Deutsche Poetik: Band 1 Deutsche Verslehre [2. Aufl. Reprint 2020] 9783112385968, 9783112385951

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Deutsche Poetik: Band 1 Deutsche Verslehre [2. Aufl. Reprint 2020]
 9783112385968, 9783112385951

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Deutsche Poetik. Theoretisch-praktisches

Handbuch der deutschen Dichtkunst. Nach den Anforderungen der Gegenwart

Prof. Dr. C. Beyer. Zweite Auflage.

Kvsterr W cr rr d.

Stuttgart. G. I. Göschen'sche Vertagshandtung. 1887.

ß. Hofbnchdruckerei Bn Guttenberg (T. Grüuinger) in Stuttgart.

Vorwort zur zweiten Auflage. Hen drei Vorreden zur erstell Auflage meiner „Deutschen Poetik" habe ich wenig mehr allzilsügeli, als einnial dell Allsdruck ailfrichtiger Freude über die ihr allerortell zu Teil gewordene Anerkellnilng, welche eiller hochflntenden Welle gleich über die gallze deiltsche Presse sich ergoß iiitD mich de^ Eillverstülldnisses aller kom­ petenten Richter versicherte. Tarall reihe ich sodallll die Bezeugung herzlichell Dankes dafür, daß jene Fachmänner, welche Verständnis für deutsch-accentuierellde Tlletrik besitzell und dabei frei vorn Dünkel splitterrichtenden oder neidischell Halbwissens sind, den guten Willen ulld die von mir ill lllehr benn fünf Lustreli bewiesene opfervolle Thätigkeit als „bahnbrechend" aixerfannten, so daß sie mein Werk prädizierten „als ein erstes, erschöpfendes (Gesetzbuch der Poesie und als die Begründllilg mit) ben ersten deutscheli Ausbau einer eigentlichen Wissenschaft der Poetik."

Stuttgart, 20. Oktober 1886.

C. Beyer.

Seiner Majestät dem regierenden Könige von Württemberg

jftars

I.

dein hohen Mützer der Werlre des Friedens und der öiniiniiitnt mit

Allerhöchster ßeroilligmtg

ehrfurchtsvoUK zugeeignet.

Vorwort als Einleitung.

Wohl an fünfundzwanzig Jahre beschäftige ich mich neben meinen

dem Lesepublikum bekannten dichterischen, litterarhistorischen und philo­ sophischen Arbeiten vorzugsweise mit den Wesensgesetzen der

deutschen Poetik. Das interessevolle Eindringen in die Rückertschen Dichtungen, die auf den Gebieten poetischer Technik als gesetzgebende gelten können, förderte dieses Studium in hervorragender Weise und verlieh ihm einen individuellen Reiz. So gestaltete sich die Absicht, ein Lehrmittel zu schaffen, welches die Ausstellungen über Dürftigkeit und theoretisierende Einseitigkeit der meist doktrinären, unmethodischen und undeutschen Hülfsmittel der Poetik verstummen mache, die (wie Heyses veraltete Verslehre) Modernes und Antikes vermischend meist auf der Basis der alten Sprachen auf­ gebaut sind, oder die (wie Ph. Wackernagels Auswahl) den alt­ griechischen und fremden Formen weit über die Hälfte des Umfangs einräumen und obendrein manche unrichtige Bezeichnungen bieten, was ich da und dort (z. B. § 107, 109, 184 rc.) nachzuweisen vermochte. Der universelle, sprach- und reimgewandte Heros poetischer Form,

Fr. Rückert, welcher in mir die Erwägung anregte, ob denn nicht die litterarischen Reichtümer aller Völker bald an Stelle der Nationallitteraturen die von ihm angebahnte Weltlitteratur schaffen würden,

schien mir am meisten geeignet, die Abstraktion der Gesetze einer Poetik zu ermöglichen und durch seine mehr als 200,000 Verse umfassenden Dichtungen in das Geheimnis der deutschen Verskunst einzuführen.

Da ich mir jedoch vornahm, keinen Lehrsatz ohne Beispiel zu lassen, so hätte ich mir durch starres Beschränken auf Rückertsche Beispiele den Vorwurf der Einseitigkeit zuziehen müssen, indem bei Rückert doch so Manches fehlt, was als ein Vorzug anderer bedeutender Beyer, Deutsche Poetik. I.

I

Auch hielt ich ein­

Dichter und Zeitgenossen angesehen werden muß.

zelne Formen bei anderen Dichtern — mehr als bei Rückert — geeignet, neben Pflege des Sinnes für das Schöne formale wie materielle Bil­

dung auzuregen, oder wenigstens das regelnde Gesetz schärfer erkennen zu lassen.

Ich entschloß mich also schon frühe, neben Rückert alle

Dichter unserer deutschen Gesamtlitteratur bis in die Gegenwart

in das Bereich meiner Studien und Beispiele zu ziehen, was bis jetzt in gleichem Maße von keiner Poetik versucht wurde, so daß gerade das,

was die meisten Poetiken zum praktischen Gebrauche vermissen

lassen, in reichem Maße und nach sorgfältigster Auswahl im vorliegen­

den Werte geboten ist, wodurch dem letzteren der Charakter eines durch­

aus brauchbaren Lehrmittels für Schule und Selbstunterricht gegeben werden sollte.

Es schien mir nach jahrelangem Arbeiten allmählich zu gelingen, das ganze weite System der hiehergehörigen wissenschaftlichen Wahr­

heiten darzulegen,

nämlich die Gesamtheit der Lehren lückenlos vor­

zutragen, die in ihrer Folge seit Opitz,

Zeitmessung

von I. H. Voß

bis zu

seit Erscheinen der deutschen

den Arbeiten von

Gottschall, Kleinpaul, Wackernagel zc. eben die

Minckwitz,

Wissenschaft der

Poetik bilden. Wenn es die römischen

Dichter

nicht wagten,

die

schwierigen

Versmaße der Griechen in ihrem vaterländischen Idiom nachzubilden (weil es ihnen zu schwer war, wie die Ausnahme Horaz bestätigt,

oder weil sie sich vor dem Schimpfnamen Graeculi fürchteten, womit man die Verletzung des gewöhnlichen Accents bestrafte), so mußte es wohl

gerechtfertigt sein, wenn der deutsche Litterarhistoriker — angesichts unserer überwiegend die antike Metrik und Nomenklatur behandelnden

Hülfsmittel

der

Poetik



aus

ästhetischen

Gründen,

wie

aus

Begeisterung für deutsch-nationale Poesie den nachäffenden Graeculis

entgegentrat, um deutsche Accentuation, deutsche Strophik und Phonetik und die dem deutschen Geiste entquollenen und angemessenen Formen zu pflegeu.

Ja, es mußte verdienstlich erscheinen,

wenn ich in einer

deutschen Betonungslehre, in einem deutschen Vers- und Strophensystem die Befreiung von der überlebten schablonenhaften

Schulregel zu proklamieren vermochte,

wenn die von unseren besten

Dichtern aus natürlichem oder ererbtem Gefühl beachteten prosodischen Gesetze in ein zusammenhängendes System gebracht werden konnten und

III der praktische Nachweis möglich wurde, daß diese Gesetze in unserem

Sprachgeist und Sprachbau von jeher begründet waren.

Das Jahr

1870/71, das unserer politisch-patriotischen Lyrik einen gewissen Auf­

schwung

und

verlieh

uns

ein

neues Deutschland

mich eine allem Nachäffen feindliche,

haben

und zeigen,

gab,

sollte

doch

echt deutsche Poetik im Gefolge

daß Deutschland auch in der Poesie auf eigenen

Füßen zu stehen vermag, daß es in seiner urdeutschen Betonung und

in seinen nationalen Metren,

Strophen

und Formen

alles besitzt,

was durch Nachbilden antiker und moderner fremder Metren vergeblich erstrebt wurde.

Die meisten unserer besseren und besten Dichter­

haben,

wo

sich

lichen,

deutschen

sie

von

der Form

beengt

fühlten,

ihrem

natür­

Wohllauts- und Rhythmusgefühle nachgegeben

und

wohl im Hinblick auf die Minnesinger und auf die Dichter des Volks­ lieds

ziemlich

mit den

häufig

das Wagnis

begangen

(vgl.

Herkömmlichen Schulbegriffen zu

§ 116 —122),

brechen und zwar

unbekümmert um den Tadel der Pedanten und Halbwisser, die aus

übertriebenem Respekt vor der herkömmlichen Autorität die Schönheit freier Verse (§ 120 ff.) als Fehler bemäkelten, um ja nicht in den Verdacht der Unkenntnis der Schulgesetze zu kommen.

Bei Schiller

läßt sich z. B. der Einfluß des deutschen Accentgesetzes in all seinen jambischen Stücken (mit Ausnahme der Jungfrau von Orleans und

der Braut von Messina) nachweisen;

ebenso bei Goethe im Faust.

Aber erst Heinrich Heine war der Erste, welcher erhaben über die Kritik der Pedanten die herkömmliche Metrik kühn durchbrach.

Er

gehörte zu den wenigen, die das Wesen der deutschen Rhythmik fühlten und sich praktisch gegen die griechisch-deutsche auflehnten (vgl. Strodtmanns Dichterprofile 1879, 1. S. 246).

Fr. Rückert in Kind Horn,

Geibel in Sigurds Brautfahrt, A. Grün in Der treue Gefährte,

Hamerling im Vaterlandslied, Uhland in Tailleser, Wilh. Jordan im Nibelunge, Scheffel u. A. (vgl. $ 119, 120, 191, 219) haben sich

absichtlich von der Schulregel des modernen zwängenden Versrhythmus

frei gemacht.

Mit Heine haben nunmehr für den Sehenden alle

besseren Dichter das nicht mehr zu unterdrückende Recht des deutschen

Sinn-Accents beansprucht, der sein Gesetzbuch gebieterisch fordert. Der Übersetzer des Cajus Silins Italiens klagt mit Recht: „Wir besitzen

unleugbar eine große Anzahl schöner, phantasievoller, erhebender Ge­ dichte und hochbegabter Dichter,

allein eine vollständig reine Silben-

IV Messung kann keinem derselben nachgerühmt werden, — und während die Dichter des Altertums,

weil sie regelfest in der Quantitierung

übereinstimmen, sämtlich als prosodische Autoritäten gelten, fehlt unserer

poetischen Litteratur noch immer ein Werk, welches an Mustergültigkeit

den Alten zur Seite gestellt werden könnte." — Der verdiente Rud. v. Gottschall geht in seiner Poetik über die Prosodik ziemlich rasch

hinweg.

Aber seine Blätter f. lit. Unterh. (1854. Nr. 50) beklagen

den Mangel eines Werks, in welchem die Gesetze der Prosodie und Metrik mit Klarheit, Bestimmtheit und Vollständigkeit zu

einem

sicher

leitenden Lehrbuch zusammengestellt

und verarbeitet

wären. — Auch Freese (Griech.-röm. Metr. p. 138) und Minckwitz (Lehrb. VIII) betonen das Fehlen einer deutschen Metrik. — Platen nennt unsere Metrik roh, da wir, an das monotone Geklapper von

Jamben und Trochäen gewöhnt,

beinahe den Sinn für eigentlichen

Rhythmus verloren hätten, und sich unsere ganze Metrik in einem beständigen Langkurz oder Kurzlang auf das einförmigste fortbewege. —

Goethe, durch Wilh. v. Humboldt auf die Fehler in Hermann und Dorothea aufmerksam gemacht, erkennt das Bedürfnis einer deutschen

Prosodik rückhaltlos

an und fordert Humboldt auf, im Verein mit

Brinkmann eine solche zu schaffen; „es wäre" — so ruft er im Brief­

wechsel mit Humboldt S. 57 aus — „kein geringes Verdienst, besonders für Poeten von meiner Natur, die nun einmal keine grammatische

Ader, in sich fühlen".---------

Die vorliegende Poetik

strebte

dieser Aufgabe

nach Maßgabe

unserer Kraft im Sinne des elementaren Systems der Synthesis nahe

zu treten.

Sie suchte ein Scherflein zu liefern, um in die Halle» der

deutschen Poesie selbst einzuführen, damit für die Folge kein Gebildetei sei, welcher die Kunstpoesie in ihrem Aufbau nicht kenne, damit kein

talentvoller Naturalist, kein begabter Volksdichter ungerügt an der

Gesetzen des deutschen Versbaues vorübergehe, ja, damit auch unser!

besseren Dichter von den genialsten unserer poesiekundigen Großmeister abstrahierend lernen, ihr Rhythmus- und Wohllautsgefühl bilden und

einer feineren Wägung in der rhythmischen Poesie sich befleißigen, um für die Folge nicht nur die regellose oder schulmäßige Poesie für di« geniale oder vollendete zu halten. — — Ich begann diese Poetik mit Entwickelung der auch für jeder

Dichterfreund unentbehrlichen Vorbegriffe, woran ich unter Präcisierunc

des Geistes und Inhalts der Perioden unserer Litteratur einen er­ schöpfenden Überblick über dieselben in chronologischer, streng sachlicher Folge in der Absicht reihte, den Lernenden, der ja im Verlauf dieses

Werkes mit allen namhaften Erscheinungen der deutschen poetischen Litteratur bekannt wird, zu befähigen, die Stellung der letzteren in ihrer Zeit bestimmen zu können.

Man soll nach meinem Vorgang

für die Folge keine Poetik ohne Litteraturgeschichte lehren!

Sodann ließ ich zum erstenmal in einer Poetik einen Grundriß der Ästhetik mit Bezug auf Poesie und auf poetische Sprache folgen, um für das ideale Geistesleben zu befähigen, neben dem, was die Poesie

in technischer Beziehung Großes schuf, auch das äußerlich und inner­ lich Schöne beachten und empfinden zu lerneu. (Ich erfreue mich in diesem Punkte der ausgesprochenen Übereinstimmung und Anerkennung eines der geistvollsten Ästhetiker der Gegenwart.)

Nach dieser mehr

analytischen Propädeutik ging ich in synthetischer Weise in die eigent­ liche Materie der

Poetik

ein.

Ich entwickelte

die Lehre

von

den

Tropen und Figuren unter Klassifizierung, Benennung, Erläuterung und Herleitung der Metaphern aus dem Wesen der Sprache (§ 36)

und belegte sie mit den bezeichnendsten Beispielen aus allen Dichtern.

Sodann gab ich eine aus deutsche Accentgesetze basierte deutsche Prosodik und Rhythmik als Betonungslehre, wobei ich u. a. zum erstenmal ein deutsches Quantitätsgesetz im Gegensatz zu den nicht ganz zutreffenden

Ansichten Westphals und Schmidts aufstellte und im § 80 begründete. Daran reihte ich

eine deutsche Metrik,

welche nach Darlegung des

Verhaltens der antiken Maße zum deutschen Versbau in einer ein­ gehenden Studie (§ 116—122) die noch nirgends genügend gewürdigten deutschen Accentverse behandelte.

Die Lehre vom Reim und nament­

lich die nur von wenigen für möglich gehaltene Entwickelung

eigenartigen

deutschen

welche

Vergleichung

eine

Strophenlehre

zuläßt

und

entrollte den

ich

in

einer

einer

Form,

überraschenden Reichtum

deutsch-nationaler Strophenformen zum erstenmal dem erstaunten Blicke

erschließt.

Die von mir vorgeschlagenen Strophenbenennungen, die ja

einer Vervollkommnung fähig sind, möge man als berechtigte Neuerung anerkennen und zugeben, daß unsere deutschen Strophen mindestens

das Recht haben,

im neuen Deutschland ebenso benannt und bekannt

zu werden, als dieses Vorrecht bis jetzt nur die mit klingendem Namen versehenen antiken und fremden Strophen für sich ausschließlich

in

Die Benennung unserer Strophen hat nebenbei

Anspruch nahmen.

den nicht zu unterschätzenden didaktischen Zweck, durch bekannte Namen

sofort die Vorstellung von der Strophenform mit dem verständnis­

weckenden Lichte der Erinnerung zu übergießen.

Man möge an der

einzigen S. 682 mit dem Namen Geibelstrophe belegten Form, welche

eine von mir nachgewiesene ganze Litteratur hervorrief und durch Dichter

wie Berend, Solitaire, Prutz, Droste-Hülshofs mib Fitger bearbeitet wurde, die Bedeutung

einer

endlichen wissenschaftlichen Betrachtung

der deutschen Strophik erkennen!

Dieser Strophik,

welche nebenbei

bemerkt den ermutigenden und begeisterten Beifall namhaftester Dichter und Gelehrter fand, wird sich im zweiten Bande die Darstellung und Entwickelung sämtlicher Dichtungsgattungen

und -formen

unter Be­

rücksichtigung der gesamten Bearbeiter anreihen und den theoretischen

Auf- und Ausbau einer echt deutschen Poetik zum Abschluß bringen.

Ein dritter kurzer Supplementband endlich

soll mit

Erfolg in die

Technik der Poesie durch eine praktische Anleitung zum Versebilden einführen,

wodurch ich miudestens der Legion jener Gebildeten und

Strebenden einen Dienst zu erzeigen hoffe, welche sich im Gelegenheits­

dichten versucht haben oder versuchen möchten. Es lag der ernst didaktische Zweck zu Grunde, durch diese streng methodischen Übungen den Sinn für Ordnung und Gesetzmäßigkeit zu wecken,

oder Tändelei im sog. Versemachen

Überhebung

abzuschneiden, das Interesse für

die Form der edlen Poesie zu begründen und durch praktisches kritik­

forderndes

Schaffen

und Begreifen der Gesetze zu befähigen,

auch

die zur Bescheidenheit mahnenden Vorzüge und Feinheiten alter und

neuer Muster zu ahnen. Der Kenner fremder Sprachen wird außer­ dem noch eine präzise Anleitung zur Übersetzung, z. B. aus dem Englischen, Französischen, Italienischen, Schwedischen re.,

vorfinden.

So habe ich denn lebensvolle Theorie mit selbstthätiger

Praxis zu verbinden gesucht und ein allseitiges Gesetzbuch der deutschem Poesie zu entwerfen gestrebt, welches von dem durch

Fischart (S. 215) angedeuteten, von Opitz (S. 231) ausgesprochenen Gesetz ausgehend

auf urdeutscher Metrik ausgebaut,

in Geist

und Wesen unserer heutigen Poesie durch ihre Materie einführt und sich seine eigenartige Stellung durch methodische Anlage sowie durch An­

schaulichkeit

und

pädagogische

Brauchbarkeit

es als ein Beitrag erkannt werden,

sichern möchte.

Möge

im neu erstandenen Deutschland

VII auch in der Poesie die Befreiung vom deutschwidrigen Fremdentum

zu erringen und Vorschub zu seiften der Pflege und Verallgemeinerung deutschen Geistes! —

Die Lernenden werden es mir Dank wissen,

daß

ich nach dem

bewahrten Satze „exempla docent“ im Gegensatz zum unerquicklichen Regelwerk dürrer Abstraktionen jeden Satz, jeden Reim, jede Versart,

jede Strophenform ?c. von den Anfängen unserer Litteratur bis in die Gegenwart durch vorzügliche Beispiele unserer besten Dichter unter Ausschluß der geringeren belegte und zu allen Übungen und Aufgaben des dritten Bandes poetische Lösungen gab. — Die Lehrenden

aber

mögen bemerken, daß ich den wesentlichen Teil eines jeden Paragraphen

gewissermaßen als Lehrsatz und als das für Repetition und für Diktat

Geeignete mit größerer (Garmond-) Schrift drucken ließ,

wozu das

jeweilige Kleingedruckte die Erläuterung oder die Ausführung bietet,

— daß ich somit dem Werke jene methodische Einrichtung zu wahren suchte, die ich in meinen philosophischen Grundlinien „Erziehung zur Vernunft" (Wien, Braumüller. 3. Aufl.) forderte. Schülern

Den Lehrern und

höherer Unterrichtsanstalten und den Freunden der alten

Klassiker wird es erwünscht sein, daß ich auch die alten und fremden Bezeichnungen (zumeist mit Übersetzung für den Nichtsprachkundigen)

beigab, und alle wichtigen Aussprüche und Erklärungen aus den alten Klassikern berücksichtigte.

Ein Verzeichnis der von mir gewissenhaft

benützten Quellen aus der gesamten einschlägigen Litteratur bieten die Paragraphen 3 und 4 d. B., wobei ich

ausdrücklich bemerke,

daß

einige kleinere im Buch verarbeitete Citate aus den von mir ebenso

sorgfältig verfolgten Fachblättern, Vorträgen, Zeitungen 2c. im Register des II. Bandes erwähnt sind.

Die Schwierigkeit meiner umfassenden Arbeit wird der Wissende würdigen.

Diese ist das Werk unermüdlichen, opfervollen Forschens,

Ringens, eigener Selbstbelehrung und Selbftvertiefung, wie des ehrlichen

Strebens, der Wissenschaft der Poesie ein umfassendes, sestbegründetes Werk zu liefern.

Sie wurde nur möglich durch Benützung der besten

deutschen Bibliotheken, von denen ich besonders der Stuttgarter gedenke,

deren zuvorkommende Beamten mir manchen Vorschub leisteten, sowie durch

thätige

Ermutigung

bedeutender

deutscher

Dichter,

gelehrter

Freunde und eines für diesen Gegenstand ehrlich begeisterten Verlegers.

Sollte ich hie und da meine Kräfte überschätzt haben,

so rechne

VIII ich auf die Nachsicht Besserwissender und schärfer Kombinierender, die frei vom Dünkel splitterrichtender oder verdienstloser neidischer Halb­ wisser den guten Witten mit der Erwägung anerkennen, daß etwas

in dieser Art Zusammenhängendes

und Erschöpfendes in unserer

Litteratur noch nicht vorhanden ist! Alle Dichter und

aber bitte ich dringendst,

Gelehrte

Verbesserungen in Anordnung und Materie

mir zugehen zu lassen,

für

etwaige

eine neue Auflage

oder mich auf Unrichtigkeiten aufmerksam zu

machen. Mein schönster Lohn würde es sein, wenn auch Fachmänner wahr­ haft bereichernde Daten in meiner Arbeit finden und dieselbe als Lehr­

mittel

empfehlen

möchten,

damit

die

Schulbehörden

des

deutschen

Reiches endlich Veranlassung nehmen, dem Unterrichte in der deutschen

Poetik mit Litteraturgeschichte eine oder zwei wöchentliche Lehrstunden

in den oberen Klassen aller besseren Anstalten einzuräumen.

Ich ver­

spreche mir ein Aufblühen des Geschmacks unseres Volkes im Großen, wenn schon die strebende Jugend befähigt wird, die Feinheiten der Kunst in unseren Dichtungen zu empfinden, die Formen und Mittel zu verstehen, die Technik zu handhaben oder zu durchschauen, wie ich insbesondere die Poetik bei richtiger Behandlung für geeigenschaftet halte,

in die obersten und letzten Disciplinen aller höheren Unter­ richtsanstalten einzuführen: in Logik und Psychologie!

Zweifelsohne wird der Lernende, welcher den erfrischenden Gang durch eine begriff- und lebenzeugende Poetik erfolgreich gemacht hat, mindestens

die Poetik

als

Philosophie

der

Poesie

und

ihrer Geschichte aufsassen lernen: als die — so zu sagen — ein historisch entwickelndes Verfahren beobachtende Naturgeschichte der Poesie, die dem ganzen Fache kon­

kreten Gehalt, Leben, Gestalt und Reiz verleiht! Stuttgart, am Enthüllungstage des Hamburger Lessing-Denkmals 1881.

Dr. C. Geyer.

Inhalts Verzeichnis. Deutsche Poetik.

Erster Teil.

Deutsche Werst e^re.

Erstes Hanptstück: vorbegriffe.

Seite § 1. Wesen der Poetik............................................................................. 1 § 2. Die Poetik ein Bedürfnis für Jeden........................................... 2 § 3. Geschichte der Poetik bis Schiller und Goethe........................... 3 § 4. Geschichte der Poetik bis in die Gegenwart. Litteratur und Quellen dieses Buches..................................................................................................... 6 § 5. Die Künste im Verhältnis zum Gegenstand der Poetik.......... 8 § 6. Freie Künste in gleicher Beziehung........................................... 9 § 7. Gegenstand der Poetik: die Dichtkunst..................................... 10 § 8. Die Schwesterkünste der Poesie im Verhältnis zur Poesie.... 13 § 9. Poesie und Prosa.................................................................................16 § 10. Ursprung und Älter der Poesie........................................................................... 18 § 11. Etymologische Notiz über die Namen derPoesie........................................... 24 § 12. Wer ist ein Dichter?....................................... -..............................................25 § 13. Die Zeit und ihr Einfluß aus denKünstler ............................................ 34 § 14. Der Dichter und sein Jahrhundert................................................................ 37 § 15. Die echte Kunst ist ewig...................................................................................... 39 § 16. Die dichterischen Stoffe.......................................................................................39 §17. Entstehung des Gedichts (Poetische Disposition und Komposition) 41 § 18. Einführung,, in das Stoffliche der Poetik: Die Litteraturgeschichte. Historische Übersicht und Inhalt der deutschen poetischen Litteratur. 10 Perioden............................................................................................................42

Zweites Hauptstück: Ästhetik. § 19. § 20. § 21.

§ 22. § 23.

Begriff und Entwickelungder Ästhetik......................................................... 75 Das Schöne an sich................................................................................... 78 Erkenntnis des Schönen............................................ 82 1. Wechsel der Form (Rhythmus)............................................................... 83 2. Proportionalität (der goldene Schnitt)....................................................84 3. Gewicht ersetzt die Maße.......................................................................... 84 Verhältnis des Ästhetischen zum Ethischen ............................. 85 Das Charakteristische im Schönen.................................................................... 86

X Seite

•§ 24.

§ 25.

1. Der Stil............................................................................................... 86 2. Der Geschmack.................................................................................... 87 Das Klassische (Bollschöne)................................................................. 88 Das Romantische..................................................................................88 Das Naive............................................................................................ 89 3. Das Schaffen desSchönen...................................... 90 Gegensätze des Schönen 90 1. Das Häßliche........................................................................................... 90 2. Das Furchtbare......................................................................................91 3. Das Grausige................................ 91 Erscheinungsformen des Schönen................................................................. 92 1. Das Lachbare.......................................................................................... 92 2. Das Reizende (Anmutige).............................. 92 3. Das Erhabene und seineUnterarten....................................................93 a. Das Feierliche und Majestätische... 95 b. Das Pathetische............................... 97 c. Das Prächtige..................................................... 98 d. Das Edle und Würdevolle ...................................................... 99 e. Das Wunderbare............................................................................ 99 f. Das Tragische............................................................................... 100 4. Das Komische..........................................................................................102 a. als Naives.....................................................................................103 b. als Groteskes............................................................................... 103 c. als Witz mit den Formen .....................................................103 «. Wortwitz............................................................................... 104 ß. Sachwitz............................................................................... 104 y. Klangwitz.......................................................................... 104 J. Bildlicher Witz...................................................................... 104 e. Ironie undSarkasmus........................................................104 d. als Humor.................................................................................... 105 e. Das Komische in derPosse........................................................ 106 f. Das Niedrigkomische...............................................................106 g. Das Komische in anderenKünsten..............................................106

Vie poetische Sprache.

§ 26.

§ 27. § 28. § 29.

Anforderungen des Schönen an poetische Sprache und poetischen Stil 107 1. Ordnung, Treue, Vollständigkeit, Kürze.......................................... 107 2. Bestimmtheit, Deutlichkeit, Klarheit des Begriffs.......................... 108 3. Natürlichkeit.......................................................................................... 108 4. Mannigfaltigkeit und Einheit. Symmetrie..................................... 109 5. Neuheit..................................................................................................... 110 6. Ästhetische Farbengebung..................................................................... 111 7. Reinheit. . . ...................................................................................... 111 a. Barbarismus................................................................................ 111 b. Archaismus..................................................................................... 112 c. Provinzialismus.......................................................................... 113 d. Neologismus(Fremdwörter rc.).................................................. 113 Das Schöne bei Bildung und Gebrauch der Wörter........................... 116 Das Schöne in der Lautmalerei. Klangschönheit......................................119 Das dichterisch Unschöne................................................................................ 130 1. Hiatus..................................................................................................... 130 2. Elision..................................................................................................... 133 3. Zusammenziehungen .......................................................................... 135 4. Dichterisch unschöne Bokalhäufungen und unpoetifche Elemente . 135

§ 30. § 31. § 32.

Das Schöne im Gebrauch des wichtigsten Ausschmückungs-Elements . Das Schönheits-Ideal. Idealismus und Realismus in der Poesie . Das schöne Kunstwerk als Endziel und Ideal der Ästhetik ....

Seite 137 140 142

Drittes Hauptstück: Tropen und Figuren. § 33.

Allgemeines über Tropen und Figuren.......................... ... 147 1. Erklärung der Begriffe Tropen und Figuren................................ 147 2. Entstehung, Zweck und Bedeutung der Tropen und Figuren . 148 3. Aus den Tropen erblühte die Mythologie.....................................150

§ 34.

Einteilung der Tropen......................................................................................152

§ 35.

Vergleichung und Gleichnis...........................................................................153 a. Vergleichung...........................................................................................153 b. Gleichnis................................................................................................ 155 Die Metapher................................................................................................ 156 1. Erklärung des Begriffs Metapher..................................................... 157 2. Die Metapher als Teil des Satzes oder des Satzgefüges . . 158 a. Ein einzelnes Wort als Metapher (Wortarten) .... 158 b. Einen Satz umfassende Metaphern.......................................... 160 c. Mehrere Hauptsätze zur Darstellung ein und derselben bestimmten Metapher................................................................160 3. Einteilung der Metaphern..................................... 161 a. Vergeistigende Metapher...........................................................161 b. Versinnlichende Metapher.......................................................... 162 c. Die materiale Metapher........................................................... 163 d. Die geistreiche Metapher........................................................... 164 Unterarten der Metapher ........................................................................... 164 1. Die Metonymie................................................................................... 165 2. Die Synekdoche.................................................................................... 167 3. Elliptische Metapher undAntonomasie..............................................169 Die Personifikation.......................................................... 169

I Tropen oder Lilder.

Tropen im engeren Sinne.

§ 36.

§ 37.

§ 38.

B. Tropen im weiteren Sinne.

§ 39. Die Allegorie......................................................................................................173 § 40. Die Distribution............................................................................................ 176 § 41. Gesetze für den Gebrauch der Tropen....................................................... 178 Katachresis..................................................................................................... 179 II. Figuren.

§ 42. Begriff und Einteilung der Figuren........................................................... 180 Grammatische Figuren. § 43. Ausruf (Exclamatio)..................................................................................... 181 § 44. Die Anrede oder Apostrophe...................................................................... 181 § 45. Die Frage (Interrogatio) und derDialogismus........................................182 § 46. Das Polysyndeton........................................................................................... 184 § 47. Das Äsyndeton.................................................................................................184 § 48. Die Wiederholung (Repetitio)......................................................................185

XII

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.

Formen derWiederholung. Seite Anaphora (Wiederholung des Anfangs)............................................ 185 Epiphora (Wiederholungdes Schlusses)...............................................186 Anadiplosis.................................................................................................... 187 Epanalepsis.................................................................................................... 187 Epanodos.....................................................................................................188 Epizeuxis.................................................................................................... 188 Polyptoton.................................................................................................... 189 Symploke.................................................................................................... 199 Annominatio.............................................................................................. 191 Antanaklasis.............................................................................................. 193

Rhetorische Figuren (Sinnfiguren). § 49. § 50. § 51.

§ 52. § 53.

§ 54. § 55. § 56.

§ 57.

§ 58.

§ 59. § 60.

§ 61. § 62.

§ 63.

Begriff der rhetorischen Figuren................................................................... 194 Die Antithese........................................................................................................... 194 Unterarten der Antithesis.................................................................................... 196 «. Die Stichomythie.................................................. 196 ß. Das Oxymoron......................................................................................... 197 y. Das Paradoxon......................................................................................... 198 Die Ironie...........................................................................................................199 Unterarten der Ironie............................................................................... . 200 1. Euphemismus...............................................................................................200 2. Sarkasmus...............................................................................................200 3. Diasyrmus.................................................................................................... 201 4. Mimesis.................................................................................................... 201 Die Onomatopöie................................................................................................202 Die Klimax...........................................................................................................203 Nebenarten der Klimax.................................................................................... 204 1. Antiklimax.................................................................................................... 204 2. Häufung.................................................................................................... 205 Die Hyperbel . . . ..............................................................................................206 a. Die naive Hyperbel................................................................................... 206 b. Hyperbel der Reflexion ........................................................................ 207 Nebenarten der Hyperbel....................................................................................208 1. Litotes..........................................................................................................208 2. Emphasis.................................................................................................... 208 Die Negation (Verneinung).............................................................................. 208 Die Sentenz.............................................................. 209 a. Einfache Sentenzen................................................................................... 209 b. Zusammengesetzte Sentenzen.................................................................. 210 Die Präsensfigur................................................................................................210 Die Inversion oder Wortversetzung..............................................................211 Unterarten der Inversion................................................................................... 212 1. Das Hysteron-Proteron........................................................................ 212 2. Hypallage.....................................................................................................212 Die rhetorischen Figuren der Einschaltung, Auslassung und Zu­ sammenhangslosigkeit .........................................................................................212 1. Parenthese.....................................................................................................212 2. Ellipse.......................................................................................................... 213 3. Anakoluthie....................................................................................................214 4. Aposiopesis.....................................................................................................214

XIII

Viertes Hauptstück: Letonungslehre (prosodik und Rhythmik). • § 64.

Seite

Grundbegriffe der Betonungslehre..................................................215

I. Deutsche prosodik. § § § § § § § § § §

§ §

§ § §

§

§ §

Die deutsche Prosodik oder Tonmessung im Gegensatz zur altklassischen 216 Der deutsche Accent als Element unserer Prosodik................................. 218 Das accentuierende Prinzip war geschichtlich das ursprüngliche . . 219 Accent und Quantität im Althochdeutschen..................................................221 Accent und Quantität im Mittelhochdeutschen............................................ 225 Accent und Quantität in der Neuzeit und Verurteilung quantitierender Bestrebungen...............................................................................................228 71. Das ursprüngliche deutsche Betonungsprinzip, Entdeckung, Konse­ quenzen und Beachtung desselben und unsere Dichter........................... 231 72. Grundgesetz unserer gegenwärtigen Prosodik............................................ 233 73. Tongrade................................................................................................................234 74. Prosodische Inkorrektheiten..............................................................................236 a. Thetische, sprachwidrige Behandlung der Tonsilben .... 237 b. Arsische Stellung unbetonter, also leichter Silben........................... 238 75. Prinzipien und Ursachen der verschiedenen Tonstärke der Silben . 240 76. Teutsches Silbensystem.................................................................................... 244 1. Schwere Silben.........................................................................................244 2. Mitteltonige Silben................................................................................... 245 3. Leichte Silben...............................................................................................246 77. Die Betonung zusammengesetzter Wörter...................................................246 78. Betonungsgesetz für die Fremdwörter.............................................................. 248 79. Arten des deutschen Accents............................................................................... 249 Silben- und Wortaccent..............................................................................250 Satzaccent........................ 250 Versaccent..........................................................................................................251 Die übrigen Accentarten..............................................................................252 Das ästhetische Tonlesen (Deklamieren)..................................................252 80. Der deutsche Accent bedingt eine deutsche Silbenquantität ^Versuch eines deutschen Quantitätsgesetzes)...................................................................253 81. Wichtige Konsequenzen aus unserem Quantitätsprinzip für den Dichter 256 82. Geist unserer accentuierenden Prosodik...................................................... 257 65. 66. 67. 68. 69. 70.

II. Deutsche Rhythmik.

§ § § §

83. 84. 85. 86.

§ § § § §

87. 88. 89. 90. 91.

Begriffliches.........................................................................................................260 Unterschied zwischen Metrum und Rhythmus........................................... 262 Der rhythmische Takt oder Fuß................................................................. 263 Arten des Rhythmus........................................................................................264 1. Quantitierender Rhythmus................................................................... 265 2. Versrhythmus...............................................................................................265 3. Freier Rhythmus (urdeutscherRhythmus).........................................265 4. Steigender und fallender Rhythmus.................................................. 266 Prinzip des ursprünglichen urdeutschen Rhythmus und seine Wandlung 266 Rückkehr zum urdeutschen Rhythmus............................................................ 267 Die rhythmische Reihe........................................................................................ 268 Der große Rhythmus........................................................................................ 269 Rhythmische Pausen........................................................................................270

XIV Seite § 92.

§ 93.

Kompositionen aller möglichen rhythmischen Reihen..................................272 A. Zweisilbige Metren................................................................................... 273 1. Trochänche Kompositionen........................ •.................................. 273 2. Jambische Kompositionen............................................................. 273 B. Dreisilbige Metren....................................................................................274 1. Daktylische Kompositionen............................................................. 274 2. Anapästische Kompositionen....................................................... 274 Rhythmische Malerei..........................................................................................275

Fünftes Hauptstück: Deutsche Verslehre (Metrik). § 94.

Einteilung der Verslehre

§ 95. § 96.

Verstatt und Satztatt............................................ 283 Cäsur und Diärese...............................................................................................285 1. In Hinsicht aufSatz- und Verstakte................................................... 285 2. In Hinsicht aus rhythmische Reihen................................................. 287 3. In Hinsicht auf ihre geregelte Wiederkehr.....................................288 Über Metrum mit) Metren ........................................................................ 290 Eintaktige (monopodische) und zweitaktige (dipodische) Messung . . 290 Skandieren, Skansion......................................................................................... 291

...................................................

283

I. Lehre von -en Verstakten.

§ 97. § 98. § 99.

II. Lehre von den Versen. § 100. Begriffliches über den Vers (Verszeile)........................................................293 § 101. Versbau und Satzbau ....................................................................294 § 102. Tie Elemente des deutschen Versbaues..........................................................296 1. Der Jambus ..........................................................................................296 2. Der Trochäus.......................................................................................... 297 3. Der Daktylus.......................................................................................... 297 4. Der Anapäst.......................................................................................... 298 5. Der Spondeus.......................................................................................... 299 § 103. Elemente des griechisch-römischen Versbaues.............................................. 300 1. Zweiteilige Maße....................................................................................300 2. Dreiteilige Maße....................................................................................300 3. Vierteilige Maße....................................................................................301 § 104. Verhalten der antiken Maße zum deutschen Versbau............................. 303 § 105. Klassifikation der deutschen Verse nach ihrem Schlußmetrum . . 305 1. Vollzählige (akatalektische) Verse........................................................ 305 2. Unvollzählige (katalektische) Verse........................................................ 305 3. Überzählige (hyperkatalektische) Verse.............................................306

III. Lehre von den streng gemessenen Vergärten. § 106. Einteilung der deutschen Verse..........................................................................306 § 107. Jambische Verse.................................................................................................307 1. Eintaktige jambische Verse (jambische Eintakter)............................307 2. Zweitaktige jambische Verse (jambische Zweitakter) .... 308 3. Dreitaktige jambische Verse (jambische Dreitakter) .... 308 4. Viertaktige jambische Verse (jambische Viertakter) .... 309

XV Seite

5. Fünftattige jambische Verse (jambische Fünftakter) . . . . 310 «. Der gereimte jambische Fünftakter ............................. 310 ß. Der reimlose jambische Fünftakter (Blankvers) .... 311 6. Sechstaktige jambische Verse (jambische Sechstakter) .... 315 a. Der Alexandriner...................................................... 315 b. Der neue Nibelungenvers.............................................. 317 c. Der neue Senar ...................................................... 320 d. Hinkejamben (Choliambus).......................................... 321 7. Siebentaktige jambische Verse (jambische Siebentatter) . . . 322 8. Achttaktige jambische Verse (jambische Achttakter) .... 323 § 108. Schreibweise längerer jambischer wie auch trochäischer Reihen . . 324 § 109. Trochäische Verse........................................................................ 324 1. Eintaktige trochäische Verse (trochäische Eintatter) ..... 324 2. Zweitaktige trochäische Verse (trochäische Zweitakter) . . . 325 3. Dreitaktige trochäische Verse (trochäische Treitakter) .... 327 4. Viertaktige trochäische Verse (trochäische Viertakter. Spanischer Trochäus)...................................... . . . . 327 5. Fünftaktige trochäische Verse ttrochäiiche Fünftakter. Serbischer Trochäus).......................................... 329 6. Sechstaktige trochäische Verse (trochäische Sechstakter) . . . 330 7. Siebentaktige trochäische Verse (trochäische Siebentakter) . . 330 8. Achttaktige trochäische Verse (trochäische AchttakterO .... 331 110. kretische und trochäisch-jambische Verse ...................................... 332 A. Der kretische Vers....................................................... 332 . B. Choriambische Verse........................................................... 332 1. AsklepiadeischerVers................................................ 333 2. Mykonischer Vers .................................................. 333 § 111. Daktylische Verse......................................................................... 333 1. Eintaktige daktylische Verse ldaktylische Eintakter) .... 334 2. Zweitaktige daktylische Verse (daktylische Zweitakter) . . . 334 3. Dreitaktige daktylische Verse (daktylische Treitakter) .... 336 4. Viertaktige daktylische Verse (daktylische Viertakter) .... 336 5. Fünftaktige daktylische Verse (daktylische Fünftakter) . . . 337 6. Sechstaktige daktylische Verse (daktylische Sechstakter) . . . 338 7. Siebentaktige daktylische Verse (daktylische Siebentakter) . . 338 8. Achttaktige daktylische Verse (daktylische Achttatter) .... 338 § 112. Trochäisch-daktylischeVerse.............................................................. 339 1. Adonischer Vers................................................... 339 2. Der Hendekasyllabus oder Elssilbner und der phalättsche Vers 339 3. Der pherekratische Vers........................................................ 340 4. Der kleine logaödische Vers.................................................... 341 5. Ter große logaödische Vers............................................... 341 6. Der priapische Vers............................................................ 341 7. Der sapphische Vers............................................................ 341 § 113. Anapästische Verse........................................................................ 341 1. Eintaktige anapästische Verse (anapästische Eintakter) . . . 342 2. Zweitaktige anapästische Verse (anapästische Zweitatter) . . 342 3. Dreitaktige anapästische Verse (anapästische Treitakter) . . . 343 4. Viertaktige anapästische Verse (anapästische Viertakter) . . . 343 5. Fünftaktige anapästische Verse (anapästische Fünftakter) . . 345 6. Sechstaktige anapästische Verse (anapästische Sechstakter) . . 345 7. Siebentaktige anapästische Verse (anapästische Siebentakter) . 345 8. Achttaktige anapästische Verse (anapästische Achttatter) . . . 346 § 114. Jambisch-anapästische Verse '(gemischte oder logaödische Anapäste mit steigendem Rhythmus................................................................ 347

XVI

Seite

§ 115.

A. Deutsche jambisch-anapästischeBerse.............................. 347 B. Der alcäische Vers.............................................................................. 348 Mit Spondeen gemischte Verse...................................................................348 A. Der Hexameter (Sechstakter)............................................................. 348 Kleists anapästische Hexameter........................................................353 Zur Litteratur und Geschichte des Hexameters .... 353 Über Verwendbarkeit des Hexameters in der deutschen Poesie 355 B. Der Pentameter oder das Elegeion..................................................357 C. Verbindung des Hexameters mit dem Pentameter im Distichon 358 D. Weitere Verbindung des Hexameters mit anderen Versen 360 IV. Lehre von den freien Versartcn (Accentverse).

§ § § § § § §

116. 117. 118. 119. 120. 121. 122.

Erklärung und Entwickelung der Accentverse............................................361 Einteilung sämtlicher deutschen Accentverse ........................................... 369 Symmetrische Accentverse (Silbenzählungsverse)...................................... 370 Strophisch vereinte Accentverse ...................... ........................................... 373 Freie Accentverse (Neuhochdeutsche Leiche)................................................. 376 Deutsche Hebungsverse...................................................................................380 Freie Volksverse (Knüttelverse) ..................................................................382

Zechstes Hauptstück: Dir Lehre vom Gleichklang (Keim). § 123. § 124. § 125.

§ 126.

Grundbegriffe des Gleichklangs oder Reimes............................................ 388 Zur Entstehungsgeschichte des Gleichklangs im allgemeinen . . . 390 Der Reim als Element und Charakteristikum unserer deutschen Dichtersprache.....................................................................................................392 Einteilung der Gleichklangsformen, sowie der im Bolksmund lebenden sprichwörtlichen Formeln ..............................................................................394

I. Der Stabreim oder die Allitteration. §

§ § §

§

§

127. Gesetz und Wesen des Stabreimes und seine Bedeutung für die deutsche Accententwickelung ........................................................................ 396 128. Metrische Bedeutung des Stabreimes............................................. 400 129. Die Allitteration als Schönheitsmittel wie als lautmalende Figur 403 130. Formen des deutschen Stabreimes................................................... 407 1. Der vokalische Stabreim.................................................................. 407 2. Der konsonantische Stabreim............................................................ 408 a. Schwache Allitteration........................................................ *. 408 b. Starke Allitteration 409 c. Volle Allitteration.........................................................................410 d. Verschlungene Stabung............................................................. 410 e. Trennende Allitteration............................................................. 411 f. Reiche Allitteration.........................................................................411 131. Der Stabreim innerlich aufgefaßt............................................................. 411 1. Stabreim für verwandte Vorstellungen............................................. 411 2. Stabreim für kontrastierende Vorstellungen.................................. 412 3. Stabreim für indifferente Vorstellungen....................................... 412 132. Historische Entwickelung des Stabreims........................................................412

II. Der Ausklang. § 133.

Wesen des Ausklangs und seine Verwendung.......................................417

xvn III. 9k AlTouani »ter ter Vokalreim.

§ 134. § 135.

§ 136.

Seite

Wesen der Assonanz und Anforderungen..................................................417 Arten der Assonanz......................................................................................... 418 1. Freie Assonanz (onomatopoetische Assonanz)................................. 418 2. Bersgliedernde Assonanz am Ende der Berszeilen .... 420 Geschichtliche Entwickelung der Assonanz..................................................423 IV. Der eigentliche Leim ober Vollreim.

§ 137. § 138.

Wesen und Bedeutung des Bollreims....................................................... 424 Arten des Bollreims......................................................................................... 425 1. Männlicher (jambischer, stumpfer) Reim.........................................425 2. Weiblicher (trochäischer, klingender) Reim.......................................426 3. Gleitender (daktylischer) Reim .................................................426 4. Schwebender (spondeischer) Reim,und 5. Doppelreim . . . 428 6. Identischer Reim....................................................................................430 7. Der reiche Reim (Ghaselenreim)........................................................431 8. Mehrfacher Reim................................................................................... 432 9. Der Anfangsreim....................................................................................433 10. Der Binnenreim.............................................................. 434 11. Der Mittelreim....................................................................................435 12. Der Kettenreim 436 13. Das Echo................................................................................................ 436 14. Kehrreim oder Refrain (Rundreim — versus intercalaris) . 438 a. Einfachste Art des Kehrreims und der unterbrechende Kehrreim 439

Flüssiger Kehrreim .........................................................................443 Didaktischer Kehrreim...................................................................445 Goethesche Kehrreime...................................................................445 Uhlands Kehrreime............................ ..... 446 Rückertscher Kehrreim...................................................................447 Rückertscher Ghaselenrefrain....................................................... 449 h. Auswahl aus den Kehrreimen anderer Dichter .... 450 i. Der Schaltvers..............................................................................453 15. Der Schlußreim . . . ................................................................... 454 § 139. Stellung und Aufeinanderfolgedes Schlußreims.....................................454 1. Gepaarte Reime oder Reimpaare (Dilettantenreime) . . . 454 2. Schlagreim...............................................................................................456 3. Gekreuzte Reime................................................................................... 457 4. Umarmende Reime............................................................................. 457 5. Verschränke Reime..............................................................................457 6. Unterbrochene Reime..............................................................................458 § 140. Anwendungsfähigkeit des Reims....................................................................458 § 141. Auswahl der Reimart.................................................................................... 460 § 142. Architektonik des Reims.....................................................................................461 § 143. Anforderungen an den Reim......................................................................... 463 I. Reinheit des Reims..............................................................................463 1. Gleichartigkeit des reimenden Klanges der Diphthonge und der Vokale.................................................................... 463 2. Gleichartigkeit der reimendenKonsonanten........................... 464 3. Gleichheit der Silbenquantität..................................................469 II. Neuheit des Reims..............................................................................470 UI. Wohlklang des Reims........................................................................ 471 IV. Würde des Reims....................................................................................474 c. d. 6. f. g.

Beyer, Deutsche Poetik. I.

II

xvm Seite

§ 144. § 145. § 146. § 147.

Zur ältesten Entwickelungsgeschichte des deutschen Vollreims . . 475 Erstarkung des mittelhochdeutschen Reims und seine Weiterbildung bis in die Neuzeit ......................................................................................... 477 Unterschied zwischen unserem und dem Otfriedschen Reime . . . 479 Vorzüge unseres Reims gegenüber dem Reime anderer Sprachen 486

Siebentes Hauptstück: Die Lehre von den Strophen. § 148. § 149.

Begriffserklärung von Strophen und Alter derselben............................ 489 Analogien der Strophe.....................................................................................493

Bau der Strophen. Abgrenzung des für eine Strophe nötigen Materials.............................497 Abgrenzung der Strophe nach Inhalt (Enjambement)............................ 498 Strophisches Charakteristikum............................................. 499 I. Der Refrain für Strophenteilung........................................................500 II. Zeilenverschiedenheit als strophisches Charakteristikum . . . 500 III. Reimverschiedenheit als strophisches Charakteristikum. . . 503 IV. Wechsel im Tongrad als strophisches Charakteristikum . . . 504 V. Wechsel des Reimvokals als strophisches Charakteristikum . . 504 VI. Wechsel des Rhythmus als strophisches Charakteristikum . . 504 VH. Abwechselung der Kola.............................................................. 507 153. Bedeutung des künstlichen Reims für den Baulängerer Strophen 507 154. Gleichmäßige (symmetrische) undungleichmäßige(unsymmetrische) Strophen......................................................................................................509 155. Strophenglieder...........................................................................................512 Symmetrische Strophenglieder......................................................... 513 Unsymmetrische Strophenglieder..............................................................513 156. Doppelstrophen und abwechselnde Strophen.............................................513 157. Höhere Stropheneinheit im größtenMeisterwerke deutscher Poesie 515 158. Einteilung sämtlicher Strophen................................................................... 516

§ 150. § 151. § 152.

§ § §

§ | §

I. Antike und antikisierende Strophen. § 159.

Begriff dieser Strophen und ihre Bestandteile....................................... 517 A. Antike Strophen.

§ 160.

§ 161.

Die kürzeste antike Strophe: das Distichon und die Systeme ver­ schiedener Takte...............................................................................................518 Bierzeilige antike Strophen.............................................................................. 519 1. Die sapphische Strophe..........................................................................519 2. Die alkäische Strophe.......................................................................... 521 3. Die asklepiadeischen Strophen.............................................................. 522 4. Die pherekratische Strophe.................................................................... 523 5. Die glykonische Strophe.......................................................................... 523 6. Die phaläkische Strophe......................................................................... 524

B. Antikisierende Strophen. § 162.

Aus antiken Metren und Versen zusammengesetzte Strophen neuer deutscher Erfindung.......................................................................................... 524

LH Seite

§ 163.

1. 2. 3. 4. Über

Klopstocksche antikisierende Strophen ...................... . 525 Platens antikisierende Strophen 525 Schillers gereimte Griechenstrophe 526 Geibels antikisierende Strophen................................................... 526 Verwendbarkeit und Reim antiker und antikisierender Strophen 527

11. Fremde moderne Atrophen und Dichtungsformen (südliche Formen).

§ 164.

Erklärung und Einteilung..........................."..........................................530

A. Proden(.alisch-italienische Formen. §

§ § § §

§ § §

165. Das Sonett...................................................................................................531 Erklärung und Bau............................................................................. 531 Teile.................................................... 532 Inhalt....................................................................................................... 533 Das englische Sonett......................................... 534 Geschichtliches über das Sonett............................................................. 535 Plattdeutsche Sonette.............................................................................540 Sonettenkranz................................................... 640 166. Die Terzine...................................................................................................543 167. Ritornelle........................................................................................................645 168. Sesüne........................................................................................................547 169. Die Oktave oder Stanze .........................................................................550 Verschiedenartig gebaute Oktaven. a. Wielandsche Oktaven........................................................................552 b. Schillersche Oktaven........................................................................553 c. Ave-Lallemantsche Oktaven.............................................................554 d. Die Spenser-Stanze......................................................................... 555 170. Die Siciliane............................................................................................. 556 171. Die Kanzone..............................................................................................558 172. Die Bierzeile..............................................................................................564 B. Spanische Formen.

§ 173. § 174. § 175. § 176. §177.

Die Deeime...................................................................................................565 Die Glosse...................................................................................................567 Die Tenzone..............................................................................................571 Kancion........................................................................................................574 Seguidilla...................................................................................................575

C. Französische Formen. § 178. Das Madrigal............................................................................................. 576 § 179. Akrostichon und Akrostrophe....................................................................577 § 180. Das Triolet (Dreiklangsgedicht)...............................................................578 I. Einstrophige Triolete........................................................................579 II. Zweistrophige Triolete...................................................................579 III. Dreistrophige Triolete (Rondel) ................................................... 580 IV. Abarten einstrophiger Triolete........................................................ 580 § 18L Das Rondeau (Ringelgedicht, Rundgedicht)..........................................581 D. Französisch-deutsche Strophen.

§ 182. Die Alexandrinerstrophen.........................................................................583 a. Rückerts Alexandrinex-Distichon................................................... 583 b. Geibels 9zeilige Alexandrinerstrophe.............................................. 583 c. Freiligraths 6zeilige Alexandrinerstrophen....................................583

XX E. Orientalische Formen. Seite

§ § § §

183. 184. 185. 186.

Persische Vierzeile (Rubaj, Rubajat)..............................................................584 Das Ghasel und die Kasside..........................................................................585 Malaisches Kettengedicht.....................................................................................589 Die Makame......................................................................................................589 Zur Geschichte der Makamen...................................................................590 Inhalt der Rückertschen Nachbildungen..................................................590 Zur Kritik der Rückertschen Makamen..................................................591 Zur Geschichte der nicht arabischen Makamen................................. 592 187. Der Sloka............................................................................................................596

§

III. Althochdeutsche und mittelhochdeutsche Strophen. 188. Die althochdeutschen Reimpaare.................................................................... 599 189. Übergang zur Strophik der mittelhochdeutschen Zeit.............................. 600

§ §

Strophen der mittelhochdeutschen Zeit. 190. Die mittelhochdeutsche Nibelungenstrophe..................................................601 191. Verwendung der mittelhochdeutschenNibelungenstrophe in der Neuzeit 603

!

192. 193.

§

194.

§ § §

195. 196. 197.

Die Gudrunstrophe......................................................................................... 607 Übervierzeilige Strophen der Minnesinger. Begründung der Strophik durch die Kunstpoesie......................................................................................... 608 a. Titurelton........................................................ 609 b. Marners langer Ton..............................................................................610 c. Frauenehrenton von Reinmar vonZweter....................................610 d. Abaespitzter Ton Konrads vonWürzburg......................................... 611 e. Gesangweise Boppes..............................................................................611 f. Der Guldenton Kanzlers.................................................................. 612 Frauenlobs grüner Ton........................................................................612 - Eine Tanzweise des von Liechtenstein............................................ 612 i. Eine Reihe Nitharts.............................................................................. 612 k. Der Hildebrandston.............................................................................. 613 1. Bernerton...............................................................................................614 Das Gesetz der Dreiteiligkeit im mittelhochdeutschen Strophenbau als Vorrecht deutscher Gründlichkeit............................................................. 614 Die Dreiteiligkeit der Strophen bei denneueren Dichtern . . . 616 Die Leiche.......................................................................................................... 619 Strophik der Meistersänger.............................................................................. 628 IV. vie deutsch-nationalen Strophen der Gegenwart.

§ 198. Erklärung und Einteilung.............................................................................. 633 | 199. Zweizeilige Strophen..........................................................................................634 § 200. Dreizeilige Strophen..........................................................................................635 Falsche Terzinen......................................................................................... 637 Assanierende dreizeilige Strophen............................................................. 638 § 201. Bierzeilige Strophen..........................................................................................638 Neue Nibelungenstrophe ..............................................................................640 Dilettantenstrophen................................................................................... 641 Persische Bierzeilenstrophe........................................................................ 643 Rückerts Kynaststrophe..............................................................................643 § 202. Fünfzeilige Strophen..........................................................................................644 Nithartstrophe ...............................................................................................647

XXI Seite

6 203.

§ 204.

§ 206.

Rückerts Bollendungsstrophe.................................................... Alte Titurelstrophe.................................................................. Schubarts Kapliedstrophe......................................................... Körners Gebetstrophe .............................................................. Rückerts Duftstrophe.................................................................. König Oskars Bildstrophe........................................................ Sechszeilige Strophen.................................................................. Rückerts Reimspielstrophe......................................................... Schillers Lehr- und Anapästenstrophe...................................... Schillers Polykratesstrophe......................................................... Geibels Sehnsuchtstrophe......................................................... Wilh. Müllers Noahstrophe................... ................................. Theobald Kerners Christnachtstrophe.......................................... Alexis Aars Herbstliedstrophe.................................................... Niggelers Traumstrophe ......................................................... Max Remys Vorwärtsstrophe.................................................... Siebenzeilige Strophen.................................................................. Herloßsohns Schwalbenstrophe.................................................... Roquettes Rosenstrophe............................................................. Rudolph v. Gottschalls Desmoulinsstrophe............................ Rückerts Klanggeisterstrophe......................................................... Rückerts Lenzschauerstrophe......................................................... Herweghs Flottenstrophe ......................................................... Geibels Geniusstrophe............................................................. Schmidt-Cabanisstrophe.............................................................. Kirchenliedstrophe....................................................................... Neue Titurelstrophe.................................................................. Goethes BanitaSstrophe .... Rückerts Triniusstrophe .... Rückerts Kinderstrophe .... Pinzgauerstrophe....................... E. Albrechts Blumenstrophe . . Mosens Hoferstrophe................... Mailiedstrophe ...... Bettelliedstrophe....................... Oswald Marbachs Frühlingsstrophe Herweghs Rheinweinliedstrophe Körners Lützowstrophe .... Goethes Heidenrösleinstrophe . . Goethes Beilchenstrophe .... Scherenbergs Fischerstrophe . . Luthers Psalmenstrophe .... Achtzeilige Strophen........................ Hildebrandstrophe........................ Geibels Abschiedstrophe .... Geroks Heimstrophe................... v. Gottschalls Liebesklängestrophe . Simon Dachs Treuestrophe . . Dankee-Doodle-Strophe .... Rückerts Ernteliedstrophe . . . Rückerts Trommelstrophe . . . Viktor Blüthgens Kinderliederstrophe v. Wickenbura-Almäsy-Strophe Wachtelwachtstrophe................... Ganzhorns Bolksstrophe . . .

647 648 649 650 651 652 653 654 655 657 658 660 660 661 661 661 664 665 666 666 666 666 667 667 667 668 669 670 671 672 672 673 673 674 674 675 675 676 677 677 678 678 679 680 683 685 687 688 688 689 690 690 690 693 695

XYTT § 206.

Neunzeilige Strophen................................................................... 696 Rückerts Erwartungsstrophe...................................................................696 Luthers Reformationsstrophe.................................................. 697 Knapps Prüfungsstrophe.........................................................................701 Goethes Hochzeitliedsstrophe................................................................... 701 § 207. Zehnzeilige Strophen......................................................................................... 702 Kopischs Trompeterstrophe.........................................................................704 König Ludwigs Künstlerstrophe............................................................. 705 Marseillaisestrophe ....................................................................................705 Berangerstrophe..........................................................................................706 Feodor Löwes Schwesternstrophe............................................................. 710 Schillers Habsburgstrophe.........................................................................710 Körners Kynaststrophe.............................................................................. 711 Rückerts Schnitterengelstrophe...................................................................712 Rückerts Lebensweisheitsstrophe............................................................. 713 § 208. Einzeilige Strophen (Undezimen).................................................................... 713 Körners Sturmstrophe.............................................................................. 715 Geibels Nachtstrophe....................................................................................717 Maßmanns Turnerstrophe.........................................................................717 Dingelstedts Seestrophe.............................................................................. 718 Schefers Gewitterstrophe........................................................................ 720 Bodenstedts Frühlingsstrophe................................................................... 720 § 209. Zwölfzeilige Strophen (Duodezimen)......................................................... 720 Nicolais Türmerstrophe........................................................ . . 722 Goethes Recensentenstrophe........................................................................ 723 Geibels Spielmannsstrophe.........................................................................725 § 210. Dreizehnzeilige Strophen.............................................................................. 729 Schefers Liebesstrophe..............................................................................733 § 211. Vierzehnzeilige Strophen.............................................................................. 733 Sallets Rosenstrophe................................................................................... 735 Heinzelmännchenstrophe.............................................................................. 736 Bodenstedts Russenstrophe.........................................................................737 Rückerts Guckkastenstrophe.........................................................................738 Hoffmanns v. F. Unkenstrophe................................................... . 738 Rittershausens Freimaurerstrophe........................................................ 739 § 212. Fünfzehnzeilige Strophen...............................................................................739 Pfarrius Winterstrophe.............................................................................. 741 § 213. Sechzehnzeilige Strophen...............................................................................741 Herrn, v. Löpers Weinstrophe...................................................................743 Konrads v. Würzburg Musterstrophe.................................................. 744 Otto Roquettes Jlsestrophe.........................................................................745 § 214. Siebenzehnzeilige Strophen...............................................................................746 Rückerts Goldbergstrophe........................................................................ 747 § 215. Achtzehnzeilige Strophen...............................................................................748 § 216. Neunzehnzeilige Strophen...............................................................................750 § 217. Zwanzigzeilige Strophen...............................................................................751 § 218. Überzwanzigzeilige Strophen........................................................................ 754 § 219. Freie Strophen von verschiedener Länge.................................................. 756 § 220. Eine Zukunftsform..........................................................................................760 § 221. Rückblick auf die sämtlichen Strophen........................................................ 762 § 222. Schlußfolgerungen, Vorsätze, Wünsche........................................................ 764 Schluß des 1. Bandes . .......................................................................................... 765

Deutsche Verslehre.

Fürwahr, die Metrik ist rasend schwer­ es giebt vielleicht sechs oder sieben Männer in Deutschland, die ihr Wesen verstehen. Heinrich Heine.

Doch hoste Keiner ohne tiefes Denken Den ew'gen «Stoff zur ewigen Form zu bilden. Platen.

Gastes Kcruptstück. llorbcgriffc. § 1.

Wesen der Poetik.

Poetik ist die Lehre von dem Wesen, von den Grundsätzen, Regeln, Formen und Formeln der Dichtkunst, oder die wissenschaft­ liche Betrachtung der Poesie. Als Wissenschaft der Dichtkunst ist sie ein Teil der Ästhetik, nämlich die aus Poesie angewandte Ästhetik. Schon in

frühester Zeit hat man versucht, aus den Gebilden der Poesie

Regeln zu abstrahieren und die Formen und Formeln der Poesie zu unter­ suchen, um sich ihrer Gesetze klar zu werden. Das auf diese Weise entstandene

Sie abstrahiert ihre Gesetze ebenso aus der Philo­

Regelwerk

ist die Poetik.

sophie der

schönen Künste, wie aus der Betrachtung mustergültiger Dichtungen.

Demgemäß macht uns die Poetik mit den Gesetzen des Schönen, mit der

Lehre des poetischen Stils und mit der äußeren Form und den Gattungen der Poesie 2C. bekannt. Die Kenntnis der Poetik erleichtert dem Dichter vor allem seine schöpferische Thätigkeit. Die Poetik erschließt aber auch demjenigen, der nicht Dichter ist, ein tieferes Verständnis der dichterischen Schöpfungen; sie macht es möglich,

das Schöne und Erhabene leichter erkennen und würdigen zu können; sie strebt, den Sinn für das Schöne zu wecken und zu beleben; sie sucht ästhetische Bildung

zu fördern.

Ihre Kenntnis ist das unerläßliche Vorstudium zur Ein­

führung in einen Dichter, wie in die gesammte Litteratur. Bisher waren unsere Poetiken nur denen genießbar und verständlich, die

schon

besaßen,

was ein Dichter braucht.

Eine Poetik der Neuzeit soll aber

— angesichts des hohen Bildungsstandes unseres Jahrhunderts — nicht nur ein Unterricht im Dichten für Dichter sein, (was früher etwa die Skalden­

schulen, oder die Dichterschulen zur Zeit der Minnesinger oder die Tabulaturen der Meistersänger rc. waren); sie soll auch nicht nur eine Einweisung in das Verständnis der fertig gestalteten poetischen Formen bieten: sondern sie soll

Beyer, Tcutsche Poetik I.

1

2 auch in letzter Instanz ein Mittel bilden, die Philosophie der Poesie und ihre Geschichte zu begreifen und eine Vorstufe (Propädeutik) der höchsten Dis­ ciplinen (Psychologie und Logik) zu werden. Lateinisch heißt Poetik: ars poetica, griechisch notr/unr] sc. Tfp'?;.

§ 2. Die Poetik ein Bedürfnis für Leden. Der Jnspirationsglaube und das Vorurteil der älteren Philosophie, daß der Dichter und der Künstler geboren werden, sind aus ein bestimmtes Maß zurückzuführen. Die Dichtkunst ist Allen je nach dem Grade der menschlichen Urvermögen zugänglich. Einführung in dieselbe ist Be­ dürfnis für denjenigen, der die Geistesschätze seiner Nation verstehen und genießen will, der ein Gefühl vom Werte deutscher Dichter­ schöpsungen und deutschnationales Selbstgefühl erlangen soll. Eine jede aus Intuition hervorgehende Arbeit, — sei sie ein Bildwerk, ein Gebäude, eine musikalische Komposition, eine Dichtung — erscheint in ihrer Vollendung selbst gebildeten Personen nicht selten als die Ausführung einer höheren Eingebung. Und doch ist sie meist weiter nichts, als die spekulative Einheit oder das Produkt der tiefsten Kenntnis der bezüglichen Empirie oder des vollständigen Details einer Sache. Gerade der klarste Empiriker ist nicht selten auch der klarste spekulative Philosoph, oder, wie Rückert, der bedeutendste

Weisheitsdichter. Man darf eben nicht vergessen, daß zwischen dem ersten Gedanken und der vollendeten Ausführung einer jeden Aufgabe ein oft lebens­ längliches Studium, die vielseitigste technische Ausübung, ein eminenter Fleiß und eine gewaltige Lebenserfahrung in der Mitte liegen muß.

Bis in die Neuzeit glaubte man an das geborene Genie, das man wie ein höheres Wesen, wie eine besondere Gattung des Menschen ansah, und dem man Nichtbeachtung der äußeren hergebrachten Formen

Manieren gern nachsah. nicht der vollendete.

in Kleidung und

Aber nur der angehende Künstler wird geboren, (Vgl. Goethe, Werke Bd. XXII, S. 222. Lessing

B. IV S. 310, sowie in meinen philosophischen Grundlinien „Erziehung zur Vernunft" fWien, Braumüller 3. Aufl. S. 22] das Kapitel „Genie".) Es giebt eine Krystallisation des Werdens, aber es giebt keine Wunderkinder. in der Kräftigkeit der

Urvermögen

oder Anlagen

ist

ein Unterschied,

Nur

ebenso

wie in der äußeren körperlichen Gesundheit. Anlage zur Poesie ist in jedem Menschen, sie äußert sich aber bei Verschiedenen verschieden, also bei dem In­ dianer anders, als bei dem Europäer, bei dem Bauernburschen anders, als bei

dem Studierenden, beim Handlanger anders, als beim Gelehrten, bei der ge­ bildeten Jungfrau in ebenen Gegenden anders, als bei der naturwüchsigen Sen­

nerin auf hoher Alp.

Aber nur bei Wenigen erscheint die Poesie als Kunst

ausgeprägt. Um als Kunst sich äußern zu können, muß das Können d. h. die Geschicklichkeit erreicht sein. Dazu gehört Unterricht, Studium, Arbeiten. (Vgl. Rückerts Ringen und seinen Ausspruch in meinen „Neuen Mitteilungen"

3 Bd. I.

S. 55, ferner noch Hüsfers Mitteilung aus dem Leben H. Heines

fBerlin, 1874], nach welcher Heine außerordentliche Mühe auf die Form seiner Schöpfungen verwandte und gerade die scheinbar am flüchtigsten hingeworfenen Lieder am meisten gefeilt habe u. s. w.) Wie der Lernende an Wohllaut und an ästhetisch Schönes gewöhnt werden kann, so auch an eine äußere poe­ tische Sprachweise, wenn die betreffenden Regeln und Gesetze verständnisvoll

aus der Sprache selbst entwickelt werden.

Da jedem normal

angelegten ge­

sunden Menschen ein richtiges Denken und Fühlen anerzogen werden kann, (jede Schule hat dies Klassenziel im Lehrplan) da ihm ferner die Form mit­

geteilt wird, in der er sein Denken und Fühlen äußert, so muß jeder gut beanlagte Mensch so weit fortgebildet werden können, um den Dichter nicht nur dem Inhalt, sondern auch der Form nach würdiget: und verstehen zu lerne::. Freilich gehört hierzu Kenntnis der seither in allen Lehrbüchern der Poetik übersehenen Ästhetik, der wir das 2. Hauptstück dieses Buches gewidmet haben, und die

wir so wichtig erachten, weil eine Wirkung wie eine Kritik des Kunstwerkeohne absichtsvolle ästhetische Bildung dem Zufall anheimgegeben ist.

§ 3. Geschichte der Poetik bis Schiller und Goethe. Wie bei den Griechen und Römern eine Wissenschaft der Poesie erst möglich wurde, nachdem die Poesie im Drama zur Blüte gelangt war, so mußte auch in andern neueren Staaten — namentlich in Deutschland — die Poesie verschiedene Stadien durchlaufen, bevor die Poetik erstand und gepflegt wurde. Die hauptsächlichsten Be­ gründer der Poetik bei den Alten waren Aristoteles und Horaz. Aristoteles von Stagira (384—322 v. Chr.) war der erste, welcher

die Grundsätze der einzelnen Dichtungsgattungen auseinandersetzte und in seiner Poetik namentlich den Unterschied zwischen der epischen und dramatischen Poesie

darlegte.

Er ist der Euklides der Poesie.

Nach ihm

wurde

die Poetik

nur

eine Art ,Receptirkunde'. Eine solche schrieb wenigstens Horaz (f 8 v. Chr.) in seiner „Epistola ad Pisones“ oder ,,ars poetica“. Sie behandelt

hauptsächlich die Aufgabe der Dramatik, giebt reiche Fingerzeige über die dich­

terische Technik und weist die damaligen Dichterlinge in Rom ernst humoristisch zurecht. Nach ihm schrieb u. a. Longin 250 n. Chr. „Über das Erhabene"

(Ausgabe

von

Jahn,

1867)

und

gleichzeitig

Plotin

Mehr als 1200 Jahre später wurde erst in Frankreich,

„Über

Schönheit".

dann England, den

Niederlanden und Deutschland die Poetik gepflegt, und zwar infolge der humanistischen Studien, die nach der Eroberung von Konstantinopel 1453 sich verbreiteten und der Roheit und Unwissenheit des Mittelalters bald wirksam entgegentraten. Der römische Bischof Vida (ch 1566) gab am Anfang des 16. Jahrhunderts eine Poetik

in Hexametern heraus,

in

welcher

er haupt­

sächlich Virgil citirt. Darauf folgte die Poetik des Franzosen BoileauDespreaux (de Fart poetique 1674), ein Coder des guten Geschmacks, der

4 lange Zeit der bezüglichen Litteratur als Richtschnur diente und seinem Ver­

fasser

den Ehrennamen

„legislateur

du Parnasse“

einbrachte.

Der Ita­

liener Scaliger, der sich 1528 in Frankreich naturalisieren ließ, gab 1561 in Lyon 7 Bücher „De arte poetica“ heraus. Von den Deutschen war — abgesehen von dem § 1 erwähnten Versuch

der Meistersänger— Friedri ch Spee von Langenfeld (1591—1635, einer der ersten Lyriker seiner Zeit) darauf bedacht, der deutschen Poesie eine Metrik

zu schaffen.

Sodann gab das Haupt der Schlesischen Dichterschule Martin

Opitz 1624 eine kleine Poetik: „Buch von der deutschen Poeterei" heraus. (Diese vielgenannte Schrift, von der ein Neudruck 1876 in Halle erschien,

umfaßt 60 Seiten und lehrt u. A.: „Kap. 1. Die Poeterei wurde eher getrieben, als man je von derselben geschrieben. Die Schriften der Poeten kommen aus göttlichem Antrieb her. Kap. 2. Die Poeterei war anfänglich eine verborgene Theologie und Unterricht von göttlichen Sachen. Die ersten Väter der Weisheit haben die bäuerischen und fast viehischen Menschen zu einem höflicheren und besseren Leben angewiesen. Nach Strabo haben die Alten gesagt, die Poeterei sei die erste Philosophie, eine Erzieherin des Lebens von Jugend auf, welche Sitten 2C. lehre. Ein Weiser sei allein ein Poet. Der Sittsamkeit und nicht der Erlustigung wegen unterwiesen die Griechen in den Städten die Knaben in der Poesie. Kap. 3. Entschuldigung der Vorwürfe. [Man nenne Poeten denjenigen, welchen man verächtlich machen wolle. Grund:

die Gelegenheitsgedichte. Es werde kein Buch, keine Hochzeit, kein Begräbnis ohne solche gemacht. Äschylus habe Sophokles vorgeworfen, der Wein habe seine Tragödien gemacht. Nachlässiger Wandel der Poeten. Die Poeterei ist nicht gegen den Glauben 2C.] Kap. 4. Wir sollen nicht vermeinen, daß

unser Land unter einer so rauhen und ungeschlachten Luft liege, daß es nicht zur Poesie tüchtige Ingenia tragen könne. Tacitus bezeuge, daß die Deutschen alles Merkenswerte in Reime und Gedichte faßten. Opitz erinnert an Walther

Es sei eine verlorene Arbeit, wenn sich jemand an unsere

von der Vogelweide.

Poeterei machen wollte, ohne in den griechischen und lateinischen Büchern be­

wandert zu sein und aus denselben den rechten Griff erlernet zu haben 2c. Kap. 5. Dichtungsgattungen: heroisches Gedicht, Tragödie, Komödie, Epi­ gramm, Eklogen, Hymnen, Lyriken 2C.

Kap. 6.

Von der Zubereitung und

Zier der Wörter [Fremdwörter, neue Wörter, Figuren, Tropen 2C.]. Von

den Reimen,

ihren Wörtern

und

Arten

der Gedichte.

Kap. 7.

Bei Belehrung

über den jambischen und trochäischen Vers giebt Opitz die Grundlage unserer accentuierenden Metrik: „Wirkönnennichtauf Arider Griechen und Lateiner eine gewisse Größe derSilben in Acht

nehmen, son­

dern wir erkennen aus den Accenten und dem Tone, welche Silbe hoch und welche niedrig gesetzt soll werden." Dieser von ihm zum erstenmal ausgesprochene Satz sei so wichtig,

als es nötig war, daß die La­

teiner nach den quantitatibus oder Größen der Silben ihre Verse richten und

regulieren.

Kap. 8.

Er erwartet von seiner [in 8 Tagen niedergeschriebenenj

Schrift, daß sie beitragen werde, der Poesie den berechtigten Glanz zu geben.

5 Die Bevorzugten, die mit Ovid sagen können: ,,Est Deus in nobis, agitante calescimus illo“ ^deutsch: Es ist ein Geist in uns und was von uns geschrieben, gedacht wird und gesagt, das wird von ihm getrieben,] müssen Übung und Fleiß anwenden. Auch Übersetzungen aus griechischen und latei­ nischen Poeten empfiehlt Opitz, um Eigenschaft und Glanz der Wörter, Menge

der Figuren kennen zu lernen und das Vermögen zu erlangen, dergleichen zu erfinden :c. Plinius gestehe in der 17. Epistel des 7. Buches, daß ihn diese Gewohnheit nicht reue; er nennt es den schönsten Lohn des Poeten, in

fürstlichen Zimmern Platz zu finden, von großen und verständigen Männern getragen, von schönen Leuten geliebet ftenn auch das Frauenzimmer lese den

Dichter niib pflege ihn oft in Gold

binden],

zu

in Bibliotheken

einverleibet,

öffentlich verkauft und von jedermann gerühmt zu werden. Hiezu komme die Hoffnung künftiger Zeiten, in welchen sie fort und fort grünen und in der Nachkommen Herzen bleiben. Diese Glückseligkeit erwecke bei aufrichtigen Ge­ mütern solche Wollust, daß Demosthenes sagt, es sei ihm nichts Angenehmeres, als wenn auch nur zwei wassertragende Weiblein sich zuflüstern: „Das ist Demosthenes". Neben dieser Hoheit des guten Namens ist auch die unver­ gleichliche Ergötzung, welche wir empfinden, wenn wir der Poeterei wegen so

viel Bücher durchsuchen: wenn wir die Meinungen der Weisen erkundigen rc. Für diese Ergötzung haben Viele Hunger und Durst gelitten und ihr Vermögen daran gesetzt. Zoroaster hat für Aussetzung seiner Gedanken in poetischer Sprache 20 Jahre in Einsamkeit zugebracht. Alle Wollüste zergehen unter

den Händen, Neue und Ekel zurücklassend; nur der Umgang mit der Poesie schafft ein Vergnügen, das uns durchs ganze Alter begleitet, das unsern Wohl­ stand ziert und in Widerwärtigkeiten ein sicherer Hafen ist.

Die Verächter der

göttlichen Wissenschaft der Poetik haben das Schicksal jener Personen in der Tra­ gödie, die ob ihres Unverstandes und ihrer Grobheit weinen und heulen müssen.)

Dieses mit Sachkenntnis errichtete Gebäude von Opitz stellte Regeln hin­

sichtlich des Versbaus auf, deutschen Poesie

immerhin

dörff er

poetische

(der

6 Stunden einzugießen.

die heute noch gelten,

Beachtung Trichter;

die

deutsche

2 Teile 1647—48.

weshalb er als Vater der

Ihm folgten Phil. Hars-

verdient.

Reim-

und

Dichtkunst

in

Inhalt: 1. Die Poeten, 2. Die

deutsche Sprache, 3. Der Reim, 4. Die Reimarten, 5. Erfindung neuer Reim­ arten, 6. Zierlichkeit der Gedichte und ihre Fehler). — Sigm. v. Birken

(Deutsche Rede-, Bind- und Dichtkunst, Nürnberg 1679). — Christ. Rotth (Vollständige deutsche Poesie, 1688). — Christian Weiße (Kuriose Gedanken von deutschen Versen, 1691). — Christoph Gottsched (Versuch einer kritischen

Dichtkunst, Leipzig 1730 und verbessert 1751. der

deutschen

Sprache,

Poesie

und

Beiträge zur kritischen Historie

Beredsamkeit,

1744.

Nötiger

Vorrat

zur Geschichte der deutschen dramatischen Dichtkunst, 1757). — Joh. Jak. Breitinger (Kritische Dichtkunst, Zürich 1740). — Joh. Jak. Bodmer

(Kritische Betrachtungen über die poetischen Gemälde der Dichter, 1741). Nachdem Prof. Aler. Gottl. Baumgarten in Frankfurt a. O. als Vollender der Wolff'schen Philosophie durch seine Schriften: „Anfangsgründe aller

6 schönen Wissenschaften", 3 Bde. 1750, sowie besonders „Ästhetica, Frank­ furt 1750—58. 2 Bde.", die Ästhetik als Wissenschaft begründet

hatte und seine Nachfolger I. G. Sulzer (Allgemeine Theorie der schönen Künste. Leipzig 1786), F. A. Eberhard (Handbuch der Ästhetik in Briefen. Halle 1803 —1805), sowie Friedr. Vouterwek (Ästhetik 1806; Ideen zur Metaphysik des Schönen, 1807; Geschichte der Poesie und Beredsamkeit rc., 1819) der Ästhetik ein weites Feld erobert hatten, waren es die Identitäts­

philosophen Kant, Fichte, Hegel, Schelling, welche ihre Kraft auf Begründung der Schönheitsgesetze richteten und der Ästhetik neue Bahnen öffneten. Gleich­

zeitig traten unsere klassischen Dichter mit ihren Meisterwerken auf: ein Lessing,

Klopstock, Herder, Goethe, Schiller, Jean Paul rc. und ermöglichten eine klas­ sische Poetik. Herder, der in den zugänglich gemachten Werken fremder Völker zur Vergleichung anregte, stellte (namentlich in „Fragmente über die neuere deutsche Litteratur, 1767" und „ Vom Geist der hebräischen Poesie, 1782 rc.") neue Prinzipien auf, ebenso Lessing (in „Abhandlungen über die

^äsopische^ Fabel, 1759." „Laokoon oder über

die Grenzen der Malerei

und Poesie, 1766." „Hamburgsche Dramaturgie, 1767. 1768." „Zerstreute Anmerkungen über das Epigramm, 1771").

§ 4.

Geschichte der Poetik bis in die Gegenwart.

Litteratur und Ctuellen dieses Luches. Schiller und Goethe brachten die Idee der Schönheit zur Gel­ tung und gaben durch ihre Dichtungen wie durch ästhetisch-theoretische Arbeiten (Schiller: Über die tragische Kunst, Über das Erhabene, Über Anmut und Würde rc.; Goethe: Die Propyläen, Über Kunst und Altertum, vgl. auch seine Briefe und die von Eckermann 1836 herausgegebenen Gespräche) neue Gesichtspunkte, indem sie zugleich die Grundsätze künstlerischen Schaffens und des künstlerischen Pro­ dukts vermittelten. Jean Paul lieferte in seiner humoristisch gehal­ tenen „Vorschule der Ästhetik" (1804) neue originelle Beiträge für Erkenntnis des dichterischen Stils und der dichterischen Produktion. Von den Romantikern, die uns Shakespeare einbürgerten und lebensfähige Bilder unseren Dramaturgen lieferten, wirkte besonders der ästhetisch­ kritische Vertreter der romantischen Schule A. W. Schlegel durch seine „Vorlesungen über dramatische Kunst", sowie der Vollender dieser Schule Ludw. Tieck durch seine dramaturgischen Arbeiten (1826). Außer Ferd. Solgers

Vorlesungen über Ästhetik (1829),

Christian

Herrn. Weißes Ästhetik (1830), Krauses Abriß der Ästhetik (1837), Rosen­ kranz' Geschichte der Poesie und Ästhetik des Häßlichen (1853), Ferd. Schleier­

machers Ästhetik

(1842),

Hegels

Ästhetik

(1840),

Börnes

dramatur­

gischen Blättern (in denen er wie Lessing neben Inhalts-Tiefe zugleich Natur und

Wahrheit

der

dramatischen

Gedichte fordert), Wienb arg s

ästhetischen

7 Feldzügen (1833) und Dramatikern der Jetztzeit (1839), Theodor Mundts Dramaturgie (1847) und Ästhetik (1845), Schopenhauers, Laubes, Gutz­ kows Arbeiten sind für unser Jahrhundert besonders nennenswert: des bahnbrechenden Fr. Theod. Vischers Ästhetik (4 Teile, 1846 bis

1857), Über das Erhabene und Komische

(1837),

Kritische Gänge (1844.

Neue Folge, 1875. 6 Teile), Kuno Fischers Diotima, die Idee des Schönen (1849), Die Entstehung und Entwicklungsformen des Witzes (1871), Moritz Earrieres Das Wesen und die Formen der Poesie (1854), Ästhetik (1859),

Tie Kunst im Zusammenhang mit der Kulturentwickelung und die Ideale der Menschheit (1874, 3 Bde.), Rudolph Gottschalls verdienstliche Poetik

(1858), und mehr oder weniger die nachstehend in chronologischer Folge aufgezählten, von uns beim Aufbau dieses Werkes benützten Bücher: 1800. Hermann, I. Gottsr. Jak., Handbuch der Metrik. — 1802. Voß, Joh. Heinrich, Zeitmessung der deutschen Sprache. — 1809. Petri, Vorkenntnisse der Verskunst für Deutsche (Pirna). — 1811. Wolf, F. Aug., Über ein Wort Friedrichs II. von deutscher Verskunst (Berlin). — 1812.

Böthe, F. G., Antikgemessene Gedichte, eine ächt deutsche Erfindung (Berlin). — 1813. Besseldt, Beiträge zur Prosodie und Metrik (Halle). — 1815. Moritz, Karl, Deutsche Prosodie (2. Aufl., Berlin). — Grotefend, Georg Friedr., Anfangsgründe

der deutschen Verskunst (Gießen). —

1816.

Apel,

Aug., Metrik (Leipzig). — 1817. Meinecke, Verskunst der Deutschen (Qued­ linburg). — 1820. Heyse, Karl, Kurzer Abriß der Verskunst rc. (Han­ nover). — Gotthold, Kleine Schriften über die deutsche Verskunst (Königs­ berg). — 1826. Döring, Lehre von der deutschen Prosodie (Dresden). — 1827. Garve, der deutsche Versbau (Berlin). — 1831.

Teutsche Grammatik

(Göttingen).

— 1834.

Grimm, Jakob,

Zelle, Kritische

Geschichte der

Prosodie, cf. Programm d. Berl. Gymnas. z. grauen Kloster, Untersuchg. z.

deutsch. Metrik. — 1835. Hoffmann, K. I., Principien der wissenschaft­ lichen Metrik (Berlin). — Erk, M., Zeitmessung (Wiener Jahrb. d. Lit. Bd. 71. p. 102 —143). — 1836. Poggel, Grundzüge einer Theorie des Reims rc. mit besonderer Rücksicht auf Goethe. — 1837. Freese, Deutsche Prosodie (Stralsund), ferner: Griechisch-römische Metrik (Dresden 1842). — 1838. v. d. Hagen, Minnesinger. — 1839. Dilschneider, Deutsche Vers­ lehre (Köln). — 1842. Edler, Deutsche Versbaulehre (Berlin). — 1843.

Büttner, Friedr., Bemerkungen über die Quantität der deutschen Sprachlaute (Havelberg). — 1845. Knüttel, Aug., Tie Dichtkunst und ihre Gattungen. — 1845. Wackernagel, Phil., Auswahl deutscher Gedichte. 4. Aufl. (Berlin). — 1846. Thiersch, Allgemeine Ästhetik (Berlin). — 1854. Minckwitz,

Joh., Lehrbuch der deutschen Verskunst. 3. Aufl. (Leipzig). — 1859. Gruppe, Deutsche Übersetzungskunst (Hannover). — 1860. Viehosf, Heinr., Vorschule der Dichtkunst. — 1862. Benedix, Roderich, Das Wesen des deutschen Rhythmus (Leipzig). — 1863. Köstlin, Karl, Ästhetik. — 1864. Frey­ tag, Gust., Die Technik des Drama. — 1865. Lemcke, K., Populäre Ästhetik. — 1865. Zeising, Ad., Ästhetische Forschungen. — 1866. Cajus

8 Silius Italikus, Punika, metrisch übersetzt mit Vorwort über deutsche Vers- und Silbenmessung (Braunschweig). — Jordan, Wilh., Strophen und Stäbe. — 1868. Jordan, W., Der epische Vers der Germanen 2c. ferner Nibelunge (1874 und 1875). — 1870. Bonnell, H. C., Auswahl deutscher Gedichte im Anschluß an ein Lehrbuch der Poetik. — Vilmar, A. F. C., Die deutsche Verskunst, bearb. von Grein. — 1872. Wagner, Rich., Gesammelte Schriften und Dichtungen (Leipzig). — 1873. Wackernagel, Wilh., Akademische Vorlesungen (Halle). — 1874. Seyd, Wilhelm, Beitrag zur Charakteristik und Würdigung der deutschen Strophen, (eine treffliche, die 2—8zeiligen Strophen behandelnde Schrift). — 1876. Fechner, Th., Vor­ schule der Ästhetik. — Goethes Briefwechsel mit den Gebr. v. Humboldt (Leipzig). — Simrock, Cdda. — Keiter, H., Versuch einer Theorie des Romans. — 1877. Westphal, Rudolf, Theorie der neuhochdeutschen Metrik (Jena). — Huß, Hermann, Lehre vom Accent (Altenburg). — 1878. Brinkmann, Friedr., Die Metaphern, Studien :c. — König, Robert, Deutsche Litteraturgeschichte (Leipzig). — 1879. Hahn, Werner, Deutsche Poetik (Berlin). — Kleinpaul, Ernst, Poetik (1. Aufl. 1852). — Bartsch, Deutsche Lieder­ dichter des 12. bis 14. Jahrhunderts. 2. Aufl. — 1880. Palleske, Emil, Die Kunst des Vortrags. — Du Prel, Karl, Psychologie der Lyrik. — Andere Schriften sind im Tert genannt.

§ 5. Die Mnfte im Verhältnis zum Gegenstand der Poetik. Das Verhältnis des Stoffes zur darzustellenden Schönheitsidee (vgl. §§. 20 und 31) und der Unterschied der Anschauungsorgane be­ dingt die Abstufung der Künste, die sich in zwei Gruppen von je drei ebenbürtig gegenüberstehenden Stufen gliedern. Die erste Gruppe, welche auf der Raumanschauung fußt und Werke von bleibender Dauer bietet, umfaßt die bildenden Künste: a. Die Baukunst, b. die Bildhauerkunst und c. die Malerei. Die zweite Gruppe, welche auf der Zeitanschauung fußt und ihre Werke in successiver Folge zur Darstellung gelangen läßt, umschließt die musischen Künste: a. Die Mimik, b. die Musik und c. die Dichtkunst. Für das Verständnis der Stellung der Poesie als Kunst haben wir einen orientierenden Blick auch auf die entfernter verwandten Künste zu werfen. Nach alter Praxis teilt man die Künste a. in niedere Künste ein, wie Reitkunst, Fechtkunst 2c., b. in nützliche Künste, wie Goldschmiedekunst, Garten­ kunst, Bergbau rc., welche nur insoweit auf künstlerischer Basis beruhen, als sich mit dem praktischen Ziele die Richtung auf die ästhetisch schöne Form ver­ bindet. Von diesen niederen und nützlichen Künsten, die man füglich als Tech­ niken bezeichnen sollte, scheidet man c. die obigen schönen Künste im engern Sinn ab, da diese (die niedere Baukunst ausgenommen,) kein praktisches Ziel

9 haben, vielmehr lediglich die Darstellung des Schönen (vgl. 2. Haupt­ stück) durch menschliche Thätigkeit erstreben.

Das Wort Kunst (griechisch T8%V7] von tsxuv) ist von können abzu­ leiten, wie Gunst von gönnen, Brunst von brennen. Die Resultate der niederen Künste nennt man Kunststücke, Produktionen, Aufführungen, Darstellungen, Leistungen, die der schönen Künste Kunstwerke, Kunst­ schöpfungen. Die schöne Kunst der Poesie kann nur mit ihresgleichen in Verhältnis gebracht werden. Betrachten wir das Verhältnis der schönen Künste, so ent­ spricht die Baukunst oder Architektur (welche Schlegel gefrorene Musik nennt) der Musik in ihrem entwickelnden Werden. Der Bildhauerei (Skulptur)

mit ihren ideenreichen, den menschlichen Körper darstellenden Formen entspricht die bewegliche Plastik der Mimik. Der im Material so leichten, in den Ideen so reichen Malerei entspricht mir die Poesie im Ganzen wie in den Teilen, nämlich der Historienmalerei das Drama, der stimmungsvollen Land­ schaft die stimmungsreiche Lyrik, dem deskriptiven Genre das Epos. Den Mangel an natürlichem Leben in den Kunstschöpfungen verdeckt der künstlerische Schein, d. h. ein Hindurchschimmern der Idee durch die Form (§§. 19 und 20), welche nach Hegel das Wesen der Kunst bildet. Das poetische Kunstwerk, wie auch das musikalische und das mimische wird

erst durch Aufführung und Recitation wirklich. Hierzu ist eine sekundäre Reihe von Künsten nötig, die wir reproduktive Künste nennen. Der Komponist bedarf des praktischen Musikers,

der Dichter des Deklamators und

des Schauspielers. — Bei den räumlichen Künsten bedeutet reproduktiv die Übertragung eines Originalwerks in eine andere Technik, z. B. eines Öl­ gemäldes

in Holzschnitt-

oder Kupferstichnachbildung.

Eine Kopie

als Nach­

bildung im gleichen Material ist nicht unter den Begriff des Reproduktiven zu subsumieren. — Den Zusammenhang der Kunst mit der Kulturentwicklung eines Volks hat die Kunstgeschichte nachzuweisen, die somit bestimmte Kunst­ epochen verzeichnet. Die Philosophie der Kunst als Abteilung der Ästhetik er­ forscht das Wesen der Kunst in ihrer Beziehung zum geistigen Organismus des Menschen und stellt den gedanklichen Inhalt ihres auf die Verwirklichung

des Schönen gerichteten Umfangs systematisch dar.

§ 6. Freie Künste in gleicher Beziehung. Freie Künste im eigentlichen Sinne sind: 1. Bildhauer-Kunst oder Plastik (aus dem griech. nkaoTW] sc. von TcXdoow bilden, formen, gestalten, lat. ars statuaria, franz, sculpture). 2. Malerei (griech. Zeichenkunst). 3. Musik und 4. Poesie. Insofern die Baukunst den praktischen Interessen der Bequemlichkeit, der Sicherheit und der Annehmlichkeit dient, wird sie abhängig und verwirkt — freilich nur in dieser Beziehung — die Ausnahmestellung einer freien Kunst gleich der

10 Mimik, welche weder durch Schrift noch durch Farbe bleibend gemacht

werden

kann und zur künstlerischen Technik oder zur sekundären Kunst herabsinkt.

Die

freien Künste der Bildhauerei und Malerei darf man im Hinblick auf ihre Beziehung zum Stoff reale Künste (von res = Sache) nennen. Dagegen sind Musik und Poesie ideale Künste (von idea = SUb, Begriff, Vergeistigung in der Seele). Die realen Künste (Bildhauerei und Malerei) beschränken sich auf Darstellung eines fertigen Zustandes oder eines bestimmten Moments in einer Entwicklung oder in einer Bewegung. Die idealen Künste (Musik und Poesie) dagegen charakterisieren Gefühlszustände und Gedanken

in ihrem Werden,

in

ihrer Entfaltung. Die obigen realen Künste sind objektiv, insofern sie die räumlichen Objekte in bestimmten Erscheinungen zur Anschauung bringen. Die idealen Künste dagegen sind subjektiv, sofern sie inneren subjektiven Empfindungen, Gefühlen und Betrachtungen im Tone und Worte als den formalen Dar­ stellungsmitteln von Gedanken und Empfindungen Ausdruck verleihen. realen Künste sind an die Körperwelt, an den Stoff und die Verhältnisse Ausdehnung und Form gebunden. Die idealen Künste hängen nur Subjekt und seinem Geistesleben ab, vom Grade der inneren Empfindung, Freude, Lust, Schmerz, Erhebung, Begeisterung, Erregung rc.

Die nach vom von

§ 7. Gegenstand der Poetik: die Dichtkunst. Poesie ist die Darstellung des Schönen in Worten und hör­ baren Gedanken: das freie Spiel der schöpferischen Phantasie und des Gemüts durch die Rede und die sinnlichen Formen derselben, — ein Ideales in solch vollendeter Form, daß es auch im Beschauer oder Hörer angenehme Empfindungen, hervorruft und ihm Genuß bereitet. Wir gehen mit dieser Definition einen Schritt weiter, als Schiller, der unter Poesie die Kunst versteht, uns durch einen freien Effekt unserer produktiven Einbildungskraft

versetzen, die Musik.

— denn

in

bestimmte Empfindungen zu

diese Definition paßt ebenso auf

die Malerei wie auf

Die bildenden Künste der Malerei, Bildhauerei und Baukunst führen ihre Anschauung in unbelebten, plastischen Stoffen vor. Die Musik fixiert ihre An­

schauung fürs

Ohr in bewegten Tönen,

der Tanz

und

fürs Auge in beweglicher Gestalt des lebenden Körpers.

die

Schauspielkunst

Die Poesie oder die

Kunst der idealen Vorstellungen bedient sich des Abdrucks der innern Anschauung

— der Sprache.

Schill er sagt von ihr in „Huldigung der Künste":

Ihr unermeßlich Reich ist der Gedanke Und ihr geflügelt Werkzeug ist das Wort, —

und Goethe (in Torquato Tasso 5. 5) meint, dem Dichter allein Künstlern habe ein Gott gegeben zu sagen, was er leide.

unter den

11 Da die

Poesie

die

plastische Anschaulichkeit

der

sämmtlichen

bildendem

Künste mit der Innerlichkeit der Musik vereint, muß sie als Perle unter den schönen Künsten gelten oder, wie Vischer sagt, als Totalität der Künste, als die Kunst der Künste. Die Verbindung des leichtesten Darstellungs-

mittels (Sprache) mit dem umfassendsten Darstellungsinhalt (der gesammten Vorstellungswelt) erhebt sie zur hochsten aller Künste. L emcke sagt treffend von ihr (an den Dialog „Phädrus" von Platon erinnernd): Kennst du das Wesen der Poesie? Es ist die menschliche Göttlichkeit, Mit den Geistesschwingen der Phantasie, Mit der Gottheit tugendreinem Kleid. Es hämmert und pocht das Herz den Takt, Es fliegen die Pulse, es zuckt die Brust, Wenn die Gewalt der Dichtung uns packt Mit süßem Leid und bittrer Lust.

Vor des Einsamen losem Prophetenblick Entsteht der Gottheit Ideal, Er fühlt ein überschwenglich Glück, Der Gottheit seligen Schöpferstrahl. Die Nähe der Gottheit ist Poesie; Ein Schauer durchrieselt Mark und Bein, Und Verse sind himmlische Melodie, Die wiegen das thörichte Herz dir ein.

Die- Sprache der Poesie gleicht

dem sonnenbeglänzten blumigen Wiesen­

teppich; sie schmückt sich mit jeder Zier, um das vollendete Bild des Schönen

zu sein. Daher sind dieAusschmückungsmittel: Tropen, Figuren, Reim 2C. Gegenstände der Poetik. Der Naturmensch stimmte mit dem ersten Gebrauch der Töne sein Lied an, zu welchem ihm die Natur den Text lieferte.

und individuell.

Die erste Poesie war also rein lyrisch

Die epischen Formen entfalteten sich,

als die Ereignisse des

Lebens Stoff zum Besingen boten. Diese erste Poesie war Natur- oder Volks­ poesie. Erst nach langer Übung gewann man die Fähigkeit, das ewig Schöne

regelrecht darzustellen, die Idee des Schönen kunstvoll zu verkörpern. die

Kunstpoesie.

Sie ist

die

zielbewußte

Poesie,

die

Es entstand einen

idealen

Gedanken erfaßt und ihn darstellt. Ein solcher idealer Gedanke ist z. B. die wunder­ bare Macht des Gesanges, welche göttlichen Ursprungs ist und über Vernichtung und Unsterblichkeit gebietet.

Uh land

hat diese herrliche Idee veranschaulicht

in der einfachen, aber großartigen Komposition seiner Ballade „Des Sängers

Fluch", welche durch ihre plastische Anschaulichkeit, sowie durch das Erschütternde des Stoffes und der mit anmutendstem Wohllaut vereinten Gewalt der Sprache jeden fesseln wird. — Ein solcher idealer Gedanke ist beispielshalber auch die

Anschauung Rückerts, daß Deutschlands Macht in seiner Einheit liege.

Er ver­

körpert diesen Gedanken z. B. in „der hohlen Weide", wie namentlich in den „drei

12 Gesellen", in welchen er zeigt, das; wir weder Preußen noch Österreicher, sondern eben nur Deutsche sein dürfen, wenn wir andern Nationen ebenbürtig gegen­

über stehen wollen. Zum Kunstwerk des Kunstgedichts

gehört beides:

Die

schöne

Form

und der schöne Inhalt.

Grundstein zwar ist der Gehalt, Doch der Schlußstein die Gestalt.

sagt Rückert.

Und Geibel: Die schöne Form macht kein Gedicht, Der schöne Gedanke thuts auch noch nicht; Es kommt drauf an, daß Leib und Seele Zur guten Stunde sich vermähle.

Die Poesie nimmt ihre Stoffe aus allen Gebieten der Welt, wie des Geistes- und Gefühlslebens. Ihr weites Feld ist vor allem der Menschen­ geist, das große Gebiet der Gedanken und des Gemüts. Indem sie solche Stoffe wählt, will sie nicht belehren, nicht erklären, nicht begründen, nicht einteilen, wie es der Denker erstrebt. Nicht dem Wahren dient sie, wenn sie es auch keineswegs verletzen will. Es ist ihr nur nicht Zweck, nur Konsequenz, denn aus Schönheit erblüht die Wahrheit. Die höchste Wahrheit anderseits

ist die höchste Schönheit. Die Poesie will vor allem der Spiegel des Herzens sein, der Widerschein des verklärt entgegen tretenden Lebens. Dadurch erreicht

sie doch indirekt die nicht beabsichtigte Belehrung, dadurch wirkt sie anregend auf unser Thun, sittlich-bildend, verschönend-versöhnend. Dadurch gewährt sie reinen Genuß. Das Darstellungsmittel der Sprache gestattet die Aufrollung des im stäten Werden begriffenen Poesiebildes, dessen Zweck ist, erhalten zu bleiben, um in

seiner Darstellungssorm bei dem Betrachtenden wieder die schöpferisch bewegende

Anschauung zu erzeugen, — um zu erfreuen.

Zweck der Poesie ist also —

Hinführung zum Schönen. — Eine Hauptforderung ist das Maßhalten,

denn

durch

das Maß verkörpert sich das Schöne in der Begrenzung.

So­

phokles wußte das klassische Maß inne zu halten. Die Dichter der schlesischen Schule (§ 18) und die Romantiker wie auch die Jungdeutschen überschritten

es zuweilen. Goethe, Schiller, Rückert, Platen, Uhland, Gottschall, Geibel rc. zeigten, daß unsere Sprache, wie die griechische, zur Höhe des Schönen recht wohl gelangen könne. — Die Darstellungsform verlangt rhythmische Gliederung und metrische Gestalt. Die metrische Gestalt ist die Verbindungskette zwischen Poesie, Musik und Tanz. Da wo sich Poesie und Musik trennten, sind pro­

saische Romane und Dramen entstanden.

