Deutsche illustrierte Flugblätter des 16. und 17. Jahrhunderts: Band IX Die Sammlung des Kunstmuseums Moritzburg in Halle a. S. 9783110565348, 9783110554113

Die berühmte Flugblattsammlung der Moritzburg zu Halle umfasst das gesamte Themenspektrum der frühneuzeitlichen Bildpubl

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Deutsche illustrierte Flugblätter des 16. und 17. Jahrhunderts: Band IX Die Sammlung des Kunstmuseums Moritzburg in Halle a. S.
 9783110565348, 9783110554113

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Kommentierte Edition. Part 1
Kommentierte Edition. Part 2
Abkürzungsverzeichnis
Bibliothekssiglen
Verzeichnis der mit Kurztiteln oder Siglen zitierten Literatur
Verzeichnis nicht aufgenommener Dubletten und Varianten
Titel- bzw. Initienregister
Personenregister
Sachregister

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DEUTSCHE ILLUSTRIERTE FLUGBLÄTTER DES 16. UND 17. JAHRHUNDERTS Herausgegeben von Wolfgang Harms und Michael Schilling

Band IX

DEUTSCHE ILLUSTRIERTE FLUGBLÄTTER DES 16. UND 17. JAHRHUNDERTS Herausgegeben von Wolfgang Harms und Michael Schilling

Band IX

Die Sammlung des Kunstmuseums Moritzburg in Halle a. S.

De Gruyter 2018

DIE SAMMLUNG DES KUNSTMUSEUMS MORITZBURG IN HALLE A. S.

Herausgegeben von Ewa Pietrzak und Michael Schilling

De Gruyter 2018

ISBN 978-3-11-055411-3 e-ISBN (PDF) 978-3-11-056534-8 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-056456-3 Library of Congress Control Number: 2018935072 Bibliografische Information der Deutsche Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH, Wustermark Druck und Bindung: Gulde-Druck GmbH & Co. KG, Tübingen www.degruyter.com

Inhaltsverzeichnis

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VII

1. Die Sammlung der Moritzburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VII

2. Zum vorliegenden Band . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VIII

Kommentierte Edition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

437

Bibliothekssiglen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

437

Verzeichnis der mit Kurztiteln oder Siglen zitierten Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

439

Verzeichnis nicht aufgenommener Dubletten und Varianten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

445

Titel- bzw. Initienregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

453

Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

457

Einleitung

1. Die Sammlung der Moritzburg Das Kunstmuseum Moritzburg in Halle besitzt eine umfangreiche Sammlung illustrierter Flugblätter aus der Frühen Neuzeit. Seit Hermann Wäscher (1887⫺1961) im Jahr 1955 seine zweibändige Auswahl aus diesem Bestand veröffentlichte, ist der Forschung das Vorhandensein dieser Sammlung bekannt.1 Die Signaturengruppe „F“, unter der die Blätter abgelegt sind, umfasst über 1100 Nummern. Davon entfällt allerdings mehr als die Hälfte auf Drucke der Zeit nach 1700, auf Blätter, die außerhalb des deutschen Sprachraums erschienen sind, oder auf solche, die im vorliegenden Band aus anderen Gründen nicht berücksichtigt werden konnten – sei es, dass sie ohne Illustration auskommen, sei es, dass ihnen ein angemessener Textanteil fehlt, oder sei es, dass es sich um Illustrationen von Büchern oder Flugschriften handelt. Der größte Teil der Sammlung ist in den ersten Jahren nach dem 2. Weltkrieg zusammengetragen worden. Die Provenienzangaben begnügen sich mit dem Hinweis „Bodenreform“, ohne dass ersichtlich wäre, aus welchen enteigneten Privatbibliotheken die Blätter nach Halle gekommen sind.1a Auch Wäscher selbst, der seit Ende der 1920er Jahre privat alte Graphik, darunter auch Flugblätter, gekauft hatte, überließ aus seinem eigenen Besitz der damaligen Staatliche Galerie einschlägige Einblattdrucke, nachdem er 1950 zum Leiter des Graphischen Kabinetts ernannt worden war.2 Dabei scheinen die Grenzen zwischen öffentlichem und privatem Besitz nicht immer klar gewesen zu sein. Im Vorwort seiner Auswahlausgabe schreibt Wäscher nämlich: „Sämtliche hier abgebildeten illustrierten Flugblätter sind nach Originalen aus der grafischen Sammlung der Staatlichen Galerie Moritzburg in Halle wiedergegeben.“3 Doch nicht weniger als 35 der 97 von ihm abgebildeten Einblattdrucke vor 1700 lassen sich im Kunstmuseum nicht nachweisen.4 Darunter befinden sich drei Blätter von Hans Sachs, drei von Johann Fischart, ein unikales von Sebastian Brant, die bekannte Interimssatire des Magdeburger Briefmalers Pankraz Kempf oder auch das gleichfalls unikale Blatt ‚Vrsprung vnd anfang des funfften Wittenbergischen Euangeliumbs‘ aus der Feder des Konvertiten Friedrich Staphylus. Der Verbleib dieser Blätter ist unbekannt. Hingegen weiß man von fünf anderen bei Wäscher wiedergegebenen Flugblättern des 17. Jahrhunderts, dass sie von seiner Frau an das Kulturhistorische Museum in Magdeburg verkauft worden sind, wo sie noch heute verwahrt werden.5 1 1a

2

3 4 5

6

7

Die Blätter selbst verraten nur wenig über ihre Provenienzgeschichte. Vereinzelt sind zeitgenössische handschriftliche Einträge etwa zum Fortgang eines auf dem Blatt behandelten Geschehens zu finden. Alte Foliierungen oder Signaturen, die Rückschlüsse auf vormalige Sammelbände, Konvolute oder Bibliothekszugehörigkeiten erlaubten, sind nicht vorhanden. Die einzige Auffälligkeit, die einen vagen Hinweis auf den geographischen Herkunftsraum eines potenziellen vormaligen Sammlungsbestandes gibt, ist der überdurchschnittlich hohe Anteil an Blättern, die in Straßburg und im südwestdeutschen Sprachraum gedruckt worden sind. Aber mehr als die Vermutung, dass ein größerer Teil der Hallenser Flugblätter aus einer vormals am Oberrhein beheimateten Sammlung stammt, lässt sich aus diesem Befund nicht ableiten. Obwohl die Sammlung in Halle somit kein historisch gewachsenes Profil aufweist wie etwa die Flugblattbestände in Gotha oder Zürich,6 ist sie doch schon aufgrund ihrer thematischen Breite und medialen Repräsentativität höchst bemerkenswert. Den größten Anteil beanspruchen die politischen Blätter, unter denen wiederum diejenigen dominieren, die den Ereignissen des 30jährigen Krieges gelten. Dabei sind sowohl satirische Darstellungen wie auch Nachrichtenblätter vertreten. Von den Geschehnissen in den anderen europäischen Ländern sind vor allem die Begebenheiten des spanischniederländischen Krieges gut auf den Hallenser Drucken repräsentiert, doch auch die politisch-militärischen Ereignisse in Frankreich und England wie auch die Türkenkriege haben ein Echo auf den Blättern gefunden. In der moralisch-sozialdisziplinierenden Gruppe überwiegen die satirischen Darstellungen mit ihrer negativen Didaxe. Allgemeine Aussagen über das Wesen der Welt werden im Bild des mundus inversus zugespitzt und in spezifischen Themenfeldern exemplarisch ausgeführt. Ein besonderer Akzent liegt dabei auf den Geschlechterbeziehungen mit den Fragen der Partnerwahl und den Problemen innerhalb der Ehe.7 Mit ironischem und selbstreferenziellem Bezug auf das Nachrichtengewerbe werden Lügengeschichten und der Typus des Aufschneiders präsentiert. Jeweils mehrere Einblattdrucke kritisieren Fehlverhalten wie Völlerei oder Hoffart, bedienen Fremdheitsstereotypen mit Nachbarschaftsspott gegenüber Nationen (Frankreich, Italien, Spanien) und Regionen (Schwaben), geißeln die Grausamkeiten des Krieges und beschwören den Frieden.

H. WÄSCHER: Das dt. illustrierte Flugblatt. Von den Anfängen bis zu den Befreiungskriegen. 2 Bde., Dresden 1955. Die Blätter IX, 44, 188 und 219 konnten allerdings mittlerweile restituiert werden und befinden sich heute nicht mehr in der Sammlung des Kunstmuseums (laut Mitteilung der Museumsleitung vom 24. Oktober 2017). Vgl. H. SEHRT: Hermann Wäscher u. die Flugblattsammlung der Staatlichen Galerie Moritzburg Halle. In: Hermann Wäscher. Architekt, Burgenforscher, Denkmalpfleger, Grafiksammler. Halle a. S. 1988, 20⫺35, hier 22 f. Zum Beginn von Wäschers Tätigkeit bleibt Sehrt vage: Einerseits habe Wäscher seine Stelle im Museum 1951 angetreten, anderseits hätten schon im September 1950 Kostenvoranschlag und Materialaufstellung für die von Wäscher organisierte Flugblattausstellung vom Frühjahr 1952 vorgelegen. WÄSCHER, 5. Im Einzelnen handelt es sich um Wäschers Abbildungen 2⫺4, 6 f., 9⫺11, 16⫺23, 29, 32, 34, 45 f., 52, 56 f., 65, 68, 72, 74⫺77, 79, 81, 84 und 95. Es sind Wäschers Nummern 45, 68 und 75⫺77; vgl. Flugblätter Magdeburg, Nr. 7, 29, 32, 36 f. Weitere Blätter aus der Sammlung Wäscher befinden sich im Deutschen Historischen Museum in Berlin. Fliegende Blätter; W. HARMS/ M. SCHILLING (Hgg.): Dt. illustrierte Flugblätter des 16. u. 17. Jhs. VIf.: Die Sammlung der Zentralbibliothek Zürich. Kommentierte Ausgabe. Tübingen 1997/ 2005; vgl. auch F. MAuELSHAGEN: Wunderkammer auf Papier. Die ‚Wickiana‘ zwischen Reformation u. Volksglaube. Epfendorf 2011. Vgl. dazu mit besonderer Berücksichtigung des Hallenser Flugblattbestandes BAKE: Spiegel.

VII

Mit dem Kontrast von vorbildlichem, nachzustrebendem Verhalten einerseits und den schrecklichen, verderbenbringenden Folgen eines sündhaften Lebens anderseits operieren die geistlichen Blätter, die an die Vergänglichkeit der Welt und die Sterblichkeit des Menschen gemahnen und die vier letzten Dinge in den Blick rücken. Andachtsblätter im engeren Sinne mit Darstellungen Mariens, Heiliger oder der Passionsgeschichte fehlen. Im Bereich der Wunderzeichenblätter fällt der geringe Anteil an Himmelserscheinungen auf, der sich auf zwei Blätter beschränkt. Die Gruppe von Darstellungen missgebildeter Kinder zeichnet sich durch den weitgehenden Verzicht auf theologische, moralische oder politische Auslegungen als Zeichen Gottes aus. Die am Faktischen orientierten Wiedergaben und Beschreibungen erlauben zumeist sogar eine genaue medizinische Diagnose der dargestellten Fehlbildungen. Aus der kleinen Gruppe der Varia sind drei Schaustellerblätter mit Darstellungen von Elefanten hervorzuheben. Zwei der Blätter, die Verbrechen und Hinrichtungen zum Gegenstand haben, behandeln Ereignisse, die mit Juden- und Hexenverfolgung zusammenhängen. Einblattdrucke aus dem Bereich des Gelegenheitsschrifttums sind in Halle nicht vertreten. Den Rang der Hallenser Sammlung bestimmt auch die hohe Zahl von Rarissima und Unikaten: Nicht weniger als 39 Blätter sind einzig in dem Bestand der Moritzburg überliefert. 44 weitere, von denen in anderen Sammlungen lediglich Varianten erhalten sind, können ebenfalls den Status eines Unikats für sich beanspruchen. Hinzukommen 18 Blätter, von denen sich weltweit nur noch ein einziges weiteres Exemplar nachweisen lässt. Will man einzelne Flugblätter herausheben, mag man zuerst von den namhaften Autoren ausgehen, die in der Sammlung Moritzburg vertreten sind. Um mit einem Pionier der frühneuzeitlichen Bildpublizistik zu beginnen: Sebastian Brants allein in Halle vollständig erhaltenes Blatt ‚Von der Fuchshatz‘ (b Nr. 88) weist mit seinem kritischen Kommentar zu den politischen Zeitläuften wie auch mit seinem plakativen Layout auf die politische Propaganda des 16. und 17. Jahrhunderts voraus.8 Sein ‚Narrenschiff‘, das der Bildpublizistik nahesteht9 und seine ‚Disticha Catonis‘ wurden auf vier Flugblättern in Halle rezipiert (b Nr. 9, 17, 69, 80). Zu den Höhepunkten der Flugblätter in der Moritzburg zählt zweifelsohne die Lebensalter-Serie von Johann Fischart und Tobias Stimmer (b Nr. 33a–j). Zwar kannte man bereits die komplette Folge der Holzschnitte von einem späteren Abzug der Druckstöcke, doch waren von der Sequenz mit den Texten Fischarts bis zu dem Fund in Halle im Jahr 2000 lediglich drei der zehn Blätter bekannt.10 Zu zwei weiteren Blättern aus der Feder Fischarts (b Nr. 56, 200), von denen eines hier dem Straßburger erstmalig zugewiesen werden konnte, kommen noch zwei Drucke, auf denen Fischarts ‚Flöhaz‘ (b Nr. 57) und ‚Malchopapo‘ (b Nr. 93) aufgegriffen wurden. Nicht zuletzt konnte durch die Druckerbestimmung Licht in die Vorgeschichte von Fischarts Blatt über die Straßburger Tierprozession gebracht werden (b Nr. 92). Der dritte wichtige Autor des 16. Jahrhunderts, der ein besonderes Interesse und Verständnis für das Medium des Flugblatts an den Tag gelegt hat, war Hans Sachs.11 Er ist allerdings in Halle nur mit zwei späten Drucken aus dem 17. Jahrhundert vertreten (b Nr. 14, 85).

8

Von den Barockdichtern sind Johann Klaj mit einem Blatt (b Nr. 87) und Johann Michael Moscherosch mit zweien (Nr. 38, 71) anzuführen. Dabei verdient das zweite Blatt nicht allein deswegen besondere Beachtung, weil sein Text erstmals dem Straßburger Satiriker zugewiesen werden konnte, sondern vor allem, weil es ein bislang unbekanntes Porträt des Verfassers bietet. Als Autoren der zweiten Reihe sind die beiden Emblembuchverfasser Daniel Meisner (b Nr. 36, 220) und Johann Saubert (b Nr. 58) zu erwähnen. Zu dem Blatt über die Hinrichtung Maria Stuarts (b Nr. 94) hat Michael Aitzinger, der Begründer der Messrelationen, den Text beigesteuert. Vom Straßburger Dramatiker und Professor Caspar Brülow stammen zwei Einblattdrucke, deren einer bislang nicht bekannt war (b Nr. 3, 59). Zu beiden Blättern konnten niederländische Bildvorlagen ermittelt werden. Sie bezeugen damit die Internationalität des frühneuzeitlichen Kunstmarkts auf der Ebene der populären Druckgraphik und stehen in einer Reihe mit einer beträchtlichen Zahl weiterer Blätter in Halle, die kulturelle Austauschbeziehungen insbesondere zwischen dem Reich, den Niederlanden und Frankreich belegen. Aus der Fülle der anonymen Blätter sei hier nur stichwortartig auf die interkonfessionelle Hölle (b Nr. 8),12 die Revue des fahrenden Volks auf der Frankfurter Messe (b Nr. 23), den ältesten Beleg für eine literarische Verwendung des Kauderwelschen (b Nr. 31), den Einsatz des Flugblattmediums für persönliche Invektiven (b Nr. 72 f., 222), eine calvinistische Version des ‚Passional Christi und Antichristi‘ (b Nr. 91), die satirische Darstellung eines Passionsspiels (b Nr. 143) oder auf die Kombination von Neuer Zeitung und Stadtplan (b Nr. 230) hingewiesen; auch die bekannte großformatige Allegorie des Handels von Jost Amman ist, wenn auch nur fragmentarisch, in Halle vorhanden (b Nr. 25). Eine im Zeitalter des ‚Postfaktischen‘ und der ‚fake news‘ ungeahnte Aktualität hat nicht zuletzt jenes halbe Dutzend Blätter gewonnen, das mit verschiedenen literarischen Mitteln und Motiven selbstironisch das Zeitungs- und Nachrichtengewerbe und sein Publikum verspottet. Einige Darstellungen setzen die metaphorischen Redensarten vom ‚Aufschneiden‘ oder ‚Aufgeigen‘ ins Bild (b Nr. 76⫺78) und erweitern sie zu hyperbolischen Geschichten, deren durchschaubare Lügenhaftigkeit der Unterhaltung des Lesers dient. Dabei steht oft der Typus des miles gloriosus als Urbild des Großmauls Pate, doch begegnet auch (als ältester Beleg) die Figur des Däumlings, der seine Lebensgeschichte ausfabuliert (b Nr. 74). Neben der Hyperbolik können auch Adynata den fiktionalen Status der erzählten Welt signalisieren (b Nr. 20, 26, 78). Dabei gilt die satirische Skepsis nicht nur dem Nachrichtenwesen, sondern auch dem Genre des Reiseberichts und der Autobiographie (b Nr. 20, 74, 78).

2. Zum vorliegenden Band Der vorliegende Band enthält sämtliche deutsche illustrierte Flugblätter des 16. und 17. Jahrhunderts, die in der Sammlung des Kunstmuseums in Halle vorhanden sind. Jeder, der um die Schwierigkeiten einer sachlich angemessenen Fächerzuordnung von Flugblättern in Bibliotheken und Graphischen Kabinetten weiß, weiß allerdings auch um die Schwierigkeiten, sämtliche Flugblätter einer Sammlung zu erfassen.13 Daher ist es nicht überraschend, dass uns die Lebensalter-Serie Fischarts und

Vgl. SCHILLING: Flugblätter Brants. Vgl. H. ROSENFELD: Sebastian Brants Narrenschiff u. die Tradition der Ständesatire, Narrenbilderbogen u. Flugblätter des 15. Jhs. In: Gutenberg Jb. 1965, 242⫺248; DERS.: Die Narrenbilderbogen u. Sebastian Brant. In: Gutenberg Jb. 1970, 298⫺307. 10 Vgl. BAKE: Unser Leben. Zu den bis dahin bekannten Blättern vgl. ENGLERT: Altersstufen. 11 Vgl. M. SCHILLING: Der Meister der Medien. Hans Sachs u. die Bildpublizistik. In: Euphorion 102 (2008), 363–393. 12 Hier wie bei drei anderen Blättern konnten die getrennten Teile von Text und Bild erstmals wieder zusammengeführt werden; noch ohne Text ist das Blatt abgebildet bei KLuG: Flugblatt, Abb. 122. 13 Bei der Erarbeitung des Katalogs der Flugblätter im Kulturhistorischen Museum Magdeburg fanden sich erst zu einem späten Zeitpunkt zwei unikale Drucke, die abseits des Konvoluts der anderen Blätter aufbewahrt wurden (Flugblätter Magdeburg, Nr. 51 f.). Die Neufunde, die seit der dreibändigen Ausgabe der in Wolfenbüttel vorhandenen Blätter in der Herzog August Bibliothek gemacht wurden (zumeist beigebunden in Sammelbänden) würden zumal zusammen mit den inzwischen neu erworbenen Einblattdrucken einen vierten Band füllen. 9

VIII

Stimmers (b Nr. 33a⫺j) erst nach unserer ursprünglichen Aufnahme des Bestands bekannt wurde, weil die Blätter in einer anderen Signaturengruppe abgelegt sind. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass sich das eine oder andere Blatt noch nachträglich anfindet. Bei den Drucken, die bereits in den früheren Bänden abgebildet und besprochen wurden, oder ihnen nahestehenden Varianten war es nicht sinnvoll, sie noch einmal zu reproduzieren und zu kommentieren. Sie sind aber in dem ‚Verzeichnis nicht aufgenommener Dubletten und Varianten‘ am Ende des Bandes mit entsprechenden Querverweisen aufgelistet. Da in Halle, wie gesehen, kein historisch gewachsener Sammlungsbestand vorliegt, konnten wir die Auswahlkriterien der Reihe konsequenter als sonst anwenden. Blätter, die außerhalb des zeitlichen oder geographischen Rahmens erschienen oder nicht illustriert sind, wurden folglich nicht berücksichtigt – mit drei Ausnahmen: Die ‚Fuchshatz‘ von Sebastian Brant aus dem Jahr 1498 (b Nr. 88) präludiert mediengeschichtlich mit seiner Aufmachung und thematischen Ausrichtung die Bildpublizistik des 16. und 17. Jahrhunderts; eine Aufnahme in den Band erschien uns daher ebenso sinnvoll und notwendig wie bei dem nicht-illustrierten Blatt ‚Einfältige … Erinnerung‘ (b Nr. 73), das die Invektive des voranstehenden ‚Weltlauffs‘ (b Nr. 72) erwidert. Die Berücksichtigung eines niederländischen Blatts (b Nr. 63) erklärt sich schließlich aus der Feststellung, dass es sich um eine Transformation eines vorgängigen deutschen Einblattdrucks handelt. Der Aufbau des Bandes folgt dem Muster der Bände I⫺IV der Reihe. Er beginnt folglich mit den Theologica und setzt mit den Ethica fort; es folgt die große Gruppe der Historica, bevor dann die Physica und Quodlibetica den Abschluss bilden. Die schmale Gruppe der Theologica besteht hauptsächlich aus Blättern, die das Ende des Menschen und die Vier letzten Dinge behandeln. Die Ethica (ab Nr. 9) bieten zunächst allgemeine Weisheitslehren und satirische Ansichten der Welt und ihrer Bewohner. Es folgen einige ständische Satiren, bevor mit den Lebensaltern von Mann und Frau der große Komplex der gender-bezogenen Blätter einsetzt. Eine Reihe lasterkritischer Darstellungen schließt sich an, ehe einige Bauernklagen und friedensthematische Blätter den Übergang zu den Historica bilden. Die Abteilung der historisch-politischen Blätter (ab Nr. 88) ist, von gelegentlichen durch gemeinsame Motivverwendung begründeten Umgruppierungen abgesehen, chronologisch angeordnet. Im Gegensatz zu den früheren Bänden der Reihe haben wir uns entschlossen, auch die Darstellungen militärischer Aktionen in der Regel wenigstens kurz zu kommentieren, um eine erste Orientierung zu bieten. Der Mangel einschlägiger militärgeschichtlicher Kenntnisse, den die beteiligten Germanisten freilich mit vielen Frühneuzeit-Historikern teilen, verbot es, genauere Überlegungen zu den Schlachten, Belagerungen und Eroberungen und ihren Darstellungen vorzunehmen. Die Physica (ab Nr. 195) beginnen mit einigen wunderzeichen-basierten Prophezeiungen und präsentieren dann Blätter in der Reihenfolge: multiple Wunderzeichen, Himmelserscheinungen, körperliche Abnormitäten beim Menschen, Missbildungen und Besonderheiten im Tier- und Pflanzenreich. Unter den abschließenden Quodlibetica (ab Nr. 217) bilden die Blätter mit Darstellungen von Verbrechen und Hinrichtungen die größte Gruppe. Der Aufbau der einzelnen Kommentare folgt (mit Ausnahme der Kurzkommentare) dem bewährten Schema der früheren Bände: Im Kommentarkopf stehen mit der laufenden Nummer, der Signatur, Erscheinungsort und -jahr, Angaben der Drucktechnik, der beteiligten Autoren und Künstler, des Druckers/Verlegers, den Maßen (Druckspiegel und Graphik von Plattenrand zu Plattenrand, Höhe vor Breite) und dem Zustand des besprochenen Exemplars die basalen Informationen. Es 14

folgt ein ‚lead‘, der in einem Satz die wesentlichen Aspekte des Blatts zusammenfasst. Die beiden folgenden Abschnitte beschreiben Bild und Text unter Berücksichtigung ihrer strukturellen und rhetorischen Komponenten. Der vierte Abschnitt gilt der Einordnung des Blatts in sein historisches Umfeld. Die Vielfalt der Drucke ließ es angeraten sein, für diese Situierung von einem schematischen Raster abzusehen, vielmehr von Fall zu Fall flexibel vorzugehen und je nach Erfordernis kultur-, literatur-, politik-, kunst-, funktions-, kirchen- oder wissensgeschichtliche Aspekte in den Vordergrund zu rücken – nicht zuletzt, um inhaltliche Wiederholungen gegenüber bereits vorliegenden Kommentaren zu ähnlichen Blättern zu vermeiden. Oder um es anders auszudrücken: Es war durchaus eine Herausforderung, auch zum zehnten Blatt mit der Darstellung einer Missgeburt noch etwas Neues zu sagen. Bei den Nachweisen weiterer Exemplare und anderer Fassungen haben wir keine (ohnehin nur illusorische) Vollständigkeit angestrebt. Die Angaben beruhen auf Autopsie; nicht gesehene Blätter werden über die Forschungsliteratur nachgewiesen.14 Die Forschungsbibliographie zum Blatt ist mit der Sigle A gekennzeichnet und findet sich über dem Anmerkungsteil; es wurde darauf verzichtet, bloße Erwähnungen und Wiederholungen von Bekanntem (wie in manchen Ausstellungskatalogen) aufzunehmen. Während in den früheren Bänden alte Drucke in den Anmerkungen noch mit Signatur nachgewiesen wurden, schienen uns diese Angaben heute entbehrlich, da entsprechende Nachweise mittlerweile dank der großartigen Recherche-Instrumente des VD16, VD17 und des Karlsruher Virtuellen Katalogs (KVK) keiner aufwändigen Bibliotheksreisen mehr bedürfen, sondern vom Schreibtisch aus geführt werden können. Die Vorarbeiten zu dem Band reichen über zwanzig Jahre zurück. Berufliche Belastungen und lebensgeschichtliche Umstände versetzten die beiden Herausgeber erst nach dem Eintritt in den Ruhestand auch in den Stand der Ruhe, die einen konzentrierten und nunmehr zügigen Abschluss der Arbeiten ermöglichte. Neben den Herausgebern haben Angela Rohr (Magdeburg) und Dietmar Peil (München) mehrere Kommentare verfasst. Ein oder zwei Blätter wurden von Inci Bozkaya (Mannheim), Hanns-Peter Bruchhäuser (Kassel) und Jürgen Donien (†) übernommen. Allen Beiträgerinnen und Beiträgern danken wir herzlich dafür, dass sie ihre Arbeitskraft und ihr Expertenwissen dem Projekt zur Verfügung gestellt haben. Unser Dank gilt ferner dem Kunstmuseum Moritzburg, dessen Mitarbeiter, insbesondere Bärbel Zausch sowie Anke Dornbach und Siegfried Gergele, uns bei unseren Aufenthalten in Halle und späteren Fragen und Problemen nach Kräften unterstützt haben. Das Land Sachsen-Anhalt hat das Projekt drei Jahre durch die Finanzierung einer Mitarbeiter- und einer Hilfskraftstelle gefördert; das Institut für Germanistik der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg stellte für den Förderzeitraum die erforderliche Infrastruktur bereit. Auch dafür sind wir dankbar. Braunschweig, den 28. März 2017 Ewa Pietrzak Michael Schilling Siglen der Beiträgerinnen und Beiträger AR DP EP HPBr IB JD MSch

Angela Rohr Dietmar Peil Ewa Pietrzak Hanns-Peter Bruchhäuser Inci Bozkaya Jürgen Donien (†) Michael Schilling

Dabei kann es, wenn die Angaben in der Vorlage ungenau sind, natürlich im Einzelfall auch zu den von PAAS gelegentlich monierten Phantomblättern kommen.

IX

ILLUSTRIERTE FLUGBLÄTTER Kommentierte Edition

IX, 1

F 112

Ort Jahr Bild Text Verleger Format

Christliche Schlaguhr das ist Gottselige (Straßburg) (um 1620) Figurengedicht graviert; 48 Knittelverse in 12 Strophen von Philipp Wishacken (Lebensdaten unbekannt) Johann Erhardt Wagner (tätig 1620–1625)1 27,5 ! 21,4

Der Text des rosettenähnlichen Figurengedichts2 bietet eine Variante des weit verbreiteten Typus des Stundenliedes.3

Elff grecht Jünger Christus außsandt Zu Predigen inn allem Landt Elff stund des tags brüefft vns der Herr Jn sein Weinberg zu Arbeiter

Um ein Ziffernblatt (ohne Zeiger) mit der Zahl 1 auf dem Scheitelpunkt sind die Strophen rosettenförmig angeordnet. Die Strophen beginnen auf Höhe der jeweils behandelten Zahl und stoßen nach sechs weiteren Zahlen wieder an das Ziffernblatt. Der Umriss der Einzelstrophe erinnert an die Form des Kleeblattbogens, der aus drei Kreisbögen zusammengesetzt ist. Insgesamt soll das Figurengedicht wohl auch an das Räderwerk einer Uhr erinnern und ordnet sich damit in die Tradition der Uhrenbildlichkeit ein.4

Zwelff Artickel des Glaubens sindt Die vns mache[n] zu Gottes kindt Zwelff stuehl den Jüngern werde[n] breit Am Jüngsten Gricht wie Christus zeigt.

Der Text verknüpft die Stundenzahlen mit entsprechenden (maximal vier) katechetischen, heilsgeschichtlichen oder biblischen Aussagen: Einiger Wahrer Gott vnd Herr Von dier allein komt alles her. Dich allein soll man Ehren thun Jn Christo deinem Einige[n] Sohn Zwey Zwey Zwey Zwey

Menschenbild schuff Gott der Herr Sacrament Verordnet Er, Testament Drinn Gschrifft fürhelt Ort zur Ewigkheytt behellt

Drey Personen inn der Gottheit. Drey Tag Christus ins Grab war gleit Drey Jünger sahen sein Clarheit Vnd am Ölberg sein Traurigkeit Vier Vier Vier Vier

Während die erste Strophe als gebetsartige Anrufung an den alleinigen Gott formuliert ist, sind die restlichen Strophen eher in einem referierendbelehrenden Ton gehalten, der jedoch durch den wiederholten Einsatz des liturgischen ‚wir‘ in Str. 7–8 und 10–12 an Verbindlichkeit gewinnt. Insgesamt ist der Text rhetorisch vor allem durch die anaphorisch eingesetzten Zahlwörter geprägt und lässt an mnemotechnische Merkverse denken. Die Zweizahl der Sakramente weist den Verfasser als Protestanten aus,5 der jedoch keine weiteren konfessionellen Differenzen herausstellt. Von der Textlänge her kommt das Blatt dem Druck ‚Von der Geistlichen Vhr / Vnsers Christlichen Glaubens‘ (1610) nahe,6 wird aber von der um die Mitte des 17. Jahrhunderts datierten ‚Aufweckende[n] Stunden-Wache‘ (b III, 106) deutlich übertroffen. Allerdings gebührt dem Blatt mit 36 gezählten biblischen, katechetischen oder heilsgeschichtlichen Fakten gegenüber allen anderen Drucken und Texten (in Versen) der Vorrang; dies lässt vermuten, dass ein mnemotechnisches Interesse im Vordergrund stand.

Weitere Standorte:

Andere Fassungen:

1

2

3

Evangelisten Heilig Kriegsknecht haben vortheilig theil auß Christi kleider gmacht. Tag Lazarus im Grab betracht.

Fünff Fünff Fünff Fünff

wunde[n] roth trug Gottes Lamb klug Jungfraw bhielt der Breutgam Torichter abweisen that Bücher Moses gschriben hatt.

Sechs Sechs Sechs Sechs

tag schuff Gott an himl vnd Erd wasserkrüg mit wein verehrt werck zur Barmherzigkeit kert Stück der Catechismus lehrt

Sieben Sieben Sieben Sieben

Erzengel stehn vor Gott bitt erheischt vnser noth Brot hat Christus Verspeißt Gaben der Heilig Geyst leist.

4

Acht tag Christus nach seinr Geburt Vnß zu erlösen bschnitten wurdt Acht Menschen im Sündtfluß erhellt Acht Seligkeiten Christus meld Neun stund im tag an Creutzes stamm Verschid Herr Jhesus Gottes Lamb, Vndanckbarer Feldtsiechen neun Macht Christus von dem Aussatz rein Zehen Gebott man gschribe[n] findt, Die vns anzeigenn vnser Sündt Zehen Stämmen von Jacobs haus Theilt Josua Sland Canan auß.

2

5

6

Im VD17 wird Johann Erhard Wagner als Stecher verschiedener Einblattdrucke Daniel Sudermanns geführt, während er sich hier als Rechenmeister ausgibt. Zu Figurengedichten mit dem Motiv der Rose vgl. J. ADLER/ U. ERNST: Text als Figur. Visuelle Poesie von der Antike bis zur Moderne. Weinheim 31990, Abb. 37, 45 u. 82. Weitere Figurengedichte auf Einblattdrucken b I, 15a, 47, 66a, 241; III, 27; IX, 12. Dazu BANGERTER-SCHMID: Erbauliche Flugblätter, 120–122. Außer den dort besprochenen Flugblättern wären anzuführen die ‚Geistliche Weckvhr auff zwölff Stund gericht‘ aus dem Münchener Gesangbuch 1631 (H. CYSARZ [Hg.]: Schwund- u. Kirchenbarock. Leipzig 1937, 103–106); Johann Holtzmann: Geistliche Uhr. Wandsbek 1631; ‚Von den zwölff Stunden des Tages‘. Nürnberg 1631; Sebastian Heidenreich: Horologium Christianorum. O.O. 1636; Friedrich Spee von Langenfeld: ‚Ein glaub allein, Ein Gott allein‘ (1649). In: Ders.: Sämtliche Schriften. Bd. 2, München 1968, 369 f.; Georg Philipp Harsdörffer: ‚Absonderliche Betrachtung der XII. Stunden deß Tages‘. In: Ders.: Hertzbewegliche Sonntagsandachten. Teil 1–2, Nürnberg 1649–1652, hier Teil 1, Bl. Bb(7v). In dieser Tradition steht auch noch das Nachtwächterlied ‚Hört Ihr Herrn, und lasst Euch sagen‘. In den beiden Gedichten zur Erklärung der Titelgemähl (Bl. Aijr, Bl. )(ijr) greift Harsdörffer andere Aspekte des Uhrenbildes auf. Zur Verwendung der Uhrenbildlichkeit im Einblattdruck generell vgl. COuPE I, 165⫺169; zur Vielfalt der ‚geistlichen Uhren‘ vgl. B. SZTuLIK: Unikales Bildprogramm – Herkömmliche Textgattung. Eine illustrierte Gebetbuchhandschrift in Pannonhalma im Kontext der Frömmigkeitspraxis des 17. Jhs. Hamburg 2013, 177– 213. Damit kommt überein, dass der Katechismus der Stundenzahl Sechs zugeordnet ist: Der Straßburger Katechismus bestand seit spätestens 1555 aus den sechs Hauptstücken des Dekalogs, des Glaubensbekenntnisses, des Vaterunsers, der Taufe, des Abendmahls und einer Bußzucht. Vgl. SZTuLIK: Bildprogramm, 183 f., mit Abb. 68 (nach COuPE II, Abb. 89). DP

3

IX, 2

F 701

Ort Jahr Bild Text Format

Mithilfe einer reichen Ikonographie und zahlreicher Bibelzitate verbindet das Blatt das VanitasMotiv mit der Mahnung zu einer christlichen Lebensführung. Der zentrale Teil des Bildes in Form eines runden Spiegels wie auch der Weltkugel zeigt als Hauptmotiv das Leben als allegorische Pilgerschaft. Mit einem Pilgerstab und -hut ausgestattet, wandert der Mensch auf dem Pfad seiner Lebensjahre. Frau Welt (MVNDVS; b III, 116, 120; IX, 3)2 zeigt ihm Szenen irdischer Lustbarkeiten, die im Hintergrund wiedergegeben sind (Begegnungen erotischer Art, Tafeln in geselliger Runde, Spaziergänge, Musizieren, Jagd, Bootsfahrten). Fleischeslust (CARO) und Teufel (DIABOLVS) versuchen, den Pilger vom rechten Weg abzuhalten, den ihm sein Schutzengel (SPIRITVS) weist. Der durch die Sanduhr als zeitlich beschränkt gedeutete (Lebens)Weg (b III, 120, 122, 129) führt am Rande des Grabes entlang und endet mit dem Tod, der in der Grube mit seinem Pfeil schon das neugeborene Kind bedroht. Den oberen Teil des Kreises bevölkern biblische Gestalten: der Evangelist Johannes, der Erzengel Michael, Moses mit den Gebotstafeln, die Apostel Petrus und Jakobus, ein Engel mit der Krone des ewigen Lebens und ein Dämon mit sieben Pfeilen der Todsünden als Verkörperung des Bösen. Die Bildwinkel außerhalb des Spiegels zeigen im Uhrzeigersinn (links unten beginnend) mit Tod, Gericht, Himmel und Hölle die vier letzten Dinge. Die obere Bildhälfte stellt die himmlische Sphäre dar: links das Jüngste Gericht mit dem auf dem Regenbogen thronenden Christus als Weltenrichter mit Lilie und Schwert, umgeben von Cherubinen und Engeln mit einigen der arma christi3 und den Posaunen, rechts den Zug der Erlösten in den Himmel; zwischen den beiden Szenen schwebt in der Mitte die Taube des Heiligen Geistes. Unten sieht man in dem rechten Bildsegment die Hölle mit dem Höllenmaul (b IX, 8), auf dem ein Teufel mit einem rauchenden Gefäß und einer Fahne mit einem Schädel als Zeichen der Vergänglichkeit (b III, 112, 115, 127 f., 130) sitzt. Die Szene links unten thematisiert den Tod, der als Gerippe mit zielendem Bogen vorgeführt wird (b III, 125; IX, 5 f.);4 unter ihm liegen Tote unterschiedlichen Standes und Geschlechts, und über ihm symbolisiert eine mechanische Uhr die Ungewissheit der Todesstunde (Mt 24,42 und 44). Die einzelnen Graphikelemente stehen in engem Wechselbezug zu den als Tituli eingeblendeten Texten. Die Texte bestehen aus Bibelzitaten, die mit Stellenangaben ausgewiesen sind. Zitiert werden das Alte und Neue Testament in der Übersetzung Luthers. Die gewählten Verse beziehen sich auf das Leben des Christen von seiner Geburt an bis zu seinem Tode, heben die Stellung des Letzteren hervor, erinnern an die Alternativen des Jenseits 4

SPIEGEL

MENSCHLICHES LEBENS

(nach 1619) Radierung (von Matthäus Buschweiler, 1. Hälfte 17. Jahrhundert)1 graviert; Bibelzitate als Bildinschriften 37,2 ! 30,5

zwischen Himmel und Hölle, verweisen auf den Glauben als Mittel zur Überwindung der Gefahren des Lebens und Erlangung der Seligkeit und übernehmen so die Deutung der allegorischen Bildlichkeit. Mit dem Motiv der peregrinatio vitae humanae greift der Blattverfasser eine seit dem Mittelalter in Erbauungstexten, Predigten, Leichenschriften, in erzählender Prosa und auf Flugblättern verwendete Allegorie auf.5 Die Idee der Pilgerschaft als Sinnbild für das menschliche Leben geht auf die patristische Bibelexegese zurück6 und bildet neben der militia christiana (b III, 104–106; IX, 3) und der Seefahrt (b III, 109) eine der beliebtesten Allegorien in diesem Bereich.7 Eine direkte Verbindung mit der Situation des miles christianus wird mit dem Satz in der unteren Leiste hergestellt, der wie der Titel mit Majuskeln hervorgehoben ist und ohne Nachweis auskommt: MEIN KIND, WILTV GOTTES DIENER SEIN, SO SCHICKE DICH ZVR ANFECHTVNG (Sir 2,1). Gemeinsam ist dem geistlichen Ritter und dem geistlichen Wandersmann der Kampf mit den drei Feinden ⫺ dem Teufel, der Welt und der Fleischlichkeit ⫺, die sie an ihrem Weg in den Himmel hindern (b III, 104 f.; IV, 2; IX, 3).8 Mit den Szenen außerhalb des Lebenskreises wird die Lehre von den vier letzten Dingen veranschaulicht, die bis ins 18. Jahrhundert hinein einen festen Bestandteil der christlichen Eschatologie bildete.9 Die Spiegel-Metapher erfüllt hier wie in anderen memento-mori-Blättern die Funktion der Aufforderung zur contemplatio und bietet zugleich die Möglichkeit der Selbsterkenntnis für jeden Christen unabhängig von der Konfession (b III, 118; IX, 69).10 Die Kreisform innerhalb der Graphik greift diese Metaphorik auf, verweist zugleich aber auch auf die Welt, durch die der Lebensweg des Menschen führt.11 Durch Nutzung der traditionellen Ikonographie des Diesseits und Jenseits sowie des vertrauten Bibeltextes vermittelte das Blatt, das ursprünglich wohl katholischer Provenienz war, eine überkonfessionell wirksame Lehre. Für das Blatt wurde die Kupferplatte der Fassung a benutzt, aus der der ursprünglich unten rechts eingravierte Name des Verlegers sowie Erscheinungsort und -jahr ausradiert wurden.

Weitere Standorte: Berlin, KK: 18085

Andere Fassungen: a)

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London, BM: 1876.0510.677; Nürnberg, GNM: HB 25047/1336a [SPEIR BEY MATTHEVS BVSCHWEILER. 1619] Braunschweig, HAUM: FB XIV gr [Spiegel deß Menschlichen Lebens; Stich von Johann Christoph Hafner] BENZING: Verleger, 1112. Zur Ikonographie der Frau Welt vgl. STAMMLER: Frau Welt; SCHILLING: Imagines Mundi, 102–117. R. BERLINER: Arma christi. In: Münchener Jb. der Bildenden Kunst 6 (1955), 33–152. L. SCHMIDT: Der grimmig Tod mit seinem Pfeil. In: Wiener Zeitschrift für Volkskunde 37 (1932), 33⫺38. Vgl. etwa Johann Geiler von Kaisersberg: Christenlich bilgerschafft zum ewigen vatterland […] angzeigt in glychnuß vnd eigenschafft eines wegfertigen bilgers. Basel 1512; Leonhard Steinhart: Das Gülden Wanderbuch/ Von der Christlichen Bilgerschafft […] inn künstlich Reymen weiß gestelt. Frankfurt a. M. 1568; Sigismund Suevus (Schwabe): Geistliche Wallfarth oder Pilgerschafft zum heiligen Grabe. Nemlich/ Der Christen Glauben/ Lehr vnd Leben. Görlitz 1573; Adam Walasser: Der Himlisch Füßsteig. Auff welchem der büssende Sünder mit hülff Götlicher gnade […] sicher wandlen […] kann. Tegernsee 1581; Georg Burghard: Peregrinatio, Von der müheseligen Wahlfahrt […] vnd der Seligen Endschafft der fernen Reise. O.O. 1601; Johannes Reineccius: Peregrinus Oder Geistlicher Wanderßmann. Das ist: Von der Wallfahrt der Menschen in diesem Leben/ Zwölff Predigten. Goslar 1611. S. auch HARMS: Homo viator, bes. 271–273; S. WENZEL: The Pilgrimage of Life as a Late Medieval Genre. In: Mediaeval Studies 35 (1973), 370–388; R. L. FALKENBuRG: Joachim Patinir. Landscape as an Image of the Pilgrimage of Life. Amsterdam/ Philadelphia 1988, 85–90. S. C. CHEW: The Pilgrimage of Life. New Haven/ London 1962; A. ALBERT: Untersuchungen zum Begriff peregrinatio bzw. peregrinus in der benediktinischen Tradition des Früh- u. Hochmittelalters. St. Ottilien 1992, 25– 30. WANG: Miles Christianus, bes. 163–175; G. V. SMITHERS: The Meaning of The Seafares and The Wanderer. In: Medium Aevum 26 (1957), 137–153; 28 (1959), 1–22. WANG: Miles Christianus, 105–137. KRuMMACHER: De Quatuor Novissimis. GRABES: Speculum, bes. 55–60. Zur Spiegel-Metaphorik vgl. auch MÜNKNER: Eingreifen, 177–192. Zum Spiegel aus unterschiedlichen Perspektiven s. J. BALTRuŠAITIS: Der Spiegel. Entdeckungen, Täuschungen, Phantasien. Gießen 1996. L. MÖLLER: Die Kugel als Vanitas-Symbol. In: Jb. der Hamburger Kunstsammlungen 2 (1952), 157–177; J. MÜNKNER: Formen „instrumentellen Sehens“ in illustrierten Flugblättern der Frühen Neuzeit. In: Das Mittelalter 9 (2004), 77–86, bes. 82–85. EP

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IX, 3

F 211

Ort Jahr Bild Text Drucker Format

Das Blatt ruft unter Verwendung des biblisch fundierten allegorischen Komplexes der geistlichen Ritterschaft (Militia Christiana) zu Opferbereitschaft und Festigkeit im Glauben auf. Im Bildzentrum steht in antikisierter Rüstung mit Schild und gezücktem Schwert ein Krieger, dessen Blick auf das Jahwe-Tetragramm am Himmel gerichtet ist. Auf dem Schild ist die Opferung Isaaks dargestellt. Die sandalenbekleideten Füße des Kriegers stehen auf einem prismenartig geschliffenen Steinblock, dessen Gestalt an die Ikonographie des Ecksteins Christi (1 Petr 2,4⫺8) erinnert (b II, 272; IV, 199). Der Geistliche Ritter ist von vier Feinden umgeben: Links lockt eine mondäne Frau Welt mit Preziosen, Schatztruhe und Geldsäcken. Vor oder halb unter dem Eckstein liegt die Personifikation der Sünde, um deren Arm sich eine Schlange windet, die den Bezug zum Sündenfall augenfällig macht. Rechts außen zielt ein bocksfüßiger, mit Fledermausflügeln ausgestatteter Teufel mit Pfeil und Bogen auf den Ritter. Neben dem Teufel steht auf zwei Folianten die langgewandete Gestalt eines alten Mannes mit Bart, Brille und kahlem Kopf. Er zeigt mit dem linken Zeigefinger in ein Buch, das er aufgeschlagen mit der rechten Hand vor sich hält. An seinem Gürtel hängen Schreibutensilien. Im Hintergrund erstreckt sich eine amöne Landschaft mit einem Schloss, weiteren Gebäuden und zwei Liebespaaren. Auf einem Stein am vorderen Bildrand findet sich die Datierung 1620. Nach seiner Selbstvorstellung bekundet der geistlich Rittr, beständig und im Vertrauen auf Gott gegen seine Feinde Satan/ Sünd vnd Welt kämpfen zu wollen. Als ersten Gegner apostrophiert er die schnöde Welt, deren gantzer Pracht unter Hinweis auf die Vergänglichkeit abgewehrt wird. Als zweites fordert der Ritter den Teufel heraus, gegen den er seine allegorische Rüstung (nach Eph 6,10⫺17) ins Feld führt. Von dem dritten Feind, der Sünde, habe Christi Blut den Sprecher rein gewaschen. Auch der vierte Gegner, Der ewig Todt, könne ihn nicht anfechten, da Christus am Kreuz den Sündenfall gesühnt, das gantz Gesetz erfüllt und Damit seins Vatters Zorn gestillt habe.1 In der Gewissheit, sich im Kampf behaupten zu können und das ewig Gut zu erlangen, fordert der Sprecher von allen, die ebenfalls nach der HimmelCron streben, es ihm nachzutun, Die Geistlich Waffen anzulegen und zu streiten wie ein starcker Heldt. Die Militia Christiana bildete einen beliebten Motivkomplex in der frühneuzeitlichen Druckgraphik und Bildpublizistik.2 Ausgehend vom Epheserbrief 6,10⫺17, wurde der geistliche Ritter mit den Waffen des Glaubens gerüstet, um gegen seine Feinde bestehen zu können, die in der Regel aus Welt, Tod und Teufel bestanden und gelegentlich um die fleischliche Versuchung und die Sünde er6

Der Geistliche Ritter Dessen Beschreibung

Straßburg 1634 Radierung (von Friedrich Brentel?, 1580⫺1651, nach David Vinckboons, 1578⫺1629, und Pieter Serwouters, 1586⫺1657) Typendruck in 2 Spalten; 80 Knittelverse von Caspar Brülow (1585⫺1627) Elias Hugwart (1586⫺1657?) 38,3 ! 21,5; 15,8 ! 17,6

weitert wurden. Eher ungewöhnlich für die Militia-Ikonographie, wenn auch nicht singulär, sind die ritterlichen Attribute des Schilds mit der Darstellung von Isaaks Opferung und des Ecksteins als Standfläche. Beide Attribute stehen in einem typologischen Verhältnis zueinander, insofern die abgebrochene Opferung des Sohnes durch Abraham auf die vollzogene Opferung Christi am Kreuz vorausweist und der Eckstein in der Bibel für Christus steht. Festigkeit im Glauben an Gott gewährt dem Ritter somit Schutz (Schild) und Halt (Eckstein), und zugleich wird die Opferbereitschaft des gläubigen Kämpfers in der Nachfolge Christi aufgerufen. Deutungsschwierigkeiten bereitet die Gestalt des alten Mannes unter den Feinden des Miles Christianus. Er vertritt die Stelle des Todes. Im Text heißt es:

sammengearbeitet hat. Er nutzte eine Vorlage, die Pieter Serwouters nach David Vinckboons 1614 in Amsterdam gestochen hatte; das Blatt widmete der Buchhändler und Dramatiker Abraham de Koningh (1588⫺1619) dem Leidener Theologieprofessor Johannes Polyander (1568⫺1646).

Weitere Standorte:

Andere Fassungen: Der ewig Todt schadt mir auch nicht/ Das streng Gesetz mich nicht anficht. Verschlungen ist im Sieg der Todt/ Christus Jesus der ewig Gott/ Der hat das gantz Gesetz erfüllt/ Damit seins Vatters Zorn gestillt.

Der Tod wird also mit dem Gesetz des Alten Testaments zusammengesehen, das durch Christi Kreuzigung und Gnadenwerk überwunden und abgelöst sei. Während auf anderen Bildern der Knochenmann unter den Gegnern des Miles Christianus erscheint, ist es hier ein Repräsentant des alttestamentlichen Gesetzes. Auf den ‚Gesetzund-Gnade‘-Bildern Lukas Cranachs d. Ä. (1472⫺ 1553) nehmen diese Rolle Moses und einige Propheten ein, deren Kleidung und Physiognomie durchaus zu dem alten Mann auf dem Flugblatt passen. Allerdings tragen die Propheten keine Brille und stehen nicht auf zwei Büchern. Man wird die Gestalt des Alten daher vielleicht am ehesten als einen jüdischen Schriftgelehrten deuten können, der im Prophetenhabit dargestellt ist, sich durch die Bücher der Thora und des Talmud erhöht und dessen theologische Fehlsicht durch die Brille (b I, 54) sichtbar gemacht wird.3 Brülow unterrichtete 1620 als Lehrer der secunda classis und Professor für Poesie am Straßburger Gymnasium. Den Lehrstuhl für Geschichte an der 1621 zur Universität erhobenen Straßburger Akademie erhielt Brülow ein halbes Jahr vor seinem Tod.4 Neben Dramen, Kasualgedichten und einer Bibelauslegung hat Brülow auch zu weiteren Flugblättern Texte verfasst (b I, 7; IX, 59).5 Für Johann Michael Moscherosch war Brülow bis 1624 der wichtigste Poetik-Lehrer und bis zu seinem Tod 1627 ein naher Freund.6 Die weichen Konturen und feinen Ziselierungen der Radierung deuten auf Friedrich Brentel7 als Urheber der Graphik hin, der um 1620 mit den Straßburger Verlegern Jakob und Marx von der Heyden (1573⫺1645 bzw. tätig 1617⫺1648) zu-

a)

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Berlin, Kunstbibliothek: 1002, 18; London, BM: 1880.0710.541; Stuttgart, GS: B 514 [Straßburg: Peter Aubry d.J. 1668] verschollen [Ausgabe von 1620] Amsterdam, RM: RP-P-1882-A-60768 [gravierter Text von Abraham de Koningh mit Dedikation an Johannes Polyander; Stich von Pieter Serwouters nach David Vinckboons; (Amsterdam) 1614] PAAS VII, P-1968. W. HARMS: Bildlichkeit als Potential in Konstellationen. Text u. Bild zwischen autorisierenden Traditionen u. aktuellen Intentionen (15. bis 17. Jh.). Berlin 2007, 15 f. (Anm.). M. HANSTEIN: Caspar Brülow (1585⫺1627) u. das Straßburger Akademietheater. Lutherische Konfessionalisierung u. zeitgenössische Dramatik im akademischen u. reichsstädtischen Umfeld. Berlin/ Boston 2013, 104⫺106. Es handelt sich um ein Zitat des Kirchenlieds von Paul Speratus ‚Es ist das Heil uns kommen her‘, 5. Strophe. WANG: Miles Christianus; HARMS: Bildlichkeit, 14⫺24; zu weiteren dort nicht behandelten einschlägigen Flugblättern vgl. BANGERTER-SCHMID: Erbauliche Flugblätter, 135 f. mit Abb. 22; M. SCHILLING (Hg.): Illustrierte Flugblätter der Frühen Neuzeit. Kommentierte Edition der Sammlung des Kulturhistorischen Museums Magdeburg. Magdeburg 2012, Nr. 52; Fliegende Blätter, Nr. 444. HANSTEIN: Brülow, 104 f., interpretiert die Figur als „Mönchsgestalt“. Den fehlenden Bezug im Text versucht er damit zu erklären, dass die Gestalt erst 1634 in einer Überarbeitung der Graphik hinzugekommen sei und deswegen von Brülow nicht habe berücksichtigt werden können. Das ist aber wegen der Datierung der Radierung auf 1620 ausgeschlossen. In der niederländischen Vorlage (Fassung c) ist die Gestalt als Verkörperung der Häresie kenntlich gemacht, die auf den Büchern des ARRIV[S] und des SO[CINVS] steht. M. HANSTEIN: Brülow, Caspar. In: VL16 1 (2011), 354⫺ 364. PAAS II, P-423. W. E. SCHÄFER: Johann Michael Moscherosch. Staatsmann, Satiriker u. Pädagoge im Barockzeitalter. München 1982, 26–31. NDB 2 (1955), 592f.; AKL 14 (1996), 133 f. PAAS XIII, PA-864. MSch

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IX, 4

F 117

Ort Jahr Bild Text Format

Das Blatt kombiniert das Motiv der Zwei-WegeWahl mit einem Katalog der sieben Todsünden und ihrer Unterkategorien. Im Zentrum der Graphik steht der HOMO CHRISTIAN[VS] IN BIVIO vor der Entscheidung, ob er sich, von ihm aus gesehen, nach rechts wenden soll, wohin sein Körper schon ausgerichtet ist, oder ob er den Weg nach links einschlagen soll, wohin seine Augen schweifen. Seine Entscheidung versuchen zu beiden Seiten ein ANGELVS CVSTOS BONVS, der in traditioneller Engelsgestalt erscheint, und ein ANGELVS SEDVCTOR MALVS zu beeinflussen, dessen infernalische Herkunft durch Insektenflügel, Teufelshörner und Krallenfuß offenbar werden. Die beiden Wege, die dem Christenmenschen zur Wahl stehen, sind rechts breit, eben und mit Blumen bewachsen, während links Dornenzweige liegen und eine Kuppe einen Anstieg markiert. Im Hintergrund links trägt Christus das Kreuz, begleitet von anderen Kreuzträgern, von denen einige unter ihrer Last zusammengebrochen sind. Auf der gegenüberliegenden Seite widmet sich eine Gruppe höfisch gekleideter Personen in amönem Ambiente weltlichen Lustbarkeiten wie Essen und Trinken, Musik und Tanz. Die beiden Wege enden in der PORTA COELI, über der sich der Himmel mit dem lichtumstrahlten Jahwe-Tetragramm öffnet, und auf der anderen Seite in der PORTA INFERI, die als Höllenmaul gestaltet ist. Zwei lateinische Zitate aus dem Matthäusevangelium (Mt 7, 13 f.) über die enge und die weite Pforte legen das biblische Fundament der Darstellung frei. Der Titel des Blattes stellt die heilsgeschichtliche Bedeutung der Zwei-Wege-Bildlichkeit heraus. Der eigentliche Text ist als Gegenüberstellung der Ratschläge des bösen und des guten Engels aufgebaut. Den Zeile für Zeile erfolgenden Einflüsterungen des ANGELVS SEDVCTOR werden von seinem himmlischen Gegenspieler ebenfalls Zeile für Zeile Bibelzitate entgegengesetzt. Dabei ist der Text so strukturiert, dass in der schmalen Kolumne ganz links eine thematische Angabe zu den nebenstehenden Textblöcken erfolgt. Die gleichförmig gebauten Angaben machen die Sieben Todsünden mit ihren Töchtern als Gliederungsprinzip sichtbar. Diese Gliederung setzt sich in der ersten Spalte des Haupttextes fort. Im Grundsatz ist jeder durch geschweifte Klammern markierte Textblock in eine mottoartige, in größerer Type gesetzte Überschrift und sieben Folgezeilen gegliedert. Dabei gibt die Überschrift die jeweilige Hauptsünde an (z. B. Trinck vnd sauff dich stäts voll für den Fraß, Gula). Die sieben anschließenden Aufforderungen betreffen Subkategorien der übergeordneten Sünde, so dass insgesamt eine Filiation von sieben Kardinal- mit jeweils sieben Subsidiärsünden entsteht. Lediglich die hierarchisch an der Spitze stehende Superbia (Sey Hof8

Weg vnd Abweg/ eines Christglaubigen

(um 1600) Kupferstich Typendruck in 5 Spalten; Prosa 45,5 ! 31,6; 8,8 ! 31,6

färtig) ist mit 14 Folgezeilen bedacht (dazu s. u.). In der schmalen Mittelkolumne finden sich die Einsprüche Deß guten Engels, die mit der Formel dann es steht geschrieben zu den gleichfalls durch Klammern und größer gesetzte Eingangszeilen abgesetzten Textblöcken mit den Bibelversen hinführen. Rechts außen werden dann die Nachweise der Bibelzitate geboten. Am Fuß des Blattes wird der Leser aufgefordert, den 90. Psalm zu beten, um Gottes Schutz vnd Schirm zu erhalten. Das Blatt führt unterschiedliche Traditionsstränge zusammen: Es zeigt den Menschen, der mit seinem freien Willen vor der Wahl zwischen Gut und Böse steht. Diese Entscheidungssituation konnte im Anschluss an die antike Mythologie (Herakles am Scheideweg),1 mit Bezug auf das pythagoreische Y2 oder in Verbindung mit dem neutestamentlichen Gleichnis von der engen und der breiten Pforte (Mt 7, 13 f.) präsentiert werden. Das Blatt schließt an die neutestamentliche Variante an, wenn als Ziele der beiden Lebenswege die schmale Pforte zum Himmel dem weit aufgesperrten Höllenmaul entgegengesetzt ist und zudem die zugehörigen Bibelverse zitiert werden. Die Bildlichkeit der Zwei Wege war in der Bildpublizistik weit und bis ins 20. Jahrhundert verbreitet, bot sie doch dem Betrachter ein einfaches und eingängiges Orientierungsmodell, in dem es nur selten Raum für Differenzierungen und Modifikationen gab.3 Die beiden widerstreitenden Ratgeber schließen ikonographisch an Schutzengel- (b III, 98, 102)4 bzw. Frau Welt-Darstellungen an (b III, 105).5 In ihrer strikten Gegensätzlichkeit und Gegnerschaft bilden sie eine auf zwei Figuren reduzierte und konzentrierte Variante des TugendLaster-Kampfes, der seit der ‚Psychomachia‘ des Prudentius (348⫺nach 405) in der christlichen Unterweisungsliteratur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit einen beliebten allegorischen Erzählkomplex abgab6 und auch Eingang ins illustrierte Flugblatt fand (b IV, 206).7 Der Text bietet eine deutsche Version eines lateinischen Flugblatts, dessen älteste Fassungen in die 1470er Jahre zurückreichen.8 Die lateinischen Blätter haben noch die ursprüngliche Systematik bewahrt, die auf den deutschen Fassungen im Abschnitt über die Hoffart verloren gegangen ist. Die ersten sieben Zeilen rufen nämlich die sieben Kardinalsünden in der Reihenfolge auf, in der sie dann im Folgenden abgehandelt werden.9 Danach erst schließen sich die Superbia mit ihren sieben Unterkategorien und die übrigen Todsünden an. Auf den deutschen Blättern, die sich im Übrigen durch einen höheren rhetorischen Aufwand auszeichnen, wurde hingegen die programmatische Angabe der sieben Hauptsünden am Textanfang verkannt und der Hoffart zugeschlagen, die somit als einzige 14 Subsünden erhalten hat. Die Funktion des Blattes lag vermutlich in dem Angebot, dem katholischen Gläubigen ein syste-

matisches Raster zur Gewissenserforschung im Sinne mittelalterlicher Beichtspiegel und Sündenklagen an die Hand zu geben und zugleich mit dem biblischen Rüstzeug auszustatten, den Eingebungen Deß bösen Engels zu widerstehen. Die lateinische Fassung von 1548 weist im Titel zudem auf die Eignung des Blattes für Prediger hin, die, von äußeren Umständen gezwungen, eine Predigt extemporieren müssten.10

Weitere Standorte: Wolfenbüttel, HAB: Einbl. Xb Fm 11

Andere Fassungen: a)

Austin, HRHRC: Popular Imagery Collection, Nr. 393 [Rot- und Schwarzdruck; zusätzlicher Kupferstich unten, D(ominicus). C(ustos). sc.]

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Vgl. E. PANOFSKI: Hercules am Scheidewege u. andere antike Bildstoffe in der neueren Kunst. Leipzig/ Berlin 1930; COuPE I, 179⫺183. Dazu HARMS: Homo viator. W. HARMS: Das pythagoreische Y auf illustrierten Flugblättern des 17. Jhs. In: Antike u. Abendland 21 (1975), 97⫺110; M. SCHARFE: Zwei-Wege-Bilder. Volkskundliche Aspekte evangelischer Bilderfrömmigkeit. In: Blätter f. württembergische Kirchengesch. 90 (1990), 123⫺ 144; M. SCHILLING: Flugblätter religiöser Dissidenten in der Frühen Neuzeit. In: F. VON AMMON u. a. (Hgg.): Literatur u. praktische Vernunft. Berlin/ Boston 2016, 61⫺84, hier 72⫺76, 79. K. KÖSTLIN: Die Wiederkehr der Engel. In: N.-A. BRINGÉuS (Hg.): Religion in Everyday Life. Stockholm 1994, 79⫺95. STAMMLER: Frau Welt, 62⫺64 (zur Verbindung von Frau Welt und Kardinalsünden); vgl. auch SCHILLING: Imagines Mundi, 102⫺117. H. R. JAuSS: Form u. Auffassung der Allegorie in der Tradition der Psychomachia (von Prudentius bis zum ersten Romanz de la Rose). In: DERS./ D. SCHALLER (Hgg.): Medium Aevum. FS Walter Bulst. Heidelberg 1960, 179⫺206; N. HARRIS: The Latin and German ‚Etymachia‘. Textual history, edition, commentary. Tübingen 1994. Fliegende Blätter, Nr. 445; P. LEONHARDT: „Tugendt vnd Laster-Kampff“. Studien zur Bildpublizistik nach der Schlacht bei Breitenfeld (1631). Diss. Leipzig 1997. ‚Incipiunt temptationes Demonis …‘. (O.O. nach 1476, xylographischer Druck, Ex. Wolfenbüttel, HAB: Ältere Einblattdrucke 24, 1); dass. (Straßburg um 1482; vgl. VE15, Nr. T-7 mit Abb. 91); dass. (O.O. 1548; Ex. München, BSB: Einbl. VII, 14e). Zur Tradition der Sieben Hauptsünden vgl. M. W. BLOOMFIELD: The seven deadly sins. An introduction to the history of a religious concept. East Lansing (Mich.) u. a. 1952; S. BLÖCKER: Studien zur Ikonographie der sieben Todsünden in der niederländischen u. dt. Malerei u. Graphik. Münster u. a. 1993; R. NEWHAuSER/ S. J. RIDYARD (Hgg.): The Tradition of the Seven Deadly Sins. Woodbridge/ Rochester 2012. Et possunt hec allegationes valde conuenienter ad plures applicari Sermones. Signanter ab his qui aliquando improuisi necessitate cogente tenentur predicare. MSch

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F 96

Nisi conuersi fueritis, gladium suum Vibrauit [Inc.]

Ort Jahr Bild Text

Köln (um 1607) Kupferstich von Peter Isselburg (um 1580–1630) nach Augustin Braun (nachweisbar 1590–1639) Typendruck in 3 Spalten; lateinische Epode aus 50 jambischen Tri- und Dimetern, 8 französische Strophen im Schweifreim, 50 deutsche Verse im Kreuzreim Peter Overadt (nachweisbar 1590–1648) 36,0 ! 23,4; 19,2 ! 23,4

Verleger Format

Das Blatt erinnert vor dem Hintergrund der Pest von 1607 an die Allgegenwart und Unausweichlichkeit des Todes und mahnt den Leser, im Wissen um die Vergänglichkeit weltlicher Freuden von seinem sündhaften Leben abzulassen. Von rechts nach links galoppiert der Tod, der eine Sense unter seinen Oberschenkelknochen geklemmt hat, durch das Bild und legt mit seiner Armbrust auf den Betrachter an. Vor ihm fliehen vier Männer, von denen einer, von einem Pfeil getroffen, bereits niedergestürzt ist. Über den Fliehenden erhebt sich eine mächtige Palastarchitektur, in deren vorderen zum Betrachter hin geöffneten Saal einem Sterbenden die Sakramente gereicht werden. Auf der gegenüberliegenden Seite setzt sich die Abfolge von Leben und Tod fort: Neben eine gotischen Kirche ist eine mit einem Fries von Totenschädeln geschmückte Grabkapelle gebaut, an die sich ein gotischer Triumphbogen anschließt, der mit Todesinsignien, aber auch zwei Heiligenfiguren und einem Kruzifix versehen ist. Durch den Bogen schreitet ein Leichenzug auf den Friedhof zu, dessen Gräber sich im Vordergrund über die gesamte Breite des Bildes erstrecken: Rechts steht auf einer Leichenbahre ein Sarg, den ein kreuzgeschmücktes Sargtuch bedeckt, und wartet darauf, vom Totengräber, dessen Hacke und Spaten auf dem Boden liegen, in der Erde versenkt zu werden. Ein zweiter Sarg befindet sich schon in der offenen Grube; bei einem dritten links hat sich der Deckel gelöst, so dass ein in ein Tuch gehüllter Leichnam zu sehen ist. Knochen und Schädel sowie eine Reihe mit unterschiedlichen Kreuzen geschmückter Gräber komplettieren das Erscheinungsbild des Friedhofs. Über dem reitenden Tod schicken drei Engel von einer Wolkenbank aus, die von Sonnenstrahlen hinterfangen wird, die todbringenden Pfeile in die Welt und machen so deutlich, dass das Wirken des Todes im Auftrag Gottes geschieht. Die drei Textkolumnen entsprechen einander inhaltlich weitgehend, wobei Unterschiede in der sprachlichen und ästhetischen Qualität den Schluss nahelegen, dass es sich bei dem französischen und deutschen Text um mühsame Übersetzungen des lateinischen handelt. Mit der dreifachen metaphorischen Frage Quousque wendet sich der Sprecher an den Leser und führt ihm rhetorisch eindringlich die Vergeblichkeit seiner irdischen Vergnügungen und Bemühungen vor Augen. Die drei Engel teilten Pest, Hunger und Krieg aus, in deren Folge der Tod (terror orbis ille, Parcarum et Pater) die Häuser des Volks, der Ratsherren, Fürsten, Könige und Herzöge, aber auch die Hütten der Bauern leere (Exhauriens quidem domos Plebis, Senatus, Principum, Regum, Ducum, Nec non colonarum casas). Das Memento mori wird mit Hinweisen auf die Wirksamkeit des Todes auch in fernen Ländern fortgesetzt, um 10

dann in die nähere Umgebung des Druckortes Köln und damit der primären Adressaten zurückzuführen (minatur accolis ad marginem Rheni Patris sedentibus). Eine erneute Mahnung, sich nicht an den Freuden der Welt, sondern an der Richtschnur des Guten mit heilbringender Buße zu orientieren (norma boni, Sanctaque poenitentia), beschließt den Text. Der Tod, der mit dem Betrachter kommuniziert, ist ein beliebtes ikonographisches Motiv der Bildpublizistik. Es kann sich auf einen Blickkontakt beschränken, wenn die Augenöffnungen des Schädels auf den Betrachter gerichtet sind (b III, 127).1 Es intensiviert sich, wenn der Tod freundlich-bedrohlich dem Betrachter mit erhobener Knochenhand zuwinkt (b III, 124, 126), und findet seinen Höhepunkt, wenn der Knochenmann mit seinen Pfeilen den Advisor ins Visier nimmt. Besonders eindrucksvoll hat Hermann tom Ring (1521–1596) das Motiv auf seinem Utrechter Triptychon des Jüngsten Gerichts (um 1550) in Szene gesetzt, auf dessen Mitteltafel der in einem offenen Sarg stehende und in ein weißes Leichentuch gehüllte Tod über die im Vordergrund liegenden Leichen hinweg seinen Bogen auf den Betrachter richtet.2 In der Druckgraphik war ein Flugblatt Jakob von der Heydens (1573–1645) sehr erfolgreich, auf dem der Knochenmann seine Armbrust auf den Betrachter anlegt (b III, 125; IX, 6).3 Auf dem vorliegenden Blatt sitzt der Tod auf einem Pferd, das in panischer Angst mit höchster Geschwindigkeit durch die Szene galoppiert.4 Es steht, wie auch die Sanduhr auf seinem Kopf, für die rasend schnell verrinnende Zeit, mit der sich der Tod dem Menschen nähert. Zugleich zitiert die Darstellung des reitenden Todes die vier apokalyptischen Reiter (Apk 6,9: Vnd sihe/ vnd ich sahe ein falh Pferd/ vnd der drauff sas/ des name hies Tod). In diesem Kontext hält der Tod regelmäßig eine Sense in der Hand, woher sich erklärt, warum auf dem Kölner Blatt der Knochenmann zusätzlich zur Armbrust und damit eigentlich pleonastisch auch noch eine Sense als Attribut erhalten hat. Es wäre möglich, auch die drei Engel des göttlichen Strafgerichts als abgewandelte Zitate der übrigen drei Reiter zu interpretieren.5 Der Tod, der seine Opfer mit Pfeilen erlegt, verkörpert insbesondere die Bedrohung durch die Pest, an der die Erkrankten in kürzester Zeit starben. Daher wurde der Heilige Sebastian, der die Pfeile seiner heidnischen Widersacher überlebte, zum bevorzugten Patron gegen die Seuche. Das Blatt Isselburgs wird angesichts der Pestepidemie von 1607 entstanden sein;6 zumindest lässt die Formulierung des Textes, dass der Tod seine grimmigen Pfeile über Des Rheinschen ströums beywoner ausschütte, auf eine aktuelle Bedrohung schließen. Die Dreisprachigkeit des Blattes verweist zum einen auf die angestrebte soziale Streuung, die sowohl den gelehrten Leser (Latein) als

auch den Gemeinen Mann (Volkssprachen) einschloss, zum anderen auf eine Distribution, die aufgrund der geographischen Lage Kölns auch Frankreich einbezog.

Weitere Standorte: Wien, Albertina: Inv. HB 50,3, p 8 bl Nr. 11 (A 1)

Andere Fassungen: A A A A

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Krieg u. Frieden, III, Nr. 469. MERLO: Künstler, 112, Nr. 28. HOLLSTEIN: German Engravings, XV, 178. M. SCHILLING: Pest u. Flugblatt. In: Gotts verhengnis und seine straffe. Zur Gesch. der Seuchen in der Frühen Neuzeit. Ausstellungskatalog Wolfenbüttel 2005, 93–99, Abb. 15. Vergleichbar sind jene Darstellungen, auf denen nicht der Tod selbst, wohl aber ein Schädel als Attribut des Todes den Betrachter fixiert (b III, 118–120, 122 f., 127 f., 130). Die Maler tom Ring. Ausstellungskatalog Münster 1996, 310–313, 553 f. Ebenfalls älter als das Blatt von Isselburg ist ein Stich in Wendel Dietterlins ‚Architectura‘ (Nürnberg 1598), auf dem der Tod mit seiner Armbrust von einem Friedhofsportal aus auf den Betrachter zielt; vgl. D. BRIESEMEISTER: Bilder des Todes. Unterschneidheim 1970, 211. Zu Armbrüsten, die auf den Betrachter zielen, vgl. auch DE JONGH/ LuIJTEN: Mirror, 129⫺132. Vgl. auch Pieter Brueghels d. Ä. ‚Triumph des Todes‘ (Madrid, Prado): Auch hier reitet ein Knochenmann in gestrecktem Galopp auf einem abgemagerten angsterfüllten Pferd in eine furchtsam fliehende Menschenmenge hinein; vgl. C. VÖHRINGER: Pieter Bruegel. 1525/ 1530–1569. Köln 1999, Abb. 65. Schwert und Bogen sind zumindest auch die Attribute des ersten und zweiten Reiters; ob der mittlere Engel in seiner Rechten eine vom Text der Offenbarung her zu erwartende Waage hält, ist nicht genau auszumachen; zur Ikonographie der vier Reiter vgl. PH. SCHMIDT: Die Illustration der Lutherbibel 1522–1700. Ein Stück abendländische Kultur- u. Kirchengesch. Basel 1962, Abb. 39, 42, 47, 64 u.ö. Während der Pest von 1607 in Köln starben täglich 100– 150 Menschen; vgl. R. CREuTZ: Pest u. Pestabwehr im alten Köln. In: Jb. des kölnischen Geschichtsvereins 15 (1933), 79–119, hier 99. MSch

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Ort Jahr Bild Text Verleger Format

Mit drastischen bildlichen und sprachlichen Mitteln entwirft das Blatt ein Memento Mori, das den Betrachter mahnt, sein Leben angesichts eines jederzeit drohenden Todes auf Gott auszurichten. Auf einer gefliesten Fläche steht der als Knochenmann dargestellte Tod und zielt mit seiner Armbrust auf den Betrachter. Die Ähren und Blüten auf seinem Schädel erinnern an den ‚Schnitter Tod‘, verweisen möglicherweise aber auch auf die Auferstehung nach dem Tod.1 Die erhöhte Position, das togaähnlich drapierte Leichentuch und der leere Hintergrund verleihen dem Auftritt des Todes etwas Theatralisch-Bühnenhaftes. Als zeichenhaftes Attribut ist dem Tod eine Sanduhr beigegeben, auf deren Deckel ein Schädel und ein Kreuz angebracht sind, so dass die Uhr nicht umgedreht werden kann, also als ‚Lebensuhr‘ zum einmaligen Gebrauch bestimmt ist. Ebenfalls zu Füßen des Knochenmanns liegt ein geknickter Bolzen mit der Beischrift Gestern. Der aktuelle Bolzen (Heute) befindet sich auf der gespannten Sehne der Armbrust und richtet sich bedrohlich auf den Betrachter. Der Bolzen Morgen steckt in einem Köcher an der Seite des Todes. Die beiden Dreireime über den Textkolumnen fassen die Aussage des Blatts zusammen: Wer sich der fortwährenden Bedrohung durch den Tod bewusst sei, habe die richtige Sichtweise auf das Leben. Wie das Bild sucht auch der Text die Distanz zum Adressaten aufzuheben, indem sich der Tod in direkter Ansprache an den Leser wendet. Die Verse beginnen mit der Selbstvorstellung des Sprechers, der seine Allmacht und Allgegenwärtigkeit betont. Mit einer poetischen Paraphrase des Spruchs ‚Heute rot, morgen tot‘2 bekräftigt der Sprecher, dass ihm die Architektur der Mächtigen ebenso unterworfen sei wie Der alte Eichenwald. Eine in der barocken Lyrik vielfach verwendete rhetorische Häufung von Vergänglichkeitsbildern für das menschliche Leben3 leitet über zu einer Schilderung von Lebensstationen, bei denen vom Mutterleib bis zum Grab immer der Tod anwesend sei. Sprachlich wird die Gegenwart des Todes in dieser Passage durch das Staccato der anaphorischen Asyndeta Jch Tod ich untermalt. Der Schluss deutet an, dass nur eine im Sinne des christlichen Glaubens richtige Vorbereitung auf den Tod diesen überwinden könne, weil er zum ewigen Leben überleite. Auffällig ist, dass die christliche Fundierung des Themas nur an einer Stelle explizit zur Sprache kommt, nämlich gleich in der ersten Verszeile: Ach Mensch kehr dich zu Gott. Das Blatt dupliziert die Allgegenwart des Todes in effigie. Die Aufforderung auf der ursprünglichen Fassung b: dises bild sol hoher stehen als ein Man ist, ist weniger in Hinblick auf die optimale An12

Ach Mensch kehr dich zu Gott [Inc.]

(Nürnberg) (spätes 17. Jahrhundert) Kupferstich (nach Jakob von der Heyden, 1574⫺1645) graviert in 2 Spalten; 2 dreihebige Dreireime, 40 Alexandriner David Funck (1642⫺1709) 34,0 ! 27,1

bringung und die damit erzielte größtmögliche Wirkung von Interesse denn als Hinweis darauf, dass das Blatt besonders als Wandschmuck dienen sollte. Auf diese Weise wurde gewährleistet, dass der Betrachter sich jeden Tag im Visier des in Kupfer gestochenen Todes befand und an die allgegenwärtige Bedrohung des Lebens besonders nachdrücklich und jederzeit erinnert wurde.3a Während die ältere Version des Blattes (Fassung b) aus dem Verlag Jakob von der Heydens mit ihrem Bezug auf die Gesetz-und-Gnade-Thematik noch deutlich reformatorisch geprägt ist,4 wurde das vorliegende Blatt ästhetisch und inhaltlich ‚barockisiert‘. Die ästhetische Modernisierung ist optisch durch den Einsatz von Zugwerk und metrisch durch die Verwendung von Alexandrinern erfolgt. Der Text weist, wie es für die barocke Lyrik typisch war, einen hohen Grad rhetorischer Intensivierung auf, die sich in der Verwendung der Geminatio (z. B. Nichts nichts kann seinen Tod […] verbürgen), Anapher (z. B. ich Tödte in der Lufft, Jch Tödte in der Flut, ich Tödte in der Klufft), Amplifikation (z. B. Ein Rauch Schnee, Traum Dampf, Wind, ein Schatten Spinneweben) oder Figura etymologica (z. B. es fault in faulen Wetter) und anderer Figuren äußert. Besonders das Wortfeld des Todes wird vom Autor breit entfaltet. Die Versiertheit des Verfassers tritt auch in der Strukturierung des Textes zutage. Als Gliederungseinheiten dienen die Elemente (Lufft […] Flut […] Klufft bzw. Glut […] Wind […] Flut), der Gegensatz von Kultur (Gemächer […] Palläst […] Dächer) und Natur (Wälder […] Stamm, Rinden, Wurtzeln Plätter) sowie die menschlichen Lebensalter. Da der Text zuerst auf der Fassung a aus dem Verlag von Paul Fürst (1608⫺1666) erschien und der Nürnberger Verleger oft mit den Mitgliedern des Pegnesischen Blumenordens, insbesondere mit dessen Präsident Sigmund von Birken (1626⫺1681), zusammenarbeitete, wird der Verfasser in diesem Umfeld zu suchen sein. Das Blatt gehört in den im 17. Jahrhundert so beliebten Bereich der Vanitas-Thematik,5 die vielfach auch in die Bildpublizistik Eingang gefunden hat (b III, 112⫺130; VII, 73).6 Das Motiv des auf den Betrachter zielenden Knochenmanns hatte schon die ältere Malerei und Graphik entwickelt (b III, 125; IX, 5).7 Die vorliegende Darstellung war allerdings besonders erfolgreich, wie nicht nur ihre vielen Fassungen, sondern auch Übertragungen in Tafelmalerei und Kunstgewerbe bezeugen.8

Weitere Standorte:

Andere Fassungen: a)

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Nürnberg, GNM: 2° StN 238, fol. 85; Stuttgart, GS: B 514; Zagreb, Staatsarchiv: VZ I, 3959 [älterer Abdruck derselben Platte; Paulus Fürst Excudit] Wolfenbüttel, HAB: 23. 2 Aug. 2°, fol. 5 [Text aus Bibelzitaten; Titel: Fleuch wa du wilt…; Iacob vonder Heyden fecit; b III, 125] Ulm, StB: Einbl. 889 [ohne Stechersignatur] London, BM: 1876.0510.506; Nürnberg, GNM: 15029/ 1336a, und 24588/1293; Schlägl, Stiftsarchiv: Bildersammlung und KK, Album 1, fol. 13410 [Graphik im Gegensinn; deutsche und französische Verse; Gerhart Altzenbach Exc:] ohne Standortnachweis11 [Tod vor Landschaft; statt deutscher Kolumnentexte 2 lateinische Distichen; Daniel Mayr. excud.] Zum Motiv der Ähren, die als Zeichen der Auferstehung aus einem Totenschädel hervorwachsen, vgl. W. HARMS: Verbindungen von Fama, Memoria, Vanitas u. Tod um Heinrich Rantzau [zuerst 1989]. In: DERS.: Kolloquialität, 35⫺44. Vgl. WANDER: Sprichwörter-Lexikon, III, 637, Nr. 90. Vgl. VAN INGEN: Vanitas, 61⫺67. Zur Notwendigkeit der täglichen Todesmahnung vgl. Christoph Lehmann: Florilegium politicum. Politischer Blumengarten (1630). Nachdruck hg. von W. MIEDER. Bern u.a. 1986, 754: Wer sich täglich seines Ends erinnert / der kann sein leben nicht vnchristlich enden. M. KNAuER: Der erinnerte Tod. Überlegungen zu Form u. Funktion retrospektiver Kunst am Beispiel der Vergänglichkeitsikonographie. In: HARMS/ SCHILLING: Flugblatt in der Kultur, 151⫺175, hier 168⫺170. VAN INGEN: Vanitas; SCHILLING: Imagines Mundi; W. MAuSER: Dichtung, Religion u. Gesellschaft im 17. Jh. Die ‚Sonnete‘ des Andreas Gryphius. München 1976, 119⫺195; KRuMMACHER: De Quatuor Novissimis; KNAuER: Bedenke. BANGERTER-SCHMID: Erbauliche Flugblätter, 69⫺71. DE JONGH/ LuIJTEN: Mirror, 129⫺132; MÜNKNER: Eingreifen, 66⫺68. SCHILLING: Bildpublizistik, 273. PELC: Theatrum, 91. J. RAMHARTER: Katalog der Kupferstichsammlung des Abtes Martin Greysing. In: Jb. des Oberösterreichischen Musealvereines 153 (2008), 201⫺405, hier 287 f. mit Abb. 134. J. BÖTTIGER: Philipp Hainhofer u. der Kunstschrank Gustav Adolfs. 2 Bde., Stockholm 1909, II, 91. MSch

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F 140

Ort Jahr Bild Text Format Zustand

In Form eines Dialogs zwischen Leib und Seele ermahnt das Blatt zum christlichen Leben. Über einem Wolkenkranz, der die Grenze zwischen der irdischen und himmlischen Sphäre markiert, thront auf dem Regenbogen, von einer Schar Seraphim umgeben, der richtende Christus. Er sitzt in einer Mandorla, wie sie oft in den Weltgerichtsdarstellungen verwendet wurde.2 Vier Posaunenengel verkünden das Jüngste Gericht (VENITE AD IVDICIV[M]) und rufen die Toten zur Auferstehung (SVRGITE MORTVI).3 Im mittleren Hintergrund erstreckt sich ein Friedhof mit einem Beinhaus voll Schädel. Im Vordergrund ist das Gespräch zwischen dem Leib und seiner verdammten Seele inszeniert: Aus dem offenen Sarg erhebt sich ein toter Mann, nackt und nur mit einem Leichentuch bedeckt. Um den Sarg herum liegen Knochen und Schädel, zwischen denen Kröten, Würmer und Echsen kriechen. Die androgyn gestaltete Seele steht mit gefalteten Händen am Höllenrand. Sie ist mit Ketten gefesselt, die zwei aus den Höllenflammen emporsteigende Teufel halten. Die Szene wird mit der eingravierten Inschrift miserum sero sapere kommentiert. Der lateinische Text fordert den Leser auf, aufmerksam das Bild zu betrachten, das Gottes Lohn für den Guten und den Bösen vor Augen führe. Der eigene Tod, der Tod Christi, die Scheinhaftigkeit der Welt sowie Himmel und Hölle seien zu bedenken, wenn man sein eigenes Leben gestalte. Man solle hier und heute leben, um nichts zu versäumen, und alles vermeiden, was nach dem Tode mit ewiger Verdammnis bestraft werden könnte. Der deutsche Text gibt einen narrativ gerahmten Dialog wieder. Den Rahmen bildet die Vision eines Ich-Erzählers, der in einer Winternacht Zeuge eines Gesprächs zwischen einem toten Körper und seiner Seele wird.4 Die Seele klagt den Körper an gesündigt zu haben und vergleicht das Leben mit der Situation nach dem Tod, indem sie antithetisch irdischen Reichtum, Macht und Ansehen der Nichtigkeit, Abscheu und Einsamkeit im Grab gegenüberstellt. Die weltlichen Güter würden gegen die Enge des Sarges vertauscht. Alles, was man mit falsch vnd zwang und mit langer Hand zusammengeklaubt habe, auch Freunde und Familie raube der Tod. Erst nach dem Tode sehe man, wie gefährlich die irdische Pracht sei, nach der man durch die List des Teufels strebe. Die Bösen, die auf Kosten der Armen ihr Vermögen erworben hätten, würden selbst zur Beute der Würmer und Maden und entgingen nicht der Strafe. Der Leib lehnt die Vorwürfe der Seele ab und gibt ihr die Schuld für mangelnde Tugenden. Erst wenn die Seele die Oberhand über den Körper aufgebe, würden beide zur Sünde verführt. Sie sei doch von Gott nach seinem Ebenbild geschaffen, und ohne sie könne der Leib nicht handeln und das Böse nicht erkennen; alles, was er getan habe, habe er auf ihren Befehl getan. Die Seele tadelt sein vermessenes Reden, bedauert aber, dass sie sich in der Tat habe verführen lassen. Immer wenn 14

Vis nunquam peccare; Deo vis [Inc.]

(um 1610⫺1630) Kupferstich; nach einer Zeichnung von Friedrich Sustris (um 1540–1599)1 graviert in 3 Spalten, 9 lateinische Distichen; Typendruck in 5 Spalten, 334 Knittelverse 20,9 ! 29,0 (Kupferstich); 26,4 ! 28,9 (Typendruck) Kupferstich und gesetzter Text getrennt

sie versucht habe, den Körper zu einem entsagungsvollen Leben zu bewegen, sei er von der Eitelkeit verblendet worden und habe die Seele in weltliche Freuden hineingezogen. Hätte das Fleisch es nicht zugelassen, dass sie der wollust verfallen sei, und wäre es den Gesetzen Gottes gefolgt, verweilten sie jetzt unter den Heiligen. Doch da es von der Welt mit Gunst/ Ehr/ vnd Gelt beschenkt worden sei, bezahle es nach dem Tod mit Not. In der Antwort bleibt der Leib bei seiner Meinung, und auch wenn er jetzt einsehe, dass weder Reichtum noch Ehre, Macht und Medizin vor dem Tod zu schützen vermögen, und auch wenn Gott ihn anklage, gibt er der Seele die Schuld. Mit Vernunft, Gedächtnis und Leben von Gott ausgestattet, sollte sie dem Bösen widerstehen können. Er wirft ihr mangelnde Gottesliebe vor als Grund ihres Versagens. Es folgt die Klage der Seele, sie müsse wieder in die Hölle, weil ihr ein ewiges Leben gegeben sei, anders als dem beneidenswerten Vieh, das mit Leib und Seele sterbe. Auf die Frage des Körpers, wie es in der Hölle zugehe und ob die Großen auf der Erde dort auch hochgeschätzt würden, antwortet sie, die Strafe sei proportional zum Vergehen im Leben ⫺ je höher man im Leben gestanden habe, desto tiefer falle man. Die Verdammten könnten die Erlösung weder durch Almosen noch Bitten erlangen, und nur durch gute Taten entgehe man dem Teufel. Im folgenden narrativen Teil beschreibt Der Author die Teufel, die die Seele holen kommen, und die Foltern, denen sie in der Hölle unterzogen wird. Beim Betreten der Hölle ruft die Seele Jesus, aber die bösen Geister verspotten sie, es sei zu spät, um Hilfe zu bitten, es bestehe keine Hoffnung auf Gnade und Erbarmen, sie bleibe ewig in Finsternis. Zuletzt kommt erneut Der Author zu Wort, der aus seinem Traum aufwacht und sich zu Gott wendet. Die folgende Belehrung umfasst eine Klage über die jetzige Welt, in der Ehre durch Reichtum definiert werde, über vergessene Tugenden ⫺ Glaube, Liebe, Hoffnung ⫺, und über den Verfall guter Sitten. Eine Bitte um das Seelenheil angesichts des unvermeidlichen Todes und der Ungewissheit der Sterbezeit und des Schicksals danach beschließt den Text.

dem frühen Mittelalter zu festen Themen der Erbauungsliteratur und haben sich in der Literatur des 17. Jahrhunderts als zentrale Motive etabliert.7 Durch die Verbindung mit der Todesmahnung, in der der Tod auch als Gericht über das Leben dargestellt wurde, glaubte man die im Mittelpunkt der Texte stehende Forderung eines gottgefälligen Lebens umso überzeugender vermitteln zu können. Die Popularität des Seele-Leib-Dialogs ist wohl damit zu erklären, dass hier mit den Elementen der Vision und des redenden Toten eine Inszenierung gegeben war, die nicht nur der Lehre eine größere Eindringlichkeit verlieh, sondern auch stark an die Einbildungskraft des Lesers und Betrachters appellierte.8

Weitere Standorte:

Andere Fassungen: a)

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Der Text ist eine Bearbeitung des pseudo-bernhardischen (mit dem im Titel des Blatts genannten Altuatter ist Bernhard gemeint) lateinischen Dialogs aus dem 13. Jahrhundert, der sog. ‚Visio Philiberti‘.5 Er wurde bis in das 17. Jahrhundert hinein in ganz Europa immer wieder neu bearbeitet und in über zehn Sprachen übersetzt (b III, 132).6 Die Graphik nach einer Vorlage des bayrischen Hofmalers Friedrich Sustris wurde mehrfach nicht nur im Zusammenhang mit der ‚Visio Philiberti‘ nachgestochen (s. Andere Fassungen). Der Münchner Hof als Entstehungsort der Graphik lässt einen ursprünglich katholischen Hintergrund des Blattes vermuten. Die Motive der Vanitas und des Memento mori, die auf der bildlichen Ebene (Tod, Gericht, Hölle) wie im Text im Vordergrund stehen, gehören seit

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Augsburg, SStB: Graph.11 Custos 18 [Ein kläglich vnd gar erschröcklich Gesprech; Impressum: Gedruckt zu Augspurg/ bey Johann Schultes …; Graphik von Dominicus Custos] Austin, HRHRC: Popular Imagery Collection, Nr. 373 [wie a; Impressum: Getruckt zu Augspurg/ bey Christoff Mang …] Braunschweig, HAUM: FB XIV [Ein kläglich vnnd gar erschröcklich Gesprech; Impressum: Getruckt zu Augspurg/ bey Sara Mangin Wittib...; Graphik von Dominicus Custos] Amsterdam, RM9 [ohne Text; Graphik von Johann Sadeler (I.)] Als Zeichner wird er auf den Graphiken aller anderen Fassungen genannt. LCI III, Sp. 147–149. Auf dem Bild wird das nach dem Weltende stattfindende Jüngste Gericht mit dem anderen Gericht, das direkt nach dem Tod vollzogen wird, als eins dargestellt; s. COuPE I, 36. Zum anderen Gericht vgl. M. WOELK: Gericht Gottes. In: LThK 4 (1995), Sp. 514–522. Zum dualistischen Menschenbild in der Anthropologie des Barock vgl. C. BuBENIK: „Ich bin, was man will“. Werte und Normen in Johann Michael Moscheroschs ‚Gesichten Philanders von Sittewald‘. Frankfurt a. M. 2001, 128–145. B. HAuRÉAu: Des poèmes latins attribues à Saint Bernard. Paris 1890; N. F. PALMER: Visio Philiberti. In: ²VL 10 (1999), Sp. 412–418; P. GROuLT: La disputa del alma y del cuerpo. Sources et originalité. In: A. S. Crisafulli: Linguistic and literary Studies. FS H. A. Hatzfeld. Washington 1964, 221–229. Zum literarhistorischen Kontext vgl. R. RuDOLF : Ars Moriendi. Von der Kunst des heilsamen Lebens und Sterbens. Köln/ Graz 1957, 39–49. PALMER: Visio Philiberti; W. SEELMANN: Wo de sele stridet mit dem licham. In: Jb. des Vereins für Niederdeutsche Sprachforschung 5 (1879), 21–45; BANGERTERSCHMID: Erbauliche Flugblätter, 169 f. VAN INGEN: Vanitas; KRuMMACHER: De Quatuor Novissimis. VAN INGEN: Vanitas, 266–283. HOLLSTEIN: Dutch Etchings, XXI, 123, Nr. 262; XXII, 130, Nr. 262 (Abb.). Nach Hollstein findet sich ein seitenvertauschter Nachstich der Graphik von Cornelis Boel bei Jan Philipsen Schabaelje: Den grooten Emblemata Sacra. Amsterdam 1654. EP

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Im Bild der Hölle führt das Blatt moralisch verwerfliche Verhaltensweisen der Menschen vor. In der Darstellung der Hölle folgt der Zeichner der alttestamentarischen Überlieferungstradition, die den Eingang der flammenlodernden Unterwelt als Tor in Form eines Rachens gestaltete bzw. im Maul eines Ungeheuers ansiedelte (b III, 97, 100, 102 u. a.).1 Den Höllengrund bevölkern phantastische Teufelsfiguren2 sowie Sünder in Menschen- und Tiergestalt, wobei die Letzteren wohl weniger im Sinne der platonischen Metempsychose denn als theriomorphe Versinnbildlichungen menschlicher Laster zu verstehen sind (b I, 32). Das Bild der Hölle ist nicht homogen, insofern es die irdischen Freveltaten und die Strafen in der Hölle nebeneinander darstellt, wobei eine deutliche Betonung auf den Sünden liegt. Nach funktionsorientierten Kriterien lassen sich die höllischen Aktivitäten in zwei Gruppen teilen. Die eine schließt an das herkömmliche Repertoire der Höllenstrafen unter Einbeziehung der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Folter- und Hinrichtungspraktiken an: Links in der Mitte wird vor einem Altar eine Nonne entzweigeschnitten; rechts davon schickt sich ein Teufel an, einen Bischof, der gerade eine Messe hält, mit einer Axt zu erschlagen. Darunter wird ein König in einen Siedekessel gesteckt; weiter rechts braten zwei Dämonen einen Jesuiten am Spieß über offenem Feuer (b II, 45a), und zwei weitere erdrosseln einen Herrscher mit einem Strick. Die andere Gruppe umfasst Szenen, die die auf der Erde begangenen Sünden abbilden: In einem Wald jagt ein berittener Jäger mit zwei Hunden einen Hirsch. Auf einem Acker daneben geht ein Bauer in Tiergestalt in Begleitung eines Hasen mit Peitsche hinter einem Räder-Pflug, der von einem heuschreckenähnlichen Wesen gezogen wird, und weiter rechts liegt am Boden ein Bauer, an dem drei Raben zerren vnd hacken. In der rechten oberen Bildhälfte verfolgt ein Soldat mit einem Schwert in der Hand eine Frau mit einem Kind; hinter ihm sind zwei weitere Landsknechte neben einem brennenden Haus zu sehen. In der nächsten Szene wird in einem Haus ein Gericht gehalten, dessen Teilnehmer als Wölfe, Bären und Löwe abgebildet werden;3 an der Hausschwelle steht eine weinende Frau, die sich verzweifelt die Haare rauft und den beiden Gerichtsvollziehern nachschaut, die ihre Habseligkeiten auf einem Kärchel (Karren) abtransportieren (b I, 68). Am rechten mittleren Bildrand martern zwei Gnadjuncker4 einen auf ein Brett gefesselten Bauern. In einer Schänke daneben geben sich drei Männer dem Alkoholgenuss hin, während ein Liebespaar ⫺ der Mann mit einem Bockskopf, die Frau mit katzenhaften Zügen ⫺ einen Sexualakt vollzieht. Rechts unten werden drei in einen Streit verwickelte Geistliche ⫺ ein Mönch, ein Jesuit und ein evangelischer Predigcant ⫺ handgreiflich und benutzen Bücher 16

Anbildung der Höllen/ deren Jnwohner

(um 1623) Holzschnitt Typendruck in 5 Spalten; 57 Knittelverse 27,7 ! 38,3 (Holzschnitt); 6,3 ! 37,9 (Text) Text und Bild getrennt

und Schreibwerkzeug als Waffen; ihnen schaut eine Tiergestalt mit einem Turban auf dem Kopf zu.5 In der linken unteren Bildecke gehen an einem Tisch voll Geld und von Geldsäcken und -truhen umgeben ein Müntzbeschneider und ein Müntzwäger ihrem Geschäft nach; in ihrem Unterfangen werden sie von Teufeln unterstützt. Über dem Abgrund thront der Höllenfürst mit brennenden Fackeln in beiden Händen.

nellen Frieden mahnte (b II, 141, 148). Die Beigabe der Türken-Figur als Beobachter des theologischen Kampfes stellt dann nicht nur die Streitenden in die Nähe der Heiden, sondern könnte zugleich ein Hinweis auf das seinerzeit in die Diskussion gebrachte Argument sein, die innerchristlichen Auseinandersetzungen würden die Macht der Türken stärken (b II, 141).7

In den ersten drei Spalten beschreibt der Text die Szenen der zweiten Gruppe und lenkt dabei die Aufmerksamkeit auf das ungewöhnliche Äußere der Sünder. Der Beschreibung folgt der erklärende Teil, in dem die geschilderten Sünden gedeutet werden: Es handelt sich um das Bedrängen der Bauern durch die Jagd, Unlauterkeit der Bauern bei der Abgabe der Ernte, falsche Urteile bei Prozessen, Schinden der Untertanen, Hurerei, Trunksucht, Wucher und Münzbetrug sowie konfessionelle Streitigkeiten. Zum Schluss wird gewarnt, dass Gott solches Tun nicht ungestraft hingehen lassen werde. Anders als Flugblätter mit Höllendarstellungen, die durch eine abschreckende Vision des Jenseits den Affekt des Entsetzens bewirken und dadurch zu tugendhaftem Leben anhalten wollten (b III, 45, 133), ist die ‚Anbildung der Höllen‘ nicht auf erbauliche Erschütterung des Lesers und Betrachters ausgerichtet, sondern vermittelt in einem auf die Hölle projizierten Bild der Torächte[n] Welt eine moralische Lasterkritik. Sie umfasst neben überzeitlichen Sünden wie sittlicher Haltlosigkeit, Trunksucht und Betrug auch zeitbezogene Phänomene: den Geldhandel der Kipper und Wipper (b I, 161–166, 168 f. u. a.; IX, 64, 82), die Kriegsverbrechen der Landsknechte an der unschuldigen Zivilbevölkerung ⫺ allen voran den Bauern (b I, 172–175; IX, 84), das die Lebensgrundlagen der Landbevölkerung bedrohende herrschaftliche Jagdvergnügen (b I, 241)6 und konfessionelle Streitigkeiten. Im Mittelpunkt der moralischen Kritik steht die Willkür der Mächtigen ⫺ seien es Herrscher, Adlige, Juristen oder Soldaten. Die gewählte bildliche Form und der Titel des Blattes appellieren mit der Darstellung der Hölle an das Interesse des potentiellen Lesers am Drastischen und Schauererregenden, um die Kritik an den Missständen der Zeit wirkungsvoll vortragen zu können. Die Aufnahme katholischer Kleriker unter die Verdammten lässt auf eine protestantische Herkunft des Blattes schließen. Da die am konfessionellen Streit beteiligte Figur des evangelischen Geistlichen durch ihre Kopfbedeckung als Vertreter des Kalvinismus ausgewiesen ist, gibt sich der Autor des Blattes als Anhänger des Luthertums zu erkennen. Dennoch ordnet sich das Blatt in die sich um 1620 abzeichnende irenische Strömung ein, als man auch in der Publizistik zum konfessio-

Weitere Standorte:

Andere Fassungen: A1

KLuG: Flugblatt, Abb. 122 (ohne den Text).

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H. VORGRIMLER: Gesch. der Hölle. München 1993, 63– 65, auch Abb. 9 f. sowie nach S. 272. Zu älteren Darstellungen vgl. E./ J. LEHNER: Devils, Demons, Death and Damnation. New York 1971, Abb. 20, 50, 52, 75, 77, 184, 232. Zur Teufels-Ikonographie vgl. u. a. A. DI NOLA: Der Teufel. Wesen, Wirkung, Gesch. München 21994; P. VAN BOHEEMEN/ P. DIRKSE (Hgg.): Duivels en Demonen. De duivel in de Nederlandse beeldcultuur. Ausstellungskatalog Utrecht 1994.; LCI IV, 295–299. Vor allem der im Text nicht erwähnte Löwe auf dem Richterstuhl erinnert an die Holzschnitt-Illustrationen aus der ‚Reynke de vos‘-Tradition; vgl. R. VEDDER: Die Illustrationen in den frühen Drucken des Reynke de vos. In: J. GOOSSENS/ T. SODMANN (Hgg.): Reynaert, Renard, Reynke. Studien zu einem mittelalterlichen Tierepos. Köln/ Wien 1980, 196–248. Bei den beiden Figuren handelt es sich vermutlich um Landsknechte, was die Ikonographie nahelegt. Nicht unwahrscheinlich ist hier der Gebrauch des Begriffs ‚Gnadjunker‘ als ironische Umformung der Titelanrede ‚gnädiger Herr‘ (so GRIMM: DWb. VIII, Sp. 554) zur Beschreibung eines Lehnsherrn. Zur ikonographischen Darstellung des türkischen ‚Bluthunds‘ b IV, 131. Zur zeitgenössischen Jagdkritik s. z. B. Cyriacus Spangenberg: Jagteuffel. In: THEATRuM Diabolorum. Frankfurt a. M. 1575, 246–272; Andreas Angelus: Jägerhörnlein. Frankfurt a. M. 1597. Vgl. z. B. das Blatt ‚Machometische Zanck- vnd Haderkatzen‘. In: Um Glauben und Reich, II/2, Nr. 768. EP

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IX, 9

F 704

Ort Jahr Bild Text Drucker Format

Das Blatt bietet allgemeine Lebenslehren in Form eines Abecedariums. Der kleinformatige quadratische Holzschnitt, der zuvor möglicherweise als Buchillustration gedient hat, zeigt eine Unterrichtsszene: Ein durch Birett und Zeigestock als Lehrer ausgewiesener Mann unterrichtet sechs Knaben aus einem Folianten, der aufgeschlagen auf einem Lesepult liegt. Im Hintergrund wohnen mehrere Männer (Väter? Visitatoren?) dem Unterricht bei. Der Text besteht aus 23 Strophen, deren Anfangsbuchstaben das Alphabet ergeben. Diese Textstruktur wird durch prächtige über zwei Zeilen große Zierinitialen hervorgehoben und zusätzlich durch die Wiederholung des betreffenden Buchstaben in Normalschrift und in zentrierter Position über jeder Strophe unterstrichen.2 Die Lehren, die der Text unterbreitet, sind allgemeiner Natur und lassen keine konfessionelle Tendenz erkennen. In loser Reihung, die keinen Ansatz zu einer Systematik zeigt, werden auf der Grundlage von Frömmigkeit und Mäßigung Tugenden wie Mildtätigkeit (G) Dankbarkeit (H), Fleiß (J) oder Lerneifer (N) propagiert und Laster wie Hochmut (E), Leichtgläubigkeit (K), Zorn (M), üble Nachrede (Q) oder Streitsucht (W) moniert. Anfang und Ende des Textes tragen besondere Akzente: Gottvertrauen und fester Glaube werden in der ersten Strophe gefordert, um in einer von Schein geprägten trügerischen Welt bestehen zu können. Und die beiden letzten Strophen thematisieren sinnigerweise das Ende, das man bei all seinen Handlungen immer im Auge behalten solle. Abecedarien stehen in einer breiten und weit zurückreichenden Tradition, die schon in der Bibel nachzuweisen ist,3 bei den antiken und mittelalterlichen Kirchenvätern gepflegt wurde, in der Frühen Neuzeit in vielfältigen Formen und Funktionen Verwendung fand und sogar noch im 20. Jahrhundert als Textform volkstümlicher oder kindgemäßer Erbauung und Belehrung fortlebte.4 Die Attraktivität der Abecedarien beruhte im Wesentlichen auf zwei Umständen: Zum einen diente die alphabetische Organisation des Textes als mnemotechnische Hilfe, mittels derer sich die jeweiligen Wort-, Vers- oder Spruchfolgen besser einprägen ließen.5 Zum anderen bezeichnete der Durchgang durch das Alphabet von A bis Z Vollständigkeit und markierte somit den Anspruch, das komplette Wissen über das jeweils abgehandelte Thema zu enthalten. Der Anspruch der Vollständigkeit wurde häufig um den Hinweis auf den Wert der vermittelten Inhalte ergänzt, indem man die alphabetische Reihe als ‚Goldenes ABC‘ titulierte. Das älteste und zugleich wohl kunstvollste dieser ‚Goldenen ABC‘ verfasste der Mönch von Salzburg (2. Hälfte des 14. Jahrhunderts) mit seinem Marienpreis ‚Das guldein ABC mit vil subtiliteten‘.6 Auch in der Folgezeit begegnen die meisten goldenen Abecedarien im Bereich der geistlichen Literatur, wobei das Gattungsspektrum von 18

Das Christlich Gülden ABC. für jederman

Straßburg 1630 Holzschnitt Typendruck in 3 Spalten; 23 Liedstrophen zu 4 Versen, z. T. nach Sebastian Brant (1457–1521) Marx von der Heyden (tätig 1616–1648)1 33,5 ! 29,3; 6,5 ! 6,5

der erbaulich-katechetischen Spruchsammlung7 über die Leichenpredigt8 und homiletische Sammelwerke9 bis zum frommen Schreibmeisteralphabet reicht.10 Das bei weitem erfolgreichste ‚Goldene ABC‘ war der auf dem nebenstehenden Blatt abgedruckte Text. Er lässt sich erstmals auf einem Marburger Flugblatt nachweisen, das um 1550 gedruckt wurde (Fassung a), wurde in den folgenden Jahrhunderten durch das Medium des Einblattdrucks verbreitet und erreichte darüber hinaus insbesondere durch seine Aufnahme in die frühneuzeitlichen Gesangbücher ein breites Publikum.11 Die Verbreitung und Beliebtheit des Textes bezeugt auch seine Verwendung als Losbuch: Für Ostpreußen und Schlesien wird berichtet, dass man am Neujahrstag mithilfe des ‚Gülden ABC‘ die für das kommende Jahr relevanten Lebenslehren ermittelte.12 Als Verfasser des Textes hat man aufgrund einer Zuweisung aus dem Jahr 1656 den Neumärker Pfarrer, Kirchenliedautor und Dramatiker Bartholomaeus Ringwalt (1530/31–1599) erwogen, zugleich aber aus sprachlichen Gründen niederdeutsche Herkunft geltend gemacht.13 Schon der Nachweis der ältesten Überlieferung (Fassung a) hatte beide Vermutungen eher unwahrscheinlich werden lassen, stammt der Marburger Druck doch aus hochdeutschem Sprachgebiet und ist lange vor der Zeit erschienen, in der Ringwalt als Autor hervortrat. Die bisherigen Mutmaßungen über die Autorschaft waren endgültig widerlegt, als es gelang, die Strophen L-N als Übernahmen aus den deutschen ‚Disticha Catonis‘ des Sebastian Brant zu erweisen (b I, 23). Der durch eine doppelte Zierleiste abgesetzte Merkspruch am Ende des Blattes, der in fünf Klugheitsregeln zu Zurückhaltung und Vorsicht im Reden, Handeln und Urteilen mahnt, begegnet auch auf anderen Einblattdrucken katechetischen Zuschnitts (b I, 21). Auf einem zuerst in Augsburg und danach zweimal in Straßburg gedruckten Flugblatt erscheint er zusammen mit einem anderen deutlich für den Unterricht bestimmten ABCSpruch.14 Diese Überlieferungsgemeinschaft des Merkspruchs, die Nähe zu den als Schultext gebrauchten ‚Disticha Catonis‘ und besonders die Unterrichtsszene des Holzschnittes machen wahrscheinlich, dass der Drucker Marx von der Heyden in erster Linie mit einer schulischen Verwendung seines Blattes rechnete.

Weitere Standorte:

Andere Fassungen: a)

b) c) d)

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Berlin, SBPK: Yd 7855;15 Laubach, Gräfl. Solms-Laubachsche Bibl.16 [Eyn schön ABC in Reimen-Weiß; Impressum: Getruckt zu Marpurg zen Kleeblat, um 1550] Wolfenbüttel, HAB: 31.8 Aug. 2°, fol. 296 [b I, 22] Wolfenbüttel, HAB: 31.8 Aug. 2°, fol. 187 [b I, 23] Wolfenbüttel, HAB: Xb FM 188 [Dat Gülden A.B.C. vor Yedermann deenlich, Bremen: Johann Wessel 1610; niederdeutsch, ohne Bild] Zürich, ZB: Edr. 17.., ABC Ia,1 [Zug: Heinrich Anton Schäll, um 1700; ohne Bild] ohne Exemplarnachweis17 [Zug: Johann Michael Blunschi, 2. Hälfte 18. Jahrhundert] ohne Exemplarnachweis18 [Basel: Gebrüder Mechel, 18. Jahrhundert]

A1

SCHILLING: Flugblätter Brants, Anhang, Nr. 3.5.4.

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RESKE: Buchdrucker, 978. Eine gewisse Nachlässigkeit des Druckers kommt in der fehlerhaften Ersetzung des M durch ein L zum Ausdruck. F. DORNSEIFF : Das Alphabet in Mystik u. Magie. Leipzig/ Berlin 1922, 146–151. Vgl. LIEDE: Dichtung als Spiel, II, 82–88; N. F. PALMER: Abecedarium. In: RDL 1 (1997), 1 f. (ohne Berücksichtigung der nachmittelalterlichen Tradition). In der zahlreich erschienenen neueren Literatur zur ars memorativa haben Abecedarien keine Aufmerksamkeit gefunden. F. V. SPECHTLER (Hg.): Die geistlichen Lieder des Mönchs von Salzburg. Berlin 1972, 113⫺124; auch als Einblattdruck überliefert, vgl. VE15, M-160. Z. B. Valentin Faber: Chronicon. Leipzig 1591, fol. CiiijvDiiijr; Ein Geistliches vnd güldenes A.B.C. (O.O.u.J.); Johannes Niess: Alphabetum Christi. Dillingen 1624, 411–415: Alphabetum Aureum; AVREVM AC SPIRITVALE ALPHABETVM RELIGIOSORVM. (O.O.u.J.) [Einblattdruck, Ex. Nürnberg, GNM: 6743/1199]; Quirinus Kuhlmann. Kühlpsalter. Hg. von R. L. BEARE. Tübingen 1971, I, 150–158, 233–284, II, 54–61, 64–70; Johann Caspar Schad: Kinder Gottes geistliches Schatzkästlein und güldenes ABC. Leipzig 1694; Das goldene Alphabet. Ein christliches Vergissmeinnicht für gutmüthige Seelen. Straubing 1846; F. Falk: Goldenes ABC für den Himmel. Amberg 1879; für das späte Mittelalter vgl. P. KESTING: Goldenes ABC. In: ²VL 3 (1983), 77–80. Johann Hülsemann: Des Ehrsamen […] David Lehmans […] gülden ABC. Leipzig 1649. Wilhelm Alard: Das […] gülden ABC der fürnehmsten lehr- und trostreichen Namen. Jena/ Hamburg 1636– 1659. CHR. RuBI (Hg.): Alte Berner Schreibkunst. Jakob Hutzli, Das Gülden ABC. Bern ²1988. PH. WACKERNAGEL: Das dt. Kirchenlied von der ältesten Zeit bis zu Anfang des XVII. Jhs. 5 Bde., Leipzig 1864/1877, V, Nr. 516 und 730; A. F. W. FISCHER: Kirchenliederlexikon. Hildesheim 1967 (Nachdr. der Ausg. Gotha 1878), I, 32 f.; W. BÄuMKER: Das katholische dt. Kirchenlied in seinen Singweisen. Hildesheim 1962 (Nachdr. der Ausg. Freiburg i. Br. 1883), II, 275 f. F. DORNSEIFF : Abc. In: HdA 1 (1927), 14–18. WACKERNAGEL: Kirchenlied, V, Nr. 516 u. 730. SCHILLING: Bildpublizistik, 254, Nr. 101, Abb. 20. R. W. BREDNICH: Die Liedpublizistik im Flugblatt des 15. bis 17. Jhs. Baden-Baden 1974/1975, II, 37, Nr. 83. Ebd. RuBI: Schreibkunst, 62 und 66 (dort auch Hinweise auf handschriftliche Überlieferung in der Schweiz). Ebd. MSch

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IX, 10

F 86

Ort Jahr Bild Text Format

Das Blatt illustriert 13 Sprichwörter und drei sprichwörtliche Redensarten. Die Illustrationen verteilen sich auf vier Streifen zu je vier voneinander unabhängigen Einzelbildern; das Sprichwort erscheint oberhalb des jeweiligen Bildes. 1. Mit acht verschiedenen Behinderten wird das Sprichwort Keiner ohne mangel illustriert. Gegenüber der sonst belegten Form Niemand ist ohn gebrech oder mangel,1 die sich auf alle Menschen bezieht, scheint die Variante auf dem Flugblatt die Aussage auf die im Bild gezeigte Menschengruppe einzuschränken. 2. Unter der Überschrift Würde bürde erscheint ein König, tief gebeugt unter der Last verschiedener Herrschaftsinsignien. Auch dieses Sprichwort ist eine Reduktion ausführlicherer Varianten wie Bürde bringt Würde oder Gross Würde, gross bürde.2 3. Das folgende Bild illustriert das auf die Bibel (Gal 6,7) zurückgehende Sprichwort Gott läst sich nicht spotten3 durch einen Mann, der Gott die Hälfte eines Herzens reicht, während er die andere Hälfte hinter seinem Rücken verbirgt. Offensichtlich wird hiermit der ‚halbherzige‘ Glaube als Verspottung Gottes verstanden. 4. Ein Mann, der sich zusammen mit Gott darum bemüht, einem unter seiner Last zusammengebrochenen Esel wieder aufzuhelfen, illustriert den sprichwörtlichen Rat Hilff dir selbst so hilfft dir Gott.4 5. Ein Mann fällt von einem Baum in einen See und stürzt dabei in sein eigenes Schwert. Dieser Szene ist das Sprichwort Kein vnglück allein zugeordnet, das in der Vollform Ein Unglück kommt selten allein geläufiger ist, aber schon bei Sebastian Franck (1499–1542/43) auch in der Kurzform zu finden ist.5 6. Ein Mann sitzt mit zwei Kindern und einer Kuh an einem Tisch. Damit wird der sprichwörtliche Vergleich Ein vngezogen kindt Jst bey frembdten wie ein Rind ins Bild gesetzt.6 7. Zum bildhaften Sprichwort Der lähre Hafen thonet am meisten7 bietet die Illustration auch eine mögliche Auslegung, denn gezeigt werden ein Narr und ein Gelehrter, die beide auf einen Topf schlagen. Doch während der Topf des Narren leer ist, ist der Kessel des Gelehrten mit Büchern gefüllt. Damit wird die prahlerische Geschwätzigkeit als Charakteristikum des Narren hervorgehoben.8 8. Ein wohl blinder Geigenspieler exemplifiziert das Sprichwort Was Gott an einem nimbt, gibt er am andren wider. Der Gedanke, dass Gott einen (von ihm bewirkten) Mangel eines Menschen durch eine andere Begabung kompensiert, ist in dieser allgemeinen Formulierung nicht nachgewiesen, sondern wird sonst in bildhaften Wendungen wie Wem Gott das Licht nimmt, dem gibt er zarte Finger oder Wem Gott den Rock nimmt, dem gibt er einen Mantel ausgedrückt.9 9. Als Illustration zum Sprichwort Viel geschrey vnd wenig woll, das bereits für das Mittelalter und für Luther belegt ist,10 kann der ein Schwein scherende Teufel als ein konventionelles Bildmotiv gelten, das wohl auch als Ursprung für den Wellerismus Viel Geschrey vnd wenig Wolle, sprach der Teuffel [...], vnd beschor ein Saw anzusehen ist.11

Teutsche Sprichwörter

(Straßburg?) (um 1640) Kupferstich (nach einer Vorlage von Jakob von der Heyden, 1573–1645) gravierte Inschriften 25,1 ! 31,3

rend das schon bei Franck belegte Sprichwort Wilst jedem sagen wer er ist, So must auch hören was dir gebrist.13 12. Zwei Männer, die sich gegenüber stehen und auf ihre Schwerter zeigen, verbildlichen das Sprichwort Ein Schwert behalt das ander in der scheyden.14 13. Durch den Teufel, der einen Menschen auf dem Rücken zum Höllenrachen schleift, wird das wohl dem Rechts- oder Finanzwesen entlehnte Sprichwort Lang geborgt ist nicht geschenckt15 im religiösen Sinne umgedeutet. 14. Der Mann mit Fuchs- und Hasenkopf, der in der rechten Hand einen Vogel und in der linken eine Maske (b IX, 123) hält, veranschaulicht die sprichwörtliche Redensart Er ist fuchs vnd haas zugleich, die ein von List und Feigheit bestimmtes Verhalten charakterisiert.16 15. Drei Männer in unterschiedlicher Kleidung und Haltung werden von drei kleinen Narren begleitet, die ihnen gleichen. Dieses Arrangement verweist auf das Sprichwort Ein jeder hat seinen eigenen Narren.17 16. Das letzte Teilbild zeigt einen vorwärts eilenden Mann mit umgegürtetem Schwert und einem Stab in der rechten Hand; seine Füße sind zwei Hasenläufe, und aus seinem Wams schaut ein Hasenkopf heraus. So wird die Redensart Der Haass steckt ihm im busen konkretisiert.18 Vor dem Mann läuft ein Hase mit einer Fahne, die ebenfalls einen Leporiden zeigt. Dadurch wird eine weitere Redensart verbildlicht, die in verschiedenen Varianten (Das Hasenpanier auffwerffen/ aufziehen/ ergreifen) belegt ist.19

Das Blatt ist eine seitenverkehrte Wiedergabe der Fassungen a und b, die mit dem Teilbild 4 beginnen, mit der Nummer 13 enden und dadurch die Anfangs- und Endposition markant besetzen. Ansonsten scheint die Reihenfolge beliebig zu sein, sofern man von gelegentlichen thematischen oder motivlichen Nachbarschaften absieht (vgl. Nr. 3 f. und 9 f.). Blätter mit Sprichwortillustrationen haben eine lange internationale Tradition (b IX, 11) und konnten unterschiedliche Funktionen wahrnehmen. Während die Sprichwortbilderbogen des 19. Jahrhunderts sich überwiegend auf amüsante Unterhaltung beschränken,20 dürfte im vorliegenden Blatt die belehrende Funktion deutlich höher zu veranschlagen sein (dies gilt vor allem für die religiösen Teilbilder Nr. 3 f., 8 und 13), ohne dass die Unterhaltung zu kurz kommt (vgl. Teilbild Nr. 9 f.).

Weitere Standorte:

Andere Fassungen: a)

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10. Das Sprichwort Der ein schert die schaff, Der ander die Schwein wird umstandslos und ohne eine Andeutung einer Auslegungsrichtung ins Bild gesetzt.12 11. Ein Mann mit einem Kropf und ein Mann mit einem Buckel zeigen aufeinander und illustrieren exemplifizie-

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Austin, HRHRC: Popular Imagery Collection, Nr. 162; Gotha, SM: G 45,17a; Nürnberg, GNM: 14925/1293; Wolfenbüttel, HAB: Einbl. Xb FM 90; Zagreb, Staatsarchiv: VZ VIII, 15121 [1. Bild: Hilff dir selbs so hilfft dir Gott; Kupferstich wohl von Jakob von der Heyden] Braunschweig, HAUM: FB VI (2 Exemplare); Gotha, SM: G 45,17b [wie a; Zählung rechts oben: 1] WANDER: Sprichwörter-Lexikon, I, 1388, Nr. 10. Ebd. I, 512, Nr. 4; V, 457, Nr. 5. Vgl. ebd. V, Nr. 2, 6 f. Ebd. II, 38, Nr. 852. Ebd. II, 489, Nr. 57. Ebd. IV, 1441, Nr. 85; ebd. 1446, Nr. 186. Vgl. ebd. I, 547, Nr. 2; II, 1279, Nr. 209. Vgl. ebd. IV, 1267, Nr. 32. Vgl. ebd. III, 884, Nr. 172: Der Narr hat das Herz auf der Zunge, der Weise die Zunge im Herzen. Ebd. II, 74, Nr. 1812, 1814. Ebd. I, 1601, Nr. 51 (mit Verweis auf die Kolmarer Liederhandschrift), und Nr. 35 (mit Verweis auf Luther). Vgl. RÖHRICH: Redensarten, I, 541; WANDER: Sprichwörter-Lexikon, I, 1601, Nr. 51. Vgl. ebd. I, 68, Nr. *340; ebd., Sp. 69, Nr. *366. Vgl. ebd. III, 1837, Nr. 171. Ebd. IV, 467, Nr. 32. Ebd. I, 432, Nr. 23. Ebd. I, 1257, Nr. *399 (mit irriger Interpretation). Vgl. ebd. III, 889, Nr. 291 (mit anderer Sinnakzentuierung). Ebd. II, 375. Ebd. II, 380 f., Nr. *1–*6. Vgl. M. SCHWARZE (Hg.): Eine lustige Gesellschaft. 100 Münchener Bilderbogen in einem Band. Zürich 1978, Nr. 33 (Sprichwörter), 189 f. (Redensarten), 196 (Bauernregeln), 261 (Krähwinkler Kriegsberichte) und 274 (Militärische Redensarten). PELC: Theatrum, 85. DP

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IX, 11

FB 13

Ort Jahr Bild Text Format

Das Blatt illustriert 15 Sprichwörter und drei sprichwörtliche Redensarten. Die Illustrationen verteilen sich auf zwei Blatthälften mit vier gerahmten Streifen zu je zwei voneinander unabhängigen Einzelbildern; das Sprichwort erscheint meist oberhalb des jeweiligen Bildes. 1. Ein Mann versucht, mit einem Tuch die strahlende Sonne zu verhängen. Er demonstriert so, dass das Sprichwort Er muß vil künnen der Gott wil blenden1 als Litotes aufzufassen ist. 2. Einem aus Münzen zusammengesetzten Schwert sind die beiden Sprichwortvarianten Geld {alle ding/behalt daß} fäld zugeordnet. Dabei ist fäld zunächst als Verbform (‚fällt‘), dann als Substantiv (‚Feld‘) zu lesen. Beide Varianten verweisen auf die Allmacht des Geldes.2 3. Ein Bauer steht an einem Tisch einem Hofmann gegenüber. Der eine hat ein Brot, der andere zwei vor sich liegen; damit wird die sozialpessimistische Erkenntnis Dem arbeiter ein brod dem feirer zwey3 ins Bild gesetzt. 4. Das antithetische Bild mit einem Greis auf einer Schnecke und einem jungen Mann auf einem auffliegenden Vogel veranschaulicht die Maxime: Jhm rathen ein schneck in thaten ein vogel.4 5. Eine junge Frau lässt einen Jüngling durch einen Korb fallen und illustriert damit die entsprechende Redensart, während die Szene mit dem (zur Redensart verkürzten) Sprichwort Den spott zum schaden5 überschrieben ist. 6. Ein Jüngling schüttet Getreide in eine Mühle, während ein zweiter mit einem Kornsack auf der Schulter hinter ihm warten muss. Das der Rechtssprache entstammende Sprichwort Wer vor kompt der mahlt vor6 wird hier durch die Illustration auf erotische Beziehungen angewandt, da die Mühle von einer jungen Frau betrieben wird. Das Bild ergibt mit Nr. 5 und 13 eine thematische Einheit. 7. Ein Mann mit einer großen Axt in der Hand macht sich an einem Narren zu schaffen, der auf einem dicken Baumstamm liegt. Die Szene verweist auf das nicht nachgewiesene Sprichwort Es ist ein vnbehawen ploch vmb einen torechten Menschen und deutet die Notwendigkeit an, törichte Menschen auf schmerzhafte Weise zu ‚formen‘.7 8. Einem auf dem Boden hockenden Menschen setzt ein Narr eine Narrenkappe auf; fünf weitere Narren mit verschiedenen Attributen und Gebärden komplettieren die Szene und machen deutlich: Ein Narr macht 7 narren (b IX, 19).8 9. Ein Hofmann schiebt einen einfach gekleideten Mann in einen Sack. Das Sprichwort Wer baß mag der schiebt den andren im sack9 wird wörtlich aufgefasst und ständisch gefärbt. 10. Ein Mann hält an seiner Angel einen prächtigen Pokal. Die Redensart Mit eim gülden angel fischen sowie ihre ebenfalls beigeschriebene lateinische Variante Aures piscari hamo verweisen auf erfolgreiche Bestechungsversuche.10 11. Ein Mann mit Stulpenstiefeln und Sporen feuert mit der rechten Hand ein Gewehr ab und hält in der linken einen Hasen und verbildlicht so die nicht nachgewiesene Redensart Er schreckt vnd ist erschrocken. 12. Unter dem Sprichwort Ehe wigs dan wags11 hält ein Hofmann eine Waage. In der linken Waagschale mit der Beischrift Alt und reich sitzt eine alte Frau mit einem Geldbeutel, in der rechten eine junge Frau, die Laute spielt und

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Teütsche Sprichworter

(Straßburg?) (um 1640) Kupferstich (von Jakob von der Heyden?, 1573⫺1645) gravierte Inschriften 24,1 ! 32,3

die durch die Beischrift Iung und schön charakterisiert wird. Der Appell des Sprichworts, seine Handlungen vorher sorgfältig abzuwägen, wird hier auf erotische Beziehungen eingeschränkt. 13. Unter dem Sprichwort Es ist alles verloren was man in alten säcken thut12 hält eine alte Frau einen zerrissenen Sack auf, aus dessen Löchern die von einem Mann eingefüllten Gegenstände wieder hinausfallen. Die Personenkonstellation schränkt die Warnung des Sprichworts auf zwischengeschlechtliche Beziehungen ein; die in Nr. 12 gezeigte Situation erfährt dadurch eine Entscheidungshilfe. 14. Vor einem Tisch mit zwei Bücherstapeln und einer Suppenschüssel veranschaulicht ein Mann, der zugleich in die Suppe und in seine Hände bläst, die Redensart Warm vnd kalt auß einem mund blasen.13 Die Redensart steht im Zusammenhang mit der Fabel vom Satyr und Wanderer und warnt vor doppelzüngigen Menschen.14 Ob die Bücherstapel diese Warnung auf die Welt der Gelehrten beziehen soll, ist fraglich. 15. Ein Hase sitzt mit einem Zepter in der Pfote auf einem Thron; vor ihm stehen elf weitere Hasen in ehrfürchtiger Haltung. Die Behauptung des Sprichworts Wie der Regent so sin die vnderthanen15 wird somit an einem Beispiel aus der Tierwelt exemplifiziert. 16. Ein Mann schreit mit drohenden Gebärden einen Teufel an. Die Szene und das dazugehörige Sprichwort Der den Teuffel schrecken wil, muß lautt schreien16 nehmen auf anderer Ebene die Eingangsszene wieder auf; das Sprichwort ist hier ebenfalls als Litotes aufzufassen.

Die bildliche Wiedergabe von Sprichwörtern ist seit dem Spätmittelalter ein in verschiedenen Zusammenhängen verbreitetes Verfahren;17 Sprichwortbilder finden sich in der Buchmalerei (‚historisierte‘ Initialen und Drolerien) und in Holzschnitzarbeiten (Miserikordien), in der frühen Neuzeit auch in Intarsien auf verschiedenen Gebrauchsgegenständen, in der Wand- und Deckenmalerei, in Tapisserien und in Gemälden. Am bekanntesten ist das Sprichwörterbild Pieter Brueghels d. Ä. (1525/30–1569) von 1559. Die verschiedenen französischen ‚SprichwortbilderBücher‘ um 1500 könnten auf die Sprichwortillustrationen in Sebastian Brants (1457–1521) ‚Narrenschiff‘ und Thomas Murners (1475–1537) ‚Narrenbeschwörung‘ und ‚Schelmenzunft‘ eingewirkt haben. Auf illustrierten Einblattdrucken konnten einzelne Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten in unterschiedlicher Weise genutzt und verbildlicht werden;18 dabei scheint die sequentielle Reihung von Einzelbildern wie im vorliegenden Blatt und seinem Gegenstück (b IX, 10) eher selten zu sein, ist aber gleichwohl international verbreitet19 und steht in formaler Nähe zu Bildsequenzen vom Typus der verkehrten Welt (b I, 57 f.; IX, 14–17). In den Bilderbögen des 19. Jahrhunderts und in der politischen Karikatur des 20. Jahrhunderts ist die Verbildlichung von Sprichwörtern nach wie vor anzutreffen.20

Weitere Standorte: Gotha, SM: G 45,21a

Andere Fassungen: a)

b)

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Braunschweig, HAUM: FB III; Gotha, SM: G 45,21b; Wolfenbüttel, HAB: Einbl. Xb FM 89; Zagreb, Staatsarchiv: VZ VIII, 15021; ehem. Antiquariat Meuschel, Bad Honnef22 [Teilbild 15: so sint statt so sin; ohne Blattzählung] Halle, KMM: F 697 [ohne Titel; seitenverkehrt; nur die linke Hälfte des Blattes] Vgl. WANDER: Sprichwörter-Lexikon, II, 6. Ebd, I, 1480 (nur die Variante Geld hält das Feld). Ebd., I, 124. Vgl. ebd., III, 1467. Dazu ebd., II, 1538; IV, 48; RÖHRICH: Redensarten, III, 872–874. R. SCHMIDT-WIEGAND (Hg.): Deutsche Rechtsregeln u. Rechtssprichwörter. München 2002, 230 f. Zum Motiv vgl. Sachs: Werke 21, 309. Vgl. WANDER: Sprichwörter-Lexikon, III, 893. Vgl. ebd., I, 242; III, 691, 1818 f. Ebd., I, 87. Ebd., V, 229. Vgl. auch BAKE: Spiegel, 56. Vgl. WANDER: Sprichwörter-Lexikon, IV, 1566. Vgl. ebd., IV, 1785; Thesaurus proverbiorum medii aevi. 13 Bde., Berlin/ New York 1995–2002, VI, 404 f. Vgl. E. MOSER-RATH: Heiß u. kalt aus einem Mund. In: EM 6 (1990), Sp. 717–721. Vgl. WANDER: Sprichwörter-Lexikon, III, 1586. Vgl. ebd., IV, 1101. Zum Folgenden vgl. A. BÄSSLER: Sprichwortbild u. Sprichwortschwank. Zum illustrativen u. narrativen Potential von Metaphern in der deutschsprachigen Literatur um 1500. Berlin/ New York 2003, 1–6, mit Hinweisen auf die einschlägige Forschungsliteratur. Vgl. D. PEIL: Das Sprichwort im illustrierten Flugblatt. In: HARMS/ SCHILLING: Flugblatt in der Kultur, 11–34; BÄSSLER: Sprichwortbild, 163, Anm. 398. Vgl. R. W. BREDNICH: Die holländisch-flämischen Sprichwortbilderbogen vom Typus ‚De Blauwe Huyck‘. In: Miscellanea. FS K. C. Peeters. Antwerpen 1975, 120– 131; S. F. MATTHEWS GRIECO: Pedagogical Prints. Moralizing Broadsheets and Wayward Women in Counter Reformation Italy. In: G. A. JOHNSON/ S. F. MATTHEWS GRIECO (Hgg.): Picturing women in Renaissance and Baroque Italy. Cambridge 1997, 61–87, Abb. 3.6; O’CONNELL: Popular Print, 31. Vgl. M. SCHWARZE (Hg.): Eine lustige Gesellschaft. 100 Münchener Bilderbogen in einem Band. Zürich 1978, Nr. 33 (Sprichwörter), 189 f. (Redensarten), 196 (Bauernregeln), 261 (Krähwinkler Kriegsberichte) und 274 (Militärische Redensarten); L. RÖHRICH: Die Bildwelt von Sprichwort u. Redensart in der politischen Karikatur. In: H. F. FOLTIN (Hg.): Kontakte u. Grenzen. Probleme der Volks-, Kultur- u. Sozialforschung. FS G. Heilfurth. Göttingen 1969, 175–207. PELC: Theatrum, 85. Antiquariat Meuschel, Nr. 159 (mit Abb.). DP

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IX, 12

F 116

Ort Jahr Bild Text Format

Das Blatt, dessen Text in Form eines Labyrinths mit eingeschriebener Weltkugel angeordnet ist, erhebt eine allgemeine Zeitklage. Das Labyrinth, zu dem der Text angeordnet ist, vereinigt zwei unterschiedliche labyrinthische Strukturen. In seinem inneren Teil entwirft der Text das Bild eines Spirallabyrinths, während er zum Rand hin in ein mäandrisches Muster übergeht. So wird das spiralförmige Zentrum von einem rechteckigen Rahmen umfangen, dessen Seitenlinien in einem Verhältnis von 1 : 2 zueinander stehen. Legt man das Blatt so, dass sich der Titel auf der linken Seite befindet, erkennt man in der Kreisform des Binnenteils ein Abbild der Weltkugel, über der das Kreuz steht. Dreht man das Blatt um 180 Grad, ist die Bildstruktur nicht ganz so eindeutig zu interpretieren. Auch hier dürfte die Kreisform des Binnenlabyrinths auf die Weltkugel verweisen, währende die darüberliegende Anordnung des Mäander-Labyrinths vermutlich an die Ikonographie der Himmelfahrt Christi anschließt, bei der vielfach nur noch die Füße des von der Erde zum Himmel aufsteigenden Gottessohnes abgebildet sind.1 Der Text beginnt, von einer großen Initiale markiert, im innersten Kreis der Spirale, die dann durchlaufen wird bis an den unteren Rand des Figurengedichts. Dort geht der Text in spitzem Winkel in das Mäandermuster der rechten Seite über, wechselt über den oberen Rand nach links hinüber und endet schließlich unterhalb des rechten Fußes des zum Himmel auffahrenden Christus: DEr Welt lauff vnd wesen auff das kürzest mit reymen Jnn disem Labyrint beschriben vnnd begriffen. Wer will erfaren der welt wesen/ Der thuo disen reimen lesen/ Darinnen wirt er finden geschwind/ Wie die gantz welt jst worden blind/ 5 Dann Gottes gebott werden verlacht/ Vnnd sein glider mit fluoch veracht So ist Charitas gantz gestorben/ Veritas an allen orten verdorben/ Virtus wirt gantz wenig mehr geacht 10 Die Redligckeyt man selten acht/ Pax ligt Jetz Jnn kranckheyt seer/ Justitiam findt man selten meer/ Lex ist vberall gantz worden blind So ist Honor schier gar ein kind/ 15 Principes thun nit manlich gebaren/ Vnnd die Episcopi nit weyden jr scharen Religiosi haben Jetz nit geystlichs leben/ Closterfrauwen wend nut vffs reformieren geben/ Pastores begeren der wollen vnd nit der schaff 20 Oues keeren sich derhalben wenig an Jr straff Clerici jedermann böse beyspil geben Das gmeyn volch thuot darnach leben/ Judices richten alles nach gunst/ Nequitiam heyßt man Jetz die kunst/ 25 Solches soll vngestrafft nit bleyben/ Potentes thuons am meysten tryben/

24

DEr Welt lauff vnd wesen

(Zürich) (1562) Holzschnitt (von Christoph Schweitzer?, tätig 1555–1570) geschnitten; Figurengedicht aus 36 Knittelversen (von Urban Wyss?, Anfang 16. Jahrhundert–1561) 14,7 ! 20,2

Adulterium ist nimmer schand/ Vsura wechßt jnn allem Land/ Ecclesia wirt vbel versorgt 30 Justitiam man allenthalben borgt/ Luxuriam acht man für ein Ehr Gula regieret Je lenger Je mehr Fidutia ist warlich worden kleyn/ Vnd Falsitas allenthalbenn gmein

heraus, auf dem der Text von Urban Wyss in erweiterter und modifizierter Fassung als Grundlage eines gleichfalls abgewandelten Labyrinthgedichts diente (b I, 47).

35 Die gantze Welt wurdt also erzogen/ Conscientia beschleußt/ Jst warlich war vnd nit erlogen.

Nach einer generalisierenden Ankündigung des Inhalts (V. 1–6) wird mit Hilfe von Personifikationen über den Verlust geistlicher (Charitas), vor allem aber weltlicher Werte geklagt.2 Ab Vers 15 werden ständische Ordnungskategorien ins Spiel gebracht, wenn das Verhalten der weltlichen Herren (Principes, Judices, Potentes) und der geistlichen Obrigkeiten (Episcopi, Religiosi, Closterfrauwen, Pastores, Clerici) kritisiert wird und sich in der Folge auch Das gmeyn volch daran ein böse[s] beyspil nehme. Zum Schluss hin greift der Text wieder auf die traditionellen Tugend- und Lasterkataloge zurück, um seine Klage über die Verderbnis der Welt vorzutragen. Der abschließende Hinweis auf das Gewissen und eine dreifache Wahrhaftigkeitsbeteuerung bekräftigen die Ernsthaftigkeit der vorstehenden Zeitklage. Das Labyrinth-Gedicht erschien 1562 in dem ‚neuw Fundament buch‘ des Berner Schreibmeisters Urban Wyss. Es wurde von dem Zürcher Formschneider Christoph Schweitzer verlegt.3 Da das Hallenser Blatt im Unterschied zu dem Buchholzschnitt keine Lagensignatur aufweist, dürfte es als Einzelblatt vertrieben worden sein. Das Strukturschema des Figurentextes hat der mutmaßliche Verfasser Wyss, der im Jahr der Drucklegung allerdings schon verstorben war, von dem Nürnberger Schreibmeister Johann Neudörffer d. Ä. (1497–1563) übernommen.4 Das Labyrinth galt seit dem Mittelalter als Sinnbild der Welt und unterstrich die Sündenverfallenheit des Menschen, die ihn auf Irrwege führte und Gott als das wahre Ziel des Lebensweges verkennen ließe.5 Die vorliegende Darstellung verknüpft somit sinnfällig das Bild des Labyrinths mit der Form der Weltkugel und mit einer Klage über den verdorbenen Zustand der Welt. Durch die dem Figurengedicht eingeschriebenen Bildelemente des Kreuzes und der Himmelfahrt Christi werden, ohne dass der Text hierfür irgendwelche Explikationen böte, Momente der Hoffnung und Auswege aus dem Labyrinth der Welt bereit gehalten: Die Passion des Gottessohns mit dem Sieg über den Tod bietet dem Gläubigen Trost und Orientierung; die Himmelfahrt zeigt als Heilsversprechen den erhofften Ausweg aus einer als sündhaft und verworren inszenierten Misere der Welt. Johann Agricola (um 1530–1590) aus Spremberg brachte 1568 in Wittenberg einen Einblattdruck

Weitere Standorte:

Andere Fassungen:

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4

5

LCI II, 268–276; G. SCHILLER: Ikonographie der christlichen Kunst. 4 Bde., Gütersloh 1966⫺1988, III, Abb. 492–497, 521. Eine ähnliche Zeitklage bei W. HARMS: Eine Sentenzenanthologie in der Hand von schreibenden Lesern des 18. Jhs. [zuerst 1997]. In: DERS.: Kolloquialität, 200; vgl. auch Egenolff: Sprichwörter, fol. 349vf. W. DOEDE: Bibliographie dt. Schreibmeisterbücher von Neudörffer bis 1800. Hamburg 1958, 47 f.; H. KERN: Labyrinthe. Erscheinungsformen u. Deutungen. 5000 Jahre Gegenwart eines Urbilds. München 1982, Abb. 388. W. DOEDE: Schön schreiben, eine Kunst. Johann Neudörffer u. die Kalligraphie des Barock. München ²1988, 30. P. SANTARCANGELI: Il Libro dei Labirinti. Florenz 1967, 245–269; W. HAuBRICHS: Ordo als Form. Strukturstudien zur Zahlenkomposition bei Otfrid von Weißenburg u. in karolingischer Literatur. Tübingen 1969, 285–293; SCHILLING: Imagines Mundi, 211–220; KERN: Labyrinthe, 212 f., 295–342. MSch

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IX, 13

F 69

Ort Jahr Bild Text Verleger Format

Das Flugblatt veranschaulicht anhand von Kinderspielen das menschliche Leben. Der Kupferstich zeigt vor der Ansicht Straßburgs 18 frei angeordnete Gruppen spielender Kinder, die über Ziffern gekennzeichnet im Text eine Erläuterung zum jeweiligen Spiel erhalten. Im Vordergrund von links nach rechts sieht man Seil springende (Nr. 14), Seifenblasen pustende (Nr. 4), Steckenpferd reitende (Nr. 1), mit Murmeln spielende (Nr. 5) und auf Nusspyramiden zielende Jungen (Nr. 9). Am unteren Rand des Stiches spielen Mädchen mit Puppen und Zubehör (Nr. 8). In der mittleren Ebene der Abbildung laufen Jungen auf Stelzen (Nr. 7), locken einen Vogel (Nr. 13), streiten um den Platz auf einem Hügel (Nr. 3), stehen auf dem Kopf (Nr. 6), treiben einen Kreisel (Nr. 12), spielen mit einem Brummkreisel (Nr. 11) oder mit Tierknochen (Nr. 18). Im Hintergrund lassen sich Spiele wie Reifenschlagen (Nr. 2), Vogel am Faden (Nr. 16), Schlagball (Nr. 17), Drachensteigen (Nr. 10) und Rutschen auf dem Eis (Nr. 15) erkennen. Der Text erklärt die einzelnen Spiele und führt dem Leser, den Eingangsworten des Autors entsprechend, die im Sinne einer captatio benevolentiae gestaltet sind und den Betrachter auf die im Kinderspiel versteckte Weisheit einstimmen sollen, die Verhaltensweisen des eigenen Daseins anhand der Kinderspiele vor. Die Spiele werden hierfür kurz beschrieben und dann mit einer Auslegung versehen. Innerhalb des Textes ergeben sich verschiedene Themenfelder, die alle auf ein christliches Leben zielen. So wird das Steckenpferd zum Sinnbild der superbia, das Reifenschlagen steht für die Fehlbeurteilung des eigenen Handelns und für den Ablauf der Zeit bis zum Tod. Dem Thema der Vergänglichkeit werden ferner die Spiele: Rutschen auf dem Eis (Nr.15), Drachensteigen (Nr.10), Vogel am Faden (Nr. 16) und das Spielen mit Murmeln (Nr.5), vor allem aber das Seifenblasen Pusten (Nr. 4), Ballspiel (Nr.17) und Knöchleinspiel (Nr. 18) zugeordnet. Das Auf und Ab des Lebens wird anhand der Spiele Kampf um den Hügel (Nr.3; Burgbelagerungsspiel2) und durch das Zielen auf Nusshaufen (Nr.9) versinnbildlicht. Die Missachtung des Glaubens erkennt der Autor im Kopfstand, der die Hinwendung zu irdischen Dingen und damit eine verkehrte Einstellung zur Welt zum Ausdruck bringe (Nr.6). Der Stelzenlauf (Nr.7) und das Spiel mit der Habergeiß (Nr.11; Brummkreisel3) werden als Zeichen der Angeberei angesehen (b I, 40). Im Gegensatz dazu erscheint das Spiel mit Puppen (Nr.8) als Sinnbild der Bescheidenheit, die im Erwachsenendasein den Weg zur Zufriedenheit eröffne. Anhand des Kreiseltreibens (Nr.12) und des Vogellockens (Nr.13) warnt der Autor vor der Trägheit, und das Seilspringen (Nr.14) wird zum Sinnbild für richti26

Kinder-Spiel/ oder Spiegel dieser Zeiten

Straßburg 1632 Kupferstich (von Jakob von der Heyden, 1573–1645)1 Typendruck in 4 Spalten; 312 Knittelverse Jakob von der Heyden 27,8 ! 39,5; 7,7 ! 28,6

ges Handeln zum richtigen Zeitpunkt. Der Text endet mit dem Hinweis, dass der Leser aus den Beispielen für sein Leben eine Lehre ziehen möge, da aus Torheit Weisheit entstehen könne, wie schon die Evangelisten und andere fromme Christen, aber auch Heiden festgestellt hätten. Die lateinischen und die französischen Zitate in margine, die auf die Bibel, antike und moderne Autoren zurückgreifen, dienen nicht zuletzt der Bekräftigung dieser Aussage. Jakob von der Heyden gestaltete das Flugblatt von 1632 nach Anregungen, die er sowohl aus der Malerei als auch durch andere Kupferstiche erhalten hatte. 1560 hatte Pieter Brueghel d. Ä. (1525/ 1530–1569) mit seinem Gemälde ‚Kinderspiele‘4 die Formen des kindlichen Spiels nahezu realistisch abgebildet.5 Die Kinder in dem Gemälde spielen etwa 84 identifizierbare Spiele auf einem freien Platz in der Stadt. Einige der Spiele kehren auch auf dem vorliegenden Kupferstich wieder. Als Vorläufer des Flugblattes kann das Werk ‚Silenus Alcibiadis, sive Proteus‘ von Jacob Cats (1577–1660) aus dem Jahr 1618 angesehen werden.6 Der im Jahre 1625 veröffentlichte ‚Houwelyck‘ von Cats widmete sich ebenfalls dem Thema der Kinderspiele.7 Während im ‚Houwelyck‘ der Kupferstich von Adrian van de Venne (1589– 1662)8 nur wenig Gemeinsamkeiten mit dem Straßburger Blatt aufweist, ist das ältere Werk von Cats mit einem Kupferstich von Jan Gerrits Swelinck (1601–1628)9 als direkte Vorlage anzusehen, obwohl auch hier einige graphische Abweichungen bestehen. So veränderte von der Heyden die Gliederung von Swelincks Stich, indem er die Kinderspiele auf drei Ebenen in Vorder-, Mittel- und Hintergrund anordnete und den Kindern bei ihren Spielen größere Bedeutung beimaß. Hierfür rückte er die Stadtansicht, die bei Swelinck den Kupferstich dominiert, weit an den Horizont. Von der Heyden erweiterte die Spielanzahl in Text und Bild, übernahm aber von Cats den Aufbau des Textes und das Auslegungsmuster, demzufolge das jeweilige Spiel beschrieben wird, um es anschließend als Sinnbild der Welt auszulegen: Diß gantze Spiel ist nur ein Bildt/ Was jetzt in der Welt wird gespilt. Grundsätzlich diente das Thema des Kinderspiels in den genannten Werken nicht der Vermittlung der Spielregeln, sondern wurde, wie der Titel des Straßburger Flugblattes andeutet, als Spiegel der Welt gedeutet: Diß Spiel es scheint ohne Sinn/ so stekt ein klein Welt darinn; dann alles wesen dieser Welt ist nur wie Kinderspiel bestelt.10

Die Unvernunft, die dem Leben und der Welt anhafte, sollte veranschaulicht werden, um sich ihrer bewusst zu werden und sich schließlich von ihr befreien zu können. In den Auslegungen zu den

Spielen wird deshalb auf ein Leben hingewiesen, das den christlichen Werten entspricht. Der ‚Houwelyck‘ von Cats diente 1657 als Vorlage für die von Conrad Meyer (1618–1689) verlegte Übersetzung, in der jedes Spiel mit einem Einzelstich bedacht worden ist.11

Weitere Standorte: Nürnberg, GNM: 2779/1244; Straßburg, BNU: R 105; ehem. München, GS (A 1)

Andere Fassungen: A1 A2

A3 A4

1 2 3 4

5 6

7

8 9 10

11

J. BOLTE: Zeugnisse zur Gesch. unserer Kinderspiele. In: Zs. d. Vereins f. Volkskunde 14 (1904), 381–414. H. A. RAuSCH: Kinderspiel/ oder Spiegel dieser Zeiten, Straßburg 1632. In: Jb. f. Gesch., Sprache u. Literatur Elsaß-Lothringens 25 (1909), 143–153, Abb. 143. K. E. FRITZSCH/M. BACHMANN: Dt. Spielzeug. Hamburg/ Leipzig 1965, 13. Spiel, Spiele, Kinderspiel. Ausstellungskatalog Nürnberg 1985, 25. THIEME/ BECKER XVIII, 17 f. W. ENDREI: Spiele u. Unterhaltung im alten Europa. Hanau 1988, 17 f. GRIMM: DWb, X, 82 f. G. GLÜCK: Das große Brueghel-Werk. Wien 1951, Abb. 14; J. HILLS: Das Kinderspielbild von Pieter Brueghel d. Ä. (1560). Eine volkskundliche Untersuchung. Wien 2 1998. F. WÜRTENBERGER: Pieter Brueghel der Ältere u. die dt. Kunst. Wiesbaden 1957, 95. Jacob Cats: Silenus Alcibiadis, sive Proteus. Amsterdam 1618, 237–241 mit Abb. RAuSCH: Kinderspiel, weist auf diese Vorlage hin. Jacob Cats: Houwelyck. Dat is/ De gantsche ghelegentheyt des Echten staets. Middelburgh 1625, A3r-B2v. BOLTE: Zeugnisse, sieht in diesem Werk die Anregung für das Flugblatt von der Heydens. Vgl. auch DE JONGH/ LuIJTEN: Mirror, 90⫺94. THIEME/ BECKER XXXIV, 213; NAGLER Monogrammisten, I, 577, Nr. 1388. THIEME/ BECKER XXXII, 350 f. Jacob Cats: Kinder-Lustspiele durch Sinn- und Lehrbilder geleitet. Hg. v. C. ULRICH. Zürich 1970 (Nachdr. der Ausg. Zürich 1657). Cats: Kinder-Lustspiele, 27. AR

27

IX, 14

F 700

Ort Jahr Bild Text Verleger Format

Das Blatt variiert das Thema der verkehrten Welt, indem syntaktisch korrekte Sätze meist durch einfache Subjekt-Objekt-Vertauschungen zu absurden Aussagen gemacht werden. Die Graphik besteht aus vier Bildstreifen, auf denen in je vier Szenen der darunter stehende Vers zur Anschauung gebracht wird. Der Neologismus Kunckelbrieff im Titel verbindet die Begriffe ‚Brief‘ (hier für das illustrierte Blatt) und ‚Kunkel‘, die als Instrument zum Spinnen auf die Spinnstube und die dort während der Arbeit erzählten Geschichten verweist, denen man nur geringe Glaubwürdigkeit beimaß.1 Die Verse versetzen in der Regel die Objektbezeichnungen in die Position des Subjekts und umgekehrt. Die ersten drei Verse stellen den Bauern vor, um den es im Folgenden geht, und charakterisieren ihn durch seine Essgewohnheiten, die in einer Vorliebe für reichlich Milch mit Brot (Wecke) bestehen. Die nächsten Angaben betreffen überwiegend die Wohnverhältnisse des Bauern (Haus, Küche, Hof, Stall, Ofen). Anschließend wendet sich der Text den bäuerlichen Tätigkeiten zu (Käserei, Hacken, Pflügen, Dreschen), um im letzten Vers mit dem Kegeln noch ein ländliches Freizeitvergnügen anzusprechen. Bei den meisten Darstellungen der verkehrten Welt herrscht das Prinzip der Inversion vor, das sich auf sprachlicher, vor allem aber auf sachlicher Ebene abbildet (b I, 57 f.; IX, 15 f.). Bei dem vorliegenden Blatt ergeben die sprachlichen Vertauschungen weniger eine inversive als eine absurde (widersinnige) Konstellation. Während sich das Prinzip der Verkehrung bei Bildern, auf denen der Ochse den Schlachter ausnimmt oder das Schaf den Hirten schert, auch ohne Worte erkennen lässt, ist die sprachliche Grundlage für das Verständnis der Bildfolge des ‚Kunckelbrieffs‘ unabdingbar. Bleibt es bei den konventionellen Verkehrte-Welt-Blättern offen, ob die Verkehrung der Welt eine Verkehrung der Sprache nach sich zieht oder umgekehrt, so ist es hier eindeutig die lingua perversa, die zu einem mundus perversus führt. Daher ist es denn auch nicht überraschend, dass Grimmelshausen (1621/22–1676) in seinem ‚Teutschen Michel‘, in dem er sich kritisch mit den Veränderungen der Sprache auseinandersetzt, auch zu dem Mittel der sprachlichen Inversion greift, um sich über Fehlentwicklungen der deutschen Sprache lustig zu machen. Er erzählt von einer geselligen Runde, die sich mit sprachlichen Vertauschungsoperationen so lange unterhalten habe, bis man vor Lachen aufhören musste. Wendungen wie mach Bachofen ins Feuer, Mein schön Wirthshauß sitzt Schand und Spott im Mann oder esse ein paar Suppen voll Leffel machen die Nähe zum ‚Kunckelbrieff‘ deutlich.2 Wenn man berücksichtigt, 28

Ein Newer Kunckelbrieff Die widersinnige Weldt

(Straßburg) (um 1630) Kupferstich (von Jakob von der Heyden, 1573–1645) graviert; 16 Knittelverse (von Hans Sachs, 1494–1576) (Jakob von der Heyden) 26,0 ! 28,9

dass Grimmelshausen mit dem Medium des illustrierten Flugblatts gut vertraut war3 und überdies der Topos der verkehrten Welt in seinem Œuvre eine bedeutende Rolle spielt,4 ist nicht auszuschließen, dass er den ‚Kunckelbrieff‘ gekannt und als Anregung für die genannte Passage im ‚Teutschen Michel‘ benutzt hat.5 Die Vorlage des Blatts gab das Meisterlied ‚Der verkert pawer‘ von Hans Sachs ab.6 Es waren nur wenige Versumstellungen erforderlich, um den für das Flugblatt üblichen Paarreim herzustellen. Der Titel des Meisterliedes und das Entstehungsjahr 1530 lassen vermuten, dass Sachs mit seinem Lied einen nachträglichen Kommentar zum nur wenige Jahre zurückliegenden Bauernkrieg abgeben und im Sinne Luthers den Aufruhr der Bauern als verkehrte Welt diffamieren wollte. Ein solcher politischer Hintergrund ist zwar für das Straßburger Blatt nicht auszuschließen (zu Bauernaufständen im 17. Jahrhundert b IX, 84, 154, 175), ohne eine genauere Datierung aber auch nicht zu verifizieren. Auf jeden Fall schmeichelte das Ineinssetzen von bäuerlicher und verkehrter Welt auf dem Blatt dem Selbstwertgefühl des städtischen Gemeinen Manns, für den der Straßburger Einblattdruck in erster Linie bestimmt gewesen sein dürfte. Auch wenn das Monogramm auf dem Stoffballen in der dritten Bildzeile wohl nicht auf den Stecher verweist, lassen die stilistischen Merkmale des Stichs in Kombination mit dem gravierten Text keinen Zweifel, dass das Blatt von Jakob von der Heyden gestochen und verlegt worden ist.

Weitere Standorte: Braunschweig, HAUM: FB VI; Nürnberg, GNM: 15057/ 1292a; ehemals Antiquariat Meuschel, Bad Honnef (A 1)

Andere Fassungen: a)

Berlin, KK: 121854; Wolfenbüttel, HAB: Einbl. Xb FM 82; Zagreb, Staatsarchiv: VZ VIII, 1497 [2. Vers: Der gerne leffel mit milch aß]

A1 A2

Antiquariat Meuschel, Nr. 174 (mit Abb.). H. BOESCH: Kinderleben in der dt. Vergangenheit. Leipzig 1900, Tafel zu S. 72. WENDELER: Bildergedichte, 163. COuPE I, 198; II, Nr. 175. A. WANG: Illustrierte Flugblätter im 17. Jh. In: Philobiblon 21 (1977), 184⫺210, hier 184⫺186. Illustrierte Flugblätter, Nr. 29. HAFTLMEIER-SEIFFERT: Bauerndarstellungen, 44.

A3 A4 A5 A6 A7 1

2

3

4

5

6 7

Vgl. auch das etwa gleichzeitige Blatt ‚KunckelBrieff oder SpinnStuben‘, das ebenfalls von Jakob von der Heyden verlegt wurde (Flugblätter Coburg, Nr. 114). Zur Spinnstube als Kommunikationsraum vgl. H. MEDICK: Spinnstuben auf dem Dorf. Jugendliche Sexualkultur u. Feierabendbrauch in der ländlichen Gesellschaft der frühen Neuzeit. In: G. HuCK (Hg.): Sozialgesch. der Freizeit. Untersuchungen zum Wandel der Alltagskultur in Deutschland. Wuppertal 1980, 19–49. Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen: Deß Weltberuffenen Simplicissimi Pralerey und Gepräng mit seinem Teutschen Michel. Hg. von R. TAROT. Tübingen 1976, 45 f. S. S. TSCHOPP: Zum Verhältnis von Bildpublizistik u. Literatur am Beispiel von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausens Simplicissimus Teutsch. In: D. PEIL u. a. (Hgg.): Erkennen u. Erinnern in Kunst u. Literatur. Tübingen 1998, 419–436; M. SCHILLING: Flugblätter als Wegbereiter Grimmelshausens. In: Simpliciana 32 (2010), 121–135. W. WELZIG: Ordo u. verkehrte Welt bei Grimmelshausen. In: ZfdPh 78 (1959), 424–430; 79 (1960), 133–141; P. KABuS: Verkehrte Welt. Zur schriftstellerischen u. denkerischen Methode Grimmelshausens im ‚Abentheurlichen Simplicissimus Teutsch‘. Frankfurt a. M. u. a. 1993; A. HONOLD: Pikaro u. verkehrte Welt bei Grimmelshausen. In: CH. EHLAND/ R. FAJEN (Hgg.): Das Paradigma des Pikaresken. The Paradigm of the Picaresque. Heidelberg 2007, 201–227. Vgl. G. BIERBÜSSE: Grimmelshausens ‚Teutscher Michel‘. Untersuchungen seiner Benutzung der Quellen u. seiner Stellung zu den Sprachproblemen des 17. Jhs. Diss. masch. Bonn 1958 (ohne Kenntnis des Textes von Hans Sachs und des Flugblatts). Sachs: Fabeln und Schwänke, III, 78 f. PELC: Theatrum, 83 f. (mit Abb.). MSch

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IX, 15

F 67

Ort Jahr Bild Text Verleger Format

Szenen der verkehrten Welt werden durch fünf mal fünf Bildszenen in unterhaltsamer Form akkumulativ nebeneinander gestellt. Das Blatt beginnt in der ersten Bildreihe mit der Darstellung einer umgedrehten Weltkugel, auf welcher drei Figuren auf den Händen stehen (I, 1). Der teils im und teils unter dem Bild abgedruckte Spruch Die Verkehrte Welt hie kan Wohl besehen Jederman bezieht sich auf diese Szene, nennt aber bereits das Programm des gesamten Flugblatts. Die 24 folgenden Szenen zeigen Verkehrungen der sozialen und natürlichen Ordnung nach dem üblichen Schema der verkehrten Welt (b I, 57 f.; IX, 16). Es werden Dienstverhältnisse umgedreht (I, 1 f.; I, 5), soziale Rollen vertauscht (I, 4; II, 1– III, 2), die Beziehungen zwischen Mensch und Tier oder innerhalb der Tierwelt auf den Kopf gestellt (III, 3⫺IV, 5; V, 5) und die Naturgesetze außer Kraft gesetzt (V, 1⫺3). Jeder Abbildung sind in einem unterhalb angebrachten Kasten zwei paargereimte Verse beigegeben, in denen die Szene kommentiert wird. Eine systematische Ordnung der Szenen ist nicht erkennbar. Das Bildprogramm ist mit seinem Design und der Kommentierung in Versen der Tradition verpflichtet. Die Anordnung der Szenen in Bildstreifen ist typisch für die Flugblätter der verkehrten Welt; im Gegensatz zu den ähnlich organisierten comic strips fehlt eine szenenübergreifende Handlung.1 Der Topos einer Welt, in welcher Gegenstände oder Personen ihre Rollen oder Aufgaben tauschen, lässt sich bis in die Antike zurückverfolgen. Im Mittelalter erfreuten sich bestimmte Szenen wie die der den Jäger jagenden Hasen besonderer Beliebtheit.2 In der Frühen Neuzeit erreichen die Darstellungen der verkehrten Welt gerade im Medium des Flugblattes europaweite Popularität. So lassen sich unterhaltsame Verkehrte-Welt-Einblattdrucke in Italien (b I, 58), Frankreich, England und Polen nachweisen, auf denen sich Szenen wiederholen wie etwa der lastentragende Mann, der von seinem Esel angetrieben wird.3 Direkt von dem vorliegenden Flugblatt scheinen einige russische Bearbeitungen aus dem 18. Jahrhundert beeinflusst zu sein, welche 14 der Szenen übernehmen und diese in einer neuen Anordnung um den schlachtenden Ochsen (IV, 1) herum gruppieren.4 Diese Szene wie auch der Arme, welcher dem Reichen Steuern zahlt (II, 2), begegnen auch auf dem Titelkupfer und dem erläuternden Titelblatt von Grimmelshausens (um 1622⫺1676) Die verkehrte Welt. Außer dem Ochsen als Metzger wird die Szene, in welcher das Wild den Jäger jagt (III, 5), in Grimmelshausens Ewig-Währenden Kalender aufgezählt. Dort begeistert sich der Protagonist über ein in einer Spinnstube gefundenes Flugblatt der Verkehrten Welt.5 Die unterhalten30

Die Verkehrte Welt hie kan

(Straßburg) (um 1630) Kupferstich graviert; 25 Knittelverspaare Jakob von der Heyden (1573⫺1645) 26,2 ! 33,9

de Funktion steht dabei im Vordergrund, wie sie etwa auch auf dem ‚newen Kunckelbrieff. Die widersinnige Weldt‘ vorherrscht (b IX, 14). Eine deutlichere Kritik an der Gesellschaft ist etwa bei der Darstellung der themenverwandten närrischen Welt gegeben; hier liegt der Schwerpunkt weniger auf einer verkehrten Gesellschafts- und Weltordnung als auf der persönlichen Narrheit der Individuen (b IX, 17). Beliebt war die Abbildung der umgedrehten Weltkugel, über welche Demokrit 460/459⫺371 v. Chr.) lachen und Heraklit (um 520⫺um 460 v. Chr.) weinen muss.6 Besonders in der konfessionellen Propaganda wird eine Kritik an der Gesellschaft deutlich. So zeigt Thomas Murner (1475⫺1537) in ‚Ain new lied von dem vndergang des Christlichen glaubens‘ (Augsburg 1523) anhand von Motiven wie dem Wagen, der vor das Ross gespannt wird, die Verkehrung der christlichen Welt.7 Auf dem vorliegenden Flugblatt steht die Unterhaltung im Vordergrund; lediglich die Szene, in welcher der Arme dem Reichen Geld gibt (Jetzt der armen schweiß und blut/ vor den reichen steuren thut) kritisiert die gesellschaftlichen Verhältnisse unverblümt. Manche Einzelabbildungen wurden zum Thema eines eigenen Flugblattes. So wurde die Vertauschung von Hose und Oberbekleidung (V, 4) zum Sinnbild für das Alamode-Wesen (b I, 119). Der Aufstand der Schafe konnte auf das Ende der Zeiten verweisen (b II, 64; VI, 154). Auch die bewaffnete Frau, die ihren Mann am Spinnrocken im Haus zurücklässt, begegnet auf einem eigenen Flugblatt.8

Weitere Standorte: Nürnberg, GNM: 7099/1292a (Fragment); ehem. Antiquariat Meuschel, Bad Honnef (A 4)

Andere Fassungen: a) b) c) d) e)

A1 A2 A3

A4 1 2 3

4

5

6 7

8 9 10 11

Berlin, SBPK: YA 32639 [I, 2: Reit; V, 5: haan; ohne Stechersignatur] Nürnberg, GNM: 25346/129810 [5 Reihen zu 3 Bildern] Braunschweig, HAUM: FB VI [Paulus Fürst Excudit] Nürnberg, GNM: 2° StN 237, fol. 93 [Titel: Die Verkehrte Welt; I, 2: Königig] Zagreb: Staatsarchiv: VZ VIII, 13711 [wie d; ohne Titel; neu gestochen] COuPE II, Nr. 151a. KuNZLE: Comic Strip, 202. D. KuNZLE: World Upside Down. The Iconography of a European Broadsheet Type. In: B. A. BABCOCK (Hg.): The Reversible World. Symbolic Inversion in Art and Society. Ithaca/ London 1977, 39–94, hier 80. MEuSCHEL: Flugblätter, Nr. 173. KuNZLE: Comic Strip, 202 f. WENDELER: Bildergedichte, 163 f.; COuPE I, 201. Die verkehrte Welt. Moral u. Nonsens in der Bildsatire. Ausstellungskatalog Amsterdam 1985, 58⫺70; KuNZLE: World Upside Down. Die verkehrte Welt, 68; A. S. SYTOWA: Lubok. Russische Volksbilderbogen. 17. bis 19. Jh. Leningrad 1984, Abb. 48; vgl. auch Lubok. Der russische Volksbilderbogen. Ausstellungskatalog München 1985, Nr. 36. Zur Verkehrten Welt bei Grimmelshausen vgl. W. WELZIG: Ordo u. Verkehrte Welt bei Grimmelshausen. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 78 (1959), 424–430, und 79 (1960), 133–141; S. S. TSCHOPP: Zum Verhältnis von Bildpublizistik u. Literatur am Beispiel von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausens ‚Simplicissimus Teutsch‘. In: D. PEIL u. a. (Hgg.): Erkennen u. Erinnern in Kunst u. Literatur. Tübingen 1998, 419⫺436; A. HONOLD: Travestie u. Transgression. Pikaro u. Verkehrte Welt bei Grimmelshausen. In: CHR. EHLAND/ R. FAJEN (Hgg.): Das Paradigma des Pikaresken. Heidelberg 2007, 201⫺227; M. SCHILLING: Flugblätter als Wegbereiter Grimmelshausens. In: Simpliciana 32 (2010), 121– 135. Illustrierte Flugblätter, Nr. 31; COuPE I, 202. Zu einer christlichen Zeit- und Lasterkritik dient das Motiv der verkehrten Welt auf dem Blatt ‚Das alte Sprichwort Wie stehts in der Welt?‘ (Frankfurt a. M. 1607) von Moses Weixner 1607; vgl. COuPE II, Abb. 130. Die verkehrte Welt, 72. COuPE II, Nr. 151 mit Abb. 126. Ebd. II, Nr. 151b. PELC: Theatrum, Abb. 65. IB

31

IX, 16

F 698

Ort Jahr Bild Text Verleger Format Zustand

Das Blatt verarbeitet das Prinzip der verkehrten Welt auf mehreren Ebenen in unterhaltsamer Form. In fünf Bildreihen mit jeweils sechs Bildern wird die Verkehrung der menschlichen, tierischen und natürlichen Ordnung abgebildet. Jede Szene wird durch einen direkt unterhalb in einem separaten Kasten abgedruckten Vers kommentiert, wobei die einzelnen Verspaare gelegentlich auch thematisch verbunden sind. Dominierendes Thema der dargestellten Szenen ist die Umkehrung von Hierarchien im menschlichen wie im tierischen Bereich. Menschliches Personal führt vor allem das verkehrte Dienstverhältnis zwischen Herrschenden und Dienenden vor, wenn etwa der Knecht seinem Herrn bei der Arbeit zuschaut. Im tierischen Bereich steht die Verkehrung der natürlichen Ordnung hinsichtlich Jäger und Gejagtem im Vordergrund, z. B. wenn die Maus der Katze hinterher läuft oder wenn die Geiß den Löwen verfolgt (IV, 1 bis V, 2). Mit acht direkt aufeinander folgenden Bildszenen ist die umgekehrte Jagd das Thema, das in besonders vielen Varianten vertreten ist. Dies wird auch im Austausch von menschlicher und tierischer Rollenbesetzung thematisiert, beispielsweise in der Szene, in der der Fisch den Fischer angelt (III, 3). Eine weitere Überschneidung des menschlichen und tierischen Bereichs findet bei dem umgedrehten hierarchischen Verhältnis zwischen Tier und Mensch statt, etwa wenn die Bauern vor den Pflug gespannt sind, den der Ochse führt (II, 2). Eine Umkehrung sozialer Rollen liegt vor, wenn der Gelehrte den Bauern befragt (I, 2) oder der Alte sich kindisch verhält (I, 3). Das Verfahren der Verkehrung wird pointiert, indem auch das Verhältnis dinglicher Subjekte oder Objekte umgedreht wird, so wenn der Wagen die Ochsen zieht (II, 4) oder der Turm an der Glocke hängt (V, 5). Land und Wasser wiederum werden in vier Szenen vertauscht. Bei dreien davon werden Wasser und Land wechselseitig ersetzt. Die vierte Darstellung illustriert die sprichwörtliche Wendung ‚auf dünnes Eis bauen‘ (III, 5).1 Zu beachten ist in diesen Bildern besonders die Darstellung der Menschen. Während die einfache Kleidung der abgebildeten Figuren beim Hausbau auf dem Eis und beim Grubenbau im Wasser noch auf Angehörige der unteren sozialen Schichten schließen lässt, sind die auf dem Meer mähende Person und die auf der grünen Heide angelnde Figur durch Schwert, Hut und Sporen eher als ständisch Höherstehende gekennzeichnet (III, 1 f.). Dies impliziert eine weitere Verkehrung: den als Bauer arbeitenden Edelmann. Schließlich findet sogar eine Verkehrung der Naturgesetze statt, wenn der Amboss unverhofft wegfliegt oder der Mühlstein auf dem Wasser schwimmt (V, 3 f.). 32

Die widerwertige welt

(Straßburg) (2. Viertel des 17. Jahrhunderts) Radierung (von Jakob von der Heyden, 1573–1645) gravierte Bildunterschriften; 30 Knittelverse (Jakob von der Heyden) 26,1 ! 35,0 kleine Ausrisse mit geringem Textverlust am unteren Blattrand (erschreckt bzw. Glocken)

Zwei der Bilder, die tierische Protagonisten aufweisen, lassen sich nicht in die Reihe der Bilder einordnen, die durch einfachen Rollentausch oder durch ein Ersetzen der Tiere durch Menschen leicht aufzulösen wären. Zum einen ist es die dem Esel mit einer Laute aufspielende Kuh (II, 3) und zum andern der Esel, der seinem Herrn den Kopf wäscht (II, 6). Bei der erstgenannten Darstellung handelt es sich um eine doppelte Verkehrung, da erstens Menschen durch Tiere ersetzt sind. Zweitens sind die Rollen der Tiere vertauscht, da der Esel, der häufig als unmusikalischer Lautenschläger dargestellt wird, hier als angesungener Umworbener abgebildet ist.2 Ebenso ist das Bild des Esels, der dem Meister die Haare einseift, nicht durch einen einfachen Rollentausch zu korrigieren, da auch ein Meister, der seinem Langohr den Kopf wäscht, sich nicht normal verhält.3 Viele Motive finden auch auf anderen Flugblättern Verwendung (b I, 57 f.). Obwohl Ansätze zu einer Systematik erkennbar sind ⫺ so sind alle Bilder zum Thema der tierischen Hierarchie aneinandergereiht (IV bis V, 1 f.) ⫺, wird diese nicht strikt durchgehalten. Die Vertauschung von Land und Wasser beispielsweise ist in zwei Blöcken thematisiert, welche durch Darstellungen der Umkehrung von Jäger und Beute unterbrochen sind (III). Die Verse verbinden durch Reim und Syntax jeweils zwei Bilder, die zuweilen auch thematisch zusammenhängen, z. B. die Umkehrung der Naturgesetze (V, 3 f.) oder der Zusammenschluss von Alter und Kindheit (I, 3 f.). Doch abgesehen von diesen Zweierpaaren erscheint die Anordnung zufällig. So ist zwar inhaltlich ein Wechsel von menschlicher über tierische zu natürlicher Verkehrung auszumachen, doch ist dieser nicht steigernd, sondern nur akkumulativ nebeneinander gestellt; und so folgt den verkehrten Naturgesetzen lediglich eine Subjekt-Objekt-Umkehrung, hier des Tragenden und des Getragenen, wie sie auch schon in der zweiten Bildzeile bei der Umkehrung von Schlachter und Schlachtgut oder Führendem und Geführtem anzutreffen ist. Eine explizite Wertung der dargestellten Szenen etwa als Verfallserscheinung der Gesellschaft oder ähnliches lässt sich nicht feststellen. Lediglich in der Überschrift Die widerwertige welt ist eine negative Konnotation auszumachen, da neben den eher neutralen Bedeutungen von ‚widerwärtig‘ im Sinne von ‚widerläufig, entgegenlaufend, entgegengesetzt‘ auch wertende Komponenten wie ‚uneins, feindselig, widersetzlich‘ enthalten sind.

Weitere Standorte: Berlin, SBPK: YA 3260 (A 2); Braunschweig, HAUM: FB VI; Gotha, SM: G 45,23; Nürnberg, GNM: 7098/ 1293; Zagreb, Staatsarchiv: VZ VIII, 148 (A 5)

Andere Fassungen: a)

Braunschweig, HAUM: FB VI [Titel: Die widerwertig Welt] Halle, KMM: F 699 [Szenenanordnung im Gegensinn; ohne Stechersignatur; 3. Zeile: eiß und heydt] Nürnberg, GNM: 24800/1295 [Titel: Die Wiederwertige Welt]

b) c)

A A A A

1 2 3 4

A5 1 2

3

WENDELER: Bildergedichte, 163 f. COuPE II, Nr. 153. BRÜCKNER: Druckgraphik, Abb. 76. C.-P. WARNCKE: Die ornamentale Groteske in Deutschland. 1500–1650. Berlin 1979, Abb. 589. PELC: Theatrum, Abb. 67. Thesaurus Proverbiorum Medii Aevi 2 (1996), 440 f.: Eis, Nr. 13–26. Zum asinus lyrans vgl. H. ADOLF : The Ass and the Harp. In: Speculum 25 (1950), 49⫺57; H. REINITZER: Asinus ad tibiam. Zur Ikonographie einer Hamburger Grabplatte. In: DERS. (Hg.): Litteratura laicorum. Beiträge zur christlichen Kunst. Hamburg 1980, 89⫺125. Vgl. das Sprichwort: Wer dem Esel den Kopf wäscht, verschwendet die Seife. (Thesaurus Proverbiorum Medii Aevi 3 [1996], 63 f.: Esel, Nr. 70–78). IB

33

IX, 17

F 85

Ort Jahr Bild Text Verlag Format

In Anlehnung an das ‚Narrenschiff‘ von Sebastian Brant (1457⫺1521) werden in einer Bilderrevue verschiedene Formen närrischer Verhaltensweisen wiedergegeben. Die Bildsequenz besteht aus vier Reihen zu fünf Bildfeldern. Im Einzelnen zeigen die Szenen Folgendes: I, 1:

In einer Narrenkappe steckt die Weltkugel,1 aus der fünf Narrenköpfe herauswachsen; zwei weitere Narren versuchen vergeblich, mit einem Netz die Narrheit der Welt zu verdecken.

I, 2:

Ein Bauer und ein Soldat erbitten auf Knien von Gott zu gleicher Zeit Sonne und Regen.

I, 3:

Während im Hintergrund zwei Heere sich eine Schlacht liefern, schließen die Heerführer im Vordergrund Frieden. Das Verspaar stellt fest, dass man sich den Krieg hätte von vornherein ersparen können.

I, 4:

König Midas, der alles, was er berührt, in Gold verwandelt und verhungert, dient als Exempel der Avaritia.

I, 5:

Ein Geiziger trinkt aus seinem wohlgefüllten Weinkeller nur den aus undichten Zapfhähnen hervortropfenden Wein.

II, 1: Ein Aufschneider behauptet, mit einem einzigen Hieb seiner Axt eine Eiche gefällt zu haben. II, 2: Ein Alchemist verliert sein Silber beim Versuch, daraus Gold zu gewinnen. II, 3: Ein Mann schüttet Wasser in einen Brunnen. II, 4: Zu der Musik eines Trompeters, eines Sackpfeife spielenden Affen und eines Vogels im Käfig vollführt ein bäuerliches Paar einen ausgelassenen Tanz.2 II, 5: Große Pläne und kühne Lebensentwürfe scheitern am Gängelband einer Prostituierten (metz). III, 1: Ein Mann legt seine Armbrust auf einen Vogel an und übersieht die Schlange, die ihn ins Bein beißt. III, 2: Ein Mann beobachtet einen Zimmermann, der einen Balken für ein im Hintergrund entstehendes Haus bearbeitet. III, 3: Ein Bauherr kann seinen Neubau nicht fertigstellen, da die vor ihm auf dem Tisch liegenden Geldbeutel leer sind. III, 4: Unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraute Geheimnisse sollte man besser bei sich behalten. III, 5: Ein Narr stürzt auf einem Steg. Ein zweiter Mann tut es ihm nach. Die Aussage wird im Hintergrund dupliziert, wo ein Esel und hinter ihm ein Mann auf einer Eisfläche (?) ausgeglitten sind. IV, 1: Drei Narren vergnügen sich an einer gedeckten Tafel auf verschiedene Weisen mit drei Frauen.

Die Narrisch Wellt.

(Straßburg) (um 1650) Radierung graviert; 20 ! 2 Knittelverse Peter Aubry d. J. (1623/24⫺1686) 25,1 ! 33,0

Die Bildsequenz folgt keiner Systematik. Den Anfang markiert das thematisch übergreifende Bild der mit Narren gefüllten Weltkugel, das dem Titel des Blattes entspricht. Möglicherweise wurde dem Astrologen und dem Pseudo-Gelehrten die betonte Endposition zugewiesen, weil hier der Kontrast zwischen erwartbarem vernunftgeleitetem und tatsächlichem närrischem Verhalten besonders eklatant hervortritt. Ansonsten lassen sich gelegentliche Paarbildungen ausmachen. So stehen zwei Beispiele für widersprüchliches Verhalten (I, 2 f.) ebenso nebeneinander wie die Auswirkungen des Geizes (I, 4 f.), verfehlter Aufwand (II, 2 f.), die Missachtung eigener Interessen (III, 1 f.) oder das Motiv des Häuserbaus (III, 2 f.). Thematisch wie auch mit seiner episodischen Struktur ordnet sich das Blatt der frühneuzeitlichen Narrensatire zu.3 Während das programmatische Auftaktbild aus der zeitgenössischen Bildpublizistik übernommen wurde,4 sind die übrigen Szenen größtenteils auf Brants ‚Narrenschiff‘ zurückzuführen, dessen revueartigen Aufbau das Blatt mit seiner Bildsequenz spiegelt.5 Besonders deutlich tritt die Abhängigkeit in den Szenen II, 3 und 5 sowie IV, 3 und 5 hervor.6 Bei anderen Segmenten hat der Autor des Flugblatts sich nur an ein Motiv oder einen Ausschnitt eines ‚Narrenschiff‘-Kapitels angelehnt, um eine neue Aussage zu treffen (z. B. II, 3). Im Einzelnen lassen sich folgende Parallelen zwischen dem Blatt und dem ‚Narrenschiff‘ feststellen:

Weitere Standorte: Austin, HRHRC: Popular Imagery Collection, Nr. 172; Coburg, Veste: XIII, 419, 400; London, BM: 1876.0510.548

Andere Fassungen: a)

b)

c)

A1 A2 A3

COuPE I, 199; II, Nr. 150a mit Abb. 127. KuNZLE: Comic Strip, 203. Flugblätter Coburg, Nr. 149.

1

Die Kugelgestalt ist hier im oberen Bereich nicht klar zu erkennen; vgl. aber die Fassungen a und b. Zu tanzenden Bauern als Bild mangelnder Selbstzucht vgl. K. P. F. MOXEY: Sebald Beham’s Church Anniversary Holidays. Festive Peasants as Instruments of Repressive Humor. In: Simiolus 12 (1982), 107⫺130; HAFTLMEIER-SEIFFERT: Bauerndarstellungen, 66⫺80; A. STEWART: Paper Festivals and Popular Entertainment. The Kermis Woodcuts of Sebald Beham in Reformation Nuremberg. In: Sixteenth Century Journal 24 (1993), 301⫺350. Vgl. B. KÖNNEKER: Wesen u. Wandlung der Narrenidee im Zeitalter des Humanismus. Wiesbaden 1966; J. SCHILLINGER (Hg.): Der Narr in der dt. Literatur im Mittelalter u. in der Frühen Neuzeit. Bern 2009. Zum Motiv der Weltkugel in der Narrenkappe vgl. Flugblätter des Barock, Nr. 30; I. M. VELDMAN: Maarten van Heemskerck and Dutch humanism in the sixteenth century. Maarssen 1977, 76 f. mit Abb.; ‚MVNDI TYPVS VANITATIS; Das ist: Eygentliche Erklärung dieser eytelen vnd zergänglichen Welt …‘. Amsterdam um 1640 (Ex. London, BM: 1882.0812.384); ‚Gelijck het was in de Dagen van Noë …‘. O.O. um 1664 (Ex. London, BM: 1885.1114.144). Zur These, dass das ‚Narrenschiff‘ aus einer Flugblattserie hervorgegangen sei, vgl. H. ROSENFELD: Sebastian Brants ‚Narrenschiff‘ u. die Tradition der Ständesatire, Narrenbilderbogen u. Flugblätter des 15. Jhs. In: Gutenberg Jahrbuch 1965, 242⫺248; DERS.: Die Narrenbilderbogen u. Sebastian Brant. In: Gutenberg Jahrbuch 1970, 298⫺307. Für den Vergleich wurden die ‚Narrenschiff‘-Ausgaben von J. KNAPE (Stuttgart 2005) und F. ZARNCKE (Leipzig 1854) herangezogen. PELC: Theatrum, 82. Antiquariat Meuschel, Nr. 172 (mit Abb.). MSch Nr. IX, 18 entfällt.

2 I, 2 – Kap. 26; I, 4 – Kap. 26; I, 5 – Kap. 3; II, 1 – Kap. 76; II, 2 – Kap. 102; II, 3 – Kap. 32; II, 4 – Kap. 61; II, 5 – Kap. 13 und 50; III, 1 – Kap. 74; III, 2 – Kap. 58; III, 3 – Kap. 15; III, 4 – Kap. 51; III, 5 – Kap. 40; IV, 1 – Kap. 110a; IV, 2 – Kap. 110b; IV, 3 – Kap. 94; IV, 4 – Kap. 65; IV, 5 – Kap. 1.

An den Szenen IV, 1 f. zeigt sich, dass dem Flugblattverfasser eine erweiterte Ausgabe vorgelegen hat. Dem Bildfeld I, 5 steht der interpolierte Text der ‚Narrenschiff‘-Ausgabe Straßburg 1494 (‚Das nüw schiff von Narragonia‘) näher als Brants Originalverse. Ob auch die im ‚Narrenschiff‘ nicht nachweisbare Szene I, 3 auf eine solche interpolierte Ausgabe zurückgeht oder vom Flugblattautor aufgrund der Erfahrungen des Dreißigjährigen Krieges hinzugesetzt wurde, muss offenbleiben.

3

4

5

IV, 2: Zwei kostümierte Musikanten und ein ebenfalls verkleidetes Paar gehen zum Karneval. IV, 3: Ein Erbschleicher wird zu Grabe getragen, bevor er sein erhofftes Erbe antreten konnte. IV, 4: Ein Astrologe, dessen Armut durch einen zerbrochenen Krug und Teller am Boden angedeutet wird, studiert mit Hilfe eines Himmelsglobus die Gestirne und hofft auf eine für ihn günstige Konstellation. IV, 5: Ein Mann verwechselt Gelehrsamkeit mit dem Besitz von Büchern, die er, statt sie zu lesen, lediglich mit einem Wedel vor Fliegen schützt.

34

Zürich, ZB: Edr. 1637 Narren Ia, 1 [Die Närrische Welt; Einzelbilder und Anordnung der Zeilen 2⫺4 im Gegensinn; Datierung in Feld III, 3: 1637] Berlin, SBPK: YA 3266 kl.; Braunschweig, HAUM: FB VI; Halle, KM: F 409; Nürnberg, GNM: 7097/1293 [Die Torechte Weldt; Einzelbilder und Anordnung der Zeilen 2⫺4 im Gegensinn] Gotha, SM: G 45,22; Wolfenbüttel, HAB: Einbl. Xb FM 81; Zagreb, Staatsarchiv: VZ VIII, 147;7 ehemals Antiquariat Meuschel, Bad Honnef8 [wie Fassung b; mit lateinischer Inschrift in Feld III, 3]

6

7 8

35

IX, 19

F 264

Ort Jahr Bild Text Verleger Format

Das Blatt bietet einen Beleg für die Beliebtheit jenes Typs frühneuzeitlicher Narrensatire, bei der sich der Betrachter unversehens in die Schar der Narren eingereiht sieht. Im Bild sind drei Esel so aufgestellt, dass ihre Köpfe zusammenstoßen und wie ein einziger erscheinen, dessen Augen den Betrachter fixieren. Auf den Tieren sitzen drei Männer, deren Masken, Hüte, Kleidung und exaltierte Haltung sie als komische Figuren der zeitgenössischen Komödie und Commedia dell’Arte kennzeichnen. Dabei scheinen die beiden äußeren Narren ein Wortgefecht auszutragen. Wie die Esel richtet der mittlere Reiter seinen Blick auf den Betrachter. Die Behauptung des Titels lädt zum Nachzählen ein und macht auf diesem Wege deutlich, dass der Betrachter mitgezählt werden muss, um auf die genannte Siebenzahl zu kommen. In den Versen unter dem Bild bekundet der mittlere Narr seine Unfähigkeit, einen Streit, dessen Inhalt nicht genannt wird, zwischen seinen Begleitern zu schlichten. Er schlägt deshalb vor, den nächsten, der vorüberreitet, als Siebten mit allen Rechten in ihre Gemeinschaft aufzunehmen. Die Einbeziehung des Betrachters in die Zahl der abgebildeten Narren begegnet in der Druckgraphik schon auf einem anonymen Holzschnitt des 16. Jahrhunderts. Hier sind es zwei Narren, die dem Betrachter verkünden Vnser sindt Trey.1 Jakob von der Heyden hat in einer Anamorphose von 1629 einen närrischen Doppelkopf mit den Beischriften NOVS SOMMES TROIS. Vnser sint drei versehen.2 Auch auf anderen Flugblättern wird das Motiv in variierenden Formen eingesetzt (b I, 59, 119). Literarisch hat Christian Weise (1642– 1708) das Motiv verarbeitet. In seinem Roman ‚Die drey ärgsten Ertz-Narren Jn der gantzen Welt‘ (o.O. 1673) schildert er einen etwas begriffsstutzigen Maler: Es schien als wär er in einem unglücklichen Monden, denn als sie in etlichen Tagen anderswohin reiseten, war in der Stube hinter dem Ofen ein Knecht mit der Magd angemahlt, die hatten alle beyde Narren-Schellen, und stund darüber geschrieben: Unser sind drey. Der gute Mahler, der allenthalben nach raren Inventionen trachtete, tratt davor, und spintesirte lang darüber, wo denn der dritte wär.3

Das vorliegende Blatt besetzt die Rolle der abgebildeten Narren mit Eseln und Figuren der Commedia dell’Arte, die an ihren Masken, Kopfbedeckungen und Kostümen als Pantalone (links) und Arlequino (rechts) kenntlich sind, während die mittlere Figur am ehesten mit Scapino oder Gian Farina zu identifizieren ist.4 So wie sich in den Zwanziger und Dreißiger Jahren des 17. Jahrhunderts Flugblatt-Autoren die Popularität der englischen Komödianten zunutze machten (b I, 169; II, 278, 296; IV, 126),5 so ist es hier die Beliebtheit 36

Vnser sind Siben. NOVS

SOMMES SEPT.

(Straßburg) (1630/1640) Radierung (von Jakob von der Heyden, 1574–1645, nach Jaspar de Isaac, ca. 1590–1654) graviert in 2 Spalten; 8 Alexandriner (Jakob von der Heyden) 25,6 ! 21,0

der komischen Figuren der Commedia dell’Arte, die den Betrachter anlocken und zum Kauf verführen sollen. Dabei ist auch nicht ausgeschlossen, dass das Blatt im Umfeld und im Zusammenhang mit entsprechenden Dramenaufführungen verkauft werden sollte. Ob die Siebenzahl mit dem Sprichwort Ein Narr macht sieben Narren (b IX, 11) zusammenhängt, ist fraglich, solange nicht geklärt ist, ob das Sprichwort auch in Frankreich existierte, woher die Vorlage des Blattes stammt. Das Motiv der durch den Betrachter vervollständigten Siebenzahl der Narren ist freilich älter und lässt sich schon in der spätgotischen französischen Bauplastik nachweisen.6 Der Zusammenhang von Narr und Esel ist traditionell und wird auch an der Narrenkappe sichtbar, die mit Eselsohren verziert ist.7 Da im vorliegenden Fall zwei der Narren miteinander streiten, ist auch zu erwägen, ob hier auf die Schandstrafe des Eselrittes angespielt werden soll, die bei Jähzorn und Streitsucht angewandt wurde (b I, 77; IX, 80). Die Vorlage wurde von dem Niederländer Jaspar de Isaac gestochen, der seit 1614 in Paris als Verleger tätig war. Seine Werke umfassen hauptsächlich Heiligendarstellungen, Porträts und Buchillustrationen, doch hat er auch populäre Sujets wie den Kampf um die Hose (b IV, 25) nicht verschmäht.8 Auf dem französischen Blatt ist der Text auf zwei Sprecher verteilt: auf Jean Farine, der den Streit seiner beiden Kompagnons nicht schlichten kann und den Betrachter um Hilfe bittet, und auf eben den Betrachter, der sich anheischig macht, den Streit unter den Narren beizulegen.

Weitere Standorte: London, BM: 1880.0710.841, und: 2000.0930.64

Andere Fassungen:

d)

Stuttgart, GS: B 512 [NOVS SOMMES SEPT; Verleger: Jaspar de Isaac; französische Fassung] Paris, BN: Hennin, 2626 [NOVS SOMMES SEPT; ohne Verlegerangabe] Paris, BN: Hennin, 2624 [NOVS SOMMES SEPT; Impressum: A Paris, chez Mondhare, rue St. Jacques] Paris, BN: Hennin, 2627 [Noi siamo sette]

A1

SCHILLING: Flugblatt und Drama, 254 mit Abb. 2.

1

Berlin, KK: 308–10; vgl. auch W. MEZGER: Narrenidee u. Fastnachtbrauch. Studien zum Fortleben des Mittelalters in der europäischen Festkultur. Konstanz 1991, 68–71. L. S. MALKE (Hg.): Narren. Porträts, Feste, Sinnbilder, Schwankbücher u. Spielkarten aus dem 15. bis 17. Jh. Leipzig 2001, Nr. 85 (mit Abb. auf dem Frontispiz). Christian Weise: Die drei ärgsten Erznarren in der gantzen Welt. Hg. von W. BRAuNE. Halle a. S. 1878, 221. Vgl. M. A. KATRITZKY: Unser sind drey. The Quacks of Beer, Printz and Weise. In: Maske u. Kothurn 48 (2002), 117–142. Vgl. Callot: Werk, II, 1054, 1087, 1090. Die Beischrift Jean Farine auf der französischen Fassung des Blattes spricht allerdings für Farina. Zusammenfassend SCHILLING: Flugblatt und Drama. MEZGER: Narrenidee, 327; vgl. auch HOLLSTEIN: Dutch Engravings, VI, 69 (mit einem entsprechenden Stich Cornelis Dusarts vom Ende des 17. Jahrhunderts). MEZGER: Narrenidee, 242–257. THIEME/ BECKER XIX, 229. Wir sind sieben. Jean Farine: „Ich finde euch beide im Streit und kann euch nicht versöhnen. Man muss einen Passanten als Siebten herbeirufen. Mein Herr, halten Sie an, und urteilen Sie über die Streitfrage!“ – Der Passant: „Ihr seid ziemlich zerstritten, eure Stimmen erheben sich gegeneinander. Aber ja, Jean Farine, indem ich mich zu den Parteien geselle und das Recht über alles stelle, richte ich über euch ohne Leidenschaft und Hass, ohne Gerichtshof und Prozess.“ (Übersetzung MSch) KATRITZKY: Unser sind drey, Abb. 2; eine Variante dieser Zehner-Version in Paris, BN: Hennin, 2625. MSch

a) b) c)

NOVS SOMMES SEPT. IEAN FARINE Je uous trouue tous deux dans la dissention, Et ne puis maintenant vous accorder moymesme, Il faut donc appeller vn passant pour septiesme, Monsieur arrestez uous, iugez la question. LE PASSANT Vous estes bien brouilles, vos voix sont miparties, Mais Jean farine, ouy, ioint auec les parties Et faisant droict sur tout, sans plus user d’excez, Je uous mets hors de cour, de hayne, et de procez.9

In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurde das Blatt in einer erweiterten Version mit neuem Text nochmals aufgelegt. Unter dem Titel ‚Vnser sindt Zehen‘ finden sich dieselben Figuren im Bild, doch sitzen mit Hase, Affe und Pfau weitere Exponenten des Narrentums auf den Hüten der drei Männer.10

2

3

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5 6

7 8 9

10

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IX, 20

F 185

Ort Jahr Bild Text Format

Mit Hilfe einer Adynata-Reihe formuliert das Blatt eine Gesellschaftskritik und parodiert zugleich das Medium der Neuen Zeitung. Der graphische Teil besteht aus vier kleinen Holzschnitten, die Menschengestalten wiedergeben, wie man sie auf Illustrationen zu älteren Reisebeschreibungen findet.1 Auf dem ersten Bild sind zwei bekleidete Figuren, wahrscheinlich ein Mann und eine Frau, zu sehen, die nicht zu identifizierende, vermutlich exotische Früchte vor das Gesicht halten; auf dem nächsten verzehren zwei Monoculi einen rohen Fisch und eine Keule, die noch als Tierbein mit Huf gekennzeichnet ist. Das dritte Bild zeigt zwei Hermaphroditen, von denen der nackte die männlichen und weiblichen Geschlechtsmerkmale besitzt, während der andere jeweils halbseitig männliche und weibliche Kleidung trägt. Der letzte Holzschnitt bildet einen Mann ab, dessen Kleidung und Bewaffnung an Darstellungen der frühneuzeitlichen Entdecker erinnert.2 Die Adynata des Textes (b I, 78, 80; IX, 26)3 bestehen aus aneinander gereihten Temporalsätzen, die Antworten auf die im Titel des Blattes gestellte Frage geben. Dadurch, dass die Sätze unmögliche oder für unmöglich gehaltene Situationen nennen, die entweder der Ordnung in der Natur widersprechen oder sich auf die soziale Ordnung und moralische Prinzipien beziehen, ergibt sich als gemeinsame Antwort die Aussage ‚nie‘. Das Blatt steht in der Tradition der satirischen Verkehrte-Welt-Literatur, die mittels der Umkehrung tradierter oder natürlicher Verhältnisse gesellschaftliche Missstände geißeln und moralisch verwerfliche Verhaltensweisen anprangern konnte (b I, 44a, 57–60).4 Eine besondere Ausprägung des mundus inversus bildete das Schlaraffenland (b I, 70; IV, 419),5 auf das der fingierte Druckort des Blattes hinweist. Doch ist die hier dargestellte Welt nicht so sehr das klassische Land des Überflusses und des Müßiggangs als vielmehr ein Nirgendwo, in dem auch andere ungewöhnliche und widernatürliche Dinge passieren. Das Blatt steht damit der satirischen Utopie nahe,6 wie sie etwa François Rabelais (1494–1553) in seinem ‚Gargantua‘ oder Joseph Hall (1574–1656) mit dem ‚Mundus alter et idem‘ verfasst hatten, deren Darstellungen einer idealen Gemeinschaft als Parodie zu lesen sind.7 Die im Flugblatt angesprochenen sozialen Missstände und Laster betreffen die ungleiche Verteilung des Reichtums, die Benachteiligung der Armen, Betrug unter Kaufleuten, Handwerkern und Bauern, Bestechlichkeit, Gottlosigkeit, nationale Klischees (Deutsche als Trinker, Juden als Wucherer) und zwischenmenschliche Beziehungen, besonders das Verhältnis von Mann und Frau. 38

Vnerlogene/ Gewisse/ auch Warhafftige Newe Zeitunge

Knottelbeltz in Schlauraffen (fingiert) 1630 4 Holzschnitte Typendruck in 2 Spalten; 80 Knittelverse 37,1 ! 24,8; 6,8 ! 4,5 (3 Holzschnitte links), 6,8 ! 4,4 (Holzschnitt rechts)

Die utopische Literatur lokalisierte die Wunderoder Wunschorte entweder in einem nicht existierenden Land oder an den Grenzen der bekannten Welt, also dort, wo man glaubte, das irdische Paradies wiederentdecken zu können.8 Zu solchen Orten der Glückseligkeit, aber auch der fantastischen Wunderdinge gehörte seit der Antike Indien,9 dessen traditionelles Bild bis in die Neuzeit u. a. durch John Mandevilles (um 1300–1372) fiktive Reisebeschreibung geprägt wurde10 und das in satirischen Texten des 17. Jahrhunderts wegen seiner Fremdartigkeit als Handlungsort wundersamer Geschichten gewählt wurde. Mit dieser Funktion Indiens erklären sich auch die Holzschnitte des Blattes: Zumindest drei von ihnen stammen aus einem Illustrationszyklus zu Mandevilles Bericht seiner Reise ins Heilige Land und nach Asien und bilden Inselbewohner südlich des indischen Subkontinents ab.11 Über die Gesellschaftskritik und die unterhaltende Funktion hinaus bietet das Blatt auch eine Parodie auf die Neuen Zeitungen, die nicht selten ihre Berichte mit fantastisch anmutenden Einzelheiten ausschmückten.12 Die Aneinanderreihung der ‚Wunder‘ im kommentierten Blatt zielt auf die Sensationsmeldungen der Neuen Zeitungen, die die Neugierde und Wundergläubigkeit ihrer Leser ansprachen, um sie zum Kauf zu bewegen. Die Beteuerung der Glaubwürdigkeit, mit der sich die Neuen Zeitungen gegen den Vorwurf der Übertreibung und Lüge zu schützen suchten, wird hier durch die dreifache Wiederholung überspitzt und karikiert.13 Auch die Figur des Boten, der die angeblichen Nachrichten überbringt, ist eine zwielichtige Gestalt: Zwar scheint sein Hinken auf Zuverlässigkeit der Meldungen hinzuweisen,14 doch wird dieser Hinweis durch die Blindheit des Boten in sein Gegenteil verkehrt. Nicht zuletzt umfasst das satirische Anliegen des Blattes auch das beliebte prophetische Schrifttum (b VII, 66), indem der Text am Ende als Prophecey bezeichnet wird. Das Blatt greift eine frühere Fassung von 1609 auf (Fassung a), die mit demselben Text und unter ähnlichem Titel, aber mit anderen Holzschnitten und mit einem anderen Impressum erschienen ist.

Weitere Standorte: London, BM: 1873.0712.166

Andere Fassungen: a)

Gotha, Forschungsbibliothek: Poes. 8° 3111/c; Nürnberg, GNM: 24943/1292a [Newe Zeitung auß Calecut, 1609]

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ALEXANDER II, 774. SCHILLING: Bildpublizistik, 138 f., Nr. 195.

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Vgl. z. B. Amerigo Vespucci: Diß büchlin saget. Straßburg 1509 (Nachdr. New York 1902); ders.: Mundus Novus. Hg. von E. SARNOW/ K. TRÜBENBACH. Straßburg 1903 (Nachdr. der Ausg. Rostock 1503/4); Hans Staden: Wahrhaftige Historia und Beschreibung einer Landschaft, 1557. Hg. von G. E. TH. BEZZENBERGER. KasselWilhelmshöhe 1978; Münster: Cosmographey. Vgl. z. B. die Darstellung des Kolumbus von Theodor de Bry: Das vierdte Buch Von der neuwen Welt. Frankfurt a. M. 1594 (Nachdr. Dortmund 1977), Tafel 9. Eine Monographie zum Adynaton fehlt, vgl. H. J. SCHEuER: Adynaton. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, I, Darmstadt 1992, Sp. 139–141. Z. B. J. LAFOND/ A. REDONDO (Hgg.): L’image du monde renversé et ses représentations littéraires et paralittéraires de la fin du XVIe siècle au milieu du XVIIe. Paris 1979. W. WuNDERLICH: Das Schlaraffenland in der dt. Sprache u. Literatur. Bibliographischer Überblick u. Forschungsstand. In: Fabula 27 (1986), 54–75. H. HEINEN: Das Schlaraffenland u. die verkehrte Welt als Gegenutopien. In: Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik 43/44 (1995), 241–253. Zuerst Lyon 1532 und 1534; erste deutsche Übersetzung: Johann Fischart: Affenteurliche vnd Vngeheurliche Geschichtschrift Vom Leben … Gargantoa/ vnd Pantagruel. (Straßburg) 1575; Joseph Hall: UTOPIAE PARS II. Mundus alter et idem. Die heutige newe alte Welt. Leipzig 1613 (Nachdr. mit einem Nachwort von H. HÖFENER. Hildesheim 1981). F. GEWECKE: Wie die neue Welt in die alte kam. München 1992, 64–78. J. POESCHEL: Das Märchen vom Schlaraffenlande. In: Beiträge zur Gesch. der dt. Sprache u. Literatur 5 (1878), 289–427. Vgl. u. a. K. RIDDER: Jean de Mandevilles ‚Reisen‘. Studien zur Überlieferungsgeschichte der dt. Übersetzung des Otto von Diemeringen. München 1991; I. M. HIGGINS: Writing East. The ‚Travels‘ of Sir John Mandeville. Philadelphia 1997. Die Illustrationen gehören zu Buch II, Kap. 15 (Hermaphroditen sowie Monoculi, die nur rohes Fleisch und rohen Fisch essen) und zu Buch III, Kap. 10 (Menschen, die vom Duft wilder Äpfel leben). Die genaue Ausgabe, aus der die Holzschnitte stammen, konnte nicht bestimmt werden; vgl. aber die ältere Version der Holzschnitte in der Ausgabe: Von der erfarüng des strengen Ritters johannes von montauille. Straßburg 1507, fol. Hiijr (Monoculi), Hiiijv (Hermaphroditen) und [L5]v (das Paar, das an Äpfeln riecht). Vgl. PH. ROTH: Die neuen Zeitungen in Deutschland im 15. u. 16. Jh. Leipzig 1914. Zu zeitgenössischen Vorwürfen der Lüge und Übertreibung in der Publizistik vgl. SCHILLING: Bildpublizistik, 125–140. Zum hinkenden Boten vgl. RÖHRICH: Redensarten I, 246 f. EP

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F 260

Ort Jahr Bild Text Verleger Format

Das Blatt verspottet die männlichen Wunschträume von Reichtum und schönen Frauen durch die Personifikation des Irrealis ‚hätte‘ (Hett). Im Bildvordergrund hat ein mit gefiedertem Hut, Spitzenkragen, lässig über die Schulter geworfener Mantilla, halblanger, nestelbehangener Hose und spitzengesäumten gespornten Stulpenstiefeln modisch aufgemachter Kavalier seine Rechte besitzergreifend um die Taille der neben ihm stehenden Dame gelegt und mit seiner Linken die Hand seiner Partnerin gefasst. Während er seine Geliebte mit glutvoll schmachtendem Blick anschaut, richtet sie ihre Augen verheißungsvoll auf den Betrachter des Bildes. Die beiden Hauptfiguren stehen auf einer Art von erhöhtem Proszenium,1 auf dem hinter der Dame allerlei Preziosen (Geldbeutel, -säcke, Schuldschein?, Schatztruhe, Geschirr) aufgestellt sind. Auf der hinteren Kante der ‚Vorbühne‘ sitzt ein Mann und zählt sein Geld. Nach hinten öffnet sich die Szene auf einen städtischen Platz, in den mehrere Straßenzüge münden; am linken Rand ist noch das Gemäuer einer Jesuitenkirche auszumachen, während Bäume und eine Laube in der Mitte ein parkähnliches Areal andeuten, in dem man sich allerlei Lustbarkeiten hingibt (Musizieren, Essen, Trinken, Liebesgetändel). Auf dem Platz selbst finden mehrere Begegnungen zwischen Angehörigen beiderlei Geschlechts statt. Dabei werden unterschiedliche Grade der Annäherung vorgeführt. Links vorne geben die deiktisch ausgestreckten Zeigefinger zu erkennen, dass man übereinander und nicht miteinander redet. Vor dem Kirchenportal hält ein verarmter Kavalier zwei vorüberschreitenden Damen in der Hoffnung auf eine milde Gabe seine offene Hand entgegen. Bei den drei Paaren daneben ist die Annäherung schon bis zur Berührung mit den Händen gediehen und so intensiv, dass ein herantretendes Bettlerpaar nicht beachtet wird. Auf der rechten Seite schreitet eine von ihrer Dienerin begleitete Dame durch ein Spalier bewundernder Stutzer. Weiter hinten bleiben zwei Männer- und eine Frauengruppe in deutlicher Distanz zueinander, wenngleich die Handgesten ein wechselseitiges Interesse verraten. In der Straße rechts hinten bringen drei Musikanten ihren Angebeteten ein nächtliches Ständchen. Zwei Texte begleiten den Kupferstich. Die zehn Verse über dem Bild sind dem Herrn im Vordergrund in den Mund gelegt. In Ausrufermanier (Ihr Cavallier Kompt Heran) ruft er seine erotischen Rivalen herbei, um vor ihnen mit seinem Erfolg bei der schöne[n] Hett zu prahlen. Die unteren Verse sind mit der Graphik durch Verweisbuchstaben (A⫺R) verbunden. Dabei ist die Gruppe L⫺R ohne erkennbaren Grund zwischen die Buchstaben E und F geraten. Die Verse werden von den mit den Kennbuchstaben markierten Männern gesprochen. Viele Äußerungen bekun40

Alhier hab Ich die schöne Hett […]

Köln (um 1660) Kupferstich (von Abraham Aubry, † 1682) graviert in 5 und 4 Spalten; 10 und 40 Knittelverse Gerhard Altzenbach (tätig 1609⫺1672) 25,5 ! 37,4

den einen Mangel an Geld, der den Sprechern alle Chancen beim weiblichen Geschlecht raube. Mit dem durch Klammern und Doppelpunkte hervorgehobenen Irrealis ‚hätte‘ (Hett) werden positive Alternativen ausgemalt, ohne dass eine Erfüllung der Wünsche in Sicht wäre. Daher ist auch der Kavalier im Vordergrund mit seiner Werbung um seine Dame keineswegs erfolgreich, sondern nur der Mann mit den größten Illusionen, da es sich bei seiner Geliebten um die Personifikation des Irrealis, eben die schöne Hett, handelt. Mit dem bühnenartigen Tableau, das vorn die Hauptfiguren auf den Betrachter hin ausrichtet und hinten ergänzende Szenen in einem städtischen Ambiente hinzufügt, gleicht der Stich vielen anderen Darstellungen aus dem Verlag Altzenbach. Auch das Layout mit einem einführenden Text und darin eingebettetem Titel über und einem ausführlicheren Text unter der Graphik entspricht der Aufmachung der Altzenbachschen Blätter ebenso wie die Gravur der Texte auf einem stilisierten, am Rand aufgerollten Papierstreifen in der Tradition mittelalterlicher Tituli (b IV, 41; IX, 42, 47).2 Die Themen ‚Geld‘ und ‚Liebe‘ waren in der Bildpublizistik um die Mitte des 17. Jahrhunderts sowohl jedes für sich als auch in Kombination sehr beliebt.3 Altzenbach nahm sich der Themen gleichfalls auf vielen Flugblättern an. So gab er eine Serie von vier Drucken heraus, in denen er den Ablauf von leichtfertiger Kreditaufnahme bis zu Zwangsvollstreckung und Schuldturm darstellte.4 Andere Blätter des Kölner Verlages behandeln die erotischen Wünsche der Frauen (b IX, 42) und die Schwierigkeiten der Partnerwahl unter dem Motto ‚Katz im Sack‘5 oder verspotten Heiratsunwillige beiderlei Geschlechts.6 Die Liebe in den verschiedenen Lebensaltern wird auf einem weiteren Stich Altzenbachs behandelt7 und berührt sich mit dem vorliegenden Blatt, weil das dortige zweite Paar die unmittelbare Bildvorlage für Frau Hett und ihren Galan abgegeben hat, die sich nur in Kleinigkeiten wie einigen modischen Neuerungen von ihrer Vorgabe unterscheiden. Der bekannteste Fall, in dem ein Wort personifiziert wird, ist der ‚Niemand‘ (b I, 48 f.; IV, 10; IX, 61). Eine Personifikation des Irrealis ‚hätte‘ ist sonst nicht belegt, ebenso wenig wie ein denkbares männliches Pendant (‚Herr Wäre‘).

Weitere Standorte:

Andere Fassungen:

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Zum bühnenartigen Bildaufbau auf Flugblättern vgl. F. GABAuDE: Bildliche u. bühnenbildliche Rhetorik für „Anseher“ in den illustrierten Flugblättern des 17. Jhs. In: M. CuRSCHMANN u. a. (Hgg.): Germanistik im Konflikt der Kulturen. Bd. 7: Bild, Rede, Schrift. Bern u. a. 2008, 41⫺48; SCHILLING: Flugblatt und Drama, 260 f. BRÜCKNER: Druckgraphik, Abb. 83⫺85; Flugblätter Magdeburg, Nr. 33 f., 40. HAMPE: Fürst, Nr. 266⫺270, 315; HAMPE: Ergänzungen, Nr. 408⫺414; PELC: Theatrum, 31⫺41. KuNZLE: Comic Strip, 214⫺216; vgl. Flugblätter Magdeburg, Nr. 33 f. DIEDERICHS, Abb. 1114. BRÜCKNER: Druckgraphik, Abb. 84. Flugblätter Magdeburg, Nr. 40. MSch

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IX, 22

F 34

Ort Jahr Bild Text Verleger Format

Das Flugblatt kritisiert mittels einer Geldverteilungsszene die Hoffnung auf schnellen Reichtum. Das Zentrum der Radierung, zu dem das Auge des Betrachters durch die perspektivische Linienführung des gefelderten Fußbodens geleitet wird, bildet eine Geldverteilungsszene. Inmitten von herannahenden Vertretern verschiedener Stände und Berufsgruppen sitzt der Geldverteiler an einem Tisch, auf und vor dem Geld liegt. Von beiden Seiten drängen Edelmann, Kaufleute, Handwerker (mit Schürze und Hammer), Gastwirt, Landsknecht (mit Hellebarde), Bettler (mit Krücke und Bettelnapf), Trinker (mit Schachbrett und Trinkpokal), Bote (mit Botenspieß) und Bauer (mit Forke) heran. Die Bogenöffnungen in der Fassade geben einen Ausblick auf die Landschaft im Hintergrund. Hier werden die Fahrt des Geldverteilers zur Stadt und seine erste Begegnung mit einem Reiter abgebildet. Das Fiktive der Geldverteilungsszene offenbart sich durch einen hinter dem Geldverteiler stehenden Narren (mit Narrenkappe und -kolben), der die Arme über Geldverteiler und seine Klientel ausgebreitet hält und durch seine Blickrichtung auch den Betrachter einbezieht. Im Eingangstext teilt der Geldverteiler den Grund für seine Ankunft in der Stadt mit. Der Haupttext ist in Form von knappen Dialogen gestaltet. Den Anfang macht das Zusammentreffen des Geldverteilers mit einem Reiter, der sein Recht auf Geld gewaltsam einfordern will. Diese Verse korrespondieren mit dem Hintergrund der Radierung. Der Reiter wird vom Geldverteiler eingeladen, am anderen Tag in die Stadt zu kommen und dort Geld zu empfangen. In den folgenden Dialogen verlangen elf weitere Vertreter verschiedener Berufsgruppen vom Geldverteiler ihren Anteil. Dieser verschenkt jedoch nicht den in der Abbildung vor seinem Tisch liegenden Reichtum, sondern gibt seiner Klientel Hinweise zum Erwerb und zur Vermehrung ihres Vermögens. Diese Ratschläge beruhen auf moralischen und ökonomischen Tugenden und lassen erkennen, dass mit Ausnahme des Bettlers jeder für sein eigenes Wohlleben Sorge tragen kann. So erhält z. B. der Edelmann vom Geldverteiler den Rat, weniger verschwenderisch hauszuhalten, die Kaufleute sollen für einen risikoarmen Handel sorgen. Die produzierenden Stände sollen Fleiß, Gottvertrauen und Geschick ohne sinnloses Geldausgeben beweisen. Die Landsknechte, Spieler und Trinker werden vom Geldbringer aufgerufen, einen Beruf auszuüben. Dem Bettler aber wird zumindest ein Anrecht auf Geldzuwendung bescheinigt. Der Narr spricht im Text die letzten Worte und fragt die Bittsteller ironisch nach dem erhofften, aber nicht erlangten Reichtum. Der Text erinnert in seinem Aufbau an ein Fastnachtspiel, in dem die Stände und Berufsgruppen 42

Juch Hoscha/ der mit dem Geld ist kommen.

Straßburg 1625 Radierung Typendruck in 4 Spalten; 65 Knittelverse J. B. (Isaak Brun, nachweisbar 1590–1627)1 32,4 ! 36,4; 18,0 ! 35,0

dem Spott des Publikums ausgeliefert werden. Der Bezug zu Ständesatire und Fastnachtspiel wird inhaltlich durch die Kritik am Aufstiegsstreben2 und formal durch die Dialogstruktur des Textes und das revueartige Auftreten der Personen hergestellt.3 Das Flugblatt greift sowohl künstlerisch als auch thematisch auf Vorbilder aus dem 16. Jahrhundert zurück. Bei Nikolaus Waldt (1583–1595) in Straßburg erschien 1587 ein Einblattdruck mit koloriertem Holzschnitt, an dessen rechtem Rand eine Bühne abgebildet ist, auf welcher der Geldverteiler, ein Narr, ein Ausrufer mit Trompete und ein Bettler zu sehen sind (Fassung a). Die herbeigerufene Kundschaft strömt, so scheint es, aus allen Gegenden zum Geldverteiler, um ihren Anteil vom Geld zu empfangen. Ein ebenfalls kolorierter Holzschnitt auf einem Blatt des Nürnberger Formschneiders Lucas Mayer (1567–1610), das sich zeitlich zwischen die Blätter von 1587 und 1625 einordnen lässt, zeigt den Geldverteiler bereits im Zentrum des Flugblattes (Fassung b). Die Radierung aus dem Jahre 1625 orientiert sich an der Vorlage Mayers, indem sie den Geldverteiler im Zentrum der Abbildung anordnet, unterstützt dies aber nun vor allem durch die Perspektive, die durch die Bodenlinien hervorgehoben wird, und einen symmetrischen Aufbau der Szene.4 Trotz einiger Unterschiede in der Strukturierung der Illustrationen kritisieren alle Vorlagen das Fehlverhalten der geldverlangenden Personen satirisch durch einen Narren. Eine weitere Gemeinsamkeit besteht in der fast völligen Übereinstimmung des Textes, der lediglich im Blatt von 1625 um das Zusammentreffen von Geldverteiler und Reiter erweitert wurde. Die Utopie vom schnellen Reichtum verleiht zum einen der voranschreitenden Geldwirtschaft Ausdruck und zum anderen einer positiven Einstellung der Menschen zum Geld, das sowohl als Notwendigkeit angesehen wurde als auch als Mittel zur Befriedigung von Grundbedürfnissen und Vergnügungen. Die hier kritisierten Vertreter der Stände und Berufsgruppen werden vom Geldverteiler zu Fleiß, Ehrlichkeit, Enthaltsamkeit und Gottvertrauen ermahnt, erhalten also eine Richtlinie entlang bürgerlicher Werte. Das Mittel der Satire erleichtert dem Betrachter das Einnehmen einer positiven Haltung gegenüber der bürgerlichen Rationalität.5 Die Thematik des Geldbringens begegnet auch in anderen Formen der Utopie vom mühelosen Gelderwerb, so z. B. als Goldesel (b I, 52)6 oder als Geldkarren (b I, 157).

Weitere Standorte: Braunschweig, HAUM: FB V; Nürnberg, GNM: 23563/ 1293

Andere Fassungen: a)

Berlin, SBPK: YA 2151 m [Straßburg: Nikolaus Waldt 1587; Holzschnitt] Berlin, KK: Lucas Mayer, 38–19557 [Nürnberg: Lucas Mayer o.J.; Holzschnitt]

b)

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HIRTH III, 1657. COuPE II, Nr. 235. GOER: ‚Gelt‘, 172–179, 339–341, Abb. 21b. SCHILLING: Bildpublizistik, 65 f. mit Abb. 25. PAAS IV, P-1056. NAGLER: Monogrammisten, III, 822, Nr. 1980. B. PLATE: Narren- u. Ständesatire in Heinrich Wittenwilers Ring. In: DVjs 48 (1974), 47–71. E. CATHOLY: Das dt. Lustspiel. Vom Mittelalter bis zum Ende der Barockzeit. Stuttgart u. a. 1969, 24–33. SCHILLING: Bildpublizistik, 65 f. GOER: ‚Gelt‘, 240–244. Flugblätter Magdeburg, Nr. 35. PAAS IV, PA-224. AR

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F 1137

Ort Jahr Bild Text Drucker Format

In einer Revue präsentiert das Blatt Angehörige gesellschaftlicher Randgruppen (Bettler, Juden, Zigeuner, Fahrende, Räuber), aber auch Geistliche, Bürgerinnen und Bauern, die sich in kleinen Dialogen moralisch diskreditieren. Die Holzschnitte sind in zwei Reihen angeordnet und zeigen 28 Personen, die sich paarweise einander zuwenden. Den Auftakt machen links oben zwei an ihren Kappen kenntliche Narren (1). Es folgen zwei vagierende Geistliche (2), zwei verheiratete Frauen (3, mit Hauben), zwei unverheiratete Mädchen (4, mit Kränzen), zwei Mägde (5, mit Einkaufskorb und Fürtuch) und zwei bewaffnete Reiter (6, mit Sporen). Den Abschluss der oberen Reihe bilden zwei Bauern (7) mit Kappe bzw. Kopftuch und kurzer Wehr; Wanderstock und über die Schulter geworfene Säcke deuten an, dass sie sich auf dem Weg zum Markt befinden. Die zweite Reihe eröffnen zwei Zigeunerpaare, deren großgemusterte, farbenfrohe Kleidung ihnen ein exotisches Äußeres verleiht, das durch die Krummschwerter der Männer (8) noch unterstrichen wird; die Frauen (9) halten je ein kleines Kind auf dem Arm, um beim Betteln besser an das Mitgefühl der Vorübergehenden appellieren zu können. Zwei mit Pelerinen und breitkrempigen Hüten bekleidete Pilger (10) mit Pilgertasche und -stöcken schließen sich an. Zwei Männer, die ihre Hand zum Betteln ausgestreckt halten und ihre mitleidweckende Gebrechlichkeit durch Krücken zur Schau stellen, bilden das mittlere Paar (11). Es folgen zwei Juden (12, mit Judenring auf dem Umhang), von denen der Linke möglicherweise an den Fingern etwas abzählt (computusGestus) und so sein Geschäft des Geldverleihs andeutet. Die beiden anschließenden Spielleute (13) sind durch ihre Hüte mit der langen Feder und ihre Flöten gekennzeichnet. Den Abschluss des Reigens bildet ein (Wander-)Arzt, der sich durch seinen Habit als Gelehrter ausweisen möchte und mit einem Gehilfen spricht (14). Die Texte sind den abgebildeten Figuren in den Mund gelegt und so gesetzt, dass sie in einem achtzeiligen Schriftblock über der zugehörigen Person stehen. Dabei ergeben sich kleine Dialoge zwischen den einander zugeordneten Figuren. Die beiden Narren (1) am Beginn fungieren als Prologsprecher, indem sie mit ihren Fragen die Aufmerksamkeit des Publikums auf die folgende gsamlet schar des Seltzame[n] volcks lenken. Die anschließenden Dialoge dekuvrieren ihre Sprecher, die zumeist gesellschaftlichen Randgruppen angehören, als moralisch anfechtbare und sogar kriminelle Personen. Die beiden Geistlichen (2) renommieren mit ihren lateinischen Brocken, Fremdwörtern und römischen Beziehungen und klagen über die hohen Kosten, die ihnen ihre Curtisan verursachten. Die Ehefrauen (3) beklagen sich über die sexuelle Inaktivität ihrer Männer und sehen sich deswegen nach potenterem Ersatz um (jr reysent vber felt). Die Mädchen (4) unterhalten sich über eine ungewollte Schwangerschaft, 44

Sihe lieben Henn von wannen [Inc.]

(Worms) (1522) 28 kolorierte Holzschnitte Typendruck in 2 ! 14 und 4 Spalten; 28 ! 4 und 14 Knittelverse Peter Schöffer d. J. (tätig 1512⫺1547) 27,5 ! 53,0; 7,2 ! 2,8 (Durchschnittswert für die Holzschnitte)

die von einer Vergewaltigung durch einen junge[n] pfaff herrühre. Die Mägde (5) bedienen das Klischee der Geschwätzigkeit des Gesindes (b I, 145, 147),1 während sich die anschließenden Reiter (6) als dem Wein zugetane Straßenräuber herausstellen, die ihren nächsten Überfall verabreden. Die Bauern (7) auf dem Weg zum städtischen Markt erwarten guten Profit durch den Verkauf ihres minderwertigen Käses. Die Zigeuner (8) bekennen sich als Diebe und Rosstäuscher, ihre Frauen als Wahrsagerinnen und kräuterkundige Viehheilerinnen; alle vier Äußerungen sind durch sprachliche Fehler gekennzeichnet. Die beiden (Jakobs-)Pilger (10) tauschen sich über die Weinpreise in Spanien und Frankreich aus. Die Bettler mit den vorgetäuschten Krankheiten (11, klenckner; dützer) klagen über den ‚Liber Vagatorum‘, der ihre Betrügereien aufgedeckt habe. Während der eine Jude sich über die christliche Konkurrenz beim Geldverleih beschwert, rät der andere, sich taufen zu lassen und als Arzt zu betätigen (12). Als der eine Spielmann verzagen will, weil er nit kann werden reich, ermuntert der andere ihn, sich mit Unterhaltungskünsten (zuo schimpff) zu ernähren (13). Im letzten Dialog verabreden sich ein Quacksalber und ein Diener, den Herren des Dieners finanziell zu schröpfen und den Gewinn zu teilen (14). Im ironischen Epilog rät der Verkäufer des Blattes seinem Publikum, dem es vielleicht an einschlägigem hoffgesind mangele, sich auf der Frankfurter Messe umzuschauen, wo manch wunderlich vnd seltzams bluot zu finden sei. Alle, die aber keine Gelegenheit hätten, nach Frankfurt zu reisen, sollten lieber das gesind auf dem vorliegenden Blatt erwerben, um ein angemessenes Gefolge zu erhalten.

Die Revue-Form des Blattes steht den Narrensatiren Sebastian Brants (1457⫺1521) oder Thomas Murners (1475⫺1537) nahe, berührt sich aber vor allem mit der Reihenform des Fastnachtspiels, wenn die Narren (1) die Aufgabe des Praecursors übernehmen und der Ich-Sprecher am Ende als Ausschreier fungiert.5 In der Bildpublizistik steht dem Blatt ein Einblattdruck von Hans Guldenmund d. Ä. (nachweisbar seit 1518, † 1560) mit Holzschnitten von Barthel Beham (1502⫺1540) am nächsten, auf dem zwölf Bettler beiderlei Geschlechts die meist selbstverschuldeten Ursachen ihrer Armut bekennen.6 Auch die im 16. Jahrhundert so beliebten Landsknecht-Serien mit ihrer Mischung aus Faszination und Distanzierung gehören in das weitere Umfeld des vorliegenden Blatts,7 das auf die gesellschaftlichen Entwicklungen des protestantischen Arbeitsethos wie auch der generellen Sozialdisziplinierung mit ihrer zunehmenden Kriminalisierung von Randgruppen zurückverweist.

In der Forschung wurde das Blatt auf „1512“ bzw. „um 1516“ datiert. Im ersten Fall war die Erwähnung des 1510 zuerst erschienenen ‚Liber Vagatorum‘ ausschlaggebend,2 im anderen die Wiederverwendung von zwei Holzschnitten auf einem Flugblatt, das Johannes Reuchlin (1455⫺1522) würdigt.3 In beiden Fällen wurde außer Acht gelassen, dass die Formulierung Die Curtisan mich fressen schir (2) eine Anspielung auf den 1522 in fünf verschiedenen Ausgaben gedruckten ‚Curtisan vnd pfrunden fresser‘ ist und dass die von dem unverheirateten Mädchen (4) beklagte Vergewaltigung durch einen junge[n] pfaff eher in die antirömische Polemik der Reformation gegen den Zölibat als zur schwankhaften Figur des lüsternen Pfaffen im Spätmittelalter passt. Die Anführung des ‚Liber Vagatorum‘ muss sich im Übrigen nicht auf die Erstausgabe beziehen, zumal wenn man berücksichtigt, dass Schöffer selbst einen Nachdruck veranstaltet hat.4 Und auch wenn das Reuchlin-Blatt kein Epicedium bietet, ist gut denkbar, dass es 1522 anlässlich des Todes des Humanisten noch einmal an die berühmte Fehde mit Johannes Pfefferkorn (1469⫺1521) erinnern wollte, so dass sich insgesamt eine spätere Datierung des vorliegenden Blattes in die Wormser Jahre Schöffers ergibt.

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Weitere Standorte: Andere Fassungen: a)

Austin, HRHRC: Popular Imagery Collection, Nr. 345.01⫺09 [Probeabzüge der Holzschnitte; Paare 1 f., 6, 10 f. fehlen]

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WÄSCHER, 5. J. BENZING: Ein Frankfurter Messeflugblatt von Peter Schöffer d. J. In: Archiv f. Frankfurts Gesch. u. Kunst 53 (1973), 41⫺48. H. ROSENFELD: ‚Die acht Schalkheiten‘, ‚Die sechzehn Schalkheiten‘ u. Peter Schöffers ‚Schalksgesinde auf der Frankfurter Messe‘. Bilderbogen u. Flugblätter aus dem Bereich des Fastnachtspiels. In: Gutenberg-Jb. 1981, 193⫺206. DERS.: Schalksgesinde auf der Frankfurter Messe. In: ²VL 8 (1992), Sp. 596⫺598. Güter dieser Welt, Nr. 15.

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P. HOLENSTEIN/ N. SCHINDLER: Geschwätzgeschichte(n). Ein kulturhistorisches Plädoyer für die Rehabilitierung der unkontrollierten Rede. In: R. VAN DÜLMEN (Hg.): Dynamik der Tradition. Studien zur historischen Kulturforschung. Frankfurt a. M. 1992, 41⫺108. ROSENFELD: Schalkheiten, 204. BENZING: Messeflugblatt, 46 f.; zum Reuchlin-Blatt vgl. J. FICKER: Das Bildnis Reuchlins. In: Zs. f. Gesch. des Oberrheins N.F. 37 (1922), 276⫺294, hier 283 f. F. SCHANZE: Die älteren Drucke des Liber vagatorum. In: Gutenberg-Jb. 1995, 143⫺150, hier 147, Nr. 11, datiert diesen Druck „um 1515“; es spricht aber m. E. nichts gegen eine spätere Datierung um 1520. Auf jeden Fall kann man die Nennung des Titels auf dem Blatt als Verlagswerbung ansehen. Vgl. ROSENFELD: Schalkheiten, 201; weitere Beispiele für eine Interdependenz von Flugblatt und Fastnachtspiel bei SCHILLING: Flugblatt und Drama, 251 f., 254. Fliegende Blätter, Nr. 365; ein späterer Nachdruck bei BRÜCKNER: Druckgraphik, Abb. 45. Vgl. H. IRLER: Heroisierung – Ironisierung – Verspottung. Landsknechtflugblätter u. ihr historischer Erkenntniswert. In: HARMS/ MESSERLI: Wahrnehmungsgeschichte, 85⫺108; H. BLOSEN/ H. PORS (Hgg.): Landsknechte bei Hans Sachs. Alte u. neue Landsknechtstexte auf Einblattdrucken mit Holzschnitten. Berlin 2016 (dazu die Rezension in: arbitrium 34, 2016, 163–165). MSch

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IX, 24

F 723

Ort Jahr Bild Text Format

Mit seinen Ausführungen zu Gerechtigkeit und Richteramt bietet sich das Blatt als Wandschmuck für Gerichtsstuben an und erfüllt Funktionen wie die in aufwendigeren Techniken gemalten Gerechtigkeitsdarstellungen in größeren Rathäusern. Der erste der beiden Holzschnitte zeigt eine Waage, auf der fünf Personen, die fünf Dialogpartner aus dem oberen und seitlichen Text, platziert wurden: In der Mitte thront ein Richter mit dem Schwert der Gerechtigkeit in der Hand; vom rechten und linken Rand des Stegs wenden sich ihm ein Bauer und ein Amptman zu, der ihm eine Hand (mit einem Geldbeutel) entgegenstreckt. Auf den Schalen stehen ein Ritter und der auf ihn zielende Tod. Der kleine Holzschnitt unten rechts stellt die Personifikation der Justitia als Frau mit den typischen Attributen dar: der Waage und dem Schwert. Die ersten vier Strophen sind auf das Bild und aufeinander bezogen, ohne jedoch einen Dialog zu bilden. Nachdem der Richter allgemein eine in Gott gegründete Rechtsprechung als Pflicht anpreist, legt der Amptman seine Klage gegen die ungehorsamen Bauern vor und bietet dem Richter für ein Urteil zu seinen Gunsten Geld an. Auf die Aussage des Richters, der die Bestechung als rechtswidrig ablehnt, folgt eine verallgemeinernde Klage des Bauern über die Macht der Reichen über die Armen. Zu den Seiten des Holzschnitts ist ein Dialog zwischen Tod und Kriegßman gedruckt, wie man ihn aus der Gattung des Totentanzes kennt.1 Die beiden darunter gesetzten Strophen rechts und links des Bildes sind als Aussagen der Klugheit (PRuDENTIA) und der Gerechtigkeit (AD IVDICES) konzipiert, mit denen sie sich an die Rechtsdiener wenden und sie zum klugen und abgewogenen Verfahren nach Recht und Gesetz ermahnen. Im Haupttext werden in vier nummerierten Abschnitten die Frage nach dem Ursprung der Obrigkeit, ihre Aufgaben, ihre Handlungsweise und die Pflichten der Untertanen ihr gegenüber besprochen. Im ersten Abschnitt bekräftigt eine Reihe von Beispielen aus der Bibel den göttlichen Ursprung der Obrigkeit. Die Frage nach der Legitimität der Obrigkeit im zweiten Abschnitt beantwortet der Text mit einer Liste der durch sie geahndeten Vergehen und Verbrechen, deren Bestrafung Gott mit Wohlstand belohne. Im dritten Abschnitt werden die Rechtsprecher unter Bezug auf die Ausgewogenheit der Waagschalen auf die Gleichheit aller Parteien vor dem Gesetz hingewiesen und vor jeder Form der Bestechung gewarnt; auch hier steht Gott als die höchste Instanz über dem Richter. Würden die als Gehorsam und Ehre begriffenen Pflichten gegenüber der von Gott eingesetzten Obrigkeit verletzt, so drohten Strafen auf Erden wie im Jenseits, was mit Bei46

Memorial Zedel/ so in allen Gericht

1620 2 Holzschnitte Typendruck in 4, 2 und 4 Spalten; 276 Knittelverse von Albertus Sartorius bzw. Albrecht Sartor (Lebensdaten unbekannt) 55,0 ! 26,0; 10,3 ! 7,5 (Mitte), 7,4 ! 4,4 (rechts)

spielen aus der Bibel und der zeitgenössischen Geschichte (niedergeschlagene Aufstände der Bauern) im vierten Abschnitt illustriert wird. In dem in sich geschlossenen Text unter der JustitiaAbbildung wird die bekannte Rechtslegende über den König Kambyses erzählt, der den bestechlichen Richter Sisamnes töten und häuten ließ. Als neuer Richter musste dessen Sohn Otanes auf dem mit der abgezogenen Haut seines Vaters verkleideten Stuhl sitzen. Wenngleich als eine Gelegenheitsschrift konzipiert, und in seiner ersten Fassung als Neujahrsschrift bzw. Gabe zur Konstituierung des Stadtrates in Regensburg an einen konkreten Adressaten gerichtet, beansprucht das Blatt allgemeine Gültigkeit, indem es bekannte Motive in bewährter Weise zusammensetzt. Das Lob der Adressaten wurde im Bild des ehrlichen Richters und in der Betonung der Wichtigkeit und Würde eines Rechtssprechers realisiert. Ein so konstruiertes Bild ist immer auch als Mahnung an den Adressaten zu lesen, dem so entworfenen Ideal gerecht zu werden. Diese Allgemeingültigkeit, die Form und das Thema der Schrift machten einen offiziösen Eindruck und erhöhten somit die Verkaufschancen bei Privatpersonen, aber auch in öffentlichen Institutionen wie dem Rathaus. Offensichtlich war der Bedarf an dieser Art Schrifttum groß.2 Es konnte in kleineren Ämtern das ersetzten, was in großen Rathäusern wie in Nürnberg, Augsburg, Lüneburg oder Basel die gemalten Gerechtigkeitsbilder3 an Wänden und Decken mit Darstellungen des Jüngsten Gerichts, des salomonischen Urteils (b II, 71) und anderen einschlägigen biblischen und antiken Szenen sowie Justitia-Darstellungen leisten sollten,4 oder aber dort diese ergänzen wie eben in Regensburg.5 Sie sollten nämlich an die Unverletzlichkeit des Ortes und an die gesicherte Autorität der hier waltenden Obrigkeit erinnern, sie drohten dem Gesetzbrecher und sollten vor allen Dingen dem Richter sein ernstes Amt begreiflich machen, ihn vor Übereilung, ungerechtem Urteil und Parteilichkeit warnen.6

Eine besonders drastische Warnung an die Richter vor Bestechlichkeit war die oft gemalte oder, wie bei Sartorius, erzählte klassische Rechtslegende über das Urteil des Kambyses.7 Das Motiv der Korruption bzw. Parteilichkeit, eines immer wieder beklagten Lasters der Amtsträger,8 durchzieht den ganzen Text und wird auch im geläufigen Bild des Armen und des Reichen vor dem Richter9 explizit vor Augen geführt. Sartorius hat in Bild und Text das verbreitete Verfahren der Kompilation angewandt: Die knappen Grafiken versammeln sonst bekannte, leicht identifizierbare Versatzstücke zum Thema Rechtsprechung, wie die Waage,10 die Gestalt des Richters11 und die Figur der Justitia;12 im Text wurden die Aussagen des Richters, des Todes und des Kriegsmanns in der Dialogpartie aus Sätzen konstruiert, die sich in Beischriften

zum Baseler Totentanz finden und ihrerseits wohl auf ältere Vorlagen zurückgehen.13

Weitere Standorte:

Andere Fassungen: a) b)

Erlangen, UB: A II 4 [das Bild der Justitia fehlt; datiert M.DC.IIX] ehem. Privatbesitz, Wien14 [Widmung an die Kammerund Ratsherren der Stadt Regensburg; 1609]

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PAAS III, P-560.

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Vgl. SCHILLING: Bildpublizistik, 56. Vgl. z. B. Spiegel der Gerechtigkeit. Augsburg 1597; Ulrich Münderlein: SPECULUM MAGISTRATUS. Das ist/ Spiegel der Weltlichen Oberkeit. Ulm 1611; Memorial zettel/ so in allen Raht vnd GerichtStuben mag für gestellet werden (o.O.u.J.) [Braunschweig, HAUM: FB 3.II], davon eine Fassung ohne Holzschnitt bei STRAuSS 556, b I, 14. W. PLEISER/ W. SCHILD (Hgg.): Recht u. Gerechtigkeit im Spiegel der europäischen Kunst. Köln 1988, 86–171. U. LEDERLE: Gerechtigkeitsdarstellungen in dt. u. niederländischen Rathäusern. Philippsburg 1937; SCHARFE: Andachtsbilder, 96 f.; W. SCHILD: Bilder von Recht u. Gerechtigkeit. Köln 1995, 181–183; S. TIPTON: Res publica bene ordinata. Regentenspiegel u. Bilder vom guten Regiment. Rathausdekorationen in der Frühen Neuzeit. Hildesheim u. a. 1996. Zur bildlichen Ausstattung des Regensburger Rathauses vgl. TIPTON: Res publica, 402–408 mit Abb. 28 f., 148– 153. LEDERLE: Gerechtigkeitsdarstellungen, 3. Zu Überlieferung, Verbreitung und Funktion des Motivs in Text und Bild vgl. H. VAN DE VELDEN: Cambyses for Example. In: Simiolus 23 (1995), 5–39; V. GROEBNER: Gefährliche Geschenke. Rituale, Politik u. die Sprache der Korruption in der Eidgenossenschaft im späten Mittelalter u. am Beginn der Neuzeit. Konstanz 2000, 139– 141; SCHARFE: Andachtsbilder, 96 f. Zur zeitgenössischen Kritik vgl. z. B. Friedrich von Spee: Cautio criminalis. Rinteln 1631, 8. Frage; F. HEINEMANN: Der Richter u. die Rechtsgelehrten. Justiz in früheren Zeiten. Leipzig 1900 (Nachdr. Düsseldorf/ Köln 2 1976), 57–59, Abb. 55 f., 77. Allgemein zum Thema GROEBNER: Gefährliche Geschenke. Vgl. z. B. eine solche Gerichtsdarstellung als Holzschnitzwerk bei O. R. KISSEL: Die Justitia. Reflexionen über ein Symbol u. seine Darstellung in der bildenden Kunst. München 1984, 114 f., Abb. 95; die Darstellung des Richters und des Fürsprächs im Totentanz von Holbein (HEINEMANN: Richter, Abb. 78 f.). SCHILD: Bilder von Recht, 181–183. G. KOCHER: Zeichen und Symbole des Rechts. Eine historische Ikonographie. München 1992, 140–142. Derselbe Holzschnitt findet sich auf dem früheren undatierten ‚Memorial zettel‘ (wie Anm. 1). Zur Bildlichkeit der Justitia vgl. KISSEL: Justitia; PLEISER/ SCHILD: Recht u. Gerechtigkeit, vor allem 126–129. Huldrich Frölich: Der Hochloblichen vnd weitberümpten Statt Basel kurtze/ aber nutzliche Beschreibung. Basel 1608, 50, 53, 60 f., 82, 85, 87. WELLER: Annalen, II, 475. EP

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F 1088

Ort Jahr Bild Text Verleger Drucker Format Zustand

Die ‚Allegorie des Handels‘ ist die wohl bekannteste Darstellung des kaufmännischen Lebens im späten 16. Jahrhundert.1 Sie stellt in geschlossener, enzyklopädisch anmutender Weise die äußeren und inneren Formen sowie eine Legitimierung des Groß- und Fernhandels ihrer Zeit vor. Mit der Verbindung von Bild und Text werden das Selbstverständnis der Kaufleute sowie die Eigenart ihrer Tätigkeit dargestellt bis hin zur Umschreibung der Inhalte der Berufsausübung; hierbei kommt der Buchführung eine herausragende Bedeutung zu. Mit seiner graphischen Gestaltung und den in Versform gesetzten Erläuterungen diente das Blatt zugleich als lehrhaftes Anschauungsmedium. Die Ausführung des Blattes innerhalb des Rahmentextes ist eine Komposition bildlicher Darstellungen und ihnen zugeordneter, in Versform gefasster Textteile. Die Darstellungsweise ordnet in der Vertikalen die Sinngebung der kaufmännischen Tätigkeit, die Quellen des Berufserfolgs sowie die Eigenart kaufmännischen Handelns einander zu und vermittelt somit der profanen Kaufmannspraxis einen metaphysischen Gehalt. Im oberen Bilddrittel dominiert die Gestalt des Mercurius, Gott des Handels und der Gewerbe; er hält den Blick abwärts gerichtet, in seiner Rechten die Spindel einer gleicharmigen Balkenwaage, welche das Bildfeld beherrscht und die kaufmännische Bilanz mit Debitoren und Kreditoren symbolisiert, mithin die rechnerische Dokumentation und Zuordnung von Aktiva und Passiva als Maßstab des Erfolgs der kaufmännischen Tätigkeit. Ikonographisch wird damit das Ergebnis des Kaufmannshandelns dem Einfluss übergeordneter Kräfte zugewiesen; dabei ist die heidnische Symbolik des Mercurius aus der kaufmännischen Tradition gewählt; eine christliche Versinnbildlichung dieses metaphysischen Bezuges wäre infolge der problematischen Beurteilung der kaufmännischen Tätigkeit durch die christliche Dogmatik2 zweifelhaft erschienen. Im Zentrum des mittleren Bildteils befindet sich ein Brunnen, dessen zentrale Säule von einer geflügelten Weltkugel gekrönt ist, auf der sich wiederum aufwärts die dem Mercurius entgegengerichtete Figur der Fortuna/Occasio befindet, Ausdruck der entschlossenen Chancenverwertung, aber auch der Unwägbarkeit des Geschäftserfolgs. Der Brunnen, getragen von vier Putten als Veranschaulichung der Elemente Wasser, Luft, Erde und Feuer, symbolisiert zugleich die Quellen dieses Erfolgs, sichtbar an den Aufschriften des äußeren Beckenrandes u. a. mit der lateinischen Benennung von Handelswaren: Metalla, Aromata, Clinodia etc. Im Umfeld der Brunnendarstellung wird der Makrokosmos der Kaufmannstätigkeit ausgebreitet: Am Horizont die Stadt Antwerpen, davor die von Segelschiffen befahrene Schelde, den Seehandel symbolisierend, hiervor wiederum, eingebettet in eine hügelige Landschaft, der Land48

[Aigentliche abbildung deß gantzen gewerbs …]

(Augsburg) (1585) Holzschnitt von 6 Stöcken (von Jost Amman, 1539⫺1591) Typendruck; Knittelverse (von Caspar Brinner, † 1610) (Wilhelm Peter Zimmermann?, um 1568⫺um 1630) (Johann Schultes d. Ä.?, 1548⫺1619) [108,5 ! 73,2; 88,2 ! 60,3] Fragment; Ergänzungen nach Fassung a

handel mit Szenen aus dem Handelsleben, vereinzelten Gewerben, schließlich Verpackung, Transport und Verkauf der Handelswaren. Im unteren Bilddrittel des Holzschnitts, der Basis der ‚Allegorie‘ und des kaufmännischen Geschäftserfolgs gleichermaßen, erschließt sich der Mikrokosmos des Kaufmannslebens: Hier finden sich Kontor- und Gewölbeszenen, die Darstellung von Geschäftsbesprechungen, des Kassenraums, des Abwiegens, Verpackens, Verschnürens und Verladens von Handelswaren – versehen mit den Handelsmarken , schließlich die mehrfache Repräsentation der Schriftlichkeit des Geschäftsbetriebes durch Geschäftsbriefe, Kassenaufzeichnungen und das Buchhalten in unterschiedlichen Kaufmannsbüchern. Besonders die wiederholte und sachlich differente Darstellung von Verschriftungsvorgängen spiegelt ein dominantes Merkmal der kaufmännischen Berufsausübung; deren Schriftlichkeit hatte mit der beginnenden Sesshaftigkeit der vormals wandernden Groß- und Außenhändler ab der Mitte des 13. Jahrhunderts Eingang in den kaufmännischen Geschäftsbetrieb gefunden3 und infolge der hierauf einsetzenden Intensivierung eine systematische Rechnungslegung erforderlich gemacht.4 So werden im Unterschied zu dem mittleren Bildfeld, das die äußeren Formen kaufmännischer Tätigkeit wiedergibt, hier deren Wesensmerkmale in den zur Berufsausübung erforderlichen Kenntnissen und Fertigkeiten inhaltlich fixiert: Lesen und Schreiben, berufsbezogenes Rechnen, doppelte Buchführung, daneben die Kenntnis der Handelswaren, der Handelstechnik (gezeigt im Bild von Verhandlungen zwischen Handelspartnern), der regionalen Handelsusancen (vorgeführt im Bild verschiedener Handelsorte und -regionen) und schließlich – mit der Darstellung fremdländischer Kaufleute und einem entsprechendem Begleittext – die Beherrschung fremder Sprachen.5 Der spezifisch kaufmännische Sozialcharakter findet in drei Personifikationen seinen Ausdruck: Die Frauenfiguren Obligatio und Libertas begrenzen den linken und rechten unteren Bildrand, während sich die Männergestalt der Integritas im Mittelpunkt dieses Bildteils befindet und so den Wesenskern des kaufmännischen Selbstbildes symbolisiert. Der Entwurf wie auch die künstlerische Ausführung des Holzschnitts werden auf Jost Amman zurückgeführt, einen Vertreter des deutschen Manierismus, der seit 1561 in Nürnberg als Zeichner, Visierer, Holzschnittentwerfer, Formschneider und Radierer tätig war und dort 1591 starb.6 Als Verfasser der gereimten Texte wird Caspar Brinner (Brunner) vermerkt, Bürger und Rechenmeister zu Augsburg, der sich als Schüler des bekannten Nürnberger Modisten, Schreib- und Rechenmeisters Johann Neudörffer d.Ä. (1497⫺ 1563)7 ausgibt und auf diesen auch die Grundlegung der Texte zurückführt. Die Autorschaft des

Blattes besteht demnach aus dem Zusammenwirken der künstlerisch-gestalterischen Leistung Ammans sowie der in Verse gefassten Erläuterungen Brinners, wobei der Anteil des bereits vor über zwei Jahrzehnten verstorbenen Neudörffer unwägbar bleibt. Als Auftraggeber des Werks kommt ein Nürnberger oder Augsburger Handelshaus mit einer Niederlassung in Antwerpen in Betracht,8 wobei Ort und Eigenart der Veröffentlichung eher auf Augsburg schließen lässt. Die Erstpublikation des Blattes erfolgte 1585 in Augsburg, und zwar in drei Ausgaben zweier Drucker: Eine Ausgabe durch den Drucker Michael Manger († 1603; Fassung a), zwei weitere Ausgaben durch den Drucker Johann Schultes im Verlag des Illuministen Wilhelm Peter Zimmermann.9 Ein weiterer Druck, abermals durch Schultes im Verlag Zimmermanns, erschien 1610, wiederum in Augsburg;10 eine erneute Ausgabe, nunmehr nur noch von Zimmermann firmiert, erfolgte 1622 in der Fuggerstadt,11 danach noch eine undatierte Ausgabe ohne Adresse und Verlagsort.12 Alle Ausgaben zeigen neben den verschiedenen Drucker- und Verlegerangaben in den gesetzten Textteilen teilweise abweichende Titulaturen, Schreibweisen und Schriftarten. Im 19. Jahrhundert erfolgten weitere Abzüge von den erhalten gebliebenen sechs Druckstöcken.13 Das vorliegende Fragment umfasst das obere Drittel des Holzschnitts. In der Breite ist das Bruchstück vollständig erhalten, einschließlich der Texte der beiden senkrechten Randleisten. Am oberen Rand fehlt die Titulatur; unten endet das Fragment mit dem vollständigen Satz der beiden großen Texttafeln beiderseits der Balkenwaage und mit der geflügelten Kugel zu Füßen Fortuna/ Occasio. Am oberen Rand des Blattes liegt infolge Papierverlustes eine segmentierte Texteinbuße in dem Schriftkreis vor, der die Gestalt des Mercurius umgibt; an der Ansatzstelle des Zusammendrucks von linkem und rechtem Bildteil fehlt zudem ein schmaler Bildstreifen im Bereich des Mercurius. Im Umfang entspricht das Fragment den beiden oberen Druckstöcken einschließlich des jeweiligen Textanteils der vertikalen Randleisten. Der Verlust der Titulatur sowie des Druckerund Verlegersignums verweist die editorische Zuordnung des Bruchstücks auf die Eigenart der gesetzten Textteile, in denen sich die verschiedenen Ausgaben des Blatts unterscheiden. Der typographische Vergleich mit den bekannten Editionen zeigt, dass in den Drucken des 19. Jahrhunderts vor 1854 an verschiedenen Stellen Textverlust in den beweglichen Lettern durch Beschädigung der Druckstöcke vorhanden ist;14 die gesetzten Texte des Fragments sind hingegen vollständig. In den Fassungen c und d ist der Name Mercurius in der linken, randseitig gelegenen Texttafel in Frakturschrift gesetzt, allein in der Fassung a wurden lateinische Lettern verwendet; im vorliegenden Fragment ist der Name ebenfalls

in Antiqua gesetzt. Das Druckprivileg in der rechten, randseitig gelegenen Texttafel (Cum Caes. Maiest. gratia et Priuilegio, ad annos decem) verweist ebenso wie die Typenwahl bei dem Wort Mercurius auf eine Ausgabe des Jahres 1585.15 Indessen weicht das Hallenser Bruchstück an anderer Stelle von der Fassung a ab: Die Initiale der linken Texttafel (D) stammt aus einem anderen Fraktursatz, was auf verschiedene Drucker schließen lässt, und in der rechten, randseitig gelegenen Texttafel sind die beiden letzten Textzeilen in Fassung a zentriert, hier hingegen linksbündig gesetzt. Zudem weicht die Beschriftung der beiden Arme der Balkenwaage ebenso ab16 wie die Druckausführung der Randleisten. Während in Fassung a die Fremdwörter (Bilanza, Iornal, Summ etc.) durchweg in Antiqua gesetzt sind, wurden im vorliegenden Druck regelmäßig gotische Lettern verwendet. Außerdem befindet sich z. B. in der linken Textleiste des Fragments zwischen dem ersten und zweiten Abschnitt eine Arabeskenlinie, die in Fassung a nicht vorhanden ist. Die genannten Indizien deuten auf eine zeitliche Einordnung des Fragments in das Jahr 1585. Die Differenzen gegenüber dem Druck Mangers (Fassung a) erlauben die begründete Vermutung, dass mit dem Fragment der Teil einer Erstausgabe der ‚Allegorie des Handels‘ aus der Druckerei des Johann Schultes vorliegt; das Vorhandensein eines solchen Exemplars wurde bislang lediglich aus Indizien erschlossen,17 aber nicht nachgewiesen. Inhaltlich bietet das Fragment jenen Ausschnitt aus der beschriebenen, geschlossenen Darstellung der ‚Allegorie‘, der vorwiegend der Sinngebung des Handels gewidmet ist. Im Zentrum steht die Figur des Mercurius, der die Balkenwaage hält, und unter ihm die Gestalt der Fortuna/Occasio. Der Gott des Handels ist von vier ringförmig angeordneten Textfeldern umgeben, deren Ausführungen ihn als Schutzherrn der Kaufleute in ihrem Geschäftsbetrieb auf den Märkten charakterisieren, zugleich aber in einer invokativen Wendung den Bezug des Geschäftserfolges auch zum christlichen Glauben herstellen; sie stehen somit beispielhaft für den mentalen Bruch der sich christlich verstehenden Kaufleute unter dem Dogma der Kirche.18 Die Bezugnahme auf die Märkte erfolgt mit Hinweis auf die dargestellten Wappen der betreffenden Handelsorte. Diese Wappen sind jeweils waagrecht in sechs Reihen auf der linken wie auf der rechten Seite bis zum Bildrand angeordnet und werden im Uhrzeigersinn mit den Monatsnamen als Versinnbildlichung des Zeitablaufes bezeichnet. Den Monaten sind insgesamt 171 Namen und Wappen europäischer Handelsstädte aus zwölf Regionen19 zugeordnet, teilweise mit der Benennung dort stattfindender Märkte und Messen. So findet sich z. B. Leipzig im Januar mit der Neujahrsmesse, im April mit der Frühjahrsmesse und im Oktober mit der Herbstmesse – die Periodisierung des Jahresablaufs verbindet sich auf diese Weise mit den jeweiligen regionalen Schwerpunkten des Handels. Von der Waage als Ausdruck der Bilanz in der Rechten des Mercurius zeigt das Fragment lediglich den oberen Teil, den Waagbalken mit der erwähnten Beschriftung sowie beiderseits je drei Ketten bzw. Stricken, die zu den nicht mehr sichtbaren Waagschalen führen. Die Kettenglieder bezeichnen den Gegenstand der Bilanz: Die Aktiva mit Debet, Debet Nobis, Debet Mihi, die Passiva mit Debeo Ego, Debemvs Nos, Debet Habere. Unter der Mitte des Waagbalkens befindet sich die aufstrebende Fortuna/Occasio, in ihrer Rechten zwei Flügel für des Glückes schnellen Lauf, in der Linken eine Schildkröte, die Besonnenheit und

Bedächtigkeit als Kaufmannstugenden symbolisiert.20 Die geflügelte Kugel zu ihren Füßen ruht auf der nicht mehr sichtbaren Brunnensäule. Vor der Spindel der Waage, gleichsam im Zentrum der Blickachsen des Mercurius und der Fortuna/Occasio, befindet sich auf der Waagenzunge die Darstellung eines sitzenden Königs, dessen Beischrift Ivdex ihn als Richter über den Geschäftserfolg ausweist. Am linken und rechten Bildrand begrenzen zwei Schriftfelder die Bilanzwaage. Der Text des linken Feldes beschreibt die Funktion der Bilanz und die Symbolik der dargestellten Personen; im rechten Feld wird die Herkunft der buchhalterischen Rechentechnik sowie deren Nützlichkeit erläutert. In zwei weiteren Schriftfeldern neben der Fortuna wird das wandelbare Glück, dem sich der Kaufmann aussetzt, beschrieben und mit verschiedenen Metaphern veranschaulicht. Ferner werden die Berufstugenden genannt, die den Kaufmann in den Unwägbarkeiten seiner Berufsausübung bestehen lassen: Bedachtsamkeit, Regsamkeit, Verschwiegenheit, schließlich Fleiß und ein positives Arbeitsethos. Die Texte in den Randleisten befassen sich, der zentralen Symbolik der Graphik entsprechend, ausschließlich mit der Buchführung. Das vorliegende Fragment enthält hiervon in den Textteilen der linken Randleiste eine Beschreibung der Buchführung sowie ihres Nutzens und benennt die kaufmännischen Bücher. Nach einer Zeilenarabeske folgt die Beschreibung der einzelnen Bücher, hier beschränkt auf die ersten Zeilen zum Journal (Iornal). Die rechte Randleiste beginnt mit den letzten Zeilen zum Kassenbuch, beschreibt dann die Kassenzu- und -abgänge, skizziert in einzelnen Abschnitten die Aufgaben des Kassierers und des Buchhalters, um dann mit der Erläuterung der Handelsbücher fortzufahren, hier des Memorials (Recordo Buch).

