE ANALYSE:

Als Basiswörter kommen vor allem Personenbezeichnungen vor, die häufig, wie die Basiswörter, pejorativ konnotiert sind: bäurisch, weibisch, knechtisch, kannibalisch, hochstaplerisch, eigenbrötlerisch, kompromisslerisch, kraftmeierisch, brandstifterisch, doppelzünglerisch, geschmäcklerisch (Kultur), hetzerisch Die Eigenschaften können jedoch auch, in Abhängigkeit von der Bewertung der Basiswörter, neutral oder positiv bewertet sein: ciceronisch, herkulisch, faustisch, elfisch, faunisch, lausbübisch, risch, poetisch

genieße-

204

Kapitel 3

In wenigen Fällen bilden Tierbezeichnungen die Vergleichsgrundlage. Die so herausgestellten Eigenschaften sind stets pejorativ bewertet: hündisch, wölfisch, schweinisch, säuisch, äffisch Das Basiswort bezeichnet ein Genre: elegisch, episch, jambisch, feuilletonistisch, epigrammatisch MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix -isch stellt keine besonderen Bedingungen an die Form des Basiswortes. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist stark aktiv. Neubildungen kommen besonders zu nomina agentis vor. (4) [SM; PF N

-ig]

SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet Personen: kraftprotzig, kratzbürstig, duckmäuserig, waschlappig, gesellig, spießgesellig (e Vertraulichkeit), primadonnig Das Basiswort bezeichnet Tiere: kauzig, bullig, ochsig, krötig, pferdig, rabig, wespig, quallig (Pupillen) Das Basiswort bezeichnet andere physikalische Gegenstände: wollig, flauschig, topfig (er Klang), breiig, pantoffelig (e Schludrigkeit), kristallig (e Schärfe), spiralig, kellerig (es Gelass, er Ton) MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix -ig stellt keine besonderen Bedingungen an die Form des Basiswortes. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv. Es wird vor allem in der Belletristik verwendet: ein schieferig gefärbter Himmel (Th. Mann) rot-putrig (Th. Mann) schleierig blicken 'wie durch einen Schleier' (Th. Mann)

Adjektivbildung

205

neben ihrem zwergigen Mann (Seghers, Rettung) lemurig in die eine oder andere Richtung hasten (Spengler, Lenins Hirn) (5) [SM; PFN -mäßig] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort ist eine Personenbezeichnung: räubermäßig, geckenmäßig, schülermäßig, soldatenmäßig, gangstermäßig, matrosenmäßig Das Basiswort ist eine Tierbezeichnung: bärenmäßig, ameisenmäßig, hirschmäßig, hasenmäßig Das Basiswort bezeichnet Artefakte: schulbuchmäßig, kleinwagenmäßig, limousinenmäßig, gießkannenmäßig MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix -mäßig tritt an einfache und komplexe Nominalstämme. Das Basiswort wird in vielen Fällen durch eine Fuge erweitert: geck-en-mäßig, bär-en-mäßig, gießkanne-n-mäßig AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv. (6) [SM; PFN -artig] SEMANTISCHE ANALYSE:

Bildungen mit -artig heben unterschiedliche Arten von Eigenschaften hervor, auf das Verhalten, die Funktion oder die Form bezogene: Das Basiswort bezeichnet Funktionen von Personen: jägerartig gekleidet schülerartiges Verhalten chefartiges Auftreten Das Basiswort ist eine Tierbezeichnung: schneckenartig, gazellenartig, froschartig, käferartig

206

Kapitel 3

Das Basiswort bezeichnet andere physikalische Gegenstände: büstenartig, eisartig, dielenartig, kellerartig, hörnerartig, reliefartig, schuhartig, sandalenartig, schlafrockartig, schleimhautgewebeartig, weinrebenartig Das Basiswort bezeichnet Geschehen: fluchtartig,

angriffsartig

MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Die Bildungen werden als Derivationen mit dem Suffix -artig analysiert. Vgl. dazu Kapitel 1, S. 12. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist stark aktiv. Es lässt kaum Beschränkungen oder Präferenzen für Basiswörter erkennen: sphinxartig lavieren jemanden casanovaartig umwerben die herdenartige Rücksichtslosigkeit einer vorwärts strebenden (Broch, Die Schuldlosen) chrysanthemenartige Neuzüchtung seerosenartig alles überwuchern happeningartig, buschfeuerartig, armstumpfartig, molchartig

Menge

(7) [SM; PFN -förmig] SEMANTISCHE ANALYSE:

Bildungen, die zu diesem Muster gehören, heben formbezogene Eigenschaften von Gegenstandskonzepten hervor. Sie sind nicht gradierbar: u-formige Sitzordnung t förmiger Eisenträger x-förmige Beine spiralenförmig, kubusförmig, pyramidenförmig, bügeiförmig, fernrohrförmig, fingerhutförmig, flaschenförmig, korbbogenförmig, stäbchenförmig, hülsenförmig, schleifenförmig, pilzförmig, trapezförmig, köcheiförmig MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

-förmig wird als Suffix analysiert. Es könnte aber auch eine Umkategorisierung von Komposita mit Form als Zweitglied angenommen werden. Vgl. Pyramidenform + ig' der vom Bezugswort bezeichnete Gegenstand hat die Form von Pyramiden'. In den meisten Fällen ist das Kompositum weder als lexika-

Adjektivbildung

207

lisiertes Wort noch als Textwort belegt. Der Bildungsprozess müsste also zunächst zu einem Kompositum fuhren, das dann Basiswort einer Derivation wird. Vgl. dazu Kapitel 1, S. 12. AKTIVITÄT!

Das Wortbildungsmuster ist stark aktiv. (8) [SM; PF n -farbig] SEMANTISCHE ANALYSE:

Bildungen, die nach diesem Muster zu analysieren sind, heben charakteristische Farbeigenschaften des Vergleichswortes hervor: zementfarbig, eisenfarbig, rostfarbig, rosenfarbig MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Wir betrachten -farbig als Suffix. Wie beim vorausgehenden Muster ist auch eine Analyse möglich, die von einer Umkategorisierung eines Kompositums mit Farbe als Zweitglied ausgeht. Vgl. dazu Kapitel 1, S. 12. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv. (9) [SM; PFn -färben] SEMANTISCHE ANALYSE:

Bildungen, die nach diesem Muster zu analysieren sind, heben charakteristische Farbeigenschaften des Vergleichswortes hervor: zimtfarben, himbeerfarben, zitronenfarben, fliederfarben, pomeranzenfarben MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Wir betrachten -färben als Suffix. Vgl. dazu Kapitel 1, S. 12. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv. (10) [(N) ähnlich*] Bildungen mit ähnlich betrachten wir als Adjektivkomposita, die wie die abstrakte Relation WIE ein Bezugswort mit einem Vergleichsgegenstand in Bezug setzen. Die lexikalische Einheit ähnlich kann für die Relation WIE in dem semantischen Muster [WIE (N)] (x) stehen:

208

Kapitel 3

neubauähnlich, matratzenähnlich, eheähnlich(e Beziehung), lich, krakenähnlich, schwarzmarktähnlich

ameisenähn-

(11) [(N) gleich^ Weitgehend synonym mit ähnlich ist gleich: schlangengleiche Armbewegungen adlergleiches Flügelschlagen schneckengleiches Dahinkriechen hünengleich durch die Landschaft wandern 2.2.3 Musterkonformität Bildungen nach diesem Muster enthalten ein Basiswort, das ein Muster, d.h. ein Ordnungssystem, einen Plan, eine Norm, ein Schema, eine Regelmenge, einen Prinzipiensatz oder Maßstab bezeichnet. Konzepte dieser Art können als Eigenschaft auf Wörter bezogen werden, deren semantische Repräsentation die entsprechenden Ordnungsstrukturen zulässt. Als zwischen Basiswort und Bezugswort vermittelnde Relation nehmen wir MUSTER VON (x, y) an, 'x ist ein Muster, nach dem sich y richtet'. Das semantische Muster hat die Form: MUSTER VON (N)] (x) 'gemäß dem Muster N zu verlaufen, ist eine Eigenschaft von x' die fahrplanmäßige Ankunft des Zuges 'die Zeit der Ankunft des Zuges entspricht der im Fahrplan vorgesehenen Zeitangabe' die dialektische Methode 'Methode, die den Prinzipien der Dialektik folgt' eine logische Folge 'eine Folge, die den Gesetzen der Logik entspricht' Dem Relat x entspricht das Basiswort N, dem Relat y das Bezugswort. Das Basiswort bezeichnet entweder selbst ein Ordnungssystem, wie in fahrplanmäßig oder ein Konzept, dem ein Ordnungssystem zugesprochen werden kann, wie in feldmarschmäßig. Die Interpretation von feldmarschmäßig setzt die Kenntnis der für Feldmärsche vorgeschriebenen Kleidung und Ausrüstung voraus. Weitere Beispiele sind: urlaubsmäßige Kleidung 'Kleidung, die den Erfordernissen des Lebens im Urlaub angemessen ist' eine wissenschaftliche Untersuchung 'eine Untersuchung, die Methoden der Wissenschaft anwendet'

Adjektivbildung

209

Der Übergang zum semantischen Muster 'Vergleich' ist häufig nicht scharf zu bestimmen, hotelmäßige Unterkunft kann eine Unterkunft sein, die Eigenschaften eines Hotels hat, aber kein Hotel ist oder eine Unterkunft, die nach Maßstäben, die für Hotels gelten, ausgestattet ist. GRADIERBARKEIT:

In der großen Mehrzahl der Fälle handelt es sich um absolute Eigenschaften, d.h. morphologische und lexikalische Gradierung scheiden aus: *Der Zug kam diesmal noch fahrplanmäßiger an. *Die Folge ist noch logischer. In einigen Fällen kann aber der Grad der Annäherung an ein Muster durch morphologische Gradierung ausgedrückt werden: Wir haben uns diesmal urlaubsmäßiger gekleidet. Dieser Schluss erscheint mir logischer. Das Gutachten ist in diesem Jahr wissenschaftlicher als im vergangenen Jahr. SYNTAKTISCHE VERWENDUNG:

Die Bildungen lassen alle syntaktischen Verwendungsweisen zu: - Attributive Verwendung: fahrplanmäßige Ankunft logische Folge urlaubsmäßige Kleidung - Appositive Verwendung: Die Ankunft des Elfolgsteams, fahrplanmäßig und am angekündigten Ort, löste Jubel aus. Unsere Kleidung, bequem und urlaubsmäßig, bewährte sich. - Prädikative Verwendung: Die Ankunft ist fahrplanmäßig. Die Folge ist logisch. Die Kleidung ist urlaubsmäßig. - Adjunktive Verwendung: Der Zug trifft fahrplanmäßig ein. Man muss das Problem dialektisch betrachten. Er kleidete sich urlaubsmäßig.

210

Kapitel 3

- Adjektivmodifizierende Verwendung: die urlaubsmäßig gekleideten Gäste der fahrplanmäßig eintreffende Zug ein wissenschaftlich erforschbares Problem Die mit der adjunktiven Verwendung verbundene Interpretation ist typisch für Adjektive, die nach diesem Muster gebildet sind. Das lässt sich damit erklären, dass die Basiswörter Ordnungssysteme für Geschehen bezeichnen. Die Bezugswörter müssen somit Geschehen bezeichnen. Bei attributiver Verwendung ist das Bezugsnomen in der Regel deverbal, d.h., diese Verwendung ist sekundär. Das gilt auch für die adjektivmodifizierende Verwendung, die nur adjektivierte Verben, Partizipien und Adjektive mit dem Suffix -bar als Bezugswort zulässt. SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Als syntaktische Alternative zu Adjektiven dieses Typs können z.T. Präpositionalphrasen mit der Präposition gemäß gelten: Die Ankunft gemäß Fahrplan eine Folge gemäß der Logik Kleidung gemäß dem Urlaub der gemäß dem Fahrplan eintreffende Zug ein gemäß der Logik folgender Schluss WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; PFn -mäßig] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet ein normatives Ordnungssystem: planmäßig, gesetzmäßig, ordnungsmäßig, rechtmäßig, tarifmäßig, normmäßig, verfassungsmäßig, vorschriftsmäßig, routinemäßig, programmmäßig, serienmäßig, turnusmäßig, anteilmäßig, durchschnittsmäßig Das Basiswort bezeichnet einen Bereich, für den ein Ordnungssystem oder eine Verfahrensweise typisch ist: handbuchmäßig, gewerbsmäßig, branchenmäßig, hotelmäßig, parteimäßig, staatsmäßig, theatermäßig, bühnenmäßig, gefühlsmäßig reagieren, geschäftsmäßig

Adjektivbildung

211

MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix -mäßig bevorzugt Erweiterungen des Stammes durch Fugen, vgl. bühne-n-mäßig, gefiihl-s-mäßig. Beschränkungen der morphologischen Komplexität des Basiswortes bestehen nicht. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist stark aktiv. (2) [SM; PF n -isch] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet ein Ordnungssystem: alphabetische Reihenfolge paradigmatisches Lernen chronologische Reihenfolge dogmatisches Urteil Das Basiswort bezeichnet einen Bereich, für den ein Ordnungssystem oder eine Verfahrensweise typisch ist: kapitalistische Ordnung humanistische Bildung bürokratischer Ablauf modischer Haarschnitt MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Die Basiswörter von Derivationen mit dem Suffix -isch sind Fremdwörter. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv mit Fremdwörtern, die einen theoretischen Bereich bezeichnen, für den bestimmte Verfahrensweisen charakteristisch sind: eine appollinisch-objektivistische Ordnung (Th. Mann) das postkommunistische Vorgehen die stalinistischen Lösungen des Problems (3) [SM; PF n -lieh] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet ein Ordnungssystem: gesetzlicher Stillstand eigengesetzliche Entwicklung

212

Kapitel 3

maßstäbliche Zeichnung spiegelbildliche Handgriffe Das Basiswort bezeichnet einen Bereich, für den ein Ordnungssystem oder ein Verfahrensmuster gilt: kirchliche Trauung weltliches Begräbnis MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Muster bevorzugt native Wörter. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist inaktiv. Es existieren nur wenige Wörter im Lexikon. (4) [SM; PFn -haft] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort kennzeichnet ein Ordnungssystem oder ein Vorbild: klischeehafter Vortrag regelhafte Wiederkehr routinehafte Versammlung. AKTIVITÄT:

Es existiert nur eine geringe Zahl von lexikalisierten Bildungen. Das Wortbildungsmuster ist inaktiv. (5) [(N) gemäßA] SEMANTISCHE ANALYSE:

gemäß ist eine Lexikoneinheit, ein Adjektiv, das die Relation GEMÄSS in seiner semantischen Repräsentation enthält. Die Adjektivkomposita mit gemäß als Zweitglied entsprechen semantisch den Derivationsmustern (1) bis (4).

normgemäße Lage des Werkteils programmgemäße Erledigung des Auftrags termingemäße Erfüllung der Aufgabe stilgemäße Wiedergabe des Musikstücks satzungsgemäße Auflösung des Vereins stiftungsgemäße Verfahrensweise gewohnheitsgemäße Abwicklung

Adjektivbildung

213

MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Es handelt sich um Komposita. AKTIVITÄT:

Bildungen dieses Typs sind sehr häufig. (6)[(N)gerechtA] Ebenso wie gemäß ist in diesem Zusammenhang gerecht zu nennen: termingerecht liefern lehrplangerechte Aufgaben marktgerechte Mieterhöhungen protokollgerechte Honneurs datenschutzgerechte Umfrage 2.2.4 Übergeordneter Bereich Ein Konzept kann durch die Angabe eines Bereichs, dem es angehört, modifiziert werden. Wir nehmen eine Relation BEREICH VON (x, y) an, die zum Ausdruck bringt, dass das mit x verbundene Konzept dem Rahmen oder dem Bereich y angehört. Solche Bereiche sind Institutionen, Verwaltungseinheiten, wie Länder, Städte, Kreise, aber auch Tätigkeitssphären und theoretische Gebiete. Das Bezugswort bezeichnet meist einen Teilbereich oder eine Komponente des übergeordneten Bereichs. Man kann die Relation deshalb auch als eine spezielle TEIL VON-Beziehung betrachten, y gibt das Ganze an, von dem x ein Teil ist. Für das semantische Muster ergibt sich die folgende Form: [BEREICH VON (N)] (x) 'dem übergeordneten Bereich N anzugehören, ist eine Eigenschaft von x' städtische Anlagen 'Anlagen, die zu einer Stadt gehören' kirchliche Würdenträger 'Würdenträger im Rahmen der Kirche' Dem Relat x entspricht das Basiswort N, dem Relat y das Bezugswort. Häufig sind Bildungen, deren Basiswort eine Verwaltungseinheit oder eine Institution bezeichnet, der x angehört: städtische Anlagen die nordamerikanischen Staaten ein kirchlicher Würdenträger

214

Kapitel 3

Ebenso häufig sind aber auch Basiswörter, die ein Gebiet geistiger Tätigkeiten bezeichnen: sprachwissenschaftlicher Begriff mathematische Gleichung logische Formel Bezeichnungen für geographische Einheiten können als Eigenname für ein geographisches Gebiet, als Verwaltungseinheit und als Kollektiv von Personen interpretiert werden. Deshalb sind die von diesen Bezeichnungen abgeleiteten Adjektive, in Abhängigkeit von den Bezugswörtern, mehrfach interpretierbar. Auch die Relationen ORT VON oder HABEN können der Interpretation zugrunde liegen: nordamerikanische Bundesstaaten (BEREICH VON) nordamerikanische Kiefer (ORT VON) nordamerikanische Goldreserven (HABEN) Das gilt auch für Ortsbezeichnungen, die keine Eigennamen sind. Die entsprechenden Adjektive sind häufig mehrdeutig: städtische Anlagen 'Anlagen, die Bestandteil einer Stadt sind' 'Anlagen, die sich in einer Stadt befinden' 'Anlagen, über die eine Stadt Verfügungsrecht hat' GRADIERBARKEIT:

Da es sich um absolute Eigenschaften handelt, sind morphologische und lexikalische Gradierung ausgeschlossen. SYNTAKTISCHE VERWENDBARKEIT:

Die nach dem Muster gebildeten Adjektive sind meist auf attributive Verwendung beschränkt. Es handelt sich um typische relationale Adjektive: die städtischen Anlagen die medizinischen Untersuchungen SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Als syntaktische Alternativen können Genitivattribute, mit Einschränkungen auch Nominalkomposita, gelten: Universitäten des Auslands Würdenträger der Kirche Angehöriger einer Firma ein Begriff der Wissenschaft

Adjektivbildung

215

Auslandsuniversitäten ?Kirchenwürdenträger Firmenangehöriger Wissenschaftsbegriff WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; PFn -isch] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet ein geographisches Gebiet, eine Verwaltungseinheit oder eine Institution, das Bezugswort einen Bestandteil: schwedische Länder amerikanische Staaten russische Botschaft hamburgischer Richterverein gastronomische Einrichtungen schulische Gebäude Bei TEIL VON-Beziehungen zwischen geographischen Orten und deren Bestandteilen, überlappt das Muster systematisch mit dem Muster ORT VON: amerikanische Gebirge 'Gebirge, die Teil Amerikas sind' 'Gebirge, die sich in Amerika befinden' Das Basiswort bezeichnet einen Tätigkeitsbereich oder einen theoretischen Bereich, das Bezugwort Aktivitäten, Mittel oder Komponenten solcher Bereiche: mathematische Ausdrücke philosophische Systeme germanistische Linguistik linguistische Probleme rhetorische Wendungen kriminalistische Methoden poetische Sprache anatomische Forschungen folkloristische Veranstaltung grammatische Regeln astrologischer Kalender musikalischer Beitrag medizinische Untersuchungen

216

Kapitel 3

MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix -isch tritt an Fremdwörter, besonders auf -istik, -ik, -ie, ebenso wie an native Stämme. Native, d.h. einheimische Wörter sind vor allem geographische Einheiten. Fremdwörter bezeichnen meist Institutionen und theoretische Gebiete. Die Muster mit -isch und -lieh sind nach diesen Gesichtspunkten differenzierbar, d.h., die Wahl zwischen diesen alternativen Wortbildungsmustern hängt nicht nur von semantischen sondern auch von morphologischen Merkmalen, wie Fremdwort vs. natives Wort, ab. Bei Länderbezeichnungen ist zu berücksichtigen, dass das Adjektiv von der Bezeichnung der Landesbewohner gebildet sein kann (russisch, finnisch, französisch) AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist stark aktiv. (2) [SM; PF> -er] Das Basiswort ist ein Stadtname, ein Name für ein geographisches Gebiet, nur in wenigen Fällen ein Ländername. Es kann als reine geographische Einheit oder als Verwaltungseinheit interpretiert werden. Das Bezugswort bezeichnet Bestandteile des geographischen Gebiets oder der entsprechenden Institution: Mecklenburger Seen Lüneburger Heide Hamburger Hafen Bremer Rathaus Berliner Luft Kölner Dom Schweriner Schloss Münchener Bürger Schweizer Kantone Liechtensteiner Banken Luxemburger Bevölkerung Bei TEIL VON-Beziehungen zwischen geographischen Orten und Ortsteilen überlappt das Muster mit dem Muster ORT VON: Mecklenburger Seen 'Seen, die Teil von Mecklenburg sind' 'Seen, die sich in Mecklenburg befinden' MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Nach dem Wortbildungsmuster zu analysierende Wörter gleichen formal Bezeichnungen für Bewohner geographischer Orte. Die Konstruktion geht tat-

Adjektivbildung

217

sächlich auf vorangestellte Genitivattribute (der Schweizer Käse 'Käse der Schweizer') zurück. Würden die Bildungen als Nomen analysiert, müssten sie als Bezeichnungen von Personen interpretiert werden, die einer geographischen Einheit zugeordnet sind. Da die Analyse als Genitivattribut in der Gegenwartssprache nicht nachvollziehbar ist, könnten die Konstruktionen nur als N + N-Komposita analysiert werden. Von normalen Komposita unterscheiden sich die Konstruktionen jedoch dadurch, dass der Hauptakzent nicht auf dem ersten Nomen, sondern auf dem zweiten liegt. Dies wiederum ist die typische Intonation von Konstruktionen aus attributivem Adjektiv und Bezugsnomen in Nominalphrasen. Trotz der Beschränkung auf die attributive Verwendung und der fehlenden Flexion scheint uns die Klassifizierung als Adjektiv angemessener zu sein. Die orthographischen Regeln verlangen die Großschreibung von Wörtern mit dem Suffix -er, die aus Ortsnamen abgeleitet sind, obwohl sie in den angeführten Konstruktionen nicht als Nomen gelten können. Das ist eine offensichtliche Inkonsequenz. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist stark aktiv. (3) [SM; PF N -lieh]

Das Basiswort bezeichnet einen Tätigkeitsbereich oder eine Institution, das Bezugswort eine Teilinstitution oder Angehörige der Institution: landwirtschaftliche Betriebe naturwissenschaftliches Labor betriebliche Poliklinik genossenschaftliche Handwerksbetriebe dorfliche Volkskunstgruppen forstlicher Bereich kirchlicher Würdenträger Das Basiswort bezeichnet einen Tätigkeitsbereich oder eine Institution, das Bezugswort Aktivitäten innerhalb der Institution: geschäftliche Verbindungen fischereiliche Tätigkeiten MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix -lieh tritt im Unterschied zu -isch nur an native Stämme. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist stark aktiv, besonders in Fachsprachen und in der Behördensprache.

218

Kapitel 3

2.2.5 Geltungsbeschränkung Das semantische Muster charakterisiert eine Einschränkung des Geltungsbereichs von Eigenschaften oder von menschlichen Fähigkeiten oder Neigungen. Wir nehmen eine Relation BESCHRÄNKUNG VON (x, y), 'x ist eine Beschränkung von y', an. Das semantische Muster hat die Form: [BESCHRÄNKUNG VON (N)] (x) 'auf N beschränkt zu sein, ist eine Eigenschaft von x' die musische Begabung des Kindes die klangliche Fülle der Musikwiedergabe die materialmäßige Qualität des Anzugs Dem Relat x entspricht das Basiswort N, dem Relat y die Argumentstelle für das Bezugswort. Das Basiswort bezeichnet einen Bereich, das Bezugswort eine Aktivität, Fähigkeit oder eine Eigenschaft. Charakteristisch für das Muster ist die Beschränkung der Geltung von Eigenschaften. Als Paraphrasen kommen in Frage 'im Hinblick auf N', 'was N betrifft', 'was N angeht': klangliche Fülle 'die Fülle im Hinblick auf den Klang' 'die Fülle, was den Klang angeht' materialmäßige Qualität 'die Qualität im Hinblick auf das Material' 'die Qualität, was das Material betrifft' Der einschränkende Bereich kann durch Personenbezeichnungen angegeben werden, die Tätigkeitsbereiche charakterisieren. Das wird an den möglichen Paraphrasen deutlich: ihre künstlerischen Fähigkeiten 'ihre Fähigkeiten im Hinblick auf den Tätigkeitsbereich von Künstlern' seine boxerischen Leistungen 'seine Leistungen als Boxer' 'seine Leistungen im Hinblick auf das Boxen' GRADIERBARKEIT:

Die Beschränkung des Geltungsbereichs ist eine absolute Eigenschaft. Morphologische wie lexikalische Gradierung sind ausgeschlossen. SYNTAKTISCHE VERWENDUNG:

Typisch für die nach diesem semantischen Muster zu analysierenden Adjektive ist die adjunktivische und die adjektivmodifizierende Verwendung:

Adjektivbildung

219

Er hat boxerisch viel geleistet. Künstlerisch wird sie überschätzt. Er hat schauspielerisch versagt. klanglich ausgezeichnet künstlerisch geeignet geschmacklich gut militärisch vernünftig Attributive Verwendung ist meist sekundär. Prädikativer Gebrauch ist nicht möglich. SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Teilweise kann man Appositionen mit als heranziehen: seine Leistungen als Boxer Als Boxer hat er wenig geleistet. Bei näherer Betrachtung werden jedoch semantische Unterschiede deutlich. seine Leistungen als Boxer bedeutet 'Leistungen, die jemand, der tatsächlich Boxer ist, in dem Tätigkeitsbereich von Boxern vollbracht hat'. Dagegen bedeutet seine boxerischen Leistungen nur 'Leistungen, die jemand in dem Tätigkeitsbereich von Boxern vollbracht hat'. Die Person auf die referiert wird, muss kein Boxer sein. WORTBILDUNGSMUSTER: (1) [SM; P F n -isch] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet einen Wirkungsbereich, das Bezugswort eine Aktivität, Fähigkeit oder einen ideellen Gegenstand: funkische Wirksamkeit didaktische Absicht dramaturgische Notwendigkeit gastronomische Kenntnisse publizistisches Genie technologische Bildung kombinatorische Fähigkeiten soziologische Struktur kaufmännische Verwertung architektonische Gestaltung

220

Kapitel 3

Das Basiswort ist ein nomen agentis, das einen Beruf oder eine Funktion bezeichnet, das Bezugswort charakterisiert eine Tätigkeit oder Fähigkeit: seine sängerischen Leistungen ihr schauspielerisches Debüt sein boxerisches Können ihr darstellerisches Talent MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix -isch bevorzugt Fremdwörter und nomina agentis, die sich zur Charakterisierung von Tätigkeitsbereichen eignen. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist stark aktiv. (2) [SM; PFN -lieh] SEMANTISCHE ANALYSE:

Als Basis eignen sich Nomen, die einen Tätigkeitsbereich bezeichnen oder auf der Grundlage des semantischen Musters als Geltungsbereich für das Bezugswort gedeutet werden können: berufliche Zukunft erziehliche Gabe (Th. Mann) fachliche Bildung formliche Gestaltungskraft gebietliche Unterschiede geldliche Konsequenz lautliche Form eines Wortes räumliche Größe unterrichtliches Gestaltungsvermögen werbliche Aktivität klangliche Fülle fachliche Kompetenz handwerkliches Können körperliche Unversehrtheit MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix -lieh tritt nicht an Fremdwörter und nicht an native Wörter auf -ung. Interessant sind die Bildungen werblich und erziehlich, die Stämme mit -ung voraussetzen, da entsprechende deverbale Muster nicht anzunehmen sind.

Adjektivbildung

221

AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist stark aktiv. (3) [SM; PFN -mäßig] SEMANTISCHE ANALYSE:

Die semantische Beschreibung entspricht der des Bildungsmusters mit -lieh: altersmäßige Zusammensetzung bankmäßige Sicherheit bekenntnismäßiger Charakter der Organisation mengenmäßige Beschränkungen wettbewerbsmäßige Benachteiligung wohnraummäßige Ausdehnung MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix -mäßig tritt an beliebige Nominalstämme. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist stark aktiv. 2.2.6 Bestandteil von Gegenständen Das semantische Muster erlaubt es, das Vorhandensein von Gegenständen als Eigenschaft der vom Bezugswort bezeichneten Gegenstände zu behandeln. Es handelt sich dabei um Gegenstände, die sich an der Oberfläche eines Gegenstandes befinden oder die Ingredienzien von Flüssigkeiten oder Substanzen sind. Grundlage für das Muster ist eine Relation BESTANDTEIL VON (x, y). 'x ist Bestandteil von y \ Diese Relation steht in großer Nähe zur Relation TEIL VON (x, y) 'x ist ein natürlicher Teil von y'. Man darf davon ausgehen, dass die Kenntnis der Teil-Ganzes-Beziehung zum lexikalischen Wissen gehört. Das gilt für das Basiswort ebenso wie für das Bezugswort. Die auffällige Koexistenz von Gegenständen ist dagegen nicht durch natürliche Strukturen vorgegeben. Dieser Unterschied äußert sich z.T. auch im sprachlichen Verhalten. Echte TEIL VON-Beziehungen können z.B. durch Sätze mit haben ausgedrückt werden, für die BESTANDTEIL VON-Beziehung gilt das nicht: Das Haus hat ein breites Dach. Der Lehrer hat einen Bart. Der Hut hat eine Krempe.

222

Kapitel 3

*Der Strand hat Steine. *Der Tisch hat Staub. *Die Milch hat Gift. Die BESTANDTEIL VON-Beziehung korrespondiert dagegen mit Lokalangaben. Im Unterschied zu einfachen Lokalangaben impliziert sie jedoch eine Auffälligkeit der Anwesenheit des im Basiswort ausgedrückten Gegenstandes und eine nicht nur zufällige und temporäre Koexistenz. Die Anwesenheit erscheint als ungewöhnlich. Ungewöhnlich kann die bloße Anwesenheit sein oder die Menge. In den meisten Fällen ist sie unerwünscht: An dem Strand befinden sich viele Steine. Auf dem Tisch befindet sich viel Staub. In der Milch befindet sich Gift. Das semantische Muster hat die Form: [BESTANDTEIL VON (N)] (x) 'N als Bestandteil zu haben ist eine Eigenschaft von x' steiniger Strand 'Strand, der viele Steine als Bestandteil hat' staubiges Zimmer ölige Hände schmutzige Jacke wolkiger Himmel salzige Suppe GRADIERBARKEIT:

Die Skalierbarkeit der Eigenschaften ergibt sich aus dem semantischen Muster, das die Anwesenheit größerer Mengen impliziert: Der Tisch ist staubiger als die Regale. 'auf dem Tisch befindet sich mehr Staub als auf den Regalen' SYNTAKTISCHE VERWENDUNG:

Attributive, appositive und prädikative Verwendung sind möglich: der staubige Tisch Der Tisch, alt und staubig, steht schon lange auf dem Dachboden. Der Tisch ist staubig. Adjunktive Verwendung ist nur in den Fällen möglich, in denen die Eigenschaft auf das Subjekt- oder Objektnomen beziehbar ist:

Adjektivbildung

223

Der Tisch steht staubig im Zimmer. Er liebt Strände steinig. Adjektivmodifizierende Verwendung ist nur sekundär möglich, d.h., wenn das Bezugsadjektiv auf ein Verb zurückgeht: der staubig im Zimmer stehende Tisch SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Als syntaktische Alternativen können Präpositionalphrasen mit der Präposition mit betrachtet werden, die jedoch nicht die Komponente der auffalligen Anwesenheit ausdrücken: - attributiv:

ein Tisch mit viel Staub ein Strand mit viel Steinen Der Tisch, mit viel Staub, steht auf dem Dachboden Der Tisch steht mit viel Staub auf dem Dachboden. Er isst die Suppe gern mit viel Salz.

- appositiv: - adjunktiv:

Auch Erstglieder von Nominalkomposita können Alternativen sein: Zuckerschnecke Steinacker Salzwasser WORTBILDUNGSMUSTER: (1) [SM; PF N

-ig]

SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet Gegenstände oder Substanzen, die sich an der Oberfläche von Gegenständen befinden, die das Bezugswort bezeichnet. In diesen Fällen sind Paraphrasen wie 'x ist versehen mit N', 'x ist bedeckt mit N', 'auffan x befindet sich viel N' möglich. In der Regel ist vorausgesetzt, dass das Vorhandensein von N als nicht normal, unerwünscht, oder in auffälligem Ausmaß vorkommend bewertet wird: rußiges Ofenrohr staubige Bücher schimmeliges Brot stockfleckiger Lappen kreidige Finger ölige Hände narbiges Gesicht buschiger Uferstrand schilfige Buchten

224

Kapitel 3

moosige Wiesen grasige Böschung reifige Wiese schattiger Platz Das Basiswort bezeichnet Substanzen, die Ingredienzien von Flüssigkeiten, Substanzen oder Organismen sind. Die Bildungen sind durch 'x enthält N' paraphrasierbar. Auch in diesem Falle gilt die Anwesenheit von N als unerwünscht: salziges Bier kalkiger Boden gasige Luftschicht giftige Pflanze pfeffrige Speise fettige Haut MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix -ig stellt keine speziellen morphologischen Anforderungen an den Nominalstanun. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv. Viele vorhersagbare Bildungen wirken jedoch auffällig: laubiger Rasen tintige Finger sirupige Hände knopf iger Anzug ' der auffällig viele Knöpfe hat' taschiges Kleid weizenkorniger Cocktail wiesige Landschaft (2) [SM; be- PFN -t] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet einen Gegenstand, mit dem der durch das Bezugswort bezeichnete Gegenstand versehen ist: bemützter Matrose bebrilltes Männchen befrackter Diener behostes Weiblein bebildertes Buch

Adjektivbildung

225

besandete Dachpappe bekiester Weg bewölkter Himmel bewaldetes Grundstück bemooster Stein eine weißbehandschuhte Hand MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Nach der äußeren Form könnte es sich um Partizipien 2 zu denominalen Verben wie be-last-en, be-dach-en, be-stuhlen handeln. In den meisten Fällen sind jedoch keine Verben belegt, sodass das Zirkumfix be-t, bestehend aus dem Verbpräfix be- und dem Partizip 2-Suffix -t, als Indikator für das zugrunde liegende semantische Muster gelten kann. Die Akzeptanz entsprechender be- Verben und die Akzeptanz von Bildungen des hier besprochenen Musters fallen nicht zusammen. Zulässig oder mindestens stark präferent sind einfache Stämme. Vgl. die kaum akzeptablen Bildungen: *besonnenbrillter Macho, *bereithostes Mädchen, *bepassbilderter Ausweis Zu erwähnen sind auch Bildungen wie buntbebildert, dichtbesandet, die eine Kombination aus Adjektiv + Nomen als Basis voraussetzen. Die Analyse als koordinative Adjektivkomposita scheidet offensichtlich aus. Ein buntbebildertes Buch ist nicht zugleich bebildert und bunt, sondern enthält bunte Bilder. Das Zirkumfix lässt also Zusammenbildungen zu. Auffällig ist, dass das Präfix an den Nominalstamm tritt. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv. Neubildungen sind möglich, kommen aber in geringer Zahl vor. Viele nach dem Muster vorhersagbare Bildungen wirken auffällig: behauste Familie begeldeter Freund behemdeter Mann (3) [SM; ge- PFN -t] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet einen Gegenstand, mit dem der vom Bezugswort bezeichnete Gegenstand versehen ist:

226

Kapitel 3

genarbtes Leder gezackte Blätter gebuchtete Küste gestreifter Stoff gehörnter Ehemann MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Wie im vorausgehenden Muster kann ein Zirkumfix angenommen werden. Die aus morphologischer Warte denkbare Beschreibung als Partizip 2 denominaler Verben scheidet in den meisten Fällen aus semantischen Gründen aus. Die Bildung gezackte Blätter müsste auf ein Verb zacken mit der Bedeutung 'etwas mit Zacken versehen' zurückgehen, gezackt müsste also bedeuten 'der Zustand, der durch das Zacken eintritt'. Im vorliegenden Fall ist diese Deutung jedoch nicht adäquat. Die Eigenschaft ist nicht Resultat eines Prozesses oder einer Handlung. Möglich sind Zusammenbildungen wie braungesprenkelter Umschlag, hochgestöckelter Absatz, die auf die Basen braune Sprenkel bzw hohe Stockei zurückgehen. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv. 2.2.7 Natürlicher Teil von Gegenständen Die Relation TEIL VON (x, y), 'x ist natürlicher Teil von y', bildet die Grundlage für das semantische Muster: [TEIL VON (N)] (x) 'N als Teil zu haben, ist eine Eigenschaft von x' ein buckliges Männlein 'ein Männlein, das einen Buckel als Körperteil hat' Dem Relat y der TEIL VON-Relation, das das Ganze bezeichnet, entspricht die Argumentstelle für das Bezugswort (x), dem Relat x, das den Teil bezeichnet, das Basiswort. Da die Kenntnis der Teil-Ganzes-Beziehung als Bestandteil des lexikalischen Wissens betrachtet werden kann, ist es aus pragmatischen Gründen nicht sinnvoll, Eigenschaftsbezeichnungen zu bilden, die lediglich dieses implizite Wissen ausdrücken. Die folgenden Bildungen verletzen das pragmatische Prinzip des sinnvollen Wortes und wirken deshalb als kommunikativ abweichend:

Adjektivbildung

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*ein kopfiger Boxer *der armige Radfahrer *das dachige Haus *ein busiges Mädchen Sinnvoll werden die Bildungen jedoch, wenn der Teil besondere Merkmale hat: ein breitköpfiger Boxer der einarmige Radfahrer das breitdachige Haus ein vollbusiges Mädchen In den Beispielen sehnige Finger, knochiges Gesicht wird eine ungewöhnliche oder auffällige Erscheinungsform der vom Basiswort bezeichneten Teile vorausgesetzt. GRADIERBARKEIT:

In den meisten Fällen bezeichnen die Bildungen absolute Eigenschaften. Besteht die Basis aus einem gradierbaren Adjektiv und einem Nomen, ist morphologische und lexikalische Gradierung möglich: Der neue Wirt ist noch dickbäuchiger als sein Vorgänger. 'Der neue Wirt hat einen noch dickeren Bauch als sein Vorgänger' Helmut ist am schmalbrüstigsten. 'Helmut hat die schmälste Brust' SYNTAKTISCHE VERWENDUNG:

Attributive, appositive und prädikative Verwendung ist möglich: das dreistöckige Haus Das Haus, dreistöckig, hält den Sturm aus. Das Haus ist dreistöckig. Adjunktive Verwendimg ist nur möglich, wenn die Eigenschaft auf das Subjektnomen oder auf ein Objektnomen bezogen werden kann: Das Haus ragt vielstöckig in den Himmel. Erfahrt einarmig Rad. Er liebt Hüte breitkrempig. Adjektivmodifizierende Verwendung ist nur sekundär möglich: das vielstöckig in den Himmel ragende Haus breitkrempig hergestellte Hüte

228

Kapitel 3

SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Eine Alternative zu den Bildungen sind Präpositionalphrasen mit der Präposition mit, die jedoch nicht prädikativ verwendet werden können: - attributiv: - adjunktiv:

ein Mann mit Bart ein Hut mit breiter Krempe Er kam mit einem Bart aus dem Urlaub. Das Haus ragt mit vielen Stockwerken in den Himmel.

Eine Alternative zur prädikativen Verwendung bieten Sätze mit dem Verb haben: Der Mann hat einen Bart. Der Hut hat eine breite Krempe. WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; P F n -ig] SEMANTISCHE BESCHREIBUNG:

Die TEIL VON-Beziehung kann zwischen Körperteilen von Lebewesen und den Lebewesen, zwischen Pflanzenteilen und Pflanzen, aber auch zwischen anderen physikalischen Objekten, besonders Artefakten und ihren Teilen bestehen. In allen Fällen ist eine Paraphrase 'x hat N' möglich: lockenbärtiger Perser schmallippiger Mund sehnige Finger knochiges Gesicht langbeinige Spinne scharfkrallige Füße breitastiger Baum großblättrige Topfpflanze dornige Hecke sechsachsiges Fahrzeug zweichörige Dombasilika hochlehniger Stuhl einhenkeliger Krug kurzärmeliges Hemd MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Bildungsmuster lässt Kombinationen aus Adjektiv und Nomen als Basis zu. Dies ist eine Folge der pragmatischen Bedingung, kommunikativ sinnvolle Eigenschaften zu benennen.

Adjektivbildung

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AKTIVITÄT:

Das Bildungsmuster ist stark aktiv. Die pragmatischen Bedingungen schränken jedoch die semantischen Möglichkeiten ein. 2.2.8 Räumliche Einordnung Die Relation ORT VON (x, y), 'x ist Ort von y', liegt einem semantischen Muster zugrunde, das es ermöglicht, physikalische Gegenstände, Geschehen oder Zustände durch die Bindung an einen Ort zu charakterisieren. Das Muster hat die Form: [ORT VON (N)](x) 'N als Ort zu haben, ist eine Eigenschaft von x' mecklenburgische Seen 'sich in Mecklenburg zu befinden, ist eine Eigenschaft der Seen' linksrheinische Städte die Potsdamer Konferenz Dem Relat x der Relation ORT VON entspricht das Basiswort N in der Repräsentation des semantischen Musters, dem y das Bezugswort (x). N ist ein Ortskonzept oder ein Gegenstand, der sich als Ort von Gegenständen, Geschehen oder Zuständen deuten lässt. Als Bezugswort kommen Bezeichnungen für Gegenstände, Geschehen und Zustände in Frage. Vgl. auch das Muster BEREICH VON. Als Untertyp wollen wir Bildungen betrachten, deren Basiswort einen Ort bezeichnet, an dem der vom Bezugswort bezeichnete Gegenstand erzeugt wird oder an dem er wächst: englische Stoffe chinesisches Gemüse israelische Apfelsinen Pariser Beschlüsse Einen weiteren Untertyp bilden Derivationen, deren Ortsangabe als Richtung zu interpretieren ist, in die eine Bewegung verläuft: talwärts wandern himmelwärts streben heimwärts ziehen GRADIERBARKEIT:

Das semantische Muster charakterisiert absolute Eigenschaften. Morphologische und lexikalische Gradierung scheiden deshalb aus.

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Kapitel 3

SYNTAKTISCHE VERWENDUNG:

Ist das Basiswort ein Ortsname, sind die Adjektive relationale Adjektive, d.h. solche, die nur attributiv verwendet werden können. Andere Bildungen wie ebenerdig, beidseitig, linksrheinisch, großräumig sowie die Bildungen des Untertyps talwärts werden primär adjunktiv verwendet und interpretiert: ebenerdig anbringen beidseitig verwenden talwärts wandern großräumig anlegen SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Syntaktische Alternativen sind lokale Präpositionalphrasen und z.T. Erstglieder von Nominalkomposita: - attributiv: die Seen in Mecklenburg die Konferenz in Potsdam das Fenster zu ebener Erde - adjunktiv: ins Tal wandern zu ebener Erde anbringen in einem großen Raum anlegen WORTBILDUNGSMUSTER: (1)

[SM; P F n -ig]

SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet einen Ort, das Bezugswort physikalische Gegenstände, Geschehen oder Zustände. Die Interpretation kann durch die Paraphrase 'x befindet sich an/in/auf N' oder 'findet an einem Ort N statt' verdeutlicht werden: ebenerdige Fenster linksufrige Bauten bergseitiger Ski bildseitige Ränder großräumige Auflieiterung außermittige Belastung

Adjektivbildung

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doppelseitige Lähmung netzseitige Abschaltung MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Nur wenige Bildungen enthalten einfache Basiswörter. Die meisten setzen Komposita oder Wortkombinationen voraus. Zusammenbildungen sind u.a.: ebenerdig 'zu ebener Erde' linksufrig 'am linken Ufer' großräumig, 'in einem großen Raum' außermittig 'außerhalb der Mitte' AKTIVITÄT:

Das Bildungsmuster ist aktiv, besonders in Fachsprachen. Neubildungen lassen häufig eine direkte Anlehnung an lexikalisierte Bildungen erkennen, sind also Analogien zu Einzelwörtem: linksseitig, rechtsseitig, beidseitig, bergseitig, bildseitig, linksufrig Nach dem Muster vorhersagbare Bildungen wie die folgenden wirken stark auffällig. Das zeigt den schwachen Vorbildcharakter des Musters: *berghangiges Haus *gartiges Haus *waldrandige Hütte *bachige Wiese (2) [SM; PFn -isch] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort ist ein Orts- oder Ländername, das Bezugswort bezeichnet lokalisierte Gegenstände. Eine Interpretation nach dem Muster BEREICH VON ist ebenfalls möglich, wenn die Basiswörter als Verwaltungseinheiten interpretiert werden, die vom Bezugswort bezeichneten Gegenstände als Bestandteil haben. Die Bildungen sind relationale Adjektive: spanisches Dorf finnische Seen mecklenburgische Städte linksrheinische Städte

Kapitel 3

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Das Basiswort ist ein Orts- oder Ländername, das Bezugswort bezeichnet ein Geschehen. Der Ort kann auch Ziel des Geschehens sein, d.h. eine Richtung angeben: babylonischer Turmbau italienische Reise Das Basiswort gibt einen geographischen Ort an, an dem etwas erzeugt wurde oder wächst, das Bezugswort ein Produkt. Die Deutungsmöglichkeiten können durch Paraphrasen wie 'x ist am Ort N hergestellt', 'x wächst am Ort N', 'x stammt aus N' verdeutlicht werden. In den meisten Fällen kann der Ort auch als Institution oder Personengruppe interpretiert werden, die Agens der Herstellung ist: israelische Apfelsinen englische Stoffe amerikanische Waren chinesisches Gemüse exotische Früchte MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Zu beachten sind morphologische Besonderheiten der Derivationen von Ländernamen. In vielen Fällen ist das Adjektiv eine Ableitung von der Bezeichnung der Personen, die einem Land angehören: China Amerika Russland

Chin-ese chin-es-isch Amerika-n-er amerika-n-isch Russe russ-isch

AKTIVITÄT:

Das Bildungsmuster ist generell auf geographische Namen anwendbar. Die Mehrzahl aller Bildungen ist jedoch lexikalisiert. (3) [ S M ; P F n - e r ] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet einen Ortsnamen, das Bezugswort ein Produkt oder ein Geschehen. Die Adjektive kennzeichnen den Ort, an dem sich etwas befindet, etwas geschieht oder hergestellt wird. Die Bildungen werden häufig als Bestandteil ganzer Konstruktionen lexikalisiert und erhalten den Status von Gattungsnamen oder Namen für spezielle Ereignisse. Mit der Lexikalisierung können Uminterpretationen verbunden sein. So bezeichnet Wiener Würstchen eine besondere Art von Würstchen, nicht aber 'Würstchen, die in Wien her-

Adjektivbildung

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gestellt wurden'. Das Wortbildungsmuster liegt Bildungen zugrunde, die nur attributiv verwendet werden können. Wiener Würstchen Brüsseler Spitze Pariser Beschlüsse Nürnberger Prozesse Potsdamer Konferenz das Pillnitzer Schloss Krombacher Pilz die Heidelberger Uferpromenade MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Wir betrachten -er als ein Adjektivsuffix. Nach dem Wortbildungsmuster zu analysierende Wörter ähneln formal Bezeichnungen für Bewohner geographischer Einheiten. Die Konstruktion geht zurück auf vorangestellte Genitivattribute (der Schweizer Käse 'Käse der Schweizer'). Syntaktisch und semantisch sind die Bildungen jedoch nicht als Nomen zu analysieren, sondern als relationale, d.h. auf attributive Verwendung beschränkte Adjektive. Eine weitere Besonderheit besteht darin, dass sie nicht flektiert werden. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist auf alle geographischen Ortsbezeichnungen, die mit dem Suffix kombinierbar sind, anwendbar. Es ist stark aktiv. (4) [SM; PFn -wärts] SEMANTISCHE ANALYSE:

Nach diesem Muster gebildete Wörter sind Adverbien, d.h. auf adjunktiven Gebrauch begrenzte Adjektive. Möglich ist auch sekundäre adjektivmodifizierende Verwendung. Das Basiswort bezeichnet einen Ort, der die Richtung festlegt, in die sich etwas bewegt: talwärts wandern heimwärts fahren himmelwärts fliegen Die Richtimg zu dem im Basiswort bezeichneten Ort kann auch für Bezugswörter angegeben werden, deren semantische Repräsentation selbst keine Komponente enthält, die Bewegung im Sinne einer Ortsveränderung eines Aktanten charakterisiert. In diesem Falle spielt die Blickbewegung oder eine übertragene Deutung von Bewegung entlang eines Weges eine Rolle:

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Kapitel 3

talwärts blicken ein talwärts gelegenes Haus hojwärts gelegene Fenster himmelwärts streben MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

-wärts ist ein Suffix, dessen Endkonsonant -s als Indikator für die Beschränkung auf adjunktive Interpretation gelten kann, bzw. als Indikator für die Unterkategorie der nur-adjunktiven Adjektive. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist schwach aktiv. 2.2.9 Zeitliche Einordnung Nomen, die Zeitkonzepte bezeichnen, können Bezugswörter modifizieren, deren semantische Repräsentation eine Zeitvariable enthält. Wir gehen von einer Relation ZEIT VON (x, y) 'x ist ein zeitliches Charakteristikum von y' aus. Das semantische Muster hat die Form: [ZEIT VON (N)J (x) 'die Zeitcharakteristik N ist eine Eigenschaft des Bezugsworts x' abendliche Ruhe 'Ruhe, die am Abend herrscht' Dem Relat x der Relation ZEIT VON entspricht ein Nomen, das ein Zeitkonzept bezeichnet, dem Relat y das Argument (x) für das Bezugswort. Adjektive dieses Musters spezifizieren eine in der semantischen Repräsentation des Bezugswortes enthaltene Variable für die zeitliche Einordnung. Die Bezugswörter bezeichnen Geschehens-, Zustands- oder Zeitkonzepte wie Sitzung, Begrüßung, Ernte; Pause, Aufgabe; Tag, Abend. Als Bezugswörter ausgeschlossen sind Wörter, deren semantische Repräsentation keine zeitlich spezifizierbare Variable enthalten: *die gestrige Ehre *die monatliche Tugend *die diesjährige Struktur von Nominalphrasen Die Relation ZEIT VON tritt in vier Varianten auf: - ZEITPUNKT VON: die abendliche Ruhe 'Ruhe, die am Abend herrscht'

Adjektivbildung

235

die diesjährige Ernte 'Ernte, die in diesem Jahr erfolgt' In vielen Fällen müssen die Bezugswörter durch Prädikate ergänzt werden, auf die sich die zeitliche Modifizierung bezieht. Das verdeutlichen die Verben 'herrschen, erfolgen' in den angeführten Paraphrasen. - ZEITDAUER VON x: N bezeichnet eine Zeitspanne für ein Geschehen oder einen Zustand: eine dreitägige Veranstaltung 'eine Veranstaltung, die drei Tage dauert' langfristige Aufgaben 'Aufgaben, deren Erledigung eine lange Frist in Anspruch nimmt' der einjährige Auslandsaufenthalt 'Auslandsaufenthalt, der ein Jahr dauert' - ZEITDAUER VON x ITERATIV: Das Basiswort bezeichnet die Dauer eines sich wiederholenden Geschehens oder Zustands: stundenweise aushelfen 'wiederholt jeweils eine Stunde lang aushelfen' tageweise vertreten 'jemanden wiederholt jeweils einen Tag lang vertreten' - ZEITDAUER VON ITERATIVEM ABSTAND VON x: In diesem Falle bezeichnet N eine Zeitspanne, nach deren Ablauf sich ein Geschehen oder Zustand wiederholt. Paraphrasen durch 'jedes N', 'alle N' sind möglich. eine stündliche Unterbrechung 'eine Unterbrechung, die sich jeweils nach einer Stunde wiederholt' die jährliche Sommerpause 'die Sommerpause, die jedes Jahr eintritt' GRADIFRBARKEIT:

Die nach diesem Muster gebildeten Adjektive bezeichnen absolute Eigenschaften. Morphologische Gradierung scheidet deshalb aus. Die Bildung längerfristig bedeutet 'etwas dauert eine längere Frist'. Es handelt sich also nicht um einen Komparativ zu langfristig.

