Der »Vollrausch« als Straftat (§ 323a StGB): Zur Legitimation der rechtlichen Missbilligung (abstrakt) gefährlicher Verhaltensweisen und ihrer Sanktionierung [1 ed.] 9783428581412, 9783428181414

Die Arbeit widmet sich einer besonders umstrittenen Strafvorschrift – dem Vollrauschtatbestand (§ 323a StGB). Dieser erw

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Der »Vollrausch« als Straftat (§ 323a StGB): Zur Legitimation der rechtlichen Missbilligung (abstrakt) gefährlicher Verhaltensweisen und ihrer Sanktionierung [1 ed.]
 9783428581412, 9783428181414

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Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 300

Der „Vollrausch“ als Straftat (§ 323a StGB) Zur Legitimation der rechtlichen Missbilligung (abstrakt) gefährlicher Verhaltensweisen und ihrer Sanktionierung

Von

Franziska Maria Walther

Duncker & Humblot · Berlin

FRANZISKA MARIA WALTHER

Der „Vollrausch“ als Straftat (§ 323a StGB)

Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Begründet von Dr. Eberhard Schmidhäuser (†) em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Hamburg

Herausgegeben von Dr. Dres. h. c. Friedrich-Christian Schroeder em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg

und Dr. Andreas Hoyer ord. Prof. der Rechte an der Universität Kiel

in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten

Band 300

Der „Vollrausch“ als Straftat (§ 323a StGB) Zur Legitimation der rechtlichen Missbilligung (abstrakt) gefährlicher Verhaltensweisen und ihrer Sanktionierung

Von

Franziska Maria Walther

Duncker & Humblot · Berlin

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungsfonds Wissenschaft der VG WORT. Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Dr. h.c. dupl. Georg Freund, Marburg Der Fachbereich Rechtswissenschaften der Philipps-Universität Marburg hat diese Arbeit im Jahre 2020 als Dissertation angenommen. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2021 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 978-3-428-18141-4 (Print) ISBN 978-3-428-58141-2 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde vom Fachbereich Rechtswissenschaften der Philipps-Universität Marburg im Juni 2020 als Dissertation angenommen. Für die Veröffentlichung konnten Rechtsprechung und Literatur bis einschließlich Januar 2021 berücksichtigt werden. Besonderer Dank gilt meinem akademischen Lehrer und Doktorvater Professor Dr. Dr. h.c. dupl. Georg Freund, der mich seit meiner frühen Studienzeit begleitet und fortwährend gefördert hat. Durch seine – sowohl in persönlicher als auch in fachlicher Hinsicht – hervorragende Betreuung und die stetige Bereitschaft zur fachlichen Diskussion hat er maßgeblich zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen. Frau Professorin Dr. Stefanie Bock danke ich für die freundliche Übernahme des Zweitgutachtens und ihre wertvollen Anregungen zu meiner Arbeit. Mein Dank gebührt außerdem Herrn Professor Dr. Dres. h.c. Friedrich-Christian Schroeder und Herrn Professor Dr. Andreas Hoyer für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe „Strafrechtliche Abhandlungen. Neue Folge“. Auch bei meinen lieben Kolleginnen am Institut für Kriminalwissenschaften in Marburg möchte ich mich für die gute Zusammenarbeit und das harmonische Miteinander bedanken. Besonders danke ich Dr. Franziska Weidenauer und Berivan Sekerci für ihre Freundschaft, ihre Hilfsbereitschaft und das sorgfältige Korrekturlesen meiner Arbeit. Durch euch werde ich meine Promotionszeit in schöner Erinnerung behalten. Schließlich gilt mein besonderer Dank meiner Familie, der diese Arbeit gewidmet ist. Meinen Eltern danke ich aufrichtig, dass sie mir diese Ausbildung ermöglicht und mich auf meinem bisherigen Lebensweg bedingungslos unterstützt haben. Gleichsam danke ich meinen Schwestern für ihren steten Rückhalt und ihren Zuspruch. Von Herzen bedanken möchte ich mich auch bei Daniel Schröder, der mir beim Erstellen der Arbeit immer verständnisvoll zur Seite stand. Danke für deine Geduld, die Ermutigungen und die liebevollen Aufmunterungen. Marburg, im April 2021

Franziska Walther

Inhaltsverzeichnis Erster Teil Einführung in die Problematik und historischer Hintergrund

11

A. Einführung und Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 B. Historischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

Zweiter Teil Grundlagen der Problemlösung

16

A. Wann darf der Staat strafen? – Zur Legitimation von Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 I. Der Beitrag der Straftheorien zur Legitimation und zum Zweck des Strafens . . . . 19 II. Die Funktion von Strafe – Nach der Konzeption einer personalen Straftatlehre

22

1. Die grundlegende Unterscheidung von Verhaltensnormen und Sanktionsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 a) Verhaltensnormen und ihre Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 b) Die Schutzfunktion der Sanktionsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 2. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 B. Staatliche Maßnahmen im Lichte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes . . . . . . . . . . . 28 I. Verhältnismäßigkeit der Verhaltensnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 1. Legitimer Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 2. Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 3. Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 4. Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit i. e. S.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 II. Verhältnismäßigkeit der Sanktionsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 III. Alternativkonzept einer Bewertungseinheit von Verhaltensnorm und entsprechender Sanktionsnorm? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 C. Strafe als rechtlicher Vorwurf fehlerhaften Verhaltens (nebst dessen Folgen) und das Schuldprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

8

Inhaltsverzeichnis Dritter Teil Legitimationsprobleme des § 323a StGB

42

A. Die Legitimation der Verhaltensnormen, auf die § 323a StGB Bezug nimmt . . . . . . . 44 I. Anforderungen an eine Verhaltensnorm: Prüfung anhand des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 1. Legitimer Zweck und Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 a) Die Rauschtat als Anknüpfungspunkt für die Verhaltensnormlegitimation 46 aa) Die Rauschtat – Begriffsbestimmung und ratio-orientierte Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 bb) Zur Unmöglichkeit der Legitimation eines Verbots der Begehung der Rauschtat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 cc) Zurechnungskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 dd) Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 b) Das Sichberauschen als Anknüpfungspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 2. Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 3. Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 a) Zur Auffassung von der Angemessenheit eines pauschalen Berauschungsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 b) Alkohol und Sozialadäquanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 c) Nicht haltbare Beschränkung der Freiheit von Bürgern, die auch im Vollrausch nicht über Gebühr gefährlich sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 d) Möglichkeit einer rückwirkenden Missbilligung der Herbeiführung des Vollrauschs nach begangener Rauschtat? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 e) Zusammenfassung und Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 4. Der Rausch im Sinne des § 323a StGB – §§ 20, 21 StGB als Minimalbedingungen eines tatbestandsmäßigen Rauschs? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 a) Der Rausch im Sinne des § 323a StGB als Wirkung von Rauschmitteln . . . 66 b) § 20 StGB als Minimalbedingung für einen tatbestandsmäßigen Rausch? 69 c) Der „sichere Bereich des § 21 StGB“ als quantitative Bestimmung des Rauschs? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 II. Der „zu gefährliche Rausch“ – Abschließende Bestimmung des Gefährdungspotentials und Konkretisierung der auf dessen Vermeidung bezogenen Verhaltensnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 B. Die Legitimation der Sanktionsnorm des § 323a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 I. Legitimer Zweck der Sanktionierung wegen Vollrauschs nach § 323a StGB . . . . 78 II. Geeignetheit der Sanktionierung wegen Vollrauschs nach § 323a StGB . . . . . . . . 79 III. Erforderlichkeit der Sanktionierung wegen Vollrauschs nach § 323a StGB . . . . . . 80 IV. Angemessenheit der Sanktionierung wegen Vollrauschs nach § 323a StGB . . . . . 82 C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85

Inhaltsverzeichnis

9

Vierter Teil Deliktstypus: Kritische Würdigung vorhandener Deliktszuordnungen und sachgerechte Einordnung

86

A. Deliktstypus und Normzweck – Die im Wesentlichen vertretenen Ansichten zum Charakter des § 323a StGB in Literatur und Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 I. Zur Deutung des § 323a StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt – Die Rauschtat als sog. objektive Bedingung der Strafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 1. Vereinbarkeit der Konzeption eines abstrakten Gefährdungsdelikts mit den Grundsätzen der Verhaltensnormlegitimation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 2. Ablehnung eines abstrakten Gefährdungsdelikts über den Wortlaut des § 323a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 3. Vergleich mit § 122 OWiG – Ein nicht schlüssiges Gefälle zwischen den angedrohten Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 4. Exkurs: Vereinbarkeit objektiver Strafbarkeitsbedingungen mit dem Schuldprinzip? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 5. Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 II. § 323a StGB als Ausnahmevorschrift zu den §§ 20, 21 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . 99 1. Historie, Wortlaut und systematische sowie auch dogmatische Erwägungen . . 101 2. Verstoß gegen das Schuldprinzip und die Grundsätze der Verhaltensnormlegitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 3. Zwischenfazit und Bewertung der vorgestellten Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 III. § 323a StGB als konkretes Gefährdungsdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 1. Kritische Einwände im Hinblick auf die Einordnung als konkretes Gefährdungsdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 a) Anwendbarkeitsbeschränkung – Keine Erfassung sog. Ersttäter . . . . . . . . . . 108 b) Überschneidungen zur actio libera in causa? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 2. Kurze kritische Würdigung und Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 IV. Zwischenfazit und kritische Gesamtwürdigung der vorgestellten Ansichten . . . . . 110 B. Sachgerechte Deliktseinordnung des § 323a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 I. § 323a StGB als (fahrlässiges) Erfolgsdelikt – Die zwingende Konsequenz des Schuldprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 1. § 323a StGB als Erfolgsdelikt – Zur Rauschtat als Verletzungs- oder Gefährdungserfolg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 2. Verhältnis des § 323a StGB zu § 122 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 3. Verhältnis des § 323a StGB zur actio libera in causa – Bleibt noch ein Anwendungsbereich? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 a) Voraussetzungen fahrlässigen Fehlverhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 b) Die actio libera in causa im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 c) Konkurrenzverhältnis zwischen § 323a StGB und der actio libera in causa – die sinnvolle Ergänzungsfunktion des § 323a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 4. Erneut: Keine Erfassung von sog. „Ersttätern“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127

10

Inhaltsverzeichnis 5. Notwendigkeit des hier vertretenen Ansatzes zur Wahrung des Grundsatzes nulla poena sine culpa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 II. Zusammenfassung und abschließende Deliktszuordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129

Fünfter Teil Konsequenzen für die Strafzumessung, den richtigen Schuldspruch, die Konkurrenzen und Erwägungen de lege ferenda

131

A. Strafzumessung, richtiger Schuldspruch und Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 I. Absolute Strafrahmenbegrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 II. Relative Strafrahmenbegrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 III. Richtiger Schuldspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 IV. Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 B. Erwägungen zu § 323a StGB de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 I. Gesetzesvorschläge der vergangenen Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 1. Gesetzesentwurf des Bundesrates von 1999 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 2. Gesetzesantrag des Freistaates Sachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 3. Gesetzesvorschlag von Hennig im Rahmen der Beratungen der „Kommission zur Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 4. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 II. Eigene Gesetzesvorschläge de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 1. § 323a StGB als Tatbestand des Besonderen Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 2. § 323a StGB als Regelung des Allgemeinen Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143

Sechster Teil Schlussbetrachtung: Fazit und rechtspolitischer Ausblick

146

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161

Erster Teil

Einführung in die Problematik und historischer Hintergrund A. Einführung und Problemstellung „Das Schuldprinzip ist einer der Grundpfeiler, auf denen unser Strafrecht ruht.“

Mit diesen Worten brachte Arthur Kaufmann1 im Jahre 1961 den Stellenwert des verfassungsrechtlich verankerten Grundsatzes „nulla poena sine culpa“2 zum Ausdruck. Dieser Grundsatz ist bis zum heutigen Tage allgemein anerkannt und ist auch für die Untersuchung des Vollrauschtatbestandes des § 323a StGB von grundlegender Bedeutung. Der Konsum von Alkohol oder anderen berauschenden Mitteln birgt nicht nur Gefahren für die menschliche Gesundheit, sondern führt auch – aufgrund einer herabgesetzten Hemmschwelle zur Tatausführung – häufig zu Straftaten.3 Zu diesen Straftaten zählen besonders die Straßenverkehrsdelikte, aber auch die Gewaltdelikte.4 Insbesondere der Alkoholkonsum ist in der Bundesrepublik Deutschland ein weitverbreitetes Phänomen.5 Offensichtlich hat der Konsum von Alkohol in unserer heutigen Gesellschaft eine zwiespältige Bedeutung: Zum einen ist der Konsum alkoholischer Getränke integraler Bestandteil kultureller Lebensgewohnheiten und gesellschaftlich vermittelter Normen. Zum anderen aber wird dieser als gefährlicher Auslöser bzw. Ursprung einer Vielzahl von Gewalttaten erachtet.6 Gerade in Bezug

1

Arthur Kaufmann, Schuldprinzip, Vorwort zur 1. Auflage, S. 7. Nulla poena sine culpa – Keine Strafe ohne Gesetz. 3 BR-Drs. 265/19; s. dazu auch Statistisches Bundesamt, Fachserie 10 Rechtspflege, Reihe 3, Strafverfolgung 2019, S. 40 ff. 4 S. dazu Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht 2006, S. 297 f.; s. auch BR-Drs. 265/19. 5 Zum Folgenden und zur Bedeutung des Alkoholkonsums in der deutschen Gesellschaft s. näher Dölling, in: Grundfragen des Strafrechts, S. 17 ff.; Wessel/Westermann, Problematischer Alkoholkonsum, S. 3. Zum Alkohol- und Drogenkonsum s. auch Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht 2006, S. 281 ff. und S. 297 ff. 6 Empirische Untersuchungen zeigen, dass die Zahl der gewalttätigen Straftäter, die bei Tatbegehung unter Alkoholeinfluss stehen, steigt und diese sogar die Mehrheit bilden; vgl. dazu die Ausführungen von Thaman, GS Heine, S. 341, 344 m. w. N.; vgl. auch die Ausführungen bei Dölling, in: Grundfragen des Strafrechts, S. 17 ff. 2

12

1. Teil: Einführung in die Problematik und historischer Hintergrund

auf Alkohol als „Mittel der Berauschung“ erweist sich die rechtliche Reglementierung daher als äußerst schwierig.7 Die Berauschung eines Täters bis zum Zustand der (nicht ausschließbaren) Schuldunfähigkeit hat zur Folge, dass eine Bestrafung wegen der im Rauschzustand begangenen Tat – in dubio pro reo – unmöglich ist. Diese zwingende Konsequenz ist Ausfluss des verfassungsrechtlich verankerten Grundsatzes „nulla poena sine culpa“ – keine Strafe ohne Schuld. De lege lata ist es jedoch möglich, einen berauschten (nicht ausschließbar schuldunfähigen) Täter gem. § 323a StGB wegen Vollrauschs oder aber über die „Rechtsfigur“ der actio libera in causa – anknüpfend an das Vorverhalten8 – zu sanktionieren. Eine Verurteilung wegen Vollrauschs gem. § 323a StGB hat maximal eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren zur Folge. Diese als unzureichend empfundenen strafrechtlichen Konsequenzen stoßen häufig auf Unverständnis und Empörung in der Bevölkerung. Zwar bietet der Vollrauschtatbestand als sog. Auffangtatbestand9 seit seiner Einführung ins Strafgesetzbuch immerhin eine Möglichkeit zur Bestrafung berauschter Täter. Jedoch ist die Vorschrift des § 323a StGB – insbesondere im Hinblick auf das Schuldprinzip – nicht gänzlich unproblematisch und berührt eine Vielzahl dogmatischer Problembereiche: Der Vollrauschtatbestand des § 323a StGB gilt als strafrechtlicher Mikrokosmos.10 Diesem wird seit jeher nicht viel Positives beigemessen, vielmehr noch handelt es sich bei dieser Strafvorschrift um eine der „umstrittensten, wenn nicht gar die strittigste des ganzen Strafgesetzbuchs.“11 Lediglich Arthur Kaufmann misst § 323a StGB etwas Positives bei, indem er diesen als den vielleicht „dogmatisch interessantesten Tatbestand des StGB“12 bezeichnet. § 323a StGB wirft zahlreiche Probleme der Verhaltensmissbilligung, der Strafbewehrung von Verhaltensnormen und zusätzlicher Sanktionserfordernisse neben dem tatbestandsmäßig-missbilligten Verhalten auf. Äußerst umstritten ist bereits im Ansatz, welche Verhaltensweisen durch die Verhaltensnormen, auf die § 323a StGB 7 Die vorliegende Arbeit konzentriert sich daher überwiegend auf den Alkohohl als „Mittel der Berauschung“. 8 Siehe zu den Möglichkeiten einer Bestrafung über die „Rechtsfigur“ der actio libera in causa noch unten (Vierter Teil B. I. 3.). 9 So bereits BGHSt 9, 390, 398 ff. 10 Den Vollrauschtatbestand als „Rechtsmikrokosmos“ bezeichnete etwa Roeder, FS Rittler, S. 211, 242; s. auch Geisler, Zur Vereinbarkeit, S. 366. 11 Spendel, in: LK-StGB, 11. Auflage, § 323a Rn. 1; s. auch Geisler, in: MünchKommStGB V, § 323a Rn. 1. Auch bereits Welzel, Strafrecht, S. 473, war der Ansicht, dass der Tatbestand des § 323a StGB (damals § 330a StGB) der Strafrechtswissenschaft „dogmatisch kaum überwindliche Schwierigkeiten“ bereite. – Hruschka, JZ 1996, 64, 71 f.; ders., JZ 1997, 22, 24, spricht sich sogar für eine Streichung des § 323a StGB aus. 12 Arthur Kaufmann, JZ 1963, 425, 425 (damals noch § 330a StGB).

A. Einführung und Problemstellung

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als abstrakt-generelle Sanktionsnorm Bezug nimmt, unterbunden werden sollen – also insbesondere, wie das Berauschungsverbot des § 323a StGB im Einzelnen zu konkretisieren ist. In diesem Zusammenhang stellt sich speziell die Frage, unter welchen konkreten Bedingungen eine entsprechende rechtsgüterschützende Verhaltensnorm angemessen ist und daher dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspricht. Um diese Fragen gezielt zu beantworten, sind insoweit die allgemeinen Legitimationsbedingungen für staatliche Rechtsbeschränkungen durch Verhaltensnormen heranzuziehen. Weiteren Diskussionsbedarf bereiten in diesem Zusammenhang auch die vom Wortlaut der Sanktionsnorm des § 323a StGB vorausgesetzte „rechtswidrige Tat“ – also die Rauschtat – und die an diese zu stellenden ratio-orientierten Anforderungen. Im Mittelpunkt der Diskussion steht dabei insbesondere die Frage nach dem eigentlichen Stellenwert der Rauschtat für die Strafbarkeit wegen Vollrauschs. Lassen sich die Fragen der Verhaltensnormlegitimation klären, wirft die Frage nach der „Rechtsnatur“ des Vollrauschtatbestandes weitere Sachprobleme auf. § 323a StGB wird von Literatur und Rechtsprechung überwiegend als entweder abstraktes Gefährdungsdelikt, als Ausnahmeregel zu den §§ 20, 21 StGB oder auch als konkretes Gefährdungsdelikt eingeordnet. Eine zufriedenstellende und verfassungskonforme Lösung ist auf der derzeit bestehenden Argumentations- und Einordnungsgrundlage nicht ersichtlich. Daher ist es nicht verwunderlich, dass es eine Vielzahl von Reformüberlegungen zu § 323a StGB gibt.13 Im Zentrum zahlreicher Versuche, den Vollrauschtatbestand zu erklären und zu rechtfertigen, steht letztlich immer die Frage, ob und wie die Vorschrift des § 323a StGB mit dem Grundsatz „nulla poena sine culpa“, also mit dem Schuldprinzip als einem überaus wichtigen Verfassungsgrundsatz, zu vereinbaren ist. Nicht zuletzt diese Frage soll im Folgenden beantwortet werden. Um über die Vereinbarkeit des § 323a StGB mit dem Schulprinzip diskutieren zu können, muss der Blick jedoch zunächst auf die grundlegende Legitimation des § 323a StGB und der ihm „vorgelagerten“ Verhaltensnorm(en) geworfen werden. Nur wenn sich überhaupt eine rechtliche Missbilligung bzw. ein rechtliches Verbot des Vollrauschs legitimieren lässt, spielt die Frage der Vereinbarkeit des Straftatbestandes des § 323a StGB mit dem Schuldprinzip eine Rolle. Es ist also zunächst herauszuarbeiten, welche konkreten Verhaltensweisen durch die Sanktionsnorm des § 323a StGB überhaupt mit einer Strafandrohung versehen werden (dürfen). Vorab wird zum besseren Verständnis zunächst ein kurzer Einblick in die Entstehungsgeschichte des Vollrauschtatbestandes gegeben.

13 Zu solchen Reformüberlegungen s. etwa Berster, ZStW 124 (2012), 991, 1011 ff.; Duttge, FS Geppert, S. 63 ff., 79; s. dazu auch Geisler, in: MünchKommStGB V, § 323a Rn. 12 ff.; Hennig, in: Reform des Sanktionenrechts, S. 96, 155 ff.; Renzikowski, in: Alkohol und Schuldunfähigkeit, S. 141, 153 ff.

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1. Teil: Einführung in die Problematik und historischer Hintergrund

B. Historischer Hintergrund Das deutsche Recht kennt den Vollrauschtatbestand seit dem Gewohnheitsverbrechergesetz von 1933, wobei durchaus die Vorentwürfe insbesondere aus der Weimarer Republik ebenfalls einen Vollrauschtatbestand enthielten.14 Der heutige § 323a StGB entstammt der Regelung des § 330a StGB „Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung“ vom 24. 11. 1933.15 Der frühere Wortlaut des § 330a Abs. 1 StGB a. F. lautete: „Wer sich vorsätzlich oder fahrlässig durch den Genuß geistiger Getränke […] in einen die Zurechnungsfähigkeit […] ausschließenden Rausch versetzt, wird […] bestraft, wenn er in diesem Zustand eine mit Strafe bedrohte Handlung begeht.“

Der Strafrahmen war zunächst auf höchstens zwei Jahre Gefängnis beschränkt.16 Auch schon damals wurde dem Vollrauschtatbestand eine Auffangfunktion zugeschrieben. Deren Reichweite dehnte der Gesetzgeber später weiter aus, indem er im

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Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 408. Bereits das Preußische Allgemeine Landrecht von 1794 enthielt in PrALR, II. Teil, 20. Tit. § 22 eine zum heutigen § 323a StGB vergleichbare Regelung: „Wer sich selbst vorsätzlich, oder vermittelst eines groben Versehens, es sey durch Trunk oder auf andere Art, in Umstände versetzt hat, wo das Vermögen, frey zu handeln, aufgehoben oder eingeschränkt ist; dem wird das unter solchen Umständen begangene Verbrechen nach Verhältniß dieser einer Verschuldung zugerechnet.“ – Zur Entstehungsgeschichte des Vollrauschtatbestandes s. ausführlich Hettinger, Die „actio libera in causa“, S. 262 ff.; H. Mayer, ZStW 59, (1940), 283, 284 ff.; einen kurzen und prägnanten Überblick gibt auch Brandstetter, Vollrausch, S. 109 ff.; s. zur geschichtlichen Entwicklung auch Hennig, in: Reform des Sanktionenrechts, S. 101, 105 ff. 15 RGBl. I, S. 995, 999 (nach einem Entwurf des Landes Berlin vom 19. 02. 1927). Dabei handele es sich allerdings keineswegs um nationalsozialistisches Gedankengut, sondern sei in der Doktrin schon seit längerem erwogen worden; vgl. dazu BGHSt 1, 124, 125 sowie die Nachweise bei Paeffgen, ZStW 97 (1985), 513, 515 in Fn. 9; ders., in: NK-StGB III, § 323a Rn. 1. – § 323a StGB sei das Ergebnis der Reformentwicklung der Weimarer Zeit; s. dazu Geppert, Jura 2009, 40 in Fn. 6. – § 330a a. F. sei vielmehr auf Reformvorschläge zur Bekämpfung des schuldhaften Rechtsmittelmissbrauchs zurückgegangen, die bereits seit dem Vorentwurf zur Reform des StGB von 1909 erhoben wurden. Eine umfassende Übersicht ist auch bei Spendel, in: LK-StGB, 11. Auflage, § 323a Rn. 1 ff., zu finden. – Eine dem Vollrauschtatbestand entsprechende Regelung für Ordnungswidrigkeiten, die im rauschbedingten Zustand (der jedenfalls nicht ausschließbaren Schuldunfähigkeit) begangen werden, enthält § 122 OWiG. 16 Die Strafrahmenbegrenzung entsprach den Vorschlägen, die seit dem Vorentwurf 1909 gemacht wurden. Erst durch das Änderungsgesetz im Jahre 1941 wurde der Strafrahmen auf das bis heute gültige Höchststrafrahmenniveau (bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe) angehoben; s. Geisler, in: MünchKommStGB V, § 323a Rn. 11; vgl. auch Barthel, Bestrafung wegen Vollrauschs, S. 88. – Dazu kritisch Paeffgen, in: Alkohol, Strafrecht und Kriminalität, S. 49, 60, der einen Strafrahmen von zwei Jahren für eine weisere Entscheidung des damaligen Gesetzgebers hält. Die Idee eines erhöhten Strafrahmens sei nur dann plausibel, wenn irgendeine Form von Verschulden in Bezug auf den später eintretenden Erfolg zu verzeichnen sei (S. 64).

B. Historischer Hintergrund

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Jahre 1974 den Halbsatz „oder weil dies nicht auszuschließen ist“ in den Tatbestand aufnahm.17 § 330a Abs. 1 StGB n. F. wurde wie folgt geändert: „Wer sich vorsätzlich oder fahrlässig durch alkoholische Getränke […] in einen Rausch versetzt, wird […] bestraft, wenn er in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat begeht und ihretwegen nicht bestraft werden kann, weil er infolge des Rausches schuldunfähig war oder weil dies nicht auszuschließen ist.“

Durch diese Änderung hat der Gesetzgeber klargestellt, dass eine Bestrafung des Rauschtäters nicht nur möglich ist, wenn tatsächlich Schuldunfähigkeit vorliegt, sondern auch dann, wenn ihr Vorliegen lediglich nicht ausgeschlossen werden kann und deshalb eine Verurteilung wegen der Rauschtat in dubio pro reo nicht möglich ist.18 Die Strafvorschrift des § 323a StGB wurde durch das 18. Strafrechtsänderungsgesetz19 vom 28. März 1980 inhaltlich unverändert beibehalten20 und pönalisiert das fahrlässige oder vorsätzliche Sichberauschen. § 323a StGB lautet de lege lata wie folgt: „Wer sich vorsätzlich oder fahrlässig durch alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel in einen Rausch versetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn er in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat begeht und ihretwegen nicht bestraft werden kann, weil er infolge des Rausches schuldunfähig war oder weil dies nicht auszuschließen ist.“

Nach dessen Absatz 2 darf die Strafe nicht schwerer sein als die Strafe, die für die im Rausch begangene Tat angedroht ist. Absatz 3 trifft Regelungen über den Strafantrag. Die Höchststrafe bei § 323a StGB beträgt nunmehr fünf Jahre.

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EGStGB vom 02. 03. 1974, BGBl. I, S. 469. Der Gesetzgeber beabsichtigte mit der Neufassung lediglich die entsprechende Rechtsprechung zu „legalisieren“; Hennig, in: Reform des Sanktionenrechts, S. 114. Vgl. auch BGHSt 9, 48, 52; s. ferner die Gesetzesmaterialien (BTDrs. 7/550). 18 Geisler, in: MünchKommStGB V, § 323a Rn. 11. 19 BGBl. I, S. 373 f. 20 Zur Historie und Entwicklung des § 323a StGB s. allgemein und ausführlich Barthel, Bestrafung wegen Vollrauschs, S. 145 ff.; s. auch Geisler, in: MünchKommStGB V, § 323a Rn. 11; ausführlich dazu auch Hettinger, Die „actio libera in causa“, S. 262 ff.

Zweiter Teil

Grundlagen der Problemlösung Eine bis zum heutigen Tage nicht abschließend geklärte Grundfrage des deutschen Strafrechts ist, unter welchen Voraussetzungen bestimmte menschliche Verhaltensweisen überhaupt pönalisiert werden dürfen.21 Gerade im Hinblick auf den Tatbestand des § 323a StGB ergeben sich hier besondere Schwierigkeiten. Zum einen ist zu klären, welche Verhaltensweisen durch die abstrakt-generelle Sanktionsnorm des § 323a StGB mit einer Strafdrohung versehen werden. Außerdem ist zu untersuchen, welche zusätzlichen Sanktionserfordernisse in § 323a StGB enthalten sind, also insbesondere, welchen Stellenwert die „Rauschtat“ hat. Um sich den Fragen nach der Strafbewehrung von Verhaltensnormen und der definitiven Strafbarkeit entsprechender Verhaltensnormverstöße speziell im Hinblick auf den Vollrauschtatbestand des § 323a StGB nähern zu können, sind diese Fragen differenziert und zunächst in allgemeiner Form zu beleuchten. Insofern bedarf es einer Klärung der allgemeinen und grundlegenden Voraussetzungen staatlichen Strafens.

A. Wann darf der Staat strafen? – Zur Legitimation von Strafe Nach der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland als einer „freiheitlich demokratischen Grundordnung“ ist es eine der wichtigsten Aufgaben des Staates, die gesellschaftliche und staatliche Ordnung zu schützen und zu sichern.22 Genauer noch lässt sich sagen: Der Friede in der Gesellschaft muss gesichert, die Handlungsfreiheit des Einzelnen geachtet und die Gesellschaft gegen rechtswidrigen Zwang verteidigt werden.23 Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, bedient sich der Staat unter anderem des Strafrechts. Mit dem Schuldspruch und der Verhängung von Geld- oder Freiheitsstrafen als speziellem Mittel zur Erfüllung einer spezifischen Aufgabe, wird besonders intensiv in die Rechte (insbesondere die Freiheitsrechte) des Bürgers eingegriffen – weshalb die Bestrafung einer Person als „schärfste Sanktion, über die

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Frisch, NStZ 2016, 16. S. Appel, Verfassung und Strafe, S. 431. In diesem Sinne auch Jescheck/Weigend, AT, § 1 I 2.