Weitere Standorte:

Andere Fassungen: a)

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Berlin, KK: 696–7 (Fragment), und: 833–100 (ohne Titel);21 London, BM: 1895.0122.76.1–10 [Gedruckt zu Augspurg bey Michael Manger; 1585] erschlossen22 [Augsburg: Johann Schultes 1585] Dresden, KK: A 4414a23 [Gedruckt zu Augspurg durch Johann Schultes/ Jn verlegung Wilhelm Petter Zimmermann …; 1610] Bamberg, SB: II.C.48; Coburg, Veste: I,-,2614; Nürnberg, GNM: 1056c/128; Oxford, Ashmolean Museum: Solander 4824 [Gedruckt zu Augspurg/ in Verlegung Wilhelm Peter Zimmermans; 1622] J.-J. HEIRWEGH/ M. Weis: Commerce et espaces urbains dans la gravure ‚Aigentliche Abbildung deß gantzen Gewerbs der Kauffmanschafft‘ de Jost Amman (1585⫺ 1622). In: C. DELIGNE/ C. BILLEN (Hgg.): Voisinages, coexistences, appropriations. Groupes sociaux et territoires urbains (Moyen Age⫺XVIe siècle). Turnhout 2007, 285⫺297. Eine Fülle weiterer Darstellungen bei G. STEINHAuSEN: Kaufleute u. Handelsherren in alten Zeiten. Leipzig 1899, Nachdr. Düsseldorf/ Köln ²1976. Vgl. H.-P. BRuCHHÄuSER: Kaufmannsbildung im Mittelalter. Determinanten des Curriculums dt. Kaufleute im Spiegel der Formalisierung von Qualifizierungsprozessen. Köln/ Wien 1989, 20⫺32. Ebd., 257⫺269. Ebd., 306⫺335. Ebd., 193⫺243, 306⫺335; vgl. auch C. KuHN: Fremdsprachenlernen zwischen Berufsbildung u. sozialer Distinktion. Das Beispiel der Nürnberger Kaufmannsfamilie Tucher im 16. Jh. In: M. HÄBERLEIN/ C. KuHN (Hgg.): Fremde Sprachen in frühneuzeitlichen Städten. Lernende, Lehrende u. Lehrwerke. Wiesbaden 2010, 47⫺74, hier 48⫺50. Vgl. K. PILZ: Die Allegorie des Handels. Ein Holzschnitt von 1585. In: Scripta Mercaturae 7 (1974), 23⫺ 60, hier 25; The New Hollstein. German Engravings, Etchings and Woodcuts 1400⫺1700. Jost Amman, Bd. 2. Compiled by G. SEELIG. Rotterdam 2002, XIII. Vgl. A. JAEGER: Stellung u. Tätigkeit der Schreib- u. Rechenmeister (Modisten) in Nürnberg im ausgehenden Mittelalter u. zur Zeit der Renaissance. Diss. Erlangen 1925; H. HEISINGER: Die Schreib- u. Rechenmeister des 17. u. 18. Jhs. in Nürnberg. Diss. Erlangen/ Nürnberg 1927; W. DOEDE: Bibliographie dt. Schreibmeisterbücher von Neudörffer bis 1800. Hamburg 1958. Vgl. PILZ: Allegorie, 25. Ebd., 30 f.; New Hollstein. Amman, 81 f. Ebd. (nicht bei PILZ). PILZ: Allegorie, 31 f.; New Hollstein. Amman, 81. PILZ: Allegorie, 32; New Hollstein. Amman, 81 f. O.O. vor 1854 (mit diversen Textverlusten in den beweglichen Lettern); München 1878 (mit neuem Eindruck der fehlenden Textteile und Neusatz des äußeren Einfassungstextes); München 1889 (mit dem Text der Ausgabe von 1622 unter partiellem Neusatz der Überschrift und ursprungswidrigem Rotdruck von Teilen des Textes); vgl. PILZ: Allegorie, 32. Zustand V bei PILZ: Allegorie, 32; Variante d in New Hollstein. Amman, 81. Vgl. PILZ: Allegorie, 32. In Fassung a heißt es: Die Wag sich fein vergleichen thuet/ Jm Bschluß einer Bilanza guet. PILZ: Allegorie, 30. Vgl. BRuCHHÄuSER: Kaufmannsbildung, 74⫺91. PILZ (Allegorie, 29) identifiziert die Städtewappen regional mit Deutschland, den Niederlanden, Italien, Österreich, Schweiz, Spanien, Polen, Frankreich, Böhmen, Portugal, England und dem Baltikum. Die Verbindung von Flügeln und Schildkröte findet sich in der Emblematik als Ausdruck des festina lente; vgl. Hadrianus Junius: Emblemata. Antwerpen 1565 (Nachdr. hg. von H. M. BLACK. Menston 1972), Nr. 32. New Hollstein. Amman, 81. PILZ: Allegorie, 30. New Hollstein. Amman, 81. Alle Nachweise ebd. HPBr

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London, BM: 1895.0122.76.1–10 © The Trustees of the British Museum

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F 220

Ort Jahr Bild Text Format

In Form eines scherzhaften Adynata-Rezepts vermittelt das Blatt eine Narrensatire, die insbesondere auf die Verkaufsmethoden der ambulanten Ärzte und Quacksalber zielt. Das Bild zeigt einen schmucklosen Raum, der mit einigen stehenden und hängenden Schränken und einer Bank möbliert ist. Am Bett steht ein Nachttopf, an der hinteren Wand hängen ein Degen, zwei Pistolen und ein Gewehr. In der rechten Bildhälfte unterhalten sich zwei Männer: Auf einem verzierten Stuhl sitzt der Hausherr in einem langen pelzverbrämten Mantel mit Hängeärmeln und in Hauspantoffeln; vor ihm steht der Quaxsalber in einem Umhang und mit einem federgeschmückten Hut auf dem Kopf. Überall im Zimmer verteilt befinden sich Hasen, von denen die meisten in der Nähe des Hausherren verweilen: Zwei sitzen neben und drei auf dem Stuhl; ein Hasenfell liegt wie eine Perücke auf dem Kopf des Sitzenden, der mit einem Finger darauf weist. Die anfängliche Dialogform des Textes entspricht der im Bild dargestellten Situation eines Gesprächs zwischen dem Patienten und dem Wunderarzt, geht aber schnell in einen Monolog des Quacksalbers über, der das im Titel angekündigte Recept vorträgt. Bei dem Rezept handelt es sich um ein Mittel gegen hasen Fieber, an dem der Patient erkrankt sei. Das Medikament besteht aus einer langen Reihe von Ingredienzien, die in solcher Form in der realen Welt nicht existieren, sich nicht verwenden lassen, bzw. eine Umkehrung des Realen bilden. Die einzelnen Bestandteile sind ohne systematischen Anspruch zu motivlichen Gruppen zusammengestellt. Eine Gruppe enthält verschiedene Geruchs- und Geschmacksarten (z. B. 2 Lot Dunst von Trünck Tuback, 2 Lot geschmack von eim Weinfas), eine andere baut auf der Umkehrung realer Eigenschaften auf (z. B. von new gefallem Schnee das schwartz, Von kaltem Wasserbad Den Schwaiss), eine dritte sammelt Bestandteile von Tieren (z. B. 2 Pfund Onmaissen Zungen, Hewschröcken Schmaltz), die nächste vereinigt Körperteile personifizierter Gegenstände (z. B. Den hals von einer Kugel, Die händ von einem Mihlstain), eine weitere bezieht sich auf die fünf Sinne. Sollte das Medikament nicht anschlagen, empfiehlt der Sprecher zusätzliche Arzneien, die sich als Umschreibungen für Prügel herausstellen und an zeitgenössische Prügelrezepte anschließen (b I,80, 114 f.). Folgerichtig stellt sich auch die Wirkung ein: Dem Patienten tringt dann die feüchtin […] durch die Augen und ihm werde so haiß Daß heraus tringt der Rotheschwaiß. Dementsprechend äußert der Quacksalber zum Schluss seine Zweifel daran, ob der Kranke ihm für die Kur dankbar sein werde. Der Hase als Verkörperung von Laster und Torheit findet sich auf zahlreichen satirischen Flugblättern (b I, 51, 83; IX, 27, 66)2 und bildet das 52

Ein bewehrtes Recept. Für das vmblauffende Rädlin

(Augsburg?) Kupferstich von M.R. (Matthäus Rembold?; tätig 1622–1657)1 graviert in 3 Spalten; 85 Knittelverse 34,2 ! 23,9

Thema selbständiger Schriften, die gegen Ende des 16. Jahrhunderts häufig in Form von Parodien akademischer ‚Disputationsthesen‘ auftraten.3 Aus einer solchen um 1590 entstandenen Schrift stammt die Beschreibung der Krankheit, an der auch der Patient des vorliegenden Blattes leidet: Es ist aber Haserey ein solcher Gebrechen/ der zuentspringen pflegt/ fürnemlich im Hirn: Da entweder die Witz vnd Kunst gar zu schwer/ oder aber gar zu leicht ist. Denn da werden die Spiritus turbirt/ vnd die natürliche Feuchtungen inficirt: Das also die vapi vnd humi (wie wir Gelerten reden) vnter einander Wüst vermenget werden, vnd neben sich das aller subtiliste temperament im Heupt verwirren: Blehen den Bauch/ das er startzet/ wie ein Polnische Sackpfeiffe: Vnd verunreinigen endlich Hend vnd Füsse/ das solche Thierlein offt wunder seltzam Fantasirn. Die nu mit diesen Gebresten bschafft/ die heissen wir zu Deutsch HASEN.4

Während dem närrischen Patienten kein Stand und kein Laster zugeordnet werden, ist mit der Gestalt des Quacksalbers ein beliebter Gegenstand zeitgenössischer Kritik aufgegriffen (b I, 53; IX, 27).5 Die Satire greift die Form der Scherzrezepte auf, die seit dem späten Mittelalter nachgewiesen sind.6 Ihre Besonderheit besteht in der Verwendung des Adynata-Topos, einer „Aneinanderreihung und Häufung von Unmöglichkeiten, Verkehrtheiten und Widersprüchen“,7 wie ihn die Antike ausgebildet hatte8 und die späteren Epochen im Sinne des Topos der ‚verkehrten Welt‘ umformten und für die ‚Lügendichtung‘ adaptierten.9 Trotz unterschiedlicher Ausrichtung ihrer satirischen Ziele variieren sie mehrenteils gleiche oder verwandte Wendungen, von denen einige, wie z. B. der ‚Glockenklang‘, ‚Hirn einer Mücke‘, ‚Sprung von einem Hasen‘ oder ‚ungebrannte Asche‘, zum festen Repertoire fast aller Texte gehören. Der ebenfalls in dieser Reihe stehende Ausdruck ‚das Blaue vom Himmel‘ hat sich bis heute in der Redewendung ‚das Blaue vom Himmel herunterlügen‘ erhalten.10 Auf Augsburg als wahrscheinlichen Druckort des Blattes lässt nicht nur die mutmaßliche Verfasserschaft Rembolds schließen, der seit 1622 als Verleger in Augsburg nachgewiesen ist, sondern auch eine Reihe von Wortformen, die süddeutschem und genauer schwäbischem Dialekt entstammen wie etwa bingel (Bündel), Felbenbaum (Weide), Latwergin (Fruchtmus), Schabhuet (eine Hutsorte), spor (Schimmel).11

Weitere Standorte: Nürnberg, GNM: 15290/1259

Andere Fassungen: a)

Berlin, SBPK: YA 3426 kl (15) [Titel: … verzwick|leten vnd verwirrten köpffen vnder den hasenhaaren; Unterschiede in der Graphik]

A1

DRuGuLIN I, Nr. 2582.

1

DRuGuLIN I, Nr. 2582. Mit den Initialen M.R. unterzeichnet Rembold den Text eines von ihm verlegten Flugblattes von 1622 (PAAS IV, P-915). Zu Rembold vgl. BENZING: Verleger, 1240. HAMPE: Fürst, 116, Abb. 27. Die satirische Hasenliteratur der frühen Neuzeit behandeln H. MEISNER: Die Haserei u. ihre Heilmittel. Ein Beitrag zur KuriositätenLiteratur. In: Zs. f. Bücherfreunde 9 (1905/1906), 21–26, und K. LINDNER: Von der Haserey. In: Studien zur deutschen Literatur und Sprache. FS H. Moser. Berlin 1974, 287–313. THESES DE HASIONE ET HASIBILI QVALITATE […] sub praesidio FABII STENGLERI LEPORINI. O.O.u.J., deren Übersetzung ‚Fragen vnd Satzreden‘ in mehreren undatierten Ausgaben erschienen ist; THESES DE COCHLEATIONE EIVSQVE VENENOSA CONTAGIONE […] sub praeside HASIONELEFLERO NARRAgonensi. O.O. 1593; Compendium Hasionale […] Vom Herrn Doctore Hasen verstandt. O.O.u.J.; Hasen Jagt […] Durch LEPORINuM Hasenkopff Hasum Haslebiensem. Hasleben [fingiert] 1629; Rennplatz der Haasen mit der Leimstangen […] disputabitur praeside doctore Narnolffe Schweinsohrio. Erfurt 1594. Weitere Titel bei MEISNER: Haserei, 22. Fragen vnd Satzreden, fol. [Ai]v. Vgl. auch de Bry: Emblemata, Nr. 14, 46, 65, 66. Die ältesten Beispiele bei F. PFEIFFER: Ein komisches Recept. In: Germania 8 (1863), 63 f.; A. BIRLINGER: Ein scherzhaftes Recept. In: Zs. f. dt. Altertum N.F. 3 (1872), 510–512; Fastnachtspiele aus dem fünfzehnten Jh. Hg. von A. VON KELLER. Stuttgart 1853, I, 60, III, 1197– 1202. S. auch: S. KERTH: Das schmeckt lecker und tut gut: Scherzrezepte in der dt. Literatur des Mittelalters. In: H. W. JÄGER u. a. (Hgg.): Genußmittel u. Literatur. Bremen 2003, 101–111. Für spätere Texte vgl. z. B. ‚Dyse laßzedel‘. O.O. (um 1500). In: HOLLÄNDER: Karikatur, 259, Abb. 139; Johann Fischart: Aller Praktik Grossmutter. Hg. von W. BRAuNE. Halle a. S. 1876, 23; ders.: Geschichtklitterung, 302 f. Zwei Rezepte gegen Trunkenheit. In: Das Ambraser Liederbuch vom Jahre 1582. Hg. von J. BERGMANN. Stuttgart 1845, 367 f. Eine erweiterte und modernisierte Version Fischarts enthält ‚RECuEIL von allerhand COLLECTANEIS und Historien‘. O.O. 1719/1721, I, das IX. u. X. Hundert, 60 f., Nr. 80; hier auch ein Rezept in niederländischer Sprache, I, das XII. Hundert, 31 f., Nr. 80. MÜLLER-FRAuREuTH: Lügendichtungen, 11. Vgl. H. J. SCHEuER: Adynaton. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Bd. 1, Darmstadt 1992, Sp. 139–141 (mit weiterer Literatur). MÜLLER-FRAuREuTH: Lügendichtungen; LIEDE: Dichtung als Spiel, II, 38–42, 48–57; S. KERTH: twerher sanc. Adynata in Sangspruchdichtung u. Minnesang. In: ZfdPh 119 (2000) Sonderheft, 85–98. Eine Gesamtdarstellung zum Adynaton fehlt. RÖHRICH kennt diesen Ursprung der Redewendung nicht (Redensarten, I, 209). Schwäbisches Wörterbuch. Bearb. von H. FISCHER. Tübingen 1904–1920, I, Sp. 1527; II, Sp. 1033; IV, Sp. 1017; V, Sp. 638, 1565. EP

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IX, 27

F 198

Ort Jahr Bild Text Format

Doctor Wurmbrandt.

1648 Kupferstich Typendruck in 3 Spalten; 80 Knittelverse 33,5 ! 26,2; 15,8 ! 23,1 Weitere Standorte: Berlin, SBPK: YA 8086 kl.; Gotha, KK (A 1); ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig (A 2)

Das Blatt steht in der Tradition der Narrensatire, die hier mit der Ständesatire auf den betrügerischen Arzt kombiniert wird. Den zentralen Platz in einem eher karg eingerichteten Behandlungszimmer nimmt ein Destillierofen ein, vor dem ein Arzt sitzt und das Feuer schürt. Einige Utensilien an der Wand ⫺ Arzneibüchsen, eine Waage, eine Botanisiertrommel, Rezepte ⫺ vervollständigen die Ausstattung der Arztstube. Ein Patient hält seinen Kopf in eine Öffnung des Ofens, aus dem eine Dampfwolke steigt. In ihr schweben verschiedene Gegenstände, Lebewesen und kleine Dämonen (Teufel), die Laster des Patienten symbolisieren, von denen er nun befreit wird: Macht- und Geldgier (Kronen, Geldbörse), Vorliebe für Luxus und Abenteuer (Karosse, Schiff), Gewalttätigkeit und kriegerisches Tun (Degen, Pferd, Turm, Grundriss einer Festung), Trink- und Spielsucht (Pokal, [Würfel?]Becher, Spielkarten, Trictrac-Brett),1 Liebe (ein Medaillon mit Frauenporträt). Für die Narrheit stehen Wurm, Insekten, Hasen (b I, 51; IX, 26), Esel und ein Kopf mit Eselsohren. Vorne rechts unterhalten sich zwei Personen, wohl die nächsten Patienten, über den Vorgang der Behandlung. Die Kleidung der Männer in Verbindung mit den im Dampf ersichtlichen Gegenständen militärischer Herkunft weisen die beiden als Offiziere aus. Im Hintergrund betritt ein Bauer, in dem man einen Kräutersammler vermuten kann, den Raum. Die requisitenhafte Ausstattung der Stube, ein drapierter Vorhang in der rechten oberen Ecke der Graphik sowie die Raumperspektive lassen die Szene wie ein Bühnenbild erscheinen. Der Text hat die Form eines Ausrufes, mit dem der Alchimist (Doctor Wurmbrandt) seine Künste anpreist und um Kunden wirbt. Er verspricht Männern und Frauen, die von verschiedenen Würmen zu Dummköpfen, Streitsüchtigen und Narren gemacht worden seien, eine schnelle Heilung mittels Destillation. Die Genesung wird allerdings an die Bedingung der Selbsterkenntnis und des Glaubens seitens des Patienten geknüpft. In der letzten Textpartie wird der Kunde angesprochen, dessen Behandlung im Bild vorgeführt wird. Der Arzt sei ein Meister und glaube, die Krankheit beseitigen zu können. Der bühnenhafte Charakter der Illustration sowie der ‚gesprochene‘ Text lassen das Blatt als Szenario erscheinen. Dabei stellt es sich durch die Charakterisierung der potentiellen Arztkunden, die sich Faßnächtisch stell[en] und damit zu der Narren Zunft gesell[en], in die Nachbarschaft des Fastnachtspiels, in dem die Rolle des Quacksalbers, der tölpelhafte Bauern von ihren Beschwerden kuriert, ein beliebtes Sujet bildete.2 Zugleich spielen die genannten Merkmale von Text und Bild auf die Verkaufspraktiken der immer wieder im Verdacht der Scharlatanerie stehenden Wanderärzte an, die auf Jahrmärkten auf einem Podium ihre Wundermittel und Praktiken laut anpriesen.3 54

Nicht zuletzt ist die Sprecherrolle des marktschreierischen Arztes als Angebot an den Kolporteur zu sehen, sein Blatt publikumswirksam feilzubieten und zu verkaufen. Mit der Wahl des Wunderarztes als Grundlage der Narrensatire greift das Blatt ein in der Literatur wie in der Publizistik beliebtes Motiv auf, das Medizinerkritik mit der Verhöhnung menschlicher Laster verbindet.4 Der in der literarischen Überlieferung des 15. und 16. Jahrhunderts stehende barocke Narr ist ein durch seine Unvernunft gegen die göttliche Ordnung verstoßender Mensch, dessen Narrheit eine angeborene Krankheit sei.5 Die beiden männlichen ‚Narren‘ in der Graphik repräsentieren über die herkömmliche Vorstellung eines lasterhaften Menschen hinaus zwei soziale Typen, die der moralischen Anklage unterworfen werden. Zum einen gehören die beiden dem Soldatenstand an; damit wird vor dem Hintergrund des Westfälischen Friedens ihre Darstellung als Narren zu einer Kritik am Kriegswesen. Zum anderen verkörpern sie den Typus eines Kavaliers, der als Anhänger eines übertriebenen Kleiderluxus in zahlreichen Flugblättern, Graphiken und in der Literatur der Zeit das Objekt des Alamode-Kampfes bildete (b I, 120–132).6 In seiner satirischen Absicht übt das Blatt weiter Kritik an den in der Nähe der Iatrochemiker oder Alchimisten stehenden sog. Wunderdoktoren ⫺ hier graphisch durch eine das Prestige erhöhende, aber auch falsche Sehweisen bekundende Brille kenntlich gemacht7 ⫺, die sich besonders gern der in der humanmedizinischen Chemiatrie gebrauchten Destillation bedienten. Dieses Verfahren galt als eines, das alles ‚Reine‘ vom ‚Unreinen‘ trenne und daher imstande sei, das Wertlose aus dem menschlichen Gehirn zu entfernen. Die im Text genannte Harnschau war eine im Mittelalter verbreitete Diagnosemethode, die schon im 16. Jahrhundert Gegenstand literarischer und graphischer Satiren wurde (b I, 53).8 In thematischer Nähe zum ‚Doctor Wurmbrandt‘ steht die ‚Eigentliche Beschreibung der beschwerlichen seuche deß Wurms‘ (Augsburg um 1625), die einen Dialog zwischen einem Doctor und seinem an Grülln im Kopf leidenden Patienten wiedergibt; auch hier erkennt der Arzt den plagenden Wurm aus der Harnbeschau.9 Das vorliegende Blatt geht auf ein undatiertes Flugblatt zurück, das denselben Text mit einer älteren Graphik kombiniert.10 Der Kupferstich des kommentierten Blattes wurde seinerseits als Vorlage für die Illustration des Grimmelshausen (1621–1676) zugeschriebenen Flugblattes ‚Abbildung der wunderbarlichen Werckstatt des Weltstreichenden Artzts Simplicissimi‘ benutzt, das als Beilage zum ‚Wunder-Geschichten-Kalender‘ für das Jahr 1670 bzw. 1672 erschien.11 Übernommen wurde das zentrale Motiv des Bildes ⫺ der Destillierofen mit der Dampfwolke und den beiden Gestalten des Arztes und des Patienten; Entlehnungen finden sich auch im begleitenden Prosatext.

Andere Fassungen: a) b)

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Nürnberg, GNM: 14260/1259 [leicht veränderte Initiale] Braunschweig, HAUM: Flugblätter V; London, BM: 1866.0407.41 [Doctor Wurmbrandt/ der im gantzen Land/ überall bekandt; andere Graphik] 1 2 3 4

DIEDERICHS II, Abb. 1159. DRuGuLIN I, Nr. 2947. WÄSCHER, 86. COuPE II, Nr. 98b. Würfel, Trictrac-Brett oder Karten wurden auch als Symbole des Müßiggangs, der Fahrlässigkeit oder Trägheit gebraucht. Vgl. Mit Glück und Verstand, 117–121. C. J. HAMMER jun.: The Doctor in the late medieval ‚Arztspiel‘. In: German Life and Letters 24 (1971), 244– 256. Vgl. auch K. KRÖLL: Kurier die Leut auf meine Art … . Jahrmarktskünste u. Medizin auf den Messen des 16. und 17. Jhs. In: U. BENZENHÖFER/ W. KÜHLMANN (Hgg.): Heilkunde u. Krankheitserfahrung in der Frühen Neuzeit. Studien am Grenzrain von Literaturgesch. u. Medizingesch. Tübingen 1992, 155–186, hier 161 f. KRÖLL: Jahrmarktskünste. Vgl. auch ein zeitgenössisches italienisches Flugblatt, in: C. P. MAuRENBRECHER (Hg.): Europäische Kaufrufe II. Straßenhändler in graphischen Darstellungen Paris, Lissabon, Neapel, Rom, Bologna, Mailand, Venedig u. Konstantinopel. Dortmund 1980, Abb. 65. Zur Arztsatire vgl. HOLLÄNDER: Karikatur; W. ECKART: Medizinkritik in einigen Romanen der Barockzeit ⫺ Albertinus, Grimmelshausen, Lesage, Ettner. In: W. ECKART/ J. GEYER-KORDESCH (Hgg.): Heilberufe u. Kranke im 17. und 18. Jh. Die Quellen- u. Forschungssituation. Ein Arbeitsgespräch. Tecklenburg 1982, 49–75; D. VON ENGELHARDT: Systematische Überlegungen zum Verhältnis von Medizin u. Literatur im Zeitalter des Barock. In: BENZENHÖFER/ KÜHLMANN: Heilkunde, 30–54, bes. 33–41; H. WIEGAND: Ad vestras, medici, supplex prosternitur aras: Zu Jakob Baldes Medizinersatiren. In: ebd., 247–269; P. M. GRÜBER (Hg.): Kurzweil viel ohn’ Maß und Ziel. Augsburger Patrizier u. ihre Feste zwischen Mittelalter u. Neuzeit. Ausstellungskatalog Augsburg 1994, 264 f. Robert Burton: Anatomie der Melancholie [1621]. Übers. von U. HORSTMANN. München 1991, 48. Zum Thema vgl. zuletzt B. BADELT: Die Alamode-Kritik im gesellschaftlichen Kontext neu gelesen. In: Frühneuzeit-Info 9 (1996), 9–17. Zur Ikonographie eines Alchimisten vgl. z. B. das Gemälde von Jan van der Straet, genannt Stradanus: Laboratorium des Großherzogs Francesco I. (1570), abgebildet in: E. E. PLOSS u. a.: Alchimia. Ideologie u. Technologie. München 1970, 186. Vgl. W. WÜTHRICH: Die Harnschau u. ihr Verschwinden. Zürich 1967, 23–29; F. VON ZGLINICKI: Die Uroskopie in der bildenden Kunst. Eine kunst- u. medizinhistorische Untersuchung über die Harnschau. Darmstadt 1982, bes. 147–158; K. JuRINA: Vom Quacksalber zum Doctor medicinae. Die Heilkunde in der dt. Graphik des XVI. Jhs. Köln 1984, 34–38 u. a. Vgl. auch de Bry: Emblemata, Nr. 65. H. PETERS: Der Arzt u. die Heilkunst in alten Zeiten. 5 Düsseldorf/ Köln 1976, Abb. 108. COuPE II, Nr. 98a, Abb. 72; b I, 53. J. H. SCHOLTE: Johann Jacob Christoph von Grimmelshausen u. die Illustration seiner Werke. In: Zs. f. Bücherfreunde N.F. 4 (1912), 1–21 u. 33–56 (mit Abb.); H. VON ZIEGESAR: Grimmelshausen als Kalenderschriftsteller u. die Felßeckerschen Verlagsunternehmungen. In: Euphorion, Ergänzungsheft 17 (1924), 50–79; M. SPETER: Grimmelshausens Simplicissimus-‚Flugblätter‘. In: Zs. f. Bücherfreunde N.F. 18 (1926), 119 f. EP

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IX, 28

F 214

Ort Jahr Bild Text Verleger Format

Das Blatt bringt mit Bild und Text eine Erzählung über Schneider und Bock. In einem hinten rechts offenen Raum sind drei Personen in einem lebhaften Gespräch dargestellt. Ihre Positionierung im Bild lässt sowohl die Hierarchie der Männer wie auch ihre Funktion erkennen. Der auf einem schweren gepolsterten Stuhl links sitzende Mann in teurer Kleidung, der offensichtlich eine hohe gesellschaftliche Stellung einnimmt, zeigt auf den vor ihm stehenden Bock, den Gegenstand des Streitgesprächs. Sein Gesprächspartner mit derselben Zeigegeste steht ihm in der eleganten aufwändigen Kleidung nicht nach. Der stattliche Mann hat einen Strick um den Hals, und in seiner Linken hält er als Attribute seines Handwerks eine Schere und eine Elle. Es fällt auf, dass das Wams des Edelmanns und die Pluderhose des Schneiders aus demselben gemusterten Stoff gefertigt sind. Der dritte armselig gekleidete Mann mit einem Hirtenstab in der Hand wendet sich auch an den Sitzenden und nimmt dabei ehrerbietig seinen gefiederten Hut ab. Rechts im Hintergrund werden simultan in zwei Szenen noch einmal Schneider und Hirte bei der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeiten gezeigt. Im Text wird die Geschichte eines Schneiders erzählt, die in einem Dorf am Rhein spielt. Ein Edelmann habe den Schneider beauftragt, für ihn und seine Familie Kleider für eine Hochzeit zu nähen, und habe für sein Wams einen Samtstoff gebracht. Der Schneider habe davon ein Stück mehr als für das Wams nötig abgeschnitten und sich dann daraus eine Hose genäht. Als der Junker einige Zeit später den Stoff erkannt und die fehlenden acht Ellen Stoff konstatiert habe, habe er den Schneider zu sich gerufen, um die Sache zu klären. Nach einem misslungenen Versuch, sich durch eine Lüge reinzuwaschen, sei der Beschuldigte unter Folter zum Geständnis gebracht und zur Todesstrafe durch den Strick verurteilt worden, die dann aber in eine mildere Strafe umgewandelt worden sei: Der Schneider habe einen Bock halten und einen Strick um seinen Hals tragen müssen, und zwar so lange bis der Bock kräftig geworden sei. Der Schneider habe nun seinen Bock von einem Hirten zusammen mit dessen Ziegen weiden lassen, bald aber gemerkt, dass sein Tier immer magerer wurde und zu hinken begann. Verärgert sei er zum Junker gegangen und habe den Hirten angeklagt, dass dieser sich nicht richtig um den Bock kümmere. Der zur Aussage herbeigeholte Hirte habe sich vor dem Schneider mit der Antwort gerechtfertigt, dass dieser, würde er sich wie sein Geißbock mit neun Ziegen täglich vergnügen, auch total erschöpft sein und dürr werden und hinken würde. Nach dieser Erklärung habe der Junker den Schneider ausgelacht, der verdrossen mit seinem Bock nach Hause gegangen sei. Der Schneider war seit jeher die „profilierteste Spottfigur unter den Handwerkern“.1 Das 56

Schneiderischer Maußworff Das jst. Bezüchtigung

Holzschnitt Typendruck in 3 Spalten; 115 Knittelverse Peter Geißberger (Pseudonym) 33,2 ! 23,8; 13,1 ! 23,8

im Spätmittelalter auftauchende Schneider-GeißMotiv besaß ursprünglich nicht nur eine satirische Färbung, sondern wurde wohl als Injurie empfunden, wie mehrere Verbote von Schneiderliedern aus dem 15. Jahrhundert belegen.2 In der literarischen und graphischen Schneidersatire, die im 19. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreichte, findet sich die Geiß (der Bock) als sein geläufiger Gegenspieler in spottender Funktion (b I, 60):3 Sie scheidet Schneider aus, verfolgt sie, kämpft mit ihnen oder wird von ihnen geritten und gegen sie gewogen; wenn sie als ein bloßes Attribut erscheint, dann mit skatologischen Konnotationen, indem sie ⫺ wie auf dem besprochenen Bild ⫺ ihren Kot ausscheidet.4 Die Entstehung der Assoziation von Schneider und Ziegenbock ist nicht ganz geklärt;5 die meisten Darstellungen setzen das Motiv als bekannt voraus. Einige wenige, zu denen auch das kommentierte Blatt gehört, bringen eine Geschichte, die den Zusammenhang zwischen den beiden Figuren zu erläutern versucht.6 Der Kontext kennzeichnet den Bock als Symbol für sexuelle Aktivität und Fruchtbarkeit:7 Durch die Aussage des Hirten in einer direkten Wendung an den Schneider, auch dieser würde dünn und gebrechlich aussehen, würde er sich genauso intensiv sexuell betätigen wie sein Bock, wird der Bezug zur Hauptfigur hergestellt. Ein weiteres für den Schneiderspott typisches Element, die Bezichtigung des Diebstahls, wurde im Blatt zentral als Auslöser der Ereignisse untergebracht. Die Gepflogenheit, zuviel von dem Stoff abzuschneiden und für sich zu behalten, war in unzähligen Schwänken Thema der Satire.8 Ein weiteres gängiges Klischee, die Schmächtigkeit der Schneider und zuweilen auch ihr nicht besonders gepflegtes Aussehen,9 bekam hier durch seine wohl ironisch aufzufassende Umkehrung ⫺ der Schneider erscheint als ein großgewachsener, „stolzer“ und wie ein Edelmann prunkvoll gekleideter Mann ⫺ die satirische Spitze. Die im Blatt erzählte Geschichte entspricht in der ersten Hälfte dem Schwank von Hans Sachs (1494⫺1576) ‚Vrsach der feindtschafft zwischen den schneydern und der geyß‘ von 1556.10 Hier findet sich sowohl der Name Geißberger für den Edelmann, den der Blattverfasser als Pseudonym für Drucker und Verleger übernommen hat, als auch die Redewendung ‚nach den Mäusen werfen‘,11 die im Blatttitel synonym zum ‚Diebstahl‘ als Maußworff erscheint. Das Blatt bildete die Vorlage für ein undatiertes Flugblatt mit dem Titel ‚Peinliche Anklag vnnd hitzige Antwort eines zornigen Schneiders vnd warhafften Hirtens‘.12 Es besitzt eine leicht abgewandelte Illustration als Kupferstich und erzählt dieselbe Geschichte, zum Teil mit denselben Formulierungen, nur dass hier die Ursache der Strafe nicht der Diebstahl, sondern die auffällig prunkvolle, dem Stand eines Handwerkers unangemessene Kleidung ist.

Weitere Standorte:

Andere Fassungen:

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MOSER-RATH: Schwank, 204–210, Zitat S. 204; A. KELLER: Die Handwerker im Volkshumor. Leipzig 1912, 96– 163; R. WOSSIDLO/ S. NEuMANN (Hgg.): Volksschwänke aus Mecklenburg. Berlin 31966, 24–38. Umfangreiches Material zu verschiedenen Motiven des Schneiderspotts bei B. SALDITT: Der Schneider u. die Geiß im Volksmunde bis zum 17. Jh. In: Hessische Blätter f. Volkskunde 30/31 (1902), 88–105. M. HASSE: Das Schneiderlied. In: R. W. BREDNICH u. a. (Hgg.): Handbuch des Volksliedes. I, München 1973, 801–831, hier 815 f. N.-A. BRINGÉuS: Schneiderspott. In: Bunte Bilder, 92– 94. Für das 19. Jahrhundert vgl. BRÜCKNER: Druckgraphik, 210, Nr. 183. Vgl. z. B. den Kupferstich von Jost Amman, der den Rangstreit zwischen Schneider und Kürschner darstellt, bei E. MuMMENHOFF : Der Handwerker in der dt. Vergangenheit. Jena 1924, Nachdr. Bayreuth [ca. 1980], 91, Abb. 91; s. auch das Titelblatt der Schneidersatire ‚Verbessertes vnd gantz neu ergangenes Ernstliches Mandat […] Hermanni Sartori/ etc. des […] SchneidereiOrdens/ erwehlten General‘. Diebingen (fingiert) o.J. Vgl. etwa KELLER: Handwerker, 125 f.; HASSE: Schneiderlied, 815, 823–826. Weit verbreitet war ein Schwank, in dem ein als Ziegenbock verkleideter Schneider eine belagerte Stadt rettet (Quellentexte bei MOSER-RATH: Schwank, 345, Anm. 59). Zum ‚geilen Bock‘ als Sinnbild des Lasters luxuria vgl. RDK II, Sp. 963–970; LCI I, Sp. 315 f.; DITTRICH: Tiersymbole, 572, 576–578. Beispiele bei KELLER: Handwerker, 111–123; MOSERRATH: Schwank, 204 f.; A. AARNE/ S. THOMPSON: The Types of the Folktale. A Classification and Bibliography. 4 Helsinki 1981, Nr. 1574–1574C. HASSE: Schneiderlied, 811 f., 818–821. Sachs: Werke, IX, 276–278. Eine kürzere Version in: Sachs: Fabeln und Schwänke, I, 491–493, und als Meisterlied ebd. VI, 268 f. Dazu KELLER: Handwerker, 112 f.: „Wenn man dem Schneider durch die Blume seine Diebereien vorrücken will, so fragt man ihn auch, ob er das Tuch nach den Mäusen geworfen habe. Die habens ihm wohl verschleppt wie dem Weber das Garn?“ Der Spruch findet sich ohne Erklärung bei WANDER: Sprichwörter-Lexikon, III, 547, Nr. 334. Eine unbefriedigende Erklärung bei RÖHRICH: Redensarten, III, 1014 f. Zur Auslegung der Maus im Wappen der Schneider in diesem Kontext vgl. ‚Verbessertes Mandat‘ (fol. A3v) und Bonifacius Sartorius (fing.): Der Schneider Genug- und Sattsame Widerlegung/ auf eine […] verböserte […] Lästerschrifft und Injurien. O.O.u.J., 16 f. Wolfenbüttel, HAB: Xb FM 94; Abb. bei MuMMENHOFF : Handwerker, Beilage 10. EP

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F 907

Ort Jahr Bild Text Format

Das Blatt diffamiert die Juden, indem es in Bild und Text etliche überkommene antijudaische Vorurteile zusammenträgt. Von rechts nach links schreitet zur Hölle ein von zwei Teufeln geleiteter Zug von Juden, die mit einem Judenring und einheitlicher Sondertracht kenntlich gemacht sind.1 Die Spitze des Zuges bilden ein Schulklopfer (2), ein Trompeter (3) und ein Herold (4); hinter ihnen und in der Mitte des Bildes reitet auf einer Sau die zentrale Figur des Messias (5) mit dem aufgeschlagenen Talmud in den Händen. Der zweite Reiter auf der Sau, der Rabbi Jekoff (6), sitzt verkehrt herum auf und hält sich an ihrem Schwanz fest. Der hinter dem Tier stehende Rabbi Dofuth (7) fordert mit einer Zeigegeste den knienden Rabbi Süßkindt (8) auf, den von der Sau ausgeschiedenen Kot zu verschlingen, während der Rabbi Senderlein (9) sie melkt. An ihn lehnt ein sichtlich geschwächter Mann ohne Judenring. Die Gruppe im hinteren Teil des Zuges besteht aus einem Harn beschauenden Arzt (10) sowie drei Dokumenten- und Vertragsfälschern (11–13), die an ihren Attributen zu erkennen sind; der fünfte Mann trinkt aus einem Glasgefäß. Über der Szene schwebt in einer Aureole aus Feuerflammen ein geflügeltes Monstrum mit Skorpionschwanz. Der Trompete, dem Harnbeschauglas und dem Trinkgefäß entspringen kleine Teufelsgestalten. In den zwei einleitenden Strophen wird die in Bild und Text ausgebreitete Satire zusammengefasst: Geführt von seinem Engel reite der Messias der Juden auf dem Talmud unter dem Geleit seines Gesindes, das die Christen und die Obrigkeit verwünsche und ihnen Schaden zuzufügen versuche. Der Haupttext besteht aus Aussagen der auf dem Bild dargestellten Gestalten; die ihnen zugewiesenen Zahlen bilden die Reihenfolge der Textabschnitte. Die Aussagen erweitern die einleitenden Informationen um die Sprecher entlarvende und verhöhnende Details. Die Überzeugung, „die Juden seien notorische Christus- und Christenfeinde, die in ihrer Gebetsund Ritualpraxis das öffentlich geltende christliche Bekenntnis zu schädigen suchten“, prägte seit den 1530er Jahren, als auch Luther in seinen Predigten gegen die Juden Stellung nahm, die „protestantischen Verhaltens- und Wertungsstrategien gegenüber der Judenheit“.2 Die religiösen Anschuldigungen, die aus dem durch die Kirche geschürten Hass des Volkes gegen die Juden resultierten und in Mysterienspielen und Moralitäten, dann auch in der Publizistik zum Ausdruck kamen,3 bilden die Grundlage des Blattes. Die Aussage des Messias lässt eine im 13. Jahrhundert entstandene, auf die messianischen Erwartungen der Juden bezogene Erzählung als strukturierende Basis des Blattes erkennen: Die seit der babyloni58

Der Juden zukunfftiger Messias groß

1563 Holzschnitt Typendruck in 2 und 4 Spalten; 8 und 136 Knittelverse 52,0 ! 40,8; 23,9 ! 40,8

schen Gefangenschaft verschollenen zehn Stämme Israels, die sog. roten Juden, seien zur Strafe für ihre Sünden von Alexander dem Großen in den kaspischen Bergen (im Blatt der Berg Horeb) als Gefolge von Gog und Magog eingeschlossen worden; eines Tages sollten sie mit ihrem Messias, dem Antichrist, ins gelobte Land aufbrechen und die Juden in Jerusalem und Europa von der Unterdrückung durch Muslime und Christen befreien.4 Der Stoff wurde im 16. Jahrhundert immer wieder in Flugschriften und ‚Neuen Zeitungen‘ als aktuelle Nachricht dargeboten, gelegentlich angereichert mit furchteinflößenden Behauptungen, dieses Volck sol so grausam vnd schrecklich sein/ das sich auch der Türcke dauor endsetzet vnnd fürchtet.5 Zwei verschiedene Fassungen einer solchen ‚Zeittunge von dem grossen Heer‘ erschienen in unmittelbarer zeitlicher Nähe zum Blatt, im Jahre 1562.6 Im Blatt wurde die Geschichte als Kontrafaktur konstruiert, wodurch es seinen diffamierenden Charakter bekam: Der jüdische Messias sei ein Nachfahre des Teufels, das gelobte Land wird zur Hölle, und die Juden erscheinen als Bande christenfeindlicher Verbrecher mit unnatürlichen und lasterhaften Wesenszügen, wie sie in der herkömmlichen Judensatire als Betrüger, Schacherer und Wucherer dargestellt wurden (b I, 169–171, IV, 51). Während die Verteufelung des Gegners als ein bewährtes Mittel für die Rechtfertigung der Feindschaft nicht nur in judenfeindlichen Blättern angewandt wurde,7 zitiert die Graphik mit dem zentralen Bildelement der Judensau das seit dem 13. Jahrhundert immer wieder verwendete Motiv der antijüdischen Schmähdarstellungen (b I, 171a).8 Da das Tier bei den Juden als unrein galt und der Verzehr seines Fleisches verboten war, es im allgemeinen für besonders schmutzig gehalten und daher auch in Verbindung mit dem Teufel und den Hexen gebracht wurde, machte es den Spott besonders gemein. In ähnlich infamer Weise wird auf dem Blatt der Talmud verleumdet, der seit dem Mittelalter Gegenstand der christlichen antijüdischen Polemik war und des Öfteren angeklagt und verbrannt wurde.9 Als Mittel der Verunglimpfung wurden im Blatt für die Beschreibung des Talmuds herabsetzende Metaphern verwendet wie Milch und Exkremente der Sau, teuflischer Inhalt des Harnbeschauglases und Trinkgefäßes oder der schwerkranke Mann, der nicht mehr zu retten sei. Der christlich-religiöse Aspekt des Judenspotts wird zusätzlich durch die Inszenierung des Zuges als eine Prozession herausgestellt, über der an der Stelle, wo gewöhnlich in der christlichen Ikonographie Gott oder der Heilige Geist dargestellt wurden, ein teuflischer Skorpion als Symbol der Israeliten10 schwebt.

Weitere Standorte: Braunschweig, HAUM: FB II; Frankfurt a. M., Historisches Museum: C.1590 (unvollständig; A 1)

Andere Fassungen: A1

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I. SHACHAR: The Judensau. A Medieval Anti-Jewish Motif and Its History. London 1974, 92, Anm. 282, Abb. 46. Monumenta Judaica. Ausstellungskatalog Köln 1963, B 311. H. SCHRECKENBERG: Die Juden in der Kunst Europas. Ein historischer Bildatlas. Göttingen u. a. 1996, 328 f. P. SCHÖNER: Judenbilder im dt. Einblattdruck der Renaissance. Ein Beitrag zur Imagologie. Baden-Baden 2002, Nr. 73. Flugblätter Coburg, Nr. 150. TH. KAuFMANN: Das Judentum in der frühreformatorischen Flugschriftenpublizistik. In: Zs. f. Theologie u. Kirche 95 (1998), 429–461, hier 458 f. N. BREMER: Das Bild der Juden in den Passionsspielen u. in der bildenden Kunst des dt. Mittelalters. Frankfurt a. M. 1986; J. DELuMEAu: Angst im Abendland. Die Gesch. kollektiver Ängste im Europa des 14. bis 18. Jh.s. Reinbek bei Hamburg 1989, 412–431; CHR. MITTLMEIER: Publizistik im Dienste antijüdischer Polemik. Spätmittelalterliche u. frühneuzeitliche Flugschriften u. Flugblätter zu Hostienschändungen. Frankfurt a. M. 2000. J. ARONIuS: Regesten zur Gesch. der Juden. Berlin 1902 (Nachdr. Hildesheim/ New York 1970), 227–230; A. C. GOW: The Red Jews. Leiden 1995. Vgl. auch SCHRECKENBERG: Juden, 262 f., 309. Newe Zeittung: Von den Newen Juden/ so aus dem Gebirge Caspyr kommen. Cölln 1574, [A4]r. Weitere Drucke bei WELLER: Zeitungen, Nr. 824 (Lindau 1596) und 825 (Wien 1596). Vgl. auch GOW: The Red Jews, 148–175. W. HARMS: Feindbilder im illustrierten Flugblatt der frühen Neuzeit. In: HARMS/ SCHILLING: Flugblatt der frühen Neuzeit, 245–275, hier 249–252. Zur Verteufelung der Juden vgl. J. TRACHTENBERG: The devil and the Jews. The Medieval Conception of the Jews and Its Relation to Modern Anti-Semitism. Philadelphia/ Jerusalem 1983; S. ROHRBACHER/ M. SCHMIDT: Judenbilder. Kulturgesch. antijüdischer Mythen u. antisemitischer Vorurteile. Reinbek bei Hamburg 1991, 151–169; K. SCHuBERT: Gottesvolk ⫺ Teufelsvolk ⫺ Gottesvolk. In: Die Macht der Bilder. Antisemitische Vorurteile u. Mythen. Ausstellungskatalog Wien 1995, 30–52. Zur Judensau am ausführlichsten SHACHAR: Judensau; SCHRECKENBERG: Juden, 21 und 343–349. Vgl. auch E. FuCHS: Die Juden in der Karikatur. München 1921, Abb. 6, 9, 15 f., 20, 42, 50 und Beil. 1. Vgl. z. B. TH. BARTOLDuS: Humanismus u. Talmudstreit. Pfefferkorn, Reuchlin u. die Dunkelmännerbriefe (1515/ 17). In: A. DOMRÖS u. a. (Hgg.): Judentum u. Antijudaismus in der dt. Literatur im Mittelalter u. an der Wende zur Neuzeit. Berlin 2002, 179–228. LCI IV, Sp. 170–172. EP

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IX, 30

F 200

Ort Jahr Bild Text Verleger Format

Vor dem Hintergrund der westfälischen Friedensverhandlungen malt das Blatt in kritischer Absicht das Bild pflichtvergessener, sich dem Wohlleben hingebender Soldaten in der Tradition des miles gloriosus. Im Zentrum der Graphik sind ein deutscher (links) und ein französischer Soldat dargestellt, die ihre Verbrüderung mit einem Handschlag (dextrarum coniunctio) besiegeln. Der Franzose trägt einen Hut mit großer Schmuckfeder, ein mit Nesteln und Borten verziertes Wams, eine halblange weite Hose und über die Knie herabgelassene, gespornte Stulpenstiefel. Der Degen hängt in einer breit ausgefächerten, geschlitzten Schärpe. Kinn- und Schnauzbart sowie eine schulterlange gelockte Allongeperücke unterstreichen die modische Erscheinung des Mannes. Sein Gegenüber macht mit seinen spitzenbesetzten bauschigen Ärmeln und dem Zierkragen einen gleichfalls modischen, insgesamt aber etwas dezenteren Eindruck. Der Franzose hält einen Deckelhumpen in der Linken, während der Deutsche auf einem Brett Tabak für seine Pfeife geschnitten hat. Beide sitzen an einem einfachen ungedeckten Tisch auf schlichten Bauernstühlen. Vor dem Fenster, dessen linke Butzenscheibe halb herausgefallen ist, steht ein (Kühl-?)Bottich. Die beiden Soldaten werden von ihren Burschen begleitet, die noch im Kindesalter sind und abgerissene Kleidung und löchrige Schuhe tragen. Die Feldschlacht, die im Hintergrund durch die offene Tür zu sehen ist, markiert den Krieg als Ursache für den armseligen Zustand der Jungen und ihres Domizils. Der Text ist als Dialog der beiden Soldaten inszeniert. Nach der gegenseitigen Begrüßung, deren nahezu identischer Wortlaut das beiderseitige Einvernehmen spiegelt, bekunden sie, dass ihnen Tabakrauch und Alkohol lieber seien als Pulverdampf und Gefechte. Provozierende Äußerungen über die Feigheit der Franzosen und die lügnerische Prahlsucht des Deutschen zeigen die Brüchigkeit der eingangs geschlossenen Brüderschaft. Die fünf durch Fettdruck hervorgehobenen Punkte, die der Deutsche als Bedingungen für eine fortwährende Verbrüderung aufzählt, machen dann vollends klar, dass die Freundschaft der beiden Kumpane nur Bestand hat, solange Bier und Geld reichen. Trotz der Herausstellung der unterschiedlichen Nationalität der beiden Soldaten sieht das Blatt weitgehend von einer Entfaltung nationaler Stereotypen ab: Die Differenzen der Mode sind eher gering; der Franzose preist das Bier, und der Vorwurf der Verlogenheit, den der Deutsche erhebt, wird umgehend an ihn zurückgegeben.1 Stattdessen überwiegen die Gemeinsamkeiten ihrer Berufsauffassung. Beide ziehen kulinarische Genüsse in der Gastwirtschaft dem Einsatz auf dem 60

Newauffgerichtete Verträwliche Brüderschafft eines Frantzösischen

Nürnberg (um 1648) Kupferstich von Andreas Kohl (1624–1657) Typendruck in 2 Spalten; 52 Alexandriner Paul Fürst (1608–1666) 37,4 ! 27,0; 15,2 ! 24,2

Schlachtfeld vor. Beide kämpfen lieber mit dem Mundwerk als mit den Waffen. Und beide wissen sich gegenseitig als wenig vertrauenswürdig einzuschätzen. Mit dem Bild des kampfesunwilligen, prahlenden und auf Kosten anderer prassenden Soldaten in der Nachfolge des miles gloriosus reproduziert das Blatt ein soziales Stereotyp, das anderweitig zwar sehr viel schärfer vorgetragen worden ist (b I, 172–176; IX, 81, 84), aber dennoch seine kritische Absicht deutlich genug zu erkennen gibt: Der Zustand des Hauses, vor allem aber die abgerissene Kleidung der beiden Trossbuben und die Schlachtszene im Hintergrund zeigen, dass die beiden Soldaten ihr angenehmes Leben auf Kosten ihrer Kameraden, ihrer Bediensteten und der Bevölkerung insgesamt führen. Die Verbrüderungsszene spielt auf die westfälischen Friedensverhandlungen an. Dabei dürfte das Blatt aber noch vor der Unterzeichnung des Friedens am 24. Oktober 1648 entstanden sein, da der Kupferstich noch Kriegshandlungen zeigt und das wechselseitige Misstrauen der beiden Soldaten noch klar hervortritt.2 Der Stich und die Verse sind von bemerkenswerter Qualität. Der Verleger Paul Fürst hat regelmäßig Autoren aus dem Umkreis der Pegnitzschäfer zur Abfassung von Texten für seine Flugblätter herangezogen. Auch in diesem Fall wird man einen Verfasser aus dem Blumenorden vermuten dürfen, wobei die nummerierende Aufzählung einer Vorliebe Georg Philipp Harsdörffers (1607–1658) entspricht. Die Qualität der Graphik ist auch dem niederländischen Maler Bartholomeus van der Helst (1613–1670) aufgefallen. Sie hat ihn bewogen, die Figuren der beiden Soldaten an prominenter Stelle in sein berühmtes Gemälde ‚Die Schützenmahlzeit in den Armbrustdoelen zur Feier des Westfälischen Friedens‘ (Amsterdam, Rijksmuseum) zu übernehmen. Im rechten Bildvordergrund sitzen der Kapitän Cornelis Jansz. Witsen (1605–1669) und sein Leutnant und reichen sich die rechte Hand.3 Ihre Haltung entspricht genau derjenigen der beiden Soldaten auf dem Flugblatt – bis hin zu dem Trinkgefäß, das der Kapitän in seiner Linken hält. Auch wenn van der Helst die Gestalten in Kleidung und Physiognomie den Erfordernissen der dargestellten Schützenmahlzeit vom 18. Juni 1648 in den Voetboogdoelen angepasst hat und der Bierkrug durch das historische Trinkhorn der Amsterdamer Bürgerwehren ersetzt wurde, ist das vorbildgebende Muster des Kupferstichs von Andreas Kohl unverkennbar.

Weitere Standorte: Berlin, KB: 1001,12; Berlin, SBPK: YA 7295 m; Dresden, LUB: Hist. Germ. C. 16, misc.7; Gotha, SM: 17,7; Nürnberg, GNM: 15575/1261, und: 24506/1294; Wolfegg, KK: Flugblätter 250,288 (A 1)

Andere Fassungen: A A A A 1

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PAAS VIII, P-2242. LIEBE: Soldat, Beilage 5. BOLTE: Bilderbogen (1910), 201, Nr. 58. HAMPE: Fürst, Nr. 264. Zum Cluster deutsch-französischer Vorurteile vgl. G.-L. FINK: Vom Alamodestreit zur Frühaufklärung. Das wechselseitige dt.-französische Spiegelbild 1648–1750. In: Recherches germaniques 21 (1991), 2–47; E. REICHEL: Heimath der Schaulust, der Eitelkeit, der Moden und Novitäten. Frankreich u. der Franzose. In: F. K. STANZEL (Hg.): Europäischer Völkerspiegel. Imagologisch-ethnographische Studien zu den Völkertafeln des frühen 18. Jhs. Heidelberg 1999, 169–181; R. FLORACK: Tiefsinnige Deutsche, frivole Franzosen. Nationale Stereotype in dt. u. französischer Literatur. Stuttgart/ Weimar 2001, 128–157; DIES.: Bekannte Fremde. Zu Herkunft u. Funktion nationaler Stereotype in der Literatur. Tübingen 2007, 143–229. PAAS VIII, P-2242, datiert das Blatt ohne Begründung auf 1649. Vgl. C./ A. TÜMPEL: Die Spiegelung von Krieg u. Frieden in der niederländischen Kunst. In: Krieg und Frieden, II, 555–564, hier 563; A. M. KETTERING: Gerard ter Borchs ‚Beschwörung der Ratifikation des Friedens von Münster‘ als Historienbild. In: Ebd., 605–614, hier 606 f. mit Abb. 2. MSch

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IX, 31

F 760

Ort Jahr Bild Text Format

Das Blatt belustigt sich über die Sprache und Mentalität italienischer Wanderhändler und bietet den frühesten bekannten Beleg für das Kauderwelsche. Die Illustration besteht aus zwei Bildfeldern. Links überreicht ein Bote, dessen Profession an seinem langen Botenstab erkennbar ist,1 einer Frau, deren Kleidung sie als Bürgerin ausweist, einen Brief, auf dem mit Catrinae und baldgut die Namen der Adressatin und des Absenders zu lesen sind. Die Szene spielt in einer offenen Landschaft mit bewaldeten Hügeln und Architekturelementen. Das rechte Bild zeigt einen Innenraum. Vor einer Wand mit zwei Fenstern, zwischen denen ein Spiegel (Bild?) hängt, stehen eine lange Bank und ein Tisch. Am Tisch sitzen zwei Männer, von denen der eine im Gestus des Nachdenkens und der Melancholie seinen Kopf in die Hand stützt, während der jüngere der beiden vor sich sein Schreibzeug (Tintenfass, Federkasten und Papier) ausgebreitet hat und einen Brief schreibt. Den beiden Bildern ist je ein Text zugeordnet. Der linke gibt den Inhalt des im Bild überbrachten Briefes wieder, den der italienische Gewürzkrämer Andreas (Handre) Baldgut seiner Frau Catharina (Gatrina) aus Italien nach Deutschland schickt. Er beginnt mit guten Wünschen, der Ankündigung der baldigen Rückkehr und einer Aufzählung der Waren, die er in Groser Gist voll mitbringen werde. Er schreibt weiter, dass er von der Untreue seiner Frau und von ihrem unehelichen Kind gehört habe, doch bleibt seine Empörung sehr gedämpft, da er selbst in Italien swu Butan (puttana – Hure) besucht und ein Kind gezeugt habe: ister das weth. Dabei habe er sich zwar mit der französischen Krankheit (Syphilis) infiziert, sei aber schon widter sundt. Mit Nachrichten von den Eltern und den kriminellen Machenschaften der Geschwister schließt der Brief. Als Nachsatz empfiehlt der Schreiber seiner Frau, den Boten zu verköstigen und ihn im Ehebett schlafen zu lassen, um den Botenlohn zu sparen. Bei dem zweiten Text geht es ebenfalls um einen Brief, den diesfalls jedoch ein italienischer Zitronenhändler einem schreibkundigen Kellner in einem deutschen Wirtshaus diktiert. Der Brief richtet sich an einen Geschäftspartner in Italien und beklagt unter Flüchen und Drohungen das Ausbleiben der schon bezahlten Ware. Das Gespräch mit dem schreibenden Kellner macht deutlich, dass der Händler mit den Konventionen schriftlicher Kommunikation nicht vertraut ist, da ihm der Schreiber erklären muss, dass sich das ‚Ich‘ im Brief auf den unterschreibenden Absender und eben nicht auf den lediglich die Feder führenden Kellner bezieht. Bei der etymologischen Herleitung des Wortes ‚kauderwelsch‘ stehen drei Hypothesen nebenei62

Ein Sändschreiben auß Italia, von

(Augsburg?) (um 1620) Kupferstich von zwei Platten graviert in 2 Spalten; Prosa 12,6 ! 22,8 (oben), 19,0 ! 22,8 (unten)

nander.2 Zum einen wird ein Zusammenhang mit dem frühneuhochdeutschen ‚churwelsch‘ (für rätoromanisch) vermutet; zum andern leitet man es von ‚Kaudern‘ im Sinne von ‚schreien, plappern‘ ab, und zum dritten stellt man es zu ‚kaudern‘ als ‚Klein- und Zwischenhandel treiben‘ und bezieht es auf das gebrochene Deutsch italienischer Wanderhändler. Für die letztere Herleitung wird besonders auf eine Aufzählung bei Johann Fischart (1546/47–1590) verwiesen, bei der die kuderwelschen in eine Reihe mit Tagelöhnern, Bettlern, Schnittern, Salzsiedern und anderen wenig angesehenen Berufsgruppen gestellt werden.3 Das vorliegende Blatt bestätigt diese Etymologie und bietet zugleich den frühesten Beleg für eine literarische Darbietung des Kauderwelschen. Dabei werden typische Schwierigkeiten der Italiener mit der deutschen Sprache auf allen Ebenen (der Aussprache, der Morphologie, der Wortbildung, der Syntax) karikiert. Während makkaronische Sprachmischungen mit dem Lateinischen in der Regel als Gelehrten-, Universitäts- oder Kirchensatire dienten, die im Zeitalter der Reformation konfessionspolemischen Zwecken zugeführt werden konnten,4 wird hier das sprachliche mixtum compositum dazu verwendet, Komik auf Kosten des südlichen Nachbarn zu erzeugen. Über die Sprache hinaus setzt der Verfasser zahlreiche nationale Stereotype ein, um die beiden Italiener zu charakterisieren. Insbesondere der Schreiber des linken Briefes entspricht vielfach deutschen Vorurteilen, wenn er als ein leichtfertiger, mit unbegrenztem Optimismus ausgestatteter (Baldgut!) Zeitgenosse auftritt, der den Frauen zugeneigt ist und eine Familie mit krimineller Energie im Hintergrund hat. Beide Briefschreiber verfügen über ein aufbrausendes Temperament (Gatzo!; Androhung von Waffengewalt), sind aber ebenso schnell bereit, sich mit der Situation zu arrangieren. Das Blatt ordnet sich insgesamt dem Phänomen des Nachbarschaftsspotts zu, der angrenzende nationale, regionale oder lokale Gruppen aufgrund der ihnen zugeschriebenen Sprache, Eigenschaften, Verhaltensweisen und Bräuche dem Lachen preisgibt (b IX, 32 f.),5 um die eigene Identität zu bestätigen und zu bestärken. Die Kleidung der Figuren, der Stil der Darstellung und der Schriftduktus erlauben eine Datierung ins erste oder zweite Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts; stilgeschichtlich erinnert der Stich an die Blätter der Augsburger Offizinen Christoph Greuters (nachgewiesen 1611–1623) oder Matthäus Rembolds (tätig 1622–1657; b IX, 26). Diese Beobachtung passt zum einen gut zu den traditionell engen Verbindungen der Fuggerstadt mit Norditalien;6 und sie fügt sich zum andern zu den bairischschwäbischen Wortformen, die in den Texten zu beobachten sind (kellerer; min Wib; [ge]west; nit). Das Blatt wurde auf einem Einblattdruck zum oberösterreichischen Bauernkrieg von 1626 nachgeahmt; dort sind gleichfalls zwei Briefe in

deutsch-italienischer Mischsprache in ähnlicher Personenkonstellation wiedergegeben (b I, 177).7 Die Abhängigkeit von dem vorliegenden Blatt bezeugen zudem etliche Übernahmen einzelner Sätze und Formulierungen.

Weitere Standorte:

Andere Fassungen:

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Vgl. H.-D. HEIMANN: Brievedregher. Kommunikationsu. alltagsgeschichtliche Zugänge zur vormodernen Postgesch. u. Dienstleistungskultur. In: Kommunikation u. Alltag in Spätmittelalter u. früher Neuzeit. Wien 1992, 251–292; G. HIRTSIEFER: Durch windt durch schnee ich armer held. Bey dag bey nacht lauff durch das feld … Eine Kölner Botendarstellung vom Anfang des 17. Jhs. In: Jb. d. Kölnischen Geschichtsvereins 71 (2000), 107– 112. W. PFEIFFER (Hg.): Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. München 1995, 638 f. Johann Fischart: Aller Praktik Großmutter. Abdruck der ersten Bearbeitung (1572). Hg. von W. BRAuNE. Halle a. S. 1876, 11. G. HESS: Dt.-lateinische Narrenzunft. Studien zum Verhältnis von Volkssprache u. Latinität in der satirischen Literatur des 16. Jhs. München 1971, 234–244. R. W. BREDNICH: Ortsneckerei. In: EM 10 (2002), 376– 382. Vgl. B. ROECK u. a. (Hgg.): Venedig u. Oberdeutschland in der Renaissance. Beziehungen zwischen Kunst u. Wirtschaft. Sigmaringen 1993; DERS.: Kulturelle Beziehungen zwischen Augsburg u. Venedig in der Frühen Neuzeit. In: J. BRÜNING/ F. NIEWÖHNER (Hgg.): Augsburg in der Frühen Neuzeit. Beiträge zu einem Forschungsprogramm. Berlin 1995, 421–434. PAAS IV, P 1107–1110. MSch

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IX, 32

F 83

Ort Jahr Bild Text Format

Das Blatt gibt den Schwank von den sieben Schwaben in schwäbischem Dialekt wieder und bietet damit ein frühes Beispiel für Mundartdichtung. Die Graphik zeigt jenen Moment, in dem die sieben tapferen Schwaben mit einem langen Spieß auf einen Hasen losgehen, aber keiner den Mut hat, die vorderste Stelle einzunehmen, weswegen sich die beiden ersten Schwaben hilfesuchend nach ihren Hintermännern umdrehen. Auf diese Situation zielt die Bildinschrift Gang du vaor nahn (Geh du voran). Die Männer sind als Schwaben durch die beigeschriebenen Namen, aber auch durch ihre Tracht, insbesondere durch die mit Nesteln behängten Brustriemen und Schamkapseln gekennzeichnet (b IX, 33). Der Text erzählt in schwäbischer Mundart den verbreiteten Schwank von den sieben tapferen Schwaben.1 Der Erzähler stellt die Protagonisten zunächst namentlich vor und kennzeichnet sie durch ihre Berufe, Eigenschaften oder Abstammung. Dabei stehen Angaben wie Wär sunstan gar gmoid auff der Straoß oder Sunst vin Hertzhaffter baiser Strantz in komischem Kontrast zu dem anschließend gezeigten Verhalten. Als die Sieben in einem Hasen ein bösartiges, gefährliches Untier erblicken, traut sich keiner, die erste Stelle an ihrem gemeinsamen Spieß zu halten. In ihrer Not rufen sie Gott um Hilfe an (Hair ayß erlayß). Das Geschrei verjagt den Hasen, woraufhin die Schwaben auf ihre Knie fallen, um dem Heyra Loub vnd Daunck zu sagen. Die Geschichte von den Schwaben und dem Hasen, deren verbreitetste Versionen sich in den ‚Kinder- und Hausmärchen‘ der Brüder Grimm2 und dem Volksbuch von Ludwig Aurbacher (1784–1847)3 finden, lässt sich bis ins ausgehende 15. Jahrhundert zurückverfolgen.4 Während in der älteren Überlieferung von neun Schwaben, die gelegentlich auch als Bayern bezeichnet wurden, die Rede ist, reduziert sich ihre Zahl seit dem 17. Jahrhundert auf sieben, sei es unter dem Einfluss der Narrenzahl Sieben (b IX, 19), sei es als Gegenbild zu den sieben Weisen der Antike.5 Die Popularität der Geschichte in der frühen Neuzeit ist abzulesen an ihrer Aufnahme in die Schwanksammlungen von Martin Montanus (nachweisbar 1540– 1566) und Hans Wilhelm Kirchhof (1525–1605),6 in die Sprichwörtersammlung von Eucharius Eyering (um 1520–1597)7 und vor allem an ihrer Verbreitung auf illustrierten Flugblättern. Auf dem vorliegenden Blatt und seinen Varianten wird der Schwank von den sieben Schwaben erstmals illustriert. Dabei setzt der Graphiker das Missverhältnis von furchtsamem Hasen und noch ängstlicheren Schwaben geschickt ins Bild, indem er die Männer entlang der mindestens fünf Meter messenden Lanze in breiter Front aufreiht und ei64

Historia/ Von den Sieben Schwaben

(um 1640) Kupferstich Typendruck in 3 Spalten; 44 Knittelverse 36,5 ! 29,9; 18,0 ! 22,7

nem Hasen gegenüberstellt, der in der linken unteren Bildecke halb verdeckt durch ein Gebüsch kaum auszumachen ist. Dieses Bildschema wurde in der Folgezeit auf allen Schwaben-Flugblättern beibehalten. Der Text, der mit dem Hochdeutsch der Überschrift und des fiktiven Impressums kontrastiert, ist ein frühes Beispiel für Mundartdichtung, die hier zum einen als Mittel der Authentifizierung, vor allem aber zur landschaftlich und sozial (Baurn-sprach) abgrenzenden Komisierung eingesetzt wird und somit den komischen Zwischenspielen im zeitgenössischen Drama entspricht.8 Auch gattungssystematisch spielt der Text mit dem Kontrast von hoher Literatur und niederem Anlass, wenn durch die breite Aufzählung der Bauernnamen die Heldenschau des carmen heroicum und durch die kniefällige Danksagung an Gott das Erzählschema ‚Errettung aus großer Not‘ in den Schwaunck hineinzitiert werden. Im Verlag Paul Fürsts (1608–1666), bei dem die Fassungen d und e publiziert wurden, erschien unter dem Titel ‚Abbildung und entwurff der Sieben Frommen und Redlichen Schwaben‘ auch eine Apologie der wackeren Kämpfer.9 Auf einem weiteren Blatt mit dem Titel ‚Die Sieben Redlichen Schwaben‘ beschränkt sich der Text auf die Wiedergabe kurzer Äußerungen der beteiligten Bauern.10

Weitere Standorte:

Andere Fassungen: a)

b) c)

c) d) e)

ohne Exemplarnachweis11 [neuer Kupferstich; Bildinschrift: Ragineli Gang du vaor nahnn Ich halt dich vaor ein Bidermahn; die Bauern sind nummeriert] ehem. Donaueschingen, Fürstliches KK12 [Titel: … sieben … Haasen …] ehem. München, GS13 [Die hoch vnd wolbekannte Historia/ | Von den Sieben frommen vnd redlichen Schwa | ben mit dem Hasen/ in gut Schwäbischer Bawrensprach …] Nürnberg, GNM14 [Die hoch vnd wolbekandte Historia/ …; o.O.u.J.] Nürnberg, GNM: 3589/1294 [wie c; Nürnberg: Paul Fürst o.J.] Gotha, SM: G 45, 10; ehem. Antiquariat Halle, München15 [Die hoch vnd wolbekannte Historia/ …; Nürnberg: Paul Fürst o.J.]

A1 A2

WÄSCHER, 85. H. VOGEL: Bilderbogen, Papiersoldat, Würfelspiel u. Lebensrad. Volkstümliche Graphik für Kinder aus fünf Jh.en. Leipzig 1981, 29.

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Zusammenfassend K. GRAF: Sieben Schwaben. In: EM 12 (2007), 649–654. Jakob u. Wilhelm Grimm: Kinder- u. Hausmärchen. Hg. von H. RÖLLEKE. Frankfurt a. M. 1985, 497–500. Ludwig Aurbacher: Geschichte von den sieben Schwaben. Stuttgart 1832. Vgl. die handschriftlich überlieferte ‚Comedia de lepore quadam‘, in: Martin Montanus: Schwankbücher (1557– 1566). Hg. von J. BOLTE. Tübingen 1899, 507–510. Vgl. B. LuNDT: Sieben weise Meister. In: EM 12 (2007), 654–660. Montanus: Schwankbücher, 278 f.; Hans Wilhelm Kirchhof: Wendunmuth. Hg. von H. ÖSTERLEY, I. Tübingen 1869 (Nachdr. Hildesheim/ New York 1980), 318 f. Eucharius Eyering: Proverbiorum Copia, II. Eisleben 1601 (Nachdr. Hildesheim/ New York 1999), 236–238. H. E. SCHRAMM: Mundartdichtung, schwäbische. In: Reallexikon der dt. Literaturgesch. Begründet von P. MERKER/ W. STAMMLER, 2. Aufl. hg. von W. KOHLSCHMIDT u. a., II. Berlin 1965 (Nachdr. Berlin/ New York 2001), 531–535; B. JAHN: Die Inszenierung des Volkstümlichen u. seine Aporien. Versuch einer Annäherung an Simon Dachs ‚Grethke‘-Lied. In: A. E. WALTER (Hg.): Simon Dach (1605–1659). Werk u. Nachwirken. Tübingen 2008, 191–210; DERS.: Der Bauer als Pasticcio. In: CHR. MEIER u. a. (Hgg.): Akteure u. Aktionen. Figuren u. Handlungstypen im Drama der Frühen Neuzeit. Münster 2008, 369⫺389. HAMPE: Fürst, Nr. 297; Textabdruck in: Montanus: Schwankbücher, 597. Ex. Nürnberg, GNM: 19955/1294; Textabdruck nach einer anderen Fassung bei J. BOLTE: Zwei Flugblätter von den sieben Schwaben. In: Zs. d. Vereins f. Volkskunde 4 (1894), 430–437, hier 436 f. RÖHRICH: Redensarten, IV, 1424 (der dort stehende Bildnachweis ist falsch). WELLER: Annalen, I, 421, Nr. 829; BOLTE: Zwei Flugblätter, 435 f. M. RADLKOFER: Die sieben Schwaben u. ihr hervorragendster Historiograph Ludwig Aurbacher. Hamburg 1895, 20–22. DIEDERICHS, Abb. 952. Antiquariat Halle, Nr. 1188. MSch

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F 410

Ort Jahr Bild Text Format

Das Blatt verbindet die ikonographischen Traditionen der Bauernhochzeit und des Trachtenbildes mit dem Schwabenspott. Vor dem Betrachter steht das Brautpaar Jackele (Jakob) und Treina (Katharina). Mit breitkrempigem Hut, Schwert, tressengeschmücktem Hemd, Schamkapsel, weiten Ärmeln und eng anliegenden Hosen bzw. mit Brautkrone, gerüschtem Kragen, Puffärmeln, hochgeschnürtem, bortenverziertem Kleid und Fürtüchlein präsentieren sich die Brautleute in ihrem bäuerlichen Festtagsstaat. Der Hintergrund zeigt im dörflichen Ambiente Szenen einer Bauernhochzeit. Rechts verlässt der Brautzug die Kirche, in der Mitte vollführen mehrere Tanzpaare zu den Klängen einer Sackpfeife einen ausgelassenen Reigen, während man sich links an einer großen Tafel zum Hochzeitsschmaus zusammengefunden hat. Der Text ist den Brautleuten in den Mund gelegt, wobei die wechselseitigen Anreden und die Positionierung unter den Figuren die jeweilige Zuordnung bestimmen. Der Bräutigam gibt in Hinblick auf die in zwei Wochen stattfindende Hochzeit an, wen er zum Fest einzuladen gedenkt. In ihrer Antwort führt Treina ihrerseits auf, wen sie als Gast auf ihrer Hochzeitsfeier zu sehen wünscht. Die Reden erhalten ihre Komik durch die schwäbische Mundart, die mit der gestelzten Ausdrucksweise der Sprecher kontrastiert (Deina Reda gar wol gelairt), durch die umständlichen verwandtschaftlichen Bezeichnungen der Gäste und durch die nichtigen Begründungen für die Einladungen (Jhr Etta macht meim Etta dWanna). Seit der Reformation zählen Kirchweihfeste und Bauernhochzeiten zu den bevorzugten Sujets der Kunst. Bei Hans Sebald Beham (1500–1550), Georg Pencz (um 1500–1550), Daniel Hopfer (um 1470–1536) oder Erhard Schön (um 1491–1542) werden dabei die Bauern als triebhaft, dumm und unbeherrscht charakterisiert und als Gegenbild zur zivilisierten und disziplinierten Gesellschaft des Stadtbürgertums und des Adels entworfen, das den aus eben diesen Schichten stammenden Betrachter amüsiert, die durch den Bauernkrieg geweckten Ängste weglachen lässt und seiner eigenen Überlegenheit vergewissert. Zugleich bedienten diese Schilderungen ländlicher Unbekümmertheit die Sehnsucht nach dem einfachen Leben, in dem man seinen elementaren Bedürfnissen nach Essen und Trinken, nach Sexualität oder Müßiggang nachgehen kann, ohne sich von Verboten, Benimmregeln oder geistlichen Ermahnungen eingeengt zu fühlen.1 Während in den frühen Darstellungen bäuerlicher Lustbarkeiten das Bemühen um Abgrenzung stärker betont wurde, stand seit Pieter Breughel d. Ä. (1520/5–1569) eher die Faszination am heiteren Treiben der Landbevölkerung im Vordergrund, ohne dass man deswegen 66

LJeba Treina hair laun dir sage [Inc.]

(Mitte 17. Jahrhundert) Kupferstich Typendruck in 4 Spalten; 32 Knittelverse 22,8 ! 28,2; 19,0 ! 28,2

die eigenen zivilisatorischen Standards verabschieden wollte. Das vorliegende Blatt betont in der Graphik eher die Freuden des Landlebens: Die Darstellung des ausgelassenen Tanzes verzichtet auf die Wiedergabe sexueller Übergriffe, und die Tafelrunde ist sittsam bei Speis’ und Trank versammelt und korrespondiert so mit dem geordneten Zug der Hochzeitsgesellschaft, der rechts die Kirche verlässt. Nur auf der sprachlichen Ebene entfaltet sich jene Komik, die es dem stadtbürgerlichen Publikum erlaubt, sich dem dargestellten Treiben und dem Brautpaar überlegen zu fühlen. Durch die Verwendung des schwäbischen Dialekts erhält der soziale Aspekt des Spotts auch eine regionale Dimension. Der Nachbarschaftsspott über die Schwaben war in der frühen Neuzeit sehr populär und hatte in dem Schwank von den sieben Schwaben seinen verbreitetsten Ausdruck gefunden (b IX, 32). Die Fassung b des Blatts hat denn auch durch einige Zusätze im Bild diesen Schwank in Erinnerung gerufen, wenn zwischen das Brautpaar ein Wappen eingefügt wurde, auf dem ein Hase (RAGENERLI) eine mit den Ziffern 1–7 versehene Lanze hält, und auf dem Boden ein Frosch sein WaatWaatWaat quakt.2 Neben der Bauernhochzeit und dem Schwabenspott bringt das Blatt noch ein drittes Momentum zur Geltung: das beliebte Trachtenbild. Besondere Verbreitung erfuhr das ‚Frauentrachtenbuch‘ von Jost Amman (1539–1591). Weitere Vertreter dieser Gattung wie auch Neuauflagen älterer Trachtenbücher folgten das ganze 17. Jahrhundert hindurch. Die Beliebtheit dieses Sujets bezeugen auch Flugblattserien, die den Vorteil besaßen, dass man sie zu einem Leporello oder Wandfries zusammenkleben oder aber nur eine Auswahl von Einzelblättern erwerben konnte (b VI, 34).3 In der gehobeneren Kunstgraphik verband man Personifikationszyklen wie die Jahres- oder Tageszeiten, die Elemente oder die Sinne mit einer Präsentation von Frisuren, Kostümen und Trachten.4 Wie bei dem vorliegenden Blatt werden dabei die prachtvoll gekleideten Gestalten des Vordergrunds durch kleine Szenen im Hintergrund ergänzt und erläutert. Eine Vorlage für das schwäbische Hochzeitspaar konnte bisher nicht ermittelt werden. Mit den Themen Bauernhochzeit, Schwabenspott und Trachtenbild bediente das Blatt den zeitgenössischen Geschmack.5 Ob sich Hochzeitspaare das Blatt selbstironisch zu eigen gemacht haben, um ihre Gäste einzuladen, lässt sich zwar nicht belegen, bildet aber eine ansprechende Vermutung.6

Weitere Standorte: Nürnberg, GNM: 2342/1277

Andere Fassungen: a) b)

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Berlin, SBPK: YA 3347 kl. [LJeba Troina...; Kupferstich im Gegensinn] ehem. Gotha, SM;7 Nürnberg, GNM: 25655/1209; Zagreb, Staatsarchiv: VZ VIII, 388 [Text graviert; Spottwappen zwischen dem Brautpaar] S. ALPERS: Bruegel’s Festive Peasants. In: Simiolus 6 (1972/73), 163–176; K. P. F. MOXEY: Sebald Beham’s church anniversary holidays. Festive peasants as instruments of repressive humor. In: Simiolus 12 (1981), 107– 130; H.-J. RAuPP: Bauernsatiren. Entstehung und Entwicklung des bäuerlichen Genres in der dt. u. niederländischen Kunst ca. 1470–1570. Niederzier 1986; A. STEWART: Paper Festivals and Popular Entertainment. The Kermis Woodcuts of Sebald Beham in Reformation Nuremberg. In: Sixteenth Century Journal 24 (1993), 301–350; Kein Tag wie jeder andere. Fest u. Vergnügen in der niederländischen Kunst, ca. 1520–1630. Ausstellungskatalog Braunschweig 2002. Illustrierte Flugblätter, Nr. 73. Der Frosch spielt auf das Ende der sieben Schwaben an, die jämmerlich in einem Fluss ertrinken, weil sie das watwat eines Frosches als Aufforderung missverstehen, das Gewässer zu Fuß zu durchqueren. STRAuSS II, 784–787; ALEXANDER/ STRAuSS I, 119–131. Der Welt Lauf. Allegorische Graphikserien des Manierismus. Ausstellungskatalog Stuttgart 1997, 98 f., 104 f., 127. Davon zeugen sowohl die drei Fassungen als auch eine Abschrift des Textes; vgl. J. BOLTE: Schwäbische Hochzeitsabrede. In: Alemannia 24 (1897), 167–169. Ein vergleichbares Gespräch eines schwäbischen Brautpaares bei A. BARTSCH: Der Winckalheyrath. In: Alemannia 17 (1889), 69⫺77. Illustrierte Flugblätter, Nr. 73; HAFTLMEIER-SEIFFERT: Bauerndarstellungen, 64–66. A. BARTELS: Der Bauer in der dt. Vergangenheit. Leipzig 1900, Abb. 59. PELC: Theatrum, 39 f. mit Abb. 21. MSch

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IX, 33a

G 46

Ort Jahr Bild Text Verleger Format

Am Beginn einer Serie mit zehn Darstellungen der weiblichen Lebensalter behandelt das Blatt die Lebensphasen von zehn und 20 Jahren. Der Holzschnitt zeigt drei Personen. In der Mitte sitzt ein Mädchen auf einer Rasenfläche. Es hält in Vorbereitung auf seine spätere Mutterrolle eine Puppe im Arm. Ein Blütenkranz auf dem Kopf, ein Korb voller Blumen und das Rosenspalier im Hintergrund deuten einen Garten als Ort des Geschehens an. Der Blick des Mädchens ist auf das Puppenspielzeug rechts am Boden gerichtet. Links steht eine unverheiratete junge Frau, deren gehobener Stand durch ihre Kleidung zur Geltung kommt. Sie hat ihre Arme vor dem Leib verschränkt. Zwar ist ihr Kopf schamhaft gesenkt, doch sind ihre Augen auf den Betrachter als potenziellen Heiratskandidaten gerichtet. Auf den ersten Blick ist die Figur im rechten Bildraum rätselhaft. Sie streicht mit einem kurzen Bogen eine kleine Fiedel (Rebec) und ist durch ihr mi-parti und die zerschlissenen Schuhe, aus denen die Zehen herausgucken, als Spielmann gekennzeichnet, der mit seinem spöttisch-herausfordernden Blick und dem angehobenen Bein die Jungfrau zart zu einem Tanz verführen will. Dabei wird eine sexuelle Komponente sowohl durch eine entsprechende Drapierung der Schamkapsel als auch durch zwei sich paarende Vögel auf einem Rosenzweig ins Bild gesetzt. Die seitlichen halben Pfeiler sind marmoriert, ruhen auf einem Sockel und fügen sich mit den Folgeblättern zu einem durchgehenden Fries zusammen. Der Text ist dem Musikanten in den Mund gelegt, der seinen Auftritt mit dem Hinweis auf den etymologischen Zusammenhang von griechisch παιδεία (Jugend, Kindheit) und παίζω (spielen, tanzen, singen) rechtfertigt. Daher sei kurtzweil mit kurtzweiligen Leuten angesagt, auch wenn hie die Braut ihren Unwillen über seine Narreteien bekunde. Bei aller Freude im Frühling möge man aber bedenken, dass der Winter bald allem ein Ende bereite. Deutungsbedürftig ist besonders die vielschichtige Gestalt des Spielmanns, dessen einleitende Worte und Musik auf die Kunst des Erzählens zurückverweisen: Der Musikant ist eine Maske des Autors.1 Die spöttische Mimik des Spielmanns ist zudem Ausdruck seiner (Schalks-)Narrheit (ich mich stell närrisch an)2 und deutet an, dass der Autor für sich die Narrenfreiheit des Erzählens beansprucht,3 sich aber eventuell auch selbstironisch als Liebesnarr inszeniert. Der Hinweis auf die Vergänglichkeit von Jugend und Schönheit erlaubt noch eine weitere Lesart des Spielmanns: Es könnte sich um eine Personifikation des Todes handeln.4 Sind die spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Totentänze in ers68

X Jar Kindischer art, XX Jar ein Jungfrau zart

(Straßburg) (um 1575) kolorierter Holzschnitt (vom Monogrammisten MB nach Tobias Stimmer, 1539⫺1584; b IX, 33e) Typendruck in 3 Spalten; 18 Knittelverse (von Johann Fischart, 1547⫺1590; b IX, 33b) (Bernhard Jobin, um 1545⫺1593; b IX, 33e) 36,9 ! 27,2; 27,6 ! 27,1

ter Linie ständisch organisiert,5 so werden hier ⫺ wie auch in anderen Darstellungen der menschlichen Altersstufen (b IX, 34 f.) – gleich im ersten Bild der Holzschnittfolge die Lebensalter unter das Signum des Todes gestellt. Nimmt man die Aspekte von Tod und Sexualität zusammen, bietet das Blatt auch eine durch die Lebensalter neu kontextualisierte Variante des im 16. Jahrhundert beliebten Motivs vom ‚Tod und dem Mädchen‘,6 ein Motiv, auf das noch Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau (1616⫺1679) in dem Eingangsquartett seines berühmten Sonetts ‚Vergänglichkeit der Schönheit‘ anspielt: ES wird der bleiche todt mit seiner kalten hand/ Dir endlich mit der zeit umb deine brüste streichen/ Der liebliche corall der lippen wird verbleichen; Der schultern warmer schnee wird werden kalter sand.7

Weitere Standorte: Nürnberg, GNM: 5780/63 (A 1)

Andere Fassungen: a)

A A A A A 1

Wenn man der Beobachtung zustimmt, dass die Züge des Musikanten auch eine diabolische Komponente enthalten,8 böte das Blatt zudem eine eindrucksvolle bildnerische Umsetzung der Vorstellung vom Tod als ‚Spielmann des Teufels‘.9 Die Blätter der Serie wurden nicht nur durch das übergreifende Thema der Lebensalter und durch die von den Halbpfeilern vorgegebene Zusammenfügung zu einem Bildfries verbunden. Auch die Wiederaufnahme einzelner Motive schuf einen konzeptionellen Zusammenhalt. So korrespondiert das vorliegende Eröffnungsblatt mit dem letzten Blatt der weiblichen Lebensalter durch das Mädchen mit der Puppe, die Rosen im Hintergrund und vor allem den tanzenden Tod. Die in Halle erhaltene Serie der weiblichen und männlichen Lebensalter ist die einzige, welche die Texte Fischarts vollständig überliefert hat. Zudem ist sie als einzige koloriert. Die Blätter waren als Doppelserie konzipiert und sollten als Fries nebeneinander betrachtet werden.10 Am besten kamen sie als Wandschmuck zur Geltung, als der sie vermutlich in erster Linie gedacht waren. Da die Impressa nur auf dem jeweils letzten Blatt der beiden Serien erscheinen, ist davon auszugehen, dass Jobin die Folgen vornehmlich komplett zu verkaufen gedachte. Die lückenhafte Überlieferung lässt allerdings darauf schließen, dass die Blätter auch einzeln vertrieben worden sind.11 Aufgrund der engen geschäftlichen und familiären Beziehungen zwischen Bernhard Jobin, Johann Fischart und Tobias Stimmer ist davon auszugehen, dass letzterer die Vorzeichnungen zu den Holzschnitten gefertigt hat; auch stilistisch spricht alles für diese Zuweisung.12

2 3

4 5

6

7 8 9

10

11

12

13 14

Coburg, Veste: I.358.7; Göttingen, Universität, GS: Sammlung Uffenbach; London: Victoria & Albert Museum: EW 140 B 17703; München, GS: 16689; Oxford, Ashmolean Museum: WA.OA.1666.1059; Schaffhausen, Museum zu Allerheiligen: C 1272;13 Wien, Albertina: 244–195714 [späterer Abdruck des Holzschnitts; ohne den Text im Typendruck] 1 1 2 3 4

HOLLSTEIN: German Engravings 82 (2014), 123. HIRTH III, Nr. 1369. ENGLERT: Altersstufen, 400 f. BAKE: Unser Leben, 25⫺27. BAKE: Altern, 118 f. Zu Fischarts Verhältnis zur Musik vgl. A. HAuFFEN: Johann Fischart. Ein Literaturbild aus der Zeit der Gegenreformation. Berlin/ Leipzig 1922, II, 154⫺159. Auch wenn die scharfen Gesichtszüge und die Barttracht eine gewisse Ähnlichkeit mit der Physiognomie Fischarts aufweisen, wäre es wohl doch zu spekulativ, von einem versteckten Porträt des Autors auszugehen. Vgl. R. HAGEN: Eulenspiegel-Bildnisse aus drei Jh.en. In: Eulenspiegel-Jb. 26 (1986), 55⫺59. Zum Narr als Erzähler vgl. J. SuCHOMSKI: Der satirische Autor als Narr unter Narren. In: DVjs 52 (1978), 400⫺ 429; M. SCHILLING: Närrische Erzähler, närrische Leser. Der Narr als Geburtshelfer literarischer Autonomie? In: J. SCHILLINGER (Hg.): Der Narr in der dt. Literatur im Mittelalter u. in der Frühen Neuzeit. Bern u. a. 2009, 47– 62, zu Fischart 60⫺62. Vgl. BAKE: Unser Leben, 26 f.; DIES.: Altern, 118 f. R. HAMMERSTEIN: Tanz u. Musik des Todes. Die mittelalterlichen Totentänze u. ihr Nachleben. Bern/ München 1980; B. SCHuLTE: Die dt.sprachigen spätmittelalterlichen Totentänze. Unter besonderer Berücksichtigung der Inkunabel ‚Des dodes danz‘ (Lübeck 1498). Köln/ Wien 1990. Dazu CHR. KIENING: Der Tod, die Frau u. der Voyeur. Bildexperimente der frühen Neuzeit. In: U. GAEBEL/ E. KARTSCHOKE (Hgg.): Böse Frauen – Gute Frauen. Darstellungskonventionen in Texten u. Bildern des Mittelalters u. der Frühen Neuzeit. Trier 2001, 195⫺221 (zur Nachbarschaft von Tod und Narr 216 f.). U. MACHÉ/ V. MEID (Hgg.): Gedichte des Barock. Stuttgart 1980, 274. BAKE: Altern, 118 f. I. WILHELM-SCHAFFER: Gottes Beamter u. Spielmann des Teufels. Der Tod in Spätmittelalter u. Früher Neuzeit. Köln u. a. 1999, 267⫺281. Zur Serie als ganzer vgl. WEBER: Welt, 286 f.; Bilder vom alten Menschen, Nr. 16⫺25; BAKE: Unser Leben; BAKE: Altern. Zu Flugblatt-Sequenzen generell vgl. M. SCHILLING: Zwischen Einblattdruck u. Buch: Flugblattserien in der Frühen Neuzeit. In: M. EBERLE u. a. (Hgg.): Das illustrierte Flugblatt im 16. Jh. Protestantische Profilbildung am Beispiel der Gothaer Sammlung. Stuttgart 2017 (im Druck). HOLLSTEIN: German Engravings 82 (2014), 123, spricht die Holzschnitte Stimmer ab, ohne Gründe anzugeben und die Verbindung zu Fischart und Jobin zu kennen. Bilder vom alten Menschen, Nr. 21. Exemplarnachweise (ohne Schaffhausen) nach HOLLSTEIN: German Engravings 82 (2014), 123. MSch

69

IX, 33b

G 47

Ort Jahr Bild Text Verleger Format

Der Holzschnitt zeigt zwei Frauen im Alter von 30 und 40 Jahren. Die jüngere der beiden trägt ein Kind auf dem Arm, dem sie gerade ein Fläschchen reicht. An ihrem Gürtel hängen als Zeichen ihrer Hausmutterschaft ein Schlüsselbund, Geldbeutel und ein Besteckfutteral. Hinter ihr steht eine Wiege. Die Dame rechts hält anstelle eines Kindes ein Schoßhündchen auf dem Arm und wird von einem zweiten Hund angesprungen. Ihr Aufzug kommt der Straßburger Fraw im ‚Frauwenzimmer‘ Jost Ammans (1539⫺1591) am nächsten.1 Die Rosenblüten im Hintergrund verlieren erste Blätter.

XXX Jar im hauß die frau

(Straßburg) (um 1575) kolorierter Holzschnitt (vom Monogrammisten MB, b IX, 33e; nach Tobias Stimmer, 1539⫺1584; b IX, 33a) Typendruck in 3 Spalten; 18 Knittelverse (von Johann Fischart, 1547⫺1590) (Bernhard Jobin, um 1545⫺1593; b IX, 33e) 36,4 ! 27,0; 30,8 ! 26,9

seum: EW 140 B 17704; Oxford, Ashmolean Museum: WA.OA.1666.1060; Paris, Ecole Nationale Supérieur des Beaux Arts: Est Mas 430; Schaffhausen, Museum zu Allerheiligen: C 1273;3 Wien, Albertina: 246/1957, 247/ 1957 und 248/19574 [späterer Abdruck des Holzschnitts; ohne den Text im Typendruck]

gen verbunden sei, müsse jeder all Weiber […] ehren/ Weils Mans Ehr sind/ vnd sein Nam mehren. Fischart hat seine Verse mit einem seiner zahlreichen Pseudonyme signiert: 1577 erschien sein ‚Glückhafft Schiff von Zürich‘, das er mit Ulrich Mansehr vom Treübach unterzeichnet hat. Dabei ist das Mansehr als sprechender Name gedacht und klingt zugleich an Fischarts Beinamen ‚Mentzer‘ an. Im Jahr 1578 zitierte Fischart seine Verse in seinem ‚Ehzuchtbüchlin‘ als Spruch, der dort vnter den Zehen altern der Weiber steht.2

A1 A2

BAKE: Unser Leben, 25 u. 28. BAKE: Altern, 119 f.

1

Jost Amman: Die Frauenzimmer. Die Frauen Europas u. ihre Trachten. Nachdr. der ersten Ausg. des ‚FrauenTrachtenbuches‘ von 1586. Mit einem Nachwort von C. GRÜTZMACHER. Dortmund 1980, Tafel 32. Johann Fischarts Werke. Hg. von A. HAuFFEN. 3 Bde., Stuttgart o.J., III, 268 f. Bilder vom alten Menschen, Nr. 22. Standortnachweise (außer Schaffhausen) nach HOLLSTEIN: German Engravings 82 (2014), 123. MSch

2 Weitere Standorte:

Der Sprecher des Textes hält einem Frauenverächter entgegen, dass auch er von einer Frau geboren und erzogen worden sei. Um der Mutterschaft willen, die mit vil angst/ sorg/ müh vnd plo-

IX, 33c

G 48

Ort Jahr Bild Text Verleger Format

In der Begegnung der Generationen stellt das Blatt die Fruchtbarkeit der Frauen als ihr höchstes Gut heraus. Stimmer hat für die Darstellung der weiblichen Lebensalter von 50 und 60 Jahren eine kleine Genreszene entworfen: Eine 50jährige Großmutter besucht mit ihrer Enkelin eine 60jährige Frau beim Spinnen. Die matronenhafte Großmutter ist durch ihr schwarzes Kleid, das sie auf der Rückseite mit der Linken ein wenig rafft, und ihre Verschleierung als Witwe gekennzeichnet. Wie ihre Enkelin vor ihr trägt sie ein Barett auf dem Kopf. Die spinnende Frau sitzt auf einer Truhenbank, auf der sie ihre Gürteltasche und ihren Besteckköcher abgelegt hat und auf der der gedrechselte Spinnrocken steht. Die Spinnerin zieht Fasern aus dem Rohfaserbündel auf der Kunkelspitze und dreht sie mithilfe der vom Mädchen verdeckten Spindel zu einem Faden. Die hageren Gesichtszüge und die am Kopftuch befestigte Brille markieren das fortgeschrittene Alter der Frau, die auf einem kleinen Hocker vor der Bank einen Henkelkrug abgestellt hat. Zu ihren Füßen liegt eine trächtige Hündin, die einen paarungswilligen Rüden in seine Schranken bellt. 70

Andere Fassungen: a)

3 4

Coburg, Veste: I.358.8; Göttingen, Universität, GS: Sammlung Uffenbach; London, Victoria & Albert Mu-

l Jar eine Großmuter lx Jar deß Alters schuder

(Straßburg) (um 1575) kolorierter Holzschnitt (vom Monogrammisten MB, b IX, 33e; nach Tobias Stimmer, 1539⫺1584; b IX, 33a) Typendruck in 3 Spalten; 18 Knittelverse (von Johann Fischart, 1547⫺1590; b IX, 33b) (Bernhard Jobin, um 1545⫺1593; b IX, 33e) 36,0 ! 26,4; 27,1 ! 26,4

Über dem Kopf des Mädchens erhebt sich ein Birnbaum, dessen fallende Blätter und Früchte auf die Jahreszeit des Herbstes verweisen und somit das Alter der beiden Frauen, aber auch ihre vormalige Rolle als Mütter spiegeln. Ausgehend von Ps 128,3 (Dein Weib wird sein wie ein fruchtbar Weinstock vmb dein haus herumb/ Deine Kinder wie Olezweige/ vmb deinen tisch her), zollt Fischart Frauen höheren Alters Lob, weil sie mit ihren Kindern und Enkeln zum Fortbestehen der Welt beigetragen hätten. Pflanzliche Metaphorik (Same – Blüte; Zweig – Stamm) schließt an das Bibelzitat an und schlägt die Brücke zu dem Birnbaum im Bild. Sie unterstreicht die Bedeutung, die den alternden Ehefrauen in ihrer Jugend für die Fortpflanzung des menschlichen Geschlechts zugekommen war. Daher sei ihnen mehr Ehre zu erweisen als Frauen, die unverheiratet geblieben seien. Mit der Erinnerung an ihre vormalige Fruchtbarkeit wird den Frauen, welche die altersbedingte Grenze zur Unfruchtbarkeit überschritten haben, nicht nur gesellschaftliches Ansehen zu-, sondern sogar ein Platz im Himmel angewiesen. Zugleich

führt das Bild vor Augen, dass auch Frauen im fortgeschrittenen Alter wichtige Aufgaben im Haus wie das Spinnen und die Weitervermittlung häuslicher Fertigkeiten an die nächste und übernächste Generation erfüllen.

Weitere Standorte:

Andere Fassungen: a)

Göttingen, Universität, GS: Sammlung Uffenbach; London, Victoria & Albert Museum: EW 140 B 17705; München, GS: 16690; Oxford, Ashmolean Museum: WA.OA.1666.1061; Paris, Ecole Nationale Supérieur des Beaux Arts: Est Mas 431; Schaffhausen, Museum zu Allerheiligen: C 1274;1 Wien, Albertina: Sektion Deutsch I/25, fol. 12.248/19572 [späterer Abdruck des Holzschnitts; ohne den Text im Typendruck]

A1 A2

BAKE: Unser Leben, 27. BAKE: Altern, 121 f.

1 2

Bilder vom alten Menschen, Nr. 23. Standortnachweise (außer Schaffhausen) nach HOLLSTEIN: German Engravings 82 (2014), 123. MSch

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IX, 33d

G 49 Ort Jahr Bild Text Verleger Format

Die linke Frau von 70 Jahren ist mit langem schwerem Mantel, Kleid, Oberkleid, Halstuch und Pelzmütze warm angezogen, um dem altersbedingten Verlust an Wärme entgegenzuwirken. Das Frieren alter Menschen, das die moderne Medizin auf Durchblutungsstörungen, Bewegungsmangel und chronische Dehydration zurückführt, erklärte die frühneuzeitliche Humoralpathologie mit einem zunehmenden Ungleichgewicht der Körpersäfte. Die Frau stützt sich auf einen Stock und hält in ihren Händen eine Gebetskette und ein kleines Gebetbuch. Das Bewusstsein der ablaufenden Lebenszeit hat bei der 70jährigen eine gesteigerte Frömmigkeit hervorgerufen. Die Frau des anschließenden Lebensalters (lxxx Jar) ist von Krankheit gezeichnet. Sie sitzt in gebeugter Haltung im Nachtgewand auf einem Stuhl, die Füße auf ein Kissen gestützt. Sie greift mit der Linken unter ihren Rock und hat den rechten Arm auf einen Tisch gelegt, auf dem ein Suppenteller mit Löffel steht. Neben der Frau befindet sich auf dem Boden ein Nachttopf – ebenfalls ein Hinweis auf die zunehmenden Malaisen des Alters.

IX, 33e

G 50 Ort Jahr Bild Text Verleger Format

Im Bild der 90jährigen wird noch einmal die auf die Wahrung der Geschlechterfolge gerichtete Aufgabe der Frau demonstriert. Die Alte wendet sich ihrer Urenkelin zu, die ihrerseits mit der Puppe auf ihre eigene Rolle als Mutter vorbereitet wird. Dieses Thema bestimmt mit Ausnahme des vierten Blatts (b IX, 33d) alle Blätter des weiblichen Lebensalterzyklus. Dabei ist sowohl die Fähigkeit angesprochen, Kinder auf die Welt zu bringen und damit die biologische Erhaltung der Gattung zu gewährleisten, als auch besonders die Aufgabe, das weibliche Wissen von Generation zu Generation weiterzugeben und somit durch Erziehung wesentlich zum Erhalt der Kultur beizutragen. Der natürliche Wechsel der Generationen, das Werden und Vergehen innerhalb der Geschlechterfolge, wird gespiegelt in dem blühenden und verdorrten Rosenstock im Hintergrund, wobei die in paradoxer Verkehrung vorgenommene Zuordnung einerseits die blühende Jugend des Mädchens unter das Signum des Todes stellt und anderseits daran erinnert, dass die Alte in ihren Kindern und Kindeskindern weiterleben wird. Die rechte Bildseite präsentiert die Hundertjährige in der Stunde ihres Todes. Der Knochenmann zeigt der Greisin, die auf einem Lager von Kissen und Polstern halb sitzt, halb liegt und ihren Krück72

lxx Jar alt Vngestalt, lxxx Jar, wüst vnd erkalt (Straßburg) (um 1575) kolorierter Holzschnitt (vom Monogrammisten MB, b IX, 33e; nach Tobias Stimmer, 1539⫺1584; b IX, 33a) Typendruck in 3 Spalten; 18 Knittelverse (von Johann Fischart, 1547⫺1590; b IX, 33b) (Bernhard Jobin, um 1545⫺1593; b IX, 33e) 36,1 ! 26,4; 27,1 ! 26,4 Der rückwärtige Bildraum ist von einer Decke verhängt. Davor steht ein Bett, von dem der Kopfteil im Stil eines Renaissance-Giebels und mehrere Kissen zu sehen sind. Zwischen den beiden seitlichen Pfeilern spannt sich ein Fruchtgebinde, auf dem sich ein Rabe niedergelassen hat und die Frauen ankrächzt. Mit diesem Raben hebt der Text an, indem er die Stimme des Vogels als grab/ grab und somit als Ankündigung des nahenden Todes deutet.1 Der Vergleich des Rabengekrächzes mit den Liedern, die man ehedem den beiden Alten zur Hochzeit gesungen hat, führt zu der Feststellung, dass alle Schönheit vergänglich sei, wie sehr man sich auch voll Makeup gschmirt, mit Schmuck und anderem gezirt oder mit push ups gepuft habe. Der einzige Schmuck, der nicht vertirbt, noch wird vergraben, sondern im Gegenteil die ewig Jugend verbürge, bestehe in zucht vnd thugend.

Weitere Standorte: Andere Fassungen: a)

Göttingen, Universität, GS: Sammlung Uffenbach; London, Victoria & Albert Museum: EW 140 B 17707; München, GS: 16691; Paris, Ecole Nationale Supérieur des Beaux Arts: Est Mas 432; Schaffhausen, Museum zu Allerheiligen: C 1275;2 Wien, Albertina: 249/19573 [späterer Abdruck des Holzschnitts; ohne den Text im Typendruck]

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BAKE: Unser Leben, 29. BAKE: Altern, 124.

1

Zum Raben als Zeichen des Todes vgl. DITTRICH: Tiersymbole, 376⫺378; der Ruf grab/ grab wird nicht erwähnt bei U. RuBERG: Signifikante Vogelrufe: Ain Rapp singt all zeit „cras cras cras“. In: W. HARMS/ H. REINITZER (Hgg.): Natura loquax. Naturkunde u. allegorische Naturdeutung vom Mittelalter bis zur frühen Neuzeit. Frankfurt a. M. u. a. 1981, 183⫺204; D. GERHARDT: Die Sprache des Raben. In: H. REINITZER (Hg.): All‚ Geschöpf ist Zung’ und Mund. Beiträge aus dem Grenzbereich von Naturkunde u. Theologie. Hamburg 1984, 155⫺190. Bilder vom alten Menschen, Nr. 24. Standortnachweise (außer Schaffhausen) nach HOLLSTEIN: German Engravings 82 (2014), 123. MSch

2 3

xc Jar ein Marterbildt, C Jar das Grab außfült Straßburg (um 1575) kolorierter Holzschnitt des Monogrammisten MB (nach Tobias Stimmer, 1539⫺1584; b IX, 33a) Typendruck in 3 Spalten; 17 Knittelverse (von Johann Fischart, 1547⫺1590; b IX, 33b) Bernhard Jobin (um 1545⫺1593) 35,4 ! 27,4; 27,7 ! 27,7 stock an die rückwärtige Wand gelehnt hat, das abgelaufene Stundenglas ihres Lebens. Seine tanzende Haltung schließt nicht nur an die TotentanzIkonographie an, sondern korrespondiert auch mit dem Spielmann auf dem ersten Blatt (b IX, 33a). Die ungewöhnliche Ausstattung des Todes mit einem Destillierkolben über dem Schädel1 und einer brennenden Fackel, die den Dornstrauch entzündet, findet ihre Erklärung im Text. Der Tod richtet sein Wort an die Weiblin und führt aus, dass gegen ihn kein Kraut gewachsen sei. In bildbezogener pflanzlicher Metaphorik heißt es, dass das, was jung vnd frisch gewesen, jetzt nur noch als Dornengestrüpp zum Feueranzünden tauge. Im Gegensatz zu den nutzlosen Lebenselixieren anderer Alchimisten destilliere er als Ertz Alchimist […] alls was da ist […] durch die Erd und schaffe Neus vnd bessers, das vor dem Jüngsten Gericht bestehen möge, auf das sich jeder Mensch vorbereiten solle.2 Die Signatur des Formschneiders (unten im Bildsockel), Druckprivileg, Impressum und der Dreireim am Textende bilden die formalen Kennzeichen, mit denen das Blatt als Abschluss des weiblichen Lebensalterzyklus ausgewiesen wird.

Weitere Standorte:

Andere Fassungen: a)

Göttingen, Universität, GS: Sammlung Uffenbach; London, Victoria & Albert Museum: EW 140 B 177046; Oxford, Ashmolean Museum: WA.OA.1666.1063; Paris, Ecole Nationale Supérieur des Beaux Arts: Est Mas 433; Schaffhausen, Museum zu Allerheiligen: C 1276;3 Wien, Albertina: 250/19574 [späterer Abdruck des Holzschnitts; ohne den Text im Typendruck]

A1 A2

BAKE: Unser Leben, 32 f. BAKE: Altern, 126⫺129.

1

Eine vergleichbare Darstellung mit einem Narren, dessen Kopf in einem Destillierkolben steckt, bei de Bry: Emblemata, Nr. 65. Zu Fischarts Kenntnissen alchemistischer Literatur vgl. T. BuLANG: Satirische, dämonologische u. wissensvermittelnde Schreibweisen über Alchemie im Werk Johann Fischarts. In: P. A. ALT u. a. (Hgg.): Magia daemoniaca, magia naturalis, zouber. Schreibweisen von Magie u. Alchemie in Mittelalter u. Früher Neuzeit. Wiesbaden 2015, 189⫺202. Bilder vom alten Menschen, Nr. 25. Standortnachweise (außer Schaffhausen) nach HOLLSTEIN: German Engravings 82 (2014), 123. MSch

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3 4

73

IX, 33f

G 51

Ort Jahr Bild

Text Verleger Format Die Darstellung von Kindheit und Jugend gibt Anlass, einige pädagogische Maximen anzuführen. Der zehnjährige Junge reitet auf einem Steckenpferd, das er mit einer Gerte antreibt. Das Steckenpferd wurde auf Darstellungen von Knaben gern als Attribut beigegeben, weil das Pferd als Statussymbol der Erwachsenenwelt einen ähnlichen Stellenwert wie heutzutage das Auto besaß und überdies den Bewegungsdrang der Kinder symbolisierte (b IX, 19).1 Der Vorbildcharakter der Erwachsenen wird zudem in dem bewundernden Blick gespiegelt, mit dem der Junge zu dem 20jährigen neben ihm aufschaut. Der junge Mann präsentiert sich in Frontalansicht. Er hat seine Rechte in die Seite gestützt und richtet seinen Blick auf den Betrachter. Haltung und Blick bekunden große Selbstsicherheit und enthalten sogar eine Spur von Herausforderung und Arroganz. Der Jüngling ist mit Schwert und Dolch bewaffnet und trägt zum Zeichen seines adligen Anspruchsniveaus einen Jagdfalken auf der linken Hand. Pluderhose und Schuhe sind geschlitzt und zeugen ebenso wie die weit gebauschten Ärmel und der Federhut vom Luxusbedürfnis und Statusbewusstsein ihres Trägers.2 Als Attribute, die auf Kunst und Bildung verweisen, sind dem jungen Mann eine Knickhalslaute und drei Bücher beigegeben. Ob ihre Position auf dem Boden auf eine Vernachlässigung gegenüber dem adligen Vergnügen der Falkenjagd hindeutet, ist nicht zu entscheiden. Eine Blume am Boden und der blühende Baum, auf dem einem Jungvogel mit einem Wurm der Schnabel gestopft wird, verweisen auf den Frühling, der im Jahreslauf dieselbe Stellung einnimmt wie die Jugend im menschlichen Lebenslauf.3 Der Text greift die Jahreszeitenbildlichkeit auf und vergleicht den Glentz [Lenz] vnd Mayen mit der Kindheit und der Jugend, der die größte Sympathie entgegengebracht werde, weil sie noch alle Möglichkeiten auf ein erfülltes Leben in sich berge. Allerdings bedürfe ein Kind einer strengen Erziehung, um wohl zu geraten: Dann vnerbaut trägts Feld kein Frucht/ Vnd Kinder thun nichts guts ohn zucht. Die Empfehlungen, die Fischart zur Kindeserziehung gibt, hat er in ähnlicher Weise in seinem ‚Ehzuchtbüchlin‘ und in seiner ‚Anmanung zu Christlicher Kinderzucht‘ wiederholt. Im ‚Ehzuchtbüchlin‘ führt er den Vergleich von Ackerbau und Erziehung breit aus. Dan gleich wie zu dem Feldbau erstlich eyn fruchtbare Erd, demnach eyn erfahrener Baumann, endlich guter erlesener samen erfordert würd, Also soll auch hie die Natur sich dem feldboden, der vnterweiser dem Ackerman, die saat den lehren vnd vnderrichtungen vergleichen.4

Die ‚Anmanung‘, die Fischart 1578 als Begleittext zum Straßburger Katechismus verfasste, malt einleitend die Freuden der Gartenpflege aus, um dann die Notwendigkeit und das Glück der Erziehung zu schildern: 74

x. Jar Kindisch xx. Jar Rindisch.

(Straßburg) (um 1575) kolorierter Holzschnitt (vom Monogrammisten MB, b IX, 33j; nach Tobias Stimmer, 1539⫺1584; b IX, 33a) Typendruck in 3 Spalten; 18 Knittelverse (von Johann Fischart, 1547⫺1590, b IX, 33b) (Bernhard Jobin, um 1545⫺1593; b IX, 33j) 36,8 ! 27,8; 28,3 ! 27,8 Wie viel mehr lust solt haben dann Ein HaußVatter vnd jederman, Dem Gott die Kinder thut bescheren, Oder befilhet, die zu lehren. […] Denn das sind die recht Frücht vnd Güter, die Gott gibt, das man opffer wider. […] Diß sind deß Hauses benedeyen, Deß alters Früling, Glentz vnd Meyen.5

In den von Fischart bevorworteten ‚Emblematum Tyrocinia‘ seines Freundes Mathias Holtzwart (um 1540⫺vor 1579) wird der Lehrsatz Die Kinder soll man auß der wiegen her meistern mit dem Bild des biegsamen Sprösslings illustriert:

gestimmtes Auftreten in Bild und Text für die enge Zusammenarbeit von Stimmer und Fischart spricht. Zum anderen haben die Blätter eine geschlechtsspezifische Differenzierung der sozialen Rollen vorgenommen, wenn den Frauen in vier von fünf Bildern die Verantwortung für die Generationenfolge durch Gebären und Erziehen zugewiesen wird, während die Männer auf sich selbst gestellt sind oder mit dem Altersnachbarn kommunizieren. Ferner hat Stimmer seinen Figuren so individuelle Züge verliehen, dass der Verdacht naheliegt, dass hier zumindest teilweise Angehörige der Straßburger Oberschicht porträtiert worden sind. Dadurch, dass jedes Blatt zwei Lebensalter ins Bild setzt, hat sich Stimmer die Möglichkeit größerer Variabilität und Lebendigkeit geschaffen. In den älteren linearen Darstellungen der Altersstufen wurde jede Figur einzeln und in einem eigenen Bildraum vorgeführt, so dass die Gestalten beziehungslos blieben und statuarisch wirkten. Bei Stimmer treten die Figuren zueinander in Kontakt; sie kommunizieren mit Blicken und Gesten und sind kompositorisch durch die Linienführung miteinander verbunden. Weitere Standorte:

Andere Fassungen: Dan sich ein Junger zweig last biegen Wie du wilt nach all deim beniegen Wan er aber wachst zu eim baum So magst ihn mehr gebiegen Kaum.6

Die Verse Je meh man ein kindt liebt Je meh man es strafft/ zicht vnd übt schließlich variieren das Sprichwort Je lieber Kindt/ je schärpffer rut, das bei Christian Egenolff (1502⫺1555) u. a. mit dem Satz kommentiert wird: Ein kindt kann sich selbs nicht regieren/ darumb seind die ältern da/ daß sie das kindt regieren sollen zu zucht vnd erbarkeyt/ vnd zu Gottes forcht/ die kinder mit gezwang auffziehn.7

Vergleicht man die vorliegende Serie der weiblichen und männlichen Lebensalter mit ähnlichen linear aufgebauten Zyklen der Abschnitte des menschlichen Lebens, sind Stimmers Darstellungen und Fischarts Texte sowohl von Anlehnung an die Tradition als auch von einem Bemühen um Eigenständigkeit gekennzeichnet.8 So lautet der traditionelle Spruch über die zehn Lebensalter des Mannes:

a)

Göttingen, Universität, GS: Sammlung Uffenbach; Oxford, Ashmolean Museum: WA.OA.1666.1054; Paris, Ecole Nationale Supérieure des Beaux Arts: Est Mas 428; Schaffhausen, Museum zu Allerheiligen: C 1267;12 Wien, Albertina: 251/195713 [späterer Abdruck der Holzstöcke; ohne Text im Typendruck]

1 2

Vgl. Lebenstreppe, Nr. 1 f., 24, 26 f., 35 f. Die Figur steht ikonographisch dem 20jährigen der Lebensalterserie des Monogrammisten IR nahe (Braunschweig, HAUM: XVI.H.Vc.WB3.1⫺18; online im ‚Virtuellen Kupferstichkabinett‘). Da beide Serien in die 1570er Jahre datiert werden, ist nicht zu entscheiden, ob überhaupt der eine vom anderen und wer von wem abhängig ist. Vgl. I. BEHRMANN: Darstellungen der vier Jahreszeiten auf Objekten der Volkskunst. Untersuchung zur Ikonographie u. Gesch. eines Motivs. Bern 1976; De vier jaargetijden in de kunst van de Nederlanden 1500⫺1750. Ausstellungskatalog Zwolle 2002. Fischart: Werke, III, 278. Ebd., I, 403 f. Mathias Holtzwart: Emblematum Tyrocinia. Hg. von P. VON DÜFFEL/ K. SCHMIDT. Stuttgart 1968, 23. Egenolff: Sprichwörter, fol. 75v. Vergleichbar sind im deutschen Bereich die ‚Zehn Lebensalter des Mannes‘ vom Meister mit den Bandrollen sowie ein anonymer Einblattholzschnitt von 1482 (Lebenstreppe, 16 f.); Balthasar Jenichens ‚Zehn Lebensalter des Mannes und der Frau‘ (Nürnberg 1569, vgl. HOLLSTEIN: German Engavings, XVb, Nr. 278⫺297); die zweimal neun Lebensalter des Monogrammisten IR (wie Anm. 2); Martin Schrot: Die X Alter der welt […]. Augsburg 1574; David de Necker: Ein new vnd künstlich schönes Stamm oder Gesellen Büchlein. Wien 1579. Nach de Necker: Stamm oder Gesellen Büchlein, o. Blattzählung. Dieselben Verse bei den Lebensalter-Serien Jenichens und des Meisters IR; vgl. auch Egenolff: Sprichwörter, fol. 173r. J. ZACHER: Die zehn Altersstufen des Menschen. In: ZfdPh 23 (1891), 385⫺412; H. VON DER GABELENTZ: Die Lebensalter u. das menschliche Leben in Tiergestalt. Berlin 1938; H. WANDERS: Das springende Böckchen. Zum Tierbild in den dekadischen Lebensalterdarstellungen. In: Lebenstreppe, 61⫺71. Zur mittelalterlichen Verwendung des Falkenmotivs als Zeichen der Minne und Ungebundenheit vgl. I. ERFENHÄNSCH: Von Falken u. Frauen. In: U. MÜLLER (Hg.): Minne ist ein swaerez spil. Neue Untersuchungen zum Minnesang u. zur Gesch. der Liebe im Mittelalter. Göppingen 1986, 143⫺168; T. ERMES: Drei Lieder, ein Motiv. Ein Beitrag zum Falkenmotiv im Minnesang. In: Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik 30 (1990), 15⫺24. Bilder vom alten Menschen, Nr. 16. Standorte (außer Schaffhausen) nach HOLLSTEIN: German Engravings 82 (2014), 117. MSch

3

4 5 6 7 8

Zehn Jahr ein Kindt. Zwantzig Jahr ein Jüngling. Dreyssig Jahr ein Mann. Viertzig Jahr Wolgethan. Funfftzig Jahr stillstahn. Sechtzig Jahr gehets allter an. Siebentzig Jahr ein Greiß. Achtzig Jahr nimmer weiß. Neuntzig Jahr der Kinder spott. Hundert Jahr genad dir Gott.9

Zwar lehnen sich Stimmer/Fischart an diesen verbreiteten Spruch an, modifizieren ihn jedoch für die beiden ersten und die vierte Altersstufe. Weiterhin kannte Stimmer die seit dem 15. Jahrhundert bezeugte Zuordnung bestimmter Tiere zu den Lebensaltern (b IX, 35).10 Er nahm sich jedoch die Freiheit, nur punktuell darauf anzuspielen. So alludiert der Vers xx. Jar Rindisch auf das Kalb, das dieser Lebensperiode sonst zugewiesen ist. Und der Hund zu Füßen des 70jährigen (b IX, 33i) ist keine genrehafte Zutat, sondern leitet sich eben von der Reihe der Tiersymbole her. Zugleich konnte Stimmer auch neue Tiere hinzufügen, wenn er den 50und 60jährigen einen Hahn im Kreise seiner Hennen beigibt (b IX, 33h). Auch der Falke des 20jährigen gehört nicht zu den traditionellen Tiersymbolen der Altersstufen.11 Zu den Spezifika der beiden von Jobin verlegten Lebensaltersequenzen gehört zum einen die nahezu durchgängige florale Bildlichkeit, deren ab-

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IX, 33g

G 52 Ort Jahr Bild Text Verleger Format

Stimmer präsentiert die Lebensalter von 30 und 40 Jahren in einer kleinen Begegnungsszene. Von links schreitet ein mit langer und kurzer Wehr sowie einer Radschlosspistole bewaffneter Mann ins Bild. Seine Pelzmütze mit ihren nach hinten schwingenden Ohrenklappen und der ebenfalls nach hinten gebogenen Schmuckfeder, das vom Bildrahmen abgeschnittene Schwert und der ausgreifende Schritt verleihen der Figur einen dynamischen Auftritt. Der Mann ist mit einem Wams, aus dem geschlitzte und weit gepauschte Ärmel hervorkommen, mit einer schmalen, seitlich geknöpften Hose mit Zierschleifen und Schlitzen auf Bauchhöhe bekleidet, aus denen Hemd und Braguette hervorquellen. Insgesamt gibt er eine modische Erscheinung ab, zu der auch der gezwirbelte Bart passt. Bewaffnung und Kleidung machen deutlich, dass der Betrachter einen Soldaten vor sich hat.1 Während der Soldat ein Lebensalter in familiärer Ungebundenheit repräsentiert, verkörpert der 40jährige mit seinem Barett, der schwarzen Mantilla, Pluderhose, grünen Strümpfen und längerem Bart einen Hausvater (xl. Jar haußhalten kan). Er hat ein kürzeres Schwert umgegürtet und hält zum Zeichen seiner Geschäftsfähigkeit ein aufgerolltes Stück Papier (Urkunde? Vertrag?) in der Hand.

IX, 33h

G 53 Ort Jahr Bild Text Verleger Format

Zwei Männer stehen vor dem Betrachter und unterhalten sich. Der Linke trägt über seinem Wams und seiner Pluderhose eine mit grauem Stoff gefütterte knielange Schaube und einen mit breitem Band geschmückten Krempenhut. Die Füße stecken in Kuhmaulschuhen. Fingerring und Handschuhe ergänzen den insgesamt modisch-eleganten Aufzug, der allerdings ohne die farbigen Akzente der beiden vorangehenden Lebensalter auskommt. Der Ältere der beiden ist mit einer scharlachroten pelzgefütterten Schaube und einem Pelzhut bekleidet. Beide Kleidungsstücke weisen ihn als wohlhabend und als Angehörigen der Oberschicht aus. Zugleich deuten sie den erhöhten Wärmebedarf des Alters an, das sich auch in dem Komfort locker anliegender Strümpfe und offener Pantoffeln widerspiegelt. Das beginnende Alter kündigt sich ferner in der leicht gebeugten Haltung an. Die Bartlänge hat seit dem 20. Lebensjahr proportional zum Alter zugenommen, so dass der 60jährige den mit Abstand längsten, wenn auch nicht 76

xxx. Jar ain Man. xl. Jar haußhalten kann. (Straßburg) (um 1575) kolorierter Holschnitt vom Monogrammisten MB (nach Tobias Stimmer, 1539⫺1584; b IX, 33a) Typendruck in 3 Spalten; 18 Knittelverse (von Johann Fischart, 1547⫺1590; b IX, 33b) (Bernhard Jobin, um 1545⫺1593; b IX, 33j) 37,0 ! 27,0; 28,3 ! 27,0

Seine Linke weist dem heranschreitenden Soldaten höflich den Weg oder deutet sogar an, dem Jüngeren den Vortritt lassen zu wollen. Der Weinstock hinter den beiden Männern trägt Früchte, die aber noch nicht reif sind. Unklar ist die Bedeutung des Vogelpaars rechts. Zeigt es einen Falken, der eine Taube geschlagen hat, verwiese es auf die Möglichkeit, im militärischen Dienst Beute zu erlangen, und schlösse an die Darstellung des 20jährigen an. Sollten die Vögel beim Paarungsakt zu sehen sein, bezögen sie sich eher auf den Hausvater als Familiengründer. Selbstbewusstsein und Stärke der vorgestellten Lebensalter veranlassen Fischart zu einem Memento Mori, das er mit einem Beispiel aus der Natur (Der Baum/ so schön im Sommer grünet Hat doch im Winter außgedienet) und einem historischen Exempel begründet: Der Perserkönig Xerxes sei beim Anblick seines Heeres in Tränen ausgebrochen, als ihm bewusst wurde, dass in 100 Jahren keiner von ihnen mehr leben würde.2

Weitere Standorte:

Andere Fassungen: a)

Göttingen, Universität, GS: Sammlung Uffenbach; London, Victoria Albert Museum: EW 140 B 17699; München, GS: 16685; Oxford, Ashmolean Museum: WA.OA.1666.1055; Schaffhausen, Museum zu Allerheiligen: C 1268;3 Wien, Albertina: 252/19574 [späterer Abdruck des Holzschnitts; ohne den Text im Typendruck]

A1 A2 A3

ENGLERT: Altersstufen, 401. BAKE: Unser Leben, 25 und 30. BAKE: Altern, 119⫺121.

1

Einen ähnlichen Aufzug mit entsprechendem Hut, Bart, Wams, Pauschenärmeln und seitlich geknöpfter Kniebundhose zeigt der Infanteriehauptmann aus der Serie von Militärs bei Hendrik Goltzius; vgl. LIEBE: Soldat, Abb. 68. Herodot VII, 46; Fischart kannte die Anekdote aus Johannes Stobaeus: Scharpffsinniger Sprüche. Basel 1551, 473 f. Vgl. auch B. MÜLLER: Die Tränen des Xerxes. Von der Gesch. der Lebendigen u. der Toten. Springe 2006. Bilder vom alten Menschen, Nr. 17. Standorte (außer Schaffhausen) nach HOLLSTEIN: German Engravings 82 (2014), 117. MSch

2

3 4

London, BM: 1927.0614.300 (ehem. Sammlung Joseph Wünsch, Wien)

L. Jar still stahn. lx Jar geht’s alter ahn. (Straßburg) (um 1575) kolorierter Holschnitt vom Monogrammisten MB (nach Tobias Stimmer, 1539⫺1584; b IX, 33a) Typendruck in 3 Spalten; 18 Knittelverse (von Johann Fischart, 1547⫺1590; b IX, 33b) (Bernhard Jobin, um 1545⫺1593; b IX, 33j) 36,5 ! 26,9; 28,1 ! 26,9

gepflegtesten Bart (auch dies ein Zeichen der Altersbequemlichkeit?) besitzt. Die auf dem vorhergehenden Blatt noch unreifen Trauben sind jetzt reif. Auch der Hahn im Kreise seiner Hennen kann als Zeichen der Fruchtbarkeit angesehen werden.1

Weitere Standorte: London, BM: 1927.0614.301 J. Wünsch, Wien)

(ehem.

Sammlung

Andere Fassungen:

Das Alter von 50 Jahren galt als Scheitelpunkt des Lebens (b IX, 34 f.) und wird hier in kosmologischer Perspektive mit dem höchsten Sonnenstand und dem Vollmond verglichen. Auch erfolgt ein Hinweis auf den Weinstock im Bild (Die Trauben sind jetz reif vnd frisch). Zugleich aber sei mit dem Höhepunkt auch der Beginn des Niedergangs erreicht. Allerdings verzichtet Fischart hier darauf, das Thema der Vergänglichkeit im geistlichen Sinne auszubeuten. Vielmehr dient der Hinweis auf die zunehmende Hinfälligkeit in der zweiten Lebenshälfte zu der Mahnung, rechtzeitig für das Alter Vorsorge zu treffen (allweil man noch nimt zu Soll man sich rüsten zu der rhu).

a)

Coburg, Veste: I.358.9; Göttingen, Universität, GS: Sammlung Uffenbach; London, Victoria Albert Museum: EW 140 B 17700; New York, Metropolitan Museum of Art; Oxford, Ashmolean Museum: WA.OA.1666. 1056; Schaffhausen, Museum zu Allerheiligen: C 1269;2 Wien, Albertina: 253/19573 [späterer Abdruck des Holzschnitts; ohne den Text im Typendruck]

A1 A2 A3

ENGLERT: Altersstufen, 402. BAKE: Unser Leben, 27, 30 f. BAKE: Altern, 122 f.

1 2 3

DITTRICH: Tiersymbole, 217⫺219. Bilder vom alten Menschen, Nr. 18. Standorte (außer Schaffhausen) nach HOLLSTEIN: German Engravings 82 (2014), 117. MSch

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IX, 33i

G 55 Ort Jahr Bild Text Verleger Format

Zwei alte Männer stehen vor einem Obstbaum mit Früchten, der seine Blätter verliert. Der Linke ist mit einer schweren pelzgefütterten Schaube, scharlachfarbenem Hemd und schmaler Hose bekleidet. An den Füßen trägt er mit einem Lederriemen geschlossene Halbschuhe, auf dem Kopf ein Barett. Sein grimmiger Blick richtet sich auf den Hund zu seinen Füßen. Der Griff zum Schwert deutet an, dass der Mann den Störenfried mit seiner Waffe zu vertreiben gedenkt. Der hagere 80jährige stützt sich auf einen Gehstock. Sein mit Pelz gefütterter Mantel reicht bis unter die Knie. Die heruntergelassenen Ohrenklappen des Baretts wärmen die hintere Kopfpartie. Die Füße stecken in bequemen Lederstiefeln. Der Blick des Alten fällt auf seinen Nachbarn. Der Text setzt mit einer Klage (Ach) über das Ende des Herbstes ein, in dem die reifen Früchte mühsam eingebracht wurden. Denn jetzt sei die Zeit der schweren Unwetter und Stürme gekommen. Schon mit der Formulierung So will all saft vnd kraft zerfliesen lässt Fischart die Grenzen zwi-

IX, 33j

G 54 Ort Jahr Bild Text Verleger Format

Der Holzschnitt zeigt zwei Greise, die durch ihre eingefallenen scharfen Gesichtszüge und ihre bleiche Hautfarbe gekennzeichnet sind. Beide tragen warme pelzgefütterte Hauskleidung. Der jüngere vermag noch zu stehen, stützt sich aber mit einem Stock und auf einem seitlichen Podest ab, der mit einem Riss ebenfalls Zeichen der Vergänglichkeit aufweist. Der Kopf, der von einer Nachthaube bedeckt wird, ist bartlos, wodurch der Mann asexuell erscheint. Sein Blick richtet sich auf den zweiten Greis, der zusammengesunken auf einem stoffoder lederbezogenen Stuhl sitzt und die Augen geschlossen hat. Die Füße ruhen auf einem Kissen. Über dem kahlen Schädel des Mannes hält der von hinten herantretende Tod das ablaufende Stundenglas des Lebens. Der Baum in der Mitte des Bildes ist auf der rechten Seite abgestorben und weist links noch Reste der vormaligen Belaubung auf.

lxx. Jar ain Greis. lxxx. Jar nimmer weis. (Straßburg) (um 1575) kolorierter Holschnitt (vom Monogrammisten MB; nach Tobias Stimmer, 1539⫺1584; b IX, 33a) Typendruck in 3 Spalten; 18 Knittelverse (von Johann Fischart, 1547⫺1590; b IX, 33b) (Bernhard Jobin, um 1545⫺1593; b IX, 33j) 36,2 ! 26,7; 28,1 ! 26,7

schen der Rede über die Jahreszeit und über das menschliche Lebensalter verschwimmen. Diese Unschärfe setzt sich fort, wenn deck vnd plätter des Alters erwähnt werden. Neben dem Vergehen der körperlichen wird auch das der geistigen (sinn) und psychischen (mut) Kräfte konstatiert. Die Klage mündet in die Einsicht, dass dise änderung dem natürlichen Lauf der Dinge (Gotts ordnung) geschuldet sind und man sich zu Gott wenden solle, der am Ende die ewige Ruhe verleihe. In Lebensalterfolgen, bei denen Tiere den jeweiligen Perioden beigegeben sind, wird dem 70jährigen ein Hund zugeordnet. Der Text zu dem entsprechenden Holzschnitt des Meisters IR lautet:

78

Andere Fassungen: a)

Coburg, Veste: I.358.10; Göttingen, Universität, GS: Sammlung Uffenbach; London, Victoria & Albert Museum: EW 140 B 17701; Oxford, Ashmolean Museum: WA.OA.1666.1057; Paris, Ecole Nationale Supérieure des Beaux Arts: Est Mas 429; Schaffhausen, Museum zu Allerheiligen: C 1269;2 Wien, Albertina: 255/1957 und 256/19573 [späterer Abdruck des Holzschnitts; ohne den Text im Typendruck]

A1 A2

BAKE: Unser Leben, 29, 31. BAKE: Altern, 124 f.

1

Braunschweig, HAUM: XVI. H. Vc. WB 3.7 (online im ‚Virtuellen Kupferstichkabinett‘). Vgl. auch die Serien von Crispijn de Passe und Gerard de Jode (HOLLSTEIN: Dutch Engravings 15 [1964], Nr. 497; ebd. 11 [1955], 201, Nr. 78⫺89). Zum Hund als Signum des Neides vgl. DITTRICH: Tiersymbole, 228, 240. Bilder vom alten Menschen, Nr. 19. Standorte (außer Schaffhausen) nach HOLLSTEIN: German Engravings 82 (2014), 117. MSch

Jm sibentzigsten greyft in an/ Der neyd/ das er niemant nichts gan. Den Jm alein zw seinem frommen/ Hat drumb deß hunds natur bekommen.1

Stimmer hat folglich die traditionelle Tiersymbolik aufgegriffen und zu einer kleinen Alltagsszene umgewandelt.

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xc. Jar der kinder spot. C. Jar genad dir Got. Straßburg (um 1575) kolorierter Holschnitt vom Monogrammisten MB (nach Tobias Stimmer, 1539⫺1584; b IX, 33a) Typendruck in 3 Spalten; 16 Knittelverse (von Johann Fischart, 1547⫺1590; b IX, 33b) Bernhard Jobin (um 1545⫺1593) 36,4 ! 27,4; 27,9 ! 27,4

dört/ ploß vnd verzehrt dastehe, wobei offen gelassen ist, ob nur von der Winterruhe oder vom endgültigen Absterben die Rede ist. Ein zweites Bild vom hoch geworfenen Stein, der mit großer Geschwindigkeit wieder zur Erde zurückfällt, unterstreicht die Aussage vom sich beschleunigenden Alterungsprozess. Unter Bezug auf Jakobs Antwort auf die Frage des Pharaos, wie alt er sei (1 Mos 47,8 f.), schließt der Text mit dem Bild vom Leben als Pilgerschaft (b IX, 2).1 Weil der Mensch ein Pilger sei und durch ein Wald ziehe,2 solle er frühzeitig an das Ziel der Reise, also an den anzustrebenden Platz im Himmel denken.3

Andere Fassungen: a)

Coburg, Veste: I.358.11; Göttingen, Universität, GS: Sammlung Uffenbach; London, Victoria & Albert Museum: EW 140 B 17702; München, GS: 16688D; Oxford, Ashmolean Museum: WA.OA.1666.1058; Schaffhausen, Museum zu Allerheiligen: C 1269;4 Wien, Albertina: 257/1957 und 258/19575 [späterer Abdruck des Holzschnitts; ohne den Text im Typendruck]

A1 A2 A3

ENGLERT: Altersstufen, 402 f. BAKE: Unser Leben, 31⫺33. BAKE: Altern, 126⫺129.

1

S. C. CHEW: The Pilgrimage of Life. New Haven/ London 1962. Fischart spielt mit dem Anklang von Wald/Welt. Der Gedanke mit dem Hausbau im Wald scheint nicht zu Ende geführt und ist möglicherweise einer Textkürzung beim Druck zum Opfer gefallen, um Platz für Privileg und Impressum zu schaffen. Bilder vom alten Menschen, Nr. 20. Standorte (außer Schaffhausen) nach HOLLSTEIN: German Engravings 82 (2014), 117. MSch

2 3

4 5

Weitere Standorte:

Auch im letzten Blatt des Zyklus nimmt Fischart noch einmal das Bild vom Baum auf, der jetzt ver-

Weitere Standorte:

London, BM: 1927.0614.302 J. Wünsch, Wien)

(ehem.

Sammlung

79

IX, 34

F 182

Ort Jahr Bild Text Verleger Format

Die Lebensalter einer Frau werden als Stufen eines Auf- und Abstiegs präsentiert und mit einer Erinnerung an die Vergänglichkeit und Unausweichlichkeit des Todes verbunden. Auf einer Stufenpyramide sind 13 Lebensstadien einer Frau dargestellt. Die Eigenschaften einer jeden Altersstufe werden durch geflügelte Attribute (Vögel, Fledermaus) angedeutet. Die Abfolge beginnt links unten mit dem Wickelkind, das als ‚Rosenknospe‘ bezeichnet wird. Die Rosenmetaphorik wird bei dem Kind im Laufstuhl und dem Mädchen mit dem hunelein (Küken) auf der ersten Stufe fortgeführt und ist durch den Rosenstock und die Blüte in der Hand des dritten Mädchens auch ins Bild gesetzt. Das Schmuckbedürfnis der heranwachsenden Frau auf der zweiten Stufe begründet den Vergleich mit dem Wiedehopf (wittop). Die Lebensphase der Juffer (Jungfer) ist durch einen modischen Auftritt mit Straußenfederhut und Fächer gekennzeichnet; mit dem herausfordernd zurückgeschlagenen Oberkleid lockt das Mädchen den männlichen Betrachter und paradiert auf dem Heiratsmarkt. Die nächste Stufe nimmt die Ehefrau und Mutter ein, der die Henne mit ihren Küken zugeordnet ist. Auf der Spitze der Pyramide steht die Frau, die aufmerksam über das Erreichte wacht.1 Auf der rechten Seite wird das zunehmende Alter als Abstieg dargestellt, der über die Freude am Essen (gemästete Gans), gesteigerte Frömmigkeit (Adler), die Verspottung durch die Jugend (Eule, dazu die beiden Kinder am Fuß des Baumes), die Gebundenheit an das Haus (Fledermaus, Gehstöcke) bis zum Sterbebett und Tod (Schädel im Kasten, hinter der halb offenen Tür) führt. Die Antithetik von Wachsen und Vergehen, von Jugend und Alter, welche die linke und rechte Seite der Stufenpyramide bestimmt, wird durch weitere Bildmotive unterstrichen. So steht der grüne Baum links dem abgestorbenen Stamm rechts gegenüber.2 In den beiden kleineren Torbögen unter den Stufen kontrastiert eine Entbindungsszene mit einem Leichenzug. Und auf dem kleinen Podest im Vordergrund sind neben dem nackten Kind Insignien der Kindheit (Wiege, Fibel, Kreisel mit Peitsche, Spielsteine) versammelt, unter die sich allerdings schon einige Zeichen der Vergänglichkeit (Sanduhr, erloschene Kerze und Öllampe) gemischt haben. Auf der anderen Seite sitzt der Tod als Knochenmann mit Pfeil und Leichentuch in einem Sarg; daneben liegen Totengräberschaufel und -forke, Knochen, Horologium und eine rauchende Öllampe. Der Blick durch den mittleren Torbogen zeigt hinter einer gotischen Kirche einen Friedhof und ein Ossuarium sowie einen Altar mit einem Kruzifix. In die einzelnen Stufen sind Nischen eingefügt, in denen Schädel und Knochen als zusätzliches Memento mori liegen. Der gestochene illusionistische Bilderrahmen bekundet der potenziellen Käuferschaft die Eignung des Blattes als Wandschmuck.3 80

Auff: vnd Nidergang Deß Weiblichen alters.

(Köln) (um 1640) Kupferstich (von Abraham Aubry, † 1682) gravierte, überwiegend gereimte Inschriften Gerhard Altzenbach (tätig 1609⫺1672) 26,5 ! 38,1

Außer den teils assonierenden, teils reimenden Beischriften auf den Treppenstufen gibt es fünf Schriftfelder, auf denen Vierzeiler den Leser an den Tod gemahnen (links und rechts vom Titulus) und auffordern, jederzeit Gottes Willen zu beachten, um beim Jüngsten Gericht zu bestehen und ewige frewdt vnd Triumph zu erleben. Der Bibelvers (Mt 25, 13) im zentralen unteren Schriftfeld bekräftigt die Notwendigkeit, zu jeder Stunde auf den Tod vorbereitet zu sein, mit göttlicher Autorität. Das gestufte Podest mit den Lebensaltern war eine über Jahrhunderte und europaweit erfolgreiche Bildformel, die in verschiedenen Medien, besonders aber auf illustrierten Flugblättern ausgeführt wurde (b IX, 35). Sie ist erstmals kurz vor Mitte des 16. Jahrhunderts nachweisbar und tritt nahezu gleichzeitig in Deutschland, Italien und den Niederlanden hervor.4 Sie löst das ältere Bildschema des Lebensrads ab und etabliert sich neben linearen Darbietungsformen, die mehrere Bilder oder Bildfelder nebeneinander anordnen (b IX, 33a⫺j).5 Das Memento Mori ist den Lebensaltersdarstellungen seit dem Mittelalter eingeschrieben, wird aber auf dem vorliegenden Blatt und seinem männlichen Gegenstück (b IX, 35) durch die Motive von Friedhof, Begräbnis, Schädel, TotenkopfMaskaron, abgestorbenem Baum und das im Vordergrund arrangierte Ensemble von Vanitas-Zeichen, Kind und Knochenmann (b III, 112, 115)6 erheblich verstärkt. Es hält dem Betrachter, zumal wenn er sich wie die Vertreterinnen der jugendlichen Altersstufen seiner Kraft und Schönheit, seines modischen Auftritts und Wohlstands gewiss ist, den Spiegel der eigenen Vergänglichkeit vor Augen. Die Periodisierung des menschlichen Lebens geht schon auf die Antike zurück.7 Die verbreitete Zehnerskalierung (ursprünglich nach Siebenjahresschritten, später dann nach Dekaden) ist auf Altzenbachs Blatt auf 13 Stufen erweitert worden, wobei die Abschnitte ‚Säugling‘, ‚Kleinkind‘, ‚Sterbende‘, ‚Tote‘ neben und vor der Stufenpyramide platziert sind. Wie auch sonst sind den weiblichen Lebensaltern Vögel (bzw. eine Fledermaus) als zeichenhafte Attribute beigegeben, durch welche die jeweilige Lebensphase charakterisiert werden soll.8

Weitere Standorte: Berlin, Kunstbibliothek: 1001, 61; Berlin, SBPK: YA 3248; Braunschweig, HAUM: FB XIV; Düsseldorf, UB (A 3); Gotha, SM: G 45,14; ehemals München, KK (A 1)

Andere Fassungen: a)

Berlin, KB;9 Nürnberg, GNM: 20757/1294 [ohne Verlegerangabe; Stufe 5⫺7 mit modernisierten Kopfbedeckungen; Stufe 2: Der withopf hier …; Stufe 3: Die Jungfer …]10

A1 A2

DIEDERICHS, Abb. 1094. A. ENGLERT: Die menschlichen Altersstufen in Wort u. Bild. In: Zs. des Vereins f. Volkskunde 15 (1905), 399⫺ 412; 17 (1907), 16⫺42, hier 33⫺35. COuPE II, Nr. 26a. Mensch u. Tod. Totentanzsammlung der Universität Düsseldorf. Ausstellungskatalog Düsseldorf 1978, Nr. 139. Lebenstreppe, Nr. 20.

A2 A3 A4 1

2

3 4

5 6 7

8

9 10

Zur Wachsamkeit des Kranichs vgl. H. M. VON ERFFA: Grus vigilans. Bemerkungen zur Emblematik. In: Philobiblon 1 (1957), 286⫺308. Die frischen Triebe, die vereinzelt aus dem Stamm hervorwachsen, könnten als Hoffnungszeichen der Auferstehung gedeutet werden; vgl. V. SCHMID BLuMER: Ikonographie u. Sprachbild. Zur reformatorischen Flugschrift ‚Der gestryfft Schwitzer Baur‘. Tübingen 2004, 94⫺117. Zur Funktion solcher gezeichneten Rahmen vgl. SCHILLING: Bildpublizistik, 271 f. P. JOERIßEN: Lebenstreppe und Lebensalterspiel im 16. Jahrhundert. In: Lebenstreppe, 25⫺38, hier 25⫺33 mit Abb. 1 f. und 4 f.; Fliegende Blätter, Nr. 555. R. SCHENDA: Die Alterstreppe. Gesch. einer Popularisierung. In: Lebenstreppe, 11⫺24, hier 11⫺16. F. BÄCHTIGER: Vanitas. Schicksalsdeutung in der dt. Renaissancegraphik. Diss. München 1970. F. BOLL: Die Lebensalter. Ein Beitrag zur antiken Ethologie u. zur Gesch. der Zahlen. In: Neue Jahrbücher f. das klassische Altertum 16 (1913), 89⫺145. J. ZACHER: Die zehn Altersstufen des Menschen. In: ZfdPh 23 (1891), 385⫺412; H. VON DER GABELENTZ: Die Lebensalter u. das menschliche Leben in Tiergestalt. Berlin 1938; H. WANDERS: Das springende Böckchen. Zum Tierbild in den dekadischen Lebensalterdarstellungen. In: Lebenstreppe, 61⫺71. COuPE II, Nr. 26, Abb. 96. Geht man davon aus, dass die männlichen Alterspyramiden weibliche Gegenstücke hatten, sind weitere Fassungen zu erschließen (b IX, 35, Fassung a⫺e). MSch

81

IX, 35

F 181

Ort Jahr Bild Text Verleger Format

Das Blatt, dessen ikonographisches Schema europaweit und bis ins 20. Jahrhundert verbreitet war, bildet das Gegenstück zur weiblichen Lebensalterpyramide (b IX, 34). Wie bei dem Pendant mit den weiblichen Lebensaltersstufen werden hier die männlichen Lebensstadien auf einer Stufenpyramide so angeordnet, dass sie links vom Wickelkind aufwärts bis zur Spitze des 50. Lebensjahres aufsteigen und auf der rechten Seite mit zunehmendem Alter bis zum Sterbebett des Hundertjährigen absteigen. Die vermeintlichen Haupteigenschaften eines jeden Alters werden zeichenhaft durch vierbeinige Tiere als Attribute abgebildet und durch notdürftig gereimte Beischriften erläutert. Zudem sind die Stufen durch gereimte Benennungen der jeweiligen Lebensdekade beschriftet. Wie bei der weiblichen Lebensalterspyramide wird die Antithetik von Leben und Tod in den Gegenüberstellungen von grünem und abgestorbenem Baum, von Kindbettzimmer und Leichenzug, von Kind und Knochenmann mit ihren jeweiligen Attributen auf dem Plateau im Vordergrund entfaltet. Durch den großen Bogen unter der Stufenpyramide öffnet sich der Blick auf eine Darstellung des Jüngsten Gerichts, auf das auch die Umschrift auf dem Bogen verweist: Ein Jeder doch bedenck den dag Dem Niemandt gantz entgehen mag.

Auff vnd Nidergang Deß Mannlichen alters

(Köln) (um 1640) Kupferstich (von Abraham Aubry, † 1682) gravierte, überwiegend gereimte Inschriften Gerhard Altzenbach (tätig 1609⫺1672) 26,7 ! 37,9

seiner ‚TRAP DES OuDERDOMS‘ vorgegeben, die er um 1630 in weiblicher und männlicher Ausführung publiziert hatte.3 Der Bildtypus der Stufenpyramide mit vorgelagerter Vanitas-Szenerie setzte sich in der Folgezeit in ganz Europa durch.4 Dabei traten neben die nach Geschlecht getrennten Blätter auch solche, auf denen der Lebenslauf von Mann und Frau gemeinsam wiedergegeben ist. Die in den älteren Versionen bevorzugte Darstellung des Jüngsten Gerichts im Bogen unter der Treppe wurde später meist durch eine Sündenfall-Szene ersetzt.

Weitere Standorte: Berlin, Kunstbibliothek: 1952, 7; Berlin, SBPK: YA 3246; Braunschweig, HAUM: FB XIV; ehem. München, KK (A 1)

Andere Fassungen: a) b) c) d)

e)

A1 A2

Die Verse und das Bibelzitat Mt 25, 13 auf den Schrifttafeln im Vordergrund unten sind nahezu identisch mit denen auf dem Blatt der weiblichen Altersstufen. In den Texten auf den Schrifttafeln in den oberen Bildecken wurden die Knittelverse des ‚Frauenblatts‘ in Alexandriner umgewandelt.

1

Mit den jeder Altersstufe zugeordneten Tieren schließt das Blatt an eine fast 200 Jahre alte ikonographische Tradition an, die sich auch literarisch niedergeschlagen hat:

2

X Jar ain kitz, XX Jar ain kalb, XXX Jar ain stier, XL Jar ain leo, L Jar ain fuchs, LX Jar ain wolf, LXX Jar ain katz, LXXX Jar ain hund, LXXXX Jar ain esel, C Jar ain gans.1

Schon die ältesten Lebensalterpyramiden von Cornelis Anthonisz. (um 1505⫺1553) und Jörg Breu d.J. (um 1510⫺1547) hatten die Tierattribute einbezogen. Auch der Dekaden-Spruch in den Kartuschen vor den einzelnen Stufen blickt auf eine lange Tradition zurück, die in Pamphilus Gengenbachs (um 1480⫺1524/25) Spiel ‚Die X. alter dyser welt‘ (Basel 1515) einen frühen Zeugen besitzt.2 Sowohl die Tierattribute als auch der DekadenSpruch sind Zugaben des deutschen Stechers. Die Gesamtkomposition der Stufenpyramide mit den rahmenden Bäumen und dem Proszenium von Putto und Knochenmann hatte der Amsterdamer Verleger Claes Jansz. Visscher (1587⫺1652) mit 82

A3

3

4

5 6 7

Nürnberg, GNM: 20756/1294 [Auff vnd Nidergang deß Mannlichen Alters; A. Aubry Excudit] Nürnberg, GNM: M.S. 1043/1431 [… Des Manlichen Alters; ohne Verlegersignatur] Düsseldorf, UB: Totentanzsammlung5 [Auff und Niedergang Deß Mänlichen Alters; Paulus Fürst Excudit] Düsseldorf, UB: Totentanzsammlung6 [ohne Kartuschen auf den Stufen; Angaben der Lebensalter in römischen Zahlen über den Köpfen; ohne Verlegersignatur] Wien, Albertina: A.A.Dt.Sch.k.347 [Verleger: M. A. HANNAS] DIEDERICHS, Abb. 1093. A. ENGLERT: Die menschlichen Altersstufen in Wort u. Bild. In: Zs. des Vereins f. Volkskunde 15 (1905), 399⫺ 412; 17 (1907), 16⫺42, hier 30⫺33. COuPE II, Nr. 25, Abb. 95. Liederbuch der Clara Hätzlerin. Hg. von C. HALTAuS. Quedlinburg/ Leipzig 1840 (Nachdr. Berlin 1966), LXIX, Nr. 13. Die ältesten bildlichen Belege bieten die ‚Zehn Lebensalter‘ des Meisters mit den Bandrollen (vgl. HOLLSTEIN: Dutch Etchings, XII, 64, Nr. L.88), sowie ein kolorierter Einblattholzschnitt aus dem Jahr 1482 (London, BM: 1872.0608.351). Pamphilus Gengenbach. Hg. von K. GOEDEKE. Hannover 1866 (Nachdr. Amsterdam 1966), 54⫺76; weitere Belege bis ins 19. Jahrhundert ebd., 574⫺585. DE MEYER: Druckgraphik, Abb. 103 (männliche Ausführung); eine gleichzeitige Variante mit Holzschnitt ebd., Abb. 131; das weibliche Gegenstück in: Lebenstreppe, Nr. 12 (mit Abb.). Weitere niederländische Fassungen bei HIRTH III, Abb. 1666 (Nicolaes Visscher II), und ENGLERT: Altersstufen, 36 (Rombout van den Hoye); vgl. auch K. HAZELZET: De Levenstrap. Zwolle 1994. Für England: O’CONNELL: Popular Print, 190; für Skandinavien: V. E. CLAuSEN: Det folkelige danske træsnit i etbladstryk 1565⫺1884. Kopenhagen 1985, Nr. 485,5⫺ 489; N.-A. BRINGÉuS: Skånska kistebrev. Lund 1995, 209; für Frankreich: J. ADHEMAR: Populäre Druckgraphik Europas. Frankreich. Vom 15. bis 20. Jh. München 1968, Tafel 7; für Spanien: Lebenstreppe, Nr. 43; für Griechenland: ebd., Nr. 61 f. Zur Verbreitung auf späteren deutschen Bilderbögen vgl. S. BARTH: LebensalterDarstellungen im 19. u. 20. Jh. Bamberg 1971. Mensch u. Tod. Totentanzsammlung der Universität Düsseldorf. Ausstellungskatalog Düsseldorf 1978, Nr. 138. Lebenstreppe, Nr. 19. ALEXANDER/ STRAuSS I, 217. MSch

83

IX, 36

F 222

Ort Jahr Bild Text Format

In scherzhafter Systematik werden den Lebensphasen von Kindheit, Erwachsenenalter und Alter drei spezifische Freuden zugesprochen, die in drei verschiedenen Körperregionen erfahren würden. In einer weiträumigen Architekturkulisse befinden sich vier Personen. Auf der linken Seite greift ein nach der spanischen Mode um 1600 gekleideter Edelmann einer nach derselben Mode gewandeten und frisierten Dame unter den Rock. Der abgewandte Kopf der Frau und ihre abwehrende Hand zeigen, dass sie sich die Zudringlichkeit des Mannes nicht freiwillig gefallen lässt. In der Mitte treibt ein barfüßiges Kind mit einem Stock einen Reifen durch das Zimmer. Leicht nach hinten versetzt ist eine gedeckte Tafel aufgebaut. An ihr sitzt ein Mann, dessen hohes Alter an seiner gebeugten Haltung und seinem langen Bart ersichtlich ist. Während seine Linke ein Weinglas fasst, vollführt seine Rechte einen im vorliegenden Kontext nicht eben eindeutigen Gestus. Dieser Gestus fällt umso stärker auf, als er kompositorisch genau im Fluchtpunkt der perspektivischen Linien vollzogen wird. Der ausgestreckte Finger wäre unschwer als Deixis zu bestimmen, mit der der Alte auf das Paar verweist. Da aber auch der kleine Finger gestreckt ist, entsteht die Geste des ‚Hörnchens‘. Mit ihr konnte man den von seiner Frau betrogenen Ehemann als Hahnrei verspotten (b I, 92, 98, 107; IV, 25; IX, 48). Dann wäre der Fingerzeig des Alten ein Hinweis auf die Risiken der Ehe in den mittleren Lebensjahren. Die Geste diente aber auch der Abwehr böser Mächte. Dann wäre die Handhaltung Ausdruck entschiedener Distanzierung von den Freuden des früheren Lebensalters. Der Autor beteuert einleitend die Gültigkeit des Sprichworts Allr guter Ding solln dreye seyn,2 dessen lateinische Version gleichfalls zitiert wird. Nach der Feststellung, dass viele die Bedeutung des Worts und der Zahl Drei beschrieben hätten, wolle nun auch der Autor Nach dieser meinr Jnvention seine Deutung der Zahl vorlegen, die auf die unterschiedlichen Freuden der menschlichen Lebensstadien der Kindheit, des Erwachsenenalters und des Alters bezogen wird. Mit einem Genrebild der elterlichen Begeisterung über die ersten Gehversuche der kleinen Kinder kommt der Sprecher zu dem Schluss: Der erst Lust ist in Füssen sein. In der mittleren Lebensphase steige die Lust in die mitt Deß Leibs und werde ordentlicher Weiß in der Ehe befriedigt. Ein kleiner Exkurs über den mönchischen Zölibat, die sexuelle Not der Ordensbrüder und ihre heimlichen Wünsche offenbart den protestantischen Standpunkt des Verfassers. Die Lust des dritten Lebensalters steige schließlich noch weiter nach oben und werde oral durch Tranck vnd Speiß gestillt. Abfolge und Art der Freuden werden noch zweimal durchdekliniert: einmal, um in ihrer Kombination den höchsten Genuss zu bekunden, und dann, um das 84

Von dreyen natürlichen Lüsten des Menschen

(Frankfurt a. M.) (um 1620) Kupferstich (von Peter Rollos, tätig 1619⫺1639)1 Typendruck in 3 Spalten; graviert in 2 Spalten; 124 und 6 Knittelverse (von Daniel Meisner?, 1585⫺1625) 35,5 ! 28,0; 9,9 ! 13,6

abnehmende Interesse an den Lüsten bei zunehmendem Alter zu konstatieren. Die harmlos-unterhaltsame Systematik schließt mit der Bemerkung, dass jeder Leser auch ohne die Lektüre des Textes Sich wol [zu] moderirn wisse und die drey Lüst mit gsundem Muth genießen solle. Das Blatt steht in einer Reihe mit Versuchen, die Menschen und das menschliche Leben nach verschiedenen Kategorien einzuteilen und zu systematisieren. Dabei begegnen in der Bildpublizistik seriöse Ansätze, wenn gesellschaftliche (Stände; b I, 61 f.; IV, 258), astrologische (Planetenkinder),3 biologische (Lebensalter; b IX, 33a⫺j, 34 f.) oder ethnographische Kriterien (Völkertafeln)4 die Systematik bestimmten. Daneben konnten aber auch scherzhafte Kategorisierungen vorgenommen werden, wenn etwa die Temperamentenlehre auf die Wirkungen des Alkohols bezogen (b I, 81 f.) oder das Thema Lebensalter und Sexualität ausbuchstabiert wurde (b I, 85).5 Das vorliegende Blatt gehört zu den auf Unterhaltung zielenden Systematisierungsversuchen. Ausgehend von dem Sprichwort ‚Aller guten Dinge sind drei‘, entwickelt es seine triadische Lehre von den aufsteigenden Freuden der Lebensalter. Den Unernst der vorgetragenen Einteilung erhellt nicht zuletzt die Angabe, der Text stamme von einem Liebhaber der obberürten dreyen natürlichen lüsten. Denn nach der im Blatt entwickelten Systematik kann der Autor nur einer der drei Vergnügungen frönen, je nach dem, in welcher Lebensphase er sich befindet. Das kleine Format der Graphik und die gravierte Nummerierung 17 rechts unten lassen vermuten, dass das Bild ursprünglich als Buchillustration gedient hat. Tatsächlich findet sich das Bild an 17. Stelle in dem gedruckten Studenten-Stammbuch ‚Philotheca Corneliana‘ von Peter Rollos.6 Da etliche der Texte in der ‚Philotheca‘ von Daniel Meisner stammen, der sowohl in der Emblematik als auch in der Bildpublizistik hervorgetreten ist (b IV, 307; IX, 220),7 liegt die Vermutung nahe, dass er auch den Text des Flugblatts, das wie das Stammbuch in Frankfurt gedruckt worden sein dürfte, verfasst hat. Für Rollos und sein Publikum war das Sujet offenbar attraktiv. Jedenfalls findet man ein nah verwandtes Bild auch noch in seiner ‚Vita Corneliana‘. Es zeigt je zwei Personen pro Lebensalter, die sich ihren altersspezifischen Freuden widmen: rechts ein sich umarmendes Paar, in der Mitte zwei Kinder mit Ball, Tennisschläger und Steckenpferd und links ein altes Paar am gedeckten Tisch bei Speis’ und Trank. Der zweisprachige Spruch unter dem Bild lautet:

In pedibus prima est, sed porto secunda voluptas In medio, ac epulis denique tertia erit.8

Das Blatt diente 1652 als Vorlage für ein Flugblatt von Paul Fürst (1608⫺1666), das die Lebensalter durch je zwei Figuren präsentiert und einen neuen dreigeteilten und metrisch wie inhaltlich auf die Altersstufen abgestimmten Text aufweist.9 In einer noch im selben Jahr erschienenen Neuausgabe hat Fürst die Szenerie des Stiches barockisiert und die Lebensalter in Leserichtung von links nach rechts angeordnet, so dass die Textpartien nunmehr unter den zugehörigen Paaren zu stehen gekommen sind.10

Weitere Standorte: London, BM: 1880.0710.896

Andere Fassungen:

1

2 3 4

5 6

7 8 9

Von dreyen lusten ist zuwissn/ Der erst ist vnten in den Füssn. Der ander lust ist in der Mitt/ Jn Speiß vnd tranck ist obn der dritt.

10

Die Zuweisung an Matthaeus Merian bei WÜTHRICH (Merian, III,2, 695, Nr. 45) erfolgte ohne Kenntnis der Herkunft der Graphik. WANDER: Sprichwörterlexikon, I, 605, Nr. 45; RÖHRICH: Redensarten, I, 335. Fliegende Blätter, Nr. 447a⫺g. Vgl. W. BRÜCKNER: Fremdheitsstereotypen. Der ethnographische Blick als neues Wahrnehmungsmuster visueller Art in der Frühen Neuzeit. In: HARMS/ MESSERLI: Wahrnehmungsgeschichte, 145⫺162. Flugblätter Magdeburg, Nr. 40; BAKE: Spiegel, 114⫺121 mit Abb. 50⫺53. Peter Rollos: Philotheca Corneliana […] das ist Freudt vnd Lustgarten Cornelij […]. Frankfurt a. M. 1619; zum Typus des gedruckten studentischen Album Amicorum vgl. C. KEMP: ‚Vita Corneliana‘. Das emblematische Stammbuch von Theodor de Bry bis Peter Rollos. In: A. ADAMS/ A. J. HARPER (Hgg.): The Emblem in Renaissance and Baroque Europe. Leiden u. a. 1992, 53⫺69. Zu ihm D. PEIL: Meisner, Daniel. In: VL16 4 (2015), 360⫺365. Peter Rollos: Vita Corneliana […] Das ist das gantze Leben Cornelij […]. O.O. 1639 (1. Aufl. 1624), Bl. 1. Illustrierte Flugblätter, Nr. 23; vgl. D. PEIL: Das Sprichwort im illustrierten Flugblatt. In: HARMS/ SCHILLING: Flugblatt in der Kultur, 11⫺34, hier 22 f. BAKE: Spiegel, Abb. 55. MSch

85

IX, 37

F 209

Ort Jahr Bild Text Verleger Format

Unter Verwendung des verbreiteten satirischen Motivs einer Verjüngungsmühle wird das Problem des Altwerdens der Frau erörtert. In einer weitläufigen Flusslandschaft steht eine Windmühle, um die und in der reger Betrieb herrscht. Mit verschiedenen Verkehrsmitteln ⫺ per Boot, Schubkarre, Kutsche und auch zu Fuß werden alte Frauen von ihren Ehemännern herangebracht und von einem Müller in das Mahlwerk geschoben. Aus einer Öffnung im Mühlgehäuse fallen sie nach dem Mahlgang kopfüber als Verjüngte wieder raus. Hier werden sie von einem Müllergehilfen aufgefangen, der zugleich von den Ehemännern die Bezahlung in bar entgegennimmt. Als Zeichen der Verjüngung liegen neben der Mühltreppe die nicht länger benötigten Gehhilfen. Im Vordergrund rechts werden die wieder schönen und modisch gekleideten Damen liebevoll von Kavalieren empfangen. Mit Verweis auf das Bild erzählt der Text, wie das Problem der alternden Frauen, die von ihren Männern nicht mehr geliebt werden, durch die Erfindung eines Meisters gelöst wurde. In einer von ihm konstruierten Mühle, die bald weit bekannt geworden sei, könnten sie wieder jung gemahlen werden. Nun scheuten die Ehemänner weder Mühe noch Geld, um ihre Frauen der Kur zu unterziehen. Nach der Prozedur kehrten sie mit ihren schönen, jungen Gefährtinnen heim. Mit der ‚Altweibermühle‘ behandelt das Blatt ein seit dem ausgehenden Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert in der Satire beliebtes Verjüngungsmotiv.2 Außer auf illustrierten Flugblättern erschien es schon früh in Stammbüchern,3 in der Volkskunst (Bienenstöcke, Wandbehänge),4 in volkstümlichen Texten und Inszenierungen,5 und war auch in anderen Ländern bekannt.6 Die dem Thema zugrunde liegende Idee des Mahlens als Transformationsverfahren ist in der literarischen und ikonographischen Tradition christlicher Bildlichkeit des Mittelalters begründet (Hostien- und Apostelmühle), die die Reformation für Propagandazwecke (‚Die Geistliche Narrenmühle‘, ‚Die göttliche Mühle‘) und antikatholische Satire (Teufelsmühle, ‚Die Grille Krottestisch Mül‘, b II, 50) abgewandelt hat.7 Die profane Behandlung des Themas rückt es in die Nähe der Satire, die den Wunsch des Menschen, ewig jung, schön und gesund zu bleiben, zu ihrem Gegenstand macht und zu diesem Zweck sich auch der verwandten Motive des Jungbrunnens,8 des Jungofens9 oder der Schmiede (b I, 113; IX, 38) bedient, wobei das letztere Motiv nicht so sehr die äußere Verwandlung als bestimmte Denk- und Verhaltensweisen sowie Charakterschwächen satirisch verspottet. Während die verwandten Motive mit den Elementen Wasser und Feuer arbeiten, die seit der Antike in verschiedenen Glaubensbereichen, Mythen und Sa86

Windmühl, auff welcher Alte Weiber

(vor 1650) Radierung und Kupferstich graviert in 4 Spalten; 8 und 40 Knittelverse CAB1 26,2 ! 32,7

gen die Kraft des Erneuerns besaßen (Taufe, Phönix), spielte bei der Verwendung der Mühle im Verjüngungsmotiv wahrscheinlich nicht nur die mit ihrem Bild verbundene Idee der Verwandlung und Unsterblichkeit10 eine Rolle sondern auch ihr zweifelhafter Ruf als Ort ungewöhnlicher Ereignisse.11 Das vorliegende Blatt lässt weder in der Ikonographie noch im Text etwas von dieser Tradition erkennen, und auch eine moralisierende Absicht ist nicht angedeutet. Der satirische und unterhaltende Aspekt ergibt sich aus dem die Darstellung konstituierenden Prinzip der Unmöglichkeit in der Nachbarschaft der Verkehrte-WeltLiteratur, aber auch aus dem der Frauensatire immanenten Topos des alten bösen (innerlich und äußerlich hässlichen) und das heißt verbesserungsbedürftigen Weibes.12 Ob das Blatt ein Pendant in einer ‚Männermühle‘ besaß, was für geschlechtsspezifische Satiren allgemein typisch war (b IX, 47), lässt sich nicht feststellen, zumal die große Mehrheit der bekannten Mühlendarstellungen die Frauenverwandlung zum Thema hat.13 Der Blattverfasser orientierte sich vermutlich an dem ältesten bisher bekannten Holzschnitt mit dem Motiv aus Holland (um 1600) und schuf mit seinem Flugblatt die Vorlage für Fassung a und b, wobei für die Version von Paul Fürst (1608–1666) das Bild genau nachgestochen und mit einem Prosatext versehen wurde, während die wahrscheinlich aus dem 18. Jahrhundert stammende Fassung b mehrere Modernisierungen des Stichs, aber nur wenige Abweichungen im Text aufweist.14

3

4

5 6

7

8

9 10 Weitere Standorte: ehem. Privatbesitz, Berlin (A 1) 11 Andere Fassungen: a)

b)

A1

1 2

Berlin, SBPK: YA 3330 kl; Coburg, Veste;15 ehem. Gotha, KK16; Zagreb, Staatsarchiv: VZ VIII, 2917 [Künstliche Winnd-Müll; Paul Fürst Excudit] München, Bayerisches Nationalmuseum18 [Windmühl, auf welcher alte Weiber jung gemahlet] J. BOLTE, Die Altweibermühle. Ein Tiroler Volksschauspiel. In: Archiv f. das Studium der neueren Sprachen u. Literaturen 53 (1899), 241–266, hier 242–245. Nicht bei NAGLER: Monogrammisten. Vgl. A. SPAMER (Hg.): Die Deutsche Volkskunde. Berlin ²1936, II, 480, Abb. 2; COuPE I, 158–160; W. HIRTE (Hg.): Die Schwiegermutter und das Krokodil. 111 bunte Bilderbogen für alle Land- und Stadtbewohner soweit der Himmel blau ist. Berlin 21970, 24 f.; ALEXANDER/ STRAuSS I, 241 f.; L. RIEDEL/ W. HIRTE (Hgg.): Der Baum der Liebe. Liebesseufzer auf Neuruppiner Bilderbogen. Berlin 1981, 94 f.; METKEN: Altweibermühle.

12

13

14

15 16 17 18

Vgl. etwa P. OSZCZANOWSKI/ J. GROMADZKI: Theatrum vitae et mortis. Graphik, Zeichnung und Buchmalerei in Schlesien 1550–1650. Wrocław 1995, 101, Nr. 351 (von 1630); L. KuRRAS/ E. DILLMANN: Die Stammbücher der Königlichen Bibliothek Stockholm. Handschriftenkatalog. Stockholm 1998, 9 (Stammbuch Daniel von Redern, 1589–1613). METKEN, Altweibermühle. Eine Altweibermühle als Spielzeug von 1908 bei SPAMER: Volkskunde, II, 480, Abb. 1. BOLTE: Altweibermühle; R. W. BREDNICH: Altweibermühle. In: EM 1 (1977), Sp. 441–443. Für Frankreich, England, Skandinavien, Böhmen, Polen und Österreich vgl. J. ADHÉMAR: Populäre Druckgraphik Europas. Frankreich. München 1968, Abb. 39; METKEN: Altweibermühle; V. E. CLAuSEN: Populäre Druckgraphik. Skandinavien. München 1973, Nr. 32 und 78; BRINGÉuS: Kunst; DERS.: Skånska kistebrev. Lund 1995, 204–207; A. KŘÍŽOVÁ/ R. JEŘÁBEK: Zu den tschechischen Analogien in der Ikonographie und der Funktion der volkstümlich gewordenen Einblattdrucke. In: N.-A. BRINGÉuS/ ST. Å. NILSSON (Hgg.): Popular Prints and Imagery. Stockholm 2001, 153–167, hier 162–164 mit Abb. 8; BOLTE: Altweibermühle, bes. Nachtrag, 266. C. WENDELER: Zu Fischarts Bildergedichten. In: Archiv f. Litteraturgesch. 7 (1878), 305–378, hier 308–331; G. BEBERMEYER: Einführung zu: Thomas Murner: Die Mühle von Schwindelsheim und Gredt Müllerin Jahrzeit. Hg. von DEMS. Berlin/ Leipzig 1923, 79–82 u. 85; H. VOLLMER: Bibel u. Gewerbe in alter Zeit. Kelter u. Mühle zur Veranschaulichung kirchlicher Heilsvorstellungen. Hamburg 1937; H. RYE-CLAuSEN: Die Hostienmühlenbilder im Lichte mittelalterlicher Frömmigkeit. Stein a. Rh. 1981; METKEN: Altweibermühle, 89 f. Ältere Literatur bei WENDELER: Zu Fischarts Bildergedichten, 329. Vgl. auch G. F. HARTLAuB: Einführung in: Lucas Cranach d.J. Der Jungbrunnen. Stuttgart 1958; B. FRANKE/ S. SCHADE: Jungbrunnen und andere ‚Erneuerungsbäder‘ im 15. und 16. Jahrhundert. In: R. VAN DÜLMEN (Hg.): Erfindung des Menschen. Schöpfungsträume und Körperbilder 1500–2000. Wien 1998, 196–212. DE MEYER: Verjüngung; BRINGÉuS: Kunst, 16–20; STRAuSS III, 1100; Fliegende Blätter, Nr. 438⫺440. Zum Motiv der Mühle, in der Narren gemahlen und so ‚vervielfältigt‘ werden, vgl. W. MEZGER: Der Ambraser Narrenteller von 1528. Ein Beitrag zur Ikonographie der spätmittelalterlichen Narrenidee. In: Zs. f. Volkskunde 75 (1979), 161–180, hier 168–170. H. JuNGWIRTH: Mühle. In: HdA 6 (1935), Sp.602–609; W. DANCKERT: Unehrliche Leute. Die verfemten Berufe. Bern/ München 1963, 125–145. M. WARNER: Altes Weib u. alte Vettel. Allegorien der Laster. In: S. SCHADE u. a. (Hgg.): Allegorien u. Geschlechterdifferenz. Köln u. a. 1994, 51–67. Von den 41 graphischen Darstellungen, die Metken kennt, befassen sich 32 mit Frauen (METKEN: Altweibermühle, 88). Als Vorlage für das hallensische Blatt sowie die Fassung a nennt Metken einen französischen Kupferstich aus der Mitte des 17. Jahrhunderts (ADHÉMAR: Druckgraphik, Abb. 39), dem wiederum die holländische Version zugrunde liegen soll (METKEN: Altweibermühle, 86). Brückner vermutet das holländische Blatt als Vorlage für die Fassung b (BRÜCKNER: Druckgraphik, 98). HAMPE: Ergänzungen, zu Nr. 274. HAMPE: Fürst, Nr. 274. PELC: Theatrum, 56 mit Abb. 37. BRÜCKNER: Druckgraphik, 115. EP

87

IX, 38

F 210

Ort Jahr Bild Text Verleger Format

Newer Köpff-Kram/ Das ist: Kurtzer Bericht

(Straßburg) (um 1640) Radierung (von Peter Aubry d. J., 1610⫺1686) Typendruck in 3 Spalten; 20 sechszeilige Strophen von Johann Michael Moscherosch (Philander von Sittewalt, 1601⫺1669) Peter Aubry d. J. 39,8 ! 30,4; 13,0 ! 21,7 Weitere Standorte: Straßburg, BNU: R 10705; ehemals Berlin, SBPK (A 1); ehemals Antiquariat Rosenthal, München (A 2)

Moscherosch verspottet die Unzufriedenheit der Menschen mit ihren körperlichen und charakterlichen Mängeln durch die satirische Illusion, man könne diese Defizite durch einen Austausch der Köpfe beheben. Dem Betrachter bietet sich der Blick in eine Barbierstube. Auf der linken Seite stehen auf zwei Wandregalen Apothekergefäße, darunter hängen drei Barbierbecken. Auf der rechten Seite wird ein Brenn- oder Backofen betrieben. Vorn in der Mitte steht ein Beistelltisch, auf dem Binden, Schere, Messer, eine Arzneibüchse und ein Barbierbecken liegen. In dem Raum befinden sich zahlreiche Personen. Im linken Vordergrund legt ein Gehilfe mit einer drehenden Bewegung Hand an den Kopf eines vor ihm sitzenden Mannes; der Barbier-Meister beaufsichtigt die Prozedur. Ein Paar, das als nächstes an der Reihe ist, beobachtet die Szene ebenso wie zwei Frauen, deren jugendliches Aussehen darauf schließen lässt, dass sie die Schönheitsoperation erfolgreich überstanden haben. Hinter dem Meister liegt auf einer gedeckten Tafel ein Sortiment von Männerköpfen zur Auswahl. Auf der rechten Seite holt ein zweiter Gehilfe mit einem Backschießer unter den entsetzt-erstaunten Blicken zweier Männer einen frisch gebackenen Frauenkopf aus dem Ofen, um ihn zu den fertigen Köpfen im Korb auf dem Boden zu legen. Weitere noch nicht behandelte Köpfe befinden sich in einem Korb links (hier sind es Tierköpfe) und neben dem Tischchen in der Mitte (hier sind es Kohlköpfe). Rechts vorne versucht ein Kavalier seine widerstrebende Partnerin zum OPStuhl zu ziehen. Durch das rechte Fenster in der rückwärtigen Wand erblickt man in einer hügeligen Landschaft einen Mann, den die Beischrift Viel Köpff viel Sinn Sprach der Pfaff von Kalenberg als Helden eines verbreiteten Schwankbuchs identifiziert.1 Ausgehend von dem Sprichwort Viel Köpff/ viel Sinn,2 das mit Zitaten römischer Satiriker paraphrasiert wird,3 entwirft der Autor zunächst eine Zeitklage über die Uneinigkeit der Kirche, der Herrschaft, im Krieg, um dann ausführlich auf die Meinungsverschiedenheiten und Auseinandersetzungen in der Ehe einzugehen. Aus einem imaginierten ehelichen Streitgespräch leitet der Text über zu dem Meister […] Der alte Köpff new machen kann. Von den Klagen, welche die Kunden über ihre jeweiligen Partner vortragen, stellt die Reihe von Tierköpfen, mit denen eine Frau ihren Gatten charakterisiert, den Bezug zu dem im linken Vordergrund dargestellten Korb im Bild her. In der letzten Spalte kommt der Meister mit einem werbenden Ausruf zu Wort. Er verspricht allen, die mit ihrem Kopf unzufrieden sind, einen newen Kopff Mit einem ala mode Zopff zu einem guten Preis aufzusetzen. Erst in den letzten vier Versen wird die satirische Fiktion aufgehoben, 88

wenn es heißt, dass allein Gott es sei, Der gute Köpff vnd Sinne macht. Bei dem Wunsch nach ewigem Leben handelt es sich um eine anthropologische Konstante, die sich nicht nur in den verschiedenen Religionen, sondern auch in weltlichen Phantasien niedergeschlagen hat. Die Aufhebung des Alterungsprozesses bildete ein beliebtes Thema in der frühneuzeitlichen Kunst und Literatur. Dabei wurden ⫺ meist in Form satirischer Darstellungen – unterschiedliche Methoden der Verjüngung vorgeführt, deren bekannteste wohl die Badekur im Jungbrunnen ist.4 Daneben kamen aber auch zahlreiche operative Verfahren zum Einsatz: Die Altmänner- und Altweibermühlen erfreuten sich in der populären Druckgraphik des 16. bis 19. Jahrhunderts international großer Beliebtheit (b IX, 37).5 Doch auch der Brennofen sowie Hammer, Esse und Amboss waren zur Hand, wenn Verjüngungsprozeduren vorgenommen werden mussten (b I, 113).6 Nicht nur Altersspuren und Schönheitsmängel, auch moralische und geistige Defizite konnte man derart beheben. Vorzugsweise schliff man verleumderische Zungen und vorwitzige Nasen (b IX, 75), aber auch ganze Narren.7 Daneben griff man auf medizinische und paramedizinische Praktiken zurück, deren sich auch die Verfasser fastnächtlicher Arztspiele bedienten (Narrenschneiden; Purgation; Schwitzkur; b I, 53; IX, 27). Das vorliegende Blatt führt mehrere dieser Motivstränge zusammen. Es verbindet die Themen der Verjüngung (der Meister, Der alte Köpff new machen kann) und Verschönerung (schaw da ein newen Kopff Mit einem ala mode Zopff) mit der Behebung charakterlicher und moralischer Defizite. Es verbindet medizinische (Barbierstube) und mechanische Kurverfahren (Backen oder Brennen neuer Köpfe). Und es führt verschiedene literarische Traditionen zusammen: Sprichwort, humanistische Gnomik, Schwankliteratur, Medizin- und Narrensatire. Der ‚Köpff-Kram‘ war ein international verbreitetes Sujet, das sich in Frankreich, England und den Niederlanden nachweisen lässt. Auf einem niederländischen Gemälde, das den ‚Bäcker von Eeclo‘ zeigt, werden die Kohlköpfe, die auf dem vorliegenden Blatt auf dem Boden liegen, als vorübergehende Prothesen verwendet, während sich der originale Kopf noch in Arbeit befindet.8

Andere Fassungen: a)

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Nürnberg, GNM: 25272/1294; Paris, BN: Hennin, 2940 (ohne Text); Zagreb, Staatsarchiv: VZ VIII, 24;9 ehemals Auktionshaus Zisska und Schauer10 [Newer Hauptund Köpff Kram. Nürnberg: Paul Fürst o.J.; Kupferstich im Gegensinn; anderer Text in Knittelversen] Austin, HRHRC: Popular Imagery Collection, Nr. 344 (Text fehlt); Berlin, SBPK: YA 3555 kl.; Braunschweig, HAUM: FB V; Wolfenbüttel, HAB: Einbl. Xb FM 297 [Ein New auffgethanener Köpffkram … Nürnberg: Paul Fürst o.J.; Kupferstich wie Fassung a, neuer Text in Alexandrinern] E. SCHMIDT: Gedichte von Moscherosch. In: ZfdA 23 (1879), 71⫺84, hier 79⫺84. L. ROSENTHAl: Antiquariatskatalog 65. München o.J., Nr. 1458. J. BOLTE: Unbekannte Gedichte von Moscherosch. In: Jb. f. Gesch., Sprache u. Litteratur Elsaß-Lothringens 13 (1897), 151⫺170, hier 165⫺170. J. BOLTE: Ein Bildergedicht Moscheroschs. In: Jb. f. Gesch., Sprache u. Litteratur Elsaß-Lothringens 21 (1905), 159 f. PAAS: Verse Broadsheet, 153 f. J. R. PAAS: Johann Michael Moscherosch u. der Aubrysche Kunstverlag in Straßburg 1625 bis ca. 1660. In: Philobiblon 30 (1986), 5⫺45, hier 44 mit Abb. 26. In einem Schwank wurde erzählt, wie der Pfaffe von Kalenberg Totenschädel einen Berg hinabrollen ließ. Als er sah, wie diese in unterschiedliche Richtungen kugelten, habe er gerufen: „Viele Köpfe, viele Sinne!“; vgl. Sigmund von Birken: Spiegel der Ehren. Nürnberg 1668, 317. Moscherosch könnte den Schwank bei Zincgref gefunden haben; vgl. Julius Wilhelm Zincgref: Der Teutschen Scharpffsinnige kluge Sprüch / Apophthegmata genant. Straßburg 1628 (11626), 389. Eine bildliche Umsetzung bei Daniel Meisner: Thesaurus Philopoliticus. 16 Teile in 2 Bdn., Frankfurt a. M. 1625⫺1631 (Nachdr. Unterschneidheim ²1974), I, 4, Nr. 41. Der Schwank fehlt in Philipp Frankfurters verbreiteter Sammlung. WANDER: Sprichwörter-Lexikon, II, 1512; RÖHRICH: Redensarten, III, 871 f. Petronius: Fragmenta, 40; Horaz: Satiren II, 1, 27 f.; Persius: Satiren, V, 53. A. RAPP: Der Jungbrunnen in Literatur u. bildender Kunst des Mittelalters. Zürich 1976; B. FRANKE/ S. SCHADE: Jungbrunnen u. andere ‚Erneuerungsbäder‘ im 15. u. 16. Jh. In: R. VAN DÜLMEN (Hg.): Erfindung des Menschen. Schöpfungsträume u. Körperbilder 1500– 2000. Wien 1998, 196–212 K. DÖRING-MOHR: Die ikonographische Entwicklung des Jungbrunnens u. sein inhaltlicher Wandel in der bildenden Kunst des 14. bis 16. Jhs. Diss. Aachen 1999. DE MEYER: Verjüngung; R. W. BREDNICH: Altweibermühle. In: EM 1 (1977), 441⫺443; BRINGÉuS: Kunst; DERS.: Volkstümliche Bilderkunde. München 1982, 102⫺116; METKEN: Altweibermühle. DE MEYER: Verjüngung; K. HAZELZET: Heethoofden, misbaksels en halve garen. De bakker van Eeklo en de Burgermoraal. Zwolle 1988. Fliegende Blätter, Nr. 416. Das Bild von Cornelis van Dalem und Jan van Wechelen befindet sich im Muiderslot in Muiden; vgl. HAZELZET: Heethoofden; eine Flugblatt-Fassung davon bei DE MEYER: Druckgraphik, Abb. 126. PELC: Theatrum, 55 f. mit Abb. 36. Zisska und Schauer, Auktion 61, Nr. 356. MSch

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IX, 39

F 288

Ort Jahr Bild Text Verleger Format Das Blatt stellt den Ehestand als von Gott gestiftete Form des menschlichen Zusammenlebens den von Menschen geschaffenen katholischen Orden gegenüber. Das Bild setzt sich aus einem großen und vier kleinen Medaillons zusammen, die einem Viereck eingeschrieben sind. Diese graphische Form korrespondiert mit der Funktion des Bildes als einer ikonographischen Darstellung der im Titel genannten Schild, Spiegel und Signet des Ehestandes. Das große Medaillon besitzt einen mit mehreren Bibelzitaten gefüllten Rahmen. Sie alle beziehen sich auf die gegenseitigen Pflichten des Mannes und der Frau in der Ehe, wie Liebe, Verehrung, Gehorsam, Schutz und Ernährung. Auch der erste und letzte Buchstabe des IHS-Zeichens im Inneren des Medaillons enthalten lateinische Inschriften, die Gott als Gründer (Fvndator) und den Heiligen Geist als Bewahrer (Conservator) der Ehe bezeichnen, während Christus als Copvlator derjenige ist, der die Menschen vermählt, was in der Mitte der Graphik bildlich vorgeführt ist. Der Balken oberhalb des IHS-Zeichens enthält eine gereimte Paraphrase eines Bibelzitats (Mt 19,9: Was nu Gott zusamen gefüget hat/ das sol der Mensch nicht scheiden), das als Formel bei der kirchlichen Trauungszeremonie verwendet wird. Zwei weitere Sentenzen oberhalb und unterhalb des Zentralbildes sind eine Zusammenfassung dreier weiterer Bibelstellen: 1 Mos 2,24, Mt 19,5 und Eph 5,31. Die kleinen Medaillons zeigen Bilder, die sich auf den Text (oben) oder auf biblische Szenen beziehen, die nicht explizit erwähnt werden, aber in Bezug zum Thema des Blattes stehen (unten). Auf dem oberen linken Bild kniet und betet ein Ehepaar vor seinem Bett, während im Hintergrund eine nicht näher zu identifizierende Figur (ein Schutzengel?) den (Ehe-)Teufel vertreibt. Im Bild oben rechts vermählt Gott Mann und Frau, die durch ihre Nacktheit als die ersten Menschen ausgewiesen sind. Links unten wird die Hochzeit zu Kana (Joh 2) abgebildet und rechts das Bibelzitat Lasset die Kindlin […] zu mir […] kommen (Mt 19,14) illustriert. Der Text besteht aus vier Teilen, die verschiedene Adressaten und Funktionen haben. Die 14 Zeilen über der Graphik sind eine Art Widmung an den Leser allgemein, in der als Aufgabe des ‚Spiegels‘ erklärt wird, zu preis/ ehr vnd zierd des Ehestandes, zu Trost/ Lehr vnd Schutz der Eheleute, zu nutz für die jungen Unverheirateten zu dienen und all diejenigen zu blenden, die den Ehestand nicht ehren. Der Haupttext umfasst zwei Spalten ⫺ links und rechts der Graphik ⫺ und wendet sich an Verheiratete und Heiratskandidaten. Die Ehe wird als von Gott geschaffen über alle anderen ‚Orden‘ gestellt und entsprechend ausgelegt: Der Abt und Stifter des Ordens sei die Trinität, die Ordensregeln seien Worte der Bibel, Klosterräume seien Wohnungen der Eheleute und sie selbst die Brüder und Schwestern des Ordens. Im weiteren werden zehn Regeln der Ehe formuliert. 90

Schild/ Spiegel/ Signet Des eltisten Standes

(Nürnberg?) 1583 Holzschnitt Typendruck in 3 und 4 Spalten (z. T. in Rotdruck); 104, 15, 20, 22 Knittelverse von Leonhard Roth (Lebensdaten unbekannt)1 Leonhard Roth 35,4 ! 29,2; 13,3 ! 13,0 Als kritikwürdiger Gegenpol zu den im ehelichen Stand Lebenden werden Pfaffen, Mönche und Nonnen genannt. Sie kümmerten sich eher um ihr körperliches Wohlbefinden als um Gottes Lobpreis, den sie mit ihren unverständlichen, Gott fremden Ritualen vortäuschten. Der als Vermanung überschriebene Text unter der Graphik wendet sich an Eheleute und ermahnt sie, sich die angeführte Lehre als Richtschnur für ihr tägliches Tun zu nehmen, was sie vor dem Ehteuffel schützen und ihnen die Zuneigung Gottes bringen würde. Zum Schluss verweist der Verfasser auf die Bibel als Quelle für seinen Spiegel, aus der auch seine Leser weiter schöpfen sollten. In dem daneben stehenden Gebet richtet ein Ehepartner die Bitte an Gott, ihn bis zum Tod glücklich und friedlich im Ehestand zu erhalten. Die Verherrlichung des Ehestandes war im 16. Jahrhundert ein festes Thema der protestantischen Literatur, das in Dramen, Liedern, Flugschriften, vor allem aber in Ehelehren verschiedener Art, zu denen auch das vorliegende Blatt zu zählen ist, behandelt wurde.2 In ihrer Auffassung der Ehe stützten sich die Verfasser auf das lutherische Eheverständnis, indem sie sie als gottgewollten und heiligen Stand glorifizierten, dessen Legitimation sich aus der Bibel ableitete.3 Mit dem Lob des Ehestandes als warer Jesviterey4 verband sich oft ⫺ auch im Sinne Luthers – eine Polemik gegen die katholische Kirche und insbesondere die Jesuiten, deren Regeln protestantische Normen entgegengesetzt wurden. In seiner Schrift ‚Vom Abendmahl Christi‘ (1528) verurteilte Luther alle orden, Regel, Klöster, stifft und was von menschen uber und ausser der schrifft ist erfunden und eingesetzt, mit gelübden und pflichten verfasset.5 Somit wird der Begriff ‚Orden‘ für den Ehestand bei Roth in kritischer Opposition zu katholischen Institutionen benutzt. Seine Kritik der katholischen Geistlichen ist zuerst themengebunden, da er sie als diejenigen angreift, die den Ehestand herabsetzen und selbst unter Verletzung ihres Zölibatsgelübdes in unehelichen Verhältnissen lebten. Darüber hinaus erstreckt sich seine Polemik auf katholische Rituale und die Lebensweise des Klerus und der Nonnen. Die antikatholische Aussage des Blattes tritt auch durch das IHS-Monogramm hervor, das als Abkürzung für Iesus Habemus Socium bzw. Iesu humilis Societatis6 von den Jesuiten popularisiert und vielfältig verwendet und hier gegen seine Urheber eingesetzt wurde. Die ‚Zehn Regeln‘ thematisieren weitere zentrale Punkte der lutherischen Konzeption, die die Ehe als Baustein der gesellschaftlichen Ordnung auffasste, wie sie durch die Obrigkeit garantiert und durch die Kirche sanktioniert wurde: Eine feste Hierarchie, gekoppelt mit lieb und freundligkeit bildete die Basis für die Wirkungsbereiche der ehelichen Gemeinschaft: Kindererziehung, Besitzverwaltung, Umgang mit dem Gesinde.7 Nicht zuletzt sollte ein friedliches und harmonisches Zusammenleben als anzustrebendes, in Wirklichkeit selten er-

reichtes Ideal8 den Beistand Gottes sichern. Der normative Aspekt des Blattes tritt dabei vor dem theologisch-religiösen zurück. Die Graphik vereinigt Motive, die mehrfach in ehebezogenen Schriften, besonders in Hochzeitsgedichten (Fassung a), verwendet wurden: das Brautpaar bei dem Vermählungsakt ⫺ wobei hier an Stelle der Figur Gottes auch ein Prediger oder Priester erscheint (b III, 179, 184, 187, 198) ⫺, die Hochzeit zu Kana (b III, 181 f.), den Eheteufel (b IX, 53). Als Vorlage für den Text des Blattes einschließlich der Inschriften im Medaillon diente die Eheschrift Johann Spangenbergs (1484–1550) ‚Des Ehelichen Ordens Spiegel vnd Regel‘.9 Weitere Standorte: Nürnberg, GNM: 2029/1238 Andere Fassungen: NVPTIALIS;

a)

Nürnberg, GNM: 24563/1238 [CRATER Nürnberg o.J.]

A1

BANGERTER-SCHMID: Erbauliche Flugblätter, 248, Nr. 117. I. BEZZEL: Eine „Bambergische Zeitung“ von 1584 u. ihr Drucker oder Verleger Leonhard Rot. In: Gutenberg-Jb. 1999, 164–172, hier 170 f.

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Die Lokalisierung der zeitlich etwas späteren Fassung a in Nürnberg legt den Schluss nahe, dass auch das vorliegende Blatt dort gedruckt wurde. Der Autor und Verleger war vermutlich der Bamberger Drucker Leonhard Roth, der ein antikatholisches Flugblatt nicht im bischöflichen Bamberg drucken durfte, aber sehr wohl in Auftrag nach Nürnberg geben konnte. Vgl. BEZZEL: Zeitung (mit Zweifeln an der Identität des Bamberger Druckers mit dem Flugblattverfasser). Zahlreiche Beispiele bei KAWERAu: Reformation. Zur didaktischen Eheliteratur vgl. H.-J. BACHORSKI: Diskursfeld Ehe. Schreibweisen und thematische Setzungen. In: DERS. (Hg.): Ordnung u. Lust. Bilder von Liebe. Ehe u. Sexualität in der Literatur des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Trier 1991, 511–545; zuletzt E. KARTSCHOKE (Hg.): Repertorium deutschsprachiger Ehelehren der Frühen Neuzeit. Berlin 1996 (bisher erschienen Bd. I/1). Weitere Literatur b IX, 48, 53. T. MILLER: Mirror for Marriage. Lutheran views of marriage and family, 1520–1600. Phil. Diss. University of Virginia 1981; W. BEHRENDT: Lutherisch-orthodoxe Ehelehre in der Haustafelliteratur des 16. Jhs. In: R. SCHNELL (Hg.): Text u. Geschlecht. Mann u. Frau in Eheschriften der Frühen Neuzeit. Frankfurt a. M. 1997, 214–229; H. PuFF : […] ein schul/ darinn wir allerlay Christliche tugend vnd zucht lernen. Ein Vergleich zweier ehedidaktischer Schriften des 16. Jhs. In: R. SCHNELL (Hg.): Geschlechterbeziehungen u. Textfunktionen. Studien zu Eheschriften der Frühen Neuzeit. Tübingen 1998, 59–88. Ludwig Helmbold: Der Jesviter Orden/ ausser welchem niemand kan Selig werden/ Reimweise beschrieben. Mühlhausen 1583. Luther: Werke, XXVI, 503,36 u. 504,10 f. BANGERTER-SCHMID: Erbauliche Flugblätter, 174 f.; LCI II, 337; H. FELDBuSCH: Christusmonogramm. In: RDK 3 (1954), 707–720, bes. 716–719. VAN DÜLMEN: Kultur, 157–162. Vgl. etwa ROPER: Haus, 141–178. Magdeburg 1544 (1545). EP

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IX, 40

F 326

Ort Jahr Bild Text Format

In zwölf Feldern bietet das Blatt, das möglicherweise zum Zerschneiden gedacht war, in Bild und Text Liebesbekundungen. Die zwölf Bilder, aus denen sich die Graphik des Blattes zusammensetzt, lassen sich in zwei Gruppen einteilen: Die eine Hälfte stellt jeweils ein Liebespaar dar, die andere Hälfte kombiniert allegorisch-emblematische Motive der frühneuzeitlichen Liebesikonographie. Die formale Gestaltung und Anordnung der Bilder wurden oberflächlich systematisiert: In der ersten und der dritten Reihe wurden die Darstellungen mit den Liebespaaren jeweils außen platziert, in der zweiten Reihe stehen sie, von den symbolischen Darstellungen flankiert, nebeneinander in der Mitte, so dass sich insgesamt eine axialsymmetrische, jedoch von Reihe zu Reihe wechselnde Anordnung von Liebespaarund Symboldarstellungen ergibt, die bei einer vertikalen Leserichtung jeweils ein Bild des einen Typs von zwei Bildern des anderen Typs rahmt. Auch die Textkartuschen sind paarweise in jeder Reihe aufeinander bezogen. Die allegorisch-emblematischen Bilder geben gleichfalls Ansätze einer Systematik zu erkennen, wenn in der ersten Reihe jeweils ein Herz (mit Pelikan, Händedruck, Kette und Schlössern), in der zweiten Reihe zwei entflammte Herzen und in der dritten Reihe drei durch Kette und Schlösser verbundene Herzen erscheinen. Zugleich aber werden die Symmetrie und Systematik durch Differenzierungen zwischen den Bildern aufgelockert. Trotz der gleichen Figurationen der Damen und Kavaliere, die in Konversationsszenen gezeigt werden, sind sie durch das Aussehen der Personen in ihren Gebärden und ihrer Kleidung individualisiert. Bei den Herzdarstellungen sind es die unterschiedlichen Martyrien durch Sägen, Messer, Pfeile und Flammen und die variierenden Attribute, die diese Bilder zu Einzeldarstellungen machen. Auch die rahmenden Blumengebinde wurden individuell gestaltet. Der Text ist nicht linear zu lesen, sondern bildet zwölf Einheiten. Dabei wird das Verhältnis von Bildinschriften und -unterschriften unterschiedlich gestaltet. Zum Teil stehen die Aussagen der beiden Verspaare einigermaßen unverbindlich nebeneinander. In einem Fall umfasst die syntaktische Struktur beide Paarreime (Bild 2). Und mehrmals werden die Verspaare dem ins Bild gesetzten Liebespaar in Form eines kurzen Dialoges zugeordnet, so dass der Text die dargestellte Gesprächsszene spiegelt. Während diese Dialoge als Liebeserklärungen inszeniert sind, enthalten die allegorischen Bilder eher allgemein auf die Liebe und den damit verbundenen Schmerz bezogene Aussagen. Die figurativen Szenen imaginieren unterschiedliche, höfisch stilisierte Begegnungen von Mann und Frau, die von einer formvollendeten Begrü92

Darbey ist auch kein grösser lust [Inc.]

(Köln) (um 1650) Kupferstich von Gerhard Altzenbach (tätig 1609–1672)1 graviert; 24 paargereimte Zweizeiler unterschiedlicher Hebungszahl 34,9 ! 26,6

ßung (Bild 12) über zweisames Lustwandeln (Bild 7 und 9), das Überreichen einer Blume (Bild 6), einladende Gesten (Bild 4) bis zum gemeinsamen Tafeln in freier Natur (Bild 1) reichen. Die allegorisch-emblematischen Bilder stellen einerseits mit den Verletzungen durch unterschiedliche Marterwerkzeuge Liebesschmerz und Opferbereitschaft heraus, bekunden anderseits durch die iunctio dextrarum,2 Ketten und Schlösser unauflösliche Treue. Die Unruh (b II, 219), die auf Bild 3 oben aus dem Herzen ragt, dürfte auf die Rastlosigkeit des Liebenden verweisen.3 Auffällig ist die Anreicherung der profanen Liebesikonographie mit geistlichen Bedeutungsträgern. So erscheint das verbreitete Christus-Symbol des Pelikans, der seine Jungen mit seinem eigenen Blut am Leben erhält, auf drei Bildfeldern (2, 3 und 5), um die Opferbereitschaft des Liebenden anzuzeigen.4 Das Auferstehungssymbol des Phönix (Bild 8) steht hier für die beständige Erneuerung der Liebe.5 Der Engel, der eine weibliche Figur an der Hand führt und zum Himmel weist, stammt aus der Hohelied-Ikonographie, die durch das Emblembuch der ‚Pia Desideria‘ des Jesuiten Hermann Hugo (1588–1629) im 17. Jahrhundert äußerst beliebt geworden war.6 Die Leiter in Bild 3 gehört zu den arma Christi (b III, 11 f., 16 f.) und bringt das Leiden des Liebenden mit der Passion Christi in Verbindung. Derartige Übergänge von geistlicher und profaner Liebesikonographie lassen sich in der frühen Neuzeit vielfach und besonders in der Emblematik beobachten.7 Die Form des aus mehreren Bildfeldern seriell zusammengesetzten Bilderbogens wurde seit der Mitte des 17. Jahrhunderts zunehmend populärer.8 Sie wurde für moraldidaktische Ziele ebenso eingesetzt9 wie für Ehe- und Liebeslehren10 oder für christliche Erbauung.11 Sie weist zahlreiche Verbindungen zur zeitgenössischen Buchemblematik auf.12 Die Erbauungsblätter grenzen zudem eng an das sog. kleine Andachtsbild,13 brauchte man doch nur den Bogen zu zerschneiden, um entsprechende Bildchen zu erhalten. Auch das vorliegende Blatt bot die Option, es in kleine Bilder zu zerschneiden und etwa als Billetdoux zu verwenden. Daneben konnte es als Wandschmuck oder zur Dekoration von Liebesgaben gebraucht werden.

Weitere Standorte:

Andere Fassungen:

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MERLO: Künstler, 40 f.; BENZING: Verleger, Sp. 1086. K.-A. WIRTH: Ehe. In: RDK 4 (1958), Sp. 775–786; vgl. auch C.-P. WARNCKE: Über emblematische Stammbücher. In: J.-U. FECHNER (Hg.): Stammbücher als kulturhistorische Quellen. München 1981, 197–225, hier 202– 204 mit Abb. 3; b III, 179, 184, 187. Zum Herzen als Uhr vgl. COuPE II, Abb. 91. Zum Pelikan vgl. C. GERHARDT: Die Metamorphosen des Pelikan. Exempel u. Auslegung in mittelalterlicher Literatur. Frankfurt a. M. u. a. 1979; H. REINITZER: Kinder des Pelikan. In: DERS. (Hg.): All Geschöpf ist Zung’ und Mund. Beiträge aus dem Grenzbereich von Naturkunde u. Theologie. Hamburg 1984, 191–260; DITTRICH: Tiersymbole, 337–342. R. VAN DEN BROEK: The Myth of the Phoenix According to Classical and Early Christian Tradition. Leiden 1972; H. REINITZER: Vom Vogel Phoenix. Über Naturbetrachtung u. Naturdeutung. In: W. HARMS/ H. REINITZER (Hgg.): Natura loquax. Naturkunde u. allegorische Naturdeutung vom Mittelalter bis zur frühen Neuzeit. Frankfurt a. M. u. a. 1981, 17–72; b I, 239. M. SCHILLING: Der rechte Teutsche Hugo. Dt.sprachige Übersetzungen u. Bearbeitungen der ‚Pia Desideria‘ Hermann Hugos SJ. In: GRM 70 (1989), 283–300. Vgl. M. PRAZ: Studies in Seventeenth-Century Imagery. Rom ²1975, 151–155; E. JACOBSEN: Die Metamorphosen der Liebe u. Friedrich Spees ‚Trutznachtigall‘. Kopenhagen 1954; K.-A. WIRTH: Religiöse Herzemblematik. In: Das Herz, II: Im Umkreis der Kunst. Biberbach an der Riss 1965, 63–106; L. VEIT: Das Herz. Symbol, Allegorie u. Emblem. Nürnberg 1983; B. F. SCHOLZ: Het hart als res significans en als res picta. Benedictus van Haeftens ‚Schola cordis‘ (Antwerpen, 1629). In: Spiegel der Letteren 33 (1991), 115–147; M. VAN VAECK: The openhertighe Herten in Europe. Remarkable Specimens of Heart Emblematics. In: Emblematica 8 (1994), 261–291. Zum außerliterarischen Gebrauch des Motivs vgl. WALZER: Liebeskutsche, 37–50. Eine große Zahl solcher Zerschneidbögen sind in der Sammlung Valvasor überliefert; vgl. L. GOSTIŠA: Iconotheca Valvasoriana. Ljubljana 2004⫺2009, I, 400⫺410; II, 195⫺211, 217⫺220, 294–298; III, 362⫺449. Das Blatt ‚Ey taste mich nicht an‘ (Inc.) [Nürnberg, GNM: 24525/1294] bildet in 16 Feldern Tiere ab und greift dabei z. T. auf die ‚Emblematum ethico-politicorum Centuria‘ von Julius Wilhelm Zincgref (zuerst Oppenheim 1619) zurück. Vgl. BRÜCKNER: Druckgraphik, Abb. 106. Vgl. HAMPE: Fürst, Nr. 61–65; ‚In Lieb kein zweytracht sich befindt‘ (Inc.). Köln: G. Altzenbach o.J. [Nürnberg, GNM]; b III, 84 f. Vgl. M. SCHILLING: Mediale Aspekte von Emblem u. Flugblatt. In: W. HARMS (Hg.): Text u. Bild, Bild u. Text. Stuttgart 1990, 283–295. A. SPAMER: Das kleine Andachtsbild vom 14. bis zum 20. Jh. München 1930; SCHARFE: Andachtsbilder. EP/ MSch

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F 255

Ort Jahr Bild Text Format Zustand

Das obszön getönte Idealbild einer Frau wird aus Körperteilen verschiedener geographischer Herkunftsbereiche zusammengesetzt. Dem Betrachter tritt eine junge Dame entgegen, die prächtig und modisch gekleidet ist. Das nach oben gesteckte Haar wird von zwei schleifenverzierten Bändern gehalten und mit einem Blumensträußchen geschmückt. Der fächerförmige sogenannte Medici-Kragen lenkt den Blick auf das ebenmäßige ovale Gesicht der Frau und auf das Dekolleté, das durch eine doppelte Perlenkette und den mit Schmucksteinen besetzten Miederausschnitt zusätzlich betont wird. Unter den Hängeärmeln des Oberkleides sind Ärmel aus feinerem Stoff mit spitzenbesetzten Manschetten sichtbar. Die Dame hält als modische Accessoires ein Fazinet und einen Fächer in den Händen. Das eng anliegende Mieder, das die von einem Korsett zusammengeschnürte Taille betont, wird unten durch eine ringförmige Puffenrüsche abgeschlossen, die auf dem in schweren Falten fallenden Oberkleid aufliegt und die durch den stützenden Reifrock nahezu waagrecht heraustretende Hüftpartie zusätzlich unterstreicht. Die Füße der Dame stecken in halbhohen Schuhen, die mit einem Riemen geschlossen und einer Rosette verziert sind. Die Frau steht vor einer eher ländlichen Kulisse, die rechts von einer wohl zu einem Gehöft gehörenden Wand begrenzt wird, während im Hintergrund ein Mühlbach vorüberfließt und die Räder einer Wassermühle antreibt. Die ‚Kurtze beschreibung eines recht schönen Jungen Weibs‘ wird einleitend als männliche Wunschphantasie gekennzeichnet. Die anschließende descriptio personae befolgt weitgehend die Regeln der Rhetorik, wenn sie mit dem Kopf beginnt und dann Schritt für Schritt den Blick weiter abwärts richtet. Lediglich die äüglein auß Brabandt durchbrechen das Schema a capite ad pedes. Der Zielpunkt der Beschreibung liegt freilich nicht bei den Füßen der Dame, sondern in sich steigernder obszöner Zuspitzung bei den ranen (schlanken) schencklein, den Leftzen, die in leicht durchschaubarer Zweideutigkeit auf die weibliche Scham verweisen, und dem hindern, der durch seine Schlussposition, den Dreireim und die Angabe seiner Bestimmung (erfrewen manch iungen knabn) besonders herausgestellt und gewichtet wird. Das aus Körperteilen verschiedener geographischer Herkunft zusammengesetzte Idealbild einer schönen Frau begegnet in der deutschen Literatur seit dem 15. Jahrhundert in breiter Überlieferung. Im sogenannten Liederbuch der Clara Hätzlerin (um 1430–1476/77) findet sich der Schönheitskatalog in folgender Form: Ain haubt von Behmer land, Zway weisse ärmlin von Prafand,

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Kurtze beschreibung eines recht schönen Jungen Weibs.

(um 1620) Kupferstich graviert in 2 Spalten; 13 Knittelverse 23,4 ! 16,5 unbedruckte Quetschfalte in der linken Textspalte

Ain prust von Schwaben her, Von kernten zway tüttlin, ragend als ain sper, Ain pauch von Österreich, Der wär schlecht vnd geleich, Vnd ain Ars von pollandt, Auch ain Bayrisch f daran, Vnd zway füszlen von dem Rein: Das möchte ain schöne fraw gesein!1

1620 datiert (B 8). Um 1665 erschien bei Paul Fürst (1608–1666) eine weitere Version des Motivs, die das Bild und das Gedicht an die geänderten modischen, literarischen und zivilisatorischen Ansprüche des Publikums anpasste.8

Bei Heinrich Bebel (um 1472–1518) lässt sich in lateinischer Übersetzung erstmals die Spruchvariante nachweisen, die auf dem vorliegenden Blatt steht: Ea mulier omnibus dotibus naturae et formae praedita erit: quae habeat caput ex Praga: vbera ex Austria: ventrem a Gallia: dorsum ex Brabantia: ex Colonia agrippina alba crura et manus: pedes a Rheno: pudibus ex Bauaria: et nates ex Sueuia: et sic perfecte formosa erit: quum varie sint dotes naturae: varijs in locis et regionibus.2

Weitere Standorte: Bamberg, SB: VI.G.156; ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig (A 1)

Andere Fassungen:

Nahe verwandt ist eine Version des Gedichts, die in den ‚Facetiae Facetiarum‘ im 17. Jahrhundert weite Verbreitung fand:

a)

b) Der Kopff von Prag/ die Füß vom Rhein/ Die Brüst auß Oestereich solln seyn: Auß Franckreich der gewelbter Bauch/ Auß Beyerlandt das Büschlein rauch/ Der Rück auß Brabant/ die Händ von Cölln/ Den Arß auß Schwaben/ Küst jhr Geselln.3

In den ‚Facetiae‘ steht der Spruch in Überlieferungsgemeinschaft mit einem lateinischen Schönheitskatalog eines nicht nachweisbaren (fiktiven?) Franciscus Corniger, der die äußeren Vorzüge einer Frau zu zehn Triaden zusammenstellt.4 Zuerst lässt sich diese Überlieferungsgemeinschaft bei Johann Fischart (um 1546–1590) nachweisen, der seine Aufzählung weiblicher Schönheiten überdies durch eine Reihe petrarkistischer Vergleiche amplifiziert.5 Die Montage eines Idealbildes aus verschiedenen Versatzstücken berührt sich mit dem Verfahren spätmittelalterlicher Konstruktionsallegorien des Typs vir bonus.6 Die nächstliegende Parallele, die vermutlich ursprünglich die Anregung zu den genannten Schönheitskatalogen gegeben hat, bietet eine Anekdote über den griechischen Maler Zeuxis (Ende des 5. Jhs. v. Chr.): Als er ein Bildnis der Helena malen sollte, gebrauchte er fünf Mädchen als Modelle, um deren jeweils schönste Körperteile abzumalen und zum Bild der Helena zusammenzufügen.7 Bei der Kleidung der abgebildeten Dame handelt es sich um die spanische Mode, die sich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts europaweit durchgesetzt hatte. Der Medici-Kragen gibt das Kleid als französische Variante der spanischen Mode zu erkennen. Da Schuhe mit hohen Absätzen erst um 1600 aufkamen, der Reifrock anderseits um 1630 verschwand, wird das Blatt in diesem Zeitraum entstanden sein. Die Fassung a trägt die Jahreszahl 1619, so dass man wohl nicht fehlgeht, wenn man auch das nebenstehende Blatt um

A1 A2 A3 A4 1

2

3 4

5

6

7

8

London, BM: 1880–0710–832 [späterer Abdruck von derselben Platte, auf der die Frau durch eine nach aktuellerer Mode gekleidete Dame ersetzt wurde] Coburg, Veste: XIII,443,61 [Text einspaltig, anderer Stich, 1619] DRuGuLIN I, Nr. 2545 (Zuweisung an Matthaeus Merian d. Ä.). SCHILLING: Bildpublizistik, 239 f. mit Abb. 27. Frau Hoeffart, Nr. 22 mit Abb. PAAS XIII, P-3889. C. HALTAuS (Hg.): Liederbuch der Clara Hätzlerin. Quedlinburg/ Leipzig 1840. Nachdr. mit einem Nachwort von H. FISCHER. Berlin 1966, LXVIII; die weitere Überlieferung ebd., 377. Heinrich Bebel: Opuscula noua. Straßburg 1509, I 7,b (zit. nach R. M. KuLLY: Der Schönheitskatalog. Ein übersehenes literarisches Motiv. In: R. SCHNELL (Hg.): Gotes und der werlde hulde. Literatur in Mittelalter u. Neuzeit. FS H. Rupp. Bern/ Stuttgart 1989, 288–311, hier 309). Facetiae Facetiarum, hoc est, Ioco-Seriorum Fasciculus novus. (Amsterdam) 1645, 261. Vgl. hierzu R. KÖHLER: Zu dem Gedicht von Hans Sachs ‚Die Achtzehen Schön einer Jungfrauen‘. In: DERS.: Schriften, III, 22–34; KuLLY: Schönheitskatalog. Fischart: Geschichtklitterung, 112 f. Einige Beispiele aus dem 17. Jahrhundert bei S. SANDER: Die dreißig Schönheiten der Frau. Ärztliche Ratgeber der Frühen Neuzeit. In: F. STAHNISCH/ F. STEGER (Hgg.): Medizin, Geschichte u. Geschlecht. Körperhistorische Rekonstruktionen von Identitäten u. Differenzen. Wiesbaden 2005, 42–62 (ohne Kenntnis der literarischen Tradition). Zuletzt H. KIEPE: Die Nürnberger Priameldichtung. Untersuchungen zu Hans Rosenplüt u. zum Schreib- u. Druckwesen im 15. Jh. München 1984, 225–232; M. CuRSCHMANN: Facies peccatorum – Vir bonus. BildText-Formeln zwischen Hochmittelalter u. früher Neuzeit. In: ST. FÜSSEL/ J. KNAPE (Hgg.): Poesis et Pictura. Studien zum Verhältnis von Text u. Bild in Handschriften u. alten Drucken. FS D. Wuttke. Baden-Baden 1989, 157–189. Die Anekdote ist mehrfach überliefert, am ausführlichsten bei Cicero (M. Tullius Cicero: Rhetorici libri duo de inventione. Hg. von E. STROEBEL. Stuttgart 1977, II, 1, 1–3). SCHILLING: Bildpublizistik, 240 mit Abb. 28. MSch

95

IX, 42

F 259

Ort Jahr Bild Text Verleger Format

Mit Hilfe von Tiermetaphorik umschreibt das Blatt sexuelle Wünsche der Frauen und bildet damit ein Zeugnis frühneuzeitlicher Männerphantasien. Im Zentrum des Bildes steht eine reich gekleidete Frau. Ihr schaut von links ein Mann auf einem Pferd zu. Ein Fuchs, ein Pfau, ein Hahn und ein Hirsch vervollständigen die Szene. Die Menschenund Tiergestalten stehen auf einer Linie vor einer Landschaft mit Fluss, Kirche und Schloss. Der Text ist in Dialogform gehalten. In den vier Textzeilen oberhalb der Graphik bekundet die Frau ihrem Kavalier, dass er ihren Ansprüchen nie genügen könne, obwohl er ihr gefalle. Im Haupttext konstatiert der Mann, dass die ganze Aufmerksamkeit der Frau dem Hirsch gelte und dass sie sein Pferd, ein Zeichen seiner hohen Abstammung, nicht beachte. Auf die Frage, worin denn die Anforderungen bestünden, die er angeblich nicht erfüllen könne, verweist die Dame auf die abgebildeten Tiere. Deren Tugenden werden in anaphorischer Reihung als Je Länger […]ie gröser […], Je langer […]ie Schöner […] und Je langer […] Je lieber […] bezeichnet, bzw. beim Hirsch durch seinen Aufenthalt im grünen Wald umschrieben. In seiner Erwiderung beteuert der Mann, durch seine Ritters Krafft das Verlangen der Frau zu befriedigen. Abschließend verspricht die Dame demjenigen, der ihre Ansprüche erfülle, ihre Treue. Das Blatt greift das Motiv grenzenloser sexueller Lust der Frau auf, die neben Geschwätzigkeit, Bösartigkeit, Zanksucht u. a. zum Repertoire der stereotypen Vorstellung von ihrem lasterhaften Wesen gehörte.1 Anders als in Flugblättern mit einer deutlichen misogynen Tendenz (b I, 108, 145; IX, 45, 52) ist hier weder eine moralische Verurteilung der Frau intendiert noch eine frauenverachtende Satire. Was auf den ersten Blick als das vorrangige Thema erscheint, bietet lediglich Anlass, männliche Potenzphantasien zum Ausdruck zu bringen. Für die bildliche Darstellung des Motivs wählte der Blattverfasser die erotisch konnotierte Tiermetaphorik, wie sie in der Literatur seit dem Mittelalter immer wieder für die Darstellung der Sexualität eingesetzt wurde.2 Als Zeichen männlicher Potenz wurden im Blatt Tiere eingeführt, deren Schwänze als Phallussymbole geeignet schienen bzw. denen eine besondere sexuelle Ausdauer zugeschrieben wurde. In der zeitgenössischen Bildpublizistik erscheint der Fuchsschwanz nicht nur als Sinnbild der Schmeichelei (Fuchsschwänzerei), sondern des Öfteren auch in sexueller Bedeutung. So z. B. geißelt in der Graphik des Flugblattes ‚IM KLOSTER GARTEN‘ (b IV, 20) ein Mönch den bloßen Hintern einer Nonne mit einem an einer Gerte befestigten Fuchsschwanz.3 In 96

Der Dama Hertzlicher Wuntsch Je langer Je lieber

Köln (um 1650) Kupferstich graviert in 4 Spalten; 4 und 40 Knittelverse Gerhard Altzenbach (um 1610–1672) 25,5 ! 37,3

‚Chat Chah‘ (b I, 99) ermuntert die KupplerFigur mit einem Fuchsschwanz in der Hand den als Katze dargestellten Liebhaber zum Liebesakt. Ganz unmittelbar erscheint die sexuelle Konnotation des Tieres im Bild einer nackten Frau mit einem Fuchs zwischen ihren Oberschenkeln (b I, 103).4 Noch verbreiteter war in der Literatur der Zeit die Darstellung des Hahns als Verkörperung der voluptas (b I, 101 f., 107; IX, 46).5 Friedrich von Logau (1604–1655) sagt über den idealen Liebhaber seiner Epigramm-Heldin Lupula: Der da kan wie Tauben hertzen, Der da kan wie Spatzen schertzen, Der wie Hanne buhlen kan, Ist für sie der rechte Mann,6

oder führt den Hahn als Musterbeispiel für sexuelle Verhaltensweisen der Männer vor: Hannen sind die Frauen günstig, weil sie ihre Männer lehren, Wie sie ihnen sollen locken, sie mit Lust und Kost verehren Und fein rüstig frü anfangen; sonsten ist nicht zu vergessen, Daß nicht minder junge Frauen gerne junge Hüner essen.7

Der Bezug des Hirsches zur Sexualität wird in der Frühen Neuzeit am deutlichsten auf dem Gebiet der Medizin und Paramedizin sichtbar, die Derivate aus Genitalien des Tieres als Mittel gegen die Impotenz und Unfruchtbarkeit sowie zur Steigerung des Sexualtriebes empfahlen.8 Im Blatt sind der Geschlechtsakt und die auf die beiden Partner bezogene sexuelle Befriedigung im Verweilen des Hirsches im grünen Wald und im Fressen des grünen Laubs (mit begier) verschlüsselt. In diese Bildkonstruktion sind die Vorstellung vom Hirsch als einem zur Unkeuschheit sehr geneigt[en] Tier9 und die Metapher vom ‚Busch‘ für das weibliche Geschlechtsteil eingeflossen, wie sie z. B. Johann Georg Schoch (1627–1690) im Bild einer ‚Jagdszene‘ verwendete: ES ist nicht allzeit gut auf Weiber loszudrücken/ Vnd seinen Pfeil so plump in Busch hinnein zu schicken. Doch diesen halt ich nur für einen guten Schuß/ Der allemal das Ziehl im Finstern treffen mus.10

Ob bei der Wahl der Hirsch-Metapher auch das zeitgenössische Jäger-Wissen, die Hirsche hielten sich während der Brunft in Wäldern auf, wo sie gern bey den Hindinnen seien, eine Rolle spielte, ist nicht zu entscheiden.11 Die sonst nicht nachweisbare sexuelle Deutung des Pfaus beruht hier vermutlich auf der Länge und Pracht seines Schwanzes.12 Das vorliegende Blatt geht auf ein früheres Frankfurter Flugblatt zurück (b I, 95), welches dem Wunsch des Mannes nach Zecherei in geselliger Runde den erotischen Wunsch der Frau entgegensetzt, der in den Figuren von Fuchs, Pfau und Huhn und mit derselben Anapher (Je länger […] je […]) versinnbildlicht wird. Anstelle des Hirsches wird der Menagerie ein mit einer Henne kopulierender Hahn (Ie lenger ich leb ie lieber ichs

mag) beigegeben. Eine spätere undatierte Fassung des Blattes greift lediglich die Graphik mit dem eingravierten Text auf (b I, 96). Das Flugblatt Altzenbachs verzichtet ganz auf die in den beiden Versionen gleichberechtigte Darstellung des Männerwunsches.

Weitere Standorte: Nürnberg, GNM: 24672/1293; ehem. Auktionshaus Zisska/ Kistner, München (A 1)

Andere Fassungen: A1 A2 A3 1 2

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9 10

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12

Zisska/Kistner, Nr. 2241 (mit Abb.). Dasselbe Exemplar in: Antiquariat L’Art Ancien, Nr. 50 (mit Abb.). COuPE II, Nr. 67. Neuer Korb, Nr. 28, Abb. S. 32. MOSER-RATH: Schwank, 101–108; ROPER: Haus, 174 f. H. KRATZ: Über den Wortschatz der Erotik im Spätmittelhochdeutschen und Frühneuhochdeutschen. Diss. (masch.) Ohio 1949; F. SCHLOSSBAuER: Literatur als Gegenwelt. Zur Geschichtlichkeit literarischer Komik am Beispiel Fischarts u. Lessings. New York u. a. 1998, 35–38. Vgl. auch die Blätter mit erotisch gefärbten Darstellungen von Mönchen und Nonnen bei FuCHS: Sittengeschichte, Abb. 319, und FuCHS: Frau, 61. Eine solche Szene schmückt einen Humpen von 1572 (SALDERN: Glass, Abb. 155) sowie eine Zinnbüchse (FuCHS: Sittengeschichte, Ergbd., Abb. 200) und findet sich im Skizzenbuch eines Breslauer Goldschmieds (um 1601; P. OSZCZANOWSKI/ J. GROMADZKI: Theatrum vitae et mortis. Graphik, Zeichnung u. Buchmalerei in Schlesien 1550–1650. Wrocław 1995, Nr. 245). Eine Darstellung einer Frau und eines Fuchses, dessen Schwanz zwischen ihren Oberschenkeln herunterhängt, enthält das ‚Kunstbüchlin‘ Jost Ammans (Nachdr. der Ausg. Frankfurt a. M. 1599 hg. von A. WERNER. New York 1968, Nr. 71). Vgl. auch Conrad Gesner: GESNERI Redivivi, aucti et emendati TOMuS II Oder Vollkommenes Vogel-Buch. Frankfurt a. M. 1669 (Nachdr. Hannover 1995), 166. Friedrich von Logau: Sämmtliche Sinngedichte. Hg. von G. EITNER. Tübingen 1872 (Nachdr. Hildesheim/ New York 1974), 153, Nr. 68. Logau: Sinngedichte, 650, Nr. 98. Oswald Croll: Tractat Von den jnnerlichen Signaturen/ oder Zeichen aller Dinge. Frankfurt a. M. 1629, 45; Johann Joachim Becher: PARNASSuS MEDICINALIS ILLuSTRATuS. Ulm 1663, I, 32; Conrad Gesner: Gesnerus Redivivus auctus et emendatus Oder Allgemeines Thier-Buch. Frankfurt a. M. 1669 (Nachdr. Hannover 1995), 197 f. Croll: Tractat, 45. Johann Georg Schoch: Neu-erbaueter Poetischer Lustund Blumen-Garten […] Nebenst Vier Hundert DenckSprüchen. Leipzig 1660, hier: Denck-Sprüche, IV, 150 f., Nr. LXXVII. (Georg Christoph Becher): Des Edlen Weydmanns Geheimes Jäger-Cabinet. Hg. von H.-D. WILLKOMM. Leipzig 1755 (Nachdr. Berlin 1990), 867. Zu seinen üblichen Bedeutungen s. D. ARENDT: Zoologia Poetica. Das Menschengeschlecht in seiner ungeheuchelten Tierheit. Fernwald 1994, 280–301; b I, 32, 128; IX, 68. EP

97

IX, 43

F 207

Ort Jahr Bild Text Format Zustand

Im Bild der Heirat als Lotterie rät das Blatt, die Ansprüche an den Lebenspartner zu mäßigen. In der Mitte der Graphik steht auf einem gefelderten Fußboden ein überdimensionaler Flechtkorb, in dem etwa 20 Personen beiderlei Geschlechts sitzen, wobei die Frauen die rechte und die Männer die gegenüberliegende Seite einnehmen. Von rechts drängen Männer, von links Frauen an den Korb, die nicht nur durch ihre Altersstufen, sondern auch durch ihre Kleidung unterschiedlichen modischen Zuschnitts ein heterogenes Bild ergeben. Den beiden vordersten Personen – links eine Frau in eher schlichtem Kleid mit einfachem Schnürband um die Taille und einem traditionellen Mühlsteinkragen, rechts ein im Vergleich zu den hinter ihm stehenden Alamode-Monsieurs (b I, 119–130) mit ihren Fransen, Borten und Stulpenstiefeln eher gemäßigt modern gewandeter Mann – wurde die Sicht durch ein über den Kopf gestülptes Tuch genommen, so dass sie blindlings in den Korb greifen, um sich einen Partner zu wählen. Hinter dem Korb steht in der Pose eines Ausrufers ein Mann, der – wohl um die Aufmerksamkeit der Passanten zu erregen – gleichfalls sein Gesicht verhüllt hat; in ihm dürfte der Sprecher des Textes abgebildet sein. Der Text berichtet von einer großen Klage, die sich unter Männern und Frauen erhoben habe, weil nach der Hochzeit Geld und Liebe so schnell dahinschwänden. Deshalb wolle sich niemand mehr in den Stand der Ehe begeben. Um solchen Bedenken abzuhelfen, sei nun Ein Korb mit Venuskinder voll herbeigeschafft worden, aus dem sich jeder mit Glück seinen idealen Partner wählen könne. Allerdings möge man das Sprichwort beachten, Daß keiner in der gantzen Welt Ohne Mangel gefunden wird.1 In direkter Anrede fordert der Sprecher abschließend die Jüngling vnd Jungfrawen auf heranzutreten, ihr Glück zu versuchen und geduldig darmit vor Lieb [zu] nemen, was das Geschick jedem zubillige. Die Verfasser illustrierter Flugblätter bezogen nicht selten die Verkaufssituation in Bild und Text ihrer Drucke mit ein. Das konnte die Pose eines Ausrufers sein (b I, 52 f.; IX, 27 u. a.), konnte auf den Platz des Verkaufs anspielen (wenn etwa Spott-Mandate vor dem Rathaus vertrieben wurden, bIX, 49–51 u. a.) oder Elemente verwenden, die auf der Kolportage benachbarte Bereiche des fahrenden Gewerbes wie den Verkauf von Kämmen (b IV, 210) und Brillen2 oder das Scherenschleifen (b IX, 75 f.) und das Zähneziehen (b II, 282) Bezug nahmen.3 In das Umfeld des Marktgeschehens und der Fahrenden gehörten auch Lotterien und Losverkäufer, die ihrerseits schon früh das noch junge Medium des Flugblatts als Werbemittel eingesetzt haben.4 Das vorliegende Blatt nutzt diese Nachbarschaft zu einem spielerisch98

Newer Korb voll Venuskinder/ Allen

(Nürnberg?) (um 1640) Kupferstich Typendruck in 3 Spalten; 74 Knittelverse 31,3 ! 24,7; 13,3 ! 21,5 kleiner Ausriss in der unteren Schmuckleiste

ironischen Vergleich der Heirat mit einer Lotterie, der im wörtlichen Sinne ins Bild gesetzt wird. Die frontale Ausrichtung und die ausgebreiteten Arme des Lotterieveranstalters laden die Betrachter ein, sich an dem Glücksspiel zu beteiligen. Auch wenn der Sprecher die Klagen über den Verlust von Geld und Liebe in der Ehe und die daraus resultierende Ablehnung dieser Institution durch seine Inszenierung der Hochzeitslotterie augenzwinkernd zu konterkarieren scheint, zeichnet sich doch letztlich eine positive Ehelehre ab. Sie besteht in dem Rat, sich mit den Mängeln seines Partners zu arrangieren, da niemand ohne Fehler sei. Das Bild des Korbes, aus dem man sich mit verbundenen Augen seinen Partner zu wählen hat, erscheint zuerst in den ‚Emblemata secvlaria‘ der Gebrüder Johann Theodor und Johann Israel de Bry (1561–1623 bzw. 1570–1611). Die pictura zu Emblem 22 entspricht im Großen und Ganzen der Graphik des Flugblatts. Allerdings gehört die Kleidung der dargestellten Personen noch ganz dem 16. Jahrhundert an; auch fehlt die Figur des Ausrufers in der Mitte der Szene. Die dreisprachige Beischrift lautet: Connubia coeca. Crede mihi quisquis toto connubia coetu Legeris, innumero frustabere saepius ipso. Heurath ein blinder Griff. Glaub mir in Warheit wer du bist/ Ein blinder Griff der Heurath ist/ Jst einer den das Glück erwehlt/ So sind jhr zehn den es fehlt. De blinde Greep. Laet ons thooft in een Sack stecken/ Soo en sien wy niemands gebrecken/ En grypen we dese mande elck een/ Ofte wy en krygender van ons leeuen geen.5

Da die de Brys öfters auf ältere Flugblätter als Vorlagen für ihre Stiche zurückgegriffen haben und sich für ihr Emblem auch keine andere Quelle nachweisen lässt, ist zu vermuten, dass auch hier ein vorgängiges, jedoch nicht mehr erhaltenes Blatt vorgelegen hat, das dann seinerseits den nebenstehenden Einblattdruck angeregt hat. Auf das vorliegende Blatt griff um die Mitte des 17. Jahrhunderts der Nürnberger Verleger Paul Fürst (1608–1666) zweimal zurück. Er hatte die Kupferplatte erworben und hiervon gefertigte Abzüge mit neuen Texten im moderneren Versmaß des Alexandriners versehen lassen (b I, 93). In seiner moralischen Wochenschrift ‚Die Vernünftigen Tadlerinnen‘ griff Gottsched (1700–1766) den Gedanken von der Hochzeit als Glücksspiel auf und baute ihn zu einer satirischen Jungfer-Lotterie aus.6

Weitere Standorte: Nürnberg, GNM: 14051/1293; Nürnberg, StB: Einbl. Nürnb. 1681–18.Jh.; Wolfenbüttel, HAB: Xb FM 197; ehemals Sammlung des Fürsten von Liechtenstein, Wien: ‚Hauslab‘-Sammlung (A 1); ehemals Antiquariat L. Rosenthal, München (A 2)

Andere Fassungen: a) b)

erschlossen [16. Jahrhundert; s. Kommentar] Darmstadt, HLHB: Günd. 8045, fol. 273; Wolfenbüttel, HAB: IE 102 [b I, 93] Nürnberg, GNM: 2° StN 238, fol. 470 [Ein New auffgethanener Köpffkram … Nürnberg: Paul Fürst o.J.]

c)

A A A A A 1 2 3 4 5 6

1 2 3 4 5

HAMPE: Ergänzungen, 155. BOLTE: Bilderbogen (1909), 51–53. COuPE II, Nr. 270, Abb. 20. Neuer Korb, 10 f. BAKE: Spiegel, 63⫺66. WANDER: Sprichwörter-Lexikon, I, 958. Illustrierte Flugblätter, Nr. 44. SCHILLING: Bildpublizistik, 33–35, 77–83. GEISBERG I, 45–2; Geschiedenis, 86 f. De Bry: Emblemata, Nr. 43. Die Vernünftigen Tadlerinnen. Leipzig 1726. Nachdr. Hildesheim/ New York 1993, 39. Stück (vom 27. September 1726) (freundlicher Hinweis von Dirk Rose). MSch

99

IX, 44

ehem. F 377

Ort Jahr Bild Text Verleger Format Zustand

Das Flugblatt kleidet die Suche nach der perfekten Ehefrau in das Bild eines Kegelspiels und erläutert die verschiedenen Charaktermuster bei Ehefrauen. Der Kupferstich zeigt Männer, die hinsichtlich ihrer modischen Kleidung und Frisuren satirisch überzeichnet sind, beim Kegelspiel im Garten. Die Kegel werden von Frauen gebildet, denen Attribute und Kurzerläuterungen zugeordnet sind, welche Rückschlüsse auf typische Charaktereigenschaften erlauben. Die erste Frau tritt den Männern als reiche Alte entgegen. Ihre Attribute sind der Geldsack, den sie mit beiden Händen festhält, und die hochgeschlossene Alterskleidung. Der Typus unter der Nummer zwei gilt als hüpsch, aber Leichtfertig; neben der Dame, die mit einer dritten Hand ihren Rock schürzt, liegen Hörner, die auf Ehebruch verweisen (b IX, 48). Der Frauentypus unter Nummer drei wird als Züchtig, keusch, doch teufels-böß gekennzeichnet. Zur Verdeutlichung der letzteren Eigenschaft hält die Figur in der rechten Hand einen Knüppel. Zu Füßen der Kegelfiguren liegen die Kugeln der Spieler, die ihre Treffer teils mit Enttäuschung (Nr. 1), teils mit Ablehnung (Nr. 3) aufnehmen. Hinter den drei vorderen Kegeln steht eine tugendsame und schöne Frau, die ihre Augen schamhaft zu Boden senkt und ihre Haare mit einer Haube bedeckt hält. Der Hintergrund zeigt schließlich einen weiteren Frauentypus, der sich den Gatten selbst auswählt und zu diesem Zwecke Cupido die Liebespfeile auf den Erwählten schießen lässt. Das Sinnen-Bild lehrt die Betrachter die Einsicht in die Folgen einer Heirat, da die Liebe an der Eigensinnigkeit der Partner, besonders aber an der Fehlbarkeit der Frauen zu Grunde gehen werde. Dass alle Frauen einen Makel haben, lassen die unter den Nummern eins bis drei ausführlicher vorgestellten Muster erkennen. An der Alten wird zwar zunächst der Vorteil ihres Reichtums erwähnt, dieser erscheint aber angesichts der nachlassenden Attraktivität der Person, die als Altmuffigt,2 Runtzel voll Zanluckigt, grau von Haaren beschrieben wird, als unzureichender Ausgleich, da sie außerdem als geizig gilt. Die zweite Frau verspricht dem zukünftigen Ehemann zwar Liebesfreuden, doch müsse er damit rechnen, dass seine Gattin für Geld ihre Reize auch Nebenbuhlern zur Verfügung stellt. In der dritten fände sich eine geeignete Hausfrau, wenn diese nicht streitlustig und gewalttätig wäre. Die vierte Frau wird als läres Bild und gedicht erkannt, das nicht in der Realität anzutreffen ist. Von der fünften Dame sagt man, dass sie ihre Liebhaber selbst mit Hilfe der Lederfeile (Schwert)3 und des Liebesgottes erobert. Der Autor resümiert, dass alle Frauen unvollkommen seien und daher eine Heirat mit einem Glücksspiel gleichzusetzen sei, dessen Ausgang nicht absehbar sei (b I, 93; IX, 43). Zur Bekräfti100

Schantzen und Wag-Spiel Unterschiedlich Hitzig Verliebten

Nürnberg (letztes Drittel 17. Jahrhundert) Kupferstich graviert in 5 Spalten; 32 Alexandriner (von J.G.S.B.R.; vgl. Fassung a) Johann Hoffmann (1629–1698)1 27,0 ! 38,4 Ausrisse rechts oben und links unten (mit geringem Textverlust)

gung fügt er ein Sprichwort an, in dem die beiden einzigen guten Stunden im Leben eines Ehemannes genannt werden: Die Erste, wenn man ihn Zu seiner Liebsten legt Die Zweyte, wenn man Sie von Jhm zum Grabe trägt.4 Das Flugblatt warnt die Männer vor der Ehe als Folge einer hitzigen Liebe. Zu diesem Zwecke werden Frauenklischees vorgestellt, unter die sich sämtliche Gattinnen einordnen lassen. Dem verliebten Mann prophezeit der Autor eine negative Entwicklung, da jede Dame sich als eine mit Fehlern behaftete Frau herausstellen werde. Überlieferungen von bösen, arglistigen, verschlagenen, hinterhältigen und treulosen Weibern wurden in der Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts immer wieder aufgegriffen und variiert. Man begegnete ihnen bei Boccaccio (1313⫺1375), in alten Chroniken und neueren Facetiensammlungen, in der mittelhochdeutschen Märendichtung, in den Schwanksammlungen des 15. bis 17. Jahrhunderts5 und in der Publizistik der Zeit (b I, 89–110; IX, 45–56). Obwohl einige zeitgenössische Schriften eine positive Haltung zu Frauen einnahmen und als Ursachen der von Frauen begangenen Fehler die schlechten und unfähigen Ehemänner sahen,6 behauptete sich in der populären Literatur die negative Vorstellung von der Frau. Für gewöhnlich schrieb man den Frauen an negativen Eigenschaften ein schwatzhaftes Wesen, unkeusches Verhalten, verschwenderisches Auftreten, Eitelkeit, Intriganz, Gier und einen Hang nach starken Getränken zu.7 Aber auch andere Charaktereigenschaften und Merkmale der Frauen wurden mit Interesse in der Literatur betrachtet, so z. B. die ungezügelte und ungebärdige Frau, die ihren Ehemann beherrscht oder ihn der Lächerlichkeit preisgibt.8 Daneben war auch das Alter einer Frau von Bedeutung.9 Das Bild von der idealen Ehe schufen dagegen Predigten, Traktate und andere Schriften, die sich während des Mittelalters und der frühen Neuzeit großer Beliebtheit erfreuten. Die Ehe verpflichtete die Frau zum Gehorsam und freiwilliger Unterwerfung gegenüber ihrem Mann. Der Mann aber sollte das Regiment im Haushalt mit Nachsicht für die Schwächen und Fehler der Frau üben. Als Ideal galt die geduldige, nachgiebige, friedfertige, zärtliche, anteilnehmende, fleißige und häuslich zurückgezogene Frau, die die gegebene Ordnung nicht anzweifelte.10 Da die monogame Ehe zum „Herzstück des westeuropäischen Gesellschaftssystems“ gehörte, wurde sie zum Objekt für Satire, Ironie und Parodie, weil Ideal und Realität weit auseinanderklafften.11 Der satirische Spott des 16. Jahrhunderts steigerte sich im Barock zu einer Schmähung der Frau, die sich zunächst in einem Lasterkatalog niederschlug, dann aber die Frau mit ihrer verführerischen Kraft als gefährlichstes Lockmittel des Bösen erkennen wollte.12 Auch andere Flugblätter thematisierten das Verhalten der

Ehefrauen auf unterschiedlichste Weise (b I, 106, 110, 114; IV, 26). Die Darstellung der Partnerwahl als Kegelspiel erscheint zuerst bei Hans Sachs (1494⫺1576).13 Als bildliche Vorlage diente ein Stich in dem gedruckten Studentenstammbuch ‚Pvgillvs Facetiarum Iconographicarum‘.14 Eine französische Version bezeugt den internationalen Erfolg des Blattes.15

Weitere Standorte: Berlin, KB: 1002,22; Braunschweig, HAUM (A 1) ; London, BM: 1880.0710.594; Nürnberg, GNM: 20 StN 238, fol.467; Nürnberg, GNM: 24761/1295; Zagreb, Staatsarchiv: VZ VIII, 58 (A 2); ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig (A 3)

Andere Fassungen: a)

A A A A

Nürnberg, GNM: 17846/1294 [Frankfurt a. M.: Abraham Aubry; Text: J.G.S.B.R.] 1 2 3 4

A5 A6 1 2 3 4 5

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COuPE II, Nr. 301. PELC: Theatrum, 34⫺36 mit Abb. 13. DRuGuLIN I, Nr. 2551. G. DENECKE, Johann Hoffmann. Ein Beitrag zur Geschichte des Buch- und Kunsthandels in Nürnberg. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens 1 (1958), 337– 364, hier 361–363, Abb. 9. Neuer Korb, Abb. S. 5. BAKE: Spiegel, 66⫺68, 418 (Abb.) DENECKE: Hoffmann, 337–343; BENZING: Verleger, 1173. Vgl. GRIMM: DWb, XII, 2625: ‚Muffig‘ ⫺ grollend, brummend, maulend, mürrisch, brummig, verdrießlich. GRIMM: DWb, XII, 493. WANDER: Sprichwörter-Lexikon, I, 728, Nr.49. H. LANGER: ‚Weiber‘-Schelte u. ‚Weiber‘-Lob. Zum Frauenbild in Prosasatiren von Moscherosch bis Beer. In: Zs. f. Germanistik N.F. 2 (1992), 355–366. Erörterung der Frage: ob einem ehrlichen Mann zum Heyrathen an- oder davon abzurathen sey? Hg. von J. P. HORNTHAL/ E. RÜTHER. Hamburg 1977 (Nachdr. der Ausg. Lemgo 1740); Aegidius Albertinus: Haußpolicey. München 1602. Niclaus Schmidt: Von den zehen Teufeln oder Lastern. In: R. STAMBAuGH (Hg.): Teufelbücher in Auswahl. Berlin/ New York 1972, II, 309–356. O. HuFTON: Frauenleben. Eine europäische Gesch. 1500–1800, Frankfurt a. M. 21998, 74. VAN DÜLMEN: Kultur, I, 135 f. ROPER: Haus, 160–177; vgl. E. KARTSCHOKE (Hg.): Repertorium dt.sprachiger Ehelehren der Frühen Neuzeit. Berlin 1996. HuFTON: Frauenleben, 74. R. ALEWYN: Johann Beer. Studien zum Roman des 17. Jhs. Leipzig 1932, 172. Sachs: Werke 5, 222. O. O. (um 1620), Tafel 6. ‚LE HAZARD DES AMANS‘. O.O. um 1690 (Ex. Paris, BN: Hennin, 5800). AR

101

IX, 45

F 59

Ort Jahr Bild Text Format

Für eine milde Satire auf böse Ehefrauen und Pantoffelhelden verwendet das Blatt das Motiv des gute Ehemänner fressenden Tiers Bigorne. Die Graphik füllt ein großes, fettes Fabeltier aus, in dessen Maul ein Mann verschwindet und das sich anschickt, einen nächsten zu verspeisen, der vor ihm auf Knien um Gnade bittet. Hinter dem Rücken des Ungeheuers warten schon drei weitere männliche Opfer. Zwei Inschriften auf Spruchbändern weisen das Tier als Bygorngne und den Knienden als der gut mann aus. Der Text stellt einleitend das sich von guten Männern ernährende wunder thier vor und charakterisiert mittels gängiger Tiermetaphern Frauen, die an dem grausamen Schicksal ihrer Gatten schuld seien. Sie quälten ihre Männer dag vnd nacht zu aller stundt, öffentlich und zu Hause, seien gewalttätig, untreu (wie ein Spatz),1 unzufrieden und angriffslustig (wie eine Katze), laut und zornig (wie ein Hund). Da viele geplagte Männer ihr Leid verheimlichten, wolle man ihnen die Existenz des Tieres bekanntgeben, falls sie Lust hätten sich zu opfern, statt ihre Demütigungen weiter zu ertragen. Es reiche, seine Klage laut zu artikulieren, und das Tier finde sich von selbst ein. Seine imposante Größe und Bauchweite verdanke es der Tatsache, dass es überall und in Deutschland ganz besonders reichlich Nahrung finde. Der Text schließt mit einem Appell an die Ehemänner, sich in der ehelichen Beziehung auf ihre Männlichkeit zu besinnen statt länger ein Weibes Knecht und damit ein gefundenes Fressen für das Tier zu bleiben. Das Bigorne-Motiv ist zuerst in englischer und französischer Literatur und Kunst des 15. Jahrhunderts nachweisbar2 und findet sich im 16. und 17. Jahrhundert auf zahlreichen Flugblättern in verschiedenen Ländern,3 darunter auch in Deutschland (b VII, 168).4 Der vorliegende Holzschnitt steht dem ersten bekannten Druck mit dem Motiv (Lyon 1537)5 am nächsten. Das spiegelt sich vor allem in der Figur des Tieres wider, das neben dem mit Schuppen bedeckten Rücken und gefleckten Bauch als einziges von allen anderen bekannten Versionen auch die Schwimmflossen an den beschuppten Hinterbeinen mit dem Lyoner Druck gemeinsam hat. Eine weitere Ähnlichkeit liegt in der sparsamen Ausstattung des Bildes mit Gestalten: Dem Tier und dem knienden Mann der Vorlage wurden lediglich die drei Köpfe der Wartenden hinzugefügt, während alle sonstigen Darstellungen durch die Beigabe kleiner Szenen mit mehreren, auch weiblichen Figuren in einer Landschaft zu einem lebhaften Gruppenbild ausgebaut wurden. Die im Blatt erzählte Geschichte gleicht in ihrer inhaltlichen Struktur und der Aussage anderen Fassungen, indem sie ein aus der mittelalterlichen Figur des ‚bösen Weibes‘ entwickeltes (b I, 152)6 102

Newe zeitung Vnd beschreibung ein frembdes seltzam wunderthier

Holzschnitt, koloriert Typendruck in 2 Spalten; 56 Knittelverse 29,2 ! 15,0; 14,1 ! 15,0

und zum Topos in der Frühen Neuzeit erstarrtes Bild der lasterhaften Ehefrau ausbreitet (b I, 113–115; IX, 52–54).7 Das satirische Frauenbild wurde durch die komplementäre Figur eines Mannes ergänzt, dessen duldsame Haltung es ihr erst ermöglicht, ihre negativen Eigenschaften im ehelichen Zusammenleben zu entfalten. Damit wird die Frauenkritik im Blatt auf die Pantoffelhelden ausgedehnt (b IX, 46), deren Unterwürfigkeit in zeitgenössischen Flugblättern u. a. in verbreiteten Motiven des ‚Siemanns‘ (b IX, 51) oder des ‚Herrn Übersie‘ (b I, 105) verspottet wurde. Besonders prägnant wird sie auf dem Augsburger Blatt von 1621 ‚Der groß Maulet Hund‘ herausgestellt, in dem das Bigorne-Ungeheuer in einen dämonischen Hund umgewandelt wurde.8 Eine Abwandlung des Motivs findet sich auch auf dem Blatt ‚Aigentliche newe zeitung von dem narren fresser‘ mit einem Text von Hans Sachs (1494⫺ 1576). Es stellt u. a. einen hungerigen mann dar, der sich von Männern ernährt, die ihre weyber nicht fürchten thetten.9 Das früheste Bigorne-Blatt besaß als Pendant ein Blatt mit dem Bild des mageren, brave Ehefrauen verzehrenden Tiers Chicheface.10 Spätere deutsche, niederländische und englische Nachbildungen haben die beiden Darstellungen meistens zu einem Bild zusammengefügt. Die Auslassung dieses Teils im vorliegenden Blatt mildert wesentlich seine misogyne Aussage. Gegenüber den anderen Fassungen gibt es sich auch dadurch weniger frauenfeindlich, dass es kräftige Ausdrücke meidet, wenn es die ‚Misshandlung‘ der Männer durch Frauen beschreibt und im abschließenden Ratschlag an den Mann davon spricht, er solle seine Männligkeit […] mit bescheidenheit gebrauchen, während ein deutsches Blatt von 1611 den Mann ermuntert, er solle seine Ehefrau schlagen Vnd mit Jhr durch all Winckel rennen.11 Mit dem Titel Newe zeitung und mit der Utopia als Herkunftsland des Tiers gibt sich das Blatt als eine Parodie auf Sensationsmeldungen der Flugschriften und -blätter zu erkennen und signalisiert zugleich die Fiktivität seines Berichts, wodurch zusätzlich der Frauen- und Männersatire die Spitze genommen wird.