In der antiken Poesie herrscht Ein­

heit, bei uns deckt Mannigfaltigkeit die Einheit. Den Griechen genügte der Rhythmus (gesetzmäßiger Wechsel von Längen und Kürzen); wir verlangen

noch

dazu

die

bunteste Ausschmückung

z.

B.

durch

Allitteration,

Assonanz,

Reim rc. Die Alten konnten etwa ein Epigramm mit einer Zeile bilden; bei uns verlangt jeder Vers wenigstens noch einen zweiten, weshalb infolge

13 dieses zweigliedrigen Gleichklangs der Parallelismus der Gedanken bei uns weit vorherrschender ist, als bei den Alten. (Die hebräische Poesie kannte kaum

eine rhythmische Gliederung der poetischen Rede, wohl aber den auf Tauto­ logien und Antithesen beruhenden Parallelismus der Gedanken. Den Nenn übt sie nur als Wortspiel. Vgl. hiesür Gesenius-Nödigers hebr. Grammatik § 15.) Poesie (lat. poesis, franz, poesie, engl. poetry) stammt vom griechischen 7tob;ai£ = Bilden, Schaffen des Dichters, ferner Dichtwerk, Dichtkunst. Daher Poet, Poetin = Dichter, Dichterin. Poeta laureatus = lorbeergekrönter Dichter. Poetaster = schlechter Dichter. Poeterei bei Opitz soviel als Poetik,

sonst auch Fertigkeit im Versebilden.

§ 8. Oie LchwefterKünste der Poesie im Verhältnis zur Poesie. (man

Mit der Baukunst hat die Poesie architektonische Gliederung gemein, spricht von Bau und Architektonik der Dichtungen), mit der

Skulptur sestumgrenzte plastische Gestalten (Homers poetische Ge­ stalten nennt Schlegel Skulpturbilder), mit der Malerei aber farben­ volle Behandlung des gesammten Stosses und Beachtung des anschaulichen Prinzips; endlich mit der Musik, die wie die Poesie dem Gefühle sinn­ lichen Ausdruck verleiht, rhythmische Bewegung und Wohlklang. Nach diesem ist die Poesie der Malerei und der Tonkunst am nächsten verwandt. Was zunächst die Musik anbetrifft, so ist zwar der Zauber und der Reich­ tum der Töne für des Dichters Absicht und Zweck nicht da; aber ihm tönt

musikalisch

die Anmut

der Form,

Abwechslung betonter und

metrischen Accents,

der Wohlklang des Reims,

unbetonter Silben,

der Artikulation,

die

bestimmte

die Mannigfaltigkeit

des sym­

der Modulation,

der taktmäßige Rhyth­

mus. Wenn sich die Musik mit der Dichtkunst verbindet, wie das z. B. beim Gesang der Fall ist, erreicht sie durch unendliche Steigerung und Modulation

die größte Wirkung; durch Töne erhöht sich die Macht der dichterischen Worte, durch Töne erhält die dichterische Empfindung einen kräftigeren, herzinnigeren Ausdruck. Ein Lied, ein Hymnus zwar bedarf scheinbar keiner Musik; aber doch ist die Musik nur für denjenigen unnötig, der beim Lesen in seinem Innern die Musik der Worte ertönen hört, der sich seine eigene Melodie macht, ohne es zu beabsichtigen. Für die Übrigen ist die Musik etwas recht Wesent­

liches, — ein Mittel des verstärkten Ausdrucks. Eine noch höhere, den Eindruck vermehrende Aufgabe hat die Malerei, wenn sie sich mit der Poesie vermählt. Sie macht den Gegenstand so an­ schaulich-plastisch, daß er unserer Illusion in einem Grade nahegebracht wird, dessen

nur

das materielle Gemälde fähig ist,

oder

aber auch,

dessen

das

materielle Gemälde nicht fähig ist. Als selbständige Kunst stellt sich nämlich die räumliche Malerei der zeitlichen Dichtkunst

insofern entgegen,

als sie

eben

nicht

im Stande ist,

das Nach-

14 einander in der Zeit, sie — um

das Fortschreitende zur Geltung zu bringen,

ein Beispiel zu

insofern

geben — den belvederischen Apoll nur darstellen

kann, wie dieser Gott so eben geschossen hat und nun, in stolzer Ruhe zurückgetreten, dem Pfeil nachblickt, es dem Zuschauer überlassend, ob er im Geiste

den Drachen sieht, dem der Pfeil zufliegt. — Das angeführteste, täuschendste Gemälde des Pandarus im 4. Buche der Ilias (z/ 105 ff.) wird für den Maler unmöglich sein. Von dem Ergreifen des

Bogens bis zu dem Fluge des Pfeils ist jeder Moment gemalt, und alle Einzel­

heiten sind in ihrer Folge so unterschieden, daß, wenn man nicht wüßte, wie mit dem Bogen umzugehen wäre, man es nach Lessing (vgl. Laokoon XV) aus diesem Gemälde lernen könnte. Pandarus zieht seinen Bogen hervor, legt die Sehne an, öffnet den Köcher, wählt einen ungebrauchten, wohlbefiederten Pfeil, setzt den Pfeil an die Sehne, zieht die Sehne mit dem Pfeil unten an dem Ein­ schnitt zurück, die Sehne nähert sich der Brust, die eiserne Spitze des Pfeils dem Bogen, der große gerundete Vogen schlägt tönend auseinander, die Sehne schwirrt; ab springt der Pfeil, und gierig fliegt er nach seinem Ziele. . Das ist ein vortreffliches Gemälde, das aber trotz der sichtbaren Gegen­

stände nur der Dichter liefern kann, weil er die sichtbar fortschreitende zeitliche Handlung darzustellen hat, während der Maler lediglich eine sichtbar stehende, im Nebeneinander des Raumes sich fixierende Handlung darstellen kann. Um dies noch an einem anderen Beispiele zu zeigen, so kann z. B. ein Maler den Bogen des Pandarus treu malen, wie er vollendet in der Hand desselben ruht, nimmermehr aber, wie er entstanden ist. Homer fängt mit der Jagd des Steinbocks an, aus dessen Hörnern der Bogen gemacht wurde; Pandarus

hatte dem Steinbocke in den Felsen aufgepaßt und ihn erlegt; die Hörner­ waren von außerordentlicher Größe; deshalb bestimmte er sie zu einem Bogen;

sie kommen in Arbeit, der Künstler verbindet sie, poliert und beschlägt sie. (II. zl 105—111.) Und so sehen wir beim malenden Dichter entstehen, ivas wir bei dem malenden Maler nicht anders als entstanden sehen können (vgl. Lessing a. a. O. XVI): Wir sehen das Koexistierende in ein

Konsekutives sich verwandeln. Die poetische Malerei versteht am besten Walter Scott, weniger die nachahmenden Genies, die ihre Helden von Kopf zu Fuß ohne Ziel malen und bei den Schuhschnallen länger verweilen als beim Antlitz.

Um ein Bei­

spiel der Malerei eines deutschen Dichters zu bieten, erinnern wir an die Ent­

stehung des Drachenbildes in Schillers

„Kampf mit dem Drachen"

in der

9. Strophe (Auf kurzen Füßen wird die Last des langen Leibes aufgetürmet u. s. w.), besonders aber an folgende Strophe Schillers: Horch, was strampft im Galopp vorbei? Die Adjutanten fliegen, Dragoner rasseln in den Feind, Und seine Donner ruhen. Victoria, Brüder! Schrecken reißt die feigen Glieder, Und seine Fahne sinkt.

15 Hier ist anschauliche Malerei, dichterische Malerei,

die in jeder

Zeile den ganzen Menschen zeigt,

in jeder Zeile ein Bild giebt.

Der Maler­

kann nur-Teile aus der Schlacht

geben,

der Dichter schildert die Schlacht in

ihrer Vorbereitung, in ihrem Beginn, ihrem Werden und Verlauf. Er hat den Vorzug, den objektiven Gegenstand mit der subjektiven Anschauung über-

hauchen zu können. Wie ergreifend weiß der Dichter selbst Einsamkeit und Stille und deren Eindruck auf Gemüt und Phantasie seinem Gemälde aufzuhauchen: Wie an­ schaulich weiß er dem Bewußtsein nahe zu bringen: 1. leise, meist unbeachtete Klänge (Die Grillen noch im Stillen zirpen. Salis), 2. jenes laute Geräusch, das in der Regel überhört wird (z. B. fernes Glockengeläute)!

Beispiel zu 1.

Wie der Vogel auf dem Baum, Der sich müd am Tage sang Nur noch zwitschert leis' im Traum, Daß es in der Nacht verklang: Also werden meine Lieder Leiser gegen meine Nacht, Und die lautern sing ich wieder, Wenn mein neuer Tag erwacht. (Rückert.)

Vgl. noch den Löwenritt von Fr eiligrath, dieses anschauliche Gemälde einer mondbeglänzten öden Sandwüste mit der so schauerlichen Episode aus dem Tierleben (Und das Herz des flüchtgen Tieres hört die stille Wüste klopfen). Ebenso: Die Vögelein schweigen im Walde. (Goethe.)

Beispiel zu 2. Das ist der Tag des Herrn! Ich bin allein auf weiter Flur. Noch Eine Morgenglocke nur, Nun Stille nah und fern.

(Uhland.)

Der Maler bedarf eines materiellen Stoffes,

Anschauung

in

hörbar

werdenden Worten bildet,

während der Dichter seine

die selbstverständlich wohl­

lautend sein müssen. Dafür ist das dichterische progressiv und successiv fortschreitende Kunstwerk

verhallend,

vorübergehend, während das fixierte Gemälde,

Kunst, Dauer im Wechsel hat.

wie

alle bildende

Die Malerei, deren sich der Dichter bedient,

teilt das Schicksal des poetischen Kunstwerks.

Dafür

ermöglicht sie die Ver­

bindung mit der Musik in der sog. rhythmischen Malerei. Wie auf der griechischen Bühne Musik, Poesie und Tanz insofern ver­ bunden waren, als der tanzende Chor seine Lieder sang, und wie es in früheren Jahrhunderten auch mit der deutschen Poesie war, so treten Musik und Malerei

zur Poesie in der rhythmischen Malerei in ein Verhältnis, den Empfindungen und Gefühlen der Poesie ein sinnliches Substrat verleihend.

16 Lessing hat in seinem Buche „Laokoon, oder über die Grenzen der Malerei und Poesie (1766)" den Unterschied der bildenden Kunst und

insbesondere der Malerei und der Poesie dargethan und die umfassende Auf­

gabe der letzteren gezeigt; namentlich hat er darauf hingewiesen, wie die bildende Kunst nur einen einzigen Moment festhalten kann, um denselben der äußeren Anschauung vorzuführen, wie dagegen die Poesie eine ganze Reihe solcher in ihrem Nacheinander den Verlauf einer Handlung bildender Mo­ mente zur

inneren Anschauung

zu bringen vermag,

wie sie ebenfalls Bilder

schafft, die wir mit der Phantasie umfassen und reproduzierend in uns wieder­ bilden, wie also die Poesie zugleich auch als eine Art Malerei auf dem malerischen

Prinzip beruhe.

Man lese ihn!

§ 9. Poesie und Prosa. Dem Worte Poesie (gebundene Rede = oratio alligata metris) setzt man gewöhnlich die Prosa entgegen. Sie ist der durch Phantasie wenig veränderte sprachliche Ausdruck der Lebenswirklichkeit, der Be­ griffe und des Willens. Das Wort Prosa kommt her von prorsa (aus proversa oratio, geradeausgehende, durch die Hemmnisse der Me­ trik nicht gehinderte Rede), d. i. = ungekünstelte Rede, ungebundene, gelöste (oratio soluta), zu Fuß gehende (oratio pedestris). Prosa ist also die Rede, wie sie im gewöhnlichen Leben gesprochen wird. Poesie

und

Prosa

haben

mit

einander

das

Darstellungsmittel

— die Sprache gemein. Aber bei der Poesie wird von der sprachlichen Dar­ stellung insbesondere Schönheit gefordert, während das Hauptgesetz der Prosa

Verständlichkeit und

Deutlichkeit

ist;

dort

ist

die Phantasie,

hier der

Verstand vorherrschend. Die Poesie will mehr aus Gemüt und Phantasie wirken als auf Verstand und Willen. Die Poesie giebt das Empfundene, die Prosa das Gedachte. metrische Gestaltung aus.

Deshalb zeichnet sich auch die Poesie durch schöne Bei der Prosa ist metrische Form ausgeschlossen;

die Perioden und Sätze haben sich lediglich durch Klarheit auszuzeichnen, wozu

allerdings bei einer stilvollen Prosa (z. B. in Reden) auch ein Analogon des Rhythmus (der oratorische) und eine architektonische Gliederung des Satz­ baues kommt.

Das Ideale ist für die Poesie; — das Reale, Verstandesmäßige für die Prosa. Wer nicht im Stande ist, das Leben von seiner idealen Seite

zu malen, ideal zu sehen, ideal zu denken, der schildert eben in Prosa. Schriftsteller,

der

sich

alle

erdenkliche

Mühe

giebt,

uns

ein

nacktes

Ein Bild

der Stube, der Küche, des Stalles und der Düngergrube zu geben, in die sich noch die Dienstmädchen hineinstoßen (vgl. Jeremias Gott helf: Uli der Knecht), schreibt Prosa. Der Romanschriftsteller, der in 4 Bänden ein Religions­ geheimnis entrollt und mit derselben umständlichen Breite ohne idealen Geistes­ flug erzählt, — er schreibt Prosa. Der Historiker, der nicht erfindet, dessen

17 Ziel eben lediglich die Wahrheit ist, und der daher Bedeutungsloses neben Be­

deutungsvolles setzen muß, dessen Grenzen vom Zufall abhängen, — er schreibt Prosa, die erst der wirkliche Dichter (wie im historischen Drama) durch ideale Auffassung und Gruppierung eines bestimmten Stoffes für ein harmonisches Ganzes zur Poesie gestaltet, nicht aber jener Dichter, der die historische Treue

höher hält als die poetische.

(Damit soll nicht gesagt sein, daß der Dichter das

historisch entscheidende Faktum oder auch nur die historische Wahrscheinlichkeit verletzen dürfe.) Der Redner, dessen Prosa halbe Poesie ist, (man vgl. z. B.

steuert

Die Prosa des Demosthenes)

am

zu

meisten

einer Gemeinsamkeit

in der Gefühlsäußerung hin. Daher haben Dichter und Redner Tropen und Figuren gemeinsam, obwohl die Tropen mehr der Poesie, die Figuren

mebr der Rhetorik angehören. Der Redner hat es eben mehr auf den Willen durch das Medium des Nerstandes abgesehen, der Dichter auf die Anschauung durch Vermittelung der Phantasie. Allerdings wendet sich der Dichter in ge­ wissen Gattungen, z. B. in manchen politischen Gedichten an den Willen (man

vgl. die bezüglichen Gedichte eines Pindar, Tyrtäos, Arndt, Körner, Schenken­ Nicht selten sind wesentliche Stellen von (man vgl. Schillers und Shakespeares

dorf, Rückert, Freiligrath, Herwegh). hervorragenden Dichtungen rhetorisch

Tragödien).

treffenden

Immerhin ist

Person

nötig

dieses Rhetorische,

ist,

nicht

direkt

zur Charakteristik der be­

das

an uns gerichtet,

sondern an

die

Personen im Drama, und es geht der Appell an den Willen in den politisch patriotischen Lyriken nicht direkt uns an, sondern den Kreis, für den eben geschrieben ist. Das Unterscheidende von Poesie und ihren

Zwecken

Prosa

Zweck

hat

es

in der Wahl der zu

mit

wissenschaftlichen

durch

ist,

zu

Wahre

und

Gründe

erstreben,

ganz

und

Prosa

Gegenständen Beweise

zu

abgesehen davon,

liegt besonders in

führenden Mittel.

denselben

aller Art zu

thun.

überzeugen ob

es schön

und

Die

Ihr

das

und gut sei,

während die Poesie, wie erwähnt, das rein Verstandesmäßige flieht und keinen andern Zweck verfolgt, als Versinnlichung des Schönen. Deshalb wählt die

letztere

diejenigen Gegenstände,

nur

Behandlung fähig

sprechenden

Phantasie

zu thun.

die einer dem Prinzip des Schönen ent­

sind.

Sie hat es

eben mit Empfindung und

die

Abstrakt Verstandesmäßiges umkleidet

Sprache

der

Poesie mit Bildern, und anstatt ethischer Anregungen und Sentenzen giebt sie

Gleichnisse, Handlungen, dem einzelnen es überlassend, auszuziehen.

sich seine Lehre selbst

Trotz ihrer anschaulichen Sprache wird sie freilich in ihren Ge­

mälden nicht so anschaulich bilden können als die Natur oder die Künste der Plastik,

Malerei,

Architektonik.

Das

ist

aber

auch nicht

ihr Zweck.

Nicht

wiedergeben oder ersetzen und verdrängen will sie die Natur, sondern lediglich veranschaulichen, Vorstellungen übertragen und das thätige Seelenleben und seine Äußerung zum Ausdruck bringen. Daher strebt sie nach größtmöglicher Lebhaftigkeit,

Sinnlichkeit und Anschaulichkeit der Rede und

des Ausdrucks,

um in schöner Form den Reiz des Schönen zu veranschaulichen.

Formwörter, welche die Prosa nötig hat, verträgt sie nicht.

Beyer, Teutsche Poetik I.

Bindewörter,

Sie liebt kurze, 2

18 klare Lätze,

während

die

nicht

Prosa

selten

lang

ausgesponnene

Perioden

bringt u. s. w.

Die Gesetze der Prosa werden

durch die Rhetorik erörtert,

wie

die der

Poesie durch die Poetik. Freilich haben beide, da ihr Ausdrucksmittel die Sprache ist, in dieser Richtung viele Regeln mit einander gemein, welche in der Stilistik zu behandeln sind.

§ 10.

Arsprung und Älter der Poesie.

Die Poesie ist so alt als die Einbildungskraft der Menschen. der Poesie finden sich in der mythischen Geschichte eines jeden Die meisten Völker leiten nachweislich die Poesie von den her. 2. Die Prosa trat erst nach der Poesie auf.

1. Spuren Volkes. Göttern

1. Es ist wahrscheinlich, daß die Poesie mit der Sprache selbst ent­ standen ist. Ohne Zweifel haben schon die ersten begabten Menschen sich poetisch geäußert, wenigstens ist nachweislich Poesie die älteste Sprache der Menschen. Ist doch auch in der Jugend des einzelnen Menschen die Sprache nicht selten

mehr Gesang als Sprache im bestimmten Sinne. Bei der Menschenfamilie im Ganzen und Großen war es ebenso: Dichten und Singen ging mit einander Hand in Hand; eines bedingte das andere. Bei den Griechen übte der kaum geborene Hermes schon als erster Musiker Poesie. Seine Gesänge auf die Liebe des Zeus und der Maja

und auf seine eigene

Geburt begleitete er auf einem Instrument, das er sich herstellte, indem er die Schale der Schildkröte mit Saiten bezog, die durch ein Plektron geschlagen wurden. Ein sagenhaft ältester Dichter der Griechen, Linos, Sohn Apollo's und einer Muse, soll die ersten Trauerlieder gesungen und damit den dichterischen

Gesang und den dichterischen Rhythmus erfunden haben.

Gräber dieses Linos fanden sich in Theben, Chalkis, Argos und an andern Orten. Der alte Sänger Pamphos soll den Klaggesang am Linosgrab zuerst angestimmt haben. Nach der Sage der Argiver war Linos ein Knabe

göttlichen Geschlechts, der bei Hirten unter Lämmern aufwuchs und von wüten­ den Hunden zerfleischt wurde. (Otfr. Müller, Geschichte der griech. Litter. 2. Ausl. Band I. S. 28 u. 29.) Aus einem Verse Homers (Jl. XVIII. 569) ist bekannt, daß der Linosgesang bei der Traubenlese angestimmt wurde.

Auch

bei Festen wurde Linos von den Sängern und Kitharoden beklagt, wobei der Ausruf: „Ailine“ Anfang und Schluß

des Gesanges bildete.

(Nach

einem

Fragment Hesiods bei Eusthatius S. 1163. edit. Gaisford. Nach neuerer Erklärung sott dies ein Mißverständnis des Refrains orientalischer Klaggesänge

um den hinsterbenden

Sommer

sein,

welcher hebräisch

'IX

„wehe uns"

lauten würde, dialektisch ai line. Daraus machten die Griechen den Namen des Beklagten.) Ein Analogon zu dem griechischen Linoslied (caktvog oder

19 oltoXivog von o oizoG Geschick, Unglück; beide überall nur den Trauergesang bezeichnend, während Xivos z. B. bei Euripides allgemein nur Lied bedeutete)

fand sich in dem Lityerses (zhrv£Qor]G) der Phrygier, sowie dem Manerosgesange der Ägypter und dem Bormos der Mariandyner. (Die Mariandyner, östliche Nachbarn der Phrygier, klagten um

in der Jugendblüte

den schönen,

vom Tod entrafften Knaben Bormos, der den Schnittern Wasser bringen sollte, aber von den Nymphen des Baches in die Flut gerissen wurde.) Da die Ägypter und verschiedene arische Volksstämme die gleiche Art Trauergesang haben, so kann man wohl glauben, daß der Linosgesang aus Asien stamme — vielleicht aus

Indien. Von dem ältesten Gesänge der Ägypter berichtet Herodot (II. 79): „Tie Ägypter haben unter andern merkwürdigen Stücken einen Gesang,

welcher in Phönizien, Cypern und anderwärts gesungen, aber bei jedem Volke anders genannt wird. Er hat viele Ähnlichkeit (ovfKpzgtTcci) mit dem, welchen die Griechen unter dem Namen Linos singen. Wie ich mich über Vieles in Ägypten wundere, so wundere ich mich auch darüber, woher sie nur den

Linosgesang haben mögen; denn es scheint mir, daß er von jeher bei ihnen gebräuchlich war. Linos wird auf ägyptisch Maneros (JMaviQtos) genannt und

war, wie sie erzählen, der einzige Sohn des ersten ägyptischen Königs, und es wurde sein früher Tod in Trauergesängen beklagt." Tas soll ihr erster und einziger Gesang gewesen sein. Dieser Linos- oder Manerosgesang, die

süßtönende Klage über das rasche Hingehen der blühenden Jugend, über das rasche Verblühen des Lenzes, zieht sich, wie bereits angedeutet, durch das ganze Altertum als Totenklage um Adonis, Linos, Lityerses, Attis, Maneros, die

in

der Schönheit

ihrer Jugendblüte

gewaltsam

hingerafft wurden.

Die

Lieder, von denen Herodot hier spricht, sind augenscheinlich Volkslieder. Die alten Araber hatten schon lange vor Muhamed ihre sieben großen Dichter, deren Dichtungen im Tempel zu Mekka ausgehängt wurden. Die Araber nennen Adam den ersten Dichter (s. Latifi's Nachrichten von türkischen

Beim Tode Abels sang er,

Dichtern, v. Th. Chabert v. 6).

vom Schmerz

der Sterblichkeit und Vergänglichkeit erfaßt u. s. w.

Wen Wang, der Lehenssürst des kleinen Staates Tscheu im 12. Jahr­ hundert v. Chr., fing an, kleine Volksgedichte zu sammeln.

Auch seine Nach­

folger pflegten die Poesie, und die Statthalter mußten jährlich die Volkslieder

in die Archive einsenden. (550 v. Chr.)

Confucius, welcher während der Dynastie Tscheu

lebte, sammelte

in

sechs Büchern

diese

eingeschickten Lieder,

deren drittes, Schi-King, von Fr. Rückert deutsch umgedichtet wurde.

Diese

alte chinesische Poesie hat einen pedantischen Zug, wie die chinesischen Garten­ anlagen und romantischen Scenen, die an Jean Pauls Lilar (im Titan) mit

seinem Elysium und Tartarus erinnern; ihre Schauerscenen sind freilich oft sinn­

reicher angelegt als die kleinlichen Tartarusschrecken Lilars.

Dabei zeigt sich in der

Poesie der Chinesen viel öfter das Absonderliche und Fratzenhafte, als das Anmutige. Auch

an den Kamihöfen in Japan

liebte man es in der ältesten Zeit,

sich mit Musik und Gesang zu ergötzen, mit Versemachen u. s. w. (Vgl. Ambros

20 Gesch. d. Mus.)

Aufführung

Suwa.

Otto von Kotzebue beschreibt in einem seiner Reiseberichte die

eines Drama zu Nagasaki, am Feste des schützenden Stadtgottes

Das kindliche Stück war eine Liebes- und Heldengeschichte in Versen,

in welcher zwei Prinzen um einen Thron und eine Geliebte stritten. Die unter­ brechenden musikalischen Töne waren die reine Katzenmusik. Die Finnen

schreiben

die Erfindung

der Harfe,

des Gesangs und

der

Dichtkunst Wäinämöinen, dem lichten Gotte des Guten zu. (Vergl. Schröter, Finnische Runen S. 69 — 73.) Ihre Litteratur ist die jüngste, wie die Schrift Dr. v. Tettaus „Über die epischen Dichtungen der finnischen Völker" (Erfurt)

beweist.

Nur Dichtungen (Runen)

haben sich

dort im Volksmunde

fortgepflanzt; aus ihnen wurde durch Lönnrot das finnische Nationalepos, Kaliwala, zusammengesetzt, dem Mar Müller (Vorlesungen über die Wissenschaft der Sprache I. 269) seinen Platz neben der Jliade und den vier bekannten Nationalepen anweist. — Nach der jüngeren Edda (6. Ausl. S. 298 ü. 299.) erschlugen die Zwerge Fialar und Galar das weiseste aller Wesen, den Kwasir, worauf

sie aus seinem Blute mit Honigzumischung Met bereiteten, der jedem, welcher

davon kostete, die Gabe der Dichtkunst verlieh. Später wurde ein Niese, Suttung, der Besitzer dieses Met, bis Odhin sich im Berg bei der RiesenTochter Gunnlöd listig einschlich, den Met erhielt und austrank und dann

als Adler davon flog.

Nähe

der

In derselben Gestalt verfolgt ihn der Riese bis in die

Götterwohnungen,

wo

der stark

bedrohte

Odhin den Met in die

Gefäße der Äsen speit. Der Met gehört jetzt dem Göttergeschlechte der Äsen, wie den Menschen, die nun im Stande sind, zu dichten. Daher heißt die Skaldenkunst Odhins Fang und Gabe und der Äsen Getränk.

Valmiki,

der Dichter

des Mahabharata,

brach über den

Tod

eines

Reihers in rhythmisch sich ordnende Klagen aus, worauf ihm Brahma befahl,

in dieser Form ein Epos zu verfassen u. s. w. —

Das alte Indien ist das Land überschwenglicher Poesie. Lange vor Kalidasa hatte Indien Dichter, deren Bedeutung durch hyperbolische Schilde­

rung der Wirkung ihrer Gedichte illustriert wird. „Zur Zeit Akbers", heißt es, (W. Ouseley, Orient, collect. I. S. 74) „wurde der Sänger Naik-Gobaul, ob er gleich bis an den Hals im Fluffe Djumna stand, vom Feuer verzehrt, als er auf Befehl des Herrschers den zauberkräftigen Raya sang. Eine andere Melodie bewirkte, daß Wolken ausstiegen und Regen herabströmte; eine Sängerin

rettete dadurch Bengalen vor Mißwachs und Hungersnot. Wieder eine andere Melodie machte die Sonne verschwinden und verbreitete Finsternis: MiaTu-Sine, ein Sänger Akbers, bewirkte

dieses Wunder,

der

Palast

wurde

durch seinen Gesang sogleich in tiefes Dunkel gehüllt" u. s. w.

Auch die Erfindung des Schauspiels wird von den Hindostanern in die mythische Zeit verlegt.

Sutra

zusammen

und

Bharata faßte Schauspiele in eine Sammlung von führte

sie

vor

den Göttern

selbst

in

Tänzen

auf.

Brahma hatte die Vorschriften dafür aus den Veden zusammengestellt und teilte sie dem Bharata mit (Lasten, ind. Altertumskunde, Bd. II. S. 502).

21 Eine andere Mythe läßt das „Sangita" (= aus Gesang, Musik und Tanz zusammengesetzte Darstellungen) von Krischna und den ihn umgebenden Hirten­

mädchen ausgehen. (Lassen a. a. O. 504.) Als ältestes Denkmal hindostanischer Dichtkunst ist unter den Vedas (Bücher der liturgischen Gebete, Hymnen 2C.) der Nigveda (d. i. Lob- und Preisveda) erhalten, dessen Ge­ sänge mit den Namen der Priester oder Sänger bezeichnet sind, denen sie zu­ geschrieben werden. Es ist darin nur vom Fünfstromlande und striche am Indus als Wohnsitz der Arja die Nede.

Da

nun

die Arja

schon um

vom

1300 v. Ehr. Besitz

dem Land­ Gangeslande

nahmen, so läßt sich auf das hohe Alter dieser Gesänge schließen. Ein uraltee Sprichwort des geistreichen, feurigen, poesieliebenden, ritter­ lichen Stammes der Araber heißt: singender sein als die beiden Heuschrecken

Moaawijes. (Der Fürst Moaawije Ben Bekr hatte nämlich zwei Sängerinnen, die er seine zwei Heuschrecken nannte, da die Cikaden als gesangreiche Tiere galten.) Geschickte Sänger hatten großen Einfluß.

Harun al Raschid wurde durch den

Sänger I s h a k e l M a s h o u l i mit Gesang umgestimmt, als er seine Geliebte Maride, die ihn erzürnt hatte, hart bestrafen wollte. Er verzieh ihr und belohnte den Sänger überreich. Aus den Skulpturen der asiatischen, insbesondere der semitischen Völker erfahren wir, daß Gesang zur Verherrlichung der Macht und Pracht ihrer Herrscher diente. Von Astyages wird erzählt (Athenäus XIV. 33), daß sein Sänger Angaras einen Gesang mit den Worten schloß:

„In den Sumpf

wird entsendet ein wildes Tier, wilder als der Eber im Walde.

Es wird sein

Astyages fragte,

Revier behaupten und dann gegen viele leichtlich kämpfen."

was das für ein wildes Tier sei, und der Sänger erwiderte: „Cyrus der Perser".

Dieser war nämlich kurz vorher

nach Persien

abgereist,

und

der erschrockene

Astyages befahl nun, den Cyrus zurückzurufen. Unter allen semitischen Völkern hatten die Hebräer den meisten poetischen

Schwung und Sinn.

Die hebräische Poesie hat uns Schätze hinterlassen, deren

dichterischer Wert den Gesängen der Griechen in keiner Weise nachsteht, ja, welche die griechischen Gesänge an Schwung religiöser Begeisterung, an Tiefe der An­

schauung, an Hoheit und Erhabenheit übertreffen,

wobei sie ihnen freilich an

leuchtender Klarheit und plastischer Abrundung weit nachstehen. Die griechische Litteratur hat nichts, was an Erhabenheit z. B. dem Buch

Hiob zur Seite gestellt werden könnte; dagegen konnte Israel keinen So­ phokles hervorbringen. Die hebräischen Spruchdichter übertreffen die griechischen Gnomiker,

welche nicht

Interessant ist es, zu vergleichen.

selten eine nur oberflächliche Lebensweisheit predigen.

den Ton der Psalmen z. B.

Herder ist der

erste,

mit den

Hymnen Pindars

der die früher bloß theologisch-exegetisch

behandelten Bücher des alten Testaments auch in ihrer unvergleichlichen poetischen Schönheit gewürdigt hat.

Welche Zeit mag vergangen sein, bis ein Volk im

Stande war, Poesie von so unvergänglichem Werte zu schaffen! Welche unbekannt gebliebenen Dichterschulen mögen vorausgegangen sein! 2. Wohin wir in die geschichtliche Verdämmerung der Völker blicken, überall

22 und in allen Geschichtsepochen ist die Prosa jünger als die Poesie, überall sind die Anfänge der Litteraturen poetischer Art: bei den Griechen, deren historische

Zeit mit der dorischen Wanderung um 1000 v. Chr. beginnt, bei den übrigen

wie besonders bei den Ariern,

Kulturvölkern,

die wir als Stammeltern

der Völker und der Poesie anzusehen berechtigt sind. Immer mit dem beginnenden Verfall der Poesie erstand erst die Pro s a. Cs kam auch Herodoi in Griechenland lange nach Homer. Alle uns erhaltenen frühesten Aufzeichnungen und Überlieferungen waren meist Verse. Es wird beispielsweise von den Gesetzen verschiedener griechischer Volksstämme gemeldet, daß sie in Versen abgefaßt waren (Strabo III. 139). Auch fast alle Philo­

sophen lehrten anfangs in Versen, z. B. Pythagoras, gewisser noch Xenophanes, Parmenides, Empedokles, von welch letzterem wir noch echte Fragmente haben. Za, selbst die Verordnungen Lykurgs sollen in poetischer Form abgefaßt und später von Terpander in Musik gesetzt worden sein (Otsr. Müller, Dorier, I. 134, II. 377).

Bei uns Deutschen war es nicht anders.

besitzen sogar noch aus

Wir

dem 12. Jahrhundert eine halb in Poesie — in Reim und Allitteration — abgefaßte Rechtsschrift (vgl. Wackernagel 14, 187). Alle unsere historischen Gedichte des 12., 13. und 14. Jahrhunderts waren in Versen geschrieben.

Erst im 15. Jahrhundert, als die Blütezeit der Poesie bereits vorüber war, brach sich bei uns die Prosa Bahn, — besonders als das Volk eine höhere

Mittelbildung durch die Buchdruckerkunst erlangt hatte. wir

In neuester Zeit fanden

ohne Litteratur

Volksstämmen

den Littauern,

bei

Lieder

auf,

aber

Serben und andern

keine

einzige

Schrift in

Prosa. Den besten Beweis, wie die Sprache der Poesie bei allen Menschen zu­ erst sich findet, liefert der Umstand, daß sogar jene Buschmänner, bei deren Anblick dem Menschen um seine Gottähnlichkeit bange werden möchte, und die noch keine Litteratur haben, der Poesie nicht entraten und gewisse Gesänge besitzen (sowie, nebenbei bemerkt, ein primitives Musikinstrument: das aus einer

durch einen Federkiel gezogenen Schafdarmsaite bestehende Gongom). Die

den Nilkatarakten wohnenden dunkelfarbigen Barabra begleiten

an

mit der aus dem Altertum überkommenen Lyra ihre meist sanften, melancholischen, in

genannten Gesänge in eigentümlicher Weise.

der Landessprache „Ghuma" Graf

Johann Potocki

1797

hörte

bei

dem Kalmückenfürsten Tumen

einen Sänger mit Begleitung eines, Jalgha genannten, Saitenstrumentes ver­

schiedene

Lieder

singen,

von denen

„rammonezci, rammonezla“

eines sehr

erinnerte.

Also

diesem unstäten, tiesstehenden Nomadenvolke! Wilhelm Jordans Ansicht über die

Supplement zu zu werden. sinnlichen

Wetter,

Lied

das

Savoyardenliedchen

und Gesang sogar bei

Entstehung

der Poesie

(vgl.

seinem Epos Nibelunge S. 4—6) verdient hier reproduziert

Nach oder

an

ihm

beruht alles Gedenken und Sich-Erinnern

ursächlichen

Haus und Hof,

Verkettung Kind

und

der

Vorstellungen

Kegel,

Saus

und

(z. B. Braus

auf

einer

Wind

und

sind

ihm

23 Vorstellungspaare, deren erstem Gliede das zweite von selbst nachkommt);

diese

Verkettung der Vorstellungen führte nach ihm zur Bildung stehender Wortpaare, Sprüche und Redewendungen, und zwar zunächst unbewußt, später bewußt. Das unwillkürliche Wachsen jedem geläufiger Formeln der Erkenntnis

lernte man mit Absicht nachahmen,

um neue Kenntnisse ebenso geläufig aus­

zudrücken und ihre Vererbung zu sichern. Man ordnete das von Geschlecht zu Geschlecht zu Überliefernde in eine Kette sich ursächlich rufender Glieder, in

einen symmetrischen Parallelismus. Man verband die behaltenswerten Worte mit einem bestimmten Ton, mit einer festen Vortragsweise, mit Melodie und

Rhythmus.

Man sang sie.

Aus

dem Bedürfnisse des Taktes

wir Vers nennen.

der Länge der Satzteile,

entwickelten sich

der Eäsur, aus

die Wortgruppen zu dem, was

Das Ohr oder der Sinn des Sprachgedächtnisses empfand

bald die einprägende Wirkung der Lautwiederholung, der Tonverwandtschaft und der Übereinstimmung des Klanges. Nach der Erfahrung an zufällig vor­

gefundenen Beispielen lernte man sie künstlich herbeiführen zum Einprägen wichtiger Vorschriften und Erlebnisse. Die Hebungen, die Ruhepunkte, die Hauptschlüsse der Melodie wurden auch im Texte lautlich ausgezeichnet. Zum Verse traten hinzu der gleiche Anlaut (z. B. Wind und Wetter), der Anklang (z. B. Haus und Baum), endlich der Gleichklang oder Reim. — — So wurde die poetische Form als Vertreterin der noch fehlenden Schrift.

Dadurch

erklärt Jordan,

daß in

Gedächtnismittel

allen Litteraturen

das

ursprüngliche,

erste Poesie, das spätere Prosa sei. Er nennt die Prosa das Kind der ausgebildeten Schreibekunst, die Poesie die ursprüngliche Ohrenschrift. Jener Gesamtschatz

geistigen Eigentums,

der

durch

die

poetische Form

im Gedächtnis der Völker befestigt war und durch einen eigens dafür organisierten

Priester- und Sängerstand verwaltet wurde, ist das Epos im weitesten Sinne. Zu

ihm

gehören

A.

u.

auch

Gebete

zur

Götteranrufung,

Gesetzesformeln,

Ackerbauregeln, Arzneivorschriften u. s. w. In diesem Sinne würden also als Überreste des altdeutschen Epos Zu betrachten sein auch der Bienenlegen, der Hunde fegen, die beiden Merseburger Zaubersprüche.

Unter Epos im engeren Sinne versteht dann Jordan die an die Göttergeschichte

anknüpfende

Sagengeschichte

des

Volkes von

den

ersten

Anfängen bis

zum

Beginn der historischen Zeit, sofern sie niedergelegt ist oder einst niedergelegt war in ursprünglich nicht aufgeschriebenen, sondern von Mund zu Mund über­

lieferten Liedern.

Endlich

aber nennt er Epos

im

engsten

eigentlichen und

Sinn eine Dichtung, in welcher ein bestimmter Poet einen Teil dieses Sagen­

schatzes Vortrag

und

zur Kunstform eingerichtet

der poetischen

hat.

Die

Erzählung

Griechen

teilten

für

ihre

den

öffentlichen-

Litteratur

ein

freien

in knr\

d. h. in Werke, die ursprünglich nur als gesprochene Worte

vorhanden waren, und solche, die sogleich niedergeschrieben wurden: Sagen und Schriften. Somit ist unser Wort Sage eine

also in deckend

genaue Wiedergabe des griechischen Epos und Frithiof-Sage, Sigfried-Sage bedeutet: Das Epos von Frithiof, von. Sigfried. Die älteste der poetischen

24 Formen zur Bewahrung des Wissenswerten im Gedächtnis scheint der Doppel­ spruch gewesen zu sein, deffen zweites Glied ungefähr dasselbe sagt wie das erste, wenn auch mit andern Worten: Der sogenannte Paralle lismus der Glieder. Jordan führt aus, wie ihn die Ägypter anwandten und nach

ihnen die Hebräer,

die

ihn

Zum rhythmischen Satzpaar, zur Strophe

(sogar

zur gereimten) ausbildeten.

§ 11. Etymologische Noth über die Namen der Poesie. Die Bezeichnungen für Dichtkunst oder Poesie sind bei den ver­ schiedenen Völkern verschieden, — je nachdem man die Beziehung der Poesie zur Sprache, zur Musik re. dadurch ausdrücken wollte. dichten, Dichter, Gedicht sind

Die bei uns gebräuchlichsten Worte:

hergeleitet vom altdeutschen tihten, tihtaere, getihte, oder dem lateinischen dictare, welches auch diktieren, bei Horaz schon dichten bedeutet; es ist Jnten-

sivum und Frequentativum von dicere (im Mittelalter soviel als schriftlich aufsetzen). Das Wort Dichtkunst, welches schon Harsdörffer (1648), Birken (1679) u. A. anwandten, bleibt seit Gottsched (1730) in Gebrauch, wozu noch durch Lessing und Herder das Wort Poesie in Aufnahme kam.

Bei Homer ist jeder Dichter zugleich auch Sänger, weshalb er für dichten, Gedicht, Dichter dasselbe Wort wie für Singen, Gesang, Sänger hat. (ae/detv, doidfy dotöos* d - Feld - (o, wovon auch dFrßwv — d^dtov Nachtigall — die Sängerin.)

Erst späterhin, als Dichtung und Musik auseinander gingen,

brauchte man diese Ausdrücke lediglich vom Singen und bezeichnete nur höchstens

noch durch cuöt] ebenso Gesang, wie eine bestimmte Gattung lyrischer Gesänge. Dafür kommt allmählich für Dichter der besondere Ausdruck Poet (rcotea^ noLisiY]^ nolTjGig) auf, den wir erst bei Herodot finden, wo das

Dichten als ein Schaffen bezeichnet wird.

Die Römer haben die den Griechen

entlehnten Bezeichnungen ebenso angewendet wie die lateinischen carmen, canere, vates. Mit carmen hängt die lateinische Bezeichnung der Göttin der Dicht­

kunst Camena zusammen.

(Die ältere Form war Casmena, Particip — die

Vates ist bei den Römern Weissager oder Dichter.

Sängerin.)

Das Wort

vates ist vielleicht gleichen Stammes mit sanskrit. gä = singen, verkünden, gätu Gesang.

Was unsere deutschen Bezeichnungen betrifft, so ist bekannt, daß im Altdeutschen und Altsächsischen für Dichten = Singen oder Sagen (Singen und Sagen) gebraucht wurde. Die altsächsische Evangelienharmonie Heliand (V. 32) erwähnt von Trennung

den Evangelisten,

sie

hätten

gesagt

und

gesungen.

Nach der

von Poesie und Musik galt sagen nur noch von einem zum Lesen

bestimmten Gedichte, singen von einem zum musikalischen Vortrag bestimmten;

das erstere hieß buoch, das letztere sanc, Het. Die älteste Bezeichnung für Dichter ist scof, von der Wurzel schaffen, (Schaffer, Schöpfer). Im Altnordischen heißt der Dichter Skald (Schelter),

25 vielleicht von skaldan fortschieben.

In

diesem Sinne

der die Tradition durch Gesänge weiterschiebt.

wäre Dichter jemand,

Das Wort Skald

ist dunkler

Abkunft; vielleicht ist es verwandt mit dem ahd. scald, sgalt heilig.

Vgl.

Grimm, Mythol. S. 83 u. 852 f. Der Name Barde ist nur bei den Galliern vorhanden. (Des Tacitus barditus, vom altnordischen bardit der Schild, weil diesen

die alten Deutschen zur Verstärkung des Schalles vor den Mund hielten, hat mit Barde, irisch bard, keine Verwandtschaft.)

Ein Bardiet, (dreisilbig) gebildet nach jenem barditus, war ursprünglich ein Kriegsgesang, eine Todesweihe. Da das Singen Begabung und Schulung fordert, so bildete sich früh­ zeitig ein Sänger st and, der aus dem Vortrag epischer Dichtungen eine Art Beruf machte. Die Sänger sangen jedermann schon kannte, was im Volke führer der Thaten Einzelner. (Bei den doidol; Hesiod nennt sie ^Theogon. 95]

ihre Sänger

heute noch.

Es

sind

selbst vor Königen dasjenige, was beliebt war. Sie waren die Wort­ Griechen waren es nach Homer die xiOxtgiöTal.) Die Serben haben

wie

meist Blinde

bei den Deutschen

des

Mittelalters. Immer wurde den alten Sängern nur ein Hauptereignis in den Mund gelegt: dem Demodokos der Mythus von Ares und Aphrodite und die Sage vom trojanischen Pferd, dem Phemios die Sage von den heimkehrenden Achäern.

Da

der Sänger die Bekanntheit

seines Stoffes

voraussetzte, so ging er meist sogleich zur Sache.

bei

den Zuhörern

Z. B. Hildebrand und Hadu-

brand forderten sich zwischen zwei Heeren ohne weiteres zum Zweikampf heraus. Jeder kannte die beiden Helden als Vater und Sohn, die sich unbekannt ein­ ander ähnlich entgegen standen wie im Persischen Rostem und Suhrab. Die

Mitteilung

durch

lebendigen

Gesang

mag

etwas

Ergreifendes,

Anfeuerndes

gehabt haben. Daß diese Mitteilung Mittel der Gedächtnispflege wurde, weshalb man den Epen eine bestimmte technische Einrichtung gab, darf hier nur angedeutet werden. (Mnemosyne ist die Mutter der Musen. Bei den Kelten wurde keine Schrift geduldet.

Den Druiden galt: Multa milia versuum ediscere, Beleg

s. bei Caes. bell. gall. XIV. 2.)

§ 12. Wer ist em Dichter? Dichter ist (nach Goethe im „Götz von Berlichingen"), wer ein volles, ganz von einer Empfindung volles Herz hat; oder (nach Geibel) wer schön sagt, was er dachte und empfand. Zur Erschöpfung des Begriffs muß man sagen: Dichter ist, wer nie nach dem Priesterrocke der Poesie zu suchen braucht, wer von Begeisterung für das Schöne und Erhabene durchdrungen ist, wem das Schönheitsideal jederzeit die Seele weit macht, wer sich im Drange poetischen Schaffens immerfort inspirirt fühlt, wem Reim und Rhythmus nie unbequeme Hindernisse sind, vielmehr durch Gewohnheit unent-

26 behrlich gewordene Kunstmittel, durch die ihm neue, seinen Schwung beflügelnde Gedankenreihen erblühn. Goethes Worte in Torquato Tasso charakterisieren den Dichter:

Sein Auge weilt auf dieser Erde kaum; Sein Ohr vernimmt den Einklang der Natur; Was die Geschichte reicht, das Leben giebt, Sein Busen nimmt es gleich und willig auf: Das weit Zerstreute sammelt sein Gemüt, Und sein Gefühl belebt das Unbelebte. Oft adelt er, was uns gemein erschien, Und das Geschätzte wird vor ihm zu nichts. In diesem eignen Zauberkreise wandelt Der wunderbare Mann und zieht uns an, Mit ihm zu wandeln, Teil an ihm zu nehmen: Er scheint sich uns zu nahn und bleibt uns fern; Er scheint uns anzusehn und Geister mögen An unsrer Stelle seltsam ihm erscheinen. Die Frage: wer ist ein Dichter, wurde mit großer Lebhaftigkeit in der Mitte des vorigen Jahrhunderts erörtert. Die eine Partei (Gottsched und seine Anhänger) empfahl die Franzosen als Muster und fand zu einem guten

Gedicht nichts weiter nötig, als regelrechten Vers und fließende Sprache. Die andere Partei (Bodmer und Breitinger) behauptete dagegen mit schließlichem Erfolge, daß zwar die Form in der Poesie nichts Gleichgültiges sei, daß aberbesonders eine glückliche Phantasie und Fülle der Gedanken den wahren Dichter aus mache (vgl. hierzu das beachtenswerte Urteil des Horaz: Sat. I, 4, 43, sowie I, 4, 54). Inzwischen haben die aner­ kanntesten Dichter unserer Nation Stellung zu dieser Frage genommen.

sagt :

Schiller­

„Jeden, der im Stande ist, seinen Empfindungszustand in ein Objekt zu

legen, so, daß dieses Objekt mich nötigt, in jenen Empfindungszustand über­

zugehen, folglich lebendig auf mich wirkt, nenne ich einen Dichter." In den „vier Weltaltern" setzt er hinzu:

Ihm (dem Dichter) gaben die Götter das reine Gemüt, Wo die Welt sich, die ewige, spiegelt; Er hat alles geseh'n, was auf Erden geschieht, Und was uns die Zukunft versiegelt; Er saß in der Götter urältestem Rat Und behorchte der Dinge geheimste Saat.

Er breitet es lustig und glänzend aus, Das zusammengefaltete Leben; Zum Tempel schmückt er das irdische Haus, Ihm hat es die Muse gegeben; Kein Dach ist so niedrig, keine Hütte so klein, Er führt einen Himmel voll Götter hinein. Rückert beweist den Dichter, indem er definierend ausruft:

Maß und Maß nur macht den Dichter; Grundstein zwar ist der Gehalt, Doch der Schlußstein die Gestalt.

27 Gebet ihr aus euren Schachten Edelsteine mir und Gold, Wenn ihr's roh mir geben wollt, Werd ich's nur als Stoff betrachten, Gebt's in Form, so werd ich's achten, Denn das muß ich gelten lassen, Was ich nicht kann besser fassen.

Freilich finden wir durch diese Aussprüche nur bestätigt, daß die in der Vorstellung reflektierende Sinnenwelt der Stoff für den Dichter ist, welcher erst Gedicht wird, wenn er mit der Empfindung des Dichters,

verschmolzen, vom Dichter die schöne Form erhalten hat.

Wir wissen, machen kann. durch Genialität

mit seinem Gemüt

Mit anderen Worten:

welche Anforderungen m an an den Dichter­ Wenn aber behauptet wurde, daß der wahre Dichter sich daß er selbst Genie ist,

auszeichnet,

.straft Neues, Großes,

nur deshalb seine

daß

ewig Gültiges und Vorbildliches

zu

schaffen vermöge,

daß er nur deshalb der Kunst die Regeln zu geben wisse, so muß hier die im § 2 schon gestellte Frage näher beleuchtet werden: Ist der Dichter eine besondere Species des Menschen oder nicht? Für illustrierende Beantwortung dieser Frage will ich vorerst dem Dichter des „Nibelunge"

Wilhelm Jordan folgende Geschichte nacherzählen. Eine Dame drückte ihr Erstaunen darüber aus,

wie ein

eine

Maler

solche Menge von Gestalten aus der Phantasie herausbeschwören könne und er

ferner die Erscheinungen seines Innern mit solcher Genauigkeit sehe, daß er sie mittelst einigen Farbestoffes mit dem Scheine handgreiflicher Wirklichkeit zu umkleiden vermöge. „Einiges Wunder", Einen Teil

gab Jordan zur Antwort,

der Zauberei kann ich Ihnen

zum norwegischen Maler Tidemann.

herrlichen Gemälde,

auf

welchem

„ist wirklich im Spiel.

begreiflich machen."

Anfangs schaute

den Mittelpunkt

Er führte sie

nach einem

die Dame

einer

und

gestaltenreichen

dramatisch bewegten Gruppe ein Verwundeter bildete, der getragen wurde.

Dann

aber, als sie umherschaute, malte sich in ihren Zügen in rascher Folge Ent­ setzen, Ärger, Enttäuschung. Sie erblickte nämlich menschliche Gliedmaßen, Körperteile von Gips, Puppen

und

Gestelle,

Kostümbücher,

behangen

allerlei

mit

schauderhaft

getreue

Zierat

und Gewändern,

anatomische

und Knochenstellung von Armen und Beinen,

Zeichnungen

aufgeschlagene

der

Muskulatur

Schultern und Hüften.

Dann

einen hölzernen Gliedermann an Schnüren von der Zimmerdecke herabhängend,

genau in derselben Haltung

wie der verwundete Mann auf dem Bilde und

genau so gekleidet, wie jener; endlich das für sie Allerentsetzlichste:

den

Maler

zimmer, dieser

wartendes

lebendiges

Modell,

ein

ein auf

Frauen­

in gleicher Tracht wie die weibliche Hauptfigur des Gemäldes und

frappant

ähnlich,

nur

mit

hochtragischer Veredlung

ihres

etwas

ge­

wöhnlichen Gesichtsausdrucks. Ta rief die Begleiterin: „O hätten Sie mir das nicht angethan; meine Illusion, meinen Glauben an die schöpferische Macht des Genius haben Sie mir geraubt, unbarmherzig vernichtet.

Die göttliche Kunst

28 haben Sie mir aufgelöst in mühselige Menschenarbeit, welche mit kleinlichem Ameisenfleiße von Plunder und Kehrichthaufen Schalenbröckchen zusammenträgt, um sie aneinander zu leimen und uns damit vorzulügen, daß der Mensch aus sich heraus die Natur verschönert wiedergebären könne." W. Jordan fragt: „Hatte ich wirklich unrecht gethan, meine Freundin in die Werkstatt des Meisters einzuführen? Hatte sie wirklich Wertvolles an ihrer Illusion verloren? Ist ihr die Malerei für immer verleidet, der Maler­ für immer herabgedrückt geblieben zum bloßen Sammler und Abschreiber, seit ihm der Nimbus eines Hexenmeisters vom Kopse verschwunden war?" Und er antwortet: „Im Gegenteil! Sie ist seitdem längst genesen 311 einer ungleich würdigeren, wenn auch minder überschwenglichen Vorstellung von seiner Kunst. Sie weiß nun, daß das Bilden aus ewig vorhandenem Stofs und mit ewig vererbten Kräften wie das Sonnenlicht — und dennoch wie dieses auf tiefstem Grunde ein göttliches Geheimnis, ein weit höheres und edleres Wunder ist, als die geträumte stofflos waltende Magie. Sie hat nur das wertlose Staunen des Aberglaubens an eine mittellose Schöpfung aus Nichts eingebüßt." Unter der gleichen Illusion lag seither mehr oder weniger die Poesie. Man ahnt ost kaum, daß die Poesie nur durch die Summe der ihr eigentümlichen Mittel, wie Malerei und Skulptur wirkt, um eine bildende Kunst für die Einbildungskraft der Leser und Hörer zu werden. Daher haben wir so viele „Nebenbeipoeten", die im Wahne be­ fangen sind, daß ihnen Uhlands Worte gelten: „Singe, wem Gesang gegeben in dem deutschen Dichterwald", die dann ihr Spottdrosselgepfeife und ihr Rabengekrächze über den Nachtigallengesang stellen und denen die Verse Catulls gelten: qui modo scurra Aut siquid hac retritius videbatur, Idem infaceto’st infacetior rure, Simul poemata attigit, neque idem unquam Aeque’st beatus ac poema cum scribit: Tarn gaudet in se tamque 86 ipse miratur. Seitdem die Sprache durch unsere Klassiker vorgebildet ist, tönt sie jedem Reimschmiede, der von dem Wesen der Poesie oft so wenig Einblick sich ver­ schafft hat, die Anforderungen an den Dichter oft gar nicht zu ahnen vermag und sich lediglich aufs Gefühl verläßt. Weil ein Vers dir gelingt in einer gebildeten Sprache, Die für dich dichtet und denkt, glaubst du schon Dichter zu sein? sagt Schiller so treffend. Die Nachahmer und Stümper verhalten sich zu den wahren Dichtern wie jemand, der aus Brosamen ein Männlein zu kneten versteht, sich zu einem Canova verhält. Es ist thöricht oder boshaft, das Ringen und die ausdauernde Arbeit des nie verzweifelnden, nie ermüdenden Künstlers nicht anerkennen zu wollen, die bedeutendsten Dichterleistungen einer mühelosen Zauberkraft zuzuschreiben und diese für das alleinige Wesen des Genies zu halten. „Selbst der Künstler und Dichter, obgleich beide nur für das Wohlgefallen bei der Betrachtung arbeiten, können nur durch ein anstrengendes und nichts weniger als reizendes

29 daß ihre Werke uns spielend ergötzen."

Studium dahin gelangen,

Im

Unmute

unserer

einer

hat

Genie, und immer nur Genie!

Geister

großen

Was ist Genie?

einmal

erzürnt

(Schiller.) ausgerufen:

Genie ist Fleiß!

Es gab eine Zeit, wo man ganz allgemein den Dichter für einen Erfinder hielt, der, unbekümmert um die Welt und ihren Lauf, alle Schätze der

Dichtkunst fertig in seinem Geiste trage. Noch heute giebt es Leute, die jeden einen Verräter an der Dichtkunst schelten, der diesen Glauben nicht teilt.

Ihnen ist der Ausspruch Goethes entgegenzustellen:

habe Alles

Lobe des Künstlers, er

„Man

aus sich selbst.

sagt wohl

zum

Wenn ich das

nur nicht wieder hören müßte! Genau besehen sind die Produktionen eines solchen Original-Genies meistens Reminiscenzen: wer Erfahrung hat, wird sie einzeln nachzuweisen wissen." — „Angenommen", sagt Keiter in Versuch

einer Theorie des Romans 1876, S. 79, „der Dichter schöpfe alles aus sich selbst, so bleibt doch die Frage bestehen, woher hat er diesen Reichtum?

ist

geboren

er

Die Eindrücke

ihm

sind

nicht. von

Er außen

An­

hat ihn eben durch die Erfahrung erworben.

das Gedächtnis hat sie ihm treu

gekommen,

bewahrt, die Phantasie gestaltet sie zum Gedicht.... Wer will das Hangen und Bangen in schwebender Pein, das Himmel-hochjauchzen und zum Tode-betrübtsein der Liebe schildern, der nicht selbst ihre Leiden und Freuden gekostet?

Je

reicher demnach der Erfahrungsschatz des Dichters, um so mannigfaltiger sein Werk, um so lebensvoller und lebenswahrer wird er veranschaulichen können." Allerdings wäre es zu weit gegangen, wenn man behaupten wollte, daß Fleiß das einzige wäre, was den großen Dichter bildet.

Es gehört Gesund­

heit des Geistes oder, Ivie wir es im § 2 nannten, eine hohe Urkrästigkeit der Anlagen dazu, die dann allerdings durch Fleiß und Studium zum Ziele

Alle großen Denker,

führt. ein

gesteigertes Arbeiten

Dichter

und Künstler haben bewiesen,

und Aufnehmen

Resultate

der

daß nur

ihrer Vorgänger

in

Wissenschaft und Kunst sie zur Höhe führte.

Der scheinbar mühelos schaffende Goethe mußte es sich nach seinem eigenen Geständnis „recht sauer werden lassen!" (Vgl. auch Horaz.) „Die Kunst zu

lernen", war Platen „nie zu träge"; Heine konnte sich nie genug thun in der

sorgsamsten, fast ängstlichen Feile seiner leichten Lieder! Schiller, Rückert, Uhland, Geibel,

Gottfr. Keller, Heyse u. A. bezeugen,

Pflege schulden.

Nr. 57:



Unsere mit

Rudolph Haut

Gottschall

und

was sie der Kunst und ihrer

sagt in Bl. f. lit. Unterh. 1854,

Haar zur

Welt

kommenden

Genies

ver­

gessen nur zu sehr, daß die Poesie eine Kunst ist und jede Kunst die fertige Technik zu ihrer Voraussetzung bedarf. Es hat mit der Kunsthöhe eine eigen­

tümliche Bewandtnis; man kann die Leiter sortwerfen, wenn man oben ist, doch ohne die Leiter kommt man nicht hinauf.

Der Gedankenschwung braucht

den rhythmischen Schwung zum Träger, sonst kommt er nicht vom Fleck. Das sogenannte Genie ist gewiß bei sehr vielen vorhanden. Aber das Talent,

dieses Genie zur Entfaltung zu bringen, das blitzartige Denken, das

sich seine Objekte eben

wählt,

ungepflegt.

blieb

in Folge

ungünstiger Verhältnisse

bei

vielen

30 So erzählt Kinkel, daß ein Mitschüler weit schönere Verse gemacht habe, als er selbst, und doch ist aus demselben kein Dichter geworden.

Er ist stecken

geblieben. Es lag wahrscheinlich an der geringeren Urkrästigkeit der Anlagen oder der nicht fortgesetzten Übung. Anlage und Arbeit fügen beim ge­

wordenen Genie eben nach und nach jenes geheimnisvolle Etwas hinzu, das, wie Bodenstedt sagt, später den Poeten mache, und für welches er noch in keinem Lehrbuche der Ästhetik und Poetik den treffenden Ausdruck

gefunden habe, oder mit den Worten Gottschalls: „jenen unsagbaren geistigen Duft, der uns gefangen nimmt mit eigentümlicher Trunkenheit und das Gefühl giebt, wir leben in einer Welt, die der Genius schuf!"

Lessing spricht in seiner Hamb. Dramaturgie 1767 gelegentlich einer Kritik

von Marmontels Drama S o l i m a n vom erfinderischen, entwickelten Dichtergenie,

wobei mancher Satz als fermentum cognitionis im Sinn des 95. Stücks der Dramaturgie (am Schluß) erscheinen könnte, als Anerkennung einer besonderen Species des homo nobilis, ja, als Widerspruch zu seinem von uns S. 2 d. B. citierten Ausspruches, nach welchem wir das Genie durch die Erziehung bekommen müssen. Man vgl. z. B. die Stelle im 34. St.: „Dem Genie ist es ver­ gönnt, tausend Dinge nicht zu wissen, die jeder Schulknabe weiß" bis zum Schluß: „Was wir besser wissen, beweist bloß, daß wir fleißiger zur Schule

gegangen, als der Genius, und das hatten wir leider nötig, wenn wir nicht

vollkommene Dummköpfe bleiben wollten" rc. Der Zusammenhang, und nach­ stehende Sätze zeigen jedoch, daß-Lessing seiner 8 Jahre früher ausgesprochenen Ansicht treu blieb: „Mit Absicht dichten, mit Absicht nachahmen, ist das, was

das Genie von den kleinen Künstlern unterscheidet. ... Es ist wahr, mit der­ gleichen leidigen Nachahmungen fängt das Genie an zu lernen; es sind seine Vorübungen. . . . Wer nichts hat, der kann nichts geben.

Ein junger

Mensch, der erst in die Welt tritt, kann unmöglich die Welt kennen unb sie schildern. . . . Das größte (komische) Genie zeigt sich in seinen Jugendwerken hohl und leer.

Selbst von den ersten Stücken des Menander sagt Plutarcb,

daß sie mit seinen späteren und letzten Stücken gar nicht zu vergleichen ge­

wesen" u. s. w. Jean Jacques

Rousseau

scheint

wohl

geborene

das

Genie

anzu­

nehmen, kann aber — wenn man seine Ansicht mit unseren Augen mißt —, doch sagt:

nichts

weiter

als

einen gut beanlagten

„Frage nicht lange,

so weißt du schon,

Menschen

gemeint haben.

junger Künstler, was Genie sei.

was es ist;

hast du keines,

Er

Hast du Genie,

so lernst du es nie kennen.

Das Genie des Musikers herrscht mit seiner Kunst über das ganze Universum;

es malt alle Scenen

in Tönen,

dem Stillschweigen selbst leihet es Sprache;

es giebt Ideen in Empfindungen, Empfindungen in Tönen; es malet Leiden­

schaften,

und

indem

es sie

malt,

entstehen sie in den Herzen der Zuhörer.

Freude malt das Genie in neuen Reizen, der Schmerz, den es ertönen läßt, zwingt uns Geschrei ab, es wallt vollständig über und verzehret sich niemals.

Es malt mit Wärme

die Kälte

und

den Frost,

und,

Schrecken des Todes vor die Seele des Hörers stellt,

selbst

wenn

es

die

teilt es dem Hörer ein

31 Lebensgefühl mit, das nie verlischt und große Thaten zu seinem Herzen bringt, damit er sie fühlen kann.

Doch ach! Es weiß denjenigen gar nichts zu sagen,

in denen es nicht sproßt, und die Wunder, die es thut, sind nicht vorhanden für den, der sie nicht nachahmen kann. „Willst du aber wissen, ob irgend ein Funke dieses verzehrenden Feuers deine Seele belebe? Eile, fliege nach Neapel, und höre die Meisterwerke eines Leo, eines Durante, eines Jomelli, eines Pergolese. Füllen sich deine Augen mit Thränen', schlägt dir das Herz, wirft es dich hin und her, e r -

st i ck t die Zurückh altung d e i n e n A t e m ; so ergreife den Augen­ blick, arbeite! Ihr Genie wird das deinige entzünden, du wirst nach

ihrem Vorbilde erschaffen.

Bald werden die Augen deiner

Das ist Genie.

Zuhörer dir die Thränen wieder zollen, die deine Meister dir abforderten. Lassen dich aber die Reize dieser großen Kunst in Ruhe, sühlst du dich weder verwirrt noch entzückt, entdeckst du gar nichts, was dich erschüttern könnte: so sei nicht zudringlich,

und

frage

nicht weiter, was Genie sei;

du

bist ein

Mensch von gemeinem Schlage, du entweihst dies heilige Wort." und

In der Stelle: „erstickt die Zurückhaltung deinen Atem, so gehe hin arbeite!" tritt Rousseau unbewußt auf unseren Standpunkt. Gefühl,

Kunstsinn, Talent macht noch nicht das Genie. Dieses ist, wie gesagt, das Resultat der Arbeit, die freilich bei großer Urkräftigkeit der Anlagen

zur höheren Kunststufe führen wird.

Es

ist

durchaus nötig,

daß man viel

sehe und — wie Fröbel will — viel mache, arbeite! Bei richtigem interessevollem Arbeiten entdeckt man dann in einem Tage Vorteile und Kunstgriffe,

die

ihren Erfindern

jahrelange Untersuchung und

Mühe kosteten.

Was hatte Michel Angelo gearbeitet,

ehe

er im Stande war, die

Majestät Gottes mit dem Charakter göttlicher Hoheit zu malen! an demselben Problem studierte,

sah

Rafael, der

heimlich seines Nebenbuhlers Kunstwerk,

und sofort malte er die göttliche Majestät,

daß uns ehrfurchtvolles Schaudern

ergreift. (Siehe das Gewölbe der Galerie, welche zu den Zimmern des II. Stockes

im Vatikan führt.)

An Giorgione lernte

er

kolorieren.

So

wurde er

erst

nach und nach das Genie Rafael. Vervollkommnet wird das Genie in unserem Sinne nur durch vieles Arbeiten und Sehen, durch Vermehrung der Kenntnisse,

durch Veredlung des Geschmacks.

Es ist eine leichtfertige, für die Dauer unhaltbare Meinung, daß die Natur beim Genie alles thut, und daß es das Genie lähmen heißt,

den Regeln haben am

des Geschmacks

und

meisten gearbeitet,

der Kunst unterwirft.

wenn man es

Die großen

Genies

und Homer ist nicht seiner Originalität wegen

allein, er ist auch seiner Regelmäßigkeit wegen Muster.

Dem Genie wird häufig auch eine angeborene, nur ihm eigene Be­ geisterung („Wahnsinn") vindiziert. Man nennt den genialen Dichter „begeistert", „trunken", „des Gottes voll". Plato geht zu weit, wenn er den Sokrates (p. 533 E.) sagen läßt: „Wie die korybantischen Tänzer nicht im bewußten Zustand tanzen, so dichten

32 auch die Lyriker ihre schönen Lieder nicht bewußt, sondern sind toll, wenn sie

in Ton und Takt hineingeraten. Der Dichter ist ein leichtgeflügeltes, geweihtes Wesen und nicht eher zum Dichten fähig, als bis er begeistert, unbewußt und von Sinnen ist. (Vgl. Plat. Apolog. Socr. 22 B.) Ebenso Plato im Phädrus. (S. 245 vgl. § 20 dieses Buches.)

man es übersetzen sollte) diese aus der

Diesen Wahnsinn — oder (wie

dichterischen Intuition stammende Begeisterungsfähigkeit halten auch wir für sehr wesentlich. Aber wir glauben nicht, daß sie von den Musen kommt, oder, wie unsere Jdentitätsphilosophen phantasierten (was aber dasselbe ist), angeboren ist.

(Vgl. hierzu Geschichte der Theorie der Kunst bei den Alten von Dr. Eduard Müller 1834, I, S. 53.) Ter Begeisterung muß sich Besonnenheit vermählen, die Besonnenheit des gebildeten Geistes. (Vgl. Schiller über Bürgers Gedichte. Aristoteles Poet. c. 17 sagt: öto Evcpvov^ -) noLTsti^ egtiv % /Lianxovtoijtüw yaQ oi iliev EVTiXctöTOi, ol ÖE EtzEvaOTixoi eIglv.

Horatius A. P.

309 : Scribendi recte sapere est et principium et fons. Horat. A. P. 295 ff.)

Vom gewordenen Dichter gilt, was Goethe verlangt: fühlt, ihr werdet's nicht erjagen", und: „Gebt ihr euch so kommandiert die Poesie".

Vgl. auch

„Wenn ihr's nicht einmal für Poeten,

Man hat oft die Ansicht aussprechen hören, daß

der Lyriker im Wald und im Gebirge, in der unentweihten Natur seine Stosse

sich zu holen habe. Aber die Erfahrung lehrt, daß dieser Weg, der doch höchstens Naturschilderungen oder Betrachtungen einzubringen vermöchte, wohl zum

Dilettantismus,

nie aber

zur

Höhe

der Kunst

führt.

Unsere

Genies

haben von jeher Philosophie, Geschichte, Naturwissenschaften in den Bereich ihrer dichterischen Thätigkeit gezogen.

Sie haben sich mit Energie den eingehendsten

wissenschaftlichen Studien hingegeben, sie alle haben auch wissenschaftliche Werke

geliefert,

deren Bearbeitung ihren Geist in neue, ungeahnte Bahnen lenkte,

und sie auf dem Niveau der Bildung des Jahrhunderts erhielt oder darüber hinausragen ließ. Wie der Student der Neuzeit durch feineres Wesen sich vom Musensohne mit langen Haaren, staubigem Flaus, zerfetztem Schlafrock vorteil­

haft unterscheidet, so verlangt man vom Dichter der Neuzeit höhere wissen­

schaftliche Bildung

und Geist,

ignoranten Naturlyrikern,

so

muß

er sich unterscheiden

von jenen

die — wie schon Horaz sagt, (weil Demokrit das

Genie höher stellt, als die mühsame Kunst und die besonnenen Dichter vom Helikon ausschloß) „sich Nägel und Haare wachsen lassen, Einöden aus­

suchen, Bäder meiden" u. s. w.

Ansicht,

die in den langen,

So ist man denn zurückgekommen von jener

nachlässig

gekämmten Haaren,

im

altdeutschen

Rock das Kriterium der dichterischen Begabung, des dichterischen Genies erblickt, so verlangt

man

auch

vom Dichter,

daß er

sich mit'dem praktischen Leben

versöhne und den Vorwurf des idealen Schwärmers von sich abwehre. Um moderner bedeutender P oet zu sein, ist die Poesie der wissen­

schaftlichen Erkenntnis und die wissenschaftliche Erkenntnis

der

muß man

ihre

Poesie nötig. Gesetze,

Um den

Vorbildern

es gleich

ihre Methode kennen, — ja man muß

zu thun,

die Resultate aller Wissen-

33 schäften begreifen,

der Natur

um poetische Bilder wahr zu machen, um enthüllte Gesetze

einzuflechten,

Nation zu steuern hat.

um das Ideal dichterisch anzudeuten,

nach dem die

Uhland äußerte in dieser Beziehung einmal sehr treffend

zu Professor Chr. Schwab: „Große Dichter wirken nicht nur durch ihre Poesie, sie ziehen auch andere, eigentlich der Poesie fremde Gebiete, wie Philosophie, Geschichte, Naturwissenschaft in ihren Gesichtskreis, wecken dadurch Interesse und imponieren." Über die Poesie herrschten namentlich zur Zeit der Romantiker

so verschwommene Ansichten, daß ein Dichter, welcher der Uhlandschen Forderung hätte genügen wollen, in Gefahr kam, als nicht geborenes Genie verketzert zu werden. Er sollte aus leerem, Kan tisch reinem Genie ein Weltbild aus Nichts schaffen, bei Mondscheinbeleuchtung schwärmen, am Fluß, im Haine fabulieren und diese Gedanken aufs Papier werfen, leicht, flüssig, — genial! Man liebte und glaubte eben an die aus Nichts schaffende Wunderthätigkeit

des geborenen Genies. Jordan sagt: „In unserer gewaltigen Epoche des durch wissenschaftliche Erkenntnis triumphierenden Menschengeistes war die Poesie zu

einem Spiel mit liebenswürdigen Kleinigkeiten ausgeartet, es war ihr fast mythisch geworden, daß auch sie wie jede andere Kunst die ungeteilte Kraft, den angestrengten Fleiß eines Lebens für sich allein verlange, daß sie nicht minder als Architektur, Malerei, Skulptur, Musik eine mühselige Technik, eine Schule des Handwerks erfordere, und eben deshalb gleich notwendig wie diese Künste als alleiniger Lebensberuf zugleich ein Gewerbe sein müsse."

Wir schließen diese Erörterung durch Mitteilung der vom Begründer der poetischen Satire Joachim Rachel (-(-1669) schon im 17. Jahrhundert an den Dichter gerichteten Anforderungen, die manches Zutreffende auch für unsere Zeit enthalten. (Wer die Quellen nachlesen will, findet Belege für unsere Ansicht bei Plato, Aristoteles, Boileau u. A. Über erstere vgl. E. Müllers Geschichte

der Theorie der Kunst bei den Alten. Bd. I, S. 90 ff. und Bd. II, S. 109 ff.)

Der Poet. Wer ein Poet will sein, der sei ein solcher Mann, Der mehr als Worte nur und Reime machen kann, Der aus den Römern weiß, den Griechen hat gesehen, Was für gelahrt, beredt und sinnreich kann bestehen; Der nicht die Zunge nur nach seinem Willen rührt, Der Vorrat im Gehirn und Salz im Munde führt; Der durch den bleichen Fleiß aus Schriften hat erfahren, Was Merkliches ist geschehn vor vielmal hundert Jahren, Der guten Wissenschaft mit Fleiß hat nachgedacht, Mehr Öl, als Wein verzehrt, bemüht zu Mitternacht; Der endlich aus sich selbst was vorzubringen waget, Das kein Mensch hat gedacht, kein Mund zuvor gesaget; Folgt zwar dem Besten nach, doch außer Dieberei, Daß er dem Höchsten gleich, doch selber Meister sei. Dazu gemeines Ding und kahle Fratzen meidet, Und die Erfindung auch mit schönen Worten kleidet, Der keinen lahmen Vers läßt unterm Haufen gehn, Viel lieber zwanzig würgt, die nicht für gut bestehn. Beyer, Deutsche Poetik I.

3

34 Nun wer sich solch ein Mann mit Recht will lassen nennen, Der muß kein Narr nicht sein, so wohl was Gutes können, Als unser Tadelgern, der neugeborne Held, Der nicht geringen Mut und Titul hat für Geld. Geh wie Diogenes des Tages bei den Flammen, Und bringe dieser Art, so viel du kannst, zusammen; Setz gute Brillen aus, für eine zweimal drei, Komm dann und sage mir, wie teu'r das Hundert sei. Es werden kaum so viel sich finden aller Orten, Als Nilus Thüren hat, und Thebe schöne Pforten; So viel du Finger hast, die Daumen ohngezählt, Im Fall dir einer noch vom ganzen Haufen fehlt. Zwar tausend werden sich und vielmal tausend finden, Die abgezählte Wort' in Reime können binden; Des Zeuges ist so viel, als Fliegen in der Welt, Wann aus der heißen Luft kein Schnee noch Hagel fällt. Aus einem Hochzeitmahl da kommen oft geflogen Des künstlichen Papiers bei vier und zwanzig Bogen, Ein schöner Vorrat traun, bevorab zu der Zeit, Wann etwa Heu und Stroh nicht allzuwohl gedeiht. Kein Kindlein wird gebor'n: es müssen Verse fließen, Die oft so richtig gehn und treten auf den Füßen, Als wie das Kindlein selbst, die (wie es ist bekannt) Auch haben gleichen Witz und kindischen Verstand. Stirbt jemand, so muß auch des Druckers Arbeit sterben, Wiewohl dem Drucker nicht so schädlich, wie den Erben. Bald kommt der Dichter selbst, erwartet bei der Thür Des Halses süßen Trost, der Faust und Kunst Gebühr. Nun eben diese sinds, die guten Ruhm beschmeißen, Dies Lumpenvölklein will (mit Gunst) Poeten heißen, Das nie was Guts gelernt, das niemals den Verstand Hat auf was Wichtiges und Redliches gewandt; Die nichts, denn Worte nur zu Markte können tragen, Zur Hochzeit faulen Scherz, bei Leichen lauter Klagen, Bei Herren eitlen Ruhm, dran keiner Weisheit Spur, Kein Salz noch Essig ist, als bloß der Fuchsschwanz nur. Drum dürfen sich auch wohl in diesen Orden stecken, Die niemals was gethan, als nur die Feder lecken. Ein Schriftling, der kein Buch, als deutsch hat durchgesehn, Will endlich ein Poet und für gelahrt bestehn.

§ 13. Die Bett und ihr Einfluß auf den Künstler. Jede Kunst ist das Resultat ihres bestimmten Jahrhunderts und trägt die Signatur desselben. Jedes Jahrhundert hat seine bestimmte Summe von Erfahrungen wie von Können. Die Summe des Könnens und der Einsicht bedingt die Bildungshöhe des Jahrhunderts, seine theoretische und praktische Vernunft, wie seine Kunst. Keine Form ist ewig. Jede hat ihre Zeit, zu der sie paßt, in der sie wirkt, und wieder ihre Zeit, wo sie dem Drange des neuen Lebens — dem gewordenen Genie — weichen muß. Das Genie, das die Bildungshöhe des Jahr-

35 Hunderts überragt und schöpferisch,

tonangebend für's folgende Jahr­

hundert wird, wirft seinen Lichtglanz gleich einer Sonne weit voraus

auf die folgenden Jahrhunderte. Die Durchschnitts-Vernunft des Jahrhunderts begreift das Genie nur in seltenen Fällen, und doch ist es nur aus dem Einfluß der Zeit und des Jahrhunderts erblüht.

Es ist

hier der Ort, dies an einigen Bahnbrechern und Revolutionären

auf den Gebieten der Kunst in der Gegenwart generell nachzuweisen und deren Abhängigkeit von der Zeit und ihre Bedeutung für die Zukunft zu würdigen, zugleich auch dadurch das Gemeinsame des Fortschritts aller Künste in unserer

Zeit zu illustrieren, endlich darzuthun, wie die bahnbrechenden, Genies der unserem kritischen Blick zugänglichen Gegenwart in lichen Thätigkeit sich gleichen.

aus

gewordenen ihrer vorbild­

Die neueste Zeit ist eine Zeit der Unruhe, des Drängens und Treibens allen Gebieten, des alten und des neuen Glaubens, der Erfindungen

und industriellen Umwälzungen. Was Witnder, daß auch die Kunst zur Deckung ihres Deficits an Muße die allgemeine Unruhe als Element in sich aufnimmt? Wir greifen drei beliebige Vertreter heraus, wobei wir freilich — ohue die Be­ kanntschaft mit deren Werken voraussetzen zu können — anticipierend von den letzteren ausgehen müssen, um den Schein willkürlicher Abstraktion zu meiden. Man

betrachte

also

beispielsweise unter

den

Dichtern

neuerer Bestrebungen

den empordrängenden H am erli ng, der wie ein umgekehrter, aus dem Reiche der Erscheinungen in's Reich der Skepsis dringender Faust erscheint. Man

beachte ferner die sinnliche Derbheit unserer materialistischen Zeit in ihrem Ein­ flüsse aus die ersten Gemälde des koloristischen Reformators Makart; man

würdige endlich den Einfluß der Zeit bei Richard Wagner, grandiosen Werk „Ring des Nibelungen"

der mit seinem

vom heutigen Theater sich lossagte.

Welch bewegtes Hasten, Erhitzen, Ringen, welch ruheloses fieberhaftes Hindrängen der Dissonanzen zu Konsonanzen, der scheinbaren Melodielosigkeit zur Melodie! Welch

höchste Häufung und Steigerung der Mittel,

Hamerling

ist

welch luxuriöses Kolorit!

ein aus der Zeit geborener, sie überragender philosophischer

Denker und Dichter; bewundernswert durch Kühnheit und Großartigkeit der Phantasie. Makart ist der vom wilden Naturalismus zum Gedanken sich

emporwühlende,

kulturhistorische Maler seiner Zeit,

der

durch seinen Farben­

reiz selbst Piloty hinter sich läßt und der Zukunft durch die Bravour des koloristischen Vortrags (ich erinnere an seine Bilder Abundantia, Tod­

sünden,

Katharina Cornaro,

Die

fünf

Sinne,

Karl

V.,

Kleopatra)

neue

koloristische Bahnen zeigt; W a g n e r endlich ist der Dichterkomponist, der nach Art

seiner Zeit die Gefühle in Gedanken umsetzt, indem sein Weg zum Herzen durch den Kopf geht. Die Übereinstimmung dieser drei Revolutionäre und ihre Wirkung liegt im großen Stil, in dem sie auftreten, in der Massen­ wirkung, im philosophischen Überwältigen des Herkömmlichen, in der breiten

Pinselführung, im koloristischen Zauber,

stimmtheit des Ausdrucks.

in der schneidenden unverhüllten Be­

36 Ham erling

nysosfeier

in

Neros

in

der Beschreibung

des goldenen Hauses und der Dio­

Garten und neuerdings

in

der Aspasia, Wagner in

dem somnambulen Zug Sentas zum Holländer, in der Liebe Elsas zu Lohengrin, in Tristan und Isolde, in der Walküre durch Benützung der dä­ monischen Elementargewalt der Liebe als eines hervorragenden dramatischen Leit­ motivs — sie scheinen mit der hellblitzenden Farbe Makarts zu malen. Hamerling gelangt durch Erfassung einer dichterisch geistigen Perspektive zu seinem Ahasver und seiner Aspasia; Makart erringt nach Durchdringung

des sinnlichen Naturalismus seine Höhe, und Wagner, der malende Dichter­ komponist, kam erst nach Überfliegen der von Meyerbeer repräsentierten historischen

Oper über

Nienzi

und

der

zweiten

Gruppe

seiner

Schöpfungen

(fliegender

Holländer, Tannhäuser, Lohengrin) zu seinen großartigen Gesamtkunstwerken: den Meistersängern, Tristan und Isolde und dem Ring des Nibelungen.

Wie Hamerling die Sprache,

wie Makart die Farbe,

so

absichtsvoll für die Wirkung gebraucht Wagner sein O r ch e st e r.

Hamerling, der seinen Nero nach unschuldigem Menschenblut verlangen läßt, dessen Herz so heiß ist, daß ein Dolch darin schmelzen könnte, ist in der Empfindung überschwenglich, im Ausdruck genial. Makart, dem das schöne Auge brennen, die Haut wie mit Magnesiumlicht leuchten muß, und der auch einmal —

der Wirkung halber — die Krebse stahlblau malt: er korrigiert mit kühner Hand scheinbar die Natur. In Wirklichkeit ist er der sichere Interpret der Lichtreflexe. Wagners Behandlung der Leidenschaft hat etwas Grandioses. Was ist Gluckscher

und Mozarischer Haß oder deren Liebe, was deren Entsetzen, was Verdis Kulissenempfindung gegen Wagnersche Leidenschaft,

die doch nie die Grenzen

des allgemein Menschlichen verläßt, wenn auch das Empfinden, die Sinnlichkeit

u. a. übertrieben scheint. Solch ein Dreiklang, den dieser Genius durch sein Orchester klingen läßt (wo z. B. Walter in den Meistersängern sein Lied beginnt) — er klingt wie ein Klang aus höheren Sphären, wie ein Zauberton, der den

Frühling bringt. Hamerling hat mit Makart und Wagner gemeinsam, daß sinnliche Überschwenglichkeit nach übersinnlichen Äquivalenten sucht, welche fick

dem überreizten Willen nicht fügen wollen.

Dadurch erhalten wir eine leiden-

schastschwangere Atmosphäre, die wie Opium betäubt, dämonisch wirkt.

bei Wagner und Makart bekanntlich weit mehr der Fall,

Dies ist

als bei Hamerling,

den das dichterische Maß vor Ausschreitungen schützt, obwohl er z. B. das Laster malt mit Farben, welche die Augen blenden, mit Lichtern, die wie Sonnenstrahlen wirken, obwohl Vieles bei ihm Verzückung, fieberhafter Rausch, Krampf, Genuß bis zur Übersättigung ist. Makart hat sich nicht einmal durch den Hinblick auf den Kaulbachschen

Idealismus (der idealen Linienschönheit) in Verfolgung

seines Ziels beirren lassen; aber den idealen Cornelius, den weichempfindenden

Overbeck scheint er in sich verarbeitet zu haben, um weit mehr als ein Tintoretto, Paul Veronese 2c. Repräsentant des Realismus zu werden und, unbekümmert

um Allegorie,

Reflexion und das

geistige

Moment,

Stoffmalerei,

Bravour

des Machwerks, frappierende Wiedergabe des Körperlichen zu erreichen. Es muß

37 dies besonders von seinen „fünf Sinnen" gesagt werden, welche die Ver­

körperung göttlicher Nacktheit und des Liebreizes weiblicher Formenschönheit sind und durch nie gehörte Farbenaccorde die glühende Phantasie des in erster Reihe

durch Farbe und Licht, dann durch Kontour und Form, zuletzt durch den Stoff wirkenden wahrhaft antiken Meisters beweisen, der durch unschuldigen Formenreiz

das Auge berauscht, ohne es zu — sättigen. Ist Hamerling die Konsequenz der Räuber, des Tell und des Faust, so ist Makart die Konsequenz eines Tintoretto, wie uns dieser im Eingangsbild des Dogenpalastes zu Venedig oder in

der protestantischen Kapelle zu Schleißheim so überwältigend entgegentritt, so istendlich Wagner die Konsequenz der Euryanthe, in welcher Oper die Detail­

malerei bereits begonnen hat. Alle sind aber das Resultat der von ihnen v o r g e f u n d e n e n K u n st ihres Jahrhunderts. Mit jedem neuen Werke dieser Genies wird man sich neu beschäftigen, weil man in jedem als Signatur des fieberhaft pulsierenden Zeitgeistes der Gegenwart einen Fortschritt erblickt,

weil man von ihnen doch Bahnbrechendes, nicht für die Zeit Geschriebenes, Originelles, Mustergültiges, Ewigbestehendes, Niedagewesenes, Unerhörtes erwartet und findet. Vom genialzeichnenden Hamerling ist kühn 511 behaupten, daß er in seinen letzten Werken ein zweiter Goethe und zwar ein Goethe seiner Zeit geworden ist; von Makart ist bekannt, daß er die Natur korrigiert, um seinen realistischen Zweck zu erreichen, und von Wagner glaubt man, „daß er das

Firmament umkomponieren möchte, da ihm die Fixsterne mit ihren ehernen Gesetzen gar zu authentisch sind", und daß er keinen Anstand nehmen würde, die Kontrabässe mitten ins Publikum zu stellen, wenn er sich für Verwirklichung seiner Intentionen Vorteil davon verspräche, wie er ja schon im Rheingold (wo er das Orchester im symphonischen, im al fresco-StU verwendet und durch Tiefer­

legung des Orchesters die Schattwirkung idealisiert und die Sänger ohne An­ strengung selbst bei instrumentalen Massen singen läßt) mit der Einteilung der

Oper in Akte bricht und eine den Abend füllende Oper in schreibt (vgl. L. Ehlerts bez. Abhandlung).

einem Auszug

Natürlich kann ein reformatorisches Genie nicht die bequemen Bahnen des

Herkommens wandeln. Jeder aus seiner Zeit erwachsene Reformator ist ein Usurpator, der auch im Negieren den Einfluß seiner Zeit für eine durch ihn veranlaßte neue Ära beweist.

§ 14. Der Dichter und sein Jahrhundert. Der Dichter ist — wie erwähnt — das Produkt seines Jahr­ hunderts. Er vereinigt in sich alle Elemente des Jahrhunderts, aber er überragt die Durchschnittsbildung desselben und wird dem nach­ folgenden Jahrhundert ein neuer Lichtpunkt, von welchem Leben und Wärme ausströmt, zu dem es sich emporschwingt, dessen Ideen es

38 assimiliert. Die Forderung an ihn ist: Aus dem Geist der Zeit heraus für die Zukunft zu wirken. So war es bei den Orientalen, bei den Dichtern des Mahabharata, des Ramajana, des Schah Nameh, wie der Sakuntala und der Urwasi (Kalidasa), so war es bei den Griechen (bei Homer, bei Sophokles), so

war es bei den

Römern (Horaz, Ovid, Tibull, Properz, Virgil), so war es in der romantischen

Periode unseres Volks im Mittelalter, bei den Dichtern der Nibelungen mit den prächtigen Frauengestalten der Brunhild und der Kriemhild.

So war es aber

nicht bei den romantischen Dichtern, von denen Dante der Homer und Hesiod, Tasso der Virgil und Ariosi der Ovid des Mittelalters genannt wurden; so war es nicht mehr in der Zeit der neueren Romantik, die eine Wieder­ erstehung der mittelalterlichen Romantik versprach; so ist es auch zum Teil

nicht in der neuesten Zeit, wo die Dichtweisen aller Völker des Erdenrunds entfremdend wirken, wo so viele im Geiste orientalischer Lyrik dichten, anstatt aus dem Geiste derselben heraus. So war es aber bei Schiller unb Goethe, die — wo sie sich nicht von der Antike beherrschen liehen — aus ihrer Zeit schöpften unb

nach Art des Genies

das

in die Jahrhunderte

hinaustönende

Weltorgan ihres Jahrhunderts wurden. So muß es für die Folge bei jedem Dichter werden, der für sein Jahr­

hundert werden soll, was Homer, Horaz, Firdusi, Goethe den ihrigen gewesen sind. Die Forderung ist: Aus der Zeit heraus, aus dem Geist der­ selben — nicht im Geist derselben zu dichten! Der wahre Dichter, der aus dem Geist der Zeit heraus schreibt, der scheinbar kein Publikum hat und nur für sich dichtet, er schreibt und lebt für die Zukunft. Viele, die sich

Dichter nennen, schreiben nur im Geist der Zeit und suchen der Zeit zu huldigen. Nicht Poesie ist es, was sie schreiben, vielmehr bahnen sie sich durch platte

Prosa,

Nüchternheit, hausbackene

Alltäglichkeit

Publikums, das nicht besser ist als sie.

den

Weg

zum

Herzen

eines

Aber alle diese Schoßkinder der

Popularität werden fallen, von den Wellen der neuen besseren Zeit überflutet,

sobald

man

höhere Geschmacksbildung

erstrebt oder

erworben

hat.

Ewige

Dauer hat nur die echte Poesie; ihre Formen veralten nie, ihr Inhalt

leuchtet in Jugendfrische wie von Anbeginn; — auf wessen Vers nur einer ihrer Strahlen fiel, der wird nicht gänzlich sterben: „Non omnis inoriar!“ darf

auch

er von sich sagen.

Wohin sind

Clauren

und

Tromlitz und

der

wirklich gediegene Spindler (dem Goedecke im Grundriß [III. 738] ein schönes Denkmal setzt) und dieses ganze Geschlecht gekommen, die doch in ihren Tagen im

Sonnenscheine des Ruhmes schwelgten? Transite ad inferos! Aber Rückert —

der Einsame lebt. Wenn die Popularitäten des Tages verrauscht sind, wird man sich noch lange des Einen oder Andern erinnern, der in einem Zeitalter,

das auf andere als Dichterziele gerichtet war, ohne Wunsch und ohne Hoffnung um ihrer selbst willen die heilige Flamme nährte, des schönen Wortes Sidneys eingedenk: „Sieh in dein Herz und schreibe; wer für sich selbst schreibt, schreibt für ein unsterblich Publikum."

39

§ 15.

Die echte Gunst ist ewig.

Das Leben entsteht, wächst, nimmt ab, erlischt. Die Kunst nur vermag das Schöne durch ihren Schein für alle Zeiten zu fixieren. 'Hinübergegangen sind die herrlichen Frauen, die den Schöpfer der Mediceischen

Venus, der Ariadne auf Naros, der Hebe; die einen Rafael, Leonardo da Vinci, Correggio, Battoni (büßende Magdalena) zu ihren unsterblichen Werken begeisterten. Homer, Goethe, Rückert, Mozart, Beethoven — sie sind tot. die durch sie geübte Kunst besteht in vollstrahlender Schöne.

Das Leben ist vergänglich, — die Kunst allein ist unsterblich, ewig. gestaltet die Ideale frei. Schöne zusammenschießen.

Aber Sie

Wie in einem Krystallisationspunkte läßt sie alles Und dies Alles thut sie durch die frei waltende

Phantasie, die durch Freude gepflegt wird und die Freude erzeugt. Schiller, dessen Kunst alle Schaumgebilde überdauert bat, sagt: „Alle Kunst ist der Freude

gewidmet und es giebt keine höhere und keine ernsthaftere Aufgabe, als die Menschen zu beglücken. Die rechte Kunst ist nur diese, welche den höchsten Genuß schafft.

Ter höchste Genuß aber ist die Freiheit des Gemüts

in dem

lebendigen Spiel aller seiner Kräfte. Die wahre Kunst hat es nicht bloß auf ein vorübergehendes Spiel abgesehen; es ist ihr ernst damit, den Menschen nicht bloß in einen augenblicklichen Traum von Freiheit zu versetzen, sondern ihn wirklich und in der That frei zu machen; auf der Wahrheit selbst, auf dem tiefen Grunde der Natur errichtet sie ihr ewiges Gebäude."

§ 16. Die dichterischen Stoffe. 1. Fragen wir nach der Verschiedenheit der dichterischen Stoffe, so erscheint uns der Mensch als der vorzüglichste Gegenstand aller Poesie. Seine Liebe (vgl. Rückerts Amaryllis, Agnes, Liebessrühling), seine Freundschaft (vgl. Schillers Bürgschaft, Goethes Iphigenie, Orestes und Pylades), seine Gefühle (vgl. Goethes Egmont, Schillers Jungfrau von Orleans), seine Mythen, seine Religion, das Zauberhafte (das nur nicht wie in der Romantik sich für den Kern der Poesie ausgeben soll), das Wunderbare re. sind Stoffe, die von jeher dichterisch behandelt wurden. 2. Die Stoffe werden durch die Thätigkeit der Phantasie und der Einbildungskraft ins Unendliche vermehrt. 3. Die Behandlungsweise des Stoffs macht den Dichter. 1. Schon Dante fordert: „Gegenstand des Gedichts sei der Mensch, wie

er in Folge seiner Willensfreiheit gut oder schlecht handelnd der ewigen Ge­ rechtigkeit anheimfällt. Der Zweck des Gedichts sei, den Menschen aus dem Zustande des Elends zu befreien und zur Glückseligkeit zu leiten." Durch die

Höllenfahrt der Selbsterkenntnis also,

durch die Sehnsucht nach Frieden und

40 Ruhe, soll die Welt

aus der Unruhe und Gottentfremdung zur Heimkehr in

sich selbst und in Gott

als ihrem Grunde und

ihrem Ziele

berufen werden.

2. Man bemerke, wie z. B. die französischen Neuromantiker — voran ihr Meister Victor Hugo — durch eine Rückkehr zur nackten, grellen Wirklichkeit das Gebiet der poetischen Stoffe erweiterten; wie nach ihrem. Vor­ bilde vorzüglich der durch seine französische Abkunft dazu berechtigte Chamisso

auch die deutsche Poesie durch solche der Wirklichkeit des Lebens entnommene Stoffe bereicherte; wie Fr eilig rath das Verlangen nach neuen Stoffen — dem doch schon Rückert durch Einführung in den Osten und Erschließung einer Weltlyrik im großen Stil genügt hatte — in wahrhaft frappanter Weise befriedigte, indem er seine Stoffe sogar aus den Urwäldern und Savannen Amerikas, aus der glühenden Tropenwelt Afrikas, aus dem brennenden Wüsten­

sande Arabiens und der wunderreichen Welt des Meeres holte. Rückert erschloß die innere Seite des morgenländischen Lebens, Freiligrath

in seiner weniger didaktischen als deskriptiven Epik führt uns das Morgenland auch in seiner Phantastik, Wildheit und äußeren Energie vor. Man kann

nunmehr sagen: Der Stoff des Dichters, durch die Phantasie dem Menschenleben und allen Gebieten der Natur und der Künste entstammend, ist ein unbegrenzter. Ein Gewitter, ein Sturm, ein Sonnenaufgang, ein Sonntagsmorgen, eine Blume 2C. können Veranlassung zur Verschmelzung der dichterischen Empfindung mit dem Object geben.

3. Alles liegt beim Dichter an der Behandlungsweise der Stoffe. Mit Recht sagt daher Schiller („Über Matthissons Gedichte"): „Es ist niemals

der

Stoff,

sondern

die Behandlungsweise,

was

den

Künstler

und

Dichter macht." Wir geben hiezu einige Beispiele: Rückert haucht z. B. in seine sterbende

Blume den Gedanken des vollständigen Hingebens der Blume an ihre Schöpferin, die Sonne. Er giebt der Natur Leben und spiegelt so in ihr sein Gemüt, das ja dem Stoffe nicht

eigen ist.

Die Sonne

schaut

bei

ihm der Blume ins

Antlitz, bis ihr Strahl ihr das Leben gestohlen, worauf der Dichter den Gedanken inniger Ergebung, die auch im Tode noch ein Lächeln für den geliebten Gegen­

stand hat, Ausdruck verleiht.

Eine Zierde deiner Welt, Wenn auch eine kleine nur, Ließest du mich blühen im Feld, Wie die Stern' auf höh'rer Flur. Einen Odem hauch' ich noch, Und er soll kein Seufzer sein; Einen Blick zum Hrmmel hoch Und zur sHönen Welt hinein. (Vgl. auch „Das Veilchen" von Goethe.) Wie es eine gemeine Behandlung erhabener Gegenstände giebt, so kann

umgekehrt dem niedrigsten

Stoffe

noch Hoheit und Würde verliehen werden.

41 Von: Standpunkt der Kunst aus ist daher auch die Lehre irrig, die von mo­ dernen und unmodernen Stoffen spricht. Um z. B. an das Gebiet des Drama zu denken, so wäre es thöricht, zu fordern, daß der Dramendichter, welcher

ein Stück Geschichte nimmt,

uns

in

irgend

einem

realen Sinn

und Körper

die Substanz derselben wiedergeben sollte. Zweck und Aufgabe jeder künstler­ ischen Schöpfung, die sich eines historischen Vorwurfs bemächtigt, kann doch nur sein, denselben in seiner geistigen Eigenart zu erfassen und zur Erscheinung zu bringen; es giebt keine anderen als die geistigen Mittel des Rapports zwischen uns und ihm; was jenseits liegt, gehört der Kulissenmalerei,

dem Kostümschneider, dem Regisseur an.

Wie kann man von modernen

und unmodernen Stoffen reden? Die Wahrheit ist, daß es gewisse Themata giebt, welche heute modern sind, weil sie mit gewissen Tendenzen der Zeit zusammenfallen, und morgen aufgehört haben, es zu sein, sobald neue Tendenzen an Stelle der alten getreten sind; daß es aber andere Themata giebt, welche niemals veralten, weil sie nicht die Frage eines Geschlechts, sondern die der Menschheit behandeln. Jedes echte Kunstwerk wird sich um eine solche Idee von unvergänglicher Geltung krystallisieren, mag der Dichter sie aus dem 19. oder 11. Jahrhundert genommen haben. Sie wird von seinem Atem belebt, von seiner Wärme durchzogen, auch in seiner Sprache

zu uns reden. — Dies gelte von allen dichterischen Stoffen!

§ 17. Entstehung des Gedichts, (poetische Disposition und Komposition.) Hat die dichterische Phantasie einen Stoff ausqewählt, fo bildet sie daraus das Kunstwerk. Den Stoff nennt man, sofern derselbe die Anregung zum Gedichte giebt, das dichterische Motiv. Der erste Akt der Geistesthätigkeit, den das dichterische Motiv verursacht, ist die dichterische Konception, d. i. die Vereinigung dieses Motivs mit seinem subjektiven Erfassen: also der Akt durch den es Eigentum des Dichters wird.

Jetzt ist der Dichter — dessen Geistesflug ihn -von der Verwertung

des Stoffes zur Idee emporhebt — im Stande, eine Skizze zu entwerfen, durch

die er zunächst seinen Stoff in nüchterne Prüfung nimmt. poetische Disposition.

Dies ist die

Das Arbeiten beginnt, der Dichter erkennt in der Skizze Schwierigkeiten,

welche (weniger im kleinen lyrischen Gedicht,

bei

welchem ja Konception und

Ausführung eins sind, als vielmehr bei größeren Kunstwerken) die Ausführung hemmen oder verzögern.

Die Ausführung ist die eigentliche Komposition. Ihr fällt die künstlerische

Gestaltung des Stosses, die Ausscheidung, Sichtung, Gruppierung zu.

Beim

Drama ist es die Einteilung der Handlung in Akte und Scenen, die Aus­ scheidung der Nebenhandlung, des Kontrastes, die psychologische Motivierung,

42 Anlage und Durchführung der Charaktere, der Rhythmus des Ganzen u. s. w., was zu beachten ist. Die Art und Weise der Auffassung des Stoffs und der Ausführung der

Dichtungen, deren Technik die Poetik lehrt,

beweist den Dichter,

der in An­

ordnung, Ausstellung, Fortleitung, in Beachtung von Satz und Gegensatz,

in

Darlegung des Idealen, Symbolischen und Wirklichen, in Entfaltung der seinem Genius entquellenden Formeigentümlichkeiten 2c. poetische Idee und poetische Disposition

vereinigen

und

und Schönen aufdrücken wird.

seinem

Kunstwerk

den

Stempel

des

Ewigen

(Um den Bau eines lyrischen Gedichts praktisch

zu illustrieren, empfehlen wir das so durchsichtig angeordnete Beispiel des Majestätischen von Kleist [f. § 25. 3 ct. ß], dem wir behufs einer Veran­ schaulichung

seines

Baus

einige

beigefügt

haben,

dichterische Disposition folgen

ließen.

bezügliche

worauf wir am Schluß des Drucks die

Anhaltepunkte

Ebenso verweisen wir auf das Schillersche Gedicht:

„Der Tanz".

S. unsere

Analyse § 26. 4.)

§ 18.

Einführung in das Stoffliche der Poetik: die Litteratnrgefchichte.

(Historische Übersicht und Inhalt der deutschen poetischen Litteratur.)