A. Wann darf der Staat strafen? – Zur Legitimation von Strafe

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die staatliche Gemeinschaft verfügt“,24 bezeichnet wird. Auf diese Weise übt der Staat seine Hoheitsgewalt gegenüber dem einzelnen Bürger aus. Das Strafrecht regelt also das Rechtsverhältnis zwischen Staat und Bürger und ist somit ein Teilgebiet des Öffentlichen Rechts.25 Vor einer Beantwortung der Frage, ob ein Verhalten pönalisiert werden darf, ist zunächst zu klären, ob das jeweilige Verhalten als solches überhaupt rechtlich missbilligt werden kann.26 An dieser Stelle ist insbesondere die Bindung durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz27 zu beachten: Für entsprechende Ge- oder Verbote als Verhaltensnormen bedarf es als unabdingbares Mindesterfordernis stets eines legitimen Zwecks. Außerdem müssen diese geeignet, erforderlich und angemessen sein. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, so lässt sich gerade keine Verhaltensnorm legitimieren. Damit steht fest: Wenn kein Verstoß gegen eine legitimierbare Verhaltensnorm begründet werden kann, ist das entsprechende Verhalten von der allgemeinen Handlungsfreiheit gedeckt, kann also nicht rechtlich missbilligt werden und kann schon deshalb keine Straftat darstellen. Lässt sich ein Verstoß gegen eine legitimierbare Verhaltensnorm begründen, ergibt sich daraus allein jedoch noch keine Strafbarkeit. Vielmehr muss der demokratisch legitimierte Gesetzgeber festlegen, welcher Ausschnitt aus den rechtlich missbilligten Verhaltensweisen mit einer Strafdrohung versehen und unter ggf. welchen weiteren Voraussetzungen sie definitiv strafbar sein sollen.28 Der Gesetzgeber hat dabei „die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen. […] Für den Normadressaten muss dann wenigstens das Risiko einer Bestrafung erkennbar sein. Unter diesem Aspekt ist für eine Bestimmtheit der Strafvorschrift in erster Linie der erkennbare und verstehbare 24

BVerfGE 6, 433; s. ergänzend BVerfGE 32, 98, 109; 39, 1, 45; 90, 145, 172; s. auch Appel, Verfassung und Strafe, S. 25 m. w. N.; Jescheck/Weigend, AT, § 1 I 1, sprechen vom „schärfsten Machtinstrument(s), über das die Staatsgewalt verfügt“. 25 Siehe dazu auch Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 1; Jescheck/Weigend, AT, § 3 I; Joecks/ Erb, in: MünchKommStGB I, Einl. Rn. 7; Wessels/Beulke/Satzger, AT, § 1 Rn. 4. 26 Verhaltensweisen, die keine benennbaren Rechtsgüter betreffen, sondern allein Moralvorstellungen zuwiderlaufen, dürfen gerade nicht rechtlich missbilligt und dementsprechend auch nicht pönalisiert werden. Dies ergibt sich bereits daraus, dass der Staat seine Hoheitsgewalt nicht dazu benutzen darf, Handlungsfreiheiten allein zur Durchsetzung bestimmter Moralvorstellungen zu beschränken – damit würde er den ihm zuerkannten Aufgabenbereich überschreiten; so Frisch, NStZ 2016, 16, 22; s. dazu auch Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 51 ff.; vgl. auch Roxin/Greco, AT I, § 2 Rn. 17 ff.; Jäger, in: SK-StGB, Vor § 1 Rn. 1. Zur Differenzierung von strafrechtlichem und moralischem Unrecht näher Günther, in: Jung u. a. (Hrsg.), Recht und Moral, S. 205, 214 f. 27 Zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz allgemein s. noch genauer unten (Zweiter Teil B.). 28 S. dazu näher Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 87; Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 112 ff.; dazu und insbesondere zum „nullum-crimen-Satz“ auch Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, S. 129 ff.; Jäger, in: SK-StGB, Vor § 1 Rn. 1 ff.; Schünemann, Grund und Grenzen, S. 255 ff. – Dies ist allein Aufgabe des Gesetzgebers und darf nicht an die Verwaltung delegiert werden, so auch BVerfG NJW 1989, 1663; s. auch BVerfGE 109, 120.

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2. Teil: Grundlagen der Problemlösung

Wortlaut des gesetzlichen Tatbestandes, also die Sicht des Bürgers maßgebend.“29 Der Gesetzgeber ist im Rahmen seiner Aufgabenerfüllung durch Art. 103 Abs. 2 GG und § 1 StGB formell gebunden. Das dort fixierte Gesetzlichkeitsprinzip30 bestimmt, dass eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Ein Verhalten kann demnach nur bestraft werden, wenn erstens ein geschriebenes Gesetz existiert, dass seine Strafbarkeit bestimmt, zweitens dieses Gesetz bei Begehung der Tat schon in Kraft war und drittens der Wortlaut der Norm nicht zu unbestimmt ist.31 Der mögliche Wortsinn, den man der Formulierung eines Tatbestandes vernünftigerweise zuschreiben kann, ist der äußerste Rahmen legitimer Strafbarkeit. Der Gesetzgeber hat also die Voraussetzungen einer Strafbarkeit so konkret festzulegen, dass Tragweite und Anwendungsbereich von Straftatbeständen erkennbar sind oder sich zumindest durch Auslegung ermitteln lassen. Die Anforderungen an diese Bestimmtheit dürfen jedoch auch nicht überspannt werden, damit das Strafrecht seine Aufgabe realistischerweise überhaupt erfüllen kann; vielmehr sind gewisse Begriffe in Straftatbeständen denknotwendig präzisierungsbedürftig.32 Die Aussage v. Listzs, das Strafgesetz sei die „Magna Charta des Verbrechers“33 trifft demnach zu: Im Strafgesetzbuch müssen die Verhaltensweisen, die einem Straftatbestand unterfallen, der Art nach fixiert sein. Für die, die nicht entsprechend fixiert sind, darf der Handelnde nicht bestraft werden.34 Darin kommt der fragmentarische Charakter35 des Strafrechts zum Ausdruck. 29 BVerfG NJW 1998, 2589, 2590; vgl. auch BVerfGE 41, 314, 319: „Jedermann soll vorhersehen können, welches Handeln mit welcher Strafe bedroht ist, und sein Verhalten entsprechend einrichten können“; auf gleicher Linie etwa BVerfGE 47, 109, 120 f.; 64, 389, 393 f.; 78, 374, 381 f. 30 „Nullum crimen, nulla poena sine lege“ – Kein Verbrechen, keine Strafe ohne Gesetz. Das Gesetzlichkeitsprinzip ist ein zentrales Prinzip des deutschen Strafrechts. Dieser Grundsatz findet sich auch bereits im berühmten Strafrechtsreformprogramm von Cesare Beccaria (1738 – 1794), Von den Verbrechen und von den Strafen, 1764. Einen umfassenden Überblick bietet Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, 1983. 31 Vgl. auch BVerfG NStZ 2010, 626, das wie folgt formulierte: „Für den Gesetzgeber enthält Art. 103 II GG in seiner Funktion als Bestimmtheitsgebot […] die Verpflichtung, wesentliche Fragen der Strafwürdigkeit oder Straffreiheit im demokratisch-parlamentarischen Willensbildungsprozess zu klären und die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen“. S. auch BVerfGE 75, 329, 340 f.; s. zum Gesetzlichkeitsgrundsatz allgemein näher Appel, Verfassung und Strafe, S. 116 ff. 32 S. dazu näher Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 76 ff. 33 v. Liszt, in: Strafrechtliche Vorträge und Aufsätze, Bd. 2 (1892 – 1904), S. 75, 80. 34 Zur Klarstellung: Das Strafgesetz hat nicht die Aufgabe, Verhaltensnormen als solche zu konkretisieren oder gar alle empririschen Erscheinungsformen bestimmter Verhaltensnormverstöße aufzuzählen. Vielmehr wird es seiner Aufgabe, die Strafbarkeit eindeutig festzulegen, vollkommen gerecht, wenn ihm der erfasste Verhaltensnorm-Typ zu entnehmen ist, weil die Legitimationsgründe der Verhaltensnormen deutlich werden, bei denen ein Verstoß tatbestandsspezifisch missbilligt ist. – Näher dazu Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 88, § 2 Rn. 11 ff.; Rostalski, RphZ 2018, 157, 167 ff.

A. Wann darf der Staat strafen? – Zur Legitimation von Strafe

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Der Bestimmtheitsgrundsatz ist jedoch für den Gesetzgeber nur eine formelle, aber nicht die einzige verfassungsrechtliche Schranke; denn der Gesetzgeber hat zusätzlich in materieller Hinsicht den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten.36 Staatliche Maßnahmen in Form des Strafens bedürfen nach dem bisher Gesagten wie jeder andere Grundrechtseingriff auch einer materiellen Legitimation37, um welche sich die sog. Straftheorien38 bemühen. Eine umfassende Aufarbeitung der verschiedenen Theorien kann an dieser Stelle nicht geleistet werden – ist aber für die Zwecke dieser Untersuchung auch nicht erforderlich. Die folgende Darstellung beschränkt sich auf die Hauptströmungen.39

I. Der Beitrag der Straftheorien zur Legitimation und zum Zweck des Strafens Die Straftheorien lassen sich auf einer ersten Ebene in zwei Konzepte, die absoluten (Gerechtigkeitstheorien) und relativen Straftheorien (Zwecktheorien) einteilen und innerhalb der dadurch gebildeten Gruppen noch weiter differenzieren. Die absoluten40 Straftheorien, welche vornehmlich mit Kant41 und Hegel42 in Verbindung gebracht werden, gründen auf den Gedanken der Vergeltung, der Sühne

35 Zum fragmentarischen Charakter des Strafrechts s. bereits Binding, Lehrbuch des gemeinen deutschen Strafrechts, BT, S. 20 ff.; s. auch Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 63, 87 ff.: „In der Konsequenz des nullum crimen-Satzes liegt der fragmentarische Charakter des Strafrechts – d. h.: Strafbarkeitslücken sind bewusst in Kauf genommen.“ Siehe zum fragmentarischen Charakter des Strafrechts auch Appel, Verfassung und Strafe, S. 409 ff.; Hefendehl, JA 2011, 401 ff.; s. auch Krey/Esser, AT, § 1 Rn. 17, wonach das Strafrecht seiner Natur nach „lückenhaft“ sei. – Maiwald, FS Maurach, S. 9 ff., ist der Ansicht, der fragmentarische Charakter des Strafrechts sei ein Konzept der Strafrechtsbegrenzung; s. auch Jescheck/Weigend, AT, § 7 II 1; Eisele, in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, AT, § 2 Rn. 8. 36 S. dazu auch Hefendehl, JA 2011, 401, 403. 37 Zu den Legitimationsbedingungen staatlichen Handelns insbesondere mit Blick auf das Strafrecht s. Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 1 ff.; Freund, in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 37; vgl. auch Hecker, in: Schönke/Schröder, StGB, Vor § 1 Rn. 30 ff.; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, 1996; Jäger, in: SK-StGB, Vor § 1 Rn. 1 ff.; Vogel, StV 1996, 110 ff. 38 Zur Entwicklung der Straftheorien im historischen Kontext siehe v. Hippel, Deutsches Strafrecht I, S. 457 ff. 39 Eine umfassende Übersicht über die Straftheorien gibt Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 17 ff. 40 Diese werden als „absolut“ bezeichnet, weil sie sich im Wesentlichen darauf beschränken, das Handeln des Täters zu sanktionieren und das begangene Unrecht und die verwirklichte Schuld „auszugleichen“. Völlig ausgeklammert wird hingegen, welche Folgen die Strafe für den Täter und die Gesellschaft nach sich zieht, also der soziale Nutzen; s. Hilgendorf/ Valerius, AT, § 1 Rn. 10. Zu den Straftheorien allgemein s. Joecks/Erb, in: MünchKommStGB I, Einl. Rn. 50 ff.; Jescheck/Weigend, AT, § 8 III 2.

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2. Teil: Grundlagen der Problemlösung

und der Wiederherstellung von Gerechtigkeit. Der Zweck von Strafe ist nach diesen allein im Ausgleich von Tatunrecht und Tatschuld zu sehen. Strafe soll damit rein repressiv wirken. Bestraft wird nach diesem Vorstellungsbild mithin nur, weil etwas verbrochen wurde und nicht, damit sich dies künftig nicht wiederholt. Der Grund für Strafe wird also lediglich in der Vergangenheit gesucht („punitur quia peccatum est“).43 An diesem Punkt zeigt sich bereits das verfassungsrechtliche Defizit: Um den heutigen verfassungsrechtlichen Vorgaben zu entsprechen, bedarf es für staatliche Maßnahmen, welche immer einen Eingriff in die Grundrechte des Bürgers darstellen, eines legitimen Zwecks.44 Ein solcher ist diesen Theorien jedenfalls nicht ohne Weiteres zu entnehmen. Diese zielen vielmehr erklärtermaßen allein auf den Gedanken der „gerechten Vergeltung“ ab, sind also frei von jeglichen Zweckerwägungen. Solche Erwägungen sind jedoch angesichts der heutigen durch die Verfassung gesetzten Begrenzungen im Rahmen staatlicher Rechtseingriffe nicht akzeptabel. Kurz gesagt: Eine rein zweckfreie Strafe, d. h. Schuldausgleich um seiner selbst willen, ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht haltbar.45 Eine durchaus zweckrationale Verankerung des berechtigten Grundgedankens absoluter Straftheorien (des Ausgleichgedankens) lässt sich allerdings einer restitutiven Straftheorie nach Freund46 entnehmen. Nach dieser Straftheorie ist Strafe 41 Immanuel Kant bezeichnete das Strafgesetz als einen „kategorischen Imperativ“, ein von allen Zweckerwägungen freies Gebot der Gerechtigkeit. Er illustrierte seinen Gedanken einer strengen Anwendung der Vergeltungstheorie mit dem bekannten „Inselbeispiel“: „Selbst, wenn sich die bürgerliche Gesellschaft mit aller Glieder Einstimmung auflöste (z. B. das eine Insel bewohnende Volk beschlösse, auseinander zu gehen, und sich in alle Welt zu streuen), müßte der letzte im Gefängnis befindliche Mörder vorher hingerichtet werden, damit jedermann das widerfahre, was seine Taten wert sind, und die Blutschuld nicht auf dem Volke hafte, das auf diese Bestrafung nicht gedrungen hat; weil es als Teilnehmer an dieser öffentlichen Verletzung der Gerechtigkeit betrachtet werden kann.“ (Kant, Metaphysik der Sitten, S. 229.); s. dazu Jescheck/Weigend, AT, § 8 III 1. 42 Georg Friedrich Wilhelm Hegel (ausgehend von seiner Lehre vom „dialektischen Prinzip“) sprach sich dafür aus, dass die Rechtsordnung den „allgemeinen Willen“ darstelle, gegen welchen sich der – in dem Verbrechen zum Ausdruck kommende – „besondere Wille“ des Verbrechers auflehnt, seinerseits aber durch die Strafe in der sittlichen Überlegenheit der Gemeinschaft aufgehoben wird (Grundlinien der Philosophie des Rechts, 1821, § 100); s. dazu Jescheck/Weigend, AT, § 8 III 2. 43 Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 9. 44 Zum legitimen Zweck von Strafe s. ausführlich unten (Zweiter Teil B.). 45 Vgl. dazu auch BGHSt 24, 40, 42: Strafe ist demnach nur dann gerechtfertigt, „wenn sie sich zugleich als notwendiges Mittel zur Erfüllung der präventiven Schutzaufgabe des Staates erweist“. Siehe dazu auch Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 2 ff.; Freund, in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 38; sachlich übereinstimmend z. B. Joecks/Erb, in: MünchKommStGB I, Einl. Rn. 59. – Weiter zu den Legitimationsbedingungen staatlicher Rechtseingriffe BVerfGE 45, 187, 253 f.; s. auch BVerfGE 39, 1, 47; 73, 206, 253 f.; 90, 145, 171 ff. (Cannabis-Entscheidung); Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 77 ff., 139 ff.; Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 19. 46 S. dazu ausführlich Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 24, 28 ff.; in den praktischen Konsequenzen identisch ist auch die expressive Straftheorie von Rostalski. Diese versteht den Zweck der Strafe (anders als Freund) als angemessen missbilligende Antwort auf die begangene

A. Wann darf der Staat strafen? – Zur Legitimation von Strafe

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nicht als (generalpräventives) Mittel zur Förderung künftigen normgemäßen Verhaltens der Gesellschaftsmitglieder zu verstehen. Vielmehr geht es um die Wiederherstellung (Restitution) des durch die Straftat beeinträchtigten Rechts durch angemessen missbilligende Reaktion.47 Legitimer Zweck von Schuldspruch und Strafe ist insofern die „geltungssichernde ausgleichende Ahndung (Missbilligung) der in dem begangenen Verhaltensnormverstoß zu erblickenden Infragestellung der Verhaltensnormgeltung zur Wiederherstellung des Rechts.“48 Dabei wird der verfassungsrechtliche erforderliche Zukunfts- und Zweckbezug durch die Bedeutung des Rechts als weiterhin verhaltenswirksame Ordnung des Zusammenlebens hergestellt. Relative49 Straftheorien zielen nicht darauf ab, einen (repressiven) Unrechts- und Schuldausgleich um seiner selbst willen vorzunehmen, sondern sind bestimmten für das zukünftige Zusammenleben bedeutsamen Zwecken verpflichtet, wie beispielsweise der Abschreckung oder der Besserung. Strafe soll also insofern präventiv wirken.50 Die relativen Straftheorien sind mithin am Ziel der Verhinderung einer Wiederholung oder Nachahmung orientiert.51 Bereits Platon brachte die Überzeugung zum Ausdruck, dass kein vernünftiger Mensch deshalb bestraft werde, „weil gesündigt wurde, sondern damit in Zukunft nicht mehr gesündigt werde“.52 Dieser tragende Leitgedanke ist auch bis zum heutigen Tage erhalten geblieben. Im Bereich der relativen Straftheorien lassen sich zwei weitere Strategien, namentlich die Generalprävention53 und die Spezialprävention54 unterscheiden. Straftat zur Bestätigung des Status des Täters als Gleicher im Recht (retributiv expressive Straftheorie ausgleichender Ahndung); s. zur retributiv expressiven Straftheorie nach Rostalski näher Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 37 ff., 39. 47 Zur restitutiven Straftheorie nach Freund s. ausführlich Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 28 ff. 48 Vgl. weiter zum Konzept der geltungssichernden ausgleichenden Ahndung noch Timm, Gesinnung und Straftat, S. 52 ff., 62; s. auch Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 28 ff.; ähnlich auch Murmann, FS Frisch, S. 1131, 1136 f.; dazu auch ders., AT, § 8 Rn. 22 ff. 49 Als Vertreter relativer Straftheorien sind vor allem Hugo Grotius, Cesare Beccaria, Marchese de Bonesana, Paul Johann Anselm von Feuerbach sowie Franz von Liszt anzuführen. Feuerbach, Lehrbuch des peinlichen Rechts, §§ 13 ff., gelangt auf Grundlage seiner bekannten Lehre vom „psychologischen Zwang“ zu einer Generalprävention durch psychologischen Zwang, welche die Strafdrohung im Gesetz bewirkt. Demnach solle der Vollzug der Strafe durch den Staat die Ernstlichkeit der Strafdrohung für jedermann sichtbar machen; s. dazu Jescheck/Weigend, AT, § 8 IV 2. 50 In deutlichem Gegensatz dazu steht die oben bereits angesprochene restitutive Straftheorie nach Freund; s. dazu auch schon oben in Fn. 46. 51 Hilgendorf/Valerius, AT, § 1 Rn. 11; Rengier, AT, § 3 Rn. 14; Wessels/Beulke/Satzger, AT, § 1 Rn. 23. 52 Siehe Jakobs, Staatliche Strafe, S. 5 m. w. N.; Jescheck/Weigend, AT, § 8 IV 1. Platon, Protagoras: „Wer auf eine vernünftige Weise zu Strafen gedenkt, der züchtigt nicht wegen des schon begangenen Unrechts […], sondern um des zukünftigen willen, damit hinfort weder der Täter selbst wieder Unrecht begehe, noch auch die anderen, welche sehen, wie er bestraft wird“. 53 Als prominenter Vertreter der Generalprävention gilt Paul Johann Anselm von Feuerbach (Feuerbach, Lehrbuch des peinlichen Rechts, 1832). Die Theorie der Generalprävention be-

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2. Teil: Grundlagen der Problemlösung

Festzuhalten bleibt: Im Hinblick auf die von der Verfassung aufgestellten Begrenzungen innerhalb staatlicher Rechtseingriffe kann eine rein zweckfreie Strafe in unserem heutigen Strafrechtssystem keinen Bestand haben. Diese Diagnose schließt es jedoch nicht aus, dass dem Gedanken der gerechten Vergeltung dennoch Rechnung getragen werden kann und muss. Die Möglichkeit und vielleicht sogar die Notwendigkeit, auf einen begangenen Normverstoß angemessen missbilligend zu reagieren, bleiben bestehen. Erforderlich ist aber allemal die Integration dieses Gedankens in ein zweck- und wertrational fundiertes Strafrechtssystem.55

II. Die Funktion von Strafe – Nach der Konzeption einer personalen Straftatlehre Wie eingangs bereits angeführt, ist es Aufgabe des Staates, die gesellschaftliche und staatliche Ordnung zu gewährleisten – sie also herzustellen und zu schützen bzw. zu bewahren. Überschreitet ein Täter durch ein bestimmtes Verhalten die ihm zustehende rechtliche Freiheit und gefährdet oder verletzt er dadurch Rechte oder Rechtsgüter des Einzelnen oder der Allgemeinheit, stellt sich die Frage, was in einem solchen Fall legitimerweise zu unternehmen ist.56 Jedenfalls ist die begangene Tat mit ihrer konkreten Gutsbeeinträchtigung nicht mehr ungeschehen zu machen. Als mögliche Zielvorgabe kann es allenfalls noch darum gehen, konkrete Wiederholungen oder Nachahmungen in der Zukunft zu unterbinden oder aber genau die durch die begangene Tat beeinträchtigte Geltungskraft der übertretenen Verhaltensnorm durch angemessen missbilligende Reaktion wiederherzustellen. Man kann auch sagen: Schuldspruch und Strafe dienen der Wiederherstellung des durch die Tat zieht sich dabei auf an die Allgemeinheit adressierte Präventionsbemühungen. Hier kann wiederum zwischen der negativen Generalprävention (Abschreckung) und der positiven Generalprävention (Bestätigung der Normgeltung, Stärkung des Normvertrauens) unterschieden werden. Zur Entwicklungsgeschichte der Generalprävention s. Gropp/Sinn, AT, § 1 Rn. 182 ff. – Zur Kritik an einer rein generalpräventiven Zielsetzung s. etwa Appel, Verfassung und Strafe, S. 183 ff. 54 Die Theorie der Spezialprävention bezieht sich auf Strafwirkungen beim Täter selbst, die seit Franz v. Liszt mit folgenden Schlagworten umschrieben werden: Besserung, Abschreckung und Unschädlichmachung. Daraus ergibt sich auch hier eine Unterteilung in negative Spezialprävention (Abschreckung und Sicherung der Gesellschaft vor dem Täter) sowie eine positive Spezialprävention (Besserung/Resozialisierung des Täters); „Die richtige, d. h. die gerechte Strafe, ist die notwendige Strafe. Gerechtigkeit im Strafrecht ist die Einhaltung des durch den Zweckgedanken erforderten Strafmaßes […] das völlige Gebundensein der Strafgewalt durch den Zweckgedanken ist das Ideal der strafenden Gerechtigkeit“, v. Liszt, ZStW 3 (1883), S. 1, 31 ff.; siehe dazu ausführlich Gropp/Sinn, AT, § 1 Rn. 189 ff.; vgl. dazu auch Krey/Esser, AT, § 5 Rn. 142 ff.; Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 24 ff.; Wessels/Beulke/Satzger, AT, § 1 Rn. 23 f. – Seinen berechtigten Stellenwert erfährt der Gedanke der Spezialprävention im Bereich des Gefahrenabwehrrechts. 55 Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 11; vgl. auch Timm, Gesinnung und Straftat, S. 52 ff., 58 ff. 56 Frisch, NStZ 2016, 16, 17.

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gestörten Rechtsfriedens.57 Das Recht als verhaltenswirksame Ordnung des Zusammenlebens ist durch den Verhaltensnormverstoß des Täters (ggf. nebst dessen spezifischen Folgen) beeinträchtigt und bedarf der Restitution. In dieser Wiederherstellung des status ante delictum ist eine Präzisierung des Gedankens zu erblicken, dass ein legitimes Strafrecht dem präventiven Rechtsgüterschutz58 verpflichtet sein muss. Einer Umsetzung der im Grundsatz anerkannten Rechtsgüterschutzaufgabe durch den Staat sind im strafrechtlichen Kontext enge Grenzen gesetzt. Denn der Einsatz von Strafe als solcher setzt regelmäßig zu spät an – eben gerade dann, wenn sich die rechtswidrige Tat bereits ereignet hat. Die durch sie beeinträchtigten Rechtsgüter des Einzelnen (etwa das Leben, die körperliche Unversehrtheit und das Eigentum) oder auch die der Allgemeinheit können durch die Verhängung einer Strafe nicht mehr geschützt werden. Die bereits eingetretene Beeinträchtigung (Schädigung bzw. Verletzung oder Gefährdung) kann durch die Bestrafung des Täters nicht wieder ungeschehen gemacht werden. „Das Kind ist dann bereits in den Brunnen gefallen.“59 Dies wird vor allem im Zusammenhang mit den Verletzungsdelikten deutlich: Die Bestrafung eines Mörders oder Totschlägers macht das Opfer nicht wieder lebendig; ebenso wenig können restlos zerstörte oder auch nur teilweise zerstörte Gegenstände durch Strafe wieder in ihren ursprünglichen Zustand versetzt werden.60 An dieser Stelle zeigt sich, dass der Rechtsgüterschutz an Grenzen stößt, denn diesen kann der Staat allenfalls für die Zukunft gewährleisten. Das Strafrecht selbst kann zu diesem Zeitpunkt nach begangener Tat nur noch einen sekundären und mittelbaren Schutz bieten.61 Um dem Rechtsgüterschutzgedanken effektiv gerecht zu werden, muss daher bereits vor einer Rechtsgutsbeeinträchtigung mit einem zur Zweckerreichung geeigneten Mittel angesetzt werden: Es werden primär rechtsgüterschützende Verhaltensnormen benötigt. Erst im Anschluss kann dann überlegt werden, ob und inwieweit Sanktionsnormen eine sekundäre (akzessorische) Schutzfunktion übernehmen können.

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S. dazu bereits oben (Zweiter Teil A. I.). Zum Rechtsgüterschutzzweck der Strafe s. insbesondere Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 2, 29 m. w. N.; s. auch Freund, in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 38; ders., Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 82 f.; ders., GA 2010, 193, 194 f.; Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 47 f.; Gropp/ Sinn, AT, § 1 Rn. 149 ff.; Jäger, in: SK-StGB, Vor § 1 Rn. 1; Timm, Gesinnung und Straftat, S. 40; Roxin/Greco, AT I, § 2 Rn. 1 ff. 59 Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 29; Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 80; ders., in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 8 ff., 66; i. d. S. auch Appel, Verfassung und Strafe, S. 452 ff.; sachlich übereinstimmend Jescheck/Weigend, AT, § 1 II 1. 60 Dieses Beispiel ist auch zu finden bei Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 29; ähnlich Timm, Gesinnung und Straftat, S. 41. In diesem Fall ist dann kein sog. „rettungsfähiges Gut“ vorhanden; s. dazu näher Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 30. 61 Zum sekundären Charakter des Strafrechts s. näher Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 29; s. auch Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 81 f.; ders., in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 66 f.; ders., GA 2010, 193, 195 f. 58

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Seiner Aufgabe, das menschliche Zusammenleben zu ordnen und wichtige Rechtsgüter langfristig zu schützen, kann der Staat daher nur in einem mehrstufigen System von Normen gerecht werden. Insofern bedarf es einer Unterscheidung zweier grundlegender Normenkategorien.62 1. Die grundlegende Unterscheidung von Verhaltensnormen und Sanktionsnormen Um die mit einem entsprechenden Verhalten verbundenen Schädigungsmöglichkeiten zu vermeiden, bedarf es der Aufstellung von Normen, welche bereits im Vorfeld bestimmte rechtsgutsgefährdende Verhaltensweisen verbieten bzw. ein zur Rechtsgutserhaltung geeignetes Verhalten vorschreiben: Benötigt werden rechtliche Ver- und Gebote – also Verhaltensnormen.63 Eine solche Verhaltensnorm stellt beispielsweise das – konkretisierungsbedürftige – Verbot: „Du sollst nicht töten“ dar. Werden die aufgestellten Verhaltensnormen befolgt, so gelingt der unmittelbare Rechtsgüterschutz durch die dem Strafrecht vorgelagerte primäre Normenordnung und es bedarf keiner Sanktionierung. Erst wenn ein Verstoß gegen eine Verhaltensnorm vorliegt, stellt sich überhaupt die Frage der Sanktionierung eines solchen. Strafgesetze treffen gerade keine Aussage darüber, welches Verhalten verboten oder welches geboten ist.64 Dies ist bereits Aufgabe der von den Strafgesetzen vorausgesetzten (vorgelagerten) Verhaltensnormen – also der Ver- und Gebote der primären Normenordnung. Die abstrakt-generell gefassten Strafgesetze regeln bloß, auf welche Verhaltensnormverstöße unter welchen weiteren Voraussetzungen

62 Diese Normenkategorien gehen auf die Normenlehre Bindings zurück; Binding, Handbuch des Strafrechts, Band I, S. 155 ff. Dieser trennt die vorstrafrechtlichen „Normen“ strikt von den „Strafgesetzen“; vgl. hierzu Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 80 f. Näher zur grundlegenden Unterscheidung von Verhaltensnormen und Sanktionsnormen Appel, Verfassung und Strafe, S. 431 ff.; Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 50 ff.; Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 51 ff., 85 ff., 112 f.; ders., in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 69 ff.; ders., GA 1995, 4, 6 ff.; ders., GA 2010, 193, 194 f.; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 77 ff., 90 ff.; ders., Vorsatz und Risiko, S. 59 f., 77, 356 f., 502 ff.; Kindhäuser/Zimmermann, AT, § 2 Rn. 1 ff.; Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 29 ff. m. w. N., 153; Renzikowski, FS Gössel, S. 3 ff.; Timm, Gesinnung und Straftat, S. 41 f. 63 Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 29, 50 ff. 64 Siehe dazu insbesondere Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 48, die zutreffend betonen, dass sich aus der Sanktionsnorm selbst gerade keine Verhaltensnormen herleiten – jedenfalls nicht sachlich legitimieren – lassen. Diese müssen im Verhaltenszeitpunkt ex ante bereits in einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechenden Weise legitimiert sein; ihre legitimierte Existenz wird von der Sanktionsnorm vorausgesetzt. – Anders sieht das etwa Herzberg, der die Existenz einer primären Normenordnung bestreitet und die Verhaltensnormen aus den Strafgesetzen herleiten will (Herzberg, GA 2016, 737, 746 f.). Dies wird insbesondere im Zusammenhang mit seinen Ausführungen zu § 217 StGB deutlich, wenn er darlegt, dass die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung (erst) dadurch unrechtmäßig geworden sei, dass der Gesetzgeber diesen Straftatbestand in das StGB einführte.