Weitere Standorte:

Andere Fassungen: A1

Güter dieser Welt, Nr. 19.

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Der Spatz galt als über die massen unkeusch […]. Darumb hat man ein Sprichwort von den unkeuschen Leuten gemacht/ da man spricht: du bist geiler als ein Spatz; Conrad Gesner: GESNERI Redivivi, aucti & emendati TOMuS II. Oder Vollkommenes Vogel-Buch. Frankfurt a. M. 1669 (Nachdr. Hannover 1995), 107 f. BOLTE: Bilderbogen (1909), 51–82, hier 58 f. Vgl. auch E. CARLI u. a.: Die Malerei der Gotik. Gütersloh 1965, Abb. 68 f. (Bigorne und Chicheface als Wandmalerei um 1515 in Schloss Villeneuve-Lembron [Puy-de-Dôme]; mit französischen Versen); M. JONES: Monsters of Misogyny: Bigorne and Chicheface – suite et fin? In: T. S. JONES/ D. A. SPRuNGER (Hgg.): Marvels, Monsters, and Miracles. Studies in the Medieval and Early Modern Imaginations. Kalamazoo 2002, 203–221. BOLTE: Bilderbogen (1909), 59–62; DE MEYER: Druckgraphik, Abb. 113; O’CONNELL: Popular Print, 48 und 111; für Frankreich b I, 108. Ein Augsburger Druck (vermutlich um 1628) mit einem deutschsprachigen Text und einem Nachstich einer niederländischen Vorlage von 1611 bei COuPE II, Nr. 53, Abb. 70. ‚BJgorne qui menge tous les hommes qui kont le commandement de leurs femmes‘; vgl. BOLTE, Bilderbogen (1909), 59 (Abb.). BRIETZMANN: Böse Frau. COuPE I, 55 f.; C. ULBRICH: Unartige Weiber. Präsenz u. Renitenz von Frauen im frühneuzeitlichen Deutschland. In: R. VAN DÜLMEN (Hg.): Arbeit, Frömmigkeit u. Eigensinn. Studien zur historischen Kulturforschung. Frankfurt a. M. 1990, 13–42. COuPE II, Nr. 79, Abb. 71. HOLLSTEIN: German Engravings, XLVIII, 166 f. Abb. bei BOLTE: Bilderbogen (1909), 59. Ebd., 62. EP

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IX, 46

F 783

Ort Jahr Bild Text Format

In einer Prügelszene wird die Unterlegenheit des Mannes in der Ehe als selbst verschuldetes Pantoffelheldentum verspottet. Im Zentrum eines bühnenartig dargebotenen Innenraumes spielt sich eine Prügelszene zwischen einem Mann und einer Frau ab. Die Frau holt gerade zu einem Schlag mit einem Schlüsselbund gegen den vor ihr knienden Mann aus; mit der anderen Hand packt sie die Hand ihres Kontrahenten, in der er einen Stock hält. Ihre dominierende Haltung wird zusätzlich durch eine Siegerpose betont, mit der sie ihren Fuß auf das Bein des Mannes stellt, während sich das männliche Opfer mit einer Geste des Schmerzes und der Verzweiflung an den Kopf greift. Die zentrale Auseinandersetzung wird rechts in einer leicht in den Hintergrund versetzten weiteren Prügelszene wiederholt, in der ein Mädchen mit bloßen Händen auf einen sich wehrenden Jungen am Boden losgeht; in einer bildlichen Motivparaphrase links besteigt eine Henne einen Hahn. Hinter einem Vorhang des in der rechten hinteren Ecke stehenden Bettes schaut ein Mann den Geschehnissen im Raum zu. Die Zeigegeste des Beobachters, mit der er auf das Paar aufmerksam macht, lässt in ihm den Sprecher erkennen, wie er auf satirischen Blättern häufiger in der Rolle eines spottenden, kommentierenden oder warnenden Narren erscheint (b I, 92, 148).1 Dem Text ist ein gereimter Spruch vorangestellt, der die herrschsüchtige Frau mit einer Henne vergleicht, die sich das Wesen eines Hahns anmaßt. Im Text wird die Unterwerfung des Mannes als böser sitt und ärgerliches leben verurteilt und er selbst bemitleidet, zugleich aber als ein Geck apostrophiert, der an seiner Lage selbst schuld sei. Zielscheibe des Spottes sind im Blatt gleichermaßen die Frau, die ‚Meister‘ im Hause werden will, und der Mann, der sich diesem Willen beugt. Die beiden Haltungen werden als Verletzung jener gesellschaftlichen Norm empfunden, die auf der von jeher gesellschaftlich sanktionierten Auffassung von der Vorrangstellung des Mannes in der Geschlechterbeziehung basiert, einer Auffassung, die sich primär auf die biblische Schöpfungsgeschichte und die These von der moralischen Inferiorität der Frau stützte.2 In der Behandlung des Themas, das seit dem 15. Jahrhundert verstärkt in vielen Abwandlungen in Kunst und Literatur präsent war, überwiegt der misogyne Ton (b I, 89–94, 97–103, 105–111; IX, 52, 54).3 Auch in den weniger frauenfeindlichen Varianten, die ⫺ wie das vorliegende Blatt ⫺ den Mann als Pantoffelhelden verspotten4 oder ihm die Schuld am Verstoß gegen den normativen männlichen Verhaltenskanon zuweisen (b IX, 47), bleibt die auf dem Prinzip weiblicher Unterordnung basierende Grundhaltung beibehalten. 104

Jetz die Henn will sein der Haan

(2. Hälfte 17. Jahrhundert) Kupferstich (nach Abraham Bosse, 1602–1676; vgl. Fassung a) graviert in 2 Spalten; 2 Knittelverse, 8 Alexandriner 25,7 ! 29,7

Als Mittel der Satire benutzte der Blattverfasser das verbreitete Motiv des verprügelten Mannes und der dem Hahn überlegenen Henne. Anders als im Blatt ‚Alhier hütt sich ein Jder Mann‘ (b IX, 47) werden hier die Prügel nicht als Strafe für Vergehen des Mannes eingesetzt, sondern sind Ausdruck und Konsequenz seines Machtverlustes. Indem die Frau als Unterdrückungsinstrument die Schlüssel benutzt, die ihre Rolle als Leiterin des Haushalts symbolisieren, missbraucht sie ihre Zuständigkeiten und versucht sie über den ihr gesellschaftlich zugewiesenen Bereich hinaus auszuweiten. In der Satire gehörte der Schlüsselbund neben Spinnrocken und Ofengabeln zu den Waffen der Frauen, die gegen ihre Ehemänner rebellierten,5 um die Hose oder mit dem Teufel kämpften (b I, 148, 152; IV, 26).6 Die Hahn-Henne-Metaphorik wurde in den illustrierten Flugblättern sowohl für die meist erotisch untermalten Darstellungen der Geschlechterbeziehung verwendet, für die man den Hahn als Verkörperung der voluptas nutzte (b I, 95 f., 101 f., 107; IX, 42),7 als auch zur Illustration der gesellschaftlich anerkannten Rollenverteilung innerhalb der Ehe, bzw. ihrer Inversion. So warnt ein Augsburger Blatt mit einer ganzseitigen Darstellung zweier Hennen den Mann vor den bösen Hennen und rät, sie zu verprügeln und verjagen, schildert knapp eine fromme Henn, die ihrem Mann folgt, zu Hause bleibt, Eier legt, Hühner großzieht und wenig gschrei mache, und fordert alle Frauen auf, es ihr gleich zu tun.8 In einem späteren Flugblatt über ‚Das böse Haushalten‘, das den Ehezwist auf die Aufsässigkeit der Frau zurückführt, die sich der ihr zugewiesenen Rolle in der Familie verweigert, wird die handgreifliche Auseinandersetzung des Ehepaares im Bild einer den Hahn aus dem Nest vertreibenden Henne aufgegriffen. Sie erhebt ihren Anspruch auf das Regiment mit den Worten: Wiltu mit mir nicht stimmen ein So will ich Hahn im Korbe seyn.9 Zu dem Flugblatt gibt es ein Pendant, auf dem die Rollen getauscht sind, wobei der Text die Prügel als das einzig wirksame Medikament gegen die Geschwätzigkeit der Frau darstellt, das dem Mann seine Position als meister sichert.10 Die zentralen Figuren der beiden Graphiken wurden für das Weiber Siegel und das komplementäre ‚Männersiegel‘ im Blatt ‚Neweröffneter […] Weiberbefelich‘ (b IX, 51) übernommen.

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Weitere Standorte: Nürnberg, GNM: St.N. 10506/1233 10 Andere Fassungen: a)

Paris, BN: Hennin, 253511 [Voyez comme cette Guenon (Inc.); Kupferstich von A. Bosse, seitenverkehrt, mit französischem Text]

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‚Eyn hübscher/ spruch von eynem Jungen man‘, vgl. Fliegende Blätter, Nr. 336. Vgl. auch S. METKEN: Der Kampf um die Hose. Geschlechterstreit u. die Macht im Haus. Die Gesch. eines Symbols. Frankfurt a. M. 1996, 63. K. FIETZE: Spiegel der Vernunft. Theorien zum Menschsein der Frau in der Anthropologie des 15. Jhs. Paderborn u. a. 1991; E. KOCH: Maior dignitas est in sexu virili. Das weibliche Geschlecht im Normsystem des 16. Jhs. Frankfurt a. M. 1991, bes. 179–197. KAWERAu: Reformation, 43–49; COuPE I, 47–56; KuNZLE: Comic Strip, 222–244; MOXEY: Peasants, 101–126; H.-J. RAuPP: Haushalt u. Familie in der dt. u. niederländischen Kunst des 15. u. frühen 16. Jhs. In: T. EHLERT (Hg.): Haushalt u. Familie in Mittelalter u. früher Neuzeit. Sigmaringen 1991, 245–268, hier 251 f. MOSER: Pantoffelhelden. Alle drei Gegenstände finden sich im ‚Wappen‘ der Hennenreiterin, die ein Gegenstück zum Hahnrei bildet (b IX, 48, Anm. 14). Vgl. auch das Flugblatt ‚Der Weyber Gebot oder Mandat‘ (SCHILLING: Bildpublizistik, Abb. 32) und Kupferstiche von Israhel van Meckenem (METKEN: Kampf, 57 und 61); ein englisches Flugblatt von 1628 (M. JONES: The English Print, c.1550–c.1650. In: M. HATTAWAY [Hg.]: A Companion to English Renaissance Literature and Culture. Oxford 2000, 352–366, Abb. 7b). METKEN: Kampf, 51, 103, 106–119; S. METKEN: Weiberstreit um eine Männerhose. In: Bunte Bilder, 67–77; dies.: Der Teufel u. die Frauen. In: ebd., 78–84; S. GRIESE: Texte auf gedruckten Blättern. Kurzformen kultureller Kontexte. In: Wolfram-Studien 24 (2017), 351–372, hier 359–365. Auf dem Holzschnitt ‚Die Landtsknechtshur‘ (um 1530) trägt die Titelfigur ein Eichhörnchen und einen Hahn auf ihren Schultern; vgl. Bild als Waffe. Mittel u. Motive der Karikatur in fünf Jhen. Ausstellungskatalog München 1984, Nr. 236. Auch noch im 18. Jahrhundert bediente sich die Satire auf die sexuelle Überlegenheit der Frau des Bildes eines Hahnenkampfes; vgl. ebd. 316, Abb. 184. BRÜCKNER: Druckgraphik, Nr. 57. Vgl. auch das deutsch-französische Flugblatt mit dem Incipit: Der Han fur die henn krazt vnd schart. die henn es fur die hunlein spart (Gotha, SM: G 45,26) sowie den Holzschnitt von Heinrich Vogtherr Ich haiß vnd bin ain stoltzer hann (GEISBERG: Woodcut, IV, 1423). N.-A. BRINGÉuS: Die glückliche u. die unglückliche Ehe. Ein dt. Kupferstich, aus dem ein schwedischer Einblattdruck wurde. In: Volkskunst 2 (1981), 79–83, Abb. 5; eine englische Version bei O’CONNELL: Popular Print, 110; eine französische Variante bei METKEN: Kampf, 68. Vgl. auch die motivverwandten Blätter ‚Henn vbern Eyern‘ (M. SAMMER: Gallina divina. Zur Allegorese der Henne zwischen Hieronymus u. Giovanni Guareschi. In: Dies. [Hg.]: Leitmotive. Kulturgeschichtliche Studien zur Traditionsbildung. FS D.-R. MOSER. Kallmünz 1999, 605–642, hier 630–632; Het Leidse de geschiedenis van de verzamelingen prentenkabinet. Leiden 1994, 274, Abb. 22), ein niederländischer ‚Hennentaster‘ (P. ACKERMANN: Textfunktion u. Bild in Genreszenen der niederländischen Graphik des 17. Jhs. Alfter 1993, 212) und der französische ‚Le Taste Poule‘ (FuCHS: Sittengeschichte, Abb. 273; Het Leidse, 273 f., Abb. 21). ‚Ach wie ist mir mein leib fast um vnd um zerschmissen …‘ [Inc.] (Wolfenbüttel, HAB: Xb FM 37); vgl. Simplicius Simplicissimus. Grimmelshausen u. seine Zeit. Ausstellungskatalog Münster 1976, Abb. 119. FuCHS: Sittengeschichte, Abb. 267. EP

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IX, 47

F 262

Ort Jahr Bild Text Verleger Format

Unter Verwendung des Prügelmotivs kritisiert das Blatt das lasterhafte Verhalten des Mannes gegenüber seiner Ehefrau. Die Graphik besteht aus mehreren kleinen Szenen, die die Fehltritte des Mannes illustrieren: Links oben wird er für seine späte Rückkehr nach Hause ⫺ er konnte gerade seinen Hut und Spazierstock ablegen ⫺ mit einem Schlüsselbund von seiner Frau verprügelt. Links unten vergnügt er sich in einer gemischten Gesellschaft in einem Wirtshaus, wo gespielt, getrunken und geraucht wird. In einem Schlafzimmer, rechts im Bild, frönt er seinen Liebesgelüsten in den Armen einer Frau; ein reich gedeckter Tisch neben ihnen betont das Ausschweifende des Abenteuers. Die Szenenfolge kulminiert im Bildzentrum mit den Prügeln, die ihm von seiner Frau für sein Fehlverhalten verabreicht werden. Mit den kleinen Nebenszenen liefert das Bild Argumente für das zentrale Verfahren und erfasst gliedernd und zusammenfassend wesentliche Gesichtspunkte des Textes. Der Text ist in zwei Hälften geteilt, die von der Frau und dem Mann gesprochen werden. Zunächst begründet die Frau die an ihrem Mann vollzogene Strafe mit der Aufzählung seiner Vergehen. Die Buchstaben A bis D am Textrand verweisen auf die entsprechenden Szenen in der Graphik. Die Frau wirft dem Mann vor, er verletze ihre Gefühle, indem er sich zu oft außer Haus aufhalte (A), sich mit anderen Frauen amüsiere, sei es in einer lustigen Gesellschaft bei Spiel und Trank (C), sei es intim im Schlafzimmer (D). Sie lasse es sich nicht mehr gefallen, greife zu den Schlüsseln als Strafmittel und fordere von ihm seine Hose, damit sie ab sofort Meister im Haus werden könne (B). In seiner Antwort fleht der Mann sie an, ihm zu verzeihen, verspricht Besserung und erklärt sich bereit, sie das Geld verwalten zu lassen. Indem der Mann von seiner Frau aus gutem Grund bestraft wird, erweckt der Autor den Eindruck, dass die beiden Parteien in der Ehe als gleichberechtigt anzusehen sind. Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass das Blatt ein Gegenstück besitzt, in dem die Frau für die Vernachlässigung ihrer Hauspflichten, Geschwätzigkeit, Eitelkeit und Ehebruch von dem Mann mit Prügeln bestraft wird.1 Doch wird Kritik an den Männern dadurch abgeschwächt und ambivalent, dass mit den herkömmlichen Motiven der Frauensatire gearbeitet wird: mit dem Motiv des verprügelten Mannes, das stets mit der Satire auf das Pantoffelheldentum verbunden war (b IX, 46), und der Hosen- oder Bruchübernahme, die symbolisch für die Herrschsucht der Frauen verwendet wurde.2 Eine solche ambivalente Darstellungsweise der Geschlechterbeziehung findet sich auch in Rechts106

Allhier hütt sich ein Jder Mann

(Köln) (um 1650) Kupferstich graviert in 4 Spalten; 2 und 48 Knittelverse (Gerhard Altzenbach, nachgewiesen 1609–1672) 25,7 ! 31,3

texten sowie in der Hausväterliteratur und den Eheschriften bzw. -predigten, die ein ideales Bild der Ehe entwerfen. Zwar neutralisieren sie teilweise traditionelle Geschlechterprojektionen, indem sie in vielen Bereichen eine Gleichheit propagieren, ohne jedoch das Prinzip männlicher Superiorität generell in Frage zu stellen.3 Viele Spottblätter auf weibliche und männliche Schwächen erschienen als Paare mit jeweils einem Blatt für jedes Geschlecht wie etwa ‚Der Mann hawt dem Weib ab‘ ⫺ ‚Das Weib hawt dem Mann ab‘,4 ‚Ein gesprech zwischen Siben mennern/ darinn sie jre Weyber beklagen‘ ⫺ ‚Wie Siben Weyber vber jre vngeratene menner klagen‘,5 ‚Spiegl dich Weib‘ (b IX, 55) ⫺ ‚Spiegel dich […] Mann‘6; hierher gehören auch die Blätter mit den Motiven des Foeminarius (b I, 106; IX, 51), Bigornes (b VII, 168; IX, 45), Leimstänglers (b IX, 66 f.) oder Liebesbaumes (b I, 139 f.). Diese Pendants bilden jedoch keine auf eine Kontrastwirkung zielenden „binären Oppositionen“, d. h. unvereinbare Gegensatzpaare,7 sondern ergänzen sich und dienen der Verdeutlichung ein und derselben Auffassung von den tradierten Rollen der Geschlechter oder auch von nicht geschlechtsspezifischen Lastern. Die komplementäre Ausdifferenzierung verlagert in den meisten Fällen die eindeutig misogyne Aussage hin zu einer allgemeineren satirischen Unterhaltung. Das Motiv des von der Frau verprügelten Mannes war nicht nur auf illustrierten Flugblätter beliebt, auf denen ein Text die Prügelszene erläuterte (b IX, 51),8 sondern auch auf Gegenständen des täglichen Gebrauchs wie Backmodeln,9 Spielkarten, für die bekannte Stecher wie Peter Flötner († 1546) oder Erhard Schön (um 1491–1542) Vorlagen schufen,10 Miserikordien11 und anderem skulpturalem Kirchendekor.12 Ein Anstrich von Obszönität, wenn die verprügelte Person mit nacktem Hintern dargestellt wurde, verstärkte den unterhaltenden Aspekt der Szenen; deutlich erotisch konnotierten sie in satirisch-unterhaltenden Blättern, in denen die Frau Opfer der Prügel war.13

Weitere Standorte: Braunschweig, HAUM: FB VI; Nürnberg, GNM: 15287/ 1293; Ulm, StB: Einbl. 763

Andere Fassungen: A1 A2 A3

KuNZLE: Comic Strip, 240 (ohne Text). Mit Glück und Verstand, 212. Neuer Korb, 24 (Abb.),Nr. 19.

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KuNZLE: Comic Strip, 240 (Abb. ohne den Text). G. JARITZ: Die Bruoch. In: G. BLASCHITZ u. a. (Hgg.): Symbole des Alltags. Alltag der Symbole, FS H. Kühnel. Graz 1992, 395–416; DE MEYER: Druckgraphik, Abb. 109 f.; FuCHS: Frau, 68 f. Vgl. auch Sommer: Ethographia, Teil 3: IMPERIOSuS MuLIER Das ist Das Regiersüchtige Weib. Der alte vnd langwirige Streit vnd Krieg zwischen des Mannes Hosen/ vnd der Frawen Schörtze/ welchem theil die Herrschafft vnnd Regierung gebühre. R. SCHNELL: Frauendiskurs, Männerdiskurs, Ehediskurs: Textsorten u. Geschlechterkonzepte in Mittelalter u. Früher Neuzeit. Frankfurt a. M./ New York 1998, 160– 281; R. SCHNELL (Hg.): Geschlechterbeziehungen u. Textfunktionen: Studien zu Eheschriften der Frühen Neuzeit. Tübingen 1998 (hier besonders: M. GSELL: Hierarchie u. Gegenseitigkeit. Überlegungen zur Geschlechterkonzeption in Heinrich Bullingers Eheschriften, 88–117). Augsburg o.J. (ALEXANDER/ STRAuSS I, 61). Nürnberg 1531 (HOLLSTEIN: German Engravings, XLVII, 132–135). Illustrierte Flugblätter, Nr. 26 f. Zu den „binären Oppositionen“ in der Imagerie populaire vgl. N.-A. BRINGÉuS: Interpretationsmodelle volkstümlicher Malerei in Schweden. In: Jb. f. Volkskunde N.F. 3, 1980, 7–36, bes. 30 f. Zum Pendant s. C. MOISO-DIEKAMP: Das Pendant in der holländischen Malerei des 17. Jhs. Frankfurt a. M./ New York 1987. Weitere Beispiele bei BOLTE: Bilderbogen (1910), 182– 193, hier über ein Flugblatt von 1550 ‚Bestrafung der schlemmenden Ehemänner‘ (S. 185 f.); HOLLSTEIN: Dutch Etchings, XXIV, 24; KuNZLE: Comic Strip, 225 f.; ALEXANDER/ STRAuSS I, 61; B. BAuMGÄRTEL/ S. NEYSTERS (Hgg.): Die Galerie der starken Frauen/ La Galerie des Femmes Fortes. Ausstellungskatalog Düsseldorf 1995, Abb. 84. WALZER: Liebeskutsche, 150, Abb. 214 f. GEISBERG: Woodcut, III, 818 und IV, 1261. Vgl. auch das Weiberspiel des deutschen Monogrammisten KS, abgeb. in: Mit Glück und Verstand, 209. JARITZ: Bruoch, Abb. 5. WALZER: Liebeskutsche, 149, Abb. 212. Z. B. in der Prügelszene mit einem Mönch und einer Nonne b IV, 29; dasselbe Motiv auf dem niederländischen Blatt über Narrheiten ‚COMT MANNEN EN VROVWEN ALLE BEY‘ (Braunschweig, HAUM: FB VI); s. auch die Strafe der „Ungetreuen“ auf einem italienischen Blatt, Abb. bei FuCHS: Frau, 61. Sexuell konnotiert die Prügelszene auf dem niederländischen Blatt ‚Broer Cornelis‘, auf dem Nonnen den entblößten Hintern eines Mönchs ‚geißeln‘ (Abb. bei FuCHS: Frau, 189). S. auch die ‚Prügel‘-Szenen in b IX, 49 f. Zur Flagellation als Ausdruck eines erotisch-libidinösen Begehrens vgl. N. LARGIER: Lob der Peitsche. Eine Kulturgesch. der Erregung. München 2001, bes. S. 187–265. EP

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F 76

Ort Jahr Bild Text Format

In der populären Figur des Hahnreis verspottet das Blatt den betrogenen Ehemann. Das Bild stellt einen überdimensional großen gehalfterten Hahn dar, den ein gespornter ältlicher Mann reitet. Der Reiter trägt eine Brille und einen Hut mit Hörnern, Eselsohren und einem kleinen Hahn darauf. In der linken Hand hält er die Zügel, mit der Rechten macht er die Geste der ‚Hörnchen‘.2 Zwischen seiner erhobenen Hand und seinem Gesicht befindet sich eine italienische Inschrift Becco Cornuto mit einem Verweiszeichen, das sowohl die Bezeichnung als auch die Spottgebärde auf ihn selbst bezieht. Im Hintergrund reitet eine ganze Armee von Hahnreien, die drei Banner mitführen; darauf sind jeweils eine Brille, Hörner und Eselsohren zu sehen. Ein Wappenschild zwischen den Textspalten unten zeigt das Brustbild eines Mannes, der durch die gespreizten Finger schaut. Sein Hut, auf dem ein großer Hahn steht, ist mit zwei langen Hörnern geschmückt. Im Wappenfeld steht das Wort Guck Guck. Im Text unterhalb der Titelzeile wird der abgebildete ‚Alte‘ getröstet, dass er sein Schicksal mit vielen jungen Männern teile. Als rechter Hanen Mann wird im weiteren derjenige bezeichnet, der wisse, dass er ein Hahnrei ist, und dies dulde. Die Alexandriner in der Bildmitte fordern die Hahnreiter auf, sich dem Regiment anzuschließen, um so dem Feind zu entgehen. Im Text unter dem Bild beklagt der ‚Hahnrey‘, dass er alle Insignien eines betrogenen Ehemanns tragen müsse; es tröste ihn aber, dass er einer von vielen Hunderten sei. Die Figur des Hahnreis erscheint seit der Mitte des 16. Jahrhunderts in der Literatur;3 das Motiv des Hahnenreiters, wie es das Blatt wiedergibt, wird allerdings erstmals in einem lateinischen Scherztraktat von 16234 und seiner freien deutschen Übersetzung ‚Newgekleideter […] Hahnreystutzer‘ ausgebildet.5 Auf dieses Werk geht der Text des vorliegenden Blattes zurück. Sprachliche Reminiszenzen einer älteren Motiv-Tradition finden sich in den Ausdrücken GuckGuck (Kuckuck) und Becco cornuto (gehörnter Bock), die vor der Etablierung der Bezeichnung ‚Hahnrei‘ gebräuchlich waren. Diese sprachlichen Varianten gehörten zur Tradition und zeugen von ihrer grenzüberschreitenden Verbreitung, wie auch eine Annotation Wencel Scherffers von Scherffenstein (1598/ 99–1674) zum Wort Gukguk in seinen Gedichten belegt: quod Germanis est Hanrey/ id Italis Becco Cornuto; Gallis, un Cocu; Anglis, à Cuckold. Turcis, Kidi. Persis, Kurrumsatk.6

Das Flugblatt vereint sämtliche Attribute der Figur: Die Brille, die Geste des ‚durch die Finger Sehens‘ (b I, 54)7 und der breite Hut8 verweisen 108

Der Hanrey werde ich Genandt

(um 1640–50)1 Kupferstich graviert in 2 Spalten, gereimte Bildinschriften; 2, 6 und 12 Knittelverse, 2 Alexandriner 30,9 ! 21,6

auf das Nicht-Wahrhaben-Wollen, während Eselsohren für Dummheit, Hörner und Hahn für das Betrogensein stehen. Zugleich bilden diese Elemente ⫺ bis auf den Hut ⫺ Attribute eines Narren.9 Die Geduld des Hahnreis, die manchmal in personifizierter Gestalt seinem fiktiven Wappen zugefügt wurde (b I, 107), wird hier nur im Text erwähnt. Die Titelzeile stellt zwar einen Zusammenhang zwischen dem Hahnrei und den Vntrewen Weibern her, doch Gegenstand der Satire sind nicht die treulosen Frauen, sondern die Ehemänner als diejenigen, die an ihrem Schicksal selber Schuld trügen. Daher ist hier die Verspottung intellektueller und sexueller Unterlegenheit des Mannes konstitutiv für die Behandlung des Themas Ehebruch, das als solches keiner moralischen Wertung unterzogen wird.10 Wie viele illustrierte Geschlechtersatiren der Zeit besitzt auch das vorliegende Blatt ein Pendant, auf dessen Bild eine Hennenreiterin dem Mann die obszöne Geste der Feige zeigt und ihre Untreue als Vergeltung für das Vergehen ihres Gatten ausgibt.11 Das Hahnrei-Motiv erfreute sich bis ins 19. Jahrhundert hinein großer Beliebtheit12 und wurde im 18. Jahrhundert oft auf Flugblätter in anderen Sprachen übernommen.13 Zuweilen kombinierte man es auch mit dem Motiv des ungleichen Paars, wenn der Mann und die Frau ihren Status des Hahnreiters dadurch gewannen, dass sie sich mit viel jüngeren Partnern einließen.14

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13 Weitere Standorte: Berlin, SBPK: YA 3375m; Nürnberg: GNM: 24795/1293; Zagreb, Staatsarchiv: VZ VIII, 44 (A 5)

Andere Fassungen: ehem. Gotha, KK15 [Der Hanrey werde ich genandt, Alln Vntrewen Weibern wolbkandt; die letzte Textzeile: Schau zu, das du nicht kompts darein; in der Graphik ein Ehepaar und ein kleiner Mann vor einem Kasten] Berlin, SBPK: Ya 337016 [Der Hanrey werde ich genand Vntreuen Weibern wohl bekand] Berlin, SBPK;17 München, KK;18 Zagreb, Staatsarchiv: VZ VIII, 6819 [Der Hanrey werde ich genandt, Alln untreüen Weibern wohlbekandt]

a)

b) c)

A A A A A 1 2

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WÄSCHER, 88. COuPE II, Nr. 80. MOSER-RATH: Schwank, 124 f. (mit Abb.). Neuer Korb, 40 f. (mit Abb.) u. 43. PELC: Theatrum, 41⫺43 mit Abb. 25. Datierung nach BOLTE: Bilderbogen (1909), 79. Zur Gebärde der ‚Hörnchen‘ s. L.HANSMANN/ L.KRISSRETTENBECK: Amulett u. Talismann. Erscheinungsform u. Gesch. München 1966, 204–207; b IV, 25. Mehrere Beispiele nennt BOLTE: Bilderbogen (1909); s. auch HAYN-GOTENDORF: Bibliotheca erotica, III, 8–12.

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DISSERTATIO THEORIco Practica De […] HANREITATuM MATERIA. O.O. 1630; s. auch HAYN-GOTENDORF: Bibliotheca erotica, III, 9 f. Wencel Scherffer von Scherffenstein: Geist und Weltlicher Gedichte Erster Teil Brieg 1652. Hg. von E. PIETRZAK. Tübingen 1997, 416. Weitere Bezeichnungen bei BOLTE: Bilderbogen (1909). Andere Beispiele sowie mögliche Deutungen der Geste bei H. H. MANN: Der Narr, der durch die Finger sieht. In: M. SAMMER (Hg.): Leitmotive. Kulturgeschichtliche Studien zur Traditionsbildung, FS D.-R. Moser. Kallmünz 1999, 389–401. S. auch GRIMM: DWb, III, 1654. Dazu GRIMM: DWb, X, 1981. Vgl. z. B. die Gemälde des Meisters der Angerer Bildnisse und Quentin Massys (beide um 1520), abgeb. in: W. MEZGER (Hg.): Narren, Schellen u. Marotten. Remscheid 1984, Abb. 23 und 189; MANN: Narr. MOSER-RATH: Schwank, 124–130. ‚Den Hanenreitern ich zu Schmach auf meiner Hennen reite nach‘. O.O.u.J. (Berlin, SBPK: YA 3372m); vgl. BOLTE: Bilderbogen (1909), 78 (mit Abb.). Die beiden Figuren des männlichen und weiblichen Reiters aus den Berliner Blättern finden sich auf einem französischen Flugblatt ‚LA DISPVTE DES COCVS ET COQVETTES‘, das ein Teil eines deutschen einblättrigen ‚Neue[n] Kalender[s] auff das Jahr Christi/ M DC LXXXVII‘ bildet, dessen Text mit den Wappen der beiden flankiert ist; s. FuCHS: Sittengeschichte, Abb. 133. Zur Geste der ‚Feige‘ vgl. HANSMANN/ KRISS-RETTENBECK: Amulett, 199–207. FuCHS: Frau, 77; BRÜCKNER: Druckgraphik, Abb. 135. Zwei Blätter mit dem reitenden Ehepaar, mit deutschem und französischem Text in Nürnberg, GNM: HB 24754a und b. Acht verschiedene Typen der Hahnreiliteratur im 19. Jahrhundert nennt R. SCHENDA: Volk ohne Buch. Studien zur Sozialgesch. der populären Lesestoffe 1770–1910. München 1977, 371 f. Zum außerliterarischen Gebrauch des Motivs vgl. WALZER: Liebeskutsche, 91–100. BOLTE: Bilderbogen (1909), 80–82; N.-A. BRINGÉuS: Skånska kistebrev. Lund 1995, 48, 204 f. Auf die beiden Berliner Blätter gehen zwei russische Darstellungen aus der Mitte des 18. Jahrhunderts zurück, vgl. C. CLAuDON-ADHÉMAR: Populäre Druckgraphik Europas: Russland. Vom 16. bis zum Beginn des 20. Jhs. München 1975, Abb. 172 f. Ein Holzschnitt aus Ostmähren abgeb. bei A. KŘÍŽOWÁ/ R. JEŘÁBEK: Zu den tschechischen Analogien in der Ikonographie u. der Funktion der volkstümlich gewordenen Einblattdrucke. In: BRINGÉuS/ NILSSON: Popular Prints, 153–167, Abb. S. 161. S. auch R. JEŘÁBEK: Motiv ‚jízdy na kohoutu‘ v mezinárodní tradici. Příspěvek k ikonografii zlidovělé grafiky. In: Sborník prací Filosofické fakulty brněnské university 17 (1973), 125–140, Beil. 29–45. BRINGÉuS: Skånska kistebrev, 48, 267 f.; V. E. CLAuSEN: Populäre Druckgraphik Europas. Skandinavien. Vom 15. bis zum 20. Jh. München 1973, Abb. 39 f.; DERS.: Det folkelige danske traesnit i etbladstryk 1565–1884. Kopenhagen 1985, Nr. 481. Vgl. auch ‚Allgemeine/ vnd doch vntrewe Nachbawrschafft‘. O.O. ca. 1630; abgeb. bei SCHILLING: Bildpublizistik, 426. DIEDERICHS II, 330, Abb. 1106. COuPE II, Nr. 80a. BOLTE: Bilderbogen (1909), 78–80. Bolte weist dem beschriebenen Blatt eine falsche Abbildung zu, daher ist die Richtigkeit der Standortangabe nicht sicher. Ebd. PELC: Theatrum, Abb. 26. EP

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IX, 49

F 215

Ort Jahr Bild Text Format

Die durch mehrere Szenen illustrierten ‚Privilegien‘ für die Frauen inszenieren einen Rollentausch, durch den ihnen die Herrschaft über die Männer zufällt. Die Graphik besteht aus neun nummerierten Feldern, die das im Titel angesprochene Verhältnis zwischen den Geschlechtern illustrieren, das dem Mann eine Diener-Rolle zuweist. Den scherzhaftsymbolischen Rahmen der Szenenreihe bilden das erste und das letzte Bild der Graphik mit einer Gruppe bewaffneter Frauen, die aus den Händen des vor ihnen thronenden Foeminarius eine Urkunde entgegennehmen, und einem imaginären Wappen des Foeminarius, auf dem ein Mann den entblößten Hintern einer vor ihm knienden Frau ‚streicht‘ (b IX, 50). Während diese beiden Darstellungen nur einen Bildraum zeigen, sind die übrigen Szenen durch eine Wand in jeweils zwei Bildräume geteilt. In der ersten dieser geteilten Szenen lässt sich der Mann von seiner Frau Geld für Wein geben; das ihm sonst zugebilligte Getränk ist Wasser, das er vor dem Haus aus einem Brunnen schöpft. Im anschließenden Bildfeld warten die Männer ihren tafelnden Frauen auf; danach begleitet ein Mann seine Frau mit einer Fackel nach Hause. Das nächste Bild zeigt den Mann beim morgendlichen Tischdecken, während seine Frau noch im Bett liegt. Im folgenden speist die Frau an einem gedeckten Tisch; der Mann begnügt sich an einem Tischlein in der Ecke mit den Resten und heizt von der Küche aus den Ofen ein. Auf dem nächsten Bild spielen zwei Frauen Trictrac und trinken dabei Wein, während der Mann die Küche kehrt. In der vorletzten Szene kutschiert der Mann mehrere Frauen in ein, wie die andere Bildhälfte zeigt, Warm Bad bzw. Sawer Brunn. Die letzte Szene zeigt die Frau, wie sie sich mit einem Liebhaber im Bett vergnügt, während ihr Ehemann sich vor der geschlossenen Tür sorgenvoll die Haare rauft. Im einleitenden Textteil verkündet Foeminarius, der Regent der Weiber, den Erlass mehrerer Privilegien und Freiheiten für Frauen, die über Jahre von ihren Männern unterdrückt worden seien und nun Beschwerde eingereicht hätten. Der Inhalt des Mandats wird in einzelnen nummerierten Abschnitten erläutert, die der Reihenfolge der Bildfelder entsprechen. Als erstes erhielten die Frauen das Recht, Waffen zu tragen und die sonst den Männern vorbehaltenen Posten wie Burgermeister/ Ampt: vnd Hauptleut zu übernehmen, was ihre Hausgenossen automatisch in eine untergebene Position rücke. Die Abhängigkeit des Mannes kommt vor allem in seiner finanziellen Unmündigkeit zum Ausdruck: Wolle er Wein trinken, müsse er seine Frau als Seckelmeister[in] um Geld bitten. Zu seinen Pflichten gehöre, ihr Gesellschaft zu leisten, wenn sie Lust habe auszugehen, ihr abends das Bett zu wärmen und morgens die Stu110

Weiber Priuilegi/ vnnd Freiheit/ Das ist/

(1. Viertel 17. Jahrhundert) Radierung Typendruck in 4 Spalten; 150 Knittelverse 39,0 ! 27,2; 19,7 ! 26,0

be zu heizen und den Frühstückstisch zu decken. Er habe sich dabei leise zu verhalten, um sie nicht zu wecken. Gedenke sie aufzustehen, so solle er ihr das Hemd wärmen; nachdem sie gefrühstückt habe, dürfe er die Reste der Mahlzeit abnagn. Während die Frau sich ihre Zeit mit alkoholischen Getränken, Glücksspiel oder Schlafen vertreibe, habe der Mann den Haushalt zu besorgen. Zu seinen Aufgaben gehöre es ferner, der Frau eine angenehme Fahrt zur Kur zu ermöglichen: in der Kutsche, mit reichlich Geld und einer Wärtrin. Schließlich solle der Mann es nicht nur dulden, dass seine Frau sich einen jungen Liebhaber nehme, sondern sich überdies noch freuen, falls er aus dieser Verbindung einen Jungen Erbn bekomme. Der letzte Abschnitt paraphrasiert die Abschlussformel eines herrschaftlichen Erlasses.

nen-Gästen die unzulässige Liebe/ und Werke der Unkeuschheit.9

Die Satire des Blattes wird in erster Linie durch das unterhaltungswirksame Prinzip des Rollentausches getragen (b IX, 51), doch bedient sich der Text auch anderer Mittel, um sein satirisches Anliegen zu verdeutlichen. Es sind zum einen in sich widersprüchliche Ausdrücke wie Ein Gubernator früh vnd spat oder Ein Amptman dick/ schmal/ groß vnd klein zur Bezeichnung des Frauenherrschers oder die Datierung der Urkunde Nach dem vorign im nechsten Jahr. Zum anderen spiegeln die sprechenden Namen, die für die Herrschaftsgebiete des Foeminarius gebraucht werden, auf satirische Art den Topos der ‚bösen‘ Frau mit ihren stereotypen Eigenschaften:1 Unzufriedenheit (Murrenberg, Schnurrenberg, Mur[…]hauser), Zanksucht (Zanckenfort, Zanck vnd Haderthal) und Geschwätzigkeit (Schnaderhausn, Klapperstein, Waschheim, Waschhausen2). In den Bildszenen 2–8 ist eine Steigerung zu erkennen, die von der unterlegenen Stellung des Mannes in der Ehegemeinschaft (Szenen 2 und 3), über seine marginale Hausexistenz (Szenen 4 und 5) bis hin zur Isolation (Szene 6) und zur völligen Absenz (Szene 7) führt. Die Fahrt ins Bad bildet zugleich die Vorstufe zur größten Schmach des Mannes, den zu akzeptierenden Ehebruch, mit dem zugleich eine Impotenz des Gatten insinuiert wird (Szene 8). Schon im späten Mittelalter standen nämlich die Badehäuser und später die Bäder im Ruf sexueller Freizügigkeit.3 Literarisch hat dieses Bild Niederschlag gefunden z. B. in den Werken Grimmelshausens (um 1622–1676)4 oder in dem anonymen Emblembuch ‚SYMBOLICA IN THERMAS ET ACIDuLAS REFLEXIO‘.5 Eine Reihe zeitgenössischer Schwank- und Historiensammlungen ist im Titel als Lektüre für Badegäste ausgewiesen.6 Sogar medizinische Werke und populäre Gesundheitsbücher bringen balnea, vina, venus7 in einen Zusammenhang. Paracelsus (1493⫺1541) warnt vor Völlerei und vnkünschheit während der Badefahrt, die dadurch ihren gesundheitlichen Zweck verfehlen würde.8 Und noch 150 Jahre später verbietet ein Göppinger Arzt den Sauerbrun-

Andere Fassungen:

Weitere Standorte: Bamberg, SB: VI G 154 (A 1); Coburg, Veste (A 2); Gotha, SM: G 45,31; Hamburg, SUB: Scrin C/22, fol.241

a)

Braunschweig, HAUM: FB V; London, BM: 1880.0710.917 [Der Weiber Privilegien vnd Freyheiten; Text in Prosa wie b IX, 50; Bilder nicht nummeriert, bis auf das erste im Gegensinn]

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COuPE II, Nr. 118a. KuNZLE: Comic Strip, 237 (Abb.), 450, Nr. 8–14. Neuer Korb, 44 (Abb.), Nr. 48.

1

Einen Katalog von knapp vierzig derartigen Ortsbezeichnungen enthält das Blatt ‚Von Einem Bößen Weib‘, b I, 152. Zu ‚waschen‘ in der Bedeutung ‚plaudern, schwatzen‘ vgl. GRIMM: DWb, XXVII, 2242–2245. FuCHS: Frau, 396 (Abb.); R. PAPE: Seife, Sex u. Syphilis oder: Die Badefreuden des Mittelalters. In: A. DELILLE/ A. GROHN (Hgg.): Gesch. der Reinlichkeit. Vom römischen Bad zum Waschsalon. Frankfurt a. M. 1986, 81– 92; F. FÜRBETH: Badenfahrten im 15. Jh. Die Wiederentdeckung der Natur als kulturelles Ereignis. In: A. ROBERTSHAW/ G. WOLF (Hgg.): Natur u. Kultur in der dt. Literatur des Mittelalters. Colloquium Exeter 1997. Tübingen 1999, 267–278. Grimmelshausen: Simplicissimus, 467–471; ders.: Courasche. Hg. von D. BREuER. Frankfurt a. M. 1992, 131– 134. Mainz um 1690. Raphael Sulpicius (d. i. Michael Caspar Lundorp): Wißbadisch Wisenbrünlein: Das ist/ Hundert schöne kurtzweilige […] Historien. Frankfurt a. M. 1610; Agricola Tabeus (Ps.): Maynhincklers Sack/ Voller […] Wiszbadischer/ Saurbornischer […] Bossen vnd Schwäncken. O.O. 1612; Ernst Wolgemuth (Ps.): 500 Frisch und vergüldete Haupt-Pillen […] Das ist […] lustige Schwäncke […] bey den Sauer-Brunnen Curen und in den warmen Bädern […] gar nützlich zu gebrauchen. O.O. 1669; Ernst Immerlustig (d. i. Johann Beer): Lieblicher Sommer-Klee […] das ist: Allerhand lächerliche […] Schwänk […] bey […] lustigen Gesellschafften/ in warmen Bädern und Sauerbrunnen-Curen/ zur langweiligen Zeitvertreibung […] gar nütz- und dienlich. O.O. 1670. H. SCHIPPERGES: Der Garten der Gesundheit. Medizin im Mittelalter. München 21990, 227. Paracelsus: Beschrybung Von deß Bads Pfeffers/ in Oberschwytz gelegen/ Tugenden/ Krefften vnd würckung. O.O. 1594, fol.Cv. (Martin Maskoski): Das Göppingische Bethesda. Nördlingen 1688, 249. EP

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IX, 50

F 213

Ort Jahr Bild Text Format

Die im Blatt b IX, 49 genannten ‚Weiber Priuilegi‘ werden in Form eines amtlichen Dekrets formuliert. Die Illustration des Blattes beschränkt sich auf die Darstellung eines Siegels am Ende des Textes. Es zeigt eine Szene in einem Alkoven. Auf dem Bett sitzt ein Mann, der den entblößten Hintern einer über seinem Knie liegenden Frau mit einem Bogen ‚streicht‘. Die Dame singt dazu aus einem Notenbüchlein ein Lied und hält bereitwillig ihr Kleid hoch. Auf dem Siegelrand steht als Inschrift SIGILL HERRN FEMINARI VON DER WEIBERBVRG VOGT Zu [MV]R VND SCHNADERHAVSEN. Inhaltlich entspricht der Text bis auf einen hinzugefügten Abschnitt den Versen auf Blatt b IX, 49. Die neuen Zeilen enthalten ein Repertoire von Strafen, die dem Mann drohen, sollte er sich dem ‚Mandat‘ oder den weiblichen Befehlen widersetzen. In solchen Fällen dürfe die Frau gegen ihn vor Gericht klagen oder sich selbst mit Hilfe von Gabeln/ Rockenstühl/ Schlüsseln/ Knitteln vnd Schrägenstecken Gehorsam verschaffen. Auch Strafen wie das Verweigern von Essen und Trinken oder die Verbannung in eine kalte Stube, wo er auf einer Bank liegen müsse, seien erlaubt. In Aufbau und Syntax imitiert der Text zeitgenössische Urkunden:1 Er beginnt mit der intitulatio, welche die Titulaturen des Urkundenausstellers aneinanderreiht, und der inscriptio mit der Nennung der Adressaten. Es folgen die arenga und promulgatio, in denen die Ausstellung der Urkunde begründet wird und die Absichtserklärung des Ausstellers erfolgt; die anschließende dispositio nennt Punkt für Punkt die erlassenen Vorschriften. Der nächste Absatz enthält die sanctio mit der „Androhung einer Strafe für die Verletzung“ dieser Vorschriften.2 Die Schlussformeln bestehen aus der Datierung (mit Ortsangabe) und den subscriptiones – hier den Unterschriften des Foeminarius und des an der Ausfertigung der Urkunde beteiligten Frawenburgische[n] Rath[es] vnd Cantzler[s] Claudi Wochen Tölpel. Die hinter den beiden Unterschriften stehenden üblichen lateinischen Formeln Mppria. (manu propria) und Subscripsit bezeugen die Eigenhändigkeit. Bezeichnenderweise fehlt im Text die Devotionsformel, die gewöhnlich den Aussteller als ‚von Gottes Gnaden‘ bezeichnete. Die Rechtmäßigkeit der Urkunde wurde mit dem Siegel des Urkundenstifters beglaubigt. Hier heben die Größe, der Inhalt (b I, 106; IV, 11, 27; IX, 49, 51) und die Singularität der Illustration in parodistischer Weise die Wichtigkeit des Siegels im damaligen Urkundenwesen hervor.3 Noch umfangreicher als im Blatt b IX, 49 ist die Zahl der widersinnigen und redensartlichen Ausdrücke, die sich aus der Tradition der Schwänke, Fastnachtspiele und der Verkehrte-Welt-Literatur 112

Der Weiber Privilegien vnd Freyheitten.

Holzschnitt Typendruck; Prosa 35,5 ! 27,5; 8,5 (Durchmesser)

herleiten, wie z. B. wol vnd vbelbestelten Weiblichen Gerichts, in der Ersten vnd Letzten Jahres Zeit, im hellen finstern Tag oder als da war die 25. Klaff [t]er in der lufft/ Vnd Zwelf vnd Zweintzig Baurentritt/ im tieffen Wasser. In diesen Zusammenhang gehören auch versteckte Hinweise auf den Geschlechtsverkehr, wenn über die unterdrückte Lage der Frauen gesagt wird: sintemahl sie nun eine lange zeit vnden liegen müssen4 oder wenn der Mann entgegen dem Willen der Frau nicht über Rhein fahre[n] dürfe.5 Auch die Bezeichnung Possel Arbeit (Reparaturen, Nebenarbeit) wird hier sexuell konnotiert, wenn sich die verheiratete Frau dazu einen Jungen Gesellen oder einen glatten Pfaffen nehmen solle.6 Ein oft verwendetes Element im Wortschatz der Frauensatire ist die fiktive Ortsbezeichnung Beltzmühle, deren Ursprung nicht endgültig geklärt ist (b I, 152).7 Neben solchen sprachlichen Hinweisen auf den satirisch-utopischen Charakter des Erzählten, von denen die Information, dass das Reich des ‚Foeminarius‘ Niergend daheim sei, am prägnantesten ist, demaskiert auch das Jnsiegel des männlichen Herrschers über die Frauen die Geschichte als eine Verkehrung. Während im Blatt b IX, 49 das Wappenbild noch als eine Prügelszene missverstanden werden konnte,8 wenn auch die Haltung der beiden Figuren eher auf ein gemeinsames ‚Musizieren‘ hindeutet, ist hier der Gegenstand in der Hand des Mannes klar als ein Violinbogen und damit seine Tätigkeit als ‚streichen‘ erkennbar. In der Doppeldeutigkeit dieses Wortes, das sowohl eine zärtliche Berührung als auch Prügeln bedeutet,9 verbirgt sich der Hinweis auf die wahren Machtverhältnisse. Die Wahl der parodistischen Kontrafaktur eines obrigkeitlichen Dekrets als Mittel der Satire verweist auf eine absichtsvolle Ambivalenz. Zum einen verspottet das Blatt die auf ihre Stellung in der Ehe bezogenen Wünsche der Frauen, die damit gegen durch weltliche und kirchliche Obrigkeit sanktionierte Normen verstießen. Zum anderen signalisiert sie in der Komisierung der gesetzlichen Verordnungen eine Diskrepanz zwischen jenen und den individuellen Wunschvorstellungen.10

Weitere Standorte:

Andere Fassungen: a)

Braunschweig, HAUM: FB V; London, BM: 1880.0710.917 [Der Weiber Privilegien vnd Freyheiten; mit Graphik wie b IX, 49, Fassung a]

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H. BRESSLAu: Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland u. Italien. Berlin 21912, I, 47 f. Ebd., 48. H. FEHR: Dt. Rechtsgesch. Berlin/ Leipzig 1921, 184. Anzüglichkeiten dieser Art erscheinen z. B. als ‚Sprichwörter‘ bei Sommer: Ethographia, Teil 3: Die Weiber haben allzeit den öbristen Ort vnd Stelle innen/ außgenommen im Federthurnier/ da liegen sie vnten (fol. B3v); Das Weib ist zu keiner Zeit so schwach vnd kranck/ das sie nicht kündte auffm Rücken liegen (fol. Biiijr). S. auch das Blatt ‚Neweröffneter […] Männerbefehlich‘ (b I, 106): Alle Männer müssen siegen/ Alle Weiber vnten ligen. Vgl. Valentin Schumann: Nachtbüchlein (1559). Hg. von J. BOLTE. Tübingen 1893 (Nachdr. Hildesheim/ New York 1976), 51–54; Martin Montanus: Schwankbücher (1557–1566). Hg. von J. BOLTE. Tübingen 1899, 292, 352, 402. In solcher Bedeutung findet sich der Ausdruck z. B. in dem Schwank ‚Ein mann sagt und nennet die werck, die er mit der frawen braucht, bossel arbeit‘ (Montanus: Schwankbücher, 343 f.). J. BOLTE: Die Altweibermühle. Ein Tiroler Volksschauspiel. In: Archiv f. das Studium der neueren Sprachen u. Literaturen 102 (1899), 241–266, hier 249–253. KuNZLE: Comic Strip, 236; b I, 106. GRIMM: DWb, XIX, 1213 f. Vgl. SCHILLING: Bildpublizistik, 234–236. EP

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IX, 51

F 204

Ort Jahr Bild Text Verleger Format

In Form eines obrigkeitlichen Erlasses verspottet das Blatt die Herrschsucht der Frauen. In mehreren Simultanszenen wird die Rolle des untergebenen Mannes in einer ehelichen Beziehung illustriert. Sie zeigen ihn bei Tätigkeiten, die nach den zeitgenössischen Vorstellungen der Frau zugewiesen waren. Links vorne sieht man den Mann in Bitthaltung vor einer sitzenden Frau stehen; auf dem Tisch zwischen den beiden liegt ein offener Geldbeutel. Im hinteren Bereich des Raumes kehrt der Mann den Fußboden und wärmt ein Hemd am Ofen, während die Frau im Bett liegt. In der Bildmitte vorne bürstet der Mann auf Knien mit einem Handbesen die Ausgehkleidung der vor ihm stehenden Frau ab. Im Hintergrund dient ihr ein gleicher Handbesen dazu, ihren knienden Mann auf den nackten Hintern zu schlagen. In der anschließenden Szene gibt der Gatte mit einer Fackel in der Hand seiner Frau das Geleit. Rechts vorne bedient er sie am Tisch, an dem sie sich mit einem Junggesellen amüsiert. Unter dem Text befinden sich Abbildungen zweier runder Siegel mit antithetisch aufeinander bezogenen Bildern: Links schlägt eine Frau mit Schlüsseln auf einen vor ihr knienden Mann ein, der sich am Kopf hält; rechts kniet eine Frau mit offenem Haar und flehentlich gefalteten Händen vor einem Mann mit einem Prügelstock in der Hand. Das linke Bild gleicht den zentralen Figuren auf dem Blatt ‚Jetz die Henn will sein der Haan‘ (b IX, 46), das rechte denen auf dem Blatt ‚Ach wie ist mir mein leib …‘.1 Der gereimte Text hat eine für Frauensatiren häufiger verwendete Form eines obrigkeitlichen Erlasses. Er setzt ein mit der Willensbekundung des Ausstellers, der als Hertzog Weiberhold mit einer langen Reihe fingierter satirischer Titel bedacht wird. In den folgenden vier Strophen werden Befehle an die Männer aufgeführt und erläutert, die weitgehend denen auf den Blättern b IX, 49 f. gleichen. Der Mann dürfe ohne Erlaubnis seiner Frau keinen Alkohol trinken, weder ausgehen noch sich Geld nehmen. Er solle sie den Haushalt verwalten lassen und ihr rund um die Uhr aufwarten. Er müsse früh aufstehen, um zu heizen, ihr ein Hemd zu wärmen und ein köstliches Frühstück zuzubereiten. Wolle sie ausgehen, so habe er ihr das Kleid zu bürsten, während ihrer Abwesenheit das Haus sauber zu machen und sie mit der Fackel abzuholen. Er solle sie für ihre Badefahrt mit allem Nötigen ausstatten und dafür sorgen, dass sie die besten Delikatessen auf den Tisch bekommt. Nicht zuletzt dürfe er nicht mit ihr streiten, solle ihr ihre Wünsche von den Augen ablesen und ihr bei den Seitensprüngen helfen. Solle er sich weigern, ihre Befehle auszuführen, verdiene er Prügel und andere Strafen, bis er sich bei seiner Frau gebührend entschuldige und ihr Gehorsam verspreche. In der letzten Strophe, die durch einen Wech114

Neweröffneter Ernsthaffter/ hochstraffwürdiger/ vnd vnverbrüchlicher Weiberbefelich Nürnberg (um 1650) 2 Kupferstiche Typendruck in 2 Spalten; 60 strophisch angeordnete Alexandriner, 14 und 2 Knittelverse Paul Fürst (1608–1666) 36,7 ! 26,5; 7,9 ! 23,0 (oben), 3,8 ! 10,3 (Siegel)

sel des Versschemas markiert ist, wird noch einmal der Wille des Urkundenstifters bekräftigt und werden die Männer aufgefordert, ihre Frauen zu pflegen, womit zuerst sexuelle Befriedigung gemeint ist. Das Blatt gehört zu einer umfangreichen Gruppe von satirischen Blättern, die in Form einer Urkunde Herrschsucht der Frauen und Pantoffelheldentum der Männer zur Zielscheibe ihres Spotts machen (b I, 106; IV, 27 f.; IX, 49 f.).2 Die Umkehrung der Geschlechterrollen bildet das konstituierende Mittel dieser Satiren und ordnet sie dem Umfeld der Verkehrte-Welt-Literatur zu (b I, 57– 60; IX, 14–16).3 Den Charakter der Satire betonen die als variierender Refrain eingesetzten, durch Klammern und Fettdruck hervorgehobenen Zweizeiler, die die Bereitschaft der Männer, die ‚Befehle‘ auszuführen, mit der Narrheit gleichsetzen. Auch die Bemerkung in der letzten Strophe, den Männern allein sei die Entscheidung überlassen, ob sie mit dem Willen der Frau einverstanden seien, entlarvt den Inhalt der ‚Urkunde‘ als eine Fiktion mit satirischem Anliegen. Das Prinzip des Rollentausches funktioniert jedoch nicht wie eine einfache Umkehrung, die bei ihrer Aufhebung wieder die gesellschaftlich sanktionierte ‚Normalität‘ entstehen ließe. Vielmehr stünden mit Muße, Alkoholgenuss, Schlemmerei, Spielen und Ehebruch immer noch gesellschaftlich und moralisch tadelnswerte Verhaltensweisen am Pranger der Satire, die lediglich ihrer geschlechtsspezifischen Aspekte beraubt wäre. Diese Tendenz des Blattes wird noch deutlicher, wenn man zum Vergleich sein Gegenstück heranzieht, das ebenfalls bei Paul Fürst erschienen ist (b I, 106). Die ‚Wirklichkeit‘ des ‚Männerbefelich‘ wird durch denselben Refrain satirisch unterlaufen, so dass auch die konventionellen Rollenzuschreibungen in einem ironischen Licht erscheinen. Der im Blatttitel gebrauchte Ausdruck Siemann hat in der geschlechtersatirischen Literatur eine lange Tradition. Seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wurde er für eine herrschsüchtige Frau verwendet,4 später auch für den unterwürfigen Ehemann.5 In der Bezeichnung ‚Siemann‘ klingt der Name Simon mit, der oft als Synonym satirisch funktionalisiert wurde und mancherorts als Patron der Pantoffelhelden gilt.6 Im 16. Jahrhundert, als die Bezeichnung ihre höchste Popularität erreichte, wurde sie in ‚Doktor Syman‘ umgewandelt und bekam als Gegenstück einen ‚Docktor Kolbman‘, ein personifiziertes Heilmittel gegen die Regiersucht der Frau.7

Weitere Standorte: Berlin, KB: 1001,11; London, BM: 1880.0710.891

Andere Fassungen: a)

b) c) d)

e)

Darmstadt, HLHB: Günd.8045, fol. 279 [Gemeiner Weiber Mandat; o.O. M.DC.XXXX.; Text in Prosa; b IV, 27] Nürnberg, GNM: 24015/1294 [wie a; M.DC.XXXXI.] Nürnberg, GNM: 15305/1292a [wie a; o.J.; Graphik im Gegensinn] München, BSB: Einbl. XI, 548 [wie a; o.J. (2. Hälfte 17. Jh.); neue Graphik u. a. mit Katze auf dem Podest; Szenen in der Graphik nummeriert] Nürnberg, GNM: 24575/1295 [wie a; o.J. (Ende 17. Jh.); Holzschnitt; breite Blumenbordüre]

A1 A2

COuPE II, Nr. 273. Neuer Korb, 45 (Abb.), Nr. 49.

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Ex. Halle, KMM: F 782; vgl. Neuer Korb, 22 (Abb.), Nr. 17. SCHILLING: Bildpublizistik, 234–236, Abb. 32. Für das Fortleben dieser Art von Satire vgl. den Neuruppiner Bilderbogen ‚Der kleine Mann und die große Frau‘, in: W. HIRTE (Hg.): Die Schwiegermutter u. das Krokodil. 111 bunte Bilderbogen für alle Land- u. Stadtbewohner soweit der Himmel blau ist. Berlin 21970, 13. Zur Weibersatire im Kontext der verkehrten Welt vgl. MOXEY: Peasants, 101–126. J. BOLTE: Doktor Siemann u. Doktor Kolbmann, zwei Bilderbogen des 16. Jhs. In: Zs. des Vereins f. Volkskunde 12 (1902), 296–307, hier 296. Bolte bringt eine Reihe von Beispielen für den Gebrauch des Begriffs in der Literatur des 16. Jahrhunderts; weitere Hinweise bei JANSSEN: Geschichte, VI, 432–434, und KAWERAu: Reformation, 44–48; DIEDERICHS I, Abb. 629. GRIMM: DWb XVI, 958–960; MOSER: Pantoffelhelden, 227–232; MOSER-RATH: Leviten, 138–140. MOSER: Pantoffelhelden, 227–232; MOSER-RATH: Leviten, 138–140. Kawerau führt den ‚Simon‘ auf Paul Rebhuns Drama ‚Ein Hochzeit spiel auff die Hochzeit zu Cana‘ (1538) zurück (KAWERAu: Reformation, 46). Thematisiert wurden die beiden Spottnamen auf zwei gleichnamigen Flugblättern: ‚Doctor Syman‘. O.O.u.J., und ‚Doctor Kolbman‘. O.O.u.J. Vgl dazu BOLTE: Doktor Sieman (mit weiteren Beispielen); Fliegende Blätter, Nr. 345 f. Das Münchner Exemplar ist identisch mit denen bei: Zisska/ Kistner, Nr. 2233 und Antiquariat L’Art Ancien, Nr. 43 (mit Abb.). EP

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IX, 52

F 758

Ort Jahr Bild Text Drucker Format Zustand

Das Blatt verbindet ein satirisches Prügelrezept gegen aufsässige Frauen mit der Ikonographie der Monatsbilder. Die Graphik ist in zwölf Bildfelder geteilt, die durch ein jeweils am oberen Rand eingezeichnetes Sternzeichen den zwölf Monaten zugeordnet sind. Eine Raufszene zwischen einer Frau und einem Mann eröffnet die Bildfolge. Als Ursache der Prügelei erscheint in der linken Bildhälfte eine gesellige Frauenrunde. In der nächsten Szene wärmt sich die Frau am Feuer und schläft dabei ein, statt sich um den Haushalt zu kümmern. Die verstreuten Haushaltsgeräte und die sich an Vorräten vergreifenden Haustiere verweisen auf die Faulheit der Hausmutter. Die dritte Szene wiederholt die Ereignisse der ersten. Auf dem fünften Bild folgt die rechts abgebildete Prügelstrafe dem Spaziergang der Frau mit einem fremden Mann. Auf dem nächsten wird sie für ihren Zank mit einer Nachbarin bestraft. Unter dem Zeichen des Löwen nimmt der Mann eine karge Mahlzeit zu sich, während seine Frau untätig abseits sitzt. Seine heftigen Gesten signalisieren seine Unzufriedenheit mit dem Essen. Die Untätigkeit der Frau wird im nächsten Bild gesteigert: Während auf den Feldern das Getreide auf die Ernte wartet, bleibt sie im Bett liegen. Die Gewalt des Mannes wird durch einen Knüppel in seiner Hand angedeutet. Auch im nächsten Monat verlässt die Frau nicht ihre Schlafstube; sie sitzt am Tisch, auf dem die einzige ihr vom Mann zugeteilte Nahrung liegt: ein Apfel, eine Birne und ein Stück verschimmeltes Brot. Die folgende Szene zeigt das Paar in Eintracht vor dem Tisch, auf dem ein Krug mit Wein steht. Das vorletzte Bild ist wiederum zweigeteilt: Links liegt die Frau im Sterben, während der Mann in freudiger Aufregung ihr zuschaut; rechts wird sie in Begleitung eines stattlichen Trauerzuges begraben. Das letzte Bild zeigt den Mann im Gespräch mit seinem Nachbarn; links geht eine Frau aus dem Bild. In den einleitenden Strophen erzählt der Mann, dass er eine tugendhafte Frau geheiratet habe, deren scheinbare Tugend im Eheleben bald verschwunden sei und schlechten Eigenschaften Platz gemacht habe. Das Mittel, zu dem ein Nachbar ihm geraten habe, sei wirkungslos geblieben, bis endlich der Tod seine Frau darvon nam und ihn so von seiner Plag befreit habe. Der Text unter den Bildern listet die Vergehen der Frau und die darauf folgenden Strafen auf. Diese bestehen hauptsächlich in Prügeln, die mit wechselnden Metaphern umschrieben werden. Die Strafen und ihre Ursachen wurden so gewählt, dass sie in einem Zusammenhang mit dem jeweiligen Monat stehen. Müßiggang und Nascherei in einer geselligen Runde im Januar werden mit dem Neujahrsfest verbunden. Die Strafe für die Nachlässigkeit in der Haushaltsführung wird mit der gängigen Metapher ‚jemanden mit ungebrannter Asche wa116

Schön/ Köstliche/ vnd bewehrte Recept

(Frankfurt a. M.) (zwischen 1615 und 1619) 4 Kupferstiche Typendruck in 3 Spalten; 30, 12 ! 8 und 6 Knittelverse Conrad Corthoys (1564–1620)1 37,5 ! 28,0; 4,7 ! 26,3 (4 Stiche) Das vierte Bild und der zugehörige Text fehlen.

schen‘ umschrieben (b IX, 26).2 Die zugehörige Graphik kombiniert das Motiv der faulen Hausmagd (b I, 146) mit dem Monatsbild Februar, wenn man sich am Feuer wärmt3 ⫺ hier als ‚sich trocknen‘ nach der Strafe interpretiert. Ein erneutes Treffen mit Freundinnen findet zur Fastnachtzeit statt. In der Frölichen Mayens Zeitt erwachen Gefühle, denen die Frau in Begleitung ihres gleichen in der Natur freien Lauf lasse. Die Prügelstrafe für Geschwätzigkeit und Zank mit Nachbarn im Juni wird mit der in jenem Monat erfolgenden Schafschur verglichen. Im Juli wird die Faulheit der Frau, die sich weigert ihrem Mann das Essen vorzubereiten, auf die Hitze des Hochsommers zurückgeführt und die Prügelstrafe mit der Metapher des Harkens, wie man es itzunt mitt dem Hew pflegt, umschrieben. Die Krankheit der Frau im August interpretiert der Mann als Vorwand, nicht bei der Ernte helfen zu müssen. Im September soll sie von ihrer andauernden Unpässlichkeit mit einer Diät, bestehend aus verschimmeltem Brot und Obst der Saison (sawer Opffell vnnd Birren Lacyer), kuriert werden. Die Verbesserung ihres Zustands im Oktober führt der Mann misstrauisch auf den neuen Wein zurück bzw. legt sie als Zeichen ihres nahenden Endes aus. Sie stirbt im Totenmonat November, worauf sich der Mann bei Gott für seine Erlösung von der plag bedankt. Im Dezember bittet er seinen Nachbarn, ihm eine neue geeignete Lebensgefährtin zu suchen, eine schwierige Aufgabe, da die tugendhaften Frauen zwar dick geseet worden, aber kaum aufgegangen seien. Der abschließende Sechszeiler enthält die formelhafte Versicherung des Autors, die dargestellte Geschichte betreffe nicht die tugendhaften Frauen. Die satirisch-misogynen Schriften, die die frühneuzeitliche Literatur in großer Zahl hervorgebracht hat,4 werden als Reaktion der Männer auf die sich verbessernde wirtschaftliche, soziale und rechtliche Position der Frau angesehen, wobei auch männliche Urängste vor dem anderen Geschlecht eine Rolle spielen sollen.5 Um die Bedrohung der männlichen Autorität durch weibliche Auflehnung zu artikulieren und seine Herrschaftsansprüche zu bestätigen, bediente man sich des immer neu variierten Topos von der bösen Frau, der oft mit dem Thema des Geschlechterkampfes verknüpft wurde.6 Schon die Zeitgenossen erkannten in der Verbreitung frauenfeindlicher Schriften die Gefahr, nicht nur die Benachteiligung der Frau innerhalb der gesellschaftlichen Ordnung zu vertiefen, sondern jegliche Gewalt ihr gegenüber zu sanktionieren. Der Prediger C. Beermann (Lebensdaten unbekannt) stellte 1593 einen Zusammenhang zwischen dem misogynen Schrifttum und der Hexenverfolgung her: Daß man in jetzig Zeit so viele Hexen verbrennt, kommt nit zum wenigst mit daher, daß unzählig viel Scribenten so unflätig von den Weibern schreiben und sie schier alle insgemein für bös, giftig und von teuflischer Natur ausschrei-

en, und rühmen sich dann wohl, daß ungleich mehr Weiber als Unholde und Zäuberische verbrennt würden, dann Männer, so von Natur besser seien und nit so giftig, listig und verschlagen. Wodurch denn das Volk, das auf solch Skribenten hört, wider die Weiber erbößt wird, und wenn sie verbrennt werden sagen: ihnen geschieht recht, sie sind höllisch und tückisch gleich den Teufeln.7

Gewalt galt als das wirksamste Mittel, eine ungehorsame Frau gefügig zu machen.8 Das Blatt kombiniert das Bild der Frau als eines lasterhaften und dem Mann unterlegenen Wesens und das sich daraus ergebende Recht des Mannes auf Züchtigung (b I, 114 f., IV, 26).9

Weitere Standorte:

Andere Fassungen: A1

KuNZLE: Comic Strip, 232 f.

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BENZING: Verleger, 1115. Vgl. z. B. Michael Lindener: Katzipori (1558): Also ist ain ungebrännte asschen sehr gut auf die allten bösen hartnäckigen weyber und fartzkacheln (in: Ders.: Rastbüchlein und Katzipori. Hg. von F. LICHTENSTEIN. Tübingen 1883, 85). Vgl. M. J. HuSuNG: Über die Entwicklung der Monatsbilder in Kalendern. In: Buch u. Einband. FS H. Loubier. Leipzig 1923, 13–32, Abb. S. 31; Callot: Werk, II, 882; K. JuRINA: Vom Quacksalber zum Doctor medicinae. Die Heilkunde in der dt. Graphik des XVI. Jhs. Köln 1984, 56. Ein Sammelbecken der geläufigen aggressiv misogynen Topoi der Zeit bildet Sommers ‚Ethographia‘, Teil 2 u. 3. Vgl. M. JONAS: Idealisierung u. Dämonisierung als Mittel der Repression. Eine Untersuchung zur Weiblichkeitsdarstellung im spätmittelalterlichen Schwank. In: S. WALLINGER/ M. JONAS (Hgg.): Der Widerspenstigen Zähmung. Studien zur bezwungenen Weiblichkeit in der Literatur vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Innsbruck 1986, 67–93; J. DELuMEAu: Angst im Abendland. Die Gesch. kollektiver Ängste im Europa des 14. bis 18. Jhs. Reinbek bei Hamburg 21989, 456–469. Beispiele für verschiedene literarische Gattungen wie Fastnachtsspiel, Schwank, Predigten und Eheschriften bringen H. BASTIAN: Mummenschanz. Sinneslust u. Gefühlsbeherrschung im Fastnachtspiel des 15. Jhs. Frankfurt a. M. 1983, 87–93; MOSER-RATH: Schwank, 101– 122; dies.: Leviten, 128–142; W. KAWERAu: Lob u. Schimpf des Ehestandes in der Litteratur des sechzehnten Jhs. In: Preußische Jahrbücher 69 (1892), 760–781. Zu den Quellen der frühneuzeitlichen Frauenauffassung vgl. C. PLuME: Heroinen in der Geschlechterordnung. Weiblichkeitsprojektionen bei Daniel Casper von Lohenstein u. die Querelle des Femmes. Stuttgart/ Weimar 1996, 21–31. Zit. nach JANSSEN: Geschichte, VI, 431. MOSER-RATH: Schwank, 111–116; B. BECKER-CANTARINO: Die böse Frau u. das Züchtigungsrecht des Hausvaters in der frühen Neuzeit. In: WALLINGER/ JONAS: Zähmung, 117–132; ROPER: Haus, 160–168. S. auch FuCHS: Frau, 75; KuNZLE: Comic Strip, 231; BRÜCKNER: Druckgraphik, Abb. 71. Beispiele aus der zeitgenössischen Literatur bei JANSSEN: Geschichte, VI, 432–434; E. MOSER-RATH: Eheschwänke u. -witze. In: EM 3 (1981), 1095–1107, hier 1097–1099. EP

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IX, 53

F 216

Ort Jahr Bild Text Format

Mit Hilfe des Schwanks von der ‚Frau mit dem Speck‘ wird die Unterwürfigkeit der Frau als Voraussetzung für eine friedliche Ehe hingestellt. In neun Bildern, die die Ereignisse von neun aufeinander folgenden Tagen illustrieren, wird die Geschichte einer Frau erzählt, die nach einem Rezept für ihren Hitzige[n] vnd geschwind zornige[n] Mann sucht. Die Geschichte fängt an mit einem Streit zwischen den Eheleuten, in dem der Mann als zudringlich und aggressiv und die Frau als abweisend dargestellt werden. Infolge der Auseinandersetzung verlässt sie noch in derselben Szene den Raum (Bild 1) und geht zu einer alten Frau, um Rat zu holen (Bild 2). Die Alte rät ihr, zur Lösung des Problems einen Baum zu benutzen, der unweit auf einem Acker wächst (Bild 3). Dem Rat folgend wirft die Frau mit Speck nach dem Baum, hinter dem die Alte versteckt hockt (Bild 4). In der nächsten Szene betritt die Ehefrau mit einer versöhnenden Geste die Stube, in der ihr Mann grübelnd am Tisch sitzt (Bild 5). Nachdem sie sein Gebet belauscht hat (Bild 6), kommt es zur Versöhnung (Bild 7), die mit einem Mahl gefeiert wird (Bild 8). Danach beginnt ein neues friedliches Leben, bei dem die Frau ihren Mann am Tisch bedient und ihm williglich ins Bett folgt (Bild 9). Einführend wird im Text die Ehe als göttliches Werk beschrieben, das die Eheleute in Eintracht vollziehen sollten. Diese werde oft vom Ehteuffl gefährdet, dessen Gehilfen, die Hexen, die schlimmsten Zwistigkeiten bis hin zum Mord zwischen den Ehepartnern verursachten. Manchmal täten sie auch etwas Gutes, das allerdings nur, um von ihren bösen Absichten abzulenken. Als Beispiel dafür werde die folgende Geschichte erzählt. Als Grund für die Zwietracht zwischen den Eheleuten nennt der Text den Jähzorn des Mannes und die Weigerung der Frau, ihrem Gatten vnderthan zu sein. Die alte Frau, bei der sie Rat sucht, wird als ‚Hexe‘ apostrophiert, die mit ihrer Zauberkunst Menschen betrüge und auch in diesem Fall ihr zaubrisch Jnstrument als Hilfsmittel einsetze. Die Ehefrau solle drei Stück Speck nach einem Apfelbaum werfen, dann bekomme sie den gesuchten Rat. Die Frau folgt den Anweisungen der Alten und erfährt, dass sie heim gahn/ vnd jhrem Man Jn alln dingen […] vnderthan sein solle. Auch ihr Mann ändert sich, indem er seine Jähzornigkeit ablegt und Hilfe bei Gott sucht. Nachdem die beiden einander ihre Fehler verziehen haben, kehrt Frieden ins Haus, der dadurch erhalten bleibt, dass die Frau durch ihren Gehorsam dem Mann keinen Grund mehr zum Zorn gibt. Die Verse über den Bildern suggerieren einen Tag für Tag voranschreitenden Ablauf der Ereignisse, ohne dass die genannte Zeitspanne für die Aussage des Blattes eine Bedeutung besäße (b I, 114; IX, 52). 118

Weiber Recept/ Das ist/ Kurtzer vnd ordentlicher Bericht

(1. Viertel 17. Jahrhundert) Radierung Typendruck in 4 Spalten; 9 und 134 Knittelverse 38,5 ! 28,0; 19,9 ! 24,1

Für seinen Beitrag zur Eheproblematik, die im 16. Jahrhundert vielfach und in verschiedenen Medien behandelt wurde,1 wählte der Blattverfasser mehrere in der zeitgenössischen Satire bekannte Motive. Im Zentrum der Erzählung steht die Geschichte von der ‚Fraw mit dem speck‘,2 die sich seit 1261 nachweisen lässt und bis ins 19. Jahrhundert immer wieder neu erzählt wurde.3 Es ist nicht eindeutig festzustellen, welcher von den vielen Texten als Vorlage für das Blatt in Frage kommt. Die in früheren Versionen als ‚alte Frau‘ oder ‚Zauberin‘ bezeichnete Ratgeberin wurde in eine ‚Hexe‘ umgewandelt, und ihr aus drei Lehren bestehender Rat, dem Mann gehorsam zu sein, die Geschwätzigkeit und Zanksucht abzulegen und nicht zu lange außerhalb des Hauses zu bleiben, wurde hier auf die erste Lehre reduziert, während die dritte in die Moral im letzten Textabschnitt aufgenommen wurde. Die Erzählung erhielt einen Vorspann, in dem das gängige Motiv der bösen Hexe, die auf Initiative des Teufels die Ehe zerrüttet,4 eingeflochten wurde. Es versieht die alte Frau und ihren erfolgreichen Ratschlag mit negativem Vorzeichen und vermittelt zugleich das sprichwörtliche Bild vom Ehestand als Wehstand. Das Motiv des ‚Weiber-Rezepts‘ wurde aus der Frauensatire übernommen, in der es jedoch um Heilmittel gegen herrschsüchtige Frauen geht (b I, 114 f.; IX, 52). Hier soll es den Jähzorn des Mannes besänftigen helfen, der allerdings nicht als Resultat seines Temperaments begriffen wird, wie es der Titel nahelegt, sondern als Reaktion auf das abweisend-aufsässige Verhalten seiner Frau. Zwar wird auch hier als Ausgangspunkt des Konfliktes der Drang der Frau zur Durchsetzung ihres Willens herausgestellt, was der herrschenden Auffassung von der Frau-Mann-Beziehung in der Ehe widersprach,5 doch wird der traditionelle Machtkampf zwischen den Eheleuten unter Vermeidung drastischer Ehekriegszenen geschildert: Der Mann weist seine Frau nicht mit Gewalt in ihre Schranken, sondern sucht Hilfe im Gebet. Die beiden Parteien erweisen sich willens, ihren Beitrag zum Frieden in der Ehe zu leisten, wobei der entscheidende Schritt vonseiten der Frau erfolgt. Das propagierte Idealbild ist das einer gehorsamen und willigen Frau, wie es z. B. Andreas Musculus (1514–1581) in seiner richtungweisenden Schrift ‚Wider den Ehteuffel‘, die personifizierte Gefahr für den Hausfrieden, verbreitet hatte: Darumb ist das der nechste und beste rhad/ das Doctor Simon/ Doctor Herman weiche/ das regiment ubergebe/ günne/ und lasse/ und viel lieber inn unterthenigkeit in fried lebe/ als inn unordentlicher Herrschafft […] Mit gehorsam und unterthenigkeit kan man auch einen bösen tyrannen lindern/ und ein gehorsam frumb weib/ kan auch also einen störrischen unnd tyrannischen mann biegen/ liendern/ unnd güttig machen.6

Weitere Standorte:

Andere Fassungen: A1 A2

KuNZLE: Comic Strip, 235. Neuer Korb, 28 (Abb.), Nr. 24.

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KAWERAu: Reformation, 41–104; MOSER-RATH: Leviten, 128–136; M.-T. LEuKER: Widerspenstige u. tugendhafte Gattinnen. Das Bild der Ehefrau in niederländischen Texten aus dem 17. Jh. In: H.-J. BACHORSKI (Hg.): Ordnung u. Lust. Bilder von Liebe, Ehe u. Sexualität in Spätmittelalter u. Früher Neuzeit. Trier 1991, 95–121; weitere Literatur b IX, 39, 47. Sachs: Fabeln und Schwänke, III, 177 f. J. BOLTE: Anmerkung zu Valentin Schumanns Version der Geschichte ‚Von zweyen ehleuten, die stäts zancketen, unnd die fraw rhat suchet bey einer alten zauberin, und ir geholffen warde‘, in: Valentin Schumann: Nachtbüchlein (1559). Hg. von J. BOLTE. Tübingen 1893 (Nachdr. Hildesheim/ New York 1976), 413–415; Jakob Frey: Gartengesellschaft (1556). Hg. von J. BOLTE. Tübingen 1896, 287, sowie Johannes Pauli: Schimpf und Ernst. Hg. von J. BOLTE. Berlin 1924 (Nachdr. Hildesheim/ New York 1972), II, 298; Sachs: Fabeln und Schwänke, III, 177. Das Motiv findet sich z. B. bei Andreas Musculus: Wider den Ehteuffel. Frankfurt a. O. 1556. In: R. STAMBAuGH (Hg.): Teufelbücher in Auswahl. IV, Berlin/ New York 1978, 81–132, hier 118. U. HÖRAuF-ERFLE: Wesen u. Rolle der Frau in der moralisch-didaktischen Literatur des 16. u. 17. Jhs. im Heiligen Römischen Reich dt. Nation. Frankfurt a. M. 1991, 113–251. Exemplarisch für diese Theorie ist Aegidius Albertinus: Haußpolicey. München 1592, 143–145. Beispiele für die Thematisierung des Motivs in Schwänken bei E. MOSER-RATH: Ehefrau: Die widerspenstige E. In: EM 3 (1981), 1077–1082. Musculus: Ehteuffel, 127. Für seine Vorlagen und die Eheschriften in seiner Nachfolge vgl. K. L. ROOS: The Devil in 16th Century German Literature: The Teufelsbücher. Bern/ Frankfurt a. M. 1972, 82–87; KAWERAu: Reformation, 41–63. EP

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IX, 54

F 174

Ort Jahr Bild Text Format Zustand

Das Blatt deutet ältere Darstellungen von Frau ‚Seltenfried‘ und dem Eselreiter zu einer Ehesatire um. Laut Titel gibt die Graphik eine Abschiedsszene wieder. Sie zeigt vier nach der Mode des 16. Jahrhunderts gekleidete Figuren.1 Herr Eyll hinweg, in Rüstung und einem Federhut, besteigt einen Esel, den Eytel trewer Knecht am Zügel hält. Geschirr und Sporen in seiner Hand verweisen auf seine Absicht, sich mit seinem Herrn auf die Reise zu begeben. Auch die Haltung des dritten Mannes, der seinen Fuß in den Steigbügel gesteckt hat, signalisiert seine Entschlossenheit, mit den beiden wegzureiten. Die am linken Bildrand in einer typischen Pose eines streit- und herrschsüchtigen Weibes mit erhobenem Spinnrocken dargestellte Fraw Seltenfried versucht das Fortreiten zu verhindern, indem sie den Esel am Schwanz festhält. Zu ihren Füßen springt bellend der Hund Häderlin.2 In dem an den Leser gerichteten Prolog wird über den Hintergrund und Ausgangspunkt des folgenden kurtzweilig Gespräch[s] zwischen den in der Graphik dargestellten Figuren berichtet: Frau Seltenfried, ein besonders zänckisch Weib, welche die Natur ihres Hundes Häderlin angenommen habe, mache ihrem Mann das Leben zur Hölle, so dass er beschlossen habe, lieber in Todt zu gehen als zu Hause zu bleiben, und mit zwei Dienern das Weite sucht. Im Dialog klagt der Ehemann über die schlechten Eigenschaften und lästigen Verhaltensweisen seiner Frau. Unter Heranziehung der Vergleiche mit ‚bitterem Enzian‘, ‚bösem Hund‘ und ‚bösem Wurm‘ stellt er ihre Zanksucht, Unfreundlichkeit, Unzufriedenheit und Aggressivität heraus und verkündet seine Entscheidung, sein Haus und seine Frau zu verlassen. Sein Knecht Eytel, der den Weg kenne, wird aufgefordert, sich auf die Reise vorzubereiten. In seiner Antwort bestätigt Eytel die bedrängte Lage seines Herren und bekundet die Bereitschaft, ihn auf der Reise zu begleiten und ihm in Glück und Unglück beizustehen. Dann kündigt er den Auftritt der Frau Seltenfried mit ihrem Spinnrocken an. Doch noch bevor sie zu Wort kommt, schaltet sich Curdt bleib nicht da ein und fleht seinen Herrn an, ihn als Diener mitzunehmen, da er sonst Tag und Nacht den Launen der Frau ausgesetzt wäre. Diese beschimpft ihren Mann wegen seiner Absichten und verlangt, er solle samt seinen Knechten eylend und behend zurückkommen und ihr nicht zu widersprechen wagen; andernfalls gebe es Prügel. Herr Eyl hinweg bleibt jedoch bei seiner Entscheidung, die er mit dem biblischen Zitat untermauert: lieber bei Löwn vnd Drachen/ in der still wohnen zu wollen als bei ihr (Sir 25, 22). Als letzter verabschiedet sich Eytel von der Frau und ihrem Hund. Auf das ‚Gespräch‘ folgt ein Beschluß, in dem der Verfasser noch einmal das Bild einer streitsüchtigen, bösartigen Frau entwirft und die Moral aus der 120

Fraw Seltenfrieds Eselreuter: Das ist

1619 (Chronogramm) Radierung Typendruck in 5 Spalten; 124 Knittelverse 30,3 ! 35,6; 16,6 ! 33,5 Die typographische rahmende Schmuckleiste ist abgeschnitten.

Geschichte zusammenfasst: Wegen jhrer Art vnd Boßheit werde sie verlassen und könne nur ihrem Hund ihr Unglück klagen. Der letzte Abschnitt des Textes, als Protestation vnd Entschuldigung an alle fromme tugentsame Weibspersonen überschrieben, enthält ein Lob frommer, friedlicher und gehorsamer Frauen, die sich durch die Geschichte über die Frau Seltenfried nicht betroffen fühlen sollten. Das Blatt bietet in erster Linie eine Frauensatire, indem es ein überkommenes Bild einer Frauenfigur entwirft, die den Mann mit verbaler und physischer Gewalt misshandelt (b I, 145; IX, 45 f., 52 f.).3 Die Differenzierung im letzten Textabschnitt, der dem klischeehaften Bild eines ‚bösen Weibes‘ das ebenso klischeehafte Bild einer tugendhaften Frau entgegensetzt, begegnet häufiger am Ende zeitgenössischer Frauensatiren (b I, 114)4 und verhindert eine Generalisierung der Kritik an Frau Seltenfried, so wie das Blatt im allgemeinen einen unterhaltenden Charakter hat und weder frauenfeindliche moralische Rügen beinhaltet noch deutlich misogyne Züge aufweist. Während der Text eindeutig und ausschließlich die Frau als Gegenstand der Satire herausstellt, enthält das Bild eine Komponente, die auch den Mann ins Zwielicht setzt und nicht sofort zu deuten ist, nämlich den Esel als sein Reittier. Eine mögliche Erklärung könnte man zuerst durch einen Vergleich mit den Vorlagen der Graphik erwarten. Sie geht nämlich auf einen Erhard Schön (um 1491–1542) zugeschriebenen Holzschnitt von etwa 1535 zurück, der dieselbe Figurengruppe mit zwei Inschriften (für Frau Seltenfried und Häderlein) darstellt (Fassung a). Da die Graphik ohne Titel und ohne einen Text überliefert ist, kann man sie ohne weiteres als Darstellung der Flucht der drei Männer vor der streitsüchtigen und gewalttätigen Frau interpretieren. Diesem Holzschnitt diente aber ein anonymes Straßburger Blatt von 1516 als Vorlage, das neben den beiden Namen in 14 weiteren Banderolen einen die Graphik erläuternden Text enthält.5 Demnach illustriert sie eine bekannte sprichwörtliche Redewendung, die besagt, dass ein jähzorniger Mensch den Esel reiten müsse (b I, 77; IX, 80);6 ‚den Esel will jedermann reiten‘,7 doch frow seltenfrid als Inbegriff der Streitsucht beansprucht den Esel für sich allein, daher ihr Versuch, das Tier an sich zu ziehen. Dieser Zusammenhang zwischen dem Eselreiten und dem Jähzorn scheint im kommentierten Flugblatt keine Rolle zu spielen. Das Beibehalten des Esels der Vorlage lässt sich eventuell mit einer anderen symbolischen Bedeutung des Eselsritts erklären. Seit dem frühen Mittelalter nämlich wurde der Eselsritt als Ehrenstrafe für verschiedene Verbrechen und Vergehen praktiziert8 und seit dem 16. Jahrhundert in Deutschland, ähnlich wie in Frankreich, auch zur Verspottung der den Ehemann prügelnden Frau oder aber des geschlage-

nen Ehemanns angewandt.9 Es ist anzunehmen, dass das Wissen um diese Schandstrafe dem Leser erlaubte, den unterdrückten Mann, der darüber hinaus im Blatttitel als Eselreuter verhöhnt wird, ebenso wie die Frau als Objekt der Satire zu erkennen.

Weitere Standorte: Berlin, KB (A 1); London, BM: 1880.0710.384, und: 1880.1210.701 (nur die Graphik); ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig (A 2)

Andere Fassungen: a)

Amsterdam; Berlin; Coburg; Erlangen; Gotha; London, BM; Nürnberg; Wien;10 [Drei Banderolen im Bild; ohne Text; um 1535]

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COuPE II, 256, Nr. 204. DRuGuLIN I, Nr. 2567. BAKE: Spiegel, Nr. 110, 475 (Abb.).

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Vgl. z. B. M. ROGG: Landsknechte u. Reisläufer. Bilder vom Soldat. Ein Stand in der Kunst des 16. Jhs. Paderborn u. a. 2002, 40, 114, 163. Vgl. O. KuRZ: Metz Unmuss. In: Zs. f. Schweizerische Kunstgesch. u. Archäologie 14 (1953), 86–88; zu ‚Frau Seltenfried‘ vgl. Thomas Murner: Schelmenzunft. Hg. von M. SPANIER. Halle a. S. 1912, 31 f.; zu ‚Häderlein‘ vgl. Sachs: Fabeln und Schwänke, I, 136 f. MOSER-RATH: Schwank, 101–108. Moscherosch: Gesichte, 68 (Ende der zweiten Vision). STRAuSS: Illustrated Bartsch, XIII, 307 (Abb.). GRIMM: DWb, III, Sp. 1146; RÖHRICH: Redensarten, 396 u. 398; vgl. auch Sebastian Brant: Das Narrenschiff. Hg. von J. KNAPE. Stuttgart 2005, 222 (Kap. 35: Von luchtlich zyrnen), wo das Motiv des Eselreiters bereits mit der Frau verbunden wird, die das Tier am Schwanz festhält. Georg Henisch: Teutsche Sprach vnd Weißheit. THESAuRVS LINGVAE ET SAPIENTIAE GERMANIAE […] Pars Prima. Augsburg 1616, Sp. 938. K. SCHREINER: Gregor VIII., nackt auf einem Esel. Entehrende Entblößung u. schandbares Reiten im Spiegel einer Miniatur der ‚Sächsischen Weltchronik‘. In: D. BERG/ H.-W. GOETZ (Hgg.): Ecclesia et regnum. Beiträge zur Gesch. von Kirche, Recht u. Staat im Mittelalter. FS F.-J. Schmale. Bochum 1989, 154–202. O. G. SCHINDLER: Eselsritt u. Karneval. Eine Kremser „Komödiantenszene“ von 1643 in Callots Manier. In: Maske u. Kothurn 39 (1998) 7–42. Zur Verrechtlichung des Brauchs vgl. J. GRIMM: Deutsche Rechts Alterthümer. II, Leipzig 1899 (Nachdr. Hildesheim u. a. 1992), 722 f.; SCHREINER: Gregor VIII., 179–181. STRAuSS: Illustrated Bartsch, XIII, 306, Nr. 161. Alle anderen Angaben nach HOLLSTEIN: German Engravings, XLVII, 138 f., Nr. 89. EP

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IX, 55

F 790

Ort Jahr Bild Text Format

Das Blatt verbindet Kritik am Fremdwortgebrauch mit einer Frauensatire. In sechs Bildfeldern werden verschiedene Verhaltensweisen von Frauen vorgeführt. Dabei sind die beiden großen Bildfenster links für die Darstellung kritisierten Verhaltens reserviert, während die Szenen der rechten Seite zunächst die Züchtigung des unbotmäßigen Weibes, dann das Bild einer vollkommenen Ehefrau und schließlich den irdischen und himmlischen Lohn für das Wohlverhalten präsentieren. Die Anordnung der Szenen sieht eine Abfolge von oben nach unten und dann kolumnenweise von links nach rechts vor, so dass auf das Fehlverhalten im Haus dasjenige außerhalb des Hauses folgt. In der zweiten Spalte bildet die Bestrafung der Frau den Übergang zum gewünschten Rollenbild der vollkommenen Mutter und Gattin, die ihren ehelichen Pflichten in Bett und Küche sowie bei der Kindererziehung nachkommt, um schließlich gepriesen und besungen und in den Himmel aufgenommen zu werden. Die vier ersten Zeilen der Textspalten sind in einer größeren Type gedruckt, sollen nacheinander gelesen werden und reklamieren für den Text, er sei freundlich, kurz, nutzlich und enthalte ein Lehr. Der Haupttext ist mit den Bildfeldern durch die Verweiszahlen 1 bis 20 verbunden. Die ersten anderthalb Spalten entwerfen in Form einer konditionalen Protasis alle Tätigkeiten und Eigenschaften eines ‚bösen Weibs‘, die von Putz- (3) und Verschwendungssucht (2, 6) bis zur Herrsch- (5) und Streitsucht (7, 11) reichen. Programmatisch steht der Vorwurf voran, dass die Frauen in allen, auch theologischen und politischen Angelegenheiten mitreden möchten und dabei auf der Basis ausgedehnter ‚Amadis‘-Lektüre Lateinisch Wörter evomirn und Gantz vngereimtes pronunciern. Damit ist die Redeweise des Textes vorgegeben, der mit einem einzigen durchgehenden Reim auskommt, der zu fast 90 Prozent aus Infinitiven von abgeleiteten fremdsprachlichen Verben besteht. Die Hypotasis beantwortet die konditionale Auflistung der weiblichen Verfehlungen mit der Aufforderung an den Mann, solches Verhalten mit Schlägen zu korrigieren, so dass die Frauen lernen mögen, Tugendsam sich [zu] moderiern und Deß Manns bevelch [zu] exquiern (14). Das anschließende Bild einer vollkommenen Ehefrau wird zu einem guten Teil durch die Negation der Kontrastfolie des ‚übel wibes‘ konstruiert (z. B. Hilfft doch wenig dein imploriern, Kein Haar außrauffen/ schreyen/ kirrn). Am Textende werden für solches Wohlverhalten allgemeines Lob (So will ich dich dann celebriern), die Liebe des Gatten und ewige Frewden im Himmel in Aussicht gestellt. Das Blatt gehört zu den in der Frühen Neuzeit beliebten Frauensatiren, deren böse Weiber eben122

Spiegel dich MVLIER.

(um 1630) Kupferstich Typendruck in 4 Spalten; 181 Knittelverse 50,1 ! 36,5; 22,5 ! 36,5

so überzeichnet waren wie die als Heilmittel empfohlenen drakonischen Prügelstrafen. Ihr offenbar hoher Unterhaltungswert machte sie für die Hersteller des marktabhängigen Kleinschrifttums besonders attraktiv, so dass die meisten der einschlägigen Texte als Flugblätter oder in Heftform erschienen sind (b I, 89⫺115; IV, 24⫺28; IX, 45⫺ 57).1 In vielen Fällen wurden zu den Blättern über die bösen Frauen männliche Gegenstücke verfasst, so dass sich der satirische Blick auf beide Geschlechter richtete (b I, 139 f.; IV, 27 f.; IX, 46⫺48). Auch für das vorliegende Blatt gab es ein männliches Pendant, das sich allerdings nur in einer Version erhalten hat, die zur Fassung a gehört.2 Hier werden dem Mann u. a. mit einer sich über 36 Verse erstreckenden anaphorischen Reihung eindringlich die schädlichen Folgen der Trunkenheit vor Augen geführt. Das Blatt schließt mit einem Segenswunsch zum Neuen Jahr, so dass vermutlich auch das Frauenblatt als Neujahrsgabe verschenkt werden konnte. Durch die fast durchgehende Verwendung von Fremdwörtern im Reim dominiert als Vorwurf gegenüber dem weiblichen Geschlecht, es würde die deutsche Sprache verunstalten. Als Ursache dieses alamodischen Sprachgebrauchs werden die Lektüre falscher Bücher und die Sucht nach Neuem insinuiert. Beide Ursachen gehören zur misogynen Idiosynkrasie, wenn es um die Empfänglichkeit des weiblichen Geschlechts für modische Neuerungen geht. Johann Michael Moscherosch (1601⫺1669) etwa führt die curiositas und insbesondere die Neugier der Frauen in mittelalterlicher Tradition auf den Sündenfall zurück:

sche Michel‘ auf,7 der in 15 seiner 50 Liedstrophen Infinitive auf -ieren zusammenstellte und reimte und dabei das vom ‚Spiegel dich MVLIER‘ vorgegebene Verfahren noch steigerte, indem er die inkriminierten Wörter in eine alphabetische Reihenfolge brachte.

Weitere Standorte:

Andere Fassungen: a)

München, BSB: Einbl. III, 55 [Titel: Spiegl dich Weib …; 3 Holzschnitte; MDCXXX.]

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KuNZLE: Comic Strip, 234. BAKE: Spiegel, 451 (Abb.).

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Neuer Korb; M. SCHILLING: Hose oder Schürze. Der Streit der Geschlechter u. seine Inszenierung in Johann Sommers ‚Ethographia Mundi‘. In: E. LABOuVIE (Hg.): Leben in der Stadt. Eine Kultur- u. Geschlechtergesch. Magdeburgs. Köln u. a. 2004, 137⫺149; S. S. TSCHOPP: Geschlechterkampf als Gesprächspiel. Frühneuzeitliche Ehesatire im Spannungsfeld von Affirmation u. Diskursivierung sozialethischer Normen. In: ST. AREND u. a. (Hgg.): Anthropologie u. Medialität des Komischen im 17. Jh. (1580⫺1730). Amsterdam/ New York 2008, 429⫺ 463; BAKE: Spiegel, 189⫺237, 291⫺308. Illustrierte Flugblätter, Nr. 26. Auch die Flugschrift ‚Spiegel dich MVLIER‘ (o. O. 1630) kündigt auf der letzten Seite ein männliches Gegenstück an: Hierauff Folgt: Spiegel dich selbst mein feiner Mann. Moscherosch: Gesichte Philanders, 76. Ebd., 145. (Christoph Schorer:) Der Vnartig Teutscher SprachVerderber. O.O. 1643, 14 f. Zur zeitgenössischen Kritik an der ‚Amadis‘-Lektüre vgl. H. WEDDIGE: Die ‚Historien vom Amadis auss Franckreich‘. Dokumentarische Grundlegung zur Entstehung u. Rezeption. Wiesbaden 1975, 181⫺234; H. SCHAFFERT: Der Amadisroman. Serielles Erzählen in der Frühen Neuzeit. Berlin/ Boston 2015, 260⫺280. Vgl. Schorer: Sprach-Verderber, 19 (Theologen), 25 (Juristen), 30 (Mediziner), 35 f. (Journalisten, Militärs); Johann Michael Moscherosch: Wunderliche und Wahrhafftige Gesichte Philanders von Sittewalt […]. Straßburg 1677, fol. Hh iijrf. (Alchimisten). Flugblätter Coburg, Nr. 134; PAAS VII, P 2108–2112. MSch

Eva/ vnsere Erste Mutter/ hat vns mit dem á la mode/ mit der Newsüchtigkeit/ mit der Newen speiß/ welche jhr doch verbotten ward/ in Leiden vnd Leyd gebracht.3

Anschließend lässt er das versammelte Tribunal der alten ‚teutschen Helden‘ scharfe Kritik an der Übernahme fremdländischer, insbesondere französischer und italienischer Sitten, Gebräuche und Moden üben, wobei neben der Kleidung, den Frisuren und Speisen auch das Wälsche Gewäsch der sprachlichen Mischmäscher beklagt wird.4 Die Auswirkungen der Lektüre verwerflicher Bücher auf den Sprachgebrauch prangert Christoph Schorer (1618⫺1671) an:

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So finden sich auch bey dieser Zeit viel Jungfrawen/ welche keinen schew tragen/ mit dergleichen frembden Wörtern den Jungen gesellen zu begegnen/ vnd jhre Frechheit damit an den tag zu geben […]. Ja/ wieviel lesen fleissiger in dem Amadis, Schäfereyen/ Arcadien, als in Gottes Wort?5

Vergleichbare Reihen fremdsprachlicher Verben, die mithilfe der Endung ‚-ieren‘ der deutschen Sprache eingepasst wurden, dienten meist dazu, die Unverständlichkeit von Fachsprachen zu kritisieren.6 Die Form der Sprachkritik auf dem vorliegenden Flugblatt griff 1641 der Verfasser des von Moscherosch zitierten Einblattdrucks ‚Der Teut-

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F 193

Ort Jahr Bild Text Format

Unter Verwendung von Doppeldeutigkeiten und Wortspielen wird die schwankhafte Geschichte einer Frau erzählt, die ihrem schlafenden Mann Geld stiehlt, ihn aber wecken muss, da sich die Geldtasche am Bauch der Frau verklemmt hat. Links im Bild liegt, auf ein voluminöses Kissen gelagert und mit Hemd und Nachthaube bekleidet, ein Mann in einem Baldachinbett und schläft. Den Einstieg ins hochgebaute Bett erleichtert eine Fußbank, vor der Pantoffeln des Schlafenden abgestellt sind. Weitere Bekleidungsteile liegen links auf einem Beistelltisch. Vor dem Bett steht eine unbekleidete Frau, die mit der Linken ihre unter einer Haube zurückgebundenen Haare rauft und den Mann zu wecken versucht, indem sie ihn am Arm rüttelt und laut ruft. Die Geste des Haareausraufens und die verzerrte Mimik verweisen auf den Schmerz, den eine Tasche bereitet, die sich mit ihrem Verschluss offenbar am Bauch der Frau verklemmt hat. Nach rechts fällt der Blick des Betrachters, der durch die perspektivische Verjüngung der Linien des gefelderten Fußbodens gelenkt wird, durch eine geöffnete Tür in einen Nachbarraum, in dem in simultaner Darstellung das zeitlich vorangehende Geschehen gezeigt wird: Die Frau steht an einem Tisch, auf dem der Mann weitere Kleidungsstücke abgelegt hat, und entnimmt dem geöffneten Geldbeutel Münzen, die sie auf den Tisch schüttet. In direkter Leseranrede erbietet sich der Erzähler, die Geschichte zu dem Bild vorzutragen, die sich in einer größeren elsässischen Stadt begeben habe: Ein Mann verwahrte sein Geld in einer großen Tasche, so dass seine Frau, die als zimlich faul, geschwätzig und dem Wein zugetan dargestellt wird, nicht kömm vbers Geld. Als er eines Abends betrunken eingeschlafen war, sei die Frau aus dem Bett gestiegen, um sich aus der Tasche Geld zu nehmen. Beim Schließen habe sich die Tasche am Bauch der Frau verklemmt, die mit dem Ruf die Tasch/ die Tasch ihren Mann um Hilfe angegangen sei. Dieser habe das Drängen seiner Frau aufgrund der Mehrdeutigkeit des Wortes ‚Tasche‘1 als sexuelle Aufforderung missverstanden, der nachzukommen er zweimal abgelehnt habe, bevor ihm der wahre Sachverhalt offenbar geworden sei. In einem Epilog deutet der Erzähler den Schwank als Warnung an alle Naschhafftigen Tasch- Flaschvnd Waschhafftigen Frauen, ihren Männern vbr die Taschen, also ans Geld zu gehen. Mit dem gescheiterten Versuch der Frau, sich heimlich einen Vorteil zu verschaffen, und der Wiederherstellung der alten Situation gehört die Geschichte zu jener Gruppe von Schwänken, die man unter der Kategorie ‚Ausgleichstyp‘ zusammengefasst hat.2 Schwankspezifisch ist auch die typisierte Personencharakterisierung: Die Frau erscheint mit ihren Eigenschaften der Faulheit, 124

Fürwitziger Weiber Taschen-Spiel/ Darinnen vermeldet

(Straßburg?) 1641 Kupferstich Typendruck in 3 Spalten; 97 Knittelverse (von Johann Fischart?, 1546/7–1590) 36,1 ! 27,2; 14,9 ! 22,5

Schwatzhaftigkeit, Naschsucht, Unehrlichkeit und ihrem Hang zum Alkohol als Verkörperung des ‚übelen wibes‘.3 Das Gegenbild dazu bietet der Ehemann, der als ehrlich und Eins erbarn Wandels zugethan hingestellt wird und unter beifälliger Kommentierung des Erzählers misstrauisch dafür sorgt, Das jhms Weib nicht kömm vbers Geld; dabei wird durch die Aussage, dass er seiner Frau ja die gantze Wochn/ Geld/ [gebe] einzukauffn/ zu Bradn vnd Kochn, vermieden, dass er als Geizhals erscheint. Die einzige Schwäche, die der Ehemann zeigt und die in der frühneuzeitlichen Literatur zum Standardrepertoire des Männerbildes gehört,4 besteht darin, dass er einmal sehr truncken vberauß nach Hause kommt, in einen betäubungsähnlichen Schlaf fällt und so seiner Frau erst die Gelegenheit eröffnet, sich über seine Geldbörse herzumachen. Die Geschichte einer Frau, die beim Bestehlen ihres Mannes ertappt wird, wäre allerdings als Gegenstand eines Flugblatts kaum attraktiv genug gewesen, wenn sie nicht die Möglichkeit zu sexueller Wort- und Situationskomik geboten hätte. Die sexuelle Bedeutung des Wortes ‚Tasche‘ (für die weibliche Scham) klingt schon im Titel (Weiber Taschen-Spiel) an,5 wird durch die Nacktheit der Frau und den Ort des Geldbeutels vor der Scham ins Bild gesetzt und führt schließlich im Text zu dem komischen Missverständnis, dass der Mann glaubt, seine Frau bitte ihn um sexuelle Zuwendung.6 Im Epilog wird dann das Wort in einer wahren Reimkaskade mit den Begriffen ‚Flasche‘, ‚waschen‘ (für ‚schwatzen‘), ‚Wasch‘ (pejorativ für ‚Frau‘) und ‚naschen‘ geradezu zu einem misogynen Syndrom verbunden. In der zweiten Vorrede zu seiner ‚Geschichtklitterung‘ zählt Johann Fischart eine Reihe satirischer Buchtitel auf, in die er auch viele seiner eigenen Werke aufgenommen hat. In einer Gruppe solcher eigenen Werke erscheint der Titel Flaschtasch, Taschflasch.7 Diese Formulierung, die wie der Titel der ältesten überlieferten Version des Flugblatts (Fassung b) auf das Wortspielerische abhebt, und ihr Kontext legen die Vermutung nahe, dass Fischart nicht nur eine Fassung des Blatts kannte, die schon 1575, im Jahr der Erstausgabe der ‚Geschichtklitterung‘, vorlag, sondern dass er deren Text selbst verfasst hat. Für die Fischartsche Autorschaft gibt es weitere Indizien: die Freude am Wortspiel, die Lokalisierung der Geschichte im Elsass, elsässisches Wortgut8 und der mutmaßliche Druckort Straßburg der Fassung b.9 Demnach handelt es sich bei dem Blatt um einen ähnlichen Fall wie bei Fischarts ‚Esel als Kunstrichter‘, der gleichfalls nur auf einem Flugblatt vom Anfang des 17. Jahrhunderts erhalten ist.10

Weitere Standorte: Berlin, SBPK: Einbl. 1641,1 m; Erlangen, UB: A II 13

Andere Fassungen: a) b)

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erschlossen, s. Kommentar [vor 1575] Zürich, ZB: Edr. 1620 Elsass Ia,2 [Fürwitziger Weiber Tasch/ Nasch/ Wasch/ vnnd Flaschen Leder; Impressum: Gedruckt im Jahr/ 1620] Wolfenbüttel, HAB: IE 114; Zürich, ZB: Edr. 1620 Elsass Ia,1 [Kurtzweilige Erzehlung einer Frawen in Elsaß; b I, 110]

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WÄSCHER, 90. Neuer Korb, 35. HOFMANN-RANDALL: Einblattdrucke, 55.

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GRIMM: DWb XXI, 149. H. BAuSINGER: Bemerkungen zum Schwank u. seinen Formtypen. In: Fabula 9 (1967), 118–136. BRIETZMANN: Böse Frau; E. MOSER-RATH: Frauenfeindliche Tendenzen im Witz. In: DIES.: Kleine Schriften zur populären Literatur des Barock. Hg. von U. MARZOLPH/ I. TOMKOWIAK. Göttingen 1994, 377–394. B. A. TLuSTY: Trinken u. Trinker auf illustrierten Flugblättern. In: HARMS/SCHILLING: Flugblatt in der Kultur, 178–203. J. MÜLLER: Schwert u. Scheide. Der sexuelle u. skatologische Wortschatz im Nürnberger Fastnachtspiel des 15. Jhs. Bern u. a. 1986, 41 (spilen in der taschen). Hinter der rüden Zurückweisung der Frau (Hat mich […] Der Teuffel mit deinr Tasch beschissn) könnte auch ein Hinweis auf ein eheliches Versagen des Mannes stehen. Der eifrige Vollzug der sexuellen Pflichten galt in der frühen Neuzeit als probates Mittel, die Ehefrau gefügig zu machen. Der Griff zum (männlichen) Geldsack wäre in dieser Perspektive als Ersatzhandlung der sexuell vernachlässigten Frau zu interpretieren. Fischart: Geschichtklitterung, 21. Die abschätzige Bezeichnung ‚Wasch‘ für ‚Frau‘ leitet sich vom französischen ‚vache‘ (Kuh) her und ist regional auf das Elsass begrenzt; vgl. GRIMM: DWb XXVII, Sp. 2212; E. MARTIN/ H. LIENHART: Wörterbuch der elsässischen Mundarten. Straßburg 1899–1907, II, 871. Der Kupferstich der Fassung b stammt vermutlich von dem Straßburger Stecher und Verleger Peter Aubry d. Ä. ‚Dulceis lusciniae modulos sententia vana […] Definitiva oder Endlicher Außspruch deß Esels‘. Nürnberg (um 1620); vgl. Illustrierte Flugblätter, Nr. 24. MSch

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F 73

Ort Jahr Bild Text Format Vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Flohliteratur verbindet das Blatt seine Satire auf die Frauen mit einem Seitenhieb gegen die Rosenkreuzer. Der Kupferstich entwirft vor den Augen des Betrachters eine Art Bühnenbild, dessen Künstlichkeit durch die Funktions- und Beziehungslosigkeit seiner architektonischen Elemente aufscheint; auf ihm werden 13 Frauen bei verschiedenen Verrichtungen gezeigt. Im Vordergrund links haben sich drei Damen zu einer Mahlzeit um einen Tisch versammelt. Auf einer Bank dahinter sitzen eine Spinnerin und eine Näherin, vor denen ein Hund auf dem Boden liegt und sich seinen Bauch leckt. Rechts anschließend führt eine Frau ein kleines Kind spazieren, das sich gerade nach einem Stück Obst niederbückt. Von rechts betritt eine weitere junge Frau die Szene, ohne dass sie eine erkennbare Tätigkeit ausführt. Im Hintergrund, der auf einer höheren Bildebene angeordnet ist, erblickt man folgende weibliche Gestalten: Links schreitet ein Mädchen einige Stufen hinauf, die zu einer zweigeteilten Schlafkammer führen, in der eine nackte Frau ein Laken ausschüttelt, während eine weitere rechts das Bettzeug nach Ungeziefer absucht. In der Architekturkulisse folgen rechts, von unten nach oben gestaffelt, drei Frauen, von denen die erste an einem bogenförmig gemauerten Herd (?) mehrere Töpfe auf dem Feuer zu überwachen hat, dieser Pflicht aber, wie die hell auflodernden Flammen andeuten, nur unvollkommen genügt. Eine zweite sitzt auf einem Absatz darüber und ordnet ihr Gewand, während die dritte oben vor einer Balustrade steht und Zahlen auf eine Tafel schreibt. Nahezu alle Gestalten sind bei ihren Tätigkeiten von einem unbezwingbaren Juckreiz befallen, der sie dazu bringt, sich an meist intimen Körperregionen zu kratzen und diese dabei den Blicken des Betrachters preiszugeben. Der Text ist in 13 nummerierte und zwei nicht abgesetzte Strophen ohne Nummer unterteilt. Jede nummerierte Strophe ist einer der abgebildeten Frauen zugeordnet. Dabei macht die Nennung der jeweils ausgeführten Tätigkeit die Zuordnung eindeutig. Die Sprecherin der ersten Strophe, in der prologartig das Publikum angesprochen und die Plage der Frauen durch die im Titel genannten Flöhe angeführt wird, ist durch keine spezifische Handlung kenntlich gemacht und daher mit der Frau vorne rechts zu identifizieren. Ohne erkennbare Systematik schließen sich an: die Spinnerin (II), die Näherin (III), die Frau mit dem Kind (IV), die unbekleidete Dame in der Schlafkammer (V), das Mädchen an der Balustrade (VI), die Frau auf dem Absatz darunter (VII), die Köchin (VIII), die drei Speisenden (IX-XI) und die Frau am Bett (XII). Jede Strophe variiert dasselbe Schema: Nach einem Anfangsrefrain (Jch dacht/ ich wolt …), der die Eingängigkeit des Liedes erhöht, wird die Störung durch die Flöhe angesprochen und deren Beseitigung bekundet. Der zweistrophige Epilog, der möglicherweise wieder der Prologsprecherin zuzuordnen ist, fasst die von den Flohbissen gezeichneten Frauen als Schwestern126

Beltz vnd Betth-Gravamina: Das ist

(Basel?, Wirkungsort des Stechers) (um 1620) Kupferstich (von Matthaeus Merian d.Ä.?, 1593–1650) Typendruck in 5 Spalten; 15 Strophen zu 8 Versen im Kreuzreim 41,4 ! 34,6; 26,4 ! 34,3 schaft Deß Rosencreutzes zusammen und bietet an, neue Mitglieder durch den Versand von Flöhen zu gewinnen. Das Blatt steht in der Tradition der sogenannten Flohliteratur, die seit dem ausgehenden Mittelalter sowohl in der humanistischen Satire wie auch in der volkssprachigen Literatur vielfach vertreten ist. Man wurde nicht müde, eine besondere Affinität des Ungeziefers zum weiblichen Geschlecht zu unterstellen, um auf diese Weise männlichen Sexualphantasien Vorschub zu leisten. Ob in lateinischen Fazetien, satirischen Enkomien und Epigrammen1 oder in volkssprachigen Liedern, Schwankbüchern und Konfessionspolemiken2 – immer wieder wurde an die männlichen Triebwünsche appelliert, im Geiste den Flöhen bei ihren Exkursionen zu den intimen Partien des weiblichen Körpers zu folgen.3 In epischer Breite hat Johann Fischart (1547– 1590) in seinem ‚Flöh Haz Weiber Traz‘ das Thema entfaltet.4 Im ersten Teil, in dem ein Floh vor Jupiter Anklage erhebt wegen der übermäßigen Grausamkeit der Frauen gegen ihn und seinesgleichen, werden ausgiebig die Feldzüge geschildert, welche die Flöhe an verschiedenen Orten und bei vielen Gelegenheiten gegen das weibliche Geschlecht unternommen hätten. Auch die als Verteidigungsrede angelegte Verantwortung der Weiber handelt den Kampf zwischen den Frauen und Flöhen in vielfältigen Situationsbeschreibungen ab. Dabei entsprechen etliche der beschriebenen Tätigkeiten, bei denen die Flöhe die Frauen überfallen, denen auf dem Flugblatt (Spinnen, Kochen, Schlafen, Schwatzen). Man könnte das Blatt geradezu als Ergänzung zum ‚Flöh Haz‘ lesen: Kommen dort nur die Flöhe und der Flöhkanzler, der als Advokat der Frauen auftritt, zu Wort, so sind es hier die Frauen selbst, die über ihr Vorgehen gegen die schwarzen Plagegeister berichten. Die Nähe des Blatts zum ‚Flöh Haz‘ lässt sich durch weitere Beobachtungen belegen. Zum einen wird der Kupferstich Matthäus Merian d. Ä. zugeschrieben, der von 1610 bis 1615 in Straßburg gearbeitet hatte, wo seit 1573 Fischarts Text in verschiedenen Auflagen erschienen war.5 Zum andern zitiert das Bild den Titelholzschnitt des ‚Flöh Haz‘: Die Spinnerin, die sich in den Rücken greift, die sitzende Näherin, die Frau mit dem Kind und das von rechts die Bühne betretende Mädchen erscheinen in identischer Reihenfolge auf dem Titelblatt der Ausgabe von 1577. Titel und Text spielen auf die Rosenkreuzer an, deren Existenz und Programm seit dem Erscheinen von Johann Valentin Andreaes (1586–1654) ‚Fama Fraternitatis‘ (1614) und ‚Confessio Fraternitatis‘ (1615) Gegenstand einer heftigen publizistischen Kontroverse waren, in welcher auch Flugblätter eingesetzt wurden (b IX, 83).6 Indem das Blatt den Brüdern vom Rosenkreuz eine Schwesternschaft zur Seite stellt, deren ‚Rosenkreuze‘ aus den blutig gekratzten Flohstichen bestehen, klinkt es sich mit einem satirisch-ironischen Seitenhieb in die Auseinandersetzung um die umstrittene Fraternität ein und versucht, an der öffentlichen Aufmerksamkeit, welche dieser Streit erregte, zu

partizipieren. Auch wenn sich die RosenkreuzerKontroverse über einen längeren Zeitraum erstreckte, dürfte das Blatt in deren Anfangsjahren um 1620 oder wenig früher entstanden sein. Das Blatt erlebte um die Jahrhundertmitte eine Neubearbeitung durch Sigmund von Birken (1626– 1681), der die Auseinandersetzung zwischen den Frauen und Flöhen in militärische Termini kleidete und wie schon Fischart zu einem Seitenstück des alten militia amoris-Topos ausbaute.7 Noch Ende des 17. Jahrhunderts griff der Kupferstich ‚Der Weiber Floh-Scharmitzel‘ auf das Figureninventar des vorliegenden Blattes zurück.8

Weitere Standorte: Andere Fassungen: a) b)

Coburg, Veste: II 128,1559 [Beltz- vnd Bett gravamina: Das ist/ Grosse Privat Beschwerung …] Nürnberg, StB: Einbl. Nürnberg 1641–1680 [HembdBeltz- und Bett-GRAVAMINA …; Nürnberg: Paul Fürst o.J.]

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WÄSCHER, 92. COuPE II, Nr. 117a. SCHILLING: Bildpublizistik, Nr. 126a.

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Heinrich Bebel: Facetien. Drei Bücher. Hg. von G. BEBERMEYER. Leipzig 1931, 125 (III, 53); Caspar Dornau: Amphitheatrum Sapientiae Socraticae Joco-Seriae. Hg. von R. SEIDEL. Goldbach 1995 (Nachdr. der Ausg. Hanau 1619), I, 23–27; Sebastian Scheffer: Poemata. Frankfurt a. M. 1572, fol. 106v. O. HOLZAPFEL: Liedverzeichnis. Die ältere deutschsprachige, populäre Liedüberlieferung. Hildesheim u. a. 2006, 322; Michael Lindener: Rastbüchlein und Katzipori. Hg. von F. LICHTENSTEIN. Tübingen 1883, 7 f.; Neithart Fuchs, V. 1943–51 (in: F. BOBERTAG [Hg.]: Narrenbuch. Berlin/ Stuttgart 1884, 220); Ein Dutzet Artlicher Gleichnuß/ mit dem Jesuiter vnd Floh. O.O. 1620; Celander: Verliebt-galante Gedichte. Hg. von H. HuSSEL. Berlin 1981, 45. Die Floia u. a. dt. maccaronische Gedichte. Hg. von C. BLÜMLEIN. Straßburg 1900; H. HAYN/ A. N. GOTENDORF : Floh-Litteratur (de pulicibus) des In- u. Auslandes vom XVI. Jh. bis zur Neuzeit. München 1913. Johann Fischart: Flöh Hatz Weiber Tratz. Hg. von A. HAAS. Stuttgart 1967; vgl. H.-J. BACHORSKI: Von Flöhen u. Frauen. Zur Konstruktion einer Geschlechterdichotomie in Johann Fischarts ‚Floeh Haz/ Weiber Traz‘. In: U. GAEBEL/ E. KARTSCHOKE (Hgg.): Böse Frauen, gute Frauen. Darstellungskonventionen in Texten u. Bildern des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Trier 2001, 253–272; M. SCHILLING: Skeptizistische Amplifikation des Erzählens. Fischarts Antworten auf die epistemische Expansion der Frühen Neuzeit. In: B. KELLNER u. a. (Hgg.): Erzählen u. Episteme. Literatur im 16. Jh. Berlin/ New York 2011, 69⫺89. WÜTHRICH: Merian, II, Nr. 247 (mit Abb. 120). A. WOLFSTIEG: Bibliographie der freimaurerischen Literatur, III, Leipzig 1913; Cimelia Rhodostaurotica. Die Rosenkreuzer im Spiegel der zwischen 1610 u. 1660 entstandenen Handschriften u. Drucke. Ausstellungskatalog Amsterdam/ Wolfenbüttel 1995. J. R. PAAS: Unbekannte Gedichte u. Lieder des Sigmund von Birken. Amsterdam 1990, 324–328 mit Abb. 31; SCHILLING: Bildpublizistik, 242 f. mit Abb. 33. Wilhelm Busch. Die Bildergeschichten zwischen Flugblatt u. Cartoon. Ausstellungskatalog Hannover 1982, Nr. 23 (mit Abb.); eine lateinisch-deutsche Fassung dieses Blatts bei HOLLÄNDER: Karikatur, 219. MSch

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Unter Verwendung eines Hunde-Vergleichs warnt das Blatt vor illegitimen Beziehungen zwischen Mann und Frau. Die Graphik setzt sich aus zwei komplementären Bildebenen zusammen. Links versuchen drei Männer einen tollwütigen Hund zu erschlagen, der vorher einen Mann gebissen hat. Sein Opfer ⫺ vorne links ⫺ zeigt mit seinen Gebärden, dass es sich mit Tollwut infiziert hat. Im Vordergrund rechts ist ein sich umarmendes und küssendes Paar zu sehen. Die Stadtsilhouette im Hintergrund verweist auf die bürgerliche Herkunft des Liebespaars, die auch durch die Kleidung markiert wird. Während der Baum und die Bodenpflanzen in der rechten vorderen Bildhälfte eine der Liebesbegegnung angemessene amoene Landschaft andeuten, spielt sich die Szene mit dem Hund in einer kargen, schmucklosen Umgebung ab. Der gravierte lateinische Text ist eng auf das Bild bezogen und bringt einen Vergleich einer Liebesbeziehung mit dem Biss eines tollwütigen Hundes. Beides sei von Schmerz und Leid begleitet, mache rasend und werde dem Opfer zum Verhängnis. Unter der rechten Bildhälfte werden die Proverbia Salomonis zitiert: Vnd erwisscht jn/ vnd küsset jn vnuerschampt/ vnd sprach zu jm […]. Er folget jr balde nach/ wie ein Ochse zur fleischbanck geführt wird/ vnd wie zum fesseln da man die Narren züchtiget (Spr 7, 13 und 22).

Während die lateinischen Distichen das Dargestellte genau beschreiben, präzisieren die alttestamentlichen Zitate das Mann-Frau-Verhältnis, in dem der Frau die Rolle der Verführerin und dem Mann die ihres närrischen Opfers zufällt; darüber hinaus stützen sie die Argumentation mit biblischer Autorität. Der deutsche Text ist eine erweiternde Übersetzung der lateinischen Verse; ganz unmittelbar spricht er eine Warnung vor einer todbringenden Liebesbeziehung aus. Diese wird sowohl im Titel als auch im Text durch Bezeichnungen wie Hurerey, Vnreinigkeit, vnzimblich[es] Liebesfewr und Buhlerey als uneheliches Verhältnis präzisiert und als solches verurteilt. Das Blatt hat die Form eines Emblems mit dem zweiteiligen Titel als Inscriptio, der Graphik als Pictura und den lateinischen und deutschen Versen unter dem Bild als Subscriptio. Es ist identisch mit dem Emblem X in der frühesten bekannten Ausgabe der ‚ΔΥΩΔΕΚΑΣ Emblematum sacrorum‘ des Nürnberger Predigers Johann Saubert;2 die fehlende Emblemnummer verweist jedoch darauf, dass es als Einzeldruck vertrieben wurde. Bekannt sind mehrere illustrierte Einblattdrucke pädagogisch-erbaulichen Charakters mit Texten Sauberts, an deren Gestaltung er wohl mitwirkte und die ein Teil seiner seelsorgerischen Tätigkeit 128

SCORTATIO FuGIENDA. Wider die Hurerey

(Nürnberg) (1625) Radierung (von Peter Isselburg, 1580?–1630; nach Michael Herr, 1591–1661) graviert in 2 Spalten, Typendruck; 2 lateinische Distichen und 20 deutsche Knittelverse von Johann Saubert (1592–1646)1; lateinische Bibelzitate 24,2 ! 15,5; 9,1 ! 12,6

waren.3 Ob sie als didaktische Hilfe bei den Predigten benutzt wurden, wie es manche Prediger praktiziert haben sollen, indem sie zur Veranschaulichung der verwendeten Sinnbilder Blätter mit Graphiken an die Kanzel hängten,4 bzw. sie vor der Kirche verkaufen ließen, ist nicht bekannt. Saubert hat zwar seine Predigten in emblematische Formen gegossen und wollte das, was in den Sonntäglichen Evangeliis vorgetragen wird gleichsam auff ein Tafel mahlen/ daß [die Zuhörer] desto besser mercken vnd fassen können, aber in einem Gemähld/ nicht zwar äusserlich/ oder vor Augen/ sondern innerlich in die Hertzen durch das Gehör.5

Das Flugblatt unterscheidet sich in der Behandlung seines Themas deutlich von den kirchlichen Texten Sauberts, die die voreheliche Liebe und den Ehebruch anprangern. Während die Hurerei in den Predigten als Todsünde bezeichnet wird, die wider die Ordnung GOttes verstoße und als Missetat nicht nur zum Straffambt auff der Cantzel gehöre, sondern auch von der Obrigkeit exemplariter gestrafft werden solle,6 entbehrt die Darstellung des Themas im Blatt sowohl der religiösen als auch der gesellschaftlichen Akzentuierung. Seine Zielsetzung besteht vordergründig in der Warnung vor einem Vergehen, dessen religiöse Dimension lediglich durch den Hinweis auf die Heilige Schrift angedeutet wird, ohne dass der Verfasser eine engere Beziehung zur Sünde herstellt. Es wird auch nicht gesagt, welcher Art Leid und Pein eine illegitime Beziehung verursacht. Die Darstellungsweise des in der Frühen Neuzeit gängigen Themas der verbotenen Liebe, die satirisch verspottet oder als ‚Hurerei‘ oder ‚Buberei‘ angeprangert wurde (b I, 100–103), hatte ihre Wurzeln in der Behandlung unehelicher Verhältnisse sowohl durch die Kirche, deren Morallehre sexuelles Begehren generell als Sünde verurteilte, als auch durch die Gesellschaft, der die Ehe als Fundament der gesellschaftlichen Existenz galt und in der das Sozialverhalten durch die weltliche Obrigkeit rechtlich geregelt wurde.7 Die eindeutige Rollenverteilung, die der Darstellungsweise des Liebesproblems im Blatt zugrunde liegt ⫺ die Frau als Versucherin, der Mann als Opfer ⫺ entsprach der geläufigen Vorstellung von der Macht der weiblichen Sexualität und der der Frau angeborenen Verführungskunst, die ihren Ursprung in der Gestalt Evas hatte.8 Die Herrschaft der Frau über den Mann, die sie über ihre sexuelle Energie gewann, wird hier nicht thematisiert, sondern als selbstverständlich vorausgesetzt. Demnach wird die Frau zwar als Quelle des Unheils dargestellt, aber nicht verurteilt. So liegt der Schwerpunkt der moralischen Aussage auf der Warnung des Mannes vor der weiblichen Macht, die ihn zum Narren machen und von Sinnen bringen kann. Damit knüpft das Blatt an die häufige Form der Liebes-Kritik an, die den Liebeswahn als Narrheit darstellte.9 Literarisch bekam diese

Kritik oft die Gestalt einer unterhaltenden Satire (b I, 89–92).

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Zu Leben und Werk Sauberts vgl. R. VAN DÜLMEN: Orthodoxie u. Kirchenreform. Der Nürnberger Prediger Johann Saubert (1592–1646). In: Zs. f. bayerische Landesgesch. 33 (1970), 636–786. Ein anderer Druck, gleichfalls Nürnberg 1625, hg. von D. DONAT. Nachdruck Hildesheim/ New York 1977. Die Radierungen im Buch stammen von Peter Isselburg und wurden nach Vorzeichnungen von Michael Herr gefertigt. W. TIMMERMANN: Die illustrierten Flugblätter des Nürnberger Predigers Johann Saubert. In: Bayerisches Jb. f. Volkskunde 1983/84, 117–135. D. W. JÖNS: Die emblematische Predigtweise Johann Sauberts. In: W. RASCH u. a. (Hgg.): Rezeption u. Produktion zwischen 1570 u. 1730. FS G. Weydt. Bern/ München 1972, 137–158, hier 146. Solche Predigten wurden posthum in einer durchgehend mit Kupferstichen versehenen Sammlung ediert: Johann Saubert: GEJSTLJCHE GEMAELDE Vber die Sonn- vnd hohe Festtägliche EVANGELJA Sambt etlichen andern Predigten Aus den Sprüchwörtern Salomonis/ den Propheten/ vnd Episteln deß H. Apostels Pauli [2 Teile und ein Anhang mit eigener Zählung]. Nürnberg 1652. Zitat: Erster Theil, fol. [v4]r. Ebd., Erster Theil, 132 und 393 f.; Andrer Theil, 390 f.; Anhang, 145. JANSSEN: Geschichte, VIII, 473–484; MOSER-RATH: Schwank, 86–108; ROPER: Haus. Vgl. etwa Albertinus: Lucifers Königreich, 223–275. S. auch H. SCHÜNGEL-STRAuMANN: Mann u. Frau in den Schöpfungstexten von Gen 1–3 unter Berücksichtigung der innerbiblischen Wirkungsgesch. In: T. SCHNEIDER (Hg.): Mann u. Frau ⫺ Grundproblem theologischer Anthropologie. Freiburg i. Br. u. a. 1989, 142–166; G. BECKER u. a.: Zum kulturellen Bild u. zur realen Situation der Frau im Mittelalter u. in der frühen Neuzeit. In: Aus der Zeit der Verzweiflung. Zur Genese u. Aktualität des Hexenbildes. Frankfurt a. M. 1977, 11–128; M. JONAS: Idealisierung u. Dämonisierung als Mittel der Repression. Eine Untersuchung zur Weiblichkeitsdarstellung im spätmittelalterlichen Schwank. In: S. WALLINGER/ M. JONAS (Hgg.): Der Widerspenstigen Zähmung. Studien zur bezwungenen Weiblichkeit in der Literatur vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Innsbruck 1986, 67–93; E. MOSER-RATH: Frauenfeindliche Tendenzen im Witz. In: Dies.: Kleine Schriften zur populären Literatur des Barock. Hg. von U. MARZOLPH/ I. TOMKOWIAK. Göttingen 1994, 377–394. Vgl. z. B. Moscherosch: Gesichte, 69–108; (Abraham a Santa Clara): CENTI-FOLIuM STuLTORuM […] Oder Hundert Ausbündige Narren. Mit einem Nachwort hg. von W. DEuFERT. Dortmund 1978 (Nachdr. der Ausg. 1709), 29–33. Für weitere Beispiele vgl. BOLTE: Bilderbogen (1909), 51–82, hier 55–58. EP

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Das Blatt warnt davor, Kinder aus übermäßiger Elternliebe zu verwöhnen. Die Graphik bietet einen Blick auf einen Innenhof nach Art der niederländischen ‚hofjes‘, der links von einem Baum, hinten von einer Mauer und einem kleinen Wohnhaus und rechts von einem im Erdgeschoss offenem Palais begrenzt wird. In dem hofje spielen sich mehrere lebhafte Szenen ab, an denen vorwiegend Kinder beteiligt sind. Nach dem Muster der Altersstufen zeigen sie von rechts eine Amme (?) mit einem Säugling auf dem Arm im Gespräch mit einem Paar, vermutlich den Eltern, die dem Kind Säcke und Beutel voll Geld entgegenhalten. Weiter unten sitzt auf der Treppe des Hauses ein kleines Kind und schüttet aus einem Geldbeutel Münzen in die ausgestreckte Hand eines neben ihm kauernden Affen. In der Bildmitte vorne reitet ein Mädchen ein Steckenpferd in Begleitung eines mit Spieß und Degen ausgerüsteten Knaben; vor ihnen liegt umgestürzt auf dem Boden eine Trommel. Links unter dem Baum vergnügt sich ein junges Paar mit Lautenspiel. Alle Kinder tragen aufwändige, modische Kleidung. Zwei Männer beobachten erschrocken, wie im Hintergrund ein Knabe von einem Pferd stürzt. Links davon weist eine Frau einen Mann von dem Hof. Die Szenerie bevölkern zahlreiche Tiere und Vögel. Das Gebäude rechts demonstriert mit seiner Größe und seinem Zierrat den Wohlstand der Bewohner. Zu den Verzierungen gehört ein ovales wappenartiges Bild mit der Darstellung des Chronos als Symbol der vergehenden Zeit. Der Brunnen im linken Bildmittelgrund besteht in seinem Hauptteil aus einer dreiteiligen Skulptur: Zwei Figuren alter Menschen tragen eine Schale mit drei Putti; diese halten eine geflügelte und bekrönte Kugel, die der Frau Weltund Fortuna-Ikonographie entstammt und die Vergänglichkeit und Unsicherheit menschlichen Glücks betont, das auf materiellen Gütern aufbaut.2 Der umfangreiche Titel und der metrische Text, der sich direkt auf die Graphik bezieht, ergänzen sich inhaltlich und ergeben zusammen die Aussage des Blattes. Während der Titel Forderungen an die Eltern stellt, sie sollten ihre Kinder mit höchstem Eifer und allen Mitteln in der Furcht Gottes erziehen mit dem Ziel, das ewige Gut zuerlangen, konstatiert der Text unter dem Bild als bedauernswerte Tatsache, dass die Eltern in ihrer blinden Liebe übereifrig und unter Vernachlässigung ihrer gesellschaftlichen Pflichten für das leibliche Wohl ihres Nachwuchses sorgten und dabei seine geistige Erziehung vergäßen, womit sie das Seelenheil der Kinder gefährdeten. Die letzten Zeilen veranschaulichen die tragischen Folgen einer solchen verfehlten Erziehung im Bild des Sturzes vom Pferd. 130

Dieser Figur eigentlicher Verstandt/ vnd trewhertzige Außlegung

Straßburg 1634 Kupferstich (von Friedrich Brentel?, 1580⫺1651; nach David Vinckboons, 1578⫺1629, und Pieter Serwouters, 1586⫺1657; s. Fassung a) Typendruck in 2 Spalten; 24 Knittelverse von C.B. (Caspar Brülow, 1585–1627)1 Elias Hugwart (1586⫺1657?) 31,6 ! 21,6; 15,7 ! 18,5

Die frühneuzeitliche Erziehungsproblematik bewegte sich in ihren Grundsätzen zwischen zwei Extremen, zwischen der durch das Blatt thematisierten übertriebenen elterlichen Zuneigung und Nachgiebigkeit gegenüber den Kindern auf der einen Seite3 und der körperlichen Züchtigung auf der anderen, die als allgemein anerkannte Methode bis ins 19. Jahrhundert hinein eifrig praktiziert, aber genauso umstritten und nach dem Motto Wu wort nicht helffen/ do helffen selten schlege kritisiert wurde.4 Zwischen diesen beiden Eckpunkten lagen zwei weitere Grundfragen der Erziehung: das vom Blattverfasser ausgesparte Problem der Autorität der Eltern, deren Lebensführung eine Vorbildfunktion haben sollte5 sowie das der rigorosen religiösen Erziehung als elterliche Hauptpflicht, die das Blatt durch die Betonung des Weltlichen ⫺ hier in Form der über das erforderliche Maß hinaus gehenden Befriedigung materieller Bedürfnisse der Kinder ⫺ verletzt sieht. Im Text wird die Schuld am Verwöhnen der Kinder der Mutter zugeschrieben, die damit den tugendhaften Vater zu Zorne anreize. Mit dieser weit verbreiteten Zuweisung6 vertritt der Blattautor die konservative Auffassung der Rollenverteilung in der frühneuzeitlichen Familie, nach der die Fürsorge für die Nachkommen, vor allem in den ersten drei Lebensjahren, der Frau oblag, während der Vater als Vorstand des Hauses für das Funktionieren des Hausstandes zu sorgen hatte (b I, 25–30, 44a u. a.).7 Die Tierfiguren in der Graphik unterstützen auf der allegorischen Ebene die Aussage des Blattes. Für die Laster der superbia und Eitelkeit stehen der Pfau und der Truthahn (b I, 32, 128).8 Auf die blattimmanente Bedeutung des Pferdes als die des Überflusses, den die Kinder von ihren Eltern erfahren und an dem sie zugrunde gehen,9 verweist die abschließende Passage des Textes. Inwieweit weitere Aspekte der Pferde-Symbolik, wie etwa das Pferd als Sinnbild von Trägheit durch Wohlleben,10 der Konflikt zwischen Pferd und Reiter als Antagonismus zwischen Körper und Geist, als Beherrschung der natürlichen Triebe11 bei der Konstruktion der allegorischen Bildebene mitgedacht wurden, lässt sich genauso wenig entscheiden wie die mögliche Auslegung des Hundes als Sünde12 oder des Affen als Sinnbild von Nachahmungstrieb, Modenarrheit (b I, 32, 128 f.; IX, 66) oder einer übertriebenen Elternliebe.13 Hugwart hatte im selben Jahr schon ein anderes Blatt aus dem Nachlass seines Schwagers publiziert (b IX, 3). Es liegt daher die Vermutung nahe, dass auch das vorliegende Blatt eine Neuauflage einer nicht mehr nachweisbaren älteren Fassung ist. Beide Blätter mit den Texten Brülows haben niederländische Kupferstiche von Pieter Serwouters nach David Vinckboons zur Vorlage.

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Amsterdam, RM; Chicago, Art Institute; München, GS; Rotterdam, Museum Boijmans van Beuningen; Wien, Albertina14 [Kupferstich von Pieter Serwouters nach Daniel Vinckboons, 1608] erschlossen [ältere zu Lebzeiten des Autors erschienene Ausgabe] J.-M. VALENTIN: Humanisme chrétien et baroquisation de la scène à Strasbourg (1581–1626). Caspar Brülow, le théâtre et la ville. In: CH. CAEMMERER (Hg.): Das Berliner Modell der Mittleren Deutschen Literatur. Beiträge zur Tagung Kloster Zinna 29.9.⫺01.10.1997. Amsterdam u. a. 2000, 175–189; M. HANSTEIN: Caspar Brülow (1585⫺1627) u. das Straßburger Akademietheater. Lutherische Konfessionalisierung u. zeitgenössische Dramatik im akademischen u. reichsstädtischen Umfeld. Berlin/ Boston 2013. Zur Kugel als Attribut Fortunas und der ‚Frau Welt‘ vgl. G. KIRCHNER: Fortuna in Dichtung u. Emblematik des Barock. Tradition u. Bedeutungswandel eines Motivs. Stuttgart 1970; SCHILLING: Imagines Mundi, 102–128. Weitere Beispiele aus den zeitgenössischen Predigten bei MOSER-RATH: Leviten, 152 f. Hieronymus Schenck von Siemau: Ein newes vnd hubsches buchlein kinderzuchte genant. Würzburg 1502 (Nachdr. hg. von M. PINTHER. Hamburg 1996), 44 f.; Conrad Meyer: Spiegel der Christen. Zürich 1652 (Nachdr. Zürich 1981), Nr. VI; MOSER-RATH: Leviten, 160–163; G. SCHOCH: Die Bedeutung der Erziehung u. Bildung aus der Sicht des Erasmus von Rotterdam. Zürich 1988, 227–234. Albertinus: Lucifers Königreich, 179 f. MOSER-RATH: Leviten, 156–158. So predigte z. B. Cyriacus Spangenberg: Es sollen auch die Mütter jhren kindern/ hinder den Vättern nicht zu milte sein/ vnnd jhnen heimlich gelt zu schantzen/ das sie zu bulen/ spilen/ vnd zu sauffen haben, dann gar oft auff dise weise/ feine Kinder verderbet werden. In: Ehespiegel. Straßburg 1577, Bl. LXXXIr; vgl. auch Bl. LXXVIIr–LXXXIIIIr. D. LORENZ: Vom Kloster zur Küche: Die Frau vor u. nach der Reformation Dr. Martin Luthers. In: B. BECKER-CANTARINO (Hg.): Die Frau von der Reformation zur Romantik. Die Situation der Frau vor dem Hintergrund der Literatur- u. Sozialgesch. Bonn 1980, 7–35, bes. 23f.; VAN DÜLMEN: Kultur, 38–55. Der Truthahn kann auch für Dummheit stehen; vgl. L. L. MÖLLER: Der Indianische Hahn in Europa. In: Art the Ape of Nature. FS H. W. Janson. New York 1981, 313–340. Vgl. M. BAuM: Das Pferd als Symbol. Zur kulturellen Bedeutung einer Symbiose. Frankfurt a. M. 1991, 170– 180. HENKEL/ SCHÖNE: Emblemata, 497. Vgl. WANG: Miles Christianus, 129–137. LCI II, 334 f. HENKEL/ SCHÖNE: Emblemata, 428–430; H. W. JANSON: Apes and Ape Lore in the Middle Ages and the Renaissance. London 1952, Nachdr. Nendeln (Liechtenstein) 1976. Nachweise (bis auf Chicago) nach HOLLSTEIN: Dutch Etchings 26 (1982), 238 f. EP

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Ort Jahr Bild Text Verleger Format Zustand

Mit der Darstellung des Kinderschrecks liefert das Blatt ein Mittel der Kinderdisziplinierung. Das Bild wird von der Gestalt eines wild aussehenden Mannes dominiert. Sein ungekämmtes Haar, langer Schnurr- und Backenbart, ein Dolch am Gürtel sowie ein geflickter Sack, aus dem ein Kind mit einer Hilfegeste herausschaut, sollen angsteinflößend wirken. Ein anderes Kind, das gerade in seinem weit aufgerissenen Maul verschwindet, lässt keinen Zweifel an der Identität des Mannes als eines Kinderfressers. Er streckt die Hand nach einem weiteren Kind aus, das Zuflucht bei seiner Mutter sucht. Die Szene spielt sich vor einem Haus ab, sonst lenkt nichts die Aufmerksamkeit von der Hauptfigur und ihrer Funktion ab. In den vier Zeilen oberhalb des Bildes stellt sich der Kinderfresser als jemand vor, mit dem sich die Mütter Gehorsam bei ihren unartigen Kindern zu verschaffen versuchen. Der Text darunter wird der Mutter in den Mund gelegt, die ihrem Kind den Kinderfresser mit seiner beängstigenden Gestalt beschreibt, wie sie das Bild wiedergibt. Er schleiche sich in Häuser ein auf der Suche nach greinenden Kindern, die er fange und in sein Häuschen bringe, um sie dort zu verspeisen. Der Monolog schließt ab mit einer Mahnung an das Kind, ruhig zu sein und nach Hause zu kommen, sonst würde es die Mutter dem Mann geben. Zu den Erziehungsmaßnahmen bei kleinen Kindern gehörte der seit dem 16. Jahrhundert dokumentierte Einsatz von Schreckgestalten, die fast unverändert bis ins 18. Jahrhundert hinein tradiert wurden.3 Es handelte sich um einen Mann, seltener um eine Frau (Butzenbercht),4 die unartige Kinder von den Eltern und von Zuhause wegholen und sie dann verschlingen sollten. Die Figur dieses Kinderschrecks ist stereotyp mit Eigenschaften ausgestattet, die auf seine Funktion zielten: Er ist groß und wirkt ungepflegt ⫺ mit Bart (beim Mann), langen, wirren Haaren und geflickter oder zerrissener Kleidung, oft trägt er lange Stiefel, um schnell laufen zu können; zu seinen Attributen gehört stets eine Tasche, ein Korb oder ein Sack, in denen er die gefangenen Kinder transportieren kann; manchmal ist er mit einer bedrohlichen Waffe ausgestattet, einem Messer, einer Hacke, einem Knüppel etc.5 Die Figur des Kinderfressers ist Mitglied einer weit verzweigten Familie von Fantasiegestalten volkstümlichen Ursprungs, die Mythen, Märchen und Volkssagen bevölkern und auch in der Literatur zu finden sind.6 Auf den volkstümlichen Ursprung verweist eine frühe Darstellung des Kinderfressers in einem schweizerischen Bauernkalender für das Jahr 1564.7 Sowohl der Text als auch der ihn illustrierende Holzschnitt sind weitgehend mit den späteren Darstellungen vergleichbar. Als ein bäuerlich gekleideter Mann 132

Der Kinderfresser.

Augsburg (um 1620)1 Holzschnitt Typendruck in 2 Spalten; 4 und 24 Knittelverse Lorenz Schultes (Schultheis; *1571, tätig 1608–1628)2 28,2 ! 15,6; 28,4 ! 15,6 Rand koloriert

mit einer Kiepe voll nackter Kinder und einem Kind in der Hand, das er sich gerade zum Mund führt, erscheint Saturn in einer höfischen Invention von 15848 und als mechanische Figur in dem Nürnberger Schembartbuch von 1508;9 hier wurde die vertraute Ikonographie des Kinderfressers auf den seine Kinder verschlingenden antiken Gott übertragen. Die Verwendung der Kinderfresser-Figur und der ihm verwandten Figuren eines Nikolaus, Knecht Ruprecht oder Krampus als Disziplinierungsmaßnahme in der Kindererziehung10 gehörte ⫺ verglichen mit körperlicher Gewalt ⫺ zu den weniger drastischen Methoden, die alle mit Hilfe von Strafe und Furcht Gehorsam durchzusetzen versuchten(b IX, 59).11 Dass die Buhmannsdrohungen halbernst gemeint waren und wohl auch halbernst empfunden wurden, zeigt deutlich der erwähnte Schweizer Holzschnitt, auf dem einige Kinder den Kinderfresser zu überwältigen versuchen, indem sie mit Seilen an seinem Kopf zerren, bzw. mit dem Bogen nach ihm schießen. Eine Ausnahme bildet die frühe Darstellung (1520?) auf einem Holzschnitt von Hans Weiditz (um 1495–um 1537), auf dem die sieben Kinder, die der grotesk verzerrte Kinderfresser mitschleppt, entsetzt und verzweifelt wirken.12 Die Darstellung der Figur auf illustrierten Flugblättern entspricht in ihrer Einfachheit dem Vorstellungsvermögen der Kinder, an die die Blätter indirekt adressiert wurden. Von seiner Funktion her gehört der ‚Kinderfresser‘ in die unmittelbare Nähe zu der auf Flugblättern verbreiteten Figur des ‚Niemand‘ (b I, 48 f.; IV, 10; IX, 61), mit deren Hilfe man Kinder wie Dienstpersonal zu disziplinieren versuchte. Die gleiche konkrete Verwendung im häuslichen Bereich ⫺ etwa als Wandschmuck, Truhen- oder Schrankbild, wie sie für die ‚Niemand‘-Blätter wahrscheinlich gemacht worden ist,13 ⫺ galt wohl auch für die ‚Kinderschreck‘-Blätter, wie die Darstellung des Themas auf dem Bauernkalender nahelegt.

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WÄSCHER, 13. F. SIEBER: Volk u. volkstümliche Motivik im Festwerk des Barocks. Berlin 1960, Abb. 110. VOGEL: Bilderbogen, 28, Abb. 8. ALEXANDER/ STRAuSS II, 570. Die von WÄSCHER, 13, vermutete Datierung auf 1590 liegt zu früh für den nachgewiesenen Tätigkeitszeitraum des Verlegers. ALEXANDER/ STRAuSS II, 569; SCHILLING: Bildpublizistik, 208–213, 382–385. Anderes Geburtsdatum (um 1582) bei KÜNAST: Dokumentation, 1240. Mehrere Beispiele bei TH. BRÜGGEMANN/ O. BRuNKEN: Handbuch zur Kinder- u. Jugendliteratur von 1570 bis 1750. Stuttgart 1991, Nr. 1044 u. 1057. Vgl. Abb. bei BOESCH: Kinderleben, 88; BRÜCKNER: Druckgraphik, Nr. 114; ALEXANDER/ STRAuSS II, 489. Vgl. z. B. BRÜCKNER: Druckgraphik, Nr. 113; ALEXANDER/ STRAuSS I, 62 f. Zur Systematik der Kinderschreckgestalt und ihrer geographischen Verbreitung vgl. F. RANKE: Kinderschreck. In: HdA 4 (1932), 1366–1374. Einige Beispiele bei GRIMM: DWb XI, 736 f. Vgl. auch G. HENSSEN: Dt. Schreckmärchen u. ihre europäischen Anverwandten. In: Zs. f. Volkskunde 50 (1953), 84–97. Als Prototyp des Kinderfressers könnte wohl der ‚wilde Mann‘ angesehen werden, wie ihn Lucas Cranach um 1520 in einem Holzschnitt darstellte, vgl. W. E. PEuCKERT: Volksglauben des Spätmittelalters. Stuttgart 1942, 74 f. (mit Abb.). Zum Ursprung des Motivs im Sinne eines Höllenmotivs (der die Seelen fressende Teufel) vgl. J. KÜSTER: Spectaculum Vitiorum. Studien zur Intentionalität u. Gesch. des Nürnberger Schembart-Laufes. Remscheid 1983, 87– 89. M. RuMPF: Butzenbercht u. Kinderfresser. Beziehungen u. Beeinflussungen von Literatur u. volkstümlichen Vorlagen auf Brauch u. Glauben seit dem Mittelalter. In: Beiträge zur dt. Volks- u. Altertumskunde 19 (1980), 57–76; D. BAuDY: „Kinderfresser”. Ein europäischer Topos zur Verunglimpfung des ‚anderen‘. In: A. KECK u. a. (Hgg.): Verschlungene Grenzen. Anthropophagie in Literatur u. Kulturwissenschaften. Tübingen 1999, 257–271. E. WELLER: Alte Schweizer Kalender. In: Anzeiger f. Kunde der Dt. Vorzeit, NF 6 (1859), 367–369, hier 368. SIEBER: Volk, Abb. 110. WALZER: Liebeskutsche, 133, Abb. 189. BOESCH: Kinderleben, 84–88; A. SPAMER: Weihnachten in alter u. neuer Zeit. Jena 1937, 48–71. Vgl. z. B. E. WIRTH MARVICK, Natur u. Kultur. Trends u. Normen der Kindererziehung in Frankreich im siebzehnten Jh. In: L. DE MAuSE (Hg.): Hört ihr die Kinder weinen. Eine psychogenetische Gesch. der Kindheit. Frankfurt a. M. 1980, 364–421, hier 387–391. GEISBERG: Woodcut, IV, 1482. SCHILLING: Bildpublizistik, 218 f. EP

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Ort Jahr Bild Text Format

Das vermutlich als häuslicher Wandschmuck vorgesehene Blatt mahnt mit der weit verbreiteten Figur des Niemand Kinder und Gesinde zum sorgsamen Umgang mit dem Hausrat und der Wahrheit (b I, 48 f.; IV, 10). Der Holzschnitt zeigt einen Blick in eine Bauernstube. An der rückwärtigen Wand erstreckt sich eine Truhenbank. Oben ist ein vierteiliges, mit Butzenscheiben verglastes Fenster mit zur Seite gezogenem Vorhang in die Wand eingelassen. Rechts neben dem Fenster hängt über einem Halter eine lange Tuchbahn, links steht ein Wandschrank (?). Auf der rechten Seite erhebt sich ein großer Kachelofen. Auf dem Boden türmen sich allerlei zerbrochene Gerätschaften, Möbel und Gefäße. Durch dieses Gerümpel schreitet ein mit knielangem Gewand und Mütze bekleideter Mann, auf dessen Rücken sich ein langes Tuch bauscht. Vor sich hält er eine Lampe; sein Mund ist mit einem Vorhängeschloss verschlossen. Füße, Hände und Gesicht des Mannes wurden übermalt und ausgelöscht, um seine Unsichtbarkeit sichtbar zu machen. In simultaner Darstellung erscheint der Niemand ein zweites Mal hinder dem ofen. Zusammenfassend bekunden die oberen vier Verse die Verwunderung, dass die Schuld an jeglichem häuslichen Missgeschick stets dem ‚Niemand‘ zugeschoben wird. Die Verse unter dem Bild sind dem ‚Niemand‘ in den Mund gelegt. Er stellt sich dem Leser vor und sagt, er sei Dem Gsind vnd Kindern wol bekandt, die ihn für jedes zerbrochene Gefäß fälschlicherweise verantwortlich machten, ohne befürchten zu müssen, dass er sie verraten könne, da sein Mund ein marckschloß trag. Wenn die Herrschaft auf die Suche nach dem Schuldigen ginge, habe sich Nymands lengst verkrochen und sei gantz vnsichtbar. Am Schluss erfolgt die ironische Empfehlung an die Kinder, den hinder dem ofen zu bezichtigen, wenn sie etwas zerbrochen hätten. Die Personifikation des Niemand, die im Mittelalter mit einer Reihe von Legenden- und Predigtparodien bedacht wurde,1 brachte der Straßburger Barbier Jörg Schan (um 1465⫺nach 1533) erstmals mit den Ausflüchten zusammen, die das Hausgesinde oder Kinder machten, um nicht die Schuld für angerichtete Schäden im Haushalt zugeben zu müssen.2 Schans Flugblatt war der Ausgangspunkt für die europäische Erfolgsgeschichte des Motivs in Bild, Text und Musik.3 Dabei wurde die Personifikation für vielschichtige Satiren genutzt, die sich in allgemeinen Zeitklagen und konfessioneller Polemik niederschlagen konnten oder auch, entsprechend der benachbarten zeitgenössischen Utopie-Literatur, zwischen Wunschfantasie und Kritik oszillierten. Das vorliegende Flugblatt reiht sich in die harmlos-unterhaltsamen Mahnungen ein, mit denen 134

Der Nyemands.

(Augsburg?) (1. Viertel 17. Jahrhundert) Holzschnitt, schablonenkoloriert Typendruck in 2 Spalten; 4 und 20 Knittelverse 26,5 ! 15,3; 19,0 ! 15,3

Gsind vnd Kinder angehalten wurden, mit dem Hausrat sorgsam umzugehen und im Falle eines Schadens nicht anderen die Schuld zuzuschieben. Ikonographisch sind zwei Dinge hervorzuheben: Zum einen lassen sich die Haltung und die Laterne in der Hand des Nemo auf einen Stich von Pieter Breughel d. Ä. (1525/30⫺1569) zurückführen, auf dem ‚Jedermann‘ (Elck) mit der Lampe nach dem unauffindbaren Niemand sucht.4 Zum anderen ist die Auslöschung des Gesichts, der Hände und Füße zur Markierung der Unsichtbarkeit bemerkenswert; bei dem scheinbar funktionslosen Tuch auf dem Rücken des Niemand, das ebenfalls durch Übermalung ‚unsichtbar‘ gemacht wurde, dürfte es sich um den ältesten (?) Versuch handeln, eine Tarnkappe und ihre Wirkung darzustellen. Eine noch radikalere Lösung für das Problem, eine unsichtbare Person zur Anschauung zu bringen, fand man Anfang des 16. Jahrhunderts: Der Druck einer ‚Figura Neminis‘ weist lediglich einen leeren Rahmen auf, quia nemo in ea depictus.5 Die Aufmachung des Blattes mit dem Titel, einem gereimten Vorspann, dem großformatigen Bild und einem zweispaltig gesetzten Text entspricht in etwa den Einblattdrucken, die der Augsburger Briefmaler Lorenz Schultes (1571⫺nach 1626) publiziert hat (b I, 44a, 75; IX, 60). Dennoch muss die in der Forschung erfolgte Zuweisung an Schultes6 bezweifelt werden, weil dieser erstens seine Blätter in der Regel mit einem Impressum versehen hat, zweitens regelmäßig typographische Schmuckleisten zur Rahmung der Texte einsetzte und drittens nicht über die auf dem Blatt verwendeten Drucktypen verfügte.

Weitere Standorte:

Andere Fassungen: A1 A2

WÄSCHER, 12. ALEXANDER/ STRAuSS II, 571.

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J. BOLTE: Die Legende vom Heiligen Niemand. In: Alemannia 16 (1888), 193⫺201; DERS.: Von S. Niemand. In: Alemannia 17 (1889), 151; DERS.: Vom heiligen Niemand. In: Alemannia 18 (1890), 131⫺134; P. LEHMANN: Die Parodie im Mittelalter. Stuttgart ²1963, 185 f.; A. SPAMER: Wenn mancher Mann wüßte, wer mancher Mann wär …? In: Zs. f. Volkskunde 46 (1936/37), 134⫺ 149. J. BOLTE: Georg Schans Gedichte vom Niemand. In: Zs. f. vergleichende Literaturgesch. N.F. 9 (1896), 73⫺88. Vgl. auch MEuCHE/ NEuMEISTER, B 40. J. BOLTE: Zwei böhmische Flugblätter des XVI. Jhs. In: Archiv f. slavische Philologie 18 (1896), 126⫺137, hier 126⫺129; E. MEYER-HEISIG: Vom Herrn Niemand. In: Dt. Jb. f. Volkskunde 6 (1960), 65⫺76; G. CALMANN: The Picture of Nobody. An Iconographical Study. In: Journal of Warburg and Courtauld Institute 23 (1960), 60⫺104; LIEDE: Dichtung als Spiel, II, 218⫺221; R. GIORGI: La simbologia del ‚Niemand‘. In: Storia dell’arte 5 (1970), 19⫺33; P. K. SCHuSTER: Niemand folgt Christus nach. Voraussetzungen u. Veränderungen eines paradoxen Bildes. In: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums 1981, 28⫺43; M. BRAuN: Untersuchungen zu ‚Niemand‘. Beitrag zur Gesch. einer paradoxen literarischen Figur u. ihrer Darstellung im Bild. Stuttgart 1994; H. FRICKE: Niemand wird lesen, was ich hier schreibe. Über den Niemand in der Literatur. Göttingen 1998. H. MIELKE: Pieter Bruegel. Die Zeichnungen. (Turnhout) 1996, Nr. 41; vgl. de Bry: Emblemata, Nr. 8. In: Sermo pauperis Henrici de sancto Nemine. (Nürnberg um 1510); vgl. BOLTE: Legende, 199; M. BAYLESS: Parody in the middle ages. Ann Arbor 1999, 292. WÄSCHER, 12; ALEXANDER/ STRAuSS II, 571. MSch

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Ort Jahr Bild Text Verleger Format

Das Blatt richtet seine Satire gegen Liederlichkeit und Unsauberkeit in der Küche. Das Bild präsentiert dem Betrachter zwei Gestalten in halbfigurigem Porträt. Rechts stopft eine ältere Frau mit ihrem Daumen Wurstmasse durch einen kleinen Trichter in einen Schweinedarm. Die kräftigen, ausgearbeiteten Hände, das schlichte Gewand und die Haube geben die Person als verheiratete Frau aus einfachen Verhältnissen zu erkennen. Auffällig sind zum einen der Korb, der anstelle von Topf oder Schüssel als Arbeitsgefäß dient, und zum andern der Tropfenfänger, den sich die Frau unter ihre Nase gebunden hat und der der Szene etwas Satirisch-Degoutantes verleiht. Das satirische Moment verdeutlicht die zweite Figur: Sie trägt ein Narrenkleid und setzt sich durch Blickkontakt und höhnisch verzerrtes Lachen in ein ironisch-spöttisches Einvernehmen mit dem Betrachter. Der Spott richtet sich gegen die Frau, welcher der Narr seine Linke auf die Schulter gelegt hat, während die Rechte einen Zeigegestus ausführt. Die Szene spielt in einem Innenraum, der hinten durch ein Fenster erhellt wird. In der rechten hinteren Ecke sitzt als bildinterner Kommentar zu den hygienischen Ansprüchen der Wurstmacherin ein Schwein vor dem Kamin, in dem ein Kochtopf hängt. Die deutschen und französischen Verse, die einander inhaltlich weitgehend entsprechen, geben einen Dialog zwischen den beiden abgebildeten Personen wieder. Der Narr belustigt sich über den Korb als Gefäß und spricht der Frau ein ironisches Lob über ihre Sauberkeit aus. Diese Ironie legt auch der Autor an den Tag, wenn er der Wurstmacherin den Namen Fey Sawbers beilegt. Die Antwort der Frau auf die Anrede des Narren zeigt, dass sein ironisches Lob für bare Münze genommen wird: Die Sawberkeit halt ich sehr wehrt. Allerdings leitet die Sprecherin das Wort Sawberkeit, wie die folgende Begründung zeigt, vom Wort Saw ab. Dieses Tier halte sich infolgedessen vor dem Herd auf und laufe stetz herumb im haus. Im Zuge des in der frühen Neuzeit beschleunigten Zivilisationsprozesses hatten sich die Regeln am Tisch und beim Umgang mit Speisen zunehmend verfeinert. Dazu zählte eine wachsende Kontrolle bei der Ausscheidung von Körpersekreten wie auch eine wichtiger werdende Beachtung von Sauberkeitsstandards.1 Sie fanden ihren Ausdruck etwa in Anweisungen an die Köche: Die Küchenjungen [sollen] dahin vermahnet vnd gehalten werden/ daß sie nicht schmutzig vnd vnflätig/ sondern fein rein/ sauber vnd hurtig hereiner treten. Die Köche sollen täglich mit saubern weissen Seruieten/ Für vnd Kochtüchern/ vnd andern reinen weissen Hand vnd Absaubertüchern/ wol vnd genugsam versehen seyn.2

Sie bekunden sich in den schon stereotypen Klagen über unzuverlässiges Gesinde: 136

HEINTZMAN spricht. Holla Feygen des [Inc.]

(Köln, Wohnort des Verlegers 1588–1612) (1588) Kupferstich von Crispin de Passe d. Ä. (1564–1637) nach Hendrik Goltzius (1558–1617) graviert in 4 Spalten; 12 Knittelverse, 14 französische Paarreime Crispin de Passe d. Ä. 20,8 ! 24,6

Da saß die Magd beym hert vnd schlieff, Lautschnarchend durch die Nasen pfiff, Gleich wie ein alter acker Gaul. Die zotten hiengen jr ins Maul Vnd war vmbs maul faist vnd besudelt, Jnn klaydern geschmutzt vnd zerhudelt, Jr Hend weiß als der Ofen hert, Vnd in der kuchen an der erd Lag schüssel, pfannen vngespült, Sam het ein saw darinn gewült.3

Und sie äußern sich in Tischzuchten, die im ‚Grobianus‘ satirisch auf den Kopf gestellt werden, wenn es heißt: Wisch weder nasen oders maul. Dergleichen ding vnd kinderspil, Darauff soltu nicht achten vil. Nimb dich der großen hendel an, Vnd laß die nas den ritten han, Laß raußher tropffen widerumb, Daß es zu seinem vrsprung kumb, Vnd supp es dann gleich wider ein.4

In diesen Kontext ist auch das vorliegende Blatt zu stellen. Wie beim ‚Grobianus‘ ist das Lob über die Sauberkeit der Wurstmacherin nur ironisch zu verstehen. Der Tropfenfänger unter der Nase der Frau spiegelt in satirischer Verkehrung die Verwendung von Schnupftüchern, die sich im 16. Jahrhundert in den oberen Schichten der europäischen Gesellschaft durchgesetzt hatte. Indem der Autor die Frau das Lob des Narren für bare Münze nehmen und sie einen pseudo-etymologischen5 Zusammenhang zwischen den Wörtern Sawberkeit und Saw konstruieren lässt, fügt er ihrer Hässlichkeit und mangelnden Reinlichkeit auch noch die Dummheit als Eigenschaft hinzu. Die Hinweise auf die Sau basieren auf einer langen Auslegungsgeschichte des Schweins als unreinen Tiers.6 Sie haben aber auch eine speziellere Verankerung in der Bildwelt des europäischen Flugblatts vom 15. bis 19. Jahrhundert, wenn auf entsprechenden Darstellungen Säue anstelle der faulen und unsauberen Mägde die Hausarbeiten verrichten.7 Die Figur des Narren wurde 1588 von Mathias Quad von Kinckelbach (1557–1613) unter dem Titel ‚Wer weiss obs war ist‘ für eine satirische Darstellung gegen Leichtgläubigkeit und Neugier übernommen, die ihrerseits eine langanhaltende Rezeption erfuhr.8 Da de Passe sich erst im selben Jahr in Köln niedergelassen hatte und aufgrund des deutsch-französischen Textes kaum ein Zweifel daran bestehen kann, dass das Blatt in die Kölner Jahre de Passes gehört, muss der Stich unmittelbar nach der Ankunft des Künstlers in der Domstadt entstanden sein.

Weitere Standorte: Amsterdam, RM: P-1900-A-21960 (A 3); Brüssel, Prentenkabinet: S I 16035 4°, und: S II 81632 f° (A 3); Kopenhagen, Statens Museum for Kunst, Kobberstiksamling: 10,93 (A 3); Wien, Albertina, GS: HB 79.2, fol. 95,263 (A 3)

Andere Fassungen: A1 A2 A3

HOLLSTEIN: Dutch Etchings, XV, 215, Nr. 645. STRAuSS: Illustrated Bartsch, III, 348. The New Hollstein. Dutch and Flemish etchings, engravings and woodcuts, 1450⫺1700. Hendrick Goltzius. Teil 4, Ouderkerk ann den Ijssel 2012, Nr. 726.

1

N. ELIAS: Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische u. psychogenetische Untersuchungen. Frankfurt a. M. 1978, I, 194–219 (zum Schneuzen und Spucken). Marx Rumpolt: Ein new Kochbuch. Frankfurt a. M. 1581 (Nachdr. Hildesheim 2002), fol. 4v. Sachs: Fabeln und Schwänke, I, Nr. 40, V. 15–24. Friedrich Dedekind: Grobianus, verdeutscht von Kaspar Scheidt. Abdruck der ersten Ausgabe (1551) hg. von G. MILCHSACK. Halle a. S. 1882, Vers 3086–3093. Pseudo-etymologisch insofern, als auch ein frühneuzeitlicher Leser hier nicht eine ernst gemeinte, sondern eine fiktiv-satirische Wortherleitung erkannt haben dürfte. D. SCHMIDTKE: Geistliche Tierinterpretation in der deutschsprachigen Literatur des Mittelalters (1100– 1500). Diss. Berlin 1968, 405 f.; LCI 4 (1974), Sp. 134– 136; H.-J. UTHER: Schwein. In: EM 12 (2007), Sp. 393– 398. N. BOERMA: Spinning Pigs and Lazy Maid on European Popular Prints. In: BRINGÉuS/ NILSSON: Popular Prints, 273–285. SCHILLING: Bildpublizistik, Nr. 183 mit Abb. 1; R. HAGEN: Eulenspiegel-Bildnisse aus drei Jahrhunderten. In: Eulenspiegel-Jb. 26 (1986), 55–59. MSch

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HANS PENS ALIAS HANS WORST.

Ort Jahr Bild Text Format

(um 1560⫺1570) Kupferstich (Signatur: P. Breugel inuentor) graviert; 8 und 2 unregelmäßige niederländische Verse 40,2 ! 26,3

Weitere Standorte: Amsterdam, Rijksprentenkabinet: P-1896-A-19154

Das Blatt richtet seine satirische Kritik gegen das Laster der gula und zielt dabei besonders auf pflichtvergessene Landsknechte. Mit grimmiger Miene und wallendem Bart, die eine Hand in die Seite gestützt, mit der anderen eine Lanze haltend, die sich bei näherem Hinsehen als Bratenspieß entpuppt, stellt sich ein Landsknecht vor dem Betrachter in Positur. Ärmel und Pluderhose sind selbst nach Maßstäben der Mode des 16. Jahrhunderts extrem gebauscht und geschlitzt. Die satirische Qualität der Darstellung wird spätestens daran deutlich, dass sich die Kleidung des Landsknechts aus Viktualien zusammensetzt: Bratwürste verklammern aus Kutteln bestehende Stofffetzen, schwere Schinken bilden die voluminösen Bauschungen der Hose, Würste verzieren den als Schamkapsel dienenden Kalbskopf,1 hängen als Zierquasten am Ärmel und schmücken als Armreifen die Handgelenke. Um den Hals hängt eine Kette mit je drei miniaturisierten Kutterolfen und Stangengläsern (?). Der Hut besteht aus einem Topf, um den sich eine Girlande aus Obst und Gemüse windet. Die kurze Wehr des Mannes weist als Griff einen Hahnenkopf auf und steckt in einer geschuppten Scheide.2 Die theriomorphen Füße werden in den deutschen Versionen des Blatts (Fassung a und b) auf die sprichwörtliche Redensart ‚Nicht Fisch, noch Fleisch‘ und auf den opportunistischen Wechsel der Landsknechte zwischen den Kriegsparteien bezogen. Die Figur steht in einer offenen Landschaft; Karten, Würfel und weitere Trinkgefäße neben einem Baumstumpf verweisen noch einmal auf die Trunk- und auf die Spielsucht des Landsknechts. Die Verse im Bild neben dem Landsknecht üben harsche Kritik an seinem Verhalten: Er trinke sich um seinen Verstand, sei ehrlos und mache die Völlerei zu seinem Himmelreich. Der abschließende Vergleich mit einem Schwein vollzieht auf sprachlicher Ebene die Theriomorphose des Trinkers und identifiziert ihn mit dem Lastertier der gula.3 Der grobe Bursche hat mit Weisheit nichts im Sinn, weil er sich durch gieriges Essen und Trinken selbst dumm macht, all seine Freuden aus dem Bierkrug holt und sein Hirn mit Wein und Bier belädt. Er hat auf nichts Acht und wird nicht geachtet. Denn in ihm steckt nichts, was von einigem Wert wäre. Denn er achtet auf Erden allein auf Schlemmen und Völlern. Das ist für ihn der Himmel. Es sei ausdrücklich betont: Man kann ihn weniger als einen Menschen denn als ein dreckiges Schwein in Kleidern ansehen.

Der Paarreim unter dem Bild ist als Lebensmotto des Landsknechts zu lesen: Es ist besser, nach Essen und Trinken zu trachten als sich mit Disziplin abzuplagen.4

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Die sehr viel engere Abstimmung zwischen Bild und Text erweist die Präzedenz der deutsch-lateinischen Fassungen des Blatts. Daher ist die Angabe P. Breugel inuentor eine kalkulierte Fehlinformation, mit welcher der Stecher einerseits den bekannten Namen für einen gesteigerten Absatz des Blattes nutzen wollte und anderseits auf die innere Verwandtschaft der Gestalt mit dem grotesk-fantastischen Figurenarsenal etwa in den Sprichwortoder Lasterbildserien Brueghels (um 1525/30⫺ 1569) hinwies.5 Das Bild kombiniert zwei ikonographische Traditionsstränge: Zum einen hatte sich in der populären Druckgraphik des 16. Jahrhunderts der Typus des Landsknechtsbildes etabliert, auf dem sich ein Söldner in auffälliger, zuweilen exzentrischer Kleidung und Imponierpose dem Betrachter vorstellt.6 Zum anderen hatte sich im späten Mittelalter der Typus der Kompositallegorie herausgebildet, bei der heterogene allegorische Elemente sich zwar auf der Bedeutungsebene zu einem sinnvollen Ganzen verbinden, auf der Bildebene hingegen ein widersprüchlich-groteskes, aber auch einprägsames und Aufmerksamkeit heischendes Konglomerat ergaben.7 Die Figur des Hans Worst, die dann als Lustigmacher auf den Bühnen des 18. und 19. Jahrhunderts reüssierte,8 ist zuerst in der niederdeutschen Übersetzung von Sebastian Brants (1557⫺1521) ‚Narrenschiff‘ aus dem Jahr 1519 belegt (Kap. 76) und wurde dann durch Luthers Streitschrift ‚Wider Hans Worst‘ bekannt; in beiden Texten werden mit dem Namen Großsprecher bezeichnet, die Kenntnisse vortäuschen, die sie nicht besitzen. Auch wenn Aufschneiderei und Großmäuligkeit durchaus zum Repertoire der Landsknechtsdarstellungen gehörten,9 steht dem Blatt der Auftritt eines Bauern Haintz Wurst im Fastnachtspiel ‚Von krancken Baurn vnd einem Doctor sambt seinem Knecht‘ aus dem Jahr 1553 näher, der sich ⫺ wie schon seine Vorgänger in den Fastnachtspielen des 15. Jahrhunderts – von den schmerzhaften Folgen seiner Gefräßigkeit kurieren lassen möchte.10 Es bleibt offen, ob das Blatt eher Kritik an Landsknechten übt, die sich der Völlerei ergeben statt diszipliniert ihr Kriegshandwerk zu üben, oder ob es sich um eine generelle Satire auf das Laster der gula handelt, für die der Landsknecht lediglich als Exempel dient. Auf jeden Fall aber wird als Folge übermäßigen Essens und Trinkens ein Prozess der Entmenschlichung ausgemalt, wenn sich die Füße des Söldners in Bärenpranke und Fischschwanz verwandelt haben und wenn der Text in korrespondierender Randstellung das Humanum wysheyt der tierischen Existenz eines vuyl vercken gegenüberstellt. Eine theologische Grundierung der Lasterkritik bleibt weitgehend ausgeklammert und scheint allenfalls in dem Stichwort vom (falschen) Himmel des gula-Anhängers auf.

Andere Fassungen: a) b)

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Zürich, ZB: PAS II 4/2 [Holzschnitt; Titel: Dises Bilds Erklerung; deutscher und lateinischer Text; b VI, 103] Gotha, SM: 3,11 [wie a; Titel: Dises Bilds Erklärung; Monogramm auf dem Spieß: BV (mit Messer)] K. Stegbauer hat darauf aufmerksam gemacht, dass es sich um eine konkretisierende Umsetzung der metaphorischen Bezeichnung ‚Kalbs- oder Ochsenkopf‘ für die Schamkapsel handelt. Gleiches gilt für die ‚Bärentatze‘ als Name einer besonders breiten Form des Kuhmaulschuhs; b VI, 103. Zur Schamkapsel und ihren Konnotationen vgl. TH. LÜTTENBERG: The Cod-piece. A Renaissance Fashion between Sign and Artefact. In: The Medieval History Journal 8 (2005), 49⫺81; J. KLINGER: Pralle Beutel u. verspielte Potenz. Die ‚Schamkapsel‘ in der frühneuzeitlichen Körper- u. Geldökonomie. In G. LEHNERT (Hg.): Die Kunst der Mode. Berlin 2006, 135⫺ 170. Zu den sexuellen Konnotationen dieser Attribute vgl. K. STEGBAuER (b VI, 103). Animalisierung als Folge des Alkohols gehörte zu den häufig erhobenen Vorwürfen gegenüber der Trunksucht in der Frühen Neuzeit; vgl. Flugblätter des Barock, Nr. 27; Friedrich Dedekind: Grobianus. De Morum Simplicitate. Hg. von B. KÖNNEKER. Darmstadt 1979, 83 (Titelholzschnitt zum deutschen ‚Grobianus‘ von Caspar Scheidt); b I, 81 f. Für freundliche Unterstützung bei der Übersetzung danke ich Christoph Burger, Amsterdam. Vgl. die Abbildungen in: Pieter Breugel invenit. Das druckgraphische Werk. Ausstellungskatalog Hamburg 2001, und: The New Hollstein. Dutch and Flemish Etchings, Engravings and Woodcuts 1450⫺1700. Pieter Bruegel the Elder. Compiled by N. M. ORENSTEIN. Ed. by M. SELLINK. Ouderkerk a. d. Ijssel 2006 (obwohl hier auch Fehlattributionen aufgenommen sind, fehlt das vorliegende Blatt). M. ROGG: Landsknechte u. Reisläufer. Bilder vom Soldaten. Ein Stand in der Kunst des 16. Jhs. Paderborn u. a. 2002; B. VON SEGGERN: Der Landsknecht im Spiegel der Renaissancegraphik um 1500⫺1540. Diss. Bonn 2003; H. BLOSEN/ H. PORS (Hgg.): Landsknechte bei Hans Sachs. Alte u. neue Landsknechtstexte auf Einblattdrucken mit Holzschnitten. Berlin 2016; zur vielschichtigen Funktionalität dieser Blätter vgl. H. IRLER: Heroisierung – Ironisierung – Verspottung. Landsknechtflugblätter u. ihr historischer Erkenntniswert. In: HARMS/ MESSERLI: Wahrnehmungsgeschichte, 85⫺108. W. BLANK: Zur Entstehung des Grotesken. In: W. HARMS/ L. P. JOHNSON (Hgg.): Deutsche Literatur des späten Mittelalters. Berlin 1975, 35⫺46; M. CuRSCHMANN: Facies peccatorum – Vir bonus. Bild-Text-Formeln zwischen Hochmittelalter u. früher Neuzeit. In: ST. FÜSSEL/ J. KNAPE (Hgg.): Poesis et pictura. Studien zum Verhältnis von Text u. Bild in Handschriften und alten Drucken. FS Dieter Wuttke. Baden-Baden 1989, 157⫺ 189; P. MICHEL (Hg.): Spinnenfuß u. Krötenbauch. Genese u. Symbolik von Kompositwesen. Zürich 2013. H. ASPER: Hanswurst. Studie zum Lustigmacher auf der Berufsschauspielerbühne in Deutschland im 17. u. 18. Jh. Emsdetten 1980; E. M. ERNST: Zwischen Lustigmacher u. Spielmacher. Die komische Zentralfigur auf dem Wiener Volkstheater im 18. Jh. Münster u. a. 2003. IRLER: Heroisierung, 96 f. Die dramatischen Werke des Peter Probst (1553⫺1556). Hg. von E. KREISLER. Halle a. S. 1907, 91⫺106, hier 99⫺110, 104 f. MSch

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IX, 64

F 1091

Des Seckels Jämmerlicliche [!] Klag vber seinen Herren

Ort Jahr Bild Text Format

(zwischen 1615 und 1619) Radierung graviert in 2 Spalten; 36 Knittelverse 21,4 ! 17,0

In Form eines Gesprächs zwischen einem Geldbeutel und seinem Besitzer gibt das Blatt die Armut als Folge verschwenderischer Lebensweise aus. Durch einen senkrechten Mast mit einem Richtrad im Hintergrund wird das Bild in zwei Hälften geteilt, die jeweils von den zwei im Blatttitel genannten Hauptakteuren besetzt sind. Rechts läuft der bettelarm aussehende Herr ⫺ in Unterwäsche, mit ausgefranster Hose, barfuß und ohne Kopfbedeckung ⫺ auf einen Baum zu und streckt die Hand nach einem von einem Ast herabhängenden Strick aus. Links im Bild schwebt ein zerrissener Geldsack, der von Hagel und Blitz getroffen wird. Die leer stehenden, verfallenen Häuser im Hintergrund, die wüste Landschaft ohne jegliche Pflanzen und der blattlose Baum, dessen Stamm zur Hälfte morsch und hohl ist, unterstreichen die trostlose Atmosphäre des Untergangs und markieren den Ort als locus desertus.1 Der Text verteilt sich auf zwei Sprecher. Zunächst äußert sich Der Herr des Seckels. Er klagt über den Verlust materieller Güter (Hauß vnd Hof, Vieh, Äcker vnd Wiesn) und erzählt, wie er sich durch tage- und nächtelange Ausschweifungen mit fressen, sauffen, lärmendem Toben (gerasselt, frisch gesungen, Bin vber Tisch vnd Bänck gesprungen)2 und Glücksspiel ⫺ genannt werden Hundert vnd eins und Peres Spiel3 ⫺ ruiniert habe. Jetzt, da er ganz verarmt sei, bleibe ihm nichts anderes übrig, als sich aufzuhängen. Abschließend nimmt er Abschied von seinem Seckel. Der Seckel schließt in seiner Textpartie direkt an die Aussage seines Besitzers an, indem er ihn in seiner verzweifelten Entscheidung bestätigt. Da der Geldbeutel selbst durch die boßheit und die Tyrannisch weiß, auf die der Mann mit ihm umgegangen sei, gelitten habe ⫺ wofür Blitz und Hagel stehen ⫺, habe er kein Mitleid mit ihm. Die größte Zahl der Flugblätter mit Geldthematik ist in der Kipper- und Wipperzeit (1619–1623) und den vorangehenden Jahren entstanden, als sich die nahende Inflation in der Verschlechterung der materiellen Lage ankündigte (b IX, 82). Neben den Flugblättern, die unmittelbar oder indirekt auf die wirtschaftliche Situation reagierten (b I, 162 f., 165, 167; IX, 82), gab es solche, die allgemein den Verlust des Reichtums eines Individuums unter konkreten von ihm verschuldeten Umständen thematisierten. Darunter finden sich mehrere zwischen 1615 und 1619 datierte Flugblätter, die, wie ‚Des Seckels […] Klag‘, den Geldbeutel personifizieren und als Klage über den Verlust des Geldes vorgetragen werden. Diese gemeinsamen Merkmale erlauben, das Blatt, das sonst keinen Hinweis auf einen konkreten historischen Zeitpunkt enthält, in denselben Zeitraum zu datieren.4 Von den verwandten Blättern unterscheidet es 140

sich in seiner Aussagekraft und seinem moralischdidaktischen Anspruch. Während dort die Verarmung entweder als Folge des ökonomischen Systems gezeigt oder auf mangelnde wirtschaftliche Rationalität zurückgeführt wird, bildet hier eine ausschweifende Lebensweise die einzige Ursache des Verfalls. Anders als das Blatt ‚Des Seckels Jämmerlich Heulen‘ (b I, 160), das im kontrastierenden Bild die frühere und die jetzige Situation des Betroffenen einander gegenüberstellt, oder als das Blatt ‚Trawrige Klag/ Vber meinen Seckhel‘ (b I, 159), das mit einer Reihe von Ratschlägen ein Alternativverhalten präsentiert, beschränkt sich ‚Des Seckels […] Klag‘ auf die Schilderung des bösen Endes und zeigt den Herrn als Opfer seines eigenen moralischen Versagens. Die Kritik der Verschwendungssucht erhält als einen Gegenpol die Mahnung zur Mäßigung in Form einer wenig aussagekräftigen Formulierung, wenn der Seckel sagt: Hetstu vorhin geschonet mein […] So wers mir vnd dir nicht so gangn. Es fehlen sowohl eine allgemeine moralische Dimension wie etwa ein Verweis auf die Sündhaftigkeit des Menschen, die seinen Verhaltensweisen zugrunde läge, als auch eine stände- oder berufsspezifische Ausrichtung der Lasterkritik. Der moraldidaktische Anspruch des Blatts erschöpft sich somit in der Vermittlung einer an sich simplen überzeitlichen Moral ⫺ einer Warnung vor dem verschwenderischen Umgang mit dem Geld.5 Das Bild des Verarmten mit dem Geldbeutel und dem auf ihn wartenden Strick steht ikonographisch in der Nähe zum Bild des biblischen Judas.6 Ob diese Darstellung den Graphikverfasser inspiriert hat,7 lässt sich nicht entscheiden; inhaltlich besteht zwischen den beiden Motiven keine Verbindung. Auch die im Text mit der Bezeichnung Fraw Armut vorgenommene Personifizierung des elenden Zustands des Herren steht lediglich als Metapher für die materielle Mittellosigkeit. Sie enthält weder eine Beziehung zu der Auffassung der Armut als Tugend der Mäßigkeit und sittlich positiver Lebenshaltung, wie sie exemplarisch Hans Sachs (1494–1576) u. a. in seinen programmatischen Spruchgedichten ‚Kampff-gesprech zwischen fraw Armut von Reichtum unnd Pluto, dem gott der reichthumb, welches undter ihn das besser sey‘ und ‚Die tugentreich fraw Armut mit iren zehen eygenschaften‘8 zum Ausdruck brachte,9 noch weist sie Parallelen zu dem Armut und Arbeitsethos verbindenden Darstellungstypus auf, wie ihn Cesare Ripa (um 1555⫺1622) mit dem ‚Triumph der Armut‘10 oder das Blatt ‚Hie wirdt Fraw Armut angedeut‘11 vertreten.

Weitere Standorte:

Andere Fassungen: a)

Braunschweig, HAUM: FB V [Des Seckels Jäm̅ erliche klag, ν¯ ber seinē herrē; Unterschiede in der Graphik]

1

Vgl. H. WATANABE-O’KELLY: Melancholie u. die melancholische Landschaft. Ein Beitrag zur Geistesgesch. des 17. Jhs. Bern 1978. Zum Gebrauch des Verbs ‚rasseln‘ im Zusammenhang mit körperlichen Ausschweifungen bei einem Trinkgelage vgl. GRIMM: DWb, XIV, 144 f. Das Kartenspiel ‚Hundert und Eins‘ entspricht dem modernen Pique-Spiel. Das ‚Peres‘-Spiel konnte nicht identifiziert werden. So auch die Zuordnung bei GOER: ‚Gelt‘, 276 f. Vgl. auch Sommer: Ethographia, Teil 4, 189–221, 369– 381. Dieser Teil der ‚Ethographia‘ erschien unter dem Titel ‚Geldt Klage‘ und enthält breite Ausführungen über die Ursachen der Armut. Vgl. LCI II, 444–448. Vgl. GOER: ‚Gelt‘, 188 f. Sachs: Werke, III, 212–225 und 226–232. A. K. BRANDT: Die „tugentreich fraw Armut“. Besitz u. Armut in der Tugendlehre des Hans Sachs. Göttingen 1979. (Cesare Ripa): Des berühmten italienischen Ritters Caesaris Ripae allerley Künsten und Wissenschaften dienliche Sinnbilder und Gedancken. Augsburg o.J. (Nachdr. München 1970), Nr. XXIX u. S. 42. PAAS III, P 878⫺880. EP

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IX, 65

F 1093

Ein köstlich bewerte Praeseruatiua wieder die Armuht

Ort Jahr Bild Text Verleger Format

(Speyer)1 (1619)2 Radierung graviert; 54 Knittelverse Matthäus Buschweiler (1. Hälfte 17. Jahrhundert) 39,5 ! 25,9

Das Blatt fordert in zwölf Verhaltensregeln ex negativo zur Mäßigung auf, um der Gefahr der Verarmung vorzubeugen.

stand der Satire in Johann Sommers (1559⫺1622) ‚Ethographia‘.4 Doch während sie dort im Tugend-Laster-Kontext erscheinen, stellt der Verfasser der ‚Praeseruatiua‘ den wirtschaftlichen Aspekt der Armut in den Vordergrund. Auch die wenigen tadelnswerten Vorgehensweisen und persönlichen Laster ⫺ käufliche Liebe und Streitsucht ⫺ erscheinen nicht mehr als Folge teuflischer Verführung, bzw. als Gründe für eine Bestrafung im Jenseits, sondern nur als Ursachen für die ganz diesseitige Verarmung. Dieses ausschließlich ökonomisch ausgerichtete Interesse resultierte wohl aus der aktuellen Situation der Bevölkerung, die an der Schwelle der Kipper und WipperPeriode stand und sich mit wachsender Verarmung konfrontiert sah.5 Eine solche Sichtweise unterscheidet das Blatt allerdings von anderen zeitgenössischen Flugblättern und -schriften mit der Armut-Thematik, in denen die materielle Mittellosigkeit als ein vorhandener und nicht als ein drohender, aber vermeidbarer Zustand erscheint. Ob sie die finanzielle Misere als durch Faulheit oder Verschwendung selbstverschuldet und durch Arbeit überwindbar tadelten,6 angeblich Schuldige wie Wucherer, Münzmeister, Geldhändler, Juden, Spekulanten etc. anprangerten (b I, 161–163, 167–171) oder den Krieg dafür verantwortlich machten,7 die moralisch verwerfliche Lebensweise der Betroffenen als Ursache ihrer Verarmung vorführten (b IX, 64) und das Elend nicht zuletzt als lobenswert, weil lasterabweisend,8 als ein gab von Gott9 oder christgerechte Ablehnung des irdischen Reichtums glorifizierten mit der Empfehlung, sein Schicksal demütig anzunehmen und auf Entschädigung im Jenseits zu hoffen (b I, 35, 157)10 ⫺ immer fußten sie auf einer religiös, oft eschatologisch fundierten Haltung und übten moraltheologische Belehrung oder Kritik. Dagegen warnt der Verfasser des vorliegenden Blattes lediglich vor dem wirtschaftlichen Fehlverhalten und macht den Wohlhabenden selbst für den Erhalt seines Reichtums verantwortlich. Indem er eine privilegierte Schicht der Besitzenden als möglicherweise intendierte Leser anspricht und sie nicht so sehr zum Verzicht, als zur Mäßigung ihrer Bedürfnisse mahnt, statuiert er den Zustand des Wohlstands als erhaltens- und pflegenswert. In seiner Funktion als Warnung und Orientierungshilfe war das Blatt geeignet, die durch die Wirtschaftskrise verursachten Ängste zu bewältigen.

Die Bildfolge besteht aus zwölf autonomen Szenen zur Illustration der unter dem jeweiligen Bild stehenden Lehre. Eröffnet wird die Reihe mit einer Wirtshausszene, in der einige Männer ihre Zeit mit Spielen vertreiben. Das zweite Bild zeigt eine mit Liebespaaren bevölkerte Landschaft. Im dritten vergnügen sich Männer mit nächtlicher Schlittenfahrt und Tanz, um dann, auf Bild vier, an einem Turnier teilzunehmen. Als nächste Vergnügungsmöglichkeit erscheint auf Bild fünf die Jagd. In der folgenden Szene unterhalten sich zwei Männer auf einer Baustelle; der am Tisch sitzende Dritte ist von den vor ihm ausgebreiteten Kostenberechnungen entsetzt. Einer Prügelei auf Bild sieben folgt auf dem achten Bild eine Gerichtsszene. In der anschließenden Darstellung wird ausgiebig gegessen und getrunken. Im nächsten Bild sieht man einen Hafen mit einem Schiff, das am Ufer ausgeladene Waren gebracht hat; sie sind offensichtlich Thema des Gesprächs zwischen dem daneben stehenden Kaufmann und dem potenziellen Käufer. Im vorletzten Bild ist im Vordergrund ein Mann zu sehen, der von seinem Reichtum umgeben am Tisch sitzt. Die Bildreihe schließt mit der Darstellung einer Stube, in der sich ein Mann vor einem Ofen sitzend alchimistischen Praktiken hingibt; ihm schauen eine Frau in verschlissenem Kleid und ein Kind zu. Die ersten zwei einleitenden Verspaare kündigen die in Bild und Text dargestellten zwölf Regeln an, während der dritte Zweizeiler die Lehre zusammenfasst: In allem, was man tue, solle man Maß halten. Die Vierzeiler unter den Bildern nennen jeweils eine durch das Bild illustrierte Ursache für die mögliche Verarmung: Spielen, uneheliche Liebe, nächtliche Feste (Maskeraden, Schlittenfahrten, Tanzen), Teilnahme an Turnieren, Ausgaben für die Jagd, kostspielige Bauinvestitionen, Prügeleien, leichtfertige Bürgschaften, allzu häufige Bewirtung von Gästen, unüberlegte Kaufakte, Nachlässigkeit bei der Verwaltung eigenen Vermögens, Beschäftigung mit der Alchimie. Der am Ende und außerhalb der Bildreihe stehende Spruch Jm anfang bedenck das Ende kann sowohl auf die die genannten Verhaltensweisen betreffende Moral bezogen werden als auch auf die Struktur der gnomischen Vierzeiler selbst, die nach dem Muster gebaut wurden: ‚wer‘ eine unüberlegte und tadelnswerte Tätigkeit vollführt, ‚der‘ wird dafür mit Armut bestraft. Die Beispiele, die der Blattautor für die Illustrierung seiner Lehre gewählt hat, sind aus früherer satirischer Moraldidaxe bekannt; so finden sich z. B. elf der zwölf Szenen in Sebastian Brants (1457⫺1521) ‚Narrenschiff‘,3 neun sind Gegen142

Weitere Standorte:

Andere Fassungen: a) b) 1 2

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Gotha, SM: 45,25 [Impressum: Franckfuhrt beij Eberhardt Kiesern. 1619] Nürnberg, GNM: 24864/1292 [ohne Impressum] Tätigkeitsort des Verlegers; vgl. BENZING: Verleger, 1112. Buschweiler verwendete die Platte von 1619 und ließ das Datum stehen, daher ist eine genaue Datierung dieser Ausgabe nicht möglich. COuPE I, 57–59. Ein Vergleich mit dem Blatt ‚Ermahnung für die Jugend‘ (um 1570), das eine ähnliche Struktur aufweist, bei GOER: ‚Gelt‘, 192 f. und Abb. 34. Teil 4: ‚Geldt Klage‘. Magdeburg 1613. Vgl. F. REDLICH: Die dt. Inflation des frühen 17. Jhs. in der zeitgenössischen Literatur. Die Kipper u. Wipper. Köln/ Wien 1972; HOOFFACKER: Avaritia; U. ROSSEAuX: Die Kipper u. Wipper als publizistisches Ereignis (1620–1626). Eine Studie zu den Strukturen öffentlicher Kommunikation im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges. Berlin 2001. Vgl. SCHILLING: Bildpublizistik, 223 f. ‚BELLVM SYMBOLICVM‘ (Augsburg um 1620/30), in: Um Glauben und Reich, II/2, Nr. 765 (Abb. bei KuNZLE: Comic Strip, 82); ‚Tantali fames‘ (o.O.u.J.), COuPE I, Nr. 323 (Abb. bei HOOFFACKER: Avaritia, 264). Andreas Cott: Loob der Armuth/ Oder Kurtze Betrachtung/ waß die jenigen so mit der Dürfftigkeit behafftet vor einen Nutzen haben. In deutsche Reime verfasset. Helmstedt 1660. ‚Wie köstlich vnd gut die armut zu der selickeyt‘ (o.O.u.J.), abgeb. bei U. MERKL: Buchmalerei in Bayern in der ersten Hälfte des 16. Jhs. Spätblüte u. Endzeit einer Gattung. Regensburg 1999, 82, Abb. 46. (Martin Schrot): DIALOGVS. Ain wunnderbarlichs seltzams Gespräch […] Vom Gellt/ vnd der Armut. (Augsburg ca.1550), weitere Ausg. München 1596 und Hamburg 1635. Zur ‚glücklichen Armut‘ in der Volkserzählung vgl. EM 5 (1987), 1318–1324, und in der Predigt: E. MOSER-RATH: Predigtmärlein der Barockzeit. Exempel, Sage, Schwank u. Fabel in geistlichen Quellen des oberdt. Raumes. Berlin 1964, 94 f. EP

143

IX, 66

F 72

Ort Jahr Bild Text Verleger Format

In der Figur des Leimstänglers werden Schwächen des Menschen, die ihn zum Narren machen, verspottet. Ein junger Mann flieht vor einem Affen mit erhobenem Schwert und folgt dabei einem Hasen mit Halskrause und umgeschnalltem Dolch. Die Kleidung des Mannes weist ihn als einen alamodischen Kavalier aus: Er trägt eine unter den Knien gebundene Hose, ein sich am Bauch wölbendes verziertes Wams und einen kurzen Umhang; auffällig sind die große Halskrause und der überdimensionale Federhut. Am Gürtel trägt er einen Degen und einen Fuchsschwanz. Sein linker Fuß ist beschuht, den rechten Pantoffel hält er in der Hand. Unter seinem aufgeknöpften Wams schlüpfen drei kleine Affen in Halskrausen heraus, ein vierter sitzt auf seinem Kragen. Über der Schulter trägt der Affenstänger eine Vogelstange, auf der eine Krause hängt und zwei weitere Affen klettern. Über seinem Kopf fliegen eine Eule und eine Fledermaus, hinter ihm ein Insektenschwarm. Der Text in Dialogform verteilt sich auf vier Figuren. Einleitend spricht der Ausrufer des Blattes (b IX, 20) den Leimstängler an und verspottet ihn, dass er nicht Vögel, sondern Affen als Beute mit nach Hause nehme. Er tröstet ihn aber zugleich, dass alle Menschen, unabhängig von ihrem Stand, gleiche Narren seien und stellt sich selbst in diese Reihe, indem er von ‚wir‘ spricht und den Leimstängler als ‚Bruder‘ apostrophiert. Der den Mann verfolgende Affe will seine Kinder zurück haben und droht ihm mit Prügeln, solle er seine Forderung nicht erfüllen. Der Affenstänger beruhigt seinen Verfolger, indem er sich als Affenliebhaber und -lehrer ausgibt, was die Affen in seinem Bauch und auf der Leimstange beweisen sollen. Die Affen fühlten sich zu ihm hingezogen, weil alzeit gleich bey gleich seyn wil. Der Hase mahnt den Mann zur schnelleren Flucht und warnt ihn davor, sich zum Wegwerfen des Pantoffels bewegen zu lassen. Da der Ausdruck ‚den Pantoffel führen/schwingen‘ soviel wie ‚das Regiment führen‘ bedeutet, wäre sein Verlust gleichbedeutend mit Unterwerfung.3 Die Warnung schließt mit der weit verbreiteten Redewendung, sonst werde ihn auch der Teuffel bescheissen, was hier wohl als Bekräftigung der drohenden Niederlage gemeint ist.4 Die Antwort des jetzt Bruder genannten Affenstänglers bekundet seine Angst und seinen Willen zur Flucht. Aus dem Bereich des Vogelfangs, einer im 16. Jahrhundert in allen Bevölkerungsschichten beliebten Jagdart,5 stammt die mit einer Leimstange, einem Hund und einem Kauz als Lockvogel ausgestattete Figur des Leimstänglers (b I, 50), welche die satirische Literatur der Zeit übernommen und zum Inbegriff des Narren gekürt hat.6 Gegen Ende des Jahrhunderts fand sie in satirische Flugblätter und -schriften Eingang, in denen bestimmte Verhaltensweisen des Menschen und zugleich sein allgemein kritikwürdiges Wesen 144

Holla wahin mit der Leimstangen

(Straßburg?)1 1588 Kupferstich von MG (Matthäus Greuter, um 1565-1638)2 Typendruck in 3 Spalten; 6 und 22 Knittelverse PB (Paul Birckenhultz, 1561⫺1639) 38,0 ! 21,6; 31,8 ! 21,6

aufs Korn genommen wurden (b I, 50 f.).7 In den satirischen ‚Fragen vnd Satzreden von der Haserey‘ wird der Leimstängler in eine Reihe mit anderen bekannten Narrenfiguren gestellt, und seine Gebrechen werden wie folgt umschrieben: Die Affekten/ so in diesen Hasereyen neben rein mit zuschlagen/ sind fürnemlich Cornelius/ Eigler/ Eulenspiegel/ Paul hüte dich/ Pfaff vom Kalenberg/ Hempel von kraben/ Claus Narr: Jtem/ allerley Gebrechen/ als Hoffart/ Bulerey/ Leffeley/ Saufferey/ Sewerey/ Vnfletterey/ Fetzerey/ Bachanterey: Doch in einem mehr/ in dem andern weniger. Summa/ der gantze lauff vnd handel mit der Leimstangen.8

Mit der Leimstängler-Figur verband sich immer eine Satire auf Modegecken, deren Markenzeichen ein breiter Leimstenglerische[r] Hut und weitschweiffende lange Krausen waren;9 auch die ‚Pantoffeln‘, die gerade in Mode gekommenen Schlupfschuhe ohne Rückenteil und mit hoher Holzsohle, gehörten zum Inventar modischer Kleidungsstücke und wurden als Zeichen der Verweichlichung der Männer verspottet: Denn ehmals warn dem Weibßgeschlecht Die Pantoffeln allein gerecht, Jr leng etwas damit zu hebn, Das jr Kleid im Koth nicht blieb klebn. Nu mus der lengste Man sich wagn Vnd auch Weiber Pantoffel tragn.10

Auf den Alamode-Blättern, die ihren zweiten Höhepunkt um das Jahr 1630 erreichten (b I, 117– 138), tauchen des Öfteren die Tierfiguren des Affen und des Hasen auf (b I, 128 f.).11 Die Kritik des Flugblattes bezieht sich aber nicht ausschließlich auf Mode, sondern begreift Nachahmungssucht (Affen), Schmeichelei (Fuchsschwanz), Maulheldentum (Pantoffel) und Feigheit (Hase) ein. Die Begleiter des Leimstänglers sind Verkörperungen seiner Narrheiten und zugleich wie er Symbole des Narren: So erscheinen sie mit geschulterten Leimstangen z. B. auf einem Einblattdruck von 158812 als Bewohner von Narragonien, Affenburg und Hasenburg.13 Ferner werden Hasen und Affen häufig mit dem Leimstängler verbunden in den erwähnten ‚Fragen vnd Satzreden von der Haserey‘ und in der Satire ‚Hasen Jagt‘,14 in der neben inhaltlichen auch ikonographische Anspielungen auffallen: Der Text wurde mit mehreren Kupferstichen aus de Brys (1561–1623) ‚Emblemata‘ illustriert, unter denen sich ein Affe mit Spiegel und ein Leimstängler befinden;15 das Bild auf dem Titelblatt bevölkern Hasen in Halskrausen, und ein Jäger trägt als Jagdwaffe eine Vogelstange. Die Hasenliteratur liefert auch eine Parallele zum Austragen der Affen, wenn sie den modischen Gansbauch des Leimstänglers verspottet: Kleider auff seltzam Muster formirt/ Mit einem grossen Spanschen Bauch/ Ist bey jhm jtzt gantz sehr im brauch/ Dauon man dann viel thut sagen/ das sie Junge Häßlein tragen/ Vnd weil sie noch nicht zeitig sein/ Thun sie sanfft damit gehen rein.16

Der Leimstängler erscheint in der Literatur oft als ‚Bruder‘ des Spruchsprechers oder schlüpft sogar in seine Rolle (b I, 59).17 Wenn der Sprecher, wie auf dem vorliegenden Blatt, den Leimstängler als seinesgleichen bezeichnet und dasselbe ständeübergreifend für andere Menschen beansprucht (Vns seind gleich Edelleut vnd Bawren), bezieht er die Zuhörer bzw. Leser in den Kreis der Narren ein.

Weitere Standorte: Berlin, SBPK: YA 2234 kl.; Wolfegg, KK: 243, 292 (A 5)

Andere Fassungen: A1 A2

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GOEDEKE II, 501, Nr. 47a. J. BOLTE: Fahrende Leute in der Literatur des 15. u. 16. Jhs. In: Sitzungsberichte d. Preußischen Akademie d. Wissenschaften 31 (1928), 625–655, hier 648. Frau Hoeffart, 29 (Abb.), Nr. 1. WOLTER: Teufelshörner, 111 f. und Abb. 129. New Hollstein: German engravings [10,] 1 (2016), 284. Der Stecher Matthäus Greuter war zwischen 1587–1593 in Straßburg tätig. THIEME/ BECKER: XV, 7–9. Vgl. GRIMM: DWb, XIII, 1426. Ebd., I, 1560. R. W. BREDNICH: Der Vogelherd. Flugblätter als Quellen zur Ikonographie der Jagd. In: Rheinisch-Westfälische Zs. f. Volkskunde 24 (1978), 14–29 (mit weiterer Literatur). R. KÖHLER: Cornelius, eine Ergänzung zum dt. Wörterbuche. In: DERS.: Schriften, III, 621–632, hier 626, Anm. 3. Weitere Beispiele bei SCHILLING: Bildpublizistik, 426; F. SIEBER: Volk u. volkstümliche Motivik im Festwerk des Barocks. Berlin 1960, 176, Anm. 47. Zum Auftreten des Leimstänglers in inszenierten Aufzügen s. ebd., 118 f., Abb. 95. Vgl. auch das Zitat bei Jan Fabre (J. K. SCHMIDT/ U. ZELLER (Hgg.): Jan Fabre. Der Leimrutenmann. The lime twig man. Ausstellungskatalog Stuttgart 1995). Fragen und Satzreden, fol. [A4]v (zuerst lat. um 1590). Ebd., fol. [A4]r. Vgl. auch Georg Rollenhagen: Spiel vom reichen Manne und armen Lazaro 1590. Hg. von J. BOLTE. Halle a. S. 1929, 88–95 (Akt 3, 11). Für das Fortleben des Leimstängler-Motivs in der Modesatire im 19. Jh. vgl. SIEBER: Volk, 119. Rollenhagen: Spiel, 93. Vgl. auch: Chartell Stutzerischen Auffzugs/ Der […] A La Modo Monsiers. O.O.u.J. [Nürnberg, GNM: 2086/ 1277]. SIEBER: Volk, Abb. 94. Narragonien gehört seit Sebastian Brants ‚Narrenschiff‘ zu den bevorzugten Wohnorten der Narren. Hasen Jagt […] allen Hasierern vnd Leymstänglern zu sonderlichem Nutz […] Durch LEPORINuM Hasenkopff Hasum Haslebiensem. Hasleben [fingiert] 1629; b I, 51 (mit weiterer Literatur). de Bry: Emblemata, Nr. 19 und 37; Hasen Jagt, 11, 18. Compendium Hasionale. O.O.u.J. Zum Ausdruck ‚mit einem Hasen schwanger gehen‘ in der Bedeutung ‚närrisch sein‘ vgl. GRIMM: DWb, XV, 2239. So z. B. in Rollenhagens ‚Spiel‘, 87–105. Für weitere Beispiele vgl. BOLTE: Fahrende Leute, 641 f. EP

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IX, 67

F3

Ort Jahr Bild Text Format

In der Figur der Leimstänglerin verspottet das Blatt das Laster der Hoffart, das sich als modebewusste Eitelkeit ausdrückt. Das Blatt wird von der Figur einer modisch gekleideten Frau ausgefüllt. Ihr Kleid besteht aus einem steifen, reich bestickten Rock mit einem vorne offenen Oberkleid und einem verzierten Mieder, das unterhalb der enggeschnürten Taille spitz zuläuft. Die mit Schulterpuffen versehenen Ärmel enden am Handgelenk mit Krausen; das Oberteil ist zusätzlich mit weiten Hängeärmeln ausgestattet. Das auffälligste Element des Gewands bildet eine große Spitzenkrause um den Hals. Ketten mit einem Medaillon und Ohrringe schmücken die Dame. Das nach hinten frisierte Haar wird im Nacken von einem mit Perlen verzierten Netz gehalten und mit einem kleinen Hut bekrönt, dessen Federschmuck mit einem Edelstein befestigt ist. In der rechten Hand trägt die Dame eine Leimstange, an der ein Vogel, ein Narr und eine Frauenfigur mit Spiegel kleben sowie ein Fliegenwedel und ein Handspiegel hängen, der im 16. Jahrhundert den Frauen als modisches Accessoire diente und zugleich als Zeichen der Superbia und Luxuria interpretiert werden kann (b IX, 68).2 In der anderen Hand hält die Leimstänglerin einen Pflock, an den ein Kauz als Lockvogel gebunden ist. Um ihren Kopf schwirren Mücken. Die Hauptfigur wird von einer kleineren Frauen-Gestalt mit Leimstange, Kauz und Spiegel begleitet, die ihr Ebenbild abgibt. Die unterschiedliche Größe der beiden Frauen verweist auf ihren Altersunterschied. Im Vordergrund schaut ein kleiner Hund den Zuschauer an und wendet ihm zugleich, indem er seine Notdurft verrichtet, sein Hinterteil zu. Der Text besteht aus drei Aussagen der Frau. Zuerst wendet sie sich an ihren bruder Hans mit dem Vorschlag, sie als seinesgleichen in seinen Orden aufzunehmen, wovon beide profitieren würden. In einer längeren Passage stellt sie dann ihren wie ein Adliger aufgeputzten ‚Bruder‘ als Leimstängler vor, der in der Welt herumstreife und junge Adlige und Hofleute betöre. Seinem Beispiel folgend mache sie sich auch auf den Weg, mit ihrer Leimrute junge adlige Mädchen zu fangen. In der letzten Textpartie fordert sie all zart Iungfräwelein auf, zu ihr zu kommen und dem Orden beizutreten, der in der ganzen Welt geachtet und begehrt sei. Die kleine Leimstänglerin wird mit dem Sprichwort Gleich die alten sungen So pfiffen die jungen kommentiert. Die frühesten satirischen Darstellungen von Frauen als Vogelfängerinnen bezogen sich metaphorisch auf Männerfang und waren immer erotisch konnotiert (b I, 59);3 dieses Motiv wurde bis ins 18. Jahrhundert hinein kontinuierlich gebraucht.4 Dabei waren die Frauen mit Kloben und Schlag146

Mein bruder Hans woes ewch gefelt

(Frankfurt a. M.?) (um 1588) kolorierter Kupferstich (von Heinrich Wirrich?, nachweisbar ab 1571, † 1600)1 graviert in 2 und 3 Spalten, Textkolumne im Bild; 4, 6, 22 Knittelverse 33,6 ! 21,5

netzen als Fanggeräten ausgestattet. Als Ende der 1580er Jahre daneben das Motiv der Leimstange aufkam, wurde dieses Attribut auch auf die Frauen übertragen. Wie ihr männliches Pendant kann die Leimstänglerin für die Narrheit allgemein stehen (b I, 50 f.; IX, 66). Zum anderen ist sie wie der alamodische Leimstängler Verkörperung der Modetorheit. Die im 16. Jahrhundert in Deutschland als vorbildlich geltenden Trachten des spanischen Hofes wurden mit der Zeit immer luxuriöser und ausgefallener,5 was gegen Ende des Jahrhunderts eine Welle literarischen Spotts gegen Modenarren heraufbeschwor. Sie richtete sich, wie das vorliegende Blatt, vor allem gegen Vertreter des Adels, bei denen die manieristischen Tendenzen der Kleidung besonders ausgeprägt waren (b I, 59; IV, 297, 300; VII, 121, 142, 177; IX, 201). Wie der Narr, der mit seiner Leimstange was newes fang, das seltzam ist vnd frembder Tracht, welchs dient zur Hoffart, Stoltz vnd Pracht,6 so ist auch die Vogelstellerin mit einer Leimrute ausgestattet, die mit hofart, stoltz vnd ander list angestrichen ist. In Leimstenglichr Thorheit übertreffe sie sogar den Mann, stellt die Leimstängler-Figur in Georg Rollenhagens (1542–1609) ‚Spiel vom reichen Manne‘ fest und macht sich über ihre modische Ausstaffierung lustig: Wie zierlich steht der Docken Hut! Jst er für Hitz odr Kelte gut, Oder tregt sie den Hosn jrs Herrn Ein abgeschnidten Spitz zu Ehrn? Wie prangt das Harnetz nur so frey Als ein Gülden Leußfischerey! […] Wie ist so musterlich der Kragn Eben als wir Leimstengler tragn!7

Neben Hut, Haarnetz und Halskrause verspottet Rollenhagen auch die Hängeärmel (so geschmeidig, Eben als wie der Kuckuck sitzt) und die Schleppe (Wie reinlich kehrt er ab die Gaß!) und nennt Kautz vnd Hund als Attribute der Dame, so dass als sicher gelten kann, dass der Magdeburger Rektor ein Exemplar des nebenstehenden Blattes vor Augen hatte, als er seine Szene schrieb. Ferner diente es vermutlich als Vorlage für die Bemalung auf einem Humpen von 1594, auf dem auch eine Leimstängler-Figur abgebildet wurde.8

Weitere Standorte: Nürnberg, GNM: 16473/1277;9 ehem. Auktionshaus Zisska/ Kistner, München (A 1)

Andere Fassungen: A1 A2 A3 1

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Zisska/Kistner, Nr. 2208 (mit Abb.). Dasselbe Exemplar in: Antiquariat L’Art Ancien, Nr. 14a (mit Abb.). Frau Hoeffart, Nr. 2, farbige Abb. auf dem Umschlag. WOLTER: Teufelshörner, 113 f. und Abb. 132. Das Blatt ist als Pendant zu einem Flugblatt konzipiert, das einen Leimstängler als Stutzer darstellt (Hans Eissenbeißer nennt man mich [Inc.]; bei Zisska/ Kistner, Nr. 2208 [mit Abb.]). Das Blatt mit der männlichen Figur ist mit H.W. signiert und auf 1588 datiert. Die Identifikation des Kupferstechers nach W. K. ZÜLCH: Frankfurter Künstler 1223–1700. Frankfurt a. M. 1935, 391, und THIEME/ BECKER XXXVI, 96. Heinrich Wirrich war seit 1571 in Frankfurt a. M. tätig. GRABES: Speculum, 167–169 u. 178 f.; G. F. HARTLAuB: Zauber des Spiegels. Gesch. u. Bedeutung des Spiegels in der Kunst. München 1951, 149–158. Vgl. z. B. DIEDERICHS I, Abb. 677, 681; Fliegende Blätter, Nr. 337 f. ⫺ dazu R. W. BREDNICH: Der Vogelherd. Flugblätter als Quellen zur Ikonographie der Jagd. In: Rheinisch-Westfälische Zs. f. Volkskunde 24 (1978), 14– 29, bes. 18–22. Zu Darstellungen der Liebe als Vogelfängerei s. E. DE JONGH: Erotica in vogelperspectief. De dubbelzinnigheid van een reeks zeventiende eeuwse genre voorstellingen. In: Simiolus 3 (1968/69), 22–74. BRÜCKNER: Druckgraphik, Abb. 110. E. THIEL: Gesch. des Kostüms. Berlin 1980, 189–208. Thomas Naogeorgus: Newe Tragoedia Von der Königin Esther/ vnd Haman […] vbersatzt/ durch Damianum Lindtnerum. O.O. 1607, 101. Georg Rollenhagen: Spiel vom reichen Manne und armen Lazaro 1590. Hg. von J. BOLTE. Halle a. S. 1929, 96 (Akt 3, 11). Vgl. SALDERN: Glass, 109 (Abb.). Bei dem Nürnberger Exemplar ist der untere Text abgeschnitten. EP

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IX, 68

F 756

Ort Jahr Bild Text Verleger Format Zustand

Hoeffart ein Matter [!] aller sundt [Inc.]

(Köln) (um 1600) Kupferstich (von Conrad Goltz?, letztes Viertel 16. Jahrhundert);1 Klappbild graviert in 2 und 3 Spalten; 4 und 8 Knittelverse Peter Overadt (Ouerradt; tätig 1590–1632)2 19,5 ! 14,0 Das Bild unter dem aufklappbaren Teil ist beschädigt.

Weitere Standorte:

Das Blatt stellt das Hauptlaster der Hoffart in einem Klappbild dar und fordert den Betrachter zur Erkenntnis seiner selbst und seiner Sünden auf. Das Bild zeigt eine nach der neuesten Mode gekleidete Frau mit geschlossenen Augen, die in der rechten Hand einen Spiegel hält und mit der Linken den Hals eines radschlagenden Pfaus umfasst. Die beiden Wesen vermitteln den Eindruck von Pracht und Prunksucht. Die Schürze der Dame läßt sich aufklappen. Darunter erscheint ein Bild: Um die skelettierten Bein- und Beckenknochen der Frau winden sich zwei Schlangen, von denen eine einen Apfel im Maul hält; der Kopf der anderen ist mit dem des Pfaus identisch; eine geflügelte dritte Schlange ist im Hintergrund zu sehen. Die ebenfalls skelettierten Hände halten mit Knochen und Stundenglas zwei Zeichen der Vergänglichkeit. Zwischen den Beinen steht ein mit einem Tuch bedeckter Sarg, auf dem Adam und Eva sitzen. Eva auf dem Schoß Adams umarmt ihren Gefährten und greift zugleich nach dem Apfel (vgl. Fassung a). Der Vierzeiler über dem Bild stellt die Hoffart als Ursprung aller Sünden hin, die vom Teufel auf Adam und seine Nachkommenschaft übertragen worden sei. Der Text unter der Graphik fordert den Leser auf, sich das Bild genau anzuschauen, das eine blinde Welt wiedergebe, die nur das Äußere schätze, ohne sich Gedanken über das Innere zu machen. Erst innere Tugendhaftigkeit (‚Reinheit‘) bewirke äußere Schönheit. Das erbauliche Anliegen des Blattes, den Leser zum Nachdenken über die Vergänglichkeit und Nichtigkeit des Irdischen anzuhalten, wird durch die Vorführung des Lasters des Hochmuts realisiert, das Gregor I. der Große (um 540–604) in seinem durch Thomas von Aquin (um 1225–1274) zum Kanon der Sieben Todsünden umgeformten und in der katholischen Kirche bis heute gültigen Lasterschema als ‚Regina superbia‘ allen anderen vorangestellt hatte.3 Die Verweise auf den Teufel und Adam erinnern an den Ursprung der Superbia im Engelsturz und Sündenfall, der auch im Bild unter dem Rock der Frau gezeigt wird und die Selbstüberhebung als Ursache für den Fall des Menschen und seine Sterblichkeit vor Augen führt. Die Betrachtung der eigenen Vergänglichkeit und der Nichtigkeit von Macht, Reichtum und Ansehen sowie die Einsicht in den teuflischen Ursprung der Hoffart galten als die besten Mittel zur Bekämpfung des Lasters.4 Für die Darstellung der Superbia, die auf sehr unterschiedliche Weise veranschaulicht werden konnte (b I, 39 f., 83, 137; II, 290; IV, 39, 300, 432) wählte der Blattverfasser die in der Ikonographie der Gegenreformation verbreitete Personifizierung als weibliche Figur mit Pfau und/oder Spiegel (b III, 102; IV, 18),5 den Attributen, die oft auch 148

allein für Hochmut und Eitelkeit stehen (b I, 32, 167; III, 122, IV, 30; IX, 67, 206).6 Die antithetische Zweigestaltigkeit, mit der die Scheinhaftigkeit des Äußeren demonstriert wird, sowie die Verbindung mit dem Sündenfall leiten sich von der mittelalterlichen Darstellung der manchmal auch mit Pfauenfedern als Attribut ausgestatteten Frau Welt her, deren Vorderseite die Menschen verführt, während ihr von Würmern zerfressener Rücken einen abstoßenden Anblick bietet.7 Mehrere Flugblätter mit Klappbildern, die unter Hinweis auf die Vanitas vor der Superbia warnen, zeugen von der Beliebtheit dieses Bildtypus.8 In der Offizin des Kölner Verlegers Overadt erschien eine weitere, luxuriösere Version des Blattes, für die noch eine zweite Kupferplatte mit einem aufwändig gestalteten Rahmen benutzt wurde (Fassung a). Der Rahmen enthält rechts und links vom Hauptbild weitere Figuren: Die wie die Superbia als Frauen mit tierischen und gegenständlichen Attributen personifizierten Laster Gula, Avaritia, Luxuria, Invidia, Ira und Pigritia wurden vor unterschiedlichen Landschaften mit architektonischen Elementen aufgestellt. In der Leiste oberhalb des Hauptbildes befindet sich in einer Rollwerkkartusche ein lateinisches Motto (COGNITIO PECCATORVM VTILIS, POENAM TAMEN TOLLERE NEQVIT ), das in einem Feld unter dem Hauptbild in erweiterter Form in deutscher Sprache wiederholt wird. Die Fassung a unterstreicht die hervorgehobene Stellung der Hoffart gegenüber den anderen Lastern und präzisiert die Aussage der vorliegenden Version, indem sie die Notwendigkeit des Erkennens eigener Sünden betont und zugleich die Unabdingbarkeit der Strafe konstatiert. Die Forschung schreibt dem Blatt eine katholische Ausrichtung zu,9 worauf auch die Tatsache, dass der Verleger sein Schaffen fast ausnahmslos in den Dienst der katholischen Kirche stellte, hinweisen könnte. Doch bringt der Verzicht auf konfessionelle Polemik sowie die Konzentration auf eine allgemeinchristliche Ermahnung eher ein konfessionsübergreifendes als ein gegenreformatorisches Anliegen zum Ausdruck. Drugulin nennt ein Pendant-Blatt mit der Darstellung eines Mannes, zwischen dessen skelettierten Beinen die Vertreibung aus dem Paradies zu sehen ist.10 Die Beschädigung des Halleschen Exemplars, aus dem die beiden nackten Figuren der Ureltern ausgeschnitten wurden, zeigt, dass man Anstoß an ihrer Darstellung genommen hat. Vermutlich war es die für das Motiv eher ungewöhnliche Sitzpose mit ihrer erotischen Konnotation, die den Betrachter störte.11

ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig (A 1)

Andere Fassungen: a)

Amsterdam, RM: 13 685 und 4512; London, BM: 1953.0411.114 [COGNITIO PECCATORVM VTILIS...; mit einem bebilderten Rahmen]

A1 A2 A3

DRuGuLIN I, 2503. Frau Hoeffart, 22 f. (Abb.), Nr. 5. WOLTER: Teufelshörner, 41, Abb. 33a-33b.

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MERLO: Künstler, 299 f.; HOLLSTEIN: Dutch Etchings, VIII, 143; SCHÖLLER: Druckgraphik, 35. MERLO: Künstler, 639–641; THIEME/ BECKER XXVI, 103 f.; BENZING: Verleger, Sp. 1231; SCHÖLLER: Druckgraphik, 36 f. E. HEINLEIN: Die Bedeutung der Begriffe superbia u. humilitas bei Papst Gregor I. im Sinne Augustins. Greifswald 1918; W. HEMPEL: ‚Übermuot diu alte …‘ Der Superbia-Gedanke u. seine Rolle in der dt. Literatur des Mittelalters. Bonn 1970. Als „Mutter von allerlei Übel“ erscheint sie in der Lasterserie Heinrich Aldegrevers von 1552 (HOLLSTEIN: German Engravings, I, 60 f., Abb. B.124). Laurentius Beyerlinck: Magnum Theatrum Vitae Humanae. Leiden 1656, VII, 413. Vgl. Superbia-Darstellungen bei Hans Burgkmair d. Ä. (um 1510; GEISBERG: Woodcut, II, 454), Pieter Brueghel (1558; HOLLSTEIN: Dutch Etchings, III, 276, Abb. 127), Georg Pencz (o.J.; HOLLSTEIN: German Engravings, XXXI, 211, Abb. 108), Cesare Ripa (Iconologie. Paris 1643, Teil 2, 172; Baroque and Rococo Pictorial Imagery. The 1758–60 Hertel Edition of Ripa’s Iconologia. Hg. von E. A. MASER. New York 1971, Nr. 126). C.-P. WARNCKE (Hg.): Théâtre d’Amour. Vollständiger Nachdr. der kolorierten Emblemata amatoria von 1620. Köln (2004), fol. 105. LCI III, 15–27 (Artikel ‚Laster‘), hier 23–26. Eine Reihe von Beispielen für die Darstellung der Superbia mit Spiegel bringen GRABES: Speculum, 178 f.; WOLTER: Teufelshörner, 19–47. HENKEL/ SCHÖNE: Emblemata, 1860. Zur Pfauen-Metaphorik s. D. SCHMIDTKE: Lastervögelserien. Ein Beitrag zur spätmittelalterlichen Tiersymbolik. In: Archiv f. d. Studium d. neueren Sprachen u. Literaturen 212 (1975), 241–264. Zum Spiegel HARTLAuB: Zauber des Spiegels, 149–158. STAMMLER: Frau Welt; SCHILLING: Imagines Mundi, 102–117. Beispiele bei CH. PIESKE: Die Memento-mori-Klappbilder. In: Philobiblon 4 (1960), 125–145; J. MÜNKNER: Tote Li/ebende – li/ebende Tote. Blicke unter Röcke und in Schädel. In: L’Art Macabre 8 (2007), 161–176; MÜNKNER: Eingreifen, 88–137. SCHÖLLER: Druckgraphik, 96–98. DRuGuLIN I, 2503. Ein Exemplar des Blattes befindet sich seit 2010 im Rijksmuseum Amsterdam (Signatur: RP-P-2010-311). Zur Ikonographie des Motivs vgl. S. ESCHE: Adam u. Eva. Sündenfall u. Erlösung. Düsseldorf 1957. Zum erotischen Aspekt der Sündenfalldarstellung auch K. SIEFERT: Adam u. Eva-Darstellungen der dt. Renaissance. Diss. Karlsruhe 1994, 173–189; R. W. SCRIBNER: Vom Sacralbild zur sinnlichen Schau. Sinnliche Wahrnehmung u. das Visuelle bei der Objektivierung des Frauenkörpers in Deutschland im 16. Jh. In: K. SCHREINER/ N. SCHNITZLER (Hgg.): Gepeinigt, begehrt, vergessen. Symbolik u. Sozialbezug des Körpers im späten Mittelalter u. in der frühen Neuzeit. München 1992, 309–336. SCHÖLLER: Druckgraphik, 206 mit Abb. 32a/b. EP

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F 755

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F 691

Ort Jahr Bild Text Format Zustand

Mit einem Memento-mori-Motiv erinnern die Blätter, die als Pendants konzipiert sind, an die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens. Auf dem linken Bild präsentiert sich dem Betrachter ein junger Mann als ein modisch gekleideter Kavalier in einem Schoßwams mit Achselstücken, aus dem ein spitzenverzierter Hemdkragen herausragt, einem weichen Hut mit Federschmuck, einem Umhang und einem langen Degen. Auch die ihm zugewandte junge Frau auf dem rechten Bild trägt modische Kleidung nach französischem Vorbild. Das Kleid mit einem engen Oberteil und einem abstehenden tonnenförmigen Reifrock hat ein tiefes Dekolleté, das ein hinter dem Kopf fächerförmig hochstehender Spitzenkragen umrahmt. Die hochgesteckten Haare sind mit Bändern und einem mit Edelsteinen besetzten Kopfputz geschmückt. In den Händen hält sie als Attribute einer modebewussten Frau einen Fächer und Handschuhe. Nach dem Öffnen der hier fehlenden Klappen kamen auf beiden Bildern Unterleib und Beine als Gerippe sowie ein verhüllter Sarg mit einem bekränzten Schädel zum Vorschein. Der gereimte Titel des ersten Blattes definiert es als Spiegel, der die Neugier vornehmlich weiblicher Betrachter befriedigen und zur intendierten Erkenntnis führen sollte. Mit der knappen Feststellung der Textzeile auf dem Frauenblatt wird sowohl die Blindheit der von dem schönen Schein geblendeten Ammora kritisiert als auch der Betrachter mahnend auf eine solche Blindheit aufmerksam gemacht. Das in der Kunst und Literatur seit dem Mittelalter immer wieder behandelte Motiv der Vanitas als Erkenntnis, der Mensch sei der Sterblichkeit und alles Materielle der Vergänglichkeit unterworfen (b IX, 7),1 wird hier medientechnisch mit Hilfe des Klappbildes gestaltet: Der Betrachter greift in die Hose bzw. unter den Rock der jeweili150

Der Jungfrauen Schawspigel Werdt Jch Genanndt

(nach 1596) Kupferstich; Klappbild graviert, 2 Knittelverse 17,6 ! 11,8 Die Klappe fehlt; Beschädigungen rechts unten

Weitere Standorte:

A1

Andere Fassungen:

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CH. PIESKE: Die Memento-mori-Klappbilder. In: Philobiblon 4 (1960), 127–145, hier 136 (Abb.) und 141. Frau Hoeffart, 24 (Abb.), Nr. 7. WOLTER: Teufelshörner, 43, Abb. 36.

Ammora du bist Blindt

(nach 1596) Kupferstich; Klappbild graviert, 1 Zeile Prosa 17,6 ! 11,8 Die Klappe fehlt; Beschädigungen im unteren Teil

gen Figur, um seine sexuelle Neugier zu befriedigen und findet mit dem Gerippe die Wahrheit, die sich hinter der schönen Fassade der ihn verblendenden irdischen Dinge verbirgt. Fassung a, die mutmaßliche Vorlage des Ammora-Blatts, verdeutlicht den Vanitas-Gedanken durch einen reich bebilderten architektonischen Rahmen. Adam mit dem Apfel in der Hand und Eva flankieren rechts und links das Hauptbild. Vier Putti tragen mit Windmühle, Seifenblasen, Sanduhr, Apfel und Schlange Zeichen der Vergänglichkeit; eine Wappenkartusche in der unteren Leiste zeigt einen Schädel, gekreuzte Knochen und eine Schlange. Die ikonographische Umsetzung des VanitasMotivs als modisch-aufwändig gekleideter Mann oder Frau, deren Schönheit im krassen Kontrast zur furchterregenden Gestalt des Gerippes steht, machte es für die Kritik am Laster der Eitelkeit2 oder der Superbia (b IX, 68) besonders gut geeignet und ist daher oft auf den Alamode-Blättern anzutreffen.3 Die Wirkung der Blätter wird durch die Elemente des Spielerischen und der Überraschung, wie sie ein Klappbild bietet, verstärkt. Das Klappbild hat seine Vorgänger in der mittelalterlichen Malerei, Skulptur und Literatur, die Lebendige und Tote in einem Doppelporträt darstellten4 oder den ‚Fürsten der Welt‘ und später die ‚Frau Welt‘ als eine schöne Figur mit entstelltem Rücken zeigten bzw. beschrieben;5 zu demselben Darstellungstypus gehört in der Graphik das Vexierbild, vornehmlich solches mit dem Motiv des Wendekopfs (b III, 122). Das Klappbild diente meistens, wie hier, der Vergegenwärtigung des Todes im Sinne des Memento mori,6 doch man setzte die Technik auch für kritisch-satirische Darstellungen (b II, 13, 101 f.),7 solche mit informativer (b I, 212)8 oder unterhaltender Funktion (b I, 100)9 sowie auf erbaulichen Andachtsbildern10 ein.

Weitere Standorte: Andere Fassungen: a)

Berlin, SBPK: YA 2840 kl11. [OMNIS CARO FOENVM...; mit einem bebilderten Rahmen; Stich von Matthäus Greuter, Köln 1596]

A1 A2 A3

PIESKE: Memento-mori-Klappbilder, 141 mit Abb. 8. Frau Hoeffart, 25 (Abb.), Nr. 6. WOLTER: Teufelshörner, 43, Abb. 35.

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VAN INGEN: Vanitas; F. BÄCHTIGER: Vanitas. Schicksalsdeutung in der dt. Renaissancegraphik. München 1970; J. BIAŁOSTOCKI: Kunst u. Vanitas. In: DERS.: Stil u. Ikonographie. Studien zur Kunstwissenschaft. Köln 21981, 269–316; KRuMMACHER: De Quatuor Novissimis. FuCHS: Sittengeschichte, Abb. 137. Mittel und Motive der Karikatur in fünf Jahrhunderten. Bild als Waffe. Ausstellungskatalog München 1984, 286 f., Nr. 207 f. R.-D. KRISCHER: Ein mittelalterliches Doppelporträt von einem Phaleristiker betrachtet. In: Lauenburgische Heimat 158 (2001), 65–75. STAMMLER: Frau Welt; SCHILLING: Imagines Mundi, 102–117. V. KIRCHNER: Ein christlicher Warnungsbrief. In: Zs. des Vereins f. Volkskunde 20 (1910), 61–66, Abb. 1 f.; J. BOLTE: Zu dem christlichen Warnungsbriefe. In: ebd., 319–321; W. TOBLER: Oben lebend unten tot. Bemerkungen zu einem Memento mori-Motiv. In: Schweizer Volkskunde 50 (1960), 37–44; Volkstümliche Graphik. Ausstellungskatalog Telgte 1982, 78, Nr. 188; CH. DAXELMÜLLER: Totenbilder aus Dänemark u. Südschweden. In: Volkskunst 4 (1983), 223–230 (auch V. E. CLAuSEN: Populäre Druckgraphik Europas: Skandinavien. Vom 15. bis zum 20. Jh. München 1973, Abb. 186 f.); CH. SCHNEEGASS: Faltbildchen. Religiöse Bildbotschaft zur ‚aktiven Aneignung‘. In: Volkskunst 1 (1984), 8–14; Rappresentazioni del destino. Immagini della vita e della morte dal XV al XIX secolo nelle stampe della Raccolta Bertarelli. Milano 2001, 185. MÜNKNER: Eingreifen, 103–122. Ebd., 98–102. Ebd., 94–98. A. SPAMER: Das kleine Andachtsbild vom XIV. bis zum XX. Jh. München 1930 (Nachdr. München 1980), 165 f.; SCHARFE: Andachtsbilder, Taf. LXXXIV, Abb. 145. SCHÖLLER: Druckgraphik, 164, Nr. 59 und Abb. 31a/b EP

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F 334

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Das Blatt postuliert, alte als deutsch verstandene Werte mit den modernen politischen Ansprüchen eines Hofmanns zu vereinigen und bietet ein bislang unbekanntes Porträt Moscheroschs in Gestalt seines alter ego Philander von Sittewalt. Im Zentrum des Bildes steht ein nach der französischen Mode der ausgehenden 1630er Jahre gekleideter Kavalier. Er trägt einen breitkrempigen weichen Hut, den mächtige Straußenfedern schmücken. Sein modisch drapierter halblanger Umhang weist einen schulterbreiten, mit Spitzen verzierten Kragen auf. Das darunter sichtbare Wams zeigt bestickte Ziernähte und spitzenbesetzte Ärmel. Die eher schlichte Hose wird an beiden Beinen gleichfalls durch einen Spitzenbesatz abgeschlossen, der über den Rand der Stulpenstiefel fällt. Ein Degen, Fazenettüchlein, Zierschleifen, eine schulterlange Frisur sowie ein zierlicher Kinn- und Schnauzbart vervollständigen den modischen Auftritt des Mannes, der den Betrachter fixiert und mit seiner Rechten auf seine Brust zeigt. Die Landschaftsstaffage, in die der Kavalier gestellt ist, besteht aus einem Gewässer mit einer baumbewachsenen Insel (?), auf der ein schlossähnliches Gebäude zu sehen ist. Der Text warnt davor, wälsche höflichkeyt und ein stoltze[s] kleyd als Ausweis eines ädele[n] gemüet[s] zu nehmen. Die wesentlichen Werte eines ädel-mannes seien in Verstand und tugend sowie in der erfahrenheyt zu sehen. Sind diese Grundlagen vorhanden, dann allerdings sei Höflichkeyt um desto mehr zu schätzen. Mit dem polemischen Stichwort von der wälsche[n] höflichkeyt ordnet sich der Text in jene nationalkonservative und kulturpatriotische Bewegung des 17. Jahrhunderts ein, die mit reformatorisch-antirömischen und seit dem Eingreifen Frankreichs in den Dreißigjährigen Krieg vermehrt auch mit antifranzösischen Ressentiments die eigene nationale Identität zu stärken suchte. Man berief sich dabei auf überkommene politische, moralische und kulturelle Werte.1 Unter diesen Werten stand seit dem Bekanntwerden der ‚Germania‘ des Tacitus (um 55-nach 116) die Aufrichtigkeit als vermeintliche Nationaleigenschaft der Deutschen besonders hoch im Kurs.2 Im Zusammenhang mit anderen Leitbegriffen wie Redlichkeit, Treue und Gottesfurcht gehörte die Aufrichtigkeit zu einem Konstrukt altdeutscher Tugenden, das der Konzeption des politischen Prudentismus entgegengesetzt wurde, dem man Eigenschaften wie Schmeichelei, Heuchelei, Eitelkeit, Verleumdung und Komplimentierkunst zuschrieb und in dem man einen Import aus der Romania und eine Gefährdung des als genuin deutsch verstandenen Wertekanons und der nationalen Identität sah.3 Besonders prononciert wurde dieser Kulturpatriotismus im Umkreis der 1633 gegründeten Straß152

Ein ädeles gemüet stäkt nicht [Inc.]

(Straßburg) (um 1643) Kupferstich (von Peter Aubry d.J., 1610⫺1686) graviert; 8 Verse in Kreuz- und umarmendem Reim (von Johann Michael Moscherosch, 1601⫺1669) 22,8 ! 15,7

burger Tannengesellschaft und ihres spiritus rector Jesaias Rompler von Löwenhalt (1605⫺ca. 1676) vertreten.4 Die Aufrichtigkeit wurde hier zum programmatischen Bestandteil des Gesellschaftsnamens (‚Aufrichtige Gesellschaft von der Tannen‘), und mit der Tanne als Symbol der Sozietät fiel die Wahl auf einen einheimischen Baum, der in unausgesprochenem Gegensatz zur fremdländischen Palme der Fruchtbringenden Gesellschaft stehen sollte.5 Das Flugblatt weist nicht allein mit seiner Frontstellung gegen die wälsche höflichkeyt und der Betonung von Verstand und tugend […] samt der erfahrenheyt eine ideologische Nähe zu den Zielen der Tannengesellschaft auf; auch seine Orthographie deckt sich mit den sprachreformerischen Bemühungen der Straßburger. Das Blatt verbindet sein kulturpatriotisches Anliegen mit dem frühneuzeitlichen Diskurs über den Tugendadel.6 Bemerkenswert ist, dass der Autor nicht einfach in einer polarisierenden Entgegensetzung deutscher Tugenden und romanischer Glätte verharrt. Vielmehr setzt er sich für eine Verbindung der alten Werte und der neuen Anforderungen an einen adligen Hofmann ein. Dabei wird den überkommenen Normen die Bedeutung unabdingbarer Voraussetzungen für eine adlige Existenz beigemessen. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt seien, so ziehrt die Höflichkeyt doch immerhin um desto mehr den ädel-mannes namen. Daher ist auch der modische Auftritt des Kavaliers im Bild nicht eindeutig als Vorführung des inkriminierten äusserliche[n] schein[s] zu interpretieren; er könnte auch einen mit alten Tugenden bewährten und mit moderner Höflichkeyt vollendeten Adligen vor Augen stellen, der dem Betrachter mit dem Fingerzeig zum Herzen die inneren Werte andeutet, die mit dem galanten Auftreten eine perfekte Harmonie eingehen sollen. Der Text stammt von Moscherosch, der möglicherweise selbst Mitglied der ‚Tannengesellschaft‘ war, auf jeden Fall aber mit deren Gründern Rompler und Johann Matthias Schneuber (1614⫺1665) freundschaftlichen Umgang pflegte. Die Verse stehen im ‚Ala mode Kehrauß‘, der erstmalig 1643 im zweiten Teil der ‚Gesichte Philanders von Sittewalt‘ erschien.7 Philander wird im Wasserschloss Geroldseck im Wasgau vor ein Tribunal vralte[r] Teütsche[r] Helden geführt und wegen seines modischen Aufzugs kritisiert. Nacheinander werden Hut, die schulterlangen Haare, das Stutz-Bärtel, die französische Kleidung wie auch die Höflichkeitsbekundungen mit vielem Bücken/ Ritschen vnd hand-küssen einem ablehnenden Urteil unterzogen. Gerade die Komplimentierkunst widerspreche der alte[n] Teutsche[n] Redlichkeit vnd Auffrichtigkeit.8 Am Ende der Philippika gegen den Wälschen Gang/ Sitten vnd Geberden steht das Gedicht, wobei unklar ist, ob es König Wittekind als abschließendes Zugeständnis vorträgt oder – wahrscheinlicher – als Rechtfertigungsversuch Philanders anzusehen ist. Bezieht man diesen

Kontext in die Deutung des Flugblatts ein, ist das Wasserschloss im Hintergrund nicht eine beliebige Staffage, sondern der Ort des Tribunals. Vor allem aber ist der modische Herr mit Philander gleichzusetzen. Wenn man weiß, dass Philander das literarische Pseudonym Moscheroschs ist, wird man auch die große physiognomische Ähnlichkeit des Kavaliers mit dem bekannten Porträt des Autors bemerken.9 Unter der bildlichen Camouflage Philanders hat der Stecher Peter Aubry, dem die Graphik zweifelsohne zuzuweisen ist,10 ein Bildnis Moscheroschs publiziert.

Weitere Standorte: Nürnberg, GNM: 19791/1293

Andere Fassungen: A1

Frau Hoeffart, Nr. 23 mit Abb. S. 26.

