Deutsche Volksmedizin: Ein Grundriß [Reprint 2015 ed.] 9783111495187, 9783111128979

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Deutsche Volksmedizin: Ein Grundriß [Reprint 2015 ed.]
 9783111495187, 9783111128979

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
I. Krankheitsnamen
II. Entstehung
III. Vorbeugung. Schutzmittel
IV. Bestimmung der Krankheit
V. Heilung
VI. Tierheilkunde
Schriftenverzeichnis
Sachverzeichnis

Citation preview

Gustav Jungbauer

Deutsche Volksmedizin

Deutsche Volksmedizin Ein Grundriß Von

Gu s t a v J u n g b a u e r

Wal t er de Gr uht e r

&

Ko.

v o r m a l s G.J.GSscheu'sche Derlags-arr - lrr ng — I.Gr»tleirtag,Derlag-F buchhandlung — Georg Reimer - Karl I . Tr üb«e r — Veit L Comp.

Berlin und Leipzig 1934

Nrchlv-Aummer 46 12 34 Druck von Walter de Gruyter L Lo. Berlin W 10 Printed in Q erm any

Vorwort Die Volksmedizin war bisher ein Stiefkind der deutschen Volkkunde. 3tt den volkskundlichen Schriften wird sie meist nebensächlich behandelt, in der „Deutschen Volkskunde" von K. Reuschel sind ihr ganze vier Seiten eingeräumt. Auch an den deutschen Hochschulen wurde sie bisher wenig beachtet, bloß an der Deutschen Universität in Prag werden seit 1925 regelmäßige Vorlesungen über dieses Stoffgebiet abgehalten. Dafür besteht von seiten der Arzte und medizinischen Fach­ gelehrten ein umfangreiches Schrifttum, das einseitig ist, weil sich überall die Einstellung des Arztes zeigt, der den Stoff zu­ weilen mit dem überlegenen Lächeln des alles besser wissenden betrachtet. Ls ist auch einseitig, weil es meist landschaftlich be­ schränkte Darstellungen sind. Zudem begnügt man sich in diesem Schrifttum gewöhnlich mit der trockenen Wiedergabe der Tat­ sachen, ohne aus eine wissenschaftliche Erklärung der Erscheinun­ gen einzugehen, hierin bildete bloß der 1914 gestorbene Tölzer Badearzt Max hösler eine Ausnahme, der ungefähr 200 volks­ kundliche Arbeiten geschrieben hat. Leider war er ein Hinb seiner Zeit und wandelt oft im Irrgarten einer falsch verstandenen Mythologie. I m übrigen ist die Meinung, daß der Arzt an der Quelle der Volksmedizin sitzt und vor allem berufen ist, den volkmedizinischen Stoff zu sammeln und zu erforschen, nicht richtig. Nur ausnahmsweise, wenn er selbst aus dem Volke stammt und klug vorgeht, wird er beim Stoffsammeln Erfolg haben. Sonst hüten sich gewöhnlich sowohl die Volksheilkünstler wie auch die von ihnen Behandelten, einem Arzt nähere Angaben zu machen, von zwei Ärzten stammt auch das Hauptwerk, die „vergleichende Volkmedizin" von ) Zfrw vk. 2 (1905) 144. *) Nach Aufzeichnungen des Lehrers £. Thür in Lagau Bei Krummem (Böhmerwald). *) Gleiche Quelle, vgl. Hooorka-Kronfeld II. 693, 875f.; Klapper, Schles. Dl. 104f.; peuckert, Schief. Dl. 226f.

Bestimmung der Krankheit

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Beeinflussung des Kranken vor, dem m an so jede Gefahr aus­ redet, wie bei anderen Zormen des Messens. So wird B. auch festgestellt, ob der Kranke am Leben bleibt oder stirbt, indem man ihn an drei Tagen über den Rücken mißt. Wird er kürzer, so stirbt e r I). Es ist wohl kaum anzunehmen, daß die Körperlänge eines Menschen in drei Tagen abnimmt. Bemerkenswert ist ein bei den Suden in der Bukowina übliches Messen. Erkrankt ein Mann, so gehen die Zreundinnen seiner Zrau auf den Zriedhof und messen diesen mit einem Zaden. Das Ergebnis ist stets, daß für ein neues Grab, d. h. für den Kranken, kein Platz mehr vorhanden ist. Und man glaubt daher, daß der Kranke genesen w ird 2). Noch heute trifft man hie und da Leute, die einen E rd s p ie g e l zur Bestimmung der Krankheit verwenden. Solche Zauberspiegel, die zuweilen Lrbspiegel sind, oder auch Kristalle dienen überhaupt zur Erforschung des Unbekannten und Zu­ künftigen 3). Die Erklärung liegt wohl darin, daß sich manche Menschen durch Betrachten glänzender Dinge in einen Zustand der Autohgpnose versetzen können, in dem eine Art hellsehen in $otm von Halluzinationen möglich ist4*) Doch dürfte es sich bei den Spiegel- und Kristallseherinnen der Gegenwart, die haupt­ sächlich in Großstädten daheim sind, kaum um derartige Zähig­ keiten, sondern um bloßen Betrug handeln6). Bei Heilkünstlern aus dem Lande, die sich des Erdspiegels bedienen, hat man aber den Eindruck, daß sie an das dabei Geschaute glauben. Sn dem Dorfe Neutal im Böhmerwald, hart an der bayerischen Grenze bei Haidmühl gelegen, hat noch in den letzten Sahren eine alte Zrau den Erdspiegel benützt. V enn Kranke zu ihr kamen, so ging sie in einen verschlossenen Raum, den niemand betreten durste, !) Btunnet, Vstd. vk. 252. *) Zfö vk. 2 (1896) 81. *) vgl. IDuttfe 245 § 354; Reifer, flllgäu I. 221f.; Itteyer, Baden 563f.; Götze, Luther 17; Klingnet, Luther 69s.; höhn, Volksheilkunde 68,71; Mauz, Smtgans 115; Leoprechting, Lechrain 93ff.; huß, Aberglaube 23; Sohn, lvestböhmen 290. 4) vgl. den Artikel Kriftallomantie im Hw. Aberglaube V. 578ff. •) Ebd. flnm. 14.

