Deutsche Gedichte: Band 2 [Reprint 2019 ed.] 9783486774283, 9783486774276

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Deutsche Gedichte: Band 2 [Reprint 2019 ed.]
 9783486774283, 9783486774276

Table of contents :
UMLAND
EICHENDORFF
DICHTER DER ROMANTIK
RUCKERT
PLATEN
DROSTE
LENAU
MORIKE
HEBBEL
STORM
KELLER
MEYER
FONTANE
NIETZSCHE
LILIENCRON
DEHMEL
VOLKSLIEDER
Inhalt des ersten Bandes

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DEUTSCHE GEDICHTE Herausgegeben von

EDGAR HEDERER

2.BAND

MÖNCHEN UND BERLIN 1944

VERLAG VON R.OLDENBOURG

Die Sammlung entstand im Auftrag des Goethe-Instituts der Deutschen Akademie München. 2. veränderte Auflage

UMLAND

Ludwig Uhland lebte von 1787 bis 1862. Er studierte in seiner Vaterstadt Tübingen Jura, ging dann nach Paris und betrieb dort germanistische und romanistische Studien. 1830 wurde er in Tübingen Professor der deutschen Sprache und Literatur. VTaty 18*8 nimmt er als Abgeordneter am politischen Leben teil. Außer seinen Gedichten hinterließ er zwei Dramen und wissenschaftliche Schriften.

Lieder Uhlands bedürfen keiner Erklärung und 1^/Empfehlung; jeden gehen sie an und ihr Empfin­ den ist allen nahe. Sie können als Ausdruck der Volks­ seele gelten. Ihr schlicht bezwingender Sinn und ihr Rlang, der so leicht in Ghr und Her; eingeht, hat sie zum selbstverständlichen Besitz der Deutschen werden lassen und man erkennt in ihnen eine wirklich gute, deutsche Welt. weil sie allzu bekannt sind, vergaß man oft über diesen Gedichten den Dichter. Und man vergaß, welch große und reine Dichtungen wir in Liedern besitzen, die mit einfältiger Rraft so tief anrühren. Lauter und innig ist auch Uhlands persönliches Be­ kennen. Sein herzlicher Sinn durchleuchtet einen fried­ lichen Lebenskreis. Mild und heiter stimmt die vlatur mit der Seele zusammen, Fast immer spielt sein bezau­ bernder Humor in die anmutigen Szenen hinein. Seiner Heiterkeit und Innigkeit gesellt sich die Geradheit'seiner Gesinnung und sein feuriger Einsatz, der ihn zum Eides­ helfer der guten vaterländischen Männer werden ließ. Gerade weil er bei aller Rraft sanft und liebenswert, weil er so schalkhaft, träumerisch und verspielt wie ein Rind sein kann, empfindet man ihn immer als einen ganzen Mann.

Z

Am J8. Dkrober J8J6 wenn heut ein Geist herniederstiege, Zugleich ein Sänger und ein Held, Ein solcher, der im heil'gen Rriege Gefallen auf dem Siegesfeld, Der fange wohl auf deutscher Erde Ein scharfes Lied wie Schwertesstreich, nicht so, wie ich es künden werde, View, himmelskräftig, donnergleich: „Man sprach einmal von Festgeläute, Man sprach von einem Feuermeer; Doch, was das große Fest bedeute, weiß es denn jetzt noch irgend wer? Wohl müssen Geister niedersteigen, von heilgem Eifer aufgeregt, Und ihre Wundenmale zeigen, Daß ihr darein die Finger legt. „Ihr Fürsten! seid zuerst beftaget: Vergaßt ihr jenen Tag der Schlacht, An dem ihr auf den Rnien läget Und huldiget der Hähern Macht? Wenn eure Schmach die Völker lösten, wenn ihre Treue sie erprobt, So ist's an euch, nicht zu vertrösten, Zu leisten jetzt, was ihr gelobt.

„Ihr Völker! die ihr viel gelitten, Vergaßt auch ihr den schwülen Tag? Das Herrlichste, was ihr erstritten, Wie kommt'«, daß es nicht frommen mag? Zermalmt habt ihr die fremden Horden, Doch innen hat sich nichts gehellt. Und Freie seid ihr nicht geworden, Wenn ihr das Recht nicht festgestellt. Ihr Weisen! muß man euch berichten, Die ihr doch alles wißen wollt, wie die Einfältigen und Schlichten Für klares Recht ihr Blut gezollt? Meint ihr, daß Ln den heißen Gluten Die Zeit, ein Phönix, sich erneut, Vlur um die Eier auszubruten, Die ihr geschäftig unterstreut? „Ihr Fürstenrät und Hofmarschälle Mir trübem Stern auf kalter Brust, Die ihr vom Rampf um Leipzigs Wälle Wohl gar bis heute nichts gewußt, vernehmt! an diesem heutgen Tage Hielt Gott der Herr ein groß Gericht. Ihr aber hört nicht, was ich sage, Ihr glaubt an Geisterstimmen nicht.

„Was ich gesollt, hab ich gesungen, Und wieder schwing ich mich empor; was meinem Blick sich aufgedrungen, verkünd ich dort dem felgen Lhor: Nicht rühmen kann ich, nicht verdammen, Untröstlich ist's noch allerwärts: Doch sah ich manches Auge flammen Und klopfen hört ich manches Herz."

Gesang der Jünglinge heilig ist die Jugendzeit! Treten wir in Tempelhallen, wo in düstrer Einsamkeit Dumpf die Tritte widerschallen! Edler Geist des Ernstes soll Sich in Jünglingsseelen senken, Jede still und achtungsvoll Ihrer Heilgen Rraft gedenken. Gehn wir in's Gefild hervor, Das sich stolz dem Himmel zeiget, Der so feierlich empor Überm Erdenstühling steiget! Eine Welt voll Fruchtbarkeit wird aus dieser Blüte brechen. Heilig ist die Frühlingszeit, Soll an Jünglingsseelen sprechen. Fasset die Pokale nur! Seht ihr nicht so purpurn blinken Blut der üppigen Vlatwr? Laßt uns hohen Mutes trinken, Daß sich eine Feuerkraft Selig in der andern fühle! Heilig ist der Rebensaft, Ist des Jugendschwungs Gespiele.

Geht das holde Mädchen hier! Sie entfaltet sich im Spiele; Eine Welt erblüht in ihr Zarter, himmlischer Gefühle. Sie gedeiht im Sonnenschein, Unsre Rraft in Sturm und Regen. Heilig soll das Mädchen sein, Denn wir reifen uns entgegen. Darum geht in Tempel ein, Edeln Ernst in euch zu saugen! Stärkt an Frühling euch und Wein Sonnet euch an schönen Augen! Jugend, Frühling, Festpokal, Mädchen Ln der holden Blüte, Heilig sein sie allzumal Unserm ernsteren Gemüte!

Schäfers Gonntagslied Das ist der Tag des Herrn! Ich bin allein auf weiter Flur; Noch eine Morgenglocke nur, Hon Stille nah und fern. Anbetend knie ich hier. süßes Graun, geheimes wehn, Als knieten viele ungesehn Und beteten mir mir. Der Himmel, nah und fern, Er ist so klar und feierlich, So ganz, als wollt er öffnen sich. Das ist der Tag des Herrn!

Frühlingsglaube Die linden Lüfte sind erwacht, Sie säuseln und weben Tag und flacht, Sie schaffen an allen Enden. (£> frischer Duft, o neuer Rlang! Hirn, armes Herze, sei nicht bang! Hirn muß sich alles, alles wenden. Die Welt wird schöner mit jedem Tag, Man weiß nicht, was noch werden mag, Das Blühen will nicht enden; Es blüht das fernste, tiefste Tal; Hirn, armes Herz, vergiß der Elual! Nun muß sich alles, alles wenden.

Die Rapelle Droben stehet die Rapelle, Schauet still ins Tal hinab, Drunten stngt bei "wies und Ciuelle Froh und hell der Hirtenknab. Traurig tönt das (Blödstem nieder, Schauerlich der Leichenchor; Stille sind die ftohen Lieder, Und der Rnabe lauscht empor. Droben bringt man sie zu Grabe, Die sich freuten in dem Tal. Hirtenknabe, Hirtenknabe! Dir auch singt man dort einmal.

Des Nnaben Berglied Ich bin vom Berg der Hirtenknab, Seh auf die Schlösser all herab; Die Sonne strahlt am ersten hier, Am längsten weilet sie bei mir; Ich bin der Rnab vom Berge! Hier ist des Stromes Mutterhaus; Ich trink ihn frisch vom Stein heraus; Er braust vom Lels in wildem Lauf, Ich fang ihn mit den Armen auf; Ich bin der Rnab vom Berge! Der Berg, der ist mein Eigentum, Da ziehn die Stürme rings herum; Und heulen sie von Nord und Süd, So überschallt sie doch mein Lied: Ich bin der Rnab vom Berge! Sind Blitz und Donner unter mir. So steh ich hoch im Blauen hier; Ich kenne sie und rufe zu: „Laßt meines Vaters Haus in Ruh!" Ich bin der Rnab vom Berge! Und wann die Sturmglock einst erschallt, Manch Feuer auf den Bergen wallt, Dann steig ich nieder, tret ins Glied Und schwing mein Schwert und sing mein Lied Ich bin der Rnab vom Berge!

Einkehr Bei einem Wirte, wundermild, Da war ich jüngst zu Gaste; Ein goldner Apfel war sein Schild An einem langen Aste. Es war der gute Apfelbaum, Bei dem ich eingekehrt; Mit süßer Rost und frischem Schaum Hat er mich wohl genähret. Es kamen in sein grünes Haus Viel leichtbeschwingte Gäste; Sie sprangen frei und hielten Schmaus Und sangen auf das Beste. Ich fand ein Bett zu süßer Ruh Auf weichen, grünen Matten; Der Wirt, er deckte selbst mich zu Mit seinem kühlen Schatten.

n»n fragt ich nach der Schuldigkeit, Da schüttelt er die Wipfel. Gesegnet sei er alle Zeit Von der Wurzel bis zum Gipfel!

Der Wirtin Töchterlein

Es zogen drei Bursche wohl über den Rhein, Bei einer 5r5»gel schon sich sonnig hebt, Die Mädchen sich ins Freie trauen, Der Rinder Spiel sich neu belebt. Dann steh ich auf dem Berge droben Und seh es alles, still erfreut, Die Brust von leisem Drang gehoben, Der noch zum Wunsche nicht gedeiht. Ich bin ein Rind und mit dem Spiele Der heiteren Iftatur vergnügt, In ihre ruhigen Gefühle Ist ganz die Seele eingewiegt. Ich bin so hold den sanften Tagen; wann ihrer mildbesonnten Flur Gerührte Greise Abschied sagen, Dann ist die Feier der Natur. Sie prangt nicht mehr mit Blüt und Fülle, All ihre regen Rräfte ruhn, Sie sammelt sich in süße Stille, In ihre Tiefen schaut sie nun.

Die Seele, jüngst so hoch getragen, Sie senket ihren stolzen Flug, Sie lernt ein ftiedliches Entsagen, Erinnerung ist ihr genug. Da ist mir wohl im sanften Schweigen, Das die Natur der Seele gab; Es ist mir so, als dürft ich steigen Hinunter in mein stilles Grab.

Todesgefühl Wie Sterbenden zumut, wer mag es sagen? Doch wunderbar ergriff mich's diese flacht; Die Glieder schienen schon in Todes Macht, Im Herzen fühlt ich letztes Leben fotogen. Den Geist befiel ein ungewohntes Zagen, Den Geist, der stets so sicher sich gedacht. Erlöschend jetzt, dann wieder angefacht, Ein mattes Flämmchen, das die winde jagen. wie, hielten schwere Träume mich befangen? Die Lerche singt, der rote Morgen glüht, Ins rege Leben treibt mich neu Verlangen. wie, oder ging vorbei der Todesengel? Die Blumen, die am Abend frisch geblüht, Sie hangen hingewelket dort vom Stengel.

Rechtfertigung Wohl geht der Jugend Sehnen Nach manchem schönen Traum; Mit Ungestüm und Tränen Stürmt sie den Sternenraum. Der Himmel hört ihr Flehen Und lächelt gnädig: Nein! Und läßt vorübergehen Den Wunsch zusamt -er Pein. Wenn aber nun vom Scheine Das Her; sich abgekehrt Und nur das Echte, Reine, Das Menschliche begehrt Und doch mit allem Streben Rein Ziel erreichen kann, Da muß man wohl vergeben Die Trauer auch dem Mann.

Abendwolken Wolken seh ich abendswärts Ganz in reinste Glut getaucht, Wolken ganz in Licht zerhaucht, Die so schwül gedunkelt hatten. Ja, mir sagt mein ahnend Herz: Einst noch werden, ob auch spät, wann die Sonne niedergeht, Mir verklärt der Seele Schatten.

Künftiger Frühling Wohl blühet jedem Jahre Sein Frühling, mild und licht, Auch jener große, klare — Getrost! er fehlt dir nicht; Es ist dir noch beschieden Am Ziele deiner Bahn, Du ahnest ihn hienieden. Und droben bricht er an.

Inhalt Seite

Am 18. Oktober 1816 .................................5 Gesang der Jünglinge .................................8 Schäfers Sonntayslied .................................10 Frühlingsglaube . ♦ .................................11 Die Rapelle. . . . . .................................12 Des Rnaben Berglied .................................13 Einkehr ...... .................................1* Der Wirtin Töchterlein .................................15 Der gute Ramerad .................................16 Das Schifflein . . . .................................17 Entschluß................. . ............................. 18 Der Schmied .... .................................. 19 Abreise..................... .................................20 Tauf der Welt . . . .................................21 Die Zufriedenen . . . .................................22 Der Ungenannten . . .................................23 Die Abgeschiedenen . ........................ .... . 25 Ein Abend..... .................................25 Die sanften Tage . . .................................26 Todesgefühl .... .................................28 Rechtfertigung . . . .................................. 29 Abendwolken .... .................................30 Künftiger Frühling . ................................ 31

Einleitung und Auswahl von Edgar Lederer Titelbild nach einem Gemälde von Morff Phot. F. Bruckmann, A.-G., München.

EICHENDORFF

Joseph von Eichendorff wurde im Jahre 1788 auf Schloß Lubowitz in Schlesien als Abkomme eines alten Adelsgeschlechts geboren. Er studierte Jura und wurde später Regierünysrat für katholisches Rirchen- und Schulwesen in Berlin. Vltbcn seinem Leben als romantischer Dichter war er ein nüchterner Beob­ achter seiner Zeit, ein besorgter Familienvater und hochsinniger Beamter. ISH gab er seine Stellung auf und widmete sich bis zu seinem Tode 1857 nur mehr seiner Runst. Außer seinen er­ zählenden Werken, aus denen der Roman „Ahnung und Gegen­ wart", „Das Schloß Dürande", „Das Marmorbild" und „Dichter und ihre Gesellen" hervorragen, schrieb er eine „Geschichte des Romans im 18. Jahrhundert".