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F. VAN INGEN: Die Sprachgesellschaften des 17. Jhs. Zwischen Kulturpatriotismus u. Kulturvermittlung. In: Muttersprache 96 (1986), 137–146; W. KÜHLMANN: Moscherosch u. die Sprachgesellschaften des 17. Jhs. Aspekte des barocken Kulturpatriotismus. In: DERS./ W. E. SCHÄFER: Literatur im Elsaß von Fischart bis Moscherosch. Gesammelte Studien. Tübingen 2001, 161–174. I. STÖCKMANN: Die Gemeinschaft der Aufrichtigen. Die Sprache der Nation u. der redliche Grund des Sozialen im 17. Jh. In: C. BENTHIEN/ ST. MARTuS (Hgg.): Die Kunst der Aufrichtigkeit im 17. Jh. Tübingen 2006, 207– 230. U. GEITNER: Die Sprache der Verstellung. Studien zum anthropologischen Wissen im 17. u. 18. Jh. Tübingen 1992; A. GEISENHANSLÜCKE: Masken des Selbst. Aufrichtigkeit u. Verstellung in der europäischen Literatur. Darmstadt 2006. W. E. SCHÄFER: Straßburg u. die Tannengesellschaft. In: Daphnis 5 (1976), 531–547; DERS.: Jeremias Rompler von Löwenhalt als Satiriker u. die Straßburger Tannengesellschaft. In: KÜHLMANN/ SCHÄFER: Literatur im Elsaß, 147–159; W. KÜHLMANN/ W. E. SCHÄFER: Nachwort. In: Des Jesaias Romplers von Löwenhalt erstes gebüsch seiner Reim-getichte 1647. Nachdr. der Ausg. Straßburg 1647. Hg. von DENS. Tübingen 1988; M. BOPP: Die ‚Tannengesellschaft‘. Studien zu einer Straßburger Sprachgesellschaft von 1633 bis um 1670. Frankfurt a. M. u. a. 1998. BOPP: ‚Tannengesellschaft‘, 316–320. K. GARBER: Sozietät u. Geistes-Adel: Von Dante zum Jakobiner-Club. Der frühneuzeitliche Diskurs de vera nobilitate u. seine institutionelle Ausformung in der gelehrten Akademie. In: DERS./H. WISMANN (Hgg.): Europäische Sozietätsbewegung u. demokratische Tradition. Die europäischen Akademien der Frühen Neuzeit zwischen Frührenaissance u. Spätaufklärung. Tübingen 1996, 1–39, mit den Literaturangaben in Anm. 10. Moscherosch: Gesichte Philanders, 73⫺184, hier 135. Ebd., 87, 117, 127, 129. W. E. SCHÄFER: Johann Michael Moscherosch. Staatsmann, Satiriker u. Pädagoge im Barockzeitalter. München 1982, Abb. 12. Zur Zusammenarbeit Aubrys und Moscheroschs vgl. J. R. PAAS: Johann Michael Moscherosch u. der Aubrysche Kunstverlag in Straßburg 1625 bis ca. 1660. In: Philobiblon 30 (1986), 5⫺45. MSch

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IX, 72

F 703

Weltlauff/ oder artige Fabel deß Esels

Ort Jahr Bild Text Verleger Format

(Augsburg) 1615 Kupferstich von HFR1 Typendruck in 7 Spalten; 339 zweihebige Paarreime Stephan Michelspacher (nachweisbar 1613–1630)2 32,5 ! 25,7; 8,1 ! 10,1

Die Fabel vom Esel in der Löwenhaut wird zu einer lokalen Polemik gegen einen ungenannten Parvenü genutzt. Auf einer nicht weiter gegliederten, durch zwei Stauden und einen Baumstamm als natürlich ausgewiesenen Fläche steht ein Esel. Zu seinen Vorderhufen liegt ausgebreitet ein Löwenfell, dessen Kopf über eine Gabelung des Baumstumpfes gehängt ist. Die vier Verse unter dem Titel präludieren dem Text, indem sie knapp auf das Thema des homo novus verweisen, der seinem sozialen Aufstieg moralisch und charakterlich nicht gewachsen ist. Der Haupttext ist nach dem Strukturschema der Fabel in zwei Teile gegliedert, in die History und die Lehr auß dieser History. Die narratio erzählt von einem Esel, der aus Faulheit seine angestammte Art und Arbeit verlässt. Im Wald erfährt er, dass hier der Löwe das Regiment führe. Als der Esel kurze Zeit später ein Löwenfell findet, das er sich überwirft, glaubt er am Ziel seiner Wünsche zu sein, da sich die anderen Tiere durch seine Verkleidung und sein Gebrüll täuschen lassen. Der Müller jedoch, aus dessen Stall der Esel geflohen war, durchschaut die Maskerade seines Langohrs, verprügelt ihn und bindet ihn wieder im Stall an, ohne den Protest des Esels zu beachten, der vergeblich auf seine angemaßte Königsrolle im Wald verweist. Das ausführliche Epimythion beginnt mit einer allgemeinen Warnung vor Hochmut, der nur schand vnd spott, vor allem aber Vngnad bey Gott einbringe. Die generelle Lehre wird im Folgenden auf eine bestimmte Person appliziert, die von einfacher Herkunft schon von Jugend an arbeitsscheu gewesen sei, sich deswegen im Krieg verdingt habe und ohne besondere Meriten oder gar eine charakterliche Entwicklung daraus wieder heimgekehrt sei (Ein Esel auß Gezogen war/ Widerumb dar Ein Esel kam).3 Nach seiner Heirat habe der Betreffende sich von seinem angestammten Handwerk abgewandt und sei auf nicht genauer bezeichneten Wegen zu erheblichem Reichtum gelangt, der ihn hochmütig gemacht und nach höheren Ehren habe greifen lassen. Sein Bemühen, sich gesellschaftliches Ansehen mit Geld zu erkaufen, sei jedoch mit Spott quittiert worden, da er die langen Ohren seiner Herkunft nicht ablegen konnte. Obwohl die Bibel vor Ehrgeiz warne und Gott jeden seinem Stand zugeordnet habe, gebe es doch immer wieder Esel, die sich die Position des Löwen anzumaßen versuchten. Nicht ganz klar ist eine Textpassage am Ende der vorletzten und am Anfang der letzten Spalte: Möglicherweise wird hier moniert, dass die kritisierte Person sozial vermeintlich unter ihm Stehende verspottet habe, ohne zu bedenken, dass genügend alte Leuth noch am Leben seien, die ihn selbst in seiner Jugend mit entsprechenden Buoben Namen gerufen hät154

ten. Mit einer erneuten Wendung ins Allgemeine, die nochmals die gottgegebene und damit unveränderliche Einteilung der Gesellschaft betont und daraus die Unangemessenheit von Hochmut und Protzerei (pracht) ableitet, und mit einer Bitte um göttliche Vergebung schließt der Text. Avians (Ende 4. Jh.) Version der Fabel vom Esel im Löwenfell erzählt die Geschichte als ein moralistisches Beispiel bestrafter Anmaßung. Über den ‚Esopus‘ Heinrich Steinhöwels (1412–1482/83) geht die Fabel in die zahlreichen Sammlungen des 16. Jahrhunderts ein und wird schon bald im politisch-konfessionellen Streit eingesetzt.4 Bereits bei Hans Sachs (1494–1576) darf man vermuten, dass seine Fassung von 1531 nicht nur auf moraldidaktischer, sondern auch auf politischer Ebene zu lesen ist und aus stadtbürgerlicher Perspektive einen nachträglichen Kommentar zum Bauernkrieg von 1525 abgibt.5 Erasmus Alberus (1499/1500– 1553) legt den Esel auf das Papsttum aus, dem von Luther der Löwenbalg abgezogen worden sei.6 Auch im Dreißigjährigen Krieg wurde die Fabel zur polemischen Herabsetzung des jeweiligen politischen Gegners eingesetzt.7 Stephan Michelspacher hatte ein Jahr zuvor eine Neufassung jenes Flugblatts herausgebracht, das vor 85 Jahren mit der Fabelversion von Hans Sachs und einem Holzschnitt von Georg Pencz (um 1500–1550) erschienen war. Auf der Neufassung wurde der Holzschnitt durch einen moderneren Kupferstich von Lukas Kilian (1579–1637) und der Text durch eine Kompilation der Fabel von Sachs mit ihrer Bearbeitung von Georg Rollenhagen (1542–1609) ersetzt (b I, 41). Es ist davon auszugehen, dass der Verfasser des vorliegenden Blatts durch diesen Druck angeregt wurde, die Fabel auch für sein Pasquill zu verwenden. Das Ziel des satirischen Angriffs wird in der Lehr auß diser History benannt: Ein Mann ich kenn/ Jedoch nit nenn/ Schlechter Ankunfft Jn einer Zunfft/ Geboren wardt/ Diß Esels art/ Vil hett an sich. Im Unterschied zu den genannten politischen Auslegungen der Fabel scheint es sich hier um eine eher persönliche oder allenfalls lokalpolitische Fehde zu handeln. Auch wenn der Name der betreffenden Person aus Rücksicht auf die einschlägigen Zensurbestimmungen unterdrückt wird, dürften die anschließenden biographischen Auskünfte für den zeitgenössischen Leser in Augsburg genügend Anhaltspunkte geboten haben, um eine Identifizierung vorzunehmen. Und zumindest hat sich eine Person getroffen gefühlt und eine Antwort verfasst oder verfassen lassen (b IX, 73). Da sich aber weder in den Ratsdekreten noch in den zeitgenössischen Chroniken ein Hinweis auf die Fehde findet, bleibt das Objekt der satirischen Aggression vorläufig im Dunkel der Geschichte.8

Weitere Standorte: Braunschweig, HAUM: Flugblätter VI; Nürnberg, GNM: 24556/1292a; Zürich, ZB: Edr. 1615 Esel Ia, 1

Andere Fassungen: A1

M. SCHILLING: Fabel, Politik u. Propaganda. Zur Fabel vom Esel im Löwenfell in der Frühen Neuzeit. In: J. R. PAAS (Hg.): Augsburg, die Bilderfabrik Europas. Essays zur Augsburger Druckgraphik der Frühen Neuzeit. Augsburg 2001, 71–78, hier 74 f.

1

Vgl. NAGLER: Monogrammisten, III, Nr. 935, der Hans Friedrich Riedel aus Ulm als möglichen Stecher nennt. Vgl. H. GIER: Augsburger Buchwesen u. Kunst der Druckgraphik im zweiten Jahrzehnt des 17. Jhs. Der Verlag von Stephan Michelspacher, sein Gönner Philipp Hainhofer u. der Kupferstecher Lucas Kilian. In: PAAS (Hg.): Augsburg, die Bilderfabrik, 55–70. In Abwandlung des Sprichworts Fleugt ein Gans über meer/ so kompt ein gagag herwider; vgl. Egenolff: Sprichwörter, fol. 26v. Zur Tradition dieser Fabel vgl. G. DICKE/ K. GRuBMÜLLER: Die Fabeln des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Ein Katalog der deutschen Versionen und ihrer lateinischen Entsprechungen. München 1987, 122–128. Sachs: Fabeln und Schwänke, I, 74–76; Sachs’ Fabelversion erschien als Flugblatt, vgl. Fliegende Blätter, Nr. 395. Erasmus Alberus: Die Fabeln. Die erweiterte Ausgabe von 1550 mit Kommentar sowie die Erstfassung von 1534. Hg. von W. HARMS u. a. Tübingen 1997, 152–157. SCHILLING: Fabel, 71–73. Ein Zusammenhang mit dem Bankrott der Welser im Jahr 1614 lässt sich ebenfalls nicht verifizieren. MSch

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IX, 73

ohne Signatur

Ort Jahr Bild Text Format

Der nicht illustrierte Einblattdruck gibt eine polemische Replik auf das Flugblatt ‚Weltlauff/ oder artige Fabel deß Esels/ so die Löwenhaut fand‘ (b IX, 72). Der in steigender Intensität als Erinnerung/ Vermanung vnd Warnung annoncierte Text, der mit den sympathiewerbenden und vertrauenbildenden Attributen einfältig, schlecht vnd recht, sehr Christlich, trewhertzig vnd wohlgemeint überschrieben wird, beginnt mit einer Präambel in Prosa. Hierin wird den Verfassern von Pasquillen eine Fehleinschätzung ihres Tuns vorgeworfen, das nur geringe Wirkung zeitige und von den vnpartheyischen Ehrenleuthen unschwer durchschaut werde. Die paargereimten Zweiheber paraphrasieren in den ersten anderthalb Kolumnen ein Wort Jesu, in dem das dreifach abgestufte Vorgehen gegen einen sündigen Mitmenschen beschrieben wird (Mt 18, 15–17). Da kein neuer Sprecher eingeführt wird, erscheinen auch die folgenden Mahnungen als Äußerungen Christi. Diese Warnungen vor falschem Verhalten werden in Entsprechung zum Bibelzitat ebenfalls dreifach abgestuft (Minder thu eins […]; Wenigr gedenck […]; Noch wenigr abr […]). Gewarnt wird vor übler Nachrede, vor dem Verfassen von lästrCharten und der Publikation von Pasquilln. Diese Warnung begründet der Sprecher mit dem gesetzlichen Verbot der Schmähschriften und den Strafen, die eine Übertretung des Verbots nach sich ziehe (Bey verlust der/ Zeitlichs Guts vnd Ehr/ Auch Leib vnd Lebn). Unter Berufung auf die Rechtsglehrten Nicht Verkehrten1 unterstreicht er seine Auffassung, dass Pasquillanten zu stäupen und der Stadt zu verweisen seien.2 In der letzten Spalte wird der Verfasser von Schmähschriften beschimpft (Du magre Kuh; Vnwehrter Schalck) und mit den Strafen des Scherens und Räderns bedroht. Nachdem der erste Teil der Texte ahne den Esel Historj vnd Lehre dichtern gerichtet war, spricht der untere Text der von dem Pasquill betroffenen Person Trost zu. Die Vorrede in Prosa, die syntaktisch unmittelbar an den Titel anschließt, empfiehlt dem Opfer des Närrischen Eselsgedicht[s] sich an Jesus Sirach 20,20 (recte 26: DJe Lügen ist ein hesslicher schandfleck/ an einem Menschen/ Vnd ist gemein bey vngezogen Leuten) zu halten. Die folgenden Knittelverse geben der Zuversicht Ausdruck, dass Gott denjenigen, der auf ihn und sein Wort vertraut, gegen alle Anfeindungen von Teuffel/ Welt vnd Todt beschützen und beschirmen werde. Das abschließende Zitat aus Jesus Sirach (12, 31–34), das in der Übersetzung Luthers wiedergegeben ist, führt noch einmal die Autorität der Bibel gegen den neidischen Nachredner ins Feld. Der Einblattdruck gibt sich durch mehrere Signale als Antwort auf das im Vorjahr erschienene Flugblatt ‚Weltlauff/ oder artige Fabel deß Esels‘ 156

Einfältige/ schlechte vnd rechte/ auch sehr Christliche

(Augsburg) 1616 (nicht illustriert) Typendruck in 1, 5 und 3 Spalten; Prosa, 206 zweihebige Paarreime, 24 Knittelverse 36,1 ! 26,5

(b IX, 72) zu erkennen: Mit den Stichworten Esels Historj vnd Lehre werden die Gliederungspunkte des ‚Weltlauffs‘ zitiert; der Esels Lehre vnd Historj dichter habe sein Närrisches Eselsgedicht erst jüngst außgesprengt; die selten gebrauchten paargereimten Zweiheber greifen formal die Vorgabe des ‚Weltlauffs‘ auf; und auf den Verleger Stephan Michelspacher (nachweisbar 1613–1630) werden in der fingierten Verlagsangabe Jn Verlegung Weylandt Natan Feyhelspacher hinderlassener Erben antijüdische Ressentiments gelenkt. Der Verfasser, dessen Prosa an Kanzleideutsch gemahnt und dessen Verse wenig Übung verraten, verfährt in seiner Widerlegung zweigleisig: Er argumentiert zum einen mit der Autorität der Bibel, indem er ein Wort Jesu als Ausgangspunkt und Gliederungsvorgabe nimmt und überdies die Grenze zwischen der Rede Christi und seinen eigenen Ausführungen verwischt; auch in den übrigen Textteilen des Blattes werden immer wieder Bibelzitate zur Absicherung des eigenen Standpunkts vorgetragen.3 Zum andern weist der Autor auf die Rechtslage hin, die üble Nachrede und das Abfassen wie Veröffentlichen von Pamphleten unter Strafe stelle. Und eben solche Strafen, die von Geldbußen über Schandstrafen und Ausweisung bis zur körperlichen Züchtigung und Hinrichtung reichen, werden dem Gegner in diesem publizistischen Schlagabtausch angedroht. In Hinblick auf den hohen Stellenwert der Ehre in der frühneuzeitlichen Gesellschaft4 und in Anbetracht der durch die jungen Medien Flugblatt und Flugschrift erheblich gestiegenen Publizität von Schmähschriften war der Zensurgesetzgebung im 16. Jahrhundert auf allen Ebenen des Reichs eine erhöhte Bedeutung zugewachsen.5 Aufgrund der üblichen Anonymität des Schmähschrifttums war eine Anwendung des geltenden Rechts jedoch nur selten möglich.6 Aus demselben Grund kam auch eine unmittelbare persönliche Reaktion auf die Ehrabschneidung nicht in Frage.7 Eine verbreitete und angemessene Form der Reaktion bestand daher in einer publizistischen Gegenattacke.8 Eben diese Form liegt in der ‚Erinnerung/ Vermanung vnd Warnung‘ vor.

Weitere Standorte:

Andere Fassungen: A1

M. SCHILLING: Fabel, Politik u. Propaganda. Zur Fabel vom Esel im Löwenfell in der Frühen Neuzeit. In: J. R. PAAS (Hg.): Augsburg, die Bilderfabrik Europas. Essays zur Augsburger Druckgraphik der Frühen Neuzeit. Augsburg 2001, 71–78, hier 74–77.

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Die Formulierung soll das Sprichwort ‚Die Gelehrten, die Verkehrten‘ (vgl. RÖHRICH: Redensarten II, 531 f.) entkräften, das andernfalls als mögliches Gegenargument hätte dienen können. Unausgesprochen wird damit auch dem oben paraphrasierten Wort Jesu entsprochen: Meyd jhn auch zgleich Den in dein Reich Gehört er nicht. Zum Einsatz von Bibelzitaten auf Flugblättern vgl. HARMS: Funktionalisierungen. Vgl. M. DINGES: Ehrenhändel als kommunikative Gattungen. Kultureller Wandel in der Frühen Neuzeit. In: AKG 75 (1993), 359–393; K. SCHREINER/ G. SCHWERHOFF (Hgg.): Verletzte Ehre. Ehrkonflikte in Gesellschaften des Mittelalters u. der Frühen Neuzeit. Köln u. a. 1995. Vgl. G. SCHMIDT: Libelli Famosi. Zur Bedeutung der Schmähschriften, Scheltbriefe, Schandgemälde u. Pasquille in der dt. Rechtsgesch. Diss. Köln 1985; SCHILLING: Bildpublizistik, 154–170; V. BÜCHLER: Die Zensur im frühneuzeitlichen Augsburg 1515–1806. In: Zs. d. Hist. Vereins f. Schwaben 84 (1991), 69–128. Es ist daher erstaunlich, dass der ‚Weltlauff‘ eine Verlagsangabe aufweist. Entweder verfügte Michelspacher über einen starken Rückhalt im Augsburger Rat, so dass er keine rechtliche Verfolgung zu befürchten hatte, oder die Zensur konnte nicht angewandt werden, weil die Zielperson der Invektive nicht namentlich genannt wird. Zu gewaltsamen Ehrenhändeln in Augsburg vgl. M. HÄBERLEIN: Tod auf der Herrenstube. Ehre u. Gewalt in der Augsburger Führungsschicht (1500–1620). In: S. BACKMANN u. a. (Hgg.): Ehrkonzepte in der Frühen Neuzeit. Identitäten u. Abgrenzungen. Berlin 1998, 148– 169. E. SCHuBERT: bauerngeschrey. Zum Problem der öffentlichen Meinung im spätmittelalterlichen Franken. In: Jb. f. fränkische Landesforschung 34/35 (1975), 883–907, hier 904–906; M. BAuER: Die Gemain Sag im späteren Mittelalter. Studien zu einem Faktor mittelalterlicher Öffentlichkeit und seinem historischen Auskunftswert. Diss. Erlangen 1981, 161 f.; Beispiele ausgedehnter publizistischer Fehden bei A. VENN: Die polemischen Schriften des Georg Nigrinus gegen Johann Nas. Ein Beitrag zur Gesch. der konfessionellen polemischen Literatur im Zeitalter der Gegenreformation. Witten 1933; KASTNER: Rauffhandel, 226–248; U. D. HÄNISCH: ‚Confessio Augustana triumphans‘. Funktionen der Publizistik zum Confessio Augustana-Jubiläum 1630 (Zeitung, Flugblatt, Flugschrift). Frankfurt a. M. u. a. 1993, 38–45; OELKE: Bildpropaganda; H. P. JÜRGENS/ TH. WELLER (Hgg.): Streitkultur u. Öffentlichkeit im konfessionellen Zeitalter. Göttingen 2013. MSch

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IX, 74

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Ort Jahr Bild Text Format

Das Blatt vereinigt Märchenmotive, Lügengeschichte, biographisches Erzählschema und Anspielungen auf beliebte Themen der populären Literatur (Nase, Bart) zu einer Satire auf das Zeitungsgewerbe. Im Zentrum der Graphik blickt ein barhäuptiger Männerkopf mit wallendem gelocktem Haar und rauschendem Vollbart den Betrachter an.1 Die Ausmaße des Porträtkopfes machen zwei seitlich angelegte Leitern deutlich, über die von beiden Schultern sieben Männer mit Kämmen und Scheren ins Haar des Riesen klettern, wo schon neun weitere Friseure sich mit ihrem Besteck an seiner Frisur zu schaffen machen. Der pyramidale Bildaufbau gibt zu beiden Seiten des Kopfes den Blick in eine weiträumige Landschaft frei, an deren Horizont eine Stadt und ein kleineres Kirchspiel erscheinen. Auf der linken Seite sind Szenen einer Heuernte dargestellt, nur dass es sich, wie der Text aussagt, nicht um Heu, sondern um das dem Riesen abgeschnittene Haar handelt. Auf der gegenüberliegenden Seite ist noch einmal der Riese mit seinem Schwert an der Seite und einer Lanze in der Hand dargestellt; zu seinen Füßen liegt seine abgetrennte Nase, die von mehreren Männern mit hoch erhobenen Schlachterbeilen zerlegt und in mehreren Pferdewagen fortgebracht wird. Der Titel kündigt mit superlativischen Formulierungen die ‚Wahre Abbildung des Langnäsichten vnd Groß-Bärtichten ERINOTHEI, sonst Däumling genandt‘ an,2 dessen selbst eigene Worte im Folgenden wiedergegeben seien. Der Riese beginnt mit der Beteuerung, in seinem langen Leben (Jch bin Zwey Tausend Jahr/ wann ich mein Alter reche) so viel erlebt zu haben, dass tausend Schreiber nicht ausreichten, um seine Biographie zu Papier zu bringen, selbst Wann Sie schon Hundert Jahr die Feder liessen streichen. Dieser modifizierte Unsagbarkeitstopos3 bereitet mit seiner Hyperbolik die anschließenden Lügengeschichten vor. Der Erzähler sei als Däumling zur Welt gekommen und so klein gewesen, dass seine Mutter ihn gar nicht bemerkt habe. Der Verweis auf Tacitus (um 58⫺um 120) soll die Wahrheit des Berichteten verbürgen und dient zugleich der Überbietung, da von jhm auch viel ist vnberühret blieben/ Was mich anlangen thut. Die ersten Geschichten gelten der Existenz als Däumling. Zunächst habe er sich als Hütejunge bei einem Bauern verdingt und den Wolf von den Herden ferngehalten, indem er in ihn hineingekrochen sei und ihn von innen so bearbeitet habe, dass seinem Wirtstier der Appetit vergangen sei. Die zweite Station habe den Erzähler an den spanischen Hof geführt, wo er mit seinem Bart einem Fürsten als Kleiderbürste und als Pastetenfüllung gedient habe. Später sei er jedes Jahr gewachsen ein Spanne. Schon als Däumling habe er bey Jungfrawen Favor vnd guten Stern gehabt, und als Riese sei er jedes Jahr Vater geworden. Jetzt sei er allerdings 158

Nase über alle Nasen/ vnd Bart

(um 1640) Kupferstich und Radierung Typendruck in 3 Spalten; 88 Alexandriner 35,5 ! 25,5; 15,9 ! 23,0

in Liebesdingen ein Stimpler (Pfuscher, gemeint ist: impotent) geworden und verarmt, so dass er nicht wisse, woher er seine Mahlzeiten (Funfftzig Rinder; Dreißig Eymer Wein usw.) nehmen solle.4 Daraufhin habe er erst seinen Bart (Er war lang vnd breit […] Alß Funfftzig Meilen seyn) scheren lassen und als Heu verkauft. Um seinen Bart, der bei einem Bad im Rothen Meer schwer gelitten habe, wieder zum Wachsen zu bringen, habe er sich zwölf Jahre lang den Mist von 10.000 Schafen und Rindern ums Maul geschmiert, was auch ein Blinder habe ‚merken‘, d. h. riechen können. Seine zehn Meilen lange Nase, mit der er gantze Städt vnd Dörffer umblasen konnte, habe er für zehn Tonnen Gold als KalbFleisch verkauft. Den tollen Lebenslauff beschließt ein erneuter Unsagbarkeitstopos mit der paradoxen Behauptung, an kein Ende kommen zu können, bevor der Erzähler auch nur angefangen habe.

Während Lügengeschichten sonst meist mit dem Reiseschema verbunden wurden (b IX, 78), hat sich das vorliegende Blatt das biographische Erzählschema zu eigen gemacht, indem die Schilderung als Lebensrückblick inszeniert ist. Die Kuriosität der Wechselfälle des Lebens (erst Däumling, dann Riese; erst Potenzprotz, dann Hahnrei; erst gigantischer Rauschebart, dann die Notwendigkeit, den Bart durch Unmengen von Viehmist wieder zum Sprießen zu bringen) lassen den Text nicht zuletzt als Parodie von Prosaromanen erscheinen, in denen in der Nachfolge des hellenistischen Romans das wechselvolle Schicksal des oder der Protagonisten geschildert wird.

Das Blatt bietet die älteste literarische Bearbeitung des schwankhaften Märchens vom Däumling in Deutschland und ist der einschlägigen Forschung bisher unbekannt.5 Von den zugehörigen Erzählmotiven werden die ungewöhnlichen Umstände der Geburt und die von innen praktizierte Fremdsteuerung des Wolfs aufgegriffen,6 während die Verwendung des Däumlings als Kleiderbürste und Kapriolen schlagende Pastetenfüllung nicht zum Motivbestand des Märchens gehören. Das erotisch gefärbte Blinde Kuh-Spiel mit den Damen passt zu der psychoanalytischen Interpretation, die in dem Däumling ein phallisches Symbol sieht.7 Der Text kombiniert die Geschichte vom Däumling mit der Erzählung über einen Riesen und nimmt mit dieser komplementären Verdoppelung der Perspektiven die Konzeption von ‚Gullivers Reisen‘ des Jonathan Swift (1667⫺1745) vorweg. Auch die Schilderung des Riesen bedient sich bekannter Erzählmotive, so der Langlebigkeit (b IX, 200) oder der sich auf dem Kopf des Giganten tummelnden normalwüchsigen Menschen.8 Besondere Aufmerksamkeit widmet der Autor den in der satirischen Literatur so populären Motiven der Nase (b I, 42; IV, 11; IX, 75)9 und des Bartes (b I, 134; IV, 40).10 Das Blatt gehört in den Kontext der Lügengeschichten, mit denen in der Bildpublizistik immer wieder das Nachrichtengewerbe und sein Publikum parodiert wurden (b I, 116 f.; IV, 13; IX, 20, 76⫺78). Daher wird im Titel des Blatts Frankfurt erwähnt, das wegen seiner Messen ein Hauptumschlagplatz für Nachrichten aller Art war. Da der Text in Alexandrinern abgefasst ist, wird er nicht vor 1630 entstanden sein. Es fehlen jedoch Anspielungen auf die Anfang der 1630er Jahre so beliebten Themen des Alamode-Wesens und des Aufschneidens. Anderseits verweist die Schreibung des anlautenden ‚u‘ als ‚v‘ (also vnd statt und) auf ein Erscheinungsjahr vor 1650. Daher ergibt sich als ungefähre Datierung das Jahr 1640.

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Weitere Standorte: Andere Fassungen:

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Es ist der Forschung bislang entgangen, dass der Stich die Vorlage für den Kopf Abraham Lincolns im Mount Rushmore National Memorial abgegeben hat; zum Forschungsstand vgl. T. PRuM: The greatest Presidents of the United States. Alternative facts on the iconography of the Mount Rushmore Monuments. Washington 2017. Der Name Erinotheus setzt sich aus rís, rinós (Nase), theós (Gott, göttlich) und eventuell éris (Streit, Kampf) zusammen und bedeutet ‚göttliche Nase‘ oder ‚streitbarer Nasengott‘. Vgl. E. R. CuRTIuS: Europäische Literatur u. lateinisches Mittelalter. Bern/ München 61967, 168⫺171. Bei den Mengenangaben berührt sich das Blatt mit späteren Einblattdrucken, die über fiktive Vielfraße berichten; vgl. W. PuLZ: Frauen u. Männer – Fasten u. Völlen? Geschlechterdifferenz u. außergewöhnliches Eßverhalten in der Frühen Neuzeit. In: C. KÖHLE-HEZINGER u. a. (Hgg.): Männlich Weiblich. Zur Bedeutung der Kategorie Geschlecht in der Kultur. Münster u. a. 1999, 209⫺223, hier 210⫺212. Vergleichbare Mengenangaben auch in den Flugschriften ‚Ein wunderliche newe Zeitung. Von eim schröcklichen grossen Weib‘ (Basel 1612); ‚Nagelnewe Zeitung Von der schröcklich grossen Geburt‘ (o.O. um 1615); ‚Zwey wunderliche neue Lieder. Das erst von einem schröcklichen grossen Mann. 2. Von einem wundergrossen Weib‘ (o.O. um 1610); ‚Zwey schöne neue Werckliche Lieder/ Das Erste: Von dem grosen Mann‘ (o.O. 1630). W. PAPE: Däumling. In: EM 3 (1981), 349⫺360. A. AARNE/ S. THOMPSON: The Types of the Folktale. A Classification and Bibliography. Second Revision. Helsinki 1961, 700. H. VON BEIT: Symbolik des Märchens. 3 Bde., Bern 4 1977, I, 150; II, 506 f. Vgl. Fischart: Geschichtklitterung, Kap. 41: Wie Gurgelstrozza im Salat, sechs Bilger aß. J.-U. FECHNER: Der Antipetrarkismus. Studien zur Liebessatire in barocker Lyrik. Heidelberg 1966, 114⫺132; A. STEWART: Large noses and changing meanings in sixteenth-century German prints. In: Print Quarterly 12 (1995), 343⫺360. Vgl. Johannes Barbatius: Barbae Maiestas, Hoc Est, De Barbis Elegans, Brevis Et Accurata Descriptio. Frankfurt a. M. 1614; deutsche Übersetzung ebd. 1614 u.ö. Wieder abgedruckt in: Balthasar Permoser: Der ohne Ursach verworffene und dahero von Rechts wegen auff den Thron der Ehren wiederum erhabene Barth. Frankfurt a. M. 1714. MSch

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IX, 75

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Ort Jahr Bild Text Verleger Format

Das Blatt wendet sich in satirisch-grobianischer Komik gegen unerwünschte Neugier und zeigt, wie jedem, der sein Naß in all Dreck wil stecken, sein überbordendes Riechorgan auf ein geziemendes Maß zurechtgeschliffen wird. Im Zentrum der Szene steht eine Schleifbank, deren überdimensionalen Schleifstein ein nach französischer Mode gekleideter, frisierter und balbierter Mann mittels einer Kurbel in Drehung versetzt. Vor ihm sitzt ein mit Spitzenkragen, gespornten Stulpenstiefeln mit durchbrochenen Gamaschen und Allonge-Perücke gleichfalls modisch ausstaffierter Kunde, der seinen Kopf von dem hinter ihm auf der Bank stehenden Maister an den rotierenden Schleifstein drücken lässt, um seine markant vorspringende Nase verkleinern zu lassen. Auf einem Balken über der Bank hockt ein Junge mit heruntergelassener Hose und entleert sich auf den Stein, um durch die Zugabe seines ‚Schleifwassers‘ eine Überhitzung bei der unter ihm erfolgenden Schönheitsoperation zu verhindern. Links unter einem Baum beäugt ein durch seine einfache Kleidung und einen Dreschflegel gekennzeichneter Bauer den Vorgang. In einem Torbogen rechts gibt ein weiterer Gehilfe einer separaten Nase mit einem Bimsstein den letzten Schliff, bevor er sie an dem freien Fleischerhaken über ihm befestigt, wo schon vier fertig geschliffene und polierte Nasen zu Werbezwecken hängen. Ein zweiter Schleifstein lehnt daneben an der Wand. Der Text verteilt sich auf zwei Sprecher. Die sechs Verse unter dem Titel imitieren einen Ausrufer, der mit werbenden Worten (wunder über Wunder; Was newes; ein Jungen hüpsch vnd ran [=schlank]) die Aufmerksamkeit des Publikums auf den Schleiffer zu lenken versucht. Auch die Konditionierung der Hörer (Was newes muß man hören noch) und der abschließende grobianische Stilbruch zielen auf die Neugier und Kauflust der Leser und Passanten. Die Verse unter dem Bild sind dem Nasen Schleiffer selbst in den Mund gelegt. Auch er bedient sich marktschreierischer Werbetechniken (Ey holle holle kompt ihr Leüt), indem er auf zufriedene Kunden verweist (Alß wie des Bawren so hie staht/ Der Maister ihm geholffen hat), die kurze Behandlungsdauer betont (in eim Augenblick […] daß er warten kann) und verharmlosend-beschönigende Formulierungen wählt (dapfer auf den Stein her schweissen und So kann sie mein Gesell ballieren [=polieren]). In betonter Schlussstellung wird das Aussageziel der grobianischen Attacke benannt: Wer sein Naß in all Dreck wil stecken/ Der muß deß Jungen wassers lecken. Auf der ältesten Version des Blattes (Augsburg 1626; Fassung a) ist der Text mit den Initialen D. T. K. unterschrieben, hinter denen sich der ar160

Der Nasen Schleiffer Bin Jch genandt

(Köln) (3. Viertel 17. Jahrhundert) Kupferstich (von Abraham Aubry, † 1682) graviert in 3 Spalten; 2, 6 und 18 Knittelverse (von Thomas Kern, *um 1589, nachweisbar bis 1632) (Gerhard Altzenbach, nachweisbar 1609⫺1672) 32,6 ! 23,0

beitslose Weber Thomas Kern aus Augsburg verbirgt, der in der zweiten und dritten Dekade des 17. Jahrhunderts sein Leben als Kolporteur fristete.1 Er zog mit Kollegen im süddeutschen Raum herum und vertrieb nicht nur, sondern verfasste und verlegte auch zahlreiche Kleindrucke. Dabei schrieb er sich die Texte auf den Leib, so dass er sie situationsgemäß durch Ausruf, Aussingen oder in spielerischer Kommunikation mit dem Publikum absetzen konnte. Im vorliegenden Fall bietet das Blatt ein Szenario für ein improvisiertes Stegreifspiel: Ein Mitspieler übernahm den Ausruf des Schleifergesellen. Der Meister, der seine gespielte Profession durch das Requisit eines Schleifsteins unterstreichen konnte, wandte sich an die Umstehenden, sei es, dass er analog zu dem Bauern im Bild auf weitere vorgeblich schön geschliffene Nasen im Publikum hinwies, sei es, dass er Besitzer besonders ausdrucksstarker Riechorgane gezielt als potenzielle Kunden ansprach und so die übrigen Zuschauer als Lacher auf seine Seite zog.2 Das Blatt gehört zu jenen Satiren, in denen Handwerker metaphorisch menschliche Gebrechen und Laster beheben (Altweiber-, Altmännermühlen und -öfen; Kopfschmiede, b IX, 37 f.).3 Der Vorgang des Schleifens wurde am häufigsten mit der Zunge in Zusammenhang gebracht. Thomas Murner (1475⫺1537) illustriert in seiner ‚Schelmenzunft‘ die Redensart Glatt worter schleiffen mit einem Mann, der seine herausgestreckte Zunge an einen Schleifstein hält, den er selbst mit seiner Rechten dreht.4 Während hier mit den glatten Worten und Schmeicheleien ein fragwürdiges Produkt entsteht, beheben andere Zungenschleifer moralische Defizite ihrer Kunden. Ein auf Karel van Mander (1548⫺1606) zurückgehender Kupferstich in den ‚Emblemata Secularia‘ Johann Theodor de Brys (1561⫺1623) etwa zeigt einen Schleifer, der die Falsche Zung der Verleumdung zurechtschleift.5 Ein ‚Geistlicher Zungenschleiffer‘ (Augsburg 1618) bietet sogar sieben verschiedene Schleifsteine auf, um das schandtlich Laster der Ehrabschneidung vnd Verleumbdung zu beheben.6 Aegidius Albertinus (1560⫺1620) hat 1618 einen an die Emblematik angelehnten ‚Hirnschleiffer‘ veröffentlicht, auf dessen Titelkupfer eine Schleifwerkstatt zu sehen ist, in der Köpfe poliert (b I, 113; IX, 38) und so die Gedanken in die richtige Form gebracht werden oder aus Stumpfsinn Scharfsinn entsteht.7 Auf einem Einblattdruck von 1545 wird sogar ein kompletter Narr der Prozedur des Schleifens unterzogen.8 Die Verkleinerung der vorwitzigen Nase am Schleifstein ist erstmals auf dem Augsburger Flugblatt von Thomas Kern nachzuweisen (Fassung a). Die Beliebtheit des Motivs bezeugen sowohl der vorliegende Druck samt seinen Nachbarfassungen9 als auch die Verwendung in der populären Druckgraphik Englands, Frankreichs und Italiens.10

Weitere Standorte: Berlin, SBPK: YA 3484 kl. (2 Exemplare)

Andere Fassungen: a)

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Augsburg, Stadtarchiv: Criminalakten 16./17. Jahrhundert, Beilagen [Der Nasenschleiffer; Augsburg: Lorenz Schultes; Holzschnitt; Text: D. T. K.] Nürnberg, GNM: 2° StN 238, fol. 481 [Titel: … Wohl bekandt; Text ohne Zierrahmen, Kupferstich im Gegensinn] Nürnberg, StB: Einbl. 16.⫺20. Jh. [Titel: … Allen Groß Nasen wohl bekandt] Augsburg, SStB: Einbl. Briefmaler [4 Knittelverse; Inc.: Wem die Naß zu Groß Mag sein; Augsburg: Abraham Bach o. J.]

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WÄSCHER, 94. COuPE I, 161 f.; II, Nr. 99. SCHILLING: Bildpublizistik, Nr. 57a.

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M. SCHILLING: Die Lieder des Augsburger Kolporteurs Thomas Kern aus den Anfangsjahren des Dreißigjährigen Krieges [zuerst 2001]. In: HARMS/ SCHILLING: Flugblatt der frühen Neuzeit, 103⫺121. Das D. wurde von Kern als ‚Dichter‘ aufgelöst, wobei er die Unschärfe zum ‚D.‘ für ‚Doctor‘ einkalkulierte. Vgl. SCHILLING: Bildpublizistik, 77⫺79. J. BOLTE: Zwei böhmische Flugblätter des XVI. Jhs. In: Archiv f. slavische Philologie 18 (1896), 126⫺137, hier 130⫺137; DE MEYER: Verjüngung; BRINGÉuS: Kunst; METKEN: Altweibermühle; Fliegende Blätter, Nr. 384. Thomas Murner: Schelmenzunft. Hg. von M. SPANIER. Halle a. S. 1912, 36 f. Johann Theodor de Bry: Emblemata Saecvlaria. Frankfurt a. M. 1596, Nr. 5. M. SCHILLING: Das Flugblatt als Instrument gesellschaftlicher Anpassung [zuerst 1985]. In: HARMS/ SCHILLING: Flugblatt der frühen Neuzeit, 135⫺156, Abb. 4; vgl. auch Jeremias Drexel: ZungenSchleiffer. München 1631; Beispiele vom Ende des 19. Jahrhunderts bei S. METKEN: Zungenschleifen. In: Bunte Bilder, 81⫺84. Aegidius Albertinus: Hirnschleiffer. Hg. von L. S. LARSEN. Stuttgart 1977. Fliegende Blätter, Nr. 416. Vgl. auch ein satirisches Gemälde, auf dem Melanchthon unter Assistenz Luthers und Johann Friedrichs von Sachsen den Papst auf einen Schleifstein legt (Ende 16. Jahrhundert; Stadtmuseum Lindau: Inv.nr. ÖAKD, 4). Das Motiv begegnet zudem auf dem Blatt ‚Viel Nasen Weiser Leüt Man findt‘ (Inc.). O. O. (um 1630; Ex. Coburg, Veste: XIII, 441, 10). B. WORDEN (Hg.): Stuart England. Oxford 1986, 126; Krieg der Bilder. Druckgraphik als Medium politischer Auseinandersetzung im Europa des Absolutismus. Ausstellungskatalog Berlin 1997, 302 f.; J. GRAND-CARTERET: L’Histoire – La Vie – Les Mœurs et la Curiosité par l’image, le pamphlet et le document. 5 Bde., Paris 1927–1928, III, 101; P. TOSCHI: Populäre Druckgraphik Europas. Italien. Vom 15. bis zum 20. Jahrhundert. München 1967, Abb. 97. MSch

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Ort Jahr Bild Text Format Zustand

In einem satirischen Dialog zwischen einem Scherenschleifer und seiner Kundschaft werden unterschiedliche Formen der Hochstapelei verspottet. Über die volle Breite des Bildvordergrunds sind Menschen unterschiedlichen Geschlechts und Standes in kleinen Gesprächsgruppen versammelt. Viele Figuren tragen mit ihren breitkrempigen Hüten, Spitzenkragen, Hosen, die am Kniebund mit Zierschleifen und Nesteln geschmückt sind, und anderen modischen Accessoires Kleidung nach der französischen Mode, die in zahlreichen zeitgenössischen Flugblättern satirisch kommentiert wurde (b I, 119–142; IV, 32–39). Andere Figuren erscheinen im Gelehrtenhabit (D), als Handwerker mit Schürze und aufgekrempelten Ärmeln (K) oder als kleinwüchsiger Lapländer (8), der besonders durch seinen Bogen als fremdartig gekennzeichnet ist. Im Zentrum der Szene ist ein Schleifstein aufgebaut, an dem der Wohl erfahrne Schleiffer mit zwei Kunden steht und ein Messer schärft. Über der Szene fliegen zwei geflügelte Messer auf. Nach hinten öffnet sich ein weitläufiger Platz, auf dem mehrere Herren ihre überdimensionalen Messer spazieren führen; eine angedeutete Gebäudezeile schließt nach hinten den Platz ab. Die gravierten Verse kontrastieren Menschen, die nichts News zu bieten haben und nie lustig sein, mit den kurtzweilligen Leuthen, die ihre Messer fliegen lassen. Der gereimte Titel gibt mit den Wörtern Auffschneider und Schwappenhawer (b I, 117) die Zielrichtung der Satire vor und sagt, dass mittlerweile alle Welt das große Messer führe, während es früher nur die Alamodo-Messieurs getan hätten. Der Haupttext ist dialogisch inszeniert und erinnert an jene Fastnachtspiele, in denen eine von außen kommende Figur – etwa ein Arzt oder Richter – in katalysatorischer Funktion die Narrheit und Lasterhaftigkeit der nacheinander auftretenden weiteren Figuren aufdeckt.1 Hier ist es ein Scherenschleifer mit seinem Gehilfen, der sich anheischig macht, die schartig gewordenen Aufschneidmesser einer etwas zwielichtigen deutschen Öffentlichkeit (Zeitungtrager vnd Prillenreisser […] Kronenwechßler vnd Eisenbeisser; b I, 117) zu schärfen. Seine Kundschaft, die im Folgenden der Reihe nach zu Wort kommt, setzt sich aus unterschiedlichen Typen von Aufschneidern zusammen: Den Anfang machen zwei Hochstapler, die sich als Angehörige alten Adels ausgeben und mit ihrem aufwändigen Lebensstil ihr väterliches Erbe verprasst haben (C). Es schließen sich zwei Möchtegern-Gelehrte an, die mit lateinischen, teilweise makkaronischen Brocken zu renommieren versuchen, die sie als Trinker (Stichwort: vinum), Narren (Guglus, Stultus, Asinus), Zechpreller (von Quittitatibus) und Nichtsnutze (von Nullitatibus) ausweisen (D). Nur gesprächsweise wer162

Model vnd Art/ gantz wunderbart

1632 Radierung graviert in 3, Typendruck in 4 Spalten; 12 und 250 Knittelverse [51,7 ! 28,6]; 18,0 ! 27,0 Löcher in der linken Kolumne mit geringfügigem Textverlust; moderne Zahleneinträge mit Bleistift am unteren Rand; typographische Zierleisten und Impressum (Getruckt im Jahr 1632) abgeschnitten

den zwei politisierende Gerüchtemacher erwähnt, die mit der Stärke ihrer jeweiligen Kriegspartei bramarbasieren (E, F).2 Es folgt eine Fünfergruppe von Soldaten, die sich als Kombination aus miles gloriosus (b IX, 77 f.) und Marodeur (b I, 172–175; IX, 83 f.) zu erkennen geben. Etwas unklar bleibt die Bedeutung des anschließenden Dialogs (H, I). Sollte die Figur mit dem Messer (H) einen Bauchladen vorgebunden haben, aus dem Flugblätter und Zeitungen heraushängen (b II, 278), verwiese das Messer in diesem Fall auf die Unzuverlässigkeit des Nachrichtengewerbes. Das schartige Messer, das der Bäcker (K) der Küchenmagd (L) überreicht, dürfte sexuell konnotiert sein.3 Den Abschluss der Klienten bilden die als frembde Gäst titulierten Vertreter der Iren, Finnen und Lappen im schwedischen Heer (b II, 284 f.; IV, 207; IX, 160 f.), die ihren angeblichen Friedenswillen durch Forderungen nach Hab und Gut kompromittieren. Zum Schluss ergreift der Scherenschleifer nochmals das Wort. Da ihm der Andrang zu groß sei, wolle er weiterziehen. Er hoffe, dass seine Kundschaft ihm nachfolge und Deutschland in Richtung Vtopia verlasse. Als Lockvögel lasse er zwei Messer voranfliegen. Den Abschluss bildet eine in Satiren verbreitete Apologie, die alle ehrlichen und tugendhaften Menschen von der Kritik ausnimmt (b I, 110, 114 f.). Mit der wörtlich verstandenen Aufschneiderei, dem Schleifen als metaphorische Umschreibung für die Beseitigung moralischer Mängel und dem Allomodo Monsieur greift das Blatt gleich drei Themen der Moralsatire auf, die Anfang der 1630er Jahre in der Bildpublizistik zu beliebten Sujets avanciert waren. Lügengeschichten wurden in Flugblättern und -schriften gern erzählt, um selbstironisch und augenzwinkernd den Vorwurf der Lügenhaftigkeit, den man immer wieder gegenüber dem Nachrichtengewerbe erhob, an das Publikum zurückzugeben (b I, 116; IV, 13; IX, 74, 77 f.).4 Die Kritik an dem Alamode-Wesen war mit dem Eintritt Frankreichs und Schwedens in das Kriegsgeschehen aufgekommen und bot dem wachsenden Unbehagen an der politischmilitärischen Einflussnahme auswärtiger Mächte auf deutsche Angelegenheiten ein willkommenes Ventil. Das Bild vom Abschleifen moralischer Unzulänglichkeiten, das mit der alten Vorstellung der Reinigung vom Sündenschmutz zusammenhängt,5 war in der Satire des 17. Jahrhunderts vielfach genutzt worden (b IX, 75). Das vorliegende Blatt knüpft an diese Bildlichkeit an, auch wenn der Schleifer hier das Aufschneiden durch das Schärfen der Messer befördern will und sich nur wegen des Andrangs seiner Kundschaft zurückzieht. Das Blatt bietet eine erweiterte und modifizierte Version des Blattes ‚Modell des grossen Messers der Schwappenhawern/ vnd Auffschneidern‘ (b I, 117). Es hat die Zahl der Kunden erheblich vergrößert und den Text entsprechend abgewan-

delt und ergänzt. Ferner sind die Anspielungen auf die militärischen Geschehnisse hinzugekommen. Und schließlich ist bei allen metrischen und reimtechnischen Schwächen doch festzuhalten, dass die Kennzeichnung der Sprecher durch ihre Verwendung alamodischen Vokabulars (camerata; Bonasera Singor [!]) einen satirischen Mehrwert gegenüber der Vorlage einträgt.

Weitere Standorte: Göttingen, SUB: H. Germ. un. VIII,82,rara, fol. 19; München, BSB: Einbl. II,18i (ohne das Bild)

Andere Fassungen: A A A A 1

2

3

4

5

1 2 3 4

OPEL/ COHN: Krieg, 417–423. BOLTE: Bilderbogen (1938), 9. PAAS VI, P-1833. Frau Hoeffart, Nr. 20. E. CATHOLY: Das deutsche Lustspiel. Vom Mittelalter bis zum Ende der Barockzeit. Stuttgart u. a. 1969, 24– 33. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die indirekte Präsentation dieser Figuren im Gespräch ihres Gesindes die weitere Verbreitung eines Gerüchts vorführen soll. J. MÜLLER: Schwert u. Scheide. Der sexuelle u. skatologische Wortschatz im Nürnberger Fastnachtspiel des 15. Jhs. Bern u. a. 1988. SCHILLING: Bildpublizistik, 134–139; vgl. MÜLLERFRAuREuTH: Lügendichtungen; BOLTE: Bilderbogen (1938), 3–9; E. MOSER-RATH/ J. RuSSELL REAVER: Aufschneider. In: EM 1 (1977), 983–989. M. SCHuMACHER: Sündenschmutz u. Herzensreinheit. Studien zur Metaphorik der Sünde in lateinischer u. dt. Literatur des Mittelalters. München 1996. MSch

163

IX, 77

F 147

Ort Jahr Bild Text Format

Das Blatt trägt eine Lügengeschichte vor, um sich über das Nachrichtengewerbe, vor allem aber über den Typus des miles gloriosus lustig zu machen. In einer weiträumigen Küstenlandschaft, die von einzelnen Bäumen und einer Stadtsilhouette gesäumt wird, liegt eine überdimensionale Geige. Sie wird von drei Soldatentrupps gespielt, von denen einer die Saiten auf dem Instrumentenhals niedertritt, während sich die beiden anderen an die Enden des Bogens gehängt haben, um auf diese Weise der Geige ihre Töne zu entlocken. Von den Seiten laufen weitere Soldaten herbei, wobei einige, offenbar von der Musik angeregt, paarweise zu tanzen scheinen. Als satirischer Kommentar über die kämpferischen Qualitäten des Kriegsvolks ist links unten eine kleine Szene eingefügt, die zeigt, wie ein Hellebardier vor einem Hasen die Flucht ergreift. Der Anfang des Textes malt die gewaltigen Ausmaße des Instruments aus. Wolle man die Geige stimmen, müsse man sich auf einen Hügel in drei Meilen Entfernung stellen und mit Signalen anzeigen, wie die Wirbel zu drehen seien. Zum Spielen des Instruments seien 50 Mann mit zentnerschweren Steinen an den Füßen vonnöten, um die Saiten niederzudrücken, und zweimal 300 Mann müssten den Bogen führen. Die Geige werde bevorzugt von den auffschneid Brüdr[n] gespielt, die von ihren Heldentaten im Feld oder von anderen unglaubwürdigen Begebenheiten berichten, so dass der Ich-Erzähler befürchtet, dass die Geige ob des grausam[en] Spiels zu Schaden komme, der nur mit großem Aufwand zu beheben sei. Die Geige verhelfe in gantz Teutschland ihren Spielern zu gesellschaftlichem Ansehen, das sich in der ironischen Titulatur Esel vnd Vest niederschlage. Das auffschneid Messer, das vormals Die Schleiffer reich gemacht habe, sei nunmehr durch die auffschneid Geyge ersetzt worden. Das Blatt ordnet sich der Tradition der Lügendichtung zu, die von den ‚Verae Historiae‘ Lukians (um 120⫺180) bis in die Gegenwartsliteratur (etwa Umberto Ecos ‚Baudolino‘) reicht und in den ‚Wunderbaren Reisen […] des Freiherrn von Münchhausen‘ (1788) ihren bekanntesten Exponenten besitzt.1 Die ‚auffschneid Geyge‘ greift dabei auf das gern und oft verwendete Muster unglaubwürdiger Größenangaben zurück.2 Das Blatt klinkt sich in eine gleichzeitige bildpublizistische Kampagne ein, die das Motiv des Aufschneidens in vielen Varianten durchspielte und dabei das Alamode-Wesen, aber auch selbstironisch das eigene Nachrichtengewerbe an den satirischen Pranger stellte (b I, 116 f.; IX, 76, 78);3 auch hier zeigte das hyperbolische Format der Messer die Größe der Lügen an. Während das Attribut des Messers sich unschwer aus der Redensart vom ‚Aufschneiden‘ herleiten lässt, liegt eine Erklärung für die Geige als Signum der Prahlerei weniger klar auf der Hand. Da in einigen Regionen das Wort ‚Geigen‘ für mühsames (etwa mit einem 164

Ein Nagelnewe grosse auffschneid Geyge

1632 Kupferstich Typendruck in 3 Spalten; 108 Knittelverse 34,9 ! 24,3; 14,2 ! 20,0

schartigen Messer ausgeführtes) Schneiden gebraucht wurde,4 liegt die Vermutung nahe, dass diese Wortbedeutung die Grundlage für die Bildfindung der ‚AuffschneidGeyge‘ abgegeben hat. Es mag aber auch die Redensart ‚nach seiner Geige tanzen müssen‘ im Sinne von ‚den Ton angeben‘ in das Bild hineinspielen, um den Typ des Großsprechers zu charakterisieren. Der Spott des Blattes richtet sich zum einen gegen lügenhafte Prahlerei. Dabei nimmt er besonders den mit seinen angeblichen Heldentaten bramarbasierenden miles gloriosus ins Visier, der auf der zeitgenössischen Bühne,5 aber auch in der Bildpublizistik reüssierte (b IX, 174).6 Zum andern ist der Ich-Erzähler nicht nur Beobachter der auffschneid Brüdr, sondern Beteiligter, da ja er selbst das wunder der großmächtige[n] Geygen seinem Publikum als Realität ausgibt. Mit dem doppelten Spiel, als Lügner Lügenvorwürfe zu erheben, gesellt sich das Blatt zu vielen anderen Drucken, in denen selbstironisch das Nachrichtengewerbe in Frage gestellt wird, um dann umso unbefangener gewissermaßen aus Narrenmund Missstände der Zeit kritisieren zu können.7 Die ‚auffschneid Geyge‘ inszeniert sich als Nachfolgerin der auffschneid Messer, welche vor dessn in grosser Ehr, jetzt jedoch hindan gesetzt würden. Die Vielzahl von insgesamt sechs Blattvarianten sowie vier spätere Prosafassungen des Themas8 bezeugen den Erfolg des Motivs. Bei den Fassungen a⫺e lassen sich einige bemerkenswerte Unterschiede feststellen. Die älteste Fassung (a) verfolgt als einzige auch politische Interessen und bezieht zeitgenössische Ereignisse ein (Einnahmen von Wesel am 19. 8. 1629, von ’s Hertogenbosch am 17. 9. 1629 und der Hauptstadt von Pernambuco am 16. 2. 1630). Die Geige wird von einem italienischen Boten im Gespräch mit einem Wanderhändler beschrieben. Deshalb wird der Sattelbogen der Geige mit der Realta Brucken zu Venedig verglichen. Das Geigenmotiv wird weniger auf die Prahlerei bezogen als zur Grundlegung des metaphorischen Tanzes, den die europäischen Mächte miteinander tanzen (b IX, 182). Die anschließenden Fassungen haben die Ausmaße der Geige übernommen und auch den Vergleich mit der Rialto-Brücke beibehalten, die Gesprächssituation und die politischen Anspielungen gestrichen und das Stichwort des Alamode-Wesens wie auch des Aufschneidens eingeführt (Fassung b⫺d). Die Fassung e hat dann die Rialto-Brücke durch die Regnspurger DonawBrück ersetzt und so an die Kenntnisse eines deutschen Sprechers und deutschen Publikums angepasst. Das vorliegende Blatt geht mit diesen Assimilierungsversuchen noch weiter, indem es die seinem Publikum offenbar näher liegende Rheinbrucken zu Straßburg (anstelle der Rialto- oder Donaubrücke) noch um die Angabe so breit zu Mayntz der Rhein ergänzt und die Erwähnung Donauer Treidelseile in ein unspezifisches Schiffseil So man auff der See braucht umwandelt. Da die Alamode-Kampagne 1632 an Aktualität verloren hatte, hat der Autor alle Anspielungen darauf gestrichen. Schließlich ist das

Bemühen erkennbar, Fremdwörter zu eliminieren oder durch deutsche Begriffe zu ersetzen (geübet statt exercirt u. a.).

Weitere Standorte: London, BM: 1880.0710.459 Andere Fassungen: a)

b)

c)

d)

e)

Darmstadt, HLHB: Günd. 8045, vor fol. 275; ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig9 [Newe Relation, Was gestalt vnlängst zu Ambsterdamb …] Berlin, KB: 1001, 22; Berlin, KK: 60039; London, BL: 1750.b.29/103;10 ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig11 [Allmodische DiscantGeige / Vnlangst …; Bild im Gegensinn] Heidelberg, KM: S 4818;12 Nürnberg, GNM: 24949/1294, und: 408/1313; ehem. Antiquariat Bessel, München13 [Allmodische DiscantGeyge …; Bild im Gegensinn] Würzburg, Staatsarchiv: ehem. Bibl. d. hist. Vereins von Unterfranken u. Aschaffenburg;14 ehem. Antiquariat Halle, München;15 ehem. Sammlung Adam, Goslar16 [Allmodische DiscantGeyge …; Bild im Gegensinn; 3 Textspalten] Coburg, Veste: XIII, 444, 107;17 Gotha, SM: G 45,3; Hamburg, SUB: Scrin C/22, fol. 75 [Allmodische DiscantGeige/ So vnlengst…]

A1 A2

COuPE II, Nr. 18b. PAAS VI, P-1840.

1

MÜLLER-FRAuREuTH: Lügendichtungen; P. KÖHLER: Lügendichtung. In: RDL 2 (2000), 496⫺498. E. MOSER-RATH/ J. RuSSELL REAVER: Aufschneider. In: EM 1 (1977), Sp. 983⫺989. BOLTE: Bilderbogen (1938), 1⫺9. GRIMM: DWb 5, 2578. E. FRENZEL: Stoffe der Weltliteratur. Ein Lexikon dichtungsgeschichtlicher Längsschnitte. Stuttgart 61983, 505⫺508; F. DE MICHELE: Der ‚Capitano‘ der Commedia dell’arte u. seine Rezeption u. Entwicklung im dt.sprachigen Theater. In: Daphnis 31 (2002), 529⫺591. F. GABAuDE: Querbezüge zwischen europäischer Flugblattpublizistik u. Komödienliteratur der Frühen Neuzeit am Beispiel der Capitano-Figur. In: M. CZARNECKA u. a. (Hgg.): Frühneuzeitliche Stereotype. Zur Produktivität u. Restriktivität sozialer Verhaltensmuster. Frankfurt a. M. u. a. 2010, 185⫺209. SCHILLING: Bildpublizistik, 134⫺139; DERS.: Die bildpublizistischen Kampagnen um Friedrichs V. böhmisches Königtum u. ihre mediengeschichtliche Bedeutung. In: WILHELM KREuTZ u. a. (Hgg.): Die Wittelsbacher u. die Kurpfalz in der Neuzeit. Zwischen Reformation u. Revolution. Regensburg 2013, 389⫺408, hier 395⫺408. PAAS X, P-3036 und P-3073 bis 3075. DRuGuLIN II, Nr. 1826. COuPE II, Nr. 18; PAAS VI, P-1837. DRuGuLIN II, Nr. 2109. COuPE II, Nr. 18a; Katalog Heidelberg, Nr. 134; PAAS VI, P-1839. M. BESSEL: Ein Band fliegender Blätter aus den Jahren 1631 u. 1632. In: Serapeum 24 (1863), 225⫺231, Nr. 83. I. HuB (Hg.): Die dt. komische u. humoristische Dichtung seit Beginn des XVI. Jhs. 3 Bde., Nürnberg 1855⫺ 1866, Nachdr. Leipzig 1975, I, 287⫺289. HALLE: Katalog 70, Nr. 921. Antiquariat Tenner, Nr. 75 (mit Abb.); vgl. PAAS VI, P-1839. PAAS VI, P-1836; vgl. Flugblätter des Barock, Nr. 34. MSch

2 3 4 5

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8 9 10 11 12 13 14

15 16 17

165

IX, 78

F 189

Ort Jahr Bild Text Drucker Verleger Format Zustand

Das Blatt inszeniert einen Aufschneider vom Typ des miles gloriosus und vertritt das Genre lügenhafter Reiseberichte. Ein nach der aktuellen französischen Mode gekleideter und frisierter Kavalier präsentiert sich mit geziertem Schritt und Gestus dem Betrachter. Das auffälligste Attribut des Stutzers ist das große Schwert, das, von einem Schultergurt gehalten, an seiner Seite hängt. Hinten öffnet sich der Blick auf das Meer und eine Ansicht des Kolosses von Rhodos, unter dem gerade ein Segelschiff hindurchfährt. Am Himmel rechts schwebt (oder stürzt?) eine geflügelte Gestalt, die ein großes Messer in ihrer Hand trägt. Die Beischrift NB: Er Kann auch Fliegen ohne F dekuvriert den Kavalier im Vordergrund als Lügner.2 Der Text beginnt mit dem Wort JCh, wobei das übergroße Ego des Sprechers nicht nur durch die Anfangsstellung und die Epanalepse des Personalpronomens, sondern auch durch die Wahl einer extrem prachtvoll verschlungenen und ausladenden Zierinitiale hervortritt. Schon die einleitende Beteuerung, die ganze Welt gesehen zu haben, wird durch die hyperbolischen Angaben des mehr als tausend mal und der zeitlichen Erstreckung (Was […] von Anfang her geschehen) in ihrem Wahrheitsgehalt unterlaufen. Damit bestätigt schon der erste Satz die Diskrepanz von Schein (außgebildeter; wahrredenter ja rechtschaffener) und Sein (Auffschneider vnd übermühtiger Großsprecher), mit der die Überschrift den vorgestellten Protagonisten charakterisiert. Die anschließend berichteten Reisestationen, welche die Weltläufigkeit des Sprechers belegen sollen, beginnen mit dem Schlaraffenland, also einem traditionellen locus der Lügendichtung.3 Auch die Begegnung mit den Wundern des Ostens steht in einer weit zurückreichenden literarischen Tradition, als deren markante Vertreter die antiken und mittelalterlichen Alexanderromane, die Herzog-Ernst-Bearbeitungen oder die Reisebeschreibung John Mandevilles (1300⫺1372) gelten können.4 Die Begebenheiten, die der Erzähler aus Deutschland und Tirol berichtet, gehören in den Bereich der Adynata (Trockenfallen der Donau; Zuckergewinnung aus Schnee; b I, 78, 80; IX, 20, 26). In Wien kommt zu der körperlichen Riesenhaftigkeit des Großsprecher[s] (so groß wie der Stephansdom) das gesellschaftliche Ansehen, wenn ihn der Kaiser persönlich empfängt und an die oberste Stelle der Tafel setzt. Zu der Riesenwüchsigkeit an Leib und Seele gesellt sich auf den nächsten Stationen militärische Stärke, so dass die Übertreibungen den Sprecher zum miles gloriosus stempeln. So habe der Erzähler in Frankreich auff einen Streich die gantz Armee fast todt geschlagen, so dass der Rhein Blutroth in Richtung Meer geflossen sei. In Venedig habe er auff einen Tag zweytausend Mann besiegt, und vor Dünkirchen 166

Newaußgebildeter jedoch wahrredenter ja rechtschaffener Auffschneider

Nürnberg (Mitte 17. Jahrhundert) Kupferstich des Monogrammisten HG1 Typendruck in 3 Spalten; 60 Alexandriner cl (Christoph Lochner, 1603⫺1677) Paul Fürst (1605⫺1666) 48,5 ! 34,5; 30,0 ! 21,0 Ausriss der oberen rechten Blattecke

mit seinem Schwert den Schiffen der vorübersegelnden spanischen Armada Eylf Segel abgehauen. Abschließend identifiziert sich der Sprecher mit emphatischer Gemination mit dem Weltwunder des Kolosses von Rhodos (Jch/ ich bin der Coloß), durch dessen Beine die venezianischen Schiffe in die Schlacht passierten. Mit der Figur eines unzuverlässigen Ich-Erzählers, der seinem Publikum durchschaubar erlogene und angeblich selbst erlebte Geschichten vorträgt, bereitet der Text jenen lügenhaften Reiseromanen den Weg, die Ende des 17. Jahrhunderts mit Christian Reuters (1665⫺nach 1711) ‚Schelmuffsky‘, im 18. Jahrhundert mit Gottfried August Bürgers (1747⫺1794) ‚Münchhausen‘ und im postmodernen Roman mit Umberto Ecos (1932⫺2016) ‚Baudolino‘ ihre bekanntesten Exponenten haben. Den Reiz des Blattes machten nicht nur die offensichtlichen, sondern auch die eher versteckten Lügen aus. So leitet der Aufschneider aus der Bezeichnung ‚Generalstaaten‘ (für die Niederlande) einen General her, der vor ihm ausgerechnet in die Arme des katholischen Erzfeindes Spanien (Santiago de Compostela, Madrid) fliehen werde. Und Rhodos, wo angeblich venezianische Schiffe ein- und ausfahren, befand sich seit 1523 in türkischer Hand. Der Kupferstich zeigte in einem älteren Plattenzustand nur den Kavalier auf seiner bühnenartigen Standfläche unter dem bewölkten Himmel (Fassung c). Die Platte, die irgendwann in den Besitz von Paul Fürst gekommen war, wurde dann so bearbeitet, dass die Schraffuren der Standfläche und am Himmel verstärkt, vor allem aber die Hintergrundstaffage hinzugefügt wurde. Den COLOSSuS SOLIS übernahm der Bearbeiter aus Maarten van Heemskercks (1498⫺1574) Kupferstichserie der Weltwunder. Die fliegende Gestalt rechts ist Icarus-Darstellungen nachempfunden und desavouiert durch diese Motivanspielung den beigesetzten Anspruch Er Kann auch Fliegen ebenso wie der Nachsatz ohne F.

Weitere Standorte: Berlin, Kunstbibliothek: Lipp. 1001a, 34 (A 1); Gotha, SM: 45,36

Andere Fassungen: a) b)

c)

Berlin, KB: 1001, 54 [Titel … übermüthiger …] Berlin, SBPK: YA 3458 kl.; Nürnberg, GNM: 14624/ 1294; ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig5 [3. Spalte, 4. Zeile: Staaden] Nürnberg, GNM: 19635/12946 [älterer Plattenzustand: ohne Meer und Figuren im Hintergrund; 4 gravierte Knittelverse]

A1

PAAS VII, P-2106.

1 2

NAGLER: Monogrammisten, III, Nr. 963. Ohne F bleibt vom Fliegen nur das liegen (Lügen) übrig. HAMPE: Fürst, Nr. 290, hat das Wortspiel nicht verstanden, wenn er zitierend mutmaßt: „Fliegen ohne F.[lügel?]“. D. RICHTER: Schlaraffenland. Gesch. einer populären Phantasie. Frankfurt a. M. ²1989, 181⫺202; M. MÜLLER: Das Schlaraffenland. Der Traum von Faulheit u. Müßiggang. Wien 1984, 104 f.; W. WuNDERLICH: Das Schlaraffenland in der dt. Sprache u. Literatur. Bibliographischer Überblick u. Forschungsstand. In: Fabula 27 (1986), 54⫺75. U. MÜLLER/ W. WuNDERLICH: Mittelalter-Mythen. Bd. 2: Dämonen, Monster, Fabelwesen. St. Gallen 1999; TH. S. JONES/ D. A. SPRuNGER (Hgg.): Marvels, Monsters and Miracles. Studies in Medieval and Early Modern Imaginations. Kalamazoo 2002; O. JEHLE: Unter Fremden. Megenbergs ‚curiositas‘ u. die Wunder des Ostens. In: Jb. d. Oswald-von-Wolkenstein-Gesellschaft 18 (2011), 81⫺95. DRuGuLIN II, Nr. 2110. PAAS VII, P-2107; vgl. HAMPE: Fürst, Nr. 290. MSch

3

4

5 6

167

IX, 79

F 208

Ort Jahr Bild Text Format

Am Beispiel eines vnmangelhafften Pferds führt das Blatt die Scheinhaftigkeit medialer Repräsentation vor. Die Graphik zeigt auf der linken Seit einen Baum, dessen unterer Stamm ohne Rinde bereits Hohlräume aufweist. Aus derselben Wurzel wächst recht ein abgebrochener Baumstumpf mit einigen kleinen frischen Trieben, an dem ein die rechte Bildhälfte einnehmendes Pferd angebunden ist. In den Ästen des Baumes und des Stumpfes hängt eine Reihe von Gegenständen: ein geschnürter Soldatenkittel, eine Schärpe, ein Gewehr, ein Säckchen mit der Aufschrift 300 Ducaten, Sporen, ein Paar Stiefel, eine Jacke mit Hut, ein Degen und zwei Pistolen. Das Pferd ist gesattelt, wobei der Sattel mit einer verzierten Decke unterlegt ist. Das Pferd tänzelt auf der Stelle. Der Text ist zweigeteilt: Die erste Hälfte umfasst eine in der ersten Person gehaltene Selbstbeschreibung des Pferdes, auf die nach Sprecherwechsel ein Kommentar des Gesagten folgt. Das Ross, das vorgibt, auf einen Reiter zu warten, benennt zunächst Merkmale, die der Natur vnd Tugend eines vnmangelhafften Pferds zu entsprechen scheinen: Es ist wurmfrei, stolpert nicht usw., kurz: Jch hab kein mangel vberal. Doch spätestens mit der Aussage Jch bin ein Pferd das stirbt auch nit verlässt das Blatt die Ebene der Wirklichkeitsbeschreibung, von welcher der Leser bis dahin noch ausgehen konnte. Weitere Vorzüge dieses besonderen Pferdes seien seine Unempfindlichkeit gegen Hunger/ Hitz/ Frost sowie die geringen Kosten die es seinem Besitzer verursache. Zuletzt weist das Pferd darauf hin, dass es, ohne je jung gewesen zu sein, gleich zu eim Roß geworden sei. Der zweite Teil des Textes widerspricht dem Gesagten bereits im ersten Satz, wenn nun doch ein grosse[r] Mangel des Reittiers festgestellt wird: Alle genannten positiven Eigenschaften gründeten auf der Tatsache, dass dieses Pferd weder Geist noch Leben habe. Alles sei nur von Papyr und durch deß Mahlers Hand Gemacht. Nach der Aussage, dass ein natürliches Pferd mit den genannten Eigenschaften in das Feld taugen würde, nimmt der Text eine weitere Wendung. Nun werden schlechte Reiter (EselsReuter) kritisiert, die Verantwortung für Schwierigkeiten und Unfälle nicht in ihrer eigenen Unfähigkeit suchen, sondern den Pferden die Schuld daran zuschieben. Auch wenn der Titel zunächst eine solche Erwartung wecken könnte, verzichtet das Blatt darauf, die gängigen Kataloge von Merkmalen schöner Pferde wiederzugeben. In einer bis auf die Antike zurückreichenden Tradition (Vergil, Plinius) wurden Merkmallisten (oft 15 oder 16 Eigenschaften) erstellt, die über Naturenzyklopädien auch Eingang in Hausbücher und Agrarschriften fanden. Oft wurden hier die positiven Eigenschaften des 168

Fürbildung eines gantz vnmangelhafften Pferds

(1620⫺1630) Kupferstich Typendruck in 4 Spalten; 90 Knittelverse 38,0 ! 31,0; 21,5 ! 29,0

Pferdes in Analogie zu anderen Tieren, z. B. zu Hase (Schnelligkeit und die Fähigkeit zu springen), Wolf (Hartnäckigkeit und ein festes Gebiss), Fuchs (kleiner Kopf, kurze Ohren und großer Schwanz) und Esel (gerade und kräftige Beine) beschrieben; häufig ist auch der Vergleich mit einer jungen Frau, der in einigen Texten einen frivolen Anstrich erhält (b I, 240).1 Aus dieser Tradition wird für das vnmangelhaffte Pferd lediglich die Eigenschaft übernommen, beim Ritt nicht zu schwitzen. Dem Verfasser war offensichtlich etwas anderes wichtiger: Der eigentliche Reiz besteht hier aus dem Spiel mit der Medialität des Flugblatts: Das perfekte Pferd kann nur als papierne Fiktion so perfekt sein, dass es nie stolpert und nie ein Hufeisen verliert. Darüber hinaus liefert der Text einen der seltenen Belege für die intendierte Rezeption eines Flugblatts: sein [des Pferdes] Stall sey ein Wand. Der Druck soll nicht nur der Einzellektüre am Tisch dienen, sondern als Wandschmuck, entsprechend dem dekorativen Charakter des Blattes. Auf diese Weise wird auch ein gemeinschaftliches Betrachten durch mehrere Personen ermöglicht.2 In der abschließenden Kritik an schlechten Reitern nähert sich das Blatt wieder der satirischen Lasterkritik, wie sie auf Flugblättern weit verbreitet war. Dazu passt auch die Datierung (Gedruckt im Jahr/ da diß Pferd Jung wahr), die das Blatt in eine Nicht-Zeit verlegt, da das Pferd doch von Anfang an ausgewachsen, also nie jung war.

Weitere Standorte: ehem. Hamburg, StB (A 1)

Andere Fassungen: A1 A2 A3 1 2

LIEBE: Soldat, Abb. 126. BOLTE: Bilderbogen (1907), 434⫺437 (mit Abb. der Graphik und Abdruck des Textes). Frau Hoeffart, Nr. 31. BOLTE: Bilderbogen (1907), 432⫺434. Zu Flugblättern als Wandschmuck vgl. SCHILLING: Bildpublizistik, 48 f. JD

169

IX, 80

F 60

Ort Jahr Bild Text Format

Die sprichwörtliche Redewendung ‚sich/jemanden auf den Esel setzen‘ als satirische Bezeichnung für einen jähzornigen Menschen wird in Bild und Text dargestellt. Die Grafik zeigt auf einer grasbewachsenen Standfläche einen gesattelten und gezäumten Esel mit einer Warnglocke um den Hals. Er steht bereit, einen Reiter aufsitzen zu lassen. Dabei unterstützt eine breite ornamentierte Schabracke unter dem Sattel optisch die Bedeutung des Reitsitzes. Unterhalb des Eselskopfes sind ein Maulkorb und eine Maultrommel abgebildet. Die Wiedergabe der beiden Gegenstände durchbricht die Bildlogik einer wirklichkeitsgetreuen Darstellung und lässt eine symbolische Funktion des Bildes vermuten. Der im Titel des Blattes angedeutete Gegensatz zwischen der Geduld des gütig Esel und dem Jähzorn eines Menschen wird im Text in einen Zusammenhang gebracht. Der Esel stehe bereit für einen jeden ‚närrischen‘ Menschen, der im Zorn ungesellig, streitsüchtig und in seiner Rede unfreundlich werde. Er solle das Tier so lange reiten, bis sein Zorn verflogen sei. Die vielfältige, überwiegend negative Eselssymbolik, die vom Sinnbild für den sündigen Menschen bis hin zur Verkörperung der verkehrten Welt reicht und am prägnantesten in unzähligen Sprichwörtern und Redensarten, aber auch in der Volksdichtung ihren Ausdruck fand, ist schon in der Antike und in Deutschland seit dem Mittelalter bekannt und nachgewiesen.1 Außer auf verbaler Ebene wurde der Esel als lebendiges Tier oder als fahrbare Figur für die symbolische Aktion des Eselsritts eingesetzt. „Das Reiten auf dem Esel als Strafe für einen Verstoß gegen die geltende Rechtsordnung“ hatte die Funktion eines Schandrituals, wenn es darum ging Diebstahl, Meineid, Verrat oder Ehebruch öffentlich zu brandmarken oder aber einen (politischen oder konfessionellen) Gegner bzw. einen gegen die gesellschaftlichen Normen Handelnden zu entehren (b IX, 54).2 Zu Strafzwecken bediente man sich zuweilen auch in Schulanstalten eines hölzernen Esels, der in diesem Zusammenhang die Unwissenheit, den Unverstand und die Faulheit seines potenziellen Reiters symbolisierte. Der bestrafte Schüler musste auf dem geschnitzten Esel sitzen, der in späteren Zeiten durch eine sogenannte ‚Eselsbank‘ ersetzt werden konnte.3 Eine mahnende Funktion fiel den Eselsporträts zu, die in Schulräumen an die Wand gehängt wurden und zum Teil mit moralisierenden Versen versehen waren.4 Auch die Graphik des kommentierten Blattes wurde Anfang des 18. Jahrhunderts für ein Flugblatt mit Abschreckungsfunktion für Schüler benutzt (Fassung b).5 Das vorliegende Blatt warnt vor Jähzorn und droht mit einem Ritt auf dem Esel. Dabei greift es auf die seit dem 13. Jahrhundert oft belegte Redensart zurück, dass ein aufbrausender Mann den Esel reiten müsse.6 Ganz unmittelbar, nämlich als 170

Der gütig Esel bin ich genant

(1. Hälfte 17. Jahrhundert) Holzschnitt, koloriert Typendruck in 2 Spalten; 8 Knittelverse, z. T. nach Sebastian Brant (1457–1521) 28,0 ! 33,8; 21,0 ! 33,8

wörtliches Zitat in den ersten vier Versen, schließt der Autor des Blattes an Sebastian Brants ‚Narrenschiff‘ an, dessen Kapitel 35 Von luchtlich zyrnen mit einem Eselsritt illustriert ist.7 Während der Esel bei Brant zusammen mit einer Schnecke abgebildet wurde, die die Langsamkeit des Tiers als Gegenpol zur Heftigkeit eines zornigen Menschen betont und den Sinn des Eselreitens als Remedium gegen den Jähzorn unterstreicht,8 bekam der gütig Esel auf dem Flugblatt als Beigaben eine Maultrommel und einen Maulkorb, für die es im Text keine unmittelbaren Anknüpfungspunkte gibt. Der zeitgenössische Leser konnte sie auf das ‚böse‘ Gerede eines im Zorn entflammten Menschen beziehen. Während der Maulkorb mit der Einschränkung der Rede zu assoziieren ist (‚das Maul halten‘), wurde die sprichwörtliche Redewendung ‚Die Maultrommel rühren‘ im negativen Sinne meistens für das Keifen der verärgerten Weiber verwendet: disen Rath gib ich fast allen bösen Weibern/ gedencket meine Weiber/ daß gemainiglich Krieg im Hauß entstehet/ wann man solche Maul-Trommel rührt, predigte Abraham a Sancta Clara (1644–1709),9 und Simplicissimus rühmte sich, die über ihre betrunkenen Männer im Wirtshaus schimpfenden Bauern-Weiber, die auf ihren Maul-Trummeln zu murmeln und brummeln [anfiengen], mit einer Sackpfeife übertönt zu haben.10 Als Vorlage für das kommentierte Blatt diente ein Berner Flugblatt (Fassung a) aus der Druckerei von Matthias Apiarius (um 1500–1554): Die gleiche Darstellung ist dort mit einem Text versehen, in dem das Sprichwort gäch lüt solten Esel ryten in enger Anknüpfung an das Bild spöttisch ausgelegt wird. Solche mahnenden Blätter dürften sich besonders gut als Wandschmuck in Wirtshäusern geeignet haben (b I, 77); dort mangelte es zu keiner Zeit an der für einen Eselsritt tauglichen Klientel, wie sie Wencel Scherffer von Scherffenstein (1598/ 99–1674) in einem Gedicht schildert: Wer unter Mars gezechet/ und Tag und Nacht geschwächet geschmauchet und geschwadert/ leichtfertig ding gepladert/ mit Wirten sich gebiessen/ mit andern sich geschmiessen/ der sol zu troste wiessen/ daß Er um keines büssen werd’ auf dem Esel müssen.11

Weitere Standorte:

Andere Fassungen:

b)

Bern, Staatsarchiv12 [Inc.: Ein sprichwort was vor alten zyten] München, Bayrisches Nationalmuseum: 47/21,1560; Nürnberg, GNM: 2003/1292 [Wer faul zur Arbeit ist; 18. Jh.]

A1

SCHILLING: Flugblätter Brants, Anhang, Nr. 3.7.

1

WANDER: Sprichwörter-Lexikon, I, 854–880; RÖHRICH: Redensarten, II, 393–400; E. FISCHER: Esel. In: EM 4 (1984), 411–419. K. SCHREINER: Gregor VIII., nackt auf einem Esel. Entehrende Entblößung und schandbares Reiten im Spiegel einer Miniatur der ‚Sächsischen Weltchronik‘. In: D. BERG/ H.-W. GOETZ (Hgg.): Ecclesia et regnum. Beiträge zur Gesch. von Kirche, Recht u. Staat im Mittelalter. FS F.-J. Schmale. Bochum 1989, 154–202. O. G. SCHINDLER: Eselsritt u. Karneval. Eine Kremser „Komödiantenszene“ aus 1643 in Callots Manier. In: Maske u. Kothurn 39 (1998) 7–42; hier mehrere Beispiele, auch für den Eselsritt im Karneval und am Theater. Zu ‚Eselsstrafen‘ in der Schule vgl. BOESCH: Kinderleben, 103 f.; E. REICKE: Magister u. Scholaren. Illustrierte Gesch. des Unterrichtswesens. Leipzig 1901 (Nachdr. Düsseldorf/ Köln 1971), 47–50; s. auch das Blatt ‚Die Schule zu Schöppenstädt‘ vom Anfang des 19. Jahrhunderts bei VOGEL: Bilderbogen, 137, Abb. 104. Weitere Beispiele bei TH. BRÜGGEMANN/ O. BRuNKEN: Handbuch zur Kinder- u. Jugendliteratur von 1570 bis 1750. Stuttgart 1991, Nr. 1053. Vgl. z. B. die bildliche Ausstattung des Schulraums in: Flugblätter Coburg, Nr. 139. Vgl. BRÜCKNER: Druckgraphik, Abb. 49; ALEXANDER/ STRAuSS II, 708. Belege in: Fridankes Bescheidenheit. Hg. von H. E. BEZZENBERGER. Halle a. S. 1872, 407 zu 116,25 f. Vgl. auch GRIMM: DWb, III, 1146; RÖHRICH: Redensarten, II, 396 u. 398. Im niederländischen Bereich war es die ‚heilige‘ Aelwaer, die Patronin der Streitsüchtigen, die als eine Eselreiterin dargestellt wurde; vgl. den Amsterdamer Holzschnitt (um 1540) ‚Elck dient sinte aelwaer …‘ in: DE MEYER: Druckgraphik, Abb. 89. Sebastian Brant: Das Narrenschiff. Hg. von J. KNAPE. Stuttgart 2005, Kap. 35, 1–4. Mit einem ähnlichen Bild illustrierte Hans Weiditz das Kapitel Von dem zornen der deutschen Ausgabe von Francesco Petrarcas ‚Von der Artzney bayder Glück‘. Augsburg 1532, fol. CXXXIIIIv (Nachdr. hg. von M. LEMMER. Leipzig 1984). Vgl. das Sprichwort Ein geher Mann soll Esel reiten/ die gehen langsam bei Georg Henisch: Teutsche Sprach vnd Weißheit. THESAuRVS LINGVAE ET SAPIENTIAE GERMANIAE […] Pars Prima. Augsburg 1616, Sp. 938. Judas, Teil 1. Salzburg 1686, 19. Hans Jakob Christoffel Grimmelshausen: Der abenteuerliche Simplicissimus u. andere Schriften. Hg. von A. KELLER. II, Stuttgart 1854, 1031. Wencel Scherffer von Scherffenstein: Geist und Weltlicher Gedichte Erster Teil Brieg 1652. Hg. von E. PIETRZAK. Tübingen 1997, 429. Die Verse spricht die Kriegsgöttin Bellona; in ihrer Sicht, die an Zwietracht und Krieg interessiert ist, hätten die aufbrausenden Zechbrüder keine Strafe des Eselsrittes zu gewärtigen. H. KASSER: Zwei Blätter mit Holzschnitten aus der Berner Druckerei des Matthias Apiarius. In: Anzeiger für Schweizerische Altertumskunde NF. 7 (1905/1906), 33– 37, Abb. 26. EP

a)

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IX, 81

F 81

Ort Jahr Bild Text Format

Vor dem Hintergrund des Straßburger Bischofskrieges entwirft das Blatt ein Bild der Feindschaft zwischen Bauer und Soldat und verwendet dafür eine satirische Kontrafaktur des Vaterunser, die seit dem ausgehenden 16. bis ins 19. Jahrhundert hinein immer wieder zur Kommentierung unterschiedlicher politischer und militärischer Konstellationen gebraucht wurde. Die Holzschnitte, die nicht eigens für das Blatt geschnitten worden sind und vermutlich zuvor als Buchillustrationen gedient haben, zeigen links einen mit einer Hellebarde bewaffneten Mann, dessen Kleidung (Federhut, bunter Umhang, geschlitzte Hosen) ihn wohl als Landsknecht ausweist. Sein nach rechts gerichteter Sprechgestus scheint sich an den Boten auf dem zweiten Holzschnitt zu wenden, dessen Profession durch Stab und Brief markiert ist; im Zusammenhang des Blattes scheint es allerdings, dass der Bote eher als Bauer gesehen werden sollte, was durch die einfache ärmliche Kleidung der Figur erleichtert wurde. Es schließt sich eine Darstellung einer Kampfszene an, in der die Beteiligten mit Schwertern, Spießen und Dreschflegeln aufeinander losgehen. Die letzte Szene zeigt zwei auseinandergehende Männer, die sich über ihre Schulter noch einen Blick zuwerfen. Der linke Mann trägt eine schwere Rüstung, eine Hellebarde und einen Zweihänder, der rechte wohl als Bauer zu identifizierende Mann ist dagegen nur mit langärmeligem Wams, kurzem Rock, Hut und Stiefeln bekleidet und trägt einen Spieß über seiner Schulter. Zu den Füßen beider Figuren steht eine Totenbahre. Offenbar soll die Anordnung der Holzschnitte erzählen, welchen Verlauf jede Begegnung von Landsknechten und Bauern nimmt: Nach einem anfänglichen Wortwechsel kommt es zu Streit und Kampfhandlungen; die dabei Gefallenen lässt man beim Auseinandergehen auf der Wallstatt zurück. Die unterschiedlichen Höhen der Holzschnitte werden durch eingefügte Zierleisten ausgeglichen. Der Text gibt die Gedanken wieder, die Soldat und Bauer bei einer Begegnung übereinander hegen. Dabei beschränkt sich das Denken des Landsknechts auf die Aneignung fremden Gutes (Baur was du hast/ das alles ist Vnser). Die Gedanken des Bauern bekunden das Leid, das der Landbevölkerung von Seiten der marodierenden Soldaten zugefügt wird. Im Einzelnen werden Raub (Sie nemen vnser Gut vnd Hab), Frondienste (Baur spann ein/ Vnd führe vns) und sexuelle Übergriffe (Wolln schlaffn bey vnsrn Kind/ Gsind vnd Weibn) genannt. Damit werden die Gründe sichtbar, die den Bauern zu seinen Gewaltphantasien bewegen (Daß wir sie all in einer Nacht Möchten erschlagn mit gantzer Macht/ Gib vns heut). Erst im letzten Verspaar erfolgt eine Differenzierung, indem eine Fürbitte für Die frommn Landsknecht ausgesprochen wird. 172

Das Bauern Vatter vnser wider

(Straßburg?) 1610 4 Holzschnitte Typendruck in 2 Spalten; 46 Knittelverse mit fortlaufend eingefügtem Vaterunser 33,8 ! 26,4; 7,7 ! 21,4

Der Text ist in Reimpaaren verfasst, in die das Vaterunser (ohne die Doxologie) eingeblendet, syntaktisch integriert und so mit einer überraschenden neuen Lesart versehen wird. Die Feindschaft zwischen den Bauern und Soldaten hat in der Literatur der Frühen Neuzeit ⫺ etwa bei Moscherosch (1601–1669) oder Grimmelshausen (um 1622–1676) – topischen Charakter angenommen1 und auch in der zeitgenössischen Publizistik ihren Ausdruck gefunden (b I, 172–176; IX, 84).2 In diese Tradition gehört das vorliegende ‚Bauern Vatter vnser‘, dessen Entstehungsgeschichte bis in das 16. Jahrhundert zurückgeht.3 Seine außergewöhnliche Popularität lässt sich an der Rezeptionsgeschichte ablesen, die bis zu den Napoleonischen Befreiungskriegen reicht (b I, 173).4 Die Beliebtheit dürfte nicht zuletzt aus der Möglichkeit entstanden sein, den Text für immer neue politische Situationen heranzuziehen. Dabei konnte man es bei der allgemeinen Form belassen, die das vorliegende Blatt aufweist und die es dem zeitgenössischen Leser überließ, Bezüge zu aktuellen kriegerischen Auseinandersetzungen herzustellen. Man konnte den Text aber auch durch kleinere Modifikationen an die jeweils aktuelle Situation anpassen, indem man den Soldaten mal als Franzmann (1704), mal als Preuß (1756) bezeichnete und die Bauern in der Überschrift als Werderisch (1626–1629), als Köllnisch (1704) oder holsteinisch (1713) identifizierte.5 Die über Jahrhunderte anhaltende Attraktivität des Textes ist darüber hinaus mit seiner Parteinahme für die in Kriegszeiten notleidende Bevölkerung zu erklären. Zudem bot die Reibung zwischen dem frommen und mit göttlicher Autorität versehenen Gebet und den unfrommen Gedanken des Sprechers einen doppelten Reiz; sie erlaubte es zu lachen: heimlich über die Möglichkeit, einen heiligen Text satirisch zu entstellen, und offen über den bäuerlichen Sprecher, der zwar das Mitgefühl ob seiner Drangsal verdient, zugleich aber einen unangemessenen Umgang mit dem Vaterunser praktiziert und somit einen eklatanten Mangel an Frömmigkeit zu erkennen gibt. Das vorliegende Blatt auf den Straßburger Bischofskrieg (b IX, 134) zu beziehen, legt nicht nur die Datierung nahe, sondern auch eine handschriftliche Parallelüberlieferung, die den Titel ‚Das Vaterunser so im Elsass anno 1610 ist gebetet worden von den Bauern‘ trägt und in zwei zusätzlichen Verspaaren auf die Verheerungen hinweist, welche die fremden Truppen des Kurfürsten Johann Sigismund von Brandenburg (1572–1619) und des Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm von Neuburg (1578–1653) im Straßburger Bistum angerichtet hätten.6

Weitere Standorte: Straßburg, BNU: R 10047

Andere Fassungen: a) b)

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London, BM: 1876–5-10–635 [Titel: Der Pauren Vatter Vnser] Hamburg, SUB: Scrin. C/22, fol. 211; London, BM: 1875–7-10–4365; Prag, Muzeum hlavního města Prahy: 27797; Straßburg, BNU: R 10046; Ulm, StB: Einbl. 308; Wolfenbüttel, HAB: IE 211 [Titel: Algemeiner Bauren Vatter Vnser...; anderes Bild; b I, 173] Dresden, SLUB: Hist. Germ. C. 16, misc. 6 [wie b, aber mit Musketengabel rechts unten im Bild] Wolfenbüttel, HAB: Einbl. Xb 2o 80.14 [Titel: Ein Vatter unse[r] der Bawren...] WÄSCHER, 55. COuPE II, Nr. 11a. CHR. WAGENKNECHT (Hg.): Gedichte 1600–1700. München 1969, 26 f. ALEXANDER/ STRAuSS II, 746. HAFTLMEIER-SEIFFERT: Bauerndarstellungen, 151–155. PAAS I, P-153. Moscherosch: Gesichte, Kap. ‚Soldaten-Leben‘; Grimmelshausen: Simplicissimus, Kap. XVf. HAFTLMEIER-SEIFFERT: Bauerndarstellungen, 138–159; vgl. J. S. FISHMAN: Boerenverdriet. Violence between Peasants and Soldiers in Early Modern Netherlands Art. Michigan 1979; J. W. HuNTEBRINKER: Übergriffe des Militärs auf die Bevölkerung im 17. Jh. Bilder soldatischer Kriminalität aus unterschiedlichen Perspektiven. In: K. HÄRTER u. a. (Hgg.): Repräsentationen von Kriminalität u. öffentlicher Sicherheit. Bilder, Vorstellungen u. Diskurse vom 16. bis zum 20. Jh. Frankfurt a. M. 2010, 165⫺194, bes. 174⫺184. G. MEHRING: Das Vaterunser als politisches Kampfmittel. In: Zs. d. Vereins f. Volkskunde 19 (1909), 129–142, hier 131–133. R. M. WERNER: Das Vaterunser als gottesdienstliche Zeitlyrik. In: Vierteljahrsschrift f. Litteraturgesch. 5 (1892), 1–49, hier 17–33. Den bei Werner aufgelisteten Fassungen des ‚Bauern Vater Unser‘ sind hinzuzufügen: ‚Ein Vatter unser der Bawren‘ (s. o., Fassung d), und ‚Der Chur-Cöllnischen Bauren Vater Unser‘ (o.O., um 1670). Ebd., 20 f.; MEHRING: Vaterunser, 134. WERNER: Vaterunser, 19. PAAS II, P-409. MSch

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IX, 82

F 192

Ort Jahr Bild Text Format

Unter Verwendung der Distel-Metaphorik werden in Form einer Klage über die Not der Zeit die zerstörerischen Folgen des Krieges und der Inflation für den ‚gemeinen Mann‘ dargestellt. Auf einer Erhöhung in der Mitte des Bildes steht in einem Distelgestrüpp dem Betrachter zugewandt ein Mann mit einem Stab in der Hand. In die ihn einrahmenden Distelzweige sind symmetrisch links und rechts acht nummerierte Medaillons mit Bildern eingelassen. Sie sind einander auf gleicher Höhe paarweise zugeordnet und illustrieren dasselbe Ereignis oder denselben Zustand aus der entgegengesetzten Perspektive des unter dem Krieg leidenden ‚gemeinen Mannes‘ und des Kriegsgewinnlers: Raub, Verschlechterung der Münze, Zerstörung von Haus und Hof, Völlerei bzw. Hungersnot. In den unteren Bildecken stehen zwei kleine Menschengruppen, links die Verarmten mit ihren zerrissenen leeren und rechts die Bereicherten mit ihren prall gefüllten Geldbeuteln. Den Hintergrund bildet eine Landschaft mit einem brennenden Dorf, über der ein Gewitter mit Blitz und Hagel niedergeht. Der Text in der Graphik erläutert mit jeweils einem Satz in der Ich-Form die Bilder in den Medaillons und ist wie sie antithetisch aufgebaut. Den Klagen: ‚ich werde beraubt‘, ‚ich gehe an der Inflation zugrunde‘, ‚mein Haus ist verbrannt‘, ‚ich verhungere‘ entsprechen auf der anderen Seite die Feststellungen: ‚ich raube‘, ‚ich horte Geld‘, ‚ich brandschatze und stehle‘, ‚ich freß vnd sauf‘. Diese Konstruktion kehrt in Gesprächsform im Haupttext wieder, der die Sätze zu längeren Aussagen entwickelt. Der enge Zusammenhang zwischen den beiden Blattteilen wird durch die gleiche Abfolge der Nummern in Bild und Text und der entsprechenden Strukturierung des Dialogs noch verdeutlicht. Der Text beginnt mit der am Ende noch einmal wiederholten Klage der zentralen Bildfigur, die für alle durch den Krieg Betroffenen steht. Die noch vor wenigen Jahren herrschende, durch den Frieden garantierte Ordnung werde nun durch den Krieg zerstört, und an ihre Stelle seien Plündern/ Stehlen/ Raub/ Mord vnd Brand gepaart mit der drückenden Inflation eingetreten, die den geplagten Menschen wie Dorn vnd Distel von allen Seiten stächen. In den letzten Zeilen des Textes drückt der Sprecher die Hoffnung aus, dass Gott die Schuldigen des Kriegsunglücks bestrafen werde, bekennt aber gleichzeitig die Schuld der Menschheit gegenüber Gott und bittet um seine Gnade. Das Blatt ist primär eine allgemeine Zeitklage, die ein pessimistisches Bild von dem Dieser gegenwertigen Zeit Weltlauff (so der Titel der Fassung a) vermittelt. Während die anderen zeitgenössischen Blätter zu diesem Thema nur sehr entfernt die aktuellen Ereignisse und Zustände als Hintergrund 174

Wa Ich mich nur hinker vnd wend

(um 1622) Kupferstich Typendruck in 3 Spalten; 129 Knittelverse 38,7 ! 27,8; 16,3 ! 25,4

erkennen lassen (b I, 55 f.; IX, 12),1 rekapituliert der vorliegende Kupferstich die Erfahrungen der Menschen in der ersten Phase des Dreißigjährigen Krieges, als neben dem grausamen Kriegsalltag die Münzentwertung die Wirtschaft des Landes und den Einzelnen, vor allem den ‚kleinen Mann‘ besonders hart traf.2 Die häufigen Anspielungen auf diesen Zustand lassen die Entstehung des Blattes in der Kipper-und-Wipper-Periode Anfang der zwanziger Jahre vermuten.3 Es zeigt viele Übereinstimmungen mit den zu dieser Zeit entstandenen Flugblättern, die sich kritisch mit der Teuerung befassten (b I, 162 f., 165, 167).4 Sie greifen weder die für die politische und wirtschaftliche Lage verantwortlichen Mächtigen an noch benennen sie die Kriegsfinanzierung als tatsächlichen Grund der Teuerung. Die sachliche Darstellung der Situation tritt zugunsten einer theologisch-moralischen Argumentation zurück, die sich auf den allgemeinen Sittenverfall als Teufelswerk und dessen Überwindung durch göttliche Gnade konzentriert. Das Negative, das in den Bildern und im Text primär durch den plündernden, stehlenden und tötenden Soldaten verkörpert wird, wird in den Schlusszeilen auf den Menschen als Sünder übertragen: Die Schuld des Einzelnen hat ihre Entsprechung auf der höheren Ebene in der durch die Erbsünde verursachten Schuld der Menschheit. Diese allgemeine moralische Dimension, um die das vorgeführte Bild der Zeit erweitert wird, wird durch die Verwendung der biblischen Dorn-undDistel-Symbolik unterstützt. In der Dichotomie des Bildes, das das Opfer und den Täter nebeneinander stellt, werden zwei Bedeutungsebenen des Motivs aufgegriffen. Dornen und Disteln stehen für irdische Mühsal des Menschen als Strafe für die Erbsünde (I Mos 3,17 f.), für Widerstände und Hindernisse, die er in seinem Leben als gläubiger Christ zu erdulden und zu überwinden habe (Hos 2,6). Zugleich sind sie Sinnbild des Menschen selbst nach dem Sündenfall, des Gottlosen, welcher der Erde gleicht, welche […] dornen vnd disteln treget (Hebr 6,8). In der Darstellung der Hauptfigur mit dem Wanderstab lässt sich eine weitere moralische, biblisch fundierte Auslegungsmöglichkeit des Blattes erkennen. Es handelt sich um das Motiv des Wanderers auf dem mit Dornen und Disteln bepflanzten Lebensweg (Mt 7,13 ff.), der auf den schwierigen Weg der Tugend und den Weg zum Himmel verweist (b III, 98; IX, 4).5

Weitere Standorte: Braunschweig, HAUM: FB 3 XVII

Andere Fassungen: a)

Hamburg, SUB: Scrin. C/22, fol.201; Nürnberg, StB: Einbl. Nbg. 1600–1640 [Stachlichte Donnerdistel, Oder Dieser gegenwertigen Zeit Weltlauff]

A1 A2

WÄSCHER, 60. PAAS III, P-874.

1

Zu Darstellungen von Armut und Bedürftigkeit in der Welt vgl. COuPE I, 197–204. F. REDLICH: Die dt. Inflation des frühen 17. Jhs. in der zeitgenössischen Literatur. Die Kipper u. Wipper. Köln/ Wien 1972; GOER: ‚Gelt‘; HOOFFACKER: Avaritia; U. ROSSEAuX: Die Kipper u. Wipper als publizistisches Ereignis (1620–1626). Eine Studie zu den Strukturen öffentlicher Kommunikation im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges. Berlin 2001; M. WH. PAAS: The Kipper Und Wipper Inflation, 1619–23. An Economic History with Contemporary German Broadsheets. New Haven 2012 (dazu die Rezension von U. ROSSEAuX. In: German Historical Institute London Bulletin 35, 2013, 104– 106). So auch W. HARMS: Die kommentierende Erschließung des illustrierten Flugblatts der frühen Neuzeit u. dessen Zusammenhang mit der weiteren Publizistik im 17. Jh. In: Presse u. Gesch. II. Neue Beiträge zur historischen Kommunikationsforschung. München u. a. 1987, 83–111, hier 91 f. WÄSCHER, 60, datiert das Blatt auf 1640. Illustrierte Flugblätter, Nr. 50 f. Vgl. HARMS: Homo viator; DERS.: Das pythagoreische Y auf illustrierten Flugblättern des 17. Jhs. In: Antike u. Abendland 21 (1975), 97⫺110; M. SCHARFE: ZweiWege-Bilder. Volkskundliche Aspekte evangelischer Bilderfrömmigkeit. In: Blätter f. württembergische Kirchengesch. 90 (1990), 123⫺144; H. VÖGEL: Beobachtungen zum Verhältnis von Bild und Text im illustrierten Flugblatt der Frühen Neuzeit. In: A. MESSERLI/ M. SCHILLING (Hgg.): Die Intermedialität des Flugblatts in der Frühen Neuzeit. Stuttgart 2015, 87⫺111, hier 91⫺ 96; Illustrierte Flugblätter, Nr. 16. EP

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IX, 83

F 178

Ort Jahr Bild Text Format

Mit dem Anspruch unabweislicher Wahrheit kritisiert das Blatt allgemeine Missstände am Beginn des Dreißigjährigen Krieges und besonders kabbalistische Versuche aus dem Umkreis der Rosenkreuzer, den göttlichen Weltplan zu entziffern. Eine nackte Frau mit langem wehendem Haar und einem Armreif als einzigem Schmuck hält eine Bassgeige, die an einem Schulterriemen hängt, vor ihren Leib und führt den Bogen über die einzige Saite des Instruments. Die Standfläche der Frau, deren Kopf von einer strahlenden Sonne hinterfangen wird, bildet ein Quader, der inmitten des bewegten Meeres steht. Aus den aufgewühlten Wellen tauchen von allen Seiten Hunde mit aufgesperrten und geifernden Mäulern auf. Im Hintergrund untermalen zwei Segelschiffe den maritimen Charakter der Szene. Der Text ist der abgebildeten Musikantin in den Mund gelegt und setzt mit der allgemeinen Feststellung ein, dass Musik bei jedermann beliebt sei, um dann zu fragen, warum die Sprecherin mit ihrer Geig so fein so wenig Anklang finde. Die Antwort liege in der Tatsache begründet, dass es die Menschen nicht vertrügen, wenn man ihnen die Melodie der Wahrheit vorspiele. Dennoch wolle die Sprecherin im Vertrauen auf den langsamen, aber endgültigen Triumph der Wahrheit von ihrem Musizieren nicht ablassen: Warheit ich nicht verschweig/ Auffs new ich hie auffgeig. Auch werde sie für eines jeden Thür ihr Lied spielen, ohne auf Rang und Namen Rücksicht zu nehmen. Es schließt sich eine allgemeine und umfassende Zeitklage an. Der Hinweis auf die Schutzfunktion von Regentn vnd Reich gegen Türcken und Heidenschafft führt zur Klage über fehlendes soziales Verantwortungsbewusstsein (Will mancher nicht mehr gebn Dem/ dem man geben soll/ Nemn dem/ dem man nicht soll). Die Bekundung genereller Sorgen vor troppweiß auftretendem Vnruhigem Gesind, also Bettlerbanden und marodierenden Soldaten, vor finanziellen Risiken und Verleumdungen Widr trewe Obrigkeit bildet den Auftakt für konkretere Kritik an Lügengeist[ern] und Politici. Ihnen wird vorgeworfen, sich selbst wie Phaeton zum Herrscher aufwerfen und die alte Ordnung aus böse[r] Lust am Neuen aufheben zu wollen. Das Auftreten falscher Propheten und Heilande kündige die letzte Zeit an: Der Welt End naht herbey. Die Engführung von homo politicus und Schwärmer wird bis fast zum Schluss fortgesetzt. Die Vorwürfe richten sich gegen die Prophezeiung, dass ein newes Reich in den nächsten zwei Jahren entstehen werde, gegen den Versuch, solche Prognostiken Mit Ziffern ausrechnen zu wollen und sich als Gottes Buchhalter aufzuführen. Obwohl Viel Leuth jhnen beypflichtn, werde man doch schnell erkennen, dass derartige Prognosen keinen Bestand haben. Auch die Kritik an den 176

Alte Geigen der Warheit/ mit

(um 1623) Kupferstich Typendruck in 4 Spalten; 228 dreihebige Paarreime 32,5 ! 25,5; 17,1 ! 11,3

Kippern und Wippern (b I, 161⫺163, 165⫺168)1 wird mit den falschen Propheten verbunden, die sich über die Rolle des Geldes in ihrer letzten Welt ausschwiegen. Der letzte Absatz führt wieder auf das Geigenspiel der Wahrheit zurück, die mangels Kolophoniums ihr Lied beenden und so davon absehen müsse, All vbel zuerzehln. Das Blatt trägt seine Zeitklage mit vielfältigen Elementen des rhetorischen und ikonographischen Arsenals vor. Bei Cesare Ripa (1560⫺um 1623) wird die Wahrheit als nackte Frau dargestellt, die als Attribut die Sonne in der Hand hält.2 Schon Horaz (65⫺8 v. Chr.) hatte von der nuda veritas gesprochen, um die unverdeckte Offenheit der Wahrheit herauszustellen.3 Während das Meer für die Unbeständigkeit und Gefährlichkeit der Welt steht, verweist der Quader als Standfläche der Personifikation auf die Unabänderlichkeit und stabilitas der Wahrheit, die allen Anfeindungen und Verleumdungen trotzt.4 Die Alte Geige der Warheit, die mit nur einer Saite bespannt ist, kontaminiert mehrere Sprichwörter: ‚Jemandem die Wahrheit geigen‘ heißt so viel wie ‚jemandem unverblümt die Meinung sagen‘; meist erscheint das Sprichwort in der Formulierung Wer die warheyt geigt/ dem schlegt man die geigen an kopff.5 Die ‚alte‘ Geige verweist ebenso wie die ‚Einsaitigkeit‘ darauf, dass immer dasselbe Lied gespielt wird.6 Hinter der allgemeinen Zeitkritik des Blattes werden auch konkretere Kritikpunkte sichtbar, die sich auf die Anfangsjahre des Dreißigjährigen Krieges beziehen, wenn die Kipper-Wipper-Inflation und die Plünderungen der Soldaten thematisiert werden. Darüber hinaus zeichnet sich auch eine Auseinandersetzung mit spezifischen religiösen Gruppierungen ab. Der Jrrgeist, der sich in seiner curiositas (Vberwitz) anmaße, Gottes Heilsplan Mit Ziffern auszurechnen und auf seiner Vernunfft Schimml in Gottes Cantzeley einzureiten, um dort die Stelle eines Buchhalters zu bekleiden, dürfte von den Zeitgenossen mit Johann Faulhaber (1580⫺1635) identifiziert worden sein. Dieser Ulmer Rechenmeister und Ingenieur hatte in etlichen Schriften kabbalistisch-mathematische Spekulationen mit heiligen Zahlen veröffentlicht und lebhafte Diskussionen zwischen seinen Anhängern und Gegnern ausgelöst (b IX, 195). Seine Kritiker warfen ihm vor, rosenkreuzerische Ideen zu verfolgen und ein Schwenckfeldianer zu sein.7 Beide Vorwürfe klingen auf dem Flugblatt an: Die Aufforderung, sich selbst zu ‚reformieren‘ (Vers 64), spielt auf den Titel ‚Allgemeine vnd General Reformation der gantzen Welt‘ an, unter dem die Rosenkreuzer-Manifeste erschienen waren. Und das Schwärmertum der Schwenckfeldianer wird in der polemischen Metapher vom Schwarm/ An Wespen gar nicht arm (Vers 14 f.) anzitiert.

Weitere Standorte:

Andere Fassungen: a)

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Coburg, Veste: XIII, 441, 19 (Reformationsblätter 4);8 London, BL;9 Nürnberg, GNM: 24507/1293; Straßburg, BNU: R 10054; ehem. Sammlung Adam, Goslar10 [Titel: Alte Geige …; 4. Zeile: Gethön/; 13. Zeile: Jch geig sie kurtz …; Zierleisten nur als Rahmen] Wolfenbüttel, HAB: 68.3 Aug. 2°, fol. 21 und 21a [auf 4 Seiten; Gedruckt in Augspurg/ bey Sara Mangin/ Wittib/ Jn verlegung Christoff Greutter/ Kupfferstecher …] B. BAuER: Lutheranische Obrigkeitskritik in der Publizistik der Kipper- u. Wipperzeit (1620⫺1623). In: W. BRÜCKNER u. a. (Hgg.): Literatur u. Volk im 17. Jh. Probleme populärer Kultur in Deutschland. Wiesbaden 1985, 649⫺681; GOER: ‚Gelt‘; HOOFFACKER: Avaritia; U. ROSSEAuX: Die Kipper u. Wipper als publizistisches Ereignis (1620⫺1626). Eine Studie zu den Strukturen öffentlicher Kommunikation im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges. Berlin 2001; M. WHITE PAAS: The Kipper und Wipper inflation, 1619⫺23. An economic history with contemporary German broadsheets. New Haven u. a. 2012. Cesare Ripa: Iconologia. Hildesheim 1970 (Nachdr. der Ausg. Rom 1603), 499⫺501; zum Licht der Wahrheit vgl. H. BLuMENBERG: Licht als Metapher der Wahrheit. In: Studium Generale 10 (1957), 432⫺447. Horaz: Oden I, 24,7. Zum Meer der Welt vgl. SCHILLING: Imagines Mundi, 167⫺185; zum Quader vgl. W. S. HECKSCHER: Goethe im Banne der Sinnbilder. Ein Beitrag zur Emblematik. In: Jb. d. Hamburger Kunstsammlungen 7 (1962), 35⫺ 54; zum bellenden Hund als signum vergeblichen Verleumdens vgl. HENKEL/ SCHÖNE: Emblemata, Sp. 563 f. Egenolff: Sprichwörter, 97 und 312; GRIMM: DWb V, 2576 f.; RÖHRICH: Redensarten, II, 524. Vgl. Vers 35 f. des Flugblatts: Mein Geig die ich thu tragn/ Wolln sie an Kopff mir schlagn. GRIMM: DWb V, 2571 f., 2577; RÖHRICH: Redensarten, II, 523. I. SCHNEIDER: Johannes Faulhaber 1580⫺1635. Rechenmeister in einer Welt des Umbruchs. Basel u. a. 1993, 14, 29 f. Auf dem Coburger Exemplar ist von alter Hand der Preis von 6x (6 Kreuzer) eingetragen. D. L. PAISEY: Illustrated German Broadsides of the Seventeenth Century. In: The British Library Journal 2 (1976), 56⫺69, hier 58. Antiquariat Tenner, Nr. 47. MSch

177

IX, 84

F 196

Ort Jahr Bild Text Verleger Format

Das Blatt inszeniert eine Klage der durch die Soldaten im Dreißigjährigen Krieg drangsalierten Bauern. Die Graphik zeigt im Vordergrund einen Soldaten, der einen Bauern gesattelt und gezäumt hat und ihn reitet. Im Hintergrund links werden weitere Verbrechen an den Dorfbewohnern geschildert: Ein Soldat bedroht mit dem Schwert eine Bauernfamilie, ein anderer plündert ihr Haus. Auf einem Hügel etwas weiter zurück sind einige Menschen auf die Knie gefallen und erheben flehend ihre Hände zum Himmel; hinter ihnen brennt ein Dorf. Im Hintergrund rechts steht vor einer befestigten Stadt eine bewaffnete Truppe. Drei weitere Soldaten reiten auf Bauern, ein vierter ersticht einen am Boden Liegenden mit einer Lanze. Über der Szene rechts schwebt in einer Wolke der Kriegsgott Mars. Er sitzt auf einem (Pulver-)Fass, aus dem zahlreiche Waffen herausragen. Der Text, der als eine Klage der misshandelten Bauern formuliert ist, steht in einem engen Bezug zum Bild. Die Bauern würden von Soldaten ihrer Güter beraubt, ihr Vieh werde gestohlen, die Ernte weggenommen, ihre Häuser verbrannt. Das einst schöne Land sei verwüstet, Dörfer geplündert, Kirchen zerstört. Der Bruder Veit1 sei Herr über ihr Leben und das ihrer Frauen und Kinder. Die Klage schlägt jedoch in eine Warnung an die Peiniger um. Wenn der Krieg zu Ende gehe, werde der Landsknecht, der kein Handwerk gelernt habe, sein Brot wie die Bauern in harter Arbeit verdienen müssen. Doch bräuchte er Hilfe und Unterstützung, würden sie ihm seine Schandtaten heimzahlen. Die Soldaten möchten auch gewarnt sein, dass die Bauern sich zur Wehr setzen, wenn das Maß überschritten werde. Im Dreißigjährigen Krieg waren Bauern wie keine andere Bevölkerungsschicht der militärischen Gewalt durchziehender Truppen ausgesetzt. Während die Stadtbewohner durch Schutztruppen, Befestigungsanlagen und daraus resultierenden Verhandlungsmöglichkeiten mit den Belagerern eine Chance hatten, die Gefahr des Angriffs abzuwenden oder zumindest seine Auswirkungen zu mildern, waren die Landbewohner dem Feind schutzlos ausgeliefert. Dieser Gegensatz wird in der Graphik durch die Darstellung der befestigten Stadt veranschaulicht. Suchten die Bauern in der Stadt Zuflucht, wurden sie oft ausgewiesen, bzw. konnten sich dort mangels Einkommensmöglichkeiten nicht ernähren.2 Die immer wieder unternommenen Versuche der Bauern, sich zu schützen, bestanden in größeren organisierten Bauernaufständen (b IX, 154), in kleinen paramilitärischen, zuerst spontanen, später organisierten Aktionen, zu denen sich Dorfbewohner zusammentaten (b IX, 175), oder in individuellen Racheakten gegen Streifer und Marodeure. 178

Newe Bauren=Klag/ Vber die Vnbarmhertzige Bauren Reütter

(Straßburg) 1643 Kupferstich von Peter Aubry d. J. (1610–1686) Typendruck in 2 Spalten; 56 Alexandriner (Peter Aubry) 34,6 ! 22,2; 15,6 ! 22,6

Die ‚Bauernklage‘ als eine besondere, von Inhalt und Intention her definierte Textsorte wurde im 16. Jahrhundert Bestandteil der Publizistik und ist häufig in den politischen Liedern der Zeit anzutreffen.3 Sie konnte sich auf ein konkretes Ereignis oder einen Umstand beziehen, wie z. B. die Einführung des Gregorianischen Kalenders 1583, die Jagdfron oder Wildplage,4 oder allgemein die soziale Lage des unterdrückten Bauern schildern. Das vorliegende Blatt ist nicht ereignisgebunden, enthält auch keine obrigkeitsfeindlichen oder konfessionellen Momente, sondern bewegt sich ausschließlich innerhalb des Topos von der Antipathia, die sich zwischen Soldaten und Bauern enthält,5 der in der zeitgenössischen Kunst und Literatur allgegenwärtig war. In der Graphik waren es vor allem Jacques Callot (1592–1635), Hans Ulrich Franck (1603–1680) sowie Rudolph Meyer und die Monogrammisten C.M. und C.R. (gelegentlich mit Christian Richter [1587⫺1667] identifiziert), die in ihren Stichserien zum Soldatenleben auch das Thema des gepeinigten Bauern behandelten.6 In der Literatur wurde das Motiv in Dramen u. a. von Johann Rist (1607–1667) und Justus Georg Schottelius (1612–1676)7 sowie in den Romanen von Grimmelshausen (1621–1676)8 und den Satiren Moscheroschs (1601–1669)9 thematisiert. Dem Straßburger Dichter Moscherosch, der in den 40er Jahren in enger geschäftlicher Beziehung zu Aubry stand und des Öfteren Verse zu seinen Stichen verfasste (b IX, 38, 71), wird in der Forschung gelegentlich die Autorschaft des Textes zum vorliegenden Blatt zugeschrieben.10 Für die ikonographische Darstellung der Bauernschindung bediente sich der Stecher des Reitmotivs, das als Symbol der Herrschaft und des Beherrschens seit der Antike für unterschiedliche Bereiche verwendet wurde: moralisch-belehrend für die Beherrschung der Triebe,11 satirisch für die Herrschsucht der Weiber,12 richtungsweisend für eine erfolgreiche Regierung13 oder wie in der Bauern-Graphik für die Unterdrückung und Misshandlung.14 Mit der Darstellung der Überfallszene unter dem bildlichen Zeichen des Mars knüpft der Blattverfasser an die Tradition der Planetenkinderbilder an, die aus dem Grundgedanken der Beeinflussung des Menschen und seines Tuns durch Planeten entstanden ist. In Kunst und Literatur verkörperten Landsknechte mit ihrer Gewalttätigkeit, Unbarmherzigkeit, Zerstörungswut typische ‚Kinder‘ des Kriegsgottes.15

c)

A A A A

A6 A7 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

12

13 14

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Andere Fassungen:

16 17 18 19

b)

Nürnberg, GNM: 16439/1294; Wolfegg, KK: Flugblätter 250,26516 [1.Z. trit; datiert 1642] Berlin, KB: 1001,33; České Šternberk, Šternberská sbírka grafiký: 385/535;17 Dresden, LB/SUB: Hist.

1 2 3 4

A5

Weitere Standorte:

a)

Germ.C.16.misc.2; ehem. Gotha, KK;18 Nürnberg, GNM: 25275/1209; Wolfenbüttel, HAB: Dep.4.9 FM 24 [Newe Bawren=Klag Vber die vnbarmhertzigen Bawren=Reuter; Nürnberg: Paul Fürst] Wolfegg, KK: Flugblätter 250,26619 [wie Fassung b mit anderem Text: DEmnach allhie …] WÄSCHER, 61. COuPE II, 269a. PAAS: Verse Broadsheet, 156 f. J. BETZ: Répertoire bibliographique des livres imprimés en France au XVIIe siècle. Baden-Baden 1984, VII, Nr. 1204. J. R. PAAS: Johann Michael Moscherosch u. der Aubrysche Kunstverlag in Straßburg, 1625 bis ca. 1660. Eine Bibliographie der Zusammenarbeit von Dichter u. Verleger. In: Philobiblon 30 (1986), 5–45, Nr. 40. HAFTLMEIER-SEIFFERT: Bauerndarstellungen, 155–158. PAAS VII, P-2138. Zu ‚Bruder Veit‘ als Bezeichnung für ‚Landsknecht‘ vgl. GRIMM: DWb, XXV, 46 f. LANGER: Kulturgeschichte, 103. H. STROBACH: Bauernklagen. Untersuchungen zum sozialkritischen dt. Volkslied. Berlin 1964, bes. S. 344 f. Ebd., 96–98, 344. Grimmelshausen: Simplicissimus, 58. KNAuER: Bedenke. STROBACH: Bauernklagen, 122, Anm. 1. Grimmelshausen: Simplicissimus, Kap. XV und XVI. Moscherosch: Gesichte, Kap. ‚Soldaten-Leben‘. PAAS: Moscherosch, 45. So z. B. in der Szene zwischen Aristoteles und Phyllis; dazu u. a. C. HERRMANN: Der ‚gerittene Aristoteles‘. Das Bildmotiv des gerittenen Aristoteles u. seine Bedeutung für die Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ordnung vom Beginn des 13. Jhs. bis um 1500. Pfaffenweiler 1992. Die Bändigung der Affekte wurde zumeist im Bild des Zureitens wilder Pferde dargestellt; vgl. R. SCHLEIER: Tabula Cebetis oder ‚Spiegel des Menschlichen Lebens/ darin Tugent und untugent abgemalet ist‘. Studien zur Rezeption einer antiken Bildbeschreibung im 16. u. 17. Jh. Berlin 1974, 115–118. Vgl. z. B. das Titelblatt von Sommers ‚Ethographia‘, Teil 3 (in der 2. Ausg. von 1629) und die Darstellung eines Bauern, den eine spinnende Frau reitet, Abb. bei MOXEY: Peasants, 105. Diego de Saavedra Fajardo: EIN ABRISS Eines Christlich-Politischen PRINTZENS. Amsterdam 1655, Nr. 21. Das Motiv des einen Bauern reitenden Soldaten findet sich auf einem niederländischen Blatt Jan van Ossenbeecks, für das die Graphik Aubrys möglicherweise als Vorlage gedient hatte; abgeb. bei HOLLSTEIN: Dutch Etchings, XIV, 209. Mit der Darstellung eines Nazisoldaten, der einen blutüberströmten Menschen reitet, als Illustration zum ‚Simplicissimus‘ schuf der Schweizer Künstler Max Hunziker 1944 eine Zeitparallele zur Grausamkeit des zweiten Weltkrieges (M. HuNZIKER: Handätzungen zu Grimmelshausens Simplicius Simplicissimus. 174 Illustrationen zur Simplicissimus-Ausgabe des Flamberg Verlags. Zürich 1963, Bd. I). G. WEYDT: Nachahmung u. Schöpfung im Barock, Studien um Grimmelshausen. Bern/ München 1968, 375– 381; MEuCHE/ NEuMEISTER, B 12. PAAS VII, P-2135. BOHATCOVÁ, Abb. 113. HAMPE: Fürst, 90. PAAS VII, P-2137. EP

179

IX, 85

F 58

Ort Jahr Bild Text Format

Die geringfügig gekürzte und aktualisierte Fassung eines Flugblatts aus den 1530er Jahren verbindet Zeit- und Ständekritik mit einem Friedensappell. In einem alten mit einem Figurenfries geschmückten Rundturm, von dessen ruinösem Zustand Risse, das fehlende Dach sowie die aus den Mauerritzen hervortreibenden Pflanzen künden, sitzt in klassischer Melancholie-Haltung eine prachtvoll gekleidete Dame mit einem Kranz auf dem Kopf. Eine Beischrift weist sie als Pax aus. Vor ihr steht, die Rechte zum Sprachgestus erhoben, ein Mann, dessen Kleidung (geschlitzte Puffärmel, kurzer Rock, flacher Federhut) ihn eher als Angehörigen des 16. denn des 17. Jahrhunderts erscheinen lässt. Zu Füßen der Pax weidet ein Schaf, während der Wildwuchs und allerlei kriechendes Ungeziefer den Ort der Begegnung als locus desertus kennzeichnen. In dem Prolog erzählt Ein alter Teutscher, wie er im Frühling einen Berg besteigt, auf dessen Spitze er ein verfallenes altes Schloß findet. In dem Gemäuer trifft er auf ein klagendes schönes Weib, das sich ihm im folgenden Dialog als Die friedsam Königin Pax vorstellt. Sie habe sich in die Einsamkeit zurückziehen müssen, weil die Menschen sie verjagt hätten. In einem langen Redeabschnitt holt sie zu einer umfassenden Zeitklage und Ständekritik aus, die vom Kaiser über den Adel, die Geistlichkeit, Bauern, Kaufmanns- und Handwerkerschaft, Eheleute, Nachbarn, Frauen und Männer, Spieler, Geselligkeiten wie Stechen/ Fechten/ Ringn/ Springen/ […] Schiessen/ Dantzen/ Meistersingen bis hin zum Markttreiben reicht. Obwohl Gott selbst den Menschen Frieden geboten habe, seien sie untereinander zerstritten, und es herrsche allenthalben Zwist und Hader. Historische Beispiele zeigten, dass Uneinigkeit die mächtigsten Reiche und Städte (Caldea/ Assiria/ Egypten vnd auch Graecia […] Troja/ Jerusalem/ Rom) zerstört habe, ein Schicksal, das auch dem Römischen Reich drohe. Die Bitte des Alt Teutsch[en], doch wieder zurückzukehren, lehnt Fraw Pax unter Hinweis auf die Unzuverlässigkeit der Menschen, die Unsicherheit der gesellschaftlichen Zustände und das bevorstehende Jüngste Gericht ab. Im Epilog bekräftigt Der alte Teutsche die Notwendigkeit des Friedens mit Bibel- und Kirchenväterzitaten, um abschließend Gott um Den ewign Fried nach dem Tod zu bitten. Das Blatt basiert auf einer Vorlage aus dem 16. Jahrhundert, deren Bild und Text nur noch gesondert überliefert sind. Der Holzschnitt (s. Fassung a) zeigt im Gegensinn dieselbe Szene wie die vorliegende Radierung. Der Text ist handschriftlich in den Spruchbüchern von Hans Sachs erhalten und dort auf den 7. Mai 1534 datiert.1 Der Vergleich der beiden Textfassungen fördert einige 180

Deß verjagten Frieds erbärmliche Klagred

1632 Radierung Typendruck in 4 Spalten; Dialog in 218 Knittelversen (von Hans Sachs, 1494⫺1576) 33,6 ! 29,5; 14,5 ! 13,8

bemerkenswerte Differenzen zutage. So hat der Text von 1632 bis auf die Exposition alle narrativen Elemente seiner Vorlage gestrichen und nur die dialogischen Partien behalten. Weiterhin fällt auf, dass Anspielungen auf die Antike eliminiert worden sind; In der älteren Version hatte Nero das Schloss zerstört, das auf einem dem Olymp vergleichbaren Berg lag und in dem ein Groß hauffn merbel-seuln verbaut worden war.2 Und das in deutscher Übersetzung zitierte Dictum des Pindar (522/518⫺nach 446 v. Chr.) Dulce bellum inexpertis, das durch seine Aufnahme in die ‚Adagia‘ des Erasmus von Rotterdam (1469⫺1536) populär geworden war,3 fehlt 1632 ebenso wie ein Cicero-Zitat. Unter den sonstigen, meist kürzenden Eingriffen ist hervorzuheben, dass die Passage über die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Adel und Städten ersetzt wurde durch Verse zu den Spannungen zwischen den fouragierenden Soldaten und der notleidenden Landbevölkerung. Am Schluss ist die mittels einer Sphragis erfolgte Selbstnennung des Autors entfallen. Als 1531 der Schmalkaldische Bund geschlossen wurde, trat Nürnberg nicht bei, um sich seine guten Beziehungen zum Kaiser nicht zu verscherzen. Auch wenn Sachs 1534 seine Klage des Friedens als allgemeine Zeitkritik formuliert hat, mag doch auch die Nürnberger Neutralität zwischen den konfessionellen Parteien im Reich die Folie abgegeben haben, vor der sein Plädoyer für den friedlichen Umgang aller Stände miteinander seine Wirkung entfaltete. Als Georg Merkel (tätig 1552⫺ 1565) den Text 1553 in einer Flugschrift erneut zum Abdruck brachte, bildete die militärische Auseinandersetzung der Nürnberger mit Albrecht Alcibiades von Brandenburg-Kulmbach (1522⫺ 1557) den aktuellen Hintergrund der Friedensklage. 1632 fügt sich das Blatt zu den Ausgleichsbemühungen, die Sachsen nach dem Tod Gustav Adolfs von Schweden (1594⫺16. 11. 1632) unternahm, um mit dem Kaiser ein Friedensabkommen zu schließen, das letztlich auch im Prager Sonderfrieden von 1635 zustande kam. Zu den Gemeinsamkeiten, auf die man sich in diesem Zusammenhang gern berief, gehörte der Hinweis auf die Einheit stiftende Idee einer deutschen Nation.4 Eben dieser Appell an den nationalen Gedanken findet sich auf dem Blatt wieder, wenn das kräutersammelnde Ich bei Hans Sachs 1632 in einen alte[n] Teutsche[n] umgewandelt wird, die humanistischen Anspielungen auf die Antike entfallen und die griechischen Inschriften der Schlossruine als alte[] Fränckische[] Buchstaben erscheinen. Die über die Missstände ihrer Zeit klagende Personifikation des Friedens hatte Sachs in der ‚Querela Pacis‘ des Erasmus von Rotterdam vorgefunden (zuerst Basel 1517).5 Während bei Erasmus ausschließlich die Pax zu Wort kommt, hat Sachs die Klage in einen Dialog eingebettet und mit einem narrativ-allegorischen Rahmen versehen, in-

dem er die Begegnung an einem locus desertus auf einem Berggipfel und in einer Schlossruine stattfinden lässt.6

Weitere Standorte: Česke Šternberk, GS: 345/488 (A 1); Wolfegg, KK: Flugblätter 250, 28 (A 1); ehem. Donaueschingen, KK (A 2); ehem. München, GS (A 3).

Andere Fassungen: a)

London, BM: E, 9.132 [Holzschnitt eines verlorenen Flugblatts von 1534].

A1 A2 A3

PAAS VI, P-1611. WELLER: Annalen, I, 398. H. RÖTTINGER: Die Bilderbogen des Hans Sachs. Straßburg 1927, Nr. 639 mit Abb. 3. SCHILLING: Bildpublizistik, 186, Nr. 65.

A4 1 2 3

4

5

6

Sachs: Werke, 3, 325⫺332. Ebd. 325 f. Desiderius Erasmus: Adagiorvm Opvs. Basel 1528, 831⫺847. Vgl. H. PETERSE: „Süß scheint der Krieg den Unerfahrenen.“ Erasmus von Rotterdam über Krieg u. Frieden. In: DERS. (Hg.): Süß scheint der Krieg den Unerfahrenen. Das Bild vom Krieg u. die Utopie des Friedens in der Frühen Neuzeit. Göttingen 2006, 9⫺24. A. WANDRuSZKA VON WANSTETTEN: Reichspatriotismus u. Reichspolitik zur Zeit des Prager Friedens von 1635. Eine Studie zur Gesch. des dt. Nationalbewußtseins. Graz 1955 Erasmus von Rotterdam: Ein Klag des Frydens. Leo Juds Übersetzung der Querela Pacis von 1521 zusammen mit dem lateinischen Original. Hg. von A. M. HAAS/ U. HERZOG. Zürich 1969. Zu solchen Inszenierungen vgl. W. THEISS: Exemplarische Allegorik. Untersuchungen zu einem literarhistorischen Phänomen bei Hans Sachs. München 1968, 60⫺68 (Berg), 84⫺96 (Burgen und Schlösser), 106⫺111 (Spaziergang). MSch

181

IX, 86

F 873

Ort Jahr Bild Text Verleger Format Zustand

Der Wormser Pfarrer Sigismund Gerlach mahnt die Obrigkeiten in Bild und Text unter Verwendung eines Liedes von Wilhelm Alard, bei den Verhandlungen in Münster und Osnabrück Frieden zu schließen. Das Bild stellt eine konkav geformte Landschaft dar, an deren tiefstem und zugleich zentralem Punkt ein Wolkenkranz erscheint, aus dem Gottvater herabblickt. Unter der Wolke ist eine Figurengruppe von drei knienden lutherischen Geistlichen wiedergegeben, die zu der Heiligen Dreifaltigkeit beten. Während die beiden rechten Gestalten ihre Gesichter zu Gott erheben, wendet sich der linke Pfarrer dem Leser zu. Diese Haltung sowie die Platzierung direkt in der Bildmitte lässt in der Figur den Verfasser des Blattes vermuten. Zu beiden Seiten der Dreiergruppe beten Repräsentanten verschiedener Stände auf Knien um Frieden. Das Spruchband in den Händen des am unteren Rand der Corona erscheinenden Engels verkündet, dass das Gebet erhört worden sei. Ein von Gott gesandter Friedens- und Racheengel fordert die links vorne sitzenden fünf Diplomaten auf: Macht Fridt oder ihr solt Ewig vnfridt haben. Das auf dem Tisch liegende Schriftstück enthält eine Bitte an Gott um Unterstützung bei den Friedensverhandlungen. Auf derselben kompositorischen Ebene wie die Unterhändler wurde im Vordergrund rechts die eigentliche Ursache für die Entstehung des Blattes in einer Szene versinnbildlicht, welche mit der Darstellung von Tod, Gewalt und Zerstörung die Früchte des Kriegs zeigt, der nun in die 27 jahr gewehrt. Die Szene setzt sich fort in den Darstellungen zerstörter Gebäude und einer brennenden Stadt am rechten mittleren und oberen Bildrand. Der Text besteht aus einem Gebet in Prosa und einem fünfzehnstrophigen Lied, das dem Gebet inhaltlich nahe steht. Das Gebet ist eine Bitte an Gottvater um Frieden für das bedrängte, zerstörte Deutschland, Frieden, den der Teufel mit gantzer macht zu verhindern versuche. Gott möge den Einigkeits- und Friedenswillen den Herzen aller Potentaten vnnd Stände einflößen. Im Verstext wird der Krieg als Strafe für menschliche Sünden interpretiert, die in der Abkehr von der Religion, in Mangel an Liebe, Treue, Moral, Ehrbarkeit, Gerechtigkeit und in den Lastern der Völlerei, Zecherei und des Ehebruchs bestünden. Die Menschen hätten jetzt ihre Sünden erkannt und ihr Verhalten bereut. Trotzdem vermöchten sie nicht, das Rachschwert Gottes abzuwenden. Das könne allein sein Sohn, daher bäten sie Christus, er möge mit seinem Opfer den Zorn Gottes mildern, Frieden und Glück ins Land bringen und der Kätzer schare verjagen. Die über dem Text stehenden Initialen S.G.P.W. verweisen vermutlich auf den Wormser Pastor Sigismund Gerlach (1597–1662)2 als den Autor des Blattes. 182

S. G. P. W. Ein schön Christandächtiges Gebett

Worms (1645/46) Radierung Typendruck in 3 Spalten; Prosa (von Sigismund Gerlach?, 1597–1662) und 15 Liedstrophen von Wilhelm Alard (1572–1645)1 C. R. 51,1 ! 30,8; 20,3 ! 30,8 moderne handschriftliche Nummerierung links oben: 149

Der Text ist typisch für Friedenspredigten und -gebete aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges.3 Es handelte sich um von Pastoren verfasste und primär der Gemeinde vorgetragene Gebrauchstexte, in denen sich die aktuelle politische Situation und eine kirchliche Darbietungsform verbanden. Dieser Texttypus war auch in der weltlichen und geistlichen Dichtung verbreitet, seltener in der VersProsa-Kombination,4 häufiger in Form von Gebetsliedern und Bußgedichten.5 Gerlach übernahm die Strophen seines Liedes aus dem ‚Gebet vmb Vergebung der Sünden vnd Abwendung des Schwerdts vnd falscher Lehre‘ des holsteinischen Pfarrers und Dichters Wilhelm Alard.6 Von den 21 Strophen des Originaltextes wurden sechs (6, 10, 11, 13, 18, 19) ausgelassen. Die Kürzung des Liedes ändert weder seinen Sinn noch verlagert sie die Schwerpunkte der Aussage. In den übernommenen Strophen finden sich zahlreiche Änderungen im Wortlaut, wenn synkopierte Wortformen aufgelöst wurden (z. B. Gebet statt Gbet, guten statt gutn; haben statt habn, Laster statt Lastr usw.), ein Verfahren, das sprachliche Korrektheit auf Kosten der musikalisch-metrischen Form herstellt. Zum anderen sind Nachlässigkeiten zu verzeichnen, wenn zweimal die letzte Zeile einer Strophe mit derjenigen einer ausgelassenen Strophe vertauscht wurde (Strophe 5 und 13) oder aber manche Wörter ungenau und sinnentstellend gelesen wurden (z. B. tag statt Plag in Strophe 1, sinds statt Sünd in Strophe 4, trachtet statt treibet in Strophe 7). Zuerst als Anhang zu den Bußpredigten in Alards ‚Poenitentialium Trias Qvarta‘ (Leipzig 1628) abgedruckt, war das Lied in vier weiteren Ausgaben bis 1646 zugänglich und fand auch in Gesangbücher Eingang.7 Das ‚Poenitentiale Propheticum‘ diente zur Anleitung rechtschaffener Busse/ wahrer Bekehrung/ vnd ernster beständiger Besserung des sündhafften Lebens und zum eiverigen Gebet zu Gott/ vmb Abwendung aller wolverdienten […] Straffen Gottes: jnsonders des fressenden Schwerdtes/ Kriegs vnd Blutvergießens (Titel). Die abgedruckten Predigten samt den Gebeten waren für verschiedene wöchentliche Buß- und Bettage bestimmt; da aber der gepredigten und angehörten Wort/ leider/ offt bald vergessen wird, wollte der Autor sie durch öffentlichen Druck frommen Christen mittheilen (Vorwort zur ‚Trias Qvarta‘). Das Wormser Blatt wurde zwar fast zwanzig Jahre später verlegt, doch hatte der Originaltext angesichts des andauernden Krieges und seiner für die Stadt besonders verheerenden Folgen, zu denen auch die Bedrohung der Protestanten durch kaiserliche Verordnungen und Besatzungen zählte,8 nichts von seiner Aktualität verloren. Die schon bei Alard vorgegebene Tonangabe wurde beibehalten. Es handelt sich um eine im 17. Jahrhundert übliche „geistliche Parallelkontrafaktur“.9 Das verbreitete Lied ‚O Welt, ich muss dich lassen‘ bildete seinerseits eine Kontrafaktur

des weltlichen Liedes ‚Innsbruck, ich muß dich lassen‘.10 Für die Ikonographie der beratenden Diplomaten-Gruppe diente wahrscheinlich das Blatt ‚Seuffzer nach dem Guldinen Friden‘ von 1636 (b IX, 184) als Vorbild.

Weitere Standorte: München, BSB: Einbl.V,8a,99 (ohne den Text)

Andere Fassungen: A1

PAAS VII, P-2181.

1

W. KÜHLMANN: Alard, Wilhelm. In: VL16 1 (2011), 70⫺ 78. Zu Sigismund Gerlach, Pastor in Worms, vgl. A. BECKER: Beiträge zur Gesch. der Frei- u. Reichsstadt Worms. Worms 1880, 120; W. DIEHL: Pfarrer- u. Schulmeisterbuch für die Provinz Rheinhessen u. die kurpfälzischen Pfarreien der Provinz Starkenburg. Darmstadt 1928, 430. Von Gerlach stammt das 1647 in Frankfurt a. M. gedruckte Erbauungsbuch ‚Suspiria Sancta Sanctorum: Das ist/ Hertzens-Seufftzer der Heyligen‘. Für freundliche Hinweise danke ich Margit RinkerOlbrisch, Stadtarchiv Worms. Vgl. etwa Hartmann Creidius: Idea Mundi, Das ist: Ein lebendig Muster und Conterfeyt/ der heutigen verdampten Welt. Frankfurt a. M. 1646; Tobias Wagner: Consultatio Pacis germaniae. Das ist/ Newe Jahrs-Predigt/ vom deliberirten Frieden im Teutschlande. Ulm 1646. Vgl. etwa Josua Stegmann: Christliches GebetBüchlein/ Auff die bevorstehende Betrübte/ Kriegs/ Theuerung vnd SterbensZeiten gerichtet. Rinteln 1627; Wilhelm Alard: Girrendes TürtelTäublein Das ist Andächtige Gebetlein […] Auff die gegenwertige VerfolgungKriegs vnd Sterbenszeit gerichtet. Rinteln 1633 (2. Aufl. Leipzig 1635). W. KÜHLMANN: Krieg und Frieden in der Literatur des 17. Jhs. In: Krieg und Frieden, II, 329–337, hier 334 f. mit mehreren Beispielen. Das Lied ist abgedruckt bei A. FISCHER/ W. TÜMPEL (Hgg.): Das dt. evangelische Kirchenlied des 17. Jhs. 6 Bde., Gütersloh 1904⫺1916 (Nachdr. Hildesheim 1964), I, 150–152. Einzeldruck der ‚Trias Qvarta‘ nach FISCHER/ TÜMPEL: Kirchenlied, II, 143; Wilhelm Alard: Poenitentiale Propheticum; Das ist Acht vnd viertzig Bußpredigten. Leipzig 1634, IV, 93–98; ders.: TürtelTäublein, 209–216. H. BOOS: Gesch. der rheinischen Städtekultur von den Anfängen bis zur Gegenwart mit besonderer Berücksichtigung der Stadt Worms. 4 Bde., Berlin 1897⫺1901, IV, 405–451. W. LIPPHARDT: Über die Begriffe: Kontrafakt, Parodie, Travestie. In: Jb. f. Liturgik u. Hymnologie 12 (1967), 104–111. K. AMELN: Kirchenliedmelodien der Reformation im Gemeindegesang des 16. u. 17. Jhs. In: A. DÜRR/ W. KILLY (Hgg.): Das protestantische Kirchenlied im 16. u. 17. Jh. Text-, musik- u. theologiegeschichtliche Probleme. Wiesbaden 1986, 61–72, hier 63–65. EP

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Den aktuellen Kriegsklagen wird mit dem tröstlichen Hinweis auf die wundersame Niederlage der Assyrer begegnet, von der die Bibel berichtet. Die Graphik zeigt flüchtende Truppen in einem Kriegslager, das vor den Mauern einer sich am Horizont erhebenden Stadt aufgeschlagen wurde. Die Besiegten liegen zum Teil erschlagen auf dem Boden, zum Teil suchen sie in wilder Flucht das Weite. Über der Szene schwebt auf einer Wolke ein Engel mit einem Schwert in seiner Rechten, zu dem einige Fliehende in Angst und Verwunderung emporblicken. Das Aussehen der Kleidung, der Waffen und der Zelte verweist auf die vorchristliche Zeit des Ereignisses. Die ersten sieben Strophen erheben Klage über die Verwüstungen, die der Krieg in dem einst so schönen und berühmten Land angerichtet habe. Deutschland erscheint als vergewaltigte Jungfrau, die durch Rauberhand zu einer bettelnden, kinderund mannslosen Frau und so zu Spott vnd Schand der Welt gemacht wurde. Die folgenden Verse offenbaren das Ausmaß der Zerstörung, die alle Bereiche des privaten und öffentlichen Lebens umfasse: religiöse Praxis, die Justiz und den Alltag – von den materiellen Schäden über Hunger bis zum Tod der Nächsten. Hervorgehoben wird die ungewöhnlich lange Dauer des Krieges und seine räumliche Ausdehnung. Nicht zuletzt kommt der Aspekt des Bürgerkrieges zur Sprache, für den die Fürsten verantwortlich gemacht werden. Die Strophen 8 bis 11 drücken Sehnsucht nach dem Frieden aus und beschwören verallgemeinernd und zusammenfassend noch einmal das Bild des Krieges herauf. Die 11. Strophe, die eine Apostrophe an Gott mit der Bitte um Hilfe enthält, bildet mit der Erwähnung Jerusalems einen Übergang zu den beiden nächsten Strophen, die sich direkt auf die im Titel genannten Bibelstellen beziehen und mit paraphrasierenden Zitaten das Schicksal des assyrischen Königs Sanherib und seiner Armee in Erinnerung rufen. In der letzten Strophe erscheint Gott als Krieger, der ins Feld zieht und den Feind besiegt im Kampf um seine Kirche. Die Graphik des Blattes ist ein seitenverkehrter Nachstich eines Kupferstiches von Matthaeus Merian aus einer Serie, die er als Bildbeigaben zur Bibel angefertigt hatte,2 und illustriert die im Titel des Blattes genannten Stellen 2 Kön 19 und Jes 37 über die ‚Wunderbare Niederlage der Assyrer‘. Sie bildet die Schlussszene der Geschichte über die Belagerung von Jerusalem im Jahre 701 durch den assyrischen König Sanherib. Nachdem der König von Judäa Ahas wegen innerer Angelegenheiten den König von Assyrien zur Hilfe geholt hatte, geriet er in Abhängigkeit von dem asiatischen Herrscher. In Jerusalem wurde der Kult Jahwes durch den Kult assyrischer Gottheiten ersetzt. Als der Nachfolger Ahas’ König Hiskia die Götzensta184

Kriegstrost/ Abgesehen auß den andern Buch

Nürnberg (1646) Kupferstich nach Matthäus Merian d. Ä. (1593–1650) Typendruck in 4 Spalten; 14 Liedstrophen von J(ohann) Kl(aj) (um 1616–1656)1 Paul Fürst (1608–1666) 29,0 ! 34,6; 11,7 ! 15,5

tuen und -bilder zerstören ließ und eine Liga gegen Assyrien gründete, rückte Sanherib mit seiner Armee vor Jerusalem und belagerte die Stadt. Während der Belagerung erschien ein Engel des Herrn und erschlug im Lager der Assyrer 185 000 Mann. Das Scheitern des Vorhabens wurde von dem Propheten Jesaja verkündet, der schon früher vor der Annahme der fremden Religion gewarnt hatte. Die Verbindung mit den im Titel zitierten Bibelstellen ist nicht nur durch wörtliche (im Text fett hervorgehoben) und inhaltliche (Strophen 12 und 13) Zitate hergestellt. Die biblische Szene erfährt im Blatt eine Aktualisierung durch den zeitgeschichtlichen Bezug auf den Dreißigjährigen Krieg.3 Zum einen wird der Krieg, im Sinne der Lehre Luthers, wie in der Geschichte über das sich selbst in Gefahr bringende Jerusalem als Strafe Gottes für menschliche Sünden und Laster gedeutet (b IX, 86, 184, 186) – sobald die Menschen zur Einsicht kämen und sich wieder Gott zuwendeten, erlöse er sie von dem Feind.4 Die Intention des Pastors Klaj ist zum anderen als Warnung an die zur Zeit in Münster beratenden evangelischen Teilnehmer der Friedenskonferenz vor Zugeständnissen gegenüber der katholischen Partei zu interpretieren. Die primär religions- und glaubensorientierte Ausrichtung des Textes wird in der letzten Strophe und ganz besonders der Schlusszeile ersichtlich, die den Dreißigjährigen Krieg als Religionskrieg und die evangelische Konfession als ‚Kirche des Herren‘ ausgibt. Nicht zuletzt besteht die Parallele in der Gefahr, welche das Einlassen fremder militärischer Gewalt ins Land bringe, zumal ein innerlich zerrissenes Land den von außen heran dringenden Feinden wehrlos ausgeliefert sei. Der Autor steht mit seiner Darstellung der zeitgenössischen Ereignisse in der Tradition heilsgeschichtlicher Geschichtsdeutung, wobei in dem Vergleich vor- und nachchristlicher Geschehnisse wohl auch noch typologisches Denken enthalten ist.5 Das Blatt gehört zu den frühesten datierbaren Flugblättern des bedeutendsten deutschen Kunstverlegers der Zeit Paul Fürst,6 der während seiner Tätigkeit in Nürnberg auch auf dem Gebiet der Publizistik des Öfteren mit den prominentesten Mitgliedern des Nürnberger Dichterkreises wie Sigmund von Birken (1626–1681; b I, 84, 149; II, 323 f., 326–328; IX, 57), Georg Philipp Harsdörffer (1607–1658; b III, 88) und eben Johann Klaj (b I, 12; II, 325; III, 80) zusammenarbeitete. Ihre Texte auf den Flugblättern erschienen meistens anonym, und nur selten wurden sie wie im vorliegenden Fall mit Initialen unterzeichnet.7 Für Fürst hat Klaj mehrere Einblattdrucke verfasst, in der Regel wohl auf Bestellung und gegen Honorar.8 Da sich das Gedicht auf dem vorliegenden Blatt auch in Klajs Sammlung seiner ‚AndachtsLieder‘ (Nürnberg 1646) befindet,9 lässt sich nicht mit Sicherheit entscheiden, ob es primär im Auftrag des Verlegers für das Flugblatt verfasst worden ist.

Weitere Standorte: Nürnberg, GNM: 14926/1314, und 19424/1305

Andere Fassungen: A A A A

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HAMPE: Fürst, 45, Nr. 94. COuPE II, Nr. 241. Paas: Verse Broadsheet, 121 f., Nr. 92. Johann Klaj: Friedensdichtungen u. kleinere poetische Schriften. Hg. von C. WIEDEMANN. Tübingen 1968, 31*, Nr. 18. PAAS VII, P-2177. Zu Klaj vgl. E. PIETRZAK: Johann Klaj, Das lyrische Werk. In: Kindlers Neues Literatur Lexikon. Hg. von W. JENS. IX, München 1990, 452–454; F. VAN INGEN/ H. JAuMANN: Klaj, Johann. In: Literaturlexikon 6 (2009), 447 f. Abb. bei Matthaeus Merian: Die Bilder zur Bibel. Mit Texten aus dem Alten u. Neuen Testament. Hg. von P. MEINHOLD. Hamburg 1965, 141. Zur Merianbibel vgl. WÜTHRICH: Merian, III, 1–59 und Abb. 1–46. Zur Parallele zwischen der Situation Sanheribs und der Gegenwart vgl. auch die Aussage Christi in b IX, 184. Vgl. etwa Johann Saubert: SPES NOVA PACIS, Das ist/ Widerholte nützliche Gedancken vom Frieden deß Teutschlandes. Nürnberg (1646), bes. 18–38. F. OHLY: Halbbiblische u. außerbiblische Typologie. In: DERS.: Schriften zur mittelalterlichen Bedeutungsforschung. Darmstadt 1977, 361–400. HAMPE: Fürst, 7. Zur Autorschaft der Flugblätter s. W. HARMS: Anonyme Texte bekannter Autoren auf illustrierten Flugblättern des 17. Jhs. Zu Beispielen von Logau, Birken u. Harsdörffer. In: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 12 (1985), 49–58; SCHILLING: Bildpublizistik, 12–17. PAAS: Verse Broadsheet, 121–134; Klaj: Friedensdichtungen, 31*-34*; J. R. PAAS: Ergänzungen zu Wiedemanns Verzeichnis der Einblattdrucke von Johann Klaj. In: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 8 (1981), 190 f. Klaj: Friedensdichtungen, [270]-[277]. Ein früheres Kriegsgedicht, das Klaj seinem 1645 erschienenen Trauerspiel ‚Herodes der Kindermörder‘ als Schlusspartie beigegeben hatte, hat lediglich das Incipit mit dem ‚Kriegstrost‘ gemein (vgl. Nachwort in Klaj: Friedensdichtungen, 31*, Nr. 18). Das Gedicht ist abgedruckt in: E. HAuFE (Hg.): Wir vergehn wie Rauch von starken Winden. Dt. Gedichte des 17. Jhs. Berlin 1985, I, 456 f. EP

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An den großmechtigsten aller durchluchtigsten

Ort Jahr Bild Text

(Basel) 1497 Holzschnitt Typendruck in 4 Spalten; 134 Knittelverse, 22 Knittelverse im Bild, von Sebastian Brant (1457⫺1521) Johann Bergmann von Olpe (1455/60⫺1531/32) 41,0 ! 29,6; 20,3 ! 29,0

Drucker Format

Im Bild einer allegorisch-satirischen Fuchsjagd kritisiert Brant den politischen Zustand des Reiches. Auf der rechten Bildseite laufen vier Füchse auf ein Netz zu, das zwischen zwei Bäume gespannt ist und die Flucht der Tiere in eine reusenartige geflochtene Falle lenken soll. Der vorderste Fuchs schlüpft jedoch durch eine Lücke zwischen Netz und Korb und warnt die nachfolgenden Tiere vor der Falle (hüt sych yeder vor dem sack). Die drei hinterherlaufenden Füchse verfolgen je eigene Strategien: Der obere hat seinen Schwanz auf die Stirn gesetzt, Sid das all dyng verkerent sich. Der mittlere junge und noch schwanzlose Fuchs spielt auf Zeit (Was ich nyt hab würt wachsen bald). Das untere doppelschwänzige Tier opfert lieber einen Schwanz als sich fangen zu lassen. Rechts unten fliehen Enten, Hühner und ein Fasan vor der heranstürmenden Meute. Oben hat sich eine Katze auf einem Baum in Sicherheit gebracht; sie hält an einer langen Schnur einen am Boden liegenden Kranz. Auf der linken Bildseite wird die Ursache der füchsischen Flucht sichtbar: Es ist ein aufrecht stehender Luchs mit einem umgehängten Jagdhorn, der in seiner linken Tatze eine Lanze (mit Fuchsschwanz als angehängter Trophäe) und mit der Rechten drei Hundeleinen hält an denen vier für die Jagd bestimmte Füchse angebunden sind. Entsprechend zu den unterschiedlichen Listen der fliehenden Füchse werden auch die Jagdmethoden differenziert: Den oberen beiden Tieren sind die Schwänze zusammengebunden, das mittlere Tier ist wegen seines Schwanzverlustes besonders motiviert, Ersatz zu erhalten (Man wirt gar bald myns jagns jnn […] das ich eyn schwantz gewynn), und der untere Fuchs will mit seinem brennenden Schwanz alle Welt in die Flucht schlagen (Würt vor myr fliehen yederman). Links unten beobachten aus einem Wäldchen heraus ein Löwe, Drache, Wildschwein und Bär die Szenerie. Von oben kommt ein aufrecht gehender Fuchs heran, den Wanderstab und Tragekorb auf dem Rücken als fliegenden Händler ausweisen. Er bringt Fuchsschwänze herbei, für die am Ort des Geschehens offensichtlich ein großer Bedarf herrscht. Der Titel des Blatts ‚von dem Fuchshatz‘ wird in der Überschrift verbunden mit der Widmung an Maximilian I. (1459⫺1519, Kaiser seit 1508), der Gattungsangabe (ein gediecht) und der Autornennung. Der Text beginnt mit einer Anrede des Widmungsadressaten und einer Begründung des Themas der Fuchsjagd: Der Fuchs zeichne sich durch syn behendikeit Durch syn lyst vnd betrogenheit aus. Alfantz/ betrug/ beschisß on zal Jst syn natur.1 Da gleiches Verhalten heutzutage gang und gäbe sei, habe der Autor für seine Kritik das Bild der 186

Fuchsjagd gewählt. Er fordert den Leser auf, das Bild genauestens zu studieren, da der Verfasser sich zum Selbstschutz mit seinen Worten habe zurückhalten müssen (Jch gtar es nit vßsprechen als Was dis gemeld bedüten dut). Es schließen sich dann die Erläuterungen zum Bild an, die mit der Gruppe der Gejagten und dem Fuchsschwanzhändler beginnen, mit den Jägern fortsetzen (mit Zusätzen zum Scheintod als füchsischer Jagdmethode und zur Konkurrenz mit dem Dachs)2 und mit den flüchtenden Vögeln und den großen Tieren enden, die im Wald auf der Lauer lägen. Die Fuchshatz, bei der jeder den anderen zu übervorteilen trachte, werde mit dem bettler dantz abgeschlossen, ende also in Zerrüttung und Armut. Viele würden bei der Jagd auf der Strecke bleiben, Alleyn das krentzlin zücht die katz. Glück- und Segenswünsche für Maximilian, die Bitte um Schutz vor den Füchsen und die Namensnennung des Autors in Form einer Sphragis beschließen die Verse. Auch wenn Brant keine Namen nennt, lassen sich doch einige der Akteure auf dem Blatt bestimmten Personen der zeitgenössischen Politik zuordnen. So ist der Luchs mit dem Mainzer Erzbischof Berthold von Henneberg (1441/42⫺1504) zu identifizieren, der als Reichserzkanzler auf dem Wormser Reichstag 1497 Regie führte und gegen den König reichsständische Interessen verfolgte.3 Die beiden angeleinten, mit ihrem Schwanz verbundenen Füchse spielen auf das Bündnis an, das Berthold mit Eberhard von Württemberg (1445⫺ 1496) und Friedrich von Brandenburg zu Ansbach-Bayreuth (1460⫺1536) geschlossen hatte. Die von Brant positiv gezeichnete Katze kann man Albrecht von Sachsen (1443⫺1500) zuordnen, der trotz Differenzen wegen ausstehender Zahlungen in unverbrüchlicher Treue Maximilian unterstützte. Das Geflügel repräsentiert die niederen Reichsstände, Bürger und Bauern, die unter der Willkür und dem Eigennutz der Reichsfürsten zu leiden hatten. Die vier großen Tiere im Wald dürften auf ausländische Mächte verweisen, die von den Zuständen im Reich zu profitieren hofften (b VI, 1, 4). Brant baut seine Satire auf einem umfangreichen Wissensfundus auf: Naturkundliche und jagdtechnische Kenntnisse werden mit zahlreichen sprichwörtlichen Redensarten, Fabeln und Bibelzitaten (Ri 15,4) zu einem anspielungsreichen Zeitkommentar kombiniert. Die lateinische Version des Blattes, deren Text sich in Brants ‚Carmina‘ erhalten hat, enthält zudem Zitate antiker Literatur und traut ihrer Klientel auch Differenzierungen zu, wenn sie Maximilian mit einem PlutarchZitat empfiehlt, sich gelegentlich auch ein Fuchsfell umzulegen. Das Blatt wurde 1505 zusammen mit anderen Texten des Straßburger Juristen auf einem Wunderzeichenblatt zitiert.4 1546 wurden die 15 ersten

Distichen dem Buch ‚Von den losen Füchsen dieser welt‘ programmatisch vorangestellt.5

Weitere Standorte: Martin Matica: Inc B 148 (A 1)

Andere Fassungen: a)

verschollen [lateinische Fassung]6

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V. SACK: Sebastian Brant als politischer Publizist. Zwei Flugblatt-Satiren aus den Folgejahren des sogenannten Reformreichstags von 1495. Freiburg i. Br. 1997, 153⫺ 211. W. HARMS: Sebastian Brant u. die Möglichkeiten der frühen Bildpublizistik. In: G.-L. FINK (Hg.): Sébastien Brant, son époque et ‚la nef des fols‘. Sebastian Brant, seine Zeit u. das ‚Narrenschiff‘. Straßburg 1995, 23⫺45, hier 37⫺39. Sebastian Brant: Kleine Texte. Hg. von TH. WILHELMI. Stuttgart/ Bad Cannstatt 1998, I, 1, 307⫺312 (Text), und II, 86 f. (Anmerkungen). VE15, Nr. B-86 (mit Angabe der älteren Literatur).

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Die etymologische Herleitung des Wortes ‚vulpes‘ geht auf Isidor von Sevilla zurück: Vulpes dicta, quasi volupes. Est enim volubilis pedibus, et numquam rectis itineribus, sed tortuosis anfractibus currit, fraudulentum animal insidiisque decipiens (Etymologiae XII, 2, 29). Dazu K. DÜWEL: Zur Jägerei im ‚Reinhart Fuchs‘. In: A. EBENBAuER (Hg.): Philologische Untersuchungen. FS E. Stutz. Wien 1984, 131⫺150; mittelalterliche Belege zum Streit um die Dachshöhle bei SACK: Brant, 207. Die politischen Hintergründe werden in vorbildlicher Weise aufgezeigt bei SACK: Brant. Vgl. SCHILLING: Flugblätter Brants, 155 f. Frankfurt a. M. 1546. In der Ausgabe Dresden 1585 wurden Brants Verse mit einer Übersetzung versehen, die in eine konfessionelle Polemik übergeht. Textabdruck und Übersetzung bei SACK: Brant, 204⫺ 211; vgl. Brant: Texte, I, 1, 312⫺315. MSch

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Aus der Perspektive Luthers wird im Bild der Wölfe die katholische Kirche mit ihrer ‚falschen Lehre‘ kritisiert. Dia Graphik zeigt eine antithetisch organisierte Topographie: Links erblickt man eine Landschaft mit grünen Bäumen, die von der Sonne beschienen wird. Im Vordergrund erhebt sich auf einer umzäunten Wiese ein Kruzifix, um das sich eine Schafherde drängt. In der kargen Landschaft rechts herrscht dagegen Dunkelheit. Auf einer Anhöhe stehen zwischen laublosen Bäumen ein Kirchengebäude, davor ein Widder und ein Wolf. Im Zentrum der Graphik sind zwei in entgegengesetzte Richtungen laufende Wölfe in kirchlichen Gewändern mit der Tiara bzw. einem Kardinalshut auf dem Kopf abgebildet. Der eine nähert sich der Herde, um ein Schaf zu fassen, der andere mit einem Opfer im Maul ist schon auf dem Rückweg. Oberhalb der Szene stehen an der Licht-undSchatten-Grenze auf gleicher Höhe mit Christus zwei Apostel, die auf die Bibel bzw. den Gekreuzigten weisen. Rechts unten wurde die Figur Luthers, mit einem Buch und einer Feder in der Hand, platziert. Durch den Blickkontakt und die Anordnung im Bild besteht auf der kompositorischen Ebene eine direkte Verbindung zwischen Luther und Christus bzw. Luther und den Aposteln. In dem als Aussage Luthers konzipierten Text warnt der Sprecher die Schafe, sie sollten sich vom gekreuzigten Christus nicht entfernen, wollten sie nicht dem Wolf zum Opfer fallen. Der Wolf sei einmal ihr Hirt gewesen, der nun seine früheren Schützlinge verführt und erwürgkt. Als persönliches Bedauern wird in der letzten Strophe die Bemerkung über den Schaden formuliert, der der Christenheit durch die Vertreter der katholischen Kirche zugefügt werde, was schon in der Prophezeiung Ezechiels verkündet worden sei. Der Sprecher versichert, die Warnung und die Anklage in Predigten, Lehren und Schriften auch unter Gefährdung seines Lebens öffentlich zu machen. Das Bild war einer der großen Wirkungsfaktoren der reformatorischen Propaganda. Durch Nutzung von bildhaften Vorstellungen aus der Volkskultur, Fabelmotiven, verbreiteten ikonographischen Mustern, vor allem aber biblischen Gleichnissen versuchte man, breitere Bevölkerungsschichten zu erreichen. Auch auf dem kommentierten Blatt spielt das Bild eine dominierende Rolle und war auch ohne erläuternden Text verständlich. Das belegt ein leicht geänderter Nachschnitt des Blattes, der ohne Text auskommt.2 Die Bildsprache des Blattes ist zum Teil biblischen Ursprungs, zum Teil gehört sie dem geläufigen Motivkreis der zeitgenössischen Publizistik an. Der Darstellung liegt das biblische Gleichnis von Christus als gutem Hirten und die Bedrohung 188

Sehet auff/ das ist eyn seltzams thier [Inc.]

(Mainz?) (um 1521) Holzschnitt Typendruck in 4 Spalten; 24 Knittelverse (Johann Schöffer?, 1475⫺1531)1 25,8 ! 35,3; 22,5 ! 35,3

der Schafe durch die Wölfe (Joh 10,12) sowie die im Text genannte Prophezeiung Ezechiels (Ez 34; auch Jer 10,21 und 23,1) als Warnung an die Hirten, die ihre Herde vernachlässigen, zugrunde.3 Von der Wirksamkeit des Motivs des Gekreuzigten mit der Schafherde und dem räuberischen Wolf zeugt seine Verwendung nicht nur in der polemisch-reformatorischen Ikonographie,4 sondern auch in anderen Werken religiöser und profaner Art.5 Katholische Geistliche als Wölfe erscheinen im 16. und 17. Jahrhundert als traditionelles Motiv der polemisch-reformatorischen und nachreformatorischen Schriften (b II, 8, 63, 130).6 Auch die Gestalt Luthers bleibt im Rahmen des geläufigen Bildes des Reformators.7 Er wird als Prediger, Verfasser polemischer Schriften und Kirchenlehrer dargestellt, der in Opposition zu seinen Gegnern wahre Religion lehrt und die katholische Kirche als Hort der falschen Lehre entlarvt (Mt 7,15).8 Seine Gegner erscheinen nicht als seine persönlichen Feinde, sondern als Feinde der Christenheit und Bedrohung für den rechten Glauben. Neben den beiden Wölfen in der Bildmitte, die die Obrigkeit der katholischen Kirche verkörpern, sind es noch die beiden Tiere auf der Anhöhe – ein von der Herde Christi ausgeschiedener Bock (Mt 25,32 f.)9 und der ihn begleitende Wolf, die durch ihre Platzierung vor der ‚alten‘ Kirche die Kritik an derselben verdeutlichen. Die Gegenüberstellung von alt und neu wird im Blatt am deutlichsten in der für den Protestantismus charakteristischen Lichtsymbolik mit ihrer Antithetik von Hell und Dunkel ausgedrückt (b II, 3; IX, 168).10 Den beiden Apostelgestalten (Petrus und Paulus?)11 fällt die Rolle der Legitimierung der reformatorischen Lehre zu. Mit dem Hinweis auf die Bibel und den Gekreuzigten, Symbole der beiden zentralen lutherischen Glaubenssätze sola scriptura und solus Christus, zeigen sie dem Betrachter den richtigen Weg. Das Flugblatt diente als Vorlage für das nur als Fragment erhaltene Blatt ‚Das xxxiiij Capitel des Propheten Ezechielis‘;12 auch der Titelholzschnitt zum ‚Ainfeltig glaub‘ von Heinrich Spellt wurde von dem Flugblatt beeinflusst.13

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Berlin, KK: 614–24 [ohne Luther; ohne Text] 1 2 3 4

WÄSCHER, 14. MEuCHE/ NEuMEISTER, 35 und TA 13. SCRIBNER: Sake, Abb. 20. H. ZSCHELLETZSCHKY: Die Zeit zu reden ist gekommen … Luthers Gravamina im Spiegel zeitgenössischer Graphik. In: G. VOGLER u. a. (Hgg.): Martin Luther. Leben, Werk, Wirkung. 2Berlin 1986, 121–146, hier 137 f. und Abb. 25.

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H. OELKE: Die Konfessionsbildung des 16. Jh.s im Spiegel illustrierter Flugblätter. Berlin/ New York 1992, 233, Anhang A Nr. 3, Abb. 10. F.-H. BEYER: Eigenart u. Wirkung des reformatorischpolemischen Flugblatts im Zusammenhang der Publizistik der Reformationszeit. Frankfurt a. M. 1994, Nr. 60, Abb. 34. CH. BACHMANN: Wahre vnd eygentliche Bildnus. Situationsbezogene Stilisierungen historischer Personen auf illustrierten Flugblättern zwischen dem Ende des 15. u. der Mitte des 17. Jhs. Frankfurt a. M. 2001, 78 f. M. KERN: Tugend versus Gnade. Protestantische Bildprogramme in Nürnberg, Pirna, Regensburg u. Ulm. Berlin 2002, 147 f. mit Abb. 42. Nach Helmut Claus, s. MEuCHE/ NEuMEISTER, 73 u. TA 13. Zu Schöffer s. ADB XXXII, 214; DBA I 1128, 372 f. Wie Fassung a; vgl. Luther u. die Reformation, Abb. 311. Zum Motiv vgl. auch ‚Ein hübsch new lied von dem Bepstumb‘ (1584/5?). Luther u. die Folgen für die Kunst. Ausstellungskatalog Hamburg 1983, 234, Abb. 108b; SCRIBNER: Sake, Abb. 38; BEYER: Eigenart, Abb. 33. Das vorliegende Blatt bzw. sein Nachschnitt diente als Vorlage für Illustrationen in einem handschriftlichen Gebets- (um 1533/34) und einem Geschlechterbuch (um 1530/1540) aus einer Nürnberger Werkstatt; vgl. U. MERKL: Buchmalerei in Bayern in der ersten Hälfte des 16. Jhs. Spätblüte u. Endzeit einer Gattung. Regensburg 1999, Abb. 433 und 447. Es diente auch als Vorlage für ein Fresko in der Marienkirche zu Pirna; dazu KERN: Tugend, 147–149, Abb. 41 auf S. 461. Vgl. z. B. die Titelblätter bei Urbanus Rhegius: Wie man die falschen Propheten erkennen/ ja greiffen mag. Wittenberg 1539; Judas Nazarei (Pseud.): Das Wolffgesang. (Basel 1520); MYSTERIUM, Oder Geheimnuß vnd Ceremonien/ welche die Jesuiten fürnemen. O.O. 1610, 7; E. FuCHS: Die Karikatur der europäischen Völker vom Altertum bis zur Neuzeit. Berlin (1901), Abb. 70 f.; FuCHS: Sittengeschichte, I, Abb. 315; Luther u. die Folgen, 200, Abb. 74a; BEYER: Eigenart, 107–109 und Abb. 29, 33. Der in den 1520er Jahren verbreitete ikonographische Typus der Luther-Figur geht wohl auf ein 1521 von Lucas Cranach d. Ä. gestochenes Porträt zurück. Vgl. Luther u. die Reformation, Abb. 216 f.; SCRIBNER: Sake, Abb. 10, 19, 21 f. Dazu SCRIBNER: Sake, 14–36. Gelegentlich werden in der reformatorischen Polemik auch römische Geistliche als Böcke dargestellt, vgl. H. ZSCHELLETZSCHKY: Die drei gottlosen Maler von Nürnberg. Leipzig 1975, 220 f. Für weitere Beispiele vgl. Flugblätter Coburg, Nr. 17, 40–42, 49 f. Paulus galt als Reformationsapostel und Widersacher der katholischen Kirche und wurde gelegentlich als Pendant zu Luther dargestellt (ZSCHELLETZSCHKY: Maler, 292 f.; BEYER: Eigenart, 153; Luther und die Reformation, 246 f.). In Paardarstellungen tritt er gewöhnlich mit Petrus auf, dessen eventueller Bezug auf das Blattgeschehen in seiner Ermahnung an die Geistlichen, wie sie leben und (als Hirten) das Volk weiden sollen (1 Petr 5) bestehen könnte. Allerdings fehlen in der Darstellung beider Attribute Schlüssel und Schwert. STRAuSS III, 1291. O.O. 1524. EP

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Als Antwort auf ein Ingolstädter Flugblatt von 1567 polemisiert Major gegen das Papsttum, die Jesuiten und den Konvertiten Friedrich Staphylus (1512⫺1564), aber auch gegen die Gnesiolutheraner Matthias Flacius (1520⫺1575) und Nikolaus Gallus (1516⫺1570). Der Holzschnitt kontrastiert die Vertreter der römischen Kirche auf der linken Seite mit denen der Reformation rechts. Hervorgehoben durch ihre erhöhte Position vor dem leeren Hintergrund stehen einander die beiden Hauptkontrahenten Luther und Papst Leo X. (1475⫺1521, Papst seit 1513) gegenüber. Luther weist in entschlossener Haltung die Bibel vor, die er in der Pose des Moses, der dem Volk die Gesetzestafeln vorliest, geöffnet über seine Schulter hält. Auf den aufgeschlagenen Seiten werden zwei Bibelverse zitiert, auf die sich Luthers Rechtfertigungslehre stützt: IVST [VS] FIDE SVA VIVET (Der Gerechte wird seines Glaubens leben; Gal 3, 11) und QVI EX FIDE S[VN]T, II S[VN]T FILII ABRAHAMAE (Die des Glaubens sind/ das sind Abrahams kinder; Gal 3, 7). Gegenüber der statuarischen Haltung des Reformators befindet sich der Bischof von Rom in einer labilen Lage. Sein Thron, dessen Beine auf vier schwankenden Folianten mit den Aufschriften ARISTOTELES. PLATO und COM[M]ENTA MONACHORVM sowie PETRVS LOMBARDVS und Decretales (hinten) stehen, ist im Sturz begriffen, so dass Leo hilflos und haltsuchend mit den Füßen in der Luft rudert. Mit der vom Kopf rutschenden Tiara sowie zerbrechendem Schwert und Schlüssel verliert er die Insignien seiner Macht.1 Zu Füßen Luthers steht eine Gruppe weiterer Reformatoren, die durch ihre individualisierten Gesichtszüge teilweise zu identifizieren sind: Sie werden angeführt von Melanchthon (1497⫺1560); ihm folgen der böhmische Reformator Johann Hus (um 1370⫺1415, in 2. Reihe), Caspar Cruciger d. Ä. (1504⫺1548), Johann Forster (1496⫺1558, in 2. Reihe), Paul Eber (1511⫺1569) und Johannes Bugenhagen (1485⫺1558). Sie sind durch ihren Talar, Bücher und Schreibfedern als Gelehrte gekennzeichnet. Hinter dem Papst stehen zu drei Gruppen übereinander angeordnet Angehörige der römischen Kirche. Auf der unteren Ebene sind Jesuiten versammelt. Ihre Gruppe wird von Staphylus angeführt, der eine feuerspeiende Chimäre hinter sich herzieht. In deren After tauchen zwei Jesuiten ihre Schreibfedern ein, um die Exkremente als Tinte zu verwenden. Die beiden vordersten Ordensmänner versuchen, mit langstieligen zerbrechenden Zweizinken den Sturz der päpstlichen Sella zu verhindern. In der mittleren Reihe stehen Bettelmönche, deren Attribute (Fackeln, Schwerter, Henkersseil) sie als Inquisitoren ausweisen. Über ihnen tragen katholische Kleriker mit Heiligenfiguren, Prozessionsfahne, Monstranz (mit Medusenhaupt), der Unterhose (Bruch) des Hl. Franziskus und anderen Reliquien die Zeichen des von den Protestanten abgelehnten alten Kultes. Die heraldischen Lilien 190

LVTHERVS TRIVMPHANS

(Wittenberg) (1568) Holzschnitt (Werkstatt Lucas Cranach d. J., 1515⫺1586) Typendruck in 4 Spalten; 436 lateinische Hexameter von Johannes Major (1533⫺1600) 69,3 ! 33,0; 20,0 ! 32,8 Auf 3 vormals zusammengeklebte Blätter gedruckt; kleine Fehlstellen im Text; ohne den typographischen Rahmen um den Text und Früchte sollen vermutlich auf das Medici-Wappen Leos verweisen.2 Die Verse, die Luther in den Mund gelegt sind, beginnen mit der Feststellung, dass der Teufel sich in seinem Kampf gegen die christliche Kirche mittlerweile weniger des Papsttums als abtrünniger und irregeleiteter Angehöriger des Luthertums bedient. Nachdem Flacius als Gegner Melanchthons und der als Judas bezeichnete Staphylus in diese höllische Schar eingeordnet worden sind, wendet sich der Text einem ungenannten Monstrum zu, das, aus Wittenberg ausgewiesen, mit offenen Armen vom Furiengeschlecht aufgenommen wurde. Dieses im Folgenden als unglückseliger Uhu spezifizierte Ungetüm habe mit einem menschenunwürdigen Gedicht das Andenken Luthers beschmutzt, indem er dessen friedlich beigesetzten Leib seziert habe, wobei Flacius und sein Anhänger Gallus sich als amica luto gens den unteren Körperregionen des Reformators gewidmet hätten. Es folgt eine breit ausgeführte scharfe Polemik, die immer wieder den teuflischen Charakter abweichender Lehrmeinungen betont, bevor dann im letzten Viertel des Textes der Holzschnitt in den Blick kommt. Dabei wird die Chimäre mit der ‚Theologiae Martini Lutheri Trimembris Epitome‘ (Dillingen 1558) identifiziert, in der Staphylus die Uneinigkeit der Protestanten herausgestellt habe (discordia semina nostrae Colligere hinc ausus doctrinae). Major gab den ‚Lvthervs Trivmphans‘ auch in deutscher Sprache heraus (Fassung a).3 Diese Version wurde (zusammen mit dem Holzschnitt) dann als Flugschrift in Wittenberg gedruckt; daher ist davon auszugehen, dass auch die Flugblätter dort erschienen sind.4 Nimmt man hinzu, dass die protestantische Gruppenbildung mit der porträthaften Charakterisierung der Reformatoren, die Gegenüberstellung von ruhiger Glaubenssicherheit und hektisch-verworrener Unruhe der Katholiken und nicht zuletzt die Gestaltung der landschaftlichen Elemente in gleicher Weise auf Blättern der Cranach-Werkstatt auftreten, wird man auch das vorliegende Blatt dieser Offizin zuweisen dürfen. Auch das Motiv des zerbrochenen Petrischlüssels war bei Cranach schon vorgegeben (b II, 2). Die ikonographischen Elemente des stürzenden Papstes, seiner zum Fundament untauglichen Bücher und des Fuchsschwanzes (an der Lanze im Prozessionszug) waren ebenfalls aus der reformatorischen Bildpublizistik bekannt.5 Das Blatt ist als Antwort auf den im Jahr zuvor erschienenen Einblattdruck ‚Anatomia Lutheri‘ (b II, 16 f.) verfasst worden und gehört damit in die publizistische Kontroverse zwischen Ingolstadt und Wittenberg, an der sich auch Johannes Nas (1534⫺ 1590; b II, 19 f., 25) und Johann Fischart (1546/47⫺ 1591; b II, 32 f.) beteiligten.6 Dabei nutzt Major die Gelegenheit, auch seine publizistische Dauerfehde mit Flacius fortzusetzen, den er wie auch sonst als misstönenden und undankbaren Kuckuck der

Nachtigall (Philomela, Philipp Melanchthon) gegenüberstellt.7 Während die lateinische Textversion erst 1576 wieder zum Druck gelangte,8 erschien die deutsche Fassung gleichzeitig als Flugblatt und in zwei Flugschriften. Die damit erzielte Aufmerksamkeit bezeugen nicht nur die ‚Ecclesia Militans‘ und der ‚Lutherus Disputans‘, die Nas dem Maioristischen Triumphsgedicht entgegensetzte (b II, 19 f.),9 sondern auch die kürzenden Neubearbeitungen, die zu Beginn des 17. Jahrhunderts erschienen (Fassung c⫺e) und in den Bildzitaten auf dem Blatt ‚Wunderwerck D. Martin Luther‘, das 1618 im Zusammenhang mit der Centenarfeier der Reformation gedruckt wurde (b II, 131).10 Weitere Standorte: Rouen, Bibliothèque municipale: Leben 5912 (8)-71 (A 1) Andere Fassungen: a)

b) c)

d)

e)

Augsburg: Städtische Kunstsammlungen: Inv.Nr. G.18372 (Text fehlt); Nürnberg, GNM: 19098/ 1335, und 24855/ 1335; ehemals Antiquariat Drugulin, Leipzig11 [ders. Holzschnitt; Titel: Des Ehrwirdigen Herrn Doctoris Martini Lutheri/ gottseligen/ TRIVMPH; deutscher Text] ehemals Antiquariat Drugulin, Leipzig12 [niederländische Fassung] Braunschweig, HAUM: FB XV; Wittenberg, Lutherhalle: Mappe 2° IX, Nr. 1035;13 Wolfenbüttel, HAB: 38.25 Aug. 2°, fol. 311 [17. Jahrhundert; Kupferstich im Gegensinn; b II, 18] Berlin, SBPK: YA 838m; Coburg, Veste: XIII, 323, 384 (Text fehlt); Nürnberg, GNM: 24770/1335, und 78/1336; Paris, BN: Hennin, 988; Ulm, StB: Einbl. 1 [wie c; 2. Zeile: leben; 7. Zeile: heilsame] Augsburg, SStB: Einblattdrucke nach 1500, Nr. 139; Berlin, SBPK: YA 837m; Göttingen, SUB: H. Germ. un. VIII, 82, fol. 11; Halle, KMM: F 36; London, BM: FH 1569 (Text fehlt); Wittenberg, Lutherhalle: Mappe 2° IX, Nr. 1036 (Text fehlt)14 [wie c; Titel in Typendruck und von 2 Druckornamenten gerahmt]

A1 A2

PAAS II, PA-70. F. STOPP: Der religiös-polemische Einblattdruck ‚Ecclesia Militans‘ (1569) des Johannes Nas u. seine Vorgänger. In: DVjs 39 (1965), 588⫺638, hier 613⫺620, 632.

1

Zehn Jahre später erwähnt Johann Fischart Maioris gemäl und beschreibt, das dem Papst der Stul gezuckt vnd die Schlüssel geprochen wirden/ wie sehr man jn auch mit Bischoffstäben/ Fegfeuergabeln/ Kreutzstangen vnd fanen vnter stützte/ vnd mit Barfuserstricken vnd Gastalianerwürsten vmbwindet (Binenkorb. Straßburg 1579, fol. Gr). Das Wappen der Medici weist allerdings sechs Kugeln und drei Lilien auf; möglicherweise soll die verminderte Zahl auf dem Blatt auf die Defizienz des Wappenträgers hindeuten. Zum Autor vgl. ST. RHEIN: Major, Johannes. In: VL16 4 (2015), Sp. 282⫺290 (ohne Erwähnung von Majors Flugblatt-Publizistik). STOPP: Einblattdruck, 633 (Nr. 8a) mit Abb. 7. Vgl. H. OELKE: Konfessionelle Bildpropaganda des späten 16. Jhs. Die Nas-Fischart-Kontroverse 1568/71. In: Archiv f. Reformationsgesch. 87 (1996), 149⫺200, hier 178⫺180. STOPP: Einblattdruck; vgl. auch OELKE: Bildpropaganda, sowie J. SPINKS: Monstrous Births and Counter-Reformation Visual Polemics. Johann Nas and the 1569 ‚Ecclesia militans‘. In: The Sixteenth Century Journal 40 (2009), 335–363; KLuG: Flugblatt, 41⫺50. Zur Vogelmetaphorik vgl. W. KÜHLMANN: Lyrik als Waffe. Zum literarischen Profil des Kryptocalvinismus in Kursachsen. Der ‚Poet‘ Johannes Major (1533⫺1600). In: DERS.: Vom Humanismus zur Spätaufklärung. Ästhetische u. kulturgeschichtliche Dimensionen der frühneuzeitlichen Lyrik u. Verspublizistik in Deutschland. Hg. von J. TELLE u. a. Tübingen 2006, 256⫺264, hier 256⫺263. In: Johannes Major: Orationes Continentes Laudes Aeterni Filii Dei […]. Wittenberg 1576, fol. [V8v]⫺[X8v]. Luthermania. Ansichten einer Kultfigur. Ausstellungskatalog Wolfenbüttel 2017, Abb. 122. Vgl. ebd., Nr. 15. DRuGuLIN II, Nr. 329. Ebd., Nr. 328. PAAS II, P-296. Ebd. P-298. MSch

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Die Blätter mit dem gesetzten Text waren im Kunstmuseum nicht mehr auffindbar. Wiedergabe nach PAAS II, PA-70

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IX, 91

F 725

Ort Jahr Bild Text Format Zustand

In der Tradition von Lucas Cranachs d. Ä. (1472⫺ 1553) ‚Passional Christi und Antichristi‘ bietet das Blatt eine gekürzte Ausgabe der calvinistischen ‚Antithesis De praeclaris Christi Et Indignis Papae facinoribus‘ des Simon Rosarius (nachweisbar 1550⫺1559). In 18 Bildpaaren sind Szenen aus dem Leben Christi und des Papstes einander antithetisch gegenübergestellt. Im Einzelnen zeigen die Bilder: (1a) Die Geburt Christi mit Hirtenverkündigung. (1b) Der Papst in Rüstung mit Fußsoldaten und Reitern. (2a)

Christus spricht mit der Magd am Ziehbrunnen (Joh 4, 6⫺18); von rechts reichen drei Personen ein Brot. (2b) Der Papst feiert ein Gelage mit Hofnarr und Musikanten. (3a)

Nach der Speisung der 5.000 zieht sich Christus auf einen Berg zurück (Joh 6, 15). (3b) Der Papst steht im verketteten und mit Kanonen bewehrten Stadttor von Rom und erteilt einer Reiterschar Befehle. (4a) Zwei Apostel heilen einen Lahmen (Apg 3, 1⫺8). (4b) Papst, Kardinal und Bischof zeigen auf eine in ihrem Besitz befindliche Stadt. (5a)

Christus spricht zu den Phariseern, die sich ihre Hände waschen (Mk 7, 2⫺8); im Hintergrund sitzen die Jünger am Tisch und essen. (5b) Mönche und Nonnen beten den Papst auf Knien an. (6a)

Christus in Begleitung seiner Jünger zahlt die Steuern mit der Münze, die ein von Petrus gefangener Fisch im Maul trägt (Mt 17, 25⫺27). (6b) Der Papst im Kreis seiner geistlichen Ratgeber belegt drei Fürsten mit dem Bann. (7a) Christus heilt die Kranken. (7b) Der Papst veranstaltet ein Ritterturnier. (8a) Christus als Guter Hirte. (8b) Der Papst als Wolf nimmt zusammen mit vier Mönchen einen Gläubigen aus. (9a)

Christus fordert die Menschen auf, ihren weltlichen Besitz abzulegen (Mt 6, 19⫺25). (9b) Der Papst erteilt Sündenablass gegen Gold und Naturalien. (10a) Christus reitet auf einem Esel nach Jerusalem ein. (10b) Der Papst reitet zu Pferd auf das Höllenfeuer zu. (11a) Christus vertreibt die Händler aus dem Tempel (Mt 21, 12). (11b) Der Papst gibt gegen Geld Ablassbriefe aus. (12a) Das Abendmahl. (12b) Anbetung der Hostie. (13a) Christus wäscht seinen Jüngern die Füße. (13b) Herrscher küssen dem Papst die Füße. (14a) Die Dornenkrönung. (14b) Der Papst wird mit der Tiara gekrönt. (15a) Christus vor Pilatus. (15b) Der Papst auf seinem Thron. (16a) Die Kreuztragung. (16b) Der Papst wird in seiner sedia gestatoria getragen. (17a) Moses empfängt die Zehn Gebote auf dem Sinai. (17b) Der Teufel überreicht dem Papst seine Gesetze.

192

Figuren oder fürmalung der Göttlichen

(3. Viertel 16. Jahrhundert) 37 Holzschnitte Typendruck; 36 ! 4 Knittelverse, Bibelzitat (Apk 18, 1⫺8) 37,0 ! 55,5; 7,5 ! 5,6 (je Holzschnitt) Ausriss unten Mitte (mit Textverlust)

Nemet hin vnd esset/ daß ist mein leib/ Trincket alle darauß/ diß ist der kelch des Newen Testaments in meinem blut. Nicht daß sein leib vnnd sein blut im brodt vnd im wein eingeschlossen oder darin verborgen seyen: Sonder will vns durch diese eusserliche sichtbare ding weiter weisen/ nemlich auff seinen gecreutzigten leib vnd vergossen blut.5

(18a) Die Himmelfahrt Christi. (18b) Höllensturz des Papstes.

Die Illustration des Bibelzitats rechts unten zeigt eine Stadt, die mit Babylon bzw. Rom gleichgesetzt werden soll. Die Vierzeiler erleichtern zwar das Verständnis der zugehörigen Holzschnitte, setzen aber vielfach gute Bibelkenntnisse beim Leser voraus. In einigen Fällen ist ein Zusammenhang zwischen Bild und Text nicht erkennbar (1b, 9a). Die Verse begnügen sich zuweilen mit Assonanzen (z. B. 2a: tranck/ hand; 6b: Nonnen/ summen; 15b: vrsprung/ brunn). Der Anfang des 18. Kapitels der Offenbarung des Johannes vermittelt dem protestantischen Leser die Zuversicht, dass die Herrschaft des Antichrist bald an ihr Ende kommen werde. Vermutlich soll die zweifache Zahl 18 (Anzahl der Antithesen; Kapitel 18 der Apokalypse) es erleichtern, die Vierzeiler und den Bibeltext aufeinander zu beziehen und als wechselseitige Bestätigung aufzufassen. Die Gegenüberstellung von Christus und seinem Stellvertreter auf Erden, die zeigen soll, dass Letzterer das genaue Gegenteil seines Vorbilds, also der Antichrist, ist, geht auf Lucas Cranachs d. Ä. (1472⫺1553) ‚Passional Christi und Antichristi‘ (Wittenberg 1521) zurück.1 Dementsprechend finden sich alle Szenen Cranachs auf dem vorliegenden Blatt wieder.2 Allerdings wurden die 13 Bildpaare des ‚Passionals‘ um fünf weitere ergänzt (4a, 8, 9b, 12, 15, 17) und so umgestellt, dass die Szenenreihung der Vita Christi folgt. Die unmittelbare Vorlage des Blattes erschien 1560 unter dem Titel ‚Antithesis. Von des Herrn Christi herrlichen thaten/ vnd des schentlichen Pabsts vnd Antichrists schedlichen schanden vnd lastern‘ (o. O., Heidelberg?). Es handelt sich dabei um eine Übersetzung des lateinischen Werks ‚Antithesis De praeclaris Christi Et Indignis Papae facinoribus‘, das drei Jahre zuvor in Genf gedruckt und von dem Lausanner Professor Simon Rosarius (du Rosier)3 verfasst worden war.4 In dem Buch stehen sich auf linker und rechter Seite jeweils Christus und Papst gegenüber, wobei sich den Holzschnitten ein längerer Text anschließt. Von diesen Texten hat das Blatt immer die ersten vier Verse übernommen; die gelegentlichen Unstimmigkeiten mit den Bildern rühren von diesem etwas mechanisch angewandten Verfahren her. Bei den Holzschnitten des Blattes handelt es sich um Nachschnitte, die mit keiner der eingesehenen Ausgaben übereinstimmen. In der Buchfassung ist die calvinistische Überzeugung des Autors wenn auch nicht übermäßig betont, so doch erkennbar, wenn es in dem Abschnitt über das Abendmahl heißt:

Die Verse auf dem Flugblatt sind demgegenüber indifferent und machen den Einblattdruck für Angehörige sowohl der lutherischen wie auch der calvinistischen Konfession annehmbar und in seiner antirömischen Stoßrichtung attraktiv.

Weitere Standorte:

Andere Fassungen:

1

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3 4

5

Dazu H. GRISAR/ F. HEEGE: Luthers Kampfbilder. Teil 1⫺4, Freiburg i. Br. 1921⫺1923, hier Teil 1; K. GROLL: Das ‚Passional Christi und Antichristi‘ von Lucas Cranach d. Ä. Frankfurt a. M. u. a. 1990. Die einzige Ausnahme ist die Predigt Christi (im ‚Passional‘ Nr. 7a), die hier durch Christus am Brunnen ersetzt wurde (2a). K. CROuSAZ: L’Academie de Lausanne entre Humanisme et Réforme (ca. 1537⫺1560). Leiden 2012, 542. Das Buch erfuhr mehrere Auflagen sowie eine in Prosa gehaltene zweite Übersetzung ins Deutsche (Heidelberg 1563) und eine Übertragung ins Französische. Simon Rosarius: Antithesis. Das ist Kurtze beschreibung Christi vnd des Antichrists. Heidelberg 1563, 69. MSch

193

IX, 92

F 108

Ort Jahr Bild Text Drucker Format

Der Autor interpretiert ein figurales Kapitell im Straßburger Münster als vorreformatorische Kritik an der katholischen Geistlichkeit im Mittelalter. Der Holzschnitt zeigt die sogenannte Straßburger Tierprozession. Sie wird links von einem Bären eröffnet, der als Weihwasserkessel einen Eimer trägt. Ihm folgen mit Kreuz und Kerze ein Wolf und ein Hase. Auf einer Schultertrage transportieren anschließend ein Schwein und ein Ziegenbock das Heiltum in Gestalt eines schlaffende[n] Fuchs[es]. Ein Hund greift dem Schwein von hinten unter den Schwanz. Rechts hocken zwei Esel über den heiligen Schriften. Der Kelch gibt den Tisch, an den sich das vordere Langohr klammert, als Altar zu erkennen. Das Lesepult des hinteren Grautiers, dem Nase und Maul fehlen, wird von einer Katze gebildet, die sich mit ihren Vorderpfoten auf einen Klotz stützt. Nicht nur durch ihre Attribute und Tätigkeiten, sondern auch durch ihren Gang auf zwei Beinen werden die Tiere anthropomorphisiert. Der Text über dem Holzschnitt gibt Sachinformationen und eine Beschreibung der abgebildeten Tiere, die als figürlicher Schmuck eines Säulenkapitells gegenüber der Kanzel im Straßburger Münster zu sehen seien. Die Angabe der Baudaten (1015 bis 1277) dient der Feststellung, dass die Skulpturen weit vber die dreyhundert Jar alt sind. Die Außlegung dieser Figuren vergleicht die Epoche des Mittelalters mit der Zeit, in der das jüdische Volk den Götzen Baal anbetete und nur noch 7.000 von Gott Erwählte dem alten Glauben anhingen. Kritiker hätten wegen der Despotie des Papstes nur stumme Formen des Protestes gegen die Missbräuche des päpstlichen Gottesdienstes wählen können. Die eigentliche Deutung der Skulpturen ist zweigeteilt und umfasst im ersten Teil die Prozession, im zweiten die beiden Esel. Die Tiere werden durchwegs als Verkörperungen moralisch und theologisch anstößiger Eigenschaften und Verrichtungen angesehen und auf den Klerus oder katholische Riten bezogen. Der Autor versammelt auf diese Weise die wesentlichen Vorwürfe der Protestanten gegenüber dem Papsttum und verleiht seiner Kritik besonderes Gewicht, indem er sie mit der Autorität ihres Alters stützt. Von dem Blatt gibt es eine versifizierte Bearbeitung von Johann Fischart (1546/47⫺1590; b VII, 83) sowie eine lateinische Textfassung, die der Tübinger Theologe Jakob Heerbrand seiner antijesuitischen ‚Refutatio‘ von 1577 implementiert hat.1 Das genaue Verhältnis der drei Bearbeitungen zueinander ist bislang ungeklärt. Adolf Hauffen ging von einem nicht erhaltenen Straßburger Flugblatt von ca. 1550 aus, das die gemeinsame Vorlage Fischarts, Heerbrands und des vorliegen194

Abcontrafeihung ettlicher seltzamer Figuren/ so zu Straßburg

(Tübingen) (1576) Holzschnitt (von Jakob Lederlein?, 1551⫺nach 1608) Typendruck in 1 und 2 Spalten; Prosa (von Jakob Heerbrand, 1521⫺1600) (Georg Gruppenbach, tätig seit 1571, † 1610) 28,8 ! 40,0; 11,2 ! 40,0

den Prosablatts (bzw. der etwas älteren Fassung a) gebildet habe.2 Uwe Ruberg vermutet vorsichtig „Straßburg um 1570?“ als Erscheinungsort und -jahr des Prosablatts (Fassung a), rechnet aber mit einer Präzedenz des lateinischen Textes Heerbrands (wohl weil dieser angibt, schon 1551 die Tierskulpturen besichtigt zu haben).3 Die Ermittlung der Druckwerkstatt erlaubt es, der Lösung des Problems näher zu kommen. Durch Drucktypenvergleich lässt sich nämlich das nebenstehende Blatt der Tübinger Offizin von Georg Gruppenbach zuweisen, in der auch Heerbrands ‚Refutatio‘ erschien. Aus dieser Erkenntnis lässt sich folgende Entwicklungsgeschichte der publizistischen Behandlung der Tierfiguren wahrscheinlich machen: 1551 erregt bei einem Besuch des Straßburger Münsters das Kapitell die Aufmerksamkeit Heerbrands, der sich Notizen macht und wohl auch eine Zeichnung anfertigt. Bei der Vorbereitung und Abfassung seiner ‚Refutatio‘ greift er auf diese Notizen zurück, um nach dem Vorbild des ‚Catalogus testivm Veritatis‘ von Matthias Flacius (1520⫺1575) ein hohes Alter für die protestantische Sache zu reklamieren.4 Um dieser Auslegung eine größere Resonanz zu verschaffen, separiert er sie aus dem Kontext der ‚Refutatio‘ und lässt sie als Vorauspublikation in deutscher Prosa auf einem illustrierten Flugblatt erscheinen (Fassung a).5 Danach hat Fischart dieses vermutlich kurz zuvor publizierte Blatt aus dem Vorfeld von Heerbrands ‚Refutatio‘ seiner versifizierten Bearbeitung zugrunde gelegt.6 Und erst 1577 wird dann die möglicherweise ursprüngliche lateinische Fassung des Textes als Teil der 388 Seiten umfassenden ‚Refutatio‘ veröffentlicht. Das vorliegende Blatt repräsentiert die zweite Auflage des Prosatextes, die möglicherweise unter dem Eindruck des Erfolgs des Fischart-Blattes von Gruppenbach auf den Markt gebracht wurde. Die dritte in anderen Typen gesetzte Auflage des Prosablatts erschien vermutlich erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts, nachdem Gruppenbach insolvent geworden war (1606) und der Frankfurter Verleger Johann Berner (ca. 1572⫺ 1632) große Teile der Konkursmasse erworben hatte.

Weitere Standorte: Nürnberg, GNM: 24954/1336

Andere Fassungen: a)

b)

Berlin: SBPK: YA 2034 m; ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig7 [Zeilenfall im Titel: zu Straßburg | im Münster … den Bäpsti= | schen Gottesdienst; älterer Zustand des Holzschnitts, da noch ohne Ausbrüche in der Rahmenleiste] Nürnberg, GNM: 24488/1336 [Zeilenfall im Titel: vor ettlich hundert Jahrem (!) in Stein | gehawen; jüngerer Zustand des Holzschnitts mit weiteren Ausbrüchen in Rahmenleiste und am Altar des vorderen Esels]

A1

KLuG: Flugblatt, Nr. VK13 mit Abb. 135.

1

Jakob Heerbrand: Refutatio Defensionis Assertivm Iesuiticarum de Ecclesia Christi. Tübingen 1577, 49v⫺50v. A. HAuFFEN: Neue Fischart-Studien. Leipzig/ Wien 1908, 217⫺237, hier 221⫺223. U. RuBERG: Das Tierprozessions-Kapitell im Straßburger Münster. Auslegungsstrategien im publizistischen Konfessionsstreit der Reformationszeit. In: Reinardus 25 (2013), 141⫺160. R. HILLENBRAND (Kontroverstheologische Bildinterpretationen von Fischart u. Nas. In: Daphnis 42, 2013, 93⫺139) geht nicht über Hauffen hinaus und versucht im Sinne des Kulturkampfs des 19. Jahrhunderts zu entscheiden, ob denn nun die Auslegung Fischarts oder die des Nas ‚richtig‘ sei. Auf derselben Linie liegt seine ‚Ketzer Katzen/ Christlicher Bericht: Von/ vber/ vnnd wider das vngegründet Ketzerkatzen Gemäld‘ (Tübingen 1589), in der er die Ketzerpredigt Bertholds von Regensburg als Zeugnis vorreformatorischer Kirchenkritik liest und sich gegen eine antilutherische Auslegung derselben Predigt durch Laurentius Albertus und Johann Rasch wendet. Gruppenbach ließ seine Bücher von dem mit ihm verschwägerten Formschneider Jakob (nach anderen Quellen: Joachim) Lederlein illustrieren. Aus stilistischer Sicht spricht nichts gegen die Annahme, dass Lederlein auch den Holzschnitt des Flugblatts verantwortet hat. Zur Rezeption von Fischarts Fassung und zur anschließenden Kontroverse mit Nas vgl. HAuFFEN: FischartStudien; RuBERG: Tierprozessions-Kapitell; HILLENBRAND: Bildinterpretationen; b II, 45; VII, 83. DRuGuLIN I, Nr. 3096. MSch

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IX, 93

F 41

Ort Jahr Bild Text Drucker Format

Anlässlich des Reformationsjubiläums bestreitet das Blatt, dass die von Christus an Petrus verliehene Schlüsselgewalt über die Kirche an das Papsttum übergegangen sei. Der Holzschnitt zeigt einen Streit zwischen Petrus und dem Papst um den Schlüssel zur Kirche (und zum Himmel), den Christus seinem ersten Apostel übergeben hatte (Mt 16, 19). Petrus hält den Schlüssel, dessen Bedeutung durch seine überdimensionale Größe hervorgehoben wird, mit kräftigem Griff seiner Linken fest. Seine zur Faust geballte Rechte hat er zum Schlag gegen seinen Widersacher über den Kopf erhoben. Aus seiner kampfbereiten Körperhaltung und seiner zornigen Miene spricht grimmige Entschlossenheit, den Schlüssel gegen den Übergriff des Papstes zu verteidigen. Das schlichte, durch die dynamische Bewegung gebauschte Gewand Petri und die bloßen Füße betonen die apostolische Armut. Die Gestalt des Papstes ist dazu ganz als Kontrastfigur gezeichnet: Tiara und Inful stehen im Gegensatz zur kahlen Barhäuptigkeit des Apostels, ein Gegensatz, der sich in der Pracht der päpstlichen Kleidung mit ihren Zierspangen, Pelzverbrämungen, bestickten Pontifikalhandschuhen und spitzen Schuhen fortsetzt. Auf Kontrastierung zielt auch die Physiognomie des römischen Bischofs, dessen eingefallene Augenhöhlen auf einen exzessiven Lebensstil verweisen und dessen offener Mund von Unsicherheit und Erschrecken ob der heftigen Reaktion Petri kündet. Der lose Griff über die Hüfte des Apostels zum Schlüssel deutet die Unrechtmäßigkeit des Aneignungsversuchs an. Die erhobene Schwurhand verweist auf Abwehrsegen, Beschwörung und Bann als Praktiken des Papsttums und macht die Verkehrung der Verhältnisse sinnfällig, dass der Papst den Apostelfürsten und Kirchengründer Petrus aus eben dieser Kirche exkommunizieren will. Am linken Bildrand reicht ein kleiner teuflischer Ministrant dem Papst von hinten einen Hirtenstab, dessen Einfachheit angesichts der sonstigen Prachtentfaltung überrascht und vermuten lässt, dass er seinem Besitzer als Dietrich unrechtmäßigen Ersatz für den Petrischlüssel bieten soll, mit dem er zum Zeichen des Gegensatzes einen rechten Winkel bildet.1 Der Text inszeniert einen Dialog zwischen den beiden im Bild vorgeführten Kontrahenten, in dem Petrus nicht nur das erste und letzte Wort, sondern auch einen doppelt so großen Redeanteil wie der Papst hat. In seiner Eingangsrede verwahrt sich der Apostel dagegen, dass der Papst sich als sein Nachfolger und als Christi Statthalter geriere, wo er doch in Wirklichkeit deß Teuffels und seines Reichs Verwalter, ja Der recht verfluchte AntiChrist sei. In seiner Antwort bestreitet der Papst diese Vorwürfe nicht, sondern bestätigt explizit, dass er der Antichrist sei. Er versucht, Petrus durch das Versprechen, ihm viele Kirchen 196

Deß Bapst Frevel vnnd Sanct Peters Eyffer

(Straßburg) (1617) Holzschnitt (von Tobias Stimmer, 1539⫺1584) Typendruck in 3 Spalten; 66 Knittelverse (Johann Carolus, nachweisbar 1599⫺1634) 25,5 ! 16,2; 15,3 ! 12,2

und Köster zu stiften, dazu zu bewegen, ihm den Schlüssel zu überlassen. Die Schwurgeste im Bild wird hier als eidliche Bekräftigung des Versprechens gedeutet. Die Argumentation des Papstes, er brauche den Schlüssel, um seinen aufwändigen Lebensstil beibehalten zu können, ergänzt mit der Gegenüberstellung des köstlichen Pancket[s] zu Tischen mit den Fischen, von denen der Fischer Petrus sich ernähre, den bildlichen Kontrast von apostolischer Armut und päpstlichem Prunk. Die Schlussrede Petri zählt mit Meineid/ falsche[r] List/ Abgötterey Gottslesterung/ Wucher Sodomey sowie Stiftung von Uneinigkeit und Kriegstreiberei die traditionellen protestantischen Vorwürfe gegen die römische Kirche auf. Gott habe aber mit Luther Vor hundert Jahr, dem Helden von Mitternacht, das Ende des Papsttums eingeläutet. Der Holzschnitt Stimmers war zuerst 1577 für ein Flugblatt mit dem Titel ‚MALCHOPAPO‘ verwendet worden, das bei Bernhard Jobin (vor 1545⫺ 1593) in Straßburg gedruckt wurde und zu dem Johann Fischart (1546/7⫺1591) den Text verfasst hatte (Fassung a). Mit der Übernahme der Jobinschen Offizin kamen auch die Stimmerschen Druckstöcke in den Besitz von Johann Carolus, bei dem daher mit hoher Wahrscheinlichkeit das vorliegende Blatt gedruckt wurde.2 Die antithetische Gegenüberstellung des Papstes mit Petrus oder Christus, deren Nachfolger bzw. Stellvertreter er zu sein beansprucht, war ein bewährtes Motiv der reformatorischen Propaganda (b VII, 84; IX, 91, 125⫺127).3 Auch die Neufassung des Textes als Dialog schließt an einschlägige Texte der Reformationszeit an, in denen Petrus im Himmel von den Missständen auf Erden berichtet oder in einen direkten Disput mit dem Papst oder einem Mönch eintritt.4 Die Äußerung in der dritten Textspalte, dass Gott Vor hundert Jahr Luther erweckt habe, erlaubt es, das Blatt in die Publizistik zum Reformationsjubiläum einzuordnen, in der vielfach die ikonographischen Muster und die Polemiken der Reformationszeit aufgegriffen wurden.5 Auch die Anspielung auf Dan 11 f. mit dem Helden von Mitternacht fügt sich in den Kontext der Centenarfeier, gehörte doch Dan 12 zu den Bibeltexten, die am Reformationstag 1617 bevorzugt behandelt werden sollten, da die Vorhersage des Propheten schon in Luthers Vorrede zum Buch Daniel auf den erwarteten Untergang des Papsttums bezogen worden war.6 Dementsprechend wurde Luther mit dem bei Daniel angekündigten König identifiziert, der mit seinem geschrey […] von Morgen vnd Mitternacht, d. h. der Verkündigung des Evangeliums, den Papst stürzen werde (b II, 131).

Weitere Standorte: Nürnberg, GNM: 15093/1336

Andere Fassungen: a) b)

A1

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München, GS: 16965;7 Zürich, ZB: PAS II 14/8 [b VII, 84] ehemals Auktionshaus Zisska und Schauer8 [Deß Bapstes Frevel …; nur die beiden ersten Textspalten; typographischer Rahmen] E. ROSENOW: Wider die Pfaffenherrschaft. Kulturbilder aus den Religionskämpfen des 16. u. 17. Jhs. Berlin 1923, I, 65. PAAS II, P-299. Im Text der Vorlage (Fassung a) ist denn auch vom Tüterich Zu den Geltkästen die Rede. Auch für ein gleichzeitig erschienenes Blatt zum Reformationsjubiläum griff Carolus auf einen Holzschnitt Stimmers zurück; vgl. KASTNER: Rauffhandel, Nr. 4 mit Abb. 4; zur Aktualität des Malchopapo-Holzschnitts im 17. Jahrhundert vgl. P. BOESCH: Eine antipapistische Zeichnung von 1607. In: Zwingliana 9 (1952), 486⫺489 (der dort beschriebene Scheibenriss befindet sich heute im Victoria and Albert Museum, London: E.3689–1923). Vgl. auch Philipp Heilbronner: Antithesis Doctrinae Petri Apostoli et Pontificis Romani. Lauingen 1597. (Desiderius Erasmus:) Von dem gewalt vnd haupt der kirchen/ ein gesprech/ zwischen dem heyligen S. Peter vnd dem allerheyligisten Bapst Julio. Speyer 1521; Dialogus zwischen Petro vnd eynem Bawrn. Erfurt 1523; Ein Gesprech von einem Lantdßknecht vnd S. Peter/ Bapst/ Teuffel vnd Gabriel der Engel. O.O. (um 1547); Hans Sachs: Vier schöne Gesprech zwischen Sanct Peter vnd dem Herren. Nürnberg 1560; Valentin Voigt/ Kunz Has: Ein Gesprech des Herren mit Sanct Petro […] Jtem/ von Sanct Peter vnd einem Münche. O.O. 1561. Vgl. KASTNER: Rauffhandel; NIEMETZ: Bildpublizistik, 38⫺41; TH. KAuFMANN: Reformationsgedenken in der Frühen Neuzeit. In: Zs. für Theologie u. Kirche 107 (2010), 285⫺324. Vgl. KASTNER: Rauffhandel, 319⫺324. STRAuSS III, 1017. Zisska und Schauer: Auktion 61. München 2013, Nr. 362 (mit Abb.). MSch

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IX, 94

F 53

Marie der Königin auß Schotlandt

Ort Jahr Bild Text

Köln 1589 kolorierter Kupferstich von Pieter Maes (2. Hälfte des 16. Jahrhunderts)1 Typendruck in 4 Spalten; deutsche und lateinische Prosa von Michael Aitzinger (um 1530–1598),2 4 lateinische Distichen Johann Bussemacher (1580–1616)3 27,7 ! 36,3; 22,8 ! 17,8

Verleger Format

Das Flugblatt beschreibt den Lebensweg der schottischen Königin Maria Stuart (1542–1587) und berichtet von ihrer Hinrichtung. Das ovale Brustbild zeigt die Königin Maria Stuart im Halbprofil mit dem schottischen Wappen.4 Das Bildnis ist von einem Rahmen mit einer Inschrift umschlossen. Die Königin wird in schlichter Kleidung und mit einem Kruzifix als einzigem Schmuck dargestellt. Die Symbole der Gefangenschaft (die Gefängnismauer) und des Martyriums (Lorbeerkranz und Palmwedel) werden durch die Hinrichtungsszenen in den unteren Ecken des Kupferstiches ergänzt. Die Komposition aller Elemente des Stiches dient der Glorifizierung und der Sakrifizierung der schottischen Königin. Sowohl der deutsche als auch der lateinische Text zeichnen den Lebensweg Maria Stuarts nach. Hierbei erscheint der lateinische Text detaillierter und sachlicher, da er staatspolitische Angelegenheiten mit einbezieht, während der deutsche Text sich auf die wichtigsten Abschnitte im Leben der Maria Stuart zumeist ohne Angabe der Jahreszahl beschränkt. Beide Texte berichten über die Geburt und die tragischen familiären Begleitumstände, die Eheverhandlungen, die zwischen der Mutter Marie de Guise (1515–1560) und Heinrich VIII. (1491–1547) geführt wurden mit dem Zweck einer Verbindung von Maria Stuart und Heinrichs Sohn Eduard VI. (1537–1553). Weiterhin werden das Scheitern dieser Verhandlungen und die daraus resultierenden militärischen Auseinandersetzungen erwähnt, die nach dem Tod Heinrichs VIII. vom Protektor Englands Edward Seymour Somerset (um 1500–1552) weitergeführt wurden. In beiden Texten wird von der Heirat zwischen Maria und dem französischen Dauphin Franz II. (1544–1560) berichtet sowie von ihrer Rückkehr in ihr Heimatland nach dem Tod ihres Mannes und ihrer Mutter. Von den Ereignissen in Schottland werden die Hochzeit mit Lord Darnley (1545–1567), die Flucht Marias vor den protestantischen Schotten, das Verhältnis zu Elisabeth von England (1533–1603) und letztendlich die Hinrichtung der schottischen Königin 1587 mitgeteilt. Auffällig an beiden Texten ist, dass einige Lebensabschnitte sehr reduziert wiedergegeben werden. Die Ereignisse der Jahre von 1548 bis 1558 werden im deutschen Text auf die Aussage verkürzt, dass Maria im katholischen Glauben aufgewachsen sei. Der lateinische Text berichtet innerhalb dieses Abschnittes vom Frieden von Edinburgh im Jahre 1550. Die Biographie setzt mit dem Jahre 1557 wieder ein, als der Ehevertrag zwischen den schottischen Gesandten und Frankreich unterzeichnet wurde. Die Jahre der Gefangenschaft der schottischen Königin werden von beiden Texten nicht betrachtet. Während im deutschen Text nur über die Vncatolischen gesprochen wird, die Lord Darnley er198

mordet und Maria Stuart für diese Tat verantwortlich gemacht hätten, nennt der lateinische Text den Namen des Verantwortlichen (James Stewart, Earl of Moray, der Halbbruder Marias, 1531– 1570) und indirekt das Motiv, da dieser nach der Flucht Marias Regent von Schottland wurde. Der deutsche Text versucht am Ende der Kurzbiographie, den Grund für die Hinrichtung der schottischen Königin zu ermitteln, und findet ihn in der Feindschaft zwischen Maria Tudor (1516⫺1558) und Elisabeth. Aus der Namensgleichheit der Rivalinnen der Königin Elisabeth I. ergibt sich nach Ansicht des Autors der Grund für die Vollstreckung des Urteils an Maria Stuart, da Elisabeth gegen Maria Tudor nicht vorgehen konnte. Die Rahmeninschrift des Brustbildes preist die schottische Königin als bewundernswerte und gottesfürchtige Frau, die zweimal in Gefangenschaft geriet und beim zweiten Mal durch die Herrschaft Elisabeths über viele Jahre hinweg in Gewahrsam blieb und schließlich in den Himmel aufstieg. Die Grabinschrift stilisiert die Hingerichtete als Märtyrerin für ihren Glauben. Die Bildnisse von der Hinrichtung sind einer Zeichnung von Richard Verstegan (Rowlands; um 1548–1640) nachempfunden, die er einem Kapitel über Marias Hinrichtung in seinem Werk ‚THEATRVM Crudelitatum Haereticorum Nostri Temporis‘ beifügte.5 Der Text des Flugblattes stammt von Michael Aitzinger und wurde in modifizierter Form aus der ‚Postrema Relatio Historica‘ übernommen.6 Das angefügte Epitaphium blieb dabei unverändert. Aitzinger verweist in der ‚Relatio‘ auf andere Schriften, die ausführlicher von den Umständen der Exekution berichten, obwohl auch er die wichtigsten Ereignisse benennt, diese aber nicht weiter ausführen will. Bussemachers Blatt ordnet sich ein in die katholische Publizistik, die den Tod Marias propagandistisch nutzen wollte und die Königin als Märtyrerin auswies (b VII, 173). Diese Sichtweise beeinflusste auch die Rezeption im 17. Jahrhundert.7 Protestantische Berichte hoben demgegenüber die Rechtmäßigkeit des Todesurteils hervor und versuchten, den Eindruck der Unbarmherzigkeit Elisabeths abzumildern. In einem Magdeburger Druck, der etwa einen Monat vor der ‚Relatio Historica‘ erschien, findet sich eine Beschreibung des Lebensweges und des gewaltsamen Endes der schottischen Königin. Der Text benennt zunächst Gründe für die Hinrichtung Maria Stuarts, beschreibt dann den Ablauf derselben und den Verbleib der Leiche, um schließlich einige Ereignisse aus dem Leben der Königin wiederzugeben. Der letzte Punkt der Schrift erzählt einmal von der Freude der Bürger über die Abwendung der Gefahr, die Maria Stuart für sie darstellte, wirbt aber auch um Sympathie für Elisabeth, indem er von ihrer Trauer um Maria berichtet und hinzufügt, dass ihre Räte die Exekution ohne ihr Wissen in-

nerhalb kürzester Zeit veranlasst hätten.8 Das hier abgedruckte Epitaphium ist wesentlich länger als das des Flugblattes und stimmt nur in zwei Versen mit diesem überein.

Weitere Standorte: Paris, BN: Hennin, 799

Andere Fassungen: A1

SCHÖLLER: Druckgraphik, 183 f., Nr. 98, Abb. 60.

1

THIEME/ BECKER XXIII, 547 f.; HOLLSTEIN: Dutch Etchings, XI, 157. Der Stich wurde 1589 in die Geschichtsblätter Hogenbergs übernommen (vgl. Hogenberg: Geschichtsblätter, 56). TH. GLONING: Aitzing, Michael von. In: VL16 1 (2011), 65⫺70. J. BENZING: Der Kupferstecher, Kunstdrucker u. Verleger Johann Bussemacher zu Köln (1580–1616). In: K. OHLY/W. KRIEG (Hgg.): Aus der Welt des Bibliothekars. FS R. Juchhoff. Köln 1961, 129–146; SCHÖLLER: Druckgraphik, 32–34. Das Wappen Schottlands um 1559/60 verband drei Lilien im gespaltenen Schild mit springendem Löwen. O. NEuBECKER/ W. RENTZMANN: Wappenbilderlexikon. Dictionnaire heraldique. Encyclopaedia of Heraldry. München 1974, 297. Richard Verstegan: THEATRVM Crudelitatum Haereticorum Nostri Temporis. Antwerpen 1587, 84 f. Michael Aitzinger: Postrema Relatio Historica. (Köln) 1588, 23. Joost van den Vondel: Maria Stuart of Gemartelde Majesteit, Keulen 1646; Christoph Kormat: Maria Stuart oder gemarterte Majestaet Nach dem holländischen Jost van Vondels. Halle a. S. 1673. Warhafftige onde egentlyke Bericht der Execution/ edder Dodt Marien Stuarts. Magdeburg 1587. Vgl. auch Newe Zeittung/ Warhaffte vnnd Begruendte/ doch kurtze erzelung vnnd bericht, welcher gestalt weylandt in Schotten geborne Königin Maria Stuarts […] hingerichtet worden. Magdeburg 1588; V. KLARWILL (Hg.): Fugger-Zeitungen. Ungedruckte Briefe an das Haus Fugger aus den Jahren 1568–1605. Wien u. a. 1923, 94–101. AR

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Ort Jahr Bild Text Format Das Blatt glorifiziert Heinrich IV. (1553–1610, König von Navarra, französischer König seit 1589) als rechtmäßigen französischen König, der über die katholische Liga siegt. Die bühnenhaft wirkende Szene stellt eine Figurengruppe dar, die durch Inschriften als der Bräutigam Heinrich IV. von Bourbon, das verwirrte und seines Brautstatus beraubte Frankreich sowie ein ehebrecherischer Vertreter der katholischen Liga ausgewiesen sind. Der mit einer Rüstung gewappnete König bedroht mit erhobenem Schwert einen zu seinen Füßen liegenden Mönch und tritt ihn nieder. Der Geistliche hält in seiner Linken ein zerbrechendes Schwert und zerrt mit der Rechten am Kleid der Frauengestalt. Neben ihm liegen eine Maske und ein Jesuitenhut. Frankreich ist als Königin mit der Krone und dem mit heraldischen Lilien bestickten Gewand personifiziert. Aus einer über der Figurengruppe schwebenden Wolke erscheint eine durch Inschrift als Göttliche Gnade (Gratia divina) kenntlich gemachte Gestalt mit einem Palmwedel, dem Zeichen des Friedens, in der Hand und übergibt dem König einen Lorbeerkranz. Eine Kartusche in der linken oberen Ecke der Graphik enthält das Allianzwappen des Königs von Frankreich und Navarra. Das im Text angesprochene Frankreich wird als eine vom Ehebrecher verfolgte Braut dargestellt, der sie von ihrem rechtmäßigen Gatten Heinrich von Bourbon mit List und Gewalt getrennt und ferngehalten habe. Jetzt aber werde der König diese schmacheit mit Weißheit, sterck vnd heldenmut und göttlicher Hilfe rächen. Das Blatt beleuchtet aus protestantischer Sicht die politische Situation in Frankreich in der letzten Phase des religiösen Bürgerkrieges. Im Jahre 1584, nach dem Tode des letzten kinderlosen Königs von Frankreich aus dem Hause Valois Heinrich III. (1551–1589, König seit 1574) erlangte in der Erbfolge Heinrich von Bourbon, seit 1572 mit Margarete von Valois (1553–1615) verheiratet, Anspruch auf den französischen Thron. Doch Heinrich III. wollte ihn, den Calvinisten und Hugenottenführer, als Erben des Thrones nicht anerkennen und mobilisierte gegen ihn die 1576 vom Herzog Heinrich von Guise (1550–1588) gegründete und durch Spanien militärisch unterstützte katholische Liga. Die militärische Konfrontation der beiden politisch-konfessionellen Parteien endete nicht, als 1589 Heinrich III. ermordet wurde und Heinrich von Bourbon seinen Herrschaftsanspruch geltend machen konnte (b IV, 73). Erst seine Konversion zum Katholizismus im Jahre 1593 sicherte ihm die französische Krone.1 In die Zeit zwischen 1589 und 1593 ist daher die Entstehung des Flugblatts zu datieren. Der politische und konfessionelle Standpunkt des Blattverfassers wird auf der ikonographischen Ebene durch die Wahl der Motive deutlich gemacht. Indem Heinrich IV. und die Personifikation von Frankreich als Sponsus und Sponsa erscheinen, werden sie als für einander bestimmt ausgegeben;2 auch die Abbildung des Doppelwap200

Franckreich o Rosengarten schon: du zarte Braut [Inc.]

(zwischen 1589 und 1593) Kupferstich graviert in 2 Spalten; 2 Strophen im Schweifreim 26,2 ! 17,6 pens soll Heinrich als König von Navarra und Frankreich legitimieren und stellt die Vereinigung als vollzogen hin. In Wirklichkeit war die Legitimität Heinrichs IV. als Thronfolger durchaus umstritten.3 Die Wahl einer Mönchsfigur zur Verkörperung der politischen und konfessionellen Gegner Heinrichs von Bourbon enthält neben dem Hinweis auf die Unterstützung der Liga durch katholische Orden4 einen weiteren, nämlich auf ihre Haltung in der Frage des Königsmordes. Wie die Theoretiker der Liga lehrten auch sie in ihren Schriften, jedem sei erlaubt, einen tyrannischen oder ketzerischen König zu töten; unter dem Einfluss der Lehre von der Legitimierung des Herrschermordes stand der Mörder Heinrichs III., der Dominikaner Jacques Clément (um 1567–1589).5 Doch man brachte nicht nur Angehörige des Dominikanerordens mit dem Mord an dem französischen König in Verbindung, auch die Jesuiten, die solche Grundsätze gekoppelt mit der Theorie der Volkssouveränität verbreiteten,6 machte man mitverantwortlich für das Attentat.7 Dieser Vorwurf wird in der Graphik durch die Beigabe des Jesuitenhutes veranschaulicht, bei dem es sich darüber hinaus um eine weitere Bedeutungskomponente handeln kann: Steht das Schwert für die Gewalt und die Maske für die Heuchelei, so erweitert der Jesuitenhut diesen Lasterkatalog womöglich um den Vorwurf der Kriegstreiberei und politischen Intrigen, deren die Jesuiten allgemein beschuldigt wurden. Er kann auch als Verweis auf das mit den Gegnern Heinrichs von Bourbon verbündete Spanien, das Ursprungsland des Ordens, gemeint sein.8 Die Kritik an der Geistlichkeit gewinnt einen zusätzlichen Aspekt durch die Verwendung des aus der mittelalterlichen Schwank-Tradition stammenden Ehebruchs-Motivs, bei dem der Pfaffe die Rolle des ehebrecherischen Buhlers spielte.9 Schaut man sich das Blatt im Kontext der Glaubenskämpfe an, so ergibt sich seine antikatholische Aussage auch durch die Verwendung des ikonographischen Typus des Erzengels Michael als Satanbezwinger für die Darstellung Heinrichs IV. In den zeitgenössischen Darstellungen des Engelsturzes wird Michael meistens in Gestalt eines kämpfenden Ritters in Harnisch und mit zum Schlag erhobenem Schwert bzw. Kreuzesstab und der besiegte Luzifer zu seinen Füßen mit einem Schlangenschwanz oder mit einer sich zwischen seinen Beinen windenden Schlange abgebildet.10 Gemäß den gegenreformatorischen Intentionen der posttridentinischen Kirche, die den Erzengel als Schutzpatron gewählt hatte, findet man ihn in Darstellungen des Sieges der katholischen Kirche über Andersgläubige ⫺ darunter über französische Hugenotten.11 Da man zu der Zeit den gestürzten Luzifer und sein Gefolge mit den protestantischen Häretikern identifizierte, ließen sich katholische Herrscher gern in Gestalt des siegreichen Himmelsfürsten porträtierten,12 unter ihnen auch Heinrich II. von Frankreich (1519⫺ 1559, König seit 1547).13 Mit dem Zitat der Michael-Ikonographie greift das Blatt also das zentrale Motiv der gegenreformatorischen Bildpropaganda auf und wendet es gegen seine Urheber.

Weitere Standorte: Berlin, SBPK: YA 2420 kl.; Gotha, SM: 89,3; Paris, BN: Hennin, 920; ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig (A 1)

Andere Fassungen: A1

DRuGuLIN II, Nr. 813.

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M. ANDRIEuX: Heinrich IV. Frankfurt a. M. 1979; J.-P. BABELON: Henri IV. Paris 1982; BuISSERET: Henry IV. Die Braut-Metapher als Versinnbildlichung einer historischen Situation mit Darstellungen einer Stadt oder eines Landes als eine von Feinden bedrängte Jungfrau sind in der deutschen Bildpublizistik am häufigsten für die Eroberung Magdeburgs durch Tilly 1631 (b II, 227) verwendet worden; vgl. M. SCHILLING: Militia amoris u. ungleiches Paar. Zur Bildlichkeit der Magdeburgischen Hochzeit. In: Magdeburg u. die Reformation. Halle a. S. 2017, 266⫺281. Weitere Belege bei R. KÖHLER: Um Städte werben in der dt. volkstümlichen Poesie besonders des siebzehnten Jhs. In: DERS.: Schriften, III, 371– 413; L. FRÄNKEL: Um Städte werben u. Verwandtes in der dt. Dichtung des 16. und 17. Jhs., nebst Parallelen aus dem 18. und 19. In: ZfdPh 22 (1890), 336–364. b IV, 162 (Herzogenbusch), b IV, 251 (Holland). R. MOuSNIER: Ein Königsmord in Frankreich. Die Ermordung Heinrichs IV. Berlin 1970, 92–101. Zur zeitgenössischen Kritik an den Ansprüchen Heinrichs IV. vgl. z. B. [Antoine Arnould]: L’Antiespagnol. Madrill [fingiert] 1590. Zum Verhältnis der Jesuiten zur Liga vgl. F. J. BuSS: Die Gesellschaft Jesu. Abt. 2, Mainz 1853, 889–908; J. HuBER: Der Jesuiten-Orden nach seiner Verfassung u. Doctrin, Wirksamkeit u. Gesch. characterisirt. Berlin 1873, 158. MOuSNIER: Königsmord, 55–91. Vgl. auch den Artikel ‚Fürstenmord‘ bei P. VON HOENSBROECH: Der Jesuitenorden. I, Bern/ Leipzig 1926, 442–455. KREBS: Publizistik, 12–16 und 108–122; HuBER: Jesuiten-Orden, 159. MOuSNIER: Königsmord, 190–205. Zu einer zeitgenössischen Flugschrift vgl. MOuSNIER: Königsmord, 47. Vor dem Einschleichen der Jesuiten zur Unterwerfung unter Spanien warnt auch eine ins Deutsche übersetzte ‚Rede […] wider die Jesuiten‘ eines Polnischen Catholischen Ritters an seine Landsleute: Dann eben mit disen practicken vnd künsten/ vnd vnder dem namen diser [katholischen] Religion/ da haben sie dem mechtigen König auß Hispania dise lender vnderworffen/ von welchen sie seind außgesand worden alß kundschaffter/ darumb sie all jhre anschlege dahin gerichtet/ daß sie fürs erste innerliche vneinigkeit vnd zwittracht erwecken/ demnach Hispanische kriegsvolck/ inn die zerrüte Königreiche/ so durch innerliche zwittracht/ geschwächt waren/ einführten; Nicolaus Pistander (Übers.): Schwarm des heiligen Römischen Bienenkorbs/ Das ist Außflug etlicher grossen/ schädlichen/ vorwenig jaren erwachsener … Wespen Hurnüssen Flädermäußen. O.O. 1592, fol. Biijjr. Vgl. auch HuBER: Jesuiten-Orden, 158. P. ENGLISCH: Gesch. der erotischen Literatur. Stuttgart 1927 (Nachdr. Wiesbaden 1977), 107–115. M. SCHAIBLE: Darstellungsformen des Teuflischen, untersucht an Darstellungen des Engelsturzes vom Ausgang des Mittelalters bis zu Rubens. Diss. Tübingen 1970. So z. B. in den Gemälden von Giorgio Vasari für den Vatikan; vgl. Rom in Bayern. Kunst u. Spiritualität der ersten Jesuiten. Ausstellungskatalog München 1997, 432. Rom in Bayern, 429–434; R. STALLA: St. Michael. Studien am Beispiel des Hochaltarbildes von St. Michael in Berg am Laim. In: K. MÖSENEDER/ A. PRATER (Hgg.): Aufsätze zur Kunstgesch. FS H. Bauer. Hildesheim u. a. 1991, 231–255, hier 245–247 mit Abb. 6 f. Ebd., 246 mit Abb. 5. EP

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Vor dem Hintergrund des 8. Hugenottenkriegs verbindet das Blatt Kritik an Geldgier und kriegerischer Gewalt und macht für beides die katholische Kirche verantwortlich. Aus einer dunklen Höhlenöffnung stürmt der mit erhobenem Degen, umgürtetem Krummsäbel und Harnisch gerüstete Teufel ins Freie. Ein Schweinerüssel, ein feuerspeiendes aufgerissenes Maul, herabhängende Kehlsäcke, zwei spitze nach oben gerichtete Hörner, zwei weitere gedrehte Widderhörner, Fledermausflügel, fellbezogene, zottige Beine, die in krallenbewehrten Tierfüßen enden, geben dem Höllenfürsten ein theriomorphes Äußeres. Ein prall gefüllter Geldbeutel in der Rechten und eine zweite Börse um den Hals deuten die Profitgier als das bevorzugte Mittel des Teufels an, die menschlichen Seelen für sich zu gewinnen. Die Ketten um die Fußgelenke und den Bauch zeigen an, dass sich der Teufel aus seinem Gefängnis losgerissen hat (Le Diable ayant rompu sa chaine).1 Hinter ihm folgt seine Mutter, die durch ihre pelzigen Zitzen, herabhängende deformierte Schlappohren, tropfenförmige Kehlsäckchen (Warzen?) und aus der Furien-Ikonographie übernommenes Schlangenhaar charakterisiert ist.2 Sie rührt eine Trommel und trägt eine Fahne, deren Zeichen (Geldsack, -beutel, Pokal, Schwert und eine verführerisch lockende nackte Frau) die Waffen der teuflischen Kriegsführung anzeigen. Auf der linken Bildseite wird in mehreren Szenen die entmenschlichende Macht des Geldes vorgeführt. Vorne links sitzt ein Wucherer mit seiner Goldwaage und Säcken voll Geld an einem Tisch und nennt einem Bauern (mit Traggestell auf dem Rücken) die Bedingungen, zu denen er sein Geld verleiht: Quinze pour cent Funfzehn vonn hundert. Die Auswirkungen dieses Zinssatzes demonstrieren vier Inkasso-Landsknechte, die einen Schuldner schinden und einen zweiten erwürgen und ihm bei lebendigem Leib das Fleisch vom Knochen nagen. Dieser Kannibalismus findet seine Fortsetzung und Steigerung in der Szene darüber, in der katholische Geistliche unter Vorsitz des Papstes ein Gelage feiern und dabei einen auf dem Tisch liegenden Menschen zerteilen und verspeisen.3 Links oben verkaufen zahlreiche Menschen (unter ihnen Könige und Geistliche) dem Teufel ihre Seelen: Heut ist die welt also gestelt Ein ieder dient dem teuffel vmb gelt. An den Kreuzen, die Christus anbietet, hat niemand Interesse. Die rechte Seite des Bildes zeigt Szenen der Gewalt. An einen Gebäudekomplex mit der Aufschrift Frankreich/France, aus dem links Landsknechte Beute heraustragen (Die frembde lansknecht vnnd kriegsleut Lauffen dar von mit gutter beut), legt Der Lothringsch Cardinal unter tätiger Mithilfe des römischen Klerus Feuer, während eine bekrönte weibliche Figur (die Personifikation Frankreichs?) den Brand mit einem Tuch zu löschen versucht.4 Am oberen Bildrand wird ein Kö202

DER GROSSER TEVFFEL ist außgelassen

1590 Kupferstich gravierte Bildinschriften; deutsche und französische Paar- und Kreuzreime 26,7 ! 35,6

nig um sein gekröntes Haupt kürzer gemacht, wobei eine Reihe bequem sitzender Geistlicher der Exekution beiwohnt. Rechts unten wird Der Printz von Conde von einem Trupp Soldaten gefangen genommen und mit Dolch und Pistole ermordet. Im Vordergrund kämpfen zwei Männer mit bloßen Händen und haben sich gegenseitig am Schopf gepackt. Die Szenen und Figuren werden durch meist gereimte deutsche und französische Verse erläutert. Lediglich zu den beiden raufenden Männern vorn fehlt eine Beischrift. Die Verweisbuchstaben (A⫺ D auf dem Teufel und seiner Mutter) und -zahlen (1⫺17, oben links beginnend und entgegen dem Uhrzeigersinn fortfahrend) lassen vermuten, dass zu dem Blatt ursprünglich ein längerer Text gehörte, der sich aber bei keinem der überlieferten Exemplare erhalten hat. Das Blatt bietet eine leicht aktualisierte Version eines älteren Drucks von 1569. Beide Fassungen kommentieren Ereignisse der Hugenottenkriege.5 Die Datierung des älteren Blatts (anno MDLXIX 9. Sept.) befand sich unterhalb des Titels und wurde durch Ausdehnung des gravierten Felsens gelöscht.6 Die ursprüngliche Beischrift zu den beiden Kämpfern wurde ebenfalls durch eine Ausweitung des Felsens bzw. der Höhlenöffnung überdeckt (Der Princz vonn Orangie vnnd der Duc de Alba). Auch die Beischriften zur Hinrichtungsszene sind so abgeändert worden, dass die Erwähnungen Albas (1507⫺1582) eliminiert wurden (so machte der Stecher aus der Albanische tyran einen S. liginische[n] tyran). Obwohl 1590 mit Alba und Wilhelm von Oranien (1533⫺1584) einige Anachronismen von der Druckplatte entfernt wurden, blieben andere Gestalten wie der Kardinal von Lothringen Charles de Lorraine-Guise (1524⫺ 1574) oder der durch Feindeshand ermordete Prinz von Condé Louis I. de Bourbon (1530⫺ 1569) unverändert, wohl weil sie auch noch nach ihrem Tod als Exempelfiguren dienen konnten, an denen sich das für die Hugenotten unheilvolle Wirken der Katholiken aufzeigen ließ. Während die 1569 aktuellen Ereignisse auf diese Weise eine überzeitliche Geltung erhielten, waren die Geschehnisse auf der linken Bildseite auch auf der älteren Blattfassung schon als generelle Zeitkritik angelegt. Teuerung und Profitgier auf der einen sowie Krieg und Gewalt auf der anderen Seite sind denn auch an der Ausstattung und dem Auftritt des Teufelspaars abzulesen, wenn Geldbeutel, Geldsack und ein goldener Pokal ebenso wie der gezogene Degen, Kriegstrommel und -fahne zu seinen Attributen zählen. Die Zweisprachigkeit des Blatts macht einen Publikationsort im Grenzgebiet zu Frankreich (z. B. Straßburg) wahrscheinlich.

Weitere Standorte: Gotha, SM: G 88,24; ehem. Antiquariat Boerner, Düsseldorf

Andere Fassungen: a)

München, BSB: Einbl. XI, 153; New York, Morgan Library: Peel Collection 1–17; Paris, BN: Hennin 627 [1569; ohne Verweisbuchstaben und –zahlen]

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Vgl. das Sprichwort ‚Der Teufel ist los‘; dazu RÖHRICH: Redensarten V, 1609 (mit Bezug auf Apk 20, 7). Vgl. dazu C. GOLDBERG: Teufels Mutter, Teufels Großmutter. In: EM 13 (2010), 444⫺447. Dabei greift das Blatt auf ein Motiv zurück, das Niklaus Manuel und Pamphilus Gengenbach unter dem Titel ‚Die Totenfresser‘ populär gemacht hatten und das die Einnahmen der römischen Kirche aus den Totenmessen satirisch anprangert. Es ist freilich auch möglich, dass in der Figur Katharina von Medici wiedergegeben ist, die nicht löscht, sondern anfacht. Zur Geschichte der Hugenottenkriege vgl. M. P. HOLT: The French Wars of Religion. 1562⫺1629. Cambridge 1995; R. J. KNECHT: The French Wars of Religion. 1559⫺1598. Harlow u. a. ³2010. Die Angabe getruct ist dagegen stehen geblieben und hängt auf dem vorliegenden Blatt in der Luft. MSch

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F 44

Ort Jahr Bild Text Format

Das Blatt bedient sich für seine Kritik am Papsttum des biblischen Gleichnisses vom Baum, der schlechte Früchte trägt und deswegen zu fällen sei (Mt 7, 17⫺20). Auf dem Boden liegt, auf ein Kissen gebettet und in vollem Ornat, der Papst. Er hält seine Ferula, die hier wie seit dem späten Mittelalter üblich als dreifaches Pastoralkreuz erscheint, im Arm. Der Schaft des Papstkreuzes ist allerdings unter dem Fuß der VERITAS zerbrochen. Aus der Brust des Papstes wächst ein knorriger, mit vielen Astlöchern versehener und daher in seinem Wert geminderter Baumstamm (Mendacii Arbor), der sich nach oben in drei Ebenen verzweigt. In einem Blattkelch am Ende der seitlich ausladenden Äste sitzen jeweils Ordensangehörige und Amtsträger der katholischen Kirche. Auf der unteren Ebene sind dies ein Franziskaner mit Pilgerstab und Bettelschale, eine Äbtissin des Klarissenordens und ein Dominikaner mit Weihwasserwedel und -kessel. Während sich auf der mittleren Ebene die beiden linken Mönche mit Schinken und überfließenden Weinbechern der Völlerei hingeben, kündigen sich bei den beiden mittleren Würdenträgern Zeichen einer wirtschaftlichen Krise an, wenn der eine ein leeres gesprungenes Weihwassergefäß und der andere eine leere Kelle vorweisen. Auf der rechten Seite trägt ‚Mutter‘ Oberin einen frisch gewickelten kleinen Jesuiten, den jüngsten Spross der römisch-katholischen Familie, im Arm. Der Geistliche neben ihr hält Schreibfeder und Rosenkranz in der Hand und bedauert, um seiner Nahrung willen heucheln zu müssen. Die oberste Ebene wird von zwei Kardinälen gerahmt, die Ablassbriefe als wichtige Quelle zur Mehrung des kirchlichen Vermögens emporhalten. Ein Jesuit mit Schreibfeder über seinem Eselsohr bringt einen prall gefüllten Geldbeutel mit den Einnahmen aus den Seelmessen herbei. In der Mitte hat der Papst seine Rechte zum Segen erhoben, den er allen gewährt, Die mir gelts vnd guts gnug zutragn. Lediglich der Bischof bringt ein krisenhaftes Momentum ins Spiel, auch wenn seine Klage über den Mangel an Pferden auf hohem Niveau erfolgt.1 Am Fuß des ‚Baums der Lüge‘ steht in wallendem Gewand, das die Nacktheit der darin eingehüllten weiblichen Gestalt jedoch nicht verbergen kann, die Personifikation der VERITAS (b IX, 83). Sie hat mit beiden Händen eine Axt gefasst und holt aus, um den Baum zu fällen. Den Kopf der Figur umgibt ein Strahlenkranz mit dem ‚Licht der Wahrheit‘, hinter dem die Schneide der Axt nur noch schemenhaft zu erkennen ist. Ein abgeschlagener Baumstumpf im Hintergrund deutet an, dass die Wahrheit mit ihrem Vorhaben Ernst macht. Während die beiden Verspaare über dem Bild allgemein den Wert der Wahrheit betonen, beziehen sich die drei Vierzeiler unter der Graphik enger und explizit auf die bildliche Darstellung (Sich 204

DES BAPSTS GESCHLECHT

LA

GENEALOGIE PAPALE

(um 1590) Kupferstich graviert in 3 Spalten; je 4 deutsche, lateinische und französische Verse; meist paargereimte deutsch-französische Bildinschriften 46,8 ! 33,7

Dieß […] Holtz; haec arbor; cest arbre) und bekräftigen, dass der Baum, so hoch er auch gewachsen sei, gefällt werde, weil er Nicht gepflantz Von Gott und schlechte Früchte trage. Den damit hergestellten Bezug auf die Bibel (Mt 7, 17⫺20) legt das Zitat am Fuß des Blattes offen. Die zweisprachigen Bildinschriften sind als Äußerungen der dargestellten Figuren abgefasst und charakterisieren Absichten und Interessen der Sprecher. Dabei entsprechen die deutschen und französischen Texte einander ziemlich genau. Das Blatt, das sich mit seiner Zweisprachigkeit sowohl an das deutsche wie auch französische Publikum wendet und folglich im deutsch-französischen Grenzgebiet (Straßburg?) entstanden ist, kombiniert verschiedene Modelle der ikonographischen Baummetaphorik.2 Als Basismodell dienten Darstellungen der Wurzel Jesse.3 Auch Stammbäume, die wie bei der Wurzel Jesse aus der Brust des Stammvaters hervorwachsen können, dürften dem Stecher und seinem Publikum bekannt gewesen sein. Während diese potenziellen Muster eine leibliche Verwandtschaft ins Bild setzen, geht es auf dem vorliegenden Blatt um ideelle Verwandtschaft. Und nicht eine von einem ruhmreichen Ursprung ausgehende positive Entwicklung, sondern fragwürdige und lasterhafte Abkömmlinge von einer ebenso fragwürdigen Gründerfigur sind das Thema der Darstellung. Dabei spielt hier wesentlich das biblische Gleichnis vom Baum hinein, der schlechte Früchte trägt und deswegen gefällt und verbrannt werden soll. Nicht zuletzt sind auch Momente des Ständebaums (b IX, 132)4 in des ‚BAPSTS GESCHLECHT‘ wirksam geworden, wenn die untere Ebene von Vertretern der Bettelorden besetzt ist, während die Spitze des Baums der Spitze der kirchlichen Hierarchie vorbehalten ist. Dagegen haben die vornehmlich als Schemata erscheinenden Tugend- und Lasterbäume die Konzeption des Blattes allenfalls am Rande beeinflusst.5 In der konfessionellen Polemik wurden genealogische Argumentationen und Baummetaphorik häufiger eingesetzt. Auf dem Flugblatt ‚Der Jesuiten Ankunfft‘ (1618) versuchen Jesuiten und Mönche vergeblich, den Tugendbaum zu fällen, der aus der Brust des schlafenden Luther wächst (b II, 140).6 Der Genfer Theologe Lambert Daneau (um 1535⫺um 1590) hat seiner Edition des ‚Liber de haeresibus‘ des Augustinus (354⫺430) einen Holzschnitt beigebunden, der unter dem Titel ‚ARBOR HAERESEON‘ den Teufel in der Position des Stammvaters und den Papst und Mohammed an der Spitze aller häretischen Verästelungen zeigt.7 Ein anderer Stammbaum der römischen Kirche mit dem Papstesel an der Spitze wächst aus den Leibern des Simon Magus und des Judas hervor und wird von der Welt, dem Teufel und der Unwissenheit gedüngt und begossen.8 Auch eine ‚GENEALOGIA VERA ANTICHRISTI‘, die ein pseudonymer Theophilus de Seelandia den Jesuiten zum Reformationsjubiläum 1617 gewidmet hat,9 führt den Bapst/ vnd seine Bruder die Cardinäl in direkter Linie auf den Teufel zurück.10

Nach demselben Muster verfuhr auch die Gegenseite, wenn der Teufel zunächst die Superbia gebiert, die dann alle weiteren Laster, dann alle Ketzereien und schließlich Luther hervorgebracht habe.11 Das Blatt ist aus stilistischen Gründen ans Ende des 16. Jahrhunderts zu datieren und gehört zur hugenottischen Propaganda während des 8. Hugenottenkrieges, wird aber vor der Konversion Heinrichs IV. von Frankreich (1553⫺1610, König seit 1589) zum katholischen Glauben entstanden sein.

Weitere Standorte: ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig (A 1)

Andere Fassungen: A1

DRuGuLIN II, 321.

1

Unklar ist die Bedeutung des Geräts, das aus seiner Mitra hervorragt. Möglicherweise handelt es sich um einen Pferdestriegel. Dazu D. PEIL: Der Baum des Königs. Anmerkungen zur politischen Baummetaphorik. In: W. EuCHNER u. a. (Hgg.): Il potere delle imagini. La metafora politica in prospettiva storica. Die Macht der Vorstellungen. Die politische Metapher in historischer Perspektive. Bologna/ Berlin 1993, 33⫺65; J.-J. BERNS: Baumsprache und Sprachbaum. Baumikonographie als topologischer Komplex zwischen 13. u. 17. Jh. [zuerst 2000]. In: DERS.: Die Jagd auf die Nymphe Echo. Zur Technisierung der Wahrnehmung in der Frühen Neuzeit. Bremen 2011, 271⫺301. LCI IV, 549⫺558. G. WEYDT: Der Ständebaum. Zu Gesch. eines Symbols von Petrarca bis Grimmelshausen. In: Simpliciana 4/5 (1983) 7⫺26. LCI III, 23. Ein ähnliches Blatt vom Anfang des 18. Jahrhunderts wurde katholischerseits mit einer Kontrafaktur beantwortet, die das Matthäuszitat (7, 17⫺20) gegen Luther wendet; vgl. W. HARMS: Rezeption des Mittelalters im Barock. In: M. BIRCHER/ E. MANNACK (Hgg.): Deutsche Barockliteratur u. europäische Kultur. Hamburg 1977, 23–52, hier 42 mit Abb. 15 f. Aurelius Augustinus: Liber de haeresibus. Lamberti Danaei opera emendatus […] In calce operis addita est arbor haereseon […]. Genf 1578. Vgl. auch Daniel Cramer: ARBOR HAERETICAE Consanguinitatis […]. Straßburg 1623 (der beigebundene Kupferstich orientiert sich an Daneaus ‚Arbor Haereseon‘). O’CONNELL: Popular Print, 130. Möglicherweise verbirgt sich hinter dem Pseudonym der Stettiner Hofprediger David Reutz; vgl. KASTNER: Rauffhandel, 100 und 384. PAAS II, P-338 f. Bertram Pogwisch: Warer gegenbericht Wieder den vermeinten Ecclesiasten […]. Köln 1594, Viijf.: ‚GENEALOGIA ANTI-christi filij Diaboli‘. Vgl. auch das Blatt ‚A Shovve of the Protestants Petigrevv‘. In: Thomas Stapleton: The Apologie of Fredericus Staphylus. Antwerpen 1565 (dazu F. STOPP: Der religiös-polemische Einblattdruck ‚Ecclesia Militans‘ [1569] des Johannes Nas u. seine Vorgänger. In: DVjs 39 (1965), 588⫺638, hier 620 f.). Stapletons Blatt liegt der Bearbeitung von Abraham Nagel zugrunde (DELINEATIO MALAE ARBORIS LVTHERANAE […]. O.O. 1589; dazu V. BAuER, in: Luthermania. Ansichten einer Kultfigur. Ausstellungskatalog Wolfenbüttel 2017, Nr. 28). MSch

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205

IX, 98

F 431

Aigentliche Contrafactur der Bruggen vnd Sterckte

Ort Jahr Bild Text Verleger Format

(Köln) (1585) Radierung von Franz Hogenberg (um 1538–1590) graviert; Prosa (Franz Hogenberg) 22,7 ! 29,8

Während der militärischen Auseinandersetzungen der 1580er Jahre in den Niederlanden fielen die südlichen Gebiete zurück an die spanische Krone. Diese Erfolge verdankte Philipp II. (1527–1598, König seit 1556) den politischen und militärischen Fähigkeiten seines Statthalters und Oberbefehlshabers in den Niederlanden Herzog von Parma Alessandro Farnese (1545–1592): Nachdem 1579 die wallonischen Territorien wieder unter die Herrschaft Spaniens gekommen waren, sollten auch die flandrisch-brabantischen Mittelprovinzen zum Abfall vom protestantischen Norden gezwungen werden. In dem seit 1581 systematisch geführten Belagerungskrieg besetzte Farnese bis Ende 1584 fast ganz Flandern und wandte sich nun den wichtigsten Städten Brabants zu. Im folgenden Jahr eroberte er u. a. Brüssel, Mecheln und Antwerpen, denen die Einnahme der Maasfestungen Grave und Venlo folgten (b IX, 100).1 Die

Schiffsblockade der Schelde 47 km nördlich von Antwerpen (b VII, 159 f.)2 erweckte als bautechnische und ⫺ wie die Kapitulation der Stadt zeigte ⫺ auch militärisch wirksame Innovation ein reges Interesse der Medien. Ein Einblattdruck von Georg Lang (tätig 1579–1598) griff mit seinem Holzschnitt auf den Kupferstich Hogenbergs zurück (Fassung a). Der vorliegende Stich wurde in die Hogenbergschen ‚Geschichtsblätter‘ aufgenommen und erneut in Michael Aitzingers (um 1530–1598) ‚Leo Belgicus‘ und Emanuel van Meterens (1535–1612) ‚Niederländischen Geschichten‘ abgedruckt3 sowie für Baudaerts (1565–1640) ‚Polemographia‘ nachgestochen.4

Andere Fassungen: a)

IX, 99

F 866

b)

A1

DRuGuLIN II, Nr. 668.