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Bestimmung der Krankheit

und befragte den Spiegel. Danach gab sie dann ihre Anwei­ sungen 1). Heilkünstler aus dem Volke bestimmen zuweilen aus den ihnen überbrachten K le id e rn der Kranken die Art der Krankheit2*) und heilen sie durch Besprechen der Kleidungsstücke2). Manche glauben, die Krankheit durch Betrachten der ausgerissenen h a a r e der kranken Menschen und Tiere erkennen und heilen zu können4*). Die Diagnose aus dem „Beschauen des Wassers" ist noch heute üblich. Der H arn spielte in dieser Hinsicht eine beherrschende Rolle in der Schulmedizin des 13. bis 16. Jahrhunderts67), die hiebei von der Antike beeinflußt ist6). volkstümliche Arzte, wie etwa der nordböhmische Zaust Doktor Kittel (f 1783) *), haben ihre Behandlung hauptsächlich nach den harnproben eingerichtet. Es ist hier schwer, wissenschaftliche Medizin und Volksmedizin zu scheiden. Unverblümter Aberglaube und Unfug aber w ar es, wenn eine der wichtigsten Personen unter den Harnbeschauern der neueren Z eit8*), die „kluge Zrau" zu Schlei; (um 1855), aus dem Urin sogar erkennen wollte, wie viele Stufen jemand treppab gefallen w a r2). Gegenwärtig kurieren noch nach der bloßen Harnschau der Naturheilkundige Meier in Göppmannsbühl bei Stadt-Kemnath10I*13), eine kurpfuscherin in Zreiwaldau (Tschech.Schlesien)u) u. a. I m Schwaben nannte m an die Harnbeschauer Seichgucker oder Brunzdoktorenia), in Braunschweig Migenkiker u ). hier I) *) *) *) *) 8) 7) •) *) 10) II) “) 13) IS lff.

Verfasser, nach mündlichen Mitteilungen. John, Westböhmen 290. hutz» Aberglaube 14f.; Hw. Aberglaube IV. 1505ff. Hw. Aberglaube III. 1286; Nieder-Zsvk. 10 (1932) 83f. Peters, Arzt 18f., 66 (m it vielen Abbildungen); viepgen 29f. Hw. Aberglaube III. 1475. Sischer. Kittel 46. vgl. Zegerlehner» Unterwallis 13; Seefried-Gulgowski, Kaschubei. 201. §lügel, Zrankenwald 33. höser, Gberpfal; 7. Gesundheitsdienst 1 (1932) 183. vgl. SudZfvk.6 (1933) 221. Buck, Schwaben 29; höhn» volksheilkunde 62. Andrer, Braunschweig 414. Zum Ganzen vgl. Bargheer, Eingeweide

Bestimmung der Krankheit

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hatte zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein Bauer in vuttenstadt ein weiteres Verfahren zur Bestimmung der Krankheiten. Er beurteilte alle Krankheiten, indem er den K o t der Kranken be­ trachtete. Zu diesem Zwecke hatte er eine Anzahl von Abtritten m it Torfgruben nebeneinander errichtet, die seine Besucher be­ nutzen mufeten1). *) Kndree, Braunschweig 414.

V. Heilung Die Heilung der Krankheit richtet sich meist nach der Art der vermeintlichen Entstehung. Gegen Leiden, die man durch Geister oder hexen verursacht wähnt, müssen entsprechende Gegenmittel ergriffen werden, gegen solche, die als Prüfung oder Strafe Gottes aufgefaßt werden, bieten die Religion und die Kirche Mittel und Wege zur Abwehr. Im allgemeinen herrscht aber doch im Volke die vernünftige Meinung vor, daß man die meisten Krankheiten in der Weise heilen kann, wenn man die Krankheitsstoffe durch Abführen und Erbrechen oder durch Schwitzen aus dem Körper treibt. Neben dem warmen Bett und dem heißen Tee gibt es auch allerlei selt­ same schweißtreibende Verfahren, indem m an etwa das Kind, das schwitzen soll, bis zum halse in einen umgewendeten Mehlsack steckt i). Die Wichtigkeit der drei erwähnten heilarten ist auch dem Zacharzt wohl bekannt. Davon handelt der folgende Schwank, den ein Lehrer aus dem Böhmerwald dem Verfasser erzählt hat, der aber in ähnlicher Zorm auch weiterhin verbreitet ist: „Ein Landarzt hatte viel Erfolg und Zulauf. Eines Tages besuchte ihn ein Zreund und fragte, wem er dies zu verdanken habe. Der Arzt öffnete die Tür zu einem Nebemaum. Dort standen drei große Zlaschen, jede m it einem 8 versehen. „Diesen drei S verdanke ich meine Erfolge", sagte der Arzt. 3n der ersten Zlasche ist ein M ittel für das Schwitzen, in der zweiten eins für das Speien und in der dritten eins für das S . . .pülen nach der Hinterpforte zu. M it diesen drei 8 habe ich noch allen meinen Kranken geholfen." *) Urban, Tepl, 84. Dgl. glfigel, Sranfenroolö, 14f.; Zöget, Pennsylvania 267 Zit. 1386.