"^Sfitubergemaltig har Eichendorff die Morgen^/frische und die verheißungsvolle Dämmerung der schönen Erde ins Leben des Liedes erweckt. Immer wieder tauchen in seiner Erinnerung die Bilder der Wanderlust und Waldeinsamkeit empor und er er­ kennt sich in ihnen zu immer neuer Entzückung und Andacht. Die ganze Welt wurde ihm zum romantischen Bilde seiner Sehnsucht und Seligkeit und es gelang ihm, den ewigen Augenblick zu halten, da die träu­ mende Erde in den Fimmel verschwebt. Es gelang ihm im vollkommenen Gedicht seiner Hellen frommen Seele, die die wilden Rräfte der Erden­ tiefe und des Menscheninnern wohl kannte und zu mildem walten zwang. Er wußte es als seinen Auf­ trag, die im Dichterwort wachgerufene Welt vor das prüfende Auge Gottes zu halten. Und als ihm die gol­ denen Brücken irdischer Wanderschaft brachen, schritt er frohgemut weiter auf der Brücke der Pilgerschaft ins Jenseits, segnend den Sinn alles Scheiterns: Du bisi's, der, was wir bauen Mild über uns zerbricht, Daß wir den Himmel schauen — Darum so klag ich nicht.

Frische Fahrt Laue Luft kommt blau geflossen, Frühling, Frühling soll es sein! Waldwärts Hörnerklang geschossen, Mutger Augen lichter Schein; Und das wirren bunt und bunter Wird ein magisch wilder Fluß, In die schöne Welt hinunter Lock dich dieses Stromes Gruß. Und ich mag mich nicht bewahren! weit von euch treibt mich der wind. Auf dem Strome will ich fahren, Von dem Glanze selig blind! Tausend Stimmen lockend schlagen, Hoch Aurora flammend weht, Fahre zu! ich mag nicht fragen, Wo die Fahrt zu Ende geht!

Sehnsucht Es schienen so golden die Sterne, Am Fenster ich einsam stand Und hörte aus weiter Ferne Ein Posthorn im stillen Land. Das Her; mir im Leibe entbrennte, Da hab ich mir heimlich gedacht: Ach, wer da mitreisen könnte In der prächtigen Sommernacht! Zwei junge Gesellen gingen vorüber am Bergeshang, Ich hörte im wandern sie singen Die stille Gegend entlang: Von schwindelnden Felsen schlüften, wo die Wälder rauschen so sacht, Von (Quellen, die von den Rlüften Sich stürzen in die Waldesnacht. Sie sangen von Marmorbildern, Von Gärten, die über'm Gestein In dämmernden Lauben verwildern, Palästen im Mondenschein, Wo die Mädchen am Fenster lauschen, Wann der Lauten Rlang erwacht Und die Brunnen verschlafen rauschen In der prächtigen Sommernacht.

Der frohe Wandersmann wem Gott will rechte Gunst erweisen, Den schickt er in die weite Welt; Dem will er seine Wunder weisen In Berg und Wald und Strom und Feld. Die Trägen, die zu Hause liegen, Erquicket nicht das Morgenrot, Sie wissen nur von Rinderwiegen, Von Sorgen, Last und Not um Brot. Die Bächlein von den Bergen springen, Die Lerchen schwirren hoch vor Luft, was sollt ich nicht mit ihnen singen Aus voller Rehl und frischer Brust? Den lieben Gott laß ich nur walten; Der Bächlein, Lerchen, Wald und Feld Und Erd und Himmel will erhalten, Hat auch mein Sach auf's best bestellt!

Wanderschaft vom Grund bis zu den Gipfeln, So weit man sehen kann, Jetzt blüht's in allen Wipfeln, Hun geht das Wandern an: Die (Quellen von den Rlüften, Die Ström auf grünem Plan, Die Lerchen hoch in Lüften, Der Dichter frisch voran. Und die im Tal verderben In trüber Sorgen Haft, Er möcht sie alle werben Zu dieser Wanderschaft. Und von den Bergen nieder Erschallt sein Lied in's Tal, Und die zerstreuten Brüder Faßt Heimweh allzumal. Da wird die Welt so munter Und nimmt die R-eiseschuh, Sein Liebchen mitten drunter, Die nickt ihm heimlich zu. Und über Felsenwände Und auf dem grünen Plan Das wirrt und jauchzt ohn Ende nun geht das Wandern an!

Heimweh wer m die Fremde will wandern, Der muß mit der Liebsten gehn, Es jubeln und lassen die andern Den Fremden alleine stehn. was wisset ihr, dunkle Wipfel, von der alten, schönen Zeit? Ach, die Heimat hinter den Gipfeln, wie liegt sie von hier so weit. Am liebsten betracht ich die Sterne, Die schienen, wie ich ging zu ihr, Die Nachtigall hör ich so gerne, Sie sang vor der Liebsten Tür. Der Morgen, das ist meine Freude! Da steig ich in stiller Stund Auf den höchsten Berg Ln die weite, Grüß dich, Deutschland, aus Herzensgrund.

Schöne Fremde Es rauschen die Wipfel und schauern, Als machten zu dieser Stund Um die halbversunkenen Mauern Die alten Götter die Rund. Hier hinter den Myrtenbaumen In heimlich dämmernder Pracht, was sprichst du wirr wie in Träumen Zu mir, phantastische Nacht? Es funkeln auf mich alle Sterne Mit glühendem Liebesblick, Es redet trunken die Ferne Wie von künftigem, großem Glück.

Verschwiegene Liebe über Wipfel und Saaten In den Glan; hinein — Wer mag sie erraten, wer holte sie ein? Gedanken sich wiegen, Die flacht ist verschwiegen, Gedanken sind frei. Errät es nur eine, wer an sie gedacht, Beim Rauschen der Haine, wenn niemand mehr wacht, Als die Wolken, die fliegen — Mein Lieb ist verschwiegen Und schön wie die Nacht.

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Der Nachtvogel Liegt der Tag rings auf der Lauer, Blickt so schlau auf Lust und Trauer: Rann ich kaum mich selbst verstehen. Laß die Lauscher schlafen gehen! Nur ein Stündchen unbewacht Laß in der verschwiegenen Nacht Mich in deine Augen sehen Wie im stillen Mondenschein. In dem Park an der Rotunde, wenn es dunkelt, harr ich dein. Still und fromm ja will ich fein. Liebste, ach nur eine Stunde! — Sieh mir nicht so böse drein! Willst du nie dein Schweigen brechen, Ewig stumm wie Blumen sein: 0 so laß mich das versprechen Pflücken dir vom stillen Munde: Liebste, ach nur eine Stunde! In dem Park, an der Rotunde, Wenn es dunkelt, harr ich dein.

Das zerbrochene Ringlein In einem kühlen Grunde Da geht ein Mühlenrad, Mein Liebste ist verschwunden, Die dort gewöhnet hat. Sie hat mir Treu versprochen, Gab mir ein'n Ring dabei, Sie hat die Treu gebrochen, Mein Ringlein sprang entzwei. Ich möcht als Spielmann reisen weit in die Welt hinaus, Und singen meine weisen, Und gehn von Haus zu Haus. Ich möcht als Reiter fliegen Wohl in die blutge Schlacht, Um stille Feuer liegen Im Feld bei dunkler Nacht. Hör ich das Mühlrad gehen: Ich weiß nicht, was ich will — Ich möcht am liebsten sterben, Da wär's auf einmal still.

Der Abend Schweigt der Menschen laute Lust: Rauscht die Erde wie in Traumen wunderbar mir allen Bäumen, was dem Herzen kaum bewußt, Alte Zeiten, linde Trauer, Und es schweifen leise Schauer Wetterleuchtend durch die Brust.

Treue wie dem Wanderer in Träumen, Daß er still im Schlafe weint, Zwischen goldnen Wolkensäumen Seine Heimat wohl erscheint: So durch dieses Frühlings Blühen über Berg und Täler tief Sah ich oft dein Bild noch ziehen, Als ob's mich von hinnen rief; Und mir wunderbaren Wellen Wie im Traume, halbbewußt, Gehen ewge Liederquellen Mir verwirrend durch die Brust.

Nachtzauber Hörst du nicht die (Quellen gehen Zwischen Stein und Blumen weit Nach den stillen Waldesseen, wo die Marmorbilder stehen In der schönen Einsamkeit? Von den Bergen sacht hernieder, weckend die uralten Lieder, Steigt die wunderbare Nacht, Und die Gründe glänzen wieder, wie du's oft im Traum gedacht. Rennst die Blume du, entsprossen In dem mondbeglänzten Grund? Aus der Rnospe, halb erschlossen, Junge Glieder blühend sprossen, Weiße Arme, roter Mund, Und die Nachtigallen schlagen, Und rings hebt es an zu klagen, Ach, vor Liebe todeswund, von versunknen schönen Tagen — Romm, o komm zum stillen Grund!



Abend Gestürzt sind die goldnen Brücken Und unten und oben so still! Es will mir nichts mehr glücken, Ich weiß nicht mehr, was ich will. von üppig blühenden Schmerzen Rauscht eine Wildnis im Grund, Da spielt wie in wahnsinnigen Scherzen Das Herz an dem schwindligen Schlund. Die Felsen möchte ich packen vor Zorn und wehe und Lust, Und unter den brechenden Zacken Begraben die wilde Brust. Da kommt der Frühling gegangen, wie ein Spielmann aus alter Zeit, Und singt von uraltem verlangen So treu durch die Einsamkeit. Und über mir Lerchenlieder Und unter mir Blumen bunt, So werf ich im Grase mich nieder Und weine aus Herzensgrund.

Da fühl ich ein tiefes Entzücken, Nun weiß ich wohl, was ich will; Es bauen sich andere Brücken, Das

Gterbelied Es sonnte sich ein kranker Rnabe Auf feiner armen Mutter Gruft, Da fasset ihn der Ahndung Gabe, Er wittert einer Blume Duft, Die ferne schwebet in dem Meere, weit an dem Ende aller Welt, In die aus hoher, luftger Leere Die Sonne wie ein Same fällt. Es glüht auf feiner blassen Wange Hun eine Röte wunderbar, Es schwebt sein Ohr in tiefem Rlange, Es wird fein Auge ihm so klar, Es glänzt auf seinem stillen Kerzen Ein Regenbogen wie ein Strauß, Der hat verkündet seine Schmerzen Hoch in des Fimmels fel'gem Haus. Dem Fimmel hat er ihn verbunden, Zeigt ihm das offne Himmelstor, Er schauet nun in Schmerzensstunden, was Lust ihm nie gezeigt zuvor; wie kann er nun die Welt verschmerzen, Ihm ist verschwunden aller Graus, Sein Herz, gebrochen einst in Schmerzen, Sieht froh die Witterung voraus.

Er sieht voraus die Liebestage, wo Hand m Hand sich gern ergeht, Manch Mädchen zeigt die Hand zur Frage, weil er die Linien jetzt versieht; Des Rnaben Ruf isi weit erschollen, Denn jeder fragt nach Witterung, Die Alten, weil sie ernten wollen, Und weil sich lieben, die noch jung. Jetzt hat der Schlaf ihn fest umfangen, Da nimmt die Mutter seine Hand, Da sieht er all, was ihm vergangen, Und keine Zukunft er drin fand: Liebe, wo du gegenwärtig, Da isi das eigne Leben aus, Die Seele ist dann reisefertig, Du trägst sie in ein andres Haus. „O Muttererde, laß dich grüßen, Du trugst mich treu in stiller (Uual, Laß deine kühlen Lippen küssen, Hast andre Rinder ohne Zahl, Doch ich gehör dem Vaterlande, Dem Vater in dem Himmelreich, Es lösen sich die alten Bande Zum letztenmal die Hand mir reich."

Er kann sich selber nicht begreifen, Es wird ihm wohl, so auf einmal, Da sieht er dann die Engel schweifen Auf seines Tränenbogens Strahl, Wie sie die bunten Flügel schlagen, Daß jede Farbe klingt im Glanz, Er fühlt von ihnen sich getragen, Den Fuß bewegt in ihrem Tanz: was ihm das »Zer; sonst abgestoßen, Das singt er jetzt mit kaltem Blut, Sein Blut hat sich in Lieb' ergossen, Und keine Furcht beschränkt den Mut, wo sich das Auge sonst geschlossen, Da hebt es nun den Blick von hier, Er ruft: Der Himmel ist erschlossen, Ich fürchte mich nicht mehr vor mir. Da ruft er wonnig allen Lieben: „Es kommt ein Tag, wie's keinen gab, Die Ernte dürft ihr nicht verschieben, Die Liebe greift zum Wanderstab!" Er ruft: „Brich an, du Tag der Sage, Der ewges Wetter mir verspricht!" Sein Herz schläft ein — am jüngsten Tage Erwacht es rein zum Weltgericht.

Auf den Tod des Malers über mir, gleich trübem Eiskristalle, Zerschmolzen schwammen des Firmamentes Halle; Der See verschimmerte mit leisem Dehnen, — Zerfioßne Perlen oder Wolkentränen 7 Es rieselte, es dämmerte um mich, Ich wartete, du mildes Licht, auf dich. Hoch stand ich, neben mir der Linden Ramm, Tief unter mir Gezweige, Ast und Stamm; Im Laube summte der Phalänen Reigen, Die Fouerfliege sah ich glimmend steigen, Und Blüten taumelten wie halb entschlafen; Mir war, als treibe hier ein Herz zum Hafen, Ein Herz, das übervoll von Glück und Leid Und Bildern seliger Vergangenheit. Das Dunkel stieg, die ® chatten drangen ein, — wo weilst du, weilst d» denn, mein milder Schein 7 — Sie drangen ein wie sündige Gedanken, Des Firmamentes woge schien zu schwanken, Verzittert war der Feuerfiiege Funken, Längst die Phaläne an den Grund gesunken, Hur Bergeshäupter standen hart und nah, Ein finstrer Richterkreis, im Düster da.

Und Zweige zischelten an meinem Fuß wie warnungsflüstern oder Todesgruß; Ein Summen stieg im weiten wassertale Wie Volksgemurmel vor dem Tribunale; Mir war, als müßte etwas Rechnung geben, Als stehe zagend ein verlornes Leben, Als stehe ein verkümmert Herz allein, Einsam mit seiner Schuld und seiner Pein. Da — auf die Wellen sank ein Silberflor, Und langsam stiegst du, frommes Licht, empor Der Alpen finstre Stirnen strichst du leise, Und aus den Richtern wurden sanfte Greise, Der Wellen Zucken ward ein lächelnd Winken, An jedem Zweige sah ich Tropfen blinken, Und jeder Tropfen schien ein Rämmerlein, Drin flimmerte der Heimatlampe Schein. , Mond, du bist mir wie ein später Freund, Der seine Jugend dem Verarmten eint, Um seine sterbenden Erinnerungen Des Lebens zarten Widerschein geschlungen, Bist keine Sonne, die entzückt und blendet, In Feuerströmen lebt, im Blute endet, — Bist, was dem kranken Sänger sein Gedicht, Ein fremdes, aber o! ein mildes Licht.

Im Grase Süße Ruh, süßer Taumel im Gras, von des Rrautes Arome umhaucht, Tiefe Flut, tief tieftrunkne Flut, wenn die wölk am Azurs verraucht, wenn auf's müde, schwimmende Haupt Süßes Lachen gaukelt herab, Liebe Stimme säuselt und traust Wie die Lindenblüt auf ein Grab. wenn im Busen die Toten dann, Jede Leiche sich sireckt und regt, Leise, leise den Odern zieht, Die geschloßne Wimper bewegt, Tote Lieb, tote Luft, rote Zeit, All die Schätze, im Schutt verwühlt, Sich berühren mit schüchternem Rlang Gleich den Glöckchen, vom winde umspielt. Stunden, flüchtiger ihr als der Ruß Eines Strahls auf den trauernden See, Als des ziehenden Vogels Lied, Das mir niederperlt aus der Höh, Als des schillernden Räfers Blitz, wenn den Sonnenpfad er durcheilt. Als der heiße Druck einer Hand, Die zum letzten Male verweilt.