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strafrechtlich reagiert werden soll.65 Solche stellen lediglich Ermächtigungsgrundlagen für die Bildung einer Entscheidungsnorm dar, welche eine konkrete Sanktionsanordnung zum Inhalt hat.66 „Das Strafrecht selbst besitzt lediglich einen sekundären67 oder genauer noch akzessorischen Charakter.“68 Festzuhalten bleibt: Die Übertretung einer rechtlich legitimierten Verhaltensnorm, d. h. der Verstoß gegen eine solche ist Mindestbedingung einer jeden Straftat.69 Dies setzt voraus, dass gegenüber dem einzelnen Bürger überhaupt eine Verhaltensnorm legitimiert werden kann, denn nur eine solche kann übertreten werden und einen Verhaltensnormverstoß begründen. Unmittelbarer Rechtsgüterschutz ist somit allein durch Verhaltensnormen möglich, die Gütergefährdungen unterbinden bzw. abwenden sollen.70 a) Verhaltensnormen und ihre Funktion Die vom Staat aufgestellten Ge- und Verbote (Verhaltensnormen) bilden also die unverzichtbare Hauptstrategie des Rechtsgüterschutzes. Verhaltensnormen ge- und verbieten ein bestimmtes menschliches Verhalten (z. B. „Du sollst nicht töten“) und schützen damit unmittelbar Rechtsgüter wie etwa das Leben, die Freiheit oder die körperliche Unversehrtheit.71 Sie normieren, wann bestimmte Schutzinteressen den Handlungsinteressen anderer vorgehen.72 Das bedeutet, dass es als Kehrseite ihres Schutzes immer auch um die Beeinträchtigung eines anderen Interesses geht, wel-

65 Freund/Rostalski, AT, § 2 Rn. 9 f.; Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 51 ff.; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 70 ff.; Murmann, AT, § 8 Rn. 5 ff.; auf dieser Linie auch Zippelius, AcP 157 (1958), 390, 397. 66 S. dazu näher Freund/Rostalski, GA 2018, 264 ff. 67 Zum Charakter des Strafrechts als sekundäre Normenordnung s. bereits instruktiv Appel, Verfassung und Strafe, S. 490 f., 574 ff., dieser rügt zu Recht, dass im strafrechtlichen Schrifttum regelmäßig noch die Verhaltensnormfrage mit der Frage der Strafbewehrung einer als solche legitimierten Verhaltensnorm vermengt wird. – S. auch Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 28 ff., 51 ff., 80 ff., 113 ff.; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 112 ff.; Schünemann, Grund und Grenzen, S. 221 ff. 68 Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 50; s. ferner auch Binding, Handbuch des Strafrechts, Band I, S. 9 ff. 69 I. d. S. auch Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 50; so auch Remde, Die Zukunft präventiven Freiheitsentzugs, S. 6. 70 Julia Heinrich, Die Gesetzliche Bestimmung von Strafschärfungen, S. 39; s. auch Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 81 f.; ders., in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 67; ders., GA 2010, 193, 195 f. 71 Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 29. 72 Siehe dazu BVerfGE 27, 18, 29, wonach die Werteordnung der Verfassung Anhaltspunkte dafür gebe, welche Rechtsgüter schützenswert sind, „in den Kernbereich des Strafrechts“ gehören. Sachlich übereinstimmend auch Appel, Verfassung und Strafe, S. 437; s. auch Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 52.

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ches mit dem zu schützenden konkurriert.73 Solche Ge- und Verbote lassen sich verfassungsrechtlich nur rechtfertigen, wenn auch der Zweck, der mit dem Aufstellen der Ge- und Verbote verfolgt wird, ein verfassungsrechtlich legitimer ist und die getroffene Regelung als verhältnismäßig angesehen werden kann.74 Verhaltensnormen sind nur zu legitimieren, sofern sie den allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundsätzen genügen.75 b) Die Schutzfunktion der Sanktionsnorm Verhaltensnormen sind streng von den Sanktionsnormen – also den Strafvorschriften – zu trennen. Das Strafrecht besteht nur aus Sanktionsnormen. Verhaltensnormen hingegen sind diesen Sanktionsnormen vorgeschaltet; sie werden zur Reglementierung menschlichen Verhaltens aufgestellt.76 Bevor an eine Sanktionierung bestimmter Verhaltensweisen zu denken ist, müssen diese im Vorfeld ge- oder verboten sein, d. h. es muss gegen die rechtliche Verhaltensordnung verstoßen worden sein. Für das Aufstellen der Sanktionsnorm bildet die Verhaltensnorm jedoch den entscheidenden Bezugspunkt.77 Denn genau ihr Inhalt ist es, auf den sich die Strafvorschrift bezieht – wenn es darin etwa heißt: „Wer einen Menschen tötet …, wird … bestraft“ (§ 212 Abs. 1 StGB). Auf diese Weise erhält das Schutzgut der Sanktionsnorm Kontur: Die Sanktionierung entsprechender Verhaltensnormverstöße soll verdeutlichen, dass an der Verhaltensordnung festgehalten wird und diese unverbrüchlich ist. Jeder, der diese Ordnung in Frage stellt und sich darüber hinwegsetzt, soll dafür mit spürbaren Folgen zur Verantwortung gezogen werden.78 In diesem Zusammenhang kann Strafe nach begangener Tat nur noch solche Rechtsgüter vor Schäden bewahren, die zu diesem Zeitpunkt noch rettungsfähig sind. Der Blick muss also auf ein weiteres zu schützendes Interesse gerichtet werden. Es muss sich um ein Gut handeln, das durch den Einsatz von Strafe vor einem zukünftig drohenden Schaden bewahrt werden kann.79 Dieses schützenswerte Rechtsgut liegt in der durch die Straftat gefährdeten Geltungskraft der übertretenen Verhaltens73 „Was man der einen Seite nimmt, gibt man der anderen“; so Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 55. 74 Appel, Verfassung und Strafe, S. 437. 75 Vgl. BVerfGE 90, 145 ff., wonach strafrechtliche Regelungen, im Hinblick auf das „Ob“ der Strafbewehrung auf ihre Verhältnismäßigkeit überprüft werden können (172 ff., 183 ff.). – S. dazu noch genauer unten (Zweiter Teil B.). 76 S. dazu auch Appel, Verfassung und Strafe, S. 433. 77 Appel, Verfassung und Strafe, S. 437. 78 So Frisch, NStZ 2016, 16, 18; s. dazu auch ders., GA 2015, 65, 67 ff. – Im Gegensatz zu den Verhaltensnormen richten sich Sanktionsnormen nicht an den Delinquenten, sondern vielmehr an die Strafgerichte als Judikative, die beim Vorliegen sämtlicher Sanktionsvoraussetzungen eine Strafe zu verhängen hat; vgl. dazu Rostalski, Der Tatbegriff im Strafrecht, S. 89. 79 Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 30. Zum Rechtsgutsbegriff allgemein s. etwa Jäger, in: SK-StGB, Vor § 1 Rn. 6 ff.

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norm.80 Indem der Täter eine entsprechende Tat ausführt, stellt er die Geltungskraft der Verhaltensnorm in Frage und greift damit die Verhaltensnormgeltung an.81 Durch die Begehung der Straftat bringt er zum Ausdruck, dass er die rechtlichen Vorgaben in Frage stellt und seine Maximen denen der Rechtsordnung vorzieht. Um langfristig einen drohenden Schaden der Normgeltung abzuwenden, muss auf die Infragestellung der Normgeltung angemessen missbilligend reagiert werden. Soll die Schutzstrategie der Verhaltensleitung82 nicht scheitern, darf ein normbrechendes Verhalten nicht einfach hingenommen werden.83 Ohne eine angemessen missbilligende Reaktion auf den Verhaltensnormverstoß (ggf. nebst dessen Folgen) würde die übertretene Verhaltensnorm zumindest langfristig ihren legitimen Stellenwert verlieren und nicht mehr ernst genommen. Dieser Aspekt der ausgleichenden Ahndung zeigt, dass im Rahmen eines zweckrationalen Strafrechtskonzepts der Gedanke der gerechten Vergeltung durchaus eine legitime Funktion haben kann. 2. Zusammenfassung Die zentrale Aufgabe des Strafrechts ist es, den gestörten Rechtsfrieden durch angemessen missbilligende Reaktion auf einen begangenen Normverstoß wiederherzustellen.84 Ohne die Existenz einer Sanktionsnorm könnte dies nicht entsprechend umgesetzt werden. Durch die Sanktionsnorm kann jedoch nur mittelbarer Rechtsgüterschutz gewährleistet werden, indem diese die Geltungskraft der Verhaltensnorm sichert. Für die Legitimation dieser Sanktionsnorm (also die Pönalisierung eines in Frage stehenden Verhaltens) müssen jedoch bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Eine Sanktionsnorm muss – wie auch die ihr vorgelagerten Verhaltensnormen – insbesondere den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Stand halten.

80 S. dazu Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 46, 64, § 2 Rn. 11; s. auch Freund, in: MünchKommStGB I, Vor § 13, Rn. 67 ff. Diese Differenzierung der verschiedenen Schutzzwecke wird oftmals nicht vorgenommen. Das Schutzgut wird dann aus der Sanktionsnorm hergeleitet; s. dazu etwa Herzberg, GA 2016, 737, 746 f. – Anderer Ansicht ist etwa auch Tiedemann, FS Baumann, S. 7, 11 f., der darlegt, die Tatbestände des Besonderen Teils dienten unmittelbar dem Rechtsgüterschutz. 81 Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 50. 82 Zur verhaltensleitenden Funktion und entsprechenden Perspektive Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 28 ff., 64; s. auch Frisch, NStZ 2016, 16 ff.; ders., GA 2015, 65, 77 f.; ders., FS Beulke, S. 103, 108 f.; Jakobs, Staatliche Strafe, S. 24 ff. 83 Dazu und zum Folgenden Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 11, 28 ff. 84 Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 28 ff., 49; Freund, in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 71; ders., GA 2010, 193, 195.

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B. Staatliche Maßnahmen im Lichte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Im Zentrum der Legitimation staatlicher Maßnahmen (insbesondere der Strafe) steht der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit85. Er hat als allgemein-rechtsstaatlicher Grundsatz Verfassungsrang. Dies ist ungeachtet einiger Kontroversen über dessen Herleitung86 im Ergebnis allgemein anerkannt. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird in ständiger Rechtsprechung (auch im Strafrecht) in klaren Prüfungsschritten wie folgt konkretisiert:87 Ein staatlicher Eingriff muss einen legitimen Zweck verfolgen und hierfür geeignet, erforderlich und angemessen sein.88 In einem ersten Schritt ist zu klären, welchen Zweck die jeweilige Maßnahme des Staates erreichen soll. Dieser muss vor der Rechtsordnung – insbesondere vor dem Grundgesetz – Bestand haben, also legitim sein. Vorausgesetzt, die Verfolgung des Zwecks ist als solche zulässig, kommt es nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip weiter darauf an, dass das Mittel zur Erreichung des legitimen Zwecks geeignet und zur Zweckerreichung auch erforderlich ist. Daran fehlt es, wenn das Mittel vollkommen ungeeignet ist oder wenn gleich wirksame, aber weniger belastende Mittel zur Verfügung stehen. In einem letzten Schritt – der Prüfung der Angemessenheit (oder auch Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne) – ist eine Abwägung der Interessen und Güter, die durch die Maßnahme gewahrt oder geschützt werden sollen, gegen das Ausmaß des mit der Maßnahme verbundenen Eingriffs vorzunehmen.89 85 Vgl. zur besonderen Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bzw. des Übermaßverbots als „übergreifende Leitregeln allen staatlichen Handelns“ BVerfGE 23, 127, 133 f. – Zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz allgemein s. Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 416 ff.; Detterbeck, Öffentliches Recht, Rn. 39, 300 ff.; Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 330 ff.; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 145 ff.; Vogel, StV 1996, 110 ff.; instruktiv zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auch Bleckmann, JuS 1994, 177 ff. 86 Einige Stimmen befürworten es, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) herzuleiten: „Die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Übermaßverbots […] als übergreifende Leitregeln allen staatlichen Handelns“ ergeben sich zwingend aus dem Rechtsstaatsprinzip, so das Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 23, 127, 133; vgl. auch BVefGE 86, 288, 347; 90, 145, 173; auf gleicher Linie auch Detterbeck, Öffentliches Recht, Rn. 39; Hecker, in: Schönke/Schröder, StGB, Vor § 1 Rn. 32; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 145 f. – Andere hingegen erkennen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als (wenn auch nicht ausschließlich) integralen Bestandteil der Grundrechtsdogmatik an; s. etwa Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 19; vgl. auch BVerfGE 19, 342, 349: „im Grunde bereits aus dem Wesen der Grundrechte selbst“. 87 BVerfGE 23, 127, 133; 30, 292, 316; 63, 88, 115; 67, 157, 173; 90, 145, 172 f.; s. zu diesen Prüfschritten auch näher Appel, Verfassung und Strafe, S. 172 ff. 88 Zu den Inhalten des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes s. BVerfGE 30, 292, 316; Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 419 ff.; Kaspar, Präventionsstrafrecht, S. 27 ff., 351 ff., 619 ff.; Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 330 ff.; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 10 ff. 89 Vgl. dazu und zum Vorstehenden BVerfGE 109, 279, 349 ff.; 120, 378, 428; s. dazu auch Frisch, NStZ 2013, 249 ff.; Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 340.

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I. Verhältnismäßigkeit der Verhaltensnorm Verhaltensnormen als Ver- bzw. Gebote, die rechtlich verbindlich sind und – zumindest theoretisch – mit Zwang durchgesetzt werden können, beeinträchtigen die Handlungsfreiheit ihres Adressaten.90 Staatliche Eingriffe zur Erfüllung des Grundrechtsschutzes müssen sich dementsprechend im Rahmen der Verhältnismäßigkeit bewegen.91 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit spielt folglich in diesem Kontext eine entscheidende Rolle. Für die Legitimation einer Verhaltensnorm bedarf es einer Güter- und Interessenabwägung zwischen dem zu schützenden Interesse und dem beeinträchtigten Interesse des potentiellen Normadressaten; die zu legitimierende Verhaltensnorm muss zur Erreichung des vorgesehenen legitimen Zwecks geeignet, erforderlich und (mit Blick auf die sich gegenüberstehenden Interessen) angemessen sein.92 1. Legitimer Zweck Zunächst muss der Staat bei der Aufstellung von Ge- und Verboten – wie dargelegt – einen legitimen Zweck verfolgen. Ein solcher Zweck kann immer nur die Vermeidung ganz bestimmter Schädigungsmöglichkeiten sein. Legitimer Zweck von Verhaltensnormen ist es mithin, Rechtsgüter anderer (ggf. auch der Allgemeinheit) wie z. B. das Leben, die Körperintegrität oder das Eigentum vor einem Schaden zu bewahren (Rechtsgüterschutz).93 Auf diese Weise gewährleistet das von den §§ 211 ff. StGB in Bezug genommene – kontextspezifisch konkretisierungsbedürftige – Verbot „Du sollst nicht töten!“ dem in Rede stehenden Rechtsgut Leben einen unmittelbar wirkenden Schutz.94 2. Geeignetheit Die jeweils aufgestellte – konkretisierte – Verhaltensnorm muss sodann geeignet sein, den legitimen Zweck (Rechtsgüterschutz) zu erreichen. Das Mittel muss für den angestrebten (rechtmäßigen) Zweck jedenfalls generell dienlich sein.95 Daher 90

Timm, Gesinnung und Straftat, S. 64. Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 55. 92 Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 56 f.; näher dazu auch Frisch, NStZ 2013, 249, 250 f.; ders., NStZ 2016, 16 f., 22 ff.; Kaspar, Präventionsstrafrecht, S. 27 ff., 351 ff., 619 ff.; Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 330 ff. – So auch die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts; s. dazu exemplarisch BVerfGE 30, 292, 316. 93 Freund, GA 2010, 193, 195. 94 So auch Freund, GA 2010, 193, 194, nach dem ein „Zustand friedlicher Koexistenz der Bürger“ erreicht wird, wenn alle Bürger ihre „Verhaltensmaximen nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit miteinander in Einklang“ bringen. 95 BVerfGE 30, 292, 316; 33, 171, 187; 67, 157, 173; 90, 145, 172; 96, 19, 23; vgl. auch Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 421, 428 f.; Detterbeck, Öffentliches Recht, Rn. 303; Kingreen/ Poscher, Grundrechte, Rn. 334 f.; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 150 ff. 91

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müssen Verhaltensnormen im Verhaltenszeitpunkt (ex ante) ansetzen.96 Für den Normadressaten muss es rechtzeitig vor seinem Verhalten möglich sein, die für ihn relevante Norm zu bilden und auch zu befolgen; anders gebildete „Normen“ sind zum Rechtsgüterschutz nicht geeignet.97 Unmögliches oder (unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit) Unzumutbares kann das Recht eben gerade nicht verlangen.98 Zur Erreichung des legitimen Zwecks geeignete Verhaltensnormen sind nur solche, die erkannt – genauer noch: gebildet – und befolgt werden können.99 3. Erforderlichkeit Erforderliches Mittel zur Erreichung des angestrebten Rechtsgüterschutzzwecks ist die Verhaltensnorm immer dann, wenn sie unter mehreren gleich geeigneten staatlichen Mitteln das mildeste darstellt.100 Die Erforderlichkeit ist immer dann zu verneinen, wenn andere mildere und gleich effektive Mittel zur Verfügung stehen, mit deren Hilfe das angestrebte Ziel mindestens genauso gut erreicht werden kann. Der Staat muss also immer die weniger belastenden Mittel vorziehen,101 um andere wichtige Güter nicht unverhältnismäßig einzuschränken.102 In diesem Zusammenhang kann es auch das mildere staatliche Mittel sein, dem potentiellen Normadressaten die Entscheidung darüber zu überlassen, welches von mehreren gleich geeigneten Mitteln dasjenige ist, das ihn am wenigsten belastet.103

96 Appel, Verfassung und Strafe, S. 86; vgl. auch Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 56 ff.; ders., GA 2010, 193, 195. 97 Appel, Verfassung und Strafe, S. 439, spricht von „(objektive[r]) Unmöglichkeit“; s. dazu auch Jakobs, Der strafrechtliche Handlungsbegriff, S. 41 ff. 98 „Ultra posse nemo obligatur“. S. Freund/Rostalski, AT, § 2 Rn. 29. 99 Freund/Rostalski, AT, § 2 Rn. 29 ff., 33 ff.; vgl. etwa auch Müller-Franken, FS Bethge, S. 223, 250: „Das Grundgesetz setzt […] voraus, dass die Bürger im Umgang miteinander auch von sich aus Normen bilden, die einen verträglichen Gebrauch ihrer Freiheit ermöglichen“. 100 Näher zur Erforderlichkeit von Maßnahmen bzw. Mitteln Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 57; Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 55 ff., 73 ff., jew. m. w. N.; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 74 f., 127 ff., 137 ff.; ders., GA 2015, 65, 76; Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 336 ff. 101 BVerfGE 30, 292, 316; 90, 145, 172 f.; Eisele, in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, AT, § 2 Rn. 8; Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 421, 428 f.; Detterbeck, Öffentliches Recht, Rn. 304 ff.; Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 336 ff.; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 152 ff. 102 BVerfGE 23, 127, 133; 50, 142, 162; 120, 224, 249; kritisch hierzu Appel, Verfassung und Strafe, S. 177 f. sowie Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 145 ff., 179. Dem Gesetzgeber steht in diesem Zusammenhang freilich ein Beurteilungsspielraum zu. 103 Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 73 ff.

B. Staatliche Maßnahmen im Lichte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes

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4. Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit i. e. S.) Schließlich muss die Verhaltensnorm auch angemessen (verhältnismäßig i. e. S.) sein, um Rechtsgüter zu schützen. Dazu bedarf es einer rechtlichen Bewertung und Abwägung der im Einzelnen kollidierenden Güter und Interessen.104 Gegenüber stehen sich zum einen der Rechtsgüterschutz und zum anderen die Handlungs- und Entfaltungsfreiheit des potentiell Normunterworfenen.105 Für die Abwägung von erheblicher Bedeutung kann auch eine etwaige Sonderverantwortlichkeit des potentiellen Normadressaten für das Vermeiden ganz bestimmter Schädigungsmöglichkeiten sein. Man denke etwa an die personensorgepflichtigen Eltern oder an den Amtsträger, der eine bestimmte Gefahrenabwehraufgabe übernommen hat. Die zu legitimierende Verhaltensnorm ist immer dann angemessen, wenn der Schutz des bedrohten Rechtsguts die beeinträchtigten Interessen des potentiellen Normadressaten eindeutig überwiegt.106 Liegen alle genannten Voraussetzungen vor, so kann die zu legitimierende Verhaltensnorm unmittelbar Geltung erlangen.

II. Verhältnismäßigkeit der Sanktionsnorm Zur Wahrung des verfassungsrechtlich verankerten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes müssen dessen Voraussetzungen sowohl für die Verhaltensnormen als auch für die Sanktionsnormen jeweils spezifisch beachtet werden. Daher ist eine getrennte Untersuchung unverzichtbar. Dies gilt schon deshalb, weil – wie oben bereits aufgezeigt – Verhaltensnormen und Sanktionsnormen vollkommen unterschiedliche Zwecksetzungen aufweisen. Mithin wird die Verhältnismäßigkeitsprüfung auf der Ebene der Sanktionsnorm erneut relevant.107 Die Legitimation eines Straftatbestandes ist daher ebenfalls an den Maßstäben der Verfassung zu messen und somit auch an die oben bereits genannten Voraussetzungen geknüpft. Dies bedeutet, dass es 104

Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 58; Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 340. S. dazu Mulch, Strafe und andere staatliche Maßnahmen gegenüber juristischen Personen, S. 35. 106 Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 58; Schales, Spezifische Fehlverhaltensfolgen, S. 17. 107 Für die Sanktionsnormen gelten somit dieselben Anforderungen, die auch für Gesetze im Allgemeinen zu beachten sind; vgl. dazu BVerfGE 6, 389, 439; 45, 187, 260: Ein „gegen das verfassungsrechtliche Prinzip der Verhältnismäßigkeit verstoßendes Strafgesetz könnte nicht Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung sein“; s. auch BVerfGE 80, 182, 185 ff.; 80, 244, 254 ff.; 87, 399 ff. – Zur zweistufigen/doppelten Verhältnismäßigkeitsprüfung s. auch Appel, Verfassung und Strafe, S. 79 m. w. N. in Fn. 96, S. 570; Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 28 ff.; Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 87 f.; ders., in: Handbuch des Strafrechts, § 46 Rn. 19; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 77 f.; ders., GA 2015, 65, 76 f.; ders., NStZ 2013, 249 ff.; Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 153. – A. A. etwa Kaspar, Präventionsstrafrecht, S. 211 ff., 218 ff., 224 ff., 365 ff., der auf eine Differenzierung zwischen der Verhaltensnorm und der Sanktionsnorm verzichtet; auf gleicher Linie etwa auch Goeckenjan, in: Verhältnismäßigkeit, S. 184, 192 ff. 105

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2. Teil: Grundlagen der Problemlösung

für Strafe immer eines legitimen Zwecks bedarf sowie zur Erreichung dieses Zwecks nur geeignete, erforderliche und angemessene Mittel eingesetzt werden dürfen.108 Soweit diese Bedingungen nicht erfüllt sind, ist der Einsatz von Strafe nicht legitimierbar.109 Im Gegensatz zu Verhaltensnormen – die unmittelbar Rechtsgüter schützen – schützen Sanktionsnormen die Geltungskraft der Verhaltensnormen. Legitimer Zweck einer Sanktionsanordnung ist demnach der Schutz der durch den Verhaltensnormverstoß gefährdeten Normgeltung und damit der Schutz des entsprechenden Rechts als verhaltenswirksame Ordnung des Zusammenlebens. Zur Erfüllung dieses Zwecks müssen Schuldspruch und Strafe auch zum Schutz der Normgeltung geeignet sein. Durch Schuldspruch und Strafe wird dem Täter mitgeteilt und in spürbarer Weise verdeutlicht, dass sein Verhalten der Rechtsordnung widerspricht und so nicht akzeptiert wird. Demzufolge ist Strafe grundsätzlich ein geeignetes Mittel zur Aufrechterhaltung der rechtlichen Verhaltensordnung, um die infrage gestellte Normgeltung zu stabilisieren; mittelbar – über den unmittelbaren Schutz der Normgeltung als „Strafrechtsgut“ – wird dadurch auch den von der Verhaltensnorm (zukünftig) geschützten Rechtsgütern gedient.110 Im Rahmen der Erforderlichkeit ist wiederum zu untersuchen, ob Strafe in Form der Sanktionsnorm nicht über das zur Verfolgung ihres Zwecks notwendige Maß hinausgeht. Dies wäre der Fall, wenn die Normgeltungskraft auch auf andere Weise geschützt werden könnte, d. h. wenn sich eine andere ebenso gut schützende Maßnahme für den Normbrüchigen als weniger belastende herausstellen würde.111 Das Kriterium der Erforderlichkeit ergibt den ultima ratio-Charakter112 des Strafrechts. 108

Zu den Legitimationsbedingungen staatlicher Rechtseingriffe s. BVerfGE 45, 187, 253 ff.; 90, 145, 171 ff.; vgl. auch Appel, Verfassung und Strafe, 1998; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 77 ff., 139 ff.; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, 1996. 109 Legitimierbar ist insoweit nur eine „relative Straftheorie“. Angesichts der verfassungsrechtlichen Begrenzungen bei hoheitlichen Rechtseingriffen ist es gegenwärtig nicht mehr möglich, eine vollkommen absolute (zweckfreie) Straftheorie zu vertreten. Dies befürwortet zu Recht auch BGHSt 24, 40, 42; vgl. dazu auch Berz, Rechtsgüterschutz, S. 32 ff.; Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 4; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 77 ff., 139 ff.; Krey/ Esser, AT, § 5 Rn. 142 ff.; Jäger, in: SK-StGB, Vor § 1 Rn. 1 ff. m. w. N. Siehe dazu und zum Folgenden bereits oben (Zweiter Teil A. I.). 110 S. dazu Remde, Die Zukunft präventiven Freiheitsentzugs, S. 27; vgl. auch Frisch, NStZ 2016, 16, 18 f.; Mulch, Strafe und andere staatliche Maßnahmen gegenüber juristischen Personen, S. 38; Weigend, FS Hirsch, S. 917, 926 f. 111 Zu denken wäre an Bußgelder im Rahmen des Zivilrechts oder aber auch an verwaltungsrechtliche Maßnahmen. In Betracht kommen auch Maßnahmen des Ordnungswidrigkeitenrechts; siehe zu den ordnungsrechtlichen Maßnahmen – insbesondere zu § 122 OWiG – noch genauer unten (Dritter Teil B. III.). 112 BVerfGE 120, 224, 239 f.; s. zum ultima ratio-Charakter von Strafe auch Appel, Verfassung und Strafe, S. 22 f., 141 ff., 177, 404 ff.; Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 109 f., § 6 Rn. 91 mit Fn. 97; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 77 f., 142 f.; Kaspar, Präventionsstrafrecht, S. 243 ff.; Rengier, AT, § 3 Rn. 5 f.; Reus, Das Recht in der Risikogesellschaft, S. 96;

B. Staatliche Maßnahmen im Lichte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes

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Anders als bei Verhaltensnormen ist auf der Ebene der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne die zu erwartende Strafe mit dem drohenden Normgeltungsschaden in Beziehung zu setzen. An ihr würde es etwa fehlen, wenn ein Eingriff in die Rechte des Normbrüchigen unverhältnismäßig wäre im Verhältnis zu dem, was durch den Einsatz von Strafe erreicht werden soll. Davon könnte allenfalls die Rede sein, wenn die verhängte Sanktion unangemessen hoch ist und sich gerade nicht am Maß des (vom Täter zu verantwortenden) Unrechts orientiert.113 Im Hinblick auf das eingesetzte spezielle Mittel der Strafe (unter Einschluss des Schuldspruchs), das die spezifische Aufgabe der angemessenen Missbilligung der begangenen Tat zu erfüllen hat, gibt es eine Interdependenz zwischen den üblichen Kriterien. Insofern ergibt sich eine wesentliche Vereinfachung im Hinblick auf die für den verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz relevante Güter- und Interessenabwägung im Einzelfall. Aufgrund des spezifischen Inhalts des eingesetzten Mittels (Schuldspruch und Strafe) geht es ausschließlich darum, die nach Inhalt und Missbilligungsintensität richtige Antwort auf den Verhaltensnormverstoß (ggf. nebst dessen Folgen) zu geben. Die dafür maßgeblichen Vorgaben sind allein der begangenen Straftat zu entnehmen.114

III. Alternativkonzept einer Bewertungseinheit von Verhaltensnorm und entsprechender Sanktionsnorm? Nicht wenige Stimmen in der Literatur meinen, auf die strikte Trennung der Verhaltensnorm von der darauf bezogenen Sanktionsnorm im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung verzichten zu können. Die beiden Ebenen sollen nicht differenziert betrachtet, sondern im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung als eine Bewertungseinheit behandelt werden.115 Eine derartige Betrachtungsweise verkennt jedoch, dass bei undifferenzierter Behandlung der verschiedenen Normebenen, schon die Bestimmung des legitimen Zwecks der jeweiligen Norm unmöglich ist.116 Denn wie oben bereits angesprochen, ist die Zwecksetzung von Timm, Gesinnung und Straftat, S. 72. – Strafe kommt danach nur in letzter Linie in Betracht – und zwar dann, wenn andere Mittel insoweit nicht hinreichend wirksam sind; vgl. dazu Frisch, NStZ 2016, 16, 23. 113 Vgl. dazu und zum Vorstehenden Frisch, NStZ 2016, 16, 18; ders., NStZ 2013, 249, 252 ff. 114 Siehe dazu noch genauer unten (Dritter Teil B. IV.). 115 S. dazu exemplarisch Goeckenjan, in: Verhältnismäßigkeit, S. 184, 192 ff.; Kaspar, Präventionsstrafrecht, S. 211 ff., 218 f., 224 ff., 365 ff., jew. m. w. N. – Vgl. auch Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 90 f.; ferner Puschke, Vorbereitungstatbestände, S. 158 ff., der allerdings Folgendes betont (S. 160): „Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist somit auch bei einer gemeinsamen Beurteilung danach zu fragen, ob eine Verhaltensanweisung ausgesprochen und ob diese durch eine strafrechtliche Sanktion abgesichert werden darf.“ 116 Siehe dazu die Kritik von Rostalski, Der Tatbegriff im Strafrecht, S. 67 ff., wonach „rechtliche Verhaltensnormen für sich genommen einen Eingriff in die Interessen des Indivi-

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2. Teil: Grundlagen der Problemlösung

Verhaltens- und Sanktionsnormen vollkommen unterschiedlich.117 Außerdem unterscheiden sich die jeweiligen Rechtseingriffe in ihrem Charakter so gravierend, dass sie nicht „in einen Topf“ geworfen werden können. Während sich der mit der Verhaltensnorm verbundene Rechtseingriff in der schlichten Freiheitsbeschränkung erschöpft, beinhaltet die Sanktionierung des Verstoßes gegen die legitimierte Verhaltensnorm mit Schuldspruch und Strafe eine Rechtseinbuße, die nach Art und Ausmaß einen ganz bestimmten rechtlichen Vorwurf darstellt. Schließlich ist eine „Bewertungseinheit“ der Verhaltensnorm und der darauf bezogenen Sanktionsnorm auch deshalb nicht sinnvoll, weil die beiden – je spezifischen – Rechtseingriffe nur alternativ und niemals kumulativ in Frage kommen und daher auch nur einer entsprechend differenzierten Rechtfertigung bedürfen. Zunächst muss sich in einem ersten gedanklichen Schritt eine ganz bestimmte Verhaltensnorm als solche durch ihren spezifischen Zweck legitimieren lassen. Nur auf dieser Basis kann sinnvoll geklärt werden, ob der Verstoß gegen eine solchermaßen legitimierte Verhaltensnorm mit Schuldspruch und Strafe sanktioniert werden darf, und zwar ebenfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Dabei geht es nicht mehr um den Verhaltensnormzweck, sondern um den davon streng zu unterscheidenden Sanktionszweck. Daher ist es ohne weiteres möglich, dass sich zwar die Verhaltensnorm legitimieren lässt, dagegen aber nicht die strafrechtliche Sanktionierung eines Verstoßes mit Schuldspruch und Kriminalstrafe. Man denke etwa an das Verbot anstößiger Werbung für legale Schwangerschaftsabbrüche, bei dem Verstöße allenfalls als Ordnungswidrigkeit sanktionierbar sind, wenn die Vorgaben des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes beachtet werden sollen.118 Insofern sind die Legitimationsgründe der „reinen“ Verhaltensnorm, weichenstellend für die Beantwortung der Anschlussfrage, ob und in welcher Form bzw. in welchem Ausmaß eine Sanktionierung berechtigt ist. Allein diese Legitimationsgründe der übertretenen Verhaltensnorm sind konstitutiv für das sanktionsrechtlich relevante (Straf-) Unrecht. Auf dieses kann die Sanktionsnorm nur Bezug nehmen; sie kann es aber ihrerseits nicht quantitativ oder qualitativ beeinflussen. Schuldspruch und Strafe verfolgen nicht nur einen ganz anderen Zweck als die Verhaltensnorm, gegen die der Straftäter verstoßen hat.119 Sie sind vielmehr auch ein ganz anderes staatliches Mittel: Während sich die Verhaltensnorm auf die Freiheitsbeschränkung zum Schutz bestimmter Rechtsgüter erschöpft, geht es bei Schuldspruch und Strafe um einen Vorwurf mit Blick auf die Übertretung einer bestimmten Verhaltensnorm. Dieser muss nach Art und Ausmaß diesem Verstoß (ggf. nebst spezifischen Folgen) genau entsprechen. Die Sanktionierung eines duums darstellen“, weshalb „es zwingend ihrer – von etwaigen Folgen des Verstoßes unabhängigen – verfassungsrechtlichen Rechtfertigung“ bedarf (S. 69); vgl. dazu auch Freund, in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 28 mit Fn. 41, der von einem „legitimatorischen Eintopf“ spricht. 117 Siehe dazu bereits oben (Zweiter Teil A. II. 1. und Zweiter Teil B. II.). 118 Vgl. zu dieser umstrittenen Problematik etwa Berghäuser, JZ 2018, 497 ff. 119 Siehe dazu bereits oben (Zweiter Teil B. II.).