Träger der Volksmedizin

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A. Träger dct Volksmedizin Als Träger der Volksmedizin kommt zunächst jeder einzelne Mensch in Betracht. Venn nicht allein derjenige, der die alten Hausmittel gebraucht, sondern jeder, der bewußt oder unbewußt, mit voller Überlegung oder rein triebmäßig der alten Überlieferung folgt und ihr gemäß handelt, ist Träger der Volksmedizin und damit zugleich in den meisten Fällen auch Träger des Volks­ glaubens. Besondere und wichtigste Träger der Volksmedizin sind aber die V o lk sä rz te x), die sich mehr oder minder beruflich mit der Heilung von Krankheiten befassen, und zwar seit je nicht allein Männer, sondern auch Frauen, die überhaupt in der Geschichte -e r Heilkunde eine große Rolle spielen3). Sie sind Träger und Überlieserer. Zwischen dem Volksarzt der Gegenwart und dem pflanzenkundigen Weib oder Zauberarzt der germanischen Z eit3) ist kein allzugroßer Unterschied. Bei allen sind bestimmte Fähig­ keiten, ;. B. Geschicklichkeit in der Chirurgie, Geburtshilfe usw. und praktische Kenntnisse, namentlich der Heilmittel und ins­ besondere der Heilkräuter, die Grundlage und Hauptsache, zu der sich als wichtiges Beiwerk die Formen der Zaubermedizin gesellen, die in beiden Fällen schließlich und endlich vor allem Suggestiv­ mittel sind und daher für die Heilung auch ausschlaggebend sein können, vazu kommt in heidnischer wie in christlicher Zeit die enge Verbindung der Volksmedizin und ihrer Träger m it dem religiösen Glauben und Kult. 3m zweiten Merseburger Zauber­ spruch sind die Götter bei der Heilung des Beinbruches behilflich, J) vgl. wuttke, 146ff. § 204ff.; Itleyer, Laden 562ff.; glügel, Franken­ wald huß, Aberglaube 13f.; John, Westböhmen 289s.; Endt, Erz­ gebirge (v e r Wunderdoktor Rölz); Zahler, Simmenthal 120ff.; höhn, Volksheilkunde 68ff.; IRsSvk 8 (1919) 18; Lüpkes, Gstfries. vk 118; Zaunert, Rheinland II. 159; Lieber, harzland 262; Grundriß Lachsen I. 124f.; E. Prötzel, Aus der Praxis eines mecklenburgischen volksheilbmdigen. I n : Zfvk. 39 (1929) 290—292; h . Hansjakob, Sympathie und Geheimnisse. I n : w ilde Uirschen, 8. Ausl. Ghlau o. I . ; -ers., Schneeballen II., 5. Ausl. Ghlau 1906, 110, 127f.; Jegerlehner, Unterwallis 12ff.; Staat, Mecklenburg 14ff. *) vgl. IR. Lipinska, Histoire des femmes mldecins. P aris 1902. *) Grimm, Myth. II. 962f.; Diepgen, Geschichte II. 20.

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Heilung

heute werden Jesus, die Jungfrau M aria und die heiligen in den Krankheitssprüchen angerufen. Wenn w ir von den städtischen R u rp fu sc h e rn , die nur an Gewinn denken, die in allen Schichten der Bevölkerung ihr Un­ wesen treiben und m it aller Kraft bekämpft werden sollen, weil sie — oft durch die käufliche Tagespresse unterstützt — das v e r­ trauen der Ullerärmsten, -er Kranken mißbrauchen, hier ganz absehen, so bleiben uns zwei Gruppen von Heilkünstlern aus dem Volke, die als tatsächliche Träger der Volksmedizin zu betrachten sind. Die ersten sind die Z ach ärzte, Personen, die auf bestimmten Gebieten oft von Geschlecht zu Geschlecht in derselben Zamilie vererbte Kenntnisse und Artigkeiten besitzen, namentlich in der Tierheilkunde, dann als Chirurgen beim Einrichten von Knochen­ brüchen, Verrenkungen usw. Meist verwenden sie alte, gut­ erprobte Arzneien, für deren Herstellung Heilkräuter die wichtig­ sten Bestandteile liefern, oder eine bestimmte Salbe, deren Zu­ sammensetzung ein Zamiliengeheimnis ist1). Allerdings kann es vorkommen, heute seltener als früher, daß auch sie wie die Arzte der zweiten Gruppe mit Suggestivmitteln arbeiten, etwa be­ stimmte Gebete verrichten lassen. Zu dieser ersten Gruppe kann man die H e b a m m e n 8) rechnen, die seit je für Kinderkrankheiten und für Zrauenkrankheiten allerlei aus Erfahrung und Überlieferung geschöpfte Mittel verwenden. Neben Altheimischem ist hier aber auch manches, das aus griechischen und arabischen Arzneibüchern und den Schriften des Scholastikers Albertus Magnus stammt, in die verschiedenen Hebammenbücher und Hebammenordnungen ftüherer Jah r­ hunderte gekommen und durch Weisungen der Geistlichkeit und Verordnungen der weltlichen Behörden vermehrt worden 8). Doch ist gerade bei Hebammen bis in die Gegenwart herauf neben der Erfahrungsmedizin nicht wenig Zaubermedizin in Übung ge­ blieben. v o r allem auf dem Lande ist es meist die erste und *) vg l. heckscher, Hannover I. 124. *) Peters, Arzt, 45f.; höfler, Volksmedizin 200ff. *) IReyet, Laden 36.