!Z

Dennoch, Himmel, immer mir nur Dieses Eine mir: für das Lied Jedes freien Vogels im Blau Eine Seele, die mit ihm zieht, n«r für jeden kärglichen Strahl Meinen farbigschillernden Saum, Jeder warmen Hand meinen Druck, Und für jedes Glück meinen Traum.

Wasser Alles still ringum — Die Zweige ruhen, die Vögel sind stumm. Wie ein Schiff, das im vollen Gewässer brennt Und das die Windsbraut jagt, So durch den Azur die Sonne rennt Und immer flammender tagt. Vlatur schläft — ihr Mdem steht, Ihre grünen Locken hangen schwer, n»r auf und nieder ihr Pulöschlag geht Ungehemmt im heiligen Meer. Jedes Räupchen sucht des Blattes stille, Jeden Räfer nimmt sein Grübchen auf; Nur das Meer liegt frei in seiner Fülle Und blickt zum Firmament hinauf. In der Bucht ein Rahn, Ausgestreckt der Fischer drin, Und die lange wasserbahn Schaut er träumend überhin. Neben ihm die Zweige hängen, Unter ihm die wellchen drängen, Plätschernd in der blauen Flur Schaukelt seine heiße Hand:

„Wasser", spricht er, „Welle gut, Hauchst so kühlig au den Strand. Du, der Erde köstlich Blut, Meinem Blute nah verwandt, Sendest deine blanken Wellen, Die jetzt kosend um mich schwellen, Durch der Mutter weites Reich, Börnlein, Strom und kleiner Teich. Und an meiner Hütte gleich Schlürf ich dein gelautert Gur, Und du wirst mein eignes Blut, Liebe Welle! heilge Flut!" — Leise plätschernd schläft er ein, Und das Meer wirft seinen Schein Um Gebirg und Feld und Hain; Und das Meer zieht seine Bahn Um die Welt und um den Rahn.

An Levin Schücking

1 (rage nicht, was mich so tief bewegt. Seh ich dein junges Blut so freudig wallen; warum, an deine klare Stirn gelegt, Mir schwere Tropfen aus den Wimpern fallen. Mir träumte einst, ich sei ein albern Rind, Sich emsig mühend an des Tisches Borden; wie übermächtig die Vokabeln sind. Die wieder Hieroglyphen mir geworden! Und als ich dann erwacht, da weint ich heiß. Daß mir so klar und nüchtern jetzt zu Mute, Daß ich so schrankenlos und überweis, So ohne Furcht vor Schelten und vor Rute. So, wenn ich schaue in dein Antlitz mild, wo tausend frische Lebenskeime walten, Da ist es mir, als ob Vlatur mein Bild Mir aus dem Zauberspiegel vorgehalten; Und all mein hoffen, meiner Seele Brand Und meiner Liebessonne dämmernd Scheinen, was noch entschwinden wird und was entschwand, Das muß ich alles dann in dir beweinen.

An denselben Zum zweiten Mule will ein Mort Sich zwischen unsre Kerzen drängen. Den felsbewuchten Erzeshort will eines Rnuben Mine sprengen. Sieh mir ins Auge, wende nicht Das deine nach des Fensters Borden, Ist denn so fremd dir mein Gesicht, Denn meine Spruche dir geworden? Sieh freundlich mir ins Auge, schuf Vlutur es gleich im Eigensinne Vluch hurter Form, muß ihrem Ruf Antworten ich mit schurfer Stimme, Der Vogel singt, wie sie gebeut, Libelle zieht die furbgen Ringe, Und keine Seele Hut bis heut Sie noch gezürnt;um Schmetterlinge. Still ließ un meiner Iuhre Rund Die Parze ihre Spindel schlüpfen, Zu strecken meint ich nur die Hund, Um ulte Fäden unzuknvpfen, Du fund den deinen ich so reich, Fund ihn so vielbewegt verschlungen; Durf es dich wundern, wenn nicht gleich So Ungewohntes mir gelungen?

Daß manches schroff in mir und steil, wer könnte, ach, wie ich es wissen! Es ward, ;u meiner Seele Heil, Mein zweites zarteres Gewissen, Es har den Übermut gedämpft, Der mich Giganten gleich bezwungen, Hat glühend, wie die Reue kämpft, Mit dem Dämone oft gerungen. Doch du, das tiefversenkte Blut In meinem Herzen, durftest denken, So wolle ich mein eigenes Gut, So meine eigene Rrone kränken? e Frühlingsmorgenstunde, Durch den Wald vom Fimmel weht Eine leise Liebeskunde. Selig lauscht der grüne Baum, Und er taucht mit allen Zweigen In den schönen Frühlingsrraum, In den vollen Lebensreigen. Blüht ein Blümlein irgendwo, wird's vom hellen Tau getränket, Das einsame zittert froh, Daß der Himmel sein gedenket. In geheimer Laubesnacht wird des Vogels Her; getroffen Von der großen Liebesmacht, Und er singt ein süßes Hoffen. All das frohe Lenzgeschick Nicht ein Wort des Himmels kündet; VTitr sein stummer, warmer Blick Hat die Seligkeit entzündet; Also in den winterharm, Der die Seele hielt bezwungen. Ist ein Blick mir, still und warm, Frühlingsmächrig eingedrungen.

Liebesfeier An ihren bunten Liedern klettert Die Lerche selig in die Luft; Ein Jubelchor von Sängern schmettert Im Walde voller Blut und Duft. Da sind, so weit die Blicke gleiten, Altare festlich aufgebaut, Und all die tausend Kerzen lauten Zur Liebesfeier dringend laut. Der Len; hat Rosen angezündet An Leuchtern von Smaragd im Dom; Und jede Seele schwillt und mündet Hinüber in den Opferstrom.

Abendbild Friedlicher Abend senkt sich auf's Gefilde; Sanft entschlummert Natur, um ihre Züge Schwebt der Dammrung zarte Verhüllung, und sie Lächelt, die holde; Lächelt, ein schlummernd Rind in Vaters Armen, Der voll Liebe zu ihr sich neigt; sein göttlich Auge weilt auf ihr, und es weht sein Odem über ihr Antlitz.

Ghasel Du schöne Stunde, warst mir hold, so hold, wie keine noch, Ich seh dein Angesicht erglühn im Rosenscheine noch; So sah den Engel Gottes einst mit Wangen freudenrot Im Paradiese lächelnd nahn der Mensch, der reine noch. Du kamst mit ihr und flohst mit ihr, und seit ich euch verlor, Versehnt ich manchen trüben Tag in jenem Haine noch, Und fragte klagend mein Geschick: „bewahrst in deinem Schatz So holde Stunde da für mich nicht eine, eine noch?" Dort möcht ich lauschen spät und früh: wohl flüstert's im Gezweig, Doch immer schweigt noch mein Geschick — ich lausch und weine noch.

Zweifelnder Wunsch Wenn Worte dir vom Rosenmunde wehen. Bist du so schön! — gesenkten Angesichts Und still, bist du so schön! — was soll ich flehen: Seele Ein Tännlein grünet wo, Wer weiß, im Walde, Ein Rosenstrauch, wer sagt In welchem Garten? Sie sind erlesen schon, Denk es, o Seele! Auf deinem Grab zu wurzeln Und zu wachsen. Zwei schwarze Rößlein weiden Auf der wiese, Sie kehren heim zur Stadt In muntern Sprüngen. Sie werden schrittweis gehn Mit deiner Leiche; vielleicht, vielleicht noch eh An ihren Hufen Das Eisen los wird, Das ich blitzen sehe!

Gebet Herr! schicke, was du willst, Ein Liebes oder Leides; Ich bin vergnügt, daß beides Aus deinen Händen quillt. Wollest mit Freuden Und wollest mit Leiden Mich nicht überschütten! Doch in der Mitten Liegt holdes Bescheiden.

Inhalt Seire

An einem Wintermorgen vor Sonnenaufgang . 5 Er ist's................................................................. 7 Begegnung ................ 8 Sonett.......................... 9 Auf einem Kirchturm............................................IO Septembermorgen . ........................... II Nachts......................................... 12 An eine Äolsharfe ...................................... 13 Um Mitternacht .............. Gesang weylas...................................... 15 Xtlein Fluß .............................................................. 16 Früh im wagen ...................................... 18 Frage und Antwort.......................... 19 Gesang zu Zweien in der Nacht.......................... 20 An bje Geliebte .......................................... ... . 22 peregrina................. 23 Auf eine Lampe .............. 26 Neue Hiebe . ....................... 27 Zum neuen Jahr .............. 28 Verborgenheit ............... 29 Denk es, 0 Seele .......................................................30 Gebet. .................. 31

Einleitung und Auswahl von Edgar Hederer Titelbild nach einer Radierung von Prof. Bruno Heroux.

HEBBEL

Als Sohn eines Maurers wurde Friedrich Hebbel 1813 in Wessel­ buren in Dithmarschen geboren. Unter harten Entbehrungen studierte er Ln Heidelberg, München und Paris. I8£6 ließ er sich in Wien nieder und gelangte dort spät zu Ansehen. 1863 starb er. Sein Vlamt lebt vor allem fort in seinen Dramen r Judith, Maria Magdalena, Die Nibelungen, Agnes Bernauer, Gpyes und sein Ring, Genoveva, Herodes und Marianne. Außer seinen lyrischen Gedichten schrieb er das Versepos „Mutter und Nind". Aus seinem Leben berichten seine „Tagebücher."

astlos grübelndem Geiste und der herben Reuschheit einer stolzen Seele entstammen die Gewalt und die Glut, aber auch die Zartheit und Demut dieser Gedichte. In ihrem Grunde steht das schwere Wissen, daß alles Einzelne in Schuld gegen das Ganze steht. Gott'will, daß der Mensch sich vollende, herrlich soll er für sich stehn und das Unendliche im Ich genießen. Der Weg zum Ich führt durch das Ganze und der Weg zum Ganzen durch das stolze einsame Ich. Uner­ schrocken soll er hineinblicken in den tragischen Riß der Welt und den Willen der Götter durch ein hochgemutes Standhalten bewegen. Einen Augenblick darf er sich hinaufschwingen an die Stelle, wo Gott thront und er darf mit ihm die Vollendung der Welt erträumen. Im lyrischen Bekenntnis hat sich der bohrende Ernst des Tragikers und Denkers Hebbel gelöst in das stau­ nende Anschauen bedeutungsschwerer Bilder des -Le­ bens, in denen der Sinn von Gott und Welt heilig und heilend bewahrt ist: „Gott aber tut, die eben sich entfaltet, Die lichten Bilder seiner jüngsten Stunden Hinzu, die unverkörperten und frischen."

Erleuchtung 3« unermeßlich tiefen Stunden »Saft du, in ahnungsvollem Schmerz, Den Geist des Weltalls nie empfunden, Der niederflammte in dein Herz? Jedwedes Dasein zu ergänzen Durch ein Gefühl, das ihn umfaßt, Schließt er flch in die engen Grenzen Der Sterblichkeit als reichster Gast. Da tust du in die dunkeln Risse Des Unerforschten einen Blick Und nimmst in deine Finsternisse Ein leuchtend Bild der Welt zurück. Du trinkst das allgemeinste Leben, laicht mehr den Tropfen, der dir floß, Und in's Unendliche verschweben Rann leicht, wer es im Ich genoß.

An die Jünglinge Trinkt des Weines dunkle Rraft, Die euch durch die Seele fließt Und zu Heilger Rechenschaft Sie im Innersten erschließt! Blickt hinab nun in den Grund, Dem das Leben still entsteigt, Forscht mit Ernst, ob es gesund Jedem höchsten sich verzweigt! Gehr an einen schaur'gen Ort, Denkt an aller Ehren Strauß, Sprecht dann laut das Schöpfungswort, Sprecht das Wort: es werde! aus! Ja, es werde! spricht auch Gott, Und sein Segen senkt sich still, Denn, den macht er nicht zum Spott, Der sich selbst vollenden will. Betet dann, doch betet nur Zu euch selbst, und ihr beschwört Aus der eigenen natur Einen Geist, der euch erhört. Leben heißt tief einsam sein: In die spröde Rnospe drängt Sich kein Tropfen Taus hinein, Eh sie innre Glut zersprengt.

Gott dem Herrn ist's ein Triumph, wenn ihr nicht vor ihm vergeht, wenn ihr, statt im Staube dumpf Hinzuknieen, herrlich steht, Wenn ihr stolz, dem Baume gleich, Euch nicht unter Blüten bückt, wenn die Last des Segens euch Erst hinab zur Erde drückt. Fort den wein! wer noch nicht flammt, Ist nicht seines Busses wert, Und wer selbst vom Feuer stammt, Steht schon lange glutverklärt. Euch geziemt nur eine Lust, Hwr ein Gang durch Sturm und flacht, Der aus eurer dunklen Brust Einen Sternenhimmel macht!

Gtammbuchblatt wie vollgehaltig scheint das Leben! Und dennoch ist's ein eitles Spiel! Es kann dem Menschen nimmer geben, Und nehmen kann's dem Armen viel, Doch darf er sich zum Trost gestehen: Ich bin nicht wie im Meer der Rahn — Ich kann durch mich nur untergehen Und nie durch meine rauhe Bahn.

Aus: Dem Schmerz sein Recht I Unergründlicher Schmerz! Rnirscht ich in vorigen Stunden; Jetzt, mit noch blutenden Wunden, Segnet und preist dich mein Herz. Alles Leben ist Raub; Lunken, die Sonnen entstammen, Lodern, das All zu durchflammen, Da verschluckt sie der Staub. n«n ein heiliger Rrieg! Höchste und tiefste Gewalten Drängen in allen Gestalten! Trotze, so bleibt dir der Sieg! Tatst du in (Qual und in Angst Erst genug für dein Leben, werden sie selbst dich erheben, wie du es hoffst und verlangst.

Greife ins All nun hinein! wie du gekämpft und geduldet, Sind dir die Götter verschuldet, nimm dir, denn alles ist dein! Nun versagen sie nichts Als den letzten der Sterne, Der dich in dämmernder Ferne Rnüpft an den Urquell des Lichts. Ihm entlockte den Blitz, Der dich, dein Irdsches verzehrend Und dich mit Feuer verklärend, Löst für den ewigen Sitz!

Den bängsten Traum begleitet Ein heimliches Gefühl, Daß alles nichts bedeutet, Und wär uns noch so schwül. Da spielt in unser weinen Ein Lächeln hold hinein, Ich aber möchte meinen, So sollt es immer sein!

Leben Seele, die du, unergründlich Tief versenkt, dich ätherwärts Schwingen möchtest und allstündlich Dich gehemmt wähnst durch den Schmer; An den Taucher, an den stillen, Denke, der in finstrer See Lischt nach eines Löhern willen: Iflur vom Atmen kommt sein weh. Ist die Perle erst gefunden In der öden Wellengruft, Wird er schnell emporgewunden, Daß ihn heilen Licht und Luft; Was sich lange ihm verhehlte, wird ihm dann auf einmal klar: Daß, was ihn im Abgrund quälte, Eben nur sein Leben war.