B. Staatliche Maßnahmen im Lichte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes

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Verhaltensnormverstoßes mit Schuldspruch und Strafe steht nur dann im Einklang mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, wenn beides der begangenen Straftat entspricht – also nicht etwa eine Überreaktion darstellt. Dem Konzept einer „Bewertungseinheit von Verhaltens- und Sanktionsnorm“ kann es nicht gelingen, die in jedem Einzelfall notwendige Prüfung vorzunehmen, ob Schuldspruch und Strafe dem entsprechen, was der Straftäter „verbrochen hat“. Denn beides liegt undifferenziert in derselben Waagschale. Schließlich verkennen die Anhänger dieses Konzepts noch einen weiteren Aspekt: Tatsächlich stehen die mit der Verhaltensnorm verbundene schlichte Freiheitsbeschränkung und die im Falle eines Verstoßes gegen die als solche legitimierte Verhaltensnorm vorzunehmende Sanktionierung mit Schuldspruch und Strafe in einem Verhältnis der Alternativität. Wenn der Bürger die als solche legitimierte Freiheitsbeschränkung akzeptiert und die ihm zu bildende und zu befolgende Verhaltensnorm einhält, steht keine weitergehende Rechtseinbuße in Frage, die kumulativ berücksichtigt werden müsste.120 Andererseits fehlt faktisch für denjenigen, der die legitimierte Freiheitsbeschränkung nicht akzeptiert und die ihm gegenüber geltende Verhaltensnorm übertreten hat, die entsprechende Rechtseinbuße. Es geht ausschließlich noch um die Legitimation von Schuldspruch und Strafe nach der konkret begangenen Tat. Sinnvoller Bezugspunkt der Prüfung, ob die strafrechtliche Sanktionierung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz standzuhalten vermag, kann allein diese bereits feststehende Tat sein. Im Konzept der „Bewertungseinheit von Verhaltens- und Sanktionsnorm“ gibt es diese Tat aber noch gar nicht, weil die Annahme des Verhaltensnormverstoßes angeblich von Überlegungen zur Sanktionierung abhängen soll. Es fehlt damit an dem für die Verhältnismäßigkeitsprüfung auf Sanktionsnormebene unverzichtbaren Zwischenergebnis der bereits feststehenden Tat. Diese zweite Verhältnismäßigkeitsprüfung auf der Ebene der Sanktionsnorm ist überflüssig, wenn schon die Legitimation der reinen Verhaltensnorm scheitert. Das gilt etwa für ein Verbot des Abschaltens eines lebenserhaltenden Geräts, wenn dieses Abschalten dem in einer Patientenverfügung geäußerten Willen des Betroffenen entspricht;121 aber auch für ein pauschales Berauschungsverbot, wenn es keinerlei Anhaltspunkte für drohende Ausschreitungen gibt.122 Festzuhalten bleibt: Der Einsatz von Schuldspruch und Strafe setzt stets einen Verstoß gegen eine vorrangig zu legitimierende rechtliche Verhaltensnorm zwingend voraus. Bei der Frage nach der Rechtfertigung einer Sanktionsnorm kann es sich

120 Zur Normbildungs- und Normbefolgungsfähigkeit s. näher Freund/Rostalski, GA 2018, 264 ff., 270 ff. – Zur Unmöglichkeit der Legitimation eines Verbots der Begehung der Rauschtat s. noch unten (Dritter Teil A. I. 1. a) bb)). 121 Vgl. zu diesem Beispiel Freund, Normentheoretisch-funktionale Kritik einer Kategorie der Zurechnung, II.1. (im Erscheinen). 122 Näher dazu unten (Dritter Teil A.).

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2. Teil: Grundlagen der Problemlösung

„allein um eine nachgelagerte“123 handeln. Das Konzept einer „Bewertungseinheit von Verhaltensnorm und entsprechender Sanktionsnorm“ missachtet vor diesem Hintergrund eine durch die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zwingend gebotene Differenzierung und ist daher zu verwerfen.

IV. Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Unterscheidung von Verhaltens- und Sanktionsnormen grundlegende Bedeutung für die Legitimation von Strafe hat. Strafe selbst reagiert auf einen bereits begangenen Verhaltensnormverstoß und kommt somit für den Schutz desjenigen Rechtsguts zu spät, das von der übertretenen Verhaltensnorm geschützt werden sollte. Zum Schutz des Lebens oder anderer zu schützender Rechtsgüter der Bürger kann der Staat bestimmte Verhaltensweisen geoder verbieten und für den Fall eines Verstoßes gegen dieses Ge- oder Verbot eine Strafe anordnen und diese dann auch tatsächlich verhängen und vollziehen. Dies bedeutet: Eine Verhaltensnorm schützt als Rechtsgut etwa das Leben, die Gesundheit oder die Freiheit. Eine Schuldspruch und Strafe anordnende Sanktionsnorm hingegen schützt als Rechtsgut die Verhaltensnormgeltung und damit das Recht als verhaltenswirksame Ordnung des Zusammenlebens. Rechtsgüterschutz selbst kann durch das Instrument der Strafe mithin nur in einem vermittelten Sinne erzielt werden. Dabei ist unverzichtbare Voraussetzung für das Eingreifen einer Sanktionsnorm stets ein Verstoß gegen eine rechtlich legitimierte – kontext- und adressatenspezifisch konkretisierte – Verhaltensnorm.124 Ein Strafgesetz als abstrakt-generell gefasste Sanktionsnorm ist eine Ermächtigungsgrundlage für den strafenden Eingriff und hat für den Betroffenen zweierlei Rechtsfolgen: Zum einen erfolgt ein entsprechender Schuldspruch und zum anderen die entsprechende Bestrafung des Täters. Um den Schuldspruch vornehmen zu dürfen, muss jedenfalls eine Voraussetzung erfüllt sein: Der mit dem Schuldspruch erhobene Vorwurf muss überhaupt berechtigt sein.125 Damit ist sachlich auch das verfassungsrechtlich verankerte Schuldprinzip angesprochen. Dessen Bedeutung soll im Folgenden geklärt werden.

123 Rostalski, Der Tatbegriff im Strafrecht, S. 69, wonach „ein solches Konzept es letztlich ermöglicht, Strafe an Verhaltensweisen anzuknüpfen, die keinen Verhaltensnormverstoß darstellen – und damit bloßer Gewaltanwendung seitens des Staates Tür und Tor öffnet“. 124 Dazu und zum Folgenden näher Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 29 ff.; Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 81 f.; ders., in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 66; ders., GA 2010, 193, 195 f.; ders., FS Frisch, S. 677, 680 f. 125 Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 59.

C. Strafe als rechtlicher Vorwurf fehlerhaften Verhaltens

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C. Strafe als rechtlicher Vorwurf fehlerhaften Verhaltens (nebst dessen Folgen) und das Schuldprinzip Der Schuldgrundsatz stellt ein weiteres zentrales und vor allem auch für § 323a StGB besonders bedeutsames Prinzip eines rechtsstaatlichen Strafrechts dar. Schünemann bezeichnet es etwa als „heiligstes Prinzip des Strafrechts überhaupt“.126 Es wird aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 1, Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleitet127 bzw. als Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes128 verstanden und hat im deutschen Recht (obwohl es im Grundgesetz selbst nicht ausdrücklich erwähnt wird) Verfassungsrang.129 Der Grundsatz „nulla poena sine culpa“130 besagt, dass niemand für eine Tat bestraft werden darf, wenn deren schuldhafte Begehung nicht feststeht. Damit konkretisiert das Schuldprinzip auch das in § 1 StGB bzw. Art. 103 Abs. 2 GG normierte Gesetzlichkeitsprinzip,131 welches besagt, dass eine Tat nur dann bestraft werden darf, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.132 Das Schuldprinzip stellt klar, dass die für den Schuldspruch unverzichtbare „Tat“ nur eine (erwiesenermaßen) schuldhaft begangene sein kann.133 126

Schünemann, Jura 1980, 568, 568. Das formelle Schuldprinzip beschränkt sich allerdings keineswegs auf das Strafrecht allein. Auch außerhalb des Kriminalstrafrechts sind staatliche Vorwürfe relevant, z. B. im Ordnungswidrigkeitenrecht; vgl. dazu noch unten (Dritter Teil B. III.). Zum Schuldgrundsatz allgemein instruktiv Rogall, in: SK-StGB, Vor § 19 Rn. 1 ff. 127 In der grundlegenden Entscheidung BVerfGE 20, 323, 331 heißt es: „Dem Grundsatz, daß jede Strafe […] Schuld voraussetze, kommt verfassungsrechtlicher Rang zu. Er ist im Rechtsstaatsprinzip begründet.“ Im Hinblick auf die Herleitung des Schuldprinzips finden sich allerdings noch weitere Ansätze. Ein guter Überblick dazu ist bei Roxin/Greco, AT I, § 3 Rn. 51 ff. und Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 386 ff. zu finden. 128 Näher zur Herleitung des Schuldprinzips aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz BVerfGE 25, 269, 285; 45, 187, 259 f.; 50, 205, 214; 54, 100, 108; 90, 145, 173; 109, 133, 171; 123, 267, 413; siehe auch BGHSt 2, 194, 200 f.; 10, 35, 38. – Ellscheid/Hassemer, in: Abweichendes Verhalten II, S. 266, 281 ff., schlagen vor, das Schuldprinzip durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu ersetzen. Dadurch würde die Strafe jedoch ihren Vorwurfscharakter verlieren. 129 Siehe dazu BVerfGE 23, 127, 132; 25, 269, 285; 41, 121, 125; 45, 187, 259 f.; 50, 125, 133; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 386; Rogall, in: SK-StGB, Vor § 19 Rn. 2; s. auch Roxin/Greco, AT I, § 3 Rn. 52 und Wolff, AöR 124 (1999), 65 ff., die dem Schuldprinzip einen Rang von Verfassungsgewohnheitsrecht zuschreiben. – Anders hingegen Frister, Schuldprinzip, S. 18 ff., 38, der das „Recht“, nicht ohne Schuld bestraft zu werden, aus der Grundrechtsgewährleistung herleitet. Eine materielle Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen sei ohne Schuld nicht möglich. 130 Keine Strafe ohne Schuld. – Allgemein zu den Inhalten des Schuldprinzips Arthur Kaufmann, FS Lange, S. 27, 32 f.; einen umfassenden Überblick bietet Frister, Schuldprinzip, S. 29 ff., 39 ff.; s. dazu auch Freund, Normative Probleme der „Tatsachenfeststellung“, S. 67 ff.; Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 59. – Geisler, GA 2000, 166 f., spricht in Bezug auf das Schuldprinzip von dem „zentralen Verurteilungsschlüssel für die gerechte Regulierung strafrechtserheblicher Konflikte zwischen Individuum und Gemeinschaft“. 131 Zum Gesetzlichkeitsgrundsatz s. bereits oben (Fn. 30). 132 So Reineke, Der wegen Trunkenheit vermindert schuldfähige Täter, S. 45.

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Der „Schuldvorwurf“ kann auf unterschiedliche Weise relevant werden: Wie eingangs bereits angesprochen, ist Strafe als Mittel zur Wahrung der unbeeinträchtigten Normgeltung – so wie diese vor der Tat bestanden hat – zu verstehen.134 Mit dem Schuldspruch und der entsprechenden Bestrafung wird ein Vorwurf wegen der Tatbegehung erhoben. Der Täter wird für sein personales Fehlverhalten135 und unter Umständen auch für daraus resultierende spezifische Folgen zur Rechenschaft gezogen. Strafe ist als spezielles Mittel nur dann zulässig, wenn der Vorwurf im Sinne eines rechtlichen136 Tadels gegenüber der Person berechtigt ist.137 Der Gesetzgeber geht davon aus, dass der Mensch in seinen Entscheidungen grundsätzlich frei ist.138 Nur in wenigen Ausnahmefällen wird ein Mensch als 133 Der Grundsatz „nulla poena sine culpa“ setzt insbesondere nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts „die Eigenverantwortung des Menschen voraus, der sein Handeln selbst bestimmt und sich kraft seiner Willensfreiheit zwischen Recht und Unrecht entscheiden kann“; s. dazu BVerfGE 133, 197; 123, 413; s. dazu auch Jakobs, Schuldprinzip, S. 1 ff. 134 Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 24, 28 ff.; Freund, GA 1999, 509, 510; ders., in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 71. 135 Vgl. Freund, GA 1999, 509, 510, wonach der Schuldspruch stets den Vorwurf eines spezifischen personalen Fehlverhaltens beinhalte. Mit dem Schuldprinzip sei also zunächst nur ein Erfordernis subjektiver Entsprechung zum Unrecht festgelegt, eine „Kongruenz zwischen Unrecht und Strafe“; s. Arthur Kaufmann, JZ 1963, 425, 426; s. dazu auch ders., FS Lange, S. 27, 32. 136 Zur Begründung eines „rechtlichen“ Tadels und einer kritischen Auseinandersetzung mit dem „sozialethischen“ Tadel instruktiv Mulch, Strafe und andere staatliche Maßnahmen gegenüber juristischen Personen, S. 83 ff., welche die Terminologie des „sozialethischen Tadels“ als wenig aussagekräftig und diesen als Abgrenzungskriterium der Strafe zu anderen Maßnahmen für generell verfehlt hält; vgl. ebenso kritisch auch Appel, Verfassung und Strafe, S. 482 ff. – Von einem „sozialethischen Tadel“ ausgehend etwa BVerfGE 95, 96, 140: „Mit der Strafe wird dem Täter ein rechtswidriges sozialethisches Fehlverhalten vorgeworfen“; vgl. auch Frisch, NStZ 2016, 16, 20, der den Begriff des sozialethischen Vorwurfs zwar als irreführend bezeichnet, jedoch auf eine sozialethische Fundierung der Rechtsverletzung abstellt: „Dem Täter wird zum Vorwurf gemacht, etwas getan zu haben, was mit (auch) sozialethisch fundierten Grundanforderungen des Gemeinschaftslebens nicht vereinbar ist“. Allerdings berücksichtigt auch er die rechtliche Komponente: „Es geht nicht um die Feststellung fehlerhaften Verhaltens, sondern um den Vorwurf etwas getan zu haben, was aus rechtlicher wie sozialethischer Sicht verwerflich ist.“ Auf gleicher Linie etwa auch Roxin/Greco, AT I, § 3 Rn. 46. 137 Vgl. zum Vorwurfscharakter des Strafrechts Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 59; Roxin/ Greco, AT I, § 3 Rn. 46; zur Thematik des sozialethischen Schuld- und Strafbegriffs auch Kühl, FS Eser, S. 149, 156 ff. – Ellscheid/Hassemer, in: Abweichendes Verhalten II, S. 266 ff. versuchen hingegen ein Strafrecht ohne Vorwurfscharakter zu begründen. Dabei soll das Schuldprinzip durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ersetzt werden, S. 281 ff.; kritisch dazu Arthur Kaufmann, FS Lange, S. 27, 36 f. 138 So auch das Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 32, 98, 106 ff.; 45, 187, 227 f., wonach der Menschenwürdegarantie „die Vorstellung vom Menschen als einem geistig-sittlichen Wesen, das darauf angelegt ist, sich in Freiheit selbst zu bestimmen und zu entfalten“, zugrunde liege; auf gleicher Linie auch der Bundesgerichtshof in BGHSt 2, 194, 200: „Mit dem Unwerturteil der Schuld wird dem Täter vorgeworfen, daß er sich nicht rechtmäßig verhalten hat, daß er sich für das Unrecht entschieden hat, obwohl er sich rechtmäßig verhalten, sich für das Recht hätte entscheiden können. Der innere Grund des Schuldvorwurfs liegt darin, daß der

C. Strafe als rechtlicher Vorwurf fehlerhaften Verhaltens

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„unfrei“ und somit aus strafrechtlicher Sicht als schuldunfähig angesehen. Das Strafgesetzbuch regelt die Fälle der Schuldunfähigkeit negativ, indem es konkrete Voraussetzungen benennt, unter denen die Schuld verneint wird. Diese Ausnahmen finden sich in den Regelungen der §§ 17 ff. StGB. Dabei handelt es sich um Situationen, in denen der Täter das Unrecht der Tat nicht erkennen (§§ 17, 20 StGB) oder sich nicht frei von äußerem Zwang (§§ 20, 35 Abs. 1 S. 1 StGB) für oder gegen eine Tat entscheiden kann.139 Im Rahmen des für § 323a StGB besonders relevanten § 20 StGB wird hierfür die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Täters „bei Begehung der Tat“ verlangt. Um eine Strafbarkeit begründen zu können, muss die Schuld (und damit auch die Schuldfähigkeit) zum Zeitpunkt der Tatbegehung (§§ 20, 8 StGB) vorhanden sein. Das hier beschriebene Koinzidenzprinzip140 wird aus dem allgemeinen Schuldprinzip abgeleitet. Der Täter muss bei Begehung der Tat dazu fähig sein, sich für das Recht – und damit gegen seine Tatbegehung – zu entscheiden. Liegen eben genau diese Voraussetzungen nicht vor, ist eine Bestrafung mangels persönlicher Vorwerfbarkeit nicht möglich. Eine Strafe ohne mit Recht erhebbaren Vorwurf ist eben keine Strafe. Das Verhalten eines Schuldunfähigen stellt bereits kein rechtlich zu missbilligendes Fehlverhalten dar, auf das mit Strafe reagiert werden könnte.141 Kurz gesagt: Ist eine Person schuldunfähig, so liegt bereits kein Verhaltensnormverstoß vor. Mangels strafrechtlich relevanter Infragestellung der Geltung einer Verhaltensnorm besteht schon kein Anlass für eine strafrechtliche Reaktion.142 Ein dennoch erhobener Vorwurf verstieße gegen das Schuldprinzip und könnte zudem auch keinen legitimen Strafzweck verfolgen.143 Das Schuldprinzip ist aber auch unter einem weiteren Aspekt von Bedeutung: Für eine strafrechtliche Reaktion genügt es nicht, dass überhaupt ein Vorwurf rechtlich fehlerhaften Verhaltens erhoben werden kann; vielmehr muss der erhebbare Vorwurf Mensch auf freie, verantwortliche, sittliche Selbstbestimmung angelegt und deshalb befähigt ist, sich für oder gegen das Unrecht zu entscheiden“; vgl. auch Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, Vor § 13 Rn. 110 m. w. N.; s. dazu auch Freund/Rostalski, AT, § 4 Rn. 49; Reineke, Der wegen Trunkenheit vermindert schuldfähige Täter, S. 49; Welzel, Strafrecht, S. 142 ff.; Wessels/ Beulke/Satzger, AT, § 13 Rn. 620 ff. 139 S. dazu und zum Vorstehenden Reineke, Der wegen Trunkenheit vermindert schuldfähige Täter, S. 55. 140 Zum Koinzidenzprinzip s. Jerouscheck/Kölbel, JuS 2001, 417 ff. 141 S. dazu auch BGHSt 10, 35, 39. Dazu noch unten (Dritter Teil A. I. 1. a) bb)). 142 Ein Schuldunfähiger ist nicht in der Lage, die Normgeltung durch sein Verhalten in Frage zu stellen; s. dazu noch unten (Dritter Teil A. I. 1. a) bb)) – Anders verhält es sich jedoch mit den Maßregeln der Besserung und Sicherung. Diese setzen genau dort an, wo der Rechtsgüterschutz im Strafrecht aufgrund der Schuldstrafenbestimmung gerade nicht mehr verwirklicht werden kann. Maßregeln können somit auch gegenüber Schuldunfähigen angeordnet werden; s. ausführlich Mulch, Strafe und andere staatliche Maßnahmen gegenüber juristischen Personen, S. 126 ff. 143 S. dazu noch näher unten (Dritter Teil A. I. 1. a) bb)). – Zum allein legitimen Strafzweck der geltungssichernden ausgleichenden Ahndung des begangenen Verhaltensnormverstoßes (nebst dessen Folgen) s. bereits oben (Zweiter Teil A.).

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2. Teil: Grundlagen der Problemlösung

für eine Bestrafung hinreichend gewichtig sein.144 Es ist daher stets zu überprüfen, ob das zuvor begründete personale Fehlverhalten von einem solchen Gewicht ist, dass es eine strafrechtliche Sanktionierung zur Folge haben darf. Das Schuldprinzip ist also doppelrelevant: Es „erzwingt“ für einen strafrechtlichen Vorwurf zunächst überhaupt ein dem Betroffenen vorwerfbares personales Fehlverhalten;145 sodann muss dieses für eine Bestrafung hinreichend gewichtig, d. h. hinreichend schuldhaft, sein.146 Das Schuldprinzip entscheidet damit jedenfalls über das legitimierbare „Ob“ von Schuldspruch und Strafe. Insofern hat es keineswegs nur eine Begrenzungsfunktion, sondern stets auch eine strafbegründende Funktion: Schon der legitime Zweck von Strafe erfordert ein unter Beachtung des Schuldprinzips begründbares personales Fehlverhalten. Für die Begründung von Strafe ist das Schuldprinzip daher durchaus konstitutiv und keineswegs nur limitierend.147 Die konstitutive Bedeutung des Schuldprinzips für die Legitimation von Strafe erschöpft sich freilich nicht in der Feststellung, „ob“ Schuldspruch und Strafe begründet sind. Vielmehr richtet sich auch die konkrete Intensität der Strafe danach. Diese kann ihre normgeltungsschützende Funktion nur erfüllen, wenn sie genau die angemessen missbilligende Reaktion auf das vom Täter begangene personale Fehlverhalten (und dessen Folgen) darstellt. Strafe muss nach Art und Quantität immer in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der begangenen Tat und zum Verschulden des Täters stehen.148 Nach allem Bisherigen ist eine Bestrafung trotz Nichtverwirklichung personalen Unrechts vor dem Hintergrund des Grundgesetzes nicht zu legitimieren. Eine Bestrafung ohne Schuld ist in jeder Hinsicht verfassungswidrig. Dieses Ergebnis weckt jedoch insbesondere dann Unbehagen, wenn sich jemand bewusst in einen die Schuldfähigkeit ausschließenden Zustand versetzt, um eine Tat zu begehen, für die er mangels Schuld nicht belangt werden kann. Beispiel: Jemand plant, einen anderen Menschen straffrei zu töten. Zu diesem Zweck betrinkt er sich im Vorfeld so sehr, dass er im Zeitpunkt der „eigentlichen“ Tatausführung schuldunfähig gem. § 20 StGB ist. Dieser Täter unterscheidet sich grundlegend von den Schuldunfähigen, die das Gesetz primär im Auge hat, denn er 144 Freund/Rostalski, AT, § 4 Rn. 19 f. Andernfalls liegt keine Straftat im materiellen Sinne vor. Dies ergibt sich aus dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Sanktionsmöglichkeiten „unterhalb“ der Strafe lassen sich allerdings im Ordnungswidrigkeitenrecht finden. Zur Problematik der Untergrenze des Strafrechts s. näher Freund/Rostalski, AT, § 4 Rn. 1 ff., 6 ff., 23 ff.; s. auch Frisch, NStZ 2016, 16, 19 ff. 145 Freund/Rostalski, AT, § 4 Rn. 4. 146 Freund/Rostalski, AT, § 4 Rn. 1, 21. 147 Vgl. BVerfGE 6, 389, 439; 20, 323, 331; 95, 96, 130 f.; 109, 133, 173; 128, 326, 376; BGHSt 2, 194, 200; s. dazu auch Mulch, Strafe und andere staatliche Maßnahmen gegenüber juristischen Personen, S. 41; Murmann, FS Frisch, S. 1131, 1136; s. ferner Rogall, in: SKStGB, Vor § 19 Rn. 3 f., wonach dem Schuldgrundsatz eine „doppelte Funktion“ zukommt. 148 Vgl. etwa BVerfGE 6, 389, 439; 9, 167, 169; 20, 323, 331; 25, 269, 286; 27, 18, 29; 50, 205, 214 f.; 75, 1, 16; 120, 224, 241; 133, 168, 198.

C. Strafe als rechtlicher Vorwurf fehlerhaften Verhaltens

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ist für die Herbeiführung dieses Zustandes selbst verantwortlich. Grundsätzlich käme in dem oben geschilderten Fallbeispiel eine Strafbarkeit wegen Totschlags nach § 212 Abs. 1 StGB in Betracht. Allerdings liegt im Zeitpunkt des unmittelbar güterschädigenden Verhaltens Schuldunfähigkeit vor. Eine Bestrafung wegen Totschlags unter Anknüpfung an das Rauschtatverhalten, dessen Schuldhaftigkeit fingiert wird, ist somit nicht möglich. Jedenfalls das verfassungsrechtlich verankerte Schuldprinzip versagt dem deutschen Recht solche (kontrafaktischen) Fiktionen, denn danach setzt Strafe immer Schuld voraus – eine reine Erfolgshaftung ist nicht legitimierbar.149 Aber auch unabhängig vom Schuldprinzip ist ein unzutreffender Vorwurf schon aus rein zweckrationalen Gründen nicht sachgerecht. Im Ergebnis muss insoweit eine Strafbarkeit nach § 212 Abs. 1 StGB mangels Schuldfähigkeit nach dem Grundsatz „nulla poena sine culpa“ ausscheiden. Um dennoch zu einer Bestrafung zu gelangen, ist in solchen Fällen an eine Strafbarkeit mit Blick auf ein entsprechend zu beanstandendes Vorverhalten zu denken.150 Insbesondere im Zusammenhang mit Delikten, die im Drogen- oder Alkoholrausch begangen werden, bleibt oftmals auch eine mögliche Strafbarkeit wegen Vollrauschs gem. § 323a StGB bestehen. Insbesondere dieser Tatbestand steht im Zentrum der nachfolgenden Untersuchung.

149 Vgl. BVerfGE 6, 389, 439; 20, 323, 331; 25, 269, 285 f.; 41, 121, 125; 80, 244, 252 ff. – So soll die strafrechtliche Ahndung einer Tat ohne Schuld des Täters rechtsstaatswidrig sein und den Betroffenen „in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG“ verletzen. 150 S. dazu Freund/Rostalski, AT, § 4 Rn. 34 ff. und § 5 Rn. 41 f.; ferner auch Roxin/Greco, AT I, § 20 Rn. 11.