Träger der Volksmedizin

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wichtigste Aufgabe der Hebammen, abwehrende und schützende Amulette an dem Neugeborenen — meist an den Wickelbändern — anzubringen und nicht selten pflegen sie Kinderkrankheiten durch Besprechen zu heilen1*). Die zweite und wichtigste Gruppe bilden die Z a u b e r ­ ä rz te . Sie heilen die Krankheiten auf magischem Wege, meist durch sogenannte Sgmpathiekuren. Die Macht der Suggestion verhilst hier nicht selten zu vollem Erfolg. I n der deutschen Volksmedizin kennt man die sizilianische Sitte nicht, daß Leuten wegen ihres Familiennamens die Zähigkeit zugeschrieben wird, irgend eine bestimmte, je nach dem Familien­ namen wechselnde Krankheit zu heilen, daß z. B. die Mitglieder der Familie Leraulo Schlangenbisse, die der Familie potenzan» schwere Wunden, die der Familie Grassellini den Grind zu heilen vermögen3). Aber auch bei den deutschen Dolksheilkünstlern gibt es eine Familienüberlieferung in der Art, daß die Heilkunst, die dabei gesprochenen Heilsegen und das ganze Heilverfahren stets nur von der M utter auf den Sohn und vom Vater auf die Tochter 3), seltener vom Vater auf den Sohn und von der M utter auf die Tochter4*) überliefert werden dürfen, das Geheimnis als» innerhalb der Familie bleibt. w ird es Fremden preisgegeben, so verliert es seine Kraft. Und da die meisten Volksärzte Sonderärzte sind, so vererbt sich auch im Deutschen die Behandlung be­ stimmter Krankheiten in der gleichen Familie. Die eine befaßt sich mit dem Besprechen von Blutungen, die andere versteht Zahn­ schmerzen zu heilen, für die es besonders viele volkstümliche Heil­ m ittel gibt6), die andere heilt Gicht usw. I n der Sprachinsel Gott­ schee lebte um 1890 in der Pfarre Nesselthal ein Hufschmied, der bloß Schlangenbisse heilte 6), wie die sizilianische Familie Leraulo. *) Lin Zeugnis aus dem 18. Jahrhundert bei Bttlinget, Schwaben I. 393f. *) Zfvk. 6 (1896) 337. vgl. ebb. 443f. u. 7 (1897) 100, 212. *) Hw. Aberglaube I. 1164; TDuttte, 147 § 205; Fasse!, Steiermark 27; vlhessvk 2 (1900) 7; wuttke, Sachs. DL 351; Staat, Mecklenburg 20 f. 4) NiederdZfvk. 10 (1932) 86. *) wuttke, S. 350ff. § 526s.; BI pommVk. 5 (1896/97) 13—1 5 ,2 5 -2 7 , 71s.; 9 (1900/01) 159s.; Zftwvk. 14 (1917) S. 174—185. •) häuften, Gottschee 103. S u n g b a u e r , Deutsche D rldm edhla.

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Heilung

Die Heilkunst kann aber auch erworben werden, besonders in der frühesten Kindheit. 3 n Württemberg, wo in manchen Ortschaften mehrere Personen234), in einem §alle sogar ein Drittel -er Einwohnerschaft2), sich auf Sympathie verstehen, erlangt nach dem Volksglauben derjenige die geheime Kraft, Krank­ heiten zu heilen, der am Karfreitag unbesehen einen Maulwurf, der zu M ittag über den w eg läuft, fängt und so lange in der Hand hält, bis er stirbt. Ein Kind erhält die Kraft zu Sympathie­ kuren, wenn es im Alter von 6 Jahren ebenfalls einen M aulwurf in seiner Hand absterben läßt. M an bindet auch einem Kind oder dem Erstgeborenen vor der Taufe ein lebendes Würmchen in die Hand, w enn das Würmchen beim heimkommen von der Kirche ab­ gestorben ist, so bekommt das Kind später die Kraft zur Sympathie­ heilung 8). Nach deutschem Glauben kann die Heilgabe einzelnen Men­ schen aber auch durch das Geschick zufallen. Unter den Bauern der vorberge des Koralpenzuges gelten die am Lichtmeßtage geborenen Kinder als besonders geschickt zum „Abbeten"4). 3m Niederdeutschen hat der „Sebenpüster", der letzte von sieben in einer Kamilie geborenen Knaben, die Gabe, ein krankes Auge durch Anblasen wieder gesund zu machen, jedoch kann er diese Kraft nur zu bestimmten Zeiten ausüben6). Die Heilverfahren sind sehr verschieden. Die meisten Volks­ heilkünstler begnügen sich mit dem bloßen Ansprechen und der Verwendung alter Beschwörungsformeln und Krankheitssegen. Davon haben sie auch in jenen Gegenden, wo man das Besprechen mit Büßen bezeichnet, den Namen „Büßer" (vgl. unten). Andere bevorzugen das Abbeten oder Gesundbeten, die dritten befassen sich mit dem Messen oder Wenden, die vierten mit dem übertragen -er Krankheit auf Bäume, Tiere oder in die Erde, ins Wasser, Zeuer usw. Manche verwenden für alle Krankheiten bei Menschen 2) höhn, Volksheilkunde 71. 2) Lbd. 73. 3) Lbd. 78. vgl. pollinger, Landshut 285; Staat, Mecklenburg 20. *) Solfel, Stetermatt 27. °) Lauster, Niederd. Dt. 84. vgl. XDuttte 323 § 479; Liebrecht, Zur vollst. 346f.

Träger der Volksmedizin

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und Tieren immer dasselbe M ittel und sprechen dazu ihre Segens­ formeln, die allerdings hie und da dem einzelnen Fall entsprechend verschieden sein können. Ein Sympathie-Doktor aus dem Schwarz­ wald gab bei jeder Krankheit kleine mit Geißbutter bestrichene Brötchen zu essen, wozu er sein Sprüchlein m urm elte1). Die erste Forderung aller Volksärzte ist, daß die Kranken ihnen unbedingt glauben und vertrauen. Darauf beruht ja auch ihr Erfolg. Der Glaube steht zum Werke, pflegte der Wunder­ doktor Rölz im Erzgebirge zu sagen2). Sie selbst unterliegen aber auch mancherlei Vorschriften. I n manchen Gegenden dürfen sie auf dem Wege zum Kranken nichts reden und dürfen niemanden grüßen. Sie selbst sollen beim Betreten des Hauses und der Krankenstube nicht angesprochen werden. I n völligem Schweigen vollzieht sich gewöhnlich die ganze Heilhandlung bis auf etwa laut gesprochene Gebete zum Schlüsse, häufig nimmt das Volk an, daß der Heilkünstler, der die Krankheit gewissermaßen übernimmt, dann selbst die Schmerzen des Kranken empfindet34*). Eine ständige Vorschrift ist endlich, daß er keine Bezahlung annehmen darf; dafür erhält er Geschenke®). Zum größten Teil gelten für das ganze deutsche Gebiet die folgenden von den Heilkünstlern des Schwarzwaldes gesagten W orte: „Ein Sympathie-Doktor muß, wenn er im Volke Ansehen haben will, ein frommet M ann sein, gerne beten und gerne in die Kirche gehen. Er darf kein Flucher und kein Trinker sein. M an legt im Volke an ihn einen so strengen Maßstab wie an einen Priester" 6). Eine eigenartige, aber psychologisch wohl begründete Er­ scheinung ist, daß das Volk den F r e m d e n und Fernstehenden als Arzt bevorzugt, vielfach werden I u d e n , die schon im Mittel­ alter als heilkundige gern gesucht waren ®), bevorzugt, namentlich 1) h. Hansjakob, Der Zürst von Teufelsstein. I n : Waldleut«, 7 . - 9 Llufl. Stuttgart 1922. 122. 2) Lndt, Erzgebirge 123. 3) Zahler, Stmmenthal 98f.; Lndt, Erzgebirge 124. 4) wuttke, 324 § 481; höhn, Volksheilkunde 71; Grundriß Sachsen I. 124; Staat, Mecklenburg 34. 6) h. Hansjakob, Sympathie und Geheimnisse. Zn: wilde Kirschen, 8. flufl., Dhlau o. 3., 325. •) vgl. etwa Gördes, Münster 59f.