Wir verzeichnen zwei Blüteepochen unserer Litteratur. Die erste zur Zeit der Minnesinger (1150—1300) zeigt das Deutschtum mit dem Christentum verschmolzen. Die zweite, Ende des vorigen ünd anfangs dieses Jahrhunderts, zeigt das Deutschtum im Lichte klassischer Bildung. Wir teilen die Geschichte der deutschen Litteratur in 10 Perioden ein.

I. Periode circa 360—1150 n. Chr. Überblick und Charakter der Periode.

Vor 360 unserer christlichen Zeitrechnung findet der Forscher nur Weniges: einige Runenschriften, einige Andeutungen, die Tacitus in der Germania giebt. Das älteste bekannte deutsche Wort andbahts Beamter (andbahti, Ambet, Amt) war lange vor Chr. in Rom bekannt. Bis zu Karl dem Großen ist wenig Litterarisches erhalten. Von da ab (vielleicht richtiger von Ludwig dem Frommen an) ist Geistliches vor­ herrschend. Inhalt der 1. Periode.

Ältestes schriftliches Denkmal: (Vulfilas = Wölfchen) um 360.

Bibelübersetzung des Ulfilas Der gothische Bischof ergänzt das vor­

handene Runenalphabet aus dem Griechischen von 16 auf 26 Zeichen.

Codex

argenteus. Probe: Atta unsar thu in himinam veihnai namo thein. (Vater unser rc.) Zweifelsohne waren einst auch gothische Lieder vorhanden.

43 Aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert besitzen wir keine Spur eines litterarischen Er­ zeugnisses. Die nächsten litterarischen Denkmäler sind erst aus dem 8. Jahrhundert. 1. Ein Bruchstück des Hildebrantliedes.

rierend.

(bilde = Kampf.

Allitte­

Inhalt: Hildebrant, Waffenmeister Dietrichs von Bern, kehrt aus dem

Hunnenlande zurück, muß mit seinem Sohne Hadubrant ^Haderbrand^, der ihn nicht kennt, kämpfen. Erkennungsscene.) 2.

Beowulf.

(Ein König besteht wunderbare Kämpfe mit

den See­

ungeheuern Grendel, dessen Mutter und einem Drachen. Lückenhaft. Sprache ags.) Hierher gehörig, wenn auch erst im 10. Jahrhundert ausgezeichnet, sind: 3. Die Merseburger Zaubersprüche. (Eiris säzun idisi etc.)

4. Das Walthari - Lied. (Lateinische Nachbildung eines angelsächsischen Gedichts. Bruchstück. Altepischer, an den Beowulf anklingender Ton. Es er­ möglicht — nach B. Scheffel, der 1876 eine Übersetzung des Gedichts in Nibelungenversen erscheinen ließ — eine Vorstellung, in welcher Art und Gestalt lange vor der lateinischen Nachbildung ein deutsches Stabreimlied von Walther und Hiltgunde bekannt gewesen sein mag.)

Geistliche Poeste: 5. Das Wessobrunner Gebet.

(Um 900.

Es war vielleicht der An­

fang einer poetischen Bearbeitung einer biblischen Geschichte. Allitterierend. Inhalt: Gottes Gnade gegen die Gläubigen. „Gott gieb Glauben und guten

Willen und Kraft rc., Teufeln zu widerstehen und arg zu vertreiben und deinen Willen zu wirken" u. s. w.)

6. Der Heliand (— Heiland; eine altsächsische Evangelienharmonie, die, Messiade des IX. Jahrhunderts.

Allitteration).

7. Muspilli (ags: mud-spelli -- Weltbrand, Feuer des jüngsten Tages; stammt aus der Zeit Ludwigs des Deutschen und schildert das Ende

der Welt; steht — nach Vilmar — an Erhabenheit der Schilderung nur der H. Schrift nach). 8. Otfried s Evangelienharmonie: Krist (über evangeliorum Evangelienbuch; Ludwig dem Deutschen vom Benedictiner Otfried in Weißenburg

868 gewidmet.

4zeilig. poetisch). 9.

Es ist das erste metrische und gereimte Gedicht.

Reimpaare.

Das

Verwerfung

alten Allitteration.

der

Ludwigs-Lied.

(Auf den

des

Sieg

insofern

zu rechnen,

als Ludwig

un­

Westfranken-Königs

Ludwig III. über die Normannen bei Saucourt 881 gedichtet.

lichen Gesängen

Strophe

Unvolksmäßig,

dem Dichter

Zu den geist­ als

Gottes­

streiter erscheint.)

II. Periode 1150—1300. Überblick und Charakter der Periode. Tie ist die erste goldene Periode und bietet Volkstümliches und Ritterliches; nämlich Nationalepos und Minnesang. Durch die Kreuz­ züge wurde der geistige Horizont der Denkfähigen erweitert. Das

44

Deutschland der großen Hohenstaufen (1138—1254) erstarkte immer mehr, und die deutsche Litteratur, die aus den Händen der Geistlichen in die des Volks überging, nahm raschen Aufschwung. Die Reihe der Sagen vereinigte sich zum Heldengedichte. Sodann entfaltete sich die Lyrik zur Blüte. Alle Schriftwerke entstanden in schwäbischer oder mittel­ hochdeutscher Sprache. (Die Baukunst erreichte ihren Höhepunkt. Malerei wurde in Malerschulen gepflegt.) An die lyrische Poesie reihte sich die didaktische in ihren Anfängen.

Inhalt der 2. Periode.

A. Epische Poesie. a. Volüsepos. 1. Das Nationalepos Nibelungenlied. (Es zerfallt in 2 Teile: I. Siegfrieds Tod, II. Der Nibelungen Not oder Kriemhildens Rache. Inhalt: I. Siegfried wirbt um Gunthers Schwester Kriemhild. Gunther sagt unter der Bedingung zu, daß Siegfried die Brunhild sWalküre^ auf Jsenstein sJsland^ ihm erkämpfe. Dies geschieht mit Hilfe der Tarnkappe. Sieg­ fried begeht die Thorheit, ihr in einem zweiten Kampfe Gürtel und Ring zu nehmen und dieselben der Kriemhild zu schenken. Diese rühmt sich bei einem Streit mit Brunhild dieser Geschenke, woraus Siegfried von dem seiner Herrin

getreuen Hagen meuchlerisch ermordet wird.

II. Kriemhild

vermählt

sich mit

dem Hunnenkönig Etzel, ladet die Burgunder 311 Besuch ein und nimmt fürchterliche Rache. -- Die Nibelungenklage schildert Etzels, Dietrichs und Hildebrands Schmerz, die den Kampf gegen die Burgunden überlebten.) (Zweites großes Volksepos

2. Gudrun.

aus

dem

13.

Jahrhundert.

Inhalt: Hagen, von einem Greif geraubt, tötet diesen, heiratet die ebenfalls geraubt gewesene Hilde. Beider Tochter, die junge Hilde, wird durch König Hetels Helden entführt. Der Letzteren Tochter ist nun Gudrun, welche vom Normannen Hartmut geraubt wird. Von dessen Mutter wird die spröde Gudrun

sehr schlecht behandelt,

weil

sie verschmäht,

Hartmuts Weib zu werden.

Da

erscheint Gudruns Geliebter und befreit kämpfend Gudrun.) Kleinere Volksepen aus dem Sagenkreis der Völkerwanderung

sind: 3.

Der große

Rosengarten.

(Inhalt:

Dietrichs

Kampf um

den

von 12 burgundischen Helden, darunter Gunther, Volker und Siegfried, ver­ teidigten Rosengarten Kriemhildens. Verwüstung durch den Riesen Jlsan. Die

Berner, darunter Dietrich, siegen.

Kriemhild giebt allen Siegern einen Rosen­

kranz und einen Kuß.) 4. Ortnit.

(Eroberung einer heidnischen Prinzessin mit Hilfe des Zwerges

Alberich; später wird der Held von einem Drachen verschlungen.)

5. Hugdietrich. heißt Wolfdietrich.)

(Er gewinnt durch List die schöne Hildburg; sein Sohn

45 (Kämpfe gegen seine drei Brüder, gegen einen Drachen,

6. Wolfdietrich.

Befreiung seiner Kriegsleute.) (Inhalt: Seine Brautwerber am Hofe in Konstan­

7. König Nother.

tinopel werden

gefangen genommen.

sie

Ein Spielmann bringt Wiedererlangung.)

und

und

entführt die Geliebte.

Abenteuer

bis

zur

(Inhalt: Dietrichs Kampf vor Ravenna, wo Etzels

8. Rabenschlacht. Söhne fallen). 9. Biterolf

Er löst sie

zurück nach Konstantinopel.

Dietleib.

und dient unerkannt Etzel,

bis

(Inhalt:

Biterolf

geht

ins Hunnenland

er von den Polen gefangen wird.

Er wird

befreit. Dietleib, der Sohn, sucht seinen Vater. Erst sind sich beide feindlich. Erkennung. Sie erhalten von Etzel das Steierland (Steiermark). Die unter 5—8

NB.

erwähnten

Erzählungen sind im Nibelungenvers

geschrieben.

b. Romantisches Epos (Lunftepos). a. Sagenkreis Karls de§ Großen.

1. Das Rolandslied vom Pfaffen Konrad.

(Inhalt: Karls Zug nach

Spanien gegen die Araber. Ganelon, der sich dem Tode geweiht glaubt, verrät das Frankenheer. Scheinbar unterwerfen sich die Araber. Der heimkehrende Karl läßt den Roland zurück, der nun im Thale Ronceval überfallen wird. Neuer Kampf Karls. Bestrafung Ganelons.) 2. Malagis. (Wie' dieser das Roß Bayart aus der Hölle holt.) 3. Wilhelm

gegen die Heiden.

Rennewart

in

von Oranse Wilhelm

seinen

Dienst,

von Wolfram

kommt der Gattin

der

von

Eschenbach.

in Oranse

(Kämpfe

zu Hilfe, nimmt

als Bruder der Gattin erkannt wird und

später fällt.) 4. Reinalt oder die Haimonskinder.

(Karls Kampf mit Haimons

vier Söhnen, unter denen Reinalt mit dem Hoffe Bayart, das später als Preis dem Karl überlassen wird, der bedeutendste,)

5. Flos und Blankflos von Konrad Flecke. (— Rose und Lilie. Inhalt:

Der König Feinir bemerkt, daß sein Sohn Flos die gefangene Blankflos liebt. Flos muß hierauf nach Mantua, Blankflos wird verkauft. Flos sucht sie und läßt sich in einem Blumenkorb zu ihr tragen. Gerettet wird sie sein Weib; die Tochter des Paares ist Karls des Großen Mutter Bertha.)

(i. Sagenkreis von König Artus und vom heiligen Gral.

König Artus sammelte auserlesene Ritter — die sog. Tafelrunde — um

sich,

nicht über 50.

Der h. Gral war die Abendmahlsschüssel, aus welcher

Christus das Osterlamm aß und mit der Josef von Arimathia das Blut Christi auffing.

Im Tempel Montsalwatsch leuchtete sie wunderbar und gab göttliche

Befehle kund.

Die edelsten Ritter



die

sog.

Templeisen — hüteten sie.

Viele Gedichte stehen mit dieser Sage in Beziehung:

46 1. Tristan und Isolde. (Von Gottfried von Straßburg.) 2. Jwein, der Ritter mit dem Löwen. (Hartmann von Aue.) 3. Wigalois, der Ritter mit dem Rade. (Wirnt von Grafenberg.) 4. Wigamur, der Ritter mit dem Adler. (Dichter unbekannt.) 5. Lanzelot vom See. (Ulrich von Zatzikhoven.) 6. Titurel. (Wolfram von Eschenbach) und 7. Parzival. (Von demselben. Sein Meisterwerk. Der Grundgedanke ist: Parzival, des abenteuerlichen Herumtreibens überdrüssig, zieht sich von der Welt zurück, läutert sein Inneres, gewinnt Gottvertrauen und erlangt das Königtum im Gral.) 8. Lohengrin (der Sohn Parzivals). Dichter unbekannt. NB. Richard Wagner hat diesem Sagenkreis die Stoffe zu seinen Musikdramen entlehnt.

y. Vereinzelte Sagen und poetische Erzählungen.

a. Umarbeitungen griechischer Zagen: 1. Pfaffen Lamprecht um

1170).

2. Eneit

(Äneide

Alexanderlied (vom von Heinrich von Vel-

deke, Vater des Minnesangs. Er wendet zum erstenmal kurze Reimpaare an). 3. Lied von Troja (von Herbort von Fritzlar um 1200). 4. Der trojanische Krieg (von Konrad von Würzburg um 1250).

b. Zagen und Erzählungen: 1. Die Sage vom Herzog Ernst. (Ernst, Stiefsohn Kaiser Konrads II., tötet den verleumderischen Pfalzgrafen Heinrich. Verbannt nimmt er das Kreuz. Abenteuer im Lebermeer, beim Magnetstein u. s. w. Rückkehr. Versöhnung.) 2. Die Sage vom Tann­ häuser. 3. Der arme Heinrich. (Aussätziger Ritter, den nur das Herz­ blut einer Jungfrau retten kann. Eine solche will sich opsern. Heinrich rettet sie vom Messer des Arztes. AIs ihn Gott dann gesunden ließ, heiratet er sie.) 4. Der gute Gerhard. 5. Der Pfaffe Amis (vom Stricker; ist eine Sammlung von lustigen Schwänken). ö. Legenden. 1. Das Annolied (um 1180, geht vom ersten Menschen Adam aus, um endlich den heiligen Erzbischof Anno von Köln zu feiern). 2. Marienleben (vom Mönch Wernher von Tegernsee 1173). 3. Barlaam und Josaphat von Rudolf von Hohen-Ems um 1220. (Die alte, erst in der Neuzeit wieder aufgefundene Quelle: das sanskr. Lalita-Vistara.) 4. Gregorius auf dem Steine. 5. Der heilige Alexius und der Sylvester (von Konrad von Würzburg).

€. Das TierePos.

Die schon aus frühester Zeit stammende Sage von Reinhart dem Fuchs ist später mehrmals bearbeitet worden, zuerst von Heinrich dem Glichesäre um 1150.

47 B. Lyrische Poesie (Minnesang und Minnelied).

a. {Beginn nn) Entwickelung der höfischen Lyrik durch Dichter der Lunstepik, z. B. Dietmar von Aist, Heinrich von Veldeke u. A. Wir haben Lieder von Kaisern, Fürsten, Rittern, z. B. von Barbarossas Sohn Heinrich VI., von Konrad dem Jungen (Konradin, in Neapel hingerichtet), von König Wenzel, Otto von Brandenburg, besonders von den unsterblichen Dichtern Hartmann von der Aue, Wolfram von Eschenbach, Walther von der Vogel­ weide, Ulrich von Liechtenstein, deren Zuhörer Ritter, edle Frauen und Fräulein waren, und die den Minnesang zur Blüte brachten. Außerdem sind zu nennen: Gottfried von Straßburg; Reinmar von Zweter; Nithart aus Bayern (begründet die höfische Dorfpoesie, welche besonders Hadlaub aus Zürich vervollkommnete).

b. Anskliugen höfischer Lyrik. Ulrich von Liechtenstein („Frauendienst", 1255 gedichtet), Heinrich von Meißen (genannt Frauenlob, -j- 1318 zu Mainz), Barthel Regenbogen (Schmied, führt das bürgerliche Element in die Lyrik ein) u. s. w. (Man vergl. das umfassende 4bändige Werk: Minnesinger von F. von der Hagen, Leipzig 1838.) C. Didaktische Poesie (Lehrgedicht, Sprüche, Fabeln und sog. Lüchlcin).

1. König Tyrols von Schotten Lehren an seinen Sohn Friedebrant. 2.

Der

Winsbeke

und

die

Winsbekin,

Tochter (um 1250). 3. Freidanks Bescheidenheit,

Schatzgrube von Volksweisheit.) 4. Hugo von Trimbergs

die

Renner

Lehren

an

Sohn

(Eine

weltliche Bibel genannt. (der

Verfasser

aus

und

dem

Dorf

Trimberg bei Würzburg stammend, stellte 1309 unter der Allegorie eines Birnbaumes, dessen Früchte auf verschiedene Weise zu Grunde gehen, das Leben

und den Fall der Menschen dar). 5. Der wälsche Gast von

Thomasin

von

Zirklaere (weist

den

Bestand und Unbestand aller Tugenden und Laster nach). 6. Strickers Welt (eine Sammlung moralischer Erzählungen). 7. Bonerius' Edelstein (Sammlung von 99 Fabeln). 8. Jtwitz oder der Frauen Buch von Ulrich von Liechtenstein klagt

über Verfall des ritterlichen Frauendienstes. 9. Schachzabelbuch von Konrad von Ammenhausen reiht

an Gang

und Bedeutung der Schachbrett-Figuren moralische Lehren.

D. Dramatische Poesie. Nachdem

die Nonne Roswithe

zu Gandersheim

in lateinischer

Sprache

dem Terenz nachgebildete Schauspiele über biblische Gegenstände, Legenden rc. geschrieben hatte, entstand um 1300 der Sängerkrieg aus der Wartburg als erster Versuch eines deutschnationalen Dramas. Es findet sich am Anfang des II. Bandes gegeben von F. v. d. Hagen.

der Minnesinger,

heraus -

48

III. Periode 1300-1517. Überblick und Charakter der Periode.

Schwinden des Poetischen. Überhandnahme des Prosaischen. Ab­ sterben der ersten Blüte deutscher Litteratur. Meistersänger. Form­ bestrebung. Didaktische Poesie. Universitäten. Inhalt der 3. Periode. A. Epische poesic.

a. Bearbeitung älterer Epen. 1. Kaspar von der Rön bearbeitete im Heldenbuch mehrere kleinere Volks epen (1473). Dieses Volksbuch ist 1867 von Ad. v. Keller neu heraus­

gegeben worden. — 2. Ulrich Furterer erzählt im Buch der Abenteuer die Sagen von Arms und vom heiligen Gral (1478).

b. Erzählungen: 1. Das Buch von den sieben weisen Meistern. Erzählt von Hans dem Büheler. Stoff aus dem Indischen. Inhalt: Der unschuldig verklagte Diokletian wird durch Erzählungen seiner Lehrer siebenmal gerettet. — 2. Peter von Staufenberg und die Meerfey um 1450 (Vorbild zu Fouque's Undine). c. Allegorische Erzählungen: 1. Sachsenhausen (f 1458.

Die Mörin von Hermann von Inhalt: Reise in den Venusberg, Treue des „treuen

Eckart"). — 2. Der Teuerdank.

teuer denkt.

Inhalt:

(So genannt, weil der Held an Aben­

Geschichte seiner Jugend unter dem

allegorischen Bilde

einer Brautfahrt des Teuerdank zur Ehrenreich, des Königs Ruhmreich Tochter,

oder besser: Werbung um Ehrenreich, die schöne Tochter Ruhmreichs, d. i. Karls des Kühnen von Burgund, Abenteuer 2c. Verfasser ist des Kaisers Maximilian I. Kanzler Melchior von Pfinzing aus Nürnberg. In dieser Stadt steht noch gegen­

über der Sebalduskirche der reichverzierte Erker, in welchem der Teuerdank ge­ schrieben wurde.)

B. Lyrische Poesie. a. Letzte Minnesinger: Hugo von Montfort

(ch 1423) und Oswald

von Wolkenstein (f 1445).

b. Meistersänger: Michael Beheim (f 1469); Heinrich von Mügeln (um 1400) und Andere, welche unter didaktischer Poesie re. zu nennen sind. C. Volbsliedersamrnlung der Klara Hätzlerin aus d. Geistliche Lieber: Heinrich von Lauffenberg (f C. Didaktische Poesie. a. Spruchdichtungen und priameln. Peter Heinrich der Teichner von Wien (um 1377.) Folz (um 1450.)

Augsburg (1471).

1458).

Suchenwirt (um Rosenblüt (um 1450.)

1377). Hans

49

b. Satiren. Seb. Brant (Narrenschiff). Thomas Murner (um 1500 ; Narrenbeschwörung und die Schelmenzunft. Gedruckt 1512. Murner ist Gegner Luthers und gehört auch der folgenden Periode an). c. Fabeln und Lehrgedichte.

Gerhard von Minden (niederd. um 1370.)

D. Dramatische Poesie. Religiöse Terte.

Aufführungen derselben im Freien.

Vermischung des

Ernsten mit dem Komischen. Mysterien aus der Heiligengeschichte. Erhalten sind uns: 1. Drei Schauspiele (1. Mariä Himmelfahrt; 2. Christi Auferstehung und Fronleichnam; 3. Alsfelder Passionsspiel. Verfasser unbekannt). 2. Fastnachtsspiele von Hans Nosenblüt und Hans Folz. 3. Das Spiel von Frau Jütten (Päpstin Johanna) vom Geistlichen Theod. Schernbergk.

IV. Periode 1517—1624 (Luther bis Opitz). Überblick

und

Charakter der

Periode.

Eindringen fremdländischer Kultur, Studium des klassischen Alter­ tums (Melanchthon, Erasmus). Erste Zeichen einer neuen Entwick­ lungsweise der deutschen Litteratur. Absterben der epischen Poesie. War es bisher der nationale litterarische Stoff, um den sich die Schriftsteller gruppierten, so treten nunmehr litterarische Persönlichkeiten in den Vordergrund, an welche die mancherlei schriftstellerischen Leistungen sich anlehnen. Erwachende Malerkunst re.

Inhalt der 4. Periode. A. Epische Poesie.

a. Volksbücher im prosagewande. 2. Die Sage vom ewigen Juden.

3. Faust.

1. Till Eulenspiegel (1538). 4. Lalenbuch (Schildbürger).

b. Erzählungen und Schwänke. Hans Sachs (t 1576). Joh. Fischart (f 1590; das glückhaft Schiff). Joh. Pauli (Schimpf und Ernst, 700 Er­ zählungen, 1522).

c. Tierepos. Fischart (Floh-Hatz). Rollenhagen (f 1609. Sein „Froschmäuseler" bespricht der Frösche und Mäuse wunderbare Hofhaltung; satirisch-allegorisch). Spangenberg (der Ganskönig, 1607). B. Lyrische Poesie.

a. Das Kirchenlied, Jonas (f 1555).

vr. M. Luther. Paul Speratus(-f 1554). Justus Ph. Nicolai (-J- 1608). B. Ringwaldt (t 1598) u. A.

Beyer, Deutsche Poetik I.

4

50

b. Weltliches Lieb. Geistlos von den Meistersängern weiter gepflegt (viele Beispiele abgedruckt in Hoffmann von Fallersleben Gesellschaftsliedern des

16. Jahrhunderts). c. Freie Bearbeitung der Psalmen

im Geiste der Minnesinger. Burkart Waldis (der Psalter). Paul Melissus (Umdichtung von 50 Psalmen. Dichtete die ersten deutschen Sonette und Terzinen).

C. vi-atttischc Poesie. a. Fabeln. Burkart Waldis (f 1556).

Erasmus Alberus aus Heffen

(+ 1553).

b. Satiren. Gesprächsbüchlein).

Ulrich von Hutten (f 1523. Satiren gegen den Papst und Joh. Fischart. (Der Bienenkorb; Jesuitenhütlein). Kaspar

Scheidt (des Vorigen Lehrer f 1565.

c.

Der Grobianus).

Lehrgedichte.

Hans Sachs (Landsknechtsspiegel). Joh. Fischart (Ehezuchtsbüchlein). Ringwaldt (Lautere Wahrheit; Warnung des treuen Eckart). D. Dramatische Poesie. (Erstes stehendes Hostheater.) Paul Rebhun (die gottesfürchtige und keusche Frau Susanna, ein geistliches Spiel). Hans Sachs (Fastnachtsspiele). Jakob Ayrer (j- 1605), kais. Notar zu Nürnberg, schrieb Schauspiele, Fastnachtsspiele, Singspiele. Niclas Manuel von Bern (f 1530. Fastnachtsspiele). Nicod. Frischlin von Tübingen (f 1590.

Tragödien und Komödien).

Herzog Heinrich Julius von Braunschweig (j 1613)

schrieb: Komödie vom Vinc. Ladislaus, Satrap von Mantua. Er errichtete das erste stehende Hoftheater. — Übersetzungen aus dem Griechischen und

Lateinischen; die ersten aus dem Englischen. — Auf Protest. Schulen und kathol. Jesuitenschulen bildete sich die Schulkomödie aus, deren Gegenstände der Bibel, der Geschichte und der Legende entstammten.

V. Periode 1624—1756. Überblick und Charakter der Periode. Von Opitz bis Klopstock (30jähriger Krieg bis 7jähriger Krieg). Überhandnahme des Fremdländischen infolge Verwilderung durch den 30jähr. Krieg; Verschmelzung desselben mit dem Deutschen. Sprach­ gesellschaften, sowie erste und zweite schlesische Dichterschule suchen zum Nationalen zurückzuführen. Kirchenlied bleibt national. Die didaktische Poesie gedeiht. Die epische verstummt. Im Drama Schäserspiel, welches den Übergang von dem sinnlich rohen Fastnachtsspiele zum edleren Drama bildet (Gryphius). Zuletzt Verdrängung des französischen durchs englische und durch die Alten. Für die Periode ist bezeichnend die Bildung von Sprachgesellschaften. — a. Die fruchtbringende Ge­ sellschaft oder der Palmenorden, gestiftet 1617 durch Kaspar von Teut­ leben zu Weimar. — b. Die deutschgesinnte Genossenschaft (Rosen-

51

gesellschaft) von Philipp von Zesen aus Anhalt 1643 gegründet. — c. Der Elbschwanenorden von Johann Rist aus Holstein 1667. — d. Der gekrönte Blumenorden, oder Gesellschaft der Hirten an der Pegnitz (Pegnitzschäfer), 1644 zu Nürnberg von Klai (Pfarrer in Kitzingen) und Harsdörffer gegründet. (Letzterer schrieb: Der poe­ tische Trichter re.) — e. Die poetische Gesellschaft in Leipzig, 1722 von Menke gestiftet.

Inhalt der 5. Periode. Vorläufer der 1. schlesischen Schule: 1. Georg Rud. Weckherlin (Sprache und Stil gewählt; er führt das Sonett ein). 2. Friedr. Spee von Lengenfeld (Streben, der Poesie eine Metrik zu schaffen). Erste schlesische Schule. den Alexandriner.)

(Verständigkeit, Nüchternheit, Vorliebe für Martin Opitz (f 1639 an der Pest. Führt 1624 statt

Silbenzählung die Silbenmessung ein. Vater der deutschen Poesie. Führer der Schule). Paul Flemming (f 1640, bester Lyriker der 1. schlesischen Schule). Andr. Gryphius (f 1664 ; ihr bester Dramatiker). Fr. v. Logau (f 1655, Hauptsinndichter des Jahrhunderts, gegen Andr. Tscherning (f 1659 als Professor in Rostock).

3000

Sinngedichte).

Vorläufer der 2. schlesischen Schule. Dietrich von dem Werder (t 1657. Pflegt die epische Poesie. Zeit-Roman Diana. Dichtet Sonette). Simon Dach (Dichter des „Ännchen von Tharau" rc., y 1659). Johann Rist (y 1667). Joh. Heermann.

Joachim. Neander.

Geistliche Lieder dichteten: Paul Gerhardt. Georg Neumark. Joh. Scheffler (Angelus Silesius). Sigm. von Birken.

Chr. Knorr.

Kaspar Schade (f 1698).

Martin Rinckart

aus Eilenburg. Sam. Rodigast u. A. Joachim Rachel war der Schöpfer der poetischen Satire in Deutschland.

Zweite schlesische Schule. Sie verabscheut das Verständige, erstrebt vielmehr das Gefühlvolle und verschmäht selbst das Schlüpfrige nicht. Ihr Kriterium ist weniger Reinheit der Form, als schwülstige oder gesuchte Wort­ malerei. Vertreter: Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau (f 1679. Er fand leicht Beifall, da durch den 30jährigen Krieg gänzliche Geisteserschlaf-

sung eingetreten war).

Daniel Kaspar von Lohenstein (f 1683. „ Lohenstein -

scher Schwulst" war sprichwörtlich. „Hermann und Thusnelda").

Er

schrieb den besten Roman seiner Zeit:

Reaction gegen diese Schule und Dichter des Übergangs. Christian Wernicke

(bekämpft

die

2.

schlesische

Schule.

Die Komödie

Hunolds „der schwärmende Poet" beantwortet er mit dem satirischen Helden­ gedicht „Hans Sachs"). Fr. Rud. Ludw. von Canitz. Heinrich Brockes (bilder­ reicher Naturdichter). I. Christ. Günther (f 1723; Goethe nennt ihn einen Dichter im vollsten Sinne des Wortes). französ. Geschmack).

Joh. von Besser (ch 1729.

Hofpoet in Berlin,

_____ 52

A. Epische Poesie. a. Roman. Phil, von Zesen. Andr. Heinrich Bucholtz (Wundergeschichten),

v. Lohenstein (Hermann und Thusnelda). Heinr. Anselm von Ziegler (Die Asiatische Banise oder

blutiges,

doch mutiges Pegu).

Christoffel von Grimmelshausen

(Anfangs des 30jährigen Kriegs zu Gelnhausen geboren, schrieb den humor­ reichen, bedeutenden Simplicissimus. Der Held dieses Zeitbildes ist ein wunder­ liches Gemisch von tölpischer Einfalt und Eulenspiegelscher Verschmitztheit, von Edelmuth

und Gemeinheit,

der am Ende seines Lebens das traurige Geständ­

nis ablegt, sein Leib sei müde, sein Verstand verwirrt, seine Unschuld dahin und die Zeit verloren. Der Noman schildert naturwahr die Zeit des 30jährigen Kriegs. — 1862 durch Adalbert von Keller neu herausgegeben).

b. Die Schäfereien oder Schäferromane.

Durch Opitz'

„Schäferei

von der Nymphe Hercynia" hervorgerufen und von den Pegnitzschäfern gepflegt. B. Lyrische Poesie.

Hauptsächlich von Dichtern geistlicher Lieder im Kirchenlied gepflegt. S. 51 d. B., sowie Bd. II. § 70.)

(Vgl.

C. Didaktische Poesie.

Sie gedieh in dieser Periode am meisten.

a. Satire. Hans Wilms en Laurenberg (plattdeutsch). Hans Mich. Moscherosch (f 1669, aus dem Elsaß, schrieb: Gesichte Philanders von Sitte­ wald. Er nahm alle Stände zur Zielscheibe). (Judas der Erzschelm in 4 Bänden).

Abraham

a

Santa

Clara

b. Spruchdichtung und Epigramm. Fr. von Logau. Chr. Wernicke. Joh. Grob. Joh. Scheffler (Cherubinischer Wandersmann). Zincgref (7 1635. Scharfsinnige Sprüche der Deutschen).

c. Lehrgedicht. Opitz (Zlatna, von der Ruhe des Gemüts. Der Vesuvius). D. Dramatische Poesie.

a. Schäferfpiete. Besser.

Sie wurden durch Opitz' Daphne eingeführt.

I. von

Jak. Schwieger.

b. Drama. Übersetzungen englischer Dramen (Durch Dan. Schwenter, Professor zu Altdorf, f 1636). Übersetzung des Seneka (durch Opitz). Er­ freuliches leistete Gryphius, der aus den gewöhnlichen Volks- und Fastnachts­ spielen das Drama herausarbeitete. Christ. Weise (schrieb Schuldramen).

c. Singspiel, begründet durch I. G. Staden (f 1636), gepflegt durch Opitz' Übersetzungen aus dem Italienischen.

VI. Periode 1756-1772. Überblick und Charakter der Periode. Von Klopstock bis Herder, Schiller, Goethe. Geltendmachung des Christlichen, Nationalen und Altklassischen. Verdrängung des

Französischen durch das Englische und die Alten. Entwicklung der durch Wernicke vorbereiteten Kritik. Malerkunst, Bildhauerkunst, Musik. Vorbereitung der zweiten Blüte deutscher Litteratur. Anerkennung des Neuhochdeutschen.

Inhalt d er 6. Periode. a. Streit -er Leipziger und Schweizer über das Wesen eines guten Gedichts (vgl. §. 12 b. B.). Joh. Christop h Gottsched, Professor in Leipzig (f 1766), wandelte die poetische Gesellschaft dort in die deutsche Gesellschaft um.

Er reinigte die

Sprache, verbannte den Hanswurst vom Theater und bekämpfte das Geistlose der Oper. Seine Frau Luise (f 1762) besaß mehr Geschmack als er, pflegte

das Lustspiel, schrieb z. B. die Haussranzösin, übersetzte Pope 2c. Anhänger Gottscheds: Johann Joachim Schwabe, Christian Naumann und Christoph Otto von Schönaich (f 1805. Verfasser der Heldengedichte „Her­ mann" und „Heinrich der Vogler"). I. I. Bodmer 0-1783. Munterte junge Dichter auf. Gab heraus: Die Minnesinger, die Nibelungen). — Anhänger: I. I. Breitinger 0-1776. Feiner Kritiker.

Siegte in Gemeinschaft mit Bodmer über Gottsched).

b. Selbständige Dichter: Friedrich von Hagedorn (f 1754. des heiteren, leichten Liedes).

Schöpfer Albr. v. Haller (j- 1777, Mediciner, bedeutend

in der Lehrdichtung).

c. „Drewer Deiträger". Im Gegensatze zu Schwabes Schrift „Belustig­ Verstandes und Witzes" gründeten

des

ungen

sie

— ihren Lehrer Gottsched

verlassend und sich an Hagedorn anlehnend — 1744 in Bremen die Zeitschrift:

„Neue Beiträge zum Vergnügen des Verstandes und Witzes", daher ihr Name Bremer Beiträger — oder nach dem Vaterlande der besten unter ihnen Sächsische Schule. K. Christian Gärtner (-}- 1791, leitete die Auswahl der

Beiträge für obige Zeitschrift, in der kein persönlicher Angriff erfolgen durste). — Gottlieb Wilh. Rabener 0- 1771; Satiren, Briefe; geißelt Landjunker, Bet­ schwestern rc.). Friedr. Wilh. Zachariä 0- 1777, komische Heldengedichte). Die Brüder Schlegel, a. Johann Elias Schlegel (f 1749, schrieb acht Trauer­ spiele). b. Joh. Adolf Schlegel (f 1793, schrieb Kirchenlieder). Friedr. von

Cronegk 0- 1758 als 27jähriger Jüngling; Preis-Trauerspiel: Codrus). I. A. Ebert 0- 1795, übersetzt Aoungs Nachtgedanken). Nik. Dietr. Giseke 0- 1765, dichtet Liebesglück in drei Gesängen).

schrift:

Der

Jüngling).

Chr.

Joh. Andr. Cramer 0- 1788.

Fürchtegott Gellert

(f

1769.

Wochen­

Volksdichter.

Fabeln und geistliche Lieder).

d. Fabel- und Lehrdichter. Willamow

0-

1777).

Gottlieb

M. G. Lichtwer 0- 1783).

Konr.

Pfeffel

0-

1809,

heitere

I. G. Fabeln).

Fr. von Creuz 0- 1770; „Die Gräber" sind Uoungs Nachtgedanken nach­ gebildet). Joh. Phil. Lor. Withof (f 1789). Joh. Jak. Dusch (f 1787;

„Die Wissenschaften", ein Lehrgedicht).

54

e. Geistliche Liederdichter. Benj. Schmolck (f 1737). L. Laurentii (f 1722). I. A. Freylinghausen (f 1739). E. Neumeister (f 1756; dichtete über 700 Lieder). K. H. von Bogatzky (f 1774; über 400 geistliche Lieder). PH. Fr. Hiller (f 1769). I. I. Nambach (f 1735). k. Halberstädter Vichterkreis. Mittelpunkt desselben war I. W. L. Gleim in Halberstadt. Weil die Mitglieder desselben fast alle in Preußen wohnten und Friedrich den Großen feierten, nannte man sie auch Preußische Dichter. Nach dem Vorbilde des heiteren Anakreon priesen sie Liebe, Wein, fröhliche Lebenslust, daher ihr zweiter Name: Anakreontiker. Ludwig Gleim (f 1803, dichtete gute Lieder und Fabeln. Nachbildung der Minnesinger und Petrarkas. Eigentümliche kurze Lehrgedichte im roten Buche oder Halladat als Ergebnis seines Studiums des Korans). Ewald Ehrist. von Kleist (f 1759 an den in der Schlacht bei Kunersdorf erhaltenen Wunden). Johann Peter Uz (f 1796). K. W. Ramler (f 1798, Oden und Kantaten). I. G. Jacobi (t 1814). Joh. Nik. Götz (-ß 1781). Joh. Benj. Michaelis (f 1772. Fabeln, z. B. Milchtops). Klamer Schmidt (f 1824). Günther von Göckingk (-j- 1828 ; Lieder zweier Liebenden). Anna Luise Karschin (j* 1791. Jmprovisatrice).

g. Llopstock mit den Garden und Zdqllendichtern. Fr. Gottl. Klopstock (1724—1803) Verschmelzung des Deutschen, Christ­ lichen und Altklassischen. Als Lyriker bereitet er die 2. Blüteperiode unserer Litte­ ratur wesentlich vor. Schiller verdunkelte ihn bald und zeigte das Steife seiner Poesie. Die Barden: K. Fr. Kretschmann (f 1809). Joh. Mich. Kosm. Denis (f 1800). Karl Mastalier (f 1795). Die Jdyllendichter: Sal. Geßner (f 1787). Franz Xav. Bronner (t 1850).

h. LestlNg. Gotthold Ephraim Lessing, der zweite große Geist, der die deutsche Litteratur neu gestalten half (-ß 1781 zu Braunschweig).

i. Satiriker: Christian Ludw. Liskow (f 1760. Gegen die Viel­ schreiberei). Aloys Blumauer (f 1798. Travestierte Äneis). I. I. Pyra; I. Casp. Rost; S. Gotth. Lange (richteten Satiren gegen Gottsched).

k. Dramatiker: I. I. Engel (f 1802). A. Wilh. Jffland. Aug. v. Kotzebue. Chr. Felix Weiße. Brüder Schlegel und I. Fr? v. Cronegk. W. von Brawe. Wilh. Gotter. Wilh. v. Gerstenberg (f 1823. Ugolino ist die von Dante erzählte Hungertodsgeschichte in dramatisierter Form). Cornel. Henn, von Ayrenhoff. I. Fr. Bretzner (Lustspiele). Fr. Ludwig Schröder.

l. Wieland und die Hitterbidjter. Christoph Martin Wieland (f 1813. War dem französischen Geiste zu­ gethan, phantastereich. In Prosa wie in Poesie gleich fruchtbar. Schrieb meist für die feine gebildete Welt. Glättete unsere Sprache. Gab durch Übersetzen Einblick in fremde Litteraturen. Schuf den philosophischen Roman (Agathon). Wurde Vorbild der Ritterdichter und Romanschreiber. Ritter­ dichter: von Nicolay, von Alxinger (Doolin von Mainz), Fr. Aug. Mütter (Richard Löwenherz).

55 m. Musäus und Hermes. (Schufen den empfindsamen Roman, wie Wieland den philosophischen. Sie haben mit Wieland überhaupt die ersten vollkommenen deutschen Romane geschrieben. Gellerts „Schwedische Gräfin" ist nur Versuch.) Musäus (j* 1787. Phyfiognomische Reisen, Grandison der Zweite, Volks­ märchen). Hermes (j* 1821. Seine Romane sind Spiegel für die Frauen). n. Göttinger Dichterbund (Hainbund). In einem Hain bei Göt­ tingen am 12. September 1772 bei Vollmond gestiftet. Verehrung Klopstocks und des Vaterländischen, Bekämpfung des Französischen rc. Boie (f 1806, Haupt des Vereins, Musenalmanach und deutsches Mu­ seum). Gottfr. Aug. Bürger (j* 1794. Bedeutender Volksdichter). Ludw. Heinr. Cph. Hölty (*j* 1776. Elegiker). Joh. Heinr. Voß (j* 1826. Dichter und Übersetzer. Idyllen z. B. Luise und Der 70. Geburtstag). Die Brüder Stolberg, a. Christian (f 1821); b. Friedr. Leopold (f 1819); dichtete „Sohn, da hast du meinen Speer". Joh. Ant. Leisewitz (f 1806). Mathias Claudius (-f 1815, Volksdichter. „Wandsbecker Bote", ein Volksblatt). Chr. Adolf Overbeck (j* 1821, zarte Lyriken). Joh. Martin Miller ('s 1814, sentimentale Romane, wozu Goethes „Werthers Leiden" das Muster war) und der Pfälzer I. Ph. Hahn.

0. Nachfolger des Hainbunds. (Sie folgten der lyrischen Richtung desselben.) Joh. Gaudenz von Salis-Seewis (f 1834). Friedr. v. Matthisson (f 1831, seine Poesie hat zu viel Mosaik = Schmuck). Joh. Gottfr. Seume (f 1810). Cph. Aug. Tiedge (f 1840. Hauptwerk: das Lehrgedicht „Urania").

Ludw. Theobul Kosegarten (f 1818, idyllische Epen). Jens Baggesen (f 1826, das idyll. Epos: Parthenais). K. Philipp Conz (f 1827, Lyriker und Über­ setzer des Seneka, des Tyrtäus, des Äschylus und des Aristophanes rc.). Chr. Ludwig Neusser (f 1839 in Ulm. Idyllen). Siegfr. Aug. Mahlmann (f 1826. Das schöne Vaterunser „Du hast deine Säulen"; 2 Bände Lyriken). Luise Brachmann (f 1822 in der Saale). Jos. Cph. Friedrich Haug (| 1829, Epi­

grammatiker).

Fr. Christoph Weißer (f 1836 in Stuttgart).

p. Dialektdichter dieser und der späteren Perioden'.

Bahnbrecher

war I. H. Voß durch seine niedersächsischen Idyllen de Winterawend und de Geldhapers Nr. 5 und Nr. 7 der Idyllen. I. Peter Hebel (f 1826. Gedichte in schwäbischer Mundart, von ihm „allemannische Gedichte" genannt). Außer ihm in schwäbischer Mundart: Sailer und Weitzmann. In mittelschwäbischer Mundart: Adolf Grimminger. In Frankfurter Mundart: Fr. Stoltze. In plattdeutscher Mundart: Wilhelm Bornemann, Klaus Groth, und Fr. Reuter. In schlesischer Mundart: Karl Eduard von Holtei. In Nürnberger Mundart: Konrad Grübel (1730—1809). In schweizerischer Mundart: Martin Ufteri (f 1827), Stutz und Hittnau. In bayrischer und pfälzischer Mundart: von Kobell (1803 in München geboren). K. Ch. G. Nadler (-ß 1849). In österr. Mundart: Castelli, Seidl, Joh. Nep. Vogl, von Klesheim, Stelzhammer und Rosegger. In Wupperthaler Mundart: Fr. Storck.

q. Epische Dichter, welche sich ebenso an Voß anreihen, wie die oben genannten Dialektdichter.

56 A. Gottlob Eberhard (f 1845. Hannchen und die Küchlein, idyll. Epos). Franz Anton von Sonnenberg (f 1805 durch Selbstmord, Donatoa). Karl Andr. v. Bogulawsky (j* 1817. Lanthippus). Baler. Wilh. Neubeck 0- 1850,

(|

1824.

Jobsiade).

Ladislaus Pyrker (f 1847. Tunisias).

Gesundbrunnen).

Karl Gottlieb

Adolf Friedrich Furchau (Arkona).

Konrad

Arnold

Prätzel (Feldherrnränke,

ein

Kortüm Epos).

Krug von Nidda (Skanderbeg).

r. Die Stürmer und Dränger. Als nach Klopstocks Leistungen (in Ode und Messias) der Hainbund in jugendlicher Begeisterung geschwärmt, traten noch eine Reihe „ Krastgenies " auf, die den Dichterparnaß gleichsam erstürmen

wollten. Nach Klingers Schauspiel „Sturm und Drang" erhielten sie ihren Namen. Es sind: I. G. Hamann, Reinhold Lenz, Reinhold Forster und I. G. Forster, Heinr. Jacobi, Wilh. Heinse (f 1803 in Aschaffenburg; berühmt ist sein Roman „Ardinghello", der die Malerei und Bildhauerkunst behandelt), Jung-Stilling (j* 1817), Maler Müller (j* 1825, Dramen: Niobe, Genovefa),

Max. von Klinger (f 1831; die falschen Spieler, Vorbild zu Schillers Räu­ bern rc.), I. Kasp. Lavater (j* 1801, berühmt durch seine physiognomischen Fragmente), Christ. Fr. Dan. Schubart (f 1791), Basedow, Campe, Salzmann, Pestalozzi (letztere vier Philanthropen, Reformatoren auf erziehlichen Gebieten).

Selbst Herder, Goethe, Schiller gehören in ihren Jugendperioden zu den Stür­ mern und Drängern, wie ja fast die sämmtlichen Dichter dieser kurzen Periode auch

der folgenden 7. Periode angehören. Teilweise wurden sie in der 6. Periode wegen ihrer inneren Verwandtschaft zur betreffenden Schule vorneweg aufgezählt.

VII. Periode 1772—1813. Überblick und Charakter der Periode.

Von Herder, Schiller, Goethe bis Fr. Rückert nebst den Dichtern der Befreiungskriege. Harmonie des Deutsch-Christlichen und Alt­ klassischen, Vollendung der zweiten Blüte der deutschen Litteratur. Allseitigkeit und Selbständigkeit. Inhalt der 7.

Periode.

Weimars Mustnhof. Nach Rücktritt seiner Mutter Anna Amalia übernahm in Weimar Karl August die Regierung und berief die berühmtesten litterarischen Persönlichkeiten an seinen Hof, wo er ihnen persönliche Freundschaft bewies und Weimar zum Sammelplatz der größten Geister der Zeit erhob. —

Wieland (1733—1813) war schon durch Anna Amalie gerufen und ist somit der Älteste des Musenhofes. Ihm folgte: Joh.

Gottfried

von

Herder

(1744 —1803).

Er

öffnete die

Schätze

des Auslandes und regte die Weltlitteratur an; sein Vorzüglichstes ist: Stimmen

der Völker in Liedern; Cid; Parabeln und Paramythien. Friedr. v. Schiller (1759—1805.

matiker.

Liebling der Nation.

Erster Dra­

Entwickelung: a. Zeit der jugendlichen Naturpoesie bis 1787, Räuber rc.

57 b. Wissenschaftliche Läuterung bis 1795.

Geschichtliche Schriften,

c. Gereiste Kunstpoesie bis 1805.

fall der Niederlande rc.

nationalen Lyrik und im nationalen Drama. Hervorragendstes: Wallenstein, Maria Stuart, Jungfrau von Orleans, Tell rc.).

Wolfgang

von

Goethe.

(1749 —1832.

Muster alH Prosaist, Epiker und Lyriker. und Drangs

bis

1786.

Götz.

z. B. Ab­

Klassicität in der

Deutschlands

Die Glocke, Dichterfürst.

Entwickelung: a. Zeit des Sturms

b. Ideale Schöpfung

bis 1807.

Egmont,

Tasso, Jphigenia. c. Elegante Periode bis 1832. Wahlverwandtschaften, westöstl. Divan). Zum Musenhof gehören noch: K. Ludw. v. Knebel (f 1834, lyrisch; Über­

setzungen aus Properz rc.). Karl Aug. Böttiger (f 1835). D. Johannes Falk (f 1826). Christoph Bode (f 1793. Übersetzt Sternes Aorik; Goldsmiths Dorfprediger rc.). Friedr. Justin Bertuch (j* 1822. Übersetzungen von Don Qui­

xote; Bilderbuch in 237 Heften). K. Sigm. von Seckendorf (f 1785; liefert portugiesische Übersetzungen, Trauer- und Singspiele, Lieder). Fr. Hildebrand von Einsiedel (| 1828, Übersetzung des Terenz rc.). Amalie von Helvig (f 1831, Malerin und Schriftstellerin, schrieb z. B. „Die Schwestern von Lesbos", über­ setzte die Frithjofs-Sage).

A. Lyriker. I. H. Wilhelm Witschel (f 1847, religiöse Lyriken). Karl Lappe (f 1843, religiöse Lyrik). I. Baptist von Albertini (f 1831, religiöse Lyrik). Wilhelm Justi (f 1846; religiöse Lyrik). K. Bernh. Garve (f 1841, religiöse Lyrik).

Friedr. von Meyer (f 1849;

Jgn. Heinr. K. von Wessenberg (religiöse Lyrik).

religiöse Lyrik).

Christian Kuffner (f 1846; Lyrisches und Didaktisches).

Hohlstett

Lieder).

(zarte

Al. Wilh.

(f

Karoline Rudolphi (f 1811) und Elisa

von

Chr.

1841;

Lieder,

Sagen).

der Recke (f

1833)

schrieben

Schreiber

lyrische Gedichte; desgl. Friederike Brun (f 1835). Helmine von Chezy (f 1856 ;

Lyriken und Legenden). B. Didaktische Dichter.

Im Musenhof

war

das didaktische Element

durch Herder, Bertuch und

Falk vertreten. Außerdem durch Fr. Adolf Krummacher (f 1845, Parabeln und Paramythien). Agnes Franz (f 1843. Parabeln und Paramythien ähneln denen von Krummacher; ihr Lehrgedicht „Christbaum"

erinnert an Schillers Glocke).

VC. Dramatische Dichter.

Die wenigsten Dichter wagten es neben Goethe und Schiller das höhere

Drama zu bearbeiten. Sie wandten sich lieber dem Ritterschauspiel und dem Familiendrama zu, ahmten entweder im ersten Fall Goethes Götz, oder im letzteren Goethes Stella Jos. Aug. Graf

und Schillers Kabale und Liebe nach. von Törring (f 1826, Agnes Bernauerin).

Jos. Maria v. Babo (f 1822, Otto von Wittelsbach).

Frz.

Otto Heinrich von Gem-

58 mingen (f 1822, Pygmalion). I. Friedr. Jünger (f 1797, auch kom. Romane). I. Chr. Brandes (f 1799. Der geadelte Kaufmann, sowie das erste Melodrama „Ariadne"). Fr. Kind (f 1843, Wilhelm der Eroberer. Text zum Freischütz rc.). Aug. Ernst von Steigentesch (f 1826, Mißverständ­ nisse). K. Wilh. Contessa (f 1825). Pius Alex. Wolff (f 1828. Der Hund des Aubry). Karl Gottfr. Theod. Winkler (f 1856; Strudelköpfchen rc.). K. Gottfr. Samuel Heun (pseud. Clauren. Der Abend im Posthause). Aug. Wilhelm Jfsland (f 1814, z. B. Die Jäger, sein bestes Schauspiel). Aug. von Kotzebue (1819 von Sand ermordet; schrieb über 200 Schauspiele). D. Epische Dichter. Sie bewiesen sich besonders in der prosaischen Gattung des Romans. Wielands Agathon, Musäus witzelnder Grandison, Hermes moralisierende Sophiens Reise, Goethes und Millers erste sentimentale Romane, Engels und Stillings Familienromane wirkten bahnbrechend. Außer ihnen sind zu nennen: Jean Paul Fr. Richter (-j- 1825) der bedeutendste Humorist Deutschlands; ist gewissermaßen die Ergänzung Schillers, der ein sittliches, und Goethes, der ein ästhetisches Bildungsziel verlangt, indem er die Harmonie des Gemüts betont. Während die beiden Heroen Schiller und Goethe dem altklassischen Geiste dienten, wandte sich Jean Paul dem modernen Leben zu und begründete die Periode der Roman­ tiker (Gefühlstiefe, poetischer Schwung, Witz, Satire mit Metaphernüberfluß rc. Titan, Flegeljahre, Siebenkäs rc.). Aug. von Thümmel (f 1817, Roman: Reisen in die mittäglichen Provinzen Frankreichs; komische Heldengedichte; Erzählungen, z. B. Jnoculation der Liebe). Th. Gottlieb v. Hippel (f 1796, launige Romane, z. B. Lebensläufe nach aussteigender Linie, und Kreuz- und Querzüge des Ritters A. bis Z.; geistliche Lieder). Chr. Ernst Graf von Bentzel-Sternau (f 1849; launige Romane). Ulrich Hegner (f 1840. Roman: die Molkenkur). Gottwert Müller (f 1828; Siegfried von Lindenberg, der den geistig beschränkten Landadel höhnt rc.). Adolf von Knigge (f 1796; heitere Romane; Über den Umgang mit Menschen rc.). Aug. Fr. Ernst Langbein

(f 1835; Balladen, Erzählungen und launige Romane). Aug. Heinr. Julius Lafontaine (f 1831, ein deutscher Lieblingsschriftsteller; Romane, z. B. Die Familie von Halden). Gustav Schilling (f 1839, Familien-Romane). A. Gottlieb Meißner (f 1807, geschichtliche Romane, z. B. Alcibiades). Ignatz Aurel. Feßler (f 1839, geschichtliche Romane, z. B. Mark Aurel). K. Gottlob Cramer (f 1817, Ritter- und Räuberromane). Chr. Heinr. Spieß (f 1799, abenteuerliche Romane, z. B. die Löwenritter). Chr. August Vulpius (Rinaldo Rinaldini rc.).

VIII. Periode 1813-1830. Überblick und Charakter der Periode.

Von Rückert und den Romantikern bis zum „jungen Deutschland". Bestreben, die durch Schiller und Goethe empor gehobene Poesie, die man als sonnig klare, klassisch kühle Gelehrtenpoesie bezeichnete, dem

59 Volksleben zu nähern, sie inniger, gefühlswärmer durch Entnahme des Stoffes aus dem romantischen Mittelalter zu machen. Das Aben­ teuerliche der Ritterzeit, der Glanz des Südens kam schon durch die südlichen Formen des Sonetts, der Terzine rc. zum Ausdruck, wie auch im Gegensatz zu Goethe und Schiller spanische, englische, italienische Dichter Vorbilder wurden, wie Calderon, Petrarka, Shakespeare. Die Romantik ist in dieser Periode herrschend.

Inhalt der 8.

Periode.

Romantiker. A. W. v. Schlegel (f 1845 in Bonn, kritischer Begründer der Schule; Übersetzer Calderons, Shakespeares ?c.; Sonette, Elegien). Fried­ rich von Schlegel (f 1829 in Dresden. Über die Sprache und Weisheit der

Inder). Ludwig Tieck (f 1853 in Berlin, Haupt der Schule, Lyriker, Dramatiker. Übersetzer lyrischer und epischer Gedichte der Minnesinger; Be­

arbeiter vieler Märchen, z. B. gestiefelter Kater, Rotkäppchen, Blaubart). Will). Heinr. Wackenroder (f 1798). Fr. v. Hardenberg (genannt Novalis, f 1801, Verschmelzung des Gläubigen mit der Poesie. Roman: Heinr. v. Ofterdingen, eine dithyrambische Verherrlichung der Poesie rc. Den Roman­ tikern verwandt.) Friedrich de la Motte - Fouque (f 1843, Pseudonym: Pellegrin. Heldengedichte, z. B. Sigurd, der Schlangentöter. Märchen, z. B. Undine; Dramen, z. B. Eginhard und Emma). Clemens Brentano (f 1842, Märchen, z. B. Gockel, Hinkel und Gackeleia; Lyrisches, Dramatisches rc.). Achim von Arnim (f 1831, Lyrisches; die Novellensammlung Wintergarten; Romane; Dramatisches). Ernst Schulze (f 1817; Psyche; Cäcilie; die be­ zauberte Rose). Adalb. von Chamisso (f 1838, bedeutend nach Form und Inhalt. Frauenliebe und Leben; Das Riesenspielzeug; Peter Schlemihl). Josef v. Eichendorff (ch 1857; bedeutender Lyriker. Roman: Aus dem Leben eines Taugenichts. Dramen). Friedrich Hölderlin (f 1843 als geisteskrank; Lyriken; klassische Form; romantischer Inhalt; gefühlsinnig; Hyperion, Roman in Briefen). Varnhagen von Ense (f 1858, Gedichte und Biographien). Seine Gattin Rahel (f 1833; Buch des Andenkens für ihre Freunde, aus ihrem Nachlaß veröffentlicht).

Übersetzer romantischer Poesien des Mittelalters. I. Dietrich Gries (f 1842; Tasso; Ariost rc.). Karl Streckfuß (f 1844; Ariost und Dante). K. Ludw. Kannegießer (ch 1861 ; Dante). Otto von der Malsburg (f 1824; Calderon).

Dramatiker der Romantik. Heinr. von Kleist (f 1811; Hermannsschlacht, Der zerbrochene Krug, Käthchen von Heilbronn). Ad. Öhlenschläger (f 1850, Correggio, zartsin­

niges , kunstschwärmerisches Drama). August Graf von Platen-Hallermund (f 1835, Anfangs Romantiker, was seine Komödien Der gläserne Pantoffel, Der Schatz des Rhampsinit beweisen. Er brach der modernen Lyrik die Bahn. Meister der Form. Oden; Polenlieder; Die Abbaffiden rc.). Karl Im mermann (f 1840, entzog sich, wie der ihn unter dem Namen „Nimmermann"

60 höhnende Platen, erst später dem Einflüsse der Romantik. Lustspiele und Trauerspiele, z. B. Das Auge der Liebe; das Trauerspiel in Tyrol). K. Fr. Gottlob Wetzel (f 1819, Jeanne d'Arc, Hermannfried. Er hat Schillers Pathos und zum Teil Shakespeares kecke Sprache). Die Brüder Collin aus Wien (f 1818 und 1824; Jambentragödien); ferner Klingemann aus Braunschweig (f 1831, Dramen, z. B. Cortez) ahmten Schillers Manier nach. Folgende vier Dichter mit romantischer Färbung schrieben Schicksalstragödien: Zacharias Werner (Der 24. Februar). Adolf Müllner (Die Schuld). Franz Grillparzer (Ahnfrau). E. von Houwald (Der Leuchtturm, das Bild).

Nomanschreiber -er Romantik. Durch den Einfluß der Romantik wird der Roman auf das christlich-mystische Gebiet hinüber gelenkt. Ernst Wagner (f 1812; Romane z. B. Wilibalds Ansichten des Lebens). Amadeus Hoffmann (f 1822; grausige Romane, z. B. Elixiere des Teufels). Heinrich Steffens (f 1845; phantasiereiche, gefühlvolle Romane, z. B. Malkolm). Heinr. Zschocke (f 1848, segensreich wirkende volkstümliche Romane, z. B. Branntweinpest, der Freihof von Aarau rc.). Wilh. Jacobs (f 1847, Frauenromane, z. B. Rosaliens Nachlaß). Stephan Schütze (t 1839, launige Romane, z. B. Der unsichtbare Prinz). L. Aug. Kähler (t 1855. Ernste Romane, z. B. Hermann von Löbeneck). Benedikte Neubert (f 1819; sie schrieb u. A. die Roman-Erzählung: Thekla von Thurn, aus welcher Schiller für den Wallenstein entlehnte). Karoline Pichler (f 1843, historische Romane, z. B. Agathokles). Johanna Schopenhauer (f 1838, Gabriele). Henriette Hanke (f 1862; bürgerliche Romane, z. B. Ehen werden im Himmel geschlossen).

Dichter der Befreiungskriege und der Übergangszeit. Sie preisen die Freiheit als höchstes Gut und bilden den Übergang zur modernen Poesie. Ernst Moritz Arndt (1769—1860, dichtete Vaterlandslieder). Max von Schenken­ dorf (f 1817, er ist den Romantikern am meisten verwandt). Theodor Körner (t 1813, Lieder in „Leier und Schwert" gesammelt, Erzählendes, Dramen, z. B. Zriny, Hedwig, Toni, Der Nachtwächter rc.). von Stägemann (f 1840, Kriegsgesänge). Die Brüder Follen (a. Adolf j- 1855, und b. Karl f 1839). Fr. Rückert (f 1866, geharnischte Sonette; Zeitgedichte).

Schwäbische Dichterschule und verwandte Dichter. Sie erinnern an die Romantiker durch viele ihrer Stoffe. Durch Anmut, schwäbische Gemütlichkeit, Volksmäßigkeit bilden sie mit Rückert den Übergang zur

modernen Lyrik. Ludwig Uhland (1787—1862, bedeutend als Lyriker, groß als Epiker, besonders als Balladendichter). Gust. Schwab (f 1850; Lieder, z. B. Bemooster Bursche zieh ich aus; Balladen und Romanzen, z. B. Der Reiter und der Bodensee). Justinus Andreas Chr. Kerner (f 1862; Volksdichter. Weltliche und religiöse Lieder, z. B. Stille Thräne. Sängers Trost. Wohlauf noch getrunken. Balladen. Romanzen. Poetische Erzählungen, z. B. Kaiser Rudolfs Ritt zum Grabe rc.). Eduard Mörike (f 1875, Kerners Geistes­ verwandter. Feiner Humor; liebt das Wunderbare. Vorzügliche weltliche und

61 geistliche Lieder z. B. Wo find ich Trost; Charwoche; Zum Neujahr. Epischem, z. B. Idylle vom Bodensee. Maler Nölten rc.). Gustav Pfizer (geb. 1807,

Der Wälsche

und der Deutsche,

sowie Lyrisches und Balladen). Karl Friedr.

Hartmann Mayer (f 1870, Lyrisches). Wilh. Waiblinger (f 1830, südliche

Glut, vier Erzählungen aus Griechenland, Bilder aus Rom, Trauerspiel: Anna Bullen). Emanuel Fröhlich (f 1865, Fabeln). Wilhelm Müller (f 1827, seine bedeutenden Griechenlieder stehen Platens Polenliedern gleich. Seine sonstigen Lieder, Müllerlieder, sind fast sämmtlich komponiert). Balthasar Wil­ helm Zimmermann (f 1878; Gedichte. Dramen, z. B. Masaniello). Chr. Jos. Matzerath (geb. 1815 ; Idylle Erntemahl rc. rc.).

Lyriken

und Balladen

im Tone

Uhlands; die

IX. Periode 1830—1870. Überblick und Charakter der Periode.

derne wart dieser durch tigen

Vom jungen Deutschland bis zum neuen Deutschen Reich. Mo­ Bestrebungen der Litteratur. Wahl des Stoffes aus der Gegen­ und Behandlung desselben im Geiste der Gegenwart. Die Dichter Periode haben nicht geleistet, was die Klassiker erreichten, aber Hinneigen zum frischen Leben der Gegenwart haben sie den rich­ Weg eingeschlagen.

Inhalt der 9. Periode. Das fnnge Deutschland.

Junge Schriftsteller, die mit kecker Ungeniert­

heit Staat, Kirche, Sitte und Sittlichkeit angriffen und in der öffentlichen Meinung

ihre Stütze suchten, proklamierten die Emanzipation des Fleisches, die Herrschaft des rein Menschlichen.

Die Vorläufer derselben wurden Börne und Heine.

Ludwig Börne (fi 1837, Prosaist, geißelte mit ätzender Schärfe in seinen aphoristischen

Schriften

das

Regierungssystem

in

Deutschland,

ferner Wolfg.

Menzel, den Franzosenfresser rc. rc.). Heinrich Heine (fi 1856). Dieser eminente Lyriker (Buch der Lieder) geißelt in „Deutschland ein Wintermärchen" humoristisch­

sarkastisch deutsche Zustände am Faden einer Reise von Paris nach Hamburg.

Sein „Atta Troll"

parodiert die plumpen unkünstlerischen

Gesinnungspoeten.

Der „Romanzero" ist witzig, frivol, voll Blasphemieen.

Repräsentanten des jungen Deutschlands sind: Ludolf Wienbarg (f 1872; widmete seine- „Ästhetischen Feldzüge" dem jungen Deutschland und gab ihm dadurch den Namen).

Karl Gutzkow (f 1878.

Sein Roman Wally zog ihm in Folge der Denunziation Menzels 3 Monate

Gefängnis zu wegen der Angriffe auf Religion und Ehe. tendste Talent des jungen Deutschland.

Er war das bedeu­

Seit 1839 hat er das von den Ro­

mantikern verlaffene Drama für die Bühne erobert.

Statt Femliegendem bringt

er interessante Lebensfragen auf die Bühne; liebt den Effekt, wirkt verstandes­ mäßig. „Urbild des Tartüffe" ist eine treffliche Spiegelung der Heuchelei. „Uriel Akosta" zeigt den Kampf des freien Denkens mit der Satzung wie mit

62 „Lenz

Herzens Pietät.

des

geißelt die Wohlthätigkeitsmanie.

Söhne"

und

Das historische Lustspiel „Zopf und Schwert" bietet ein erheiterndes Bild des

Zeitalters des Königs Fr. Wilhelm I. Ein herrliches Kulturgemälde der Gegen­ wart ist der 9bändige Roman: Die Ritter vom Geist). Heinrich Laube (geb. 1806, das Haupt der Stürmer, ist im Gegensatz zum grübelnden, gedanken­ erfindenden Gutzkow ein lebensprudelnder Realist. Romane; Reisenovellen; Dramen, z. B. Die Karlsschüler, Graf Essex). Theodor Mundt (f 1861,

weil seine Romane gelehrten Anstrich Matadore). Seine Gemahlin Louise

der Doktrinär des jungen Deutschland, haben, z. B. Thomas Münzer, Die

Mühlbach (f 1873; schrieb geschichtliche Romane ohne tieferen litterarischen Wert). Gustav Kühne (geb. 1806; hat glänzenden Stil; Novellen, Romane, Dramen, Neisebeschreibungen, z. B. Sospiri beschreibt einen Aufenthalt in Ve­ nedig). Herm. Marggraff (j- 1864; Lyriken, Dramen, launige Romane, z. B. Ge­ brüder Pech, Johannes Mackel). Ernst Willkomm (trieb die Richtung des jungen Deutschland auf die Spitze, z. B. Die Europamüden). Ihm ähnelt Jean Charles (= Braun von Braunthal in seinen den Materialismus predigenden Romanen, z. B. Schöne Welt). Wolfgang Menzel (f 1873; wurde später

aus dem Freunde der ärgste Widersacher Märchen. Rübezahl. Narzissus rc.).

der

Jungdeutschen.

Romantische

A. Lyrische Dichter.

a. Politische

fftjriher.

Sie sprachen

trotz

sich

Strafen und.Amts­

entsetzungen rücksichtslos gegen die Regierung aus und wurden Vorboten der Umwälzung von 1848. Georg Herwegh (f 1875; Gedichte eines Lebendigen).

Heinrich Hoffmann von

Fallersleben (f

Lieder aus der Schweiz).

Unpolitische Lieder, Deutsche

1874;

Robert Prutz (f 1872; Nheinlied, Gedichte.

Sein

Roman „Das Engelchen" behandelt das gedrückte Verhältnis der Fabrik-Arbeiter.

Dramen. Das satyrische Lustspiel: Die politische Wochenstube). Franz von Dingel­ stedt (f 1881; Lieder eines kosmopolitischen Nachtwächters ; Romane, z. B. Licht und Schatten in der Liebe). Ferdinand Freiligrath (f 1876; Ein Glaubensbekenntnis. Neue politische und soziale Gedichte. Zwischen den Garben. Übersetzer von V.

Hugo's Oden rc.).

Gottfr. Kinkel (Lyriken.

romantische Epos: Otto

Erwachenden.

eines

(t

1855;

Canzonen.

der Schütz).

Die

Märchen.

Sagen.

patriotische

Hymne:

Eine derselben

„O

Germania).

diese

Zeit"

Das

Legenden.

Moritz von Strachwitz (f 1847;

Max

beklagt die

Lieder

Waldau Partei­

zerrüttung des Vaterlandes).

b. Orientalische Tyriker. orientalischen Formen dem

Sie strebten den orientalischen Geist in deutschen Geiste zu vermählen. Rückert war in

seinen östlichen Rosen, in seinen Ghaselen und morgenländischen Epen Bahn­ brecher und Begründer dieser Schule, zu welcher folgende zählen: Leopold Schefer (f 1862,

Hellas.

Koran der Liebe.

feiert den

tiefe Empfindung,

Novellen.

Romane).

Muhammedanismus vor dem

Laienbrevier.

Hafis

in

Friedr. Daumer (f 1875,

Christentume und bekennt sich

zum

63 Frauenkultus, das Weib als göttlichstes Naturwunder verherrlichend. Liederblüten des Hafis). Heinr. Stieglitz (f 1849 an der Cholera. Seine Frau hatte sich 1834 selbst getötet, um ihres Mannes Tiefsinn zu heilen. Er schildert die äußere Natur des Orients in: Bilder des Orients). Friedrich Mart, von Bodenstedt (geb. 1819. Tausend und ein Tag im Orient. Mirza-Schaffy). Alex. Graf von Württemberg (f 1844, Gedichte. Lieder des Sturms). Ludwig Wihl (geb. 1807. Westöstl. Schwalben). Julius Hammer (f 1862. Gedichtsammlungen. Roman: Einkehr und Umkehr). Ed. Boas (y 1853. Sprüche und Lieder eines nordischen Braminen).

c. Philosophische Lyriker.

Poesie des Gedankens, kräftige Sittlichkeit

ist ihr Ziel. Julius Mosen (f 1867, Epen, z. B. Ahasver; Novellen, z. B. Der Gang nach dem Brunnen; Dramen, z. B. Cola Rienzi). Friedr. von Sallet (f 1843, Laien-Evangelium. Lustspiele. Märchen. Novellen). Titus Ullrich (geb. 1813; das hohe Lied). Wilhelm Jordan (geb. 1819 ; Dichter des Nibelunge. Sein Demiurgos ähnelt Goethes Faust, betrachtet alle Phasen moderner Entwicklung und führt den Gedanken durch: Zwar ist der Weltlauf der beste, doch soll der Mensch selbstthätig sein Ziel sich setzen und erreichen). Rud. v. Gottschall (geb. 1823 ; ein kräftig feuriger, bahnbrechender Geist, allseitig. Lie­ der der Gegenwart. Madonna Magdalena und die Göttin. Diese Gedichte behandeln die Frauenemanzipation und stellen den Gegensatz der Sinnlichkeit gegenüber dem christlichen Spiritualismus dar. Viele Dramen). Arnold Schlönbach (Welt­ seele, sich anlehnend an die neuesten Resultate der Naturwissenschaft).

d. Die österreichischen Lyriker.

Freiheitssehnsucht, Gemüt, Humor ist

ihr Charakter. Jos. Christian von Zedlitz (f 1862, Totenkränze, abgeschiedene Geister verherrlichend. Soldatenbüchlein, patriotische Gedichte. Wanderungen des Ahasver. Waldfräulein. Dramen). Nik. Nimbsch Edler von Strehlenau, genannt Nik. Lenau (f 1850 im Irrenhaus; Tiefe und Zartheit der Empfindung. Der größte Elegiker. Lyriken. Lyrisch-episch ist Faust. Savonarola und die Albingenser). . Graf Alex. v. Auersperg, genannt Anastasius Grün (-j- 1876; Blätter der Liebe. Spaziergänge eines Wiener Poeten. Schutt. Die Nibe­ lungen im Frack rc.). Karl Egon Ebert (f 1876; Böhmens bedeutendster Lyriker und Balladendichter, z. B. Frau Hitt). Karl Beck (f 1880; Lieder. Tragödie Saul rc.). Joh. Gabr. Seidl (f 1875; Lieder. Novellen). Joh. Nepomuk Vogl (geb. 1802. Lyriken, z. B. Die beiden Sänger). Ludw. August Frankl (geb. 1810, Lyriken, z. B. Waldtrost. Heldengedicht: Christoforo Colombo). Adolf Franckel (Wiener Gräber). K. Ferd. Dräxler-Manfred 1879, die Liedersammlung Blumensonntag. Novellen). Adolf von Tschabuschnigg (geb. 1809. Humoristische Novellen rc.). Heinr. von Levitschnigg (f 1862, Sammlung vermischter Gedichte, z. B. Rustan; Die letzte Fee rc.). Eduard Duller (f 1853, Lyriken, z. B. Der Fürst der Liebe. Romane, z. B. Loyola). Moritz Saphir 0- 1858, hieß früher Moses; Satiriker). Emst von Feuchtersleben (f 1849. ^Philosophische Lyriken.

64 Lieder, z. B. Es ist bestimmt in Gottes Rat). Alfred Meißner (geb. 1822, Böhmische Elegien. Lyrisch-episch: Ziska. Dramen. Die Satire Sohn des Atta Troll rc.). Moritz Hartmann (f 1872, die Sammlung Kelch und Schwert. Idyllen. Reimchronik des Pfaffen Mauritius). Herm. Rollet (geb, 1819; Liederkränze. Wanderbuch eines Wiener Poeten). Johannes Nord­ mann (geb. 1820. Lyriken. Novellenbuch. Roman: Aurelie). Ludwig Foglar (geb. 1820; Zypressen, Strahlen und Schatten. Elegische Gedichte, Romane, Novel­ len). Fr. Bach. Betty Paoli. Karl Hugo (Dramen). Otto Prechtler (Dramen). Karl Ziegler (Gedichte). Rudolf Hirsch (f 1872, Balladen). Karl Paul. Karl Guntram. Adolf von Pichler. Franz Adf. Fr. von Schober (geb. 1798, reflexive Lyriken). W. Constant (geb. 1818, Pseud. für C. v. Wurzbach. Erzählende Ge­ dichte). Rob. Hamerling (geb. 1830, einer der bedeutendsten. Erotische Lyriken, Epen, z. B. Ahasver).

e. Die norddeutschen Lyriker. Lyrik der Empfindung. Emanuel Geibel (geb. 1815, beliebtester Lyriker der Neuzeit). Philipp Spitta (t 1859, Psalter und Harfe). Robert Reinick (f 1852, Liederbuch für deutsche Künstler). Franz von Gaudy (f 1840, modernfrivol. Episches, z. B. Der Mönch Peter Forschegrund). Franz Kugler (f 1858; Skizzenbuch, Dichter­ leben rc.). Georg Phil. Schmidt von Lübeck (f 1849, volksmäßige Lieder, z. B. Ich komme vom Gebirge her rc.). Leberecht Dreves (f 1870; Lieder eines Hanseaten rc.). Eduard Schulz, genannt Ferrand (f 1842, Lyriken, Novellen). Viktor von Strauß (geb. 1809, religiöse Lyriken; Romane, z. B. Theobald. Schauspiel Gudrun). Julius Sturm (geb. 1816, religiöse Lieder, z. B. Nimm Christum in dein Lebensschiff). Fr. Wilhelm Rogge (geb. 1809, Lyriken und Dramen, z. B. Heinrich IV.). Wilhelm Smets (f 1849. Lyrische Gedichte. Trauerspiel: Tassos Tod). Karl von Hülsen (geb. 1808, Lyriken, Romane: Liebe und Chimäre). Phil, von Nathusius (f 1872, Lyriken). Guido Theodor Apel (f 1867; Lyrisches; Schlachtenbilder.) Theod. Hermann Ölckers (t 1869 ; Lieder, Romane, Dramen). Ferd. Stolle (f 1872, Doxfbarbier, sinnige Lyriken rc., Blumenengel). Dilia Helena (geb. 1816, Lieder). Paul Heyse (geb. 1830, Lyrisches. Novellen. Idyllen. Epopöen, z. B. Hermen. Dramen z. B. Meleager. Sabinerinnen). Cäsar von Lengerke (f 1855, Lyrisches und Didaktisches). Heinr. Möwes (f 1834, geistliche Lieder). Ludwig Knak (geb. 1806, religiöse Lieder). Gustav Pfarrius (geb. 1800. Das Nahethal in Liedern. Waldlieder). Heinrich Viehoff (geb. 1804. Lyrische Gedichte rc.). Friedr. Engstfeld (f 1848, religiöse Lieder). Adolf Ellissen (| 1872; Lieder und Elegien). Theod. Creizenach (geb. 1818. Lyrische Gedichte). Gust. Freytag (geb. 1816. Gedichte im Volkston). Adolf Peters (f 1872. Gesänge der Liebe rc.). Viktor Precht (geb. 1820. Lyriken). F. Ruperti (f 1868. Lyrisches rc.). Ed. Kauffer (-fi 1874. Lyrisches). Karl Aug. Georgi (f 1857. Lyrisches). Wilh. Gerhard (j* 1858, Lyriken und Novellen). Joh. Georg Keil (f 1857, Lyra und Harfe). Johannes Minckwitz (geb. 1812, be­ rühmter Odendichter. Übersetzer der attischen Dichter). Eduard Maria Ottinger (f

1872).

Ferd.

Bäßler.

Herm.

Besser (geb.

1807).

C. F. Günther.

65 fr. Förster. Mar von Ör (t 1846). Robert Waldmüller (geb. 1822. Lyriken. Idyllen. Romane). Jul. Schrader (geb. 1818. Lyrisches und Episches). Herm. Grimm (geb. 1828. Lyriken. Novellen. Drama). Adf. Schöll (geb. 1805). Aug. Wolf (f 1864). Rob. Wendt. Karl Goedeke(geb. 1814. Lyrisches. Novellen. Lustspiel 2C,). Friedr. Hofmann (geb. 1813. Lyriken. Deklamationen. Märchen. Lustspiele 2c.). K. Will). Osterwald (geb. 1820. Lyrisches. Episches. Dramen). Gottfried Fink (f 1846, religiöse Lieder. Balladen und Romanzen). Heinr. Pröhle (geb. 1822. Lieder und Oden. Märchen. Romane). Lola Milford (Lyrische Gedichte). Konrad Müller von der Werra (f 1881, viel kom­ ponierter Lyriker. Buch der Lieder, Amoranthos). Emil von Colbe (Lyriken. Novellen. Romane). Luise Hensel (-f 1876. Religiöse Lyriken).

f. Süddeutsche Lyriker. Sie kultivieren das harmlose Lied. Albert Knapp ('s 1864, christliche Gedichte. Geistliche Lieder. Sammlung. Herbst­ blüten. Patriotische Hohenstaufen-Gedichte). Karl Grüneisen (f 1878, patriotische und religiöse Lieder und Romanzen). Herm. Kurz (f 1873, Gedichte. Romane. Novellen). Karl Hagenbach (^ 1874. Fromme Ge­ dichte). G. Scheurlin (| 1872, zarte Lyriken). Wilhelm Zimmermann (geb. 1807. Lieder, Romanzen, Novellen). Adolf Stöber (geb. 1810, reli­ giöse Gedichte). Aug. Stöber (geb 1808. Lyriken heiteren Charakters). Aug. Schnezler (f 1853, religiöse Lieder). Annette von Droste-Hülshoff (f 1848, eigentlich Westfalin, siedelte 1841 nach der Schweiz und Süddeutschland über, wo ihre Muse das Herrlichste schuf. Balladen, religiöse Lyriken). Luise von Plönnies (f 1872, Lieder, Balladen, Romanzen, Sonettenkränze). König Lud­ wig von Bayern, gedankenreich (f 1868. 4 Bände lyrischer Gedichte, darunter sehr gehaltvolle, z. B. Im Spätherbste; die Elegie Pompeji). I. G. Fischer (geb. 1820. Volkstümliche Lyriken. Dramen. Episch-lyrische Bilder vom Bodensee). Friedr. Beck (geb. 1806. Lieder. Romanzen. Episches. Tragödie: Telephos 2c.). Karl Weichselbaumer (f 1871. Lieder. Historische Novellen. Erzählungen. Dramen). Ludw. Rochholz (geb. 1809. Lieder. Sagen. Legen­ den). Christian Schad (f 1872. Lyriken). Ignaz Hub. Paul Schöisield (Lyrisches). B. Epische Dichter.

Außer den schon unter den Lyrikern genannten: Kinkel, Grün, Lenau, Beck, Meißner, Bodenstedt rc. haben sich als Epiker hervorgethan: Ludw. Bechstein (f 1860. Haimonskinder, Luther, Faustus). Adolf Bube (f 1873. Naturbilder). Karl Simrock (j 1876. Wieland der Schmied). Wolfgang Müller von Königswinter (f 1873. Lorelei, Rheinfahrt, das satirische Märchen Germania rc.). August Kopisch (f 1853. Historie von Noah. Die Heinzelmännchen). Adolf Böttger (f 1873. Frühlingsmärchen. Till Eulenspiegel. Drama: Agnes Bernauer rc.). Otto Roquette (geb. 1824. Waldmeisters Brautfahrt. Romane. Dramen). Oskar von Redwitz (geb. 1823; lyrisch-episch: Amaranth. Dramen, z. B. Philippine Welser). Christian Scherenberg (geb. 1798. Epen: Waterloo, Ligny, Leuthen, Olbukir, Hohenfriedberg rc.). Theod. Fontane (geb. 1819. Balladen. Beyer, Deutsche Poetik I.

5

66 Epische Dichtung: von der schönen Rosamunde). Otto Gruppe (geb. 1804, epische Dichtungen, z. B. Alboin rc.). Friedr. v. Heyden (f 1851. Königs­ braut, Reginald, der Schuster von Jspahan. Tramen). Gustav von Meyern -j- 1878, Welfenlied. Dramen). Herm. Neumann (f 1875. Nur Jehan. Jürgen Wullenweber u. A.). Moritz Horn (y 1874. Pilgersahrt der Rose, Magdala 2c.). Adolf Stern (geb. 1835. Sangkönig Hiarne. Poetische Er­ zählungen. Romane.) Arnolo Schlönbach (y 1866. Hohenstaufen) rc. rc.

0. Oramntischc Dichter.

a. Das originelle Araftdrarna. Es erinnert an Shakespeare, an die Stürmer und Dränger, liebt markige Gestaltung und großartige Zeichnung. Christian Grabbe (j 1836, Schöpfer dieser Gattung, z. B. Herzog von Gothland. Hermannsschlacht rc.). Friedr. Hebbel (y 1863, zieht die sozialen und psychologischen Interessen in das Bereich feiner Behandlung. Tragödien, z. B. Maria Magdalena, Herodes und Marianne, die Nibelungen rc.). Robert Griepenkerl (y 1868, Tragödien, z. B. Robespierre. Schauspiel: Ideal und Welt, das die sozialen Konflikte behandelt). I. L. Klein (y 1876. Dramen, z. B. Maria von Medici, und das humoristische Lustspiel: Die Herzogin). Georg Büchner (y 1837, Tragödie: Dantons Tod). Otto Ludwig (y 1865. Tragödien, z. B. Agnes Bernauer). Elise Schmidt (geb. 1827. Tragödien, z. B. Judas Jscharioth). Albert Dulk (geb. 1819. Orla; Jesus der 6'hrist). Arnold Schlönbach (y 1866. Der letzte König von Thüringen rc.). Ferd. Gregorovius (geb. 1821, Tod des Tiberius). Ferd. Kürnberger (geb. 1823, Catilina). Braun von Braunthal (y 1867, Faust und Don Juan).

b. Deklamatorische Iamkentragödie. im Stil; idealistischer als bischen Quinär; lyrisches Eduard von Schenk täHnestra). Friedr. von

An Schiller anlehnend; das originelle Kraftdrama; eintönig durch den und rhetorisches Element vorkehrend. (f 1841, Belisar). Michael Beer (y 1833, Üechtritz (y 1875, Rom und Otto III.). E.

antik jam­ KlySal.

Raupach (f 1852. Isidor und Olga. Die Hohenstaufentragödien. 8 Bände dramatisierter Geschichte. Lustspiele). Josef von Auffenberg (y 1857, 26 Dramen, z. B. Die Flibustier). Friedr. Halm (y 1871, pseud. für v. Münch-Bellinghausen. Dramen. Sohn der Wildnis, Fechter von Ravenna rc.). Gras Julius von Soden (y 1831. Medea rc.). August von Maltitz (f 1837. Schwur und Rache). Hans Köster (geb. 1818, Ulrich von Hutten rc.). Hermann Theodor Schmid (y 1880, Camoens rc.). Alex. Post (y 1875, Friedrich mit der gebissenen Wange). Will). Genast (geb. 1822, Herzog Bernhard von Weimar rc.). Emil Palleske (y 1880, Achilles, König Monmouth). Otto Prechtler (geb. 1813, Die Rose von Sorrent rc.). Wollheim da Fonseca (geb. 1810. Künstlerdrama: Rafael Sanzio). Alb. Lindner (geb. 1831, Brutus und Collatinus rc.). Heinr. Kruse (geb. 1815. Wullenweber. Brutus. Seine Tragödie „Die Gräfin" erhielt den Schillerpreis. Humoristisches, z. B. Der Teufel in Lübeck, ein Fastnachtsschwank). e

67

Das künstlerisch

Dühnendrama.

e. moderne Feind der Eintönig­ keit der Jambentragödie und der Formlosigkeit des originellen Kraftdramas, sucht es die Ideen der Jetztzeit in künstlerischer wie volkstümlicher Form zur Darstellung zu bringen. Außer den genannten: Gutzkow, Laube, Mosen, Prutz, Meißner sind zu erwähnen: A. E. Brachvogel (f 1878, Narziß, Ali-Sirrha, Jean-Favrat, Arzt von Granada, Harfenschule). Gustav Freytag (geb. 1816, Graf Waldemar, die Journalisten). S. Herm. Mosenthal (f 1877; Sonn­ wendhof, bekämpft den Kommunismus). Mar Ring (geb. 1817; Die Genfer rc.). Elisabeth Sangalli (Die Macht des Vorurteils). EarlGaillard (f 1851. Eola Rienzi).

cl. Das bürgerliche Schauspiel, Lustspiel, polse. Die Dichtungen dieser Gattungen machen nicht geradeaus besonderen Kunst­ wert Anspruch. Ihr Zweck ist, dem schaulustigen Publikum zu dienen. Hier­ ist in erster Reihe zu nennen: Eharlotte Birch-Pfeiffer (f 1868. Sie verstand es, aus dem litterarischen Schatze die besten Stoffe effektvoll zu dramatisieren, z. B. Dorf und Stadt, Waise von Lowood). Ähnlich hatte die Frau von

Weissenthurn (f 1847) eine Herrschaft über die Bühne ausgeübt (z. B. mit: Die Erben, Tas letzte Mittel 2C.). Die eigenen Produktionen der Birch stehen mit denen von Jffland und Kotzebne auf gleicher Stufe (z. B. Hinko, Ein Billet, Ein Ring re.). Eduard Devrient (f 1878, Das graue Männlein. Lustspiel: Die Gunst des Augenblicks). Prinzessin Amalie von Sachsen (j 1870, Die Fürstenbraut. Lustspiele: Vetter Heinrich, Ter Majoratserbe). Julius von Voß (f 1832, Künstlers Erdenwallen). August Lebrun (f 1842, in fran­ zösischem Geiste, z. B.: Ein Fehltritt). Karl Schall (f 1833, Unterbrochene Whistpartie). Karl Blum (f 1844, Ausländische Stoffe, z. B. der Ball zu Ellerbrunn, nach Notas la fiera; Vicomte von Letoricrres, nach Bayard 2C.). Karl Töpfer (f 1871, Tie blonden Locken; Bube und Dame; Rosenmüller und Finke). Eduard v. Bauernfeld (geb. 1802. Bürgerlich und romantisch; Reichsversammlung der Tiere). Roderich Benedir (f 1873, Doktor Wespe; Liebesbrief; Das Lügen 2C.). Will). Hackländer (f 1877, Lustspiele, z. B. Der geheime Agent; Magnetische Kuren). Ignaz Castelli (f 1862, Lustspiele: Tot und lebendig, Der satirische Schicksalsstrumpf gegen die Schicksalstragödien). Feodor Wehl (geb. 1821. Blondes Haar, Tie Tante aus Schwaben, Ein Pionier der Liebe, Hölderlins Liebe 2C.). Gustav zu Putlitz (geb. 1821, Badekuren). Ludwig Deinhardstein (f 1859, Die rote Schleife, Ehestands­ qualen, Tas Sonett). Karl von Holtet (f 1880, Die Wiener in Berlin, Staberl als Robinson, 'Die Majoratsherrn, Lorbeerbaum und Bettelstab). Ferdinand Raimund (f 1836, Der Bauer als Millionär, Der Verschwender 2c.). Johann Nestroy (f 1862, Lumpacivagabundus). Herm. Grimm (geb. 1828. Werner; Armin; Demetrius). In der Posse und im Lustspiel außerdem: Franz von Elsholtz, Berger, Zahlhas, Robert Bürckner, Louis Schneider, Angely, Elmar, Friedrich Kaiser (Stadt und Land), David Kalisch (f 1872. Berlin bei Nacht), Friedrich Röder (geb. 1819. Weltumsegler wider Willen),

68 (S. F. Görner, I. Schrader, W. Friedrich (Er muß aus's Land), A. Wilhelmi (Einer muß heiraten), I. von Plötz (Der verwunschene Prinz), Julius Rosen (geb. 1833. O diese Männer, Das Damoklesschwert), Joseph Mendelssohn (ch 1856. Überall Jesuiten), Hugo Bürger (Pseud. für G. Lubliner, geb. 1846), Lehmann u. A.

I). Romanschriftsteller.

Im Romane, dieser Grenzgattung zwischen Prosa und Poesie, wurde Nennenswertes geleistet. Viele Romanschriftsteller habet! sich an Waller Scott angelehnt und sog. historische Romane geliefert. Andere haben ähnlich dem französischen Sozial- und Tendenzromane den sogenannten Zeitroman und Salon­ roman eingesührt. Weitere Arten sind der ausländische und der Seeroman, wie besonders der durch Jean Paul bearbeitete humoristische Roman 2c.

Der historische Roman. Franz van der Velde (f 1824, Begründer dieser Gattung: Eroberung von Mexiko rc.). Friedrich v. Witzleben (ps. Tromlitz; -V 1839, Die Pappenheimer rc.). Karl Spindler (f 1855, Der Jesuit rc.). Jos. v. Rehfues (f 1843, Scipio Eicala rc.). Heinrich Häring (gen. Willibald Alexis, ch 1871, Der falsche Waldemar, Der Roland von Berlin). K. BraunWiesbaden (Neue Erzählungen von Erckmann-Chatrian). Ludwig Storch (f 1880, Vörwerts Hans, Geschichte eines Wunderdoktors, Ein deutscher Leineweber rc.). Robert Heller (ch 1871, Der Prinz von Oranien rc.). Karl Herloßsohn (1' 1849, Die Mörder Wallensteins rc.). A. E. Brachvogel (-}- 1878, Der Fels von Erz). Ludwig Rellstab (| 1860. Das Jahr 1812). Heinrich König (f 1869, Die Klubbisten in Mainz). Ferd. Stolle (-{- 1872, Elba und Waterloo rc.). Theodor Mügge (ch 1861, Die Erbin). Luise von Francois (geb. 1817, Tie letzte Reckenburgerin rc.). Adolf Stahr (j- 1876. Republikaner in Neapel). Otto Müller (geb. 1818, Die Mediatisirten, Charlotte Ackermann rc.). Hen­ riette v. Paalzow (f 1847, Jakob van der Nees rc.). Amalie Schoppe (j 1858. Polixena, Geier von Geiersberg rc.). Max Ring (geb. 1817, Berlin und Breslau, John Milton und seine Zeit rc). Ludwig Köhler (f 1862. Thomas Münzer rc.). Ernst v. Brunnow (f 1845. Ulrich von Hutten). Johannes Scherr (geb. 1817. Prophet von Florenz). Bernd von Guseck (Pseud. für Gustav K. v. Berneck, f 1871, König Murats Ende rc.). Eduard Schmidt-Weißenfels (geb. 1833, Fürst Polignac, Pascal Paoli rc.).

Der Zeitroman. Außer den früher genannten: Prutz, Gutzkow und Luise Mühlbach, besonders Levin Schücking (geb. 1814, Königin der Nacht, die Emancipation des Individuums betonend). Ed. Mörike (ch 1875, die Zeit- Novelle Maler Nölten rc.). Robert Giseke (geb. 1827, Kleine Welt und große Welt rc.). Gottfried Keller, geb. 1819 bei Zürich, der Shakespeare der deutschen Erzähler, wie ihn Paul Heyse nennt; wirkliche Klassicität. Der grüne Heinrich. Neu aufgelegt 1879. Einer der besten Romane der neueren deutschen Literatur. Poetisch psychologische Tiefe, Frische, Reiz des Vortrags zeichnen ihn aus. Die Leute von Seldwyla ist eine Sammlung humoristischer, wie tragischer Novellen, deren Perle Romeo und Julie auf dem Lande. Züricher Novellen. Legenden.

69 Novellen-Cyklus: Das Sinngedicht in deutsche Rundschau 1881). Fanny Lewald (geb. 1811; betont freie geistige Bildung der Frauen; Eine Lebensfrage rc.). Philipp Galen (geb. 1813. Pseud. für Lange, Der Jnselkönig rc.). Ludwig Schubar (Mysterien von Berlin). Heribert Rau (f 1876, Die Pietisten rc.). Karl Gutzkow (f 1878, Der Zauberer von Rom rc.). Gustav Kühne (geb. 1806, Die Freimaurer rc.). Franz Lubojatzky (geb. 1807. Die Neukatholischen). H. Temme (geb. 1798, Kriminalromane, Anna Hammer rc.). Heinr. A. Noi^ (geb. 1835, Tie Brüder). Amalie von Klausberg (Schloß Bucha rc.). Wilhelm Raabe (geb. 1831, Der Draumling, Der Hungerpastor). Gustav vom See (f 1875. Ps. f. Struensee, Krieg und Frieden rc.). Julie Burow (ch 1868, Frauenlos rc.). Amely Bölte (geb. 1814, Biographische Romane, z. B. Winckelmann rc.). Aug. Silberstein (geb. 1827. Glänzende Bahnen).

Salonroman. Al. von Ungern-Sternberg (f 1868, Lessing, Der Mis­ sionär, Diana, Paul, welch' letzterer Roman die Regeneration des Adels durch innere Charakterkraft behandelt). Rud. v. Keudell (f 1871. Lätitia). Gräfin Ida Hahn-Hahn (f 1880, Gräfin Faustine, Zwei Frauen, Sybille rc.). Ida von Düringsfeld (ch 1876, Esther rc.). Therese von Bacharacht (Pseud. f. Lützow, t 1852, Falkenberg rc.).

Ausländischer und Seeroman. Charles Sealsfield (Pseud. f. Karl Postel, -ß 1864, transatlantische Skizzen). Fr. Gerstäcker (ch 1872, Mississippibilder, Alußpiraten rc.). Fürst Hermann Pückler - Muskau (ch 1871, Tutti Frutti rc.). Otto Ruppius (-j- 1864, Der Prärieteufel rc.). Der humoristische Roman. Nach Jean Paul, Thümmel, Hippel, Saphir u. A. besonders gepflegt von: Graf Ulrich v. Baudissin (geb. 1816; Albatros; Graf Ulrich, Ronneburger Mysterien rc.). Adolf Glahbrenner 0- 1876; Berlin, wie es ißt und trinkt; Aus dem Leben eines Gespenstes rc.). Ludw. F. Stolle (ch 1872, Deutsche Pickwickier rc.). A. v. Winterfeld (geb. 1824, Garnisongeschichten, Drollige Soldatengeschichten rc.). Wilh. Meinhold (ch 1851, Bernsteinhere rc.). Wilh. Hauff (ch 1827, Mann im Monde, Mitteilungen aus den Memoiren des Satans rc.). Friedr. Schulze (Pseud. Laun, ch 1849, Drei Tage im Ehestände). Aug. Lewald (ch 1871, Theaterroman, Klarinette rc.). Eduard Maria Ottinger (ch 1872, Onkel Zebra rc.). Bogumil Goltz (f 1870, Typen der Gesellschaft rc.). Ludw. Walesrode (Unterthänige Reden). Ludwig Kalisch (geb. 1814, Shrapnels). Ernst Kossak (ch 1880, Reisehumoresken rc.). Fr. Wilh. Hackländer (f 1877, Wachtstubenabenteuer rc.). Ernst Eckstein (geb. 1845, Die Gespenster von Varzin rc.).

X. Periode 1870 bis in die neueste Zeit. Überblick und Charakter der Periode.

Vom Beginn des neuen Deutschen Reiches bis in die neueste Zeit. Charakteristisch ist, daß sie als Element die Unruhe der bewegten Gegenwart, aber auch ihr Empfinden und Streben in sich ausgenommen

70 hat. Ihre Signatur ist das Deutsch-Nationale. Unter dem wie Donnerhall erbrausenden Ruf zur Verteidigung des Vaterlandes er­ wacht wie mit Zaubergewalt zunächst die politisch-patriotische Lyrik. Die einzelnen Richtungen, Parteigetriebe, Schulen der vorigen Periode sind mit einemmal versöhnt. Zum erstenmal genießen wir das erhebende Schauspiel, Deutschlands Dichter in einem großen, einheitlichen, deutsch vaterländischen Ziel vereint zu sehen. So ersteht mit der Wiedergeburt des Deutschen Reiches eine einheitlich deutsch-nationale Dichtung. Die Lyrik preist in jubelnden Aeeorden das Wiedererstehen deutscher Ein­ heit, deutscher Macht, deutscher Größe und Ehre. Tie Epik verfolgt in Zeitromanen und Novellen dasselbe Ziel und das Drama pflegt in vielen seiner Gestaltungen deutschen Sinn und deutsch-nationales Streben. Wir führen die hauptsächlichsten Vertreter dieser Periode in alphabetischer

Reihenfolge vor und nennen auch solche Namen, die sich oft nur durch eine, vielleicht nur in Zeitschriften oder Sammelwerken erschienene, doch populär gewordene poetische Leistung verdient gemacht haben. Ebenso wiederholen wir die aus der vorigen Periode hereinragenden Dichter, wenigstens auf dem Gebiet der Lyrik, da ja selbst mancher Epiker der vorigen Periode plötzlich zum Lyriker

und Vaterlandssänger wurde.. Bei den einzelnen Dichtern haben wir — soweit möglich — das Geburtsjahr angefügt, sowie bei den in dieser Periode ver­ storbenen auch das Sterbejahr. Da bei den meisten Dichtern dieser Periode die Nennung des Namens genügt, um an die eine oder andere ihrer der Gegen­ wart angehörigen, im Gedächtnis gebliebenen Dichtungen zu erinnern und da dieselben im 2. Bd. (mit den in diesem Paragraph nicht aufgeführten Dichtern) noch erwähnt werden, so haben wir hier von Nennung ihrer Poesien absehen zu sollen geglaubt.

Inhalt der 10. Periode. A. Lyriker. Alexis Aar (1853). Fr. Ahrens (1834). Fr. Albrecht (1818). Engelbert Albrecht (1836).

Herm. Allmers (1821).

müller (1833).

Ludw. Anzengruber

Berthold Auerbach (1812).

L. Altenbernd (1818).

(1839).

on fronde die Schleuder, Jakobiner, nach dem Kloster ihrer Versammlung u. s. w. hat die Geschichte den Stempel der

Gemeingültigkeit aufgedrückt, ohne nach den einzelnen Sprachen zu fragen. Historia supra grammaticam! (Wir können Bezeichnungen der obigen Art ohne Verlust

ebenso wenig ersetzen wie die Gestalten,

welche die Sprache in jenen Zauber­

bildern uns vorsührt, die man Redefiguren (— Tropen) nennt, und die nicht selten von dem lebendigen Odem des Geistes beseelt, folglich — außer für die

Kraft, die sie geschaffen — unantastbar sind.) Bureau heißt ursprünglich nur das grobe, in der Regel grüne Tuch, mit welchem der Schreibtisch über­ zogen war; das Wort ging dann auf den Schreibtisch selbst über (Cylinder­ bureau); demnächst auf" das Zimmer und besonders auf die Amtsstube, von

welcher

aus

es

der stetig zunehmenden Begriffserweiterung

wie

der Schatten

dem Körper folgte, und zwar in den Ausdrücken: Bureauwesen, Bureaumensch, Bureauverfassung, Bureaukratie rc. Eine ähnliche Laufbahn machte das Wort

Budget durch, welches ursprünglich die Reisetasche bedeutete. das

bescheidene

geschwungen.

Portefeuille

zur

Gleichbedeutung

mit

Ebenso hat sich

Ministeramt

auf­

Welche Bedeutung hat der Stil erreicht: der unscheinbare Griffel!

Ein anderes Stäbchen die fibula, diente dazu, die Kinder beim Unterricht auf die Buchstaben hinzuweisen, und ward Taufpate unserer Fibel. — Die

Bremse

an unsern Eisenbahnwagen hat

sich durch

den Ton eingeführt

den

das Anziehen der Hemmvorrichtung verursachte. Page ist eine ganz entsprechende Benennung für den Kleiderschürzer der Damen. — Die Kinder, in denen be­

kanntlich der Sprachtrieb sehr rege ist, sagen Zuckersine für Rosine,

und sie

115 kürzen sich die Fremdwörter ab, indem sie z. B. sprechen: „Papa geht in's Ministerium und Mama in die Bilderie" (für Bildergallerie). Das Kindliche

ist ein Gut der Sprache, denn es beruht auf Einfalt und Natur. — Die skandinavischen Zweige unseres Sprachstammes und ebenso unsere niederländische Sprachschwester haben

diese Eigenschaft

getreulich

bewahrt.

Obwohl seit der

burgundischen Herrschaft das Französische stark in die Niederlande eingedrungen war, machte sich doch im Freiheitskampfe gegen die Spanier alsbald die volle Kraft der nationalen Sprache wieder geltend. Wir können gerade dieser unserer Schwestersprache manchen nützlichen Wink für neologistische Ersetzung fremder Wörter durch solche germanischen Stammes entnehmen. Sie hat z. B. für Eirku larschreiben den Ausdruck Rundbrief, für Paragraph Lid (Glied), für Sekretär Ambtener (Amtner), für Stipulation Bepaling, Bepfählung —

gewiß ein kräftiges Bild. Für Subskribent hat sie die Benennung Znteknaar, für Aktionär Andelhebber, für Idee das schöne Wort Denkbeeld, für Identität Eenselvigheed u. s. f. — Botanik und Zoologie haben wir durch Pflanzen- und Tierkunde gut ersetzt, mit der Mineralogie war es schwieriger, weil Mineral beides: Gestein und Erz bezeichnet. Die holländische Sprache hat dafür den Ausdruck Berg st off. Das Wort Platzregen, welches den Etymologen lange Zeit Kopfzerbrechen verursachte, da^ man bald von plötzlich, bald von platschen

ableitete, und für das man sogar die Schreibart Platschregen vorschlug, wird sehr einfach durch das holländische plas die Pfütze erklärt. (Weigand leitet es vom mhd. plaz ~ schallender Schlag her.)