Gore über der Welt Ich wandle durch den langen bunten Reigen Von Welten, der die Schwester mir verhüllt, Und doch zugleich in demuwollem Neigen Von ihrer treuen Liebe überquillt. Ich schaue gern hinein in jene Sonnen, Sie sind mir wie ein Flammenblick von ihr, Den einst, als wär sie selbst darin zerronnen, Ihr Auge kühn hinüberwarf zu mir. Ich schaue gern hinein in diese Erden, In ihnen sprudelt mir ihr eignes Blut, Das, mag es auch zu Baum und Blume werden. Doch mir nur schäumt in jugendlicher Glut. Ich schaue gern den wirbeltanz der Wesen, Von dem ich längst Ln ihrer tiefen Brust Den Riß gesehen und den Plan gelesen, Eh sie ihn schuf Ln träumerischer Lust.

was einst ihr Mund begeistert ausgesprochen Als kreisenden Gedanken und Gefühl, Ist voll aus ihrem Ich hervorgebrochen In aller Formen schwindelndem Gewühl. Und wo ein Funke glüht von ihren Leben, Glüht auch die Liebe, die sie zu mir trägt, Doch fühl ich, daß sie jetzt mir nur mit Beben, laicht trunken mehr, wie einst, entgegenschlägt. Die Wesen können nur für mich entbrennen Und ahnen bang und schauernd meine Rraft, Die Schwester konnte jauchzend mich erkennen Und hielt mich, wie ich sie, in süßer Haft. Ietzt träumt sie tief, und würde ewig träumen, Doch bald vernimmt sie schlummernd meinen Ruf, Dann wacht sie auf und zieht aus allen Räumen Im ersten Atmen ein was sie erschuf.

Requiem Seele, vergiß sie nicht, Seele, vergiß nicht die Toten! Sieh, sie umschweben dich, Schaudernd, verlassen. Und in den heiligen Gluten, Die den Armen die Liebe schürt, Atmen sie auf und erwärmen Und genießen zum letztenmal Ihr verglimmendes Leben. Seele, vergiß sie nicht, Seele, vergiß nicht die Toten! Sieh, sie umschweben dich, Schaudernd, verlassen, Und wenn du dich erkaltend Ihnen verschließest, erstarren sie Bis hinein in das Tiefste. Dann ergreift sie der Sturm der flacht, Dem sie, zusammengekrampft in sich, Trotzdem im Schoße der Liebe, Und er jagt sie mit Ungestüm Durch die unendliche Wüste hin, Wo nicht Leben mehr ist, nur Rampf Losgelassener Rräfte Um erneuertes Sein! Seele, vergiß sie nicht, Seele, vergiß nicht die Toten!

Gebet Die du über die Sterne weg Mit der geleerten Schale Ausschwebst, um sie am ewgen Born Eilig wieder zu füllen: Einmal schwenke sie noch, o Glück, Einmal, lächelnde Göttin! Sieh, ein einziger Tropfen hängt Noch verloren am Rande, Und der einzige Tropfen genügt, Eine himmlische Seele, Die hier unten in Schmer; erstarrt, wieder Ln Wonne zu lösen. Ach, sie weint dir süßeren Dank Als die anderen alle, Die du glücklich und reich gemacht; Laß ihn fallen, den Tropfen!

Abendgefühl Friedlich bekämpfen Nacht sich und Tug. wie das zu dämpfen, wie das zu lösen vermag! Der mich bedrückte, Schläfst du schon Schmerz? was mich beglückte, Sage, was war's doch, mein Herz? Freude wie Rümmer, Fühl ich, zerrann, Aber den Schlummer Führten sie leise heran. Und im Entschweben, Immer empor, Rommt mir das Leben Ganz wie ein Schlummerlied vor.

Gommerbild Ich sah des Sommers letzte Rose stehn, Sie war, als ob sie bluten könne, rot. Da sprach ich schauernd im Vorubergehn: Go weit im Leben ist zu nah am Tod! Es regte sich kein Hauch am heißen Tag, Hur leise strich ein weißer Schmetterling; Doch, ob auch kaum die Luft sein Flügelschlag Bewegte, sie empfand es und verging.

An den Tod Halb aus dem Schlummer erwacht, Den ich traumlos getrunken, Ach, wie war ich versunken In die unendliche flacht! Tiefes Verdammern des Seins, Denkend nichts, noch empfindend! Nichtig mir selber entschwindend, Schatte mit Schatten zu eins! Da befchlich's mich so bang, Ob auch, den Bruder verdrängend, Geist mir und Sinne verengend, Listig der Tod mich umschlang. Schaudernd dacht ich's und fuhr Auf und schloß mich ans Leben, Drängte in glühndem Erheben Rühn mich an Gott und Natur. Siehe, da hab ich gelebt; was sonst, zu Tropfen zerflossen, Langsam und karg sich ergossen, Hat mich auf einmal durchbebt. Oft noch berühre du mich, Tod, wenn ich in mir zerrinne. Bis ich mich wieder gewinne Durch den Gedanken an dich!

Welt und Ich Im großen ungeheuren Ozeane Willst du, der Tropfen, dich in dich verschließen? So wirst du nie zur Perl zusammenschießen, wie dich auch Fluten schütteln und Orkane! Nein, öffne deine innersten Organe Und mische dich im Leiden und Genießen Mit allen Strömen, die vorüderfließen: Dann dienst du dir und dienst dem höchsten Plane! Und jürchte nicht, so in die Welt versunken, Dich selbst und dein Ur-Eignes zu verlieren; Der Weg zu dir fuhrt eben durch das Ganze! Erst wenn du kühn von jedem wein getrunken, Wirft du die Rraft im tiefsten Innern spüren, Die jedem Sturm zu stehn vermag im Tanze!

Der Gonnen-Jüngling Der Sonnen-Jüngling blickt zum erstenmal Hernieder auf die Erde mit verlangen, Er kehrt sich glühend ab in süßem Bangen, Doch blühn schon Veilchen auf vor seinem Strahl. Er blickt noch einmal, und zu seiner (Qual Ist schnell die erste Lilie aufgegangen; Beim drittenmal sieht er die Rose prangen, Nun muß er rastlos blicken, ohne Wahl. Und ach, je langer er sie nun betrachtet, Je größer wird in seiner Brust das Sehnen, weil sie sich immer lieblicher gestaltet. Er aber, der sich neben ihr verachtet, Ahnt nicht in seinem weh und seinen Tränen, Daß all die Schönheit nur sein Blick entfaltet.

Ich und Du wir Und wir Und

träumten voneinander sind davon erwacht, leben, um uns zu lieben, sinken zurück in die Nacht.

Du tratst aus meinem Traume, Aus deinem trat ich hervor, wir sterben, wenn sich eines Im andern ganz verlor. Auf einer Lilie zittern Zwei Tropfen, rein und rund, Zerfließen in eins und rollen Hinab in des Reiches Grund.

Das Heiligste wenn zwei sich ineinander still versenken, bricht durch ein schnödes Feuer aufgewiegelt, Vlem, keusch in Liebe, die die Unschuld spiegelt, Und schamhaft zitternd, während sie sich tränken: Dann müssen beide Welten sich verschränken, Dann wird die Tiefe der Natur entriegelt, Und aus dem Gchöpfungsborn, im Ich entsiegelt, Springt eine Welle, die die Sterne lenken. was in dem Geist des Mannes, ungestaltet, Und in der Brust des Weibes, kaum empfunden, Als Schönstes dämmerte, das muß sich mischen; Gott aber tut, die eben sich entfaltet, Die lichten Bilder seiner jüngsten Stunden Hinzu, die unverkörperten und frischen.

2Z

Mann und Weib

Dem treibe ist ein schönes Los befchieden: was sie auch hat, sie har es ganz und immer, Sie freut sich an des fernsten Sternes Schimmer, Allein sie schließt sich ab in klarem Frieden. Der Mann wird nie so sehr vom Glück gemieden Als er es meidet, denn er faßt es nimmer, Gleichgültig, wird es besser, wird es schlimmer, Er hört nicht auf, das Dasein umzuschmieden. Ihr ist es wie ein zugeworfner Faden, Sie hält sich dran und schaudert vor den wogen, Die unten dräun, und trinkt des Fimmels Lüfte. Er widersteht nicht, sich int Meer zu baden, Und forscht, vom hellen Leben abgezogen, Ob Gott sich nicht verbirgt im Schoß der Grüfte.

An eine edle Liebende Du meinst in deiner Seele Dämmerweben, Dir sei das Tiefste so gelöst in Liebe, Daß dir nicht Eignes zu bewahren bliebe, Drum willst du ganz und gar dich ihm ergeben. d> ein Glöcklein hat geschwiegen Auf der Höhe bis zuletzt. Y7im beginnt es sich zu wiegen, Horch, mein Rilchberg läutet jetzt!

Abendwolke So stille ruht im Hufen Das tiefe Wasser dort, Die Ruder sind entschlafen, Die Schifflein sind im Port. Hur oben in dem Äther Der lauen Maiennacht, Dort segelt noch ein später Friedfertiger Ferge sacht. Die Barke still und dunkel Fährt hin in Dämmerschein Und leisem Gterngefunkel Am Himmel und hinein.

Der römische Brunnen Aufsteigt der Strahl und fallend gießt Er voll der Marmorschale Rund, Die, sich verschleiernd, überfließt In einer zweiten Schale Grund; Die zweite gibt, sie wird zu reich, Der dritten wallend ihre Flut, Und jede nimmt und gibt zugleich Und strömt und ruht.

Chor der Toren wir Toten, wie Toren sind größere «5eere Als ihr auf der Erde, als ihr auf dem Meere! wir pflügten das Selb mit geduldigen Taten, Ihr schwinget die Sichel und schneidet die Saaten. Und was wir vollendet und was wir begonnen, Das füllt noch dorr oben die rauschenden Bronnen, Und all unser Lieben ünd fassen und Ladern, Das klopft noch dort oben in sterblichen Adern, Und was wir an gültigen Gatzen gefunden, Dran bleibt aller irdische Wandel gebunden, Und unsre Töne, Gebilde, Gedichte Erkämpfen den Lorbeer im strahlenden Lichte. Wir suchen noch immer die menschlichen Ziele — Drum ehret und opfert! Denn unser sind viele!

Firnelicht wie pocht das Herz mir in der Brust Trotz meiner jungen Wanderlust, Wann, heimgewendet, ich erschaut Die Schneegebirge, süß umblaut, Das große stille Leuchten! Ich atmet' eilig, wie auf Raub, Der Märkte Dunst, der Städte Staub. Ich sah den Rampf. was sagest du, Mein reines Firnelicht dazu, Du großes stilles Leuchten? Hie prahlt ich mit der Heimat noch, Und liebe sie von Herzen doch! In meinem Wesen und Gedicht Allüberall ist Firnelicht, Das große stille Leuchten. Was kann ich für die Heimat tun, Bevor ich geh im Grabe ruhn? was geb ich, das dem Tod entflieht? vielleicht ein Wort, vielleicht ein Lied, Ein kleines stilles Leuchten!

Inhalt Seite

Neujahrsglocken ........... 5 Lenz Triumphator. .........................6 Fülle .............................................................. 7 Erntegewitter ............ 8 Schwarzschattende Rastanie.........................9 Stapfen ....... .............................JO Ihr Heim ...... .............................12 Reife............................. .............................I* Die Veltlinertraube . ♦ .............................15 In Harmesnächten. . . ............................. 16 Die tote Liebe . . . . .............................17 Lethe............................. .............................19 3tu Spätboot................. .............................21 Unter den Sternen . . .............................. 22 Weihnacht Ln Ajaceio . ............................... 23 Auf dem Tanal yrande . .............................24 Lenzfahrt ...... ............................... 25 Eingelegte Ruder . . . .............................26 Requiem....... ............................... 27 Abendwolke................. .............................28 Der römische Brunnen . .............................29 Thor der Toten .... .............................30 Firnelicht ....... .............................3 J

Einleitung und Auswahl von Edgar Hederer Titelbild nach dem Stich von Stauffer-Bern Original Graphifcbe Sammlung, München.

FONTANE

Theobor Fontane würbe 1819 in Neu-Ruppin geboren, lernte unb übte ben Beruf eines Apothekers in Berlin, Leipzig unb Dresden, ging ISH als Schriftsteller nach England, arbeitete 1859—70 in Berlin an der Rreuzzeitung und war bann lange 3cit Theaterkritiker an der Vossischen Zeitung. 1898 starb er in Berlin. — Neben seinen Reise- unb wanderbilbern: „Aus England unb Schottland" unb „Wanderungen durch die Mark Brandenburg", seinen bekannten Novellen und Romanen: „Vor dem Sturm", „E’Adultera", „Cecile", „Stine", „Irrungen und Wirrungen", „(Quitt", „Unwiederbringlich", „Frau Jenny Trei­ del", „Effy Briest", „Der Stechlin" hat er uns einen Band lyrischer Gedichte und Balladen aus der nordischen, englischschottischen und der preußischen Geschichte und Sage hinterlassen.

ie Achtung vor den „Tatsächlichkeiten des Leund die Einsicht in Notwendigkeit und Sinn menschlicher Zustände und Lebenswege ließen Theodor Fontane im Roman die künstlerische Aus­ drucksform finden. Selten und mit großer Zurückhal­ tung ergriff er das Wort zu eigenem Bekennen und dann wollte er nicht erschüttern und mitreißen, sondern sich nur auf seine bescheidene und deutliche Art den Mit­ menschen erklären, ihnen mitteilen, wie er das Leben verstehe und so ein wenig raten, warnen und trösten. Er war ein erklärter Feind von großen Worten und falscher Feierlichkeit, zu klug und zu vornehm, um mit Unwissenden zu rechten, zu humorvoll und liebens­ würdig, um laute Anklage gegen menschliche Schwä­ chen zu führen. Er stellte sie mit dem Scharfblick und der Güte des wahren Erziehers, mit der Genauigkeit und Anmut des Dichters fest. In der Begegnung mit ge­ raden und aufrichtigen Menschen, mit den einfachen und wertbeständigen Dingen des Lebens schloß er fein vorsichtiges Herz auf und im Erleben seiner märkischen Heimat befreite er sich zu ungehemmter Aussprache. Schon in seinen ffühen Gedichten findet man die ent­ sagende Weisheit seines Alters; bis in seine späteren Bekenntnisse blieb er der Jugend neidlos gewogen. Mir heiterer Gleichgültigkeit verzichtete er auf das äußere Glück des Lebens. Die letzten Fragen stellte er mit gläubiger Vorsicht.

JZJ bens"

So still und behutsam in den lyrischen Gedichten sein Wort ist, so fest und schnell greift es in seinen Balladen Zu. Findet dort eine wissende Gelassenheit ihre Sprache, so strafft sich hier alles zum Ausdruck bewegter Span­ nung und leidenschaftlich geführter Handlung.

Guter Rac An einem Sommermorgen Da nimm den Wanderstab, Es fallen deine Sorgen wie Hebel von dir ab. Des Fimmels heitere Bläue Lacht dir in's »Zer; hinein Und schließt, wie Gottes Treue, Mit seinem Dach dich ein. Rings Blüten nur und Triebe Und Halme von Segen schwer, Dir ist, als zöge die Liebe Des Weges nebenher. So heimisch alles klinget Als wie im Vaterhaus, Und über die Lerchen schwinget Die Seele sich hinaus.