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Heilung

in Nordwestdeutschland und im Rheinland, weshalb man das dort übliche Wort „brauchen"**4*) für „besprechen" irrtümlicherweise sogar aus dem hebräischen Stamm „barach“ (borach, berech) — segnen abzuleiten gesucht h a t2). Ähnlich wendet man sich bei Pferdekrankheiten auch heute noch lieber an einen Z ig e u n e r als an den geprüften Tierarzt. Und in den deutschen Sprach­ inseln des Ostens kommt es sogar vor, daß sich die Deutschen von den kulturell viel tiefer stehenden, in dem Rufe von Hexenmeistern und hexen stehenden Ukrainern behandeln lassen 8). Die zwei Merkmale, das gläubige vertrauen der hilfesuchen­ den und die Wahrung des Abstandes, die dort, wo der Heilkünstler ftemd ist, sich von selbst ergibt, haben die Volksärzte mit den Wunderärzten aller Zeiten und auch der Gegenwart gemeinsam. Beson­ ders für Zeileis sind die gleichen Merkmale hervorgehoben worden 4). Als Heilkünstler betätigen sich Angehörige aller Berufe, Stände und Volksschichten. Während die heilkundigen Scharf­ richter 67) und Bader *) — hie und da erscheinen aber auch heute noch Zriseure als Heilkünstler ^ —, zum Teil auch die kräuter­ kundigen Röhler und pechler8) der Vergangenheit angehören, üben neben Geistlichen u. a. noch immer Schmiede, Hirten (Schäfer) und Schinder (Abdecker) die Heilkunst aus, die letzten allerdings mehr bei Tieren als bei Menschen. Sie verkaufen oft Salben und Schmieren, wie Roß-, Hunde- und Katzenfell. Auf die Krankheiten der Schweine verstehen sich häufig die Sau­ schneider, die ihre Arbeit zuweilen noch mit Gebeten verbinden9). *) wrede, Eifel 94; Diener, Hunsrück 92f. а) So?, Saarland 124, 296; Lecker, Pfalz 134ff. s) Schmid, Sprachinsel 98. 4) £ief, w under 73ff. б) Keller, Scharfrichter 224—237; Gördes, Münster 43ff.; 5- Heinemann, Die Henker u. Scharfrichter als Dolks- u. Diehärzte feit Ausgang des M ittelalters. I n : SflDf. 4 (1900) 1— 16. •) Hw. Aberglaube I. 851 f. Dgl. höfler, Dolksmedizin 57ff.; Ale­ mannia 33 (1905) 127ff. 7) höhn, Dalksheilkunde 74. 8) höser, Gberpfalz 10. •) SudZfDk. 4 (1931) 175. Dgl. Pfalz, Marchfeld 121.

T räger der Volksmedizin

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Die Zrage, warum sich auch gegenwärtig noch viele Leute lieber an den Heilkünstler aus dem Volke wenden als an den geprüften Arzt, ist leicht zu beantworten. Zunächst begünstigt der in allen Menschen steckende hang zum Mystizismus die Volksmedizin **). Dort, wo ein verfeinerter Kulturmensch einen derben Volksarzt bevorzugt, mag vielleicht auch ein dumpfes Gefühl mitspielen, daß der einfache Mensch viel mehr Lebenskraft in sich birgt und gewissermaßen ausströmen kann. Den Leuten seiner Umgebung aber ist der volksarzt meist persönlich bekannt, er ist ihresgleichen, er spricht die M undart und hält alle Befangenheit von Anfang an fern. Gewöhnlich kennen die Leute auch die Art der Behandlung schon von vornherein und stehen daher nicht einer unbekannten und daher gefürchteten Sache gegenüber. I m übrigen arbeitet der volksarzt gewöhnlich mit den alten, im Volke verankerten Krankheitsbegriffen (Säfte, ver­ schlagenes Blut u. a.). Die Eigenart der Volksmedizin gestattet ferner dem Wunder­ doktor, der m it Sympathie heilt, Begründungen, die im Munde eines Arztes lächerlich wären. Der Volksheilkünstler Johann heider (fl905) in Hammer-Trevesen (Gberpfalz) hatte einmal eine wassersüchtige Krau geheilt. Als sie nach einigen Jahren wieder an Wassersucht erkranke und ihn holen ließ, kam er wohl, sagte aber gleich beim Eintritt: „Diesmal Hilst nichts, denn ein Sgmpathiemittel läßt sich nicht zweimal gebrauchen^)." Weiters spielt die mangelnde Aufklärung eine ziemliche Rolle. Gar mancher Kranke würde sich sofort an den richtigen Arzt wenden, wenn er wüßte, daß die moderne Medizin sein Leiden ganz bestimmt und auf einfachem, nicht schmerzhaftem und auch nicht zu kostspieligem Wege heilen kann. Venn auch die Geld­ kosten kommen wesentlich in Betracht. Der volksarzt ist gewöhnlich billiger als der geprüfte Arzt und auch kein so rücksichtsloser Ge­ schäftsmann wie mancher heutige Arzt. G ft geht m an erst zum Arzt, wenn alles zu spät ist. Und dann kann es vorkommen, daß man ihm allein und nicht auch dem *) ZlZugnus, Volksmedizin *) fjöfer, Gberpfalz 30f.