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Kapitel 3

SYNTAKTISCHE VERWENDUNG:

Attributive Verwendung ist in allen Fällen möglich: die abendliche Ruhe langfristige Verträge eine stündliche Unterbrechung eine tageweise Vertretung Prädikative Verwendung ist nur möglich, wenn die Adjektive eine Zeitdauer bezeichnen: Die Aufgaben sind langfristig. Der Termin ist kurzfristig. Adjunktive Verwendung ist möglich, wenn die Adjektive eine Zeitdauer, einen iterativen Zeitabstand oder eine iterative Zeitdauer bezeichnen. Die mit dieser Verwendung verbundene Interpretation ist für diese Bildungen primär: Wir mussten uns langfristig festlegen. Die Vollversammlung findet jährlich statt. Die Zweigstelle öffnet nur stundenweise. Adjektivmodifizierender Gebrauch ist möglich, wenn die Bildungen eine Zeitdauer, einen iterativen Zeitabstand oder eine iterative Zeitdauer bezeichnen und das Bezugsadjektiv eine Eigenschaft, die eine entsprechende Modifizierung zulässt: Er ist langfristig zufrieden. Das Geschäft ist täglich voll. Sie ist nur tageweise fleißig. In vielen Fällen kommt die adjektivmodifizierende Verwendung durch Adjektivierung von Verben zustande. Primär ist also die adjunktive Interpretation: langfristig gebunden stündlich unterbrochen stundenweise geöffneter Schalter SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

- Attributive Verwendung: Temporale Präpositionalphrasen: die Ruhe am Abend die Ernte in diesem Jahr die Unterbrechung fiir drei Stunden

Adjektivbildung

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Phrasen mit alle, jede: die Versammlung jedes Jahr die Mietzahlung alle Monate Nominalkomposita: Abendruhe, Morgengruß, Osterspaziergang - Adjunktive und adjektivmodifizierende Verwendung: Phrasen mit für, alle, jede: Sie mussten sich für eine lange Frist festlegen. Die Sitzung wirdjede Stunde unterbrochen. Das Geschäft ist jeden Tag voll Der Schalter ist für eine Stunde geöffnet. WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; PF\ -ig] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet einen Zeitpunkt, das Bezugswort ein Geschehen oder einen Zustand. Als Paraphrase bietet sich an 'x findet in N statt': die diesjährige Ernte die gegenwärtige Misere zukünftige Schwierigkeiten Das Basiswort bezeichnet eine Zeitdauer, das Bezugswort ein Geschehen oder einen Zustand. Die Bedeutung der Adjektive kann paraphrasiert werden durch 'x dauert N lang': dreijähriger Aufenthalt dreißigjähriger Krieg dreistündige Sitzung ganztägige Beratung Als Spezialfall können Altersangaben mit der Interpretation 'N alt' gelten: achtjähriger Schüler zehnjähriges Pferd zweijährige Pflanzen tausendjährige Eiche ein dreijähriges Auto tausendjährige Stadt

238

Kapitel 3

MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

In der Variante Zeitdauer kommen als Basis nur Konstruktionen aus Zahlwort oder Mengenangabe, wie ganz, halb, viertel u.s.w. und Datumsangaben, Jahr, Tag, Stunde, Minute, Sekunde, die Zeitstrecken bezeichnen, vor. Man könnte auch von einer reinen Umkategorisierung von nominalen Zeitkonzepten ausgehen, wie sie für temporale, nur-adjunktive Adjektive wie gestern, heute, morgen im Abschnitt Umkategorisierung vorgeschlagen wurde. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv. (2) [SM; PFN -lieh] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet einen Zeitpunkt, das Bezugswort ein Geschehen oder einen Zustand: winterliche Pause herbstliche Färbung der Blätter mittägliche Sonnenglut augenblickliche Notlage anfangliche Schwierigkeiten letztendliche Entscheidung vormittäglicher Spaziergang hochzeitlicher Festzug abendliche Ruhe Das Basiswort bezeichnet eine historische Periode, das Bezugswort Gegenstände, die in diese Periode einzuordnen sind. Auch eine Interpretation nach dem Muster BEREICH VON ist möglich, wenn das Basiswort als übergeordneter Tätigkeitsbereich interpretiert wird: mittelalterliche Festung neuzeitliche Bauten frühgeschichtliche Werkzeuge steinzeitliche Fundstücke mittelalterliche Gräserpollen steinzeitliche Menschen ein frühgeschichtlicher Schädel Das Basiswort bezeichnet den Zeitabstand zwischen wiederkehrenden Geschehen oder Zuständen. Die Bedeutung ist paraphrasierbar als 'x erfolgt/ vollzieht sich alle/jede N':

Adjektivbildung

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stündlicher Kontrollgang tägliche Fahrt zur Arbeit morgendliches Duschbad sonntäglicher Spaziergang monatliche Ratenzahlung Alternativen zu diesen Bildungen sind : allmorgendlich, alltäglich, allabendlich MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Bildlingsmuster schließt Fügungen aus Zahlwörtern und Nomen bzw. Adjektiv + Nomen als Basis ein, d.h., es lässt Zusammenbildungen zu ((vier + Tage) + ig, (ganz + Tag) +ig, (letzt + Ende)+ig). AKTIVITÄT:

Das Bildungsmuster ist aktiv, obwohl viele Bildungen lexikalisiert sind. Das liegt nicht zuletzt an der Beschränkung des Basiswortes auf Zeitangaben, die eine nur begrenzt erweiterbare Teilmenge des Wortschatzes ausmachen. (3) [SM; PFn -weise] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Wortbildungsmuster lässt nur die Variante ZEITDAUER VON x ITERATIV zu. Adjektive dieses Typs spezifizieren die Dauer wiederkehrender Geschehen oder Zustände. Bedingung ist, dass das Geschehens- oder Zustandskonzept durativen Charakter hat und dass die Zeitkonzepte genormte Einheiten der Kalender- oder Uhrzeit sind: stundenweise aushelfen halbtageweise arbeiten wochenweise ablösen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Es besteht zweifellos eine semantische Ähnlichkeit mit dem selbständigen Nomen Weise in Präpositionalphrasen wie auf diese Weise, in dieser Weise. Die hier aufgeführten Bildungen können jedoch nicht als Komposita zum Nomen Weise behandelt werden, da sie Adjektive sind. Die Analyse schwankt also zwischen Suffix und gebundenem Adjektiv -weise. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv.

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Kapitel 3

(4)[(N) lang SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Muster bietet die Möglichkeit, eine Zeitdauer auszudrücken. Es überschneidet sich mit Derivationen wie dreistündig, ganztägig, mehrwöchig: ein nachtlanger Magenkrampf (Schneider, Schlafes Bruder) dieser generationslange Erpressungsversuch das jahrmillionenlange Gleichgewicht lebenslang, nächtelang, minutenlang, äonenlang (Th. Mann) MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

lang kann als Adjektiv mit einer zusätzlichen Argumentstelle für eine Zeitangabe analysiert werden, die extern durch Nominalphrasen im Akkusativ besetzt werden kann und wortintern durch ein Nomen. Das Wortbildungsmuster beschreibt also Adjektivkomposita mit dem Zweitglied lang. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv. 2.2.10 Materialangabe Die semantische Repräsentation physikalischer Gegenstände enthält eine Variable für das Material, aus dem ein Gegenstand besteht oder hergestellt ist. Nominale Materialbezeichnungen können adjektiviert und als Eigenschaft gedeutet werden. Wir gehen von einer Relation MATERIAL VON (x, y), 'x ist Material von y' aus, die die Grundlage für das semantische Muster bildet: [MATERIAL VON (N)] (x) 'N als Material zu haben ist eine Eigenschaft des Bezugswortes (x)' ein hölzerner Zaun 'Holz als Material zu haben ist eine Eigenschaft von Zaun' 'ein Zaun, der aus Holz besteht/hergestellt ist' Dem Relat x entspricht das Basiswort des semantischen Musters, dem Relat y die Argumentstelle für das Bezugswort (x). Einige Adjektive mit Materialbezeichnungen als Basiswort sind zu deuten als 'Eigenschaften wie N'. Es handelt sich dabei um lexikalisierte Bildungen, die als metaphorisierte Materialadjektive betrachtet werden können: mit eisernem Willen auf tönernen Füßen gläserne Durchsichtigkeit

Adjektivbildung

241

GRADIERBARKEIT:

Die nach diesem Muster gebildeten Adjektive bezeichnen absolute Eigenschaften. Sie sind deshalb nicht morphologisch gradierbar. SYNTAKTISCHE VERWENDUNG:

Adjektive dieses Typs sind nur attributiv und prädikativ verwendbar. Die Materialbezeichnung ist sehr eng an Bezeichnungen für physikalische Gegenstände gebunden, eignet sich deshalb nicht als Modiiikator von Geschehen oder Eigenschaften. SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Als syntaktische Alternativen für die attributive bzw. prädikative Verwendung stehen Präpositionalphrasen mit aus zur Verfügung: ein Tor aus Eisen eine Kette aus Bernstein Das Tor ist aus Eisen. Die Kette ist aus Bernstein. Als Alternative zur attributiven Verwendung können auch Erstglieder in Nominalkomposita betrachtet werden: Eisentor Goldarmband Holzhaus WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; PFn -e(r)n] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet ein Material, das Bezugswort einen natürlichen Gegenstand oder ein Artefakt. Die Bedeutung kann durch die Paraphrase 'x besteht aus N', bei Artefakten als Bezugswort auch durch 'x ist aus N hergestellt', verdeutlicht werden: Das Basiswort bezeichnet Mineralien: basalten, bronzen, eisern, golden, silbern, graniten, kupfern, marmorn, steinern Das Basiswort bezeichnet pflanzliche Rohstoffe: eichen, kiefern, buchen, tannen, hölzern

242

Kapitel 3

Das Basiswort bezeichnet tierische Rohstoffe: ledern, wollen, knöchern Das Basiswort bezeichnet Gewebe: batistene, damasten, seiden, plüschen, samten, brokaten Das Basiswort bezeichnet andere von Menschen erzeugte Materialien: stählern, zinnern, bleiern, zementen, blechern, gipsern, tönern, gläsern, pergamenten, kristallen, schokoladen (e Ostereier) MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix tritt in den Varianten -en und -ern auf. Regeln für die Verteilung der Varianten sind nicht zu erkennen. Tritt das -e- an Stämme auf -er, wird es eliminiert: silber-n, kiefer-n, leder-n Stämme mit den nasalen Endungen -in, -on sowie mit starkem Vokal als Silbenschluss werden gemieden: ?perlonen, ?nylonen, *mahagonin AKTIVITÄT:

Das Muster wird nur gelegentlich für Neubildungen verwendet, es ist also nur schwach aktiv. Viele Bildungen, die die semantischen und morphologischen Bedingungen des Bildungsmusters erfüllen, wirken sehr auffällig: nylonen, perlonen, vliesen, Vlieselinen, viskosen, lehmen, pappen, Stoffen. Bezeichnungen für Edelsteine sind mögliche Basiswörter {smaragden, brillanten). Auffällig wirken dagegen: aquamarinen, türkisen, topasen Neuere Bildungen sind häufig von Komposita abgeleitet, deren Zweitglied eine Materialbezeichnung ist. In der Regel existiert bereits ein lexikalisiertes Material-Adjektiv zum Zweitglied solcher Komposita: krokodilhäutern, ziegenledern, hirschledern, schmiedeeisern 2.2.11 Agens von Geschehen Geschehen oder Artefakte können durch einen Verweis auf den Initiator für ihr Zustandekommen spezifiziert werden. Die Bildungen gehen auf verbale Ausdrücke zurück, deren Agensstelle dem Basiswort der Derivation entspricht. Die semantische Repräsentation des Bezugswortes enthält die semantische Repräsentation des Verbs. Wir gehen deshalb von einer Relation

Adjektivbildung

243

AGENS VON (x, y), 'x ist Agens von y', aus, die das semantische Muster begründet: [AGENS VON (N)] (x) 'N als Agens zu haben, ist eine Eigenschaft von x'

eine polizeiliche Maßnahme 'von der Polizei initiiert zu sein ist eine Eigenschaft der Maßnahme' 'eine Maßnahme, die die Polizei trifft/getroffen hat' Dem Relat x entspricht das Basiswort N und dem Relat y die Argumentstelle für das Bezugswort (x). Bezeichnet das Bezugswort ein Geschehen, so entspricht die Stelle für das Basiswort der Agensstelle eines Verbs, das dem Bezugswort zugrunde liegt: ein fachmännisches Urteil Ein Fachmann urteilt. die hofrätliche Verherrlichung der Schneeschmelze (Th. Mann) Der Hofrat verherrlicht die Schneeschmelze. Da das Basisnomen nicht referiert, entspricht die Interpretation des Adjektivs der von Nominalphrasen mit generischer Determination. Beispiele wie das von Th. Mann sind nicht typisch. Bezeichnet das Bezugswort ein Artefakt, ein Produkt menschlicher Handlungen, so kann für N eine Person, eine Personengruppe oder eine Institution stehen, die Produkte, wie sie das Bezugswort bezeichnet, herstellt. Für die semantische Repräsentation solcher Bildungen ist ein zweistelliges Prädikat HERSTELLEN zu ergänzen, dessen Thema-Stelle durch das Bezugswort besetzt ist. Wir können davon ausgehen, dass die semantische Repräsentation von Artefakten eine Variable für den Hersteller enthalten, die durch Adjektive, die nach dem hier behandelten semantischen Muster gebildet sind, spezifiziert werden kann: französischer Wein 'Wein, der von Franzosen hergestellt ist' chinesische Seide 'Seide, die von Chinesen hergestellt wurde' die päpstliche Enzyklika 'die Enzyklika, die vom Papst verfasst wurde' Ist das Basisnomen eine Bezeichnung für Bewohner von Ländern oder Städten, so ist eine doppelte Deutung möglich, d.h., die Bildungen können auch nach dem Muster ORT VON interpretiert werden:

244

Kapitel 3

französischer Wein 'Wein der von Franzosen hergestellt ist' 'Wein, der in Frankreich hergestellt ist' GRADIERBARKEIT:

Nach diesem Muster gebildete Adjektive bezeichnen absolute Eigenschaften. Sie sind deshalb nicht gradierbar. SYNTAKTISCHE VERWENDUNG:

Die attributive Verwendung ist typisch für Bildungen dieses Typs. Prädikative Verwendung ist ausgeschlossen. Adjunktive Verwendung ist nur in Passivsätzen möglich, da die Agensstelle in Aktivsätzen durch das Subjekt besetzt werden muss. In Passivsätzen kann das Adjektiv für eine Agens-Phrase stehen: Die Straßensperre wurde polizeilich angeordnet. Die Straßensperre wurde von der Polizei angeordnet. Die Kur wird ärztlich empfohlen. Die Kur wird von Ärzten empfohlen. Der Schaden wurde fachmännisch beseitigt. Der Schaden wurde von einem Fachmann beseitigt. Das zuletzt aufgeführte Beispiel lässt auch eine Interpretation nach dem semantischen Muster [GEMÄSS (N)] (x) zu: 'Der Schaden wurde nach den Methoden, die Fachmänner anwenden, repariert'. Adjektivmodifizierende Verwendung ist nur sekundär möglich, d.h., wenn das Bezugswort ein adjektiviertes Verb ist: polizeilich verboten ärztlich verordnet fachmännisch repariert SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

- Attributive Verwendung: Genitivattribute (subjektiver Genitiv): Urteil eines Fachmanns Maßnahmen der Polizei Rat eines Arztes

Adjektivbildung

245

Präpositionalphrase mit von: Rat von einem Arzt Urteil von einem Fachmann Erstglied eines Nominalkompositums: Polizeimaßnahme Arztempfehlung Russensekt - Adjunktive Verwendung: Präpositionalphrase mit von: Der Schaden wurde von einem Fachmann beseitigt. Die Maßnahme wurde von der Polizei verfügt. WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; PFN -isch] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet eine Person oder eine Institution, das Bezugswort eine Handlung oder das Resultat einer Handlung. Durch das Muster wird das Basiswort als Agens der Handlung gedeutet. Da das Basisnomen nicht auf einen in der Redesituation spezifizierten Gegenstandsbereich referiert, ergibt sich die Deutung 'ein beliebiges Exemplar der vom Basiswort bezeichneten Klasse': fachmännisches Urteil christdemokratischer Kongress graphologisches Gutachten boxerische Übungen bläserische Kunst schriftstellerisches Werk seelsorgerische Betreuung übersetzerische Fehlleistungen israelische Angriffe ghanesische Warenlieferungen landesverräterische Aktivitäten friderizianische Namensverleihung chirurgischer Eingriff umweltschützerische Aktivitäten gastgeberische Honneurs bauchrednerisches Gebell (Th. Mann)

246

Kapitel 3

Das Basiswort bezeichnet eine Person, das Bezugswort eine Handlung oder ein Handlungsergebnis. Eine Besonderheit besteht darin, dass das Basiswort nicht als Agens, sondern als Apposition gedeutet wird, die eine Funktion des Agens beschreibt. In diesen Fällen kann der Agens zusätzlich als Genitivattribut auftreten: das schriftstellerische Werk Thomas Manns die landesverräterischen Delikte des Angeklagten MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix -isch tritt an einfache und komplexe Stämme. Sehr häufig sind die Basiswörter nomina agentis. AKTIVITÄT:

Trotz zahlreicher lexikalisierter Bildungen ist das Muster nur schwach aktiv. (2) [SM; P F n -sch] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort ist der Familienname einer Person. Das Bezugswort bezeichnet eine Handlung oder ein Handlungsresultat. Die Person wird als Agens, als Urheber einer Handlung oder eines Handlungsresultats gedeutet. In einigen Fällen ist die Person verantwortlich für Handlungen oder Handlungsresultate. Die Bildungen sind auf attributive Verwendung beschränkt, es handelt sich also um relationale Adjektive: das brahmssche Violinkonzert die humboldtsche Universitätsreform, der chopinsche Klavierstil die settembrinische Anordnung der Dinge (Th. Mann) die hitlerschen Massenmorde MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix -sch ist eine Variante von -isch, die nur an Familiennamen tritt. Der Stamm des Familiennamens bleibt vollständig erhalten. Die alte Orthographie verlangt Zusammen- und Großschreibung, obwohl es sich ohne Zweifel um Adjektive handelt (Goethesche Lyrik, Grimmsche Märchen, Ohmsches Gesetz). Sie schreibt dagegen in Fällen, in denen der Eigenname mit übertragener Bedeutung verwendet wird, Kleinschreibung vor (der ohmsche Widerstand). Die neue Orthographie lässt neben Zusammenund Kleinschreibung auch Großschreibung und Apostroph nach dem Familiennamen zu (goethesche Lyrik, Goethe 'sehe Lyrik).

Adjektivbildung

247

AKTIVITÄT:

Das Muster ist mit Familiennamen als Basis stark aktiv. (3) [SM; PFN -lieh] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet eine Person oder Institution, das Bezugswort eine Handlung oder ein Handlungsergebnis: geheimdienstliche Nachforschungen kaiserliche Order polizeiliche Maßnahme erstgerichtliche Entscheidung amtsärztliches Zeugnis feuerpolizeiliches Verbot sportamtliche Sperre Das Basiswort bezeichnet eine Person, die eine bestimmte Funktion ausübt, das Bezugswort eine Handlung. Das Konzept des Basiswortes wird appositiv auf die Handlung bezogen. Als Paraphrase ist möglich 'x wird von einer Person in deren Funktion als N ausgeübt': seine gutachterliche Tätigkeit, richterliche Kommentare MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Wie in anderen Mustern präferiert -lieh native Wörter als Basis. Fremdwörter müssen mit -isch kombiniert werden. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv. Das Basiswort bezeichnet sehr häufig eine Institution des öffentlichen Lebens oder eine Person, die eine besondere Funktion im öffentlichen Leben ausübt. Das Beispiel hofrätliche Verherrlichung der Schneeschmelze, das aus dem 'Zauberberg' von Thomas Mann stammt, verdeutlicht, dass diese Konnotation als besonderes Stilmittel verwendet werden kann. Auffallig sind dennoch nach dem Muster vorhersagbare Bildungen wie: kanzlerlicher Vorstoß (auch kanzlerischer Verstoß) krankenhausliche Versorgung von Patienten

248

Kapitel 3

2.2.12 Ursache von Geschehen Das Basiswort eines derivierten Adjektivs kann ein Nomen sein, das eine Ursache oder einen Grund für ein im Bezugswort benanntes Geschehen bezeichnet. Wir nehmen die Relation CAUS (x, y), 'x ist Ursache von y' an, die in das semantische Muster eingeht: [CAUS (N, x)] (x) 'N als Ursache zu haben, ist eine Eigenschaft von x' Er hat sich anstandshalber entschuldigt. 'Anstand ist die Ursache dafür, dass er sich entschuldigt hat' Das Relat x entspricht dem Basiswort, das Relat y der Argumentstelle für das Bezugswort (x). Das Muster kann als Konverse zum Muster 'Folge von Geschehen oder Zuständen' betrachtet werden. GRADIERBARKEIT:

Die Adjektive sind nicht gradierbar. SYNTAKTISCHE VERWENDUNG:

Adjektive dieses Typs sind primär adjunktiv verwendbar. Adjektivmodifizierende Verwendung ist sekundär möglich, d.h., in diesen Fällen bleibt die adjunktive Interpretation erhalten. Attributive und prädikative Verwendung sind ausgeschlossen. Es handelt sich also um Adverbien: Er liest berufshalber Romane. die studienhalber durchgefiihrte Reise SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Präpositionalphrasen mit der Präposition wegen und Adverbialsätze mit der kausalen Konjunktion weil können als syntaktische Alternativen gelten: Er ist wegen einer Krankheit zu Hause geblieben. Er ist zu Hause geblieben, weil er krank war. Er liest wegen seines Berufs Romane. Er liest Romane, weil es sein Beruf ist.

Adjektivbildung

249

WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; PFn -halber] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet eine Ursache, die das im Bezugswort bezeichnete Geschehen zur Folge hat: Er ist krankheitshalber zu Hause geblieben. Literaturkritiker lesen Romane berufshalber. Ich werde vorsichtshalber schweigen. Er hat sich anstandshalber entschuldigt. In vielen Fällen kann N als Ziel oder Motiv einer Handlung interpretiert werden. Dann liegt eine finale Beziehung vor, die durch 'um N durchzufuhren/zu erreichen' paraphrasiert werden kann: Er hält sich studienhalber in Paris auf. Sie haben ihm spaßeshalber den Hut versteckt. Er wurde besserungshalber in ein Heim eingewiesen. Elkes Bein darf nur probehalber belastet werden. MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

-halber ist ein Suffix, das Stammerweiterungen verlangt, die in den meisten Fällen mit dem GenitivsufFix zum gleichen Stamm identisch sind. Dafür gibt es historische Gründe. Dass es sich um eine Fuge handelt, wird daran deutlich, dass auch feminine Stämme, die mit Konsonanten enden, durch -s- erweitert werden: krankheitshalber, vorsichtshalber, sicherheitshalber, besserungshalber AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv. Die meisten Bildungen sind jedoch lexikalisiert. 2.2.13 Verfügen über etwas Eine Person, Personengruppe oder Institution kann Verfügungsgewalt oder Kontrolle über physikalische oder abstrakte Gegenstände haben. Dem entspricht die Relation HABEN (x, y), 'x verfügt über y'. Diese Relation bildet die Grundlage für das semantische Muster: [HABEN (N)] (x) 'Uber x zu verfügen, ist eine Eigenschaft von x'

250

Kapitel 3

das väterliche Haus 'das Haus, das der Vater besitzt' staatliche Betriebe 'Betriebe, die der Staat kontrolliert' Dem Relat x entspricht das Basiswort N und dem Relat y das Bezugswort x. Die Art der Verfugungskompetenz ergibt sich aus dem Kontextwissen. Häufig beruht sie auf rechtlichen Festlegungen wie Eigentum, Vollmacht u.ä. In der sprachwissenschaftlichen Literatur wird die hier zu behandelnde Relation auch possessiv genannt. Als Untertyp wollen wir Bildungen betrachten, in denen das Bezugswort Eigenschaften, Verhaltensweisen oder Fähigkeiten von Personen bezeichnet. Das Basiswort bezeichnet in diesem Falle den Träger der Eigenschaften, Verhaltensweisen oder Fähigkeiten. HABEN hat hier also eine verallgemeinerte Bedeutung: kindlicher Trotz väterliche Strenge heidnische Sitten katholische Moral GRADIERBARKEIT:

Nach dem Muster zu analysierende Adjektive bezeichnen absolute Eigenschaften. Damit scheidet Gradierbarkeit aus. SYNTAKTISCHE VERWENDUNG:

Die attributive Verwendung ist typisch für Adjektive, die nach diesem Muster gebildet sind. Es handelt sich um relationale Adjektive. Adjunktive und adjektivmodifizierende Verwendung sind ausgeschlossen. SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Alternativen zu den attributiv verwendeten Adjektiven sind Genitivattribute und Erstglieder in Nominalkomposita: die Wohnung der Eltern das Haus des Vaters das Heer Napoleons die Moral der Katholiken Elternwohnung Vaterhaus Hitlerarmee

Adjektivbildung

251

Kindertrotz Katholikenmoral WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; PFN -lieh] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet Personen oder Personengruppen, das Bezugswort physikalische Gegenstände, über die Kontrolle ausgeübt wird: feindliches Flugzeug kaiserliche Soldaten päpstlicher Legat ärztliche Praxis Das Basiswort bezeichnet Personen oder Personengruppen, das Bezugswort Gegenstände oder Einrichtungen, die die Personen besitzen: väterliches Haus genossenschaftliches Eigentum kurfürstliches Schloss nachbarliches Anwesen mittelbäuerliche Betriebe Das Basiswort bezeichnet eine Person, das Bezugswort eine Eigenschaft oder eine Kompetenz, über die die Person verfügt: männlicher Stolz weibliche Eitelkeit menschliche Schwäche fraulicher Reiz königliche Gewalt richterliche Befugnisse MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

-lieh ist ein Suffix. Musterspezifische Beschränkungen oder Besonderheiten sind nicht festzustellen. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist schwach aktiv. Neubildungen sind möglich, jedoch selten. Das verdeutlicht die starke Auffälligkeit vieler vorhersagbarer Bildungen:

252

Kapitel 3

die chefliche Ehefrau die tantlichen Hüte die brüderlichen Fabriken der schwesterliche Schmuck das sohnliche Erbe die freundliche Bibliothek In behördensprachlichen Texten wird das Muster häufiger verwendet: der ehepartnerliche Anteil am Besitz der bürgermeisterliche Amtssitz das landrätliche Büro (2) [SM; PFn -isch] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet Personen oder Staaten, das Bezugswort physikalische Gegenstände, über die verfugt wird: das napoleonische Heer eine spanische Kolonie amerikanische Immobilien russische Kasernen Das Basiswort bezeichnet Personen, das Bezugswort Eigenschaften oder Gewohnheiten: die hanseatische Frohnatur heidnische Sitten die katholische Moral MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

-isch ist ein Suffix. Die Bildungen weisen keine musterspezifischen Besonderheiten auf. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv. Neubildungen sind aber selten. Die meisten vorhersagbaren Bildungen sind auffallig: das untermieterische Zimmer die bäckerische Wohnung das angeberische Auto ('Auto des Angebers')

Adjektivbildung

253

(3) [SM; P F n -seh] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort ist ein Personenname, das Bezugswort bezeichnet einen Gegenstand oder eine Eigenschaft, über den bzw. die die Person verfugt: das herdersche Wohnhaus, die Beck'sche Buchhandlung das schillersche Temperament MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix -sch tritt an die volle phonologische Form des Stammes. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv. 2.2.14 Mittel einer Tätigkeit Ein Geschehen kann durch eine Bezeichnung für ein Mittel modifiziert werden, das an dem Geschehen beteiligt ist. Wir nehmen eine Relation MITTEL VON (x, y), 'x ist Mittel von y' an, die dem semantischen Muster zugrunde liegt: [MITTEL VON (N)] (x) 'N als Mittel zu haben, ist eine Eigenschaft von x'

eine briefliche Mitteilung 'Mitteilung, die mittels eines Briefes erfolgt' Das Relat x entspricht dem N, das Relat y dem Bezugswort x. Die Relation MITTEL VON lässt sich durch die Paraphrasen 'mittels N \ 'mit Hilfe von N', 'mit N' verdeutlichen. Das Basiswort bezeichnet meist kein Instrument im engeren Sinne. Bildungen wie die folgenden sind ausgeschlossen: *messerliches Schneiden der Wurst *zangliche Entfernung des Zahns *kranliches Ausheben der Baugrube GRADIERBARKEIT:

Die nach dem Muster zu analysierenden Adjektive bezeichnen absolute Eigenschaften und sind deshalb nicht gradierbar.

254

Kapitel 3

SYNTAKTISCHE VERWENDUNG:

Typisch für Bildungen dieses Typs ist die adjunktive Verwendung und Interpretation. Attributive und adjektivmodifizierende Verwendung sind sekundär. Prädikative Verwendung ist ausgeschlossen. SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Als syntaktische Alternativen können Präpositionalphrasen mit der Präposition mittels betrachtet werden: Das wurde uns mittels eines Briefs verständlich gemacht. Das Gewebe wird mittels eines Mikroskops untersucht. eine Mitteilung mittels eines Briefs eine Untersuchung mittels eines Mikroskops WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; PF n -lieh] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet ein Medium, das Bezugswort eine Handlung. Die Handlung wird mit Hilfe des Mediums durchgeführt: schriftliche Bestätigung lautliche Hervorhebung eine drahtlich (wohl: des Drahtens wegen) knapp abgefasste (Th. Mann)

Nachricht

Das Basiswort bezeichnet eine sprachliche Form oder eine bestimmte Textsorte, in der Sprachhandlungen vollzogen werden, die durch das Bezugswort bezeichnet werden: dekretliche Entscheidung briefliche Information steckbriefliche Verfolgung textliche Erläuterungen vertragliche Vereinbarung mündliche Absage Das Basiswort bezeichnet einen mentalen Gegenstand, das Bezugswort eine mentale Handlung: gedankliche Verarbeitung des Stoffes muttersprachliche Aneignung der Welt

Adjektivbildung

255

MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Es gilt die Verteilung von -lieh und -isch im Hinblick auf Fremdwörter, -lieh präferiert native Wörter als Basis, -isch Fremdwörter. AKTIVITÄT:

Das Muster ist aktiv, besonders in Fachsprachen: telegrammliche Benachrichtigung morsegerätliche Nachrichtenübermittlung funklicher Kontakt Stark auffällig wirken dagegen Bildungen wie die folgenden: gefiihlliche Aneignung fernglasliche Beobachtung glasfaserkabeliches Telefonieren (2) [SM; PFN -isch] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet ein Medium, mit dessen Hilfe die im Bezugswort designierte Handlung vollzogen wird: telegraphische Anfrage telefonische Beratung chemische Reinigung elektronische Verarbeitung mikroskopische Untersuchung elektrischer Antrieb technische Unterstützung Das Basiswort bezeichnet eine Zeichenform oder eine Textform mit der eine im Bezugswort bezeichnete Handlung vollzogen wird: prosodische Hervorhebung satzmelodische Unterstreichung phonetische Kennzeichnung graphische Wiedergabe der Struktur MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Es gelten die Verteilungsprinzipien für -lieh und -isch im Hinblick auf Fremdwörter. Auf Besonderheiten der Wortbildung mit Fremdwörtern als Stamm, die am Basiswort von Bildungen wie chem + isch, elektr + isch, techn + isch deutlich werden, weisen wir hier nur hin. Vgl. Schmidt (1987, S. 37 ff.).

256

Kapitel 3

AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv. (3) [SM; P F n -ig] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet einen Körperteil, mit dessen Hilfe eine im Bezugswort benannte Handlung ausgeführt wird: beidäugiges Sehen beidarmiges Drücken eigenhändige Unterschrift MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

-ig ist ein Suffix. Das Muster lässt durch Adjektive erweiterte Basen zu, d.h. Zusammenbildungen. Da es zur lexikalischen Bedeutung von Körperteilen gehört, dass mit ihrer Hilfe bestimmte Aktivitäten ausgeübt werden, ist aus pragmatischen Gründen eine Spezifizierung erforderlich. AKTIVITÄT:

Das Muster ist hauptsächlich auf lexikalisierte Bildungen beschränkt, die meist zu fachsprachlichen Terminologien gehören. Das Wortbildungsmuster ist schwach aktiv: beidohriges Hören linksarmige Bewegungen rechtshirniges Wahrnehmen beidfiißiges Stürmen spitzmundiges Küssen beidföustige Abwehr 2.2.15 Betroffenes Objekt Geschehen, die einen durch eine Handlung betroffenen Aktanten einschließen, können durch die Herausstellung dieses Aktanten modifiziert werden. Die Thema-Rolle von Handlungsverben wird auf diese Weise exponiert. Es hängt vom Bezugswort ab, ob die Thema-Rolle als affizierter oder als effizierter Aktant interpretiert wird, d.h., ob er bereits existiert oder erst durch das Geschehen hervorgebracht wird. Wir setzen eine Relation THEMA VON (x, y), 'x ist Thema von y' voraus, die in das semantische Muster eingeht: [THEMA VON (N)] (x) 'N als betroffenen Gegenstand zu haben, ist eine Eigenschaft von x'

Adjektivbildung

257

studentische Betreuung 'Betreuung, die Studenten betrifft' kaufmännische Ausbildung 'Ausbildung, die die Qualifikation als Kaufmann hervorbringt' Dem Relat x entspricht das Basiswort N, dem Relat y die Argumentstelle für das Bezugswort x. Das Bezugswort ist ein Nomen, das Handlungen oder Handlungsresultate bezeichnet. GRADIERBARKEIT:

Die Adjektive bezeichnen absolute Eigenschaften und sind deshalb nicht gradierbar. SYNTAKTISCHE VERWENDUNG:

Adjektive dieses Typs sind auf die attributive Verwendung eingeschränkt. Es handelt sich um relationale Adjektive. SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Als Alternativen können Präpositionalphrasen mit von sowie Erstglieder von +Komposita betrachtet werden: Weiterbildung von Ärzten Betreuung von Studenten Ausbildung von Kaufleuten Ärzteweiterbildung Studentenbetreuung Schauspielerausbildung WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; PFn -isch] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet eine Person, die von einer vom Bezugswort bezeichneten Handlung betroffen ist, auf die eine Handlung ausgerichtet ist: seemännische Ausbildung soldatische Erziehung kaufmännische Lehre studentische Betreuung

258

Kapitel 3

MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

-isch ist ein Suffix. Musterspezifische Besonderheiten sind nicht zu erkennen. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist schwach aktiv. Auffällig ist die Häufigkeit von Basiswörtern, die Berufe als Ausbildungsziele bezeichnen. Das Bezugswort ist in diesen Fällen meist Ausbildung, Lehre, Erziehung oder Studium. Ebenso wie das Bildungsmuster, das den Verursacher einer Handlung herausstellt, nicht auf ein beliebiges Agens einer Handlung anwendbar ist, kann auch das Thema nur in sehr beschränkten Fällen zur adjektivischen Eigenschaft werden. (2) [SM; PFn -lieh] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet das Thema einer nominal gefassten Handlung oder eines Handlungsresultats: fremdsprachlicher Unterricht muttersprachlicher Unterricht eigentumliche Gesetzesbestimmungen gesundheitliche Beeinträchtigungen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

-lieh ist ein Suffix. Musterspezifische Besonderheiten sind nicht zu erkennen. AKTIVITÄT:

Das Muster ist besonders in Fachsprachen aktiv. 2.2.16 Folge von Geschehen oder Zuständen Ein Nomen, das die Folge eines Geschehens oder Zustands bezeichnet, kann als Eigenschaft gedeutet werden. Das Bezugswort bezeichnet die Ursache. [CAUS (x, N)] (x) 'N zu verursachen, ist eine Eigenschaft von x' ekelhafter Geruch 'Geruch, der Ekel zur Folge hat' Das Basiswort bezeichnet psychische oder physische Zustände von Lebewesen, am häufigsten von Personen. Grundsätzlich ist in Verbindung mit Personenbezeichnungen eine doppelte Interpretation möglich. So kann eine traurige Gestalt bedeuten 'jemand, dessen Gestalt Trauer hervorruft' oder 'jemand, der

Adjektivbildung

259

sich im Zustand der Trauer befindet'. Die zuletzt erwähnte Interpretation ist auch möglich, wenn der im Adjektiv bezeichnete Zustand als Zustand eines mitverstandenen Agens gedeutet werden kann. So kann ein wehmütiger Abschied bedeuten: 'bestimmte Personen waren wehmütig als sie Abschied nahmen'. Die zweite Interpretation entspricht dem Muster, das wir als 'Umkategorisierung' aufgeführt haben. Unklar ist, weshalb nicht alle Bildungen, die Adjektivierungen nominal lexikalisierter emotionaler Zustände sind, die Folge-von-Interpretation zulassen: süchtiges Verhalten 'Verhalten einer Person, die süchtig ist' •'Verhalten, das Sucht hervorruft' zornige Bemerkung *'Bemerkung erzeugt Zorn' gieriger Blick *'Blick erzeugt Gier' reuiges Eingeständnis * 'Eingeständnis erzeugt Reue' GRADIERBARKEIT:

Adjektive dieses Typs sind gradierbar, da das Basiswort einen Zustand bezeichnet, der skalierbar ist: noch ekelhafter am abscheulichsten SYNTAKTISCHE VERWENDUNG:

Die Bildungen können attributiv, prädikativ, adjunktiv und z.T. auch adjektivmodifizierend verwendet werden: ein ekelhafter Geruch der Geruch ist ekelhaft Hier riecht es ekelhaft, ekelhaft hässlich SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Es gibt keine grammatikalisierten Alternativen.

260

Kapitel 3

WORTBILDUNGSMUSTER: (1) [ S M ; P F n -ig] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet einen emotionalen Zustand, das Bezugswort ein Geschehen oder das Resultat eines Geschehens: traurige Nachricht freudiges Ereignis spaßige Veranstaltung lustiger Anblick ekelige Entdeckung wonniges Vergnügen wehmütiger Abschied langweilige Veranstaltung MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix -ig tritt vorwiegend an einfache Stämme. AKTIVITÄT:

Das Muster ist auf zahlreiche lexikalisierte Bildungen beschränkt, es ist inaktiv. (2) [ S M ; P F n - h a f t ] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet einen emotionalen oder physischen Zustand, der durch eine im Bezugswort bezeichnete Handlung oder durch die Wahrnehmung eines Gegenstandes hervorgerufen wird: ekelhafter Anblick grauenhafte Entdeckung schmerzhafte Mitteilung schauderhafte Kleidung MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix -haft tritt an einfache Stämme. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist auf lexikalisierte Bildungen beschränkt. Es ist inaktiv.

Adjektivbildung

261

(3) [SM; PFn -lieh] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet einen emotionalen oder physischen Zustand, das Bezugswort ein Geschehen oder einen Gegenstand, das bzw. der den Zustand auslöst: vergnügliche Veranstaltung abscheuliches Verbrechen erbärmliche Haltung jämmerliche Entschuldigung peinliche Erwiderung schmerzlicher Verlust ärgerliches Versäumnis schauderliche Nachlässigkeit appetitliche Erscheinung MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

In vielen Fällen ist auch eine deverbale Analyse möglich. Vgl.: eine erbärmliche Haltung 'Haltung, die einen erbarmt' ein schmerzlicher Verlust 'Verlust, der schmerzt' AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist inaktiv. 2.2.17 Maßangabe Ein Geschehen kann durch eine Maßangabe für einen von diesem Geschehen betroffenen Gegenstand oder durch ein Maß für eine zurückzulegende Strecke modifiziert werden. Wir nehmen eine Relation MASS VON (x, y), 'x ist ein Maß bezüglich y', an, die in das semantische Muster eingeht: [MASS VON (N)] (x) 'N als Maß zu haben, ist eine Eigenschaft von x' kiloweise Spaghetti essen 'in Kilo-Menge Spaghetti essen' schrittweise vorankommen 'im Schritt-Maß vorankommen' Dem Relat x entspricht das Basiswort N, dem Relat y das Bezugswort (x).

262

Kapitel 3

GRADIERBARKEIT:

Adjektive dieses Typs sind nicht gradierbar. SYNTAKTISCHE VERWENDUNG:

Nach diesem semantischen Muster gebildete Adjektive werden primär adjunktiv verwendet, können also als Adverbien bezeichnet werden. Sekundäre attributive und adjektivmodifizierende Verwendung ist möglich: Er kommt schrittweise voran, schrittweises Vorankommen schrittweise vorangekommen SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Es existieren keine grammatikalisierten syntaktischen Alternativen. WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; PF n -weise] SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Maßangabe bezieht sich auf einen von einem Geschehen betroffenen Gegenstand. Das Basiswort bezeichnet ein Maßkonzept: Liter, Meter, Kilometer, Pfund, Kilo, Mandel, Fass, Bündel, Stück, Sack, Löffel. Mit dem semantischen Muster ist eine Interpretation verbunden, die eine mehrfache Ausfuhrung der Handlung oder eine Gliederung in Teilakte voraussetzt: teelöffelweise Honig in den Teig tröpfeln 'mehrmals einen Teelöffel voll Honig in den Teig tröpfeln' kiloweise Spaghetti essen busweise Touristen in die Stadt fahren karrenweise Kohlen in den Schuppen fahren scharenweise Gäste verpflegen Die Basis kann auch ein Maß für eine zurückgelegte Strecke sein. Die Bezugswörter bezeichnen Geschehen, die eine Bewegung entlang einer Strecke beinhalten: nur schrittweise vorankommen das Gebäude etagenweise durchkämmen die Stadt häuserblockweise erobern das Buch abschnittsweise diskutieren

Adjektivbildung

263

MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Wir analysieren -weise als Suffix. Vgl. Kapitel 1, S. 12. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv. Es ist auf alle Wörter anwendbar, die Maßangaben bezeichnen oder auch als Maßangaben interpretiert werden können. 2.2.18 Muster mit privativen Relationen Zu mehreren semantischen Mustern gibt es privative Gegenstücke. Das Zutreffen einer Relation wird in diesen Fällen negiert, d.h., die Abwesenheit von Eigenschaften, Teilen, Mustern, Mitteln wird als Eigenschaft herausgestellt. Semantische Muster dieser Art beschreiben Antonyme zu den positiven Mustern. Die allgemeine Form dieser Muster ist: [NON (SM)] (x) 'x hat die Eigenschaft, die durch die Negation eines semantischen Musters charakterisiert ist' Diese Möglichkeit ist auf folgende Muster beschränkt: [NON (MUSTER VON (N))] (x) 'nicht nach dem Muster N zu verlaufen, ist eine Eigenschaft von x' regellos, planlos, beispiellos [NON (TEIL VON (N))J (x) 'N nicht als Teil zu haben, ist eine Eigenschaft von x' bartlos, blattlos, fensterlos [NON (BESTANDTEIL VON (N))] (x) 'N nicht als Bestandteil zu haben, ist eine Eigenschaft von x' staublos, wolkenlos, salzlos [NON (MITTEL VON (N))] (x) 'nicht mittels N zu erfolgen, ist eine Eigenschaft von x' kabellos, drahtlos [NON (CAUS (x, N))] (x) ist eine Eigenschaft von x' 'N nicht zu verursachen, schmerzlos, hoffnungslos Privative Beziehungen sind offensichtlich immer dann möglich, wenn die Abwesenheit einer Eigenschaft signifikant ist und damit auch kommunikativ

264

Kapitel 3

sinnvoll. Vorauszusetzen ist also eine Situation, in der die Anwesenheit der negierten Eigenschaft mindestens ebenso erwartbar ist wie die Abwesenheit. Das erklärt, weshalb semantische Muster mit den Relationen WIE (x, y), AGENS VON (x, y), HABEN (x, y) keine privativen Gegenstücke haben. Adjektive mit dem Suffix -los sind wertungsneutral, d.h., mögliche Bewertungen sind unabhängig von dem Bildungsmuster: negativ: skrupellos, gewissenlos positiv: sorglos, schmerzlos neutral: bartlos, kabellos GRADIERBARKEIT:

Einige privative Muster beschreiben nichtgradierbare Adjektive: bartlos, fensterlos, randlos; kabellos, drahtlos Gradierbar sind dagegen: mutlos, neidlos; regellos, planlos, beispiellos; hoffnungslos SYNTAKTISCHE VERWENDUNG:

Adjektiven, die nach privativen Mustern gebildet sind, stehen alle Verwendungsmöglichkeiten von Adjektiven offen. SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Als syntaktische Alternativen können Präpositionalphrasen mit der Präposition ohne betrachtet werden: - Attributive Verwendung: ein Himmel ohne Wolken ein Acker ohne Steine eine Brille ohne Rand - Prädikative Verwendung: Der Himmel ist ohne Wolken. Der Acker ist ohne Steine. Die Brille ist ohne Rand. - Adjunktive Verwendung: Das Bad wurde ohne Fenster gebaut. Ich kenne ihn nur ohne Bart. Sie hat ihr Kind ohne Schmerzen geboren.

Adjektivbildung

265

WORTBILDUNGSMUSTER:

Als Suffix steht nur -los zur Verfugung. Adjektivkomposita mit -frei können jedoch als eine besondere Spezifizierung der Wortbildungsmuster mit -los betrachtet werden. Wir fuhren sie deshalb hier an. (1) [SM; PF N

-los]

SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet eine Eigenschaft, das Bezugswort den Eigenschaftsträger. Durch das Muster wird ausgedrückt, dass dem Bezugswort die Eigenschaft nicht zukommt: mutlos, eiferlos, anstandslos, sorglos Das Basiswort bezeichnet einen natürlichen Teil des Gegenstandes, den das Bezugswort bezeichnet. Das Muster drückt aus, dass die TEIL VON-Beziehung nicht besteht: bartloses Gesicht fensterloses Bad randlose Brille Das Basiswort bezeichnet einen Bestandteil des vom Bezugswort bezeichneten Gegenstandes. Das Muster drückt aus, dass dieser Gegenstand nicht Bestandteil ist: staubloser Raum atomwaffenlose Zone wolkenloser Himmel salzlose Nahrung Das Basiswort bezeichnet einen Gegenstand, über den die im Bezugswort genannte Person nicht verfugt: besitzloser Mensch güterloser Adliger wohnungsloser Bettler arbeitsloser Akademiker Das Basiswort bezeichnet ein Medium, das für die im Bezugswort genannte Handlung nicht in Anspruch genommen wird: kabelloses Telefonieren drahtloses Übersenden Das Basiswort bezeichnet einen mentalen Zustand, der im Zusammenhang mit einem Geschehen oder der Wahrnehmung eines Gegenstandes nicht eintritt:

266

Kapitel 3

schmerzlose Geburt tadelloses Bild sorgloses Leben MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix -los verlangt z. T. Stammreduzierung (sorg(en)los, farb(e)los) und in einigen Fällen Stammerweiterungen (teilnahmslos, rücksichtslos, hoffnungslos). AKTIVITÄT:

Alle Wortbildungsmuster, die hier zusammengefasst wurden, sind stark aktiv. (2) [(N) f r e i j Das Adjektiv frei von hat die gleiche privative Bedeutung wie das semantische Muster, das dem Wortbildungstyp mit dem Suffix -los zugrunde liegt. Der Unterschied besteht darin, dass -frei von positiv konnotiert ist. Das NichtzutrefFen einer bestimmten Relation zwischen Basis- und Bezugswort wird als positiv bewertet, auch wenn das Basiswort selbst neutral bewertet ist. In jedem Fall wird das Versehensein mit einem Gegenstand negativ bewertet. Deshalb scheiden Gegenstandsbezeichnungen, deren Anwesenheit unter normalen Umständen positiv bewertet ist, als Basiswörter aus. Werden solche Bildungen dennoch verwendet, muss die positive Konnotation des Basisworts ad hoc aufgehoben werden. Vgl. *glückfrei - glücklos, *mutfrei - mutlos, *etfolgfrei - erfolglos. Da auch neutrale Wörter als Basis möglich sind, betrachten wir die positive Bewertung als Bestandteil des Musters: emotionsfreie Reaktion atomwaffenfreie Zone schuldenfrei werden fehlerfrei schreiben aus steinschlagfreier Entfernung zusehen (Loest, Völkerschlachtdenkmal) Omas generationsfreies Einkaufsnetz MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Es handelt sich um Adjektivkomposita, deren semantische Struktur sich mit den semantischen Mustern der Derivationen mit -los bis auf die bewertende Komponente deckt. AKTIVITÄT:

Bildungen dieses Typs sind stark aktiv.

Adjektivbildung

267

2.3 Modifikation (Deadjektivische Adjektive und Adj ektivkomposita) Im Abschnitt 2.1 wurden Adjektivierungen von Wörtern besprochen, die anderen Wortarten angehören. Abschnitt 2.2 behandelt die Möglichkeiten, Adjektive aus Nomen abzuleiten. Das vorliegende Kapitel stellt die Möglichkeiten dar, Adjektive aus Adjektiven zu bilden. Zu berücksichtigen sind Suffigierungen, (A + Suffix), Präfigierungen, (Präfix + A) sowie Komposita mit einem Adjektiv als Zweitglied, (X + A). 2.3.1 Doppelte Modifikation (Adjektivische Koordinativkomposita) Ein adjektivisches Prädikat kann durch ein zweites ergänzt werden. Beide zusammen haben die gleiche Argumentstelle für ein Bezugswort. Wir beschreiben das entsprechende Muster als koordinative Verknüpfimg der semantischen Repräsentationen mindestens zweier Adjektive: [UND (A1, A2)] (x) 'A und A sind Eigenschaften von x'

ein dummdreister Mensch 'ein Mensch, der dumm und dreist ist' nasskaltes Wetter 'Wetter, das nass und kalt ist' süßsaure Speisen 'Speisen, die süß und sauer sind' Koordinative Verknüpfung von Adjektiven ist nicht nur in syntaktischen Konstruktionen, sondern auch in Wortstrukturen möglich: Das Kind ist taub und stumm, das taube und stumme Kind das taubstumme Kind Das Zimmer ist hell und geräumig, das helle und geräumige Zimmer das hellgeräumige Zimmer Für Wortstrukturen ist charakteristisch, dass das Erstglied nicht flektiert wird. Das Zweitglied vertritt das ganze Wort in syntaktischen Kontexten. In typischen adjektivischen Koordinativkomposita hat die Wortstruktur ein eigenes Akzentmuster: das Erstglied erhält einen stärkeren Akzent als das Zweitglied:

268

Kapitel 3

1

taub- stumm süß-sauer 1 feucht-warm 1

In syntaktischen Konstruktionen mit koordinierten Adjektiven ist dagegen der Akzent gleich stark: Das Kind ist 'taub und 'stumm. Die Soße ist 'süß und 'sauer. In syntaktischen Konstruktionen mit adjektivmodifizierendem Adjektiv, die einerseits mit adjektivischen Koordinativkomposita vergleichbar sind, da das modifizierende Adjektiv ebenfalls unflektiert ist, andererseits aber subordinativ sind, trägt das Bezugswort, d.h. das modifizierte Adjektiv bei Normalbetonung den stärkeren Akzent: Die Soße ist2sehr 'sauer. Er ist grässlich betrunken. Allen koordinativen Konstruktionen liegt semantisch eine koordinative Verknüpfung zugrunde. Für Koordinativkomposita ergeben sich daraus folgende Eigenschaften: - Erst- und Zweitglied gehören der gleichen syntaktischen Kategorie an. - Das mit dem Erstglied verbundene Konzept ist kein Modifikator des Konzepts, das zum Zweitglied gehört. - Die Reihenfolge hat keinen unmittelbaren Einfluss auf die semantische Interpretation. In lexikalisierten Bildungen ist sie festgelegt. In besonderen Fällen kann sie sich aus Abfolgen in der Sachwelt ergeben: ein klassisch-romantisch-moderner Sonatenabend die schwarz-rot-goldene Fahne - Die Eigenschaftskonzepte müssen sich in einen semantischen Typ einordnen lassen, es muss möglich sein, eine gemeinsame Einordnungsinstanz (GEI) zu finden. Vgl. Lang (1977). Adjektivische Koordinativkomposita bestehen in der Regel aus zwei Adjektiven, die unterschiedliche, jedoch in einen Typ einordenbare Eigenschaften bezeichnen. Als GEI fungieren z.B.: - Äußere Gestalt räumliche Ausdehnung + Farbe: schmal-silberner Mond

Adjektivbildung

269

Form + Farbe: spitz-gelbe Zähne - Meteorologische Zustände Helligkeit + Temperatur: grau-kaltes Wetter klar-eisiger Wintertag Feuchtigkeit+Temperatur: feuchtwarmes Klima nass-kaltes Wetter - Verhaltenseigenschaften Intelligenz + Sozialverhalten: dumm-dreist Auffällig wirken dagegen Bildungen, für die sich keine GEI konstruieren lässt: *eine verheiratet-blonde Kellnerin *der großmütig-gelbe Löwe *ein tot-dummer Spatz Die koordinierten Adjektive können auch antonyme Eigenschaftskonzepte bezeichnen. In diesem Falle werden polare Konzepte eines bestimmten semantischen Typs verknüpft: -

Geschmacksempfindungen: süßsauer bittersüß

- Distanz: fern-nah - Verhaltenseigenschaften: ernst-heiterer Charakter herzlich-barscher Ton Diese Möglichkeit besteht nur für konträre Antonyme. Komplementäre Adjektive sind ausgeschlossen. *ein verheiratet-lediger Bursche *ein tot-lebendiger Käfer süß-saure Soße enthält sowohl Komponenten, die Süßeempfindungen als auch solche, die Säureempfindungen hervorrufen. Die Soße ist also weder normal SÜSS noch normal SAUER. Ähnliches gilt für eine herzlich-barsche Entgegnung. Sie kann weder als uneingeschränkt HERZLICH noch als uneinge-

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Kapitel 3

schränkt BARSCH gelten. Der einschränkende Charakter kann auch durch attributive Konstruktionen herausgestellt werden: herzliche Barschheit barsche Herzlichkeit Ähnlich wie koordinierte Antonyme sind koordinierte Farbeigenschaften in folgenden Beispielen zu interpretieren. In diesen Fällen wird ein Wertebereich auf der Farbskala herausgestellt: eine rotbraune Terrakottafigur schwarzblauer Samt blaugraue Augen Als besonderen Untertyp behandeln wir Bildungen, in denen die Koordination von Eigenschaften einer vorgegebenen Kombination von Teilen des vom Bezugswort bezeichneten Gegenstands entspricht. Die Bildungen müssen nicht binär sein und sie haben gleich starke Akzente auf allen Konstituenten des Wortes. Die Reihenfolge ist in diesen Beispielen durch außersprachliche Konventionen bestimmt: schwarz-rot-goldene Fahne Die Eigenschaften beziehen sich auf abgrenzbare Teile von Gegenständen: eine schwarzweiße Kuh braun-weiß gefleckt ein schwarz-weißes Kostüm gelb-grau-schwarz gestreifter Stoff Andere Beispiele, die in der Wortbildungsliteratur z.T. ebenfalls als adjektivische Koordinativkomposita (bzw. adjektivische Kopulativkomposita) behandelt werden, schließen wir aus. Dazu gehören Bildungen, die nicht als Koordination gleichgeordneter Adjektive, sondern als appositive Verknüpfimg zu interpretieren sind. Das wird durch verdeutlichende Paraphrasen wie 'genauer /einfacher gesagt' oder 'das heißt' erkennbar: deutsch-bayerische Gewohnheiten 'deutsche, genauer gesagt bayerische Gewohnheiten' druidisch-keltische Kultstätten 'druidische, das heißt keltische Kultstätten' Tautologische Bildungen betrachten wir ebenfalls nicht als Koordinativkomposita. Die doppelte Nennung einer Eigenschaft hat die Wirkung einer Gradierung:

Adjektivbildung

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tieftiefe Sammetbläue ein alltäglich-gewöhnliches Ereignis normal-übliche Gewohnheiten eine zierlich-zarte Person grau-graue Wochen Auch die folgenden Beispiele sind nicht als Koordinativkomposita zu interpretieren: die deutsch-französische Freundschaft der japanisch-amerikanische Warenverkehr die kanadisch-chinesischen Beziehungen ein töchterlich-väterliches Verhältnis türkisch-kurdisches Gebiet eine griechisch-türkische Insel Diese Beispiele sind Spezialfälle von derivierten Adjektiven. Das Bezugswort bezeichnet in den meisten Fällen ein relationales Konzept, das zwei Argumentstellen hat. Diese Stellen können durch Konzepte besetzt werden, die als Nomen oder als adjektivierte Nomen in Erscheinung treten. Vgl.: [FREUNDSCHAFT ZWISCHEN (x, y)] deutsch-französische Freundschaft 'Freundschaft zwischen Deutschen und Franzosen' In anderen Beispielen kann das semantische Muster [HABEN (N)] (x) herangezogen werden, wenn man annimmt, dass die Stelle für das Basiswort durch eine Konjunktion von zwei Länderbezeichnungen besetzt werden kann: türkisch-kurdisches Gebiet 'Gebiet, über das Türken und Kurden verfugen' eine griechisch-türkische Insel 'Insel, über die Griechen und Türken verfügen' GRADIERBARKEIT:

Gradierung ist ausgeschlossen, auch wenn die Zweitglieder allein gradierbar sind: *Sie war am elegant-legersten gekleidet. *Die Suppe ist noch süßsaurer als beim letzten Mal. *Das Klima in Südvietnam ist viel feuchtwärmer als in Nordvietnam.