Glück Sonntagsruhe, Dorfesstille, Rind und Rnecht und Magd sind aus, Unterm Herde nur die Grille Musizieret durch das Haus. Tür und Lenster blieben offen, Denn es schweigen Luft und wind, In uns schweigen Wunsch und hoffen, weil wir ganz im Glücke sind. Leider rings — ein Gottessegen Hügel auf- und niederwärts, Und auf stillen Gnadenwegen Stieg auch uns er in das Herz.

Herbftmorgen Die Wolken ziehn wie Trauergäste, Den Mond still abwärts zu geleiten, Der wind durchfegt die starren Äste Und sucht ein Blatt aus bessren Zeiten. Schon flattern in der Luft die Raben, Des winters unheilvolle Boten. Bald wird er tief in Schnee begraben Die Erde, seinen großen Toten. Ein Bach läuft hastig mir zur Seite; Es bangt ihn vor des Eises Retten, Drum stürzt er fort und sucht das weite, Als könnt ihm Flucht das Leben retten. Da möcht ich länger nicht inmitten So todesnaher Ode weilen; Es trieb mich fort, mir Hastgen Schritten Dem flüchtgen Bache nachzueilen.

Der erste Schnee Herbstsonnenschein. Des winters Näh Verrät ein Flocrenpaar; Es gleicht das erste Llöckchen Schnee Dem ersten weißen *$aar. Noch wird — wie wohl von lieber Hand Der erste Schnee dem Haupt — So auch der erste Schnee dem Land vom Sonnenstrahl geraubt. Doch habet acht! mit einem Mal — Ist Haupt und Erde weiß, Und Liebeshand und Sonnenstrahl Sich nicht zu helfen weiß.

Frühling Nun ist er endlich kommen doch In grünem Rnospenschuh; „Er kam, er kam ja immer noch", Die Baume nicken sich's zu. Sie konnten ihn all erwarten kaum, Nun treiben sie Schuß auf Schuß; Im Garten der alte Apfelbaum: Er sträubt sich, aber er muß. Wohl zögert auch das alte Her; Und atmet noch nicht frei, Es bangt und sorgt: „Es ist erst März Und März ist noch nicht Mai." V, schüttle ab den schweren Traum Und die lange winterruh, Es wagt es der alte Apfelbaum, Herze, wag's auch du!

Mittag Am Waldessäume träumt die Föhre, Am Himmel weiße Wölkchen nur; Es ist so still, daß ich sie höre, Die tiefe Stille der Natur. Rings Sonnenschein auf wies und wegen, Die Wipfel stumm, kein Lüftchen wach, Und doch, es klingt, als ström ein Regen Leis tönend auf das Blätterdach.

Bekenntnis Ich bin ein unglückselig Rohr: Gefühle und Gedanken Seh rechts und links, zurück und vor, In jedem wind ich schwanken. Da liegt nichts zwischen Sein und Tod, was ich nicht schon erflehte: Heut bitt ich um des Glaubens Brot, Daß morgen ich's zertrete; Bald ist's im Herzen kirchenstill. Bald schäumt's wie Saft der Reben, Ich weiß nicht, was ich soll und will; — Es ist ein kläglich Leben! Dich ruf ich, der das Rleinste Du In Deinen Schutz genommen, Gönn meinem Herzen Halt und Ruh, Gott, laß mich nicht verkommen; Leih mir die Rraft, die mir gebricht, nimm weg, was mich verwirret, Sonst lösch es aus, dies Flackerlicht, Das über Sümpfe irret!

In Hangen und Bangen Ach, daß ich dich so heiß ersehne, Weckt aller Himmel Widerspruch, Und jede neue bittre Träne Macht tiefer nur den Friedensbruch. Der Götter Vhr ist keinem offen, Der sich zergrämt in banger flacht — Romm, Herz, wir wollen gar nichts hoffen Und sehn, ob so das Glück uns lacht. vergebnes Mühen, eitles Wollen, Die Lippe weiß kaum, was sie spricht, Und nach wie vor, die Tränen rollen Mir über Wang und Angesicht. Storch und Schwalbe sind gekommen, Veilchen auch, die blauen, frommen Frühlingsaugen grüßen mich; Aber hin an Lenz und Leben Zieh in Bangen ich und Beben — Um dich. Ach, um dich! und doch, ich fühle: Träte jetzt die Todeskühle An mein Her; und riefe mich,

wie ein Rind dann, unter Jammern würd ich mich an's Leben klammern Um dich.

Zerstoben sind die Wolkenmassen, Die Morgensonn in's Fenster scheint: Y7«tt kann ich wieder mal nicht fassen Daß ich die Nacht hindurch geweint. Dahin ist alles, was mich drückte, Das Aug ist klar, der Ginn ist frei, Und was nur je mein Herz entzückte, Tanzt wieder, lachend, mir vorbei. Es grüßt, es nickt; ich steh betroffen, Geblendet schier von all dem Licht: Das alte, liebe, böse Hoffen — Die Seele läßt es einmal nicht.

Am Jahrestag Heut ist's ein Jahr, daß man hinaus dich trug Hin durch die Gasse ging der lange Zug, Die Sonne schien, es schwiegen Hast und Lärmen, Die Tauben stiegen auf in ganzen Schwärmen. Und rings der Leider herbstlich buntes Rleid, Es nahm dem Trauerzuge fast sein Leid, Ein Flüstern klang mit ein in den Choral, Nun aber schwieg's — wir hielten am Portal. Der Zug bog ein, da war das frische Grab, wir nächsten Beide sahen still hinab, Der Geistliche, des Tages letztes Licht Umleuchtete sein fteundlich ernst Gesicht, Und als er nun die Abschiedsworte sprach, Da sank der Sarg und Blumen fielen nach, Spätrosen, rot und weiße, weiße Malven, Und mit den Blumen fielen die drei Salven. Das klang so frisch in unser Ohr und Herz, Hinschwand das Leid uns, aller Gram und Schmerz. Das Leben, war dir's wenig, war dir's viel? Ich weiß das eine nur, du bist am Ziel, In Blumen durftest du gebettet werden, Du hast die Ruh nun, Erde wird zur Erden, Und kommt die Stund uns, dir uns anzureihn, So laß die Stunde, Gott, wie diese sein.

Grabschrifr (Nach dem Englischen)

Erde gleißt auf Erden In Gold und in Pracht; Erde wird Erde, Bevor es gedacht; Erde türmt auf Erden Schloß, Burg, Stein; Erde spricht zu Erde: Alles wird mein.

wo Bismarck liegen soll Nicht in Dom oder Fürsten grufr, Er ruh in Gottes freier Luft Draußen auf Berg und Halde, Hod) besser: tief, tief im Walde; widukind lädt ihn zu sich ein: „Ein Sachse war er, drum ist er mein, Im Sachsenwald soll er begraben sein." Der Leib zerfällt, der Stein zerfällt, Aber der Sachsenwald, der hält. Und kommen nach dreitausend Jahren Fremde hier des Weges gefahren Und sehen, geborgen vorm Licht der Sonnen, Den Waldgrund i« Efeu tief eingesponnen Und staunen der Schönheit und jauchzen ftoh, So gebietet einer: „Lärmt nicht so! — Hier unten liegt Bismarck irgendwo."

John Maynard John Maynard! „wer ist John Maynard?" „John Maynard war unser Steuermann, Aus hielt er, bis er das Ufer gewann, Er hat uns gerettet, er trägt die Rron, Er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn. John Maynard." Die „Schwalbe" fliegt über den Eriesee, Gischt schäumt um den Bug wie Flocken von Schnee; von Detroit fliegt sie nach Buffalo — Die Herzen aber sind frei und froh, Und die Passagiere mit Rindern und Fraun Jm Dämmerlicht schon das Ufer schaun, Und plaudernd an John Maynard heran Tritt alles: „wie weit noch, Steuermann?" Der schaut nach vorn und schaut in die Rund: „Noch dreißig Minuten... Halbe Stund." Alle Herzen sind froh, alle Herzen sind frei — Da klingt's aus dem Schiffsraum her wie Schrei, „Feuer!" war es, was da klang, Ein (Qualm aus Rajüt und Luke drang, Ein (Qualm, dann Flammen lichterloh, Und noch zwanzig Minuten bis Buffalo. Und die Passagiere, buntgemengt, Am Bugspriet stehn sie zusammengedrängt,

Am Bugspriet vorn ist noch Luft und Licht, Am Steuer aber lagert sich's dicht, Und ein Jammern wird laut: „XOo sind wir? wo?" Und noch fünfzehn Minuten bis Buffalo. — Der Zugwind wächst, doch die Ciualmwolke steht, Der Rapitän nach dem Steuer späht, Er sieht nicht mehr seinen Steuermann, Aber durch's Sprachrohr fragt er an: „Noch da, John Maynard?" „Ja, Herr, ich bin." „Auf den Strand! In die Brandung!" „Ich halte drauf hin." Und das Gchiffsvolk jubelt: „Halt aus! Hallo!" Und noch zehn Minuten bis Buffalo. — „Noch da, John Maynard?" Und Antwort fchallt's Mit ersterbender Stimme: „Ja, Herr, ich halt's!" Und in die Brandung, was Rlippe, was Stein, Jagt er die „Schwalbe" mitten hinein. Soll Rettung kommen, so kommt sie nur so. Rettung: der Strand von Buffalo! Das Schiff geborsten. Das Feuer verschwelt. Gerettet alle. Nur'einer fehlt! Alle Glocken gehn; ihre Töne schwelln Himmelan aus Rirchen und Rapelln,

Ein Rlingen und Läuten, sonst schweigt die Stadt, Ein Dienst nur, den sie heute hat: Zehntausend folgen oder mehr, Und kein Aug im Zuge, das tränenleer. Sie lassen den Sarg in Blumen hinab,. Mit Blumen schließen sie das Grab, Und mir goldner Schrift in den Marmorstein Schreibt die Stadt ihren Dankspruch ein: „Hier ruht John Maynard! In (Qualm und Brand Hielt er das Steuer fest in der Hand, Er hat uns gerettet, er trägt die Rron, Er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn. John Maynard."

Archibald Douglas „Ich hab es getragen sieben Jahr, Und ich kann es nicht tragen mehr! wo immer die Welt am schönsten war, Da war sie öd und leer. Ich will hintreten vor sein Gesicht In dieser Rnechtsgestalt, Er kann meine Bitte versagen nicht, Ich bin ja worden alt. Und trüg er noch den alten Groll, Frisch wie am ersten Tag, So komme, was da kommen soll Und komme was da mag." Graf Douglas spricht'«. Am weg ein Stein Lud ihn zu harter Ruh, Er sah in Wald und Feld hinein, Die Augen fielen ihm zu. Er trug einen Harnisch, rostig und schwer, Darüber ein Pilgerkleid. — Da horch, vom Waldrand scholl es her Wie von Dörnern und Jagdgeleit. Und Ries und Staub aufwirbelte dicht, Herjagte Meut und Mann, Und ehe der Graf sich aufgericht, waren Roß und Reiter heran.

Rönig Jakob saß auf hohem Roß, Graf Douglas grüßte tief; Dem Rönig das Blut in die Wange schoß, Der Douglas aber rief: „Rönig Jakob, schaue mich gnädig an Und höre mich in Geduld, Was meine Brüder dir angetan, Es war nicht meine Schuld. Denk nicht an den alten Douglasneid, Der trotzig dich bekriegt, Denk lieber an deine Rinderzeit, wo ich dich auf den Rnien gewiegt. Denk lieber zurück an Stirling-Schloß, wo ich Spielzeug dir geschnitzt, Dich gehoben auf deines Vaters Roß Und Pfeile dir zugespitzt. Denk lieber zurück an Linlithgow, An den See und den Vogelherd, Wo ich dich fischen und jagen froh Und schwimmen und springen gelehrt. trübe diese Tage nicht ....... Mein Herze, glaubt's, ist nicht erkaltet Ich bin hinauf, hinab gezogen . . . . Die Frage bleibt........... Leben .........................................................

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Einleitung und Auswahl von Edgar Hederer Titelbild nach einem Gemälde von Fechner Phot. F. Bruckmann A.-G., München.

NIETZSCHE

Friedrich Nietzsche wurde ISH in Röcken bei Lützen als Sohn eines Pfarrers geboren. Schon I869 wurde er Professor der klassischen Philologie in Basel. In den Jahren 1876—1888, in denen er ein unruhiges Wanderleben in der Schweiz und in Italien führte, entstanden seine philosophischen Schriften: „Mensch­ liches, Allzumenschliches", „Morgenröte", „Die fröhliche Wis­ senschaft", „Also sprach Zarathustra", „Jenseits von Gut und Böse", der Entwurf zu „Der Wille zur Macht" und die meisten seiner Gedichte. 1888 brach er zusammen und siel in geistige Um­ nachtung. Er starb J900 in Weimar.

ietzsche selbst, nicht seine Lehre war die Pinie, die den Blitz aus dem Himmel riß. So mündete sein Denken, das ganze weltsein mit sich im Umschwung wissend, notwendig ins Dichten. Auch war es seinem Stolz nur im Liede erlaubt, um Verständnis zu werben für die (Uual seines Richteramres. Im Gedichte konnte er die Glut des Lebens gegen ein schal gewordenes Da­ sein aufleuchten lassen. Im Gesang nur konnte sein trunkenes Ja zum Leben erschallen, und singend kün­ dete er die Lust, gefährlich zu leben. Er wußte sich als die Flamme, die sich in tragischer Herrlichkeit verzehrt, alles um sich brennen machend. In einer Ekstase, der kein Gott mehr lebte, zwang er, nach neuen Fernen dürstend, wieder und wieder die ausbrechende Glut in sich selbst zurück, in die Schwermut weltferner Einsamkeit und ewiger Wiederkehr. Sechs Einsamkeiten hat er durchlitten. Indem er die siebente besteht, löst sich die Strenge der Unerbittlich­ keit in die „letzte zögernde Seligkeit", schenkt sich die große Stille nach dem Weltsturm. Hur dem Ewigen selbst, nicht uns durchschaubar, nahm ihn dann das Geheimnis zu sich hinein:

n

„trunken, silbern ein Fisch, schwimmt nun mein Aachen hinaus."

Z

Ecce Homo Ja! Ich weiß, woher ich stamme! Ungesättigt gleich der Flamme Glühe und verzehr ich mich. Licht wird alles, was ich fasse, Rohle alles, was ich lasse: Flamme bin ich sicherlich!

Der Herbst Dies ist der gerbst: der —bricht dir noch das Herz! Fliege fort! fliege fort! Die Sonne schleicht zum Berg Und steigt und steigt Und ruht bei jedem Schritt. Was ward die Welt so welk! Auf müd gespannten Faden spielt Der wind sein Lied. Die Hoffnung floh — Er klagt ihr nach. Dies ist der Herbst: der — bricht dir noch das Herz! Fliege fort! fliege fort! — O Frucht des Baums, Du zitterst, fällst? Welch ein Geheimnis lehrte dich die Vlacht, Daß eifger Schauder deine Wange, Die Purpurwange deckt? — Du schweigst, antwortest nicht? Wer redet noch?------Dies ist der Herbst: der — bricht dir noch das Herz! Fliege fort! fliege fort! — „Ich bin nicht schön" — So spricht die Srernenblume —, „Doch Menschen lieb ich

Und Menschen tröst ich — Sie sollen jetzt noch Blumen sehn, Nach mir sich bücken Ach! und mich brechen — In ihrem Auge glänzet dann Erinnrung auf, Erinnerung an Schöneres als ich: — — Ich feh's, ich seh's — und sterbe so!" — Dies ist der gerbst: der — bricht dir noch das Herz! Fliege fort! fliege fort!