1

P. GEYL: The Revolt of the Netherlands 1555–1609. London 1988, 181–203; PARKER: Aufstand, 254–258. J. WEGG: The decline of Antwerp under Philip of Spain. Westport (Connecticut) 1979, 274–319. Hogenberg: Geschichtsblätter, 38 und Abb. 270. Zur Bildbeschreibung, dem Bildtypus und einem Fortsetzungsblatt s. MÜNKNER: Eingreifen, 208–211. Baudaert: Polemographia, Abb. 165. DRuGuLIN II, Nr. 667. CH. VAN DEN HEuVEL: ‚Papiere Bolwercken‘. De introductie van de Italiaanse stede- en vestingbouw in de Nederlanden (1540–1609) en het gebruik van tekeningen. Alphen aan den Rijn 1991, 35 (Abb. 16). EP

2 3

4 5 6

Weitere Standorte: Wien, ÖNB: Cod. 8958, fol.116; ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig (A 1)

DIE

GREVLICHE

MORDEREI

Nürnberg, GNM: 2861/1341; Zürich, ZB: PAS II 22/4; ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig5 [b VII, 160] Turin, Archivio di Stato: Vol. IV, fol.386 [Schiffe im Bild anders; niederländischer Text]

BEI IONCKERSDORFF.

Ort Jahr Bild Text Verleger Format

(Köln) 1586 Radierung von Franz Hogenberg (um 1538–1590) graviert in 3 Spalten; 12 Knittelverse (Franz Hogenberg) 22,0 ! 27,4

Als der Kölner Erzbischof Gebhard Truchseß von Waldburg (1547–1601) im Dezember 1582 öffentlich seinen Übertritt zum evangelischen Glauben erklärte und das Erzstift zu säkularisieren beabsichtigte, traf er auf den Widerstand des durch den Papst und den Kaiser unterstützten Kölner Domkapitels, infolgedessen Gebhard abgesetzt und Herzog Ernst von Bayern (1554–1612) zum neuen Erzbischof gewählt wurde (b II, 43). Diese Ereignisse hatten langwierige militärische Auseinandersetzungen zu Folge, die unter dem Begriff ‚Kölner Krieg‘ in die Geschichte eingingen, und erst mit dem Verzicht Gebhards auf seine Ansprüche auf das Kölner Kurstift im August 1589 ihr Ende nahmen.1 Die Einwohner der Stifte Köln und Lüttich, der Herzogtümer Jülich-Kleve-Berg und der dazwischen liegenden Gebiete wurden durch Kämpfe, Durchmärsche der Truppen und Streif-

züge kleinerer Raubbanden hart betroffen. Einen solchen Vorfall schildert das vorliegende Blatt. Am 3. Juli 1586 wurde ein von jülischen Soldaten begleiteter Konvoi von etwa 1000 Personen mit mehreren mit Waren beladenen Wagen, der von Bergheim zum Wochenmarkt nach Köln zog, von einer Bande erzbischöflicher Reiter überfallen und ausgeraubt. Dieser Überfall auf Zivilisten, unter denen sich viele Frauen und Kinder befanden, galt als besonders brutal: Die Angegriffenen wurden abschewlich vnd vnchristlich/ als Vieh darnider geschossen/ gemetzget/ vnnd alles geraubt vnd geplündert.2 Einen ausführlichen Bericht über den Vorfall enthält die ‚Viererley Warhafftige Zeitung‘ (Köln 1586). Das vorliegende Blatt wurde in Hogenbergs ‚Geschichtsblätter‘ aufgenommen und wiederholt ohne Text in Michael Aitzingers (um 1530–1598) ‚Leo Belgicus‘ und Emanuel van

IX, 100

Alß nun der Printz mit höreß macht [Inc.]

F 888 Ort Jahr Bild Text Verleger Format Zustand

Im Verlauf des sog. Kölner Krieges (b IX, 99) kam es seit etwa 1583 zu einer Verquickung des niederländischen Krieges mit den deutschen Angelegenheiten. Die Besetzung der durch ihre zentrale Lage für die Rheinschifffahrt wichtigen Festung Neuss durch truchsessische Truppen im Mai 1585, bewog den Kurfürsten Ernst (1554–1612; in Bild und Bildlegende: C), Hilfe bei dem spanischen Statthalter der Niederlande Herzog von Parma Alessandro Farnese (1545–1592; A) zu suchen. Im Juli 1586 kam es zur Wiedereroberung Neuss’,1 die am 1. August im Hauptquartier des spanischen Feldherrn im benachbarten Kloster Gnadental mit einer Messe und einem Bankett gefeiert wurde. In Anwesenheit von Kurfürst Ernst, Herzog Johann Wilhelm von Jülich-Kleve-Berg (1562–1609; E) und dem päpstlichen Geheimkämmerer Abt Antonio Grimani (Lebensdaten unbe206

(Köln) (1586) Radierung von Franz Hogenberg (um 1538–1590) Typendruck in 4 Spalten; 42 Knittelverse (Franz Hogenberg) 24,7 ! 25,8; 19,8 ! 25,6 handschriftliche Datierung: 1586 kannt; D) übergab dabei der Nuntius Giovanni Francesco Bonomi (1536–1587; B) dem Herzog von Parma als päpstliches Geschenk einen perlenbesetzten Hut und ein mit Edelsteinen besetztes Schwert.2 Seit dem 15. Jahrhundert war das Schenken eines geweihten Schwertes und eines Huts an weltliche Fürsten ein Mittel, die Herrscher für die Politik Roms zu gewinnen.3 Das vorliegende Blatt wurde in Hogenbergs ‚Geschichtsblätter‘ aufgenommen und ohne Text wiederholt in Michael Aitzingers (um 1530–1598) ‚Leo Belgicus‘ und van Meterens (1535–1612) ‚Niederländischen Geschichten‘ abgedruckt4 sowie für Baudaerts (1565– 1640) ‚Polemographia‘ nachgestochen.5 Weitere Standorte: ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig (A 1) Andere Fassungen:

Meterens (1535–1612) ‚Niederländischen Geschichten‘ abgedruckt.3 Weitere Standorte: Gotha, SM: 89,4; ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig (A 1) Andere Fassungen: A1

DRuGuLIN II, Nr. 731.

1

M. LOSSEN: Der Kölnische Krieg. I, Gotha 1882, II, München/ Leipzig 1897; H. GILLIAM: Die Bedeutung des Kölner Krieges für die Stadt Neuss. Neuss 1968. van Meteren: Beschreibung, I, 667. Vgl. auch LOSSEN: Krieg, II, 622–624. Vgl. Hogenberg: Geschichtsblätter, 39 und Abb. 290. EP

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A1

DRuGuLIN II, Nr. 730.

1

Baudaert: Polemographia, 42–44, 70–78; H. GILLIAM: Die Bedeutung des Kölner Krieges für die Stadt Neuss. Neuss 1968; E. WISPLINGHOFF : Gesch. der Stadt Neuss, Bd. 1: Von den mittelalterlichen Anfängen bis zum Jahre 1794. Neuss 1975, 130–140; Neuss u. der Kölner Krieg. Ausstellungskatalog Neuss 1986. Zur zeitgenössischen Reaktion vgl. z. B. Warhafftige Historia von Einnemung der Stad Neuß. O.O. 1586; Gründliche Vnd Warhafftige newe Zeytung/ Von der Belegerung/ vnd erschröcklichen Blutvergiessung/ so zu Neuß geschehen ist. Augsburg 1586; Zwey Neywer Lieder/ das erste von der Statt Graff. Das ander. Von der Belägerung vnd Blutvergiessung/ der Statt Neuß. O.O. (1586). Baudaert: Polemographia, 80–82; M. LOSSEN: Der Kölnische Krieg, II. München/ Leipzig 1897, 628; Neuss u. der Kölner Krieg, 26–29. E. CORNIDIS: Rose, Schwert u. Hut im Päpstlichen Zeremoniell von den Anfängen bis zum Pontifikat Gregors XIII. Diss. Wien 1967. Vgl. Hogenberg: Geschichtsblätter, 39 und Abb. 293. Baudaert: Polemographia, Abb. 187. EP

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IX, 101

F 891 Ort Jahr Bild Text Format

Der spanisch-niederländische Krieg erhielt mit der Intervention Spaniens in Frankreich (b IX, 102) eine entscheidende Wendung. Nach dem Abmarsch eines großen Teils des spanischen Heeres unter Alessandro Farnese (1545–1592) im Juli 1590 nach Frankreich entschlossen sich die Generalstaaten nach mehreren unsystematischen Militäraktionen, in einer groß angelegten Offensive die von Spanien in den achtziger Jahren besetzten Gebiete an der Ijssel-Linie zurückzuerobern. Im Frühjahr und Sommer 1591 nahmen sie Zutphen und Deventer ein. Der inzwischen aus Frankreich zurückgekehrte Farnese versuchte die Offensive IX, 102

F 1053 Ort Jahr Bild Text Verleger Format

Als Nimmegen nuhn lang geplagt [Inc.] 1591 Radierung graviert in 3 Spalten; 12 Knittelverse 21,3 ! 26,8 zu stoppen, indem er Nijmegen entsetzte und die gegenüber der Stadt am rechten Ufer der Waal gelegene Festung Knodsenburg belagerte. Doch seine schlechte körperliche und psychische Verfassung zwang ihn, im August die Region wieder zu verlassen. Diese Situation nutzten die Niederländer zum Vorstoß auf Nijmegen, das nach einer zehntägigen Belagerung am 22. Oktober kapitulierte.1

Weitere Standorte: Andere Fassungen: a)

Hogenberg: Geschichtsblätter, Abb. 319 [Graff Moritz kompt auß Flandern an; datiert 21. octob.]

1

Jacobus Francus: HISTORICAE RELATIONIS CONTINuATIO. Warhafftige Beschreibunge aller […] sachen […] zwischen […] Herbstmeß Anno 1591 vnd […] Fastenmeß […] 1592. O.O. 1592, 23–25; van Meteren: Beschreibung, I, 858 f.; Baudaert: Polemographia, 140–142; H. PIRENNE: Gesch. Belgiens, IV. Gotha 1913, 278; PARKER: Aufstand, 272–275. EP

Die belagerung vor Rouan angefangen am 8 Octob 1591 (Köln) (1592) Radierung graviert in 3 Spalten; 12 Knittelverse (Franz Hogenberg Nachfolger) 21,4 ! 27,5

Die Belagerung von Rouen bildete eine längere Episode in dem Krieg Heinrichs IV. (1553–1610, König seit 1589) gegen die Liga.1 In der Befürchtung, die Kanalküste könnte unter die Kontrolle der Liga und Spaniens geraten, bewog die englische Königin Heinrich IV. zu einem gemeinsamen Feldzug gegen die Stadt. Am 11. November 1591 begann die fünfmonatige Belagerung, die ab Januar 1592 Marschall Armand de Gontaut Baron von Biron (1524–1592) leitete. Während der Belagerung wurden mehrere kleinere Ortschaften in der Umgebung eingenommen, unter anderem die Festung S. Katrina und das strategisch bedeutende Städtchen Coudebec, dessen Lage an der Seine die Versorgung der Kämpfenden mit Proviant und Munition auf dem Wasserweg möglich machte. Trotz der vereinigten Kräfte der englischen und französischen Heere, zu denen im Februar eine niederländische Truppe gestoßen war, gelang es den Angreifern nicht, die Stadt mit Waffen zu er-

obern. Der daraufhin gefasste Beschluss, sie mit Hunger zur Kapitulation zu zwingen, wäre wohl erfolgreich gewesen, wenn nicht am 27. April 1592 der spanische Feldherr Alessandro Farnese (1545– 1592) mit seinem Heer die Stadt entsetzt und die Bewohner mit Nahrungsmitteln versorgt hätte. Die französischen Truppen zogen sich vorübergehend zurück, doch dauerten die Kämpfe um die Stadt und die umliegenden Gebiete noch bis Ende des Jahres.2 Die langwierigen Kriegsoperationen führten zu einem wirtschaftlichen Niedergang der Region. Der vorliegende Stich wurde in die Hogenbergschen ‚Geschichtsblätter‘ aufgenommen.3

IX, 103

F 1038

ABRIS

Ort Jahr Bild Text Format

(Nürnberg) 1596 Radierung von HS (Hans Siebmacher, † 1611)1 graviert in 4 Spalten; Prosa 24,2 ! 30,2

A1

DRuGuLIN II, Nr. 841.

1

H. LLOYD: The Rouen Campaign, 1590–1592. Politics, Warfare and the Early-Modern State. Oxford 1973; PH. BENEDICT: Rouen during the Wars of Religion. Cambridge u. a. 1981, 217–221; BuISSERET: Henry IV, 38–40. Dazu die zeitgenössischen Relationen: Kurtze Warhafftige […] Zeittung/ was sich in Franckreich der mechtigen Statt Roan […] zugetragen. O.O. 1592; Belagerung der Stadt Roan in Normandey […] in gegenwertigem Jenner vnd Hornung dieses lauffenden 1592. Jars. O.O. 1592; Jacobus Francus: HISTORICAE RELATIONIS CONTINuATIO. Warhafftige Beschreibunge aller […] sachen […] zwischen […] Herbstmeß Anno 1591 vnd […] Fastenmeß […] 1592. O.O. 1592, 38–43, 65–70; Jacobus Francus: HISTORICAE RELATIONIS CONTINuATIO. Warhafftige Beschreibunge aller […] sachen […] zwischen […] Fastenmeß/ Anno 1592. vnd […] Herbstmeß. O.O. 1592, fol. 15v-21r. S. auch WELLER: Zeitungen, Nr. 752, 754 f. Hogenberg: Geschichtsblätter, Abb. 74. EP

2

Weitere Standorte: ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig (A 1) 3 Andere Fassungen:

DER

VÖSTVNG HADTWAN. VON

1

Der ‚lange Krieg‘, den die Habsburger in den Jahren 1593–1606 gegen die Türken führten (b IX, 103, 106 f.), bestand vorwiegend aus der wechselseitigen Eroberung einzelner Festungen. So erging es auch der in Oberungarn nordöstlich von Pest an der Zagyva gelegenen Festung Hatvan, die im September 1596 zum wiederholten Mal vorübergehend in die Gewalt der kaiserlichen Truppen kam. Die auf dem Blatt dargestellte Einnahme leiteten als Oberbefehlshaber Erzherzog Maximilian (1558–1618), sein General-Marschall in Ungarn Christoph von Teuffenbach († 1598) und Nikolaus Pàlffy (1552–1600). Nach erfolglosen Versuchen Maximilians, die Festung durch Artilleriebeschuss zu bezwingen, begann erst mit dem Erscheinen Teuffenbachs nach einer zehntägigen Vorbereitungsphase der entscheidende Sturm. Der Wassergraben wurde gefüllt, und der mit Erde befestigte Zaun um die Stadt abgerissen. Die währenddessen unternommenen Ausfälle der Türken brachten auf beiden Seiten viele Verluste. Der eigentliche An210

griff am 3. September dauerte sieben Stunden und endete mit einer völligen Vernichtung der ursprünglich etwa 3000 Mann starken Besatzung.2 Die zeitgenössischen Berichte über die Gräueltaten der kaiserlichen Soldateska, vor allem der Wallonen, bei der Eroberung Hatvans3 sind durchaus vergleichbar mit dem im 16. und 17. Jahrhundert verbreiteten Bild des grausamen und unmenschlichen türkischen Soldaten.4

3

Weitere Standorte:

4

ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig (A 1)

Andere Fassungen: A A A A

1 2 3 3

DRuGuLIN II, Nr. 958. ANDRESEN: Peintre-Graveur, II, 310, Nr. 79. NAGLER: Monogrammisten, III, Nr. 1484, 26. HOLLSTEIN: German Engravings 60 (2002), 22 f.

2

DEN

CHRISTEN

BELEGERT

Zu Siebmacher und seinen Drucken vgl. ANDRESEN: Peintre-Graveur, II, 281–420; HOLLSTEIN: German Engravings, Bd. 60⫺62. Einen zeitgenössischen Bericht bringt die ‚Particularische Beschreibung Vom glückseligen Triumff vnd eroberung der Stadt vnd Schloß Hatwan‘. Prag 1596; auch in tschechischer Sprache: Pořádne wypsáníj O Sstiastném a Wijtězném dobytij Mèsta y Zámku Hatwanu. Prag 1596. Weitere Flugschriften verzeichnet GÖLLNER: Tvrcica, Nr. 2221, 2234, 2246, 2254. Gewisse vnd warhaffte Erzehlung Von der Belegerung vnd Eroberung der Festung vnd Schlosses Hattwan […] Gedruckt erst zu Nürnberg 1596 (GÖLLNER: Tvrcica, Nr. 2238); Hatwan in Vngern mit gestürmter Handt gewonnen vnd eingenommen. Nürnberg 1596 (ebd., Nr. 2240). Zum Bild des Türken vgl. W. SCHuLZE: Reich u. Türkengefahr im späten 16. Jh. Studien zu den politischen u. gesellschaftlichen Auswirkungen einer äußeren Bedrohung. München 1978, 52–66; K. VOCELKA: Das Türkenbild des christlichen Abendlandes in der frühen Neuzeit. In: ZÖLLNER/ GuTKAS: Österreich, 20–31; M. SCHILLING: Aspekte des Türkenbildes in Literatur u. Publizistik der frühen Neuzeit. In: HARMS/ SCHILLING: Flugblatt der frühen Neuzeit, 227–244. EP

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IX, 104

F 1036

Ort Jahr Bild Text Format Zustand

Das Blatt informiert über den Kampf um die von den Türken besetzte Festung Gran (Esztergom, lat. Strigonium) in Ungarn im September 1595. Die Graphik gibt aus der Vogelperspektive eine Ansicht über das christliche Lager auf die Festung Gran. Die Darstellung bildet simultan verschiedene militärische Episoden der fast drei Monate dauernden Belagerung ab. Die vom unteren linken Rand des Bildes nach oben verlaufende Flusslinie der Donau führt den Blick des Betrachters zur Festung Gran in der oberen Bildmitte. Auf dem Fluss sind einige Schiffe mit Soldaten und zwei Schiffsbrücken zu sehen. Im Bildvordergrund befindet sich das Lager der Christen: des Oberkommandanten Karl von Mansfeld (1543–1595) und der Hilfstruppen aus Ungarn, Böhmen, Schweden, den spanischen Niederlanden und dem Reich. Das Lager ist rechts verschanzt und mit Geschützen ausgestattet. Vor den Toren der im Juli eroberten Alt oder Ratzenstat am rechten mittleren Bildrand findet die siegreiche Schlacht vom 4. August gegen den Pascha von Raab (Györ) statt, der Gran zu entsetzen versuchte (b IX, 105). Weitere Kämpfe werden rings um Gran geführt: Rechts wird am 13. August der S. Thomas Berg eingenommen und gleichzeitig zu Füßen der Festung die New oder Wasserstatt erobert; links am gegenüberliegenden Ufer wird das am 14. Juli eingenommene Gockern (Párkány?) gestürmt. Die auf der Insel vor der Festung und im Lager der mährisch-österreichischen Truppen am linken Donau-Ufer aufgestellten Geschütze unterstützen den Angriff. Über der Kampfszene hängen von der oberen Schrifttafel eine Mitra mit Inful und ein Krummstab als Symbole des umkämpften Bischofssitzes. Die lateinische Überschrift der Graphik informiert über die am 2. September 1595 erfolgte Übergabe der belagerten Festung. Die deutschen und lateinischen Texte unter dem Bild bringen einige historische Informationen über die Stadt: Sie sei Sitz des ersten christlichen Königs Ungarns Stephan I. des Heiligen (um 975–1038) gewesen, der vor 700. Jahren (um 1000) das Erzbistum Gran gegründet habe. Im Jahre 1543 sei sie vom Sultan Süleyman II. (1494?-1566) eingenommen und in den Jahren 1594 und 1595 von den Christen belagert worden. Der zweisprachige Text über der Graphik nennt neben den Bilderläuterungen auch die Daten der abgebildeten Ereignisse. Der eingravierte Text unten im Bild informiert, dass Custos das Blatt dem Bürgermeister und Stadtsprecher von Augsburg Matthias Thalmann (1552– nach 1595) gewidmet hat. Die Einnahme von Gran am 3. September 1595 bildete einen Höhepunkt im Krieg des Kaisers gegen die Osmanen (b IX, 103, 106 f.). Ein früherer Versuch im Vorjahr, die von den Türken besetzte 214

STRIGONIVM

A CAESARIANIS OBSESSVM ANNO CHR. M.D.XCV.

(Augsburg) 1595 Kupferstich von Dominicus Custos (nach 1550–1612)1 Typendruck in 2 Spalten über und unter dem Bild; Prosa Druckspiegel s. Zustand; 40,7 ! 35,1 Text und Graphik zusammengeklebt: Der oben angeklebte Textteil befand sich ursprünglich am Fuß des Blattes und ist seitlich beschnitten; die letzte Zeile der beiden Spalten ist überklebt. Die Graphik ist oben beschnitten. Vermutlich fehlt ein größerer Textteil (s. u.).

die Türcken (ob sie sich gleich wol starck gewehret) in die flucht sich begeben/ ist also ermeldtes Städtlin erobert worden.

Festung zurückzuerobern, scheiterte an der unprofessionellen Führung der Aktion durch den Erzherzog Matthias (1557–1619).2 Nach dieser Niederlage ernannte Rudolf II. (1552–1612, Kaiser seit 1576) den von den Zeitgenossen hoch geschätzten Karl von Mansfeld, der zu diesem Zeitpunkt als General und Admiral der Krone Spaniens in den Niederlanden tätig war und der wallonische und niederländische Soldaten mitbrachte, zum Oberbefehlshaber des Heeres in Ungarn.3 In seinem Feldzug gegen Gran unterstützten ihn mehrere internationale Hilfstruppen, die von erfahrenen Feldherren geführt wurden,4 u. a. von Baron Ferenc Nádasdy (1555–1604), Nikolaus Freiherrn Pálffy (1552–1600), Adolph Freiherrn von Schwarzenberg (1547–1600), vom General der kaiserlichen Artillerie Don Giovanni de’ Medici (1565–1621) und vom Kommandanten der päpstlichen Truppen Gian Francesco Aldobrandini (1545–1602). Die Operation fing an mit der Eroberung der Ratzenstadt am 2. Juli und endete mit der Kapitulation der Festungsbesatzung am 3. September; die Verhandlungen über die Übergabe der Festung führte Erzherzog Matthias in Anwesenheit einiger Feldherren und des Hofkriegsratspräsidenten Graf David Ungnad († 1600). Die Festung wurde in mehreren Schritten erobert; zu den erfolgreichsten Ereignissen der Aktion gehörte der Kampf mit einem 15000 Mann starken türkischen Heer, das Anfang August die Stadt zu entsetzen versuchte (b IX, 105). Der Tod Mansfelds am 24. August hatte zwar die laufende Operation nicht gefährdet, verhinderte aber bis auf die Eroberung von Visegrád weitere Erfolge der kaiserlichen Seite. Der Vergleich des vorliegenden Blattes mit der Fassung a lässt vermuten, dass es unvollständig überliefert ist. Das fehlende Fragment, das sich zwischen dem Text unter der Graphik und den oben angeklebten Erläuterungen befand, lautet nach der Fassung a: WJe vnd welcher gestalt aber das Königliche Schloß vnd Vestung Gran/ durch die Christen den Türcken widerumm abgetrungen worden/ wird solches erkleret wie volgt. Erstlich/ nach dem der Durchleuchtig Hochgeborn Fürst vnd Herr/ Ertzhertzog Matthias zu Oesterreich als Obrister Feldkriegsherr/ im Jar 1594. für die Vestung Gran sich gelegt/ dieselbige starck beschossen vnd gestürmet/ aber doch vnerobert auß namhafften vrsachen wider dauon abgezogen/ jedoch hat sich Anno 95. Graf Carl von Manßfeld/ als Feldobrister/ widerumb für die Vestung Gran begeben/ den ersten Tag Julij dauor ankommen/ vnd gleich den andern Tag die Alte oder Ratzenstadt/ wie auch das Blochhauß auff S. Thomas Berg/ ohne widerstand der Türcken (welche darauß geflohen) an sich gebracht. Vnnd als hernacher der Wasserstadt mit stürmen/ abbrennung der Blancken/ Fewrwerffung vnd anderm/ kein abbrechung geschehen mögen/ hat wolermeldter Graf den Herren Nicolaum Balfy mit seinem Volck für das Sätdtlein [!] Gockern abgeordnet/ der alsbald die Schantzen verfertiget/ das Castell mit Lauffgräben vmbringt/ den Wassergraben mit Erden außgefült/ vnd den 24. Tag Julij/ neben vil Fewrwerffung den Sturm anlauffen lassen/ durch welches

Den 4. Tag Augusti hat sich das Türckische Heer in die 15000. starck sich vnderstanden die Vestung Gran zu entsetzen/ vnd die vnsern auß dem Feld zu schlagen/ wie sie sich dann in vier hauffen getheilet/ aber durch beystand Gottes des Allmächtigen/ vnd durch fürsichtige anordnung mehrernandtes Grafens von Manßfeld geschlagen/ vnd in die Flucht gebracht/ haben nun nach solcher der Türcken Niderlag/ Jre Fürstliche Gna. den Herrn Balfy zu des Schloß Mawren abgeordnet/ vnd mit den Türcken vmb auffgebung desselbigen gehandelt/ aber nichts erhalten. Bald nach disem/ vnnd sonderlich als auf den 13. Tag Augusti/ Graf Carl von Manßfeld zu Gomora mit todt abgangen/ haben Herr Balfy vnd Don Jouan di Medici einen Sturm auff das Wasserstättlein gethan/ vnd erobert/ vnnd bald darauff den 29. Tag Augusti die Vestung an zweyen orten mit Sturm angelauffen/ aber von wegen des Fewr vnd Steinwerffens durch die Türcken nicht bestehen mögen. Den 31. Aug. ist ein grosses stück Geschütz in die Schantz Gockern gebracht worden (so man ein Singerin nennet) auß welchem man so grossen schaden gethan/ daß es die Türcken bewegt stillstand zu begeren/ welches jnen keines wegs bewilligt/ sonder starck vnder sie geschossen worden/ jedoch haben die Türcken so starck vmb Barmhertzigkeit vnd mit jnen Sprach zu halten angelanget/ also daß Jhr Fürstli. Durchl. Ertzhertzog Matthias selbst in das Wasserstätdtlein [!] geritten/ vnd mit den Türcken deren 9. herauß gewesen/ in beyseyn des Herren Balfy/ Herrn Nadasti/ vnd Herrn Vngaden/ von allen Artickel gehandelt. Auff welches der Türcken starckes begeren/ jnen auß gnaden so vil bewilligt worden/ daß sie mit jren Seyten Wehren/ vnd was ein jeder auff dem Rucken tragen könde/ sampt Weyb vnd Kindern auß der Vestung abzihen mögen. Alle andere sachen/ als Roß/ Munition/ Prouiant/ vnd was sie sonst haben/ sol alles in der Vestung bleiben/ wie auch die gefangne Christen herauß zu antworten/ seyn also biß in 1700. Wehrhaffter Türcken 900. Weyb vnd Kinder/ sampt 500. Krancke herauß gezogen vnd die Vestung den Christen wider eingeraumbt worden. Dem Allmächtigen Gott sey lob ehr vnd danck gesagt/ der verleyhe seiner geliebten Christenheit Sig vnd Abbruch gegen disem Erbfeind. Amen.

Weitere Standorte:

Andere Fassungen: a)

Wolfenbüttel, HAB: Dep.4.9 FM 2 [links unten in der Graphik in einem Rahmen ein eingravierter Text in Prosa]

1

HOLLSTEIN: German Engravings, VI, 179–183; S. APPuHN-RADTKE: Augsburger Buchillustration im 17. Jh. In: GIER/ JANOTA: Buchdruck, 735–790, hier 736–750. E. CSuDAY: Die Gesch. der Ungarn. Wien 1898, II, 73. Vgl. etwa Georg Scherer: Teutsche Oration Von den löblichen Thaten/ vnd Heroischen Tugenden […] Herrn Carls/ Fürsten vnd Graffen zu Manßfeldt. Neiße 1595; Nicolaus Gablmann: MANSFELDIANA MILITIA HVNGARA. Frankfurt a. M. 1597. Zur Teilnahme der europäischen Staaten am Krieg vgl. NIEDERKORN: Mächte. EP

2 3

4

215

IX, 105

F 1035 Ort Jahr Bild Text Format

IX, 106

F 526 Ort Jahr Bild Text Format

WARHAFTE CONTAFEHVNG [!]

DER

VESTVNG GRAN

(Nürnberg) 1595 Radierung von HS (Hans Siebmacher, † 1611)1 von 2 Platten, nach einer Zeichnung von Adolf Lautensack (um 1561–1600)2 graviert in 8 Spalten, Prosa; Typendruck in 2 Spalten, Prosa 39,3 ! 66,0; 26,5 ! 66,0 Weitere Standorte:

Andere Fassungen:

Bamberg (A 1); Berlin, KK: 802–10; Bremen, Kunsthalle, KK (A 2); Nürnberg, GNM (A 2); Wolfegg, KK (A 2); ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig (A 3); ehem. Antiquariat Meuschel, Bad Honnef (A 4)

1

WARHAFTE CONTRAFACTVR

DER

Zu Siebmacher und seinen Drucken vgl. ANDRESEN: Peintre-Graveur, II, 281–420; HOLLSTEIN: German Engravings, Bd. 60⫺62. Zu Lautensack s. ANDRESEN: Peintre-Graveur, II, 56– 61; HOLLSTEIN: German Engravings 21 (1978), 41–43.

2

VESTVNG GRAN

(Nürnberg) 1595 Radierung von HS (Hans Siebmacher, † 1611) graviert in 4 Spalten; Prosa 26,2 ! 32,3 Weitere Standorte:

Andere Fassungen:

Nürnberg, GNM (A 5); Wolfegg, KK (A 5); ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig (A 6)

IX, 107

F 1040

ABRIS

Ort Jahr Bild Text Format

(Nürnberg) 1595 Radierung von HS (Hans Siebmacher, † 1611) graviert in 5 Spalten; 20 Knittelverse 25,5 ! 31,8

VND KVRCZE

BESCHREIBVNG

Weitere Standorte:

Die als ‚langer Türkenkrieg‘ bezeichnete militärische Auseinandersetzung zwischen Habsburgern und Osmanen dauerte von 1592 bis 1606.1 Am Konflikt beteiligten sich auf der kaiserlichen Seite das Reich und die Länder der Habsburger, der Heilige Stuhl und einige italienische Territorien sowie seit 1595 Siebenbürgen. Trotz des europaweiten Engagements, sei es durch Subsidien, sei es durch Hilfskontingente, verlief der Krieg ohne spektakuläre Ereignisse, die ihm eine nennenswerte Wende hätten verleihen können. In zahlreichen Feldzügen, die das Land verwüsteten, beschränkte man sich darauf, Burgen und Festungen einzunehmen und wieder zu verlieren. Zu den wenigen für die Christen bedeutenden Siegen gehörte die Eroberung der Festung Gran im September 1595 (b IX, 104). Die Medien verfolgten den Kampf mit besonderer Aufmerksamkeit und schilderten in einer Reihe von Flugschriften und -blättern die einzelnen Etappen der zweimonatigen Belagerung.2 Die vorliegenden Stiche von Siebmacher bilden einen Typus der Illustration von zeitgenössischen historischen Ereignissen, der vielseitig verwendet werden konnte: als selbständiges Blatt, als Bestandteil eines graphischen Zyklus wie die Hogenbergschen ‚Geschichtsblätter‘,3 mit Zugabe eines kommentierenden Textes in Typendruck als illustriertes Flugblatt oder als Beigabe zu einer Flugschrift. Eine eigene Gattung des publizistischen Schrifttums, für das solche Graphiken zum Teil gleichfalls gestochen wurden, bildete eine den halbjährlichen Zeitungen oder Messrelationen verwandte, meistens um einen historischen Ausblick erweiterte Chronik, die die zeitgenössi216

schen politischen Ereignisse zusammenfasste; den bekanntesten Vertreter dieser Publikationsform bildet das ‚Theatrum Europaeum‘. In Zusammenarbeit von Stecher und Textverfasser entstanden thematisch ausgerichtete Chroniken wie ‚De Leone Belgico‘ von Michael Aitzinger (um 1530–1598), die ‚Niederländischen Geschichten‘ von Emanuel van Meteren (1535–1612), die ‚Mauriciados‘ von Caspar Enß († nach 1612) oder später die ‚Arma Suecica‘ von Johann Philipp Abelin (1600–1634).4 Die bekannteste und mehrfach in erweiterter Form neu aufgelegte Chronik über die Türkenkriege schrieb Hieronymus Ortelius (1543–1616): Seine ‚Chronologia‘ wurde von Siebmacher in Auftrag gegeben, verlegt und mit dessen Kupferstichen versehen.5 Das Werk enthält unter zahlreichen Schlachtendarstellungen auch ein Bild von der Eroberung Grans, das sich eng an das Blatt b IX, 105 anlehnt.6 Während das Blatt b IX, 106 einen allgemeinen Überblick über die Lage der Festung und der einzelnen umkämpften Objekte vermittelt, ohne eine bestimmte Aktion besonders zu akzentuieren, heben die beiden anderen Blätter zwei verschiedene Episoden des Kampfes hervor. Die Wahl des Großfolio-Formats in Verbindung mit der Vogelperspektive für die Schilderung des Sieges im August (b IX, 105) erlaubte nicht nur, die Schlacht detailliert in einem breiten Panorama zu veranschaulichen, sondern verlieh der Darstellung auch repräsentativen Charakter und betonte dadurch den Erfolg der Christen. Das Blatt b IX, 107 dagegen konzentriert sich auf den Auszug der Türken aus der Festung und die Verschiffung, wäh-

DER

AVFGEBVNG GRAN.

Andere Fassungen: a)

Wien, Albertina1 [Text im Typendruck: NAch dem Jhr Fürst. Durchl. Ertzhertzog Matthias]

1

K. VOCELKA: Rudolf II. u. seine Zeit. Wien u. a. 1985, 184 f.

rend die anderen topographischen Einzelheiten eher als Staffage dienen. A A A A A A A

1 2 3 4 5 6 7

A8

1 2

3

4 5

6

HOLLSTEIN: German Engravings 21 (1978), 42. HOLLSTEIN: German Engravings 60 (2002), 12 f. DRuGuLIN II, Nr. 920. Antiquariat Meuschel, Nr. 162. HOLLSTEIN: German Engravings 60 (2002), 10 f. DRuGuLIN II, Nr. 923. NAGLER: Monogrammisten, III, Nr. 1484, 16 (zu IX, 105); III, Nr. 1484,18 (zu IX, 106); Nr. 1484,17 (zu IX, 107). ANDRESEN: Peintre-Graveur, II, 57, Nr. 1 und 308 f., Nr. 76 (zu IX, 105); 309 f., Nr. 77 (zu IX, 106); 310, Nr. 78 (zu IX, 107). NIEDERKORN: Mächte. Eine Reihe von zeitgenössischen Flugschriften verzeichnet GÖLLNER: Tvrcica, Nr. 2076, 2082, 2084, 2090⫺2092, 2096 f., 2106 f., 2111 f., 2114 f., 2118, 2147, 2151, 2154a, 2159 f., 2162, 2169, 2172 f.; s. auch WELLER: Zeitungen, Nr. 801, 803 f.; Hogenberg: Geschichtsblätter, Nr. 335. Für eine spätere Dokumentation des Türkenkrieges in Kupferstichen vgl. den Zyklus von Jakob Peeters ‚KORTE BESHREYVINGHE, ENDE AEN-WYSINGHE DER PLAETSEN IN DESEN BOECK‘. Antwerpen o.J. Zu dem Typus vgl. F. HELLWIG: Einleitung zu: Hogenberg: Geschichtsblätter, 27–29. CHRONOLOGIA Oder Historische beschreibung aller Kriegsemporungen vnd […] Schlachten so in Ober vnd Vnder Vngern auch Sibenbürgen mit dem Türcken von Ao. 1395. biß auff gegenwertige Zeitt gedenckhwürdig geschehen. Nürnberg 1602. Ein ähnliches Geschichtswerk verfasste Johann Adam Lonicer: Historia Chronologica PANNONIAE: Vngarische vnd Siebenbürgische Historia, was sich in denen Landen/ seyt der Sündflut hero/ biß auff jetztregierende Kö. Keys. Mt. Rodulphum II. […] begeben. Frankfurt a. M. 1596. CHRONOLOGIA, zwischen Blatt 87 und 88. EP

217

218

219

IX, 108

F 1063 Ort Jahr Bild Text Verleger Format

Der Übertritt Heinrichs IV. (1553–1610, König seit 1589) zum Katholizismus 1593 bedeutete kein Ende des Konflikts zwischen Frankreich und Spanien, der sich lediglich vom Kampf um den französischen Thron in einen Kampf um die spanische Hegemonie und damit vom Bürgerkrieg in eine internationale politische Auseinandersetzung verwandelte. Bis zum Friedensschluss von Vervins 1598 bildeten die nördlichen Regionen Frankreichs den Schauplatz der Kämpfe.1 Im April 1596 rückten spanische Truppen vor Calais.2 An ihrer Spitze stand Erzherzog Albrecht von Österreich (1559–1621), Kardinal und Erzbischof von Toledo, seit 1596 spanischer Statthalter in Flandern. Die Belagerung, an der sich noch eine deutsche, eine wallonische und eine weitere spanische Kompanie beteiligten, begann am 9. April und wurde, trotz

IX, 109

F 1062 Ort Jahr Bild Text Verleger Format

Nach der Eroberung von Calais (b IX, 108) marschierte Erzherzog Albrecht (1559–1621) auf die weiter südöstlich gelegene Stadt Ardres. Stark befestigt und von 2000 gut ausgerüsteten Soldaten geschützt, auch durch ihre Lage inmitten von Sumpfgebieten schwer zugänglich, schien sie jedem Angriff statthalten zu können. Die Belagerung der Festung vom 7. bis 23. Mai erschöpfte sich in kleinen Scharmützeln und einem Beschuss, der keine größeren Schäden verursachte. Als sich die spanischen Angreifer jedoch am 23. Mai zum Sturm vorbereiteten, entschieden sich die EinIX, 110

F 1064 Ort Jahr Bild Text Verleger Format

Die Eroberung der picardischen Hauptstadt Amiens durch spanische Truppen unter der Führung des Obristen Hernán Tello Portocarrero (Lebensdaten unbekannt) bildete den Höhepunkt im Feldzug der Spanier gegen Heinrich IV. (1553–1610, König seit 1589) im Jahre 1597. Anders als bei sonstigen Stadteinnahmen, denen meistens langwierige Belagerungskämpfe vorausgingen, wurde Amiens mit einem Überraschungsangriff genommen, den das vorliegende Blatt darstellt. Portocarrero hatte mehrere als Bauern verkleidete Soldaten mit einem Heuwagen in die Stadt geschickt, in dem weitere Soldaten versteckt waren. Die Wache ließ sich täuschen und wurde erschlagen; damit war der Weg in die Stadt frei.1 Die Stadt wurde geplündert und ihre Vorstädte und die umliegenden Dörfer in Erwartung eines Entsatzes verbrannt. In der Tat wurde die Festung schon einige Tage später von Truppen des Königs umzingelt und monatelang belagert. Die im August 220

Cales fast ein vnwinbar ort [Inc.] (Köln) 1596 Radierung graviert in 4 Spalten; 16 Knittelverse (Franz Hogenberg Nachfolger) 20,7 ! 26,7 eines versuchten Entsatzes durch 300 englische Schiffe, über eine Woche lang fortgesetzt. Am 17. ist die Stadt ohne schaden/ mordt vnd blinderung eingenommen/ vnd die burger darinnen bey leib vnd gut gelassen worden.3 Am 24. April wurde das Schloss erobert; die 1200 Mann Besatzung sowie alle dorthin geflüchteten Bürger brachte man um, nachdem der Gouverneur der Stadt in der Hoffnung auf Entsatz das Schloss nicht hatte übergeben wollen.4 Der vorliegende Stich wurde in die Hogenbergschen ‚Geschichtsblätter‘ aufgenommen und in Aitzingers (um 1530–1598) ‚Leo Belgicus‘ abgedruckt.5

Weitere Standorte:

Andere Fassungen: a)

ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig6 [in der Graphik Cales statt Calais]

A1

DRuGuLIN II, Nr. 940.

1 2

BuISSERET: Henry IV, 58–62. A. DERVILLE/ A. VION (Hgg.): Histoire de Calais. Dunkerque 1985, 96 f. Newe Zeittung. Welcher massen die alte vnd veste Stat/ Schloß vnd Port/ Cales […] erobert […] worden. Augsburg (1596); Abb. bei STRAuSS II, 496. Newe Zeittung. Vgl. auch Conrad Löw: Kurtzer Begriff Was […] Albrecht/ Ertzhertzog zu Oesterreich […] im Niderlandt außgericht hat. Nemmlich mit der statt vnd Schloß Cales/ Ardres/ vnd Hülst […]. Köln 1596. Hogenberg: Geschichtsblätter, 34 und Abb. 94. DRuGuLIN II, Nr. 939. EP

3

4

5 6

ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig (A 1)

Ardres Wol Vershen, starck gebawt [Inc.] (Köln) 1596 Radierung graviert in 2 Spalten; 8 Knittelverse (Franz Hogenberg Nachfolger) 20,9 ! 26,3 wohner, die Stadt zu übergeben, in der Hoffnung, geschont zu werden und Plünderung und Tod vermeiden zu können.1 Der vorliegende Stich wurde in die Hogenbergschen ‚Geschichtsblätter‘ aufgenommen und erneut in Aitzingers (um 1530–1598) ‚Leo Belgicus‘ abgedruckt.2

Weitere Standorte: ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig (A 1) Andere Fassungen: A1

DRuGuLIN II, Nr. 944.

1

Conrad Löw: Kurtzer Begriff Was […] Albrecht/ Ertzhertzog zu Oesterreich […] im Niderlandt außgericht hat. Nemmlich mit der statt vnd Schloß Cales/ Ardres/ vnd Hülst […]. Köln 1596. Hogenberg: Geschichtsblätter, 34 und Abb. 96. EP

2

AMIENS durch anschlag der Hispanischen kriegsleutt (Köln) 1597 Radierung graviert in 4 Spalten; 8 deutsche Knittelverse; 8 französische vers communs (Franz Hogenberg Nachfolger) 19,0 ! 26,5 und September unternommenen Versuche der Spanier unter den Feldherren Karl von Mansfeld (1543–1595) und Karl Bonaventura de Bucquoy (1571–1621), den Belagerten zu Hilfe zu kommen, scheiterten. Am 24. September erfolgte die Kapitulation der spanischen Besatzung.2 Die Eroberung von Amiens war der letzte ⫺ und völlig wertlose ⫺ Sieg Spaniens in Frankreich; der bankrotte Philipp II. (1527–1598, König seit 1556) konnte keine weiteren militärischen Operationen finanzieren. Die Zeitgenossen würdigten den Kampf um Amiens als Beispiel moderner Kriegsführung:

neut in Michael Aitzingers (um 1530–1598) ‚Leo Belgicus‘ und Caspar Enß’ († nach 1612) ‚Mauriciados‘ abgedruckt.4 Weitere Standorte: Andere Fassungen: 1 2

Die belägerung ist gar fürnehm gewesen/ vnd keine kunst in erfindung newer Instrumenten/ vndergrabungen vnnd andern vnderlassen/ vnd das beyderseits/ also/ daß es allenthalben ein berümbte belägerung gewesen.3

Der vorliegende Stich wurde in die Hogenbergschen ‚Geschichtsblätter‘ aufgenommen und er-

3 4

van Meteren: Beschreibung, I, 980–282. M. RIVOIRE: Précis historique de la surprise d’Amiens par les Espagnols, le 11 mars 1597; et de la reprise par Henri IV, le 25 septembre suivant: précédé d’un coup d’oeil militaire sur le département de la Somme. Amiens 1806. BuISSERET: Henry IV, 65–68. Zur Reaktion der zeitgenössischen Publizistik vgl. Zeittung von Amiens. Warhaffte vnnd eygentliche verzeichnuß/ welcher massen Heinrich/ der Vierdte […] die Statt Amiens ernstlich vnd streng belägert. O.O. 1597; zwei weitere Flugschriften bei HOHENEMSER: Nr. 1612 und 1779. van Meteren: Beschreibung, I, 282. Hogenberg: Geschichtsblätter, 34 und Abb. 98. EP

221

222

223

IX, 111

F 1079 Ort Jahr Bild Text Verleger Format

Die Schencken Schantz ein fäster ordt [Inc.] (Köln) (1599) Radierung graviert in 2 Spalten; 8 Knittelverse (Franz Hogenberg Nachfolger) 20,0 ! 27,8

Nach dem Friedensschluss mit Frankreich (am 2. Mai 1598) und einem Abkommen mit seinen Bankiers, das ihn vorläufig von finanziellen Schwierigkeiten befreite, wandte sich Philipp II. (1527–1598, König seit 1556) kurz vor seinem Tode mit erneuter Kraft gegen die aufständischen Niederlande. In der ersten Etappe der Kampfhandlungen wurden einige strategisch wichtige Rheinübergänge im Herzogtum Kleve erobert. Von hier aus startete sein Nachfolger Philipp III. (1578–1621, König seit 1598) seine militärische Offensive gegen Moritz von Oranien (1567–1625). Am 19. April 1599 wurden spanische Truppen unter dem Kardinal Andreas von Österreich (1558– 1600) und dem Admiral von Aragonien Francisco de Mendoza († 1623)1 bei Kleve und Emmerich gesammelt, und eine die beiden Gebiete verbindende Schiffsbrücke über den Rhein wurde gebaut. Am 28. Mai täuschten die Spanier eine Bereitschaft zum Angriff auf die durch Soldaten Moritz von Oraniens besetzte Schenkenschanze vor, auf einer Insel an der Rhein-Waal-Gabelung gelegen, die Martin Schenck (um 1540–1589) 1586 während des Kölner Krieges (b IX, 99) ins stärks-

te niederländische Grenzfort verwandelt hatte.2 Laut zeitgenössischen Quellen ließ sich der Oranier nicht irreführen, befahl aber trotzdem mit den Befestigungen der Insel fortzufahren, um in der Zukunft seine militärischen Kräfte in dieser Region nicht bemühen zu müssen.3 In der Tat beschränkte sich der Angriff der Spanier auf die Beschießung der niederländischen Schiffe, und am 1. Mai zogen die meisten spanischen Regimente in Richtung Zeltbommel ab (b IX, 112). Erst 1635/ 36 kam die Festung vorübergehend in spanische Hand. Der vorliegende Stich wurde in die Hogenbergschen ‚Geschichtsblätter‘ aufgenommen und erneut in Caspar Enß’ († nach 1612) ‚Mauriciados‘ abgedruckt4 sowie für Baudaerts (1565–1640) ‚Polemographia‘ nachgestochen.5

IX, 112

Bommel ein stat starck in Gellerlandt

F 378 Ort Jahr Bild Text Verleger Format Zustand

Nach einem misslungenen Versuch der von der Schenkenschanze abziehenden spanischen Truppen (b IX, 111), über die Waal auf den Tielerwaard im Gelderland zu gelangen, befahl Francisco de Mendoza († 1623) die Belagerung der auf dem Bommelwaard gelegenen Festung Zeltbommel und legte sich mit 12.000 Fußsoldaten und mehreren Fähnlein Reiter vor die Stadt. Der Anfang Mai angekommene Moritz von Oranien (1567–1625) ließ die Stadt zusätzlich befestigen und konnte sie erfolgreich verteidigen. Ein siegreicher Angriff der vereinten niederländischen, schottischen, englischen, friesischen und schweizerischen Regimente auf das spanische Lager am IX, 113

F 421 Ort Jahr Bild Text Format

Unter einer Vielzahl von Blättern, die die erfolglose Belagerung Zeltbommels durch spanische Truppen zum Thema haben (b IX, 112),1 fällt das vorliegende Flugblatt durch den Versuch auf, das Ereignis zu literarisieren. Die Graphik zeigt eine Karte des Gebietes zwischen Waal und Maas von der Schenkenschanze im Osten bis zum Bommelerwaard im Westen. Oben stehen drei Figuren: In der Mitte ein Spanier erschrocken und neben ihm die Personifikationen, die ihm den Schrecken einjagen. Links schenkt die Schenckenschantz (b IX, 111) aus einem Krug Waffen in einen Pokal, und rechts rührt der Bommeler eine Trommel, aus der kleine Kanonenrohre feuern. Der Textautor vergleicht den spanischen Befehlshaber Francisco de Mendoza († 1623) mit einem hungrigen Wolf und begründet das mit Mordt vnd Rauberey, welche die Spanier zuvor in Kleve und Westfalen verübt hätten. Auf dem Bommelerwaard 224

Andere Fassungen: a)

b)

A1 A2 A3

MuLLER I, Nr. 1091. 1010. DRuGuLIN II, Nr. 1016.

1

A. RODRIGuEZ VILLA: Don Francisco de Mendoza, almirante de Aragón. Madrid 1899. Vgl. G. PARKER: The Army of Flanders and the Spanish Road 1567–1657. The Logistics of Spanish Victory and Defeat in the Low Countries’ Wars. Cambridge 1972, 17. van Meteren: Beschreibung, II, 41; Baudaert: Polemographia, 227–229; AREND: Geschiedenis, III, Teil 2, 116. Hogenberg: Geschichtsblätter, 40 und Abb. 347. Abb. 237. DRuGuLIN II, Nr. 1015. MuLLER IV, Nr. 1091 A. VAN RIJN I, Nr. 1011. EP

2

3

Weitere Standorte: Amsterdam, RM (A 1); Rotterdam, SvS (A 2); ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig (A 3)

ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig6 [die letzte Zeile: Kanstu ihm Text weitter Verstan; Radierung von G. Keller] Den Haag, Koninkl. Bibl.7; Rotterdam, SvS8 [niederländischer Text, niederländische Inschriften im Bild]

4 5 6 7 8

VAN RIJN I, Nr.

(Köln) 1599 Radierung graviert in 2 Spalten; 8 Knittelverse (Franz Hogenberg Nachfolger) 21,9 ! 27,8 Eintrag von alter Hand in der Graphik: Belägert aber nicht erobert Ao 1599. 3. Juni beendete die Belagerung. Allein die zusätzlichen Kosten für Schiffe, Pferde, Wagen, Artillerie und Unterhalt der Befehlshaber, die die Staaten zur Erhaltung der Festung aufbrachten, beliefen sich auf 1,2 Millionen Gulden.1 Begünstigt wurde der Sieg durch die Meuterei der spanischen Soldaten wegen ausbleibender Besoldung. Alle im Feldzug 1599 eroberten Städte wurden von den meuternden spanischen Besatzungen an die Niederländer verkauft.2 Der vorliegende Stich wurde in die Hogenbergschen ‚Geschichtsblätter‘ aufgenommen und erneut in Michael Aitzingers (um 1530–1598) ‚Leo Belgicus‘ abgedruckt.3

Weitere Standorte: Andere Fassungen: 1

2 3

van Meteren: Beschreibung, II, 43 f., 52 f. Vgl. auch Baudaert: Polemographia, 230–235, mit einem Stich. Ein weiterer Stich bei HOLLSTEIN: Dutch Etchings 2 (1950), 4. PARKER: Aufstand, 279. Hogenberg: Geschichtsblätter, 40 mit Abb. 351. EP

Gelegenheit des Bommeler Wehrts, vnd der Schenckischen Schanzen. 1599 Radierung Typendruck in 4 Spalten; 64 Knittelverse 25,1 ! 37,9; 16,6 ! 37,9 seien die spanischen Truppen jedoch auf energischen Widerstand gestoßen (Mann […] scherdt/ Den Spanischen ab die gantze Haut). Die Wortspiele Schenkenschanz/einschenken und Bommel/Trommel werden in die beliebte Metaphorik vom Kampf und Krieg als Tanz2 eingefügt: Dem Spanier sei der Trank, den man ihm vor der Schencken Schantz gereicht habe, nicht bekommen, und bei dem anschließenden Tanz auf dem Bommelerwaard seien ihm nur stöß vnd schleg bescherdt worden. Anstatt vom spanischen König Ehr vnd grossen Lohn zu empfangen, müsse der Admirant jetzt damit rechnen, dass man in der Hölle sein Loblied singe und ihm für seine Taten (genannt werden die Ermordung von Wirich VI. von Daun-Falkenstein [um 1542⫺1598] auf Burg Broich und die Eroberung Essens 1598) das Helsch Fewr bereidt sei.

Weitere Standorte: Nürnberg, GNM: 298/1341

Andere Fassungen: a)

b)

1

2 3 4

Hogenberg: Geschichtsblätter, 40 u. Abb. 349 [Inc.: WJe ist der Wolff so böß; niederländische Inschriften in der Graphik] Amsterdam, RM;3 Rotterdam, SvS4 [Titel des Textes: Ein danck vnd Freudenliedt der Niderlenden …] Eine Reihe von Flugblättern verzeichnet MuLLER I, 1092–1104; IV, 1093–1104. Weitere Stiche bei Baudaert: Polemographia, Abb. 238; HOLLSTEIN: Dutch Etchings, II, 4. GRIMM: DWb XXI, 119. MuLLER IV, Nr. 1104 B. VAN RIJN I, Nr. 1013. EP

225

226

227

IX, 114

F 342 Ort Jahr Bild Text Verleger Format

Nach dem Elisa Konigin [Inc.] (Köln) 1603 Radierung graviert in 5 Spalten; 16 Knittelverse (Franz Hogenberg Nachfolger) 20,6 ! 27,3 1

Als Elisabeth I. (1533–1603, Königin seit 1558) am 24. März 1603 kinderlos starb, wurde als der nächste rechtmäßige Erbe für den englischen Thron Jakob VI. König von Schottland (1566– 1625), Sohn der als Staatsverräterin verurteilten und hingerichteten Maria Stuart (1542–1587; b IX, 94), bestimmt.1 Anfang April 1603 kam der König nach London.2 Der traditionelle feierliche Einzug, für den fünf prächtige Triumphbögen entworfen wurden, musste allerdings fast um ein Jahr verschoben werden, da die Stadt gerade von der bisher größten Pestepidemie heimgesucht wurde. Als er dann stattfand,3 übertraf er an Pomp und Pracht die auf den 25. Juli, den St.-Jakobs-Tag, festgelegte Krönungsfeier, die wegen der immer noch wütenden Seuche und der dadurch erzwungenen Vorsichtsmaßnahmen bescheidener als gewöhnlich ausfiel. Statt in einem Festzug durch die Stadt kamen der König und seine Gemahlin Anna

von Dänemark (1574–1619) auf der Themse zum Krönungsort, und den Bürgern wurde verboten, sich um die Kirche und auf dem Weg von und nach Whitehall zu versammeln.4 Die Zeremonie fand in der Westminster Abbey statt, wo sich seit 1066 englische Monarchen krönen ließen, und verlief nach dem alten, im ‚Liber Regalis‘ aus dem 14. Jahrhundert überlieferten Zeremoniell.5 Das Blatt wurde in Hogenbergs ‚Geschichtsblätter‘ aufgenommen.6

IX, 115

Der gantze ACTVS oder CEREMONIEN

F 154 Ort Jahr Bild Text Format

Ein Jahr bevor Graf Friedrich von Mömpelgard (1557–1608) als Friedrich I. 1593 die Regierung des Herzogtums Württemberg antrat, hatte er eine ausgedehnte Europa-Reise gemacht, die ihn u. a. nach England führte und deren Beschreibung 1602, auf seinen Befehl gedruckt, in mehreren Auflagen erschien.1 In England machte er die persönliche Bekanntschaft der Königin Elisabeth I. (1533–1603, Königin seit 1558), die ihm die Verleihung des Hosenbandordens in Aussicht stellte, ein Versprechen, das erst ihr Nachfolger Jakob I. (1566–1625, König seit 1603) einlöste. Die Verleihung des höchsten englischen Ritterordens (The Most Noble Order of the Garter) erhöhte das Prestige des Herzogs, der schon 1596 mit dem ebenso angesehenen französischen St. MichaelsOrden ausgezeichnet worden war.2 Ausdruck dieser Hochschätzung waren nicht nur die feierliche Gestaltung des Verleihungsaktes, sondern auch

IX, 116

F 788 Ort Jahr Bild Text Format

Die Belagerung des Hochseehafens Sluis in Flandern durch Moritz von Oranien (1567–1625) begann Ende Mai 1604 und war ein Teil der über drei Jahre dauernden Kämpfe um das benachbarte Ostende (b IX, 117). Der Angriff auf Sluis sollte die Truppen Ambrosio Spinolas (1569–1630) von Ostende abziehen, um den niederländischen Truppen in der Stadt eine Atempause zu verschaffen. Moritz beabsichtigte, das stark verteidigte Sluis auszuhungern. Nachdem die wiederholten Versuche Spinolas und des Erzherzogs Albrecht von Österreich (1559–1621) misslangen, die Stadt zu 228

2 3

4 5 Weitere Standorte: Coburg, Veste: XIII,303,28 Andere Fassungen: a)

London, BM: 1856.0308.177 [zusätzliche Inschriften im Bild]

6

B. COWARD: The Stuart Age. England 1603–1714. London/ New York 1994, 119–124; H. NENNER: The Right to be King. The Succession to the Crown of England, 1603–1714. Basingstoke u. a. 1995, 55–64. WATANABE-O’KELLY/ SIMON: Festivals, Nr. 2525 f. Vgl. den repräsentativen Folioband: Stephen Harrison/ William Kip: The Arche’s of Triumph. (London 1604). S. auch B. ADAMS: London Illustrated 1604–1851. A Survey and Index of Topographical Books and Their Plates. London 1983, 3–6. Literatur zum Einzug bei R. STRONG: Feste der Renaissance 1450–1650. Kunst als Instrument der Macht. Würzburg 1991, 135. Vgl. Theodor Meurer: RELATIONIS HISTORICAE CONTINVATIO. (Frankfurt a. M.) 1603, 72–74; ADAMS: London, 3. Ordentliche […] Beschreibung/ Welcher gestalt Herr Jacobus der Sechste […] gekrönet. Magdeburg 1603, auch bei Meurer: CONTINVATIO, 119–127; WATANABEO’KELLY/ SIMON: Festivals, Nr. 2524. Vgl. auch P. E. SCHRAMM: A History of the English Coronation. Oxford 1937. Hogenberg: Geschichtsblätter, 41 und Abb. 367. EP

(Köln?) 1603 Radierung/Kupferstich graviert in 4 Spalten; 14 Knittelverse; Typendruck in 3 Spalten; Prosa 31,2 ! 28,9; 21,2 ! 28,4 das Festhalten des Ereignisses in mehreren Publikationen und Porträts des Herzogs mit Ordenszeichen3 sowie die Form der das Fest abbildenden Graphik im vorliegenden Blatt, die bewusst an die Darstellung der Krönung Jakobs I. anknüpft (b IX, 114).

2

3

Weitere Standorte: Andere Fassungen: a)

London, BM: Foreign History Folders,1603 (1924-5-234);4 Stuttgart, Württembergische LB5 [nur Graphik mit graviertem Text und Inschriften im Bild]

A1

PAAS I, P-37

4

1

Erhard Cellius: Warhaffte Beschreibung Zweyer Raisen. Tübingen 1603. S. auch R. UHLAND (Hg.): 900 Jahre Haus Württemberg. Leben u. Leistung für Land u. Volk. Stuttgart u. a. 1984, 740.

5

P. VETTER: Der französische Ritterorden vom Heiligen Michael (1469–1830). Bonn 1979. Zum Hosenbandorden s. W. J. WIPPEL: Die Ritterorden, Erster Theil. Berlin 1817, 54–57. Erhard Cellius: Eques auratus Anglo-Wirtembergicus. Tübingen 1605; Johannes Magirus: Christenliche Predigt Bey dem Actu Solenni. Tübingen 1603; Johann Oettinger: Fürstlicher Würtembergischer Ritterlicher Pomp. Stuttgart 1607; Jakob Frischlin: Beschreibung des k. Ritters S. Georgen […] welchen […] präsentiret hat […] Fridrich Herzog in Wirttemberg (nach UHLAND: Württemberg, 740); s. auch van Meteren: Beschreibung, II, 439. Ein Porträt bei Cellius: Beschreibung, fol.[a4]v; ein Holzschnitt in Stuttgart, WLB (nach NDB V, 594). PAAS I, PA-5; Hogenberg: Geschichtsblätter, 41 und Abb. 369; DRuGuLIN II, 1102. P. SAuER: Gesch. der Stadt Stuttgart, II: Von der Einführung der Reformation bis zum Ende des 17. Jhs. Stuttgart/ Berlin 1993, 46 f. (mit Abb.). EP

Warhafftige vnd eigentliche abbildung des gwaltigen (1604) Radierung Typendruck in 4 Spalten; Prosa 39,0 ! 56,5; 33,2 ! 56,5 entsetzen, entschlossen sich die Bürger von Sluis zu einem Waffenstillstand, der mit einem Vertrag am 19. August besiegelt wurde.1 Die Eroberung von Sluis war der größte militärische Erfolg der Generalstaaten im Feldzug von 1604 und wurde von den Medien entsprechend herausgestellt.2

1 2

Weitere Standorte: 3 Andere Fassungen: a)

erschlossen3 [niederländische Vorlage]

Baudaert: Polemographia, 290–295; van Meteren: Beschreibung, 250–252. Vgl. etwa Samuel Dilbaum: Eroberung Schleuß. Augsburg (1604); Ostendische vnd Sluysische belägerung. O.O. 1604; Gründtliche Erzelung. O.O. 1604; Belägerung der Statt Ostende. IOVRNAL. O.O. 1604/05, hier Teil II. Weitere Flugschriften verzeichnet WuLP: Catalogus, Nr. 1001–1003, 1005 f.; PETIT: Bibliotheek, Nr. 808–810; KNuTTEL: Catalogus, 1-I, Nr. 1269–1276. b IV, 84; PAAS I, P-48; HOLLSTEIN: Dutch Etchings, II, 11, und XXXV, 223. Auf eine niederländische Vorlage lassen die Namensformen und die Beischriften der Windrose schließen. EP

229

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231

IX, 117

F 766 Ort Jahr Bild Text Format Zustand

Die langwierige Belagerung Ostendes durch die Spanier und die Kapitulation am 22. September 1604 haben ein großes Echo in den Niederlanden und in den benachbarten Ländern gefunden (b IV, 82 f., 84a).2 Die Stadt bekam die Beinamen Nova et parva Troja und Kriegs Universiteit und wurde zum Symbol der unerschütterlich kämpfenden Niederlande. Die Belagerung kostete beide Seiten enorme Verluste an Menschen und Material und verwandelte die Stadt in einen Trümmerhaufen. Während die Spanier den Sieg feierten (b IV, 83),3 spielte die niederländische Propaganda seine Bedeutung herunter, indem sie die Fragwürdigkeit eines solchen Gewinns unterstrich und in einer Reihe von Gedenkmünzen und -medaillen die einen Monat früher erfolgte Eroberung

IX, 118

F 316 Ort Jahr Bild Text Drucker Format

Die sog. Pulververschwörung richtete sich gegen Jakob I. von England (1566–1625, König seit 1603) und seine Konfessionspolitik. Die Verschwörer ⫺ ursprünglich 8, dann 13 katholische Adlige ⫺ beabsichtigten den König, seine Familie und das Parlament am 5. November 1605 in die Luft zu sprengen. Der Plan wurde einen Tag vorher aufgedeckt; die Beteiligten wurden verfolgt, gefasst und erschlagen oder später hingerichtet.2

Jn dieser Mappa worden fur den augen (1604) Kupferstich von FLOR. BALT. (Floris Balthasarsz. van Berkenrode; 1562/63–1616)1 nach WOLFF. Typendruck in 8 Spalten und im Bild; Prosa 51,2 ! 56,7; 42,4 ! 55,7 Der Text im Bild ist über ein niederländisch-französisches Schriftfeld geklebt. von Sluis (b IX, 116) als von Gott verliehenen Ausgleich für die Kapitulation Ostendes darstellte.4

Weitere Standorte: 3 Andere Fassungen: a)

1

Amsterdam, RM;5 Den Haag, KB6 [nur die Graphik; ndl. u. frz. Text im Bild] HOLLSTEIN: Dutch Etchings, II, 9; THIEME/ BECKER III, 375 f.

Augsburg (1605) Kupferstich Typendruck in 2 Spalten; lateinische und deutsche Prosa Christoph Mang (um 1567–1617)1 27,6 ! 25,9; 10,3 ! 21,6 Gallery: 10, 334 A; Rotterdam, SvS: 1292 [CONCILIVM …; mit Namen in der Graphik; lat., frz. u. dt. Text]3 London, BM: Engl. Portraits, Guy Fawkes C.X.P.1.;4 Magdeburg, KHM: Gr. 51.1484; Wolfenbüttel, HAB: Xb FM 78; ehem. Antiquariat Meuschel, Bad Honnef5 [CONCILVM SEPTEM …; mit Namen in der Graphik; dt. Text; H.Vllrich: f.] London, BM: Engl. Portraits, Guy Fawkes C.X.P.1.6 [ohne Titel, mit Namen in der Graphik; Inc.: Effigies 7 Proditorum] Berlin, Archiv für Kunst und Geschichte7 [EYGENTLICHE ABBILDVNG WIE ETTLICH ENGLISCHE EDELLEVT; 2. Graphik: Hinrichtungsszene] erschlossen8 [wie Fassung a; Crispijn de Passe de quode]

A2

PAAS I, P-76.

1

RESKE: Buchdrucker, 46; PAISEY: Printers, 170; KÜDokumentation, 1233 f. M. NICHOLLS: Investigating Gunpowder Plot. Manchester 1991; A. FRASER: The Gunpowder Plot. Terror and Faith in 1605. London 1996; B. BuCHANAN: Gunpowder Plots. London 2005; J. TRAVERS: Gunpowder. The Players behind the Plot. Kew 2005. Alle Standorte nach PAAS I, P-75. S. auch Hogenberg: Geschichtsblätter, 41 u. Abb. 382. PAAS I, P-77. Antiquariat Meuschel, Nr. 72. PAAS I, PA-21; HOLLSTEIN: Dutch Etchings, XXXIX, 14 f. E. W. ZEEDEN: Hegemonialkriege u. Glaubenskämpfe 1556–1648. Frankfurt a. M. u. a. 1982, 342 (Abb.). PAAS I, PL-11. EP

SEPTEM

b)

c)

d) Augsburg, SStB: Einblattdrucke nach 1500, Nr.51 (A 1) e)

NAST:

2

3 4 5 6 7

Andere Fassungen: Arnhem, Wetenschappelijke Bibliotheek: Kluis 254, fol.367; Basel, Kunstmuseum; London, National Portrait

IX, 119

4 5 6

F 858 Ort Jahr Bild Text Verleger Format

Thomas Percy (1560–1605) war der aktivste Organisator der sog. Pulververschwörung (b IX, 118).1 Nachdem durch einen Warnbrief an ein Parlamentsmitglied die Verschwörung aufgedeckt worden war, floh Percy aus London. Auf seinen Kopf wurde ein Preis von 4000 £ ausgesetzt. Ein als königliches Edikt veröffentlichter Steckbrief beschrieb ihn als

A1

Welt im Umbruch. Augsburg zwischen Renaissance und Barock. Ausstellungskatalog Augsburg 1980, I, Nr. 293.

8

Thomas Percy in Engelland Eins edlen Gschlechts [Inc.] (Köln) (1605) Kupferstich graviert, drei Schriftfelder in der Graphik; 48 Knittelverse, lateinische Prosa (Franz Hogenberg Nachfolger) 16,9 ! 19,7 Am 8. November wurde Percy durch Regierungssoldaten in seinem Zufluchtsort in Holbeach House an der Grenze zu Staffordshire aufgespürt. Bei dem Versuch, ihn festzunehmen, erlitt er eine Verwundung und starb noch am selben Ort zwei Tage später. Das Blatt wurde in Hogenbergs ‚Geschichtsblätter‘ aufgenommen.3

Andere Fassungen: A1

MuLLER I, Nr. 360.

1

Zu Percy und seiner Teilnahme an der Verschwörung s. Dictionary of National Biography, XLIV. London 1895, 436 f.; F. EDWARDS: Guy Fawkes: the Real Story of the Gunpowder Plot? London 1969; A. FRASER: The Gunpowder Plot. Terror and Faith in 1605. London 1996, 39– 43, 169–173, 183–186 u.ö. Zit. nach: RELATION Oder Kurtz […] Erzehlung der jüngst gegen […] Jacobum den VI. König in groß Britanien […] fürgenommen grewlicher Conspiration. Augsburg 1606, fol. Aiijr. Hogenberg: Geschichtsblätter, 41 u. Abb. 384. EP

2 ein[en] lange[n] Mann/ mit einem langen breiten Bart/ hüpschem Angesicht/ die haar seines haupts vnd Barts mit weissen vermischt/ doch auffm Haupt etwas weisser/ mit den schultern etwas Hockericht/ hat lange Füß vnd schmale Bein.2

232

Newezeitung/ Von Eröberung der Stadt vnd Festung OSTENDE. O.O. 1604; Gründtliche Erzelung wie die Herrn Staden […] O.O. 1604; PALAESTRA OSTENDANA. (Frankfurt a. M.) 1604; Ostendische vnd Sluysische belägerung. O.O. 1604; Belägerung der Statt Ostende. IOVRNAL. O.O. 1604/05 mit 20 Kupferstichen. Mehrere Flugschriften verzeichnen KNuTTEL: Catalogus, 1-I, Nr. 1265, 1268 f., 1277–1282; WuLP: Catalogus, Nr. 1004 f., 1007 f.; PAAS I, P-47. Beschreibung der Belagerung bei Baudaert: Polemographia, 265–274. S. auch ‚Krieg und Frieden‘, 31. Vgl. z. B. Jeremias Pierssenaeus: IN EXPEDITIONEM […] BELGII PRINCIPVM AD OBSIDIONEM OSTENDAE […] ELEGIAE IV. Douai 1605; Aubert Le Mire: GENTIS SPINVLAE ILLVSTRIVM ELOGIA. Antwerpen 1607, Widmung. van Meteren: Beschreibung, II, 260. MuLLER I, Nr. 1205. KNuTTEL: Catalogus, 1-I, Nr. 1238. EP

Consilivm septem nobilivm anglorvm conivrantivm

Weitere Standorte:

a)

2

Weitere Standorte: Amsterdam, RM (A 1); Braunschweig, HAUM: FB VII; Coburg, Veste: XIII,154,337; Wolfenbüttel, HAB: Einbl. Xb FM 98

3

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234

235

IX, 120

F 456 Ort Jahr Bild Text Verleger Format

In Jahre 1605 setzte Ambrosio Spinola (1569– 1630) seine Offensive gegen die Generalstaaten fort, indem er sich auf die schwächste Stelle der niederländischen Grenze in Overijssel konzentrierte. Im Sommer nahm er die wichtigsten Festungen Oldenzaal und Lingen ein, während der kaiserliche Obergeneral Karl von Bucquoy (1571– 1621) Wachtendonck und Krakow bei Krefeld (b IV, 85) in seine Gewalt brachte.1 Das prokatholische Oldenzaal war für eine längere Verteidigung ungünstig gelegen und mit etwa 400 Soldaten schwach besetzt, so dass sich die Besatzung angesichts des Ansturms Spinolas, der mit 15000 IX, 121

F 889 Ort Jahr Bild Text Verleger Format

Ambrosius Spinola wollgemuit Gar woll verzirtt [Inc.] (Köln) 1605 Kupferstich graviert in 4 Spalten; 12 Knittelverse (Franz Hogenberg Nachfolger) 19,0 ! 26,5 Soldaten vor die Stadt gezogen war, gleich nach dem ersten Beschuss am 10. August ergab.2 Das Blatt wurde in Hogenbergs ‚Geschichtsblätter‘ aufgenommen, erneut in Michael Aitzingers (um 1530–1598) ‚Leo Belgicus‘3 abgedruckt und für Baudaerts (1565–1640) ‚Polemographia‘ nachgestochen.4

Weitere Standorte:

Andere Fassungen: A1 A2 A3

MuLLER I, Nr. 1224. RIJN II, Nr. 1174. DRuGuLIN II, Nr. 1127.

1 2

PARKER: Aufstand, 283. Vgl. van Meteren: Beschreibung, II, 331; Baudaert: Polemographia, 302–304; AREND: Geschiedenis, III, Teil 2, 215. Vgl. Hogenberg: Geschichtsblätter, 41 und Abb. 377. Baudaert: Polemographia, Abb.264 (mit lateinischen Versen). EP

3 4

Amsterdam, RM (A 1); Rotterdam, SvS (A 2); ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig (A 3)

Nachdem Spinola Oldenziell Gebracht hatte [Inc.] (Köln) 1605 Kupferstich Typendruck in 4 Spalten; 12 Knittelverse Abraham Hogenberg (nachweisbar 1598–1653) 28,8 ! 29,7; 24,4 ! 29,7

Nach der Einnahme Oldenzaals (b IX, 120) am 10. August 1605 zog Spinola noch am selben Tag nach Lingen, der äußersten Grenzfestung der Niederlande, das schon seit 24 Stunden von seinen Soldaten beschossen wurde. In kurzer Zeit habe er ungestört seine Lauffgräben biß an den Stattgraben gebracht […] das Wasser auß dem Graben geleydt/ den Graben mit Reyß vnnd Erden angefangen zu füllen/ vnd endtlich/ biß an die Spitz eines Bollwercks kommen/ ehe es die belägerte wargenommen.1 Lingens Besatzung zählte etwa 600 wenig erfahrene Soldaten, die sich nach neun Tagen so gut wie ohne Kampf ergaben.

Das Blatt wurde in Hogenbergs ‚Geschichtsblätter‘ aufgenommen und erneut in Michael Aitzingers (um 1530–1598) ‚Leo Belgicus‘ abgedruckt2 sowie für Baudaerts (1565–1640) ‚Polemographia‘ nachgestochen.3

IX, 122

Als GROLL gar seher beschoßen [Inc.]

F 380 Ort Jahr Bild Text Verleger Format Zustand

Groenlo gehörte neben Rheinberg, Oldenzaal und Lingen zu den Festungen, die Moritz von Oranien (1567–1625) während seines spektakulären Feldzugs im Herbst und Winter 1597 im Nordosten Flanderns erobert hatte1 und die in den Jahren 1605/06 von Ambrosio Spinola (1569–1630) zurückerobert wurden.2 Als der spanische Feldherr nach der Übernahme Lochems am 3. August 1606 vor Groenlo erschien, fand er eine mit 1400 Soldaten besetzte Garnison vor. Nach mehreren Tagen mit kleineren Gefechten kam es am 14. August zum entscheidenden Sturm, nachdem Spinola von den Entsatzplänen der Niederländer erfahren hatte. Noch am selben Tag entschloss sich der Gouverneur, die Stadt zu übergeben, um ihre Bevölkerung zu verschonen.3 Trotz hoher Verluste – die Zahl der Toten auf spanischer Seite wurde auf 800–900 Mann geschätzt – war die Eroberung der 236

VAN

A1 A2 A3

MuLLER I, Nr. 1226. VAN RIJN II, Nr. 1176. DRuGuLIN II, Nr. 1129.

1

van Meteren: Beschreibung, II, 331. Zur Einnahme Lingens vgl. Baudaert: Polemographia, 305–307; AREND: Geschiedenis, III, Teil 2, 216. Für weitere Flugblätter zum Ereignis s. HOLLSTEIN: Dutch Etchings, XXXV, 221; MuLLER I u. IV, Nr. 1225; VAN RIJN II, Nr. 1175; DRuGuLIN II, Nr. 1128; PAAS I, P-64. Vgl. Hogenberg: Geschichtsblätter, 41 und Abb. 388. Baudaert: Polemographia, Abb.265 (mit lateinischen Versen). EP

Weitere Standorte: Amsterdam, RM (A 1); Rotterdam, SvS (A 2); ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig (A 3)

2 3

Andere Fassungen:

(Köln) 1606 Kupferstich graviert in 4 Spalten; 12 Knittelverse, 6 lateinische Verse Abraham Hogenberg (nachweisbar 1598–1653) 22,8 ! 29,8 alte Notiz in der Graphik: Vom Spinola erobert 1606. Festung ein glänzender Sieg Spinolas,4 der allerdings keine entscheidende Wende für den Kriegsverlauf brachte. Das Blatt wurde in Hogenbergs ‚Geschichtsblätter‘ aufgenommen5 und für Baudaerts (1565– 1640) ‚Polemographia‘ nachgestochen.6

A2 A3

VAN RIJN II, Nr. 1188. DRuGuLIN II, Nr. 1151.

1

van Meteren: Beschreibung, I, 1011–1015; R. FRuIN: Tien jaren uit de tachtigjarige oorlog 1588–1598. Leiden 1857; J. W. WIJN: Het krijgswezen in den tijd van Prins Maurits. Utrecht 1934. ISRAEL: Republic, 260–267. Zum Verlauf des Feldzugs aus spanischer Sicht vgl. Pompeo Giustiniano: DELLE GVERRE DI FLANDRIA LIBRI VI. Antwerpen 1609. van Meteren: Beschreibung, II, 377 f.; Baudaert: Polemographia, 324 f.; N. J. TOPS: Groll in de zeventiende en achttiende eeuw. Groenlo 1992. Er wurde gefeiert in einem ‚EPINICIVM de receptis Lochumo et Grollia, Vrbibus in Geldria sitis‘. In: Lernutius: EPINICIA, 45–48. Vgl. auch HOLLSTEIN: Dutch Etchings, XXXV, 221; PAAS I, P-81 bis 84. Vgl. Hogenberg: Geschichtsblätter, 41 und Abb. 388. Baudaert: Polemographia, Abb. 272 (mit lateinischen Versen). EP

2

3

Weitere Standorte:

4

Amsterdam, RM (A 1); Rotterdam, SvS (A 2); ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig (A 3)

Andere Fassungen: A1

MuLLER I, Nr. 1237.

5 6

237

238

239

IX, 123

F 717

Ort Jahr Bild Text Format

Das spanienfreundliche Blatt bedient sich der Spinn-Metaphorik, um die militärischen Siege Ambrosio Spinolas (1569–1630) in den Niederlanden darzustellen. Links im Bild sitzt Spinola auf einem Quader und spinnt von einer Kunkel einen aus Pfeilen bestehenden Faden. Auf der Spitze der Kunkel steckt ein Bündel Waffen, das von einer mit REG. HISPAN. (Spansche Reich) überschriebenen Krone zusammengehalten wird. In seiner Tätigkeit wird Spinola von dem Feldherren Karl von Bucquoy (1571–1621) unterstützt.1 Er fasst in der linken Hand eine Haspel, mit der rechten greift er nach dem Haar der über der Gruppe schwebenden Occasio, die ein Messer und einen Stadtprospekt hält. Darüber erscheint ein Band mit der Aufschrift HAC VTAMVR (Lasst uns diese gebrauchen). Die Figurengruppe in der rechten Bildhälfte besteht aus drei Personen: Die beiden über dornige Zweige schreitenden Krieger sind laut dem Text der Fassung c und d als Moritz (1567–1625) und vermutlich sein Vetter Wilhelm Ludwig von Nassau-Oranien (1560–1620) zu identifizieren; die dritte Figur ist durch ihr Doppelgesicht und eine Maske in der Hand als Personifikation der Scheinhaftigkeit (Verstellung) bzw. des Betrugs gekennzeichnet (b IX, 158).2 In die obere rechte Ecke des Hauptbildes ist ein kleineres Bild mit der Darstellung eines Löwen eingeblendet. Er hält in der rechten Vorderpranke ein Waffenbündel, die linke stützt er auf eine befestigte Stadt; aus seinem Rachen schlägt eine Flammenwolke, in der bewaffnete Soldaten schweben. Das Bild ist überschrieben mit dem Satz: QVAE TENEO TVEOR QVAE AMISI SPERO (Was ich habe, schütze ich ⫺ was ich verloren habe, erhoffe ich). Der Kontext, in dem das Löwenbild erscheint, erlaubt, das Tier als Verkörperung der spanischen Niederlande zu identifizieren; es signalisiert die Bereitschaft Spaniens zur Verteidigung der in seinem Besitz befindlichen und zur Rückeroberung der verlorenen Territorien in Europa.3 Die dreisprachigen Texte sind trotz ihrer unterschiedlichen Länge inhaltlich im Wesentlichen identisch. Der deutsche Text legt die metaphorischen Elemente der Graphik aus und ist als Ansprache Spinolas an die Holländer konzipiert. Er setzt sich mit der Bezeichnung ‚spinnen‘ auseinander, die in der zeitgenössischen Publizistik für politisch-militärische Aktivitäten des spanischen Feldherrn benutzt wurde (b IV, 109; IX, 147) und versucht die ihm anhaftende pejorative Bedeutung ins Positive umzudeuten. Das Waffen-Spinnen wird als Wille Fortunas und als der erfolgreiche Kampf Spaniens gegen die nördlichen Niederlande zum Schutz des Goldenen Vlieses ausgelegt, womit die Ehre Spaniens gemeint ist, zugleich aber auf den Orden vom Goldenen Vlies, dessen Ritter Spinola und Bucquoy waren, angespielt wird. Das Element des Weiblichen an der Tätigkeit des Spinnens, das den Kern des Spottes gegen 240

In Serenissimi atqve Illvstrissimi Ambrosii Spinolae […] honorem

(1607) Kupferstich Typendruck in 3 Spalten; 8 lateinische Distichen, 34 deutsche Knittelverse, 54 französische Alexandriner 49,3 ! 33,4; 26,2 ! 33,4

Spinola bildete,4 versieht er durch den Vergleich mit Hercules mit positiven Konnotationen.5 Auch der unter Verzicht auf alle Annehmlichkeiten des Lebens geleistete Kriegsdienst des Generals solle ihm gegen seine Spötter zur Ehre gereichen. Die zuerst defensive Haltung des Sprechers schlägt dann in einen ironischen Angriff um, als er auf die Dornen zeigt, die er seinen politisch-konfessionellen Gegnern mit seinen militärischen Erfolgen auf den Weg gestreut habe ⫺ erwähnt wird die Eroberung von Groenlo (bey Groll) am 14. August 1606 (b IX, 122). Damit wird eine weitere bildliche Umformung des Namens Spinola vorgenommen, indem die etymologische Nähe des Namens zu lateinisch ‚spina‘ (Dorn) genutzt wurde (b IV, 83).6 Dem Vorwurf, der falschen Religion anzuhängen, folgt die Aufforderung an die Niederländer, zum richtigen Glauben zurückzukehren. Diese Mahnung wird in die biblische Metapher vom Fels (Stein) des Glaubens gekleidet und in der Graphik als Quader dargestellt, auf dem Spinola sitzt.7 Der französische Text erklärt die Allegorie des Felsens mit dem Hinweis auf Mt 16 und Joh 21. Die lateinische Strophe bildet eine Art Zusammenfassung des dargestellten Inhalts, während der französische Text durch längere Ausformulierung manche Passagen verständlicher als die deutsche Version macht. Deutlicher und umfangreicher sind hier auch die konfessionell-polemischen Argumente ausgeführt. Im Verlauf des spanisch-niederländischen Krieges spielte Spinola seit 1602 eine entscheidende Rolle. Er bot seine Dienste an, als die spanische Regierung die Truppen in Holland nicht mehr unterhalten konnte und die jahrelang dauernden Meutereien finanziell nicht mehr zu tragen waren.8 Die Eroberung Ostendes 1604 (b IX, 117; IV, 82 f., 84a) brachte ihm das Oberkommando über die Flandern-Armee. Seine siegreichen Feldzüge in den anschließenden Jahren trugen erheblich dazu bei, dass sich die Niederlande bereit erklärten, einen Waffenstillstand mit Madrid auszuhandeln. An den Verhandlungen, die im März 1607 in Den Haag anfingen (b IX, 124), nahm Spinola als Mitglied der spanischen Delegation teil (b II, 75, 77; IX, 129). Von dem vorliegenden Blatt existieren vier Fassungen, die sich in zwei Fällen deutlich von dem kommentierten Druck unterscheiden. Die auf 1607 datierten Fassungen c und d haben einen anderen zweisprachigen Text, der unter Verzicht auf jegliche Polemik den in der Bildmetaphorik verschlüsselten aktuellen Stand des Kriegs objektiv zu schildern versucht und einen friedlichen Ausgleich propagiert. In der Graphik der Fassungen a und b fehlt die Figur des Löwen, an dessen Stelle ein Band mit der Aufschrift FVGE FVCE (Fliehe Betrug) eingraviert ist, die die Bedeutung der Personifikation am rechten Bildrand verdeutlicht. Eine fünfte Fassung lässt sich erschließen: Die auffallenden qualitativen Unterschiede zwischen den drei Texten, von denen der deutsche gravierende

Unzulänglichkeiten im lexikalischen, grammatischen und poetischen Bereich aufweist, die zum Teil sein Verständnis erschweren, haben ihre Ursache wohl in einer vermutlich niederländischen Vorlage. Während die lateinischen und französischen Partien von dieser unverändert übernommen werden konnten, bildet der deutsche Text eine Übersetzung, worauf die beibehaltenen niederländischen Vokabeln (schimp, Kracht) verweisen. Der vorliegende Einblattdruck bildete eine Vorlage für das Blatt ‚Vier vnderschiedliche Tafeln‘ (b IX, 147), auf dem die Figurengruppe mit Spinola leicht abgewandelt übernommen wurde.

Weitere Standorte: Andere Fassungen: a) b)

c) d)

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Amsterdam, RM: FM 1238B9 [Bild ohne Löwe] Berlin, SBPK: YA 4316m; Göttingen, SUB: Hist. germ. un. VIII,82 Rara,fol.69 [Bild ohne Löwe; Titel: … AMBRO-|SII SPINNOLAE …] Ulm, StB: Einblatt 512 [IN PRAESENTEM ICONA …; Getruckt im Jahr M.DC.VII.; anderer lat.-dt. Text] Amsterdam, RM: FM 1238A;10 Austin, HRHRC: Popular Imagery Collection, 270; Rotterdam, SvS: 119011 [IN PRAESEN=|TEM ICONA …; Gedruckt im Jahr M.DC.VII.; anderer lat.-dt. Text] Die Physiognomie Spinolas und Bucquoys lehnt sich an den Kupferstich ‚Effigies generosi Marchionis Spinolae‘ an (PAAS I, P-81). Zu Bucquoy vgl. FINDEISEN: Krieg, 168–172. Zur Maske als Attribut der Heuchelei vgl. W. HARMS: Mundus imago Dei est. Zum Entstehungsprozeß zweier Emblembücher Jean Jacques Boissards. In: DERS.: Kolloquialität, 13–34, hier 24 f., Abb. 5 f.; Daniel Cramer: Emblemata Sacra. Hg. von S. MÖDERSHEIM. Hildesheim u. a. 1994 [Nachdr. der Ausg. Frankfurt a. M. 1624], Teil 2, 101. Zum Leo Belgicus vgl. M. STuYCK: The Use of Contemporary Sources for the Study of Netherlandish Political Prints (1566–1648). In: HARMS/ SCHILLING: Flugblatt in der Kultur, 216–226; B. KEMPERS: Allegory and Symbolism in Rembrandt’s ‚De eendracht van het land‘. Images of Concord and Discord in Prints, Medals and Paintings. In: J. THuILLER (Hg.): 1648 Paix de Westphalie. L’art entre la guerre et la paix. Paris 2000, 71–113. Vgl. COuPE I, 156 f. Zur Hercules-Ikonographie vgl. D. WuTTKE: Die ‚Histori Herculis‘ des Nürnberger Humanisten u. Freundes der Gebrüder Vischer, Pangratz Bernhaubt gen. Schwenter. Köln/ Graz 1964; J. BANACH: Hercules Polonus. Studium z ikonografii sztuki nowożytnej. Warschau 1984; b II, 222. Für weitere Beispiele vgl. Lernutius: EPINICIA; Aubert Le Mire: GENTIS SPINVLAE ILLVSTRIVM ELOGIA. Antwerpen 1607 (die Schrift endet mit dem Gedicht ‚OMEN ET NOMEN AMBROSII SPINVLAE‘). In den Fassungen a und b ist sie mit der Inschrift PETRA FIDEI beschrieben. PARKER: Aufstand, 282 f. Zu Spinola vgl. A. RODRÍGuEZ VILLA: Ambrosio Spinola, primer marqués de los Balbases. Madrid 1904; J. LEFÈVRE: Ambrosio Spinola et la Belgique, 1601–1627. Brüssel 1947. MuLLER IV, 1238B; PAAS I, P-88. MuLLER IV, 1238A; PAAS I, P-86. Ebd. EP

241

IX, 124

F 1099

Ort Jahr Bild Text Format

Das Blatt artikuliert die Hoffnung auf einen Friedensschluss in dem seit 1568 andauernden Krieg zwischen Spanien und den Niederlanden. Am linken Bildrand sitzen vor einer Kirche mit der Inschrift TEMPLVM RELIGIONIS Erzherzog Albrecht VII. von Österreich (1559–1621), der Statthalter der Niederlande, und seine Gemahlin Isabella Clara Eugenia (1566–1633), die älteste Tochter Philipps II. von Spanien (1527–1598, König seit 1556). Neben ihnen stehen einige Abgeordnete der Niederlande, hinter ihnen Jan Neyen (1568– 1612),3 ihr Beichtvater. Dieser Gruppe nähert sich ein Triumphwagen, auf dem die Personifikationen der Gerechtigkeit (mit Kaiserkrone, Schwert und Waage) und des Friedens (mit Füllhorn, Ölzweig und Ölzweigkranz)4 sitzen. Vor ihnen stehen zwei Kraniche, die in ihren Schnäbeln zwei mit einem Band umschlungene Herzen halten. Die vier Zugpferde werden von den Personifikationen der Barmherzigkeit und der Wahrheit geführt. Die Wahrheit hält ein Buch in der Hand und ist mit einem Nimbus versehen, die Barmherzigkeit hat Sonne, Mond und Sterne über ihrem Haupt, entnimmt ihrer geöffneten Brust mit der linken Hand ihr Herz und ist von einem Kind begleitet.5 Vom rechten Bildrand her nähern sich unter der Führung des Prinzen Moritz von Nassau Oranien (1567–1625) und des spanischen Heerführers Ambrosio Spinola (1569–1630) die Personifikationen der 17 niederländischen Provinzen mit ihren Wappen. Im Bildvordergrund führen drei Krieger den Kriegsgott Mars an einer Kette als Gefangenen heran. Links im Bildhintergrund liegen Rüstungsteile und Waffen, die in zwei Schmieden zu Pflugscharen und Sicheln umgearbeitet werden (vgl. Jes 2,4). In der Mitte des Bildhintergrunds ist die Silhouette einer Stadt zu sehen, während rechts zwei Schiffe auf eine Küstenstadt zusegeln. In den vier Ecken des Stiches und oben in der Mitte befinden sich Medaillons mit den Porträts der maßgeblichen Führer der Kriegsparteien. Den Platz in der Mitte nimmt Erzherzog Albrecht ein, flankiert von Spinola (links) und Karl Bonaventura Graf von Bucquoy (1571–1621),6 während die niederländischen Vertreter Moritz und sein Bruder (und späterer Nachfolger) Friedrich Heinrich von Oranien (1584–1647) am unteren Bildrand platziert sind. Der Text ist mit einem Zitat aus dem Psalter (Ps 84 [85],11) überschrieben, in dem die zentralen Personifikationen des Triumphes genannt werden (Barmhertzigkeit vnd warheit seind einander begegnet: Gerechtigkeit vnd Frid haben sich geküsset), setzt mit einem Segenswunsch für das Statthalterpaar ein und rühmt dann gleichermaßen die militärischen Führer beider Seiten. Als hauptverantwortlich für die Bemühungen um einen Frieden wird der fridmacher Jan Neyen bezeichnet. Der zweite Teil des Textes erläutert die einzelnen 242

PSALMO

LXXXIV.

Barmhertzigkeit vnd warheit

(Köln) 1607 (Chronogramm) Kupferstich (mit gravierten Inschriften) von Elias van den Bosche (tätig 1600–1620)1 Typendruck in 2 Spalten; 82 Knittelverse; 78 lateinische jambische Trimeter von Wilhelm Salsmann (tätig 1596–1612 in Köln)2 50,3 ! 35,0; 25,7 ! 35,0

Bildelemente des allegorischen Triumphzuges, ermahnt im Anschluss an die Auslegung der Kraniche als Ein warzeichen der Einigkeit zu eben dieser Haltung (Jhr Niderländen diß betracht/ So werd jhr brechen alle macht). Mit dem Rückgriff auf das im Bildhintergrund in Szene gesetzte Bibelzitat als optimistische Prognose und einem allgemeinen Gebetsanruf schließt der deutsche Text, der mit dem lateinischen weitgehend übereinstimmt. Die Hoffnung auf sichere Seefahrt, wie sie rechts im Hintergrund ins Bild gesetzt wird, greift der Text nicht eigens auf. Da das Blatt in verschiedenen Fassungen vorliegt, ist zu vermuten, dass die Hoffnung auf einen Friedensschluss weit verbreitet war. Allerdings zogen sich die Verhandlungen, denen man durchaus auch mit Skepsis gegenüber stand (b II, 77; IX, 129), zwei Jahre hin, bis am 14. April 1609 in Antwerpen ein zwölfjähriger Waffenstillstand unterzeichnet wurde (b IX, 130 f.),7 der faktisch die Anerkennung der Unabhängigkeit der nördlichen Niederlande durch Spanien bedeutete. Das Abkommen hatte pragmatische Gründe: Da beide Konfliktparteien in der militärischen Auseinandersetzung wechselnde Erfolge zu verzeichnen hatten, bedeutete der Krieg für beide Seiten eine ungeheure finanzielle Belastung.8 1621 wurden die Kampfhandlungen wieder aufgenommen;9 erst mit dem Westfälischen Frieden war der Konflikt endgültig beigelegt. Das Blatt vereinigt zwei in der Ikonographie des Friedens gängige Bildvorstellungen: den Triumphwagen des Friedens, eine Bildidee, die wohl aus Petrarcas (1304–1374) ‚Trionfi‘ weiterentwickelt worden ist,10 und das biblische Bild von der Begegnung der Barmherzigkeit mit der Wahrheit und vom Kuss zwischen der Gerechtigkeit und dem Frieden.11 Als weiteres Motiv wird die ebenfalls biblische Vorstellung von der „Rüstungskonversion“12 nach Jes 2,4 (bzw. Mi 4,3) zumindest beiläufig herangezogen.

A1 A2

PAAS I, P-110. D. PEIL: Krieg u. Frieden in Czepkos ‚Corydon u. Phyllis‘. In: M. CZARNECKA u. a. (Hgg.): Memoria Silesiae. Leben u. Tod, Kriegserlebnis u. Friedenssehnsucht in der literarischen Kultur des Barock. Wrocław 2003, 91– 101, hier 94.

1 2

THIEME/ BECKER IV, 391. Auf dem Titelblatt einer zweisprachigen Ausgabe der ‚Metamorphosen‘ Ovids (Köln 1607) wird Salsmann, der die lateinischen Verse ins Deutsche übertragen hat, als Doktor der Theologie und Poeta Laureatus ausgewiesen. F. CAMPANuS: De nederlandsche minderbroeder Joannes Neyen als ondehandelaar met die Staaten-Genereal (1607–1609). In: Katholiek. Godsdienstig […] mandschrift 135/136 (Leiden 1909), 256–282. Auch Maerten van Heemskerck gibt in seiner Abfolge der verschiedenen Triumphzüge dem Frieden sowohl Kranz wie Zweig in die Hand und lässt die Gerechtigkeit (mit Schwert und Waage, aber mit verbundenen Augen und ohne Krone) im Gefolge des Friedens auftreten; vgl. D. PEIL: Allegorische Gemälde im ‚Patrioten‘ (1724–1726). In: Frühmittelalterliche Studien 11 (1977), 370–395, Taf. XX. Das geöffnete Buch als Attribut der Wahrheit kennt auch Cesare Ripa: Iconologia. Rom 1603 (Nachdr. Hildesheim 1970), 499; im Übrigen gibt es nur wenige Übereinstimmungen in der Gestaltung der Personifikationen bei Ripa und im vorliegenden Blatt. Karl von Bucquoy kommandierte zunächst ein wallonisches Regiment in der Armee des Erzherzogs, war seit 1602 Generalfeldzeugmeister und seit 1606 Kriegsrat der Krone. Später wurde er Befehlshaber der kaiserlichen Truppen in Böhmen und fiel 1621 vor Neuhäusel; vgl. K. BOSL u. a. (Hgg.): Biographisches Wörterbuch zur dt. Gesch. 3 Bde., Augsburg ²1995, I, 393. Ein weiteres Blatt greift noch einmal die Bildvorstellung vom Triumphzug des Friedens auf (H.-M. KAuLBACH: Das Bild des Friedens – vor u. nach 1648. In: Krieg und Frieden, Textband 2, 593–603, hier 598). Dazu in aller Kürze J. ISRAEL: Der niederländischspanische Krieg u. das Heilige Römische Reich Deutscher Nation (1568–1648). In: Krieg und Frieden, Textband 1, 111–122, hier 117. Als Gegenstück zu den Triumphzügen des Friedens zeigt ein Blatt von 1621 den Leichenzug des Waffenstillstands (b II, 194). Hierzu H.-M. KAuLBACH: Friede als Thema der bildenden Kunst – ein Überblick. In: W. AuGuSTYN (Hg.): Pax. Beiträge zu Idee u. Darstellung des Friedens. München 2003, 161–242, hier 183–188. Vgl. R. WOHLFEIL: Pax antwerpiensis. Eine Fallstudie zu Verbildlichungen der Friedensidee im 16. Jh. am Beispiel der Allegorie ‚Kuß von Gerechtigkeit u. Friede‘. In: B. TOLKEMITT/ DERS. (Hgg.): Historische Bildkunde. Probleme, Wege, Beispiele. Berlin 1991, 211–258; W. AuGuSTYN: Friede u. Gerechtigkeit – Wandlungen eines Bildmotivs. In: AuGuSTYN (Hg.): Pax, 243–300. KAuLBACH: Friede, 186. PAAS I, P-109. Ebd., PA-28. Ebd., PA-30; KAuLBACH: Friede, 185 (datiert das Blatt auf 1609). Zisska/ Kistner, Nr. 2215. PAAS I, PA-29. DP

3

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10 Weitere Standorte: London, BL: 1750.c.1 (20) (A 1); London, BM: 1871.1209.4750; Nürnberg, GNM: 19102/1313 [Text fehlt]

11

Andere Fassungen: a)

b) c)

d)

Amsterdam, RM: FM 1268;13 Berlin, SBPK: YA 4311 kl.; Frankfurt a. M., UB: Freytag, 170; London, BM: 1873-7-12-159 [… Warheit … Fried …] Rotterdam, SvS: 124214 [nur der Stich; unter der Stechersignatur: P. Freens excudit A Paris rue St. Jac.] Amsterdam, RM: FM 1268a;15 ehem. Auktionshaus Zisska/ Kistner, München16 [gravierte niederländische Verse; WHaen fecit] Rotterdam, SvS: 124117 [wie c; CJVisscher excud.]

12 13 14 15 16 17

243

IX, 125

F 45

Ort Jahr Bild Text Format Zustand

Unter Heranziehung kirchlicher Autoritäten wird der Anspruch des Papstes auf die Sukzession Petri als Anmaßung entlarvt und er selbst als Antichrist herausgestellt (b II, 40–42; IX, 132). In der Mitte des Bildes erstreckt sich eine lange Prozession, an deren Spitze der Papst unter einem Baldachin in der sedia gestatoria getragen wird. Einige Geistliche führen Stangen mit, an deren Enden statt Kirchenfahnen Pfauenfedern als Zeichen der Superbia und Vanitas angebracht sind;2 ein Jesuit stützt den päpstlichen Tragsessel mit einer Gabel (b IX, 90). Vor dem Zug sind drei gekrönte Herrscher (der vordere trägt die Kaiserkrone) auf die Knie gefallen (vgl. die Aussage des Papstes: Ich bin Successor Petri vnd habe macht König ab vnd ein zu sezen und Daniels: Er wird […] drey Könige Demüthigen). In dem Zug des Papstes befinden sich in vorderer Position vorwiegend Geistliche unterschiedlichen Ranges (Kardinäle, Bischöfe, Jesuiten), während weiter hinten vornehm gekleidete Adlige und durch Kleidung und Bewaffnung deutlich markierte Landsknechte folgen, die andeuten, dass die Herrschaft des Papstes auf militärischer Gewalt gegründet sei. Der Prozession gebietet links mit erhobenem Arm der Apostel Petrus Einhalt. Er ist mit einem schlichten langen Gewand bekleidet, das mit dem prunkvollen Ornat des Papstes kontrastiert, und weist als Attribute einen Heiligenschein, den Schlüssel und einen Felsblock als Standfläche auf. Am linken Bildrand sind von oben nach unten in chronologischer Reihenfolge biblische Gestalten (Daniel, Paulus), Kirchenväter (Gregor I. der Große, um 540–604) und mittelalterliche Theologen (Bernhard von Clairvaux, um 1090–1153; Arnulf von Orléans, 2. H. 12. Jh.; Eberhard von Salzburg, um 1089–1164) aufgereiht, die jeweils von einer Wolke herab mit sprechendem Gestus den Auftritt des Papstes kommentieren; kleine geflügelte Engelsköpfe verleihen den Äußerungen der linken Seite göttlichen Anspruch. Die Gestalten der gegenüberliegenden Seite vertreten dagegen einen teuflischen Standpunkt, wie die beigegebenen Fledermäuse und geflügelten Dämonen und besonders die lodernden Flammen des Höllenfeuers bezeugen. Mit Robert Bellarmin (1542–1621), Antonius Erzbischof von Florenz (1389–1459; noch einmal als Letzter in der Reihe als Erzbischoff zu Florentz aufgeführt), Baldus de Ubaldis (1327–1400), Thomas Stapelton (1535–1598) und Augustinus Triumphus (von Ancona, 1243–1328) kommen auf der päpstlichen Seite vorwiegend Theologen der Gegenreformation zu Wort. Der antithetische Aufbau des Bildes setzt sich bis in Details des unteren Rollwerkrahmens fort, wenn eine Eule auf der päpstlichen Seite für die Finsternis im Glauben, und ein Falke (Adler ?) auf der Seite Petri für das Licht der Wahrheit stehen. Die in das Bild eingeschriebenen Texte sind als Zitate den biblischen Gestalten und Theologen am linken und rechten Rand sowie Petrus und 244

Vergleichung Des Babst Schlüssel mit

(Nürnberg) (1606) Radierung (von Hans Wechter, um 1550 – nach 1606)1 graviert; Prosazitate als Bildinschriften 31,6 ! 41,1 Eintrag mit Tinte in der unteren Schrifttafel

dem Papst zugewiesen. Die Äußerungen der linken Seite sind als Kommentare zum Papsttum gedacht und prangern den Nachfolger Petri als machtgierig, hoffärtig und Antichrist an. Die Fürsprecher des Papstes behaupten dessen Primat über alle gekrönten Häupter, ja über alle Creaturen einschließlich der Engel. Der im Titel angekündigte Vergleich der apostolischen und päpstlichen Schlüsselgewalt bleibt aus. Die Tafel am Fuß des Blattes verweist den Leser zu ausführlicherer Information an eine Schrift mit dem Titel Exam[en] vnd Jnqvisition der Pabisten vnd Jesuwider eines Autors mit den Initialen M.P.T. Die genannte Schrift von Maximilian Philon von Trier3 erschien zum ersten Mal 1605 in Frankfurt a. M. unter dem Titel ‚Examen vnd Jnquisition der Papisten vnnd Jesuiten/ Das ist: Grundtliche Vergleichung/ oder Gegensatz/ von Einhelligkeit der Lehr Jesu/ vnd Jesuwiter/ Papisten/ Christi vnnd Antichristi […]‘4 und bildete die Grundlage für das Blatt: Sein Titel ist der Überschrift des vierten Kapitels entnommen (Von den Schlüsseln der Kirchen: Das ist/ Ob S. Peters Schlüssel mit deß Bapst Schlüssel/ so wol auch die Personen/ in der Lehr vnd Leben/ auch Succession/ oder Nachfolge/ sich mit einander vergleichen thun); ein entsprechender Hinweis findet sich auch im Inhaltsverzeichnis. Sämtliche Texte der Graphik wurden wörtlich verschiedenen Stellen der Schrift entnommen. In der zweiten Ausgabe des ‚Examens‘ von 1607 ist das Flugblatt ⫺ neben drei anderen Einblattdrucken, darunter zwei illustrierten5 ⫺ als Teil der Schrift an entsprechender Stelle eingeklebt, und in späteren Ausgaben (von 1664 und 1666) bilden alle vier schon integrale Teile der Schrift.6 Sowohl in seiner Funktion als auch in den Mitteln der Darstellung lehnt sich das Blatt an seine Vorlage an, die als Unterweisung für die Jugend und die Einfältigen konzipiert war.7 Die Tauglichkeit der Schrift für diesen pädagogischen Zweck wird in einer beigefügten Vorrede von Ägidius Hunnius (1550–1603) attestiert: Sie unterrichte so gut über den Antichrist, dass auch die Kinder bey 7. oder 8. Jaren alt/ wer vnd welcher der rechte Antichrist/ der Mensch der Sünden/ vnd das Kind deß Verderbens sey/ judicieren vnd vrtheilen können (fol. dv).

Andrerseits wecken die Antichrist-Kontroverse und die Art ihrer Durchführung durchaus den Eindruck theologischer Fundiertheit. Diese beiden Aspekte realisiert das Flugblatt zum einen als ein bildliches und schon damit für pädagogische Vermittlungszwecke gut geeignetes Medium, zum anderen durch die von Wechter gewählte Form der Vermittlung. Die polemische Komponente wurde mittels bildlicher Umsetzung der exegetischen Argumentation und der Beweisführung durch beidseitige Autoritäten sowie durch den die Schrift konstituierenden antithetischen Aufbau übermittelt: Der Gestalt des Apostels mit dem

Schlüssel, mit dem er allen Bußfertigen vnd Bekehrten den Himmel auff[schleust] (S. 46), steht die Figur des Papstes als Widersacher der christlichen Ordnung gegenüber; dieser habe zwei Schlüssel, einen zum Fegfeuwer/ den andern zur Helle: Dann den Schlüssel zum Himmelreich hat er längst verloren (ebd.). Sein Gefolge suggeriert die Ausdehnung der Diffamierung auf die ganze römisch-katholische Kirche. Allerdings fällt die Kritik notgedrungen schwächer als in der Schrift aus, indem sie sich in Hinweisen auf Machtansprüche und Geldwirtschaft des Papstes erschöpft (u. a. heißt es im Text: Deß Bapst Schlüssel seynd meisten theils dahin gerichtet/ daß sie allein Gelt machen, S. 44).

Weitere Standorte: Augsburg, SStB: Graph.29/41(5; Berlin, SBPK: YA 4250m; Berlin, KK: 60119; Coburg, Veste: Reformationsblätter 3 und 4; Halle, KMM: F 291; München, BSB: 4° Polem. 2337; Nürnberg, GNM: 24584/1336; Nürnberg, StB: Einbl. 16.⫺ 20. Jh.; ehem. Antiquariat L’Art Ancien, Zürich (A 1); ehem. Auktionshaus Zisska/Kistner, München (A 2); ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig (A 3)

Andere Fassungen: a)

A A A A A A 1

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4

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München, BSB: Einbl. VII,40 m [Titel: … Des Papsts … Petri Schlüssel … Lehr/ Leben …; Holzschnitt] 1 2 3 4 5 6

Antiquariat L’Art Ancien, Nr. 26. Zisska/Kistner, Nr. 2214 u. 2214a. DRuGuLIN II, 1143. ANDRESEN: Peintre-Graveur, IV, 338, Nr.6. Flugblätter Coburg, Nr. 39. NIEMETZ: Bildpublizistik, 23 f., Abb. 4. So auch DRuGuLIN, a. a. O. und ANDRESEN, a. a. O. Zu Wechter s. THIEME/ BECKER XXXV, 231 f. Vgl. auch Anm. 5. LCI III, 409–411; DITTRICH: Tiersymbole, 347–360, hier 348. Nach TH. BÜRGER (Dt. Drucke des Barock 1600–1720. Katalog der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Abt. A, Bd. XIII, Nr. 10378 f. München 1995) handelt es sich um ein Pseudonym für Johannes von Münster. Zur Schrift vgl. I. RICHARDSEN-FRIEDRICH: AntichristPolemik in der Zeit der Reformation u. der Glaubenskämpfe bis Anfang des 17. Jhs. Argumentation, Form u. Funktion. Frankfurt a. M. 2003, 279–289. ‚Kurtze Verzeichnuß: Jedoch eigentliche Beschreibung ordentlicher Succession der wahren vnd falschen Kirchen […]‘ (eine Tabela ohne Graphik); ‚Vergleichung vnsers lieben HErrn vnd Heylands JESU CHristi‘ (b II, 42); ‚Aber der Wege Zum Himel ist Schmal‘ (b IV, 88). Das letztere, ein großformatiger Stich, stammt eindeutig von demselben Künstler wie die ‚Vergleichung‘ und ist signiert mit H.W. 1606. Beide Ausgaben o.O. Die vorangehenden Seiten sind mit Kustoden und Informationen Folget eine Figur (bzw.) Folget eine Tabelle versehen, und auf den Flugblättern selbst befindet sich ein gedruckter Hinweis auf den Ort, wo sie in der Schrift eingebunden werden sollen. In verschiedenen erhaltenen Exemplaren sind die Blätter nicht immer an den richtigen Stellen eingefügt, zuweilen auch herausgerissen. Vorrede, fol. aiijv. Alle Seitenangaben beziehen sich auf die Ausgabe von 1605. EP

245

IX, 126

F 310

Ort Jahr Bild Text Format

Durch die Gegenüberstellung mit Christus bemüht sich das Blatt, den Papst als Antichrist zu erweisen. In einem Rollwerkrahmen sind in einer offenen Ebene Christus und der Papst einander gegenübergestellt. Der Gottessohn ist in ein schlichtes weites Gewand gekleidet, Füße und Hände sind bloß, sein langgelocktes Haupt trägt die Dornenkrone und ist von einem Strahlenkranz hinterfangen. Er reitet einen Esel, über dessen Rücken eine einfache Satteldecke geworfen ist, der mit schmucklosen Lederriemen gezäumt ist und seinen Kopf demütig nach unten beugt. Der Papst ist in allen Punkten als Gegenbild konzipiert: Stolz wirft er seinen mit der Tiara geschmückten Kopf in den Nacken. Sein aus kostbaren Stoffen bestehender, mit prächtigen Borten und Pelzverbrämungen geschmückter Ornat, der auch Schuhe und Handschuhe einschließt, korrespondiert mit der Ausstattung seines Reittiers. Das Pferd, das den Esel um Haupteslänge überragt, wird von einer vielfach verzierten Trense gelenkt und trägt an seinem Stirnriemen einen Stern; sein Brustgurt ist mit Troddeln, Glocken und einem Maskaron geschmückt. Die Satteldecke besteht aus einen prächtig gewebten, fast bodenlangen Teppich. Die Bedeutung der zwei Stufen hinter dem Papst ist unklar; möglicherweise verweisen sie auf Selbstüberhebung.1 In die Ecken des Rahmens sind vier Bildmedaillons eingelassen, die den beiden Figuren des Hauptbildes zugeordnet sind: Der Dornenkrönung links oben entspricht die Papstkrönung auf der gegenüberliegenden Seite. Und die Kreuztragung kontrastiert mit der sedia gestatoria, in der sich der Papst von Mönchen tragen lässt. Nachdem der Titel auf das Bild (Figur) abhebt und einen Vergleich Christi des Herren und des selberwölten knechts ankündigt, vertiefen die Verse unter dem Bild den Kontrast. Die Kolumne unter dem Heiland betont die Armut, das Leiden und die Demut Christi. Die Spalte unter dem Oberhaupt der katholischen Kirche unterstreicht die Prachtentfaltung, die politische Macht, Geldgier und falsch lehr des Papstes und gibt mit der Bezeichnung Antichrist das Stichwort, auf das die gesamte Gegenüberstellung hinausläuft. Der Widerspruch, dass der so herrschaftlich auftretende Papst sich als knecht und sogar als knecht aller knecht bezeichnet (Titel und rechte Spalte), wird auch in den Umschriften der rechten Bildmedaillons ausgeführt. Die vergleichende Gegenüberstellung von Christus und seinem Stellvertreter, der diesem Vergleich in keiner Weise standhält, zählt zu den beliebtesten Motiven der protestantischen und sogar schon hussitischen Kritik am Papsttum. Nachdem Luther, Melanchthon (1497⫺1560) und Lucas 246

Diese Figur anzeigen thut Christi

(um 1600) Kupferstich graviert in 2 Spalten; 20 Knittelverse; je 2 Knittelverse um die 4 Medaillons; 4 Knittelverse als Titel 20,9 ! 28,1

Cranach d. Ä. (1472⫺1553) 1521 das ‚Passional Christi vnd Antichristi‘ herausgebracht hatten (b IX, 91), schlossen sich zahlreiche Flugschriften, ein Fastnachtspiel, Gemälde und vor allem Flugblätter an (b II, 40⫺42; IX, 127), die denselben Gegensatz zwischen Christus und dem Papst vorführten.2 Die Flugblätter haben aus Cranachs Holzschnitt-Folge das neunte Paar mit der Gegenüberstellung Christi auf dem Esel beim Einritt nach Jerusalem und des römischen Bischofs zu Pferde beim Ritt in die Hölle herausgegriffen, weil hier der Kontrast besonders augenfällig gemacht werden konnte. Sie wurden europaweit und bis ins 19. Jahrhundert hinein verbreitet. Auf den meisten Blättern findet ein steter Perspektivenwechsel statt dergestalt, dass der erste Vers eines jeden Reimpaars den Gottessohn, der zweite hingegen sein Gegenüber charakterisiert. Dagegen sind die Beschreibungen der beiden Antagonisten auf dem vorliegenden Blatt zu Blöcken zusammengefasst und unter die jeweilige Figur gestellt. Auch ikonographisch weist das Blatt einige Besonderheiten auf: Die Rollwerk-Kartusche soll die Darstellung ästhetisch aufwerten, möglicherweise sogar dazu einladen, das Blatt als Wandschmuck oder Möbeldekor zu verwenden. Der kurze Zügel, mit dem der Papst sein Pferd zwingt, den Kopf zurückzubiegen, deutet auf eine kraftvolle, aber auch gewaltsame Herrschaft hin.3 Die Medaillons schließlich verdreifachen die Antithese des Hauptbildes, indem sie das zweite (Dornen-/ Papstkrönung) und sechste Bildpaar (Kreuztragung/ Papst in der sedia gestatoria) aus Cranachs ‚Passional Christi vnd Antichristi‘ zitieren.

Weitere Standorte:

Andere Fassungen: a)

c)

Braunschweig, HAUM: FB XVI [Schaw an o mensch diss biltnuss gut …; die Medaillons im Gegensinn; keine Kartusche; 2 Hermen als seitlicher Abschluss; Inc.: Der gutig Her gereidten kam …] Amsterdam, Rijksprentenkabinett4 [wie a, niederländischer Text] London, BM5 [wie a, englischer Text]

A1

PAAS VII, PA-333.

1

In der Allegorese-Tradition sind Treppen und Stufen vorwiegend positiv besetzt; vgl. aber 2 Mos 20, 26: Du solt auch nicht auf Stuffen zu meinem Altar steigen. Heinrich von Kettenbach: Verglychung des allerheiligsten herrn vnd vatter des Bapsts, gegen dem seltzem fremden gast in der Christenheyt genant Jesus (Bamberg 1523). In: O. CLEMEN (Hg.): Die Schriften Heinrichs von Kettenbach. Halle a. S. 1907, 126⫺152; Simon Rosarius: Antithesis. Das ist Kurtze beschreibung/ Christi vnd des Antichrists. O. O. 1560; Antithesis. Von des Herrn Christi herrlichen thaten vnd des schentlichen Pabsts vnd Antichrists schedlichen Schanden vnd lastern. O. O. u. J.; Niklaus Manuel: vnderscheid zwüschen dem Babst vnd Christum. In: Ders. Hg. von J. BÄCHTOLD. Frauenfeld 1878, 103⫺111; Geloof en satire Anno 1600. Ausstellungskatalog Utrecht 1981, 37; J. TRAEGER: Der reitende Papst. Ein Beitrag zur Ikonographie des Papsttums [zuerst 1979]. In: DERS.: Studien zur Renaissance. Hg. von CHR. WAGNER. Regensburg 2008, 15⫺153, hier 143⫺148; PAAS I, P-71 f., P-91, PA 16–20; VII, P-2022 f., PA-334. ST. HILLER: Triumph des Pferdes. Zur Ikonologie der Salzburger Pferdeschwemmen. In: J. VON MOY (Hg.): Barock in Salzburg. FS Hans Sedlmayer. Salzburg/ München 1977, 57⫺97; DITTRICH: Tiersymbole, 361⫺363. Geloof en satire, 37. T. WATT: Cheap Print and Popular Piety 1550⫺1640. Cambridge u. a. 1991, 157; O’CONNELL: Popular Print, 131. MSch

b)

2

3

4 5

247

IX, 127

F 16

Hie reitt der Herr vnd auch der knecht

Ort Jahr Bild Text Verleger Format

(Straßburg) 1635 Kupferstich (von Jakob von der Heyden, 1573⫺1645) graviert in 4 Spalten; 40 Knittelverse (Jakob von der Heyden) 23,3 ! 31,7

Mit der populären Gegenüberstellung von Christus und Papst will das Blatt seine Leser davon überzeugen, dass der römische Bischof in all seinen Eigenschaften und Handlungen das Gegenteil des Gottessohns ist, dessen Stellvertreter er zu sein beansprucht. Unter einem weit geschwungenen Bogen begegnen sich Christus und der Papst. Wie auf den Darstellungen gleichen Typs (b II, 40⫺42; IX, 126) sind die beiden Figuren und ihre Reittiere als Gegensatz gestaltet: auf der einen Seite Dornenkrone, schlichtes Gewand, bloße Hände und Füße, Esel mit gesenktem Kopf, einfaches Zaumzeug – auf der anderen Seite Tiara, prunkvoller Ornat, Maulesel mit reich geschmückter Trense, prächtigen Borten und einer bodenlangen, schweren Satteldecke. Auch Kopfhaltung und Physiognomie der beiden Antagonisten sind gegensätzlich konzipiert. Das von Leid gezeichnete Antlitz Christi wendet sich dem Betrachter zu, während der Papst sein scharfes Profil mit eingefallenen Wangen und tiefen Augenhöhlen zeigt, das nach der Lehre von den vier Komplexionen auf das Temperament des Melancholikers hinweist.1 Die beiden Gestalten stehen vor einem weiten Landschaftsprospekt, in dem links der Einzug Christi auf dem Esel nach Jerusalem und rechts eine Prozession des Papstes in seiner sedia gestatoria nach Rom dargestellt sind. Die beiden Medaillons in den Zwickeln des Bogens zeigen links die Fußwaschung (Joh 13, 1⫺11) und rechts eine Szene, in der Gläubige die Füße des Papstes küssen. Der Titel legt dem Leser die Frage vor, welche der beiden vorgeführten Personen der rechtmäßige Herr sei. Der Text ist so angelegt, dass jeweils der erste Vers eines Reimpaars eine Aussage über Christus und der zweite eine gegensätzlichen Inhalts über den Papst trifft. Indem die Verspaare nebeneinander angeordnet sind, wird die antithetische Struktur des Bildes auch auf das Layout übertragen. Die Gegensätze, die der Text aufzählt, betreffen vor allem diejenigen von Armut und Reichtum sowie von Frieden und Krieg. Die letzten drei Verspaare wenden sich wieder an den Leser, der nun unschwer habe feststellen können, dass sich der Papst als vorgeblicher knecht gegen seinen Herren wende. Der Text bietet eine Kontamination der Fassungen a (bzw. der textgleichen Fassungen b⫺d) und f. Die Verse stimmen, von kleineren Umstellungen und Umformulierungen abgesehen, mit Fassung f überein, begnügen sich aber wie die Fassungen a⫺ d mit dem hinreichend prägnanten Schluss Vnd klärlichen zusehen frey Dass der knecht wid[er] den herren sey. Dagegen hat die Fassung f es für nötig befunden, die Konsequenzen aus der voranstehenden Gegenüberstellung noch auszuformulieren: 248

Wem nun sein Seel/ vnd Seeligkeit/ Ein Ernst ist zu der Herrlichkeit/ Der wirdt dienen dem HERREN Christ/ Vnd absagen dem Wider Christ. Auff daß er komm zur rechten Frewd: Die Hell dem AntChrist ist bereit/ Zur Pein vnd Qual in Ewigkeit.2

Auch mit der Wahl eines Maulesels als Reittier des Papstes schließt sich das Blatt an die ältesten Fassungen a⫺c an. Lucas Cranach d.Ä. (1472⫺ 1553) hatte in seinem ‚Passional Christi vnd Antichristi‘ (1521) den Papst noch auf einem Pferd dargestellt, und daran hatten sich die späteren Versionen der vorliegenden Gegenüberstellung orientiert (Fassungen d⫺g; b IX, 126). Die Fassung a von 1582 hatte demgegenüber – möglicherweise unter dem Eindruck der verbreiteten Flugschrift ‚Von der Maulesel Auffrur zu Rom‘ (o.O. 1580) – das Pferd durch einen Maulesel ersetzt. Die Hintergrundszenen mit den Einzügen nach Jerusalem und Rom nehmen Bezug auf die augustinische Zwei-Staaten-Lehre: Christi Ankunft in Jerusalem galt als Bild der Öffnung der Himmlischen Stadt für die gläubigen Christen. Rom nahm hingegen als civitas terrena im Denken Augustins (354⫺430) und der Protestanten den Platz des apokalyptischen Babylon ein (b II, 130).

Weitere Standorte:

Andere Fassungen: a)

h)

Wolfenbüttel, HAB: 38. 25 Aug. 2°, fol. 292 [Holzschnitt, 1582, Inc.: SJH an diß Bild; 22 Knittelverse; b II, 40] Berlin, KK: 288–10 [wie a; o. J.] Wolfenbüttel, HAB: 38. 25 Aug. 2°, fol. 293 [Titel: Von vnderscheidt des HERRN Christi/ …; b II, 41] Berlin, KK: 60107, und 105–19843; Gotha, SM: 89,20 [Kupferstich, o. J.; Inc.: Sihe an Christum diß Bilde recht] Berlin; KK: 60111 [Kupferstich; Titel: Vergleichung vnser lieben HERRN vnnd …; 31 Knittelverse] Augsburg, SStB: Graph 29/7, 2; Austin, HRHRC, Popular Imagery Collection, Box 1, Nr. 51; Berlin, SBPK: YA 5369 kl. (2 Exemplare); Gotha, SM: 89,21; London, BL: 3908.d.54 (1);4 München, BSB: 4° Polem. 2337; Nürnberg, GNM: 24418/1336, und 24649/1336; Wien, Albertina: Diverse Hist. Blätter, Geistlichkeit;5 Wolfenbüttel, HAB: IH 13 [Titel: Vergleichung vnsers lieben HERRN vnd …; Radierung; 47 Knittelverse; b II, 42] Berlin, Deutsches Historisches Museum: Gr 96/26; Nürnberg, GNM: 44/1336 [wie f; Holzschnitt; Titel: Vergleichung unsers lieben Herrn und …; 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts] Wolfegg, KK: Bd. 94, 2776 [neuer Stich, Papst links]

A1

PAAS VII, P-2022.

1

(Bartolommeo della Rocca Cocles:) Phisionomi vnd Chiromanci. Ein news Complexion Büchlein. Straßburg (um 1535), fol. ijr: Melancolici seint kalt vnd trucken […] vnd ist die onedlest complexion. Welcher mensch der natur ist/ der ist karg/ geittig/ trawrig/ äschenfarb/ vntrew/ böß/ begirig. Auf einem späteren Blatt wurden die 47 Knittelverse in 100 Alexandriner umgewandelt und erweitert; vgl. PAAS VII, P-2023 (dort unter 1635 eingeordnet; Typo- und Orthographie zeigen aber, dass das Blatt nicht vor 1650 erschienen ist). Ebd. I, PA-19. Ebd. I, P-91. Ebd. Ebd. XIII, P-3985. MSch

b) c) d) e) f)

g)

2

3 4 5 6

249

IX, 128

F 48

Ort Jahr Bild Text Format

In antithetischer Darstellungsweise und unter Verwendung der Dialogform übt das Blatt Kritik an der katholischen Kirche. In der Mitte und im Vordergrund des Bildes stehen die im Titel genannten Gestalten des Apostels Paulus und eines Mönchs. Sie sind einander halb zugewandt und blicken sich an. Die Darstellung des Paulus entspricht der gewohnten Ikonographie des Apostels: Mit dem Heiligenschein über dem kahlen Kopf, einem langen Bart, barfuß, in ein fließendes Gewand eingehüllt, hält er ein Schwert und die Bibel;1 das Buch ist an den im begleitenden Text paraphrasierten Stellen aus dem Propheten Daniel und dem Brief an die Thessaloniker aufgeschlagen. Sein Gesprächspartner im Mönchshabit mit Kapuze trägt als Attribute einen Rosenkranz und ein Beutelbuch am Gürtel. Im Kontrast zur asketischen Figur des Apostels hat er ein rundes Gesicht mit Hängebacken und einen fülligen Körper. Hinter dem Heiligen und dem Mönch erhebt sich je ein Kirchengebäude. Große frontale bogenförmige Öffnungen in den Mauern gewähren einen Blick auf die im Inneren vollzogenen liturgischen Handlungen. In der protestantischen Kirche links lauscht eine vielzählige Gemeinde dem Prediger auf der Kanzel, über dem die Taube des Heiligen Geistes schwebt; vor einem Tisch im Hintergrund reichen zwei weitere Geistliche das Abendmahl in beiderlei Gestalt. Die katholische Kirche rechts ist eher spärlich besucht. Nur eine vorne rechts sitzende Person scheint dem von der Kanzel predigenden Priester, über dessen Kopf ein Teufels-Drache erscheint, ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Zwei Personen sind mit dem Beten des Rosenkranzes und dem Anzünden von Kerzen beschäftigt. Im Hintergrund zelebriert ein weiterer Priester vor dem Altar mit Hilfe zweier Ministranten die Messe. Er wird im Akt der Elevation der Hostie dargestellt; alle drei tragen reich geschmückte Messgewänder. Links vom Altar ist eine Prozessionsfahne zu sehen; in der Mitte der Kirche befindet sich ein Taufbecken. In der linken Ecke des Raumes verkauft ein Mönch Ablassbriefe, daneben stehen, an die Wand gelehnt, ein Kreuz und eine Reliquie. Aus dem Dialog zwischen Paulus und dem Mönch erfährt der Leser Unterschiede zwischen der katholischen und lutherischen Kirche. Auf die Fragen des Apostels erzählt der Mönch, dessen Aussehen zum Anlass für Spott und Zweifel an seiner Frömmigkeit und gottgefälligen Lebensführung genommen wird, von der Beschaffenheit und den Glaubenssätzen der römischen Kirche, wie sie in der Graphik dargestellt sind. Als wesentliche Elemente der katholischen Religionsausübung werden genannt: die heilige Messe und das Sakrament des Opfers, der Verkauf von Ablassbriefen und Devotionalien zwecks Vergebung der Sünden, die 250

DIALOGuS oder Gespräch/ S. Pauli

(1617) Kupferstich Typendruck in 4 Spalten; 315 Knittelverse; 2 ! 2 lateinische Hexameter 39,5 ! 24,6; 11,5 ! 17,8

Verehrung der Heiligen und Marias als Mittler zwischen Mensch und Gott. Als Argumente für die Richtigkeit seiner Kirche führt der Mönch die Bibel, Kirchenväter, päpstliche Konzilien sowie den Gebrauch von geweihten Gegenständen (Chrisam, Wasser, Salz, Kreuz, Kleider, Kerzen, Glocken) an. In Erwiderung der Aussage Pauls, der den widerchristlichen Charakter des Papsttums betont und ein Bild der protestantischen Kirche mit ihrer alleinigen Verehrung von Christus als dem Weg des Heils, dem Sola fide- und Sola scriptura-Prinzip, zwei Sakramenten (Taufe und Abendmahl) und der Buße entwirft, gibt der Mönch zu, dass im Papsttum die frühapostolische Kirche nicht mehr zu finden sei, da sie der Papst in seinem Sinne ‚reformiert‘ habe. Am Anfang und am Ende des Dialogs stehen die Aussagen des Paulus, die eine inhaltliche Klammer bilden. Die biblischen Aussagen über den Antichrist nach Daniel (Dan 12) und Paulus (II Thess 2), er erhebe sich gegen Gott und nehme dessen Platz in der Kirche ein, werden in der abschließenden Aussage im Sinne der Antichrist-Konzeption Luthers konkretisiert, indem der Antichrist in der katholischen Kirche lokalisiert wird (b IX, 132).2 Die beiden lateinischen Zitate, die das Bild flankieren, ein anonymes und eines aus dem im 16. und 17. Jahrhundert mehrmals aufgelegten ‚Zodiacus vitae‘ (zuerst 1531) von Marcello Palingeni Stellati (Pseud. für Pietro Angelo Manzoli, um 1500–um 1543), verspotten Mönche mit ihrer Völlerei und Unzucht als Schande Gottes. Die gleichermaßen auf Bild und Text verteilte Polemik des Blattes greift die Glaubenssätze und Rituale der katholischen Kirche an. Dem Messopfer, der Werkgerechtigkeit und der Heiligen- und Marienverehrung werden die evangelische Auffassung der Abendmahls- und der Rechtfertigungslehre gegenübergestellt.3 Die Richtigkeit der protestantischen Theologie wird durch die Figur des Paulus betont, der als Glaubenszeuge der reformatorischen Bewegung galt (b IX, 89). Indem er nach der Organisation der römischen Kirche fragt und sich über ihre Beschaffenheit wundert, u. a. den Handel mit Ablässen und Devotionalien als Kuriosum betrachtet, signalisiert er seine Befremdung über die Entfernung der Papstkirche von der ursprünglichen Kirche Christi. In der Gegenüberstellung der beiden Kirchen überlagert die Kritik am Katholizismus die positive Darstellung des Protestantismus. Die Wirkung des Blattes sollten die vom Blattverfasser verwendeten Strukturelemente gewährleisten, die in der protestantischen Polemik vielfach eingesetzt wurden: so der durch den deutschen Humanismus wiederentdeckte antike Dialog, dessen sich besonders oft Streitschriften bedienten und der, auf den Flugblättern meistens in der Versform gebraucht, auf eine lebendige, leicht nachvollziehbare, oft auch unterhaltsame Weise

die dem Leser ohnehin vertrauten Argumente darbot und den Widersacher mit unterschiedlich scharfer Kritik bloßstellte (b III, 107, 132; IX, 7, 93).4 Auf der ikonographischen Ebene benutzte der Verfasser für die Gegenüberstellung der lutherischen und der katholischen Lehre die Darstellungsform, die in nebeneinander stehenden Bildern religiöse Handlungen, wie sie in den beiden Kirchen abgehalten werden, wiedergab, wobei im Zentrum des jeweiligen Kirchenbildes die Prediger als Verkünder der wahren und der falschen Religion standen. Die bekannteste Darstellung dieser Art schuf Lucas Cranach d. J. (1515–1586) mit dem Holzschnitt ‚Vnterscheid zwischen der waren Religion Christi vnd falschen Abgöttischen lehr des Antichrists in den fürnemsten stücken‘.5 Für die Darstellung der beiden Hauptfiguren hat sich der Stecher an dem Blatt ‚S. Paulus von Tarso S. Dominicus ein Spanier‘ von 1555 orientiert.6

Weitere Standorte: Braunschweig, HAUM: FB XIV

Andere Fassungen: A1 A2

COuPE I, 206 f.; II, Nr. 137, Abb. 133. PAAS II, P-326.

1

Vgl. LCI VIII, 128–147; Reclams Lexikon der Heiligen u. der biblischen Gestalten. Legende u. Darstellung in der bildenden Kunst. Stuttgart 41987, 465–468. Zur lutherischen Antichristologie s. V. LEPPIN: Antichrist u. Jüngster Tag. Das Profil apokalyptischer Flugschriftenpublizistik im dt. Luthertum 1548–1618. Gütersloh 1999, 207–237. Zu den zeitgenössischen Quellen vgl. Martin Becanus: Becanus Redivivus, Das ist/ […] Handtbuch: Aller dieser Zeit in der Religion Streitsachen in 5 Bücher abgetheilt. Frankfurt a. M. 1631; Erasmus Alberus: Von Vnterscheid der Euangelischen vnd Papistischen Mess. O.O. 1539. Aus neuerer Sicht H. THIELICKE: Der evangelische Glaube. Grundzüge der Dogmatik. 3 Bde. Tübingen 1978. Vgl. z. B. das Flugblatt ‚Vnterscheyd eins Münchs Vnd eins Christen‘ (SCHILLING: Bildpublizistik, Abb. 46). Für andere Genres vgl. O. SCHADE (Hg.): Satiren u. Pasquille aus der Reformationszeit, 3 Bde., Hannover ²1863 (Nachdr. Hildesheim 1966); M. LIENHARD: Held oder Ungeheuer? Luthers Gestalt u. Tat im Licht der zeitgenössischen Flugschriftenliteratur. In: Lutherjahrbuch 45 (1978), 56–79; R. BENZINGER (Hg.): Die Wahrheit muß ans Licht! Dialoge aus der Zeit der Reformation. Frankfurt a. M. 1983. Zu Prosadialogen s. WELLER: Annalen, II, 230–245. Reformation in Nürnberg. Umbruch u. Bewahrung. Ausstellungskatalog Nürnberg 1979, Nr. 133 (mit Abb.); s. auch SCRIBNER: Sake, 190–205; Luther u. die Folgen für die Kunst. Ausstellungskatalog Hamburg 1983, 200, Abb. 74a (Kupferstiche von Richard Vesteganus). SCHILLING: Bildpublizistik, Nr. 177, Abb. 47; COuPE I, 206 f. EP

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IX, 129

F 654

Ort Jahr Bild Text Format

Das Flugblatt kritisiert das langsame Voranschreiten der Waffenstillstandsverhandlungen in Den Haag und weist den Gesandten der spanischen Krone die Schuld hierfür zu. Über einem halbrunden Podest steht ein ovales Bildnismedaillon mit den Porträts der spanischflandrischen Gesandten bei den Verhandlungen um den 1609 geschlossenen Waffenstillstand zwischen Spanien und den Niederlanden. Die Physiognomien werden durch Stirnfalten, stechende Blicke und hämisch verzogene Mundwinkel karikaturhaft verzerrt. Das Medaillon ist von einer Rollwerkkartusche eingefasst und von allerlei allegorischem Beiwerk umgeben. So halten die weiblichen Personifikationen von Tag und Nacht bzw. Sonne und Mond von beiden Seiten einen geflügelten Reichsapfel über das Medaillon.1 Die nackten Gestalten stützen sich auf zwei Schilde, deren linker eine Maus am Fuße mächtiger Berge und darüber eine Götterversammlung zeigt, während ein Krebs mit einer Friedensfahne den Schild der Luna auf der gegenüberliegenden Seite schmückt.2 Über den Personifikationen turnen in dem mit Groteskerien, Fruchtgehängen und Blüten ausstaffierten Rankenwerk zwei Putti, die den zwischen ihnen thronenden Löwen in ihr Spiel einzubeziehen suchen. Eine in das Rahmenwerk integrierte Bildtafel zu Füßen des allegorischen Ensembles zeigt zwei Putti, die vor einer brennenden Stadt mit Strohhalmen platzende Seifenblasen produzieren, von denen eine die Inschrift PAX trägt.3 Die Qualität und die manieristische Ausführung des Kupferstichs lässt an einen Künstler des niederländischen Manierismus in der Nachbarschaft von Jacques de Gheyn (1565–1629) oder Hendrick Goltzius (1558–1617) als Urheber denken. Der Text ist als Gespräch zwischen den fünf Unterhändlern inszeniert. Der Sekretär des spanischen Königs Juan de Mancisidor († 1618) wendet sich an den Befehlshaber der spanischen Truppen Ambrosio Spinola (1571–1630) und bekundet unter Bezug auf das allegorische Rahmenwerk des Stiches seine Zuversicht, dass Spanien bald unangefochten seine Universalmonarchie4 antreten werde, wenn erst der belgische Löwe ruhig gestellt sei. Spinola erklärt in seiner Antwort, dass der Vertrag schon fast unterschriftsreif sei; lediglich die Frage des Indienhandels sei noch offen, den beiden Seiten für ihre Rüstungspläne nutzen wollten. Die Probleme mit Aachen könnten es allerdings angeraten sein lassen, auf Zeit zu spielen, um die anderen Reichsstädte in Sicherheit zu wiegen.5 Auch der Präsident des Geheimen Rats der spanischen Krone Jean Richardot (1570–1614) rät zur Verzögerung der Verhandlungen, da er befürchtet, dass eine de facto-Anerkennung der Niederlande eine Art Dominoeffekt in anderen spanischen Provinzen und katholischen Einflussgebie252

Consultation vnd vnderredung deß Ehrwürdigen

(Köln?) 1608 Kupferstich Typendruck in 4, graviert in 2 Spalten; 344 Knittelverse, 7 lateinische Hexameter 34,5 ! 48,5; 30,0 ! 21,0

ten auslösen könnte. Der flandrische Staatssekretär Louis Verreyken († 1621) plädiert hingegen für einen zügigen Vertragsabschluss und pflichtet der Meinung Mancisidors bei, will aber dem Urteil des Pater Jan Neyen (1568–1612) die Entscheidung überlassen. Letzterer wendet sich erneut dem allegorischen Rahmenwerk des Bildes zu und legt die Schilde, Figuren und Tafel als Zeichen des Niedergangs Spaniens aus. Aus Sorge aber um sein Ansehen als Verhandlungsführer, der trotz großen Aufwands nur ein Ergebnis von der Größe einer Maus zustande brächte, will er sich nach Den Haag begeben, um die Verhandlungen zum Abschluss zu bringen und sich die Kardinalswürde zu verdienen. Die lateinischen Verse unterhalb des Bildes heben auf die Aussichtslosigkeit des Friedens ab. Das in den Konjunktiv gesetzte Horaz-Zitat (Ars Poet. 139), das auch in den Text Jan Neyens Eingang gefunden hat, verdeutlicht die Unverhältnismäßigkeit von Aufwand und Nutzen. In der Inschrift des Medaillons motivieren sich die fünf Gesandten, ihre fünf Sinne für die Interessen Spaniens einzusetzen. Die Verhandlungen in Den Haag um einen Frieden oder Waffenstillstand dauerten von 1607– 1609. Einer der kompliziertesten Vertragspunkte betraf den Indienhandel, der den Niederländern verboten werden sollte. Nach vielen Anläufen einigte man sich darauf den strittigen Punkt auszuklammern.6 Text und Bild ergänzen und erklären einander. Es entsteht der Eindruck, die fünf Unterhändler würden die Friedensgespräche absichtlich verlängern, um die Niederlande zu schwächen. Tatsächlich verzögerten sich die Verhandlungen, weil die Gesandten zu regelmäßigen Absprachen mit dem spanischen König verpflichtet waren. In einer Schrift aus dem Jahre 1608 wird erwähnt, dass sich die Gesandten der Generalstaaten bei Spinola beschwerten, weil Pater Ney so lange abwesend sei und währenddessen wenig verhandelt werde.7 Das Blatt bestätigt und verstärkt die Vorurteile, die man auf protestantischer Seite gegenüber den Spaniern hegte (b II, 37 f., 292; IX, 174). So wird den Spaniern Gewinnsucht, Selbstüberschätzung, Anmaßung und Lust an Verstellung, List und Hinterhalt unterstellt. Besonders Spinola verkörperte angeblich diese Eigenschaften.8 Durch den Titel und die durch Jan Neyen vorgenommene Auslegung des Bildes unter Verwendung des Horaz-Zitats entsteht der Eindruck, dass die Niederländer siegreich aus den Verhandlungen hervorgehen werden. Besonders die Gleichsetzung der spanischen Universalmonarchie mit den Seifenblasen verleiht der Möglichkeit eines niederländischen Sieges über Spanien Ausdruck. Als Druckort des Blattes darf man Köln vermuten, wo das Interesse an den Vorgängen in den benachbarten Niederlanden besonders groß war,

wo der im Text erwähnte Michael Aitzinger (um 1530–1598) seine Schriften publizierte und wo mit Crispin de Passe und den Hogenbergs (1564–1637) Stecher und Verleger mit guten Kontakten zu ihrer holländischen Heimat ansässig waren.

Weitere Standorte: Amsterdam, RM: FM 1253 (A 1); Berlin, KK: 60066; Braunschweig, HAUM: FB XVIII gr; Dresden, KK: J.v.d.Heyden A-242m-2, fol. 56 [nur der Stich]; Gotha, Forschungsbibliothek: Biogr. Gr. 20 593/2, fol. 432; London, BL: 1750. C. 1 (16) (A 1); London, BM: 1871.1209.4749; Nürnberg, GNM: 319/1313; Wolfenbüttel, HAB: 32.5 Aug.20 fol.1161 [nur der Stich, b II, 77]; Wolfenbüttel, HAB: Xb FM 34; ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig [2 Exemplare] (A 2); ehem. Antiquariat Halle, München (A 3)

Andere Fassungen: A1 A2 A3

PAAS I, P-94. DRuGuLIN II, Nr. 1170; ebd.: Nachträge, Nr. 1170a. Antiquariat Halle, Nr. 716.

1

Es handelt sich um eine ikonographische Kontamination von Herrschafts- und Fortuna-/Chronos-Symbolik, mit der auf die Schnell- und Kurzlebigkeit der spanischen Ansprüche auf die Universalmonarchie verwiesen wird. Als Zeichen, dass der angestrebte Waffenstillstand keinen Fortschritt bringe; zum Krebsgang b I, 56 f. Zum Homo Bulla-Motiv, das hier auf den Frieden appliziert wird, vgl. W. STECHOW: Homo Bulla. In: The Art Bulletin 20,2 (1938), 227 f.; b III, 112, 126 f. Dazu F. BOSBACH: Monarchia universalis. Ein politischer Leitbegriff der frühen Neuzeit. Göttingen 1988. Die Exekution der 1598 verhängten Reichsacht war wieder zugunsten der Lutheraner rückgängig gemacht worden und musste 1614 erneut vollzogen werden (b II, 98 f.); vgl. Karl Franz Meyer: Aachenische Geschichten. Aachen 1781, 585 f. H. LADEMACHER: Gesch. der Niederlande. Politik ⫺ Verfassung – Wirtschaft. Darmstadt 1983, 133 f. Theodor Meurer: Relationis Historicae Continvatio. O.O. 1608, 39, 91. BRIESEMEISTER: Flugschriften, hier 161–164. AR/MSch

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F 445

Ort Jahr Bild Text Verleger Format

Das Flugblatt berichtet über die Ereignisse in Antwerpen anlässlich des Waffenstillstandes zwischen dem spanischen Königreich und den Generalstaaten. Zur Verkündigung der Ergebnisse der Friedshandlung versammeln sich die eilig herbeiströmenden Bürger vor dem Rathaus der Stadt. Ein Vertreter der Stadtobrigkeit verliest im Kreise seiner Kollegen die Ergebnisse der Verhandlungen auf einer festlich geschmückten Tribüne. An den Fenstern des Rathauses zeigen sich die Vertreter der Gesandtschaften den Bürgern Antwerpens. Im Hintergrund sind brennende Pechtonnen zu sehen, die zum Ausdruck der Freude über den Abschluss der Friedensverhandlungen von den Bürgern aufgestellt und entzündet worden waren. In den Knittelversen werden die Christen aufgefordert, Gott zu preisen, da endlich ein Waffenstillstand vereinbart werden konnte. Außerdem berichten die Verse von der Freude der niederländischen Bürger über den ausgehandelten Frieden. Der Prosatext beschreibt den Ereignisablauf und bittet am Ende Gott um weitere Unterstützung, um letztendlich den Waffenstillstand in einen Frieden verwandeln zu können. Der Autor teilt zu Beginn der Schilderung mit, dass die Waffenstillstandsverhandlungen ihren Abschluss mit Hilfe der daran beteiligten Abgeordneten des spanischen Königs, der Generalstaaten und der Gesandten Frankreichs und Englands gefunden haben, dass die Bestimmungen des Vertrages von einem Stadtsekretär öffentlich von einer Bühne herunter vorgetragen worden seien und während der Verlesung sowohl Vertreter der Stadtobrigkeit Antwerpens als auch die Gesandten der einzelnen Staaten zugegen gewesen seien. Im zweiten Teil widmet sich der Autor dem Inhalt des Vertrages und veröffentlicht die für ihn wichtigsten Punkte. Dabei weist er auf die strikte Friedenspflicht hin und gibt Auskunft über einzelne Satzungen des Abkommens, wie über den freien Handel und über das Reise-, Wohn- und Besitzrecht der Einwohner und Bürger beider Teile der Niederlande.2 Der dritte Teil schildert die Festlichkeiten der Gesandtschaftsvertreter und der Bürgerschaft in Antwerpen. Im vierten Teil wird von den positiven Auswirkungen der auf zwölf Jahre festgesetzten Waffenruhe gesprochen, aber auch auf noch ungeklärte Punkte betreffs des Zusammenlebens der Niederländer verwiesen.3 Am Ende betont der Autor die überall herrschende Freude über den Waffenstillstand und verleiht seiner Hoffnung Ausdruck, dass aus diesem Stillstand ein Frieden entstehen möge. Der Anstand von Antwerpen bezeichnete das vorläufige Ende des seit etwa 40 Jahren andauernden Krieges zwischen Spanien und den Generalstaaten. 254

Eigentliche vnnd Kurtze Erklärung welcher gestalt

(Köln) (1609) Radierung graviert und Typendruck in 3 Spalten; 12 Knittelverse, Prosa (Franz Hogenberg Nachfolger)1 42,1 ! 30,8; 20,4 ! 25,9

Die Spanier waren 1607 mit der niederländischen Republik, die aus der Utrechter Union von 1579 hervorgegangen war,4 in Korrespondenz getreten5 und hatten um einen Waffenstillstand gebeten.6 Dem niederländischen Staatsmann Johan Oldenbarnevelt (1547–1619) gelang es schließlich, den Statthalter der Niederlande Prinz Moritz von Oranien (1567–1625) von der Notwendigkeit eines Friedens oder Waffenstillstandes mit den Spaniern zu überzeugen. Die Verhandlungen wurden über einen Zeitraum von zwei Jahren geführt und waren von Misstrauen und Anfeindungen der Parteien geprägt, die vor allem über den Indienhandel debattierten (b IX, 131).7 Aber auch in den Vereinigten Provinzen kam es zu Auseinandersetzungen zwischen den Befürwortern des Friedens und ihren Gegnern. Dass der Waffenstillstand dennoch geschlossen werden konnte, ist vor allem auf Oldenbarnevelt zurückzuführen, der wegen seiner Bestrebungen um einen Vergleich mit den Spaniern in der Publizistik seiner Zeit des Verrats an den Vereinigten Niederlanden bezichtigt wurde.8 Seit März 1609 kamen die Gesandten Spaniens, Frankreichs, Englands und der Generalstaaten täglich in Antwerpen zusammen, so dass am 9. April 1609 die Verhandlungen abgeschlossen waren und am 14. April die feierliche Verlesung der 38 Artikel des Waffenstillstandsabkommens in der Stadt erfolgen konnte. Nach der öffentlichen Bekanntmachung der Artikel begannen die Festlichkeiten. Darauff auch vom Spinola vnd der Oberkeit/ den frembden Herren sämptlich herrliche Panket gehalten/ vnd sie den 16. Ditto früe vmb 5.Vhr zu Schiff/ wider nach holland zu Wasser/ statlich begleitet worden. Daß also an diesem Frieden nicht mehr zu zweifeln/ auch ein jeder an jetzo ohne gefahr hin vnd wieder reisen vnd handeln mag.9

Zwei Jahre vor Ablauf der Friedensfrist setzte die Propaganda gegen eine Verlängerung des Anstands erneut ein und traf u. a. wieder Oldenbarnevelt. Er und einige seiner Mitstreiter, zu denen auch Hugo de Groot (Grotius, 1583–1645) zählte, wurden 1618 inhaftiert und verurteilt. Oldenbarnevelt wurde am härtesten bestraft und 1619 enthauptet.10 1621 kam es nicht zu einer Verlängerung des Waffenstillstandes, da man auf spanischer11 wie auf niederländischer Seite12 der Ansicht war, dass die Wirtschaftsinteressen, die den Indienhandel betrafen, ausschließlich durch einen Krieg entschieden werden könnten. Das Thema des auf zwölf Jahre begrenzten Abkommens von Antwerpen griffen auch andere Flugblätter in Deutschland auf.13

Weitere Standorte: Gotha, SM: G 19,2; Nürnberg, GNM: 320/1220

Andere Fassungen: A1

PAAS I, P-108.

1 2

Hogenberg: Geschichtsblätter, 396. Articul Deß Friedens vnd Anstands in Niderland. Frankfurt a. M. 1609. Erklärung vnd Zusatz Etlicher Articklen. Köln 1610. J. ARNDT: Das Heilige Römische Reich u. die Niederlande 1566 bis 1648. Wien 1998, 69–71. Zuschreiben/ Dess Durchleuchtigsten Hochgebornen Fürsten […] vmb tractation/ woh nicht eynes beständigen Fridens/ doch An vnd Stillstands von aller Thätlichkeyt. Brüssel 1607. PARKER: Aufstand, 286. Gregorius Wintermon: Continvatio I. Der Zehenjährigen Relation/ oder Calendarii Historici decennalis. Leipzig 1609, 4 u. 36 f. Auch auf Flugblättern wurde die Behinderung des niederländischen Handels durch die Spanier thematisiert; vgl. PAAS I, P-111 f., PA-31. PARKER: Aufstand, 302. Wintermon: Continvatio I, 88. ISRAEL: Republic, 449–459. B. BENNASSAR/ B. VINCENT: Spanien. 16. u. 17. Jh. Stuttgart 1999, 155. Zwey vnterschiedliche nothwendige Bedenken; Vnd außführliche Resolution deren Frage: Ob die Herren General-Staaten vnd gesampte vereinigte Niderlande/ sich mit den König zu Hispanien/ etc. In angebottene ferne Friedens- vnd Anstandshandlung/ einlassen. O.O. 1621. PAAS I, P-109 f., PA-29 f. AR

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255

IX, 131

F 476

Ort Jahr Bild Text Format

Das Blatt kommentiert die Auseinandersetzungen um den Indienhandel mithilfe einer Seemannsgeschichte von einem Stab, um den die Spanier und Niederländer streiten. Der Kupferstich zeigt einen holländischen Seemann und einen Spanier, die von zwei Seiten an einem Stab ziehen. Während der holländische Seemann mit einem Messer droht, versucht der Spanier ihn mit abwehrender Geste zu beschwichtigen. Dem Kampf sehen weltliche Herrscher zu, die teils mit Orden geschmückt sind. In der Fassung b werden einige Zuschauer identifiziert: Der Imperator (Kaiser) trägt das Goldene Vlies, der Rex Angliae hat den Hosenbandorden umgebunden und der Rex Galliae zeigt sich mit dem Orden vom Heiligen Geist. Die als Vorspann fungierenden Knittelverse über dem Bild teilen mit, dass ein alter Seemann aus Monnikendam Ratschläge und Warnungen für die Zukunft geben und die Wirkung des goldenen Stabes beschreiben wird. Der Text gliedert sich in vier Absätze, in denen der Schiffer als Ich-Erzähler über die Spanier und ihr Verhalten gegenüber anderen Völkern, insbesondere aber über den Streit mit den niederländischen Seefahrern berichtet. Zu Beginn der Erzählung teilt der Seemann mit, dass er in den Ruhestand gegangen sei und nun hoffe, dass seine Nachfahren ebenfalls gute Matrosen würden. Die nachfolgenden Absätze dienen dazu, seine Matrosen und die Schawleuth1 über die Spanier und ihr Unwesen aufzuklären. Der zweite Absatz schildert unter Aufbietung zahlreicher antispanischer Ressentiments die Entwicklung des Spaniers vom Sklaven der Sarazenen zum usurpatorischen Seefahrer. Der Spanier habe vor 100 Jahren einen goldenen Stab gefunden, der Las Indias heiße und sich von Ost nach West erstrecke. Diesen Stab nutze der Spanier zum Angriff, zur Verteidigung, zum Entzweien von Verbündeten und besonders zum strelen (hier: schmeicheln, bestechen); letzteres bewirke bei den Völkern eine Verdrängung aller von den Spaniern zugefügten Gewalttaten und die Aufkündigung geltender Bündnisse. Der dritte Absatz widmet sich der Situation der Niederlande. Der Stab trage die Schuld an den Kämpfen innerhalb des niederländischen Volkes und habe diesem großen Schaden zugefügt. Der Seefahrer schöpft Hoffnung für die Befreiung von den Spaniern aus dem Schicksal eines alten und starken Baumes, der durch den Stab gefällt wurde und aus dem trotzdem neue Zweige wuchsen. Seinen Berufsstand hält der Seemann besonders für den Widerstand geeignet, weil der Matrose zwar bislang vom Spanier allzeit […] die Courante vbers bort zu tanzen gelehrt bekommen habe, nun aber mutig geworden sei und seit zehn Jahren mit dem Seignour um den goldenen Stab kämpfe. Obwohl der Spanier gedroht und geflucht habe, damit der See Maet seine Hand vom Ostende des Stabes nehme, 256

Der güldne Stab Vmb welchen

1609 Kupferstich Typendruck in 4 und 6 Spalten; 12 Knittelverse, Prosa 50,2 ! 33,9; 20,8 ! 29,8

habe dieser ihm eine Schramme am Cadischen Sundt zugefügt.2 Der Spanier habe daraufhin eine Vereinbarung vorgeschlagen, derzufolge die Niederländer freie Seemänner sein dürften, allerdings auf die Oost vnd West Indische Farth verzichten müssten. Der Maetroos habe hingegen ein anderes Arrangement bevorzugt, nach dem er und der Spanier den Indienhandel teilen würden. Der Spanier sei hinsichtlich des Vorschlages unsicher gewesen, da er befürchtete, weder in der Konkurrenz im Seehandel noch im Kampf zu bestehen. Aus diesem Grunde habe er versucht, die niederländischen Seeleute mit einem Schlafkraut, genannt Treues (Waffenstillstand),3 zu bezwingen. Dieses Kraut, das eine Schlafdauer von mindestens einem Jahr zur Folge habe, hindere den Matrosen daran, den Stab festzuhalten, oder gebe dem Seignour die Möglichkeit, den Stab zu zersägen, so dass er wieder allein über einen ganzen Stab verfügen könne. An dieser Stelle bricht der Seemann seine Erzählung ab. Er warnt noch einmal vor dem Spanier, der das Goldene Vlies begehre und deshalb eine große Gefahr bedeute. Der Matrose solle den Stab nicht loslassen und kein Schlafkraut einnehmen, sondern seinem Compaßstrich folgen. Im vierten Absatz wendet sich der Seemann an die Schawleuth. Sie sollen die Hand mit an den Stab legen, der ihnen so offt vmb die Ohren geflogen sei, und bedenken, dass sich bisher nur die Niederländer 40 Jahre lang gegen die Spanier gewehrt hätten. Der Seemann warnt außerdem davor, sich in Sicherheit vor dem Seignour zu wähnen, weil dieser unvermutet angreife und selbst Inhaber des Goldenen Vlieses nicht geschützt seien. Am Ende ruft der Schiffer sie alle auf, gemeinsam ein Bündnis einzugehen.

ßenden Friedensgesprächen erwies sich der Indienhandel neben der Bekenntnisfreiheit für die Katholiken in den aufständischen Provinzen und der Öffnung der Schelde als der schwierigste Vertragspunkt. In der zeitgenössischen Publizistik warnte man vor dem Frieden mit den Spaniern und unterstellte ihnen, diesen nur wegen eines möglichen Verbots des Indienhandels für die Niederländer anzustreben.7 1609 waren die Verhandlungen zwischen den Gesandten abgeschlossen. Die Verkündung der Vertragspunkte erfolgte am 14. April in Antwerpen (b IX, 130). In dem auf zwölf Jahre festgesetzten Waffenstillstand wurde der Seehandel sehr weitläufig im Artikel IV behandelt.8 Die Niederlande verpflichteten sich mit der Anerkennung des Vertrages, ausschließlich in den Gebieten Handel zu betreiben, die unter der Hoheit Spaniens stünden und keine anderen Gebiete zu erkunden oder zu bewirtschaften. 1621 wurde sowohl von Spanien als auch von den Niederlanden eine Verlängerung des Waffenstillstandes abgelehnt und der Krieg ausgerufen (b II, 104, 194).9 Als Vorlage des Blattes diente ein Flugblatt in niederländischer Sprache aus dem Jahre 1608 (Fassung b).

Weitere Standorte: Amsterdam, RM: FM 1254A (A 1); Berlin, KK: 60064; Berlin, SBPK: YA 4301 kl; Braunschweig, HAUM: FB XVIII gr; Nürnberg, GNM: 14254/1313; Paris, BN: Hennin, 1350; München, Sammlung C. Kemp

Andere Fassungen:

Der goldene Stab versinnbildlicht auf dem Flugblatt den Indienhandel, der von den Mächten Europas betrieben, von Spanien aber dominiert wurde. Im Zeitalter der Entdeckungen hatten die Königreiche Portugal und Spanien unter sich die Welt aufgeteilt. 1479 konnten im Vertrag von Alcácovas Rivalitäten zwischen den beiden Reichen beigelegt werden. Der Vertrag regelte den inneriberischen Erbfolgekrieg ebenso wie den Konkurrenzkampf auf dem Atlantik. Die Niederländer hatten den im 15. Jahrhundert erfolgreichen Ostseehandel im 16. Jahrhundert auf den Mittelmeerraum ausgedehnt und Ende des 16. Jahrhunderts begonnen, nachdem Spanien 1585 und 1595 gegen die aufständischen Provinzen ein Handelsembargo erlassen hatte, Güter direkt aus Südostasien und der Karibik zu beziehen.4 1602 wurde die Vereinigte Ostindische Kompanie gegründet, die das Handelsmonopol für das Gebiet zwischen dem Kap der Guten Hoffnung und der Magellanstraße erhielt.5 1607 erklärten die Spanier ihre Oberhoheit über die See und sandten ihre Armada an die Andalusische Küste. Damit begann der Seekrieg gegen die Niederlande, die einen Sieg bei Gibraltar im gleichen Jahr errangen.6 In den anschlie-

a) b)

c)

Nürnberg, GNM: 24757/1313 [seitenvertauschtes Bild] Amsterdam, RM: FM 1376;10 London, BM: 1871.1209.4764 [Discours/ ofte wtlegghinghe over den Gouden Stock] London, BM: 1871.1209.4762 [Verclaringe van den Gouden Stock]

A1 A2

PAAS I, P-111. PAAS: Verse Broadsheet, 43, Nr. 27.

1 2

Wortspiel mit ‚Zuschauer‘ und ‚Schauermann‘. Anspielungen auf die Eroberung Ostendes 1604 und die Schlacht vor Gibraltar 1607. GRIMM: DWb, XXII, 286–288. H. HEINE: Gesch. Spaniens in der frühen Neuzeit. 1400– 1800. München 1984, 115. H. LADEMACHER: Gesch. der Niederlande. Politik – Verfassung – Wirtschaft. Darmstadt 1983, 143 f. ISRAEL: Hispanic World, 7; J. C. MOLLEMA: Geschiedenis van Nederland ter Zee. Amsterdam 1994, 106–108. Johann Adler-Salvius: Ausführung allerhand wolbedencklicher Argumenten […] Warum die Vereinte Provintzen […] die Schiffarten/ Ihn Ost vnd West Indien/ nicht verlassen. O.O. 1608. Articul Deß Friedens vnd Anstands in Niderland/ beschlossen. Frankfurt a. M. 1609. PAAS III, P-736 bis 738; PA-160 f. MuLLER I, 1367. AR

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257

IX, 131a

F 722

Ort Jahr Bild Text Format Zustand

Vor dem Hintergrund des Waffenstillstands zwischen Spanien und den Niederlanden warnt das Blatt die Herrscher vor den Listen des Papsttums, zumal der Jesuiten, und überträgt Angaben aus Plinius’ (25⫺79) ‚Naturgeschichte‘ über den Löwen auf die politische Ebene. Links im Vordergrund wirft ein Jesuit einem angreifenden Löwen nach dem Vorbild des bei Plinius erwähnten (Naturalis Historia VIII, 21) libyschen Hirten eine Decke (falsa persuasio) über den Kopf, ut devinciatur non repugnans. Der Ordensbruder, dessen Physiognomie karikaturhaft verzerrt ist, trägt am Gürtel ein Beutelbuch mit der Aufschrift DE FIDE HERETICIS SERVANDA.1 Etwas weiter hinten nähern sich zwei Bischöfe und ein Kardinal, deren Wesen durch ihre Wolfsgestalt kenntlich gemacht ist und deren Insignien Krummstab, Kardinalkreuz und Weihwasserwedel von ihren Besitzern wie Waffen (Standarte, Lanze, Muskete) getragen werden, einer Gruppe von drei Löwen, die durch ihre Attribute von Krone und Szepter, Kurfürstenhut und Schwert sowie federgeschmückten Helm und Marschallstab als Herrscher und Heerführer ausgewiesen sind; hinter den Geistlichen – durch die Geländeform nur halb sichtbar und im Schatten, also im Verborgenen – bestätigt ein Kapuzinermönch den wölfischen Charakter des katholischen Klerus dadurch, dass er ein gerissenes Schaf im Fang trägt. Am linken Bildrand im Mittelgrund berät sich unter einem prachtvoll verzierten Baldachin der Papst mit einem Kardinal, Jesuiten, Bettelmönch und spanischen (?) Edelmann; ein zweiter Mönch schreibt die Beschlüsse (Protokoll? einen Vertrag?) des Konsistoriums nieder. In der weiträumigen Meereslandschaft, in die links eine Hafenstadt und rechts eine Burg sowie zwei größere Gebäude eingefügt sind, spielen sich mehrere Szenen ab, die durch beigesetzte Verweisziffern identifizierbar gemacht sind: Auf der linken Seite wird der Löwenbändiger Hanno von einer weiblichen Gestalt (der Personifikation Karthagos?) aus der Stadt gewiesen (9; vgl. Plinius, Naturalis Historia VIII, 21). In der Mitte treibt ein Reiter zwei galoppierende, vor einen leeren Wagen gespannte Pferde an; die Inschrift auf dem hinteren Wagenrad spricht von bedeutungslosem Lärm (INANES RuMORES), der hier erzeugt werde (4). In Kombination mit dem prasselnd auflodernden Feuer (6) und dem krähenden Hahn (5) sind hier jene Lärmquellen ins Bild gesetzt, vor denen sich die Löwen (3) laut Plinius (Naturalis Historia VIII, 19; X, 24) fürchten. Auf der rechten Seite werden unter Aufsicht zweier Jesuiten Pulverfässer zu einem Gebäude gefahren; es handelt sich um eine Anspielung auf den Gunpowder Plot von 1605 (b II, 201; IX, 118 f.). Der deutsche Text berichtet von einer päpstlichen Beratung, wie man der Christliche[n] König/ Fürs258

EX C.

PLINII IIX. NATuRAL. HISTOR.

(1609/10) Kupferstich Typendruck in 4 Spalten; (lateinische Hexameter), Prosa 30,0 ! 44,5 (Kupferstich) Text fehlt; die deutsche Prosa wurde ergänzt nach dem Exemplar der University of Texas in Austin

ten vnnd Ständ Herr werden könne, welche als Löwen dem Römischen Trachen und seinem Plan Widerstand leisteten, den Löwen auß dem Stamm Juda, also Christus, zu zwingen vnd [zu] pochen. Die Ratschläge erfolgen in qualitativer Steigerung: Nachdem der eingangs geäußerte Vorschlag eines Gesandten, militärische Gewalt einzusetzen, vom Kardinal mit dem Hinweis zurückgewiesen wird, dass Löwen gerade in Situationen der Gefahr ihre größte Kraft entfalteten, gibt der Franziskanergeneral zu bedenken, dass man die natur vnd neigung der Tiere kennen müsse, wenn man sie gefahrlos fangen wolle. Daraufhin führt der Jesuitengeneral alß der listigste aus, wie man einen Löwen am besten überwinden könne: indem man ihm Furcht durch ratternde Wagenräder, einen krähenden Hahn und Feuer einjage und ihm einen Mantel vor die augen werffe; dann verliere er seine Hertzhafftigkeit und stärck. Darauf erteilt der Papst dem Jesuiten den Auftrag, den Löwen zu fangen vnd zuverderben. In der zweiten Texthälfte werden mit der Bartholomäusnacht (b VII, 22 f.) und der Pulververschwörung sowie einem etwas undeutlichen Bezug auf die Niederlande (Ermordung Wilhelms von Oranien [1533⫺1584]? b VII, 149⫺151) konkrete Ereignisse genannt, bei denen die Jesuiten den päpstlichen Auftrag umgesetzt hätten. In zwei rhetorische Fragen kleidet der Text die Aufforderung an die Löwen, solche Wölff vnd Hyenen ewiglich zu hassen und sich ein Vorbild an dem karthagischen Senat zu nehmen, der dem Löwenbändiger Hanno kein Vertrauen schenkte. Das Gebet im letzten Absatz wendet sich an den Löw auß dem Geschlecht Juda mit der Bitte, seinen lebendigen ebenbildern auf Erden, also den königen/ Fürsten vnnd Obrigkeiten, beizustehen. Unter Bezug auf Apk 5,10 schließt der Text mit der Verheißung: wir werden Könige sein auff Erden. Von dem lateinischen Text haben sich auf dem Ulmer Exemplar nur 30 Hexameter erhalten. Er ist mit INTERPRETATIO EMBLEMATIS überschrieben und unterscheidet sich, soweit erkennbar, von seinem deutschen Pendant in Aufbau und Argumentation, die den Papst und die Jesuiten in die Nähe des Teufels rückt und als Ausgeburten der Hölle (ultima stercora Ditis | Tartarei) bezeichnet. Zwar expliziert das Blatt seinen aktuellen Bezug nicht und erleichtert so, dass seine Aussagen generalisiert werden können,2 doch dürfte die Kenntnis der politischen Situation für die Zeitgenossen eine Verbindung zu konkreten Ereignissen unschwer hergestellt haben. Es geht um das am 9. 4. 1609 unterzeichnete Waffenstillstandsabkommen, den sog. Treves, zwischen Spanien und den Niederlanden, der von Johan Oldenbarnevelt (1547⫺ 1619) ausgehandelt, von Moritz von Oranien (1567⫺1625) aber abgelehnt worden war (b II, 77; IX, 129⫺131).3 Der Autor des Blattes stellt das Abkommen als Blendwerk (falsa persuasio) hin,

da für Katholiken ja ohnehin mit Ketzern geschlossene Verträge keine Gültigkeit besäßen. Der Waffenstillstand solle den Leo Belgicus nur schwächen und letztlich dem Papsttum unterwerfen. Da die Blendung des niederländischen Löwen im Bild schon vollzogen ist und sich die wölfischen Abgesandten des Papstes bereits auf den Weg zu den nächsten protestantischen Herrschern begeben haben, um sie sich gleichfalls botmäßig zu machen, wird das Blatt nach Abschluss des ‚Treves‘ entstanden sein. Zur Bestimmung des terminus ante quem kann ein argumentum ex silentio dienen: Am 10. 5. 1610 wurde das Attentat auf Heinrich IV. von Frankreich (1553⫺1610; b II, 91 f.) verübt. Wäre dieses Ereignis bei der Abfassung des Textes schon bekannt gewesen, hätte der Autor es sicher in seine Reihe jesuitischer Anschläge aufgenommen. Die Feinheit und Ausführung des Kupferstichs lassen vermuten, dass er von einem niederländischen Künstler hergestellt worden ist.

Weitere Standorte: Austin, HRHRC: Popular Imagery Collection, Nr. 195 (ohne den lateinischen Text); Braunschweig, HAUM: FB 3, XVI (ohne den Text); Ulm, StB: Einbl. 551 (nur die ersten 22 Textzeilen); ehemals Antiquariat Drugulin, Leipzig (A 1, ohne den Text)

Andere Fassungen: A1 A2 A3

DRuGuLIN II, Nr. 1195. NIEMETZ: Bildpublizistik, 47⫺49 mit Abb. 31. PAAS XIII, P-3823.

1

Die Frage, ob Verträge mit Ketzern gültig seien, war 1584 von Jan Vermeulen (Molanus) abgehandelt worden und führte zwischen 1607 und 1611 zu einer lebhaften Kontroverse zwischen den Jesuiten (Martin Becanus, Heribert Rosweyde, Roberts Sweerts) und den Protestanten (Daniel Plancius, Matthew Sutcliffe). Zu solchen kalkulierten Unbestimmtheiten vgl. W. HARMS: Von den Vorzügen uneigentlicher Formulierung u. unscharfer Assoziation in der Bildpublizistik. Tiere als Akteure auf illustrierten Flugblättern der Frühen Neuzeit. In: B. JAHN/ O. NEuDECK (Hgg.): Tierepik u. Tierallegorese. Studien zur Poetologie u. historischen Anthropologie vormoderner Literatur. Frankfurt a. M. 2004, 299⫺311. Zur gleichzeitigen Publizistik (ohne Kenntnis des vorliegenden Blatts) vgl. M. DLuGAICZYK: Der Waffenstillstand (1609–1621) als Medienereignis. Politische Bildpropaganda in den Niederlanden. Münster u. a. 2005. MSch

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IX, 132

F 46

Ort Jahr Bild Text Format

Das Blatt enthält eine scharfe Bildpolemik gegen die katholische Kirche mit Darstellungen des Papstes und der Ordensgeistlichkeit als Unterdrücker und Ausbeuter. Das Bild zeigt einen aufgeklappten, mit Ornamenten verzierten Flügelaltar, der vor einer rissigen Mauer aufgestellt ist. Im zentralen Feld des Altars ist ein Baum dargestellt, der aus den Nabelschnüren von Adam und Eva wächst. In den Baumstamm ist ein umgewandeltes Bibelzitat Wachset Vnd Mehret euch (‚Seid fruchtbar und mehret euch‘, 1 Mos 1,22) eingraviert. In der Krone des Baumes stehen drei die Weltkugel auf ihren Schultern tragende Gestalten, die drei Stände symbolisieren: Bauer (NehrStandt), Herrscher (WehrStandt) und Gelehrter (LehrStandt). Auf der Weltkugel liegt ein Mönch, der mit einem Fuß den Bauer auf den Nacken tritt, mit der einen Hand dem König das Zepter zu entreißen versucht und mit der anderen das Buch des Gelehrten mit einer Fackel anzündet. Das Bild wird oben durch eine Darstellung Gottes in einem Medaillon auf einem runden Altaraufbau erweitert. Gottvater wirft Donnerkeile und Blitze auf den Mönch. Das zentrale Bild ist flankiert von den Gestalten des Papstes und eines Jesuiten auf den beiden Altarflügeln. Der Papst hält in seiner linken Hand zwei Hellebarden. An seinem Gürtel hängt eine Bulle mit der Aufschrift ‚So will ich, so befehl ich und ich kann nicht irren‘. Um seine Tiara ringelt sich eine Schlange. Er tritt mit den Füßen zwei geöffnete Bücher mit den Aufschriften Verbum Dei und Jus Civile. Neben ihm sitzt ein Löwe, der in den Klauen ein Schriftstück mit der Aufschrift Decreta Pontificum hält. Der Jesuit trägt unter dem Mantel eine Rüstung. In einer Hand hält er eine mit Pfauenfedern geschmückte Maske, mit der anderen den Schwanz des zu seinem rechten Fuß sitzenden Fuchses.1 Zwischen den Beinen des Geistlichen liegt ein geöffnetes Buch, aus dessen Mitte ein Kanonenrohr herausragt; oberhalb und unterhalb des Kanonenrohrs sind zwei Sprüche eingeschrieben: ‚Mit Worten und Waffen‘ und ‚Mit List und Gewalt‘. Die Szene auf der Predella zeigt einen Mönch, der hinter einem von einer Nonne gezogenen Räder-Pflug geht.2 Die Nonne trägt eine Kerze und wird von einer Katze begleitet; der Wegbegleiter des Mönchs ist ein Wolf mit einem ‚Schäflein Christi‘ im Maul. Untergepflügt wird ein Dorf, von dem noch eine Kirche heilgeblieben ist. Auf dem Pflug steht eine Monstranz. Die Szene ist vor dem Hintergrund einer hügeligen Landschaft mit weiten Feldern und einem Dorf in der Mitte platziert.

Spiegel des Antichrists. Darinn Warhafftig

Rom (fingiert) 1608 Radierung Typendruck in 2 Spalten; 12 Knittelverse 36,2 ! 24,6; 34,0 ! 24,6

gleich in ihrem Glauben. Doch der Papst, als Römisch Antichrist bezeichnet, versuche diese Ordnung zu zerstören, indem er auf Löwenart mit Gewalt nach der weltlichen Macht greife. Der listige Jesuit verbreite falsche Lehren, während der Münch Wolff sampt der Klosterkatzen4 Bauern ihrer Güter beraubten. Das Bild des Papstes als Antichrist wurde seit dem 15. Jahrhundert polemisch gegen die römische Kirche eingesetzt (b II, 40–42).5 Durch die Platzierung auf dem Altar werden der Papst und seine Parteigänger, allen voran die Jesuiten, als diejenigen diskreditiert, die sich die Stelle Gottes anmaßen. Die den Hintergrund bildende rissige Mauer könnte als ein Hinweis auf den ‚stürzenden Bau‘ der katholischen Kirche gedeutet werden (b IV, 239; II, 18, 131).6 Gegenstand der Kritik ist päpstliche Machtgier, die mit moralisch verwerflichen Mitteln ⫺ mit Gewalt und List ⫺ und unter Verletzung göttlicher und menschlicher Gesetze befriedigt wird. Hervorgehoben wird die Gewalttätigkeit der Jesuiten, indem ihr Bild mit militärischen und militanten Akzenten ausgestattet wird, die in der antijesuitischen Propaganda der Zeit als Metaphern für die Kriegstreiberei des Ordens verwendet wurden (b II, 158 f.).7 Die Platzierung der drei Ständevertreter als Träger der Welt in der Baumkrone auf gleicher Höhe verweist anders als die bekannten Ständebäume8 bzw. -pyramiden (b IV, 258), die durch die Anordnung der Gestalten gesellschaftliche Rangunterschiede veranschaulichen,9 auf die Gleichheit der Menschen vor Gott in ihrem Glauben. Das Aufgreifen des Motivs von Löwe und Fuchs für die Charakteristik des Papstes und des Jesuiten geht über die bloße Verkörperung menschlicher Eigenschaften hinaus auf die zeitgenössische Kritik an der Staatstheorie Niccolò Machiavellis (1469–1527) zurück. Die im 18. Kapitel des ‚Principe‘ (1513) geäußerte Feststellung, der Fürst müsse wie ein Löwe und ein Fuchs zugleich sein, bedeutete für die Staatstheorie, dass politische Entscheidungen autonom seien, d. h. über den Geboten der Moral, der Religion und des Rechts stünden und damit Gewalt und Verschlagenheit im Handeln des Herrschers rechtfertigten, sofern dies der Erreichung politischer Ziele gelte.10 Die Formel von ‚Löwe und Fuchs‘ wurde in der politischen Diskussion der Zeit, aber auch in der satirischen Polemik gegen die katholische Kirche zur gängigen Metapher.11

Weitere Standorte: Dresden, KK: Flugblätter, B 1979–3 (A 1); Gotha, SM: G 17,33; Nürnberg, GNM: 58/1336 und 24826/1336

Andere Fassungen: a)

Arolsen, Fürstlich Waldecksche Hofbibliothek: Klebebd. 18, 131; Berlin, KK: 121952; Braunschweig, HAUM: Flugblätter XVI; Göttingen, SUB: H. Ger. un. VIII, 82,rara, Nr.5; Paris, BN: Hennin,1335; Ulm, StB: Einbl.836 [2.Sp., 3.Z.: Fuchß]

A1 A2

PAAS I, P-103. WÄSCHER, 30.

1

Zur ikonographischen Vorstellung des Hochmuts (Pfau) und zum Fuchsschwanz als Symbol der Heuchelei, Hinterlist und Schmeichelei vgl. LCI III, 15–27; Fliegende Blätter, Nr. 419 f. Zum Pflug-Motiv vgl. COuPE I, 176. Der Text ist abgedruckt in: C. WAGENKNECHT (Hg.): Gedichte 1600–1700. Nach den Erstdrucken in zeitlicher Folge. München 21976, 22 (nach Fassung a). Zur Klosterkatze vgl. RÖHRICH: Redensarten, III, 856 f. Zur negativen Katzensymbolik s. G. BLASCHITZ: Die Katze. In: DIES. u. a. (Hgg.): Symbole des Alltags ⫺ Alltag der Symbole. FS H. Kühnel. Graz 1992, 589–615. H. PREuSS: Die Vorstellungen vom Antichrist im späteren Mittelalter, bei Luther u. in der konfessionellen Polemik. Ein Beitrag zur Theologie Luthers u. zur Gesch. der christlichen Frömmigkeit. Leipzig 1906; KASTNER: Rauffhandel, 289–333; V. LEPPIN: Antichrist u. Jüngster Tag. Das Profil apokalyptischer Flugschriftenpublizistik im dt. Luthertum 1548–1618. Heidelberg 1999; ein Verzeichnis der Flugschriften findet sich auch bei K. AICHELE: Das Antichristdrama des Mittelalters, der Reformation und der Gegenreformation. Den Haag 1974, 59, Anm. 32. I. RICHARDSEN-FRIEDRICH: Antichrist-Polemik in der Zeit der Reformation u. der Glaubenskämpfe bis Anfang des 17. Jhs. Frankfurt a. M. 2003. Zum Motiv der stürzenden Kirche vgl. J. W. EINHORN: Das Stützen von Stürzendem. Der Traum des Papstes Innozenz III. von der stürzenden Lateranbasilika bei Bonaventura. In: I. VANDERHEYDEN (Hg.): Bonaventura. Studien zu seiner Wirkungsgesch. Werl 1976, 170– 193; C.-P. WARNCKE: Sprechende Bilder ⫺ sichtbare Worte: Das Bildverständnis in der frühen Neuzeit. Wiesbaden 1987, 256–267. KREBS: Publizistik. Vgl. auch das Flugblatt ‚Der Jesuiten Länderfang‘ (b IV, 212), das den Expansionsdrang der Jesuiten thematisiert, für den sich die Metapher der Menschenfischerei etablierte. Das kommentierte Blatt erweitert diesen im Titel verwendeten Begriff auf die gesamte katholische Geistlichkeit. Vgl. G. WEYDT: Der Ständebaum. Zur Gesch. eines Symbols von Petrarca bis Grimmelshausen. In: Simpliciana 4/5 (1983), 7–25. Vgl. J. WINZER: Die ungleichen Kinder Evas in der Literatur des 16. Jhs. Diss. Greifswald 1908. M. STOLLEIS: Staat u. Staatsräson in der frühen Neuzeit. Studien zur Gesch. des öffentlichen Rechts. Frankfurt a. M. 1990, 21–36; H. MÜNKLER: Politische Bilder, Politik der Metaphern. Frankfurt a. M. 1994, 93–106. Vgl. etwa die Rede des Straßburger Gelehrten Matthias Bernegger von 1617: Wo das Löwenfell nicht zum Ziele gelangt, da sei der Fuchspelz am Platze. Der Papst hat diesen Grundsatz umgekehrt, und wo der Fuchspelz nicht ausreicht, dort wird das Löwenfell daran genäht. Zit. nach STOLLEIS: Staat, 34. EP

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Der in die Mensa des Altars eingeschriebene Text steht in deutlichem Bezug zur Graphik.3 Nach den Worten Christi gebe es drei Stände in der Welt, den Nähr-, Wehr- und Lehrstand. Trotz dieser gesellschaftlichen Einteilung seien alle Menschen 260

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IX, 133

F 521 Ort Jahr Bild Text Verleger Format Zustand

Die Beteiligung Polens an den Thronkämpfen im Moskowitischen Reich ging mit dem Angriff der polnischen Truppen unter Führung des Königs Sigismund III. Wasa (1566–1632, König seit 1587) auf Smolensk 1609 in einen offenen Krieg über.1 Am 19. September stand Sigismund mit 12000 Reitern, 5000 Fußsoldaten, 10000 Kosaken und tatarischen Hilfstruppen vor der Festung.2 Die 20 Monate dauernde Belagerung führte der Kronhetman Stanisław Żółkiewski (1547–1620) bis zur Kapitulation der Stadt am 13. Juni 1611.3 Eine ältere Fassung des Kupferstichs (mit graviertem Text unter dem Bild) hatte Hogenberg in seine ‚Geschichtsblätter‘ aufgenommen.4

IX, 134

F 1066 Ort Jahr Bild Text Format Zustand

Warhafftige bericht vnnd Abbildung der Statt Smolenska (Köln) (1609) Kupferstich Typendruck in 3 Spalten; Prosa Abraham Hogenberg (nachweisbar 1608–1653) 33,6 ! 32,5; 22,6 ! 32,5 Unter dem Text Notiz von alter Hand: Belägert de 1609 bis 1611. da sie sich er[geben]

Weitere Standorte: Wolfenbüttel, HAB: Dep.4.9 FM 37

Andere Fassungen: a)

München, BSB: 4° Mapp. 44q (381);5 [gravierte Knittelverse als Text]

A1 A2

PAAS I, P-165. Krieg und Frieden, Abb. 51.

1

Zum Konflikt vgl. J. MACISZEWSKI: Polska a Moskwa 1603–1618. Opinie i stanowiska szlachty polskiej. Warschau 1968; M. HELLMANN (Hg.): Handbuch der Gesch.

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Russlands. I: bis 1613, 2. Halbbd. Stuttgart 1989, 1026– 1067; W. POLAK: O Kreml i Smoleńszczyznę. Polityka Polski wobec Moskwy w latach 1607–1612. Thorn 1995. HELLMANN: Handbuch, 1048. Einen genauen Bericht über die Ereignisse enthält sein Diarium ‚Początek i progres wojny moskiewskiej‘ [Beginn und Fortgang des Moskauer Krieges]. Hg. von W. SOBIESKI. Krakau 41920. Ein weiteres Blatt bei DRuGuLIN II, Nr. 1202. Zur Reaktion der polnischen und ausländischen Presse vgl. K. ZAWADZKI: Prasa ulotna za Zygmunta III. Warschau 1997, 100–105. Hogenberg: Geschichtsblätter, 41, Abb. 397. PAAS I, PA-45. EP

Warhafftige/ eigentliche/ gewisse Abconterfeitung vnnd Beschreibung 1610 Holzschnitt (koloriert) Typendruck in 2 Spalten; Prosa 46,5 ! 32,2; 20,6 ! 32,2 Text- und Bildteil getrennt

Im Zuge des Jülich-Klevischen Erbfolgestreits zwischen dem Kaiser und den Mitgliedern der Union, Brandenburg und Pfalz-Neuburg, kam es zwischen den Parteien zu einer militärischen Auseinandersetzung, die im Frühling und Sommer 1610 auf dem Territorium des Bistums Straßburg ausgetragen wurde. Im März überschritten die uniierten Truppen, geführt von Otto Graf von Solms (1550⫺1612), den Rhein und trafen auf die um Straßburg stationierten kaiserlichen Soldaten. Die Durchmärsche der Truppen und die mit wechselndem Erfolg geführten Kämpfe dauerten bis zum im Oktober geschlossenen Waffenstillstand.1 Zu den erfolgreichen militärischen Aktionen der

Protestanten gehörten die Belagerung (27. Mai bis 4. Juni) und Einnahme des mit knapp 300 Soldaten besetzten Dachstein, die Eroberung Mutzigs (am 6. Juni) sowie die Belagerung (10.⫺28. Juni) und Übergabe der von etwa 1200 Soldaten verteidigten Garnison Molsheim.2

IX, 135

Eigentliche Contrafactur aller vnderschiedlichen Acten

F 345 Ort Jahr Bild Text Format Zustand

Nachdem Rudolf II. (1552–1612, Kaiser seit 1576) schon 1608 im ‚Bruderzwist‘ dem Erzherzog Matthias (1557–1619, Kaiser seit 1612) Ungarn, Mähren und Österreich hatte abtreten müssen, wurde er drei Jahre später auch durch die böhmischen Stände als König abgesetzt.2 Sie wählten Matthias zu seinem Nachfolger; am 23. Mai 1611 wurde er im Prager Veitsdom zum König gekrönt.3 Dieselbe Platte wurde mit aktualisiertem Text für die Darstellung der Krönung Ferdinands III. (1608⫺1657, Kaiser seit 1637) zum König von Ungarn 1625 benutzt (b IX, 153).

2 Weitere Standorte: Andere Fassungen: A1

PAAS I, P-152.

G. VON RODEN: Die Länder Jülich u. Berg unter pfalzneuburgischer u. pfalz-bayerischer Herrschaft 1609– 1806. In: J. HEIDER (Hg.): Neuburg, die Junge Pfalz u. ihre Fürsten. FS zur 450-Jahr-Feier der Gründung des Fürstentums Neuburg. Neuburg a. d. Donau 1955, 43– 82; E. KOSSOL: Die Reichspolitik des Pfalzgrafen Philipp Ludwig von Neuburg (1547–1614). Göttingen 1976. Vnpartheysche Beschreibung deß jenigen/ So sich bey belägerung vnnd einnemmung der Stätt Dachstein/ Moltzheim vnd Mutzig im Elsäß […] hatt verloffen. O.O. 1610; RELATIO HISTORICA, Das ist: Gründliche […] Beschreibung/ Wie der Krieg im Bisthumb Straßburg sich erhaben. Straßburg 1610. EP

(Frankfurt a. M.) 1611 Radierung von Georg Keller (1568–1634)1 graviert; Bildunterschriften in Prosa 19,0 ! 28,8 Am unteren Rand beschnitten (mit Verlust der Stechersignatur).

Weitere Standorte:

A1

Prag um 1600. Kunst u. Kultur am Hofe Rudolfs II. Ausstellungskatalog Essen 1988, II, 196 f.

1

NAGLER, Monogrammisten, III, Nr. 69; THIEME/ BECKER XX, 101 f.; HOLLSTEIN: German Engravings, XVI, 19–38. K. VOCELKA: Matthias contra Rudolf. Zur politischen Propaganda in der Zeit des Bruderzwistes. In: Zs. f. Historische Forschung 10 (1983), 341–351; B. RILL: Kaiser Matthias. Bruderzwist u. Glaubenskampf. Graz u. a. 1999. Weitere Blätter zum Ereignis bei PAAS I, P-162 bis 164; WATANABE-O’KELLY/ SIMON: Festivals, Nr. 42. Flugblätter Heidelberg, Nr. 18; das Blatt diente auch als Buchillustration, vgl. Enß: Fama Austriaca, nach 31. EP

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Nürnberg, GNM: 96/1255 (A 1)

Andere Fassungen: a)

b)

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Heidelberg, KM: S 38914 [Eigentliche Contrafactur … FERDINAND II. … 1617. Zum König in Bohmen; Text von D. G. Salsman] Halle, KMM: F 344 [b IX, 153]

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IX, 136

F 103

Ort Jahr Bild Text Format Zustand

Aus katholischer Perspektive wird die Zersplitterung des Calvinismus geschildert mit der Absicht, den Leser zum Katholizismus zu bekehren. Im Zentrum der Graphik befindet sich in einem ovalen Rahmen ein Porträt eines älteren Mannes im Profil. Wie die begleitende Inschrift informiert, handelt es sich um Johannes Calvin. Der Stecher orientierte sich an der zum verbreiteten Typus gewordenen Darstellung des Reformators von Pierre Woeiriot (1532 – nach 1596) aus dem Jahre 1566.1 Das Porträt ist von vier Bildern flankiert, die die vier Ecken der Graphik ausfüllen. Das erste Bild links oben zeigt ein Kruzifix, das von drei Männern zerstört wird. Das zweite obere Bild illustriert die Verfolgung katholischer Mönche, die angegriffen, geschlagen und gehenkt werden. Die unteren Bilder stellen Kriegsszenen zu Wasser und zu Lande dar. Die optische Strukturierung des Textes entspricht seinen inhaltlichen Einheiten. Die Spalte links von der Graphik enthält Informationen über die Entstehung des Calvinismus in der Nachfolge von Martin Luther, Andreas Karlstadt (vor 1483– 1541) und Ulrich Zwingli (1484–1531) und erklärt die Abweichungen der neuen Lehre, die als Gotteslästerung verurteilt wird.2 Der Text rechts, überschrieben Von Joanne Caluino/ vnnd wer er gewesen, stellt den Reformator unter Berufung auf Hieronymus Bolsec († 1585)3 als einen aus seiner Heimatstadt vertriebenen Sodomiten vor, der nach dem Vorbild Luthers eine eigene Religion zu stiften beabsichtigt habe, um wie jener zu Ruhm zu kommen. Seiner Tätigkeit lägen nichts als Hochmut, Aufgeblasenheit, Ehrgeiz und Stolz zugrunde. Die vier unteren Textspalten charakterisieren vier reformierte Konfessionen in ihren Unterschieden zueinander: die Calvinisten, die Anglikaner, die Brownisten und die Arminianer.4 Als reine Calvinisten werden diejenigen bezeichnet, die die Genfer Kirche anerkennen: die Reformierten unter dem Nachfolger Calvins Théodore de Béze (1519–1605), die Hugenotten in Frankreich, die Gruppierungen in der Schweiz, in der Pfalz, in Hessen und in den Niederlanden. Die Calvinisten in England, die den Landesfürsten als Kirchenoberhaupt haben, werden Protestanten genannt, während die Puritaner eine Gruppierung bildeten, die die Regel der Protestanten nicht beachtete und sich dadurch strafbar machte. Bei der dritten Sekte handele es sich um sog. Brownisten, Anhänger von Robert Browne (1550– 1633), der als Kritiker der anglikanischen Staatskirche 1581 nach Holland auswanderte.5 Ihre Glaubenssätze hätten sie in einer 1598 in Amsterdam erschienenen und vier reformierten Universitäten gewidmeten Schrift zusammengefasst. Der daraus vorgeführte Auszug betrifft den Abriss katholischer Kirchen und ihre Säkularisation, den Unterhalt der Geistlichen durch die Gläubigen, 266

Vrsprung vnd Gegenwertiger Standt der Caluinischen Secten

1613 Kupferstich Typendruck in 2 und 4 Spalten; Prosa 52,6 ! 35,1; 13,2 ! 11,2 in zwei Teile zerschnitten

die Befreiung der Kirchendiener von Bürgerlichen/ Weltlichen geschefften (Trauung, Begräbnis) sowie die Laienpredigt. Als Zeugnis ihrer Distanzierung von der anglikanischen Kirche wird eine Aussage aus dem Werk von Henry Ainsworth (um 1569-um 1623) und Francis Johnson (1562–1618) ‚An apologie or defence of such true christians as are commonly (but uniustly) called Brownists‘6 zitiert: die Engellendische Kirch/ sey die Kirch Antichristi. Die letzte reformatorische Gruppierung habe ihren Schöpfer in Jacobus Arminius (1560–1609), der die calvinistische Prädestinationslehre abgelehnt und den freien Willen des Menschen sowie die Notwendigkeit der guten Werke zur Erlangung der Seligkeit verkündet habe.7 Jeder Textabschnitt, der die einzelnen ‚Sekten‘ darstellt, schließt mit der Feststellung, die jeweilige Gruppierung beanspruche für sich allein, die wahre apostolische Kirche Christi zu sein. Damit knüpft der Blattverfasser an den Ausgangssatz des Blattes an, in dem dieser Anspruch für alle calvinistischen Parteien bestritten wird. Das letzte Textsegment wendet sich an die verfuhrte[n] Nachfolger der Caluinisterey und ruft alle Reformierten zur Einsicht auf mit der Begründung, dass die ursprüngliche Kirche doch nicht in so viele unterschiedliche Sekten geteilt gewesen sei und man als ein Anhänger der Reformation nicht sicher sein könne, welche der Gruppierungen, die sich als die wahre Kirche bezeichnen, recht habe. Auch wenn sie alle einer Meinung wären, so hätten sie doch keine Beweise für einen höheren Rang ihres Bekenntnisses gegenüber den Lutheranern und Wiedertäufern. Man solle die Uneinigkeit nicht damit entschuldigen, sie ergebe sich aus den Ansichten in ‚geringen Sachen‘, denn dagegen spreche sowohl der in ihren Schriften ablesbare Hass auf ihre Gegner als auch die Verfolgung der Gläubigen selbst. Die Wahrheit gehe nur mit der Einigkeit einher. Die Polemik des Blattes umfasst die Graphik und den Text, doch werden in den beiden Bereichen unterschiedliche Aspekte angesprochen. Die vier Bilder um das Porträt illustrieren die Vorwürfe des Ikonoklasmus, der grausamen Verfolgung katholischer Geistlicher sowie der Anstiftung zum Krieg und gleichen in den beiden letzten Punkten der protestantischen Kritik an den Jesuiten (b II, 140, 158). Der Text diffamiert sowohl die Personen, indem er ihnen einen sündigen Lebenswandel und Charakterschwächen als Grund für die Abkehr von der katholischen Kirche unterstellt und sie als Ketzer verurteilt, als auch die neue Lehre, die als in sich widersprüchlich dargestellt wird. Den Schwerpunkt der Textargumentation bildet der Anspruch aller reformierten Konfessionen, die einzige wahre Kirche in der Nachfolge der frühapostolischen Kirche zu sein, was angesichts der abweichenden Meinungen in wesentlichen Punkten der theologischen Grundsätze, der

Liturgie und der Kirchenorganisation unglaubwürdig sei. In seiner Polemik gegen die reformierte Kirche bedient sich der Blattverfasser einer gängigen Methode der Kritik, die, wenn auch mit anderer Bildlichkeit, innerkonfessionelle Spaltungen bei den Lutheranern und den Katholiken zu ihrer Grundlage machte (b II, 16 f., 32 f.).

Weitere Standorte: Nürnberg, GNM: 27914/1247a

Andere Fassungen: a)

b)

c)

d)

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Braunschweig, HAUM: FB XV gr [niederländische Vorlage; OORSPRONCK ENDE TEGHENVVOORDIGHEN STAET …; Impressum: Ghedruckt T’HANTVVERPEN, by Robert Bruneau. 1611] Den Haag, KB: Knuttel 19258 [wie Fassung a; Impressum: Nae de copye ghedruct T’ANTVVERPEN, by Robert Bruneau. 1611] Gent: Meulman, 12889 [wie Fassung a; Impressum: Na de copye Ghedruct t’TANTVVERPEN by Robert Bruneau. 1611] Paris, BN: Hennin, 1650 [L’ORIGINE ET PRESENT ESTAT DE LA SECTE CALVINIENNE …; Impressum: EN ANVERS, Chez Robert Bruneau, 1611] Paris, BN: Hennin, 1651 [wie Fassung d; Impressum: A PARIS, Chez IACQVES HONERVOGT …]

A1 A2

Illustrierte Flugblätter, Nr. 37. PAAS I, P-199.

1

E. DOuMERGuE: Iconographie Calvinienne. Lausanne 1909, 64–72, 161 f. Zu den Unterschieden zwischen den Konfessionen vgl. C. BOYER: Calvin et Luther. Accords et différences. Rom 1973. S. auch H. HEPPE/ E. BIZER: Die Dogmatik der evangelisch-reformierten Kirche. Neukirchen 1958. Hieronymus Bolsec: Warhaffte History vom Leben Sitten/ Thaten/ Lehr vnd Todt Joannis Calvini. Köln 1581 (zuerst franz. Lyon 1577). Zur Auseinandersetzung Bolsecs mit Calvin vgl. PH. C. HOLTROP: The Bolsec Controversy on Predestination, from 1551 to 1555: the Statements of Jerome Bolsec, and the Responses of John Calvin, Theodore Beza, and other Reformed Theologians. 2 Bde., Lewiston u. a. 1993. A. VAN SCHELVEN: Het Calvinisme gedurende zijn bloeitijd in de 16. en 17. eeuw. Zijn uitbreiding en cultuurhistorische beteekenis. 2 Bde., Amsterdam 1943–1951; E. KOCH: Das konfessionelle Zeitalter. Katholizismus, Luthertum, Calvinismus (1563–1675). Leipzig 2000. Während sich Browne 1586 unterwarf, blieben die ebenfalls verfolgten und des Landes verwiesenen Brownisten unabhängig von der Staatskirche. Vgl. A. A. COPPIuS: Religious Enthusiasm from Robert Browne to George Fox. A Study of its Meaning and Reaction against in the Seventeenth Century. Oxford 1983. O.O. (Amsterdam?) 1604 (Faks. New York 1970). Die im Text erwähnte Ausgabe von 1608 konnte nicht nachgewiesen werden. Jacob Arminius: Verclaringhe [...] Aengaende zijn ghevoelen. Leiden 1610. PAAS I, PA-49. PAAS I, PA-50. EP

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IX, 137

F 158

Ort Jahr Bild Text Format

Aus der Perspektive des spanisch-niederländischen Krieges fordert das Blatt zum Widerstand gegen die Spanier im jülich-klevischen Erbfolgestreit auf. Auf einer kleinen Anhöhe im Vordergrund stehen vier Ordensbrüder und diskutieren miteinander. Es handelt sich, wie der unterschiedliche Habit erkennen lässt, um einen Dominikaner,1 Jesuiten, Franziskaner und Kapuziner (von links nach rechts). Allerdings stecken in den Kutten keine Menschen, sondern Füchse. Ein fünfter füchsischer Ordensbruder guckt rechts vorne aus seiner Höhle heraus. Der Grund für die Zusammenkunft der Mönchsfüchse ist das Geschehen im Hintergrund. Dort findet links ein Scharmützel zwischen Gänsen und Füchsen statt, und ein langer Zug bewaffneter Gänse passiert die Mönchsgruppe und marschiert auf ein Bauwerk zu, das an einen Rundtempel erinnert, aber durch eine Inschrift als KAVF HVS ausgewiesen wird. Wenn der Stab, den die dort thronende Figur in der Hand hält, ein Caduceus ist, wäre die Figur mit Hermes, dem Gott der Kaufleute und Diebe, zu identifizieren. Unterhalb des Konsum-Tempels fliehen mehrere Füchse aus ihren Bauen vor den kampfbereiten und siegessicheren Gänsen, von denen etliche schon auf Beutezug gegangen sind und Rosenkränze, Weihwasserwedel, Monstranzen und Kruzifixe aus dem ‚Kaufhaus‘ schleppen. Der Anführer des Gänsezugs trägt eine Brille auf seinem Schnabel. Dieses sonst meist negativ besetzte Attribut (b I, 54; IV, 13) wird hier zum Instrument der richtigen Erkenntnis umgewertet (Die Augen sind Vns auffgethon Vnd sehen feer durch Brillen schon). Dementsprechend ist die vordere Fahne im Zug mit geöffneten Augen bestickt, und eine zweite Fahne (im Rücken des Dominikaner-Fuchses) zeigt zwei Augen und eine Brille. Der Text gibt einen in satirische Tierbildlichkeit gekleideten Rückblick auf den spanisch-niederländischen Krieg. Demnach hätten die Spanier zunächst die von ihnen als Gösen (Gänse) verspotteten Holländer unterdrückt. Doch seien den gerupften Vögeln starke Federn nachgewachsen. Auch seien ihnen die Augen aufgegangen, so dass sie erkannt hätten, dass auch andere Völker (Welsch vnd Teutschland) unter den spanischen Wölfen litten und sich zur Wehr setzten. Mit der Erwähnung der zweyer Henrich Königs Hertz, die von den Ordensbrüdern erstochen worden seien, ist ein terminus post quem für die Entstehung des Blattes gegeben, da hier die französischen Könige Heinrich III. (ermordet am 1. August 1589) und Heinrich IV. (ermordet am 14. Mai 1610) gemeint sind. Jetzt stecke Gantz Teutschlandt […] in nöthen, die von den Wölff auß Spannia verursacht würden. Sie hätten mit ihren Lehren manche Statt vmbkehrt, d. h. auf ihre Seite gebracht. Als Vor268

Wie Spannien mit Niderlandt vmbgangen

(1614) Radierung Typendruck in 2 Spalten; 48 Knittelverse mit abschließendem Dreireim 34,0 ! 24,8; 17,0 ! 25,0

bild werden dagegen Die Herren Staden hingestellt, die unter Einsatz ihres Lebens mit Heldes muht die Wölff vnd Füchs vertrieben hätten. Solange die Wölff im land rumb schleichen, habe man keine Ruhe. Mit der Bitte an Gott, er möge jhnen den verdienten lohn geben, schließt der Text. Die historische Situation, in der und für die das Blatt verfasst und publiziert wurde, ist der jülichklevische Erbfolgestreit. In ihm standen sich der 1613 zum Katholizismus konvertierte Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg (1578⫺1653) und der im gleichen Jahr zum Calvinismus übergetretene Johann Sigismund von Brandenburg (1572⫺1619) gegenüber. Während der Brandenburger von niederländischen Truppen unter Moritz von Oranien (1567⫺1625) unterstützt wurde, schalteten sich auf der Gegenseite die Spanier ein. Am 20. August 1614 marschierte Ambrosio Spinola (1569⫺ 1630) mit einem Heer von etwa 20.000 Mann von Maastricht aus nach Deutschland ein, besetzte Aachen (b II, 98 f.), zog rheinabwärts über Düren und Rheinberg auf die wichtigste klevische Rheinfestung Wesel zu, die nach wenigen Tagen kapitulierte. Auf der protestantischen Seite hatte auch Moritz seine Truppen in Bewegung gesetzt und die Rheinstädte Emmerich und Rees besetzt, wo sich die beiden Heere gegenüberstanden.2 Es kam dann zu keiner unmittelbaren militärischen Konfrontation, weil beide Parteien keinen Bruch des 1609 geschlossenen Waffenstillstands riskieren wollten. In dieser politisch-militärischen Situation ist das Blatt entstanden. Ein früherer Zeitpunkt – Paas und Niemetz geben 1610 an – ist wenig wahrscheinlich, weil die Spanier erst 1614 in die Auseinandersetzung eingegriffen haben. Das Blatt operiert mit verschiedenen Versatzstücken der zeitgenössischen politisch-konfessionellen Satire und führt sie geschickt zu seiner Aussage zusammen: Die Wölfe im Schafspelz bzw. im geistlichen Ornat waren ein beliebtes Motiv der reformatorischen Propaganda.3 Der Stecher hat hier allerdings Füchse in die Kutte gesteckt, weil sich auf diese Weise der aus dem Bereich der Verkehrten Welt bekannte Antagonismus von Gans und Fuchs ergab, in dem die Gänse die natürliche Ordnung auf den Kopf stellen.4 Die Gänse als Bild der Niederländer waren aus einer Umwertung der abschätzig gemeinten Bezeichnung ‚gueux‘ (Bettler) für die aufständischen Holländer hervorgegangen. Eine ähnliche Umwertung nimmt das Blatt mit dem Attribut der Brille vor. Das ‚Kaufhaus‘ schließlich, aus dem die Gänse die Ritualobjekte der katholischen Messe heraustragen, greift den Vorwurf auf, die römische Kirche treibe mit dem Glauben Handel. Das Blatt bietet eine aktualisierte Version eines niederländischen Drucks von 1580, von dem sich allerdings nur der Stich erhalten hat (Fassung a).5

Weitere Standorte: Braunschweig, HAUM: FB XVIII; Rotterdam, SvS: 1261 (A 1)

Andere Fassungen: a)

Gotha, SM: 89,34a [Stich im Gegensinn, 1580; Inschrift: HET KOOP HVYS]

A1 A2

PAAS I, P-149. NIEMETZ: Bildpublizistik, 49 f. mit Abb. 32.

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Unklar ist, wen der Text mit Jacobitten meint (Jakobspilger?). M. RITTER: Dt. Gesch. im Zeitalter der Gegenreformation u. des Dreißigjährigen Krieges (1555⫺1648). Stuttgart 1895, II, 408 f. Vgl. etwa SCRIBNER: Sake, Abb. 20, 39 f.; b II, 8, 63, 295; VI, 66, 154. Fliegende Blätter, Nr. 378; zum Einsatz des Bildkomplexes der Verkehrten Welt in der konfessionellen und politischen Propaganda vgl. R. W. SCRIBNER: Reformation, Karneval u. die ‚verkehrte Welt‘. In: R. VAN DÜLMEN/ N. SCHINDLER (Hgg.): Volkskultur. Zur Wiederentdeckung des vergessenen Alltags (16.⫺19. Jh.). Frankfurt a. M. 1984, 117⫺152, 406⫺412; SCHILLING: Bildpublizistik, 191⫺193; b II, 63; VI, 154. Vgl. PAAS XIII, PA-829 (Paas reproduziert den Stich von 1580 mit einem ebenfalls in Gotha überlieferten bildlosen Text von 1570, der nicht zu dem Bild gehört). MSch

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IX, 138

F 516 Ort Jahr Bild Text Format

Der seit 1604 währende Konflikt zwischen den Arminianern (Remonstranten) und Gomarianern erreichte seinen Höhepunkt, als im August 1617 die Provinzialstände auf Drängen Johan van Oldenbarnevelts (1547–1619) eine Resolution verabschiedeten, die die Städte ermächtigte, zum Schutz der Arminianer Söldnerregimente (‚waardgelders‘) aufzustellen (b IV, 98–100).1 Im Gegenzug ließ Moritz von Oranien (1567–1625) seinen Gegner verhaften und besetzte im Herbst 1618 systematisch die Magistrate der die Arminianer unterstützenden Städte mit seinen Parteigängern.2 Am 20. Oktober sandte er eine Truppe nach Leiden, das neben Utrecht und Haarlem zu den Hochburgen der Remonstranten zählte und mehrere Kompanien ‚waardgelders‘ aufgenommen hatte.3 Drei Tage später wurden 22 Mitglieder des Stadtrats entlassen.4 IX, 139

F 367 Ort Jahr Bild Text Drucker Format

Noch zu Lebzeiten Matthias’ I. (1557–1619, Kaiser seit 1612) bemühte sich sein Vetter, Erzherzog Ferdinand (1578–1637), um die Krönung zum Römischen König; der sich abzeichnende Erfolg seiner Bestrebungen wurde durch den Prager Fenstersturz am 23. Mai 1618 vereitelt. Durch eine geschickte Politik gelang es ihm immerhin, seine Wahl zum böhmischen König im Juni 1617 und zum König von Ungarn ein Jahr später zu bewirken.3 Nach dem Tode Matthias’ eilte er auf Umwegen nach Frankfurt am Main, um sich die Kaiserkrone zu sichern, bevor Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz seine Wahl hätte verhindern können.4 Am 28. August wurde er zum Römischen König und deutschen Kaiser gewählt und am 9. September im Bartholomäusmünster mit der herkömmlichen Zeremonie gekrönt.5 Das vorliegende Blatt wurde für Michael Caspar Lundorps (ca. 1580–1629) ‚LAVREA AVSTRIACA‘ nachgestochen.6 IX, 140

F 360 Ort Jahr Bild Text Format

Die Absetzung Ferdinands von Habsburg (1578– 1637, Kaiser seit 1619) vom böhmischen Thron und die Krönung Friedrichs V. von der Pfalz (1596–1632) zum König von Böhmen (am 4. November 1619 in Prag)2 bedeuteten den Gipfel einer schon länger schwelenden Krise und wurden zum eigentlichen Auslöser des Dreißigjährigen Krieges.3 Weitere Standorte: Coburg, Veste: II,28,92 (A 1); Dortmund, IZF: 1619/3 (A 1); Erlangen, UB: Flugblätter, Kasten 1/21 (A 1); Gotha, SM: F.⫺202.17 (A 1); Heidelberg, KM: S 3715 (A 2) und S 5943 (A 3); London, BM: 1871.1209.2284, und 1869.0710.17; Nürnberg, GNM: MS 3118/1439 (A 1); Prag, Národni Galerie: R 95053, und R 54660 (A 1); Wien, Albertina: Hist. Blätter, Friedrich Pfalzgraf vom Rhein, und Hist. Blätter, Prag (A 1); Wrocław, BU: 357225*****; ehem. Goslar, Sammlung Adam (A 1) Andere Fassungen: a)

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London, BM: 1880.0710.385; Nürnberg, GNM: 104/ 1255;4 Wolfenbüttel, HAB: IH 526; ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig5 [b II, 151]

Der Arminianer Schantz zu Leiden. (1618) Kupferstich graviert in 4 Spalten, 16 französische Verse; Typendruck in drei Spalten, Prosa 59,0 ! 35,0; 25,9 ! 34,6 c)

London,

BM:

1871.1209.4755 [d’ARMINIAENSCHE anderer Stich; Ghedruckt in’t Jaer

SCHANS TOT LEYDEN;

ons Heeren 1618] Weitere Standorte: London, BM: 1873.0712.161; Minneapolis, Wilson Library: Special Collection (A 1); Nürnberg, GNM: 326/1341a (A 1); Washington, Library of Congress: Hauslab,12 (A 1) Andere Fassungen: a)

Darmstadt, HLHB: Günd.8045,fol.106 ; Den Haag, Koninkl. Bibl.: Pamflet 2581;5 Wolfenbüttel, HAB: IH 523; ehem. Auktionshaus Zisska/Kistner, München6 [b II, 132] London, BM: 1870.0514.2120, und: 1871.1209.4754 [VERKLARINGE VAN DE ARMINIAENSCHE SCHANS TOT LEYDEN.]

b)

A1

PAAS II, P-351.

1 2

ISRAEL: Republic, 431–477. S. auch PAAS II, PA-83. Ferner Anhang/ POLEMOGRAPHIAE BELGICAE Darinn Alle […] Historien […] vom Jahr 1615 biß […] 1623 (inclusiue/ zum theil) […] beschriben werden. Köln 1623, 205 f. Zu den Zwischenfällen in Leiden s. van Meteren: Beschreibung, II, 302; WuLP: Catalogus, Nr. 1560; PETIT: Bibliotheek, Nr. 1111. ISRAEL: Republic, 453. PAAS II, PA-81. Zisska/ Kistner, Nr. 2220. Dasselbe Exemplar in: Antiquariat L’Art Ancien, Nr. 27. EP

3

4 5 6

Cronung Jhrer May: Königs Ferdinandi II. (Frankfurt a. M.) 1619 Radierung von Eberhard Kieser (1583–1631)1 graviert in 2 Spalten; 4 lateinische Hexameter, 4 Knittelverse Sigmund Latomus (tätig 1599–1625)2 21,1 ! 25,9

Weitere Standorte: Frankfurt a. M., Historisches Museum: N 42755 (A 1); Nürnberg, GNM: 103/1255; Prag, Nationalmuseum: 102 A 3 (A 2); ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig (A 3) Andere Fassungen:

5

Weimar, HAAB: 71,387 [Prosa in Typendruck; Erfurt 1619]

a)

A A A A

3 4

1 2 3 4

1

WANGER: Kaiserwahl, 289, Nr. 14 u. Anh. 13. BOHATCOVÁ: Vzácná Sbírka, Nr. 3. DRuGuLIN II, Nr. 1389. Um Glauben und Reich, II/2, Nr. 500. BENZING: Verleger, 1183; K. EYMANN: Ein Schatzkästlein wird geöffnet. Der Zeichner, Kupferstecher, Verleger u. Drucker Eberhard Kieser. Frankfurter Publizistik in der ersten Hälfte des 17. Jhs. In: Spessart 9 (1984), 3– 12. RESKE: Buchdrucker, 246 f.

2

6 7

Enß: Fama Austriaca, 31–34 und 106 f., 78 f. (Abb.). D. ALBRECHT: Ferdinand II. 1619–1637. In: A. SCHINDLING/ W. ZIEGLER (Hgg.): Die Kaiser der Neuzeit 1519– 1918. Heiliges Römisches Reich, Österreich, Deutschland. München 1990, 125–141 und 478 f. Enß: Fama Austriaca, 253–255, 269–272; Theatrum Europaeum I, 165–172. Weitere Flugblätter und -schriften zum Ereignis bei Hogenberg: Geschichtsblätter, 42 und Abb. 428 f. PAAS II, P-415 bis 417, 419–422; WANGER: Kaiserwahl, 288–290, 297 u. Anh. 10–18; WATANABEO’KELLY/ SIMON: Festivals, Nr. 50 f.; H. RuDOLPH: Kontinuität u. Dynamik – Ritual u. Zeremoniell bei Krönungsakten im Alten Reich. Maximilian II., Rudolf II. u. Matthias in vergleichender Perspektive. In: M. STEINICKE/ S. WEINFuRTER (Hgg.): Investitur- u. Krönungsrituale. Herrschaftseinsetzungen im kulturellen Vergleich. Köln u. a. 2005, 377–399. Julius Bellus (d. i. Michael Caspar Lundorp): LAVREA AVSTRIACA. Frankfurt a. M. 1627, nach 208. PAAS II, P-418. EP

Eigentliche Contrafactur aller vnderschiedlichen Acten (Frankfurt a. M.) 1619 Radierung von Eberhard Kieser (1583–1631)1 graviert in 3 Spalten; Bildunterschriften, Legende und Titel 30,3 ! 36,9

b)

Coburg, Veste: XIII,303,11 und 303,14; London, BM: Mm.2.111 (Text fehlt); Wien, Albertina: Hist. Blätter, Friedrich Pfalzgraf am Rhein;6 ehem. Goslar, Sammlung Adam7 [wie Fassung a; ohne Typendruck; Verweisbuchstaben in der Graphik; Herr vor den Namen im gravierten Text links unten gelöscht] Gotha, SM: F.⫺202.168 [Wahre Abcontrafactur … Königs in Böhem; Nachstich der Graphik der Fassung a] Berlin, KK: 60013; Coburg, Veste: XIII,303,2; Erlangen, UB: A III 23; Frankfurt a. M., UB: Freytag,363; Harburg, FOW: N 10 III; London, BL: Crach.1.Tab.4.c.1(2); Mannheim, Reiss-Museum: Kat.C 130; München, GS: 209866; Nürnberg, GNM: 106/1255; Oxford, Department of Prints and Drawings: Sutherland Collection, Large Folio 2,p.8; Paris, BN: Qd 2 fol,1619; Straßburg, BNU: 1060(1C2); Ulm, StB: ohne Sign. [Wahre Abcontrafactur … Königs in Böheim; wie Fassung c]9

c) d)

A A A A

1 2 3 4

PAAS II, P-436. Krieg und Frieden, Nr. 958. Flugblätter Heidelberg, Nr. 23. BOHATCOVÁ, Nr. 29.

1 2

3

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BENZING: Verleger, 1183. Eine Beschreibung der Zeremonie z. B. in: Warhafftige Beschreibung/ deß Einzugs vnd Crönung zu Praag. Hertzog Friederichen. Prag 1619. WATANABE-O’KELLY/ SIMON: Festivals, Nr. 258–264. Vgl. auch B. BERNING: Nach altem löblichen Gebrauch. Die böhmischen Königskrönungen der Frühen Neuzeit (1526⫺1743). Köln u. a. 2008. Zur einschlägigen Literatur vgl. B. ROECK: Diskurse über den Dreißigjährigen Krieg. Zum Stand der Forschung u. zu einigen offenen Problemen. In: H. DuCHHARDT u. a. (Hgg.): Krieg u. Frieden im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Theorie, Praxis, Bilder. Mainz 2000, 181–193. PAAS II, P-434. DRuGuLIN II, Nr. 1413. PAAS II, P-435. Antiquariat Tenner, Nr.20. PAAS II, P-437. Die Signaturen aus London, Mannheim, Oxford, Paris und Ulm nach PAAS II, P-438. EP

271

272

273

IX, 141

F 94

Ort Jahr Bild Text Format

Das Blatt erinnert an die Verbrennung von Johann Hus (um 1370–1415) und Hieronymus von Prag (nach 1365–1416) auf dem Konzil zu Konstanz. Im Zentrum des Kupferstiches steht der Magister Johann Hus auf einem brennenden Scheiterhaufen. Ein Henkersknecht trägt weiteres Holz heran, und zwei Büttel kehren das Brenngut zusammen. Um die Hinrichtungsstätte stehen weltliche und geistliche Herren sowie Soldaten. Die Landschaft im Hintergrund zeigt den Bodensee mit dem Rheinzufluss; rechts hinten erheben sich die Türme von Konstanz. Die Überschrift spricht von der Standhaftigkeit des Johann Hus und Hieronymus von Prag auf dem Konzil und berichtet von der Qual des Verbrennungstodes, zu dem beide Gelehrte verurteilt wurden. Der Text nennt die genauen Hinrichtungsdaten und erläutert mit Hilfe von Kennziffern die Einzelheiten des Bildes. Man erfährt von der räumlichen Lage der Hinrichtungsstätte, von der Prozedur, mit der Johann Hus gedemütigt und gequält wurde, von seiner Großmut gegenüber seinen Gefängniswärtern, von den Anwesenden und dem Verbleib seiner Asche. Unter der Kennziffer 3 wird bekanntgegeben, dass ein Jahr später Hieronymus von Prag an gleicher Stelle dem Feuertod übergeben wurde. Das Konzil in der freien Reichsstadt Konstanz war durch die Einberufungsbulle Papst Johannes’ XXIII. (1370–1419) und der Bestrebungen König Sigismunds (1368–1437, Kaiser seit 1433) zustande gekommen. Vor allem sollte auf dem Konzil das Schisma, das seit 1378 die Christenheit entzweite, überwunden werden. Ein weiterer Tagesordnungspunkt bestand in der causa fidei. Er zielte auf die Erhaltung des reinen Glaubens und der Beseitigung der Ketzerei. Hauptsächlich wurden die Lehren von John Wyclif (1330–1384) und Johann Hus behandelt. Hus war mit den Ideen Wyclifs an der Prager Universität in Berührung gekommen und hatte dessen Gedankengut weitgehend übernommen. Als der Kirchenbann über ihn von Papst Alexander V. (1340–1410) verhängt wurde, verließ er Prag, verkündete aber seine Lehre weiter. Mit einer von ihm verfassten Schrift über die Kirche tat er kund, dass er die gegenwärtige Kirchenordnung nur respektieren wolle, wenn die geistlichen Würdenträger im Sinne der Heiligen Schrift agierten. Damit zog er sich den Unwillen des Konzils zu und sollte sich vor der Geistlichkeit verantworten. Nachdem der Kaiser ihm freies Geleit für die Hin- und Rückreise zugesichert hatte, willigte Hus am 1. September 1414 ein und erreichte am 3. November Konstanz. Im selben Monat wurde eine Kommission gegen ihn eingesetzt, die schließlich seine Gefangennahme befürwortete. In öffentlichen Anhörungen weigerte 274

Die Beständigkeit Johann Hußens und Hieronymi

(1617/18) Kupferstich; Daucher fecit graviert; Prosa 28,0 ! 16,4

er sich, von den 45 Artikeln Wyclifs abzuweichen, die von der Kurie bereits als häretisch verworfen worden waren. Als er seine Auffassung, dass kein Todsünder zur Geistlichkeit gehören dürfe, auf die weltliche Herrschaft übertrug und festhielt, dass ein König in Todsünde vor Gott kein König wäre, forderte Sigismund das Konzil auf, den Magister zum Widerruf zu bewegen oder aber zu verbrennen.1 Innerhalb der Kommission wurde nun auch eine Bestrafung der Anhänger der hussitischen Bewegung erwogen und hierbei besonders an Hieronymus von Prag gedacht.2 Trotz der Bemühungen, Hus zum Widerruf zu bewegen, blieb er standhaft und beteuerte dies in Briefen an seine Gefährten in Böhmen.3 Am 6. Juli 1415 erfolgte die Degradation und Hinrichtung. Nach einem Bericht von Petrus de Mladenovic (1390–1451) soll die Urteilsvollstreckung folgendermaßen verlaufen sein:4 Hus musste sich zunächst entkleiden, dann wurden ihm die Haare geschoren, so dass er seine geistliche Weihe verlor und damit der weltlichen Macht ausgeliefert war. Die Bischöfe setzten ihm einen Hut aus Papier auf den Kopf, auf dem drei Teufel und die Inschrift Hic est Heresiarcha zu erkennen waren. Der Hinrichtungsort befand sich auff der wissen vor der stadt zwischen den gerrten/ als von Costnitz gen Gottleben gehet. Während des Betens fiel Hus der Papierhut vom Kopf, worauf die Soldaten verlangten, dass er wieder aufgesetzt würde, damit Teufel und Ketzer verbrannt würden. Hus wurde an den Pfahl gebunden und zunächst mit der Blickrichtung nach Osten, dann aber nach Westen gedreht. Ihm wurden Ketten an den Hals gelegt, Holz und Reisig um ihn herum gestapelt, und der Bayernherzog Ludwig VII. (der Bärtige, 1368–1447) und sein Marschall baten ihn noch einmal um den Widerruf. Hus lehnte dies ab und sang, während das Feuer entfacht wurde und er zu brennen begann. Nach seinem Ableben sollen Kopf, Rumpf und Herz ein weiteres Mal in das Feuer geworfen worden sein, damit sie gänzlich verbrennen konnten. Die gesamte Asche wurde nach der Prozedur in den Rhein geworfen. Am 30. Mai des Folgejahres wurde am gleichen Ort Hieronymus von Prag verbrannt. Er hatte die Schriften Wyclifs während seines Aufenthaltes in Oxford 1399–1401 kopiert, deren Realismus befürwortet und zu einer Reformation von Universität und Kirche gedrängt.5 Von seiner Verurteilung berichtet ein Brief von Gian Francesco Poggio Bracciolini (1380–1459), der von Niklas von Wyle (um 1415–1479) übersetzt wurde.6 Mit der Verbrennung von Hus und Hieronymus von Prag waren zwei Märtyrer geschaffen worden. In der Zeit der Reformation wurden zu diesem Thema von katholischer und protestantischer Seite Schriften herausgegeben, die sich vor allem mit dem Tod von Johann Hus auseinandersetzten. So betont eine katholische Schrift die Rechtmäßigkeit des Urteils des Konzils und berichtet, dass so-

wohl Hus als auch Hieronymus die auffgelegten vnd vberzeugten jrthumb wollten widerrufen, allerdings nur in lateinischer und nicht in tschechischer Sprache.7 Von protestantischer Seite wurde ein Drama zum Konstanzer Konzil veröffentlicht, das die Geistlichen beschuldigt, vom Teufel verblendet worden zu sein und deshalb Johann Hus verbrannt zu haben.8 In der Tragödie wird die Prophezeiung ausgesprochen, dass nach der Gans (tschechisch ‚Husa‘), die wegen ihres Geschreis verbrannt worden sei, ein Schwan käme, der wird lieblich singen jnn die Land, ohne getötet zu werden.9 Wohl im Zusammenhang mit dem Reformationsjubliläum erinnert das Flugblatt, zu dem es ein Pendant mit lateinischer Bildlegende gibt (Fassung a), an die Vorgeschichte der Reformation und deren Märtyrer. Anspielungen auf Hus als Märtyrer der Reformation und Vorläufer Luthers finden sich auch sonst häufig in der Publizistik zum Reformationsjubiläum von 1617 (b II, 124, 126, 200).10

Weitere Standorte:

Andere Fassungen: a)

Nürnberg, GNM: 24682/1247a; Wolfenbüttel, HAB: 68.3 Aug.20 [CONSTANTIA IOHANN. HuSSI; b II, 138]

A1

PAAS XIII, P-3866.

1

E. WERNER: Jan Hus. Welt u. Umwelt eines Prager Frühreformators. Weimar 1991, 203–210. W. BRANDMÜLLER: Das Konzil von Konstanz 1414– 1418. Paderborn u. a. 1991, I, 348. Ebd., 350 f. Petrus de Mladenovic: History vnd warhafftige geschicht/ wie das heilig Euangelion mit Johann Hussen ym Concilio zu costnitz […] offentlich verdamt ist. Hagenau 1529. WERNER: Hus, 68, 83. Gian Francesco Poggio Bracciolini: Eyn sendtbrieff wie Hieronimus ein Junger Johannis Huß […] für ein ketzer vorbrandt. Erfurt 1521. Johann Cochlaeus: Warhafftige Historia von Magister Johan Hussen. Leipzig 1547, fol. Fv. Johann Agricola: Tragedia Johannis Huss/ welcher auff dem Vnchristlichen Concilio zu Costnitz gehalten. Wittenberg 1537; weitere Belege bei W. BRÜCKNER: Luther als Gestalt der Sage. In: DERS. (Hg.): Volkserzählung u. Reformation. Ein Handbuch zur Tradierung u. Funktion von Erzählstoffen u. Erzählliteratur im Protestantismus. Berlin 1974, 260–294, hier 269 und 272 f.; b VII, 53. Agricola: Tragedia, fol. Fvv; zu dieser später auf Luther bezogenen Prophezeiung vgl. A. HAuFFEN: Huß eine Gans ⫺ Luther ein Schwan. In: Prager dt. Studien 9 (1908), 1–28. KASTNER: Rauffhandel, 285–287. AR

2 3 4

5 6

7 8

9

10

275

IX, 142

F 277

Ort Jahr Bild Text Format

Das Pasquill gegen die Jesuiten trägt die verbreiteten Vorwürfe gegen die Patres in Form eines Echogedichts vor. Im Vordergrund des Bildes steht ein Mann, dessen Kleidung an einen ungarischen Soldaten denken lässt. Er ist Sprecher des zum Bild gehörenden Textes und ruft seine Fragen in einen Wald auf der linken Bildseite. Die Bäume bilden parallel verlaufende Spaliere, deren Reihe im Hintergrund durch Bergketten fortgesetzt wird. In der rechten Bildhälfte befindet sich ein nach vorne offenes wohl kirchliches Gebäude, in dem katholische Riten ausgeführt werden: Ein Priester liest vor dem Altar die Messe und vollzieht das Sakrament des Abendmahls; vorne nimmt ein Jesuit einer Frau die Ohrenbeichte ab, wobei die Haltung der beiden Figuren das Bild eines Liebespaares abgibt. Zwei weitere Liebespaare sind im Wald zu erkennen. Zwischen dem Wald und der Kirche steht ein Jesuit, der den Rufer ansieht und sich mit beiden Händen die Ohren zuhält, um das Echo nicht zu hören. Hinter ihm gehen zwei Personen mit Gebetbüchern (?) in der Hand zur Kirche. Der Text polemisiert gegen Wesen und Lebensweise der Jesuiten in Form von Fragen, die jeweils mit einem Reimwort beantwortet werden. So ergibt jede Zeile einen Vorwurf gegen die Patres, die einleitend als Suiter (lat. sus, suis ⫺ Sau) und Lappen (Narren) apostrophiert werden. Der Text unterstellt ihnen allgemeinmenschliche Laster wie List, Habgier, Völlerei oder eine übermäßige Neigung zum Wein. Speziell gegen den katholischen Klerus wendet sich die Kritik, wenn von der Unkeuschheit und Unzucht auch als Verstoß gegen den Zölibat (b II, 146), von geheuchelter Frömmigkeit (b II, 295), Feindseligkeit gegen die Lutheraner (b II, 140), Neigung zu einem unangemessen hohen Lebensstandard als Widerspruch zur gepredigten Armut und Enthaltsamkeit, von der Messe als Geldquelle und der Wertlosigkeit der päpstlichen Bulle die Rede ist (b II, 82). Es fehlen nicht die speziell gegen die Jesuiten immer wieder erhobenen Vorwürfe, denen zufolge sie als Königsmörder und Unruhestifter galten, die insbesondere ihre Position als Beichtväter von Fürsten und Königen ausnutzten (b II, 157 f., 295; IX, 95, 167). Mit einbezogen in die Kritik wird der Papst als Antichrist und alle ihm unterstehenden Geistlichen als Geschwürme (b II, 40–42; IX, 132). Echogedichte, die seit der Antike kontinuierlich in der europäischen Literatur besonders auch während der Frühen Neuzeit verwendet wurden,1 fanden im 16. Jahrhundert in das konfessionspolemische Schrifttum Eingang2 und hatten von Anfang an in der antijesuitischer Propaganda ihren festen Platz.3 Während der Literarisierung des Echos im 17. Jahrhundert, etwa bei den Nürnberger Pegnitz276

ECHO, Das ist/ Ein kurtz

(1619/1620?) Radierung Typendruck in 2 Spalten; 57 vierhebige Verse mit Echoreim 33,3 ! 25,6; 10,6 ! 24,0

schäfern, die Theorie von der allegorisch-etymologischen Bedeutungshaltigkeit der Sprache zugrunde lag,4 scheint bei den publizistischen Texten in Echoform das Spielerische einen wichtigen Reiz ausgemacht zu haben.5 Zugleich aber sollte das Echo die Authentizität der Äußerungen verbürgen. Die Wahrhaftigkeit, die das Blatt beansprucht, wird nicht nur im Titel explizit genannt, sondern auch durch die Darstellungsweise des Waldes untermauert. Die Staffelung der Bäume (und der Berge) zu Schallwänden, an denen die Stimme reflektiert wird, ist ein Versuch, die wissenschaftlich fundierten Entstehungsmechanismen des Echo-Phänomens sichtbar zu machen.6 Dieser Rückgriff auf naturwissenschaftliche Versuchsanordnungen frühneuzeitlicher Akustik wird noch deutlicher, wenn man das Blatt mit seinen beiden anderen Fassungen vergleicht, wo der Wald eine naturwüchsige Ordnung aufweist und zwei Jesuitenfiguren, die mit ausgestreckten Händen auf den Wald zulaufen, noch in der Darstellungstradition der antiken ‚Jagd nach der Nymphe Echo‘ stehen.7 Für die Datierung des Blattes auf 1619/1620 spricht die Gestalt des ungarischen Soldaten. Im Jahre 1619 hatte sich Ungarn dem böhmischen Aufstand angeschlossen;8 im November beschloss der ungarische Landtag die Ausweisung der Jesuiten (b II, 146). Die mit dem Aufstand gegen die Habsburger verbundene Vertreibung der Ordensmitglieder aus ihren Provinzen im Kaiserreich gab Anlass zur Entstehung einer Reihe antijesuitischer Blätter (b II, 139–141, 157–159).9 Als die Fugger im Jahre 1619 ein Echo von den Jesuitern nach Graz schickten, handelte es sich vermutlich um das vorliegende Blatt oder eine seiner beiden Varianten.10

2

3

4

5

Weitere Standorte: Braunschweig, HAUM: FB XVI; Gotha, SM: G 17,27; München, BSB: Einblatt III,55b

Andere Fassungen: a)

b)

Braunschweig, HAUM: FB XVI; Gotha, SM: G 89,24 [ECHO … wie man den Wiiderschall verstehen soll; Inc.: Echo/ Jch frag dich itzt bei Zeitte; andere Graphik] Arolsen, Fürstlich Waldecksche Hofbibliothek: Klebebd. 18, 133; Berlin, SBPK: YA 5206m; Coburg, Veste: XIII,441,26; Hamburg, SUB: Scrin C/22, fol.94 [ECHO … wie man den Widerschall verstehen soll; Inc.: Echo, Jch frag dich jetzt bey Zeitte; andere Graphik]

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COuPE II, Nr. 159a. PAAS I, P-42. Paas datiert das Blatt ohne Begründung auf 1603.

1

1594 erschien etwa eine kleine Anthologie der modernen lateinischen Echogedichte: ECHO SIVE SYNOPSIS DIVERSORVM ECHVS EXEMPLORVM (Mainz 1594), die anschließend an die Texte eine Zusammenstellung von Wörtern mit passenden Echoreimen enthält. J. BOLTE: Das Echo in Volksglaube u. Dichtung. In: Sitzungsbe-

6

7 8 9 10

richte d. Preußischen Akademie d. Wissenschaften, Jg. 1935, 262–288, 852–862; LIEDE: Dichtung als Spiel, II, 136–140; A. LANGEN: Dialogisches Spiel. Formen u. Wandlungen des Wechselgesangs in der dt. Dichtung (1600–1900). Heidelberg 1966, 48–51; A. M. HAAS: Geistlicher Zeitvertreib. Friedrich Spees Echogedichte. In: M. BIRCHER/ A. M. HAAS (Hgg.): Dt. Barocklyrik. Gedichtinterpretationen von Spee bis Haller. Bern/ München 1973, 11–47; J. HOLLANDER: The Figure of Echo. A Mode of Allusion in Milton and after. Berkeley u. a. 1981; J. LOEWENSTEIN: Responsive Readings. Versions of Echo in Pastoral, Epic, and the Jonsonian Masque. New Haven/ London 1984; F. VAN INGEN: Echo im 17. Jh. Ein literarisch-musikalisches Phänomen in der Frühen Neuzeit. Amsterdam 2002. Vgl. z. B. zwei Gedichte, die nach dem gescheiterten Religionsgespräch zwischen katholischen Theologen und Protestanten in Regensburg 1601 von beiden Parteien verfasst wurden; abgedruckt bei J. BOLTE: Zwei EchoDialoge vom Regensburger Religionsgespräch von 1601. In: Theologische Studien u. Kritiken 107 (1936), 210– 213. Vgl. auch ‚BONA NOVA DE HISTORIA ORDINIS IESVITICI‘. Tübingen (d. i. Ingolstadt) 1593, 35 f. mit einem Echo-Dialog gegen Polykarp Leyser, den Herausgeber der ‚Historia‘ von Hasenmüller (s. u.). Zwei Gedichte bei Elias Hasenmüller: HISTORIA IESVITICI ORDINIS. Frankfurt a. M. 1593, 101 u. 265 f. (eine deutschsprachige Ausgabe: Frankfurt a. M. 1596, 148 u. 415–417). Eines der beiden Gedichte erschien als Einzeldruck u.d.T.: Echo, Von den HH. Jesuitern Welches anfänglich Claudius Aquavivae Lateinisch geschrieben/ hernach aber von Melchior Leporinum […] verdeutscht. O.O.u.J. Ein ‚ECHO IESVITARVM ESSENTIAM DELINEANS‘ bei Jacob Donat: AKPOΣTIKON IN HISPANOS. O.O. 1609. ‚Ein gar newer Lobspruch von IGNATIO LOIOLAE, Der Jesuwider jhrem Stam/ Vrsprung vnd Herkommen in einem Echo oder Widerhal gestellet‘. O.O. 1615; Neuausgabe: Georg Klemsee: ECHO JESuITICA. Ein Lobspruch der Jesuiten […] Auff einen Wiederhal gemacht. O.O. 1628. Weitere Beispiele bei BOLTE: Echo, 852. Vgl. R. ZELLER: Dichter des Barock auf den Spuren von Kratylos. Theorie u. Praxis motivierter Sprache im 17. Jh. In: GRM 69 (1988), 371–394. In der deutschsprachigen Ausgabe Hasenmüllers ‚Historia‘ erläutert eine NOTA diese Gedichtform: Echo: Jst ein Widerschall/ der auff eine Rede/ in der letzten Syllaben/ gehöret wirdt/ als wann es auff eine Frage auß dem Waldt/ darein man rüfft/ ein Antwort gebe. Welchem dann lustig zu zuhören. Daher dann die Poeten solcher Fragen vnd Antwort viel gemacht: damit sie was sonderliches haben anzeigen wöllen/ wie dann in diesem vnserm Echo auch zu sehen (417). Der Aspekt der Unterhaltung wird auch durch die Formulierung Lustig zu Lesen auf dem Titelblatt der Flugschrift ‚Gewesenen Bischoff vnd Cardinal Clesels Garauß […] Jn Form eines ECHO‘ (O.O. 21620) hervorgehoben. J. J. BERNS: Die Jagd auf die Nymphe Echo. Künstliche Echoeffekte in Poesie, Musik u. Architektur der Frühen Neuzeit [zuerst 1990]. In: DERS.: Die Jagd auf die Nymphe Echo. Zur Technisierung der Wahrnehmung in der Frühen Neuzeit. Bremen 2011, 139⫺158. Vgl. die Abbildung bei Athanasius Kircher: MVSuRGIA VNIVERSALIS. Rom 1650, II, fol. 264. Ebd. GINDELY: Geschichte, Abt.1, II, 254–271. BOHATCOVÁ, Abb. 6–9. Fuggerzeitungen aus dem Dreißigjährigen Krieg 1618– 1623. Hg. von T. NEuHOFER. Augsburg 1936, 61: Dero gnädiges Schreiben vom 31. May habe ich neben den beyverwahrten Pasquillen zu recht empfangen. Ist das Echo von den Jesuitern zwar vor disem allhie gewest. EP

277

IX, 143

F 175

Ort Jahr Bild Text Format

Ein fingierter Bericht über eine grotesk misslungene Passionsprozession in Passau dient als Kritik an den Jesuiten. Die Graphik zeigt in einer simultanen Darstellung den Verlauf eines Passionsspiels, das vor den Mauern einer Stadt stattfindet. Im Hintergrund bewegt sich ein aus Schauspielern und Zuschauern zusammengesetzter Prozessionszug aus dem Stadttor. Zu erkennen sind Szenen der Kreuztragung, Misshandlung und Geißelung Christi, der sich zum Schluss unter dem Kreuz erholt. In der Menschenmenge befinden sich Jesuiten und andere Ordensgeistliche. Die Prozession führt zu dem Ort, wo drei Kreuze mit drei Gekreuzigten stehen. Sie sind von aufgeregten Menschen umgeben, die zum ‚Christus‘ emporschauen. Am Fuß der Kreuze im Vordergrund liegt am Boden in einem Kreis aus Neugierigen eine Frau. Ein Jesuit hebt ihr Gewand hoch und macht so ihre Schwangerschaft sichtbar. Zwei Patres rechts von der kleinen Gruppe versuchen sich fortzustehlen. Vorne rechts unterhält sich ein Jesuit vertraulich mit einem Kriegsknecht. Der umfangreiche Text hat die Form eines Briefes, in dem der Verfasser seinem ‚guten Freund‘ über eine ereignisreiche Karfreitagsprozession in Passau berichtet. Die Prozession sei von den Jesuiten, wie jedes Jahr, als ein traditionelles Passionsspiel konzipiert worden, in dem das Leiden Christi wie üblich von den Bürgern habe dargestellt werden sollen. Der im vorigen Jahr den Christus spielende Schneider habe diesmal abgelehnt, in Erinnerung an Schläge und andere Unannehmlichkeiten, die er damals erfahren hätte, zumal er in der Fastenzeit Fleisch gegessen habe und daher zusätzlich mit Misshelligkeiten rechnen müsse. Daher habe ein einfältiger Webergeselle die Hauptrolle übernommen. Dieser sei den Soldaten übergeben worden, die ihm die Augen zugebunden, ihn in Lumpen gekleidet, beschimpft, mit Fäusten geschlagen und mit Füßen getreten hätten, worauf der in Zorn Geratene mit Alkohol hätte besänftigt werden müssen. Seine sexuelle Erregung angesichts der entblößten ‚Maria Magdalena‘, seine Weigerung, das Kreuz weiter zu schleppen, sein fortgesetzter Alkoholkonsum und die darauf folgende Unpässlichkeit hätten wiederholt wüste Beschimpfungen des Publikums und der Mitspieler nach sich gezogen und die Jesuiten veranlasst, ihn eilends ans Kreuz zu hängen, um weitere Exzesse zu vermeiden. Die von einem Jesuiten angestiftete Misshandlung eines der beiden gehängten ‚Schächer‘ habe anschließend zu einer Schlägerei unter dem Kreuz geführt. Im Gedränge sei besagter Jesuit in Ohnmacht gefallen, worauf man seinen Rock aufknöpfte und sich der vermeintliche Pater als schwangere Frau herausgestellt habe. In eine Kapelle gebracht, habe die Frau entbunden und erzählt, sie sei die Tochter eines vornehmen Prager Bürgers. Dort sei sie sechs Jahre lang von zwei Jesuiten, mit denen sie nun nach Passau gekom278

Kurtzer Bericht/ Was sich in verschienener Charwochen

(um 1618)1 Radierung Typendruck; Prosa 38,0 ! 28,5; 14,5 ! 26,4

men sei, versteckt gehalten und missbraucht worden. Mit der Kreuzabnahme sei die Passion beendet worden. Über den weiteren Verlauf der Affäre mit der schwangeren Frau wolle der Autor in kürtze berichten. Für seine Kritik an den Jesuiten hat der Blattverfasser einen realitätsnahen Hintergrund gewählt. Im 17. Jahrhundert erreichten nämlich die aus Karfreitagsprozessionen entwickelten Passionsspiele vornehmlich im süddeutschen Raum ihre Blüte, auch wenn sie zeitweise durch den 30jährigen Krieg gedämpft wurde.2 Sie wurden teils in szenischer Ausgestaltung auf der (Schul-)Bühne aufgeführt, teils aber auch als Prozession mit szenischen Zwischenhalten vollzogen. Solche Figuralprozessionen wurden mit den Bühnenspielen gleichgesetzt, wie die Bezeichnung in gestalt einer comedien am Anfang des Textes deutlich macht. Im Zuge der Gegenreformation waren sie zur Spezialität der Jesuiten geworden, die als verantwortliche Spielleiter fungierten.3 Der Versuch, die religiöse Praxis innerhalb der katholischen Kirche auf diese Weise zu intensivieren, war sehr erfolgreich, wovon die allgemeine Beliebtheit sowohl von Spielprozessionen als auch stationärer Passionsdramen, in denen meistens Laien als Schauspieler agierten, zeugt. Diese Popularität, insbesondere bei der Landbevölkerung, führte allerdings indirekt dazu, dass die religiösen Volksschauspiele immer mehr in die Kritik gerieten: Nicht nur die protestantische Seite fand das Passionsgeschehen durch das Spiel profaniert, auch die katholische Obrigkeit entschloss sich ⫺ oft als Antwort auf Klagen der Kirchendiener selbst ⫺ zum Einschreiten gegen eine solche Veräußerlichung der geistlichen Kultformen, indem sie immer häufiger Verbote erließ;4 nicht zuletzt distanzierte man sich in Predigten5 und in Form schriftlicher Satiren.6 Der große Zulauf der Zuschauer und die Ausdehnung der Schauprozessionen oft auf mehrere Tage zogen gravierende Entgleisungen und Missbräuche, oft Gewalttaten nach sich, wenn es unter hohem Alkoholkonsum zu Schlägereien kam, Schauplätze des Geschehens demoliert wurden und während des Schauspiels selbst statt Andacht und Gebet eine ausgelassene Stimmung herrschte.7 Auch ein missglückter Verlauf der Prozession, die sogar mit Todesfällen endete, ist aus früheren Überlieferungen bekannt.8 Ein nicht zu unterschätzender Aspekt bildete dabei die Verwechslung der Identität der gespielten Figuren mit den Spielenden, gekoppelt mit der Derbheit der Sprache angetrunkener und vergnügter Zuschauer und Schauspieler, was in blasphemische Handlungen münden konnte. Alle diese negativen Begleiterscheinungen einer Karfreitagsprozession wurden im Blatt satirisch überspitzt, wobei die Jesuiten in der aktiven Rolle der Leiter der ‚Komödie‘ als Stifter aller Unruhen erscheinen, denen sie nicht nur nicht vorbeugen können, sondern zu deren Eskalation sie sogar beitragen. Auch ihre weder ihrem Stand noch der

Situation angemessene Sprache (macht daß der Teuffel nur bald ans Creutz kompt/ ist doch Crysam/ Tauff vnd Sacrament an dem Hurensohn verlohren) stellt sie bloß. Die Kritik gipfelt in dem Bild der Patres als Frauenschänder, womit ein gängiger Vorwurf aufgegriffen wurde. Das prominenteste Beispiel für die Verbreitung dieses Klischees bildete der Fall des Jesuiten und päpstlichen Rats Robert Bellarmin (1542–1621), der 1642 Frauen beschlafen, zum Teil geschwängert und sogar ⫺ um seine Taten zu vertuschen ⫺ ermorden lassen haben sollte.9

Weitere Standorte:

Andere Fassungen: a)

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Braunschweig, HAUM: Flugblätter, Kasten 1 [Newe Zeitung/ Von der Römischen Bäpstischen Charwochen | Das ist/; andere Graphik] Nürnberg, GNM: HB 24571/1336a10 [wie a; Graphik seitenverkehrt, Nachstich] Berlin, Dt. Historisches Museum: Inv.-Nr. Gr 2001/18; Wolfenbüttel, HAB: Xb FM 85 [wie b; der Text anders gesetzt: Newe Zeitung/| Von der Römischen Bäpstischen Charwochen.| Das ist:; andere Graphik] Nürnberg, GNM: 2820/1248; ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig11 [wie a; Impressum: Gedruckt vnd in Verlegung Christianvs Babprint von Amsterdam; Holzschnitt]

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PAAS III, P-499. SCHILLING: Flugblatt und Drama, 246⫺248 mit Abb. 1.

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Das Jahr der Vertreibung der Jesuiten aus Prag. G. BRENNINGER: Passionsspiele in Altbayern. In: M. HENKER u. a. (Hgg.): Hört, sehet, weint u. liebt. Passionsspiele im alpenländischen Raum. München 1990, 61– 65; F. G. RAuSCH: Karfreitagsprozessionen in Bayern. In: ebd., 87–93. E. HASTABA: Das Passionsspiel zur Zeit der Gegenreformation. Das Passionsspiel als gegenreformatorisches Spiel? ⫺ Spiele der Gegenreformation. In: HENKER: Hört, 67–74. W. HARTINGER: Geistliches Schauspiel im Bistum Passau. In: Ostbairische Grenzmarken 31 (1989), 110–140, hier 129–133. E. MOSER-RATH: Volksfrömmigkeit im Spiegel der Barockpredigt. In: Zs. f. Volkskunde 65 (1969), 196–206, hier 200. Vgl. z. B. Anton von Bucher: Entwurf einer ländlichen Charfreytagsprocession sammt einem gar lustigen und geistlichen Vorspiel zur Passionsaction. O.O. 1782. Vgl. auch D.-R. MOSER: Verkündigung durch Volksgesang. Studien zur Liedpropaganda u. -katechese der Gegenreformation. Berlin 1981, 104–110. N. SCHINDLER: Widerspenstige Leute. Studien zur Volkskultur in der frühen Neuzeit. Frankfurt a. M. 1992, 219–222. MOSER: Verkündigung, 109 f., Anm. 37. Zwo Newe Zeitung/ Die eine ist ein Spiegel vnd Ehrenkräntzlein der IESVWIDER […] Die andere ist: Wie die Jesuiter eine Comedi zu Moltzheim agirt. Basel 1614. Die Flugschrift wurde mehrmals nachgedruckt und abgeschrieben. PAAS III, P-496. DRuGuLIN I, Nr. 3085. EP

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IX, 144

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Das in verschiedenen Fassungen vorliegende Blatt verurteilt das ‚Veltliner Blutbad‘, das im Juli 1620 von Veltliner Katholiken an ihren protestantischen Mitbürgern verübt wurde. Die Radierung zeigt links den Überfall auf eine protestantische Gemeinde in einer Kirche. Die Bewaffneten schlagen mit Schwertern auf die Gottesdienstbesucher ein und töten den Prediger auf der Kanzel. Im Bildvordergrund sind zerstückelte Leichen von Frauen und Kindern zu sehen. Auf der rechten Seite kniet ein Geistlicher mit gefalteten Händen und erwartet seine Enthauptung; neben ihm wollen vier Täter eine noch lebende Person auf einem Scheiterhaufen verbrennen.