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Kapitel 3

SYNTAKTISCHE VERWENDUNG:

Die syntaktische Verwendbarkeit entspricht, wie bei allen Komposita, der der Zweitglieder. SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Eine syntaktische Alternative bieten durch und verknüpfte Adjektive. MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Es handelt sich um Adjektivkomposita, deren Erstglied ein Adjektiv ist. Eingeschlossen sind Partizipien. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv, jedoch vorwiegend in gehobenen Textsorten. In der Umgangssprache werden Bildungen dieses Musters, abgesehen von einigen lexikalisierten Bildungen, selten verwendet: ein zuckrig-leimig schmeckender Trank (Th. Mann) eine schwarz-dürre Gestalt (Schneider, Schlafes Bruder) jemanden zu einem blutig-stummen Häuflein zusammenschlagen (Schneider, Schlafes Bruder) ein blondes, schmal-kurzgeschnittenes Backenbärtchen eine rund-blauäugige Angorakatze 2.3.2 Wortinterne Besetzung einer Argumentstelle (Adjektivkomposita) Eine Reihe von Adjektiven hat neben der Argumentstelle für das Bezugswort eine zusätzliche Argumentstelle. Diese zusätzlichen Argumentstellen können sowohl innerhalb von Adjektivphrasen als auch wortintern besetzt werden: Er ist bereit zu einem Kompromiss. Er ist kompromissbereit. Er ist willig seine Schulden zu zahlen. Er ist zahlungswillig. Durch die wortinterne Besetzung der Argumentstelle entstehen Adjektivkomposita, die auf das folgende semantische Muster zurückzufuhren sind: [A(N/V)J (x) Die syntaktische Realisierung der Argumentstellenbesetzung kann durch Präpositionalphrasen, Nominalphrasen mit obliquen Kasus oder Verbalphrasen mit infinitem Verb erfolgen:

Adjektivbildung

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frei (vonP (allen lästigen Skrupeln)NP)PP ähnlich (seinem großen Bruder) würdig (des Bundesverdienstkreuzes) NP.gen willig (alle seine Schulden zu zahlen) VP Bei der wortinternen Argumentstellenbesetzung wird nur der Stamm eines Nomens oder Verbs eingesetzt. Alle mit der Wahl von Nominal- oder Verbalphrasen verbundenen Differenzierungsmöglichkeiten gehen verloren. Das betrifft insbesondere die Referenz von Nomen. Die Möglichkeit, zusätzlich Argumentstellen von Adjektiven wortintern zu besetzen, besteht grundsätzlich. Sie wird jedoch unterschiedlich häufig angewendet. Das führt dazu, dass mögliche Bildungen dennoch auffällig wirken können. Solche Beispiele verdeutlichen, dass das Muster zur Bildung von Adjektivkomposita einen selbständigen Status hat. Adjektivkomposita sind nicht von den syntaktischen Gegenstücken abgeleitet, sondern wortinterne und wortexterne Argumenstellenbesetzung sind alternativ. Ob ein Adjektiv zusätzliche Argumentstellen hat oder nicht, ist in seiner Lexikonbeschreibung festgelegt. Die Möglichkeit, Präpositionalphrasen, Nominalphrasen in einem bestimmten Kasus oder Verbalphrasen als Argumente zu nehmen, scheint auf keine semantisch relevanten Klassen zurückführbar zu sein. Einige den vierte Adjektive, und das gilt für reguläre adjektivische Partizipien grundsätzlich, können die zusätzliche Argumentstelle von ihrem Basiswort geerbt haben: willig zu gewillt zu Wille zu verdrossen über x verdrieß(en) (x,y) beschmiert mit beschmier(en) (x, mit y) Wir nehmen nur ein semantisches Muster für Adjektivkomposita an, die durch wortinterne Besetzung einer zusätzlichen Argumentstelle gebildet werden. Die semantische Interpretation ist in diesen Komposita durch die lexikalischen Eigenschaften des Zweitglieds festgelegt. Eine Reihe von Adjektiven mit zusätzlichen Argumentstellen bildet besonders häufig Adjektivkomposita:

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Kapitel 3

arm an NP, frei von NP, müde von NP, voll von NP, freundlich zu NP, NPakk wert, NPdat gerecht, NPdat ähnlich, bereit zu VP, fähig zu VP, NPgen würdig, N P f ä h i g Solche Adjektive sind mit Adjektivsuffixen vergleichbar. Häufig haben sie Bedeutungen, die starke Ähnlichkeiten mit semantischen Mustern aufweisen, die durch Adjektivsuffixe indiziert werden. Da solche Bildungen z.T. in beträchtlicher Zahl lexikalisiert sind, gewinnen ihre Zweitglieder einen besonderen Status, der zu Abweichungen von den entsprechenden selbständig verwendeten Adjektiven fuhren kann. So kann frei von gelegentlich auch an Verbstämme treten (knitterfrei, bügelfrei). Oder die syntaktische Argumentstellenbesetzung kann als veraltet konnotiert sein. Vgl dazu die Ausfuhrungen zum Begriff Affixoid in Kapitel 1, S. 12. Er ist liebenswürdig. Er ist des Liebens würdig. Er ist würdig geliebt zu werden. Er ist lesekundig. Er ist des Lesens kundig. Er ist kundig zu lesen. Das ist lobenswert. Das ist des Lobens wert. Das ist wert gelobt zu werden. Einige Adjektive kommen mit und ohne zusätzliche Argumentstelle vor. Ein Beispiel ist frei: Das Gerät ist frei von Staub. Ihre Knie sind frei. Solche Unterschiede lassen es zweckmäßig erscheinen, zwei Lexikoneinheiten vorzusehen. Beide Wörter können Adjektivkomposita bilden, die jedoch auf unterschiedliche Muster zurückzuführen sind: ein staubfreies Gerät Sie trägt gern kniefreie Kleider. Das erste Beispiel geht auf die wortinterne Argumentstellenbesetzung zurück, das zweite setzt eine besondere Relation voraus: 'ist frei, was die Knie betrifft'. SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Syntaktische Alternativen sind in der Regel die Konstruktionen, die bei der wortexternen Argumentstellenbesetzung verwendet werden. Dabei ist jedoch

Adjektivbildung

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zu berücksichtigen, dass es auch Fälle geben kann, in denen das Erstglied von Adjektivkomposita einer Wortart angehört, die die Bedingungen der wortexternen Argumentstellenbesetzung nicht erfüllt: (SkrupelN +freiA)A freiA (vonP(SkrupelnN)NP)pP knittervfrei *frei von knittern bügelyfrei *frei von bügeln AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist stark aktiv. Das gilt besonders für die Zweitglieder, die als Affixoide gelten. Sehr häufig sind auch Bildungen zu adjektivischen Partizipien 1 und 2. wasserabstoßend, marktregulierend, parteischädigend, normabweichend witterungsangepasst, sandstrahlgeputzt, schwärzt, grippegeimpft

systemverändernd,

anwendungs bezogen,

rußge-

2.3.3 Modifikation durch Relationen zu Gegenständen Adjektive können weiterhin durch eine Relation zu einem Gegenstand modifiziert werden: weiß wie Schnee selig vom Weingenuss faul, was das Denken betrifft reiffiir die Klapsmühle Die Relationen treten in unterschiedlichen syntaktischen Formen auf, wie die Beispiele zeigen. Als semantische Grundform kann REL (x, A), 'eine adjektivische Eigenschaft A steht in der Relation REL zu einem Gegenstand x', gelten. Solche Relationen bilden die Grundlage für eine Reihe von semantischen Mustern für Adjektivkomposita: (1) [WIE (N, A)] (x) 'die Eigenschaft A, wie sie für N typisch ist, ist eine Eigenschaft von x' gazellenschlank 'schlank wie eine Gazelle'

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Kapitel 3

leichenblass 'blass wie eine Leiche' bärenstark, riesengroß, daumenlang, fingerdick GRADIERBARKEIT:

Nach diesem Muster zu analysierende Adjektivkomposita sind nicht gradierbar. Das ist darauf zurückzufuhren, dass der Vergleichsgegenstand Eigenschaften aufweist, die einen hohen Wert in der entsprechenden Skala einnehmen. Gazellen sind besonders schlank, Leichen sehr blass, Bären sehr stark und Riesen übernormal groß. Aus semantischer Sicht rückt das Muster in die Nähe anderer Möglichkeiten, den Grad einer Eigenschaft auszudrücken. SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Alternativen sind Präpositionalphrasen mit der Präposition wie: schlank wie eine Gazelle groß wie ein Riese blass wie eine Leiche stark wie ein Bär AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist stark aktiv. Vgl. Bildungen wie: marmorkühl eine lexikongroße Faust eine apfelsinenkerngroße herbstlaubbraun

Geschwulst

(2) [BESCHRÄNKUNG VON (N, A] (x) 'die Eigenschaft A, beschränkt auf den Geltungsbereich N, ist eine Eigenschaft von x' ein leistungsstarker Motor 'ein Motor der stark ist, was seine Leistung betrifft' ein augenkrankes Kind 'ein Kind, das krank ist im Hinblick auf die Augen' Er ist kreuzlahm vom Training zurückgekehrt, ein trinkfester Gast denkfaule Politiker rutschfeste Socken AKTIVITÄT:

Das Muster ist aktiv.

Adjektivbildung

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(3) [CAUS (N, A)] (x) 'die von N verursachte Eigenschaft A ist eine Eigenschaft von x' weinselige Stimmung 'Stimmung, die eine vom Wein verursachte Seligkeit ausdrückt' ein erfolgstaumliger Künstler 'ein Künstler, der vom Erfolg taumlich ist' die bierfröhliche Gesellschaft ein erfolgstrunkener Politiker eine erregungsheisere Stimme (Broch, Die Schuldlosen) windknittriges Papier (ebd.) SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Syntaktische Alternativen sind Präpositionalphrasen mit der Präposition von: selig vom Wein fröhlich vom Bier taumlig vom Erfolg trunken vom Erfolg AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv. (4)[CAUS(A,V)](x) 'die Eigenschaft A, die ein Geschehen V verursacht, ist eine Eigenschaft von x' tropfnasse Wäsche 'Wäsche, die so nass ist, dass sie tropft' ein stinkreicher Freier 'ein Freier, der so reich ist, dass er stinkt' triefhass, glitzerweiß, knackfrisch, krachvoll, knalleng, quietschfidel, funkelnagelneu, rauchheiß Das Muster ist die Konverse zum vorangehenden. Die als Folge herangezogenen Geschehen drücken einen hohen Grad der Eigenschaft aus. In einigen Fällen wird das Erstglied wie ein Gradprädikat verwendet. Dadurch ergibt sich eine Überlappung mit dem semantischen Muster [GRAD (A)] (x): knackfrisch, knackgrün, knackkalt knallbunt, knalleng, knallhart, knallrot stinkfaul, stinkfein, stinksauer, stinkbesoffen

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Kapitel 3

GRADIERBARKEIT:

Die Gradierbarkeit des Zweitgliedes wird blockiert, da das Erstglied als Gradierung zu interpretieren ist. SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

In einigen Fällen können Partizipien 1 als Alternative gewählt werden: krachend voll triefend nass glitzernd weiß AKTIVITÄT:

Das Muster ist nur schwach aktiv. Die meisten Bildungen sind lexikalisiert. 2.3.4 Modifikation durch Gradierungsprädikate Ein gradierbares Adjektiv kann durch ein gradcharakterisierendes Prädikat modifiziert werden. Das Gradprädikat kann durch Suffixe oder Präfixe indiziert oder durch Kompositionsglieder bezeichnet werden. Wir nehmen das folgende semantische Grundmuster an: [GRAD (A)] (x) 'die Eigenschaft A in dem von GRAD ausgedrückten Maß ist eine Eigenschaft von x' grünlich, dicklich, dümmlich krankhaft, boshaft, ernsthaft urgemütlich, uralt überglücklich, überbelastet GRADIERBARKEIT:

Die Gradierbarkeit bleibt in einigen Fällen erhalten: Sie ist noch dicklicher als ihre Mutter. Die Direktorin ist am ernsthaftesten. In anderen Fällen wird dagegen die Gradierung durch das Gradprädikat blokkiert: *Er ist noch überglücklicher. *Sie ist am leichtverletztesten. *Mein Auto ist noch urälter.

Adjektivbildung

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SYNTAKTISCHE VERWENDUNG:

Die syntaktischen Eigenschaften werden durch das Basiswort von Suffigierungen oder Präfigierungen oder durch das Zweitglied von Komposita bestimmt. SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Es existieren keine alternativen syntaktischen Konstruktionen. WORTBILDUNGSMUSTER: SUFFIGIERUNG:

(1) [SM; PF a -stens] SEMANTISCHE ANALYSE:

Gradierbare adjektivische Eigenschaftskonzepte können durch ein Gradierungsprädikat modifiziert werden, das einen sehr hohen Grad der Eigenschaft beinhaltet. Dieses Prädikat hat große Ähnlichkeit mit dem Superlativ. Es ist jedoch mit dem Superlativ, der stets einen Vergleich voraussetzt, nicht identisch: Der Fall wurde genauestens untersucht. 'er wurde besonders genau untersucht' Der Fall wurde am genauesten untersucht. 'von allen vergleichbaren Fällen wurde er am genauesten untersucht' Er hat ihn wärmstens empfohlen. Das ist strengstens untersagt. Komm bitte schnellstens her! Als Basiswort ausgeschlossen sind u.a. Dimensionsadjektive und Farbadjektive: *größstens, *tiefstens, *breitestens *rötestens, *gelbestens, *blauestens Eine spezielle Bedeutung, 'Grad, der nicht überschritten werden kann', liegt in folgenden, durch Zeit- oder Maßangaben zu ergänzenden Bildungen vor: frühstens in zwei Tagen längstens ein Monat spätestens im Dezember höchstens zwei Tonnen

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Kapitel 3

Zu erwähnen sind femer Bildungen zu Ordinalzahlen, die man als Einheiten einer von den natürlichen Zahlen gebildeten Folge betrachten kann. Es handelt sich hier jedoch nicht um die Gradierung von Eigenschaften: erstens, zweitens, drittens,... Die nach dem hier besprochenen Wortbildungsmuster zu analysierenden Adjektive sind auf die adjunktive Verwendung beschränkt; sie sind also Adverbien. MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix -stens entspricht dem um -s erweiterten Suffix des Superlativs. Das -s kommt auch als Endung von anderen, lexikalisierten, nur-adjunktiven Adjektiven, d.h. Adverbien vor (vgl. morgens, abends, montags). Es kann deshalb als Indikator für die Beschränkung der syntaktischen Verwendung auf adjunktive Konstruktionen betrachtet werden. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist nur schwach aktiv. Die meisten Bildungen sind lexikalisiert. Selbst Bildungen, die mit lexikalisierten Wörtern dieses Typs semantisch sehr ähnlich sind, wirken auffällig: Er hat es uns heißestens empfohlen. Der Fall wurde präzisestem untersucht. Er hat ihn klügstens abfahren lassen. Am ehesten eignen sich Eigenschaften, die bereits einen hohen Grad innerhalb einer durch Antonyme gestifteten Skala bezeichnen. Bildungen zu Eigenschaften, die den Gegenpol bezeichnen, kommen nicht vor: *Er hat es kältestens empfohlen. *Der Fall wurde schlampigstens untersucht. *Wir brauchen langsamstem Hilfe. (2) [SM; PF A -lieh] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das modifizierende Prädikat drückt einen geringeren Grad der vom Basiswort bezeichneten Eigenschaft aus, eine leichte Abweichung in der Minus-Richtung der mit der Eigenschaft verbundenen Skala. Die Bedeutung lässt sich umschreiben durch 'nicht ganz A', 'ziemlich A': grünlich, bläulich, gelblich, dicklich, dümmlich, länglich, kränklich, ältlich, ärmlich, bänglich, rundlich

Adjektivbildung

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MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix -lieh tritt an einfache Adjektivstämme. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist inaktiv. (3) [SM; PF a -haft] SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Modifikation bringt eine Steigerung der Eigenschaft zum Ausdruck. Die Eigenschaft wird als besonders zutreffend gekennzeichnet. Eine verdeutlichende Paraphrase ist 'besonders A': ernsthaft, boshaft, krankhaft MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix -haft tritt an einfache Adjektivstämme. AKTIVITÄT:

Das Muster liegt nur wenigen lexikalisierten Bildungen zugrunde, es ist inaktiv. (4) [SM; PF a -lieh] SEMANTISCHE ANALYSE:

Eine Modifikation gleicher Art wie im Bildungsmuster (3) liegt in folgenden, z.T. stark lexikalisierten Bildungen vor: kleinlich, reinlich, zärtlich, gröblich, reiflich, ernstlich MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix -lieh tritt an einfache Adjektivstämme. AKTIVITÄT:

Es existieren nur lexikalisierte Bildungen, das Muster ist inaktiv. PRÄFIGIERUNG:

(1) [SM; ur-PFJ SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Prädikat charakterisiert einen extremen Grad auf der Pluspol-Richtung des durch das Basiswort bezeichneten Eigenschaftskonzepts. Maßadjektive sind ausgeschlossen. Es kommen also nur relative Adjektive in Frage, die

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Kapitel 3

nicht präzise messbare Eigenschaften bezeichnen. Die Bedeutung kann durch 'in ganz besonderem Maße A' oder 'durch und durch A' umschrieben werden: uralt, urgesund, urgemütlich, urkomisch, urberlinisch, urdeutsch, uranständig, urböse MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Präfix stellt keine speziellen Bedingungen an den Stamm der Basiswörter. Es besteht die Möglichkeit, das Präfix zu wiederholen. Damit ist eine weitere Steigerung verbunden. ururalt, urururverderbt, ururururgemütlich AKTIVITÄT!

Das Wortbildungsmuster ist aktiv: urallein, urhold, urfern, urweit, urprimitiv Nach dem Muster werden besonders zu Adjektiven, die Eigenschaften der Lebensverhältnisse in Ländern und Städten bezeichnen, Neubildungen geschaffen: eine urbosnische Sitte 'eine Sitte, die die für Bosnien besonders typischen Eigenschaften aufweist' urchinesisch, urlondoner, urstockholmer (2) [SM; erz- PFJ Die Modifikation drückt ein extremes Ausmaß der Eigenschaft aus. Ist die Eigenschaft negativ oder positiv konnotiert, steigert sich auch die Bewertung: - pejorativ: erzreaktinär, erzdumm, erzböse, erzfaul - positiv: erzsolide, erzsicher, erzklug - neutral: erzkonservativ, erzkatholisch, erzpolitisch, erzkommunistisch MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Da keine vergleichbaren selbständigen Lexikoneinheiten existieren, betrachten wir erz- als Präfix, nicht als gebundenes Lexem. Das Präfix stellt keine speziellen Bedingungen an den Stamm des Basiswortes. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist stark aktiv, besonders in politischen Texten. Das Basiswort bezeichnet meist politische und weltanschauliche Haltungen.

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(3) [SM; super-/hyper-/ultra-/mega-/top- PFjJ SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Gradprädikat entspricht dem des vorangehenden Musters. superleicht, superschwer, superlang, superkurz, superdick, superbürokratisch, supermodern

superwitzig,

hypermondän, hypernervös, hypersensibel, hypergenau ultrakonservativ, ultrareaktionär, ultraliberal, ultrarechts, ultralinks, ultraelastisch, ultraflach, ultraleicht megaschön, megafreundlich, megasauber, megateuer, megagemein, megaberühmt topmodern, topfit MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Es handelt sich um aus Fremdwörtern übernommene Morpheme, die den Status von Präfixen haben, super kommt in der Umgangssprache auch als selbständiges, unflektiertes Adjektiv vor. Das entsprechende Bildungsmuster kann auch als Adjektivkompositum analysiert werden. AKTIVITÄT!

Die hier zusammengefassten Wortbildungsmuster sind stark aktiv. Die Zahl der Neubildungen ist beträchtlich. In Werbetexten und Umgangssprache sind Bildungen mit super-, hyper-, mega- und top zahlreich vertreten, in politischen und technischen Texten solche mit ultra-. Die Verwendung und Neueinfiihrung solcher Mittel ist Moden unterworfen. (4) [über (A)] SEMANTISCHE ANALYSE:

Wie in den vorangehenden Mustern wird die von einem Adjektiv bezeichnete Eigenschaft als im hohen Maße zutreffend charakterisiert: eine überglückliche junge Mutter übergroße Freude eine überreiche Ernte Möglich ist auch die Interpretation: 'der Grad übersteigt ein erwünschtes oder tolerierbares Maß': überängstlich, übermüde, übermächtig, überdreist, übernervös, schlank, überelegant, überempfindlich, überbescheiden

über-

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Kapitel 3

MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

über korrespondiert mit dem Adverb überaus und mit der Präposition über. Wir betrachten über deshalb als gebundene Lexikoneinheit, die semantisch mit den genannten selbständigen Wörtern korrespondiert. AKTIVITÄT!

Das Wortbildungsmuster ist stark aktiv, besonders in gehobeneren Textsorten. (5) W e i t e r e Bildungsmuster

Es existiert eine große Zahl von Morphemen, die einerseits selbständige Wörter zur Seite haben, sich andererseits aber durch eine Bedeutungsspezialisierung und Gebundenheit an Adjektive von den selbständigen Wörtern unterscheiden: grundanständig, todernst, blitzgescheit, blutjung, stinkvornehm, knallhart, kreuzvertrackt, saukalt, hundemüde, scheißernst, schweineteuer Wir analysieren diese Morpheme als gebundene lexikalische Einheiten, d.h. als Einheiten, die nur als Erstglied von Adjektivkomposita vorkommen. Die semantische Besonderheit dieser Einheiten besteht darin, dass sie den Status eines Gradprädikats haben. Ihre Bedeutung entspricht also der, die wir fiir das semantische Muster der vorangehend dargestellten Wortbildungsmuster annehmen. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang auch Adjektivkomposita, die nach dem semantischen Muster [WIE (N, A)] (x) gebildet sind. Das Erstglied dieser Bildungen lässt sich z.T. ebenfalls als Gradcharakterisierung deuten: riesengroß, affengeil, goldrichtig, pechschwarz, staubtrocken Die alte deutsche Rechtschreibung, nur noch zum Teil die neue, erweckt den Eindruck, als seien lexikalisierte Adjektivphrasen mit Gradbezeichnungen wie hoch, tief, extra, bitter, leicht, schwer, rein, halb Komposita. Sie werden deshalb auch zusammen geschrieben. Eine strukturell begründete Unterscheidung zwischen Adjektivphrasen und Adjektivkomposita mit Gradadjektiven als Erstglied scheint es nicht zu geben. Die mit lexikalisierten Adjektivphrasen verbundenen semantischen Unterschiede zu entsprechenden syntaktischen Phrasen allein reichen nicht aus, um einen Typ von Komposita anzunehmen.

2.4 Wortnegation Durch wortinterne Negation eines Adjektivkonzepts können spezielle Eigenschaftskonzepte gebildet werden. Wortinterne oder morphologische Negation repräsentieren wir durch:

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[NON (A)] (x) 'NON-A ist eine Eigenschaft von x' unsauber, unverheiratet, nichtöffentlich Die wortinterne Negation unterscheidet sich von der syntaktischen Negation. Skopus der wortinternen Negation ist nur das Adjektivkonzept. Skopus der syntaktischen Negation ist dagegen eine syntaktische Konstruktion, in die ein Adjektiv eingeht: SYNTAKTISCHE NEGATION:

Der junge Mann ist nicht verheiratet. NON( Der junge Mann ist verheiratet)Satz WORTINTERNE NEGATION:

Der junge Mann ist unverheiratet. Der junge Mann ist (NON(VERHEIRATET ))A der unverheiratete junge Mann ((NON(VERHEERATET))A(der junge M a n n W Bei der syntaktischen Negation wird nur das Zutreffen einer Eigenschaft negiert, bei der wortinternen Negation wird dagegen eine neue Eigenschaft herausgestellt. Ähnlichkeit mit der wortinternen Negation haben Bildungen mit den Erstgliedern pseudo und schein. Diese gebundenen Lexikoneinheiten drücken aus, dass die vom Zweitglied bezeichnete Eigenschaft nur vorgegeben wird, tatsächlich aber unzutreffend ist. quasi und halb schränken das Zutreffen der Eigenschaft ein. GRADIERBARKEIT:

Die Gradierbarkeit des Basiswortes bleibt erhalten. SYNTAKTISCHE VERWENDUNG:

Die präfigierten Adjektive erben die syntaktischen Eigenschaften des Basiswortes. SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Syntaktische und wortinterne Negation unterscheiden sich im oben erläuterten Sinne.

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Kapitel 3

WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; un-PFJ SEMANTISCHE ANALYSE:

Als Basiswort treten sowohl Adjektive auf, die absolute als auch solche, die relative Eigenschaften bezeichnen. Absolute Eigenschaften bezeichnen: verheiratet gestrichen geschieden gesalzen angemeldet trennbar gleichseitig bedingt zweideutig schuldig vorhersehbar

— -

unverheiratet ungestrichen ungeschieden ungesalzen unangemeldet untrennbar ungleichseitig unbedingt unzweideutig unschuldig unvorhersehbar

Das negierte Adjektivkonzept charakterisiert in allen Fällen ein komplementäres Konzept. Das nicht-negierte und das negierte Adjektiv bilden Antonymenpaare. Sie bezeichnen Zustände, die genau dann zutreffen, wenn der andere nicht zutrifft: Das Wort ist trennbar, gdw. Das Wort ist nicht untrennbar. Marie ist schuldig, gdw. Marie ist nicht unschuldig. Die Bildung komplementärer Adjektivkonzepte mit dem Präfix un- ist nicht beliebig. Sehr häufig kommt sie mit adjektivischen Partizipien 2 und mit -barDerivationen, die nicht gradierbar sind, vor. Die Bildungen mit un- müssen pragmatisch sinnvolle komplementäre Eigenschaften zu der vom Basiswort bezeichneten Eigenschaft ergeben. Dabei bezeichnet das Basiswort die unmarkierte, das präfigierte Adjektiv die markierte Eigenschaft. Auf dieser Grundlage kann erklärt werden, weshalb die Unterscheidung zwischen verheiratet - unverheiratet sinnvoll ist, nicht jedoch eine Unterscheidung zwischen verlobt - *unverlobt, verwandt — *unverwandt. verlobt oder verwandt zu sein ist weniger normal als das Nichtzutreffen dieser Eigenschaften. Dass unzusammenklappbarer Tisch auffällig wirkt, liegt daran, dass Zusammenklappbarkeit eine markierte Eigenschaft von Möbelstücken ist. Es macht Sinn, Möbelstücken die Eigenschaft ZUSAMMENKLAPPBAR zuzuweisen. Dagegen ist die NICHTZUSAMMENKLAPPBARKEIT der Normalfall.

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Zu Adjektiven, die nach dem semantischen Muster [MATERIAL VON (N)] (x) gebildet sind, gibt es grundsätzlich keine Präfixbildungen mit un-\ *uneisern, *unhölzern, *unstählern, *ungraniten Auch in diesen Fällen kann angenommen werden, dass die Basiswörter nicht geeignet sind, komplementäre Eigenschaften zu bilden. Es ist offenbar nicht sinnvoll, Artefakte nach den Eigenschaften AUS-HOLZ-SEIN und NICHTAUS-HOLZ-SEIN einzuteilen. Diese Analyse erklärt auch, weshalb unPräfigierungen zu Farbadjektiven und Adjektiven, die Formeigenschaften bezeichnen, nicht vorkommen: *unblau,*ungelb, *uneckig, "undickbäuchig Präfigierung mit un- ist weiterhin für alle rein relationalen Adjektive ausgeschlossen. Auch in diesem Fall scheidet die Bildung entsprechender Eigenschaftstypen aus: *unärztliche Praxis *unkaufinännische Ausbildung *der unmorgige Tag *unjährliche Tagung *seine unfliegerischen Leistungen In einigen Fällen sind die negierten Eigenschaften durch besondere Wörter vertreten. Die Präfigierung mit un- ist dadurch blockiert: lebend trocken allein -

*unlebend / tot *untrocken / nass *unallein /gemeinsam

Gradierbaren Eigenschaften sind Skalen zugeordnet, die sich auf einen Pluspol zubewegen, der die Eigenschaft steigert und auf einen Minuspol, der die Eigenschaft verringert. Antonyme charakterisieren Eigenschaften, die in eine Skala eingeordnet werden können. Bei Adjektiven mit positiv bewerteten Eigenschaften fuhrt die MinuspolRichtung zu zunehmend pejorativen Eigenschaften. Das Antonym kennzeichnet einen relativ nahe am Minuspol liegenden Wert. Bildungen mit un- liegen dazwischen (klug - unklug - dumm). Bei Adjektiven mit pejorativ bewerteten Eigenschaften fuhrt diese Richtung zu positiveren Eigenschaften. Die Abnahme der Eigenschaft dumm fuhrt zu Werten, die mit klug bezeichnet werden können, immer weniger schmutzig fuhrt zu Werten, die sauber bezeichnen kann. Durch un- wird in der Tendenz ein pejorativerer Wert auf der Eigenschaftsskala charakterisiert, in die das Basiswort einzuordnen ist. Die folgenden Bildungen sind ausgeschlossen:

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gerissen dumm kran neidisch faul geizig schüchtern feige gehässig lästig ängstlich

Kapitel 3

*ungerissen *undumm *unkrank *unneidisch *unfaul *ungeizig *unschüchtern *unfeige *ungehässig *unlästig *unängstlich

Es gibt jedoch eine Reihe von Bildungen, die deutlich machen, dass es sich hier nur um eine Tendenz handelt: unproblematisch, unaufdringlich, unbefangen, unvoreingenommen, unabhängig, unverdrossen Auf der anderen Seite lassen auch nicht alle positiv wertenden Adjektive Bildungen mit un- zu: *unstark, *unfleißig, *unmutig, *unarbeitsam In diesen Fällen stehen z.T. Antonyme zur Verfügung: schwach, faul, feige Adjektive, die gradier- und messbare Eigenschaften, d.h. die eine räumliche Extension oder ein Gewicht bezeichnen, haben besondere semantische Merkmale. Eine Besonderheit besteht darin, dass sie Antonyme mit lexikalischen Einheiten bilden und keine Präfigierungen mit un- zulassen. Vgl. dazu ausführlicher Bierwisch/Lang (1987): *ungroß, *unklein, *unlang, *unkurz, *unbreit *unschmal, *undick, *undünn Der Grund für die Unmöglichkeit von Präfigierungen mit un- ist vermutlich pragmatischer Natur. Es ist kommunikativ wenig sinnvoll für genau messbare Eigenschaften, unbestimmte Werte auf der Minuspol-Richtung herauszustellen, die vor dem Antonym liegen. Etwa parallel zu dumm - unklug - klug: klein - ungroß - groß. Bildungen wie unweit, unschwer sind keine Gegenbeispiele. Das Basiswort von unschwer ist schwer in der Bedeutung 'schwierig'. Es gehört also nicht zu den Maßadjektiven, unweit geht ebenfalls nicht auf das messbare Eigenschaften bezeichnende weit zurück. Gradierbare Adjektive mit zusätzlichen Argumentstellen können in vielen Fällen durch un- präfigiert werden:

Adjektivbildung

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unzufrieden mit, ungeübt im, unerfahren im, uninteressiert an, unfreundlich zu, jmdem ungnädig, jmdem unbekannt, jmdem unerklärlich, jmdem unverständlich, jmdem unklar, unfähig zu, unglücklich über, ungeeignet für Andere Adjektive mit zusätzlichen Argumentstellen lassen keine Präfigierung mit un- zu: *jmdem unfremd, *jmdem unböse, *jmdem unzugetan, *unbereit zu, *unärgerlich über, *untraurig über, *unzornig über, *unverärgert über, *unbeleidigt über, *unallergisch gegen, *unbekannt mit In einer Reihe von Fällen ist die wortinterne Negation mit un- möglich, jedoch nur, wenn keine zusätzliche Argumentstelle gewählt wird: unschuldig *gestohlen zu haben unverheiratet *mit Marie ungewürzt *mit Chili unbeladen *mit Bauholz unfrei *von Altlasten Diese Befunde erwecken den Anschein, als blockiere die Präfigierung mit undie Vererbung der zusätzlichen Argumentstelle des Basiswortes. Das würde voraussetzen, dass sich das Adjektiv ohne Argumentstelle semantisch nicht von dem mit zusätzlicher Argumentstelle unterscheidet. Diese Analyse ist jedoch nicht zutreffend. Man kann zwar feststellen, dass auch die Adjektive ohne spezifizierte Argumentstelle ein kontextuell oder durch Weltwissen zu ergänzendes Komplement haben, dieses geht jedoch in die Bedeutung des Adjektivs ein: schuldig (eine verbotene Handlung begangen zu haben) verheiratet (mit einem Partner) gewürzt (mit einem Gewürz) beladen (mit Transportgut) frei (von beliebigen Hindernissen) Die Wortnegation hebt die zur semantischen Repräsentation des Adjektivs gehörige implizite Ergänzung nicht auf, sie negiert sie jedoch: unschuldig 'keine verbotene Handlung begangen haben' unverheiratet 'keinen Ehepartner haben' unbeladen 'mit keinem Transportgut versehen sein'

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Kapitel 3

unfrei 'es existieren Hindernisse' Deshalb entfallt auch die Möglichkeit einer expliziten Spezifizierung durch sprachliche Konstruktionen. Wir müssen also von jeweils zwei Lexikoneintragungen ausgehen, eine mit impliziten und eine zweite mit obligatorischen zusätzlichen Argumentstellen. Die Varianten mit expliziter Spezifizierung der Argumentstelle können nicht mit un- präfigiert werden, weil es sich um Eigenschaften handelt, zu denen keine komplementären oder konträren Gegenstücke möglich sind. Mit -los derivierte Adjektive lassen grundsätzlich keine Wortnegation zu. Das semantische Muster, das diesen Derivationen zugrunde liegt, enthält bereits die Negation einer Relation. Auch adjektivische Koordinativkomposita lassen keine Wortnegation zu: *unsüß-sauer, *unwissenschaftlich-technisch Ausgeschlossen als Basis von Präfigierungen mit un- sind ferner Partizipien 1. Nur zu lexikalisierten Bildungen gibt es in einigen Fällen Bildungen mit un(Vgl. unpassend ). Das ist wahrscheinlich damit zu erklären, dass Partizipien 1 ad-hoc-Konzepte bezeichnen. Wortnegation mit un- ist dagegen mit dem Anspruch auf die dauerhafte Kennzeichnung einer Eigenschaft verbunden. MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

un- ist ein betontes Präfix. Adjektivkomposita können nur in wenigen Fällen die Basis von Präfigierungen mit un- sein: unglaubwürdig Zu vielen Adjektivkomposita gibt es Wortnegationen mit negiertem Zweitglied. In diesen Fällen wird also ein entsprechendes Kompositum zum negierten Zweitglied gebildet: lernwillig - lernunwillig: *unlernwillig verhandlungsfähig - verhandlungsunfähig: *unverhandlungsfähig verkehrstauglich - verkehrsuntauglich: *unverkehrstauglich AKTIVITÄT:

Im Rahmen der Beschränkungen ist das Bildungsmuster stark aktiv. Das gilt besonders für Bildungen mit -bar und für adjektivische Partizipien 2.

Adjektivbildung

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(2) [nichtpart (A)] SEMANTISCHE ANALYSE:

Wortnegation ist auch mit der Negationspartikel nicht möglich. Dieses Bildungsmuster gestattet es, zu nahezu allen Adjektiven Bildungen mit komplementären Interpretationen zu schaffen, sowohl mit ad-hoc-Geltung als auch mit dauerhafter, von der Einzelsituation abstrahierender Gültigkeit. Das Bildungsmuster kann grundsätzlich zur Kennzeichnung von komplementären Einteilungen verwendet werden. Die für un- festgestellten Beschränkungen gelten nicht: kluge und nichtkluge Schüler ehrgeizige und nichtehrgeizige Studenten großzügige und nichtgroßzügige Chefs weinende und nichtweinende Trauergäste Adjektive des hier beschriebenen Typs können auch dazu dienen, konventionalisierte komplementäre Klassen zu kennzeichnen, d.h. sie können lexikalisiert sein: nichtdemokratische Staaten nichtkommunistische Länder nichtöffentliche Sitzungen Die Bildungen mit nicht sind nicht konträr interpretierbar. Das verdeutlicht ein Vergleich mit un-Präfigierungen: nichtchristlich 'nicht zum Christentum gehörig' unchristlich 'Eigenschaften haben, die von denen typischer Christen abweichen' nichtamerikanisch 'nicht zu Amerika gehörig' unamerikanisch 'Eigenschaften haben, die von denen typischer Amerikaner abweichen' MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Es handelt sich um Komposita mit der Negationspartikel nicht, die den Hauptakzent des Wortes trägt. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist stark aktiv.

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Kapitel 3

(3) [SM; pseudo- PFJ SEMANTISCHE ANALYSE:

Durch die Modifikation wird zum Ausdruck gebracht, dass das Zutreffen der vom Zweitglied bezeichneten Eigenschaft nur beansprucht wird oder nur scheinbar gilt: sein pseudoaltväterliches Auftreten ein pseudobiologisches Experiment seine pseudoliberale Haltung pseudohumanistisches Geschwätz pseudoelegante Hollywoodkomödien pseudolegal erworbenes Eigentum MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

pseudo- ist ein betontes Präfix. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv. (4) [schein (A)] SEMANTISCHE ANALYSE:

Durch die Modifikation wird zum Ausdruck gebracht, dass das Zutreffen der vom Zweitglied bezeichneten Eigenschaft nur vorgegeben wird oder nur scheinbar gilt: eine scheinfromme Rede ein scheinvernünftiges Wort eine scheintote Frau eine scheinwissenschaftliche Rechtfertigung der Rassenhygiene MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

schein ist eine gebundene lexikalische Einheit, die semantisch mit der selbständigen Lexikoneinheit scheinbar korrespondiert. Das Muster beschreibt Komposita. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv.

Adjektivbildung

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(5) [quasi/halb (A)] SEMANTISCHE ANALYSE:

quasi drückt aus, dass die vom Zweitglied bezeichnete Eigenschaft zwar nicht vollständig, aber doch in wesentlicher Hinsicht zutrifft: ein quasibürgerlicher Aufstand eine quasireligiöse Institution eine quasifaschistische Partei halb schränkt die Gültigkeit noch stärker ein: ein halbzahmer Rabe eine halbreife Banane eine halbamtliche Stellungnahme halboffizielle Verlautbarungen halbindustriell gefertigte Vasen eine halbfaschistische Partei MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

quasi und halb sind selbständige Lexikoneinheiten. Die Bildungen sind Adjektivkomposita. AKTIVITÄT:

Die Bildungstypen sind aktiv, besonders in bildungssprachlichen Texten.

2.5 Relationen zu Geschehen (Deverbale Adjektive) Die Rolle des Bezugswortes in einem Geschehen kann als Eigenschaft gedeutet werden. Eine sehr generelle Möglichkeit, das Bezugswort als Subjekt eines Geschehens zu charakterisieren, bieten die Partizipien 1, die im Abschnitt Umkategorisierung behandelt wurden. Weitere semantische Muster mit Verben als Basiswort nehmen nicht nur eine Umkategorisierung vor, sondern sie enthalten zusätzlich besondere modale Charakterisierungen. 2.5.1 Fähigkeit, ein Geschehen zu vollziehen Das Basiswort bezeichnet ein Geschehen, das der vom Bezugswort bezeichnete Gegenstand vollziehen kann. Wir gehen von folgendem semantischen Muster aus: [FÄHIG (V (Xagc,))] (x) 'die Fähigkeit, das durch V bezeichnete Geschehen zu vollziehen, ist eine Eigenschaft von x'

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Kapitel 3

explodierbare Verbindungen eine schwimmföhige Brücke GRADIERBARKEIT:

Bildungen dieses Typs bezeichnen meist absolute Eigenschaften. Sie sind deshalb nicht gradierbar. Es gibt jedoch auch Bildungen mit gradierbaren Eigenschaften: Ratten sind noch lernföhiger. SYNTAKTISCHE VERWENDUNG:

Nach diesem Muster gebildete Adjektive können attributiv und prädikativ verwendet werden. Adjunktive Verwendung ist nur mit speziellen Verben möglich, adjektivmodifizierende Verwendung nur sekundär: explodierbare Verbindungen unsinkbare Schiffe ein lernfähiger Roboter Die Verbindungen sind explodierbar. Die Schiffe sind unsinkbar. Der Roboter ist lernföhig. Sie haben die Schiffe unsinkbar konstruiert. Man hat den Roboter lernföhig gestaltet. SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Adjektive mit föhig als Zweitglied betrachten wir als Komposita. Konstruktionen mit externer Besetzung der zusätzlichen Argumentstelle können deshalb als syntaktische Alternativen gelten: ein zu lernen fähiger Roboter Der Roboter ist föhig zu lernen. WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; PFV -bar] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet ein Geschehen, das im Bezugswort bezeichnete Gegenstände auszuführen vermögen: schwimmbar, explodierbar, entzündbar, entflammbar, brennbar

Adjektivbildung

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Einige Bildungen kommen nur als Basis von wortinternen Negationen mit unvor: unsitikbar, unfehlbar MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix -bar tritt an einfache und komplexe Verbstämme. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist auf wenige lexikalisierte Bildungen beschränkt, die meist zu technischen Fachsprachen gehören. Neubildungen kommen nur in beschränkten Einzelfällen vor. Das Muster ist inaktiv. (2)[(V)fähi gA ] SEMANTISCHE ANALYSE:

fähig zu ist ein Adjektiv mit einer zusätzlichen Argumentstelle. Wenn diese Argumentstelle durch ein Wort, das ein Geschehenskonzept bezeichnet, besetzt wird, ergibt sich ein Adjektivkompositum, das die gleiche semantische Beschreibung hat, wie die unter (1) behandelten Derivationen: (FÄHIG (EXPLODIERy (x w „))) (x) explodierbar (FÄHIG ZUA (EXPLODIERy (x w m ))) (x) explodierföhig Die Beschreibung unterscheidet sich nur dadurch, dass FÄHIG im ersten Fall Bestandteil eines semantischen Musters ist und im zweiten Fall die Bedeutung der Lexikoneinheit fähig. ein lernfähiger Roboter lesefähige Automaten eine schwimmfähige Brücke ein tauchfähiges Boot studierfähige Studenten gehfähige Patienten fließfähige Steine leitfähige Metalle Das Erstglied kann auch ein nominalisiertes Verb sein: eine leistungsfähige Maschine das leidensfähige Volk ein mitleidsfähiger Arzt

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Kapitel 3

MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Wortbildungsmuster beschreibt Adjektivkomposita zum Zweitglied fähig. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist stark aktiv. 2.5.2 Möglichkeit, Thema eines Geschehens zu sein Die Möglichkeit, die Thema-Rolle in einem Geschehen einzunehmen, kann als Eigenschaft eines Bezugsworts behandelt werden. Das beinhaltet das folgende semantische Muster: [MÖGLICH (V (AGENS, xthem,))] (x) 'von einem Geschehen V betroffen sein zu können, ist eine Eigenschaft von x' bezahlbare Mieten 'Mieten, die man bezahlen kann' ein ausziehbarer Tisch 'ein Tisch, den man ausziehen kann' eine begreifliche Reaktion 'eine Reaktion, die man begreifen kann' Die Argumentstelle für das Bezugswort wird durch eine lexikalische Einheit besetzt, deren semantische Repräsentation zugleich die Themastelle des als Basis gewählten Verbs besetzt: Jemand kann die Mieten bezahlen. Jemand kann den Tisch ausziehen. Jemand kann die Reaktion begreifen. Adjektive des hier besprochenen Typs können Adjektivphrasen bilden, zu denen Konstituenten gehören, die mit der Agensstelle des Basisverbs oder mit Adjunkten korrespondieren. Das sind jedoch fakultative Ausdrucksmöglichkeiten, die nicht den Status von zusätzlichen Argumentstellen der derivierten Adjektive bekommen: eine von jedem Schüler in kurzer Zeit problemlos lösbare Aufgabe Als Basis kommen Handlungsverben in Frage, die aus syntaktischer Sicht passivfahige transitive Verben sind. Wie Passivkonstruktionen setzt das semantische Muster eine Operation voraus, die den Betrachtungsfokus auf den von einem Geschehen betroffenen Aktanten lenkt. Der aktive Aktant des Geschehens wird dagegen irrelevant oder zweitrangig, kann aber stets über Kontext- und Weltwissen aktiviert werden. Es besteht kein Grund, die Passivformen als Basis für den Derivationstyp zu betrachten. Beide Ausdrucksmög-

Adjektivbildung

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lichkeiten setzen nur die gleiche semantische Operation voraus, nämlich eine Verlagerung des Betrachtungsfokus auf die Thema-Stelle. Die große semantische Ähnlichkeit von Bildungen mit dem Suffix -bar und passivischen bzw. mit dem Passiv vergleichbaren Ausdrücken äußert sich in möglichen Paraphrasen: bezahlbare Mieten 'Mieten, die bezahlt werden können' 'Mieten, die man bezahlen kann' 'Mieten, die zu bezahlen sind' GRADIERBARKEIT".

Nach dem Muster zu analysierende Adjektive bezeichnen in ihrer Mehrzahl absolute Eigenschaften. Einige sind gradierbar. Grundlage für die Gradierung ist die Leichtigkeit der Ausfuhrung der vom Basiswort bezeichneten Handlung: überschaubarer übersichtlicher am verständlichsten SYNTAKTISCHE VERWENDUNG:

Attributive, prädikative und adjunktive Verwendung sind möglich. Adjektivmodifizierende Verwendung ist nur möglich, wenn die Bildung einen Grad oder eine wertende Einstellung des Sprechers bezeichnet oder wenn die syntaktische Konstruktion sekundär ist: eine unbezahlbar teure Wohnung eine nachweisbar nützliche Tat eine überschaubar gegliederte Darstellung SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Der semantische Gehalt des Musters kann durch die syntaktischen Konstruktionen der angeführten Paraphrasen wiedergegeben werden: eine bezahlbare Wohnung 'eine Wohnung, die bezahlt werden kann' Die Wohnung ist bezahlbar 'Die Wohnung kann bezahlt werden.' Die Wohnung ist unbezahlbar teuer 'Die Wohnung ist so teuer, dass sie nicht bezahlt werden kann.'

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Kapitel 3

WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; PFV -bar] SEMANTISCHE ANALYSE:

Als Basiswort treten vor allem Verben auf, die Handlungen bezeichnen. Solche Verben haben zwar die syntaktische Argumentstruktur transitiver Verben aber nicht alle transitiven Verben sind Handlungsverben. Verben mit Akkusativobjekt, die keine Handlungen bezeichnen, sind als Basiswörter ausgeschlossen: *benötigbare Unterstützung *habbare Angst *betreffbare Angelegenheiten *wollbare Kinder Adjektive dieses Typs bezeichnen Eigenschaften, die einem Gegenstand oder einer Klasse von Gegenständen in allen oder in kontextuell begrenzten Situationen zukommen, sie sind also generell oder partikulär interpretierbar: essbare Pilze biegbares Eisen zusammenklappbare Tische eine heilbare Krankheit spaltbare Atome ein überzeugbarer Gegner lieferbare Ware Die pragmatische Bedingung des sinnvollen Wortes, nach der die durch das derivierte Adjektiv bezeichnete Eigenschaft einen kommunikativen Wert haben muss, d.h. dass sie nicht zum selbstverständlichen Wissen gehören darf, kann vorhersagbare Bildungen unakzeptabel machen: suchen, finden, treffen, schubsen, transportieren, erblicken kann man Gegenstände nahezu beliebiger Art. In zahlreichen Fällen gehört die Manipulierbarkeit zur Interpretation des Basisworts. Es ist deshalb pragmatisch fragwürdig, Adjektive mit diesen Verben zu bilden: ?suchbare Fehler ?findbare Schmucksachen ?treffbare Freunde ?schubsbare Fahrgäste ?schiebbare Karren ?transportierbare Kartons ?erblickbare Häuser

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?gebärbare Kinder Pein erzählbarer Witz ?eine innehabbare Funktion ?eine beginnbare Arbeit Pein ermordbarer Pförtner ?umrankbare Pergolen Pein parkbares Auto Die Verwendung dieser Adjektive setzt sehr spezielle Kontexte oder zusätzliche Modifikationen voraus: Die Fehler sind schwer suchbar. Die Gaststätte ist leicht findbar. überall treffbare Freunde leicht schiebbare Karren schwer gebärbare Kinder ein anständiger und deshalb erzählbarer Witz MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

-bar ist ein Suffix, das keine besonderen Bedingungen an das Basiswort stellt. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster gehört zu den aktivsten der deutschen Gegenwartssprache. Die semantischen Bedingungen für mögliche Basiswörter sind sehr generell und werden auch für andere syntaktische Entscheidungen benötigt. Einschränkungen sind pragmatischer Natur. (2) [SM; PFV -lieh] SEMANTISCHE ANALYSE:

Eine Reihe von derivierten Adjektiven mit dem Suffix -lieh hat die gleiche semantische Interpretation wie die Bildungen mit -bar. Da es sich um lexikalisierte Bildungen handelt, können sich Unterschiede zu entsprechenden Bildungen mit -bar ergeben: ein begreiflicher Fehler ein verständlicher Text ein entbehrliches Möbelstück bestechliche Beamte erschwingliche Preise ein verzeihlicher Fehler

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Kapitel 3

MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Zahlreiche Bildungen dieses Typs kommen nur als Basis von wortinternen Negationen vor: ein unsägliches Missgeschick ein unbeschreibliches Durcheinander der unerschütterliche Glaube unabänderliche Tatsachen ein unauslöschlicher Eindruck AKTIVITÄT:

Trotz der zahlreichen lexikalisierten Bildungen und der leichten Durchschaubarkeit des semantischen Musters ist das Wortbildungsmuster inaktiv. Es wird von Bildungen mit -bar und Komposita mit fähig verdrängt. (3)[(V)fähi gA ] SEMANTISCHE ANALYSE:

Den Derivationen mit -bar entsprechen Adjektivkomposita mit fähig als Zweitglied. Es besteht jedoch keine Beschränkung auf verbal kategorisierte Handlungen, auch Nominalisierungen sind zulässig. Tatsächlich überwiegen nominale Erstglieder. Der verbale Charakter des Erstgliedes tritt stärker zurück als bei den Derivationen. Das äußert sich darin, dass keine Agensphrasen und keine anderen verbalen Adjunkte möglich sind. biegefähiges Eisen anpassungsfähig, äußerungsfähig, förderungsfähig, reaktionsfähig, verkaufsfähig, verwendungsfähig, wandlungsfähig, zitatfähig Als Erstglied können auch Nomen auftreten, die wie Komplemente oder Adjunkte zu sprachlich nicht realisierten Prädikaten zu interpretieren sind: kautionsfähiger Fall 'Fall, für den Kaution gewährt werden kann' garantiefähige Ware 'Ware, für die Garantie gewährt werden kann' mehrheitsfähige Vorlage 'Vorlage, die die Stimmenmehrheit erreichen kann' auslandsfähige Studenten 'Studenten, die ins Ausland geschickt werden können'

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MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Es handelt sich um Adjektivkomposita, die durch wortinterne Besetzung der zusätzlichen Argumentstelle von fähig entstehen. AKTIVITÄT*.

Adjektivkomposita mit fähig als Zweitglied und einem Verb als Erstglied, das ein Geschehen mit dem Betrachtungsfokus auf der Thema-Rolle bezeichnet, sind sehr häufig. (4) [(V) w e r t A / w ü r d i g A ] SEMANTISCHE ANALYSE:

wert und würdig haben mit dem semantischen Muster der Bildungen mit -bar vergleichbare Bedeutungen. Statt der Möglichkeit, Thema eines Geschehens zu sein, drücken sie aus, dass das Bezugswort dem vom Verb bezeichneten Geschehen unterworfen werden sollte, weil es sich lohnt oder weil es verdient, ihm unterworfen zu werden: eine beachtenswerte Plastik wissenswerte Neuigkeiten lesenswerte Gedichte zeigenswerte Exponate besprechenswerte Neuerscheinungen billigenswerte Ansichten eine malenswerte Frau ein denkwürdiger Tag ein vertrauenswürdiger Anwalt ein ehrwürdiger alter Herr eine in einer Zeitung druckwürdige Absonderlichkeit erhaltungswürdige Gebäude auszeichnungswürdige Leistung MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Es handelt sich um Adjektive mit zusätzlichen Argumentstellen, die wort- intern besetzt werden können. Das Erstglied von wert ist ein Verbalnomen mit dem Suffix -en und der Fuge -s. würdig erlaubt auch Erstglieder, die nur aus dem Verbstamm bestehen sowie andere Nominalisierungen. Bei einigen Bildungen tritt kein Verb als Basis auf, sondern ein Nomen, das die Thema-Stelle eines zu erschließenden Prädikats besetzt: eine vertragswürdige Vereinbarung 'eine Vereinbarung, die es verdient, einen Vertrag zu schließen'

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Kapitel 3

eine prämienwürdige Leistung 'eine Leistung, die es verdient, eine Prämie zu verleihen' Komposita mit den Zweitgliedern wert und würdig ersetzen nicht mehr aktive ältere Derivationsmuster: ehrbare Leistungen bedauerliche Fehler AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist stark aktiv. 2.5.3 Resultat eines Geschehens Der Zustand, der als Resultat einer Handlung mit dem Betrachtungsfokus auf der Thema-Stelle eintritt, kann als Eigenschaft eines Bezugswortes gedeutet werden, das die Thema-Stelle semantisch besetzt. Ein Gegenstand wird somit dadurch modifiziert, dass er sich in einem so charakterisierten Zustand befindet. Auch in diesem Falle entspricht die Thema-Stelle des Verbs, das als Basis auftritt, der Argumentstelle für das Bezugswort des derivierten Adjektivs. Das semantische Muster hat die Form: [RESULTAT VON (P, V (AGENS, x^,,»))] (x) 'eine Eigenschaft P, die das Resultat eines Geschehens ist, von dem x betroffen ist, ist Eigenschaft von x' das geschlagene Heer die gefundene Brieftasche die zerstörten Illusionen Die Agens-Stelle kann als Agensphrase in die Adjektivphrase übernommen werden. Das gilt auch für Adjunkte zum Verb: das von Napoleon vor Moskau geschlagene französische Heer Adjektivische Partizipien 2 sind auch von intransitiven Verben bildbar, die die Perfektform mit sein bilden. Die semantische Repräsentation dieser Verben drückt häufig einen Übergang in einen Endzustand aus: die verblühten Rosen die zerronnenen Träume die vergangenen Stunden das errötete Mädchen die erkalteten Beziehungen

Adjektivbildung

303

Von intransitiven Verben und anderen nicht-transitiven Verben, die das Perfekt mit haben bilden, sind keine attributiv verwendbaren Partizipien 2 bildbar: *das geweinte Kind *die getanzten Partygäste *der vertraute Mann 'dem man vertraut hat' *der gedachte Verstorbene 'dessen man gedacht hat' *die gehofften Verbesserungen 'auf die man gehofft hat' Das Partizip 2 in Passivkonstruktionen unterscheidet sich von den adjektivischen Partizipien 2. In Passivkonstruktionen ist das Partizip 2 Bestandteil einer komplexen morphologischen Form, die die semantische Operation der Thema-Fokussierung indiziert. Es stehen sich gegenüber: das geschlagene Heer Das Heer ist geschlagen. Das Heer ist geschlagen worden. Im ersten Beispiel wird das Partizip 2 in der resultativen Bedeutung als attributives Adjektiv verwendet. Im zweiten Beispiel wird das Partizip 2 als prädikatives Adjektiv mit resultativer Bedeutung verwendet. Diese Form wird auch als Zustandspassiv bezeichnet. Im dritten Beispiel ist das Partizip 2 Bestandteil des Perfekts der Passivform des Verbs. Ob die attributive Verwendung und die Möglichkeit, Zustandspassive zu bilden, semantisch begründet werden kann oder von der syntaktischen Argumentstruktur transitiver Verben abhängt, muss genauer untersucht werden. Auch die Frage, welche semantischen Eigenschaften Verben haben, die das Perfekt mit sein bilden, muss hier offen bleiben. Vgl. Eisenberg (1994, S. 117 ff.), Lenz (1993). GRADIERBARKEIT:

Adjektive dieses Typs bezeichnen meist absolute Eigenschaften. Eine Gradierung scheidet deshalb aus. Einige zu intransitiven Verben bildbare adjektivische Partizipien 2 lassen jedoch eine Gradierung zu: Er ist dieses Jahr noch braungebrannter. Die Hose ist noch abgetragener. Sie ist am heruntergekommensten.