Dritter Teil

Legitimationsprobleme des § 323a StGB § 20 StGB geht davon aus, dass die Schuldfähigkeit ausgeschlossen ist, wenn der Täter bei Begehung der Tat (§ 8 StGB) wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. Taten, die im Alkohol- oder sonstigen Rausch begangen werden, können – wie oben bereits aufgezeigt – nicht geahndet werden, weil sie mangels Schuld keine Straftaten sind. Der Alkoholrausch ist (wenn auch nicht unumstritten) als „tiefgreifende Bewusstseinsstörung“151 i. S. d. § 20 StGB einzuordnen und schließt somit die Schuldfähigkeit und damit die Möglichkeit der Sanktionierung aus. Diese zwingende Folge des Schuldprinzips begrenzt zwar die Möglichkeit der Bestrafung Schuldunfähiger, erweckt allerdings auch Bedenken in solchen Fällen, in denen sich der Täter durch die Berauschung bewusst in einen die Schuldfähigkeit ausschließenden Zustand begibt. Bereits Aristoteles beschäftigte sich mit diesem Aspekt und war der Auffassung, dass denjenigen, der „sich in der Trunkenheit vergeht, ein doppeltes Strafmaß“ treffe, „weil die Ursache in dem Betrunkenen selbst“ liege – „Es stand bei ihm, sich nicht zu betrinken. Die Trunkenheit aber war die Ursache seiner Unwissenheit.“152 Der Frage, ob Aristoteles mit dieser Aussage zur Strafbarkeit des Rauschtäters – gar mit einem „doppelten Maß“ – Recht behält und diese Herangehensweise mit den heutigen Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Strafens vereinbar ist, wird im Folgenden nachzugehen sein. Wie bereits dargelegt, darf Strafe als Reaktion auf einen begangenen Normverstoß nur erfolgen, wenn die Schuld des Täters feststeht – also im Strafverfahren nach151 Auch die Rechtsprechung nimmt überwiegend eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung an; s. dazu bereits RGSt 64, 349, 353; vgl. auch BGHSt 1, 384, 385; zustimmend auch Krümpelmann, ZStW 88 (1976), 6, 16 in Fn. 44; ders., ZStW 99 (1987), 191, 193; Perron/ Weißer, in: Schönke/Schröder, StGB, § 20 Rn. 13, 16; so auch Fahl, JuS 2005, 1076, 1077. – Die Literatur nimmt hingegen überwiegend eine „krankhafte seelische Störung“ an; vgl. dazu Jakobs, AT, 18/9 ff.; Kühl, in: Lackner/Kühl, StGB, § 20 Rn. 4; Rogall, in: SK-StGB, § 20 Rn. 14; Wessels/Beulke/Satzger, AT, § 13 Rn. 647 f. – Ausdrücklich offen gelassen hat diesen Streit der Bundesgerichtshof; s. dazu BGH StV 1982, 69; BGHSt 37, 231, 239. 152 Aristoteles, Nikomachische Ethik, III. 7, 1113b/1114a. Dabei ging Aristoteles davon aus, dass der betrunkene Täter zweier Verbrechen schuldig war, zum einen der Herbeiführung des Rauschzustands und zum anderen der Rauschtat; s. dazu Renzikowski, ZStW 112 (2000), 475, 475.

3. Teil: Legitimationsprobleme des § 323a StGB

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gewiesen werden kann. Der Nachweis der Schuldfähigkeit birgt jedoch bei vielen Straftaten – gerade bei solchen, die im Alkohol- oder Drogenrausch begangen werden – Schwierigkeiten. Der Konsum von Alkohol sowie anderer berauschender Mittel kann – muss aber nicht – zu einem die Schuldfähigkeit ausschließenden Zustand führen. Mögliche Optionen, im deutschen Strafrecht eine „gerechte“ Bestrafung des Schuldunfähigen (z. B. Volltrunkenen) zu ermöglichen, sollen in den oben genannten Fällen die „Rechtsfigur“ der actio libera in causa oder der Vollrauschtatbestand des § 323a StGB bieten. Der Vollrauschtatbestand kommt immer dann in Betracht, wenn ein Täter im berauschten Zustand eine Tat begeht und aufgrund der rauschbedingt fehlenden Schuldfähigkeit für diese nicht belangt werden kann. Er soll sozusagen als „Auffangtatbestand“ dienen.153 Die Herleitung und Begründung einer solchen Sanktionierung bzw. einer solchen Strafandrohung, wie sie in § 323a StGB zu finden ist, wirft jedoch – vor allem unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlich verankerten Schuldprinzips (nulla poena sine culpa) – erhebliche Bedenken auf:154 Schließlich soll ein Schuldunfähiger über bestimmte Umwege zur Rechenschaft gezogen werden. Das mag in manchen Fällen dem Rechtsgefühl entsprechen. Indessen gilt es festzuhalten, dass die in § 323a StGB vorgesehene Strafbarkeit den rechtsstaatlichen Legitimationsbedingungen entsprechen muss. Das bedeutet nach allem Bisherigen insbesondere: Die Sanktionsnorm des § 323a StGB muss Bezug nehmen auf ihrerseits – kontext- und adressatenspezifisch – legitimierbare Verhaltensnormen, die dem Rechtsgüterschutz dienen. Den erheblichen Legitimationsbedenken wird im weiteren Verlauf der Untersuchung nachzugehen sein. Insofern ist zu klären, ob sich die zugedachte Funktion des § 323a StGB überhaupt mit dem System des Rechtsgüterschutzes durch (strafbewehrte) Verhaltensnormen vereinbaren lässt. Dabei ist in einem ersten Schritt auf die Möglichkeit der Legitimation von Verhaltensnormen, auf die § 323a StGB Bezug nimmt, einzugehen. Solche Verhaltensnormen sind unter Berücksichtigung der bereits oben ausführlich dargestellten grundlegenden Legitimationsvoraussetzungen als Konkretisierungen eines möglichen „Berauschungsverbots“ zu bestimmen. Dabei muss geklärt werden, welches Verhalten gegen eine rechtsgüterschützende Verhaltensnorm verstößt, die sich dem konkreten Adressaten gegenüber legitimieren lässt. Zum Rechtsgüterschutz geeignet ist eine solche Verhaltensnorm nur, solange sie noch auf einen normbefolgungsfähigen Adressaten trifft. Problematisch in dieser Hinsicht wäre es, an die „Rauschtat“ anzuknüpfen, die im Zustand der (nicht aus153 Bereits der Bundesgerichtshof in BGHSt 9, 390, 398 ff. verstand den Tatbestand des § 330a StGB a. F. als Auffangstrafdrohung, die immer gelten soll, wenn der Betrunkene wegen der im Rausch begangenen Tat nicht aus der hierfür geltenden Strafvorschrift bestraft werden könne. Die Bewertung des § 330a StGB a. F. als Auffangtatbestand hat der Bundesgerichtshof in weiteren Entscheidungen beibehalten; vgl. nur BGHSt 16, 187, 189; ebenso BGHSt 17, 333, 334. – Ob tatsächlich lediglich von einem Auffangtatbestand die Rede sein kann, wird im weiteren Verlauf zu untersuchen sein. 154 Siehe dazu noch unten (Dritter Teil A. I. 1. a)) – § 122 OWiG enthält für das Ordnungswidrigkeitenrecht einen entsprechenden Tatbestand; s. dazu noch unten (Vierter Teil A. I. 3.).

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3. Teil: Legitimationsprobleme des § 323a StGB

schließbaren) Schuldunfähigkeit begangen wird. Wenn diese im Wortlaut der Sanktionsnorm des § 323a StGB erscheint, kommt ihr möglicherweise auch nur der Charakter einer spezifischen Folge des tatbestandsrelevanten Verhaltensnormverstoßes zu. Näherliegend erscheint es daher, den Anknüpfungspunkt in der Herbeiführung des Rauschzustandes – im Sichberauschen – zu suchen. Genau dieser Fragestellung und der, welchen Stellenwert die „Rauschtat“ (rechtswidrige Tat) eigentlich hat, wird im Folgenden nachzugehen sein.

A. Die Legitimation der Verhaltensnormen, auf die § 323a StGB Bezug nimmt Zunächst ist zu untersuchen, welche konkreten Verhaltensweisen durch die Sanktionsnorm des § 323a StGB überhaupt mit einer Strafandrohung versehen werden dürfen und vielleicht sogar müssen. Die Legitimation der Verhaltensnormen – auf die § 323a StGB Bezug nimmt – ist nicht allein mit der Existenz der Sanktionsnorm des § 323a StGB zu begründen.155 Die Sanktionsnorm legt nur fest, auf welche Verstöße gegen der Art nach bestimmte Verhaltensnormen – regelmäßig bei Erfüllung weiterer Sanktionserfordernisse – missbilligend zu reagieren ist. Sie trifft gerade keine Aussage darüber, unter welchen Bedingungen genau ein solcher tatbestandsspezifischer Verhaltensnormverstoß im Einzelfall sachlich begründet werden kann. Die kontext- und adressatenspezifische Konkretisierung der relevanten Verhaltensnorm ist primär Aufgabe des mündigen Bürgers. Unter Umständen hat ein Strafgericht später zu begründen, dass er dieser Aufgabe nicht gerecht geworden ist und deshalb die entsprechende Voraussetzung der Sanktionsnorm erfüllt ist. Den Sanktionsnormen kommt in diesem Zusammenhang die spezifische Funktion zu, die Geltungskraft der im Vorfeld legitimierten Verhaltensnormen zu stabilisieren – genauer noch: den status quo ante wiederherzustellen. Der Vollrauschtatbestand de lege lata (§ 323a StGB) kann den Anforderungen an eine legitimierbare Strafbarkeit nur genügen, wenn und soweit sich dieser Strafvorschrift vorgelagerte legitimierbare Verhaltensnormen konkretisieren lassen.156 Erst dann – und natürlich 155 Diese falsche Auffassung würde zu der Annahme führen, der Gesetzgeber habe mit § 323a StGB pauschal jegliches vermeidbare Verhalten verboten, das zu einem Vollrausch mit Schuldunfähigkeit führen kann. Dies ist allerdings weder Aufgabe noch Intention des Gesetzgebers und schon vor verfassungsrechtlichem Hintergrund nicht möglich; vgl. dazu und zum Folgenden Freund, in: Handbuch des Strafrechts, § 46 Rn. 17; Freund/Rostalski, GA 2018, 264 ff., 266 ff., 270 ff. – Das im Text angesprochene Rechtsverständnis ist etwa bei Herzberg, GA 2016, 737 ff. zu finden. – Siehe zu den unterschiedlichen Schutzrichtungen von Verhaltensnormen und Sanktionsnormen bereits oben (Zweiter Teil A. II. 1.). 156 Freund, in: Handbuch des Strafrechts, § 46 Rn. 9. Dies ist Grundvoraussetzung einer jeden Strafbarkeit; s. dazu ders., Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 52 ff.; Freund/Rostalski, AT, § 2 Rn. 9: „Der Verstoß gegen eine rechtlich legitimierte Verhaltensnorm ist Mindestbedingung und damit Prüfkriterium einer jeden Straftat“; vgl. auch Timm, Gesinnung und Straftat, S. 47 ff.

A. Die Legitimation der Verhaltensnormen, auf die § 323a StGB Bezug nimmt

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erst, wenn diese auch tatsächlich übertreten werden – stellt sich die Frage, ob ein Verstoß gegen die Verhaltensordnung eine Sanktionierung zur Folge haben kann157 oder gar muss. Wie eingangs beschrieben, dient der Einsatz von Strafe zumindest mittelbar dem Rechtsgüterschutz. Strafe und somit auch die von § 323a StGB angeordnete Geldoder Freiheitsstrafe, die immer einen Eingriff in die grundrechtlich verbürgten Rechte des Betroffenen bedeutet, bedarf – wie jeder andere Grundrechtseingriff auch – einer Legitimation, welche auch die verfassungsrechtlichen Grundlagen beachtet.158 Um dem Rechtsgüterschutzgedanken gerecht zu werden, muss allerdings – weil dieser allenfalls für die Zukunft gewährleistet werden kann – bereits vor einer Rechtsgutsbeeinträchtigung angesetzt werden. Soll ein strafrechtlicher Vorwurf legitim sein, bedarf es zunächst im Vorfeld der Aufstellung rechtsgüterschützender Verhaltensnormen, die menschliches Verhalten ge- oder verbieten. Ihre legitime Funktion können Verhaltensnormen aber nur erfüllen, wenn ihr Adressat die Fähigkeit besitzt, die Norm richtig zu bilden und sie dann auch zu befolgen.

I. Anforderungen an eine Verhaltensnorm: Prüfung anhand des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Verhaltensnormen müssen den Anforderungen des verfassungsrechtlich verankerten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes entsprechen; das heißt überhaupt einen legitimen Zweck verfolgen und zur Erreichung genau dieses Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen sein. Speziell auf der Ebene der Angemessenheit sind die sich gegenüberstehenden widerstreitenden Güter und Interessen gegeneinander abzuwägen. Gegenüber stehen sich stets die berechtigten Belange des Güterschutzes und die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) des potentiell Normunterworfenen. Diese verfassungsrechtlichen Vorgaben gilt es im Folgenden mit Blick auf denkbare tatbestandsspezifische Verhaltensnormen des § 323a StGB zu überprüfen. 1. Legitimer Zweck und Geeignetheit Für die Legitimation einer Verhaltensnorm muss zunächst ein Rechtsgut begründbar sein, welches sich als schutzwürdig und somit als legitimes Schutzobjekt erweist.159 Es bedarf tatsächlicher Anhaltspunkte, dass jemand für bestimmte 157 Zu den Anforderungen an eine Sanktionierung, die stets ein personales Fehlverhalten sowie einen hinreichend gewichtigen Verstoß voraussetzt s. bereits oben (Zweiter Teil C.). 158 S. dazu bereits ausführlich oben (Zweiter Teil B.). 159 Mulch, Strafe und andere staatliche Maßnahmen gegenüber juristischen Personen, S. 34. Vgl. auch BVerfGE 90, 145, 185; 92, 191, 196 ff.; Appel, Verfassung und Strafe, S. 175, spricht in diesem Zusammenhang von einem „Zweck der vom Strafrecht in Bezug genommenen Verhaltensnorm“.

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3. Teil: Legitimationsprobleme des § 323a StGB

Rechtsgüter anderer – insbesondere Leib, Leben, Eigentum oder Freiheit – gefährlich werden könnte. Dies bedeutet: Für die Begründung eines legitimen Zwecks muss die Vermeidung ganz bestimmter Schädigungsmöglichkeiten als zwingend notwendiges Erfordernis den obersten Rang einnehmen. Sind gewisse Schädigungsmöglichkeiten gänzlich ausgeschlossen, so handelt es sich um ein erlaubtes Verhalten, das durch die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG gedeckt ist. Ein legitimer Zweck für das Aufstellen einer Verhaltensnorm kann dann gerade nicht begründet werden. Auf der Ebene der Sanktionsnorm bedeutet das zwingend: Die Sanktionierung erlaubten Verhaltens ist von vornherein ausgeschlossen. a) Die Rauschtat als Anknüpfungspunkt für die Verhaltensnormlegitimation Primär ist eine Verhaltensweise zu bestimmen, die für Rechtsgüter wie etwa Leib, Leben, Freiheit oder auch das Eigentum gefährlich werden könnte und somit den Bedarf bzw. die Notwendigkeit einer Verhaltensnorm zu rechtfertigen vermag. Anknüpfen ließe sich dabei unter Umständen an die im Zustand der (nicht ausschließbaren) Schuldunfähigkeit begangene Rauschtat. Dabei stellt sich zunächst die Frage, was überhaupt unter dem Begriff der Rauschtat (i. S. d. § 323a StGB) zu verstehen ist und welche Anforderungen an diese zu stellen sind. aa) Die Rauschtat – Begriffsbestimmung und ratio-orientierte Anforderungen Der Vollrauschtatbestand des § 323a StGB setzt voraus, dass der Täter im Rausch160 (Vollrausch) eine rechtswidrige Tat (Rauschtat)161 begeht. Diese muss sowohl in „objektiver“ als auch in „subjektiver“ Hinsicht gem. § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB „den Tatbestand eines Strafgesetzes“ verwirklichen. Grundsätzlich kommt die Verwirklichung jedes Tatbestandes des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches als Rauschtat in Betracht.162 Erforderliches Kriterium für eine solche „Tat“ ist zunächst eine in bestimmtem Sinne zurechenbare Handlung. Meist wird ein vom „natürlichen Willen“ getragenes sozialerhebliches Verhalten verlangt.163 Für die Annahme einer rechtswidrigen Tat dürfen keine Rechtfertigungsgründe vorliegen. Erst dann sind sämtliche Anforderungen an die „rechtswidrige Tat“ i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB erfüllt. Nicht erforderlich ist somit, dass die Tat auch schuldhaft begangen wird, denn der Begriff der Straftat, für den auch die Schuld notwendiges Kriterium ist, ist nicht 160 Welche Anforderungen an einen Rausch i. S. d. § 323a StGB zu stellen sind, wird sich noch unten (Dritter Teil A. I. 4.) zeigen. 161 Die Rauschtat wird dabei von einer weit verbreiteten Ansicht als „objektive Bedingung der Strafbarkeit“ eingeordnet; s. dazu noch genauer unten (Vierter Teil A. I.). 162 Für den Bereich des Ordnungswidrigkeitenrechts ist § 122 OWiG zu beachten. In diesem Zusammenhang ist die Bezeichnung „rechtswidrige Tat“ als Parallelbegriff zur „rechtswidrigen Handlung“ i. S. v. § 1 OWiG zu verstehen. 163 Zu dieser Definition des Handlungsbegriffs s. etwa Hecker, in: Schönke/Schröder StGB, § 323a Rn. 13. Fehlt das Vorliegen einer solchen Handlung, so entfällt eine Strafbarkeit nach § 323a StGB; vgl. BGHSt 1, 124, 125; 3, 287; ähnlich auch OLG Hamm NJW 1975, 2252.

A. Die Legitimation der Verhaltensnormen, auf die § 323a StGB Bezug nimmt

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mit dem der rechtswidrigen Tat gleichzusetzen.164 Die Schuldfähigkeit eines Täters ist dafür gerade nicht erforderlich. Die rechtswidrige Tat i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB kann auch durch einen Schuldunfähigen begangen werden. Eine rechtswidrige Tat (Rauschtat) liegt somit schon dann vor, wenn die hypothetische Feststellung getroffen werden kann, dass der Betreffende unter der gedachten Voraussetzung schuldhaften Handelns (oder Unterlassens) einen bestimmten Straftatbestand rechtswidrig erfüllt hätte.165 Es gilt: Hätte der Betreffende bei Vorhandensein der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit einen Straftatbestand verwirklicht, so entspricht dies den Anforderungen an eine Rauschtat (rechtswidrige Tat) nach § 323a StGB. Um feststellen zu können, dass sowohl der „objektive“ als auch der „subjektive“ Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht ist, müssen die genauen Anforderungen an „Vorsatz“ und „Fahrlässigkeit“ des (nicht ausschließbar) Schuldunfähigen näher untersucht werden.166 Die Anforderungen an Vorsatz und Fahrlässigkeit in Bezug auf die Rauschtat sind durchaus umstritten. Allerdings steht Folgendes fest: Strafrechtlich relevantes fahrlässiges oder vorsätzliches Fehlverhalten eines (nicht ausschließbar) Schuldunfähigen kann es gar nicht geben. Denn wer (möglicherweise) einsichtsoder steuerungsunfähig ist, kann keinen Verhaltensnormverstoß – weder in vorsätzlicher noch in fahrlässiger Weise – begehen. Die Fähigkeit, eine Norm zu bilden und zu befolgen, ist im Zustand der (nicht ausschließbaren) Schuldunfähigkeit gerade fraglich oder fehlt in den Fällen des § 20 StGB sogar mit Sicherheit. (Möglicherweise) Schuldunfähige besitzen gerade nicht die erforderliche Einsichts- und Steuerungsfähigkeit, um überhaupt einen Verhaltensnormverstoß – der eine strafrechtliche Reaktion zur Folge hat – begehen zu können.167 Mithin kann und darf es bei der Rauschtat des (nicht ausschließbar) Schuldunfähigen nur auf eine hypothetische Beurteilung ankommen. Zu fragen ist, ob hypothetisch – also bei unterstellter Schuldfähigkeit – fahrlässiges oder vorsätzliches spezifisches Fehlverhalten (ggf. nebst Folgen) des Täters vorliegen würde.168 Für die als Fahrlässigkeitstat normierte Rauschtat ergeben sich insofern keine größeren Schwierigkeiten. In Bezug auf ein hypothetisch fahrlässiges Fehlverhalten des Täters muss folgende Frage gestellt werden: Hätte der Täter (bei unterstellter 164

Beispielsweise die Gegenüberstellung von Straftat und rechtswidriger Tat in §§ 25, 26 StGB zeige, dass das Vorliegen einer rechtswidrigen Tat unabhängig von der Schuld des Täters zu beurteilen sei; s. dazu Fischer, StGB, § 11 Rn. 27; vgl. auch Hecker, in: Schönke/Schröder, StGB, § 11 Rn. 39; s. auch Freund, in: Handbuch des Strafrechts, § 46 Rn. 33, 35; Hilgendorf, LK-StGB, § 11 Rn. 79. 165 S. Freund, in: Handbuch des Strafrechts, § 46 Rn. 33 ff. 166 Anders etwa Hilgendorf, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, § 40 Rn. 19, wonach diese Anforderungen „im Wesentlichen geklärt“ seien und „die allgemeinen Regeln gelten“ sollen. 167 Zur Unmöglichkeit schuldlosen Unrechts s. noch unten (Dritter Teil A. I. 1. a) bb)). 168 Übereinstimmend RGSt 73, 11, 17; weiterführend Kusch, Der Vollrausch, S. 84 ff., 88 ff., 92 ff.

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3. Teil: Legitimationsprobleme des § 323a StGB

Schuldfähigkeit) – unter Berücksichtigung seiner individuellen Verhältnisse und Fähigkeiten – die Möglichkeit der Verwirklichung des jeweiligen Fahrlässigkeitstatbestandes erkennen und vermeiden können und dies auch von Rechts wegen vermeiden müssen?169 Anders verhält es sich bei einer Vorsatztat als Rauschtat.170 Schwierigkeiten können sich insbesondere dann ergeben, wenn es um spezielle subjektive171 Tatbestandsvoraussetzungen wie den Vorsatz oder eine besondere tatbestandlich vorausgesetzte Absicht – wie etwa bei § 242 Abs. 1 StGB – geht.172 Insofern lässt sich zwar ein hypothetischer Vorsatz annehmen: Ohne den Rausch hätte der Täter erkannt, was er tut. Dagegen sind hypothetische Absichten nicht gleichermaßen konstruierbar, weil es für eine bestimmte Absicht eines Willensentschlusses der konkreten Person bedarf. Für diese notwendige Entscheidung der konkreten Person gibt es kein (hypothetisches) Surrogat. Beispiel: Ein Betrunkener steigt im Anschluss an einen feuchtfröhlichen Kneipenbesuch auf das rote Fahrrad des Kneipenbesitzers, weil er es mit seinem eigenen schwarzen 169 Es gelten die allgemeinen Regeln. – S. auch Geppert, Jura 2009, 40, 46: „Für die Sorgfaltsanforderungen sind folgerichtig auch hier diejenigen Maßstäbe anzulegen, die im konkreten Fall für einen nüchternen Täter geboten sind. Wäre der betreffende Täter angesichts der ihm eigenen Fähigkeiten somit auch im nüchternen Zustand nicht imstande gewesen, die jeweilige tatbestandliche Rechtsgutsverletzung/-gefährdung vorauszusehen und sie zu vermeiden, kommt auch eine Strafhaftung über § 323a StGB nicht in Betracht.“ Auf gleicher Linie etwa Geisler, in: MünchKommStGB V, § 323a Rn. 35; Hecker, in: Schönke/Schröder, StGB, § 323a Rn. 16, jew. m. w. N.; Popp, in: LK-StGB, § 323a Rn. 67; s. auch bereits Welzel, ZStW 58 (1939), 491, 565 f.: „Es kann sich vielmehr nur um ein hypothetisches Fahrlässigkeitsurteil handeln“. 170 In diesen Zusammenhang gehört auch die Problematik der rauschbedingten Irrtümer beim Vollrauschtatbestand; s. dazu etwa Heger, in: Lackner/Kühl, § 323a Rn. 9; ausführlich Junge, Rauschbedingte Fehlvorstellungen beim Vollrausch, 1995; Paeffgen, in: NK-StGB III, § 323a Rn. 73 ff., jew. m. w. N.; Popp, in: LK-StGB, § 323a Rn. 66. – In der Sache gilt: Wenn Erfordernisse wie beispielsweise der Vorsatz lediglich „rauschbedingt“ nicht erfüllt werden, darf dies keine Auswirkungen auf die Strafbarkeit des Täters haben. Diese Reduktion der Anforderungen an die Rauschtat ist sachgerecht, weil es gerade darum geht, der rauschbedingten spezifischen Gefährlichkeit des Täters Rechnung zu tragen. Genau für diese ist der Täter aufgrund des geforderten Fahrlässigkeitsbezugs in ausreichendem Maße strafrechtlich verantwortlich. 171 Für die Bestimmung der Rauschtat macht etwa Spendel bestimmte Abstriche bei subjektiven Merkmalen; s. dazu Spendel, in: LK-StGB, 11. Auflage, § 323a Rn. 201, der eine „objektiv-straftatbestandsmäßige, rechtswidrige Tat“ für ausreichend hält; vgl. dazu Kusch, Der Vollrausch, S. 107, wonach Vorsatz und Fahrlässigkeit „keine sachgerechten Merkmale der Rauschtat“ sind. Auf gleicher Linie etwa auch Freund, in: Handbuch des Strafrechts, § 46 Rn. 34. 172 Das gleiche Problem stellt sich auch bzgl. der Nachteilszufügungsabsicht bei der Urkundenunterdrückung gem. § 274 StGB oder auch in Bezug auf die Bereicherungsabsicht beim Betrug gem. § 263 StGB. Siehe zu den speziellen subjektiven Merkmalen z. B. BGHSt 18, 235, 237; vgl. dazu auch Hilgendorf, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, § 40 Rn. 15.

A. Die Legitimation der Verhaltensnormen, auf die § 323a StGB Bezug nimmt

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Fahrrad verwechselt. Wäre er nüchtern gewesen, hätte er aufgrund des deutlichen farblichen Unterschieds der Fahrräder die Fremdheit des für die Heimfahrt genutzten Fahrrades erkannt. Obwohl in diesem Fall ein hypothetischer Vorsatz in Bezug auf die Fremdheit des benutzten Fahrrades anzunehmen ist, liegt keine rechtswidrige Tat nach § 242 Abs. 1 StGB vor, weil es an der erforderlichen Zueignungsabsicht fehlt. Diese kann und darf nicht einfach fingiert werden. Dass der Betrunkene im nüchternen Zustand eine Zueignungsabsicht entwickelt hätte, ist rein spekulativ (und für eine trunkenheitsbedingte Gefährlichkeit ohnehin unspezifisch). Hypothetische Absichten laufen somit auf eine unzulässige Unterstellung dessen hinaus, was der Täter als Nüchterner beabsichtigt hätte. Selbst wenn der Betreffende sehr wahrscheinlich die erforderliche Absicht gefasst hätte, genügt das für deren berechtigte hypothetische Annahme nicht.173 Anders verhält es sich dagegen – wie gesagt – mit Blick auf den ausreichenden „hypothetischen Vorsatz“, dessen Annahme auch im Falle des Schuldunfähigen berechtigt sein kann. Das gilt ungeachtet des Umstands, dass der „hypothetische Vorsatz“ die Anforderungen an einen „richtigen“ – und das heißt: strafrechtsrelevanten – Vorsatz nicht erfüllen kann.174 Denn in den Fällen des „hypothetischen Vorsatzes“ lassen sich bestimmte Abstriche vom für eine Straftat erforderlichen „richtigen“ Vorsatz unter Ratio-Aspekten begründen, so dass auch der Schuldunfähige „vorsätzlich“ i. S. der Rauschtat handeln kann: 173 Man stelle sich auch den von Hilgendorf genannten Fall vor, in dem ein Betrunkener beim Verlassen des Wirtshauses einen fremden Mantel mitnimmt, obwohl er – wäre er nüchtern gewesen – den deutlichen Unterschied erkannt hätte. Man kann dennoch nicht wissen, ob der (nicht ausschließbar) Schuldunfähige in schuldfähigem Zustand eine Zueignungsabsicht in Bezug auf den fremden Mantel entwickelt hätte (Hilgendorf, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, § 40 Rn. 20). 174 So auch Freund, in: Handbuch des Strafrechts, § 46 Rn. 42. Andere hingegen wollen – in der Sache kaum weiterführend – einen „natürlichen Vorsatz“ ausreichen lassen; s. dazu BGH NStZ-RR 2008, 334: „Es berührt den natürlichen Tatvorsatz nicht, wenn der Täter infolge seines Zustandes Tatsachen verkennt, die jeder geistig Gesunde richtig erkannt hätte“ (Orientierungssatz); BGHSt 1, 124, 126: „Auch ein Volltrunkener kann einen Willen und eine Vorstellung haben. […] Dieser natürliche Vorsatz stellt sich hier als die Fähigkeit dar, auf Grund von Vorstellungen, die der Berauschte aus der Außenwelt empfängt, seine körperliche Kraft für bestimmte Zwecke einzusetzen“; auf gleicher Linie bereits RGSt 63, 48; 73, 11, 17. Vgl. – insbesondere bezogen auf besondere Absichten – auch Heger, in: Lackner/Kühl, StGB, § 323a Rn. 8: „Setzt die Rauschtat eine besondere Absicht voraus […], so muss diese als „natürlicher“ zielgerichteter Wille gegeben sein“; s. dazu auch Otto, Jura 1986, 478, 484; Geisler, in: MünchKommStGB V, § 323a Rn. 35. – Kritisch etwa Welzel, Strafrecht, S. 475; ders., ZStW 58 (1939), 491, 493 in Fn. 7, wonach es fraglich ist, wo der Begriff des natürlichen Vorsatzes unterzubringen ist, denn er gehöre weder zur Schuldlehre noch zur Kausalität oder zur Rechtswidrigkeit. – Zur Kritik am Begriff des „Natürlichen“, wenn es um normative Probleme geht, s. etwa Freund/Rostalski, AT, § 11 Rn. 4, 8; kritisch zum „natürlichen Vorsatz“ etwa auch Kusch, Der Vollrausch, S. 85, wonach die Begrifflichkeit des natürlichen Vorsatzes nicht weiterführend ist: „Mit solch einer Terminologie ist der Boden strafrechtlicher Argumentation verlassen“.