Abschewlicher CainsMordt/ Welchen die blutdurstige

(1620) Radierung Typendruck in 3 Spalten; Prosa, 22 Knittelverse 35,4 ! 24,1; 12,2 ! 21,7

vmb verfluchten Eigennutzes willen/ das Vatterland in gefahr/ noht vnd vnheyl stürzen wollen. Der konfessionelle Konflikt zwischen den Evangelischen und der Esauwiter rott scheint im Prosatext nur andeutungsweise auf und ist im Festhalten am alten Calender kaum wahrnehmbar. In der Fassung b, die einen erweiterten Text bietet, kommt der politisch-konfessionelle Konflikt deutlicher zur Sprache, wenn auf die Rache Gottes

Weitere Standorte: Braunschweig, HAUM: FB XVI; Gotha, Forschungsbibliothek: Mon. Typ. s. l. et a. 2° 118, 533 (A 1); Nürnberg, GNM: 25014/1247a; Paris, BN: Qd 2 fol, 1620 (A 1); Ulm, StB: Einbl. 856

so wol an den Hauptvrsächern/ vnd Redlinsführern den Planten/ vnd dero mit Banditen/ wie in gleichem den Antreibern/ den Jesuitern vnd Meßpriestern/ als an den trewlosen/ blutdurstigen Meuchelmördern vnnd andern falschen Judasbrüdern

Andere Fassungen:

Im ersten Absatz des Prosatextes, der das Geschehen auf den 9. Julij alten Calender dieses trawrigen 1620. Jahrs datiert, werden die Ertzbößwichter, die mehr dann Türckisch vnd Barbarisch jhre frommen Landsleuth/ vnd getrewe Nachbarn in der Kirchen auff das grausambst ermordet/ der Rache und Strafe Gottes empfohlen. Im zweiten Absatz wird das Ausmaß der Untaten dadurch unterstrichen, dass der Autor zwei vergleichbare Vorfälle erinnert, die er jedoch als weniger grausam und als entschuldbar ansieht: das Blutbad von Wassy (1. März 1562), das Herzog Franz von Guise (1519–1563) zu verantworten hatte und das die Reihe der Hugenottenkriege eröffnete, und den unter Stilichos (um 365–408)1 Führung erfolgten Angriff auf die Goten während eines Ostergottesdienstes (Schlacht bei Pollentia 402). Im letzten Absatz wird das Fazit gezogen: Die frommen gläubigen zu Tyran [Tirano]/ Täll [Teglio]/ vnd anderstwo im Veltlin/ seind […] ohne verschonung einiges Kindes oder Weibs/ auff das aller jämerlichste vnter dem Gottesdienst vberfallen/ erschossen/ nidergehawen/ erstochen/ zerstücket vnd verbrennt worden.

Als Opfer unter den Seelsorgern werden Johann Peter Danz (um 1575–1620), Kaspar Alexius (1581–1626) und Blasius Alexander (1590–1622) angeführt.2 Die 22 Verse sind als Gebet formuliert und erbitten von Gott Erbarmen, Schutz und Errettung sowie die Vernichtung der Feinde. Im Titel wird das Veltliner Blutbad als CainsMordt ausgewiesen, der auf Betreiben der Esauwiter rott durch verzweiffelte Banditen vnd derselben Consorten erfolgt sei und der Allen Evangelischen Kirchen zur warnung dienen und zu erhöhter Wachsamkeit und inbrünstigem Gebet aufmuntern soll. So gesehen setzen die Schlussverse teilweise den Appell der Titelei um. Auch das Schlagwort CainsMordt wird wieder aufgegriffen, indem der Prosatext hervorhebt, dass die frommen gläubigen […] von jhren eygnen Landsleuten umgebracht worden sind, denen er vorwirft, sie hätten 280

gehofft wird und wenn auf deß Spaniers eynfall im Veltlin hingewiesen wird.3 In der Fassung c sind bei gleicher Illustration als Text zwei Briefe abgedruckt: das Hilfsersuchen der drei Bünde4 an die Stadt Zürich und ein angeblich abgefangenes Schreiben an den Bischof von Chur, in dem Antonio Paravicini (1588– 1659),5 der Erzpriester von Sondrio, mit Genugtuung über die Fortschritte der Rekatholisierung im Veltlin berichtet.6 Die drei Bünde, die seit 1512 über das Veltlin, Chiavenna und Bormio als Untertanenland herrschten, waren seit Beginn des 17. Jahrhunderts in einer schwierigen Lage. Bedingt durch die lockere politische Struktur fehlte dem Freistaat eine Zentralgewalt, die ein gemeinsames Auftreten gegenüber den Großmächten und ihren geopolitischen Interessen hätte ermöglichen können. Das Veltlin bot den kürzesten Verbindungsweg zwischen Österreich und dem Herzogtum Mailand, das von Spanien regiert wurde. Der Gegner Frankreich und die reformiert-protestantische Seite waren ebenfalls an den Alpenpässen interessiert, die eine Verbindung mit der Republik Venedig, dem Führer der antipäpstlichen Koalition in Italien, boten.7 Geschwächt wurde der Freistaat auch durch konkurrierende Adelsfamilien und die aufgrund der Gegenreformation verstärkten konfessionellen Auseinandersetzungen. Einen ersten Höhepunkt erreichte der Konflikt mit dem Strafgericht von Thusis, in dem die Reformierten strenge Urteile über die Fürsprecher der österreichisch-spanischen Partei durchsetzten.8 Der Veltliner Mord war gleichsam ein Rachefeldzug der katholischen Seite und führte zur Ermordung von 300–600 Menschen und zur Flucht vieler anderer reformierter Familien. Mehrere Flugschriften beider Parteien berichteten und kommentierten die Ereignisse aus ihrer Perspektive und dienten den Historikern als Grundlagen ihrer Darstellungen.9

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Zürich, ZB: Einblatt 1620, Veltlin, Ia, 2 [… Sontag … gestifftet vnnd …; Bild im Gegensinn] Zürich, ZB: Einblatt 1620, Veltlin, Ia, 1 [Verrähterischer Cains Mordt …; Bild wie a; Text teilw. geändert und ein Absatz mehr am Ende] Berlin, SBPK: YA 5280 kl.; Chur, Kantonsbibliothek: Be 494/1010 [Abdruck zweier Briefe].

b)

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PAAS III, P-525. WÄSCHER, Nr. 27. NIEMETZ: Bildpublizistik, 107 f., Abb. 87. J. R. WESTPHAL: Die Darstellung von Unrecht auf Flugblättern der Frühen Neuzeit. Mönchengladbach 2008, 118 mit Abb. 21. Vgl. Der kleine Pauly. Lexikon der Antike. Hg. von K. ZIEGLER/ W. SONTHEIMER. 5 Bde., München 1964⫺ 1975 (Nachdr. München 1979), V, 372 f. Nur Johann Peter Danz ist während des Blutbads getötet worden (vgl. BBKL 15, 461–463; A. FRIGG: Bündner Kirchengesch., 3. Teil: Die Gegenreformation. Chur 1986, 54; HLS 9, 540–542); Blasius Alexander wurde auf der Flucht gefangen genommen und 1622 in Innsbruck hingerichtet (vgl. FRIGG, 63, 74; BBKL 15, 9–12) und Kaspar Alexius nach seiner Freilassung aus österreichischer Gefangenschaft Professor für Philosophie in Genf (vgl. BBKL 15,12–15). Mit den Planten sind die Brüder Rudolf und Pompejus von Planta gemeint, die sich für die Interessen der spanisch-österreichischen Seite einsetzten (vgl. FRIGG, 48 f., 59 f.; HLS 9, 769 f.). Der Freistaat der drei Bünde (Grauer Bund [dazu HLS 5, 659 f.], Gotteshausbund [HLS 5, 556 f.], Zehngerichtebund [HLS 13, 652 f.]) gilt als politischer Vorläufer des heutigen Kantons Graubünden. Zu Paravicinis Vita vgl. Gian Antonio Paravicini: La pieve di Sondrio. Hg. von T. SALICE. Sondrio 1969, 11– 60. Dazu SCHILLING: Bildpublizistik, 171 f., 316, Nr. 8. Dazu A. WENDLAND: Der Nutzen der Pässe u. die Gefährdung der Seelen. Spanien, Mailand u. der Kampf ums Veltlin, 1620–1641. Zürich 1995. Vgl. FRIGG, 50–52. Vgl. J. BuRCKHARDT: Ursachen u. Verlauf des Veltliner Mordes 1620. In: DERS.: Vorträge. Hg. von E. DÜRR. Stuttgart u. a. 1931, 1–41; A. WENDLAND: Gewalt in Glaubensdingen. Der Veltliner Mord (1620). In: M. MEuMANN/ D. NIEFANGER (Hgg.): Ein Schauplatz herber Angst. Wahrnehmung u. Darstellung von Gewalt im 17. Jh. Göttingen 1997, 223–239. PAAS III, P-526; SCHILLING: Bildpublizistik, Abb. 59. DP

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IX, 145

F 223

Ort Jahr Bild Text Format

Im Stil einer Neuen Zeitung bringt das Blatt Informationen über die Einnahme mehrerer Orte in der Unterpfalz durch den spanischen Feldherrn Ambrosio Spinola (1569–1630) im Herbst 1620. Das Bild ist in drei Felder gegliedert, die verschiedene Teile der Pfalz zeigen. In den zwei oberen Feldern werden in der kartographischen Ikonographie der Zeit zwei entlang des Rheins gelegene Landstreifen abgebildet: links die Strecke zwischen Oberwesel und Mainz mit den Ortschaften Kaub (Coub), Bacharach, Meisenheim (? Meusentheim), Bingen, Kreuznach, Alzey (Altzheim), Oppenheim und der Schanze Pfalz, rechts der Abschnitt von Köln bis Nonnenwerth mit der Schanze Pfaffenmütz (Pfaffenhutlein) und den Orten Rodenkirchen, Wesseling (Wesling), Hersel (Hesigh), Bonn auf dem rechten und Deutz, Lülsdorf, Nieder-Kassel, Rhedt, Mondorf, Bergheim (Berchem), Schwarzrheindorf (Swartz Rÿndorp) und Burgen auf dem linken Ufer sowie der Festung Siegburg (Sÿburg) an der Sieg. Das untere Feld enthält rechts eine Kampfszene, während links eine Truppe vergeblich den Main zu überqueren versucht. Die im Text unter der Graphik kommentierten Bildabschnitte sind mit den Verweisbuchstaben A bis D versehen. Einleitend berichtet der Text, wie der kaiserliche General Spinola im August 1620 mit 40.000 Mann zu Fuß und 6000 zu Pferd von Brüssel aufgebrochen sei und kurz danach den Rhein überschritten habe. Er habe sich im Mainzer Schloss verschanzt und am 5. September seine Soldaten in die Schlachtordnung gestellt. Das erste Ziel Spinolas war Kreuznach, das er am 11. September besetzt habe; da sich die Bürger ergeben hätten, habe er sie verschonen lassen. In folgenden Tagen seien ohne Widerstand Alzey, Lumitznach und Eppelsheim (? Ebersheim) eingenommen worden. Das zur selben Zeit verbreitete Gerücht, Spinola wolle nach Worms ziehen, habe die in Oppenheim verschanzten Fürsten der Union bewogen, ihre Truppen zur Verteidigung nach Worms zu verlegen. Daraufhin habe sich Spinola dem verlassenen Ort zugewandt und nach der Stadteinnahme sein Quartier dort aufgeschlagen,2 dabei zusätzliche Befestigungen und eine Brücke aufrichten lassen. Bis Anfang Oktober sei er mit mehreren Schiffen bis Kaub vorgedrungen und habe unterwegs Bacharach und die Festung Pfalz besetzt. Der weitere Textabschnitt bringt Informationen zum Bild B über die Errichtung einer Schanze auf der Rheininsel Kemperwerth (Berchemer Werth) zwischen Köln und Bonn. Den von Moritz von Nassau-Oranien (1567–1625) und dem Kurfürsten von Brandenburg veranlassten Bau habe Friedrich Heinrich von Nassau-Oranien (1584–1647) geleitet. Die Schanze sei mit 2000 Mann besetzt und am 25. Oktober auf den Namen Pfaffenhütlein (Pfaffenmütz) getauft worden.3 Die Erklärung zum Teil C des unteren Bildes enthält eine kurze Beschrei282

Eigentliche Abbildung etlicher Stätt vnd Oerter

(Frankfurt a. M.)1 1620 Kupferstich Typendruck in 3 Spalten; Prosa 34,7 ! 25,7; 16,4 ! 23,8

bung eines Gefechtes am 11. September nit weit von der Steinstrassen (bei Heßheim unweit von Frankenthal), in dem der pfälzische Obrist Hans Elias Michael von Obentraut (1574–1625) den Kommandeur einer spanischen Einheit gefangengenommen und in das Lager der Unierten gebracht habe. Der letzte Abschnitt zum Teil D des Bildes berichtet über eine Episode vom 1. Oktober, als Spinola nach der Eroberung von Oppenheim den Main zu überqueren versucht habe, um die Truppen Friedrich Heinrichs anzugreifen. Dabei seien seine Soldaten in einen starken, tiefen Strom geraten und mehrere Reiter und Knechte samt den Wagen in den Fluten versunken.

mit einer ikonographisch differenzierten Graphik eine verstärkte Wirkung intendierte.

Weitere Standorte: Erlangen, UB: A III 30, 30a, 30b (3 Exemplare); ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig (A 1)

Andere Fassungen: a) b)

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Unter den katholischen Bundesgenossen, die Ferdinand II. (1578–1637, Kaiser seit 1619) in seinem Krieg mit dem aufständischen Böhmen und Friedrich V. von der Pfalz zu unterstützen bereit waren, befand sich Spanien, das damit auch seine eigenen Interessen ⫺ die Erweiterung seiner Territorien zu Lasten des Reiches ⫺ verfolgte. Gegen Ende des Jahres 1619 folgte König Philipp III. (1578–1621, König seit 1598) dem Vorschlag seines Statthalters in Flandern, Erzherzog Albrecht von Österreich (1559–1621), von Flandern aus eine Invasion der Unterpfalz vorzunehmen.4 Der Einmarsch der spanischen Streitkräfte von 25.000 Soldaten unter General Spinola erfolgte im August 1620, nachdem die protestantische Union im Juli ihre Neutralität erklärt und damit ihre militärische Intervention in der Pfalz praktisch ausgeschlossen hatte.5 Innerhalb von wenigen Monaten besetzten die Spanier das Land von Mainz bis zum Hunsrück und bis an den Rhein bei Worms (b IV, 132–134), ohne dass die Truppen der Union unter Markgraf Joachim Ernst von Brandenburg-Ansbach (1583– 1625) nennenswerten Widerstand leisteten.6 Nach dem im Frühjahr 1621 geschlossenen Waffenstillstand, dem sog. Mainzer Akkord, zog die Union ihr Heer aus der Pfalz zurück und löste sich auf.7 Ihre Passivität angesichts des pfälzischen Feldzugs Spinolas trug maßgeblich zu seinen Erfolgen bei (b IV, 135). Die Truppen der Union lagerten seit September tatenlos bei Worms, auch noch nachdem eine Verstärkung von 2000 Mann zu Fuß und 36 Reiterkompanien unter Friedrich Heinrich von Nassau sowie 2400 Engländer unter Sir Horace Vere (1565–1635) eingetroffen waren.8 Obentraut, seit 1619 Oberst über 300 Reiter im Dienste Friedrichs V., war der einzige Befehlshaber unter den Unierten, der sich durch entschiedene und erfolgreiche Militäraktionen hervortat, wie z. B. in dem auf dem Blatt erwähnten Gefecht bei Frankenthal.9 Die Pfälzer Episode des Dreißigjährigen Krieges hat eine Flut von Flugschriften und -blättern, auch in niederländischer und französischer Sprache, hervorgebracht (b II, 157, 170 f.; IV, 109, 119).10 Das vorliegende Blatt ist ein frühes Beispiel für eine Kriegsberichterstattung, die durch die Kombination eines rein informativen Textes

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Heidelberg, KM: S 3913; Prag, Nationalmuseum: 102 A 64 [anderes Rahmenornament] 11 Paris, BN: Vc 254 fol.12 [VRAY ET NATVREL POVRTRAICT; eine französische Version des Blattes] DRuGuLIN II, 1455 (die Angaben erlauben keine Klärung der Frage, um welche Fassung es sich handelt). PAAS III, P-582. Auf den Druckort verweist das Impressum des französischen Blattes (s. Fassung b): Traduit Fidellement d’Alemand en François iouxte la copie imprimee à Francfort. Vgl. EIGENTLICHE ENTWERFFuNG Deßn Marqvis Spinolae Lägern bey Maintz vnd Oppenheim. Deßgleichen der Vnirten Fursten Läger bey Wormbs, so dises 1620. Iahrs […] Auffgeworffen. Nürnberg o.J. (nach BOHATCOVÁ: Vzácná Sbírka, Nr. 88). Zur Errichtung und Eroberung der Schanze b IV, 113, 117. Zu ihren weiteren Schicksalen vgl. Warhafftige Newe Zeitung/ Was massn die Vestung Papenmütz/ sich an […] Heinrich von dem Berg […] ergeben. (Augsburg 1622); Wahrhaffte Erzehlung von der Vestung Papenmütz genant/ wie dieselbe Erbawt/ vnd […] Erobert worden. O.O. (1623). GINDELY: Geschichte, II, 365–381. K. MOERSCH: Gesch. der Pfalz von den Anfängen bis ins 19. Jh. Landau 1987, 338. Theatrum Europaeum I, 379–385, 425 f.; A. EGLER: Die Spanier in der linksrheinischen Pfalz 1620–1623: Invasion, Verwaltung, Rekatholisierung. Mainz 1971; K. SCHERER: Karten zum 30jährigen Krieg. In: Pfalzatlas. Hg. von W. ALTER. Speyer 1981–1994, II, Karten Nr. 107 f., Textbd. III, 1398–1413. WEDGWOOD: Krieg, 120; GINDELY: Geschichte, IV, 106– 155. E. WEISS: Die Unterstützung Friedrichs V. von der Pfalz durch Jakob I. u. Karl I. von England im Dreißigjährigen Krieg (1618–1632). Stuttgart 1966, 24–26. MOERSCH: Gesch. der Pfalz, 338 f. Zu Obentraut vgl. ADB, XXIV, 85 f.; auch b IV, 135, 138. Zum Treffen bei Frankenthal s. Theatrum Europaeum I, 539–541. Zur zeitgenössischen Reaktion auf die Invasion vgl. Zwifache […] Newe Zeittung. Die erste/ Das Pfeltzisch Kriegs wesen betreffend: Was sich für hendel zwischen Marquis Spinola […] Vnnd den Vnierten Fürsten kurtz verruckter tagen begeben. O.O. 1620; Dreyssig WArhaffte Vrsachen deß vblen Zustands der Pfaltz. O.O. 1621; Auffrichtiger Discurs […] der publicirten Motiven. Warumb dem Spinola etliche Stätt unnd Oerter in Churf. Pfaltz, ohne Widerstand sich zubemächtigen nachgesehen worden. O.O. 1621 (HOHENEMSER, Nr. 5065). BRIESEMEISTER: Flugschriften, hier 161–164; ALEXANDER/ STRAuSS I, 353; BOHATCOVÁ: Vzácná Sbírka, Nr. 89–93; PAAS III, PA-122, PA-146 bis 159; W. REINIGER / K. STOPP: Warhafftige Abbildung derjenigen Stätt […]. Ein Katalog der zeitgenössischen topographischen Flugblätter über die Einnahme der Pfalz durch Spinola. Bad Kreuznach 1982. Beide Standorte nach PAAS III, P-583. PAAS III, PA-121. EP

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O Angst vnd noth du liber gott [Inc.]

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(1621) Radierung graviert in 2 Spalten; 24 binnengereimte Vierheber 21,7 ! 14,8

Unter Rückgriff auf Motive aus der Tierepik verspottet das Blatt, das auf eine Fassung mit ausführlicherem gedrucktem Text zurückgeht, den Winterkönig Friedrich V. (1596–1632, böhmischer König 1619–1620) nach der Niederlage in der Schlacht am Weißen Berg und führt dessen Entscheidung für die böhmische Königskrone auf seine Hoffart zurück. Ein Löwe sitzt, in eine Decke gehüllt und von Ungeziefer umschwärmt, über einen Tisch gebeugt und stützt sich mit der rechten Pranke, die in einer Schlinge liegt, auf einen Stock. Ein Affe vor ihm auf dem Tisch legt ihm einen Kopfverband an und greift nach einer großen Spinne im Nacken des Löwen. Zwei weitere Affen bemühen sich um das Ungeziefer auf der Decke und dem Schwanz des Löwen. Unter dem Tisch, auf dem verschiedene Behälter und ein Teller stehen, sitzt ein Hase. Neben dem Tisch liegen eine Krone, Schwert und Zepter, die zerbrochen sind, und eine zerrissene gesiegelte Urkunde. Vor dem Tisch steht ein Fuchs auf seinen Hinterbeinen und schreibt mit der rechten Pfote, während er gleichzeitig prüfend auf ein Harnglas blickt, das er in seiner linken hält. Der Text ist als Wechselrede des Löwen und des Fuchses gestaltet. Der Löwe klagt über die ihn stechenden Spanische[n] mucken, fordert vom Affen Unterstützung und bittet den Fuchs um Hilfe in seiner Krankheit. Der Fuchs diagnostiziert im Harnglas ein bösen wurm und kündigt an, ein starck Recept schreiben zu wollen für die Apotheke Jns Baer landt vnd Sexisch bandt und den Dockter Baer zu holen. Er empfiehlt eine Purgation, um den hoffarß teuffell aus dem Hirn des Patienten zu vertreiben. In der Schlacht am Weißen Berg (8. November 1620) konnte sich Friedrich V.1, dem die Unterstützung der protestantischen Union versagt blieb, mit seinen schlecht ausgerüsteten Truppen nicht gegen das Heer der Liga behaupten, das Maximilian I. von Bayern (1573–1651) aufgestellt hatte und das vom Feldherrn Tilly (1568–1632) geführt wurde. Friedrich V. musste über Schlesien und Brandenburg ins holländische Exil flüchten. Der Kaiser verhängte die Reichsacht über ihn, seine Kurfürstenwürde wurde dem Bayernherzog übertragen. Bereits im Sommer 1620 fiel der spanische Feldherr Ambrosio Spinola (1569–1630) in die Pfalz ein und eroberte alle wichtigen Städte. Auf diese historische Situation scheint das Blatt sich zu beziehen. Die allegorischen Tiere sind nicht in jedem Fall eindeutig zu entschlüsseln. Zweifelsfrei repräsentiert der erkrankte Löwe den pfälzischen Kurfürsten und die Spinne Spinola; der nur im Text genannte Bär ist mit Maximilian von Bayern gleichzusetzen. Aber ob das fliegende Ungeziefer auf 284

Spinolas Soldaten zu beziehen ist oder auf die spanischen Jesuiten, ist nicht sicher zu entscheiden,2 und unklar ist auch, wer sich hinter den um den Löwen bemühten Affen verbirgt (vielleicht die militärischen Führer des Kurfürsten wie Ernst von Mansfeld, 1580–1626,3 oder seine Ratgeber?). In einem anderen Einblattdruck werden Hasen mit den flüchtenden Truppen des Böhmenkönigs gleichgesetzt, während das vorliegende Blatt nur einen Hasen zeigt, der vielleicht auf den Ratgeber Ludwig Camerarius (1573–1651)4 verweist, der seinem Fürsten ins Exil folgte. Rätselhaft ist auch die Figur des Fuchses, der einerseits als Arzt dem Löwen helfen will, andrerseits aber Hilfe aus Bayern (Maximilian I.) und Sachsen (Kurfürst Johann Georg I., 1585–1656) holen will und damit den Feinden in die Hände arbeitet. Die Schwierigkeiten bei der Entschlüsselung könnten darin begründet sein, dass die historische Abfolge der Ereignisse nicht mit der allegorischen Logik zusammengeht. Gezeigt wird der Böhmenkönig nach seiner Niederlage, aber die Äußerungen des Fuchses spielen eigentlich auf einen früheren Zustand an, als Bayern und Sachsen noch nicht in Böhmen eingefallen waren. Die metaphorische Krankheit des Löwen ist doppelt besetzt; sie steht für das Leid des Böhmenkönigs nach der Niederlage wie auch für die Ursache der böhmischen Wirren, den hochmütigen Ehrgeiz des Kurfürsten. Auch die ausführlichere Textfassung der Vorlage bietet für die Deutungsschwierigkeiten keine Lösung. Der Fuchs, der als Arzt den erkrankten Löwen auf Kosten des Wolfes (oder des Bären) heilt, gehört seit der ‚Ecbasis captivi‘ zum Motivinventar der Tierepik.5 Das vorliegende Blatt erinnert eher an die Motivvariante, die der mittelhochdeutsche Fuchs Reinhart bietet: der Fuchs verabreicht dem kranken Löwen einen Gifttrank als Medizin.6 Der Affe, den der Löwe mit Ach merten (d. i. Martin) anspricht, ist ebenfalls der Tierepik entlehnt (im ‚Reynke de vos‘ verspricht der Affe Martin, sich für den Löwen in Rom einzusetzen, und rühmt das Affengeschlecht als Ratgeber des Königs).7

Weitere Standorte: Berlin, KK: 121916; Braunschweig, HAUM: FB XVII; Gotha, Forschungsbibliothek: Hist. 1325⫺1328, 31an (A 1); Heidelberg, KM: S 4771 (A 1); London, BM: 1880.0710.878; München, BSB: Einbl. XI, 700; Prag, Nationalmuseum: 102 A 113 (A 2); Prag, Stadtarchiv: 1699 (A 1); Prag, Stadtmuseum: 899 (A 1); ehem. Reichenberg (Liberec), Gewerbemuseum (A 3); ehem. München, GS (A 3); ehem. Sammlung Adam, Goslar (A 4); ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig (A 5).

Andere Fassungen: a)

Berlin, KK: 60068; Göttingen, SUB: H. germ. Un. VIII, 82, rara, fol. 46; Heidelberg, KM: S 4770;8 München, BSB: Einbl. V,8b,30; Prag, Stadtarchiv: 1698;9 Prag, Nationalgalerie: R 71731;10 Rotterdam, SvS: 1490;11 Straßburg, BNU: R 4 [6]; Ulm, StB: Einbl. 132; ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig12 [Titel: Der Pfältzisch Patient; Text im Typendruck; Getruckt im Jahr/ 1621]

A1 A2 A3

PAAS III, P-793. BOHATCOVA: Vzácná sbírka, Nr. 113. R WOLKAN: Dt. Lieder auf den Winterkönig. Prag 1898, 149B. Antiquariat Tenner V, Nr. 67, Abb. Tafel VI. DRuGuLIN II, Nr. 1534. R. WOLKAN: Politische Karikaturen aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges. In: Zs. f. Bücherfreunde 2 (1898/99), 457⫺467, hier 460. COuPE II, Nr. 106a.

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Zur Biographie vgl. P. BILHÖFER: Nicht gegen Ehre u. Gewissen. Friedrich V., Kurfürst von der Pfalz, Winterkönig von Böhmen (1596–1632). Heidelberg 2004. Ähnlich unbestimmt bleiben die Flugschriften ‚Spanische/ Güldene Gifftige Mucken‘ (o. O. 1618), und ‚Spanisch MuckenPulver‘ (o. O. 1620). Vgl. P. WOLF u. a. (Hgg.): Der Winterkönig Friedrich von der Pfalz. Bayern u. Europa im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges. Augsburg 2003, 235. Vgl. ebd., 221. P. STROHSCHNEIDER: Opfergewalt u. Königsheil. Historische Anthropologie monarchischer Herrschaft in der Ecbasis captivi. In: B. JAHN/ O. NEuDECK (Hgg.): Tierepik u. Tierallegorese. Studien zur Poetologie u. historischen Anthropologie vormoderner Literatur. Frankfurt a. M. 2004, 15⫺51. Der Reinhart Fuchs des Elsässers Heinrich. Hg. von K. DÜWEL. Tübingen 1984, vv. 1873–2096 (erste Heilung), 2165–2171 (Vergiftung), 2219–2246 (Tod des Löwen); vgl. auch K. VORETZSCH: Zum mittelhochdeutschen Reinhart Fuchs: Die Krankheit des Löwen. In: Altdeutsches Wort u. Wortkunstwerk. FS G. Baesecke. Halle a. S. 1941, 160⫺175. Reinke de Vos. Hg. von A. LEITZMANN. Halle a. S. ³1960, Buch 2, Kap. 9. Flugblätter Heidelberg, Nr. 79. BOHATCOVA, Nr. 62. J. HuBKOVÁ: Fridrich Falcký v zrcadle letákové publicistiky. Letáky jako pramen k vývoji a vnímání české otázky v letech 1619–1632. Prag 2010, Abb. 148. PAAS III, P-794. Ebd. DRuGuLIN II, Nr. 1533. DP

285

IX, 147

F 115

Ort Jahr Bild Text Format

Das Blatt kommentiert aus prokaiserlicher Sicht die entscheidenden Kriegsereignisse des Jahres 1621. Die Graphik besteht aus vier mit den Buchstaben A bis D gekennzeichneten Bildern, die in verschlüsselter Form vier verschiedene Kriegsereignisse illustrieren. Jedes Feld ist mit Wappen der an dem jeweiligen Ereignis beteiligten Länder versehen: der Pfalz, Böhmens, Ungarns, Österreichs, Flanderns und der Niederlande. Im ersten Bild sitzt Ambrosio Spinola (1569–1630) in seiner Rüstung, umgeben von prallen Geldsäcken, auf einer Truhe und spinnt von einer Kunkel voller Waffen einen Faden, der ebenfalls aus Waffen besteht. Auf den Spinnrocken ist die kaiserliche Krone gesteckt, über der der doppelköpfige Kaiseradler mit einem Schwert und einem Lorbeerzweig in den Krallen schwebt. Über dem Kopf Spinolas fliegt auf einer geflügelten Kugel Fortuna/Occasio und zieht für den Spinner den Faden von der Kunkel. Auf der anderen Seite des Spinnrockens sitzt auf einer Feldtrommel Graf Heinrich von Berg (Hendrik van den Bergh; 1573–1639). Er setzt die Arbeit Spinolas fort, indem er das gesponnene Garn mit einer Haspel in Strangform bringt. Das Garn besteht aus eroberten pfälzischen Städten; im Hintergrund ist Heidelberg (gemäß Fassung a) zu sehen. In der Mitte liegt an den Spinnrocken gebunden der pfälzische Löwe, dem der Kurfürstenhut vom Kopf fällt. Im zweiten Bild wird der gezähmte böhmische Löwe von Herzog Maximilian von Bayern (1573–1651) an einen Pfahl gebunden. Dieser ist als Zepter stilisiert, dessen Spitze zwei Hände (Bayern und Sachsen?) die kaiserliche Krone aufsetzen. Im Hintergrund findet die Übergabe Prags statt. Das dritte Bild zeigt links die Eroberung der Festung Pressburg. Von dem Turm des Pressburger Schlosses führt ein Faden, an dem eine Krone hängt, zum Turm der kaiserlichen Residenz in Wien. Vorne links stehen auf einer Anhöhe zwei Reiter und ein Fußsoldat. Im letzten Feld steht in der Mitte ein Pfahl, auf dessen Spitze sich die spanische Krone befindet, in der sich ein Ölzweig und ein Schwert kreuzen. Links davon sind Umrisse der Gestalt Spinolas zu sehen, der wie im ersten Bild auf einer Truhe sitzt, umgeben von Fässern, Säcken und Waffen. Rechts von dem Pfahl liegt in einem umzäunten Garten der niederländische Löwe mit einem Pfeilbündel in der Pranke (b II, 103 f.; IV, 241).1 Im Hintergrund stehen einander auf Hügeln spanische und niederländische Soldaten gegenüber. Der Text erläutert in der Reihenfolge der Verweisbuchstaben und -ziffern die einzelnen Szenen. Der erste Textabschnitt rühmt Spinola und van den Bergh als wahre Helden, die ohne Trug vnd arge List, ohne Mord vnd Tyranney einen schnellen Sieg mit Hilfe Fortunas und der vielen Gelder auß frembden Landen errungen haben. Es sei noch nicht zu spät, sich dem Kaiser zu unterwerfen, um weiteren Krieg zu vermeiden. Die Niederlage Böhmens und Friedrichs V. (1596–1632) wird in 286

Vier vnderschiedliche Tafeln/ von jetzigem Lauff

(1621) Kupferstich Typendruck in 4 Spalten; 43 vierzeilige Strophen im Kreuzreim (2 Plusverse in der 4. Spalte) 50,1 ! 30,9; 22,8 ! 30,5

dem zweiten Textabschnitt auf die biblischen Geschichten der Söhne Davids Adonija und Salomo (1 Kön 2) und des den Löwen bezwingenden Simson (Ri 14–16) bezogen. Die dritte Spalte lobt das böhmische Heer, das dem Kaiser geholfen habe, die ungarische Krone zurückzugewinnen. Einen großen Anteil daran habe Karl von Bucquoy (1571–1621) gehabt, der Pressburg erobert habe. Das letzte Textsegment preist die Herrschaft Spaniens als friedlich und gütig, solange man sich füge, und warnt die Niederlande vor der Auflehnung, die einen Krieg bedeutete. Die spanische Macht verkörpert Spinola, der über genügend Geld und Soldaten verfüge und der zwar nicht anwesend, doch jederzeit kriegsbereit sei. Auch hier wird der Kaiser als gotterwählter Friedensstifter gerühmt. Den historischen Anlass für die erste Szene bildete die Eroberung der Pfalz durch Spinola in den Jahren 1620/21 (b IX, 145). Van den Bergh leitete auf diesem Feldzug die flandrischen Truppen.2 Das zweite hier behandelte historische Ereignis war die Niederlage des Pfalzgrafen Friedrich als König von Böhmen in der Schlacht vom Weißen Berg am 8. November 1620.3 Am nächsten Tag wurde Prag auf Beschluss des Kriegsrates übergeben. Den historischen Hintergrund für das dritte Bild bildete die Rückeroberung der im Frühjahr 1619 von Gábor Bethlen (1580–1629) eingenommenen ungarischen Festung Pressburg (Bratislava) durch Karl von Bucquoy am 7. Mai 1621.4 Er war seit 1618 neben dem bayrischen Herzog Oberbefehlshaber der kaiserlichen Truppen in Böhmen,5 dann in Ungarn und fiel im Juli 1621 in einem Scharmützel bei Neuhäusel (Nové Zámky; b II, 174). Die letzte Szene der Graphik bezieht sich auf den Ablauf des 1609 auf zwölf Jahre geschlossenen Waffenstillstands zwischen Spanien und den Niederlanden (b II, 194; IX, 129–131) und die Verhandlungen über seine Verlängerung. Die spanische Seite vertrat der Kanzler von Brabant Pieter Peck (1562–1625). Der von ihm unterbreitete und durch die Generalstaaten abgelehnte Friedensvorschlag hätte de facto die Unterwerfung der Republik unter die spanische Oberhoheit bedeutet.6 Für die Darstellung historischer Ereignisse und politischer Konstellationen bedient sich das Blatt verschiedener Arten von Bildlichkeit, die dem zeitgenössischen Leser der Bildpublizistik vertraut waren: der Heraldik in den Darstellungen der Löwen und des Adlers;7 des Spinn-Motivs, das in der protestantischen antispanischen Publizistik pejorativ für den politischen und militärischen Ehrgeiz Spinolas und in der prospanischen (b IV, 109; IX, 123) für seine militärischen Erfolge eingesetzt wurde; der Personifikation mit der Gestalt der Fortuna/Occasio.8 Vielfach besetzt war die allegorische Vorstellung der Krone mit Zepter, Schwert und Ölzweig: In der Emblematik steht sie in verschiedenen Kombinationen für einen gerechten Herrscher, der Lob und Strafe zu verteilen weiß, für die Bereitschaft des Herrschers für Krieg oder

Frieden bzw. als Emblem des militärischen Erfolgs.9 Nicht zuletzt griff der Blattverfasser zur Typologie. In den biblischen Geschichten wurden der Anspruch Friedrichs auf die böhmische Krone und die Vereitelung dieses Versuchs durch Maximilian vorgebildet. Das erste Bild der Graphik des vorliegenden Blattes zitiert ein Flugblatt von 1607 (b IX, 123), von dem die Figur Spinolas fast genau und die seines Begleiters und Fortunas als Anspielung übernommen worden sind.

Weitere Standorte: Augsburg, SStB: Einbl.nach 1500,Nr.74; Braunschweig, HAUM: FB XVII; Dordrecht, Museum Mr. Simon van Gijn: B.I.1166, nov 1620 (A 1); Erlangen, UB: A III 34; Frankfurt a. M., UB: Freytag, 294; Göttingen, SUB: H.germ.un.VIII,82 rara,fol.72; Heidelberg, KM: S 4732 (A 1); München, BSB: Einbl. II,9; Prag, Stadtarchiv: 1653 (A 1); Prag, Nationalmuseum: 102 A 36/1–2 (A 1); Prag, Stadtmuseum: 2755 (A 1); Regensburg, Thurn und Taxissche Hofbibliothek: Haeberlin C 9/28

Andere Fassungen: a)

Braunschweig, HAUM: FB XVII; Heidelberg, KM: S 4733; 10 Prag, Stadtmuseum: 1730211 [MAGNANIMVS AMBROSIVS SPINVLA MARCHIO …; anderer Text lat. und dt.; die Figur Spinolas im letzten Bild vollständig ausgeführt]

A1 A2 A3

PAAS III, P-726. OPEL/ COHN: Krieg, 126. R. WOLKAN: Dt. Lieder auf den Winterkönig. Prag 1898, Nr. 167. BOHATCOVÁ: Vzácná Sbírka, Nr. 36.

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P. J. VAN WINTER: De Hollandse Tuin. In: Nederlands Kunsthistorisch Jaarboek 8 (1957), 29–121. Vgl. PAAS III, P-832 bis 834. Zu Bergh s. VAN DER AA: Woordenboek, I, 121 f. GINDELY: Geschichte, Abt.1, 215–263. PAAS III, P-769. Eine Beschreibung in: van Meteren: Historien 101 f. Zu Bucquoy vgl. FINDEISEN: Krieg, 168– 172. Zur Beurteilung seiner militärischen Aktivitäten von der betroffenen Seite s. etwa: ’Spanischer Türck/ Oder Wahrer Bericht/ der grausamen/ vnerhörten/ Spannischen vnd mehr als Türckischen Mordthaten/ welche in dem Königreich Böheimb […] durch den Conde di Bucquoi/ vnd Graf Tampier […] geübt vnd gebraucht werden. Prag (um 1620). Zur Reaktion der zeitgenössischen Publizistik auf die Verhandlungen vgl. WuLP: Catalogus, Nr. 1771–1774; Theatrum Europaeum I, 580–582. F. H. HYE: Der Doppeladler als Symbol für Kaiser u. Reich. In: Mitteilungen des Instituts für österreichische Gesch. 8 (1973), 63–100. G. KIRCHNER: Fortuna in Dichtung u. Emblematik des Barock. Tradition und Bedeutungswandel eines Motivs. Stuttgart 1970; Fortune. Ausstellungskatalog Lausanne 1982. Gabriel Rollenhagen: Sinn-Bilder. Ein Tugendspiegel. Hg. von C.-P. WARNCKE. Dortmund 1983, Nr. 66 und 83; Peter Isselburg/ Georg Rem: EMBLEMATA POLITICA. Hg. von W. HARMS. Bern/ Frankfurt a. M. 1982 (Nachdr. der Ausg. Nürnberg 1640), Nr. 32. PAAS III, P-727. Ebd. EP

287

IX, 148

F 457

Ort Jahr Bild Text Format Nach der erfolgreichen Kampagne in den Herzogtümern Jülich und Berg wandte sich Ambrosio Spinola (1569–1630) im Juli 1622 der Festung Bergen-op-Zoom zu. Die Belagerung, eine für die spanisch-niederländische Auseinandersetzung charakteristische Form der Kriegsführung, verlief unter Einsatz von Minen, Beschuss, Ausfällen und Scharmützeln und endete nach 78 Tagen. Nachdem die Absicht Moritz von Oraniens (1567– 1625), die Stadt zu entsetzen, bekannt geworden war und er selbst sein Lager zwischen Breda und Antwerpen aufgeschlagen hatte, gab Spinola, dessen Truppen mit Krankheiten kämpften und meuterten, die Belagerung auf und verließ am 2. Okto-

IX, 149

F 937

Ort Jahr Bild Text Format Seitdem der Krieg durch den Einmarsch der Spanier im Herbst 1620 das pfälzische Territorium erfasst hatte (b IX, 145), wurde es zum Schauplatz andauernder militärischer Auseinandersetzungen, die mit der Übergabe der Festung Frankenthal an die Spanier im März 1623 zur vollständigen Unterwerfung des Landes unter die katholische Herrschaft führten.1 Das Jahr 1622 war durch Feldzüge Tillys auf der einen und der in pfälzischen Diensten stehenden Ernst von Mansfeld (um 1580– 1626) und Christian von Braunschweig (1599– 1626) auf der anderen Seite geprägt (b II, 195– 199).2 Nachdem die beiden protestantischen Feldherren im Juli in die Niederlande abgezogen waren, konnte Tilly ungestört die letzten Städte mit pfälzischer Besatzung unterwerfen. Nach der

IX, 150

F 314

Ort Jahr Bild Text Format Zustand La Rochelle war seit der Einführung der Reformation 1557 Hauptstützpunkt der Hugenotten in den Religionskriegen in Frankreich.1 Im Jahre 1621 begann eine große militärische Kampagne Ludwigs XIII. (1601–1643, König seit 1610) gegen den protestantischen Westen, die sich auch gegen La Rochelle richtete.2 Am 22. November 1622 schloss der König einen vorläufigen Frieden mit der Stadt.3 Erst die Einnahme der Festung im Okto288

Die Belägerung der Statt Bergen op Soom

1622 Radierung Typendruck in 4 Spalten; Prosa 45,0 ! 28,9; 23,5 ! 28,9 ber seine Stellung. Die Menschenverluste auf seiner Seite beliefen sich auf ca. 10000 Mann; über 2000 Soldaten liefen über.1

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PAAS IV, P-955.

1

van Meteren: Historien, 215–218, 223–225; Theatrum Europaeum I, 669–675; Bergues sur le Soom Assiegée le 18 de Iullet 1622, et Des-assiegée le 3 d’Octobre ensuivant. Middelburg 1623. Weitere Flugblätter und -schriften zum Ereignis bei WuLP: Catalogus, Nr. 1830– 1837; PETIT: Bibliotheek, Nr. 1365–1369; KNuTTEL: Catalogus, 1-II, Nr. 3331–3342; HOLLSTEIN: Dutch Etchings, XXXVIII, 29 f. dazu XXXIX, 27; PAAS IV, P956, 961, 965. PAAS IV, P-960. PAAS IV, PA-186. EP

Weitere Standorte:

Andere Fassungen: a)

b)

Bergen op Zoom, Gemeente-Archief: K G 305;2 Darmstadt, HLHB: K 5524 [Eigentliche warhaffte Erzehlung; b IV, 147] Amsterdam, RM: FM 14653 [niederländ. Vorlage; Impressum: Belegeringe van Bergen op zoom, Tot Leyden, by Niclaes Geel-Kerck]

2 3

Eigentlicher Abriß der vor vnüberwintlichen gehaltnen

1622 Radierung Typendruck in 3 Spalten; deutsche und französische Prosa 32,2 ! 27,6; 21,0 ! 27,6 Kapitulation Heidelbergs am 19. September zog man vor die Festung Mannheim , die nach einer mehrwöchigen Belagerung Anfang November von ihrem Kommandanten, dem englischen Heerführer Sir Horace Vere (1565–1635), übergeben wurde.3

A1

PAAS IV, P-981.

1

K. MOERSCH: Geschichte der Pfalz von den Anfängen bis ins 19. Jh. Landau 1987, 338–340. Zu den Geschehnissen des ersten Halbjahres vgl. K. VON REITZENSTEIN: Der Feldzug des Jahres 1622 am Oberrhein. In: Zs. f. die Gesch. des Oberrheins N.F. 21 (1906), 271–295, 624–641; 25 (1909), 605–613; 26 (1911), 267–282; 27 (1912), 52–69; H. WERTHEIM: Der tolle Halberstädter, Herzog Christian von Braunschweig im pfälzischen Kriege 1621–1622. Ein Abschnitt aus dem Dreißigjährigen Kriege. Berlin 1929. Beschreibung der Belagerung im Theatrum Europaeum I, 648–650. Weitere Flugblätter zum Ereignis bei PAAS IV, P-982 f., 990, PA-196–198. Flugblätter Heidelberg, Nr. 129. PAAS IV, P-980. Ebd. EP

2

Weitere Standorte: 3 Andere Fassungen: a)

Frankfurt a. M., UB: Freytag, 256; Heidelberg, KM: S 3916;4 Washington, Library of Congress: Hauslab, 21;5 Wolfegg, KK: Flugblätter 250,656 [ohne französischen Text; Balthasar Montcornet Fecit]

4 5 6

Eingentlicher [!] Abriß der mächtigen vnd

1622 Radierung Typendruck in 2 Spalten; Prosa [32,9 ! 45,6]; 32,5 ! 22,9 Der Zierrahmen ist abgeschnitten. ber 1628 durch Richelieu (1585–1642) nach einer vierzehnmonatigen Belagerung setzte den Religionskriegen ein Ende.

A1

PAAS IV, P-941.

1

M. DELAFOSSE (Hg.): Histoire de La Rochelle. Toulouse 1985, 85–154; K. C. ROBBINS: City on the Ocean Sea La Rochelle, 1530–1650. Urban Society, Religion, and Politics on the French Atlantic Frontier. Leiden u. a. 1997, 298–353. Zu zeitgenössischen Berichten über die Verwicklungen der Stadt in die Ereignisse des Jahres 1622 vgl. R. O. LINDSAY/ J. NEu: French Political Pamphlets 1547–1648. A Catalog of Major Collections in American Libraries. Madison u. a. 1969, 291–305. LA PVBLICATION DE LA PAIX ENuoyee par le Roy en la ville de la Rochelle le 11. Nouembre 1622. Paris 1622. EP

2

Weitere Standorte: Paris, BN: Hennin XXIII,2004 3 Andere Fassungen:

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290

291

IX, 151

F 903 Ort Jahr Bild Text Format Zustand

Während der Belagerung von Breda durch Ambrosio Spinola (1569–1630; b IX, 152) beschloss Moritz von Oranien (1567–1625), das schwach besetzte Kastell zu Antwerpen zu überfallen.1 Am 12. Oktober 1624 rückte eine 4000 Fußsoldaten und vier Reiterkompanien große Truppe unter der Führung des Gouverneurs von Bergen-op-Zoom Lodewijk van de Kethulle (1591–1624?) vor die Stadt. Sie führten allerley Jnstrumenta von seltzamer gattung vnd wunderlicher Jnvention mit, die die berühmbtesten Jngenieur vnd sinnreichste Künstler […] verfertiget hätten.2 Der Plan, die spanische Besatzung der Zitadelle bei Nacht und

IX, 152

F 470 Ort Jahr Bild Text Format

Warhafftige Abbildung/ sampt eigentlichem Bericht 1624 Radierung Typendruck in 2 Spalten; Prosa [37,6 ! 27,7; s. Zustand]; 15,6 ! 25,8 Der Zierrahmen und die Angabe des Druckjahres (Gedruckt im Jahr Christi 1624.) sind abgeschnitten. schlechtem Wetter zu überraschen, wurde vereitelt, und die Angreifer mussten abziehen. Der Text des Blattes wurde teilweise wörtlich für den Bericht im ‚Theatrum Europaeum‘ übernommen.3

A1

PAAS IV, P-1045.

1

Zur Zitadelle in Antwerpen, die Margareta von Parma und Herzog von Alba 1567 errichten ließen, vgl. CH. VAN DEN HEuVEL: ‚Papiere Bolwercken‘. De introductie van de Italiaanse stede- en vestingbouw in de Nederlanden (1540–1609) en het gebruik van tekeningen. Alphen aan den Rijn 1991, 107–119; F. WESTRA: Nederlande ingenieurs en de fortificatiewerken in het eerste tijdperk van de Tachtigjarige Oorlog, 1573–1604. Alphen aan den Rijn 1992, 22–29; (b II, 26). Theatrum Europaeum I, 832. Ebd., 832 f. EP

Weitere Standorte: Hamburg, SUB: Scrin C/22, fol.150; Weimar, HAAB: 7,2:54, Nr.8 (A 1) 2 3 Andere Fassungen:

Eigentlicher Abriß Der Statt Breda (Straßburg) 1625 Radierung von Jakob von der Heyden (1573–1645)1 Typendruck in 5 Spalten; Prosa 53,2 ! 34,2; 24,5 ! 32,2

Am 12. September 1624 begann Ambrosio Spinola (1569–1630) mit einer Armee von 30000 Mann die Belagerung der Stadt Breda in Nordbrabant, die 1590 von Moritz von Oranien (1567–1625) zu einer Musterfestung ausgebaut worden war und als uneinnehmbar galt (b II, 204–206).2 Die erfolgreiche Belagerung gehörte zu den spektakulärsten im niederländisch-spanischen Krieg sowohl wegen des Einsatzes moderner militärischer Techniken3 als auch aufgrund ihres Ausgangs, einer Übergabe der Festung am 2. Juni 1625 unter großzügigen Bedingungen.4 Von der propagandistischen Bedeutung, die dieses Ereignis für Spanien hatte, zeugen eine Reihe von literarischen und bildnerischen Werken, die es verewigten:5 U. a. schuf Diego Velázquez (1599–1660) für den Prunksaal im Buen Retiro in Madrid das berühmte Gemälde ‚Las Lanzas‘ (Die Übergabe von Breda);6 ein anderes von Peter Snayers (1592–nach 1669) hing im Arbeitszimmer des Königs im Palast Alcázar.7 Auf Wunsch der Infantin Isabella (1566– 1633) stach Jacques Callot (1592–1635) die monumentale, von sechs Platten gedruckte Radierung ‚TABVLA OBSIDIONIS BREDANAE‘.8

Ein Nachstich der Graphik findet sich in Michael Caspar Lundorps (ca. 1580–1629) ‚LAVREA AVSTRIACA‘.9

IX, 153

Eigentliche Contrafactur aller vnderschiedlichen Acten

F 344 Ort Jahr Bild Text Format

Im Oktober 1625 trugen die ungarischen Stände auf ihrem Landtag dem Kaiser Ferdinand II. (1578– 1637, Kaiser seit 1619) ihren Wunsch vor, seinen ältesten Sohn Ferdinand (1608–1657, Kaiser seit 1637) zum König von Ungarn zu wählen, und bekamen die Einwilligung. Die Krönung konnte nicht wie üblich in der Residenzstadt Pressburg vollzogen werden,2 weil dort gerade die Pest wütete. Alle anderen großen Städte des Landes waren durch die feindlichen türkischen Truppen besetzt, so dass man sich für das nicht weit von der Hauptstadt gele292

5

Weitere Standorte: Amsterdam, RM: FM 1519 (A 1); ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig (A 2)

6

Andere Fassungen: A1 A2

PAAS IV, P-1050. DRuGuLIN II, Nr. 1644.

1

THIEME/ BECKER XVII, 17–19; BENZING: Verleger, 1168 f. V. A. M. BEERMAN: Geschiedenis van Breda, II: 1568– 1795. Schiedam 1978. ISRAEL: Hispanic World, 106–109. Eine detaillierte Beschreibung bringt das mehrmals aufgelegte, von Rubens illustrierte Werk Hermann Hugos ‚Obsidio Bredana‘. Antwerpen 1626. Für die zeitgenössische Reaktion auf das Ereignis vgl. DRuGuLIN II, Nr.

7

2 3 4

(Frankfurt a. M.) 1625 Radierung von Georg Keller (1568–1634)1 gravierte Bildunterschriften 19,5 ! 29,1

8 9

1637–1643; HOLLSTEIN: Dutch Etchings, XXXV, 224 f., XXXVIII, 35 f., XXXIX, 32 f.; PAAS IV, P 1046–1048, 1051– 1053, 1059–1065, PA 222 f., 226–228; Geschiedenis, 121. S. A. VOSTERS: Het beleg van Breda in geschiedenis, literatuur en kunst. 3 Bde., Breda 1993. Zum Symbolwert Bredas s. S. GROENVELD: ‚Breda is den Bosch waerd‘. Politieke betekenis van het innemen van Breda in 1625 en 1637. In: Jaarboek van de vereniging ‚De Oranjeboom‘ 41 (1988), 94–109. W. HAGER: Diego Velázquez. Die Übergabe von Breda. Stuttgart 1956; J. BROWN/ J. H. ELLIOTT: A Palace for a King: The Buen Retiro and the Court of Philip IV. New Haven/ London 1980, 178–184; J. F. MOFFITT: Diego Velázquez, Andrea Alciati and the Surrender of Breda. In: Artibus et Historiae 5 (1982), 75–90; J. BROWN: The Hall of Realms and the Thirty Years’ War. In: ASCH u. a.: Frieden und Krieg, 207–214. F. ZELGER: Diego Velázquez. Hamburg 1994, 54. Zu Snayers s. J. DE MAERE/ M. WABBES: Illustrated Dictionary of 17th Century Flemish Painters. Brüssel 1994, 365; M. PFAFFENBICHLER: Das barocke Schlachtenbild. Versuch einer Typologie. In: Jb. d. Kunsthist. Sammlungen in Wien 91 (1995), 37–110, hier 59–65 u. a. Callot: Werk, II, 1156–1170. Julius Bellus (d. i. Michael Caspar Lundorp): LAVREA AVSTRIACA. Frankfurt a. M. 1627, nach 692. EP

Andere Fassungen: a) b)

Halle, KMM: F 345 [b IX, 135] Heidelberg, KM: S 3891;4 ohne Standort5 [Eigentliche Contrafactur … FERDINAND II. … 1617. Zum König in Bohmen; Text von D. G. Salsman]

A1

DRuGuLIN II, Nr. 1667.

gene Ödenburg (Sopron) entschied. Die feierliche Krönung fand am 8. Dezember in der kleinen Klosterkirche der Franziskaner statt.3 Für den Stich aktualisierte Keller die Platte, die er für die Darstellung der Krönung Matthias’ I. zum König von Böhmen 1611 gefertigt hatte (b IX, 135).

1

Weitere Standorte:

4 5

NAGLER: Monogrammisten, III, Nr. 69; THIEME/ BEXX, 101 f.; HOLLSTEIN: German Engravings, XVI, 19–38. Š. HOLČIK: Krönungsfeierlichkeiten in Preßburg/ Bratislava 1563–1830. Pressburg 1992, 9. Vngarische Krönungs-handlung […] wie […] Ferdinandus Ernestus […] zu einem Vngarischen König […] zu Oedenburg […] gekrönet worden. Nürnberg 1626; Enß: Fama Austriaca, 861 f.; HOLČIK: Krönungsfeierlichkeiten, 30. Vgl. auch HOHENEMSER, Nr. 1194; PAAS IV, P-1075. Flugblätter Heidelberg, Nr. 18. Enß: Fama Austriaca, nach 31. EP

Coburg, Veste: XIII,303,43; ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig (A 1)

CKER

2 3

293

294

295

IX, 154

F 944

Ort Jahr Bild Text Format

Das Blatt illustriert eine Episode aus dem Bauernaufstand gegen die bayrische Herrschaft im oberösterreichischen Land ob der Enns im Jahr 1626. Die Graphik zeigt aus der Vogelperspektive das Gebiet von Passau bis Linz, das Kampfplatz zwischen den Bauern und den bayrischen Truppen von Juli bis August 1626 war. Die dargestellte Landschaft wird mit topographischen Details ausgestattet. Neben Ortschaften, Schlössern und Klöstern werden all die Stellen markiert und mit Buchstaben versehen, denen in den Kämpfen militärische Bedeutung zufiel. Das Hauptereignis der Darstellung, die Belagerung von Linz, nimmt dementsprechend den größten Platz im rechten Teil des Bildes ein. Es sind die Positionen der Bauern um die Stadt herum zu erkennen sowie die Versuche, die den Belagerten zu Hilfe eilenden bayrischen Schiffe zu stoppen. Beide Textfelder sind von Rollwerkkartuschen eingefasst. Der Text im oberen rechten Feld berichtet über die Belagerung von Linz, das der bayrische Statthalter in Oberösterreich Adam Graf von Herberstorff (1584/85–1629)1 mit einer 6000 Mann starken Besatzung verteidigt habe. Als die Lage der Belagerten durch den Mangel an Proviant kritisch geworden sei, habe Kurfürst Maximilian (1573– 1651) einen Konvoi von fünf Schiffen unter dem Kommando von Hauptmann Bartholomäus von Tannazol (Lebensdaten unbekannt) mit 300 Soldaten an Bord über die Donau nach Linz geschickt. Den Entsatztruppen sei es gelungen, die von den Bauern über den oberen Flussteil errichtete Sperre aus Ketten und Seilen zu zersprengen und zur Stadt durchzustoßen. Das habe den Bauern Anlass zum Sturm auf Linz gegeben, der allerdings schon nach fünf Stunden mit dem Abzug der stark dezimierten Aufständischen geendet habe. In der Legende im linken Teil der Graphik werden die gezeichneten Orte genannt sowie die strategische Aufstellung der kämpfenden Truppen und die einzelnen Ereignisse des Kampfverlaufs erläutert. Für die Seite der Bauern werden keine Namen von Anführern erwähnt, während wiederholt bayrische Offiziere, die am jeweiligen Ort das Kommando führten, namentlich hervorgehoben werden. Die Bauernrevolte im Land ob der Enns richtete sich gegen die bayrische Besatzung, die seit 1620, nach der Verpfändung des Territoriums an den Bayernherzog Maximilian durch Ferdinand II. (1578–1637, Kaiser seit 1619), das Land in ihrer Gewalt hielt.2 Die Einquartierungen der Truppen, die geforderten Lebensmittellieferungen, das ‚Garnisonsgeld‘ sowie Requirierungen hatten die Bauern, deren Lage ohnehin durch Inflation, Missernten und Preissteigerungen kritisch geworden war, an den Rand des Existenzminimums gedrückt. Dazu kamen die Versuche Herberstorffs, 296

EJgentlicher Abriß/ als im 1626. Jar

(Augsburg) 1626 Kupferstich von Wolfgang Kilian (1581–1662) Typendruck; Prosa 27,5 ! 40,2

die durch den Kaiser befohlene Gegenreformation im überwiegend protestantischen Land mit gewaltsamen Mitteln durchzusetzen. Nachdem am 10. Oktober 1625 das ‚Reformationspatent‘ erlassen worden war, nach dem bis Pfingsten 1626 der katholische Glaube eingeführt werden sollte, kam es zur offenen Rebellion in Gestalt von Kriegshandlungen, die von Mai bis November 1626 dauerten. Nach anfänglichen Erfolgen der Bauern, so in der Schlacht bei Peuerbach, bei der Eroberung von Freistadt, bei den Belagerungen von Linz und Enns sowie in weiteren Schlachten bei Neukirchen am Wald und Kornrödt, wurde die Revolte durch das Eingreifen des Generals Gottfried Heinrich Graf zu Pappenheim (1594–1632) mit seinem berühmten Kürassierregiment blutig niedergeschlagen.3 Der Bauernaufstand fand ein starkes Echo in einer Vielzahl von Flugblättern, vor allem aber in Flugschriften, die einzelne Ereignisse des Krieges darstellten und aus verschiedenen Perspektiven werteten.4 Das vorliegende Blatt verfolgt eine vorwiegend informative, nur beiläufig Sympathien für die bayrischen Verteidiger verratende Darstellung und liefert mit „erstaunlicher militärisch-topographischer Genauigkeit […] wichtige Aufschlüsse über die Meisterung moderner Kriegstechnik und Fortifikation durch die kämpfenden Bauern“.5

Weitere Standorte: Augsburg, SStB: Wolfgang Kilian, 6/288 (A 1); Berlin, SBPK: YA 5998 (A 1); Nürnberg, GNM: 25008/1342 und 2°StN 234, fol. 65; Washington, Library of Congress: Hauslab Album (Lot 4601), No 22 (A 2)

Andere Fassungen: a)

Linz, Oberösterreichisches Landesmuseum: OA Linz II 3/1;6 Linz, Stadtmuseum: 38967 [Wolfgang Kilian fecit A° 1630]

A1 A2

PAAS IV, P-1105. R. V. SHAW: Broadsides of the Thirty Years’ War. In: The Quarterly Journal of the Library of Congress 32 (1975), 2–24, hier 4–6.

1

H. STuRMBERGER: Adam Graf Herberstorff. Herrschaft u. Freiheit im konfessionellen Zeitalter. Wien 1976. Zur Geschichte des oberösterreichischen Bauernkrieges vgl. F. STIEVE: Der oberösterreichische Bauernaufstand des Jahres 1626. München 1891; A. CZERNY: Bilder aus der Zeit der Bauernunruhen in Oberösterreich, 1626, 1632, 1648. Linz 1876; G. HEILINGSETZER: Der oberösterreichische Bauernkrieg 1626. Wien 1976; Der oberösterreichische Bauernkrieg 1626. Ausstellungskatalog Linz 1976; F. MAYRHOFER/ W. KATZINGER: Gesch. der Stadt Linz, I: Von den Anfängen zum Barock. Linz 1990, 243–262. Kriegsgesch. von Bayern, Franken, Pfalz u. Schwaben, II: Kriegsgesch. u. Kriegswesen von 1598–1651. Bearb. von J. HEILMANN. München 1868, 217–221. STIEVE: Bauernaufstand, II, 267–277 (Anhang: Verzeichnis gleichzeitiger Flugschriften u. Zeitungen); HAFTLMEIER-SEIFFERT: Bauerndarstellungen, 160–180. Vgl. auch PAAS IV, P-1098 bis 1100, 1105–1110, 1115– 1119. LANGER: Kulturgeschichte, Abb. 97. Weitere Flugblätter zur Belagerung von Linz bei PAAS IV, P-1102 bis 1104, 1106. Bauernkrieg 1626, Nr. 197. PAAS V, P-1282. EP

2

3

4

5

6 7

297

IX, 155

F 364 Ort Jahr Bild Text Format

Wahre abbildung, welcher gestalt der Durchleucchtigst [!] (Frankfurt a. M.) 1627 Radierung von Georg Keller (1568–1634)1 gravierte Bildunterschriften 22,8 ! 31,8 A1 A2

HOLLSTEIN, German Engravings, XVI, 31. DRuGuLIN II, Nr. 1721.

1

NAGLER: Monogrammisten, III, Nr. 69; THIEME/ BEXX, 101 f.; HOLLSTEIN: German Engravings, XVI, 19–38. L. RENTZOW: Die Entstehungs- u. Wirkungsgesch. der Vernewerten Landesordnung für das Königreich Böhmen von 1627. Frankfurt a. M. u. a. 1998, 129. Böhmische Crönungs Relation: Welcher gestalt der Röm: Kay: […] Mayestät […] Ferdinand II. Käyserliche Fraw Gemahlin Eleonora […] zu einer böhmischen Königin […] Und […] Ferdinandus III. Zu einem König in Böhmen […] den 21. November, deß 1627. Jahres zu Prag solenniter Gecrönet worden. O.O. 1627 (HOHENEMSER, Nr. 5312). HOLLSTEIN: German Engravings, XVI, 30. Ebd. EP

Im Jahre 1627 erhielt Böhmen mit der ‚Vernewerten Landesordnung‘ eine neue Verfassung, in der die Länder der böhmischen Krone zum Erbkönigreich des Hauses Habsburg in männlicher Linie proklamiert wurden.2 Da Ferdinand II. (1578– 1637, Kaiser seit 1619) nach der Absetzung durch die böhmischen Stände 1619 nicht erneut gekrönt werden konnte, ließ er seinen neunzehnjährigen Sohn, den König von Ungarn Ferdinand III. (1608–1657, Kaiser seit 1637) zum König von Böhmen krönen. Die Zeremonie am 25. November 1627 in Prag schloss sich den prunkvollen Feierlichkeiten an, die anlässlich der Krönung seiner Stiefmutter Eleonore Gonzaga (1598–1655) zur Königin am 21. November ebenfalls in Prag ihren Anfang genommen hatten.3

Keller hat für seinen Stich eine Platte von 1617 geringfügig überarbeitet und aktualisiert (Fassung a).

IX, 156

Wahrer vnd eigentlicher Abriß/ der starcken Belägerung

F 904 Ort Jahr Bild Text Format Zustand

Am 1. Mai 1629 begann Friedrich Heinrich von Oranien (1584–1647) mit 40000. Mann zu Roß vnd Fuß die Belagerung der mit 3000 Soldaten besetzten Festung Herzogenbusch in Nordbrabant.2 Die Eroberung der Stadt, einer der wichtigsten in der Region, war entscheidend für die Sicherung der südlichen Grenze der Republik. Ein Versuch der Spanier, mit einer großen Armada unter Hendrik van den Bergh (1573–1639), die Stadt zu entsetzen, war genauso erfolglos wie die Ausfälle der Belagerten, die unter Mangel an Munition und Medikamenten sowie unter Krankheiten litten. Die Kapitulation der Stadt nach der über viermonatigen Belagerung wurde mit einem am 13. September unterzeichneten Vertrag besiegelt.3 Die Fassungen b und c verweisen auf eine niederländische Vorlage (Fassung a). IX, 157

F 881 Ort Jahr Bild Text Format Zustand:

Friedrich Heinrich von Oranien (1584–1647), der neue Statthalter der Niederlande nach dem Tod seines Bruders Moritz (1567–1625), übernahm eine Armee, die nach 1600 als die modernste Europas galt, und setzte dessen Methoden der Kriegsführung fort.2 Die Eroberung von Herzogenbusch war einer seiner spektakulären Erfolge, die in der Wiedereroberung Bredas 1637 gipfelten, und brachte ihm den Namen ‚stedendwinger‘ ein.3 Der Rang dieses Sieges, der die erste schwerwiegende Niederlage Spaniens seit 1588 war und einen gewaltigen Prestigeverlust bedeutete,4 kommt in zahlreichen panegyrischen Flugblättern und -schriften zum Ausdruck, die den strategisch-militärischen, aber auch politisch-konfessionellen 298

CKER

2

Weitere Standorte:

3

Braunschweig, HAUM: FB 3 XVII; Coburg, Veste (A 1); Ulm, StB: Einbl.180; ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig (A 2)

Andere Fassungen: a)

Coburg, Veste;4 Hamburg, Kunsthalle5 [Aigentliche Contrafactur der Fürnembsten Acten; 1617]

4 5

(Straßburg) 1629 Radierung von Jakob von der Heyden (1573–1645)1 Typendruck in 4 Spalten; Prosa 28,7 ! 33,9; 18,3 ! 29,0 handschriftliche Notiz rechts oben: P.I.f.706 Weitere Standorte: Andere Fassungen: a) b)

c)

3

erschlossen [Amsterdam: Wilhelm Jansen] Nürnberg, GNM: 344/1342; Wien, ÖNB: FKB 6164, ‘s Hertogenbosch;4 Wolfegg, KK: Flugblätter 250;5 Wolfenbüttel, HAB: IH 543 [b II, 209] Amsterdam, RM: FM 1608A (verso);6 Nürnberg, GNM: 346/1342; Rotterdam, Museum Boymans-van Beuningen: Georg Cöler, inv.no.BdH 13969 recto;7 Tilburg, Universiteit: H 55/1629 (7);8 [Impressum: Erstlich zu Amsterdam/ jetzo in Nürnberg/ bey Georg Kölern Kupfferstechern/ zu finden.]

A1

PAAS IV, P-1196.

1 2

THIEME/ BECKER XVII, 17; BENZING: Verleger, 1168 f. Holländischer Triumph/ Vnd Erhaltener Sieg vnd Eroberung der […] Festungen Wesel vnd Hertzogenbusch.

4 5 6 7 8

O.O. 1624, fol. [A4]v. Vgl. ISRAEL: Hispanic World, 176– 179. Wahrhafftiger Bericht Was gestalt Jhre Excellentz Printz Friedrich-Heinrich von Oranien […] mit dem Spanischen Gubernator der Stadt Hertzogenbusch capitulation vnd accord getroffen. Bremen 1629. Weitere Flugblätter und -schriften zum Ereignis bei Hogenberg: Geschichtsblätter, 43 u. Abb. 465; DRuGuLIN II, Nr. 1784– 1787, 1802–1805; WuLP: Catalogus, Nr. 2059 f.; PETIT: Bibliotheek, Nr. 1571–1588; KNuTTEL: Catalogus, 1-II, Nr. 3880–3908; Geschiedenis, 128; PAAS IV, P 1199– 1201, 1203, 1212 f., PA-253 f. S. auch Het Beleg van ’sHertogenbosch in 1629. Ausstellungskatalog ’s-Hertogenbosch 1979. PAAS IV, P-1197. Ebd. PAAS IV, P-1198. Ebd. Ebd. EP

WAhre vnnd eigentliche Abbildung/ sampt beygefügter […] Beschreibung (Straßburg)1 (1629) Radierung Typendruck in 2 Spalten; Prosa 50,2 ! 36,7; 27,7 ! 21,3 Das Blatt ist in drei Teile zerschnitten. Erfolg Friedrich Heinrichs feierten (b IV, 162; IX, 156).5 Weitere Standorte:

Andere Fassungen: a)

1 2

Wolfenbüttel, HAB: Einbl.Xb FM 148 [Graphik von Wenzel Hollar; Impressum: Gedruckt zu Straßburg/ in verlegung Noae Zimmermann/ Kunsthändlers von Augsburg. 1629] Das Blatt weist denselben Typensatz wie die Fassung a auf. B. H. NICKLE: The Military Reforms of Prince Maurice of Orange. Ann Arbor 1975; H. L. ZWITZER: ‚De Militie van den Staat‘. Het Leger van de Republiek der Ver-

3

4 5

enigde Nederlanden. Amsterdam 1991. Zu Friedrich Heinrich s. P. J. BLOK: Frederik Hendrik, Prins van Oranje. Amsterdam 1924; J. J. POELHEKKE: Frederik Hendrik, Prins van Oranje: een biografisch drieluik. Zutphen 1978; H. H. ROWEN: The Princes of Orange. The Stadholders in the Dutch Republic. Cambridge u. a. 1988, 56–76. Caspar van Baerle: Eerdicht op de Beschryving van de Wyt-Beroemde Belegering van ’s Hertogen Bosch (nach ROWEN: Princes, 62). ISRAEL: Republic, 507 f. DRuGuLIN II, 1807–1811. Zu den panegyrischen Gedichten vgl. M. M. TÓTH-UBBENS: De barbier van Amsterdam. Aantekeningen over de relaties tussen het Waaggebouw en de Schouwburg in de zeventiende eeuw. In: Antiek 10 (1975), 381–411, hier 389–391. EP

299

300

301

IX, 158

F 89

Ort Jahr Bild Text Format

Das Flugblatt rühmt den Kurfürsten Johann Georg I. von Sachsen (1585–1656) als Verteidiger der Kirche und stellt ihn als einen Schützen dar, der mit seinen Pfeilen auf das richtige Ziel des Lebens, auf Christus, zielt. Im Zentrum des Kupferstiches steht auf einem Felsen die Kirche, über der in den Wolken der Name Gottes erstrahlt. Der Kupferstich ist antithetisch aufgebaut und stellt Licht- und Schattenseite gegeneinander. Am Fuße des Berges auf der hellen Seite steht David in Kampfpose mit einer Schleuder in seiner Hand. Im Vordergrund links zielt der physiognomisch identifizierbare Kurfürst von Sachsen2 mit gespanntem Bogen und eingelegtem Pfeil auf die Kirche und Gott. Die Schattenseite wird mit starker Wolkenbildung, Dunkelheit und Blitzen dargestellt. Auf dieser Seite stehen die Personifikationen der Idololatria (Götzenverehrung), Haeresis, Tyrannis und des Mendacium (Täuschung). Sie werden durch Beischriften identifiziert. Die Personifikation des Mendacium erscheint mit einem Doppelgesicht (b IX, 123). Die Idololatrie ist aus Mann, Tier und Fabelwesen zusammengesetzt. Tyrannis eilt auf den Berg zu, dabei tritt sie auf ein am Boden liegendes und hinterrücks erstochenes Kind; dabei handelt es sich um eine ikonographische Anspielung auf den Kindermord zu Bethlehem (Mt 2,16). Während sie in der rechten Hand ihr Schwert in Kampfbereitschaft hält, ist der ungespannte Bogen in der linken Hand zum Boden gesenkt. Der Irrglaube wird als eine Gestalt wiedergegeben, deren Kopfbedeckung an einen Bischofshut erinnert. Die allegorischen Figuren Idololatria und Mendacium zielen auf den Felsen der Kirche. Ihre bereits abgeschossenen Pfeile prallen allerdings von ihm ab und fallen herunter. In der Mitte des Vordergrundes auf der gleichen Achse wie der Felsen wächst ein junger Baum über einem Steinquader empor (b II, 272; IV, 199). Er steht in Kontrast zu dem Baumstumpf auf der rechten Seite (b II, 6). Zu Beginn preist der Dichter den edlen Schützen, weil dieser mit Jesus Christus das richtige Ziel verfolge. Der Autor stellt fest, dass ein Schütze mit dem richtigen Ziel vor Augen niemals verlieren könne, sondern immer gewinnen müsse. Aus diesem Grunde fordert er dazu auf, einen solchen Schützen zu achten, da er ein Garant für die Gerechtigkeit sei. Die Bedeutung des Schützen liege vor allem aber auch darin, den Hilfesuchenden Trost und Anstoß für die richtige Wahl zu geben, so dass er als ein Eckstein fungiere, der die Sünder weichen lasse. Wichtig sei für einen guten Schützen deshalb, Bogen und Pfeil immer bereit zu halten. Außerdem mahnt der Dichter, dass der Neid auf den Schützen die Ursache für eine eigene Verletzung sein könne. Die Schlussfolgerung lautet demzufolge, dass man sich einem solchen Schützen anschließen müsse, um das Heyl vnd Zweck 302

Geistlich Schützenwerck. Erklärung Des Hochbewehrten Symboli

1631 Kupferstich Typendruck in 2 Spalten; 84 Alexandriner (von Elias Rudel, 1578–1642, vgl. Fassung a und b)1 37,4 ! 23,8; 14,6 ! 22,6

zufinden. Das Ziel des Lebens solle aber, mahnt der Autor, nicht mit materiellen Dingen verwechselt werden, da diese nur Trugbilder seien und es einem Frevel gleich käme, deswegen die Kirche anzugreifen. Vielmehr möchte man bedenken, dass ein solcher Frevel gesühnt werden müsse. Das Resümee gestaltet der Dichter in Form eines Gebetes, in dem Gott als der Felsen der Kirche und die Kirche gerühmt werden. Anschließend erbittet er von Christus, dass dieser dem Schützen den Sieg bescheren möge, und verweist auf das Exempel Davids. Der Friede und der Schutz der Kirche gegen Anfechtungen sind weitere Wünsche des Dichters. Hierzu mahnt er alle Schützen, dass sie ihre Pfeile ausschließlich auf Christus richten sollen. Eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Punkte beschließt das Gedicht: DJe Pfeyle/ Glauben sind/ der Zweck ist Christi Leben/ Das Ziel der Himmel ist/ der wird dadurch gegeben. […] Der Fels doch bleiben muß/ den man die Kirche nennt. Auff Christi Wort gebawt/ den man da recht erkennt.3

Bei dem Flugblatt handelt es sich um ein panegyrisches Blatt, das den Kurfürsten als defensor fidei ausweist und ihn zum Beschützer der Kirche erklärt. Die Panegyrik als Teil der laudes war öffentliche Dichtung und richtete sich zumeist an eine Person, von der man etwas erbitten wollte oder der man an sie gerichtete Erwartungen mitteilte.4 Unter typologischem Bezug auf König David, der die Philister besiegte (1 Chron 16–18), ruft der Dichter zur Rettung der protestantischen Kirche auf,5 erinnert Johann Georg an seine Pflichten als Protestant und stellt ihn preisend als positiven Herrscher der Tyrannis gegenüber. Der im Flugblatt angedeuteten Erwartung kam Johann Georg erst im September 1631 nach, als er das von der protestantischen Öffentlichkeit erhoffte Bündnis6 mit den Schweden unter Gustav II. Adolf einging. Dieser Allianz widerstrebten anfänglich die meisten der evangelischen Reichsfürsten, da sie befürchteten, die Kosten des schwedischen Feldzuges allein tragen zu müssen. Mit dem Vertrag von Bärwalde im Januar 1631, in dem Frankreich Subsidiengelder für Schweden garantierte, änderte sich ihre ablehnende Haltung. Als die kaiserlichen Truppen bereits Richtung Sachsen zogen und Magdeburg von ihnen im Mai 1631 eingeäschert wurde, entschied sich der Kurfürst schließlich für ein Bündnis mit Gustav Adolf. Das Motiv des auf Christus zielenden Schützen hatte sich aus der Vorstellung einer Feindschaft zwischen Gott und dem Schützen, der ein Attentat auf Gott verübte, zu einem Motiv des Barock gewandelt, das die Menschen ermahnte, auf das wichtigste Ziel ihres Lebens, auf Christus zu zielen, damit sie im Jenseits erlöst werden würden.7 Die Darstellung eines Monarchen als Schütze wurde auch für Gustav Adolf angewendet. Das Blatt ‚Wahre Contrafactur vnd Bildtniss‘ zeigt den schwedischen König, wie er einen Habicht tötet

und mit diesem Treffer eine Taube errettet, die die christliche Kirche symbolisiert (b II, 221). Das im Titel des vorliegenden Flugblattes deutlich hervorgehobene Motto des Kurfürsten8 wurde auch in anderen Flugschriften und Flugblättern zum Thema panegyrischer Auslegungen und Anspielungen.9

Weitere Standorte: Braunschweig, HAUM: FB XV; Gotha, SM: 50,53; Wolfenbüttel, HAB: Einbl. Xb FM 26; Mainz, Sammlung Stopp (A 1)

Andere Fassungen: a)

b)

Berlin, SB: YA 6356 kl; Hamburg, SUB: Scrin. C/22, fol.29; München, BSB: Einbl. V, 8a/40; London, BM: 1880.0710.450; Stockholm, KB: G II A,A.4610 [1631, Text: E.R.] Nürnberg, GNM: 3055/1314 [ohne Jahr; Text: E.R.]

A1 A2

PAAS V, P-1402. TSCHOPP: Deutungsmuster, 351, Nr. B 16.

1

Vgl. M. R. SPERBERG-MCQuEEN: Ein Vorspiel zum Westfälischen Frieden. Paul Flemings ‚Schreiben vertriebener Frau Germanien‘ u. sein politischer Hintergrund. In: Simpliciana 6/7 (1985), 151–172, hier 159 f. mit Anm. 20. PAAS V, P-1393. Zu dem Blatt (Fassung a) vgl. Illustrierte Flugblätter, Nr. 54. J.-D. MÜLLER: Dt.-lateinische Panegyrik am Kaiserhof u. die Entstehung eines neuen höfischen Publikums in Deutschland. In: Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 9 (1981), 133–140. TSCHOPP: Deutungsmuster, 42. Vgl. z. B. Gregor Ritzsch: Lentzens Anfang Mit der frölichen Geburts Begängnis Des Durchleuchtigsten/ Hochgebornen Fürsten vnd Herrn/ Herrn Johanns Georgen/ Hertzogs zu Sachsen. Leipzig 1631. Zur Tradition und Entwicklung des Motivs s. F. REITINGER: Schüsse, die Ihn nicht erreichten. Eine Motivgesch. des Gottesattentats. Paderborn u. a. 1997; M. SCHILLING: Schuss in den Himmel. In: EM 12 (2005), 249⫺ 252. M. LÖBE: Wahlsprüche, Devisen u. Sinnsprüche dt. Fürstengeschlechter des XVI. u. XVII. Jhs. Leipzig 1883 (Nachdr. Berlin 1984), 203; Johan-Georg Schiebel: Neuerbauetes erbauliches Historisches Lust-Hauß. Leipzig 1679, 202. Georg Nigrinus: Carmen votivum Serenißimo atque Potentißimo Principi, Domino, Domino JOHANNI GEORGIO. Leipzig 1631; PAAS V, P-1393. PAAS V, P-1400. AR

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IX, 159

F 335

Ort Jahr Bild Text Format

Das Blatt stellt den brandenburgischen Kurfürsten Georg Wilhelm (1595–1640) als Teilnehmer an den Ereignissen des Dreißigjährigen Krieges dar. Der Kurfürst mit Marschallstab in der Rechten und Zügel in der Linken sitzt auf einem steigenden Pferd. Er trägt die typische modische Kleidung der Feldherren aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges: einen Federhut, einen Lederkoller mit einem enganliegenden Spitzenkragen und einer Schärpe, dem Rangsymbol eines hohen Offiziers, lange Stiefel mit Spornleder und Reitersporen.1 Im Hintergrund ziehen geordnete Truppen vorbei, ohne dass damit eine Schlacht angedeutet wird. In der rechten oberen Bildecke befindet sich das lorbeerumkränzte Wappen Brandenburgs. Der Text stellt militärischen Erfolg als von Gott gesegnet hin; daher werde er denen gegönnt, die an Gott glauben. Ein nicht näher spezifizierter militärischer Sieg wird erwähnt, der mit Gottes Hilfe errungen werden konnte. Die letzten Zeilen enthalten eine Bitte an Gott um Frieden im Reich. Als Georg Wilhelm 24jährig sein Erbe antrat, zwang ihn die komplizierte politische Situation des gerade entbrannten Krieges von Anfang an zu schwierigen Entscheidungen.2 Einerseits war er mit Gustav Adolf verschwägert, mit der Schwester des Kurfürsten Friedrich V. von der Pfalz verheiratet und als Calvinist der protestantischen Partei verbunden, andererseits stand er unter dem starken Einfluss seines katholischen Ministers Graf Adam von Schwarzenberg (1583–1641), der ihn zu einer kaiserfreundlichen Politik zu bewegen versuchte. Nach der Schlacht am Weißen Berge, als der Kaiser sich durch die Ächtung Friedrichs V. die katholische Mehrheit im Kurfürsten-Kollegium sicherte, war Georg Wilhelm bereit, sich dem anstelle der aufgelösten protestantischen Union geplanten Bund der norddeutschen Fürsten anzuschließen. Aber als 1625 mit dem Eingreifen Christians IV. von Dänemark (1577–1648, König seit 1588) eine neue Phase des Krieges begann, erklärte er sich und seine Gebiete für neutral. Doch konnte er damit den Einmarsch zuerst der Mansfeldischen, dann der dänischen und Wallensteinischen Truppen nicht verhindern, die das Land verwüsteten; dazu kam die schwedische Besetzung der preußischen Hafenstädte als Stützpunkte im polnisch-schwedischen Krieg. In dieser Situation ließ sich Georg Wilhelm durch Schwarzenberg zum offenen Bruch mit Gustav Adolf und Übertritt auf die kaiserliche Seite bewegen. Er blieb bei dieser Entscheidung auch noch, als es offensichtlich wurde, dass ihm seine Loyalität gegenüber Wien wenig nutzte: Die verheerenden Durchmärsche und Einquartierungen kaiserlicher Truppen in der Mark dauerten noch vier Jahre, das kaiserliche Edikt von 1629 schloss die Refor304

Waare Abbildung Jhrer Churfürstlichen Durchleucht

(ca. 1631) Kupferstich Typendruck in 2 Spalten; 16 Knittelverse 24,2 ! 14,4; 16,8 ! 12,2

mierten vom Religionsfrieden aus, das Restitutionsedikt forderte die Rückgabe der brandenburgischen Bistümer, und Berlin wurde mit einer Besetzung bedroht. Die prokaiserliche Politik des brandenburgischen Kurfürsten im Norden hinderte den schwedischen König, dem belagerten Magdeburg rechtzeitig Entsatz zu bringen. Erst durch militärischen Druck Gustav Adolfs sah er sich gezwungen, im Juni 1631 einen Vertrag mit Schweden zu unterzeichnen; dem Bündnis schloss sich im September Kurfürst Johann Georg I. von Sachsen (1585–1656) an.3 Doch auch dann nahm Georg Wilhelm an dem Krieg so gut wie nicht teil. Mit dem Beitritt zum Prager Frieden 1635 ergriff er wieder die kaiserliche Partei, woraufhin die Schweden in die Mark einfielen und das Land erneut verwüsteten. Nicht zuletzt verursachte seine neutrale Haltung im schwedisch-polnischen Krieg eine weitgehende Zerstörung der preußischen Territorien, so dass nach seinem Tode ganze Landesteile sich entweder in fremder Gewalt befanden oder verheert waren. Ikonographisch steht der Stich in der Tradition des Reiterbildes, wie es seit der Antike für die Darstellung des Herrschers verwendet wurde. Zur bevorzugten Gattung in der höfischen Porträtkunst entwickelte sich im 17. Jahrhundert das Reiterbildnis in der Haltung des Steigens, das unter dem Begriff Levade zu den anspruchsvollsten Figuren der Hohen Schule der Reitkunst gehörte.4 Diese Pose eignete sich besonders gut zur Darstellung eines idealen Regenten, weil sie die Grandezza mit starkem Willen und Kraft verband, die den Herrscher als Heerführer auszeichnen sollten. In Kupferstichen der Zeit wurden Reiterbildnisse gern für die Darstellungen Gustav Adolfs verwendet (b IV, 197, 220),5 aber auch andere Feldherren des Dreißigjährigen Krieges wurden oft auf steigendem Pferd porträtiert wie etwa die kaiserlichen Generäle Tilly (b II, 246),6 Wallenstein7 und Karl von Bucquoy (1571–1621),8 der schwedische Feldmarschall Johan Banér (1596–1641),9 Ernst von Mansfeld (um 1580–1626)10 oder Ambrosio Spinola (1569–1630; b II, 170; IV, 134).11 Wählte der Künstler für die Darstellung eines Regenten den Typus des im Schritt gehenden Pferdes, so strahlte der Herrscher die würdevolle Gelassenheit und Souveränität eines Staatsmannes aus. Dagegen wirkte das Bild mit dem steigenden Pferd dynamisch; das Heroische und Kämpferische eines Feldherrn waren dominante Wirkungselemente der Figur. Das künstlerisch wenig anspruchsvolle Portrait Georg Wilhelms entbehrt jeglichen dramatischen Pathos’; die Pose wirkt statisch und die Gestalt des Kurfürsten eher steif als würdevoll. Seine Kleidung weist ihn zwar als Feldherren, nicht jedoch als Kriegsmann aus, als der er eine Rüstung tragen müsste. Auch das militärische Motiv im Hintergrund stellt ihn zwar in die kriegerischen Geschehnisse der Zeit, ohne dass er aber mit einer konkreten von ihm vollbrachten rühmli-

chen Tat ⫺ das übliche Verfahren bei diesem Bildnistypus ⫺ in Beziehung gebracht wird. Daher war der Stich wohl nicht als Glorifizierung militärischer Triumphe des Kurfürsten gedacht; es ist auch kein konkreter Entstehungsanlass erkennbar. Den einzigen Hinweis auf einen möglichen Entstehungszeitpunkt gibt die Existenz eines Blattes mit einer Darstellung Gustav Adolfs, das ikonographisch mit dem besprochenen Stich fast identisch ist und wahrscheinlich aus derselben Zeit und von demselben Stecher stammt.12 Der schwedische König wird vor dem Hintergrund der Schlacht bei Leipzig (Breitenfeld am 17. 9. 1631) platziert. Da sie schon nach dem Bündnisschluss zwischen Brandenburg und Schweden stattfand, ist es durchaus möglich, dass mit dem im Text des Flugblattes angesprochenen Sieg dieses Ereignis gemeint ist, an dem Georg Wilhelm als der Verbündete des Siegers indirekt Anteil hatte.

Weitere Standorte: Straßburg, Musées de la ville de Strasbourg: Portraits, Brandenburg 12 (A 1)

Andere Fassungen: A1

PAAS V, P-1384.

1

Vgl. z. B. das Gemälde von Wybrand d.Ä. Simonsz de Geest (LANGER: Kulturgeschichte, Abb. 48). Zur Geschichte Brandenburgs unter Georg Wilhelm vgl. J. G. DROYSEN: Gesch. der Preußischen Politik. III. 1, Leipzig 1863; WEDGWOOD: Krieg, 190 f.,193 f., 224, 245– 248, 254–258 u.ö. Zur Person des Kurfürsten s. ADB 8 (1878), 617–629; NDB 6 (1964), 203 f.; FINDEISEN: Krieg, 84–91; und aus zeitgenössischer Sicht: Nicolaus Bellus (d. i. Georg von Schönborn): Käyserlicher TriumpffWagen. Frankfurt a. M. 1632, 374–377. Vgl. dazu das Flugblatt ‚Schwedischer Bundt/ Mit zweyen Churfürsten/ Sachsen vnd Brandenburg‘. In: Um Glauben und Reich, II/2, Nr. 644. M. BAuM: Das Pferd als Symbol. Zur kulturellen Bedeutung einer Symbiose. Frankfurt a. M. 1991, 139–159. Vgl. z. B. PAAS V, P-1312 bis 1314, 1387–1389, 1391 f. PAAS IV, P-1084; V, P-1348 bis 1351. PAAS IV, P-1085. Krieg und Frieden, Abb. 232. Krieg und Frieden, Abb. 342. PAAS III, P-843 f. PAAS III, P-835 f. Waare Abbildung deß […] Herrn Gustav Adolphi. O.O. (1631) PAAS V, P-1386). EP

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4 5 6 7 8 9 10 11 12

305

IX, 160

F 538

Ort Jahr Bild Text Format

Die Darstellung fremdländischer Söldner aus vier Nationen, die in der schwedischen Armee in Deutschland kämpften, bringt Informationen über ihr Aussehen und ihre Eigenschaften. Das Bild zeigt vier Gestalten, die durch Inschriften als Lappe, Livländer, Ire und Schotte ausgewiesen werden. Sie tragen Kleidung und Mützen oder Hüte aus Fell oder Leder. Der bärtige Ire ist barfuß. Als Waffen dienen dem Lappen eine Lanze und ein am Gürtel befestigter Krummsäbel; der Livländer hält Pfeil und Bogen in der Hand. Die beiden hinteren Gestalten sind mit Gewehren und Schwertern ausgerüstet; der Schotte trägt an einem langen Riemen ein Messer am Gürtel, hinter seinem Gürtel steckt ein (Pulver-?)Horn. Drei der Männer tragen Kräuter mit sich. Der Livländer in der Mitte des Bildes reitet auf einem gefleckten Tier, das aus Kamel und Giraffe zusammengesetzt zu sein scheint. Im Text werden die Männer, die in der Hoffnung auf Kriegsbeute nach Deutschland gekommen seien, als stark und ausdauernd hingestellt, als unempfindlich gegen Hunger und Kälte und immer kampfbereit. Schnelligkeit, die dem Lappen zugeschrieben wird, zeichne auch das Rentier aus, das dreißig Meilen am Tag zurücklegen könne, ⫺ eine Information, die auf Olaus Magnus (1490–1558) zurückgeht1 und in der zeitgenössischen Publizistik gern wiederholt wurde. Die Iren verstünden es, ohne einzusinken, Sümpfe zu durchqueren, während die Schotten unter dem Schnee leben könnten. Die mit der schwedischen Armee seit 1628 in Deutschland erschienenen fremdländischen Soldaten erregten Aufsehen und fanden in der zeitgenössischen Publizistik Beachtung. Das Bild der Fremden im Tagesschrifttum wechselte je nach der beabsichtigten Wirkung zwischen zwar fremdartigen, aber zivilisierten Menschen (b I, 284; IV, 207) und wilden Barbaren.2 Das kommentierte Blatt belegt eine Mittelposition, indem im Text hauptsächlich das Ungewöhnliche an den Fremden hervorgehoben wird, während das Bild durch die einfache Ausrüstung und die groben Physiognomien eher Aspekte der Primitivität betont. Dass der Graphiker nicht auf ein geographisch, historisch oder ethnographisch ausgerichtetes Interesse seiner Leser zielte, davon zeugt die mangelnde Differenzierung in der Darstellung der Figuren, die keine individuellen Züge tragen. Das wird noch deutlicher, vergleicht man das Blatt mit anderen Flugblättern über Iren, in denen sie durch eine ausgefallene karierte Kleidung individualisiert werden (b I, 284; IV, 207).3 Auch die zur Charakterisierung der Personen im Text herangezogenen Eigenschaften, die sich gemäß dem historischen Entstehungskontext des Blattes auf kriegstaugliche Merkmale wie Unempfindlichkeit gegen 306

Auß Lap, vnd Lieffland diese Traben[Inc.]

(Straßburg) 1632 Kupferstich (von Jakob von der Heyden, 1573–1645) graviert in 3 Spalten; 18 Knittelverse 12,6 ! 19,3

Hunger und Frost, Schnelligkeit und Ausdauer beschränken, gehörten zu den stereotypen Vorstellungen über alle fremden nördlichen Nationen, die man oft miteinander verwechselte. So ist z. B. die im Blatt ‚Seltzames Gespräch‘ (b IV, 207) enthaltene Beschreibung der Lappländer, die schon früher in einer Flugschrift von 1630 vorkommt,4 eine fast wörtliche Wiedergabe der Information von Hieronymus Megiser (ca. 1553–1618), nur dass sie sich dort auf die Samojeden bezieht.5 Während die genannten zeitgenössischen Schriften den Gebrauch von Pfeil und Bogen als Waffe und des Rens als Reittier den Lappen zuschreiben, werden sie in der besprochenen Graphik dem Livländer zugewiesen, obwohl in Livland keine Rentiere leben. Man verwechselte auch Finnen mit Lappen, die unter der schwedischen Fahne überhaupt nicht kämpften,6 und Schotten mit Iren, wie die Abbildungen auf anderen Flugblättern über Iren bezeugen.7 Wie wenig Wert man in solchen Sensationsmeldungen auf ihren Realitätsbezug legte, zeigt nicht zuletzt die Darstellung des Rentieres. Bei diesem auf den ersten Blick recht phantastisch anmutenden Wesen handelt es sich um eine Giraffe, die im 16. und 17. Jahrhundert hauptsächlich unter der lateinischen Bezeichnung Camelopardalis bekannt war8 und schon in der ‚Peregrinatio in terram sanctam‘ des Bernhard von Breydenbach (1440– 1497) von 1486 abgebildet wurde.9 Das Tier auf dem nebenstehenden Bild ist fast identisch mit dem in John Jonstons (1603–1675) ‚Historiae Naturalis […] Libri‘ beschriebenen Camelus Indicus.10 Eine solche Verwechslung ist umso erstaunlicher, als das Rentier zu der Zeit gut bekannt war,11 auch wenn man es gelegentlich mit dem Elch gleichsetzte12 oder seine lateinische, auf Plinius zurückgehende Bezeichnung Tarandus für eine vermeintlich selbständige Art der Renfamilie hielt.13 Als Vorlage des Blattes diente das Flugblatt ‚Abbildung der wunderseltzammen Völkher‘,14 auf dem der Ire noch fehlt. Trotz der Unterschiede in der Ausschmückung der Gestalten sind Ähnlichkeiten in der Komposition der Graphik und den Einzelheiten in der Darstellung der Figuren ⫺ das Tier ist identisch ⫺, aber auch im Aufbau, Inhalt und Formulierungen des Textes unverkennbar.

Weitere Standorte: Berlin, SBPK: YA 6377 kl (A 1); München, BSB: Einbl.V,8a/63; ehem. Ulm (A 2)

Andere Fassungen: A1 A2

PAAS VI, P-1608. WELLER: Annalen, I, 443, Nr. 621.

1

Olaus Magnus: Beschreibung allerley Gelegenheyte/ Sitten/ Gebräuchen vnd Gewonheyten/ der Mitnächtigen Völcker. Straßburg 1567, fol. 245r. Flugblätter Coburg, Nr. 123; PAAS V, P-1327. Vgl. auch ALEXANDER/ STRAuSS II, 1632: Den Iren wurde hier eine nach den Beschreibungen in der Sachliteratur gezeichnete Gestalt des Lappen beigegeben. Kurtze Beschreibung Der Lappländer Sitten/ Gebräuch wie auch Kriegsübungen/ Deren/ Köngl. Mayst. in Schweden/ etlich Compagnia/ zusammt jren Reinigern oder Rein Thiern/ wie auch Schlitten vnnd ettlich tausent Beltz/ dero KriegsVolck/ darmit den Winter im Feld vor Kält zu verwahren/ auß Lappland/ den 29. Novembris/ in hinder Pommern/ ankommen. Stralsund 1630, fol. Aijv. Hieronymus Megiser: Septentrio Novantiquus, Oder Die newe NortWelt. Das ist: Gründliche vnd warhaffte Beschreibung aller der Mitternächtigen vnd Nortwerts gelegenen Landen vnd Jnsulen. Leipzig 1613, 390. E. KuNZE: Lappen oder Finnen in den dt. Flugschriften des 30jährigen Krieges? In: Ural-Altaische Jahrbücher 43 (1971), 65–78. PAAS V, P-1315 bis 1323. Vgl. die Abbildungen bei Conrad Gesner: Historiae Animalium Lib. I. de Quadrupedibus uiuiparis. Zürich 1551, 160; Joachim Camerarius: Symbola et Emblemata. Hg. von W. HARMS/ U.-B. KuECHEN. 2 Bde., Graz 1986⫺1988 (Nachdr. der Ausg. Nürnberg 1595), II, Nr. 18; Edward Topsell: The Historie of Fovre-Footed Beastes. London 1607, 101 f.; John Jonston: Historiae Naturalis de Quadrupedibus Libri IV. Frankfurt a. M. (1650), Taf. XXXIX und XLV. Auf dem Münchener Exemplar des Blattes hat ein zeitgenössischer Leser dem Tier Hörner aufgemalt. Wiedergabe bei J. B. LLOYD: African Animals in Renaissance Literature and Art. Oxford 1971, 87 f. Für die frühesten Abbildungen einer Giraffe in deutschen Einblattdrucken (1529-um 1570) vgl. FAuST: Einblattdrucke, III, Nr. 403–406. Taf. XL. Siehe z. B. Münster: Cosmographey, 1171–1175; Gesner: Historiae Animalium […] Lib., 950–952; Megiser: Septentrio Novantiquus, Kupferstich nach 394; Magnus: Beschreibung allerley Gelegenheyte, fol. 243r–246r; ‚Kurtze Beschreibung‘, Titelkupfer und fol. Aiijr. Pierre Martin de LaMartiniére: Neue Reise in die Nordischen Landschaften. Hamburg 1675 [zuerst in franz. Sprache, Paris 1671], Titel des XIV. Kap. im Register und im Text. Gesner: Historiae Animalium […] Lib., 156; Jonston: Historiae Naturalis […] Libri, 94, Abb. Taf. XXXVII. Flugblätter Coburg, Nr. 123. EP

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IX, 161

F 403

Ort Jahr Bild Text Format

Ein kurzer Bericht über Schottland und die Schotten, die in der Armee Gustav Adolfs in Deutschland kämpften, wird um einen liedhaften Dialog zwischen einem kaiserlichen Soldaten und einem Lappen ergänzt, der die beiden Kriegsparteien charakterisiert. Im Bild erscheinen drei Jrrländer, ein Lappe und ein als Tyllischer Reuter bezeichneter kaiserlicher Soldat zu Pferd. Wie ihre Gebärden zeigen, führen die beiden letzteren ein Gespräch. Die Jrrländer tragen karierte Röcke und Hosen, geraffte Hauben über schulterlangen Haaren und laufen bis auf einen barfuß. Auch die Kleidung des Lappen ⫺ eine knielange Hose, eine Schärpe um die Taille, ein nach Piraten- oder Zigeuner-Art gebundenes Tuch als Kopfbedeckung ⫺ verrät eine fremdländische Herkunft. Drei der fremden Soldaten sind mit Säbel, Pfeil und Bogen ausgerüstet, der vierte trägt ein Gewehr. Die Landschaft im Hintergrund zeigt links eine befestigte Stadt (Stettin) und rechts eine vor Anker liegende Flottille. Das Ufer bevölkern ausgeschiffte Soldaten. Der Prosatext beteuert seine Glaubwürdigkeit und bringt Informationen über das Herkunftsland der Iren und die Eigenschaften des Volkes, dessen Vertreter ⫺ 800 an der Zahl ⫺ sich unter den 10.000 Engländern befinden sollen, die mit der Armee Gustav Adolfs nach Deutschland kamen. Die vorwiegend bergige und sumpfige Insel, Hibernia genannt, besitze fruchtbaren Boden und Wälder voll wilder Tiere. Das ungünstige nasse Klima bewirke, dass sich das Land mit seinen ausgedehnten Weiden besser für Tierzucht als Getreideanbau eigne. Die Iren und Lappen seien klein und dunkelhäutig und zeichneten sich durch Ausdauer, Härte, Schnelligkeit und geringe Lebensbedürfnisse aus. Das anschließende Lied präsentiert einen Dialog zwischen einem Jrr- oder Lappenländer/ vnd einem Tyllischen Reuter, wobei das Gespräch von Elementen der Reizrede gekennzeichnet ist. Die höhnischen und disqualifizierenden Vorhaltungen des Soldaten, die die militärische und körperliche Leistungsfähigkeit seines Gegenüber in Frage stellen und überdies den Vorwurf schwarzer Magie erheben, werden vom Lappen entkräftet und seinerseits mit Drohungen beantwortet. Das Lied wird durch Worte eines Erzählers gerahmt, dessen Rolle nicht ganz deutlich von der des Soldaten geschieden ist. Nach der Einnahme der Inseln Rügen, Usedom, Wollin und der Besetzung von Stralsund kam Gustav Adolf am 10. Juli 1630 mit einer Flotte von über 100 Schiffen vor Stettin an und nahm die Stadt einen Tag später nach Verhandlungen mit dem pommerschen Herzog Bogislaw XIV. (1580– 1637) ohne Gewalt ein.1 Die Armee Gustav Adolfs setzte sich aus Soldaten unterschiedlicher 308

Eigentliche Beschreibung/ Deß auß Jrrlandt

1631 Radierung Typendruck in 2 Spalten; Prosa, 23 Liedstrophen 41,6 ! 24,5; 14,8 ! 24,5

Nationalitäten zusammen, u. a. aus Schweden, Preußen, Polen, Engländern, Livländern, Finnen und Schotten. Bis Ende 1630 wuchs das ursprünglich etwa 13.000 Mann große Heer des schwedischen Königs in Deutschland auf über 42.000 Mann an. Darunter befanden sich zwei schottische Regimenter, zwei Kompanien finnischer Landreiter und zwei Regimenter finnischer Landsknechte.2 Diese beiden Völker werden im Blatt als Iren und Lappen vorgeführt, eine Verwechslung, die in der zeitgenössischen Publizistik die Regel war (b IX, 160). Das kommentierte Flugblatt ist eines der vielen ähnlichen Blätter, die nach der Landung des schwedischen Heeres in Stettin und Stralsund entstanden sind (b IX, 160). Die fremdländischen Soldaten erweckten durch ihr ungewöhnliches Aussehen großes Interesse, dem die Publizistik durch verschiedene Informationen über die nördlichen Völker entgegenzukommen versuchte. Die durch die Graphik und den Prosatext hergestellte informative Funktion des vorliegenden Blattes gewann durch die Zugabe des Liedes eine wertende und moralisierende Komponente. Der gut aussehende, selbstsichere und überhebliche kaiserliche Soldat wurde mit einem kleinen, ‚schwarzen‘, primitiven Lappen konfrontiert, der zwar mit dem Teufel verglichen und der Zauberei bezichtigt wird, doch durch seine Tapferkeit, Treue, Ausdauer, hohe kriegstaugliche Fähigkeiten und Ausrüstung3 als dem deutschen Soldaten überlegen und somit als Vorbild erscheint. Das im Lied entworfene Bild des Lappen entspricht der stereotypen Vorstellung der Zeit über die Skandinavier, wie sie das ‚Theatrum Europaeum‘ zusammenfasste: Das Kriegsvolck belangendt/ hatte der König an den Fünnen vnd Schweden diesen Vortheil. 1. Konten sie Frost vnnd Kälte besser als Hitze vertragen. 2. Lieffen sie nicht ehe/ biß sie gleichsam mit der Natur fechten musten. 3. Konten sie sich kärglich behelffen. 4. Wahren zur Meutenation gantz nicht geneigt. 5. Waren vnverdrossen vnnd mit devallisiren fast nicht zu erschöpffen/ also daß es ein anderer Herr nicht leichtlich mit seinen Vnderthanen so weit gebracht hette.4

Das Blatt kompiliert verschiedene Vorlagen. Die Graphik richtet sich nach dem als ‚Kurtze Beschreibung/ deß auß Jrrland […] ankommenten Volcks‘ überschriebenen Flugblatt, das vier Iren darstellt.5 Übernommen wurden drei bewaffnete Iren, der vierte wurde durch die Gestalt des Lappen ersetzt, der als Gesprächspartner den kaiserlichen Reiter bekam. Auf diese Weise wurde die Verbindung zwischen der Graphik und dem Lied hergestellt. Das Bild ⫺ ohne den Lappen und den Reiter ⫺ mit dem eingravierten Text bildete nicht nur einen Bestandteil der Fassungen a, b und c, sondern erschien auch mehrmals in leicht veränderter Form als selbständiges Flugblatt.6 Die Graphik diente ihrerseits als Vorlage des Blatts ‚TILLIVS POENITENS‘ (b IV, 186), für das die Figuren eines der Iren, des Lappen und des Reiters über-

nommen wurden. Der Prosatext findet sich in fast unveränderter Form auf den Flugblättern der Fassung a, b, und e, während die übrigen Fassungen kleine stilistische Abweichungen aufweisen. Das Lied ist abgedruckt in der undatierten Flugschrift ‚Drey Außbundt schöner Neuer Lieder‘.7

Weitere Standorte:

Andere Fassungen: a) b)

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f)

London, BL: 1750.b.29(104);8 Wolfenbüttel, HAB: IH 225 [b II, 284] Bamberg, SB: VI.G.136; Berlin, SBPK: YA 6370 kl; Coburg, LB: Einblatt 4; Halle, KMM: F 536; Nürnberg, GNM: 24604/1267; Warschau, BU: Zbiory Królewskie, T.171, no. 64; Washington, Library of Congress: Hauslab, 39 [wie a, aber datiert: 1631]9 Nürnberg, GNM: 459/1313a [Kurtze Beschreibung/ deß auß Jrrland; Inc.: DEm günstigen Leser] London, BL: 1750.c.1 (70); München, BSB: Einbl. V, 8a(25; Stockholm, Kungl. Bibl.: G II A, B.9; Wien, Albertina: Hist.Bl.Gustav Adolf [wie c, Graphik mit Bildnis- und Wappenmedaillon]10 Wolfenbüttel, HAB: Dep.4.9 FM 19 [Kurtze Beschreibung/ Der Achthundert Jrren; Holzschnitt: 4 Iren; Inc.: WAs nun zum] Nürnberg, StB: Will I 440 M. [Kurtze Beschreibung/ des auß Jrrland; Holzschnitt: 4 Iren und ein Lappe; Inc.: DEm günstigen Leser]

A1

PAAS V, P-1458.

1

G. DROYSEN: Gustaf Adolf. 2 Bde., Leipzig 1868–1870, II, 155–161. Ebd., 85–87; T. LORENTZEN: Die schwedische Armee im Dreißigjährigen Kriege u. ihre Abdankung. Leipzig 1894, 6 f. Die Flugschrift ‚Warhafftige beschreibung Von der Belagerung der […] Handelstad Strallsunde‘ (Lübeck 1628) informiert über sieben Kompanien Schotten, die am 25. und 29. Mai dem von den Kaiserlichen belagerten Stralsund zu Hilfe kamen [fol. Aiijrf.]. S. auch G. PARKER: The military revolution. Military innovation and the rise of the West, 1500–1800. Cambridge u. a. 1988, 49 f. Mit dem Stück […] von starckem Letter ist die sog. Lederkanone gemeint, die ein großes Aufsehen bei den Zeitgenossen erregte (DROYSEN: Gustaf Adolf, II, 77– 79). Theatrum Europaeum II, 229. Fassung a und b. PAAS V, P-1319, P-1322 f. Berlin, SBPK: Ye 6581. Das Lied ist abgedruckt bei OPEL/ COHN: Krieg, Nr. 56, 242–245, und bei DITFuRTH: Volkslieder, Nr. 64. PAAS V, P-1320. Signaturen aus Coburg, Warschau und Washington nach PAAS V, P-1321. Signaturen aus London, Stockholm und Wien nach PAAS V, P-1315. EP

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Ort Jahr Bild Text Format Zustand

Das Flugblatt zeigt die Entmachtung des katholischen Klerus durch Gustav II. Adolf von Schweden im Bild einer Barbierstube. Die Radierung ermöglicht einen synchronen Blick in den Innenraum einer Baderstube und die freie Landschaft, an deren Horizont sich die Marienveste und der Würzburger Dom abzeichnen. Auf einer Straße begegnen sich ein Bote mit einem Botenspieß und ein wandernder Barbier und wechseln einige gestenreich untermalte Worte. Im Baderhaus warten zahlreiche Jesuiten und andere katholische Würdenträger auf ihre Behandlung, die im Vorder- und Mittelgrund bereits an einigen Ordensgenossen vollzogen wird. Einem Kleriker wird der Kopf gewaschen, einem anderen werden die Haare geschnitten, ein weiterer wird zur Ader gelassen und einem vierten wird ein Zahn gezogen. In der Mitte der Radierung sitzt an einem großen Tisch ein verwundeter Kirchenmann, dessen rechter Arm in einer Schlaufe liegt und dessen Kopf verbunden ist. Seine Haltung verrät Schmerz und Niedergeschlagenheit. Als Bader sind Gustav Adolf und einige seiner Offiziere dargestellt. Zu Beginn des Textes stellt sich ein Feldscher vor, der von sich behauptet, den Soldaten bekannt zu sein und bereits in ganz Deutschland Aufmerksamkeit zu genießen, da er in Böhmen, Schlesien, Mähren, Franken, Rheinland, Hessen, Niedersachsen und Magdeburg, das am Brand gestorben sei, seinen Beruf ausgeübt habe. Anschließend berichtet er von seinem Vorhaben, nach Dresden zu ziehen, um dort den Kurfürsten zu scheren. Leider habe er auf dem Weg dorthin seinen Kamm verloren, mit dem er bisher alle Herrschaften und Stände scheren konnte. Er beklagt das Ausbleiben der Kunden, die nun in ein ander Scherhauß gingen. Ein Bote, den er nach dem Verbleib des Kamms fragt, erzählt, dass er aus Franken wegen der vielen Soldaten in großer Eile geflüchtet sei. Dort sei ein frembder Meister vnbekant angekommen und habe einen Kamm fachmännisch gebraucht, den er bei Leipzig erhalten haben soll. Der Bote schildert im einzelnen, dass der Bischof von Würzburg, der auch der Herr des Boten sei, geschoren, dem Bischof von Bamberg der Kopf gewaschen worden sei, dass man andere zur Ader gelassen und einem alten Jesuiten so die Haare geschnitten habe, dass ihm die schwardt thet krachen. Anderen seien die faulen Zähne gezogen worden. Die Übrigen seien geflüchtet. Der Feldscher will daraufhin nach München gehen, um sich dort Hilfe zu holen. Er gibt aber zu bedenken, dass er wahrscheinlich sterben müsse, wenn er den Kamm nicht wieder bekäme. Der kaiserliche Feldscher kann anhand der Aussagen zu seinem Wirkungsbereich als Johann Tserclaes Graf von Tilly (1559–1632) identifiziert werden. Bei den Feldschern handelte es sich um Mili310

Ligistischer FeldtScherer.

1631 Radierung Typendruck in 3 Spalten; 90 Knittelverse [33,3 ! 25,3; s. Zustand]; 11,1 ! 22,5 Graphik im unteren Bereich unvollständig abgedruckt; der typographische Rahmen ist abgeschnitten.

tärärzte, die im Laufe des Dreißigjährigen Krieges einen eigenen Berufsstand bildeten und darin Prüfungen ablegen mussten. Ihre Behandlungsräume waren die Zelte hinter den Schlachtreihen, in denen sie die äußeren Wunden versorgten.1 Das vorliegende Flugblatt bezieht sich direkt auf das Blatt ‚Der grosse Kamm‘ (b IV, 210), auf dem vor der Ansicht Heidelbergs schwedische Soldaten die wundärztliche Behandlung an Jesuiten, Mönchen und einem Bären vollziehen. Mit ihnen gemeinsam in der Baderstube sitzt ein nachdenklicher Mann mit einem Arm im Schultertuch. Dabei handelt es sich um Tilly, der offensichtlich zuvor selbst verarztet worden war. Während und nach dem großen Krieg erfreute sich die politische Metapher der Baderstube in der Bildsatire großer Beliebtheit,2 weil sich mit ihr gewaltsame Eroberungen und Plünderungen verharmlosend komisieren ließen.3 Unter dem Begriff zwagen wurde eine Kopfwäsche mit einer Lauge verstanden, die durch das Übergießen von Holzasche mit heißem Wasser entstand. In der politischen Propaganda fand der Begriff besonders für Magdeburg metaphorische Verwendung (b IV, 174; IX, 165). Beim Aderlassen schlug der Wundarzt mit einem Aderlasseisen eine oberflächliche Vene und ließ das Blut in ein bereitgestelltes Gefäß rinnen (b IX, 217).4 Das Scheren der Haare galt als lukrative und bedeutende Beschäftigung der Bader, so dass die Barbierbecken zum Aushängeschild der Baderstuben wurden.5 Das Zähneziehen mit grobem Werkzeug, das Aderlassen und Scheren eigneten sich zur Veranschaulichung der Entmachtung des katholischen Klerus, weil bei diesen Vorgängen den Patienten unter Zufügung von Schmerzen Persönliches abgenommen wurde. Das Flugblatt bezieht sich auf die Eroberungen Gustav Adolfs in Franken. Durch die Erwähnung der Bischöfe von Würzburg und Bamberg lässt sich das Flugblatt leicht den historischen Ereignissen zuordnen. Gustav Adolf war nach dem Sieg in der Schlacht von Breitenfeld 1631 über Erfurt und Coburg in Richtung Main geeilt. In der Publizistik wurde für den Eroberungszug der schwedischen Armee und der von ihr vorgenommenen Säkularisierung der katholischen Güter der Begriff ‚Pfaffengasse‘ geprägt (b II, 237, 299 f.).6 Die Schweden eroberten am 10. Oktober Königshofen, am 12. Oktober Schweinfurt und steuerten über Geldersheim und Unterpleichfeld auf Würzburg zu. Der Bischof von Würzburg Franz von Hatzfeld (1596–1642) hatte zunächst in der bereits teilweise entvölkerten Stadt ausharren wollen, flüchtete schließlich aber ins Exil. Am 14. Oktober zogen die Schweden in die schutzlose Stadt ein und richteten eine kategorische Kapitulationsforderung an den Magistrat. Die Kapitulation erfolgte einen Tag später (b II, 250).7 Nächster Ort des Eroberungszuges war Bamberg. Gustav Adolf hatte schon vor der Einnahme Würzburgs um Verhandlungen mit dem Bamberger Bischof gebeten. Die

Verhandlungen wurden aber von den eintreffenden bayrisch-ligistischen Truppen vereitelt. Die schwedische Armee orientierte sich zunächst westwärts, so dass Bamberg vorerst verschont wurde. Die Eroberung des Hochstifts erfolgte im Februar 1632.8

Weitere Standorte: Berlin, SBPK: YA 6351 kl

Andere Fassungen: a)

Leipzig, Museum f. Gesch. der Stadt Leipzig: R 2/419 [o. J.; 1. Zeile: genannt; 3. Zeile: Denen ich dient]

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COuPE I, 150; II, Nr. 251, Abb. 77. PAAS V, P-1516. A. HEYDE: Die Darstellungen König Gustav II. Adolfs von Schweden. Studien zum Verhältnis von Herrscherbild u. Herrschermythos im Zeitraum von 1607 bis 1932. Diss. Kiel 1995, I, 275 f., Abb. 371. NIEMETZ: Bildpublizistik, 132, Abb. 135.

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9

M. WIDMANN/ CHR. MÖRGELI: Bader u. Wundarzt. Medizinisches Handwerk in vergangenen Tagen. Zürich 1998, 152. HOLLSTEIN: Dutch Etchings, 38 f.; Flugblätter des Barock, Nr. 63, 69; b IV, 142, 216. SPAMER: Krankheit (1940), 47f, 54 f. WIDMANN/ MÖRGELI: Bader, 103. Ebd., 79. PAAS VI, P 1771–1774, P-1776, P-1778. R. WEBER: Würzburg u. Bamberg im Dreißigjährigen Krieg. Die Regierungszeit des Bischofs Franz von Hatzfeldt 1631–1642. Würzburg 1979, 48. K. DENGLER-SCHREIBER: Ist alles oed vnd wüst … Zerstörung u. Wiederaufbau in der Stadt Bamberg im Zeitalter des Dreißigjährigen Kriegs. In: Jb. f. Fränkische Landesforschung 57 (1997), 145–161, hier 149; WEBER: Würzburg, 58 f. PAAS V, P-1517; P. LEONHARDT: Tugendt vnd LasterKampf. Studien zur Bildpublizistik nach der Schlacht bei Breitenfeld (1631). Leipzig 1997, Abb. 64. AR

311

IX, 163

F 39

Ort Jahr Bild Text Verleger Format

Im Bild eines Schauessens verspottet das Blatt die militärischen Niederlagen Tillys in der Schlacht bei Breitenfeld und während des Vormarsches der protestantischen Truppen nach Süddeutschland.2 Unter einem Baum sitzt Tilly mit drei weiteren, nicht zu identifizierenden Heerführern der Liga an einer Tafel mit Konfektschalen und Trinkgefäßen und blickt auf die Schaugerichte,3 die von rechts herangetragen werden. Der schwedische Löwe präsentiert die Leypziger schlacht, der Schwedenkönig Gustav Adolf bringt Mainz und Würzburg, Johann Georg von Sachsen (1585– 1656) hält Prag in den Händen, und der Landgraf Wilhelm von Hessen (1602–1637) kommt mit Fulda, bevor der schwedische Feldmarschall Gustav Horn (1592–1657) mit Bamberg die Reihe beschließt. Der Hintergrund zeigt mit dem Aufmarsch von Truppen und einer Kanonade den Beginn einer Feldschlacht. Der Text geht kaum über eine Bildbeschreibung hinaus. Er ermöglicht jedoch die Identifizierung der Schauessen-Träger, während die Tischgemeinschaft nur als die Ligistische Schar bezeichnet wird. Der Autor nimmt eine vergleichsweise zurückhaltend-neutrale Position ein, indem er die Wirkung des Schauessens auf die Tischgemeinschaft mit dem Verspaar Wie ihnnen diß banquet bekom[m]en Haben sie am besten vernom[m]en eher ausspart als kommentiert; auch der abschließende Paarreim mit der Metapher vom Schlaftrunk formuliert nur sehr vage die Hoffnung auf mögliche weitere Erfolge des protestantischen Lagers. Das Blatt gehört zu einer Gruppe von Drucken, für die das Bild der Konfekt-Tafel das zentrale Motiv abgibt.4 Dieses Bild könnte auf eine Äußerung des Kurfürsten von Sachsen zurückgehen, der während der Verhandlungen mit den kaiserlichen Delegierten im August 1631 gesagt haben soll: Er sehe nun wol/ daß man das Sächsische bißhero so lang gesparte Confect auffzusetzen gesinnet wäre; man sollte aber bedencken / daß man auch bey demselbigen allerhand Nüsse und Schau=Essen auffzutragen pflegte / welche offtmal hart zu beissen wären. Derohalben sollte man wol zusehen / daß sich ihrer Theils nicht die Zähne dran ausbissen. Es könnte sich auch bey dem Confect noch viel zutragen.5

Das Bild setzt den Vergleich der militärischen Erfolge Tillys mit einem Essen voraus, das mit der Eroberung Sachsens seinen Höhe- und Abschlusspunkt finden soll. Mit Tillys Niederlage in der Schlacht bei Breitenfeld (17. September 1631) wendet sich jedoch das Blatt. Die neue Lage wird in unterschiedlichen Ausprägungen des KonfektTafelbildes kommentiert. Vorherrschend sind dabei solche Varianten, die eine Verhinderung6 oder 312

Etliche Schaw-Essen so dem Sächsischen Confect

(Straßburg) (1632) Radierung graviert in 4 Spalten; 36 Knittelverse (Jakob von der Heyden, 1573–1645)1 20,3 ! 27,9

eine mehr oder weniger empfindliche Störung des Konfekt-Essens (b II, 239–241) zeigen. Das vorliegende Blatt kombiniert das Bild der KonfektTafel mit der Idee vom Schau-Essen, bei dem neben den genießbaren Speisen auch ungenießbare Schauobjekte aufgetragen werden. Deren Anblick scheint den Heerführern der Liga den Appetit verschlagen zu haben, denn die Konfektschalen sind – anders als in einer früheren Version des Themas (b II, 242), die als Vorlage gelten kann ⫺ noch gefüllt. Das Blatt ergänzt die Vorlage um eine weitere Person und Station: Gustav Horn mit Bamberg. Die Abfolge der protestantischen Fürsten und Heerführer ist im wesentlichen nicht durch die Datierung der verschiedenen Erfolge bestimmt, sondern hierarchisch gegliedert. Auf die Leypziger schlacht7 folgen Würzburg und Mainz, die am 8. Oktober (b II, 250)8 bzw. 14. Dezember (b II, 251 f.)9 in die Hände der Schweden fielen, während Prag am 5. November erobert wurde10 und Tilly sein Quartier in Fulda bereits am 9. Oktober 1631 räumen musste. Bamberg wurde am 11. Februar 1632 erobert, aber bereits am 9. März wieder von den Truppen Tillys zurückerobert (b II, 246; IV, 188).11 Dies erlaubt die Datierung des Blattes in die knapp vier Wochen zwischen dem 11. Februar und 9. März 1632. Bis auf das einleitende Verspaar und die Verse über Gustav Horn stimmt der Text mit der früheren Fassung fast wörtlich überein, ist jedoch stark gekürzt; es fehlt vor allem die lange Einleitung über die Auseinandersetzung um Leipzig und der ausführliche Schlussteil, in dem den Protestanten die Erlösung, der katholischen Gegenpartei jedoch die ewige Höllenstrafe prophezeit wird. Durch diese Kürzungen verliert der Text deutlich an polemischer Schärfe und konzentriert sich stärker auf den Informationsgehalt. Die Fassung a des Blattes mit gedrucktem Text und seitenverkehrtem Stich bietet acht weitere Verse, die den Vertretern der Liga in den Mund gelegt werden.12

Weitere Standorte: Berlin, SBPK: YA 6491 kl. a, und YA 6491 kl. b; London, BM: 1880.0710.807; Stockholm, KB: G II A, A.93 (A 1); ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig (A 2); ehem. Antiquariat Bessel, München (A 3)

Andere Fassungen: a)

Frankfurt a. M., UB: Freytag, 278; München, BSB: Einbl. V, 8a/69; Nürnberg, GNM: 524/1314; Nürnberg, StB: Will I.440.M.; Stuttgart, GS: Ereignisse 1621–1703; Stockholm, KB: G II A, A.94;13 ehem. Antiquariat Bessel, München14 [Ettliche Schau-Essen … gefolgt vnd vffgetragen sind worden; Typendruck in 3 Spalten]

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PAAS VI, P-1622. DRuGuLIN II, Nr. 1941. M. BESSEL: Ein Band fliegender Blätter aus den Jahren 1631 u. 1632. In: Serapeum 24 (1863), 225–231, Nr. 62 COuPE II, Nr. 192, Abb. 122.

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THIEME/ BECKER XVII, 17; BENZING: Verleger, 1168 f. Zu den nicht-allegorischen Einblattdrucken anlässlich des schwedischen Vormarsches vgl. A. HEMPEL: Eigentlicher Bericht/ So wol auch Abcontrafeyung. Eine Untersuchung der nicht-allegorischen Nachrichtenblätter zu den Schlachten u. Belagerungen der schwedischen Armee unter Gustav II Adolf (1628/30–1632). Frankfurt a. M. u. a. 2000. Harsdörffer unterscheidet zwischen Schauessen und Schaugerichten; vgl. A. SCHÖNE (Hg.): Das Zeitalter des Barock. Texte u. Zeugnisse. München 21968, 373 f. Dazu A. WANG: Information u. Deutung in illustrierten Flugblättern des Dreißigjährigen Krieges. Zum Gebrauchscharakter einiger Blätter des Themas Sächsisch Confect aus den Jahren 1631 u. 1632. In: Euphorion 70 (1976), 97–116. Theatrum Europaeum, II, 427; vgl. COuPE I, 192; WANG: Information, 103. Flugblätter Coburg, Nr. 98. Dazu M. RITTER: Gesch. des Dreißigjährigen Krieges. Stuttgart 1908, 497–501; M. ROBERTS: Gustavus Adolphus and the rise of Sweden. London 1973, II, 528–538; HEMPEL: Bericht, 77–82, 240–251. RITTER: Geschichte, 503; HEMPEL: Bericht, 83–87, 252– 263. RITTER: Geschichte, 503; HEMPEL: Bericht, 93–96, 267– 272. RITTER: Geschichte, 504. HEMPEL: Bericht, 97–101, 273–278. Die Figuren sind als Tilly, Altringer (Johann Graf von Aldringen), Obrist Schönberger (von Schönberg; vgl. HEMPEL: Bericht, 344) und Cronberger (Johann Peter Coronini, Graf von Cronberg; vgl. ebd., 340) ausgewiesen. PAAS VI, 1621. BESSEL: Band, Nr. 69. DP

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IX, 164

F 519

Ort Jahr Bild Text Format

Das Blatt versinnbildlicht mit einer Krankheitsmetapher das Zerbrechen der politischen Macht des Papsttums dank den Kriegserfolgen Gustav Adolfs von Schweden im Reich in den Jahren 1630 und 1631. Die in der rechten oberen Ecke stehende Gestalt eines Schweden, durch die Physiognomie und den ihn begleitenden Löwen mit einem Kompass als Gustav Adolf (‚Löwe aus Mitternacht‘) kenntlich gemacht, durchbohrt mit einem Spieß den Bauch des links sitzenden katholischen Geistlichen und zwingt ihn auf diese Weise, die verschlungenen Städte und Länder auszuspucken. Der Geistliche sitzt auf einem beschädigten Stuhl (Sella Perforata); in der Hand hält er den zerbrochenen PetrusSchlüssel und ein gleichfalls zerbrochenes Schwert. Vor dem Stuhl des Geistlichen liegen aufgeplatzte Geldsäcke, eine eingerissene Bulle sowie ein umgeworfenes, an eine Monstranz erinnerndes Gefäß. Der hinter dem Stuhl des Geistlichen stehende Jesuit ermahnt zum Frieden. Die vom Geistlichen ausgespuckten Städte und Länder sind auf einem Band aneinandergereiht und durch gezeichnete Prospekte mit Unterschriften identifizierbar gemacht. Der Text besteht aus zwei gereimten Zweizeilern, die als Aussagen der Hauptfiguren formuliert sind: Der Schwede fordert den Geistlichen auf, das ‚Gefressene‘ auszuspeien; der Pfaffe klagt, der Schwede habe dank Macht und Glück seine Eroberungen zunichte gemacht und seine Pläne durchkreuzt. Der siegreiche Feldzug der Schweden in Deutschland in den Jahren 1630–1632 wurde in illustrierten Flugblättern oft thematisiert, sei es, dass man einzelne historische Ereignisse herausstellte, den schwedischen König allgemein als Retter der Christenheit glorifizierte oder, wie im behandelten Blatt, seine militärischen Siege summarisch abbildete (b IV, 219 f.).1 Gern verband man dabei die Darstellung politischer Ereignisse mit einer Satire auf die katholische Kirche, wie in der Reihe von Spottblättern aus dem Jahre 1632, die die schwedischen Eroberungen in Schwaben und Franken unter dem Begriff ‚Pfaffengasse‘ behandelten (b II, 237, 299 f.). Doch anders als in den genannten Blättern stellt die besprochene Graphik die Kritik an den machtpolitischen Ansprüchen der katholischen Kirche ⫺ in der Fassung f als Papstthumb präzisiert ⫺ in den Vordergrund. Insofern veranschaulichen die genannten Orte, die zwei Drittel des Blattes einnehmen, weniger Eroberungen Schwedens als vielmehr gewichtige Verluste Roms. Auf die primär kritische und nicht glorifizierende Absicht der Graphik verweist auch die Formulierung von der ‚Befreiung aus dem Gefängnis‘ im Blatttitel. Sie steht in ideellem Zusammenhang mit Luthers Schrift ‚Von der Babyloni314

Augenscheinliche abbildung der vornemsten örter

(Straßburg) (Dezember 1631/Januar 1632) Kupferstich (von Jakob von der Heyden, 1573–1645) graviert; lateinische und deutsche Inschriften; 4 Knittelverse 22,7 ! 31,0

schen gefengknuß der Kirchen‘, in der der Reformator die Situation des Christentums unter dem mittelalterlichen Papsttum mit der Gefangenschaft Israels in Babylon verglich.2 Die antikatholische Aussage des Blattes wurde mit unterschiedlichen graphisch umgesetzten Metaphern und Topoi vollzogen. Die Symbole der verlorenen geistlichen und weltlichen Macht der katholischen Kirche, nämlich das zerbrochene Schwert und der Petri-Schlüssel sowie der schwankende (Heilige) Stuhl, sind seit der Reformation in den lutherischen Propagandablättern zu finden (b II, 18; IX, 90);3 das letztere Motiv kommt auch in der Variation der stürzenden oder gerissenen Kirchenmauer vor (b II, 18, 131; IV, 239; IX, 132). Die vor der sitzenden Gestalt ausgebreiteten Gegenstände nennen die unlauteren Mittel, mit denen die katholische Kirche ihre Macht aufbaute und stützte und die zugleich Laster der Geistlichen ⫺ Unaufrichtigkeit und Habgier ⫺ widerspiegeln. Bei dem Ketzergelt handelte sich um das konfiszierte Vermögen der Menschen, die man wegen Ketzerei angeklagt und hingerichtet hatte, oder auch um Lösegeld, mit dem die Familie der als Ketzer Verdächtigten die Beschuldigten vor dem Tod retten konnte.4 Hinter den Ketzerprozessen, die auf diese Weise eine nicht zu verachtende Einnahmequelle bildeten, verbarg sich nicht selten Geld- und Raffgier der Richtenden. Der Begriff Sinceratio zeichnete unehrliche Versprechen, mit denen die Protestanten von Katholiken betrogen und ihrer konfessionellen Freiheit beraubt wurden (b II, 234, 240, 292; IV, 175). Das Wort Commissare geht auf das 1629 von Kaiser erlassene Restitutionsedikt zurück, nach dem alle Besitztümer, die die katholische Kirche nach 1552 im Zuge der Reformation verloren hatte, zurückgegeben werden sollten (b II, 292). Für die Ausführung dieser Bestimmungen sorgten kaiserliche Kommissare, auch Jesuiten und Priester. Das Motiv des Erbrechens (oder Ausscheidens) als Folge von Völlerei wurde oft in der politischen Bildpublizistik der Zeit zur Versinnbildlichung der Rückgabe unrechtmäßig angeeigneter Territorien (b II, 36, 107; IV, 187)5 oder militärischer Niederlagen infolge der Überschätzung der eigenen Kräfte (b II, 189, 240, 292)6 eingesetzt. Die Anordnung der Stadtprospekte auf einem als Schleife bzw. Spirale geformten Band enthielt die Möglichkeit der Fortsetzung, d. h. der Aktualisierung des Blattes ohne großen herstellerischen Aufwand. Zugleich war das Freilassen der leeren Felder am Ende des Bandes (am deutlichsten in der Fassung f) Ausdruck der Hoffnung auf weitere Siege der Protestanten.

Weitere Standorte:

Andere Fassungen: a)

b) c)

d) e)

f)

Berlin, SBPK: YA 6650 kl; Paris, BN: Qd mat 2a, 1632; Stockholm, KB: G II A.120; Wolfenbüttel, HAB: Dep.4.9 Fm 56 [datiert 1631; Ortsnamen bis Mannheim]7 Berlin, KK: 60029 [Ortsnamen bis Magdeburg] Berlin, SBPK: YA 6650 kl; Bamberg, SB: VI.G.59.; Coburg, Veste: VII,409,301; VII,409,302 und XIII,409,301a; Frankfurt a. M., UB: Freytag 282; London, BL: 1750.b.29 (67); Nürnberg, GNM: 535/1314 und 6394/1343; ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig8 [Ortsnamen bis Kreuznach]9 Halle, KMM: F 520 [ohne Titel; Ortsnamen bis Koblenz] Gotha, SM: G 17,13; Mainz, Sammlung Stopp10 [Titel graviert: Augenschein abbildung …; Graphik im Gegensinn] Braunschweig, HAUM: Flugblätter XVII; Dresden, LB/ UB: Hist.Germ. C 16,32; Heidelberg, KM: P V;11 London, BL: 1750.b.29 (68); Nürnberg, GNM: 564/1314, 25049/1314 und 18729/1344; Stockholm, KB: G II A,B.74; Ulm, StB: Einbl. 255; Washington, Library of Congress: German Political Cartoons; Wrocław, BU: 370824; ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig12 [Titel: Eygendliche Abbildung …; Text in Typendruck, Graphik im Gegensinn]13

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PAAS VI, P-1559. NIEMETZ: Bildpublizistik, 136 f., Abb. 144.

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WANG: Miles Christianus, 179–194; A. SPIEGEL: Die Gustav-Adolf-Zeitlieder. Diss. Augsburg 1977; HARMS: Gustav Adolf; TSCHOPP: Deutungsmuster; H. ZSCHOCH: Größe u. Grenzen des ‚Löwen von Mitternacht‘. Das Bild Gustav Adolfs in der populären protestantischen Publizistik als Beispiel religiöser Situationswahrnehmung im Dreißigjährigen Krieg. In: Zs. f. Theologie u. Kirche 91 (1994), 25–50. Vgl. Luther: Werke, VI, 497–573. So auf einem Einblattholzschnitt von Sebald Beham aus der Zeit um 1526 ‚Sturz des Papstthums‘; MEuCHE/ NEuMEISTER 26 f. u. 114, Abb. 8. Vgl. auch KASTNER: Rauffhandel, 319–324. E. ROSENOW: Wider die Pfaffenherrschaft. Kulturbilder aus den Religionskämpfen des 16. u. 17. Jhs. Berlin (1922/23), II, 640 u. 642. Vgl. auch das Blatt zur Niederlage Spaniens in den Niederlanden von 1639 ‚Den Grooten Barbiers Winckel‘ (Coburg, Veste: XIII,321,266) und einige Illustrationen zum niederländisch-französischen Krieg von 1673, 1674 und 1689, abgeb. in: Krieg der Bilder, 149, 179 und 277. ‚Eygentliche Abbildung des WinterKönigs‘ (1621; Illustrierte Flugblätter, Nr. 47). Einige Beispiele aus dem 16. Jahrhundert nennt SPAMER: Krankheit, 62, Anm. 125. Signaturen aus Paris und Stockholm nach PAAS VI, P1560. DRuGuLIN II, 1949. Signaturen aus Coburg, Frankfurt a. M. und London nach PAAS VI, P-1635. PAAS VI, P-1613. COuPE II, 197. DRuGuLIN II, 1950. Signaturen aus Dresden, London, Stockholm, Washington und Wrocław nach PAAS VI, P-1636. EP

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F 308

Ort Jahr Bild Text Format

Das Flugblatt metaphorisiert die Rache der Protestanten an den Jesuiten im Bild einer Kopfwäsche mit der ‚Magdeburger Lauge‘. In einem mit gefeldertem Fußboden und zwei Fenstern versehenen, ansonsten aber kahlen Innenraum sitzt ein Jesuit auf einem Thron, der das Barbarini-Wappen Papst Urbans VIII. (1568– 1644, Papst seit 1623) trägt. Ein Offizier, dessen Physiognomie es erlaubt, ihn mit Gustav II. Adolf von Schweden zu identifizieren, wäscht ihm den Kopf mit der Magdenburger Laug, die aus einem Kessel über dem Kopf des Jesuiten fließt. Ein protestantischer Pfarrer sieht dem Vorgang zu. Allen drei Personen sind Aussprüche zugeordnet. Der Jesuit beklagt sich über die Hitze der Lauge. Der Offizier beschreibt seine Handlung als Vorbereitung für die Verwandlung seines Kunden in den Antichrist. Und der Pfarrer bittet den Schweden, die Esawiter aus Deutschland zu vertreiben. Der Text bietet einen Dialog zwischen einem Dorff Pfaff[en] und dem Jesuiten, der das Unglück seiner Ordensbrüder beklagt. Seine Klage gibt den Verlust der gewonnenen Macht nach dem Muster von Aufstieg und Fall wieder. In seiner Jeremiade bekundet er außerdem die eigene Maßlosigkeit, deren Strafe darin besteht, schabab (verloren, im Unglück)1 zu sein. Der Dorff Pfaff hingegen verspottet den Orden, indem er noch einmal das maßlose Streben der Jesuiten nach geistlicher und weltlicher Macht hervorhebt, die zur Vernichtung der arme[n] Pfäffelein und der Lutheraner benutzt werden sollte. Der Pfaffe gelangt zu dem Schluss, dass die Jesuiten aus dem Land gejagt werden müssten. Das Flugblatt verwendet das Motiv der Baderstube, das sowohl von protestantischer (b IV, 142, 216) als auch von katholischer Seite Eingang in die Bildpropaganda fand.2 Die Baderstube, die der Heilung dienlich sein sollte, verkehrte sich in den satirischen Flugblättern oftmals zum Schauplatz der Rache, da der Barbier seinen Patienten direkt zusetzen konnte.3 In diesem Blatt wird die Rolle des Barbiers Gustav Adolf zugewiesen. Als Arzt erscheint er auch auf anderen Flugblättern, in denen er den Gegnern ebenfalls den Kopf wäscht (bIV, 210; IX, 162) oder den Star sticht (b II, 253). Die Kopfwäsche erfolgte im speziellen Fall mit einer besonderen Lauge. Das Motiv des Zwagens (die Kopfwäsche mit scharfer Lauge)4 mit Magdeburger Lauge erschien in den Flugblättern nach der Erstürmung und Zerstörung der Elbestadt am 10. Mai 1631. In einem als ‚Magdenburger Laug‘ überschriebenen Blatt (b IV, 174) wird die Zusammensetzung des Seifengemischs beschrieben, das aus der Asche der Verstorbenen und den Tränen der Überlebenden bestehe. Gustav Adolf fungiert dort ebenfalls als Arzt, der die Rache mit Gottes Hilfe vollzieht. Die Magdebur316

Magdenburger Laug

(1631) Kupferstich graviert in 2 Spalten; 2 Strophen zu 7 Versen, 6 Knittelverse im Bild 16,3 ! 12,5

ger Lauge findet außerdem im Flugblatt ‚Der alte teutsche Zahnbrecher‘ als mögliches Heilmittel Erwähnung (b II, 282). Die Verwendung des Laugen-Motivs erlaubt es, das Flugblatt auf einen Zeitraum nach der Schlacht von Breitenfeld und dem schwedischen Eroberungsfeldzug durch die ‚Pfaffengasse‘ zu datieren (b II, 237, 250–252, 299 f.). Den Jesuiten wurde die Schuld an der Zerstörung Magdeburgs, an der Verfolgung der Pastoren und Lutheraner zugewiesen,5 weil man dem Orden unterstellte, sowohl den Kaiser als auch den Papst zu dirigieren. Bereits der Begriff Esawiter sollte Negativassoziationen wecken, indem er eine Nähe zur Sau (Saw), aber auch zur Gestalt Esaus insinuierte.6 Der Orden war Anfeindungen seit seiner Gründung durch Ignatius von Loyola (1491–1556) im Jahr 1534 ausgesetzt gewesen. Die traditionelle katholische Kirche lehnte den Orden wegen seines Verzichts auf Ordenskleidung und gemeinsames Chorgebet, wegen der Hinwendung zum Weltlichen, der starken Mobilität der Ordensmitglieder und der päpstlichen Befreiung von der Pflicht der Pfarrseelsorge ab.7 Die Protestanten verunglimpften den Orden vor allem aufgrund seiner Zielsetzung, den evangelischen Glauben zu vernichten. Der General der kaiserlichen Truppen Johann Tserclaes Graf von Tilly (1559–1632), der Magdeburg hatte stürmen lassen, wurde in den Flugblättern oftmals als Gefährte der Jesuiten dargestellt.8 Gustav Adolf hingegen verkörperte die Erfüllung der Prophezeiung, nach der ein Löwe aus Mitternacht (b II, 237) den Antichristen besiegen würde (b II, 268).9 Der Fall Magdeburgs bewirkte den Anschluss der protestantischen Fürsten an Schweden. So kam es im Juni 1631 zum Bündnis zwischen Brandenburg und Schweden, dem sich Sachsen im September des gleichen Jahres anschloss. Der Erfolg der Waffenbrüderschaft stellte sich kurze Zeit später in der Schlacht bei Breitenfeld (17. 9. 1631) ein. Vor allem die evangelische Bevölkerung sah in Gustav Adolf den Helfer der Deutschen, den Glaubenshelden und Friedensfürsten.10

Weitere Standorte: München, BSB: Einbl.V.8a/33; Stockholm, KB: G II A,A.136 (A 1); ehem. Magdeburg, StB (A 2); ehem. Ulm, StB (A 2)

Andere Fassungen: A1 A2

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PAAS V, P-1454. W. LAHNE: Magdeburgs Zerstörung in der zeitgenössischen Publizistik. Magdeburg 1931, 198 f., 257, Nr. 30 mit Abb. 31. WELLER: Annalen, I, 148, Nr. 748. P. LEONHARDT: ‚Tugendt vnd Laster-Kampff‘. Studien zur Bildpublizistik nach der Schlacht bei Breitenfeld (1631). Leipzig 1997, Abb. 128. NIEMETZ: Bildpublizistik, 131 mit Abb. 133. GRIMM: DWb, XIV, 1944–1946. PAAS VI, P-1849. SPAMER: Krankheit, 17 (1939), 150–153; 18 (1940), 54 f. GRIMM: DWb, XXXII, 929–932. Das Schlagwort ‚Lutheraner‘ wurde oftmals zur Verdeutlichung und Anprangerung des Verfolgtseins verwendet. B. WOLTER: Dt. Schlagwörter zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Frankfurt a. M. u. a. 2000, 196. Ebd., 272; die Assoziation mit den Schweinen wird in der Rede des Dorff Pfaff[en] ausgebaut, die vom rüssel und vom Fressen der Jesuiten spricht. Ebd., 261. COuPE II, Nr. 86. WANG: Miles Christianus, 183; H. ZSCHOCH: Größe u. Grenzen des ‚Löwen von Mitternacht‘. Das Bild Gustav Adolfs in der populären protestantischen Publizistik als Beispiel religiöser Situationswahrnehmung im Dreißigjährigen Krieg. In: Zs. f. Theologie u. Kirche 91 (1994), 25–50. BÖTTCHER: Propaganda, 339; ZSCHOCH: Größe. AR

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IX, 166

F 284

Ort Jahr Bild Text Format

Unter Verwendung des Spinn-Motivs zeigt das Blatt das erfolgreiche Vorgehen der Schweden gegen die Jesuiten. Der spinnende Jesuit wird von einem Offizier, im Text als Schwede (von Miternacht) kenntlich gemacht,1 überrascht. Dieser schüttet aus dem Rock des Sitzenden verschiedene Gegenstände, die den Reichtum (Geld, Landkarte, Haus, Pferd) und die Macht (Kronen, Szepter, Kirche, Verträge) der katholischen Kirche symbolisieren. Den Text sprechen nacheinander die Bildfiguren. Der Schwede freut sich über die Begegnung, von der er sich eine reiche Beute verspricht. Er wirft dem Geistlichen vor, unter seinem bösen ‚Spinnen‘ leide das ganze Land. Nun aber werde er ihm die äugen schiten, womit ironisch sowohl das eigenhändige Angreifen als auch die Wegnahme der durch das Spinnen erworbenen Güter und Privilegien gemeint ist.2 Den historischen Hintergrund für das Blatt bildet der erfolgreiche Feldzug der schwedischen Armee nach der Schlacht bei Breitenfeld am 17. September 1631. Bis Ende des Jahres wurden die katholischen Gebiete in Franken und Schwaben erobert, Würzburg, Frankfurt am Main und Mainz besetzt. Vor der eindringenden Armee flohen die in Frankfurt versammelten katholischen Fürsten, aber auch die Würzburger und Mainzer Jesuiten, deren zurückgelassenes Hab und Gut in die Hände der Sieger fiel. Der Sieg der Schweden und die Flucht der katholischen Gegner wurden unter Verwendung verschiedener ikonographischer und metaphorischer Mittel in der Flugblattliteratur des öfteren behandelt (b II, 237, 294, 299 f.; IV, 212). Das SpinnMotiv als Versinnbildlichung des Machterwerbs mit verwerflichen Methoden wurde auf den illustrierten Flugblättern der Zeit zuerst für die satirischen Darstellungen Ambrosio Spinolas (1569– 1630) benutzt.3 In seiner Tätigkeit des Spinnens, gemeint als politische und militärische Aktionen, wurde der spanische Feldherr von Jesuiten unterstützt. Damit wurde die Metapher in ihrer pejorativen Bedeutung erstmals auf die Patres als Mittäter übertragen (b IV, 109).4 In späteren antijesuitischen Einblattdrucken wird das Motiv immer wieder gern verwendet (b II, 157, 291). Im vorliegenden Blatt wurde es mit dem traditionellen Repertoire der Vergehen verknüpft, deren die antijesuitische Propaganda die Ordensmitglieder beschuldigte.5 Sie werden im Blatt durch die Gegenstände versinnbildlicht: Machtgier im geistlichen (Kirche, Kardinalshut) und weltlichen (Kronen, Szepter) Bereich, die sogar Königsmord als Mittel zuließ, sowie Habgier und Streben nach Besitz (Geld, Haus, Pferd, Landkarte). Dem Spinnen, verstanden als Erlangen unrechtmäßigen Gewinns, als Macht- und Gütererwerb mit hinterhäl318

LABORATORIVM. Der Meychel Gsponst.

(Augsburg?) (1632) Kupferstich graviert in 2 Spalten; 16 Knittelverse 17,3 ! 10,2

tigen Methoden, dank Heuchelei und Intrigen, wird nun durch den Einmarsch der Schweden ein Ende gemacht. Die Pejorativität der Metapher wird gleich im Titel mit der Formulierung Meychel Gsponst deutlich gemacht. Das Wort LABORATORIVM ersetzt das sonst in diesem Zusammenhang benutzte Wort ‚Spinnstube‘ für den Arbeitsraum der spinnenden Jesuiten.6 Es erweitert durch die Assoziation mit den Alchimisten die satirische Komponente des Blattes, indem es den Drang nach Reichtum und Macht, aber auch die Vergeblichkeit dieses Handelns andeutet.7 Als Vorlage für die Gestalt des Schweden diente der Kupferstich des augsburgischen Einblattdrucks von 1625 ‚Eigentliche Beschreibung der beschwerlichen seuche deß Wurms‘, gestochen von David Mannasser († 1664).8 Der Stich stellt einen Arzt im Gespräch mit seinem Patienten dar, der für das Blatt übernommen wurde. Die Lexik, der Vokalismus und Konsonantismus (die Entrundungen ‚eu‘ zu ‚ei‘ und die Verschiebungen ‚ue‘ zu ‚u‘) des Textes verweisen auf eine oberdeutsche, vermutlich schwäbische Herkunft des Blattes. Seine sprachlichen Merkmale und die graphische Vorlage erlauben, auf Augsburg als mutmaßlichen Druckort zu schließen.9

Weitere Standorte: Berlin, SBPK: 338 Z 38 R (A 1); Dresden, LB/UB: Hist. Germ. C 16,29 (A 1); London, BM: 1880.0710.867; Neuenstein, Schloss: Flugblätter, R 34b (A 1); Stockholm, Kungl. Bibl.: G II A,A.123 (A 1); Ulm, StB: Einbl. 870; ehemals München (A 2); ehem. Antiquariat Bessel, München (A 3); ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig (A 4)

Andere Fassungen: a) b)

London, BM: 1880.0710.866 [Die Meuchel gespunst.] Halle, KMM: F 285; Paris, BN: Hennin, 2444 [Es Wirdt ja nichts so rein gesponnen]

A1 A2

PAAS VI, P-1764. P. DREWS: Der evangelische Geistliche. Jena 1905, Abb. 62. M. BESSEL: Ein Band fliegender Blätter aus den Jahren 1631 u. 1632. In: Serapeum 15 (1863), 224–231, hier 230, Nr. 84. Drugulin II, 1997. SNOILSKY, 49 f., Nr. 36. COuPE II, Nr. 248. Ereigniskarikaturen. Gesch. in Spottbildern 1600–1930. Ausstellungskatalog Münster 1983, Nr. 27. NIEMETZ: Bildpublizistik, 121 f. Abb. 108.

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In den Fassungen a und b des Blattes wurde die Gestalt des Schweden durch eine andere ersetzt, in der eindeutig Gustav Adolf zu erkennen ist. Der Ausdruck ‚Agen schütteln‘ bezieht sich zum einen auf einen Brauch, nach dem die spinnenden Mädchen vor einem Vorbeigehenden die Agen, d. h. die beim Brechen des Hanfs oder Flachses abfallenden holzigen Bruchstücke, ausschütteten und ihn mit einem Spruch dazu zu bringen versuchten, ihnen ein Geschenk zu geben. Zum anderen bezeichnet er einen Annäherungsversuch, bei dem die Jungen vorgaben, aus den Kleidern der spinnenden Mädchen die Agen schütteln zu wollen (Schwäbisches Wörterbuch. Bearb. von H. FISCHER. Tübingen 1904⫺1920, I, 115f). Zum ‚Agen-Schütteln‘ als einer schwäbischen Sitte vgl. auch C. WENDELER: Zu Fischarts Bildergedichten. In: Archiv f. Litteraturgesch. 7 (1878), 305–378, hier 341. Grundlage für diese Zuordnung bildete die phonetische Nähe von Spinola und Spinne. Vgl. COuPE I, 156 f. Möglich war auch eine positive Auslegung der SpinnMetapher, b IX, 123, 147. Pilatus (V. NAuMANN): Der Jesuitismus. Eine kritische Würdigung der Grundsätze, Verfassung u. geistigen Entwicklung der Gesellschaft Jesu, mit besonderer Beziehung auf die wissenschaftlichen Kämpfe u. auf die Darstellung von antijesuitischer Seite. Regensburg 1905; KREBS: Publizistik. Zur Deutung des Begriffs vgl. COuPE I, 157. Zur spöttischen Gleichsetzung Roms mit einem alchimistischen Laboratorium b II, 382. H. PETERS: Der Arzt u. die Heilkunst in alten Zeiten. 5 Düsseldorf/ Köln 1976, Abb. 108. PAAS (VI, 399) gibt als möglichen Stecher Hans Jörg Mannasser an. EP

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IX, 167

F 295

Ort Jahr Bild Text Format

In einem Gespräch zwischen dem Papst und den Jesuiten, die über ihre Vertreibung durch die Schweden klagen, wird ein Lasterkatalog der Patres ausgebreitet. In einem nach drei Seiten offenen Raum sitzt in der Mitte auf einem erhöhten und durch drapierte Vorhänge hervorgehobenen Thron der Papst. Er zeigt mit dem Finger auf das draußen lodernde Fegefeuer, in dem einige Jesuiten schmoren. Zu seiner Rechten stehen zwei Kardinäle, im Hintergrund rechts zwei bewaffnete Schweizer Gardisten. Drei Jesuiten vorne sprechen gestikulierend zum Papst, von rechts stößt ein vierter zu ihnen. Im Vordergrund links steht der Gruppe zugewandt ein Hund. In einem Dialog mit dem Papst schildern die Jesuiten ihr schweres Schicksal seit dem Vordringen der Schweden in Deutschland. Sie würden überall verjagt, und da das Papsttum von ihrer Existenz abhänge, bitten sie den Papst, ihnen einen Ort zu nennen, an dem sie Unterschlupf finden könnten. Der Papst gibt den Ordensbrüdern allein die Schuld an ihrer Lage, in die sie durch ihre ⫺ hier penibel aufgelisteten ⫺ Vergehen geraten seien. Er könne sie nicht in Rom aufnehmen, weil sie damit auch ihn in Gefahr brächten. Die einzige Lösung sei, dass sie für ihre Taten büßten, wodurch sie wieder in Gnade kämen. Die erste vorgeschlagene Buße, eine Wallfahrt zu S. Raspin,1 wird von den Jesuiten abgelehnt, da sie dazu nicht stark genug seien. Daraufhin weist sie der Papst ins Fegefeuer. Das Blatt gehört zu einer umfangreichen Gruppe antijesuitischer Flugblätter,2 die in den Jahren 1619 und 1631/32 entstanden sind, als die Folgen des böhmischen Aufstands (b II, 140 f., 157)3 und später der siegreiche Feldzug der Schweden über Franken nach Bayern4 die Position des Ordens im Kaiserreich schwächten und seine Mitglieder zum Verlassen ihrer Provinzen zwangen.5 Wie die Autoren der verwandten Blätter greift der Blattverfasser zum üblichen Repertoire der Vorwürfe gegen die Gesellschaft Jesu: Erwerb von Reichtum (Habsucht), Erstreben einer katholischen Universalmonarchie (b II, 297),6 politischer Ehrgeiz und Einmischung in politische Angelegenheiten der weltlichen Herrscher,7 Anspornen zur Tyrannei, Vertreibung der Protestanten, Friedensstörung, Treulosigkeit, Kriegstreiberei (b II, 158), Verrat, lasterhaftes Leben, Vertreibung der Menschen aus der Kirche. Anders als in den meisten Blättern, in denen die Jesuiten mit der römischen Kirche gleichgesetzt werden, wird hier der Papst zum Ankläger der Ordensbrüder stilisiert, der sich von ihren Verbrechen distanziert. Zum einen erscheint er als Vertreter Gottes auf der Erde, der ihnen die gerechte Strafe für ihre Sünden auferlegt, wie es das Dog320

Der Jesuiten grosse Klag/ wegen jhrer verlohrnen Häuser

1632 Kupferstich Typendruck in 3 Spalten; 150 Knittelverse 38,5 ! 24,6; 11,9 ! 24,0

ma von Schuld und Sühne vorsah. Zum anderen aber verbirgt sich hinter seiner Haltung Angst vor dem Einmarsch und der Rache der Schweden und der Versuch, die eigene Haut zu retten. Damit wird das scheinbar positive Bild der Römischen Kirche aufgehoben. Die Kritik und Satire wird im Blatt hauptsächlich mit verbalen Mitteln ausgedrückt; das Bild stellt lediglich die im Text geschilderte Situation des Treffens dar. Allerdings wird der Hund nicht im Text erwähnt. Da er zudem auffällig in den Vordergrund gestellt ist, kann man erwägen, ob ihm über eine Funktion als schmückendes Beiwerk auch ein Zeichenwert beizumessen ist. Auf vergleichbaren Flugblättern erscheint der Hund als Reittier der Jesuiten, um Geiz, Neid (b IV, 206) oder Gier (in Bezug auf Tilly und Mansfeld: b II, 196, 240) zu versinnbildlichen,8 oder er begleitet als ein teuflischer Helfer die Ordensbrüder auf ihrer Flucht aus Böhmen.9 Im antijesuitischen Flugblatt ‚Der Jesuitter […] Trew vnd Redligkeit‘ aus dem Jahre 1632 (b II, 295), das eine Zusammenstellung aller möglichen Verbrechen des Ordens enthält, bekam der abgebildete Jesuit im Klappbild den Kopf des Hundes, und die darauf bezogene Formulierung im Text, der Orden sei gantz hündisch vnd mördrisch worden, fasst die ausgebreiteten Vorwürfe zusammen.

Weitere Standorte: Nürnberg, GNM: 539/1337

Andere Fassungen: A1 A2

PAAS VI, P-1792. NIEMETZ: Bildpublizistik, 138, Abb. 146.

1

‚Raspinus‘ war die ironische Bezeichnung für das Zuchthaus in Amsterdam und der davon scherzhaft abgeleitete hl. Raspin wurde zur Personifikation schwerer Arbeit. Die Wendung ‚zum hl. Raspin pilgern‘, die ironisch die Wallfahrt und die Strafe verband, wurde gern im Zusammenhang mit der Jesuitenflucht verwendet; b II, 294; COuPE I, 187. PILATuS (d. i. V. NAuMANN): Der Jesuitismus. Eine kritische Würdigung der Grundsätze, Verfassung u. geistigen Entwicklung der Gesellschaft Jesu, mit besonderer Beziehung auf die wissenschaftlichen Kämpfe u. auf die Darstellung von antijesuitischer Seite. Regensburg 1905, Anhang, 351–476: Die antijesuitische Literatur von der Gründung des Ordens bis auf unsere Zeit; KREBS: Publizistik. BOHATCOVÁ, Abb. 6–9. Zum böhmischen Aufstand vgl. GINDELY: Geschichte, Abt. 1; H. STuRMBERGER: Aufstand in Böhmen. Der Beginn des Dreißigjährigen Krieges. München/ Wien 1977; C. VAN EICKELS: Schlesien im böhmischen Ständestaat. Köln u. a. 1994. F. VON SODEN: Gustav Adolph u. sein Heer in Süddeutschland von 1631–1635, I. Erlangen 1865; M. JuNKELMANN: Gustav Adolf (1594–1632). Schwedens Aufstieg zur Großmacht. Regensburg 1993, 366–374, 395 f.; J. STILLIG: Jesuiten, Ketzer u. Konvertiten in Niedersachsen. Untersuchungen zum Religions- u. Bildungswesen im Hochstift Hildesheim in der Frühen Neuzeit. Hildesheim 1993, 213. A. KROESS: Gesch. der böhmischen Provinz der Gesellschaft Jesu. Wien 1910, 908–970. Zur Ausbreitung der Jesuiten vgl. J. HuBER: Die kirchlich-politische Wirksamkeit des Jesuiten-Ordens. Berlin 1873, 129–214; H. BOEHMER: Die Jesuiten. Stuttgart 1957, 77–190. Vgl. z. B. die Flugschrift: Der Geistlichen Rath zu weltlichen Sachen: Das ist/ Der Jesuiten CONSILIVM vnd Vorschlag/ welcher gestalt das gantze Teutschland wider zur Römischen Kirchen zubringen. O.O. 1623. KREBS: Publizistik, 228–230. Zum Begriff allgemein s. F. BOSBACH: Monarchia universalis. Ein politischer Leitbegriff der frühen Neuzeit. Göttingen 1988. Zur Tätigkeit der Jesuiten als Berater und Beichtväter vgl. B. DuHR: Die Jesuiten an den dt. Fürstenhöfen des 16. Jhs. Freiburg i. Br. 1901; P. VON HOENSBROECH: Der Jesuitenorden. I, Bern/ Leipzig 1926, 417–441; R. BIRELEY: Hofbeichtväter u. Politik im 17. Jh. In: M. SIEVERNICH/ G. SWITEK (Hgg.): Ignatianisch. Eigenart u. Methode der Gesellschaft Jesu. Freiburg i. Br. u. a. 1990, 386–403. Zum Hund als Sinnbild der Habgier und des Neids vgl. HENKEL/ SCHÖNE: Emblemata, 567 f., 571; Filippo Picinelli: Mundus Symbolicus. Hg. von D. DONAT. Hildesheim/ New York 1979 (Nachdr. der Ausg. Köln 1687), V, 10,129 und 151. Zum Hund in der allgemeinen Bedeutung der Sünde s. LCI II, 334 f. Die möglichen positiven Bedeutungen des Hundes wie Treue oder Wachsamkeit (vgl. HENKEL/ SCHÖNE, Emblemata, 556–560) kommen im Kontext des vorliegenden Blattes nicht in Betracht. Der vertriebenen Jesuiter auß den Königreichen Böheimb […] vorgenommene Wallfahrt zu den Heiligen Raspino vnd Pono/ nach Amsterdam ins Zuchthauß. O.O. 1619; abgeb. bei COuPE II, 113; vgl. auch COuPE I, 186 f. EP

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Confesion von Gottes Gnaden. Widerumb floriert

Ort Jahr Bild Text Format

1632 Kupferstich graviert; 18 Knittelverse 22,0 ! 11,8

Das Blatt klagt über die Gefährdung der Augsburger Konfession im Jahre 1629 und preist Gustav II. Adolf von Schweden als deren Erretter. In der Mitte der Graphik steht auf der Bibel ein prächtiger Leuchter, in den die Worte Augspurgisc[h] Confession eingraviert sind. Die Flamme der brennenden Kerze bildet das Wort Gottes (Verbum Dei), was mit einer Lichtaureole versinnbildlicht ist.1 Ein schmuckes Postament mit der Inschrift FVNDAMENTVM, auf dem die Bibel ruht, weist sie als Grundlage des Glaubens aus. Mehrere katholische Geistliche, in Mönchskutten und einer Mitra, ⫺ rechts im Bild ⫺ versuchen mit Hilfe verschiedener Waffen und Werkzeuge die Flamme zum Erlöschen zu bringen. Die Waffen, die sie dazu benutzen, stehen symbolisch für Verfolgung (Persecutio), Untergang der Kirche (Ruina Eclesiae), Aberglaube (Superstit.), Irrtum (Error) und Hochmut (Praesumptio). Der Verteidiger der Kerze ⫺ links im Bild ⫺, barhäuptig und im Harnisch,2 ist als Gustav Adolf identifizierbar. Er hält mit der Linken die Kerze fest, während die ausgestreckte Rechte nach einem Schwert greift, das ihm aus den Wolken gereicht wird. Im Text wird über die Bedrohung der Confesion durch einen Feind im Jahre 1629 berichtet. Die Gebete der bedrängten Gläubigen seien erhört worden, und im Jahre 1632 sei zum Schutz des Glaubens ein Held von miter nacht erschienen. Die beiden im Text angegebenen Daten markieren zwei für die Protestanten wichtige Ereignisse im Zusammenhang mit der Gegenreformation im Reich. Hinter dem ‚feindlichen Angriff auf die Konfession‘ verbirgt sich das von Ferdinand II. (1578–1637, Kaiser seit 1619) im März 1629 erlassene Restitutionsedikt, dessen Durchführung eine gewaltsame Rekatholisierung der Bevölkerung bedeutete (b IV, 196).3 Ein Exempel für das ganze Reich sollte an Augsburg statuiert werden: Die Ausübung der protestantischen Religion wurde verboten, das 1552 säkularisierte Kirchengut unter katholische Herrschaft zurückgeführt, lutherische Kirchen wurden geschlossen oder abgerissen, Geistliche entlassen und Gläubige ins Exil getrieben.4 Die Wende erfolgte, als Gustav Adolf im April 1632 in Augsburg einzog, was zur Folge hatte, dass die kaiserliche Besatzung die Stadt verlassen musste und die Protestanten ihre Kirchen und ihren Sitz im Stadtrat wiedererhielten. Dieses Ereignis lieferte wohl den unmittelbaren Anlass zur Entstehung des Blattes. Da die Reichsstadt für die Protestanten symbolisch für den evangelischen Glauben stand, hat sowohl ihr Niedergang 1629 als auch ihre Erlösung aus der Römischen Babylonischen Gefängnuss drei Jahre später5 überregional ein Echo in den protestantischen Medien gefunden.6 Aus politisch erklärbaren Gründen wurde der Unmut über das Vorgehen des Kaisers erst nach der Schlacht bei Breitenfeld artikuliert; auch brachte das spätere Ereignis heftigere Reaktionen 322

hervor, in denen vor allem antikatholische Elemente deutlicher zum Ausdruck kamen und die Danksagung an Gott mit der Panegyrik auf den ‚Befreier‘ Gustav Adolf verknüpft wurde (b II, 265–268, 272; IV, 197).7 Für seine Darstellung hat sich der Blattverfasser einer für das Thema gängigen Metaphorik bedient. Ein Leuchter mit brennender Kerze als Symbol für das Wort Gottes und den wahren Glauben ist schon aus der frühen reformatorischen Ikonographie bekannt8 und für spätere illustrierte Flugblätter oft übernommen worden; seine Platzierung auf der Bibel, die wiederum auf einem als Bundeslade ausgelegten Postament ruht, verweist symbolisch auf die Legitimierung des Bekenntnisses mit der Heiligen Schrift (b II, 123, 214, 272; IV, 199).9 Auch in der Darstellung Gustav Adolfs, des ‚Helden von Mitternacht‘,10 werden bekannte Bildelemente verwendet, wodurch die metaphorische Ebene der Darstellung auch ohne textlichen Kommentar lesbar wird. Von Anfang an erscheint der schwedische König auf den Flugblättern oft mit einem Harnisch gekleidet als der geistliche Ritter in seiner Funktion des Retters der Confessio und Garanten der Sicherheit des evangelischen Glaubens (b II, 220, 260– 262 u. a.; IV, 198, 200, 203; IX, 169).11 So bringen die einzelnen Elemente der Graphik, die des öfteren auf verschiedenen Flugblättern in jener Zeit auftauchen und bisweilen wie Versatzstücke wirken, mit ihrer Wiedererkennungsfunktion eine positive Botschaft an den protestantischen Leser, indem sie ihm die Richtigkeit seiner Religion bestätigen und die Abwehr ihrer Gefährdung suggerieren. Sie wurden aber auch auf dem antiprotestantischen, nach Gustav Adolfs Tod entstandenen Flugblatt ‚Widerleg vnd Vndergan, der von den Lutterischen aufgerichte Ehrensawel der Augspurgischen Confession‘ benutzt. Es versammelt die vorgegebenen Bildelemente, doch liegt der König am Boden, und seine Attribute Leuchter, Kerze, Schwert und Buch sind zerstört.12 Das Blatt gab in seinem bildlichen Teil die Vorlage ab für die Graphik des Flugblatts ‚Geistlicher Eckstein und ewigwährendes Licht der reinen Evangelischen Lehr vnd Augspurgischen vngeenderten Confession‘ aus demselben Jahr (b II, 272; IV, 199).

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Weitere Standorte: Coburg, Veste: XIII,441,26; Neuenstein, Schloss: Flugblätter, R 28b (A 1); Ulm, StB: Einblatt 34; Uppsala, UB: Planer III,41 (A 1), Washington, Library of Congress: German political Cartoons (A 1)

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Andere Fassungen: A1 A2

PAAS VI, P-1756. Flugblätter Coburg, Nr. 85.

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U. D. HÄNISCH: ‚Confessio Augustana triumphans‘. Funktionen der Publizistik zum Confessio AugustanaJubiläum 1630 (Zeitung, Flugblatt, Flugschrift). Frankfurt a. M. u. a. 1993, 217–219. NIEMETZ: Bildpublizistik, 124, Abb. 114. Zur Lichtsymbolik vgl. R. SCEBERG: Artikel ‚Erleuchtung‘. In: Realenzyklopädie für protestantische Theologie und Kirche, hg. von A. HAuCK, V. Leipzig 1898, 457– 459; O. BÖCHER: Artikel ‚Licht und Feuer‘. In: TRE XXI, 83–119, bes. 111 f. u. 117. P. DINZELBACHER: Miles Symbolicus. Mittelalterliche Beispiele geharnischter Personifikationen. In: G. BLASCHITZ u. a. (Hgg.): Symbole des Alltags ⫺ Alltag der Symbole. FS H. Kühnel. Graz 1992, 49–85. H. URBAN: Das Restitutionsedikt. Versuch einer Interpretation. München 1968; R. BIRELEY: Maximilian von Bayern, Adam Contzen S.J. u. die Gegenreformation in Deutschland 1624–1635. Göttingen 1975, 90–107; M. HECKEL: Deutschland im konfessionellen Zeitalter. Göttingen 1983, 145–150. D. BLAuFuSS: Das Verhältnis der Konfessionen in Augsburg 1555–1648. Versuch eines Überblicks. In: Jb. des Vereins f. Augsburger Bistumsgesch. 10 (1976), 27–56, hier 34–41; H. JESSE: Augsburg 1630. Die Leidenszeit des Protestantismus. In: DERS. (Hg.): Das Augsburger Bekenntnis in drei Jahrhunderten 1530–1630–1730. Weißenhorn 1980, 51–71; DERS.: Die Gesch. der Evangelischen Kirche in Augsburg. Pfaffenhofen 1983, 208–220; B. ROECK: Als wollt die Stadt schier brechen. Eine Stadt im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges. München 1991, 227–239. Johann Conrad Goebel: Avgvsta Rediviva. Das von Todten aufferweckte Avgspvrg. Das ist zwo Christliche Danck-Predigten. Augsburg 1632. Vgl. etwa ‚Relation Vber deß Heil. Reichs Stadt Augspurg jetzigem erbärmlichem Zustand/ Jn Jahren 1628. vnd 1629. vorgangen‘. O.O. 1630; WELLER: Annalen I, 157, Nr. 800–803; 159, Nr. 813; 160, Nr. 821 f.; 166, Nr. 861; C. SNOILSKY: Svenska historiska planscher. Stockholm 1893–1896, 55–58; WELLER: Lieder, XXXIX; b II, 263–268. Als Beispiel für Panegyrik in Gedichtform s. Eberhard Pfitz: ACROSTICHIS DE AVGVSTA VINDELICORuM AB […] AuGuSTANAE CONFESSIONIS Assertore & Vindice, GuSTAVO-ADOLPHO […] vindicatâ: Die X. Aprilis, Anno M.DC.XXXII. O.O.u.J. SCRIBNER: Sake, 46 f. A. MARSCH: Bilder zur Augsburger Konfession u. ihren Jubiläen. Weißenhorn 1980, Abb. 47 f., 51, 54. Das prägnanteste Beispiel des später häufig nachgeahmten Motivs schuf Jakob von der Heyden mit dem Blatt ‚Eigentliche abbildung des Leuchters wahrer Religion, wie dieselbe in der Augspurgischen Confession kürtzlich begriffen‘ zum Jubiläum 1630, in dem ein siebenarmiger Leuchter als Sinnbild der Lehre und der Gesetze der Confessio Augustana in den Mittelpunkt gestellt wurde (MARSCH: Bilder, Abb. 51); b II, 212 f. Zum Bild Gustav Adolfs im allgemeinen vgl. CH. BACHMANN: ‚Wahre vnd eygentliche Bildnus‘. Situationsbezogene Stilisierungen historischer Personen auf illustrierten Flugblättern zwischen dem Ende des 15. u. der Mitte des 17. Jhs. Frankfurt a. M. u. a. 2001, 174–187. WANG: Miles Christianus, 179–194; A. SPIEGEL: Die Gustav-Adolf-Zeitlieder. Diss. Augsburg 1977; HARMS: Gustav Adolf; TSCHOPP: Deutungsmuster; H. ZSCHOCH: Größe u. Grenzen des ‚Löwen von Mitternacht‘. Das Bild Gustav Adolfs in der populären protestantischen Publizistik als Beispiel religiöser Situationswahrnehmung im Dreißigjährigen Krieg. In: Zs. f. Theologie u. Kirche 91 (1994), 25–50. PAAS VII, P-1935. EP

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IX, 169

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Ort Jahr Bild Text Verleger Format

Das Blatt stilisiert den schwedischen König Gustav II. Adolf als zweiten Gideon, der mit Gottes Hilfe in Deutschland für den Protestantismus und die Freiheit kämpfe. Unter einer von zwei Säulen gestützten Arkade präsentiert sich Gustav Adolf dem Betrachter. Die Gestalt steht im Prunkharnisch ohne Helm auf einer gefelderten Fläche, hält in der Rechten ihr Schwert (PRO RELIGIONE) und stützt mit der Linken die auf einem Altartisch liegende aufgeschlagene Bibel, so dass die Inschrift Verbum Domini manet in aeternum lesbar ist. Neben dem königlichen Haupt schwebt rechts das von zwei Lorbeerzweigen gerahmte schwedische tre-kronor-Wappen, während links ein geflügelter Putto einen Palmwedel und einen Lorbeerkranz heranträgt. Die beiden rahmenden Säulen sind mit den Devisen des Königs beschrieben: INVIA VIRTuTI NuLLA est VIA (‚Für die Tugend ist kein Weg ungangbar‘) und CVM DEO ET VICTRICIBVS ARMIS (‚Mit Gott und siegbringenden Waffen‘). Die lateinischen Verse stellen zunächst namensetymologische Beziehungen zwischen Gustav Adolf, Gott und dem alttestamentlichen Helden Gideon her, um auf dieser Basis das Kriegsglück des Schweden als gottgewollt zu behaupten: Der Schwede ist in umgekehrter Buchstabenfolge Gott, auch ist er ein zweiter Gideon. Wie sie im Namen übereinkommen, so auch in ihrem Schicksal. Fragst du, wem endlich der Sieg im Krieg zufalle, halte dir nur die Sieger Gideon und Gott vor Augen.

Der deutsche Text ist dem Schwedenkönig in den Mund gelegt. Er bekundet, mit seinem Schwert die Wahre Christliche Religion und der Teutschen Freyheit verteidigen zu wollen. Das Blatt ist Teil der propagandistischen Überhöhung, mit der das Eingreifen der Schweden unter Gustav Adolf in den Dreißigjährigen Krieg von protestantischer Seite begleitet wurde.2 Es bedient sich des Bildtyps des ganzfigurigen Herrscherporträts, auf dem der Schwedenkönig durch Harnisch und erhobenes Schwert heroisiert wird. Der mit den Ruhmeszeichen Palmwedel und Lorbeerkranz herbeischwebende Engel stattet diese Heroisierung mit göttlicher Aura aus. Es ist zu erwägen, ob diese Bildelemente auch als Zeichen ewigen Lebens zu deuten sind (b IX, 173), was u. a. durch das ‚Klaglied Vber den […] Todt […] GVSTAVI ADOLPHI‘ (b IV, 228) von Ende 1632 gestützt wird, wo dem aufgebahrten Schwedenkönig von einem Engel Lorbeerkranz und Friedenspalme gebracht werden. Dann könnte auch das vorliegende Blatt bereits dem Gedächtnis Gustav Adolfs nach seinem Tod in der Schlacht bei Lützen (16. 11. 1632) dienen. Dann würde auch das Ovid-Zitat 324

SVED DEVS inversus; sic est [Inc.]

(Augsburg?) (1632) Kupferstich (von Wilhelm Peter Zimmermann?, um 1568⫺um 1630)1 graviert in 2 Spalten; 2 lateinische Distichen, 4 Knittelverse (Wilhelm Peter Zimmermann?) 14,1 ! 12,7

(Metamorphosen XIV, 113) auf der linken Säule Gustav Adolf nicht nur allgemein in die Nachfolge des Aeneas stellen und unbeugsame Tugendhaftigkeit und Tapferkeit attestieren, sondern den Kontext der Fahrt in die Unterwelt mitdenken lassen. Die rechte Säule präsentiert die persönliche Devise des Königs. Die beiden übrigen Bildinschriften heben als Ziel des schwedischen Feldzugs durch Deutschland den Kampf für Religion und Bibel, aber auch die Verbundenheit mit dem sächsischen Fürstenhaus hervor, dessen Devise in der aufgeschlagenen Bibel zu lesen ist.3 Dem entsprechen die deutschen Verse, wenn sie zum einen den Schutz der Wahren Christlichen Religion (gemeint ist das Luthertum) und zum anderen die ständische Libertät (gegenüber Rom und dem Kaiser) als Ziele Gustav Adolfs benennen. Die lateinischen Distichen bezeichnen den König als GEDEON alter, wodurch der alttestamentliche Gottesstreiter weniger als Exempel denn im Sinne der Typologie als Präfiguration erscheint, die durch Gustav Adolf zur Erfüllung gelange.4 Der Bezug auf biblische, mythologische oder antike Vorbilder war in der Panegyrik auf den Schwedenkönig weit verbreitet.5 Auch die Aufdeckung verborgener Sinnschichten durch namensetymologische Verfahren der Frühen Neuzeit gehörte zum Standardrepertoire der Verfasser von Lobgedichten (b II, 220, 268, 271)6 und war auch in der Bildpublizistik beliebt.7 Das Palindrom des Titels (SVED DEVS), dem eine Gottähnlichkeit Gustav Adolfs abgelesen wird, lässt sich wiederholt in der proschwedischen Propaganda nachweisen7a. Die mutmaßliche Vorlage des Blattes stammt von dem Nürnberger Stecher Georg Walch (tätig 1632⫺1654). Seine Graphik erschien auf dem Flugblatt ‚Deß Durchleutigsten [!] Großmächtigsten […] GuSTAVI ADOLPHI […] Contrafactur vnd Bildnuß‘,8 das anlässlich der Einnahme Augsburgs (11. April 1632) publiziert worden war. Der Stich zeigt den Schweden in gleicher Positur unter freiem Himmel. Im Hintergrund ist ein Prospekt Augsburgs wiedergegeben; der Engel fehlt. Die Inschrift Pro Religione findet sich hier in der vom König gehaltenen Bibel, während das Schwert die Beischrift Pro Libertate trägt. Die Texte unter dem Bild sind nahezu identisch.9 Die krude Behandlung des Kupferstichs legt eine Zuweisung an den Augsburger Verleger Wilhelm Peter Zimmermann nahe (b I, 187; II, 146).10

Weitere Standorte:

Andere Fassungen: A1

PAAS V, P-1390.

1 2

KÜNAST: Dokumentation, 1234. BÖTTCHER: Propaganda; WANG: Miles Christianus, 179⫺225; HARMS: Gustav Adolf; TSCHOPP: Deutungsmuster; J. R. PAAS: The Changing Image of Gustavus Adolphus on German Broadsheets, 1630⫺3. In: Journal of the Warburg and Courtauld Institute 59 (1996), 205⫺ 244. F. J. STOPP: Verbum Domini manet in aeternum. The Dissemination of a Reformation Slogan 1522⫺1904. In: S. S. PRAWER (Hg.): Essays in German Language, Culture and Society. London 1969, 132⫺143. M. SCHILLING: Allegorie u. Satire auf illustrierten Flugblättern des Barock [zuerst 1979]. In: HARMS/ SCHILLING: Flugblatt der frühen Neuzeit, 319⫺335, hier 328 f.; HARMS: Gustav Adolf, 300⫺302; S. S. TSCHOPP: Argumentation mit Typologie in der protestantischen Publizistik des Dreißigjährigen Krieges. In: W. HARMS/ J.-M. VALENTIN (Hgg.): Mittelalterliche Denk- u. Schreibmodelle in der deutschen Literatur der Frühen Neuzeit. Amsterdam/ Atlanta 1993, 161⫺173. HARMS: Gustav Adolf. Vgl. allgemein W. HARMS: Funktionen etymologischer Verfahrensweisen mittelalterlicher Tradition in der Literatur der frühen Neuzeit. In: HARMS/ VALENTIN: Denku. Schreibmodelle, 1⫺17. SCHILLING: Allegorie u. Satire, 329 f. TSCHOPP: Deutungsmuster, 390; b IV, 200. O.O. (Nürnberg?) 1632; vgl. COuPE II, Nr. 124 mit Abb. 41; PAAS VI, P-1734. Die deutschen Verse erscheinen leicht abgewandelt auch auf dem Blatt ‚Bildnüs Des […] Gustavi Adolphens‘ (o.O. 1632); vgl. PAAS VI, P-1729. Da das Blatt erst 1632 erschienen ist, wäre die in der Forschung genannte vage Angabe von Zimmermanns Todesjahr („um 1630“) dann um zwei Jahre zu verschieben. MSch

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IX, 170

F 97

Aquila non captat muscas: nec subula

Ort Jahr Bild Text Format

(Straßburg) (1632) Radierung (von Jakob von der Heyden, 1573–1645)1 graviert; 4 Alexandriner 14,5 ! 9,8

Die militärische Auseinandersetzung zwischen dem Kaiser und Schweden wird im allegorischen Bild kämpfender Tiere dargestellt. Das Bild wird durch die kämpfenden Gestalten eines Löwen und eines Adlers dominiert, wobei sich der Adler in der Defensive zu befinden scheint. Die Kronen auf den Köpfen der Tiere lassen sie als Verkörperung zweier kriegsführender Großmächte identifizieren. Die kämpfenden Truppen im Hintergrund werden durch die mitgeführten Fahnen als Streitkräfte der beiden Parteien ⫺ des Reichs und Schwedens ⫺ ausgewiesen, während die gebirgige Landschaft mit einer Festung auf einer Erhöhung rechts keine spezifischen Erkennungsmerkmale trägt. Der aus zwei Sprichwörtern bestehende Titel („Der Adler fängt keine Fliegen“ und „Mit einer Schusterahle wehrt man einen Löwen nicht ab“)2 wird im Text unter der Graphik ausgelegt: Die beiden Gegner von adelich[em] gemüht werden als an kräfften gleich dargestellt, denn nur ein solcher Kampf bringe dem Sieger Ehre. Kampfszenen zwischen Adler und Löwe waren ein häufiges Motiv auf Flugblättern zuerst der böhmischen Phase des Dreißigjährigen Krieges, als sie fast immer die Auseinandersetzung zwischen dem Kaiser und Friedrich V. von der Pfalz (1596–1632, König 1619–1620) bildlich umsetzten (b II, 171, 178; IV, 125; IX, 195);3 nur gelegentlich wurden andere Parteien durch einen Löwen symbolisiert (b II, 152, 170).4 Seit dem Eingreifen der Schweden in den Krieg 1630 wurde der Löwe vermehrt als Symbol für Gustav Adolf verwendet (b II, 217 f., 237; IX, 164).5 Während sich die Figur des Adlers von dem kaiserlichen Wappen herleitet,6 geht die Bezeichnung des schwedischen Königs als Löwe grundsätzlich auf die Prophezeiung vom Löwen aus Mitternacht und seinem Sieg über den Adler in einer pseudoepigraphischen Schrift des Paracelsus (1493–1541) vom Anfang des 17. Jahrhunderts und ihre zahlreichen späteren Abwandlungen zurück,7 die allerdings auch auf den Konflikt zwischen Böhmen und dem Kaiser bezogen wurde.8 Das Fehlen jeglicher Hinweise zur Entschlüsselung des Bildes verweist auf die Kenntnis dieser weit verbreiteten Prophezeiung bei dem zeitgenössischen Leser, der die Symbolfiguren in ihrem wirklichkeitsbezogenen Kontext sofort identifizieren konnte. Das kleinformatige Blatt wurde auf einem Bogen mit dem auf 1632 datierten Flugblatt ‚Der Zittarist‘ gedruckt, einer Satire auf den kaiserlichen Feldherrn Tilly, die vermutlich nach seiner Niederlage in der Schlacht bei Rain am 15. April 1632 entstand.9 Damit ist auch die latent proschwedische Ausrichtung des Blattes bekräftigt, die durch die Person des Kupferstechers und Verlegers sowie den Entstehungsort wahrscheinlich ist. Das 326

Blatt selbst weckt den Anschein der Neutralität, indem es die Gegner als ebenbürtig darstellt, und scheint nur den aktuellen Zustand der militärischen Auseinandersetzung festzuhalten, der den Schwedenkönig in der Offensive zeigt. Die Parteinahme für Gustav Adolf deutet sich lediglich darin an, dass der Adler bereits einige Federn lassen musste.10

Weitere Standorte: München, BSB: Einbl. V,8a,44

Andere Fassungen: a)

Halle, KMM: F 91 [ohne Titel, Unterschiede in der Graphik]

A1

PAAS VI, P-1701.

1

PAAS VI, P-1701. Zu Jakob von der Heyden s. THIEME/ BECKER XVII, 17; BENZING: Verleger, 1168 f. Vgl. H. WALTHER: Lateinische Sprichwörter u. Sentenzen des Mittelalters u. der Frühen Neuzeit. Hg. von P. G. SCHMIDT. Göttingen 1982, Teil 7, 192 und Teil 9, 682; RÖHRICH: Redensarten, I, 68; (nach: L. Annaeus Seneca: Epistulae morales ad Lucilium, Liber X. Briefe an Lucilius über Ethik, 10. Buch. Hg. von R. RAuTHE. Stuttgart 1995, Brief 82, V 24.). BOHATCOVÁ 6, 57, 117, 119; H. REINITZER: Aktualisierte Tradition. Über Schwierigkeiten beim Lesen von Bildern. In: K. GRuBMÜLLER u. a. (Hgg.): Geistliche Denkformen in der Literatur des Mittelalters. München 1984, 354–400; C. GILLY: Der ‚Löwe von Mitternacht‘, der ‚Adler‘ und der ‚Endchrist‘. Die politische, religiöse u. chiliastische Publizistik in den Flugschriften, illustrierten Flugblättern und Volksliedern des Dreißigjährigen Krieges. In: Rosenkreuz als europäisches Phänomen im 17. Jh. Amsterdam 2002, 234–268. Vgl. REINITZER: Aktualisierte Tradition, 364–367, 380 f. (b II, 152). Beispiele aus der Publizistik ebd., 369 f., Anm. 44. Zu Funktionen des Reichsadlers in der Ikonographie vgl. J. J. BERNS: Aquila Biceps. Die mnemotechnische Belastbarkeit des Reichsadlers und das Problem der Schemaüberblendung. In: J. J. BERNS/ W. NEuBER (Hgg.): Seelenmaschinen. Gattungstraditionen, Funktionen u. Leistungsgrenzen der Mnemotechniken vom späten Mittelalter bis zum Beginn der Moderne. Wien u. a. 2000, 407–461. GILLY: ‚Löwe von Mitternacht‘, 252 u.ö. Ebd. Sign. F 955. Vgl. den Kommentar von M. SCHILLING in b II, 289. Die Redensart ‚Federn lassen‘, die hier ins Bild gesetzt wird, findet sich schon bei Hans Sachs; vgl. GRIMM: DWb, III, 1393. EP

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IX, 171

F 98

Ort Jahr Bild Text Format

Mittels der Hornsymbolik werden die schwedischen Siege in Württemberg und im Elsass im Spätsommer und Herbst 1632 als Sieg der Evangelischen über den katholischen Klerus dargestellt. Die von Wolken umgebene Hand Gottes hält an einer Kordel ein überdimensionales Horn. Hinter dem Horn marschiert eine Soldatentruppe hervor und jagt Geistliche vor sich her, die in das Horn fallen. Über ihnen fliegt ein Schwarm Vögel mit Jesuitenhüten auf den Köpfen aus dem Bild. Die Aktion wird von einem Hornbläser vorne links geleitet. Ein anderer Hornbläser in der rechten Bildecke unten wird von zwei Hunden begleitet und damit als Jäger ausgewiesen. In einem Erkerfenster rechts oben steht ein Narr und beobachtet die Szene. Er zeigt auf einen bärtigen Mann, der sich durch das Mundstück des Horns zwängt. Im Hintergrund wird der Ausgang eines Scharmützels bei Wiesloch dargestellt: Eine geschlagene Truppe flieht vor den Siegern, Tote und Verletzte zurücklassend, von dem Schlachtfeld. Die erste Strophe links im Bild ist eine Satire auf die Geistlichen, die das Volk dem Feind auslieferten, es zum Kampf aufmunterten, selbst aber, wenn es ernst werde, flöhen wie die Hasen.1 Die Zweiheber rechts sind als Aussage des abgebildeten Narren abgefasst. Er spottet über die Verfolgten, sie sollten sich beruhigen und keinen Widerstand mehr leisten, und wenn sie noch auf fremde Hilfe hofften, sollte sie Bamberg eines besseren belehren.2 Wendet sich der Narr hier an die Geistlichen, so richtet er sich im Text unter der Graphik an die katholische Landbevölkerung des Elsass. Er wirft den dorff narren vor, sie leisteten dem schwedischen König Widerstand aus mangelnder Einsicht, dieser kämpfe um die Befreiung Deutschlands aus der spanischen Unterdrückung. In ihrer Blindheit würden sie nicht erkennen, dass er ein von Gott gesandter Glaubensheld sei, der mit kleiner macht binnen kurzem in ganz Deutschland militärische Siege errungen habe. Werde man ihn nicht anerkennen, so werde er wie bisher mit Gewalt gegen Feinde vorgehen, um das Wort Gottes zu retten. Den Ausgangspunkt für die Offensive der Schweden am Oberrhein bildete der Zusammenstoß beim württembergischen Wiesloch im August 1632 zwischen den schwedischen Truppen unter dem Feldmarschall und Oberbefehlshaber der schwedischen Armee am Rhein Gustav Carlsson Horn (1592– 1657)3 und den vom General Ernst Graf von Montecuccoli (1582–1633) zum Entsatz nach Heidelberg geschickten kaiserlichen Soldaten, die in die Flucht geschlagen vnnd biß auff Mingelsheimb zwo Meil von Wiseloch starck verfolget worden.4 Auf dem Weg ins Elsass besetzte Horn Baden und überschritt am 21. August den Rhein. Im raschen Feldzug eroberten die Schweden Stollhofen (22./23. 328

Jn Elsas jetz erschalt das Horn

(Straßburg) 1632 Kupferstich (von Jakob von der Heyden, 1573–1645) graviert in 2 und 5 Spalten; 28 Knittelverse, 10 alternierende Zweiheber 21,9 ! 32,1

Aug.), Ober-Ehnheim (27. Aug.), Offenburg (2. Sept.) und stießen zur bischöflichen Festung Benfeld vor,5 die nach fast zweimonatiger Belagerung kapitulierte (28. Okt.).6 Die skizzierten militärischen Erfolge Gustav Adolfs lieferten die historische Basis für das Blatt. Mit der Darstellung des Königs als von Gott gesandter Befreier Deutschlands und Beschützer der evangelischen Kirche sowie seiner spektakulären militärischen Siege als Beweis für die göttliche Gnade, deren sich die Protestanten erfreuten, bildet das Blatt ein typisches Beispiel der erfolgreichen schwedischen bzw. deutschen protestantischen Propaganda, die im Jahre 1632 ihren Höhepunkt erreichte.7 Seine satirische Stoßkraft gegen den konfessionellen Gegner verstärkt das Blatt mittels biblischer Konnotationen des Horn-Motivs. Die göttliche Hand und die Inschrift ‚der Gott der Heere kämpft für uns‘ wie auch die Aufforderung an die Katholiken Erkennt das Horn zu ewrem heil bekräftigen den Beistand Gottes für die kämpfenden Protestanten. In der Bibel steht die Bezeichnung ‚Horn des Heils‘ für den rettenden Gott (Ps 18, 3), zum anderen bedeutet das Horn die Macht und Stärke des von Gott Auserwählten, die er, wie das Blatt suggeriert, für Freiheit und Erlösung einsetzt. In dieselbe Richtung weist auch die Verbindung des Begriffs schmieren im Titel des Blattes8 mit dem Horn als Gefäß zur Aufbewahrung des Salböls (I Sam 16, 1). Durch das Salben sollten die Abtrünnigen das wahre Wort Gottes erkennen (I Joh 2, 20 u. 27). Das Blatt gibt damit vor, dass der Sieg der Schweden auch den Pfaffen eine Chance biete, den richtigen Weg zu finden. Eine weitere Deutung des Horns liefert die zweite Titelzeile mit der sprichwörtlichen Formulierung, die Feinde der Protestanten werde man in ein Horn jagen. Indem der ursprüngliche Wortlaut der Redewendung „ins Bockshorn jagen“ leicht abgewandelt und damit an die Struktur und Aussage des Blattes angepasst wurde, nutzte man ihren doppelten Sinn: Sie besagt zum einen, dass man den Missetätern Angst vor der Strafe einjagte, zum anderen, dass sie in die Enge getrieben und unschädlich gemacht wurden.9 Nicht zuletzt wird das Horn durch den Jäger als Element der Jagdbildlichkeit ausgewiesen, womit sich eine weitere Interpretationsebene ergibt. Ob es sich bei dem Jäger um Gustav Adolf oder um seinen Vertreter Gustav Horn handelt, dessen Name zweifelsohne einen Teil der symbolischen Aussagekonstruktion des Blattes bildet, ist unerheblich. Die Jagdsymbolik, in der Publizistik der Zeit nicht selten zur Darstellung konfessioneller und militärischer Siege und Niederlagen verwendet (b II, 185),10 wurde immer wieder auf Blättern zur schwedischen Kriegsphase eingesetzt (b II, 221, 237, 277, 299 f.). Als Vorlage für die vorliegende Graphik diente ein undatiertes niederländisches Blatt, das ohne

erkennbaren politischen Bezug davor warnt, leichtfertig etwas zu beginnen, dessen Ausgang ungewiss sei.11

Weitere Standorte: Berlin, SBPK: YA 6738 kl a.

Andere Fassungen: a)

f)

Wolfenbüttel, HAB: Dep. 4.9 FM 26 [Städtenamen bis Epffig] Berlin, SBPK: YA 6338,2 kl; Dresden, LB/UB: Hist.Germ.C 16,22;12 Gotha, SM: G 17,31; München, BSB: Einbl. V, 8a,15; Nürnberg, GNM: 15052/1314, und 24952/1314; Paris, BN: Qd mat 2a;13 Stockholm, Kungl. Bibl.: G II A,A.177;14 Wolfenbüttel, HAB: Dep. 4.9 FM 27; ehem. Ulm, StB15 [… das Horn/ Zu stillen …; Städtenamen bis Kestenholtz; Titel in Typendruck; leicht veränderte Graphik] Erlangen, UB: Flugblatt 1,17 [… das Horn zú stillen …; Städtenamen bis Kestenholtz] Stockholm, KB: G II A,A.178;16 Straßburg, BNU: Collection d’Estampes;17 Wolfenbüttel, HAB: Dep. 4.9 FM 25 [Städtenamen bis Schletstadt] Austin, HRHRC: Popular Imagery Collection 79 [Städtenamen bis Enselßheim; Titel in Typendruck; Graphik wie in Fassung b; ohne Text unter dem Bild] London, BL: 1750.b.29 (37)18 [Städtenamen bis Zell]

A1

PAAS VI, P-1879.

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RÖHRICH: Redensarten, II, 669. Der Eroberung des von den Schweden besetzten Bamberg durch Tilly im Februar 1632 folgte im Mai die Rückeroberung der Stadt durch die Schweden; R. WEBER: Würzburg u. Bamberg im Dreißigjährigen Krieg. Die Regierungszeit des Bischofs Franz von Hatzfeld 1631–1642. Würzburg 1979, 130–138. Zu Horn vgl. FINDEISEN: Krieg, 324 f. Der Straßburger Professor Matthias Bernegger brachte seine Wertschätzung Horns durch die Widmung seiner ‚Gustavi magni […] laudatio funebris‘ (Straßburg 1633) zum Ausdruck. Theatrum Europaeum II, 665, Kupferstich nach 664. J. B. ELLERBACH (Hg.): Der Dreißigjährige Krieg im Elsaß (1618–1648). Mühlhausen u. Carspach 1912/1925, II: Vom Abzug Mansfelds bis zur Aufhebung der ersten Belagerung von Breisach (1623–1633), 339–349. Theatrum Europaeum II, 665–667, 757–760; Boguslav Philipp von Chemnitz: Königlichen Schwedischen Jn Teutschland geführten KRJEGS Erster Theil. Alt-Stettin 1698, 417–422, 439–443; ELLERBACH: Krieg, II, 360–369. Zur Belagerung Benfelds vgl. auch PAAS VI, P-1851 f. BÖTTCHER: Propaganda, 338–350. Seit Luther kann das Wort ‚schmieren‘ ironisch für ‚salben‘ benutzt werden. Vgl. GRIMM: DWb, XV, 1082. RÖHRICH: Redensarten, I, 228–232. OPEL/ COHN: Krieg, 71–84, 169–174, 277–280; DITFuRTH: Volkslieder, 85–87. Merckt wel op dees figuer [Inc.] (Braunschweig, HAUM: FB 3.V). PAAS VI, P-1882. Ebd. Ebd. WELLER: Lieder, XLIX. PAAS VI, P-1889. Ebd. PAAS VII, P-1893. EP

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Ort Jahr Bild Text Format Das Flugblatt schildert den Verlauf der Schlacht bei Lützen vom 6./16. November 1632 und berichtet vom Tod Gustav II. Adolfs von Schweden. Die Radierung zeigt die einzelnen Phasen der Schlacht in einer synchronen Darstellung. Durch die Einbettung des Schlachtfeldes in die Landschaft wird es dem Betrachter ermöglicht, sich anhand der topographischen Merkmale zu orientieren. Oben am linken Rand sieht man den Schkölziger Wald, darunter in einem Bogen den Floßgraben, der von Bäumen umsäumt wird und vorbei an dem Dorf Kursitz verläuft. Am oberen rechten Rand der Graphik ist der Ort Lützen abgebildet. In der Mitte der Radierung verläuft ein Weg mit zwei Gräben. Er markiert die Grenze zwischen den schwedischen und den kaiserlichen Truppen. In der Nähe des Galgens auf einer Anhöhe im Vordergrund beobachten Trompeter auf ihren Pferden sitzend das Kampfgeschehen. Der Betrachter der Radierung nimmt seine Position noch weiter oberhalb ein und gewinnt dadurch eine Übersicht über das Gefecht. Entlang der vertikal verlaufenden Rauchwolke im Zentrum der Graphik lässt sich der Sturm der schwedischen Fußtruppen und der Reiterei auf die Kürassiere der Armee Wallensteins (1583–1634) verfolgen. Links in der Bildmitte unterhalb des Weges wird der Angriff der schwedischen Kavallerie gezeigt. Die Rauchwolken verlaufen zwischen den schwedischen und kaiserlichen Verbänden auf einer horizontalen Linie. Bei den Windmühlen in der rechten Bildmitte stehen die schweren Geschütze der Armee Wallensteins. Die Einheiten des Herzogs Bernhard von Sachsen-Weimar (1604–1639) haben sich aufgrund des starken Beschusses hinter die Ruine des Müllerhauses zurückgezogen. Bei der Explosion im Vordergrund gehen die Munitionswagen der kaiserlichen Armee in Rauch und Flammen auf. Am linken Rand der Abbildung stehen sowohl Brigaden des kaiserlichen Heeres nach ihrer Flucht über den Floßgraben als auch Kroatenverbände, deren Angriff von den Schweden abgewehrt worden war. Die Komposition der Radierung versucht, die Bedeutung und Dramatik des Geschehens einzufangen. Der Pulverdampf, die riesige Explosion der Munitionswagen, das brennende Lützen, die zahllosen kämpfenden Heeresverbände und die auf dem Schlachtfeld liegenden toten Soldaten und Pferde vermitteln einen Eindruck von Ausmaß und Brutalität der Schlacht. Eine Legende zu den an einigen Stellen erkennbaren Zahlen und Buchstaben fehlt. Der Augenzeugenbericht bietet eine chronologische Beschreibung der Schlacht, die in drei Phasen verlaufen sei und deren erster Teil aus einem kleineren Gefecht bestand, das zwischen den feindlichen Armeen bereits am 5./15. November geführt worden war. Das Hauptgefecht habe am Morgen des 6./16. November begonnen und sei zwischen 14.00 und 15.00 Uhr mit einem scheinbaren Sieg der Protestanten beendet gewesen. Nach einer Waffenpause von etwa einer halben Stunde sei aber die Schlacht fortgesetzt worden, da Gottfried Heinrich Graf zu Pappenheim (1594–1632) mit 330

Abriß der Blutigen Schlacht bey Lützen

(Frankfurt a. M.) 1632 Radierung (von Matthäus Merian d.Ä., 1593–1650)1 Typendruck in 3 Spalten; Prosa 43,1 ! 32,7; 18,0 ! 30,5 seiner Armee von Halle nach Lützen geeilt war und nun in das Kampfgeschehen eingegriffen habe. Trotz dieser Verstärkung der Gegenseite sei es dem protestantischen Heer gelungen, den Sieg davonzutragen. Der Augenzeuge beschreibt detailliert die Kämpfe zwischen den einzelnen Verbänden, gibt Auskunft über die Vor- und Nachteile bei der Anordnung der Truppen auf dem Schlachtfeld und über das erbeutete Kriegsmaterial. Er erwähnt aber auch die äußeren Begleitumstände wie z. B. den dichten Nebel. Der protestantische Berichterstatter sieht vor allem in dem Tod des schwedischen Königs einen großen Verlust, über den auch der Sieg nicht hinwegtäuschen könne. Aufgrund des ehrenvollen Todes Gustav Adolfs und des Sieges der evangelischen Stände proklamiert der Autor den schwedischen König zum Märtyrer. Eine Bilanz über das erbeutete Kriegsmaterial und die Bekanntgabe der tödlich verwundeten und schwer verletzten Offiziere und Feldherren beider Seiten beenden den Bericht. Die Radierung Merians wurde als Flugblatt2 und, mit wenigen Modifikationen versehen, im ‚Theatrum Europaeum‘ publiziert.3 Merian nutzte für seine Darstellung als Vorlage einen Kupferstich von Friedrich Hulsius (um 1580 – um 1660).4 Der Text wurde Flugschriften entnommen und für das Flugblatt gekürzt.5 Ende Oktober erreichte Gustav Adolf mit seinem Heer Naumburg und zog am 5./15. November weiter nach Lützen. Wallenstein, der den General Pappenheim nach Halle geschickt und seine Truppen in Winterquartiere verteilt hatte und offensichtlich keinen Kampf mehr vor der Winterpause erwartete, sollte überraschend angegriffen werden. Eilboten warnten aber den Friedländer rechtzeitig, und General Hieronymus von ColloredoWaldsee (1582–1638) verteidigte mit wenigen Truppen die Anhöhen zwischen Lützen und Rippach, so dass Wallenstein genügend Vorbereitungszeit gewann, um seine Armee aufzustellen und Pappenheim zurückzurufen.6 Bei Schlachtbeginn standen sich mit einem geringen Vorteil auf Seiten der Schweden zwei ungefähr gleich starke Armeen gegenüber. Die kaiserliche Armee stand im Norden, Gustav Adolf mit seinem Heer im Süden der Lützener Ebene. Wallenstein befehligte die Fußtruppen im mittleren Flügel, Colloredo die Reiterei des linken und Octavio Piccolomini (1599–1656) die des rechten Flügels. Hinter dieser Linie standen Kavallerie und Infanterie der Reserve. Gustav Adolf wählte eine ähnliche Formation. Er selbst befehligte den rechten Flügel, bestehend aus der Kavallerie, Herzog Bernhard führte die Reiterei auf dem linken Flügel. Die Infanterieregimenter zwischen den Kavallerieeinheiten wurden von Nils Brahe Graf von Visingsborg (1604– 1643) und Dodo von Innhausen und Knyphausen (1582–1636) geführt. Obwohl Pappenheim nach seiner Ankunft Piccolominis Truppen verstärkte, gelang es den Schweden nach schweren verlustreichen Gefechten, die kaiserlichen Verbände in Richtung Leipzig zu vertreiben. Flugschriften berichten, dass der Kampf aufgrund des dichten Ne-

bels erst gegen 11.00 Uhr vormittags begonnen habe7 und gegen 19.00 Uhr mit dem Abzug des kaiserlichen Heeres beendet gewesen sei. Nach der Schlacht war Lützen niedergebrannt, und Tausende Tote und Verletzte lagen auf dem Feld, unter ihnen viele hohe Offiziere.8 Die Protestanten erschütterte vor allem der Tod des schwedischen Königs. Die Meldungen der zeitgenössischen Publizistik über das Schicksal des Königs waren sehr unterschiedlich. Einige Flugschriften, Gedichte und Zeitungen sprachen vom Tod des Schweden, andere dementierten.9 Nach dem Tod Gustav Adolfs setzte alsbald die Glorifizierung des Königs ein (b IV, 225 f., 228 f.).10

Weitere Standorte:

Andere Fassungen: a)

Nürnberg, GNM: 24931/1343 [Warhafftige Abbildung vnd Beschreibung; andere Graphik]

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WÜTHRICH: Merian, I, Nr. 626; III, 167, Abb. 146 f. PAAS VI, P-1867. U. V. FuSS: Matthaeus Merian der Ältere. Von der lieblichen Landschaft zum Kriegsschauplatz. Landschaft als Kulisse des Dreißigjährigen Krieges. Frankfurt a. M. 2000, 148–153, Abb. 17.6. M. SCHILLING: Medienspezifische Modellierung politischer Ereignisse auf Flugblättern des Dreißigjährigen Krieges. In: HARMS/ SCHILLING: Flugblatt der frühen Neuzeit, 277–288, hier 280 f. mit Abb. 1.

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WÜTHRICH: Merian, III, 5–19. PAAS VI, PA-301. Theatrum Europaeum, II, nach 747. Johann Ludwig Gottfried (d. i. Johann Philipp Abelin): INVENTARIVM SVECIAE, Das ist: Gründliche/ vnd warhaffte Beschreibung deß Königreiches Schweden. Frankfurt a. M. 1632, Teil 2, Appendix, nach 26. Warhaffte vnd eygentliche Relation/ Von der blutigen Schlacht zwischen der Königl. Majestät zu Schweden/ etc. vnd der Kayserlichen Armee. Erfurt 1632; Particularia, Vnd eigentliche RELATION, Von der Blutigen Schlacht. Erfurt 1632; vgl. auch Flugblätter Coburg, Nr. 90. J.-P. FINDEISEN: Gustav II. Adolf von Schweden. Der Eroberer aus dem Norden. Graz u. a. 1996, 213. Zum Verlauf der Schlacht vgl. auch A. HEMPEL: Eigentlicher Bericht, so wol auch Abcontrafeytung. Eine Untersuchung der nicht-allegorischen Nachrichtenblätter zu den Schlachten u. Belagerungen der schwedischen Armee unter Gustav II Adolf (1628/39⫺1632). Frankfurt a. M. u. a. 2000, 136⫺140. Adam Olearius: Sieges- vnd Triumffs-Fahne GuSTAVI ADOLPHI MAGNI. Leipzig 1633. Zur militärgeschichtlichen Bedeutung der Schlacht vgl. S. LuNDQuIST: Gustav II Adolf son fältherre. In: Gustav II Adolf. 350 år efter Lützen. Stockholm 1982, 47–60; vgl. auch: Krieg. Eine archäologische Spurensuche. Ausstellungskatalog Halle a. S. 2015, 359⫺428; zur zeitgenössischen Publizistik H. MEDICK: Der Druck des Ereignisses. Zeitzeugnisse zur Schlacht bei Lützen. In: ebd., 467⫺472. HARMS: Gustav Adolf; F. LIEMANDT: Die zeitgenössische literarische Reaktion auf den Tod des Königs Gustav II. Adolf von Schweden. Frankfurt a. M. u. a. 1998, 45–49. Flugblätter Coburg, Nr. 91 f.; Flugblätter Magdeburg, Nr. 10 f. AR

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IX, 173

F 95

Ort Jahr Bild Text Verleger Format

Das zum neuen Jahr 1633 gedruckte Blatt gedenkt des in der Schlacht von Lützen (6. 11. 1632; b IX, 172) gefallenen Gustav II. Adolf von Schweden und ruft zur Fortsetzung des Krieges auf. Die Graphik ist in zwei Ebenen geteilt: Im Hintergrund findet eine Schlacht statt; die beteiligten Truppenkontingente werden durch Kennbuchstaben als Schweden und Sachsen auf der linken Seite und als Kaiserliche unter dem Kommando Wallensteins (1583⫺1634) und Pappenheims (1594⫺ 17. 11. 1632) rechts markiert. In drei Bildecken werden mit Merseburg, Weißenfels und Leipzig Orte der näheren Umgebung ausgewiesen, während der in Flammen stehende Ort Lützen, nach dem die Schlacht benannt wurde, im rechten Mittelgrund eingetragen ist. Die Frontlinie verläuft mit einigen Verschiebungen etwa in der Mitte zwischen beiden Heeren und ist durch eine von Leichen übersäte Schneise gekennzeichnet. Auf der rechten Seite haben sich Wallensteinsche Truppen aufgelöst und fliehen nach Leipzig. Dasjenige Geschehen, das den Anlass des Blattes geboten hat, ist winzig klein in den linken Bildhintergrund verbannt und nur durch eine kleine Inschrift (Kön. May.) kenntlich gemacht: der Tod Gustav Adolfs. Dieses Ereignis wird im Vordergrund durch ein emblematisch-allegorisches Ensemble kommentiert: Schwert und Palmwedel, die sich in der schwedischen Königskrone kreuzen, verweisen auf die beiden Schlagwörter Krieg vnd Sieg; der Totenschädel, dessen Augenhöhlen den Betrachter fixieren, gemahnen nicht nur an den Tod des Schwedenkönigs, sondern an die Sterblichkeit des Menschen generell (b III, 118⫺128; IX, 5). Der Titel verweist mit der Gattungsbezeichnung Trauer Sonnet und der Nennung des schwedischen Monarchen auf den Anlass des Blatts. Zugleich wird die besondere Faktur des Gedichts hervorgehoben. Diese besteht darin, dass in jedem Vers die Wörter Krieg und Sieg zweimal enthalten sind. Im ersten Quartett wird die säkulare Bedeutung der beiden Wörter ins Geistliche gewendet, wenn dem apostrophierten Kriegshelden zugesprochen wird, dass die von ihm erlittenen Wunden über die militärischen Triumphe hinaus einen Sieg eingebracht hätten, der jenseits aller irdischen Erfolge liegt. Das zweite Quartett ruft die Erinnerung an die Siege des Schwedenkönigs auf dem Schlachtfeld auf. Nachdem im ersten Terzett in einer paradoxen Gedankenfigur der Tod als Sieger über den König erscheint, dessen Blut jedoch Sieg-kriegrisch vergossen sei, fragt das zweite Terzett nach der Situation der Protestanten nach dem Tod Gustav Adolfs und wendet sich an Gott, der als unüberwindlicher Kriegsherr Krieg vnd Sieg des Feinds zu Schanden machen möge. Die beiden abschließenden Chronogramme auf die Jahre 1632 und 1633 schließen formal an das 332

Trauer Sonnet Vber den Krieg vnd Sieg

(Straßburg) (Jahreswende 1632/1633) Radierung (von Jakob von der Heyden, 1573⫺1645) graviert; Sonett (von Diederich von dem Werder? 1584⫺1657); 4 Knittelverse (Chronogramme) (Jakob von der Heyden) 27,3 ! 20,3

Sonett durch ihre Reimwörter Krieg und Sieg an. Sie entsprechen ihm inhaltlich durch das Paradoxon, dass das eigene Opfer den Sieg gebracht habe, und durch die als Neujahrswunsch formulierte Bitte an Gott, den Protestanten im neuen Jahr weitere militärische Erfolge zuzugestehen. Die Krone im Bild signifiziert in doppelter Aussage das Königtum Gustav Adolfs und das von ihm durch seinen Tod gewonnene Seelenheil.1 Eben diese zweifache Perspektive bestimmt auch den Text, wenn der im Sterben errungene Sieg über Tod und Teufel die Siege auf dem Schlachtfeld unwichtig erscheinen lässt (dein Krieg vnd Sieg ist vber Sieg vnd Krieg). Der forcierte Einsatz der Wörter ‚Krieg‘ und ‚Sieg‘ erfüllt mehrere Funktionen: Als unauflösliche Attributionen des apostrophierten Gustav Adolf leisten sie einen Beitrag zur Memoria des gefallenen Monarchen. Zugleich schwören sie die Lebenden propagandistisch auf die Ziele des Verstorbenen ein. Und schließlich steigert die Aufgabe, in jedem Vers jeweils zweimal die Lexeme ‚Krieg‘ und ‚Sieg‘ einzubauen, die Artifizialität, die durch die im Titel herausgestellte Wahl der Gattung des Sonetts ohnehin schon reklamiert wird. Für die Kenner der literarischen Szene ergab sich als zusätzlicher Reiz ein intertextueller Bezug auf die Sammlung von 100 Sonetten, die Diederich von dem Werder 1631 dem Alten Testament und dem Leben Christi gewidmet hatte und die sich dadurch auszeichnen, dass in jedem vnd jeglichem Verse die beyden wörter/ KRJEG vnd SJEG auffs wenigste einmahl genannt werden.2 Durch die Wahl dieses literarischen Musters rückt der Autor des Flugblatts den Tod Gustav Adolfs in die Nähe von Christi Passion. Der enge Zusammenhang mit der Sonettsammlung Werders hat die Forschung dazu bewogen, auch das ‚Trauer Sonnet‘ dem anhaltinischen Adligen zuzuschreiben.3 Tatsächlich hat Werder nicht nur als Diplomat, sondern auch als Propagandist in das Zeitgeschehen eingegriffen und ein Flugblatt über die Zerstörung Magdeburgs 1631 publiziert.4 Lediglich der Publikationsort spricht gegen Werders Verfasserschaft, der seine Werke nahezu ausschließlich in Mitteldeutschland, nie aber in Straßburg in den Druck gegeben hat.

Weitere Standorte: Berlin, SBPK: YA 7078 kl.; München: BSB: Einbl. V, 8a/90; Nürnberg, GNM: 601/1343, und Mp 9540b (A 1); Uppsala, UB: Planer III, 52 (A 2); Wolfegg, Kunstsammlungen: Flugblätter 250, 100 (A 1)

Andere Fassungen: A1 A2

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1

2 3

4

PAAS VII, P-1897. O. PLANER: Verzeichnis der Gustav Adolf Sammlung mit besonderer Rücksicht auf die Schlacht am 6./16. November 1632. Leipzig 1916, 128. E. C. LANG: Friedrich V., Tilly u. Gustav Adolf im Flugblatt des 30jährigen Krieges. Diss. masch. Austin 1974, Abb. 30. PAAS: Verse Broadsheet, 85 f. E. C. LANG: Das illustrierte Flugblatt des Dreißigjährigen Krieges – Ein Gradmesser für die Verbreitung der Opitzischen Versreform? In: Daphnis 9 (1980), 65⫺87, hier 83⫺85. U. MACHÉ/ V. MEID (Hgg.): Gedichte des Barock. Stuttgart 1980, 52. J. R. PAAS: A Broadsheet Sonnet by Diederich von dem Werder? In: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 10 (1983), 548 f. F. LIEMANDT: Die zeitgenössische literarische Reaktion auf den Tod des Königs Gustav II. Adolf von Schweden. Frankfurt a.M. u.a. 1998, 174. M. SCHILLING: Medienspezifische Modellierung politischer Ereignisse auf Flugblättern des Dreißigjährigen Krieges [zuerst 2004]. In: HARMS/ SCHILLING: Flugblatt der frühen Neuzeit, 277⫺288, hier 281⫺283 mit Abb. 2. Vgl. A. SCHÖNE: Emblematik u. Drama im Zeitalter des Barock. München ³1993, 221 f. (mit Bezug auf die Kronenbildlichkeit im Kontext der Hinrichtung Karls I. Stuart). Diederich von dem Werder: Krieg vnd Sieg Christi. Wittenberg 1631, Titelblatt. G. DÜNNHAuPT: Nachwort. In: Diederich von dem Werder: Gottfried von Bulljon, Oder Das Erlösete Jerusalem. 1626. Hg. von G. D. Tübingen 1974, 38*, Nr. 1A; MACHÉ/ MEID: Gedichte, 52. Dazu W. KÜHLMANN: Magdeburg in der zeitgeschichtlichen Verspublizistik (1551/1631). In: G. SCHANDERA/ M. SCHILLING (Hgg.): Prolegomena zur Kultur- u. Literaturgesch. des Magdeburger Raumes. Magdeburg 1999, 79⫺106, hier 104⫺106; die Erstausgabe des Textes als Einblattdruck verzeichnet W. LAHNE: Magdeburgs Zerstörung in der zeitgenössischen Publizistik. Magdeburg 1931, 245, Nr. 166 (ohne Kenntnis des Autors). MSch

333

IX, 174

F 252

Ort Jahr Bild Text Format

ABBILDVNG

DER HOCHMÜTIGEN

SPANIER.

Weitere Standorte:

(1632) Kupferstich graviert in 2 Spalten; 24 Alexandriner 27,5 ! 21,4

Dresden, KK: Flugblätter B 1978–4 (A 1); London, BL: Crach.1.Tab.4.c.1 (A 1); Nürnberg, GNM: 24840/1313; Paris, BN: Hennin XXII,1949 (A 1); ehem. Ulm, StB (A 2) Andere Fassungen: a)

Unter Verwendung des literarischen Typus des Capitan Spavento nutzt das Blatt die spanische Niederlage in Flandern 1632 zu einer allgemeinen Satire gegen Spanier. Die als hochmütiger Spanier titulierte Gestalt im Bild trägt alle Züge einer Karikatur. Der typische spanische Hut und die Halskrause in überdimensionaler Größe sowie das enganliegende gestreifte Wams betonen den kleinen Wuchs und eher schmächtigen Bau des Mannes und seinen dicken Bauch.1 Die mit Zierknöpfen, Tressen und Spitzenmanschetten verzierte Kleidung, um eine kunstvoll drapierte Schärpe und ein Medaillon mit der Abbildung des Papstes Urban VII. an einer Halskette ergänzt, wirkt gepflegt und anspruchsvoll. Im Kontrast zu dieser Aufmachung steht das einfältig und bäuerlich anmutende Gesicht des Spaniers, das naiven Hochmut und Aufgeblasenheit ausdrückt. Aus dem Mund des Mannes steigt Knoblauch- bzw. Zwiebeldunst. Einige Rüben hält er in der Hand. Die geraden Linien und kantigen Ecken des Gemäuers, vor dem der Spanier dargestellt ist, unterstreichen seine Rundungen. Der Text in dem linken oberen Teil des Bildes lässt die im Hintergrund abgebildete Stadt als Paris (mit Notre-Dame) identifizieren. In dem als Monolog gestalteten Text charakterisiert sich der Capitan Spavento als eine trotzige Gestalt von Angst einflößendem Äußeren. Sein Auftreten sichere ihm Gewalt über Himmel, Erde und Hölle. Auch der göttliche Mars achte ihn als Lehrmeister und gehe bei ihm in die Schule. Insofern mache es auch nicht aus, dass er selbst kein Gott sei, wenn auch nicht viel dazu fehle. Er gleiche dem Mars darin, dass er wie jener wenig esse: Er habe einen starken und wol fundirt[en] Leib vorzuweisen, obwohl ihm ein paar Rettiche als Mahlzeit reichten. Sein Magen vertrage Pomeranzen schlecht, daher freue er sich auf die Rückkehr nach Hause, wo ihm Zwiebel, Knoblauch, Rettich und andere Rüben alle Speisen ersetzten. Als im Sommer 1632 Prinz Friedrich Heinrich von Oranien (1584–1647) nach mehreren Siegen im spanischen Flandern auch die große Festung Maastricht eroberte,2 wurde der Oberbefehlshaber des spanischen Heers in Niederlanden, der als Nachfolger Ambrosio Spinolas (1569–1630) eingesetzte Álvaro de Bazán 2. Marqués de Santa Cruz (1571–1646) von Philipp IV. (1605–1665, König seit 1621) abberufen. Seine Stelle übernahm schon im November desselben Jahres Francisco de Moncada 3. Marqués de Aitona (1586–1635). Die Information in der Graphik über die Kutsche des Marquis de Santa Cruz als Fundort des abgebildeten Porträts lässt auf ihn als Objekt der Flugblattsatire schließen, wobei die im Text geäußerte Abneigung gegen den Prinzen von Oranien und die Freude über die Rückkehr nach Hause sein ruhmloses Quittieren des militärischen Dienstes in den Niederlanden als Entstehungsanlass des Blattes zu bestimmen erlauben.3 334

Über das einmalig Historische und spezifisch Personelle hinaus versteht sich das Blatt als eine allgemeine Satire gegen die Spanier ⫺ durch die Pluralform im Titel kenntlich gemacht ⫺ und gehört somit in die antispanische Publizistik, die seit Mitte des 16. Jahrhunderts den europäischen Markt überflutete und die sog. Schwarze Legende über Spanien begründete.4 Vor dem Hintergrund aktueller politischer Geschehnisse prangerten Traktate, Denk- und Flugschriften Kriegsverbrechen und moralische Verdorbenheit der Spanier an, die als Ausdruck der ihnen angeborenen Grausamkeit, Herrschsucht und des Hochmuts angesehen wurden. Von den zahlreichen negativen Eigenschaften und Verhaltensweisen, aus denen sich das überlieferte Bild des Spaniers zusammensetzte (b II, 37 f.),5 wählte der Blattverfasser Hochmut und prahlerisches Gehabe als Ziel seines Spottes, die, ikonographisch in der Gestalt des Spaniers zum Ausdruck gebracht, im Text präzisierend auf den spanischen Militarismus bezogen wurden. Satirisch angesprochen wurde im Bild die spanische Kleidung (der Radkragen) und ⫺ auch im Text ⫺ Essgewohnheiten, die ebenfalls zu den klischeehaften Vorstellungen gehörten.6 Als Mittel der Satire verwendet das Flugblatt den Typus des plautischen Miles Gloriosus und des zum Personal der italienischen Commedia dell’arte gehörigen spanischen Capitano, eines Maulhelden, der in der europäischen Literatur in zahlreichen Abwandlungen ⫺ so in Shakespeares (1564–1616) ‚Love’s labour’s lost‘ und ‚The merry wives of Windsor‘, Ariosts (1474–1533) ‚L’Orlando Furioso‘, Corneilles (1606–1684) ‚L’Illusion comique‘ und in Deutschland in Herzog Heinrich Julius’ von Braunschweig (1564–1613) ‚Vincentius Ladislaus‘ oder Johann Rists (1607–1667) ‚Capitan Spavento Oder Rodomontades Espagnolles‘ ⫺ porträtiert wurde.7 Die bekanntesten Gestalten der aufschneiderischen Soldaten in der deutschen Barockliteratur schuf Andreas Gryphius (1616– 1664) in seinem Scherzspiel ‚Horribilicribrifax Teutsch‘ (1663).8 Die Hauptquelle für das Werk bildete das italienische Stück ‚Le bravvre del Capitano Spavento‘ (1607) von Francesco Andreini (1550–1624),9 das schon 1627 als ‚Hauptmann Schreck‘ in einer anonymen deutschen Übersetzung erschien.10 Die sofort auffallenden Ähnlichkeiten zwischen den letztgenannten Werken und dem Blatt liegen im lexikalischen Bereich: Die Bezeichnung Capitan Spavento, mit dem der Held des Blattes tituliert wird, wird im Text als schrecken und erschröcklich erläutert, seine Beinamen Windstürmer und Windzerstörer (Fassung a) haben in der Figur des Daradiridatumtarides Windbrecher im Gryphschen Scherzspiel ihre Entsprechung. Während sich in den Komödien die Wirkung der Figur aus dem Gegensatz zwischen verbalem Heldentum und realer Feigheit ergab, nutzte das Blatt zum satirischen Zweck den Widerspruch zwischen der illusionären Selbsteinschätzung des prahlerischen Capitans und dem Faktum der militärischen Niederlage, für die er die Verantwortung getragen hatte.

b) c)

Austin, HRHRC: Popular Imagery Collection, 161; Berlin, KB: 1002,4; ehem. Gotha, SM;11 Hamburg, SUB: Scrin C/22 fol.106; Wolfenbüttel, HAB: Einbl. Xb FM 52 [ABILDVNG DER HOCHMVTIGEN SPANIER; Abweichungen in Bild und Text] Dordrecht, Museum Mr. Simon van Gijn: Politieke Spotprenten, Mappe 88,148012 [S. Saverÿ Excudet] Paris, BN: Qb 1 fol,165013 [Le Capitaine Fracasse]

A1 A2 A3

PAAS VII, P-2079. WELLER: Annalen, I, 393, Nr. 618. D. L. PAISEY: Illustrated German broadsides of the seventeenth century. In: The British Library Journal 2 (1976), 56–69, hier 61⫺63.

1

Die Graphik diente wohl als Vorlage für die Figur des Spaniers im französischen Flugblatt ‚Le Bek de l’Espagnol pris par le François en la bataille de Lens‘, das die Spanier nach ihrer Niederlage bei Lens am 20. August 1648 verspottet (s. H. DuCCINI: L’Espagnol dans l’image satirique en France au XVIIe siècle. In: J.-C. GARDES/ D. PONCIN (Hgg.): L’étranger dans l’image satirique. Poitiers 1994, 11–37, Abb. 3). In sehr ähnlicher Gestalt, so dass man ein Bildzitat vermuten kann, erscheint der Spanier auf dem französischen Spottblatt ‚Prognostic merveilleux sur l’estrange maladie du sieur Dom Diego Davalos‘ (DuCCINI: L’Espagnol, Abb. 6) und in seiner niederländischen Version ‚Den Grooten Barbiers Winckel‘ (Coburg, Veste: XIII, 321,266). Zu demselben ikonographischen Typus gehört auch der Spanier auf dem niederländischen Blatt ‚Der Castilianen uyt-vaert: Mitsgaders de Vlaemsche Melck-Koe‘, vgl. M. BOHATCOVÁ: Wolfenbüttelská sbírka ilustrovaných jednolistů 16.⫺17- století v kritické edici. In: Umení 30 (1982), 81–86, Abb. S. 83. van Meteren: Historien, 157–172. Vgl. PAISEY: Broadsides, 61. G. L. PINETTE: Die Spanier u. Spanien im Urteil des dt. Volkes zur Zeit der Reformation. In: Archiv f. Reformationsgesch. 48 (1957), 182–191; S. ARNOLDSON: La leyenda negra. Estudios sobre sus origines. Göteborg 1960; W. MALTBY: The Black Legend in England. The Development of anti-Spanish sentiment 1558–1660. Durham 1971; G. HOFFMEISTER: Das spanische Post- und Wächterhörnlein. Zur Verbreitung des Legenda Negra in Deutschland (1583–1619). In: AKG 56 (1974), 350–371; BRIESEMEISTER: Flugschriften; J. POLLMANN: Eine natürliche Feindschaft. Ursprung u. Funktion der schwarzen Legende über Spanien in den Niederlanden, 1560– 1581. In: BOSBACH: Feindbilder, 73–93. D. BRIESEMEISTER: Der satirische Bilderbogen vom Señor Spañiol. In: Traza y baza 9 (1985), 5–20; H. DuCCINI: Faire voir, faire croire. L’opinion publique sous Louis XIII. Seyssel 2003, 476–501. BRIESEMEISTER: Bilderbogen, 15, Anm. 29, und 18, Anm. 38; Frau Hoeffart, 20. E. MANNACK: Nachwort zu: Andreas Gryphius, Dramen. Frankfurt a. M. 1991, 1178 f. Weitere Beispiele bei W. HINCK: Das dt. Lustspiel des 17. u. 18. Jhs. u. die italienische Komödie. Commedia dell’arte u. Théâtre Italien. Stuttgart 1965, 106 f. Vgl. auch CH. E. SCHWEITZER: Spanien in der dt. Literatur des 17. Jhs. Yale 1954, 51–63. S. S. TSCHOPP: Nationale Stereotype im literarischen Gewand: Das Bild des Spaniers in den Werken dt.sprachiger protestantischer Autoren während des Dreißigjährigen Krieges. In: M. CZARNECKA u. a. (Hgg.): Frühneuzeitliche Stereotype. Zur Produktivität u. Restriktivität sozialer Vorstellungsmuster. Frankfurt a. M. u. a. 2010, 67⫺91; F. GABAuDE: Querbezüge zwischen europäischer Flugblattpublizistik u. Komödienliteratur der Frühen Neuzeit am Beispiel der Capitano-Figur. In: Ebd., 185⫺209. HINCK: Lustspiel, 105–129. A. SCHLIENGER: Das Komische in den Komödien des Andreas Gryphius. Bern 1970, 147–152. PAISEY: Broadsides, 61. LIEBE: Soldat, Abb. 102. PAAS VII, PA-351. PAAS VII, PA-352. EP

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5

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335

IX, 175

F 27 Ort Jahr Bild Text Format

Eine der Alternativen, die der Dreißigjährige Krieg den in ihrer Existenz bedrohten Bauern bot, war Selbstverteidigung, wobei sie zu ähnlich grausamen Mitteln griffen, wie die plündernden und mordenden Söldner (b IX, 84, 154).1 Einen solchen Fall schildert das vorliegende Blatt. In Sommer und Herbst 1632 eroberten die Schweden das Elsass (b IX, 171) und quartierten sich im Januar 1633 im Sundgau ein, wo Otto Ludwig Rheingraf zu Salm (1597–1634) das Oberkommando führte (b IX, 178).2 Ihr Erscheinen hatte eine Massenflucht der Landbevölkerung zur Folge; die Zurückgebliebenen hatten Kontributionen zu zahlen, die sie nicht aufbringen konnten. In ihrer Verzweiflung schlossen sich die Bauern zum bewaffneten Widerstand zusammen. Nach zwei erfolgreichen Überfällen auf Pfirt und Altkirch, wo sie die Salmschen Soldaten und einen ihrer Befehlshaber auf grausame Weise ermordet hatten, zogen sie gegen das Quartier des im Sundgau stationierten schwedischen Obersten Sebastian Harpf (Lebensdaten unbekannt). Doch der Angriff schlug fehl. Die in Blotzheim versammelte Bauerntruppe wurde von Harpf niedergeschlagen: Von etwa 4000 Aufständischen sollen in zwei IX, 176

F 25 Ort Jahr Bild Text Format

Der kaiserliche General Albrecht von Wallenstein (1583–1634) wurde am 25. Februar 1634 in Eger auf Befehl Ferdinands II. (1578–1637, Kaiser seit 1619) umgebracht.1 Mit ihm wurden vier seiner Gefährten und drei Diener ermordet. Der vorgeschobene und nie bewiesene Grund der Verurteilung war eine angebliche Verschwörung Wallensteins gegen den Kaiser.2

F 967 Ort Jahr Bild Text Format

Obwohl eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der ersten Hälfte des Dreißigjährigen Krieges, wurde Wallenstein zu seinen Lebzeiten erstaunlich selten Thema der Medien.1 Erst sein gewaltsamer Tod (b IX, 176) hat sowohl im Ausland2 als auch im Reich eine starke publizistische Resonanz gefunden (b II, 308).3 Die frühesten Flugblätter und -schriften beschränken sich vorwiegend ⫺ freilich nicht ohne parteiische Sichtweise ⫺ auf die Darstellung der Vorkommnisse in Eger; die späteren betonen je nach der politischen und konfessionellen Zugehörigkeit des Verfassers die Unschuld des Generals oder verspotten ihn als den für seinen Hochmut bestraften Verräter.4 Manche Texte, wie das gereimte Epitaphium, erfuhren eine volksliedartige Verbreitung.5 Die Ermordung hat Wallenstein zu einem Mythos und in der Folge zum literarischen Helden meist dramatischer Werke gemacht.6 336

(1633) Radierung graviert im Bild; Prosa 17,3 ! 28,8 Tagen um 2000 getötet und 1000 gefangengenommen worden sein, der Rest sei geflohen. Ein Teil der Gefangenen sei auf das Schloß Häsingen geführt und folgenden Tags auff Feld vor Häsingen gebracht/ vnd deren auff 39. als Rädlinsführer/ an Bäume auffgehenckt worden.3 Obwohl niedergeschlagen, stoppte doch der Aufstand den schwedischen Vormarsch in der Eidgenossenschaft.4 Das Blatt blendet das Kriegsgeschehen völlig aus und spricht nur unverbindlich von Auffruhr. Sowohl der friedlich wirkende Hintergrund in der Graphik mit akkurat gepflügten Feldern und einer idyllischen Burg als auch das Fehlen jeglicher Soldaten erschweren eine Identifikation des gezeigten Ereignisses als Aktion des Krieges. Für informierte Betrachter fügt sich das Blatt mit der bildlichen Drastik in die Gruppe jener zeitgenössischen Darstellungen ein, die in Stichserien effektvoll die Gräuel des Dreißigjährigen Krieges dokumentierten (b IX, 84), wie etwa die von Hans Ulrich Franck (1603–1680) oder Jacques Callot (1592– 1635), dessen zur selben Zeit entstandenen ‚Miseres et les Malheurs de la Guerre‘ auch einen Stich mit ‚Gehenkten‘ enthalten.5

Weitere Standorte: Huningue, Musée historique et militaire; Zürich, ZB: EDR 1.1633.001 Andere Fassungen: A1 A2

WÄSCHER, 66. HAFTLMEIER-SEIFFERT: Bauerndarstellungen, 173–177.

1 2

LANGER: Kulturgeschichte, 103–126. J. B. ELLERBACH (Hg.): Der Dreißigjährige Krieg im Elsaß (1618–1648). Mühlhausen/ Carspach 1912/1925, II, 460–473; R. STRITMATTER: Die Stadt Basel während des Dreißigjährigen Krieges. Bern u. a. 1977, 33–36; W. H. STEIN: Protection Royale. Eine Untersuchung zu den Protektionsverhältnissen im Elsaß zur Zeit Richelieus. 1622–1643. Münster 1978, 160–178. Theatrum Europaeum III, 4 f. ELLERBACH: Krieg, II, 506 f. Ebd., 489–521. Callot: Werk, II, 1325–1350, hier 1340 f.; zu dieser und anderen seriellen Kriegsdarstellungen vgl. KNAuER: Bedenke. EP

3 4 5

Eigentliche Vorbildung vnd Bericht, welcher gestalt (1634) Kupferstich nach Matthäus Merian (1593–1650) Typendruck in 3 Spalten; Prosa 52,2 ! 32,9; 26,7 ! 33,0 Andere Fassungen: a)

A1 A2

Weitere Standorte:

IX, 177

Den 29. Ianuarij 1633, seindt bey Hesingen

Berlin, SBPK: YA 7184m; Braunschweig, HAUM: FB XVII gr; Coburg, Veste: II,109,910;3 München, GS: 130139; Münster, Westfälisches Landesmuseum: K 67– 526 LM;4 Nürnberg, GNM: 629/1373a; ehem. Goslar, Sammlung Adam5 [M. Merian fecit; ohne eingravierte Namen in den Bildern]

WÄSCHER, 40. PAAS VII, P-1953.

1

2

3 4 5

Zu Wallenstein zuletzt J. POLIŠENSKÝ/ J. KOLLMANN: Wallenstein. Feldherr des Dreißigjährigen Krieges. Köln u. a. 1997. Eine umfangreiche Bibliographie bei G. MANN: Wallenstein. Sein Leben. Frankfurt a. M. 1971. I. MIECK: Wallenstein 1634, Mord oder Hinrichtung? In: A. DEMANDT (Hg.): Das Attentat in der Geschichte. Köln u. a. 1996, 143–163. Flugblätter Coburg, Nr. 97. Krieg und Frieden, Nr. 1095. Antiquariat Tenner, Nr. 197. EP

Wahlsteinisch Epitaphium: vnd kurtze verzeichnuß (1634) Kupferstich (nach einer Augsburger Vorlage) graviert in 3 Spalten; Prosa, 14 Knittelverse 18,8 ! 32,1 Weitere Standorte: Nürnberg, GNM: 630/1373a; Frauenfeld, Thurgauische Kantonsbibliothek: in NC 203;7 ehem. München, GS (A 1)

4

Andere Fassungen: A1

A. HARTMANN: Historische Volkslieder u. Zeitgedichte vom 16. bis 19. Jh. München 1907, I, 301–303.

1 2

COuPE I, 84; SCHILLING: Bildpublizistik, 178 f. KuNZLE: Comic Strip, 75–79; S. S. TSCHOPP: Albrecht von Wallensteins Ende im Spiegel der zeitgenössischen Flugblattpublizistik. In: Zs. f. Historische Forschung 24 (1997), 25–51. K. SIEGL: Französische Zeitungsberichte über Wallensteins Ende. Ein Beitrag zur ‚Wallensteinfrage‘. In: Mitteilungen des Vereins f. Gesch. der Deutschen in Böhmen 42 (1904), 289–310; H. VON SRBIK: Wallensteins Ende. Ursachen, Verlauf u. Folgen der Katastrophe. Salzburg 21952, 248–250.

3

5

6

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Vgl. u. a. W. BAuER: Die öffentliche Meinung in der Weltgesch. Potsdam 1930, 190–195; A. ERNSTBERGER: Für u. wider Wallenstein. Stimmen u. Stimmungen in Franken u. der Oberpfalz zum Tode des Generalissimus. In: RuDOLF : Krieg, 68–88. Gründlicher vnd Warhaffter Bericht/ Was gestalt der Herr General Rheingraf Otto Ludwig […] im Elsaß […] an den Feind geraten […] Sampt der Grabschrifft deß Friedländers oder Wallensteiners/ auß Wien. O.O. 1634, fol.Aijv; ERNSTBERGER: Für u. wider, 83 f.; G. MANN: Wallenstein. Sein Leben. Frankfurt a. M. 1971, 1142 u. 1310 f. Vgl. auch HARTMANN: Volkslieder, 303–307. E. FRENZEL: Stoffe der Weltliteratur. Stuttgart 61983, 780–783 (mit weiterer Literatur); W. KÜHLMANN: Magni fabula nominis. Jacob Baldes Meditationen über Wallensteins Tod. In: V. MEID (Hg.): Gedichte u. Interpretationen, I: Renaissance u. Barock. Stuttgart 1982, 187–197. PAAS VII, P-1963. EP

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IX, 178

F 784 Ort Jahr Bild Text Drucker Format

Otto Ludwig Wild- und Rheingraf zu Salm (1597– 1634) hatte, als er starb, eine für den adligen Soldaten des 17. Jahrhunderts typische militärische Karriere hinter sich.3 Mit 17 Jahren zog er als gemeiner Soldat ins Feld und arbeitete sich fortan kontinuierlich in der Militärhierarchie nach oben. Mit seinem Leibregiment von 1500 Reitern wurde er schließlich von Gustav Adolf angeworben. Als schwedischer General kämpfte er am 6. September bei Nördlingen mit; auf der Flucht nach der verlorenen Schlacht erreichte er krank Speyer und starb dort am 6. Oktober 1634. Er bekam ein typisches am höfischen Leichenzeremoniell orientiertes Adelsbegräbnis, dem Elemente ritterlich-soldatischer Repräsentation (Pferde, Fahnen und militärische Attribute wie Sporen, Panzerhandschuh, Helm, Degen und Regimentsstab) beigegeben wurden.4 Durch die Drucklegung der Leichenpredigten und Abdankungsreden sowie des Berichts über die Prozessi-

PROCESSION Der HochAnsehnlichen Leichbegängnuß/ Weyland Straßburg 1635 Kupferstich von Johann Heinrich Mittel (tätig 1635–1657)1 Buchdruckers des 17. Jhs. In: Kalender der Waldstätte Typendruck in 3 Spalten; Prosa 2 1929, 59–63; RESKE: Buchdrucker, 982. David Hautt (1603–1677) 3 Sein Lebenslauf bei Johann Schmidt: Christliche Leich54,9 ! 32,4; 19,0 ! 30,9 on, der die Namen und Titel der Anwesenden enthielt, versuchte man eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen,5 dienten doch die Funeralwerke über eine memorative Funktion hinaus der Würdigung der sozialen Stellung des Verstorbenen wie auch der an der Beisetzung Beteiligten. Daher wünschten die Verwandten des Grafen, dass seine Leichenpredigt offentlich getruckt vnd allen Obristen/ Commendanten, Commissarien vnnd andern Kriegs-officirern zugeschickt würde.6

4

Weitere Standorte: 5 Andere Fassungen:

1 2

RESKE: Buchdrucker, 984; PAISEY: Printers, 170. F. BLASER: Les Hautt. Histoire d’une famille d’imprimeurs, d’éditeurs et de relieurs des 17e et 18e siècles. Luzern 1925; DERS.: David Hautt. Aus dem Leben eines

6

predigt/ Vber den tödlichen vnd seligen Abschied […] Ott-Ludwigen […] Graven zu Salm. Straßburg 1635; vgl. auch Accords-Puncten mit der Vestung Philipsburg. Basel 1633; Gründlicher vnd Warhaffter Bericht/ Was gestalt der Herr General Rheingraf Otto Ludwig […] im Elsaß […] an den Feind geraten. O.O. 1634; Jodocus Haas: Christliche Dankpredigt, wegen deß […] Herren Ott-Ludwigen […] dieses 1634. Jahrs, den 2 Martij, bey Watweil […] verliehenen […] Siegs. Straßburg 1634 (nach J. BETZ: Répertoire bibliographique des livres imprimés en France au XVIIe siècle, VII. Baden-Baden 1984, Nr. 939). W. BRÜCKNER: Roß u. Reiter im Leichenzeremoniell. Deutungsversuch eines historischen Rechtsbrauches. In: DERS.: Bilder u. Öffentlichkeit. Ästhetische Theorienbildung, museale Praxis, Quellenkritik. Würzburg 2000, 408–476, bes. 457–472. Zu Otto Ludwig vgl. auch Sebastian König: Todtenklag uber den tödtlichen Abscheydt […] Otto-Ludwigen […] Graffen zu Salm. Straßburg 1635 (nach BETZ: Répertoire, Nr. 983). Zu Funeralwerken allgemein vgl. J. BEPLER: German Funeral Books and the Genre of the Festival Description. A Parallel Development. In: J. L. FLOOD/ W. A. KELLY (Hgg.): The German Book 1450– 1750. FS D. Paisey. London 1995, 145–160. Schmidt: Leichpredigt, 65. EP

IX, 179

F 341 Ort Jahr Bild Text Format

Wie Jhr König: May: Ferdinand III 1636 Radierung gravierte Inschriften in der Graphik 23,4 ! 33,0

Weitere Standorte:

Andere Fassungen: a) b) c)

Ferdinand III. (1608–1657, Kaiser seit 1637) wurde dank der Bemühungen seines Vaters noch zu dessen Lebzeiten am 22. Dezember 1636 in Regensburg zum Römischen König gewählt und am 30. Dezember ebenda gekrönt.1 Ferdinand II. (1578–1637, Kaiser seit 1619) hatte seinen Wunsch dem für September 1636 nach Regensburg einberufenen Kurfürstentag vorgelegt. Die Verhandlungen dauerten mehrere Wochen, und die Zusage der Kurfürsten kostete den Kaiser einige politische Zugeständnisse; die ausländischen Mächte

340

wie Frankreich und Schweden erkannten die Wahl nicht an und titulierten Ferdinand III. auch noch nach dem Tode seines Vaters lediglich als König von Ungarn (b IX, 153).2 Die Ernennung zum Kaiser, die seit der Krönung Matthias’ (1557– 1619, Kaiser seit 1612) gleichzeitig erfolgte, konnte, da der Kaiser noch lebte, nicht ausgeführt werden, was in dem Blatt durch die Darstellung des leeren keÿserliche[n] Thron[s] im zentralen Bild markiert wurde.

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2 3 4 5

Bremen, Kunsthalle3 [IC Gertner Pinxitt. L schnitzer fecit] Coburg, Veste4 [wie Fassung a; unter dem Stechernamen die Initialen HK] Frankfurt a. M., Historisches Museum: C 79445 [Stich von Johann Ness] RELATION Der Wahl vnd Krönung. FERDINANDI III. […] zu einem Römischen König. O.O. 1637; Theatrum Europaeum III, 732–737, 745 f.; Franz Christoph Khevenhiller: ANNALES FERDINANDEI. XII, Leipzig 1726, 1895–1954. GINDELY: Geschichte, Abt. 3, 88 f. HOLLSTEIN: German Engravings, XXXXVI, 51. Ebd. WANGER: Kaiserwahl, 291 f., Nr. 34 u. Anh. 23. EP Nr. IX, 180 entfällt.

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IX, 181

F 458

Ort Jahr Bild Text Format

In der Darstellung eines seiner Kleidung beraubten Spaniers werden militärische Niederlagen Spaniens zwischen 1637 und 1642 versinnbildlicht. Im Vordergrund ziehen vier Männer, die durch Inschriften als Verkörperungen von Frankreich, Portugal, den Niederlanden und Katalonien ausgewiesen werden, den sich in der Mitte befindenden Spanier aus, der auf seine Knie fällt und mit gefalteten Händen um Erbarmen fleht. Die Gestalten sind durch ihre Kleidung individualisiert und charakterisiert. Die einzelnen Kleidungsstücke des Spaniers, die ihm weggenommen werden, tragen Namen der von Spanien verlorenen Städte und Provinzen ⫺ Breda, Perpignan, Salse, Portugal und Katalonien. Die Plünderungsszene spielt sich vor dem Hintergrund einer mit militärischen Gruppen bevölkerten Landschaft ab. Am Horizont sind Stadtprospekte von Perpignan mit der Zitadelle und von Salse zu sehen, auf deren Eroberung sich die Texte beziehen. Der erste mit Vbergab der vestüng Perpigniano überschriebene Text kommentiert das Bild, indem er die Wegnahme der Kleidungsstücke des Spaniers durch seine Gegner als Wiedergutmachung für dessen frühere Raubtaten auslegt.1 Der zweite Text verschlüsselt seine übermittelte Information über die durch Hunger erzwungene Übergabe der Festung Salse mit einem Wortspiel, das die Homonymie von Sausse (franz. für Salse) und sauce nutzt. Die auf dem Flugblatt dargestellten historischen Ereignisse behandeln die militärische Auseinandersetzung Frankreichs mit Spanien, nachdem Frankreich 1635 durch seine Kriegserklärung an den Kaiser und Spanien auf dem Schauplatz erschienen war. Das erste im Blatt angesprochene Ereignis, die Eroberung der sich seit 1625 in spanischen Händen befindenden Hafenstadt Breda, fand Anfang Oktober 1637 (Unterzeichnung des Kapitulationsaktes und Auszug der Besatzungstruppen) nach einer über dreimonatigen Belagerung statt. Prinz Friedrich Heinrich von Oranien (1584–1647), der die militärische Aktion leitete, wurde durch englische und französische Truppen unterstützt.2 Im Jahre 1640 kam es zu zwei für Spanien entscheidenden Ereignissen in Portugal und Katalonien. Das seit 1580 durch Personalunion und eine gemeinsame Außenpolitik mit Spanien verbundene Portugal reagierte mit einem Aufstand auf die unter dem spanischen Minister Gaspar Graf von Olivares (1587–1645) unternommenen Versuche einer verstärkten Unterordnung des Landes. Der Abfall von der spanischen Krone wurde mit der Wahl des Herzogs Johann von Bragança (1604–1656, seit 1640 Johann IV.) zum König vollzogen. Er schloss ein politisches Bündnis mit Frankreich, das schon 1637 portugiesische Auflehnungsaktionen unterstützt hatte.3 Auch in Katalonien führte die Missachtung der Sonderrechte des Landes durch den spanischen König 342

Der außgeplinderter Spanier.