Venedig An der Brücke stand Jüngst ich in brauner flacht. Fernher kam Gesang: Goldener Tropfen quoll's Über die zitternde Fläche weg. Gondeln, Lichter, Musik — Trunken schwamm's in die Dämmrung hinaus .. . Meine Seele, ein Saitenspiel, Sang sich, unsichtbar berührt. Heimlich ein Gondellied dazu, Zitternd vor bunter Seligkeit. — Hörte jemand ihr zu 7 ...

Der Wandrer

„Rem Pfad mehr! Abgrund rings und Totenstille!" So wolltest du's! Vom Pfade wich dein Wille! Hwn, Wandrer, gilt's! Htm blicke kalt und klar! Verloren bist du, glaubst du — an Gefahr?

Dem unbekannten Gott Noch einmal, eh ich weiterziehe Und meine Blicke vorwärts sende, ^eb ich vereinsamt meine Hände Zu dir empor, zu dem ich fliehe, Dem ich in tiefster Herzenstiefe Altäre feierlich geweiht, Daß allezeit Mich deine Stimme wieder riefe. Darauf erglüht tiefeingeschrieben Das Wort: dem unbekannten Gotte. Sein bin ich, ob ich Ln der Frevler Rotte Auch bis zur Stunde bin geblieben: Sein bin ich — und ich fühl die Schlingen, Die mich im Rampf darniederziehn Und, mag ich fliehn, Mich doch zu seinem Dienste zwingen. Ich will dich kennen, Unbekannter, Du rief in meine Seele Greifender, Mein Leben wie im Sturm Durchschweifender, Du Unfaßbarer, mir verwandter! Ich will dich kennen, selbst dir dienen.

IO

Der Wanderer und sein Schatten Nicht mehr zurück? Und nicht hinan? Auch für die Gemse keine Bahn? So wart ich hier und fasse fest, was Aug und Hand mich fassen läßt! Fünf Fuß breit Erde, Morgenrot, Und unter mir — Welt, Mensch und Tod!

An den Mistral Ein Tanzlied Mistral-Wind, du Wolken-Iäger, Trübsal-Mörder, Fimmels-Feger, Brausender, wie lieb ich dich! Sind wir zwei nicht Eines Schoßes Erstlingsgabe, Eines Loses vorbestimmte ewiglich? Hier auf glatten Felsenwegen Lauf ich tanzend dir entgegen, Tanzend, wie du pfeifst und singst: Der du ohne Schiff und Ruder Als der Freiheit freister Bruder über wilde Meere springst. Raum erwacht, hört ich dein Rufen, Stürmte zu den Felsenstufen, Hin zur gelben wand am Meer. Heil! da kamst du schon gleich hellen Diamantnen Stromesschnellen Sieghaft von den Bergen her. Auf den ebnen Himmels-Tennen Sah ich deine Rosse rennen, Sah den wagen, der dich tragt. Sah die Hand dir selber zücken, wenn sie auf der Rosse Rücken Blitzesgleich die Geißel schlägt. —

Sah dich aus dem Wagen springen, Schneller dich hinabzuschwingen, Sah dich wie zum Pfeil verkürzt Senkrecht in die Tiefe stoßen, — wie ein Goldstrahl durch die Rosen Erster Morgenröten stürzt. Tanze nun auf tausend Rücken, Wellen-Rücken, Wellen-Tücken — Heil, wer neue Tänze schafft! Tanzen wir in tausend weisen, Frei — sei unsre Runst geheißen, Fröhlich — unsre Wissenschaft. Raffen wir von jeder Blume Eine Blüte uns zum Ruhme Und zwei Blätter noch zum Rranz! Tanzen wir gleich Troubadouren Zwischen Heiligen und Huren, Zwischen Gott und Welt den Tanz! wer nicht tanzen kann mit winden, wer sich wickeln muß mit Binden, Angebunden, Rrüppel-Greis, Wer da gleicht den Heuchel-Hänfen, Ehren-Tölpeln, Tugend-Gänsen, Fort aus unsrem Paradeis!

Wirbeln wir den Staub der Straßen Allen Rranken Ln die blasen, Scheuchen wir die Rranken-Brur! Lösen wir die ganze Rüste von dem Vdem dürrer Brüste, von den Augen ohne Mut! Jagen wir die Himmels-Trüber, Welten-Schwärzer, Wolken-Gchieber, Hellen wir das Himmelreich! Brausen wir... oh aller freien Geister Geist, mit dir zu zweien Braust mein Glück dem Sturme gleich. — — Und daß ewig das Gedächtnis Solchen Glücks, nimm fein Vermächtnis, Nimm den Rranz hier mit hinauf! Wirf ihn höher, ferner, weiter. Stürm empor die Himmelsleiter, Häng ihn — an den Sternen auf!

Letzter Wille So sterben, wie ich ihn einst sterben sah —, Den Freund, der Blitze und Blicke Göttlich in meine dunkle Jugend warf! Mutwillig und tief, In der Schlacht ein Tänzer —, Unter Rriegern der Heiterste, Unter Siegern der Schwerste, Auf seinem Schicksal ein Schicksal stehend, Harr, nachdenklich, vordenklich —: Erzitternd darob, daß er siegte, Jauchzend darüber, daß er sterbend siegte — Befehlend, indem er starb, — Und er befahl, daß man vernichte ... So sterben, wie ich ihn einst sterben sah: Siegend, vernichtend. . ♦

Nach neuen Meeren Dorthin — will ich; und ich traue Mir fortan und meinem Griff. Offen liegt das Meer, ins Blaue Treibt mein Genueser Schiff. Alles glänzt mir neu und neuer, Mittag schlaft auf Raum und Zeit Nur dein Auge — ungeheuer Blickt mich's an, Unendlichkeit!

Ruhm und Ewigkeit I wie Auf Gib Ein Ein Aus

lange sitzest du schon deinem Mißgeschick? acht! du brütest mir noch Ei, Basilisken-Ei deinem langen Jammer aus.

Was schleicht Zarathustra entlang dem Berge? Mißtrauisch, geschwürig, düster. Ein langer Lauerer —, Aber plötzlich, ein Blitz, Hell, furchtbar, ein Schlag Gen Himmel aus dem Abgrund: — Dem Berge selber schüttelt sich Das Eingeweide. . . wo Haß und Blitzstrahl Eins ward, ein Fluch —, Auf den Bergen haust jetzt Zarathustras Zorn, Eine Wetterwolke schleicht er seines Wegs. verkrieche sich, wer eine letzte Decke hat! Ins Bett mit euch, ihr Zärtlinge! Nun rollen Donner über die Gewölbe, Hutt zittert, was Gebälk und Mauer ist, Nun zucken Blitze und schwefelgelbe Wahrheiten Zarathustra flucht...

Diese Münze, mit der Alle Welt bezahlt, Ruhm —, Mit Handschuhen fasse ich diese Münze an, Mit Ekel trete ich sse unter mich. Wer will bezahlt sein? Die ^Käuflichen ... Wer feil steht, greift Mit fetten Händen VT diesem Allerwelts-Blechklingklang Ruhm! — willst du sie kaufen? Sie sind alle käuflich. Aber biete viel! Rlingle mit vollem Beutel! — Du stärkst sie sonst, Du stärkst sonst ihre Tugend . .. Sie sind alle tugendhaft. Ruhm und Tugend — das reimt sich. Solange die Welt lebt, Zahlt sie Tugend-Geplapper Mir Ruhm-Geklapper —, Die Welt lebt von diesem Lärm . .. vor allen Tugendhaften Will ich schuldig sein, Schuldig heißen mit jeder großen Schuld! Vor allen Ruhms-Schalltrichtern

wird mein Ehrgeiz zum Wurm —, Unter solchen gelüftet's mich, Der Niedrigste zu fein. . . Diese Münze, mit der Alle Welt bezahlt, Ruhm —, Mit Handschuhen fasse ich diese Münze an, Mit Ekel trete ich sie unter mich.

Z Still! — Von großen Dingen — ich sehe Großes! — Soll man schweigen Oder groß reden: Rede groß, meine entzückte Weisheit! Ich sehe hinauf — Dorr rollen Lichtmeere: — V Nacht, o Schweigen, o totenstiller Lärm! . Ich sehe ein Zeichen —, Aus fernsten Fernen Sinkt langsam funkelnd ein Sternbild gegen mich

Höchstes Gestirn des Seins! Ewiger Bildwerke Tafel! Du kommst zu mir? — Was keiner erschaut hat, Deine stumme Schönheit, — Wie? sie flieht vor meinen Blicken nicht? Schild der Notwendigkeit! Ewiger Bildwerke Tafel! — Aber du weißt es ja: Was alle hassen, Was allein ich liebe, Daß du ewig bist! Daß du notwendig bist! Meine Liebe entzündet Sich ewig nur an der Notwendigkeit. Schild der Notwendigkeit! Höchstes Gestirn des Seins! — Das kein Wunsch erreicht, Das kein Hem befleckt, Ewiges Ja des Seins, Ewig bin ich dein Ja: Denn ich liebe dich, o Ewigkeit!--------

Vereinsamt Die Rrähen schrein Und ziehen schwirren Flugs zur Stadt: Bald wird es schnein, — Wohl dem, der jetzt noch — Heimat hat! Nun stehst du starr, Schaust rückwärts, ach! wie lange schon! was bist du Narr vor Winters in die Welt entflohn? Die Welt — ein Tor Zu tausend wüsten stumm und kalt! wer das verlor, Was du verlorst, macht nirgends halt. Nun stehst du bleich, Zur Winter-Wanderschaft verflucht, Dem Rauche gleich, Der stets nach kältern Himmeln sucht. Flieg, Vogel, schnarr Dein Lied im Wüstenvogel-Ton! — versteck, du Narr, Dein blutend Herz in Eis und Hohn! Die Rrähen schrein Und ziehen schwirren Flugs zur Stadt: Bald wird es schnein, — Weh dem, der keine Heimat hat!

Verzweiflung Von ferne tönt der Glocken schlag, Die Nacht, sie rauscht so dumpf daher. Ich weiß nicht, was ich tuen mag: Mein Freud ist aus, mein Her; ist schwer. Die Stunden fliehn gespenstisch still, Fern tönt der Welt Gewühl, Gebraus. Ich weiß nicht, was ich tuen will: Mein Herz ist schwer, mein Freud ist aus. So dumpf die Nacht, so schauervoll Des Mondes bleiches Leichenlicht. Ich weiß nicht, was ich tuen soll. Wild rast der Sturm, ich hör ihn nicht. Ich hab nicht Rast, ich hab nicht Ruh, Ich wandle stumm zum Strand hinaus, Den Wogen zu, dem Grabe zu, Mein Herz ist schwer, mein Freud ist aus.

Der Einsamste

Hun, da der Tag Des Tags müde ward, und aller Sehnsucht Bäche Von neuem Trost plätschern, Auch alle Himmel, aufgehängt in Gold-Gpinnetzen, Zu jedem Müden sprechen: „Ruhe nun!" — was ruhst du nicht, du dunkles Her;, was stachelt dich zu fußwunder Flucht. . . wes harrest du?

Am Gletscher Um Mittag, wenn zuerst Der Sommer ins Gebirge steigt, Der Rnabe mit den müden, heißen Augen: Da spricht er auch, Doch sehen wir sein Sprechen nur. Sein Atem quillt, wie eines Rranken Atem quillt In Fieber-Nacht. Es geben Eisgebirg und Tann und (Quell Ihm Antwort auch, Doch sehen wir die Antwort nur, Denn schneller springt vom Fels herab Der Gturzbach wie zum Gruß Und steht, als weiße Säule zitternd, Sehnsüchtig da. Und dunkler noch und treuer blickt die Tanne, Als sonst sie blickt, Und zwischen Eis und totem Graugestein Bricht plötzlich Leuchten aus — Solch Leuchten sah ich schon: das deutet mir's. — Auch toten Mannes Auge wird wohl noch einmal licht, wenn harmvoll ihn fein Rind umschlingt und hält und küßt: Noch einmal quillt da wohl zurück Des Lichtes Flamme, glühend spricht Das tote Auge: „Rind! Ach Rind, du weißt, ich liebe dich!"

Und glühend redet alles — Eisgebirg Und Bach und Tann — Mir Blicken hier das selbe Wort: „Wir lieben dich! Ach Rind, du weißt, wir lieben, lieben dich!" Und er, Der Rnabe mit den müden, heißen Augen, Er küßt sie harmvoll, Inbrünstiger stets Und will nicht gehn; Er bläst fein Wort wie Schleier nur von seinem Mund, Sein schlimmes Wort: „Mein Gruß ist Abschied, Mein Rommen Gehen, Ich sterbe jung." Da horcht es rings Und atmet kaum: Rein Vogel singt. Da überläuft Es schaudernd, wie Ein Glitzern, das Gebirg. Da denkt es rings — Und schweigt------Um Mittag war's, um Mittag, wenn zuerst Der Sommer ins Gebirge steigt, Der Rnabe, mit den müden, heißen Augen.

Das trunkne Lied O Mensch! Gib acht! Was spricht die tiefe Mitternacht? „Ich schlief, ich schlief—, Ans tiefem Traum bin ich erwacht: Die Welt ist tief, Und tiefer, als der Tag gedacht. Tief ist ihr Weh —, Lust — tiefer noch als Herzeleid: weh spricht: Vergeh! Doch alle Lust will Ewigkeit —, — Will tiefe, tiefe Ewigkeit!"

Der Tag klingt ab Der Tag klingt ab, es gilbt sich Glück und Licht, Mittag ist ferne. wie lange noch? Dann kommen Mond und Sterne Und Wind und Reif: nun säum ich länger nicht, Der Frucht gleich, die ein Hauch vom Baume bricht.

Erinnerung Es zuckt die Lippe und das Auge lacht. Und doch fteigr's vorwurfsvoll empor, Das Bild aus tiefer, tiefer Herzensnacht — Der milde Stern an meines Himmels Tor. Er leuchtet siegreich — und die Lippe schließt Sich dichter — und die Träne fließt.

Die Gönne sinkt I Nicht lange durstest du noch, verbranntes Herz! Verheißung ist Ln der Luft, Aus unbekannten Mündern bläst mich's an, — die große Rühle kommt.. . Meine Sonne stand heiß über mir im Mittage: Seid mir gegrüßt, daß ihr kommt, Ihr plötzlichen Winde, Ihr kühlen Geister des Nachmittags! Die Luft geht fremd und rein. Schielt nicht mit schiefem verführerblick Die Nacht mich an 7 ... Bleib stark, mein tapfres Herz! Frag nicht: warum 7 —

Tag meines Lebens! Die Sonne sinkt. Schon steht die glatte Flut vergüldet. warm atmet der Fels: Schlief wohl zu Mittag Das Glück auf ihm seinen Minagsschlaf? In grünen Lichtern Spielt Glück noch der braune Abgrund herauf. Tag meines Lebens! Gen Abend gehr's! Schon glüht dein Auge halbgebrochen, Schon quillt deines Taus Tränengeträufel, Schon läuft still über weiße Meere Deiner Liebe Purpur, Deine letzte zögernde Seligkeit. . .

z Heiterkeit, güldene, komm! Du des Todes Heimlichster, süßester Vorgenuß! — Lief ich zu rusch meines Wegs? Jetzt erst, wo der Fuß müde ward, Holt dein Blick mich noch ein, Holt dein Glück mich noch ein. Rings nur Welle und Spiel. Was je schwer war, Sank in bluue Vergessenheit, — Müßig steht nun mein Ruhn. Sturm und Fuhrt — wie verlernt er dus! Wunsch und Hoffen ertrunk, Glutt liegt Seele und Meer. Siebente Einfumkeit! Nie empfand ich Näher mir süße Sicherheit, Wärmer der Sonne Blick. — Glüht nicht dus Eis meiner Gipfel noch? Silbern, leicht, ein Lisch, Schwimmt nun mein Nuchen hinuus. ..