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Kapitel 3

SYNTAKTISCHE VERWENDUNG:

Die Bildungen sind attributiv und als Zustandspassiv auch prädikativ verwendbar: die verblühten Rosen Die Rosen sind verblüht. die gefundene Lösung Die Lösung ist gefunden. Adjunktive Verwendung ist ebenfalls möglich: Verblüht sehen Blumen hässlich aus. Gebraten schmeckt das Fleisch besser. Er kam braungebrannt nach Hause. Er trinkt den Kaffee verdünnt. Adjektivmodifizierender Gebrauch ist primär nur möglich, wenn das Partizip semantisch geeignet ist, d.h., wenn es einen Grad bezeichnet, den Geltungsbereich einer Eigenschaft charakterisiert oder eine Sprecherbewertung ausdrückt: ausgesprochen heiß bewusst langsam Sekundär können adjektivische Partizipien 2 andere Partizipien modifizieren: der braungebrannt heimkehrende Urlauber verdünnt getrunkener Whisky gebraten gegessene Speisen SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Es gibt keine syntaktischen Alternativen WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; ge- PFy-et] SEMANTISCHE ANALYSE:

Wie oben beschrieben. MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Die morphologische Indizierung des semantischen Musters hängt davon ab, ob das Basiswort stark oder schwach flektiert ist. Schwach flektierte Verben bilden das Partizip 2 mit dem Zirkumfix ge- -et: gerötet, gebräunt, gesucht

Adjektivbildung

305

Verben, deren Stamm nicht mit einer betonten Silbe beginnt, haben kein Präfix ge-: verblüht, überfrachtet, repariert, probiert

begeistert

AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist stark aktiv. (2) [SM; ge-PFv-en] SEMANTISCHE ANALYSE:

Wie oben beschrieben. MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Starke Verben bilden das Partizip 2 mit dem Zirkumfix ge- -en. gefunden, geschlagen,

gerufen

Verben, deren Stamm nicht mit einer betonten Silbe beginnt, haben kein Präfix ge-: verloren, überfahren,

entlaufen

Bei einigen schwachen Verben ist das Muster zusätzlich durch den Ablaut des Stammvokals des Verbs indiziert: übersprungen, gefunden,

geworfen

AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist stark aktiv.

3.

Überblick über die Adjektivwortbildung

3.1 Liste der Wortbildungsmuster 1. Umkategorisierung Nomen => Adjektiv (1) [N=>A; PF n -ig] (2) [N=>A; PFN -haft] (3) [N=>A; PFN -lieh]

gierig, grimmig, freudig lasterhaft, skrupelhaft ängstlich, glücklich, grämlich

Kapitel 3

306 (4) [N=>A; P F n -isch]

(5) [N=>A; PF n -sam]

launisch, neidisch, tückisch furchtsam, tugendsam

Verb => Adjektiv (1) (2) (3) (4) (5) (6)

[V=> A; PFV -end] [V=> A; PFV -ig] [V=> A; PFV -lieh] [V=> A; PFV -isch] [V=> A; PFV -sam] [V =>A; PFV -haft]

weinend, kommend, schlafend zapplig, dösig, schläfrig beweglich, nachdenklich, zögerlich mürrisch, zänkisch, grüblerisch duldsam, strebsam, empfindsam naschhaft, schwatzhaft, zaghaft

Adverb => Adjektiv (1) [SM; PFADV -IG]

dortig, hiesig, obig

Adjektiv => Adverb (1) [SM; PF a -erweise]

lesenderweise, schnaufenderweise

Adjektiv => Satzadverb (1) [SM; PF a -erweise] (2) [SM; PF a -ermaßen]

törichterweise, höflicherweise zugegebenermaßen, erklärtermaßen

2. Relationen zu Gegenständen (Denominale Adjektive) zusätzliche

Klassenzugehörigkeit

[UND (N)] (x) (1) [SM; PF n -isch] (2) [SM; P F n -ig] (3) [SM; PF n -lieh]

französischer Adliger kitschige Dekoration kleinbäuerliche Bevölkerung

Vergleich [WIE (N)](x) (1) [SM; PF n -haft] (2) [SM; PF n -lieh] (3) [SM; PF n -isch] (4) [SM; P F n -ig] (5) [SM; PF n -mäßig] (6) [SM; PF n -artig] (7) [SM; PF n -förmig]

dandyhaft, schurkenhaft, engelhaft kindlich, herbstlich, feierlich bäurisch, weibisch, hündisch bullig, flauschig, breiig räubermäßig, geckenmäßig jägerartig, fluchtartig, sandalenartig spiralenformig, flaschenförmig

A djektivbildung

(8) [SM; PF N -farbig] (9) [SM; PF N -färben] (10) [(N) ähnlich^

zementfarbig fliederfarben neubauähnlich, ameisenähnlich

Musterkonformität [MUSTER VON (N)] (x) (1) (2) (3) (4) (5) (6)

[SM; PF n -mäßig] [SM; PF n -isch] [SM; PF n -lieh] [SM; PF n -hafit] [(N) gemäßA] [(N) gerechtA]

Übergeordneter

planmäßig, rechtmäßig, tarifmäßig alphabetisch, chronologisch gesetzlich, maßstäblich klischeehaft, regelhaft normgemäß, termingemäß termingerecht, datenschutzgerecht

Bereich

[BEREICH VON (N)] (x) (1) [SM; PFn -isch] (2) [SM; PF n -er] (3) [SM; PF n -lieh]

germanistische Linguistik Bremer Rathaus kirchlicher Würdenträger

Geltungsbeschränkung [BESCHRÄNKUNG VON (N)] (x) (1) [SM; PF n -isch] (2) [SM; PF n -lieh] (3) [SM; PFN-mäßig]

funkische Wirksamkeit, publizistisches Genie berufliche Zukunft, fachliche Bildung altersmäßige Zusammensetzung

Bestandteil von Gegenständen [BESTANDTEIL VON (N)] (x) (1) [SM; PFN -ig] (2) [SM; be- PFN -t] (3) [SM; ge- PFN -t]

salzige Suppe, steiniger Weg bebrillt, bebildert genarbt, gezackt

natürlicher Teil von Gegenständen [TEIL VON (N)] (x) (1) [SM; PFN -ig]

bärtig, bucklig, langbeinig

307

Kapitel 3

308

räumliche

Einordnung

[ORT VON (N)] (x) (1) (2) (3) (4)

[SM; P F n [SM; PF n [SM; P F n [SM; PF n

zeitliche

-ig] -isch] -er] -wärts]

ebenerdig, linksufrig Mecklenburgische Seen, italienische Reise Pariser Konferenz, Brüsseler Spitze heimwärts fahren, talwärts wandern

Einordnung

[ZEIT VON (N)] (*) (1) (2) (3) (4)

[SM; PF N -ig] [SM; PF n -lieh] [SM; PF n -weise] [(N) lang A]

diesjährig, gegenwärtig stündlich, täglich, abendlich stundenweise, tageweise tagelang, monatelang

Materialangabe [ M A T E R I A L V O N (N)] (x)

(1) [SM; PF n -e(r)n] Agens von

eisern, hölzern, tönern

Geschehen

[ A G E N S V O N (N)] (x)

(1) [SM; PF n -isch] (2) [SM; P F n -sch] (3) [SM; PF n -lieh] Ursache von

fachmännisches Urteil Humboldtsche Universitätsreform ärztliche Untersuchung

Geschehen

[CAUS (N, x)] (x) (1) [SM; PF n -halber]

anstandshalber, studienhalber

verfügen über etwas [HABEN (N)] (x) (1) [SM; PF n -lieh] (2) [SM; PF n -isch] (3) [SM; P F n -sch]

väterliches Haus, mittelbäuerliche Betriebe napoleonisches Heer, heidnische Sitten Herdersches Wohnhaus

Adjektivbildung

309

Mittel einer Tätigkeit (MITTEL VON (N)) (x) (1) [SM; PF n -lieh] (2) [SM; PF n -isch]

briefliche Mitteilung telefonische Beratung, telegraphische Anfrage beidäugiges Sehen, eigenhändige Unterschrift

(3) [SM; P F n -ig] betroffener

Gegenstand

[THEMA VON (N)] (x) (1) [SM; PF n -isch] (2) [SM; PF n -lieh]

seemännische Ausbildung muttersprachlicher Unterricht

Folge von Geschehen oder Zuständen [CAUS (x, N)] (x) freudiges Ereignis, ekeliger Anblick grauenhafte Entdeckung vergnügliche Reise, peinlicher Fehler

-ig] (2) [SM; PF n -haft] (3) [SM; PF n -lieh] (1) [ S M ; P F n

Maßangabe [MASS VON (N)] (x) (1) [SM; PF n -weise] Muster mit privativen

eimerweise, tonnenweise Relationen

[NON (MUSTER VON (N))] (x) (1) [SM; P F n -los] (2) [(N) freiA]

regellos, planlos vorschriftenfrei

[NON (TEIL VON (N))] (x (1) [SM; PF n -los])

bartlos, blattlos, fensterlos haarfreie Beine

(2) [(N) freiA] [NON (BESTANDTEIL VON (N))] (x) (1) [SM; P F n ] -los] (2)[(N)frei A

staublos, wolkenlos atomwaffenfrei, staubfrei

310

Kapitel 3

[NON (MITTEL VON (N))] (x) (1)

[SM; PF n

-los]

(2) [(N) freiA]

kabelloses Telefonieren drahtfrei telefonieren

[NON (CAUS (x, N))] (x) [SM; PF n -los] (2) [(N) freiA]

(1)

schmerzlos operieren emotionsfrei betrachten

3. Modifikation (Deadjektivische Adjektive) Adjektivkomposita: Koordinativkomposita [UND (A1, A2)] (x)

dummdreist, nasskalt

Besetzung einer Argumentstelle [A(N/V>] (x)

staubfrei, politikverdrossen

Relation zu Gegenständen [ W I E ( N , A ) ] (x) [ B E S C H R Ä N K U N G V O N (N, A)] (x) [ C A U S (N, A)] (x) [ C A U S (A, V)] (x)

leichenblass, bärenstark leistungsstark, augenkrank weinselige, erfolgstrunken triefhass, quietschfidel

Gradierungsprädikate [ G R A D (A)] (x)

Suffigierung: (1) [SM; PFa -stens] (2) [SM; PFa -lieh] (3) [SM; PFa -haft] (4) [SM; PFa -lieh]

genauestens, wärmstens dümmlich, bläulich ernsthaft, krankhaft zärtlich, gröblich

Präfigierung: (1) [SM; u- P F A ] (2) [SM; erz- P F A ] (3) [SM; super-/hyper-/ultra-/mega-/top- PFA] (4) [über (A)]

urgemütlich, urkomisch erzdumm, erzkatholisch superschlank überglücklich, übergenau

Adjektivbildung

311

4. Wortnegation [NON(A)] (x) (1) [SM; u n - P F J (2) [nichtput (A)] (3) [pseudo- PFJ (4) [schein (A)] (5) [quasi/halb (A)]

unklug, unbegabt nicht-demokratisch, nichtmoslimisch pseudodemokratisch scheingebildet quasifaschistisch, halbdemokratisch

5. Relationen zu Geschehen (Deverbale Adjektive) Fähigkeit, ein Geschehen zu vollziehen [FÄHIG (V(xAgens)](x) (1) [SM; PFV -bar] (2) [(V) fähigA]

sinkbar, explodierbar schwimmfahig, lernfahig

Möglichkeit, Thema eines Geschehens zu sein [MÖGLICH (V( X t o J)] (x) (1) [SM; PFV -bar] (2) [SM; PFV -lieh] (3)[(V/N)fähigA] (4) [(V/N) wertA/würdigA]

erkennbar, beschreibbar begreiflich, verständlich förderungsfähig, verwendungsfähig beachtenswert, prämienwürdig

Resultat eines Geschehens [RESULTAT VON (P, V(Xthema))] (x) (1) [SM; ge- PFv-et] (2) [SM; ge- PFV -en]

gebräunt, gerötet geschlagen, geladen

3.2 Polyfunktionalität der aktiven Affixe Eine größere Zahl von Affixen tritt nur als Indikator eines aktiven Wortbildungsmusters auf. Präfixe indizieren stets nur ein Wortbildungsmuster: -artig -bar -end

Vergleich fluchtartig, jägerartig Mögliches Thema eines Geschehens beschreibbar, essbar Verb => Adjektiv laufend, weinend

Kapitel 3

312 -e(r)n -farbig -färben -förmig -haft -los -stens -wärts

Materialangabe Vergleich Vergleich Vergleich Vergleich privative Relationen Gradierung räumliche Einordnung

hölzern, seiden zementfarbig, fleischfarbig fliederfarben, lachsfarben flaschenförmig, kugelförmig klischeehaft, damenhaft atemlos, furchtlos genauestens, wärmstens heimwärts, talwärts

be--t ge- -en

Bestandteil von Gegenständen Resultat eines Geschehens

bebrillt, bebildert geschlagen, gespalten

erzhypermegasupertopüberultraunur-

Gradierung Gradierung Gradierung Gradierung Gradierung Gradierung Gradierung Wortnegation Gradierung

erzdumm, erzkatholisch hypersensibel, hypergenau megasauber, megateuer superschlau, supermodern topmodern, topfit überglücklich, übergenau ultrakonservativ, ultraflach unklug, unreif urgemütlich, uralt

Andere Affixe aktiver Wortbildungsmuster, und dazu gehören die typischen Adjektivsuffixe, indizieren z.T. eine große Anzahl von semantischen Mustern: -erweise Adjektiv => Adverb Adjektiv => Satzadverb -er Übergeordneter Bereich räumliche Einordnung -ig Adverb => Adjektiv zusätzliche Klassenzugehörigkeit Vergleich Bestandteil von Gegenständen natürlicher Teil von Gegenständen räumliche Einordnung zeitliche Einordnung Mittel einer Tätigkeit

lesenderweise, schnaufenderweise törichterweise, merkwürdigerweise Bremer Bürgerschaft Mecklenburger Seen hiesig, dortig adlige Beamte flauschig, breiig steiniger Weg bärtig, langbeinig ebenerdig, linksufrig gegenwärtig, diesjährig eigenhändige Unterschrift

-isch

französischer Adliger bäurisch, hündisch alphabetisch anordnen germanistische Linguistik mathematisches Genie europäische Flüsse fachmännisches Urteil napoleonisches Heer

zusätzliche Klassenzugehörigkeit Vergleich Musterkonformität Übergeordneter Bereich Geltungsbeschränkung räumliche Einordnung Agens von Geschehen verfügen über etwas

Adjektivbildung Mittel einer Tätigkeit betroffener Gegenstand -lieh

313

telefonisch übermitteln kaufmännische Ausbildung

zusätzliche Klassenzugehörigkeit Vergleich Übergeordneter Bereich Geltungsbeschränkung zeitliche Einordnung Agens von Geschehen verfugen über etwas Mittel einer Tätigkeit betroffener Gegenstand -mäßig Vergleich Musterkonformität Geltungsbeschränkung -sch Agens von Geschehen verfügen über etwas -weise zeitliche Einordnung Maßangabe

bäuerliche Bevölkerung herbstlich, feierlich kirchlicher Würdenträger fachliche Bildung, klanglich gut abendlich, stündlich ärztliche Untersuchung väterliches Haus brieflich mitteilen muttersprachlicher Unterricht geckenmäßig, räubermäßig planmäßig, tarifmäßig altersmäßige Zusammensetzung Humboldtsche Universitätsreform Herdersches Wohnhaus stundenweise, tageweise eimerweise, tonnenweise

ge- et

genarbt, gezackt gebräunt, gerötet

4.

Bestandteil von Gegenständen Resultat eines Geschehens

Literaturauswahl

Allgemein: Aarts, Jan M.G./Calbert, Joseph P. (1979) Bolinger, Dwight (1967) Lang, Ewald (1995) Lenz, Barbara (1993) Rachidi, Renate (1989) Warren, Beatrice (1984) Derivation: Eichinger, Ludwig M. (1982) Inghult, Göran (1975) Kühnhold, Ingeburg/Putzer, Oskar/Wellmann, Hans (1978) Leitzke, Eva (1989) Präfigierung: Lenz, Barbara (1995)

314

Kapitel 3

Komposition: Fandrich, Christian (1993) Olsen, Susan (1986) Pümpel-Mader, Maria/Gassner-Koch, Elsbeth/Wellmann, Hans (1992) Wilss, Wolfram (1986)

KAPITEL 4

NOMENBILDUNG 1.

Semantische und syntaktische Eigenschaften von Nomen

1.1

Allgemeines

Die semantische Repräsentation von Nomen ist ein Prädikatkomplex, dem eine Referenzstelle zugeordnet ist. Referenzstellen werden nicht durch sprachliche Einheiten besetzt, sie stehen vielmehr für Gegenstände in der Welt, über die gesprochen wird. Der Prädikatkomplex identifiziert einen Typ von Gegenständen, denen die Prädikate zugesprochen werden können. Nomen sind somit aus semantischer Sicht in jedem Fall einstellige Prädikate. Wir wählen dafür die allgemeine Form N(r) N steht für einen nominalen Prädikatkomplex und r für eine Referenzstelle. Durch determinierende sprachliche Mittel kann die potentielle Referenz eines Nomens auf Exemplare des Typs eingeschränkt werden, auf die sich die sprachlichen Äußerungen, in die das Nomen eingeht, in aktuellen Redesituationen beziehen. Zu diesen Mitteln gehören vor allem restriktive Attribute, Numeralia, die Pluralform und Determinatoren: gelbe Häuser drei Häuser dieses Haus das Haus viele Häuser Nomen sind lexikalische Einheiten, die typischerweise Argumentstellen anderer Kategorien besetzen. Zusammen mit Verben bilden sie Propositionen, die Sachverhalte charakterisieren. Vgl. Kapitel 2, S. 39 ff. Nomen können jedoch auch ohne spezifische Referenz verwendet werden. Das trifft vor allem auf die prädikative Verwendung zu, aber auch auf Nomina, die in Derivationen eingehen oder Erstglied von Komposita sind: Klaus ist ein Narr, närrisch

316

Kapitel 4

jemanden narren Narrenkleid In den angeführten Beispielen identifiert NARR einen Typ von Menschen. Die damit verbundenen Eigenschaften gehen in die Interpretation der Ausdrücke ein ohne Bezugnahme auf aktuelle Exemplare des Typs. Nomen können auch mehrstelligen Prädikaten, d.h. Relationen zugrunde liegen: der Vater des Musikers das Dach des Hauses die Größe der Verantwortung die Eroberung Moskaus durch Napoleon Typen von durch Nomen identifizierten Gegenständen können nach verschiedenen Gesichtspunkten in Kategorien eingeordnet werden. Fundamental ist die Unterteilung in Individual- und Massenomina. Individualnomina identifizieren Typen von Gegenständen, die als selbständige Einheiten wahrnehmbar oder vorgestellt sind. Die Exemplare, auf die referiert werden kann, sind diskrete Einheiten. Vgl.: Tisch, Haus, Berg, Brief, Gedanke Massenomina oder Kontinuativa identifizieren dagegen Stoffe, die nicht als Mengen von separaten Individuen wahrgenommen werden. Exemplare, auf die referiert werden kann, sind Portionen der Gesamtmasse. Vgl.: Honig, Mehl, Milch, Sand, Wasser Diese Differenzierung spielt nicht nur unter semantischen Aspekten eine Rolle, sondern auch unter syntaktischen und morphologischen. Die Zugehörigkeit zu einer der beiden Kategorien wirkt sich auf die Zählbarkeit der Exemplare und damit auf die Pluralwahl, auf die Wahl von Numeralia und auf die Wahl von Determinatoren aus. Ein weiterer Gesichtspunkt ist die Abgrenzung von Kollektiva. Einige der hier aufgezeigten Gesichtspunkte spielen bei der Beschreibung von Wortbildungsmustern eine Rolle. Sie werden in den folgenden Abschnitten ausführlicher besprochen.

1.2

Die Argumentstruktur von Nomen

Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass Nomen Relationen bezeichnen können, d.h. ihre semantische Repräsentation kann neben der Referenzstelle weitere Argumentstellen enthalten. Besonders bei der Nominalisierung von Verben und Adjektiven ergibt sich die Frage, ob die Argumentstruktur von

Nomenbildung

317

Verben und Adjektiven auf die entsprechenden Nominalisierungen übertragen werden können. In vielen Arbeiten zu dem Thema wird angenommen, dass von Verben oder Adjektiven derivierte Nomen zwar, mit gewissen Einschränkungen, die Argument- und Adjunktstruktur ihrer Basiswörter berücksichtigen, grundsätzlich jedoch nur fakultative Ergänzungen haben. Vgl. Heibig (1992, S. 112 ff.). Obligatorische Argumente nimmt dagegen Grimshaw (1990) an. In jedem Fall ist zwischen Ergänzungen zu Nomen, die Komplemente sind und solchen, die Adjunkte sind, zu unterscheiden. Komplemente eines Nomens, die den Objekten von Verben entsprechen, gehören zur semantischen Struktur des Nomens, Adjunkte sind dagegen zusätzliche Prädikationen über die Referenten: der Sohn des Kanzlers die Dame mit dem Hündchen Im ersten Beispiel ist die Ergänzung des Kanzlers eine semantisch notwendige Spezifizierung von Sohn. Jemand der SOHN ist, muss SOHN VON jemandem sein. Wird die Argumentstelle sprachlich nicht besetzt, muss die Besetzung aus dem Kontext möglich sein. Der Ausdruck ist dann elliptisch. Im zweiten Beispiel gehört die Ergänzung mit dem Hündchen dagegen nicht zur Bedeutung von Dame, es handelt sich vielmehr um eine nicht notwendige, freie Ergänzung, die das Nomen modifiziert. Relationale semantische Repräsentationen haben neben Verwandtschaftsbezeichnungen (Vater, Mutter, Sohn, Tochter, Onkel) Bezeichnungen, die Teile von etwas sind (Rand, Ecke, Dach, Mund, Kopf) sowie Bezeichnungen für Eigenschaften (Schwäche, Freiheit, Klugheit), Maße (Gewicht, Strauß (Blumen), Haufen) und Geschehen (Untersuchung, Erinnerung, Verurteilung). Bei der Nominalisierung können die Argumentstellen von Verben und Adjektiven erhalten bleiben oder in Adjunkte umgewandelt werden. In gewissem Maße sind die syntaktischen Pendants zu den Argumentstellen prädiktabel. Wie sich die Nominalisierung auf die syntaktischen Eigenschaften der Nomen auswirkt, ist eine der interessantesten Fragen der Bildung von Nomen aus Verben.

1.3

Semantische Kategorien

Zur Beschreibung semantischer Muster der Nomenbildung benötigen wir eine semantische Kategorisierung von Nomen. Als allgemeine Voraussetzung soll gelten: Nomen bezeichnen Gegenstände im weitesten Sinne. Ihre zentrale Funktion besteht in der Identifizierung von Entitäten der Welt, die als Aktanten in Sachverhaltscharakterisierungen eingehen. Auf die zahlreichen Versuche, Nomen semantisch zu kategorisieren, können wir hier nur hinweisen.

318

Kapitel 4

Ausgangspositionen von Klassifizierungen sind häufig ontologische Gesichtspunkte, aber auch speziellere Aspekte, die sich aus der Art der Referenz von Nomen ergeben und die zu Unterteilungen wie Individualnomen, Massenomen, Institutionen, Gruppen, Konfigurationen und Aggregate führen. In jedem Falle muss vermieden werden, dass die Kategorisierung unabhängig von sprachlichen Kriterien vorgenommen wird, da sie ja der Beschreibung sprachlicher Verhältnisse untergeordnet ist. Sprachliche Kriterien ergeben sich vor allem aus den empirischen Anforderungen an semantische Theorien. So benötigen wir hinreichend differenzierte semantische Kategorien um Selektionsbeschränkungen in syntaktischen Konstruktionen von Nomen mit Verben oder Adjektiven formulieren zu können. Auch für die Beschreibung semantischer Relationen im Wortschatz wie Hyperonymie, Synonymie, Antonymie werden semantische Kategorien gebraucht. Unverzichtbar sind grammatikalisierte semantische Kategorien für die Beschreibung syntaktischer und morphologischer Aspekte im Zusammenhang mit der Zählbarkeit von Nomen sowie mit der Wahl von Determinatoren. Interessant ist der Versuch von Konerding (1993), ein umfassendes Kategoriensystem auf der Grundlage von Hyperonymen zu ermitteln, d.h. auf der Grundlage von in der Sprache selbst enthaltenen Ansätzen zur Systematisierung des Wortschatzes. Vgl. auch Ballmer/Brennenstuhl (1982). Für die Beschreibung von semantischen Mustern, die Wortbildungsmustern für Nomen zugrunde liegen, setzen wir die nebenstehende, auf unsere Zwecke abgestimmte Kategorisierung voraus. Physikalische Gegenstände haben eine Gestalt, d.h. eine äußere Form, einen inneren Aufbau, eine stoffliche Beschaffenheit. Ihre Existenz ist räumlich und zeitlich bestimmbar. Sie sind nach verschiedenen Maßsystemen messbar. Auch ihr Nutzen für den Menschen kann eine Rolle spielen. Sie können belebt oder unbelebt sein. Die unbelebten physikalischen Gegenstände können unterteilt werden in Dinge und Artefakte. Artefakte sind von Menschen aus einem Material für bestimmte Zwecke hergestellt: Stein, Sand, Berg, Baum, Wiese Hut, Haus, Hammer, Nagel Die belebten Gegenstände, die auch als biologische Organismen bezeichnet werden können, werden in Personen, Tiere und Pflanzen untergliedert: Mensch, Lehrer, Dummkopf Affe, Tiger, Wolf Baum, Blume, Gras

319

Nomenbildung

Abbildung:

natürliche Dinge unbelebte Artefakte männl Personen physikalische

weibl männl belebte

Tiere

. weibl

Pflanzen Geschehen Gegenstände —

abstrakte Zustände Relationen s

ideelle

Eigenschaften Strukturen

Für Personen und Tiere ist eine weitere Unterscheidung nach dem Geschlecht notwendig, sie können weiblich oder männlich sein: Mann : Frau, Lehrerin, Beamtin Hengst: Stute, Wölfin Abstrakte Gegenstände sind als Entitäten gefasste Geschehen oder Zustände, die raum-zeitlich einordbar sind:

320

Kapitel 4

Marsch, Krieg, Untergang Angst, Wut, Glaube Ideelle Gegenstände sind Produkte des menschlichen Verstandes. Sie können unterteilt werden in Relationen, Eigenschaften und Strukturen: Ursache, Folge, Motiv, Ziel Menge, Form, Größe, Gewicht Kalkül, Regel, System, Plan Das hier dargestellte Kategoriensystem erhebt keinen Anspruch auf abschliessende theoretische Begründung oder Vollständigkeit. Es berücksichtigt nur einige von vielen relevanten Gesichtspunkten. Bis auf die Untergliederung weiblich : männlich ist es hierarchisch aufgebaut. Tatsächlich müssen aber auch Kreuzklassifizierungen zugelassen werden. Das wird z.B. deutlich, wenn man die Unterscheidung zwischen Individual- und Massenomen einbezieht. Wir werden von Fall zu Fall weitere Kategorien verwenden und in angemessener Weise begründen.

1.4

Der allgemeine Rahmen für semantische Muster der Nomenbildung

Es gibt Wortbildungsmuster, die lediglich eine syntaktische Umkategorisierung von Verben oder Adjektiven vornehmen. Die semantischen Muster für deverbale Bildungen bauen auf den Grundlagen der semantischen Repräsentation von Verben auf. Einige Muster modifizieren die Verbbedeutung, andere erlauben es, Nomen zu bilden, die auf Aktanten referieren, die die Thema- oder die Agens-Stelle eines Verbs besetzen können sowie solche, die auf an einem Geschehen beteiligte Mittel, Orte oder Institutionen referieren. Semantische Muster für deadjektivische Bildungen sind reine Nominalisierungen oder sie charakterisieren Gegenstände, die auf Eigenschaftsträger referieren, denen eine bestimmte Eigenschaft zukommt. Semantische Muster für denominale Bildungen sind Modifikationen von Nominalkonzepten. So können die Referenten weibliche oder männliche Exemplare einer Gattung sein und es gibt Muster, die eine Verkleinerung, eine Vergrößerung oder eine pejorative Modifizierung ausdrücken. Als Spezialfall der Modifikation können Nominalkomposita betrachtet werden. Es gibt ferner Muster für die Bildung von Kollektiva sowie für wortinterne Negation.

Nomenbildung

2.

Wortbildungsmuster für Nomen

2.1

Deverbale Nomen

321

2.1.1 Reine Nominalisierung (nomina actionis) Wie wir bereits im Kapitel Verbbildung gezeigt haben, können semantische Repräsentationen von Lexikoneinheiten doppelt kategorisiert sein: ruffen) schlag(en) : schrei(en) :

der Ruf der Schlag der Schrei

Während es in diesen Fällen wenig sinnvoll erscheint, die Verben von Nomen abzuleiten oder die Nomen von Verben, sind morphologische Indikatoren ein hinreichender Grund dafür, das Verb als Basis eines derivierten Nomens zu betrachten, d.h. das Nomen als ein vom Verb abgeleitetes Wort zu analysieren. Wir schließen uns also nicht der verbreiteten Vorstellung an, es handle sich bei den angeführten Beispielen um implizite Derivationen oder Konversionen, d.h. um Wortbildungsmuster ohne Suffix und ohne semantisches Muster. Die semantische Repräsentation von Verben kann durch Wortbildungsmuster zur semantischen Repräsentation von Nomen werden. Wir unterscheiden die reine Nominalisierung oder Umkategorisierung von Nominalisierung mit zusätzlichen semantischen Veränderungen: erziehen das Erziehen die Erziehung der Erzieher die Erzieherei das Erziehen, die Erziehung sind reine Nominalisierungen, d.h., nur die syntaktische Kategorie wird verändert, die semantische Repräsentation des Verbs erziehen bleibt erhalten; der Erzieher, die Erzieherei sind Nominalisierungen des Verbs erziehen mit Veränderungen der semantischen Repräsentation des Verbs. Wortbildungsmuster für reine Nominalisierung, für nomina actionis, setzen ein semantisches Muster voraus, das lediglich eine Umkategorisierung vornimmt: [V (x1, x2..., s)]N (x1, x2,..., r) Die deutsche Sprache verfugt über mehrere morphologische Mittel zur Indizierung von Umkategorisierungen:

322

Kapitel 4

Suffixe:

das Erziehen, das Warten, das Springen; die Unterstützung, die Bereicherung, die Erinnerung; die Hilfe, die Hetze, die Aussage, die Nachfrage; die Fahrt, die Flucht

Ablaut:

der Flug, der Sprung, der Klang

Präfix + Ablaut: der Gesang, der Gestank Viele Bildungen, die Eigenschaften von reinen Nominalisierungen haben, sind lexikalisiert. Das trifft auf alle Bildungen mit -t und Ablaut zu, einschließlich Präfix + Ablaut. Lexikalisierte Bildungen können ideosynkratische Eigenschaften aufweisen, die die Suche nach generellen Eigenschaften von Mustern erschweren. Aktiv sind insbesondere die Wortbildungsmuster mit den Suffixen -en und -ung. Während -en alle Verben zu Nomen machen kann und Lexikalisierungen deutlich von ad hoc-Bildungen abgehoben sind, sind Bildungen mit -ung nicht zu allen Verben möglich und die Grenze zwischen Textwort und Lexikonwort ist unscharf. Auf Unterschiede der beiden Wortbildungsmuster gehen wir noch ein. In beiden Fällen wollen wir davon ausgehen, dass das abgeleitete Nomen die semantische Repräsentation des Verbs übernimmt. Was heißt das? Die Bedeutung von Verben ist eine semantische Repräsentation, die Sachverhaltstypen durch Relationen zwischen Typen von Aktanten charakterisiert. Die semantische Repräsentation eines Verbs besteht aus einem Prädikatkomplex und einer Argumentstruktur, die Aktantentypen durch semantische Rollen kennzeichnet. Zur Argumentstruktur von Verben gehört auch eine Referenzstelle s für den Sachverhalt, auf den sich die semantische Repräsentation des Verbs in einem gegebenen Redekontext bezieht. Erst durch die Besetzung der Argumentstellen, die in Abhängigkeit von der syntaktischen Argumentstruktur erfolgt, entstehen Propositionen, die generelle Sachverhalte (Hunde hassen Katzen.) oder partikuläre (Peter schiebt sein Fahrrad in den Schuppen.) charakterisieren. Eine syntaktische Besonderheit von Verben besteht darin, dass ihre semantische Argumentstruktur mit einer syntaktischen Argumentstruktur korrespondiert, die die mit sprachlichen Mitteln auszufüllenden Argumentstellen enthält. Verben müssen ferner mit Kategorien des Auxiliarkomplexes kombiniert werden. Wenn sie in finite Konstruktionen eingehen, ist eine Spezifizierung des Tempus, des Modus und des genus verbi notwendig. Neben der Argumentstruktur haben Verben eine Adjunktstruktur, d.h. mögliche Ergänzungen, die nur durch Selektionsbeziehungen zwischen Verbbedeutung und Typen von Ergänzungen beschränkt sind. Vgl. Kapitel 2, S. 32.

Nomenbildung

323

Reine Nominalisierungen von Verben übernehmen die semantische Repräsentation des Verbs einschließlich der Adjunktstruktur. Auch sie werden zur Charakterisierung von generellen und partikulären Sachverhalten verwendet. Den semantischen Argumentstellen entsprechen jedoch syntaktische Komponenten von Nominalphrasen, insbesondere Nominalphrasen im Genitiv, vorangestellter Genitiv von Eigennamen, Possessivpronomen und Präpositionalphrasen: diese Erinnerung des Greises an die Kindheit seine Erinnerung an die Kindheit Peters Erinnerung an die Kindheit Reguläre Nominalisierungen können auch präpositionale Komplemente der Verben übernehmen: die Erbitterung über den Verrat das Hadern mit dem Schicksal das Bestehen auf Gerechtigkeit die Erinnerung an den Krieg Die Agensstelle kann durch eine Nominalphrase im Genitiv, bei Eigennamen durch vorangestellten Genitiv, durch ein Possessivpronomen sowie durch eine Präpositionalphrase mit der Präposition durch sprachlich ausgefüllt werden. das Schweigen der Lämmer Kohls Schweigen ihr Schweigen Die letztgenannte Möglichkeit, Präpositionalphrasen mit durch, setzt die gleichzeitige Ausfüllung der Themastelle durch eine Nominalphrase im Genitiv voraus, d.h. Nominalisierungen von mehrstelligen Verben: das Verschweigen der Tatsache durch den Angeklagten *das Verschweigen durch den Angeklagten *das Schweigen durch die Lämmer Die Themastelle kann durch Nominalphrasen im Genitiv, Possessivpronomen und Präpositionalphrasen mit der Präposition von ausgefüllt werden: die Überrumpelung der Angreifer ihre Überrumpelung die Überrumpelung von Angreifern

324

Kapitel 4

Nicht alle semantischen Argumentstellen können durch syntaktische Konstituenten einer Nominalphrase sprachlich ausgefüllt werden. So müssen die Possessor- und die Zielrolle implizit ausgefüllt werden: Er beschreibt dem Gast den Weg. seine Beschreibung des Wegs Er winkt den Schauspielern zu. sein Zuwinken Entspricht dem indirekten Objekt des Verbs eine Präpositionalphrase mit an, so kann diese in die Nominalphrase übernommen werden: Der Bote überreicht dem Botschafter ein Schreiben. Der Bote überreicht ein Schreiben an den Botschafter. die Überreichung eines Schreibens an den Botschafter die Übermittlung eines Grußes an die Kollegen Nominalphrasen im Genitiv, ebenso wie das Possessivpronomen, sind in vielen Fällen mehrdeutig, d.h., es ist sowohl ein Bezug auf die Agensstelle als auch auf die Themastelle möglich, bzw. sowohl ein Bezug auf die Stelle, die durch das Subjekt eines Verbs besetzt wird, als auch auf die Stelle, die durch das direkte Objekt des Verbs besetzt wird. Die traditionellen Termini sind subjektiver bzw. objektiver Genitiv. Die Begrenzungen für die subjektive bzw. objektive Interpretation werden genauer untersucht von Sandberg (1979).

Eine Besonderheit der Nominalisierungen gegenüber den Verben besteht darin, dass es grundsätzlich möglich zu sein scheint, die semantischen Argumentstellen durch Weltwissen oder Kontextinformationen auszufüllen, d.h., es besteht kein sprachlicher Zwang, die semantischen Argumentstellen auf eine syntaktische Phrase im Rahmen der Nominalphrase, die durch die Nominalisierung begründet wird, abzubilden. In folgenden Beispielen verlangt das Verb ein direktes Objekt, während die Nominalisierung auch ohne eine Nominalphrase im Genitiv auskommt: Man wechselt die Lampen durch Drehen unter leichtem Druck aus. *Man wechselt durch Drehen unter leichtem Druck aus. Das Auswechseln erfolgt durch Drehen unter leichtem Druck. Er lässt den Motor in der Garage an. *Er lässt in der Garage an. Beim Anlassen in der Garage für Entlüftung sorgen. Er trägt den Unterbodenschutz auf. *Er trägt auf. Beim Auftragen sind die Scheibenbremsen sorgfältig abzudecken.

Nomenbildung

325

Aus diesen Tatsachen ergibt sich die Frage, ob reine Nominalisierungen überhaupt eine obligatorische syntaktische Argumentstruktur haben. Die syntaktischen Korrelate zu den semantischen Argumentstellen können auch als fakultative Adjunkte behandelt werden. Diese Analyse entspricht dem tradierten Begriff Attribut. Vgl. Heibig (1992, S. 112 ff.) Natürlich muss dabei vorausgesetzt werden, dass die Aktanten, die zu dem Sachverhalt gehören, der durch eine reine Nominalisierung bezeichnet wird, hinreichend genau bestimmt sind. Dieses pragmatische Prinzip der Interpretierbarkeit muss aber nicht notwendig durch syntaktische Mittel erfüllt werden, d.h. durch die Sättigimg einer syntaktischen Argumentstruktur. Sandberg zeigt, dass auch der satzinterne und satzüberschreitende sprachliche Kontext genutzt werden kann, um die gewünschte Sachverhaltscharakterisierung den Erfordernissen der kommunikativen Verständlichkeit anzupassen. Diese Möglichkeit, die Leerstellen der semantischen Argumentstruktur durch Informationen des sprachlichen und außersprachlichen Kontexts zu sättigen, ist jedoch von der Sättigung der Argumentstellen durch syntaktische Mittel innerhalb einer Nominalphrase zu unterscheiden. Für Verbalnomen entfällt in jedem Fall die für Verben notwendige Spezifizierung von Kategorien des Auxiliarkomplexes. Auch das schließt implizite temporale, modale und Genus-verbi-Interpretationen nicht aus. Mit der Umkategorisierung von Verben kann die Umwandlung von adjunktiven Adjektiven in attributive verbunden sein. Zum Teil setzt das Wortbildungsprozesse voraus: Der Angeklagte schweigt hartnäckig, das hartnäckige Schweigen des Angeklagten Der Direktor überreichte dem Angestellten gestern eine Auszeichnung, die gestrige Überreichung einer Auszeichnung Auch phrasale Adjunkte des Verbs können in die Nominalphrase übernommen werden: die Verurteilung des Angeklagten wegen Raubs Sowohl Komplemente als auch Adjunkte des Verbs können zusammen mit der Nominalisierung ein Kompositum bilden: die Götzenverehrung der Sekte das Mädchenverßihren des Lustmolchs das Zurückbleiben des Hauptfeldes das An-die-Tür-Klopfen des Hausierers

326

Kapitel 4

Reine Nominalisierungen bilden jedoch in jedem Falle den Kern von Nominalphrasen. Sie unterscheiden sich dadurch von Verbalphrasennominalisierungen wie: das Den-Teufel-an-die-Wand-malen das Den-Tag-vor-dem-Abend-loben Die sogenannten substantivierten Adjektive (.Hilfsbedürftige, Obdachlose, Sechzigjährige; Schwerverletzte, Neugeborene, Hinterbliebene; Reisende, Trauernde, Auszubildende; Verdächtiges, Unvorhersehbares, Kluges; das Vergessene, das Gesagte, das Versäumte; Irritierendes, Bedeutendes) betrachten wir nicht als Umkategorisierungen, sondern als Nominalphrasen mit einem phonologisch leeren Nomen. Vgl. dazu Olsen (1988). WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; PFV -en, Neutrum] SEMANTISCHE ANALYSE:

Alle Verben lassen eine Nominalisierung mit dem Suffix -en zu. Nomen dieses Typs bezeichnen Sachverhaltsrepräsentationen als partikuläres oder generelles Geschehen. Sie sind nicht zählbar. MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Bildungen dieses Musters werden auch, wegen der lautlichen Identität, substantivierter Infinitiv genannt, -en ist in jedem Fall eine Erweiterung des Verbstamms. Nähme man an, das -en gehöre zum Verbstamm, müssten alle anderen Wortbildungsmuster eine Reduzierung des Stamms vornehmen. Das Präsenspartizip könnte dagegen auf -d beschränkt werden. Die Analyse als substantivierter Infinitiv geht ebenfalls davon aus, dass innerhalb des Flexionsparadigmas des Verbs zunächst eine Form mit der Infinitivendung gebildet wird, die dann in die Konversionsregel eingeht. Konversion wird als ein Wortbildungsprozess betrachtet, der auf Formen des Flexionssystems des Verbs zurückgreift. Da die Konversion lediglich die syntaktische Kategorie verändert, müsste man ein Wortbildungsmuster annehmen, das weder eine semantische, noch eine morphologische Veränderung vornimmt. Wir halten eine Analyse für angemessener, die -en-Nominalisierungen von vornherein als Derivationen beschreibt. Die Hinzufugung der Endung -en an den Stamm eines Verbs wird als Indizierung eines semantischen Musters betrachtet, das in diesem Falle nur eine syntaktische Umkategorisierung vornimmt. Im Rahmen der Verbmorphologie indiziert die gleiche Endimg -en infinite Verbformen, die mit bestimmten syntaktischen Verwendungsweisen von Verben verbunden sind.

Nomenbildung

327

Das Suffix -en tritt an den Stamm beliebiger, auch morphologisch komplexer Verben. Mit dem Suffix ist das Genus Neutrum verbunden. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist stark aktiv. (2) [SM; PFV -ung, Femininum] SEMANTISCHE ANALYSE:

Reine Nominalisierungen mit -ung übernehmen die semantische Repräsentation des Verbs. Sie unterscheiden sich allenfalls in Nuancen von Bildungen mit -en. Da Nominalisierungen mit -ung häufiger lexikalisiert werden, können die daraus resultierenden, schwer zu beschreibenden Unterschiede auch auf idiosynkratische Lexikonprozesse zurückgehen. Beide Bildungsmuster können Geschehen als Tatsache, als Verlauf und als generelles Geschehen charakterisieren. Diese unterschiedlichen Interpretationen können durch den Kontext festgelegt werden: Die Erstürmung der Hauptstadt beendete den Krieg. Das Erstürmen der Hauptstadt beendete den Krieg. Die Erstürmung der Hauptstadt dauerte einen Tag. Das Erstürmen der Hauptstadt dauerte einen Tag. Die Erstürmung der Hauptstadt bedeutet meist das Ende eines Krieges. Das Erstürmen der Hauptstadt bedeutet meist das Ende eines Krieges. Die Verlaufsinterpretation im zweiten Beispielpaar verdeutlicht einen feinen Unterschied. Während die Bildung Erstürmen das zeitliche Kontinuum von Teilgeschehen herausstellt, d.h. eine untergliederte Geschehens- oder Ereignisstruktur, hebt Erstürmung eher die Ganzheit des Geschehens hervor. Dieser Unterschied könnte auch die Tatsache erklären, dass Bildungen mit -en nie den Plural wählen können, während Bildungen mit -ung unter gewissen Bedingungen zählbar sind. Zählbarkeit setzt voraus, dass das Nomen als Bezeichung einer Klasse, einer Gattung verwendet werden kann, der Exemplare oder Instanzen zugeordnet sind. Diese Möglichkeit besteht, abgesehen von lexikalisierten Bildungen, für die Bildungen mit -en grundsätzlich nicht. Auch die meisten reinen Nominalisierungen mit -ung können nicht als Gattungsbezeichnungen verwendet werden: die Erforschung der Sonne *die Erforschungen der Sonne

328

Kapitel 4

die Beseitigung des Ärgernisses *mehrere Beseitigungen des Ärgernisses die Ausgrabung Trojas *drei Ausgrabungen Trojas Es besteht jedoch die Möglichkeit, mit -««^-Bildungen einen Geschehenstyp zu bezeichnen, für den es mehrere Instanzen, mehrere Einzelgeschehen geben kann: Der Flug nach Neuseeland wird durch zwei Zwischenlandungen unterbrochen. die zahlreichen Zerstörungen des Doms durch Kriegsereignisse Es gibt eine umfangreiche Liste von Verben, zu denen es keine reine Nominalisierung mit dem Suffix -ung gibt. Wir erwähnen nur einige Beispiele: aufleuchten, besitzen, bleiben, bummeln, erröten, fühlen, geben, glauben, haben, harren, hören, hetzen, hüpfen, kochen, kommen, küssen, lauschen, nehmen, radeln, schmecken, sehen, springen, trinken, wählen, warten, wissen, zeigen, zerfallen, zerplatzen, zerrinnen, zerschmelzen Die Liste enthält Verben sehr verschiedenen semantischen Typs; neben statischen Verben, Bewegungsverben, neben durativen Verben Prozessverben, außerdem Besitzwechselverben und solche, die psychische Zustände bezeichnen. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass diese Beschränkungen auf semantische Selektionsbeschränkungen zurückgeführt werden können. Vgl. Schippan (1967, S. 56). In einigen Fällen stehen lexikalisierte Verbalnomen zur Verfügung, die auch als reine Nominalisierungen verwendet werden können. Die Auffälligkeit von Bildungen mit -ung kann als Blockierung erklärt werden: * Bummelung *Fahrung *Fragung *Fühlung *Glaubung *Hetzung *Rufung *Springung * Wählung

Bummel Fahrt Frage Gefühl Glaube Hetze Ruf Sprung Wahl

In vielen anderen Fällen sind die Beschränkungen nicht mit den üblichen Mitteln linguistischer Beschreibungen zu erklären, d.h. durch die Angabe von Klassen und Subklassen von Verben. Wenn wir pragmatische Bedingungen

Nomenbildung

329

und Prinzipien für den Gebrauch von Wortbildungsmustem für Neubildungen einbeziehen, wird der Hintergrund deutlich, auf dem die beobachteten Beschränkungen beschrieben werden können: Reine Nominalisierungen mit dem Suffix -en können als voll systematische, nicht an einzelne Verben oder Verbklassen gebundene Möglichkeit der Umkategorisierung analysiert werden. Unbeschränkte Anwendbarkeit gilt nicht für alle Wortbildungsmuster. Typische Wortbildungsmuster sind vielmehr eng an lexikalisierte Bildungen gebunden, die die Verwendung des Musters für Neubildungen beeinflussen. Man kann annehmen, dass jeder Sprachteilnehmer zu den einzelnen Verben seines Wortschatzes die entsprechende reine Nominalisierung erwirbt, falls er sie für syntaktische Ausdrücke mit nominaler Bezeichnung von Geschehen benötigt. Diese Annahme erklärt das oben angeführte Blockierungsphänomen. Falls ein Sprecher in seinem Lexikon eine Lücke für das nominale Pendant zu einem Verb hat, erscheint ihm eine Bildung mit -en als wenig auffällig. Das entspricht der unbeschränkten Anwendbarkeit des Musters. Eine Bildung mit -ung kann dagegen mehr oder weniger stark auffällig wirken. Besonders auffällig wirken Bildungen wie Radlung, Schmeckung, Singung, weil sie, abgesehen von linguistischen Texten, wahrscheinlich nie zuvor verwendet wurden, d.h., es existieren keine entsprechenden Textwörter. Unterschiede von Individuum zu Individuum, besonders solche, die auf den unterschiedlichen Zugang zu Kommunikationssphären zurückzufuhren sind, müssen dabei natürlich berücksichtigt werden. Die Neubildung von reinen Nominalisierungen mit -ung oder die Interpretation nie zuvor gehörter Wörter dieses Musters ist jedoch grundsätzlich möglich. Sie ist umso unauffälliger, je mehr sich das Textwort an semantische u.a. Gruppen anschließt, die sich aus den lexikalisierten Bildungen ableiten lassen. Wird eine Neubildung häufiger verwendet oder gehört, verliert sie im gleichen Maße ihre Auffälligkeit. Neubildung und Neuinterpretation von Wortbildungen sind also im typischen Falle Prozesse, die auf Analogien beruhen, nicht auf strikten Regeln. MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix -ung tritt an den Stamm beliebiger, auch morphologisch komplexer Verben. Mit der Suffigierung ist das Genus Femininum verbunden. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist stark aktiv.

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Kapitel 4

(3) [SM; PFV -e, Femininum] SEMANTISCHE ANALYSE:

Lexikalisierte Bildungen mit dem Suffix -e können als reine Nominalisierung oder als Bezeichnung des Themas eines Geschehens (nomen acti) verwendet werden. Eine semantische Kategorisierung der Basisverben ist nicht möglich: Aussage, Ernte, Folge, Frage, Hetze, Lehre, Pflege, Rede, Reise, Suche, Lüge MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix tritt an den Verbstamm, der auch komplex sein kann. Mit der Nominalisierung ist das Genus Femininum verbunden. AKTIVITÄT:

Das Bildungsmuster ist schwach aktiv. Die Bindung an das Grundverb kommt bei Partikelverben zum Ausdruck: Aussage, Absage, Ansage; Abfrage, Nachfrage, Umfrage; Aber: Danksagung, Befragung, Hinteifragung Neuere Bildungen sind: Abhorche, Verlade, Verdiene, Anmache, Ausschimpfe, Schreibe, Sage (4) [SM; PFV Ablaut, Maskulinum] Eine sehr begrenzte Zahl von lexikalisierten Verbalnomen, die auch als reine Nominalisierung verwendet werden kann, hat als morphologischen Indikator den Ablaut: Flug, Sprung, Schluss, Schuss 2.1.2

Umkategorisierung und semantische Veränderung

2.1.2.1 Iteratives Geschehen Das Muster charakterisiert ein Geschehen, das aus mehreren Geschehen des vom Verb bezeichneten Typs besteht. Wir wollen es iteratives Geschehen nennen. Zusätzlich wird das Geschehen bewertet, meist als unerwünscht oder vom Normalen abweichend. Nach dem Muster gebildete Nomen können mit Kollektiva verglichen werden. Sie bezeichnen eine Ganzheit von Einzelgeschehen eines bestimmten Typs. Das semantische Muster hat die Form:

Nomenbildung

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[(PEJORATIV & ITERATIV (V)) (x^. e n 5 ,s)] N ((x wö> ,...,) r) 'Referenten sind Geschehen, die sich aus wiederholten Geschehen des Typs V zusammensetzen und pejorativ bewertet sind' Geschreie, Gebrülle, Gesaufe WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; (ge)- PFV -(e), Neutrum] SEMANTISCHE ANALYSE:

Als Basis kommen vor allem Verben vor, die menschliche Aktivitäten oder Verhaltensweisen bezeichnen: Geschreie, Gebrülle, Gesaufe, Gefrage, Gelüge, Gequatsche, Gejammere, Angebrülle, Herumgelaufe, Schnapsgesaufe, In-die-Suppe-Gespucke Die Bildungen sind jedoch nicht auf Verben mit menschlichem Agens beschränkt: das Geknarre der Dielen das Gepoltere der Räder Die Agensstelle des Verbs kann in der Nominalisierung als Genitivattribut oder Possessivpronomen auftreten: das Geschreie der Kinder Peters Geschreie sein Geschreie Auch die Themastelle kann in die Nominalstruktur eingehen: das Geschreibe von Klagebriefen das Bejammere des Missgeschicks das Bejubele des Sieges MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das semantische Muster wird durch ein Zirkumfix, d.h. eine Kombination aus dem Präfix ge- und dem Suffix -e indiziert. Das Suffix -e kann auch wegfallen (iGeplauder, Getrampel) jedoch nicht in allen Fällen (Gefrage, Gerenne, Gelaufe, Gesaufe). Als Basis kommen auch komplexe Verben vor. Trennbare Komponenten des Verbs werden dem Präfix vorangestellt: Angebrülle, Aufgebrause, Umgebaue

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Kapitel 4

Das Präfix tritt nur an unpräfigierte Stämme: das Berede, Enthülle, Übersetze *Geberede, *Geenthülle, *Geübersetze Mit dem Wortbildungsmuster ist das Genus Neutrum verbunden. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist stark aktiv. (2) [SM; PFV -(er)ei, Femininum] SEMANTISCHE ANALYSE:

Als Basis treten Verben auf, die Aktivitäten von Lebewesen, meist Menschen, bezeichnen: Meckerei, Prügelei, Mogelei, Tuschelei, Bügelei, Heulerei, Tanzerei, Sauferei, Grübelei, Esserei, Vernünftelei, Aufschneiderei, Rechthaberei, Bellerei, Kläfferei In einigen Bildungen könnte ein nomen agentis auf -er als Basis angenommen werden. Für die Interpretation der Bildungen ist jedoch der verbale Gehalt ausschlaggebend: Aufschneiderei, Rechthaberei, Nachäfferei, Angeberei, Beckmesserei, Bilderstürmerei, Gaunerei, Verräterei, Stümperei. Einige Bildungen setzen Verben mit -el(n) voraus, die z.T. nicht belegt sind: Bauernbündelei, Heimattümelei, süchtelei, Schönheitelei

Eifersüchtelei,

Handwerkelei,

Rekord-

Einige Bildungen sind eindeutig denominal. In diesem Falle muss eine Verbalisierung oder ein Ausdruck mit Verb vorausgesetzt werden: Dieberei (das Stehlen) Mörderei (das Morden) MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Stämme, die mit -er oder -el enden wählen -ei, in den anderen Fällen nimmt das Suffix die Form -erei an. Das Wortbildungsmuster ist mit femininem Genus verbunden. AKTIVITÄT:

Das Muster ist stark aktiv.