(1643) Kupferstich graviert in 2 Spalten; zwei Quartette in Alexandrinern 26,4 ! 31,9

zum Aufstand und zur Unabhängigkeitserklärung von der Monarchie.4 Wie im Falle Portugals kam auch hier Frankreich den Aufständischen zu Hilfe, nachdem Richelieu (1585–1642) mit den Katalanen einen Vertrag über die Erhebung Ludwigs XIII. (1601–1643, König seit 1610) zum Grafen von Barcelona und Roussillon geschlossen hatte. Eine unmittelbare Folge dieser Entwicklung waren Kämpfe französischer Truppen um die in der Grafschaft Roussillon liegenden Festungen Perpignan und Salse. Die Kämpfe um Perpignan dauerten mit Unterbrechungen vom Herbst 1641 bis September 1642.5 Da die Franzosen keine Möglichkeit sahen, die Festung mit militärischen Mitteln zu erobern, entschlossen sie sich, sie auszuhungern. Die im Frühling begonnene Belagerung führte im August zur Kapitulation der Stadt. Der Kapitulationsvertrag mit Perpignan wurde auch auf die Festung Salse erweitert, die seit Juni 1639 mit wechselndem Glück umkämpft war und nun durch die Blockade der Versorgungswege ebenfalls zur Kapitulation gezwungen wurde. Das Schicksal der Belagerten wird im ‚Theatrum Europaeum‘ eindringlich geschildert: Vnter dessen vnd fortan/ hat die Hungersnoth also in Perpignano zugenommen/ daß die Bürger jre Kinder/ sonderlich gegen Abend/ wol verwaren musten/ damit sie von Soldaten nit verzücket vnd verzehret wurden/ derer sie etliche verlohren gehabt. Dabeynebens wurde ein Magazin von gesottenen Häuten vnd Geyßfellen auffgerichtet/ vnd deß Tags einem Soldaten davon 6. Vntzen sampt 1. Loth Oehl/ sich zu erhalten/ gegeben. Da nun diese Häute abgenommen hatten/ wurden alle 2. Tage ohngefehr 5. Pferde für die Hohe vnd andere Officirer geschlachtet […]. Jn Summa sie hatten endlich zur Zeit der Vbergab/ daß sie ausserhalb deß Leders vnd Pferden/ in 300. Menschen gefressen haben/ selbsten bekandt […]. [Mit der Zeit] war die Noth in Perpignan so groß/ daß ein Soldat deß Tags nit mehr als ein halbe vntz Oehl/ vnd 6. Vntzen Geyßfell bekamen/ von der Burgerschafft aber viel Hungers starben.6

Die genannten Ereignisse, vor allem die des Jahres 1640, und die Niederlagen im spanisch-niederländischen Krieg leiteten den mit dem Pyrenäenfrieden von 1659 besiegelten Verlust der Vormachtstellung Spaniens in Europa zugunsten Frankreichs ein. Parallel dazu vollzog sich der Niedergang der spanischen Kolonialherrschaft, da u. a. die gesamten portugiesischen Kolonialgebiete Spanien nun verloren gingen. Die früheste Version des Blattes bildete wahrscheinlich eine französisch-niederländische Fassung (a), die nach der Entsetzung der durch Spanier belagerten französischen Stadt Rocroi im Mai 1643 entstanden war. Auf diesem Blatt werden auch die ausgezogenen Schuhe des Spaniers mit Namen der verlorenen Städte (Hesdin und Arras) versehen, wodurch diese Kleidungsteile erst ihre Funktion im Bild erhalten. Als Vorlage für die deutsche Fassung diente wohl ein weiteres französisches Blatt (b), das den Namen der am 10. August eroberten Festung Thionville (Diedenhofen) enthält. Der Verfasser der deutschen Fassung hat die eingravierten französischen Texte paraphrasiert und unter die Graphik gesetzt. Die in der

Originalfassung an dieser Stelle befindlichen Texte, die als Aussagen den dargestellten Figuren zugewiesen waren, sind entfallen. Beibehalten wurde das Wortspiel mit der französischen Bezeichnung für die Stadt Salse. Ob es sich auch bei dem Wort Gänßlein in der deutschen Version um ein Wortspiel handelt, ist nicht zu entscheiden. Da das Blatt aber auch den Anteil der Niederlanden an der Niederlage Spaniens mit einbezieht, könnten damit die Geusen, die niederländischen Freiheitskämpfer gegen Spanien, gemeint sein, die in der Publizistik gelegentlich als Gänse dargestellt werden (b II, 35, 93, 100, 190; IX, 137).7 Eine ähnliche Bildkonstruktion wie auf dem vorliegenden Blatt findet sich auf dem französischen Einblattdruck ‚L’ESPAIGNOL SANS CŒVR‘ (um 1642),8 nur dass hier der Spanier nicht der Kleidung sondern des Herzens beraubt wird und sich an der Aktion zusätzlich ein Flame beteiligt.

Weitere Standorte: Berlin, KB: 1001,59; Coburg, Veste: XIII,321,200; Paris, BN: Hennin, 3204; Wien, Albertina: Hist. Blätter, Perpignan (A 1)

Andere Fassungen: a)

b)

Rotterdam, SvS: 18859 [niederländisch-französische Fassung: DEN BEROYDEN SPAGNIAERT. L’ESPAGNOL DESPOVILLE] Amsterdam, RM: FM 1870;10 Paris, BN: Tfl 17.563,11 und Hennin, 3203 [französische Fassung: L’ESPAGNOL DESPOVILLE; A. Boudan exc.]

A1

PAAS VII, P-2130.

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Zur antispanischen Publizistik b IX, 174. Theatrum Europaeum III, 811–813, 821 f., 849–854; Abb. nach 872; zwei weitere Situationskarten bei DRuGuLIN II, 2133 und 2134. H. SCHÄFER: Gesch. von Portugal, I–V. Hamburg/ Gotha 1839–1854, hier IV, 452–488; R. VALLADARES: La Rebelión de Portugal. Guerra, conflicto y poderes en la Monarquia Hispánica (1640–1680). Junta de Castilla y León 1998. J. H. ELLIOTT: The revolt of the Catalans. Cambridge 1963. Theatrum Europaeum IV, 699 f., 703–707, mit einem Stich ‚Abriß der Statt vnnd CITTADELLE PERPIGNIAN sampt dem Stat der Kön. ARMEE‘; einen Fortifikationsplan von Perpignan nennt DRuGuLIN II, 2198. Theatrum Europaeum IV, 706. Zum Kannibalismus im Krieg vgl. D. FuLDA: Wann wir die Menschenfresser nicht in Africa oder sonsten/ sondern vor unser Hausthür suchen müssen. Hungeranthropophagie im Dreißigjährigen Krieg u. der europäische Kannibalismusdiskurs. In: H. RÖCKELEIN (Hg.): Kannibalismus u. europäische Kultur. Tübingen 1996, 143–175. PAAS I, P-89 f. PAAS VII, PA-370. PAAS VII, PA-369. PAAS VII, PA-368. H. DuCCINI: L’Espagnol dans l’image satirique en France au XVIIe siècle. In: J.-C. GARDES/ D. PONCIN (Hgg.): L’étranger dans l’image satirique. Poitiers 1994, 11–37, Abb. 5. EP

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IX, 182

F 78

Ort Jahr Bild Text Format

Unter Verwendung eines Tanz-Motivs kritisiert das Blatt die politische Haltung der europäischen Mächte gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges. Abgebildet wird eine in einem Festsaal veranstaltete Tanzszene. Die Tanzenden bilden zwei gegenüberstehende Reihen: rechts der König von Frankreich mit den Alliierten,1 links der Kaiser mit seinen Verbündeten.2 In einigem Abstand zu den beiden Parteien tanzen mit dem Rücken zum Betrachter zwei Vertreter der Schweizer Kantone. Links von ihnen versucht Johann Georg I. von Sachsen (1585–1656) sich von den Tanzenden unauffällig zu entfernen. Der Tanz wird von drei Zuschauergruppen beobachtet. Im Vordergrund rechts stehen der Fürst von Siebenbürgen (Georg I. Rákóczi; 1593–1648) und der türkische Sultan Ibrahim I. (1615–1648, Sultan seit 1640), in der linken vorderen Ecke unterhalten sich drei italienische Fürsten. Ihr Status als Beobachter wird durch die Platzierung auf Podesten hervorgehoben. Hinten knien vor einer geöffneten Tür die Fürstbischöfe von Mainz, Köln und Trier, hinter denen Friedrich Wilhelm von Brandenburg (1620–1688) und der Herzog Karl IV. von Lothringen (1604– 1675) stehen. Im Hintergrund rechts ist auf einem Katafalk ein Sarg mit der Leiche Friedrichs V. von der Pfalz (1596–1632) aufgestellt, vor dem einige Kardinäle unter Leitung des Papstes aufspielen. Am Rande der Tanzgruppe liegt in eine Decke eingehüllt der tote Gustav Adolf. Im weiteren Hintergrund links, unbeteiligt an der allgemeinen Veranstaltung, sind als Vertreter Englands Karl I. von England (1600⫺1649, König seit 1625) und General Robert Devereux 3. Graf von Essex (1591⫺1646) vor einer Musikkapelle zu sehen. Über den tanzenden Hauptfiguren schweben ein Engel mit Schwert und Rute, der Ölzweige herabwirft, und die Personifikation des Neids mit Schlangenhaar und nackten Flügeln, die Zanckäpffel streut. Der Text berichtet einleitend, dass das Fürstliche[ ] Ballet von dem Neid veranstaltet werde und die beteiligten Christen Potentaten wegen politischer Ränkespiele Land vnd Leut in Gefahr brächten. In den folgenden Strophen äußern sich europäische Regenten zu ihrer Teilnahme an dem Ballett. Während sich der französische König und der Kaiser dank ihrer Verbündeten zuversichtlich zeigen, beklagt der Kurfürst von Bayern das Geld, das ihn seine Teilnahme koste. Der Kurfürst von Sachsen würde gern aus dem Tanz ausscheiden, wofür er allerdings nur geringe Chancen sehe; der Kurfürst von Brandenburg dagegen sei vom Tanz ausgeschlossen worden, noch bevor er ihn gelernt habe. Eine abwartende Haltung nehmen die Italiener, der Fürst von Siebenbürgen und der Sultan ein. Eine differenzierte Position beziehen die katholischen Geistlichen: Halten sich die Fürstbischöfe fern vom unheilbringenden Ballett, so gesellen sich die Kardinäle zu denen, die am besten zahlen, und der Papst zu denen, die die besten Aussichten auf Erfolg haben. Abschließend klagt der Neid die 344

Groß Europisch Kriegs-Balet/ getantzet

(um 1643/44) Radierung Typendruck in 4 Spalten; 34 Reimpaarstrophen 37,0 ! 26,2; 18,4 ! 27,0

Versammelten der Uneinigkeit an, und der Strafengel droht mit schwersten Plagen, sollten sie den Streit nicht aufgeben, und ermahnt sie zum Frieden. Eine Bildlegende mit Verweisbuchstaben beschließt den Text. Das Flugblatt stellt die europäische Machtkonstellation der Jahre 1643 und 1644 dar.3 Seit 1635 kämpfte Frankreich gegen den Kaiser und Spanien. Ludwig XIV. war 1643 im Alter von vier Jahren Nachfolger seines im Mai gestorbenen Vaters geworden.4 Ihm zur Seite standen die Niederlande und Schweden, das auf dem Blatt durch den General Lennart Torstensson (1603–1651) vertreten wird. Bis 1643 operierte er erfolgreich in Böhmen (der Böhmische[ ] Tantz) und leitete dann den Feldzug gegen Dänemark. Der Allianz schloss sich nach dem Abfall von der spanischen Krone 1640 Portugal an (b IX, 181). Der gegnerischen Koalition gehörten neben dem Kaiser der Kurfürst von Bayern sowie Spanien an, das seit der Krise 1640 unter erheblichen finanziellen Belastungen litt. Als 1643 der dänisch-schwedische Kampf um die Vorherrschaft im Ostseeraum ausbrach, stieß Dänemark zu dem Bund; der Konflikt zwischen den Nordmächten wurde im November 1644 beigelegt. Der Kurfürst von Brandenburg hatte nach der Regierungsübernahme 1641 sein Heer aufgelöst, ein Separatabkommen mit Schweden geschlossen und war damit aus dem Kriegsgeschehen ausgeschieden. Johann Georg I. von Sachsen, der sich im Prager Frieden 1635 mit dem Kaiser arrangiert hatte, musste seitdem der Verwüstung seines Landes durch Schweden zusehen, bis er 1645 einen Waffenstillstand schloss, um den gänzlichen Ruin seines Landes zu verhindern. Rákóczi marschierte, nachdem er im November 1643 mit Einverständnis des osmanischen Sultans ein Bündnis mit Schweden geschlossen hatte, im Februar 1644 ins habsburgische Ungarn ein.5 Fern vom europäischen Kriegsgeschehen blieb England, das seit 1642 Schauplatz eines Bürgerkrieges war, in dem sich der König und der Graf von Essex als einer der Oppositionsführer gegenüberstanden. Als Darbietungsform seiner Satire nutzte der Blattautor die moderne Gattung des höfischen Balletts. Wie andere höfische Tanzformen demonstrierte das Ballett, an dem auch der Regent persönlich und ein Teil der Hofgesellschaft als Akteure mitwirken konnten, in der Rollenverteilung die sozio-politischen Verhältnisse und Ansprüche des Hofes und verarbeitete oft in allegorischer Form aktuelle Ereignisse.6 So wurde während der Verhandlungen in Münster und Osnabrück und unmittelbar danach gern der Friede in den Balletten thematisiert.7 Mit seiner Kritik an den kriegsführenden Parteien und in seiner Forderung nach dem Friedensschluss reiht sich das Blatt in diese Gruppe von Texten ein. 1648 aktualisierte das Flugblatt ‚Le Festain et le branle de la Paix gegneralle‘ das Tanz-Motiv.8 Es zeigt die Personifikationen der am Westfälischen Frieden beteiligten Staaten beim Reigentanz.

Weitere Standorte: Coburg, Veste: XIII, 442,50; Dresden, KK: Flugblätter, B 1980 a 4 (A 1); Stockholm, KB (A 2); Wolfegg, KK: Flugblätter 250,170 (A 1); ehem. Ulm, StB (A 3); ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig (A 4)

Andere Fassungen: a)

Gotha, SM: 19,25; London, BM: 1871.1209.586; Magdeburg, KHM: Gr. 7652 (Text fehlt); München, BSB: Einbl.V.8a,97; Nürnberg, GNM: 643/1314; Ulm, StB: Einbl. 345 [Groß Europisch Kriegs Balet] Amsterdam, RM: FM 1708a9 [HET GROOT BALET] Amsterdam, RM: FM 1708c;10 Stockholm, KB11 [HET GROOT EVROOPSCH KRYGHS BALET] Amsterdam, RM: FM 1708b12 [HET GROOT EUROOPISCH KRYGS BALET]

b) c) d)

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PAAS VII, P-2175. SNOILSKY, 87, Nr. 2. WELLER: Lieder, XLIX. DRuGuLIN II, Nr. 2195. DITFuRTH: Volkslieder, 331. HIRTH IV, Abb. 2100. WÄSCHER 48. Flugblätter Coburg, Nr. 100. … gantz verheeret!, Nr. 338. Krieg und Frieden, Nr. 1145. W. HARMS: Europa in der dt. Bildpublizistik der Frühen Neuzeit. In: I. DINGEL/ M. SCHNETTGER (Hgg.): Auf dem Weg nach Europa. Deutungen, Visionen, Wirklichkeiten. Göttingen 2010, 41⫺53, hier 45⫺47. Ludwig XIV. von Frankreich, Johann IV. von Portugal, Friedrich Heinrich von Nassau-Oranien, der schwedische General Lennart Torstensson. Kaiser Ferdinand III., Maximilian I. von Bayern, Philipp IV. von Spanien (König von Kastilien), Christian IV. von Dänemark. Zum Folgenden vgl. u. a. G. PARKER: Der Dreißigjährige Krieg. Frankfurt a. M./ New York 1987, 246–265; WEDGWOOD: Krieg, 374–412. Die Thronbesteigung ergibt den terminus post quem für den Druck. Da der Fürst von Siebenbürgen auf dem Blatt noch als unbeteiligt dargestellt wird, bildet sein Kriegseintritt den terminus ante quem für den Einblattdruck. R. BRAuN/ D. GuGERLI: Macht des Tanzes, Tanz der Mächtigen. Hoffeste u. Herrschaftszeremoniell 1550– 1914. München 1993, 96–165. Z. B. François Ogier: BALLET DE LA PAIX. Dancé a Munster le 26. feurier 1645. O.O. (1645), dazu E. MÜLLER: Ballette der Franzosen im Rathaus zu Münster zur Zeit der Friedensverhandlungen (1645 u. 1646). In: Spiel u. Feier. Blätter des Theaters der Stadt Münster 17 (1926/27), 185–190; Christian Rothgiesser: Inhalt des Fürstl. Ballets […] zu Gottorff. O.O. (1649), dazu I. HÖPEL: Gottorfer Feste. Anlässe zur Repräsentation. In: Gottorf im Glanz des Barock. Kunst u. Kultur am Schleswiger Hof 1544–1713. Ausstellungskatalog Schleswig 1997, I, 236–243; Krieg und Frieden, Nr. 717. Vgl. Krieg und Frieden, Nr. 720. Für die Verwendung des Tanzmotivs in der politischen Publizistik vgl. etwa: Vortrab vier folgender Politicorum Oder FABuLA VETuS, Das ist Der alte Dantz. O.O. 1621; Vermumbter Spannischer Danntz Mit der Königin Helvetia. Zürich 1629; WELLER: Lieder, XXVI; BOHATCOVÁ, Nr. 83; b II, 141, 226. PAAS VII, PA-376. PAAS VII, PA-378. PAAS VII, PA-377. PAAS VII, PA-379. EP

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IX, 183

F 857

Ort Jahr Bild Text Format

Das Flugblatt berichtet von der Hinrichtung des Erzbischofs von Canterbury William Laud (1573– 1645)1 und gibt einen Einblick in den Verlauf der Ereignisse bis zur Vollstreckung des Urteils. Das Porträt William Lauds bildet den Vordergrund des Ovals, dessen Rahmen von einem Totenkopf mit den Märtyrersymbolen Lorbeerkranz und gekreuzte Palmwedel bekrönt wird. Im Hintergrund der Abbildung öffnet sich der Blick auf die Hinrichtungsszene. Der Autor lässt keinen Zweifel an der Würde des Erzbischofs und beschreibt ihn als eine Person, der es gelang, trotz niederen Standes durch seine Bildung die Gunst des englischen Königs zu erwerben und so zugleich die Positionen des Erzbischofs, des königlichen Rats und Pfetters (Paten) des Prinzen einzunehmen. Der Autor berichtet von den Ereignissen, die zur Verurteilung und Hinrichtung Lauds führten. Er nennt als Gründe für die Verurteilung des Erzbischofs die offiziellen Anschuldigungen durch das Parlament: seine Absicht, die weltliche und geistliche Regierung in England zu verändern. Der Autor schildert die Urteilsverkündung durch das Parlament, erwähnt die dreijährige Haftzeit und die Abmilderung des Urteils, nachdem König Karl I. (1600–1649, König seit 1625) seinem Vertrauten offiziell verziehen hatte. Das revidierte Urteil sah nun nicht mehr den Tod durch Erhängen und anschließendes Vierteilen vor, sondern das Enthaupten mit dem Beil, wie es sich für einen Edelmann gebührte. Dem eigentlichen Ablauf der Urteilsvollstreckung widmet der Autor einen Großteil seiner Ausführungen. Er achtet dabei auf die Erwähnung der einzelnen durchschrittenen Stationen, auf die Nennung ausgewählter Personen und die Beschreibung der Kleidung Lauds. Besonderen Wert aber legt der Autor auf die letzten Worte des Erzbischofs. Seine Rede gliederte sich dem Berichterstatter zufolge in drei Teile. Der erste Teil diente erbaulichen Zwecken und Laud soll hierfür die Bibelstelle Hebr 12,2 verwendet haben. Der nachfolgende Teil beinhaltete eine Rechtfertigung, die Laud sowohl auf seine Person als auch auf seine Schriften bezog und die mit dem Wunsch endete, die von ihm verfassten Schriften nach seinem Tod drucken zu lassen. Der dritte Teil, ein Gebet, beendete seine Ansprache. Danach entledigte sich der Erzbischof seiner Robe und verband die Wirkung des sichtbar werdenden scharlachroten Unterkleides mit einem Vergleich, in dem er sich Johannes dem Täufer an die Seite stellte und seinen Tod als Opfer für die Ruhe in der Bürgerschaft interpretierte. Zu diesem Zweck soll er seine Gedanken mit dem Wunsch beendet haben, dass nach seinem Ableben Frieden herrschen solle unter den Bürgern. Nachdem er Abschied von seinen Predicanten und Dienern genommen hatte, 346

Warhafftiger verlauff vnd abbildung/ von

(Straßburg?) (1645) Kupferstich (von Peter Aubry d.J.?, 1623/24⫺1686) Typendruck in 2 Spalten; Prosa 36,5 ! 30,7; 17,6 ! 13,9

legte er den Kopf auf den Richtblock und der Henker trennte denselben sogleich vom Körper. Kopf und Rumpf wurden danach von den Dienern in einen Sarg gelegt und begraben. Der Berichterstatter beendet seine Darstellung mit der Mahnung an die Leser, dass der Mensch niemals vor dem Tod glückselig sein könne, auch wenn er alle Würden des Diesseits in sich vereine. Die Hinrichtung des Erzbischofs von Canterbury fällt in die Zeit des englischen Bürgerkriegs, in dem König und Parlament um die Macht rangen. Laud war beim Parlament aufgrund seiner politischen und religiösen Reformbestrebungen auf Ablehnung gestoßen, da er den Absolutismus des Königs fördernd unterstützte und der anglikanischen Kirche ein neues Erscheinungsbild geben wollte. Nach der Auflösung des Parlaments 1629 und der Inhaftierung einiger Parlamentarier herrschte in England eine bis 1642 andauernde parlamentslose Zeit, welche die Gegner des Absolutismus als the Eleven Years ‚Tyranny‘ bezeichneten.2 Während dieser Periode widmete sich Laud verstärkt seinen Kirchenreformplänen. Vor allem die Liturgie, das Ritual und die Hierarchie, an deren Spitze er den König sah, sollten verändert werden. Um seine Vorhaben zu gewährleisten, kontrollierte er die Verwendung des ‚Book of Common Prayer‘ und verdrängte puritanische Prediger aus ihren Ämtern.3 Bei den Puritanern entstand der Verdacht, dass die englische Kirche mit diesen Schritten rekatholisiert werden sollte.4 Ausdrücklich zur Verantwortung gezogen wurde Laud wegen des Krieges mit Schottland, der 1639 als the First Bishops’ War für kurze Zeit entbrannte, da Karl I. nicht über eine ausreichend große Streitmacht verfügte.5 Die Ursachen des Krieges lagen in der Absicht Lauds und Karls, das schottische ‚Book of Common Prayer‘ einzuführen und die Gottesverehrung zu uniformieren, was den Interessen des vorwiegend presbyterianischen Adels widersprach. Um die Gelder für den Second Bishops’ War zu erhalten, rief der König das Parlament 1640 wieder zusammen. Die Parlamentarier erhoben Anklage gegen den engsten Berater des Königs Thomas Wentworth, Earl of Strafford (1593– 1641), wegen Hochverrats am Gemeinwesen. Nachdem das Unter- und Oberhaus der Anklage zugestimmt hatten, gab schließlich auch der König nach, so dass Strafford 1641 enthauptet wurde. Im gleichen Jahr debattierte das Parlament über das Kirchenregiment. Die meisten Parlamentarier lehnten Lauds Uniformitätspolitik ab, forderten die Einschränkung der Kirchengewalt und die Abschaffung aller Titel und Würdenträger in der Kirche.6 Bedingt durch den Ausbruch des irischen Aufstandes benötigte Karl Gelder, die das Parlament nicht bewilligen wollte. Für die Abgeordneten stellte sich nun die Frage nach ihrem Standpunkt zum König. 1642 begann der 1. Bürgerkrieg in England. Mit der Enthauptung Lauds

am 10. Januar 1645 war die Kirchendebatte abgeschlossen.7 Für die Zeitgenossen blieb der Erzbischof von Canterbury als eine kontroverse Person in Erinnerung.8 Sein Beispiel wurde in den Niederlanden dazu verwendet, um die Verfolgung der Protestanten und Puritaner darzustellen (b IV, 247). Die Illustration des Flugblatts wurde in das ‚Theatrum Europaeum‘ übernommen.9

Weitere Standorte: Basel, Kunstmuseum: Bd.K.163, fol. 81 (A 1); London, BM: 1875.0710.1539; Oxford, The Ashmolean Museum: Sutherland Collection, C.IV *429 (A 1); Straßburg, Cabinet des Estampes et des Dessins: 77.000.0.13 (A 1)

Andere Fassungen: A1

PAAS VII, P-2159.

1

C. H. SIMPKINSON: Life and Times of William Laud, Archbishop of Canterbury. London 1894; C. CARLTON: Archbishop William Laud. London u. a. 1987. K. KLuXEN: Gesch. Englands. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Stuttgart 1991, 293 f. Ebd., 297. Jacobus Thomasius: SESQVISECuLuM ANGLICANuM Oder Kurtze […] Erzehlung/ was sich in England von Regierung Heinrich des Achten/ biß auff die jüngst-vorgenommene Enthäuptung CAROLI des Ersten […] vor Veränderung […] zugetragen. Leipzig 1649, 15–18; William Prynne: Canterburries Doome. OR THE FIRST PART OF A COMPLEAT HISTORY OF THE Commitment, Charge, Tryall, Condemnation, Execution of WILLIAM LAVD late Arch-Bishop of Canterbury. London 1646. KLuXEN: Gesch. Englands, 299. Ebd., 306–313. K. SHARPE: Archbishop Laud. In: M. TODD (Hg.): Reformation to Revolution. Politics and Religion in Early Modern England. London/ New York 1995, 71–77. Thomasius: SESQVISECuLuM ANGLICANuM, 24–31. Theatrum Europaeum, V, 675. AR

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F 12

Ort Jahr Bild Text Format

In Form eines Disputs stellt das Blatt die Positionen einzelner Parteien in der Auseinandersetzung um den Frieden dar. Das Bild zeigt einen nicht näher identifizierbaren Raum. Im Zentrum sitzen an einem Tisch in einen Disput vertieft drei Vertreter der Konfessionen: der Papst, ein Jesuit und ein Evangelischer Doctor der H. Schrifft, der offensichtlich die vor ihm liegende aufgeschlagene Bibel als Argument für seine Aussage benutzt. Den Disputierenden schauen die Oberhäupter der europäischen Mächte zu, die in den Dreißigjährigen Krieg verwickelt sind: Links sitzen die Fürstbischöfe von Köln und Mainz und Maximilian I. von Bayern (1573–1651), rechts Reichskanzler Axel Oxenstierna (1583– 1654), Prinz Friedrich Heinrich von Nassau-Oranien (1584–1647) und der Landgraf von Hessen;2 in der hinteren Reihe in hierarchischer Reihenfolge von links nach rechts Kaiser Ferdinand III. (1608– 1657, Kaiser seit 1637), Ludwig XIV. von Frankreich (1638–1715, König seit 1643), Philipp IV. von Spanien (1605–1665, König seit 1621), die Kurfürsten Johann Georg I. von Sachsen (1585–1656) und Friedrich Wilhelm von Brandenburg (1620–1688), Herzog Karl IV. von Lothringen (1604–1675), der Fürst von Siebenbürgen Georg I. Rákóczi (1593– 1648) und Johann IV. von Portugal (1604–1656, König seit 1640). Ihr Friedenswille wird durch die um ihre Schwerter geschlungenen Olivenzweige bekundet. Eine dritte Figurengruppe steht links im Vordergrund auf einer Wolke. Christus mit dem Kreuz in seiner Linken wendet sich mit der mahnend erhobenen Rechten den Disputanten zu; aus seiner Seitenwunde fließt das Blut in einen Kelch. Vor ihm knien zwei vnschuldige[ ] Seelen der vmbgebrachten Kinder und schauen mit einem Klagegestus zu ihm empor. Christus wird begleitet vom Straff Engel mit Symbolen der Pest, des Hungers und des Krieges in den Händen. Alle Figuren der Graphik werden durch Inschriften identifiziert. Der Text setzt sich aus Aussagen aller im Bild dargestellten Personen zusammen. Christus sehe sich gezwungen in die Geschehnisse einzugreifen, weil die Menschen das Maß der Sünden überschritten hätten. Er, der für die Menschen gelitten habe und gestorben sei, ruft alle auf, den Krieg, der nichts als Not und Pein mitbringe, zu beenden, sonst drohe ihnen seine Rache und Höllenstrafe. Der Papst kommentiert die Aussage Christi. Er tadelt die Geistlichkeit und weltlichen Mächte, dass sie den Krieg im Namen Gottes führten. Nicht nur das Reich sei in Schutt und Asche gelegt worden, auch die Nachbarländer ⫺ genannt werden Italien und Frankreich ⫺ seien betroffen. In der Intensität der Kriegsführung sei sogar der Untergang der Christenheit in Kauf genommen worden. Er fordert alle auf, Helm und Spieß zu brechen, die Schwerter zu Pflugscharen umzuschmieden (Jes 2, 4), die Häupter mit Olivenzweigen zu krönen und so den Willen zum Frieden glaubhaft zu machen. Der Jesuit stellt die römische Kirche unter Berufung auf die Altväter und die von ihnen festgelegten Gesetze 348

Seuffzer nach dem Guldinen Friden

(Straßburg) 1645 Kupferstich von Jakob von der Heyden (1573–1645)1 Typendruck in 5 Spalten; 258 Verse verschiedener Metren (Alexandriner, Knittelverse u. a.) 48,8 ! 34,9; 22,5 ! 34,7

als die einzig wahre dar. Sie bleibe bestehen trotz der wiederkehrenden Versuche seitens der Ketzer, ihr Schaden zuzufügen. Als solche werden Vertreter anderer Konfessionen bezeichnet, mit dem Ketzer Vatter Luther an der Spitze. Eine Voraussetzung für den Frieden ohn Fähl vnd Mängel sei die ‚Austilgung‘ aller Ketzer. Die Aussage des lutherischen Geistlichen richtet sich an den Jesuiten und enthält eine lange Liste von Beschuldigungen der Ordensmitglieder. Das Spektrum der Vorwürfe reicht von liturgischen Aspekten über die Dominanzansprüche bis hin zu politischen Aktivitäten der Jesuiten und ihrem verbrecherischen Anteil am Krieg. Die Unschuldigen Seelen der Kinder klagen dem Erlöser ihre Not im Krieg, indem sie all die grausamen Todesarten, die sie erlitten haben, aufzählen, und bitten Jesus um Vergeltung an ihren Feinden und um Frieden. Die Aussage des Strafengels beschränkt sich auf die Drohung mit Schwerdt/ Hunger/ Pestilentz (Jer 14, 12) und Hölle, falls der Friede nicht geschlossen werde. Die knappen Aussagen der Zuschauer erfolgen in der Reihenfolge der Sitzordnung, angefangen mit dem Kaiser. Während Ferdinand III. vorgibt, nichts von den Kriegsleiden zu wissen, und Oxenstierna bedingungslos dem Frieden zustimmt, geben die Aussagen der übrigen Herrscher die Stellung der jeweiligen Länder in der aktuellen politischen Konstellation zu erkennen und spiegeln die Interessen der Parteien am Frieden bzw. an der Fortsetzung des Krieges wider, ohne dass dabei konfessionelle Aspekte eine Rolle spielen. Für die Auseinandersetzung mit der aktuellen Friedensproblematik wählte der Blattverfasser die Form eines Religionsgesprächs, wie es vornehmlich im 16. und auch noch im 17. Jahrhundert im Auftrag verschiedener Obrigkeiten veranstaltet wurde.3 Das Disputieren katholischer, lutherischer und reformierter Theologen in Anwesenheit zahlreicher Zuhörer sollte helfen, Gegensätze zwischen den Konfessionen abzubauen und in dem jeweiligen Territorium kirchlichen Frieden zu stiften. Im 17. Jahrhundert wurden diese Disputationen nur mehr noch als politisches Mittel benutzt, da die Versöhnung der Konfessionen auf diesem Wege nicht erreicht werden konnte. Diese Eigenschaften eines Religionsgesprächs – seine politische Dimension und seine Funktion als Instrument der Friedensstiftung – schienen geeignet, in dieser Form den aktuellen Stand der Friedensverhandlungen zu kommentieren, zumal der Dreißigjährige Krieg von den Zeitgenossen als Religionskrieg angesehen wurde.4 Das vorliegende Blatt unterscheidet sich nur geringfügig von der Fassung aus dem Jahre 1636: Ausgetauscht wurden zwei Personen in der Graphik ⫺ anstelle von Rákóczi und Johann IV. von Portugal erscheinen dort Ferdinand von Spanien (1609–1641) und Herzog Victor Amadeus I. von Savoyen (1587–1637). Als Vorlage für das Blatt diente wohl der niederländische Einblattdruck von 1636 ‚Raet en middel‘ (b II, 310),5 der vor der Eskalation des militärischen Konflikts nach dem Prager Frieden warnt. Während sich der Ver-

fasser der niederländischen Version explizit um Neutralität gegenüber den Disputanten bemüht, ist der Standpunkt des Verfassers des deutschen Blattes eindeutig. Auf seine protestantische Herkunft verweist nicht nur die Zuweisung der Bibel an den lutherischen Gesprächsteilnehmer, auf die sich Christus in seiner Aussage beruft. Vielmehr manifestiert sich sein antikatholischer Standpunkt in dem Bild des Jesuiten, dem, wie in den antijesuitischen Schriften der Zeit, eine vollständige Liste der traditionell den Patres zugeschriebenen Verfehlungen vorgehalten wird (b IX, 166 f.). Die Stellungnahme der weltlichen Machthaber zeigt dagegen, dass die Skepsis, mit der die Bevölkerung die Friedensverhandlungen verfolgte, nicht unbegründet war. Die im Dezember 1644 eröffnete Friedenskonferenz in Münster brachte nämlich bis Ende 1645 keine nennenswerten Fortschritte, und auch die Kriegshandlungen wurden unvermindert heftig fortgesetzt.6

Weitere Standorte: London, BM: Foreign History Folders 1645 (A 1); München, BSB: Einbl.V 8a, 98; Nürnberg, GNM: 692/1220; Stockholm, KB: Chr.,B.23 (A 2); ehem. Ulm, StB (A 3); ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig (A 4)

Andere Fassungen: a)

Braunschweig, HAUM: FB XVII; Paris, BN: Hennin XXVII,2380;7 Stockholm, KB: Chr.,B.228 [1636; in Bild und Text statt Rákóczi und dem König von Portugal: Cardinal Infant und (Hertzog von) Savoyen] Coburg, Veste: VII,409,303 [Seuffzer nach dem Güldinen Frieden; 1647] Wolfenbüttel, HAB: IH 21 [niederl.-dt. Fassung, b II, 310]

b) c)

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COuPE II, Nr. 313. PAAS VII, P-2173. WELLER: Lieder, XLVI. DRuGuLIN II, Nr. 2116. WÄSCHER, 49. PAAS: Verse Broadsheet, 65 f., Nr. 117. Krieg und Frieden, III, Nr. 512 (mit Abb.). THIEME/BECKER XVII, 17–19; BENZING: Verleger, 1168 f. Bei dem Landgrafen von Hessen handelt es sich wahrscheinlich nicht um Georg II. von Hessen-Darmstadt, sondern um Wilhelm VI. von Hessen-Kassel, in dessen Namen allerdings 1645 seine Mutter Landgräfin Amalie Elisabeth regierte. M. HOLLERBACH: Das Religionsgespräch als Mittel der konfessionellen u. politischen Auseinandersetzung im Deutschland des 16. Jhs. Frankfurt a. M./ Bern 1982; T. FuCHS: Konfession u. Gespräch. Typologie u. Funktion der Religionsgespräche in der Reformationszeit. Köln u. a. 1995. Vgl. dazu J. BuRKHARDT: Der Dreißigjährige Krieg. Frankfurt a. M. 1992, 128–178; T. KAuFMANN: Dreißigjähriger Krieg u. Westfälischer Friede. Kirchengeschichtliche Studien zur lutherischen Konfessionskultur. Tübingen 1998. Um Glauben und Reich, II/2, Nr. 769. WEDGWOOD: Krieg, 402–417. PAAS VII, P-2039. Ebd. EP

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IX, 185

F 168

Ort Jahr Bild Text Verleger Format

Unter Verwendung biblischer Zitate begrüßt das Blatt den gerade geschlossenen Westfälischen Frieden. Das Bild ist horizontal in zwei ungleich große Teile gegliedert. Der untere vordere Teil präsentiert sich wie ein Schlachtfeld, auf dem beschädigte und nicht mehr benötigte Requisiten des Krieges verstreut liegen: Waffen, eine Trommel, eine Trompete, Fahnen, ein Pulverfass, ein Harnisch, ein brennender Wagen. Rechts im Vordergrund steht unter einem dicht belaubten Baum die Personifikation des Friedens als junge Frau in wallendem Gewand mit einer Krone auf dem Kopf, ein Fähnlein mit der Darstellung eines Lorbeerkranzes in der Rechten und einen Olivenzweig in der Linken. Mit dem rechten Fuß tritt sie in Siegerpose auf den vor ihr liegenden Kriegsgott Mars. Er trägt die Rüstung eines antiken Kriegers, sein Schwert ist zerbrochen. Der obere hintere Bildteil präsentiert sich als eine friedliche Landschaft mit einer Kirche auf einem Weinberg und den ordentlich bestellten Feldern voll reifen Getreides, bevölkert mit Menschen, die ihren Geschäften und ihrer Arbeit nachgehen. Links oben schwebt auf einer Wolke Gottvater, von dem aus ein Lichtstrahl quer durch das Bild auf die Gestalt des Friedens fällt. Der Text besteht aus vier Segmenten, deren Überschriften ihre thematische Ausrichtung wiedergeben. Der FriedensSpruch artikuliert Freude über den als besiegten Krieg verstandenen Frieden, der dank Gott zustande gekommen sei; dabei wird ein enger Bezug zur Graphik hergestellt. Alle Stände vom höchsten Adel bis hin zum Bauern (und seinem Vieh), die von dem Frieden profitieren, indem sie ungestört ihren Pflichten und beruflichen Tätigkeiten nachgehen können, werden in einer langen Liste im FrewdenSpruch aufgezählt. Die anschließende rhetorisch ausgeschmückte Frage nach dem Urheber dieser Wohltat wird sogleich mit einem Lobpreis Gottes beantwortet. Eine Danksagung für den Frieden erfolgt mit Hilfe mehrerer Psalmenzitate, die unter dem Titel LobSpruch vereinigt sind. Der als BußSpruch überschriebene Textabschnitt bekundet mit weiteren Zitaten aus dem Alten und Neuen Testament die Notwendigkeit der Buße für die begangenen Sünden, die als die Ursache des Krieges angesehen werden, und fordert auf, in Zukunft den richtigen Weg zu gehen. Die abschließenden Verse wiederholen in ausführlicherer Weise die Mahnung, gottesfürchtig zu leben und Sünde/ Laster vnd Schand zu meiden, wolle man der Hölle entgehen. Nicht nur für die literarisch ausgerichtete Publizistik, sondern für die gesamte Kriegsdichtung der Zeit war die Darstellung des Friedens in antithetischer Gegenüberstellung zum Krieg typisch (b II, 315). Gedichte über den Frieden waren in erster 350

ES

JST

FRJED/ Psalm 46. v. 6.7.

Ulm 1648 Kupferstich von Matthäus Rembold (tätig um 1622–1657)1 Typendruck in 4 Spalten; 96 Alexandriner, Bibelzitate Matthäus Rembold 29,1 ! 36,6; 11,4 ! 14,7

Linie Klagen über die Verwüstungen und das Elend, die der Krieg verursacht und hinterlassen hatte. Dieses Verfahren wird im Blatt schon in seinen auffälligsten Komponenten sichtbar: Der Titel zitiert Ps 46, 6 f. (recte: 9 f.) von der Macht Gottes über Krieg und Frieden, und in der Graphik bildet die Darstellung der Hinterlassenschaften des Krieges den Schwerpunkt. Das Lob des Friedens realisierte sich oft, wie auch hier, in einer Aufzählung menschlicher Tätigkeiten, die der Krieg bis jetzt verhindert habe und die nun zum Wohl der Menschen jedes Standes wieder ausgeübt werden könnten.2 Es fehlen im Blatt jedwede agitatorische oder polemische Töne, und der eigentliche Anlass seines Entstehens, der 1648 geschlossene Westfälische Frieden, wird als reales Ereignis genauso wenig erwähnt wie andere aktuelle politische Komponenten, etwa die tatsächlichen Ursachen des Krieges und seine Dauer. Kein Feind wird beim Namen genannt. Der Krieg erscheint abstrakt als der Verderber, ein Verfahren, das oft angewandt wurde, wenn man vom Christenmörder sprach3 oder gar den Krieg allegorisch als ein Untier darstellte (b I, 176)4 und als ein Ungeheuer apostrophierte (b IV, 259). So erscheint auch der Friede nicht als Ergebnis politischer Verhandlungen, sondern einzig und allein als Resultat des göttlichen Willens (b IV, 259). Desgleichen bleibt das Blatt auch konfessionell indifferent und basiert auf der allgemeinchristlichen Überzeugung der Zeit von der Wirkung Gottes auf das menschliche Tun. Die Interpretation des Krieges als göttliche Strafe für moralische und religiöse Verfehlungen der Menschen (b I, 176; IX, 86)5 war besonders oft in der geistlichen Literatur und in den Predigten aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges zu finden, die den Friedenswunsch mit einem Bußaufruf verbanden.6 Genauso konventionell wie in seiner Art und Weise der Themenbehandlung ist das Blatt mit der Darstellung der Personifikationen von Krieg und Frieden, die ganz in der ikonographischen Tradition der Zeit stehen.7 Zwar versuchte der unbekannte Autor (Rembold?) mit der Wahl des Alexandriners, den Erfordernissen der neueren Kunstdichtung zu entsprechen, hat dabei aber darauf verzichtet, auch die neuen Regeln der Prosodie zu beachten, nach denen Vers- und Wortakzent zusammenfallen mussten. Eher ungewöhnlich ist dagegen die Anwendung der Bibelzitate, die direkt in den Text integriert wurden und sich durch ihre Prosaform vom Text abheben. Möglicherweise sollte das wörtliche Zitat der Bibel die Überzeugungskraft der Argumente für ein gottgefälliges Leben erhöhen oder die Einstellung des Autors veranschaulichen, dass sich das Lob Gottes nicht würdiger formulieren lasse als mit den ursprünglichen Worten Davids.8

Weitere Standorte: München, BSB: Einbl.V,8a,101; Nürnberg, GNM: 14259/ 1220

Andere Fassungen: A1 A2 A3

WÄSCHER, Nr. 51. … gantz verheeret!, Nr. 354. PAAS VII, P-2208.

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BENZING: Verleger, 1240. Vgl. z. B. ‚Friedens-Beqwämikeiten‘. In: Scherffer: Gedichte, 134–139. Zur Systematik der Friedensdarstellungen s. J. J. BERNS: Kriegs- u. Friedensbilder. Mittel ihrer ästhetischen Reflexion im 17. Jh. In: Morgen-Glantz 9 (1999), 181–217, hier 204–208. ‚Friedens-Freude. Krieges-Leid‘ (1649). In: Illustrierte Flugblätter, Nr. 67. Vgl. Logaus Epigramm ‚Die auffgeweckte Chimaera‘ (in: Friedrich von Logau: Sämmtliche Sinngedichte. Hg. von G. EITNER. Tübingen 1872 (Nachdr. Hildesheim/ New York 1974, 73–75). W. HARMS: Feindbilder im illustrierten Flugblatt der frühen Neuzeit. In: HARMS/ SCHILLING: Flugblatt der frühen Neuzeit, 245–275, hier 248; E. KLuTH: Dem Krieg ein Gesicht geben. Flugblätter aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges u. ihre Darstellungsmöglichkeiten. In: HARMS/ MESSERLI: Wahrnehmungsgeschichte, 443–462, hier 451–458. Vgl. auch DITFuRTH: Volkslieder, Nr.1; Illustrierte Flugblätter, Nr. 67; Flugblätter Coburg, Nr. 105 f., 120. Vgl. z. B. Johann Saubert: SPES NOVA PACIS, Das ist/ Widerholte nützliche Gedancken vom Frieden deß Teutschlandes. Nürnberg (1646), bes. 24–34. S. auch M. BRECHT: Evangelische Friedensliteratur: Der Bußruf Johann Rists. In: Krieg und Frieden, I, 251–258. H.-M. KAuLBACH: Weiblicher Friede – männlicher Krieg? Zu Personifikationen des Friedens in der Kunst der Neuzeit. In: S. SCHADE u. a. (Hgg.): Allegorien u. Geschlechterdifferenz. Köln u. a. 1994, 27–49, Abb. 7– 13; C. NATIVEL: Allégorie de la paix ⫺ Allégorie d’une paix? Les peintres du Nord et le langage allégorique (1550–1650). In: J. THuILLER (Hg.): 1648 Paix de Westphalie. L’art entre la guerre et la paix. Paris 2000, 433– 475; B. LANGE: Friede auf Erden u. den Männern ein Wohlgefallen. Bildliche Darstellungen vom Frieden und Stereotypien von Weiblichkeit im 17. Jh. In: K. GARBER u. a. (Hgg.): Erfahrung u. Deutung von Krieg u. Frieden. Religion, Geschlechter, Natur u. Kultur. München 2001, 601–617. Zur Kriegsikonographie s. KNAuER: Bedenke, 52–73; KLuTH: Dem Krieg ein Gesicht geben, 458–461. Vgl. HARMS: Funktionalisierungen. EP

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F 167

Ort Jahr Bild Text Verleger Format

Mit Hilfe konventioneller Symbolik preist das Blatt die Unterzeichnung des Westfälischen Friedens. Die Mittelachse der Graphik bildet eine Figurengruppe mit der über ihr schwebenden Dreifaltigkeit. Rechts und links davon sind symmetrisch die übrigen Bildelemente platziert. Von der Dreifaltigkeit fallen Strahlen auf die auf einem dreiblättrigen Kleeblatt stehenden Gestalten des Kaisers, der Königin von Schweden und des Königs von Frankreich, die sich die Hände reichen. Ihnen zugewandt knien in zwei Reihen und jeweils rechts und links ein Paar bildend sechs Figuren, die durch Kleidung und Attribute als Vertreter dreier Stände ausgewiesen sind: der katholischen und lutherischen Geistlichkeit, der städtischen Herrschaft und des häuslichen Standes. Die weiteren Elemente der Graphik sind auf drei Ebenen angeordnet und in antithetischer Gegenüberstellung aufeinander bezogen. Die linke Bildhälfte steht für den Frieden. Ein Engel, einen Palmwedel und einen Lorbeerkranz haltend, erscheint aus den Wolken, von denen ein Lichtschein auf die thronende Personifikation des Friedens fällt. Sie trägt eine Krone auf dem Kopf und hält in der einen Hand einen Palmwedel, während sie die andere aufs Herz legt. Zu ihren Füßen erscheinen als Zeichen des im Frieden blühenden Wohlstandes eine Getreidegarbe, eine Kiste voll Gold und Geschmeide und ein Korb mit Früchten. Zwei weitere Personifikationen, die Gottesfurcht mit einem Buch und die Buße mit einer Rute, halten einen Dialog mit dem Frieden. Der Gruppe ist im Hintergrund ein prachtvoll gedeihendes Getreidefeld zugeordnet. In der rechten Bildhälfte wird der Krieg allegorisiert. Ein Engel mit einer abgeknickten, zerfetzten Fahne und einem zerbrochenen Schwert in seinen Händen schaut aus den Wolken auf eine Gruppe von drei Personen: Der in Gestalt des Gottes Mars dargestellte Krieg unterhält sich mit einem General und einem Offizier. Den Platz der Wohlstandssymbole auf der linken Seite nimmt hier ein abgerissener Bettler ein. Anstelle des Weizenfeldes finden sich im Hintergrund zwei zerstörte leer stehende Häuser. Der Text besteht aus Aussagen des Friedens, des Krieges und der beiden Engel sowie der Gottesfurcht und der Buße, ohne jedoch einen echten Dialog zu bilden. Die Zuweisungsbuchstaben am Rand helfen, die Personen in der Graphik zu identifizieren. Der Frieden lobt die Einigkeit der drei Monarchen, die, von Gott gelenkt, Deutschland den Reichsfrieden brächten. Dafür sollten die drei Stände Gott vom Herzen danken. Die Aussage geht in ein Gebet an den FriedenFürst Jesus Christus über: Die Bitte um Beendigung des Krieges, das Erhalten der rechten gesellschaftlichen Ordnung (gut Policey) und die Rückkehr der Alten Teütschen Freyheit2 verbindet sich mit dem 352

Einfältige/ doch Hertzbewegliche Gedancken/ vber

Ulm (1648) Kupferstich von Matthäus Rembold (tätig um 1622–1657)1 Typendruck in 4 Spalten; 110 Knittelverse Matthäus Rembold 36,7 ! 28,6; 20,7 ! 28,6

Wunsch nach Bekehrung der Menschen und Abkehr von ihren Lastern und Sünden. Die Aussage schließt mit der Aufforderung an die beiden Schwestern, die Menschen zu Gottesfurcht und -ehre und zu Bußfertigkeit zu führen. Dem Gebet schließen sich die Gottesfurcht und die Buße an und bitten um Hilfe bei der Erfüllung ihrer Aufgaben. Das folgende Lob des Friedens, das mit seinen anaphorischen Anrufungen anfänglich einen litaneiartigen Charakter annimmt, spricht der erste Engel, der das Kriegsende als Erhörung des Gebets durch Gott darstellt und dem Frieden einen SiegsKrantz überreicht, worauf der Frieden mit einer Apostrophe an Gott antwortet. Zum Schluss kommt der Krieg zu Wort, dessen Klage über die ‚Stille‘ in Deutschland von dem zweiten Engel kurz unterbrochen wird, der seine Ausweisung aus dem Land als Willen Gottes verkündet. Der Krieg nimmt Abschied von den Soldaten, die ihm mit vnverzagter Dapfferkeit und in Lebensgefahr über lange Jahre gedient und viel Lob vnd Ehr davon getragen hätten. Das Blatt ist aufschlussreich für die wohl verbreitetste Art der Aufnahme des Friedens durch die Bevölkerung, die das Ereignis in ihrem christlichen Glauben verankert sah. Diese Friedensauffassung wird im Flugblatt durch die Darstellung des Friedens als Gnadenakt Gottes, durch die Einsicht in die menschliche Sünd- und Lasterhaftigkeit und die Notwendigkeit der Buße, durch die Aufforderung zur Danksagung und besonders plakativ auf der bildlichen Ebene zum Ausdruck gebracht. Die historische Dimension des Blattes tritt zugunsten der allegorisch verfassten Lobpreisung des Friedens und der Kritik am Krieg zurück und erschöpft sich in dem Hinweis auf die namentlich genannten Vertreter der drei großen Mächte, die die Friedensverträge unterzeichnet haben.3 Kaiser Ferdinand III. (1608–1657, Kaiser seit 1637), Christine von Schweden (1626–1689; Königin seit 1644) und Ludwig XIV. von Frankreich (1638– 1715; König seit 1643) werden lediglich in ihrer Funktion als Stifter des Friedens eingeführt, ohne dass darüber hinaus auf konkrete politische Ereignisse Bezug genommen wird. Die Hervorhebung der Figur des Kaisers, ein in den Blättern zum Westfälischen Frieden übliches Verfahren (b II, 321; IV, 259), widerspiegelt wohl mehr das Verhältnis zwischen Ulm als einer Reichsstadt und dem Kaiser als Reichsoberhaupt, als dass sie die reale Position des Kaisers in den Friedensverhandlungen markiert.4 Mit der gereimten, dialogischen Form des Textes erhebt der Blattverfasser einen literarischen Anspruch, der im Titel mit der Formulierung in Teutsche Reimen/ Comedischer Weiß gestellet betont wird. Die Graphik zeichnet sich durch einen übersichtlichen Aufbau und eine leicht auflösbare Zeichensprache aus, wobei verbreitete Motive aufge-

griffen werden. Das bildliche Motiv eines durch die Trinität bestrahlten Dreierbundes auf einem Kleeblatt zur Illustration politischer Einigkeit erscheint schon 1632 auf dem Flugblatt ‚Schwedischer Bundt/ Mit zweyen Churfürsten/ Sachsen vnd Brandenburg‘.5 Einen ähnlichen Aufbau wie das vorliegende Blatt weist die Graphik des Nürnberger Einblattdrucks ‚Abbildung deß hocherwünschten Teutschen Friedens‘ von 1649 auf (b IV, 259). Die zentrale Figurengruppe findet sich auf dem undatierten Flugblatt ‚Danck-Gebet für den so lang gewünschten vnd durch GOTTES Gnad nunmehr geschlossenen Frieden‘,6 das seinerseits als Vorlage für die Bemalung eines auf 1649 datierten Humpens diente.7

Weitere Standorte: München, BSB: Einbl.V,8a,107; Ulm, StB: Einbl.281

Andere Fassungen: A1 A2 A3 A4 1 2

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E. A. BELLER: Propaganda in Germany during the Thirty Years War. Princeton 1940, 47, Abb. 24. COuPE II, Nr. 166. SALDERN: Glass, 82. PAAS VII, P-2210. BENZING: Verleger, 1240. Zum Begriff der ‚deutschen Freiheit‘ im Zusammenhang mit dem Dreißigjährigen Krieg vgl. G. SCHMIDT: Die „deutsche Freiheit“ und der Westfälische Friede. In: ASCH u. a.: Frieden und Krieg, 323–347. Unterzeichnet wurden zwei Verträge: zwischen dem Kaiser und dem König von Frankreich (in Münster) und zwischen dem Kaiser und der Königin von Schweden (in Osnabrück). K. RuPPERT: Die kaiserliche Politik auf dem Westfälischen Friedenskongreß. Münster 1979; L. AuER: Die Ziele der kaiserlichen Politik bei den Westfälischen Friedensverhandlungen u. ihre Umsetzung. In: H. DuCHHARDT (Hg.): Der Westfälische Friede. Diplomatie, politische Zäsur, kulturelles Umfeld, Rezeptionsgeschichte. München 1998, 143–173. PAAS VI, P-1568 bis 1572. Vgl. auch Um Glauben und Reich, II/2, Nr. 644. PAAS VII, P-2211 f. SALDERN: Glass, 81 f., 300 f. EP

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F 678

Ort Jahr Bild Text Verleger Format

Das Blatt informiert über die Zusammensetzung der brandenburgischen Gesandtschaft und ihre Ankunft in Frankfurt a. M., wo Leopold I. (1640– 1705, Kaiser seit 1658) zum römischen König und Kaiser gewählt werden sollte. Die Graphik zeigt einen aus Reitern, Gespannen und Dienern zu Fuß bestehenden Zug, der sich in strenger Ordnung auf Frankfurt zu bewegt. Die Stadt wird im oberen Bildteil in der Form eines typischen Prospekts von ihrer Nordseite ⫺ der Einzug erfolgte durch das Friedberger Tor ⫺ abgebildet. Ereignisbezogen sind die als Rauchwolken markierten Begrüßungssalven sowie eine Kavalkade links, die die Spitze des Zuges bildete, in die Vedute aufgenommen. Für die Darstellung des Zuges, die Dreiviertel der Graphik beansprucht, wählte Merian die für das Motiv einer Prozession übliche Form einer Serpentine (b III, 221 f., 243; IV, 229 f.),2 die hier in neun Reihen von unten rechts nach oben links führt. Das Bild vermittelt einen Eindruck von der Größe der Gesandtschaft3 und der Art ihrer Zusammensetzung, ohne jedoch ihre Mitglieder nach Rang oder Funktion erkennbar zu machen. Der Text besteht aus einer Bildlegende mit einer beigefügten Nota. Die Bildlegende ist über Zahlen mit der Graphik verbunden und nennt die Namen und Titeleien der adligen sowie die Funktionen der anderen Teilnehmer. Man erfährt, dass die Gesandtschaft von zwei Ratsherren und drei Bürgerkompanien empfangen wurde, die dem Zug voranritten. Das Gefolge der Abgesandten führte der Furier an, ihm folgten ein Junge in ungarischer Livree, ein Trommler und zwei Trompeter, ein Hofmeister, drei fürstliche Kammerdiener und der Jägermeister. Weitere Gruppen bildeten sechs Handpferde mit nassauischem Wappen, 33 berittene Knechte sowie sechs Kutschen mit Mitgliedern des Hofstaats, geleitet von zwei Reitschmieden. Ihnen schlossen sich weitere Gruppen mit sechs Handpferden, sechs Pagen, acht Trompetern und einem Trommler sowie 30 Lakaien und 13 Adligen an; zwischen den Gruppen ritten einzelne Hofbeamte höheren Ranges: Unterstallmeister, Stallmeister, Hofmarschall. Das Zentrum des Zuges bildete die Leibkutsche, in der drei Gesandte des brandenburgischen Kurfürsten saßen: Johann Moritz Graf zu Nassau-Siegen (1604–1679) und die Geheimen Räte Raban von Canstein (1617–1680) und Friedrich von Jena (1620–1682). Die Kutsche begleiteten ein Schweizergardist, zehn Lakaien und die Wache ⫺ der Kapitän der Garde, zwölf Trabanten mit Gewehren und ein Korporal. Der folgende Teil des Zuges bestand aus verschiedenen Wagen: drei Kutschen mit höheren Hofbeamten, einem Cammerwagen, der Kalesche des Mundschenks und des Silberdieners, vier Rüstwagen und zehn Gepäckkarren. Den Zug beschloss ein Wagenmeister. 354

Einzug. der Churfürstl: Brandenburgischen Herrn Abgesanten

Frankfurt a. M. 1658 Radierung/ Kupferstich von Caspar Merian (1627–1686)1 Typendruck in 8 Spalten; Prosa Caspar Merian 45,7 ! 66,0; 26,2 ! 65,2

Die Nota ergänzt die Bildlegende um Angaben zur Kleidung der Mitglieder der Prozession und zur Ausstattung der Leibkutsche sowie zum Aussehen der anderen Wagen. Die genaue Beschreibung der repräsentationswirksamen Farben und kostbaren Materialien vervollständigt das Bild der Pracht, die den Zug auszeichnete. Der Einzug des Thronkandidaten und der Gesandten zu Königs- bzw. Kaiserwahlen und -krönungen in die Wahlstadt bildete das wichtigste Element der die eigentlichen Erhebungsakte begleitenden Zeremonialhandlungen. Bei den Frankfurter Inthronisationsfeiern blieb grundsätzlich das überlieferte Einzugszeremoniell erhalten und durch die im 17. Jahrhundert verbreitete Form der Trionfi unbeeinflusst.4 Die Änderungen betrafen lediglich die Zahl der Reiter im Gefolge eines Kurfürsten, die ursprünglich auf 200 beschränkt nun nach Belieben erhöht wurde, und den Auftritt der Hauptakteure, die immer seltener auf dem Pferd ritten, sondern sich in einer Kutsche fahren ließen, die wiederum immer prächtiger wurde und sich von einem verhältnismäßig schlichten Fahrzeug in einen Prunkwagen verwandelte.5 Als publikumswirksamer Teil der Feierlichkeiten eigneten sich Einzüge durch ihre Prachtentfaltung besonders gut zur Demonstration der Größe der Beteiligten und bildeten dementsprechend auch den Schwerpunkt der schriftlichen (Flugschriften, Diarien, Personenverzeichnisse, Furierlisten) und graphischen Dokumentation der Geschehnisse.6 So erfüllten die Schilderungen der Festzüge gleich mehrere Funktionen. Zum einen befriedigten sie das Interesse eines größeren Lesepublikums an dem besonderen, das ganze Reich betreffenden Ereignis, und zwar das Interesse nicht so sehr am ritualisierten und unter Ausschluss der Öffentlichkeit vollzogenen politischen Wahl- und Krönungsakt selbst als hauptsächlich an den begleitenden Solennitäten. Zum anderen bezeugten sie den hohen Rang der Kurfürsten, indem sie den zur Demonstration ihrer Herrschaft erbrachten Aufwand dokumentierten. Besonders repräsentativ und eindrucksvoll waren mehrblättrige Bildserien, wie die von Caspar Merian zur Erhebung Leopolds I.7 Sie besteht aus vierundzwanzig großformatigen Graphiken mit den dazugehörigen Texttafeln. Den Schwerpunkt mit neun Stichen ⫺ die übrigen entfallen zur Hälfte auf Porträts und auf alle übrigen Festakte ⫺ bilden die Einzüge, darunter das abgebildete Blatt. Die Blätter wurden separat veröffentlicht (b II, 341; IV, 263),8 aber auch zu einem Buch zusammengestellt, das, mit einem Titelblatt versehen, als eigenständige Publikation erschien.9 Einige Exemplare enthielten kolorierte Graphiken.10 Der Text des vorliegenden Flugblatts wurde in das ‚Theatrum Europaeum‘ übernommen11 und findet sich in einem 1711 edierten ‚Diarium‘ über die Inthronisation Leopolds I.12

Weitere Standorte: Gotha, Forschungsbibliothek: Biogr 4°598/1(6)

Andere Fassungen: A1

PAAS VIII, P-2414.

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THIEME/ BECKER XXIV, 412 f. BOHATCOVÁ, Nr. 28 und 109, auch S. 14. Die Gesandtschaft zählte 190 Personen und 91 Pferde; vgl. S. SIEBER: Volksbelustigungen bei dt. Kaiserkrönungen. In: Archiv f. Frankfurts Gesch. u. Kunst, F. III, 11 (1913), 1–116, hier 20. Zum ‚Trionfo‘ vgl. J. J. BERNS: Trionfo-Theater am Hof von Braunschweig-Wolfenbüttel. In: Daphnis 10 (1981), 663–710, hier 664–673. Vgl. W. DOTZAuER: Die Ankunft des Herrschers. Der ‚Einzug‘ in die Stadt (bis zum Ende des Alten Reichs). In: AKG 55 (1973), 245–288; WANGER: Kaiserwahl, 48– 75. Eine Charakteristik dieses Schrifttums bei WANGER: Kaiserwahl, 171–220. Weitere Flugblätter und -schriften zum Ereignis ebd., 290 f., Nr. 21–32, 297–299, Nr. 37–51, Anh. 19, 21 f., 30–32. Ebd., 184–194; mit Besprechung der Bildreihen zu den Thronerhebungen von 1612 und 1619. Weitere Beispiele ebd., 290 f. Caspar Merian: Beschreibung vnd Abbildung Aller Königl. vnd Churfürstl. Ein-Züge/ Wahl vnd Crönungs Acta, So geschehen zu Franckfurt am Mayn/ im Jahr 1658. Sampt andern darzu gehörigen vnd beygefügten Sachen. Frankfurt a. M. 1658; SOLEMNIA ELECTIONIS ET INAuGuRATIONIS LEOPOLDI […] SEu DESCRIPTIO ET REPRAESENTATIO EORuM OMNIuM, QuAE ANNO 1658 […] apud Moeno-Francofurtanos spectatu. Frankfurt a. M. 1660, 41–44 mit Abb. 7. Abb. bei WANGER: Kaiserwahl, 57 (irrtümlich als Einzug des Kurfürsten von Brandenburg bezeichnet). Theatrum Europaeum VIII, 361–364. Ausführlich- und vollständiges DIARIuM oder Umständlicher Bericht alles dessen/ Was vor/ in/ und nach der Wahl so wohl als Crönung Des Weyland […] HERRN LEOPOLDI I. Zum Römischen König u. Käyser […] sich […] zugetragen. Frankfurt a. M. 1711, 33–37. EP

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IX, 188

ehem. F 375

Ort Jahr Bild Text Verleger Format

Freüdiger Zuruff dem Königreich Engeland

(1660) Kupferstich graviert in 3 Spalten; 18 Alexandriner I H. M.1 28,8 ! 35,5

Weitere Standorte: Oxford, Ashmolean Museum: Sutherland Collection, B.I.120 (A 1); ehem. Antiquariat Halle, München (A 2)

Andere Fassungen:

Das Blatt feiert die Rückkehr Karls II. (1630– 1685, König seit 1660) von England nach dem Sturz der Republik 1660. Das Bild zeigt den König, wie er in einem von zwei geflügelten Pferden mit Delphinenschwänzen gezogenen Muschelwagen, den er selbst lenkt, über das Meer fährt. Zu seinen Füssen kauert ein Meereswesen mit einer Vase auf den Schultern, aus der sich Wasser ergießt. Das Gefährt wird von Tritonen begleitet, die in ihre Muschelhörner blasen. Darüber schweben drei Putten und die personifizierte Fama, die mit ihren Posaunen und einem mit VIVAT CAROLuS II inskribierten Fähnchen die triumphale Ankunft des neuen Königs verkündet. Ein Putto hält eine Krone über das Haupt des Königs und markiert damit die bevorstehende Krönung, ein anderer weist mit einem Palmwedel auf die mit der Thronbesteigung Karls II. erhoffte Friedenszeit für das Land hin. Rechts im Bild taucht Neptun aus den Wellen auf und huldigt dem König mit der Gabe einer Muschel. Im Text wird England als ein glückliches Land angesprochen, das seinen König wiederbekommen habe und damit von der Tyrannei befreit worden sei. Karl II. wird als tapferer und weiser König gepriesen, der nur das Beste für sein Land und Volk wolle. Die Zuneigung der Wassergötter sei für ihn ein Garant der Stärke und Überlegenheit gegenüber dem Feind. Karl II. verließ England während des Bürgerkrieges 1646 und lebte im Exil ⫺ zuerst in Frankreich, dann in Schottland und zuletzt in den Niederlanden.2 Zwar nahm er nach der Hinrichtung seines Vaters 1649 den Königstitel an, musste aber mit der Krönung und der Machtübernahme warten, bis nach dem Tode Oliver Cromwells (1599–1658) und infolge der dadurch hervorgerufenen innenpolitischen Krise das Convention Parliament auf seiner Sitzung am 5. Mai 1660 endgültig die Restauration der Monarchie beschloss.3 An die Rückkehr des Thronprätendenten waren jedoch Bedingungen geknüpft, die zu erfüllen er sich mit der Deklaration von Breda (14. April) verpflichtete. Am 25. Mai 1660 landete der König in England und ging enthusiastisch begrüßt in Dover an Land;4 vier Tage später hielt er den Einzug in London.5 Für die Darstellung des Herrschers wählte der Blattverfasser den Topos des Triumphzuges, der seit der Antike in verschiedenen Bereichen der Herrscherpanegyrik verwendet wurde. Seit der Renaissance, durch Petrarcas (1304–1374) Epos Africa und die Trionfi, sowie Boccaccios (1313– 1375) Amorosa Visione neu belebt,6 fand der Triumphzug als allegorisches Motiv in die Literatur Eingang,7 trat als Element der Herrscherikonographie in den bildenden Künsten auf8 und wurde bei Einzügen und als Bestandteil höfischer Feste realiter inszeniert.9 Die im 17. Jahrhundert ver356

breiteten Trionfi verbanden zwei Traditionsstränge: die antike Idee des Triumphzuges, hinter dem ein militärischer Erfolg stand, und die Vorstellung, dass sich Götter in einem Wagen über den Himmel bewegen, die auf den Herrscher übertragen wurde. Der Triumphzug auf dem Blatt entspricht auf der ideellen Ebene den Gepflogenheiten der Gattung: Der Verherrlichte wird auf der Höhe seines Triumphs kurz vor der Krönung und dem Regierungsantritt gezeigt und erfüllt damit eine Voraussetzung für die Verwendung des Topos in der politischen Propaganda. Gefeiert wird der Sieger als solcher und nicht ein konkreter von ihm errungener Sieg, was das Fehlen militärischer Akzente deutlich macht.10 In diesem Fall fand die Darstellungskonvention Rückhalt im historischen Geschehen: Karl II. erschien nicht an der Spitze siegreicher Truppen in seiner Heimat, sondern die Entscheidung des Parlaments sicherte die friedliche Rückkehr auf den Thron. Auf der ikonographischen Ebene allerdings ist die Graphik bescheidener ausgefallen als andere zeitgenössische Triumphdarstellungen ( b II, 65, 261, 321; III, 173; IV, 176, 203). Sie enthält zwar einige allegorische und heidnisch-mythologische Gestalten, die zum obligatorischen Figuren-Repertoire des Motivs gehören, man vermisst aber die sonst immer anwesenden Tugend-Personifikationen, die durch ihren Bezug auf den Herrscher erst die huldigende Funktion des Blattes bzw. des Trionfos ausmachen. Es fällt auf, dass der Triumphwagen technisch modifiziert wurde, indem er Schaufelräder bekam, die seine Fortbewegung auf dem Wasser möglich machten.11 Die Wahl des maritimen Schauplatzes scheint vorerst in der realen Tatsache begründet zu liegen, dass der Weg des Königs von den Niederlanden nach England über das Meer führte.12 Auf der metaphorischen Ebene ließ sich das Motiv gut mit dem Zurschaustellen der Seemacht Englands kombinieren, was in der Schlussstrophe herausgehoben wird. Damit liegt ein Schwerpunkt des Huldigungsblattes in der Demonstration der Vormacht Englands zur See. Der Ausbau der Flotte und die erfolgreiche Bekämpfung der holländischen Handelskonkurrenz durch die Navigationsakte 1651 und den Seekrieg 1652–54 sowie der erfolgreiche Kampf gegen die Kolonialmacht Spanien (Eroberung Jamaikas 1655 und der Sieg über der spanischen Flotte bei Dünkirchen 1658) hatten die Position Englands als Seemacht gefestigt, bevor Karl II. die Regierung antrat.13 Das Blatt ordnet sich offenbar einem ikonographischen Huldigungsprogramm zu, das auch in der Krönungsfeier wirksam wurde, als man eine der vier in London errichteten Ehrenpforten mit der zuweihungsschrift versah:

a)

Coburg, Veste: VIII,237,18015 [Retuschen am Kopf des Königs]

A1 A2 A3

PAAS VIII, P-2540. Antiquariat Halle, Nr. 1261. G. BERGHAuS: Die Aufnahme der englischen Revolution in Deutschland 1640–1669, Bd. 1: Studien zur politischen Literatur u. Publizistik im 17. Jh. mit einer Bibliographie der Flugschriften. Wiesbaden 1989, Nr. 495.

1 2

Vgl. NAGLER: Monogrammisten, III, Nr. 2583. Zu Karl II. vgl. R. HuTTON: Charles the Second King of England, Scotland and Ireland. Oxford 1989; J. MILLER: Charles II. London 1991. A. WOOLRYCH: Last Quests for a Settlement, 1657– 1660. In: G. E. AYLMER (Hg.): The Interregnum. The Quest for Settlement, 1646–1660. London u. a. 21974, 183–204; R. HuTTON: The Restoration. A Political and Religious History of England and Wales 1658–1667. Oxford 1985; H. HAAN/ G. NIEDHART: Gesch. Englands: Vom 16. bis zum 18. Jh. München 1993, 182–195. Als Beispiele für zeitgenössische Berichte vgl. The Diary of Samuel Pepys. Hg. von R. LATHAM/ W. MATTHEWS, Bd. 1–11. London 1971–86, hier I, 157 f. mit weiterer Literatur; Philipp von Zesen: Die verschmähete doch wieder erhöhete Majestäht/ das ist Kurtzer Entwurf der Begäbnüsse Karls des Zweiten. In: DERS.: Sämtliche Werke. Hg. von F. VAN INGEN, XV/1. Berlin/ New York 1987, 13–396, hier 363–365; s. auch HuTTON: Restoration, 325, Anm. 2; DERS.: Charles the Second, 493, Anm. 86. Eine ausführliche Beschreibung des Triumphzuges enthalten die Flugschriften: Einholung Jhrer Majestät Caroli II. O.O. 1660 (nach BERGHAuS, Nr. 476); Triumphirlicher Einzug, Von Carolus II. O.O.u.J.; Einzug in Londen/ Von Jhrer Königl: Mayest: Carolo II. O.O. 1660. Zur zeitgenössischen Reaktion in Deuschland auf die Restauration Karls II. vgl. BERGHAuS, Nr. 456–498; K. K. WALTHER: Britannischer Glückswechsel. Dt.sprachige Flugschriften des 17. Jhs. über England. Wiesbaden 1991, Nr. 232–279. V. M. ESSLING/ E. MuNTZ: Pétrarque: ses études d’art, son influence sur les artistes. Paris 1902. Vgl. E. MÜLLER-BOCHAT: Der allegorische Triumphzug. Ein Motiv Petrarcas bei Lope de Vega u. Rubens. Köln 1957; J. J. BERNS: Trionfo-Theater am Hof von Braunschweig-Wolfenbüttel. In: Daphnis 10 (1981), 663–710. W. WEISBACH: Trionfi. Berlin 1919; R. VAN MARLE: Iconographie de l’art profane au Moyen-Age et à la Renaissance et la décoration des demeures, Bd. 2: Allégories et symboles. La Haye 1931 (Nachdr. New York 1971), 111–152. WEISBACH: Trionfi; BERNS: Trionfo-Theater; R. STRONG: Feste der Renaissance 1450–1650. Kunst als Instrument der Macht. Würzburg 1991, bes. 78–94. Zur Konstruktion und Funktion der Triumphwagen vgl. J. J. BERNS: Die Herkunft des Automobils aus Himmelstrionfo und Höllenmaschine. Berlin 1996. Zu Triumphzugmotiven auf illustrierten Flugblättern vgl. COuPE I, 131–134. Zur Verwandtschaft des Motivs des See-Triumphzuges vgl. ZEE-TRIOMPH VAN DEN MANHAFTEN E. ADMIRAEL MARTEN HARPERSEN TROMP. Amsterdam 1639 (HOLLSTEIN: Dutch Etchings, XXIV, 107). B. CAPP: Cromwell’s Navy. The Fleet and the English Revolution, 1648–1660. Oxford 1989; J. R. JONES: The Anglo-Dutch wars of the seventeenth century. London/ New York 1996. Philipp von Zesen: Die Gekröhnte Majestäht: das ist/ kurtz-bündiger Entwurf der herrlich-prächtigen Kröhnung Karls des Zweiten. Amsterdam 1662. In: DERS.: Werke, XV/1, 397–460, hier 412. PAAS VIII, P-2541. EP

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14 Carolo II, Neptuno Brittanico, cujus arbitrio mare et liberum, et clausum, das ist/ Karln dem Zweiten/ dem Brittanischen See-gotte/ auf dessen wink und wilkühr das meer beides offen/ und geschlossen.14

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IX, 189

F 228 Ort Jahr Bild Text Verleger Format

Der Krieg, den Frankreich am 6. April 1672 den Niederlanden erklärt hatte, nahm zwar eine allgemeineuropäische Dimension an, doch Schauplatz des Geschehens blieben zunächst die Niederlande, vor allem der südliche Teil, der das Hauptziel der französischen Annexionsabsichten bildete.2 Das 1665 von den Spaniern befestigte und nach ihrem König Karl II. (1661–1700; König seit 1665) Charleroi benannte Dorf in der heutigen belgischen Provinz Hennegau fiel im Aachener Frieden (1668) an Frankreich. Es wurde erneut von dem französischen General und berühmtesten Festungsbaumeister seiner Zeit Sébastien le Prestre de Vauban (1633–1707) ausgebaut und existierte als Festung bis 1868. Der Angriff Wilhelms III.

IX, 190

F 229 Ort Jahr Bild Text Format

Der Holländische Krieg (b IX, 189) wurde von einer umfangreichen Propagandakampagne vor allem auf niederländischer Seite begleitet.1 Neben Berichten über einzelne Ereignisse erschienen unzählige Schriften, die in krassen Bildern die Gräueltaten der Franzosen schilderten.2 Ins Französische und ins Deutsche übersetzt, erreichte diese vielfältige Publizistik auch den Leser der anderen in den Krieg involvierten Länder. Die niederländische Stadt Coevorden an der Vechte war eine strategisch wichtige Grenzfestung zwischen Münster und Drenthe und wurde hart umkämpft. Seit Juli 1672 unter Verwaltung des Bischofs von Münster wurde sie im Dezember des gleichen Jahres von dem niederländischen General Karel Rabenhaupt (1602–1675) erobert.3 Für den Sieg, der einen Lichtpunkt in dem sonst für Holland militärisch ungünstigen Jahr bildete,

IX, 191

F 230 Ort Jahr Bild

Text Verleger Format Im Frühling 1674 sollten alle französischen Truppen und Besatzungen aus den Provinzen Utrecht, Overijssel und Geldern zusammengezogen werden, um eine starke Armee gegen Wilhelm III. von Oranien (1650–1702; König von England seit 1689) aufzustellen. Die Kommandanten der einzuziehenden Garnisonen brachten alles Gewehr/ Victualien/ die Geiseln wie auch die Munition und alle andere Sachen/ wo von sie ihnen einen Vorrath gemacht, in das seit Juli 1672 durch die Franzosen besetzte Grave, um es dann nach Maastricht zu transportieren.3 Doch bevor diese Aufgabe ausgeführt werden konnte, musste der Kommandant der französischen Armee das Gebiet verlassen. Zum Schutz der Festung ließ er 5000 Soldaten und eine für zwei Jahre reichende Menge Munition zurück. Am 27. Juli begannen die niederländischen Truppen, unterstützt durch die Soldaten des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg 358

Beschreibung dieser stattlichen Vestung CHARLEROY Hamburg (1672/1673) Kupferstich Typendruck in 2 Spalten; Prosa Thomas von Wiering († 1703, tätig seit 1673)1 47,0 ! 35,1; 29,0, ! 33,4 von Oranien (1650–1702; König von England seit 1689) auf Charleroi im Dezember des ersten Kriegsjahres, in dem die Franzosen fast das ganze Land besetzt hatten, kam überraschend auch für Ludwig XIV. (1638–1715, König seit 1643), der beschloss, persönlich an der Entsetzungsaktion teilzunehmen. Doch der strenge Winter zwang den Oranier zur Aufgabe der Belagerung.3

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Weitere Standorte: Hamburg, SUB: KS 20/600 II (A 1); Straßburg, BNU: Cartes, tiroir 226

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Andere Fassungen: A1

PAAS X, P-3046.

BENZING: Buchdrucker, 185; C. PRANGE: Zeitungen u. Zeitschriften des 17. Jhs. in Hamburg u. Altona. Ein Beitrag zur Publizistik der Frühaufklärung. Hamburg 1978, 177–202; W. KAYSER: Die Verleger Thomas von Wiering (und Erben). Eine Ausstellung in Hamburg. In: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 17 (1990), 102 f. C. J. EKBERG: From the Dutch War to European War. In: French Historical Studies 8 (1974), 393–408; DERS.: The Failure of Louis XIV’s Dutch War. Chapel Hill 1979; J. DEN TEX: Onder vreemde heren, De Republiek der Nederlanden 1672–1674. Zutphen 1982; P. SONNINO: Louis XIV and the Origins of the Dutch War. Cambridge u. a. 1988. Vgl. Bosch: Schau-Platz, 112 f.; Valckenier/ Muller: Europa, I, 441 f.; L’INFRACTION SuPPOSÉE, Ou DISCOuRS SVR LE SIEGE DE CHARLEROY en l’an 1672. Villefranche 1678. EP

Wahrhaffte Relation Auß Gröningen vom 21. (31.) Decembr. 1672. (1672/1673) Kupferstich Typendruck; Prosa 36,4 ! 24,3; 17,6 ! 23,9 bekam Rabenhaupt die Drostschaft über Drenthe und das Gouvernement über Coevorden.4 Ein Rückeroberungsversuch durch den Bischof Bernhard von Galen (1600–1678) im Mai 1673 wurde durch heftige Stürme und Überschwemmungen vereitelt und soll 1400 Opfer auf seiner Seite gefordert haben.5

A1

PAAS X, P-3023.

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Vgl. Krieg der Bilder, 94–207. Eine Serie von eindrucksvollen Stichen schuf Romeyn de Hooghe für Abraham de Wicqueforts Klageschrift ‚ADVIS FIDELLE AuX VERITABLES HOLLANDOIS‘ (o.O. 1673). Die Stiche wurden auch in die beiden Kriegschroniken von Bosch und Valckenier/ Muller aufgenommen. G. B. DEPPING: Geschichte des Krieges der Münsterer und Cölner im Bündnisse mit Frankreich gegen Holland in den Jahren 1672, 1673 und 1674; nach authentischen Berichten und gleichzeitigen Druckschriften. Münster 1840, 141–144. Zu Rabenhaupt s. VAN DER AA: Woordenboek, VI, 5–7. Bosch: Schau-Platz, T.III, 162–174; Valckenier/ Muller: Europa, I, 446–450, 81 f. Krieg der Bilder, 164 f.; DEPPING: Geschichte, 191 f. Alle Nachweise (außer Zürich) nach PAAS X, P-3022. PAAS X, P-3024. EP

3 Weitere Standorte: Berlin, SBPK: YA 10174 kl

Andere Fassungen: a)

b)

Amsterdam, RM: 2450A; Paris, BN: Qd mat 6, 1672; Rotterdam, SvS: 2498;6 Zürich, ZB: XVIII, 120, 56 [Zu Nürnberg/ bey Jobst Christoph Fuchs …] Gotha, SM: 43,57 [anderer Zeilenfall, 4. Zeile: Sickin|ga]

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Grundrichtige Vorstellung und ausführliche Beschreibung Nürnberg (1674) Radierung von Sigmund Gabriel Hipschmann (* 1639, tätig bis um 1682)1 Typendruck in 3 Spalten; Prosa, 4 Alexandriner Johann Hoffmann (1629–1698)2 39,2 ! 30,8; 18,7 ! 29,9 (1620–1688), dessen Territorien im benachbarten Herzogtum Kleve durch Raubzüge und Überfälle der Garnisonssoldaten bedroht waren, die Belagerung Graves. Zu dieser Aufgabe kommandierte Wilhelm III. den General Karel Rabenhaupt (1602–1675; b IX, 190) ab, der allerdings keinen Erfolg erzielen konnte. Erst das Einschreiten des Oraniers zwang den Gouverneur Noel Bouton de Chamilly (1636–1715) zur Übergabe der Stadt am 28. Oktober.4 Dieser Sieg, einer der wenigen in jenem Jahr, wurde in der niederländischen Propaganda ausgiebig gefeiert.5

A1

A2 A3

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4 Weitere Standorte: Erlangen, UB: Flugblätter A.III.79; Nürnberg, GNM: 1799/1346; Paris, BN: Hennin, 4641; Wien, Kunsthistorisches Museum: Krauszhaar, 15.898 (A 2) Andere Fassungen:

5

G. DENEKE: Johann Hoffmann. Ein Beitrag zur Gesch. des Buch- u. Kunsthandels in Nürnberg. In: Archiv f. Gesch. d. Buchwesens 1 (1958), 337–364, hier 354. PAAS X, P-3085. M. Schilling: Bildgebende Verfahren auf Nachrichtenblättern der Frühen Neuzeit. In: A. MESSERLI/ DERS. (Hgg.): Die Intermedialität des Flugblatts in der Frühen Neuzeit. Stuttgart 2015, 61⫺85, hier 68 f. mit Abb. 3. THIEME/ BECKER XVII, 126; HOLLSTEIN: German Engravings, XIII A, 103–112. BENZING: Verleger, 1173; DENEKE: Hoffmann. Anhang Des Unpartheyischen REFERENDARII, Vorstellend: Die Ubergabe der Stadt Grave an S. Hoheit. O.O. 1675, 1. Weitere Flugblätter und -schriften bei WuLP: Catalogus, Nr. 5241–5244; KNuTTEL: Catalogus, 2-II, Nr. 11090–11101; Artikel ‚Rabenhaupt‘. In: VAN DER AA: Woordenboek, VI, 5–7. S. B. BAXTER: William III and the Defense of European Liberty, 1650–1702. Amsterdam/ New York 1966, 120– 122. Eine detaillierte Beschreibung der Belagerung und Eroberung bei Bosch: Schau-Platz, 263–274, und Valckenier/ Muller: Europa, II, 409–414, 432–438. Vgl. etwa die Radierungen mit der Allegorie auf die Siege Wilhelms III., in: Krieg der Bilder, 170 f. und 198. EP

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F 232

Ort Jahr Bild Text Drucker Format

Das Flugblatt berichtet von den Ereignissen um die Belagerung der Stadt Wien im Juli 1683 durch die Türken und hebt besonders die Leistungen der Bürgerschaft und des Statthalters bei der Verteidigung der Stadt hervor. Die Abbildung bietet eine Vogelschau auf die Festung Wien. Zur geographischen Orientierung dienen sowohl die Windrose als auch die Donau. Rings um die Stadt haben die Türken ihre Lager aufgeschlagen, ihre Truppen aufgestellt, und, wie Rauchwolken und Explosionen zeigen, mit der Kanonade begonnen. Die Bildlegende verzeichnet sowohl wichtige Punkte innerhalb Wiens als auch die Angriffe der Gegner. Der Autor beginnt seinen Bericht mit den Ereignissen vor der Belagerung und weist hierbei den Türken die Schuld an der Zuspitzung der Lage zu, da sie die Verlängerung des Waffenstillstands abgelehnt und ein Ultimatum mit überzogenen Forderungen gestellt hätten. Im Falle einer Ablehnung hätten sie damit gedroht, die Leopoldstadt zu schleifen. Der Berichterstatter erwähnt anschließend die logistischen Vorbereitungen der Kaiserlichen für den absehbaren Krieg. Die erste feindliche Begegnung habe am 6. Mai 1683 auf der Küseer Heide stattgefunden. Danach seien die kaiserlichen Truppen nach Gran und von dort weiter nach Neuhäusel gezogen, um es zu belagern. Aufgrund einer Meldung von der übermächtigen Truppenstärke der Türken habe man sich dann in Richtung Pressburg und Wien zurückgezogen. An dieser Stelle beginnt der detaillierte Bericht von der Belagerung der Stadt Wien. Der Autor erwähnt die Vorbereitungen der Bürger. Am 16. Juli erfolgten zunächst vier Angriffe auf Wien, am 28. Juli wurde nach abflauenden Gefechten der Kanonenbeschuss fortgesetzt, obwohl der Großwesir um eine Waffenpause zur Beerdigung seiner toten Soldaten gebeten haben soll. Nach einigen eher ruhigen Tagen begannen die Türken mit dem Minieren, worauf die Wiener wiederholt erfolgreich antworteten. Die Schäden, die innerhalb der Stadt durch die Minen entstanden, werden vom Autor anders als beim Kanonenbeschuss nicht mehr aufgelistet, dafür wird die Leistung des Statthalters Graf Starhemberg (1638–1701) glorifiziert. Mit zwei Minen soll dieser über 2000 Türken getötet haben. Um diese Meldung zu beglaubigen, führt der Berichterstatter einen Brief an den Kaiser nach Passau an, in dem der Graf den genauen Vorgang erläutert und auch eigene geringe Verluste nicht verschweigt. Für den Autor war in seinem Bericht wichtig, die Leistungen der Bürgerschaft und des Statthalters, aber auch die günstigen Umstände für die Verteidiger hervorzuheben. Zu diesem Zweck erwähnt er die gute Sicht auf die türkischen Lager und die miserable Versorgungslage der feindlichen Verbände. 362

Eigentliche und wahrhaffte Abbildung Der

Leipzig (1683) Kupferstich Typendruck in 2 Spalten; Prosa Katharina Fiebig (1649⫺1715) 60,2 ! 32,0; 20,0 ! 31,5

Seinen Erfolgsbericht beendet der Autor mit dem Hinweis auf die angerichteten Zerstörungen in Ungarn und Österreich durch die Türken und der Mahnung, dass ein erneuter Angriff durch den Großwesir zu erwarten sei, da er weitere Waffen und Munition von den Auxiliarvölkern erhalten habe. Für den zu erwartenden Sturm auf Wien bittet der Berichterstatter um göttliche Hilfe. Die zweite Türkenbelagerung Wiens bildete den Ausgangspunkt für die Vormachtstellung der österreichischen Habsburger in Europa.1 1682 konnte Österreich damit allerdings noch nicht rechnen, zumal die Lage im Römischen Reich und in Europa durch die Reunionspolitik Frankreichs angespannt war und Leopold I. (1640–1705, Kaiser seit 1658) die Einnahme Straßburgs durch Frankreich nicht verhindern konnte.2 Der Kaiser versuchte deshalb über seinen Internuntius Aeneas Sylvius Graf von Caprara (1631–1701), eine Verlängerung der 1664 im Frieden von Vasvár (Eisenburg) beschlossenen Waffenpause mit dem Osmanischen Reich zu erwirken. Als die Verhandlungen scheiterten, musste Leopold Kriegsvorbereitungen treffen, zu denen auch die Bündnisse mit dem polnischen König Johann III. Sobieski (1629–1696) und einigen deutschen Fürsten gehörten.3 Am 6. Mai 1683 waren die Vorbereitungen so weit vorangeschritten, dass Karl V. Leopold von Lothringen (1643–1690) eine Heerschau vornehmen konnte und einen Monat später die auf dem Blatt erwähnte Belagerung Neuhäusels versuchte.4 Ernst Rüdiger Graf von Starhemberg, seit 1680 Kommandant der Stadt Wien und Befehlshaber der Stadtgarde, war am 7. Juli 1683 aus Ungarn nach Wien zurückgekehrt. Am 13. Juli befahl er das Abbrennen der Vorstädte, um freies Schussfeld zu schaffen. Das Feuer drohte zwar auf den in der Nähe befindlichen Pulverturm überzugreifen, wurde aber vom einsetzenden Nordwind von Turm und Stadt weggelenkt.5 Die Befestigungsanlagen der Stadt befanden sich in einem guten Zustand, die Stadt war ausreichend bewaffnet, aber es fehlte an Berufssoldaten. Die in Wien stationierten 10.000 Soldaten standen einer ungefähr 90.000 Mann starken türkischen Armee gegenüber. So erklärt sich auch, weshalb der Autor die großen Leistungen der Bürgerschaft würdigt. Die Bürger-, Gesellen- und Studentenkompanien wurden allerdings vor allem zum Wachdienst eingesetzt. Die Ausnahme bildete die Büchsenmeisterkompanie, die für ihre Leistungen 1684 belobigt wurde.6 Von den Zeitgenossen wurde die Aufopferung der Bürger auch deshalb besonders gewürdigt, weil der Kaiser die Stadt schon am 7. Juli in Richtung Linz und Passau verlassen hatte. Die Angriffe auf Wien begannen mit dem Eintreffen der türkischen Hauptarmee und wurden im Laufe der Belagerung vor allem durch die Minen verstärkt. Im Gegensatz zur Aussage des Berichterstatters zeigte sich dabei keine Überlegenheit der Wiener Besatzung, da es an gut ausge-

bildeten Mineuren mangelte und die Türken mit ihrer Ankunft begonnen hatten, Minenstollen anzulegen. Der erwähnte Brief von Starhemberg konnte nicht eruiert werden. Da sich der Bericht über die Türkenbelagerung auf den Monat Juli beschränkt, in dem die Belagerung begann und in dem noch nicht abzusehen war, dass sich die Einwohner und die Besatzung Wiens bis zum 12. September würden verteidigen müssen, schien dem Berichterstatter ein Sieg der Türken aus eigener Kraft noch denkbar. Bis Mitte September hatte sich die Lage für Wien allerdings sehr verschlechtert, und nur der Entsatz der Allianz rettete die Stadt vor den Türken. Das Flugblatt reiht sich ein in den breiten Strom von Publikationen, in denen die Öffentlichkeit über die Geschehnisse informiert wurde.7 Ein anderes Flugblatt (b IV, 278) thematisiert die Belagerung Wiens auf ähnliche Weise wie das vorliegende Blatt; auch hier wird die Leistung der Bürgerschaft gelobt und von einem baldigen Abzug der türkischen Truppen gesprochen. Die Abbildung zeigt den Festungsstern Wien.

Weitere Standorte:

Andere Fassungen:

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P. BROuCEK: Der Feldzug von 1683 u. der Entsatz Wiens in der Schlacht am Kahlenberg. In: ZÖLLNER/ GuTKAS: Österreich, 56–68, hier 68. J. BÉRENGER: Die Gesch. des Habsburgerreiches: 1273– 1918. Wien u. a. 1995, 368 f. BROuCEK: Feldzug, 56; BÉRENGER: Geschichte, 370 f. BROuCEK: Feldzug, 57. R. POHANKA: Eine kurze Gesch. der Stadt Wien. Wien u. a. 1998, 108 f. W. HuMMELBERGER: Wien in der Verteidigung gegen die Türken. In: ZÖLLNER/ GuTKAS: Österreich, 42–55, hier 47 f. Z. B. Gottfried Jonisch: Kurtzer Bericht Dessen Was sich in dieser letzten und denkwürdigen Belägerung Und Victorieusen Entsatz Der Stadt Wien zugetragen. Breslau 1683; Aufrichtige und Unpartheyische RELATION, Von der VICTORIA Der Christen/ So sie Beym Entsatz der Stadt Wien gegen die Türken erhalten, o.O. 1683 (erschienen 1684). Zur weiteren Einordnung in die Türkenpublizistik s. J. SCHuMANN, Das politisch-militärische Flugblatt in der zweiten Hälfte des 17. Jhs. als Nachrichtenmedium u. Propagandamittel. In: HARMS/ SCHILLING: Flugblatt in der Kultur, 227–258, hier 230 und 233–242. AR

363

IX, 193

F 231

Ort Jahr Bild Text Verleger Format Zustand

Das mediale Ereignis der Zeit, die Belagerung Wiens durch die Türken 1683, wird zur Konstruktion eines künftigen Kriegsschauplatzes in der militärischen Auseinandersetzung mit den Türken benutzt. Das Bild zeigt in seinem Zentrum eine kartographische Ansicht der Großen Schütt (ung. Csallóköz, slowak. Žitny Ostrov), einer Flussinselgruppe zwischen der Donau, der Kleinen Donau und der Waag im Südwesten der heutigen Slowakei. Die Karte reicht von Wien im Westen bis nach Neuhäusel (Èrsekújvár/Nové Zámky) im Osten, von Pápa im Süden bis Neutra (Nyitra/Nitra) im Norden. In einem links oben eingefügten Feld erscheint ein Prospekt Wiens. Die Karte vereinigt in der für die Zeit typischen Art unterschiedliche Darstellungsformen:2 Während die Donau mit ihren Nebenarmen und -flüssen wie auch der Neusiedler See in der Aufsicht erscheinen, werden die Geländeformationen und kleineren Städte aus seitlich erhöhter panoramatischer Perspektive gezeigt. Strategisch wichtige und befestigte größere Städte (Wien, Leopoldstadt, Neuhäusel, Komorn, Raab und Pápa) werden hingegen im geometrischen Grundrissbild ihrer Befestigungen wiedergegeben, manche Orte auch mit einer Stadtansicht kombiniert (Schinta, Pressburg, Neustadt).3 Die erhöhte Bedeutung der schematisch dargestellten Städte und Festungen tritt auch durch die allerdings nicht konsequent vorgenommene Wahl von Versalien bei der Angabe des Namens hervor. In sachlicher Zurückhaltung bekundet die Überschrift, dass der Text eine Beschreibung der fürnehmsten Oerter dieser Charte gebe. Er beginnt mit Wien und geht anschließend in südöstliche Richtung vor, wobei gelegentlich auch Abweichungen von dieser generellen Linie zu konstatieren sind. Die Beschreibung Wiens umfasst historische, geographische, politische, wirtschaftliche, prosopographische Informationen und zählt die wichtigsten Gebäude auf. Die zweite Hälfte des Abschnitts behandelt mit der türkischen Belagerung der Stadt und dem Sieg des alliierten christlichen Heeres im Jahr 1683 jene Ereignisse, die den aktuellen Anlass für die Publikation des Blattes gaben. Die folgenden Beschreibungen sind knapper gehalten und beschränken sich zumeist auf geographische und historische Informationen. Dabei wird besonders die jeweilige Geschichte der Belagerungen, Einnahmen, Eroberungen und Rückeroberungen berücksichtigt. Es versteht sich, dass die zurückliegenden kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Türken hierbei eine herausgehobene Rolle spielen. Doch wird auch die gegenwärtige Lage immer wieder erwähnt – seien es türkische Zerstörungen (Laxenburg), eine Schlacht zwischen kaiserlichen und türkischen Truppen (Raab) oder kampflose Übergaben (Sárvár, Pápa, Dotis/Tata, St. Martinsberg). 364

Eigentlicher Entwurff der grossen und kleinen INSUL

Hamburg (1683) Kupferstich Typendruck in 4 Spalten; Prosa (Thomas von Wiering, 1640–1703)1 52,2 ! 52,2; 30,2 ! 52,2 Ausriss mit Textverlust am Fuß der drei linken Textkolumnen

Nach dem knapp zwanzig Jahre andauernden Frieden zwischen den Habsburgern und Osmanen fing mit dem Angriff der Türken auf Wien im Juli 1683 der sog. große Türkenkrieg Leopolds I. (1640– 1705, Kaiser seit 1658) an, der bis 1699 dauerte.4 Die Belagerung der Stadt und ihr Entsatz waren ein mediales Ereignis, das in unzähligen Flugschriften, Zeitungen, Kupferstichen, Diarien, aber auch Medaillen festgehalten wurde, um ein breites Publikum über den Verlauf der Belagerung und den militärischen Erfolg zu informieren.5 Das Ausmaß des publizistischen Interesses, das auch in der folgenden Zeit der kaiserlichen Gegenoffensive im Königreich Ungarn nicht nachließ, zeigt beispielhaft die Publikationspolitik der Offizin Wierings. Die türkischen Angelegenheiten gehörten zu den Hauptthemen der Berichterstattung in seiner seit 1673 erscheinenden Zeitung ‚RelationsCourier‘.6 Das lebhafte Interesse an dem Stoff, das einen gesteigerten Absatz versprach, führte zur Entstehung des ‚Türckischen Estats- und Krieges-Berichts‘, einer gesonderten Ausgabe der Zeitung.7 Darüber hinaus gab Wiering zum Teil mit Illustrationen versehene Flugschriften und Flugblätter zum Thema heraus.8 Mehrere von diesen Einzelpublikationen fanden schließlich in einen stattlichen Band mit dem Titel ‚Der Türckische Schau=Platz‘ (Hamburg 1685) Eingang, darunter, in einer erweiterten Form mit aktualisiertem Inhalt und zum Teil leicht geändertem Wortlaut, auch der Text des vorliegenden Blattes. Das Blatt nimmt zwar die Belagerung Wiens als unmittelbaren Publikationsanlass, was in der Grafik durch die Einfügung des Stadtprospekts und im Text durch deren knappe Beschreibung markiert wird, doch die Proportionen zwischen diesen Teilen und dem Rest des Blattes9 verweisen auf seine Funktion als Aussicht auf mögliche Kriegsschauplätze der kommenden Zeit, mit der Erwartung der Rückeroberung der von den Türken besetzten Städte und Gebiete. Für den Textteil bildet überwiegend die bekannte Chronik von Martin Zeiller (1589–1661) die Grundlage, sei es als Paraphrase sei es als Zitat; herangezogen wurde wohl stellenweise auch die Chronik von Hieronymus Ortelius (1524–1614), die an einer Stelle auch als Quelle genannt wird.10 Eine von Jacob Weiß 1683 in Danzig verlegte Flugschrift mit fast identischem Titel und dem gleichen Text11 lässt auf eine gemeinsame aktuelle Vorlage, vermutlich eine in Süddeutschland gedruckte Flugschrift schließen. Auch die von Wiering benutzte Graphik – eine typische Topographie der Zeit ⫺ ist kein für das Flugblatt angefertigter Originalstich; die im Titel des Blattes in der rechten oberen Ecke genannte Insel Schütt, wird im Text nicht einmal erwähnt.

Weitere Standorte:

Andere Fassungen:

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Zu Wiering s. W. KAYSER: Thomas von Wiering u. Erben. Ein bedeutendes Kapitel hamburgischer Druckgesch. In: Auskunft. Mitteilungsblatt Hamburger Bibliotheken 10 (1990), 343–371. Vgl. etwa G. GROSJEAN/ R. KINAuER: Kartenkunst u. Kartentechnik vom Altertum bis zum Barock. Bern/ Stuttgart 1970; J. GOSS: Kartenkunst. Die Gesch. der Kartographie. Braunschweig 1994. Zur Darstellung Vogelschau bzw. Planansicht vgl. P. VOLKELT: Die Städteansichten in den großen Druckwerken vornehmlich des 15. Jhs. Marburg 1949. Vgl. etwa R. WAISSENBERGER (Hg.): Die Türken vor Wien. Europa u. die Entscheidung an der Donau 1683. Salzburg 1982; M. EDLER VON ANGELI: Feldzüge gegen die Türken 1697–1698 und der Karlowitzer Friede 1699. Wien 1876. Für eine zeitgenössische Dokumentation der Türkenkriege in Kupferstichen vgl. den Zyklus von Jakob Peeters ‚Korte beshreyvinghe, ende aen-wysinghe der plaetsen in desen boeck‘. Antwerpen o.J. Literatur zum Ereignis verzeichnen: H. KÁBDEBO: Bibliographie zur Gesch. der beiden Türkenbelagerungen Wiens 1529 u. 1683. Wien 1876 (Medaillen: 137–148 mit Abb. 21–48); W. STuRMINGER: Bibliographie u. Ikonographie der Türkenbelagerung Wiens 1529 u. 1683. Graz/ Köln 1955; mehrere Drucke auch bei S. K. NEMETH: Ungarische Drucke u. Hungarica 1480–1720. Katalog der HerzogAugust-Bibliothek Wolfenbüttel. 3 Bde., München u. a. 1993. C. PRANGE: Die Zeitungen u. Zeitschriften des 17. Jhs. in Hamburg u. Altona. Ein Beitrag zur Publizistik der Frühaufklärung. Hamburg 1978, 177–193. Ebd., 193–198. z. B. Diarium oder Tag-Verzeichniß […] was sich in der […] Belagerung der […] Residentz-Stadt Wien zugetragen. Hamburg 1683; Gründlicher und außführlicher Bericht/ Was […] vor […] Eroberung der Stadt Baracan […] vorgelauffen. Hamburg 1683; Die grausame Belagerung der […] Residentz-Stadt Wien. Hamburg 1684. Zur Komposition vgl. z. B. die Blätter über die Belagerung Neuhäusels 1663 (b II, 359 f.) mit der großformatigen Darstellung des Ereignisses und einer kleinen eingefügten Karte der Insel Schütt und der Umgebung. Neue Beschreibung Des Königreichs Ungarn […] von MARTINO ZEILERO beschrieben. Anietzo […] nach der neuesten und vermehrtesten Edition […] heraußgegeben und verleget von JOHANN BEZA. Leipzig 1664; Hieronymus Ortelius: Chronologia Oder Historische beschreibung aller Kriegs emporungen […] in Ober vnd Vnder Vngern. Nürnberg 1602, weitere Ausg. 1604, 1613, 1615, 1620, auch: Ortelius Redivivus et Continuatus. Oder Ungarischen Kriegs-Empörungen/ Historische Beschreibung […] Mit einer Continuation von dem 1607. biß an das 1665. Jahr/ vermehret. Durch […] Martin Meyern. Nürnberg 1665. Warhafftige und eigentliche Beschreibung Der […] Vestung und Kayserl. Residentz-Stadt Wien in Oesterreich/ sambt denen umbher liegenden Christlichen und Türckischen Vestungen/ so theils in der Insul Schüt liegen. Danzig 1683. EP

365

IX, 194

F 150

Ort Jahr Bild Text Format

Ein Marmorrelief mit Tier- und Menschenfiguren, das sich angeblich in Konstantinopel befand, wird als Prophezeiung der Türkenkriege aufgefasst. Die Figuren auf dem Bild ergeben keine zusammenhängende Szene. Links wehrt sich ein auf seinen Hinterbeinen stehender Wolf mit einem Schild gegen den Angriff eines Löwen, der sein Szepter als Schlagwaffe einsetzt. Im rechten Bildteil steht eine von zwei ineinander verschlungenen Schlangen begleitete Sirene, die als Mischwesen aus Frauenkörper mit Vogelunterleib dargestellt ist. Sie schaut den Kämpfenden zu und spielt Geige. Zwischen die beiden Figurengruppen wurde eine kleine Elefantengestalt eingeschoben. Im Hintergrund trägt ein nackter Mensch einen anderen Nackten auf den Schultern. Laut dem Text bilden die Gestalten alte, über einen Meter große Marmorfiguren aus der Vorstadt Konstantinopels Pera ab. Da die Skulpturen keine erläuternden Inschriften besäßen, lege der Verfasser im Text eine Deutung der Figuren vor. Er selbst, der sich als ehemaliger Gefangener der Türken mit Namen Jacobu[s] Avenai[us] aus Dänemark bezeichnet,1 habe sie gesehen und ihre Auslegung von einem Griechen bekommen. Der Wolf symbolisiere mit seiner Gestalt/ Art vnd Natur den Türken, der als ein besonders grausamer Eroberer etliche Völker unterworfen habe, was die durch den Elefanten vertretenen Länder Asiens und Afrikas bezeugen könnten. Die auffgehöckelt[en] nackten Menschen stünden für das von den Türken unterworfene Griechenland, während die Jungfrauw mit dem AdlerSchwantz Europa bedeute.2 Der Türke habe sich zuerst das in Ruhe und Sicherheit lebende Europa mit Hilfe von Schlangen, d. h. mit Trug vnd List und ohne Gewaltanwendung unterwerfen wollen. Ihr gescheitertes Bemühen zwang ihn dann doch zu Raub vnd Fraß, was wiederum den Löwen auf den Plan gerufen habe, der ⫺ gantz frisch vnd vnverzagt ⫺ sich dem Feind widersetze. In den letzten sechs Zeilen des Textes fordert der Autor den Leser auf, über das Dargestellte nachzudenken und ein Gebet um Hilfe an Gott zu richten. Das Blatt nennt keine aktuellen zeitgenössischen Ereignisse, sondern spielt allgemein auf einige Etappen der osmanischen Expansion von der Eroberung Griechenlands an, deren Höhepunkt der Fall Konstantinopels 1453 bildete, über die Annexion der arabischen Staaten Nordafrikas und Kleinasiens bis hin zum Vordringen auf dem Balkan und in Ungarn. Die jüngste militärische Auseinandersetzung des Reiches mit den Türken, die wahrscheinlich mit dem Auftritt des Löwen gemeint ist, bildete der seit 1592 währende ‚lange Krieg‘, den Rudolf II. (1552–1612, Kaiser seit 1576) mit Unterstützung anderer Territorien des Reichs, einiger italienischer Kleinstaaten, des Hei366

Abriß eines vralten vnd sehr wunderbaren Monuments

1599 Radierung Typendruck in 2 Spalten; 64 Knittelverse (von Jacobus Avena[r]ius ?) 35,6 ! 24,9; 11,7 ! 18,2

ligen Stuhls sowie Siebenbürgens (ab 1595) bis 1606 führte.3 Zur Erscheinungszeit des Blattes behauptete das Osmanische Reich immer noch seine Position als vermutlich stärkste Militärmacht Europas, auch wenn schon erste Anzeichen seines Niedergangs erkennbar waren. Trotz der massiven antitürkischen Propaganda, die hauptsächlich von den Neuen Zeitungen getragen wurde,4 wurde die Türkengefahr in der Öffentlichkeit und bei den Reichsfürsten unterschätzt.5 Nicht ohne Einfluss auf diese Einstellung war wohl die Tatsache, dass jeder auch noch so kleine Sieg über den Feind sofort bekanntgegeben und detailliert kommentiert und somit der Eindruck erweckt wurde, man habe die militärische Lage jederzeit unter Kontrolle (b IX, 104–107). Auch das Blatt spielt die Türkengefahr herunter, indem es den Schwerpunkt auf die Verherrlichung des Römischen Reiches setzt. Lediglich die Bezeichnung christliche Warnung im Titel, die allerdings in antitürkischen und konfessionell-polemischen Schriften der Zeit ein weit verbreiteter Topos war, lässt eine weitere propagandistische Absicht erkennen. Diese Wendung enthält zugleich die einzige Anspielung auf das sonst in der antiosmanischen Propaganda verwendete Argument für den Krieg gegen die Türken, nämlich die Rettung des christlichen Glaubens. Eine viel differenziertere und dramatischere Reaktion auf die aktuelle Situation verbirgt sich im Text der undatierten, möglicherweise älteren lateinischen Fassung a. Die Sirene wird als Hinweis auf die Genusssucht Europas und auf die die Türkengefahr unterschätzende Haltung interpretiert, während die Vorführung der besiegten Völker die Aussicht auf eine noch schlimmere Zukunft ins Bewusstsein rufen will. Unverhüllt wird die Warnung vor dem ⫺ wenn auch mit Fragezeichen versehenen – Fall Deutschlands formuliert, zum Schutz des Vaterlandes aufgerufen und der religiöse Aspekt der Auseinandersetzung hervorgehoben. Es ist denkbar, dass der letzte große Sieg vor dem Erscheinen des deutschsprachigen Blatts, die Rückeroberung der Festung Raab im März 1598, die in einer ungeheuren von Rudolf II. gesteuerten Propaganda in verschiedenen Medien verewigt und in unzähligen Flugschriften beschrieben wurde,6 einen Anlass zur Veröffentlichung bildete und seine Aussage von der warnenden und ermahnenden in eine glorifizierende verändern ließ. Gemeinsam ist den beiden Versionen eine Diskrepanz zwischen dem Bild und dem Text in der Interpretation der Gestalt der Sirene als Europa. Seit der Antike galten Sirenen als gefahrbringende Wesen, die mit ihrer verführerischen Schönheit und dem wunderbaren Gesang und Spiel Menschen anlockten und dann zugrunde richteten.7 Daher wäre zu erwarten, dass eben der SirenenFigur die Bedeutung zugeordnet sein sollte, die im deutschsprachigen Blatt nur auf die Schlangen bezogen wurde, nämlich die Verblendung von Landt

vnd Leut durch Trug vnd List und den falschen Schein, zumal die lateinische Fassung die Schlangen nicht als selbständig agierende Gestalten sondern als ein Attribut der Sirene darstellt. Durch diese Zuordnung bekäme auch die Struktur der Graphik ihre Logik: Der Wolf als Bild für das gewaltsame militärische Vorgehen der Türken und die Sirene, die für die politische Strategie der Hohen Pforte steht, flankieren die Szene. Zwischen ihnen erscheinen in den übrigen Gestalten die unterworfenen bzw. angegriffenen Länder, unter denen dem Löwen als dem unbesiegten und im Text glorifizierten Römischen Reich ein besonderer Rang zusteht, der durch die Größe des Tiers markiert wird. Ob es eine Vorstufe der in dem Blatt überlieferten Prophezeiung gegeben hat, in der die konstatierte Diskrepanz noch nicht vorlag, ob die Abweichung von Bild und Text auf eine Fehlinterpretation oder gewollte Umdeutung dieser Vorlage zurückgeht, wird sich erst klären lassen, wenn ältere Überlieferungen der Prophezeiung gefunden worden sind.

Weitere Standorte: Austin, HRHRC: Popular Imagery Collection, Nr. 305.

Andere Fassungen: a)

Braunschweig, HAUM: FB IX [mit lat. Text; EXTAT HuJuS LAPIDIS MIRA; kleine Unterschiede in der Graphik]

1

Der Text der Fassung a wird mit Ex observatione M. AVENARII BRITTANNI unterzeichnet. Dass es sich bei der Gestalt um eine Sirene handelt, unterschlägt der Text. Zum langen Türkenkrieg s. NIEDERKORN: Mächte. Eine Zusammenstellung von zeitgenössischen Flugschriften bei GÖLLNER: Tvrcica. Zur antitürkischen Propaganda vgl. W. SCHuLZE: Reich u. Türkengefahr im späten 16. Jh. Studien zu den politischen u. gesellschaftlichen Auswirkungen einer äußeren Bedrohung. München 1978, 33–46; K. VOCELKA: Die politische Propaganda Kaiser Rudolfs II. (1576–1612). Wien 1981, 246– 268; DERS.: Das Türkenbild des christlichen Abendlandes in der frühen Neuzeit. In: ZÖLLNER/ GuTKAS: Österreich, 20–31; M. SCHILLING: Aspekte des Türkenbildes in Literatur u. Publizistik der frühen Neuzeit. In: HARMS/ SCHILLING: Flugblatt der frühen Neuzeit, 227– 244. SCHuLZE: Reich. K. VOCELKA: Rudolf II. und seine Zeit. Wien u. a. 1985, 184 f. Zu Sirenen vgl. H. KING: Halbmenschliche Wesen. In: J. CHERRY: Fabeltiere. Von Drachen, Einhörnern u. anderen mythischen Wesen. Stuttgart 1997, 219–267 und 308–310; R. KROHN: daz si totfuorgiu tier sint. Sirenen in der mittelalterlichen Literatur. In: U. MÜLLER/ W. WuNDERLICH (Hgg.): Dämonen, Monster, Fabelwesen. St. Gallen 1999, 545–563. EP

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IX, 195

F 138

Ort Jahr Bild Text Format Eine aus christlich-apokalyptischen Elementen zusammengesetzte Graphik illustriert eine Prophezeiung über den Anfang des Dreißigjährigen Krieges. Vor dem Hintergrund einer hügeligen Landschaft präsentieren sich dem Betrachter vier heraldischallegorische Tierfiguren. Auf einer Anhöhe im Zentrum des Bildes kauert ein drachenähnliches Monster. Ein Lamm, das vor ihm steht und einen Schlüssel trägt, steckt ihm ein Schwert in den Rachen. Über dem Lamm schwebt eine Schwurhand; aus einem Opfergefäß hinter ihm steigt eine Rauchwolke empor. Links von dem Monster richtet sich ein Löwe mit einem Doppelschwanz auf, der ihn als den böhmischen Löwen ausweist. Über ihm stürzt ein brennender dreiköpfiger Adler mit einem gebrochenen Zepter in den Krallen vom Himmel. Neben dem Adler zieht ein Komet seine Bahn. Am bewölkten Himmel über den beiden Szenen öffnet sich in der Mitte eine Wolke mit dem Jahwe-Tetragramm, aus der drei Hände hervorragen: Sie halten jeweils eine Waage mit zwei Kronen in den Schalen, eine Posaune und einen gespannten Bogen mit Pfeil. Der sparsame Text besteht zum einen aus dem ‚Titel‘ des Blattes, der rechts in der Mitte des Bildes eingraviert ist und über Entstehungszeit und -anlass des Blattes informiert. Ein knapper Hinweis auf Kapitel 12 des IV. Buches Esra als Aussage des Löwen dient als Erläuterung der Szene links im Bild. Eine weitere Inschrift ist zentral platziert und durch einen Zierrahmen hervorgehoben. Sie enthält die Zahl 666 mit dem Hinweis auf Kapitel 13 der Apokalypse und dem zugehörigen Zitat Hie ist Weyßheit sowie die algebraische Gleichung dieser Zahl. Der Verfasser des Prognostikons, der Ulmer Rechenmeister, Ingenieur und Meistersinger Johannes Faulhaber (1580–1635), beschäftigte sich in mehreren zwischen 1612 und 1632 erschienenen Schriften mit der Kabbalistik, mit Naturwundern und besonders eingehend mit dem Geheimnis der biblischen Zahlen, die er als Pyramidalzahlen konstruierte und als Grundlage für Prophezeiungen nahm.1 Mit seinen mystisch-kabbalistischen und alchimistischen Interessen, die ihm mehrmals Schwierigkeiten seitens der weltlichen und kirchlichen Obrigkeit eintrugen und ihn in schriftlich ausgetragene Auseinandersetzungen mit anderen Gelehrten ⫺ darunter Johannes Kepler (1571– 1630) ⫺ verwickelten, stand er den Rosenkreuzern nahe, mit denen er vergeblich in Kontakt zu kommen versuchte.2 Faulhabers Prophezeiungen gehören zu einer Vielzahl Prognostiken und Weissagungen aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, die als Mittel der protestantischen Propaganda ⫺ besonders in der böhmischen Phase des Krieges ⫺ funktionalisiert wurden (b II, 159–161, 180; IV, 103).3 Das vorliegende Blatt entstand anlässlich des Treffens der protestantischen Union in Ulm im Juli 1620, auf dem sich die evangelischen Fürsten gegenüber Maximilian von Bayern (1573–1651) zur Neutrali368

Iohann: Faulhabers: Gehaimes Prognosticon

1620 Radierung gravierte Bildinschriften; Prosa 19,8 ! 28,8 tät im böhmischen Konflikt verpflichteten.4 Es illustriert eine zuerst handschriftlich vorgelegte, aus 111 Zitaten der Bibel und der Esra-Apokalypse zusammengesetzte Schrift, die ein Jahr später im Druck erschien.5 Das aus biblischen Motiven zusammengesetzte Bild führt die aktuelle politische Situation am Anfang des Dreißigjährigen Krieges auf Weissagungen der Bibel zurück. Die Szene links bezieht sich direkt auf den Aufstand Böhmens gegen die Herrschaft der Habsburger. Die entsprechende Stelle in dem IV. Buch Esra berichtet von einem brüllenden Löwen, der aus einem Wald kommt und zu dem brennenden Adler spricht, den Gott für seine tyrannische Regierung auf Erden vernichtet.6 Der zentrale und der rechte Teil der Graphik haben allgemeineren Charakter und verweisen auf die Endzeit. Im Bild der Wolke mit dem Tetragramm und den drei Händen wird der verkündende, richtende und strafende Gott dargestellt. Das apokalyptische Tier in der Mitte wird vom Lamm Gottes mit einem Schwert besiegt, eine Darstellung, die auf das Bild Christi als König der Könige mit einem Schwert (dem Evangelium) im Mund (Apk 19, 15) zurückgeht. Dem vom Lamm geführten Schlüssel, der im Bildkontext den Zugang zu Himmel und Hölle bedeuten könnte, erscheint als Schlüssel zum Buch der Vorsehung in Faulhabers Prognostikon ‚FAMA SYDEREA NOVA‘ von 1618, in dem er seine prophetischen und verschlüsselten Geheimzahlen auf den in jenem Jahr erschienenen Kometen anwandte;7 in seiner ‚Andeutung einer […] newen Wunderkunst‘ nennt er die Zahl 666 ein General Schlüssel […] zu allen versiegelten Zahlen der heiligen Schrifft/ Altes vnd Newes Testaments.8 Die allegorische Szene mit den ergänzenden Elementen des rauchenden Opfergefäßes und der Schwurhand illustriert die Bibelstellen, die in der ‚Ersten Teutschen Lection‘ mit dem Satz Endtlich aber/ welche den zornigen Sathan vberwunden haben/ durch das Wort jhrer Zeugnuß/ vnd das Blut deß Lambs/ die werden Könige vnd Priester Gottes/ vnd Christi seyn

(Apk 20) wiedergegeben wurden. Trotz seiner Ereignisgebundenheit und damit seinem Aktualitätsanspruch greift das Blatt Motive auf, die schon in den früheren Werken Faulhabers behandelt worden sind. Seit dem 1612 erschienenen ‚Newen Mathematischen Kunstspiegel‘9 und vor allem der ‚Andeutung einer […] newen Wunderkunst‘ beschäftigte er sich immer wieder mit der kabbalistischen Deutung der apokalyptischen Zahlen, aus denen sich kommende Ereignisse voraussagen lassen könnten. Eine Prophezeiung über Gog und Magog wurde schon 1613 in seiner in Nürnberg gedruckten, dem Kaiser gewidmeten ‚Himlischen gehaimen Magia Oder Newer Cabalistischen Kunst/ vnd Wunderrechnung‘ thematisiert. Eine Vorlage zur besprochenen Graphik bildete die Illustration der Kometen-Prophezeiung aus der ‚FAMA SYDEREA NOVA‘, von der einige Elemente ⫺ die Wolke mit dem Jahwe-Tetragramm und den drei Händen, der Adler und der Löwe, das Lamm und der Schlüssel sowie der Komet selbst übernommen wurden.

Zeugnisse für eine nachhaltige und aufmerksame Rezeption der ‚Ersten Teutschen Lection‘ und der sie begleitenden Graphik liefert zum einen die 1659 erschienene niederländische Übersetzung der Schrift,10 zum anderen ein Exemplar der Graphik, das nach 1635 mit einem aufwändigen handschriftlichen Kommentar versehen wurde.11 Der Verfasser des Kommentars nahm an der antihabsburgischen bzw. antikatholischen Aussage des Blattes Anstoß und versuchte seine Unzulänglichkeiten zu entlarven (er nennt das Bild Emblema stolidissimum, Jmpium, et valde seditiosum), indem er für die durch den Löwen und den Adler verkörperte Maxime JNSOLENTIAM ESSE RuINE CERTISSIMAM NuNCIAM (die Überheblichkeit ist das sicherste Zeichen für den Untergang) eine Reihe von Beispielen für den Sieg der Katholiken über die Protestanten anführt, die in ihrem Hochmut ihren Gegner unterschätzt hätten (Heidelberg, Magdeburg, Bethlen Gabor, Karl von Lothringen, die Flamen im Kampf gegen Philipp IV., Valois). Weitere Standorte: Berlin, SBPK: YA 5216 kl.; Ulm, StB: Einblattdruck N 21 (A 1); ehem. Auktionshaus Zisska/ Kistner, München (A 2) Andere Fassungen: A1

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K. HAWLITSCHEK: Johann Faulhaber 1580–1635. Eine Blütezeit der mathematischen Wissenschaften in Ulm. Ulm 1995, 167. Auktionshaus F. Zisska/ R. Kistner: Handschriften ⫺ Autographen ⫺ seltene Bücher, Auktion 4/II. München 1984, Nr.2254, Tafel X. Das Blatt wurde zwei Jahre früher in Heidelberg zur Versteigerung angeboten (Antiquariat Tenner, Nr. 41, Tafel IV). Zu Faulhaber vgl. I. SCHNEIDER: Johannes Faulhaber 1580–1635. Rechenmeister in einer Welt des Umbruchs. Basel u. a. 1993; HAWLITSCHEK: Faulhaber. Ihnen widmete er sein ‚MYSTERIuM ARITHMETICuM, sive, Cabalastica et Philosophica Inventio‘. O.O. 1615. Vgl. HOHENEMSER, Nr. 243 f.; H. REINITZER: Aktualisierte Tradition. Über Schwierigkeiten beim Lesen von Bildern. In: K. GRuBMÜLLER u. a. (Hgg.): Geistliche Denkformen in der Literatur des Mittelalters. München 1984, 354–400; C. GILLY: Der ‚Löwe von Mitternacht‘, der ‚Adler‘ und der ‚Endchrist‘. Die politische, religiöse u. chiliastische Publizistik in den Flugschriften, illustrierten Flugblättern und Volksliedern des Dreißigjährigen Krieges. In: Rosenkreuz als europäisches Phänomen im 17. Jh. Amsterdam 2002, 234–268. Vgl. Theatrum Europaeum I, 339–341. Johann Faulhaber: Erste Teutsche Lection […] Welche begreifft das Prognosticon vom Gog vnd Magog. So auff dem Vnions tag inn Vlm vbergeben worden. Augsburg 1621. Die Esra-Apokalypse (IV. Esra). Übers. u. hg. von A. F. J. KLIJN. Berlin 1992, Kap. 11–13. Das IV. Buch Esra wurde gern zur verschlüsselten Darstellung des böhmischen Aufstands herangezogen, vgl. etwa Johannes Plaustrarius (d. i. Johann Wagner): Wunder- vnd Figürlich Offenbahrung: Das ist […] Von dem newen König Friderico Pfaltzgrafen/ etc. oder brüllendem Löwen auß dem Waldt/ im 4. Buch Esdrae am 11. vnd 12. Capitel. (Hermannstadt) 1620; Abraham Bartolus: AQVILA ESDRAEA: Das ist: Historische Außlegung vnd Erklärung deß Gesichtes Esdrae. O.O. 1621; HOHENEMSER, Nr. 241. FAMA SYDEREA NOVA. Nürnberg 1618. Andeutung/ Einer vnerhörten newen Wunderkunst […]. Nürnberg 1613, fol.Ciijr. Newer Mathematischer Kunstspiegel. Darinnen […] Natur vnd Eigenschafften/ etlicher Zahlen/ Danielis/ vnd der Offenbarung Sanct Johannis. Ulm 1612. Johan Faulhebers van Ulm Eerste Duytse Lesse. Amsterdam 1659. Zisska/ Kistner: Auktion 4/II, Nr.2254, Tafel X. EP

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IX, 196

F 715

Ort Jahr Bild Text Format

Das Blatt kombiniert zahlenmystische Spekulationen, Astrologie, eine Joachim de Fiore (um 1135⫺ 1202) zugeschriebene Prophezeiung und die zeichenhaften Wundergeburten des Papstesels und des Mönchskalbs zu einer Vorhersage einer 120 Jahre währenden ‚Zeit der Gnade, Macht und des Ruhms‘ sowie der Berechnung des Jüngsten Tages. Der mittlere Kupferstich zeigt eine schematisierte Darstellung der Ekliptik, wie sie für die Erstellung eines Horoskops gebraucht wurde (b III, 194). In dieses mit zarter Ornamentik versehene Schema sind auf den Grenzlinien der zwölf Himmelshäuser die Tierkreiszeichen eingezeichnet. Sie beginnen mit dem Wassermann links unten und setzen sich im Uhrzeigersinn über die Tierkreise der Fische, Widder, Stier usw. bis zum Schützen und Steinbock fort. Vereinzelt lassen sich auch Symbole des Zodiaks ausmachen, die allerdings unsystematisch verteilt scheinen, wenn das Symbol des Steinbocks unter dem Widder und das des Löwen unter dem Krebs zu stehen gekommen sind. Ferner wurden einzelne Planetensymbole eingefügt (z. B. Mars oberhalb der Waage, Merkur über dem Krebs, Venus rechts vom Stier); Sonne und Mond erscheinen hingegen in figürlicher Darstellung. Zwei Kometen, einige Sterne und Datumsangaben (?) ergänzen das himmlische Zeichenensemble. Im Zentrum des Kreises, wo bei einer Verwendung des Schemas als Horoskop ein Datum und der Name der astrologisch analysierten Person stehen, befindet sich hier eine Kreisformation mit Ringen, symbolischen Zeichen und einer änigmatischen Figurenkonstellation. Eine Beischrift weist dieses innere Ensemble als Rota Joachimi Abbatis, also als Rad des Abtes Joachim (von Fiore) aus.1 Die mittlere schematische Darstellung wird von zwei Kupferstichen flankiert, die zwei aufrecht stehende zoomorphe Figuren zeigen. Die linke geschuppte Gestalt hat einen Eselskopf mit langen Haaren, weibliche Brüste, eine menschliche Hand und einen Arm, der in einer Art Rüssel endet, ein menschliches und ein tierisches Bein mit Huf und eine verdoppelte, feuerspeiende Fratze als Hinterteil. Auf der rechten Seite hat sich ein Kalb auf seine Hinterläufe gestellt und vollführt mit dem rechten Vorderhuf einen Redegestus. Auf den Schultern liegt ein kapuzenähnlicher Hautlappen; einige zottelartige Auswüchse zieren das Hinterteil. Beide Figuren stehen auf einer topographisch leicht gegliederten, von Blumen und Kräutern bewachsenen Fläche. Der Titel annonciert eine Voraussage für die Jahre 1530 bis 1650, die durch das Rad Joachims von Fiore, durch den ‚römischen Esel‘ und das Freiberger Mönchskalb den Sturz Gogs und Magogs sowie des Papstes ankündige. Der Esel wird mit ‚Rom als Ort des Bösen‘ identifiziert, während das 370

ANTIQuA,

BONA, CHRISTIANA PRAEFIGuRATIO TEMPORIS

Freiberg i. S. (? in libero Monte) 1641 (Chronogramm) 3 Kupferstiche Typendruck; lateinische Prosa 35,6 ! 28,1; 10,0 ! 6,8; 12,5 ! 11,6; 10,0 ! 6,8

Kalb eine Zeit des Heils bedeute. Der mittlere Text bezieht sich auf die Rota und prophezeit in drei Chronogrammen für die Jahre 1645 und 16462 ein Zeitalter der Gnade, das mit dem Triumph von Stier und Sachsen und dem Untergang des Papstes anhebe. Es schließen sich drei Rechenoperationen an, welche die Prophezeiung bestätigen sollen. Die erste wird auf Nikolaus von Kues (1401⫺1464) zurückgeführt und verweist auf das Jahr 1650 als Summe aus den Zahlen 1617 (Reformationsjubiläum) und 33 (Lebensjahre Christi). Ebenfalls 1650 ergibt die zweite Rechenoperation, die den Zeitraum von 120 Jahren zwischen dem Beginn von Noahs Bußaufrufen und dem Einsetzen der Sintflut auf die Spanne seit 1530 (Confessio Augustana) bezieht. Die dritte Berechnung folgert aus der Dauer von 1656 Jahren, die von der Schöpfung bis zur Sintflut vergangen seien, dass nach derselben Zeit seit Christi Geburt, also im Jahr 1656 der ‚Tag des Herrn‘, also das Jüngste Gericht anbrechen werde. Die Auflösung der Bedeutung der vier griechischen Buchstaben und der acht Neunergruppen von Zahlen wird für einen ausführlicheren Traktat über die Rota versprochen. Die Änigmatik, die in der vorliegenden ‚Antiqua […] Praefiguratio‘ vorherrscht, gehört zu den kalkuliert unscharfen Schreibweisen prognostischer Texte (b II, 159⫺161, 269, 337; IV, 103). Zu den erfolgversprechenden Verfahrensweisen des prophetischen Schrifttums im 17. Jahrhundert zählten auch die Bezugnahmen auf ältere Vaticinien,3 wie sie hier mit der Rota Abbatis Joachimi4 und den von Luther und Melanchthon popularisierten Papstesel und Mönchskalb (b VI, 9) vorliegen.5 Bemerkenswert ist dabei, dass die ursprüngliche Warnung vor dem Mönchswesen, die aus dem Mönchskalb herausgelesen wurde, hier in eine positive Deutung umgewandelt zu sein scheint, wenn zu seinen Füßen Salus Veniet zu lesen ist. Nicht ausgeschlossen scheint auch, dass der zweimal positiv gedeutete Stier nicht nur auf das Sternzeichen, sondern auch auf das Kalb zu beziehen ist, zumal im zweiten Chronogramm eine enge Verbindung zu Sachsen hergestellt wird, wo das Kalb zur Welt gekommen war. Die Darstellung der Rota innerhalb des Horoskop-Schemas hat der Stecher von dem Titelholzschnitt der ‚Lectionum Memorabilum Et Reconditarum Centenarii XVI‘ des Johann Wolf (1537– 1600) übernommen.6 Die Übereinstimmung bei den fehlerhaften Zuordnungen der Tierkreisfiguren und -symbole wie auch bei den Zahlen und der Positionierung der Kometen erweist den Holzschnitt als unmittelbare Vorlage des Kupferstichs.

Weitere Standorte: New York, Pierpont Morgan Library: Peel Vol. 1, Nr. 94.

Andere Fassungen: A1

PAAS V, P-1267 (datiert das Blatt auf 1630 zum 100jährigen Jubiläum der Confessio Augustana).

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(Ps.-)Joachim von Fiore: Vaticinia sive Prophetiae. Venedig 1633; zu der dort wiedergegebenen Rota heißt es: Rota a Pio Quarto (ut aiunt) in Solis, et Lunae imaginibus incipiens, et futura de Pontificibus praedicens. Das dritte Chronogramm ist fehlerhaft gedruckt (adest statt aDest). B. BAuER: Die Rezeption mittelalterlicher Prophezeiungen im 17. u. 18. Jh. In: W. HARMS/ J.-M. VALENTIN (Hgg.): Mittelalterliche Denk- u. Schreibmodelle in der dt. Literatur der Frühen Neuzeit. Amsterdam/ Atlanta, GA 1993, 111⫺148, hier 112⫺114. M. REEVES: Joachim of Fiore and the Prophetic Future. London 1976; H. DE LuBAC: La postérité spirituelle de Joachim de Fiore. Paris 1979. K. LANGE: Der Papstesel. Göttingen 1891; H. GRISAR/ F. HEEGE: Luthers Kampfbilder. Teil 1⫺4, Freiburg i. Br. 1921⫺1923, III, 3⫺13; J. SPINKS : Monstrous Births and Visual Culture in Sixteenth-Century Germany. London 2009, 59–79; L. P. BuCK: The Roman Monster. An Icon of the Papal Antichrist in Reformation Polemics. Kirksville 2014; zum Freiberger Mönchskalb vgl. Fliegende Blätter, Nr. 239 (mit weiterer Literatur). Lauingen 1600. Die bei Wolf abgedruckte Erläuterung der Rota (I, 459) hat keine Spuren im Text des Flugblatts hinterlassen. MSch

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F 134

Ort Jahr Bild Text Format

Das Blatt versammelt vier ungewöhnliche Himmels- und Naturerscheinungen des Jahres 1673 und interpretiert sie als Zeichen Gottes. Die Graphik besteht aus vier in sich geschlossenen Bildfeldern, die gemäß der Abfolge des Textes im Uhrzeigersinn angeordnet wurden. Das erste Bild zeigt in der oberen Hälfte drei schwarze Sonnen auf einem Regenbogen, in der Mitte eine weitere Sonne auf einer Mondsichel, darunter drei Kreuze und zu beiden Seiten je einen Degen und einen Säbel. Die linke untere Bildhälfte enthält eine Partisane und ein Fähnlein mit sechs Halbmonden dazwischen, darunter eine Feuer-Kugel und ein Auge, das eine donnernde Kanone überwacht. Auf dem nächsten Bild bedrohen sich aufrecht auf den Hinterbeinen stehend ein Löwe und ein Bär; über ihren Köpfen halten zwei Hände aus den Wolken jeweils ein Schwert und eine Rute. Im Feld darunter reichen sich zwei von Wolken umgebene Männer in langen Röcken die Hand; über ihnen scheint die Sonne. Das letzte Bild zeigt eine Seeschlacht; über den Schiffen fliegt Ungeziefer, das überdimensional vergrößert erscheint. Der Text stellt einleitend fest, dass eine über anderthalb Tausend Jahre alte Weissagung sich erfülle, nach der der letzten Wiederkunft des großen Propheten mehrere Zeichen an Sonn/ Mond und Sternen vorangehen würden. Zu solchen Zeichen rechnet der Blattverfasser mehrere aktuelle Naturerscheinungen: Neben einem verheerenden Gewitter sowie Überschwemmungen, die Menschenleben gefordert und enorme Sachschäden verursacht hätten, sind es vor allem die in den Bildern dargestellten Ereignisse. Deren jeweiliger sachlicher Beschreibung folgt ein gereimter Kommentar, der jedoch keine klare Aussage, sondern allenfalls Andeutungen enthält. Die Beschreibungen ergänzen die Illustrationen um Angaben zur Zeit und zum Ort des Geschehens, zu den Farben der Erscheinungen (Der öbere Strahl Des Regenbogens Goldgläntzete: der mittlere war schwärtzlicht: der dritte/ blau.) und zu akustischen Wahrnehmungen (die Kanone sei in zweyen Stunden viermahl mit einem erschröcklichen Donnerknall gehört worden). In allen vier Fällen divergieren allerdings Beschreibung und Illustration. Im ersten Bild fehlen die im Text erwähnten zwanzig schwartze Sternlein/ welche in einen Drey-Angel eingetheilet waren. In der zweiten Szene erschien laut Text über den beiden Tieren nur die Sonn in Blut, während über den beiden Männern in der dritten Szene eine Hand mit einem Schwerd zu sehen war. Die fliegenden Insekten seien zum einen im Nordgau gesichtet worden, zum anderen seien ähnliche Wunder-Würmer in Ungarn mit dem Schnee herabgefallen; von einer Seeschlacht ist nicht die Rede. Die Deutung der Wunderzeichen erfolgt im Blatt auf zwei Ebenen, von denen die erste sie als Vor372

Erschröckliche Wunderzeichen/ So sich in Moscau

(1673) Radierung und Kupferstich Typendruck in 2 Spalten; Prosa, 3 Strophen im Schweifreim, 2 ! 4 Knittelverse 35,7 ! 26,3; 19,0 ! 15,0

boten des Jüngsten Gerichts sehen will, was der Text mit dem einleitenden Satz und das Bild mit den Rute und Schwert haltenden Händen andeuten.1 Wichtiger als diese nur knapp angedeutete Endzeitspekulation ist die zweite Interpretationsebene. Hier werden die Wunderzeichen auf aktuelle politische Ereignisse bezogen, die in der Komposition der Graphik systematisiert wurden: Das erste und das letzte Bild deuten den Krieg an, während die beiden mittleren von Versöhnung im Sinne des Friedens sprechen. Folgende Auseinandersetzungen kämen dabei in Frage: Mit dem Erscheinen des Türcken Zeichen im ersten Bild, dem Creutze folgen sollten, wird eine immer befürchtete Türkeninvasion beschworen, wenn auch 1673 keine akute Gefahr bestand.2 Die Darstellung der Seeschlacht im letzten Bild dürfte auf den 1672 von Frankreich erklärten, von einer breiten Medienkampagne begleiteten Holländischen Krieg verweisen (b IX, 189 f.), in dem 1673 mehrere Seeschlachten zwischen der niederländischen und der vereinigten französisch-englischen Flotte stattfanden.3 Hinter der Darstellung der zwei Männer, die sich laut Text jetzt wieder […] vereinen sollen, steht vermutlich der seit 1671 andauernde militärische Konflikt zwischen Polen und dem osmanischen Reich, in dessen Umfeld u. a. eine Annäherung zwischen der Rzeczpospolita und Moskau erfolgte.4 Weniger deutlich ist das zweite Bild, das mit den sich versöhnenden Löwen und Bären vielleicht den gegen Frankreich gerichteten Bündnisvertrag zwischen Holland und Spanien meinen könnte,5 obwohl die Identität des Bären unklar ist.6 Die Differenzen zwischen den Bildern und deren Beschreibungen sowie die vagen Auslegungen entsprechen der von dem Blatt beanspruchten Form einer Weissagung, deren Formulierung immer mehrere Deutungen zulässt. Die Form einer Prophezeiung mit ihrer kalkulierten Unschärfe war auch geeignet, politische Inhalte zu verschlüsseln und so gegenüber der Zensur zu verharmlosen.7 Für das Blatt wurden besonders spektakuläre Naturerscheinungen gewählt, die, wie einige Publikationen belegen, auch auf das Interesse anderer Medien,8 Forscher9 und ‚Kuriositätensammler‘10 stießen. Beim Vergleich ihrer Darstellungsweise wird deutlich, dass im Falle des Flugblattes eher kommerzielle Überlegungen zugrunde gelegen haben. Sein Verfasser war weder an ausschließlicher Information noch an naturwissenschaftlichen oder astronomischen Aspekten seiner Themen interessiert. Ihre Vermarktung als Erschröckliche Wunderzeichen in Form einer rätselhaften, an eine religiös geprägte Aufnahmebereitschaft appellierenden Prophezeiung versprach, einen breiteren Kreis von Empfängern zu erreichen, die mit den dem Blatt zugrunde liegenden Deutungsmustern vertraut waren und die verschlüsselte Art der Darstellung, welche Unsicherheit und Angst zusätzlich schürten, als Reiz und Nervenkitzel empfinden konnten.

Weitere Standorte: ehem. Berlin-Treptow, Sternwarte (A 1)

Andere Fassungen: A1

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F. S. ARCHENHOLD: Kometen, Weltuntergangsprophezeiungen u. der Halleysche Komet. (Berlin-Treptow) o.J., Nr. 18. PAAS XIII, P-4100. Vgl. R. ZELLER: Wunderzeichen u. Endzeitvorstellungen in der Frühen Neuzeit. Kometenschriften als Instrument von Warnung u. Prophezeiung. In: Morgen-Glantz 10 (2000), 95–132. Zur Auslegung in diesem Sinne vgl. z. B. einen Bericht über frühere Himmelserscheinungen mit Nebensonnen, Sternen, Regenbogen, Mondsichel, Säbeln und Kreuz: Türcken Trutz/ und GOttes Schutz. Jn Betrachtung Deß im vergangenen 1660. Jahr […] am Himmel erschienenen Wunderzeichens gezeiget. O.O. 1661. J. R. JONES: The Anglo-Dutch Wars of the Seventeenth Century. London/ New York 1996, 179–216. Einschlägige Flugblätter bei DRuGuLIN, II, 2809–2815, 2818–2821, 2828–2832, 2834–2839, 2848–2851; PAAS X, P-2977 bis 2980, P-3037 bis 3047. Vgl. Z. WÓJCIK: Między traktatem andruszowskim a wojną turecką. Stosunki polsko-rosyjskie 1667–1672 [Zwischen dem Traktat von Andruszów und dem türkischen Krieg. Polnisch-russische Beziehungen 1667– 1672]. Warschau 1968. Vgl. etwa: Verbündnuß Getroffen und geschlossen zwischen der Crone Spanien/ und Denen General-Staaten der vereinigten Niederlanden. Den 30. Augusti/ im Jahr 1673. O.O.u.J. Ein Bär konnte u. a. für Bayern (b IV, 125, 232), Schweden (b II, 345), für Ludwig XIV. von Frankreich (b II, 383) oder für den Kaiser (b IV, 250) stehen. Die bewegenden politischen Ereignisse jener Jahre wurden des öfteren in dieser Form dargestellt. Vgl. etwa: Ein Alte Weissagung: Doct. Johan Carionis So vermuhtlich Auff itzigen Zeitlauff ihr Ziel erreichet. O.O. 1672; Matthieu Gauthier: Astrologische Anmerckung: Oder Prognosticatie, Auff das Jahr 1673. O.O.u.J.; Martin Barbe: Der Frantzösische Und Polnische Wahrsager/ Auff das M.DC.LXXIV. Jahr. O.O.u.J. Allgemein vgl. U. ANDERMANN: Geschichtsdeutung und Prophetie. Krisenerfahrung und -bewältigung am Beispiel der osmanischen Expansion im Spätmittelalter u. in der Reformationszeit. In: B. GuTHMÜLLER/ W. KÜHLMANN (Hgg.): Europa u. die Türken in der Renaissance. Tübingen 2000, 29– 54. Über die Insekten berichtete Jacob Francus (d. i. Conrad Memius): Relationis Historicae […] Continuatio. Frankfurt a. M. 1673, 88 (Herbstmesse 1672 bis Frühjahrsmesse 1673), die Lied-Flugschrift ‚Eigentlicher Bericht und traurige Zeitung/ Von unterschiedlichen Wunderzeichen‘ O.O. 1673, sowie Flugblätter (vgl. FAuST: Einblattdrucke I, Nr. 20 f.). Eine detaillierte Beschreibung des im April in Moskau sichtbaren Halo mit vier Nebensonnen bringt das ‚Theatrum Europaeum‘ (XI, 559). Paul Röber: Insecta Novisolii. Wittenberg 1673. Johannes Praetorius: Neuliche Miß-Geburten. O.O. 1678, fol. [B4]r. EP

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Ort Jahr Bild Text Format Zustand

Mehrere zeitgenössische und frühere Abnormitäten in der Natur sollen als Zeichen göttlicher Gnade oder göttlichen Zorns zu Nachdenken und Buße anleiten. Die Graphik präsentiert Abbildungen von ungewöhnlichen Himmels- und Naturerscheinungen, ohne dass sie sich in der Anordnung der Elemente im Bild nach einer erkennbaren Systematik richtet. Die Himmelserscheinungen oben links und in der Mitte zeigen einen geschweiften Stern über dem Zeichen des Merkur (2)1 und die Sonne mit zwei kleinen geschweiften Nebensonnen (1). Bei den Pflanzen handelt es sich um eine abnorm verzweigte Kornähre mit Haupt- und Seitenähren (3), einen ‚Strauß‘ aus einer ähnlich verzweigten Weizenähre in der Mitte mit jeweils symmetrisch an den Seiten angeordneten kleineren, aber ebenfalls verzweigten Gerstenähren (4), sowie um eine ungewöhnlich große Weintraube (5). Ein Rehbock mit ausgewuchertem Gehörn ist gleich zweimal abgebildet worden, einmal nur sein Kopf und einmal die ganze Gestalt (6). Nicht nur die fehlende Systematik, auch das realitätsferne Größenverhältnis zwischen den einzelnen Darstellungsobjekten lässt als Gestaltungsprinzip eine Zusammenfügung von vorhandenen und damit in den Proportionen vorgegebenen Vorlagen auf begrenztem Raum vermuten. In den Versen an beiden Seiten des Bildes wird der Inhalt des unter der Graphik folgenden Textes komprimiert. Die deutschen Christen werden aufgerufen, die Wunderwerke Gottes als eine in Bilder und Gleichnisse verhüllte Botschaft wahrzunehmen und ihnen mit Bewunderung und Furcht entgegenzutreten; sie seien Zeugnisse seiner Güte, aber auch eine Warnung. Buße und Dankbarkeit werden gefordert, vor allem aber Abstand von der Pracht und Hoffart, wolle man die Gnade Gottes erfahren. Der Prosatext nennt die abgebildeten Wunderzeichen und legt sie aus. Sie seien Warnung, Drohung und Verheißung des zornigen und liebenden Vaters für die bösen Menschen-Kinder. Als Drohungszeichen werden zwei Himmelserscheinungen interpretiert, die 1676 beobachtet wurden: Die Sonne in einem gedritten Schein, gesehen am 3. und 13. Juli über Straßburg, könnte für den Sündliche[n] Wanckelmut des Menschen stehen, der sich von der wahren Sonne der Gerechtigkeit abwende und dem verführerischen und verderblichen Licht der Nebensonnen folge. Keine Zweifel hinsichtlich der Interpretation lasse das Erscheinen des Planeten Merkur zu, der mehrmals um vier Uhr nachmittags außerhalb seiner gewöhnlichen Bahn und mit besonders hoher Geschwindigkeit über den Himmel gezogen sei und eine feuerrote Farbe gehabt habe. Der schnelle Lauf verweise auf die große Menge der Sünden-Greuel und womöglich auf deren unmittelbar bevorstehende 374

Göttliche Wunder- und Warnungs-Wercke

(1676) Radierung/Kupferstich Typendruck in 2 ! 2 Spalten; 12 Alexandriner, Prosa 37,3 ! 29,0; 14,0 ! 17,9 Ausrisse in Titel und unterer Zierleiste

blutige Bestrafung. Dagegen zeige sich die Barmherzigkeit Gottes und seine Bereitschaft zu geben, vorausgesetzt der Mensch bekehre sich und lasse vom Bösen ab, in solchen Wunderwerken der Natur wie der Wunderähre von 1622, den verwunderlichen Gersten und Weitzen Gewächse[n] von 1627 oder der besonders großen Traube, die 1676 in Franken gezüchtet worden sei. Als Warnung, der Mensch solle solche Gaben nicht zu Pracht und Hochmut gebrauchen, habe Gott im vergangenen Jahr einen merkwürdigen Rehbock gezeigt. Sein unnatürliches Aussehen sei Zeichen göttlichen Zorns angesichts der Hoffart des Alamodewesens, das die Menschen von Gott entfremde.2 Mit Hilfe einer paraphrasierten Bibelstelle (III Mos 26,21 f.) wird der Leser im abschließenden Textteil angehalten, den reichen Segen Gottes mit größerem Dank als bisher anzunehmen und zur Ehre Gottes anzuwenden, sonst könne ihm alles weggenommen werden, und frembde Thiere könnten, wie es sich schon abzeichne, seine Vorräte auffressen. Das Blatt erscheint auf den ersten Blick und ganz besonders in der Graphik als eine Kompilation verschiedener Wunderzeichen. In der Tat lassen sich mehrere Bild-Vorlagen nachweisen, so dass auch für diejenigen, für die bisher keine Vorlagen nachgewiesen sind, solche zumindest vermutet werden können. Die Zeichnung der blühenden Roggenähre, die im Oktober 1622 in Wildensorg bei Bamberg aufgegangen ist, wurde wohl von dem zeitgenössischen Flugblatt ‚Abbildung einer Wunderlichen vilfeltigen Khorn-äheren‘ (b I, 222) übernommen,3 während die beiden Gestalten des Rehbocks, der im Juni 1676 in Hammerstein gefangen wurde, aus der Flugschrift ‚Abbildung und kurtze Beschreibung eines wunderbahren Rehebocks‘ (Straßburg o.J.)4 kopiert wurden. Die fünffache Ähre (4) findet sich auf dem zeitgenössischen Schweizer Flugblatt ‚Wahre abbildung eines ährs‘.5 Die Eigenständigkeit des Blattes liegt in seinem textlichen Bereich. Die Interpretationen einzelner ‚Wunderwerke‘, von denen sich nur eine, nämlich die der blutroten Kometenfarbe, auf eine aktuelle Situation ⫺ vermutlich auf die wachsende französische Aggression6 ⫺ bezieht, sind zwar auch hier stereotyp;7 doch anders als im Bild, das sich als eine bloße Sammlung singulärer Objekte präsentiert, wurde ihre Heterogenität durch die Beiziehung einer Bibelstelle als Fokus überwunden.8 Vor dem Hintergrund des 26. Kapitels des III. Buches Moses über die Verheissung und Drewung vnd Fluch des Gesetzs gelesen, erhält der Text eine in sich geschlossene Aussage. In dieser liegt auch die disziplinierende Funktion des Blattes, die sein Verfasser, ähnlich wie bei anderen Wunderflugblättern, in der erhofften Abkehr von Sünden und Hinwendung zu Bußfertigkeit realisiert sah.9

Weitere Standorte: Bamberg, SB (A 1); Frankfurt a. M., UB: Freytag, 66; Nürnberg, GNM: 855/1284; ehem. München, GS (A 1); ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig (A 2); ehem. Antiquariat Rosenthal, München (A 3)

Andere Fassungen: A1

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W. HESS: Himmels- u. Naturerscheinungen in Einblattdrucken des XV. bis XVIII. Jhs. Leipzig 1911, 104, Nr. XXV, 112, Nr. XVI. DRuGuLIN II, Nr. 2911. Antiquariat J. Rosenthal: Zeitungen u. Relationen des 15.⫺18. Jhs. (Katalog 89). München (1928), Nr. 5112 (nach FAuST: Einblattdrucke III, Nr. 398). HOLLÄNDER: Wunder, Abb. 41. V. F. BRÜNING: Bibliographie der Kometenliteratur. Stuttgart 2000, Nr. 1280. FAuST: Einblattdrucke III, Nr. 398. K. STOPP: Botanische Einblattdrucke u. Flugschriften vor 1800. Stuttgart 2001, I, Nr. 29. und 127. PAAS XIII, P-4111. Nach Hess (Himmels- u. Naturerscheinungen, 104) handelt es sich um einen in Deutschland wenig bekannten Kometen, der „namentlich in Frankreich mehrmals beobachtet wurde“ (dazu A. G. PINGRÉ: Cométographie ou Traité historique et théoretique des Comètes, 2 Bde. Paris 1783, hier II, 23). Auf das ‚Alamodische Frauenzimmer‘ bezieht denselben Rehbock Friedrich Wilhelm Schmuck: FASCICVLVS ADMIRANDORUM NATURAE. Oder Der Spielenden Natur Kunstwercke/ Jn verschiedenen Mißgeburthen vorgestellet. Straßburg 1679, 5 f., Abb. 3. Zu dem zweiten nur im Text erwähnten Gersten und Weizen Gewächse von 1627 b I, 225; zum Fundort s. STOPP: Einblattdrucke I, Nr. 28.1. Erlangen, UB: A IV 83 und 84; Abb. bei FAuST: Einblattdrucke, III, 115. Exemplar Zürich, ZB: Edr. Varia Pflanzen I,3. Vgl. F. BOSBACH: Der französische Erbfeind. Zu einem dt. Feindbild im Zeitalter Ludwigs XIV. In: BOSBACH: Feindbilder, 117–139; J. SCHILLINGER: Der Tyrann Ludwig XIV. in den dt. Flugschriften des 17. Jhs. In: J.-D. KREBS (Hg.): Die Affekte u. ihre Repräsentation in der dt. Literatur der Frühen Neuzeit. Bern u. a. 1996, 231– 246. Vgl. etwa H. LEHMANN: Die Kometenflugschriften des 17. Jhs. als historische Quelle. In: W. BRÜCKNER u. a. (Hgg.): Literatur u. Volk im 17. Jh. Probleme populärer Kultur in Deutschland, Wiesbaden 1985, II, 683–700. Zur Auslegung pflanzlicher Abnormitäten s. U.-B. KuECHEN: Botanische illustrierte Flugblätter der Frühen Neuzeit. Ein frühes Medium als Basis für die Einordnung von Phänomenen der Teratologie in den Wissensdiskurs u. dessen Voraussetzungen. In: HARMS/ MESSERLI: Wahrnehmungsgeschichte, 265–307; DIES.: ‚Wunderähren‘. Ein seltenes skandinavisches KistebrevMotiv u. seine europäische Bildtradition. In: BRINGÉuS/ NILSSON: Popular Prints, 243–271. Zur Bibel als Prätext in der Publizistik vgl. HARMS: Funktionalisierungen. Vgl. M. SCHILLING: Das Flugblatt als Instrument gesellschaftlicher Anpassung. In: HARMS/ SCHILLING: Flugblatt der frühen Neuzeit, 135–156, bes. 144 f. Zur theologisch-moralischen Kometendeutung s. F. MAuELSHAGEN: Illustrierte Kometenflugblätter in wahrnehmungsgeschichtlicher Perspektive. In: HARMS/ SCHILLING: Flugblatt in der Kultur, 101–136. EP

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Ort Jahr Bild Text Drucker Format Zustand

Das Blatt interpretiert zum Jahresbeginn 1682 den Kometen von 1680/81 als Hinweis auf teilweise schon erfolgte und teilweise noch drohende Strafen des göttlichen Zorns für die Sündhaftigkeit der Menschen und ruft zur Buße auf. Das Bild zeigt auf quadratischer Grundfläche im Zentrum des Ziffernblatts einer Uhr über der nächtlichen Stadtsilhouette Augsburgs den Strahl eines Kometen, während im Vordergrund die Personifikationen des Krieges, des Todes und des Hungers als apokalyptische Reiter erscheinen. Die Stundenangaben im Ziffernblatt werden durch Marter- und Leidenssymbole und -werkzeuge dargestellt.4 Die vier Winkel des Quadrats besetzen die Personifikationen der Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, der Buße und des Gebets. Der Text gliedert sich in drei Gruppen. Außer dem Haupttext in Alexandrinern bieten die Bibelzitate links und rechts neben dem Bild eine Erläuterung deß Ziffer-Blats/ durch Biblische Sprüche, während die Bibelzitate in den Ecken des Stiches die jeweiligen Personifikationen identifizieren. Der Haupttext, aus der Sprecherposition des ‚liturgischen‘ Wir formuliert, konstatiert eingangs die durch den Kometen bewirkte Bestürzung unter den Kundigen, die, anders als die rohen Atheisten und Epicuri Rott, die Himmelserscheinung als Himmels-Ruth auffassen, erinnert daran, dass der Cometen-Strahl […] wohl mehr als zweinzig mahl über Augsburg zu sehen gewesen sei, und fordert dazu auf, den Kometen als Zeiger an Gottes ZornUhr zu verstehen. Der Beschwichtigungsversuch des Welt-gesinnt[en] und damit die Position der Kritiker am Kometenaberglauben (Man könnts wohl lassen bleiben/ Ein solch Memorial aufs Neue Jahr zu schreiben) werden als Uneinsichtigkeit zurückgewiesen, denn wer um uns herum Nicht sihet solche Ding/ muß blind seyn/ taub und stumm. Unter Rückgriff auf einzelne Bildmotive des Ziffernblatts, aber ohne historisch konkretisierende Hinweise, soll deutlich werden: Das grausam Ziffer-Blatt Hat schon vil Stunden zeigt/ in mancher schönen Statt. Bald neues Regiment/ Stab/ Sebel/ und Geschosse/ Joch/ Geisel/ Ruthe/ Pfeil/ Spieß/ Stücke/ klein und grosse.

Beklagt werden auch der Verlust alter Werte und die allgemeine Sündhaftigkeit als Ursache der widrigen Zeitläufte: Wir häuffen das Gewicht/ An diser Uhr/ durch Sünd/ daß es kan ruhen nicht. Auch in den Erläuterungen zu den apokalyptischen Reitern (die biblische Vierergruppe nach Apk 6,1–8 wird auf drei reduziert) bleiben konkretisierende Angaben ausgespart. Vom Reiter auf dem roten Pferd (Krieg) heißt es, dass er Auch dises Jahr sich stark/ doch heimlich/ eingestellt. Gegen die biblische Abfolge erscheint der Reiter auf 376

[Erneuerter und zu einem Jährlichen Memorial…]

Augsburg (1681) Kupferstich von Johann Georg Bodenehr (1631–1704)1 Typendruck in 2 Spalten; Bibelzitate und 72 Alexandriner Johann Jakob Schönig (* 1657; tätig 1680–1694)2 [44,6] ! 29,4; 19,6 ! 19,9 Titel abgeschnitten: Erneuerter und zu einem Jährlichen Memorial vorgestellter Cometen-Zeiger/ Ausgebrochen und fürgerucket an der gerechten Göttlichen Zorn-Uhr/ Welchen/ der zu straffen gereitzete Gott/ uns zu Augstburg/ und anderen Orten/ den 26/16 Decembris, deß 1680. Jahrs/ biß in den Februarium 1681. hat sehen lassen. Anjetzo gegen dem Neuen 1682. Jahr/ in gegenwertigem Emblematischen Ziffer-Blat/ zu einer Gedächtnus und heilsamen Erinnerung/ entworffen und aufgesetzet3 dem fahlen Pferd (Tod) als zweiter, bevor der schwarze Reiter den Reigen beendet.5 Während das Wirken des Todes bestimmten Regionen zugeordnet wird (Frag Ungarn/ Oesterreich/ die Böhmen/ und die Sachsen) und auf die Pestepidemie Anfang der 1680er Jahre zu beziehen ist,6 gelten dem Hunger und der Teuerung fünf Verse, die jedoch sehr allgemein gehalten sind und keine Region besonders hervorheben. Es scheint eher um den Aufbau einer allgemeinen Drohkulisse zu gehen und weniger um eine ‚historische‘ Beweisführung. Der Haupttext mündet mit seinen letzten 16 Versen in ein Gebet um göttliche Gnade und Schonung. Dieser Teil greift die Personifikationen des Kupferstichs wieder auf, indem er an die göttliche Gerechtigkeit, aber auch an die Barmherzigkeit erinnert und zu ernster Reu und Buß/ mit Andacht und Gebet aufruft. Die Bibelzitate neben dem Kupferstich geben Aufschluss über die einzelnen Motive auf dem Ziffernblatt. Zur sechsten Stunde werden 5 Mos 28,48 (Der HErr wird ein eisern Joch auf deinen Hals legen) und Jes 10,26 (Und eine Geissel über Jhn erwecken) zitiert; die zunächst rätselhaft wirkende Gebärde, die die fünfte Stunde markiert, wird durch Jer 2,37 (Du wirst deine Hände über dem Haupt zusammen schlagen) entschlüsselt. Die auf die Personifikationen bezogenen Bibelzitate im Kupferstich lassen sich in der oberen Bildhälfte als Selbstaussagen Gottes (Hos 11,8 f.), in der unteren Bildhälfte als Reaktion der Menschen verstehen, die um Vergebung der Sünden bitten (Hos 14,13) bzw. den prophetischen Wert des Himmelszeichens möglichst nicht erfüllt sehen wollen (2 Makk 5,4). Der Rückgriff auf das Bild der Uhr ist einerseits durch den Cometen-Strahl motiviert, denn Er ist dem Zeiger selbs an Gottes Zorn-Uhr gleich, könnte aber auch durch die ‚Passionshorologien‘ bedingt sein; in beiden Fällen werden den verschiedenen Stunden verschiedene Leiden zugeordnet.7 Zugleich ist die Uhr mit dem Weckruf konnotiert und mit der Vorstellung eines festgelegten, unausweichlichen Zeitablaufs verbunden (b II, 270). Der Komet von 1680, nach seinem Entdecker auch als Komet Kirch bekannt,8 gilt als „einer der größten Kometen in historischer Zeit“9 und hat zahlreiche Publikationen hervorgerufen,10 die in der Tradition der traditionellen Kometenfurcht meistens zur Abkehr vom sündhaften Lebenswandel aufforderten. Doch finden sich auch Einblattdrucke, die sich auf die Dokumentation astronomischer Fakten beschränken.11 Als im August/ September 1682 auch der Halleysche Komet wieder erschien, hat Schönig den neuen Kometen in die alte Platte nachstechen lassen und das Bild mit einem neuen Prosatext versehen, der die warnen-

de Tendenz des vorliegenden Blattes in verkürzter Form wiederholt (Fassung a).

Weitere Standorte: Augsburg, SStB: Graph. 29/46; Nürnberg, GNM: 13795/ 1205; ehemals Antiquariat Halle, München (A 1)

Andere Fassungen: a)

Augsburg, SStB: 2 Aug. 365/6, und Einbl. nach 1500, Nr. 221; Nürnberg, GNM: 13794/1205, und: 18767/1205 [Jhr Betrachter und Beobachter …]

A1 A2

Antiquariat Halle, Nr. 1428 (mit gekürztem Titel). F. S. ARCHENHOLD: Alte Kometen-Einblattdrucke. Berlin 1917, Nr. 21. E. GEBELE: Augsburger Kometeneinblattdrucke. In: Das Schwäbische Museum 1926, 89–94, Nr. 9. ALEXANDER/ STRAuSS 556. PAAS X, P-3250.

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W. SCHMIDT: Bodenehr. In: ADB 3 (1876), 6. RESKE: Buchdrucker, 53. Ergänzungen nach dem Augsburger Exemplar. In Anlehnung an den Terminus ‚Figuralbuchstaben‘ (W. HARMS: In Buchstabenkörpern die Chiffren der Welt lesen. Zur Inszenierung von Wörtern durch figurale oder verdinglichte Buchstaben. In: J.-D. MÜLLER (Hg.): ‚Aufführung‘ u. ‚Schrift‘ in Mittelalter u. Früher Neuzeit. Stuttgart u. a. 1996, 575–595, hier 578) könnte man vielleicht von ‚Figuralziffern‘ sprechen. Zur neueren Exegese der apokalyptischen Reiter vgl. O. BÖCHER: Die Johannesapokalypse. Darmstadt 31988, 47–56. Vgl. E. LABOuVIE: Commerce, Communication u. Contagium. Die Pest in der Stadt Magdeburg 1681⫺1683. In: DIES. (Hg.): Leben in der Stadt. Eine Kultur- u. Geschlechtergesch. Magdeburgs. Köln u. a. 2004, 37⫺56, hier 38: „Die Seuche [hatte] sich von Wien und Prag über Böhmen und Schlesien zunächst auf Dresden, Leipzig und Halle, dann auf Ortschaften in der mittelbaren Nähe Magdeburgs ausgebreitet“. Dazu B. SZTuLIK: Unikales Bildprogramm – Herkömmliche Textgattung. Eine illustrierte Gebetbuchhandschrift in Pannonhalma im Kontext der Frömmigkeitspraxis des 17. Jhs. Hamburg 2013, 177–213. Vgl. J. CLAASSEN: 15 Kometenflugblätter des 17. u. 18. Jhs. Leipzig 1977, 10. G. A. TAMMANN/ PH. VÉRON: Halleys Komet. Basel 1985, 193. Vgl. V. F. BRÜNING: Bibliographie der Kometenliteratur. Stuttgart 2000, 246–282 (Nr. 1300–1527). Vgl. CLAASSEN: Kometenflugblätter, Abb. 4–6. DP

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IX, 200

F 393

Ort Jahr Bild Text Drucker Format Zustand

Das Blatt stellt den riesenwüchsigen Anton Franck(enpoint) († 1596) vor, der sich in Straßburg zur Schau gestellt hatte, und diskutiert die Glaubwürdigkeit von Berichten über Langlebigkeit und Riesenhaftigkeit der Menschen in alten Zeiten. Das eher schmale und dadurch länglich wirkende Blatt ziert ein Holzschnitt, dessen Format proportional dem Druckspiegel entspricht. Das Bild zeigt das Halbporträt eines Mannes, der nach der Mode des ausgehenden 16. Jahrhunderts gekleidet ist. Sein Wams ist in der Brustpartie und an den Ärmeln reich mit Zierschlitzen und eingearbeiteten Schmuckfalten ausgestattet und wird über der Brust durch eine Reihe einfacher Knöpfe geschlossen, während am Hals drei durch ihre Einkerbungen dekorativere Knöpfe die Jacke zusammenhalten. Eine weiche, reich gefältelte Halskrause umfängt die untere Gesichtshälfte. Die leicht auseinanderstehenden Augen sind, entsprechend dem als Pose gewählten Halbprofil, nach schräg rechts vorn gerichtet. Eine lange sattelförmige Nase verleiht dem Mann ein grobes Aussehen, das durch die wulstigen, stark eingekerbten Lippen und das kräftige Kinn noch verstärkt wird. Der Haarschmuck besteht aus einer mittellangen nach hinten gekämmten Frisur und einem kurzen Kinnund Oberlippenbart. Der Oberkörper und der linke aufgestützte Arm werden durch den Bildrahmen beschnitten, wodurch ein Eindruck von den mächtigen Körpermaßen des Abgebildeten vermittelt werden soll. Dieselbe Funktion erfüllen die leicht von unten nach oben verlaufende Perspektive,1 das langgezogene Bildformat und die Heranführung des Kopfes bis an den oberen Bildrand. Der Text besteht aus zwei langen Satzperioden und einer knappen vierzeiligen Schlussbemerkung. Die erste Periode wirft die doppelte Frage auf, wie glaubwürdig die Nachrichten von der langen Lebensdauer und den gewaltigen Körpermaßen der Menschen in den alten Zeiten seien. Diese zweifache Frage ist streng parallel konstruiert, wobei diese Parallelität durch Korrespondenzen des Reims (vorzeiten/ Leuten ⫺ zu allen zeiten/ Leuten), der Wortwahl (Langlebigen Leuten – Langleibigen Leuten) und Interpunktion (Klammern in syntaktisch identischer Position) unterstrichen wird. Die zweite Satzperiode beantwortet die aufgeworfene doppelte Frage in einer gleichfalls zweigeteilten parallel geführten Konstruktion mit dem Hinweis auf einen historisch beglaubigten Fall von Langlebigkeit aus der Zeit Karls des Großen (768–814) und den vorliegenden Fall von Riesenwüchsigkeit. In beiden Fällen wird der Name genannt; zu dem im Bild wiedergegebenen Riesen erfolgt überdies die Angabe des Alters und der Körpergröße, die aus der 16fachen Länge des unter dem Bild befindlichen Strichs bestehe.2 Die ab378

Bildnuß Antonij Franckenpoint auß Gellern

Straßburg 1583 Holzschnitt Typendruck in 2 Spalten; 34 Knittelverse (von Johann Fischart, 1546/47–1591) Bernhard Jobin († 1594) 28,7 ! 15,9; 13,8 ! 9,3 Moderne Zahleneinträge

schließenden zwei Verspaare benennen als Aufgaben des Blattes die Gedächtnisstiftung sowie eine nicht näher spezifizierte Spiegelfunktion.3 Anton Franckenpoint, dessen Alter auf dem vorliegenden Blatt mit 39 Jahren angegeben wird, während ein Blatt von 1575 ihn als 14jährig bezeichnet,4 stellte sich und seine Riesenwüchsigkeit in den 70er und 80er Jahren des 16. Jahrhunderts zur Schau.5 Sein Aufenthalt in Straßburg im Jahre 1583 ist durch eine Erwähnung des Chronisten Sebald Büheler (1529–1595) bezeugt.6 Bei der vorliegenden Riesenwüchsigkeit handelt es sich vermutlich um eine hypophysäre Akromegalie. Sie wird durch einen meist gutartigen Tumor an der Hirnanhangdrüse (Hypophyse) hervorgerufen, der zu einer Überproduktion von Wachstumshormonen (Somatotropine) führt. Bei Einsetzen der Erkrankung vor der Pubertät kommt es zu sog. Gigantismus, der mit einer zunehmenden Vergröberung der Physiognomie einhergeht.7 Nach seinem Tod wurde das Skelett Franckenpoints in Helmstedt präpariert, gelangte später ins Marburger Museum Anatomicum, wo es noch heute als ‚Langer Anton‘ gezeigt wird; das Skelett misst 244 cm. Die Autorschaft Fischarts gilt aufgrund sprachlicher und metrischer Merkmale sowie wegen der verwandtschaftlichen und beruflichen Nähe zu Jobin als gesichert.8 Fischart hatte spätestens seit seiner Arbeit an Rabelais’ ‚Gargantua et Pantagruel‘ ein gesteigertes Interesse an riesenwüchsigen Menschen,9 das er mit vielen Zeitgenossen teilte (b IX, 74).10 Der im Text genannte Johannes De Tempore (de Temporibus, Jean d’Éstampes) wird erstmals bei Vinzenz von Beauvais (um 1190–1264)11 und danach in vielen Chroniken und anderen Quellen erwähnt.12 Fischart könnte seine Information bei Theodor Zwinger (1533–1588) gefunden haben.13 Das Flugblatt wurde in Bild und Text von Johann Georg Schenck (gest. 1620) in seiner ‚Monstrorvm Historia‘ rezipiert. Zu der dort wiedergegebenen Icon Monstrosae Giganteae Statvrae Antonii Franckenpoint, die den Holzschnitt des Blattes als Kupferstich reproduziert, heißt es: ANtonius Franckenpoint Geldrus origine, annum agens nonum supra trigesimum, statura gigantaea visus est: cuius longitudo Lineam sedecies repetitam (eam quam imagini subiecimus) exaequabat. Familiariter autem cum alibi, tum circa Argentinam vrbem, conuixit.14

Weitere Standorte: Amsterdam, Prentenkabinet: BI-B-1874–12.77 (A 1); London, BM: 1867.0713.171; Straßburg, Cabinet des Estampes (A 2)

Andere Fassungen: A1 A2 A3

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HOLLSTEIN: German Engravings 82 (2014), 131 f. A. ENGLERT: Zu Fischarts bilderreimen. In: Zs. f. dt. Philologie 36 (1904), 489–491. A. HAuFFEN: Johann Fischart. Ein Literaturbild aus der Zeit der Gegenreformation. Berlin/ Leipzig 1922, II, 179 f. WEBER: Welt, Nr. 63 (mit weiterer Literatur). M. SCHILLING: Bildgebende Verfahren auf Nachrichtenblättern der Frühen Neuzeit. In: A. MESSERLI/ DERS. (Hgg.): Die Intermedialität des Flugblatts in der Frühen Neuzeit. Stuttgart 2015, 61⫺85, hier 65 mit Abb. 1. Sie wird sichtbar an der im Vergleich zum Kopf überproportional großen Hand. Derartige Maßangaben finden sich auch auf anderen Blättern (b VI, 22 f., 45); vgl. auch W. PuLZ: Nüchternes Kalkül, verzehrende Leidenschaft. Nahrungsabstinenz im 16. Jh. Köln u. a. 2007, 53 f. Die Spiegel-Metapher enthielt zumeist didaktische Implikationen. Da der Text sich aber jeglicher Lehre enthält, könnte man mutmaßen, dass das Lehrbild vom Spiegel hier zur Leerstelle eines topischen Reflexes verblasst ist, es sei denn das ‚Spiegeln‘ ist als Aufforderung zum vergleichenden Nachmessen der Körpergrößen des Riesen und des Lesers zu verstehen. ‚ANTHONJ FRANCK AVS DEM Land zu Gellern‘. (Nürnberg) 1575 [Berlin, SBPK]; vgl. HOLLÄNDER: Wunder, Abb. 72; C. HOFMANN-RANDALL: Die Einblattdrucke der Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg. Erlangen 2003, 152. Zu seinem Leben demnächst ausführlich G. Aumüller in einer Geschichte der Anatomie in Helmstedt (erscheint in den ‚Beiträgen zur Geschichte des Landkreises und der ehemaligen Universität Helmstedt‘); dort auch zu den differierenden Namensformen. HAuFFEN: Fischart, II, 179. J. R. BIERICH: Allgemeiner und partieller Riesenwuchs. In: H. OPITZ/ F. SCHMID (Hgg.): Handbuch der Kinderheilkunde, I, 1, Berlin u. a. 1971, 820–827; J. D. NABARRO: Acromegaly. In: Clinical Endocrinology 26 (1987), 481–512; b I, 231. ENGLERT: bilderreimen, 491. Fischart: Geschichtklitterung, 38–41, 228–236, 373–380 u. a. Vgl. Joannes Goropius: Origines Antwerpianae. Antwerpen 1569 (Buch 2: Gigantomachia); Jean Chassanion: De Gigantibus. Basel 1580 (dt. von Johann Vogel. Görlitz 1588). Vincentius Bellovacensis: Speculum Historiale. Douai 1624, Nachdr. Graz 1965, 1102 (Buch 27, Kapitel 16, zum Jahr 1139). Vgl. die umfangreiche Quellenzusammenstellung von B. GINESTRE u. a.: Jean d’Étampes a-t-il vécu 361 ans? ou: La légende du Mathusalem étampois (http://www. corpusetampois.com/che-16-legendedejeandetampes. html; eingesehen am 29. 6. 2016). Laurentius Beyerlinck: Theatrum Vitae Humanae. Leiden 1665, Littera V, 174 f.; die Erstausgabe von Zwinger erschien 1565. Johann Georg Schenck: Monstrorvm Historia. Frankfurt a. M. 1609, 96; vgl. auch die deutsche Übersetzung: Wunder-Buch. Frankfurt a. M. 1610, 118. MSch

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Ort Jahr Bild Text Format Zustand

Das Blatt berichtet von einer Missgeburt und wertet sie als Warnung vor auf Mode bezogener Eitelkeit. Das Bild zeigt einen leeren mit einem gefliesten Fußboden versehenen Raum, in dessen Mitte eine Bettstatt mit quastenverzierten Kissen und Decke hergerichtet wurde. Darin liegt ein nacktes Kind mit einer Krause um den Hals und einem haubenähnlichen Auswuchs am Kopf. Der deutsche Text bringt Informationen über die Geburt einer wunderbarliche[n] Creatur in Aachen im November des laufenden Jahres. Die Deformationen des Neugeborenen bestünden aus einem ausgeputzten lobben (Halskrause), vfgeriebenem haer und einer Niderlandschen hauben, die alls von fleisch hergebracht seien. Die knappe Beschreibung schließt mit der Feststellung, die Missgeburt sei eine Warnung an all diejenigen, die der Versuchung der Kleiderpracht verfallen seien. Der französische Text bietet eine gekürzte Version des deutschen. Trotz der von der Deutung bestimmten Darstellung in Bild und Text lässt sich die auffälligste körperliche Deformation des Kindes mit großer Wahrscheinlichkeit als Pterygium colli bestimmen. Dabei handelt es sich um eine angeborene Fehlbildung des Halses, die aus dem sog. ‚Flügelfell‘ am Hals besteht. Besonders häufig finden sich die Hautfalten seitlich am Hals zwischen dem Warzenfortsatz und dem höchsten Teil des Schulterblattes, sehr selten kommen mediane Halsfalten zwischen der Symphysis mandibulae, d. h. der Stelle, an der die beiden Hälften des Unterkiefers während der Embryonalzeit zusammenwachsen, und dem Brustbein vor (Pterygium colli medianum). Daneben haben einige Betroffene auch einen sehr tiefen Haaransatz, an dem das oft lockige Haar nach oben wächst. Das Pterygium colli ist eine verhältnismäßig seltene vorwiegend bei Mädchen auftretende Missbildung, die in vielen Fällen von anderen Fehlbildungen begleitet wird und u. a. zu den Leitsymptomen des Ullrich-Turner-,2 Escobar-3 und des Noonan-Syndroms4 gehört. Die aus Bild und Text des Flugblattes eruierten Symptome lassen nicht eindeutig darauf schließen, ob eines und welches von den sich im klinischen Erscheinungsbild sehr ähnelnden Syndromen hier vorliegt. Die Identifizierung ist noch dadurch erschwert, dass ein weiteres in der Graphik festgehaltenes körperliches Merkmal, nämlich die auffällige und abnorme Schädelform, in diesem Fall wahrscheinlich ein Oxycephalus oder Turricephalus, ein Plagiocephalus bzw. eine Meningoenzephalozele,5 für keines der genannten Krankheitsbilder typisch ist. Solch eine durch ein unüblich ausgeprägtes Höhenwachstum gekennzeichnete Schädeldeformität kann verschiedene Ursachen haben, wie Hydrozephalie, Kraniosynostose oder 380

Siehe gunstiger Leser wie ein wunderbarliche Creatur [Inc.]

(Köln?) 1589 Kupferstich (von Crispin de Passe d. Ä.?, 1564–1637)1 graviert in 2 Spalten; deutsche und französische Prosa 21,5 ! 17,5 handschriftlicher Eintrag unter dem Text: 198f

Sagittalsynostose, und ist anhand des Bildes allein nicht eindeutig zu bestimmen. Das Pterygium am Hals, mit anderen Missformungen vergesellschaftet, ist von Darstellungen auf einigen weiteren frühneuzeitlichen Blättern bekannt. Zwei davon ⫺ von 15996 und 16127 ⫺ zeigen die missgebildeten Kinder ebenfalls mit einer Kröse und interpretieren die körperlichen Auffälligkeiten als Hinweis auf Hoffart, die Gott strafen werde. Dieses für das 16. Jahrhundert typische und noch bis Ende des 17. Jahrhunderts praktizierte Verfahren, dessen sich gerne auch Prediger bedienten und das in körperlichen Deformationen Ähnlichkeit mit entsprechenden Kleidungsstücken sah und daraus eine Kritik an der Mode der Zeit konstruierte (b VI, 139 f., 153; VII, 96),8 findet in dem vorliegenden Blatt ein weiteres Beispiel. Es fehlt allerdings der Versuch, die Abnormitäten in der Natur als von Gott gegebene Warnung und Prophezeiung eines nahenden Unglücks auszulegen; es fehlt auch ein deutlicher Appell an den Leser zu einem moralischen Lebenswandel (b VI, 120, 172; IX, 198).9 Als ein Nachzügler der auf Mode-Kritik ausgerichteten Deutungsweise kann ein Flugblatt von 1691 gesehen werden, auf dem ein Kind mit den gleichen Deformationen schon beinahe realitätsnah abgebildet wurde:10 Der Blattverfasser hat zwar auf eine Interpretation auf ikonographischer Ebene verzichtet, in der Beschreibung der Missbildung aber die um diese Zeit modernen hohen Damenfrisuren, die sog. Fontagen, ins Spiel gebracht, indem er angab, das Kind habe die es beschauenden Frauen mit solchen Frisuren honisch angelächelt und jedes Mal den Mund geöffnet, als wann es Sie gleich anreden wollte.11

Weitere Standorte: Paris, BN: Hennin, 919

Andere Fassungen: A1 A2

Frau Hoeffart, Nr. 3. WOLTER: Teufelshörner, Abb. 176.

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Einige Niederlandismen (lobben; haer), die Bilingualität und die zeitnahe Publikation des fehlgebildeten Aachener Kindes, die auch auf eine räumliche Nähe schließen lässt, machen Köln als Druckort wahrscheinlich. Aus stilistischen Gründen käme der niederländische Stecher Crispin de Passe, der seit 1588 in Köln tätig war, als Verleger in Frage. J. BRÄMSWIG: Das Ullrich-Turner Syndrom. Bremen u. a. 2009. PH. MOERMAN u. a.: Pathogenesis of the lethal multiple pterygium syndrome. In: Journal of Medical Genetics 35 (1990), 415–421. G. SCHLÜTER u. a.: Das Noonan-Syndrom. In: Deutsches Ärzteblatt 100 (2003), A 1192–1197. Zu Fehlbildungen des Schädels vgl. z. B. A. WALDEYER/ J. FANGHÄNEL: Anatomie des Menschen. Berlin u. a. 2003, 186–188. Gründtliche vnd Warhafftige Newe Zeitung/ von einer vnerhörten Mißgeburt. Nürnberg 1599 (ALEXANDER/ STRAuSS I, 378). Eigentliche Abbildung Zweyer seltzamer Mißgeburten. Gottsfeld in Westflandern 1612 (HOLLÄNDER, Wunder, Abb. 188). Vgl. WOLTER: Teufelshörner, 141–155. Zum prodigiösen Charakter der Missgeburten vgl. L. J. DASTON/ C. PARK: Unnatural conceptions. The study of monsters in sixteenth- and seventeenth-century France and England. In: Past & Present 92 (1981), 20–54, hier 25–35; EWINKEL: De Monstris, 15–117. Für die Zeit bis 1600 s. J. CÉARD: La nature et les prodiges. L’insolite au XVIe siècle en France. Genf 1977. Zur Entstehung der wissenschaftlichen Teratologie im 18. Jahrhundert und ihrer Vorgeschichte vgl. J. MOSCOSO: Vollkommene Monstren u. unheilvolle Gestalten. Zur Naturalisierung der Monstrosität im 18. Jh. In: M. HAGNER (Hg.): Der falsche Körper. Beiträge zu einer Gesch. der Monstrositäten. Göttingen 1995, 56–72. Eine wunderseltsame geschicht von einen Kinde. O.O. (1691) (HOFMANN-RANDALL: Einblattdrucke, A IV 39). EP

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Wunderliche Mißgebürt So Anno 1633

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(Straßburg) (1633) Kupferstich (von Jakob von der Heyden, 1573⫺1645) graviert; Prosa 18,7 ! 12,0 Nummerierung mit Bleistift: 199a

Das Blatt ist das älteste medizingeschichtliche Dokument für ein genetisch bedingtes Hygroma colli.

Straßburger Publikum Spekulationen über mögliche Bedeutungen der Missgeburt ausgelöst haben.

Abgebildet ist ein neugeborenes männliches Kind in Rückenlage, dem seine Nabelschnur noch anhaftet. Das Kind weist mehrere Missbildungen auf, deren gravierendste den Kopf betreffen. Diese ist von großen seitlichen Auswölbungen gekennzeichnet, die sich unter und hinter dem Kieferknochen ausstülpen, die Ohrmuscheln erfasst und seitlich vom Kopf weggezogen haben. Das verzerrte Gesicht zeigt als weitere Anomalie eine Oberlippenspalte. Die Schattierung auf dem Kopf erinnert an eine Tonsur. Der Rumpf weist Flecken auf. Auch der Körper des Säuglings ist fehlgebildet. Füße und Hände haben ausgeprägte Ödeme. Von der rechten Hand sind nur die ersten Fingerglieder zu sehen. Es ist nicht zu erkennen, ob die anderen Glieder fehlen oder wie bei einer Faust nach innen eingebogen sind. Auf jeden Fall aber weist der Daumen einen Fehlansatz auf. Nicht zu entscheiden ist ferner, ob die Hand eine Gelenkdeformation zeigt oder nur abgeknickt ist. Der Text beschränkt sich auf knappe Angaben zu Ort und Zeitpunkt der Geburt und zur Mutter des Neugeborenen. Demnach habe eine Soldaten Köchin, oder Concubina das Kind am 24. Mai (3. Juni) 1633 in Molsheim zur Welt gebracht. Die vorliegende Missbildung lässt sich als zervikales Hygrom (Hygroma colli) identifizieren. Dabei handelt es sich um eine ausgeprägte Flüssigkeitsgeschwulst im seitlichen Bereich des Halses.1 Als Ursache ist ein Defekt der Chromosomen (Trisomie) anzunehmen. Mit dem Hygrom sind häufig Lymphödeme an Händen und Füßen verbunden. Auf die Trisomie sind auch, wie vermutlich im vorliegenden Fall, Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten zurückzuführen; auch eine Ptosis, d. h. das Herabhängen der oberen Augenlider, ist möglicherweise wiedergegeben. Ferner kommt es häufig zu Gliedmaßendefekten, etwa verkürzten Knochen, unvollständig ausgebildeten Händen und Füßen oder deformierten Gelenken. Es ist anzunehmen, dass der Stecher derartige Missbildungen an Händen und Armen wiederzugeben versucht hat. Bei den ‚Flecken‘ am Körper handelt es sich vermutlich weniger um eine ektodermale Dysplasie, d. h. durch erbliche Defekte hervorgerufene Fehlbildungen in diesem Fall der Haut, als um fehlende bzw. mazerierte Hautstellen, ein Hinweis darauf, dass der Foetus schon im Uterus gestorben ist. Zwar beschränkt sich das Blatt auf eine Wiedergabe des äußeren Erscheinungsbildes und auf die lapidare Angabe von Fakten. Der tonsurartige Kranz auf dem Kopf des Kindes dürfte jedoch zusammen mit dem Ort des Geschehens – Molsheim war Zentrum der Gegenreformation im Elsass – und den kriegerischen Ereignissen 1633 beim 382

Weitere Standorte:

Andere Fassungen:

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H. A. TANRIVERDI u. a.: Hygroma colli cysticum. Prenatal diagnosis and prognosis. In: American Journal of perinatology 18 (2001), 415⫺420. Vgl. auch J. B. MuLLIKEN/ A. E. YOuNG: Vascular Birthmarks. Hemangiomas and Malformations. Philadelphia 1988; M. WANER/ J. Y. SuEN: Hemangiomas and Vascular Malformations of the Head and Neck. New York 1999; D. GIESE: Lymphatische Malformationen im Kindesalter unter besonderer Berücksichtigung von Prognose u. Spätergebnissen. Diss. Berlin 2005 (online). EP/MSch

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Ort Jahr Bild Text Format

Das Blatt bildet in zwei Ansichten einen Anenzephalus ab und bringt eine knappe Information über Zeit und Ort der Geburt. Die Graphik zeigt ein missgebildetes männliches Kind in frontaler und seitlicher Ansicht. Die Deformation umfasst den Kopf ohne Schädeldecke, mit kleinen, dysplastischen und nach vorn geschlagenen Ohren, das breite und flache Gesicht mit hervorstehenden Augen, aufgeschwollenen Lidern und aufgerissenem Mund; der Hals fehlt, wodurch Gesicht und Brust eine einheitliche Fläche bilden. Der Körper scheint sonst keine Anomalien aufzuweisen. Die vorhandene Nabelschnur ist ein Zeichen dafür, dass es sich um einen Neugeborenen handelt, und die offenen Augen suggerieren, dass der Junge lebend geboren wurde. Die Informationen im Titel geben den 25. Mai (4. Juni) 1633 als Tag und Bischenheim bey Strasburg (Bischheim, heute ein Vorort von Straßburg) als Ort der Geburt des Kindes an, dessen Mutter eine arme Bäuerin sei. Die Anenzephalie ist neben der Spina bifida (offener Rücken) eine der zwei Hauptformen von Neuralrohrschlussdefekten, der Fehlbildungen, bei denen in der Anfangsphase der embryonalen Entwicklung die Neuralrohrbildung gestört wird.1 Während bei der Spina bifida ein Teil der Wirbelsäule offen liegt, bilden sich bei der Anenzephalie wesentliche Teile des Gehirns, der Hirnhäute und des darüber liegenden knöchernen Schädeldaches sowie der Kopfhaut nicht richtig aus. An diesen Fehlbildungen im Nervensystem des Fötus sind genetische Faktoren beteiligt, deren genaues Vererbungsmuster genauso wenig bekannt ist wie die eigentlichen Auslöser der Entwicklungsstörung. Die Anenzephalie ist die schwerste unter den Schlussstörungen des kranialen Neuralrohrs und eine unweigerlich zum Tode führende Missbildung. In der Mehrzahl werden die anenzephalen Kinder tot geboren oder sterben wenige Stunden bis Tage nach der Entbindung. Es gibt keine Therapiemöglichkeiten. Zum ersten Mal wurde diese Form der Dysraphie erst im späten 19. Jahrhundert von dem schottischen Arzt John Cleland (1835–1924) beschrieben,2 ist aber als eine relativ häufig vorkommende Fehlbildung in der früheren medizinischen Literatur und auf Flugblättern des Öfteren dargestellt worden (b VI, 101, 153).3 Das Aussehen eines Anenzephalus ist typisch, so dass Beschreibungen bzw. bildliche Darstellungen, so wie die vorliegende Graphik, eine Identifizierung der Missbildung ermöglichen. Die flach geformten knöchernen Augenhöhlen bedingen ein starkes Hervortreten der Augen (Exophthalmus), und die Augenlider wirken geschwollen. Dadurch erhält der Kopf ein charakteristisches Aussehen, das die synonymen Bezeichnungen für die Erkran384

Biltnus Einer wunderlichen geburth, so Anno 1633

(Straßburg) (1633) Kupferstich (von Jakob von der Heyden, 1573–1645) graviert; Prosa 21,1 ! 10,6

kung ‚Froschkopf‘ oder ‚Krötenkopf‘ entstehen ließ. Daher wurden solche Missbildungen ikonographisch manchmal als Mensch mit einem Froschgesicht dargestellt.4 Man wollte darin aber auch einen Affen bzw. eine Meerkatze sehen (b VI, 101, 153). Diesem Analogiedenken liegt mit der Theorie, das Versehen (imaginatio) der werdenden Mutter als Ursache von Malformationen anzusehen (b VI, 141), der älteste und langlebigste, aber auch heftig umstrittene5 Deutungsversuch der Missbildungen zugrunde.6 Die Theorie einer imaginatio gravidarum lieferte „eine ausreichende Befriedigung des Kausalitätsbedürfnisses, des Analogiedenkens und der Wundergläubigkeit“ und entsprach „dem Bedürfnis der Schwangeren […], die Mißbildungsursachen außerhalb der eigenen Person zu sehen“;7 anderseits konnte der Glaube an die Einbildungskraft als Ursache der Abnormitäten die Schwangere für das Unglück verantwortlich machen.8 Nicht nur der Volksmund, sondern auch professionelle Quellen lieferten zur Erklärung der Missbildung passende Geschichten. So nennt der bekannte französische Chirurg und Militärarzt Ambroise Paré (um 1510– 1590) in seiner teratologischen Schrift über Monster und Prodigien ein anenzephales Kind als ein Beispiel für „monstres qui se font par imagination“ und erzählt, die Mutter habe bei der Zeugung des Kindes einen Frosch in der Hand gehalten, als Heilmittel gegen ein sie zu der Zeit quälendes Fieber.9 Noch 1690 findet sich in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift ‚Journal des Sçavants‘ die Beschreibung eines Anenzephalus, dessen Missbildung mit dem Kopf einer schwarzen Kuh verglichen wird: Die Mutter habe einige Monate früher eine Kuh mit einem schwarzen Kopf verloren und sei von dem Verlust sehr betroffen gewesen.10 Ein weiteres sich bei dieser Fehlbildung ergebendes Problem war mit dem Glauben an das Gehirn als Sitz der Seele verbunden, was beim Fehlen des Hinterkopfes theologische Fragen aufwarf, z. B. ob das Neugeborene getauft werden könne.11

Weitere Standorte:

Andere Fassungen:

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Vgl. R. J. LEMIRE u. a.: Anencephaly. New York 1978; DERS.: Anencephaly. In: P. J. VINKEN u. a. (Hgg.): Malformations. Amsterdam 1987, 71–96. J. CLELAND: Contribution to the study of spina bifida, encephalocele and anencephalus. In: Journal of Anatomy and Physiology 17 (1883), 257; und nach ihm H. CHIARI: Über Veränderungen des Kleinhirns infolge von Hydrocephalie des Grosshirns. In: Dt. medicinische Wochenschrift 17 (1891), 1172–1175. Eine Reihe von Beispielen für eine identifizierte Anenzephalie auf Flugblättern und Buchillustrationen für den Zeitraum von 1517–1698 bringt A. BATES: Emblematic Monsters. Unnatural Conceptions and Deformed Births in Early Modern Europe. Amsterdam/ New York 2005, 217 f. 248, 251, 253 f., 258, 264–267. Ambroise Paré: Des monstres et prodiges. Nachdr. hg. von J. CÉARD. Genf 1971 (zuerst Paris 1573), Abb. 28; Fortunius Licetus: De Monstris/ Ex recensione Gerardi Blasii […] Qui Monstra quaedam nova et rariora ex recentiorum scriptis addidit. Editio novissima. Passau 1668, 236 u. 248. Zum ersten Mal kritisch diskutiert von dem englischen Arzt James Augustus Blondel in seiner Schrift ‚The strength of imagination in pregnant women examin’d: and the opinion that mark and deformities in children arise from thence, demonstrated to be a vulgar error‘ (London 1727; Mikrofilm-Ausg. 1986). Eine Reihe von Beispielen bringt P. DRECHSLER: Sitte, Brauch u. Volksglaube in Schlesien. Leipzig 1903, I, 177 f.; vgl. auch F. KAHN: Das Versehen der Schwangeren in Volksglaube u. Dichtung. Frankfurt a. M. 1912; P.G. BOuCÉ: Imagination, Pregnant Women, and Monsters, in Eighteenth Century England and France. In: G. S. ROuSSEAu/ R. PORTER (Hgg.): Sexual Underworlds of the Enlightenment. Manchester 1988, 86–101; EWINKEL: De Monstris, 151–185; B. KuMMER: Schwangerschaft. In: HdA 7 (1936), 1406–1427, hier 1422 f.; U. ENKE: Einleitung. In: Samuel Thomas Soemmerring: Schriften zur Embryologie u. Teratologie. Bearb. u. hg. von U. ENKE. Basel 2000, 1–104, hier 33–40. G. WAHL: Zur Gesch. der ätiologischen Vorstellungen über die Entstehung von Mißgeburten. Düsseldorf 1974, 101. J. GÉLIS: Die Geburt. Volksglaube, Rituale u. Praktiken von 1500–1900. München 1989, 94–99. Paré: Des monstres, 37. Nach BATES: Emblematic Monsters, 264 mit Anm. 247. Ebd. 264 f. Noch gegen Ende des 18. Jahrhunderts vertrat Samuel Thomas von Soemmerring, einer der bedeutendsten deutschen Anatomen, in seinem Traktat ‚Über das Organ der Seele‘ die These, dass die Seele in der in den Hirnhöhlen enthaltenen Flüssigkeit ihren Sitz habe, wie überhaupt die „Vorstellung eines Seelenorgans […] in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein Gemeinplatz“ war (S. Th. Soemmerring: Ueber das Organ der Seele [1796]. Bearb. u. hg. von M. WENZEL. Basel 1999, Zitat: Einleitung, 12. Zu ‚Vorstellungen über Gehirn, Nerven und Seele in der Geschichte der Medizin‘ s. ebd., 19–52). Zur Tauffrage vgl. EWINKEL: De Monstris, 208–226. EP

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IX, 204

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Das Blatt bringt in Bild und Text detaillierte Informationen zu einer Missgeburt. Die Graphik bildet die Figur eines Kindes mit körperlichen Malformationen ab. Das Fehlen der Bauch- und linken Brustwand ermöglicht den Einblick in die Bauch- und Brusthöhle mit deformierten inneren Organen: der vergrößerten zweigeteilten Leber, der unterentwickelten dreigeteilten Lunge auf der linken Seite mit dem darüber liegenden nach außen verlagerten Herzen (Ectopia cordis) und fehlenden Rippen, sowie den beiden Hoden, die sich außerhalb der Hodensäcke im Bauchraum befinden (Hodendystopie/Retentio testis abdominalis); auch die Gedärme sowie die Milz liegen frei. Die Inschriften helfen, die sichtbaren Organe zu identifizieren. Der Blatttitel informiert über Zeit (29. Oktober 1633, zwischen 4 und 5 Uhr morgens) und Ort (Straßburg) der Geburt sowie die Mutter des Kindes (ein Soldaten weib). Im Text wird die bildliche Darstellung durch sachliche Informationen zum Aussehen des Neugeborenen und zu den einzelnen Organen sowie ihrer Lage ergänzt. Trotz der Bemühung des Verfassers um eine exakte Wiedergabe der Details in Bild und Text ist eine eindeutige Diagnose der Fehlbildungen nicht möglich. Am wahrscheinlichsten handelt es sich um das Cantrell-Syndrom (auch Cantrell-Pentalogie), dessen Hauptsymptom in einem Bauchwand-

IX, 205

F 897 Ort Jahr Bild Text Format Zustand

Der Stich zeigt eine auf dem Rücken liegende, geschlechtlich nicht eindeutig bestimmte1 Doppelgeburt. Sie verfügt über einen breit ausgeprägten Oberkörper, auf dem oben zwei Köpfe und zwischen ihnen zwei zusammengewachsene Arme angesetzt sind. Der rechte Kopf ist durch den eingefallenen Mund, die tiefen Augenhöhlen und die hageren Wangen als Totgeburt ausgewiesen. Die Überschrift appelliert mit den Wörtern seltzam und Wunderlich an die Neugier der potenziellen Käufer und informiert über Ort (Wasselnheim/ Wasselonne) und Zeitpunkt der Geburt (24. Februar2 1636). Der Text macht zunächst Angaben über die Mutter (eines Soldaten weib), um dann akribisch alle Körperteile und Organe der Doppelgeburt aufzuzählen. Abschließend wird be386

Biltnus. Eines kindts, so eines Soldaten weib (Straßburg) (1633) Radierung (von Jakob von der Heyden, 1573–1645) graviert; Prosa 23,1 ! 13,2 handschriftliche Einträge: 198a und 307/534

defekt (Omphalozele), kombiniert mit einem Loch im Zwerchfell sowie angeborenen Herzfehlern mit Fehllage des Herzens, besteht.1 Zu häufigen Begleitfehlbildungen des Syndroms gehören weiter u. a. Neuralrohrdefekte, Extremitätenfehlbildungen sowie Eviszeration von Leber, Magen und Darm (Gastrochisis/ Laparoschisis). Eine Differenzierung zwischen Gastrochisis ⫺ d. i. der mangelnde Verschluss der Bauchwand mit Vorfall von Darmschlingen und Baucheingeweiden, und Omphalozele ⫺ Nabelschnurbruch mit Vorfall eines Teils der Eingeweide (meist Dünndarm und/ oder Leber) aus der Bauchhöhle heraus in einen Bruchsack der Nabelschnur ist nicht immer möglich, wenn bei der Omphalozele der Bruchsack aufgerissen ist.2 Im dargestellten Fall treten vermutlich beide Krankheiten auf, da neben dem Bauchspalt auf der linken Seite (Gastrochisis) ein dünnis häutlein auf der rechten Seite (intakter Bruchsack?) vorhanden war. Teratogene des Cantrell-Syndroms sind nicht bekannt. Bei gering ausgeprägten Formen sind eine Ectopia cordis und Fehlbildungen der Bauchwand heute chirurgisch korrigierbar, bei einem Vollbild des Syndroms ist der Tod nicht zu verhindern.3 Das Blatt bietet ein Beispiel für die sich im 17. Jahrhundert allmählich vollziehende Abschwächung der älteren Tendenz, „Menschen oder Tiere mit körperlichen Deformationen“ als „zeichenhafte Gestalten, die auf vergangene und noch mehr auf zukünftige Ereignisse verweisen“, anzusehen und als solche in der Publizistik darzustellen.4 Mit-

unter verzichtet man sogar, wie im kommentierten Flugblatt, auf die Epitheta ‚seltsam‘ oder ‚wunderlich‘, was zusammen mit der Sachlichkeit der Darstellung eine Verschiebung von der moralisierenden Belehrung oder Sensationsmeldung zur objektiven Berichterstattung markiert. Weitere Standorte: Erlangen, UB: A IV 12

Andere Fassungen: A1

HOFMANN-RANDALL: Einblattdrucke, A IV 12

1

K. VANAMO u. a.: The spectrum of cantrell’s syndrome. In: Pediatric Surgery International 6 (1991), 429–433; G. E. HEMMINGER u. a.: Thorakoabdominale ectopia cordis (Cantrell-Pentalogie). Pränatale Diagnostik u. neonatologischer Verlauf. Fallbericht u. Literaturübersicht. In: Geburtshilfe u. Frauenheilkunde 63 (2003), 677–680. W. CH. HECKER u. a.: Omphalocele u. Laparoschisis – eine klinische Analyse. In: Langenbeck’s Archives of Surgery 365 (1985), 239–248; H. M. SALIHu u. a.: Omphalocele and gastrochisis. In: Journal of Obstetrics and Gynaecology 22 (2002), 489–492. A. M. H. KORVER u. a.: Pentalogy of Cantrell. Successful Early Correction. In: Pediatric Cardiology 29 (2008), 146–149; C. S. O’GORMAN u. a.: Outcome of Children with Pentalogy of Cantrell Following Cardiac Surgery. In: Pediatric Cardiology 30 (2009), 426–430. M. HAGNER: Monstrositäten haben eine Geschichte. In: DIES. (Hg.): Der falsche Körper. Beiträge zu einer Gesch. der Monstrositäten. Göttingen 1995, 7–20, hier 7. EP

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3

4

Bildtnus Einer seltzamen vnd Wunderlichen Geburth (Straßburg) (1636) Kupferstich von Jacob von der Heyden (1573⫺1645) graviert; Prosa 21,1 ! 10,7 handschriftliche Einträge: 198 b und 303/53b

richtet, dass das rechte köpflin zunächst noch gelebt habe, dann aber wegen der Dauer der Geburt wie sein Geschwister, das schon tot zur Welt gekommen sei, gestorben sei. Bei dem auf dem Blatt vorgestellten Kind handelt es sich um einen Dicephalus tribrachius.3 Dieser Typus einer Doppelgeburt ist unterhalb der Nabelschnur normal konfiguriert; auf dem verbreiterten Thorax sitzen zwei Hälse mit Köpfen auf, zwischen denen sich eine aus zwei Armen zusammengewachsene Mittelextremität erhebt. Der genauen Verzeichnung der inneren Organe liegt eine Sektion zugrunde, deren Ergebnisse das Blatt zu Protokoll gibt. Insgesamt hat auf dem Blatt bereits ein medizinisch-naturwissenschaftliches Interesse die theologisch fundierten älteren Deutungsansätze abgelöst.

Weitere Standorte: Erlangen, UB: A IV 13, und A IV 13a Andere Standorte: A1

HOFMANN-RANDALL: Einblattdrucke, A IV 13.

1

Der Text sagt, das Kind sei weiblichen geschlechts gewesen, habe aber ein Gemächtlin besessen. Das Bild bleibt vage. Auf dem undeutlichen Abdruck ist Hera zu lesen (gemeint ist Horn. für ‚Hornung‘. Auch die Stechersignatur ist auf dem Hallenser Exemplar nicht mehr zu erkennen. J. BONDESON: Dicephalus conjoined twins. A historical review with emphasis on viability. In: Journal of Pediatric Surgery 36 (2001), 1435⫺1444; DERS.: The two-headed boy, and other medical marvels. Ithaca 2004. MSch

2

3

387

IX, 206

F 896

Ort Jahr Bild Text Format Zustand

Wahre Abildung der Wunder Gebuhrt

(Straßburg) (1653) Kupferstich graviert; Prosa 18,8 ! 11,1 handschriftliche Einträge: 198e

Das Blatt stellt den bislang frühesten bekannten Fall eines Kindes mit Pätau-Syndrom vor. Das Kind, das dem Betrachter auf dem Bild entgegentritt, weist zahlreiche Missbildungen auf. Auf Höhe der Wangen klaffen zwei tiefe Löcher auf. Der Mund und das rechte Ohr sind deformiert. Ob die zurückhaltende Gravur der Augen ebenfalls auf eine Fehlbildung hinweisen soll, ist mangels Angaben im Text nicht zu beantworten. Der rechte Arm ist verkürzt, die verkrüppelten Hände haben keinen Daumen. An den Füßen zählt man sechs Zehen. Unter dem rechten Rippenbogen quellen aus einer Leibesöffnung das Gedärm und das Herz hervor. Der Text bekundet die Glaubwürdigkeit der bildlichen Wiedergabe und beschränkt sich auf die Angaben von Ort (Bischoffsheim bei Obernai), Zeit (7./17. März 1653) und Namen der Eltern. Die vorliegenden multiplen Deformationen stimmen zu einem großen Teil mit den Symptomen überein, die für das Pätau-Syndrom beschrieben werden, das auf einen chromosomalen Defekt (Trisomie 13) zurückzuführen ist.1 Zu den Merkmalen des Syndroms, die das Bischoffsheimer Kind aufweist, gehören die Verlagerung des Herzens auf die rechte Seite (Dextrokardie), zusätzliche oder fehlende Finger oder Zehen (Poly- bzw. Oligodaktylie), Fehlhaltungen und Missbildungen von Extremitäten (z. B. Flexionskontraktur der Finger), dysplastische Ohren, kleine oder fehlende Augen (Mikro- bzw. Anophthalmie) sowie eine doppelseitige Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte. Während bei dem Pätau-Syndrom häufig ein Nabelschnurbruch (Omphalozele) beobachtet wird, bei dem Bauchorgane durch den Nabel hervortreten, ist auf dem Kupfertich eine Fehlbildung der Bauchwand (Gastroschisis) dargestellt. Die meisten Kinder mit Trisomie 13 sterben schon vor oder während der Geburt; nur wenige werden älter als zwölf Monate. Die älteste bislang bekannte Fallbeschreibung stammt von Thomas Bartholin (1616⫺1680) aus dem Jahr 1656. Demnach hat das Flugblatt schon drei Jahre früher einen einschlägigen Fall publiziert.

Weitere Standorte: Gotha, SM: 88,50; Paris, BN: Hennin, 3665

Andere Fassungen:

1

388

K. PÄTAu u. a.: Multiple congenital anomaly caused by an extra autosome. In: Lancet 1 (1960), 790⫺793; K. SCHMIDT: Partielle Trisome 13 und komplette Trisomie 13 im Vergleich. Diss Aachen 1979. MSch

389

IX, 207

F 63

Ort Jahr Bild Text Format

In Bild und Text stellt das Blatt einen Elefanten Maximilians II. (1527–1576, Kaiser seit 1564) vor. Die Graphik zeigt einen auf einer Wiese stehenden Elefanten in Seitenansicht. Die ersten Informationen über den Elefanten bringt schon der ausführliche Titel des Blattes: Das männliche Tier sei mit Kaiser Maximilian, in dessen Besitz es sich seit 1564 befinde, im Jahre 1570 auf dem Reichstag in Speyer erschienen. Seinen ersten Elefanten habe Maximilian noch als böhmischer König 1552 aus Spanien mitgebracht. Der eigentliche Text liefert die im Titel angekündigte beschreibung der wahren natur/ aigenschafften/ vnd andern mehr solchen herrlichen Thieres. Die Beschreibung erschöpft sich in lapidaren Angaben zum Alter des Tiers (17 Jahre), zu seinen Maßen (höhe, dicke, lenge, leng des schwantzes, leng des schnabels, braite des Kopffs, grösse der Ohren, größ der zän, der augen und der Füß) sowie seinen Fressgewohnheiten. Die mitgeteilten Informationen werden entweder als vom Autor des Blattes selbst gesehene oder vom Wächter des Tieres gelieferte Fakten verkündet. Im 16. Jahrhundert waren Elefanten in Europa immer noch selten und dadurch kostbar und bestens zur Demonstration der Macht und zu Repräsentationszwecken geeignet.1 Sie gelangten als diplomatisches Geschenk in den Besitz der Mächtigen und bis ins 18. Jahrhundert hinein, lange nachdem sie dem gemeinen Volk als Jahrmarktsoder Zirkuselefanten zugänglicher geworden waren, hielt man an den Fürstenhöfen Europas am Elefantengeschenk fest.2 Im 16. Jahrhundert waren die meisten Elefanten Geschenke der Könige Portugals, die dank ihrer Kolonien in Afrika und später in Indien in den Besitz der Tiere kamen. So stammten auch die beiden Elefanten Maximilians aus der Menagerie der portugiesischen Könige. Als der in Spanien aufwachsende Maximilian durch seine Heirat mit Maria von Spanien (1528–1603) 1548 mit dem Königshaus von Portugal verwandt wurde und daraufhin dem Hof in Lissabon einen Besuch abstattete, war er von den dort gehaltenen Elefanten tief beeindruckt. Vor seiner Rückkehr nach Wien, wo er zum römischen König ausgerufen werden sollte, schickte ihm König Johann III. von Portugal (1502–1557, König seit 1521) nach Madrid einen als Soliman getauften Elefanten. Dieser sorgte auf dem langen Weg nach Wien 1552 für Aufsehen und trug maßgeblich zur Wirkung des prachtvollen, einem Triumphzug gleichenden Einzugs des künftigen Kaisers in die Hauptstadt bei. Soliman hinterließ zahlreiche, noch bis heute erkennbare Spuren: Zum einen hat sich sein Durchmarsch in Namen von Wirtshäusern und in Gedenktafeln niedergeschlagen; zum anderen ist er in Gedenkmedaillen, Chroniken, Gedichten und Flugblättern verewigt 390

Helfant. Augenscheinliche vnd schrifftliche abconterfehung

(1570) Holzschnitt des Monogrammisten IL (Jakob Lederlein?, um 1550⫺1605) Typendruck; Prosa 19,7 ! 36,1; 15,2 ! 19,4

worden; seine sterblichen Überreste ⫺ er ist schon 1553 gestorben ⫺ haben sogar bis zum 2. Weltkrieg überdauert.3 Etwa zehn Jahre nach dem Tod Solimans bekam Maximilian, wohl von Sebastian von Portugal (1554–1578, König seit 1557), einen zweiten Elefanten, von dem das Blatt berichtet. Auch dieser wurde in Bild und Wort verewigt, wobei das größte Echo sein kurzer Aufenthalt in den Niederlanden fand (b VI, 141);4 u. a. wurde er in Antwerpen von Gerard Groenning (tätig 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts) in einer Radierung porträtiert, welche die Vorlage für den bekannten Stich von Wenzel Hollar (1607–1677; b IX, 210) bildete.5 Die bildliche Darstellung des Elefanten ähnelt dem Typus in einem Reisebericht6 oder einem wissenschaftlichen Werk, wie sie etwa Conrad Gesners (1516–1565) ‚Thierbuch‘7 oder später John Jonstons (1603–1675) ‚Historiae Naturalis Libri‘8 repräsentieren, oder auch den Schaustellerzetteln, wie sie sich bis ins 19. Jahrhundert hinein erhalten haben.9 Es fehlen jegliche Elemente, die darauf hinweisen würden, dass es sich bei dem dargestellten Elefanten um ein in einer herrschaftlichen Menagerie lebendes Tier handelt, dem auch eine Repräsentationsfunktion zufalle. In dieser Funktion nahm er vermutlich an dem Zug Maximilians nach Speyer teil, wo auf dem Reichstag die Hochzeit (per procuratorem) seiner Tochter Elisabeth (1554–1592) mit Karl IX. von Frankreich (1550– 1575, König seit 1560) stattfand. Aus einer chronikalischen Notiz aus Nürnberg weiß man, dass das Tier auf dem Weg mit einer gelben und aschenfarben sammaten deck geschmückt war.10 Passend zum Bild beschränkt sich auch der Text mit seinem fast wissenschaftlich informativen Charakter auf die Beschreibung des Äußeren des Tieres. Eine zu erwartende Würdigung seiner Kostbarkeit und Seltenheit oder ein Bezug zu dem als Anlass der Entstehung des Blattes angegebenen Ereignis fehlen genauso wie der bei solchem Thema übliche Sensationscharakter.

Weitere Standorte:

Andere Fassungen: A1

FAuST: Einblattdrucke, IV, Nr. 650.

1

Zum Elefanten in der Symbolik herrschaftlicher Macht vgl. DITTRICH: Tiersymbole, 89–92. Vgl. auch die Holzschnitte von Hans Burgkmair d.Ä. zum ‚Triumphzug des Kaisers Maximilian I.‘ von Max Treitzsaurwein (1526) (HOLLSTEIN: German Engravings, V, 121); Kupferstiche zum Festzug anlässlich der Hochzeit des Johann von Kolowrat mit Katharina von Payrsberg 1580 in Innsbruck (E. SCHEICHER: Die Kunst- u. Wunderkammern der Habsburger Hg. von CH. BRANDSTÄTTER. Wien u. a. 1979, 106, 108); LA IOYEuSE et magnifique ENTRÉE de Monseigneur FRANÇOYS, FILS DE FRANCE, ET FRÉRE VNIQVE du Roy […] en sa tres-renommée ville D’ANVERS. Antwerpen 1582, 29 mit Tab. VIII. OETTERMANN: Schaulust, 29–38. Zu den politischen Absichten des Verschenkens von Tieren vgl. L. DITTRICH: Wider Fabeltiere u. Tiere der Poesie u. Mythologie. Zur Gesch. der Schaustellung u. des Importes von Wildtieren. In: Verhandlungen zur Gesch. u. Theorie der Biologie, VII. Berlin 2001, 343–365, hier 344–350. M. BEERMANN: Alt- u. Neu-Wien. Gesch. der Kaiserstadt u. ihrer Umgebung. Wien 1880, 701–706; OETTERMANN: Schaulust, 109–116; GRÖNING/ SALLER: Elefant, 250 f.; FAuST: Einblattdrucke, IV, Nr. 647. Ein lateinisches und deutsches Epigramm von Caspar Bruschius ‚In Elephantem a Rege Bohemorum Maximiliano, ex Hispanijs in Germaniam adductum‘ in: ders.: De Laureaco […] libri duo. Basel 1553, 323. Vgl. etwa FAuST: Einblattdrucke, IV, Nr. 648; ein ‚Lob des Elefanten‘ bei Justus Lipsius: Epistolarum selectarum, Centuria prima. Iterata editio, emendatior. Leiden 1586, hier: Epist. L [an Ian Hauten], 180–213; eine Beschreibung bei Ludovico Guicciardini: DESCRIPTION DE TOVT LES PAYS-BAS. Arnheim 1616, 35. Weitere Beispiele bei OETTERMANN: Schaulust, 116, Anm. 182. FAuST: Einblattdrucke, IV, Nr. 649. Vgl. z. B. Joan Nieuhof: Die Gesantschaft der Ost-Indischen Geselschaft in den Vereinigten Niederlanden/ an den Tartarischen Cham. Amsterdam 1669, 349. Conrad Gesner: Historiae Animalium Lib. I. de Quadrupedibus uiuiparis. Zürich 1551, 410. Vgl. auch Edward Topsell: The Historie of Fovre-Footed Beastes. London 1607 (Abb. nach Gesner). John Jonston: Historiae Naturalis de Quadrupedibus Libri IV. Frankfurt a. M. (1650), Taf. VIII. Vgl. J. R. HAARHAuS: Menagerien u. Tierschaustellungen in früherer Zeit. In: Velhagens u. Klasings Monatshefte 21 (1906), 337–353, hier 341 (Abb. 7 f.), 347 (Abb. 14), 348 (Abb. 15), 350 (Abb. 17). R. ROY/ F. KOBLER: Festaufzug, Festeinzug. In: RDK 8 (1987), 1418–1514, hier 1452. EP

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3

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IX, 208

F 391

Ort Jahr Bild Text Format Zustand

Wahre abcontrafactur eines erschröcklichen Wunderthiers

(1619) Radierung/Kupferstich (nach Heinrich Ulrich, 1561⫺1621)1 graviert; Prosa 15,1 ! 19,1 handschriftliche Nummerierung: 191b

Das Blatt informiert über eine Schaustellung eines missgebildeten Ferkels in Wien. Vor dem Auge des Betrachters liegt in seitlicher Ansicht ein Ferkel, das gravierende Missbildungen zeigt. Die Hufe sind übermäßig lang und nach oben gebogen. Der Kopf besitzt einen extrem langen schmalen Rüssel und lappige übergroße Ohren. Ein unklarer Befund ergibt sich im Bereich des Mauls. Die dort gezeichnete Fläche in Form eines unregelmäßigen Ovals mit zwei mandelförmigen Öffnungen könnte einen abnorm erweiterten offenen Schlund des Tiers andeuten oder aber eine Wunde mit aufgeplatzter Haut und einer reduzierten verdoppelten Maulspalte. Dem Tier fehlen die Augen. Hinter einer rückwärtigen Mauer stehen sechs Männer, die das Ferkel besichtigen. Ihre Gestik und Mimik verraten Nachdenklichkeit und Entsetzen. Unter den Zuschauern befinden sich zwei Ungarn und ein Tatar (? mit Pelzmütze und Kröse). Der kurze Text berichtet, dass das Tier von einer Sau im Anschluss an die Geburt von acht gesunden Ferkeln tot zur Welt gebracht worden sei. Die Angaben von Ort (Hernals bei Wien) und Zeit (8. September 1619) ergänzen die Meldung. Im Unterschied zu den meisten anderen Wunderzeichenblättern ist hier die Situation der Schaustellung ins Bild einbezogen worden. Das gab dem Stecher Gelegenheit, ein gemischtes Publikum2 und vor allem dessen Reaktionen auf den Anblick des Tieres in Szene zu setzen. Festzustellen ist, dass sich weder Frauen und Kinder noch Gelehrte unter den Zuschauern befinden. Es ist davon auszugehen, dass die Fassung a zuerst publiziert worden ist, da Heinrich Ulrich von 1615 bis 1619 in Wien, mithin am Ort des Geschehens, tätig war und sein Blatt signiert hat.3 Ein verschollenes Blatt, das Georg Kress (tätig 1591⫺ 1632) in Augsburg herausgebracht hat, informierte mittels eines Holzschnitts und eines von D. St. unterzeichneten Liedes über die Hernalser Missgeburt.4

Weitere Standorte: Braunschweig, HAUM: FB IX; Gotha, SM: G 88,51

Andere Fassungen: a)

Austin, HRHRC: Popular Imagery Collection, Nr. 134 [Bild im Gegensinn, von H. Vlrich; orthographische Abweichungen, z. B.: Erschröcklichen, lezt Todter Geworffen]

A1 A2

HOLLÄNDER: Wunder, Abb. 37. FAuST: Einblattdrucke, III, 30, Nr. 353.

1 2

Vgl. Fassung a. Die dritte Figur von links ist nicht genau zu bestimmen. Ihr hoher Hut erinnert an die Fellmützen der Tartaren, doch passt zu einem solchen weder die breite Kröse noch das gefleckte Obergewand. Handelt es sich um einen Spaßmacher, der im Umfeld der Schaustellung sein Publikum zu gewinnen suchte? Vgl. FAuST: Einblattdrucke, III, Nr. 352 (mit Abb.). Zu Ulrich vgl. THIEME/ BECKER XXXIII, 561; BENZING: Verleger, 1284. Warhafftige geschicht. Vnd Wahre Abcontrafactur/ eines Erschröcklichen Wunderthiers/ welches ein Schwein […] geworffen hat […] in dem Fleckhen herrnals genandt […]. Augsburg (1619). Vgl. WELLER: Annalen, II, 277, Nr. 446. MSch

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IX, 209

F 398

Ort Jahr Bild Text Verleger Format Zustand

Sturio talis in Rheno prope Argentinam [Inc.]

(Straßburg) (1622) Kupferstich von Jakob von der Heyden (1573⫺1645) graviert; lateinische und deutsche Prosa Jakob von der Heyden 12,2 ! 23,8 handschriftliche Signatur: 315/542

Das Blatt berichtet von einem Aufsehen erregenden Fang eines Störs im Rhein bei Straßburg und verzichtet mit seiner naturgetreuen Wiedergabe des Fisches auf eine theologische Deutung ebenso wie auf absatzfördernde Übertreibungen. Der Kupferstich zeigt zwei Ansichten eines Exemplars des Gemeinen Störs (Acipenser sturio). Die obere Abbildung gibt den Fisch von schräg oben links wieder. Gut zu erkennen sind die typischen Merkmale der gebuckelten Knochenplatten auf dem Rücken, von denen die erste schon auf dem Schädel aufsitzt, sowie die seitliche Reihe von Knochenschilden. Korrekt sind auch die aufgrund des verkürzten Kiemendeckels immer leicht geöffnete Kiemenspalte und die harte, schnabelartige und leicht nach oben gebogene Spitze (rostrum) des Kopfes, die zum Aufwühlen des Bodens bei der Futtersuche dient. Der weit nach hinten verschobene Ansatz der Rückenflosse entspricht ebenfalls dem Phänotyp des Störs. Lediglich die in der Natur stärker ausgeprägte Asymmetrie der Schwanzflosse ist hier nur angedeutet. Die naturgetreue Wiedergabe setzt sich in der Abbildung der Ventralseite fort. Die beiden Reihen weniger prägnanter Knochenschilde am Bauch, das unterständige Maul (Mundt) mit seinen fleischigen Lippen und die davor liegenden vier Barteln sind genau erfasst. Zudem hat der Stecher die Größe des Fisches dadurch angedeutet, dass sich dieser von Bildrand zu Bildrand und auf der Schwanzseite sogar darüber hinaus erstreckt. Der zweisprachige Text benennt die Art des Fisches, den Ort und den Tag des Fanges (im Rhein bei Straßburg am 14. Juni 1622) und die Länge des Tiers (Sechs Werck schuch, also etwa 180 cm). Der lateinische Text informiert zudem darüber, dass man den Stör lebendig gefangen und in die Stadt transportiert habe, wo er vermutlich für Geld zur Schau gestellt worden ist. Störe, die zu der stammesgeschichtlich altertümlichen Gattung der Knochenfische zählen, sind in Deutschland heute wegen Überfischung, Wasserverschmutzung und Verbauung der Flüsse ausgestorben. Sie konnten über 3 m lang werden und waren damit die größten einheimischen Flussfische, wenn sie aus Nord- und Ostsee zum Laichen die Flüsse emporschwammen.1 Das vorliegende Flugblatt belegt wie einige andere,2 dass schon im 17. Jahrhundert der Fang eines ausgewachsenen Störs nur selten gelang und daher beträchtliches Aufsehen erregte. Dementsprechend fehlt der Fisch auch in den Katalogen von Gregor Mangolt (1498⫺1577/78) und Michael Lindener (um 1520⫺ 1562).3 Conrad Gesner (1516⫺1565) weiß allerdings u. a. zu berichten, dass Störe im Meer leben, auß demselbigen in die grossen Flüß hinaufsteigen biß auff fünff oder sechs Tagreysen und in Elbe, Donau und Rhein gefangen würden.4 394

Weitere Standorte: London, BM: 1876.0510.612; Paris, BN: Hennin, 1955; ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig (A 2)

Andere Fassungen: A1 A2

FAuST: Einblattdrucke, I, Nr. 132. DRuGuLIN II, Nr. 1580.

1

Vgl. W. WESTHEIDE/ G. RIEGER (Hgg.): Spezielle Zoologie, Teil 2: Wirbel- oder Schädeltiere. Heidelberg/ Berlin 2004, 234⫺237. Faust: Einblattdrucke, I, Nr. 133, 137 f. Gregor Mangolt: Fischbuch. Zürich (1557); Michael Lindener: Kurtzer griff vnd bericht/ Visch zu essen […]. O.O. 1587 (STRAuSS II, 808). Conrad Gesner: Vollkommenes Fisch-Buch. Frankfurt a. M. 1670, 192. MSch

2 3

4

395

IX, 210

F 14

Ort Jahr Bild Text Format

Das Blatt wirbt für die Schaustellung eines Elefanten. Der Holzschnitt zeigt einen Elefanten, der von einem Orientalen in einem Rock aus Federn und mit einer Peitsche in der Hand geritten wird. Vor ihm steht mit einem Spieß in der Hand ein weiterer exotisch aussehender Mann, dessen Bekleidung in einem gleichen Rock, einer Federkrone und passendem Schmuck an den Waden besteht. Der Text gibt kund, dass gegen Bezahlung ein zehnjähriger, 10 Schuh großer Elefant besichtigt werden könne, der sich durch besondere Intelligenz auszeichne. Neben dem zwischen Erwachsenen und Kindern differenzierenden Eintrittspreis werden auch Ort (die Heuwag) und Zeit (stündlich alle Tag) der Schau genannt. Bis zum 17. Jahrhundert waren Elefanten in Europa eine Rarität, obwohl in der nachrömischen Zeit das erste Tier schon 802 als Geschenk des Kalifen Harun ar Rashid (766–809) an Karl den Großen (742–814, Kaiser seit 800) nördlich der Alpen erschien.1 Allerdings finden sich erst seit der Mitte des 15. Jahrhunderts in zeitgenössischen Chroniken wieder einige wenige Erwähnungen der Tiere, die heute kaum identifizierbar sind, so dass man nicht genau weiß, wie viele wirklich den deutschen Boden betreten haben.2 Der erste und gut bekannte Elefant des 16. Jahrhunderts in Europa, Hanno, ein Geschenk Manuels I. von Portugal (1469–1521, König seit 1495) an Papst Leo X. (1475–1521, Papst seit 1513), überschritt nicht die Grenzen des Deutschen Reiches.3 Erst der erste Elefant Maximilians II. (1527⫺1576, Kaiser seit 1564) konnte wieder für Aufsehen in deutschen Landen sorgen. In dieser frühen Zeit waren die Tiere vorwiegend Geschenke für Herrscher und lebten in den herrschaftlichen Menagerien, auch wenn sie nicht selten öffentlich zur Schau gestellt wurden.4 Erst der dargestellte indische Elefant, der um 1626 nach Paris gebracht worden war und einem Bürgerlichen, einem Mijnheer Sevender (Lebensdaten unbekannt), gehörte, ist der erste bekannte Jahrmarktselefant, dessen lange Tournee durch Europa von Frankreich5 über Holland6 nach Deutschland,7 über Graz8 nach Italien9 und wieder nach Frankreich10 verhältnismäßig gut dokumentiert ist. Für seine Schaustellung in Nürnberg wurde neben dem besprochenen Blatt noch ein weiterer Schauzettel gedruckt,11 der über geänderte ⫺ niedrigere ⫺ Eintrittspreise sowie Ort und Zeit der Schaustellung informiert (Fassung b). Die Texte der beiden Blätter haben die Form einer typischen Ankündigung, wie sie nicht nur für Tierschauen, sondern für amtliche Bekanntmachungen im allgemeinen gebräuchlich war.12 Bei den Schaustellungen wurden allerdings Angaben zu Ort, Zeit und Eintrittspreisen meistens, anders als 396

ZV wissen sey Männiglich/ daß allhie ankommen [Inc.]

(Nürnberg) (1629) Holzschnitt Typendruck; Prosa 29,9 ! 26,3; 15,7 ! 20,4

im vorgestellten Blatt, handschriftlich eingetragen (b IX, 215). Den Anreiz zum Anschauen des Tiers bringt der knappe Text mit der Feststellung, es sei orientalisch, was so viel wie fremdartig und ungewöhnlich bedeutete, und von wunderlichem verstandt, womit Erwartungen auf eine Vorführung einiger Kunststücke geweckt werden sollten. Im Bild wurde die Exotik des Elefanten durch die Beigabe menschlicher Gestalten gesteigert, deren Darstellungsart sich nach dem verbreiteten Bild des Fremden aus anderen Kontinenten orientiert, meist nackt oder halbbekleidet und oft dunkelhäutig (b IX, 215). Um das Exotische zu unterstreichen, hat man den Figuren des Mahouts und des Kornaks noch einen Federschmuck angelegt, der in Indien, dem Heimatland des Tiers, nicht zur Tracht des Volkes gehörte, sondern in Europa nur im Zusammenhang mit indianischen Sitten bekannt war. Damit folgte der Formschneider der gängigen ikonographischen Praxis seiner Zeit: Indem man auf diese Weise die ‚Wildheit‘ von den Indianern auf ein anderes fremdes Volk übertrug,13 schuf man ein Bild, das der Vorstellung der Zuschauer oder Leser von einem ‚Wilden‘ entsprach und an ihre Neugier und Sensationslust appellierte.14

3

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Weitere Standorte:

10

London, BM: 1880.0710.513; Nürnberg, StB, GS: Schaustellerblätter (A 1)

Andere Fassungen: Bamberg, SB: VI,G.243;15 München, BSB: Einbl. VIII, 20q; Nürnberg, GNM: 2776/1338; Nürnberg, StB, GS: Schaustellerblätter;16 Straßburg, BNU: Rés.5 (Coll. J. Hermann), Nr.15417 [Ware Abbildung/ deß in Anno 29 Jars; anderer Text] Nürnberg, GNM: 2323/1338; Nürnberg, StB, GS: Schaustellblätter18 [KVnd vnd zuwissen sey jedermänniglich (Inc.); anderer Text]

a)

b)

A A A A

1 2 3 4

A5 A6

A7

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FAuST: Einblattdrucke, IV, Nr. 653.2 DRuGuLIN II, 1782. WÄSCHER, 109. E. WICKERSHEIMER: Catalogue des ‚Folia naturales res spectantia, à Johanne Hermann collecta‘. In: Revue des Bibliothèques 32 (1925), 237–260, 426–452, hier Nr. 432. ALEXANDER/ STRAuSS II, 724. C. G. MÜLLER: Verzeichnis von Nürnbergischen topographisch-historischen Kupferstichen u. Holzschnitten. Nürnberg 1791, 178. J. R. HAARHAuS: Menagerien u. Tierschaustellungen in früherer Zeit. In: Velhagens & Klasings Monatshefte 21 (1906), H. 3, 337–353, hier 339, Abb. 4 (ohne Text). OETTERMANN: Schaulust, 97–99; GRÖNING/ SALLER: Elefant, 246. OETTERMANN: Schaulust, 101–104; FAuST: Einblattdrucke, IV, Nr. 645.

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J. B. LLOYD: African Animals in Renaissance Literature and Art. Oxford 1971, 47 f.; OETTERMANN: Schaulust, 104–109; GRÖNING/ SALLER: Elefant, 249; FAuST: Einblattdrucke, IV, Nr. 646. Zu Hanno s. auch S. A. BEDINI: Der Elefant des Papstes. Stuttgart 2006. FAuST: Einblattdrucke, IV, 278; HAARHAuS: Menagerien, 344. OETTERMANN: Schaulust, 119; W. S. HECKSCHER: Bernini’s Elephant and Obelisk. In: The Art Bulletin 29 (1947), 155–182, hier 158. Als Ergebnis seiner französischen Tour entstand die Abhandlung von David Ferrand: Discours apolegetique en faveur de l’instinct et nature admirable de l’elephant. Publié […] par A. HÉRON. Rouen 1903 (Nachdr. der Ausg. Rouen 1627). HAARHAuS: Menagerien, 344. Sein erster Aufenthaltsort war Frankfurt am Main (vgl. das Blatt von Wenzel Hollar: ‚Elephas hic per Europam visus est‘, sowie ‚Wahre Contrafactur des Elephanten‘, bei FAuST: Einblattdrucke, IV, Nr. 651 und 652.1 f.), dann Nürnberg (aus diesem Anlass verfasste Caspar Horn seine Abhandlung ‚Elephas‘. Nürnberg 1629) und Memmingen (Nachweis bei Christoph Schorer: Memminger Chronick. Ulm 1660, 135). Aus der Verlagsadresse des Hollarschen Blattes in Straßburg schließt man auf den Aufenthalt des Elefanten auch in dieser Stadt (OETTERMANN: Schaulust, 122). M. BEERMANN: Alt- u. Neu-Wien. Gesch. der Kaiserstadt u. ihrer Umgebung. Wien 1880, 706. Ein Kupferstich aus Rom von 1630 bei OETTERMANN: Schaulust, 122. In diesem Jahr hat der Baumeister und Bildhauer Gian Lorenzo Bernini seinen einen ägyptischen Obelisk tragenden Elefanten entworfen, der ⫺ 1667 errichtet ⫺ bis heute vor der Kirche Santa Maria sopra Minerva in Rom steht; vgl. HECKSCHER: Bernini’s Elephant. Dort wurde er 1631 von dem Gelehrten Nicolas Claude de Peiresc in Aix untersucht, vgl. Petrus Gassendi: Viri Illustris Nicolai Claudii Fabricii de Peiresc […] Vita. Quedlinburg 1705, 263 f. Der von Oettermann (Schaulust, 124) reproduzierte undatierte englische Anschlagzettel zeigt einen Elefanten in einem Stich, für den eher spätere Darstellungen (b IX, 215) als Vorlage zu vermuten sind, deshalb handelt es sich wohl auch um eine spätere nicht identifizierte Schaustellung. Das Blatt der Fassung a mit einem langen Text über Eigenschaften des Elefanten, bildet mit demselben Holzschnitt den Elefanten von 1629 ab (so der Titel), ist aber später entstanden. Eine weitere erhaltene Information zur Schaustellung des Elefanten in Nürnberg 1629 ist eine später entstandene Federzeichnung des Tieres und war nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, s. FAuST: Einblattdrucke, IV, 300. Vgl. z. B. die Ankündigung der Schau eines Affen (FAuST: Einblattdrucke, II, Nr. 234.2), eines Stachelschweins (ebd. II, Nr. 331) oder eines Dromedars (ebd., III, Nr. 369). F. GEWECKE: Wie die neue Welt in die alte kam. München 1992, 145 f. Zur auch im 18. Jahrhundert anhaltenden „zudringliche[n] Neugierde gegenüber dem überseeischen Besucher“ als Exoten vgl. U. BITTERLI: Die ‚Wilden‘ u. die ‚Zivilisierten‘. Grundzüge einer Geistes- u. Kulturgesch. der europäisch-überseeischen Begegnung. München 1982, 182–185. FAuST: Einblattdrucke, IV, Nr. 653.1. Ebd. Ebd. FAuST: Einblattdrucke, IV, Nr. 653.3. EP

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IX, 211

F 396

Ort Jahr Bild Text Format

Hautverfärbungen auf einer Scholle werden als Zeichen gelesen und als Warnungen vor göttlichen Strafen verstanden.

Conterfeth Eines wunder-Fisches Scholl, oder Platteyß

(1633) Radierung graviert; Prosa von H.S.C.1 14,2 ! 22,6

die sich schwarze Farbpigmente eingelagert haben (b IV, 300a).4

Das Bild zeigt eine Scholle (Pleuronectes platessa) in Aufsicht. Die Form des Mauls und des Kopfes sowie die Beflossung sind naturgetreu wiedergegeben. Die einzige möglicherweise drucktechnisch bedingte Ungenauigkeit betrifft die Augen, die sich hier auf der linken Körperseite befinden, obwohl sie bei Plattfischen im Zuge der körperlichen Entwicklung immer auf die rechte Seite wandern. Auf dem Körper des Fisches sind zeichenartige Gebilde zu erkennen: ein Rutenbündel, ein großes X, eine 9, ein großes griechisches Theta und eine 4 in römischen Ziffern. Der Titel benennt die Fischart (Scholl, oder Platteyß), verweist auf die vngewonlichen Characteren […] auf beyden seitten und gibt den Fundort (im holländischen Meer bzw. in Rotterdam) und den Zeitpunkt des Fundes an (Juli 1633). Der Text wendet sich umstandslos der bedeutung dieses wunder-Fisches zu. Dass es um von Gott angedrohte Strafen gehe, zeige die Figur der zuchtruten. Das X deute auf Creutz, vnd verfolgung hin. In der 9 erkennt der Autor eine dodte schlang, die vergiffte lufft vnd Pestilentz ankündige. Das Theta wird als Mühlstein interpretiert, der vergiffte wasser bedeute. Die Römische viere schließlich verweise auf das kommende Jahr 1634. Eine solch detaillierte Auslegung von vermeintlichen Wunderzeichen war eher ungewöhnlich, zumal der Autor sich zumindest mit seinen Initialen zu erkennen gibt. Ein anderes Blatt, das denselben Fisch behandelt, ist in dieser Hinsicht sehr viel zurückhaltender: Was die Character zeigen an Lass ich den Glehrten befolhen sein Es Vbertrifft die Weißheit mein.2

Bemerkenswert ist allerdings, dass der Verfasser zwar schwere Katastrophen und Epidemien vorhersagt, sich aber jeglicher politischer Andeutung oder eschatologischer Auslegung enthält. Auf zwei Briefmalerblättern, die sich gleichfalls der Rotterdamer Scholle widmen, werden dagegen die Zeichen ausdrücklich als Ankündigung des Jüngsten Gerichts verstanden.3 Das dort abgedruckte Lied bringt denn auch das Zeichen des ‚Mühlsteins‘ mit dem mühlsteingroßen Felsen in Verbindung, den der Engel beim Untergang Babylons ins Meer wirft (Apk 18, 21). Als änigmatische Zeichen gedeutete Verfärbungen der Haut bei Fischen hat man in der Frühen Neuzeit häufiger beobachtet und auf Flugblättern publik gemacht (b I, 215⫺217; IV, 300a; VII, 179, mit weiteren Nachweisen). Derartige Verfärbungen lassen sich auf Hautkrankheiten mit anschließender Ausbildung von Narben zurückführen, in 398

Weitere Standorte: Halle, KMM: F 898

Andere Fassungen:

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Das Iud: steht vermutlich für ‚iudicavit‘. ‚Im Monat Julio jetzt vergangen‘ [Inc.]. (Ulm 1633); vgl. FAuST: Einblattdrucke I, Nr. 134. Ebd., Nr. 135 f. H.-H. REICHENBACH-KLINKE: Krankheiten u. Schädigungen der Fische. Stuttgart 1966, 5 ff. u.ö. MSch

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IX, 212

F 399

Ort Jahr Bild Text Format

Die schlichte Abbildung und der sachlich beschreibende Text informieren über ein missgebildetes Ferkel (cephalothoracopagus janiceps disymmetros). Das im Titel angekündigte Wundertier wird als ein pathologischer Tierkörper abgebildet, der aus zwei an der Brust zusammengewachsenen Rümpfen mit einer Nabelschnur und einem Januskopf besteht. Während die beiden Rümpfe mit acht Gliedmaßen keine Anomalien aufweisen, ist der Kopf stark deformiert. Von dem abgewandten Antlitz sind eine typische Schweineschnauze und zwei tief sitzende Ohren zu sehen; das dem Betrachter zugewandte Gesicht besitzt zwei große, runde, direkt an einem schmalen länglichen Rüssel gelegene Augen. Ob es sich bei den an beiden Seiten der Nasenspitze gezeichneten Hautlappen um Ohren handelt, lässt sich nicht entscheiden. Im Text beschränkt sich der Verfasser auf empirische Informationen zur Missbildung. Das Ferkel sei von einer Sau auf einem Feld unweit des Dorfes Goldscheuer (heute ein Ortsteil von Kehl) geworfen worden. Bei den anderen Tieren aus demselben Wurf werden keine Formen von Missbildungen vermerkt. Die Besitzer der Sau, Zwen Metziger von Heitteren, hätten sie am 31. März/ 10. April 1636 nach Straßburg getrieben. Von den sichtbaren Teilen des Schweins werden die acht Beine genannt, der vordere Kopfteil wegen der großen Augenhöhlen mit einer Eule und die Form der Schnauze mit einem Elefantenrüssel verglichen. Als über das Bild hinausgehende Informationen werden die Größe des Tieres (8 füss) und zwei Augen am hinteren Kopfteil angegeben. Die dargestellte Missbildung ist infolge einer angeborenen Entwicklungsstörung entstanden, wenn „zwei Fötalanlagen mit den ventralen Seiten vom Nabel bis zum Kopf zusammenhängen, einen gemeinsamen Vorderkörper und zwei getrennte, freie Hinterkörper bilden“.1 Die Doppelbildung durch Verwachsung im Brustbereich (thoracopagus) ist beim Schwein die häufigste Form der Doppelmissbildung; ihre Sonderform, Janiceps oder Janus, ergibt sich, wenn die Zwillinge am Kopf zusammengewachsen sind (cephalothoracopagus), wobei die beiden Gesichter in entgegengesetzte Richtungen blicken (disymmetros). Im dargestellten Fall ist nur ein Gesicht völlig ausgebildet. Ein sogenannter kompletter Janus kommt nur sehr selten vor.2 Über weitere z. B. innere, nicht sichtbare Anomalien liegen keine Informationen vor. Die Abbildung des Tieres in dipedischer Stellung, womit es an ein (Formalin)präparat erinnert, erlaubte eine genauere Darstellung anatomischer Details. Aus demselben Grund hat der Zeichner den Kopf in einer Kombination aus Frontal- und Profilansicht gezeigt, um auch den sonst nicht sichtbaren Teil des Kopfes zu dokumentieren. 400

Ware abbildung Eines erschröcklichen Wunder thires

(Straßburg) (1636) Kupferstich von J(akob) v(on der) Heyden (1573–1645) graviert; Prosa 24,1 ! 11,5

Die Wiedergabe einer tierischen Missgeburt auf den Hinterbeinen stehend war in der Frühen Neuzeit eine übliche Darstellungsweise. Daher sehen auch alle Abbildungen eines cephalothoracopagus janiceps disymmetros ähnlich aus, so die berühmte ‚Sau von Landser‘ auf einem Flugblatt von Sebastian Brant (1457⫺1521),3 das Doppelschwein auf dem Flugblatt von Niklas Meldemann (nachgewiesen seit 1518, † 1552),4 das auch in England kolportiert wurde,5 oder die Abbildung in dem Bericht über eine Doppelmissbildung bei einem Schaf aus der Feder des Chirurgen Wilhelm Fabry (1560–1634).6 Das Flugblatt ist ausgiebig von Friedrich Wilhelm Schmuck (1637⫺1721) rezipiert worden, der für seinen ‚Fascicvlvs Admirandorum Naturae‘ die Graphik nachgestochen, unter dem Titel Schweinß Mißgeburt/ mit einem Eulen-Kopff abgebildet und den Text unter Weglassung der Informationen über die beiden Metzger und mit grammatischen Korrekturen übernommen hat.7

Weitere Standorte: Erlangen, UB: A IV 79

Andere Fassungen: A1 A2

HOFMANN-RANDALL: Einblattdrucke, 227. FAuST: Einblattdrucke, III, Nr. 357.