50ff.

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Heilung

Wunderdoktor, den man früher oder gleichzeitig in Anspruch genommen hat, Schuld an dem Mißerfolg gibt. Andrerseits gibt es Leute, die vom geprüften Arzt Wunder erwarten. Diese Über­ schätzung kann, wenn die übertriebenen Erwartungen getäuscht wurden, in das Gegenteil umschlagen und bewirken, daß man wieder zum Heilkünstler zurückkehrt. Endlich darf nicht übersehen werden, daß die Volksheilkünstler als „Sympathie-Doktoren" in vielen Fällen tatsächlich Erfolge erzielen» die vor allem aus der Macht der Suggestion zu erklären sind. h . Hansjakob, der noch keine Begründung für die Heil­ erfolge der volksärzte kannte, meint dazu in seiner Skizze „Aus meinem Tagebuch. 1878"x): „Diese geheimnisvollen sympathischen Huten sind ganz ent­ schiedene Tatsachen, die sich nicht bestreiten, aber auch nicht er­ klären lassen. Die Einflüsse von Gebetsformeln und ganz eigen­ artigen Dingen sind, so sehr sie auch von den Ärzten ignoriert werden, nicht zu leugnen.. . . Auch von seiten der Geistlichkeit werden sie gewöhnlich als Aberglauben verpönt oder als „dia­ bolisch" verboten. Ich möchte beides nicht annehmen. Aber­ glauben sind sie nicht, weil sie unbestreitbare, heilsame Wirkungen hervorbringen, und diabolisch können sie nicht sein, weil bei all jenen sympathischen Huren das Gebet und die heilige Dreifaltig­ keit eine große Rolle spielen." Es ist kein wunder, wenn viele Volksheilkünstler schon zu Lebzeiten in den Ruf von Hexenmeistern und Teufelsbündnern kamen und zum Mittelpunkt ganzer Sagenkränze w urden**) wie weiland Doktor Faust. Die volksärzte richten sich oft nach geschriebenen oder ge­ druckten A rz n e ib ü c h e rn 8) oder Rezeptbüchern. Solche können *) Sammlung „Dürre Blattet" II. Banb, 4. flufl., Ghlau 1905, 5f. -) Dgl. etwa Kühnau, Schlesien III. 234ff.; peuckert, Schlesien 86; Fischer, Kittel 30f.; Lndt, Erzgebirge (Pater Hahn unb Rölz); Kern, Leitmeritz 48f.; Hübner, flüssig 56f.; (Eifel, Doigtlanb 217; Zaunert, HessenNassau 327; Müller, Uri 193ff.; Jegeriehner, Gberwallis 96s. *) Dgl. bas Verzeichnis bei Jühling, Tiere 355. Dazu einige Ergän­ zungen: §. Pfeiffer, Zwei beutfche Arzneibücher aus betn 12. unb 13. Ja h r­ hundert. Zn: Phil.-hist. Sitzungsberichte bet M e n et Akademie 2 (1863)

Träger der Volksmedizin

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aus eigener Erfahrung zusammengestellt sein, meist aber sind sie bloße Abschriften aus den verschiedensten, dem Volke immer wieder durch Jahrmarktdrucke und Kalender*) vermittelten Re­ zeptsammlungen, in denen aus aller Welt zusammengetragene, zum Teil aus der mittelalterlichen Schulmedizin stammende An­ weisungen vereinigt sind. Noch vor Jahrzehnten pflegte man von den Heilkünstlern, denen man übernatürliche Kräfte zuschrieb, auch noch andere Dinge zu verlangen, v o r allem sollten sie Gestohlenes zurück­ schaffen helfen und andere Zauberdinge vollführen. Damit stimmt überraschend überein, daß die erwähnten Arzneibücher meist auch solchen Zauber lehren, M ittel zum Bannen von Dieben, zum Un­ sichtbarmachen, zum Schatzgraben, Segen gegen Zeuersbrünste u. a. enthalten, weshalb man sie, wie z. B. das verbreitete Ro­ manusbüchlein, in die allgemeine Gruppe der Zauberbücher 8) einreiht. Neuere Drucke bringen mitunter ganz vernünftige Ratschläge, 110—200; I . Riebet, Alte Bauernrezepte aus bet Katlsbabet Gegend, Prag 1895. vgl. dazu Hauffen-Jungbauer Bibi. R t. 3799; Bitlinget, Schwaben I. 417ff.; Zahler, Simmenthal 4ff.; höhn, Volkshellkunde 78ff.; Z. Zörimann, frühmittelalterliche Rezeptarien, Dtss., Zürich 1925; Klappet, Schief. Dt. 106f.; ) Dgl. Seligmann, heil- u. Schutzmittel 73ff.; M . Rinck, Die Bedeutung des IDaffets im Kult u. Leben der Alten. Leipzig 1921; flRro. 13 (1910) 20—46 (Wasser als Dämonen abwehrendes M ittel); Staat, Mecklen­ burg 303ff. ®) vgl. Most, Hausmittel 604ff.; Grundriß Sachsen I. 120s. •) Bolte-Pollvta II. 469. l0) Hw. Aberglaube V. 1550ff.