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3. Teil: Legitimationsprobleme des § 323a StGB

Man stelle sich nur den Fall vor, in dem ein rauschbedingt schuldunfähiger Täter auf seinem Heimweg nach einer durchzechten Nacht die Fensterscheiben im Erdgeschoss des Nachbarn (N) mit einem Ziegelstein einschlägt, ohne sich Gedanken über das zerstörte fremde Eigentum zu machen.175 Bei unterstellter Schuldfähigkeit würde eine Strafbarkeit wegen Sachbeschädigung gem. § 303 Abs. 1 StGB in Betracht kommen. Da § 303 Abs. 1 StGB nur die vorsätzliche Sachbeschädigung unter Strafe stellt, müsste gegenüber einem schuldfähigen Randalierer also ein uneingeschränkter Vorsatz-Vorwurf erhoben werden können. Ein bloß hypothetischer Vorsatz wäre nicht ausreichend. Im Falle des (möglicherweise) schuldunfähigen Täters ist – wie gezeigt – ein uneingeschränkter Vorsatz-Vorwurf ohnehin undenkbar. Daher stellt sich die Frage, welche Abstriche bei der „vorsätzlichen tatbestandsmäßigen Rauschtat“ möglich und sachgerecht sind. Unter Ratio-Aspekten ergibt sich, dass insofern ein hypothetischer Vorsatz nicht nur in Bezug auf die für den „richtigen“ Vorsatz notwendige Schuld, sondern auch in Bezug auf die insofern nötige Kenntnis sachgerecht ist: Die Tatsache, dass der rauschbedingt schuldunfähige Täter aufgrund seines Rauschs schon nicht mehr die für einen „richtigen“ – strafrechtlich relevanten – Vorsatz notwendige Kenntis erlangt, macht ihn spezifisch gefährlich.176 Die Schuldunfähigkeit des Täters verhindert gerade, dass der Randalierer (im schuldfähigen Zustand) den für die Sachbeschädigung erforderlichen Vorsatz bildet. Ist dies festzustellen, ist im oben genannten Beispielsfall durchaus nach Wortlaut und Ratio des § 323a StGB eine Rauschtat gegeben.177 Festzuhalten bleibt an dieser Stelle zunächst: Auch wenn ein (nicht ausschließbar) schuldunfähiger Täter eine Rauschtat begeht, die vorsätzliches Fehlverhalten voraussetzt und dieser die Anforderungen an ein vorsätzliches Fehlverhalten rauschbedingt nicht erfüllen kann, schließt das noch nicht die Strafbarkeit dieses Täters aus. Vielmehr ist nicht nur ausreichendes Fehlverhalten, sondern auch die nach der Ratio erforderliche spezifische Fehlverhaltensfolge gegeben, wenn die Rauschtat die Folge genau des Risikopotentials ist, welches der potentielle Täter vorsätzlich oder fahrlässig zu verantworten hat. Die Rauschtat muss die Anforderungen an eine vorsätzliche oder fahrlässige Straftat niemals vollständig erfüllen, wenn diese allein rauschbedingt nicht erfüllt sind. Die Formulierung „rechtswidrige Tat“ zeigt außerdem, dass die Rechtswidrigkeit der Rauschtat nicht durch Rechtfertigungsgründe – wie z. B. Notwehr gem. § 32

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S. zu weiteren Beispielen Freund, in: Handbuch des Strafrechts, § 46 Rn. 48, 49. Vgl. dazu auch Freund, in: Handbuch des Strafrechts, § 46 Rn. 28 ff.; Hardwig, FS Eb. Schmidt, S. 459, 476. Zur spezifischen Gefährlichkeit rauschbedingter Irrtümer näher Renzikowski, ZStW 112 (2000), 475, 515 f. 177 Siehe dazu noch genauer unten (Vierter Teil B.). 176

A. Die Legitimation der Verhaltensnormen, auf die § 323a StGB Bezug nimmt

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StGB oder rechtfertigenden Notstand gem. § 34 StGB – ausgeschlossen sein darf.178 Andernfalls scheidet eine Strafbarkeit nach § 323a StGB aus, denn dann realisiert sich gerade kein rechtlich zu missbilligendes Risikopotential des Vollrauschs.179 Auch das Vorliegen etwaiger Entschuldigungsgründe (§§ 33, 35 StGB) lässt eine Rauschtat ausscheiden. Der Wortlaut des Gesetzes „weil er infolge des Rauschs schuldunfähig war oder weil dies nicht auszuschließen ist“ stellt klar, dass es gerade auf den durch den Rausch herbeigeführten Defektzustand ankommt.180 Nichts Anderes kann und darf ausschlaggebend sein. Ist der Täter aus anderen Gründen, z. B. gem. § 33 StGB oder § 35 StGB, entschuldigt und handelt demnach schuldlos oder nicht hinreichend schuldhaft, so entfällt eine Strafbarkeit nach § 323a StGB. Auch dann realisiert sich gerade kein rechtlich zu missbilligendes Risikopotential. Eine Rauschtat ist durch begehungsgleiches Unterlassen181 möglich. Nichtbegehungsgleiche Unterlassungsdelikte wie beispielsweise § 323c StGB oder § 138 StGB können hingegen keine Rauschtaten sein.182 Das Interesse an der Vermeidung von Rauschtaten muss im Zeitpunkt ex ante (also des Sichberauschens) gewichtig genug sein, um eine diesem Rechnung tragende Verhaltensnorm legitimieren zu können. Die bloße Möglichkeit, dass der Betreffende im Zustand der nicht ausschließbaren Schuldunfähigkeit nicht zur Hilfeleistung animierbar ist, genügt für die Legitimation eines Berauschungsverbots gerade nicht.183 Entsprechendes gilt mit Blick auf denjenigen, der sich bis zum Zustand der Handlungsunfähigkeit betrinkt. Es fehlt bereits an der spezifischen Gefährlichkeit des Betreffenden, wenn dieser lediglich droht, hilfsunfähig oder hilfsunwillig zu werden. Von dem Betreffenden kann nicht verlangt werden, dass er für alle möglichen in der Zukunft auftretenden Gefahren zur Hilfeleistung fähig bleibt.184 Gleiches gilt für § 138 StGB – die tatbestandsspezifische Gefahr des § 138 StGB gehört nicht zu dem Risikopotential, welches durch das Berauschungsverbot vermieden werden soll.185 178 Vgl. auch Geisler, in: MünchKommStGB V, § 323a Rn. 42; Hilgendorf, in: Arzt/Weber/ Heinrich/Hilgendorf, BT, § 40 Rn. 16. 179 Freund, in: Handbuch des Strafrechts, § 46 Rn. 34. 180 S. auch Geisler, in: MünchKommStGB V, § 323a Rn. 29, 43 m. w. N. 181 Mit begehungsgleich sind dabei die unglücklich formulierten sog. „unechten Unterlassungsdelikte“ gemeint. Gegen eine Einbeziehung von Unterlassungsdelikten überhaupt Kusch, Der Vollrausch, S. 116. 182 Backmann, JuS 1975, 698, 702 f.; Heger, in: Lackner/Kühl, StGB, § 323a Rn. 6; Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT II, § 96 Rn. 9. – A. A. etwa Hilgendorf, in: Arzt/ Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, § 40 Rn. 14; Rengier, BT II, § 41 Rn. 18; Paeffgen, in: NKStGB III, § 323a Rn. 70; Streng, JZ 1984, 114 ff., 118 m. w. N. 183 So auch Freund, in: Handbuch des Strafrechts, § 46 Rn. 39. 184 Zu einem anderen Ergebnis gelangt man allerdings in den Fällen, in denen sich etwa der für sein Kleinkind aufsichtspflichtige Vater in einen Vollrausch versetzt und in diesem Zustand tatenlos zusieht, wie sein Kind ertrinkt; vgl. zum Gesagten und zu diesem Beispiel Freund, in: Handbuch des Strafrechts, § 46 Rn. 39; ähnliche Fälle lassen sich bei Backmann, JuS 1975, 698, 702 ff., finden. 185 Freund, in: Handbuch des Strafrechts, § 46 Rn. 39.

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3. Teil: Legitimationsprobleme des § 323a StGB

bb) Zur Unmöglichkeit der Legitimation eines Verbots der Begehung der Rauschtat Nachdem die Anforderungen an eine Rauschtat untersucht wurden, stellt sich weiter die Frage, ob die Begehung der Rauschtat in (möglicherweise) schuldunfähigem Zustand verboten werden kann – genauer: ob sich dem (möglicherweise) Schuldunfähigen gegenüber eine konkrete Verhaltensnorm legitimieren lässt, die ihn als (möglicherweise) Schuldunfähigen dazu bewegen soll, die Rauschtat nicht zu begehen. Wie eingangs (Zweiter Teil B.) bereits erwähnt, bedarf es für die Legitimation einer Verhaltensnorm zunächst eines legitimen Zwecks – welcher im Rechtsgüterschutz zu finden ist – sowie eines potentiellen Normadressaten, der in der Lage ist, die zuvor aufgestellte Verhaltensnorm in Form eines Ge- oder Verbots zu befolgen. Eine Verhaltensnorm bzgl. der Rauschtat könnte wie folgt lauten: „Du darfst keine rechtswidrige Tat begehen, auch wenn Du schuldunfähig bist“. Schützenswert ist jedes Rechtsgut, welches durch mögliche Rauschtaten (rechtswidrige Taten) gefährdet bzw. verletzt werden könnte. Der berauschte Täter stellt grundsätzlich eine Gefahr für die Rechtsgüter seiner Mitmenschen dar. Mithin liegt ein legitimes Schutzobjekt und somit ein verfolgter legitimer Zweck vor. Allerdings darf es nicht allein darauf ankommen, dass ein Rechtsgut vorhanden ist, das durch die Aufstellung einer Verhaltensnorm grundsätzlich geschützt werden kann. Allein das Vorliegen eines legitimen Schutzobjekts ist nicht ausreichend. Vielmehr muss die konkrete Verhaltensnorm darüber hinaus auch geeignet, erforderlich und angemessen sein, um diesem Rechtsgüterschutz zu dienen. Die Aufstellung der Verhaltensnorm muss geeignet sein, d. h. dem angestrebten (rechtmäßigen) Zweck dienen können. Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sich der Mensch als vernünftiges Wesen von Normen leiten lässt und diese auch befolgt.186 Damit Verhaltensnormen rechtsgüterschützend wirken können, müssen jedoch bestimmte Bedingungen erfüllt sein: Ein Normadressat muss in der Lage sein, eine für ihn relevante Norm – im Zeitpunkt ex ante – zu bilden und sich auch dementsprechend zu verhalten.187 Die Bildung einer Verhaltensnorm und auch die Fähigkeit, sie zu befolgen, sind für die Legitimation eines Ge- oder Verbots wesentliche und unverzichtbare Voraussetzungen. Denn nur solche Verhaltensnormen können auch befolgt werden, sodass dem Rechtsgüterschutz gedient werden kann. Ein Abweichen von Normen kann dem potentiellen Normadressaten dementsprechend nur dann vorgeworfen werden, wenn er auch die Umstände, die den Normverstoß begründen, kannte oder zumindest hätte kennen können. Die Rauschtat, an die ggf. angeknüpft werden soll, wird – wie es bereits im Begriff „Rauschtat“ selbst anklingt – im Rauschzustand und somit einem Zustand der ty186

So auch Freund/Renzikowski, ZRP 1999, 497, 498; vgl. auch Renzikowski, ZStW 112 (2000), 475, 495. 187 S. dazu bereits oben (Zweiter Teil B. I. 2. und Dritter Teil A. I. 1. a) bb)). Diese Deutung entspreche dem verbreiteten Verständnis der Generalprävention, Freund/Renzikowski, ZRP 1999, 497, 498. Zu den Problemen der Bildung und Befolgung von Verhaltensnormen näher Freund/Rostalski, GA 2018, 264 ff., 270 ff.

A. Die Legitimation der Verhaltensnormen, auf die § 323a StGB Bezug nimmt

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pischerweise zumindest verminderten Schuldfähigkeit, jedenfalls aber der nicht auszuschließenden Schuldunfähigkeit, begangen. Die Fähigkeit, eine Norm zu bilden und zu befolgen, ist im Zustand der Volltrunkenheit gerade fraglich oder fehlt in den Fällen des § 20 StGB sogar mit Sicherheit. Wüsste man genau, dass der Betreffende nur eingeschränkt schuldfähig im Sinne des § 21 StGB ist, könnte man zwar von einem eingeschränkt tauglichen Normadressaten ausgehen. In den hier interessierenden Konstellationen ist aber jedenfalls nicht auszuschließen, dass die Voraussetzungen des § 20 StGB erfüllt sind. Daher muss jedenfalls stets mit einem untauglichen Normadressaten gerechnet werden.188 Um Adressat einer Verhaltensnorm sein zu können, muss man in der Lage sein, eine solche in der konkreten Situation zu bilden und zu befolgen, um so dem Rechtsgüterschutz zu dienen. Der Schuldunfähige muss, um Normen bilden zu können, die Fähigkeit besitzen, sich zum entscheidenden Zeitpunkt – persönlich – für oder gegen das Recht zu entscheiden. Einem nach § 20 StGB Schuldunfähigen fehlt allerdings genau die entsprechende Einsichts- bzw. Steuerungsfähigkeit.189 Er ist nicht in der Lage, die möglichen Konsequenzen seines Handelns zu erkennen. Dem Schuldunfähigen gegenüber ist eine Verhaltensnorm der oben in Erwägung gezogenen Art: „Du darfst keine rechtswidrige Tat begehen, auch wenn Du schuldunfähig bist“ sinnlos. Mangels einer gegenüber dem Schuldunfähigen legitimierbaren Verhaltensnorm kann eine solche von diesem auch nicht in dem strafrechtsrelevanten Sinn übertreten werden, dass er deren Geltungskraft in Frage stellt. Die Schuldunfähigkeit einer Person ist so gesehen nicht erst oder gar nur dafür relevant, ob einer Person gegenüber ein Vorwurf erhoben werden kann. Vielmehr wirkt sich die mangelnde Vorwerfbarkeit eines bestimmten Verhaltens bereits dahingehend aus, dass eine Verhaltensnorm, die es verbietet, schon keinen Sinn ergibt. Sie ist als zum Rechtsgüterschutz ungeeignet einzustufen. Zur Verdeutlichung dieser Problematik lässt sich folgendes Beispiel vergleichsweise anführen: Ein sechsjähriges Kind schießt mit der Pistole seines Vaters, die zufällig herumliegt und die das Kind für ein Spielzeug hält, auf einen Spaziergänger. Dieser wird dadurch lebensgefährlich verletzt und stirbt an dieser Verletzung. Von dem sechsjährigen Kind kann nicht ernsthaft erwartet werden, in dieser Situation das Tötungsverbot zu konkretisieren und als für sich verbindliche Verhaltensnorm zu erkennen und zu befolgen. Es ist als Adressat einer Verhaltensnorm ungeeignet. Mithin ist eine Verhaltensnorm gegenüber Schuldunfähigen zum

188

Eine ausführliche und überzeugende Darstellung dieser Problematik ist bei Frister, Schuldprinzip, S. 34 ff., zu finden. 189 S. auch Jakobs, in: FS Neumann, S. 903: „[…] eine solche Person – ein Kind, ein seelisch Kranker, eine durch Alkohol vergiftete Person“ bleibt „Eigentümerin an ihrem Geist, Leib, und Sonstigem […], aber aktive Strafrechtsperson ist sie nun einmal definitionsgemäß nicht“.

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3. Teil: Legitimationsprobleme des § 323a StGB

Rechtsgüterschutz, d. h. zur Erfüllung eines legitimen Zwecks, geradezu funktionslos und daher ungeeignet.190 Zusammenfassend lässt sich sagen: Es ist nicht möglich, eine geeignete Verhaltensnorm bzgl. der Rauschtat zu legitimieren. Für untaugliche Adressaten gibt es schon keine Verhaltensnormen, die übertreten werden können.191

190 Ebenso ungeeignet wäre es, eine Verhaltensnorm gegenüber einem Tier oder einer Maschine legitimieren zu wollen. Auch ein Tier bzw. eine Maschine sind nicht fähig, eine rechtliche Verhaltensnorm zu bilden und zu befolgen bzw. in Frage zu stellen; s. dazu und insbesondere zur Verhaltensnormlegitimation gegenüber juristischen Personen mit berechtigter Kritik Mulch, Strafe und andere staatliche Maßnahmen gegenüber juristischen Personen, S. 43 ff. – Missverständlich insofern Frisch, GA 2017, 364, 371, der zwei getrennte Voraussetzungen nennt, welche zur Erfüllung einer Straftat erforderlich seien: Er ist der Ansicht, dass eine Verhaltensnorm denkbar sei, die von einem Schuldunfähigen zunächst grundsätzlich übertreten werden könne. Jedoch dürfe dieser aufgrund seiner fehlenden Fähigkeit, die Normübertretung zu vermeiden, strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden. – Diese Differenzierung ist allerdings abzulehnen, weil die zweite Voraussetzung bereits Bedingung für erstere ist. Eine Verhaltensnorm ist (als rechtlich legitimierbare) bereits nicht denkbar, wenn die Fähigkeit des Normadressaten zu ihrer Bildung und Befolgung fehlt. Der Verstoß gegen eine solche bild- und befolgbare Verhaltensnorm ist Mindestbedingung einer jeden Strafbarkeit. – Der Versuch, die Normgeltung gegenüber einer nicht verantwortlichen Person wiederherzustellen, wäre ein „dysfunktionaler Missbrauch der Strafe“, der den Einsatz dieses spezifisch zweckgebundenen Mittels „entwertete“; s. Mulch, Strafe und andere staatliche Maßnahmen gegenüber juristischen Personen S. 55 (90 ff. zur gleichfalls ablehnenden ordnungswidrigkeitenrechtlichen Verantwortlichkeit); vgl. auch Freund, GA 2010, 193, 196 in Fn. 12; ders., Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 88; Freund/Rostalski, GA 2018, 264, 267: „schuldloses personales Verhaltensunrecht ist eine contradictio in adiecto“; näher dazu auch Rostalski, Der Tatbegriff im Strafrecht, S. 90 ff. 191 Vgl. auch Jakobs, FS Neumann, S. 899, 904: „Da Rechtstreue nichts bewirken kann, wenn das Recht unerkennbar bleibt, kann ein Verhalten in unvermeidbarer Normunkenntnis per se kein deliktisches Verhalten sein; eine Erwartung, ein solches Verhalten werde aus Respekt vor dem Recht unterbleiben, hätte mangels Befolgbarkeit der Norm keinen Bestand (könnte also nicht orientierungsleitend wirken)“. – Anders sieht dies etwa Greco, GA 2009, 636, 645, wonach von einem Schuldunfähigen zwar nicht erwartet werden kann, dass er das von der Verhaltensnorm beschriebene Verhalten befolgt, es aber dennoch zweckmäßig sei, ihn als geeigneten Adressaten einer Verhaltensnorm anzusehen. Hintergrund dieser Argumentation ist, dass die Verhaltensnormen zwar bei schuldunfähigen Personen nicht verhaltensleitend wirken können, jedoch schuldfähige Personen zu normkonformem Verhalten veranlassen sollen: „[…] dass sich niemand sonst ermuntert fühlt, das Verhalten zu zeigen, in der Hoffnung, er könnte sich auf Schuldunfähigkeit berufen um dadurch das Verbot zu umgehen.“ Funktion der Verhaltensnormen soll also sein, schuldfähige Personen von Straftaten abzuhalten; auf gleicher Linie etwa auch Burkhardt, GA 1976, 321, 336 f.: „Selbst wenn man aber einmal akzeptieren wollte, daß Strafandrohung und Strafe gegenüber schuldunfähigen und entschuldigten Tätern nicht wirkt, so wäre damit nicht ausgemacht, daß eine Bestrafung dieser Täter nicht generalpräventiv auf andere wirkt“; ähnlich auch Kaspar, Präventiosstrafrecht, S. 407. – Mit berechtigter Kritik dazu näher Rostalski, Der Tatbegriff im Strafrecht, S. 105 ff.

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cc) Zurechnungskonzepte In diesem Zusammenhang möchten manche den für die Strafbarkeit unverzichtbaren Verhaltensnormverstoß durch Zurechnungsüberlegungen fingieren. Der Schuldunfähige solle unter bestimmten Voraussetzungen strafrechtlich so zu behandeln sein, als habe er gegen eine ihm gegenüber legitimierbare Verhaltensnorm verstoßen. Die Zurechnung ist ein bekanntes Instrument des Zivilrechts. Dort wird beispielsweise gem. § 278 Abs. 1 BGB dem Schuldner ein Verhalten seines Erfüllungsgehilfen als eigenes zugerechnet („[…] im gleichen Umfang zu vertreten wie eigenes Verschulden“).192 Auch im Bereich des Strafrechts und insbesondere im Zusammenhang mit der Schuldunfähigkeit eines Täters soll die Zurechnung gerechte Ergebnisse erzeugen. Ein Schuldunfähiger, der eigenverantwortlich durch sein Verhalten die Schuldunfähigkeit (also einen Defekt-Zustand) herbeiführt, soll sich nicht auf seine Schuldunfähigkeit berufen können, wenn er in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat begeht.193 Er mache sich zwar nicht unmittelbar strafbar, jedoch schneide er sich die Möglichkeit ab, sich auf § 20 StGB zu berufen.194 Als Begründung führen einige eine vorangegangene „Obliegenheitsverletzung“ als eine Art „Verschulden gegen sich selbst“ an, welche zur Folge habe, dass dem Täter die eigentlich schuldlos begangene Tat wie eine schuldhaft begangene Tat zuzurechnen sei.195 Der Schuldlose sei also wie ein Schuldfähiger zu behandeln. Dieses Konzept wird vornehmlich von Kindhäuser und Hruschka vertreten und findet sich auch in einigen ausländischen Rechtsordnungen.196 Diese Vorgehensweise mag intuitiv einem bestimmten Rechtsgefühl entsprechen und daher als reizvolle Lösung erscheinen, ändert aber nichts an dem entscheidenden 192

Vgl. aber auch § 166 Abs. 2 BGB („Wissenszurechnung“). I. d. S. etwa Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 351. 194 Im Sinne eines solchen Konzepts etwa Hruschka, Strafrecht, S. 293 f., 300; ders., Strukturen der Zurechnung, S. 68 ff.; ders., FS Bockelmann, S. 421, 423 ff. Zu diesem Konzept der „außerordentlichen Zurechnung“ vgl. etwa auch Joerden, Strukturen, S. 35 f.; 45 ff.; Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 126 ff. – Kritisch dazu Murmann, AT, § 26 Rn. 29. 195 Vgl. Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 35 ff., 120, 126 ff., 328. – Zur Unterscheidung von Pflichten und Obliegenheiten vgl. Hruschka, in: Recht auf Rausch, S. 291, 300 f.; vgl. aber auch Neumann, Zurechnung und „Vorverschulden“, S. 125, der § 323a StGB nicht als Verhaltensnorm, sondern als Zurechnungsregel interpretiert. § 323a StGB sei eine Regelung, „die nicht verbietet, sondern verhindert, daß die Zurechnung der Tat durch das Sichberauschen des Täters unmöglich“ gemacht werde. – Eine Zurechnung der Rauschtat ablehnend etwa BGHSt 2, 194, 201. 196 Nach Art. 31 § 3 des Polnischen StGB von 1997 oder nach Art. 62 Abs. 1 des Italienischen Codice Penale wird eine schuldhaft herbeigeführte trunkenheitsbedingte Schuldunfähigkeit grundsätzlich für unbeachtlich erklärt. Die Schuldfähigkeit wird in diesem Fall fingiert. Auch im Englischen Recht schließt die verschuldete Trunkenheit die Schuld nicht aus; vgl. dazu auch die Nachweise bei Schultz, in: Waaben/Schultz/Leáuté, S. 19 ff.; s. dazu auch Cramer, Vollrauschtatbestand, S. 13 ff. sowie die Nachweise bei Hennig, in: Reform des Sanktionenrechts, S. 114 ff. 193

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3. Teil: Legitimationsprobleme des § 323a StGB

Defizit: Für einen strafrechtlichen Vorwurf gegenüber einer Person ist allein das entscheidend, was von ihr in der konkreten Situation erwartet werden konnte und durfte.197 Dabei sind stets die individuellen – auch defizitären – Fähigkeiten und Kenntnisse des potentiellen Normadressaten zu berücksichtigen. Ansonsten stimmt der Vorwurf nicht! Derartige Zurechnungsüberlegungen aufgrund von „Obliegenheitsverletzungen“ helfen also nicht über den entscheidenden Punkt hinweg: Die „Zurechnung der Rauschtat“ als fingiert schuldhaft begangene Tat ändert nichts daran, dass der Betreffende zum Zeitpunkt ihrer Begehung tatsächlich eben doch nicht in der Lage ist, die Verhaltensnorm zu bilden und zu befolgen, die dem an sich notwendigen Opferschutz gerecht wird. Überlegungen zur Zurechnung der Rauschtat vernachlässigen letztlich Schutzinteressen potentieller Opfer, weil sie bei der Verhaltensnormfrage zu spät ansetzen. Verhaltensnormen müssen zu einem Zeitpunkt eingreifen, zu dem noch ein tauglicher Normadressat vorhanden ist. Insofern sind Obliegenheiten unzureichend, weil ihnen keine Verbindlichkeit im Drittschutzinteresse zukommt. Der Adressat von Obligenheiten darf – anders als der einer Pflicht – vielmehr selbst entscheiden, ob er diesen gerecht wird oder nicht.198 Entscheidet er sich dagegen und nimmt eine „Bestrafung“ in Kauf, so bleiben berechtigte Opferschutzinteressen auf der Strecke.199 Potentielle Opfer wären auf diese Weise der Entscheidungsmacht der Adressaten hilflos ausgesetzt. Denn eine Bestrafung des Täters mittels „Zurechnung der Rauschtat“ nützt dem Opfer selbst nicht das Geringste. Effektiver Rechtsgüterschutz ist im Wege der „Zurechnung der Rauschtat“ nicht zu gewährleisten, denn mit „kontrafaktischen Zurechnungsfiktionen“200 ist potentiellen Opfern nicht zu helfen. Auch Strafe kann auf dieser Basis ihre legitime Funktion der geltungssichernden Ahndung eines Verstoßes gegen eine legitimierbare Verhaltensnorm nicht erfüllen. dd) Zusammenfassung der Ergebnisse Zusammenfassend lässt sich sagen: Eine Verhaltensnorm in Bezug auf die Verhinderung einer Rauschtat kann gegenüber dem bereits (möglicherweise) Schuld197

Vgl. Freund, Normentheoretisch-funktionale Kritik einer Kategorie der Zurechnung, II. 1. (im Erscheinen): „Im Verhaltensnormbereich geht es nicht darum, ob jemand für einen irgendwie konzipierten ,Verhaltensnormverstoß‘ als Person zur Verantwortung gezogen werden kann – ob ihm also eine Art ,objektiv normwidriges Verhalten‘ als individuelle Pflichtverletzung zuzurechnen ist. Vielmehr geht es entscheidend darum, was genau von der konkreten Person in der konkreten Situation als Verhalten von Rechts wegen zu erwarten ist, um einen bestimmten legitimen (Rechtsgüterschutz-)Zweck zu erreichen“. 198 Vgl. dazu Hruschka, Strukturen der Zurechnung, S. 50, wonach es bei einer Obliegenheit lediglich ratsam sei, diese zu befolgen, eine Pflicht bestehe nicht; s. ders., in: Recht auf Rausch, S. 291, 298 ff. 199 Freund, Normentheoretisch-funktionale Kritik einer Kategorie der Zurechnung, II. 1. (im Erscheinen). 200 Freund, Normentheoretisch-funktionale Kritik einer Kategorie der Zurechnung, II. 1. (im Erscheinen).

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unfähigen aufgrund des Fehlens zwingender Voraussetzungen nicht (eindeutig) legitimiert werden. Es fehlt an der Berechtigung eines Vorwurfs gegenüber dem Schuldunfähigen,201 denn Schuldunfähige können schon keine geeigneten „Adressaten eines Normappells“202 sein. Die Verhaltensnormgeltung kann durch Schuldunfähige nicht in Frage gestellt werden und droht daher auch nicht entsprechenden Schaden zu nehmen.Auch eine Zurechnungslösung ist nicht weiterführend. Potentielle Opferschutzinteressen werden im Verhaltensnormbereich nicht gebührend beachtet. Auf dieser Basis kann auch der Strafzweck nicht erfüllt werden. Denn dieser knüpft nur an Verstöße gegen als solche legitimierbare Verhaltensnormen (und nicht etwa an Obliegenheitsverletzungen) an. An die im Zustand der (nicht ausschließbaren) Schuldunfähigkeit begangene Rauschtat anzuknüpfen, ist somit nicht weiterführend. Vielmehr muss eine Verhaltensweise unterbunden werden, über deren Konsequenzen sich der potentielle Normadressat auch bewusst sein kann und muss. Um die Voraussetzung eines legitimen Zwecks erfüllen zu können, muss eine Verhaltensnorm begründet werden können, die rechtzeitig einsetzt und somit auch potentielle Opferschutzinteressen angemessen berücksichtigt. Bei der Begehung einer Rauschtat fehlt dem Täter gerade die Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. Er kann dafür nicht zur Verantwortung gezogen werden. Dieser dennoch „gefährliche“ Zustand birgt in manchen Fällen eine erhebliche Gefahr für Rechtsgüter Anderer, sodass mit der Verhaltensnorm zu einem früheren Zeitpunkt – dem Sichberauschen – angesetzt werden muss, um genau diesen Gefahrenzustand zu verhindern. Nur eine solche Verhaltensnorm kann von ihrem potentiellen Adressaten rechtlich erwartbar gebildet werden.203

201 Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 59 führen zutreffend folgendes Beispiel an: „Wenn ein Fünfjähriger alle Zukunftspläne seines Vaters, der gerade den Elektroherd anschließen will, zunichte macht, indem er beim Spielen die Sicherung wieder einschaltet, trifft ihn kein Vorwurf (Schuldunfähigkeit des Kindes; § 19)“; s. auch Freund, GA 1999, 509, 510, wonach „ein entsprechender Tadel gegenüber einem schuldlos handelnden Geisteskranken nicht minder eine Torheit wie gegenüber dem, der sich rechtmäßig verhalten hat“, wäre. Ein entsprechender Vorwurf müsse „gegenüber dem konkret handelnden oder unterlassenden Subjekt sachlich berechtigt sein“; ders., GA 2010, 193, 196, der es als „untauglichen Versuch“ bezeichnet, „zweifelhaften Verhaltensnormen durch den Einsatz von Strafe auf Kosten eines Bürgers überhaupt erst Geltung verschaffen zu wollen“. – „Mit der Strafe wird dem Täter ein rechtswidriges sozialethisches Fehlverhalten vorgeworfen“; BVerfGE 95, 96, 140. – Eine strafrechtliche Reaktion wäre ohne Feststellung der individuellen Vorwerfbarkeit mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar. 202 Vgl. Mulch, Strafe und andere staatliche Maßnahmen gegenüber juristischen Personen, S. 55. 203 Freund, Normentheoretisch-funktionale Kritik einer Kategorie der Zurechnung, II. 1. (im Erscheinen).