Mynheer, der sich gewiß auf alle

Sorten von Regen versteht, schreibt Plasregen. Alte niederdeutsche Ausdrücke, die bei uns nur noch im Volksmunde und in einzelnen Bezirken umlaufen, hat das Holländische getreulich bewahrt.

(Beispielshalber heißt kamen schimmeln,

davon kamiger Wein. Bei uns wird das Wort Kahm — Schimmel zuweilen auch als Kan (Kohn) gesprochen. Belemmert sein ist der holländische Aus­

druck für behindert, gehemmt sein u. s. w.) Unsere Germanisten und Paläologen möchten alle als Neologismen ein-

geführten Fremdwörter mit Stumpf und Stiel ausrotten. Aber sie vergessen, daß eine Menge Fremdwörter unsere Sprache bereichern und uns wegen ihres

Klanges

oder ihrer

durchaus

nicht

ersetzbaren

Kürze

der

Bezeichnung

lieb

geworden sind. Wörter wie Fibel, Stil, Apotheke, Sekretär rc. zu verbannen, würde den Übergeist oder Ungeist wieder heraufbeschwören heißen, in welchem

die christlichen Eiferer die antiken Tempel und Bildsäulen vernichteten.

Unsere

Puristen übersehen, daß ihr verwerflicher, den Barbarismus im Ausrotten aller Fremdwörter bekämpfender Purismus nicht selten zur unschönen, meist geschmack­ losesten Neologie führt. Felix von Zesen war der Anführer jener einseitigen Pedanten, deren überspannte Verkehrtheit z. B. Diana mit Waidinne, Juno mit Himmelinne, Pomona mit Obstinne übersetzten, und woraus die Lächerlichkeit sich entwickelte, daß man z. B. Lieutenant bei der Gardekavallerie mit „Statt­ halter bei der Leibwachgaulerei", Dilettant auf dem Fortepiano mit „Vergnügling aus dem Starkschwachkastenrührbrett", Apotheker mit „Arzneimittelbereitungsmischungsverhältniskundiger" in drastischer Weise vertauschte. Auch der Purismus

116 unseres Postdirektors Stephan geht hie und da zu weit.

Man möge in der

Sprache die man ja so gern als Kunstsprache bezeichnet, die einmal festgesetzten, allgemein verständlichen fremden Wörter stehen lassen,

einmal ihrer dehnbaren

Natur wegen, die der Deutlichkeit abstrakter Begriffe so förderlich ist, und dann um nicht zu unverständlichen, unserem Sprachgefühle wie dem Begriff des Schönen widerstrebenden Neologismen greifen zu müssen. Wir gehen im folgenden Kapitel noch näher auf die Neubildungen innerhalb des Gebietes der poetischen Sprache ein.

§ 27. Das Schöne bei Bildung und Gebrauch der Wörter. 1. Der Dichter ist berechtigt, innerhalb der Grenzen des historisch Gegebenen neue Worte zu bilden und zu gebrauchen.

2. Die Grenzlinien des Schönen, bis zu welchen die elastische Fähigkeit unserer Sprache für Neubildungen gesteigert werden darf, liegt in unserem gebildeten Schönheitsgefühle. 1) Schon Horaz (A. P. 46 und 48 ff.) nahm für den Dichter das Recht in Anspruch, neue Wörter in die Sprache einzuführen, indem er sich auf den Vorgang des Plautus, Cato, Ennius beruft. — Nach Erhebung des ober­

sächsischen Dialekts zur hochdeutschen Schriftsprache machte sich, wie im vorigen Paragraphen unter c. gezeigt, bei uns das Bedürfnis nach neuen Worten fühl­ bar. Die Dichter bemühten sich, bezeichnende, kernige, erfrischende Ausdrücke aus

dem Schatze der Dialekte zu heben und dem Schönheitsprinzip in Erzielung sinnlich plastischer Ausdrucksweisen nahe zu treten. In welch' fruchtbarer Weise dies im 15., 16. und 17. Jahrhundert geschah, zeigt neben Grimm und Schottel be­

sonders Johannes Kehr ein im 2. Teil seiner „Grammatik der deutschen Sprache

des 15. bis 17. Jahrhunderts", wo er zugleich den wertvollsten Beitrag für ein deutsches Wörterbuch lieferte. Wir beschränken uns darauf, nachstehend die wichtigsten Sprach-Neubildner zu nennen: • Luther.

Zum

Verständnis

seiner

Neubildungen

vgl.

Joh. Böderiki,

P. Gymn. Svevo-Colon. Reet. Grundsätze der deutschen Sprache, meistens mit Anmerkungen und einem Register der Wörter, die in der Bibel einige Er­ läuterung erfordern. Berlin 1723. 400 S. Dieses Register reicht a. a. O.

von S. 189—271.

Zur Einleitung schreibt der Verfasser:

„In der deutschen

Bibel sind einige schwere Wörter, die im ersten Anblick nicht verstanden werden; Luther hat dergleichen bei den Obersachsen und seinen Landsleuten gefunden, die aber nun ganz oder fast veraltet sind." Fischart. Über ihn urteilt Vilmar: „Freier, kühner, diktatorischer, man

könnte fast sagen, despotischer hat noch Niemand die deutsche Sprache behandelt,

als er."

(Vgl. auch Fr. Rückert, ein biogr. Denkmal vom Verf. d. B. S. 311.)

Goethe.

Von

den neueren Dichtern steht Goethe in Bezug auf Wort­

bildung weit hinter Luther und Fischart zurück.

Abraham a Santa Clara,

117 der unserem Schiller im Roman „Judas der Erzschelm" die Krastausdrücke zur Kapuzinerpredigt in Wallensteins Lager lieferte, hat weit mehr neue Worte ge­

bildet, als Goethe. Indes sind Goethes Bildungen z. B. im 1. Teil des Faust voll Kraft und Schönheit (ich nenne Ausdrücke wie „Wonnegraus",

„Gedankenbahn", „irrlichtelieren", „der Menschheit Schnitzel kräuseln" rc.).

Die

Bildungen im 2. Teil lassen zuweilen die Gestaltungskraft vermissen (z. B. Krächzegruß, Flügelflatterschlagen, Liebeschätzchen, Wölbedach). Andere seiner Bildungen

(z. B. Mitgeborene in Jphigenia)

denn als Citate

in den Sprachgebrauch

sind

wenig

übergegangen.

oder

kaum

anders

(Sein „langen

und

bangen" wird verständlich durch den Schluß eines Wächterlieds in Boehmes Altdeutschem Liederbuch S. 196, wo ee- heißt: Reitftu hinweg, spar Gott Dich g'sund! Mein Herz tut nach Dir langen — verlangen. s^Vgl. hiezu die klanglich ähnliche Bildung in Lessings Rathan „Geld einem Juden abbangen"J Es

ist verb. Simplex zu verlangen; vgl. walten, gehren, wovon gern.) Heine. Heiner Neubildungen (z. B. heiligrot, leichenwitternd, stillver­ derblich, seidenrauschend, prophetengeseiert, seelenschmelzend?c.) sind Nachahmungen der Voßschen Wendungen (vgl. Übersetzung des Aristophanee» und des Äschylus, sowie Rückerts Ges. Äue>g. VII. 60). Volkstümlich klingen die Neubildungen Bürgern, mittelalterlich die von

Uh l a n d. Die Platenschen Neubildungen (z. B. löwenbeherzt, weinstocknährend rc.)

erinnern an Goethe

in Formen wie Heimlichkätzchenhaft,

begierlich,

schlucht-

wärts lockend, weitgähnend, während Goethe seinerseits in Bildungen wie flügeloffen rc. an Fischart (z. B. osfenmaulvergessen, rundverbondet) anklingt. Platens Wortkolosse, z. B. Freischützkaskadenfeuerwerksmaschinerie, Vorzeitsfamilien-

mordgemälde, Demagogenriechernashornsangesicht, Obertollhausüberschnappungsnarrenschiff rc. wältigung.

klingen wie Vossens Graungefängnisse

und Graunjammerüber-

Sie sind am Orte, wo es sich — wie in Schlegels Epigramm

über die „Himavatgangesphilologiedornpsade" — um Erreichung eines komischen Effekts, einer gesteigerten Wirkung rc. handelt, besonders also in der Komödie (vgl. Aristophanes). In einem lyrischen Liede würden sie sich ausnehmen wie

Felsblöcke in einem Blumenbeete; sie würden den leichten, flüssigen Rhythmus

unserer Sprache trüben und als geschmacklose Sprachungeheuer abschreckend wirken. 2) Unter den sämmtlichen neueren Dichtern war es besonders Fr. Rückert, welcher die Grenzlinien des Schönheitsgefühls wohl an den meisten Punkten berührte, welcher der Neuschöpser der pathetischen Sprache wurde, so daß es

wohl lohnend sein dürfte, einen spezielleren Einblick in seine bezügliche schöpferische Thätigkeit zu gewinnen. Durch diesen Nachweis an einem Dichter soll zugleich der Lernende befähigt und gewöhnt werden, Neubildungen in dichterischen Pro­ duktionen zu erkennen und ihrem Werte nach zu würdigen.

Zunächst sind Rückerts Komposita erwähnenswert (z. B. abendglutumrötet, empfindungsblütenreich, kußlichgemundet, löwenschwungkühn, Lippen-

mosteskelterfest rc.).

Besondere Vorliebe hatte er für Substantiva, die er aus Zeit­

wörtern bildete (z.B. Zeitungbringerin, Fliegenwedelschwingerin, Wohnerin, Spende-

118 rin, oder Beleber, Welterfreuer, Gramgewölkzerstörer, Feindesburgenkampferstürmer).

Interessant sind Rückerts das Zierliche spielend bezeichnende Diminutivbildungen in: „die Göttin im Putzzimmer" (Alle die Nischchen, alle die Zellchen u. s. w.). Durch veraltete mundartliche oder eigentümlich gebrauchte, einfache und zusammengesetzte Substantiva verstand es Rückert, der Sprache jugendliche Spann­ kraft zu verleihen. Er gebraucht z. B. Ämse für Ameise, Kluf für Nadel,

Laub chen für Laubblättchen, Sturzel für Wurzelende 2c. 2c. Ebenso gebraucht er abstrakte, von Verben oder Adjektiven

gebildete

Feminina, z. B. Dumpfe, Freie, Grüne, Süfte, Heitre (für Heiterkeit) 2c. Er wendet ungebräuchliche Plurale an, z. B. Dorne, Frühen, Gewölker, Graule, Läger, Nahten (Nähte), Thäte 2c. Er gebraucht Substantiva mit auslautendem,

längst weggefallenem e, z. B. Fraue, Scheue, Gehirne. Ebenso ungewöhnliche Ableitungen, z. B. Blitzleuchtung, Entstörung, Entkümmerung, Lustumfangung, Redepflegung, Siegung, Siedlung. Reich ist er in Erneuerung veralteter, seltener, mundartlicher, eigentümlich gebrauchter oder von Substantiven und Adjektiven abgeleiteter Verben, z. B. abstrupfen, abzeilen, bedunken, beschmitzen, betrausen, bewandeln, beuchten, deutschen, entthören, funken, gehren, grüben, holpern, nachbleiben, verschleudern, zwinken. Namentlich durch Zeitwörter, welche leblosen Gegenständen menschliche Thätigkeiten und Empfindungen beilegen, weis; er die Anschaulichkeit zu beleben und eine große Wirkung zu erzielen. (Ich erinnere an die Dichtungen „sterbende Blume", „Edelstein und Perle".) Neu, wenn auch nicht durchweg vollschön — sind viele seiner Adjektiva, z. B. blach, buhtg, butzig, labendlich, läßlich, magdiglich, rosenfar, schmettrigsträubig, bedenklos,, haarseinwuchsig 2c.

Adjektiva gewagt

erscheinen sollten,

den machen wir auf

Wem solche

ein einziges Wider­

legungsmoment aufmerksam, daß z. B. das von Simon Dach zuerst in unsere Sprache eingeführte Wort furchtlos von Gottsched als sehr gewagte Neuerung verurteilt wurde.

Der erste König Württembergs wählte die Devise:

„ Furchtlos

und treu!" Jetzt ist das Wort populär. Neu sind viele Rückertsche Adverbia, z. B. aldar, ebensam, jach, selb. Neu ist, wie Rückert die Silbe lich an's Partizip anhängt, was bis jetzt nur an das Substantiv geschah, z. B. Feind-lich, Tugend-lich, Freund-lich, Frevent-lich (aus Frevel mit nl zur Vermeidung der beiden l), Schade-lich (schädlich), Liebe-lich (lieblich), Güte-lich (gütlich), Herze-lich (herzlich), Lacher-lich

(lächerlich), Röte-lich (rötlich).

Dem Substantiv gleich behandelt man den sub­

stantivierten Infinitiv, bei welchem des Wohllauts wegen ein t eingeschaltet wurde, z. B. hoffentlich, wiffentlich. Im Gegensatz hierzu schreibt Rückert labendlich (statt labentlich). Rosenfar ist eine Rückertsche Entlehnung aus dem mhd.; sie

stammt von Walther von der Vogelweide: »liljenvar« (vgl. v. d. Hagens Minnesinger Bd. I. 244. Nr. 44. 3. Strophe). — Auf diejenigen, welche manche Rückertsche Neubildungen als bloße Spielereien ansehen, paßt Goethes

Wort:

Sie sagen, das mutet mich nicht an! Und meinen, sie hätten's abgethan.

119

§ 28. Das Schöne in der Lautmalerei.

Glangschönheit.

1. Die Lautmalerei, welche Klangschönheit und Wohllaut erzielt, ist die Kunst des Dichters, durch Vokal- und Konsonantenverbindungen die Stimmung und den Charakter des Begriffs oder des Inhalts schon im Klange anzudeuten, wie es die lautmalende Figur Onomatopöie verlangt. (§ 54.) 2. Das Bedürfnis der Wortbildung veranlaßte schon die Natur­ völker, die Ähnlichkeit gewisser Eindrücke mit Konsonanten und Vokalen durch Lautmalerei auszudrücken. 3. Unsere besten Dichter haben sich der Lautmalerei zur Erreichung der Klangschönheit und des Wohllauts bedient. 1. Wenn auch von vielen Dichtern behauptet werden kann, daß sie nicht mit dem vollen Verständnis der zu erzielenden Wirkung bestimmte Vokale für eine besondere Stimmung oder Empfindung anwenden, so ist doch die Laut­ malerei von den hervorragendsten mit Erfolg verwertet worden. Der malende Dichter erstrebt Äquivalente, die möglichst sinnlich bezeichnen. Er sucht nach denjenigen Wortlauten, welche dem Hauptklang der auszudrückenden Stimmung

in ihren Konsonanten oder ihren Vokalen oder beiden zugleich ähneln.

Wenn

er einen Sturm schildert, so möchte er gern alle Wörter, die er für seine Dichtung gebraucht, sausen hören, wie den Sturm selbst, während er für das Säuseln einev linden Westwinden nur säuselnde, fächelnde, hauchende Wörter

seinem Gedanken entsprechend findet. Für die Empfindung der Liebenden müssen ihm beispielsweise alle Wörter so anklingen, wie das schöne Wort Liebe selbst:

z. B.: Wo Liebe lebt und labt, ist lieb das Leben. (Vgl. die Beispiele des Kon­ sonanten l S. 129. a und b.)

Unzählige Beispiele können es dem

diesem

Ausgangspunkt,

diesem

Bestreben

aufmerksam Lesenden erhärten, alle

malenden

Dichterstellen

daß ihren

Ursprung verdanken. Der mit dem Grundton harmonierende Rhythmus bringt eine gewisse Einheit in das Mannigfaltige, wodurch die Darstellung malerisch sich gestaltet und Sinnlichkeit und Geist in dem Gewähren einer har­ monischen Thätigkeit sich äußern. Darum faßt der Dichter den sprachlichen Ausdruck so, daß die erwähnten Figuren das Ohr bei gleichen Klängen verweilen lassen,

wo der innere Sinn in gleicher Thätigkeit be­

harrt.

2. Man findet malerische Nachahmung in allen Sprachen, und Herder nimmt solche Nachahmung als ersten Grund und Anfang der menschlichen Sprache überhaupt an.

Allmählich erhielten

die Empfindungen und Anschauungen in

feststehenden Ausdrücken ihre Bezeichnung, und es gehört zu den interesiantesten Forschungen, wie dies geschah, und wie die nötige Tonverschiedenheit durch das

menschliche Sprachorgan möglich wurde. Ohne Zweifel war ursprünglich mit jedem Laut ein gewisser Vorstellungs­ und Gedankenwert verbunden.

120 Viele Bildungen unserer Sprache zeigen noch den sinnlich malenden ono­ matopoetischen Charakter beim ersten Blick. Ich erinnere nur an Wörter wie: piff, paff, puff, sieden, wallen, rasseln, prasseln, sausen, brausen, brüllen, krachen, blitzen, donnern, rollen, klappern, klirren, klingeln, lachen, Massen, klatschen, platschen, plätschern, klopfen, gackern, flammen, fluten, schnattern, krähen, grunzen, schmettern, flattern, jagen, schlagen, miauen; Trommel, Hummel. — Solche Wörter bildeten sich zweifellos nicht zufällig aus denselben Konsonanten und Vokalen! Man benützte vielleicht instinktiv eine bestimmte Konsonanten- oder Vokalverbindung, noch häufiger den einzelnen Vokal oder Konsonanten, um im Hinblick auf Grundfarbe und symbolische Bedeutung dieser Verbindungen und Laute ein Grundgefühl auszudrücken. Nachweislich diente, wie auch die dichterischen Beispiele weiter unten darthun werden: Schl f ür Bezeichnung des sich Schlingenden, Schlüpfrigen (Schlange, Schlinge). Kr für das sich Krümmende (Kranz, kraus, Kram). St für das Bestehende, Dauernde (stehen, stellen, Stand, Stanzm, Stütze, Stock, Staat, stampfen, Stskn). Fl für leichte Bewegung, für das Hauchen, Wehen (fliegen, fließen). Pl und Bl für das Blähende, Platzende. (Der Mund bläht sich zur Form der Blase auf und platzt, z. B. Plage — Schlag oder Stoß, ntyWf plaga, ferner Platz, plappern, plaudern, Plunze — eine sich bis zum Platzen blähende Wurst, plötzlich; Blitz, blinken, blenden, blaß, bleich, Blöße, Blüte, Blut, Blatter, blecken.) R für die stärkere Bewegung. Jordan findet in r die Vorstellung der Unebenheit, Heftigkeit, Rauhigkeit, des Aufregenden als Eigenschaft, als Bewegung oder der von ihr bewirkten Gestaltung, z. B. rauh, rauschen, rasseln, regen, Rohr — das gegen einander Rauschende, rühren, rot — eine erregende Farbe, Reiz, reißen, Reif, rennen, rinnen, rieseln, reiben, Rand, rasch, Roß, rüstig, Rabe u. s. f. Z für das Zerstörende, Zermalmende (Zahn, zerreißen). T und P für das Harte, Heftige, Widerstrebende. L für das Liebliche, Zarte, Milde, Schmeichelnde, Weiche, Langsame, weniger Handelnde als Leidende (Liebe, Leid, liegen, Lust, linde, leise). H für das geistig Bewegte, Mächtige, Erhabene (Haß, Hülfe, Heil, heilig, heimlich, heftig, Hüne, Halle, Himmel, Hölle, hoch). A für das Volle, Starke, Mannhafte, Klare. E für Bezeichnung des Klang- und Charakterlosen. I für das Innige, Sinnige, Liebliche, Freudige, Rasche, Scharfe, Hellklingende. O für das Tonangebende, Volle, Pompöse, aber auch Tote, Hohle. U für Glut, Wut, Flut; aber auch für Furcht, Luft und das Dumpfklingende.

121 Ä für das Gährende, Gefährliche. Ö für das Böse, aber auch für das Schöne, Versöhnende, Tön ende. Ü für das Blühende, Glühende, Stürmende.

Ei für Leid, Wein, für das Reine und das Heil, für das Er­ greifende. Eu für Freude, Treue, Reue; und Greuliche. Au für das Traurige,

aber

auch

für das Scheußliche

wie für das Trauliche und Erbauliche;

auch für das brausend sich Bahnbrechende u. s. w. u. s. w. Jedenfalls geht man nicht zu weit, wenn man behauptet, daß im All­ gemeinen das Helle i und e in den Ausrufen der Freude, das dumpfe

u, ferner o und a in denen des Selbstgefühls und der Kraft am Platze sind, und daß die Verschmelzung von dunklen und Hellen Vokalen in ä ö ü ei äu Gefühle charakterisiert, welche der Verschmelzung oder Mischung von Freude und Schmerz (d. i. Hoffnung, Sehnsucht, Heimat u. s. w.) entsprechen. Diese Anschauungen, denen wir auch bei Edler, bei Jordan („der epische Vers" S. 36 ff.), bei Kalt sch midt in seinem sprachvergleichenden Wörterbuch der deutschen Sprache und bei Wolzogen begegnen, sind selbstredend

nicht frei von Irrtum. Wenigstens lassen sich genug Beispiele zur Widerlegung finden. Sie sollen nur zur denkenden Vergleichung ausfordern; sie sollen ferner auf den lautmalenden Ursprung unserer Sprache und darauf Hinweisen, daß durch regelmäßigen Wechsel und durch Häufung gewisser Laute das bezeichnete

Grundgefühl erweckt wird, wenn auch im einzelnen Wort, zumal im Auslaut, heutzutage dergleichen nicht durchweg mehr nachzufühlen sein dürste. Es ist sicher keine Spielerei, der Lautsymbolik Beachtung zu schenken. Die heutige Poetik ist sogar hierzu verpflichtet, da ja sonst gewisse Dichtungen (z. B. von W. Jordan und Rich. Wagner) in ihren Ausgangspunkten gar nicht be­

griffen werden können. Hans von Wolzogen hat in seiner „poetischen Lautsymbolik" die psychi­ schen Wirkungen der Sprachlaute im Stabreime aus Richard Wagners „Ring

des Nibelungen" bestimmt. Ferner hat er durch eine Sammlung lauffymbolischer Proben nachzuweisen versucht, daß der lautsymbolische Charakter der Stäbe der vortönende Ausdruck

des in

den Dingen sich

bethätigenden Willens ist.

Er legt dem dichterischen Mimen, wie er den Konsonanten nennt — den

Charakter eines lautlichen Reflektoren des in der Bewegung verborgen wirksamen Willens bei und behauptet mit Recht, daß wir bei bestimmten Konsonanten eine symbolische Mitteilung bestimmter Vorstellungen deutlich herausfinden. Aus einer großen Zahl von Beispielen stellt er sodann die verschie­

denen Verwendungen desselben Lautes zusammen,

um so das Allen

Gemeinsame als den Grundcharakter des Konsonanten in seiner musikalisch-sym­ bolischen Wirkung auf unsere Empfindung zu bestimmen. Wie gründlich er zu Werke geht, möge folgende für unsern Gegenstand lehrreiche Probe beweisen.

122 Er sagt a.

a. O. S. 9:

„ Schon nach flüchtiger Betrachtung muß

es

auffallen, wie sehr gerade im Vorspiele zu dem Gesamtdrama „der Ring des Nibelungen" (also im Rheingold) die Lautsymbolik bevorzugt ist. Der elementare Charakter dieses Stückes, zumal der ersten im Rheine unter Nixen und Alben spielenden Szene, scheint auch dieses gleichsam aus sich erfordert zu haben.

elementare Ausdrucksmittel

Die spielenden und scherzenden Nixen, deren Namen sogar schon mit dem weichen, flüchtigen, labialen Hauchlaute W (F) anlauten, halten in ihrem ersten Wechselgesange durchweg den Stabreim W fest: Woge, Welle, walle, Wiege, wachst, war; zwei, wie, wildes, Gesch-Wister, sch-wimmen. Wie die beiden letzten Beispiele schon eine Erweiterung dieses Stabes durch das rauschend-

gleitende Sch enthalten, so mengt sich zum Schlüsse der ganzen Reimgruppe das dem W naheverwandte leichtere F mit dem L ein, als welche Konso­ nantenfolge Fl ein leichtes Dahinschnellen (Flitzen durch die Flut) anzudeuten scheint. Genauer ausgedrückt: Fl symbolisiert die flüchtig vorbrechende, leicht fortschnellende Bewegung. Ein sanfter Lippenhauch trifft aus einen weich nachgebenden Zungenwider­

stand, der den zweiten Teil des Hauches so zu sagen gefällig weiter befördert. Die Begriffe des Fliegens, Fliehens, Fliehens, bedienen sich dieser symbolischen Lautform mit Glück. Die ernstere Floßhilde, nachdem sie mit einem hallenden: Heiala weia! von oben herab unter die Schwestern gefahren, beendet das Scherzspiel durch eine Warnung: das Gold besser zu bewachen; und ihre Rede

entsagt dementsprechend zuerst dem Wogen- und Flut-Stabe. Da aber steigt lauschend der Nibelung Alberich aus den Klüften des Ab­

grundes von Nibelheim zum Rheine auf, und wie sein Geschlechtsname, so trägt

auch sein lockender Ruf an die Nixen den harten, bissigen N-Laut zur Schau, der seiner ganzen Art als der negativen Macht im Drama so trefflich entspricht,

wie er den schärfsten Gegensatz bildet zum weichen W der Wassergeister.

(Nicker,

niedlich, «eidlich, Nibelheim, Nacht, naht, neigtet, neckte, Nibelung u. s. s.)

Als er dann mit koboldartiger Behendigkeit den Mädchen über die Riffe nach­ zuklettern sich anschickt, da bezeichnen außerordentlich drastisch die Stäbe Gl und Schl, im Bunde mit dem leichten, schlüpfenden F das Abgleiten am schlüpf­ rigen Gesteine mit den Worten: Garstig glatter glitschriger Glimmer! Wie gleit ich aus! Mit Händen und Füßen nicht fasse noch halt' ich Das schlecke Gefchlüpfer!

und die lachende Woglinde ruft ihm gewissermaßen ein Prosit auf sein Prusten und Niesen mit dem passendsten Stabe Pr (Fr) zu,

welche Lautfolge über­

haupt eine hart hervorbrechende Bewegung durch nach vorn abstoßendes P und forttollendes R andeutet und an dieser Stelle zugleich den Ausbruch des Niesens

wie des spöttischen Gelächters bezeichnen kann:

Prustend naht meines Freiers Pracht!

123 Ganz anders dagegen klingt bald darauf der Stab Spr, gesprochen Shpr; ein Anlauf auf sausendem oder zischendem S oder Sh, ein Absprung aus ab­ stoßendem P, ein Fortschwingen auf rollendem R: da hat man den völligen

Sprung nach einer Beute lautsymbolisch dargestellt. So zürnt denn der ver­ lachte Nibelung, als Woglinde sich vor ihm auswärts nach einem hohen Seiten­ risse geschnellt: Wie fang ich im Sprung den spröden Fisch? Kaum aber will er seinen Sprung versuchen,

so hallt ihm schon wieder

von der andern Seite her Wellgundens Heller Lockruf mit dem reinen Hauche

H ins Obr: Heia! du Holder! hörst du mich nicht?

(5t findet sie auch bald reizender als Jene: Die minder gleißend und gar zu glatt und bittet:

Nur tiefer tauche, willst du mir taugen. Darin taucht zuerst das T mit seiner merkwürdigen symbolischen Bedeutung des (5'in- und Auftauchcns selber auf, das z. B. auch W. Jordan in dieser Weise sehr bevorzugt. Man vergleiche die prächtige, sich nach der Tiefe zu dumpf abtönende Darstellung des ins Wasser geschleuderten Steines:

Nun stürzte der Stein mit klatschendem Klange, Mit schäumendem Schall in die flimmernden Fluten Und tauchte zur Tiefe mit dumpfem Gedonner. (Sigfrids 17. Ges.) Ursprünglich bezeichnet das T nur eine Richtung wohin, daher es der demonstrative Konsonant ist. Die Pantomimik, durch die es erzeugt wird, be­

steht aber im Stoße der Zungenspitze gegen den Gaumen, daher es auch lautsymbolisch leicht das plötzliche Gelangen an einen Ort, sei es durch Fall oder Stoß oder

Sprung

bezeichnen kann.

Nimmt

man

den Spezialeindruck

der

Worte: tauchen, Tiefe und damit verwandter hinzu, so erklärt sich die Vorliebe für diesen Konsonanten als Ausdrucksmittel in den obenerwähnten Fällen. Die schlanken Arme schlinge um mich!

bittet Alberich weiter und zeigt damit, wie das Schl (gleichmäßige sanft hinschmelzende Bewegung Sch + L) nicht nur ein Hingleiten auf gerader Bahn, sondern auch ein Herumgleiten um einen Körper recht

in welcher Weise man es

noch

öfter auch

wohl bezeichnen könne,

im vorliegenden Werke

angewandt

findet." Wir müssen uns versagen, ein Mehr aus der einen Beitrag für eine Wifienschaft der Lautsymbolik bildenden Schrift Wolzogens zur Probe zu geben. Der interessevolle Forscher findet am Schluß derselben eine Rekapitulation alles

dessen, was Wolzogen im Laufe seiner Betrachtungen über jeden einzelnen kon­ sonantischen Laut und über besonders prägnante Lautfolgen lehrte: nämlich in

124 (und Anordnung

systematischer Übersicht

in Lippenlaute, Zahn- und Zungen­

laute, Gaumenlaute und Kehllaute) das Wesenhafte jedes Lautes,

das

unsere Seele zu bestimmten Vorstellungen anregt. Für die Folge wird sich der Fachmann mit den physischen Ursachen und

Gesetzen der organischen Lautbildung abzugeben haben, um die Wissenschaft der Lautsymbolik zu einem integrierenden Teil der Natur- und Seelenkunde zu er­ heben, welcher durch eigenartige, wunderliche Reize lohnen und sich seine Stellung

in der Poetik sichern wird.

Lautmalerei bei neueren Dichtern. Indem wir nunmehr auf die Dichtungen A.

W. Schlegels und Vossens

verweisen, von denen der erstere die Konsonanten, der letztere die Vokale meister­ haft anwendet und mischt, ferner auf die Dicbtungen W. Jordans (Nibelunge) und Rich. Wagners (Ring des Nibelungen), streben wir, in den folgenden Proben zunächst den Beweis zu erbringen, mit welchem Erfolg auch neuere Dichter onomatopoetische Gesetze verwirklicht haben. Zunächst bemerke man in Goethes Fischer, wie schön zu Anfang des Gedichts das gleichmäßige, schöne,

an Wellen erinnernde Wiegen anmutig ergreift: Das Wasser rauscht, das Wasser schwoll.

a

a e

au

aae

o

So wird bei jedem schönklingenden Gedicht der schöne Wechsel der Vokale für den harmonischen Eindruck von Bedeutung sein. In Goethes Mignon drücken dunkle Vokale eine aus, bis das unbefriedigte, ziehende i sich anschließt:

dumpfere Stimmung

Kennst du es wohl? Dahin, dahin Möcht ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn!

Dagegen das lockende, liebliche i im Erlkönig: Du liebes Kind, komm, geh mit mir, Gar schöne Spiele spiel' ich mit dir.

In der Bürgschaft von Schiller ist folgende Stelle überaus malerisch: Und donnernd sprengen die Wogen Des Gewölbes krachenden Bogen.

Hier wird durch kunstvolle Anwendung und Verbindung tiefer Vokale (donnernd, Wogen, Gewölbe, Bogen) und durch die bezeichnenden Zeitwörter sprengen und krachen der bei dem Einsturz hörbare Laut prächtig charakterisiert.

Die Gewalt des kräftigen a zeigt Rückert in seinem Lied auf die Schlacht bei Leipzig.

125 Kann denn kein Lied Krachen mit Macht So laut wie die Schlacht Hat gekracht um Leipzigs Gebiet? Drei Tag und drei Nacht Ohn Unterlaß Und nicht zum Spaß Hat die Schlacht gekracht. Vgl. auch Adolf Schults:

Der Lenz mit seinen Scharen Kam in vergangner Nacht; Du hast im Schlaf erfahren Die Macht der Unsichtbaren, Der Frühlingsgeister Macht. Ebenso Greiffs assonierende Ballade Der K ö n i g s s o h n:

Trat ein Hirtenknab In den Königssaal Fürstlich hin, Weist die Schulter dar: „Seht dies Muttermal, Wer ich bin." u. s. w.

Auch ist hier zu erwähnen Bürgers Lied vom braven Mann. Im Goetheschen Liede das Veilchen sind die vielen schweren a ein Symbol der Gewalt, die das Veilchen erdrückt. Ach! aber ach! das Mädchen kam Und nicht in Acht das Veilchen nahm, - Ertrat das arme Veilchen. Schiller (das taktmäßige Hämmern nachahmend):

Die Werke klappern Nacht und Tag Im Takte pocht der Hämmer Schlag.

Das dumpf klingende u schafft den Eindruck des Unheimlichen, wie es sich ungefähr in dem Furchtausdruck „huh" oder in den Worten Wut, Glut, Sturm,

Umsturz ausprägt: Der Landsturm! der Landsturm! Hörst Du's vom Kirchturm stürmen, Frau? Siehst Du die Nachbarn wimmeln? Schau! Und drüben stürmt es auch im Gau. Ich muß hinaus. Auf Gott vertrau! Des Feindes Blut ist Morgentau. Der Landsturm! der Landsturm! (Rückert.)

126 Noch besser malt Rückert mit dem Vokal u in seinem Napoleon I. 59: Was Licht in der Luft? Was Glanz im Azur? Die innere Glut ist selbst sich genug. Ausbreche, du Glut, aus Kerkerverschluß Durch dampfenden Schlund und fülle mit Dunst Jetzt Himmel und Luft! Daß irdisches Rund ein dunkeler Wust, Kein leuchtender Punkt, kein Strahl, kein Funk' In Höh' und Kluft, als in flammender Lust Ich einziger nur, mit schrecklichein Wurf Aus vulkanischer Brust ausschleudernd Wut In die Welt voll Furcht! So steh' ich herrschend im Dunkeln. Das o zeigt sich als Vokal für das Volltönende, wie für den Tod:

Und stiege meine Lieb' aus ihrem Grab Mit all den Wonnen, die sie einst mir gab, Und böte Alles, was sie einst mir bot: Umsonst! denn hin ist hin, und tot ist tot. (Geibel.)

„Donnert Welten, in feierlichem Gang in der Posaune Chor! (Klopstock.) Die Jammer-Nachbarn dringen her Mit hohlem Blick und Atem schwer. Sie halten an und schlängeln fort, Und singen Tod und Totenwort. Ohorro, orro ollalu. (Goethe.)

Scheffel,

indem er das Geschrei Sturmlaufender nachahmt, weis; Todes­

ahnung zu erwecken und Kraft zu äußern in Verbindung von o und a:

Ho, ho, heiadihoh! Avoy, avoy, alez avanz! Alsüs, also, alsüs, also! Ho, ho, heiadihoh, hoh, ho, ho!

Das Beglückende, Innige, das durch e und i ausgedrückt werden kann, zeigt diese Strophe Wilh. Müllers: Hört ihr des Wirtes Stimme? Heran, was kriecht und fliegt, Was geht und steht auf Erden, Was unter den Wogen sich wiegt, Und du mein Himmelspilger, Hier trinke trunken dich, Und sinke selig nieder Aus's Knie und denk' an mich.

127 Dies Lied verkündete der Jugend muntre Spiele, Der Frühlingsfeier freies Glück; Erinnrung hält mich nun, mit kindlichem Gefühle, Vom letzten, ernsten Schritt zurück. O tönet fort ihr süßen Himmelslieder! Die Thräne quillt, die Erde hat mich wieder! (Goethe, Faust.) Das Sinnige,

Innige des i ist auch

in

folgender Strophe Cäsars von

Lengerke ausgedrückt: Ich sprach: Ja mach dich auf geschwind, Zu küssen mir mein Herzenskind, Zu grüßen mir mein süßes Lieb, Wie's beiden geht, mir Kunde gieb!

Geibels Nachtigallenschlag „Tio, tjo, tio, tjo, tiotinr, o wie süß, o wie süß" (Ged. II. 261) verschmilzt i und o. Durch das i ist auch der Spott, die Satire zu bezeichnen: Kikeriki! Die Zeit ist hie! O sieh! O sieh! Welch' schönes Vieh! So was ist nie Gesehn allhie! Kikeriki! (Rückert, Napoleon L 13.) Die durch Umlaute (und Diphthonge § 25 d) erzeugten gemischten Gefühle werden durch folgende Strophe illustriert:

Wie die Knospe hütend, Daß sie nicht Blume werde, Liegt's so dumpf und brütend Über der drängenden Erde. (Friedr. Hebbel.) Die brausende, fortdringende Gewalt des au, das Kräftig-wirkende des a, das Freudig-liebliche des i, das Ergreifende des ei bringt nachstehender Vers von

Clemens Brerltano zum Ausdruck:

Es brauset und sauset das Tambourin, Es prasseln und rasseln die Schellen darin! Die Becken hell flimmern von tönenden Schimmern, Um Kling und um Klang, Um Sing und um Sang Schweifen die Pfeifen und greifen an's Herz Mit Freud' und mit Schmerz. Mit wenig Vokalen malt Uhland im weißen Hirsch Flucht, Schießen und Hörnerjubel: „Husch husch! piff paff! trara!" Ähnlich mit verständnisvoller

128 Abwechslung

der

das Klaffen,

die Bewegung und das Rusen nachahmenden

Vokale Bürger im wilden Jäger:

Laut klifft und klafft es, frei vom Koppel, Durch Korn und Dorn, durch Heid' und Stoppel-------Rischrasch quer über'n Kreuzweg ging's Mit Horridoh und Huffasa. Goethe in folgendem Chore (Faust), wo neben dem schönen Wechsel von

Vokalen noch Allitteration, Reim, Rhythmus und Konsonantenverbindungen malerisch verwertet sind:

Wenn sich lau die Lüfte füllen Um den grün umschränkten Plan, Süße Düfte, Nebelhüllen Senkt die Dämmerung heran. Lispelt leise süßen Frieden, Wiegt das Herz in Kindesruh'; Und den Augen dieses Müden Schließt des Tages Pforte zu. Nacht ist schon hereingesunken, Schließt sich heilig Stern an Stern; Große Lichter, kleine Funken Glitzern nah und glänzen fern, Glitzern hier, im See sich spiegelnd, Glänzen droben klarer Nacht, Tiefsten Ruhens Glück besiegelnd, Herrscht des Mondes volle Pracht zc.

Drastisch anschaulich malt

der

hyperbolische Blumauer in

seiner Liebes­

erklärung eines Kraftgenies:

Ha! wie rudert meine Seele Nun in der Empfindung Ocean? Laute Seufzer sprengen mir die Kehle, Die man auf zehn Meilen hören kann u. s. w.

Bei den Konsonanten giebt ost schon der Ton die eigenartige Stimmung:

Jedem Worte klingt Der Ursprung nach, wo es sich herbedingt; Grau, grämlich, griesgram, gräulich, Gräber, grimmig, Etymologisch gleicherweise stimmig, Verstimmen uns(Goethe, Faust il)

Als Beispiel, wie Z und P und ck im obigen Sinne Verwendung fanden, mögen die Worte Schillers gelten: Da reiz' ich sie, den Wurm zu packen, Die spitzen Zähne einzuhacken. ?-

Ebenso ist für die Anwendung desj l charakteristisch,

wie die Vorstellung

durch das fortleuchtende l bis zum Schluß rege erhalten bleibt:

129 a) Lieblich in der Bräute Locken Spielt der jungfräuliche Kranz Und die Hellen Kirchenglocken Laden zu des Festes Glanz.

b) Wo Lieb liegt bei Liebe, lieblich sie sich leiben, Lieb kann sich lieber machen Zu Liebe in lieben Sachen, Die Liebe gebiert, Daß Lieb mit Liebe lieber wird. u. s. w. (Konrad der Schenke v. Landegge. Tieck XX. 142. Vgl. Minnes. v. d. Hagen I. 350.) Tie Lustbewegung

des Strudels

drückt Schiller im Taucher durch Ver­

bindung des h mit tiefen Vokalen aus: Und hohler und hohler hört man's heulen.

Tas Geräusch des ersehnten Regens malt Klopstock durch das rauschende sch,

dessen Eindruck er durch Wiederholung verstärken möchte: Ach, schon rauscht, schon rauscht Himmel iinb Erd von gnädigem Regen.

Wunderbar gebraucht Goethe das r im Sturmlied, welches man sich ohne das bewegte r und ohne das dumpfe Sturm-u nicht denken kann: Wenn die Räder rasselten Rad an Rad rasch um's Ziel weg, Hoch flog Siegdurchglühter Jünglinge Peitschenknall.

Treffliche Beispiele der Lautmalerei, der Klangschönheit und des Wohllauts sind noch die folgenden:

Pfosten stürzen, Fenster klirren, Kinder jammern, Mütter irren, Tiere wimmern Unter Trümmern; Alles rennet, rettet, flüchtet re. (Schillers' Glocke.) Dann stürz' ich auf die Räder mich Mit Brausen, Und alle Schaufeln drehen sich Im Sausen. (Goethes Werke, I. 166.)

Walle! walle Manche Strecke, Daß, zum Zwecke, Wasser fließe, Und mit reichem, vollem Schwalle Zu dem Bade sich ergieße. Beyer, Deutsche Poetik. I.

(Goethe.) 9

130 Von dem Dome Schwer und bang Tönt die Glocke Grabgesang.

(Schillers Glocke.) Der Damm zerreißt, das Feld erbraust, Die Fluten spülen, die Fläche saust. (Goethe.)

Durch die Wälder streif ich munter. Wenn der Wind die Stämme rüttelt, Und mit Rascheln bunt und bunter Blatt auf Blatt herunterschüttelt. (v. Sallet.) Der Waffenschmied von Solingen ließ Schlot und Esse dampfen, Doch wenn er dann die Zeitung las, mit Füßen thät er stampfen. (Gruppe.) Aus der staubigen Residenz In den laubigen, frischen Lenz, Aus dem tosenden Gassenschrei In den kosenden stillen Mai.

(Rückert.) Übermäßige Anwendung der Lautmalerei, z. B. bei Sigmund v. Birken

im Frühlings Willkomm wird unschön, undeutsch-. Es Es Es Es

funken und finken und blinken, säuseln und Kräuseln und kräuseln, strudeln und brudeln und wudeln, witzschern und zitschern und zwitschern ?c. ?c.

Ebenso führt die zu häufige Wiederholung desselben Vokals zum Mißktang (= Kakophonie), z. B.: Unter der buschigen Ulme ruhte Die Jugend unschuldig. Charakteristisch nachahmung : -

wirkt die häufig

zum

Goethe das Wolfheulen nachahmend:

Spielerischen

ausartende

Wille wau wau wau;

Tierton­

Wille wo

wo wo; Wito hu! Julius Wolf den Finkenschlag wiedergebend: Finkferlingfinkfinkzißspeuzia,

parerlalala zischketschia! hoiza! Fritz, Fritz, Fritz, rüdidia,

§ 29. Das dichterisch Unschöne. 1. Hiatus.

Hiatus (von hiare klaffen) heißt in der Metrik das unschöne Zusammentreffen zweier Vokale als Auslaut eines vorhergehenden und als Anlaut eines diesem eng folgenden Wortes.

131 Beispiel:

Du Unsel'ge; hosse er; die ich; Tau auf; sei eilig. Es entsteht durch dieses Zusammenstößen zweier Vokale ein Doppelhauch,

welcher den Wohlklang (= Euphonie) und den Redefluß stört.

Das Ohr will

ebensowenig die Hausung der Vokale ertragen als das Auge eine fortgesetzte oder länger andauernde Öffnung des Mundes. Es ist eine ernste Forderung, daß

die poetische Sprache leicht zu sprechen und zu hören sei. Betrachten wir die Vokale nach ihrer Klangverwandtschast (a e ö o i ü u), so steht das u dem a

am entferntesten, weshalb z. B. ein Hiatus aTu weniger wird, als ein Hiatus cTi, oder eTc, iTt, iiTii.

störend empfunden

O du Allmächtiger, Tu bist so nah und fern.

Beispiele:

Alle, die ich liebe, Sic schätzen Liebe^Ehre, Ehrfurcht. Elende Esel.

Sie löschte ihr Lämpchen mit Thränen. Rur bei ganz enger Zusammengehörigkeit der Wörter- oder Redeteile ver­

schwindet das Anstößige des Hiatus, z. B. du ordnest, oder du irrst; geordnet; geirrt. Z. B.:

Auffallend ist er auch nicht bei syntaktischen Pausen (Interpunktionen) Wehl^hr geht?

Während

der

Hiatus

auch

im Lateinischen

bei Hauptcäsuren vermieden

werden muß, läßt er sich im Deutschen bei stehenden Eäsuren (z. B. inmitten der Nibelungenstrophe) oder bei stehenden Diäresen (z. B. beim Alexandriner) durch das meist gleichzeitige Eintreten der rhythmischen Pause entschuldigen, ebenso nach einem Interpunktionszeichen, d. h. nach syntaktischen Pausen; nimmermehr aber bei untergeordneten Eäsuren und Diäresen.

Bei Vokalen

den Griechen im

in

der Mitte

des

alljonischen Wortes

Epos war das Zusammentreffen von

eher

wohllautend

als

fehlerhaft

(z. B.

ido/Ltai, doididovoa). Unsere jambischen und

trochäischen Verse

vertragen

den Hiatus

leichter,

als daktylische und anapästische, da bei letzteren die zweisilbigen Hebungen rasch hintereinander gesprochen werden müssen, des Tones nicht vertragen. Interessant ist, daß die

ebenso empfindlich

gegen

weshalb sie

Sanskritsprache —

den Hiatus ist,

ein doppeltes Einsetzen

nach Herm. Brockhaus —

als die deutsch-poetische,

oder

das

attische Griechisch gegenüber dem homerischen.

Wilh. Jordan, der für jeden Vokal — ähnlich wie im Griechischen — einen „deutlichen Vorhauch" beim Sprechen in Anspruch nimmt, erklärt den Hiatus für eine fremdländische, aus Mißverständnis eingeschwärzte Regel, deren Beobachtung durch Elision und Apostrophe, mit Ausnahme einiger vom Sprach­

gebrauch

gebilligter

Fälle

weit

ärgere

Härten

erzeuge,

als

die

meist

nur

132 angeblichen, die man vermeiden will.

Einen eigentlichen Hiatus mache sein un­

geschriebener, unsichtbarer Vorschlagskonsonant ganz unmöglich. Doch erkennt Jordan den verpönten Übelklang dann an, wenn die Vokale zugleich auf der­

selben Stufe stehen und gleiche Tonhöhe haben,

z. B. Sie^Jgel; See^eher;

du^Uhu; während er behauptet, daß Fälle wie: sie^irren; See^Ecke; du^Unhold ohne Übelklang ausgesprochen werden können.

Richard

Wagner

(Ges.

Schriften

und

S.

Dichtungen Bd. VI.

230)

scheint der Theorie des Jordanschen Vorhauchs zuzustimmen, denn er allitteriert Öde^Höh; (nämlich: Selige^Öde auf sonniger Höh). Bestreitet man die Ab­ sichtlichkeit dieser Allitteration, so liegt ein Hiatus offenkundig vor. Da wir kein Verständnis für Jordans Vorhauch haben, so müssen wir

bei unserer Ansicht von der Verwerflichkeit des Hiatus verharren. Schon Zesen (1640) sagt: Welcher Vernünftige, dem Ohren zur Beur­

teilung des Klanges der Worte gegeben seien, würde wohl bejahen, daß dieses wohl lautete, wenn man setzen wollte: „Ich liebe^alle^Armen", da das e und a zweimal zusammenstößt. Georg Neumark (1667) will das e auch am Ende eines Verses wegwerfen, wenn der folgende mit einem Vokal beginne. Ma­ gister Pfefferkorn (1669) schließt sich dieser Forderung an. gestattet eine Ausnahme, wo in der Rede ein wenig inne Z. B. „Ach Schone!^Euer Thun gefällt mir wohl."

Roth (1688) gehalten wird.

Gleim vermeidet den Hiatus in den Kriegsliedern; Uz und Georg Jakobi vermeiden ihn ebenfalls, desgleichen Gellert in der letzten Fassung seiner Ge­

Lessing

dichte.

lands Verse sind

gestattet den Hiatus

nicht ganz

rein

in der Cäsur des Alexandriners.

vom Hiatus

(in 584 Versen

Wie­

des Oberon

finden sich 5 Fälle). Klopstock mit) Voß sind sehr streng in Vermeidung des Hiatus, desgleichen Bürger. Hölty findet den Hiatus zulässig; ebenso Goethe, der sich sogar den Gleichklang aus- und an lautender Z. B. Je^eher du zu^uns zurücke kehrst (im Tasso).

Worte

gestattet.

Die Romantiker (vor allem Tieck, sowie auch Schiller und Rückert) waren

sehr unachtsam

gegen den Hiatus.

wird

Trotzdem

für nach­

ihn niemand

ahmenswert erklären, da jeder metrische Vers durch den Hiatus mindestens an Wohllaut wie an Kraft des Rhythmus einbüßt. Scherer sagt:

zeihen;

es ist gut,

„Niemand daß

soll nachahmen,

gern ver­

was wir Schiller

er keine seiner kärglich zugezählten Minuten auf die

Wegschaffung von Hiaten gewendet hat.

Unsere großen Dichter wußten, wie

viel der ernste Wille und strenge Arbeit in der Kunst bedeutet;

die aller -

jüngsten Knirpse denken, der Herr müsse es ihnen im Schlafe schenken. — Ich fürchte nicht, daß nach der Epoche der Bummelpoesie, in der wir jetzt

stehen, schon das Nichts kommt, daß der jammervolle Verfall unserer Lyrik schon das vorläufige Ende bedeute. Ich glaube noch an die Möglichkeit eines Aufschwungs und möchte deshalb

diejenigen,

welche berufen sind,

wirken, auf die Formenstrenge des vorigen Jahrhunderts verweisen, Sieg führte."

dafür

zu

die zum

133 2.

Elision.

Man vermeidet den Hiatus durch Elision, d.i.Auslassung des einen Vokals (z. B. hoff' er, für: Hoffeger) oder durch Einschaltung eines oder mehrerer mit Konsonanten beginnender und endigender Wörter (z. B. hoffe liebend er). Die licentia poetica, die so oft ihre Zu­ flucht zur Elision nimmt, würde besser handeln, wenn sie den Vers so zu drehen und zu wenden suchte, daß die Elision vermieden würde. Ohne Mühe und Fleiß kein Erfolg im Versbauen! Die Griechen — wie auch die Römer — vermieden den Hiatus durch eine

sogenannte Apokope (d. i. Weglassung des Vokals), wobei sie sodann den Apostroph

setzten (z. B. tc7> , z (Goethes Egmont.) 2. Die Anrede richtet sich an abwesende Personen: Soll ich von deinem Tode singen? O Marianne! welch ein Lied!

Faller.)

3. An leblose Gegenstände: Lebt wohl, ihr Berge, ihr geliebten Triften, Ihr traulich stillen Thäler, lebet wohl! (Schiller. Vgl. auch Lied an die Freude.)

(Vgl. Hom. Iliad. XVI. 692. 787. Cic. pro Mil. 31, Cat. I. 13.)

37 und in

§ 45. Die Frage (Interrogatio) und der Dialogisnms. oc. Frage. Die Frage kann bejahend oder verneinend fein; sie kann eine Antwort verlangen oder sie kann als rhetorische Frage insofern zur Steigerung einer Wirkung gebraucht werden, als sie den Gefragten zwingt, die Antwort sich zu denken und zu ergänzen. Beispiele:

Will sich Hektor ewig von mir wenden?

(Schiller.) Willst du nicht das Lämmlein hüten?

(Schiller.)

Wer weiß wie nahe mir mein Ende?

(Kirchenlied.) Kann ich Armeen aus der Erde stampfen? Wächst mir ein Kornfeld in der flachen Hand?

(Schiller.) O Jugendthorheit! Himmel voll von Geigen! Warum so bald umwölkt von grauem Schweigen? (B. Scheffel.) (Vgl. den Eingang der 1. Eatilinaria Ciceros. hodierne crastinae horae. Hör. Od.)

Quis sciat, an adjiciant

183 ß.

Dialogismus.

Tie Frage wird zum Dialogismus (ÄaZoyw/idg — Unterredung — sermocinatio), wenn dieselbe fortspinnend die Gedanken des Fragen­ den einzeln darlegt. Beispiele:

Kennst du das Land? wo die Citronen blüh'u, Im dunkeln Laub die Gold-Orangen glüh'n, Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht, Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht, Kennst du es wohl?

(Goethe.)

Wer fuhrt Euch her? Wer gab Euch dieses Recht, Verstohlen, heimlich bei mir einzudringen? Wer schloß Euch jenen Eingang auf? (Max Waldau, Der Graf von Hammersteiu.) Er schläft — und fühlt er, was tmui ihm geraubt? Träumt er vielleicht von seinen Eichenbäumen? Träumt er sich einen Siegeskranz um's Haupt? — O Gott der Freiheit, laß ihn weiter träumen!

(Herwegh.) (Die letzte Zeile ist auch ein Beispiel der Apostrophe.) Was ragt dort so stolz in den Himmel hinein Und schimmert, umflossen vom schneeigen Schein? Das sind unsre heimischen Berge. (M. Edgar.) Wann werdet ihr, Poeten, des Dichtens einmal müd? Wann wird einst ausgesungen das, alte, ew'ge Lied? Ist nicht schon längst geleeret des Überflusses Horn, Gepflückt nicht jede Blume, erschöpft nicht jeder Born? (Anast. Grün, Der letzte Dichter.)

Bist du im Wald gewandelt, wenn's drin so heimlich rauscht, Wenn aus den hohen Büschen das Wild aushorchend lauscht? Bist du im Wald gewandelt, wenn drin das Frühlicht geht, Und purpurrot die Tanne im Morgenscheine steht? Hast du da recht verstanden des Waldes zaub'risch Grün, Sein heimlich süßes Rauschen und seine Melodien? (Moritz Horn, Pilgerfahrt der Rose.) Lessing verdankt der richtigen Anwendung der Frage und des DialogisMUs einen Teil seiner Wirkung. (Vgl. z. B. Nathans Monolog in Saladins

Audienzzimmer.) Auch andere Dichter wenden diese Figur mit Vorliebe an. Vgl. Homer Jliad. I, 8 (Hom., zis izotHv sis ctvdQcov, noth toi yevog toxt]€$),

Anfang 2C.

ferner Goethes Faustmonolog am Anfang,

seinen Erlkönig am

184

§ 46. Das Polysyndeton. Unter Polysyndeton (nokvovvdtTov = Vielverbinduug) versteht man eine Häufung von Verbindungspartikeln. Wenn die Partikeln in der Poesie nur in sehr beschränktem Maße zur Anwendung kommen, so macht doch das Bindewort „Und" eine Ausnahme. Es wird häufiger gebraucht, wo eine Hausung, Steigerung oder dramatische

Wirkung erzielt werden soll. Beispiele:

Und es wallet und siedet und brauset und zischt, Wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt, Bis zum Himmel spritzet der dampfende Gischt, Und Well auf Well sich ohn Ende drängt, Und wie mit des fernen Donners Getose Entstürzt es brüllend dem finstern Schoße. Und sieh! aus dem finster flutenden Schoß, Da hebet sich's schwanenweiß, Und ein Arm und ein glänzender Nacken wird bloß, Und es rudert mit Kraft und mit emsigem Fleiß, Und er ist's, und hoch in seiner Linken Schwingt er den Becher mit freudigem Winken. (Schillers Taucher.) Und drinnen waltet die züchtige Hausfrau uud herrschet weise und lehret die Mädchen und wehret den Knaben und reget ohn Ende die fleißigen Hände und mehrt den Gewinn ?c. (Schillers Glocke.) Meine Töchter führen den nächtlichen Reihn Und wiegen und tanzen und singen dich ein. (Goethe.)

Das Polysyndeton mit „Oder" wendet besonders Rückert an:

Hättest du ein Rind, Oder Kalb und Kuh, Oder Roß und Schwein, Oder groß und klein, Alles insgemein Würde krank auch sein. (Rückerts Kindertotenlieder 145.)

§ 47. Das Asyndeton. Das Asyndeton (aovvdtTov — Verbindungslosigkeit — dissolutio) ist das Gegenteil von Polysyndeton. Es läßt die Bindewörter im zusammengesetzten Satze auch da weg, wo sie sogar die Prosa an­ wenden würde, wo sich also die Vorstellungen in dramatisch belebter Progression gedrungen an einander reihen.

185 Beispiele:

Alles rennet, rettet, flüchtet,

taghell ist die Nacht gelichtet. (Schillers Glocke.) Sie stürmten, riefen, standen, weinten, Erstaunten, verfluchten, segneten! (Vgl. die ähnlichen Stellen in Mopstocks Messias 10, 156 und 999.)

Rusts, trank, dürstete, bebte, ward bleicher, blutete, rüste. (Mopstocks Messias 10, 1049.) Blumen, Vögel, Schmetterlinge, Aller Zonen Poesie, Hasch ich, fang ich, sammt' ich, bringe Meiner Lieb' in Liedern sie. ^Rückert.) . Wer da noch singt, der sollte, den Propheten Nacheifernd, zürnen, strafen, trauern, beten. (V. Scheffel.) Auch die Weglassung des „Wie" (z. B. Ein Regenstrom ans Felsenriffen = Wie ein Regenstrom ?e., oder S o strömen des Gesanges Wellen u. s. w. in Macht des Gesanges von Schiller), ferner das „Wenn" kann als Asvndeton

bezeichnet werden. Beispiele:

Der Lenz erwacht; auf den erwärmten Triften Schießt frohes Leben jugendlich hervor (statt: wenn der Lenz erwacht). Der Lenz entflieht: die Blume schießt in Samen, Und keine bleibt von allen, welche kamen (statt: wenn der Lenz entflieht re.). (Schiller, Sängers Abschied.)

Veni, vidi, vici. (Sueton. Jul. Caes. 37. Cicero: Abiit, excessit, evasit, erupit.)

§ 48. Die Wiederholung (Repetitio). Sie ist die erneute Wiederkehr der gleichen Worte, Sätze oder Begriffe. Sie erzielt

ihre Wirkung,

Worte wiederholt

zuruft oder

Ihr Zweck ist,

indem sie

die

dem Gedächtnisse die betreffenden

gleichen Vorstellungen

wiederkehren macht.

die rasche Bewegung zu zügeln und die Einbildung auf

einem Ruhepunkt verweilen, haften zu lassen. Die epische Wiederholung, die sich auch auf große Vorstellungsreihen erstrecken kann, ist nur für die Rhetorik beachtenswert.

Die in der Poetik vorzuführenden Wiederholungssormen haben

nur einzelne Worte oder Satzteile zu repetieren. (Die beiden Wiederholungsformen „Echo" und „Refrain" werden wir weiter unten beim Reim abhandeln.)

Formen -er Wiederholung.

1. Anaphora (Wiederholung des Anfangs).

Die Anaphora (griech. aicHpoQd — Wiederbringung) wiederholt das gleiche Wort oder dieselbe Wortreihe am Anfang einander folgender Sätze.

186 Sie verbindet sich

gern mit

der Distribution

am häufigsten in der Priamelsorm vor. 2. Band.)

(Vgl. den

(vgl. $ 40)

kommt

und

betreffenden Abschnitt im

Sie belebt und verstärkt den Rlwtbmus und erscheint wie einander

folgende Wellen.

Beispiele:

So So So So So Wie

wahr die Sonne scheinet, wahr die Wolke weinet, wahr die Flamme sprüht, wahr der Frühling blüht; w a h r hab ich empfunden, ich dich halt' umwunden.

(Rückert.)

Flügel! Flügel, Flügel, Flügel,

Flügel! um zu fliegen über Berg und Thal, um mein Herz zu wiegen auf des Morgens Strahl, übers Meer zu schweben mit dem Morgenrot, Flügel über's Leben, über Grab und Tod. (Rückert.)

Was Was Was Was

ihr ihr ihr ihr

nicht tastet, steht euch meilenfern, nicht faßt, das fehlt euch ganz und gar. nicht rechnet, glaubt ihr, sei nicht wahr, nicht wägt, hat für euch kein Gewicht u. s. tu. (Goethe in Faust.)

Liebe und Trompeteublasen nützen zu viel guten Dingen, Liebe und Trompetenblasen selbst ein adlig Weib erringen, Liebe und Trompetenblasen, mög es Jedem so gelingen Wie dem Herrn Trompeter Werner an dem Rheine zu Säkkingen! (Scheffel, Schluß des Trompeters v. Säkkmgen.)

Ich liebe dich, weil ich dich lieben muß; Ich liebe dich, weil ich nicht anders kann; Ich liebe dich nach einem Himmelsschluß, Ich liebe dich durch einen Zauberbann. Dich lieb ich, wie die Rose ihren Strauch, Dich lieb ich, wie die Sonne ihren Schein, Dich lieb ich, weil du bist mein Lebenshauch, Dich lieb ich, weil dich lieben ist mein Sein.

(Rückert.) (Dieses Gedicht ist zugleich eine Probe für die weiter unten zu besprechende

An Anaphern reich ist Goethes bekannte Ballade: Der Fischer,

Epanodos.

ferner

Schillers

313 — 318,

Elegie:

Der

Spaziergang.

wo die Worte „durch Rat"

Vgl.

dreimal

Homer,

wiederholt

Iliad. werden,

XXIII. ferner

Hesiod, opp. et d. 5—8.)

2. Epiphora (Wiederholung des Schlusses).

Die Epiphora (tnigoyd = Nachbringeu, Zugabe) ist die Gegenfigur der Anapher. Die gleichen Worte bilden den Abschluß einander folgender Sätze, wie das namentlich bei den von Rückert und Platen unserer Litteratur vermittelten Kassiden und Ghaselen der Fall ist. (Vgl. die Dichtungsgattung des Ghasels § 184 dieses Bandes.)

187 Beispiele: a.

Was singt und sagt ihr mir, Vögelein, von Liebe? Was klingt ihr und klagt ihr in's Herz mir hinein von Liebe? Ihr habt mir gesagt und gesungen genug, Ich hab euch gehört und verstanden genug, von Liebe von Liebe, von Liebe. (Rückert, Liebespredigt.)

b. Ich sah auf dich und weinte nicht. Der Schmerz Schlug meine Zähne knirschend an einander; Ich weinte nicht. Mein königliches Blut Floß schändlich unter unbarmherzigen Streichen; Ich sah a u f dich und weinte nicht. (Schiller, Don Carlos, I, 2.) (Diese Stelle ist zugleich ei« Beispiel für die später folgende Epanalepsis.)

c. Nicht möcht' ich deinen Geist in Sünden töten, Nein, Gott verhüt's! nicht deine Seele töten! (Shakespeare, Othello V, 2.)

3. Anadiplosis. Anadiplosis (avadmlwoig = Verdoppelung) ist die Wiederholung eines den Satz beendigenden Wortes am Anfang des folgenden Satzes. Beispiele: a. Nicht der Frühling kann dir's geben, Geben mußt dem Frühling du Seinen Glanz, sein Blütenleben, Seinen Frieden, seine Ruh!

(Rückert.) b. Mein Eidam ist der Tod, der Tod mein Erbe. (Shakespeare.)

c. Ja, Sire, wir waren Brüder! Brüder durch Ein edler Band, als die Natur es schmiedet. Sein schöner Lebenslauf war Liebe. Liebe Für mich sein großer, schöner Tod. (Schiller, Don Carlos.) d. Wenn die ersten Rosen blühn Bin ich weit von hier; Weit von hier im Rebengrün Träum' ich dann von dir. (Jill. Rodenberg.)

4. Epanalepsis.

In der Epanalepsis (tnctvabpt’u; = Wiederaufnahme) dient das den ersten Satz beginnende Wort auch zum Schluß. Beispiele:

In Gesichten und Gedichten Was mir Schönstes je erschienen, Habt ihr alles überschönet. Und ich staunte, daß ich lebend

188 Sollt' in euch vor Augen sehen, Was ich nur geglaubt, es lebe In Gedichten und Gesichten. (Rückerts Kindertotenlieder.) Weinet nur um mich, ihr Kinder des Lichts! er liebt mich nicht wieder, Ewig nicht wieder, ach, weinet um mich! (Klopstock, Messias 2. 765.)

Sagen, nein, ich kann es nicht, Was im Innern für dich glühet, Was mich magisch an dich ziehet, Sagen, nein, ich kann es nicht. (Luise Brachmann.) Ihr blauen Augen, gute Nacht! Schließt euch zu holden Träumen, Auf daß ihr hell und frisch erwacht, Wenn golden sich die Wolken säumen, Ihr blauen Augen, gute Nacht. (Fr. Halms Serenade.)

Vgl. noch:

Du bist schön, Italien! re.

(Fr. Halms Italien.)

6. Epanodos. Die Epanodos (tnavoöo$= SRücftoeg) bringt die zu wiederholenden Wörter — etwa des Gegensatzes wegen — in umgekehrter Folge. (Vgl. die Anapher „Ich liebe dich" von Rückert S. 186 d. B. als Beispiel. Des­ gleichen: Pharao sprach: Ihr seid müßig, müßig seid ihr. 1. Mos. 5. 17.) Weitere Beispiele:

Freud muß Leid, Leid muß Freude haben. (Goethe, Faust 1.) Seit jeder Hans zum Edelman ne ward, Ist mancher edle Mann zum Hans geworden. (Shakespeare, Romeo und Julie II.) O ihr Augensterne, Oder Sternenaugen. (Rückert, Kindertotenlieder 68. Vgl. noch ebend. 378.) Sittah: Wer kann das? kann das auch nur wollen, Liebe? Recha: Wer? meine gute böse Daja kann Das wollen — will das können. (Lessing im Nathan.)

6. Epizeuxis.

Die Epizeuxis — Zusammenziehung) ist die unmittel­ bare Wiederholung desselben Wortes innerhalb des Satzes oder des Satzes innerhalb des Gedichts. Sie kann überall stehen und ist daher die häufigste Wiederholung. Re­ duplikationen wie Aug' um Auge, Zahn um Zahn, Hand in Hand, können als die einfachste Art der Epizeuxis aufgefaßt werden. Ebenso viele Ausdrücke der Volksrede: Z. B. Weiter, weiter! Wohl, wohl! Ja, ja! So, so! Sieh, sieh! Sie ist die Lieblingssorm des Volksliedes.

189 Beispiele der Epizeuris im Volkslied. a. Mutter, liebe Mutter mein, o Tochter, liebe Tochter mein.

b. O Reitknecht, lieber Reitknecht mein. c. Ach Mutter, sagte sie, Mutter, ach Tochter, sagte sie, Tochter. d. Ach Sünder, ach Sünder, was hast du für Not? e. Ach Mutter, wenu das mein Vater müßt',

f. Ach Mutter, jetzt ist mein letztes End, g. Ach Mutter, wie ist der Schlaf so süß! h. Muß i denn, muß i denn zum Städtele 'naus. Wenn i komm, wenn i komm, wenn i wiederum komm.

i. O du Deutschland, ich muß marschieren, O du Deutschland, ich muß fort. k. O Mutter, Mutter, hin ist hin, Verloren ist verloren, Der Tod, der Tod ist mein Gewinn u. s. w. Beispiele aus der K u n st p o e s i e:

1. Leise, leise schallt' ich nieder Auf das Antlitz meiner Holden, Auf die Locken golden, golden. (Rückert.)

m. Keine Schwalbe bringt, keine Schwalbe bringt dir zurück, wonach du weinst. Doch die Schwalbe singt, doch die Schwalbe singt im Dorf wie einst. (Rückert.) n. Vorbei sind die Fasten, das Fest ist, das Fest ist gekommen. (Rückert.) 0. Auferstehn, ja auferstehn wirst du mein Staub. (Klopstock.) p. Es ist ein Schnee gefallen. Denn es ist noch nicht Zeit, Daß von den Blümlein allen, Daß von den Blümlein allen Wir werden hoch erfreut. (Goethe, „März".)

q. Große Lichter, kleine Funken Glitzern noch und glänzen fern, Glitzern hier, in See sich spiegelnd, Glänzen droben klarer Nacht.

(Goethe.) r. Wir wandern — wandern allzumal. (Schmidt-Cabanis, „Fritz Reuter tot".) 8. Mein Kahn, mein Kahn geht schnell. (Max Waldau, Märchen von der Zeit.)

7. Polyptoto n. Polyptoton (nolimtunov) ist die Wiederholung eines Wortes in verschiedenen Flexionsformen. (Bgl. hier das letzte Beispiel weiter unten unter Anfangsreim § 138, 9.)

190 Beispiele:

Worts den Ton habe, be­ schränken sich auf wenige Zusammensetzungen und Präpositionen. Nachlässigkeit und Verwilderung schien es, daß diese Tonverschiebung auch einzeln in andere Zusammensetzungen eindrang; ebensowenig durchgeführt findet sie Lachmann in dem Fall der Enklisis zweisilbiger Personalpronomina: „Fremde Wörter, zumal Namen, bequemen sich nicht immer der deutschen Accentregel." Lachmann sagt

gegen den Schluß seiner Abhandlung (S. 265): „In der Accentlehre anderer Sprachen pflegt man, so weit nur die einzelnen Wörter für sich zu betrachten sind, sich mit der Bestimmung des Hochtons zu begnügen. Von Beachtung des Nebenaccents werden sich bei den alten Grammatikern wenig Spuren finden, wie die Bemerkung des Nigidius Figulus, daß in dem Vokativ, der später zu

Gallus Zeit Valeri gesprochen ward, der Accent von der ersten Silbe stufen­ weise herabsteige, also Valeri, nicht so wie wir die dritte über die zweite er­

hebend aussprechen, Valerie. des Pulci,

Etwas freier gebaute italienische Verse, wie die

scheinen oft einer der notwendigen Eäsuren zu

entbehren,

wenn

man nicht auf den Nebenaccent achtet, wodurch die italienischen Grammatiker sich mehr auf diesen Punkt leiten lassen mußten. Im Deutschen ist man dar­ auf jederzeit aufmerksam gewesen, und seit dem 17. Jahrh, mußte man es,

weil nicht der gewöhnlichste Vers ohne Beachtung des Tieftons der dreisilbigen Wörter zu Stande gebracht werden konnte. Bei der Nach­ ahmung antiker Maße ward das Ohr noch dafür geschärft, und I. H. Voß hat die Lehre ziemlich bis in's Feinste vollendet. Nur das abweichende Gesetz der

alt- und mittelhochdeutschen Betonung der Nebensilben,

(das zuerst

aus

den

mittelhochdeutschen Reimen entdeckt wurde) war noch zu finden. Aus den weniger mannigfaltigen Otfried'schen Neimen wäre vielleicht die richtige Lehre schwerer abzuleiten gewesen: in diesen leicht wieder."

einmal erkannt, fand sie sich auch

225

§ 69. Arcent und Ctuantität im Mittelhochdeutschen. 1. Im Anfänge des 13. Jahrh, und in der Folgezeit wurden Tonzeichen (zur Bezeichnung des Accents) immer seltener; sie fanden sich noch hie und da, um die tonliche Bevorzugung des Reims an­ zuzeigen. Der Quantität ließ man insofern noch eine (allmählich verschwindende) Rücksicht angedeihen, als man noch die Längen und die Diphthonge bezeichnete. 2. Mit der Herrschaft des Reims begründete sich zusehends die Herrschaft des Accents, besonders int christlichen Gedicht und Gesang wie im Bolksliede. 1.

Einige Proben

mögen die Abnabme der Tonzeichen wie deren übrig

gebliebene Verwendung beweisen:

a. aus dem Ni belungenep o Ez wuohs in Burgouden ein vil edel magedin,

daz in allen landen niht schöners mohte sin, Kriemhilt geheizen, diu wart ein fcociic wip; dar umbe muosen degene vil Verliesen den lip. A

A

A

Jr pflagen bric künege edel unde rich Gunther unde Gernot, die recken lobelich u. s. w.

b. a ii v Walthers

von

„Von

der Vogelweide A

A

Hochvart, der Helle künegin, A

A

diu Wil bi allen Huten sin. A

swie biderbe oder böse er si, A

A

sie lat eht meinens herze vrr. Hochvart, gitcheit (Geiz) unde nit (Neid) A

A

diu habent noch vaste (fest) ir ersten strit: daz schein et an Adame; sus (so) verdarp sin reiner same. A

A

Hochvart füget manegen tac u. s. w.

c. aus Strickaeres „Kater freier". A

Er sprach: der tohter muoz ich Han; A

A

sie ist hoh und wol getan A

A

A

A

und hat so wünneclichen schin, si mac wol vil edele sin.

nu sage mir von der sunnen me: Beyer, Deutsche Poetik. I.

Hochverte",

226 is iht dinges, daz ir widerste? A daz soltu nennen jesa (jetzt) diu vohe sprach: entriuwen (traun) ja u. s. w.

2. Das allmähliche Abstumpfen und Verschleifen der End- und Biegungs­

silben und das scharfe Betonen der Wurzel- oder vorletzten Silben in der Volkssprache, sowie die gläubige Begeisterung für das Übersinnliche der christ­

lichen Lehre, einer

auf

die nach dem Unendlichen,

mystisch

Helldunkeln strebte, mutzten

lediglich grammatisch prosodischen Regeln

basierten Metrik und

der

aus dem Schönheitsgefühl für das bloß Sinnlich-Zweckmäßige hervorgegangenen plastischen Strenge und Bestimmtheit der Formen entgegen treten, so daß eben nur die Kunstpoesie sklavische Nachahmerin der altklassischen Poesie blieb. als sie

Die christliche Poesie mutzte in demselben Grade,

Volks mäßig

wurde, immer mehr eine betonende bleiben und werden, welche ihren Schwer­ punkt im rhv thmisch en Accent hatte. Je mehr sie sich vergeistigte, desto

mehr mutzte sie die Fesseln stereotyper Formen einer beengenden Quantität zu sprengen streben, desto mehr mußte das von Sehnsucht nach dem Über­

sinnlichen erfüllte Gemüt sich in der accentui er enden Musik äußern, welche die Form weniger beachtet und sich in rhythmischen Absätzen ergießt.

„Durch das volkstümlich christliche Element wurde die mittellateinische

Poesie unabhängig und grundverschieden von der klassisch heidnischen; beide wurzelten zuletzt wie jede Kunst in der Religion; aber wie die christliche himmel­ wärts, die heidnische erdwärts gekehrt war, die erstere in der Ahnung, die letztere im Begriffe das Göttliche

christliche Poesie

zu

erfassen strebte,

im musikalischen Idealismus,

so vergeistigte

während

sich die

die heidnische sich im

plastischen Realismus zu verkörpern gesucht hatte." Mutzl setzt diesem Aus sprach Wolfs zu: meinen Lebens

war auch

die Volkspoesie

und

ihr

„Mit der Sprache des ge­

accentuierender Rhythmus

geblieben. Wie jene allmählich das ward, wozu sie die Keime seit Jahr­ hunderten in ihrem Organismus getragen, ebenso entwickelte sich ihre früher

durch die quantitierende Metrik, niedergehaltene

betonende Rhythmik;

die Zeit

war gekommen, wo auch sie ihre Blüten entfalten und sie zum Baum erwachsen sollte.

Weit entfernt,

Jahrhunderte zu sein,

ein Erzeugnis

der gemeinen Umgangssprache späterer

war diese Volkspoesie fort und fort erklungen;

sie verstummte nie, wie das Menschenherz nie aufhört zu empfinden; immer sang das Volk seine Lieder, und immer ergoß sich das Gefühl der Andacht in frommen Gesängen. — alles gelehrte

Und besonders war es die christliche Kirchendichtung, welche

Gewand

verschmähend

— in ländlichen und bürgerlichen

Weisen gern erschien und nur das ungekünstelte Organ der öffentlichen Gottes -

Verehrung sein wollte, altgriechischen

Form

einfach

und

leichtfaplich

sich ungefähr verhaltend,

jedem Obre,

wie zum

oder Ophiklet die kunstlose Schalmei

des Alpenhirten.

religiösen Dichtungen zeigt

sich daher

das

zur kunstreichen

modernen Klapphorn

Vorzugsweise in

den

allmähliche Ver-

227 schw inden der qu antiti erend en Versmaße und die Ausbildung der betonenden Rhythmen." Der Strom der christlichen Musik

als

Erguß

des

drängenden,

bahn­

brechenden Christentums, namentlich in der Reformationszeit, kümmerte sich nicht

um den strengen Versrhythmus. alte Rhythmus,

nach

Wenn

welchem jede Silbe

bei den Griechen und Römern jener

ihr bestimmtes Zeitmaß

an Länge

und Kürze, an Tiefe und Höhe hatte, nicht schon verloren gegangen war, so ging er jetzt bald verloren, wie die christlichen Hymnen beweisen. Alles war

auf Popularität berechnet, und so folgte man — anstatt den quautitierenden Regeln der Griechen — der gemeinen Aussprache, ihren Perioden und Kadenzen: mit einem Worte dem Wohlklange des plebejischen Ohres. (Herders Werke VII. 252.) Wie die Sprache den Vers vom Gebiete der Musik (dem Accent) entfernte, so

zog die Musik den Vers wieder in ihre Sphäre, — die Quantität mußte sich d'em Accent unterordnen. E- gab ursprünglich drei Arten schriftlicher religiöser Gesänge: Psalmen, Hmnnen, Oden (i^aZ^orc;, v^ivovg und tnöag tlvh {.iccuxa^. Später war der Hauptgesang: der Choral, welcher als der erste Schritt zur Befreiung Es wechselten: der Melodie von den Fesseln der Prosodie zu betrachten ist.

bei demselben anfangs zwar auch lange und kurze Töne ab, aber mir mit Beachtung von Länge und Kürze der vorletzten Silbe jedes Wortes, überein­ stimmend mit unserer Art das Latein auszusprechen. Es verlor sich die proso-

discbe Aussprache des Latein bis zur Ausbildung der ältesten gereimten Verse, die späterhin Leoninische Verse hießen und bald Eingang in die christliche Liturgie sanden. So war d er A nfang d es Taktmaß e s gefunden in z w eiund dreisilbigen, n i ch t m e h r p r o s o d i s ch g e m e s s e n e n Versfüßen. Eigentlicher Chorgesang paßt für quantitierende Rhythmen

nicht und wird bei manchen Gattungen derselben geradezu unmöglich (s. Apel II. § 498. 9). In den accentuierten Weisen, welche bloß Arsis und Thesis ohne Beziehung

auf Länge und Kürze unterscheiden,

herrschte eben

deswegen

die

zweizeitige Bewegung vor, sowie im prosodischen Vers die dreizeitige und ge­ mischte. Was sogleich in die Sinne fällt, daß nämlich der accentuierte Gesang, der sich in Hauptmomenten bewegt, weit mehr geeignet ist, von großen Volks massen gesungen zu werden, als der quantitierende, weil jener ungebildeten Stimmen zu Hilfe kommt, die sich bloß dem kunstlosen Naturgefühl von Arsis

und Thesis zu überlassen brauchen, und überdies große Tonmassen sich allezeit

anständiger und würdevoller in gleichen Zeiträumen fortbewegen,

als in un-

gleichzeitigcn. Dieses bemerkte auch Gregorius und gründete auf diese Wahr­ nehmung seinen Plan zur Reform des Kirchenliedes. (Vgl. Apel § 497. 99 über die Gesch. des Greg. Gesanges in Verbindung mit den accentuierenden Rhythmen.) Daher hat schon Beda die so entstandenen, bloß rhythmischen Gesänge als volksmäßige (vulgaria, rustica) bezeichnet und sie den eigentlich

metrischen,

nach den Regeln der Prosodie

Kunstpoesie verfaßten gelehrten

und den Mustern der altklassischen

Gedichten entgegengesetzt.

rhythmus nietris esse consimilis,

(»Videtur autem

qui ost verborum modulata com-

228 positio, non metrica ratione, sed numero syllabarum ad Judicium aurium examinatur, ut sunt carmina vulgarium poetarum. Plerumque tarnen casu quodam invenies etiam rationem in rhythmo, non artificii moderatione servatum, sed sono et ipsa modulatione ducente, quem vulgares poetae necesse est rustice, docti faciant docte«. Vide »de metrica ratione über unicus in Putschn Gramm, latinae auctores antiqui Hannoviae«. 1605.) Die gesamte mittellateinische Kirchenpoesie hat eine volkstümliche Grund­ lage, ein volkstümliches Gepräge gegenüber der altklassischen und der ihr nachgebildeten gelehrten Kunstdichtung. Das Mittelglied zwischen der ersteren und der letzteren waren die schon in den Paulinischen Briefen erwähnten ufivoi (Hymnen), die das Gepräge christlich volkstümlicher Denk- und Sprechweise an sich trugen. Man vermied absichtlich das Wort Hymnos (yf.ivoc;, vftroAoynr re.), um nicht eine Gleichstellung des christlichen und heidnischen Kultus zu veranlassen (etwa eine Erinnerung an die Hymnen des Apollon, Zeus re.), und man gebrauchte daher lieber die Bezeichnungen Psalmen, Oden re. (/■'cdftdg, (oör^ kr'x^). So wurden die Hymnen die Veranlassung des eigentlich musikalischen

accentuierenden rhythmicus).

oder

rhythmischen

Kirchengesangs

(cantus

§ 70. Accent und Ctuantität in der Neuzeit und Verurteilung quantitierender Bestrebungen. 1. Die deutschen Dichtungen zur Zeit der Meistersänger und später drängten zur Empfehlung der altklassischen Quantitätsgesetze und der altklassischen Versmaße schon Mitte des 16. Jahrh, hin, besonders aber zu Ende des 18. und zu Anfang des 19. Jahrh. Das Volkslied allein blieb der Hort unseres Accentprinzips. 2. Opitz war der Wiederentdecker des deutschen Betonungsprinzips. Die Hauptvertreter der altklassischen Messung waren Klopstock, Voß; in der Neuzeit Johannes Minckwitz. 3. Eine quantitierende Prosodik ist eine Versündigung am deutschen Sprachgeist. 1. Ein gewaltiger Stillstand, ja, ein Rückschritt in der Weiterentwickelung des deutschen Betonungsprinzips erfolgte bereits durch jene mechanischen Vers­ bildner, Wappendichter, Pritschenmeister rc., die ohne den Geist der Minne­ singer deren Erbschaft übernehmen wollten. Besonders waren es die Meister­ sänger, jene zunftmäßigen bürgerlichen Lyriker des 14. —17. Jahrh., die das Wesen der Poesie in albernen Künsteleien und im toten Formalismus des Reimens, der künstlichen Strophen und der Silbenzählung erblickten und so im handwerksmäßigen Ausbau des Gedichts die Anforderungen an die Betonung aus's gröblichste verletzten. Gebildete Männer erkannten bereits in der Mitte des 16. Jahrh, die schiefe Ebene, aus welcher sich die deutsche Poesie befand, und empfahlen

229

_

die altklassische Q uantitätsme s s ung. Ja, sie versuchten es selbst, durch diese Zeitmessung ähnlich gutklingende, regelrechte deutsche Verse zu bilden,

Das Volk, welches schon die Verse verhielt sich ablehnend gegen das

wie wir sie bei den Griechen finden. der Meistersänger nicht liebte, griechische Quantitätsprinzip

und

gegen

die ungeschlachten,

unsangbaren,

ge­

künstelten Verse seiner Vertreter. Das Vestaseuer der deutschen Poesie glomm nur noch im Volkslied fort, das nach den accentuierenden

Prinzipien

der Minnesinger

aus dem deutschen Sprachgefühl

herausblühte. 2. In diese trostlose Zeit fiel im 17. Jahrh, die Entdeckung des Betonungsprinzips durch Opitz, wovon wir im nächsten Kapitel sprechen wollen. Aber trotz dieses Ereignisses, ja, trotz der Leistungen der schlesischen Dichterschulen verließen im 18. Jahrh, bedeutende Männer die dem deutschen Sprachgeist abgelauschten Vorschriften und suchten das Heil in der Rückkehr zu den griechischen Maßen und zum Ouantitätsprinzip. K l o p st o ck und seine

Schule ' leisteten ein Erkleckliches in Einführung der quantitierenden und in Verdrängung der accentuierenden Prosodie. Joh. Heinrich Voß suchte das Quantitätsprinzip in seiner „Zeitmessung der deutschen Sprache" zu begründen. Er schied in lange, kurze und mittelzeitige Silben, hat aber doch neben seiner Quantität auch der Qualität der Silben einige Beachtung geschenkt,

wodurch er sich davor bewahrte, allzuhäufig gegen den Sprachgeist zu verstoßen, ja, wodurch er in den meisten Fällen die Betonung mit der Zeitmessung not­ dürftig in Einklang brachte. Die deutsche Sprache widersetzte sich seiner gräci-

sierenden Metrik. Aber er zwang sie in seiner Unermüdlichkeit durch geschraubte Wortbildungen und unnatürliche, unbeliebt gebliebene Zusammensetzungen, weniger in eigenen Versen als in seinen „steifen" Übersetzungen. Von ihm — den man übrigens im Hinblick auf Materie der Sprache und auf die mechanischen Gesetze den treuesten Übersetzer nennen kann — urteilt W. Menzel: „Geist und Seele sind ihm unter den groben Fingern verschwunden. Er hat in seinen Übersetzungen den eigentümlichen Charakter und die natürliche Grazie der deutschen Sprache ausgetrieben und der liebens­

würdigen Gefangenen eine Zwangsjacke angezogen,

in der sie nur noch steife

und unnatürliche, krampfhafte Bewegungen machen konnte.

Sein wahres Ver­

dienst besteht darin, daß er eine große Menge guter, aber veralteter, nur im Volke üblicher Wörter in die moderne Schriftsprache einführte. Die meisten dieser Übertragungen sind so sklavisch treu und darum undeutsch, daß sie erst

verständlich werden, wenn man das Original liest."

In der That:

ob Voß

den Hesiod, Homer, Theokrit, Virgil, Ovid, Horaz, Shakespeare oder ein altes

Minnelied übersetzt, überall zeigt sich die auch von Rückert getadelte „Steifigkeit", überall hören wir das bocksteife Roß seiner Quantität klappernd traben, auch der allgewaltige Genius Shakespeares vermag ihn nicht um ein geringes aus dem

Trabe

zu

seines

Selbst seine,

bringen.

und seine Idyllen

ein höheres Dichtertalent bekundende Luise

sind Repräsentationen der Philisterei und Familienhätschelei

Jahrhunderts,

und

der

Schlafrock

und

die Schlafmütze

wirken

durch

230 den undeutschen Hexameter gleichmäßig eintönig und langweilend.

Goethes Urteil

hat

im Briefwechsel

denn Voß nicht

mit W. v. Humboldt.

in

einmal

der

1876.

3o

seine Zeitmessung

Dichterpraxis

eigenen

(Vgl. hierzu

S. 133.)

rechtfertigen können. Ebenso wenig vermochte es der verdiente Minckwitz, dessen feines Gefühl sich in den meisten seiner deutschen Accent richtet.

Dichtungen

wirkungsvollen

zum Glück nach

dem

3. Die Vertreter und Verfechter des altklassischen Quantitätsprinzips hätten bedenken sollen, daß eine Sprache als Resultat des eigenartigen Geiste-ölebens einer Nation, als des Ohres und des Mundes eines Volks, ihr

eigenes Sein haben muß und nicht von Einzelnen willkürlich geändert werden oder fremdes Kleid erhalten kann, als welches die Quantitätsschraube anzusehen ist. (Vgl. das Motto S. 215 d. B.) Unsere schöne deutsche Sprache, die sicher schon zur Zeit des Nibelungen-Epos ihre Dichterschule hatte, wie zll ihrer Blüte­

zeit im Mittelalter, läßt sich keinen fremden Rhythmus aufdrängen, ohne in ihre Vernichtung zu willigen. Sind ja doch von Klopstock an bis 1781 (also noch länger

als 30 Jahre

hindurch)

selbst die antiken Metren,

von denen es zu

mehr oder weniger nur nach unserem Accent ausgefübrt

jener Zeit wimmelte,

worden, indem man die accentuierten Silben als Längen brauchte und die nicht accentuierten als Kürzen, genau so wie bei den ersten Poeten der Römer. Deutsche quantitierende Verse haben niemals den leichten Tanz der griechischen erreicht; es machte sich immer der Widerstreit zwischen Vers-

Rhythmus

antiker der

alte

bemerklich,

und Accent

Versmaße,

wie

Fisch art,

der

der

die

sogar

in den gewandtesten Nachahmungen

Ausspruch

obige

Nachbildung

Menzels

der

antiken

es

ebenso

bezeugt,

Maße

denzelung, Silbenstelzung und silbenpossierliche Wörterläuse geißelt.

als

Wörter -

Eine quanti­

tierende deutsche Metrik — ähnlich der griechischen — ist auch deshalb nicht zweckmäßig, weil die logische Betonung der deutschen Wörter hinsichtlich ihrer Geltung nicht anders werden darf, als

sie

eben

Wie undeutsch würde ein solcher Hexameter klingen: die

nicht gerichtet sündigen.

silben

Wir

in

der Prosa

Der Richter,

war.

der richtet,

haben im Deutschen keine kurzen Stamm­

welche den Hochton vertragen,

wie die Griechen;

sonach ist eine Ver­

legung der Accente, wie sie die quantitierende Zeitmessung fordert, ein Unding. Wir würden uns durch solche Messung von der gewöhnlichen, menschlichen Rede so weit entfernen, daß man unsere Poesie — wie Max Rieger richtig bemerkt — nur noch für ein sinnliches Geräusch halten müßte. Wir können daher nur beistimmen, daß die (auch von G. H. Böthe und Anderen) aufgestellten Ver­

suche, die Wörter nach griechischer Weise zu messen und in die Schablone des Verses unter verrenkten Gliedern hineinzuquetschen, ferner Spondeen (—) und

Molosse (-------)

zu bilden rc.,

eine

eine Versündigung an unserm Sprachgeist.

Verirrung und

Verkehrtheit

war,

Es ist ein sonderbares Verlangen,

daß unsere originelle Sprache ihre Eigentümlichkeit ausgeben soll, um der griechischen zu folgen, die ja ebenfalls von der Vollendung des idealen Lebens

231 noch

weit

war,

als

war,

entfernt

das

wenn sie auch in dieser Hinsicht noch vollkommener

Neuhochdeutsche.

Denkm. S. 48):

Rückert

sagt mit Recht (Beyer,

ein biogr.

„nicht länger werde er in der Bewunderung eines Volks

hängen bleiben und sich ewig zur Schule Griechenlands bekennen, die Griechen seien keine Autodidakten rc.

denn auch

Wie sich einst die griechische Sprache

aus dem Orient bereichert und nunmehr eine selbständige Form angenommen, werde

so

werfe,

auch

auf

unsere deutsche Sprache,

eigenen Füßen

reichen Quellen

im Orient

stehen,

wenn sie die fremden Stützen weg­

und gewiß könne sie das.

aufzusuchen,

aus

Sie habe die

denen selbst der göttliche Plato

seine Anmut schöpfte" rc.

§ 71. Das ursprüngliche deutsche Detonungsprinzip, Entdeckung, Konsequenzen und Beachtung desselben und unsere Dichter. 1. Der Entdecker des erst in der Gegenwart zu würdigenden echt deutschen Betonungsgesetzes ist Opitz (§ 3), den man daher als den Vater und Begründer der neuhochdeutschen, accentuierenden Prosodik bezeichnen darf. 2. Trotz der abirrenden Moderichtung, welche in Wahrung der gelehrten Bedeutung für die Zeitmessung Voßens sich begeisterte, haben unsere besten und größten Dichter — oft unbewußt — am Betonungs­ prinzip festgehalten. 3. Mehrere neuere Dichter gehen in Adoptierung des Betonungs­ prinzips so weit, behufs einer nachdrücklichsten Accentuierung sogar das alte Accentuierungsmittel der Allitteration in großem Stil in die Poesie wieder einführen zu wollen. 4. Studium und Beachtung der Betonungsgesetze führt zu einer feineren Tonmessung. Diese zu erstreben, ist Pflicht der neueren accentuierenden Prosodik. 1. Das von Opitz entdeckte Betonungsgesetz lautet (§ 3 S. 4. d. B.): „Wir Deutsche können nicht auf Art der Griechen und Lateiner eine gewisse Größe der Silben in Acht nehmen, sondern wir sollen aus dem Accente und dem Tone erkennen, welche Silbe hoch und welche niedrig gesetzt soll werden." Nach diesem Grund­ gesetz, das lediglich die Abstraktion aus unserem Sprachgeist ist', gründet sich

der Versbau einzig und allein auf den Accent.

Opitz bedient sich noch

der Namen Jambus, Trochäus, wodurch er eine gewisse Verwirrung schuf, die

sofort wegfallen wird, als Grundmaß

nehmen, wie

wir

des

dabei aber dies

in

wenn wir

über das

den

im § 80 begründeten.

das jambische oder trochäische Maß lediglich

ganze Gedicht dahin wehenden Rhythmus an­

ausdrücklich

die

Einfügung

beliebiger

Thesen gestatten,

§§ 116—122 von den Accentversen ausführten und

232 2. Prosodik

Das Opitzsche Betonungsgesetz, welches an Stelle der quantitierenden die neue accentuierende setzt, hat trotz verschiedener Abirrungen —

wie wir sie im vorigen Paragraphen charakterisierten — siegreich fortbestanden, ja, es ist von den größten Dichtern unserer Nation angewendet und bereichert

worden,

Sprachgefühl

dem

da sie lieber

als

den

der Zeitmessung

Regeln

folgen wollten.

Lessing

hat

sich

ostensibel geweigert,

den

musikalisch

quantitierenden

Rhythmus der Griechen anzuwenden. Schiller hat sich u. A. in den meisten seiner Dramen von ihm losgesagt, Goethe im Faust, Heine in seiner

Lieblingsstrophe, Scheffel im Trompeter von Säkkingen, G e i b e l in Sigurds Brautfahrt, Rückert in Kind Horn u. s. w. (Vgl. die 116—122.) Alle unsere besten Dichter haben lieber sog. Verstöße gegen die hergebrachte Schulregel des Quantitätsprinzips begangen als gegen das Betonungsprinzip, obwohl Voß und seine Schule diese Verstöße sanktionierten. Alle haben sie in ihren besten Dichtungen praktisch bewiesen, daß unsere Quantitäten, wenn wir

solche haben (vgl. § 80 von den Längen und Kürzen), durchaus vom Accent abhängen, ja, mit dem Accent zusammenfallen müssen, da nach 80 bei uns nur betonte Silben als Längen und nur unbetonte als Kürzen gelten dürfen. 3. Wilhelm Jordan, Richard Wagner und einige Andere von

geringeren

das

Namen

betonen

ihren Schöpfungen in

in

höchstgesteigerter

Weise

Sie gehen soweit, ganz und gar auf die sehr

Betonungsprinzip.

primitive, althochdeutsche Betonungsbasis zurückzutreten, auf welcher nämlich noch das bildlich e Mome nt des Anlautko nsonant en metaphorisch gewirkt

haben mag.

Für eine

schärfere Accentuierung verlangen sie nämlich

die Wiedereinführung der Allitteration, die doch bei unserem fein ausgebildeten Rhythmusgefühl unmöglich mehr zu einer allgemeinen Geltung gelangen wird,

umsoweniger als die Vermählung unserer accentuierenden Prosodik Reim zur volkstümlichen That geworden ist.

4. Eine

genauere Pflege

mit

dem

des Accents und Beachtung der Accentgesetze,

wie wir sie in den folgenden Paragraphen lehren werden, ist vor allem Auf­ gabe aller derjenigen, welche Verse bilden wollen. Von ihnen darf man mit

Recht verlangen, daß sie beachten lernen, wie nur der Accent die Quan­ tität bedingt. Es ist geradezu bedauerlich, welch blinder Zufall, welch maß­

lose Willkür,

welch

gesetzloses

Radebrechen mit Wortsüßen

(das dann

durch

nachhinkenden Reim wieder gut gemacht werden soll), welche aufgeblasene Leicht­

fertigkeit und Formlosigkeit (sogar in den dramatischen Jamben) bei den neueren und neuesten, oft recht dünkelhaften Dichtern herrscht. Schwere Silben werden als leichte gebraucht, leichte als schwere, — und Mancher glaubt schon Dichter zu sein, wenn er nur die 10 oder 11 Silben beim jambischen Quinär (§ 107. 5) erreicht oder die sechs Füße des Hexameters leidlich ausgefüllt hat. Daß die Nichtkenntnis und Nichtbeachtung der Gesetze einer accentuierenden

Metrik auch allen Rhythmus vernichtet und zur Prosa führt,

ist an sich klar.

Es ist hohe Zeit, für das Weiterblühen unserer so bildungsfähigen, poetischen Sprache durch Pflege der accentuierenden Prosodik und Metrik zu wirken und

233 die Betonung bei unseren eigenen Schöpfungen mehr als seither in's Auge zu

fassen.

Dadurch kommen wir zu jenem seinen Gefühl und

Rhythmik, die aus Worten

zu jener feineren

wie „Holzklotzpflock" nimmermehr Musik

zu hören

vermag. Schon ist ohne Abstraktion der Gesetze durch die Schöpfungen unserer klassischen Dichter das Ohr, d. h. der ästhetische Geschmack so weit gebildet, oaß auch kleinere Geister manches Gute schaffen, ohne sich der Gesetze bewußt

zu sein.

Die Sprache mit ihren schönen Tonlichtern

ihrim durch gute Muster gebildetem Gefühle.

tönt

und

leuchtet

auch

Auch unsere Volksdichter haben

von jeher — bewußt oder unbewußt — den Accent beachtet, ohne von feiner

Truwägung mehr gewußt zu haben, als griechische Volksdichter von der eigent­

lichen feinen Quantität wußten. Sie haben aber freilich keinerlei Beitrag für beabsicbtigre Pflege der accentuierenden Metrik liefern können. Und wenn bei Goethe, Schiller, Rückert, Uhland, Heine, Freiligrath, Geibel, Gottschall, Hamerling, Scheffel rc. (aus deren Werken wir mühsam genug teilweise die R'egelu nuferer accentuierenden Metrik abstrahieren konnten) arge Verstöße vortommen, so bleiben dieselben doch vereinzelt,

während das Produkt des selbst

talentvollen, unterrichteten, dilettantischen Versbildners die Betonungsfehler in jeder Strophe ersehen läßt. Erst bei genauerem wissenschaftlichem Studium der Betonungsgesetze wird unsere Poesie mit der Zeit eine klassische Höhe erreichen,

die uns — vielleicht teilweise — sogar auf den Reim verzichten lassen wird.

§ 72. Grundgesetz unserer gegenwärtigen prosodik. 1. Die deutsche Betonung ist gesetzmäßig berechtigt. 2. Grundgesetz für unsere Betonung ist: Der Accent ruht stets auf dem Stamm des Wortes. 3. Für richtige Erkenntnis dieses Gesetzes ist Kenntnis des Stamms und der sog. Accessorien nötig. 1. Die deutsche Betonung, der bis zum heutigen Tage in unserer Lit­ teratur theoretisch viel zu wenig Beachtung geschenkt wurde, ist weder zufällig,

noch willkürlich.

Sie ist einer strengen Methode der Behandlung fähig, was die

nachstehenden Paragraphen beweisen werden. Sie ermöglicht es dem Forscher, Gesetze (Accentgesetze) auf Grundlage sinnlicher Anschauung und Wahrnehmung durch Induktion und aus einem Prinzip durch Deduktion zu gewinnen.

wir hier den Beweis im weitesten Umriß!

Die begrifflich

von welcher der Accent angezogen wird, ist die Stammsilbe.

Liefern

bedeutsamste Silbe,

Alle deutschen

Wörter lassen sich auf einen einsilbigen Stamm zurückführen, der das Betonungsgewicht hat. So hat sich unsere Sprache, so unsere

Betonung

gebildet.

Von

diesem

Gesichtspunkt müssen

wir

beim Aufbau unserer Prosodik ausgehen.

2. Grundregel für die deutsche Betonung ist somit: Der Accent ruht aus dem Wortstamm, auf der Wurzel. Da unsere Sprache trochäischen Rhythmus hat, indem die meisten Wörter mit der Wurzel beginnen (z. B. -

234 hören,

sprechen,

Farbe,

Himmel

rc.),

so könnte

man

den

Satz

mit Ein­

schränkungen auch so fassen: Der Accent ruht auf der ersten Silbe. 3. Diese Einschränkungen werden durch die Vor- und Nachsilben bedingt, welche der Stammsilbe sich anschließen können, weshalb ihre Kenntnis gefordert

werden muß.

Es kann z. B. eine logische Unterscheidung von Wörtern,

wie

erb-lich und er-blich, gestern und gestehn, gehend, erstens und ersteht, geb-et und

Ge-bet rc. für richtige Accentuierung nicht erspart werden. die meisten Nebensilben selbst betonte Wurzeln;

Früher waren wohl

sie lehnen

sich

aber mit der

Zeit an bedeutungsvolle Wurzeln an, verloren ihre Selbständigkeit und wurden Vor- oder Nachsilben, die vom Stamm getrennt nunmehr tot sind, z. B.

Verhör, Heimat, Heirat, Trübsal, Unsterblichkeit, Mihklang. Da die Stammsilbe den Hauptton hat, so können die Nebensilben (Accessorien) nur mittleren oder schwachen Ton haben. Solchen mittleren Ton haben diejenigen, welche die Vokale a o u i oder Diphthonge in sich schließen, z. B. ung, sam, haft (Zeitung, einsam, gewissenhaft rc.). Einen schwachen

Ton haben die Accefforien mit e, wie be, ver, zer, sel, enz rc. Das e macht die Silbe oft ganz tonlos in Wörtern wie lassen = lass'n, fassen — fass’n rc. Der Unterschied ist darin begründet,

daß bei jenen die Wurzelbedeutung noch

mehr gefühlt wurde und die Nebensilbe vor der Entstellung durch Tonschwächung bewahrt blieb; vgl. engl. -find-ing mit -findung (dagegen handsom und heilsam aus gleicher Stufe).

§ 73.

Tongrade.