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Heilung

Zensterschweiß 1*4) , in erster Reihe -er im Marz oder in der Nacht entstandene, und endlich jebes geweihte oder heilige Wasser, wie das Weihwasser, das keilwasser bei Wallfahrtskirchen (f. unten) und das Gsterwasser, das vor allem Ausschlag, Krätzen und Haut­ krankheiten beseitigt und wie der M aitau den Menschen gesund und schön macht. Dos unter Einhaltung bestimmter Vorschriften geschöpfte Gsterwasser (s. unten) wird vielfach noch heute in Zlaschen und Gefäßen das Jahr über aufbewahrt und ist in man­ chen Gegenden ein Allheilmittel'). Auch bei der Bereitung von Heilmitteln ist das Wasser wichtig. Wenn m an die Salbe kocht, muß man siebenmal frischer Wasser darauf gießen, dann wird sie erst heilsam und kräftig'). Daß A lkohol in verschiedener Weise als Heilmittel dient, ist selbstverständlich. Den Wein hielten schon die Alten für einen Erzeuger des Blutes und schrieben ihm lebenspendende Kraft z u '). Aus deutschem Boden sind derzeit Rum und Branntwein, der besonders gegen Zahnweh Hilst'), häufigere Hausmittel als der Wein ®). Auch hier kann man beobachten, daß sich das Volk nicht m it der einfachen Verwendung des in vielen Zöllen tatsächlich wirksamen M ittels begnügt, sondern hierbei auch auf magischem Wege einzuwirken sucht. So trinken Gichtkranke in Schlesien Likör vermischt m it Ruß, den sie im Schornstein dreimal von oben nach unten abgekratzt H abens. Das $ e u e t 8) und seine reinigende wie auch heilende Kraft kennt und schätzt der Mensch seit Urzeiten. Gegen Krankheiten wurde es stets mehr in vorbeugender weise verwendet, indem l) (Ebb. II. 1338f.; Urquell ZI. g. 2(1898) 211; Drechsler, Schlesien II. 284; Haas, Rügen 46; SubZfvk. 2 (1929) 253; (1930) 41, 86; Schmib, Glarus 63. *) Sartori, S itte u. Brauch III. 15lf. ») Z fövt. 3 (1897) 53. 4) Rircher, w ein 75. *) Zimmermann, Baben 42. •) Most, Hausmittel 99ff.; höfler, volksmebizin 129ff.; Schmib. Glarus 55. *) Drechsler, Schlesien II. 308. 8) Seligmann, heil- u. Schutzmittel 110 ff.; greubenthal, geuer Iss.; Staat» Mecklenburg 307f.; hempler, weichsellanb 60f.

Heilung im allgemeinen

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man etwa über Jahresfeuer (Frühlings-, Johannis- ober Sonn* wend-, herbstfeuer)x) springt oder das Vieh durchtreibt. v o r allem läßt man bei Krankheiten die durch das Feuer er­ zeugte Hitze wirken, z. B. beim Ausdocken der Krankheit, hier ergibt sich ein Zusammenhang m it der Wärmetherapie der Be* russmedizin. Auch der Rauch wärm t und kann daher heilsam fein*2*). I n manchen Gegenden Steiermarks lagert man die Kranken in die als Küche dienende Rauchstube, weil man glaubt, daß das herdfeuer und der offene Kamin den Krankheitsstoff verzehren und abführen2). Auch der Rest des Feuers, die Asche, spielt im Heilverfahren eine R olle4*). Besondere Umstände erhöhen die Wirkung des Feuers. I n der Sprachinsel Gottschee zündete m an noch vor 80 Jahren zur Abwehr von Gewittern Kreuzfeuer an Kreuzwegen an. (Es waren Rotfeuer, gewonnen durch Reiben eines Scheites unter einem Torflügel. I n das Feuer warf m an außer holz auch Schuhflecke, Schweinemist u. a. Denn je mehr der Rauch des Feuers stinkt, desto besser soll die Wirkung sein. Wenn ein solches Feuer gegen die Cholera helfen soll, so müssen die Weiber darüber springen, was noch im Jahre 1855 geschah8). Ein wertvolles Heilmittel ist das B r o t, das alter Volksglaube als heilig betrachtet6). I n der Dberpfalz hebt die Braut das bet der Hochzeit abgeschnittene Stück Brot aus und gebraucht es als Arznei in allen Krankheitsfällen7). Heilmittel können endlich die verschiedensten Dinge sein und werden, so Wäsche- und Kleidungsstücke, besonders Hemden, Kopftücher, Schuhe u. a., dann Radeln, vor allem Stecknadeln, Zwirn und Garn, Nägel, der Gehstock, mit dem jemand erschlagen w urde2) u .a . *) *) *) 4) s) •) 7) •)

Hw. Aberglaube ([. die einzelnen Artikel). Zahler, Liimnenthal 54. Lössel, Steiermark 138. Hw. Aberglaube I. 611 ff.; Freudenthal, Feuer 108—121. Haussen, Gotischer 77. Hw. Aberglaube I. 1590ff. höser, ivberpfal) 20. Lüpker, Gstfries. DL 118f.

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Heilung

D. Religiöse und kirchliche Heilmittel im besonderen Schon auf der primitivsten Kulturstufe, auf der Religion und Zauber eng verbunden sind **), ist der Zauberer und Medizin­ mann 2), der die Krankheitsdämonen vertreibt, eine Art M ittels­ person zwischen den Menschen und der gedachten höheren, bösen Macht. Jedoch auch dann, wenn sich die Religion zu einem klaren Glauben an Gottheiten oder an einen einzigen Gott erhebt, wenn ein geregelter Gottesdienst entsteht, ist zunächst -er Priester gewöhnlich auch der Arzt. Lr vermittelt auch bei Krankheiten zwischen den Menschen und Gott. Bei der großen Bedeutung, die dem Seelischen bei der Heilung von Krankheiten zukommt, ist dieser natürliche Zusammenhang zwischen Religion und Medizin2) begründet und verständlich. Er ist es noch mehr dann, wenn die Krankheit als eine Strafe Gottes aufgefaßt wird. Diese enge Verbindung von Religion und Medizin veran­ schaulicht am besten die Geschichte der christlichen Religion *). Sie zeigt uns keinen starren Zustand, wie dies bei anderen Religionen meist der §all ist, sondern eine Entwicklung, in die ant stärksten die Reformation eingegriffen hat. Diese hat gar viel von alter kirchlicher Volksmedizin hinweggefegt, so daß der Träger großer Stoffgebiete, z. B. von fast allem, was mit heiligen- und Reli­ quienverehrung zusammenhängt, die katholische Kirche allein ge­ blieben ist. Daher kommen als (Quellen für die folgenden Aus­ führungen nahezu bloß Werke in Betracht, die ihren Stoff in katholischen Ländern gesammelt haben2). I n den ersten christlichen Jahrhunderten wurde nur zeit­ weise und zufällig bei Hungersnot und Seuchen Vorsorge für die Kranken getroffen, wurden z. B. Absonderungshäuser für an­ steckende Kranke errichtet. Als erstes Krankenhaus kann man die h v g l. Beth, Religion 201 ff.; fl. vierkandt, Die Anfänge bet Religion u. Zauberei. I n : Globus 92 (1907) 21—25,40—45, 6 1 -6 5 . *) Bartels, Medizin 47ff.; dbert, Realie?. V III. 75; X. 292f. vgl. M. Gufinde, Der Medizinmann bei den südamerikanischen Indianern. I n : MAG. 62 (1932) 286—294. 8) v g l. Magnus, Religion. *) Dgl. Riagnus, Volksmedizin 22ff., 80ff. 6) v o r allem die Bücher von R. flndree, RI. flndree-Egfn und R. Krife.