Nomenbildung

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2.1.2.2 Punktuelles Geschehen Das Bildungsmuster charakterisiert ein punktuelles Geschehen des vom Verb bezeichneten Geschehenstyps, d.h., das Geschehen ist auf ein zeitlich eingeschränktes Einzelereignis eingeschränkt. Als semantisches Muster nehmen wir an: [(PEJORATIV & PUNKTUELL (V)) (xvtB„ ..., s)] N (( Xlgen „ .„,) r) 'Referenten sind punktuelle Geschehen des Typs V'

Ächzer, Jauchzer, Jodler WORTBILDUNGSMUSTER: (1) [SM; PF V -er, Maskulinum] SEMANTISCHE ANALYSE:

Als Basis treten meist intransitive Verben auf, die Lautäußerungen oder Bewegungen von Lebewesen bezeichnen: Ächzer, Jauchzer, Jodler, Rülpser, Schluchzer, Schnarcher, Nieser, Rückzieher, Schwenker MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix tritt an den Stamm des Verbs. Mit dem Bildungsmuster ist, wie bei dem gleichlautenden Indikator für andere semantische Muster, das maskuline Genus verbunden. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist schwach aktiv. 2.1.2.3 Resultierender Zustand Die semantische Interpretation einiger Verbalabstrakta setzt eine Zustandscharakterisierung voraus, wie sie mit dem Partizip 2 verbunden ist. Es besteht deshalb ein semantischer Zusammenhang mit Adjektivabstrakta: Die Antwort verblüffte den Richter, der Richter war verblüfft. Die Verblüffung des Richters Wir nehmen ein semantisches Muster an: [ZUSTAND & RESULTAT VON (ZUSTAND, V (x them „ s)] ((x them „) r) 'Referenten sind Zustände, die Resultat eines Geschehens V sind, von dem ein Aktant x betroffen ist'

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Kapitel 4

WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; PFV -ung, Femininum] SEMANTISCHE ANALYSE:

Bildungen, die nach diesem Muster zu interpretieren sind, bezeichnen besonders psychische und physische Zustände von Personen Verzückung, Rührung, Ernüchterung, Gesinnung, Erstarrung, Erkrankung, Verblüffung, Verwunderung, Erleichterung, Spannung, Begeisterung, Beruhigung MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix -ung tritt an Verbalstämme, die auch komplex sein können. Mit dem Muster ist das Genus Femininum verbunden. AKTIVITÄT:

Das Muster ist aktiv mit Verben, die psychische Zustände bezeichnen. 2.1.3 Gegenstände, die durch ihre Rolle in einem Geschehen charakterisiert sind Eine charakteristische Besonderheit der Bildung von Nomen aus Verben lässt sich auf die semantische Argument- bzw. Adjunktstruktur von Verben zurückfuhren. So können Gegenstände als Agens oder Thema von Geschehen charakterisiert werden, bzw. als Mittel oder Ort von Geschehen. Dafür wurden die Termini nomina agentis, nomina acti, nomina instrumenti und nomina loci geprägt. Im Deutschen gibt es keine Bildungen, die die Possessor- oder Zielrolle zur Grundlage einer Nominalisierung machen. Für das semantische Muster 'Referenzgegenstände, die dadurch charakterisiert sind, dass ihnen etwas geschenkt/überreicht/entnommen wird' gibt es keine spezielle Nominalisierung. Im Englischen gibt es diese Möglichkeit dagegen wenigstens ansatzweise, wie Bildungen des Typs donee zeigen. 2.1.3.1 Die Referenten sind Agens eines Geschehens (nomina agentis) Ein auf der Verbsemantik aufbauendes semantisches Muster erlaubt es, Lebewesen, meist Personen, durch ein Geschehen zu charakterisieren, in dem sie die Agens-Rolle einnehmen. Eine dem Verb entsprechende Aktivität kann z.B. eine für Klassen von Personen charakteristische Handlungs- oder Verhaltensweise sein: Maurer, Abweichler, Angeber

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Nach dem Muster zu analysierende Bildungen können jedoch auch eingeschränkte, partikuläre Geschehen voraussetzen. In diesem Falle wird, falls der Kontext das nicht überflüssig macht, eine Genitivphrase für den betroffenen Gegenstand verwendet: die Unterzeichner des Briefes der Erzieher meines Sohnes Möglich ist auch vorangestellter Genitiv von Eigennamen oder ein Possessivpronomen: Inges Verführer ihr Verführer Die Möglichkeit, mit Mitteln der Nominalphrase auf weitere Aktanten eines Geschehens Bezug zu nehmen, ist jedoch auf die Thema-Stelle des Verbs begrenzt. Weder für das indirekte Objekt noch für Präpositionalobjekte von Verben gibt es korrespondierende Komponenten in Nominalphrasen: Er schenkt dem Mädchen ein Fahrrad. *der Schenker dem Mädchen *der Schenker an das Mädchen *der Rechner mit einer Gehaltserhöhung *der Denker an bessere Zeiten *ein Spieler auf dem Klavier *der Verzichter auf Revanche Wir nehmen das folgende semantische Muster an: [LEBEWESEN & V (LEBEWESEN,,,,,,, (,XthenlJ)] ((xthem„) r) 'Referenten, die Lebenwesen und Agens in einem vom Verb bezeichneten Geschehen sind' WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; PFV -er, Maskulinum] SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Basisverben bezeichnen Geschehen, in denen Personen oder Tiere als Agens auftreten. Es handelt sich um Verben, die sowohl semantisch als auch syntaktisch heterogen sind, d.h., sie gehören sehr unterschiedlichen Klassen an. Sehr viele Bildungen gehen auf transitive Verben zurück: Weber, Schreiber, Abschreiber, Unterschreiber, Vertreter, Austreiber, Färber, Verderber, Ablader, Entlader, Ausbilder, Verleumder, Finder, Er-

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Kapitel 4

finder, Gründer, Begründer, Angreifer, Aufkäufer, Schläger, Säufer, Verleger, Erzeuger, Rächer, Bezieher, Panscher, Packer, Entdecker, Bastler, Blender, Mörder, Schnupfer, Rufer Ableitungen von intransitiven Verben sind ebenfalls nicht selten: Jobber, Robber, Läufer, Geher, Angeber, Aufschneider, Streber, Übertreiber, Untertreiber, Versager, Schweiger, Zucker, Abwäscher, Lauscher, Umsteiger, Aufsteiger, Absteiger, Mitläufer, Überläufer, Wanderer Auch reflexive Verben sowie Verben mit indirektem oder präpositionalem Objekt kommen als Basiswort vor: Herumtreiber, Wunderer, Vorsteher, Vorsager, Geber, Nehmer, Helfer, Aushelfer, Neider, Zuträger, Zuschauer, Raufer, Anfänger, Spötter Sehr viele Bildungen gehen auf z.T. lexikalisierte Kombinationen aus Verb + Ergänzung zurück, sind also Zusammenbildungen: Teilhaber, Liebhaber, Machthaber, Kriegstreiber, Skiläufer, Klavierspieler, Amokläufer, Bahnbrecher, Ehebrecher, Eckensteher, Zechpreller, Schönfärber, Schnellläufer, Klugscheißer Von transitiven Verben abgeleitete Bildungen können die Thema-Stelle durch eine Nominalphrase im Genitiv sprachlich realisieren: die Schänder des Tempels der Erfinder der Dampfmaschine der Betreuer der Studenten Nicht in allen Fällen ist eine Realisierung als Genitivphrase unauffällig: ?der Gräber des Goldes ?der Binder des Buches ?der Decker des Daches ?der Geber des Auftrags Bildungen mit wortinterner Besetzung der Themastelle neigen zu einer habituellen Interpretation, d.h., die semantische Repräsentation des Basisausdrucks ist als typische Eigenschaft der Referenten zu deuten: Befehlsempfanger, Auftraggeber, Ehrenschänder, Kinderschänder, Leuteschinder, Zeilenschinder, Tabakschnupfer, Weinsäufer, Kuttenträger, Zeitungsausträger, Filmvorführer, Liedermacher, Geldgeber, Weinpanscher, Spielverderber, Brötchengeber, Bierspender

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Präpositionale Objekte und Adjunkte können nicht in der vom derivierten Nomen begründeten Nominalphrase realisiert werden: *der Rechner mit der Entlassung *der Denker an die Schande *die Wohner in Jena *ein Spieler auf dem Klavier *der Freuer über den Besuch Auch die wortinterne Besetzung der entsprechenden Stellen ist selten: Klavierspieler, Frankreichfahrer; aber: Jenawohner, Schandedenker, Entlassungsrechner, Neuigkeitenfrager, Besuchfreuer, Jugenderinnerer Obwohl das Bildungsmuster auf Verben sehr unterschiedlichen Typs anwendbar ist, muss festgestellt werden, dass zu vielen Verben keine Bildungen mit er vorkommen. Versucht man sie zu bilden, wirken sie auffallig. Dazu kommen die schwer zu erklärenden Einschränkungen der Realisierung von Argumentstellen in der Nominalphrase sowie die Besonderheiten der wortinternen Realisierung von Argumentstellen und Adjunkten. Alle Versuche, diesen Tatbestand auf Beschränkungen zurückzuführen, die durch semantische oder syntaktische Eigenschaften von Verben bedingt sind, überzeugen nicht. Man kann deshalb davon ausgehen, dass das semantische Muster Verben generell zulässt. Beschränkungen der generellen Möglichkeiten müssen als Gebrauchsbeschränkungen erklärt werden. Wird das pragmatische Prinzip des sinnvollen Wortes vorausgesetzt, lassen sich die Beschränkungen wie folgt erklären: Die zu beschreibenden Bildungen sind kommunikativ sinnvoll, wenn sie Gruppen von Personen bezeichnen, die eine soziale Rolle ausüben oder die durch markante Verhaltensweisen gekennzeichnet sind. Sie können auch sinnvoll sein, wenn sie in einem gegebenen Redekontext den agentiven Aktanten von Geschehen bezeichnen. Aus dieser Warte können drei Typen von Bildungen unterschieden werden: (1) Bildungen, die soziale Rollen bezeichnen. Dazu gehören Berufsbezeichnungen sowie Bezeichnungen von Funktionen und Rollen in sozialen Handlungsrahmen: Bäcker, Schneider, Schreiber,Färber, Richter, Vertreter; Ausbilder, Melder, Geber, Blutspender, Entlader, Erfinder

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(2) Bildungen, die Personen mit einem markanten Verhalten bezeichnen (habituelle Interpretation): Angeber, Aufschneider, Verleumder, Menschenschinder, Raucher, Schnupfer, Weinpanscher (3) Bildungen, die den agentiven Aktanten eines raumzeitlich begrenzten Geschehens bezeichnen (partikuläre Interpretation): der Finder der Geldbörse der Verursacher des Unfalls der Vollender des Bauwerks der Aufgreifer der Flüchtlinge die Mörder Cäsars Den Typen (1) und (2) entsprechen generelle bzw. habituelle Interpretationen von Verben, (3) entsprechen partikuläre Interpretationen: Personen backen, färben, bilden aus; rauchen, schnupfen, panschen Wein Jemand findet die Geldbörse. Peter verursachte den Unfall am Bahnübergang. Der Sohn wird das Bauwerk vollenden. Ein Grenzpolizist griff die Flüchtlinge auf. Um partikulär zu interpretierende Bildungen hinreichend genau charakterisieren zu können, müssen die betroffenen Aktanten des Geschehens, auf das sich die Bildung bezieht, sprachlich bezeichnet werden. Die Bedingung entfallt, wenn der Kontext das notwendige Wissen ergänzt: Barbarenhorden schändeten den Tempel. Die Schänder hatten kein Gefühl für die religiöse Bedeutung dieses Bauwerks. Ich habe gestern meine Brieftasche verloren. Dem ehrlichen Finder zahle ich eine Prämie. Diesen Zusammenhang erklärt das pragmatische Prinzip der Interpretierbarkeit, das besagt, dass Bildungen des hier behandelten Musters umso wahrscheinlicher sind, je leichter es ist, sie habituell zu interpretieren, bzw. je genauer sie auf bestimmte Geschehen bezogen werden können, die das nomen agentis motivieren. Bildungen mit habitueller Interpretation benötigen keine sprachliche Realisierung der betroffenen Aktanten. Sie können Argumentstellen und Adjunkte jedoch wortintern realisieren. Nominalphrasen im Genitiv dienen der genaueren Kennzeichnung partikulärer Interpretationen und sind deshalb in vielen Kontexten kommunikativ notwendig. Ist der Kontext informativ genug, können sie entfallen.

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Viele tentative Bildungen erscheinen einem meist deshalb auffällig oder sogar inakzeptabel, weil sie in keinem natürlichen sprachlichen Kontext stehen und weil man sich nicht an entsprechende Bildungen in normalen Texten erinnert. Die Auffälligkeit nimmt ab, wenn man die pragmatischen Bedingungen für die Verwendung der Bildungen schafft. Dass z.B. der Hoffer, der Warter, der Sager auffällig sind, liegt zunächst daran, dass diese Bildungen auf Verben zurückgehen, für die eine habituelle Interpretation ungewöhnlich ist, im Unterschied zu Raucher, Säufer, Spieler. Die partikuläre Interpretation kann aus sprachlichen Gründen nicht durch Nominalphrasen im Genitiv unterstützt werden. Man kann sich jedoch Situationen vorstellen, etwa in einem Spiel, in denen die Rolle eines wartenden, eines sagenden und eines hörenden Spielers zu benennen ist. Neben Personenbezeichnungen sind auch einige Tierbezeichnungen zu erwähnen. In diesem Falle sind nur habituelle Interpretationen möglich. Argumentstellen des Verbs können nicht in der Nominalphrase besetzt werden: Läufer, Überläufer, Rammler, Nordschläger, Wiesenhüpfer, Säuger, Nestflüchter MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix stellt keine speziellen Bedingungen an die morphologische Form von Verben. Es ist mit dem Genus Maskulinum verbunden. Bildungen mit einer wortintern besetzten Argumentstelle oder mit einem Adjunkt, können z.T. als Komposita oder als Derivationen mit gleichzeitiger sprachlicher Füllung einer Argumentstelle bzw. einer Adjunktposition interpretiert werden: Olivenpflücker Die Bildung kann auf eine Lexikoneintragung Pflücker zurückgeführt werden, die eine Themastelle enthält. Wird die Themastelle wortintern besetzt, entsteht ein Kompositum. Möglich ist aber auch eine Analyse mit folgenden Voraussetzungen: Das Verb pflück(en) hat eine Themastelle, die syntaxunabhängig durch ein passendes Nomen besetzt wird. Syntaxunabhängig bedeutet, dass die Besetzung der Argumentstelle nicht über syntaktische Konstruktionen vollzogen werden muss. Dem entspricht die Tatsache, dass das Nomen weder eine aktuelle Referenz haben, noch Nominalphrasen begründen kann. Die so entstandene sprachliche Konstruktion Olive pflück(en), ergänzt um ein -«-, das als Pluralsuffix gedeutet werden kann, bildet die Basis der Derivation. Solche Bildungen werden auch Zusammenbildungen oder synthetische Komposita genannt.Vgl. Kapitel 1, S. 8 f. Immer wenn das nomen agentis als selbständiges Wort mit einer freien Argumentstelle analysiert werden kann, sind beide Analysen möglich. Es gibt jedoch zahlreiche Bildungen, die nur als Zusammenbildung beschreibbar sind,

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weil keine selbständige Lexikoneintragung angenommen werden kann, die Zweitglied eines Kompositums sein könnte: Dachdecker, Arschlecker, Spielverderber, Brötchengeber, Schrittmacher, Liedermacher, Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Fensterputzer, Hungerleider Auch viele Bildungen mit einem Adjunkt als erstem Glied müssen als Ergänzungen zu Verben oder als lexikalisierte Fügungen analysiert werden: Langschläfer, Hastigesser, Selbstversorger, Selbstzahler; Liebhaber, Fahrradfahrer, Sonntagsfahrer, Schwarzmaler AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist stark aktiv. (2) [SM; PFV -i, Maskulinum] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Muster charakterisiert Personen, die etwas Auffälliges tun. Zusätzlich ist es mit einer ironisierenden Bewertung verbunden. Das Basisverb kann transitiv oder intransitiv sein: Schlucki, Greift, Knacki, Schnauft MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix -i tritt an Verbstämme. Das Suffix ist mit dem Genus Maskulinum verbunden. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist in der Umgangssprache aktiv. 2.1.3.2 Die Referenten sind Mittel eines Geschehens (nomina instrumenti) Es existiert ein semantisches Muster, das es ermöglicht, Geräte, Vorrichtungen oder Chemikalien, die eine Aktivität ausüben oder mit denen Menschen eine Aktivität ausüben, durch die Angabe der Aktivität zu charakterisieren. Zur Angabe der Aktivität kommt eine Zweckbestimmung, die ein Merkmal aller Artefakte ist, hinzu. Als Basis kommen vor allem transitive Verben vor: Entsafter, Verdampfer, Heber Von intransitiven Verben sind abgeleitet: Summer, Blinker, Dampfer

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Die transitiven Basisverben bezeichnen menschliche Tätigkeiten, die mit Hilfe eines Geräts, einer Vorrichtung oder einer Chemikalie ausgeführt werden können. Solche Verben haben in der semantischen Argumentstruktur eine Stelle für die Angabe eines Instruments, die in syntaktischen Strukturen nicht sprachlich realisiert werden muss: [VERB (x1, x2) & MITTELS (x3, s)] ( x 1 ^ , , x2*,,,,., ( x3tastr,) s) Eine besondere semantische Eigenschaft dieser Verben besteht darin, dass die Stelle für das Instrument die Agensstelle des Verbs einnehmen kann. Es ist also eine Umformung, eine Konzeptverschiebung in eine semantische Repräsentation möglich, in der das menschliche Agens unterdrückt ist und die Instrumentstelle zur Agensstelle wird: [VERB (x 3 , x2)] (x 3 w „„ x ^ , s) Jemand druckt Fahrscheine mit einem Gerät. Das Gerät druckt Fahrscheine. Jemand zeigt mit einem Gerät den Säurestand an. Das Gerät zeigt den Säurestand an. Die Repräsentation der Bedeutung von nomina instrumenti geht von der abgewandelten Form aus: [ARTEFAKT & ZWECK (V (ARTEFAKTwn> (,THEMA)))] (r) 'Referenten, die Artefakte sind und den Zweck haben, eine auf einen betroffenen Aktanten gerichete Aktivität V auszuüben' Bildungen dieses Musters können unter Berücksichtigung der generellen Konzeptverschiebung auf zweifache Weise interpretiert werden: Drucker 'Gerät, das etwas druckt' 'Gerät, mit dem man etwas druckt/ mit dem etwas gedruckt wird' Das menschliche Agens muss in jedem Falle unterdrückt werden, deshalb sind Passivkonstruktionen und Konstruktionen mit unbestimmtem Personalpronomen als Paraphrasen besonders geeignet. Da Nomen dieses Musters keine partikulären Beziehungen bezeichnen, ist eine sprachliche Realisierung der Themastelle durch Nominalphrasen im Genitiv nicht möglich. Die Thema-Stelle und andere Adjunktstellen können jedoch wortintern besetzt werden: Fahrscheindrucker, Schallgeber, Reifenheber, Mähbinder

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WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; PFV -er, Maskulinum] SEMANTISCHE ANALYSE:

Als Basis kommen transitive und intransitive Verben vor, die Aktivitäten von Lebewesen oder Artefakten bezeichnen: Schaber, Schrubber, Heber, Saugheber, Tortenheber, Schieber, Bildschieber, Schreiber, Fernschreiber, Fahrtenschreiber, Höhenschreiber, Kleber, Alleskleber, Binder, Garbenbinder, Mähbinder, Ruder, Dampfer, Futterdämpfer, Schwingungsdämpfer, Stoßdämpfer, Klopfer, Fleischklopfer, Vorleger, Anzeiger, Richtungsanzeiger, Zeiger, Empfänger, Schmutzfönger, Sucher, Minensucher, Korkenzieher, Schraubendreher MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix tritt an den letzten Konsonanten von Verbalstämmen. Es ist mit dem Genus Maskulinum verbunden. Die meisten Bildungen können als Komposita oder als Zusammenbildungen analysiert werden. Schallgeber, Reifenheber, Mähbinder sind aber sinnvoller als Zusammenbildungen zu analysieren. Kolbenschieber, Flachschieber, Uhrzeiger sind dagegen Komposita: 'Schieber, der Kolbenform hat' 'Schieber, der flach ist' 'Zeiger, der Bestandteil von Uhren ist' AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist stark aktiv. (2) [SM; PFV -e, Femininum] SEMANTISCHE ANALYSE:

Nach dem Muster sind besonders Bezeichnungen für Werkzeuge, Haushaltsgeräte, und Möbel gebildet: Hacke, Feile, Säge, Walze; Plätte, Reibe, Spüle, Bürste; Anrichte, Liege, Wiege; Hupe, Bremse, Spritze

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MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix tritt an den letzten Konsonanten von Verbstämmen. Es ist mit dem Genus Femininum verbunden. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist schwach aktiv. Weniger verbreitete Bildungen sind: Klebe (Klebstoff), Heize (Heizgerät), Töte (Waffe) (3) [SM; PFV -el, Maskulinum] SEMANTISCHE ANALYSE:

Hebel, Stößel, Deckel, Schlägel MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix tritt an den letzten Konsonanten von Verbstämmen. Es ist mit dem Genus Maskulinum verbunden. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist inaktiv. 2.1.3.3 Die Referenten sind Thema eines Geschehens (nomina acti, Resultativa) Eine Reihe von Wortbildungsmustern bietet die Möglichkeit, Gegenstände als betroffene Aktanten in Geschehen zu charakterisieren: Lieferung, Spende, Aufkleber, Prüfling Lieferung 'das, was man liefert' Spende 'das, was man spendet' Aufkleber "Ding, das man aufklebt' Prüfling 'Person, die man prüft' In diesen Bildungen wird die Thema-Stelle eines Verbs zur Referenzstelle, auf die der semantische Gehalt des Verbs bezogen wird. Die angeführten Paraphrasen bringen diese semantische Struktur direkt zum Ausdruck. Die Agensstelle des Basisverbs tritt in den Hintergrund, kann jedoch in die Nomi-

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nalphrase, die das derivierte Nomen begründet, als Nominalphrase im Genitiv, als vorangestellter Eigenname im Genitiv oder als Possessivpronomen übernommen werden: Die neue Lieferung der Reifenfirma ist eingetroffen. Dein Prüfling ist nervös. Peters Spende war mäßig. Die Zurückstufung der Agensstelle kommt durch Paraphrasen mit Passivkonstruktionen und unbestimmtem Personalpronomen zum Ausdruck: Ersparnis 'Was man erspart' 'Was erspart wird' Das nominalisierte adjektivische Partizip 2 mit seiner resultativen Bedeutung kann in vielen Fällen als Äquivalent der hier beschriebenen Bildungen gelten: das Ersparte der Geprüfte das Gespendete Die meisten Bildungen sind jedoch nicht auf die resultative Lesart festgelegt: Prüfling 'ein zu Prüfender' Die Bildungen charakterisieren Gegenstände, die typische betroffene Aktanten der Geschehen sind, die das Verb bezeichnet. Wir nehmen das folgende semantische Muster an: [GEGENSTAND & V (Xlge„, GEGENSTAND,,,,,«)] ( ( i w u ) ) r) 'Referenten, die Gegenstände und Thema in einem vom Verb bezeichneten Geschehen sind' Nach dem Muster gebildete Nomen sind Appellativa, d.h. Klassen von zählbaren Gegenständen. Das semantische Muster geht in zahlreiche Wortbildungsmuster ein. Auffällig ist, dass Suffixe, die reine Nominalisierungen indizieren, auch zur Indizierung von nomina acti verwendet werden. Jedoch kann nicht zu jedem Verb, das die Bedingungen der semantischen Muster erfüllt, sowohl ein nomen actionis als auch ein nomen acti gebildet werden. Die pragmatischen Prinzipien und der analogische Charakter von Wortbildungsmustern beschränken die Verwendung. Man könnte auch annehmen, dass ein innerlexikalischer semantischer Zusammenhang zwischen den semantischen Mustern für nomina actionis und nomina acti besteht. Die unterschiedlichen Interpretationen von Bildungen mit dem gleichen Suffix wären dann nicht auf verschiedene Wortbildungsmuster

Nomenbildung

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zurückzufuhren, sondern auf eine reguläre Konzeptverschiebung. Da die doppelte Interpretierbarkeit auch für Verbalnomen gilt, die wir als doppelt kategorisiert analysieren, müssen in jedem Fall rein semantische Zusammenhänge zwischen verschiedenen Interpretationsmustern angenommen werden. Vgl. dazu Bierwisch (1989). WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; PFV -ung, Femininum] SEMANTISCHE ANALYSE:

Die meisten Bildungen bezeichnen physikalische Gegenstände: Lieferung, Abbildung, Abordnung, Ausscheidung, Erfindung, Täfelung, Bestuhlung, Eroberung, Einrichtung

Ausgrabung,

Auch abstrakte und ideele Gegenstände können durch nomina acti bezeichnet werden: Abmachung, Andeutung, Erzählung, Anzahlung, Ordnung, Strukturierung MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix tritt an den letzten Konsonanten von Verbalstämmen. Es ist mit dem Genus Femininum verbunden. Bildungen wie Warenlieferung können weder als Zusammenbildung noch als Kompositum mit wortinterner Besetzung der Themastelle analysiert werden, da die Themastelle durch das Bildungsmuster verbraucht ist. Als Relation zwischen Erst- und Zweitglied kann IDENTITÄT angenommen werden: 'die Lieferung besteht aus Waren'. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist stark aktiv. (2) [SM; PFV -ling, Maskulinum] SEMANTISCHE ANALYSE:

Bildungen dieses Musters bezeichnen vor allem Personen und Pflanzen: Lehrling, Prüfling, Impfling, Säugling, Anlernling; Steckling, Setzling MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix tritt an den letzten Konsonanten von Verbalstämmen. Es ist mit dem Genus Maskulinum verbunden.

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Kapitel 4

AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist schwach aktiv. Vgl. die neueren Bildungen Anlernling algerische Schüblinge (3) [SM; PFV -er, Maskulinum] SEMANTISCHE ANALYSE:

Bildungen dieses Musters bezeichnen Artefakte oder Pflanzen: Aufkleber, Senker, Anstecker, Aufsteller MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix tritt an den letzten Konsonanten von Verbalstämmen. Es ist mit dem Genus Maskulinum verbunden. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist schwach aktiv. (4) [SM; PFV -e, Femininum] SEMANTISCHE ANALYSE:

Abgabe, Ablage, Ausgabe, Einnahme, Spende MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix tritt an den letzten Konsonanten von Verbstämmen. Es ist mit dem Genus Femininum verbunden. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist inaktiv. (5) [SM; PFV -erei, Femininum] SEMANTISCHE ANALYSE:

Malerei, Stickerei, Schnitzerei MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix tritt an den letzten Konsonanten von Verbstämmen. Es ist mit dem Genus Femininum verbunden. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist inaktiv.

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(6) [SM; PFV -sei, Neutrum] SEMANTISCHE ANALYSE:

Mitbringsel, Anhängsel, Einschiebsel MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix tritt an den letzten Konsonanten von Verbstämmen. Es ist mit dem Genus Neutrum verbunden. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist inaktiv. (7) [SM; ge- PFV -(e), Neutrum] SEMANTISCHE ANALYSE:

Gedicht, Gefüge, Geschenk, Getränk, Gebinde, Gesteck MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Präfix oder Zirkumfix wird mit einfachen Verbstämmen verknüpft. Es ist mit dem Genus Neutrum verbunden. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist inaktiv. 2.1.3.4 Die Referenten sind Institutionen oder Ort eines Geschehens (nomina loci) Ein weiteres, auf Aspekte von Geschehen bezogenes semantisches Muster bietet die Möglichkeit, Einrichtungen zu charakterisieren, die durch typische Aktivitäten gekennzeichnet sind: Fischbraterei, Brauerei, Wäscheannahme Die Aktivität kann durch ein Verb oder durch ein nomen agentis bezeichnet werden: Fischbraterei 'Institution, in der man Fische brät / in der Fische gebraten werden' Brauerei 'Institution, in der Brauer tätig sind' Die nomina agentis sind Berufs-, Funktions- oder Rollenbezeichnungen. Der Übergang zu einer Institution, in der Personen die angegebenen Aktivitäten ausüben, kann als ein konzeptuelles Schema betrachtet werden. Das Konzept

348

Kapitel 4

der Institution schließt Personen, die eine für die Institution typische Tätigkeit ausüben, ein. Wir können deshalb von einem semantischen Muster ausgehen: [INST & ZWECK (V (AGENS, THEMA))] (r) 'Referenten, die Institutionen sind, deren Zweck es ist, eine Tätigkeit V auszuüben' Das Prädikat INST charakterisiert sowohl eine soziale Einrichtung als auch das Gebäude oder einen Raum in einem Gebäude: Die Brauerei macht gute Geschäfte, (als Unternehmen, als soziale Einrichtung) Die Brauerei ist zu klein, (das Brauereigebäude) Das Agensargument der Verben ist entweder durch ein nomen agentis absorbiert oder es tritt in den Hintergrund. Das findet in Paraphrasen mit passivischen Konstruktionen und unbestimmtem Personalpronomen seinen Niederschlag: Brauerei 'Institution, in der man braut / in der gebraut wird' Die Themastelle kann wortintern besetzt werden: Fischräucherei, Buchausgabe,

Flaschenannahme

Die Möglichkeit, die Thema- oder Agensstelle durch eine Nominalphrase im Genitiv zu realisieren, besteht nicht. Das bedeutet, dass die Nomen keine syntaktischen Argumentstellen haben: eine Räucherei *der Fische /*von Fischen die Ausgabe *der Bücher / *von Büchern Im zweiten Beispiel ist eine Interpretation als nomen actionis möglich. In diesem Falle sind Ergänzungen möglich. WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; PFV -(er)ei, Femininum] SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Mehrzahl aller Bildungen ist von Tätigkeitsverben oder von entsprechenden nomina agentis abgeleitet: Brüterei, Flickerei, Näherei, Räucherei, Wäscherei, Dämpferei, Härterei, Stanzerei, Bäckerei, Druckerei, Brauerei, Färberei, Dachdeckerei

Nomenbildung

349

Sehr zahlreich sind aber auch Bildungen zu Täterbezeichnungen, die nicht auf Verben zurückzufuhren sind: Försterei, Gärtnerei, Konditorei, Bürgermeisterei, Schlosserei, Schreinerei, Tischlerei, Buchhalterei, Klempnerei, Metzgerei, Sattlerei, Kürschnerei, Falschmünzerei, Klausnerei Einige wenige Bildungen kennzeichnen die Institution durch ein typisches Produkt: Käserei, Mosterei Alle diese Bildungen setzen als Bedeutungskomponente 'Person übt eine charakteristische Tätigkeit aus* voraus. Wir behandeln deshalb auch die denominalen Bildungen an dieser Stelle. MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

An lexikalisierte nomina agentis tritt das Suffix -ei. Auch in Bildungen wie Kanzlei, Auskunftei, Pfarrei muss das Suffix -ei angenommen werden. Sehr häufig ist schwer zu entscheiden, ob die Bildung eine Derivation zu einem Nomen mit dem Suffix -er oder ob sie deverbal ist. Im zweiten Falle müsste ein Suffix -erei angenommen werden. Die Frage ist semantisch nicht zu entscheiden. Auch die Annahme, dass die Entscheidung von der Lexikalisierung des nomen agentis abhängt, ist problematisch. Denkbar wäre ja auch eine doppelte Derivation, die vom Verb ausgeht, zunächst ein nomen agentis erzeugt, das in einem zweiten Schritt zur Institutionsbezeichnung umgewandelt wird. Bildungen mit wortintern realisierter Thema-Stelle sind mehrfach analysierbar, als Kompositum oder als Zusammenbildung: Fischräucherei 'Räucherei, die Fische bearbeitet' 'Institution, in der Fische geräuchert werden' AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv. (2) [SM; PFV -e, Femininum] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Wortbildungsmuster charakterisiert neben Institutionen auch lediglich Orte, für die eine Tätigkeit typisch ist: Schmiede, Bleiche, Tränke, Durchreiche, Ausleihe, Ausgabe, Flaschenannahme, Bierschwemme, Müllkippe

350

Kapitel 4

MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix -e tritt an einfache und komplexe Verbstämme und lässt Zusammenbildungen zu, es ist mit dem Genus Femininum verbunden. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist schwach aktiv: Tanke (Tankstelle) Schnapstanke (3) [SM; PFV -ung, Femininum] SEMANTISCHE ANALYSE:

Siedlung, Niederlassung, Wohnung, Mündung MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix -ung tritt an einfache und komplexe Verbstämme, es ist mit dem Genus Femininum verbunden. AKTIVITÄT:

Zu diesem inaktiven Muster gehören nur wenige lexikalisierte Bildungen.

2.2

Deadjektivische Bildungen

2.2.1 Reine Nominalisierung (Adj ektivabstrakta) Wie Verben können auch Adjektive durch reine Nominalisierung zu Nomen umgeformt werden. Auch in diesem Falle bleibt die semantische Repräsentation der Adjektive erhalten, d.h. sowohl ihre spezifische Prädikation, mit allen Konsequenzen für die semantische Verträglichkeit mit möglichen Bezugswörtern, als auch ihre semantische Argumentstruktur. Das semantische Muster für Adj ektivabstrakta hat die Form: [A(Xeigen«:liafiMrlger, ...)]N ((XeigenKhafatrtger,...) r )

Wie Adjektive haben Adjektivabstrakta eine Argumentstelle für den Eigenschaftsträger und, je nach den semantischen Besonderheiten des Basisadjektivs, eine zusätzliche Argumentstelle. In der Nominalphrase entspricht der Stelle für den Eigenschaftsträger eine Nominalphrase im Genitiv, ein vorangestellter Eigenname im Genitiv, ein Possessivpronomen oder eine Präpositionalphrase mit der Präposition von. Möglich ist auch die wortinterne Besetzimg der semantischen Argumentstellen. Die Wahl dieser Möglichkeiten hängt z.T. von speziellen Bedingungen ab:

Nomenbildung

351

Die Frechheit der Mitarbeiterin verblüfft mich. Frau Krauses Frechheit verblüfft mich. Ihre Frechheit verblüfft mich. Die Frechheit von Beamten muss man nicht dulden. Die Freiheit des Gebiets von Atomwaffen wird angestrebt. Seine Geeignetheit för die Aufgabe ist fraglich. Seine Unerfahrenheit mit Blondinen rächte sich. die Gedankenfreiheit die Atomwaffenfreiheit eine Altherrenkrankheit die Altweibergläubigkeit Adjektivabstrakta bezeichnen Sachverhalte, genauer: Zustände, die besagen, dass einem Eigenschaftsträger eine Eigenschaft zukommt. Wie in Sätzen mit Kopula kann die Eigenschaft einem oder mehreren Eigenschaftsträgern in zeitlich fixierten Situationen tatsächlich zukommen oder zugesprochen werden, sie kann auch für spezifizierte Eigenschaftsträger habituell sein oder Klassen von Eigenschaftsträgern generell zugesprochen werden. Der Unterschied zu Sätzen mit prädikativen Adjektiven besteht nur darin, dass die Kopula in finiten Konstruktionen eine temporale und modale Spezifizierung sprachlich verlangt, während diese beim Gebrauch von Adjektivabstrakta kontextuell ergänzt wird. Die Gutgläubigkeit des Gastes wurde ausgenutzt. 'Der Gast ist habituell gutgläubig.' 'Der Gast war zu einem kontextuell fixierten Zeitpunkt gutgläubig.' Ehrlichkeit der Gäste wird verlangt. 'Gäste müssen ehrlich sein.' Die Größe der Wohnung spielt keine Rolle. 'Wie groß die Wohnung ist, spielt keine Rolle.' Dass mit der Nominalisierung der prädikative Charakter von Adjektiven herausgestellt wird, erkennt man an der Möglichkeit, Ausdrücke mit infiniter Kopula zu nominalisieren. Auch in diesem Falle sind Nominalphrasen im Genitiv für den Eigenschaftsträger möglich: Das Glücklichsein der Liebenden Das Ungebundensein der Junggesellen Wird in einem gegebenen sprachlichen Kontext auf die Eigenschaft eines attributiv verwendeten Adjektivs Bezug genommen, werden zwar die Subordinationsverhältnisse vertauscht, es ergeben sich jedoch keine Unterschiede in der Interpretation. Vgl: ein kluger Berater (Das Adjektiv klug ist Attribut zum

352

Kapitel 4

Nomen Berater) mit die Klugheit dieses Beraters (Das Genitivattribut mit dem Nomen Berater ist Attribut zum Adjektivabstraktum Klugheit.) In diesem Zusammenhang ist daraufhinzuweisen, dass reguläre Partizipien 1, die nur attributiv verwendet werden können, keine Nominalisierung zulassen: das spielende Kind *die Spielendheit des Kindes Eine angemessene Nominalisierung muss auf das Verb zurückgreifen. Adjektivabstrakta können auch als Namen für Eigenschaften verwendet werden. In diesem Falle werden keine Zustände bezeichnet, die Zuweisungen der Eigenschaft an Eigenschaftsträger sind, sondern die Eigenschaft wird selbst zum Gegenstand einer Aussage: Klugheit ist eine Gabe Gottes. Die Wahrheit lässt sich nicht unterdrücken. Die absolute Eigenschaft kann generell durch eine besondere Form der Nominalisierung zum Gegenstand werden: das Gute, das Schöne, das Wahre Konstruktionen dieser Art sind Nominalphrasen mit attributiven Adjektiven, die Stelle des Nomens ist unbesetzt. Die Nominalphrase hat Neutrum als Genus. Die Adjektive werden flektiert. Es handelt sich dabei um eine syntaktische Erscheinung, nicht um einen Wortbildungsprozess. Diese Möglichkeit, Adjektive zu nominalisieren, kann aber auch als Charakterisierung von Eigenschaftsträgern interpretiert werden: Er bekämpft das Böse ( = Handlungen, die böse sind) Bildungen dieser Art unterscheiden sich von solchen, die als elliptische Konstruktionen analysierbar sind. Die unbesetzte Stelle des Nomens kann aus dem Kontext ergänzt werden: Der kleine (Hund) kommt auf uns zu. Ich nehme den großen (Koffer). Die neue (Mitarbeiterin) kommt morgen. Das dicke (Buch) lese ich später. Die reine Nominalisierung von Adjektiven schließt Zählbarkeit aus. In Bildungen wie den folgenden werden dagegen Eigenschaftsträger durch eine Eigenschaft charakterisiert. Dieses Bildungsmuster lässt Pluralbildungen und andere Zahlenangaben zu:

Nomenbildung

353

die politischen. Freiheiten der Bürger (freie Handlungsmöglichkeiten) die groben Dummheiten der Politiker (dumme Entscheidungen) die unerträglichen Frechheiten des Beamten (freche Handlungen) Zur Nominalisierung von Adjektiven stehen mehrere Wortbildungsmuster zur Verfügung, die jedoch nicht frei wählbar, sondern in den meisten Fällen für das Adjektiv festgelegt sind. Der festen Wahl oder auch Bevorzugung bestimmter Muster entsprechen keine semantischen Unterschiede. Für einige Adjektive existieren historisch überkommene Sonderformen: alt -Alter arm — Armut jung -Jugend reich —Reichtum Nominalisierungen von Partizipien 1 sind ausgeschlossen. Das gilt auch für relationale Adjektive, die nur attributiv verwendet werden können: die kaufmännische Lehre *die Kaufmännischkeit der Lehre *das Kaufmännische der Lehre *das Kaufmännischsein der Lehre die väterliche Wohnung *die Väterlichkeit der Wohnung *das Väterliche der Wohnung *das Väterlichsein der Wohnung das ärztliche Attest *die Ärztlichkeit des Attestes *das Ärztliche des Attestes *das Ärztlichsein des Attestes ein Wiener Walzer *die Wienerheit des Walzers *das Wienersein des Walzers die Einsteinsche Relativitätstheorie *die Einsteinschkeit der Relativitätstheorie *das Einsteinschsein der Relativitätstheorie

354

Kapitel 4

WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; PFA -heit/-keit/-igkeit, Femininum] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Wortbildungsmuster erfasst den verbreitetsten Typ von reinen Adjektivnominalisierungen. Außer Partizipien 1 und nur-attributiven relationalen Adjektiven, sind alle Adjektive als Basis möglich, falls die Form ihrer Nominalisierung nicht im Lexikon anders festgelegt ist. MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Die Verteilung der Suffixe -heit, -keit und -igkeit folgt weitgehend prosodischen Mustern. Vgl. Kolb (1985). -keit bevorzugt Wörter, die mit dem Muster (betonte Silbe - unbeu tonte Silbe - schwach betonte Silbe ) enden. Die Anforderungen dieses Musters erfüllen Adjektive mit den Suffixen -bar, -lieh, -isch, -ig, -sam sowie solche, die mit -er oder -el enden: Fruchtbarkeit, Haltbarkeit, Erkennbarkeit, Berechenbarkeit Herrlichkeit, Weiblichkeit, Dümmlichkeit, Erblichkeit Mürrischkeit, Läppischkeit, Störrischkeit, Hündischkeit Traurigkeit, Aufsässigkeit Schäbigkeit, Gesprächigkeit Grausamkeit, Einsamkeit, Ehrsamkeit, Fügsamkeit Eitelkeit, Übelkeit Biederkeit, Hagerkeit, Heiserkeit, Tapferkeit Einsilbige Stämme oder mehrsilbige mit betonter Endsilbe bevorzugen -heit. Für diese Bildungen ist somit das Endmuster '(betonte Silbe schwachbetonte Silbe) typisch: Freiheit, Klugheit, Frechheit, Feigheit, Dummheit; Geneigtheit, Erregtheit, Borniertheit, Gepflegtheit; Adäquatheit, Korrektheit, Saloppheit, Groteskheit Stämme, die mit -e (Schwa) enden, wie feige, blöde, müde, eliminieren das Schwa und wählen -heit. Adjektivstämme, die mit betonter Silbe enden oder einsilbig sind, können mit dem erweiterten Suffix -igkeit nominalisiert werden. Die Suffixerweiterung schafft die Bedingungen für das prosodische Muster ' - u : Festigkeit, Leichtigkeit, Dreistigkeit, Kleinigkeit, Schnelligkeit, Blödigkeit, Müdigkeit, Geschwindigkeit Viele dieser Bildungen sind als Charakterisierung von Eigenschaftsträgern zu deuten. In den meisten Fällen existieren daneben auch Bildungen mit -heit

Nomenbildung

355

oder anderen Suffixen, die als reine Adjektivnominalisierung zu interpretieren sind: Festheit, Leichtheit, Dreistheit, Kleinheit Eine Verallgemeinerung dieser prosodisch bedingten Verteilung von -heit und -keit wird durch Fälle wie die folgenden problematisiert: Partizipien 2 die mit -en (Schwa + n) enden sowie Stämme, die mit -en oder -ern enden, werden mit -heit nominalisiert, obwohl das Muster ' - w vorzuliegen scheint: Geborgenheit *Geborgenkeit Entschlossenheit *Entschlossenkeit Verschlagenheit * Verschlagenkeit Offenheit, Trockenheit, Seltenheit; Albernheit, Nüchternheit, Lüsternheit, Schüchternheit Materialadjektive mit den Suffixen -en, -ern, die übertragene Bedeutungen haben, können nominalisiert werden. Sie wählen jedoch eher -heit als -keif. die Eisernheit seines Vorgehens die Halbseidenheit seines Benehmens die Hölzernheit dieses Vorschlags Adjektive, deren Stamm mit den Suffixen -haft und -los endet, wählen stets igkeit, obwohl die Stämme die Bedingungen für die Wahl von -keit erfüllen: Ernsthaftigkeit, Wahrhaftigkeit, Damenhaftigkeit, Mannhaftigkeit; Sorglosigkeit, Arglosigkeit, Heimatlosigkeit Man muss angesichts dieser Fakten entweder zeigen, dass die prosodischen Muster dennoch gültig sind oder annehmen, dass bestimmte Endungen als morphologische Einheiten die Wahl der Sufifixvariante determinieren, -haft und -los heben sich zum Beispiel von allen anderen Adjektivsuffixen dadurch ab, dass es sich um starke Silben handelt (KVKK , Konsonant, kurzer Vokal, Doppelkonsonant, bzw. KV:K, Konsonant, langer Vokal, Konsonant). Man könnte z.B. annehmen, dass sich starke Silben prosodisch wie betonte verhalten. Eine Tendenz zur Betonung wird in Betonungmustern deutlich wie Leib 'haftigkeit, Wahr 'haftigkeit. Mit dem Wortbildungsmuster ist die Wahl des Genus Femininum verbunden. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist im Rahmen der generellen Beschränkungen stark aktiv.

356

Kapitel 4

(2) [SM; PF a -e, Femininum] SEMANTISCHE ANALYSE:

Für eine größere Anzahl von Adjektiven sind Bildungen mit dem Suffix -e im Lexikon festgelegt. Semantische Klassen lassen sich nur in Ansätzen ermitteln. So sind Dimensions- und andere Maßadjektive sowie Farbadjektive häufiger vertreten: Größe, Breite, Dicke, Höhe, Tiefe; Nähe, Ferne, Schwäche, Stärke, Dichte, Wärme, Kälte; Bläue, Röte, Blässe, Schwärze; Frische, Güte, Kühle, Milde, Schläue, Strenge MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix -e tritt an einfache einsilbige Adjektivstämme, es ist mit dem Genus Femininum verbunden. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist inaktiv. (3) [SM; PF a -schafl, Femininum] SEMANTISCHE ANALYSE:

Bereitschaft, Errungenschaft, Bekanntschaft, Hinterlassenschaft, gerschaft, Verwandtschaft

Schwan-

MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix -schaft tritt vorwiegend an adjektivische Partizipien 2, es ist mit dem Genus Femininum verbunden. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist inaktiv. (4) [SM; PF a -nis, Femininum] SEMANTISCHE ANALYSE:

Finsternis, Bitternis, Düsternis, Wirrnis MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix -nis ist mit dem Genus Femininum verbunden. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist inaktiv.

Nomenbildung

357

2.2.2 Die Referenten haben eine markante Eigenschaft Ein spezielles semantisches Muster erlaubt es, Nomen zu bilden, die physikalische Gegenstände bezeichnen, die eine charakteristische Eigenschaft aufweisen. Das semantische Muster hat die Form: [PHYS.GEG & A] (r) 'Referenten, die physikalische Gegenstände sind und die Eigenschaft A aufweisen' Zärtling, Frischling, Rohling WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; PF a -ling, Maskulinum] SEMANTISCHE ANALYSE:

Sehr viele Bildungen bezeichnen Personen. Sie sind häufig mit einer pejorativen Bewertung verknüpft (Vgl. jedoch: Jüngling, Neuling, Erstling)-. Feigling, Dümmling, Schwächling, Ehrgeizling, Schönling, Trübling, Blödling, Weichling, Gierling, Naivling, Blässling, Süßling, Zärtling, Feistling, Wüstling Bildungen dieses Musters können aber auch Tiere, Pflanzen und andere physikalische Gegenstände, wie Werkstücke, bezeichnen: Frischling, Weißling, Rötling, Bläuling, Säuerling, Rohling, Dreiling, Vierling, Silberling,

Rundling,

MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix tritt an den letzten Konsonanten der Endsilbe einfacher Stämme. Mit dem Suffix ist das Genus Maskulinum verbunden. Mehrere Bildungen sind auf derivierte Adjektive zurückzuführen, die ihr Suffix verlieren: Widerling (widerlich), Schmälzling (schmalzig), Winzling (winzig), Zornling (zornig), Dämling (dämlich), Hässling (hässlich), Nützling (nützlich oder nütz(en)) AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist schwach aktiv.

358

Kapitel 4

(2) [SM; PFa -eben, Neutrum] SEMANTISCHE ANALYSE:

Bildungen dieses Musters bezeichnen Personen, die durch die von einem Adjektiv bezeichnete Eigenschaft charakterisiert sind. Zusätzlich drücken sie eine besondere Zuneigung aus. Bildungen dieses Musters können zu den Diminutiva gerechnet werden: Blondchen, Dummchen, Frühchen, Kleinchen, Naivchen, Liebchen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

In den belegten Bildungen tritt das Suffix an einfache Adjektivstämme. AKTIVITÄT:

Das Bildungsmuster ist schwach aktiv. (3) [SM; PFa -i, Maskulinum] SEMANTISCHE ANALYSE:

Bildungen dieses Musters drücken zusätzlich eine ironische bis verächtliche Distanzierung aus: Dummi, Laschi, Schicki, Schlappi, Schöni, Sofii; Sponti, Fundi MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix -i tritt an einsilbige Adjektivstämme oder an Adjektivstämme, die bis auf die Anfangssilbe reduziert sind. AKTIVITÄT:

Das Muster ist in der Umgangssprache, besonders in der Sprache Jugendlicher, stark aktiv.

2.3

Denominale Bildungen

2.3.1

Personen stehen in einer Relation zum Basisnomen

2.3.1.1 Personen, die ihre Tätigkeit auf einen betroffenen Gegenstand richten Das hier zu nennende semantische Muster charakterisiert Personen durch Gegenstände, auf die sich ihre Tätigkeit richtet. Im Unterschied zu den deverbalen nomina agentis wird hier der betroffene Aktant einer Tätigkeit herausge-

Nomenbildung

359

stellt, während die Tätigkeit selbst implizit bleibt. Das semantische Muster hat die Form: [PERSON & (TUN (PERSON, Nu,,,,,,))] (r) 'Referenten, die Personen sind und etwas tun, was N als betroffenen Aktanten hat' Kutscher, Rohköstler, Tischler, Bühnenbildner, Glöckner WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; PFn -er, Maskulinum] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet Gegenstände, mit denen sich Personen befassen, bzw. auf die die Aktivität von Personen gerichtet ist: Kutscher (Kutsche lenken) Schäfer (Schafe betreuen) Töpfer (Töpfe herstellen) Sänger ((Ge)sang ausüben) Spaziergänger (Spaziergang machen) Wettbewerber (teilnehmen an Wettbewerb) Haushälter (befasst sich mit Haushalt) MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix tritt an den letzten Konsonanten eines Nominalstamms. Es ist mit dem Genus Maskulinum verbunden. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv. (2) [SM; PFn -1er, Maskulinum] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet einen Gegenstand, ein Wissensgebiet, ein künstlerisches oder sportliches Betätigungsfeld, mit dem sich Personen befassen. Das Prädikat TUN kann auch als ein Komplex von Tätigkeiten interpretiert werden, den die Referenten in einem Betätigungsfeld ausübt: Rohköstler, Tischler, Trödler, Wortbrüchler, Winkelzügler, Erdkundler, Volkskundler, Altsprachler, Neusprachler, Wirtschaftler, Strafrechtler, Urgeschichtler, Steuerrechtler, Künstler, Kunstgewerbler, Langstreckler, Kurzstreckler, Sportler

360

Kapitel 4

MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix tritt an den letzten Konsonanten eines Nominalstamms. Es ist mit maskulinem Genus verbunden. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv. (3) [SM; PFn -ner, Maskulinum] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet einen Gegenstand, mit dem sich Personen befassen: Bühnenbildner, Glöckner, Pförtner, Zöllner, Büttner MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix tritt an den letzten Konsonanten von Nominalstämmen. Es ist mit dem Genus Maskulinum verbunden. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist schwach aktiv. 2.3.1.2 Personen, die einem sozialen Bereich angehören Personen können weiterhin durch ihre Zugehörigkeit zu einer sozialen Institution oder Gruppe charakterisiert werden. Das semantische Muster für diese Bildungen hat die Form: [PERSON & BEREICH VON (N, PERSON)] (r) 'Referenten, die Personen sind und dem Bereich N angehören' Generalstäbler, Primaner, Amerikaner, Trojaner WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; PFn -(n)er, Maskulinum] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet eine soziale Institution, eine Gruppe oder spezieller eine regionale Einheit: Gewerkschafter, BVGer, Sekundaner, Primaner, Tertianer, Berliner, Mannheimer, Weinheimer, Amerikaner, Trojaner, Jawaner, Iraner, Iraker, Engländer, Norweger, Brandenburger, Thüringer, Kölner, Lüchower

Nomenbildung

361

MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix -er tritt an den letzten Konsonanten eines Nominalstamms. Stämme, die auf -a enden, wählen -ner. Solche, die auf -en enden, verlieren -en und wählen -er. Als Basis sind auch Abkürzungen möglich. Das Suffix ist mit maskulinem Genus verbunden. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist stark aktiv. (2) [SM; PFn -1er, Maskulinum] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet soziale Institutionen, Gruppen oder regionale Einheiten: Ruheständler, Mittelständler, Geheimbündler, Armenhäusler, Zuchthäusler, Hakenkreuzler, Blaukreuzler, Schwergewichtler, Genossenschaftler, Gebirgler, Dörfler, Hinterwäldler, Hinterbänkler, Achtklässler, Postler, Sozialauschussler, Stoßtruppler, Zentralrätler, ABMler, DDRler, FDPler, PDSler MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix tritt an den letzten Konsonanten von Nominalstämmen. Als Basis sind auch Abkürzungen möglich. Es ist mit dem Genus Maskulinum verbunden. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist stark aktiv. (3) [SM; PF n -ling, Maskulinum] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet eine soziale Institution: Titelämtling, Schreibämtling, Häftling MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix tritt an den Stamm des Basisworts. Es ist mit dem Genus Maskulinum verbunden. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist schwach aktiv.