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Ecce Homo .........

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Der Herbst.......... Venedig........... Der Wandrer ........ Dem unbekannten Gott . . . . Der Wanderer und sein Schatten An den Mistral. ....... Letzter Wille ........ VTad> neuen Meeren ♦ . . . . Ruhm und Ewigkeit . . . . . Vereinsamt ......... Verzrpeiflung ............................. Der Einsamste ........ Am Gletscher ........ Das trunkne Lied ...... Der Tag klingt ab ...... Erinnerung ......... Die Sonne sinkt .......

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Einleitung und Auswahl von Edgar Hederer Titelbild nach einer Büste von Max Rlinger Mit Genehmigung des Verlages Seemann & To., Leipzig.

LILIENCRON

Detlev, Freiherr von fLilitncton, ISH in Riel geboren, machte als preußischer Offizier die Rriege von 1866 und 1870 mit und würbe mehrere Male verwundet; bald darauf nahm er seinen Ab­ schied und ging auf kurze Zeit nach Amerika, wo er sich in ver­ schiedenen Berufen versuchte. Xla&> der Rückkehr wurde er Deichhauptmann auf der Nordseeinsel Pellworm und lebte zuletzt in Alt-Rahlstedt bei Hamburg, wo er 1909 starb. Sein erstes Gedicht schrieb er im Alter von fünfunddreißig Jahren. Seine Gedichte sind vereinigt unter den Titeln: „Rampf und Spiele", „Der Heideyänger", „Vltbtl und Sonne", „Bunte Beute" und „Gute Nacht". Außerdem schrieb er die „Adjutanten­ ritte", „Rriegsnovellen" und das Dersepos „Poggfred".

0 iliencron redet meist von nichts als dem Einden ihm ein flüchtiges Ereignis Ln die Sinne wirft und, er gibt dabei doch Ausdruck von sich und der unerschöpflichen Fülle der Welt. Übergangs­ los geht es von den Ginnen ins Wort, den schnellen Sinnen des Reiters und Jägers, den Sinnen des Dichters, der dem kurzen Begebnis den äußersten Reiz und dauernde Bedeutung entreißt. Meisterstücke der Eindruckskunst wie der „Viererzug" oder „Die Musik kommt" entstanden so. Etwas herrlich, oft auch ausweglos Männliches ist in seiner Art; wie er liebt, heftig zugreift, sein Gefühl verbirgt und im Grunde weich ist; wie er nach scharfem Ritt noch einmal einen Reiterangriff feiert, sich Haltung gibt, der frühere Offizier, der im Schicksal des Auswanderers nur Schmerzen und Heim­ weh fand und sich nun ein wenig verloren hat. Zum Augenblick kann er Ja sagen und ganz gibt er sich dem Leben der Landschaft. Mit einem knappen, lang ver­ haltenen Wort ruft er in sie hinein, daß er ein Her; hat; in hellen Frühlingswolken sieht er sein Glück: „wollt es halten, mußt es schwimmen lassen"; auf sommerlichen Wegen gedenkt er versteckter Liebesfteuden, sehnt sich nach Zärtlichkeit, trauert um den Tod der Frau und ist einsam. Dann ist es nur mehr die Landschaft, die Wort wird, Wort auch seiner Seele und seines Blutes. Genau schaut er der Welt ins Ge­ sicht, hat seine eigenen Gedanken über Siegesfeiern,

beschönigt nichts, klagt nicht. Er ist ein Mann und hält durch. Davon, wie er mit Gott im Gespräch steht, redet er nicht, bleibt mit kürzestem Wort bei dem, was er jetzt sieht und hört. Der Schmetterling, die flimmernde Sommerhelle, das lautlos erstarrende winterbild sagt alles: Geheimnis seiner Runst, in einer Zeit, die sich gegen das Wunder verengt, das Augenblickliche und Hiesige zu steigern ins Wunderbare.

Viererzug vorne vier nickende Pferdeköpfe, Neben mir zwei blonde Mädchenzöpfe, Hinten der Groom mir wichtigen Mienen, An den Rädern Gebell. In den Dörfern windstillen Lebens Genüge, Auf den Feldern fleißige Spaten und Pflüge, Alles das von der Sonne beschienen So hell, so hell.

Die Musik kommt Rlingling, bttmbum und tschingdada, Zieht im Triumph der Perserschah? Und um die Ecke brausend bricht's wie Tubaton des Weltgerichts, voran der Schellenträger. Brumbrum, das große Bombardon, Der Beckenschlag, das Helikon, Die Piccolo, der Zinkenist, Die Türkentrommel, der Flötist, Und dann der Herre Hauptmann. Der Hauptmann naht mit stolzem Sinn, Die Schuppenketten unterm Rinn, Die Schärpe schnürt den schlanken Leib, Beim Zeus! das ist kein Zeitvertreib! Und dann die Herren Leutnants. Zwei Leutnants, rosenrot und braun, Die Fahne schützen sie als Zaun; Die Fahne kommt, den Hut nimm ab, Der bleiben treu wir bis ans Grab! Und dann die Grenadiere. Der Grenadier im strammen Tritt, In Schritt und Tritt und Tritt und Schritt, Das stampft und dröhnt und klappt und flirrt, Laternenglas und Fenster klirrt. Und dann die kleinen Mädchen.

Die Mädchen alle, Ropf an Ropf, Das Auge blau und blond der Zopf; Aus Tür und Tor und Hof und Haus Schaut Mine, Trine, Gtine aus. Vorbei ist die Müsike. Rlingkling, rschingtsching und Paukenkrach, Noch aus der Ferne tönt es schwach. Ganz leise bumbumbumbum tsching; Zog da ein bunter Schmetterling, Tschingtsching, bum, um die Ecke?

Dorfkirche im Sommer Schläfrig fingt der Rüster vor, Schläfrig singt auch die Gemeinde. Auf der Ranzel der Pastor Betet still für seine Leinde. Dann die Predigt, wunderbar, Eine Predigt ohnegleichen. Die Baronin weint sogar 3m Gestühl, dem wappenreichen. Amen, Segen, Türen weit, Vrgelton und letzter Psalter. Durch die Sommerherrlichkeit Schwirren Schwalben, flattern Falter.

weite Aussicht Steht eine Mühle am Himmelsrand, Scharfgezeichnet gegen mäusegraue Wetterwand, Und mahlt immerzu, immerzu. Hinter der Mühle am Himmelsrand, Ohne Himmelsrand, mahlt eine Mühle, allbekannt, Mahlt immerzu, immerzu.

Märztag Wolkenschatten fliehen über Felder, Blau umdunstet stehen ferne Wälder. Rraniche, die hoch die Luft durchpflügen, Rommen schreiend an in Wanderzügen. Lerchen steigen schon in lauten Schwärmen, Überall ein erstes Frühlingslärmen. Lustig flattern, Mädchen, deine Bänder, Rurzes Glück träumt durch die weiten Länder. Rurzes Glück schwamm mit den Wolkenmassen; wollt es halten, mußt es schwimmen lassen.

Einen Gommer lang Zwischen Roggenfeld und Hecken Führt ein schmaler Gang; Süßes, seliges verstecken Einen Sommer lang. wenn wir uns von ferne sehen, Zögert sie den Schritt, Rupft ein Hälmchen sich im Gehen, nimmt ein Blättchen mit. Har mit Ähren sich das Mieder Unschuldig geschmückt, Sich den Hut verlegen nieder In die Stirn gerückt. Finster kommt sie langsam näher. Färbt sich rot wie Mohn; Doch ich bin ein feiner Späher, Renn die Schelmin schon.

noch ein Blick in Weg und weite, Ruhig liegt die Welt, Und es hat an ihre Seite Mich der Sturm gesellt. Zwischen Roggenfeld und Hecken Führt ein schmaler Gang; Süßes, seliges verstecken Einen Sommer lang.

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Das Rornfeld Als die Saat der Erd entsprossen, Als der Frühlingswind sie neckte, Sind wir manchen stillen Abend Langsam durch sie hingeschritten Hand in Hand. Ramen Menschen uns entgegen, Wollten sie uns überholen, Ließen wir die Hände locker, Gingen ehrbar Seit an Seite, Wie's sich ziemt. waren dann die Menschen wieder Unserm Augenkreis entschwunden, Fanden schleunig sich von neuem Unsre Hände, unsre Lippen, Wie's so geht. Da das Feld nun steht in Ähren, Überall Verstecken bietet Allerzärtlichstem Getändel, wandr' ich müde meines Weges Und allein.

Heidebilder Tiefeinsamkeit spannt weit die schönen Flügel, Weit über stille Felder aus. wie ferne Rüsten grenzen graue Hügel, Sie schützen vor dem Menschengraus. Im Frühling fliegt in mitternächtiger Stunde Die Wildgans hoch in raschem Flug. Das alte Gaukelspiel: in weiter Runde ich Gesang im Wolkenzug. Verschlafen sinkt der Mond in schwarze Gründe, Beglänzt noch einmal Schilf und Rohr. Gelangweilt ob so mancher holden Sünde, Verläßt er Garten, Wald und Moor. Die Mittagssonne brütet auf der Heide, Im Süden droht ein schwarzer Ring. Verdurstet hängt das magere Getreide, Behaglich treibt ein Schmetterling. Ermattet ruhn der Hirt und seine Schafe, Die Ente träumt im Binsenkraut, Die Ringelnatter sonnt in trägem Schlafe Unregbar ihre Tigerhaut.

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Im Zickzack zuckt ein Blitz, und Wasserfluten Entstürzen gierig dunklem Zelt. Es jauchzt der Sturm und peitscht mit seinen Ruten Erlösend meine Heidewelr.

In Herbstestagen bricht mit starkem Flügel Der Reiher durch den Hebelduft, wie still es ist! kaum hör ich um den Hügel Noch einen Laut in weiter Luft. Auf eines Birkenstämmchens schwanker Rrone Ruht sich ein Wanderfalke aus. Doch schläft er nicht, von seinem leichten Throne Äugt er durchdringend scharf hinaus. Der alte Bauer mit verhaltnem Schritte Schleicht neben seinem wagen Torf. Und holpernd, stolpernd schleppt mit lahmem Tritte Der alte Schimmel ihn ins Dorf.

Die Sonne leiht dem Schnee das Prachtgeschmeide. Doch ach! wie kur; ist Schein und Licht. Ein Hebel tropft, und traurig zieht im Leide Die Landschaft ihren Schleier dicht.

Ein Häslein nur fühlt noch des Lebens Wärme, Am weidenstumpfe hockt es bang. Doch kreischen hungrig schon die Rabenschwärme Und hacken auf den sichern Fang. Bis auf den schwarzen Schlammgrund sind gefroren Die Wasserlöcher und der See. Zuweilen geht ein wimmern, wie verloren, Dann stirbt im roten Wald ein Reh.

Tiefeinsamkeit, es schlingt um deine Pforte Die Erika das rote Band. von Menschen leer, was braucht es noch der Worte, Sei mir gegrüßt, du stilles Land.

Wir fuhren durch die Sommernacht Bis in den frühen Tau, Ein Lüftchen, das sich aufgemacht, verweht das Dammergrau. Und klappernd ein ins Dorfkrugtor, Es widerhallt der Stein. Den Pferden sieht die Rrippe vor, Der Rutscher schüttet ein. Ich lehn indes im Bogengang Und höre zum Willkomm Am Balken Schwalbenzwiegesang, Frischweg und süß und fromm. Die Gäule traben wieder fort, Der Fuchs verlor den Huf. Mein wagen rollt durch manchen Ort. Wo blieb der Schwalbenruf.

Nach der Hühnerjagd Erhitzt und müde, durstig, stark verbrannt, Rehr ich in meine Waldherberge ein. Gewehr und Mütze häng ich an die wand, Den Eimer sucht mein Hund und schlappt ihn rein. Die junge Witwe lehnt am Schenkenstand, Freudarm und stumm, im letzten Abendschein. Dann lächelt sie verstohlen, abgewandt; Der Gäste Aufbruch läßt uns bald allein.

Rückblick Eh mir aus der Scheide schoß Blitz und blank der Degen, Ließ noch einmal Mann und Roß Rurzer Rast ich pflegen. Und, die Hand als Augenschild, Meine Lider sanken; Rasch vorbei, ein wechselnd Bild, Flogen die Gedanken. Rinderland, du Zauberland, Haus und Hof und Hecken. Hinter blauer Wälderwand Spielt die Welt Verstecken. weiter nun in bunten Reihn Zog mein wüstes Leben. Wenig Taten, vieler Schein, windige Spinneweben. Würfel, Weiber, wein, Gesang, Iugendrasche (Quelle, Und im wilden wogendrang Schwamm ich mit der Welle. Doch Dragoner glänzen hell Dort an jenem Hügel. An die Pferde! Fertig! Schnell Riebt der Sporn am Bügel. Zügel fest, Fanfarenruf, Donnernd schwappt der Rasen;

Bald sind wir mit flüchtigem »Suf An den Feind geblasen. Anprall, Fluch und Stoß und »Sieb, Rann den Arm nicht sparen, wo mir »Selm und Handschuh blieb, Hab ich nicht erfahren. Gattelleere, Stur; und Staub, Rlingelkreu; und Scharten. Trunken schwenkt die Faust den Raub Flatternder Standarten. Tauschend gleicht des Feindes Flucht Tollgehetzten Hammeln. Freudig ruft in Wald und Schlucht Mein Signal zum Sammeln. Schweiß und Blut an Stirn und Schwert, Laß es tropfen, tropfen. Dankbar muß ich meinem Pferd Hals und Mähne klopfen. Nächstens dann beim Feuerschein, Nach des Rampfes Mühe, Fielen mir Gedanken ein Aus des Tages Frühe. Schwamm ich viele Jahre lang Steuerlos im Leben, Hat mir heut der scharfe Gang Wink und Ziel gegeben.

Tod Ln Ähren 3tn Weizenfeld, in Rorn und Mohn, Liegt ein Soldat, unaufgefunden, Zwei Tage schon, zwei Mächte schon, Mit schweren Wunden, unverbunden. Dursiüberqualt und fieberwild, Im Todeskampf den Ropf erhoben. Ein letzter Traum, ein letztes Bild, Sein brechend Auge schlägt nach oben. Die Sense sirrt im Ährenfeld, Er sieht sein Dorf im Arbeitsfrieden, Ade, ade, du Heimatwelt — Und beugt das Haupt, und ist verschieden.

Giegesfest Flatternde Fahnen Und frohes Gedränge. Fliegende Rränze Und Siegesgesänge. Schweigende Gräber, Verödung und Grauen, welkende Rränze, Verlassene Frauen. Heißes Umarmen XTaty schmerzlichem Sehnen. Brechende Herzen, Erstorbene Tränen.