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H. GLASER: Über die Cephalothoracopagen u. einen Prosopothoracopagus disymmetros vom Schwein. In: Development genes and evolution 113 (1928), 601–639, hier 601. G. ALEXANDER: Zur Anatomie der janusartigen Doppelmissbildungen mit besonderer Berücksichtigung der Synotie. In: Development genes and evolution 8 (1899), 642–688. VE15, Nr. B-81 f. (mit weiterer Literatur). FAuST: Einblattdrucke, III, Nr. 342.1 f.; Fliegende Blätter, Nr. 494. SH. O’CONNELL/ D. PAISEY: This horryble monster. An Anglo-German Broadside of 1531. In: Print Quarterly 16 (1999) 57⫺63. De monstro Lausannae Equestrium exciso A. D. MDCXIV […] Narratio historica et anatomica. (Oppenheim 1615). Zu einem weiteren Beispiel b VII, 107. Friedrich Wilhelm Schmuck: FASCICVLI ADMIRANDORuM NATuRAE ACCRETIO. Oder Der Spielenden Natur Kunstwercke/ Jn verschidenen Mißgeburthen vorgestellet/ Fortsetzung. Straßburg 1679, Nr. 9. EP

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IX, 213

F 166

Ort Jahr Bild Text Format

Das Blatt berichtet in ironischer Hyperbolik über den Fang und die Verwertung eines Pottwals (Physeter macrocephalus) im Ligurischen Meer vor St. Tropez. Der Künstler hat den wunder grossen Wallfisch als eindrucksvolles Monstrum gestaltet. Dem riesigen Kopf verleihen die in Stirnwülste und gewaltige Tränensäcke eingebetteten Augen und das geöffnete, mit mächtigen Hauern bewehrte Maul ein grimmiges Aussehen. Dem schornsteinartigen Nasenloch entsteigen Rauch- oder Dampfwolken. Aus einer noch größeren Röhre im Nacken des Tiers steigt eine Fontäne empor. Eine gezackte Flosse umschließt den Hals des Wals; drei ähnlich geformte Finnen sitzen flügelartig auf dem Rücken. Die Gefährlichkeit des Monsters unterstreichen die beiden nach vorn ausgestreckten Pranken, deren vier Zehen mit furchteinflößenden Krallen versehen sind. Sein Hinterleib ist demgegenüber sehr viel bescheidener ausgefallen. Die Schwanzflosse ist zwar zum Schlag erhoben, wirkt aber aufgrund ihrer Zierlichkeit kaum bedrohlich. Die Schmächtigkeit des Hinterleibs wird allerdings mit Leichtigkeit durch die Dimension des männlichen Genitals kompensiert. Der Text setzt mit der Schöpfungsgeschichte ein (I Mos 1, 28 [recte: 21]) und führt noch zwei weitere Stellen aus dem Alten Testament an, an denen von Walen die Rede ist (Hi 40,10 und 41; Ps 104, 26). Aus den weltliche[n] Scribenten – genannt werden Plinius d.Ä. (23/24⫺79), Augustinus (354⫺430), Olaus Magnus (1490⫺1557) und Sebastian Münster (1488⫺1552) – referiert der Autor über das Vorkommen der Wale in Mittelmeer und Nordatlantik, über ihre Größe (bis zu 240 m Länge und 108 m Breite [!]) und über die Verwendung ihrer Knochen beim Häuserbau. Dieser allgemeinen Einführung folgt der Bericht über das Meer Monstr[um], das man vor St. Tropez gefangen habe. Selbiges habe ein erschrockenliches geheule/ vnd Brülen/ hören lassen, woraufhin eine Flotte ausgefahren sei und neun Tage mit dem Tier gekämpft habe. Schließlich sei es gelungen, den Wal mit Kanonen in flacheres Wasser zu treiben, wo seine Beweglichkeit eingeschränkt gewesen sei. Einigen vornehmen whale-watchern habe das Tier ihr Schiff zerstört, so dass sie sich nur mit Gottes Hilfe hätten schwimmend retten können. Als daraufhin 500 Mann mit Ankern, Eisenhaken und Seilen den Wal angegangen seien, habe er vor Zorn zur Nasen auß geraucht/ wie ein grosser Ziegelofen. Schließlich habe man aber einen grossen vnd gefärlichen Sieg errungen. Die folgenden Größenangaben sind wie schon die Schilderung der Jagd von Übertreibungen geprägt, wenn etwa seine Augen feürig und so groß gewesen seien, dass 15. Mann darin sitzen mögen, oder die klauwen erschrockenlich 6. schuh, also 180 cm, gemessen hätten. Die Meldung im Titel, 402

Warhaffte vnd eigentliche Abbildung Des wunder grossen Wallfisches

(Basel) 1640 Kupferstich von HHG (d. i. Hans Heinrich Glaser, 1585⫺1673)1 Typendruck in 2 Spalten; Prosa 35,7 ! 27,0; 14,2 ! 19,3

dass die gebein dem französischen König übersandt worden seien, ergänzt der Text um die Angabe, dass ein Zahn und eine Rippe in der Kapelle zu St. Tropez zum ewigen denckzeichen aufgehängt wurden. Ein Hinweis auf die Zeichenhaftigkeit des abschewlich[en] Meerwunder[s], dessen Bedeutung allerdings erst die Zukunft offenlegen werde, und die Bitte um Erhalt des Friedens beschließen den Text. Waldarstellungen der frühen Neuzeit hatten zwei ikonographische Traditionslinien, denen sie folgen konnten. Auf der einen Seite konnte man sich spätmittelalterlichen Bildgebungen anschließen, die häufig von der Beschreibung des Leviathan im Buch Hiob inspiriert waren und etwa in Reiseschilderungen Wale als furchterregende Monster darstellten, die Schiffe und Besatzungen versenkten oder zwischen ihren Zähnen zermalmten. Auf der anderen Seite stehen Wiedergaben von Walen, die an den Nordseeküsten gestrandet waren und en plein air von Künstlern vor Ort gezeichnet wurden. Diese am Objekt selbst entstandenen Darstellungen entsprachen selbstverständlich sehr viel genauer den realen Verhältnissen (b IV, 298 f.; VII, 91⫺94)2 als die lediglich auf mündlichen oder schriftlichen, oft aufgebauschten Berichten fußenden Abbildungen. Während der ‚realistische‘ Bildtypus auf Flugblättern dominierte, die meist auf niederländische Vorlagen zurückzuführen sind oder aber im Zusammenhang mit Schaustellungen eines Walskeletts vertrieben wurden und daher einem Vergleich mit den faktischen Größenverhältnissen standhalten mussten, wurde die ältere Bildtradition wesentlich über die ‚Historia de gentibus septentrionalibus‘ (zuerst Rom 1555) des Olaus Magnus weitervermittelt.3 Beide Traditionsstränge laufen bei Conrad Gesner (1516⫺1565) zusammen, der die vielen monströsen Walarten von Olaus Magnus zwar übernimmt, aber auch seine Skepsis gegenüber der Glaubwürdigkeit seiner Quelle bekundet.4 Der Basler Stecher, der vermutlich ebenso wie der Textverfasser einem nicht überlieferten Bericht aus Frankreich folgte, bewegt sich eindeutig auf der mittelalterlichen Traditionslinie. Form und Position der Blaslöcher, die überdimensionalen Hauer, die klauenbewehrten Vorderextremitäten und die gezackten Flossen sind ebenso bei Olaus Magnus vorgegeben wie die allgemeinen Informationen über Wale am Beginn des Textes. Wenn man den Angaben über das Vorhandensein von großen Zähnen bei dem Tier Glauben schenkt, muss es sich um einen Pottwalbullen gehandelt haben, den man vor St. Tropez erlegt hat; im Ligurischen Meer existiert bis heute eine größere Pottwal-Population. Da das Wissen um die tatsächliche Gestalt von Walen seit dem 16. Jahrhundert durch Flugblätter eine größere Verbreitung gefunden hatte, sieht es so aus, dass die z. T. groteske Hyperbolik in Bild

und Text für die Kenner im Publikum mit einem Augenzwinkern vorgetragen wurde. Ein derartiger (selbst)ironischer Umgang mit Sensationsmeldungen begegnet im Medium des Flugblatts bereits im 16. Jahrhundert.5

Weitere Standorte:

Andere Fassungen: a)

Basel, UB: Einblattdrucke XVII, 5;6 London, BL: 1750.c.2 (8)7 [Holzschnitt im Gegensinn; orthographische Varianten]

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H. A. LIER: Glaser, Hans Heinrich. In: ADB 49 (1904), 371; THIEME/ BECKER XIV, 238; HOLLSTEIN: German Engravings, X, 61 f. W. TIMM: Der gestrandete Wal, eine naturkundliche Studie. In: Staatliche Museen zu Berlin, Forschungen u. Berichte 3/4 (1961), 76⫺93; K. BARTHELMESS/ J. MÜNZING: Monstrum horrendum. Wale u. Waldarstellungen in der Druckgraphik des 16. Jhs. u. ihr motivkundlicher Einfluß. Hamburg 1991; FAuST: Einblattdrucke, IV, Nr. 530⫺598; S. KOLBE: Warhafftig und wunderbarlich Monster. Von gestrandeten Walen. Marburg 2015. Buch 21, Kapitel 5⫺17. Conrad Gesner: Vollkommenes Fisch-Buch. Frankfurt a. M. 1670, 124: Wallfische/ gezogen auß der Beschreibung des Mitternächtigen Meers Olai Magni, […] an welchen jedoch sehr gezweiffelt […] Es seye dann daß dieselbige […] von Olao Magno nur allein gesehen worden. SCHILLING: Bildpublizistik, 136⫺139. FAuST: Einblattdrucke, IV, Nr. 577. Ebd.; vgl. auch ALEXANDER/ STRAuSS II, 781. MSch

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IX, 214

F 385

Ort Jahr Bild Text Verleger Format Zustand

Das Blatt informiert über einen 1645 in Krems entdeckten Backenzahn eines Mammuts. Die Graphik zeigt die beiden Seitenansichten des Mammutzahns. Der Zeichner hat den fortgeschrittenen Verwitterungszustand des Zahns durch tiefe Einfurchungen, durch die splissartige Ablösung des vorderen Zahnteils, durch Stümpfe abgebrochener Wurzelstränge und durch die seitlich offene Hauptwurzel markiert, in deren Innerem der Kanal des Zahnnervs sichtbar ist. Bruchlinien im Zahnschmelz und am Zahnhals verweisen gleichfalls auf das hohe Alter des Fundstücks. Die Wiedergabe des Zahns bemüht sich um äußerste Detailgenauigkeit und befriedigt das Informationsbedürfnis des Betrachters durch die zweiseitige Ansicht und durch den Lichteinfall von schräg links vorne, der es erlaubt, die reliefartige Struktur des Zahns plastisch hervorzuheben. Der Textanteil beschränkt sich auf Überschrift und Bildlegenden, die durch Verweisbuchstaben mit der Illustration verbunden sind. Der Titel macht Angaben zu Größe, Fund und Gewicht des Zahns. Demnach sei der Zahn im Verhältnis von eins zu eins wiedergegeben (Waarhafftige grösse), in Krems im Jahr 1645 als Teil eines Rissencörper[s] ausgegraben worden und habe mehr als zweieinhalb Kilogramm gewogen.1 Die Bildlegenden benennen einzelne Details der Abbildung, wobei insbesondere auf den ruinösen Zustand des Objekts abgehoben wird. Unter dem Verweisbuchstaben A erhält der Leser die zusätzliche Information, dass sich an der Vorderseite Zahnstein oder ähnliche Ablagerungen in einer Stärke von ein bis zwei Millimeter (eines starkh messerrükh dikh) angesetzt habe. Wie schon der Illustrator ist auch der Textautor um Sachlichkeit und Genauigkeit bemüht und verzichtet darauf, die Phantasie seiner Zeitgenossen durch Spekulationen über Riesen anzuregen. Der Kupferstich wurde 1651 dem fünften Band des ‚Theatrum Europaeum‘ beigegeben.2 Da dort aber einige zusätzliche Kennbuchstaben in die Platte graviert wurden, handelt es sich bei dem vorliegenden Blatt um einen Abdruck eines früheren Plattenzustandes. Es ist davon auszugehen, dass dieser ältere Zustand der Kupferplatte zur Herstellung von Blättern für den Einzelverkauf benutzt wurde, bevor die Platte für den Abdruck der Tafeln im Buch nachbehandelt worden ist. Die Darstellung wurde vermutlich nach einer in Österreich gefertigten (zeichnerischen?) Vorlage gestochen, da die oberdeutsche Affrikata (starkh, rükh, hakhen u. a.) dort zuhause ist. Das ‚Theatrum Europaeum‘ macht nähere Angaben zu dem Fund. Demnach habe man während der schwedischen Besetzung des niederösterreichischen Krems bei Schanzarbeiten 404

Waarhaffte grösse vnd abbildung eines Zaan

(Frankfurt a. M.) (1645/46) Radierung (von Matthaeus Merian d. Ä.?, 1593⫺1650) graviert; Bildlegenden in Prosa (Matthaeus Merian d. Ä.) 17,2 ! 27,8 moderne Nummerierung mit Bleistift: 194b

3. oder 4. Klaffter tieff vnter der Erden/ in einem gelblättichten/ vmb vnd vmb/ von Verfäulung deß Fleisches/ etwas schwartzlecht angedüngeten Grund/ einen vngehewren/ grossen RiesenCörper gefunden.3

Der Schädel und die Knochen seien von Alter vnd Verfäulung/ gantz mürb/ vermodert/ vnd leichtlich zubrechen gewesen. Die Knochen seien von gelehrten vnd erfahrnen Leuthen […] für Menschenbeyn erkennet worden. Man habe Teile des Skeletts nach Schweden und Polen geschickt und andere Reste, darunter ein Schulterblatt und einen Backenzahn, der Jesuitenkirche in Krems überlassen.4 Zwei weitere Riesen Cörper/ doch etwas kleiner, seien noch entdeckt, jedoch in der Erde belassen worden. Der abgebildete Zahn sei fünfeinhalb Pfund schwer gewesen und der Röm. Käys. Mayest. nach Wien verehret worden. Zwei weitere Zähne habe man der Nikolaikirche in Passau und den Dominikanern in Steyr überlassen.5 Die Kremser Fossilien waren nicht der erste Fund von Mammutüberresten im frühneuzeitlichen Europa. Im Jahr 1577 entdeckte man in Reiden bei Luzern einige Knochen, die der Basler Arzt Felix Platter (1536⫺1614) einige Jahre später als Relikte eines Riesen identifizierte.6 Als 1613 Überreste eines im Dauphiné gefundenen Mammuts in Frankreich als Knochen des Teutonenkönigs Teutobochus zur Schau gestellt wurden, entspann sich eine fünfjährige wissenschaftliche Diskussion über den Ursprung der Fossilien, in deren Verlauf auch schon die Möglichkeit ins Spiel gebracht wurde, dass es sich um Knochen eines Elefanten handeln könnte.7 Vielleicht ist es auf diese Kontroverse zurückzuführen, dass der Autor des vorliegenden Blattes nur unspezifisch von einem Rissencörper spricht und davon absieht, den Fund als Knochen vorzeitlicher menschlicher Riesen publizistisch auszubeuten. Das ‚Theatrum Europaeum‘ referiert zwar, dass Gelehrte die Fossilien für menschliche Überreste gehalten hätten, enthält sich aber ebenfalls einer eigenen Stellungnahme und beschränkt sich auf die Wiedergabe der Fundumstände.

Weitere Standorte:

Andere Fassungen: A1

M. SCHILLING: Flugblatt u. Krise in der Frühen Neuzeit [zuerst 2002]. In: HARMS/ SCHILLING: Flugblatt, 157⫺ 177, hier 170 mit Abb. 7.

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Ein Medizinalpfund entsprach in Wien ca. 420 Gramm; vgl. W. TRAPP: Kleines Handbuch der Maße, Zahlen, Gewichte u. der Zeitrechnung. Stuttgart ²1996, 239. Theatrum Europaeum 5 (1651), vor 935. Ebd., 934 (dort auch die übrigen Zitate). Der Zahn hat sich erhalten und befindet sich heute im Paläontologischen Kabinett der Sternwarte Kremsmünster. Aus dem ‚Theatrum Europaeum‘ bezog der Leipziger Polyhistor Johann Praetorius seine Kenntnisse des Fundes; vgl. Johann Praetorius: Anthropodemus Plutonis. Magdeburg 1666, I, 583. A LANG: Gesch. der Mammutfunde. Ein Stück Gesch. der Paläontologie nebst einem Bericht über den schweizerischen Mammutfund in Niederweningen 1890⫺1891. Zürich 1892, 5⫺7. B. DIETZ: Vom Giganten zum Elephanten. Kontroversen über Fossilien, 1610⫺1820. In: AKG 85 (2003), 277⫺ 302, hier 284. MSch

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Ort Jahr Bild Text Format Zustand

Ein typischer Anschlagzettel informiert über die Schaustellung eines Elefanten in Nürnberg. Der Holzschnitt zeigt einen eine Fahne schwingenden Elefanten mit seinen beiden dunkelhäutigen Begleitern: einem das Tier reitenden Mahout und einem Kornak, dem Elefantenführer. Während der Mahout noch als ‚Wilder‘ halbnackt und mit exotischem Kopfschmuck dargestellt wird, ist bei dem Kornak nur seine dunkle Haut ein Merkmal des Exotisch-Fremden. Statt mit den üblichen Elefantenhaken wurden die beiden Männer mit spießartigen Waffen ausgestattet. Auf dem Rücken trägt das Tier einen mit Ketten befestigten Turm, in dem sich mit Spießen, Bögen und Schwert bewaffnete Krieger befinden. Durch falsche Proportionen zwischen den Turminsassen und den Begleitern, wirkt der Turm wie ein fremdes, aus einem anderen Bild übertragenes Element. Trotz des Versuchs, den Elefanten in Bewegung zu zeigen, wirkt das Ensemble eher statisch. Wie auf den zeitgenössischen Anschlagzetteln üblich, enthält schon der Titel des Blattes die entscheidenden Informationen über das Objekt der Schaustellung. Im eigentlichen Text werden dann die im Titel angekündigten Bewunderungs-würdige[n] Künste aufgelistet, die den potenziellen Zuschauer erwarten, und im graphisch abgesetzten ‚Nota Bene‘ Zeit und Ort der Vorführungen angegeben. Der Eintrittspreis ist handschriftlich hinzugefügt. Zwischen 1630 und 1655 gab es in Europa mehrere Schaustellungen von Elefanten, über die Notizen in Stadtchroniken und Diarien sowie Darstellungen auf Flugblättern informieren; es gibt auch Zeichnungen der Tiere. Trotz Unterschieden in Abbildung und Beschreibung der Elefanten werden sie von der Forschung als ein und dasselbe Tier angesehen: eine 1630 in Ceylon geborene Elefantenkuh mit dem männlichen Namen Hansken, die 1637 in die Niederlande gebracht worden und nach 25 Jahren Jahrmarktlebens 1655 in Florenz gestorben sei.2 Die bildlichen Darstellungen aber zeigen einen deutlichen Unterschied: Einige 1637 in Amsterdam angefertigte Skizzen von Rembrandt (1606–1669),3 eine Darstellung an der Wand des Fechthauses in Nürnberg,4 ein Ausstellungszettel aus Basel von 16525 und eine Zeichnung des 1655 in Florenz gestorbenen Elefanten6 porträtieren ein Tier ohne Stoßzähne, was auf ein Weibchen aus Ceylon schließen ließe.7 Auf den übrigen Darstellungen hat es Stoßzähne und wird auch gelegentlich, wie hier, als Männlein bezeichnet. Vermutlich gab es also zwei Tiere, die um dieselbe Zeit in Europa zur Schau gestellt wurden.8 Um welches Tier es sich bei dem dargestellten Blatt handelt, ist schwer zu entscheiden. Im Text werden zum Teil andere ‚Kunststücke‘ als bei den übrigen Hansken-Blättern erwähnt, und die Gra406

Mit Bewilligung der Hohen Obrigkeit

(Nürnberg) (2. Hälfte 17. Jahrhundert) Holzschnitt von I.V.1 Typendruck; Prosa 19,8 ! 13,8; 9,8 ! 12,8 unten handschriftlich: Zue II Kreuzer jdes Mahl

fik scheint nicht das tatsächliche Bild des ausgestellten Tieres festzuhalten, sondern mehrere ikonographische Vorlagen zu kompilieren. Während die Anordnung der beiden Elefantenbegleiter an Schaublätter von 1629 (b IX, 210) erinnert, orientiert sich das Bild des Tieres an Darstellungen der turmbewehrten Kampf- oder Kriegselefanten, wie sie seit dem Mittelalter durch Bestiarien, Gemälde und Textilien , aber auch Beschreibungen vermittelt wurden.9 Die Übernahme einer solchen Vorlage könnte sich aus der Assoziation zu den Stellen im Text des Blattes ergeben haben, die besagen, dass der Elefant so viel Personen/ als auf seinem Leibe und Schnabel sitzen können trage und dass er seine Exercitia als ein Soldat tue. Kein ungewöhnliches Verfahren, wenn man bedenkt, dass zu jener Zeit „die Übereinstimung der Darstellung mit der Vorführung selbst“ für das Publikum nicht zwingend war.10 Einige Schwierigkeiten ergeben sich auch in Hinblick auf die Datierung des Blattes. Faust bildet vier Blätter ab, welche die Schaustellung des ‚Hansken‘ im Fechthaus in Nürnberg ankündigen sollen, und datiert sie alle auf 1652, weil in diesem Jahr ein Elefant in Nürnberg nachgewiesen ist.11 Es ist aber unwahrscheinlich, dass zu einem Anlass so viele und unterschiedliche Werbezettel erschienen sind. Diese Tatsache wie auch der Stil des Holzschnittes lassen eher auf einen späteren Zeitpunkt für die auf dem Blatt angekündigte Tierschau schließen. Auch kann man nur von zwei der vier Blätter mit Sicherheit sagen, dass sie sich auf eine Tierschau in Nürnberg bezogen, während die anderen vermutlich von mitgeführten Holzschnitten für Blätter an anderen Orten neu gedruckt wurden.12 Das Blatt wurde mit großer Wahrscheinlichkeit als Vorlage für die Schaustellung desselben Elefanten auf zwei weiteren, undatierten Anschlagzetteln verwendet, die neben dem Dickhäuter einen Mandrill (afrikanischen Wald-Esel) abbilden.13 Die Blätter zeigen auffallende Ähnlichkeiten in Bild und Text, auch wenn der Elefant keinen Turm mit Kriegern trägt und als sein Herkunftsland Siam angegeben wird.

Weitere Standorte:

Andere Fassungen: a)

Nürnberg, Stadtmuseum, GS14 [in der Graphik: sechs ‚Federn‘ in der Kopfbedeckung des Elefantenreiters; im Text das letzte Wort in der 3. Zeile: seine, in der 6. Zeile: exercitia]

A1 A2

FAuST: Einblattdrucke, IV, Nr. 661. Drugulin II, Nr. 2319.

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NAGLER: Monogrammisten, IV, Nr. 535. So OETTERMANN (Schaulust, 124–129), der allerdings auch Zweifel anmeldet, und FAuST (Einblattdrucke, IV, Nr. 656–665), die die Schaustellungsorte und -daten zusammenstellt (ebd., 314). Abb. bei OETTERMANN: Schaulust, 129. Dazu L. J. SLATKES: Rembrandt’s elephant. In: Simiolus 11 (1980), 7–13. OETTERMANN: Schaulust, Anm. 223. FAuST: Einblattdrucke, IV, Nr. 665. Abb. bei OETTERMANN: Schaulust, 130. Brehms Tierleben. Hg. von O. VON STRASSEN. Leipzig/ Wien 1915, XII, 539. Vgl. auch DITTRICH: Tiersymbole, 94, Anm. 35. Zum Kampf- bzw. Turmelefanten und seiner Ikonographie vgl. GRÖNING/ SALLER: Elefant, 196–231; W. S. HECKSCHER: Bernini’s Elephant and Obelisk. In: The Art Bulletin 29 (1947), 155–182, hier 158–170 u. Abb. 10, 12, 18. S. auch Sebastian Münster: Cosmographia. Basel 1628, 1549 u. 1572; Johann Ludwig Gottfried: Historische Chronica. Frankfurt a. M. 1657, 198. Beschreibungen u. a. bei Joachim Praetorius: HISTORIA ELEPHANTI. Hamburg 1607, 3 f.; Caspar Horn: ELEPHAS, Das ist: Historischer vnnd Philosophischer Discurs/ von […] dem Elephanten. Nürnberg 1629, 119–126; zusammenfassend: Georg Christoph Peter von Hartenfelß: ELEPHANTOGRAPHIA CuRIOSA. Erfurt 1715, 193–216 und Abb. fol. 201. Da sich im Turm auf dem kommentierten Blatt eindeutig Krieger befinden, scheiden Darstellungen der Elefanten in ihren Heimatländern, die einen Herrscher tragen, als Vorlage aus; vgl. z. B. Levinus Hulsius: Ander Schiffart. An die Orientalische Indien. Nürnberg 1602, Titelblatt und Abb. nach 32. E. SCHLEE: Werbezettel der Schausteller. In: Philobiblon 11 (1967), 252–271, hier 257. FAuST: Einblattdrucke, IV, Nr. 661 f., 664.1 f. Zu dieser Praxis vgl. SCHLEE: Werbezettel, 256. ‚Es wird allen Herren und Dames kund gemacht‘ [Inc.] (FAuST: Einblattdrucke, IV, Nr. 663.1 f.). FAuST: Einblattdrucke, IV, Nr. 662. EP

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IX, 216

F 384

Ort Jahr Bild Text Verleger Format Zustand

Ein außergewöhnlicher Fruchtstand eines Haselstrauchs wird als Zeichen der Fürsorge Gottes verstanden. In die leere Bildfläche des annähernd quadratischen Holzschnitts ragt von der linken unteren Ecke ein kahler Zweig nach schräg rechts oben. An seinem Ende setzt ein Stiel an, an dem ein traubenähnlicher Fruchtstand von 17 Haselnüssen in diagonaler Gegenrichtung herabhängt, so dass das Bild insgesamt einen pyramidalen Aufbau zeigt. Die vordere obere Nuss ist aufgeplatzt. Der Formschneider hat darauf verzichtet, das Wundergewächs in irgendeiner Weise mit einem Umfeld auszustatten, das etwa eine Positionierung des Fruchtstandes am Strauch oder des Strauches in der Landschaft ermöglicht hätte. Mit der Eliminierung des natürlichen Umfelds tritt die Fehlbildung umso stärker hervor und kann in ihrer isolierten Darstellung umso leichter als Zeichen verstanden werden. Der Text besteht aus nur zwei Sätzen. Der erste Satz enthält zunächst die Sachinformationen. Demnach seien Sibenzehen Nussen auff eym klüplin1 von einem Bürger namens Conrad Huter (Lebensdaten unbekannt) an einem Hang oberhalb der Ill im noch laufenden Monat September 1579 gefunden worden. Dieses fremd vngewohnlich Gewächß habe man im Bild wiedergegeben, damit auch ein größeres Publikum davon erfahre und Gott für seine wunderthaten lobpreise. Es möge das gewächß für ein Zeichen nehmen, dass Gott in den heutigen geschwinden Teurungsläufften […] vns vnbekante Mittel vnd weg finden werde, die Gläubigen zuernehren. Damit wird eine Warnung verbunden, dass Gott seine gnädige Hand […] vnserer manigfeltigen Sünden halben auch schnell wieder entziehen könne. Der Schlusssatz bittet Gott um Erkenntnis seiner Güte in kleinen Dingen, um bereit zu sein zu gröserem.

Wundergewächs von Sibenzehen Nussen bei eynander

Straßburg 1579 Holzschnitt Typendruck; Prosa von C. M. C. M. 22,2 ! 15,5; 13,2 ! 15,5 handschriftliche Nummerierung: 197g

reich der Ernährung besondere Aufmerksamkeit. Das galt für den Bereich der menschlichen Verhaltensweisen – ob wundersames Fasten (b VI, 22 f., 45 f.; VII, 164)5 oder Völlerei im Übermaß (b I, 73⫺75; IV, 41; IX, 63) – ebenso wie für Nahrungsmittel selbst, die als Zeichen für göttliche Gnade gedeutet wurden, wenn Fehlbildungen als Überfluss und Fülle erschienen oder Korn vom Himmel regnete (b I, 183; VI, 42; VII, 4 f., 15, 108).6 Mit dem Stichwort von den Teurungsläufften bezieht sich auch das vorliegende Blatt auf die Erfahrung einer krisenhaften Situation, vor der das Prodigium einer göttlichen Verheißung auf besonderes Interesse stoßen musste. Wer sich hinter den Initialen C. M. verbirgt, ist nicht geklärt. Unter den Straßburger Drucken im Zeitraum zwischen 1575 und 1585, die das VD16 verzeichnet, findet sich kein passender Kandidat. Man wird wohl davon ausgehen müssen, dass es sich um eine Gelegenheitsarbeit eines sonst nicht hervorgetretenen Autors handelt.

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Andere Fassungen:

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Bei der vorliegenden Deformation handelt es sich entweder um eine anomale Sprossbildung, wie sie etwa bei Weißkohl (b VI, 57), Getreide (b VI, 129; VII, 108)2 oder auch Birnen beobachtet worden ist. Oder aber es sind mehrere Blüten zu einem Wirtel oder Quirl verschmolzen, wie es gelegentlich bei Äpfeln vorkommt.3 Während teratologische Fehlbildungen ebenso wie Himmelserscheinungen, Naturkatastrophen und andere aus der natürlichen Ordnung herausfallende Phänomene und Ereignisse in der Regel als Warnungszeichen Gottes verstanden wurden, welche gehäuft vor dem Ende der Zeiten aufträten und die Menschen zur Buße aufriefen, gehört das vorliegende Wundergewächs zu jenen Prodigien, die als Gnadenzeichen gedeutet wurden. In einer Zeit, in der Hunger aufgrund von Missernten oder Kriegsereignissen eine verbreitete Erfahrung war,4 erregte jede Normabweichung im Be408

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‚klüplin‘ – Klöppel. Als ‚kläpflein, klöpflein‘ wurde auch die Klapper der Leprosen bezeichnet, mit der sie ihre Umgebung auf ihre Anwesenheit aufmerksam machen mussten; vgl. J. A. SCHMELLER: Bayerisches Wörterbuch. München ²1872⫺1877 (Nachdr. München 1996), I, 2, 1337. Vgl. U.-B. KuECHEN: ‚Wunderähren‘. Ein seltenes skandinavisches Kistebrev-Motiv u. seine europäische Bildtradition. In: BRINGÉuS/ NILSSON: Popular prints, 243⫺ 271. Vgl. A. MOQuIN-TANDOu: Pflanzen-Teratologie. Berlin 1842, 377; ein Flugblatt mit einem so missgestalteten Fruchtstand eines Apfelbaums bei K. STOPP: Botanische Einblattdrucke u. Flugschriften vor 1800. Stuttgart 2001, II, Nr. 167. Vgl. etwa W. ABEL: Massenarmut u. Hungerkrisen im vorindustriellen Deutschland. Göttingen 1972; W. BEHRINGER: Die Krise von 1570. Ein Beitrag zur Krisengesch. der Neuzeit. In: M. JAKuBOWSKI-TIESSEN/ H. LEHMANN (Hgg.): Um Himmels willen. Religion in Katastrophenzeiten. Göttingen 2003, 51⫺156. Vgl. W. PuLZ: Nüchternes Kalkül – Verzehrende Leidenschaft. Nahrungsabstinenz im 16. Jh. Köln u. a. 2007. R. W. BREDNICH: Die Überlieferungen vom Kornregen. Ein Beitrag zur Gesch. der frühen Flugblattliteratur. In: H. GERNDT/ G. R. SCHROuBEK (Hgg.): Dona Ethnologica. Beiträge zur vergleichenden Volkskunde. FS Leopold Kretzenbacher. München 1973, 248⫺260. MSch

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IX, 217

F 30

Ort Jahr Bild Text Drucker Format

Das Blatt gibt Anweisungen nach astromedizinischen Prinzipien zum Aderlass sowie Haar-, Bartund Nägelschneiden. Im Zentrum der Graphik steht ein ‚Aderlassmännchen‘, an dessen nacktem Körper Lassstellen markiert und entsprechende Adern genannt sind. Die Figur steht in einer realistischen Landschaft, die mit den Symbolen des Zodiakus bevölkert ist. Auch diese wurden, soweit möglich, in ihre ‚natürliche‘ Umgebung eingebettet. Die Ziffern ordnen die Körperteile den entsprechenden Tierkreiszeichen zu. Der gereimte Text ist in verschieden lange Abschnitte geteilt, die mit Titeln in roter Schrift markiert sind. Im ersten, aus Zweizeilern und einem abschließenden Vierzeiler bestehenden Teil werden die sog. ‚bösen‘ Tage aufgelistet, an denen man Blut wegen möglicher unerwünschter Folgen einschließlich des Todes nicht abnehmen soll. Als nächstes erfährt der Leser, woran man erkennen könne, wer einen Aderlass braucht und wann der Aderlass an bestimmten Adern verboten ist. Diese Regeln sind an den Lauf des Mondes durch die Tierkreiszeichen gebunden, genauso wie die im weiteren angegebene Zeit des Aderlassens, differenziert nach dem Alter des Patienten. Die darauffolgenden Verse geben kund, auf welcher Seite des Körpers der Eingriff je nach Jahreszeit vorgenommen werden soll, welche Adern vor und welche nach dem Essen zu öffnen sind, wie man die Angst vor dem Aderlassen beseitigen kann und wie die Stelle nach dem Aderlassen im Falle eines Blutergusses, der Schmerzen oder des Aderdurchschlags mit eventuell erfolgender Lähmung des Gliedes zu behandelt ist. In einem längeren Abschnitt werden dann 14 Fälle erörtert, wie man nach dem Aussehen des Blutes diagnostizieren und entsprechende Heilmittel einsetzen kann. Der Text endet mit Ratschlägen für den richtigen Zeitpunkt ⫺ unter Berücksichtigung der Mondphasen und Tierkreiszeichen ⫺ für das Schneiden des Bartes, der Haare und der Nägel. Die Phlebotomie, ein schon in der Antike und in verschiedenen Kulturen bekanntes Therapeutikum, gehörte im frühneuzeitlichen Europa neben dem ‚Purgieren‘ (Abführen) und Schröpfen zu den am häufigsten praktizierten Heilmethoden.3 Ihre Ausführung unterlag verschiedenen Kriterien: Neben jahreszeitlichen Aspekten und solchen, die sich aus der Komplexionen- und LebensalterLehre ergaben, wurden günstige und ungünstige Tage berücksichtigt, wie sie auch in Bezug auf landwirtschaftliche (Säen, Pflanzen, Pflügen) und hygienische (Haare- und Nägelschneiden) Verrichtungen eingehalten wurden.4 Entscheidend für die Wahl des Zeitpunkts und der Stelle für den Aderlass waren aber lunare und zodiakale Rhythmen, eine Folge der Zuordnung der Körperteile 410

Ein sehr nötiger Aderlaß-Zettel auff alle Jahr

Heilbronn 1632 Kupferstich Typendruck in 4 Spalten, z. T. Rotdruck; 242 Knittelverse von Leonhard Heußler (1548⫺1597)1 Christoph Krause (tätig um 1619–1654)2 39,3 ! 27,5; 16,9 ! 12,6

zu den einzelnen Tierkreiszeichen. Die Zodiakalmelothesie als iatroastrologische oder iatromathematische Grundlage der Medizin, auf der man Diagnosen, Prognosen und Therapievorschläge erstellte, wurzelte in dem Glauben an die Verbundenheit des menschlichen Mikrokosmos mit dem Makrokosmos und damit an den Einfluss der Gestirne auf den Körper des Menschen, wie es beispielsweise Athanasius Kircher (1602–1680) in seiner Schrift ‚Ars magna lucis et umbrae‘ noch um die Mitte des 17. Jahrhunderts darstellte.5 Zu dieser Zeit begann schon das Interesse der Medizin an der Astrologie nachzulassen, und auch die Astronomen, Iatrochemiker und -mathematiker selbst, die die Verbindungen von Medizin und Astrologie lehrten, wandten sich gegen manche astromedizinische Regeln, wie Johannes Kepler (1571–1630), Jan Baptista van Helmont (1579– 1644) oder Abdias Trew (1597–1669), die die Zuordnung der Tierkreiszeichen zu den menschlichen Gliedern verwarfen.6 Das vorliegende Blatt steht in der Tradition der beliebten Einblattkalender des 15. und 16. Jahrhunderts, die wegen ihrer Informationen zum Aderlass Lasszettel (auch Lassbrief) genannt wurden.7 Sie informierten über günstige und ungünstige Lasstage, die man mit Hilfe entsprechender Tabellen bestimmen oder dem Text direkt, wie in dem besprochenen Blatt, entnehmen konnte, und zeigten mit Hilfe eines Aderlassmanns schematisch die einzelnen Aderlasspunkte. Schon in den mittelalterlichen Handschriften findet man den ‚Venenmann‘ mit markierten Adern und entsprechender Erklärung im Text.8 Da man den Aderlass zu vermeiden hatte, wenn die Sterne ungünstig standen, schuf man dazu einen ‚Tierkreiszeichenmann‘ mit den dazugehörigen Aderlassverboten.9 Beide Figuren wurden später kombiniert zum ‚Aderlassmann‘, wie ihn das Blatt präsentiert.10 Untypisch ist hier allerdings die Platzierung der Symbole des Zodiakus in einer Umgebung, die ihren symbolischen Wert ins Realistische wendet, während sie sonst entweder als vollständig ausgeführte Zeichnung oder als Signum am Körper der Figur oder um sie herum mit Verweisen auf zugewiesene Körperteile dargestellt wurden (b I, 234).11

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Weitere Standorte:

Andere Fassungen: a)

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Ulm, StB: Einbl. 302 [Ein sehr Nöthiger Zettel; Impressum: Bey Steffan Michelsbacher/ Jm Jahr Christi. MDCXVI] Nürnberg, GNM: 24867/1259 [Ein sehr nöttiger Zettel; Impressum: Getruckt zu Augsburg/ bey David Francken/ in verlegung Steffan Michelspachers. Anno 1617] ehem. Auktionshaus Zisska/Kistner, München12 [Ein sehr nöttiger Zettel; Augsburg: Johann Klocker 1623] WÄSCHER, 80.

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Der Autor nennt seinen Namen im Text der anderen Fassungen. Zu ihm vgl. I. BEZZEL: Leonhard Heußler (1548⫺1597). Ein vielseitiger Nürnberger Drucker u. geschickter Verbreiter von Neuigkeitsberichten. Wiesbaden 1999. BENZING: Buchdrucker, 200. J. BAuER: Gesch. der Aderlässe. München 1870 (Nachdr. München 1966); E. A. MAIBAuM: Der therapeutische Aderlaß von der Entdeckung des Kreislaufs bis zum Beginn des 20. Jhs. Herzogenrath 1983. G. KEIL: Die verworfenen Tage. In: Sudhoffs Archiv f. Gesch. der Medizin u. der Naturwissenschaften 41 (1957), 27–58. Rom 1646, Graphik zwischen 532–533. Für ältere Darstellungen vgl. z. B. Johannes Regiomontanus: Temporal […] natürlicher kunst der Astronomey kurtzer begriff von Natürlichem einfluß der Gestirn/ Planeten vnd Zeichen […] Von den vier Complexionen/ Natur vnd eigenschafft der Menschen/ regiment durchs Jar vber/ mit essen/ schlaffen/ Baden/ Purigieren/ Aderlassen. Frankfurt a. M. (ca. 1560); Hippolytus Obicius: IATRASTRONOMICON. Vicenza 1618. Zur Astromedizin und ihren Gegnern vgl. W.-D. MÜLLER-JAHNCKE: Astrologisch-magische Theorie u. Praxis in der Heilkunde der frühen Neuzeit. Stuttgart 1985, bes. 135–259. K. SuDHOFF : Laßtafelkunst in Drucken des 15. Jhs. In: Archiv f. Gesch. der Medizin 1 (1907), 219–288; L. ROHNER: Aderlaß u. Gesundheitsregeln. In: Kalender im Wandel der Zeiten. Ausstellungskatalog Karlsruhe 1982, 92–103; W.-D. MÜLLER-JAHNCKE: Medizin u. Pharmazie in Almanachen u. Kalendern der frühen Neuzeit. In: Pharmazie u. der gemeine Mann. Hausarznei u. Apotheke in der frühen Neuzeit. Ausstellungskatalog Wolfenbüttel 21988, 35–42; DERS.: Astrologisch-magische Theorie, 175–182. Johannes de Kethan: Fasciculus medicine. Venedig 1493 (Faksimile: The Fasciculo di Medicina. Hg. von CH. SINGER. Florenz 1925, II, [16]); Medizinisch-astrologischer Volkskalender. Einführung, Transkription u. Glossar von M. MITSCHERLING, hg. von H.-J. POECKERN. München 1983, fol 28vf.; Aderlass u. Seelentrost. Die Überlieferung dt. Texte im Spiegel Berliner Handschriften u. Inkunabeln. Ausstellungskatalog Berlin 2003, Nr. 164; Jacob Scholl: ASTROLOGIAE AD MEDICINAM ADPLICATIO BREVIS. Straßburg 1537, fol. 31r; Bericht […] von wegen des Aderlassens. Regensburg 1555 (STRAuSS II, 826). Kethan: Fasciculus, [15]; Vom Einfluß der Gestirne auf die Gesundheit u. den Charakter des Menschen. Faksimile-Ausgabe des Manuskripts C54 der Zentralbibliothek Zürich (Nürnberger Kodex Schürstab). Hg. von G. KEIL. Luzern 1983, [Bl. 41v]; Scholl: ADPLICATIO, fol. 35r; Albrecht Glockendon: Kalendar von 1526 (Faksimile-Ausg. Hg. von H. DEGERING. Stuttgart 1977), [Bl. 13v]; vgl. auch Kalender bei STRAuSS II, 525, 672 f., 731, u.ö. J. M. KNAPP: Tierkreismann u. Aderlaßmann. In: Ciba Zeitschrift 2 (1934/35), Nr. 22, 758–761. Regiomontanus: Temporal, fol. Jv; Kalender. Newgeordnet/ mitt vielen vnderweisungen der Himmlischen Leiff der Zeit. Oppenheim (um 1550), fol. Fr; Glockendon: Kalendar, [Bl. 13v]; Nutzliche Vorbetrachtung der Aderläss. Basel 1601. Auktionshaus F. Zisska/ R. Kistner: Handschriften, Autographen, seltene Bücher, Auktion 16/I. München 1990, Nr. 318. EP

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IX, 218

F 239

Ort Jahr Bild Text Format

In Anlehnung an niederländische Vorlagen zeigt das Blatt den seinerzeit Aufsehen erregenden Segelwagen des Prinzen Moritz von Oranien (1567– 1625). Im Mittelpunkt einer Strandszene bewegt sich von rechts nach links ein großer Segelwagen, in dem etwa zwanzig Personen Platz genommen haben. Ein zweiter kleinerer fährt ihm voraus. Die Fischerboote auf dem Meer dienen als Vergleich für die ungewöhnlichen Konstruktionen am Land. Die vollen Segel deuten auf einen starken Wind hin, der die beiden Fahrzeuge vorantreibt, während die zwei Reiter hinter dem großen Wagen, die mit ihren Reitgerten ihre Pferde zu gestrecktem Galopp auffordern, auf seine ungewöhnliche Geschwindigkeit verweisen. Eine Gruppe von Zuschauern im vorderen Bildteil und mehrere Fischer direkt am Meeresufer, die unbeteiligt ihrer Arbeit nachgehen und wohl nur als Staffage dienen, bevölkern den Strand. Der gravierte lateinische Titel identifiziert das Objekt als einen Segelwagen des Prinzen Moritz von Oranien-Nassau und das dargestellte Ereignis als eine Fahrt von Scheveningen nach Petten über eine Entfernung von etwa 14 holländische Meilen (77 km), die das Fahrzeug in zwei Stunden bewältige. Die ersten vier Knittelverse des Textes stellen mit der Erwähnung des Konstrukteurs und Steuermanns des Argonautenschiffes Tiphys und dem Hinweis auf das Sternbild der Argo1 einen wertenden Vergleich zum Bau des Segelwagens durch den geschickte[n] Mathematicus Simon Stevinus (1548–1620) her. Dieser hätte dem Grafen Moritz zu Ehren einen Wagen konstruiert, der ohne Pferde mit der im Titel genannten Geschwindigkeit fahren könne. Das Lob des Ingenieurs wird in Form einer Frage an den Leser im letzten Vers ausgedrückt.

CVRRVS

VELIF: ILLVST: PRINCIP: MAV:

(1603 oder später) Kupferstich Typendruck; 12 Knittelverse von M. G.A.D. 29,6 ! 31,4; 24,9 ! 31,4

tel, der hier allerdings aus Platzgründen mit abgekürzten Wörtern wiedergegeben wurde. Die Graphik der Vorlage wurde von Willem van Swanenburgh (1581/82–1612) nach Zeichnungen von Jacques de Gheyn II. (1565–1629) gestochen. Der Stich wurde für Flugblätter verwendet, deren Textteil 22 Epigramme und ein längeres Gedicht in lateinischer (Fassung a) bzw. niederländischer (Fassung b) Sprache von Hugo Grotius (1583– 1645), einem Fahrgast der ersten Fahrt, enthält.9 Die Szene der Swanenburghschen Graphik wurde spiegelbildlich übernommen; einige Schiffe und Menschen wurden aus Platzmangel weggelassen. Für den deutschen Text übernahm der Verfasser einige Gedanken aus den Epigrammen XIX und XIV bzw. XX von Grotius sowie Informationen aus dem Titel. Die einzelnen Epigramme wurden immer wieder auch unabhängig von der Graphik und dem Ereignis in verschiedene Sprachen übersetzt,10 und auch die Wirkung der Graphik ist in verschiedenen Darstellungen deutlich zu sehen: so z. B. bei einem Gefährt der Flora in einem satirischen Flugblatt auf den Tulpenhandel11 und auf einem Ölgemälde von Hendrick Pot (um 1585–1657)12 sowie bei der Darstellung eines ebenfalls in den Niederlanden konstruierten Segelschlittens (b III, 153).

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Weitere Standorte: Amsterdam, RM: FM 1159Aa (A 1); Dordrecht, Museum Mr. Simon van Gijn: B.I. 10.117 (A 2); Gotha, SM: 17,14; ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig (A 3)

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Andere Fassungen:

Die erste Fahrt des großen Segelwagens fand 1602 oder 1603 statt.2 Stevin, ein Studienfreund und Vertrauter des Prinzen von Nassau, hatte das Fahrzeug für ihn entworfen, maß aber selbst seiner Konstruktion wohl nicht viel Wert bei, erwähnte es jedenfalls in keinem seiner zahlreichen wissenschaftlichen Werke.3 Nichtsdestotrotz wurde es zum Medienereignis der Zeit:4 Seine Konstruktion wurde in unterschiedlichen Werken und in verschiedenen Kontexten erörtert,5 seine Abbildungen schmückten Karten von Holland und holländische Stadtansichten,6 und es diente immerhin fast 200 Jahre der Unterhaltung begeisterter Fahrgäste.7 Ob es sich bei dem kleineren Segelwagen, der auf dem Blatt mit abgebildet ist, und der schon 1597 erwähnt wurde, auch um eine Konstruktion Stevins handelt, ist nicht bekannt.8 Als Vorlage für die Graphik diente vermutlich ein niederländischer aus drei Platten zusammengesetzter Stich im Querformat mit demselben Ti412

a) b)

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Stockholm, KB13 [CVRRVS VELIFERI ILLuSTRISSIMI; mit lateinischem Text in Typendruck] Amsterdam, RM: FM 1157a14 [Graphik wie a mit gravierten lateinischen und französischen Texten in zwei Kartuschen; niederländischer Text in Typendruck]

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MuLLER IV: Supplement, Nr. 1159Aa und 1159Ab (ohne Text in Typendruck). PAAS I, P-45. DRuGuLIN II, Nr. 1074 und 1075 (ohne Text in Typendruck). Die ursprünglich nach dem Schiff benannte Konstellation ist heute in vier Sternbilder (Vela, Puppis, Carina, Pyxis) aufgelöst. Zur Diskussion des Datums vgl. A. EIJFFINGER: Zin en beeld. Enige kanttekeningen bij twee historieprenten. In: Oud Holland 93 (1979), 251–269, hier 256–258. Zu Stevin vgl. u. a. E. CRONE u.a (Hgg.): The Principal Works of Simon Stevin, 6 Bde. Amsterdam 1955–1966; E. J. DIJKSTERHuIS: Simon Stevin. Science in the Netherlands around 1600. Den Haag 1970; R. GRABOW: Simon Stevin. Leipzig 1985.

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Kupferstich ‚Seylende Windwagen‘ bei HOLLSTEIN: Dutch Etchings, XXXVIII, 14 und XXXIX, 13; ein Blatt mit deutschem Text (Inc: Der Leser will mit Fleysch Anschawen ...) bei PAAS I, P-46. So z. B. Heinrich Zeising: THEATRI MACHINARuM Erster Theill. Leipzig 1607, 14; Johannes Walchius (d. i. Johann Grasshof): DECAS FABuLARuM. Straßburg 1609, 247; Gottfried Hegenitius: ITINERARIVM FRISIO-HOLLANDICVM. Leiden 1630, 140 f.; John Wilkins: Mathematical Magick. 2London 1680, 154–162 (mit Abb.; zuerst 1648); Martin Zeiller: TYPOGRAPHIA GERMANIAE INFERIORIS. Frankfurt a. M. 1659, 150. Später auch bei Eberhard Werner Happel: Größte Denckwürdigkeiten der Welt oder Sogenannte Relationes Curiosae. Hg. von U. HÜBNER/ J. WESTPHAL. Berlin 1990, 282 f. (mit Abb.). Literarisch wird die Erfindung in Laurence Sterne’s ‚Tristram Shandy‘ diskutiert (Leben u. Meinungen von Tristram Shandy, Gentleman. Stuttgart 1972, 133– 135). Vgl. auch b IV, IXf. HOLLSTEIN: Dutch Etchings, XXVIII, 108 f., 111 f. und XXXIX, 104, 106 f., vgl. auch MuLLER, I, Nr. 1158. Zur Vorlage (Claes Jansz. Visscher) s. auch I. DE GROOT/ R. VORSTMAN (Hgg.): Maritime Prints by the Dutch Masters. Ausstellungskatalog London 1980, Nr. 30 f. Eine kolorierte Radierung in: Joan Blaeu (Hg.): Tooneel der Steden van de Vereenighde Nederlanden, met hare Beschrijvingen. Amsterdam (o.J.); Abb. in: Onder den Oranje boom. Niederländische Kunst u. Kultur im 17. und 18. Jh. an dt. Fürstenhöfen. Ausstellungskatalog München 1999, Nr. 4/7. Vgl. z. B. Petrus Gassendi: Opera Omnia, V: Miscellanea. Lyon 1658 (Nachdr. Stuttgart/ Bad Cannstatt 1964), 265 (über die Fahrt des französischen Gelehrten Nicolas Claude Fabri de Peiresc 1606); Hugo Grotius: Parallelon Rerumpublicarum liber tertius. Hg. von J. MEERMAN. Teil 3, Haarlem 1802, 18 f. Eine aquarellierte Federzeichnung der Fahrt mit einem informierenden Text von einem anonymen Fahrgast abgeb. bei T. VIGNAu-WILBERG: Das Land am Meer. Holländische Landschaft im 17. Jh. Ausstellungskatalog München 1993, Nr. 30. Über die anderen prominenten Gäste und die Geschichte des Wagens s. R. J. FORBES: The Works on Engineering. In: CRONE: Principal Works, V, 1–8, hier 6–8. VIGNAu-WILBERG: Land am Meer, Nr. 30. Die lateinischen Verse wurden aufgenommen in die Ausgaben: ‚Poemata Collecta‘. Leiden 1617, 385–398 (dazu A. C. EIJFFINGER: Prent en puntdicht. Grotius’ Maurits-Epigrammen. In: Oud Holland, 92, 1978, 161– 206) und ‚Poemata Omnia‘. Leiden 41645, 164–166 und 278–287. Vgl. J. T. MEuLEN/ P. J. DIERMANSE: Bibliographie des écrits imprimés de Hugo Grotius. Zutphen 1995, Nr. 395, 140, Anm. 5. Für Übersetzungen ins Deutsche s. Martin Opitz: Weltliche Poemata 1644. Hg. von E. TRuNZ. Tübingen 1975, II, Anhang: Florilegium variorum epigrammatum, 43; Georg Martini: Deutsche EPIGRAMMATA Vnd SONETTE Oder Kling-Gedichte. Bremen 1654, 37. Alle Texte finden sich bei Caspar Dornavius: Amphitheatrum Sapientiae Socraticae JocoSeriae. Hg. von R. SEIDEL. Goldbach 1995 (Neudr. der Ausg. Hanau 1619), 669–672. Ein Einblattdruck von 1637 (Geschiedenis, 134). ‚Flora’s Mallenwagen‘ (1637), Haarlem, Frans-HalsMuseum (Abb. bei EIJFFINGER, Zin en beeld, 257). MEuLEN/ DIERMANSE: Bibliographie, Nr. 395. Eine Fassung ohne Text in Dresden, KK: A 128973,4; s. VIGNAuWILBERG: Land am Meer, Nr. 29. PAAS I, PA-6. Für weitere Versionen dieser Fassung vgl. MuLLER I, Nr. 1157, und IV: Supplement, Nr. 1157; HOLLSTEIN, Dutch Etchings, VII, 192. EP

413

IX, 219

ehem. F 99

Ort Jahr Bild Text Drucker Format

Das kompilierte Blatt mit der Vita Luthers erschien vermutlich als Gedächtnisblatt zum Reformationsjubiläum 1617. Der Holzschnitt zeigt das Brustbild Luthers in weltlicher Kleidung, in einer ärmellosen, pelzbesetzten Schaube, wie sie zeitgenössische Gelehrte und wohlhabende Bürger trugen.2 In der Hand hält er ein geschlossenes Buch. Die Darstellung korrespondiert mit dem Titel des Blattes, der Luther als Hochgelarten Herrn Doctor benennt, während die sonst üblichen Bezeichnungen fehlen, die ihn in heilsgeschichtliche und konfessionelle Zusammenhänge stellen. Der gesamte Text ist durch reiche typographische Ornamentik in vier inhaltlich zusammenhängende Teile gegliedert. Dem Titel folgen in der oberen Blatthälfte, rechts und links vom Bild, vier durch Linien und Initialen voneinander abgesetzte Texteinheiten, die jeweils ein lateinisches Chronostichon mit einer freien deutschen Übersetzung und ein als Titel vorangestelltes Datum enthalten. Die vier Doppeltexte informieren über vier Stationen in Luthers Leben: den Thesenanschlag in Wittenberg 1517, Luthers Auftreten auf dem Reichstag in Worms 1521, die Übergabe der Augsburger Konfession an den Kaiser 1530 und seinen Tod 1546. Der Text in der unteren Blatthälfte ergibt ein Akrostichon und enthält laut der Überschrift RES GESTAE DOCTORIS MARTINI LUTHERI die wesentlichen Ereignisse im Leben des Reformators. Während am linken Rand vor den Zeilen das Datum des jeweiligen Ereignisses erscheint, nennen die Ziffern hinter den Zeilen das Alter des Gefeierten zum jeweiligen Zeitpunkt. Untypisch ist das Platzieren der Widmung am Ende des Blattes, die in Gelegenheitsschriften jeglicher Art dem eigentlichen Text für gewöhnlich vorangestellt wurde. Als Adressaten werden in hierarchischer Reihenfolge die Mitglieder des gräflichen Mansfeldischen Konsistoriums, der Rat und die Bürgerschaft der Stadt Eisleben sowie ‚Landsleute‘ des Verfassers genannt. Zum Reformationsjubiläum im Jahre 1617 erschien eine Flut von Flugblättern, die zum Teil Papstspottbilder, polemische Streitgedichte und Lieder beinhalteten, zum Teil, wie das vorliegende Blatt, als Memorialblätter konzipiert waren.3 Solche Memorialblätter enthielten in der Regel ein Bildnis Luthers in Ganzfigur oder als Brustbild und einen textlichen Teil, der in verschiedenen Kombinationen aus einem Panegyricus auf den Reformator, seinem Lebenslauf oder einem Epicedium bestand. Oft wurde derselbe Holzschnitt als Vorlage benutzt und wurden immer wieder dieselben Texte variiert. Das vorliegende Blatt bildet ein typisches Beispiel einer solchen Kompilation. Der Verfasser des Blattes hat seinen Namen in die letzte Zeile des deutschen Gedichts eingebaut. 414

Ware Bildnüß vnd Contrafactur/ des Ehrwürdigen

Eisleben (1617?) Holzschnitt Typendruck in 2 Spalten; 4 lateinische Chronostichen mit deutscher Übersetzung in Knittelversen, 48 Knittelverse von Johannes End (Lebensdaten unbekannt) Jakob Gaubisch d.Ä. Erben (Typis Gubijianis)1 28,5 ! 17,5; 8,6 ! 6,1

Über die Angabe des Blattes hinaus, dass er Lehrer in dem benachbarten Volkstedt war, das wie Eisleben zur Grafschaft Mansfeld gehörte, konnte zur Person des Johannes End nichts ermittelt werden.4 Die Vorlage für das Bild lieferte vermutlich der Holzschnitt Lucas Cranachs d.J. (1515–1586) zu dem Wittenberger Flugblatt ‚Disticha de Vita‘ von 1546.5 Der Textteil besteht aus Versatzstücken verschiedener Provenienz. Die lateinischen Chronosticha stammen aus der Feder des Wittenberger Professors und späteren Weimarer Hofpredigers Johann Stoltz (Stolsius, ca. 1514–1556). Zum ersten Mal zu Luthers Tod 1546 auf dem oben erwähnten Flugblatt publiziert, wurden sie später oft zitiert und abgedruckt, u. a. in Nicolaus Reusners (1545–1602) ‚Icones‘ von 15876 und auf Flugblättern von 16117 und 1616 (b II, 117).8 Von den zwanzig Distichen des Originals, die das Leben Luthers von der Geburt bis zum Tode abdecken, wählte der Volkstedter Schulmann solche, die die Bedeutung Luthers für die Entstehung der neuen Konfession artikulieren (1–3) und seine Beziehung zu Eisleben deutlich machen (4). Dadurch wurden die Funktionen des Blattes – Würdigung der Reformation und Huldigung an die Eislebener Dedikanden – erfüllt. Der zweispaltige deutsche Text bildet eine Paraphrase der gereimten Vita Luthers aus früheren Drucken. Das Gedicht findet sich auf der Rückseite des als ‚Warhafftige Bildnis des Ehrwirdigen Herrn/ Doctoris Martini Lutheri‘ überschriebenen Blattes mit der Darstellung Luthers im Predigerhabit nach Lucas Cranach d.J.9 und auf einer Variante dieses Blattes vermutlich aus der Druckerei des Jacob Lucius d.Ä. (um 1530–1597)10 in Wittenberg.11 Der Text der Vorlage, der auch mit Jahresund Altersangaben an den Blatträndern versehen ist, wurde geringfügig soweit geändert, wie es für die Bildung eines Akrostichons nötig war. Die sorgfältige Komposition des Blattes, seine Formvielfalt, die Aufnahme lateinischer Eteosticha sowie die Umarbeitung eines vorhandenen fertigen Textes in ein anspruchsvolleres Akrostichongedicht12 sollten die Fähigkeiten des Autors auf rhetorisch-poetischem Gebiet bekunden und ihn vor allem den Widmungsempfängern gegenüber als Gelehrten ausweisen. Die Druckerei verwendete den Holzschnitt auch zur Illustration weiterer Eislebener Jubelschriften.13

Weitere Standorte:

Andere Fassungen: A1

PAAS II, P-247.

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RESKE: Buchdrucker, 203; NDB VI, 94. M. BRINGEMEIER: Priester- u. Gelehrtenkleidung: Tunika/ Sutane/ Schaube/ Talar. Ein Beitrag zu einer geistesgeschichtlichen Kostümforschung. Münster 1974, bes. 44–47. KASTNER: Rauffhandel. Eine diesbezügliche Anfrage an das Stadtarchiv Eisleben blieb unbeantwortet. SCHILLING: Bildpublizistik, 58 u. Abb. 83. Nicolaus Reusner: ICONES sive IMAGINES VIRORVM LITERIS ILLVSTRIVM. Straßburg 1587 (Nachdr. mit einem Nachwort von M. LEMMER. Leipzig 1973), fol. Hrf. DISTICHA DE VITA ET PRAECIPuIS REBVS GESTIS. O.O. 1611 (PAAS I, P-166). Weitere Beispiele bei KASTNER: Rauffhandel, 171–174. Reformation in Nürnberg. Umbruch u. Bewahrung. Ausstellungskatalog Nürnberg 1979, Nr. 142 (mit Abb., ohne Standortnachweis). Zu Lucius s. RESKE: Buchdrucker, 366–368; THIEME/ BECKER XXIII, 439. Die Variante beschreibt H. ZIMMERMANN: Die Bildausstattung der sogen. Reformatoren-Bibel der Landesbibliothek Dresden. In: Luther Jahrbuch 11 (1929), 134– 148, hier 136 f. Der leicht geänderte Text erschien auf weiteren Flugblättern zum Reformationsjubiläum, vgl. KASTNER: Rauffhandel, Anhang I, Nr. 8 f., 11. Zu Akrostichen vgl. LIEDE: Dichtung, 75–81; V. MARSCHALL: Das Chronogramm. Eine Studie zu Formen u. Funktionen einer literarischen Kunstform. Dargestellt am Beispiel von Gelegenheitsgedichten des 16. bis 18. Jhs. aus den Beständen der Staatsbibliothek Bamberg. Frankfurt a. M. u. a. 1997, 192–198. Außschreiben/ […] Wie es auff instehendem Evangelischen Jubelfest […] sol gehalten werden. Eisleben 1617; Abel Gebler: JuBILA PETRO-PAuLINA. Vier Evangelische Jubel-Predigten. Eisleben 1617; ders.: IN CIVITATEM DEI EX PSALMO 87. Eisleben 1617. EP

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Ein Foto des restituierten Blattes konnte das Kunstmuseum nicht zur Verfügung stellen. Wiedergabe nach PAAS II, P-247

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IX, 220

F 348

Ort Jahr Bild Text Format Zustand

Das Blatt zeigt die Paradierung Matthias’ I. (1557–1619, Kaiser seit 1612) in einem Raum der Wiener Hofburg. In einem leeren lediglich mit vier Kerzen geschmückten Raum ruht der Tote auf einem Paradebett auf Polster gestützt. Er trägt die traditionelle spanische Hofkleidung: ein Wams mit einer steifen großen Kröse und Manschetten, eine kurze Schenkelhose und einen reich verzierten kurzen Mantel; die Strümpfe sind mit zu zierlichen Schleifen gebundenen Kniebändern und die Schuhe mit Bandrosetten geschmückt. Statt einer Kopfbedeckung trägt er einen Lorbeerkranz und um den Hals eine Kette mit dem Orden des Goldenen Vlieses. In den gefalteten Händen hält er einen Rosenkranz und ein Kruzifix. An der rechten Seite des Aufgebahrten liegen Funeralinsignien, die für gewöhnlich mehrfach verwendete Nachbildungen der historischen Insignien waren, nach der Aufbahrung im Leichenkondukt vorangetragen und schließlich auf dem castrum doloris zur Schau gestellt wurden.3 Neben dem Reichsapfel und dem Szepter erkennt man vier Kronen, die die kaiserliche und die drei königlichen Würden des Verstorbenen symbolisieren: die Reichskrone, die von Rudolf II. (1552–1612, Kaiser seit 1576) in Auftrag gegebene spätere habsburgische Hauskrone, die böhmische Wenzelskrone und die ungarische Stephanskrone.4 Links von dem Liegenden ragt ein (Reichs?)Schwert oder Degen unter dem Mantel hervor.5 Im Text nennt der Verfasser die wichtigsten Lebensstationen des Verstorbenen von seiner Geburt am 28. Februar 1557 als Sohn Maximilians II. (1527–1576, Kaiser seit 1564) über die bedeutendsten politischen Akte, den Kampf mit den Türken, Krönungen zum ungarischen, dann böhmischen König und die Wahl zum Kaiser in der Nachfolge Rudolfs II. bis hin zu seinem Tod am 20. März 1619. Die anschließenden Verse enthalten im Sinne des memento mori den Gedanken von der Unvermeidlichkeit des Todes unabhängig vom sozialen Status des Menschen. In den letzten Zeilen wird der Verstorbene in die Reihe seiner beiden Vorgänger gestellt, deren Tod einen schweren Schlag für ‚die Welt‘ bedeute. Die zeremoniellen Strukturen der Habsburger-Begräbnisse unterlagen seit der Mitte des 16. Jahrhunderts einer Entwicklung, wenn auch die einzelnen Elemente im Verlauf der Feier gleich blieben. Gleich nach dem Tod wurde der Leichnam untersucht und das Obduktionsergebnis öffentlich bekanntgegeben. Vor der Aufbahrung wurde der Verstorbene einbalsamiert; seine Eingeweide und das Herz wurden getrennt bestattet. Das Herz und die intestina Matthias’, ursprünglich im Königinnenkloster der Heiligen Clara in Wien beigesetzt, wurden erst bei Aufhebung des Klosters auf Anordnung Josefs II. (1741–1790, Kaiser seit 1765) in die Herzgruft der Loretokapelle zu St. Anna, bzw. in die Herzogsgruft im Stephansdom überführt. 416

Tödliche Abcontrafactur/ Weiland Deß Allerdurchleuchtigsten

(Frankfurt a. M.) 1619 Radierung von IFS1 Typendruck in 3 Spalten; 36 Knittelverse von Daniel Meisner (1585–1625)2 28,3 ! 32,0; 18,0 ! 31,4 Die Initialen des Autors D.M.C. unter dem Text sind abgeschnitten.

Den schwarz gekleideten Leichnam stellte man in der Hofburg für einige Tage öffentlich zur Schau. Dann folgten die sog. Exequien, die der herrscherlichen Selbstdarstellung und der Repräsentation der Dynastie, des Landes bzw. des Kaisertums dienten und den Höhepunkt des Begräbnisses bildeten. Für diese religiöse Totenfeier errichtete man in der Kirche von namhaften Architekten entworfene, mit allegorischem Apparat ausgestattete prächtige Trauergerüste, unter denen der Sarg aufgestellt wurde (b III, 213 f.).6 Während bei der Begräbnisfeier zu Ehren Matthias’ der eingesargte Leichnam noch nach altem Zeremoniell auch während der Exequien dabei war, änderte sich die Feier in diesem Punkt seit dem Tode Ferdinands IV. (1633–1654, König seit 1553), als man nämlich die verhältnismäßig bescheiden verlaufende Bestattung nach der Zurschaustellung von den darauffolgenden als besonders aufwändige und prunkvolle pompa funebris gestalteten Exequien trennte.7 Mit dieser Änderung wollte man die Orientierung an antiken Begräbnisritualen unterstreichen, die Idee des Kaisertums stärker hervorheben8 und die Feier deutlicher als einen Staatsakt inszenieren. Dies geschah durch den Kontrast zwischen der Aufbahrung, bei der der Herrscher als ein sterblicher Mensch im Vordergrund stand,9 und dem zweiten Teil der Begräbnisfeier, die durch die Abwesenheit der Leiche entpersonalisiert wurde und auf eine Demonstration einer Staats- und Herrschaftsidee konzentriert werden konnte. Das Blatt ist ein Beispiel dafür, dass es sich bei den Darstellungen dieser Art nicht um eine realitätsgetreue Abbildung des Ereignisses, sondern um einen Typus der Darstellung handelte, der dem Leser vertraut war und den er sofort identifizieren konnte,10 wie das oft auch bei den Krönungsdarstellungen der Fall war (b IX, 135, 153). Die auffälligen Unterschiede zwischen der tatsächlichen Aufbahrungsinszenierung und ihrer Darstellung auf der Graphik werden durch den Vergleich mit einer zeitgenössischen Beschreibung des Aktes sichtbar: den Leichnam hat man vom 11. vnd 12. biß auff den 14. vnd 24. diß in einem Zimmer nechst bey der Ritterstuben in der Burg auff einer Bühnen von schwartzem Tuch bedeckt sehen lassen/ vber das schwartz Duch hat mann ein schwartz Gülden Stück gebreitet/ darauff Jhr. May. mit dem Haupt/ mit einem Sammenten Paret bedeckt/ auff einem schwartz Güldenen Polster/ vnd neben dero Haupt auff der rechten Seiten die Römische Cron vnnd Scepter/ auff der Lincken aber die Böhmisch vnd Hungarische Cronen/ vnderhalb aber das Güldene Fließ vnd ein schwartzer Degen vnd Dolchen auff Güldenen Polstern gelegen. Jhr Keyserl. Mai. sind mit einem Spanischen Krees/ sonst gantz schwartz mit einem langen Mantel von Tuch angelegt gewesen/ in den Händen haltendt ein Rosarium vnnd ein gantz Gülden Crucifix/ zu dero Füssen gegen vber ist ein Altärlein auffgerichtet gewesen/ auch sind an den 4. Ecken 4 grosser vnd vmbher viel kleine weisse Wachskertzen brennend auff Silbern Leuchtern gestanden.11

Der vorliegende Stich diente als Vorlage für eine Darstellung der Aufbahrung Ferdinands II. (1578– 1637, Kaiser seit 1619).12

Weitere Standorte: Braunschweig, HAUM: FB VIII; Gotha, SM: G 17,30; Wien, Albertina: Hist. Blätter, Kaiser Matthias (A 1); Wrocław, BU: 357197

Andere Fassungen: a)

Den Haag, KB: 196 C 31,no.403;13 Wolfenbüttel, HAB: Einbl. Xb FM 36; ehem. Goslar, Sammlung Adam 14 [andere Graphik]

A1 A2

PAAS II, P-383. NAGLER: Monogrammisten, III, Nr. 2362.

1

Nagler schreibt das Blatt dem Brüsseler Künstler Jacques Francart (Francquart) zu, der 1619 einen Katafalk für die Trauerfeier für den Kaiser in St. Gudula in Brüssel errichtete (ebd.). Zu Francart s. DERS.: Monogrammisten, III, Nr. 2359; THIEME/ BECKER XII, 285 f. D. PEIL: Emblematik zwischen Memoria u. Geographie. Der Thesaurus Philo-Politicus. Das ist: Politisches Schatzkästlein, In: DERS. u. a. (Hgg.): Erkennen u. Erinnern in Kunst u. Literatur. Tübingen 1998, 351–382; DERS.: Meisner, Daniel. In: VL16 4 (2015), 360⫺365. Prag um 1600. Kunst u. Kultur am Hofe Rudolfs II. Ausstellungskatalog Essen 1988, I, 569 f. Zu den jeweiligen Kronen vgl. R. STAATS: Die Reichskrone. Gesch. u. Bedeutung eines europäischen Symbols. Göttingen 1991; H. FILLITZ: Die österreichische Kaiserkrone u. die Insignien des Kaisertums Österreich. Wien/ München 1959; Prag um 1600, I, 441, 449 f.; K. SCHWARZENBERG: Die Sankt Wenzelskrone u. die böhmischen Insignien. Wien/ München 1960; E. KOVÁCS/ ZS. LOVAG: Die ungarischen Krönungsinsignien. Budapest 1980. Anders als in der Graphik sind die Funeralinsignien bei der Aufbahrung immer entsprechend ihrer Dignität um den Leichnam gruppiert worden. M. BRIX: Trauergerüste für die Habsburger in Wien. In: Wiener Jb. f. Kunstgesch. 26 (1973), 208–265, für Matthias 222, 227 u. Abb. 209; L. POPELKA: Castrum doloris oder Trauriger Schauplatz. Untersuchungen zu Entstehung u. Wesen ephemerer Architektur. Wien 1994, für Matthias 112. Zu den Habsburger-Begräbnissen seit der Mitte des 17. Jahrhunderts vgl. M. HAWLIK-VAN DE WATER: Der schöne Tod. Zeremonialstrukturen des Wiener Hofes bei Tod u. Begräbnis. Wien u. a. 1989; s. auch BRIX: Trauergerüste. Zur Verbindung der antik-römischen Funeralbräuche mit dem habsburgischen Bestattungszeremoniell vgl. BRIX: Trauergerüste, bes. 211–225. W. BRÜCKNER: Bildnis u. Brauch. Studien zur Bildfunktion der Effigies. Berlin 1966, 41. Ein weiteres Blatt mit einer ähnlichen Darstellung der Aufbahrung Matthias’ bei PAAS II, P-385. Vgl. auch Fassung a, die mit wenigen kleinen Abweichungen einen Nachstich der Graphik aus dem Umkreis des Aegidius Sadeler bietet, die die Aufbahrung Rudolfs II. zeigt (Prag um 1600, II, 202); nach dieser Vorlage auch ein Holzschnitt b III, 212. Enß: Fama Austriaca, 217. Dieser Beschreibung entspricht in etwa die Darstellung des Toten auf weiteren Blättern zum Ereignis, b III, 220; PAAS II, P-380. So auch auf einem zeitgenössischen Gemälde, abgeb. bei A. PIGLER: Portraying the Dead. Painting-Graphic Art. In: Acta Historiae Artium Academiae Scientiarum Hungaricae, IV. Budapest 1957, 1–75, hier 20. BRIX: Trauergerüste, Abb. 204; PAAS VII, P-2042. PAAS II, P-382. Antiquariat Tenner, Nr. 22. EP Nr. IX, 221 entfällt.

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F 461

Ort Jahr Bild Text Format

Das Blatt preist den Wittenberger Universitätsangehörigen Christoph Neander (1595–1675) ironisch als himmlischen Poeten. Der grobe Holzschnitt zeigt in einem ovalen Medaillon die halbfigurige Darstellung eines gebeugten Mannes im Profil. Er ist mit einem Talar und einer pelzbesetzten Haube bekleidet, hält einen gekrümmten Stab in der Linken und trägt in der Rechten ein fassförmiges Gefäß (?). Das Gesicht ist karikaturhaft verzerrt durch eine lange Höckernase, deren scharfe Spitze mit dem vorspringenden Kinnbart um die Präzedenz wetteifert. Neben dem Kopf hängen zwei Wappen, von denen das linke einen Kranich mit einem Stein in der erhobenen Kralle zeigt (Inschrift: VIGILANTIAE) und das andere einen sitzenden Hund mit der Inschrift TOLERANTIAE.1 Der Text ist als ironisches Lob des himmlischen Poeten Neander zu verstehen, das einerseits das rhetorische und topische Arsenal eines Dichterlobs entfaltet, dieses aber anderseits durch Stilbrüche und ambivalente Formulierungen unterläuft. Schon der alliterierende Vergleich mit Maevius und Maro ist zweischneidig: Während Vergil (Publius Vergilius Maro, 70–19 v. Chr.) ein klassisches Vorbild für einen Poeten abgibt, war der gleichzeitige Maevius ob seiner miserablen Gedichte Zielscheibe des Spotts seiner Zeitgenossen.2 Wenn von Neanders kluger Kunst nicht Ruhm, sondern Dampff zum Himmel steigt, kann das gleichfalls nur als zweifelhaftes Kompliment gelten. Nach der literarischen wird mit dem griechischen Maler Xeuxis (Zeuxis, Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr.) auch die künstlerische Tradition zitiert, die Neanders hoher Geist nicht zur Förderung seines Ruhms benötige. Ambivalent ist das Anzitieren des antiken Götterapparates, wenn Bacchus als der Gott des Weines und der Trunkenheit als Pate von Neanders Poetentum benannt wird. Auch der Aufruf an die Nymphen dieser Stadt3 ist sicher ironisch zu lesen, ist doch das Objekt der weiblichen Verehrung ein tapffer Cavalier von 79 Jahren. Der Kuckuck, der selbst sein Lob ausschreit,4 ist mehrschichtig konnotiert: Dass sogar die Vögel das Lob Neanders verkünden, bliebe durchaus im enkomiastischen Rahmen. Der Kuckuck als Gegenspieler der Nachtigall5 gilt freilich als der am wenigsten musikalische unter den Vögeln. Und schließlich lässt die Formulierung auch die Lesart zu, dass Neander wie der Kuckuck vor allem durch Eigenlob hervortrete.6 Eine komische Volte gewinnt der Autor dem Kuckuck auch dadurch ab, dass er ihn auf den Lorbeerbaum setzt, dessen hypertrophe Größe (biß an Olympus Zinnen) ironisch auf das dichterische Ansehen Neanders verweist. Die bellenden Pferde, die als absichtsvoll missglücktes Adynaton die Immunität Neanders gegenüber Kritik bezeugen, werden als komische Schlusspointe gesetzt.7 418

Christoph Neander/ von Lüben aus

(Wittenberg?) 1673 Holzschnitt Typendruck; 12 Alexandriner 27,2 ! 15,2; 18,8 ! 13,6

Einige biographische Angaben finden sich in einer Einladung des Wittenberger Rektors Joachim Nerger († 1682) vom 25. Juni 1675 zu einer Trauerfeier für Christoph Neander.8 Demnach wurde er 1595 in Lübben (Niederlausitz) geboren, habe 1631 den Untergang Magdeburgs miterlebt und sei von einer wundersamen Zuneigung zur Wittenberger Universität erfasst gewesen, wo er minime ignotus sein Alter verbracht habe. Seine Gedichte seien weniger durch ihre formalen Qualitäten ausgezeichnet als von Frömmigkeit erfüllt gewesen. Er habe somit einem Gärtner geglichen, der Zwiebeln und Knoblauch anpflanzt, um den Rosen und Veilchen einen kräftigeren Duft zu verleihen. Welche Stellung Neander an der Universität bekleidete, lässt sich nicht sagen. Fast will es scheinen, dass er eine Art Faktotum abgab, das sich aus unbekannten Gründen der Fürsprache des sächsischen Kurfürsten erfreute. In zwei Gelegenheitsdrucken, die Neander 1666 zur Hochzeit Johann Georgs III. von Sachsen (1647–1691) und 1668 zum Namenstag Johann Georgs II. von Sachsen (1613–1680) verfasste, bezeichnet er sich als der Heiligen Schrifft beflissenen/ Jn der Löblichen Universität Wittenberg.9 Schon ein kurzer Ausschnitt erweist die Berechtigung der Kritik an der Verskunst des Lübbener Poeten: Wir dancken GOtt dem HErrn/ auch das er das Hauß Sachsen Mit All’n den Jhrigen in Frieden hat laß’n wachsen/ Uns’rn ChurFürsten/ mit den ChurPrintzen/ Jhrn Gemahln Bißher gesund erhalt’n/ bewahrt für alln Unfalln.10

Zwar versucht sich Neander am Alexandriner, doch ansonsten verfehlt er mit seinen Elisionen, unreinen Reimen und Reibungen von Vers- und Wortakzent weit die poetologischen Anforderungen seiner Zeit.

Weitere Standorte:

Andere Fassungen:

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Vgl. H. M. VON ERFFA: Grus Vigilans. Bemerkungen zur Emblematik. In: Philobiblon 1 (1957), 286–309. Der Hund ist als Zeichen der Geduld eher ungewöhnlich und dürfte auf die letzte Zeile des Textes anspielen. Vergil: Eclogen 3,90; Horaz: Epoden 10,2; vgl. RE VIII, A 2, Sp. 1508. Hamandriadinnen sind Baumnymphen; vgl. Benjamin Hederich: Gründliches mythologisches Lexikon. Leipzig 1770 (Nachdr. Darmstadt 1996), Sp. 1186–1188. Aus dem Speck heißt so viel wie ‚aus dem Wald‘; vgl. GRIMM: DWb 16, Sp. 2041. J. BOLTE: Kuckuck u. Nachtigall. In: Zs. d. Vereins f. Volkskunde 13 (1903), 221 f.; Illustrierte Flugblätter, Nr. 24. Zum Kuckuck als Symbol des Eigenlobs vgl. GRIMM: DWb 11, Sp. 2524 f.; RÖHRICH: Redensarten, 3, 900. Der Theons-Zahn ist ein Zitat aus Horaz: Episteln 1, 18, 82, wo von einem dente Theonino unter Anspielung auf den Freigelassenen Luthienus Theon die Rede ist, der wegen seiner scharfzüngigen Kritik berüchtigt war. Joachim Nerger: Rector Academiae VVittebergensis […] Civibvs Academicis S.P.D. (Wittenberg) 1675. Christoph Neander: Chur-Printzlicher Rauten- und Ehren-Krantz. (Wittenberg) 1666; ders.: Danck-BußBeth-Altar. (Wittenberg) 1668. Neander: Danck-Buß-Beth-Altar, [1]. AR/MSch

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IX, 223

F 71

Ort Jahr Bild Text Format Das in Hogenbergscher Manier gestaltete Blatt bietet einen Bericht und einen Kommentar über die Hinrichtung von zwei Verurteilten in einem Kölner Entführungsfall von 1588. Im Zentrum des Kupferstichs ist die Richtstätte zu sehen; sie ist von Berittenen umstellt, unter denen der Greff, sein Bote, und die beiden Schöffen Hinrich Holtzweiler (Lebensdaten unbekannt) und Johann Westenborch (Lebensdaten unbekannt) namentlich genannt werden. Die zahlreichen Zuschauer halten sich in gehörigem Abstand und verteilen sich auf drei Blöcke, links der Herren Schutzen, die wohl für einen störungsfreien Verlauf der Hinrichtung sorgen sollen. Die erste Phase der Bestrafung bleibt im Bild ausgespart und ist nur dem Text zu entnehmen: Die Delinquenten werden in demselben Korb, in dem sie am 29. September den Bäcker Philipp Ecks (Lebensdaten unbekannt) entführt und außerhalb der Stadtmauern versteckt hatten, vom Richterstuel durch dieselben Straßen, durch die ihr Opfer transportiert worden war, bis vor das Versteck geschleift,1 wo sie mit glühenden Zangen gerissen werden2 und später auf der Richtstätte lebendig gevierteilt werden sollten. Da sie jedoch nicht als Haupttäter galten, wurde ihnen dieser Teil der Strafe erlassen. Der Kupferstich zeigt ihre Ankunft an der Richtstätte; der begleitende Henkersknecht trägt das Rad. Im Mittelpunkt der Darstellung holt der Henker (M[eiste]r Hans) mit dem Schwert zum Schlag aus, um unter dem Beisein eines Geistlichen den auf dem Rad sitzenden Peter Wilss (Weis) zu enthaupten; Hermann Gleen von Lüttich (Harman van Lutgen) hat dieses Schicksal bereits erlitten. Einer der Geköpften wird rechts im Bildvordergrund auf dem Rad abtransportiert; die Hingerichteten werden am Galgen am linken oberen Bildrand auf das Rad erhöht. Diesem Radgalgen ist, durch einen Rahmen von der Gesamtdarstellung abgetrennt, links unten eine Einzeldarstellung gewidmet. In der Mitte auf dem Gerüst und leicht erhöht ist das Rad mit Peter Wilss befestigt, etwas tiefer ist das Rad mit Hermann Gleen angebracht; drei weitere Plätze sind für die drei andren ubelteter vorgesehen, die man nit hat kunnen antreffen und doch ir namen an den radern hingen.3 Auch der Korb als corpus delicti der Entführer ist an das Gerüst gehängt.4 Der Text setzt unvermittelt ein und erweist sich dadurch als Fortsetzung eines anderen (ersten) Blattes.5 Zunächst wird über den weiteren Verlauf der Entführung und über die Lösegeldforderung in Höhe von 2.000 Kronen berichtet. Durch die Aktivität des Rates, dem es gelang, das Versteck ausfindig zu machen und den Bäcker am 3. Oktober wieder zu befreien, sieht der Autor sich zu einem entsprechenden Lob veranlasst: Darumb er als ein trewer hirt Sein stand vnd ampt zu hertzen furt Zuuor das er mit eides pflicht Eim jden burger sej verpflicht Zuhelffen wo nur muglich ist Gegen gewalt vnd hinderlist.

420

Vrtheil vnd Gericht so vber zwen

(Köln) (1588) Kupferstich graviert in 7 Spalten; 70 Knittelverse 21,6 ! 29,0 Allerdings ist der Erfolg nur durch Got, zeit vnd gluck möglich. Die Aufdeckung der Untat wird mit einer Sprichwortweisheit6 erklärt:

Weitere Standorte:

Andere Fassungen: A1 A2

WÄSCHER, 33. F. IRSIGLER/ A. LASSOTTA: Bettler u. Gaukler, Dirnen u. Henker. Randgruppen u. Außenseiter in Köln 1300– 1600. München 1989, 262 (Ausschnitt).

1

Zum Prinzip der spiegelnden Strafe vgl. W. SCHILD: Alte Gerichtsbarkeit. Vom Gottesurteil bis zum Beginn der modernen Rechtsprechung. München 1980, 197; zur Rückkehr des Verurteilten an den Ort der Straftat vgl. R. VAN DÜLMEN: Theater des Schreckens. Gerichtspraxis u. Strafrituale in der frühen Neuzeit. München ³1988, 106. Generell vgl. auch H. RuDOLPH: Evidenz des Verbrechens u. die Effizienz der Strafjustiz in illustrierten Einblattdrucken (1550–1650). In: GABRIELE WIMBÖCK (Hg.): Evidentia. Reichweiten visueller Wahrnehmung in der Frühen Neuzeit. Berlin u. a. 2007, 161–187; K. HÄRTER: Criminalbildergeschichten. Verbrechen, Justiz u. Strafe in illustrierten Einblattdrucken der Frühen Neuzeit. In: DERS. u. a. (Hgg.): Repräsentationen von Kriminalität u. öffentlicher Sicherheit. Bilder, Vorstellungen u. Diskurse vom 16. bis zum 20. Jh. Frankfurt a. M. 2010, 25⫺88. Zum Zangenreißen als üblichem Bestandteil des Hinrichtungsrituals vgl. D. PEIL: Strafe u. Ritual. Zur Darstellung von Straftaten u. Bestrafungen im illustrierten Flugblatt. In: HARMS/ MESSERLI: Wahrnehmungsgeschichte, 465–486, hier 467. Das Buch Weinsberg. Kölner Denkwürdigkeiten aus dem 16. Jh. Bearb. von F. LAu. Bonn 1886–1897, Nachdr. Düsseldorf 2000, IV, 47; zu den Namensformen der Delinquenten vgl. ebd., 44. Dies Motiv widerspricht dem im Buch Weinsberg IV, 44 überlieferten Bericht, demzufolge man den Korb nach der Befreiung des Bäckers in tusent stuck zerrissen habe; vgl. IRSIGLER/ LASSOTTA: Bettler, 260. Das Blatt zeigt mehrere Etappen der Entführung aus einer Vogelschauansicht um St. Ursula und benennt die daran beteiligten Personen und die maßgeblichen Örtlichkeiten (Historisches Archiv der Stadt Köln: Plankammer 1/313); davon scheint es auch einen späteren Nachstich zu geben. Eine Abbildung bietet J. W. BREWER: Vaterländische Chronik. Köln 1825, I, 645. Vgl. WANDER: Sprichwörter-Lexikon, IV, 620, Nr. 221. Ähnlich knapp fällt auch der Eintrag im Kölner Turmbuch aus: Anno 88 Mercurij den 25 octobris sind Peter Wylß Posamentmacher und Herman von Lütgenn Gleen in einem Korff erstlich an seine Peters behausunge bei S Hern Lychnam gefuhrt darnach an Philipß Eycks Beckers fur S. Paulus behausunge von dannen vber den Heümart (Heumarkt) vnd alß ferner auß der dreier portz geschleifft und darnach an gewonlichem Platz bei den Melaten mitt dem schwerde gerichtet vnnd auff ein Radt gesetzt (Historisches Archiv der Stadt Köln: Verfassung u. Verw., G 225, fol. 100r). Buch Weinsberg IV, 47 f. Ebd., 48. Zu der von Weinsberg gewünschten Änderung im Strafritual vgl. VAN DÜLMEN: Theater, 60; SCHILD: Gerichtsbarkeit, 168. Historisches Archiv der Stadt Köln: Verfassung u. Verw., G 225, fol. 77r–94v und 100r. Über die Einblattdrucke heißt es im Buch Weinsberg, IV, 48: Disse geschichten, wie der becker gefangen und geschurgt (mit der Karre geschoben) wart, wie auch das die 2 ubeldeter rechtfertigt, hat man in kuffere und hulze formen gestochen und gesnitten, in truck und reimen pragt.- Auf den zweiten Einblattdruck und die Weinsberger Chronik greifen auch IRSIGLER/ LASSOTTA: Bettler, 260–263 zurück; vgl. auch G. SCHWERHOFF : Köln im Kreuzverhör. Kriminalität, Herrschaft u. Gesellschaft in einer frühneuzeitlichen Stadt. Bonn/ Berlin 1991, 339 f. Buch Weinsberg IV, 42–44, 47 f. Zu Aitzinger vgl. BREWER: Chronik, I,645. Die von D. STOLL: Die Kölner Presse im 16. Jh. Nikolaus Schreibers ‚Neue Zeitungen aus Cöllen‘. Wiesbaden 1991, 76, erwähnte und vielleicht auf diesen Vorfall bezogene Flugschrift ‚Zeitung was sich in Cöllen begeben‘ ist nicht mehr nachweisbar. SCHWERHOFF: Köln, 340, Anm. 51, mit Verweis auf Buch Weinsberg I, 245 ff., und III, 150 f. DP

Dan wie niemals vnredtlichkeit Vnder dem schne verborgen bleibt Also die Son mit jhrem schein Auch dis aufdecket ins gemein.

Über die Verurteilung und den Ablauf der Hinrichtung äußert sich der Text vergleichsweise knapp;7 der Autor scheint den Informationswert des Kupferstichs (und seiner Inschriften) mit einzukalkulieren. Zwar zielt das Blatt wie auch die Darstellung der Entführung vor allem auf die Sensationslust der Leser ab, doch dürfte ihm darüber hinaus auch eine ähnliche Funktion wie der Hinrichtung selbst zugedacht sein, die nicht nur der Bestrafung der Übeltäter dient, sondern auch abschrecken soll: Innen zur straff, vnd meniglich Zum exempel, damit sie sich Fur solcher abschewlicher that Huten, vnd folgen weisem rath, Durchs swert man jnen den kopf abschlegt.

Außerdem weiß der Autor mit der Darstellung der Ereignisse geschickt ein Lob des Rates zu verbinden und somit eine panegyrische Funktion zu aktivieren. Dass das Geschehen auch aus anderer Perspektive gesehen werden und zu anderen Konsequenzen führen kann, zeigt die Weinsberger Chronik. Man meint, den sparsamen Haushalter zu hören, wenn Hermann Weinsberg (1519–1597) mit Blick auf die Witterung während der Hinrichtung feststellt:

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In dissem scleifen und richten hat es unuffhorlich sei(r) geregnet, und war grois folk zu perde und fois an das gericht erscheinen, und man sagt, es sulten wol tusent daler an kleider, hoessen und schoen verdorben sin.8

Aber auch das Ratsmitglied sieht sich angesprochen und zu Verbesserungen in der Rechtsprechung herausgefordert:9 Ich mois hie mit anregen, das am hohen gericht in Coln der brauch nit wirt gehalten, wie meisteils baussen Coln in verscheiden landen, dar man den missdedern ire begangen ubeltaten offentlich in ire und des gansen umbstants anhoeren underscheitlich pflegt vorzulesen und dan das urtel glichfals, das hie in Coln nit geschicht.

Der Fall ist vergleichsweise gut dokumentiert. Das Kölner Turmbuch überliefert sehr detailliert die Geständnisse der Verhafteten.10 Das vorliegende Blatt und ein weiterer illustrierter Einblattdruck zeigen in Synchrondarstellungen die Entführung11 und die Hinrichtung. Auf diese Quellen scheint sich auch Weinsberg in seiner Chronik zu stützen,12 während Michael Aitzinger (ca. 1530–1598) vielleicht einer anderen Quelle folgt.13 Bereits aus den Jahren 1546 und 1582 sind Kölner Entführungsfälle bekannt.14

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IX, 224

F 856-b

Hie hengt der Bosswicht wolbekant [Inc.]

Ort Jahr Bild Text Format

(1597) Kupferstich graviert; 32 Knittelverse 23,3 ! 27,7

Das Blatt berichtet über die Hinrichtung des ‚Goldmachers‘ Georg Honauer (1573–1597) in Stuttgart 1597. Das dominierende Element des Blattes bildet die Darstellung eines Galgens: Auf einem Quaderunterbau erhebt sich, durch eiserne Streben gestützt, der vierbeinige Galgen mit vier Ketten an den Firsten. Auf dem Schnittpunkt der Firste erhebt sich ein kleinerer Kniegalgen (der sog. ‚halbe Galgen‘) mit einem beweglichen Arm, an dem der Hingerichtete hängt. Im Winkel zwischen dem Arm und dem Pfosten wurde eine quadratische, fahnenähnliche Blechtafel befestigt. Ein weiteres graphisches Element des Blattes, ein Porträt eines Mannes im ovalen Rahmen, wurde über dem gravierten Text rechts platziert. Wie die Inschrift besagt, handelt es sich beim Abgebildeten um den vierundzwanzigjährigen IORG HONAVER HERR ZV BRVNHOFF VND GROBESCHITZ. Der Text berichtet über das Schicksal des dargestellten Betrügers Jorg Hanower aus Mähren, der behauptet habe, er könne Eisen in Gold verwandeln. Sein Verbrechen habe in der Anmaßung eines höheren Standes1 sowie im Betrug mehrerer hoher Personen bestanden. Er sei in Stuttgart gefasst worden, nachdem der Herzog eine Belohnung von 300 Gulden auf seinen Kopf ausgesetzt hatte. Er sei in goldener Kleidung auf einem speziell für seine Hinrichtung errichteten kostspieligen Galgen aus vergoldetem Eisen gehängt worden. Der Exekution hätten 180 Reiter sowie eine große Menschenmenge beigewohnt. Der letzte Vers des Textes funktionalisiert das Blatt als Warnung vor ähnlichen betrügerischen Praktiken. Die Inschrift neben dem Aufgehängten informiert über das genaue Datum der Hinrichtung: den 2. April 1597 zwischen 9 und 10 Uhr. Georg Honauer (auch Jörg Hohenauer, Hanover, Hanober, Hanauer) aus Olmütz war einer von mehreren ‚Alchimisten‘, die mit Versprechungen, Eisen in Gold zu verwandeln, am Hofe des geldbedürftigen Herzogs Friedrich I. von Württemberg (1557–1608) ihr betrügerisches Geschäft zu machen versuchten.2 Enttarnt und auf der Flucht gefangen, wurde er zur Todesstrafe durch Hängen verurteilt, nachdem man ihm noch wegen Meineids zwei Finger abgeschnitten hatte; gehängt wurde ⫺ allerdings an einem ‚gewöhnlichen‘ hölzernen Galgen ⫺ auch sein Gehilfe (Stallmeister); die vier Ketten für weitere Mittäter blieben leer.3 Honauer wurde zu einem überregional bekannten Fall, über den verschiedene Medien berichteten.4 Bei der graphischen Darstellung seiner Exekution auf dem Blatt fällt auf, dass im Unterschied zu anderen Abbildungen dieser Art, auf denen Hinrichtungen fast ausnahmslos als eine in eine Umgebung eingebettete und mit Menschen bevölkerte Szene dargestellt wurden (b IV, 301; VII, 24, 32– 34, 135, 150; IX, 227), hier nur der Galgen mit allen Details zum Hauptelement der Graphik gemacht wurde. Der Grund dafür liegt wohl darin, 422

dass der Stuttgarter Galgen etwas Besonderes war. Als ein für nur eine Person angefertigtes Hinrichtungsinstrument war er mit zehn Metern ungewöhnlich hoch;5 aus vergoldetem Eisen hergestellt, demselben, das auf den Wunsch Honauers für die Verwandlung in Silber eigens aus Mömpelgard nach Stuttgart gebracht worden war, und verziert, präsentierte er sich als ein aufsehenerregendes ‚Prunkstück‘. Diese Modalitäten wie auch die goldene Zendel-Kleidung des Verurteilten, bildeten Elemente der hier offensichtlich angestrebten spiegelnden Strafe, bei der man versuchte, „eine unmittelbare individuelle Verbindung von Missetat und Strafe herzustellen“.6 Die Größe des Galgens ist wohl nicht nur darauf zurückzuführen, dass man durch die Höhe des Gerüstes das Ausmaß der Schandtat dokumentieren wollte.7 Die Inszenierung der Hinrichtung als ein beeindruckendes und kostspieliges Schauspiel sollte vorrangig die Gewalt und Größe des Rechtsprechers, in diesem Fall des Herzogs von Württemberg, demonstrieren, während die Abschreckungsfunktion, die ein solches Spektakel für gewöhnlich erfüllen sollte,8 hier eher in den Hintergrund gerückt zu sein scheint. Der Galgen, Alchimistengalgen genannt, auf dem in der Folgezeit drei weitere Goldmacher am Hofe Friedrichs I. vom Leben zum Tode gebracht wurden, wurde im letzten spektakulären Hinrichtungsfest 1738 für Joseph Süß-Oppenheimer (1698/99–1738) genutzt. Zahlreiche Berichte und Illustrationen zu diesem Ereignis stellen die immer noch als besonders ungewöhnlich empfundene Konstruktion in den Mittelpunkt ihrer Darstellungen und liefern viele Details über die Hinrichtung Honauers. Dem Porträt Honauers lag womöglich sein Bildnis zugrunde, das der württembergische Hofporträtist Jonathan Sauter (1549–1612) in sieben Ausführungen als Steckbrief im Auftrag des Herzogs gefertigt hatte.9 Bei einem weiteren in Halle aufbewahrten Blatt ohne Text (Sign. F 856-a) handelt es sich vermutlich um eine Illustration aus einer Chronik.

d)

e)

A1

F. K. VON ERLACH: Die Volkslieder der Deutschen. 5 Bde., Mannheim 1834–1837, hier III, 468 f. (Abdr. des Textes).

1

Zur falschen Standesbezeichnung als Verbrechen vgl. R. HIS: Das Strafrecht des dt. Mittelalters, II: Die einzelnen Verbrechen. Weimar 1935, 323 f. H. HOFACKER: …sonderliche hohe Künste und vortreffliche Geheimnis. Alchemie am Hof Herzog Friedrichs I. von Württemberg. 1593 bis 1608. Stuttgart 1993, 19–25. Nach der Flugschrift ‚Gespräch Zweyer unter dem Stuttgardter Galgen zusammen gekommener Würtembergischen Bauren‘. O.O. 1738 [Frankfurt a. M., StUB: Jud. 3586, Nr.1]. Lediglich eine zeitgenössische Zeichnung zeigt einen, allerdings von allen anderen Darstellungen abweichenden Galgen mit hängendem Honauer in einem Käfig, darunter seinen Stallmeister und am niedrigsten Balken drei weitere Missetäter (Marcus zum Lamm, Thesaurus Picturarum. [Darmstadt, HLHB: Handschrift 1971, Bd. 24]; vgl. HOFACKER: Alchemie, 24 mit Abb.). Jacobus Francus (d. i. Conrad Memmius): HISTORICAE RELATIONIS CONTINVATIO. Wallstatt (d. i. Frankfurt a. M.) 1597, 21 f.; Seltzame vnerhörte newe Zeytung. Was gestalt Georg Hanober von Olmitz/ vermeinter Alchimist vnd Goldmacher/ zu Stuttgart […] ist hingerichtet worden. Straßburg 1597, mit Holzschnitt (WELLER: Zeitungen, Nr. 847; s. auch WELLER: Zeitungen, Fünfte Nachlese, Nr. 87); neben den als Fassungen aufgeführten Flugblättern auch: Contrafactur Georgen Hochenawers. Augsburg o.J. (STRAuSS II, 497); einen Kupferstich beschreibt K. VON AMIRA: Die germanischen Todesstrafen. Untersuchungen zur Rechts- u. Religionsgesch. München 1922, 324, Nr. 558; eine weitere Federzeichnung (mit Text) aus der Sammlung Marcus zum Lamms bei HOFACKER: Alchemie, 23. Zu Galgen s. W. FuNK: Alte dt. Rechtsmale. Bremen/ Berlin 1940, 95–103; H. SCHuHMANN: Der Scharfrichter. Seine Gestalt, seine Funktion. Kempten 1964, 65–69. W. SCHILD: Alte Gerichtsbarkeit. Vom Gottesurteil bis zum Beginn der modernen Rechtsprechung. München 1980, 197. Für weitere Beispiele solcher Strafe vgl. I. STRIEDINGER: Der Goldmacher Marco Bragadino. Archivkundliche Studie zur Kulturgesch. des 16. Jhs. München 1928, 357 (Nr. 432); ‚Der in der Lufft verarrestirte Goldmacher […] CAJETANI‘. O.O. 1709. K. B. LEDER: Todesstrafe. Ursprung, Gesch., Opfer. Wien/ München 1980, 117. M. FOuCAuLT: Überwachen u. Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt a. M. 31979, 15–17; R. VAN DÜLMEN: Theater des Schreckens. Gerichtspraxis u. Strafrituale in der frühen Neuzeit. 3München 1988, 145–149. W. FLEISCHHAuER: Renaissance im Herzogtum Württemberg. Stuttgart 1971, 374. DRuGuLIN II, Nr. 977. Antiquariat L’Art Ancien, Nr. 16. Antiquariat J. Rosenthal: Zeitungen u. Relationen des 15–18 Jhs. (Katalog 89). München (1928), Nr. 707. Antiquariat Halle, Nr. 668. DRuGuLIN II, Nr. 976. Es lässt sich nicht eindeutig feststellen, ob es sich um dasselbe Exemplar handelt, da Drugulins Angaben ungenau sind. STRAuSS II, 498. EP

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3

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7 8 Weitere Standorte: ehem. Ansbach: Schlossbibliothek (A 1)

Andere Fassungen: a)

b)

c)

ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig;10 ehem. Antiquariat L’Art Ancien, Zürich11 [Hie hengt der Bosswicht wolbekant; Text von I.B.] ehem. Antiquariat Rosenthal, München;12 ehem. Antiquariat Halle, München13 [Hie hengt der Bosswicht wol bekannt; I. Hogenberg fec. 1597] Nürnberg, GNM: 15192/1373 [HJe hengt der Bößwicht wohl bekant; Text von J.B.; Holzschnitt]

London, BM: 1854.0628.128; ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig14 [Hie hangt der böszwicht weit bekant; Graphik nach Hendrik Goltzius; deutsch-französischer Text; ohne das Porträt] Augsburg, SStB15 [Der Goldmacher/ so zu Stuttgart …; Inc.: HJe hängt der Bößwicht weit bekandt; Kolophon: Zu Augsburg/ bey Barthlome Käppeler …; nur der Galgen; Holzschnitt]

9 10 11 12 13 14

15

423

IX, 225

F 157

Ort Jahr Bild Text Drucker Format

Das Blatt berichtet über die Auffindung der zerstückelten Leiche des ermordeten Juweliers Jacob Spohr († 1605) in Halle a. d. Saale. Die mit einer reich verzierten typographischen Leiste umrahmte Graphik lenkt den Blick des Betrachters auf eine vor einem raumlosen Hintergrund schwebende zerstückelte Leiche, deren Teile mit identifizierenden Inschriften versehen sind. Oberhalb des Körpers wird der noch Lebende in einem ovalen Porträt inmitten eines Schmuckfrieses abgebildet. Ein gereimter Vierzeiler unter dem Bild fordert den Leser auf, sich das Bild anzuschauen, wobei mit den Ausdrücken schendlich (für die Tat), der Fromme Mann (für das Opfer), böse Leut (für die Täter) gleich eine moralische Wertung des Ereignisses vorgenommen wird. Während die Informationen über das Auffinden der Leiche des Juweliers Jacobus Sporn aus Frankfurt am Main, die zerteilt und an unterschiedlichen Orten vergraben worden war, schon im Titel genannt wurden, beschränkt sich der Text in seinem Hauptteil auf eine Auflistung der gefundenen Stücke des Leichnams mit Angaben über ihren Zustand sowie über Zeit und Ort ihres Auffindens. Dieses zusammenhanglose Auflisten anstelle einer durchgehenden Erzählung, das durch die Verteilung der Informationen über einzelne Funde auf eine jeweils neue Zeile zusätzlich die Form eines Staccatos bekam, setzt die Darbietung des Leichenfunds in der Graphik in eine vergleichbare sprachliche Form um. Und auch der abschließende Textabsatz mit der Information über das Begräbnis des Ermordeten am 17. Juni in Glaucha bei Halle, der mit einer Invocatio schließt, Gott möge dem Toten eine fröliche aufferstehung verleihen, bildet eine Parallele zu dem in der Graphik dargestellten Bild des unversehrten Opfers und stiftet damit eine memorative Funktion. Der Mord an Jacob Spohr (auch Spor, Sporer, Spörer) erregte durch seine außerordentliche Grausamkeit überregionales Aufsehen, das besonders die Hersteller von illustrierten Flugblättern zu wecken wussten, ließ sich doch die Tat mit entsprechendem Bild ausdrucksvoll und publikumswirksam darstellen, was die Aussichten auf einen guten Absatz der Flugblätter steigerte. Hörnig war einer der ersten oder gar der erste Drucker, der sich das Geschäft mit der Meldung dieses Verbrechens nicht entgehen ließ. Noch bevor man den Täter gefunden hatte, erschienen zwei weitere ähnliche Blätter in Leipzig,2 die einen gereimten Text aufweisen, in dem noch mehr Details über den Zustand der gefundenen Körperteile ausgebreitet werden, die Tat verurteilt und das Auffinden und die Bestrafung der Ubelthäter nur als Frage der Zeit hingestellt wird. Nachdem der Mörder gefasst und am 2. August hingerichtet worden war, 424

Eigentlicher Abriß/ vnd warhafftiger/ gründlicher Bericht

Eisleben 1605 Holzschnitt Typendruck; 4 Knittelverse, Prosa Bartholomäus Hörnig (tätig 1589–1608)1 28,4 ! 17,8; 14,9 ! 12,5

erschienen erneut Flugblätter und -schriften, die neben umfangreichen Schilderungen des Mordes, der Verstümmelung der Leiche und der Versuche des Täters, die blutigen Spuren zu verwischen, als weitere Neuigkeiten Angaben zur Person des Mörders Friedrich Kersten, eines vermögenden Pfänners zu Halle und Sohnes eines fürstlichen Kammermeisters, sowie Einzelheiten über seine Bestrafung durch Reißen mit glühenden Zangen, Rädern und Hängen brachten (b IV, 306).3 Da das Ereignis dank dem regen Interesse der Medien gut dokumentiert wurde, ist es nachhaltig in die Geschichte von Halle eingegangen.4 Zwar wurden die Menschen jener Zeit mit Gewalt jeglicher Art beinahe tagtäglich konfrontiert, doch erweckten besonders grausame Delikte, meistens mit fast genauso drastischen Strafaktionen verknüpft, immer wieder großes Aufsehen (b VII, 39–42).5 Auf die Sensationslust als primäre Funktion auch des vorliegenden Blattes zielten neben der plakativ gestalteten Graphik, in der nichts den Blick des Betrachters von der Perversion der Tat ablenkt, sowohl die Aneinanderreihung bildhafter Epitheta für die Bezeichnung der Tat (erbärmlich/ jämmerlich/ schändlich/ vnerhorter vnd vnmenschlicher weise) und des Schicksals des Opfers (vmbs Leben kommen/ zerstümmelt/ zertheilt/ vnd an vnterschiedene örter vertragen) gleich im Titel als auch die formelhafte Beteuerung der Wahrhaftigkeit und Gründlichkeit des Berichts, die vor allem an die Neugier des potenziellen Lesers aus dem geographischen Umfeld des Ortes des Verbrechens appellierte.6 Der Zeitpunkt des Erscheinens des Blattes könnte eventuell als seine weitere Funktion die eines Steckbriefes vermuten lassen, doch finden sich weder im Blatt selbst Hinweise auf eine solche Intention noch macht sie die Entfernung des Druckorts vom Tatort sehr wahrscheinlich.

Weitere Standorte:

Andere Fassungen:

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RESKE: Buchdrucker, 202. Abbildung des erschrecklichen abschewlichen vnd erbermlichen Mords. Leipzig 1605 (mit unterschiedlichen Holzschnitten) (ALEXANDER/ STRAuSS II, 718 f.); vgl. auch K. HÄRTER: Criminalbildergeschichten. Verbrechen, Justiz u. Strafe in illustrierten Einblattdrucken der Frühen Neuzeit. In: DERS. u. a. (Hgg.): Repräsentationen von Kriminalität u. öffentlicher Sicherheit. Bilder, Vorstellungen u. Diskurse vom 16. bis zum 20. Jh. Frankfurt a. M. 2010, 25⫺88, hier 45⫺48, 81⫺83. Kurtze Beschreibung von Friderich Kerschen. O.O. (1605); Eigentlicher warhafftiger vnd gründlicher Bericht. Welcher Gestalt ein Jubilierer […]. O.O. 1605; Warhafftiger Bericht/ Von dem erbärmlichen Todtschläge. O.O. (1605). Vgl. etwa: Gottfridus Olearius: HALYGRAPHIA TopoChronologica. Das ist: Ort- und Zeit-Beschreibung der Stadt Hall in Sachsen. Leipzig 1667, 349 f.; Johann Christoph von Dreyhaupt: PAGVS NELETICI ET NVDZICI, Oder Ausführliche diplomatisch-historische Beschreibung des […] Saal-Creyses. 2 Bde., Halle a. S. 1749/1750, hier II, 515 f.; G. F. HERTZBERG: Gesch. der Stadt Halle an der Saale während des 16. u. 17. Jhs. (1513–1717). Halle a. S. 1891, (II), 331. SCHILLING: Bildpublizistik, Abb. 82. Vgl. auch D. PEIL: Strafe u. Ritual. Zur Darstellung von Straftaten u. Bestrafungen im illustrierten Flugblatt. In: HARMS/ MESSERLI: Wahrnehmungsgeschichte, 465–489. Zu Gewalttaten auch W. RuMMEL: Verletzung von Körper, Ehre u. Eigentum. Varianten im Umgang mit Gewalt in Dörfern des 17. Jhs. In: A. BLAuERT/ G. SCHWERHOFF : Mit den Waffen der Justiz. Zur Kriminalitätsgesch. des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit. Frankfurt a. M. 1993, 86–114. Mehrere Beispiele bei JANSSEN: Geschichte, 485–528. Zum Problem medialer Darstellung der Realität vgl. F. MAuELSHAGEN: Was ist glaubwürdig? Fallstudie zum Zusammenspiel von Text u. Bild bei der Beglaubigung außergewöhnlicher Nachrichten im illustrierten Flugblatt. In: HARMS/ MESSERLI: Wahrnehmungsgeschichte, 309–340. EP

425

IX, 226

F 860

Ort Jahr Bild Text Format

Das Blatt berichtet über den Mord am Amsterdamer Juwelier Jan van Wely († 1616) in Den Haag. Das Bild zeigt drei Männerporträts, die sich zur Szene des Überfalls auf den Amsterdamer Juwelier IAN VAN VVELI zusammenfügen. Das Opfer (in der Mitte) unterhält sich mit IAN VAN PARIIS (rechts im Bild) über den Schmuck, den die beiden in ihren Händen halten. Währenddessen schießt der hinter dem Juwelier stehende IAN DE LA VIGNE auf ihn mit einer Pistole; in seiner linken Hand hält er noch einen Dolch bereit. In einer Simultanszene im Hintergrund entfernen die beiden Mörder die in ein Tuch eingewickelte Leiche; in einem anderen Bildausschnitt sieht man ihre Körper nach der Exekution auf Rädern ausgestellt. Die Verurteilung des Verbrechens als Werk des Bösen wird durch die Teufelsgestalten, die den beiden Tätern in die Ohren blasen und sie bei der Entsorgung des Leichnams begleiten, zum Ausdruck gebracht. Der Text erzählt Geschichte des Überfalls auf Jan de Wely, der den Hof des Fürsten Moritz von Nassau (1567–1625) in Den Haag besuchte, um Schmuck zum Verkauf anzubieten. Bei den Tätern handelte es sich um zwei Franzosen am Hofe, den Kammerdiener Jan van Parys († 1616) und den Edelknaben Jan de la Vigne († 1616). Während van Parys mit dem Kaufmann verhandelt habe, habe de la Vigne geschossen; danach habe er auf ihn noch mit einem Dolch eingestochen, und van Parys habe ihn mit einem seidenen Band erwürgt. Die Leiche hätten sie dann in der Aschengrube im Hof versteckt, wo sie nach zehn Tagen von einem Mistknecht entdeckt worden sei. Nachdem mehrere Unschuldige der Tat verdächtigt und festgesetzt worden waren, seien dem Sekretär des Fürsten noch 6000 Gulden gestohlen worden, was die Aufmerksamkeit auf den französischen Diener gelenkt habe. Unter Folter habe er die beiden Verbrechen gestanden, und in seinem Haus seien der gestohlene Schmuck und das Geld gefunden worden. Nach einem Prozess seien van Parys und de la Vigne durch Rädern auf dem Kreuz hingerichtet worden.2 Der Text schließt ab mit einer Moral, die die Gerechtigkeit Gottes in der Bestrafung der Täter konstatiert.

WARHAFTE CONTRAFACTVR, Kleinodien Kaufmans

DESZ FVRtreffelichen

(1616) Kupferstich (von Crispin de Passe?, ca. 1565–1637)1 Typendruck in 3 Spalten; 36 Fünfheber 18,6 ! 25,0; 8,8 ! 19,3

des Geschehens, der Palast des Statthalters von Holland und gleichsam das Zentrum der Justiz, sowie die Tatsache, dass es sich bei den Mördern um Adlige im Dienst des Fürsten und seine Vertrauten handelte; erstaunen musste auch, dass an einem so gut geschützten und belebten Ort die Durchführung einer solchen Tat, dazu am hellichten Tag, überhaupt möglich war.6 Diese Aspekte, die in den zeitgenössischen Berichten zur Sprache gebracht wurden, werden im Blatt übergangen. Seine Hauptfunktion liegt auf der Information. Während die meisten Flugblätter, die das Verbrechen zum Thema haben, mit ihrer Darstellungsweise auf die Sensationslust der Leser zielen und, vor allem in ihrem bildlichen Bereich, Mittel wählen, die eine affektive Beteiligung des Betrachters garantieren,7 spielt das vorliegende Blatt durch die Verschiebung der drastischen Szenen der Leichenentsorgung und der Hinrichtung in den Hintergrund sowie durch einen verhältnismäßig sachlichen Bericht die Elemente des Sensationellen herunter. Auch die Abschreckung als eine weitere Funktion solcher Blätter kommt hier kaum zur Geltung. Präsent ist dafür deutlich der moralische Aspekt, hier in die Dimension von Gut und Böse gerückt, wenn das Verbrechens als Werk des Teufels interpretiert8 und Gott neben der Obrigkeit (Der Hollendisch Hofs Raht hats wolbestelt, Vnd auch bald geurtheilt mit Rechtes macht) als diejenige Instanz benannt wird, die die Ordnung wiederherstellt.9 Die etwas unbeholfene Sprache, Niederlandismen im Text (beeldtnis, Iaers, Marts, hog, Adelborst) und die an Rederijkerversen orientierten Fünfheber lassen ein holländisches Blatt als Vorlage vermuten. Auch die Verwechslung des Juweliers mit dem Fürsten bei der Feststellung, van Parys habe seinen Wohltäter ermordet, geht vermutlich auf den Prozess der Übersetzung zurück.

Weitere Standorte: Nürnberg, GNM: 9205/1373; Wolfenbüttel, HAB: 32.5 Aug. 2°, fol. 1140; ehem. Antiquariat Drugulin, Leipzig (A 1)

Andere Fassungen: a)

Braunschweig, HAUM: FB VII [WARHAFFTE CONTRAFACTVR …]

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DRuGuLIN II, Nr. 1305.

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So DRuGuLIN II, Nr. 1305. De Passe hatte zwar über zwei Jahrzehnte in Köln gelebt, war allerdings 1613 nach Utrecht übergesiedelt; s. D. FRANKEN: L’Œuvre gravé des van de Passe. Amsterdam/ Paris 1881. Zur Strafe des Räderns vgl. K. VON AMIRA: Die germanischen Todesstrafen. Untersuchungen zur Rechts- u. Religionsgesch. München 1922, 106–115; K. B. LEDER: Todesstrafe. Ursprung, Gesch., Opfer. Wien/ München 1980, 150–156. True recitall of the confession of the two murderers. London 1616; sonstige Titel bei KNuTTEL: Catalogus, I, Nr. 2314 u. Suppl. Nr. 2314a; PETIT: Bibliotheek, I, Nr. 1045–1047; P. J. TIELE: Bibliotheek van Nederlandsche pamfletten. Eerste afdeeling. Verzameling van Frederik Muller te Amsterdam, 3 Bde. Amsterdam 1858– 1861, hier I, Nr. 1166–1168; MuLLER I, Nr. 1310 f. (auch HOLLSTEIN: Dutch Etchings, XXXII, 243, und KuNZLE: Comic Strip, 6–16). Eine genaue Beschreibung des Überfalls bei Willem Baudaert: MEMORYEN ofte Cort Verhael Der GEDENCK-WEERDICHSTE so kercklicke als werltlicke GESCHIEDENISSEN van Nederland, Frankkrijck, Hooghdyytschland […] Van den Iaere 1603 tot in het Iaer 1624. Arnhem 1625, Buch VIII, 39–41; die Urteile über die Täter mit einer genauen Schilderung der Geschehnisse nach Urgichten bei Emanuel van Meteren: METERANVS NOVVS. […] Das ist: Warhafftige Beschreibung aller denkwürdigsten Geschichten biß auff das Jahr Christi 1612 […] Nun aber […] Biß auff das Jahr 1633 […] continuirt. Amsterdam 1633, II, 137–139, und in: Ferner Anhang/ POLEMOGRAPHIAE BELGICAE Darinn Alle […] Historien […] vom Jahr 1615 biß […] 1623 (inclusiue/ zum theil) […] beschriben werden. Köln 1623, 82–87. Zum Interesse der Obrigkeit an solchen Darstellungen vgl. SCHILLING: Bildpublizistik, 229. Eberhard Werner Happel: Größte Denkwürdigkeiten der Welt oder Sogenannte Relationes Curiosae. Hg. von U. HÜBNER/ J. WESTPHAL. Berlin 1990, 228–232. Dazu J. L. MOTLEY: The Life and Death John of Barneweld Advocate of Holland. 2 Bde., New York 1874, hier II, 51–53. SCHILLING: Bildpublizistik, 228. Für weitere Beispiele vgl. KuNZLE: Comic Strip, 6–19, 6–21 bis 23. W. SCHILD: Strafrecht als Phänomen der Geistesgesch. In: CH. HINCKELDEY (Hg.): Strafjustiz in alter Zeit. Rothenburg o. d. T. 1980, 31–48, hier 34–37. EP

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Das auf dem Blatt dargestellte Ereignis hat zu seiner Zeit Aufsehen nicht nur in Holland, sondern auch in den Nachbarländern erregt, wie Flugschriften und umfangreiche Berichte in zeitgenössischen Chroniken belegen,3 deren Ausführlichkeit sich der Kenntnis der Gerichtsakten verdankt.4 Ein Abdruck eines solchen ausführlichen Berichts in einer Sammlung der ‚größten Denckwürdigkeiten der Welt‘ vom Ende des Jahrhunderts zeugt von der Nachhaltigkeit der Rezeption.5 Eine der wichtigsten Ursachen, die das Verbrechen so spektakulär machte, war wohl der Ort 426

Edelstein und

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IX, 227

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Ort Jahr Bild Text Format

Das Blatt berichtet über die Hinrichtung von drei jüdischen Dieben in Wien im August 1642.1 Der Kupferstich bietet eine Simultandarstellung der sich über zwei Tage erstreckenden Exekution, die in aller Öffentlichkeit vollzogen wurde. Die Einzelszenen sind durchnummeriert; im Text wird auf diese Nummerierung zurückgegriffen. Szene 1 zeigt, wie der Hauptdelinquent, der konvertierte Jude Ferdinand Franz Engelberger, das Kruzifix, das er zuvor in der Hoffnung auf Strafverschonung vielfältig geküsset/ vnd mit grosser Andacht auff die Brust geschlagen, nach Verkündigung des Todesurteils durch den Strang in grossem Grimm vnd Zorn […] zu boden geworffen […] vnd mit seinem diebischen Speichel schändlich besudelt/ darnach mit beyden Füssen […] darauff gesprungen/ geflucht/ getobt vnd gelästert und sich vom Christentum wieder losgesagt hat. In Szene 2 werden die beiden Mittäter gehängt. Engelberger selbst wird wieder in das Ampthauß geführt und am nächsten Tag erneut verhört und dann nicht nur wegen des Diebstahls, sondern auch wegen Gotteslästerung und Hostienschändung verurteilt und einer schärferen Strafe zugeführt.1a Der Delinquent wird auf einen hohen Wagen gesetzt und auff alle vier Hauptplätz Wiens geführt und muss erdulden, dass ihm mit glüenden Zangen die Brust etlichmal gerissen und zweimal ein Riemen vom Halß an/ über den Ruck bis auff die Fußsolen auß dem Leib geschnidten (3–4) wird. Auf dem vierten Platz wird er von dem hohen Wagen herab genommmen/ auff eine Schleiffe gebunden […] vnd biß an die Richtstatt über Stock vnd Stein geschleifft (5). Dann wird ihm die gotteslästerliche Zunge herausgerissen und die rechte Hand jhm/ als einem Tauff- vnd Eydbrüchigen/ mit einem Beihel abgehawen (6–7). Am Ende der Torturen wird er als ein Ertzdieb bey den Füssen an Ketten auffgehenckt/ vnd endlich als ein verteuffelter Jud/ vnd abgefallner verlaugneter Christ lebendig gebraten/ vnd mit dem Galgen verbrennt (8).2 Der Text liefert nicht nur eine genaue Beschreibung der einzelnen Phasen der Hinrichtung, sondern auch weitere Informationen, die nicht visualisiert werden können. Dazu gehören die Hinweise auf die Person Engelbergers, der ein sehr berühmter Rabbi vnd Jüdisch Hoherpriester gewesen vnd sich vor etlich Jahren zu Rackowitz in Polen tauffen lassen und nach seiner Konversion gegen das Judentum gerichtete Bücher geschrieben hat.3 Auch über die eigentlichen Straftaten informiert der Text. Die drei Diebe haben sich Zugang zur Schatzkammer des Herzogs von Österreich verschafft und über ein geraume Zeit […] viel tausend Thaler werth darauß gestolen. Der konvertierte Rabbi hat sich außerdem der Hostienschändung und der Gotteslästerung schuldig gemacht, nachdem seine Hoffnung auf Strafverschonung enttäuscht worden ist. Sein Geständnis und eine un428

Eygentlicher Bericht/ Was massen der getauffte

(1642) Kupferstich Typendruck in zwei Spalten; Prosa 38,0 ! 28,5; 11,6 ! 26,3

bedachte Äußerung des der Hinrichtung beiwohnenden Jesuitenpaters (Es were kein Wunder/ daß man die Juden alle zu Boden schlüg/ vnnd mit Füssen trette) führen zu einem Tumult vor dem Richthauß und lösen ein Judenprogrom aus. Im letzten Textabschnitt wird kolportiert, dass die Juden versucht hätten, der herausgeschnittenen Hautriemen habhaft zu werden, um daraus ‚Reliquien‘ zu einem ewigwärend Gedächtnuß eines beständigen Samaritischen Machabeers vnd Martyrers anfertigen zu lassen.4 Das Blatt zeigt eine antijüdische Tendenz. So wird Engelsberger vorgeworfen, er habe den Mittätern ermöglicht, vermittels gebrauchter gewöhnlicher Diebsschlüssel/ vnd anderer dergleichen/ jhnen Juden wolbekannter Jnstrumenten/ vnd diebischer Handgriff in die Schatzkammer einzubrechen. Die Urteilsverkündung am Sonnabend erfolgt eben vmb die Zeit/ da die andere Juden jhre Abgötterey verrichtet. Im Vergleich zur entsprechenden Liedflugschrift sind diese Äußerungen aber noch gemäßigt.5 Auch Georg Philipp Harsdörffer (1607⫺ 1658), der auf die Wiener Hinrichtung zurückgreift im Zusammenhang mit der Frage, Ob man die Juden dulden sol oder nicht, lässt sich zu Versen hinreißen wie Weh dir/ o verstockter Jud/ Weh dir blinde Teufelsbrut!6

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B. STAuDINGER: Auch ein Christ kann ein Jude sein. Zur jüdischen Konnotation des ‚Geheimnisses‘ in der Frühen Neuzeit. In: Juden u. Geheimnis. Verborgenes Wissen u. Verschwörungstheorien. St. Pölten 2012, 2–8, hier 5 (Ausschnitt).

1

Die Exekution und ihre Begleitumstände haben als ‚Medienereignis‘ eine gebührende Aufmerksamkeit gefunden; vgl. I. TOMKOWIAK: Bei Folter u. Hinrichtung. Bekehrungsversuche an jüdischen Delinquenten. In: U. BREINOLD-BIGLER/ H. BAuSINGER (Hgg.): Hören Sagen Lesen Lernen. Bausteine zu einer Gesch. der kommunikativen Kultur. FS Rudolf Schenda. Bern u. a. 1995, 695–708, hier 697 (mit Hinweisen auf die ältere Literatur); M. DIEMLING: Grenzgängertum: Übertritte vom Judentum zum Christentum in Wien, 1500–2000. In: Wiener Zs. zur Gesch. d. Neuzeit 7, 2 (2007), 40–63, hier 45 f.; V. L. GuTSCHE: Zwischen Abgrenzung u. Annäherung. Konstruktionen des Jüdischen in der Literatur des 17. Jhs. Berlin/ Boston 2014, 99–122. Als zeitgenössische Quellen vgl. Warhaffter Bericht So sich zu Wien in Oesterreich mit dreyen Juden zugetragen. O.O. (1642); Warhaffte vnd erschröckliche Zeitung/ So geschehen diß 1642. jar/ […] von drey Gottlosen Juden/ […] in ein Gesang verfaßt. (Augsburg 1642); Sigismund Gratman: Gewisse vnnd sehr nachdenckliche klare Vision […] Darbey zubefinden/ Was massen der getauffte Jude/ von dem Christenthumb wiederumb abfallen ist […]. O.O. 1645. Ältere Flugblätter über die Verfolgung von angeblichen Hostienschändungen bei CHR. MITTLMEIER: Publizistik im Dienste antijüdischer Polemik. Spätmittelalterliche u. frühneuzeitliche Flugschriften u. Flugblätter zu Hostienschändungen. Frankfurt a.M. 2000. Die Simultandarstellung suggeriert die Verbrennung des Delinquenten in der Stadt, doch dürfte diese Phase der Exekution auf der Hinrichtungsstätte Gänseweide am Ufer der Donau stattgefunden haben; vgl. Johann Christoph Wagenseil: Tela ignea satanae. Altdorf 1681, 192. Die Namensform ist nicht gesichert. Wagenseil (Tela ignea, 188–192) nennt ihn Engelsberger, zitiert aber eine aenea tabula mit einer deutsch-lateinischen Inschrift und dem Namen Joachim Engelberger. Engelsbergers Schrift Catholischer Wegweiser, aus deren Vorwort Wagenseil zitiert, ist nicht mehr nachzuweisen. Erhalten hat sich aber ein Werk mit dem Titel ‚Dises Büchlein offenbahrt die Geheimbnuß Gottes den verstockten blinden Juden‘ (Wien 1640), in dem der Autor sich als Ferdinandt Francisci von Engelsberg/ der da gehaissen Rabi Chaim zu vor/ ein Rabbiner vnnd Lehrer/ auch Beschneyder vnter den Juden war/ der getaufft ist worden mit zweyen Kindern in der Königlichen Statt Rakonitz/ im Land zu Behaimb 1636. am vnschuldigen Kindelstag/ auch sein Weib mit schwerem Leib am Liechtmeß 1637. in der Königlichen Haubtstatt Prag vorstellt (ein zweiter Druck erschien gleichzeitig als Quartausgabe). Diese Absicht steht im Widerspruch zum Ziel der Exekution; nach Wagenseils Übersetzung der aenea tabula hat man die Aschen (des Hingerichteten) in die Thonau zerstreuet […] zu Vertilgung seiner Gedächtnuß (192). Andrerseits ist festzuhalten, dass auch die Inschrift auf der Tafel ‚kontraproduktiv‘ ist. Vgl. GuTSCHE: Abgrenzung, 101. Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mordgeschichte. Hamburg 1656 (Nachdr. Hildesheim/ New York 1975), 468; dazu ausführlicher GuTSCHE, 106–122; dort auch zu weiteren Literarisierungen der Geschichte bei Erasmus Francisci, Peter Lauremberg u. a. DP

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4 Weitere Standorte: Wien, Wien Museum: Inv. Nr. 52.093 (A 2)

Andere Fassungen: a)

Nürnberg, GNM: 212/1279 [Eine sehr denckwürdige Historia/ Von einem getaufften … Juden …]

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B. STAuDINGER: Gantze Dörffer voll Juden. Juden in Niederösterreich 1496–1670. Wien 2005, 303 (nur Graphik).

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Ort Jahr Bild Text Verleger Format Zustand

Das Blatt berichtet über das Verhör und die Hinrichtung der als Hexe verurteilten Anna Ebeler (1602–1669) am 23. März 1669 in Augsburg. Die zu zwei Streifen angeordneten Holzschnitte zeichnen (teilweise in Simultandarstellungen) die Geschichte der Anna Ebeler von der angeblichen Verführung durch den Teufel bis zu ihrer Hinrichtung nach. Majuskeln verweisen auf die dem Prosatext folgenden Bilderläuterungen. Das erste Teilbild der Sequenz zeigt das Zusammentreffen der Delinquentin mit dem Teufel, der zwar als Kavalier gekleidet ist, aber an den aus dem Hut ragenden Hörnern und an seinen ungestalten Füßen als Teufel erkennbar ist. Im Mittelbild, das doppelt so groß ist wie die Seitenbilder, spielt links auf einem Baum ein Teufel den Hexen zum Tanz auf. Rechts sitzt eine Frau zusammen mit dem Teufel und einem Mann (Zauberer?) zu Tisch und lässt sich die Liebkosungen des Teufels gefallen. Im oberen Bildteil ist die Ausfahrt von zwei Hexen auf einer Ofengabel bzw. einem Bock zu sehen. Im dritten Teilbild wird die Beschuldigte von drei Männern verhört. Die vierte Szene stellt im Bildvordergrund die Verführung zweier Kinder durch die Hexe dar; im Bildhintergrund reiten die drei Personen zusammen mit einem Teufel auf einer Ofengabel zum Hexentanz aus. Im Mittelbild des zweiten Streifens wird die Verurteilte mit verbundenen Augen auf einem Wagen in Begleitung zweier Geistlicher zur Hinrichtung gefahren und muss dabei das Zangenreißen über sich ergehen lassen. Das letzte Bild zeigt im Vordergrund die Enthauptung, während im Hintergrund der Scheiterhaufen schon geschürt wird. Der Text bietet deutlich mehr Informationen als die Bildsequenz. Über die wichtigsten Fakten unterrichtet bereits die Überschrift. Den Namen der Verurteilten und ihren Beruf (Kindtbeth-Kellnerin) erfährt der Leser im Haupttext, der vielleicht auf ein Verhörprotokoll zurückgeht und zahlreiche Details bietet. Im Verhör habe die Angeklagte gut vnd betrohlich (also unter Androhung von Folter) außgesagt, dass sie vor 13 oder 14 Jahren mit dem Teufel einen Pakt geschlossen, dem christlichen Glauben abgeschworen und mit dem Teufel auch Unzucht getrieben hätte. Als weitere Untaten habe sie verschiedene Vergiftungen eingestanden, die teilweise zum Tod geführt hätten, sowie Vieh- und Wetterzauber, Hostienfrevel und die Verführung Minderjähriger zur Ausfahrt zum Hexensabbat, an dem sie selbst mehrmals teilgenommen habe. Damit scheint die Liste der begangenen Verbrechen noch nicht erschöpft gewesen zu sein, denn das Urteil sei auch aufgrund anderer verübter vilfältiger schwerer vnd grausamerer Vnthaten vnd Verbrechen ergangen, die jedoch nicht näher erläutert werden. Das Geständnis deckt den in diesem Zusammenhang üblichen Kanon an Untaten voll ab.2 Die Hinrichtung durch das Schwert gibt der Text als Gnadenerweis aus, denn die Verurteilte hätte denen Rechten nach le430

Relation Oder Beschreibung so Anno 1669.

Augsburg (1669) 6 Holzschnitte Typendruck in 2 Spalten; Prosa Elias Wellhöfer (nachweisbar 1650–1681)1 25,2 ! 32,4; 15,0 ! 15,7 beschnitten unter Verlust der rahmenden Zierleiste

bendig verbrennt zu werden verdient. Der Text endet mit der Beschreibung der Hinrichtung und verzichtet auf den sonst üblichen Segenswunsch oder moralisierenden Appell.3 Das Blatt irritiert in mehrfacher Hinsicht. Einerseits ist es erstaunlich, dass angesichts der Fülle an Hexenprozessen in der Frühen Neuzeit – allein für das deutsche Territorium werden 40.000 Hexenhinrichtungen für wahrscheinlich gehalten4 – vergleichsweise wenig Einblattdrucke erhalten sind,5 die sich mit diesem Thema befassen, während andere Vorfälle wie etwa die Ermordung des Juweliers Jacob Spohr in Halle 1605 eine breite publizistische Resonanz fanden (b IX, 225). Anderseits überrascht es, unter den wenigen von Elias Wellhöfer verlegten Einblattdrucken allein vier Blätter mit der Darstellung von Hexenhinrichtungen zu finden. Die Serie setzt 1654 mit einem Blatt ein, das den Exorzismus an einer besessenen Dienstmagd und die Bestrafung ihrer beiden Wärterinnen als Hexen darstellt (b I, 153).6 Am 9. Januar 1666 wird Simon Altseer (1588–1666) von Rottenbuch nach einem Hexenprozess vor den Toren Münchens exekutiert,7 und im April desselben Jahres muss Anna Schwayhofer sich in Augsburg als Hexe hinrichten lassen.8 Die Holzschnitte aller vier Blätter sind nach demselben Prinzip gestaltet, bieten aber unterschiedlich viele Einzelbilder (von drei bis zu 14 Feldern). Wellhöfer hat verschiedene Holzstöcke mehrfach benutzt und dabei teilweise umgearbeitet, um die Illustrationen den geänderten Umständen anzupassen. Aus dem Exorzismus-Blatt übernimmt Wellhöfer für den vorliegenden Druck die Teufelsbegegnung und aus dem Altseer-Blatt den Hexensabbat. Die Verhör-Szene entstammt ebenfalls dem Exorzismus-Blatt; sie wurde bereits für das SchwayhoferBlatt verwendet, wobei Wellhöfer eine der beiden Frauenfiguren tilgen musste, da es 1666 (und 1669) nur eine Angeklagte gab. 1669 eliminierte er auch die Fensterszene des Hostienfrevels, da diese Untat im Verfahren gegen Anna Ebeler nicht so hervorgehoben wird wie im Prozess gegen Anna Schwayhofer. Stark abwandeln musste Wellhöfer auch die vierte Szene. Während im ExorzismusBlatt eine der beiden Angeklagten sich mit einem Feuerhaken in der Hand gegenüber zwei Geistlichen zu erkennen gibt, soll 1669 die Verführung Minderjähriger durch die Angeklagte gezeigt werden. Wellhöfer schneidet den Feuerhaken weg und ersetzt die beiden Geistlichen durch die Darstellung einer Frau mit einem Knaben. Wohl völlig neu geschnitten ist 1669 die Ausfahrt zur Richtstätte, wenngleich die Übernahme einzelner Motive nicht zu übersehen ist. Die Hinrichtungsszene, mit der in den drei Hexenblättern die Bildserie abgeschlossen wird (das Altseer-Blatt bietet hier andere Details), wurde schon 1666 abgeändert. 1654 liegt eine der beiden Angeklagten bereits enthauptet im Bildvordergrund; diese Figur hat Wellhöfer für die beiden späteren Blätter getilgt.

Weitere Standorte: Augsburg, SStB: Einbl. nach 1500, Nr. 112.

Andere Fassungen: A A A A

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WÄSCHER, 31. ALEXANDER/ STRAuSS II, 673. KuNZLE: Comic Strip, 175. W. BEHRINGER: Hexenverfolgung in Bayern. München 3 1997, 345. L. ROPER: Ödipus u. der Teufel. Körper u. Psyche in der Frühen Neuzeit. Frankfurt a. M. 1995, 204–206. J. R. WESTPHAL: Die Darstellung von Unrecht auf Flugblättern der Frühen Neuzeit. Mönchengladbach 2008, Abb. 84. BENZING: Verleger, 1295; zu Wellhöfers Verlagsprogramm vgl. A. DRESLER: Augsburg u. die Frühgesch. der Presse. München 1952, 79; ALEXANDER/ STRAuSS II, 667–678. R. ROWLAND: ‚Fantasticall and Develishe Persons‘. European Witch-beliefs in Comparative Perspective. In: B. ANKARLOO/ G. HENNINGSEN (Hgg.): Early Modern European Witchcraft. Oxford 1990, 161–190, hier 161. Das Blatt über die Hinrichtung der Anna Schwayhofer beschließt Wellhöfer mit: GOTT der Allmächtige wölle vns wegen solcher Sünd vnd Lastern nit ferner straffen/ vnd damit sich dergleichen Hexen vnd Zauberer/ an disem Exempel spieglen/ vnd sich bekehren/ sein Göttliche Gnad ertheilen/ Amen (ALEXANDER/ STRAuSS II, 672). H. C. E. MIDELFORT: Alte Fragen u. neue Methoden in der Gesch. des Hexenwahns. In: S. LORENZ/ D. R. BAuER (Hgg.): Hexenverfolgung. Würzburg 1995, 13–30, hier 15. Die Periode der großen europäischen Hexenverfolgungen wird in die Jahre zwischen 1580 und 1630 datiert, während um 1660 nochmals eine kleinere Verfolgungswelle einsetzte (BEHRINGER: Hexenverfolgung, 341). Augsburg erlebte erst nach dem Dreißigjährigen Krieg „seine folgenschwersten Hexen- und Kinderhexenprozesse“ (K. RAu: Augsburger Kinderhexenprozesse im Kontext der Hexenverfolgungen in Früher Neuzeit. Diss. Zürich 2003, 161). Zur allgemeinen Einführung vgl. G. RIEDL: Der Hexerei verdächtig. Das Inquisitions- u. Revisisonsverfahren der Penzliner Bürgerin Benigna Schultzen. Göttingen 1998, 15–71; R. VOLTMER: Hört an neu schrecklich abentheuer/ von den unholden ungeheuer. Zur multimedialen Vermittlung des Fahndungsbildes ‚Hexerei‘ im Kontext konfessioneller Polemik. In: K. HÄRTER u. a. (Hgg.): Repräsentationen von Kriminalität u. öffentlicher Sicherheit. Bilder, Vorstellungen u. Diskurse vom 16. bis zum 20. Jh. Frankfurt a. M. 2010, 89⫺163, hier 94–112. Einblattdrucke mit Hexenprozessen sind außerhalb des Verlagsprogramms Wellhöfers bislang nur wenige bekannt (b IV, 301; VI, 13, 64). Einige Flugblätter informieren allgemein über das Hexenwesen ohne konkreten Bezug zu einem Prozess (b I, 154 f.; Flugblätter Coburg, Nr. 151). An einschlägigen Flugschriften führt BEHRINGER: Hexenverfolgung, 477 f., etwa 20 Titel aus dem 16. und 17. Jahrhundert an. Flugblätter Coburg, Nr. 152; zum Ablauf des Prozesses zuletzt RAu: Kinderhexenprozesse, 172–185, mit Hinweisen auf weitere ältere Quellen. Vgl. auch ‚Warhaffter Summarisch: außführlicher Bericht vnd Erzehlung. Was die […] zwo Hexen […] güt: vnd peinlich bekent‘. Augsburg 1654. BEHRINGER: Hexenverfolgung, 343 (zur Quellenlage 456); ALEXANDER/ STRAuSS II, 678. Ebd. II, 672; zur Quellenlage BEHRINGER: Hexenverfolgung, 457. DP

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F 759

Ort Jahr Bild Text Format

In Form einer Bildergeschichte gibt das Blatt das verbreitete Erzählmotiv ‚Kinder spielen Schlachten‘ wieder.1 Die Graphik setzt sich aus sechs Bildern zusammen, die eine Geschichte erzählen. In einem Bauernhof schlachtet ein Mann ein Schwein, in Anwesenheit seiner zwei Kinder (Bild 1). Zurück in der Stube töten die beiden einen Säugling, indem sie ihm die Kehle durchschneiden (Bild 2). Der Bauer kommt in die Stube und entdeckt entsetzt das tote Kind (Bild 3). Zornig droht er den beiden Geschwistern mit Prügeln (Bild 4), worauf die Kinder vor dem Vater fliehen und sich im Ofen verstecken, der zum Anzünden bereit mit Holz gefüllt ist (Bild 5). Die Familientragödie gipfelt im Selbstmord der Eltern: Die Mutter stürzt sich in den Brunnen, der Vater hängt sich auf (Bild 6). Der knappe Text besteht aus informierenden Sätzen über jedem Bild. Jeder Satz hat die Form eines Relativsatzes, was einen hier fehlenden voranstehenden Hauptsatz (wie etwa ‚Im Bild ist zu sehen...‘) als Ergänzung fordert. Eine Ausnahme bildet die letzte Überschrift, die ein aus Kompositionsgründen als Bild fehlendes Ereignis hinzufügt, das die Entscheidung der Eltern für den Selbstmord erst ganz klar macht: Die Mutter habe den Ofen angezündet, ohne zu wissen, dass die Kinder darin sind, und sich daraufhin das Leben genommen, während der Vater, als er das ganze Ausmaß der Tragödie gesehen habe, sich aus Verzweiflung erhängt habe. Die Geschichte setzt sich aus Motiven zusammen, die seit der Spätantike in verschiedenen Konstellationen in volkstümlicher Erzählung zu finden sind: Nachahmung der Taten der Erwachsenen durch Kinder im Spiel mit einer unbewusst begangenen Mordtat,2 der Tod im Backofen,3 eine Kettenreaktion mit tödlichem Ausgang.4 Das Thema ‚Kinder spielen Töten‘ wird seit dem 16. bis ins 20. Jahrhundert hinein in verschiedenen Variationen immer wieder neu erzählt ⫺ als Predigtmärlein,5 Wundergeschichte,6 Historie,7 Märchen,8 Zeitungsbericht (die sog. ‚contemporary legend‘),9 oder eben Bilderbogen, so dass es schwer ist, eine gemeinsame Vorlage zu bestimmen.10 Alle Versionen unterscheiden sich in Details, indem verschiedene Elemente neu zusammengestellt werden ⫺ gemeinsam ist das Gerüst: Eine in Unschuld begangene Bluttat endet mit einer Familientragödie. Die im vorliegenden Blatt erzählte Geschichte steht zwei früheren Historien verhältnismäßig nah: Die eine, zum ersten Mal in einer Sammlung von Job Fincel (1526/30–1589) 1566 erschienen,11 endet mit dem Tod der beiden Kinder im Ofen, und statt der Sau wird dort ein Kalb geschlachtet. Bei Martin Zeiller (1589–1661), der als Quelle Johannes Wolfs (1537–1600) ‚Lectiones Memorabiles‘ (Lauingen 1600) angibt, tötet die Mutter das 432

Wie der Bawer die Saw schlacht [Inc.]

Radierung graviert; Prosa 21,0 ! 30,0

den Metzger spielende Kind, statt es im Ofen zu verbrennen; währenddessen ertrinkt ein anderes, das sie allein gelassen hatte, in der Badewanne.12 Diese und verwandte Geschichten wurden explizit oder durch ihre Platzierung in der Systematik verschiedener gesammelter Texte mit einer Lehre versehen und damit zu Trägern einer meistens theologischen, später auch pädagogischen, auf Eltern wie auf Kinder bezogenen Moral. Sie konnten funktionalisiert werden: als Exempel für die teuflische Verführung (Hondorff, um 1530⫺ 1572; Büttner, 1522–1596), für die Unbestendigkeit des Glücks (Zanach, Lebensdaten unbekannt) oder für das Unglück als von Gott gewolltes Element des menschlichen Daseins (Blanckardus, Lebensdaten unbekannt), für die Selbstverschuldung durch die dem Menschen angeborene sündliche Thorheit und unachtsahme Nachlässigkeit (Ernst, 1640–1707), für die Strafe Gottes (Fincel). Durch die Angabe von Ort und Zeit des Geschehens (Wickram, 1505–vor 1562; Fincel; Blanckardus; Ernst) wurde der Eindruck der Glaubwürdigkeit geweckt und zusätzlich das aufregende Element einer Sensationsgeschichte beigegeben, wie es später vor allem Zeitungsberichte einsetzten. Im besprochenen Blatt dagegen erlauben die nüchterne Erzählweise und das Weglassen jeglichen Kommentars keine fundierte Aussage über seine Funktion und damit keine Zuordnung zu einem der genannten Typen. Dazu kommt, dass die Form der Überschriften sowie das Fehlen eines Titels im Blatt eine fragmentarische Überlieferung vermuten lassen. Unabhängig davon, ob die Intention des Blattautors vielleicht eine wie auch immer geartete Belehrung war, spielte bei der Bearbeitung dieses Stoffes höchstwahrscheinlich die Tatsache eine entscheidende Rolle, dass der Themenkreis Sterben-Töten ⫺ auch ohne Mord, dazu noch wie hier um einen „kumulierten Exitus“ und eine Kette unerwarteter und unwahrscheinlicher Geschehnisse angereichert ⫺ ein Interesse der Leser und damit die Abnahme des Blattes garantierte.13

Weitere Standorte: Frankfurt a. M., UB: Freytag, 81

Andere Fassungen: A1

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A. BRÜCKNER: Volkstümliche Erzählstoffe auf Einblattdrucken der Gustav Freytag-Sammlung. In: Zs. f. Volkskunde 57 (1961), 230–238, hier 233 f. (mit Abb.). KuNZLE: Comic Strip, 172 und 446, Nr. 6–20. Vgl. A. AARNE/ S. THOMPSON: The Types of the Folktale. A classification and Bibliography. Helsinki 41981, Nr. 2401. Georg Wickram: Von einem kind, das kindtlicher weis ein ander kind umbbringt. In: Das Rollwagenbüchlin (Werke, II., Hg. von J. BOLTE. Tübingen 1903, 97 f.) und das Nachwort von Bolte, 383–386. Weitere Beispiele bei D. RICHTER: Kinder spielen Schweineschlachten. In: EM 7 (1993), 1264–1267. R. SCHENDA: Volk ohne Buch. Studien zur Sozialgesch. der populären Lesestoffe 1770–1910. Frankfurt a. M. 1970, 382 f. Vgl. z. B. Wolfgang Büttner: EPITOME Historiarum Christlicher Ausgelesener Historien vnd Geschichten. O.O. 1576, fol. 233v; Samuel Meigerius: Nucleus Historiarum Oder Auserlesene […] Historien, Teil 3. Hamburg 1599, 141 f. und 144; Jacob Daniel Ernst: Das Neuauffgerichtete Historische Bilder-Hauß. Altenburg 1674, I, 656 f.; Casparus Blanckardus: Neuer Historischer Lust-Garten/ Darinnen 1000. auserlesene […] Historien. Nürnberg 1701, 283 f., Nr. 88. E. H. REHERMANN: Das Predigtexempel bei protestantischen Theologen des 16. u. 17. Jhs. Göttingen 1977, 149 f., 326. Job Fincel: Wunderzeichen. Wahrhafftige Beschreibung vnd gründlich verzeichnus schrecklicher Wunderzeichen vnd geschichten. Frankfurt a. M. 1566, Teil 2, fol. Giiijv– Gvv. Meigerius: Nucleus. Anmerkungen zu den Kinder- u. Hausmärchen der Brüder Grimm. Neu bearb. von J. BOLTE/ G. POLÍVKA, I: Nr. 1–60. Leipzig 1913, 202–204. D. RICHTER: Wie Kinder Schlachtens mit einander gespielt haben (AaTh 2401). Von Schonung u. Verschonung der Kinder ⫺ in u. vor einem Märchen der Brüder Grimm. In: Fabula 27 (1986), 1–11, hier 4. Die umfangreichste Bibliographie der Quellen bei BOLTE: Nachwort. Fincel: Wunderzeichen. Die Geschichte wurde in viele spätere Historiensammlungen aufgenommen: vgl. etwa Henning Grosse (Hg.): TRAGICA Seu tristium historiarum DE POENIS CRIMINALIBVS ET EXITV HORRIBILI Eorum […] LIBRI II. Eisleben 1597, 630; Andreas Hondorf/ Wencel Sturm: Der Ander Theil PROMPTVARII EXEMPLORVM Oder Historien vnnd Exempelbuch. Eisleben 1599, 63 f.; Meigerius: Nucleus, 143; Didacus Apolephtus [d. i. Jacob Zanach]: Dritter Theil Historischer Erquickstunden. Leipzig ²1618, 835 f. Martin Zeiller: MISCELLANEA, Oder Allerley zusammen getragene […] denckwürdige Sachen. Nürnberg 1661, 388. Auch bei Johann Balthasar Schupp: Abgenöthigte Ehren-Rettung. Leipzig 1660, 95–98; C.A.M. von W.: Neuaußgebutzter/ Kurtzweiliger Zeitvertreiber. O.O. 41685, 505 f. SCHENDA: Volk ohne Buch, 379–381. EP

433

IX, 230

F 233

Ort Jahr Bild Text Verleger Format Zustand

Das Blatt bietet in Bild und Text einen detaillierten Plan von Paris an. Die Graphik besteht aus einer topographischen Ansicht der Stadt Paris aus nördlicher Richtung in der Vogelperspektive. Die Medaillons in den vier Ecken des Plans enthalten ein Porträt Heinrichs IV. (1553–1610, König seit 1589), rechts sein Wappen, unten links das Wappen von Paris und rechts eine Windrose mit Namen der Paris umgebenden Länder bzw. französischen Provinzen. Die mit Verweisbuchstaben und -ziffern versehenen Objekte werden im darunter stehenden Text erläutert. Der Text bringt in dem ersten allgemeinen Teil generelle Informationen über die Stadt, indem er ihre Größe und ihren Reichtum hervorhebt, die Stadtteile, die Zahl der Häuser, die wichtigsten Gebäude sowie Märkte und andere städtische Einrichtungen wie Friedhöfe, Brunnen und Richtstätten nennt.2 Ein Textabschnitt ist der aktuellen politischen Situation gewidmet und berichtet kurz über die Belagerung der Stadt durch den König. Die eigentliche Legende zu dem Stadtplan, die knapp Zweidrittel des Textes einnimmt, ist systematisch aufgebaut: Mit den Großbuchstaben A bis Z werden Stadttore, Brücken und Flüsse versehen; dann kommt eine Auflistung der Gassen mit zwifachen Kleinbuchstaben aa bis vv, und im letzten Abschnitt werden mit Ziffern 1 bis 84 gekennzeichnete Gebäude genannt – Kirchen und Klöster, Spitäler, Paläste, das Rathaus, Zeughaus, Fleischhaus, Gefängnis etc. Die bloße Auflistung wird immer wieder durch kleine, mit einzelnen Objekten verbundene Geschichten aufgelockert, so etwa über die Verwundung Heinrichs II. (1519– 1559, König seit 1547) während eines Turniers, das Attentat auf Heinrich III. (1551–1589, König seit 1574), das Abreißen des königlichen Schlosses, das durch den Louvre ersetzt wurde, auch die hohe Qualität des am Fleischplatz feilgebotenen Geflügels wird genauso erwähnt wie das Schicksal der einst Paris okkupierenden Engländer. Die letzte Dekade des 16. Jahrhunderts in Europa wurde durch die blutigen Versuche des kalvinistischen Königs von Navarra Heinrich von Bourbon dominiert, den französischen Thron auf militärischem Wege zu erlangen. Er war nur ein entfernter Verwandter des 1589 ermordeten Heinrichs III. (sein Vetter zweiundzwanzigsten Grades), und sein Geschlecht leitete sich von einem Usurpator Hugo Capet (um 940–996) her, dem Gründer der Dynastie der Kapetinger, während man in Frankreich dem Haus Lothringen den Vorrang auf die Krone einräumte. Zu den historisch-rechtlichen Bedenken kam seine Exkommunikation durch Papst Sixtus V. (1521–1590, Papst seit 1585), der ihn 1585 zum Ketzer erklärte und ihm u. a. das Recht auf den französischen Thron absprach. Die 434

[WARHAFTIGE CONTRAFACTVR DRIFACHEN STAT PARIS]

DER GROSEN

Nürnberg (1590/1591) Kupferstich von Balthasar Jenichen († 1599)1 Typendruck in 3 Spalten; Prosa Balthasar Jenichen [Druckspiegel s. Zustand]; 28,7 ! 37,2 Titel fehlt, hier ergänzt nach Fassung a.

Belagerung von Paris war Teil des Kampfes um die Krone, der erst mit dem Übertritt Heinrichs IV. zum Katholizismus 1593 erfolgreich endete (b IX, 95).3 Diese politischen Ereignisse weckten das Interesse der Öffentlichkeit auch in den Nachbarländern, das mit Informationen in ‚Neuen Zeitungen‘ und auf Flugblättern befriedigt wurde.4 Diesem Interesse verdankt sich auch die Entstehung des Flugblatts von Jenichen, was im einleitenden Satz signalisiert wird. Allerdings nimmt er die aktuellen Geschehnisse nur als Anlass und Vorwand, um ein Blatt mit Informationen über die französische Hauptstadt herauszubringen – es gibt keine Hinweise auf das Kriegsgeschehen in der Graphik, und im Text wird die Belagerung nur mit wenigen Sätzen und ohne politische oder konfessionelle Wertung erwähnt. Eine Erklärung für das Ausklammern des politischen Hintergrunds in diesem Blatt findet sich womöglich in einem Gesuch Jenichens an den Nürnberger Rat vom Oktober 1590, aus dem hervorgeht, dass er die Belagerung von Paris nach einer bereits gedruckten Vorlage in einem Kupferstich darstellen wollte.5 Dieser Stich, der nicht überliefert ist, dürfte die militärisch-politische Berichterstattung über die aktuelle Belagerung der französischen Hauptstadt enthalten haben, so dass sich das vorliegende Blatt auf ergänzende allgemeine Informationen beschränken konnte. Als Vorlage hat Jenichen entgegen seiner Behauptung, er habe die Graphik selbst entworfen, den Holzschnitt ‚Le portrait de la ville de Paris, cité & université, avec’le du camp des deus armees‘ von André Thevet (1502–1590) aus dem Jahre 1568 genutzt.6

Weitere Standorte:

Andere Fassungen: a)

b)

1

2

3

4

5

6

7 8 9 10 11

12

Gotha, SM: 46–207;7 Paris, BN: Hennin, XIII, n° 1202;8 Paris: Sammlung Louis Loeb-Larocque;9 Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana: Stamp.Palat.II.463;10 ehem. Antiquariat Rosenthal, München11 [WARHAFTIGE CONTRAFACTVR DER GROSEN DRIFACHEN STAT PARIS; Inc.: DAs langwirige geschrey vnnd menigliches verlangen] Standort unbekannt12 [Titel unter dem Bild; Inc.: Das langwirige geschrey vnd meniglichs verlangen] HOLLSTEIN: German Engravings XV B, 9–108; P. H. MEuRER: Karten und Topographica des Nürnberger Kupferstechers Balthasar Jenichen. In: P. H. KÖHL/ P. H. MEuRER (Hgg.): Florilegium Cartographicum. Beiträge zur Kartographiegeschichte und Vedutenkunde des 16. bis 18. Jahrhunderts. Leipzig 1993, 35–62. Zu Topographien vgl. O. FRAYDENEGG-MONZELLO: Rechtliches in Topographien. In: Forschungen zur Rechtsarchäologie u. Rechtlichen Volkskunde, 5 (1983), 3–45. M. YARDENI: La Conscience Nationale en France pendant les guerres de Religion (1559–1598). Leuven/ Paris 1971; M. ANDRIEuX: Heinrich IV. Frankfurt a. M. 1979; J. P. BABELON: Henri IV. Paris 1982; BuISSERET: Henry IV. Vgl. z. B: Gründtliche Entdeckung/ Der Kron Frankkreich gegen jhren Jnwohnern/ vnnd besonders den Parisern. O.O. 1590; Nachdruck oder letzte Zeittung Alles was sich im September Anno XC. Vor Parys […] zugetragen hat. Straßburg 1590; Michael Aitzinger: CONTINVATVM HISTORICAE RELATIONIS SVPPLEMENTVM [...] Vom Negstuerschienen monat Martio/ biß auff den 21. tag Septembris gegenwertiges Jahrs 1590. Köln 1590; Hogenberg: Geschichtsblätter, 34 und Abb. 69; WELLER: Zeitungen, Nr. 714 f., 730–732; Pressefrühdrucke aus der Zeit der Glaubenskämpfe (1517–1648). Bestandsverzeichnis des Instituts für Zeitungsforschung. München u. a. 1980, Nr. 566, 573 f. S. auch DRuGuLIN II, 803–807. Meurer vermutet, dass es sich dabei um einen unsignierten Kupferstich von 1592 handelt, vgl. MEuRER: Karten, 56 f. Der Plan ist abgeb. in: J. BOuTIER u. a.: Les Plans de Paris des origines (1493) à la fin du XVIIIe siècle étude, carto-bibliographie et catalogue collectif. Bibliothèque nationale de France 2002, Nr. 12. MEuRER: Karten, 62, Anm. 66. HOLLSTEIN: German Engravings, XV B, 53, Nr 149. MEuRER: Karten, 62, Anm. 66. Ebd. Nach F. BACHMANN: Die alten Städtebilder. Ein Verzeichnis der graphischen Ortsansichten von Schedel bis Merian. Leipzig 1939, Nr. 830. Die Angaben zum Blatt erlauben keine eindeutige Zuweisung zu Fassung a bzw. b. ANDRESEN: Peintre-Graveur, II, 194, Nr. 284. Das Blatt fehlt bei A. FAuSER: Repertorium älterer Topographie. Druckgraphik von 1486 bis 1750, II. Wiesbaden 1978. EP

435

Abkürzungsverzeichnis

Abb. abgeb. Abt. Anh. Anm. Ausg. ausgew. Bd. bearb. begr. d. i. ders. Diss. dt. ebd. ehem.

Abbildung(en) abgebildet Abteilung(en) Anhang Anmerkung(en) Ausgabe(n) ausgewählt Band bearbeitet begründet das ist derselbe Dissertation deutsch ebenda ehemals

Ergbd. f. fol. FS Gesch. Hg., Hgg. hg. Inc. Jb. Kap. lat. Nachdr. N.F. Nr. s. o.J.

Ergänzungsband für folio Festschrift Geschichte Herausgeber herausgegeben Incipit Jahrbuch Kapitel lateinisch Nachdruck(e) Neue Folge Nummer siehe ohne Jahr

o.O. Ps. S. Sp. s. u. u. u. a. u.d.T. übers. vgl. z. B. z. T. zit. Zs.

ohne Ort Pseudonym Seite Spalte siehe unten und und andere, unter anderem unter dem Titel übersetzt vergleiche zum Beispiel zum Teil zitiert Zeitschrift

HAUM HLHB

Herzog Anton Ulrich Museum Hessische Landes- und Hochschulbibliothek Harry Ransom Humanities Research Center Kunstbibliothek Kupferstichkabinett Kurpfälzisches Museum Kunstmuseum Moritzburg Landesbibliothek Österreichische Nationalbibliothek

RM SB SBPK

Rijksmuseum Staatsbibliothek Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Schlossmuseum Staats- und Stadtbibliothek Stadtbibliothek Staats- und Universitätsbibliothek Stichting van Stolk Universitätsbibliothek Zentralbibliothek

Bibliothekssiglen

BL BM BN BNU BSB BU GNM GS HAAB HAB

British Library British Museum Bibliothèque Nationale Bibliothèque Nationale et Universitaire Bayerische Staatsbibliothek Biblioteka Uniwersytecka Germanisches Nationalmuseum Graphische Sammlung Herzogin Anna Amalia Bibliothek Herzog August Bibliothek

HRHRC KB KK KM KMM LB ÖNB

SM SStB StB SUB SvS UB ZB

437

Verzeichnis der mit Kurztiteln oder Siglen zitierten Literatur (aufgenommen sind Titel, die in wenigstens drei Kommentaren zitiert werden)

AA: Woordenboek A. J. VAN DER AA: Biographisch Woordenboek der Nederlanden. 7 Bde., Haarlem 1852– 1878 (Nachdr. Amsterdam 1969). ADB Allgemeine dt. Biographie. Hg. durch die Historische Commission bei der Königlichen Akademie der Wissenschaften. Bd. 1–55. Generalreg. Bd. 56, Leipzig 1875⫺1912. AKG Archiv für Kulturgeschichte AKL Allgemeines Künstlerlexikon. Die Bildenden Künstler aller Zeiten und Völker. Bd. 1 ff., Berlin/ New York 1992 ff. Aitzing: De Leone Belgico Michael Aitzing (Eyzinger): Ad Hispaniae et Hvngariae reges termaximos. De Leone Belgico […]. Köln 1587. Albertinus: Lucifers Königreich Aegidius Albertinus: Lucifers Königreich und Seelengejäidt. Hg. von R. VON LILIENCRON. Berlin/ Stuttgart o.J. ALEXANDER/ STRAUSS D. ALEXANDER in collaboration with W. L. STRAuSS (Hgg.): The German Single-Leaf Woodcut 1600–1700. A Pictorial Catalogue. 2 Bde., New York 1977. ANDRESEN: Peintre-Graveur A. ANDRESEN: Der dt. Peintre-Graveur oder die dt. Maler als Kupferstecher nach ihrem Leben u. ihren Werken von dem letzten Drittel des 16. Jhs. bis zum Schluss des 18. Jhs. 5 Bde., Leipzig 1864–1878. Antiquariat Halle Antiquariat J. Halle: Newe Zeitungen, Relationen, Flugschriften, Flugblätter, Einblattdrucke von 1470–1820 (Katalog 70). München 1929. Antiquariat L’Art Ancien Antiquariat L’Art Ancien: Popular Imagery. Illustrated broadsides, pamphlets and ephemera, from the 16th to the 19th centuries (Katalog 68). Zürich 1976. Antiquariat Meuschel Antiquariat K. Meuschel: Illustrierte Flugblätter, Einblattdrucke, Flugschriften, Zeitungen u. Ephemera von 1416 bis 1860 (Katalog 79). Bad Honnef o.J. Antiquariat Tenner Antiquariat H. Tenner: Sammlung Adam V. (Auktion 138). Heidelberg 1982.

VAN DER

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Verzeichnis nicht aufgenommener Dubletten und Varianten (mit Verweisen auf die entsprechenden Blätter in den übrigen Bänden der Reihe)

A DOMINO FACTuM: Sublimißimum Principem ac Dominum, Dominum. FRIDERICuM V. RHENI PALATINuM … [F 33; WÄSCHER, Nr. 35] b IV, 104, andere Fassung a Abbildung der fürnembsten Städt/ Schlösser vnd Flecken in Teutschlandt/ so sich seiner EXCEL: MARQ: SPINOLA etc. ergeben, im Jahr 1620 vnd 21. [F 517] b IV, 133, andere Fassung Abbildung der furnembsten Statt Schlösser vnd Flecken in Teütschland, so sich seiner Ex: Marq: Spinola ergeben, im Jahr 1620 vnd 1621. [F 518] b IV 133, andere Fassung Ab=bildung/ Der zwar Hoch=betrübten/ Doch wol zeittigen vnd Allerschädlichsten Röm: Reichs=Verderberin/ Leich=bestättigung/ Namens/ die CONTRIBuTION … [F 144; WÄSCHER, Nr. 69] b II, 243, andere Fassung a Abbildung deß NATIONAL-SYNODI: Mit sampt den Sitzplätzen … Anno M.DC.XVIII. [F 731] b VIII (Zürich) Abbildung deß vnbarmhertzigen/ abschewlichen/ grausam= vnd grewlichen Thiers/ … [F 270; WÄSCHER, Nr. 42] b I, 176, andere Fassung a Abbiltung vnd kurtze bedeutung von das ienige was im vorlittenen Jahre gepässirt ist/ … [F 320; WÄSCHER, Nr. 98] b IV, 96, andere Fassung Abconterfeytisch Wunderzeichen/ welches den 29. Novemb. 1628 … zu Schwerin … [F 9 und F 9a] b V (Straßburg) Abreissung eines vngestalten Kinds/ so am Neuwen Jars abent/ M.D.Lxxviij. geborn … [F 19; WÄSCHER, Nr. 78] b VII, 109 Abreissung wunderbarlicher Kinder/ so in kurtz vor diesem Jar Achtvndsiebentzig geborn/ wie denn alhie vnten beschrieben. [F 20] b VII, 111 Ach Gott wie ists so baldt gethon [F 753] b III, 122 Ach wie ist mir mein leib fast um vnd um zerschmissen … [F o.Nr.] b VIII (Zürich) AlamodischeHellenfahrt vnd geleyt zum Nobis Krug. [F 329] b IV, 39, andere Fassung

Aller Heyl: vnnd Herrnlosen/ Baurenschinderischer MarterHansen … [F 29; WÄSCHER, Nr. 58] b I, 172, andere Fassung b Allgemeiner Landtschwarmb der Jesuitischen Hewschrecken/ auß der Offenbahrung S. Johannis am 9. Capit. [F 289; WÄSCHER, Nr. 26] b II, 298 Allmanach Auff daß Jahr Christi MDCXXIX. ist Sumarie dahin gestelt … [F 10] b IV, 47 Anderer Theil/ Newgedeckter Confect=Taffel/ So Jhre Königl. May. in Schweden … [F 1097] b II, 229, andere Fassung Anfang Bedenckt Cluglich Dat End … [F 869, o. Text] b IV, 138 Bericht: Wie es gehe/ Gar nach dem ABC. [F 162; WÄSCHER, Nr. 83] b I, 24, andere Fassung a Beschreibung deß angerichten Brands im Spanischen Läger … [F 454] b IV, 156, andere Fassung Beschreibung Eines Vnerhörten Meerwunders so sich zwischen Dennmarck vnd Nortwegen hat sehen lassen/ … [F 240] b VIII (Zürich) Beth Luther beth, Die gantze Generalitet, Jst gfangen in dem Vogelhauß … [F 415] b IV, 246 Böhmische Friedenfahrt vnd was sich denckwürdiges darbey zugetragen hat. [F 155] b II, 139 Böhmischer Vnrüh Schauspiegel: Jn welchem eine artliche … [F 929, Text fehlt] b IV, 102 [Böt]liche [Sup]pli[katz]J[On] … [F 712, und F 919, o. Titel] b II, 145, andere Fassung Caluinisch Auffzug/ darinnen Menschlich vernunfft … [F 92, Text fehlt] b II, 53, andere Fassung a CAPITVLATIONES Wasgestalt Herrn General Grafen von Tilly den 20 May j63j die Alte Jungfraw zu Magdeburg verheiraht … [F 543] b II, 227, andere Fassung

Chartel Stutzerischen vnd halb oder offt gantz Frantzösischen Auffzugs. Der … DAMES A la Modo Matressen. [F 4] b I, 136 Chartell Stutzerischen Auffzugs/ Der Durchsichtigen/ Hochgefidderten … A la modo Monsiers. [F 8; WÄSCHER, Nr. 70] b I, 121, andere Fassung CHRISTO SOTERI VERITATIS VINDICI, LVCIS EVANGELICAE RESTITVTORI … [F 281, Titel fehlt] b II, 124 CONTRAFACTVER der Hispanischen vnd Englischen Armada … [F 1050] b IV, 69 COQVVS PRAGENSIS REDVX. Der widerkommende Pragische Koch. [F 156] b IV, 214, andere Fassung CVRRIER Mit guter vnd tröstlicher newen zeitung vor das betrübte Königreich Böhmen … [F 88] b II, 152, andere Fassung D Arminiaensche dreckWaghen. LE CHAR DORDuRE D’ARMINIENS. [F 730] b IV, 100 Das dreyförmigte und unerhörte Spanische [F 900] MONSTRVM … b I, 219 Deitliche vnd warhafte Abzaichnus der fremden Ehrenbegräbnus/ des neulich verstorbenen Türkischen Kaisers Selymi/ vnd seiner fünf Sön … [F 52] b VII, 64 Demnach sich dieser Wunder Berg/ so im Bistumb Bamberg [F 137] b V (Straßburg), andere Fassung Der Allamodischer Niemandt bin ich genandt … [F 218] b IV, 10 Der alte Teutsche Zahnbrecher. [F 61] b II, 282, andere Fassung b Der betrengten Christenheit CONSOLATION: Vnd der Beraubten Teutschen Freyheit [F 924] REPARATION. b IV, 203 Der Buler Spigell. [F 191] b I, 89, andere Fassung Der Caluinische Roffelpot. [F 110] b IV, 115, andere Fassung k

445

Der Finländer new Cartten Spiel. [F 921] b II, 285 Der Gorgonisch Meduse Kopf. Ain fremd Römisch Mörwunder … [F 312] b VII, 62, andere Fassung Der grosse Kamm/ den ein Jesuit auß der Stadt Rom gebracht … [F 290; WÄSCHER, Nr. 28] b IV, 210 Der Hanns Vnfleiß. [F 23] b I, 44a Der heutigen Welt Lauff/ … [F 205; WÄSCHER, Nr. 62] b I, 55, andere Fassung d Der Jesuiten Länderfang. [F 282] b IV, 212, andere Fassung Der Juden Badstub. [F 1089] b I, 171, andere Fassung a Der Jüdische Kipper vnd Auffwechßler. [F 1090] b I, 168 Der Königl. Maiestät zu Schweden/ vnd Churfürstl. Durchl. zu Sachsen/ etc. wolbestelte Apotheck/ wider den fressenden Wurm. [F 38] b II, 283, andere Fassung d Der Newer Allamodischer Baum aller Jungen Cauallieren vnd Junger gesellenn. [F 5] b I, 139, andere Fassung Der Newer Allamodischer Baum aller Jungen [F 6] DAMOISELLEN vnd Jungfrawen. b I, 140, andere Fassung Der Niederlandsche schlaffende Louw. [F 765] b IV, 101 Der Suiten/ welche sich Jesuiten nennen/ ankunfft/ art/ vnd eigenschafft. [F 322; WÄSCHER, Nr. 23] b VI, 163 Der verloffen Esawiter mit seinem Sibenfeltigen Sack. [F 51; WÄSCHER, Nr. 25] b II, 294, andere Fassung b Der zittarist. [F 955] b II, 289, andere Fassung Des edlen Rheinstroms gegenwertiger zustandt. [F 171] b VIII (Zürich) Des Römischen Reichs Grosse Weldt Vhr. [F 286] b II, 219 Des Seckels Jämmerlich Heulen/ vnnachlessig weh vnd Anklagen vber seinen Herrn. [F 184] b I, 160 Des Teuffels Gar kuchen. [F 50; WÄSCHER, Nr. 24] b II, 45a Des Tilly [Haushaltung] [F 35] b II, 258 Deß Heiligen Römischen Reichs Hoheit/ … [F 280] b II, 214, andere Fassung Die aller Christlichste Königliche Leicht/ Deß … [F 32] GVSTAVI ADOLPHI Deß Grosen … b IV, 225, andere Fassuteng Die [drei Blinden] aus [Böhmen]. [F 413] b II, 183, andere Fassung Die Grosse Trummel der Liga. [F 313; WÄSCHER, Nr. 44] b II, 244, andere Fassung d 446

Die Mauß ist hauß: Der Spatz macht platz. [F 870] b II, 277 Die pfaffen Gass. [F 871] b II, 299, andere Fassung Die Torechte weldt. [F 409] b IX, 17, andere Fassung Dieses Monstrum ist in Catalonien aufm Gebürg Cerdagna von den Spanischen Soldaten … [F 392] b V (Straßburg) Ecclesia Christi militans. Die Streittende Kirch Christi. [F 727] b IV, 88 Eigene Schuldbekäntnüß Einer So genandten vnd vermeinten Jungfraw Aderlässerin. [F 219; WÄSCHER, Nr. 87] b I, 144 Eigentliche Abbildung der auff dem Komper werdt in dem Rhein … [F 913] b IV, 117 Eigentliche Abbildung der Pragerischen Execution. [F 570] b VIII (Zürich) Eigentliche Abbildung der Schönen und Vösten [F 1022] Statt MANTVA … b II, 211, andere Fassung Eigentliche abbildung des Leuchters wahrer Religion [F 105] b II, 213, andere Fassung; IV, 163, andere Fassung Eigentlicher Abriß der Situation vnd Demolierung der zwo Schantzen am Rhein … [F 550] b IV, 187 Eigentlicher Abriß vnd Beschreibung Deß grossen Erdbebens/ vnd erschröcklichen brennenden Bergs im Königreich Neapolis [F 442] b I, 214, andere Fassung Ein Fremder Artzet ist Komen an. Der die plinten Recht heilen Kann. [F 87] b II, 253 Ein köstlich gutes bewehrtes Recept/ vor die Männer/ so böse Weiber haben. [F 183] b I, 114, andere Fassung Ein Kurtz jedoch scharffes ABC. [F 1095] b II, 234 Ein schön New Lied genant Der Teutsche Michel Wider alle Sprachverderber [F 195; WÄSCHER, Nr. 53] b VIII (Zürich), andere Fassung Ein Trapp der vornembsten Ständt der Welt … [F 323; WÄSCHER, Nr. 50] b IV, 258, andere Fassung [F 414] Emblema LABOR VINCIT OMNIA … b IV, 141 EMBLEMATA, Welche das Leben/ die Thaten/ Sitten vnd wunderbare verwandlung … [F 317] b II, 38, andere Fassung Emblematische Beschreibung deß Edlen Oesterreichischen Stamms/ vnd dessen Widerwertigkeiten. [F 153] b IV, 131 Erklärung vber diesen hochnötigen Tembst. [F 319] b IV, 98

Es Wirdt ja nichts so rein gesponnen … [F 285] b IX, 166, andere Fassung b EuROPA QVERuLA ET VuLNERATA Das ist/ Klage der Europen … [F 55; WÄSCHER, Nr. 39] b II, 223, andere Fassung a Extract/ geschrieben auß Londen in Engelandt/ Belangent den Heyrath zwischen dem Printzen Von Wales … [F 350] b VIII (Zürich) Extract Zweyer Particular=Schreiben/ Eins an Signor Pladis/ von den Rebellischen Bauren … [F 54] b I, 177, andere Fassung Eygentliche Contrafactur/ Wie Königl. Mayst. zu Schweden/ etc. den alten Corporal Tyllen nach dem April schicket … [F 956] b IV, 208, andere Fassung Fischerey deren Newen Apostlen. [F 276, o. Text] b II, 169 Freundlicher/ wolthätiger/ freygebiger Auffzug/ Deß Herrn/ Vber=Sie/ von vnd zu Miltenhausen … [F 164; WÄSCHER, Nr. 89] b I, 105 Fünff Caluinische Articul/ darmit ein Christ/ der … [F 47] b IV, 74, andere Fassung a Geburt Lini der Königen von Franckreich vnd Nauarren. [F 90] b IV, 73, andere Fassung c Geistlicher Eckstein vnd ewigwärendes Liecht. [F 106] b II, 272, andere Fassung; IV, 199, andere Fassung Gemähl diß Y. Welches Augenscheinlich vorbildet den Weg/ So beydes die Frommen vnd Gottlosen … [F 724] b III, 96, andere Fassung Gluck zu Hans mit der lange nasen … [F 56; WÄSCHER, Nr. 64] b I, 67, andere Fassung a [Göttlicher/ Schrifftmässiger …] [F 489, o. Titel, Fragment] b II, 126, andere Fassung Grosse Klag Deß Trostlosen Gutarmen KunstManns/ vber der Welt/ Liebhabend Gelt. [F 1092] b I, 158 Gründliche Offenbahrung vnd eigentliche Abbildung/ einer geheimen denckwürdigen Prophecey … [F 899] b II, 180, andere Fassung Hertzliches Seufftzen vnnd Wehklagen/ auch Christlicher Trost vnnd endtlich Göttliche Hülff … [F 100; WÄSCHER, Nr. 36] b II, 165 Hie staht der Mann vor aller Welt/ Von dem das Sprichwort wirdt gemeldt … [F 180; WÄSCHER, Nr. 54] b IV, 13, andere Fassung IDEA RELIGIONIS: sive EMBLEMA CuM … b III, 52, andere Fassung

THEOLOGI-

[F 111]

In Memoriam & obitum Holckij, Das ist: Eines Leipzigischen Studenten Gedicht … [F 145; WÄSCHER, Nr. 47] b II, 306, andere Fassung IN REGEM NON MORTuuM [F 402, nur der Stich] b IV, 226 IACOB DAMMAN VS PISPEN/ aus dem Land … [F 895] b V (Straßburg), andere Fassung Jubileischen Frewden: Lob: vnd Danckfests/ Hertzens Auffmunterung … [F 28] b II, 215 Keyserliche Schlacht/ vnd Victoria in Böhmen. [F 729] b IV, 125, andere Fassung Klag vnd Bettlied Der Armen … [F 79; WÄSCHER, Nr. 59] b I, 174 Klaglied Vber den … Todt/ … GuSTAVI ADOLPHI … [F 363, nur der Stich] b IV, 228 Kurtze abbiltung vnd verthonung von dem wunderbahrlichen kreigh bey diser zeitten … [F 163; WÄSCHER, Nr. 96] b II, 102 Kurtze Beschreibung/ deß auß Jrrland/ Königl. Majestat in Schweden ankommenten Volcks … [F 536, nur der Stich] b II, 284 Kurtze doch eigentliche Erklär: vnd Erzehlung der Belägerung der Statt Breda … [F 471] b II, 206, andere Fassung KVrtze vnd einfältige/ doch auß verträulichen CommunicationSchreiben gründlicher Bericht … [F 942] b IV, 157 Kurtzer bericht beyde wie die wahre kirchen Gottes/ seyt der heyligen Apostel zeit … [F 1154] b II, 112 Kurtzer Bericht vnd Verlauff vber der Käys. Mayest. Ligistischen vnd ChurSächsischen Armeen … [F 922] b VIII (Zürich) Kurtzer doch warhaffter Bericht/ sampt figurliche Vorstellung der Navigal Schlacht … [o. Inv.nr.] b II, 248 Kurtzer vnd grundtlicher Bericht welcher massen die Staten der vereinigten Niderlanden … [F 914] b IV, 85a Kurtzweilige Beschreibung der löblichen Spinn= vnd Rockenstuben … [F 84; WÄSCHER, Nr. 82] b I, 86, andere Fassung Kutzer [!] vnnd eigentliche Beschreibung deren 16. Eygenschafften/ welche ein schön vnd wol proportioniertes Pferdt an sich haben sol. [F 165] b I, 240 LACONICE. Sat sapienti. Gnueg mann kennt di. [F 7; WÄSCHER, Nr. 71] b I, 142

Lieber Du Solt Lang Fragen Nicht … b II, 74 LVTHERVS TRIVMPHANS. b IX, 90, andere Fassung e

[F 43] [F 36]

Magengifft: Welches in dieser Klag/ Antwort vnd Vrtheil/ zwischen einem Menschen wider seinen Magen … [F 177] b I, 71, andere Fassung MEMENTO MORI. O Mensch gedenck/ daß du Aschen bist … [F 197] b III, 126 Mitt Fußtretten Handt drucken vnnd Lachen: Kann Jch sie alle drey Zu Narren Machenn. [F 269] b I, 92 Newe Warheit. [F 874] b IV, 119 Newe Zeitung: Ein kurtzweiliger Schwanck/ von einem Zöllner vnd seiner Haußfrawen … [F 173] b IV, 58 Newer Kram Laden/ Darinn Allerhand … bärt zu finden … [F 194; WÄSCHER, Nr. 73] b IV, 40, andere Fassung a Nun folgen nach dem Leipzigischen confect Etliche SchawEssen … [o. Inv.nr., o. Bild] b II, 242 O We der grossen noht. Der a la mode ist todt … [F 392] b I, 131, andere Fassung Palatinischer Catechismus. [F 93] b VIII (Zürich) Parallela/ Deß grossen vnnd kleinen Brills/ in Böhmen vnnd auff dem Rhein. [F 933] b IV, 113, andere Fassung Perpetuirter: das ist/ Stets wehrender Pfaltz: Böhmischer gekrönter Winter: vnd Sommer Löw. [F 179] b II, 156, andere Fassung c PROGNOSTICON, Das ist/ Propheceyung/ welche vor 462. Jahren … [F 287] b II, 160 PROPHETIA SIBILLAE TIBVRTINAE … [F 311] b IV, 78 PYRAMIS INVERSA Demolitae Parisiensi Iesuitarum Pyramidi suffecta. [o. Inv.nr.] b II, 73 QVAESTIO PROPOSITA IESVITIS, AN RECTE DECIDERIT PONTIFEX … [F 294] b II, 15, andere Fassung; VI, 159, andere Fassung Rabula de tabula nil dat nisi pinguia jura … [F 268; WÄSCHER, Nr. 63] b IV, 15 Sächsisch Confect. [F 37] b IV, 179, andere Fassung Sächsisch Confect Sampt dem darauff gefolgten Fränckischen Früstück. [F 1094] b II, 240

[F 875] SAT SAPIENTI. b II, 171, andere Fassung; IV, 119, andere Fassung [Satyrisches Gesicht/ zu Nichtburg in Vtopia …] [F 74] b I, 148, andere Fassung SchawPlatz/ Aller Schnadrigen/ Vielschwätzigen/ Bapplerin … [F 64] b I, 145 Schwedische Eettung der Christlichen Kirchen. [F 148] b II, 148 Schwedischer Ankunfft vnd Fortgang im Reich. [F 1087] b II, 262, andere Fassung Schwedischer Beruff/ Das ist: Abtreibung/ etli[F 872] cher vngereimbter JuDICIORuM … b II, 260, andere Fassung SOCIETATIS IESV INITIA PRO GRESSVS ET VIRI ILLVSTRES. [F 720] b III, 61 Soldaten Segen vnd Kunst … [F 57; WÄSCHER, Nr. 67] b IV, 59, andere Fassung Soldaten Segen/ wie man einem ohne Fluchen … [F 190] b IV, 59, andere Fassung SPECVLVM BESTIALITATIS Das ist: Der vnvernünfftigen Thier: oder Narrenspiegel … [F 206] b I, 32 Spiegel einer Christlichen vnd friedsamen Haußhaltung. Syrach am 25. vnd 26. [F 160] b I, 27, andere Fassung Spiegel einer Christlichen vnd friedsamen Haußhaltung. Syrach am 25. vnd 26. Capittel. [F 161] b I, 27, andere Fassung t’Arminiaens Testament. Der Arminianer Testament … [F 422] b VIII, (Zürich) [Teutsche Sprichwörter] [F 697] b IX, 11, andere Fassung b TILLIVS POENITENS, Das ist: Tyllische Buß vnd darauff erfolgte Absolution … [F 62] b II, 290, andere Fassung; IV, 186, andere Fassung Tillysche Deposition Nahe bey der Hohen Schul Leipzig … [F 954] b IV, 177 Traw/ Schaw Wem. [F 187] b I, 43 TYPVS AENIGMATICVS TEMPORIS. Vorbildung von der Zeit. [F 721] b II, 93, andere Fassung TYPVS IVDICIS & IVRISCONSVLTI. Abbildung eines Richters vnnd Rechtsgelerten. [F 68] b I, 66 Verantwortung vnd Ehrenrettung der kleinen Männlein … [F 143] b VIII (Zürich) Vom Vnnöttigen Kriegen. [F 26; WÄSCHER, Nr. 41] b I, 178, andere Fassung 447

Von den neun Häuten der bösen Weiber/ wie iede Haut mit Nahmen genennet wird … [F 142, WÄSCHER, Nr. 6] b IV, 26, andere Fassung d Wahre Abbildung des Vesten Orths Stein … [F 934] b VIII (Zürich) Wahre Abbildung zweyer Zwilling … [F 401] b V (Straßburg) Wahrhaffte Erzehlung von der Vestung Papenmütz genant … [F 224] b VIII (Zürich) Ware Abbildung Dreyer Erschrecklichen Wunderthieren vnd Mißgeburten/ so von einer Schwein-mutter … [F 391] b V (Straßburg) Ware abbildung einer Erschröcklichen wunderbaren mißgeburt, Zweyer Mägdlein … [F 388] b V (Straßburg) Warhaffte abbildung deß fläckens PLVES/ in den Grawen Pündten gelägen. [F 789] b I, 212, andere Fassung Warhaffte Contrafactur. Eines newen Wunderzeichens/ so den 18. Aprilis An. 1631 … [F 336] b V (Straßburg) Warhafftige Beschreibung/ sampt Figurlicher vorstellung/ Was gestallt/ Jhr Königliche Mayst. zu Schweden … [F 146] b II, 287

448

Warhafftige Delineation vndt Abbildung des Erschröcklichen vndt wunderbarlichen Fisches … [F 395] b I, 216, andere Fassung Warhafftige vnd eygentliche abbildung der stercke Stadt Ostende … [F 425] b IV, 84a Warhafftiger Bericht von dem vngehewren wilden Thier/ welches … 1653. im Wald zu Milly … [F 31] b V (Straßburg) Warhafftiger vnd eigentlicher Bericht vom Stamm vnd Ankunfft der kleinen Männlein … [F 170] b I, 39, andere Fassung Warnung: Mercurij der Götter Bottenn … [F 920] b IV, 235 WEHR MVTTER WEHR: DER HAN WILL MIR VBERS NEST. [F 263; WÄSCHER, Nr. 93] b I, 102 Weiberspiegel/ Darinnen der drey allerschönsten Matronen Conterfect … [F 212] b IV, 24, andere Fassung a Welcher Gestalt der Röm. Keys. Mayest. Herr Feld Marschalck … Stralesunth … 1628. zu belägern angefangen … [F 82; WÄSCHER, Nr. 38] b II, 208, andere Fassung; IV, 158, andere Fassung

Wie der Reich den Armen frißt. [F 707] b I, 35, andere Fassung Wie gewonnen/ So zerronnen/ Dieses hat gegenwertiger armer Päpstischer Cavalier … [F 754] b II, 279, andere Fassung Wie sick een Munsiur a la mode kleeden sal. [F 537] b I, 124, andere Fassung Wilt euch tzu disser kermiss geben … [F 321; WÄSCHER, Nr. 15] b IV, 17 Wir achten keiner kleine beuth … [F 91] b IX, 170, andere Fassung a Wir König vom Reich der Naßen. etc. … [F 705] b IV, 11 Wol bestelte PritschSchul/ Darinn die Ligistische Soldaten über die Banck gezogen werden. [F 11; WÄSCHER, Nr. 43] b II, 254, andere Fassung Wol proportionierte vnnd all zu sehr erhitzte Badstub … [F 152; WÄSCHER, Nr. 37] b II, 196, andere Fassung Wunderbarlicher Mangel deß Manns: Hertzlicher Wunsch der Frawen … [F 159; WÄSCHER, Nr. 91] b I, 95, andere Fassung

Titel- bzw. Initienregister Alphabetisches Verzeichnis der in Band IX abgebildeten Flugblätter (angegeben sind die Nummern der Kommentare)

Abbildvng der hochmütigen Spanier. Abcontrafeihung ettlicher seltzamer Figuren/ so zu Straßburg […] in Stein gehawen worden ABRIS DER VÖSTVNG HADTWAN. VON DEN CHRISTEN BELEGERT ABRIS VND KVRCZE BESCHREIBVNG DER AVFGEBVNG GRAN. Abriß der Blutigen Schlacht bey Lützen Abriß eines vralten vnd sehr wunderbaren Monuments Abschewlicher CainsMordt/ Welchen die blutdurstige Ach Mensch kehr dich zu Gott [Inc.] [Aigentliche abbildung deß gantzen gewerbs …] Aigentliche Contrafactur der Bruggen vnd Sterckte Alhier hab Ich die schöne Hett Allhier hütt sich ein Jder Mann Als GROLL gar seher beschoßen [Inc.] Als Nimmegen nuhn lang geplagt [Inc.] Alß nun der Printz mit höreß macht [Inc.] Alte Geigen der Warheit Ambrosius Spinola wollgemuit Gar woll verzirtt [Inc.] AMIENS durch anschlag der Hispanischen kriegsleutt eingenomen Ammora du bist Blindt. An den großmechtigsten aller durchluchtigsten herren Maximilianum Anbildung der Höllen/ deren Jnwohner ANTIQuA, BONA, CHRISTIANA PRAEFIGuRATIO TEMPORIS Aquila non captat muscas: nec subula Ardres Wol Vershen, starck gebawt [Inc.] Auff vnd Nidergang Deß Mannlichen alters Auff: vnd Nidergang Deß Weiblichen alters. Augenscheinliche abbildung der vornemsten Örter Auß Lap, vnd Lieffland diese Traben [Inc.] Beltz vnd Betth-Gravamina Beschreibung dieser stattlichen Vestung CHARLEROY

174

92 103 107

Bildnuß Antonij Franckenpoint auß Gellern Bildtnus Einer seltzamen vnd Wunderlichen Geburth Biltnus Einer wunderlichen geburth, so Anno 1633 […] geboren Biltnus. Eines kindts, so eines Soldaten weib […] geboren. Bommel ein stat starck in Gellerlandt

200 205

GENEALOGIE PAPALE

203 204 112

172 194 144 6 25 98 21 47 122 101 100 83 120

110 70 88 8 196 170 109 35 34 164 160 57 189

Der Weiber Privilegien vnd Freyheitten. DEr Welt lauff vnd wesen DES BAPSTS GESCHLECHT LA

Cales fast ein vnwinbar ort [Inc.] Christliche Schlagvhr, das ist Gottselige Erinnerung Christoph Neander/ von Lüben Confesion von Gottes Gnaden. Widerumb floriert Consilivm septem nobilivm anglorvm conivrantivm Consultation vnd vnderredung deß Ehrwürdigen […] Raets Conterfeth Eines wunder-Fisches Scholl, oder Platteyß Cronung Jhrer May: Königs Ferdinandi II. CVRRVS VELIF: ILLVST: PRINCIP: MAV:

108

Darbey ist auch kein grösser lust [Inc.] Das Christlich Gülden ABC. für jederman Den 29. Ianuarij 1633, seindt bey Hesingen Der Arminianer Schantz zu Leiden. Der außgeplinderter Spanier. Der Dama Hertzlicher Wuntsch Je langer Je lieber Der gantze ACTVS oder CEREMONIEN Der Geistliche Ritter Dessen Beschreibung DER GROSSER TEVFFEL ist außgelassen Der güldne Stab Vmb welchen die Spannier Der gütig Esel bin ich genant Der Hanrey werde ich Genandt Der Juden zukunfftiger Messias groß Der Jungfrauen Schawspigel Werdt Jch Genanndt Der Kinderfresser. Der Nasen Schleiffer Bin Jch genandt Der Nyemands. Der Jesuiten grosse Klag/ wegen jhrer verlohrnen Häuser

40

1 222 168 118 129 211 139 218

9 175 138 181 42 115 3 96 131 80 48 29 69 60 75 61 167

Das Bauern Vatter vnser wider die […] Landsknecht Des Seckels Jämmerlicliche [!] Klag vber seinen Herren Deß Bapst Frevel vnnd Sanct Peters Eyffer Deß verjagten Frieds erbärmliche Klagred DIALOGuS oder Gespräch/ S. Pauli Die Belägerung der Statt Bergen op Soom Die belagerung vor Rouan angefangen am 8 Octob 1591 Die Beständigkeit Johann Hußens und Hieronymi DIE GREVLICHE MORDEREI BEI IONCKERSDORFF. Die Narrisch Wellt. Die Schencken Schantz ein fäster ordt [Inc.] Die VerKehrte Welt hie kan Wohl besehen Jederman. Die widerwertige welt Diese Figur anzeigen thut Christi Dieser Figur eigentlicher Verstandt/ vnd trewhertzige Außlegung Doctor Wurmbrandt. ECHO, Das ist/ Ein kurtz […] Widerschall Eigentliche Abbildung etlicher Stätt vnd Oerter Eigentliche Beschreibung/ Deß auß Jrrlandt Eigentliche Contrafactur aller vnderschiedlichen Acten Eigentliche Contrafactur aller vnderschiedlichen Acten Eigentliche Contrafactur aller vnderschiedlichen Acten Eigentliche und wahrhaffte Abbildung Der […] Vestung Wien Eigentliche vnnd kurtze Erklärung welcher gestalt Eigentliche Vorbildung vnd Bericht, welcher gestalt

50 12 97 81 64 93 85 128 148 102 141 99 18 111 15 16 126 59 27

142 145 161 135 140 153 192 130 176 449

Eigentlicher Abriß Der Statt Breda Eigentlicher Abriß der vor vnüberwintlichen gehaltnen Eigentlicher Abriß/ vnd warhafftiger/ gründlicher Bericht Eigentlicher Entwurff der grossen und kleinen INSuL Ein ädeles gemüet stäkt nicht nur in gebärden [Inc.] Ein bewehrtes Recept. Für das vmblauffende Rädlin Ein köstlich bewerte Praeseruatiua wieder die Armuht Ein Nagelnewe grosse auffschneid Geyge Ein Newer Kunckelbrieff Die widersinnige Weldt genandt Ein Sändschreiben auß Italia, von einem Welschen Ein sehr nötiger Aderlaß=Zettel auff alle Jahr Einfältige/ doch Hertzbewegliche Gedancken Einfältige/ schlechte vnd rechte/ auch sehr Christliche […] Erinnerung Eingentlicher Abriß der mächtigen […] Statt Roschelle Einzug. der Churfürstl: Brandenburgischen Herrn Abgesanten EJgentlicher Abriß/ als im 1626. Jar [Erneuerter und zu einem Jährlichen Memorial…] Erschröckliche Wunderzeichen/ So sich in Moscau […] begeben ES JST FRJED/ Psalm 46. v. 6.7. Etliche Schaw-Essen so dem Sächsischen Confect gefolgt. EX C. PLINII IIX. NATuRAL. HISTOR. CAP. XVI. ET ALIIS Eygentlicher Bericht/ Was massen der getauffte […] Jud Figuren oder fürmalung der Göttlichen […] Thaten Franckreich o Rosengarten schon: du zarte Braut [Inc.] Fraw Seltenfrieds Eselreuter Freüdiger Zuruff dem Königreich Engeland Fürbildung eines gantz vnmangelhafften Pferds Fürwitziger Weiber Taschen-Spiel Geistlich Schützenwerck. Erklärung Des Hochbewehrten Symboli Gelegenheit des Bommeler Wehrts Göttliche Wunder- und WarnungsWercke Groß Europisch Kriegs=Balet/ getantzet Grundrichtige Vorstellung und ausführliche Beschreibung HANS PENS ALIAS HANS WORST. HEINTZMAN spricht. Holla Feygen [Inc.] 450

152 149 225 193 71

Helfant. Augenscheinliche vnd schrifftliche abconterfehung Hie hengt der Bosswicht wolbekant [Inc.] Hie reitt der Herr vnd auch der knecht Historia/ Von den Sieben Schwaben mit dem Hasen Hoeffart ein Matter [!] aller sundt [Inc.] Holla wahin mit der Leimstangen [Inc.]

207 224 127 32 68 66

Newe zeitung Vnd beschreibung ein frembdes seltzam wunderthier 45 Newer Köpff-Kram/ Das ist: Kurtzer Bericht 38 Newer Korb voll Venuskinder 43 Neweröffneter Ernsthaffter/ hochstraffwürdiger/ vnd vnverbrüchlicher Weiberbefelich 51 Nisi conuersi fueritis, gladium suum Vibrauit [Inc.] 5 O Angst vnd noth du liber gott [Inc.] 146

26 65 77

Jn dieser Mappa worden fur den augen gebildet Jn Elsas jetz erschalt das Horn In Serenissimi atqve Illvstrissimi Ambrosii Spinolae […] honorem

117 171

217

Jetz die Henn will sein der Haan Iohann: Faulhabers: Gehaimes Prognosticon Juch Hoscha/ der mit dem Geld ist kommen.

46 195 22

186 73 150

187 154 199 197 185 163 131a 227

Kinder=Spiel/ oder Spiegel dieser Zeiten Kriegstrost/ Abgesehen auß den andern Buch der Könige Kurtze beschreibung eines recht schönen Jungen Weibs. Kurtzer Bericht/ Was sich in verschienener Charwochen LABORATORIVM. Der Meychel Gsponst. Ligistischer FeldtScherer. LJeba Treina hair laun dir sage [Inc.] l Jar eine Großmuter lx Jar deß Alters schuder L. Jar still stahn. lx Jar geht’s alter ahn. LVTHERVS TRIVMPHANS lxx Jar alt Vngestalt, lxxx Jar, wüst vnd erkalt lxx. Jar ain Greis. lxxx. Jar nimmer weis.

124 178

123

14. 31

PSALMO LXXXIV. Barmhertzigkeit vnd warheit PROCESSION Der HochAnsehnlichen Leichbegängnuß

13 87 41 143

166 162 33 33c 33h 90 33d 33i

Relation Oder Beschreibung so Anno 1669. S. G. P. W. Ein schön Christandächtiges Gebett Schantzen und Wag-Spiel Unterschiedlich Hitzig Verliebten Schild/ Spiegel/ Signet Des eltisten Standes Schneiderischer Maußworff Das jst. Bezüchtigung Schön/ Köstliche/ vnd bewehrte Recept SCORTATIO FuGIENDA. Wider die Hurerey Sehet auff/ das ist eyn seltzams thier [Inc.] Seuffzer nach dem Guldinen Friden Siehe gunstiger Leser wie ein wunderbarliche Creatur [Inc.] Sihe lieben Henn von wannen [Inc.] Spiegel des Antichrists. Spiegel dich MVLIER. SPIEGEL MENSCHLICHES LEBENS STRIGONIVM A CAESARIANIS OBSESSVM ANNO CHR. M.D.XCV. Sturio talis in Rheno prope Argentinam [Inc.] SVED DEVS inversus; sic est [Inc.]

228

86 44 39 28 52 58 89 184 201 23 132 55 2 104 209 169

91 95 54 188 79 56

158 113 198 182 191 63 62

Magdenburger Laug Marie der Königin auß Schotlandt/ eigentliche Bildnuß. Mein bruder Hans woes ewch gefelt [Inc.] Memorial Zedel/ so in allen Gericht vnd Rahtstuben Mit Bewilligung der Hohen Obrigkeit Model vnd Art/ gantz wunderbart Nach dem Elisa Konigin [Inc.] Nachdem Spinola Oldenziell Gebracht hatte [Inc.] Nase über alle Nasen/ vnd Bart über alle Bärte. Newauffgerichtete Verträwliche Brüderschafft eines Frantzösischen vnd teutschen Soldatens. Newaußgebildeter jedoch wahrredenter ja rechtschaffener Auffschneider Newe Bauren=Klag/ Vber die Vnbarmhertzige Bauren Reütter

165 94 67 24 215 76 114 121 74

30 78 84

Teutsche Sprichwörter. Teutsche Sprichworter. Thomas Percy in Engelland Eins edlen Gschlechts [Inc.] Tödliche Abcontrafactur/ Weiland Deß […] Herrn Matthiae Trauer Sonnet Vber den Krieg vnd Sieg Vnerlogene/ Gewisse/ auch Warhafftige Newe Zeitunge Vnser sind Siben. NOVS SOMMES SEPT Vrsprung vnd Gegenwertiger Standt der Caluinischen Secten Vrtheil vnd Gericht so vber zwen […] vbelthäter geschehen Vergleichung Des Babst Schlüssel Vier vnderschiedliche Tafeln/ von jetzigem Lauff Vis nunquam peccare; Deo vis viuere gratus? [Inc.]

10 11 119 220 173

20 19. 136 223 125 147 7

Von dreyen natürlichen Lüsten des Menschen Wa Ich mich nur hinker vnd wend Waare Abbildung Jhrer Churfürstlichen Durchleucht Waarhaffte grösse vnd abbildung eines Zaan Wahlsteinisch Epitaphium: vnd kurtze verzeichnuß Wahre abbildung, welcher gestalt der Durchleucchtigst Wahre abcontrafactur eines erschröcklichen Wunderthiers Wahre Abildung der Wunder Gebuhrt WAhre vnnd eigentliche Abbildung/ sampt […] Beschreibung Wahrer vnd eigentlicher Abriß/ der starcken Belägerung Wahrhaffte Relation Auß Gröningen vom 21. (31.) Decembr. 1672. Ware abbildung Eines erschröcklichen Wunder thires Ware Bildnüß vnd Contrafactur/ des Ehrwürdigen Warhaffte vnd eigentliche Abbildung Des wunder grossen Wallfisches

36 82 159 214 177 155 208 206 157 156 190 212 219

Warhafftige Abbildung/ sampt eigentlichem Bericht Warhafftige bericht vnnd Abbildung der Statt Smolenska Warhafftige/ eigentliche/ gewisse Abconterfeitung Warhafftige vnd eigentliche abbildung des […] Feldzugs Warhafftiger verlauff vnd abbildung/ von Wilhelm Laud WARHAFTE CONTAFEHVNG DER VESTVNG GRAN WARHAFTE CONTRAFACTVR DER VESTVNG GRAN WARHAFTE CONTRAFACTVR, DESZ FVRtreffelichen Edelstein und Kleinodien Kaufmans [WARHAFTIGE CONTRAFACTVR DER GROSEN DRIFACHEN STAT PARIS] Weg vnd Abweg/ eines Christglaubigen Menschens Weiber Priuilegi/ vnnd Freiheit/ Das ist/ kurtzer Bericht Weiber Recept/ Das ist/ Kurtzer vnd ordentlicher Bericht

151 133 134 116 183

Weltlauff/ oder artige Fabel deß Esels Wie der Bawer die Saw schlacht [Inc.] Wie Jhr König: May: Ferdinand III Wie Spannien mit Niderlandt vmbgangen Windmühl, auff welcher Alte Weiber Jung gemahlen werden. Wundergewächs von Sibenzehen Nussen bei eynander Wunderliche Mißgebürt So Anno 1633 […] geboren

72 229 179 137 37 216 202

105 106

226 230 4

X Jar Kindischer art, XX Jar ein Jungfrau zart x. Jar Kindisch xx. Jar Rindisch. xc Jar ein Marterbildt, C Jar das Grab außfült xc. Jar der kinder spot. C. Jar genad dir Got. XXX Jar im hauß die frau xxx. Jar ain Man. xl. Jar haußhalten kann.

33a 33f 33e 33j 33b 33g

49 53

ZV wissen sey Männiglich/ daß allhie ankommen [Inc.]

210

213

451

Personenregister (unberücksichtigt sind die Fußnoten; angegeben werden die Nummern der Kommentare)

Abelin, Johann Philipp 107 Abraham a Santa Clara 80 Agricola, Johann 12 Ainsworth, Henry 136 Aitzinger, Michael 94, 98–100, 107–110, 112, 120 f., 129, 223 Alard, Wilhelm 86 Alba, 3. Herzog von (Fernando Álvarez de Toledo) 96 Albertinus, Aegidius 75 Alberus, Erasmus 72 Albrecht VII., Erzherzog von Österreich 108 f., 116, 124, 145 Albrecht von Sachsen 88 Albrecht Alcibiades von BrandenburgKulmbach 85 Aldobrandini, Gian Francesco 104 Alexander V., Papst 141 Alexander, Blasius 144 Alexius, Kaspar 144 Altseer, Simon 228 Altzenbach, Gerhard 6, 21, 34 f. 40, 42, 47, 75 Amman, Jost 25, 33, 33b Andreas von Österreich 111 Andreae, Johann Valentin 57 Andreini, Francesco 174 Anna von Dänemark 114 Anthonisz., Cornelis 35 Antonius, Erzbischof von Florenz 125 Apiarius, Matthias 80 Ariosto, Ludovico 174 Arminius, Jacobus 136 Arnulf von Orléans 125 Aubry, Abraham 21, 34 f. 44, 75 Aubry d. J., Peter 3, 17, 38, 71, 84, 183 Augustinus 97, 127, 213 Augustinus Triumphus 125 Aurbacher, Ludwig 32 Avenarius, Jacobus 194 Avian 72 Babprint, Christianus (fingiert) 143 Bach, Abraham 75 Baldus de Ubaldis 125 Banér, Johan 159 Bartholin, Thomas 206 Baudaert, Willem 98, 100, 111, 120–122 Bázan, Álvaro de, 2. Marqués de Santa Cruz 174 Bebel, Heinrich 41 Beermann, C. 52 Beham, Barthel 23

Beham, Hans Sebald 33 Bellarmin, Robert 125, 143 Bergh, Hendrik van den 147, 156 Bergmann von Olpe, Johann 88 Berkenrode, Floris Balthasarsz. van 117 Berner, Johann 92 Bernhard von Sachsen-Weimar 172 Bernhard von Clairvaux 125 Bethlen, Gábor 147 Bèze, Théodore de 136 Birckenhultz, Paul 66 Birken, Sigmund von 6, 57, 87 Blanckardus, Casparus 229 Blunschi, Johann Michael 9 Boccaccio, Giovanni 44, 188 Bodenehr, Johann Georg 199 Bogislaw XIV. von Pommern 161 Bolsec, Hieronymus 136 Bonomi, Giovanni Francesco 100 Bosche, Elias van den 124 Bosse, Abraham 46 Bouton de Chamilly, Noel 191 Brahe, Nils, Graf von Visingsborg 172 Brant, Sebastian 9, 11, 17, 23, 63, 65, 80, 88, 212 Braun, Augustin 3 Brentel, Friedrich 3, 59 Breu d. J., Jörg 35 Breugel, P. (fingiert) 63 Breydenbach, Bernhard von 160 Brinner, Caspar 25 Browne, Robert 136 Brueghel d. Ä., Pieter 11, 13, 33, 61, 63 Brülow, Caspar 3, 59 Brun, Isaak 22 Bruneau, Robert 136 Bry, Johann Israel de 43 Bry, Johann Theodor de 43, 66, 75 Bucquoy, Karl Bonaventura Graf von 110, 120, 123 f., 147, 159 Büheler, Sebald 200 Bürger, Gottfried August 78 Büttner, Wolfgang 229 Bugenhagen, Johannes 90 Buschweiler, Matthäus 2, 65 Bussemacher, Johann 94 Callot, Jacques Calvin, Johannes Camerarius, Ludwig Canstein, Raban von

84, 152, 175 136 146 187

Capet, Hugo Caprara, Aeneas Sylvius Graf von Carolus, Johann Cats, Jacob Charles de Lorraine-Guise, Kardinal von Lothringen Christian IV. von Dänemark Christian von Braunschweig Christine, Königin von Schweden Cleland, John Clément, Jacques Corneille, Pierre Corniger, Franciscus Corthoys, Conrad Cranach d. Ä., Lucas 3, 91, Cranach d. J., Lucas 90, 127 f., Cromwell, Oliver Cruciger d. Ä., Caspar Custos, Dominicus 3, 7,

230 192 93 13

Daneau, Lambert Danz, Johann Peter Daucher (Stecher) Daun-Falkenstein, Wirich VI. von Demokrit

97 144 141 113 15

Ebeler, Anna Eber, Paul Eberhard von Salzburg Eberhard I. von Württemberg Ecks, Philipp Eco, Umberto Eduard VI. von England Egenolff, Christian Eleonore, Königin von Böhmen Elisabeth von Österreich Elisabeth I. von England 94, End, Johannes Engelberger, Ferdinand Franz Enß, Caspar 107, Erasmus von Rotterdam Ernst von Bayern, Erzbischof von Köln Ernst, Jakob Daniel Eyering, Eucharius

96 159 149 186 203 95 174 41 52 126 219 188 90 104

228 90 125 88 223 77 f. 94 33 f. 155 207 114 f. 219 227 110 f. 85 99 f. 229 32

Fabry, Wilhelm 212 Farnese, Alessandro, Herzog von Parma 98, 100–102 Faulhaber, Johannes 83, 195 Ferdinand II., Kaiser 139 f., 145, 153⫺155, 168, 176, 179, 220 453

Ferdinand III., Kaiser

135, 153, 155, 179, 184, 186 Ferdinand IV., König 220 Ferdinand von Spanien, Kardinalerzbischof von Toledo 184 Fiebig, Katharina 192 Fincel, Job 229 Fischart, Johann 31, 33a–33j, 41, 56 f., 90, 92 f., 200 Flacius, Matthias 90, 92 Flötner, Peter 47 Forster, Johann 90 Francart (Francquart), Jacques 220 Franck, David 217 Franck, Hans Ulrich 84, 175 Franckenpoint, Anton 200 Franz II. von Fankreich 94 Franz von Guise (François de Lorraine, duc de Guise) 144 Freens, P. 124 Friedrich I. von WürttembergMömpelgard 115, 224 Friedrich V. von Brandenburg-Ansbach 88 Friedrich V. von der Pfalz 140, 145–147, 159, 170, 182 Friedrich Heinrich von Oranien-Nassau 124, 145, 156 f., 174, 181, 184 Friedrich Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg 182, 184, 191 Fuchs, Jobst Christoph 190 Funck, David 6 Fürst, Paul 6, 15, 30, 32, 35–38, 43, 51, 57, 78, 84, 87 Galen, Bernhard von 190 Gallus, Nikolaus 90 Gaubisch, Jakob d.Ä. 219 Gebhard Truchseß von Waldburg 99 Geelkerck, Nicolas van 148 Geißberger, Peter (Pseud.) 28 Gengenbach, Pamphilus 35 Georg Wilhelm von Brandenburg 159 Gerlach, Sigismund 86 Gertner, I. C. 179 Gesner, Conrad 207, 209, 213 Gheyn, Jacques de 129, 218 Glaser, Hans Heinrich 213 Gleen, Hermann 223 Goltz, Conrad 68 Goltzius, Hendrik 62, 129, 224 Gontaut, Armand de 102 Gottfried Heinrich, Graf zu Pappenheim 172 Gottsched, Johann Christoph 43 Gregor I. der Große, Papst 68, 125 Greuter, Christoph 31, 83 Greuter, Matthäus 66, 69 Grimani, Antonio 100 Grimm, Brüder 32 Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel 14 f., 27, 49, 81, 84 Groenning, Gerard 207 Grotius (de Groot), Hugo 130, 218 Gruppenbach, Georg 92 Gryphius, Andreas 174 Guldenmund d. Ä., Hans 23 Gustav II. Adolf von Schweden 85, 158 f., 161–165, 168–173, 178, 182 454

Haen, Willem de 124 Hätzlerin, Clara 41 Hafner, Johann Christoph 2 Hall, Joseph 20 Hannas, Marx Anton 35 Harpf, Sebastian 175 Harsdörffer, Georg Philipp 30, 87, 227 Harun ar Rashid, Kalif von Bagdad 210 Hatzfeld, Franz von 162 Hautt, David 178 Heemskerck, Maarten van 78 Heerbrand, Jakob 92 Heinrich II. von Frankreich 95, 230 Heinrich III. von Frankreich 95, 137, 230 Heinrich IV. von Frankreich 95, 97, 102, 108, 110, 131a, 137, 230 Heinrich VIII. von England 94 Heinrich von Guise 95 Heinrich Julius von Braunschweig 174 Helmont, Jan Baptista van 217 Helst, Bartholomeus van der 30 Henneberg, Berthold von 88 Henry Stuart, Lord Darnley 94 Heraklit 15 Herberstorff, Adam Graf von 154 Herr, Michael 58 Heyden, Jakob von der 3, 5 f., 10 f., 13–16, 19, 127, 152, 156, 160, 163 f., 170 f., 173, 184, 202–205, 209, 212 Heyden, Marx von der 3, 9 Heußler, Leonhard 217 Hieronymus, Reichsgraf von ColloredoWaldsee 172 Hieronymus von Prag 141 Hipschmann, Sigmund Gabriel 191 Hörnig, Bartholomäus 225 Hoffmann, Johann 44, 191 Hoffmann von Hoffmannswaldau, Christian 33a Hogenberg, Abraham 120, 122, 133 Hogenberg, Franz 98–102, 107–114, 119–122, 130, 133 Hogenberg, Johann 224 Hogenberg, Familie 129 Hollar, Wenzel 207 Holtzwart, Mathias 33f Holtzweiler, Hinrich 223 Honauer, Georg 224 Honervogt, Jacques 136 Hondorff, Andreas 229 Hopfer, Daniel 33 Horaz 83 Horn, Gustav 163, 171 Hugwart, Elias 3, 59 Hulsius, Friedrich 172 Hunnius, Ägidius 125 Hus, Johann 90, 141 Huter, Conrad 216 Ibrahim I., Sultan Ignatius von Loyola Innhausen und Knyphausen, Dodo Freiherr zu Isaac, Jaspar de Isabella Clara Eugenia von Spanien Isselburg, Peter

182 165 172 19 124, 152 3, 58

Jakob I./VI. König von Schottland und England 114 f., 118 James Stewart, 1. Earl of Moray 94 Jan III. Sobieski von Polen 192 Jansen, Wilhelm 156 Jena, Friedrich von 187 Jenichen, Balthasar 230 Joachim Ernst von Brandenburg-Ansbach 145 Joachim de Fiore 196 Jobin, Bernhard 33a–33j, 93, 200 Johann III. von Portugal 207 Johann IV. von Braganza, König von Portugal 181, 184 Johann Georg I. von Sachsen 146, 158 f., 163, 182, 184 Johann Georg II. von Sachsen 222 Johann Georg III. von Sachsen 222 Johann Moritz, Graf zu Nassau-Siegen 187 Johann Sigismund von Brandenburg 81, 137 Johann Wilhelm von Jülich-Cleve-Berg 100 Johannes XXIII., Papst 141 Johannes de Temporibus (Jean d’Éstampes) 200 Johnson, Francis 136 Jonston, John 160, 207 Josef II., Kaiser 220 Käppeler, Bartholomäus 224 Karl I. von England 183 Karl II. von England 188 f. Karl IV. von Lothringen 182, 184 Karl V. Leopold von Lothringen 192 Karl IX. von Frankreich 207 Karl der Große, Kaiser 210 Karlstadt, Andreas 136 Keller, Georg 111, 135, 153, 155 f. Kepler, Johannes 195, 217 Kern, Thomas 75 Kethulle, Lodewijk van de 151 Kieser, Eberhard 65, 139 f. Kilian, Lukas 72 Kilian, Wolfgang 154 Kircher, Athanasius 217 Kirchhof, Hans Wilhelm 32 Klaj, Johann 87 Klocker, Johann 217 Kohl, Andreas 30 Koningh, Abraham de 3 Krause, Christoph 217 Kress, Georg 208 Lang, Georg 98 Latomus, Sigmund 139 Laud, William 183 Lederlein, Jakob 92, 207 Leo I., Papst 210 Leo X., Papst 90 Leopold I., Kaiser 187, 192 f. Lindener, Michael 209 Lochner, Christoph 78 Logau, Friedrich von 42 Louis I. de Bourbon, Fürst von Condé 96 Lucius, Jakob d. Ä. 219 Ludwig VII. von Bayern 141 Ludwig XIII. von Frankreich 150, 181 Ludwig XIV. von Frankreich 184, 186, 189 Lukian 77 Lundorp, Michael Caspar 139, 152

Luther, Martin

14, 29, 39, 63, 89 f., 93, 97, 126, 136, 141, 196, 219

Machiavelli, Niccolò 132 Maes, Pieter 94 Magnus, Olaus 160, 213 Major, Johannes 90 Mancisidor, Juan de 129 Mander, Karel van 75 Mandeville, John 20, 78 Mang, Christoph 7, 118 Mang, Sara 7, 83 Manger, Michael 25 Mangolt, Gregor 209 Mannasser, David 166 Mansfeld, Ernst von 146, 149, 159, 167 Mansfeld, Karl von 104, 110 Manuel I. von Portugal 210 Manzoli, Pietro Angelo 128 Marcello Palingeni Stellati (Pseud.) s. Manzoli, Pietro Angelo Margarete von Valois, Königin von Frankreich 95 Maria von Spanien 207 Maria Stuart, Königin von Schottland 94, 114 Maria Tudor, Königin von England 94 Marie de Guise, Königin von Schottland 94 Matthias, Kaiser 104, 135, 139, 153, 179, 220 Maximilian I., Kaiser 88 Maximilian I. von Bayern 146 f., 154, 184, 195 Maximilian II., Kaiser 207, 210, 220 Maximilian III., Erzherzog von Österreich 103 Maximilian Philos von Trier (Pseud.) s. Münster, Johann von Mayer, Lucas 22 Mayr, Daniel 6 Mechel, Johann Conrad 9 Mechel, Johann Jakob 9 Medici, Don Giovanni de’ 104 Megiser, Hieronymus 160 Meisner, Daniel 36, 220 Melanchthon, Philipp 90, 126, 196 Meldemann, Niklas 212 Mendoza, Francisco de 111–113 Merian, Caspar 187 Merian d. Ä., Matthäus 57, 87, 172, 176, 214 Merkel, Georg 85 Meteren, Emanuel van 98–100, 107 Meyer, Conrad 13 Meyer, Rudolph 84 Michelspacher, Stephan 72 f., 217 Mittel, Johann Heinrich 178 Mladenovic, Petrus de 141 Moncada, Francisco de, 3. Marqués de Aitona 174 Monogramme: C.B. s. Brülow, Caspar cl s. Lochner, Christoph C.M. (Monogrammist) 84 C.M. (Autor/Verleger) 216 C.R. (Monogrammist) 84 C.R. (Verleger) 86 D.M.C. s. Meisner, Daniel D.T.K. s. Kern, Thomas E.R. s. Rudel, Elias HFR (Monogrammist) 72 HG (Monogrammist) 78

HHG s. Glaser, Hans Heinrich HK 179 H.S. s. Siebmacher, Hans H.S.C. (Autor) 211 I.B. (Autor) 224 IFS s. Francart (Francquart), Jacques I.H.M. (Monogrammist) 188 IR (Monogrammist) 33i I.V. (Monogrammist) 215 J.B. (Autor) 224 J.G.S.B.R. (Stecher) 44 J.Kl. s. Klaj, Johann MB (Monogrammist) 33a–33j M. G.A.D. (Autor) 218 P.B. s. Birckenhultz, Paul Montanus, Martin 32 Montcornet, Balthasar 149 Montecuccoli, Ernst Graf von 171 Moritz von Nassau-Oranien 111 f., 116, 122–124, 130, 131a, 137 f., 145, 148, 151 f., 157, 218, 226 Moscherosch, Johann Michael 38, 55, 71, 81, 84 Münster, Johann von 125 Münster, Sebastian 213 Murner, Thomas 11, 15, 23, 75 Musculus, Andreas 53 Nádasdy, Ferenc Nas, Johannes Neander, Christoph Nerger, Joachim Ness, Johann Neudörffer d. Ä., Johann Neyen, Jan Nikolaus von Kues

104 90 222 222 179 12, 25 124, 129 196

Obentraut, Hans Elias Michael von 145 Oldenbarnevelt, Johan van 130, 131a, 138 Olivares, Gaspar Graf von 181 Oppenheimer, Joseph Süß 224 Ortelius, Hieronymus 107, 193 Otto Ludwig, Rheingraf zu Salm 175, 178 Overadt, Peter 3, 68 Oxenstierna, Axel 184 Pàlffy, Nikolaus 103 f. Pappenheim, Gottfried Heinrich Graf zu 154, 173 Paracelsus (Theophrastus Bombastus von Hohenheim) 49, 170 Paravicini, Antonio 144 Paré, Ambroise 203 Parys, Jan van 226 Passe, Crispin de 62, 118, 129, 201, 226 Pencz, Georg 33, 72 Peck, Pieter 147 Percy, Thomas 119 Petrarca, Francesco 124, 188 Pfefferkorn, Johannes 23 Philipp II. von Spanien 98, 110 f., 124 Philipp III. von Spanien 111, 145 Philipp IV. von Spanien 174, 184 Piccolomini, Octavio 172 Pindar 85 Platter, Felix 214 Plinius d. Ä. 79, 131a, 160, 213 Poggio Bracciolini, Gian Francesco 141

Polyander, Johannes Pot, Hendrick Prudentius Quad von Kinckelbach, Mathias

3 218 3 62

Rabelais, François 20 Rabenhaupt, Karel 190 f. Rákóczi, Georg I., Fürst von Siebenbürgen 182, 184 Rembold, Matthäus 26, 31, 185 f. Rembrandt van Rijn 215 Reuchlin, Johannes 23 Reusner, Nicolaus 219 Reuter, Christian 78 Richardot, Jean 129 Richelieu, Kardinal 150, 181 Richter, Christian 84 Ring, Hermann tom 5 Ringwalt, Bartholomaeus 9 Ripa, Cesare 64, 83 Rist, Johann 84, 174 Rollenhagen, Georg 67, 72 Rollos, Peter 36 Rompler von Löwenhalt, Jesaias 71 Rosarius (du Rosier), Simon 91 Roth, Leonhard 39 Rowlands, Richard s. Verstegan Rudel, Elias 158 Rudolf II., Kaiser 104, 135, 194, 220 Sachs, Hans 14, 28, 44 f., 64, 72, 85 Sadeler, Johann 7 Salsmann, Wilhelm 124, 135, 153 Sartorius, Albertus 24 Saubert, Johann 58 Sauter, Jonathan 224 Savery, Salomon 174 Schan, Jörg 61 Schenck, Johann Georg 200 Schenck, Martin 111 Scherffer von Scherffenstein, Wencel 48, 80 Schmuck, Friedrich Wilhelm 212 Schneuber, Johann Matthias 71 Schnitzer, Lucas 179 Schoch, Johann Georg 42 Schöffer, Johann 89 Schöffer d. J., Peter 23 Schön, Erhard 33, 47, 54 Schönig, Johann Jakob 199 Schorer, Christoph 55 Schottelius, Justus Georg 84 Schultes d. Ä., Johann 7, 25 Schultes (Schultheis) Lorenz 60 f., 75 Schwarzenberg, Adam Graf von 159 Schwarzenberg, Adolph Freiherr von 104 Schwayhofer, Anna 228 Schweitzer, Christoph 12 Sebastian von Portugal 207 Serwouters, Pieter 3, 59 Sevender 210 Shakespeare, William 174 Siebmacher, Hans 103, 105–107 Sigismund, Kaiser 141 Sigismund III. Wasa, König von Polen 133 Sixtus V., Papst 230 Snayers, Peter 152 455

Solms-Laubach, Otto Graf von 134 Somerset, Edward Seymour 94 Sommer, Johann 65 Spangenberg, Johann 39 Spinola, Ambrosio 116, 120–124, 129 f., 137, 145–148, 151 f., 159, 166, 174 Spohr, Jacob 225, 228 Stapelton, Thomas 125 Staphylus, Friedrich 90 Starhemberg, Ernst Rüdiger Graf von 192 Steinhöwel, Heinrich 72 Stephan I. der Heilige, König von Ungarn 104 Stevinus, Simon 218 Stilicho, Flavius 144 Stimmer, Tobias 33a–33j, 93 Stoltz (Stolsius), Johann 219 Süleyman II., Sultan 104 Sustris, Friedrich 7 Swanenburgh, Willem van 218 Swelinck, Jan Gerrits 13 Swift, Jonathan 74 Tacitus 71, 74 Tannatzol, Bartholomäus 154 Tello Portocarrero, Hernán 11 Teuffenbach, Christoph von 103 Thalmann, Matthias 104 Tilly, Johann Tserclaes, Graf von 146, 149, 159, 162, 163, 165, 167, 170 Theophilus de Seelandia (Pseud.) 97 Thevet, André 230 Thomas von Aquin 68

456

Torstensson, Lennart Trew, Abdias

182 217

Ulrich, Heinrich Ungnad, David Urban VIII., Papst

118, 208 104 165

Vauban, Sébastien Le Prestre de Velázquez, Diego Venne, Adrian van de Vere, Horace Vergil Verreyken, Louis Verstegan (Rowlands), Richard Victor Amadaeus I. von Savoyen Vigne, Jan de la Vinckboons, David Vinzenz von Beauvais Visscher, Claes Jansz.

189 152 13 145, 149 79, 222 129 94 184 226 3, 59 200 35, 124

Wagner, Johann Erhardt 1 Walch, Georg 169 Waldt, Nicolaus 22 Wallenstein, Albrecht von 172 f., 176 f. Wechter, Hans 125 Weiditz, Hans 60 Weinsberg, Hermann 223 Weise, Christian 19 Weiß, Jacob 193 Wellhöfer, Elias 228 Wely, Jan van 226 Wentworth, Thomas, Earl of Strafford 183

Werder, Diederich von dem Wessel, Johann Westenborch, Johann Wickram, Jörg Wiering, Thomas von Wilhelm I. von Oranien Wilhelm III. von Oranien, König von England Wilhelm, Landgraf von Hessen Wilhelm Ludwig von Nassau-Oranien Wills, Peter Wirrich, Heinrich Wishacken, Philipp Witsen, Cornelis Jansz. Woeiriot, Pierre Wolf, Johann Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg Wyclif, John Wyle, Niklas von Wyss, Urban

189, 191 163 123 223 67 1 30 136 196, 229 81, 137 141 141 12

Zanach, Jakob Zeiller, Martin Zeuxis Zimmermann, Noë Zimmermann, Wilhelm Peter Zwinger, Theodor Zwingli, Ulrich

229 193, 229 222 157 25, 169 200 136

Żółkiewski, Stanisław

173 9 223 229 189, 193 96, 131a

133

Sachregister (unberücksichtigt sind die Fußnoten; angegeben werden die Nummern der Kommentare)

Aachen 129, 137, 201 Abecedarium 9 Ablassbriefe 97, 128 Abraham 3 Aderlass 162, 217 Adonija 147 Adler 34, 125, 147, 170, 195 Adynaton 20, 26, 78, 222 Ähren 6, 198 Aeneas 169 Affe 19, 59, 66, 146 Ahas 87 Akromegalie 200 Akrostichon 219 Alamode-Wesen 15, 27, 43, 66, 76 f., 198 Alchemie 17, 27, 33e, 65, 166, 224 Alexandriner 6, 30, 35, 43 f., 46, 48, 51, 74, 78, 158, 184 f., 191, 198 Altar 132 Alter 33d, 33e, 33i, 33j, 36 f. Altersstufen 34 f. Altweibermühle 37 f. Alzey 145 ‚Amadis‘ 55 Amiens 110 Amplifikation 6, 41 Amsterdam 30 Anapher 6, 55 Andachtsbild 40, 69 f. Anecephalie 203 Anglikaner 136, 183 Antichrist 29, 91, 93, 125–128, 132, 142, 165 Antithese 91, 93, 125–128, 158, 185 Antwerpen 25, 130, 151, 207 Arbeitsethos 23 Ardres 109 Aristoteles 90 Arlequino 19 arma Christi 2, 40, 199 Armada 78, 131 Armbrust 5 f. Arminianer 136, 138 Armut 64 f., 82 Arzt 23, 26 f., 29, 162, 165 Assyrer 87 Astrologie 17, 36, 196, 217 Asyndeton 6 Aufbahrung 220 Auferstehung 6 f. Aufrichtigkeit 71 Aufschneiden 17, 63, 76–78

Augsburg 31, 168 f., 199 Augsburg (Druckort) 9, 25 f., 31, 60 f., 72 f., 104, 118, 154, 166, 169, 199, 228 Augsburger Konfession 168, 196 Ausrufer 21–23, 27, 43, 66, 75 Avaritia 17, 68 Axt 97 Babylon 127 Bacharach 145 Bad 49, 51 Baderstube 165 ‚Bäcker von Eeclo‘ 38 Bär 88, 92, 146, 162, 197 Ballett 182 Bamberg 162 f., 171 Barbier 38, 162, 165 Barmherzigkeit 124, 199 Bart 33h, 74 Bartholomäusnacht 131a Basel (Druckort) 57, 88, 213 Bauer 8, 11, 14, 16, 22–24, 27, 32 f., 63, 75, 81, 84 Bauernaufstand 24, 84, 175 Bauernhochzeit 33 Bauernklage 84 Bauernkrieg 14, 31, 72, 154 Baum 97, 132, 158 Beichtspiegel 4 Belagerung 84, 101 f., 104–110, 112, 116 f., 121, 133, 148–152, 154, 156 f., 181, 189, 192 f., 230 Benfeld 171 Berg gebiert Maus 129 Bergen-op-Zoom 148 Bergheim 99 Bern (Druckort) 80 Bestechlichkeit 24 Bettelmönche 90, 97 Bettler 21–23 Bibelzitat 2–4, 10, 13, 33c, 33j, 35, 39, 54, 58, 73, 82, 87–91, 93, 97, 123 f., 128, 132, 171, 184 f., 195, 198 f., 213 ‚Bigorne‘ 45 Bilderbogen 11, 229 Bilderrahmen 34 Bildersturm 136 Billetdoux 40 Biographie 74, 94, 219 Bischheim (bei Straßburg) 203 Bischoffsheim (Elsass) 206 bivium s. Wege, zwei

Blumenorden, Pegnesischer 6, 30, 87, 142 Bock 28, 48, 89, 92 Böhmen 146 f., 155 Bogen 2 f., 5, 158, 160 Bolzen 6 Bormio 144 Bote 31, 77, 81, 162 Bote, hinkender 20 Brandenburg 159, 165 Breda 151 f., 157, 181 Breitenfeld, Schlacht bei 159, 163, 165 f., 168 Brief 31 Brille 3, 27, 33c, 43, 48, 137 Brownisten 136 Buchführung 25 Buchmalerei 11 Bühne 21 f., 27, 46, 57, 143 Caduceus 137 Calais 108 Calvinismus 136 Cantrell-Syndrom 204 captatio benevolentiae 13 Caro 2 castrum doloris 220 Charleroi 189 Chiavenna 144 ‚Chicheface‘ 45 Chimäre 90 Christus 89, 91, 96, 126 f., 143, 184 Chronogramm 54, 124, 173, 196 Chronos 59 Coevorden 190 comic strip 15 Commedia dell’Arte 19, 174 Confessio Augustana s. Augsburger Konfession Cupido 44 curiositas s. Neugier ‚Curtisan vnd pfrunden fresser‘ 23 Dachs Dachstein Däumling Daniel (Prophet) David Demokrit und Heraklit Den Haag descriptio personae Destillierkolben Destillierofen Deutscher

88 134 74 125 158 15 129, 226 41 33e 27 30, 71 457

Dialog

7, 22–24, 26 f., 30, 42, 54, 64, 66, 82, 85, 93, 128, 146, 167 Dicephalus tribrachius 205 Dietrich 93 Dinge, vier letzte 2 Disputation 184 Distel 82 ‚Disticha Catonis‘ 9 Dornen 123 Dornenkrone 126 f. Dornstrauch 33e Drache 88, 195 Drama 141, 174 Dünkirchen 78 Düren 137 ‚Ecbasis captivi‘ 146 Echogedicht 142 Eckstein 3, 158 Eger 176 f. Ehe 39, 43, 44, 46 f., 51, 53 Ehebruch 44, 48 f., 51, 58 Ehefrau 33bf., 44, 49–51, 55 Ehelehre 39 f. Eheteufel 39, 53 Ehre 73 Ehrenpforte 188 Einzug 114, 126 f., 187 f. Eisleben 219 Eisleben (Druckort) 219, 225 Eitelkeit 67, 69 f. Ekliptik 196 Elefant 194, 207, 210, 215 Elemente 6, 25, 33, 37 Elsass 171, 175 Elternliebe 59 Emblematik 40, 43, 58, 75, 147 Emmerich 137 Engelsturz 68, 95 England 94, 115, 118 f., 183, 188 Enkomion 57 Enns, Land ob der 154 Entführung 223 Epigramm 57, 218 Epitaph 94, 177 Epode 5 Erziehung 33 f., 39, 55, 59 f. Esel 10, 15–17, 19, 27, 54, 72 f., 79 f., 92, 126 f. Eselsritt 19, 54, 80 Esra, Buch 195 Esztergom 104–107 Etymologie 33a, 62, 123, 165, 169 Eule 34, 66 f., 90, 125 Exempel 96 Exorzismus 228 Ezechiel 89 Fabel 72 f., 88, 146 ‚Facetiae facetiarum‘ 41 Fahrende 23, 43, 88 Falke 33f, 33g Fastnachtspiel 22 f., 27, 38, 50, 63, 76, 126 Faulheit 52, 56, 62 Fazetie 57 Feige (Geste) 48 Feinde, drei (vier) 2 f. Fels 123, 125, 158 458

Feuer 33e Fiedel 33a figura etymologica 6 Figurengedicht 1, 12 Finger, durch die F. sehen 48 Finne 76, 161 Fledermaus 34, 66, 125 Fledermausflügel 3 Floh-Literatur 57 Flugblatt-Serie 33, 33a–j, 105–107, 187 Fortuna 25, 59, 123, 147 Frankenthal 145, 149 Frankfurt a. M. 23, 139, 166, 187 Frankfurt a. M. (Druckort) 36, 52, 67, 135, 139, 145, 153, 155, 187, 214, 220 Frankreich 95–97, 101 f., 108–110, 181, 189 f., 192 Franziskus, Hl. 90 Franzosen 30 Freiberg i. S. (Druckort) 196 Fremdwörter 55 Friede (Personifikation) 85, 124, 185 f. Friede, Prager 85, 159 Friede, Westfälischer 30, 86 f., 184–186 Friedhof 5, 7, 34 Fries 33, 33a Friseur 74 Fruchtbringende Gesellschaft 71 Fuchs 42, 79, 88, 92, 132, 137, 146 Fuchsschwanz 42, 88 Fulda 163 Furien 90, 96 Fußwaschung 127 Galgen 223 f., 227 Gans 34, 137, 141 Gebet 86, 144, 158 Gebetskette 33d Gefangenschaft 96, 164, 168 Geige 77, 83, 194 Geißelung 143 Geistlichkeit 12, 23, 92, 96 f., 125, 132, 162 Geld 11, 21 f. Geldbeutel 33b, 51, 56, 59, 64, 82, 96 Geldhändler 8, 65 Gelehrter 10, 23 Geminatio 6, 78 Genreszene 33c Gerechtigkeit 24 Gericht, Jüngstes 2, 5, 7, 24, 33e, 35, 196 f., 211 Gerichtsstube 24 Geroldseck im Wasgau 71 Geschwätzigkeit 23, 46, 49, 52 f., 56 Gesetz 3, 24 Gesetz und Gnade 3, 6 Gesinde 61 f. Geusen 137 Gewissenserforschung 4 Gian Farina 19 Gibraltar 131 Gideon 169 Giraffe 160 Glücksspiel 43 f., 64 Gnadental 100 Gnesiolutheraner 90 Gog und Magog 29, 195 f. ‚Goldenes ABC‘ 9

Goldenes Vlies Goldesel Goldscheuer (bei Kehl) Gran s. Esztergom Grave Griechenland Grillen Groenlo Großmutter Gula

123, 131, 220 22 212 191 194 27 122 f. 33c 4, 63, 68, 97

Händedruck 30, 40 Haeresis 97, 158 Hahn 33f, 33h, 42, 46, 48, 131a Hahnrei 36, 48 Halle a. S. 225 Hamburg (Druckort) 189, 193 Handel 25 Hans Worst 63 Harnschau 27, 29, 146 Hase 10 f., 19, 26 f., 32 f., 66, 77, 79, 92, 146 Haselstrauch 216 Hatvan 103 Hausvater 33g Heidelberg 147, 149, 162 Heilbronn (Druckort) 217 Heiligenverehrung 128 Heiliges Land 20 Heldenschau 32 Henne 33h, 46 Herakles 4, 123 Hermaphrodit 20 Hermes 25, 137 Hernals bei Wien 208 ’s Hertogenbosch 77, 156 f. Herz 40 Hexameter 90, 139 Hexe 53, 228 Himmelfahrt 12 Himmelserscheinung 197 f. Himmelstor 4 Hinrichtung 94, 96, 141, 175, 183, 223–228 Hirsch 42 Hirte 28 Hirte, guter 89 Hiskia 87 Hochzeit 39 Hochzeitsbildlichkeit 95 Hölle 2, 7 f., 126 Höllenmaul 2, 4, 8, 10 Höllenstrafen 8 Hörnchen, Hörner 36, 44, 48 Homo Bulla 129 Horeb 29 Horn 171 Horoskop 196 Hose, Kampf um die 19, 46 f. Hosenbandorden 115, 131 Hugenottenkriege 95–97, 144, 150, 230 Humoralpathologie 33d Hund 33bf., 33f, 33i, 45, 54, 57–59, 66 f., 83, 92, 167, 222 Hunger 5, 216 Hygiene 62 Hygroma colli 202 Hyperbolik 74, 77 f.

Icarus Idololatria IHS-Monogramm Indien Ingolstadt Inquisition Inversion Ire Irenik Ironie Isaak Italien Italiener

78 158 39 20, 129–131 90 90 14–16, 46, 49 76, 160 f. 8 62, 213, 222 3 144 31

Jagd 8, 65, 84, 171 Jahreszeiten 33, 33a, 33f, 33g, 33i, 33j Jakob 33j Jakobus (Apostel) 2 Jerusalem 87, 126 f. Jesaja 87 Jesuiten 8, 90, 92, 95, 97, 125, 131a, 132, 137, 142–144, 162, 165–167, 171, 184 Johannes (Evangelist) 2 Judäa 87 Judas 64, 90, 97 Juden 23, 29, 65, 227 Jülich-Klevischer Erbfolgestreit 134, 137 Jungbrunnen 37 f. Junkersdorf (bei Köln) 99 Justitia 24, 124, 199 Kalb 33f Kambyses 24 Kamm 162 Kannibalismus 96 Kapitell 92 Kapuziner 131a Karikatur 11, 131a, 174 Karneval 17 Katalonien 181 Katechese 1, 9 Katze 45, 88, 92, 132 Kaub 145 Kauderwelsch 31 Kaufmann 25, 65 Kegeln 14, 44 Kette 40, 96 Kinder spielen Töten 229 Kinderfresser 60 Kindermord zu Bethlehem 158 Kinderschreck 60 Kipper und Wipper 64 f., 82 f. Klappbild 68–70 Kleeblatt 186 Klugheit (Prudentia) 24 Knecht Ruprecht 60 Knochenmann 2 f., 5 f., 33e, 34 f. Koch 62 Köln 5, 99, 223 Köln (Druckort) 5, 21, 34 f., 40, 42, 47, 62, 68, 75, 94, 98–100, 102, 108–112, 115, 119–122, 124, 129 f., 133, 201, 223 Königsmord 95, 137 Koloss von Rhodos 78 Kolporteur 27, 43, 75 Komet 195 f., 198 f. Komödianten, englische 19

Komödie 19, 77, 143, 186 Kompilation 24, 72, 215, 219 Komplimentierkunst 71 Konstantinopel 194 Konstanz 141 Konstruktionsallegorie 41, 63 Kontrafaktur 81, 86 Kontroverse 57, 90, 125 Konzil (Konstanz) 141 Kopfwäsche 16, 162, 165 Korb 11, 43, 62 Krakow 120 Krampus 60 Kranich 34, 124, 222 Krankheitsmetaphorik 146, 162, 164 Kranz 33a Krebs 129 Krems 214 Kreuznach 145 Kreuztragung 126, 143 Krieg, Holländischer (1672–1674) 189–191, 197 Krieg, Kölner 99 f., 111 Krieg, schwedisch-polnischer 159 Kriegsgewinnler 82 Kriegsverbrechen 8, 81 f., 84 Krönung 114, 126, 135, 139 f., 153, 155, 179, 187 Krone (Himmels-) 2 f., 173 Kuckuck 48, 90, 222 Küche 62 Küken 34 Kuh 10, 16 Kunkel 14, 123 Kunstgewerbe 6, 67 La Rochelle Laboratorium Labyrinth Lamm Landkarte Landsknecht Langlebigkeit Lappe Lasszettel Laster Lauge, Magdeburger Laute Lebensalter Lebensrad Leichenzug Leiden Leimstängler Leipzig (Druckort) Leporello Leuchter Leviathan ‚Liber Vagatorum‘ Lichtsymbolik Liebe Liebespaar Lied Liga (Frankreich) Lilie Lingen Linz Litotes Livländer

150 166 12 195 193, 230 22 f., 63, 81, 96, 125 74, 200 76, 160 f. 217 8, 26, 63–65, 68 165 33f 6, 33a-j, 34–36, 59, 217 34 5, 34 f., 178 138 66 f. 192 33 168 213 23 83, 89, 97, 125, 168 40, 44, 58, 65 8, 40, 58, 65, 142 86 f., 161 95, 102 2, 90, 95 120–122 154 11 160 f.

Lochem 122 locus desertus 64, 85 Löwe 88, 123, 131a, 132, 146 f., 163–165, 170, 194 f., 197 Löwenhaut 72 f. London 114, 188 Losbuch 9 Lotterie 43 Luchs 88 Lüge 20 Lügendichtung 26, 74, 76–78 Lützen, Schlacht bei 169, 172 f. Maastricht Madrid Männerfantasie Märchen Märtyrer Magdeburg Mainz Mainz (Druckort) Mainzer Akkord Makkaronismus Mammut Mandrill Mannheim Marodeur Mars Maske Maulesel Maulkorb Maultrommel Medienkritik Meduse Meer Mehrsprachigkeit

137, 174 78 42, 57 74, 229 94, 141, 172, 183 159, 162, 165 145, 163, 166 89 145 31, 76 214 215 149 76, 81–84 84, 124, 174, 185 f. 95, 123, 132 127 80 80 20, 74, 76 f., 213 90 83 5, 96 f., 118, 123 f., 138, 149, 169, 201, 209 14 85, 127 2, 5–7, 33g, 34, 69 f., 220 97, 158 9

Meisterlied Melancholie memento mori Mendacium Merkspruch Merkur s. Hermes Messe, Frankfurter 23, 74 Messer 76 f. Michael (Erzengel) 2, 95 Midas 17 miles gloriosus 30, 76–78, 174 militia Christiana s. Ritterschaft, geistliche mi-parti 33a Missgeburt 201–206 Mnemotechnik 1, 9 Mode 66–71, 78 Modekritik 201 Mönch 8, 95, 97, 128, 132, 137 Mönchskalb 196 Molsheim 134, 202 Monatsbilder 52 Monoculus 20 Monstranz 90, 132, 137, 164 Moses 2, 90 Moskau 197 Mücken, spanische 146 München 7 Münster 86 f. Mundartdichtung 32 Mundus s. Welt, Frau 459

Mutter Mutzig

33af., 33e, 55, 59 134

Nachbarschaftsspott 31, 33 Nachrede 73, 75 Nachrichtengewerbe 74, 76–78 Nachtigall 90 Narr 10 f., 17, 19, 22 f., 27, 33a, 38, 46, 48, 62, 66, 76, 171 Nase 74 f. Nation 71, 85 Neid (Invidia) 182 Nemo s. Niemand Nero 85 Neue Zeitung 20, 145 Neugier 20, 55, 75, 83 Neuhäusel (Nové Zámky) 147, 192 f. Neujahr 9, 24, 55 Neuss 100 Niederlande 98, 101, 111 f., 116 f., 120–124, 129–131, 137, 147, 151 f., 156 f., 174, 181, 189 f. Niemand 21, 60 f. Nijmegen 101 Nikolaus 60 Nürnberg (Druckort) 6, 30, 39, 43 f., 58, 78, 87, 103, 105–107, 125, 191, 210, 215, 230 Nuss 216 Obrigkeit Occasio Ödenburg (Sopron) Ofen Offenburg Oldenzaal Omphalozele Oppenheim Orden Ordensverleihung Osnabrück Ostende

24 25, 123, 147 153 38, 61, 65 171 120–122 204 145 39 115 86 116 f., 123, 131

Paar, ungleiches 48 Pätau-Syndrom 206 Pantalone 19 Pantoffelheld 45–47, 51 Papst 91, 93, 96 f., 125–127, 132, 142, 167, 184 Papstesel 97, 196 Papsttum 72, 90, 92 f., 164 Paris 230 Parodie 20, 26, 45, 49 f., 74 Pasquill 72 f., 142 Passau 143, 154 ‚Passional Christi und Antichristi‘ 91, 126 Passionsspiel 143 Patriotismus 71 Paulus (Apostel) 89, 125, 128 Pax s. Friede Pelikan 40 Pernambuco 77 Perpignan 181 Pest 5, 114, 153, 199 Petrischlüssel 90, 93, 125, 164 Petrus (Apostel) 2, 89, 93, 125 Petrus Lombardus 90 Pfaffe von Kalenberg 38 Pfaffenmütz 145 460

Pfalz 145–147, 149 Pfau 19, 42, 59, 68, 125, 132 Pfeil 2 f., 5, 34, 40, 44, 147, 158, 160 Pferd 5, 33f, 42, 59, 79, 126, 159 Pflanzenmetaphorik 33c, 33e, 33g, 33i, 33j, 34 f. Pflug 132 Pforte, enge u. weite 4 Phaeton 83 Phönix 40 Pilger 23 Pilgerschaft (des Lebens) 2, 33j Planetenkinder 84 Planetensymbole 196 Plato 90 Pogrom 227 Polemik 61, 72 f., 90, 97, 123, 125, 132, 136, 142 Polen 133, 197 Pollentia 144 Portugal 181 Prädikant 8 Prag 135, 140 f., 146 f., 155, 163 Predigt 58, 86 Pressburg (Bratislava) 147, 153 Prognostik 83, 195 Prophet 3 Propheten, falsche 83 Prophezeiung 20, 89, 141, 170, 194-196 f. Prosaroman 74 Prozession 143 Prudentismus 71 Prügel 46 f., 51 f., 55, 65 Psychomachie s. Tugend-Laster-Kampf Pterygium colli 201 Pulververschwörung 118 f., 131a Puppe 13, 33a, 33e Puritaner 136, 183 Quader

83, 123, 158

Raab 194 Rabe 33d Rädern 73, 223, 226 Rathaus 24 Rechtfertigungslehre 128 Redensart 10 f., 171 Rees 137 Reformationsjubiläum 90, 93, 97, 141, 196, 219 Regenbogen 2, 7, 197 Regensburg 24, 77, 179 Rehbock 198 Reichstag (Speyer) 207 Reichstag (Worms) 88 ‚Reinhart Fuchs‘ 146 Reisebeschreibung 20, 78 Reiter 79, 84 Reiter, apokalyptische 5, 199 Reiterbild 159 Religionsgespräch 184 Reliquien 90 Rentier 160 Restitutionsedikt 159, 164, 168 Revue 17, 22 f. ‚Reynke de vos‘ 146 Rezept 26 f., 52 f. Rheinberg 122, 137 Rhodos 78 Richter 24

Riese Ritterschaft, geistliche Rollentausch Rom Rose Rosenkreuzer Rotterdam Rouen Rüstung Ruine

74, 78, 200, 214 2 f. 49, 51 127, 167 33af., 33e, 34 57, 83 211 102 3 85

Sachsen 158 f., 165 sächsisch Konfekt 163 Sakramente 1, 5, 91, 128, 142 Salomo 147 salomonisches Urteil 24 Salse 181 Sanduhr 2, 5 f., 33e, 34, 68–70 Sanherib 87 Santiago de Compostela 78 Sarg 5, 7, 34 f., 68–70, 182 Saturn 60 Sau 29 Scapino 19 Schädel 2, 5–7, 34, 69 f., 173 Schaf 89, 131a Schafspelz 137 Schandstrafe 19, 54, 80 Schauessen 163 Schaustellung 200, 208–210, 213, 215 Schaustellerzettel 210, 215 Scheinhaftigkeit 9, 69 f., 79 Schelde 98, 131 Schenkenschanze 111–113 Scherenschleifer 43, 75 f. Scherzmandat 49–51 Scheveningen 218 Schiffsblockade 98, 154 Schlange 132, 194 Schlaraffenland 20, 78 Schleifen 75 Schlüsselbund 33b, 46 f., 51 Schmalkaldischer Bund 85 Schmiede 37 f. Schnecke 80 Schneider 28 Schönheitsideal 41 Schönheitskatalog 41 Scholle 111 Schotte 160 f. Schottland 94, 161 Schütt, Große (Žitny Ostrov) 193 Schule 9, 80 Schutzengel 2, 4 Schwaben 32 f. Schwäbisch 32 f. Schwärmer 83 Schwan 141 Schwank 32, 38, 44, 49 f., 53, 56 f., 74, 95 Schweden 159–173, 175, 178 Schwein 10, 62 f., 92 Schwein, missgebildetes 208, 212 Sebastian, Hl. 5 Seefahrt (des Lebens) 2 Seele 7 Segelwagen 218 Seifenblase 13, 69 f., 129

Seilspringen 13 Selbsterkenntnis 2, 68 Sense 5 Sexualität 42, 50, 56–58 Siebenzahl 2, 4, 19, 32 Simon Magus 97 Simson 147 Sirene 194 Skorpion 29 Skulptur 92 Sluis 116 Smolensk 133 Soldat 30, 81, 84 Sonett 173 Sonne(n) 83, 197 f. Sozialdisziplinierung 23 Spanien 95, 98, 101 f., 108–113, 116 f., 120–124, 129–131, 137, 144 f., 147, 151 f., 156 f., 174, 181 Spanier 113, 129, 131, 174, 181 Spavento, Capitan 174 Sperling 45 Speyer (Druckort) 65 Sphragis 85, 88, 219 Spiegel 2, 39, 67–69, 200 Spiel, (Kinder-) 13, 36 Spielmann 23, 33a, 33e Spinne 146 Spinnen 33c Spinn-Metaphorik 123, 147, 166 Spinnstube 14 f. Sprachkritik 14, 55, 76 f. Sprachreform 71 Sprichwort 10 f., 16, 19, 33 f., 36, 38, 43 f., 54, 67, 72 f., 80, 83, 88, 170, 223 Stadtplan 230 Stände 12, 22, 36, 72, 85 f., 185 f. Ständebaum 97, 132 Ständesatire 22, 27 Stammbaum 97 Stammbuch 36 f., 44 Steckbrief 119, 224 Steckenpferd 13, 33 f., 36, 59 Stelzen 13 Stereotype 20, 30 f., 129, 131, 160 f., 174, 181 Stettin 161 Stör 209 Stralsund 161 Straßburg 3, 13, 77, 81, 92, 134, 192, 198, 200, 204, 209, 216 Straßburg (Druckort) 1, 3, 9–17, 19, 22, 33a–j, 38, 59, 66, 71, 81, 84, 93, 127, 157, 160, 163– 165, 173, 178, 183 f., 200, 202–206, 209, 212, 216 Streitgespräch 28, 38, 93, 128 Stufenpyramide 34 f. Stundenlied 1 Stuttgart 224 Sünde 3, 7 f., 86 Sündenfall 3, 35, 55, 68–70, 82 Sündenklage 4 Superbia 4, 13, 67–70, 72, 97, 125 Tabak Tafelmalerei Talmud Tannengesellschaft

30 6 3, 29 71

Tanz 182 Tarnkappe 61 Taube 33g Temperamente 36 Tetragramm (Jahwe-) 3 f. Teufel 2 f., 7 f., 10 f., 27, 29, 33a, 39, 46, 90, 93, 96 f., 226, 228 ‚Theatrum Europaeum‘ 151, 172, 183, 187, 214 Theriomorphose 63, 96 Thora 3 Thusis 144 Tiara 89 f., 93, 126 f., 132 Tierkreiszeichen 196, 217 Tierprozession 92 Tischzucht 62 Tituli 2, 21 Tod 2 f., 5–7, 24, 33a, 33j, 34 f. Tod und Mädchen 33a Todsünden 2, 4, 58 Tollwut 58 Totengräber 5 Totenmesse 96 Totentanz 24, 33a, 33e Tracht 32 f. Trictrac 49 Trinität 39, 86, 186 Trinker 8, 22, 76 Triumphzug 124, 188 St. Tropez 213 Truthahn 59 Tübingen (Druckort) 92 Türken 8 Türkenkriege 103–107, 192–194 Tugendadel 71 Tugenden 7 Tugend-Laster-Kampf 4 Tugend- und Lasterbaum 97 Turnier 65 Typologie 3, 158, 169 Tyrannis 158 übel wip Uhr Ulm (Druckort) Ungarn Union Universalmonarchie Unsagbarkeitstopos Unsichtbarkeit Urkunde Utopie

37, 45, 49, 52, 54–56 1 f., 40, 199 18 f. 142, 147, 192 f. 145 129, 167 74 61 50 20, 22, 50, 61, 76

Vanitas s. Vergänglichkeit Vaterunser 81 Veltlin 144 Venedig 77 f., 144 Verbrechen 223⫺226 Vergänglichkeit 2, 5–7, 13, 33d, 33h, 33j, 34 f., 59, 68–70 Veritas s. Wahrheit Verjüngung 37 f. Verkehrte Welt 11, 14–17, 20, 26, 37, 50 f., 137 Versehen (imaginatio) 203 Verstellung 123 ‚Visio Philiberti‘ 7

Völkertafel Vogelfang

36 66 f.

Waage 24 f., 27, 124, 195 Wachtendonck 120 Waffenstillstand 123 f., 129–131a, 147 Wahrheit 83, 97, 124 Wal 213 Wandschmuck 33a, 34, 40, 60 f., 79 f., 126 Wappen 147, 159, 169, 222, 230 Wasselnheim (Wasselonne) 204 Wassy 144 Weg (Lebens-) 2, 4, 12 Wege, zwei 4 Weinstock 33g, 33h Weintraube 198 Weißer Berg 146 f. Wellerismus 10 Welt, Frau 2 f., 59, 68–70, 97 Weltkugel 2, 12, 15, 17, 132 Werbung 43, 75 Werkgerechtigkeit 128 Wesel 77, 137 Wiedehopf 34 Wiege 33b, 34 Wien 78, 147, 192 f., 207, 220, 227 Wiesloch 171 Wildschwein 88 Wille, freier 4 Windmühle 37 Wirtshaus 65 Wittekind 71 Wittenberg 90 Wittenberg (Druckort) 90, 222 Wolf 74, 79, 89, 92, 113, 131a, 132, 137, 194 Worms 145 Worms (Druckort) 23, 86 Wortspiel 56, 113, 181 Wucher 8, 96 Würzburg 162 f., 166 Wunder des Osten 78 Wunderzeichen 197 f., 211, 216 Wurzel Jesse 97 Xerxes Y, pythagoreisches Zahl, apokalyptische Zahlenmystik Zahnarzt Zanksucht Zeitklage Zeltbommel Zensur Zerschneidebogen Zigeuner Zivilisationsprozess Zölibat Zuchthaus (Amsterdam) Zürich Zürich (Druckort) Zugwerk Zunge Zwei-Staaten-Lehre

33g 4 195 196 43, 162 49, 52–54 12, 38, 61, 82 f., 85 111–113 72 f., 197 40 23 62 23, 142 167 144 12 6 75 127

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