Religiöse und kirchliche Heilmittel im besonderen

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Abteilung für Krönte in 6er von Bischof Basilius im Jahre 368 vor Läsarea errichteten Fremdenherberge (Xenodochiurn) be­ zeichnen. (Eine geregelte Krankenpflege kam aber doch erst durch die Mönch- und Ritterorden auf. So wurden manche Klöster zu Mittelpunkten der Heilkunst *). vielfach war es ein ähnlicher Zustand, wie ihn in völliger (Erstarrung das heutige Tibet zeigt, wo die Priester (Lamas) die ganze Heilkunst in Händen haben und einzelne Klöster geradezu medizinische Fachschulen sind *). Die Mönche und Nonnen, wie auch die weltlichen Geist­ lichen des M ittelalters waren nicht allein praktische Arzte, sondern betätigten sich hier und da auch als medizinische Schriftsteller. So schrieb die hl. Hildegard von Bingen (1099—1179) mehrere naturwissenschaftlich-medizinische Werkel*3), der Lapidarius des Bischofs Marbod von Rennes ( f 1123) und andere Steinbücher handeln über die Heilkraft der Edelsteine und auch unter den Verfassern der Kräuterbücher4) sind nicht wenige Geistliche. Erst als m it dem 11. und 12. Jahrhundert allmählich medizinische Fachschulen und Universitäten aufkamen, beginnen sich die kirch­ lichen Behörden gegen die Ausübung der Heilkunst durch Geist­ liche zu wenden, denen mehrere Kirchenversammlungen die ärzt­ liche Tätigkeit verboten und die Leitung von Hospitälern unter­ sagten. Die medizinische Wissenschaft und die Arzte selbst blieben aber weiterhin in Abhängigkeit von der Kirche und wurden erst m it dem 17. Jahrhundert, nachdem durch den Humanismus die nötigen Voraussetzungen geschaffen worden waren, frei und selb­ ständig °). Damit aber hat keineswegs die Behandlung der Kranken mit den durch die Religion und Kirche gebotenen M itteln aufgehört. Sie wird bestehen, so lange es gläubige Menschen gibt. Denn sie stützt sich auf erwiesene Tatsachen. Ghne Zweifel ist der reli­ giöse Glaube und das fromme Gottesvertrauen ein mächtiger l) *) I. Teil. 3) 4) s)

Diepgen, Geschichte II. 21 f. Dgl. h . ta u fe t, Beiträge zur Kenntnis der Tibetischen Medizin. Berlin 1900. Neuburger, Geschichte II. 320. Dgl. Jungbauer, Geschichte 38f. Dgl. Magnus, Religion 39 u. 53f.

9 ua g b a ue t , Deutsche Doltsmedht«.

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Helfer, vor allem bei Krankheiten, die sich aus suggestivem Wege allein heilen lassen, wo oft schon der Glaube allein genügt und jede ärztliche Behandlung entbehrlich macht. Selbstverständlich ist ferner, daß in jenen Zöllen, in denen die Krankheit als eine Strafe Gottes angesehen wird, sich der Krante zunächst wieder an Gott m it der Bitte um Vergebung und um Heilung wenden und von den kirchlichen Heilmitteln Gebrauch machen wird. I m übrigen sind Priester bis heute als heilkundige tätig, besonders in abgelegenen Gegenden und im Hochgebirge, wo der Weg zum nächsten Arzt weit und beschwerlich ist. M an könnte da eine ganze Reihe von vorwiegend katholischen Pfarrern auf» zählen *), zu denen auch der Schriftsteller Hansjakob gehört. Der berühmteste ist wohl Sebastian Kneipp (1821—1897), durch den die alten Wasserkuren zu einem ganzen System ausgebaut wurden. Wenn sympathetische Behandlung im Vordergrund steht, ist häufig die Tatsache zu verzeichnen, daß das Volk fremde und unbekannte Priester bevorzugt. Auch nach der Reformation hat der Glaube an die besondere Heilkunst katholischer Drdensgeistlicher bei der evangelischen Bevölkerung weiter gewirkt3) und sie veranlaßt, katholische Geistliche bei Krankheiten und anderen Anlässen holen zu lassen. Allerdings waren dies früher zuweilen Anlässe, ;. B. Beschwören von Geistern, Bannen von Gespenstern u. a., bei denen aufgeklärte eyangelische Geistliche von Anfang an nicht mitgetan hätten. Am beliebtesten waren seit je die Kapuziner. I n dem Buche eines Aufklärers aus dem Ende des 18. Jahrhunderts heißt es: „ . . . immer noch räuchern Scharftichter oder alte Weiber die Ställe des kranken Viehes, oder die Wiege des verwahrlosten Kindes; und Lapuciner werden in protestantische