362

Kapitel 4

(4) [SM; PFn -i, Maskulinum] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet eine soziale Institution oder politische Region, der eine Person angehört. Mit dem Muster ist zusätzlich, wie bei allen Bildungen mit dem Suffix -i, eine ironische oder distanzierende Einstellung verbunden: Ossi, Wessi, Grufti, Knasti MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix tritt an den Stamm des Basisworts oder das Basiswort wird bis auf die Anfangssilbe reduziert. Ost(en) bzw. West(en) wird in den angeführten Beispielen weiter durch eine Assimilation von st zu stimmlosem s verändert. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv. 2.3.1.3 Personen, die über etwas verfügen Eine weitere Möglichkeit, Klassen von Personen zu kennzeichnen, besteht in der Angabe von Gegenständen, über die die Personen verfügen. Das semantische Muster hat die Form: [PERSON & HABEN (PERSON, N)] (r) 'Referenten, die Personen sind und Uber N verfügen' Söldner, Rentner, Weltrekordler WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; PFn -1er, Maskulinum] SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Bildungen bezeichnen Personen, die etwas besitzen, errungen haben, zur Verfügung haben: Rekordler, Pfründler, Kriegsgewinnler, Anrechtler, Abstinenzler, schnupfler, Kompromissler, Überhirnler, Zeitgeistler

Heu-

Möglich sind auch Tier- und Pflanzenbezeichnungen: Salmler, Tausendfiißler, Kornrüssler, Korbbütler MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix tritt an den letzten Konsonanten von Nominalstämmen. Es ist mit dem Genus Maskulinum verbunden.

Nomenbildung

363

AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist schwach aktiv. (2) [SM; PFn -ner, Maskulinum] SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Bildungen bezeichnen Personen, die etwas zur Verfügung haben oder mit etwas belastet sind: Rentner, Schuldner, Söldner MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix tritt an den letzten Konsonanten von Nominalstämmen. Es ist mit dem Genus Maskulinum verbunden. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist schwach aktiv. (3) [SM; PFn -ling, Maskulinum] SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Bildungen bezeichnen Personen, die über eine nominal bezeichnete Eigenschaft verfügen. Mit dem Muster ist eine distanzierende Bewertung verbunden: Lüstling, Wollüstling, Günstling, Ehrgeizling Möglich sind auch Pflanzenbezeichnungen. In diesem Fall bezeichnet das Basiswort eine Formeigenschaft: Röhrling, Trichterling MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix tritt an den letzten Konsonanten von Nominalstämmen. Es ist mit dem Genus Maskulinum verbunden. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist schwach aktiv.

364

Kapitel 4

2.4

Modifikation von Nominalkonzepten

2.4.1

Derivationen

2.4.1.1 Referenten sind weiblich (movierte Feminina) Zu Personen- und Tierbezeichnungen ohne sprachlich markiertes Geschlecht können Nomina weiblichen Geschlechts gebildet werden. Wir nehmen dafiir ein Prädikat WEIBLICH an, das dem Prädikatkomplex von Nomen, die Lebewesen bezeichnen, hinzugefügt wird: [N & WEIBLICH] (r) 'Referenten, die N und weiblich sind'

Das Basisnomen bezeichnet aus sprachlicher Sicht nur die Gattung. Eine Assoziation mit männlichen Exemplaren der Gattung kann durch soziale Traditionen präferent sein. Auffällig ist in jedem Falle, dass es zur Kennzeichnung weiblicher Exemplare besondere Wortbildungsmittel gibt, d.h., die Charakterisierung weiblicher Lebewesen wird als der markierte Fall behandelt: WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; PF n -in, Femininum] SEMANTISCHE ANALYSE:

Als Basis kommen Nomen vor, die Berufe bezeichnen. Häufig wird die Berufsbezeichnung mit männlichen Personen assoziiert: Ärztin, Beamtin, Dichterin, Gesandtin, Lehrerin, Linguistin, Malerin, Maurerin, Ministerin, Auch Personenbezeichnungen, meist nomina agentis, die eine Rolle oder Verhaltensweise charakterisieren, kommen als Basiswörter vor: Angeberin, Anbeterin, Bedienerin, Bringerin, Erstellerin, Fresserin, Freundin, Gästin, Gewinnerin, Verewigerin, Wahrerin Tierbezeichnungen können ebenfalls Basiswörter des Musters sein: Bärin, Füchsin, Störchin, Wölfin, Tigerin Für einige Haustiere gibt es jedoch spezielle Lexikonheiten für männliche und weibliche Exemplare der Gattung: Pferd: Rind/Kuh: Schwein:

Hengst Bulle Eber

-

Stute Kuh Sau

Nomenbildung

Kaninchen: Ziege:

Rammler Bock

365

Zippe Zicke

MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

-in ist ein Suffix, das an einfache Nominalstämme oder Derivationen mit -er tritt. Ausgeschlossen sind Derivationen mit -ling. Mit dem Suffix ist das Femininum verbunden: *Fremdlingin, *Naivlingin, *Fieslingin, *Säuglingin AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist stark aktiv. 2.4.1.2 Referenten sind männlich (movierte Maskulina) Die besondere Kennzeichnung männlicher Exemplare einer Gattung mit Wortbildungsmitteln ist nur für einige wenige Tierbezeichnungen belegt. [N & MÄNNLICH] (r) 'Referenten, die N und männlich sind' Enterich, Fledermäuserich, Gänserich, Jungferich, Mäuserich, Unkerich

Täuberich,

AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist inaktiv. 2.4.1.3 Verkleinerungen (Diminutiva) Nominalkonzepte können durch Einstellungen modifiziert werden, die psychische Zustände ausdrucken. Anzunehmen ist eine ganze Skala von Einstellungen, die von besonderer Zuneigung über Mitgefühl bis zu ironischer Distanz reicht. Wir nehmen ein Prädikat DIM an, das eine verkleinernde, verniedlichende oder ironisierende Einstellung des Sprechers zu den mit einem Nomen bezeichneten Gegenständen charakterisiert. Das semantische Muster hat die Form: [DIM (N)] (r) 'Referenten sind N, die durch eine verniedlichende oder ironisierende Einstellung des Sprechers bewertet sind' Mäntelchen, Spielchen, Knäblein, Züglein

366

Kapitel 4

WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; PFn -chen, Neutrum] SEMANTISCHE ANALYSE:

Als Basiswort kommen alle Typen von Nomen vor. Grundsätzliche semantische Beschränkungen sind nicht zu erkennen: Äckerchen, Affärchen, Ästchen, Bärtchen, Brückchen, Clairchen, Doktorchen, Eckchen, Emotiönchen, Episödchen, Gebürtchen, Gräschen, Gürkchen, Händchen, Handküsschen, Helmchen, Hoffnungsfiinkchen, Krümchen, Mamachen, Mütchen, Säftchen, Schauerchen, Seelchen, Sperenzchen, Szenchen, Tischchen, Unkräutchen, Walterchen, Wolkenfetzchen, Zötchen, Zündhölzchen Auffällig sind Bildungen mit doppelter Diminuierung: Dingelchen, Kindelchen MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix -chen tritt an einfache und komplexe Nominalstämme. Mit dem Wortbildungmuster ist die morphologische Kategorie Neutrum verbunden. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist stark aktiv. (2) [SM; PFn -lein, Neutrum] SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Bildungen mit dem Suffix -lein unterscheiden sich von denen mit -chen nur durch eine Konnotation, -lein ist typisch für das süddeutsche Sprachgebiet, -chen für das norddeutsche. In standardsprachlichen Texten geht diese Unterscheidung jedoch mehr und mehr verloren: Aufsätzlein, Bahnhöflein, Bäuchlein, Blättlein, Böcklein, Büblein, Eberlein, Fässlein, Fläschlein, Geißlein, Hexlein, Käuzlein, Kavalierlein, Liedlein, Löchlein, Lüftlein, Mönchlein, Rösslein, Schäflein, Scherflein, Schifflein, Übelrüchlein, Vöglein, Wortwürmlein, Zöpflein, Zünglein, Zwerglein MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix -lein tritt an einfache und komplexe Nominalstämme. Mit dem Wortbildungmuster ist die morphologische Kategorie Neutrum verbunden.

Nomenbildung

367

AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist stark aktiv. Einige Bildungen wirken aus pragmatischen Gründen auffällig: Tödlein (G. Keller) (3) [SM; P F n -i] SEMANTISCHE ANALYSE:

Als Basiswort treten vor allem Eigennamen und Verwandtschaftsbezeichnungen auf. Bildungen dieses Musters drücken Vertraulichkeit aus: Anni, Berni, Berti, Bubi, Gassi, Gorbi, Hansi, Honni, Mausi, Opi, Pappi, Reni, Rosi, Trabi, (Trabbi), Vati, Wölfi MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix tritt an einen einsilbigen Stamm, der zusammen mit -i zu einem zweisilbigen Wort wird. Mehrsilbige Stämme werden reduziert: Anna =>Anni Renate =>Reni Trabant => Trabi Wolfgang => Wolfi / Wölfl Gorbatschow => Gorbi Honcker => Honni Vgl. jedoch: Ödipussi Die Derivationen übernehmen das Genus der Basiswörter. AKTIVITÄT:

Das Muster ist in einigen umgangssprachlichen Textsorten stark aktiv. 2.4.1.4 Vergrößerungen (Augmentativa) Eine Verstärkung der Grundbewertung, die der Sprecher den Referenten eines Nomens zuschreibt, ist durch Präfixe und besondere Erstglieder von Komposita möglich. Wir nehmen ein Prädikat MAX an, das einen hohen Grad einer positiven oder negativen Einstellung ausdrückt. Das semantische Muster lautet:

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Kapitel 4

[MAX (N)] (r) 'Referenten sind mit einer stark positiven oder stark negativen Einstellung bewertete N' Erzgauner, Bombenwetter WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; erz- PFN] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet Personen, die durch besondere Verhaltensweisen oder durch die Zugehörigkeit zu Gruppen oder Institutionen charakterisiert sind. Das Muster bringt zum Ausdruck, dass die charakteristische Verhaltensweise ganz besonders stark ausgeprägt ist. Mit dem Muster ist eine pejorative Bewertung verbunden: Erzbetriiger, Erzeuropäer, Erzfaschist, Erzfeind, Erzgauner, Erzhure, Erzkatholik, Erzkommunist, Erzliberaler, Erzmoralist, Erznarr, Erzpessimist, Erzrivale, Erzschwindel, Erzverräter, Erzzauberer Als Basiswort kommen auch Nomen vor, die pejorativ bewertete Zustände bezeichnen: Erzdummheit, Erzsauerei, Erzschweinerei Bildungen wie Erzherzog, Erzbischof, Erzmarschall sind idiomatisiert. MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

erz- ist ein Präfix, das an Nominalstämme tritt. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv. (2) [SM; hyper-/mega-/super-/ultra- PFN] SEMANTISCHE ANALYSE:

Bildungen dieser Muster kennzeichnen einen besonders hohen Grad der Eigenschaften des Basisnomens und damit verbunden eine Steigerung der positiven oder negativen Bewertung: Hyper-Computer, Hyperaktivität, Hyperbürohratie, Hypergeschwindigkeitsgeschütze, Hyperkritik, Hypermoral, Hyperreaktion Megaspaß, Megavergnügen, Megaschaffe, Mega-Flop, Mega-Künstler, Megaskandal, Megaprojekt

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Superangebot, Superagent, Super-Film, Super-Frauen, Superläufer, Super-Macho, Super-Technik, Super-Vermögen, Superbikes, Superbombe, Superfaser, Supergag, Supergau, Superhelden, Superkredit, Supermacht, Supermarkt, Supermarxist, Supersexbombe, Superstars, Superstute, Superurlaub, Superauto Ultra-Demokratie, Ultra-Moderne, Ultracomputer, Ultraroyalist, Ultraschall, Ultrazentralismus, Ultrabombe MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Hyper- und Mega- kommen nur zusammen mit Nomen oder Adjektiven vor. Es existieren keine korrespondierenden selbständigen Lexikoneinheiten im deutschen Lexikon. Es handelt sich deshalb um Präfixe. Super- kann dagegen auch als unflektiertes Adjektiv verwendet werden. Deshalb sind die entsprechenden Bildungen A + N-Komposita. AKTIVITÄT:

Die Wortbildungsmuster sind stark aktiv. (3) [SM; gebundene LE (N)]

Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, augmentative Bewertungen durch gebundene Lexikoneinheiten auszudrücken. Wir analysieren diese Bildungen als Komposita: Heidenspaß, Heidenvergnügen, Heidenangst, Heidenarbeit, Heidengeld, Heidenlärm, Heidenrespekt Höllenangst, Höllengalopp, Höllenhass, Höllenlärm, Höllenskandal, Höllenspektakel, Höllentempo Mammut-Ausstellung, Mammut-Konferenz, Mammut-Show, Mammutprogramm, Mammutaufgabe, Mammutbetrieb, Mammutgehälter, Mammutinstitut, Mammutvorhaben Mordsarbeit, Mordsgaudi, Mordstheater, Mordsesel, Mordsphilister, Mordsschlauch, Mordskrach Pfundskerl, Pfundsmädel Riesenandrang, Riesenangebot, Riesenapparat, Riesenangst, Riesenaufwand, Riesenauto, Riesenbühne, Riesenchance, Riesenei, Riesenfichte, Riesenflügel, Riesengewinne, Riesenhunger, Riesenkugel, Riesenmarsch, Riesenrausch, Riesenrotor, Riesentölpelei, Riesentunnel Spitzenabgaben, Spitzenanlage, Spitzenauto, Spitzen-IM, Spitzenbelastung, Spitzenergebnisse, Spitzenfilm, Spitzenfunktionär, Spitzengage, Spitzen-

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Kapitel 4

Position, Spitzenrestaurant, Spitzenspieler, Spitzensteuer, Spitzenverkehr, Spitzenwissenschaftler, Teufelsbrigade, Teufelsding, Teufelsjux, Teufelsteam, Teufelszeug Topbürokrat, Topgelehrte, Topkräfte, Topmanager, Topmodell, Topneuheit, Topspion, Toptexter, Topschlager, Topstar, Topunternehmen Wahnsinnsaugen, Wahnsinnsangst, Wahnsinnshaare, Wahnsinnsideen, Wahnsinnstempo, Wahnsinnsverkehr, Wahnsinnswut 2.4.1.5 Ausgangspunkt einer Entwicklung Ein besonderes semantisches Muster gestattet es, den vom Basisnomen bezeichneten Gegenstand als Ausgangspunkt einer Entwicklung oder als Vorgänger, von dem jemand oder etwas abstammt, zu charakterisieren. Häufig ist damit die übertragene Bedeutung 'grundlegend' verbunden, die auch allein als Interpretation auftreten kann. Das Muster hat die Form: [AUSGANG VON (N)] (r) 'Referenten, die Ausgangspunkt der Entwicklung von N sind' Ur-Faust, Ureinwohner, Urmensch (1) [SM; ur-PFN] SEMANTISCHE ANALYSE:

Bildungen dieses Musters kennzeichnen einen Gegenstand als Ausgangspunkt einer Entwicklung: Urautor, Ureinwohner, Ur-Eureka-Projekt, Urform, Urinterpretation, Urmensch, Urelefant, Urmaterie, Urunternehmen, Urwelt, Ureinwanderer, Ursprache, Urstamm, Urvolk, Urzustand In anderen Fällen kennzeichnen sie den vom Basiswort bezeichneten Gegenstand als grundlegend, vorbildlich oder typisch für die ganze Klasse: Urerlebnis, Urgejuhl, Urberliner, Ur-Europäer, Urgründe, Ur-Irrtum, Urkomödiantentum, Urmuster, Ur-Mythos, Ur-Trieb, Ur-Zärtlichkeit, Urangst, Urerlebnis, Urfakten, Urformen, Urgauklertum, Urgesetz, Urgrund, Uridee, Urpathos Im Zusammenhang mit Nomen, die Familienbeziehungen bezeichnen, ergibt sich die Interpretation 'N ist Vorfahre bzw. Nachkomme von jemand': Ur-Großeltern, Ur-Großvater, Urahne, Urgroßmutter, Urgroßonkel, Urgroßtante; Urenkel

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Auch der Vorfahre des als Vorfahre gekennzeichneten Familienmitglieds kann benannt werden: Ururgroßvater, Ururgroßmutter MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

ur- ist ein Präfix, das an einfache und komplexe Nominalstämme tritt. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist stark aktiv. 2.4.1.6 Pejorative Bewertung Ein semantisches Muster fügt der semantischen Repräsentation von Nomen eine negative Bewertung hinzu. Wir nehmen ein Prädikat PEJORATIV an. Das Muster hat die Form: [PEJORATIV (N)] (r) 'Referenten sind N, mit pejorativ bewerteten Eigenschaften' WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; PFN -ling, Maskulinum] SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Basiswörter sind Nomen, die Personen bezeichnen, die Berufe oder typische Tätigkeiten ausüben. Durch das Muster wird die Qualität ihrer Fähigkeiten herabgesetzt: Dichterling, Schreiberling, Försterling MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das Suffix -ling tritt vorwiegend an einfache Nominalstämme. Mit dem Suffix ist das Genus Maskulinum verbunden. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist schwach aktiv. (2) [SM; gebundene LE (N)] Eine Reihe von gebundenen Lexikoneinheiten ermöglicht die Bildung von Komposita, die das semantische Muster einschließen: Mistwetter, Mistvieh, Mistbank, Mistfilm, Mistvolk Saubehörden, Saubande, Sauladen, Sauwetter, Sauwirtschaft

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Scheißbulle, Scheißnomenklatura, Scheißrassisten, Scheißgesetze, Scheißfilm, Scheißfraß, Scheißkerl Schweinekerl, Schweinewetter 2.4.2 Komposita 2.4.2.1 Koordinativ-, Determinativ- und Possessivkomposita Komposita betrachten wir als die am weitesten ausgearbeitete Möglichkeit, neue Nomina durch Modiiikation von Nominalkonzepten zu bilden. Seit Paul (1920) werden mindestens drei Typen von Komposita unterschieden. Paul nennt sie: Kopulative Zusammensetzungen, Bestimmungszusammensetzungen und Bahuvrihi. Für diese Typen verwenden wir die Termini: Koordinativkomposita Determinativkomposita Possessivkomposita Koordinativkomposita, auch Dvandva oder Kopulativkomposita, bestehen aus zwei Nomen, die Gegenstandsbereiche charakterisieren, auf die die Prädikatkomplexe beider Nomen zutreffen, die also N und N' sind: Arzt-Kosmonaut, Dichter-Sänger, Hosenrock In Determinativkomposita hat das Erstglied eine modifizierende Funktion, d.h., der Prädikatkomplex eines Nomens, des Zweitglieds, wird durch Prädikate, die mit dem Erstglied verbunden sind, angereichert. Dadurch wird der Referenzbereich des Zweitglieds determiniert, d.h. eingeschränkt: Altpapier, Holzhaus, Reibekäse, Abwasser Possessivkomposita, auch Bahuvrihi oder exozentrische Komposita genannt, setzen Muster der metaphorischen Interpretation voraus. Meist werden Gegenstandsbereiche nach etwas benannt, was sie als Teil haben oder besitzen Dem entspricht die Stilfigur pars pro toto: Dickkopf, Rothaut, Rotschwänzchen, Rundkopf. Wir betrachten Possessivkomposita als Determinativkomposita mit übertragener Bedeutung. Sie schließen ein Muster der semantischen Uminterpretation ein. Auch viele als Koordinativkomposita klassifizierte Bildungen können als Untertyp von Determinativkomposita analysiert werden. In der Wortbildungsliteratur findet man drei Typen von Bildungen, die als Koordinativbzw. Kopulativkomposita betrachtet werden. Vgl. Breindl/Thurmair (1992):

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I: Arzt-Kosmonaut, Dichter-Sänger, Hosenrock II: Amateurfotograf, Gastprofessor, Partnerstadt HI: Tannenbaum, Streikaktion, Jeanshose In allen drei Fällen sind Paraphrasen 'x ist N und N " möglich. Die semantische Interpretion ist jedoch verschieden. Nur in Typ I wird der Referenzbereich durch das Zutreffen der Prädikatkomplexe beider Nomen gekennzeichnet, d.h. nur in diesem Falle kann man von einer koordinativen Zuordnung der Referenten zu zwei Klassen sprechen: Arzt-Kosmonaut 'Person, die sowohl Arzt als Kosmonaut ist' Dichter-Sänger 'Person, die sowohl Dichter als Sänger ist' Hosenrock 'Kleidungsstück, das sowohl Rock als Hose ist' Paraphrasen mit dem Zweitglied als Bezugswort und einem Relativsatz mit prädikativem Erstglied geben die Interpretation nicht genau wieder, da der Relativsatz eine attributive, d.h. modifizierende Interpretation verlangt: 'Kosmonaut, der Arzt ist' 'Sänger, der Dichter ist' 'Rock, der eine Hose ist' Die Interpretation dieser Bildungen setzt gerade das gleichgeordnete Zutreffen der Prädikate beider Nomen voraus. Wie bei allen Typen der Koordination hat die Reihenfolge keinen Einfluss auf die semantische Interpretation. Möglich ist jedoch eine unterschiedliche Gewichtung des Informationsgehalts der Glieder des Kompositums, d.h. eine pragmatische Abstufung. So kann das Zweitglied das Erstglied dominieren. Ob Wolf Biermann nun mehr Sänger als Dichter ist, wenn er Dichter-Sänger genannt wird und mehr Dichter als Sänger, wenn man ihn als Sänger-Dichter bezeichnet, ist zweifelhaft. Ebenso dürfte die Interpretation, dass Hosenröcke mehr Rock als Hose sind, d.h. eher die typischen Eigenschaften von Röcken als von Hosen haben, für Viele unzutreffend sein. Die beiden anderen Typen setzen nun aber Interpretationen voraus, in denen der Referenzbereich des Zweitglieds durch die Eigenschaften des Erstglieds eingeschränkt wird. In Bildungen dieser Art liegt eine Modifizierung des Zweitglieds durch das Erstglied vor, die durch den Relativsatz ohne Koordination zum Ausdruck kommt:

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Amateurfotograf 'Fotograf, der Amateur ist' Gastprofessor 'Professor, der Gast ist' Partnerstadt 'Stadt, die Partner ist' Die Interpretationen 'Person, die sowohl Fotograph als Amateur ist', 'Person, die Professor und Gast ist' sowie 'Institution, die sowohl Stadt als auch Partner ist' entsprechen nicht der Bedeutung dieser Bildungen. Diese setzt eine deutliche Dominanz des Zweitglieds voraus. Die Bedeutung des Zweitglieds wird durch das Erstglied modifiziert, sodass sich auch eine Einschränkung des Referenzbereichs des Zweitglieds ergibt. Im ersten Typ wird dagegen der Referenzbereich durch die Koordination der Bedeutungen beider Nomen abgesteckt. Im dritten Typ ist das Zweitglied ein Hyperonym des Erstglieds. Hier ergibt sich allein aus dieser semantischen Beziehung zwischen Erst- und Zweitglied eine Determination des Referenzbereichs des Zweitglieds auf den Teilbereich, der durch das Erstglied bezeichnet wird. Falls die Bildungen nicht durch Lexikalisierungen spezielle Interpretationen haben, reicht das Erstglied aus, um den Referenzbereich zu kennzeichnen. Diese Bildungen wirken deshalb z.T. tautologisch: Blazerjacke Jeanshose Beerenobst Eichbaum Lindenbaum Rindvieh Hurenweib Streikaktion Zersetzungsprozess Alterungsvorgang

Blazer Jeans Beeren Eiche Linde Rind Hure Streik Zersetzung Alterung

Wir gehen also davon aus, dass es Koordinativkomposita im Deutschen gibt, beschränken sie jedoch auf den Typ I. In Determinativkomposita hat das Erstglied modifizierende Funktion. Typischer Ausdruck dieser semantischen Beziehung zwischen Erst- und Zweitglied sind Paraphrasen mit Relativsätzen, d.h. speziellen Formen von Attributen. Als Erstglied kommen Adjektive, Verben, Nomen, Präpositionen und ganze Phrasen vor. Nur A + N-Komposita haben syntaktische Konstruktionen aus

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attributivem Adjektiv und Bezugsnomen zur Seite. Den Kombinationen V + N, N + N, P + N und Phrase + N entsprechen keine syntaktischen Phrasenstrukturen. Deshalb sind diesen Kombinationen auch keine auf syntaktischen Phrasen beruhenden semantischen Interpretationen zugeordnet. Das gilt auch für einen Teil der A + N-Komposita:

Hochhaus Rotwein Altpapier

hohes Haus roter Wein altes Papier

aber:

Schnellimbiss

*schneller Imbiss

Auch die Annahme besonderer wortsyntaktischer Regeln ist nicht notwendig, wenn man Wortbildungsregeln annimmt. Vgl. ausführlicher Mötsch (1995a, b) Es ist notwendig, Interpretationsmuster zu finden, die die beiden Glieder eines Kompositums in einen semantischen Zusammenhang bringen. Wie bei Derivationen nehmen wir semantische Muster an, in die die Bestandteile eines Kompositums eingebettet sind. Dass das Zeitglied den Kern des ganzen Kompositums bildet, ergibt sich auch semantisch dadurch, dass es die Komponente ist, die modifiziert wird. Semantische Muster für Komposita enthalten mindestens zwei Variable, für die passende Lexikoneinheiten eingesetzt werden. Neben den semantischen Mustern sind morphologische Bedingungen zu berücksichtigen, die ergänzenden oder beschränkenden Charakter haben können. Unsere semantische Beschreibung folgt den allgemeinen Erkenntnissen von Brekle (1970), Fanselow (1981), Selkirk (1980), Lieber (1983) u.a., die die semantische Interpretation von Komposita grundsätzlich auf PrädikatArgument-Strukturen zurückführen, in denen die beiden Konstituenten einen speziellen Platz einnehmen. Die Konstituenten eines Kompositums können entweder Prädikate oder Argumente b2w. Adjunkte sein. Es besteht aber auch die Möglichkeit, dass sowohl das Zweitglied als auch das Erstglied eine Argumentstelle oder eine Adjunktstelle eines sprachlich nicht repräsentierten Prädikats besetzt. Das ist der Fall in vielen N + N-Komposita. 2.4.2.2 A + N-Komposita A + N-Komposita können in den meisten Fällen durch Konstruktionen aus attributivem Adjektiv und Bezugsnomen paraphrasiert werden. Darüber hinaus gibt es aber auch Bildungen, die eine Interpretation voraussetzen, die durch Paraphrasen mit adjunktiven Adjektiven wiedergegeben werden können. Im Unterschied zu syntaktischen Fügungen aus attributivem Adjektiv und Nomen ist das adjektivische Erstglied von Komposita unflektiert. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass das adjektivische Erstglied stets den Hauptak-

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zent des Wortes trägt, während es in syntaktischen Konstruktionen nur in markierten Fällen den Hauptakzent tragen kann. Ein semantischer Unterschied besteht darin, dass syntaktische Konstruktionen eine restriktive und eine appositive Interpretation zulassen, während das Adjektiv in A + N-Komposita nur als fester Bestandteil des ganzen Wortes interpretiert werden kann. Damit ist die mit der appositiven Interpretation verbundene Nebeninformation unmöglich. In Ausdrücken wie das alte Papier kommt die Bedeutung von altes Papier durch die Kombination der Bedeutungen von alt und Papier zustande. Grundlage für diese Operation ist die syntaktische Möglichkeit, Adjektive und Nomen attributiv zu verknüpfen. Die semantische Modifikation des Nomens kann restriktiv oder appositiv interpretiert werden: Komposita mit adjektivischem Erstglied kommen nicht durch die Einbettung lexikalischer Einheiten in die syntaktische Konstruktion attributives Adjektiv + Nomen zustande, sondern durch Wortbildungsregeln, die aus einem semantischen Muster und morphologischen Indikatoren bestehen. Das semantische Muster muss zum Ausdruck bringen, dass die Bedeutung des Adjektivs zum Prädikatkomplex des Nomens hinzugefügt wird. Es ist deshalb an der Identifizierung von Referenten des Kompositums beteiligt, d.h., es verschmilzt mit der Bedeutung des Nomens zu einer eigenständigen konzeptuellen Struktur. Die Argumentstelle des Adjektivs für ein Bezugswort geht in die Referenzstelle des Kompositums ein. Das kann durch die folgende Repräsentation dargestellt werden: [A & N] (r) 'Referenten sind N erweitert um die Eigenschaft A' Dieser semantischen Repräsentation entspricht die Beobachtung, dass A + NKomposita in der Regel lexikalisiert sind oder aber als Vorschlag für eine Lexikalisierung gelten können. Nur in wenigen Fällen sind sie als ad-hocBildungen beabsichtigt, für die syntaktische Konstruktionen die angemessenere Ausdrucksform sind. Wir nehmen also für Konstruktionen aus restriktivem attributivem Adjektiv und Nomen einen feinen semantischen Unterschied zu Nominalkomposita mit adjektivischem Erstglied an. Dieser Unterschied wird an Zurückweisungen von Aussagen deutlich: A: Was machst du mit dem alten Papier? B: Das Papier ist nicht alt. Das ist kein Papier. *Das ist kein 2altes 'Papier (mit neutraler Akzentuierung)

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A: Was machst du mit dem Altpapier? B: Das ist kein Altpapier. Das ist kein Papier. *Das Papier ist nicht alt. Adjektive mit zusätzlicher Argumentstelle kommen nicht als Erstglied vor (arm an, froh über, voll von, frei von). Bildungen wie Freibier, Frohnatur setzen einstellige Varianten von frei und froh voraus. *Freibier von Schadstoffen *Frohsinn über das gute Ergebnis * Vollbart von Locken Es gibt jedoch Bildungen mit Adjektiven im Superlativ, deren Interpretation Vergleichsmengen voraussetzt. Diese Vergleichsmengen lassen sich problemlos aus dem Zweitglied ermitteln: Einfachstwohnung 'der einfachste Wohnungstyp von allen Wohnungstypen' Billigstware 'die billigste von allen Waren der gleichen Kategorie' Bestarbeiter, Bestleistung, Bestergebnis; Billigstenergie, Billigstware, Billigstwein; Einfachstbauten, Einfachstbauweise, Einfachstwohnung; Höchstalter, Höchstleistung, Höchstpreise; Kleinstkind, Kleinstbetrieb, Kleinstfamilie, Kleinstunternehmer; Mindestenergie, Mindestangebot, Mindestlohn, Mindestrente, Mindesttempo, Mindestgebühr, Mindestgrenze; Niedrigstlöhne, Niedrigstpreise; Schwerstarbeit, Schwerstbehinderter, Schwerstschaden, Schwerstverbrechen; Tiefstpreis, Tiefsttemperatur, Tiefstwert Dagegen kommen Adjektive im Komparativ nur mit den lexikalischen Sonderformen mehr und minder vor, mit der Interpretation 'mehr bzw. weniger als im Normalfall': Mehrbedarf, Mehrbetrag, Mehremission, Mehrgewicht, Mehrwert; Mindererlös, Mindergewinn, Minderverbrauch, Minderzuwachs Als Grund für diese Beschränkung kann angenommen werden, dass der Komparativ meist detailliertere Kontexte voraussetzt und damit eine relationale Komponente, die besonders ausgefüllt werden muss. Adjektive mit relationalen Komponenten sind jedoch ausgeschlossen, wie die oben angegebenen Bei-

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spiele zeigen. Prosodische Gründe, die Erben (1993, S. 42) vermutet, dürften ausscheiden, da Adjektive, die auf -er enden, durchaus als Erstglied möglich sind. Es gehört zu den Besonderheiten der A + N-Komposita, dass nicht beliebige Adjektive als Erstglied von Nominalkomposita vorkommen. Wenn sie vorkommen, bilden sie meist das Erstglied mehrerer Komposita. In Wortbildungsanalysen wird immer wieder der Versuch unternommen, die Beschränkungen auf genau bestimmte semantische oder prosodische Eigenschaften zurückzuführen. Die beobachtbaren semantischen Beschränkungen lassen sich jedoch nicht auf klar abgrenzbare Kategorien zurückführen. Die Adjektive in belegten Bildungen können in sehr unterschiedliche semantische Kategorien eingeordnet werden: Dimensionsadjektive: breit (Breitformat, Breitwand), dick (Dickmilch, Dicksuppe), dünn (Dünnbier, Dünnfolie), flach (Flachdach, Flachland), hoch (Hochdruck, Hochebene), klein (Kleinbühne, Kleinformat), kurz (Kurzzug), lang (Langschal, Langstrecke), niedrig (Niedrigwasser), schmal (Schmalfilm, Schmalspur), tief (Tiefebene, Tiefland) Konsistenz, Oberflächenbeschaffenheit: fein (Feingewebe, Feinkeramik), fest (Festland), flüssig (Flüssiggas, Flüssigseife), grob (Grobblech, Grobsand), hart (Hartfaser, Hartgummi), mürbe (Mürbeteig, Mürbfleisch), rauh (Rauhleder, Rauhputz), weich (Weichkäse, Weichgummi), Form: platt (Plattfuß, Plattnase), rund (Rundbau, Rundsaal), spitz (Spitzdach, Spitzkohl), schräg (Schrägdach, Schrägheck), steil (Steilufer, Steilwand) Optische Eindrücke: bleich (Bleichgesicht, Bleichsucht), dunkel (Dunkelkammer, Dunkelzone), klar (Klarlack), blau (Blaukraut, Blauschimmel), braun (Braunbär, Braunbier), bunt (Buntpapier, Buntspecht), gelb (Gelbfieber, Gelbsucht), grau (Graubrot, Graugans), grün (Grünkohl, Grünspecht), rot (Rotkohl, Rotwein), schwarz (Schwarzbrot, Schwarzpulver), weiß (Weißbrot, Weißwurst) Geschmackseindrücke: bitter (Bitterlikör, Bitterstoff), sauer (Sauerkohl, Sauerteig), süß (Süßmilch, Süßspeise) Distanz, Lage in der Distanz: fern (Fernbahn, Fernziel), nah (Nahverkehr, Nahzug), endlos (Endlosfilm, Endlospapier), unendlich (Unendlich-Optik); ober (Oberarm, Oberdorf), vorder (Vorderhaus, Vordermann), hinter (Hinterhaus, Hintermann), unter (Unterbett, Unterhemd)

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Richtung: links (Linkskurve), rechts (Rechtskurve), quer (Querverbindung, Querstraße) Geschwindigkeit: schnell (Schnellzug, Schnellimbiss) Gewicht: leicht (Leichtgewicht, Leichtmetall), schwer (Schwergewicht, Schwermetall) Temperatur: heiß (Heißgetränk, Heißluft), kalt (Kaltluft, Kaltschale), warm (Warmluft, Warmwasser) Anwesenheit oder Mangel: feucht (Feuchtluft, Feuchtwäsche), kahl (Kahlfläche, Kahlkopf), leer (Leergewicht, Leergut), nackt (Nacktmaus, Nacktszene), nass (Nassmörtel, Nasszelle), voll (Vollbart, Vollmond), öde (Ödland, Ödfläche), hohl (Hohlraum, Hohlrücken), mager (Magerkäse, Magermilch), trocken (Trockendeck, Trockennahrung) Häufigkeit: einfach (Einfachfahrschein), einzeln (Einzelanschluss, Einzelkind), doppelt (Doppelfehler, Doppelname), dreifach (Dreifachexplosion, Dreifachstecker), mehrfach (Mehrfachbarriere, Mehrfachernte) Physische Zustände: wach (Wachperiode, Wachzustand), starr (Starrkrampf), tot (Totgeburt, Totversand), lebend (Lebendgewicht, Lebendvieh) Psychische Zustände: blöd (Blödaffe, Blödmann), dumm (Dummdeutsch, Dummfunk), schlau (Schlaukopf, Schlaumeier), faul (Faulbär, Faultier), froh (Frohgelächter, Frohnatur), stur (Sturkopf), wirr (Wirrkopf, Wirrlage), böse (Bös-Blick, Bösewicht) Bewertungen: lieb (Liebkind), schön (Schöngeist, Schönwetter), bieder (Biedermann, Biedersinn), edel (Edelmann, Edeltanne), übel (Übellaune, Übeltat) Weitere Adjektive: bar (Bargeld, Barvermögen), echt (Echtholz, Echtsilber), eigen (Eigenheim, Eigenkapital), falsch (Falscheid, Falschgeld), fertig (Fertighaus, Fertigprodukt), ganz (Ganzphoto, Ganzleinen), halb (Halbbruder, Halbkreis), roh (Rohkost, Rohmilch), rein (Reinkultur, Reinverdienst) Nimmt man Fremdwörter hinzu, wird die Zahl semantischer Klassen noch umfangreicher. Auffällig ist, dass Bildungen mit Adjektiven, die psychische Zustände von Personen bezeichnen sowie mit Adjektiven, die Personen bewerten, sehr selten sind. In der Regel handelt es sich um lexikalisierte Bildungen oder Bildungen, die sich eng an ein Vorbild anlehnen. Bildungen dieser Art sind häufig exozentrische Komposita:

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Biedermann, Blödmann, Dummkopf, Faulpelz, Bösewicht, Schlaukopf, Schlaumeier, Wirrkopf, Frohnatur, Liebkind, Schöngeist Nicht-lexikalisierte Bildungen sind meist nach dem direkten Vorbild dieser Komposita gebildet: Sturkopf, Frohmensch, Gutmensch, Biederfrau, Biedermensch Auch Bildungen mit den genannten Adjektivklassen und Zweitgliedern, die keine Personen bezeichnen, sind selten: Dummdeutsch, Dummfunk, Faulbär, Faultier, Bös-Blick, Übellaune, Übeltat, Wirrlage, Wirrsinn, Frohbotschaft, Frohgelächter, Frohsinn, Schöngesang, Schönliteratur, Schönschrift, Schönwetter, Biedersinn Bildungen wie die Folgenden wirken stark auffällig: *Klugstudent, *Feigsoldat, *Schönlehrerin, *Dummprofessor Fanselow (1981, S. 48 f.) betrachtet Bildungen aus Adjektiven, die Charaktereigenschaften und Nomen, die die Träger solcher Eigenschaften bezeichnen, als 'ungrammatisch'. Eine solche Beschreibung ist jedoch in zweifacher Hinsicht höchst problematisch. Zum einen müsste man die erwähnten Bildungen mit guten Gründen als Abweichungen von grammatischen Regeln betrachten können, was zumindest bei den Lexikalisierungen nicht zutrifft. Und zum anderen hat die Klassifizierung als ungrammatisch nur einen Sinn, wenn man universalgrammatische Gründe für die Beschränkungen annehmen dürfte. Diese Gründe könnten nur mit Wortstrukturen zusammenhängen, denn die problematischen Adjektive kommen ja ohne jedes Problem in attributiven Konstruktionen vor. Die beobachtbaren Beschränkungen sind vermutlich nicht auf genau bestimmbare semantische Klassen von Adjektiven zurückzufuhren. Sie haben eher den Charakter von Gebrauchspräferenzen. Das gilt auch für Beschränkungen, die auf die Lautstruktur zurückzuführen sind. Genauere Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass die große Mehrzahl aller nativen Adjektive einsilbige Stämme haben. Mehrsilbig sind nur Stämme auf: -er: bieder, hinter, mager, ober, vorder, sauber, sauer -el: edel, einzel, doppelt, dunkel, mittel, übel -en: eigen, trocken Belegt sind ferner einige Bildungen mit Suffixen, die alle fachsprachliche Termini sind: Einfachfahrschein, Dreifachsteckdose, Mehrfachbarriere, Vielfachpirouette; Endlospapier, Endlosdebatte, Endlosvideo;

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Billigware, Billigenergie; Flüssiggas; Fertighaus, Fertiggericht Lebendgewicht Es gibt nur wenige Bildungen mit Präfixen. Diese gehören z.T. zu Partizipien 2:

Gebrauchtwagen, Gemischtwaren, Besetzt-Zeichen, Geheimagent, Gesundbrunnen, Gesamtschule Außer gesund kommen diese Adjektive in mehreren Bildungen vor. Alle diese Adjektive tragen den Hauptakzent auf der letzten Silbe des Stamms. Auch die meisten Fremdwörter sind auf der letzten Silbe des Stammes betont: Adverbialphrase, Alternativangebot, Brachialgewalt, Direktkontakt, Immunschwäche, Intimbereich, Mobiltelefon Eine Ausnahme bildet Indefinitpronomen. Adjektivische Fremdwörter, die mit den Suffixen -abel,- ant, -ent, -esk, -ibel, -os, -ös enden, sind nicht belegt. Dieser Tatbestand macht die Annahme wahrscheinlich, dass A + NKomposita bevorzugt einem prosodischen Muster: endbetonter Adjektivstamm - schwachbetonte Silbe eines Nomens folgen. Vgl. Erben (1993, S. 42). Ausnahmen sind nur die Adjektive, die mit -er, -el, -en enden sowie einige fachsprachliche Bildungen mit Adjektivsuffixen. Die drei Endungen haben ein Schwa gemeinsam, das ihren Silbenstatus beeinflusst. Sie bilden so schwache Silben, dass das prosodische Muster nicht verletzt wird. Die Bildungen mit nativen Derivationssuffixen verletzen dagegen das Muster. Ausgehend von einem solchen prosodischen Muster können Bildungen wie die folgenden als Kürzungen des Stamms analysiert werden, die die Anwendung des Musters ermöglichen: Farbiggrafik => Farbgrafik Künstlichhonig => Kunsthonig Besonderproblem => Sonderproblem Die reduzierten Adjektive werden auf diese Weise zu gebundenen lexikalischen Eintragungen, die nur als Erstglied eines A + N-Kompositums auftreten können. Man kann somit davon ausgehen, dass die Kombination von Adjektiven und Nomen in A + N-Komposita semantisch nur durch die lexikalisch festgelegten Selektionsbeschränkungen für Adjektive und Nomen eingeschränkt ist. Alle weiteren Beschränkungen sind auf den Gebrauch des Wortbildungsmusters und auf prosodische Präferenzen zurückzufuhren. Verhältnisse dieser Art

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lassen sich nicht im Rahmen der üblichen Grammatik- und Semantik-theorien erklären, die nur solche Regularitäten erfassen, die als strikte Begrenzung der Kombination sprachlicher Einheiten aufgrund bestimmter Eigenschaften beschrieben werden können, die als grammatische Kategorien gelten. Eine Erklärung der Gebrauchsbeschränkungen verlangt eine andere, zusätzliche Betrachtungsebene. Wir gehen davon aus, dass Wortbildungsmuster Verallgemeinerungen von lexikalisierten Bildungen und Textwörtern sind. Falls sie aktiv sind, werden auch neue Wörter auf der Grundlage des Musters geschaffen. Jede Neubildung ist ein mehr oder weniger kreativer Prozess, der nur bedingt den Vorbildern folgt, d.h., er ist analogischer Natur. Angewendet auf A + N-Komposita bedeutet das: Eine Neubildung ist umso unauffälliger, je mehr Bildungen mit dem gleichen Adjektiv schon zum Lexikon gehören oder je leichter das Adjektiv in eine semantische Subklasse einzuordnen ist, der mehrere Erstglieder lexikalisierter A + N-Komposita zuzuordnen sind. Weitere Beschränkungen ergeben sich aus einem prosodischen Muster, das zum morphologischen Teil des Wortbildungsmusters gehört. Alle Beschränkungen können gebrochen werden. Das geschieht besonders häufig in Fachsprachen sowie in der Sprache der Werbung. Sobald eine zunächst abweichende Bildung akzeptiert wird, verliert sie ihre Auffälligkeit und wirkt als Vorbild für neue Bildungen. Geschieht das sehr häufig, werden bestehende Muster und Präferenzen geschwächt. Nicht alle Bildungen, deren Erstglied formal ein Adjektiv ist, sind semantisch als Adjektiv zu analysieren. So ist das Erstglied der folgenden Bildungen als lexikalisiertes Adjektivnomen zu betrachten: Schwerkraft 'Kraft der Schwere' Fernrohr 'Rohr, mit dem man in die Feme sieht' In vielen Komposita mit einem Fremdwort als Erstglied sind zwar Paraphrasen aus attributivem Adjektiv und Nomen möglich, die Adjektive selbst sind aber denominal. Auf diesem Hintergrund sind auch Paraphrasen möglich, die das Erstglied als Nomen wiedergeben: Kolonialgeschichte 'koloniale Geschichte', 'Geschichte der Kolonien' Sozialutopie 'soziale Utopie', 'Utopie über das Soziale' Sozialausschuss 'Ausschuss für soziale Fragen'

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In mehreren Fällen ersetzt das Adjektiv ein A + N-Kompositum oder eine Kombination lexikalischer Einheiten, d.h. es ist von einer Kürzung auszugehen: Barvermögen : Bargeld Akutbett: Akutfall Buntwachmittel: Buntwäsche Normaluhr: Normalzeit Gesamtanalyse: Gesamtmaterial Mehrkampf: mehrere Disziplinen Langlauf: lange Strecken Schwertransport: schwere Lasten Ganzfoto : ganzes Objekt Totgeburt: totes Kind Totversand: tote Tiere Lebendgewicht: lebendes Schlachtier Falls das Erstglied formal sowohl ein Adjektivstamm als auch ein Verbstamm sein kann, entscheidet die semantische Interpretation. So sind die folgenden Bildungen auf Verbstämme zurückzuführen: Bleichwäsche, Bleichwiese, Faulschlamm, Trockenkammer In zahlreichen Fällen geht das Adjektiv auf Kombinationen aus adjunktivem Adjektiv und Verb zurück. Es handelt sich also um Derivationen: Blindflug, Lautsprecher, Klugscheißer Hier sind z.T. Doppelanalysen als Kompositum oder Zusammenbildung möglich: Schönredner 'Redner, der schön redet', 'Person, die schön redet' Wir unterscheiden drei generelle Möglichkeiten, das adjektivische Erstglied auf das nominale Zweitglied zu beziehen, d.h. drei semantische Muster für A + N-Komposita: (1) [A & N] (r) 'Referenten, die die Eigenschaften A und N haben' Die semantische Repräsentation eines Adjektivs wird mit dem Prädikatkomplex des Nomens koordinativ verknüpft. Paraphrasen sind Konstruktionen aus attributivem Adjektiv und Nomen, in denen die Beziehimg zwischen Adjektiv und Nomen nicht adjunktiv zu interpretieren ist:

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Kapitel 4

Buntpapier, Flachdach, Altlasten, Nobelhotel, Schwachpunkt, Akutanfall, Biedersinn, Billigarznei, Bitterlikör, Blaubeere, Dualsystem, Bleichgesicht, Blindmaus, Breitreifen, Buntglas, Dickmilch, Direktkontakt, Dunkelkammer, Dreifachsteckdose, Dünnbier, Edeltrabbi, Eigenblut, Einfachlösung, Elementarerlebnis, Endlosmonolog (2) [N & CAUS (N, WERD (LEBEWESEN, A))] (r) 'Referenten, die N sind und bewirken, dass Lebenwesen die Eigenschaft A annehmen' In diesem Fall wird das Adjektiv nicht auf das Nomen bezogen, sondern auf implizit vorauszusetzende Lebewesen. In den meisten Fällen handelt es sich um Personen. Der so zustande kommende Zustand ist das Ergebnis eines Prozesses, der durch einen Gegenstand verursacht wird, den das als Zweitglied auftretende Nomen bezeichnet: Bleichsucht, Gelbfieber, Gesundbrunnen, Schlankmahlzeit, Starrkrampf

Gesundfutter,

Magersucht,

(3) [N & A (VERB (N))] (r) 'Referenten sind N, die auf A-weise handeln, ablaufen, gelegen sind' Die Adjektive, auch nur-adjunktive, modifizieren ein implizites verbales Prädikat: Schnellimbiss 'Institution, in der man schnell isst' Abwärtstrend 'Entwicklung, die abwärts führt' Aktivurlaub 'Urlaub, in dem man sich aktiv verhält' Auswärtserfolg "Erfolg, der auswärts erzielt wird' Abwärtspfad, Aufwärtstendenz, Linkstrend, Linkskurve, Rechtstrend, Rückwärtsentwicklung (verläuft in eine Richtung) Rückwärtsgang, Vorwärtsgang (zum Rückwärts-, Vorwärtsfahren) Auswärtsspiel, Auswärtserfolg (findet an einem Ort statt) Soforthilfe, Sofortmaßnahme, Sofortprogramm, Sofortvisum, Jetztzeit (findet zu einem Zeitpunkt statt) Alleinbesitz, Alleinerbe (verfügen) Alleinanspruch, Alleinherrschaft, Alleinregie, Brutalszene, Aktivurlaub, Geheimagent, Geheimpolizei, Einzelgespräch, Leerflug, Leerfahrt, Leerlauf (handeln, durchfuhren) Hochebene, Tiefebene, Tiefland, Vertikalstollen, Querbau, Querriegel, Querstrebe (ist gelegen)

Nomenbildung

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Direktimport (direkt beziehen) Direktverkehr (verbindet direkt) Querflöte (wird quer gehalten) 2.4.2.3 V + N-Komposita Der verbalen Komponente in V + N-Komposita entspricht eine semantische Struktur, die als modifizierende Eigenschaft zu interpretieren ist. Die semantische Repräsentation eines Verbs kann den Kern einer solchen Struktur bilden. Das ist der Fall, wenn das nominale Zweitglied eine Argumentstelle oder eine Adjunktstelle des Verbs besetzt. Sehr frequent sind Bildungen, deren Zweitglied die Agens- oder Thema-Stelle des Verbs besetzt. Bildungen, deren Zweitglied einem indirekten Objekt entspricht (Beichtvater), sind dagegen selten: Betschwester (Agens) Ausziehtisch (Thema) Einfiillstutzen (Instrument) Badezimmer (Ort) Das Verb kann Argumentstellen eines Nomens besetzen: Anmeldepflicht (Pflicht zu V) Dreherlaubnis (.Erlaubnis zu) In den erwähnten Fällen ist die relationale Komponente der semantischen Struktur in einem der beiden Bestandteile des Kompositums enthalten. Es besteht aber auch die Möglichkeit, eine Relation zu ergänzen, deren Relate die beiden Konstituenten sind: Anlegemanöver (IDENTITÄT (ANLEG, MANÖVER)) Semantische Kategorien des Auxiliarkomplexes des Verbs können in die Interpretation einbezogen werden. In den meisten Fällen ist dieser Vorgang mit der Lexikalisierung einzelner Bildungen verbunden. Diese Möglichkeit kann aber auch zu einer systematischen Doppelinterpretation zwischen der Charakterisierung eines Zwecks und dem Resultat einer Handlung genutzt werden: Schlagsahne 'Sahne, die man schlägt' 'Sahne, die geschlagen worden ist' Für die Wahl von Verben gibt es keine erkennbaren Beschränkungen. Auch die morphologische Komponente setzt keine Beschränkungen fest. Einige Bildungen haben ein Schwa als Fugenvokal: Bindeglied, Einschreibebrief, Blasebalg, Hängebauch

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Kapitel 4

Sehr häufig sind Bildungen, die eine Ergänzung zum Verb enthalten: Betonmischmaschine, Abfallsortieranlage, Schönschreibübung Hier ist eine Doppelanalyse möglich: Abfallsortieranlage 'Anlage, die Abfall sotiert' 'Sortieranlage, die Abfall bearbeitet' Bildungen dieser Art können also entweder als V + N-Komposita mit einer Fügung als Erstglied behandelt werden (d.h. als Zusammenbildungen) oder als N + N-Komposita, deren Zweitglied ein V + N-Kompositum ist. Folgende semantischen Muster liegen V + N-Komposita zugrunde: (1) [N & V (N^ns)] (r) 'Referenten sind N, die V tun' Die Tätigkeit ist stets als habituelle Eigenschaft der Referenten zu interpretieren. Personen als Agens: Animierdame, Betschwester, Eilbote, Mogelheini, Heulsuse, Grübeltante, Zappelphilipp Als Untertyp können Bildungen betrachtet werden, in denen auch die Interpretation möglich ist 'Referenten sind N, was V betrifft': Basteltalent, Dechiffrieras, Fabulierkünstler, Verladeexperte Tiere als Agens: Brüllaffe, Brummbär, Glühwürmchen, Greifvogel, Lachmöve, Rüttelfalke, Wanderfalke, Singdrossel, Wühlmaus Besonders häufig sind Artefakte als Agens, besonders Geräte und chemische Mittel. In diesen Fällen ist aufgrund der systematischen konzeptuellen Beziehung zwischen Agens und Instrument auch eine Interpretation als Mittel möglich: Addiermaschine 'Maschine, die addiert' 'Maschine, mit der man addiert' Greifarm, Haltering, Hebekran, Heftklammer, Kühlwasser, Mahlstein, Registrierkasse, Rückhaltebecken, Spritzpistole, Weckuhr, Bohrmaschine, Fräsmaschine, Hobelmaschine, Bleichmittel, Färbemittel, Imprägniermittel, Gerbstoff, Klebstoff

Nomenbildung

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Nur als Agens zu interpretieren sind: Schwimmkran, Flatterkleid, Knackwurst, Wechselschalter (2) [N & ZWECK (V (Ny,.,»,))] (r) 'Referenten sind N, deren Zweck es ist, von einem Geschehen V betroffen zu werden' Auch in diesem Fall ist die verbale Komponente des Musters nicht als partikuläres Geschehen zu interpretieren, sondern als eine charakteristische Eigenschaft der Referenten. Die Agens-Stelle des Verbs tritt in den Hintergrund. Deshalb kann die semantische Beziehung zwischen den Konstituenten des Kompositums durch passivische oder passivähnliche Konstruktionen paraphrasiert werden: Brathähnchen 'Hähnchen, das gebraten wird' 'Hähnchen, das man brät' Der verbale Modifikator bezeichnet einen besonderen Zweck. Das semantische Muster insgesamt dient der Charakterisierung von Referenten, die die Eigenschaften des nominalen Zweitglieds erfüllen und zusätzlich dem angegebenen Zweck dienen. Brathähnchen 'Hähnchen, dessen Zweck es ist, gebraten zu werden' Neben der Interpretation als Zweck ist in fast allen Fällen auch eine Interpretation möglich, die das Verbgeschehen als abgeschlossen betrachtet. Dieser Interpretation entsprechen Paraphrasen mit adjektivischen Partizipien 2. 'gebratenes Hähnchen': Nutzwasser, Unterziehpulli, Wegwerffilter, Einbauküche, Anbauregal Dass in einigen Fällen nur eine Interpretation zutrifft, ist als eine mit der Lexikalisierung verbundene Festlegung zu analysieren. Mit den folgenden Beispielen werden z.B. Gerichte oder Nahrungsmittel bezeichnet, die das Resultat von Geschehen sind: Brathering, Bratkartoffeln, Dorrfisch, Dörrfleisch, Dörrobst, Kochkäse, Kochschinken, Räucheraal, Röstkartoffeln, Schmorgurke Zu vermerken sind Parallelbildungen mit nominalisiertem Verb: Schiebkarre, Schubkarre, Ziehbrücke, Zugbrücke (3) [N & MITTELS (N, (V (PERSON)))] (r) 'Referenten sind N, mit denen Personen V tun'

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Kapitel 4

Nach diesem Muster sind Bildungen möglich, die Geräte oder Verfahren bezeichnen, mit denen eine Tätigkeit ausgeübt wird, d.h. die Instrumentstelle von Verben wird durch das Nomen des Zweitglieds besetzt. In den zu diesem Muster zu zählenden Beispielen kann das Nomen nicht als Agens interpretiert werden. Neben der üblichen Interpretation 'wird benutzt beim VERBEN' ist eine finale Interpretation möglich 'wird benutzt um besser zu VERBEN': Badeöl, Duschgel, Einföllstutzen, Esslöffel, Gehhilfe, Hörrohr, Lesebrille, Melkschemel, Probierglas, Rasierspiegel, Schlafanzug, Schwimmflossen, Spazierstock, Surfbrett, Turnkleidung, Vorschlaghammer, Wählscheibe, Waschbrett (4) [N & LOC (N, (V (PERSON)))] (r) 'Referenten sind Orte N, an denen Personen V tun oder zu denen sie sich oder etwas bewegen' In den meisten Fällen ist auch eine finale Interpretation möglich: Fernsehzimmer 'Zimmer, in dem man fernsieht' 'Zimmer, das zum Fernsehen benutzt wird' Bildungen mit lokaler Interpretation: Badezimmer, Bügelzimmer, Fernsehzimmer, Schlafzimmer, Frisierkommode, Treibhaus, Wickeltisch, Gedenkstätte, Lesehalle, Haltebucht, Wohngebiet, Wohnhaus, Abstellkammer Bildungen mit direktionaler Interpretation: Lieferadresse, Ladefläche, Abbiegespur, Fliehburg, Kletterbaum, fläche, Schraubrichtung, Wanderziel

Stell-

(5) [N & TEMP (N, (V (PERSON)))] (r) 'Referenten sind Zeitpunkte N, zu denen Personen V tun' Neben Bildungen, die allgemeine Zeitpunkte bezeichnen, gibt es zahlreiche Bildungen mit Zweitgliedern, die Kalendereinheiten (Jahr, Monat, Woche, Tag) oder Einheiten der Uhrzeit (Stunde, Minute, Sekunde) bezeichnen: Abholtermin, Bedenkzeit, Fahrzeit, Lieferfrist, Verschnaufpause, tag, Schließtag, Wandertag, Waschtag

Dresch-

(6) [N & CAUS (V (AGENS), N)] (r) 'Referenten sind Folgen N, die durch V verursacht sind' Auffahrunfall, Bremsspur, Schleifspur, Schürfwunde

Kratzwunde,

Knutschflecke,

Lachfaltchen,

Nomenbildung

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(7) [N & GEMÄSS (N, V (AGENS))] (r) 'Referenten sind Schemata, Verfahren N, nach denen V vollzogen wird'

Abzockmethode, Lehrmethode, Denkweise, Erzählstil, Knüpftechnik, Sprechweise

Heilverfahren,

(8) [N & IDENT (N, V (AGENS))] (r) 'Referenten sind Geschehen N, die mit einem durch V bezeichneten Geschehen identisch sind'

Das Zweitglied bezeichnet einen Typ von Geschehen, das Erstglied ein Geschehen, das diesen Typ spezifiert: Abholzarbeiten, Absetzbewegung, Anlegemanöver, Betonierarbeiten, Bremsvorgang, Drehbewegung, Lehrtätigkeit, Löschübung, Stellprobe, Tauchversuch, Verladearbeiten (9) [N (V (AGENS))] (r) 'Das Erstglied V besetzt eine Argumentstelle des Zweitglieds N'

Anmeldepflicht, Ausgehverbot, Backverbot, Dosieranleitung, Dreherlaubnis, Experimentierverbot, Schürfrechte, Waschanleitung 2.4.2.4 N + N-Komposita Nominalkomposita, deren Erstglied ein Nomen ist, setzen semantische Muster voraus, die die semantische Repräsentation dieses Nomens in eine PrädikatArgument-Struktur einordnen, die die semantische Repräsentation des Zweitglieds modifiziert. Drei Möglichkeiten sind zu unterscheiden: 1) Wortinterne Besetzung einer Argumentstelle: Eines der Glieder eines Kompositums besetzt eine Argumentstelle der semantischen Repräsentation des anderen Glieds. Glieder eines Kompositums liefern selbst die Grundlage für die Interpretation des Kompositums. 2) Semantische Muster: Es müssen zusätzlich zu den semantischen Repräsentationen der beiden Glieder des Kompositums Prädikat-Argumentstrukturen einbezogen werden. Solche semantischen Strukturen behandeln wir als semantische Muster für Komposita, d.h. als für Gruppen von Kompo-sita gültige Interpretationsschemata. 3) Kontextkomposita: Es gibt Komposita, die eine nicht-generalisierbare Interpretation verlangen. Solche Bildungen setzen in hohem Maße die Heranziehung von Weltwissen und die Auswertung der Informationen voraus, die der jeweilige Kontext enthält. Als Beispiel führen wir Bildungen an wie: Lass bitte diesen Kindchen-Ton!