1. Die Betonung der Silben ist keine gleichmäßige. 2. Wir können mehrere Grade der Betonung in Bezug Stärke derselben unterscheiden und benennen.

auf

1. Je kräftiger beim Aussprechen einer Silbe die erprimierte Luft du rch die Stimmbänder getrieben wird, desto größer wird ihre Schwingungszahl, desto höher ist gewisiermaßen ihr Schall (Klang, Ton). Wenn man in dieser

Rücksicht z. B. die zweisilbigen Wörter: Baum blatt, Bäume, ruchbar, Feuer, Hilfe vergleicht, so wird man sofort einen Unterschied in der Silben­ betonung wahrnehmen. Dasselbe ist in gesteigertem Maße in drei- und mehr­

silbigen Wörtern der Fall. Man spreche z. B. aus: Baumblätter, Garten­ haus, Hindernisse, Federmesserfabrikant, Christentum, Frucht­ barkeit, Wirtshäuser, Buchdruckerkunst, unverständlich, ab­ scheulich, widerwärtig, unausstehlich rc. (Man vgl. hierfür auch: Merkels Physiologie der menschl. Sprache, sowie Kleinpaul I. 25 ff.)

2. Ein geübtes Ohr wird beim Aussprechen von längeren Wörtern und Wortreihen mindestens 4 bis 5 Stärkegrade (— musikalische Tonunterschiede) in den Silben wahrzunehmen vermögen. Das Wort Reh blut hat beispiels­ weise zwei betonte Silben, von denen doch die erstere ein tonliches Übergewicht erhält.

Im Worte Rebenblüte hat die Silbe

Reb ein Übergewicht über die

235 Silbe blüt; die Silbe en ist wenig betont,

die Silbe e fast gar nicht.

Im

Wort herrlichere ist die Silbe lich etwas mehr betont als er und e, obwohl dieselbe ebenfalls weit weniger Ton hat, als die Stammsilbe Herr. Im Wort Herrlichkeiten hat die Nachsilbe feit ein tonliches Übergewicht über die Nachsilben lich und en. Wollten wir die Tongrade durch Zahlen charakterisieren,

die Zahl 1 für fast unbetont gelten,

2 für schwachtonig,

4 für voll- oder tieftonig, 5 für hochtonig. schen

so

würde uns

3 für mitteltonig,.

Diese Einteilung ist dem musikali­

pianissimo, piano, mezzoforte, forte, fortissimo (pp. p. mezzof.

f. ff.) vergleichbar. Man könnte den Tongraden auch die Bezeichnung: Hauptton, Mittelton, erster, zweiter, dritter Nebenton geben. Die Bezeichnung der Tongrade durch Ziffern! hat den Vorzug der Kürze und der Anschaulichkeit. Die folgenden Wörter würden folgende Ziffern erhalten

muffen: 5

4

5

Baumblatt, 514

5

1

Bäume,

5

2

3

3

5

1

3

5

ruchbar,

5

41

2

4

5

Gartenhaus,

Baumblätter,

4

2

1

Hindernisse,

52432

Christentum, Fruchtbarkeit, Wirtshäuser, Arbeitseinstellung. Ganz tonlos kann man eigentlich keine Silbe nennen, da selbst bei Unter­

drückung

des Vokals

der Konsonant

durch eine Art Nasenhauch

vernehmbar

wird, z. B. in lass'n. Man wird einen Vers nur dann prosodisch rein die Hebung fünf- oder viergradig, dreigradig erscheint.

nennen

dürfen,

wenn

die Senkung ein-, zwei- höchstens

Eine Modifikation wäre nur bei längeren Wortfüßen zu

gestatten (z. B. Fruchtbarkeit).

Unsere seitherige Praxis hielt sich für befriedigt,

wenn die stärkeren, beim Lesen vernehmbareren, kräftiger hervortretenden Silben

als betonte von den weniger betonten unterschieden wurden, und man überließ es — bewußt oder unbewußt — dem gebildeten Gefühle, die inner­

halb der Verse möglichen Tongrade richtig anzuwenden und zu empfinden. Beim eigenen Schaffen , bei Hervorbringung künstlerischer Weisen sollte für die Folge — der Wirkung und

verfahren

werden, daß

die

der Schrift wegen — unbedingt nur so

Hebungen durch

5-

und

4gradige

Silben,

die

Senkungen nur durch ein-, zwei-, höchstens dreigr ad ig e Silben gebildet werden, sowie daß in den einzelnen Versstellen desselben Gedichts nur Silben

von

entsprechenden Tongraden gewählt werden.

Versaccent

zu Liebe von

Nie sollte der Dichter dem

der herrschenden Betonung

abweichen,

da er sonst

Längen und Kürzen in den Vers bringt, die nicht mit dem Accent zusammen fallen, und die somit im deutsch-accentuierenden Rhythmus fehlerhaft sind.

Beispiel 1

(trochäischer Rhythmus): Weil auf mir, du dunkles Auge,

Übe deine ganze Macht,

236 Ernste, milde", träumerische,

Unergründlich süße Nächt.

(Lenau.)

(Man sieht, daß hier — dem Metrum entsprechend — je die 1., 3., 5.

und 7. Silbe jeder Verszeile betont ist, und daß der Ton immer auf eine Stammsilbe gelegt ist. Es sind durchweg 5- und 4gradige Silben verwendet;

nur beim Worte „träumerische" ist die mitteltonige Zgradige Silbe isch in die Arsis gesetzt und ihr dadurch der Rang der hoch- oder volltonigen Silben

verliehen.

giebt uns dadurch einen tauben Verstatt, der einer solchen

Lenau

Nuß gleicht, in welcher man solange einen Kern vermutet, bis man sie öffnet. Wir sind gewohnt, mit der accentuierten Silbe einen Sinn zu verbinden, was im gegebenen Fall unmöglich ist.)

Beispiel 2 (daktylischer Rhythmus):

Herz, nun so alt und noch Immer nicht klug, XJ

XJ

XJ

XJ

XJ

Hoffst du von Tagen zu Tagen, _

XJ

XJ

_

XJ

XJ

_

XJ

\J

_

Was dir der blühende Frühling nicht trug,

Werde der Herbst dir noch trägen?

(Rückert.)

(Hier legt der Versrhythmus den Ton je aus die 1., 4., 7., 10. Silbe,

Zu Arsen sind nur fünfgradige Silben gewählt. Die durch ihre Stellung (Thesisstellung) zu dreigradigen Silben herabgedrückten Thesen könnten bei

anderem Versrhythmus fast sämtlich in der Arsis stehen.

Rur widerwillig giebt

das Pronomen dir in der 3. Verszeile den Ton an das gehaltlosere „was" ab.) Beispiel 3 (jambischer Rhythmus): Es trägt beim Pfad im stillen Bächenhärne

Ein hohes Kreuz das Bild vom Gottessöhne; Das bleiche Haupt bekränzt die Dornenkrone, Das Blut umströmt der sieben Wänden eine.

(Gottlieb Ritter: „Ihr Gebet.") (In diesem Beispiel ist je die 2., 4., 6., 8. und 10. Silbe tonlich aus­

gezeichnet.

Sämtliche Arsen sind 5- und 4gradig.)

§ 74. prosodische Inkorrektheiten. Es ist ein Vorzug unserer Sprache, daß sie den prosodischen Silbenwert von der richtigen, sprachgebräuchlichen Betonung abhängig macht und nur 5- und 4gradige Silben in der Arsis, sowie nur 1-, 2- und höchstens Zgradige in der Thesis zuläßt. Leider haben sich unsere besten Dichter Verstöße und Nachlässig­ keiten, irregeleitet oder ermutigt durch die quantitierenden Irrlehren, zu Schulden kommen lassen.

237

Manche Dichter

logische,

phonetische

legen

und

noch

heutzutage

euphonische Moment.

viel

zu

Wert

wenig

auf

das

In wahrhaft haarsträubender

Weise tritt dies bei jenen Dichtern zu Tage, die — ohne das Ohr zu fragen — befriedigt sind, wenn es ihnen gelingt, mit deutschem Material Verse nach

griechischer

Rhythmik zu

bilden.

Ein

reiches

Material

in

dieser

Beziehung

stellen die gräcisierenden Dichter auch aus der letzten Hälfte des vor. Jahrh, zur Verfügung. Das Ohr sträubt sich gegen jene Versuche, die der sinnlich malerischen Anschaulichkeit des deutschen Sprachstoffes Hohn-sprechen und lediglich auf nachafsende, begrifsezeichnende Quantitätsform hinauslaufen, oder gar nur

den Versrhythmus erstreben, z. B.

Ehr, Macht, Rühm, Glück, Güt mir paßt (statt: Ehre, Macht und Ruhm und Glück wohl Jedem paßt).

Bei einiger Übung

empfindet

schon

der Laie

die greulichen Verstöße

gegen den Sprachgeist in Anwendung sog. Kürzen und Längen und merkt gar bald heraus, wie betonte Silben unbetont (also kurz) gelesen werden und zu Kandieren find. Wir geben daher — des logischen Anschlusses wegen — schon

hier einige Beispiele von Inkorrektheiten und wählen mit Absicht aus besseren Dichtern, indem wir uns an Lessings Wort erinnern: „Einen elenden Dichter­ tadelt man gar nicht; mit einem mittelmäßigen verfährt man gelinde; gegen einen großen ist man unerbittlich." (Noch strenger urteilt Horaz: »Mediocribus esse poetis non homines, non di, non concessere coluinnae.«)

(NB. Der Lernende mag die nachfolgenden Beispiele noch einmal prüfen, nachdem er die Verslehre durchgearbeitet haben wird.)

A.

Thctischc, sprachwidrige öehandlung der Tonsilben. f

_L

\j

Plat en. An | stimmen darf ich ungewohnte Töne (statt: anstimmen).

Staats | würden, Wohlstand eine Last von Wissen (statt: Stäatswürden).

Menschliche I Schwäche ver | dient Nach | sicht in der Sphäre des Handelns (statt: Nachsicht). Wie es den | Wassern ent | steigt, aus | breitet sich Abendgewölk schon

(statt: äüsbrertet). Boß. Gestehst | du die | ses, bin | ich zür | Auskünftebereit

(statt: ich zur Auskunft). Als rings | her pech | schwärz aüf | stieg graun | drohende | Stürmnächt

(statt: ringsher, pechschwarz, gräündröhende).

Wolf. Er, deß | Pflug müh | säm um | kehrt schwer | scholliges | Erdreich (statt: mühsam ümkehrt schwerschölliges).

Hör. Sat.

238 B. Arslsche Stellung unbetonter, also teichter Silben. Schiller. Das fürcht | bare | Geschlecht | der Nacht.

Der blin | den Miß | verständ | msse | Gewalt. Der Kern | der Tap | fersten | .

Sie wär | nicht fit | dem Thal geboren (statt: sie war im Thale nicht geboren.

Nächdrängt das Volk, mit wildem Rufen (statt: das Volk drängt nach mit wilden: Rufen-. Zu Dionys, dem Tyrannen schlich Mörös (statt Moros). Und ih | rer Thrä | nen weib | liche Gewalt.

(Maria Stuart.)

Goethe. Ihr naht | euch wie | der schwan | tenbc Gestalten. Die Mips [ el des | Gebirgs in Nebel hüllt.

Komm mit o | Schöne, komm \ mit mir zum Tanze. (Das im 1. Takt arsisch gebrauchte „komm" ist im 2. Takt thetisch gebraucht. Dem Altmeister kann dies Versehen nachgesehen werden, da in

diesem Beispiel — ebenso wie in unsern Jamben und Trochäen — der Rhythmus durch den Wortaecent mitbestimmt wird, so das; der Verstou de> ersten Wortes „komm" im Hinblick auf das Wort „Schöne" nur gering ist und dao unbedeutende, noch dazu wiederholte zweite „komm" auf den Wellen des daktylischen Versrhythmus fortgeschleudert wird.)

Im Auslegen seid frisch und munter! Legt ihr's nicht aus, so legt was unter. (Goethe, Zahme Lernen 2.) Uhland. Wenn wir gern vor Euch Versammelten Ein empfehlend Vorwort stammelten. Auch die Rebe weint, die blühende,

Draus der Wein, der purpurglühende rc.

(Im poet. Vorwort seiner Gedichte: Lieder sind wir; vgl. § 207. 61.) Wach auf, | wach auf, | mein Sohn ; Roland (statt: Roland).

Der dem | mächti | gen Ge | bieter. Es gingen drei Jäger wohl auf die Birsch (statt: brei).

Die

Fehler im

ersten

Beispiel

Uhlauds:

„Versammelten,

stammelten,

blühende, purpurglühende" können beim Vorlesen beseitigt werden, wenn man die genannten Wortsüße als Daktylen (_ ie Stammsilbe, läßt aber auch — nach den in den vorigen Paragraphen entwickelten Gesetzen — neben den Arsissilben im Verse noch besondere Silben hervortreten die, sodann — trotz ihrer Stellung in der Versthesis — doch einen schärferen Accent erhalten. Betont er eine Silbe im Wort, so heißt er Silbenton, betont er das ganze Wort, so bezeichnet man

ihn als Wortton. Der Silben- und Wortton hebt einzelne Wörter oder Silben vor andern heraus. Der Silbenton kann auch auf Ableitungssilben treten, z. B. Emma hat es mir verboten, du hast es mir geboten. Der Wort­ accent kann von der Stammsilbe auf Silben treten, durch welche die Stamm­

silbe eine neue Bestimmung erhält, z. B. loslassen, unrühmlich.

die Worte nach ihrem Sinn, z. B.

gehen und

mit Menschen

Er betont

Übersetzen und übersetzen, den Berg um­

umgehen;

vollziehen

etwas

und etwas vollgießen.

(Vgl. § 75.)

b. Der Satzaccent. Der Satzton oder der syntaktische Accent hebt einzelne Wörter im Satze durch ausnahmsweise Betonung hervor. In der legen

Regel

wir

den

größten Nachdruck

das Subjekt;

auf

ferner tritt das

aber gegen das Substantivum zurück;

Adjektiv gegen die Präposition hervor,

das Verbum nimmt zwischen ihnen allen eine Mittelstellung ein; am wenigsten werden

die

Artikel

und

die

Bindewörter

grammatikalische Accent. Accent in

betonten dem

ist

werden

Wortes schärfer ausgesprochen.

durch ihn ein

höchstens

der Regel nicht,

Tier;

auszudrückenden der Löwe

ist

hervorgehoben.

Der Satzaccent

ändert

Dies

stärkste

der

einzelne Silben des syntaktisch

Der Satzton individualisiert je

oder ausgedrückten Inhalt,

das

wäre

den grammatikalischen

unter

den

nach

z. B. der Löwe

Tieren;

der

Löwe,

welcher heute gezeigt wurde, ist nach dem Tiergarten gebracht worden. Oder: der Löwe frißt; der Löwe frißt viel. Oder: drei Thaler und sechs Thaler sind neun Thaler; drei Thaler kann man von sechs Dukaten nicht subtrahieren. Hier hat der Satzton (wie in den Beispielen des § 75) in jedem

Satze ein anderes Wort gewählt;

individualisiert.

er

hat je nach

dem Wechsel des Sinnes

In den letzten Beispielen geschieht die Individualisierung einmal

251 durch

die

Zahlwörter

drei,

neun,

sechs,

dann

durch

die

Substantive

Thaler und Dukaten. .Im folgenden Beispiel betont der Satzaccent die Worte: allen, Eine und die.

Die Poesie in allen ihren Zungen Ist dem Geweihten Eine Sprache nur, Die Sprache, die im Paradies verklungen, Eh' sie verwildert auf der wilden Flur. (Rückert in „Hamasa".) c. Versaccent.

Im Verse entsteht durch die regelmäßige Abwechslung

^>er Arsen und Thesen eine bestimmte wellenförmige Bewegung, die man den Versrhythmus nennt. Tie lateinische Benennung für Versaccent oder rhythmi­

schen Accent ist seit O.uintilian „ictus“. Im nachfolgenden Beispiele stimmen alle Accente,

das gebildete

welche

Gefübl den Wörtern verleiht, mit den Hebungen des Verses, d. h. also mit dem Versaccent zusammen, was einen selbst dem ungeübten Ohre wohlthuenden Rhythmus verleiht: Glühende [ Sönnen des | Himmels, mich | euerem | Auge zu | bergen.

Weiteres Beispiel: Mög' es | Jedem | so ge | üngen Wie dem | Herrn Trom | peter

| Werner

Än dem | Rheine | zü Säk | fingen.

-auf

(Scheffel.)

In diesem Beispiele haben wir den von Takt zu Takt wiederkehrenden, der ersten Silbe jedes Taktes ruhenden Versaccent (-) bezeichnet. Der

Silben- und Wortaccent fällt hier mit dem Versaccent zusammen bis zum vorletzten Takt. Hier fordert unser Gehör die Vernachlässigung des Versaccents

zu Gunsten

des Satzaccents,

indem

die Stammsilbe

in Säkkingen

den Ton

erhält, während die arsischen Silben zu und king leichtere Betonung erhalten. Der Satzaccent

fordert

sonst

nur Betonung

der Wörter Jedem,

Rheine und

Säkkingen. Ferneres Beispiel:

Wer dein Gehelinnis frei sich ünterordnet Und nut den Brüdern fr clibig vorwärts dringt Und wer mit Ihnen gern sich, unterredet rc.

Hier fällt der Wort- und Satzaccent nicht an allen Stellen mit dem Versaccent zusammen. Gleich am Anfang wird z. B. das Wort „wer" beim

logischen Lesen höheren Ton erhalten müssen, als die Versarsis „dem".

Der

Satzaccent fordert Hervorhebung der Wörter frei, freudig, gern, redet.

2. Mit der Bezeichnung Sinnton für Silben-, Wort- und Satzton kommen wir in der Verslehre

vollständig aus.

Er bedeutet das inhaltliche Moment,

während der Verston mehr auf das Formelle des Versgerüstes Einfluß übt.

252 3. Von

den

erwähnten Accentarten tlnterscbeiden Manche noch den sog.

welcher zwar nicht den gramma­

„ethischen A ceent" nach dem Redesinn,

tischen,

wird

wobt aber den syntaktischen Accent

nämlich

nie

einzelne Wort in

das

kann:

modisicieren

seinen Silbentönen

Man

Ausdrucks­

des

wegen falsch aussprechen, wohl aber im Redesatz ein in der Arsis stehendes Nebenwort (oder ein Bindewort) gegen die allgemeine Gewohnheit dem Sinn

wie

stärker betonen,

entsprechend

dies

ja

beim Wortaccent

zuweilen

die

Thesis thut. Nock) ist ein zufälliger Accent zu erwähnen, der sog. dramatische oder hypokritische Accent, der durch die Eigenheit eines besonderen Pathos^

eines Affektes, einer Leidenschaft bewirkt wird, z. B.

yft das dein Knabe, Tell?

Hast du der Kinder mehr?

Seidelmann nahm (nach Palleske) in seiner Betonung die Bewegung 5ur Tiefe etwa so:

Ist das dein Knabe, Tell? Die dadurch entgegentretende eisige Kälte lies; „seltsam Furchtbares" er­ warten. Ähnlich betonte er in:

Du wirst den Apfel schießen von dem Kopf des Knaben.

Das Wort „schießen" lag einen Viertelton tiefer als Apfel.

Im Beispiel:.

Mit diesem Pfeil durchschoß ich Euch!

ist

dramatischen Accent im Worte „Euch" ein weiter,

dem

dahinfahrender Spielraum geöffnet. Boeckh (de metr. Find. p. 58)

von Accenten:

Den

accentus

bis in alle Lüste

unterscheidet eine ganze Musterkarte

rhythmicus

(—

unser Versaccent:

„non

necessarie eadem cum arsi et thesi verborum“); den accentus vocalium (a, e, i, o, u, nach dem Grade der Helligkeit); den accentus melodicus, affectus, orationis u. s. w. 4. Das ästhetische Tonlesen

(Deklamieren).

Wenn

für

unsere

Prosodik auch die Unterscheidung des Versaccents und des Sinnaccents genügt, so

ist

eine Berücksichtigung

doch

unterschätzender

Es

wird

Bedeutung

den Lernenden

für in

der

die

verschiedenen Accentarten von

formale

wie

hohem Grade fördern,

Silbenzählung noch Metrum beachtende Gedichte, vorführen

(z. B. Goethes

mit Beachtung

nischen Seite

Prometheus,

des Sinntons

wenn

wie

Ganymed,

laut vorliest

die

für

wir

nicht zu

ästhetische Bildung. er mehrere weder sie

im Accentverse

Grenzen der Menschheit)^

und der logischen wie der eupho­

der Betonung sein Augenmerk zuwendet.

Er

wird

bald dahin

gelangen, die accentuierten Silben wie Helle Tonlichter aufzufassen, die in ihrer Wiederkehr gleich erleuchteten, die Landschaft zierenden Bergspitzen das begrifflich

253 Bemerkenswerte und inhaltlich Belangreiche in

-gewährende Stellung bringen.

Tie

höhere

beleuchtete Verständnis -

regelmäßige Wiederkehr

Verse wird ihm den Eindruck des Melodischen,

dieser Lichter

streng Geregelten geben,

im

das

Gefühl des gemütbestrickenden Rhythmus. Es dürste sich überhaupt sehr empfehlen, viel und laut zu lesen und nebenbei die ästbetische Seite des Lesens in's Auge zu fassen. Um den Sinn für die Betonung zu bilden, lasse man so oft als mög­

lich recht tief sprechen.

Man übe Sätze mit einanderfolgenden gleichen Vokalen,

z. B. die dunkeln Blumen spiegeln sich im klaren Bach, im Hellen See. In der Braut von Messina lasse man beispielshalber lesen: Völker verrauschen (leise, ins Rauschende übergehend), Namen verklingen

(hellklingender), finstre Vergessenheit (dumpf) breitet die dunkelnachtenden Schwingen (tief, dumpfer) über ganze Geschlechter aus (grabe^hohl, schaurig). — 3m Erlkönig

von Goethe

trage man

1. und 8. Strophe wie

die

erzählend

vor, die letzte Zeile langsamer, leiser, fast zitternd. Tie Worte des Vaters müssen (ganz abgesehen von den einzelnen besonders zu aeeentuierenden Silben) beruhigend, beschwichtigend klingen, die desKinde-? dagegen aufschreiend, furcht­ sam, zuletzt stockend, gebrochen.

Ter lockende Erlkönig muß flüsternd sprechen,

da seine Worte nur für das tihib berechnet sind;

grimmig,

erzürnt

sein.

der Legende

In

zuletzt muß sein Aufdruck

vom Hufeisen

müssen

die jambisch

anapästischen Verse:

Sankt Peter war gleich dahinter her, Als wenn es ein goldner Apfel wär;

lauter und rascher recitiert werden, als die vorhergehenden u. s. w.

§ 80. Der deutsche Äeeent bedingt eine deutsche Siibenquantitüt. Versuch cincs -cutschcn Guantitätsgcschcs.

Ter deutsche Accent macht die Silbe lang und begründet somit auch für unsere Sprache eine Art Quantität. Daraus entwickelt sich ein eigenartiges echt deutsches Quantitätsgesetz. Es lautet: Schwere, d. h. 5- und 4gradige Silben sind lang, mitteltonige, d. h. Zgradige Silben sind halblang, leichte, d. h. 2- und Igradige Silben sind unbedingt kurz. Der metrische Wert und die Zeitlänge unserer deutschen Silben hängt riuf's Engste mit der Tonstärke (Betonung) zusammen. Tie Tonstärke bedingt uuch physiologisch eine größere

Westphal, durch

Voß

betonten

der

doch

oder geringere Tondauer (Tonlänge).

noch

aufgekommenen Streben

mancher

in

seiner

und

allg. griech. Metrik

am

Dichter

meisten in

„von dem

durch

Vermeidung

Platen accen-

tuierter Längen und accentuierter Kürzen spricht, behauptet plötzlich in

254 seiner neuh. Metr. (8. 11. ff.), „daß sich im Teutschen eine verschiedene Zeitdauer der betonten und unbetonten Silben nicht bemerken lasse, vielmehr die schwächer betonte Silbe gleich lang sei, wie die

stärker betonte," weshalb er das Taktmas; ein gleichzeitiges nennt. Auch Heinr. Schmidt ist in seinem Leitfaden der Rhythmik und Metrik der Ansicht,

das;

alle

säst

deutschen Silben

als Längen zu betrachten seien,

und bezeichnet so:

!

9

9

! 1

' i 1

9

9

Seht wie die

' > 1

9

9

9

Tage sich

9

1 Is

9

9

sonnig ver

9 A

klaren.

während doch jeder Mensch mit einigermaßen gebildetem Gehör lesen wird:

:,/s Takt:

Zur

J #R #R

J? ?

Seht wie die

Tage sich

besseren Veranschaulichung

J?

versuche

J?

1

i

sonnig ver

klären.

der

folgende

Wörter

viergradigen

Silben

Lernende

im gleichmäßigen Treschertempo zu lesen:

Er

wird

•11• •1

•1 •1 •1

Selige

fröhliche

fühlen,

das;

man

„nachtszeit" mehr Zeit braucht,

Illi

9

zu

als

1

9

9

|

Weihnachtszeit. den

zu

drei-

und

den eingradigen Silben

„lige"

und-

„liche", und das; man also höchstens so lesen könnte:

I froh - li - che

Se - li - ge

!

J s:

Weih - nachts

zeit.

Will man dem Sprachgefühl und Sprachgebrauch gemäß lesen, die beide jeglicher Monotonie feind sind, so wird die Bezeichnung folgendermaßen sich gestalten:

•1

•1

•RR •

Uber des

1 R

J ?

Bettes

Haupt flog

9 9

I 9RR 9

9

I

9

J -

Weih - nachts

froh - liche

J?

•R

Seit. —

J.M J? säuselnden

R

9

JJ J

Engel. Fluges ein (Grillparzer.)

I

bot. Eltern Ge Nie über tritt der Diese Beispiele mögen für viele den Nachweis liefern,

daß

der decent

die Arsissilbe verlängert, und das; mitteltonige Silben in der Thesis eine untergeordnete Verlängerung erfahren, während unbetonte, leichte Silben un­ bedingt kurz sind. (Vgl. § 81. 8. 256 b. 93.) Unser deutsches Quantitätsgesetz wird

demnach

so

zu

ab­

strahieren sein (vgl. oben): Schwere, d. h. 5- und 4gradige Silben

255 sind

mitteltonige,

lang,

lei-chte,

d. h. 2- und

Waren

d. h.

Igradige

die Metriker Westphal

Zgradige

Silben

Silben sind und Schmidt

sind

unbedingt

mit

ihrer

halblang,, kurz.

Lehre

von

den

gleichlangen Silben innerhalb unserer Sprache im Rechte, so wäre die von ihnen beibehaltene Bezeichnung nach Jamben (^ _), Trochäen (_ J), Daktylen

(_ w J»

Eile

Brüder die

beiden Thesen

Seile.

(logaödisch.)

(mir in) hier in die Zeitdauer eines

Achteltaktes und erhalten nur je ein Sechzehntel Zeitdauer u. s. w.

Daraus erhellt der hochwichtige, von so manchem Dichter unbewußt angewandte Satz, daß für einen Trochäus (_ w) ein Daktylus (_ xj), und ty w _) eintreten kann.

für

einen Jambus

(w _)

ein

Anapäst

257 Durch Beachtung

in der Bewegung,

dieses Gesetzes

erblüht dem deutschen Dichter Freiheit

und es wird daher von nun an sicher auch der Anfänger

häufige Anwendung von demselben machen, Dichtung

durch Necitieren

und Deklamieren

sofern er sich den Eindruck seiner im Voraus

zu vergegenwärtigen

vermag. 2. Im vor. § 80 sagten wir, das; gute Dichter den Sinnton mit dem Verston

zu vereinen suchen.

Bei vielen Bildungen geschieht dies instinktiv.

Und wenn viele Verse der antikisierenden Dichter seit Klopstock uns zusagen, so haben sie es nur dem Umstand zu danken, das; das Sprach­ gefühl eine Vereinung von Sinnton und Verston gebieterisch forderte. Wo Sinnton den Verorbvthmuo lesen also nickt:

und Verston

zu Gunsten

nicht

zusammenfallen,

des Sinntons,

wil­

vernachlässigen

wenigstens beim Lesen.

Den Jüng | ling bringt | keines | wieder

Wir

(Schiller.)

sondern: Den Jüngling brmgt keines wieder. Nicht: Bergtrüm | mer fol | gen sei | nen Güs | sen sondern: Berg | trümmer folgen seinen Güssen.

Nicht: Gegen | dw Leg | ton | en sondern: Gegen die Legionen.

Durch solch verständnisvolles Lesen nach Arsis und Thesis lassen sich manche Inkorrektheiten in der Silbenmessung beseitigen. (§ 74.) Wenn wir auch unseren Dichtungen ein bestimmtes Metrum zu Grunde legen, so darf doch der Versaccent nur in dem Fall sein rhythmisches Übergewicht geltend machen, als er eben mit dem Satzton zusammenfällt.

Sonst niemals!

Keinerlei Hinweis auf früheres Herkommen und Ableitung

darf dieses Gesetz alterieren!! Wir können immerhin die Worte Hebung und Senkung (Tonstärke und Tonschwäche) zur Bezeichnung der Quantität bei-

behalten, da sie die Ursache bezeichnen, aus welcher für unser Ohr die Wirk­ ung der Länge und Kürze erwächst.

§ 82. Geist unserer aceentuierenLen prosodik. Geist und Sinn unserer heutigen accentuierenden Prosodik läßt sich nach dem Abgehandelten in folgende Sätze zusammenfassen: 1. Es ist hinfort die besondere Pflege und Beachtung des Sinn­ tons das Maßgebende, wenn nicht ein der Sprache Gewalt anthuender undeutscher Rhythmus bestehen soll. 2. Die Beachtung eines bestimmten Metrums innerhalb einer Dichtung ist aus Rücksichten auf das uns von unsern klassischen Dich­ tern überkommene Formprinzip wie auf den melodisch dahin wogenden Versrhythmus wünschenswert, nicht aber unerläßlich. Der Accentvers Zeigt, daß unsere Sprache den freien, deutschrhythmischen Aufbau einer nur die Hebungen beachtenden Dichtung verträgt. Beyer, Teutsche Poetik. I.

-

258 3. Der Dichter — auch wenn er sich von einem bestimmten Metrum leiten läßt — braucht keinesfalls dem Sinnton zu Gunsten des Verstons Gewalt anzuthun. Vielmehr darf er sich jede in unserm Accentprinzip wurzelnde Freiheit gestatten.

4. Die Beachtung einer feineren Betonung bedeutet für die Zukunft unserer Poesie eine feinere, d. h. vollkommnere Rhythmik! 1. Ta

der

Dichter mit dem Material

der deutschen Sprache

arbeitet,,

so muß er auch ihren Geist erfassen und die vollkommenste Rhythmik erstreben, innerhalb welcher die deutschen Accent- und Taktgesetze walten,

ausländischen Gesetzgeber dulden.

die keinen

Macht sich der deutsche Dichter von fremden

Gesetzen abhängig, so wird — wie es thatsächlich z. B. beim Hexameter der Fall ist — ein unvollkommener, undeutscher Rhythmus entstehen, der im Wider­ spruch zu unserm ererbten Sprachgefühl steht. Ein gewisses Gefübl, sagt

Pallete (a. a. O. 144),

wie

es beim Hopserton der Kinder entsteht,

auch bei einer unvollkommenen Rhythmik befriedigt werden.

mag

Aber Empfindung,

Phantasie und Verstand wird sich doch nur denjenigen Klangbildern dauernd zuwenden, welche auch in der Form die feine und mannigfaltige, gesetzmäßige

und behende Gliederung widerspiegeln, die wir in dem organischen Gebilde einer Dichtung genießen und bewundern wollen. Braucht man alle Silben wie wohlgewählte Mosaiksteine nach ihren Schattierungen, die nicht bloß im

Jambus,

sondern im Daktylus :c. auszuproben sind, so wird man ein ganz,

anderes Gemälde zusammensetzen, als wenn man bloß zwei verschiedene Farben anwendet. Nicht Klopstock und seine Nachfolger haben mit Einführung ihrer Mesiung die gegenwärtige Verwirrung gebracht, vielmehr muß das Zurückgehen vor oder vielmehr hinter diese Theorie zur Auflösung metrischer Formschönheit

führen. 2. Ein Schulbuch hat den Satz proklamiert:

„Opitz werde überwunden

werden, und Goethe bilde nicht die letzte Hebung unserer Poesie."

soviel heißen soll,

als:

die Zukunft wird einer noch

Wenn dies

feineren Meffung oder

Wägung sich bedienen, als Goethe, so läßt sich dies hören.

Die Verbesierungs-

fähigkeit des Menschengeschlechts und der Fortschritt ist ein nicht erst neu zu be­ weisender Lehrsatz: warum sollte nicht ein Goethe der Zukunft erstehen können!

Wenn aber durch den Ausspruch ein Aufgeben des Formprinzips gemeint sein

soll, aus dem heraus unsere größten Dichtungen geschaffen wurden, so ist zu betonen, daß diese Dichtungen mit dem Formprinzip fallen würden, da ja Inhalt und Form untrennbar sind. Übrigens hat niemand unsere im Vor­ stehenden abstrahierten Accentgesetze praktisch mehr geübt als Goethe und Schiller (vgl. § 116 ff. vom Accentvers). Es ist ja wohl richtig, daß viele Goethesche

und Schillersche Verse nicht allen Anforderungen an Meffung und Tonbeachtung

entsprechen. und Goethes,

Aber eben darin bewährte und bewies sich der Genius Schillers daß sie trotz des Mangels der Theorie einer deutschen Prosodik

die Tongesetze der deutschen Sprache übten, ohne sich völlig den Irrlehren des

259 Quanntätsprinzips hinzugeben,

ja,

daß

sie

es

fertig

brachten,

das

äußere

metrische Gerüste aufrecht zu erhalten, auch wo sie dem Sinnton in echt deutscher Weise gerecht wurden (vgl. den Accentvers § 116). 3. Tie Beachtung des Sinntons brachte es mit sich, daß wir mitten in

jambischen Versen z. B. Trochäen und Anapäste rc. finden. Anwendung von Anapästen (^

tylen (- o (5s

fragt

m

Daß ein Recht zur

_) im jambischen Rhythmus oder von Dak­

im trochäischen Rhythmus vorliegt, haben wir im § 81 bewiesen.

sich

nun,

ob

auch an Stelle der Jamben Trochäen und Daktylen

und an Stelle der Trochäen Jamben und Anapäste treten dürfen.

Die Be­

antwortung dieser Frage wird nach dem Abgehandelten demjenigen nicht schwer

fallen, welcher der Berechtigung des Accentverses und der Skansion nach Arsis und Thesis das Wort redet, oder der Frage vom Rhythmuswechsel (§ 93) im

deutschen Sinn näher getreten ist. Wilhelm Jordan hat in

seinem

epischen Vers der Germanen am

Schillerschen Quinär gezeigt, wie derselbe nach Arsen und Thesen gelesen werden muß. Palleske meint hierzu: „Jordan habe mit seinem eigenen Maße gemessen; es höre ferner der Unterschied von Vers und Prosa auf, wenn man mit Jordan nur nach Takttönen mefie." Aber Palleske übersieht, daß der Unterschied zwischen Vers und Prosa bei Wägung nach Arsis und Thesis doch bestehen bleibt. Das Wunderbare bei den Schillerschen Bildungen ist, daß der Dichter trotz aller Freiheit in der tonlichen Bewegung doch das Gerüste und den Grund-

charakter des jambischen Rhythmus beizubehalten wußte, daß man das Gebäude

erkennt, auch wo der Versaceent durch den Sinnton überdeckt ist. Der Dichter hat seine Quinäre zählend gebildet, nicht meffend. Die Quinäre Schillers richtig (d. h. nach dem Sinnton) gelesen, werden jedes deutsche Ohr befriedigen.

Der Grund hiervon liegt in der Abwechslung, in der Harmonie mit unserm Sprachgefühl, in der Beachtung und richtigen Stellung schwerer und leichter Silben (unbekümmert um den Versaceent), endlich in der Skansion nach Arsis und Thesis. 4. Eine Rhythmik, die nur auf den Wellen des Versaccents sich bewegt,

verknöchert oder wird monoton, weil sie sich vom Metronomen abhängig macht,

der

dem Perpendikel

der Uhr vergleichbar in

bestimmten Zeitintervallen die

Wiederkehr der Arsen fordert und die Thesen in die gleichen Zeitteile zwängt.

Unsere deutsche Prosodik darf sich getrost von diesem Zwang emancipieren;

sie ist einer freien, wenn auch regelvollen Bewegung fähig.

unter den Einfluß des Metrums stellt,

Selbst wo sie sich

kann sich ihr freier Geist vielgestaltig

entfalten. Wo sie das Metrum durchbricht, bleibt doch der Takt das Grund­ element des Rhythmus und sein Element die Arsis. Der deutsche Sprachgeist

erstrebt Freiheit für sein Empfinden wie für seinen Ausdruck im Vers.

Er

darf mit dem Verstakt spielen, gegen ihn ankämpfen, im Sinnton Silben ihm entgegenstellen, die ihn zu erdrücken scheinen, ja, die ihn durchbrechen, wenn er nur gegen das Ende der rhythmischen Reihe (vgl. § 89) zum schematischen Maß

zurückkehrt, ergeben hat.

dem

er sich „zu liebendem Vereine wie die Neigung der Pflicht"

260 Gin nach den Gesetzen der accentuierenden Prosodik gebauter Vers wird

fesseln, anregen,

Sein Rhythmus wird unserm Sprachgefübl wohl

veredeln.

thun, denn er füllt die einzelnen Teile mit Schönheit aus. Daher gewinnt er auch jedes deutsche Gemüt zum Freund, auf welches.nicht Shakespeares Worte passen:

Der Mensch, der nicht Musik hat in ihm selbst, Den nicht die Eintracht süßer Töne rührt, Taugt zu Verrat, zu Räuberei und Tücken. Über diese Musik hat sich nunmehr die Rhythmik des Näheren zu verbreiten.

II. KhythmiK.

§ 83. Begriffliches. 1. Rhythmus (von fafyios — ebenmäßige Bewegung) ist die musikalische Schönheitsäußerung der Poesie in Bezug auf Bewegung und bedeutet die geordnete Folge und Wiederkehr der betonten und unbetonten Teile eines Verses oder eines Gedichts (s. § 95): die über die Worte sich hinziehende Bewegung oder Musik. Die Lehre vom Rhythmus oder die Kunst desselben heißt Rhyth­ mik. Die Höhenpunkte der Wellen des Rhythmus werden durch die Arsen des Verses gebildet. 2. Gleichmäßige Bewegung giebt keinen Rhythmus. Rhythmus ist der Wechsel im Leben. Er ist außer in der Poesie und in der Musik überall nachweislich, wo lebendige oder fixierte Bewegung sich findet, also auch in den Schwesterkünsten der Poesie und der Musik. 3. Der Grundrhythmus der deutschen Sprache ist trochäisch (_ J). 1. Durch

regelmäßige,

taktartige Abwechslung

betonter und unbetonter

Silben, durch gleichmäßige Wiederkehr von Hebungen und Senkungen entsteht

harmonische, wegung:

selbst dem ungebildeten Geschmack wohlthuende,

d. i. Rhythmus.

Indem

ebenmäßige Be­

das Schwellen und Abnehmen im Rede­

fluß naturgemäß ein entsprechendes musikalisches Heben und Senken der Stimme mit sich bringt, wird die Monotonie der Rede durch eine erfrischende Modulation

gehoben, die man wie eine Art Melodie empfindet, weshalb man den Rhyth­ mus auch die Melodie der Sprache nennen könnte. Unsere Stimme ist gewissermaßen der Strom, auf welchem die durch das Metrum gesetzmäßig angeordneten Klänge schwimmend sich fortbewegen; er hebt

die letzteren und senkt sie auf seinen schaukelnden Wellen.

Dies ergiebt eine

Art Musik: Nationalmusik. Wenn Scheffel sagt :

Einsam wandle deine Bahnen so erhebt er die Stimme viermal

("V*W\) und läßt sie viermal sinken.

261

Ebenso Schiller in der Reihe: Und es wallet und siedet und brauset und zischt (

1. zweitaktige Reihe.

2. zweitaktige Reihe.

(Hebel.)

Besonders ist dies aber in allen längeren, mehr als 6 Takte umfassen­ den Reihen der Fall, z. B. Wüsten | könig | ist der | Löwe !; will er 1 sein Ge | biet durch | fliegen !.

1. viertaktige Reihe.

2. viertaktige Reihe.

Wie es akatalektische (vollständige) und katalektische (unvollständige)

Verse giebt (vgl. § 105), so unterscheidet man auch akatalektische (d. h. mit dem vollen Verstakt endigende) und katalektische (mit einem halben Verstakt endigende) rhythmische Reihen. (Im obigen Beispiele von Bosse ist die 1. und 3. Zeile akatalektisch, die 2. und 4. sind katalektisch.)

§ 90.

Der große Rhythmus.

1. Der große Rhythmus ist der Aufbau ganzer rhythmischer Perioden aus rhythmischen Reihen. Er wiederholt die Proportionen der rhythmischen Reihen in großen Dimensionen. 2. Er ist somit die Musik des ganzen Gedichts und bedingt die Wirkung desselben. .... 1. Wie sich der einzelne Taktrhythmus als ordnungsmäßige Gliederung der durch einen Bewegungsstoff ausgefüllten Zeit in der Weise mit anderen Takt­

rhythmen zur rhythmischen Reihe vereinigt,

Abschnitte

vernehmbar

erscheinen läßt

daß

die Bewegung die

einzelnen

(indem sie nämlich eine Silbe vor der

andern durch eine stärkere Jntension hervorhebt),

so verbinden sich die rhyth­

mischen Reihen zum großen Rhythmus, welcher somit die Vereinigung größerer oder kleinerer Gefüge ganze Gedicht umfaßt.

zu

einem Gebilde ist und

die Strophe

oder auch das

Eine Jntension niederen Grades trennt die Einzeltakte,

eine Jntension höheren Grades die rhythmischen Reihen als vernehmbare rhyth­ mische Abschnitte von einander, und zwar bei der Reihe dadurch, daß einer von

den benachbarten Einzeltakten eine stärkere Jntension als die anderen erhält:

eine Jntension höhern Grades.

Das nachfolgende Beispiel eines großen Rhyth­

mus möge dies veranschaulichen:

270 Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll,

Ein Fischer saß daran, Sah nach der Angel ruhevoll, Kühl bis an's Herz hinan.

Und wie er sitzt, und wie er lauscht, Teilt sich die Flut empor;

Aus dem bewegten Wasser rauscht Ein feuchtes Weib hervor. Die Verbindung dieser rhythmischen Reihen zum großen Rhythmus läßt ersehen, daß die Reihen im Verhältnis vollständiger Gleichbedeutung zu ein­

ander stehen, also einander coordiniert sind. Während in der rhythmischen Reihe ein bestimmter Takt einen hervorstechenden Accent enthält, welcher mehrere Takte zur rhythmischen Reihe verkettet, hat der große Rhythmus keinen besondern Hauptiktus, sondern es hat der Jktus irgend eines Vordersatzes ganz die gleiche Bedeutung mit dem Jktus irgend eines Nachsatzes.

Indem sich der große Rhythmus wie eine von der gleichen Stimmung erzeugte ebenmäßige Melodie über ganze Gefüge und Satzperioden ausdehnt,

wird

er

zum

welcher nach Aristides Quintilianus

„Hin- und Herschwunge",

den Auf- und Abschwung auseinander rückt und so die Kraft und Eigentüm­ lichkeit des Seelendranges und der Gemütsäußerung verklärend verschönt zur

Gestaltung und Entfaltung bringt.

2. Es ist begreiflich, daß die Wirkung eines ganzen Gedichts von seinem

eigenartigen großen Rhythmus abhängt.

Die Wirkung des großen Rhythmus ist

aber in der Natur des Menschen begründet, wenn sich dieser auch nicht erklären kann,

warum z. B. das erste schwere Taktteil in allen rhythmischen Reihen

der Musik (z. B. in der Mazurka oder im Marsche) so außerordentlich anfeuernd wirkt (A|

|

Wechsel ähnlich

|

I

A|

1

I

A| 2c.k und warum durch

den

betonter Silben mit weniger betonten jene anmutende,

an­

I

A|

]

|

I

genehme Abwechslung der Töne erfolgt, die wir in Musik und Poesie rc. eben Rhythmus nennen.

§ 91. Rhythmische Pausen. Nicht selten treten am Ende rhythmischer Reihen Pausen ein. Dieselben müssen als vollgültige Zeitteile der rhythmischen Reihe besonders bei der Deklamation wie auch bei der wissenschaftlichen Auf­ fassung hinzugerechnet werden. Es umfassen diese Pausen in der Regel nur kleinste Zeitteile, Teile des Taktes. schließen.

also

nur

Sie können aber auch einen ganzen Takt und mehr um­

Die ^/rtaktige Pause verleiht der rhythmischen Reihe die Bezeichnung

271 einer

katalektischen,

ganze

die

katalektischen Reihe.

Pause

am

Schluß

macht

sie

zur

brachy-

(Diese haben die Alten nur bei Tipodien angenommen.)

Beispiele:

1 fr 1

W • Fül-lest 1

1 •fr

1 •fr





wie-der

•I 7

Busch und Thal —

Still mit | Nebel- | glanz — |

- 1

( = ^,2 Taktpause, also: katalektische Reihe.) C/2 und 1 Taktpause, also: fatal, u. brachykatal. Reihe.)

(1/2taftig nennen wir die Pause mit Rücksicht auf Silbenzahl des zwei­ silbigen Taktes. Im Hinblick auf Zeitmaß müßten wir sie ^/ztaktig nennen, was das obige Notenbeispiel veranschaulichen wird.) Der Uhland'sche Nibelungenvers wird allgemein als sechstaktiger Jambus

aufgefaßt.

Und

doch ist er bei Hinzurechnung

der Pausen ein vollständiger

achttaktiger Jambus, z. B. Es ständ [ in äs | ten Zer | ten — (fatal.) ein Schloß | so hoch | und hehr. | — | (brachykat.) (Nachdem das Gesetz der rhythmischen Pausen ausgesprochen ist, wirb jeder ersehen, daß am Schluß der ersten rhythmischen Reihe 1/z Takt fehlt, dagegen am Schluß der zweiten Reihe ein ganzer Takt, durch deren Hinzu­ fügung der Vers — wie bemerkt — zum achttaktigen Jambus wird.)

In derselben Weise wurden auch von geachteten Litterarhistorikern u. A.

häufig achttaktige Verse als siebentaktige ausgesührt, z. B. a. Jambisch (^ _).

Den Frost | aus Ruß | land bringst | du uns? | Da bringst | du schlech | ten Plun | der. (Rückerts Napoleon.) b. Trochäisch (_ J). a. Strenge Fräulein zü begrüßen muß ich muh bequemen | — | (Goethe, Das Parterre spricht.)

ß. Seht, da sitzt er auf der Matte, aufrecht sitzt er da | — | (Hier ist V/2 Taktpause hinzuzurechnen.) (Schiller in Nadowessiers Totenlied.) Y- Ritter, träte Schwesterlkebe widmet Euch dies Herz — | | (Ebenso.) (Schillers Ritter Toggenburg.)

ö. Als ich still und ruhig spann — |, ohne nur zu stocken | — | (Hier fehlt in der ersten katalektischen Reihe V* Takt, in der zweiten brachykatal-Msch-n ein ganzer Takt.) $je Spinnerin.)

(Ähnliche Pausen

finden sich in Goethes Tischlied,

in

Offne

Tafel, im Heidenröslein u. s. w.)

e. Rosen pflücke, Rosen blühn —; morgen | Ist nicht | heut'. — | | (Gleim.) (Hier ist der Vordersatz fatal., der Nachsatz fatal, und brachykatal.)

Ebenso: Wenn von Flügel und Klavier — | meine liebsten Lieder. — — (Rückert in Beyers biogr. Denfm. 221.)

272 Cs wäre sicher eine sehr unrichtige, leichtfertige Bestimmung des Rhyth­ mus,

wenn

wir

in

solchen Gedichten

nur

die Takte ohne Cinrecknung der

Pausen zahlen wollten. Wir müßten dann — wie es von mancher Seite auch geschehen ist — bei Gedichten, wie „Deutschland, | Deutschland | über | Alles, | über | Alles | in der | Welt" die richtig fühlenden Kom­ ponisten tadeln, die dem Worte „Welt" eine halbe Note gaben, während "den übrigen Silben je nur x/4 Note gegönnt ist. Im erwähnten Gedichte

sollte schon der Parallelismus der Glieder darauf Hinweisen, daß wir es mit viertaktigen Reihen zu thun haben, und daß füglich von eingefügten über­ zähligen (hyperkatalektischen) dreitaktigen Reihen nicht gesprochen werden kann. Dieser Parallelismus der Glieder zwingt aber auch, in Gedichten wie

das nachfolgende, die verkürzte Reihe durch Pausen zu ergänzen: Bringt mir Blut der edlen Reben,

bringt mir Wein! —

Ter Komponist hat in richtigem Gefühle die 3 Worte der zweiten rhyth­

mischen Reihe als Arsen behandelt und eine vierte Arsis durch eine Pause ergänzt, so daß bei ihm die zweite Reihe der ersten vollständig entspricht:

tti** J EJ

r--------------- 1------- n

J' ~T J- ! ••• -JL _ xj xv _ Tu uns ge | raubete, | tot uns ge i glanbete, ! Hast du uiis i unseres | Irrtums be | lehrt. *j ■ x

xj

%

(Rückert.)

xj

(Rückert.)

-

4. Der Anapäst.

Der Anapäst (— Aufschlag, von mv.-TiaioTO^ zurückgeschlagen,

zurückprallend) ist ein umgekehrter Daktylus, z. B. Melodie, delikat,

du verlangst, Kamerad. Er ist der mit einem Anlauf aufwärts drängende Versfuß, der bei den Griechen vor allem in Marschliedern (ctytT* tvdvöyov'), dann in der Tragödie, besonders in Parodos und in Kommos, ferner in Parabasen (Aesch. I. 157), sowie in Spottgedichten (Plut. Pericl. 33) Verwendung fand. m

Das Erkennen des Anapästs bietet dem im Skandieren ungeübten An­ fänger einige Schwierigkeiten, weil auch anapästische Reihen häufig Jamben enthalten oder mit einem Jambus beginnen. Der Anfänger wird daher gut thun, zunächst die hervorstechendsten Tonlichter mit Strichen zu versehen, um sodann erst die Thesen einzufügen. Beispiele:

a. Reine Anapä st e.

Es vergeht Was besteht.

(Platen.)

Und es wället und siedet und brauset und zischt. (Schiller.) Und sie sprächen: „Was brauchen wir fürder des Herrn!" (Geibel.) Guten Morgen, Marie! so frühe schon rüstig und rege. (Uhland.) h. Mit Jamben beginnende Reihen.

Sie hä | best das Herz | aus der Brüst | mir genom | men. (Rückert.)

299 \J

___

VJ

w

VJ

- _

__

_

Es war | mal ein Kai | fer, der Äai | ser war kur 1 rig.

(Bürger.) O wär | rcn wir wei | ter, o wär | ich zu Haus.

(Goethe.) c. Jamben unb Anapäste gemischt.

Im Wald j ist voll | bemoos | ter Zertrüm | werter Stein' | ein Platz, |

Tort stand | das äl | te 5tlö | fter, Tort liegt | der v er mall | erte Schatz. |

(Rückert.»

Zu dlachen in seiner Kai | serpracht, Im al | tertüm | lichen Saa | le Säst 5tö | nig Rn | dolfs hei | lige^ Macht |

Beim festlichen Krönungsmah | le.

(Schiller.)

5. Der Spondens. - Ter Spondens (Gleichschritt, von ghovöuos) besteht aus zwei Einzellängen, z. B. Hansnarr, Hansdampf, Bettstroh, Schpeegans, sprachs und, lauf zu, schweig still. Er ist der Ausdruck der Ruhe, des Festen, Schweren, Massigen. Tas Wort Gnovdtios bezeichnete ursprünglich das zur osiordn (d. i.

Opferspende, Libation) Gehörige; gtiotöelov /zeZog war das bei Libationen übliche Lied; g7iordtio$ noü; war das bei Libationen gebräuchliche, feierlich

langsame, aus 2 langen Alben bestehende Metrum, das dem Metrum unserer in gleich langen Tönen einherschreitenden Kirchengesänge (Choräle) entspricht. Ta

die beiden Silben

75 Ziff. 3) die

Silbe

zur

des Spondeus

nicht gleichtonig sind, langen

macht

nach

den

Gesetzen

der Prosodik

und da überhaupt lediglich der Accent

(§ 80),

so

klingt

der

Spondeus

in

unseren

deutschen Gedichten entweder wie eine Art Trochäus (Hausthür) oder wie eine

Art Jambus

(schweig still);

das

geübte

Ohr

merkt

Thesis nicht 1 - oder 2gradig, sondern Zgradig ist.

Weise

jambische

und

trochäische

Spondeen,

die

freilich

sofort,

daß

die

Es ergeben sich auf diese wir

so

bezeichnen

wollen:

_ z und — Im folgenden Beispiel, das jambisch zu betonen ist, finden sich jambische

Spondeen: Wie Nord | wind mut | voll her | stürmt.

Tagegen bietet nachstehendes Beispiel trochäische Spondeen:

Nordwind | mutvoll | herstürmt. |

300

Der reine Spondeus wurde in der alten Metrik schwebender spendens genannt, während man den zur Arsis aufsteigenden jambischen Spondeus den steigenden und den von Arsis zur Thesis herunterfallenden den fallenden Spondeus ttannte. Beispiele: a. Schwebende Spondeeu hat unsere Sprache seltsamerweise nur in den beiden Wörtern: Hansnarr und Hansdampf, . nicht aber in Wörtern wie Bettstroh, wie Paul Schönfeld in seiner an Wilh. Jordan adressierten Dichtung (Stuttg., Metzler 1880. S. 192) nachweisen möchte. b. Steigende Spondeen. Bist du's? Turnier. Vgl. auch obiges Beispiel: Wie Nordwind mutvoll herstürmt.

IV

| ) allitteriert nur einmal, weil hier den Ton und mit ihm die Bedeutung

„Zorn" in die Thesis gedrängt ist und einer Arsis verliert.

Es erhellt,

daß die Allitteration am Platze

Hauptvorstellung echoartig fortgeleitet

diese Vorstellung eine nachahmende

Wortklang für

das Ohr ebenso Fällen ist

sie

berührt

wie

unverstandene

die Vorstellung

Spielerei

ist,

wo

eine sinnlich starke wo also der

und verstärkt werden soll,

sinnliche Fülle

den Sinn.

Unverständiger.

In Auch

besitzt

anderen

bessere

Dichter

haben ausnahmsweise falsche Allitterationen gebildet z. B.

Hier draußen die zwei, Du kennst sie gut.

und

allen

(Fouque.)

398 In diesem Beispiele kann dock nur so betont werden;

t •

I . h h I • • • •

! h I •

1 •

Hier brau i ßen die zwei, j du kennst

Somit können die Wörter die und du nicht zur Allitteration verwendet werden. Aus demselben Grunde durfte das Beispiel nicht allitterieren. Die Betonung ist:

Wort

„deiner"

im folgenden

Am dritten Morgen und all deiner Reden. (Simrocks Edda.)

Beispiele guter, den Accent beachtender Stabreime: a. Jede Zeile hat 2 Stäbe, die nicht sämtlich allitterieren. Roland, der Rief', am Rathalls zu Bremen, Steht er im Standbild Standhaft und wacht. Roland, der Ries', am Rathaus zu Bremen, Kämpfer einst Kaisers Karls in der Schlacht. Roland, der Ries', am Rathaus zu Bremen, Männlich die Mark' einst Hütend mit Macht. (Man beachte, daß „mit" nicht allitteriert.) Roland, Rathaus Wollten Nehmen

der Ries', am zu Bremen; — ihm Wälsche die Wacht.

Roland, der Ries', am Rathaus zu Bremen; — Wollten ihn Wälsche Werfen in Nacht.

Roland, der Ries', am Rathaus zu Bremen, Lehnet an langer 1 Lanz' er und lacht.

Roland, der Ries', am Rathaus zu Bremen; — Ende ward wälschem Wesen gemacht. (Die Allitteration „ward" würde tonlich inkorrekt sein.) Roland, der Ries', am Rathaus zu Bremen, Wieder wie weiland Wacht er und wacht! (Man beachte, daß „wie" nicht allitteriert.)

399 Diesem schon 1814 gedichteten Liede setzte Rückert 1863 die nachfolgenden

drei

Strophen

zu

(Vgl.

meine Neuen Mitteilungen

über Rückert.

I. 223.

und 240.):

Roland, der Ries', am Rathaus zu Bremen, Hamburg und Lübeck Legt er in Acht. Roland, der Ries', am Rathaus zu Bremen, Feige, wer fürchtet Dänische Macht! Roland, der Ries', am Rathaus zu Bremen, Furchtlos den Feinden Beut er die Schlacht.

Man

lernt

aus

diesem

Beispiele Rückerts,

wie

der Dichter

Eindruck möglichst wahr

und

anschaulich

wiedergeben;

wie

durch

die

bewegende Vor­ wählt, die den

allitterierenden zwei oder drei Anfangskonsonanten die ihn stellung sinnlich anklingen läßt; wie er ferner solche Wörter

er

endlich

strebt,

daß jedes neue Wort der Hauptvorstellung ähnlich klinge, um schon durch den Klang an dieselbe zu erinnern. Dies ist aber — wie S. 397 gelehrt wurde

— die Aufgabe

der Allitteration;

sie soll den Eindruck der Hauptvorstellung

fort erhalten, währen machen durch die Hauptlaute der die Fortdauer bezeich­ nenden (sich im Anfangsbuchstaben ähnelnden) Wörter.

b. Jede Zeile hat 4 Stäbe, die nicht sämtlich allitterieren. Rüpel, ja! Die Rüpel raufen, Hören nicht auf Rat und Red, Rüpel rotten sich zu Haufen, Reizen alles auf zur Fehd! Rüpel rauh und Rüpel schlau, Raisonnieren ohne Not, Rechnen rüpelhaft genau, — Runkse sind's bis in den Tod! (Müller von der Werra, Rüpellied.) c. Jede Zeile hat 4 Stäbe mit beliebigen Thesen.

erzog mich die Mutter (mich ist nicht allit­ terierend) Im leuchtenden Saal. Ich liebte die Brüder, Bis mich Giuki mit Gold bereifte Mit Gold bereifte und Sigurden gab. Die Maid der Maide

So war Sigurd bei den Söhnen Giukis Wie über Halme sich hebt edler Hauch, Wie der Hirsch ragt über Hasen und Füchse Und glutrotes Gold scheint über graues Silber.

400

Bis mir nicht gönnen mochten die Brüder Den Helden zu haben, den hehrsten aller. Sie mochten nicht rnyen, nicht richten nnd schlichten Bis sie Sigurden erschlagen ließen. Vom Thinge traurig traben hort ich Gram; Signrden selber sah ich nicht. Alle Rosse waren rot von Blnt Und in Schweiß geschlagen von den Schächern. (Aus Simrocks Eddaübersetzung. 6. Aust. I. 209.)

§ 128. Metrische Bedeutung des Stabreimes. 1. Der Stabreim stellt die metrische Verbindung zwischen den Klängen der Verse her, also auch zwischen dem Inhalt der Begriffe. Ursprünglich verband er die altgermanischen Langzeilen miteinander. In der ersten Hälfte derselben befanden sich in der Regel zwei Stäbe, in der folgenden Hälfte nur einer, und dieser war der Hauptstab. 2. Die dem centralen Hauptstab vorausgehenden allitterierenden Anlaute nennt man Stollen oder Liedstäbe. Sie sind die metrisch­ verbindenden Glieder. 3. Der Stabreim verbindet in der Regel zwei kürzere Verszeilen (oder auch nur eine längere Verszeile). In neueren Gedichten bindet er zuweilen auch 3 und 4 Zeilen. 4. Um in langen Zeilen den Stabreim dem Ohre bemerklicher zu machen, rückt man nicht selten die allitterierenden Stäbe jeder Zeile eng aneinander. 5. Interessant ist die metrische Verbindung zweier Langzeilen durch ein besonderes Kettenglied. 6. Die Allitteration war ursprünglich das wesentlichste versregelnde Kunstmittel. 7. Eine gesetzmäßig bestimmte metrische Gliederung von regel­ mäßig 4 Hebungen kann in der früheren Allitterationspoesie nicht nachgewiesen werden. In Jordans Nibelunge besteht sie.

1. Der Stabreim erstrebt vor Allem durch Hervorhebung der Arsen die musikalische und mnemonische Verbindung der Zeilen. Ost erfolgt die Ver­ bindung (wie beim Beispiel a in § 127) in der Art, daß in der ersten Halbzeile derselbe Stab gewöhnlich zweimal und in der darauf folgenden Halbzeile zum drittenmal wiederkehrt. Oft aber geht dem centralen Hauptstab behufs Versverkettung nur ein Stollen voraus, wie aus demselben Beispiele (a in § 127) ersichtlich ist. Seltener finden wir 4 allitterierende Stäbe in derselben Zeile, wie z. B. a. Hream weard in Heorote heo under heolfre genam

(Beowulf.) b. Dir hilft kein Hirn, dir hilft keine Hand. (Rich. Wagner, Werke 6. 327.)

401 Vgl. hiezu Beispiel a § 127: Das von Rückert

„Wieder wie weiland wacht er und wacht."

beachtete Gesetz

drei

von

in

Allitterationen

2 Halb­

zeiten wurde am häufigsten von den späteren Skalden angewandt, die sich — beiläufig bemerkt — zur alten Verskunst verhielten wie die Meistersänger zu den Minnesingern. teilen ,

2. Fast in allen Beispielen, welche 3 Allitterationen auf 2 Zeilen ver­ bilden die beiden ersten gleichen Anlaute die Stollen, und erst der

dritte Gteichlaut ist der centrale Hauptstab.

Daß übrigens die 3. Allitteration

nicht durchweg Hauptstab ist, dieser vielmehr vom Sinn und Inhalt der Verszeilen abhängig ist, beweise folgendes Beispiel:

enti den lihhamun likkan lazzit Und den Leichnam liegen lässet.

(Aus Muspilli.)

3. Die meisten Allitterationen verbinden nur 2 kurze oder 1 lange Zeile, vgl. Beisp. b u. c § 127. Ein Mittel zur Steigerung der Wirkung der Allittcviilieii ist die durch Wiederholung desselben Stabes in der nächsten (zuweilen in der 3. u. 4.) Langzeile bewirkte metrische Verbindung dieser Zeilen, z. B.:

Und kannst du dein Kind nicht küssen und herzen Mit dem Leibe, von Luft und Licht gewoben, Wie verlangend es lechzt, dich liebend zu fühlen, So laß, für verlorene Lieder beim Wiegen, Mich noch länger belauschen dein leises Gelispel.

verses

4. Je schlichter, je mehr der Prosa sich nähernd der Inhalt des Stabist, desto weniger Stabreime enthält er. Je leidenschaftlicher er sich

gestaltet, desto häufiger werden die gleichen Anlaute. Bei wenig Allitterationen und in langen Zeilen steigert man daher die Wirkung dadurch, daß man die allitterierenden Stäbe möglichst nahe an einander rückt, um je den neuen Gleich laut ww ein wirkliches Klangecho zu empfinden, z» B.

hab dun fan rumuburg riki giwunnan. 5. Die

metrische

Verbindung

zweier

Langzeilen

(Heliand.)

durch

ein

besonderes

Kettenglied, das man als Nebenallitteration ausfassen kann, hat neben der metrischen Bedeutung auch eine mnemonische. Man vergleiche die folgenden Beispiele aus dem Beowulf:

hlüdne in healle paer was heorpan Sweg Swutol sang scopes: saegde se pe cupe.-----wig weorpunga wordun Baedon paet him gast Bona geoce gefremede. Obwohl der Deutsche im allgemeinen die deutschen Verse des Beowulf wie des Hildebrandsliedes fast ebensowenig verstehen mag,

als das Chinesische, so

habe ich doch diese Beispiele der Form halber hergeschrieben, um auch dadurch zu zeigen, wie unser Ohr anders geworden ist, sofern es nicht mehr als gültigen Stabreim anerkennt, wenn von einer Doppelkonsonanz nur der erste Konsonant

wiederkehrt u. s. w. Beyer, Deutsche Poetik. I.

402

6. Wie die Allitteration als versregelndes Kunstmittel mit Bewußtsein schon bei den ältesten deutschen Litteraturwerken benutzt wurde, ist leicht nach­ weislich. Alan bediente sich dabei der meist aus Langzeile (Otfriedsche Strophe vgl. § 68), z. B.

Sie sint so sama chuani ni thai'f man thaz, ouli redinon,

8 .Hebungen

bestehenden

selb so thie roniani thaz kriaclii in thes giwidaron.

(Sie sind eben so kühn, selbst wie die Römer, nicht darf man dazu reden, daß Griechen sie darin übertreffen.) (Aus Otfrieds Krist I, 59 n. 60.) Diese Strophe war burd? Jncisionen geteilt, und nur die Allitteration hielt sie zusammen, indem sie meist im ersten Bruchstück zweimal, im zweiten

einmal den gleichen Anfangsbuchstaben brachte.

Ausnahmen von dieser Regel

gab es genug. Wir wählen iiod) ein anderes Beispiel aus dein ältesten deutschen Ge­ dichte, dem Hildebrandsliede, in welchem der Kampf tcv Sobnes mit seinem unbekannten Baker — ähnlich wie in Rückerts Rostem und Snbrab — er­

zählt wird.

Sunufatarungos iro saro rihtun Sohn und Vater zusammen ihre Panzer richteten

g*arntun se iro gudhamun, gurtun ili siro suert ana Bereiteten sich ihre Schlachtkleider, gürteten sich ihre Schwerter an. A

A

A

A

A

Helidos, uh ar hringa, do sie to dero hiltju ritun Die Helden über die Ringe (Panzerhemden), da sie zum Kampfe ritten.

Hiltibraht gimahalta, her was heroro man, Hiltibracht sprach, er war der hehrere Mann

fer ah es frotoro; her fragen gistuont lebensverständiger; er zu fragen begann

foliem wortum mit wenigen Worten

xhwer sin fater wari fireo in solche. wer sein Vater wäre, der Führer im Volke. Man ersieht hieraus, wie durch die Allitteration die Bersgrenze bemerklich gemacht wurde und wie es schon die Alten verstanden, gewisse — selbstredend

durch den Sinn verbundene — Worte als zusammengehörig zu

charakterisieren,

durch

das

gemeinsame Anfangszeichen

wozu ihnen 3, 4,

zuweilen nur 2

Hauptvorstellungen — durch gleiche Anlaute hervorgehoben — genügten.

hierfür noch den aus dem Hildebrandslied entlehnten Vers:

mit gern scal man geba infahan. Mit dem Gere soll der Mann die Gabe empfangen.

Vgl.

403 7. Wenn auch die meisten älteren Allitterationsverse vier Hebungen hatten, man sich doch an

so hat

mann

metrische Form

diese

nicht

Nach Lach­

gebunden.

1833) war man geneigt, eine solche metrische

(Abhandl. d. Bert. Ae.

Gliederung namentlich im Hildebrandslied anzunehmen, bis Vetter in seinerdankenswerten Arbeit (311111 Muspilli und zur germanischen Allitterationspoesie, Wien 1872) das Gegenteil nachwies. Jordan hat die Gliederung mit 4 Heb­ ungen in seinem Nibelunge zum Gesetz erhoben.

§ 129. Die Allitteration als Schönheitsmittel mie als lautmalende Figur. 1. Die Allitteration hat in ästhetischer Beziehung großen Zauber, in, eine unwiderstehliche Gewalt. 2. Ihre Wirkung ist der Wirkung der Musik vergleichbar. 3. Sie wurde mit Ersolg zur Lautmalerei verwandt. 4. Es tritt die Aufforderung an uns heran, unser teilweise abgehärtetes Ohr für Wahrnehmung der Feinheiten der früher so wirkungsvollen Allitteration neu zu bilden. 1.

Feder musikalische Stab ist nach Jordan gewissermasien eine freundliche

Luftsigur, deren mehrmalige, in rhythmischen Pausen erfolgende Wiederkehr eine unbeschreibliche musikalische Wirkung übt und das Wohlgefallen des Ohres in ähnlicher Weise erweckt wie die gleichen Schwingungszeiten und Wellenbreiten des reinen Tones. Die unwiderstehliche Gewalt des Stabreims beruht darin (Jordan a. a. O. 39 u. 41), „daß seine sinnlich wahrnehmbaren Harmonien zugleich

Harmonien der Wortseelen sind, weil die verwandten Wortseelen sich verkörpert haben zur im eigentlichen Sinn ähnlichen, d. i. dieselben Ahnen ver­

ratenden

Kopsbildung

gleichen Anlauts,

weil daher Sinn

und Musik

des

Anlauts auf das Vollkommenste passend einander anerschaffen sind kraft einer uranfänglichen, aus entlegenen Jahrtausenden ererbten und dennoch in unserer wie

wunderbaren Sprache Symbolik

knochen,

nach

in

keiner

zweiten

den Hirnschalen,

die

den

seelischen

gebliebenen

lebendig

schöpferisch

Der Stabreim vermählt die Worte

der Laute.

Nerven

nach

ihren Mark­

einschließen.

So

bietet er als geheimnisvoll anregende Nebengabe einen Hinweis auf die Bluts­ verwandtschaft der Wortstämme, auf die tiefe Symbolik der Sprache und läßt

uns Blicke thun in deren ferne Jugend." 2. Das

bereits

im Kapitel

über Lautmalerei



28) Entwickelte

bezüglich der einzelnen Konsonanten und Vokale verstehen, der Empfindung angepaßt werden kann,

Bei

verständnisvoll

gebildeten

welche

Allitterationen

der Inhalt

läßt

wie die Stabmusik

hervorrufen soll.

umstrickt süße Musik

das Ohr,

z. B. in folgendem Wartburgspruche (aus Gottsr. v. Straßburg Tristan und Jsolt):

Wem nie von Liebe Leid geschah, Geschah von Lieb auch Liebe nie.

404 Ein jedes empfindet den Wohllaut, den die Wiederholung des allitterierenden Ähnlich ist es mit dem allitterierenden g in folgendem Verse

L hervorruft.

des Hildebrandliedes (vgl. S. 402):

garutun se iro gudhamun, gurtun sih iro swert ana. u. s. w. u. s. w.

3. Die

besten

Dichter

bis

in

die

Neuzeit haben die Allitteration

Lautmalerei verwendet, was schon einige Beispiele in § 28 S. weisen. Ich wähle aus dem mir vorliegenden Material nur

zur

124 ff. be­ noch wenige

Beispiele. Bürger malt im hohen Lied von der Einzigen, z. B. die Seligkeit eines Zustandes durch das weiche W (Wonne) und führt nun solche Zeit- und Eigenschaftswörter in seine Schilderung ein,

die

dem Worte Wonne

im An­

klange gleichen, die also »ein Weniges, ein Etwas von dem Worte Wonne (nämlich den an Wonne erinnernden weichen W-Anfang) haben, wodurch

das Wort Wonne unserem Ohre so wohlklingend wird, ja, wodurch im Voraus der wonnige Eharakter des Wortes Wonne über das ganze gegofien wird. Man höre: Wonne weht vom Thal und Hügel, Weht von Flur und Wiesenplan, Weht vom glatten Wasserspiegel, Wonne weht mit weichem Flügel Des Piloten Wangen an. Wem erschienen bei

solch

Wonne beginnender Malerei

nicht Wiese und

Wasserspiegel und Wange und Wehen durch Wonne verklärt!

Man vgl. hierzu einige Stellen aus Fouques Sigurd der Schlangentöter (Werke I, 9 ff.), der eine Fülle guter Allitterationen bietet:

S. 56.



62.



84.



85.

Weit ist die Welt, Äsen wollten wissen, Wie weit sich Welt erstreckt rc. Wurdur hat das Gewordne gelenkt, Werdandi lenkt das Werdende jetzt. Weberin, webe fort. Nornen auch weben fort, Dein Leben zu Lieb und Leid Führen unreißbare Fäden, Fingen früh' an ihr Gespinnst Eh' flog dein Weberschifflein rc. Würziger, wonniger Wein rc.

Vgl. hier auch die Allitterationen in Tegners Frithjofs Sage (übers, v. Mohnike, wie von Simrock). Ferner Chamissos Ferner viele Gedichte Goethes z. B.

„Das

Lied

von Thrym".

Nun hellt sich der Morgen, die Welt ist so weit, In Thälern und Wäldern die Wohnung bereit. (Goethe, Ballade I, 140.)

405 Ich seh sie dort, ich seh sie hier Und Weiß nicht auf der Welt Und wie und wo und wann sie mir, Warum sie mir gefällt. (Goethe, Christel I, 14.) Aus dem bewegten Wasser rauscht Ein feuchtes Weib hervor re. Ach, wüßtest du, wie's Fischlein ist So wohlig auf dem Grund re. Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll re. (Goethes Fischer.)

Das sich wiederholende l setzt in nachstehendem Sonett „Deutung" von A. W. Schlegel den Eindruck fort, den der süße L-Klang des Wortes Liebe

hervorzaubert.

Z. B.

Was ist die Liebe? Lest es, zart geschrieben, Im Lauf des Worts: es ist ein innig Leben; Und Leben ein im Leib gefesselt Streben, Ein sinnlich Bild von ewig geist'gen Trieben. Der Mensch nur liebt: doch ist sein erstes Lieben Der Lieblichkeit des Leibes hingegeben. Will sich, als Leibes Gast, der Geist erheben, So wird von Willkür die Begierd vertrieben.

Doch unauflöslich Leib und Geist verweben Ist das Geheimnis aller Lust und Liebe; Leiblich und geistig wird sie Quell des Lebens. Im Manne waltet die Gewalt des Strebens; Des Weibes Füll' umhüllet stille Triebe: Wo Liebe lebt und labt, ist lieb das Leben.

Vgl. hierzu das Beispiel in § 128. 2. S.

401.

Ferner:

Das Lied, das aus der Kehle dringt, Ist Lohn, der reichlich lohnet.

(Goethes Sänger.)

Vgl. auch Bürgers Vorgesang: Morgen liebe, was bis heute nie der Liebe sich gefreut re. sowie die Verse a und b S. 129 d. B.

Eine hörbare wellige Luftbewegung erzeugt das h in folgender Allitteration Rückerts (39. Makame S. 292):

Heil'ge, hohe Himmelsheimat, hehre Hims, Heil! du hast den Herrn zum Huldverheißer. Heitre Hügel, heimlich hohles Haingeheg, Höhn' euch herb kein harscher Hauch noch heißer! Holder Hirsche Herde hütet hier der Hirt, Hoffnungshalm erhabner Herrscherhäuser. Heissa, hussa, hurra, hu, hihi, haha, Halle hell, bis Herz und Hals ist heiser.

406 Prächtig malend ist das h in Schillers Taucher: „Hochherziger Jüngling, fahre wohl!" Und hohler und hohler hört man's heulen (s. S. 129 d. B.) Und es harrt noch mit bangem, mit schrecklichem Weilen rc. Und Heller und Heller, wie Sturmes Sausen Hört nmifö näher und immer näher brausen rc.

Goethe läßt in Mahomets Gesang die Bäche klagen und beginnt abwechselnd

zwei oder drei Tonsilben mit dem gleichen Konsonanten, um den Eindruck audauern zu lassen, z. B. Denn uns frißt in öder Wüste Gier'ger Sand; die Sonne droben Saugt an unserm Blut; ein Hügel Hemmet uns zum Teiche! Bruder, Nimm die Brüder von der Ebne, Nimm die Brüder von den Bergen Mit zu deinem Vater mit.

Noch wirkungsvoller erweist sich diese Allitteration, wenn sich der Silben­ reim

zu ihr gesellt.

Vgl. Goethes Erlkönig

störenden Allitteration Gewand.

mit der inkorrekten,

aber wenig

Ferner:

Kennst du das Land, wo die Citronen blühn, Im dunkeln Laub die Goldorangen glühn, Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht, Die Myrte still und hoch der Lorber steht ?c. (). S. 124 d. B.) (Goethes Mignon.) Es war ein König in Thule Gar treu bis an das Grab, Dem sterbend seine Buhle Einen goldnen Becher gab. (Goethe.) Rosenmädchen, rosenwangig, Rosenlipp- und fingrig auch, Heut zum Rosenfest verlang' ich, Daß sie ziehn zum Rosenstrauch, Rosen bringen ihm mit Grüßen, Und nach süßem Rosenbrauch Unterm Rosenkranz ihn küssen Mit des Mundes Rosenhauch .... Daß er, wie den Blick er drehe Rosen sehe, Rosensaat, Ganz umroßt von Rosen stehe, Rosenherr im Rosenstaat.

(Rückert, Rosenlied.)

Lisple Laute, lisple linde, Wie durch Laub die Abendwinde; Wecke mit dem Spiel die Töne Meine Süße, meine Schöne Von dem leisen Schlummer wach. Wer scharfe Schwerter Schmieden und schleifen will, Scheue das Zischen der Flamme nicht. Wer scharfe Schwerter Schwingen in Schlachten will, Scheue das Rauschen der Speere nicht.

(Fouque.)

407 (Man beachte, wie der Dichter zur Verstärkung des Eindrucks die den sch-Laut wiederholenden Wörter zischen und rauschen (vgl. den § 54 über Onomatopöie) verständnisvoll einfügte.) Vgl. noch die allitterierenden Stellen in Uhlands Eberhard, .ütein Voland, das Schloß am Meer, ferner in W. Müllers Glockenguß zu Breslau und in den weiter oben erwähnten Dichtungen. 4. Wenn man bedenkt, welche malend ergreifende Wirkung die Allitteration in den obigen Beispielen neuerer deutscher Dichter übt, so wird man zugeben, daß dies noch weit mehr in einer Zeit der Jyasl gewesen fehl muß, wo die Al­ litteration noch das einzige, die symmetrische Gliederung der Vede bezweckende Ziunstmittel war, wo sie nicht als etwas Zufälliges berantrat, sondern die gesetz­ mäßige wesentliche Form der deutschen Dichtkunst war, wo die Recitation der allitterierenden Gedichte in langsam feierlicher Weise mit Emphase bei den betonten, durch den Gleichklang verbundenen Silben verweilen durfte. Wie mochte sie selbst die Phantasie der harten .ürieger mächtig angeregt haben! Wie abgehärtet unser Ohr gegen das unserer Vorfahren in Einsicht auf Wahrnehmung der Feinheiten des Stabreims geworden ist, gebt schon daraus hervor, daß den Altdeutschen eine 2 oder 3malige Wiederholung des gleichen Anlauts vollkommen genügte (z. B. der maie machet hohen muot), was bei uns nicht allenthalben als beabsichtigte Allitteration auffiel. Wurde ja doch von einem mitteldeutschen Dichter allen Ernstes gefragt (als ich auf die nachahmens­ werten feinen Allitterationen in Sigurd der Schlangentöter von Fouquv, ferner im Lied von Thrvm von Ehamisso, im Mädchen aus der Fremde von Schiller und im Frühlingslied von Heine aufmerksam machte), ob die erwähnten Allitte­ rationen nicht zufällig den Dichtern untergelaufen seien!! — Solcher Unwissenheit gegenüber dürfte die Mahnung gerechtfertigt er­ scheinen , die Allitteration in ihrer Bedeutung und in ihrer lautmalenden Wirkung auf das Ohr mehr als bisher zu studieren.

§ 130.* Formen des deutschen Stabreims. Wir unterscheiden: I. den vokalischen Stabreim, welcher die betonten Wörter mit ungleichartigen Vokalen anfängt; II. den konsonantischen Stabreim, welcher die betonten Silben durch die gleichen Konsonanten beginnt. Er ist die gebränchlichere Stabreimform und zerfällt in mehrere Unterabteilungen. I. Der vokalische Stabreim. Beim vokalischen Stabreim allitteriert nicht der gleiche Vokal sondern ohne Unterschied jeder Vokal oder Diphthong mit jedem anderen, z. B. Anfang und Ende; Ansicht und Einblick;

408 Armut und Überfluß. Der gleiche Vokal (z. B. Andacht und Absicht) würde Allitteration und Assonanz zusammenfallen lassen, weshalb man ihn absichtlich vermeidet. Die Vokale

und

Diphthonge (sagt Jordan a. a. O. S. 30) üben

die

allitterierende Wirkung lediglich vermöge des Umstands, daß der Germane ganz

wie der Grieche keinen Vokal, — auch nicht wenn er am Anfang der Silbe

oder allein steht — auszusprechen vermag, ohne einen leisen, aber deutlichen Vor hauch, der für alle Vokale genau der nämliche ist. Dieser von den Germanen nicht'geschriebene, von den Griechen als Spiritus lenis angedeutete ü-Konsonant ist nach Jordan das Allitterierende der Vokale.

Wir sind zwar nicht im Stande, den Jordanschen Vorhauch mit dem Ohre wahrzunehmen, wollen aber gern gelten lassen, was der berühmte Rhapsode

sagt,

da in

der That vokalische Allitterationen in alten Dichtungen nachweis­

lich sind. Beispiel a u * dem Angelsächsischen:

a. Einst war das Alter, da Hmir lebte. (Simrocks Edda 1876. 6. Ausl. S. 347.)

b. earm ic väs on edhle thinum, || tliät thu vurde eadig on minum. (Arm war ich in deinem Erblande, || daß dir Überfluß würde in meinem.)

Jördh fannsk aeva | ne upp—himinn (altnordisch). (Nicht Erde war irgend | noch Überhimmel.) Beispiel Franks. 1874):

aus

Wilh.

Jordans

Sigfrid sage

(Nibelunge

I.

a. Einst das Ufer des Eilands aufstieg. b. Voll edler Anmut war Sigfrids Antlitz, Die holde Mädchen entflammt zur Minne. c. Nachdem sie erklommen die höchste Klippe Am äußersten Ende der Insel Helgis. NB. Der Vokal c in erklommen allitteriert nicht zur folgenden Zeile.

II. Der konsonantische Stabreim.

Beim konsonantischen Stabreime beginnen die betonten Wörter (Stammsilben) mit dem gleichen Konsonanten, oder auch Doppelkonsonanten, z. B. Liebe, Leid, laben, Leben; Wonne, wehen, Wasser, Wiege; streiten, stricken, streichen, Strang, Strauß re. Zu betonen ist, daß alle Konsonanten von gleichem Klange, wie z. B. die labialen v und f, und pH, pf, b, P, w allitterieren können, z. B. Felder und Wälder jenes Philipp stehen immer vor mir. Fisch und Vogel rc. Man unterscheidet schwache, starke, volle, verschlungene, trennende und reiche konsonantische Allitteration oder Stabung. a. Schwache Allitteration.

Es ist dies jene Allitterationsart, bei welcher bloß eine Hebung der ersten mit einer Hebung der zweiten Vershälfte allitteriert.

409

Beispiele: a. Hamburg und Lübeck Legt er in Acht. (Rückert.) b. Hadubraht gimahalta | Hiltibrantes sunu (altniederd.) (Hadubrand sprach, | Hildebrands Sohn.)

NB. zeichnet.

c. Bisher war's ein Kranz, — nun wards eine Krone. (Wilh. Jordans Nibelunge I, 79.) Beispiel b. gehört zur starken Alliteration, wenn man gimahalta aus­

b. Starke Allitteration.

Bei ihr allitterieren zwei Hebungen der ersten mit der ersten oder zweiten Hebung der letzten Vershälfte oder umgekehrt:

a. Die beiden Stollen der letzten Vershälfte:

ersten

mit

der

ersten Hebung

der

Beispiele:

Ich will Walvaters Wirken künden. (Simrocks Edda S. 347.) Roland der Ries', am Rathaus zu Bremen. (Rückert.) Weit int Weinberg wohnen zwei Schwestern. Gap var ginunga; | en gras hvergi. (altnord.) (Gähnender Grund nur; | und Gras nirgends.)

Ea la vifa vynu | geond vuldres thrym (angels.) (O du Wonne der Weiber | durch die weiten Himmel!)

ß. Die beiden ersten Stollen mit der zweiten Hebung der letzten Vershälfte, welche in diesem Fall kein einsilbiges Wort und auch nicht die zweite Hälfte einer Zusammensetzung sein darf:

Beispiele: Skridhiat that skip, | er und ther skridhi (altnord.) Schreite das Schiff vor, das unter dir schreitet.

Als der Schnee verschwand auch oben im Schwarzwald. Um die spärlichen Spuren aus deinem Spiegel. (W. Jordans Nibelunge II, 1.)

/. Ein Stollen der ersten auf die zwei Stäbe der zweiten Vers­ hälfte :

Beispiele: Thu biguolen Sinthgunt, | Sunna era suister (althochd.) (Da besprach ihn Sindgunt, und Sonne, ihre Schwester.) Durch die zitternde Welt, daß in wenig Wochen. — Doch bei der Verfolgung des fliehenden Feindes. (W. Jordans Nibelunge II, 3.)

410 c. Volle

Allitteration.

Bei ihr allitterieren die sämtlichen Hebungen mit einander.

Beispiele: Und hohler und hohler hört man's heulen (Schillers Tauchn-.) Und den lustigen Leib zum Leben im Laut, — Feuriger Firnmeth füllt sie funkelnd re. Ter hat auf der Heimfahrt Horand den Harfner. (W. Jordans Nibelunge II, 1.) Fiöldli ek sor, | fiöldli ek freistadliak (altnord.) (Viel erfuhr ich, ! viel erforscht' ich.) d. Verschlungene Stabung.

SDlstii bezeichnet die Allitteration mit diesem 9!amen, wenn im gleichen Verse eine Hebung der ersten mit einer Hebung der zweiten Beishälfte allitteriert, während gleichzeitig die zweite Hebung der ersten Veishälste mit der anderen Hebung der letzten Vershälfte allitteriert.

Diese 'doppelpaarige, von zwei verschiedenen, einander in derselbe! Langzeile umschlingenden Stäben gebildete Allitteration fügt sich in ihrer Abwechs­ lung schmiegsam der natürlichen Satzsolge unserer heutigen Sprache an Wir finden folgende Stabungsschemata: a b b a a b a b a a b b Das Schema a a b b fällt am besten in's Gehör und übt die meiste Wirkung. Beispiele: Schema: a b b a. Es gruben die Süßen ein sonniges Grab. Die mutige Fürstin, die fest und mannhaft, Die Schrecken der Hölle, den Himmel durchschreitet. Mit gewaltiger Macht schon die Marken verwüste. (W. Jordans Nibelunge.) Schema: ab ab. Ili wallota suiuaro | enti wintro sehstic (althochd.) (Ich waltete der Sommer | und der Winter sechzig.) Die der tückische Franke im tiefsten Frieden — Von der Herulerfeldschlacht und Hildebrands Fall. — Die Fürstin selber gefaßt und besonnen. (W. Jordans Nibelunge.) Schema: a a b b. Nun müßt ihr euch morden In rastlosem Rasen; Die Tochter vertilge Das Schlangengeschlecht. (W. Jordan.)

411 (Sine besondere Jorm der verschlungenen Allitteration wird durch Ver­ bindung des konsonantischen mit dem vokalischen Stabreim gebildet:

Beispiel: Noch heut ist alles auf Hoheneschburg.

Frau Ute hauset auf Hoheneschburg.

(W. Jordans Nibelunge.) e. Trenltende Allitteration.

Sie entsteht, wenn die Hebungen jeder Verszeile unter sich litterieren. Sie bewirkt eine schöne metrische Gliederung:

al­

2' e i s v i e l: Wachse nicht, Wimur, nun ich waten mus; Hin zu des Joten Hause. Wisse, tucmi du wächsest, wächst mir die Asenkraft Ebenhoch dein Himmel. (Simrocks Eddaübersetzung 6. Aufl. I, 304.) f. R eiche Allitteration. Tie spatere Allitterationspoesie hat nicht selten die Verse durch Zusätze oder Füllungen bereichert, insbesondere den Anfang des zweiten

(die sog. Malfüllung). So entstand namentlich im Angelsächsischen als neue Versform ein Vers mit einem Zusatzstab und beliebig viel Stabreimen, deren geringste Zahl drei war.

Beispiel: Ic vas on vorulde vadla, | that thu vurde velig on heofonum. (Ich war in der Welt verworfen, daß dir wohl würde im Himmel.)

Salig bist thu Simon, sunu Jonases; ni mähtes thu that selbho gehuggean. (Selig bist du Simon, Sohn des Jonas; wie mochtest du das selbst erdenken.)

§ 131.

Der Stabreim innerlich aufgeflcht.

Man kann den Stabreim auch nach den Vorstellungen in's Auge fassen, welche die ihn tragenden Wörter ausdrücken. Diese Vorstellungen können 1. in einem verwandten, 2. in einem kontrastierenden und 3. -in einem indifferenten Verhältnisse zu einander stehen.

1. Stabreim für verwandte Vorstellungen. In den allitterierenden Wörtern dieser Gruppe herrscht Gleichheit des Sinnes. Der Dichter wählt meist Wörter, welche im Verhältnis der Zusammengehörigkeit und der Verwandtschaft zu einander stehen.

412 Beispiel: Trank nie einen Tropfen mehr. — (Goethes König in Thule.) Im Wilden Wald, in der Winternacht. — Die Welle wieget unsern Kahn. — (Goethe.) Wir umklangen sein Ohr so verklagend noch immer. — (W. Jordan.)

2. Stabreim für kontrastierende Vorstellungen.

Die allitterierenden Wörter sind dem Sinn nach häufig entgegengesetzt. Beispiel:

Wohl und Weh. Wonne und Wehmut. Mit ermüdender Macht die Gemüter der Dreie.

(W. Jordan.)

3. Stabreim für indifferente Vorstellungen. Bei ihnen zeigt sich weder Übereinstimmung, noch Verwandt­ schaft, noch Kontrast. Sie stehen inhaltlich gleichgültig einander gegenüber. Beispiel:

Dunkel drückt das Gewölk sich, Grau droht die Gegend rings. (Fouque.) Warum weinst du, junge Waise? Gott, ich wünsche mir das Grab.

(Goethe.) Und der Götter Befehl in die Ferne getrieben. Vergissest du ganz, was wir ehegestern (vgl. § 130. II. b. ß.) Aus Schwaben gehört, wo unsre Schwerter Deine Mutter gewiß schon schmerzlich vermißt. (W. Jordans Nibelunge.)

§ 132. Historische Entwickelung Les Stabreims. 1. Die Allitteration ist vorhomerischen Ursprungs. 2. Die ältesten Denkmäler unserer Litteratur waren allitterierend. Die Allitteration bildete die Grundlage (Knochengerüst) unserer frühesten poetischen Sprache. (§ 126.) 3. Als die Allitteration ganz und gar abkam, blieben doch die Reste derselben in einzelnen Liedern wie auch im Volksmunde. 4. Unsere besten Dichter haben der Allitteration einige Berück­ sichtigung geschenkt. Aber sie wurde nicht immer von den Lesern be­ merkt. Bereits Fr. de la Motte Fouque strebte den Stabreim als Band der Verszeilen in die neue deutsche Poesie wieder einzuführen. 5. Wilhelm Jordan ist der Neubegründer der Allitteration; ihm schloß sich Richard Wagner an.

413 1. Wilhelm Jordan, der erste Erneuerer unseres Epos und seiner Form, der das alte Gesetz

(a.

a. O. S.

erfüllte

und

ein

neues

sagt

schuf,

„Ter Stabvers hat mit

16 ff.):

über

den Stabvers

strengeren

dem rhythmisch

seinen Klang­

Sloka offenbar ein älteres arisches Vorbild gemein,

und

auch

bildet;

den

Stabreim

schmuck,

der

zugleich

seine

Gedächtnishafte

unsere Vorfahren aus einer früheren Heimat im Osten mitgebracht

scheinen

zu haben.

Tenn wir finden die Allitteration mit Bewußtsein angewendet in den Volksmundartlichen Lustspielen der römischen Komiker, ebenso bei griechischen Tichtern, namentlich bei Sophokles. Auch bei Homer kommt sie große Strecken fast leer von ihr sind, findet sie sich an

vor, und während andern so gehäuft,

daß man glauben könnte, hier habe der Poet den Stoff geschöpft aus älteren Liedern in Allitterationsversen. Tie Kenntnis der Allitteration scheint also in vorhomerischer Zeit den Vorfahren der Hellenen, Lateiner und Germanen ge­

meinsam gewesen zu sein." 2. Nachweislich waren alle ältesten Tenkmäler unserer Litteratur allitte­ rierend, weshalb man füglich die erste Periode unserer Litteratur die Allitte­ rationsepoche nennen könnte. Allitterierend sind z. B. der altsächsische Heliand; der angels. Beowulf, das altniederd. Hildebrandolied, das Muspilli, das Wesso­ brunner Gebet; im Altnordischen die vom Norden uns geretteten, von unsern

Altvordern herrührenden Lieder der sog.

späteren Edda,

wo sich

regelmäßige

Strophen (erendi, visa = Weisen) von gewöhnlich 8 Halbzeiten (Fornyrdalag oder Starkadarlag) oder 6 Versen (Liodhahattr) bildeten, wogegen später Reim, Assonanz und regelmäßige Metren eindringen. Im Angelsächsischen

ist fast die ganze poetische Litteratur allitterierend, bedienten sich der Allitteration.

Der Stabreim war die

ursprüngliche Wiege,

zuerst in poetischen Rhythmen geschaukelt hat.

einzige Vers der deutschen Poesie

geblieben.

selbst Predigten in Prosa

welche

Er ist

das

deutsche Wort

viele Jahrhunderte

Erst als römisches,

der

romanisches

und romantisches Wesen dem Deutschen sein Deutschtum auszutreiben

begann,

ward auch diese einzige, echt deutsche Form der Poesie verdrängt, unsere deutsche Göttersprache

verwelscht

und

hinein

romanischen und semitischen Ursprungs .

massakriert in importierte Versformen (Jordan a. a. O. S. 56.)

Wie schön klang der Stabreim, z. B. im Muspilli:

Sorgen mann diu sela za uuedermo herje Uuanta ipu sia daz satanazses daz leitit sia sar In fuir enti in finstri:

A unzi diu suona argut, A si gihalot uuerde kisindi kiuuimmt, dar iru leid uuirdit, dazi ist rehto virinleh Ding etc.

Wie verständnisvoll wendet noch Otfried in seiner zugleich den Schlußreim

einführenden Evangelienharmonie den Stabreim an. Vgl. § 68, sowie die folgende schön klingende' Stelle: de cantico sanctae Mariae I. 7. 1 —10:

414 thaz siu zi liuge habeta; bi tliaz arunti. mit sein gifuagter,

Tho sprah sca maria, si was sih blidenti

Nu scal geist miner, mit lidin lichamen Ih frawon druhtine; krew ih mih in muate

druhtinan diuren. alle daga mine gote heilante. in mir was scowonti,

Want er otmuati nu saligont mih alle Malitig druhtin, det er werk marin

worolt io bi manne. will namo silier!

in mir armem.

In der Allitteration^periode war die Betonung der ersten cilbc jedes Wortes Regel. Alle Wörter fügten sieb; und wäre die Allitteration bei uns herrschend geblieben, so Hätten sich zweifellos auch die Fremdwörter (§ 78) dieser deutschen Accentuation anbequemen müssen. Rach Überhandnahme des Reims erhielt sich die Allitteration noch längere Zeit eigentlichen.Reime in Minneliedern und Heldengesängen, lied Heinrich III. (1039) findet sie sich noch.

hindurch neben dem selbst im Krönungs­

3. Die im Volksmund — besonders auch durch die Rechtspflege — lebendig erhaltenen Allitterations-Anklänge (vgl. § 126. 2. b und c) be­ weisen,

wie fest die Allitterationen im Volke haften

und

wie

gern dasselbe

durch Wiederholung der Anklänge aeeentuiert. Wie lebendig dieses Gefühl geblieben ist, und wie seine Befriedigung ergötzt, beweisen auch unzählige allitterie­

rende Versuche, die zum Teil der Prosa angehören oder gesuchte Spielereien sind. Man vgl. zum Beispiel die nachstehende Rauchrede aus jüngster Zeit: „Raucher! Richtig rauchende Raucher rauchen rauchende Rauch-Ripp ruhig 'runter. Ruhig rauchende Raucher rauchen reizende runde Rauchringe. Robuste

Raucher rauchen ranzige,

runzlige Runkelrüben-Rolle.

Riemen

Raucher rauchen

Nennende

rüttelnd.

rauchende Raucher rauchen recht reine Rauchrohre. riechenden Natiborer,

ruppige Rangen rauchen Reformer rauchen

reden

Rettige,

rothe Rüben,

rauchend recht rührend.

Rauch-Reime.

Riecher

reitende

rauchen rar.

Reelle

Russische radikale

Nawitscher.

Raucher

Raucher riechen

riechende Raucher riechen raren Rauch.

Rapide Rosse

Raubritter, Räuber, Rinaldo,

Rapunze.

Reimende

rümpfende

Raucher

Rhetorische

Rauchredner

reimten rauchend rabiat: rauchend Rauch.

Reiche

Rochrige Raucher riechen recht roch-

richen Rauch — Raucher! rauche, rooche, rieche — Ruhe!"

4. Die

im Accent

hat selbst — wie zur

Anwendung

einst

begründete,

nachdrückliche Wirkung

einen Shakespeare

des Stabreims

entflammt.

der Allitteration

in England — unseren Goethe Shakespeare

hat den Stabreim

beim jedesmaligen Erscheinen der Hexen im Macbeth, sowie in Ariels Gesängen (im „Sturm" 1. 2) angewandt, was seine Übersetzer Schlegel und Tieck

nicht bemerkten.

Dennoch war die Anwendung weder zufällig noch

unab-

415 sichtlich.

Der Sehende erkennt in diesen Stellen feste Regel und klaren Zweck.

Mächtig erhöht der Stabreim den altertümlich schreckhaften Eindruck der Er­ scheinungen, und es werden die Schicksalsschwestern dadurch in die Sphäre einer eigenartig germanischen Anschauungs- und Empfindungsweise gezogen:

Fair is foul, and foul is fair. Hover through tlie sog and filtliy air. I will drain him dry as hay: Sleep shall, neither niglit nor day, Hang upon bis penthouse lid. He shall live a man forbid. (3. Akt.)

(1. Auftritt.)

Ähnlich in der Rede Banguos und der Schicksab?schwester durch 21 Zeilen, dergleichen im 1. Auftritt des 4. Aktes (3. B. Fillet of a fenny snake :c.).

So verstattd es Shakespeare, dem Zusammenklang zauberische Beweiskraft zu verleibet! und den Eindruck auf Dhr und Geist des Hörers zu verstärken.

Goethe bat in noch wirkungsvollerer Weise die Allitteration verwendet, und zwar kunstvoll und in freier Weise, so daß sie dar Auge der Laien nicht

ohne Weiterer entdeckte und letzterer geneigt war, sie für zufällig zu halten. Ich verweise auf die Beispiele von Goethe in § 129 d. B. 5. Ein rundes Jahrtausend war seit dem letzten deutschen Poeten ver­ gangen, der die Allitteration im Heliand anwandte, als nach Jouques Vor­ gang, welcher die Allitteration in großem Stil wieder anwandte (Werke, Band 1 — 3), der geistreiche Dichter Wilhelm Jordan das Wiederaufleben der Allitteration forderte und dieselbe in seinem epochebildenden Epos „Ribelunge"

erfolgreich anwandte. Ihm schloß sich der Richard Wagt!er an, der wie kein Zweiter

bahnbrechende Dichterkomponist die Bedeutung des Stabreims

für den deutschen Rhythmus erkannte und seinen „Ring (6. Bd. seiner ges. Schriften) in Allitterationen schuf.

des Nibelungen" Die Allitteration in

dieser Dichtung ist für Die Recitation passend und auch für tadelnswert,

sofern

die

„zuweilen

zischenden

Stäbe"

durch

den Gesang nickst den

melodischen

Gesang auseinander gehalten werden. Da sich in den vorhergehenden Paragraphen genug Beispiele aus W. Jordans

Nibelunge finden, so geben wir nur noch einige Proben aus Richard Wagners Nibelungenring.

a. Woge du Welle, walle zur Wiege, Wagalawaia! Kennst du mich gut, kindischer Alp? Nun sag, wer bin ich, daß du so bellst? Im kalten Loch, da kauernd du lagst, Wer gab dir Licht und wärmende Lohe, Wenn Loge nie dir gelacht? b. Wohl taugte dir nicht die tör'ge Maid, die staunend im Rate, nicht dich verstand. Wie mein eigner Rat nur das Eine mir riet, — zu lieben, was du geliebt.

416 Muß ich denn scheiden und scheu dich meiden, mußt du spalten, was einst sich umspannt, die eigene Hälfte fern von dir halten — daß sonst sie ganz dir gehörte, du Gott vergiß das nicht!

In die Fußstapfen Jordans und Wagners ist Gustav Wacht getreten,

der in seinem Trauerspiel „Hermann der Cherusker" Allitterationen verständ­

nisvoll gebraucht, z. B.: Schaurige Schatten klagen in den Klüften, Die Rachegöttin ruft aus grausigen Grüften. Die Wolken weinen, Donner dröhnen wider, Die Nacht entweicht, — es träufeln Thränen nieder. Es löst sich Licht und bricht als Brücke vor, Walhalla winkt, der Götter Wunderwelt; Unsterblich steigt als stolzer Aar empor Deutschlands Befreier: Hermann der Held.

des

Im Gegensatz zur süßlich leichten Manier, lediglich die abgetretenen Bahnen Endreims in der Erzählung sorglos zu wandeln, wirkt es erfrischend,

durch die markig wuchtige Allitteration einen strafferen,

männlicheren Stil an­

gebahnt zu sehen. Ein allitterierendes, aus die Gesetze der accentuierenden Metrik gebautes Gedicht im Sinne Jordans und Wagners entspricht so ganz der Beschreibung Goethes im Faust (II, 3):

Helena: Vielfache Wunder seh' ich, hör' ich an, Erstaunen trifft mich, fragen möcht' ich viel. Doch wünscht' ich Unterricht, warum die Rede Des Mann's mir seltsam klang, seltsam und freundlich: Ein Ton scheint sich dem andern zu bequemen, Und hat ein Wort zum Ohre sich gesellt, Ein andres kommt, dem ersten liebzukosen. Faust: Gefällt dir schon die Sprechart unsrer Völker, O so gewiß entzückt auch der Gesang, Befriedigt Ohr und Sinn im tiefsten Grunde. Doch ist am sichersten, wir üben's gleich; Die Wechselrede lockt es, ruft's hervor. Helena: So sage denn, wie sprech ich auch so schön? Faust: Das ist gar leicht, es muß vom Herzen gehn. Und wenn die Brust von Sehnsucht überfließt, Man sieht sich um und fragt — Helena: Wer mitgenießt. Faust: Nun schaut der Geist nicht vorwärts, nicht zurück, Die Gegenwart allein — Helena: Ist unser Glück.