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3. Teil: Legitimationsprobleme des § 323a StGB

b) Das Sichberauschen als Anknüpfungspunkt Ein zielführender Anknüpfungspunkt für die Legitimation einer konkreten Verhaltensnorm kann das Sichberauschen sein. Um ein Verbot legitimieren zu können, muss sich eine Verhaltensnorm in Bezug auf das Sichberauschen konkretisieren lassen, die unmittelbar dem Rechtsgüterschutz zu dienen vermag. Unter diesem Gesichtspunkt liegt es jedenfalls nicht fern, unter bestimmten Bedingungen ein Sichberauschen rechtlich zu unterbinden, das zu einem Zustand des „Vollrauschs“ führen kann. Dazu bedarf es der Herbeiführung eines Rauschs mittels alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel. Dieser Rausch muss in concreto für Rechtsgüter anderer so gefährlich sein, dass er zu unterbinden ist. Damit ein solcher Rauschzustand dieses Gefährlichkeitsniveau erreicht, muss der Rausch ein zumindest vergleichbares Gefährlichkeitsniveau erreichen wie es etwa bei § 231 StGB oder § 316 StGB der Fall ist.204 Theoretisch wäre es möglich, das Sichberauschen bis zum Zustand der nicht ausschließbaren Schuldunfähigkeit als solches zu verbieten.205 Mittels dieser Verhaltensnorm in Form eines alle entsprechenden Rauschzustände als mögliche Folge erfassenden Verbots würde das in bestimmtem Sinne durchaus gefährliche Berauschen gleichsam flächendeckend verboten (und mit einer Strafbewehrung durch § 323a StGB versehen). Fraglich ist indessen, ob ein solch pauschales Berauschungsverbot zu legitimieren ist, denn das Berauschen führt rein statistisch gesehen nur in seltenen Fällen letztlich zu einer Rechtsgutsverletzung. Für ein solches Verbot müssten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass das bloße Sichberauschen potentiell so gefährlich ist, dass dadurch Rechtsgüter Anderer in Gefahr geraten. Allein diese Schutzfunktion sollen Verhaltensnormen erfüllen. Der Bundesgerichtshof sieht eine solche Gefährdung (insbesondere durch Alkohol), indem er in einer grundlegenden Entscheidung auf Folgendes hinweist: „Er (der Alkohol) nimmt dem Menschen die Gewalt über sich, indem er seine körperlichen und geistigen Kräfte herabsetzt, zugleich aber in ihm das trügerische Gefühl gesteigerter Leistungsfähigkeit weckt und Triebe in ihm entfesselt, die er sonst beherrscht im Zügel hält. Der Rausch kann so für seine Dauer das Wesen selbst friedfertiger Menschen in einer für die Umwelt gefährlichen Weise verändern. Zwar treten so üble Folgen nicht bei jedem Menschen und nicht in jedem Rauschzustand auf. Doch lassen sich die Wirkungen des Rausches niemals mit Gewißheit vorausberechnen. Es ist gerade ein ihm eigentümlicher Gefahrenumstand, daß sich der Berauschte gegenüber seiner Umgebung häufig in unerwarteter, ihm wesensfremder Weise verhält. Die Gefährlichkeit für die Allgemeinheit behaftet den selbstverschuldeten Rauschzustand mit einem Unwert an den auch der Strafgesetzgeber anknüpfen darf. In einem hochentwickelten Gemeinwesen, in dem Menschen eng zusammenleben und sich mannigfachen Regeln einer bestimmten sozialen Ordnung unterwerfen müssen, um nebeneinander zu 204

Vgl. Freund, in: Handbuch des Strafrechts, § 46 Rn. 10. Zu den genauen Anforderungen an einen tatbestandsmäßigen Rausch s. noch unten (Dritter Teil A. I. 4.). 205 Siehe zu einer solchen Verhaltensvorschrift auch Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 234, der den „Vollrausch“ als solchen verbieten will.

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bestehen, vergrößern, verstärken und vervielfachen sich mit der fortschreitenden Entwicklung insbesondere auf technischem Gebiete die rauschbedingten Gefahren für die Umwelt derart, daß sich der soziale Unwert verschuldeten Sichberauschens zu strafwürdigem Unrecht verdichtet. Das Gesetz widerstrebt mithin nicht dem Schuldgrundsatz, wenn es den verschuldeten Vollrausch mit Strafe bedroht. Es übt vielmehr Zurückhaltung, indem es Strafe nur für den Fall androht, daß der Berauschte in seiner Zurechnungsunfähigkeit eine Handlung begeht, die strafbar wäre, wenn er sie nüchtern begangen hätte.“206

Dem Bundesgerichtshof ist insofern zuzustimmen, als ein Rauschzustand tatsächlich einen „gefährlichen“ Zustand darstellen kann. Denn es ist nicht auszuschließen, dass sich Menschen, die unter Alkohol- oder Drogeneinfluss stehen, völlig unerwartet verändern und Dinge tun, die sie im nüchternen Zustand niemals tun würden.207 Oder um erneut die Worte des Bundesgerichtshofs aufzugreifen: „Der Rausch ist seit je, bei allen Völkern, als Quelle von Gewalttaten, Sittlichkeitsverbrechen und anderen Rechtsbrüchen bekannt“.208 Es gibt viele Vorkommnisse und Straftaten, die im Zusammenhang mit Alkohol oder anderen berauschenden Mitteln begangen werden. Ein entsprechendes pauschales Berauschungsverbot würde somit durchaus einen legitimen Zweck verfolgen – wäre zudem erforderlich –, um nämlich gerade die Allgemeinheit vor jedenfalls nicht vollkommen ausgeschlossenen Ausschreitungen durch berauschte Personen zu schützen.209 Insofern gehen von einem Berauschten stets entsprechende abstrakte210 Gefahren aus. Legitimer Zweck der Verhaltensnorm in Form eines pauschalen Berauschungsverbots wäre es, die Allgemeinheit vor den möglichen und nicht ausschließbaren (abstrakten) Gefahren, die von berauschten Personen ausgehen, zu schützen.211 Eine solche könnte wie folgt lauten: „Du darfst dich nicht durch alkoholische Getränke 206

BGHSt 16, 124, 125 f., wonach die Rauschtat für den Täter vor Eintritt der Schuldunfähigkeit nicht vorhersehbar gewesen sein muss; s. dazu mit weiteren Nachweisen Heger, in: Lackner/Kühl, StGB, § 323a Rn. 14. 207 So qualifiziert etwa Spendel, in: LK-StGB, 11. Auflage, § 323a Rn. 14 den Rausch als wichtigen Kriminalitätsfaktor. 208 BGHSt 16, 124, 125. 209 Der Zweck der Verhaltensvorschrift müsse gerade darin liegen, dass sich jemand in einen für andere gefährlichen Zustand versetzt; s. Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 234. Die abstrakte Gefahr bestehe jedenfalls gerade wegen der (durch den Rausch ausgelösten) Steuerungsunfähigkeit (S. 236). 210 S. dazu Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 234; so auch Freund, in: Handbuch des Strafrechts, § 46 Rn. 20. 211 Dies mag auf den ersten Blick befremdlich erscheinen, allerdings darf auf Verhaltensnormebene nichts anderes eine Rolle spielen. Siehe zur Problematik eines pauschalen Berauschungsverbots noch unten (Dritter Teil A. I. 3.). Der Grund für ein Berauschungsverbot liege in der Gefährlichkeit, die sich aus dem Verlust der Steuerungsfähigkeit des Täters ergebe, Renzikowski, in: Alkohol und Schuldfähigkeit, S. 144; vgl. auch Puppe, GA 1974, 98 ff., 115, wonach die Verhaltensnorm wie folgt lauten soll: „Versetze dich nicht durch Rauschmittelmißbrauch in einen Zustand, in dem du normale Anforderungen der Rechtsordnung nicht mehr erfüllen kannst“; s. dazu auch Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT II, § 96 Rn. 3; Wessels/Hettinger/Engländer, BT I, § 23 Rn. 1042 ff.

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3. Teil: Legitimationsprobleme des § 323a StGB

oder andere Mittel bis zum Zustand der nicht ausschließbaren Schuldunfähigkeit berauschen.“ Fraglich ist, ob diese auch den weiteren Anforderungen an eine legitimierbare Verhaltensnorm entspricht. Das solchermaßen aufgestellte pauschale Berauschungsverbot muss auch geeignet sein, den legitimen Zweck – präventiven Rechtsgüterschutz – zu erreichen. Dies ist jedoch nur dann der Fall, wenn die Verhaltensnorm im Verhaltenszeitpunkt (ex ante) ansetzt und so dem Normadressaten die Möglichkeit gewährt, rechtzeitig, d. h. bevor er eine konkrete Handlung vornimmt, die für ihn relevante Norm zu bilden und zu befolgen. Nur so kann das Verhalten des Betroffenen, der beabsichtigt, sich zu berauschen, rechtzeitig unterbunden werden. Die oben bereits aufgeführte Verhaltensnorm „Du darfst dich nicht durch alkoholische Getränke oder andere Mittel bis zum Zustand der nicht ausschließbaren Schuldunfähigkeit berauschen“ gewährt dem potentiellen Normadressaten im Vorfeld die Möglichkeit der Kenntnisnahme darüber, dass der Konsum von Alkohol oder sonstigen berauschenden Mitteln generell verboten ist. Im Gegensatz zum Verbot der Rauschtatbegehung (Dritter Teil A. I. 1.a)) ist der potentielle Normadressat zum Zeitpunkt des Sichberauschens nicht schuldunfähig. Er ist zu diesem Zeitpunkt in der Lage, die für ihn relevante Verhaltensnorm zu bilden und auch zu befolgen, denn eine Berauschung soll erst noch stattfinden. Mithin handelt es sich um einen geeigneten Verhaltensnormadressaten, der sich in dieser Situation für oder gegen das Recht entscheiden kann. Ein persönlicher Vorwurf gegenüber demjenigen, der sich mit Alkohol oder sonstigen Mitteln berauscht – und damit eine Verhaltensnorm übertritt – ist dann begründbar. Wenn sich der potentielle Normadressat als vernünftiges Wesen von der Verhaltensnorm leiten lässt, kann dem Rechtsgüterschutz hinreichend gedient werden. Dann ist die Verhaltensnorm geeignet, einen legitimen Zweck zu erfüllen. Ein generelles (pauschales) Verbot des Sichberauschens als Verhaltensnorm, um nicht gänzlich ausschließbare Gefahren, die von den Berauschten ausgehen, abzuwenden, ist damit ein geeignetes Mittel, um Rechtsgüter anderer zu schützen. 2. Erforderlichkeit Ein erforderliches Mittel zur Erreichung des Rechtsgüterschutzes ist das umfassende Berauschungsverbot nur dann, wenn es unter mehreren gleich geeigneten Mitteln auch das mildeste darstellt. Ein engeres Konzept beispielsweise i. S. eines Verbots der Berauschung bis zu einem Zustand, in dem die betroffene Person tatsächlich gefährlich wird, ist nicht gleichermaßen geeignet. In diesem Fall würde man die dennoch bestehenden Risiken (Gefährdungen für Leib, Leben, Gesundheit, Eigentum oder Freiheit anderer) tolerieren, sodass dem Rechtsgüterschutz nicht vollumfänglich gedient würde. Ein ebenso geeignetes Mittel zum Schutz der Rechtsgüter, welche durch berauschte Personen gefährdet werden, ist mithin nicht ersichtlich, sodass die Erforderlichkeit eines solchen Verbots ebenfalls bejaht werden kann.

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3. Angemessenheit Auch wenn Verhaltensnormen der Kontrolle der Geeignetheit und Erforderlichkeit Stand halten, ist es möglich, dass ein an sich legitimes Schutzgut zurückstehen muss, wenn eine staatliche Maßnahme eine unangemessene Beeinträchtigung der Rechte des potentiellen Normadressaten zur Folge hätte.212 Es stellt sich also für den weiteren Verlauf der Untersuchung die Frage, ob ein pauschales Berauschungsverbot unter Wertungsaspekten haltbar ist, d. h. den Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit i. e. S. entspricht. Für diese Beurteilung der Angemessenheit der Maßnahme bedarf es einer umfassenden Güter- und Interessenabwägung. a) Zur Auffassung von der Angemessenheit eines pauschalen Berauschungsverbots Für die Angemessenheit eines pauschalen Berauschungsverbots könnte insbesondere die Wirkungsweise von Alkohol oder anderer berauschender Mittel sprechen. Denn dass eine übermäßige Alkoholisierung sowie eine mit anderen berauschenden Mitteln erfolgte Berauschung die Neigung zu Straftaten fördern kann, ist empirisch belegt.213 Außerdem wird häufig angeführt, die tatsächliche Wirkungsweise eines Rauschs sei individuell und lasse sich niemals mit Gewissheit vorausberechnen.214 Von jedem Einzelnen, der sich in einen Zustand der Unzurechnungsfähigkeit begibt, gehe aufgrund der fehlenden Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit stets eine erhebliche – jedenfalls abstrakte – Gefahr aus.215 Vor diesem Hintergrund geht etwa auch der Bundesgerichtshof216 davon aus, es sei angemessen, ein pauschales Verbot des Sichberauschens bis zum Zustand der nicht ausschließbaren Schuldunfähigkeit aufzustellen. b) Alkohol und Sozialadäquanz Allerdings ist diese Auffassung nicht unproblematisch, insbesondere wenn der Blick auf die weit verbreitete „Droge“ Alkohol gerichtet wird. Alkohol lässt sich heutzutage auch als „legale Droge“ bezeichnen. Vor allem in den westlichen Kul212

BVerfGE 90, 145, 185. S. dazu etwa Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht, 2006, S. 297 ff. – Insofern ist zu hinterfragen, ob von diesen Statistiken tatsächlich jeglicher Alkoholkonsum erfasst ist und wie relevant der Alkoholkonsum ist, der bis zur nicht ausschließbaren Schuldunfähigkeit führt. Diese Gruppe ist unter Umständen statistisch nur von marginaler Bedeutung. Zu den typischen Folgen eines Rauschs s. näher Cramer, Vollrauschtatbestand, S. 2 ff. 214 So auch bereits BGHSt 1, 124, wonach bereits die schuldhafte Unmäßigkeit als solche wegen ihrer Gefährlichkeit für die Allgemeinheit Gegenstand eines strafrechtlichen Vorwurfs sein soll; vgl. auch BGHSt 16, 124, 125, wonach das Sichberauschen als solches bereits „ganz unabhängig von der Rauschtat selbständiges, faßbares Unrecht“ darstelle. – Die mit dieser Auffassung des Bundesgerichtshofs verbundene Freiheitsbeschränkung geht viel zu weit. 215 Cramer, Vollrauschtatbestand, S. 78; Puppe, GA 1974, 98 ff., 115. 216 BGHSt 16, 124, 125. 213

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3. Teil: Legitimationsprobleme des § 323a StGB

turkreisen ist Alkohol als Genussmittel seit Jahrhunderten anerkannt und fester Bestandteil der Kultur.217 Der Genuss alkoholischer Getränke wird dementsprechend von vielen als sozialadäquat angesehen.218 Alkohol taucht in jeglichen gesellschaftlichen Schichten auf und wird sowohl zu kleineren als auch zu größeren Anlässen konsumiert. Allein der Massenandrang auf Bier- und Weinfesten wie zum Beispiel beim Münchener Oktoberfest219, beim traditionellen Rheinischen Karneval220 oder aber auch bei den Sauerländer Schützenfesten macht deutlich, dass der Alkoholkonsum nicht als generell untersagtes Verhalten bzw. gar als strafwürdiges Unrecht aufgefasst wird.221 In der Konsequenz dessen mangelt es in der deutschen Rechtsordnung an jeglichen prohibitiven Maßnahmen in Bezug auf den Alkoholkonsum.222 Dies zeigt sich allein schon daran, dass ganz im Gegenteil in der Öffentlichkeit sogar gerade für alkoholische Getränke in Fernsehen, Rundfunk, mittels Plakaten, in Tageszeitungen und in Zeitschriften geworben wird.223 Der Alkoholkonsum wird von staatlicher Seite toleriert, sodass die Annahme, ein bloß schuldhaftes Sichberauschen bis zum Zustand des Vollrauschs stelle – mit Blick auf dessen abstraktes Gefährdungspotential – bereits strafwürdiges Unrecht dar, kaum haltbar ist.224 Beim Vergleich mit anderen abstrakten Gefahren wie beispielsweise der Trunkenheit im Verkehr gem. § 316 StGB oder auch der Beteiligung an einer Schlägerei gem. § 231 StGB wird deutlich, dass nicht von einem vergleichbaren Gefährdungspotential ausgegangen werden kann. Die bloße Trunkenheit erreicht

217

S. dazu und zum Folgenden Geisler, Zur Vereinbarkeit, S. 371 f. S. dazu Arthur Kaufmann, Schuldprinzip, S. 252; ders., JZ 1963, 425 ff.; Cramer, Vollrauschtatbestand, S. 36 f.; Neumann, Zurechnung und „Vorverschulden“, S. 69 f. – A. A. etwa Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 247, wonach auch der Vollrausch „im stillen Kämmerlein“ legitimerweise erfasst werden könne. Eine verfassungsrechtliche Reduktion der Verhaltensvorschrift sei in diesem Fall nicht notwendig. Es sei eben gerade nicht ausschließbar, dass ein Steuerungsunfähiger gefährlich und aggressiv werden könne. – Zum fehlenden strafwürdigen Unrecht s. auch Otto, Jura 1986, 478, 480; Streng, in: MünchKommStGB I, § 20 Rn. 152; ders., JZ 1984, 114, 116; s. dazu auch Hecker, in: Schönke/ Schröder, StGB, § 323a Rn. 1 m. w. N. 219 S. dazu Neumann, Zurechnung und „Vorverschulden“, S. 69: „Solange organisierte Massenbesäufnisse wie das Münchner Oktoberfest unter staatlicher Schirmherrschaft veranstaltet werden, solange kann derselbe Staat das Sichbetrinken nicht als rechtswidrig brandmarken, ohne die Autorität seiner Normen zu gefährden“. 220 Geisler, GA 2000, 166, 174. 221 Geisler, GA 2000, 166, 174; ders., Zur Vereinbarkeit, S. 371. 222 So auch Freund/Renzikowski, ZRP 1999, 497, 498. Anders verhält es sich im Bereich der „anderen berauschenden Mittel“. Das Betäubungsmittelrecht (BtMG) versucht dem Genuss berauschender Mittel durch einige Vorschriften zu begegnen. Dort wird zwar nicht der Konsum als solcher, jedoch werden alle damit verbundenen Handlungen (der Besitz sowie der Erwerb) mit Strafe bedroht; s. dazu Renzikowski, in: Alkohol und Schuldfähigkeit, S. 141, 143; ders., ZStW 112 (2000), 495, 507. 223 S. auch Renzikowski, ZStW 112 (2000), 495, 507 m. w. N. in Fn. 146. 224 Vgl. auch Geisler, Zur Vereinbarkeit, S. 371. 218

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keineswegs ein solches Gefährdungsniveau. Auch im Hinblick auf die Strafrahmen dieser Straftatbestände lässt sich nichts anderes sagen.225 c) Nicht haltbare Beschränkung der Freiheit von Bürgern, die auch im Vollrausch nicht über Gebühr gefährlich sind „Ein Recht auf Rausch gibt es nicht.“226 Auch lässt sich ein solches nicht aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht herleiten. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass ein pauschales Berauschungsverbot die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) beschränken würde, sodass auch diese freiheitsbeschränkenden Verhaltensnormen unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit stehen.227 Das pauschale Berauschungsverbot für alle Bürger würde viel zu weit reichen, denn die Personen, die im Rausch eine rechtswidrige Tat begehen, sind mit denen ins Verhältnis zu setzen, die harmlos bleiben. In den meisten Fällen bleiben rechtswidrige Taten schlichtweg aus. Man denke etwa an die Zecher in fröhlicher Runde, die zwar zu tief ins Glas schauen, aber im Anschluss an das Trinkgelage ihren Rausch einfach ausschlafen, ohne anderen Menschen zu schaden. Die Frage ist: Sind diese Trinker durch ihre Berauschung für Rechtsgüter wie Leib, Leben, Eigentum oder die Freiheit anderer so gefährlich, dass man ihnen durch ein Berauschungsverbot den Spaß verderben darf? Die Antwort ist eindeutig Nein. Ein pauschales Verbot des Vollrauschs würde diejenigen, die in entsprechender Gemeinschaft ab und an zu tief ins Glas schauen oder einfach besser in den Schlaf finden möchten, unangemessen in ihrer Freiheit einschränken. Ein solches pauschales Verbot würde zum größten Teil Personen treffen, die auch im Vollrausch niemandem schaden (außer vielleicht sich selbst). Im Verhältnis gesehen sind es nur wenige Personen, die zu Gewalttätigkeiten oder sonstigen Schädigungen anderer neigen. Diesen würde durch deren Inanspruchnahme ein besonderes Opfer im Interesse der Allgemeinheit auferlegt,228 wodurch es auf eine dem Nichtstörer im Polizei- und Ordnungsrecht vergleichbare Inanspruchnahme hinauslaufen würde.229 Wenn durch ein pauschales Berauschungsverbot lediglich unterbunden werden soll, dass einige wenige Personen gefährlich werden, ist ein solches unverhältnismäßig und entspricht nicht den Anforderungen an eine als angemessen zu legitimierbare Verhaltensnorm. 225 S. zum Vergleich der Strafrahmen ausführlich Renzikowski, ZStW 112 (2000), 475, 513; vgl. auch Freund/Renzikowski, ZRP 1999, 497, 498 f. 226 BVerfG NJW 1994, 1577, 1578; s. auch Geisler, Zur Vereinbarkeit, S. 372; ders., GA 2000, 166, 175. 227 Geisler, Zur Vereinbarkeit, S. 372. 228 Zum Sonderopfer im Polizei- und Ordnungsrecht s. Götz/Geis, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, § 10 Rn. 1 ff. 229 Vgl. dazu beispielsweise § 9 HSOG, wonach die Inanspruchnahme nichtverantwortlicher Personen nur unter ganz strengen Voraussetzungen – welche kumulativ vorliegen müssen – möglich ist; s. dazu auch Berster, ZStW 124 (2012), 991, 995, der es als unverhältnismäßig empfindet, große Bereiche harmloser Verhaltensweisen strafrechtlich zu erfassen.

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d) Möglichkeit einer rückwirkenden Missbilligung der Herbeiführung des Vollrauschs nach begangener Rauschtat? Es kann auch kein gangbarer Weg sein, abzuwarten, ob im Vollrausch eine Rauschtat begangen wird oder nicht, um davon sodann die Tolerierung bzw. das Verbot des Sichberauschens abhängig zu machen.230 Das Abwarten auf den Eintritt einer Rauschtat ist nicht zielführend. Angemessener Rechtsgüterschutz kann auf diese Art und Weise nicht geleistet werden, denn Verhaltensnormen vermögen nur dann ihre Funktion zu erfüllen, wenn sie zum maßgeblichen Zeitpunkt bereits gelten. Eine Rückwirkung ist verhaltensnormtheoretisch ausgeschlossen.231 Verhaltensnormen müssen für den potentiellen Normadressaten – angepasst an seine individuellen Verhältnisse – bereits im Vorhinein so bestimmt sein, dass dieser die Norm bilden und befolgen kann. Er muss die Möglichkeit haben, sich bereits vor der Tat für oder gegen das Recht zu entscheiden. Legitime Opferschutzinteressen würden außerdem auf der Strecke bleiben, machte man die Verhaltensmissbilligung im Vorfeld rückwirkend davon abhängig, dass es zu einer Beeinträchtigung von Opferinteressen gekommen ist. Mit einer erst später eingreifenden Bestrafung ist, wie oben bereits erwähnt (Zweiter Teil A. II.), dem potentiellen Opfer nicht mehr zu helfen. Strafe kommt für das Opfer stets zu spät, um die konkrete Rechtsgutsbeeinträchtigung ungeschehen zu machen. Mithin ist eindeutig festzustellen: Das grundsätzliche Erlaubtsein der Berauschung darf nicht von später eintretenden Ereignissen abhängig gemacht werden.232 Oder um es mit Renzikowskis Worten zu sagen: „Es ist […] mit der Bestimmungsfunktion von Verhaltensnormen unvereinbar, die Bewertung eines Verhaltens als rechtswidrig von einem Umstand abhängig zu machen, der erst nach Abschluss dieses Verhaltens eintritt: Ein rückwirkendes Berauschungsverbot ist somit ein Selbstwiderspruch.“233 e) Zusammenfassung und Ergebnis Festzuhalten bleibt nach dem Gesagten: Nicht jeder Vollrausch ist so beschaffen, dass ein zu ihm führendes Verhalten gegen eine rechtlich legitimierbare Verhaltensnorm verstößt, die diesen vermeiden soll. Vielmehr gibt es Rauschzustände, in denen der Berauschte zwar nicht ausschließbar schuldunfähig, aber dennoch nicht 230 So auch Renzikowski, ZStW 112 (2000), 475, 508; s. Freund, in: Handbuch des Strafrechts, § 46 Rn. 8. – A. A. Jakobs, AT, 17/61. 231 Vgl. auch Freund/Renzikowski, ZRP 1999, 497, 498. 232 Eine ex-post-Betrachtung ebenfalls strikt ablehnend etwa Renzikowski, ZStW 112 (2000), 475, 508 f.; Kraatz, ZStW 125 (2013), 819, 828; Freund, in: Handbuch des Strafrechts, § 46 Rn. 4. – Anders sieht dies etwa Jakobs, AT, 17/61, wonach die Norm durch die Rauschtatbegehung bedingt sei. 233 Renzikowski, ZStW 112 (2000), 475, 508; auf gleicher Linie etwa Neumann, Zurechnung und „Vorverschulden“, S. 124 f. (mit Einschränkungen); s. auch Lackner, FS Jescheck, S. 645, 649 mit Fn. 26.

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hinreichend (abstrakt) gefährlich für Rechtsgüter anderer ist, um das Sichberauschen bis zu diesem Zustand zu unterbinden. Dann handelt es sich insofern um ein erlaubtes Verhalten, welches von der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) gedeckt ist. Ein legitimierbares Verbot des Vollrauschs erfordert hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Konsum berauschender Mittel in concreto zu bestimmten Übergriffen führen kann. Nur dann ist die Gefährlichkeit des Verhaltens gewichtig genug, um dieses rechtzeitig zu unterbinden.234 Davon kann etwa dann die Rede sein, wenn bereits bestimmte Neigungen des Täters zu Ausschreitungen im Rauschzustand deutlich geworden sind – insbesondere, wenn es bereits zu solchen gekommen ist.235 Der Konsum von Alkohol oder anderen berauschenden Mitteln muss einen Zustand hervorrufen, in dem der potentielle Täter tatsächlich gefährlich ist und zu Ausschreitungen neigt. Diese Ausschreitungen müssen für den Täter im Verhaltenszeitpunkt zumindest vorhersehbar, vermeidbar und auch von Rechts wegen zu vermeiden sein.236 Um diese Anhaltspunkte zu konkretisieren, sind im späteren Verlauf auch die allgemeinen Regeln über das fahrlässige Fehlverhalten heranzuziehen (Vierter Teil B. I. 3. a)). Die Schwierigkeit der Legitimation einer dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechenden Verhaltensnorm kann nur überwunden werden, wenn auf einen Rauschzustand abgestellt wird, der den Täter als „zu gefährlich“ erscheinen lässt. Angemessener Ansatzpunkt für die Legitimation einer solchen Verhaltensnorm muss schließlich nicht der Rausch oder das Sichberauschen an sich, sondern der „zu gefährliche Rausch“ sein. Dieser zu gefährliche Rauschzustand muss für den potentiellen Normadressaten zum Zeitpunkt ex ante vorhersehbar, vermeidbar und von Rechts wegen zu vermeiden gewesen sein, um eine Verhaltensnorm legitimieren zu können.237 Denn demjenigen, der zumindest vorhersehen kann, dass er im Rausch zu Ausschreitungen neigt – sei es aufgrund bereits eingetretener Ausschreitung oder sonstiger Anhaltspunkte – wird eine besondere Pflicht der Selbstkontrolle auferlegt.238 Dem (konkreten) potentiellen Normadressaten ist somit Einhalt zu gebieten, indem von ihm verlangt wird, sich im sozialen Miteinander kontrollierbar zu halten, 234

So auch Freund, in: Handbuch des Strafrechts, § 46 Rn. 12. Auf gleicher Linie Geisler, in: MünchKommStGB V, § 323a Rn. 57 ff.; ders., Zur Vereinbarkeit, S. 388 ff.; Roxin/Greco, AT I, § 23 Rn. 9; vgl. dazu Freund, in: Handbuch des Strafrechts, § 46 Rn. 24 m. w. N. in Fn. 46. Siehe dazu noch ausführlich unten (Vierter Teil A. III.). 236 Sachlich gelten insofern die allgemeinen Regeln fahrlässigen Fehlverhaltens; näher dazu unten (Vierter Teil B. I. 3. a)). 237 Vor diesem Hintergrund kann die Rauschtat keine sog. „objektive Bedingung der Strafbarkeit“ darstellen, auf die sich weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit beziehen müssen. Im Gegenteil: Es bedarf zumindest einer Fahrlässigkeitsbeziehung des Täters zur Rauschtat. Siehe dazu noch genauer unten (Vierter Teil B.). Sachlich übereinstimmend auch schon Lange, ZStW 59 (1940), 574, 584: „Wer im Rausch zu Ausschreitungen irgendwelcher Art neigt, dem wird verboten, die gefährlichen Kräfte, die ihm innewohnen, zu entfesseln“. 238 S. dazu auch Lange, ZStW 59 (1940), 574, 588 ff., 592: „Gerade der für das Rauschgift abnorm Empfängliche muß wegen seiner Gefährlichkeit erfaßt werden“. 235