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Kapitel 4

Geäußert in einem Kontext, in dem der Hörer Äußerungen verwendet hat, die die Anredeform Kindchen enthalten. Die Interpretation des Kompositums Kindchen-Ton setzt voraus, dass das Erstglied nicht als einfache Lexikoneinheit verstanden wird, sondern als Indikator für eine typische prosodische Struktur von Äußerungen, die auch die LE Kindchen - mit ihrer verniedlichenden Einstellung - enthalten. Als Interpretation der Bildung kann angenommen werden: 'Ton(fall) und Einstellung, der bzw. die mit Äußerungen verbunden ist, die die Anredeform Kindchen enthalten, die ihrerseits eine Verniedlichung ausdrückt, die als soziale Herabsetzung gedeutet werden kann.' Die Bundesrepublik wird mehr und mehr zu einer Taschengeldgesellschaft. Geäußert in einem Kontext, in dem von hohen Steuern, Abgaben und Ausgaben für das tägliche Leben die Rede ist. Die Interpretation dieses Kompositums kann paraphrasiert werden durch 'Gesellschaft, in der nach Abzug aller festen Ausgaben nur noch ein Taschengeld vom Verdienst übrig bleibt'. Die A-Klasse hat den Elchtest nicht bestanden. 'Ein Test, in dem festgestellt wird, wie sich ein Fahrzeug unter Bedingungen verhält, die mit dem plötzlichen Auftauchen eines Elchs auf der Fahrbahn vergleichbar sind.' Die Beispiele verdeutlichen, dass jeweils eine stark kontextabhängige, auf den Einzelfall zugeschnittene Interpretation notwendig ist. Für solche Bildungen schlagen Clark/Hecht (1982) den Terminus Contextual vor. 1. Wortinterne Besetzung einer Argumentstelle Argument + Prädikat: Die semantische Repräsentation des Zweitglieds enthält das Prädikat, das Erstglied besetzt eine Argumentstelle dieses Prädikats: Papstreise 'Reise, die der Papst unternimmt' REIS (PAPSTagens) Stellenvermittlung 'Institution, die Stellen vermittelt' VERMITTEL (INSTITUTIONagens, S T E L L E N ^ Opernfan 'Fan von Opern' FAN VON (OPER)

Nomenbildung

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(a) Das Erstglied besetzt die Agens-Stelle: Kanzlerbesuch, Kanzlerrede, Polizeiaktion, Reiterattacke, Volksaufstand (b) Das Erstglied besetzt die Thema-Stelle: Amtsanmaßung, Glücksbringer, Unternehmensberatung (c) Das Zweitglied ist ein relationales Nomen, hat also eine freie Argumentsteile: Eigenschaftsbezeichnungen haben eine Argumentstelle für den Eigenschaftsträger: Blattgrün, Hebelkraft, Kindertrotz, Staatsautorität, Starallüren, Vaterstolz, Volkswitz, Weinsäure, Gesichtsform, Haarfarbe, Hauttemperatur, Holzmenge, Körpergröße, Kragenweite, Straßenbreite, Tonhöhe, Tonqualität, Ideenreichtum Verwandtschaftsbezeichnungen haben eine Argumentstelle für eine Person, mit der das Verwandtschaftsverhältnis besteht: Bäckersfrau, Brautvater, Bürgermeisterwitwe, Löwenmutter, Nachbarssohn, Nietzscheschwester, Pfarrerstochter, Präsidentengattin, Rockerbraut, Stalin-Tochter, Sinatra-Ehefrau Andere relationale Nomen: Arbeitslohn, Asylbewerber, Brechtfreund, Brotsorte, Eintrittsgeld, Gebäudetyp, Genussmittelsteuer, Geschwisterliebe, Gysi-Fan, Herrenbekanntschaft, Hundefeind, Hunderasse, IC-Zuschlag, Kohl-Interview, Kundengespräch, Ladenmiete, Länderabkommen, Parlamentsmitglied, Schmerzenzgeld, Sonntagszulage, Stoffart, Taxigebühr, Tiergattung, Völkerfreundschaft Möglich sind auch Komposita zu Nomen mit zweistelligen Relationen. In diesen Fällen besteht das Erstglied aus zwei Nomen, die nur zusammen, d.h. vermittelt durch die Relation, auf das Zweitglied bezogen werden können: Vater-Sohn-Konflikt = 'Konflikt zwischen Vater und Sohn' Oder-Spree-Kanal, Preis-Leistungs- Verhältnis, Zuschauer-SchauspielerBarriere Prädikat + Argument: Die semantische Repräsentation des Erstglieds kann ein Prädikat enthalten, dessen Argumentstelle das Zweitglied besetzt:

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Kapitel 4

Bindeglied 'Glied, das etwas bindet' BIND (GLIEDagens, THEMA) Förderungsobjekt 'Objekt, das gefördert wird' FÖRDER (AGENS, OBJEKTthema) Bildungen, in denen die Agensstelle besetzt wird, überwiegen. Bildungen mit nomina agentis als Erstglied (Beobachtergruppe, Teilnehmerstaat) setzen implizite Prädikate voraus. 'Gruppe, die aus Beobachtern besteht', 'Staat, der Teilnehmer ist'. Abstiegskandidat, Antragskommission, Auswanderungskandidat, Beobachtergruppe, Begleitausstellung, Beratungsservice, Besatzungsmacht, Entscheidungsgremium, Entwicklungsland, Ermittlungsbeamter, Fluggesellschaft, Flugpassagier, Führungskreis, Führungsteam, Gebernation, Hilfskraft, Hilfsschöffe, Informationsservice, Planungskomitee, Regierungspartei, Schutzmacht, Schutztruppe, Spionagering, Teilnehmerstaat, Verwaltungsorgan 2. Semantische Muster Die Interpretation von Komposita wie Bienenhonig, Holzschuppen, Fahrradweg setzt erschließbare Prädikat-Argumentstrukturen voraus, in die die semantischen Repräsentationen der Glieder dieser Bildungen einzubetten sind. Zwei Möglichkeiten sind in Betracht zu ziehen: Man nimmt eine begrenzte Menge von semantischen Mustern für Komposita an, die zur Sprachkenntnis gehören oder man nimmt an, dass eine geeignete Prädikat-Argument-Struktur von Fall zu Fall zu ermitteln ist. Fanselow (1981) schlug vor, die Anzahl konstanter Prädikate (Muster in unserem Sinne) sehr klein zu halten. Typisch sei die Ermittlung des Prädikats auf der Grundlage von 'Stereotypwissen' über die Konstituenten eines N + N-Kompositums oder aus Kontextinformationen. Diese Analyse bewirkt, dass die Interpretation und Neubildung von Komposita des Typs N + N aus dem engeren Bereich der semantischen Analyse ausscheidet. Es handelt sich ja in den meisten Fällen um Analyseprozesse, die auf individuelle, mit Weltwissen verbundene Eigenschaften der Bestandteile eines Kompositums zurückgreifen müssen. In die semantische Repräsentation der Wortbildung Honigbiene gehört nach dieser Analyse nur 'Biene, die in irgendeiner Relation zu Honig steht'. Welche Relation geeignet ist, ergibt sich aus Verfahren, die auch das sprachlich nicht determinierte konzeptuelle Wissen einschließen. Die Deutsche Wortbildung der Innsbrucker Gruppe sowie die Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache von Flei-

Nomenbildung

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scher und Barz gehen dagegen von einer umfangreichen Menge konstanter Prädikate aus und betrachten Bildungen mit ad-hoc-Interpretation als den markierten Fall. Wir schlagen eine Analyse vor, die beide Wege vereint. Wir nehmen ein sehr allgemeines elementares Prädikat TUN ( x 1 ^ ^ , x 2 thema ) an sowie eine Reihe von spezielleren elementaren Prädikaten, die z.T. in der semantischen Repräsentation der Konstituenten angelegt sind. Das Prädikat TUN (x' agens , x2thema) steht für speziellere Verbbedeutungen, die von Fall zu Fall zu ergänzen sind. Meist ergeben sie sich aus der Bedeutung der Konstituenten, in die das einschlägige Weltwissen einzuschließen ist, oder aus dem sprachlichen Kontext. Vgl.: Riesengeschenk 'Geschenk, das wie ein Riese ist' WIE (RIESE, GESCHENK) Bierlaune 'Laune, die dadurch, dass jemand Bier trinkt, verursacht ist' CAUS (LAUNE, TUN (AGENS, BIER)) Hauptargumente für diese Entscheidung sind: - Diese Analyse erlaubt es, differenzierte Generalisierungen über gleichartige Wörter des Lexikons und mögliche Neubildungen vorzunehmen, d.h. Muster zu beschreiben. Die Annahme von ad-hoc-Interpretationen bleibt dagegen sehr unbestimmt, verlagert die detaillierte Interpretation in die Pragmatik. - Die musterbegründenden Prädikate sind auch notwendig, um denominale Adjektive und andere Arten von Attributen zu beschreiben, sie werden also auch unabhängig von der Beschreibung von N + N-Komposita benötigt. Folgende semantischen Muster können angenommen werden: (l)[N&N'](r) 'Referenten haben Eigenschaften von N und N" SEMANTISCHE ANALYSE:

Wenn beide N Konzepte bezeichnen, die nur durch eine gemeinsame Einordnungsinstanz verbunden werden können, vgl. Lang (1971), behandeln wir die Bildungen als Koordinativkomposita. Determinativkomposita liegen dagegen vor, wenn das Zweitglied ein Hyperonym zum Erstglied ist. Wir rechnen die folgenden Fälle zu dem oben angegebenen Muster: Das Erstglied bezeichnet eine Subklasse, die die vom Zweitglied bezeichnete Oberklasse spezifiziert:

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Kapitel 4

Ackerland, Arbeitsprozess, Bauersmann, Christenmensch, Enkelkind, Erziehungsprozess, Gewürzpflanze, Haifisch, Katzenvieh, Krisenerscheinung, Mordtat, Palmbaum, Rheumaerkrankung, Schlagermusik, Schockzustand, Zerfallsprozess Das Zweitglied ist ein Kollektivbegriff, das Erstglied bezeichnet die Einheiten, die das Kollektiv bilden: Bauernfamilie, Blütenmeer, Fahnenmeer, Gelehrtenverein, Kartoffelhaufen, Lügengewebe, Myrtensträußchen, Richtergremium In anderen Fällen bezeichnet das Erstglied eine Funktion: Amateurbiologe, Berufssoldat, Chefarzt, Hobbygärtner, Profisportler Hierher gehören auch Bildungen, in denen das Erstglied eine Tiergattung und das Zweitglied männliche oder weibliche Exemplare der Gattung bezeichnet. In diesen Fällen kann, ganz gegen die Regeln für Determinativkomposita, das Zweitglied als Modifikator des Erstglieds aufgefasst werden: Affenmännchen, Affenweibchen, Elefantenkuh, Elefantenbulle, Eselstute, Eselhengst (2) [N & WIE (N, N')] (r) 'Referenten sind N und haben charakteristische Eigenschaften von N" Zitronenfalter 'Falter, der charakteristische Eigenschaften von Zitronen hat (= Farbe)' SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Erstglied bezeichnet Konzepte für Formen, Substanzen, Farben oder Konzepte mit typischen Eigenschaften verschiedenster Art: Eierkopf Erdbeermund, Eulenschmetterling, Feuerlilie, Goldfisch, Gummimännchen, Gummiparagraph, Hakennase, Katzenhai, Kegelberg, Luftschlangensätze (Spengler, Lenins Hirn), Mandelaugen, Marmorpapier, Maulwurfsgrille, Milchglas, Pflaumenlippen (Frisch, Gantenbein), Riesenkerl, Schlüsselblume, Schnabelflöte, Seifenoper, Spiralnebel, Zylinderhut SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Präpositionalphrasen: Kopf wie ein Ei Augen wie Mandeln

Nomenbildung

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Denominale Adjektive: eierförmiger Kopf erdbeerfarbener Mund gummiartiges Männchen mandelförmige Augen riesiger Kerl spiraliger Nebel (3)(a) [N & TUN (N^en„ N'thema)] (r) 'Referenten sind N, die etwas tun, wovon N' betroffen ist' Glashütte 'Hütte, die Glas herstellt' SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Zweitglied bezeichnet Personen, Institutionen oder Tiere, die Agens einer Tätigkeit sind, die sich auf vom Erstglied bezeichnete betroffene Gegenstände richtet. N ist Agens, N' Thema einer impliziten Relation, die ad hoc zu präzisieren ist. Es lassen sich jedoch Untertypen nach ähnlichen Prädikaten unterscheiden. Hier offenbart sich der analogische Charakter von Wortbildungen. Häufig sind Bildungen mit der Interpretation 'das betroffene Objekt wird durch die Aktivität erzeugt': Elektrizitätswerk, Glashütte, Jazzkomponist, Opernkomponist, Papierfabrik, Saucenkoch, Schiffswerft, Schnapsbrennerei, Sektkellerei, Honigbiene, Milchkuh, Seidenraupe Bezeichnet das Zweitglied ein Gerät, ist auch die Interpretation möglich 'ein Agens erzeugt N' mittels N': Kaffeeautomat, Nudelmaschine, Lichtmaschine In anderen Beispielen wird N' nur durch eine Aktivität von N betroffen. Das gemeinte Prädikat muss erschlossen werden. N bezeichnet eine Person. Nomina agentis enthalten ein Prädikat, das das elementare Prädikat TUN spezifiziert: Angstforscher, Balljunge, Bestattungsunternehmer, Blumenfrau, Chemielabor, Chinafachmann, Kinderarzt, Kindermädchen, Herrenfriseur, Krankenschwester, Moralapostel, Opernfan, Raubtierdompteur, Sektenbeauftragter, Zahnarzt Das Zweitglied bezeichnet Textsorten oder Aufzeichnungen von Geschehen oder Zuständen, das Erstglied bezeichnet das, was aufgezeichnet wird. Als Pa-

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Kapitel 4

raphrasen bieten sich an 'N behandelt N", 'N befasst sich mit N " , 'N zeigt N'an': Arztroman, Blondinenwitz, Blumenbild, Brechtbiographie, Fieberkurve, Friedensgerede, Gangsterfilm, Gesprächsprotokoll, Heldensage, Inventarliste, Künsterporträt, Programmheft, Speisekarte, Steuertabelle, Unfallsmeldung, Unglücksbotschaft, Wetterbericht Als Untertyp kann gelten 'N symbolisiert N": Ehering, Friedenspalme, Friedenspfeife, Kriegsbeil, Siegessäule Das Erstglied gibt an, was das Zweitglied erhält Eine differenziertere Analyse könnte in diesem Fall auch ein elementares Prädikat mit einer BenefikatorStelle voraussetzen: Fürsorgepatient, Goldmädchen, Lohnarbeiter, Lohndiener, Preisbulle, Zuschussbetrieb Ein weiterer Untertyp ist mit der Interpretation verbunden: 'N ernährt sich von' bzw. 'N isst gern N": Mäusebussard, Ameisenbär, Austernfischer, Fischadler, Fischotter, Holzwurm, Mehlmilbe; Knoblauchtürke, Puddingtante, Schnapsdrossel, Suppentante (3)(b) [N & TUN (N'jge,,,, Na,,™)] (r) 'Referenten sind N, die durch eine Aktivität von N' betroffen sind' SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Erstglied bezeichnet das Agens einer Aktivität, die das Zweitglied zum betroffenen Aktanten hat. Auch dieses Muster kann in Submuster aufgeteilt werden. Das Zweitglied bezeichnet Gegenstände, die der vom Erstglied bezeichnete Aktant erzeugt: BASF-Mief, Bienenhonig, Blumenduft, Boss-Hemden, Davidoff-Zigarren, Enteneier, Fabrikgestank, Fabrikware, Fingerabdruck, Heinegedicht, Hirngespinst, Konditortorte, Kuhmilch, Meisterwerk, Mondschein, Motorenlärm, Reclamheft, Schneckenspur, Schneiderkostüm, Sonnenlicht, Sumpfgas, Töpferware, Winzersekt, Zigarrenrauch, Zigeunermusik Das Zweitglied bezeichnet Gegenstände, die vom Erstglied bezeichnete Personen erhalten:

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Arbeiterlohn, Arbeitnehmerzulage, Arzthonorar, Doktorandenstipendium, Ministergehalt, Richterpension, Schauspielergage, Waisenrente, Witwenrente Das Erstglied kann ein Eigenname sein, der Personen bezeichnet, die den vom Zweitglied benannten Gegenstand erfunden, entdeckt oder entworfen haben oder denen er gewidmet ist: Büchnerpreis, Bunsenbrenner, Dieselmotor, Goethegymnasium, HeineUniversität, Humboldt-Inseln, Kneippkur, Lagerfeldkostüm, Litfasssäule, Morsealphabeth, Mozartsaal, Röntgenstrahlen, Schillerplakette, Semperoper (4)(a) [N & MUSTER VON (N', N)] (r) 'Referenten sind N, die das Muster N' befolgen' Regelanfrage 'Anfrage, die einer Regel folgt' SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Erstglied bezeichnet ein Muster, einen Plan, eine Vorschrift oder ein Schema, nach dem sich das Zweitglied richtet. Das Zweitglied bezeichnet abstrakte Gegenstände: Befehlshandlung, Fahrplanfolge, Planschritt, Programmfolge, Regelanfrage (4)(b) [N & MUSTER VON (N, N')] (r) 'Referenten sind Muster N, die N' befolgt' SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Zweitglied bezeichnet ein Muster oder Regeln, nach dem oder denen sich das Erstglied richtet: Autobusfahrplan, Kleiderordnung, Klosterregel, Konzertprogramm, Eigentumsrecht, Dienstvorschrift, Orthographieregel, Qualitätsrichtlinie SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Präpositionalphrasen mit der Präposition gemäß, nach: Handlung gemäß Befehl, nach Befehl Folge gemäß Fahrplan Anfrage nach geltender Regel

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Kapitel 4

Denominale Adjektive bzw. Adjektivkomposita mit gemäß als Zweitglied: befehlsmäßige Handlung fahrplanmäßige Folge regelgemäße Anfrage (5)(a) [N & BEREICH VON (N, N')] (r) 'Die Referenten sind Bereiche N, denen N' angehört' Knabenchor: 'Chor, dem Knaben angehören' SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Zweitglied N bezeichnet eine soziale Institution, der das Erstglied N' angehört: Mieterverein, Männergesangverein, Baptistenkirche, Hindusekte, nehmerverband, Textilarbeitergewerkschaft

Unter-

SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Genitivattribute: Verein der Mieter Verband der Unternehmer Gewerkschaft der Textilarbeiter (5)(b) [N & BEREICH VON (N\ N)] (r) 'Referenten sind N im Bereich N" Medienzar 'Zar im Bereich der Medien' SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Erstglied gibt einen sozialen Bereich an, dem das Zweitglied zugeordnet ist: Karatemeister, Literaturpapst, Mediengigant, Sparringspartner, Tennisas, Zeitungsbaron

Modezar,

Musikgenie,

Das Erstglied bezeichnet eine Institution, der eine vom Zweitglied bezeichnete Person angehört: Bundeswehrsoldat, Chorsänger, Haremsdame, Kirchenmann, Klostetfrau, Kripobeamter, Orchestermusiker, Parteimitglied, Staatsbürger, Fakultätsangehöriger, Vereinsbruder

Nomenbildung

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SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Genitivattribute: Nicht in allen Fällen sind Genitivattribute möglich. Notwendig ist eine deutliche Bereichsbezeichnung. Königin des Balls Papst der Literatur(kritik) Meister des Karate(sports) Soldat der Bundeswehr Beamter der Kripo Angehöriger der Fakultät Präpositionalphrasen mit den Präpositionen in + Dativ sowie bei + Dativ: Genie in der Musik Kaiser im Fußball As im Tennis Soldat bei der Bundeswehr Beamter bei der Kripo (6) [N & BESCHRÄNKUNG VON (N\ N)] (r) 'Referenten sind N was N' betrifft'

Charakterstärke 'Stärke, was den Charakter betrifft' SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Zweitglied bezeichnet Eigenschaftsnomen, das Erstglied schränkt den Gültigkeitsrahmen der Eigenschaft ein. Denkbar ist auch eine Analyse, die das Erstglied als Besetzung einer Argumentstelle des Zweitgliedes erklärt: Altersunterschied, Bedeutungsähnlichkeit, Bildervielfalt, Blutarmut, Chancengleichheit, Charakterstärke, Eisenmangel, Gedankenreichtum, Gedankenarmut, Geistesgestörtheit, Herzensgüte, Ideenßille, Ideenmangel, Klassenunterschied, Leibesfülle, Leistungsverschiedenheit, Stimmenmehrheit, Verstandesschärfe Das Zweitglied bezeichnet Personen, die durch Eigenschaften charakterisiert sind. Das Erstglied benennt den Gültigkeitsrahmen der Eigenschaft: Bücherenthusiast, Büchernarr, Geistesriese, Leidensgenosse, Wäschefetischist, Wortathlet

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Kapitel 4

SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Genitivattribute: Unterschied des Alters Stärke des Charakters Schärfe des Verstandes Vielfalt der Bilder Präpositionalphrasen: Präpositionalphrasen können in einigen Fällen als zusätzliche Argumentstellen von Adjektiven analysiert werden, die die Nominalisierung erbt: Unterschied im Alter Mangel an Eisen Fülle an Ideen Armut an Gedanken Denominale Adjektive: altersmäßiger Unterschied höhenmäßiger Unterschied charaktermäßige Stärke bildermäßige Vielfalt bedeutungsmäßige Ähnlichkeit (7)(a) [N & BESTANDTEIL VON (N, N')] (r) 'Referenten sind N, die Bestandteil von N' sind' Telefontaste 'Taste, die Bestandteil von Telefonen ist' SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Zweitglied bezeichnet einen nichtinhärenten, charakteristischen Bestandteil des Gegenstandes, den das Erstglied bezeichnet. Das Erstglied kann auch als Ort interpretiert werden, an dem sich der vom Zweitglied bezeichnete Gegenstand befindet: Hosenknopf Gartenbeet, Hosenschlitz, Jackentasche, Rocktasche (7)(b) [N & BESTANDTEIL VON (N\ N)] (r) 'Referenten sind N, die N' als Bestandteil haben' Tastentelefon 'Telefon, das mit Tasten versehen ist, das Tasten als Bestandteil hat'

Nomenbildung

401

SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Erstglied bezeichnet einen nichtinhärenten, charakteristischen Bestandteil des Gegenstandes, den das Zweitglied bezeichnet. Das Zweitglied kann auch als Ort interpretiert werden, an dem sich der vom Erstglied bezeichnete Gegenstand befindet: Butterbrot, Diamantring, Fransenkissen, Honigkuchen, Latzhose, Mustertapete, Pfefferwurst, Rosinenkuchen, Salzgebäck, Schleierkleid, Stacheldraht, Steinacker, Steinstrand, Tastentelefon SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Präpositionalphrasen: Brot mit Butter Kuchen mit Rosinen Telefon mit Tasten Denominale Adjektive: diamantener Ring gefranstes Kissen gemusterte Tapete gepfefferte Wurst (8)(a) [N & TEIL VON (N, N')] (r) 'Referenten sind N, die inhärenter Teil von N' sind' Kirchturm 'Turm, der Teil einer Kirche ist' SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Erstglied bezeichnet das Ganze, von dem der vom Zweitglied bezeichnete Gegenstand ein Teil ist: Armknochen, Besenstiel, Bettgestell, Bohnenkraut, Feigenblatt, Fingerspitze, Frauenhaar, Kirchturm, Klostergarten, Reiskorn, Tischbein, Waldrand, Zeitungsspalte SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Genitivattribut: Stiel des Besens Gestell des Betts Turm der Kirche Rand des Waldes

402

Kapitel 4

(8)(b) [N & TEIL VON (N\ N)] (r) 'Referenten sind N, die N' als inhärenten Teil haben' Beuteltier 'Tier, das einen Beutel als Teil hat' SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Erstglied bezeichnet einen inhärenten Teil der Gegenstände, die durch das Zweitglied bezeichnet werden: Bartaffe, Beuteltier, Hängebauchschein, Nadelbaum, Obstbaum, Schildkröte, Warzenschwein SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Präpositionalphrasen: Präpositionalphrasen sind nur bedingt möglich, da die meisten Bildungen Termini sind: Affe mit Bart Baum mit Nadeln Schwein mit Warzen (9)(a)[N&LOC(Nort,N')](r) 'Referenten sind N, die Orte sind, an denen sich N' befindet oder geschieht' Klosterberg 'Berg, auf dem sich ein Kloster befindet' SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Zweitglied bezeichnet einen Ort, an dem sich der im Erstglied genannte Gegenstand befindet: Fabrikgelände, Industriegebiet, Klosterberg, Müllhalde, Rosenbeet, Tierpark Das Zweitglied bezeichnet eine Planze, an der Gegenstände, die das Zweitglied bezeichnet, wachsen: Apfelbaum, Baumwollstrauch, Kokospalme, Nussbaum SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Präpositionalphrasen: Berg mit einem Kloster Halde mit Müll

Nomenbildung

403

Park mit Tieren Beet mit Rosen (9)(b)[N&LOC(N' ort ,N)](r) 'Referenten sind N, die sich an einem Ort N' befinden oder an einem Ort N' geschehen' Dachgarten 'Garten, der sich auf einem Dach befindet' Tresengespräch 'Gespräch, das am Tresen stattfindet' SEMANTISCHE ANALYSE:

Ein physikalischer Gegenstand wird lokal eingeordnet. Eine lokale Präposition ist zu ergänzen: Alpenpass, Bahnhofsbuchhandlung, Bodenpersonal, Dachgarten, Dachrinne, Fingerspitzengefiihl, Flaschengeist, Gebirgsdorf, Hausaltar, Theaterbühne, Wohnzimmerschrank Das Erstglied bezeichnet einen Ort, an dem Gegenstände, die das Zweitglied bezeichnet, hergestellt werden: Chinagemüse, Chinaporzellan, Parmaschinken Das Erstglied bezeichnet einen Ort, an dem vom Zweitglied bezeichnete Gegenstände leben oder wachsen: Bachstelze, Feldblume, Feldhase, Flusspferd, Kanalratte, Hinterhofkinder, Höhlenbär, Nilpferd, Seerose, Waldfarn, Wiesenblume Das Erstglied bezeichnet einen Ort, an dem sich ein Geschehen abspielt oder ein Zustand herrscht: Auslandskorrespondent, Bettruhe, Bergfrühling, Budenzauber, Exilliteratur, Hotelnacht, Promenadenkonzert, Seeklima, Seewind, Toscanafraktion, Tresengespräch, Wannenbad, Wassersport In vielen Fällen ist auch die Interpretation möglich: 'N' ist betroffener Gegenstand, d.h. Thema eines von N ausgehenden Geschehens': Augenleiden, Baumkrebs, Darmgeschwür, Gallenkolik, Gehirntod, Hautallergie, Herzinfarkt, Kopfschmerzen, Mandelentzündung, Nervenfieber, Rinderwahnsinn, Wadenkrampf, Zahnweh Das Erstglied bezeichnet einen Ort, zu dem ein vom Zweitglied bezeichneter Gegenstand oder ein Geschehen führt: Himmelsleiter, Italienreise, Landpartie, Schulweg

404

Kapitel 4

SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Präpositionalphrasen: Buchhandlung im Bahnhof Garten auf dem Dach Porzellan aus China Literatur im Exil Gespräch am Tresen Reise nach Italien Weg zur Schule DERIVIERTE ADJEKTIVE:

In einigen Fällen sind derivierte Adjektive als Alternativen möglich: chinesisches Gemüse italienische Reise (10)(a) [N & TEMP (N„te N')] (r) 'Referenten sind N, die Zeitpunkte oder Zeitspannen fflr N' sind' Ferienmonat 'Monat, in dem Ferien sind' SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Zweitglied bezeichnet einen Zeitpunkt oder eine Zeitdauer eines Geschehens oder Zustands: Aktionsherbst, Anfangsphase, Arbeitswoche, Barockzeit, Blutnacht, Dienstalter, Dürrejahr, Erntemonat, Eröffnungstag, Ferienmonat, Geburtsjahr, Hungerwinter, Kriegswinter, Mordnacht, Nazizeit, Probejahr, Revolutionswinter, Schicksalsstunde, Schrecksekunde, Sportfrühling, Urlaubsperiode, Verfallsphase, Wahlkampfzeit SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Genitivattribut: Jahr der Dürre Monat der Ernte Zeit des Wahlkampfes Phase des Aufbruchs Zeit der Römer

Nomenbildung

405

(10)(b) [N & TEMP (N'Mto N)] (r) 'Referenten sind N, die zur Zeit N' ablaufen' Sommerwetter 'Wetter, das im Sommer herrscht' SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Zweitglied bezeichnet Nomen, zu deren semantischer Repräsentation eine Variable für temporale Spezifizierungen gehört. Wetter ist eine meteorologische Erscheinung, die für Orte und Zeiträume bestimmt wird. Literatur bezeichnet eine Gesamtheit von künstlerischen Aktivitäten und Produkten in bestimmten Zeiträumen. Mensch bezeichnet Lebewesen, die eine individuelle Lebenszeit haben, die in historische Perioden eingeteilt werden kann. Markt bezeichnet eine Institution, die zu bestimmten Zeitpunkten stattfindet. Schlaf ist ein Geschehen, das temporal begrenzt werden kann. Blume ist eine Pflanze, die eine Blütezeit hat: Abenddämmerung, Abendgebet, Altersweisheit, Anfangsverdacht, Barockmensch, Gegenwartsliteratur, Jugendsünde, Lebensgefährte, Maiglöckchen, Maikäfer, Nachthimmel, Neujahrsansprache, Oktoberrevolution, Schlussakt, Sonntagsstimmung, Sommerhaus, Wintergerste, Wintermantel, Winterschlaf, Wochenmarkt Eine begrenzte Lebens- oder Gültigkeitsdauer bezeichnen: Eintagsfliege, Jahresticket, Monatskarte, Tageskarte SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Genitivattribut: Literatur der Gegenwart Weisheit des Alters Mensch des Barocks Präpositionalphrase: Gebet am Abend Verdacht am Anfang Revolution im Oktober Kaffee am Sonntag Himmel in der Nacht Wetter im Sommer Schlaf im Winter Ticket für einen Monat Brot für die Pause

406

Kapitel 4

Denominale Adjektive: gegenwärtige Literatur nächtlicher Himmel sommerliches Wetter (ll)(a) [N & MATERIAL VON (N, N')] (r) 'Referenten sind N, die Material für N' sind' Handschuhleder 'Leder, aus dem Handschuhe hergestellt werden' SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Zweitglied bezeichnet ein Material oder einen Rohstoff, aus dem das Erstglied hergestellt oder beschaffen ist. In allen Fällen ist auch eine Zweckinterpretation möglich. Vgl. Muster (16): Armierungseisen, Brückenstahl, Dachholz, Fallschirmseide, Handschuhleder, Strumpf wolle, Kuchenmehl SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Präpositionalphrase: Seide für Fallschirme Leder für Handschuhe Wolle für Strümpfe (ll)(b) [N & MATERIAL VON (N% N)] (r) 'Referenten sind N, die aus einem Material N' hergestellt oder beschaffen sind' Holzhaus 'Haus, das aus Holz hergestellt ist' SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Zweitglied bezeichnet Artefakte oder natürliche Gegenstände, zu deren semantischer Repräsentation eine Variable für ein Material gehört. Das Erstglied bezeichnet ein Material oder einen Rohstoff: Bernsteinzimmer, Brotsuppe, Damastdecke, Eierkuchen, Erdbeermarmelade, Fellmütze, Gemüsebeilage, Goldzahn, Holzhaus, Holzgriffel, Kartoffelpuffer, Leinenkleid, Obstsaft, Schiefertafel, Schneemann, Seidentuch, Steinsarg, Tomatenketchup, Wachskerze, Wollmütze

Nomenbildung

407

SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Präpositionalphrase: Marmelade aus Erdbeeren Haus aus Holz Tafel aus Schiefer Mütze aus Wolle Denominale Adjektive: elfenbeinernes Zimmer hölzernes Haus wollene Mütze seidenes Tuch (12)(a) [N & CAUS (N, N')] (r) 'Referenten sind N, die N' verursachen' Erholungskur 'Kur, die Erholung bewirkt' SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Zweitglied bezeichnet eine Ursache fur das Erstglied. In den meisten Fällen ist die Folge der Ursache als beabsichtigter Zweck zu interpretieren. Vgl. (16): Angstgegner, Appetithäppchen, Beweisverfahren, Bildungsurlaub, Erfrischungsgetränk, Erholungskur, Rauschgift, Tränengas, Sättigungsbeilage, Schlaftrunk, Schreckensbotschaft, Todessturz (12)(b) [N & CAUS (N', N)] (r) 'Referenten sind N, die von N' verursacht werden' Angsttraum 'Traum, der durch Angst verursacht wird' SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Erstglied bezeichnet ein Geschehen oder Zustand, das bzw. der ein vom Zweitglied bezeichnetes Geschehen bzw. einen Zustand verursacht: Anstandsbrief, Alkoholepilepsie, Angsttraum, Berufskrankheit, Bierbauch, Bombenopfer, Ehekrüppel, Eifersuchtsdrama, Kriegswaise, Pollenallergie, Feuerschaden, Flammentod, Heuschnupfen, Hitzschlag, Liebeskummer, Lustmord, Panikhandlung, Pillenknick, Unfalltod, Wahnvorstellung, Wärmegewitter, Wutgeheul

408

Kapitel 4

SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Präpositionalphrasen: Drama aus Eifersucht Mord aus Lust Handlung aus Panik Geheul aus Wut Epilepsie durch Alkohol Opfer durch Bomben Tod durch Unfall Gewitter durch Wärme (13)(a) [N & HABEN (N, N')] (r) 'Referenten sind N, die über die N' verfügen' Fregattenkapitän 'Kapitän, der über eine Fregatte verfügt' SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Zweitglied bezeichnet eine Person oder eine Institution, die über den vom Erstglied bezeichneten Gegenstand verfügt: Burgherr, Aktiengesellschaft, Autobesitzer, Grundstückseigner, Fabrikdirektor, Fregattenkapitän, Kleingartenpächter, Kneipenwirt, Theaterchef, U-Boot-Kommandant SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Genitivattribute: Herr der Burg Besitzer des Autos Direktor der Fabrik Chef des Theaters (13)(b) [N & HABEN (N', N)] (r) 'Referenten sind N, über die N' verfügt' Fabrikantenvilla 'Villa, die einem Fabrikanten gehört' SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Zweitglied bezeichnet einen Gegenstand, über den vom Erstglied bezeichnete Personen oder Institutionen verfügen oder die sie besitzen:

Nomenbildung

409

Adelssitz, Bäckerladen, Bauernstube, Elternhaus, Fabrikantenvilla, Fürstenthron, Gemeindeland, Hohenzollernburg, PDS-Vermögen, Rittergut, Staatsforst, Stadtpark SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Genitivattribute: Haus der Eltern Land der Gemeinde Park der Stadt Derivierte Adjektive: elterliches Haus staatlicher Forst städtischer Park (14)(a) [N & MITTEL VON (N, TUN (AGENS, N'))] (r) 'Referenten sind N, die als Mittel einer Aktivität benutzt werden, die N' betrifft' Fliegenklatsche 'Klatsche, mit der Fliegen getötet werden' SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Zweitglied bezeichnet ein Instrument, mit dem Gegenstände, Geschehen oder Zustände, die das Erstglied bezeichnet, abgewehrt bzw. vernichtet werden. Die Interpretation enthält eine Zweckkomponente. Vgl. (16): Fliegenklatsche, Feuerspritze, Katerfrühstück, Rattengift, 'Regenmantel, Mottenkugeln, Nebelscheinwerfer, Notgroschen, Schnupfenmittel, Sonnenschirm, Sorgentelefon SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Präpositionalphrasen: Frühstück gegen Kater Gift gegen Ratten Mittel gegen Schnupfen (14)(b) [N & MITTEL VON (N', TUN (AGENS, N))] (r) 'Referenten sind N, die betroffener Aktant einer Aktivität sind, die mittels N' durchgeführt wird' Dampflok 'Lok, die mittels Dampf bewegt wird'

410

Kapitel 4

SEMANTISCHE ANALYSE:

Atomkraftwerk, Dampflok, Handbremse, Luftdruckgewehr, Mundharmonika, Öldruckbremse, Windmühle In den meisten Fällen ist auch die Interpretation möglich: 'N' treibt N an'. (15) [N & ZWECK VON (N', N)] (r) 'Referenten sind N, die den Zweck N' haben' Babynahrung 'Nahrung, die den Zweck hat: Babys essen sie' SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Zweitglied bezeichnet Artefakte, zu deren semantischer Repräsentation eine Variable für einen Zweck gehört. Das Erstglied bezeichnet Nominalkonzepte, die in verschiedener Weise als Argumente des ZWECK-Prädikats gedeutet werden können: ZWECK VON (TUN (N, N'), N): Das Zweitglied ist Agens einer Aktivität, von der das Erstglied betroffen ist: Babynahrung 'Nahrung, die den Zweck hat: Babys essen sie' Blindenschrift, Gourmetblatt, Herrentorte, Hundekuchen, Kinderbuch, Kinderfernsehen, Seniorenteller, Yuppiezeitschrift ZWECK VON (N, LOC (N, TUN (AGENS, N'))): Das Zweitglied bezeichnet einen Ort, dessen Zweck es ist, dass Aktivitäten ausgeübt werden, von denen N' betroffen ist: Krankenhaus 'Haus, das den Zweck hat: man behandelt Kranke in dem Haus' Briefpapier, Fitnessraum, Krankenhaus, Kunsthalle, Mütterheim, Offizierskasino In vielen Beispielen ist das Prädikat AUFBEWAHREN zu interpolieren: Aktenschrank, Autogarage, Bierdose, Blumenvase, Brotkorb, Bücherregal, Eierkarton, Flötenetui, Geräteschuppen, Getreidespeicher, Giftschrank, Kornkammer, Kunsthalle, Milchkanne, Sandkasten, Sektflasche, Wildgehege, Wurstkonserve

Nomenbildung

411

ZWECK VON (N, MITTEL VON (N, TUN (AGENS, N'»): Das Zweitglied bezeichnet ein Mittel, mit dem eine Aktivität ausgeübt wird, von der das Erstglied betroffen ist. Feuerstein 'Stein, der den Zweck hat: man erzeugt mit ihm Feuer' Aalreuse, Dachpappe, Feuerstein, Fonduegabel, Fischbesteck, Gardinenschnur, Kartoffelreibe, Rosendünger, Topflappen, Touristenbus, Wannenspray ZWECK VON (N', N), wobei N' ein Geschehen bezeichnet: Das Zweitglied bezeichnet ein Geschehen, dessen Zweck ein anderes Geschehen ist: Dankgebet 'Gebet, das den Zweck hat: man dankt jemandem' Dankgebet, Lobgesang, Trauergottesdienst ZWECK VON (N, BEREICH VON (N', TUN (AGENS, N))): Das Erstglied bezeichnet einen Bereich oder einen Anlass für die Benutzung vonN: Ballkleid 'Kleid, das den Zweck hat: man trägt es auf Bällen' Bettschuhe, Dessertwein, Festtafel, Geburtstagsbrief, Hauskleid, Jubiläumsgeschenk, Pausenfilm, Reisekleid, Strandanzug, Tafelsilber, Tischwein, Wahlslogan SYNTAKTISCHE ALTERNATIVEN:

Präpositionalphrasen: Dose für Bier Schrankfür Akten Düngerfür Rosen Kleid für den Ball Schuhe für das Bett 2.4.2.5 Pronomen + N-Komposita Komposita mit Pronomen als Erstglied sind nur möglich, wenn das Pronomen als ein Nomen interpretiert werden kann. Als spezielles Nomen erscheint es

412

Kapitel 4

auch bei metasprachlichem Gebrauch ('das Wort Ich'). Das erklärt, weshalb keine Demonstrativ-, Interrogativ- und Relativpronomen als Erstglied vorkommen. Diese Pronomen sind keine einfachen Proformen für Nominalphrasen. Möglich sind auch in diesen Fällen Bildungen mit metasprachlichem Charakter: Dieser-NP, Warum-Frage, Wer-Satz, Wo-Satz Personalpronomen: Personalpronomen als Erstglied von Komposita werden nicht als Shifterkategorien verwendet, d.h. als sprachliche Zeichen, deren Bedeutung jeweils durch den gegebenen Kontext festgelegt wird, sondern als spezielle Nominalisierungen das Ich, das Ego, das Wir: Ich-Kult, Ich-Perspektive, Ichsucht, Ichmensch, Wir-Gefiihl, Wir-Front, Wir-Gewissen, In anderen Fällen verweisen sie metasprachlich auf objektsprachliche Ausdrücke mit dem Pronomen: Ich-Roman, Ich-Form, Du-Form, Er-Form, Sie-Form Possessivpronomina: Possessivpronomina kommen nur in Ausnahmefällen als Erstglied vor: indem ich nur meinen Ich- und Mein-Gefiihlen Rechnung trug (Th. Mann) Indefinitpronomen: Indefinitpronomen sind wie Nomen zu behandeln: Jedermannfunk, Jedermannsgröße, Jedermann-Kabinett, Jedermanns-Uni Niemandsland, Niemandssohn, Niemandsstädtchen, Niemandszeit Selbstbild, Selbstbiographie, Selbstgefiihl, Selbstgespräch, Selbstkritik, Selbsttherapie Bildungen mit viel sind als Zusammenbildungen, d.h. Derivationen zu interpretieren (Vielfraß, Vielschreiber) oder als Possessivkomposita (Vieleck). 2.4.2.6 P + N-Komposita Eine Reihe von Präpositionen kommt als Erstglied von Nominalkomposita vor. Die Präposition kann lokale, temporale oder übertragene Bedeutungen haben. Wie bei zahlreichen Partikelverben entspricht der Präposition ein zweistelliges Prädikat. Eine Argumentstelle gibt implizit einen Ort, einen

Nomenbildung

413

Zeitpunkt oder ein anderes Orientierungskonzept an, dem das Zweitglied, das die zweite Argumentstelle einnimmt, in der durch die Präposition bezeichneten Weise zugeordnet wird: Nebenmann NEBEN (PERSONort, MANN) Nachspeise NACH (HAUPTGANGfcmp, SPEISE) Zubrot ZU (HAUPTEINNAHME, BROT) 'zusätzlich' In vielen Fällen entspricht der Komponente Präposition und Einordnungskonzept ein Lexem oder eine Fügung: bei = zusätzlich, nebenbei neben = zusätzlich, untergeordnet über — übermäßig unter = geringerer Rang mit = gemeinsam Nicht alle Präpositionen kommen als Erstglied vor. Belegt sind Bildungen mit: ab, an, auf, aus, bei, gegen, in, mit, nach, neben, über, um, unter, vor, wider, zu, zwischen Es fehlen Komposita mit folgenden Präpositionen. Abgesehen von der morphologischen Komplexität einiger Präpositionen ist kein Grund für diese Lükke zu erkennen: bis, fiir, ohne, von, wegen, abzüglich, außer, innerhalb, entlang u.a. SEMANTISCHE MUSTER:

(1) [N & LOC (ORT, N)] (r) 'Referenten, die N sind, die einem Ort lokal zugeordnet sind' Abgrund, Abwind Ankreis, Ankathete Aufwind, Aufstrom, Aufglasur Beitisch Nachsilbe, Nachwort Nebenmann, Nebenlinie Überbein, Überkleid, Überrock, Überschuhe Umkreis, Umfeld, Umkarton, Umland, Umwelt Untertasse, Untergrund

414

Kapitel 4

Vorbau, Vorburg, Vorgebirge, Vorhof, Vorplatz, Vorposten, Vorsilbe Zwischenbereich, Zwischendeck, Zwischenfeld, Zwischenraum, Zwischenstufe, Zwischenwelt (2) [N & TEMP (ZEITPUNKT, N)] (r) 'Referenten, die N sind, die einem Zeitpunkt temporal zugeordnet sind' Nachspeise, Nachsommer, Nachspiel Vorbote, Vorpremiere, Voreltern, Vorsaison, Vorsommer, Vorspiel, Vorstadium Zwischenakt, Zwischenbericht, Zwischenmeldung, Zwischenzeit (3) [N & P (ORIENTIERUNG, N)] (r) 'Referenten, die N sind, die in einer bestimmten Weise eingeordnet werden' Zu diesem Muster zählen wir alle Präpositionen mit nicht-lokalen und nichttemporalen Bedeutungen. Die meisten P + N-Komposita sind diesem Muster zuzuordnen: ab = 'nicht mehr verwertbar': Abdampf, Abgas, Abprodukt, Abwasser auf= 'zusätzlich': Aufgeld, Aufpreis bei= 'nebenbei, beigegeben': Beiprogramm, Beirat, Beigeschmack, Beiprodukt gegen = 'aus der entgegengesetzten Richtung': Gegenlicht, Gegenverkehr, Gegenwind 'am entgegengesetzten Ort': Gegenpol, Gegenwand 'einem Orientierungsgeschehen entgegen gesetzt' Gegenaktion, Gegenargument, Gegenbeispiel, Gegendemonstration, Gegengift, Gegenpartei, Gegenrevolution, Gegenvorschlag 'Erwiderung eines Geschehens': Gegendienst, Gegengabe, Gegengeschenk, Gegenliebe, Gegengruß mit = 'zusammen mit einer Person': Mitautor, Miteigentümer, Mitmensch, Mitreisender, Mithäftling, Mitverfasser 'ebenfalls zutreffend': Mitschuld, Mitursache, Mitverantwortung neben = 'zusätzlich, untergeordnet, nebenbei': Nebenakzent, Nebenausgaben, Nebensache, Nebeneffekt, Nebenfach, Nebenfigur, Nebenfrau, Nebenschauplatz, Nebenverdienst um = 'herum, umher': Umluft, Umfrage, Umtrunk, Umbus, Umweg wider - 'entgegengesetzt':

Nomenbildung

415

Widerhaken, Widerlager, Widerpart, Widersacher, Widersinn, Widerwille zu = 'zusätzlich': Zubrot, Zukost, Zuname, Zuerwerb 2.4.2.7 Gradpartikel + N-Komposita Eine semantische Besonderheit besteht darin, dass das Zutreffen des Prädikatkomplexes eingeschränkt wird. Den Gradpartikeln entsprechen somit Prädikate, deren Argumentstelle ein N besetzt: [GRAD (N)] (r) 'Referenten sind N in dem vom Erstglied charakterisierten Ausmaß' Beinahe-Unfall, Beinahe-Katastrophe, Beinahe-Schriftsteller, BeinaheSkandal De-Facto-Flüchtling, De-Facto-Eigentum Fast-Arbeitsloser, Fast-Mörder, Fast-Nackedei, Fast-Nichtraucher, FastUraujjührung Noch-DDR, Noch-Minister Nur-Ehemann, Nur-Hausfrau, Nur-Lyriker, Nur-Bürgerrechtler, NurMutter 2.4.2.8 Syntaktische Fügung + N-Komposita Sehr häufig sind Komposita, deren Erstglied eine Mengen-, Wert- oder Zeitdauerangabe ist. Die Interpretation dieser Bildungen setzt Mechanismen voraus, die wir für Zusammenbildungen annehmen. Vgl. Kapitel 1, S. 8 f. 5-Liter-Kanister, 10-Zentner-Bombe, 100-Hektar-Farm, 200-Meter-Bahn, Tausend-Seiten-Buch, Vier-Mächte-Abkommen, Vier-Sterne-Hotel, ZweiSterne-General, Fünf-Stunden-Konzert, Drei-Tage-Marsch Weitere Beispiele zeigen, dass die Möglichkeiten breit gefächert sind: Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede, Hinter-den-Kulissen-Tribunal, Mann-zuMann-Gespräch, Null-Bock-Mentalität, On-the-road-Geßihl, Reih-undGlied- Wäldchen, Unter-Frauen-Gespräch, Volk-ohne-Raum-Geschwätz, Wort-fiir- Wort-Methode, Wunden-und-Narben-Literatur Auch ganze Sätze können Erstglied von Nominalkomposita sein. Sie sind als Bezeichnungen von Eigenschaften, Haltungen, Einstellungen zu interpretieren:

416

Kapitel 4

Was-kümmert-mich-die-Kunst-Gebärde, Was-kostet-die-Welt-Ausstrahlung, Ich-kann-nicht-anders-Gewissen, Ich-lasse-mich-nicht-kommandieren-Stimmung, Leck-mich-am-Arsch-Tabletten Als elliptische Sätze können Komposita interpretiert werden, deren Erstglied eine Konjunktion ist: Als-ob-Haltung, Entweder-oder-Mentalität, Sowohl-als-auch-Mentalität, Trotzdem-Idealismus, Trotzdem-Optimismus 2.5