417

II. Der Ausklang. § 133. Wesen des Ausklangs und seine Verwendung. 1. Eine Art Allitteration, welche in Übereinstimmung der die Silben schließenden Konsonanten besteht, heißt Ausklang. (Vgl. § 129. 1. 6.) 2. Er wurde nicht zur metrischen Gliederung gebraucht. 3. Er wird zuweilen durch den Anlaut verstärkt. 1. Beispiele: Macht — Pracht — ssucfyt; Hinz — Kunz; Dampf — Rumpf; Ost — West; leben — schieben; sterben — darben; schlicht — schlecht; tuscheln — zischeln; guten Tag — guten Weg; Wald — Feld; Geld — Geld; Jammer — Kummer; Hand — Mund; sündlich — schändlich. 2. Der Auslaut ist nicht angewendet worden, um der Rede eine bestimmte Gliederung zu verleihen; man hat durch ihn lediglich den Begriffswörtern eine eigenartige tonliche Auszeichnung geben wollen, einen Nachdruck in der Betonung, welcher ihre Bedeutung malen und charakterisieren sollte.

3. Der Ausklang kann verstärkt werden, wenn er mit dem ähnlich an­ lautenden Konsonanten verbunden wird. Beispiele: Piff — paff — puff; Sing und Sang; Kling und Klang; Thür und Thor. Nach Aufnahme des Christentums mit seiner tiefinnerlichen Gemütswelt verlangte die Verinnerlichung des Volkslebens nach einem Fallenlassen der „heidnischen" mythischen Allitteration im Anlaut wie im Ausklang. Man erstrebte ein wirksameres, kräftigeres Kunstmittel für metrische Bindung der Verse und gelangte zur Assonanz wie zum Reime.

III. Die Assonanz oder der Vokalreim. § 134. Wesen der Assonanz und Anforderungen. 1. Die Wiederkehr der gleichen Vokale oder Diphthonge in den betonten Silben (Stammsilben) einer Verszeile, oder auch nur im letzten Verstakte der einzelnen Verszeilen heißt Assonanz, auch Stimm­ reim oder Vokalreim. (Vgl. § 126. 1. c. und 2. d. S. 394. 395.)

2. Die Assonanz hat ein versiegelndes Ziel. 3. Sie verlangt daher Reinheit der assanierenden Vokale.

4. Der Kunst des Dichters ist es Vorbehalten, schon im Anfang seines Gedichts durch Binnenassonanzen zu betonen und auf die Schluß-Assonanz hinzuweisen. 27 Beyer, Deutsche Poetik. I.

418 1. Bei

der

Assonanz

kommt

es

lediglich

auf

Gleichheit der tönenden

Vokale an, die Konsonanten können durchaus verschieden sein. Wegen ihres tönenden Charakters kann man die Assonanz als Stimmreim (Vokalreim) bezeichnen. 2. Am

gebräuchlichsten war

bei uns

die Schlußassonanz

am Ende der

Verszeilen. -Sie diente zur Markierung der Versgrenzen und hatte somit vor­ zugsweise ein versregelndes metrisches Ziel.

Sie

hat aber auch eine rhyth­

mische Bedeutung, insofern sie innerhalb der einzelnen Zeilen im Gegensatz zur malenden plastischen Allitteration musikalischer Natur ist und durch ihre wellenartige Betonung dem Gedicht

einen bestimmten Gefühlscharakter verleiht.

3. Selbstredend ist für Erreichung einer musikalischen Wirkung vor Allem

Gleichheit der affonierenden Vokale und möglichste Vermeidung des faden e als Assonanz zu fordern. Eine Verdunkelung würde schon entstehen, wenn klangverwandte Vokale oder Diphthonge mit einander vermischt würden (z. B. mit ä und ü, ei mit eu und äu, i mit ü rc.). Indes findet man diese Vermischung bei Klangähnlichkeit nicht so selten. 4. Es ist geraten, in den ersten Versen einer affonierenden Dichtung

e

Binnenassonanzen anzuwenden, um den affonierenden Vokal von vornherein zu markieren (vgl. § 135. U-Assonanz. S. 126). Auch darf behufs Ein­ prägung und Bemerklichmachung des affonierenden Vokals im Anfang des Gedichts keine große Verwickelung vorkommen. Höchstens können am Anfänge einfach sich durchkreuzende Assonanzen eintreten.

§ 135. Arten der Assonanz. Die von Minckwitz gelehrte rationelle Einteilung der Assonanzen in a. einsilbige (j. B. Grund — ruht, kalt — kahl), b. zweisilbige (z. B. Blüte — blühen, wissen — schicken, langsam — Altar, Arbeit — allzeit, Zeitung — eirund, Ohnmacht — Tonfall), c. dreisilbige (z. B. horchende — forderte, trockene — wohnende, Gartenhain — Hahnenschrei, Frie­ densbruch— Himmelslust) hat wenig Zustimmung und Nachfolge gefunden. Viele beliebten die Einteilung in a. männliche Assonanzen (z. B. groß — hoch), b. weibliche (z. B. raufen — glauben), c. schwebende oder spondeische (z. B. Maitag — eintrat), d. gleitende oder dreisilbige (z. B. Miederchen — Fingerchen), e. reiche (z. B. bleibt treue Gäste — weint Freudenthränen). Wir schlagen die einfachere Einteilung vor in 1. freie Assonanzen innerhalb der Verszeilen und 2. versgliedernde Assonanzen am Ende der Verszeilen.

1. Freie Assonanz (onomatopoetische Assonanz). Sie verleiht dem Gedichte ein rhythmisches Gepräge und trägt mehr als die versgliedernde Assonanz einen onomatopoetischen Charakter. Besonders wirksam erweist sie sich, wenn sie mit der Allitteration ver­ bunden ist. Wegen ihres freien Eintritts und ihrer sonstigen Anspruchs-

419 losigkeit wird sie häufig gar nicht als beabsichtigte Assonanz empfunden, namentlich wenn sie sich wie eine Art Binnenreim einführt. Beispiele: Die Ratte die raschle so lange sie mag! re. Da pfeift es und geigt es und klinget und klirrt, Da ringelts und schleift es und rauschet und wirrt Da pisperts und knisterts und flisperts und schwirrt. Nun dappelts und rappelts und klapperts im Saal rc. (Goethes Hochzeitlied.) Diese Assonanzen sind onomatopoetische Assonanzen im (vgl. § 28, ferner § 138. 10).

eminenten

Sinn

Da hing ein Heimchen auf einem Halme, Die Beinchen gespreizt, als wollt es springen, Allein es sprang nicht: da war im Sprudeln Erfroren ein Quell, ein Frosch im Quaken Mit geblähten Blasen stecken geblieben; Da hielt eine Ameis ihr gelbliches Eichen Zärtlich am Zipfel mit sanften Zünglein Und wollt' entlaufen dem lauernden Laubmolch, Allein sie lief nicht; lüstern lugten Nach ihr die Augen des flinken Erbfeinds, Doch mitten im Fangsprung stand er gefesselt, rc. Doch kaum berührte den bereiften Rasen Die Sohle Sigfrids - - da zog ein Säuseln Durch alle Bäume; da beugten sich die Büsche, Da nickten die Blumen und nieder von den Blättern Tauten zur Tiefe die harten Krystalle. Da rauschten die Vögel auf raschem Fittich Mit fröhlichem Laut durch lauere Lüfte; Da suchte summend nach süßen Säften, Nach langem Darben, um die duftigen Dolden Der Fliedergebüsche die fleißige Biene rc. (W. Jordans Nibelunge I, 85.)

Die Ringe? — Spiele nicht mit mir.

(Lessing.) Dringe tief zu Berges Klüften Wolken folge hoch zu Lüften, Muse ruft zu Bach und Thale Tausend abertausendmale rc. (In den vorstehenden kunstvollen Versen verbindet Goethe mit der Assonanz

den Endreim.

Verständnisvoll

läßt er

die Vokale i, 0, u, a nacheinander

affonieren. Die Vorstellungen „hoch" und „Wolke", oder „Bach" und „Thal"

sind

sich

eben so verwandt als „schwanken" und „wandeln", weshalb man

dieses Beispiel als Probe der Assonanzen mit verwandten Vorstellungen geben

könnte, sofern man sich zu einer derartigen Einteilung entschließen wollte.) Wenn ich, liebe Lili, dich nicht liebte, Welche Wonne gäb' mir dieser: Blick! Und doch wenn ich, Lili, dich nicht liebte, Fänd' ich hier und fänd' ich dort mein Glück?

(Goethe.)

420 Laß mein Aug' den Abschied sagen, Den mein Mund nicht nehmen kann.

(Goethe.)

Neulich träumte mir, — so Hellen Traum sah ich noch nie, — mein Liebchen Lief, in Seid' und Pelz gehiillet, Um die Wette mit dem Winter Schlittschuh auf des Teiches Eise, Das er selbst für sie geschliffen.

(Rückert.)

2. Versgüedernde Assonanz am Gude der Verseilen.

Wir unterscheiden versgliedernde Assonanzen a. mit gerader Vokal­ folge, b. mit gekreuzten Vokalen, c. mit eingefügten reimlosen Zeilen, d. mit spondeischem Versschluß. Beispiele: a. Assonanzen mit gerader Vokalfolge. Durchgeführte weibliche J-Afsonanz. Unterm Schatten alter Linden Saß vor seines Hauses Gitter Abufar, der Abasside, Still in sich gekehrt und sinnend. Eben ging vor seinen Blicken, Purpurn, in des Meeres Tiefen Allgemach die Sonne nieder, Wahrend, wie durch Laub und Wipfel, Leisen Hauchs, die Abendwinde Durch des Greises Locken spielten.

(v. Zedlitz.)

Durchgeführte männliche A-Assonanz. Meine blühend schöne Mutter nennet sich Italia. Diese hat aus ihrem Schoße mit unmütterlichem Rat Mich verbannt und ausgeworfen hier auf diesen öden Strand; Und sie hat, weil sie nach ihrer Meinung mich zu rauh befand, Als von ungeratnem Kinde ganz von mir sich abgesagt. Von den süßen Füllen ihres Reichtums hat sie geizig karg Mir nur soviel mitgegeben, daß ich eben leben mag, Und dazu den Fluch, daß alles, was sonst süß, mir bitter ward. re. (Fr. Rückerts Napoleon I. S. 5.)

U-Assonanz. Siehe das Beispiel Fr. Rückerts S. 126 d. B. A-O-Assonanz.

Sang was gisungan Sang war gesungen A

wig was bigunnan; Kampf war begonnen

(Paare.)

421 bluot skein in wangon Blut schien in den Wangen A

A

spilodun diu Vrankon.

Kämpften freudig so die Franken. (1. Strophe aus dem Ludwigslied.) b. Afsonanzen mit gekreuzten

Vokalen.

J-A-Assonanz.

Kommt ein Ritter da geritten, Gleichfalls gen Paris er trabte. „Wenn es Euch beliebt, Herr Ritter, Nehmt mich mit aus diesem Walde."

(Eichendorff.)

Ö-J-Assonanz. Wie lieblich und fröhlich Zu schweben, zu singen, Von glänzender Höhe Zur Erde zu blicken. Die Menschen sind thöricht, Sie können nicht stiegen. Sie jammern in Nöten, Wir fliegen gen Himmel.

(Fr. Schlegel.)

c. Assonanzen mit eingefügten reimlosen Zeilen.

Schema: x a x a weiblich.

(Vgl. S. 454.)

Donna Klara! Donna Klara! Heißgeliebte langer Jahre! Hast beschlossen mein Verderben Und beschlossen ohn' Erbarmen!

Donna Klara! Donna Klara! Ist doch süß die Lebensgabe! Aber unten ist es grausig In dem dunkeln, kalten Grabe.

Donna Klara! Freu dich, morgen Wird Fernando am Altare Dich als Ehgemahl begrüßen — Wirst du mich zur Hochzeit laden? „Don Ramiro! Don Ramiro, Deine Worte treffen bitter, Bittrer als der Spruch der Sterne, Die da spotten meines Willens u. s. w. (Heines Don Ramiro, Buch der Lieder IX, 33.)

d. Assonanzen mit spondeischem Versabschluß.

Ei-A-Assonanz.

(Durch A-Assonanz unterbrochen.)

Weh! du mahnst mich an Vergangnes! War es nicht der erste Maitag, Als er blühend selbst wie Frühling

422 In die Laube zu mir eintrat. Anfangs schüchtern nur und wortkarg, Scheut er dich, die ernste Aya rc.

U-O-Assonanz.

(Apel, Zauberliebe.)

(Durch reimlose Zeile unterbrochen.)

Froh des heil'gen Märtertumes, Stürzten in den Tod sie mutvoll; Doch unzählige der Heiden Färbten noch zuvor den Grund rot. Agolante nächtlich fliehet Da von Karl ihn trennt der Fluß noch. Doch kaum glüht des Morgens Purpur, Als schon Karol seiner Spur folgt Bugiens König und Algarbens Zittern vor dem Helden mutlos. (F. Schlegels Roland.)

U-A-Assonanz.

(In gerader Folge.)

Flieh, o Fortuna! thu das! Stirb, wenn du Lust hast! Stirb, wenn du mußt! ja

Stirb, o Fortuna! thu's halt! Ist nicht mein Ruhm da? Ist nicht mein Ruhm ganz?

Lebt nicht des Ruhms Glanz? Hurrah und Rußland! * Nehmt, wenn ihr Lust habt,

Nehmt mir den Ruhm ab! Thut's halt! Rußland und Hurrah! Nehmt, wenn ihr Mut habt, Nehmt mir den Ruhm da!

A-A-Assonanz.

Thut das! Hurrah! (Rückert, Napoleon.)

(In gerader Folge.)

Jetzt schreit mein Ruhm! Nach Moskow jetzt aufbrech' ich und mein Generalstab, Uno hole den Storch dem Ruhm zum Gaul, drauf reit' er, so lang es ihm Spaß macht. Dann borgt er den Storch mir selbst einmal, dann setz ich darauf mich mit Mann­ schaft. Und hol auf dem Storch aus England ihm Sankt Görgs Leoparden als Katz' ab. Nimm hin den Ruhm, trag, Amm', ihn nach Haus. Und wer mir nicht folgt, an den Schandpsahl! (Rückert, Napoleon.)

Als weitere Beispiele der verschiedenen Assonanzformen erwähne ich noch: Weibliche O-Assonanz: Uhland, der Sieger. Weibliche A-Asionanz: Uhland, der nächtliche Ritter. Männliche A-Assonanz: Uhland, St. Georgs Ritter. Weibliche U-Asionanz: Chamisso, das Mädchen zu Cadix. Männliche U-Assonanz: Fr. Schlegels 7. Romanze aus „Roland". Weibliche J-Assonanz: Rückerts „Assonanzen".

423 Männliche J-Assonanz: Rückerts deutsches Künstlerfest, ferner Platens

Gambacorti und Gualandi. Weibliche Au-Assonanz: Uhlands Romanze vom kleinen Däumling. Männliche Au-Assonanz: Platens Gründung Karthagos u. s. w.

§ 136. Geschichtliche Entwickelung der Assonanz. 1. Die Assonanz war ursprünglich der spanischen und portu­ giesischen, wie auch der alten skandinavischen Poesie eigen; doch kam sie ziemlich häufig auch im Altdeutschen vor. 2. Sie leitete von selbst zum Endreim hinüber. 3. Die Romantiker brachten sie neu zu uns aus Spanien. 4. Rückert wandte sie mit Beachtung des Charakters der Vokale an, wie wir dies S. 121 d. B. näher dargelegt haben. 5. Die Assonanz lebt im Reime und in der Annomination fort. 1. Die Vergleichung romanischer (spanischer, portugiesischer), skandinavischer und althochdeutscher assonierender Gedichte ergiebt, daß die Assonanz am klang­ vollsten in den romanischen Sprachen wirkt, wo die Konsonanten nicht so wie in der deutschen Sprache verdüstert und eingehüllt werden, d. h. wo Vokalismus und einfache Konsonanten vorherrschend sind. Namentlich in der spanischen Sprache wirkt die volkstümlich gewordene Assonanz äußerst klangvoll, weshalb dort (z. B. in Romanzen) die gleiche Assonanz durch das ganze Gedicht sich zieht.

2. Nachdem die Assonanz in unseren althochdeutschen Dichtungen bis in's 11. Jahrhundert hinein eine beschränkte Verwendung gefunden, verband sich mit ihr der gleiche Ausklang — und der Endreim war gefunden (z. B. Tisch — Fisch; Herz — Schmerz). (Vgl. § 126. 2. e.) Der Reim war an sich natur­ gemäß schon da gegeben, wo nach dem Vokal kein Konsonant mehr folgte (z. B. bau — schlau — schau — trau; neu — treu). So leitete die

Assonanz von selbst zum Schlußreim hinüber. letzteren als Halbreim bezeichnet werden.

Sie könnte mit Beziehung auf

Jedenfalls ging sie

dem Schluß­

reim voraus, was schon Proben aus Otfrieds Evangelienharmonie beweisen. ist daher eine irrige Ansicht

gewisser Litterarhistoriker,

daß die Assonanz

Es eine

Abart und Verarmung des Reimes sei.

3. Die strenge Assonanz war bei uns längst vergessen, d. h. durch den aus ihr erblühten Reim Vollständigkeit einem Jahrtausend verdrängt (nur einzelne

Volksgesänge waren noch assonierend),

als sie durch die

deutschen Romantiker

Anfangs unseres Jahrhunderts aus ihrer Heimat Spanien neu bei uns eingeführt

und von ihnen wie auch von unsern Klassikern Goethe, Schiller,

treffliches Mittel für Lautmalerei verwendet wurde.

Rückert als

(Ich erwähne außer den

im § 135 erwähnten Assonanzen noch die an Archaismen reiche Romanze „Die Zeichen im Walde" von Tieck, in welcher nur Assonanzen auf u sich finden.) 4. Die bedeutendste assanierende Dichtung der Neuzeit ist unstreitig Rückerts

Komödie

Napoleon,

in

welcher

nachweislich

der

lautmalende

Charakter

der

424 einzelnen Vokale entgegentritt. (Vgl. S. 121 d. B.) Rückert hat wie kein Zweiter der Übereinstimmung der Vokale mit den bezüglichen Gefühle-zuständen allüberall Ausdruck verliehen. Zu erwähnen ist in hofers Cidübersetzung (Berlin 1853).

dieser Hinsicht freilich auch Dutten­

5. Erhalten konnte sich die Assonanz bei uns nicht, da sie durch ihre höhere Entwickelungsstufe — den Reim — in wirkungsvollster Weise ersetzt wird.

Doch haben sie manche Dichter der Neuzeit zur Verstärkung des Reimes

neben demselben angewendet, ja, sie in unvergleichlicher Schöne im Reime selbst als ein den gewöhnlichen Reim hell überstrahlendes, versregelndes Tonlicht fort­ leben lassen. Ich gebe der Nacheiferung einige würdige Proben:

a. Wie dort mit geborgtem Schimmer Lacht die Nacht in Pracht durchwacht, Hätt' er auch in seinem Zimmer Gern verbracht die Liebesnacht. b. Dringe tief zu Berges Grüften, Wolken folge hoch zu Lüften! Muse ruft zu Bach und Thale Tausend abertausend Male.

c. Auf des Lagers weichem Kissen Ruht die Jungfrau schlafbefangen; Tiefgesenkt die braune Wimper, Purpur aus den heißen Wangen.

(Goethe.)

(Freiligrath.)

Volkstümlich ist noch jene Verbindung der Assonanz mit der Allitteration geworden, welche wir (§ 48. 9. S. 191 d. B.) als Annomination abhandeln konnten.

IV. Der eigentliche keim oder vollreim. § 137. Wesen und Bedeutung des Vollreims. 1. Bezieht sich der Gleichklang nicht nur auf einzelne Konsonanten oder Vokale, sondern auf ganze Silben, die dem Tone nach überein­ stimmen und sich gleichsam decken, so heißt er Reim, auch Vollreim, Silbenreim, Konsonanz. Er ist eine Verbindung von Assonanz mit End-Allitteration, oder die Übereinstimmung des betonten Vokals und der demselben folgenden Konsonanten'und Vokale. 2. Die den Silbenreim bildenden Klänge stechen als hellstes KlangEcho hervor, als Tonlichter, welche eine Zeitlang im Gedächtnis haften bleiben. Dies ist die mnemonische Bedeutung des Vollreims. 3. Er hat aber auch eine ästhetische wie eine versregelnde metrische Bedeutung. (Vgl. hierzu § 153.) 1. Der Vollreim ist die Manifestation eines sich selbst genießenden,

mit

sich spielenden, beschaulichen Gefühls, und die Schönheitsblüte unserer deutsch-

accentuierenden Poesie.

425 2. Indem die nicht reimenden Klänge da

werden

Hauptvorstellungen

nun den Versen einen

durch

sie

auf

die

bestimmten Klangcharakter

ausgedrückten Vorstellungen

und

Klang

verleiht.

rascher

verleihen.

unserem Sinne

haftend ein. 3. Tie ästhetische Wirkung beruht Schmuck

dem Ohre

entschwinden,

reimenden Klänge zurückgeführt,

Die

darin,

näher

die

Sie

führen

die

und

prägen

sie

daß der Reim

versregelnde Tendenz

den Versen

beweist

er

dadurch, daß er einesteils trennend und gliedernd, andernteils verbindend und verknüpfend wirkt: a. trennend und gliedernd,

indem er die Grenzen der einzelnen Verse betont und mehrere Vene als ein­ heitliches Ganzes — als Strophe — darstellt;

b. indem er

verbindend

und

den Versausbauenden Rhythmus

verknüpfend,

wunderbar

verstärkt.

Wenn auch

der Rbythmus des Reims entbehren kann, so kann doch der Reim den Rbythmus nicht missen. Ter Reim bindet — so zu sagen — musikalisch. Wie in einem schönen Tonlicht beglänzt und konzentriert sich die rhythmische Tonwelle der Verszeile im schärfer betonten, durch eine rhythmische Pause markierten

Reim, um in der korrespondierenden Zeile wie von Turmspitze zu Turmspitze hüpseud, Accent und Pause zu wiederholen.

§ 138. Ärten des Votlreims. Je nach der Endung der reimenden Worte, ferner nach der Silben­ zahl derselben (ob ein-, zwei- oder mehrsilbig), endlich nach dem Ver­ hältnis der reimenden Worte untereinander unterscheidet man folgende 15 Arten des Vollreims: 1. männlichen Reim, 2. weiblichen, 3. gleitenden, 4. schwebenden, 5. Doppelreim, 6. identischen, 7. reichen Reim (Ghaselenreim), 8. mehr­ fachen Reim, 9. Anfangsreim, 10. Binnenreim, 11. Mittelreim, 12. Kettenreim, 13. Echo, 14. Kehrreim, 15. Schlußreim.

1. Männlicher (sambischer oder stumpfer) Reim. Wie man die Endung eines Wortes männlich nennt, wenn dieses mit einer Hebung schließt, (z. B. Gebrauch, Verstand), weiblich,

wenn es mit einer Senkung endigt, (z. B. Liebe, Glaube, Hoffnung), so nennt man auch den Reim männlich oder weiblich, je nachdem er mit einer Arsis oder Thesis endigt, (z. B. Haus — Maus, Thal — Strahl sind männlich; Tische — Fische, Worte — Pforte sind weiblich).

Weil die Arsis häufig durch ein einsilbiges Wort und der männliche Reim überhaupt nur durch die letzte Silbe der Verszeile gebildet wird, so nennt man ihn zuweilen auch den einsilbigen Reim. Die Minnesinger

426 bezeichneten den männlichen Reim als stumpfen Reim, während sie die zwei­

und mehrsilbigen Reime klingende nannten. Der männliche Reim giebt einer ernst männlichen, entschlossenen Stimmung

Ausdruck; er verleiht dem Verse Bestimmtheit, Kraft und Würde. Beispiele des männlichen Reims:

a. Es war einmal die Blum' im Thal, Und in den Lüften war der Strahl. War für die Blume Strahl erglüht, War Blume für den Strahl erblüht? (Fr. Rückert.) b. Des Grafen Bogt klopft am Gehöfte an: „Zur Dienstpflicht stellet Morgen einen Mann! Die Macht hebt an beim roten Morgenschein, Da laßt ihn auf der großen Wiese sein; Die Mäher führet auf des Grafen Land Der schwarze Hildebrand! (Wolfg. Müller von Königswinter.)

2. Weiblicher (trochäischer, klingender) Reim. Hier müssen zwei Silben auf einander reimen: eine betonte und eine tonlose (_ also ein Trochäus auf einen Trochäus z. B. schauen — tauen, Reigen — schweigen, Ehre — Wehre), weshalb er auch der zweisilbige Reim heißt. Er giebt dem Verse Weichheit, Milde, Biegsamkeit und Geschmeidigkeit. Beispiele:

a. Durch die Fluren ohne Sorgen, Durch die Wälder ohne Härmen Möcht ich jetzt den guten Morgen Und den lieben Mittag schwärmen. (Ludw. Eichrodt, Melodien S. 76.) b. In Rätselfragen ruht der Reiz des Lebens, Und forschen wir nicht immer auch vergebens, So folgen jeder Lösung neue Fragen, Die wir als neue Rätsel in uns tragen. A (Wilhelmine Gräfin Wickenb urg-Almasy.)

3. Gleitender (daktylischer) Reim. Bei ihm reimen sich drei Silben, von denen nur die erste betont ist, während die beiden anderen kurz sind (- ^ v), z. B. Frngerchen — Dingerchen, Abende — labende, achtende — schmachtende. Über­

zählig nennt man ihn, wenn er jambische oder trochäische Verse ab-

schließt.

(Vgl. unten die Beispiele c und e.)

Dieser dreisilbige Reim verleiht dem Verse Lebendigkeit, Munterkeit, wes­ halb man ihn gern zur poetischen Malerei verwendet.

427 Beispiele: a. Wenn sie grollet, die yörnige Ist sie die Hundert dornige.

(Rückert.)

b. Alle die Dingerchen, Bänderchen, Miederchen, Ihr um die Fingerchen, Ihr um die Gliederst)en. ?c.

(Rückert.)

c. Daran die Totenbein nur glunkerten, Und als sie all für mich hin funkert-en re. (Hans Sachs.) Rückert gebraucht den gleitenden Reim mit Vorliebe in seinen Makamen. Sodann in kleineren Gedichten, z. B. die christliche Kritik mit den Reimen: gräuliche — abscheuliche, fledermausige — Grausige, gräßliche — häßliche re. Ferner im Trinkspruch zu griechischem Wein rc., dessen Strophenanfänge lauten: d. Das ist | fein ä | gypt ische r Gerstenbrau, Ist apokalyptischer Himmelstau. rc. Rheinisch-fränkisch steirische Krätzer ihr, Weg! hinweg das bayrische Doppelbier! rc.

Wer sich an teutonischem Gern erfrischt, Laß' es doch mit jonischem Unvermischt! rc. re.

Ferner: „Wieviel Lachegötterchen" mit den Reimen: Lächelengelchen, Wängelchen, Spötterchen, Versöhnerchen, Verschönerchen. Ferner: Die Buße (entledigen — predigen); der Prediger (Prediger — lediger); Stellen aus Hafisens Liedern (Trunkene — Entsunkene); Perücke und Brille (Gefährlichkeit — Beschwerlichkeit — Verehrlichkeit — Weltunentbehrlichkeit); Erotische Blumen­ lese Nr. 4 (verführerisch — aufrührerisch); Wechselbedürsnis (Bedürfigen — Unterwürfigen); in Rostem und Suhrab (Lebenraubenden — seuerschnaubenden).

Von Goethe haben wir einzelne Proben bereits unter den ^daktylischen Versen gegeben. Ich erinnere daher hier nur noch an die daktylischen Reime im Schlußchor »on Lila, Werke VIII. 200, Ausg. 1840 (Zitternden — ver­ bitternden, verbündete — begründete, entronnenen — gewonnenen rc.); im Schmiedchor von Pandora in Werke X. 275 (entzündete — verbündete — ründete, lebendige — Verständige — bändige); in Wanderers Gemütsruhe in Werke IV. 58 (Niederträchtige — Mächtige). Matthisson bietet in seiner Skolie (Gedichte S. 75) die daktylischen Reime: entsiegelten — geflügelten, mosigen — rosigen; Uhland im Nachruf:

428 erglühende — blühende, sowie im Vorwort versammelten — stammelten; Platen im 105. Ghasel (Werke II. 53): rastete — belastete, Lastete — hastete, fastete — betastete; Heine (IX. 59): Wellenschaumgeborene — auserkorene u. s. w.

4. Schwebender (spondeischer) Neim, und 5. Doppelreim. Ein schwebender Reim entsteht, wenn ein Spondeus mit einem andern Spondeus reimt. Er kann sinkende und steigende Tendenz haben (sinkende z. B.: Haftkraft —Krafthaft, Nachtmagd — Pracht­ jagd, Handband — Sandlaud, Notboot — Todnot; steigende z. B. spät sät — sät spät, bleib nah — schreib da). Jeder schwebende Reim kann auch als Doppelreim aufgefaßt werdeu, aber es giebt viele Toppelreime, welche keine schwebenden Reime sind; sie entstehen, wenn an eine der beiden Silben des Spondeus oder an beide zugleich tonlose Silben angefugt werden. (Beispiele B. S. 429.) Rückert hat den schwebenden Reim, sowie den Doppelreim der letzten Art häufig in seinen Makamen verwendet.. Beispiele:

A. Spondeische Doppelreime (schwebende Reime). a. Sinkend spondeische: - «. Ja, beim Ordnen der Jagdzeit, Beim hellsehenden Wächter der Nachtzeit re. (Rückerts Makamen S. 55.) ß. Wenn der Weidmann mit dem Jagdhund an dem Leitseil in den Först zieht. Wo der Damhirsch vor dem Tritt schrickt und wie Blitzstrahl in den Horst flieht; Wenn der Landmann mit der Pflugschar zu dem Tagwerk auf das Feld wallt Und mit Andacht nun das Haupt neigt, weil die Betglock in die Welt . hallt; Da erfaßt, ach, mich das Heimweh und zur Schwermut sich das Herz neigt, Doch es löst dann sich das Leid wohl in das Lied auf — und der S ch merz schweigt. (Aus einem in steigenden Jonikern (^ ^ z _) geschriebenen Gedicht Albr. von Hochwalds.)

y. Hier gilt nicht Jammern noch Griesgram, Zwischen Geruch von Amber und Bisam, Denn der Tod ist unentfliehjam. Geh, das Gasthaus ist ein Lusthaus, nicht ein Lasthaus, Und der Schenkort ist ein Tränk ort, nicht ein Kränk ort. (Rückerts Makamen S. 98.)

429 Vgl. hierzu noch die Nückertschen Gedichte: Nachtwache, Bries an die Mutter, An den Gevatter Kupferstecher Barth, Meine Ansicht, Das Weinhaus, sowie das schöne Beispiel § 152 II. 1 d. Weiter vgl. Goethes „Dreistigkeit" (hn Westöstl. Divan) mit Neimen wie Laut.stört — aufhört, Erzklang — Herz bang rc. Ferner die „Schwergereimte Ode an Reimbotv" von I. H. Vos; und dessen „die Versuchung" mit Neimen wie Reimsucht — Honigseimsucht, Harzwald — schwarz wallt. Ferner Glaszbrenners Verkebrte Welt (9. Kap.) mit Neimen wie gedacht ich — Pracht dich, acht ich — lacht ich 2c. Ferner Platens verhängnisvolle Gabel mit Neimen wie nicht mebr — Menschengesicht mebr, reich sein — zugleich sein. 2C. b. Steigend spondeiscke:

Die Ernt ist wie die Saat, drum was ihr sät, se'ht! Ein Thor, wer früh versäumt hat und zu spät späht, Wie wer den Braten wegwirst und das Brett brät, Wer nie dem Rater folgt, der, was mißrät, rät, Und nie, was er gebaut, zerstört, der steht stüt Auf dieser irdischen Welt, die selbst nicht stät steht. (Rückerts Makamen S. 98.)

B. Ooppclreime mit einer oder zwei tonlosen Ailben. a. Sinkend-spondeische Doppelreime mit tonloser Schlußsilbe. Heute kamen die Klanggeister Meiner persischen S a n g m e i st e r, Die mich hatten geflohn lange, Wie vor'm ernsteren Ton bange, Oder nur mich besucht hatten, Ähnlich streifenden Flucht schatt en Über sommernden Frucht matten ?c. Als nun der mit dem Klingklange War vom kriegrischen Singsänge Abgetreten, da blieb aber Hinter ihm auch ein Liebhaber Nicht zurück, der mit schmerz reich en Tonen, spielenden, s cherzgleiche n, So mir machte das Herz weichen. (Rückert, Die Klanggeister.)

b. Doppelreime mit der tonlosen Silbe an der ersten reimen­ den Arsis (— kretischer oder amphimakrischer Reim). «. Wie aus Feindeshaupt im Kampf die Klinge klang Schlangengleich um Nacken sich die Schlinge schlang Wie der Stahl am Panzer donnernd schlug den Schlag, Daß ein Blitz hervor aus jedem Ringe rang. (Man beachte bei diesen Versen Rückerts ine gewandte Verbindung des Reims mit der Allitteration!) ß. Ich sang dem Herrn zu hoher Lust, Ein müder Mann aus froher Brust, Dem Herren giebt mein Mund den Preis Und lobt die Arbeit und den Schweiß. (Pocci.)

430 Y> Wein, o Schenke, das reine, das himmlische Gut bring her! Flüssige Flammen und flammenhaltende Flut bring her! Wein, der jeglichen irdischen Harms Medicin und Trost, Der messianische Wunder, unendliche, thut, bring' her! u. s. w. (G. Fr. Daumer, Hafis.)

Diese kretischen Reime finden sich bei Rückert häufig z. B. in der Poesie am Feste:

Man unterhielt auf's Beste sich, Man scherzte, lachte, Glückwünschte zu dem Feste sich rc. Ferner in der Ferienreise:

Wo der bayrische Schlagebaum Mir war fern gerücket Und mit manchem Trage bäum Sich ein Gärtchen schmücket.

Ferner in vielen seiner Ghasele, z. B. Vom künftigen Alter, Versehn, Hingegangen in den Wind, Und dann nicht mehr, Im Sonnenschein, Absolut, Sei mir geküßt, Liebesmut, Schlußlied u. s. w. Platen wendet diesen Reim ebenfalls in vielen Ghaselen an, z. B. im 1. 2. 3. 4. 6. 7 u. s. w. Goethe bedient sich dieses Reims in Lilis Park (z. B. reißen sich — beißen sich). Ferner im Heideröslein (z. B. breche dich — steche dich). Ferner in Epimenides Erwachen (z. B. im 5. Auftritt: Wahn und Bahn — an und an). Georg Jäger bevorzugt diesen Reim in Nr. I, 2, 3, 4 und 7 seiner Schwertsprüche (vgl. 1870—71 Stuttg. 1879 S. 80), z. B.

Blank die Wehr Gott zur Ehr. Trenn die Hand Fürst und Land u. s. w. c. Doppelreime

mit

einer tonlosen Silbe an jeder reimen­

den Arsis.

«. Indem er deutete mit dem schwanken Stäbchen Nach einem schlanken Knäbchen. (Rückert, Makamen.) ß. Damajanti, die herzbetrübte Gattensuchende, Schmerzgeübte. (Rückert, Nal und Damajanti.)

6. Identischer Reim. Er ist die Wiederholung des in der Reimstelle stehenden Wortes, also eine Art unbeabsichtigtes Echo. Er macht einen schweren Eindruck und wird daher nur selten angewendet. Zuweilen wird mit dem korre­ spondierenden identischen Reimllang ein verschiedener Sinn verbunden. In diesem Falle verliert er einen Teil seiner Identität (z. B. weine! und die Weine; Heer und her; würde und die Würde rc.).

431 Beispiele des identischen Reims.

a. Ritter, treue Schwesterliebe Widmet euch dies Herz; Fordert keine andre Liebe, Denn es macht mir Schmerz. (Schiller, Ritter Toggenburg.) b. Wenn du Traumgesühle suchst, Sieh hier Traumgefühle, Wenn du Lichtgedanken suchst, Sieh hier Lichtgedanken. (Rückert.)



c. O Feldherrnamt, wie grausend! Um mich, den Feldherrn, her Gelagert sind die Tausend, Ein großes Schmerzensheer. d. O Mutter, was ist Seligkeit? O Mutter, was ist Hölle? Bei ihm, bei ihm ist Seligkeit Und ohne Wilhelm Hölle.

(Bürger.)

7. Der reiche Reim (Ghaselenreim). Er ist die Verbindung eines Voll-Reimes mit dem identischen Reime. Er kommt vorzugsweise im Ghasel vor, weshalb man ihn auch Ghaselenreim nennen kann. Nach Rückerts Vorgang wurde er auch von Platen, Daumer und anderen Dichtern angewendet.

Beispiele: a. O welche Werkstatt hegst du mir im Herzen! O welche Tempel trägst du mir im Herzen! Gekommen ist der Lenz, die Zeit der Saaten, O welche Saaten pflegst du mir im Herzen! Den Schleier, der der Welten Antlitz hüllet, Leis ihn zurücke schlägst du mir im Herzen, Das Herz muß höher sein als Wolkenhimmel, Denn Sonnentänze regst du mir im Herzen re. (Rückert.) b. Der sich schaffend hat erwiesen siebenmal, Wohnt in sieben Paradiesen siebenmal; Adler, siebenmal umkreise du den Fels, Krümme Bach dich durch die Wiesen siebenmal; Feuer schürt am Stamm der Ceder, und sein Dust Wind' als Rauch sich um den Riesen siebenmal rc. (Platen II, 3.) c. Wer seine Augen stets am rechten Orte hat, Zum rechten Sinne stets die rechten Worte hat rc. (Bodenstedt.) d. Poesie, Hausbacke ne, Liefert meinen Hausbedarf, Die sich dir, bausbackene, Freilich nicht vergleichen darf rc. (Rückert, Die hausbackene Poesie.)

432 e. Zwei Löwen gleich an Wut Herschossen sie zumal, Vom Leibe Schweiß und Blut vergossen sie zumal. (Rückert, Rostem und Suhrab.)

Vgl. hierzu Ghasele von Platen, Daumer, sowie die folgenden von Rückert: Ich sah empor und sah in allen Räumen Eines (Reim: Schäumen Eines — Träumen Eines rc.); Tritt an zum Tanz! wir schweben in den Reihn der Liebe (Reim: Pein der Liebe — Lebens wein der Liebe — Sein der Liebe 2c.); Komm, Komm! du bist die Seele der Seele mir im Reigen (Reim: hier im Neigen — Zier im Reigen — dir im Neigen rc.); Heut, o heut will ich dich, dich besiegen, o Schmerz! (Reim: erliegen, o Schmerz! — Kriegen, o Schmerz rc.); Wie die Sonn' am Himmelsbogen frei und froh (Reim: Meereswogen frei und froh — gewogen frei und froh — entzogen frei und froh rc.); O welche Werkstatt hegst du mir im Herzen (Reim: trägst du mir rin Herzen — pflegst du mir im Herzen rc.); Noch eine Stunde laßt mich hier verweilen im Sonnenschein (Reim: teilen im Sonnenschein — Zeilen im Sonnenschein — Pfeilen im Sonnenschein rc.); O Wieg', aus der die Sonnen steigen, o heiliges Meer! (Reim: Sonnen neigen, o heiliges Meer! — Schweigen, o heiliges Meer rc.); Meiner Seele Morgenlicht, sei nicht fern, o sei nicht fern! (Reim: Traumgesicht, sei nicht fern, o sei nicht fern! — licht, sei nicht fern, o sei nicht fern! rc.) u. s. w.

8. Mehrfacher Reim. Der mehrfache Reim entsteht, wenn mehr als zwei Arsen mit­ einander reimen, oder wenn wie in den Beispielen b und c mehrere Reimarten (Binnenreim, identischer Reim, Schlußreim) sich verbinden. Er ist meistenteils Spielerei eines reimgewandten Dichters. Beispiele: a. Erfrischend, entwischend und gischend erzischend, Sich biegend und schmiegend und fliegend sich wiegend, Und flimmernd und glimmernd und schimmernd und wimmernd, Und wirrend und schwirrend und irrend und flirrend, Und singend und klingend und schwingend und springend, Und dabbelnd und schwabbelnd und quabbelnd und babbelnd, Und reißend und schleißend und gleißend und kreisend, Und murrend und hirrenb, und knurrend und schnurrend, Und grollend und schmollend und tollend und rollend, Und wallend und hallend und schallend und prallend rc. (Ernst Eckstein.) b. Siehst du Liebestrunkene? sieh hier die ertranken. Siehst du Gottversunkene? sieh hier die versanken. (Rückert.) c. Witzig und bündig, spitzig und fündig, Den nimmer ein Unfall brachte in Not, Dem immer ein Ein fall stand zu Gebot. (Rückerts Makamen 9.)

433 d. Ach das Thal noch kahl zumal, Weil noch licht, weil dicht noch nicht. Frühling thu dazu im Nu.

(Rückert.)

9. Der Anfangsreim. Er reimt die Anfangsworte der gekreuzt.

Verse, und zwar gepaart und

Wie der Kettenreim und das Echo ist er selbst in der Hand des besseren Dichters eine Art Spielerei, da ja der Sinn am Anfang des Verses noch keinen Eindruck gewonnen haben kann. Die Aufmerksamkeit ist am Anfang auf das Kommende gerichtet, weshalb ein Ruhepunkt an der Spitze der Strophe hemmend

empfunden werden muß. Er tritt ebenso allein als in Verbindung mit dem Endreim auf. Beispiele: a. Gepaarte Anfangsreime.

Leben wollen sie, wie die Herrn, Geben wollen sie niemals gern. Alt und jung ist nicht beisammen, Kalt und warm macht keine Flammen. Rote Lippen lieben nicht Tote Färb' im Angesicht.

b. Gekreuzte und unterbrochene Anfangsreime. «. Da sackt man auf, Und brennt das Haus, Da packt man auf, Und rennt hinaus.

(Goethe.)

Zage nicht, wenn dich der grimme Tod will schrecken, Er erliegt dem, der ihn antritt ohne Zagen. Jage nicht das flüchtige Reh des Weltgenusses; Denn es wird ein Leu und wird den Jäger jagen. (Rückert.)

r. Gelungen ist mir, was noch keinem je gelang; Daß jedem Wünscher nun sein Wunsch gelinge! Verdungen hatt' ich mich um Lohn, den ich bedang, Allein die Liebste hielt nicht die Bedinge. Gedrungen war ihr nicht an's Herz, was mich durchdrang; Wer hofft, daß einen Stein ein Ach durchdringe? Umschlungen war ich, ohne daß ich selbst umschlang; Um meinen Geist war ihrer Locken Schlinge. Erklungen war mein Sein von ihrer Stimme Klang, Und zitterte, daß es mit ihr verklinge. (Vgl. hierzu das Beispiel § 48. 2: „Was singt und sagt ihr" rc.)

c. Anfang und Schluß des Verses reimen: «. Schnaube, Winterwind, entlaube Nur die Zierden dieser Flur! Schmettre nieder und entblättre Doch, was dir will trotzen noch.

Beyer, Deutsche Poetik. I.

434 Sah ich eine Blüte ja, Wie sie'zog der Frühling nie, Auch verweht im Herbstes hauch.

(Rückert.)

Ö. 3mmer ruf ich, wenn mich weckt des Morgens Schimmer: O der Nacht, die ohne dich entfloh! Wieder sprech' ich, wenn sich senkt der Abend nieder: Ach des Tags, da mir mein Licht gebrach! Ach und O! O und Ach! Nach und nach entflieht mein Leben so! re. (Rückert.) y. Bedingen kann er dich mit Macht und dich umringen, Eindringen kann er nicht und in dir dich bezwingen. (Rückert.) d. Anfangsreim mit Binnenreim in der 5. Verszeile und ge­ mißtem Endreim. Blitzet, ihr Himmel, Schwitzet uns Regen, Machet Getümmel, Lachet mit Segen Unsere Wälder und Felder doch an! Glimmet, ihr Sterne! Tauet, ihr Lüfte! Schimmert von ferne, Schauet durch Klüfte, Schauet auf diesen verdunkelten Plan 2c. (Zesen, Jugendflamme.)

10. Der Binnenreim. Er besteht aus Reimklängen innerhalb der Verszeile. Beispiele: a. Hei, hei, wie fündig! Aber hui und pfui wie sündig!

(Rückert.)

b. Im Lenzen, da glänzen die blumigen Auen, Die Auen, die bauen die perlenen Tauen, Die Nymphen in Sümpfen ihr Antlitz beschauen, (Klaj, vgl. Wackernagels Deutsch. Leseb. II, 411 ff.) c. Die lustig flogen und sogen Duft.

(Sallet, Elfenwirtschaft.)

d. Wie nichtig, wie flüchtig ist alles auf Erden! Was webet, was lebet hat keinen Bestand. Was jemals ersonnen, er spönnen mag werden, Nichts wirbet, er stirb et, verdirbet zu Hand :c. (E. Eh. Homburg.) 6. Wir hüpfen und schlüpfen, wir singen und springen, Wir wollen das Drehen wie Feen vollbringen 2c. f. Vgl. außer den Goetheschen Beispielen in § 135 noch aus dem Hochzeitlied:

Dann folget ein singendes, klingendes Chor. Nun dappelts und rappelts und klapperts im Saal. Das toset und koset so lange. Trompeten und klingender singender Schall. Unzählige selige Leute 2c.

435 g. Ganz in Unschuld, Lieb und Güte glühte die Wange dir 2c. (Platen, 12. Ghasel.)

Als ein Beispiel der Verwendung des Binnenreims zur Lautmalerei ist neben dem Goetheschen Hochzeitliede das unter Lautmalerei (§ 28) gegebene von Clemens Brentano („Es sauset und brauset das Tambourin") zu erwähnen.

Der Lernende möge für Würdigung der Lautmalerei Goethes aus dem Hochzeit­ lied I. 156 ersehen, wie durch die Wiederholung desselben Klangs in den

Wörtern knistern, flistern; dappeln, rappeln rc. eine treue Nachahmung des nächtlich unsicheren und verworrenen Spukgetöses entsteht u. s. w., wie somit

der Dichter-Künstler im Binnenreim ein treffliches Mittel zur Lautmalerei besitzt, dast ein thörichter Blinder.

__524_ c. Sieb en 5 eilige glykonische Strophe. Frühling ward es und wieder blüht, Vom sanstströmenden Bach getränkt, Ter Kydonische Apfelbaum, Wo jungfräulicher Nymphen Schar Tief im Dunkel des Haines spielt Und die Blüte der Rebe schwillt Unter schattendem Weinlaub. (Jbykos. Aus Geibels klass. Liederbuch S. 44.)

ß. Die phaläkische Strophe. Sie hat ihren Namen von dem griechischen Lyriker Phaläkos. Sie entsteht durch Verbindung von 2 phaläkischen Versen mit Ana­ pästjambus und Choriambus, endlich dem logaödischen Teil des großen sapphischen Verses und einem abschließenden Annpästjambus. Sie ist ein' trikolisches Tetrastichon und wurde am häufigsten von Catull an­ gewandt. S d) e ni a :

Beispiele:

a. Tragen will ich das Schwert verhüllt in Myrten, Wie Harmodios und Aristogiton, Ta von ihrer Hand fiel der Tyrann Und sie dem Volk Athens Freiheit und Recht erkämpft. (Aus Geibels klass. Liederbuch S. 61. Vgl. auch S. 53.)

b. Tausendstimmiges Lob mag euch vergöttern Mit laut krachendem Lärm Kanonen Machtrus Und Posaunenschall weit in das Land Donnern der Helden Siegsruhm, in der Schlacht erkämpft.

Dasselbe Beispiel geben wir gereimt:

Tausendstimmiges Lob mag Ruhm euch bringen Und Kanonengebrüll weit tönend dringen, Und Posaunenschall weit in das Land Steigern der Helden Siegsdurst in der Schlacht entbrannt.

B. Antikisierende Strophen.

§ 162.

Aus antiken Metren und Versen zusammengesetzte Strophen neuer deutscher Erfindung.

Es kann dem denkenden Dichter nicht schwer fallen, die in den 88 103 und 159 aufgeführten antiken Metren und Verse zu neuen Strophenformen zusammenzusetzen. In der That wurde unsere Litte­ ratur durch Klopstock, Voß, Ramler, Hölty, Hölderlin, Platen,

525 Minckwitz u. A. mit antikisierenden, willkürlich gebildeten Strophen­ formen stark bereichert, die aber nicht — wie die im § 161 aus­ geführten — die Namen ihrer Erfinder angenommen haben, wenn auch bei einigen einheitliche Gestaltung und schöne Abrundung anzuerkennen ist. Wir beschränken uns darauf, aus den Reihen der antiki­ sierenden Strophenbildner, (welche im Ersinnen antikisierender fremder Strophen erfinderischer waren, als die Minnesinger im Ausklügeln von deutsch-nationalen Tönen,) die Namen Klopstock, Ptaten, Schiller, Geibel, Minckwitz herauszugreifen, da dieselben für die von einer deutschen Poetik mit Recht zu fordernden Gesichtspunkte ausreichend sein dürften. 1. klopftocksche antikisierende Strophen.

Klopstock (vgl. Werke, Stuttg. 1876) hat alle möglichen antiki­ sierenden Strophenformen geschaffen. Er hat in antiken Strophen' sonnen gedichtet und antikisierende gebildet. Er hat einzelne Verse willkürlich aneinandergereiht, z. B. 2 phaläkische, 1 pherekratischen und 1 archilochischeil Vers. Er hat ferner alle in § 103 erwähnten Vers­ tatte nach eigenem Ermessen untereinander gewürfelt und auf diese Weise einzelne freundliche Schemata gebildet, von denen wir ein einziges als Probe geben. (Vgl. hierzu auch als Probe S. 507 d. B.) KJ_XJKJ_KJx^_

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Willkommen, o silberner Mond, Schöner, stiller Gefährt' der Nacht! Du entfliehst? Eile nicht, bleib', Gedankenfreund! Sehet, er bleibt, das Gewölk wallte nur hiu. (Klopstocks Werke I. 160.)

2. ptatens antikisierende Strophen. Platen hat ganz nach Klopstocks Vorgang alle möglichen antiken Metren zu Strophen verbunden und auf diese Weise eine Reihe leicht auszufassender Strophen neben anderen, von denen das Gegenteil be­ hauptet werden muß, gebildet. Z. B.: 87 Dryas schläft in ihren Zweigen, Oreas in ihrem Steine: Und Endymion, der ew'ge Schläfer, schläft in Luna's Scheine. Pan, der Hirte, spielt und trunken Ist die Welt vom Schlummerweine, re.

(Rückert.)

2. Ein Wort mit vorhergehendem Rein: i st wi ederb o 11. Zur Zeit, wenn der Frühling die Glut der Rosen entfacht in Athen, Wie dämmert so lieblich alsdann die selige Nacht in Athen! Hoch leuchtet der Mond und bescheint Cypressen und Palmen umher Und marmornen Tempelgesäuls versinkende Pracht in Athen. Wir aber bekränzen das Haupt und füllen die Becher mit Wein Gedenkend, wie Sokrates einst die Nächte verbracht in Athen; Bon Lieb' entspinnt sich Gespräch; denn ob auch Pallas die Burg Beherrschen mag, Eros, der Gott, übt selige Macht in Athen: Zur Rede gesellt sich Musik, leicht sind die Guitarren gestimmt, Leicht regt sich des Wechselgesangs melodische Schlacht in Athen. Da webt manch klassisches Wort, manch leuchtender Name sich ein: Denn großer vergangener Zeit Erinnerung wacht in Athen. Und kühner erbrauset das Lied; wir spenden aus vollem Pokal Den Herrlichen, die einst gekämpft, gesungen, gedacht in Athen. (GJcibcl) (Vgl. auch § 138. 7.)

3. Einige Worte mit vorhergehendem Reim sind wiederholt. Du Duft, der meine Seele speiset, verlas; mich nicht! Traum, der mit mir durchs Lebeu reiset, verlas; mich nicht! Du Paradiesesvogel, dessen Schwing' ungesehn Mit leisem Säuseln mich umkreiset, verlaß mich nicht! Du Amme mir und Ammenmärchen der Kindheit einst! Du fehlst und ich bin noch verwaiset, verlas; mich nicht! Du statt der Jugend mir geblieben, da sie mir floh; Wo du mir fliehst, bin ich ergreifet, verlaß mich nicht! O du mein Frühling! sieh, wie draußen der Herbst nun braust; Komm, daß nicht Winter mich umeiset, verlaß mich nicht! O Hauch des Friedens! horch, wie draußen das Leben tobt: Wer ist, der still hindurch mich weiset? Verlaß mich nicht! O du mein Rausch! du meine Liebe! o du mein Lied! Das hier durch mich sich selber preiset, verlaß mich nicht! (Friedr. Rückert.)

Ähnlich sind die echt deutschen, ungezwungenen,

leider nicht in die Aus­

wahl seiner Gedichte übergegangenen Ghasele Hoffmanns v. Fallersleben gebildet:

„Mir ist als müßt ich immer sagen:

Ich liebe bicb."

ein Traum nur, war ein schöner Traum,

und Alteo

Ferner: bin!“

4. Schreibweise in gebrochenen Zeilen. Sie hielt mich auf der Straße au Und fragte: „Kannst du schreiben?" — Ja! — „So schreib mir einen Talisman!" — Wird der dein Weh vertreiben? - „Ja!"

„Eo

war

588 Ich griff sofort ,vmi ctalcmban. „Komm - sprach sie — treten lvir in s Haus, Dorr schreibst du mir den Talisman," — Und darf dann bei dir bleiben? — „Ja!" Mir ihr iu's Hans trat ich alsdann . . . Mirza Schaffy, es währte lang! Doch: schriebst du ihr den Talisman? Hub half dein langes Bleiben? — Ja! (Bodenstedt, Mirza Schaffy.)

II. Beispiel einer K a ssid e. Das Leben ist so schön, doch ach! es währet nicht; Drum fuß' auf dem, was sich so schnell verzehret, nicht. Dem Mann, der Fichten gleich im Wuchs, mit stolzem Gange, Ist ewger Jugend Blut mit) Glanz bescheret nicht. Die Rose, die so frisch in süßem Dufte lächelt, Weißt du, daß das Bestehn ihr doch verwehret, nicht? Euch ewig nähren an der Mutter Erde Busen — Ach! Liebedust haucht sie nicht aus — begehret nicht. Geh' unbedacht nicht hin und sorglos gleich dem Schafe, Der Wolf als Hirte führt dich unversehret nicht. Daß treulos ist die Welt, bleibt feinem Blick verborgen; Was jeder sieht, bedarf, daß man's erkläret, nicht. Wo weht der Frühlingswind befruchtend durch die Fluren, Daß sie des Herbstes Sturm darauf verheeret nicht? Gäbst du dahin als Preis der ganzen Erde Reiche, Um Einen Tag wird doch dein Sein vermehret nicht. O binde nicht dein Herz an diese Herbergsstätte, Der Wandrer baut ein Hans, das er entbehret nicht; Geht auch die Welt nach Wunsch, der Feind doch auf der Ferse; Ein £rt ist drum, wo man nur Glück erführet, nicht. Als Götzendiener bist du in der Form befangen, Des Wesens Hochgenuß ist dir gelehret nicht. Der Welt hat der entsagt, wer Gott nur hat zum Freunde, Daß seiner Freiheit Fuß mit Last beschweret nicht. Sei auf der Hut, daß dich die Zunge nicht verderbe! Das Unheil, das die Zuug' erschafft, verjähret nicht. Thu' Thaten, stecke nicht die Fahn aus! prunklos wirket Der Mann; ein Weg ist, wo er sichrer führet, nicht. Auf Gottes Wege geh' und, wo du willst, verweile, Den Weisen ist zur Zell' ein Ort verwehret nicht. Zum ewgen Thron heb auf die Hand der Not! der Fromme Hat Andres, als daß er zu Gott sich kehret, nicht. Doch besser, thu es nicht, den Freund nicht zu belüstgen; Ein zweiter ist ja, der sich dir bewähret, nicht. Was nützt der Predigt Guß, der auf die Häupter regnet? Ein Perlenmund ist, wer mit Ernst bewehret, nicht. Die Welt hast, Sadi, du durch Wortes Schwert erobert: Der Himmel gab dir's, soust wärst du geehret nicht. So schnell, wie sich dein Ruhm in jedes Land verbreitet, Hat sich des Tigris Strom zum Meer entleeret nicht. Nicht Jedem, der an uns zum Ritter werden möchte, Gelingts, denn der Gewalt ist Glück gewähret nicht.

589 Doch braucht der Moschus nicht des Krämers Lob; der Käufer Riecht seinen Duft, bedarf, was ihn belehret, nicht. (K. Heinr. Graf in Jolowiczs Polyglotte 1856. S. 532.)

§ 185. Malaisches Kettengedicht. Eine von Chamisfo eingeführte malaische Form besteht aus beliebig vielen Vierzeilen, bei welchen immer die 2. und 4. Verszeile der einen Strophe als 1. und 3. Verszeile der folgenden Strophe wieder er scheinen, sich also ganz wiederholen. Das Versschema ist in Buchstaben: a b a I), b c b c, c d c d, d e d e, e f e f u. f. w.

oder in Zahlen: 1 2 1 2, 2 3 2 3, 3 4 3 4, 4 5 4 5, 5 6 5 6 u. s. w. Noch anschaulicher wird das Schema durch diesen Zweizeilendruck, a

a

b

b

b

b

c

c c

d

e

d

d

c d

e

e

e f

f.

Beispiel: Korbfleckteri n.

Der Regen füllt, die Sonne scheint, Die Winds ahn' dreht sich nach dem Wind, — Du findst uns Mädchen hier vereint, Und singest uns ein Lied geschwind. Die Die Ich Ein

Wind sahn' dreht sich nach dem Wind Sonne färbt die Wolken rot, — sing' euch wohl ein Lied geschwind, Lied von übergroßer Not.

Die Sonne färbt die Wolken rot, Ein Vogel singt und lockt die Braut Was hat's für übergroße Not Bei Mädchen fein, bei Mädchen traut?

Ein Vogel singt und lockt die Braut, Dem Fische wird das Netz gestellt, — Ein Mädchen fein, ein Mädchen traut, Ein rasches Mädchen mir gefällt.

Dem Fische wird das Netz gestellt, Es sengt die Fliege sich am Licht, Ein rasches Mädchen dir gefällt, Und du gefällst dem Mädchen nicht.

(Chamisso.)

§ 186. Die Makame. Das Wort Makame bedeutete bei den alten Arabern ursprünglich eine Art litterarischer Sitzung, in welcher improvisierte Erzählungen zum Vortrag gelangten. Es entspricht dem persischen Worte Divan, welches auch nur das zu litterarischen Darstellungen bestimmte Zimmer

59U

bezeichnete. Verstand man aber ursprünglich unter Makame nur den Crt (concessus), wo man sich unterhielt, so bildete sich für die tut demselben vorgenommenen litterarischen Darstellungen bald eine be­ sondere Kunstgattung heraus, welcher die Araber ebenfalls den Namen Makame beilegten. Man versteht nunmehr unter Makame eine bestimmte Unterhaltung, eine größere Erzählung, eine Mär, eine Art Novelle, eine abemeuererzählende Epopöe von regellosestem Rhythmus und Reim: gereimte Prosa mit eingeflochtenen lyrischen Gedichten (Ghaselen). Zur Geschichte der Ma kam en.

wurden

Tie Matamen

in

unsere

deutsche Litteratur durch Fr. Rückert eingeführt, indem er die durch Silvestre de Sacy im Jahre 1822 in arabischer Sprache edierten „Ma kam en des Hariri" (eines» Gelehrten ans» Basra um 1068—1138 n. Ehr.) für das deutsche Volk dichterisch bearbeitete. Tie

älteste

hergebrachte Form

der

Landstreicher-Makame dieses Hariri

bat dessen Vorgänger Hamedani erfunden. Hariri verlieh dieser Form inneres Leben, Kunstausbildung, Bedeutung, und er übertraf somit seinen Vor­ gänger. In der viertletzten Makame sagt er selbstbewußt von sich, daß er sich zu Hamedani verhalte, wie der Platzregen zu dem ihm vorhergehenden Tröpfeln. Er verfaßte seine 50 Ma kam en auf Befebl eines Wesirs des abassidischen Ehalifen Mostarsched Billah.

Inhalt der Rückertschen Nachbildungen. Bei Rückerts 43 Nach­ bildungen ist der Held Abu Seid ein idealisierter Herumstreicher, der König eines großen Bettler- und Landstreicherordens,

durch dessen

fesselnden Humor

ost ein tief empfundenes Weh hindurchschimmert. Tie Abenteuer und die Verwandlungen desselben läßt der Tichter durch den Mund der Erzählers Har et h

Ben He mm am berichten.

(Natürlich ist

es der Dichter selbst, der unter dem Mantel des allegorischen Namens- in sein eigenes Werk eintritt.) Tiefer Ben Hemmam hat auf seinen Reisen diesen und jenen Vorgang gesehen, in welchem immer Abu Seid eingreift, anfangs

nicht ersannt,

in der Mitte oder am Schluffe der Handlung aber hinter der

Maske hervortretend.

Abu Seid, voll Geist, aus

seiner

lumpichten

Witz,

Anmut und

Gefälligkeit, blickt wehmütig

Majestät auf einen früheren

dem er gewaltsam entrissen wurde.

liefert er die Grundsätze desselben seinem Sohne,

dem Tbron der Bettler weiht.

besseren Zustand zurück,

Des Landstreicherlebens überdrüssig, über­ den er zum Nachfolger auf

Plötzlich kommt das „Heilige" über ihn,

greift ihn und führt ihn zurück in tzas Land seiner Jugend, ein allen Genüssen entsagender frommer Büßer betritt.

vorigen Lebens ist so

gewaltsam,

als dieses selbst war,

er­

das er jetzt als

Die Abbüßtlug seines imb es ist zu ver­

gleichen mit der Bekehrung des Reinhold von Montalban im Volksbuche von den Haimonskindern, nur mit Erwägung des Unterschieds zwischen Ehristentum und Islam. 2C.

Z ur .^rili k De r Nü ckertsche n -Dias st in en. Die Makamen erinnernDer Anlage Deo >?e(Dcn und Dem Azurner Der Erzählung nach häufig an Don Cun rote De la Wcind)a. Der Dichter Der Makamen steht frei über Dem oon ihm behanDelten Stoff, unD es finD ihm Daher auch Die häufigen „Schnörkel" seiner Makamen ebenso für beabsichtigte unD zweckmäßige Eharakteristik anzurechnen wie Die Deo Don D ui rote Dem .Humoristen Eervanteo. Die Agandlnng streitet in Den Makamen nicht fort, fonDern jeDe einzelne Ma käme ist eine befonDere Epopöe unD enthält je eines von Den vielen Abenteuern Deo Helden gan z. Tao nächstfolgenDe Abenteuer jeher nächsten Ma käme entspringt nicht ano Dem vorhergehenden, fonDern mit Diesem zugleich auo Dem gemeinschaftlichen Diitt espuntte: Dem Cf barstst er Deo .h et Den, Der sodann im vollen Atreio Der Akakamen feine volle Entwickelung gefunDen hat. Rückerto Arbeit ist keine bl o ße Überfelzuug, fonDern eine Um = iinD nd)Did)tnng, Die befonDore Diü dfiebt auf Deutsche Leser nimmt iinD einer O ri ginala rbeit an Wert gleichkommen Dürfte. Tein Werk verDient für uns Den hoben Vorzug, welchen Der Trient Dem Werke Haririo gab Dnrd? Die äußere Aorm, Durd) Den prächtigen Nedeschmnck, Der Dem arabischen nicht nad)fteht, Dnrd) Den Reiz seiner Anspielungen unD unerwarteter Neimperlen, Die unser Ohr entzücken unD Durch Wortspiele überraschen, ferner Dnrcl) Den schönen Wechsel von Poesie und gereimter Prosa, inDem zwar Die Prosa schon künstlich bilDerreid), voll von Wortspielen unD Neimen ist, Die metrische Poesie aber sieb außer Dem Metrum noch Durd) Die höchste Steigerung Des übrigen NeDeschmuckes über Die poetische Prosa erhebt. Nichts Kühnereo in Nenn unD Nhvthmuo kann eo geben, als wao Nückert hier nach arabischem Wüster geliefert hat. Gereimte Unterbaltnng ober rbvthmisch ungebunDene Webe, gereimte Prosa, gereimtes Gespräch ohne allen Zwang mit eingeflochtenen Gedichten, — namentlich GHaselen von beliebiger Zeilenlänge! Tiefe Zeilen sind jambisch, trochäisch, Daktylisch, — wie es Dem Dichter eben paßt. Der Text Der Makamen gaukelt im seltensten, zierlichsten, buntesten Neimgeklingel mit Den überraschenDsten Wort- unD Klangspielen aller Art, mit Den gewähltesten unD übertriebensten Bildern unD Gleichnissen, mit spitzfinDigem, üb er künstlich em AnoDruck an unserm Ohr vorüber. NirgenDo Drängt sich wohl Der geistreiche N'eim mit seinen scherzhaften, witzigen, naiven, wnnDerlichen, schalkhaften Spielereien oDer seiner berechneten Wirkung so in Den VorDergrunD als hier; Die buntesten Gauklerkunststückchen unD Taschenspielereien, Die geschulteste Technik stehen neben Der ergreifendsten Poesie! Wao Der Rückertschen NachbilDung an Treue fehlt, Dao ersetzte Deo Dichters Talent; unD Die Des Arabischen unkundigen Leser werden immerhin ein ziemlich getreues Bild des Originalo auffassen können. Den Dichter Hariri konnte nur ein Dichter trefflich nachbilden, der fick) erlauben durfte, Ausdrücke, Bilder und sogar einige Makamen wegzulassen, weil sie wegen des sittlich Anstößigen oder Der Torrn halber eine Nachbildung nicht gut vertrugen. Rückert hat oft 2 arabische Neimsätze durd) 4 oder mehrere im Deutschen umschrieben. Die Nachbildung Der Gedichte ist bei ihm mitunter so frei, daß vom Originale kaum einige

592

Züge bleiben. Beispielsweise gebe ich Mv letzte Gedicht bei* 2. 9)LiLune im wörtlichen Metrum:

Gran macht das schwarze Verhängnis Und Menschen fort immer treibt es; Wenn's diesem heut auch gehorchet, Doch morgen stolz wieder siegt es; Wenn schwach von fern es auch blitzet, Vertrau ihm nicht; immer trügt es: Und wenu's dir schwere Gefahren Aufreget, standhaft empfang es! Denn wenn sich wendet im Feuer Das Gold, kein Flecken beschmutzt es. Bei Rückert lautet diese Stelle (Vgl. S. 39 der 1. und 3. 13 der 4. Ausl.): Grau macht die Zeit, die greuliche; Trau nicht auf die nutreuliche! Sie lacht dir einen Augenblick, Und grinst daun, die abscheuliche. Die Jahre führen über's Haupt Dir manches Unerfreuliche. Die Stürme rütteln dir am Haus, Baufällig wird das Bauliche. Dein Auge trübt sich, ungetrübt Blickt droben nur das bläuliche. (NB. Die den Makamen angefügten Anmerkungen, meist aus den arabischen Scholien bei Sacy entlehnt, sind mehr für das Bedürfnis der gebildeten Leser als der Sprachgelehrten.) Zur Geschichte der nicht arabischen Makamen. Von den Arabern gelangte die Makame nrsprünglich zuerst zu den Juden, bei denen sie von Josepb Ibn Aknin aus Ceuta (Mitte des 12. Jahrh.), ferner von Charisi und Immanuel Rumi (Anfang des 14. Jahrh.) gepflegt wurde. Bei den Syrern wandte Ebed Jesu (zwischen 1291 bis 1316) die Makamenform in seinem Buche des Paradieses an. Bei den Deutschen finde ich eine durch Verbindung des Reimes mit der Prosa an die Makame erinnernde Form bei Iohann Fischart, mit dem ich Rückert schon in Rücksicht auf Bildung neuer Wortformen (vgl. Fr. Rückert, ein biogr. Denkmal vom Vers. d. B. S. 311) ver­ glichen habe. Zum Beleg mögen einige wenige Proben aus Fischarts „Affentheuerlich Naupengeheurliche Geschichtklitterung" (Ausg. von Scheible) dienen, wobei wir an einigen Stellen die Orthographie ändern; „Ihr all . . sollt samt und sonders hie sein, meine lieben Schulkinderlein; euch will ich zuschreiben dies mein Fündlein, Pfündlein von Pfründlein! Euer sei dies mein Büchlein gar mit Haut und Haar, weil ich doch euer bin so bar; euch ist der Schild ausgehenkt, kehrt hie ein, hie wird gut Wein geschenkt." (S. 17.) „Sie haben dachtröpfige Nasen, helle Stimmen, vergoldete Löcher und glitzende Ärmel und vor der Kinder Rötlichkeit vergeß man eines Gastes allezeit." (S. 73.) „Von des Gurgel lantualustiger Kleidung und deren Bescheidung. Im faulen veste Niemand

593 tractatur ho ne st e,

Kleidung ist der Mann,

sie hat

wer

zu legen

an.

Wiewohl in vestimentis nicht ist sapientia mentis rc." (3. 201) u. s. w.

Makamen - Ton

Im

ist

Schillers

deutsche Makamen besitzen

gehalten.

Handschuh

wir jedoch

Eigentlich

Eine solche

bis jetzt nicht.

Makame mit deutschem Inhalt hat der Verfasser für den 3. Band dieses Werks gedichtet. Den Versuch der Makamenform hat Karl Beck (f 1879) in „Janko, der ungarische Roßhirt" (einem Roman in Versen, Leipz. 1841) in einzelnen Partien desselben gemacht. Desgleichen Gust. Kastropp in seinem neuesten Epos Heinrich von Ofterdingen. Als Nachfolger Rückerts in Übertragung

und

Umdichtung

vorhandener

Makamen sind zu nennen: Karl Krafft (Übersetzung der hebräischen Makamen des Charisi, Ansbach 1838) und S. I. Kämpf mit dergleichen (Berlin 1845).

berühmte Komponist Nob. Schumann

(Der

hat — durch Rückerts Makamen

angeregt — unter dem Titel „Bilder aus dem Osten" 6 Jmpromptüs für das Piano geschrieben, die er einen Versuch nennt, orientalische Dicht- und Denkweise auch in der musikalischen Kunst zur Aussprache zu bringen. Be­

sonders das letzte will er als Wiederhall der letzten Makame aufgefaßt wissen, in welcher wir den Helden in Reue und Buße sein lustiges Leben beschließen sehen.) Beispiele aus Rückerts Makamen.

Indem wir zum Lesen vor Allem die von uns in „Rückerts Leben und

Dichtungen" auszugsweise mitgeteilte 39. Makame „Der Schulmeister von Hims" empfehlen, welche Makame u. A. die schwäbische und sächsische Pro­ vinzialaussprache der Konsonanten und Vokale in heiterer Weise rügt,

drucken

wir zum Nachweis des Begriffs und der Nückertschen Ausführung eine der kür­ zesten Makamen (die sog. Rätselmakame) mit einziger Hinweglassung der für

Erkenntnis

des Wesens

der Makame nicht unbedingt nötigen Rätsel hier ab:

35.

Makame:

Die Rätsel.

(Aus „Die Verwandlungen des Abu Seid von Serug oder die Makamen des Hariri von Fr. Rückert".

erzählt:

4. Aust.

S. 247 ff.)

Hareth Ben Hemmam

Mich zog einer Neigung Hang — und eines Verlangens Drang —

zu werden der Sohn jedes fernen Weges, — und der Bewohner jedes fremden Geheges; — wobei ich doch nie durchritt ein Thal, — oder trat in einen

Gesellschaftssaal, — ohne daß

mein Wunsch war befeuert — nach Bildung,

die der Unlust steuert, — und den Wert des Mannes teuert; — bis an mir

davon

die Farbe

geblieben,

— und

die Eigenschaft

davon

mir

ward

zu­

geschrieben, — und ihre Art fester an mir haftete, als die Liebe am Stamme der Benu Odhra, (ein arabischer Volksstamm, der, wenn man den Sagen glaubt, aus lauter auf den Tod Verliebter bestanden haben muß. Seine Jünglinge starben ganz gewöhnlich an Liebesverzehrung, und darum ist er wohl ausgestorben) — oder die Tapferkeit an dem Hause des Abu

Sofra. —

Als

nun

Beyer, Deutsche Poetik. I.

mein

Reisekameel

sich

gelagert

in

Negran

38



und

594 ich

dort

Freunde

und

Bekannte

gewann,



wählt'

ich

ihre Gesellschaften

zu weinen Weideplätzen, — und zu meinem Tag- und Nachtergetzen; — wo ich früh und spät verweilte, — und frohes und traurigem teilte. — Während ich mich nun befand in einem besuchten Kreis — von ausgesuchtem Preis, —

ließ

sich

bei

uns

nieder

ein Greis, — dessen Gewand war verwittert, —

und seine Kraft zersplittert; — der grüßte mit dem Gruß eines süßmundigen,

— und der Zunge eines Wortkundigen, — sprechend: O ihr Monde der Geselligkeit, — ihr Meere der Gefälligkeit! — der Morgen ist für den, der

zwei Augen hat,

klar, — und

der Augenschein ersetzt ein Zeugenpaar; —

für meine Sache spricht mein Kleid und mein graues Haar. — Wie ist euch nun um's Gemüte? — erweist ihr einem Bedürftigen Güte? — oder weist ihr ihn ab, daß Gott verhüte! — Sie riefen: Du hast hier Störung gebracht,

— und den Brunnen, wo du schöpfen wolltest, versiegen gemacht. — Da beschwor er sie um Gott, was sie denn bewege, — ihm so schnöde zu weisen die Wege? — Sie sprachen: Wir haben hier auf einander mit Rätseln gezielt, — wie man am Tage der Schlacht mit Geschossen spielt. Da entbielt er

sich nicht, von dergleichen Fehden — gering zu reden, — und diese Kunst — für nichts bessers zu erklären als Dunst. — Doch die Sprecher des Volks begannen auf sein Erfrechen — mit den scharfen Lanzen des Tadels einzustechen, — so daß er bereute zur Gnüge — seinen Vorwitz und seine Rüge. — Sie aber, wie gegeben war das Zeichen zum Streite, — drangen auf ihn ein von jeder Seite, — bis er sprach: Mein Volk! die Milde be­

hauptet den Thron; — stehet ab von eurem wilden Drohn! — Kommt heran, daß wir Rätsel spielen, — und bestimmen, wer zuerst soll zielen. — Da verstummte das Schlachtgeheul, — und löste sich der verworrene Knäul; — sie

nahmen an den Antrag, — und willigten ein in den Anschlag, —

mit der Bedingnis Anhang, — daß hielt er inne nicht länger, als bis zuband, — dann rief er : So hört,

er selber mache den Anfang. — Da man ein Schuhband — ausband oder und Gott baue fest eures Wohlstandes

Steinwand, — und euer Preis vor der Welt sei ohne Einwand! — worauf er anhub zu rätseln über die Luftsache von Leinwand (hier erklärt Rückert in einer Note die benetzte Leinwand, welche — um Kühlung zu verbreiten — hin und her bewegt wurde):

Die Magd, die durch das Haus von einem Ende Zum andern läuft und umkehrt ohne Stocken; Leicht, ohne auszufußen, schwebt sie nur, Ihr Amt ist, mit Erfrischungen zu locken. Ihr Kleid ist, wenn sie dient, im Sommer feucht, Im Winter aber, wenn sie feiert, trocken.

Dann rief er:

Vernehmet,

und grün sei euer Heil, —

bestimmtes Teil! — worauf er rätselte vom Palm en seil:

Der Sohn, der, seiner Mutter Entnommen, längst verschmachtet, Und nun der Mutter Nacken Neu zu umschlingen trachtet.

Überfluß euer

595 Wann ihr der Mutter Schätze Zu plündern Anstalt machtet, Dient euch der Sohn zum Helfer, Und wird dafür geachtet.

(Nun läßt Rückert mit ähnlicher weitere Rätsel folgen vorn Schreibekiel,

Einleitung wie beim vorigen Rätsel vorn Augensalbestift, von der Zung'

an der Wage. Diese Rätsel haben ungefähr die gleiche Ausdehnung, wie die beiden soeben gegebenen. Sodann fährt er fort): Wie die fünfe waren ent­

flogen, — legt'

er

nieder

den

Bogen, — und

sprach:

Mein Volk!

nun

nehmet diese fünfe zur Hand, — wie die fünf Finger Einer Hand, — über­ leget wohl, — und erwäget euer Wohl! — Seid ihr mit dem Beschiednen zufrieden, — so sind wir in Frieden geschieden; — doch verlangt ihr die zweite Hand, — so bin ich bei der Hand. — Sprachs, und die Leute, hin­ gerissen vom Verlangen, — wie ihnen der Rätsel Sinn war verhangen, — riesen: Unsere Schwinge ist zu schwach, — uns zu tragen deinem Adler nach;

— doch willst du dir Zehn voll machen, so mach! — Da trat er aus im Triumph, — wie ein Sieger auf der Feinde Rumpf, — dann mit nach­ lässigem Ermatten — sprach er das Rätsel vom Schatten. (Nun folgen die Rätsel vom Schatten, von den Zähnen, vom Wein und Essig, vom Schöpfrad und von der Spindel. Hierauf fährt der Dichter fort): Sprachs, da

trieb

sich

das Nachdenken

durch

die Jrrgänge

des Wahns, — und die

Vermutung stumpfte sich die Spitze des Zahns, — bis der Zeitverlauf war erheblich — und der Krastverbrauch vergeblich. — Als er nun sah, daß sie schlugen (Note: „nämlich Feuer".) und es nicht fing, — daß sie Lust trugen

und es nicht ging, — sprach er: Mein Volk, wie lange wollet ihr passen, — oder auf euch passen lassen? — Ist es nicht Zeit, die Fahnen aufzustecken, — oder aber das Gewehr zu strecken? — Da sprachen sie: Bei Gott! du hast es scharf gewürzt, — und hart geschürzt, — alles Wild ist in deine Netze gestürzt. — Verfüg über uns als dein Eigentum, — hinnehmend die Beute samt dem Ruhm. — Ta setzt' er auf jedes Rätsel einen Satz, — den

er sie zahlen ließ auf dem Platz, — dann brach er die Siegel, — und löste die Riegel, — und enthüllte ihnen der Einsicht Spiegel. — Und wie er be­ friediget ihr Gelüste, — den Pfad ihnen bezeichnet in der spurlosen Wüste; —

wandte er sich zum Fliehn, — doch der Obmann des Volkes hing sich an ihn, — rufend: Nach Sonnenaufgang ist kein Hehlen, — du sollst dich von uns hinweg nicht stehlen, — du entschädigest uns denn für die Trennung — durch deines Namens Nennung — und deines Stammes Bekennung. — Da blickt' er starr als sei ihm was zugestoßen, — dann sang er, und seine

Thränen flößen: Serug ist meiner Wonne Gebäud', Wo ich des Lichts zuerst mich gefreut; Doch, ausgeschlossen von meiner Lust, Mein Schmerz ist nun durch die Welt verstreut. O Angedenken, das tausendmal Im Kelche die Bitterkeit erneut!

596 Kein Ort giebt Ruhe mir, keiner giebt Rast meinem Tiere, das wiederkäut. In Irak heut, und morgen in Negd, Und traurig bin ich morgen wie heut. Ich friste mit Gram den Geist, und den Leib Mit Speise wie man dem Hund sie beut. Ich übernacht' und kein Deut ist mein, Und auch kein Freund der mir götf einen Deut. Wer lebt wie ich, der verkauft um Spott Sein Leben, ohne daß er's bereut.

Dann nahm er unter den Arm sein Geld, — und suchte das Aeld. — Wir beschworen ihn mit Lobpreisung, — zu bleiben, und machten ihm hohe Verheißung, — doch bei Gott, er floh, und vergebens war unsre Befleißung. Beispiel aus „Janko der ungarische Roßhirt" von Karl Beck: Und drüben klangen die Becher, — vom Gelage springen die Zecher, —

die Simse zittern, — die Sporen dröhnen, — die Gläser splittern — und Sange tönen: — so stürzen die wüsten Gesellen, — auf schwankenden Fuß^ gestellen, — der Janko voraus, — herüber ins leuchtende Hochzeitshaus. — Und er lächelt und lallt: — zwölf die Glocke schallt! — Küsse mich, Bräutchen mein, — wirst ganz nun mein eigen sein! — Was schauderst vor mir, haha, vor mir? — hab gespielt, haha, gewann im Spiel, — hab gezecht, haha, gezecht gar viel, — doch thu ich's nimmer zu Leide dir! —

Will sanft auf Erden — und heilig werden! — u. s. w. (Eine Gedichtstrophe dieses Romans geben wir in § 210.

Als Beispiel

aus Kastropps Heinrich von Ofterdingen vgl. S. 380 d. B.)

§ 187. Der Sloka. Der Sloka (sanskr. p(ofa) ist der epische Vers des Sanskrit, ein Silbenzählungsvers, wie solche heutzutage noch in Frankreich Ver­ wendung finden. Das Mahabharata, das Ramajana, die Gesetze des Manu, die Veden rc. sind in diesem Vers geschrieben. Wir müssen ihm Beachtung schenken, da ihn unsere gelehrten Orientalisten und Dichter (ein Schlegel, Bopp, Kosegarten, Lorinser, Fr. Rückert u. A.) bei ihren Übersetzungen treu nachgebildet haben. Er ist ein Distichon und besteht aus zwei Hälften (Waktra) zu je 16 Silben. Zur vierzeiligen Strophe wird er, wenn die Zeile nur 8 Silben enthält, also nur aus 1/a Waktra besteht. Das Schema des Waktra ist folgendes:

Zwei solcher Waktra's, deren Versglieder in der Silbenzahl unter sich vollständig gleich, nur durch den Charakter der schließenden Takte entgegengesetzt sind, bilden also einen Sloka.

597 Je vier Silben bilden einen dipodischen Takt. Wie eine Jncision am Schlüsse des Waktra eintritt, so ist das Waktra selbst in der Mitte durch eine

feste Cäsur oder Diärese geteilt. ie

nach dem Zufall

ein Antispast

Im ersten und dritten Takt sind die Silben

beliebig lang oder kurz,

während

der

zweite Takt meist

" -i .

unbcfriebißt läßt. Beispiele: Auf der Kindheit frühsten Scenen Im Erinnrungsdämmerschein Seh' ich um mich stehn zwo Lenen, Beide meine Schwesterlein. Alles kam von denen, Was von zarter Poesie ist mein.

(Rückert.)

Gieße deine Blütenschale, Frühling, über Berg und Thal, Lade uns zum Göttermahle! Endlos war die Winterqual: Da, mit flammendem Pokale Tritt der Holde in den Saal. (Julius Bercht, Der goldne Mai.)

3. ababcc. (Schillers Lehr- und Anapästenstrophe.) Diese wirkungsvolle Strophe, welche nach Art der Oktave mit einem kräsügett Reimpaare abschließt, ist mehr als andere sechszeilige Strophen be­

fähigt,

einer

Lehre

kräftig

wirkenden

Nachdruck

zu

verleihen.

Ihr

schönes

Ebenmaß räumt der logischen Ausbreitung des Gedankens vollen Spielraum ein. Dies ist wohl der Grund ihrer überaus häufigen Verwendung. Schiller der in dieser Strophe (vgl. Die vier Weltalter, und Worte des Glaubens) eine

jambisch

anapästische

Form

von

großer

Nachfolge

schuf,

bediente

sich

ihrer

zumeist zu didaktisch-philosophischen Gedichten, weshalb sie wohl die Bezeichnung:

Schillers Lehr- und Anapästenstrophe verdienen dürfte. Wir

finden diese

Strophe

a

im

Volkslied

(z. B.

Die

Spinnerin,

in Volksliedern von Erk II. Nr. 72; ferner das Lied von Schleswig-Holstein; ferner Der alte Dessauer in Kretzschmers Volksliedern N. 131. rc.). b. in geistlichen Liedern (vgl. Novalis „Wenn ich ihn nur habe" und „Sehn sucht nach dem Tode"; Knapps Liederschatz Nr. 3175 und 3198 : „Christi. Gewitterlied" und „christl.

Erntelied";

I. G. Seidl

„Herr,

du

bist

groß";

Mahlmann „Hoffnung auf Gott"), c. bei den Dichtern im Minnesang dis in die Neuzeit. Ich nenne von den bekannten: Ulrich von Liechtenstein (Liebesglück), Gryphius (Wie eitel ist rc.), Flemming (Das getreue Herz), Bürger (Die Weiber von Weinsberg), Arndt (Feuerlied), Goethe (Der Jung gesell und der Mühlbach), I. Hammer (Durch die Felder mußt du schweifen), Ad. Stöber (Wachtelschlag), I. G. Fischer (Schillers Auferstehung), Herm. Lingg (Pausanias), Otto Roquette (Siehst hu die Spitzen der Alpen erglänzen), Julius Mosen (Im Sommer, und Die letzten Zehn vom 4. Regiment), Alfred Meißner (In der Gebirgswüste, und Trümmer), Fritz Hofmann (Mütterleins Feldpostpaket), Max Moltke (Frühlingseinkehr), Ölbermann (Weihe der Poesie),

Luise Otto-Peters (Im Wald), Heinrich Pröhle (Der Gattin), Jul. Sturm (Über Nacht), Jegor v. Sivers (Gewisien), Platen, W. Müller, Ehamisio rc.

Schiller und Rückert wetteifern mit einander in der Häufigkeit der An­ wendung dieser Strophe. Ersterer schrieb in ihr den Taucher, den Alpenjäger, Die Worte des Glaubens, Die Worte des Wahns, Die 4 Weltalter, Das Mädchen von Orleans, Berglied, An Emma, Reiterlied rc.; Rückert: Gott und die Fürsten, Weltglanz, Gestillte Sehnsucht, Zu meinem Hochzeitfeste, September, Grablied, Mai rc.

Beispiele: a. Drei Worte nenn' ich euch, inhaltschwer, Sie gehen von Munde zu Munde, Doch stammen sie nicht von außen her; Das Herz nur giebt davon Kunde. Dem Menschen ist aller Wert geraubt, Wenn er nicht mehr an die drei Worte glaubt.

(Schiller.)

b. Siehst du die Spitzen der Alpen erglänzen, Schimmernd umlagert von ewigem Schnee? Siehst du die dunkelnden Tannen umkränzen Dort in der Tiefe den ruhenden See? Droben in nächtlicher Ferne Ewige Sterne? (Otto Roquette.) c. Über Nacht, über Nacht Kommt füll das Leid, Und bist du erwacht, — O traurige Zeit! — Du grüßest den dämmernden Morgen Mit Weinen und Sorgen.

(Julius Sturm.)

657 4. a b a a a b. Diese seltene,

der Vierzeile

aus

findet sich

entstandene Strophe, im Gedicht Reue.

ab ab

durch Einschiebung von 2 a

bei Freiligrath.

noch

Außerdem

bei

Ptaten

Beispiel:

Fremdlmg, laß deine Stute grasen,

O zieh' nicht weiter diese Nacht! Dies ist die grünste der Oasen:

Im gelben Sandmeer glänzt ihr Rasen, Gleichwie inmitten von Topasen

Ein grüner, funkelnder Smaragd!

(Freiligrath.)

5. a b a b b a. Sie ist die Vierzeile abab mit dem Abgesang b a. Durch Umstellung des Reims erhält der Fluß einen plötzlichen Ruck, welcher den Strophenschluß einleitet, der um so schärfer markiert wird, wenn — wie bei Rückert — nach kurzen Zeilen lange folgen. Beispiel:

Jeden kleinen, großen Stein in dieser Flut, Dran ich mich gestoßen Selber bis auf's Blut, Möcht' ich aus dem Wege dir, junge Brut, Räumen, eh' du selbst gebrauchst die Flossen.

(Rückert.)

6. a a b c c b. (Schillers Polykratesstrophe.) Diese Strophe worden.

Sie

ist

gliedert

unter allen 6zeiligen Formen

sich

gewöhnlich

am

a ab | c c b,

häufigsten gebildet

oder a a | b c c b,

wo sodann die letzte b-Zeile nicht selten zum Refrain wird. die letzte Hälfte des Reimpaars b b hinausschiebt,

Dadurch daß c c

wird eine

erwartungsvolle

Stimmung erzeugt, dann aber durch endlichen Eintritt von b ein befriedigender Abschluß gewährt. Diese Strophe eignet sich auch für den Ausdruck lyrischer Stimmungen, wodurch sich ihre Häufigkeit erklärt. Wir finden sie bei Flemming, S. Dach, P. Gerhardt, sowie bei den Vertretern der schlesischen Dichterschulen,

wie im geistlichen und

weltlichen Volksliede

(z. B. Jnsbruck,

ich

muß

dich

lassen; In allen meinen Thaten; Prinz Eugen der edle Ritter; Gustav Adolfs

Kriegslied „Verzage nicht"; Neugriechisches Ständchen in Ellisiens Thee- und Asphodelosblüten; das serbische Volkslied Die Spinnerin in W. Gerhards Wila; Die 3 Budris von Mickiewicz, aus dem Poln. übers, von Carl von Blankensee ; Nachtigall und Kuckuck in Herders Stimmen der Völker; endlich-wgl. Liliencrons Samml. histor. Volksl. z. B. 3. 142 rc.).

Von den bekannten Dich­

tern erwähne ich: Salis (Herbstlied), Claudius (Abendlied), Maßmann (Der Kölner Dom), Ad. Böttger (Der Herbst), Th. Apel (Guten Traum), Fr. v. Schlegel ^(Ge­

sang), A. W. Schlegel (Totenopfer für Aug. Böhmer), Schmidt v. Lübeck (Deutsches Beyer, Deutsche Poetik. I.

42

658 Lied),

Rob. Reinick (Weihnachtsfest),

du

Hammer (Siehst

I.

den

Schlaf),

Freiligrath (Prinz Eugen), Ad. Stöber (Morgenpsalm und Abschied von der Schweiz), Herwegh (Reiterlied), Lingg (An meine Mutter), Droste-Hülshoff (Im Moose), A. Meißner (Eine Mutter), Geibel (Der Alte von Athen),

Earl Beck (Getrost),

Ada Christen (Maryna),

Franz Hirsch (Vagantenlieder),

Max Kalbeck (Herbstabend), Leuthold (Liederfrühling), Mosenthal (An die unter­

gehende Sonne), Alb. Möser (Frühlingsfahrt), Betty Paoli (Woher? Wohin rc.), Otto Roquette (Abschied rc.), I. G. Seidl (Brunnengeplätscher), Zul. Sturm (Aus der Kindheit, Daheim, Sorge nicht), Albert Träger (Zn zarte Frauen­ hand rc.), Hagenbach (Luthers Bibel), Haushofer (Beim Wandeln), Edm. Höfer (Nur ein wenig

Cäsar

Lengerke

von

Liebe),

Fritz

(Waldvögelein),

Hofmann (Töchterleins

Mar

Lächeln),

erstem

Moltke (Spruchlied),

Emil

Neu­

burger (Trost), Wilh. Osterwald (Da die Stunde kam), Victor Scheffel (Auf­ fahrt), Scherer (Geh nicht vorüber), Feodor Wehl (Es rauscht eine Welle),

Jos. Weilen (Von der Donau), Wernine Zimmermann (Ein Sonnenstrahl), Rückert (Frühlingstraum, Sonntagofeier, Waldstille, An die Musen, An die Sprache, Die Schreibfeder rc.), Goethe (An Mignon, An die Günstigen, Blinde

Kuh,

Musensohn,

Der

Wechsel).

Außerdem

Platen,

Uhland,

W. Müller.

Schiller war es, der diese Strophe mit Vorliebe anwandte und ihr im Ring des Polykrates, in Hektors Abschied, in Würde der Frauen, Laura am Klavier,

Triumph der Liebe rc. historische Bedeutung verlieh. Beispiele: Er stand aus seines Daches Zinnen, Er schaute mit vergnügten Sinnen Auf das beherrschte Samos hin. „Dies Alles ist.mir unterthänig," Begann er zu Ägyptens König, „Gestehe, daß ich glücklich bin." — (Schiller, Der Ring des Polykrates.)

So hat noch Niemand mit mir gethan! An beiden Händen faßt' er mich an Und schaute mir in die Seele, So unwiderstehlich, so tief hinein, Als wollt' er schau'n, wo ein Fältelein Ihm etwas noch verhehle.

(Jul. Grosse.)

7. a a b b c c. (Geibels Sehnsuchtstrophe.) Diese

aus

gebildete Strophe

Reimpaaren

worden.

Um wirksam zu sein,

nehmen,

wie

ihr

ein

Strophe

mag

ist

sehr

daher

und

den

kurz

Namen

angewendet

häufig

ein sttophisches Charakteristikum

solches Geibel und Kopisch verliehen.

Geibelschen leichtbeschwingten die

muß sie

Wir

abschließenden Form den Vorzug

dieses Lyrikers

tragen.

Die

an­

geben der und

längsten

Verszeilen hat ihr Rittershaus gegeben. Angewendet haben diese Strophe: Schiller (Die Größe der Welt), Goethe (Mignon, und Liebhaber), Heinr. Heine (An die Engel), Uhland (Antwort),

659 Platen

Ad. Glaser (Grabschrist), Wilh. Müller (Ungeduld

(Endymion),

und

Est Est), Fr. Oser (Dein Grab), Rob. Prutz (Die Oceaniden), Albin Rheinisch

(Die

Blume von

Trebisond),

Emil

Rittershaus

(Zu Hilfe

1866),

Kopisch

(Der große Krebs rc.), Gust. Schwab (Das Gewitter), Ferd. Stolle (Mutter­ gebet), Arndt (Was ist des Teutschen Vaterland), Mahlmann (Der Vater Martin), Aug. Stöber (Der Wasgau), Geibel (Sehnsucht), Wolfgang Müller (Mein Herz ist am Rheine), Dieffenbach (O Zauber), I. P. Hebel (Der Winter), Gottfr. Keller (Pietiftenwalzer), Bornemann (Kartüffeln). Vgl. auch Görres'

Volkslieder S.

115 (Altdeutsches Wächterlied) 2c.

Beispiele:

Ich blick' in mein Herz und ich blick' in die Welt, Bis vom Auge die brennende Thräne mir fällt; Wohl leuchtet die Ferne mit goldenem Licht, Doch hält mich der Nord — ich erreiche sie nicht — O die Schranken so eng, und die Welt so weit, Und so flüchtig die Zeit! (Geibel, Sehnsucht.) Die Stadt ^^111 hat immer Acht, Kuckt in den See bei Tag und Nacht. Kein gutes Christenkind erleb's, Daß los sich reiß' der große Krebs! Er ist im See mit Ketten geschlossen unten an, Weil er dem ganzen Lande Verderben bringen kann-

(Kopisch.)

Es geht durchs Land der Schrei der Not; er will an jeden Busen klopfen Für heiße Wunden, purpurrot, — 0, gebt der Liebe Balsamtropfen! Für arme Kinder, blaß und krank, --- 0, füllt die kleinen Kinderhände! Dem Weib, dem der Ernährer sank, — 0, reicht des Goldes Segensspende! Zum Himmel hallt ein Jammerschrei von Herzen, die in Schlachten brechen. — Nun schweigt die Stimme der Partei, nun hat das Herz ein Recht zu sprechen! (Emil Rittershaus.)

8. a b a a b b. Eine schränkung

äußerst

hat.

seltene Strophensorm,

wendet

Voß

dieselbe

die

nur 2 Reime in schöner Ver­

verständnisvoll in „Freude vor Gott"

wie im nachstehenden Beispiel an. Beispiel: Erstrebtest du dir edles Lob, Von edlem Geist durchdrungen: Bald unterdrückt dich, wer erhob; Dein Freund und Bruder härmt sich drob, Daß wohl dein Werk gelungen, Und lobt mit falschen Zungen.

(Voß.)

9. a a b c b c. Dieses Schema

unterscheidet sich von Schillers Polykratesstrophe (Nr. 6

S. 657 d. B.) nur durch Umkehrung der beiden letzten Zeilen. Rückert hat es in seiner Schi-King-Übersetzung gebraucht. (Vgl. Schi-King S. 109,

Lied vom schönen Jäger.)

Sonst finden sich gute Gedichte in dieser Strophe

660 bei Karl Schultes (Quelle und Gemüt) und Hoffmann von Fallersleben (Lebt ich wie du).

Beispiel: Du Du Die Die Ich So

siehst mich an und kennst mich nicht, liebes Engelsangesicht! Wünsche weißt du nicht, die reinen, du so unbewußt erregt. muß mich freu'n und möchte weinen, hast du mir mein Herz bewegt. (Hoffmann von Fallersleben.)

10. a b c a b c. Ein unschönes Schema,

welches bei gleicher Zeilenbildung das Zerfallen

der Strophe in zwei dreizeilige Strophen begünstigt. Hoffmann von Fallers­ leben und Elly Gregor (Ein Wiedersehen) haben es angewandt.

Beispiel: Welch ein Leben, welch ein Streiten Für die Wahrheit und das Recht! Auf der Bierbank — Unsre Sitten, unsre Zeiten, Nein, sie sind fürwahr nicht schlecht! Auf der Bierbank. (Hoffmann von Fallersleben.)

11. a b c b d d. (Wilh. Müllers Noahstrophe.) Diese Strophe ist durch Wilh. Müllers Lied „Die Arche Noah" bekannt

geworden. Beispiel: Das Essen, nicht das Trinken Bracht uns um's Paradies. Was-Adam einst verloren Durch seinen argen Biß, Das giebt der Wein uns wieder, Der Wein und frohe Lieder. (Wilh. Müller, Die Arche Noäh.)

12. x x x x x x.

(Theobald Kerners Christnachtstrophe.)

Diese odenartige Strophe hat außer Platen nur Kopisch im Volksliedchen von der Insel Procida (vgl. Agrumi S. 125) und Theobald Kerner in seinem

tief empfundenen Gedicht Christnacht angewendet.

Beispiele: Weihnachtsabend ist vorüber, Alle Kerzen sind erloschen, Und die Kinder nun zu Bette: Jetzt, o Christkind, komm', o komme! Trage wieder schnell die armen Christtagsbäumchen in den Wald!

Wo der Herbst zwar spät in das flüchtige Jahr tritt, Das bereits tagmüde zum Ende sich neigt, Aber nicht kommt ohne Geschenk:

(Theob. Kerner.)

661 Nein, im schöngeflochtnen Korb aufhäuft die erquicklichen Früchte: Also tritt mein Festgesang, Freund, vor dich, mitführend hochgeschichteten reichen Ersatz, (A. Graf v. Platen.) Vgl. noch Platens Auf den Tod des Kaisers. Seltene Formen der sechszeMgen Strophe.

Die nachfolgenden Schemata haben wenig Bearbeiter gefunden. Nur ver­

suchsweise wurde das eine oder das andere derselben ein-, höchstens zwei­ mal für ein lyrisches Gedicht gewählt. — Von einzelnen in der Form charak-

reristischen Mustern

schreiben wir je ein Beispiel her,

ohne damit die übrigen

meist gelungenen Strophen als minderbedeutend bezeichnen zu wollen.

13. a b c c b a. (Alexis Aars Herbstlied-Strophe.) Beispiel:

Eh' der Herbstwind heult um's Dach, Sind die Vögel aufgebrochen. Blatt und Blüten, die verwehen, Mögen sie nicht fallen sehen. Bange Wochen Folgen nach. (Al. Aar, Herbstlied.) Vgl. noch Süßes Geheimnis von Fr. v. Schack.

14. a b a b c b. Tas Liederbuch

bekannte

Volkslied

S. 260), sowie

„Du,

du

Waldandacht

liegst

von

mir im

Herzen"

(Reinhold,

Lebrecht Dreves sind in dieser

Strophe geschrieben.

15. a b b c c b. Beispiel: „Einmal im Jahre" von Karl Egon von Ebert.

16. a a a b b b. (Niggelers Traumstrophe.) Eine symmetrisch gegliederte und charakteristisch abgeschlossene Strophe.

Beispiel: Ich sah dich heut' im bangen Traum der Nacht: Dein blaues Auge hat mir nicht gelacht; Du gingst von mir! Da bin ich aufgewacht. Durch's Fenster fiel der Sterne bleiches Licht, Und Thränen strömten mir vom Angesicht — Verlaß mich nicht! (Rudolf Niggeler.)

17. a b c c d b. (Max Remys Vorwärtsstrophe.) Die

Strophe

Eharakteristikum

vor

Max

Remys

zeichnet

sich

durch

ein

schönes

strophisches

dem ebenfalls gelungenen Beispiel Rhingulphs Wegeners

(Tas Mädchen und der Schmetterling) aus.

662 Beispiel: Vorwärts! Vorwärts Fröhlich und frei! Folge dem leuchtenden Ziele des Strebens, Das dir flammt durch die Nebel des Lebens, Mutig, geduldig, Fröhlich und frei! (Max Remy, Vorwärts.)

18. a b a c c b. Eine durch den daktylischen e c - Reim interessante Strophe, außer bei Strachwitz noch bei Goethe in Liebe wider Willen finden.

die

wir

Beispiel: Dem Leuchtturm vorbei und ben Hafendamm O Herrin im Süden, ade! Hochspringend über beit Wellenkamm Erhebt sich das meerdurchschweisende, Schwarzbusige, weitausgreifende, Dampfschnaubende Roß der See. (M. Graf von Strachwitz, Meerfahrt.)

19. a b c b d b. Beispiel: Das Kirchenlied des Pater Damianus „Jucundantur et lactantur“, in Zabuesnigs kath. Kirchengesängen S. 241 („Wie die Bösen alle jubeln" rc.).