Abschied und Rückkehr

I Vorbei, vorbei; auf feuchter Spur Irrt trostlos mm mein Blick ins weite. Vorbei, vorbei; die Möve nur Gibt mir ein trauriges Geleite. nun kehrt auch sie; fernab, fernab Ist langst mein Vaterland geblieben. Aus meiner Heimat, wo mein Grab Ich schon gewählt, bin ich vertrieben. Als gestern ich im Abschiedszorn voll Schmerz den Lindenzweig gerüttelt, Als ich den Rebhahn hört im Rorn, Es hat ein Lieber mich geschüttelt. Es wogt mein Schiff, es sinkt und hebt, Ein Sturmlied singen die Matrosen. Es wogt mein herz, es ringt und bebt, Es schlägt der Sturm den heimatlosen.

Aus wogen taucht ein blasser Strand, Es schimmert fern durch meine Tränen Des Vaterlandes Rüstenland; Erschöpft muß ich am Maste lehnen. Der Flieder blüht, die Schwalbe zieht, Und auf den Dächern schwatzen Stare, Der Orgeldreher dreht sein Lied, Ein linder wind küßt mir die Haare. Die Mädchen lachen Arm in Arm, Soldaten stehen vor der wache, Und aus der Schule bricht ein Schwarm, Der lustig lärmt in meiner Sprache. Es schreit mein Herz, es jauchzt und bebt Der alten Heimat heiß entgegen. Und was als Rind ich je durchlebt, Rlingt wieder nur auf allen Wegen.

Der Maibaum wir liebten uns. Ich saß an deinem Bette Und sah auf deinen todesmatten Mund. Dein Auge suchte mich an irrer Stätte, Hörst du den Sensenschnitt im Wiesengrund? Und Pfingsten rings. Die Stadt war ausgeflogen In hellen Aleidern und im Frühlingshur. wir waren um den schönsten Tag betrogen; Q> Tag sei gnädig ihrer Fieberglut. Zu deinem Haupte bog, zu deinen Füßen Bog sich ein grünes Birkenbäumchen vor; Sie sollten dich vom heiligen Leben grüßen, Ein letzter Gruß dir sein am schwarzen Tor. Ich hatte gestern sie für dich geschnitten, An einer Stelle, die dir wohlbekannt, Zu der wir ausgelassen oft geschritten, An der wir oft gesessen Hand in Hand. An jenem (Drt steht eine alte weide, Vor Neid und Sonne unsre Schützerin; Da ist es still, und überall die Heide, Am Ginster zittert die Libelle hin.

Ein Wasser schwayr sich selig durch's Gelände, Ein reifer Roggenstrich schließt ab nach Süd; Da stützt Viarur die Stirne in die Hände Und ruht sich aus, von ihrer Arbeit müd. Weißt du den Abend noch? wir saßen lange, Ein nahendes Gewitter hielt uns fest An unserm Weidenbusch, du fragtest bange, Es klang so zag: Und wenn du mich verläßt? Sieh zu mir auf, beschirmt von Birkenzweigen: Ich war dir treu, wir haben uns geglaubt. Aus wüsten zieht auf Wolken her das Schweigen, Die Senfe sirrt, und sterbend sinkt dein Haupt.

Wiegenlied vor der Türe schläft der Baum, Durch den Garten zieht ein Traum. Langsam schwimmt der Mondeskahn, Und im Schlafe kräht der Hahn. Schlaf, mein Wölfchen, schlaf. Schlaf, mein Wulff. In später Stund Ruß ich deinen roten Mund. Streck dein kleines dickes Bein, Steht noch nicht auf weg und Stein. Schlaf, mein Wölfchen, schlaf. Schlaf, mein Wulff. Es kommt die Zeit, Regen rauscht, es stürmt und schneit. Lebst in atemloser Hast, Hättest gerne Schlaf und Rast. Schlaf, mein Wölfchen, schlaf. vor der Türe schläft der Baum, Durch den Garten zieht ein Traum. Langsam schwimmt der Mondeskahn, Und im Schlafe kräht der Hahn. Schlaf, mein Wölfchen, schlaf.

Glückes genug wenn sanft du mir im Arme schliefst, Ich deinen Atem hören konnte, Jm Traum du meinen Vlamen riefst, Um deinen Mund ein Lächeln sonnte — Glückes genug. Und wenn nach heißem, ernstem Tag Du mir verscheuchtest schwere Sorgen, wenn ich an deinem Kerzen lag Und nicht mehr dachte an ein Morgen — Glückes genug.

Giziliane Die menschenblasse Rose legte ich Auf deine kalten, überkreuzten Hände, Und strich dein Haar zurück und pflegte dich, Mb ich dein jubelnd Leben wiederfände. Im Zimmer, irrgeflogen, regte sich Ein Schmetterling, die alte Grablegende. Dein Sarg schloß zu, der Rümmer fegte mich In fernes Land aus trostlosem Gelände.

Raiter Augusttag wir standen unter alten Riesenulmen, An unsers Gartens Rand. Mein Arm umschlang Die schlanke stifte dir. Es lag dein Haupt, Das schöne, blasse, still an meiner Schulter. Ein kalter Hauch drang uns entgegen; fröstelnd Zogst fester du das Tuch um deinen Hals. In grauer Luft, unübersehbar, lag Der wiesen grünes Flachland ausgebreitet, wie deutlich hörten wir den Jungen schelten Auf seine Rühe; immer hör ich noch Dein fröhlich Lachen, als uns die gesunden, Vom winde hergetragnen Worte trafen. Und eine Ode, nordisch unbehaglich, Durchfror die Landschaft. Rrähen stolperten, Laut krächzend, übern Garten. Schläfrig zog Am Horizont die Mühle ihre Rreise. Und doch: es lag auf wegen fern und nah Der Sonnenschein, der Sonnenschein des Glücks. Und langsam kehrten wir zurück ins Haus.

Und wieder stand ich unter unsern Ulmen, Doch nicht mir dir. Allein sah ich hinaus In lichten Frühlingstag: Der Junge pfiff Ein lustig Liedchen seinen Rühen; glänzend Im Licht umkreisten Rrähen hohe Bäume;

In blauer Luft schaut ich am Horizont Die Mühle schnell im Wind die Flügel drehn. Und doch: ich sah nur graue Todesnebel, Und teilnahmslos kehrt ich zurück ins Haus.

Wind am Strande wie rodeseinsam uferlängs die wogen, wie todeseinsam alte Uferweiden. Es klagt der wind. weither ist er gezogen; Er bringt ein Unruhlied von Wald und Heiden. 3m Sturme fegte er die großen Städte, Um stille Lauben rauschten seine Schwingen. Und wenn er jäh den Friedhof überwehte, Entriß er Rränze, die an Rreuzen hingen. Hinaus aufs Meer, und über Meere weiter, Verliert er sich in fernen, schönen Landen, Und schläft im Grase: wie ein müder Streiter, Der lange, lange har im Rampf gestanden.

Inhalt Seite

Viererzuy ...... ...................... 5 Die Musik kommt. . . ........ 6 Dorfkirche im Sommer ...................... 8 weite Aussicht . . . ...................... 9 Märztay ...... ...................... 10 Einen Gommer lang . ..................................II Das Rornfeld .... ...................... 12 Heidebilder. . . . . . .......................... 13 Rast ........ ...................... 16 Vla&> der Hühnerjagd . .......................... 17 Rückblick..................... ...................... 18 Tod in Ähren . . . ...................... 20 SLegesfest ...... ...................... 21 Abschied und Rückkehr ...................... 22 Der Maibaum . . . . ........................... Wiegenlied . . . . . ...................... 26 Glückes genug . . . . .......................... 27 Siziliane ...... ...................... 28 Nalter Augusttag . . wind am Strande . .

Einleitung und Auswahl von Edgar Hederer Titelbild nach einer Photographie von M. Dührkoop, Berlin W 50.

DEHMEL

Richard Dehmel wurde 1863 in Wendisch-Hermsdorf in der Mark Brandenburg geboren, studierte 1882—87 Philosophie, Natur­ wissenschaft und Nationalökonomie, lebte als Dichter in Berlin, unternahm größere Reisen in's Ausland, nahm als Frontsoldat am Weltkrieg teil und starb 1920 in seinem neuen Wohnsitz in Blankenese bei Hamburg. Neben einer Erzählung Ln Versen „Zwei Menschen" und den Dramen „Luzifer" und „Mitmensch" hinterließ er uns Gedichtsammlungen mit den Titeln „Erlösun­ gen", „Aber die Liebe", „Verwandlungen der Venus", „Lebens­ blätter", „Weib und Welt", „Fitzebuye" und „Rriegsbrevier".

von Dehmels Verführerisch bedrängenden Worten Berauschte har ebenso wie der von seiner stammelnden Fassungslosigkeit Befremdete überhört, was uns heute an seiner Dichtung angeht: Eine neue Art des Sagens, die ihren unbestreitbaren künstleri­ schen wert har und sich gleichsam zwischen den Worten in die leisen Stimmungen und die verborgenen Reize des Lebens vortastet, die farbige Außergewöhnlichkeit seiner Bilder, die einfühlende Empfänglichkeit für die Vorgänge der Umwelt und die Teilnahme an der VTot der Mitmenschen, viel mehr und dringlicher je­ doch das in rückhaltloser Gelbstenrhüllung offenbar werdende Bild des Menschen seiner Zeit. Es ist ein Bild, in dem der Mensch seine ewige Ge­ stalt, sich selbst zu verlieren droht und damit die Ehr­ furcht vor dem, was über ihm ist und die Herrschaft über das, was in ihm und unter ihm ist. Raum behält er mehr den Ropf oben, dunkle ziellose Triebe haben sich seiner bemächtigt, reißen die Festigkeit des Herzens und die Ordnung des Geistes ein, fliehen in immer leerere Ziele, begegnen ohne Wahrheit aus der eigenen Tiefe, ohne Antwort aus der Höhe immer nur sich selbst. In aller Gier nach neuen Reizen ist doch kein echtes Erleben, alle Flucht nach innen und außen findet kein neues Ziel, aller Aufruhr keinen neuen Gehalt. Bewußte und gewollte Maßlosigkeit und ein dauernd

im Nichts endendes Hin und Her zwischen Begierde und Entrücktheit sucht den Verlust eines ewigen Sinnes und eines unverrückbaren Maßes zu ersetzen. Formlos wie dieses Bild sind dir Worte, die es be­ schreiben. Man kann kaum mehr fragen, was sie sagen, sondern eher, was sie verraten. Sie enden in einem Schrei. Er klingt nach Aufbruch und ist Ver­ zweiflung. Man soll um der Ehrlichkeit willen nicht vorüber­ gehen an dem Bilde dieses Menschen, das durch den Verlust einer alten Wahrheit entstand und in seiner ungesicherten Wirklichkeit die Erneuerung und Reini­ gung dieser Wahrheit herbeiruft. Darum auch soll dieses Menschenbild neben den erbaulicheren und tröst­ licheren anderer Dichter stehen.

Bekenntnis Ich will ergründen alle Lust, So tief ich dürsten kann; Ich will sie aus der ganzen Welt Schöpfen, und stürb ich dran. Ich will's mit all der Schöpfertum, Die in uns lechzt und brennt; Ich will nicht zähmen meiner Glut heißhungrig Element. ward ich durch frommer Lippen Macht, Durch zahmer Rüsse Tausch? Ich ward erzeugt in wilder flacht Und großem Wollustrausch; Und will nun leben so der Lust, wie mich die Lust erschuf. Schreit nur den Himmel an um mich, Ihr Beter von Beruf!

Selbstzucht Mensch, du sollst dich selbst erziehen. Und das wird dir Mancher deuten: Mensch, du mußt dir selbst entfliehen. Hüte dich vor diesen Leuten! Rechne ab mit den Gewalten In dir, um dich. Sie ergeben Zweierlei: wirst Du das Leben, wird das Leben dich gestalten? Mancher hat sich selbst erzogen; Hat er auch ein Selbst gezüchtet? Noch har Reiner Gott erflogen, Der vor Gottes Teufeln flüchtet.

Nächtliche Frage was bebt und bangt so wehe Mein Her; empor, Wenn ich dort oben sehe Der Sterne Chor? wie freie Seelen winken, So bannt den Blick Ihr wandelbares Blinken: Steig auf;um Glück! wie reine Geister glänzen, So mahnt ihr Licht: Steig auf aus deinen Grenzen, Sie wehren'« nicht! Und immer dann dies Beben, Und immer mehr. Stäubchen, Menschenleben, Und doch zu schwer?

Das Ideal Doch hab ich meine Sehnsucht stets gebüßt; Ich ging nach Liebe aus auf allen Wegen, Auf allen kam die Liebe mir entgegen, Drum hab ich meine Sehnsucht stets gebüßt. Es stand ein Baum in einem Zaubergarten, Mit tausend Blüten gab er Duft und Schein, Und eine leuchtete vor allen rein; Es stand ein Baum in einem Zaubergarten. Und aus den Tausend pflückte ich die eine, Sie war noch schöner mir in meinen fänden, So daß ich kniete, Dank dem Baum zu spenden, von dem aus taufend ich gepflückt die eine. Ich hob die Augen zu dem Zauberbaume, Und wieder schien vor allen Eine licht, Und meine welkte schon — ich dankte nicht; Ich hob die Augen zu dem Zauberbaume. Doch hab ich meine Sehnsucht nie verlernt; Ich ging nach Liebe aus auf allen wegen, Auf jedem glänzte mir ein andrer Segen, Drum hab ich meine Sehnsucht nie verlernt.

Manche Nacht wenn die Felder sich verdunkeln, Fühl ich, wird mein Auge Heller; Schon versucht ein Stern zu funkeln, Und die Grillen wispern schneller. Jeder Laut wird bilderreicher, Das Gewohnte sonderbarer, Hinter'm Wald der Fimmel bleicher, Jeder Wipfel hebt sich klarer. Und du merkst es nicht im Schreiten, wie das Licht verhundertfalkigt Sich entringt den Dunkelheiten, plötzlich stehst du überwältigt.

Drohende Aussicht Der Fimmel kreist, dir schwankt das Land, Vom Schnellzug hin und her geschüttelt Saust Ackerrand um Ackerrand, Ein Frösteln hat dich wachgerüttelt: Die Morgensonne kommt. Mühsam entstiebt dem Vlebelzelr Ein Rrähvolk, herbstlich abgemagert, Indes sich dick auf's Düngerfeld Der Frührauch der Fabriken lagert; Die Morgensonne kommt! Schwarz schiebt sich durch den grauen Flor Ein langer Zug von Schlackenbergen, Schornstein an Schornstein schnellt empor, Schreckhafte Hüter neben Särgen; Die Morgensonne kommt. Vom Horizont her nahn mit Hast Und einen sich zwei Straßendämme, Von Apfelbäumen eingefaßt, Schon blaß beglänzr die knorrigen Stämme Die Morgensonne kommt. Jach folgt zum andern Himmelssaum Dein Blick den fruchtberaubten Zweigen, Und plötzlich siehst du Baum an Baum Sein brandrot glühendes Laub dir zeigen: Der Tag ist da!

Die Hafenfeier Vom stillen Hafen singt manch kleines Lied; Hafen der Weltstadt, bist du jemals still?