Kollektiva

Nomen können auf geordnete Mengen von Gegenständen referieren, die als eine besondere Einheit aufgefasst werden: Familie, Briefmarkensammlung, Mobiliar, Obst Eine Familie ist eine Gesamtheit von Menschen, zwischen denen bestimmte Verwandtschaftsbeziehungen bestehen, eine Briefinarkensammlung eine Gesamtheit von Briefinarken, die eine Person nach bestimmten Gesichtspunkten zusammengestellt hat, Mobiliar eine Gesamtheit von Einrichtungsgegenständen in einem Raum, Obst die Gesamtheit aller essbaren Früchte. Nomen dieser Art werden Kollektiva genannt. Vgl. Kuhn (1982), Dölling (1991). Einige Kollektiva verhalten sich wie Individuativa, d.h. sie sind zählbar: eine Familie drei Familien mehrere Sammlungen einige Sammlungen Andere verhalten sich wie Massenomen, d.h. sie sind nicht zählbar, sondern nur in Portionen aufteilbar: *ein Mobiliar *drei Mobiiiare viel Mobiliar etwas Mobiliar *ein Obst *drei Obste wenig Obst etwas Obst Die Besonderheiten von Kollektiva werden durch einen Vergleich mit Pluralund anderen Mengen-Interpretationen deutlich:

Nomenbildung

All

Die Parlamentarier protestieren gegen eine Diätenerhöhung. Viele Parlamentarier protestieren gegen eine Diätenerhöhung. Die Mehrheit der Parlamentarier protestiert gegen eine Diätenerhöhung. Das Parlament protestiert gegen eine Diätenerhöhung. Mit dem ersten Beispiel ist die Präsupposition verbunden, dass jeder Parlamentarier, der zu der ausgewählten Menge gehört, protestiert. Offen bleibt, ob es sich um Einzelaktionen oder um einen gemeinsamen Protest handelt. Das zweite und dritte Beispiel schließt eine Teilmenge von Parlamentariern von der Protestaktion aus. Das vierte Beispiel kann Situationen einschließen, die das erste und das zweite Beispiel bezeichnet, ausgedrückt wird jedoch, dass das Parlament als eine spezielle Ganzheit protestiert. Die zu dieser Ganzheit gehörenden Parlamentarier treten in den Hintergrund. Nur unser Weltwissen sagt uns, dass Aktionen des Parlaments bestimmte Mehrheiten verlangen. Plurale und andere Mengenangaben von Individuativa (die Parlamentarier, viele Parlamentarier, die Mehrheit der Parlamentarier) bezeichnen Summen von Individuen, Kollektiva (das Parlament) eine Einheit besonderer Art. Die deutsche Sprache verfügt über Wortbildungsmuster, die es erlauben, Kollektiva zu bilden. Als Basiswörter treten Nomen oder Verben auf, die Referenzbereiche kennzeichnen, aus denen die Kollektiva herausgehoben werden. Zur Beschreibung der Kollektivbildung verwenden wir das Prädikat GANZHEIT. 2.5.1 Denominale Kollektiva Nomen, die physikalische Gegenstände bezeichnen, können Kollektive bilden. Grundlage dafür bildet das semantische Muster: [GANZHEIT (N)] (r) 'Referenten, die aus den potentiellen Referenten eines Nomens N ausgewählte Ganzheiten sind' N kann sich auf natürliche Gegenstände, auf Artefakte oder auf Personen beziehen: Gestein, Geäst, Astwerk, Buschwerk; Gebälk, Gemäuer, Dachwerk, Gitterwerk; Mannschaft, Burschenschaft, Menschheit, Christenheit Auch zu Nomen, die abstrakte Gegenstände bezeichnen, sind Kollektiva möglich: Ideengut, Bildungsgut, Gedankengut, Judentum, Hegelianertum, tum

Christen-

Kapitel 4

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Die Bildungen mit dem Suffix -tum setzen zwar Personenbezeichnungen voraus, nehmen aber nur auf den Prädikatkomplex der Nomen, d.h. auf die Eigenschaftsmengen, die die jeweilige Klasse abgrenzen, Bezug. WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; PFn -schafit, Femininum] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet Personen. Durch das semantische Muster werden Kollektive von Personen abgegrenzt, die Berufsstände oder soziale Gruppen, die spezielle Funktionen ausüben, bilden: Mannschaft, Akademikerschaft, Altherrenschaft, Angestelltenschaft, Anhängerschaft, Ärzteschaft, Bauernschaft, Beamtenschaft, Dienerschaft, Käuferschaft, Kaufmannschaft, Leserschaft, Priesterschaft, Richterschaft, Ritterschaft, Schülerschaft, Studentenschaft, Unternehmerschaft, Wählerschaft, Zuhörerschaft. Falls das Kollektiv den gesamten Referenzbereich des Basisnomens erfasst, ist Zählbarkeit ausgeschlossen. Das Kollektivum hat den Charakter eines Unikums: *die *die *drei *vier

Akademikerschaften, Kaufmannschaften Akademikerschaften, Kaufmannschaften

Nur in wenigen Fällen bezieht sich das Kollektivum auf eine Teilmenge des Referenzbereichs des Basisnomens: eine Mannschaft die Anhängerschaft einer Partei die Dienerschaft des Grafen die Zuhörerschaft des MDR In diesen Fällen ist Zählbarkeit anzunehmen: fünf Mannschaften die Anhängerschaften kleinerer Parteien die Zuhörerschaften öffentlicher Rundfunkanstalten MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

-schaff ist ein Suffix. Das Basisnomen tritt in den meisten Fällen in der Pluralform auf oder die Stammform ist mit der Pluralform identisch. Ausnahmen sind nur:

Nomenbildung

419

Mannschaft, Kaufmannschaft, Knappschaft Mit dem Suffix ist das Genus Femininum verbunden. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist schwach aktiv. (2) [SM; PFn -tum, Neutrum] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet Personen. Die Kollektivbildung bezieht sich jedoch auf den Prädikatkomplex und erfasst die Ganzheit der Eigenschaften, die eine Klasse von Personen charakterisiert: Judentum, Hegelianertum, Christentum, Beamtentum,

Drückebergertum

MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

-tum ist ein Suffix, das an derivierte Stämme oder an Stämme mit Pluralendung tritt. Mit dem Suffix ist das Genus Neutrum verbunden. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist beschränkt aktiv (3) [SM; PFn -werk] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet natürliche Gegenstände oder Artefakte: Astwerk, Blattwerk, Buschwerk, Strauchwerk, Wurzelwerk, Balkenwerk, Dachwerk, Gitterwerk, Mauerwerk, Riemenwerk, Räderwerk, Schuhwerk MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Wir betrachten -werk als Suffix, da eine semantische Nähe zur Lexikoneinheit Werk nicht feststellbar ist. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist schwach aktiv. (4) [SM; ge- PFN, Neutrum]: Geäst, Gebein, Gebüsch, Gedärm, Gehörn, Gerippe, Gestein, Gesträuch; Gebälk, Gemäuer, Gestänge, Getier, Gewürm, Gebrüder, Geschwister

420

Kapitel 4

AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist auf lexikalisierte Bildungen beschränkt. Es ist inaktiv. (5) [SM; PFN -heit, Femininum] SEMANTISCHE ANALYSE:

Menschheit, Tierheit, Mannheit, Weibheit, Christenheit, Frühchristenheit AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist auf lexikalisierte Bildungen beschränkt. Neubildungen wie Tierheit, Mannheit, Weibheit sind zufällige Analogiebildungen zu Menschheit. (6) [SM; PFn gutN] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basiswort bezeichnet ideelle Gegenstände. Als Bedeutung ergibt sich: 'die Gesamtheit von N': Bildungsgut, Gedankengut, Ideengut, Liedgut, Wissensgut MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Gut ist eine Lexikoneinheit mit eigener Bedeutung. In den angeführten Bildungen ist Gut Zweitglied eines Kompositums mit der Interpretation 'Gut, das die Klasse N bildet'. AKTIVITÄT:

Komposita dieses Musters sind aktiv. 2.5.2 Deverbale Kollektiva Von Verben abgeleitete Kollektiva charakterisieren als strukturierte Ganzheit aufgefasste technische Geräte, die durch eine vom Verb bezeichnete Aktivität gekennzeichnet sind. Das semantische Muster hat die Form: [GANZHEIT (ARTEFAKT & VERB (ARTEFAKT^«,))] (r) 'Referenten sind Ganzheiten von Artefakten, die Agens eines Geschehens V sind' Fangwerk, Laufwerk, Läutewerk

Nomenbildung

421

WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; PFV -werk, Neutrum] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Basisverb bezeichnet Aktivitäten, die von Maschinen ausgeführt werden: Fangwerk, Laufwerk, Läut(e)werk, Rührwerk, Schlagwerk, Schöpfwerk MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Wir analysieren -werk als ein Suffix, das an Verbstämme tritt und mit dem Genus Neutrum verbunden ist. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist in Fachsprachen stark aktiv. Weitere Kollektiva sind bildbar als Komposita mit verbalem Erstglied zu den Zweitgliedern Zeug und Gut, die beide Kollektiva sind: Esszeug, Nähzeug, Rasierzeug, Schleifzeug, Spielzeug, Strickzeug, Backgut, Dreschgut, Mahlgut, Pflanzgut, Schüttgut, Streugut, Pflanzgut, Walzgut;

2.6

Wortnegation

2.6.1

Negation einer nominalen Eigenschaft

Nominal kategorisierte Eigenschaften können negiert werden. Das Ergebnis ist die Charekterisierung einer konträren Eigenschaft. Das semantische Muster hat die Form: [NON (N)] (r) 'Referenten sind die zu N konträre oder komplementäre Klasse' Könträre Klassen bezeichnen: Unlust, Unschuld, Misserfolg Unlust 'das Gegenteil von Lust' Unschuld 'das Gegenteil von Schuld' Misserfolg 'das Gegenteil von Erfolg' Das Muster ist vergleichbar mit der Wortnegation adjektivischer Eigenschaften. Die nominalen Bildungen haben meist Adjektive zur Seite: unlustig, unschuldig, erfolglos

422

Kapitel 4

Komplementäre Klassen bezeichnen: Nichtakademiker, Nicht-Berliner, Nicht-Genosse WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; un- PFN] SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Basiswörter bezeichnen in der großen Mehrzahl psychische Zustände oder Verhaltensweisen von Personen: Untugend, Unkenntnis, Unvernunft, Unbildung, Undank, Unehre, Unernst, Ungnade, Ungunst, Unmoral, Unrast, Unsinn, Unruhe, Unstete, Unverstand, Unwille MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das semantische Muster wird durch das Präfix un- indiziert. Die semantische Nähe zu - meist derivierten - Adjektiven ist kein Grund für die Annahme einer Wortbildungsbeziehung. Vgl. unmoralich - Unmoral, unruhig - Unruhe. Es müsste eine Nominalisierung angenommen werden, die mit der Eliminierung der Adjektivsuffixe verbunden ist. Der Zusammenhang ergibt sich aus den semantischen Eigenschaften der Basiswörter. Dagegen können Bildungen wie Unaufmerksamkeit, Unehrlichkeit, Unbeliebtheit als reine Nominalisierung von Adjektiven mit dem Präfix un- betrachtet werden. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist schwach aktiv. (2) [SM; miss- PFN] SEMANTISCHE ANALYSE:

Das Muster charakterisiert die konträre Eigenschaft, das Gegenteil von der Eigenschaft, die das Basiswort bezeichnet: Misserfolg, Missgunst, Misskredit, Missgeschick, Missvergnügen, AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist auf lexikalisierte Bildungen beschränkt. Es ist inaktiv.

Nomenbildung

423

(3) [SM; nicht PFN] SEMANTISCHE ANALYSE:

Bildungen dieses Musters bezeichnen die Komplementärklasse von N: Nicht-Akademiker, Nicht-Deutscher, Nicht-Mediziner, Nicht-Dialog, NichtBeamter MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

nicht ist eine selbständige Lexikoneinheit. Das Bildungsmuster beschreibt Komposita. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist stark aktiv. 2.6.2 Modifizierende Negation Ein zweites semantisches Muster negiert nicht die Eigenschaften des Basisnomens, sondern nur das normale, erwartete Zutreffen dieser Eigenschaften. Als Paraphrase bietet sich an 'Referenten, die zwar N sind, aber nicht den normalen Erwartungen entsprechen' und deshalb pejorativ zu bewerten sind. Wir nehmen ein semantisches Muster an: [N & (NON (NORMAL)) (N)] (r) 'Referenten haben die Eigenschaften von N, sind aber nicht normale N' Unkraut, Untat, Missheirat Unkraut 'Kraut, das nicht die normalen, erwünschten Eigenschaften hat' Untat Tat, die keine normale, erwünschte Tat ist' Missheirat 'Heirat, die nicht die normalen, erwünschten Eigenschaften aufweist' WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; un-PFN] SEMANTISCHE ANALYSE:

Als Basisnomen kommen neben Abstrakta auch Bezeichnungen für physikalische Gegenstände verschiedenen Typs vor: Unsitte, Unart, Unzeit, Unkosten, Untier, Unmensch, Unwetter, Unland, Unperson, Unstern, Unwucht

424

Kapitel 4

MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

Das semantische Muster wird durch das Präfix un- indiziert. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist schwach aktiv. (2) [SM; miss- PFN] SEMANTISCHE ANALYSE:

Bildungen dieses Musters bewerten die Abweichung vom Normalen z.T. als Folge eines fehlerhaften Verhaltens: Missernte, Misswirtschaft, Missgriff, Missgeburt, Missgeschick, Missklang, Missheirat, Misslaut, Missstand, Misston, Misswuchs, Missfarbe, Missgestalt, Missverhältnisse. MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

miss- ist ein Präfix, das an einfache und komplexe Nominalstämme tritt. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist schwach aktiv. (3) [SM; fehl- PFN] SEMANTISCHE ANALYSE:

Bildungen dieses Musters bezeichnen den fehlerhaften Verlauf eines Geschehens: Fehlentscheidung, Fehlentwicklung, Fehlbesetzung, Fehlkalkulation, Fehlanzeige, Fehlbedienung, Fehlpass, Fehlsprung, Fehlstart, Fehltritt Nur wenige sind nicht auf Verbalnomen zurückzuführen: Fehlfarbe MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

fehl- ist eine gebundene Lexikoneinheit, die sich besonders mit Verben verbindet. Es handelt sich also um Komposita. Die meisten Bildungen können auch als Nominalisierung von Verbverbindungen mit fehl- analysiert werden. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist stark aktiv.

Nomenbildung

425

2.6.3 Negation der Aktualität In einem dritten semantischen Muster wird vorausgesetzt, dass der Prädikatkomplex eines Nomens auf bestimmte Referenten zugetroffen hat, aktuell aber nicht mehr gilt. Wir wählen das semantische Muster: [EX(N)](r) 'Referenten waren in der Vergangenheit N' Exkanzler, Exkönig, Exminister 'die Referenten waren einmal N, sind es zur Zeit aber nicht mehr' WORTBILDUNGSMUSTER:

(1) [SM; ex- PFN] SEMANTISCHE ANALYSE:

Die Basiswörter bezeichnen Personen, die eine soziale Beziehung, Funktion oder Rolle ausüben oder eine Institution: Exkanzler, Exkönig, Exminister, Expolitbüromitglied, Exweltmeister, Exfr au, Exschwager, Exgatte, Exgeliebte, Exverlobte, Exliebhaber, Ex-DDR, Ex-SED-Mitglied, Exnazi, Exkommunist MORPHOLOGISCHE ANALYSE:

ex- ist ein Präfix, das an Nominalstämme und Abkürzungen tritt. AKTIVITÄT:

Das Wortbildungsmuster ist aktiv. Zum Teil wird es auch auf Basiswörter angewendet, die keine soziale Rolle oder Institution im engeren Sinne voraussetzen. Exurlauber (Tucholsky)

426

Kapitel 4

3.

Überblick über die Nomenbildung

3.1

Liste der Wortbildungsmuster

1.

Deverbale Nomen

1.1

Reine Nominalisierung (nomina actionis)

[ V ( x \ x 2 , •••, s)] N ((x', x 2 , ...,)r) (1) [SM; PFV -en, Neutrum] (2) [SM; PFV -ung, Femininum] (3) [SM; PFy -e, Femininum]

das Singen, Laufen, Füttern die Eroberung, Abschaffung, Einigung die Aussage, Reise, Suche

(4) [SM; PFV Ablaut, Maskulinum]

der Flug, Sprung, Schluss

1.2

Deverbale Bildungen mit modifiziertem Verbinhalt

Iteratives Geschehen [(PEJORATIV & ITERATIV(V)) (xagens, ...,s)]N ((xagens;...,) r) (1) [SM; (ge)- PFV -(e), Neutrum]

das Geschreie, Gebrülle

(2) [SM; PFV -(er)ei, Femininum]

die Meckerei, Prügelei, Mogelei

Punktuelles

Geschehen

[(PEJORATIV & PUNKTUELL (V)) (xagens,..., s)]N ((xagens,...,) r) (1) [SM; PFV -er, Maskulinum] Resultierender

der Ächzer, Jauchzer, Rülpser,

Zustand

[ZUSTAND & RESULTAT VON (ZUSTAND, V (Xthema, s))]N ((xthema>) r) (1) [SM; PFV -ung, Femininum] 1.3

die Verzückung, Rührung

Gegenstände, die durch ihre Rolle in einem Geschehen charakterisiert sind Die Referenten sind Agens eines Geschehens (nomina agentis)

Nomenbildung

427

[LEBEWESEN & V (LEBEWESEN agens (,xthema))] ( ( x ^ , , ) r) (1) [SM; PF V -er, Maskulinum] (2) [SM; PF V -i, Maskulinum] Die Referenten

der Weber, Schreiber, Vertreter der Schlucki, Greift, Knacki

sind Mittel eines Geschehens

(nomina

instrumenti)

[ARTEFAKT & ZWECK (V (ARTEFAKT agens (.THEMA)))] (r) (1) [SM; PF V -er, Maskulinum] (2) [SM; PF V -e, Femininum] (3) [SM; PF V -el, Maskulinum] Die Referenten

der Schaber, Schrubber, Heber die Hacke, Feile, Säge, Walze der Hebel, Stößel, Deckel, Schlägel

sind Thema eines Geschehens

(nomina acti,

Resultativa)

[GEGENSTAND & V(x agens , G E G E N S T A N D ^ ] ((x agens ,)r) (1) (2) (3) (4) (5) (6)

[SM; [SM; [SM; [SM; [SM; [SM;

PFy PF V PF V PF V PF V PF V

-ung, Femininum] -ling, Maskulinum] -er, Maskulinum] -e, Femininum] -erei, Femininum] -sei, Neutrum]

die Lieferung, Abbildung, Abordnung der Lehrling, Prüfling, Impfling der Aufkleber, Senker, Anstecker die Abgabe, Ablage, Spende die Malerei, Stickerei, Schnitzerei das Mitbringsel, Anhängsel, Einschiebsel

(7) [SM; ge- PF V (-e), Neutrum] Die Referenten

sind Institutionen

das Geschenk, Getränk, Gebinde oder Ort eines Geschehens

(nomina

loci)

[INST & ZWECK (V (AGENS, THEMA))] (r) (1) [SM; PF V -(er)ei, Femininum] (2) [SM; PF V -e, Femininum] (3) [SM; PF V -ung, Femininum]

die Räucherei, Wäscherei die Schmiede, Bleiche, Tränke die Siedlung, Niederlassung, Wohnung

2.

Deadjektivische Bildungen

2.1

Reine Nominalisierung (Adjektivabstrakta)

[ADJEKTrV(x) r )

(1) [SM; P F a -heit/-keit/-igkeit, Femininum] die Fruchtbarkeit, Freiheit, Kleinigkeit (2) [SM; P F a -e, Femininum] die Größe, Breite, Dicke

428

Kapitel 4

(3) [SM; PF a -schaft, Femininum]

die Bereitschaft, Schwangerschaft

(4) [SM; PF a -nis, Femininum]

die Finsternis, Bitternis, Düsternis

2.2

Die Referenten haben eine markante Eigenschaft

[PHYS.GEG & A] (r) (1) PF a -chen, -ling, Maskulinum] (3) [SM; [SM; PF Neutrum] a (4) [SM; PF a -i, Maskulinum]

der Dümmling das Feigling, Blondchen, Dummchen der Dummi, Laschi, Schicki

3.

Denominale Bildungen

3.1

Personen stehen in einer Relation zum Basisnomen

Personen, die ihre Tätigkeit auf ein betroffenes Objekt richten [PERSON & (TUN (PERSON, N^™))] (r) (1) [SM; PF n -er, Maskulinum] (2) [SM; PF n -1er, Maskulinum] (3) [SM; PF n -ner, Maskulinum]

der Kutscher, Schäfer, Schlosser der Rohköstler, Erdkundler der Bühnenbildner, Glöckner

Personen, die einem sozialen Bereich angehören [PERSON & BEREICH VON (N, PERSON)] (r) (1) [SM; PF n (2) [SM; PF n (3) [SM; PF n (4) [SM; PF n

-(n)er, Maskulinum] -1er, Maskulinum] -ling, Maskulinum] -i, Maskulinum]

der Gewerkschafter, B VGer der Ruheständler, Mitteständler, der Häftling, Titelämtling der Grufti, Knasti, Ossi, Wessi

Personen, die über etwas verfugen [PERSON & HABEN (PERSON, N)] (r) (1) [SM; PF n -1er, Maskulinum] (2) [SM; PF n -ner, Maskulinum] (3) [SM; PF n -ling, Maskulinum]

der Rekordler, Pfründler der Rentner, Schuldner, Söldner der Lüstling, Wollüstling

Nomenbildung

3.2

Modifikation von Nominalkonzepten

3.2.1

Derivationen

429

Referenten sind weiblich (movierte Feminina) [N & WEIBLICH] (r) (1) [SM; PF n -in, Femininum]

die Ärztin, Beamtin, Dichterin

Referenten sind männlich (movierte Maskulina) [N & MÄNNLICH] (r) (1) [SM; PF n -erich, Maskulinum] Verkleinerungen

der Enterich, Mäuserich, Gänserich

(Diminutiva)

[DIM (N)] (r) (1) [SM; PF n -chen, Neutrum] (2) [SM; PF n -lein, Neutrum] (3) [SM; P F n i, ] Vergrößerungen

das Äckerchen, Affarchen, Ästchen das Aufsätzlein, Bahnhöflein, Höflein Anni, Gorbi, Hansi

(Augmentativa)

[MAX (N)] (r) (1) [SM; erz- PFN] (2) [SM; hyper-/mega-/super- PFN] (3) [SM; gebundene LE (N)]

Erzbetrüger, Erzgauner, Erzdummheit Hypervergniigen, Megaspaß, Superangebot Heidenspaß, Höllenangst

Ausgangspunkt einer Entwicklung [AUSGANG VON (N)] (r) (1) [SM; ur- PFN] Pejorative

Ur-Faust, Ureinwohner, Urmensch

Bewertung

[PEJORATIV(N)] (r) (1) [SM; PFN -ling, Maskulinum] (2) [SM; gebundene LE (N)]

Dichterling, Schreiberling Mistwetter, Saubande, Scheißfraß

430

Kapitel 4

3.2.2 Komposita Possessivkomposita Kopulativkomposita Determinativkomposita

Dickkopf, Rothaut, Rundkopf Arzt-Kosmonaut, Dichter-Sänger, Hosenrock Hochhaus, Holzschuppen

A + N-Komposita (1) [A & N] (r)

Buntpapier, Flachdach, Altlasten (2) [N & CAUS (N, WERD (LEBEWESEN, A))] (r) Bleichsucht, Gelbfieber, Gesundbrunnen (3) [N & A (VERB (N))] (r) Schnellimbiss, Abwärtstrend, Alleinbesitz V + N-Komposita (1) [N & V (Nagens)] (r) (2) [N & ZWECK (V ( N ^ J ) ] (r) (3) [N & MITTELS (N, (V (PERSON)))] (r) (4) [N & LOC (N, (V (PERSON)))] (r) (5) [N & TEMP (N, (V (PERSON))) (r) (6) [N & CAUS (V (AGENS), N] (r) (7) & IDENT GEMÄSS (N,V (AGENS)] (8) [N [N & (N,V (AGENS)] (r) (r) (9) [N (V (AGENS)] (r)

Animierdame, Betschwester, Eilbote Ausziehtisch, Flüsterwitz, Hätschelkind Badeöl, Duschgel, Einßillstutzen Badezimmer, Treibhaus Abholtermin, Bedenkzeit, Dreschtag Auffahrunfall, Bremsspur, Kratzwunde Abzockmethode, Lehrmethode Abholzarbeiten, Absetzbewegung Anmeldepflicht, Ausgehverbot

N + N-Komposita (1)

[N & N'] (r)

(2)

[N & WIE (N\ N)] (r)

(3)(a) [N & TUN (Nagens, N^ma)] (r) (3)(b) [N & TUN (N'agens, N ^ J ] (r) (4)(a) [N & MUSTER VON (N, N')] (r)

Ackerland, Arbeitsprozess, Bauersmann Zitronenfalter, Eierkopf, Erdbeermund Angstforscher, Balljunge BASF-Mief, Bienenhonig, Blumenduft Autobusfahrplan, Klosterregel

Nomenbildung

431

(4)(b) [N & MUSTER VON (N\ N)] (r)

Befehlshandlung, Programmfolge (5)(a) [N & BEREICH VON (N, N')] (r) Mieterverein, Knabenchor Karatemeister, Literatur(5)(b) [N & BEREICH VON (N\ N)] (r) papst Charakterstärke (6) [N & BESCHRÄNKUNG VON (N', N)] (r) Hosenknopf, Manteltasche (7)(a) [N & BESTANDTEIL VON (N, N')] (r) Butterbrot, Diamantring (7)(b) [N & BESTANDTEIL VON (N', N)] (r) Kirchturm, Armknochen, (8)(a) [N & TEIL VON (N, N')] (r) Besenstiel Bartaffe, Beuteltier (8)(b) [N & TEIL VON (N', N)] (r) Klosterberg, Fabrikge(9)(a)[N&LOC(N ort ,N')](r) lände, Tierpark Dachgarten, Alpenpass (9)(b) [N & LOC (N'ort, N)] (r) Ferienmonat, Aktionsherbst (10)(a)[N&TEMP(N zeit ,N')](r) Sommerwetter, Abend(10)(b) [N & TEMP (N'zeit, N)] (ref) gebet Handschuhleder, Dach(1 l)(a) [N & MATERIAL VON (N, N')] (r) holz Holzhaus, Brotsuppe (1 l)(b) [N & MATERIAL VON (N', N)] (r) Erholungskur, Angst(12)(a) [N & CAUS (N, N')] (r) gegner (12)(b) [N & CAUS (N', N)] (r) Angsttraum, Bierbauch Fregattenkapitän, Burg(13)(a) [N & HABEN (N, N')] (r) herr Fabrikantenvilla, Adels(13)(b) [N & HABEN (N', N)] (r) sitz (14)(a) [N & MITTEL VON (N, TUN (AGENS, N')] (r) Fliegenklatsche, (14)(b) [N & MITTEL VON (N, TUN (AGENS, N')] (r) Handbremse (15) [N & ZWECK VON (N\ N)] (r) Babynahrung, Briefpapier Pronomen + N-Komposita Warum-Frage, Wer-Satz, Ich-Kult, Ich-Perspektive, mannsgröße, Niemandsland,

Jedermannfunk,

Jeder-

P + N-Komposita (1) [N & LOC (ORT, N)] (r) (2) [N & TEMP (ZEITPUNKT, N)] (r)

Abwind, Ankathete, Aufwind, Beitisch, Nachspeise, Vorbote, Zwischenakt

432

Kapitel 4

(3) [N & P (ORIENTIERUNG, N)] (r)

Abwasser, Aufgeld, Beiprogramm

Gradpartikel + N-Komposita [GRAD (N)] (r) Beinahe-Unfall, De-Facto-Flüchtling, Fast-Arbeitsloser, Noch-DDR, Nur-Hausfrau Syntaktische Fügung + N-Komposita 5-Liter-Kanister, Vier-Mächte-Abkommen, Vier-Sterne-Hotel, Blut-Schweiß-undTränen-Rede, Hinter-den-Kulissen-Tribunal, Was-kümmert-mich-die-Kunst-Gebärde 4.

Kollektiva

4.1

Denominale Kollektiva

[GANZHEIT (N)] (r) (1) [SM; PF n -schaft, Femininum] (2) [SM; PF n -tum, Neutrum] (3) [SM; PF n -werk] (4) [SM; ge- PF n , Neutrum] (5) [SM; PF n -heit, Femininum] (6) [SM; PF n gutN] 4.2

die Akademiker, Altherrenschaft das Judentum, Hegelianertum Astwerk, Blattwerk, Buschwerk das Geäst, Gebein, Gebüsch die Menschheit, Tierheit, Christenheit Bildungsgut, Gedankengut, Ideengut

Deverbale Kollektiva

[GANZHEIT (ARTEFAKT & VERB (ARTEFAKT))]

(1) [SM; PFV -werk, Neutrum] (2) [SM; PFV zeugN] (3) [SM; PFV gutN]

Fangwerk, Laufwerk, Läutewerk Nähzeug, Rasierzeug Schüttgut, Streugut Pflanzgut

Nomenbildung 5.

Wortnegation

5.1

Negation einer nominalen Eigenschaft

433

[NON (N)] (r) (1) [SM; un- PFN] (2) [SM; miss- PFN] (3) [SM; nicht PFN] 5.2

Untugend, Unkenntnis, Unvernunft Misserfolg, Missgunst, Misskredit Nicht-Akademiker, NichtDeutscher

Modifizierende Negation

[N & (NON (NORMAL))(N)] (r) (1) [SM; un- PFN] (2) [SM; miss- PFN] (3) [SM; fehl- PFN] 5.3

Unsitte, Unart, Unzeit Missernte, Misswirtschaft, Missgriff Fehlentscheidung, Fehlentwicklung

Negation der Aktualität

[EX (N)] (r) (1) [SM; ex- PFN]

3.2

Exkanzler, Exkönig, Exminister

Polyfunktionalität der Affixe

Eine größere Zahl von Affixen tritt nur als Indikator eines aktiven Musters auf: -chen: -en: -in: -lein: -tum:

Diminutiva nomina actionis movierte Feminina Diminutiva Kollektiva

das Bäumchen, Mäuschen das Rauchen, Warten die Lehrerin, Freundin das Tischlein, Häuslein das Hegelianertum, Christentum

Ge - (e): Erz-:

iteratives Geschehen Augmentative

Geschrei(e), Gebrülle Erzfeind, Erzdummheit

Kapitel 4

434

Ex-: Ur-:

Negation der Aktualität Augmentativ

Exkanzler, Exehefrau Urmensch, Urknall

Andere, zu aktiven Mustern gehörige Affixe, sind an mehreren Mustern beteiligt. -e:

-er:

nomina actionis nomina acti nomina instrumenti nomina loci punktuelles Geschehen nomina agentis nomina instrumenti nomina acti

Einwirkung auf ein betroffenes Objekt Zugehörigkeit zu einem sozialen Bereich -(er)ei: iteratives Gesehen nomina loci -heit/-keit/-igkeit\ Adjektivabstrakta Kollektiva

-ler.

nomina agentis markante Eigenschaft Zugehörigkeit zu einem sozialen Bereich Diminutiva Einwirkung auf ein betroffenes Objekt Zugehörigkeit zu einem sozialen Bereich Verfügung über etwas

-ling:

nomina acti markante Eigenschaft Zugehörigkeit zu einem sozialen Bereich Verfügung über etwas Pejorative Bewertung Einwirkung auf ein betroffenes Objekt

-schaft:

Zugehörigkeit zu einem sozialen Bereich Verfügung über etwas Adjektivabstrakta Kollektiva

die Aussage, die Suche die Ablage, die Spende die Hacke, Säge die Schmiede, Bleiche der Ächzer, Jauchzer der Schreiber, Vertreter der Schaber, Schrubber der Aufkleber, Senker, Anstecker Kutscher, Schäfer Gewerkschafter, BVGer die Meckerei, die Prügelei die Räucherei, Wäscherei die Freiheit, Munterkeit, Helligkeit die Menschheit, Christenheit der Schlucki, Knacki der Dummi, Laschi Knasti, Ossi, Wessi Gorbi, Klausi der Tischler, Erdkundler der Mittelständler, Geheimbündler der Rekordler, Kriegsgewinnler der Lehrling, Prüfling der Feigling, Schwächling der Häftling, Titelämtling der Lüstling, Günstling der Dichterling, Schreiberling der Bühnenbildner, Glöckner der Sekundaner, Primaner der Rentner, Schuldner die Bereitschaft, Errungenschaft die Mannschaft, Akademikerschaft

Nomenbildung -ung:

nomina actìonis nomina acti nomina loci

Miss-: Un-\

Negation einer nominalen Eigenschaft Modifizierende Negation Negation einer nominalen Eigenschaft Modifizierende Negation

435 die Eroberung, die Abschaffung die Lieferung, die Abordnung die Siedlung, Niederlassung Misserfolg, Missgunst Missernte, Misswirtschaft Unkenntnis, Unbildung Unsitte, Unart

Es fällt auf, dass die vom gleichen Affix indizierten semantischen Muster in einem Zusammenhang stehen: - Falls ein Suffix nomina actionis indiziert, indiziert es in der Regel auch nomina agentis, nomina instrumenti, nomina acti und nomina loci. - Falls ein Suffix das Muster Einwirkung auf ein betroffenes Objekt indiziert, indiziert es in der Regel auch die Muster Zugehörigkeit zu einem sozialen Bereich und Verfügung über etwas. - Falls ein Präfix ein semantisches Muster mit Negation indiziert, indiziert es in der Regel auch ein zweites Muster dieses Typs. Wir können daraus den Schluss ziehen, dass Affixe, die in Wortbildungsmuster der Nomenbildung eingehen, sich weitgehend dem semiotischen Prinzip annähern, das ein Irl-Verhältnis zwischen semantischen Mustern und morphologischen Indikatoren präferiert.

4.

Literaturauswahl

Suffigierung: Bierwisch, Manfred (1989) Booij, Gert E./ von Haaften, Ton (1988) Esau, Helmut (1973) Meibauer, Jörg (1995) Oberle, Brigitte (1990) Sandberg, Bengt (1979) Ullmer-Ehrich, Veronika (1977) Wellmann, Hans (1975) Zimmermann, Ilse (1988)

436

Kapitel 4

Komposita: Brekle, Herbert E. (1970) Breindl, Eva/ Thurmair, Maria (1992) Fanselow, Gisbert (1981) Giegerich, Heinz J. (1985) Fabricius-Hansen, Cathrine (1993) Fuhrhop, Nanna (1996) Lieber, Rochelle (1983) Levi, Judith (1975) Meyer, Ralf (1993) Ortner, Lorelies/ Müller-Bollhagen, Elgin/ Ortner, Hans-Peter/ Wellmann, Hans/ Pümpel-Mader, Maria/ Gärtner, Hildegard (1991) Ortner, Hans-Peter/ Ortner, Lorelies (1984) Paul, Hermann (1920) Selkirk, Elisabeth O. (1980) Toman, Jindrich (1985)

5. Literatur Aaits, Jan M.G./Calbert, Joseph P. (1979): Metaphor and Non-Metaphor. The Semantics of Adjective-Noun Combinations. Tübingen. Asbach-Schnitker, Brigitte et al. (Hg.) (1987): Neuere Forschungen zur Wortbildung und Historiographie der Linguistik. Festgabe für Herbert Brekle zum SO. Geburtstag. Tübingen. Asdahl-Holmberg, Märta (1976): Studien zu den verbalen Pseudokomposita im Deutschen. Lund. Becker, Thomas (1990): Analogie und morphologische Theorie. München. Bierwisch, Manfred (1987): Dimensionsadjektive als strukturierender Ausschnitt des Sprachverhaltens. In: Bierwisch/Lang (Hg.) (1987), S. 1-28. Bierwisch, Manfred (1988): On the Grammar of Local Prepositions. In: Bierwisch /Mötsch/Zimmermann (Hg.) (1988), S. 1-65. Bierwisch, Manfred (1989): Event Nominalization: Proposals and Problems. In: LS/ZISW 194, S. 1-73. Bierwisch, Manfred/Lang, Ewald (Hg.) (1987): Grammatische und konzeptuelle Aspekte von Dimensionsadjektiven. Berlin. Bierwisch, Manfred/Mötsch, Wolfgang/Zimmermann, Ilse (Hg.) (1988): Syntax, Semantik und Lexikon. Berlin. Bolinger, Dwight (1967): Adjectives in English: Attribution and Predication. In: Lingua 18, S. 1-34. Booij, Gert E./von Haaften, Ton (1988): On the external syntax of derived words: evidence from Dutch. In: Yearbook of Morphology 1, S. 29-44. Brekle, Herbert E. (1970): Generative Satzsemantik und transfoimationelle Syntax im System der englischen Nominalkomposition. München. Breindl, Eva/Thurmair, Maria (1992): Der Fürstbischof im Hosenrock. Eine Studie zu den nominalen Kopulativkomposita des Deutschen. In: Deutsche Sprache 20, S. 32-61. Büring, Daniel (1992): Linking. Dekomposition - Theta-Rollen - Argumentstruktur. HürthEfferen. Chaffin, Roger/Herrmann, Douglas. J. (1988): The nature of semantic relations: a comparision of two approaches. In: Evens (Hg.) (1988), S. 289-335. Chierchia, Gennro et al. (Hg.) (1989): Properties, Types and Meaning. Vol. II: Semantic Issues. Dordrecht/Boston/London. Chomsky, Noam (1970): Remarks on Nominalization. In: Jacobs, R./Rosenbaum, P. (Hg.): Readings in English Transformational Grammar. Waltham, Mass. S. 184-221. Chomsky, Noam (1986): Barriers. Cambridge, Mass. Coseriu, Eugenio et al. (Hg.) (1971): Sprache und Geschichte. Festschrift für Harri Meier zum 65. Geburtstag. Davidson, Donald (1967): The Logical Form of Action Sentences. In: Rescher (Hg.) (1967), S. 81-120. Deutsche Wortbildung. Typen und Tendenzen in der Gegenwartssprache. Eine Bestandsaufnahme des Instituts für deutsche Sprache. Forschungsstelle Innsbruck. Kühnhold, Ingeburg/Wellmann, Hans (1973): Erster Hauptteil: Das Verb. Düsseldorf. Wellmann, Hans (1975): Zweiter Hauptteil: Das Substantiv. Düsseldorf Kühnhold, Ingeburg/Putzer/Oskar/Wellmann, Hans (1978): Dritter Hauptteil: Das Adjektiv. Düsseldorf. Ortner, Lorelies/Müller-Bollhagen, Elgin et al. (1991): Vierter Hauptteil: Substantivkomposita. Berlin/New York.

438

Kapitel 5

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Kapitel 5

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6. Register A + N-Komposita 24, 375 Adjektiv, adjektivmodifizierende Verwendung 158 Adjektiv, adjunktive Verwendung 158, 171 ff. Adjektiv, appositive Verwendung 17, 157, 169 ff. Adjektiv, attributive Verwendung 157, 168 f. Adjektiv, deadjektivisches 267 Adjektiv, denominales 194 ff. Adjektiv, deverbales 296 Adjektiv, possessives 250 Adjektiv, prädikative Verwendung 157, 168 f. Adjektiv, relationales 231, 233, 250, 253 293 Adjektiv, substantiviertes 326 Adjektivkomposita 267 ff., 272 ff., 296 Adjunkt 31, 317, 322 f., 325, 334, 337, 376 Adverbien => Adjektiv, adjunktive Verwendung Affixoid 10 ff., 274 Agens-Rolle 35 ff., 232,242 ff., 293 f., 331 ff. Aktant 31 ff. Alternative, syntaktische 18, 173 f. Analogie 23 ff., 64, 71, 187, 231, 329, 344, 420 Angabe => Adjunkt Antonym 164 ff., 263 281, 288 Antonyme, komplementäre => Eigenschaft, komplementäre Appellativ 345 Argumentstelle 30 f f , 350 Argumentstruktur 3, 30 f f , 53 ff., 316 ff. Argumentstruktur, semantische 30 ff. Argumentstruktur, syntaktische 30 ff. Argumentstruktur, Umformung der 99 ff. Artefakt 319, 340 ff., 406, 417, 419 Aspekte, pragmatische 26 ff. Augmentativum 367 ff. Bahuvrihi => Possessivkompositum Basis 5 Bedeutung, grammatisch determinierte 33 Bedeutung, idiosynkratische 16 Bedeutung, resultative 343, 382 Bedeutung, übertragene 80, 101 f f , 233 f., 370 Bedingung, pragmatische 228, 298, 328 f., 339 Betrachtungsfokus 297, 301 Bewertung, negative 56, 69 f., 101, 268, 368 f.

Register

Beziehung, privative 75, 130, 137, 266 Blockierung 19,328 Contextual => Kontextkompositum Dekomposition, semantische 40 Derivation 4 f., 10, 15 Derivation, implizite => Konversion Determinativkompositum 374 ff. Determinator 318 Diminutivum 358, 365 ff. Dvandva => Koordinativkompositum Eigenname 61 Eigenschaft, komplementäre 287 f. Eigenschaft, konträre 165,269, 421 Eigenschaft, messbare 164, 288 Eigenschaft, relative 164, 178, 286 Eigenschaft, absolute 164, 286 Eigenschaft, idiosynkratische => Bedeutung, idiosynkratische Eigenschaft, skalierbare => Eigenschaften, relative Einordnung, direktionale 78 ff. Ergänzung 30 Familienname 246 f. Feminina, movierte 364 f. Flexionsmorphologie 3, 8, 14 Form, phonologische 3, 12 f. Fremdwort 28, 216, 381 f. Fugen 14 f. Funktion, syntaktische 29 ff. Gegenstand, belebter 319 Gegenstand, abstrakter 319 Gegenstand, physikalischer 136, 319 Genitiv von Eigennamen 323, 335, 350 Genitiv, objektiver 324 Genitiv, subjektiver 244, 324 genus verbi 322 Geschehen 35 Gradierbarkeit 67, 164 f. Gradierungsprädikate 278 ff. Gradprädikat => Gradierungsprädikat Hyperlexikon 16

443

444

Kapitel 6

Indikatoren semantischer Muster 1 f., 17 Individualnomen 316,412 Infinitiv, substantivierter 143, 326 Informationsgewichtung 142, 376 Interpretation, appositive 169 ff., 376 Interpretation, generelle 398, 338 Interpretation, partikuläre 298, 338 Interpretation, restriktive 169 ff. Kategorie, morphologische => Flexionsmorphologie Kernproposition 29 Kollektivum 416 ff. Komparativ 8, 164, 377 Komplement 31,289,317 Kompositum 6 f., 15,47 ff., 141 ff., 267 ff., 369 ff. Kompositum, exozentrisches => Possessivkompositum Kontextkompositum 26, 389 Kontinuativ 316 Konversion 17,321 Konzeptverschiebung 341, 345 Koordinativkompositum, adjektivisches 267 ff. Koordinativkompositum, nominales 372 ff. Koordinativkompositum, verbales 141 ff. Kopulativkompositum => Koordinativkompositum Lexem, gebundenes => Lexikoneinheit, gebundene Lexikon 1 ff. Lexikon, Erweiterung des 21 Lexikoneinheit 1 ff. Lexikoneinheit, gebundene 10 ff. Lexikoneintragung 3 ff. Linkingregel 40 Lokalisierung 75 ff. Maskulina, movierte 365 Mehrfachkompositum 8, 27 Modifikation 66 ff. Modifikation, lokale 75 ff. Modifikator 106 Modifizierung, semantische 5 Modus 322 Muster, prosodisches 354 f., 381 Muster, semantisches 4 ff. Negation, syntaktische 115, 284 Negation, wortinterne 115, 284, 421 ff.

Register

Neologismus 19 Neubildung 19 Neubildungspotenz 20 nomenacti 344 nomen actionis 330 ff., 348 nomen agentis 338 ff., 347 nomen instrumentó 340 ff. nomen loci 347 ff. Nomeninkorporierung 52 Nominalisierung 322 Nominalisierung, reine 321 f., 350 Nomination 21 Numerale 9,316 Objekt, indirektes 29,40 Objekt, direktes 29,40 Ort 41,75 Partikel, trennbare 45 ff. Partikel, doppeiförmige 46 Partikel, untrennbare 45 Partizip 1 182 f., 352 Partizip 2 225 f., 275, 303, 333, 344, 356, 381, 387 Patiens 36 Perfekt, sein 40 ff. Perfekt, haben 40 ff. Performanzprozess 20 Person 318 Pflanze 318 Phase eines Geschehens 105 ff. Plural 8, 140, 316, 327, 329 Possessivkompositum 372 Possessivpronomen 323 Possessor 32,41 f., 334 Prädikat 29 ff. Prädikat, elementares 32 ff. Prädikat, lokales 75 ff. Prädikat-Argument-Strukturen 2, 30 Präferenz 15,25,380 Präfigierung 2 , 4 Präfix 2, 13, 45 ff. Prinzip der Interpretierbarkeit von Wortbildungen 26, 338 Prinzip der Knappheit von Wortbildungen 27 Prinzip des sinnvollen Wortes 26, 337 Proposition 39 Prosodik 13, 354 ff, 381

445

446

Kapitel 6

Prozess 38, 80, 117 ff. Pseudokomposita 52 Redundanzregeln 17 Reduzierung des Basiswortes 13,362 Referenzstelle 10,30,318 Repräsentation, semantische 2 ff., 29 ff., 169, 317 Resultativum => nomen acti Rolle, semantische 30 ff. Rückbildung 49, 52 Sachverhalt 30 f. Sachverhalt, dynamischer 33 Sachverhalt, statischer 33 Sachverhaltsstrukturierung 33 ff. Satzadverbien 159, 191 Satzmodus 170 Satznegation => Negation, syntaktische Semantik, logische 2,169 Semantiktheorie 2, 33 Sprachproduktion 18 Sprachrezeption 18 Sprechakt 169, 185, 192 Stamm 2, 12 ff. Struktur, konzeptuelle 31 Subjekt 29,40 Suffigierung 4 Suffix 13 Suffixerweiterungen 14 Superlativ 8,377 Tempus 327 Textstruktur 170 Textwort 18 Thema-Rolle 34 ff. Tier 323, 339, 364 f. Umkategorisierung, semantische 5 Umkategorisierung, syntaktische 21, 53 ff., 178 ff., 321, 325, 329 Umlaut 14 Valenzforschung 32 Variation, stilistische 22 Verbalphrasennominalisierung 326 Verbkomposita 48 ff. Verbkomposita, koordinative 141 ff.

Register

Verbpartikel => Partikel Vorgänge 38 Wegstreckeneinordnungen 80 f. Weltwissen 25 Wort, natives 27, 212, 216, 220, 247, 255 Wortbildung, Besonderheiten der 17 f., 23 f. Wortbildungsbedeutung 26 Wortbildungsmuster 17 Wortbildungsmuster, aktives 17 ff. Wortbildungsmuster, inaktives 17 ff. Wortnegation => Negation, wortinterne Zählbarkeit 318,327 Zeit 41 Ziel 41, 57 Zirkumfix 12, 122, 225 f., 331, 347 Zuordnungsregel => Linkingregel Zusammenbildung 8 f., 186, 225, 231,239,256, 339, 342, 345 Zustand 34

447

7. Liste der wichtigsten elementaren Prädikate AFFIZIER (s, xthemil) 'ein Sachverhalt betrifft einen Aktanten' AGENS VON (x, y) 'x ist Agens von y' ÄNDERN (s, s') 'ein Geschehen s ändert das Resultat eines nicht spezifizierten vorausgehenden Geschehens s " AUSGANG VON (N) 'Ausgangspunkt der Entwicklung von N' BEGINN (P) 'die Anfangsphase eines Geschehens oder Zustands' BEREICH VON (x, y) 'x ist ein Bereich dem y angehört' BESCHRÄNKUNG VON (x, y) 'x ist der Geltungsrahmen für y' BESTANDTEIL VON (x, y) 'x ist Bestandteil von y' BEWEG (xthemil) 'etwas erfährt ohne eigene Aktivität eine Ortsveränderung' CAUS (P1, P2) ' ein Geschehen oder ein Zustand verursacht ein Geschehen oder einen Zustand' DIM (N) 'ein N, das durch eine verniedlichene, abwertende oder ironisierende Einstellung des Sprechers bewertet ist' ENDE (P) 'die Endphase eines Geschehens oder Zustands' FÄHIG (P) 'in der Lage sein, ein Geschehen zu vollziehen' FALSCH (s) 'ein Sachverhalt verläuft falsch' GANZHEIT (N) 'aus den potentiellen Referenten von N ausgewählte Ganzheit' GERING (s) 'ein Sachverhalt verläuft in geringem Ausmaß' GRAD (A) 'die Eigenschaft A in dem von GRAD ausgedrückten Maß' HABEN (x, y) 'x verfugt über y' ITERATIV (P) 'Geschehen, die sich aus wiederholten Geschehen des Typs P zusammensetzen'

449

Liste der wichtigsten elementaren Prädikate

'Gegenstände x2 stehen in einer lokalen Beziehung zu Bezugsorten x ; LOC ist eine Variable für lokale Prädikate' L O C (x 1 ort» x thema)

AN 'der Bezugsort ist die äußere Begrenzung eines Gegenstandes. Ein anderer Gegenstand befindet sich unmittelbar, auch in Kontaktstellung, an dem Bezugsort. Die Perspektive ist horizontal' AUF 'setzt wie AN unmittelbares Zusammentreffen eines Gegenstandes mit einem anderen voraus. Im Unterschied zu AN verlangt AUF die vertikale Perspektive. Es wird ausgedrückt, dass sich der einzuordnende Gegenstand oberhalb des Bezugsortes befindet' DURCH 'setzt die Bewegung eines Aktanten voraus. Der Weg, den der Aktant nimmt, schließt eine Strecke ein, deren Begrenzung der eines Raums entspricht' HINÜBER 'eine Wegstrecke, die AUF oder ÜBER dem Bezugsort verläuft' IN 'der Bezugsort ist ein abgegrenzter Raum, innerhalb dessen Grenzen sich ein Gegenstand befindet' ÜBER 'setzt die vertikale Perspektive mit der Blickrichtung nach oben voraus. Der einzuordnende Gegenstand ist höher positioniert als der Bezugsort. Im Unterschied zu AUF drückt ÜBER keinen Kontakt aus' UM 'bezeichnet einen Weg, der der äußeren Gegenstandes, der den Bezugsort bildet, entspricht'

Begrenzung

des

UNTER 'der Blick richtet sich nach unten. Der einzuordnende Gegenstand befindet sich tiefer als der Bezugsort' VOR 'setzt die Dimension VOR einer intrinsischen räumlichen Einordnung des Gegenstandes voraus, der den Lokalisierungsort bildet' MÄNNLICH (N) 'N, die männlich sind' MASS VON (x, y) 'x ist ein Maß bezüglich y' MATERIAL VON (x, y) 'x ist ein Material, aus dem y besteht oder hergestellt ist' MAX (N) 'N, die mit einer sehr positiven oder negativen Einstellung bewertet sind' MITTEL VON (x, y) 'x ist Mittel von y'

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Kapitel 7

MÖGLICH (P) 'die Möglichkeit, ein Geschehen zu vollziehen' MUSTER VON (x, y) 'x ist ein Muster, nach dem sich y richtet' NACH, (s\ s) 'ein Geschehen s läuft auf der Zeitskala später ab als ein nicht spezifiziertes Bezugsgeschehen s " (NON (P)) 'durch Negation eines Wortkonzepts P gebildetes komplementäres oder konträres Konzept' ORT VON (x, y) 'x ist Ort von y' PEJORATIV (P) 'Geschehen oder Gegenstände, die pejorativ bewertet sind' PUNKTUELL (P) 'eine kurze Phase eines Geschehens' RESULTAT VON (P\ P) 'eine Eigenschaft P, die das Resultat eines Geschehens P' ist' TEIL VON (x, y) 'x ist ein natürlicher Teil von y' THEMA VON (x, y) 'x ist Thema von y' TUN (x'agens, x2thema) 'ein physisch oder geistig aktiver Aktant x1 bezieht einen anderen Aktanten x2 in seine Aktivität ein' TUN (xagens) 'ein Aktant ist physisch oder geistig aktiv' ÜBER NORM (s) 'ein Sachverhalt erreicht ein über der Norm liegendes Ausmaß' UND (P, P') 'Vereinigungsmenge der Eigenschaften zweier Wortkonzepte P und P " UNTER NORM (s) 'ein Sachverhalt erreicht ein unter der Norm liegendes Ausmaß' VOLLSTÄNDIG (s) 'ein Sachverhalt verläuft vollständig (bis zum Ende)' (VON-BIS (BEGINN, ENDE)) (P) 'eine ganze Strecke, die durch einen Anfang und einen angenommenen Abschluß charakterisiert ist'

Liste der wichtigsten elementaren Prädikate

VOR( (s% s) 'ein Geschehen s läuft auf der Zeitskala früher ab als ein nicht spezifiziertes Bezugsgeschehen s'' WEIBLICH (N) 'N, die weiblich sind' WERD (P) 'Prozess, der von einem Ausgangszustand zu einem Endzustand führt' WIDERRUF (s', s) 'ein Geschehen s', das zeitlich vor dem Geschehen s verlaufen ist, wird durch s widerrufen' WIE (x, y) 'y hat die prominenten Eigenschaften von x' ZEIT VON (x, y) 'x ist ein zeitliches Charakteristikum von y' ZIEL (s, x) 'ein Sachverhalt wendet sich einem Aktanten zu' ZWECK (P, P') 'P ist der Zweck eines Geschehens P "

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Deutsche Wortbildung Typen und Tendenzen der Gegenwartssprache Erster Hauptteil: Ingeborg Kühnhold/Hans Wellmann

Das Verb

1973. 375 Seiten. Leinen. ISBN 3-11-012494-7 (Sprache der Gegenwart 29)

Zweiter Hauptteil: Hans Wellmann

Das Substantiv 1975. 500 Seiten. Leinen. ISBN 3-11-012497-1 (Sprache der Gegenwart 32)

Dritter Hauptteil; Ingeborg Kühnhold/Oskar Putzer/Hans Wellmann

Das Adjektiv

1978. 536 Seiten. Leinen. ISBN 3-11-012503-X (Sprache der Gegenwart 43)

Vierter Hauptteil: Lorelies Ortner/Elgin Müller-Bollhagen

Substantivkomposita

Komposita und kompositionsähnliche Strukturen 1 Unter Mitarbeit von Hanspeter Ortner, Hans Wellmann, Maria Pümpel-Mader, Hildegard Gärtner 1991. XLII, 863 Seiten. Leinen. ISBN 3-11-012444-0 (Sprache der Gegenwart 79)

Fünfter Hauptteil: Hans Wellmann

Das Adjektivkomposita und Partizipialbildungen

Komposita und kompositionsähnliche Strukturen 2 Unter Mitarbeit von Lorelies Ortner 1992. XVI, 340 Seiten. Leinen. ISBN 3-11-012445-9 (Sprache der Gegenwart 80)

Ingeborg Kühnhold/Heinz Peter Prell

Morphem- und Sachregister zu Teil I-III 1984. 160 Seiten. Leinen. ISBN 3-11-012522-6 (Sprache der Gegenwart 62)

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