20. a b b a c c. Eine durch

das

von Luise von Plönnies meisterlich übersetzte berühmte

Nationallied der Engländer bekannt gewordene Strophe, deren Schema nur noch I. Mosen (Mit den Blumen spielt der Wind) und Kopisch im römischen

Liedchen „Aller Welt Liebhaber" gebrauchten. Beispiele: Als aus dem Wellenschoß empor Britannia einst der Himmel rief, War dies des Landes Freiheitsbrief, Schutzengel sangen dies im Chor: Herrscht Britannia! Das Meer, das Meer sei dein! Sklave soll kein Brite sein! (Rule Britannia übers, von L. v. Plönnies.)

Aller Welt Liebhaber bin ich, Jede Locke kann mich binden, Jedes Angesicht entzünden, Keines Nebenbuhlers sorg' ich. Ich nehme, was mir Liebe hat beschieden, Mit Allem, Allem stell' ich mich zufrieden! (Kopisch, Agrumi S. 59.)

21. a b c d c d. Beispiel: Vive Henri quatre. S. Menzel, Gesänge der Völker, S. 92.

22. a b c b c d. Einziges Beispiel: Nach Sevilla von Clemens Brentano.

Nach Sevilla, nach Sevilla, Wo die hohen Prachtgebäude In den breiten Straßen stehn, Aus den Fenstern reiche Leute, Schön geputzte Frauen sehn; Dahin sehnt mein Herz sich nicht.

(Cl. Brentano.)

23. a a b c d d. Beispiel: Die schöne Braut.

Wunderhorn II.

12.

24. a b c c d e. Beispiel: Sehnsucht.

Kopisch in Agrumi S. 219.

25. a a b c c d. Beispiele: Goethe: Ter getreue Eckart. Wilh. Müller: Gebet in der Christnacht. Des Finken Abschied. Die größte Freude. Uhlands Volkslieder Nr. 60.

26. a a b c d c. Einziges Beispiel: Der Fischerknabe (Es lächelt der See) in Schillers Teil.

27. a a a b c b. Einziges Beispiel: Die Katze. S. Menzel, Gesänge der Völker, S. 595.

28. a b c c c b. Diese

originelle Strophe,

in

welcher

sich der eee-Reim zwischen das

b b-Reimpaar schiebt, danken wir dem Friesischen Dichter Hermann Allmers.

Beispiel: Morgen wird's — im Thal beginnt Unheimliches Wogen und Wallen. Die Sonne naht, — die Nebel der Nacht, Zürnend ob des Lichtes Macht, Sie beginnen die wilde Geisterschlacht; Ha, wie sie sich bäumen und ballen!

(H. Allmers.)

29. a b b c b c. Eine von dem Dichter Bernhard Endrulat schön gestaltete, originelle Strophe, welcher sich auch Wilh. Müller (Der Mai) und Platen bedienten.

Beispiel: Was ist das Glück? — Nach jahrelangem Ringen, Nach schwerem Lauf ein kümmerlich Gelingen, Auf greife Locken ein vergoldend Licht, Ein spätes Ruhen mit gelähmten Schwingen — ? (B. Endrulat.)

664 30. a b a c c a. Einziges Beispiel:

In überirdischer Pracht Die Sonne sank; die Sterne Versammeln sich sacht; Natur hält Feierabend, Kühlend und labend Nahet die Nacht. (Max Moltke, Sommerabendlied.)

31. a b b c c a. Beispiel:

Er hat mich geküßt! Was zitterst du, mein Herze, so? Und bist du nicht so still und froh? Ist nicht so jung mein Leben noch? Ist nicht die Welt so schön? — und doch! Er hat mich geküßt! (Oskar von Redwitz, Der erste Kuß. Vgl. noch Uhland: Gesang der Nonnen.)

32. a b c d a a. Beispiel:

Nur das war Tag, Als du mit deinem Aug' mir leuchtetest, Mehr als die Sonne selbst, die unbemerkt Am Himmel kam, vom Himmel untersank, Mehr als die Erde, die vergessen lag, — Nur das war Tag! (Leop. Scheser.)

33. a b a c b c. Beispiel:

Lebensworte

von

A.

E.

Fröhlich,

und

das

einstrophige

Gedicht Nähe von Goethe.

34. a b c b c a. Beispiel: Goethes

Schadenfreude.

35. a a b c b d. Beispiel: Blauer Himmel von Ehamisso.

36. a b c c d d. Beispiel: Gottfr. Keller, Nr. 12 der Liebeslieder. Einige gönnen der sechszeiligen Strophen von untergeordneter Bedeutung lasten wir unerwähnt.

§ 204. Die siebenMige Strophe. Sie entsteht durch Hinzufügung eines Zzeiligen Abgesanges an einen aus zwei gleichen Stollen bestehenden vierzeiligen Aufgesang.

665

Das Gesetz der Dreiteiligkeit kann somit in dieser Strophe zum schönen Ausdruck gelangen, sofern zwei gleiche Teile durch einen ungleichen abgeschlossen werden. Dieser Abschluß wirkt deshalb so ungemein befriedigend, weil dem abschließenden Abgesang ein materielles Über­ gewicht über die beiden Stollen eingeräumt ist. Man kann diese Strophe als den Grundtypus aller lyrischen Strophen hinstellen. Bei

Betrachtung

ihrer Kombinationen

ergiebt

sich

die

Zusammensetzung

einer der vierGrundformen der vierzeiligen Strophe (1. a a b b; 2. ab b a; 3. a b a b; 4. a b cb) mit einem dreizeiligen Abgesänge (1. a a a ; 2.

a a b; 3. a b a; 4. b a a; 5. b b a; ö.bab; 7. abb; 8. bbb;

9. c c c;10. c d c; 11. c c d; 12. d c c; 13. c d e; 15. c a c; 16. a c c; 17. c c b; 18. cbc; 19. b c c).

14. c c a;

Rechnet man die 19 Kombinationen des Abgesangs zu den vier Grund­ formen des vierzeiligen Aufgesangs, so ergiebt dies 19 X 4 — 76 Variationen der siebenzeiligen Strophe.

Zu

diesen Kombinationen kommt noch die große

Zahl der Zusammensetzungen mit unregelmäßig gegliedertem Aufgesang. Nur die wenigsten dieser Schemata gelangten in unserer Poesie zur Verwendung, wie die nachstehende Darlegung zeigen wird.

Formen der stebemeiligen Strophe.

A. Aufgesang a a b b. Zusammensetzungen mit 19 iien

dem Aufgesang aabb

und einer der obigen

Abgesangsmöglichkeiten kommen nur ausnahmsweise vor. ihr zweimal im deutschen Volkslied (1. Schnitterlied:

Schnitter,

heißt

der

deutschen Volksliedern.

Tod"

in des Knaben Wunderhorn,

Franks. 1851.

S. 579.

sowie

Wir begeg„Es ist ein

in

Simrocks

Schema: aabb | ccd;

2. Grenadierlied: „Steh ich im Feld" in Schenkels Dichterhalle II. S. 654. Schema: aabb | c c a). Ferner hat Karl Herloßsohn sein zum Volkslied

gewordenes Gedicht: „Wenn die Schwalben heimwärts zieh'n" in dieser Strophe

geschrieben.

Schema: a a b b c d d.

Weiter O. Roquette einige Strophen in

Prinz Waldmeisters Brautsahrt. Schema: a a b b a a c. Ferner Rud. v. Gott­

schall sein strophisch vollendetes Gedicht: „Lucile Desmoulins.“ a a b b c c d. Endlich Rückert Die Klanggeister, und Lenzschauer.

Schema: Die fünf

zuletzt genannten Strophen mit verschiedenem Abgesang verdienen, die Namen ihrer Begründer zu tragen.

Beispiele:

1. Schema: aabbcdd. (Herloßsohns Schwalbenstrophe.) Wenn die Schwalben heimwärts ziehen Und die Rosen nicht mehr blüh'n, Wenn der Nachtigall Gesang Mit der Nachtigall verklang, Fragt das Herz in bangem Schmerz:

2. Schema: a a b b a a c. (Roquettes Rosenstrophe.) Noch ist die blühende, goldene Zeit, O du schöne Welt, wie bist du so weit! Und so weit ist mein Herz, und so blau, wie der Tag, Wie die Lüfte, durchjubelt von Lerchenschlag! Ihr Fröhlichen singt, weil das Leben noch mait, Noch ist die schöne, blühende Zeit, Noch sind die Tage der Rosen!

3. Schema:aabb | e e ä. (Rudolph v. Gottschalls Desmoulins-Strophe.) Die Nacht ist kalt; es schauert der Tod,; Und blutig kommt das Morgenrot. Es nahte der finstern Männer Schwarm; Sie rissen ihn fort aus meinem Arm. Ich irre, ich suche, ich find' ihn nicht — Sie schleppen ihn fort zum Blutgericht, Mir wanken die Kniee!

4. Schema: a a b b c c c. (Rückerts Klanggeisterstrophe.) Heute kamen die Klanggeister Meiner persischen Sangmeister, Die mich hatten gefloh'n lange, Wie vor'm ernsteren Ton bange, Oder nur mich besucht hatten, Ähnlich streifenden Fluchtschatten Über sommernden Fruchtmatten.

5. Schema: a a b b c d d.

(Rückerts Lenzschauerstrophe.)

Weißt du, wo gelind Übergeht der Wind, Lieblich ist der Schauer, Sanft des Herzens Trauer? An der Kirchhofmauer, Wo die beiden Kind' Hingelegt dir sind.

B. Aufgesang a b b a. Zusammensetzungen mit diesem Aufgesang sind ebenso selten cik mit dem vorigen. Wir finden solche in Desdemonas Lied (Herders Stimmen der

Völker,

16.

Band

S.

197),

sowie

in

dem

von

Diez

übersetzten

Liede

Die Provence vom Troubadour Peire Vidal (Menzels Gesänge der Völker. S. 66, Schema: a b b a c c d). Von unsern Dichtern haben sich ihrer bedient: Schiller (in der Bürgschaft, Schema: a b b a a c c), Eichendorfs (in Be­

gegnung a b b a b c c), Geibel (in Wie rauscht ihr Waldesschatten, und An den Genius), Rückert (in An die Dichter, im Trauerlied, in Die Blume am Anger, mit dem Schema: abbaaba, sowie in „O wie ich nun so einsam bin", mit dem Schema: abbaccc; vgl. Kindertotenlieder, S. 172), Herwegh (mit dem Schema: abbaaab in Die deutsche Flotte, vgl. Ged.

667 S. 175 Strophen

2c.). Der Nachahmung würdig erscheinen von diesen sämtlichen 1. die bekannte Strophe Schillere in seiner Bürgschaft, die wir

als Schillers

Bürgschastsstrophe

benennen

wollen,

und 2. die

nachstehenden

beiden Schemata. Beispiele:

a b b a a a b. (Herweghs Flottenstrophe.) Erwach', mein Volk, mit neuen Sinnen! Blick' in des Schicksals goldnes Buch, Lies aus den Sternen dir den Spruch: Du sollst die Welt gewinnen! Erwach', mein Volk, heiß' deine Töchter spinnen, Wir brauchen wieder einmal deutsches Linnen Zu deutschem Segeltuch. (Herwegh, Die deutsche Flotte.)

a b b a c c a. (Geibels Geniusstrophe.) Du Genius, der von ew'gem Herd Mein Wesen all gesetzt in Flammen, O halte diesen Leib zusammen, Bis ich ein Werk schuf, deiner wert. Dann mag in Erde, Luft und Wellen Der Staub dem Staube sich gesellen, Ein Tropfen, der zum Meere kehrt. (Geibel, An den Genius.)

C. Aufgesang abab. Der Ausgesang abab kommt in den siebenzeiligen Strophen am häufigsten vor.

Die mit demselben gebildete siebenzeilige Strophe erscheint als die Ber­

einigung der Blüte unserer ernsteren lyrischen Poesie. Ein besonderer Grund der Beliebtheit dieser Strophe kann nicht nachgewiesen werden. Vielleicht ist er darin zu suchen, daß die beiden Attfgesangsstollen abab symmetrisch gebaut sind und den Reim gleichmäßig wechseln, so daß der Abgesang einen gefälligen

Gegensatz bildet.

1. a b a b | c c b.

(Schmidt-Cabanis-Strophe.)

Diese so freundliche Strophenform findet sich schon bei folgenden Minne­ singern: 1. Markgraf Otto von Brandenburg (v. d. Hagens Minnesinger I. 12. Nr. 7). 2. Graf Konrad von Kirchberg (ebenda I. 25. Nr. 4). 3. Mark­

graf

von Hohenburg (ebb. I. 33.

1).

4. Gottfr.

von

Nifen

(ebb. I. 60.

Nr. 44). 5. Walther von Klingen (ebb. I. 72. 3). 6. Reinmar von Brennen berk (ebb. I. 335. 3). 7. Brunwart von Augheim (ebb. II. 76. Nr. 5). In der neueren Litteratur sind die schönsten klassischen Lyriken und Balladen in dieser Form geschrieben. Wir finden sie angewandt von: Rückert (Künstlich

scherzhafte Trinkreime, Zimmerfrühling, und Hochzeitlied aus Nom), Gust. Schwab (Rückblick), Bechstein (Ruhe), Mörike (Mein Fluß), Goethe (Die Braut

von

Korinth),

Voß

(Vorwärts

mein Geist;

Der

Wechsel),

W.

Wackernagel

668 (Frühlingslied),

Jul.

Hammer

(Im

Abgrund),

A.

W.

Schlegel

(Arion),

Fr. v. Schlegel (Gelübde und Freiheitslied), L. Dreves (Nachtlied), Lampadius (Schwarzauges Gut' Nacht), Geibel (Betrogen), Ritter (Frühlingslied-. „Regst

du, o Lenz! die jungen Glieder" rc.).

Brinkmeier hat das Zornlied des

Troubadours Peire Cardinal, und Rückert 2 Lieder im Schi-King (S. 133 und 143) in dieser Strophe übersetzt. Schmidt-Cabanis weitgesungenes humo­ ristisches „Neues Märlein vom Champagnerwein" hat diese Form weiten Kreisen vermittelt, weshalb wir sie durch den Namen dieses Humoristen auszeichnen. Beispiel:

Kennt Alt wohl und Jung, und Groß und Klein Die Mär' von den durstigen Teufeln, Die einstmals lüstern nach gutem Wein Unter Kork und Draht nun verzweifeln: Vom Champagnerwein die lustige Mär', Der ein infernalischer Strafwein wär', Nur ein höllisches Thränen-Träuseln. (Schmidt-Cabanis.) Meine Liebste wollt' im ZimmerHyacinthen ziehn, Daß dir was von Frühlingsschimmer, Winter, sei verliehn; Und in meinen Schachteln liegen stille Gruppen Puppen, Denen sollen Schmetterling' entfliehn. (Rückert, Zimmerfrühling.)

2. a b a b c b c. Cs ist dies eine seltene Form, welcher wir nur in einem alten dreiteiligen Kirchenlied (vgl. Wackernagels deutsches Kirchenlied S. 839), sowie bei Geibel (Zwei Psalmen, und Der Troubadour Nr: 7), endlich bei Rückert (Neuer Mut,

Großes aus Kleinem, und im Schi-King S.

133) begegnen.

Beispiel: Nun sollt ihr mich nicht unterkriegen, Ich schweb' empor, Ich hätt' euch können unterliegen Noch kurz zuvor, Als trübe gleich dem Himmelsbogen Bon winterlichem Wolkenflor War mein Gemüt umzogen.

(Rückert.)

3. a b a b c c d. (Kirchenliedstrophe.) Diese in mehr als 500 lutherischen Kirchenliedern angewandte Strophen­

form verleiht dem durch Luther angeregten, auch im Kirchenlied zum Ausdruck gelangten Vorwärtsdrängenden , nach - Licht - Ringenden einen überwältigenden Ausdruck, weshalb sie den Namen Kirchenliedstrophe verdienen dürfte. Der Name Goethes Sängerstrophe würde ebenso bezeichnend sein, da Goethe in

ihr seinen weitgekannten Sänger dichtete; doch scheint mir der Name Kirchen­ liedstrophe im Hinblick auf ihr außerordentlich häufiges Vorkommen im Kirchen­ lied größere materielle Berechtigung zu haben.

669 Wir finden diese Form schon bei folgenden Minnesingern: Gottfried v. Nifen (vgl. v. d. Hagen, Minnesinger I. 60. Nr. 43), Kristan v. Hamle (ebd. I. 112. 3), Ulr. v. Liechtenstein (ebb. II. S. 75. 2), Walther von der

Vogelweide in seinem durch Görres' Bearbeitung neu eingeführten Vaterlands (Andere patriotische Lieder, die in dieser Strophe

lied „Deutschlands Ehre".

gedichtet wurden, s. in Liliencrons Samml. hist. Volksl. Nr.

149, 387, 388,

405, 538; gesellige Lieder aus dem 16. u. 17. Jahrh, s. in Hoffmann v. Fal­ lerslebens Gesellschaftsl. Nr. 59, 102, 184.) Von neueren Dichtern wandten diese Strophenform an: Arndt, Schlegel, Hebbel, Voß (Das Röselein), Goethe (Sänger, Totentanz, Das Blümlein Wunderschön, Der untreue Knabe, Der Müllerin Reue), Uhland (Rolands Schildträger, Vom treuen Walther, Metzel­ suppenlied, Jungfrau Sieglinde), Blumauer (Travestierte Äneis), Rückert (Lied des

lustigen Teufels),

A. Mosen (Frühlingslied),

Mörike

(Tag und Nacht),

Kinkel (Dietrich von Berne), Wolfg. Müller (Nächtliche Erscheinung zu Speier, Deutschlands Wächter), Körner (Wir treten hier im Gotteshaus), A. Knapp (Der Glaube bleibt), Chamisso (Der rechte Barbier, Böser Markt, Das Urteil deo Schemjaka), Th. Apel (Maiklänge), Julius vom Hag (Dort an den drei Eichen), Heinr. Pröhle (Das Posthorn), Ernst Ziel (An meine Mutter), Ernst Rauscher (So willst du noch einmal), Geibel (Mene Tekel, Herbstklage).

Beispiele: a. Ob bei uns ist der Sünden viel, Bei Gott ist viel mehr Gnaden. Sein Hand zu helfen hat kein Ziel, Wie groß auch sei der Schaden. Er ist allein der gute Hirt, Der Israel erlösen wird Aus seinen Sünden allen. (Altdeutsches Kirchenlied. Vgl. Luthers geistl. Lieder von G. König. S. 8.)

b. Was hör' ich draußen vor dem Thor, Was auf der Brücke schallen? Laß den Gesang vor unserm Ohr Im Saale wiederhallen! Der König sprach's, der Page lief; Der Knabe kam, der König rief: Laßt mir herein den Alten!

(Goethe, Der Sänger.)

4. a b a b c d c. (Neue Titurelstrophe.) Diese bereits in § 193. a S. 609 charakterisierte Strophe ist nur durch ihren Schluß von der vorigen verschieden. Durch Verlegung des e-Neimes wird der Schluß befriedigender, gefälliger. Es ist zu beklagen, daß so wenige Dichter

die Feinheiten der Strophik studieren, um die Schönheit dieser Strophe zu er­ kennen und einzusehen, wie z. B. das Einförmige des Reimes in Formen wie

a b a b c b c, oder a d-Zeile verhindert wird.

b

a

b c

a

c, oder ababCCC durch die reimlose

Man kann diese Strophe zweifellos eine der freund­ lichsten Blüten unserer deutschen Strophik nennen. Trotzdem hat sie von den

670 neueren hervorragenden Dichtern (Der Landsknecht) angewandt.

nur Uhland

(Drei

Fräulein)

und

Geibel

Bei den Minnesingern finden wir sie bei Markgraf Otto von Branden.­ burg (v. d. Hagens Minnesinger I. 11. Nr. 1), Markgraf Heinrich v. Mizen (ebd. I. 13. 2), Gottfr. v. Nifen (ebb. I. 45. 8), Jakob v. Warte (ebb. I. 67. 4), Otto zum Turne (ebb. I. 343. 1), Wolfram von Eschenbachj rc. Wenige Beispiele finben sich noch in Liliencrons Sammlung historischer Volks lieber, in Hoffmanns von Fallersleben Gesellschaftsliebern, sowie in GoedekeTittmanns Lieberbuch. Die meisten Beispiele sinb burch Zeilenlänge unb Rhyth­ mus von einanber verschieben.

Beispiele:

a. Mit reymen schon zwigenge sein! diese lieder worden gemessen recht die lenge, gar in ir don. nach meistersangesorden; zu vil, zu klein, das tuot ein lid verswachet, ich Wolfram bin unschuldig, ob schreiben dicke recht unrichtig machet. (Wolfram von Eschenbach.)

b. Drei Fräulein sahn vom Schlosse Hinab ins tiefe Thal; Ihr Vater kam zu Rosse, Er trug ein Kleid von Stahl. „Willkomm, Herr Vater, gottwillkomm! Was bringst du deinen Kindern? Wir waren alle fromm."

(Uhland.)

5. a b a b c c c. (Goethes Banitasstrophe.) In dieser mit Vorliebe von Walther von der Vogelweibe gebrauchten Strophe bichtete Fischart sein Trinklied: „Der liebste Buhle, den ich han", sowie Goethe sein burch Spohrs Komposition in alle Kommersbücher übergegangenes Lieb Vanitas (Ich hab' mein' Sach' auf Nichts gestellt). Da die Erinnerung an dieses bekannte Lieb auch sofort die Strophenform in's Gedächtnis ruft, so geben wir diesem Schema den Namen Goethes Vanitas­ strophe. In den Minnesingern v. d. Hagens finden sich'Beispiele: I. 3. (Kaiser Heinrich), I. 13. 1. (Heinr. v. Mizen), I. 59 und 41. (Gottfr. v. Nifen), I. 109. 4. (Wernher von Teufen), I. 184. 23 und 188. 32. (Reinmar der Alte), I. 210. 1 unb 2. (Hesse von Rinach), I. 234. 22 und 247. 49 rc. (Walther von der Vogelweide), II. 33. 2. (Ulrich v. Liechtenstein), II. 67. 1. (Hug von Werbenwag), II. 110. 12 und 114. 17. (Nithart), II. 276. 3. (Gottfr. v. Straßburg). Rückert hat diese Strophe in Die abgestreifte Ähre, in Winterzwiespalt, sowie im Schi-King S. 70 angewandt, Voß in Das Gastmahl und Die Vier-

671 Zehnjährige, Hoffmann von Fallersleben in seinem bekannten Abendlied, Spitta in Psalter und Harfe (Einigkeit im Geist).

und

Beispiele: a. Ich hab' mein Sach aus Nichts gestellt. Juchhe! Drum ist's so wohl mir in der Welt. Juchhe! Und wer will mein Kamerade sein, Der stoße mit an, der stimme mit ein, Bei dieser Neige Wein.

(Goethe, Vanitas.)

b. Allen ist ein Heil beschieden Und ein Erbtheil auserseh'n; Darum lasset uns in Frieden, Brüder, mit einander geh'n: Aller Streit Weiche weit Auf dem Weg zur Ewigkeit.

(Spitta.)

6. a b a b b a b. (Rückerts Triniusstrophe.) Diese Strophenform finden wir bei den Minnesingern Graf Rud. von Neuenburg (v. d. Hagens Minnesinger I. 18. 3), Gottfr. v. Nifen (ebd. I. 58. 36), Walther v. Klingen (ebd. I. 73. 5), Heinrich v. Morungen (ebd. I.

Von

125.

14

und

127.

neueren Dichtern

den

idylls Bienengesumme,

21),

Walther

von Metz

(ebd.

I. 310. 8).

hat sie Rückert in 2 Strophen seines Ehestands-

sowie im dreistrophigen Gedicht An Triuius

in origi­

neller Weise angewandt. Beispiel:

Alte graue Nachtigall, Wie du dich im Scherze nanntest, Ward dir heiser gar der Schall, Seit du dich gen Norden banntest? Einer, den du sonst wohl kanntest, Lauschte gierig überall, Ob du nie dein Saitenspiel mehr spanntest? (Rückert, An Trinius.)

7. a b a b a a b. Diese

Nr. 29)

von

Gottfried

von

angewandte Strophe

Nifen

(v.

d.

Hagens

Minnesinger

I.

55.

hat Paul Heyse in seinem mit Geibel heraus -

gegebenen spanischen Liederbuch wieder zur Geltung gebracht. dieser Strophe sein „Welt- und Lehrgebäude" gedichtet. Beispiel aus Heys es spanischem Liederbuch:

Nun bin ich dein, Du aller Blumen Blume, Und sing' allein All' Stund zu deinem Ruhme; Will eifrig sein, Mich dir zu weih'n Und deinem Duldertume.

Rückert hat in

672 8. a b a b c c a. (Rückerts Kinderstrophe.) Diese

von Mörike

Mondaufgang)

(in

Die traurige Krönung) sowie von H. Lingg

(in

gut gebaute Strophe kam durch Rückerts „Kinderlied von den

grünen Sommervögeln" in alle Schullesebücher.

Wir bezeichnen sie als Rückerts

Kinderstrophe. Beispiel:

Es kamen grüne Vögelein Geflogen her vom Himmel, Und setzten sich im Sonnenschein In fröhlichem Gewimmel All an des Baumes Äste, Und saßen da so feste Als ob sie angewachsen sein.

(Rückert.)

9. a b a b a c d. Eine herrliche Strophe dieses Schemas hat Rückert in Frühlingsruf geschaffen. Er markiert den Abgesang durch trochäischen Rhythmus (Rhytbmuswechsel) und gefälligen Binnenreim in der ersten Zeile desselben.

Vgl. auch

Voß, Die stütze Melkerin. Beispiel:

Am Bienenhause liegt der Strahl Der Sonn' und weckt die Bienen; Zur Arbeit möchten sie in's Thal, Allein, was wehrt es ihnen?

Äch, das Thal noch kahl zumal

Liegt im winterlichen Bann, Ohne Blum' und Blüten. (3 gleichgebaute Strophen.) (Rückert, Frühlingsruf.)

lDie 5. Zeile dieser Strophe könnte wegen des Binnenreims gebrochen werden, wodurch jedoch die Strophe zur Achtzeile werden müßte.)

10. ababcdd. (Pinzgauer Strophe.) Diese

zuerst

von

Ulrich

von

Liechtenstein

angewandte

Strophe

(vgl.

v. d. Hagens Minnesinger II. 59. Nr. 54) hat große Popularität durch das Pinzgauerlied erhalten (s. Kretzschmers Volkslieder I. Nr. 135). Beispiel:

Die Pinzgauer wollten wallfahren gähn, Kyrie eleison! Dahin, wo Sankt Salvator that stahn, Kyrie eleison! Deshalben wär'n wir kommen, deshalben wär'n wir do, Juch, juchhe! Kyri, Kyrie! Gelobet sei die Krispel und die Salome. (Pinzgauerlied.)

11. a b a b c a b. Beispiele s. v. d. Hagens Minnesinger I. 37. Nr. 7 (Heim. v. Veldeke).

673

12. a b a b b h b. Beispiele s. v. d. Hagens Minnesinger I. 28. Nr. 5 (Otto v. Botenlanden); ferner I. 31. Nr. 12 (derselbe); I. 184. Nr. 21 lReinmar der Alte); endlich II. 37. Nr. 11 (Ulrich von Liechtenstein).

13. a b a b b a a. Beispiele s. v. d. Hagens Minnesinger I. 38. Nr. 15 (Heinr. v. Veldeke) und I. 72. Nr. 4 (Walther v. Klingen).

14. a b a b c a c. Beispiele s. v. d. Hagens Minnesinger I. 50. Nr. 19 (Gottfr. v. Nisen); I. 197. 54 (Reinmar der Alte); I. 300. 2 (Der von Sachsendorf); II. 132. 5. (Rost, Kirchherr zu Sarne); II. 390. 3 (Der Kanzler).

15. a b a b b c b. Beispiel s. v. d. Hagens Minnesinger I. 112. 2 (Christian v. Hamle).

16. ababbcc. Beispiel s. v. d. Hagens Minnesinger II. 58. 53 (Ulrich v. Liechtenstein).

17. a b a b a b b. Beispiel s. v. Schreiber).

d.

Hagens Minnesinger II.

151.

7 (Der

tugendhafte

D. Aufgesang a b c b. 1. a b c b d d b. (E. Albrechts Blumenstrophe.) Beispiel: Wenn eine Blume still verblüht, Die dich den Sommer lang gefreut, Was siehst du sie so traurig an? Sie hat zu blühen nicht bereut. Sie ließ in's Herz den Tag sich scheinen, Und zwang die Nacht sie auch zu weinen, Am Morgen war's in Duft verstreut. (Engelbert Albrecht.)

2. a b c b d d e. (Mosens Hoferstrophe.) Diese durch Mosens Volkslied berühmt gewordene Strophe hat Schiller in „Des Mädchens Klage" und Otto Roquette in „Weißt du auch" verwendet.

Beispiel:

Zu Mantua in Banden T)er treue Hofer war, In Mantua zum Tode Führt' ihn der Feinde Schar; Es blutete der Brüder Herz, Ganz Deutschland, ach! in Schmach und Schmerz, Mit ihm das Land Tirol. (Julius Mosen, Hofers Tod.) Beyer, Deutsche Poetik. I. 43

674 3. a b c b d e f. In vieler Strophe ist hat bekannte Volkslied Ermunterung zum Spinnen gedichtet. Beispiel: Spinn, spinn, meine liebe Tochter, Ich kauf dir ein Paar Schuh, Ach ja, meine liebe Mutter, Auch Schnallen dazu; Kann wahrlich nicht spinnen Bon wegen meinem Finger, Der thut mir so weh. (Volkslied. Vgl. Simrocks Volksb. VIII. 408.)

4. a b c b b d b. Beispiel:

leb han selchen tröst besunnen, Wunnen, sannen glich' ich si gestalt, Diu mir tuot min leit verswinden, Binden, swinden muot kan ir gewalt! Ja ist ir guete mer van tusendvalt, si kan friunde tröst bewisen, grisen, wisen machen vröuden halt. (Der Thüring, v. d. Hagens Minnes. II. 26. IV.)

5. a b c b d e d. (Mailiedstrophe.) Beispiel:

Wie schön blüht uns der Maien, Der Sommer fährt dahin! Mir ist ein seins Jungfräulein Gefallen in meinen Sinn. Oft sehen thut den Augen wohl, Wenn ich an sie gedenke, Mein Herz ist freudenvoll. (Mailied, s. Uhlands Volkslieder Nr. 58.)

6. a b c b d d d. (Bettelliedstrophe.) Beispiel:

Ich und mein junges Weib Können schön tanza, Sie mit dem Bettelsack, Ich mich dem Ranza. Schenkt mir mal bayrisch ein, Wollen mal lustig sein, Bayrisch, bayrisch, bayrisch muß's sein, (Bettellied, s. Büschings Volkslieder S. 61.)

E. Andere Schemata und unregelmäßig gegliederte sieben­ zeilige Strophen. 1. a a a a a a a. Diese eintönige Form finden wir bei Rudolf dem Schreiber (v. d. Hagens Minnesinger II. 264. Nr. 1) sowie bei Walther von der Vogelweide (ebend. I. 253. Nr. 64).

675 Beispiel:

Diu weit was gel, rot unde bla, grüne in dem walde und anderswa, Die kleinen vögele sungen da: nu schriet aber diu nebelkra; Hat sie iht ander färbe? ja: sie ist bleich worden und übergra: des rimpfet sich viel manik fra. (Walther v. d. Bogelweide.)

2.

a a a a a a x.

Beispiele

finden

sich

in

v.

d. Hagens

Minnesingern

I. 54.

Nr. 27

(Gottsr. v, Nifeu), sowie in Liliencrons Sammlung Nr. 21, endlich bei A. W. v.

Schlegel.

Beispiel:

Vieles hat sich umgestaltet, Manches Neu ist schon veraltet, Zwietracht hat sich mehr zerspaltet, Grausam bat die Zeit geschaltet, Doch die Lieb ist nicht erkaltet, So die Schwingen erst entfaltet, Als ich fene Lieder sang. (A. W. v. Schlegel.) 3. a a a a b b b. Tiefe

Strophe

(Oswald Marbachs Frühlingsstrophe.)

wandte

nach

Heinr. v. Veldeke

(v. d. Hagens Minne­

singer I. 37. Nr. 8. 2) Christian von Luppin (ebd. II. 20. 1) und Nithart (ebb. II. 123. 37), von Neuern wieder Oswald Marbach an, weshalb sie sei­

nen Namen tragen möge. Beispiel:

Der Lenz erwacht Mit Werdelust und Schöpfermacht, Und Wies' und Wald entgegenlacht In Farbenduft und Blütenpracht! Wach auf, auch du, o Menschenherz, Laß fahren allen Erdenschmerz Und richt' empor dich himmelwärts! (Osw. Marbachs Frühlingslied.)

4. a a a b c c b.

(Herweghs Rheinweinliedstrophe.)

Beispiele finden sich bei Goethe (Lebendiges Angedenken) und bei Herwegh. Beispiel:

Wo solch ein Feuer noch gedeiht, Und solch ein Wein noch Flammen speit, Da lassen wir in Ewigkeit Uns nimmermehr vertreiben. Stoßt an! Stoßt an! Der Rhein, Und wär's nur um den Wein, Der Rhein soll deutsch verbleiben. (Herwegh, Rheinweinlied.)

676

5. a b a a b c c. (Körners Lützowstrophe.) Beispiel: Was glänzt dort vom Walde im Sonnenschein? Hör's näher und näher brausen. Es zieht sich herunter in düsteren Reihn, Und gellende Hörner schallen darein, Und erfüllen die Seele mit Grausen. Und wenn ihr die schwarzen Gesellen fragt: Das ist Lützow's wilde verwegene Jagd. (Körner, Lützows wilde Jagd.)

6. a a b c c b b. Beispiel: Ihr nicht seid mir gestorben allein, Es ist gestorben der Freudenschein, Der mir die Welt umwoben, Es ist gestorben der blendende Tag. Der auf den Tiefen des Todes lag, Die Decke hat sich gehoben, Der Flitterglanz ist zerstoben. (Rückerts Kindertotenlieder S. 313.)

7. a a b c c a b. Beispiel:

Gestern sah ich noch gefangen Dich als goldnes Püppchen hangen, Schlummernd in dem engen Haus. Hat die Hülle sich gespaltet? " Sich der Schmetterling entfaltet? Froh und frei und unbefangen Tanzt er in die Flur hinaus. (Rückert, Ter Schmetterling.)

8. a b c b c a c. Beispiel: Was du mir bist, mein schönes Kind? Nach langer Mitternacht Der erste Maientag — Die erste Knospe, die erwacht Im Blütenhag -In blauen lauen Lüften lind Der erste Lerchenschlag.

(Hans Grasberger.)

9. a a b c c c b. Beispiel:

O Nacht! so lang und bange! — Horch, fegt mit Sturmesdrange Die Straßen jetzt der Wind? Nein — es beginnt zu tagen: Das Rollen ist's der Wagen, Die heim vom Feste tragen Manch blühendschönes Kind. (R. Hamerling, Rollende Räder.) Vgl. hierzu Das Spiegelbild von Annette v. Droste-Hülshosf.

677

10. a b b c d d c. jn dieser Strophe hat Monte das schöne Gedicht Die Tochter der Heide

geschrieben, ferner Arndt sein berühmtem „Gebet bei der Wehrhaftmachung eines deutschen Jünglinge". Beispiel:

Betet, Männer! — denn ein Jüngling kniet — Daß sein Herz, sein Eisen heilig werde! Küsse, Knabe, fröhlich diese Erde, Tenn sie ist der Freiheit heilges Land. Willst du seinen Namen hören? Glühe bei dem Klang der Ehren! Deutschland — heißt dein Vaterland. (Arndt, Gebet.)

11. a b a a b c b. (Goethes Heidenrösleinstrophe.) B erspiel:

Sah ein Knab' ein Röslein stehn, Röslein auf der Heiden; War so jung und morgenschön, Lies er schnell es nah zu sehn, Sah's mit vielen Freuoen. Röslein, Röslein, Röslein rot, Röslein auf der Heiden. (Goethe, ganz ähnlich dem alten Volksliede.)

12. a a b c c d e. (Goethes Veilchenstrophe.) Beispiel:

Ein Veilchen auf der Wiese stand Gebückt in sich und unbekannt, Es war ein herziges Veilchen. Da kam eine junge Schäferin Mit leichtem Schritt und munterm Sinn Daher, daher, Die Wiese her, und sang. (Goethes Veilchen.)

13. a b b c c d d. Beispiel: Heilger Tempel ist der Wald! Schlanke Thürm' im Abendstrahl Winken goldig in das Thal; Opferwohlgerüche wallen Aus der Thore Säulenhallen, Und der ernste Dämmerschein Ruft zur Andacht uns herein. (A. E. Fröhlich, der Wald.)

14. a b c b c a a. Beispiel:

Ja, Ich Ich Ich

du bist mein! will's dem blauen Himmel sagen will's der dunkeln Nacht vertraun, will's als frohe Botschaft tragen

678 Auf Bergeshöhn, durch Heid und Ann. Die ganze Welt soll Zeuge sein: Ja, du bist mein und ewig mein! (Hoffmann v. F. „Ida.")

15. a b c c b d d. (Scherenbergs Fischerstrophe.) Beispiel:

Abend zieht gemach heran, Dunkel wird es in der Höh, Aus den Wellen leis und linde Wehn die stillen Abendwinde, Wehts herüber von der See; Fischer komm! Fischer komm! Der See ist fromm. (Scherenberg, Fischerlied.)

16. a a b a a c b. In dieser Strophe ist M* preußische Nationallied Heil dir im Siegerkranz gedichtet.

Beispiel: Heil dir im Siegerkranz, Vater des Vaterlands, Heil, König, dir! Fühl' in des Ruhmes Glanz Die hohe Wonne ganz, Liebling des Volks zu sein, Heil, König, dir. (Vgl. Menzel, Ges. d. Völker S. 94.)

I i. a a b a b a a. In diesem Schema ist das altdeutsche Studentenlied „In dulci jubilo“ gedichtet, welches wir § 149 mitgeteilt haben. der Völker S. 654.)

(Vgl. auch Mensel, Gesänge

18. a b b b c c d. In dieser Strophe ist das in der Pfalz vielgesungene Lied „Ein Schneider

seine Himmelfahrt" gedichtet. Beispiel:

Es war emol e Schneider, Der Schneider war so dick, So dick, so dick — schier fingersdick, Des war der Schneider Zickzickzick; Un gleich nach Disch gewoge Hot'r dreizeh Loth gezoge Uf Apothekersg'wicht.

(Nadler.)

19. a b a c d d e. (Luthers Psalmenstrophe.) Diese schöne, dreiteilige Strophe finden wir in Luthers geistlichen Liedern

von G. König S. 8.

Sie ist die Form eine* altdeutschen,

Psalm gedichteten Liedes, welches Luther übersetzte.

nach dem 130.

Beispiel: Aus tiefer Not schrei ich zu Dir, Herr Gott, erhör mein Rufen! Dein gnädig Ohren kehr zu mir Und meiner Bitt' sie öffne. Denn so du wilt das sehen an, Wie manche Sund ich hab gethan. Wer kann, Herr, für dir bleiben?

20. abebdd b. Beispiel:

Generalbeichte von Goethe.

21. a a b c c b b. Beispiel:

Mcm'chall Neu von Ructert.

22. abhaa c c. Beispiele:

Rückerts Wiegenlied und 3 Stropben von (Zrsle und lebte

Liebe.

23. a a a b b b a. Beispiel:

Ptaten: Löst mir in Eile.

24. x x x x x x x. (5in Beispiel dieser reimlosen Strophe findet sich in v. d. Hagens Minne­

singern Bd. I. S. 44. Nr. 7.

(Gottfried von Nifen.)

§ 205. Die achtteilige Strophe. Die achtzeilige Strophe ist durch Brechung der Langzeilen aus der vierzeiligen entstanden. Ihr Grundtypus ist die Hildebrandstrophe (xbxbxcxc oder a b a b c d c d). Sie hat ihre volle Berech­ tigung, wo die Zeilen durch Inhalt, Reim, Rhythmus oder durch irgend ein strophisches Charakteristikum eng verbunden sind. Leider bieten namentlich unsere reimenden Dilettanten unzählige solcher sog. achtzeiliger Strophen, bei welchen sich die beiden Hälften durchaus entsprechen, indem der Sinn in der Mitte völlig abschließt, somit Reim und Reimgeschlecht korrespondierend sich wiederholen, und das Zerfallen in zwei vierzeilige Strophen durch Nichts verhindert wird. In diesen Fällen wäre lediglich die Schreibung in vierzeilige Strophen am Platze. (Vgl. 153.) Beispielshalber bemerkt auch der Uneingeweihte beim Fischerlied von Goethe auf den ersten Blick zwei vierzeilige Strophen:

Das Wasser rauscht', das Wasser schivoll, Ein Fischer saß daran, Sah nach dem Angel ruhevoll. Kühl bis an's Herz hinan.

680

Und wie er sitzt, und wie er lauscht, Teilt sich die Flut empor, Aus dem bewegten Wasser rauscht Ein feuchtes Weib hervor.

In

gleicher

Weise

wie

beim

vorstehenden

Beispiele

zerfällt

dem

Ohre

die nacbfolgende Strophe von Rückert in 2 ebenbürtige 4zeilige Strophen, da

sich Vordersätze und Nachsätze, Reim und Reimgeschlecht rc. vollständig decken und noch dazu eine syntaktische Pause den Schluß der 4. Zeile markiert:

Glücklich ist der Hochgeborne Von der Wiege bis zum Grab; Deun er bleibt der Auserkorne, Wie er sich auch läßt herab. Öffnet er des Mundes Pforte Ist gewichtig jeder Hauch; Denn es steigt der Wert der Worte Mit des Mannes Würden auch.

Mustergültig sind dagegen Strophen wie die folgende von Rückert, bei welcher

Reimverschlingung, Schlußzeilenverkürzung und Rhythmusänderung rc. das Strophen­

ende markieren und die Strophe als gelungenes Teilganze erscheinen lassen: Steh fest, wenn schwindelnd alle drehn,

Laß ihre Lust sie büßen! Und wenn sie auf deu Köpfen gehn, So geh auf deinen Füßen. Da wo sie graue Geister sehn Und Heil vom bittern Tod erflehn,

Sollen dich hell die süßen

Engel des Lebens grüßen. Die Formen der Szeiligen Strophe sind sehr mannigfaltig.

Es sind zu­

nächst die 15 Formen der vierzeiligen Strophe in ihrer Verdoppelung möglich. Sodann können die 15 Formen der 2. Hälfte an jede der 15 Formen der ersten Hälfte der vierzeiligen Strophe angesetzt werden, wodurch sich 15 X 15 — 225 Kombinationen ergeben. Dazu kommt die große Zahl von Formen, welche sich ergiebt, wenn man die Kombinationen stufenweise mit Ix, sodann

mit 2, 3, 4, 5, 6 x durchsetzt. Nur der geringste Teil dieser möglichen Schemata der 8zeiligen Strophe wurde von unseren Dichtern verwertet. Formen der achtzeiligen Atrophe.

1. a b a b c d c d. (Hildebraudstrophe.) Wir haben

handelt

diese Strophe

der Gegenwart darthun handlung in

stumpfen

bereits

in

H 193 k

S. 613 d. B. abge­

und wollen hier nur noch deren Häufigkeit und Anwendung auch in

oder

sowie durch Beispiele deren freie Gestaltung und Be­

Hinsicht auf Zeilenlänge

und

klingenden Reimen beweisen,

willkürliche Aufeinanderfolge

von

wobei wir auch einige charakteri-

681 stische oder bekannte Formen erwähnen, sür welche dieses Schema die nackweisbare Grundlage bildet. Bgl. das auf S. 613 d. B. Gesagte. Dieses Strophen - Schema wurde in der Neuzeit sehr häufig verwendet. Unser mühsam hergestelltes Verzeichnis sämtlicher achtzeiliger Gedichte aller be­ kannten Dichter mag beweisen, das; über 9/io aller vorhandenen acktzeiligen Gedichte (90 °/o) in demselben gedichtet sind. Mjt Vorliebe haben es gebraucht: Markgraf Heinr. v. Wizen (Minne­ singer v. d. Hagens I. 13. 4), Heinr. v. Veldeke (ebenda I. 35. 2 und 39. 24), Dietmar von Ast (ebd. I. 99. 6), Reinmar der Alte (ebd. I. 174. 1 und I. 194. 44), Burkhard von Hohenfels (ebd. I. 208. 15), Wachsmuth von Hünzingen (ebd. I. 303. 3), Reinmar von Brennenbert (ebd. I. 335. 1), Ehristian von Luppin (ebd. II. 20. 3), von Trostberg (ebd. II. 71. 1) Brunnwart von Augheim (ebd. II. 76. 4), Nithart (ebd. II. 106. 9), Ulrich von Liechtenstein (ebd. II. 33. 4). Von bekannt gebliebenen Gedichten und Volksliedern dieses Strophenickemas nennen wir außerdem: Spees Trutznachtigall vom Jahre 1634, Paul Gerhards berühmte Lieder: Befiehl du deine Wege, O Haupt voll Blut und Wunden, ferner das Volks­ lied: Guter Mond, du gehst so stille (siehe Walter, Volkslieder Nr. 18), Schreiber (in Uhlands Volksl. 263), sowie: Herzlich thut mich erfreuen (ebd. Nr. 57); Die heilige Dorothea (Wunderhorn II. 325); Follens Birnbaum auf dem Walserseld, Salis: Der Wunsch, und dessen Frühlingslied; Arndts Vaterlandslied (Der Gott, der Eisen wachsen ließ) rc.; das belgische National lied von Jenneval (Mit Sklavenketten uns zu binden), das berühmte von Freiligrath übersetzte schottische Schlachtlied (Donuil Dhu's Kriegsgesang); Höltys Mailied; Körners Reiterlied (Frisch auf, frisch auf), sowie dessen Treuer Tod, Hankes Iagdlied, die von Rubens übersetzten Lieder Berangers (Die Neger, Die rote Lene, Mein Rock :c.), Eichendorffs Wanderlied Frische Fahrt, und dessen Sehnsucht; Uhlands (neben dem in S. 613 d. B. erwähnten Schenk von Lim­ burg) Am 18. Oktober, Die verlorene Kirche, Maientau, Die sanften Tage, Der Mohn, Im ständischen Kampfe rc.; Freiligraths Irland, Ruhe in der Ge­ liebten rc.; Reinicks Sommernacht; A. W. Schlegels Abendlied; Hölderlins Gott der Jugend; Novalis Geistl. Lieder; Fouquvs Trost; Chamissos Die alte Wasch­ frau; Schenkendorf, Frühlingsgruß an das Vaterland; Prut; Kurze Rast, Atlantis, Vergessen, Herr Frühling, Trost der Nacht, Die tote Braut rc.; Kinkels Abend­ stille, An die Auswanderer, An seinen Schwiegervater; Ölbermanns Gesunken; Linggs Mondaufgang, Dodona; Roquettes Die alte Linde, Nachts, Unruhe, Wandergruß, Abendglocken; Heinr. Frauenlob; Schwabs An die Geliebte; Dingelstedts Wiedersehen, Meiner Mutter; Strodtmanns Tote Liebe, Eredo; Herweghs Der Gang um Mitternacht; Hebbels An eine Unbekannte, Im tiefsten Schmerz, Leben; Jul. v. Rodenbergs Der betrübte Jurist, Die Arbeitern!, Marie vom Oberlande, Wenn eine Rose fällt; Wolfg. Müllers Johann von Schwaben, Meister Tancho, Auf Markt und Gassen; Annette von Droste-Hülshofss Der Geierpfiff, Tie junge Mutter, Die beschränkte Frau; Leop. Schefers

682 Abschied von Griechenland; Simvocfy Der versenkte Hort; Plönnies Das Grab des Evangelisten, Ter sterbende Schiffer; Gruppes Der Papagei; I. G. Seidls

Verheimlichung; Sprache;

Blick

I.

vom Kreml,

Strachwitz' sich

Ad.

G.

lau

Stöbers

Fischers

An

Lied

Lüfte

und

Zukunft;

Tscherkessische Totenklage;

An Platens Schatten;

die

Dichter

der

füllen,

Leser,

Preis

Bodenstedts

der

deutschen

Maigrus;,

Ein

Aler. Kaufmanns Der Freund;

Goethes Willkommen und Abschied, Wenn

Der Fischer rc.;

Gärtners Nun gebt mir meinen

Wanderstab; Geroks Palmen und Eichen, Der öde Garten; R. Hamerlings Erinnerung rc.; Julius Hammers Vertraue dich dem Licht der Sterne; Wilh. Hertz' Liedesgrus;; Hans Hopfens Wenn du verraten; Ed. Kauffers Nettung der Erde; Heinr. Leutholds An der Riviera; Osw. Marbachs Waldeinsamkeit;

Gllst. Mauritius Geburtstag rc.; Herm. Oelschlägers So sei denn glücklich ohne mich; Luise Otto-Peters' Ach stolzer Zweifler; Emil Rittershaus' Am Strom in der Sommernacht, und Frauengröße; Georg Scherers Antwort; Alb. Tragers Mutterlos; Mar Waldaus Verratene Liebe; Theod. Winklers Vergeben und

Vergessen; Geibels Bildhauer des Hadrian und 35 andere mehr oder weniger­ bekannt gewordene Dichtungen; Alexis Aars Sirenenlied; Ad. Bubes Wilde Jagd; Ernst Ecksteins Die Verlassene; Helene v. Engelhardts Nock jung; Rud. Fastenraths Wenn kalt ein Herz sich von dir wendet; K. E. Franzos' Anna; Paul Heyses Lied von Sorrent; Fritz Hofmanns Karl Bartb, und Pius VII:, Emil Kuhs Der Lenz geht um; Cäsar von Lengerkes Der frühe Mond; Friedr. Rückerts Die sterbende Blume; Anton Schlossars Mein Himmel;

Aug. Silbersteins Ich nehm es leicht; D. F. Strauß An Rapp 2c. Einige Beispiele origineller Strophenformen des obigen

S ch e m a s: a.

Der Ritter muß zum blut'gen Kampf hinaus, Für Freiheit, Ruhm und Vaterland zu streiten, Da zieht er noch vor seines Liebchens Haus: Nicht ohne Abschied will er von ihr scheiden. „O weine nicht die Äuglein rot, „Als ob nicht Trost und Hoffnung bliebe! „Bleib' ich doch treu bis in den Tod „Dem Vaterland und meiner Liebe." (Körner, Treuer Tod.)

b. An rost'ger Kette liegt das Boot; Das Segel träumt, das Ruder lungert. Das macht, der Fischerbub ist tot; Das macht, der Fischer ist verhungert! Denn Irlands Fisch ist Herrenfisch: Der Strandherr praßt vom reichen Fange, Leer aber bleibt des Fängers Tisch — So starb der Fischer, so sein Range. (Freiligrath, Irland. Ges. Dichtungen III. 147.) c. Es schleicht ein zehrend Feuer Durch mein Gebein; Mein Schatt' ist mir nicht treuer, Wie diese Pein.

683 Ich höre die Stunden ziehen Trüben Gesichts; Sie kommen, weilen, fliehen — Und ändern nichts.

(Geibels „Meiden".)

d. Der König Karl zum letzten Mal Hält Heerfahrt gegen die Heiden; Schön Hildegard, sein Ehgemahl, Weint bitterlich beim Scheiden. Noch in der Sonne ferne Hell blitzen Helm und Wehr; So gerne, ach jo gerne Zöge sie mit dem Heer. (Bodenstedts Hildegard. Ges. Schriften X. 194.)

2. a b a b a b a b. (Sicilianenform.) Vgl.

§ 170

S. 556

d.

B.

sowie

die

österr.

Nationalhymne

(Gott

erhalte Franz, den Kaiser).

3. a b a b c c a b. (Geibels Abschiedsstrophe.) Diese Strophe finden wir bei Rud. der Schreiber (von der Hagens Minnersinger II. 265), sowie bei Fr. Rückert (Warum sich zwei erwählen. Gesang der h. drei Könige, Kosaken-Wintcrlied, Lied, und Noch eine Einladung); ferner bei Otto Roquette (Unruhe); Annette von Droste-Hülshoff (Der Knabe

im Moor), deren Lied die Veranlassung zum Gedicht Arthur Fitgers „Singend über die Heide" wurde; vor Allem aber bei Geibel, dessen zartes Gedicht Wenn sich zwei Herzen scheiden eine ganze Litteratur hervorrief. Ich glaube den Nachweis liefern zu können, daß dasselbe die Anregung gab zu Prutz'

Abends, zu M. Solitaires Reflere der Schwermut, zu Michel Verende- O wenn dir Gott ein Lieb geschenkt rc., die sämtlich den ähnlichen Charakter, das gleiche

Schema,

das

nämliche

strophische

gewandte Refrainform tragen.

Charakteristikum

und die

von Geibel

an­

Die im Mittelalter verbotene Tönenachahmung

ist in unserer Litteratur mit Recht gestattet.

Beispiele: 1. Schule Geibels. a. Wenn sich zwei Herzen scheiden, Die sich dereinst geliebt, Das ist ein großes Leiden, Wie's größres nimmer giebt. Es klingt das Wort so traurig gar: Fahrwohl, fahrwohl auf immerdar, Wenn sich zwei Herzen scheiden, Die sich dereinst geliebt.

(Geibel.)

b. Daß solch ein brennend Leiden Ein Herz ertragen kann, Ohn' daß alsbald sein Scheiden Vom Leben es gewann: Erschien mir's doch bis diese Zeit Unmöglichste Unmöglichkeit, Daß solch ein brennend Leiden Ein Herz ertragen kann. (M. Solitaire, Reflexe der Schwermut. Abgedr. in Hausbuch aus deutschen Dichtern seit Claudius, 1872, von Th. Storm.)

684_ c. O wenn dir Gott ein Lieb geschenkt, Behalt' es treu im Herzen, Und was dich drückt und was dich trankt, Mit ihr kannst du's verschmerzen; Es schwindet jedes Leid der Welt, Wenn Liebchens Thräne darauf fällt — Drum, wenn dir Gott ein Lieb geschenkt, Behalt' es treu im Herzen. (Michel Verend.)

d. In dies er Stunde denkt sie mein, Ich weiß, in dieser Stunde! Die Vögel schlafen groß und klein, Es schlafen die Blumen im Grunde. An blauem Himmel hell und klar Stehn tausend Sterne wunderbar; S i e s ch a u t hinauf und denket mein, Ich weiß, in dieser Stunde. (Robert Prutz.) e. O schaurig ist's, übers Moor zu gehn, Wenn es wimmelt vom Heideranche, Sich wie Phantome die Dünste drehn Und die Ranke häkelt am Strauche, Unter jedem Tritte ein Quellchen springt, Wenn aus der Spalte es zischt und singt, O schaurig ist's über's Moor zu gehn, Wenn das Röhricht knistert im Hauche! (Annette von Droste-Hülshoff, Heidebilder.)

2. Leitenstück zum Gedicht der Annette von Droste-Hülshoff.

Singend über die Heide Steigen Lerchen empor, Goldige Knospen der Weide Dringen am Ufer hervor, Und der Himmel so wunderblau! Allüberall hellsonnige Schau! Ich und mein Lieb, wir beide Wandeln durch sprießendes Rohr.

(Arthur Fitger.)

4. ababbccc. Beispiel: Rückerts Vogelschießen.

5. ababcccb. Wir finden diese Strophe schon bei Gottfr. von Nisen (v. d. Hagens Minnes. I. 55. Nr. 28) und bei Graf Rud. von Neuenburg (ebb. I. 18. Nr. 2).

Ein Beispiel (Züricher Krieg) findet sich auch in Liliencrons Samm­

lung Nr. 80.

In neuester Zeit hat sie Rückert in Prophezeiung, des Kauf­

fahrers Heimkehr sowie im Schi-King S. 218, Goethe im Trinklied, und Geibel

im nachfolgenden Lied angewandt;

Ich habe wohl in jungen Tagen Mich stark in mir geglaubt und fest, Und keck der Sorgen mich entschlagen. Sah ich den Vogel bau'n sein Nest.

685 Doch kommt die Zeit, wo auch den Sänger Die Sehnsucht fasset bang und bänger, Und wo das müde Herz nicht länger Sich um sein Recht betrügen läßt. (3 Strophen.)

6. ababcccd. Beispiele finden sich bei Gottfr. von Nifen (Hagens Minnes. 1. 43. Nr. 5) und Heinrich von Morungen (ebd. I. 129. Nr. 30). Silchers Volks Melodien S. 6 enthalten das Beispiel: Im Mondschein, — mit jambisch-anapästi schem Rhythmus.

7. ababcccc. Beispiel: Rückerts Lenzgebrauch.

Auch in Liliencrons Sammlung findet

sich dieses Schema Nr. 499.

8. a b a b c c d d. (Geroks Heimstrophe.) Diese gefällige Form, welcher wir schon bei Reinmar dem Alten begegnen, und welche auch in der Neuzeit von bedeutenden Dichtern gepflegt wurde, finden wir sonst noch bei Otto v. Botenlauben (Hagens Minnes. I. 28. 4),

Markgraf v. Hohenburg (ebd. I. 33. 4), Heinr. v. Veldeke (ebd. I. 40. 26), Gottfr. v. Nifen (ebd. I. 62. 49), Dietmar v. Ast (ebd. I. 100. 7), Heinr. v. Stretlingen (ebd. I. 111. 3), Christian v. Hamle (ebd. 113. 5), Heinr. v. Morungen (ebd. I. 127. 22), Ulr. v. Wintersteten (ebd. I. 157. 20), Reinmar der Alte (ebd. 174. 1, 179. 11, 181. 14, 187. 28, 191, 37, 193, 11), Burkhard v. Hohenfels (ebd. I. 203. 5), Burggraf v. Rietenburg (I. 218. 1), Walther v. d. Vogelweide (ebd. I. 245. 45, 251. 61), v. Singenberg (I. 297. 25), Rubin (ebd. I. 311. 1), Hartmann v. Aue (ebd. I. 331. 9) und Rud. der

Schreiber (ebd. II. 265). In Liliencrons Sammlung steht ein freundlichem Beispiel Nr. 278, ebenso in den Gesellschaftsl. Hoffmanns v. Fallersleben (351).

Von Volksliedern sind zu erwähnen: Schön Dännerl, O wie geht's im Him­

mel zu, Ich bin ein Preuße von Thiersch, und Was Gott thut, das ist wohl­ gethan von Rodegast. Weitere gute Beispiele sind: Arndts In Frankreich hinein, Schillers Gang nach dem Eisenhammer, Uhlands Harfnerlied, Platens Katzen -

natur,

Goethes Neue Liebe neues Leben, und Wirkung in die Ferne,

thissons Elegie,

Mat-

Arnims Ermunterung, Schenkendorfs Lied vom Rhein, Joh.

Falks Altes Schifferlied, Helene v. Engelhardts Sturm-Hymnus, Karl Geroks Ich möchte heim, Aug. Schnezlers Verlassene Mühle, Körners Harras der kühne

Springer,

Bürgers

Ritter Karl

von Eichenhorst,

sowie

seine Lenore,

Rückerts Amor der Besenbinder, Bethlehem und Golgatha, Die Zwei und der Dritte, Karl Gärtners Frühling, Alb. Mösers Frühling, Morin Des Dichters Weib, Willatzens Der Wandersmann, Moritz Zilles Die Dichtung, König Lud­ wig von Bayerns Nachtklage, A. Knapps Die Mutter am Sarge, Spittas Ruhe in Gott, Rud. Mengers Der Königin Kürassiere, Geibels Volkers Nacht gesang. Im Hinblick auf Geroks weitbekanntes, zum Kirchenlied gewordenes (nach Hebr. 13. 14 gedichtetes) Lied „Ich möchte heim" nennen wir diese

Strophe Geroks Heim-Strophe.

686 Beispiele:

Ich möchte heim; mich ziehts dem Baterhause, Dem Vaterherzen zu; Fort aus der Welt verworrenem Gebrause Zur füllen, tiefen Ruh; Mit tausend Wünschen bin ich ausgegangen, Heim kehr' ich mit bescheidenem Verlangen, Noch hegt mein Herz nur einer Hoffnung Keim: Ich möchte heim. (Karl Gerok.) Ich hab ein Weib und dieses Weib, Das halt' ich hoch in Ehren, Und was ich dichte, was ich schreib', Soll nur ihr Lob vermehren. -Kaum steigt der frühe Tag herauf, Weckt mich der Gottgedanke auf: Mich liebt ein Weib, mich lieben die Camönen, Ich hör' ein Lied durch meine Seele tönen. — (George Morin.) Die lichten Sterne funkeln Hernieder kalt und stumm; Von Waffen klirrt's im Dunkeln, Der Tod schleicht draußen um. Schweb' hoch hinauf, mein Geigenklang! Durchbrich die Nacht mit klarem Sang! Du weißt den Spuk von dannen Zu bannen.

(Geibel.)

9. ababccbb. Beispiel:

Was singt ihr und sagt ihr mir, Vögelein, Von Liebe? Was klingt ihr und klagt ihr in's Herz mir hinein Von Liebe? Ihr habt mir gesagt und gesungen genug, Ich hab' euch gehört und verstanden genug Bon Liebe, Bon Liebe, von Liebe.

(Rückert.)

Vgl. hiezu Ehamisso: Ein französisches Lied mit b-Refrain.

10. a b a b b a b a. Beispiel:

O wie matt Ist dein Glanz, Jedes Blatt Welk am Kranz. Welk am Kranz Jedes Blatt, Und dein Glanz O wie matt!

(Rückert.)

687

11. a b a b a b c c. Schema der Oktave.

Vgl. § 169.

3.

550 d. B.

12. ababbaab. Beispiele: Hemrick von Mornngen (Hagenc- Minnes. I. 124. Nr. 13; ferner 126. Nr. 18; endlich 130. Nr. 32).

13. a b a b c d e d. Diese vom Nürnberger Volksdichter Konrad Grübel im bekannten Ge­ dickt Bauer und Doktor (Inhalt: In Ermanglung von Tinte und Bleistift sckreibt der Arzt das Recept mit Kreide auf eine Thüre) angewandte Strophe

bat Geibel in Scheiden, Leiden, sowie in seinen volksmäßigen Liedern eines fahrenden Schülers (Nr. 2) und in Herbstnacht gebraucht. Beispiel: Es fliegt manch Vöglein in das Nest, Und fliegt auch wieder heraus; Und bist du 'mal mein Schatz gewest, So ist die Liebschaft aus. Du hast tnich schlimm betrogen Um schnöden Geldgewinn — Viel Glück, viel Glück zum reichen Mann! Geh' du nur immer hin!

(Geibel.)

14. ababccdc. ist die Strophe, in welcher Das dumme Brüderlein gedichtet ist, und

in

welcker

auch Geibel Nr.

1

seiner Lieder eines fahrenden Schülers schrieb.

Beispiele: Geibels vorgenanntes

Gedicht, ferner Schenkel,

Volkslieder

II. 675.

15. a b a b c d d c. (Gottschalls Liebesklängestrophe.) Diese von vielen Minnesingern und namentlich von Walther von der Vogelweide gebrauchte Form (vgl. Hagens Minnes. I. 11. 36. 46. 65. 124.

127. 212. 245. 249. 251. II. 33. 72. 143. 151. 365, sowie das von Simrock ins Neuhockd. übertragene Minnelied Walthers, ferner Tiuschiu zuht von demselben — Simrock, 2. Ausl. Leipz. 1853, S. 31), ferner Langbeins

„Ich und mein Fläschchen" rc. finden wir in der Neuzeit bei Annette von Droste-Hülfshoff (Das öde Haus, sowie Meister Gerhard von Cöln), ferner bei Uhland (An den Tod), bei Goethe (Paria, und Wanderers Nachtlied), bei Gottfr. Keller (Denker als Dichter), endlich in strophisch schöner Weise bei

Gottsckall,

weshalb wir ihr den Namen Gottschalls Liebesklängestrophe geben. Wie Die Und Mir

rührt mich diese Liebesfülle, kaum geahnt sich mir erschließt eines Himmels sel'ge Stille in die tiefste Seele gießt.

688 Dann möcht' ich wieder vor Entzücken Aufjauchzen laut in wilder Lust, Und ewig dich an meine Brust, Wie jetzt' in heißer Glut, in heißer Liebe drücken. (Rud. von Gottschall)

16. ababbabb. Beispiel-. Herzog von Anhalt (Hagens Minnes. I.

14.

1).

17. ababbbcc. Beispiele: Der Winsbecke (Hagens Minnes. I. 364. 1) und diu Wiusbeckin (ebd. I. 373. 1).

18. abababbb. Beispiel: Heinrich von Morungen (Hagens Minnes. I.

19. ababacac.

125.

16).

(Simon Dachs Treuestrvphe.)

BeisPiel:

Der Mensch hat nichts so eigen, So wohl steht nichts ihm an, Als daß er Treu' erzeigen Unt) Freundschaft halten kann; Wenn er mit seines Gleichen Soll treten in ein Band, Verspricht sich, nicht zu weichen, Mit Herzen^ Mund und Hand. (S. Dach, Mannestreue.) (Die 2., 3., 4. und 5. Strophe dieses Gedichts sind nach dem Schema

der Hildebrandstrophe S. 680 d. B. gebildet.) Vgl. hierzu noch Voß IV. S. 167 : Lang' unter Friedrichs Adlerschwingen :c.

20. ababcdce. Beispiel:

(Nankee-Doodle-Strophe.)

Hankee doodle, Zauberklang, Amerikaner Freude, Es paßt zur Pfeife Spiel und Sang Und eben recht zum Streite. Dankee doodle, Buben 'ran! Platz zur Seite, her zur Mitte, Uankee doodle, drauf und dran Trommelt, blast und fiedelt! (Amerik. Nationallied. Vgl. Menzel, Gesänge der Völker S. 73.)

21. ababcdef. Beispiel; Husarenlied in Des Knaben Wunderhorn I. 43.

22. ababcdde. Beispiel: Die von Gries übersetzte Barcarole (Menzel, Ges. d. Völker

334).

Bei Rückert (Ges. Ausg. V. 40 Fn der Gondel :c.) findet sich eine

689 Nachbildung

mit dem Schema abbcdedc.

In diesem Schema dichtete

Walther von der Vogelweide mit Vorliebe. Einige Beispiele desselben finden sich in Liliencrons'Sammlung (Nr. 554 u. 448).

25. abbaabab.

(Rückerts Erntelied st rophe.)

Beispiel: Windet § um Kranze die goldenen Ähren, Flechtet auch Blumen, die blauen, hinein. Blumen allein Können nicht nähren; Aber wo Ähren die Nahrung gewähren, Freuet der süße, der blumige Schein. Windet zum Kranze die goldenen Ähren, Flechtet auch Blumen, die blauen, hinein. (Rückerts Erntelied.) Vgl. noch Rückerts Kindertotenl. S. 8.

26. abbaabba. Wie im Schema 10 der achtzeiligen Strophen, so hat Rückert auch im vorstehenden Schema die spielende Wiederholung der vier ersten Zeilen jeder Strophe in umgekehrter Folge ausgeführt. (Wir finden eine ähnliche Spielerei schon bei Walther von der Vogelweide.

Vgl. Hagens Minnes. I. 227.)

Beispiel:

Jugend, Rausch und Liebe sind Gleich drei schönen Frühlingstagen, Statt um ihre Flucht zu klagen, Herz, genieße sie geschwind! Herz, genieße sie geschwind, Statt um ihre Flucht zu klagen! Gleich drei schönen Frühlingstagen Jugend, Rausch iitib Liebe sind.

(Rückert.)

27. abbacddc. Diese von Walther von Metz gebrauchte Form (Hagens Minnes. I. 310. Nr. 9) ist in dem bekannten Lied „Warum sollt ich mich denn grämen"

Paul Gerhard angewandt.

von

Ebenso gebaut sind die drei Strophen des Goetheschen

Gedichts: An Luna.

28. abbacca a. Beispiel: Ost, oder West; Nur nicht des Zweifels Schwanken, Tritt mutig in des Kampfgetümmels Schranken, Im Sturm steh', wie ein Meerfels, fest. Mag eine Welt im bleichen Zorne grollen, Vollführen mußt du auch das kühnste Wollen; Ost, oder West, Schmach jedem Feigen, der sich selbst verläßt! (H. Simons „Ost, oder West".) 44 Beyer, Deutsche Poetik. I.

690

29. abbacdcd. Eichendorff hat in diesem Schema seinen Weckrus

S. 353) gedichtet.

Wir finden diese Strophe sonst nur noch bei Weckherlin im deutschen Soldaten­

lied und in Uhlands Mailied.

30. abbccada. (Rückerts Trommelstrophe.) Beispiel:

„Das rüst so laut"

von Fr. Nucken.

31. a b b c d e e c. In dieser Strophe finden wir „Neurömische^ Ständchen" (in Agrumi von Kopisch S. 13), ferner Barcarole (in Agrmmi von Kopisch S. 261),

Goethes Zum neuen

Jahr, endlich Platens Der alte Gondelier.

(I.

151.)

32. a b b c d d e c. Beispiel: Die junge Römerin (s. Agrumi v. topisch, L. 91).

33. aabbcded. (Viktor Blüthgens Kinderliederstrophe.) Beispiel:

Gemäht sind die Felder, der Stoppelwind weht; Hoch droben in Lüften mein Drache nun steht, Die Rippen von Holze, der Leib von Papier, Zwei Ohren, ein Schwänzlein sind all seine Zier; Und ich denk': so drauf liegen Im sonnigen Strahl, Acff, wer doch das könnte Nur ein einziges Mal! (Viktor Blüthgen, Kinderlieber.)

34. aabccbdd. Wir finden diese Strophe bei Dietmar von Ast (Hagens Minnes. 1. 101),

bei Walther von der Vogelweide (ebb. I. 225), ferner bei Simon Dach (Ich bin ja, Herr, in deiner Macht), bei Jos. Rist (O Ewigkeit, o Donnerwort) nnb bei Georg Scheurlin (Frühlingsahnung).

35. a a b c d d b c. Beispiel: Rückerts „Frühling Liebster" Ges. A. II. 280. 5).

(„So schön und unbeständig"

36. a a b b c c d d. (Wickenburg-Almasy-Strophe.) Beispiele finden sich bei Nithart (Hagens Minnes. II. 115. Nr. 18), in Hoffmann v. Fallersl. Gesellschaftsliedern (164), bei Rückert (So wahr die Sonne scheinet; ferner: Mein Lieben blicket an das Lied rc. und Schi-King 323), bei Wilh. Müller (Die Buße des Weintrinkers, Der Nachtwächter, Geselligkeit, Die Forelle), bei Reinick (Kuriose Geschichte und Des alten Wanderers Rat), bei Holtet (Der Schäferknecht), bei Mörike (Um Mitternacht), bei Goethe (Im

691 Sommer

(Wir

I.

liebten

64

und

uns),

Der

Rattenfänger

bei Oskar

Welten

I.

160),

bei

(Dithyrambe),

Karl

Emil Franzos

sowie bei

der

Gräfin

Wickenburg-Almasy, deren Namen diese Strophenform tragen möge. Beispiel:

Was willst du nur, du zarte Blumenleiche, Tu stille, bleiche? Hier zwischen dieses Buchs vergilbten Blättern Vor Wind und Wettern Lagst du geschützt und in Verborgenheit Wohl lange Zeit? Wohin willst du, zu stillem Rückgedenken, Ten Sinn mir lenken? (Wilhelmine Gräfin Wicken bürg-Almüsy.)

Ähnlich ist das Strophenschema im kauft Liebesgötter? (a a b b c c d e.)

bekannten

Gedichte Goethes:

Wer­

37. aabbcdc d. Diese Strophe findet sich bei Traxler-Manfred (Sibyllinische Blätter), Gottsr. Keller (Ein Tagwerk) und bei Fr. Rückert in dem strophisch schönen

Gedicht: An die Sterne. B eisp iel: Sterne, In des Himmels Ferne! Die mit Strahlen bessrer Welt Ihr die Erdendämmrung hellt; Schaun nicht Geisteraugen Bon euch erdenwärts, Daß sie Frieden hauchen Jn's umwölkte Herz?

(Fr. Rückert.)

38. aababacc. Beispiel: Wieland Tas Wunderhorn.

39. aabcddb d. Beispiel: Die erste Strophe des bekannten Volksliedes möglich dann" rc. (Strophe 2 und 3 ist nach dem Schema Nr. 36 S.

„Ach, wie ist's

690 gedichtet.)

40. a a a b c c d d. Beispiel: Blau ist ein Blümelein rc. (Schenkel, Volkslieder II. 631).

41. aaabcbcb. Beispiel:

Herzog Johann von Brabant (Hagens Minnes. I. 16. 4).

42. aabbbbcc. Beispiel:

Graf Rudolf von Neuenburg (Hagens Minnes. I. 20. 8).

692 43. a b a a b a b b. Beispiel:

Heinrich von Veldeke (Hagens Minnes. I. 36. 5).

44. abcabcdd. Beispiel: Reinmar der Alte (Hagens Minnes. I.

193. 41).

45. aabbcddc. Beispiel:

Walther

v. d. Vogelweide (Hagens Minnes. I. 254. 68)

und Nithart (ebd. II. 124.

38).

46. abcbdbab. Beispiel:

Deutschland, Deutschland über Alles. Über Alles in der Welt, Wenn es stets zu Schutz und Trutze Brüderlich zusammenhält, Von der Maas bis an die Memel. Von der Etsch bis an den Belt: — Deutschland, Deutschland über Alles, Über Alles in der Welt. (Hoffmann von Fallersleben.)

47. a b c c d e e f. Beispiel:

Wie heißt König Ringangs Töchterlein? Rohtraut, Schön-Rohtraut. Was thut sie denn den ganzen Tag, Da sie wohl nicht spinnen und nähen mag? Thut fischen und jagen. O daß ich doch ihr Jäger wär'! Fischen und jagen freute mich sehr: — Schweig stille, mein Herze!

(Mörike.)

48. abcbdcec. Beispiel:

Die Schwalben.

(Allemannische Lieder v. Hoffm. v.

Fall.

Mannheim 1843. S. 96.)

49. abaabbab. Beispiel: Goethe, Der Misanthrop.

50. abcdefef. Beispiel: Wilhelm von Nassau, Holländisches Volkslied (vgl. Soltaus histor. Volkslieder Nr. 68).

von 1568

51. abcbddeb. Beispiel:

Das Passauer Schifferlied

(Kretzschmers

sowie Niederrheinisches Wiegenlied (ebend. S. 647).

Volksl. S. 586),

69L 52. a b c b (l (I e e. Beispiel: Friedrich der Große im Elysium (Walters Vollöl. S. 228), sowie Jägerlied (Uhlands Volksl. Nr. 105), ferner Wilh. Müller, Der Zechbruder und sein Pferd.

53. a b c b d b e b. Beispiele:

Goethes Tischlied,

Uhlands Bertran de Born,

und

sein

Waller, George Hesekiels Korb und Wiege, Jungbrunnen (Uhlands Volksl. Nr. 30), endlich Bürgers Zechlied: Ich will einst, bei Ja und Nein.

54. a a a b c c c b. Beispiel: Tiedges Schöne Minka. (1813 —15 viel gesungen. Menzel, Ges. der Völker S. 377.)

55. a b c d a b c d. Beispiel: Ulrich von Liechtenstein (Hagens Minnes. II. 36. 9).

56. a b c d d e f e. Beispiel:

Herzweh, schottisches Volkslied (Talvj, Volksl. S. 597).

57. a b c b d e f g. Beispiel: Das Lied vom alten Hildebrand (Wunderhorn I.

128).

58. a b a c a d a c. Beispiel: Dein Schwert, wie ist's von Blut so rot? Edward, Edward! Dein Schwert, wie ist's von Blut so rot, Und gehst so traurig her? — O! O, ich hab' geschlagen meinen Geier tot, Mutter, Mutter! O, ich hab' geschlagen meinen Geier tot, Und keinen hab' ich wie Er — O! (Aus Herders Stimmen der Völker.)

59. abcbcded. Beispiel: Das Meermädchen (Fiedlers Geschichte der schottischen Lieder­ dichtung II.

129).

60. aabbcccb. Beispiel: Rückert,

Auf die Schlacht an der Katzbach.

61. abaccdbd. (Wachtelwachtstrophe.) Beispiel:

Hört wie die Wachtel im Grünen schön schlagt: Lobet Gott, lobet Gott! Mir kommt kein Schauer, sie sagt, Fliehet von einerü in's andre grün Feld, Und uns den Wachstum der Früchte vermeldt,

694 Rufet zu allen mit Lust und mit Jyrcub: Danke Gott, danke Gott! Der du mir geben die Zeit. (Wachtelwacht. Scheutet II. 618.)

62. a b a c b d d c. Dieser originell gebauten Strophe Chamissos mit zwei umklammernden männlichen Neimen begegnen wir auch bei Geibel in „Neapolitanisch". Beispiel:

Sang der sonderbare Greise Auf den Märkten, Straßen, Gassen Gellend zürnend seine Weise: Bin, der in die Wüste schreit. Langsam, langsam und gelassen! Nichts unzeitig, Nichts gewaltsam! Unablässig, unaufhaltsam, Allgewaltig naht die Zeit. (Chamisso, Der alte Sänger.)

63. abcbcded. Beispiele: Die 1. und 3. Strophe von Geibels Zu Volksweisen Nr. 5

„Deutsch", und Karl Siebels „Mama bleibt immer schön".

64. a b c b d e f e. Diese durch Kerners Wanderlied „Wohlauf noch getrunken" allerwärts gesungene Strophe finden wir im deutschen Volkslied (Müllers Abschied, vgl. Wunderhorn I. 102), bei Schiller („An der Quelle saß der Knabe"), bei Goethe (Sehnsucht: Was zieht mir das Herz so), bei Chamisso (Frauenliebe

und Leben: Traum der eignen Tage rc.), in Fiedlers schottischer Liederdichtung

(Der Kuß, II. S. 190), in Walters Volksliedern (Der Weber, S. 71), in Wolffs Halle der Völker (Lords Marie I. 90, und Cs dunkelt 1. 121), bei

Thomas Moore (Die letzte Rose, übersetzt von Pfizer. Menzel, Ges. d. V. S. 631), bei Wilhelm Grothe (Wie lange, lange Zeiten), bei Graf v. Strach­ witz (Wie gerne dir zu Füßen), bei Fr. Halm (Vertrau dich, Herz, der Liebe),

sowie in der Dialektdichtung (Konrad Grübel, Der Rauchtabak).

65. abcbdede. Wir

finden

in

dieser Form gedichtet:

Das Siegeslied von Oudenaaroe

(Wolffs Halle der Völker I. 167), Das Mädchen am Ufer (Herders Stimmen d. Völker), Poesie von Annette v. Droste-Hülshosf, Menschliches von Ad. Glaßbrenner.

Beispiel:

Ihr könnt inir's wahrlich glauben, Ich bin ein eitler Mann; Ich ziehe mir am liebsten Den liebsten Menschen an. Ich wälz' mich nicht im Schmutze, Und aufrecht ist mein Gang; An meiner Seele putze Ich schon viel Jahre lang. (Ad. Glaßbrenner, Menschliches.)

695

66. abcdefgd. Beispiel:

-

Auf den Bergen die Burgen, Im Thale die Saale, Die Mädchen im Städtchen Einst Alles wie heut! Ihr werten Gefährten, Wo seid ihr zur Zeit mir, Ihr Heben, geblieben? Ach, alle zerstreut! (Lebrecht Dreves, Bor Jena.)

(Der Cäsurreim der 2., 3., 5., 6. und 7. Zeile würde eine gebrochene Schreibung ermöglicht haben: aabbccdeeffggd.)

67. ababccab. (Ganzhorns Volksstrophe.) Eine schöne, originelle Strophenform hat der unlängst verstorbene Dichter Oberamtsrichter Wilhelm Ganzhorn in Cannstatt gebildet, indem er nach den ersten vier jambischen Versen jeder Strophe den Rhythmus wechselte und ein trochäische^ Reimpaar als stehenden Refrain einschaltete, worauf er sodann die

3. und 4. jambische Zeile als volksliedartige Wiederholung folgen ließ. Das Lied ist Volkslied geworden und wird im Neckarthal in fast allen Dörfern gesungen. Die Anregung zu demselben gab dem Dichter wohl Rückerts Deutsch­

land in Europas Mitte 2C. Beispiel:

Im schönsten Wiesengrunde Ist meiner Heimat Haus, Da zog ich manche Stunde Ins Thal hinaus. Dich mein stilles Thal, Grüß ich tausendmal! Da zog ich manche Stunde Jn's Thal hinaus. (Wilh. Ganzhorn. Vgl. Jägers Schwäbische Lieder-Chronik Nr. 12. 1876.)

68. xxxxxxxx. Man findet diese Strophe in den Volksgesängen: Normannenlied (vgl. Herders Stimmen der Völker), Asbiorn Prüdes Lied (ebb.), Das Ringlein (Volksl. der Polen,

1833. S. 51), Das Liebeslied Heinrichs IV. (übersetzt

von L. v. Plönnies in Menzel, Ges. d. V. 274).

Von den neuern Dichtern

hat sie Mörike charakteristisch gebildet:

Beispiel: Ein Tännlein grünet wo, Wer weiß, im Walde, Ein Rosenstrauch, wer sagt, In welchem Garten? Sie sind erlesen schon Denk es, o Seele, Auf deinem Grab zu wurzeln Und zu wachsen. (Ed. Mörike, Denk es, o Seele.)

696

§ 206. Die nennMige Strophe. Obwohl diese Strophe in ihren Reimkombinationen ein weit größeres Feld eröffnet, als die vorige, so finden wir sie doch nur in etwa 50 Formen zur Verwendung gelangt. Kaum zwei Dutzend unserer neueren Dichter haben sich in ihr versucht. Zur Zeit der Minnesinger war diese, eine symmetrische Dreiteilung leicht ermöglichende Strophe beliebt. Wir finden sie bei 27 Minnesingern, darunter fünfmal bei Gottfried von Nifen, viermal bei Reinmar dem Alten, zweimal bei Ulrich von Liechtenberg rc. In der Neuzeit hat sie mehrfach Rückert, wie Geibel und Herwegh (An den König von Preußen) verwendet. Die Teilung der 9zeiligen Minnesingerstrophen ist meist 2 -j- 2 -f- 5 (Kaiser Heinrich, Hagens Minnes. I. 3. 2) oder 3-s-3-^-3 (Hagen I. 23. 6). Bei den neueren Dichtern finden wir auch die Zweiteilung 6-^-3. wir

Wir lassen nachstehend die gebräuchlichen Kombinationen folgen, indem nur Beispiele von charakteristischen, nachahmungswürdigen Formen geben. Formen der neunzeitigen Ltrophe.

1. aabccbddb. (Rückerts Erwartungsstrophe.) Beispiel:

Wenn ich gegen Tages Mitte Setz' in's Zimmer meine Schritte, Die auf Schnee und Eis geweilt; Denk' ich, auf dem Wust des Tisches Liegen müss' ein Blatt ein frisches, Das vom Freunde Kund' erteilt, Wie die rötlich angeglühte Mandelblüte, Die voraus dem Frühling eilt. (Rückert, Erwartung.)

Ein Dorothea.

charakteristisch schönes Beispiel dieses Schemas ist noch Kinkels Vgl. besonders das Einleitungsgedicht Rückerts zu den Östlichen

Rosen S. 617 d. B.

2. aaabbbccc. Beispiel: Gottfr. von Nifen (Hagens Minnes. I. 57. Nr. 33). Ein Beispiel findet sich auch in Liliencrons Samml. (Nr. 89).

3. aabaabccc. Beispiel: v. Ehenhein (Hagens Minnes. I. 346. 1).

4. aabbbbccc. Beispiel: Walther von der Vogelweide (Hagens Minnes. I. 230. 13).

697 5. aabbabbaa. Beispiel: Rückerts Morgenlicht (Kindenotenl. S.

169).

6. aababcdcd. Beispiel: Goethes Ballade: Herein, o du Guter!

(Werke I. 139.)

7. a b a b c c d e d. Beispiel:

Reimn ar

der

Alte

(Hageno

Minnes.

I.

192.

Nr.

39),

sowie Fr. Rückerts Schwere Wahl.

8. a b a b c d c c d. Beispiel:

O rühmet immerhin mir eure lauten Feste, Zu denen man geschmückt mit prächtgen Rappen fährt; Wo stetes Lächeln kränzt die Stirnen aller Gäste, Als sei der Tod nicht mehr, und jedes Leid verklärt; Wo Scherz und Lüsternheit sich in einander ranken, So wie der üpp'ge Mohn dem Korn sich lodernd mischt; Wo Alles blitzt und sprüht, Demanten und Gedanken, Als gält's ein Feuerwerk, das vor bezahlten Schranken Vielfarbig auf in's Dunkel zischt. (Geibel.) Vgl. noch Rückerts Frühlingsfeier, sowie Hamerlings „Rauscht nirgend",

Freiligrachs Allerlei Funken, und Geibels Ein Lied am Rhein.

9. a b c b d e e a d. Beispiel: O süße Mutter, Ich kann nicht spinnen, Ich kann nicht sitzen Im Stüblein innen Im engen Haus; Es stockt das Rädchen, Es reißt das Fädchen, O süße Mutter, Ich muß hinaus. (Rückert, O süße Mutter.)

10. ababbcddb. Beispiel: Ostern von Rückert (Ges.-A. VII. 189).

11. ababccdde. (Luthers Resormationsstrophe.) Beispiele: „Ein veste Burg ist unser Gott" von Luther, sowie: „Fetzt wird die Welt recht neu geborn" von Scheffler (Angelus Silesius).

12. ababcdcde. Beispiel: Ein neues Lied Das walt Gott, Zu fingen, was Zu seinem Lob

wir heben an unser Herre, Gott hat gethan und Ehre.

698 Zu Brüssel in dem Niederland Wohl durch zween junge Knaben Hat er sein Wundermacht bekannt, Die er mit seinen Gaben So reichlich hat gezieret. (Luthers Lied von zween Märtyrern, Werke 2. Aust. 1827, V. 103.) Vgl. noch:

„Es woll' uns Gott genädig sein" von Luther und

Herre Gott" von Agricola.

„Acb,

In derselben Form ist Freiligraths Ein Denkmal

und Geibels schöne Dichtung Am 3. Sept.

1870 gedichtet.

13. abcabcabc. Beispiel: Das Alter ist der Jugend vorzuziehn, von Nückert.

14. a b a b c c c c b. Beispiel: Rückerts Jsts nicht besser (Kindertotenl.

115).

15. ababcccba. Von dieser Form finden sich mehrere Beispiele in Liliencrons Sammlung (288, 294, 295, 297, 302, 309, 316, 340, 350, 363, 375, 382,

384, 468, 594), ferner in Uhlands Volksl. (141). Ein ähnliches Beispiel hat auch Rückert geliefert (Kindertotenl. 312), wobei er nur die beiden An­ fangszeilen a b am Schluß in umgekehrter Folge brachte (b a).

16. abäabcdcd. Beispiel:

Th. Körners Aufruf (Frisch auf, mein Volk! die Flammen­

zeichen rauchen), sowie Mißmut.

17. ababccddd. Beispiele: Reinmar der Alte (Hagens Minnes. I. 190. 36, sowie 198. 56) und Tanhuser (ebb. II. 95. 14), ferner Kirchenlieder (z. B. Schnee-

sings „Allein zu dir, Herr Jesu Christ".

Vgl. auch Wackernagel 239 u. 309).

18. a b a b c d c d d. Beispiel:

Und als ich aufstand früh am Tag, Und meinte, daß es noch Winter sei, Da jauchzte schon mit lustigem Schlag Die Lerche an meinem Fenster frei: Tirili, .tirili! vom blöden Traum, Langschläfer, bist du endlich erwacht? Du schliefst und merktest das Süße kaum, Denn sacht, denn sacht Ist kommen der Frühling über Nacht. Ähnlich ist Geibels Winter

gedichtet.

Beispiele

(Geibel.)

dieser Form

noch in Soltaus Sammlung (217), sowie bei Liliencron (341).

finden sich

699

19. ababcddcd. Beispiel in Liliencrons Sammlung

120.

20. ahabcdeed. Beispiel in Liliencrons Sammlung 419.

21. ababcdced. Beispiel: Scheurlin, Gruß an Deutschland.

22. abcabcbbc. Beispiel: Ulrich v. Wintersteten (Hagens Minnes. I. 169. 40).

23. ababbbcdc. Beispiel: Reinmar der Alte (Hagens Minnes. I.

176. 5).

24. abcabcded. Beispiel: Otto zum Turne (Hagens Minnes. I. 344. 3), sowie Geibel. Wie holde Schwestern Blühn die Rosen Im tiefen Walde rot und weiß: Da rauschte gestern Heimlich Kosen Bon Mund zu Munde lind und leis; Durch's grüne Laub die Sonne sah — Klinge mein Liedel! Wohl mir, ich weiß, was da geschah!

(Geibels Minneweise.)

25. abcbddefe. Beispiel: Wernher von Teufen (Hagens Minnes. I.

108.

1).

26. abacddeef. Beispiel: Die Parisienne (Menzel, Ges. v. Völker S. 98).

27. abcabccac. Beispiel: Heinr. v. Morungen (Hagens Minnes. I. 128. 25).

28. ababccdcd. Beispiel: Norwegischer Nationalgesang (Menzel,

sowie besonders Herwegh Bei Hamburgs Brand.

29. abcbcddae. Beispiel: Rückert, Marschall Vorwärts.

Ges. d. Völker 67),

700

30. abcabcdde. Beispiel: Gottfr. v. Nifen (Hagens Minnes. I. 46. 10), Christian v. Luppin (ebb. II. 21. 5) sowie Konrad Schenk von Lanbegge (ebb. I. 355. 9).

31. abbccded. Beispiel: Nitterhaus, Die Treulose.

32. ababccbbc. Beispiel: Rückerts chines. Schifferlieb (Schi-King S. 48).

33. aabbccdde. Beispiel: Kinkel, Die Stunden verrauschen.

34. abbccddaa. Beispiel:

In dunkler Nacht Bin ich der Jugend Pfade einst gegangen; Irrlichter viel umhüpften und umschlangen Mit wirrem Spiel des Thales glatten Steg, Und keine Leuchte schien auf meinen Weg, Da schlug in's Herz durch irre Einsamkeiten Der Rettungsruf mir wie aus Himmelsweiten: In dunkler Nacht Die Liebe wacht. (Alexis Adolphi, Die Liebe wacht.)

35. ababbcccc. Beispiel: Hartmann von Aue (Hagens Minnes. I. 328. 1).

36. abcabcddc. Beispiel: Gottfried von Nifen (Hagens Minnes. I. 42. 4), (ebb. II. 30. 5) und von Singenberg (ebb. I. 293. 16).

37. abcabcdea. Beispiel: Der Püller (Hagens Minnes. II. 69. 1).

38. ababcdcdd. Beispiel: Hawart (Hagens Minnes. II. 163. 2).

39. ababccddc. Beispiel: Der Thüring (Hagens Minnes. II. 27. 6).

40. abcdcefgf. Beispiel: Ach, wenn ich reich wär'! Verlassenes Mädchen Im ärmlichen Kleide Ich ließe dich schmücken Mit köstlicher Seide;

Winli

701 Ich ließe dir füllen Den Schoß mit Gold, Dann käm' wohl ein Jüngling Und liebte dich hold. (Paul Julius Immergrün, „Ach, wenn ich >c ")

41. abcbdeffe. v

'

Deine süßen, süßen Schauer, O Waldesruh', In meine Seele hauche Und träufle du! Laß mich träumen die Träume Der Jugendzeit! O Frieden, o Ruh', komm über mich! Wie lieb ich dich, lieb ich dich, Waldeinsamkeit! (Heinr. Leuthold, Waldeinsamkeit.)

42. abcbcdede. Beispiel:

Schendendorf, Eteonora.

43. ababccdde. Beispiel: Konrad Schenk von Landegge (Hagens Minnes. I. 351. 2),

sowie Scheffels Wiedersehen.

44. abaccbddb. Bespiel:

Des Jahres Blüte reift zur Frucht, Wir speichern fröhlich ein Der Bäume Last, der Garben Wucht. Doch, Frucht und Garben wohlgezählt Eins hat doch Allen noch gefehlt: Der Wein! Zum Erdengut die Himmelskraft, Der erst die wahre Freude schafft Der Wein, der Wein, der Wein! (Carl Sondershausen, Das Eine.)

45. ababceece. (Knapps Prüfungsstrophe.) ®cispiel.

gum andern Leben wall' ich hin; — Jst's auch zum ew'gen Leben? Daß, wenn ich einst gestorben bin, Mich Engel sanft umschweben, Und mich zu Gottes Heiligtum Auf ihren goldnen Schwingen Freudig bringen, Dort meines Mittlers Ruhm In Ewigkeit zu singen? (A- Knapp, Prüfung am Abend.)

46. ababcccdd. (Goethes Hochzeitliedsstrophe.) Beispiel.

||n^en un^ ^gen vom Grafen so gern,

Der hier in dem Schlosse gehauset, Da wo ihr den Enkel des seligen Herrn, Den heute vermählten, beschmauset.

702 Nun halte sich jener im heiligen Krieg Zu Ehren gestritten durch mannigen Sieg, Und als er zu Hause vom Rösselein stieg, Da fand er sein Schlösselein oben; Doch Diener und Habe zerstoben. (Goethes Hochzeitslied.)

In

dieser

schönen Strophe dichtete Rückert sein

vollendetes Gedicht Chidher.

strophisch

vortreffliches,

Vgl. auch Freiligrath: Die Freiheit! Das Recht!

47. ababbaaba. Beispiel: Bernger von Horheim (Hagens Minnes. I.

320. 3).

Ferner

Rückert: Könnt ich denken, daß du meiner rc.

48. a b b c d d e e. Beispiel: Roquette, Unkenlied.

49. ababcdecd. Beispiel: Kaiser Heinrich (Hagens Minnes. I.

3. 2).

50. a b a b b c d d c. Beispiel: Platen, An die Diana des Visen.

51. a b a b b c c d d. Beispiel: Wilh. v. Heinzenburg (Hagens Minnes. I. 304.

1).

52. a b a a b c c d d. Beispiel: Schiller, Die Weltweisen.

53. a b b a c d d c e. Beispiel: Rud. v. Neuenburg (Hagens Minnes. I. 20.

7).

54. abaabcccb. Beispiel:

Herweghs

An

den König

von

Preußen

(Gedichte

eines

Lebendigen).

55. a b b a b a b a b. Beispiel: Zueignung von Fr. Schlegel (Werke 1825. Bd. 9. S.

5).

§ 207. Die zehnteilige Strophe. Die bekannteste zehnzeilige Strophe ist die aus viertaktigen Trochäen bestehende, im § 173 abgehandelte spanische Decime. Die deutsche zehnzeilige Strophe findet man vorwiegend bei den Minnesingern. Fast jeder derselben hat bei seinen zehnzeiligen Strophen-

703 gebildet! ein anderes Schema. Nur einzelne wenige Formen mit dem Ausgesange abcabc und a a b c c b wiederholen sich. Von den neueren Dichtern wurde die zehnzeilige Strophe nur ausnahmsweise verwendet. Jeder wählte hierbei eine besondere Form. Nur die Schemata a b a b c d c d e e und ababccdeed wurden von hervorragenden Dichtern wiederholt. Die Gliederung ist meist unsymmetrisch. Bei der Teilung 5 + 5 ist es nötig, die letzte Strophenhälfte in Etwas von der ersteren zu unterscheiden, um dem Auseinanderfallen in 2 fünfzeilige Strophen vorzubeugen. Die Minnesinger, welche nur dreigeteilte Zehnzeilen bauten, hatten folgende Gliederung: 2 -s- 2 Z- 6 oder 3 + 3 + 4, zuweilen auch 4 + 4 + 2. (Vgl. Hadlaub in Hagens Minnes. II. 290. 21.) Die übergroße Zahl der zehnzeiligen Strophenkombinationen kann sich jeder Dichter nach Maßgabe der Kombinationen bei fünf-, acht­ und neunzeiligen Strophen leicht herstellen. Wir beschränken uns darauf, die in der deutschen Poesie gebräuchlichen Formen vorzuführen, wobei wir nur solche Beispiele abdrucken, welche der Nachahmung würdig erscheinen oder originell, neu sind. Formen der zehnteiligen Strophe.

1. a a a a c c d e e d. Beispiel: Heinrich von Sar (Hagens Minnes. I. 93. 4).

2. a a a b c c b d d d. Beispiel: Walther von der Vogelweide (Hagens Minnes. I. 267.

17).

3. aabaabcddc. Beispiel: Gottfried v. Nifen (Hagens Minnes. I. 51. 21).

4. aabccbddee. Diese von Walther von der Vogelweide wie von Steimar (Hagens Minnes. II. 154. 1) gebrauchte Strophe, von der sich auch ein Beispiel in Gödeke-Tillmanns Sammlung (I. Nr. 78) findet, wurde unter den Neueren

nur von Goethe verwendet. Beispiel:

Ein großer Teich war zugesroren; Die Fröschlein, in der Tiefe verloren, Dursten nicht ferner quaken noch springen, Versprachen sich aber, im halben Traum, Fänden sie nur da oben Raum, Wie Nachtigallen wollten sie singen. Der Tauwind kam, das Eis zerschmolz, Nun ruderten sie und landeten stolz, Und saßen am Ufer weit und breit Und quakten wie vor alter Zeit. (Goethe, Die Frösche.)

704

5. aabaabcdcd. Beispiel: Meister Sigeher (Hagens Minnes. 11. 360. 1).

6. aabaabcccb. Beispiel: Der Kanzler (Hagens Minnes. II. 393. 9).

7. aabbccddee. (Kopischs Trompeterstrophe.) Wir finden diese Form zum erstenmal bei Friedrich von Husen (Hagens Minnes. I. 214. 8) und bei Walther von der Vogelweide (Hagens Minnes. I. 260. 1). Goethe wandte sie an in Gleichnis (Jüngst pflückt icb einen

Wiesenstrauß), Hans Hopfen in Vagabunden,

Kopisch machte sie durch seinen

zum Volkslied gewordenen Trompeter populär.

Beispiel:

Wenn dieser Siegesmarsch in das Ohr mir schallt, Kaum halt' ich da die Thränen mir zurück mit Gewalt. Mein Kamerad, der ihn geblasen in der Schlacht, Auch schönen Mädchen oft als ein Ständchen gebracht; Auch zuletzt, auch zuletzt in der grimmigsten Not, Erscholl er ihm vom Munde, bei seinem jähen Tod. Das war ein Mann von Stahl, ein Mann von echter Art. Gedenk' ich seiner, rinnet mir die Thrän' in den Bart. Herr Wirt, noch einen Krug von dem feurigsten Wein! Soll meinem Freund zur Ehr', ja zur Ehr' getrunken sein. (Kopischs Trompeter.

3 Strophen.)

8. aabccbdddb. Ihre Bedeutung erhielt ihr Die preußische Viktoria.

diese Strophe durch Geibel.

Rückert schrieb in

Beispiel:

Nun grüß dich Gott, du Hinunelstau, Du Ehrenpreis der Nebenan, O Wern, du Kind der Sonnen! Wie blinkst du mich so wohlgethan Aus hellgeschliffnem Becher an Als wie ein güldner Bronnen! O komm' empor an meinen Mrind Und fütte mir das Herz zur Stund Bis auf den Grund Mit allen deinen Wonnen. (7 Strophen) (Geibels Lied vom Wein.)

9. aabbcddeec. Diese

von

Paul Gerhard

in

erhielt eine freundliche Ausbildung Gedicht: Die Jagd des Moguls.

Die

durch

goldene

Sonne

Moritz

gebrauchte

Graf

Strophe

Strachwitz

im

705 Beispiel:

Bon dem persischen Psühl in dein Purpurgezelt Sprang säbelumgürtet der Herr der WeltWie die Schlünde der See bei des Nordsturms Nahn, So erlösten die Thäte von Hindostan, Denn der Mogul ritt zum Jagen. Und es tanzte der Hengst über knirschenden Sand, Doch schwer hin stampfte der Elefant, Wie ein Wandelgebirg, mit dem Turme geschmückt, Und des Turmes Gebälk war lanzengespickt, Und sein Dach mit Schilden beschlagen. (7 Strophen.) (Strachwitz, Die Jagd des Moguls.)

10. aabccbdede. (König Ludwigs Künstlerstrophe.) Diese bereits von Gottfr. v. Nifen (Hagens Minnes. I. 52. 22), ferner von Jakob v. Warte (ebb. I. 66. 2 und 3) angewandte Strophe hat Schiller in Das Ideal und das Leben sowie An die Freunde, Körner in Aspern, und der als Dichter weit zu wenig gewürdigte große Wittelsbacher König L u b iü i g

von Bayern in seiner so schönen, breigeteilten Dichtung An bie Künstler neu zur Bebeutung gebracht. Wir ehren bas Gebächtnis des fürstlichen Dichters, inbem wir ber Strophe seinen Namen verleihen.

Beispiel: Aus der Erbe engem dumpfem Thale Schwingt es euch zum hohen Ideale, Zu dem Blütenreich der Phantasie. Kaum berühret das gemeine Leben Euer himmelwärts gekehrtes Schweben, Seligkeit empfindet ihr schon hie. Freudig siehet, wie's um sie gestaltet, Eure glühende Begeisterung, Glückliche, die niemals ihr veraltet! Ewig bleibt der Künstler froh und jung. (6 Strophen.) (König Ludwig von Bayern, An die Künstler.)

11. aabccbdeed. Wir finden diese Strophe bei dem Thüring (Hagens Minnes. II. 27. 7), bei Nithart (ebb. II. 100. 2), bei Kost zu Sarne (ebb. II. 133. 7), bei

Friedrich 279. 2),

(ebb.

dem Knecht (ebb. II. 169. 2),

bei

bei Rumsland (ebb. II. 367. 1),

[. 49.

Johannes endlich

bei

Hadloub

(ebb. II:

Gottfried v. Nifen

17).

12. ababedeede. Beispiel: Die Unbefangenen von Annette Droste-Hülshoff.

13. ababeddeee. (Marseillaise-Strophe.) In dieser von Ulrich von Wintersteten (Hagens Minnes. I. 172. 45) gebrauchten Form dichtete Paul Gerhard sein allbekanntes Kirchenlied: Sollt' ich meinem Gott Marseillaise.

nicht

singen?

Beyer, Deutsche Poetik. I.

Sie ist

auch das Schema der weltbekannten

706 Beispiel: Ihr Männer, auf! Im Baterlande, Es kam des Ruhmes Tag herbei! Die blutbespritzte Fahne wandte Hoch wider euch die Tyrannei. Hört ihr der rohen Söldner Horden Das Feld durchziehen mit Gebrüll? Sogar in euern Armen will Der Feind euch Weib und Kinder morden! Zum Kampf, wer Bürger heißt! Schnell ordnet eure Reih'n! Marsch, marsch, das falsche Blut saug' euer Boden ein. (6 Strophen.) (Die berühmte Marseillaise von Bonget de Lisle. Menzel, Ges. d. Völker S. 97.)

14. ababcddcdd. Beispiel: Fehdelied, übers, von Diez (Menzel, Ges. d. Völker. 209).

15. abcdeffghi. Beispiel: Lithauisches Soldatenlied.

(Aus Rhesas Dainos. S. 143.)

16. abaabbcdcd. (Beranger-StroPhe.) Beispiel:

Alter Zänker, Vergnügt und frei Scher' ich wie du mich um die Welt den Henker, Alter Zänker, Vergnügt und frei Roll' ich mein Faß und trink' und sing' dabei. Das Wasser war's, was ewig aus dir belfte. Ich trinke keins. Ein Faß mit altem Wein, Ich legt' es leer in eines Monats Hälfte Und zog mit meiner Weisheit dann hinein. (9 Strophen.) (Bon Beranger, übers, von Rubens. Menzel, Ges. d. V. 675.)

17. abbaabbccc. Beispiel: Winli (Hagens Minnes. II. 31. 7).

18. ababcdceee. Beispiel: Konrad von Altstetten (Hagens Minnes. II. 65. 3).

19. abcddceffc. Beispiel: Der Pütter (Hagens Minnes. II. 70. 4).

20. a b a b c c b d d d. Beispiel: Nithart (Hagens Minnes. II. 102. 3).

21. abaabacddc. Beispiel: Nithart (Hagens Minnes. II. 108. 10).

22. abcbdedeff. Beispiel: Nithart (Hagens Minnes. II. 115. 20).

707

23. abcabcdac d. Beispiel: Rost zu Sarnen (Hagens Minnes. II.

131. 3).

24. a b a c | d b d c | e e. Beispiel: Johannes Hadloub (Hagens Minnes. II. 290. 21).

25. abcdbcefef. Beispiel: Johannes Hadloub (Hagens Minnes. II. 300. 43).

26. a b b c d d e e f f. Beispiel: Unumschränkte Liebe von Rambach.

27. ababbaaccc. Beispiel: Friedr. v. Husen (Hagens Minnes. I. 216.

16).

28. abcabccbcc. Beispiel: Friedr. v. Husen i Hagens Btinnes. I. 217. 18).

29. a b a b c c d d e e. Wir finden diese Form bereits bei dem Burggrafen von Rietenburg (Hagens Minnes. I. 218. 3), bei Hartmann v. Aue (ebd. I. 334. 17) und

bei v. Sunegge (ebd. I. 348.

1).

Von den Neueren hat sie Hoffmann von

Fallersleben in seinem 2strophigen Gedicht:

Sommergang in

die Heimat an­

gewandt.

30. a b a b c d e d e c. Die

3

charakteristischen lOzeiligen Strophen

dieses Schema

bei

Rückert

(Ges. Ausg. II. 70) sind leider im Truck in 6 fünfzeilige auseinander gerissen.

Beispiele: a. Meine Guten, Meine Lieben, Auf den Fluten Fortgetrieben, Auf den dunklen Fluten fort, Nach dem Hafen Aus dem Meere, Um zu schlafen Mit dem Heere, Das schon fand die Ruhe dort! (Rückert, Ges. Ausg. II. 70. 3 Strophen.)

b. Am In Wo An Da Ich

gewaltigen Meer der Mitternacht, der Wogen Heer die Felsen kracht, schau' ich vom Turm hinaus. erheb' einen Sang

708 Aus starker Brust Und mische den Klang In die wilde Lust, In die Nacht, in den Sturm, in den Graus. (4 Stvoplieii.) (5'Oiiqne, Turmwächterlied.)

31. ababccdede. Beispiele: Fouqu6s (Eroberung von Norwegen: (1. Ttxv Königs Begehr. 5 Strophen.) Ferner Goethe, Der neue A m a d i s. (Die Strophen dieses Gedichts hängen so lose zusammen, das; sie in Jacobis Iris (II.„78) wie in den Ged. Ausg. als 5Zeilige Strophen gedruckt wurden. Tie Zusammengehörige feit beweist jedoch der verbindende c-Reim, sowie der Umstand, das; je die 2. Strophenhälfte ein anderes Neimschema hat, als je die erste.)

32. abcaabcdddd. Beispiel: Wenzel von Behaim (sagens Minne). L 8.

1).

33. abcabccded. Beispiel: Nudolf von Vienenburg (Hagens Nkinnes. 1.

19. 4).

34. abcdbcdeed. Beispiel: Kraft von Toggenbltrg (Hagens Nkinnes. 1. 21. 2).

35. abcabcdee d. Dieser beliebten Strophe mit 6zeiligem Aufgesang begegnen wir bei Konrad von Kirchberg (Hagens Minnes. 1. 24.2), Heinr. v. Frauenberg (ebd. I. 95. 1), Friedr. dem Knecht (ebd. II. 168. 1), Nithart (ebd. 11. 120. 31), Konrad Schenk v. Landegge (ebd. I. 366. 11; 358. 14; 360. 18; 363. 22), von Wildvuie (ebd. I. 347. 2), Otto zum Turne (ebd. I. 344. 4), Gottfried v. Nife;r (ebd. I. 50. 18), Schenk von Limburg (ebd. I. 132. 3) und Burkard v. Hohenfels (ebd. I. 208. 16; 209. 17). Chamisso schrieb in ihr Der neue Ahasverus, wobei die Verkürzung der letzten Zeile ein freundliches strophisches Charakteristikum verleiht.

36. abcabcddee. Ebenso häufig, als die vorige, finden wir diese Form bei Gottfr. von Nifen (Hagens Minnes. I. 57. 34), Ulrich v. Wintersteten (ebd. I. 150. 9), Reinmar d. Alten (ebd. I. 193. 42), Burkard v. Hohenfels (ebd. I. 207. 13), Walther von der Vogelweide (ebd. I. 252. 62), Walther von Metz (ebd. I. 307. 2), Rubin (ebd. I. 314. 9), Otto von Botenlauben (ebd. I. 32. 13), Stamhein (ebd. II. 77), Nithart (ebd. 118. 24).

37. abcabcdddc. Beispiel: Gottfr. v. Nifen (Hagens Minnes. I. 45. 9) (ebd. II. 28. 1).

und Winli

38. abcabcdede. Außer Gottfried v. 9tifen (Hagens Minnes. I. 54. 26) hat in dieser Strophe gedichtet: Jakob von Warte (ebd. I. 67. 6), Walther v. d. Vogel­ weide (ebd. I. 230. 12), Nithart (ebd. I. 116. 22).

709 39. abcabcddd d. Beispiele: Gottfr. v. Nifen (Hagens Minnes. I. 61. 28) und Aieinr. v. Sar (ebb. I. 94. 5).

40. a b a b c d c c d d. Beispiel: Herwegh, 6hampagnerlied.

41. a b b a c c d d ß ft. Diese Strophe ist eigentlich Verbindung einer Vierzeile a b b a mit 3 Reimpaaren. Beispiel: Heinr. v. Stretlingen (Hagens Minnes. I. 111. 2). Ferner W. Müller, Am Feierabend.

42. a b a a b a a b b a. Beispiel: Heinrich v. Morungen (Hagens Minnes. I. 129. 27).

43. abaabaccd d. Beispiel: Ulrich von Wintersteten (Hagens Minnes. 1. 166. 35).

44. aabbbccdde. Beispiel: Lingg, Vehme.

45. ababccbdbd. Beispiel: Reinmar der Alte (Hagens Minnes. I. 177. 8).

46. abcabdeeff. Beispiel: Reinmar der Alte (Hagens Minnes. I. 185. 25).

47. a b a b a b c c c b. Beispiel: Reinmar der Alte (Hagens Minnes. I. 196. 49).

48. ababcddddc. Beispiel: Burkard v. Hohenfels (Hagens Minnes. I. 205. 8).

49. abbaccdee d. Beispiel: Walther v. d. Vogelweide (Hagens Minnes. I. 240. 35).

50. ababcdede f. Beispiel: Der Vorige a. a. O. I. 248. 53.

51. ababcdccdd. Beispiel: v. Sachsendorf (Hagens Minnes. I. 301. 4).

52. ababcddeec. Beispiel: Wilh. v. Heinzenburg (Hagens Minnes. I. 304. 4).

53. abcabcddbc. Beispiel: Winli (Hagens Minnes. II. 30. 4).

710

54. ababcdcdee. (Feodor Löwes Schwesternstrophe.) Diese Strophe mit dem charakteristisch abschließenden Reimpaare findet sich bei Walther von der Vogelweide (Hagens Minnes. I. 244. 44), Burkh.

v. Hohenfels (ebd. I.

204.

7)

und Walther von Metz (ebd. I.

309. 7).

Haller hat seine didaktische Dichtung Die Alpen in dieser Strophe gedicktet, Schiller Die Macht des Gesanges (Gin Regenstrom aus Felsenriffen), Geibel den Frühling (I. 232), Lingg Die Kinder Kreuzfahrt, Freiligrath Hurrah Germania, Kinkel seinen 3strophigen Gedicht: Den verbreitet,

Grobschmied. Feodor Löwe hat sie in seinem Schwestern (Dichtungen, Leipzig. 1871. S. 83)

weshalb sie seinen Namen tragen möge.

Beispiel:

Der erste Trunk aus diesen: Glas, Ihr sei zum Dank er dargebracht, Die einst an unsrer Wiege saß, Und manche Nacht um uns durchwacht; Die samt den Schwestern uns gelenkt Mit guten Worten klug belehrt: — Wer dankbar nicht der Mutter denkt, War nie der Mutter Sorge wert. Ob auch in's Glas die Thräne sinkt, Der Mutter gilts, ihr Brüder trinkt!

55. ababccdeed. (Schillers Habsburgstrophe.) * Wir finden diese beliebte Strophe bei Reinmar dem Alten (Hagens Minnes. I. 175. 3) und bei Walther von Prisach (ebd. II. 141. 2). In Gödeke-Tittmanns Sammlung finden sich 2 Beispiele (Nr. 64 und 65).

Jos.

Christian Günther dichtete in ihr sein bekanntes Gedicht: Auf den Frieden von Passarowitz 1718 (Gedichte 1764. S. 95). Zu geistlichen Liedern verwandten sie:

Spengler (Durch Adams Fall ist ganz verderbt), Opitz (O Licht geboren

aus dem Lichte),

Paul Gerhard (Ein Lämmlein

geht und trägt die Schuld),

Julius Sturm (Nimm Christus in dein Lebensschiff), Gerok (Kidron).

Außer,

dem schrieben treffliche Dichtungen in dieser Form: Schiller (Graf von Habs­ burg, und Die Blumen), Hagedorn (Der Wein), Voß (Das Begräbnis, und Knecht Robert), Chamiffo (Chios), Schmidt von Lübeck (Paul Gerhard, mit verlängerter Schlußzeile), Herrn. Lingg (Lepanto und Normanenzug), Geibel (Fragment und Minnelied), Herwegh (Frühlingslied und Morgenzuruf),

Freiligrath (Ungarn) u. A. Beispiele:

a. Zu Aachen in seiner Kaiserpracht, Im altertümlichen Saale, Saß König Rudolfs heilige Macht Beim festlichen Krönungsmahle. Die Speisen trug der Pfalzgraf des Rheins, Es schenkte der Böhme des perlenden Weins, Und alle die Wähler, die sieben, Wie der Sterne Chor um die Sonne sich stellt, Umstanden geschäftig den Herrscher der Welt, Die Würde des Amtes zu üben. (12 Strophen.) (Schiller, Graf von Habsburg.)

711 b. Nimm Christus in dein Lebensschiff Mit gläubigem Vertrauen, Stoß ab vom Strand und laß vor Riff Und Klippe dir nicht grauen: Und flog' auf wilder Wogenbahn Dein Schifflein auch hinab, hinan, Und schlügen selbst die Wellen Jn's Schiff hinein, Kannst ruhig sein, Er läßt es nicht zerschellen. (Julius Sturm, Lied.)

56. a b c c d b a e f c, Beispiel: Rückert, das Lacken.

57. abaabaaac c. Beispiel:

x

Ein Mägdlein trug man zur Thür hinaus Zu Grabe; Die Bürger schauten zum Fenster heraus, Sie saßen eben in Saus und Braus Auf Gut und Habe. Da dachten sie: man trägt sie hinaus, Trägt man uns nächstens auch hinaus, Und wer denn endlich bleibt im Haus Hat Gut und schöne Gaben: Es muß sie doch Einer haben.

(Goethe.)

58. ababccbddd. Beispiel: Rückert, Fliegentod.

59. a a b a b c d c d d. (Körners K y n a st ft r o p h e.) Beispiel:

Es zieht ein Haus' Zur Burg hinauf: Was mögen die wandern und wallen? Die Brücke fällt, das Thor geht auf, Es sind Kunigundens Vasallen. Sie kommen weit durch's ganze Land: Die Herrin soll sich vermählen, So wünscht das Volk; sie hat freie Hand, Zu wählen, An Würdigen kann es nicht fehlen. (39 Strophen.) (Körner.)

60. abcdecfgh g. Beispiel: Der Dichter sprach: In alles tausendfach, Was die umgiebt, die meine Seele liebt, Möcht' ich mich wandeln können; Daß außer mir und meiner süßen Gier Ich nicht den Dingen, welche sie umringen, An ihr müßt' Anteil gönnen;

712 Daß sie nichts sah' und hört' und in der Näh' Nichts hätte, das nicht ich, Nichts träte, rührte, noch mit Sinnen jpürte, Als mich, als mich, als mich! (Rückert.)

61. aabbaccddc. Beispiel: Wahnsinn von Fr. Schlegel

(Werke 8. 212. 2 Strophen).

62. ababcdeecd. Beispiel: Vorwort

zu

Uhlands

Gedichten,

wobei

die

„Versammelten" re., „blühende" re. als Daktylen zu lesen sind.

Versschlüsse (Vgl. § 74.

Beispiele B. S, 238 d. B.) Lieder sind wir. Unser Vater Schickt uns in die offne Welt; Aus dem kritischen Theater Hat er uns zur Schau gestellt. Nennt es denn kein frech Erkühnen, Leiht uns ein geneigtes Ohr, Wenn wir gern vor euch Versammelten Ein empfehlend Vorwort stammelten; Sprach doch auf den griech'schen Bühnen Einst sogar der Frösche Chor. (6 Strophen.)

(Uhland.)

63. ababcddeef. Beispiel: Mörike, Feuerreiter.

64. abcdebefgh. Beispiel: Gestörter Tiefsinn von Rückert.

65. aabccbddde. Beispiel: Ulrich von Liechtenstein (Hagens Minnes. II. 51. 37).

66. aabccbddbd. (Rückerts Schnitterengelstrophe.) Beispiel:

Die Mägdelein Im Mondenschein Die Schnitterinnen tanzen, Die Kleider sind Im Abendwind Geworfen auf die Pflanzen; Sie tanzen wie sie Gott erschaffen, Es wird sich Niemand hier vergaffen; Und wenn der Mond sich will verschanzen, Mag er ein Wölkchen raffen. (Rückert, Erscheinung der Schnitterengel.) Ähnlich ist sein General Vandamme gedichtet (a abccbdde b).

713

67. aabccbddc b. (Rückerts Lebensweisheitsstrophe.) Beispiel: Die Rosen blühn;

Latzt uns bemühn Gelehrt zu sein und weise. Des Lebens Wert Wird hier gelehrt

Im edlen Trinkerkreise.

Es wandere Die andere Gelehrsamkeit, die mehr begehrt,

Wir wünschen chr Glück zur Reise.

(3 Strophen.)

(Rückerts Lebensweisheit.)

68. a b a b c d c c c d. Beispiel: Herwegh, Eine Erinnerung (Gedichte eines Lebendigen).

69. aabccbdefe. Beispiele: Schiller, Hero und Leander, (Gedickte.

Berlin 1873.

ferner Lektüre von E. v. Eolbe

S. 63).

70. abbacdeedc. Beispiele: Vos;, Wohllaut, sowie Ländliche Stille.

71. abaabcddcd. Beispiel: Bürgers Lied von der Einzigen.

72. ababcdddd e. Beispiel: Körner, Aus der perlte.

73. abababccd d. Beispiel: Körner, Troubadour.

74. x x x x x x x x x x. Beispiel: Maeassarisches Liebeslied (Talvj Volkslieder S.

73).

§ 208. Die eUfMige Strophe (Andeftme). Diese Strophe, welche wir in 37 Gestaltungen bei den Minne­ singern finden, ist bei den neueren Dichtern nur in 18 Formen ver­ treten, welch letztere freilich durch ihre charakteristisch schöne Bauart fast sämtlich der Nachahmung wert erscheinen dürften. Auffallend ist die Thatsache, daß nur in 9 Fällen die gleiche Form wieder benützt wurde; die meisten Dichter haben sich neue Kombinationen gebildet. Die llzeilige Strophe ist unsymmetrisch gegliedert. 26 Formen dieser Strophe haben bei den Minnesingern die Gliederung 3 -ft 3 -ft 5, fünf 2 -ft 2 -ft 7 (namentlich bei Walther v. d. Vogelweide und

714 Hartmann von Aue); die übrigen 4 + 4 + 3 (namentlich bei Winli und Nithart). In der Neuzeit hat Franz Dingelstedt diese Strophe zur Bedeutung gebracht. Sein „Seestück ans Holland" (1.845) besteht aus 20 prächtig gebauten Undezimen. Formen der einzeiligen Strophe.

1. aaabcccbddb. Beispiele: Aufruf wider die Hussiten (Liliencrons Sammlung Nr. 57; sowie Soltaus Sammlung histor. Volksl. Nr. 2 des II. Hunderts).

2. aaabbaacddc. Beispiel: Wachsmuth von Mülnhusen (Hagens Minnes. I. 327. 5).

3. a a b c c b d e d d e. Beispiel: Der Kanzler (Hagens Minnes. II. 391. 5).

4. a a b a a b c a c c b. Beispiel: Konrad von Würzburg (Hagens Minnes. II. 323. 21).

5. aabddbeceec. Beispiel: Johannes Hadloub (Hagens Minnes. II. 291. 23).

6. aabccbddeeb. Beispiel: Heinrich Teschler (Hagens Minnes. II. 130. 13).

7. aabcddbceee. Beispiel: Nithart (Hagens Minnes. II. 104. 6).

8. a a b c c b d e d d f. Beispiel: Marschalt von Raprechtswyl (Hagens Minnes. I. 342. 1).

9. aabccbddeee. Beispiel: Reinmar der Alte (Hagens Minnes. I. 200. 42).

10. aabcddbcbbc. Beispiel: Ulrich von Wintersteten (Hagens Minnes. I. 166. 34).

11. aabccbcbddb. Beispiel: Heinrich von Morungen (Hagens Minnes. I. 128. 26).

12. aabccbdeeed. Beispiel: Gottfr. v. Nisen (Hagens Minnes. I. 56. 31).

13. aabccdeffdg. Beispiel: Gottfr. v. Nisen (Hagens Minnes. I. 49. 16).

14. aabaabcdcde. Beispiel: Derselbe a. a. O. I. 43. 6.

715

15. aabccbdeffe. Beispiel: Friedr. von Leiningen (Hagens Minnes. I. 26.

1).

16. aabbccccddd. (Körners Sturmstrophe.) Beispiel:

Das Volk steht auf, der Sturm bricht los; Wer legt noch die Hände feig in den Schoß? Pfui über dich Buben hinter dem Ofen, Unter den Schranzen und unter den Zofen! Bist doch ein ehrlos erbärmlicher Wicht: Ein deutsches Mädchen küßt dich nicht, Ein deutsches Lied erfreut dich nicht, Und deutscher Wein erquickt dich nicht. — Stoßt mit an, Mann für Mann, Wer den Flamberg schwingen kann! (7 Strophen.) (Körner, Männer und Buben.)

17. aabbccddeee. Beispiel:

Wenn dieser Brief wird zu den Händen gelangen, Für die er aus den meinen ist ausgegangen: So habe ich nur Eine Bitte zu stellen, Daß sie unerbrochen ihn nicht lassen wollen. Wenn sie aber ihn werden erbrochen haben, So bitte ich dieses Briefs Buchstaben, Daß sie alle die Kraft der Minnen, Die ich beim Schreiben ließ in sie rinnen, So sich lassen vor ihren schönen Augen regen, Daß es müsse ihr Herz bewegen, Und sie die Schrift nicht könne von sich legen. (7 Strophen.) (Rückert, Altdeutscher Liebesbrief.)

18. a a b a a b a a a a b. Beispiel:

Schillers Musenalmanach War ein deutscher und er sprach Alle Deutschen an; Ihm nun folgen mannigfach Schwäbisch, Bairisch andre nach: Ist das wohlgethan? Jenes war ein voller Bach, Diese Bächlein sind so schwach, Sind so flach, Daß ein Käfer allgemach Sie trocknen Fußes passieren kann. (Rückert, Lieder und Sprüche 191.)

19. ababbccdeed. Beispiel: Herzog Johann von Brabant (Hagens Minnes. I.

17. 8).

20. abcdabcdeee. Beispiel: Graf Rudolf von Neuenburg (Hagens Minnes. I.

19. 6).

716

21. abcdabcdeef. Beispiele: Gottsr. v. Nifen (Hagens Minnei. I. 41. 1) und Heinrich v. Sar (ebb. I. 92. 2).

22. abcabcdeeed. Beispiel: Gottsr. v. Nisen (Hagens Minnes. J. 52. 23).

23. abcabcddabc. Beispiel: Wernher v. Honberg (Hagens Minnes. 1. 64. 5).

24. abcabcdadda. Beispiel: Heinr. Frauenberg (Hagens Minnes. I. 95. 2).

25. abcabcdeded. Beispiel: Schenk von Limburg (Hagens Minnes. Rubin (Hagens Minnes. I. 313. 7).

I.

132. 2), sowie

26. abcabcdedec. Beispiel: Ulrich von Wintersteten (Hagens Minnes. I. 151. 10).

27. ababcccbeee. Beispiel: Der Vorige a. a. O.

I. 161. 27.

28. abcabcddefe. Beispiel: Reinmar der Alte (Hagens Minnes. I. 182. 15).

29. ababcddcefe. Beispiel: Walther v. d. Vogelweide

(Hagens Minnes. I.

239.

33).

30. abbcdefghie. Beispiel: S. 49).

Die Waise, litth. Volkslied (aus Rhesas Dainos. 2. Aufl.

31. abcabcaadee. Beispiel: v. Johannsdorf (Hagens Minnes. 1. 322. 4).

32. abaacdaedcf. Beispiel: Bligge v. Steinach (Hagens Minnes. 1. 326. 1).

33. ababcccdbbd. . Beispiel: Hartmann v. Aue (Hagens Minnes. I. 332. 12).

34. abcabcddeed. Beispiel: Konrad v. Landegge (Hagens Minnes. I. 359. 17), Johannes Hadloub (ebb. II

286. 12. und II. 295. 32.)

sowie

717

35. a b c a b c d d d e e. Beispiel: Christian Lupiu (Hageno 'Minnes. 11. 21. 4).

36. a b c d e b c d e a d. Beispiel: Winli (Hageno Minnes. II. 30. 6).

37. a b c a b c d d e e c. Beispiel: Konrad von Altstetten (Hageno Minnes. II. 64. 2).

38. abcabcdedee. Beispiel: Goeli (Hageno Minnes. II. 78.

1).

39. a b c a b c d e e d c. Beispiel: v. Buwenburg (Hagens Minnes. II. 262. 5).

40. a bbaabbabbb. Beispiel: Rückerto An Blandusias Cuelle (Ges. Ausg. V. 28).

41. a b a b a b a a b a b. Cine dilrch nur zwei Reime sich auozeichnende Form. Beispiel: Rückerts Gnad' und Dank (Ges. Auog. VII. 439).

42. a a b a a b c d d d b. Beispiel: Konrad von Würzburg (Hagens Minnes. II. 317. 10).

43. ababccbdede. (Geibels Nachtstrophe.) Beispiel:

Schon fängt es an zu dämmern, Der Mond als Hirt erwacht, Und singt den Wolkenlämmern Ein Lied zur guten Nacht: Und wie er singt so leise, Da dringt vom Sternenkreise Der Schall in's Ohr mir sacht: Schlafet in Ruh, schlafet in Ruh! Vorüber der Tag und sein Schall; Die Liebe Gottes deckt euch zu Allüberall. (6 Strophen.) (Geibel, Gute Nacht.)

44. a a a b b b c c d d d. (Maßmanns Turnerstrophe.) Beispiel:

Turner zieh'n Froh dahin, Wenn die Bäume schwellen grün; Wanderfahrt, Streng und hart, Das ist Turnerart!

718 Turnersinn ist wohlbestellt, Turnern Wandern wohlgefällt; Darum frei Turnerei Stets gepriesen sei. (6 Strophen.) (Maßmann, Wanderlied der Turner.)

45. a b a b c c d e d d e. Beispiel: Alfred Klars Lied vom Leide. 5 Strophen.

46. a b a b c d c d c e e. (Dingelstedts Seestrophe.) Beispiel-. O lodre fort, Prometheus-Flamme du, Erobert vom Olymp, doch nicht gestohlen; Ich sehe deinem Lichte freudig zu, Das nicht entzünden kann und nicht verkohlen. Es spiegelt sich, ich fühl's, in meiner Brust; Denn drinnen glüht ihm ein verwandter Funken, Und selbstbewußt, Bom Meer und seinen großen Geistern trunken, Ruf' ich es in den Sturm hinaus mit Lust: Gewittere, wilde Nacht! Dort ist mein Hafen, Der Leuchtturm brennt: Ich kann in Frieden schlafen! (Dingelstedt, Seestück aus Holland. 20. Strophe.)

In gedichtet,

demselben Schema ist noch Ehamissos Mäßigung und Mäßigkeit 6 Strophen, deren fünfte 4 lateinische und 1 französische Verszeile

enthält.

47. ababcdcdeea. Beispiel:

Kein sel'grer Tod ist in der Welt, Als wer vor'm Feind erschlagen, Auf grüner Heid' im freien Feld Darf nicht hör'n groß Wehklagen, Im engen Bett, da ein'r allein Muß an den Todesreihen, Hier aber find't er Gesellschaft fein, Fall'n mit, wie Kräuter im Maien, Ick sag' ohn' Spott, Kem sel'grer Tod Ist in der Welt. (2 Strophen.) (Morhoss Schlachtlied aus dem 17. Jahrh. Menzel, Ges. d. Völker 213.)

48. abbacddaefa. Beispiel:

2 Strophen.

Rina, venetianisches Liedchen (Agrumi von Kopisch S. 25).

719 49. ababcdcdeee. Beispiel: Entspringen muß der Freude Quell In deinem eigenen Herzen; Doch scheint mir nicht der Himmel hell, So dunkeln meine Kerzen. Und auch die Menschen müssen sich Und mich in Ruhe lassen; Allein nicht freuen kann ich mich, Wo all' einander hassen. Frühling, Freud' und Frieden, Wo die ungeschieden, Da ist's schön hienieden. (3 Strophen.) (Rückert, Frühhauch.)

50. abbaabbac c c. 3wei persische Vierzeileu mit dreizeiligem Abgesang. Beispiel: Rückerts Abschied (Ges. Ausg. II. 515.

5 Strophen).

51. abababa bccc. Eine Siciliane mit angefügter Dreizeile. Beispiel: Rückerts Verschließung (Ges. Ausg. II. 309).

52. abbaccbcbbb. Beispiel: Rückerts „Hast mit halbem Scherz gefragt" (Kindertotenl. 169).

53. ababcdcdeed. Beispiel: Goethe, Der Gott und die Bajadere.

(9 Strophen.)

ferner

Körner, Bundeslied vor der Schlacht. Ahnungsgrauend, todesmutig, Bricht der große Morgen an; Und die Sonne kalt und blutig Leuchtet unsrer blutigen Bahn. In der nächsten Stunden Schoße Liegt das Schicksal einer Welt, Und es zittern schon die Lose, Und der eh'rne Würfel fällt. Brüder! euch mahne die dämmernde Stunde, Mahne euch ernst zu dem heiligsten Bunde: Treu, so zum Tod, als zum Leben, gesellt! rc.

54. abbaabacdcd. Beispiel: Die Blum' am Anger spricht: O Himmelsnaß, Bon mir gekannt einst unterm Namen Tau! In Frühlingsnächten weckest du mich schlau, Verhießest Pflege süß ohn' Unterlaß. Wie hat sich nun in Haß Verkehrt dein Schmeicheln lau? Als Herbstreif machst du mir die Wangen blaß.

(Körner.)

720 Warum hat mich in's Leben Gerufen dein Gebot, Wenn du dafür nur geben Mir willst den bittern Tod?

(Rückert, Ges. Ansg. VII. 319.)

55. abbacccdeed. Beispiel: Der Winter von Ges. d. Völker Z. 632).

Beranger,

übers, von Ruben»? l Menzel,

56. a b c b c d e f g h d. (Schefers ®eivitterjtropbe.) Beispiel: In die Blüten, In die Blätter Rauscht das erste Frühlingswetter, Ruft die erste Nachtigall; Aller Blumen Kelche füllend, Hinunlisch, himmlisch Zu den Wolken Ans dem Thal. (5 Strophen.)

(Leop. Scheser.)

57. ababcccdede. (Bodenstedts Frühlingsstrophe.) Beispiel:

Wenn der Frühling aus die Berge steigt Und im Sonnenstrahl der Schnee zerfließt, Wenn das erste Grün am Baum sich zeigt Und im Gras das erste Blümlein sprießt — Wenn vorbei im Thal Nun mit einemmal Alle Regenzeit und Winterqual, Schallt es von den Höh'n Bis zum Thale weit: O, wie wunderschön Ist die Frühlingszeit! (Bodenstedt IX. 21.)

§ 209. Die zwöifzeittge Strophe (DuodeMe). Die zwölfzeilige Strophe ist von den Minnesingern noch häustger angewandt worden als die llzeilige. Wir finden bei ihnen 42 Formen derselben, während die sämtlichen namhaften neueren Dichter nur wenige Kombinationen aufweisen, von welchen noch dazu einige bei den Minnesingern bereits vertreten sind. Die Gliederung der zwölfzeiligen Strophe ist bei den Minne­ singern 2-|-2 4-8, oder 3 4-3-46 oder 44-44-4. Die erstere Form ist die seltenere (vgl. Walther von der Vvgelweide, Hartmann

721 von Aue, Der tugendhafte Schreiber); die beiden letzteren Formen finden sich in gleicher Häufigkeit. Die älteren Formen dieser zwölf zelligen Strophen sind so planvoll und so architektonisch verständnis­ voll aufgebaut, wie wir etwas Ähnliches bei den Neueren nicht nach­

zuweisen vermögen. Zum Beweis geben wir übersetzt nur eines von den vielen Beispielen: Jahrlang will die Linde vom Winde sich velwen, entfärben.) Die sich vor dem Walde zu balde kann velwen; Trauren auf der Heide mit Leide man übet: so hat mir die Minne die Sinne betrübet. (Konrad von Wurzburg.)

Welch reiche Kombinationszahl bei der zwölfzeiligen Strophe möglich ist, ergiebt schon der Hinblick auf die Kombinationsmöglichkeit der achtzeiligeu. Die neu hinzukommenden 15 Kombinationen der letzten 4 Zeilen können einzeln an die 225 Kombinationen der achtzeiligen Strophe angefügt werden, wodurch sich 15 X 225 = 3375 Kombinationen ergeben, die noch durch eine Durchs setzung der einzelnen Zeiten mit reimlosen Zeilen erheblich vermehrt werden. Formen der zwölfzeiligen Atrophe.

1. aabccbdeebdd. Beispiel: Rost von Sarnen (Hagens Minnes. II. 133. 8).

2. aabccbdefdef. Diese von Walther von der Vogelweide (Hagens Minnes. I. 271. 79) gebrauchte Strophe hat Rückert mit charakteristisch verlängerter Schlußzeile an­ gewandt.

Beispiel:

Der Ritterbote Steigemeier Hat auch am Feiertag nicht Feier, Stets hat er umzusteigen, In drei verschiedenen Kantonen, Wo die verschiednen Ritter wohnen, Abwechselnd sich zu zeigen, In dem Kantone Steigerwald, In dem von Rhön und Werre, (Und Baunach heißt der dritte) Bald ist er hüben, drüben bald; Weil unser gnäd'ger Herre Hier wohnet recht in aller dreien Mitte. Beyer, Deutsche Poetik. I.

(Rückert.) 46

722

3. aabc|ddbc|aaee. Beispiel: Fr. v. Sunenburg (Hagens Minnes. II. 357. 4).

4. aabccbdedeff. Beispiel: Bruder Wernher (Hagens Minnes. II. 227. 1).

5. aabccbddeffe. (Frauenehrenton Reinmars von Zweier.) Beispiele: Reinmar von Zweter (Hagens Minnes. II. 177. 2) und Konrad von Würzburg (ebb. II. 326. 28).

6. aabc|cldbc|eeff. Beispiele: Steimar (Hagens Minnes. II. 159. 13) (ebb. II. 93. 11).

und

Tanhuser

7. aabccbddeeff. Beispiel: Steimar (Hagens Minnes. II. 157. 9) und Gerol, Ebristus am Meer.

8. aabacadaeafa. Beispiel: Fr. Rückert, Die ausgehende Lyrik.

9. aaabcccbdddb. Beispiel: Eberhard von Sar (Hagens Minnes. I. 68. 1).

10. aab ccbddbeeb. Beispiel: Heinrich von Meißen (Hagens Minnes. I. 13. 5).

11. aabccbddefff. ^Beispiel.

(Nicolais Türmerstrophe.)

QUfi ruft euch die Stimme

Des Wächters von der hohen Zinne. Wach auf, du weites deutsches Land! Die ihr an der Donau hauset, Und wo der Rhein durch Felsen brauset, Und wo sich türmt der Düne Sand! Habt Wacht am Heimatsherd, In treuer Hand das Schwert, Jede Stunde! Zu scharfem Streit Macht euch bereit! Der Tag des Kampfes ist nicht weit. (Geibel, Türmerlied.)

In ganz gleichem Schema und Metrum ist das ähnlich beginnende be­ kannte Kirchenlied Nicolais (1558 —1608) gedichtet (vgl. württ. Gesangbuchs Nr. 634), von welchem Geibel seine Form entlehnte.

12. aabbbccddeee. Beispiel: Rückert, Das mündliche Wort.

723 13. aabbccddeeff.

lGoethes Recensentenstrophe.)

Diese von Konrad von Landegge gebrauchte Form (Hagens Minnes. I. 357. 12) hat uns Goethe in seinem Recensenten erhalten. Rückert hat zwei Gedickte in diesem Schema gedichtet (Lieder und Sprüche S.

Beispiel:

12).

#■

Da hatt' ich einen Kerl zu Gast, Er war mir eben nicht zur Last; Ich hatt' just mein gewöhnlich Essen, Hat sich der Kerl pumpsatt gefressen, Zum Nachtisch, was ich gespeichert hatt'. Und kaum ist mir der Kerl so satt, Thut ihn der Teufel zum Nachbar führen, Über mein Essen zu räsonnieren; „Die Supp' hätt' können gewürzter sein, Der Braten brauner, firner der Wein." Der Tausendsakerment! Schlagt ihn tot den Hund! Es ist ein Recensent. (Goethe, der Recensent.)

14. a a b a b b a b a c c Beispiel:

Wendehals! Wenden deinen Hals Und in allen Wendungen dich zeigen Magst du allenfalls; Aber statt zu geigen Mit der schlechten Stimme, die dir eigen, Wendehals, Thätest du zu schweigen Besser jedenfalls! Wendehals, und was ich dir geraten, Manchem Kameraden Möcht' ich's raten ebenfalls. (Rückert, Lieder und Sprüche. 166.)

15. a a b b c u d d d d d d. Beispiel: Rückert, Jung bleiben wir (Lieder u. Sprüche 4).

16. abbacdcdefef. Beispiel: Chinesisches Frühlingslied von Fr. Rückert (Schi-King S. 103).

17. abbacdcdabba. Beispiel:

Sicilianisches Ständchen in Silchers Volksmelodien I. S. 7.

18. abbcaddceffe. Beispiele:

Joh.

Hadloub

(Hagens

Minnes.

II.

284.

9),

Nilhart

(ebd. II. 110. 13) und Konrad v. Landegge (ebd. I. 359. 16 und 361. 19).

19. abba|cdce|fggf. Beispiel:

Walther v. d. Vogelweide (Hagens Minnes. I. 249. 57).

724 20. abbcaddcceec. Beispiel: Heinr. v. Morungen (sagens Minnes. I. 120. 2).

21. abbcbcacdeed. Beispiel: Rückert, Das schlechteste von Allem (Lieder u. Sprüche 1

5).

22. abababababa b. Beispiel: Ausgleichung von Rückert (Ges. Ausg. II. 177. 2 Strophen). Ebenso Mignon (Dieselbe) von Goethe I. 129.

23. abcabcabcabc. Beispiel: Ich nahm ein Zeitnngsblatt, das brachte Mir schmerzliche Empfindungen, Der ganze Anhang war voll Todsanzeigen. Ein zweites nahm ich dann, das lachte Bon ehlichen Verbindungen, Und halb begann die Furcht in mir zu schweigen. Ein drittes dann, das breit sich machte Mit glücklichen Entbindungen, Da mußt' entschieden sich die Schale neigen. Es wechseln, dies war, was ich dachte, Die Tänzer in den Windungen Des Tanzes ab, voll aber bleibt der Reigen.

Diese Strophe ist durch die 4 dreizeilige Strophen geschützt.

e- Reime vor dem

(Rückert.)

Auseinandersallen in

24. ababcaccaaba. Beispiel: Schneller Wechsel, von Rückert (Ges. Ausg. II. 388).

25. ababbaccacca. Beispiel: Rückerts Gründonnerstag (Ges. Ausg. VII.

187).

26. abababccdddd. Beispiel: Ihr Vögel, wenn ihr warten wollt mit Singen, Bis meine Lieder hell wie sonst erklangen! Ihr Blumen, wenn ihr eh'r nicht wollt entspringen, Bis Freudeblühn ihr seht auf meinen Wangen! O laßt von mir euch keine Störung bringen, Euch aufzuhalten ist nicht mein Verlangen: Singt nur und blüht an aller Ströme Borden, Und wartet nicht, bis Frühling mir geworden. Da wollten dennoch säumen Die Blüten an den Bäumen, Die Vöglein tief in Träumen; Kann man dem Dichter soviel Recht einräumen? (3 Strophen.) (Rückert, Traurige Frühlingsbotschaft.)

725 27. ababcdcdefef. (Geibels Spielmannsstrophe.) Geibel hat diese Strophe durch sein weitgesungenes vierstrophiges Spielmanns Lied populär und berühmt gemacht. Offenbar leuchtete ihm bei der Komposition derselben das vorige Rückertsche Schema (Nr. 26) vor, dem sie

namentlich im 4zeiligen Refrain ähnelt, obwohl letzterer bei Rückert flüssig ist. Zuerst hat diese Strophe angewandt Reinmar der Alte (Hagens Minns. I. 200. 60) sowie Der tugendhafte Schreiber (ebd. II. 152. 11), welcher gliederte 2 -s- 2 -h- 8. In derselben finden wir noch folgende Dichtungen: Opitz' Alcide und Diana, Hölderlins Diotima, Goethes Sendschreiben (Werke II. 182. 3 Strophen) und Herkömmlich (Werke II. 302), Schillers Auf den Tod eines Jünglings, Klage der Ceres (11 Strophen), Uhlands Das Herz für unser

Volk,

Paul Gerhards 6strophiges,

bei Abschluß

des westphälischen

Friedens

gedichtetes Friedenslied, Freiligraths Leipzigs Toten! Rückerts 6strophiges >Undertotenlied Euer Locken, sowie endlich Graf Strachwitz' 5strophiges Gedicht Der gefangene Admiral.

Beispiel:

Und legt ihr zwischen inicfj und sie Auch Strom und Thal und Hügel, Gestrenge Herrn, ihr trennt uns nie, Tas Lied, das Lied hat Flügel. Ich bin ein Spielmann wohlbekannt, Ich mache mich auf die Reise, Und sing' hinfort durch's ganze Land Nur noch die Eine Weise: Ich habe dich lieb, du Süße, Du meine Lust und Qual, Ich habe dich lieb und grüße mich tausend, tausendmal! (Geibel, Spielmanns Lied.)

28. ababcbcbclede. Beispiel: Johannes Hadloub (Hagens Minnes. II. 278.

1).

29. a b c | a b c | d e f g g e. Beispiel:

Gottfried

von

Straßburg

(Hagens Minnes. II. 266. 1).

30. a b c | d e c i f g h i k k. Beispiel: Waltram von Gresten (Hagens Minnes. II. 160. 3).

Die

Strophe

schließt

in

höchst

berechneter

Weise

die

beiden

Zzeiligen

Stollen mit dem e-Reim ab, dagegen den Abgesang mit dem "charakteristischen Reimpaare k k.

31. abcabccddeef. Beispiel: Joh. Hadloub (Hagens Minnes. II. 297. 36).

32. ababbcbcdcdc. Beispiel: Joh. v. Brabant (Hagens Minnes. I. 15.

1).

726

33. abcahcdedeff. Beispiele: Otto v. Botenlauben (Hagens Minnes. I. 32. 14) und Albrecht v. Heigerlen (ebb. I. 63. 1).

34. abcdabcdeeea. Beispiel: Heinrich v. Beldeke (Hagens Minnes. 1. 37. 9).

35. abcdefabcdeg. Beispiel: Gottfried v. Rifen (Hagens Minnes. 1. 60. 45).

36. abcabcddeeff. Beispiel: Christian v. Hamle (Hagens Minnes. I. 112.

1).

37. abba|abba|baab. Zwei persische Vierzeilen mit Abgesang. Beispiel: Rückerts Maler-Traum (Ges. Ausg. 1. 564). Ähnlich ist Rückerts „O mögen mir den Tag die Götter schenken^ (ikinr-

tich: a b b a | a b b a | a b a b).

38. ababccccbbbb. Beispiele: Ulrich von Wintersteten (Hagens Minnes. I. 152. 12 und 170. 41).

39. ababcdcdeeff. Dieses von Hartmann von Aue (Hagens Minnes. I. 330. 5), von Brennenberg (ebb. I. 336. 4) und Walther von der Vogelweide (ebd. [. 229. 11) gebrauchte Schema hat uns Kinkel im Gedicht Heimwärts erkalten.

40. abcabcabcaac. Beispiel: Reinmar der Alte (Hagens Minnes. I. 194. 46).

41. aabcddcceeff. Beispiel: Roquette, Brautfahrt.

42. ababcdcdeffg. Beispiel: Burkhard v. Hohenfels (Hagens Minnes. I. 202. 4).

43. ab|ab|ccdeffd. Beispiel: Walther v. d. Vogelweide (Hagens Minnes. I. 239. 34).

44. abcabcefefef. Beispiel: Walther v. Metz (Hagens Minnes. T. 308. 6).

727

45. abcbdeeffffg. Beispiel:

Mitten wir im Leben sind Mit dem Tod umfangen; Wen suchen wir, der Hilfe thu, Daß wir Gnad' erlangen? Das bist du, Herr! alleine. Uns reuet unsre Missethat, Die dich, Herr! erzürnet hat. Heiliger Herre Gott! Heiliger starker Gott! Heiliger, barmherziger Heiland! Du ewiger Gott'. Laß' uns nicht versinken in des bittern Todes Not. Erbarm' dich über uns! (Büßlied aus Lange's kirchl. Hymnologie S. 619.)

46. a b c a b c d e d e d e. Beispiel: Rubin (Hagens Minnes. 1. 311. 2).

47. ab | ab | c c d e f f d e. Beispiel: Hartmann v. Aue (Hagens Minnes. I. 328. 2).

48. a b a c e b e c f f g g. Beispiel: Konrad v. Landegge (Hagens Minnes. I. 352. 4).

49. abacdbdcebec. Beispiele: Ulrich v. Liechtenstein Goethe, Nachgefühl (I. 47).

(Hagens Minnes. II. 34. 6) und

50. abcdabcddbbb. Beispiel: v. Munegür (Hagens Minnes. I. 62. 1).

51. ababababcccb. Beispiel: Liebesglück von Bernard de Bentadour, (Menzel, Ges. d. Völker S. 249).

überseht von Die;

52. ababcdcdeeee. Beispiel: Im Windsgeräusch, in stiller Nacht Geht dort ein Wandersmann, Er seufzt und weint und schleicht so sacht, Und ruft die Sterne an: Mein Busen pocht, mein Herz ist schwer, In stiller Einsamkeit, Mir unbekannt, wohin, woher, Durchwand!' ich Freud und Leid; Ihr Keinen, goldnen Sterne, Ihr bleibt mir ewig ferne, Ferne, ferne Und ach! ich vertraut' euch so gerne! (2 Strophen.) (Ludw. Tieck, Nacht.)

728 53. ababcdcdabab. Diese Form ist durch Geibelsche Dichtungen beliebt geworden. Wie im Schema Nr. 27 schließt er auch hier durch einen 4zeiligen Refrain charakteri­ stisch ab.

Vgl. O stille dies Verlangen! (3 Strophen) und Gondoliera.

Beispiel:

O komm zu mir, wenn durch die Nacht Wandelt das Sternenheer, Dann schwebt mit uns in Mondespracht Die Gondel über's Meer. Die Luft ist weich, wie Liebesscherz, Sanft spielt der goldne Schein, Die Zither klingt, und zieht beiu Herz Mit in die Lust hinein. O komm zu mir, wenn durch die Nacht Wandelt das Sternenheer! Dann schwebt mit uns in Mondespracht Die Gondel über's Meer. (2 Strophen.) (Geibel, Gondoliera.)

54. a b c b d e f g h i k 1. (Aus Geibels Volksliedern

de Padilla.

Beispiel: Donna Maria Spanier. S. 122.)

der

55. abcb|defe|ghih. Beispiel: Chamissos Don Ouixote.

56. abcdefaghikl. Beispiel: Leop. Schefers Wonn' über Wonn'.

1

Strophe.

57. aabbccddefef. Beispiel: Schillers Kampf mit dem Drachen.

58. x x x x x x x x x x x x. Bei den beiden Strophen Nr. 54 und 56 findet sich je 1 (vielleicht zufälliger) Reim; bei dem vorstehenden Schema sind sämtliche Zeilen reimlos.

Es nähert sich dieses Schema der Oden- und Dithyrambenform.

Die in dem­

selben gedichteten Strophen charakterisieren sich als Teilganze durch die syntak­ tische Pause an ihrem Schluffe Beginn. einen

Die Strophe

durch

und

gleicht einem

reichen Inhalt. -

Die

den

flüssigen Kehrreim

großen Gefäß,

nachstehende

künstliche

bei

ihrem

welches Raum hat für­

Reimspielstrophe

Rückerts

entspricht diesem Schema im Hinblick auf die Verszeilenschlüsse und dem An-

sangsresrain. geschrieben

schlossene

Dieselbe

werden,

kann

und

Vierundzwanzigzeile

hhiikkllmma, der Anfangszeile wird.

jedoch

wegen

des Binnenreims

auch

gebrochen

dann erscheint sie als mustergültig abgerundete, ge­ mit

so zwar,

dem

Schema:

abbccddeeffgg

daß der Schlußreim das Echo des Reims

729 Beispiel: Meine Klagen sollen lieblich wallen, Den Krystallen gleich im Frühlingsbache, Die mit Ache Hüpfen auf am Strande, Wo vom Rande sich zwei Blumen neigen, Und mit Schweigen sich im heiterblauen Spiegel schauen, aber, eingeladen Sich zu baden, scheu zurück sich biegen llnd sich schmiegen, als ob sie sich schämen; Doch mit Grämen trüben ihren Hellen Blick die Wellen, die vorüber müssen, Schmerzlich grüßen sie im Weitereilen, Möchten, weilen, müssen doch entsagen. (3 Strophen.) (Rückerts Kinderrotenlieder 5.)

§ *210. Die dreizehuMige Strophe. Diese unsymmetrische Strophe ist von den Neueren nur ausnahms­ weise nngeweudet worden. Wir begegnen ihr bei Levp. Schefer, bei dem sie aus reimlosen Versen besteht; ferner bei Schiller (Einerjungen Freundin ins Stammbuch); bei Rückert (Ges. Ausg. VII. 150; Kindertotenl. 354; Schi-King S. 188); beim Kuhreihen aus dem Haslithal (Kretzschmers Volks!. II. 309) und bei Franz Jahn („Mosel und Rhein" in Alldeutschland v. Müller v. d. Werra 1871, S. 343). Ausgiebiger wurde sie von den Minnesingern verwertet. Von 24 freundlichen Formen haben 12 die Gliederung 4 —|— 4 —|— 5; 10 gliedern sich: 3 -st- 3 -st 7 und nur zwei 2 -st 2 -st 9. Eine 13zeilige fremde Form ist bekanntlich die im § 171 abgehandelte Kanzone. Interessant ist die Thatsache, daß keine einzige 13zeilige Form sich wiederholt, daß somit jeder Dichter seine besondere Kombination erfunden hat. Formen der dreizehnzeiiigen Atropye.

1. a a a b | c c c d | e d d d e. Beispiel: Goesli von Ehenhein syagens Minnes. I. 347. 1).

2. a a a b | c c c b | b d d d b. Beispiel: Regenbogen (Hagens Minnes. II. 309. 1).

3. aaab|cccd|efeef. Beispiel: v. Trostberg (Hagens Minnes. II. 72.

5).

4. a a a | b b b | c d c d d e e. Beispiel: Ulrich von Wintersteten (Hagens Minnes. I. 153.

14).

5. aab|ccb|dedeffg. Beispiel: Walther Sigeher (Hagens Minnes. II. 361. 4).

6. aab|ccd|eefggff. Beispiel: Ulrich v. Liechtenstein t.Hagens Minnes. II. 47. 24).

730

7. a a b c | d d b c | e c c e c. Beispiel: Graf v. Toggenburg (Hagen-? ?Minnes. 1. 23. 7),

8. aab|ccb|ddeffeb. Beispiel: v. Hohenburg (Hagens Minnes. I. 34. 5).

9. a a b a | c c b c | d e f f d. Beispiel: Wernher v. Teufen (Hagen-? Minnes. I.

109. 3).

10. a a b | c c b | d d d b e e e. Beispiel: Ulrich v. Wintersteten (Hagen-? Blinnes. [.

163. 31).

11. a a b | c c b | d d e f f g g. Beispiel: Walther v. d. Vogelweide (Hagens Minnes. I. 226. 2

12. a a b b c d d c e e f f c. Beispiel:

Die Bögel Sun erheben sich zum Himmel Uud lassen dann sich nieder mit Gewimmel. Fang-Schu, der Feldherr, führt sein Heer, Dreitausend Wagen oder mehr, Sein Heer ist gut, den Feind zu schlagen. Fang-Schu, der Feldherr ziehet aus, Die bunten Rosse ziehn mit Braus Die Reihen viergespannter Wagen. Rot ist bemalt der Wagenrand Das Innre weiche Mattenwand; Die Köcher sind von Fisches Fell, Der Rosse Nacken tönen hell Bon Zaum und Zügel, goldbeschlagen. (4 Strophen.) (Faug-Schus Kriegslied. Rückerts Schi-King S. 188.)

13. aabbccaaddeee. Beispiel: Dacht' ich Wunder, was ich Hütte zu Wege gebracht, Und hab's euch wieder nicht recht gemacht, Da ich euch Rostem und Suhrab Aus Fülle meines Herzens gab. Ihr sprecht: auf deutschen Bühnen Was sollen die fremden Hünen? Ich hoffte, was ich so menschlich gemacht, Solltet ihr finden nicht ungeschlacht; Nun aber sprech' ich kühner: Statt meiner fremden Hünen empfehl' ich euch deutsche Hühner, Ihr lieben Enkel von Freia, Lest zum Eiapopeia Hinkel, Gokel und Gakeleia! (1 Strophe.) (Rückert, Ges. Ausg. VII. 150.)

14. a b b c | a d d c | e a e e e. Beispiel: Heinr. v. Weißensee (Hagens Minnei. II. 22.

1).

731

15. abbcbcbcbcb c b. Beispiel: Siehe, der dumpfe Wasserträger, Der des Morgens von Haus zu Haus Schreit Wasser in allen Gassen aus, Wenn er kommt zu deiner Schwelle, Und du trittst heraus, Steht er wie gebannt auf die Stelle, Und als ging ihm das Wasser im Eimer aus. Verlangen macht sein Auge zur Quelle, Das gießt am Boden sein Wasser dir aus. Von Liebe begeistert wird der Geselle, Er macht sich selbst einen Vers daraus, Und trägt so mit verdoppelter Schnelle Singend sein Wasser von Haus zu Haus. (1 Strophe.) (Rückert, Ges. Ausg. V. 319?)

16. a b c (1 | a b c d | e f e e f. Beispiel: Gottfr. v. Husen (Hagens Minnes. I. 42. 3).

17. ab | ab | cdeedffff. Beispiel: Heinr. v. Stretlingen (Hagens Minnes. I. 110. 1), 3 Steophen mit je vierzeiligem, ans verkürzten Zeilen bestehenden Sällußrefrain.

18. ab c i a b c | d e d e f f f. Beispiel: Schenk v. Limburg (Hagens Minnes. I. 131. 1).

19. a b c | a b d | e f e f e g g. Beispiel: Ulrich von Wintersteten (Hagens Minnes. 1.

160. 25).

20. a b c | a b c | d e d e f f e. Beispiel: Der Vorige a. a. O. I. 167. 34.

21. a b c d | a b c e | d f f g g. Beispiel: Heinrich v. Rugge (Hagens Minnes. I. 221. 2).

22. a b a b | c d c d | e e f e f. Beispiel: Konrad v. Landegge (Hagens Minnes. I. 356. 10).

23. a b c d | a b a d | e f e f f. Beispiel: Tanhuser (Hagens Minnes. II. 90. 7).

24. abc|abc[dedeafc. Beispiel: Heinr. Teschler (Hagens Minnes. II. 128. 8).

25. a b | a b | c c b b b d e e d. Beispiel: Friedrich der Knecht (Hagens Minnes. II. 170. 5).

26. a b c a i d e f a | g h g h h. Beispiel: Neuneu (Hagens Miunes. II.

172. 2).

27. a b c d | a e e f | d g g h h. Beispiel: Johannen Hadloub (Hagens Miunes. II. 292. 26).

28. abcdecfcghii h. Beispiel:

Har Kuhli! ho Lobe! hie unte, hoch obe, Trib use, trib inne, den Reigen an ft im me; Bring zuerst die Dreichelkuh, Die Brämi, die Giger, die Rämi, die Stiger, Die Melche, die Gälte, die Junge, die Alte, Trib o fri wacker zu. Die Große, die Kleine, die Gliche, die Genleine, Muß ine thu! Ach, Schätzeli, hab en guete Muet, Am Fridag wei mcr fahre. Es Ziger und Patznideli, Das chast benn esse, Lideli! A dir will i nit spare! (3 Strophen.) (Kuhreihen aus dem Haslithal. Kretschmer II. Nr. 309. S. 5.57.) (Bei

einer,

durch die Binuenreime ermöglichten gebrochenell

Schreibung

dieser Strophe wird dieselbe zur Achtzehnzeile mit dem Schema: a a b b c d d

eecffcghii h.)

29. abcabbcd c b d c d. Beispiel: Wie ich den Brief gesiegelt, von Fr. Nückert.

(Kindertotenl.

L. 354.)

30. a b a b c c d e e d f f g. Beispiel: Schiller, Einer jungen Freundin in’* Stammbuch (2 Strophen). Ähnlich Der heilige Martin von Chamisio. (a b a b | c c d e e d | f f d.)

31. ababccdddeeff. Beispiel: Wo der Mosel klare Welleu Niederrauschen zu dem Rheine Und die beiden Stromgesellen Weiter fluten im Vereine: Tönet heut ein leises Klagen, Das die Lüfte weitertragen Über alle deutschen Lande, Zu der Elbe grünem Strande Bis zur Ostsee Dünensande, Und die deutschen Ströme all Stauen ihrer Wasser Fall, Lauschen bang der Stromgeschwister Leise klagendem Geflüster. (6 Strophen.) (Franz Iahn, Alldeutschland S. 343.)

733 32. a b c b a c c d e e d f f. Beispiel: Lob der Frauen von Fr. Scblegel. (Werke S. 121. 6 Str.)

33. axxxxxxxxxxax. (Schesers Liebesstrophe. Beispiel:

Alles schön ist in der L i eb e, I n der Lieb' ist alles süß, Süß das Schauen, süß das Glühen, Süß ist Wünschen, süß ist Hoffen, Das Erwerben, das Erreichen. Das Erinnern, o wie lächelnd; Das Verlieren, noch wie rührend — Aber über alles ietifl Ist das liebliche V e r weig e r n ! Darin flammt das Unerreichte Schon noch hinnnlischer erreicht! A l l e s s ü ß i st in de r L i e b e, I N d e r Lieb ist alles schön. (1 Strophe.) (Leop. Scheier.)

(2ei- a^Keim ist jedenfalls nicht beabsichtigt, somit diese Strophe reimlos.)

§ 211. Die vierzehnMlige Strophe. Tie deutsche 14zeilige Strophe ist bei den Minnesingern in 16 Formen vertreten. In der neueren poetischen Litteratur findet sie sich häufiger als die 13zeilige. Kopisch, Sallet, Goethe, Rückert, Gottschall, Karl Beck, Hoffmann von Fallersleben nnd Bodenstedt sind ihre hauptsächlichsten Bearbeiter. Goethe, der in „Rastlose Liebe" mit Jamben beginnt, um in Anapäste nnd Daktylen überzugehen, schließt eine freundliche Bierzehn­ zeile im Zauberlehrling durch einen Ozeiligen Refrain. Rückert, der in seiner einreimigen Lobstrophe eine der originellsten Bierzehnzeilen bildet, >veiß im Guckkasten sehr geschickt den Rhythmus zu wechseln: seine alle Gebiete berührende, im beweglichen Jambus einherschrcikende Schilderung erhält in den letzten 4 Zeilen jeder Strophe durch den Trochäus einen Halt, der jedesmal die Rückkehr zum Guckkasten beginnt. Freundliche, an die Rückertschen selbständig auftretenden Achtzeilen erinnernde Gebilde sind die Goetheschen Vierzehnzeilen „Seance" (Bd. II. 199) und „Versus memoriales“ (Bd. II. 238). Die Rückert­ schen Bierzehnzeilen zeichnen sich vor den Goetheschen aus durch strophisch schönen Abschluß, z. B. Das Lob, und Der Stern des Lebens (Rückerts Ges. Ausg. VII. 131 ii. 433) wie durch architektonische Gliederung, z. B. Zwölf Freier (Ges. Ausg. I. 534). Zwar liebt die Architektonik der Strophe im allgemeinen keine allzugroßen Gruppen; doch hat Rückert die Monotonie durch den Wechsel im Reimgeschlecht, durch Verschieden­ heit in der Zeilenlänge und im Rhythmus zu beseitigen verstanden.

734 Die fremde Form des dreiteiligen Sonetts (§ 165) ist im Grunde genommen nur eine Vierzehnzeile. (Vgl. besonders S. 534 d. B.) Am beliebtesten ist die 14zeilige Strophe in der russischen Poesie. Sie ist die Lieblingsform Puschkins und Lermontoffs. Badenstedt hat durch seine mustergültige Übersetzung nunmehr der

14zeiligen Strophe neue Bahnen geöffnet. Im 5. und 6. Band seiner gesammelten Schriften finden sich 417 und im 7. und 8 Bande 156 14zeilige Strophen, die sämtlich nach einem, nur hie und da im Ab­ gesang modifizierten Schema gebildet find. Die Gliederung der 14zeiligen Strophe ist bei den Minnesingern 4 + 4 6 oder 3 + 3 -f- 8 oder (bei Walther v. d. Vogelweide) 5 4_ 5 4. Formen -er vierzehnzeiligen Atrophe.

1.

a a a a a a a a a a a a a a.

Beispiel:

Kein Tadel tränkt wie solch ein ^ob, Und sei er giftig, sei er grob. Und ob er schnob und ob er stob Wie Sturm und Wetter, ob ich tob' Im Augenblick ob dem, der ihn erhob; Kein scharfer Tadel kränkt, wie ich erprob', Auf Dauer so wie solch ein mattes Lob, Das dir ein kühler Freund zuschob, Und meint noch, daß er Ehrenkronen wob, Und du ihm schuldest Dank darob. Gott Lob! Das ist der Dank für solches Lob! Gott Lob, Daß überstanden ist ein solches Lob! (Rückert, Das Lob.)

2. aaabjcccbldeeeed. Beispiel: Kraft v. Toggenburg (Hagens Minnes. I. 22. 5).

3. aaab|cccb|dedffe. Beispiel: Gottfr. v. Straßburg (Hagens Minnes. II. 266. 2).

4. aabc|cdee|fgghii. Beispiel: Trinklied für Philister von W. Müller.

5. aaab|cccb|ddeeed. Beispiel: Gottfr. v. Nifen (Hagens Minnes. I. 60).

6. aabbccddeeffgg. Beispiel:

Zwölf Wenn Einen, Einen,

Freier möcht' ich haben, dann hätt' ich genug, alle schön wären und alle nicht klug. um vor mir herzulaufen, um hinter mir drein zu schnaufen;

735

Einen, um mir Spaß zu machen, Und einen, um darüber zn lachen; Einen traurigen, den wollt' ich schon fröhlich herzen, Einen lustigen, ich wollt' ihm vertreiben das Scherzen. Einem, dem reicht' ich die rechte Hand, Einem, dem gab' ich die fiiife zum Pfand; Einem, dem schenkt ich ein freundlich Nicken, Einem, dem gab' ich ein holdes Blicken; Noch einem, den: gab' ich vielleicht einen Kuß, Und dem letzten mich selber aus Überdruß. (Rückert, Zwölf Freier.) 7. a a bbccddeef g f g. (Sallets Rosenstrophe.) Beispiel: Tie Knospe träumte von Sonnenschein, Born Rauschen der Blatter im grünen Hain, Bon der Quelle melodischem Wogenfall, Bon süßen Tönen der Nachtigall, Und von den Lüften, die kosen uub schaukeln, Und von den Düften, die schmeicheln und gaukeln. Und als die Knospe zur Ros' erwacht, Da hat sie mild durch Thränen gelacht, Und hat geschaut und hat gelauscht, Wie's leuchtet und klingt, wie's duftet und rauscht Und all ihr Träumen nun wurde wahr, Da hat sie vor süßem Staunen gebebt, Und leis geflüstert: „Ist mir's doch gar, Als hätt' ich das Alles schon einmal erlebt." (S uttet, Die erwachte Rose. Ges. Ged. 46.) 8. a a b a b a b a a a b a a b. Beispiel: , ± , , ., . Schönheit, Wahrheit, Gute: Euer Leben hüte Dieser D r e i st r a h l - S t e r n! Wurzel ist die Güte, Wahrheit ist der Kern, Schönheit ist die Blüte; Blühen möcht' ich gern! Wahrheit im Gemüte Sei mir nah und Güte, Und der Schönheit Blüte Nie dem Ange fern! Schönheit, Wahrheit, Güte! Euer Leben hüte Dieser D r e i st r a h l - S t e r n! (Rückert, Ges. Ansg. VII. 433.) 9. a b b c c a d e d e f g f g. Beispiel: Und oben hoch, vom Rauch umflogen, Den voll und blau das Pfeifchen speit, In ihrer schwarzen Herrlichkeit Die bärtigen Gesellen geigen Ein Liedlein auf zum Hochzeitsreigen.

736 Hin durch den Rauch fährt wild der Bogen Des fiedelnden Zigeunerhans Wie durch die Nebel seiner Thäte Boreinst die Lanze Ossians. — Wie lässig schweift das Volk im Saale, Wie zahm und schlaff sind diese Weisen! Es ist ein deutscher Tanz, — verdammt! Doch still, — er klingt, die Braut zu preisen, Die aus dem Blut der Deutschen stammt. (7 Strophen.) (Aus Karl Becks Janko, der ungarische Rojflnrt.)

10. aab|ccb|cdedeff g. Beispiel: Ulrich von Wintersteten (Hagens Minnes. I.

160. 14).

11. a a b ’ c c b | d d d b e f f e. Beispiel: Der Vorige.

Band 1. 154. 16.

12. a a b c | d d b c | e b e b g g. Beispiel: Hardegger (Hagens Minnes. II.

134. 1).

13. a a b bccddeeffc c. (H e i n z e l m ä n n ch e n ft r v p h e.) Beispiel: Wie war zu Köln es doch vordem Mit Heinzelmännchen so bequem! Denn, war man faul: . . . man legte sich Hin auf die Bank und pflegte sich: Da kamen bei Nacht, Ehe man's gedacht, Die Männlein und schwärmten Und klappten und lärmten, Und rupften Und zupften Und hüpften und trabten Und putzten und schabten. . . Und eh ein Faulpelz noch erwacht, . . War all sein Tagewerk . . . bereits gemacht! (8 Strophen. ' (Kopisch, Die Heinzelmännchen.!

14. abcd|dcbe|fgfgfh. Beispiel: Gottfr. v. Nifen (Hagens Minnes. I. 53. 25).

15. abcd|abcd|efefgg. Beispiel: Ulrich v. Wintersteten (Hagens Minnes. I. 151. 11).

16. abcabcdddecffe. Beispiel: Ulrich v. Wintersteten (Hagens Minnes. I. 156. 19).

17. abc|abc|ddeeffgg. Beispiel: Heinr. v. Rugge (Hagens Minnes. I. 220. 1).

18. abcde|abcde|fggf. Beispiel: Walther v. d. Vogelweide (Hagens Minnes. I. 233. 20).

737 19. a b c d | a b c d | e f f g g e. Beispiel: Meister Sigeher ^Hagens Minnes. 11. 361. 2).

20. a b a b c d c d e f f g e g. lGoethes Zallberlehrlingsstrophe.) Als Beispiel s. S. 514 d. B. „Hat der alte .Hexenmeister" :e. Diese Goetheschen Strophen könnte man füglich anch als Doppelstrophen

bezeichnen.

21. a b a b c c d d e f f e g g. iBodenstedts Nussenstrophe.) Beispiel:

Mein Oheim ging auf Gottes Wegen, Als seine schwere Krankheit kam; Er ließ sich ehren, hätscheln, pflegeu, Und das war klug von ihm: man nahm An ihm ein Beispiel sich zum Heile. Doch, Himmel', welche Langeweile, Beim Kranken sitzen Tag und Nacht, Nicht aufftehn, ob er schläft, ob wacht! O welch ein schändliches Betrügen: Jetzt reicht man ihm die Medizin, Rückt ihm das Kissen, hätschelt ihn, Erheuchelt Mitleid in den Zügen, Und seufzt und denkt dabei für sich: Wann endlich holt der Teufel dich! (Bodenstedts Übersetzung von Puschkins Eugen Onägin. Ges. Schriften V. S. 13.)

Bei

mehreren

e f e f g g

Strophen

und andere

hat

Bodenstedt

das Schema

unwesentliche Modifikationen

Schriften Bd. VIII. 29, 30, 31, 32, 33, 82,

S.

Bodenstedts

a b a b c d c d

angebracht.

Bgl.

124, 125 u. s. w.

22. abcbdbebfbgbhb. Beispiel: Amor hatt' ein Fieber, Wälzte sich im Nest Schlaflos, alle Götter Sah'n es traurigest, Keiner konnte helfen, Endlich sprach ein West: Amors Übel heilet Hymen allerbest. Hymen ward gerufen, Ünd ihm war's ein Fest. Einen Schlaftrunk braut' er, Und als noch der Rest Nicht war ausgetrunken, Schlief schon Amor fest. (Rückerts Ges. Ausg. V. 18a.) Beyer, Deutsche Poetik. I. 47

Ges.

738

23. ababcdcdeeffg g. iRückerts Guckkastenstrvphe.) Beispiel: Ich über Berg niib Hügel, Und über Fluß und Meer; Es führt auf günstigem Flügel Zu euch ein Gott mich her. Mir ist die Kunst gegeben, Dazu bin ich bestellt, Das Leben und das Weben Zu sehn in aller Welt; Es in ein Bild zu fassen, Und euch es sehn zu lassen. Schöne Bilder, schöne Sachen, Halb zum Weinen, halb zum Lachen, Wie sich's dreht, und steht und geht; Kommt und seht! (Rückerts Guckkasten. Ges. Ausg. 11. 104.)

24. abababababa bab. Beispiel: Rückerts Selbst (Ges. Ausg. VII. 394).

25. aabbccddeeffgb. Beispiel: Werke II. 241).

Mädchenwünsche

von

26. a a b c b c d e d e f f g g. strophe.)

Goethe

(O

fände

für

mich

:c.

(Hoffma n n v. F. Unken-

Beispiel:

Die Frösch' und die Unken Und andre Hallunkeu, Sie können nur zechen Mit röchelnden Rachen, Sie schlürfen aus Bächen, Aus Pfützen und Lachen, Aus Gruben und Klüften, Aus Weihern und Teichen, Aus Gräbern und Grüften Und manchem dergleichen, Und plärren iiu Chor * . Auf Modder und Moor Nur Schnickschnack, Schnackschnack, Und Unkunk, Quackquack. (2 Strophen.) (Hoffmann v. Fallersleben, Die Frösch und die Unken.)

27. aba b c d c d e e f g f g. Beispiel:

Jahr der Schlachten, Jahr der Trauer, Blutig noch im Untergang! Dich umwehten Grabesschauer, Todesseufzer schwer und bang. Deines Sommers Kränze tragen Tau der Thränen, Not und Pein;

739

* '

k v

v

Deines Winters Wolken jagen Rot vom blut'gen Widerschein; In der Brust die Todeswunde Ruht hier Freund und Feind im Bunde. Die Cypresse muß vereinen, Die der Ölzweig nimmer krönt; Wenn sie um die Toten weinen, Sind die Kämpfenden versöhnt. (3 Strophen.) 1 v 1 ^Zu>n Zreu^n^Fahr -87) v^ RKd.^Gcktschall?)

v

28. a a b b c d c d e f e f g g. in n u r e r st r v phe.) Beispiel: „Freimaurer Rittersbaus. (4 Strophen.)

sind

wir

und

(Rittershaus' wir

bleiben

frei"

x

F r e ivon

Emil

§ 212. Die fünfzehnMige Strophe. Diese Strophe kommt weit seltener vor als die vorige. Bei den Minnesingern begegnen wir ihr nur in 11 Formen. Die Gliede­ rung ist in 6 Fällen 3 -s- 3 -s- 9, in 5 Beispielen 4 -s- 4 -s- 7 und einmal 5 -j- 5 5. Von den neueren Dichtern hat die Strophe schöne Anwendung gefunden bei Goethe, Lenau und bei Rückert, der noch in seiner allerletzten Zeit in ihr dichtete; ferner bei Gustav Pfarrius, dem beliebten Dichter des Nahethals, und bei Kobell, dem berühmten Pfälzerdialekt-Dichter. Wiederholungen des gleichen Schemas finden sich nirgends. Formen der sünfzehnreiligen Strophe.

1. aaaaaaaaaaaaaaa. Beispiel: Bächlein, laß dein Rauschen sein! Räder, stellt euer Brausen ein! All ihr muntern Waldvögelein, Groß und klein, Endet eure Melodein! Durch den Hain Aus und ein Schalle heut' e i n Rein: allein: Die geliebte Müllerin ist mein! Mein! Frühling, sind das alle deine Blümelein? Sonne, hast du keinen Hellern Schein? Ach, so muß ich ganz allein • Mit dem seligen Worte mein Unverstanden in der Schöpfung sein! (Will). Müllers „Mein!" I. 28.)

2. a a a a a | b b b b b | c c c c c. Beispiel: Schulmeister von Eßlingen (Hagens Minnes. II.

139. 9).

740

3. aaabjcccb|ddeeeeb. Beispiel: Konrad von Würzburg (Hageno Minnes. II. 329. 34).

4. aab|ccb|ddefggefe. Beispiel: Schulmeister von Eßlingen (Hageno Mmnes. II.

137.

1).

5. a a I) c | d d b c I e f e f f e f. Beispiel: Johannes Hadloub (Hageno Vtinnes. II. 3,03. 69).

6. a a b | c c b | d d e f g g e f e. Beispiel: Walther v. d. Vogelweide (Hageno Minne!. I. 237. 70).

7. aabc|ddbc|eefggf c. Beispiel: Walther v. Breisach (Hageno Minnes. 11.

140.

1).

8. a a b c c b b d d e e a a f f. Beispiel: Goetheo legende (Werke II.

199).

9. a b b c | a b b c | d e e e f f e. Beispiel: Ehristian v. Lupin (Hageno Minnes. 11. 20.

1).

10. abcababba c a b a b a. Beispiel:

S o wandt' ich in Gedanken, Geliebtes Kind, Und wiege dich Auf meinen Händen, die vor Rührung schwanken. Gelind, gelind, So wandt' ich hin in träumenden Gedanken: Geschwind, geschwind Erwächst das Kind »um Jugendbild dem schlanken; Da schlingen sich Um dich der Arme Ranken Gelind, gelind, Und halten dich in väterlichen Schranken, Geliebtes Kind, So wandl' ich in Gedanken. (Rückert, Lieder und Sprüche. S. 211.)

11. a b b a | c d d c \ e e f f e g g. B eispiel: Ulrich v. Wintersteten (Hageno Minnes. I. 169. 39).

12. a b c | a b c | d d d e f f f e e. Beispiel: Wolfram v. Eschenbach (Hageno Minnes. I. 285. 3).

13. a b c d | a b c d | e a c a f f f. Beispiel: Der Thüring (Hageno Minnes. II. 26. 3).

741

14. a b a c ! a bat- d dcee f f. Beispiel: Aircbberr zu Sarnen (Hagens Minnes. II. 132. 4).

15. a b a b c c d e d e f f g g h. (Pfarrius Winterstrophe.) W eif viel:


Lieder

und

und

Sprüche

S. 162) sowie Job. Fastenratb (Gilt Gebet). Beispiel: Aus dem Erschlossen Mick aufzuraffen, Aus dem Verzichten Mich anszurichten, Must mir ein Frommen Bon Außen kommen, Muß ich was sehen Für mich geschehen, Mich anzuregen, Ein Handbcwegen, Mich zu bestimmen, Ein Augenglimmen, Ein Flüstern, Hauchen, Das ich kann brauchen, Zum Schicksalslose, Dorn oder Rose, Laub oder Nadel, Lob oder Tadel. (2 Strophen.) (Rückert, Der Zeichenbedürstige. Ges. Ausg. VII. 393.)

2. aab a b a c a c a c a c a c a c a. Rückerts Zuruf an seine Kinder (Kommt,

Beispiel:

art'ge Sommer-

dvckchen).

3. a b a b I c c c b i d d e e f f f f g g. Beispiel: Ulrich von Wintersteten (Hagens Minnes. I.

157. 21).

4. a b c d | a b c d ! e f g e f g h i h i. Beispiel: Der Vorige ebd. I.

158. 22.

5. a b c ! a b c | c d e d e c f f g h h g. Beispiel: Der Vorige ebd. I.

171. 43.

6. abab|cdcd|efefggghh h. Beispiel: Tanhuser (Hagens Minnes. II. 92.

10).

7. abcdefghikilmnopqr. Beispiel:

Goethe Aus einem Stammbuch von 1604 (Werke II. 87).

(Diese Strophe wird wohl als reimlos zu betrachten sein, da der i-Reim

jedenfalls dem Zufall zuzuschrieben ist.)

8. a b a b c c d e d e c c f g f g c c. Beispiel:

Die Rose von Toul (in Alldeutschland von Müller von der

Werra 1871. S.

161).

750 9. a b a b c d c d e e f g f g e h e h. Beispiel: Bodensteois jcb weiß, was der Prophet verhieß (Mirza-Schaffy

S.

131.

1).

10. a b c a b c a b c a b c a b c a b c. Beispiel: Daß ich also die ganze Nacht :c. von Nückert (Kindertotenlieber 3.

166).

11. a a a a a a a a a a a a a a a a a a. Beispiel:

Du weißt, was das bedeuten will? Du wirst sie mir nicht streichen? Es sind ja nur unschuldige — vier kleine Fragezeichen u. s. w. (Franz Dingelstedts ? ? ? ?)

12. X X X X X X X X X X X X X X X X X X. 'Beispiele: Wermut (Aus dem Serbischen, in Talvjs Sammlung II. 72.) sowie Arabisches Frühlingslied (In Geist des Orients von Gnnsbnrg S. 191).

§ 216. Die neunzehnzeilige Strophe.

Eine höchst seltene unsymmetrische Form, die iinmerhin wirkungs­ voll sein kann, wenn die Zeilen kurz und gereimt sind. (Vgl. Beisp. 2.) Nur bei den Minnesingern giebt es Gedichte, die aus mehreren 19zeiligen Strophen bestehen. Bei den Neueren bildet jede 19zeilige Strophe ein abgeschlossenes Gedicht. Die Gliederung bei den Minne­ singern ist durchweg 5 4" 5 4" 9. Formen der neunzehnzeiligen Strophe.

1. a a a a b, c c c c b, d e d e f f f f e. Beispiel: Nithart lHagens Minnes. II. 124. 39).

2. a a a b b c c d d d e e f f a g g a a. Beispiel:

Eschenbaum! Was du wert bist, weißt du kaum; Oder kommt es dir im Traum, Daß du einstmal bei Hellenen In homerischen Kampfesscenen Heldenhaft Bildetest den Lanzenschaft? Doch des Mittelalters Nacht Hat dir noch ganz andere Macht, Würd' und Weihe dir gebracht: Wünschelrute, Zaubergerte Wurdest du, die das gesperrte Geisterthor Auszuspein den Schatz beschwor.

751 Davon l räum st du hier wohl kaum, Wo du friedlich dich erhebest, Nuschuldsvoll dein Laubdach webest £b des Wiese nbaches Sciiini, Escheubaum! (Rückerts Lieder und Sprüche S. 48.)

3. a a b b c c d d e e f f g g h h i i i. Beispiel: Rn Christian von Stockmar von Rückert ^Lieder und Sprüche S.

161 ).

4. a a a b c i d d d b c | e e e f f f f g g. B eispiel: Bonrad von Würzburg l Hagens Minnes. II. 31(J. 8).

5. a b a b c | a b a b c I d d e f f g e g c. B eispiel:

Der Bearner l Hagens 'JJiiinief. II. 246.

11).

5. a b a c c i d b d e f j g h g h i k i k k. 'Beii viel: Der Kanzler l Hagens Minnes. II. 388. 2).

7. a b c d e f g h i k 1 in n o p q r f s. Berspiel:

Alljährlich, liebe Schwalbe, Kommst du hierher, und bauest Dein Nestchen dir im Frühling. Im Winter gehst und lebst du Bersteckt am Nil in Memphis: Mir aber nistet Eros Jahraus, jahrein im Herzen. Ein Eros hier, schon flügge; Im Ei noch regt sich dieser; Herausgekrochen jener. Ta schrie'n sie nun zusammen Mit aufgesperrten Schnäbeln: Die großen Jungen füttern Gerne die kleinen Tierchen; Herangefüttert hecken Sie alsbald wieder kleine. Wie ist mir da zu helfen? All' diese Brut des Eros Kann ich heraus nicht schelten! (Anakreon, Die Brut des Eros. Übers, von Seeger.) (Da der k-Reim jedenfalls unabsichtlich eintrat, so darf die Strophe wohl

als reimlos betrachtet werden.)

§ 217. Die zrvanteilige Strophe. Lbwohl die 20zeilige Strophe symmetrischen Bau zuläßt, so findet sie sich doch ebenso selten als die 19zeilige. Wir begegnen ihr bei vier Minnesingern, deren einer — der Kanzler — eine erstaun­ liche, nur von Rückert erreichte Reimgewandtheit dadurch beweist, daß er bei jeder 20zeiligen Strophe seines aus 3 Strophen bestehenden

752

Gedichts nur je einen einzigen Reim anwendet. Die Gliederung ist 6 -s- 6 -s- 8. Nur Walther von der Vogelweide gliedert 4 -s- 4 -s- 12. Ein kunstreiches, aus acht 20zeiligen Strophen bestehendes Gedicht mit originellem strophischem Charakteristikum findet sich in Ellissens Thee- und Asphodelos-Blüten S. 22. Die Übersetzer Tieck (Werke XX. 81) und Günsburg (Geist des Orients, S. 185) bedienen sich bei den 20zeiligen Strophen zehn aufeinanderfolgender Reimpaare. Auch Uhland liebte die Reimpaare, aber er wiederholte den Reim in einzelneir Paaren des Strophenschlusses. Rückert. Bodenstedt n. A wandten willkürliche Reimkombinationen an. Formen der rwanzigMigen Strophe.

1. a a a a a a a a a a a a a a a a a a a a. Beispiel:

Leider Winter ungestalt, uz wert halt, diu gewalt sere sm alt, din kraft duldet bruch und spalt, din mül niht mer malt. Sank der vogelin ungezalt din engalt, unt der walt; des dich schalt spruch der werlte manikvalt: nu ist din runs verswalt. Wol uf, reigen, jung und alt! snewe sint versnalt; werdiu jugent, du wesen salt vröude halt, leit verschalt, trostes walt, sit verstozen und vervalt sint die rifen kalt. (3 Strophen.) (Der Kanzler in Hagens Minnej. II. 394. 13.)

2. aaabl cccb | dddefffeggge. Beispiel: Walther v. d. Vogelweide (Hageno Minnes. I. 254. 67).

3. aabbccddeeffgghhiikk. Beispiel: Weibertrost (Ein altes Weib sprach zum Propheten :c., aus Geist des Orients von Günsburg S. 185). Ähnlich Tieck (XX. S. 81:

Viel liebe Sommerwunne von Rubin).

4. a a b b c c d e e d f f g g h h i k k i. Beispiel: Zur ersten Stunde der Nacht erscheint In Fo's Pagode ein Mägdlein und weint. In Händen weißperlenen Rosenkranz, Das Auge voll perlenden Thränenglanz.

753

„C wehe mir Armen! „Die ohne Erbarmen „Die Welt verstieß. „In Frühlingsblüte, „Ach! nie erglühte „Die Liebe mir süß!" Gegen ihren Vater leise Klag' entschlüpft dem Muirde, Über ihre Mutter seufzt sie schwer ans Herzensgründe: „Ach! ans frohem Baterhanse „Schleppten sie mich her zur Klause. „Muß zum Altar morgens treten, „^o und Qnan-In anzubeten, „Aber kommt der Abend, send' ich „Sehnsuchtsvoll den Wunsch iu's Weite, „Seh' mich träumend an der Seite „Eines Gatten, hold, verständig." (8 Strophen.) (Nonnenklage a. d. Chinesischen. Ellissens Thee- 11. Asphodelosblüten. S. 22.) 5. a a b b c c, (Idee f 1 g g b b k k d d. Beispiel: Uhlands 3immersprnch (Das neue

ist aufgericbt't).

(i. a b a b b c | d e d e e f | g g g h i i i k. B ei f p i eI: Ntariler (sagens Minnes. II. 241. 13). 7. a b b c c d | a b b c c d | e f f g g f f d. 'Beispiel: >tourad von Würzburg (Hagens Miunef. II. 325. 25). 8. a a a b b c c c d d e e f g f g f g f g. Beispiel: „Was ist doch Mirza-Jussuf ein vielbelesuer Mann!" von Bodenstedt (Mirza-Schasfv S. 97). 9. a a b b c c c c d e d e f g f g h i i h. Beispiel: Mein Lehrer ist Hafis rc. von Bodenstedt (Mirza Scbafsy, S. 32).

10. a a b b c c d d e e f 1 g g b b h h i i. Beispiel: Das Fingerhakeln von Michael Thill (Alldeutschland von Müller v. d. Werra 1871. S. 181). 11. a b a b c d c d e f e f g h g h i k i k. Beispiel: Franz v. Kobells Nees'hinnernis (S. 139 der Gedichte in hochdeutscher und pfälzischer Mundart).

12. a b c b d c e f g h i h k g c g 1 m c in. Beispiel: 's Zitterspiel vom Vorigen a. a. O. S. 28. 13. a b c b d e d e f g h g i k 1 k in n o n. Beispiel: Die Bitt' vom Vorigen a. a. D.' II. S. 184. e b f r , Teutid'e Vo^'tlk. 1.

48

754

14. ababdefeghihklmlnhih. Beisviel: Trinkspruch beim Teste der Zwanglosen zu Ehren der Permciblung des Kronprinzen von Bayern (War wobt eine schöne Rebe :c.) Ion

Kobel! a. a. O. e. 89.

15- X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X. B eispiel -

Ich will, ich will ja lieben! Zu lieben riet mir Eros; Ich aber unbesonnen, Ich ließ mich nicht beraten. Schnell griff er nach dem Bogen, Und nach dem goldnen Köcher Und fordert mich zum Kampfe. Gleich warf ich um die Schultern Den Panzer wie Achilles, Und faßte Schild und Lanze, Und kämpfte gegen Eros. Er schoß; ich wich den Pfeilen — Bald war geleert der Köcher. Da zürnt er mir-------- was thut er? Er schießt als Pfeil sich selber Mir in des Herzens Mitte, Und lähmet mir die Glieder. Wozu nun Schild und Lanze? Was kämpf' ich noch nach außen, Da Kampf im Innern tobet? (Anakreons Kampf mit Eros. Übers, v. Drexel.)

§ 21«. ÜderpvanzigMige Strophen. Je mehr Zeilen der Dichter für eine Strophe verwendet, desto großer wird für ihn die Schwierigkeit, diese Strophe als abgerundetes, gut verbundenes Teilganzes erscheinen zu lassen, desto eingehendere Kenntnis der strophischen Technik wird man von ihm verlangen müssen, beider geht nachweislich so manchem unserer Dichter die Kenntnis von den Feinheiten und Gesetzen der Strophik vollständig ab, und dies ist wohl ein hauptsächlicher Grund, weshalb trotz der Kombinations­ möglichkeit mehrzeiliger Strophen mit Zunahme der Zeilenzahl ihre Häufigkeit abnimmt. Findet man schon verhältnismäßig wenige 15—20 zeitige Strophen, so kommen überzwanzigzeilige Strophen in ver­ schwindend geringer Zahl vor. Meist sind es episch-lyrische Volks­ dichtungen von geringerer stofflicher Ausdehnung, welche überzwanzig­ zeilig sind, weil ihre Dichter die Kunst der Strophik nicht kannten. Sie gaben ihre Dichtungen in Reimpaaren in einem Atemzuge, in einer Strophe, die — bei Licht betrachtet — oft in 2 oder mehrere minderzeilige Teile zerlegbar ist. Es ist gewissen Dichtern und dilettierenden Reimern zu schwer, den Gedanken: d. i. das Material so

755

zuzuspitzen, daß das Ende desselben mit dem Schluß einer genau bestimmten Strophe zusammenfällt. Von Sangbarkeit kann bei überzwanzigzeiligen Strophen dann wohl die Rede noch sein, wenn sie kurze Zeilen haben. Wenn Geibel eine langzeilige Zwölszeile (die Spielmannsstrophe § 209) zum Volksliede zu erheben vermochte, warum sollte nicht auch eine kurzzeilige Vierundzwanzigzeile desselben Vorzugs sich erfreuen dürfen! In der Regel haben die langen Strophen nur oratorischen Charakter und können — wie die Odenmaße — meist nur als schematische Kunst­ dichtungen gelten. Bei den Minnesingern finden wir mir 3 über­ zwanzigzeilige Strophen. Die neueren Dichter haben nicht ein einziges Gedicht, welches aus mehreren überzwanzigzeiligen Strophen bestände, wohl aber mehrere überzwanzigzeilige Strophen, welche abgeschlossene kleine Dichtungen bilden. Manche Chorstrophen in Schillers Über setzung der Iphigenie von Euripides sind mehr als 20zeilig u. s. w. Desgl. einzelne Dichtungen und Übersetzungen Platens und Nach nhmungen oder Übersetzungen der Pindarschen Oden 2c. Einzelne Formen überzrvanrigzeiliger Atrophen.

1. 2Izeilige Strophen. a. Schema: ababcd|efefc|dghghikikd. Beispiel: Walther v. d. Vogelweide (Hagens Minnes. I.

267.

73).

i). Schema: a a b c c d | e e b f f d | g h i h k k k 1 1. Beispiel: 'JJiarner (Hagens Minnes. IL 236. 2).

2. 22seilige Strophen. Schema: aabc|ddec|fgfghhgiiikgk g. Beispiel: Tanbuser (Hagens Minnes. II. 91. 9).

3. 23zeilige Strophen.

Schema: ababaac|ababaac|dedededde. Beispiel: Gottfried v. Nifen (Hagens Minnes. I. 50. 20).

Eine 23zeilige Strophe mit 23 a-Rennen, ähnlich dem 20zeiligen Beispiel des Kanzlers (§ 217. S. 752 d. B.) hat Hoffmann in seinem Hoch au! Freiligrath geliefert.

Es beginnt:

„Heil ihm,

der den geraden Pfad",

und der Schluß ist „Ferdinand Freiligrath". 4. Eine freundliche Vierundzwanzigzeile würde das in gebrochenen Zeilen

zu

schreibende Beispiel Nr. 58 S. 728 ergeben.

5. 25zeilige Strophe. Beispiel: Tieck (Bd. XX. S.

173/

756 6. 34zeilige Strophe. Beispiel: Zu den Poesien von ftarf Barth von Fr. Rückert:

Als, ich weiß nicht zum wievielsten Male, Du mein schlechtes Antlitz zeichnen wolltest, Diesmal nicht zu eigner Lust und Freude, Sondern es zur Schau zu stellen, Eingangs Dieses Buchs, dem Richterblick des Lesers (Mög' er nur es günstig gelten lassen, Wie es Gott schuf, uud du nach es schufest! Es ergangen sich die beiden Bilder, Das von Dir, und das in meinen Liedern) Als ich regungslos nun dir genüber Mußte sitzen, und die Unterhaltung Ausging, gabst du zur Entlangeweilung, Daß sich nicht entspannte Züge debnten, Mir in Handschrift die gesamten Werke Eines mir ganz unbekannten Dichters, Deine eignen; mit) ich las, mib staunte. Welche Haltung soll ich dir genüber Nun behaupten? Wo ich dir, dem Maler, Kühn die Stirn als Dichter bot, erkenn' ich, Daß du selbst ein Meister meiner Kunst bist, Ich in deiner nicht einmal ein Pfuscher. Doch die Eifersucht weicht echter Liebe; Und wie ich dich selbst mir angeeignet, Eign' ich hier — du giebst mir die Erlaubnis — Auch dein Lied mir an, durch diesen Kunstgriff: Daß ich aus chaotisch hingestreuten Füllen ausscheid' einzelne Gebilde, Sichtend, ordnend und zusammenstellend, Unterdrückend, auch hinzu wohl thuend Unterscheidungszeichen, kleine Striche, Leise Sinnverdentlichungsnachhilfen. Wenn ich, manche Härte zu verwischen, Nicht geschickt genug den Wischer brauchte, Gieb nur selbst dafür mir einen Wischer! «Rückert.)

§ 219. Freie Strophen von verschiedener klinge. Es giebt eine große Anzahl von Gedichten, bei welchen kürzere und längere Strophen in willkürlicher, bunter Mannigfaltigkeit mit einander wechseln. Die Länge der einzelnen Strophen ist meist durch die Ausdehnung des Gedankens bestimmt, der Hauptsache nach — d. h. soweit sich ihre Verse nicht an ein bestimmtes Metrum binden — haben wir diese Gedichte mit ungleichen Strophen bereits int § 120 mitbehandelt. Es finden sich solche aber noch in den von nns ge­ ordneten und gruppierten Materialien bei: Tiedge (Elegie auf dem Schlachtfelds von Kunersdorf), Denis (Abschied von der sichtbaren Welt»,

Hebel (Der Wächter in der Mitternacht!,

7a 7 PI d i e n (Bilder sJiestpek), Goethe l Harzreise im Winter

Pilgers Morgenlied rc.),

Schiller lDie Glocke rc.),

N ii ck e r t (Der Fußwanderer 2c.), Geibel

lHerbstlieder

II.;

Tiberius re.), A iiii c 11 e von D r o ste -

Barbarossas

Erwachen;

Der

Tod

des

ii lshofs (Die Lerche; Der Heidemann re.),

H e r w e g b iZum Andenken an Georg Büchner), H e i n r. Heine (Der Phönir; Frieden; -lNorgengrnß rc.),

B o d e n st e d t (Der Terek), B eck st ein (Der Verdrießliche), L e n a ii (Der Schiffsjunge; Die Werbung re.), Feod. Löwe iSchöpfungvinorgen),

W i l b. I o r d a n (Dithyrambe; Jdvlle re.), Fr. Hermann lPseud. für Obertribunalsrat Dr. Sonnenschmidt in Berlin, Slubbenkainmer; In der Nackt; An das Meer re.), Scheurlin (Dav Glöcklein im Herzen), F rö b t i ch (Versorgung ; Herablassung), F. G. Leid! (Dav Mühlrad im Winter). gesammelten Schriften Seidlr-.

Vgl. Bd. IV. S. 272 der

Wien 1879. re. rc.

Indem wir aus die Beispiele in § 120, S. 376 st., wo von der Freiheit in der Versebildung gehandelt wurde, verweisen, zeigen wir nur noch durch 2 weitere Beispiele, wie die Strophenausdehnung von der Ausdehnung des Gedankens abhängig ist, so daß also gewisser­ maßen die freie Strophe die Konsequenz der freien Verse ist. Beispiele freier S t r o p b e n : 1. G erei m t. a. Wie ein großer Gedanke sich losreißt aus Dem Haupte eines Genius, Also springt aus des Kasbek steinernem Haus Der brausende Terekfluß; Reißt sich in sprudelnder Lust Bon der nährenden Bergesbrust; Rauscht mit hellem Geplätscher Über die eisigen Gletscher — Und die Steine und Felsen, die seinen Wellen Sich, trotzig hemmend, entgegenstellen, Lachend überspringt er sie Oder stark zwingt er sie Mit sich hinunter in's blühende Thal. Was ihm widersteht, wird zerstoben, Denn seine Gewalt kommt von oben!

Die Geis, die wie er vom Felsen springt, Sich labend aus seiner Welle trinkt; Der Wandrer, der lechzend am Berghang ruht, Erquickt sich an seiner kühlen Flut.

75)8

Schwankende Büsche, uralte Bäume Baden die Wurzeln im frischen Geschänme; Es freun sich die duftigen Blumen, die bunten, Ob der lauten, tanzenden Wellen tiefmiten; Und es lockt der stürmische Bergessohn, Durch Klagen, Murmeln und Schmeicbelton, Manch widerstrebend Blümelein Zu sich in's Flutenbett herein ....

Und nach unten gewandt Durchzieht er das Land — Ein König ini blitzenden Wellengeschmeide — Den Fluren zum Segen, den Menschen zur Freude, Und nichts hält seinen Lauf, Den stürmischen auf. Ohne Rast, ohne Ruh Eilt er dem Meere zu Und das Meer unter wildem Fubelgebraus, Nimmt ihn auf in seinem weiten vaus. Doch wie er im Meer Seine Wohnung genommen, Weiß man nicht mehr Von wo er gekommen; Man erkennt ihn nicht wieder Aus der Zahl seiner Brüder, Die, wie er, aus der Ferne herbeigeschwommen. Sein Name entschwebt — Ein leerer Schall Er selbst aber lebt, Ein Teil — im All! (Friedrich Bodenstedt: Der Terek. Ges. Schriften I. 50, und IX. 105.)

b. Eingesperrt beim alten Pferd', Das im Radlauf wohlgelehrt, Stampft ein Kriegsroß voll Verlangen, In dem Siegeszug zu prangen.

„Sei nicht töricht!" sagt der Gaul, „Hast's ja ruhig hier und lug', Hängt das Heu dir nicht in's Maul'? Giebt's nicht Hafer überg'nug? Einzig hier wohnt wahres Glück; Glaub' es mir und meinen Jahren! Täglich hab' ich das erfahren." Und das Roß spricht stolz zurück: „Was hast du denn für Erfahrung ? Nichts denn Kreislauf, Schlaf und Nahrung!" (91 E. Fröhlich, Berwrgnng.) 2. Ungereimt. An das Meer. Mit dem freudigsten Rufe Begrüß ich dich, Du wogendes, Ewig bewegliches Meer!

759

Wie beglückt bin ich, Daß es vergönnt mir ist, Dich wieder zu schauen, Daß in das Blau Deiner unergründlichen Tiefe Tauchen sich kann Mein Auge verklärt. Majestätisch Liegst du vor mir, Mit deiner Fläche Weithin dich ausdehnend, Unübersehbar.

Der frische, der kühle Belebende Hauch, Der von dir, Über dir ausströmt, Wie erquickt er'. Wie durchzuckt er Mich wonnevoll! Ihm entgegen fliegt Meine glühende Seele, Und, über dir schwebend, Ermißt sie ganz Deiner Erhabenheit Größe.

Immer wieder Muß ich dich Frohlockend begrüßen! So auch haben Schon tausend Und abermal tausend Hochschlagende Herzen Dich begrüßt. Und nach mir noch werden Viele Tausende kommen Und dir zujauchzen. Namenlos schön bist du! Mögen am Morgen Der Sonne blitzende Strahlen Über dich sich ergießen, Und in ihrem Golde Deine Fluten sich kräuseln! Mag am dämmernden Abend Des Mondes Antlitz In deinem Silber sich baden; In leuchtender Sommernacht Das Heer der Gestirne In der Ruhe der Wogen Sich spiegeln: Oder mag Tief dich aufwühlen Der tobende Sturm,

760 Und magst schäumend du brausen Ein gewaltiger Himmelanstürmender Gischt, Immer gleich groß Ist deiner Farbenpracht Zaubergewalt; Ein ununterbrochen Sich wandelndes, Fortwährend von neuem Sich aufrollendes Bild. (Friedr. Hermann.)

§ 220. Eine Zukunftsform. Trotz unzähliger Strophenformen fehlt in unserer Litteratur eine Dichtungssorm, bei welcher die einzelnen Strophen so fest mit einander verbunden und in einander gefügt sind, daß keine derselben willkürlich und ohne Zerreißung der Form im Ganzen weggelassen werden kann. (Zuerst hat Chr. Kirchhoff in der Dichterhalle 1877 auf die Ver­ dienstlichkeit der Strophenverbindungen aufmerksam gemacht und da­ durch mehrfache, zum Teil beachtenswerte Vorschläge von achtungs­ werter Seite hervorgerusen.) Für gewisse volksliedartige episch-lyrische Dichtungen ist meines Erachtens eine Form zu finden, deren einzelne Strophen nicht nur durch den Inhalt,

sondern auch durch das Reimband zusammengehalten werden, wie dies in der fremden Sestine allzu künstlich, einfacher aber im Einzelsonett, im Meistersonett, im persischen Ghasel, in der Terzine, in einzelnen Volksliedern (3. 440 und 441 d. B.) sowie namentlich in der freundlichen malaischen Form (§ 185) der Fall ist.

Um die einzelnen Strophen fest mit einander zu verketten, könnte man einen Reim der beginnenden Strophe eines Gedichts in der 1. oder letzten

Zeile der folgenden Strophe wiederkehren lassen, ganze Gedicht

das

zu

um so das Reimband durch

schlängeln und mit der Einheit des Inhalts auch die

Einheit der äußeren Form zu verbindet!. Goethe hat dies in 2 Gedichten ver­ sucht (Nachgesühl I. 47 und der Goldschmiedsgesell I. 25), wenn auch nicht

in

unserm Sinn,

denn

bei ihm kehrt der gleiche Reim wieder,

so

daß also

leicht eine Strophe wegsallett kann. Rückert bietet ein Gedicht, bei dem der identische Reim durch das Ganze sich hindurchzieht (vgl. Ges. Ausg. III. 56),

— eine Verbindung, die freilich nur der identische Reim

erreicht, wobei aber

ebenfalls eine oder mehrere Strophen ausgelassen werden können. Soll eine wirkliche Verkettung sämtlicher Strophen eines Gedichts stattfinden, so muß sie derart sein, daß das Hinweglassen irgend einer Strophe unmöglich ist. Durch das Fehlen einer Strophe muß die Form ebenso alteriert werden

wie Reim

ein Gebäude der

durch Hinwegnahme

vorhergehenden

Strophe finden u. s. w.

Strophe

eines Grundsteins.

immer

sein

Echo

in

Es der

muß also ein

nächstfolgenden

Tic AionibindtioHeii ber sich ergebenden Reimketten sind reich und so leicht herzustellen, baß wir von einer Aufzählung berselben füglich absehen können. Beispielshalber wollen wir nur brei Möglichkeiten ber ozeiligen Strophen her-

fdireiben, wobei wir bie ( bei 1 verbindende) reimlose Zeile an den Schluß legen.

■Über: Über:

1. a b a b C | C d C d 0 2. ab a b c I b d b d e 3. a b a h v a d a d e

e f e f g g h g h i u. f. iv. d f d f g f h f h i u. i. iv. a fa fg

a h a h i li. s. w.

3n ber Form 3 kaun leicht eine Strophe ausfallen, 1 und 2 zurücksteht.

weshalb sie hinter

A'och reicher werben diese Kombinationen, wenn die Strophe

brei reimlose Zeilen bat u. s. w. Ter Tichter Theodor S o u ch a y,

mit

dem

wir

biefe

burch

.Nirchhoff

angeregte Form bei seinem Weggang nach beut Bodensee besprachen, hat — kaum bort angelangt — da§ nachfolgenbe immerhin mitteilenswerte Beispiel in Bolk