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3. Teil: Legitimationsprobleme des § 323a StGB

um nicht zur Gefahr für die Allgemeinheit bzw. für andere zu werden. Diesen „zu gefährlichen Rausch“ gilt es im Folgenden näher zu bestimmen. 4. Der Rausch im Sinne des § 323a StGB – §§ 20, 21 StGB als Minimalbedingungen eines tatbestandsmäßigen Rauschs? Der im Strafgesetzbuch selbst nicht näher definierte Zustand „Rausch“ ist sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur heftig umstritten und führt seit jeher zu Auslegungsschwierigkeiten. Aufgrund der divergierenden Lösungsansätze gibt es bis dato keine einheitliche Bestimmung des Rauschbegriffs.239 Da sich herausgestellt hat, dass nicht jeder beliebige Rauschzustand geeignet ist, eine Verhaltensnorm (Veroder Gebot) zu legitimieren, die seine Herbeiführung vermeiden soll, gilt es im Folgenden zu klären, unter welchen Bedingungen eine entsprechende rechtsgüterschützende Verhaltensnorm angemessen ist. Konkret: Es stellt sich die Frage, in welchen Fällen das Sichberauschen erkennbar zu einem derart gefährlichen Rauschzustand führt, dass es auf Grund dessen bereits rechtlich missbilligungswürdig ist. Für die Beantwortung dieser Frage spielt insbesondere der Schweregrad des Rauschs eine wichtige Rolle. Ob das Merkmal Rausch überhaupt definierbar ist bzw. etwaige Definitionen zielführend sind,240 gilt es im weiteren Verlauf der Arbeit zu untersuchen. Dazu bedarf es allerdings zunächst der Klärung des Rauschbegriffs im Allgemeinen. a) Der Rausch im Sinne des § 323a StGB als Wirkung von Rauschmitteln Zunächst erfordert ein tatbestandsmäßiger Rausch seine Verursachung durch bestimmte Rauschmittel. Für die Herbeiführung eines sog. Rauschs i. S. d. § 323a StGB nennt der Gesetzeswortlaut sowohl alkoholische Getränke (der häufigste Anwendungsfall)241 als auch andere berauschende Mittel.242 Unter den Begriff 239 S. dazu etwa Heger, in: Lackner/Kühl, StGB, § 323a Rn. 4: „von einer abschließenden Klärung weit entfernt“. Vgl. auch die Nachweise bei Hecker, in: Schönke/Schröder, StGB, § 323a Rn. 5 ff.; ein umfassender Überblick zum Meinungsstand ist auch bei Paeffgen, in: NKStGB III, § 323a Rn. 19 ff., zu finden. 240 Etwa Schewe, BA 1976, 87, 89 ff. hält den Rausch im Sinne der Vorschrift des § 323a StGB für nicht definierbar. Dies liege daran, dass dieser stets abhängig von der Art des Rauschmittels, der persönlichen Verfassung des Täters und der im Rausch begangenen rechtswidrigen Tat sei; ders., BA 1983, 526, 527 – Anmerkung zu BGH, Beschluss vom 18. August 1983 – 4 StR 142/82, der im Zusammenhang mit dem Begriff des Rauschs ebenfalls von einem „[…] – unlösbaren – ,qualitativen‘ Problem“ (S. 527) sowie einem „unlösbaren – ,quantitativ‘(en) Problem“ spricht. 241 S. dazu Spendel, in: LK-StGB, 11. Auflage, § 323a Rn. 15 ff.; vgl. auch Paeffgen, in: NK-StGB III, Nach § 323a Rn. 2 ff. 242 Vom Gesetzeswortlaut nicht erfasst werden jedoch andere Mittel, die zu einem Zustand der nicht ausschließbaren Schuldunfähigkeit führen können, wie etwa ein „Hirnschrittmacher“ (Tiefe Hirnstimulation, THS). Dabei handelt es sich um ein Verfahren, bei welchem zur Heilung bestimmter Krankheiten – derzeit Parkinson und Depressionen (geplant sind auch weitere

A. Die Legitimation der Verhaltensnormen, auf die § 323a StGB Bezug nimmt

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„andere berauschende Mittel“ fallen beispielsweise etliche Formen von (illegalen) Drogen oder auch Medikamenten.243 Diese müssen dem Alkohol vergleichbare244 Eigenschaften besitzen, d. h. die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit eines Menschen beeinflussen können. Um sich in einen für § 323a StGB tatbestandsmäßigen Rausch zu versetzen, muss der Täter also Stoffe konsumieren, die sich negativ auf seine Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit auswirken. Dabei spielt es keine Rolle, auf welche Art und Weise der Rausch hervorgerufen wird. Bedeutsam für einen tatbestandsmäßigen Rausch i. S. d. § 323a StGB ist lediglich, dass dieser Zustand (auch) auf das konkrete Rauschmittel zurückzuführen ist.245 Unerheblich ist hingegen die Mitwirkung anderer Ursachen wie beispielsweise psychische Beschwerden, Wechselwirkungen mit Medikamenten oder Magenleiden.246 Jedoch gibt die Art und Weise, wie und womit man sich in einen Rauschzustand versetzt, noch keine Antwort auf die wesentliche Frage, von welchem Schweregrad an bzw. unter welchen weiteren Bedingungen ein zu gefährlicher und damit tatbestandsmäßiger Rausch im Sinne des § 323a StGB angenommen werden kann. Eine Definition oder Anhaltspunkte dafür, welche Mindestanforderungen an einen Rausch (in Bezug auf Schweregrad und sonstige Umstände) zu stellen sind, enthält der Wortlaut des § 323a StGB nicht. Dieser stellt lediglich klar, dass der Behandlungsfelder) dauerhaft Elektroden in das Gehirn eingepflanzt und mit einem im Brustoder Oberbauchbereich eingesetzten Impulsgeber verbunden werden. Dieser „Hirnschrittmacher“ wird – wenn vom Patienten für nötig erachtet – selbst ein- und ausgeschaltet. Im Zusammenhang mit diesem Verfahren lassen sich Persönlichkeitsveränderungen bei den Patienten beobachten, welche teilweise zu strafrechtlich relevantem Verhalten führen oder führen können. Dabei ist es auch möglich, dass die Impulse des „Hirnschrittmachers“ zur Schuldunfähigkeit des Patienten gem. § 20 StGB führen; s. dazu ausführlich mit Beispielen und mit Nachweisen Beck, ZIS 2018, 204 ff. – An dieser Stelle stößt der Wortlaut des § 323a StGB de lege lata an seine Grenzen. 243 Unumstritten anerkannt als „andere berauschende Mittel“ sind etwa Betäubungsmittel i. S. d. Anlage I – III zu § 1 BtMG, wie etwa Äther, Cannabis, Crack, Heroin, Kokain, LSD, Opium, Morphin; s. dazu Geisler, in: MünchKommStGB V, § 323a Rn 17; ferner Geppert, Jura 2009, 40, 42; Otto, Jura 1986, 478, 481; vgl. auch die umfangreiche Übersicht bei Spendel, in: LK-StGB, 11. Auflage, § 323a Rn. 88 ff.; Hecker, in: Schönke/Schröder, StGB, § 323a Rn. 5. Außerdem können auch Schmerzmittel oder Medikamente wie Psychopharmaka (OLG Köln BA 1977, 124) oder Valium in Betracht kommen (BGH GA 1984, 124). Zur Wirkung „anderer berauschende(r) Mittel“ instruktiv Junge, Rauschbedingte Fehlvorstellungen, S. 57 ff. m. w. N. 244 S. dazu und zum Begriff der „anderen berauschenden Mittel“ Gerchow, BA 1987, 233, 233; vgl. auch BayObLG NJW 1990, 2334. 245 Von einem schuldhaften Sichberauschen ist allerdings dann nicht die Rede, wenn ein Täter schon vor Beginn des Alkohol- oder Drogenkonsums schuldunfähig war. Dies ist etwa bei einem Alkoholabhängigen oder jemandem, dem heimlich Alkohol beigebracht wird, der Fall; s. zu diesen Beispielen näher Hennig, in: Reform des Sanktionenrechts, S. 101, 147. 246 Vgl. dazu BGHSt 22, 8 ff.; 26, 363 ff.; s. dazu Hilgendorf, in: Arzt/Weber/Heinrich/ Hilgendorf, BT, § 40 Rn. 31. Natürlich kann ein solches Zusammenspiel für die Legitimation einer Verhaltensnorm zur Unterbindung eines Sichberauschens bzw. für den (vorsätzlichen oder fahrlässigen) tatbestandsspezifischen Verhaltensnormverstoß relevant werden; s. Freund, in: Handbuch des Strafrechts, § 46 Rn. 32.

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3. Teil: Legitimationsprobleme des § 323a StGB

Rausch als Tatbestandsmerkmal vorausgesetzt wird. Erfasst wird nur der Täter, der infolge eines Rausches schuldunfähig gewesen ist (§ 20 StGB) oder bei dem dies zumindest nicht ausgeschlossen werden kann. Im Dickicht der Suche nach einer geeigneten Rauschdefinition darf eines nicht aus den Augen verloren werden: Bei dem Rausch handelt es sich um ein Tatbestandsmerkmal des § 323a StGB, welches sicher (anhand der üblichen Prozessregeln) nachgewiesen werden muss. Nicht in Betracht kommt demnach eine Bestrafung nach § 323a StGB, wenn keine Berauschung nachgewiesen werden kann, die ein mehr als nur unerhebliches Gefährdungspotential aufweist. Ein Verzicht auf einen solchen nachgewiesenen Rausch ist nicht zulässig und würde gegen Art. 103 Abs. 2 GG verstoßen. Ist der Nachweis einer rauschbedingten Gefährlichkeit nicht erbringbar (war etwa jemand zwar möglicherweise rauschbedingt schuldunfähig, aber möglicherweise auch vollkommen nüchtern und nur als Schuldfähiger gefährlich), muss nach dem Zweifelsgrundsatz – in dubio pro reo – ein Freispruch erfolgen.247 Ohne rauschbedingte Gefährlichkeit des Täters lässt sich – wie oben bereits dargestellt – keine Verhaltensnorm legitimieren, auf die sich § 323a StGB bezieht; dann entbehrt die Berauschungsmissbilligung jeder Grundlage. Der Bundesgerichtshof setzte sich in einer Vielzahl von Entscheidungen mit der Problematik des Rauschbegriffs auseinander.248 Er beschreibt den Rausch vermehrt als einen Zustand, der „nach seinem ganzen Erscheinungsbild als durch den Genuß von Rauschmitteln hervorgerufen anzusehen ist“.249 Auch das Schrifttum hat viele Bemühungen unternommen, eine entsprechende Definition des Rauschs herauszuarbeiten.250 Für eine solche Definition wird zum Teil auf die Vorschriften der §§ 20, 21 StGB Bezug genommen, andere hingegen versuchen sich vom Begriff der (nicht ausschließbaren) Schuldunfähigkeit zu lösen, um den Rausch zu definieren.251 Eine in der Literatur verbreitete Definition kennzeichnet den Rausch wie folgt: 247

S. dazu und zum Vorstehenden auch Wolters, SK-StGB, § 323a Rn. 5. Vgl. dazu BGHSt 22, 8, 9; 26, 364; 32, 48, 54: „Eine für alle in Betracht kommende Fälle gültige Bestimmung welchen Schweregrad ein Rausch haben muß, um tatbestandsmäßig im Sinne des § 323a StGB zu sein, dürfte sich kaum finden lassen […], weil sie insbesondere abhängig ist von der Art des Rauschmittels, der persönlichen Verfassung des Täters und der im Rausch begangenen rechtswidrigen Tat.“ 249 So BGHSt 22, 8, 10; 26, 363, 364 mit Anmerkung von Horn, JR 1977, 210 ff.; vgl. auch BGHSt 32, 48, 53. – Kritisch dazu Fischer, StGB, § 323a Rn. 4, der die Umschreibung des Bundesgerichtshofs als kaum weiterführend bezeichnet, da diese voraussetze, was erklärt werden soll. – Ausführlich zum Rauschbegriff Paeffgen, in: NK-StGB III, § 323a Rn. 20 ff. 250 Eine umfassende Übersicht über einige Definitionsansätze ist bei Hennig, in: Reform des Sanktionenrechts, S. 101, 142 ff. zu finden. Ausführlich zum Rausch auch Spendel, in: LKStGB, 11. Auflage, § 323a Rn. 122 ff.; s. dazu auch Fischer, StGB, § 323a Rn. 4. – Puppe, Jura 1982, 281 ff. setzt sich ebenfalls mit verschiedenen Rauschdefinitionen auseinander und verwendet im Zusammenhang mit dem Rausch den Ausdruck der „Sozialuntüchtigkeit“ (285). – S. auch die unterschiedlichen Definitionsversuche bei Dencker, NJW 1980, 2159, 2162 und Horn, JR 1980, 1, 3 ff. 251 Zu den Vorschlägen, den Rauschzustand unabhängig von § 21 StGB zu bestimmen, s. etwa Fischer, StGB, § 323a Rn. 11c, wonach die Formel für § 323a StGB „unergiebig“ sei 248

A. Die Legitimation der Verhaltensnormen, auf die § 323a StGB Bezug nimmt

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„Ein Rausch ist ein durch alkoholische Getränke oder (und) andere berauschende Mittel verursachter erheblicher akuter Intoxikationszustand, der für sich allein (oder durch zusätzliche Faktoren) die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit (bezüglich der in diesem Zustand begangenen Tat) zumindest erheblich vermindert“.252

Diese und vergleichbare Definitionen erfassen allemal zwei normativ wesentliche Aspekte des tatbestandsmäßigen Rauschs i. S. des § 323a StGB nicht: Zum einen lassen derartige Rauschdefinitionen den Schweregrad offen, dem der Rauschzustand als solcher genügen muss. Und zum anderen bleibt in solchen Definitionen unberücksichtigt, dass ein tatbestandsmäßiger Rausch nicht nur einen bestimmten Intoxikationszustand erfordert, sondern überdies eine daraus resultierende besondere Gefährlichkeit gerade des Berauschten, die dieser auch schon im Zeitpunkt des Sichberauschens erkennen konnte und musste. In Bezug auf den für den rauschtatbestandsmäßigen Rauschzustand bedeutsamen Schweregrad orientiert sich die Rechtsprechung an den Vorschriften über die Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB und die verminderte Schuldfähigkeit nach § 21 StGB. Deren Berechtigung ist im Folgenden näher nachzugehen. b) § 20 StGB als Minimalbedingung für einen tatbestandsmäßigen Rausch? Nach § 20 StGB handelt ohne Schuld, wer „bei Begehung der Tat […] unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.“ § 20 StGB normiert einen Schuldausschließungsgrund für eine „rechtswidrig“ begangene Tat und stellt den Täter straflos, wenn dieser bei Begehung der Tat schuldunfähig war. Die Einordung der Schuldunfähigkeit eines Menschen erfolgt in zwei Stufen.253 Die erste Stufe bilden die sog. psychologisch-biologischen Merkmale (krankhafte seelische Störung, tiefgreifende Bewusstseinsstörung, Schwachsinn und schwere andere seelische Abartigkeit). Die zweite Stufe ist durch die psychologischund der Wortlaut des § 323a gegen eine Beschränkung auf Fälle „sicher“ erheblich verminderter Schuldfähigkeit spreche. – Ähnlich auch Murmann, AT, § 26 Rn. 34: „Dafür lässt sich insbesondere der Gesetzeswortlaut anführen, der den Rauschzustand als selbständige Voraussetzung benennt. Danach kommen auch Rauschzustände für § 323a StGB in Betracht, die möglicherweise nicht einmal § 21 StGB unterfallen, wenn nur die Schuldunfähigkeit nicht ausgeschlossen werden kann“, wobei Murmann letztlich meint, unterhalb der Schwelle des § 21 StGB dürfe der typische Strafwürdigkeitsgehalt von § 323a StGB nicht erreicht sein und der Rausch würde so seine Konturen verlieren (§ 26 Rn. 34); s. dazu auch Eisele, BT I, Rn. 1237; Wessels/Hettinger/Engländer, BT I, 1045. – Siehe dazu noch genauer unten (Dritter Teil A. I. 4. c)). 252 Vgl. zu dieser Definition Forster/Rengier, NJW 1986, 2869, 2871, die auch auf die Vorschläge von Dencker, NJW 1980, 2159 ff., Ranft, JA 1983, 193, 196 f. und Lackner, FS Jescheck, S. 652 ff. verweisen; ähnlich auch Hecker, in: Schönke/Schröder, StGB, § 323a Rn. 6. Eine Übersicht zu verschiedenen Rauschdefinitionen ist bei Hennig, in: Reform des Sanktionenrechts, S. 143 f. zu finden. 253 S. dazu und zum Folgenden Streng, in: MünchKommStGB I, § 20 Rn. 12 ff.; Perron/ Weißer, in: Schönke/Schröder, StGB, § 20 Rn. 1 ff.

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3. Teil: Legitimationsprobleme des § 323a StGB

normativen Merkmale (die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln) gekennzeichnet.254 Für die Bestimmung der Schuldunfähigkeit eines Täters werden somit gewisse biologisch-psychologische Zustände oder Krankheitsbilder vorausgesetzt, die sich in bestimmter Weise auf die Psyche eines Täters auswirken.255 Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Trunkenheit keine Krankheit im Sinne eines anerkannten Krankheitsbildes darstellt, sondern lediglich ein künstlich und regelmäßig bewusst herbeigeführter Zustand ist.256 Die durch Alkohol herbeigeführte Schuldunfähigkeit wurde früher überwiegend als „tiefgreifende Bewusstseinsstörung“ i. S. d. § 20 StGB angesehen. Heute wird der Alkoholrausch zunehmend als „krankhafte seelische Störung“ angesehen, also der ersten Fallgruppe des § 20 StGB zugeordnet.257 Im Ergebnis ist die Zuordnung allerdings nicht relevant. Die positive Feststellung fehlender Einsichts- oder Steuerungsunfähigkeit im Strafverfahren ist freilich nicht leicht. Für die Konsequenz der Straflosigkeit in Bezug auf ein Verhalten in diesem Zustand genügt es, wenn er nicht ausgeschlossen werden kann. Für das Vorliegen von Schuldunfähigkeit bei Alkoholkonsum sind bestimmte Werte der Blutalkoholkonzentration (BAK) regelmäßig nicht mehr als ein Indiz.258 In Bezug auf den Rauschmittelkonsum – also bei nicht durch Alkohol hervorgerufenen Rauschzuständen beispielsweise durch Drogen oder Medikamente – erscheint es schier unmöglich, bestimmte Grenzwerte festzulegen. Denn die Wirkweise von

254

Vgl. dazu Streng, in: MünchKommStGB I, § 20 Rn. 12. ff. Kritisch bzgl. etwaiger Ungenauigkeiten einer solchen Einordnung Jescheck/Weigend, AT, § 40 III 1; auch Roxin/Greco, AT I, § 20 Rn. 2 gelangen zu dem Ergebnis, dass auf eine solche „methodologische Kennzeichnung der beiden Prüfungsschritte“ besser verzichtet werden sollte; s. auch Jakobs, AT, 18/8 ff. 256 Demzufolge müsste man den Alkoholrausch eigentlich als tiefgreifende Bewusstseinsstörung auffassen; vgl. dazu Perron/Weißer, in: Schönke/Schröder, StGB, § 20 Rn. 13 m. w. N., wonach diese Einordnung allerdings keine praktischen Konsequenzen zur Folge habe; vgl. dazu auch Schnarr, in: Reform des Sanktionenrechts, S. 39. 257 So auch BGHSt 43, 66, 71 f.; 57, 247, 249; s. dazu auch Fischer, StGB, § 20 Rn. 8, 11 ff.; Heger, in: Lackner/Kühl, StGB, § 20 Rn. 4; Roxin/Greco, AT I, § 20 Rn. 9 f.; Verrel/Linke/ Koranyi, in: LK-StGB, § 20 Rn. 96. – Anders etwa Eisele, in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, AT, § 17 Rn. 19; Krümpelmann, ZStW 88 (1976), 6, 16. 258 Vgl. BGH StV, 1990, 107: „beachtliches Indiz“. – Anhand einer Rückrechenmethode ist es möglich, die BAK eines Menschen zum Zeitpunkt der Tatbegehung zu ermitteln. – Nach einer grundlegenden Entscheidung des Bundesgerichtshofs in BGHSt 43, 66 (Leitsatz), (bestätigt durch BGHSt 57, 247) gibt es jedoch „keinen gesicherten medizinisch-statistischen Erfahrungssatz darüber, daß ohne Rücksicht auf psychodiagnostische Beurteilungskriterien allein wegen einer bestimmten Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit in aller Regel vom Vorliegen einer alkoholbedingt erheblich verminderten Steuerungsunfähigkeit auszugehen ist“. – Zahlenwerte allein sind somit für die Entscheidung nicht ausreichend. Montenbruck, GA 1978, 225, 241 hingegen nimmt einen Rausch i. S. v. § 323a StGB an, wenn absolute Fahruntüchtigkeit (1,3 Promille) vorliegt – misst demnach den Rausch an der Blutalkoholkonzentration. 255

A. Die Legitimation der Verhaltensnormen, auf die § 323a StGB Bezug nimmt

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Drogen (aber auch von Alkohol) ist stets von einer Vielzahl unterschiedlicher Faktoren abhängig und kann von Mensch zu Mensch unterschiedlich ausfallen. Lässt sich das Fehlen der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Täters nachweisen und kann ihm gegenüber deshalb kein persönlicher Vorwurf erhoben werden, so kommt § 20 StGB zur Anwendung. Eine Verurteilung wegen Begehung der Rauschtat ist damit ausgeschlossen. Diese wurde nicht schuldhaft begangen. Daher wäre ein entsprechender Vorwuf unberechtigt. In einem solchen Fall feststehender rauschbedingter Schuldunfähigkeit bei Begehung der Rauschtat bleibt allerdings die Möglichkeit einer Bestrafung wegen Vollrauschs (§ 323a StGB) bestehen. Die entsprechende Strafbarkeit setzt jedoch nicht nur die rauschbedingte Schuldunfähigkeit und den entsprechenden hypothetischen Vorsatz- oder Fahrlässigkeitsbezug voraus, sondern – nach allem Bisherigen – überdies (mindestens) einen tatsächlichen Fahrlässigkeitsbezug zur Rauschtat: Der Täter muss ausreichende Anhaltspunkte dafür gehabt haben, dass er zu solchen Ausschreitungen neigt, d. h. im Rausch „zu gefährlich“ ist. Fehlt die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit bei einem solchen Täter – bedingt durch einen Rausch –, ist das für § 323a StGB erforderliche Risikopotential gegeben, welches für die Verhaltensnormlegitimation essentiell ist.259 Begibt sich der Täter in einen Zustand der Schuldunfähigkeit bei individueller Erkennbarkeit der vorhandenen gewichtigen rauschbedingten Gefährlichkeit, verstößt er gegen eine ihm gegenüber legitimierbare Verhaltensnorm, welche von § 323a StGB in Bezug genommen wird.260 Diese Herangehensweise und Orientierung an § 20 StGB mag zwar von vielen Stimmen in der Literatur kritisiert werden, weil der Rausch i. S. v. § 323a StGB nicht mit dem Begriff der Schuldunfähigkeit gleichgesetzt werden könne.261 Verlangt man aber (wie oben bereits herausgearbeitet) eine Fahrlässigkeitsbeziehung (subjektive Vorwerfbarkeitsbeziehung) des Täters zur begangenen konkreten Rauschtat, so steht dieser Gleichstellung von tatbestandsmäßigem Rausch (mit entsprechendem Gefährdungspotential) und Schuldunfähigkeit nichts im Wege. Steht die Schuldunfähigkeit des Täters nach § 20 StGB in Bezug auf die konkret begangene Rauschtat fest, liegt zwingend auch der für § 323a StGB erforderliche tatbestandsmäßige 259 Das spezifische Verhaltensunrecht des Vollrauschtatbestandes liegt in einem solchen Fall auch dann vor, wenn die ex ante möglichen Rechtsgutsbeeinträchtigungen ausbleiben. 260 Vgl. auch Freund, in: Handbuch des Strafrechts, § 46 Rn. 28: „Schuldunfähigkeit bei vorhandenem Ausschreitungspotential“. 261 Vgl. dazu Fischer, StGB, § 323a Rn. 4. Zu diesem Ergebnis gelangt man nur dann, wenn keine subjektive Vorwerfbarkeitsbeziehung des Täters zur später begangenen Rauschtat gefordert wird. Auch wenn man die Rauschtat als sog. objektive Bedingung der Strafbarkeit begreift, die definitionsgemäß unrechtsneutral sein soll, ist ein Rückgriff auf §§ 20, 21 StGB nicht möglich. Die herrschende Meinung übergeht diesen Widerspruch jedoch, indem sie aus Strafwürdigkeitserwägungen einen Rückgriff zulässt; s. dazu Paeffgen, in: NK-StGB III, § 323a Rn. 36 ff.; vgl. dazu und zum Folgenden auch Geisler, Zur Vereinbarkeit, S. 416 ff. – Kritisch zur Vorgehensweise der herrschenden Meinung in der Literatur auch Puppe, Jura 1982, 281, 284; dies., GA 1974, 98 ff.

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3. Teil: Legitimationsprobleme des § 323a StGB

Rauschzustand vor, wenn der Täter in Bezug auf die konkrete Rauschtat zumindest die anerkannten allgemeinen Fahrlässigkeitsvoraussetzungen erfüllt. Allerdings deutet bereits der Wortlaut des § 323a StGB darauf hin, dass auch Rauschzustände vom Tatbestand erfasst werden sollen, bei denen die Schuldfähigkeit im Zeitpunkt der Rauschtatbegehung nicht ausgeschlossen ist. Es genügt, dass die Schuldunfähigkeit zu diesem Zeitpunkt möglicherweise vorliegt: „[…] weil er infolge des Rausches schuldunfähig war oder weil dies nicht auszuschließen ist.“ Mithin ist der Zustand der Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB keine Minimalbedingung für einen tatbestandsmäßigen Rausch i. S. d. § 323a StGB. Vielmehr genügt auch das Vorliegen der „nicht ausschließbaren“ Schuldunfähigkeit.262 Ein Vollrausch (mit zwingend ausgeschlossener Schuldfähigkeit) ist somit – ungeachtet der Überschrift des § 323a StGB – heutzutage nicht mehr erforderlich.263 Ob „der sichere Bereich des § 21 StGB ,überschritten‘ sein“ muss – wie bisweilen formuliert wird264 –, ist umstritten. c) Der „sichere Bereich des § 21 StGB“ als quantitative Bestimmung des Rauschs? „Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.“

Die Vorschrift des § 21 StGB eröffnet eine fakultative Milderungsmöglichkeit, wenn die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe, bei Begehung der Tat, erheblich vermindert ist. In den Fällen des § 21 StGB handelt es sich zwar um Fälle der grundsätzlich gegebenen Schuldfähigkeit.265 Dennoch handelt es sich sachlich um eine Art Zwischenform zwischen der uneingeschränkten Schuldfähigkeit und Schuldunfähigkeit. Trotz der im Grundsatz vorhandenen Schuldfähigkeit bietet der sich in diesem Zustand Befindliche nicht mehr dieselbe Gewähr für normgemäßes Verhalten wie ein uneingeschränkt Schuldfähiger.266 Damit ist der nur eingeschränkt Schuldfähige prinzipiell ein Kandidat für eine in diesem (Rausch-) Zustand zu gefährliche Person.267 262 Siehe dazu auch Dencker, NJW 1980, 2159, 2160 ff.; ferner Geisler, Zur Vereinbarkeit, S. 415. 263 Allerdings kam die Rechtsprechung auch vor Einführung dieses Halbsatzes im Jahre 1974 zu diesem Ergebnis; s. dazu bereits oben (Erster Teil B.). 264 BGHSt 16, 187, 189; 32, 48; s. dazu etwa auch Heger, in: Lackner/Kühl, StGB, § 323a Rn. 4 m. w. N.; s. auch ausführlich Dencker, NJW 1980, 2159 ff. 265 S. dazu etwa Roxin/Greco, AT I, § 20 Rn. 33; ferner Jescheck/Weigend, AT, § 40 IV 1. 266 Auf gleicher Linie etwa auch Jescheck/Weigend, AT, § 40 IV 1: „Es erscheint nicht gerecht, daß Menschen, die infolge von seelischen Störungen in ihrer Einsichts- oder Handlungsfähigkeit stark beeinträchtigt sind, wie voll Gesunde behandelt werden“. 267 Dass sich auch gerade aus der Nichtverantwortlichkeit einer Person deren Gefährlichkeit ergeben kann, zeigt Freund, GA 2010, 193, 198 ff. auf. In der Konsequenz bleibe dann „nur der

A. Die Legitimation der Verhaltensnormen, auf die § 323a StGB Bezug nimmt

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In Literatur und Rechtsprechung herrscht überwiegend Einigkeit darüber, dass in Fällen der nicht ausschließbaren Schuldunfähigkeit wenigstens eine erheblich verminderte Schuldunfähigkeit nach § 21 StGB vorliegen und nachgewiesen werden müsse.268 § 323a StGB geht mit seiner Formulierung „oder dies nicht auszuschließen ist“ jedenfalls davon aus, dass auch von einer Person, deren Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, erheblich vermindert ist (§ 21 StGB), ein ernstzunehmendes Risiko ausgehen kann.269 Nach dem hier vertretenen Konzept ist das allerdings nicht stets der Fall, sondern nur unter der weiteren Voraussetzung, dass diese Person ein bestimmtes rauschbedingtes Risikopotential aufweist und sie die Rauschtat vorhersehen bzw. vermeiden konnte und von Rechts wegen vermeiden musste. Entscheidend ist also der entsprechende Fahrlässigkeitsbezug. Immer noch klärungsbedürftig ist freilich die Frage, ob für das rauschtatbestandsmäßige Gefährdungspotential tatsächlich die erheblich verminderte Schuldunfähigkeit im Sinne des § 21 StGB vorliegen und erwiesen sein muss oder ob auch Rauschzustände unterhalb von § 21 StGB erfasst sein können. Der Wortlaut des § 323a StGB lässt das jedenfalls zu. Im Schrifttum sind die Auffassungen dazu geteilt.270 Die praktische Bedeutung der Problematik dürfte wohl eher gering sein. Bei einer deutlichen Unterschreitung der Untergrenze des § 21 StGB dürfte es in der Strafrechtspraxis erhebliche Schwierigkeiten bereiten, das rauschbedingte Risikopotential zu begründen, das für eine Bestrafung wegen Vollrauschs erforderlich ist. Andererseits erscheint es jedenfalls nicht ausgeschlossen, in einem Fall, in dem der Täter sich „hart an der Grenze zu § 21 StGB“ befindet, die entsprechende Gefährlichkeit zu bejahen. Insofern zeigt sich – trotz eines gewissen Zusammenhangs – die Selbständigkeit der rauschtatbestandsrelevanten Gefährlichkeitsbeurteilung im Verhältnis zum angemessenen Umgang mit der Strafrahmenregelung des Allgemeinen Teils zur erheblich verminderten Schuldfähigkeit.

gefahrenabwendende Zugriff auf diese Person, um sie durch gezielte Freiheitsbeschränkungen davon abzuhalten, andere zu schädigen“. 268 BGHSt 16, 187, 190 (zu § 51 Abs. 2 StGB a. F.); OLG Braunschweig NStZ-RR 2014, 287 f.; Hecker, in: Schönke/Schröder, StGB, § 323a Rn. 7 m. w. N.; vgl. auch Murmann, AT, § 26 Rn. 34 m. w. N. in Fn. 64; Popp, in: LK-StGB, § 323a Rn. 99 ff. – Kritisch dazu im Einzelnen etwa Horn, JR 1980, 1, 3 ff.; Wolters, in: SK-StGB, § 323a Rn. 18. 269 In diesem Sinne auch BGHSt 9, 390, 398; 16, 188, 189; 32, 48, 54; vgl. auch das überwiegende Schrifttum; s. dazu beispielsweise Heger, in: Lackner/Kühl, StGB, § 323a Rn. 4 m. w. N.; Wessels/Hettinger/Engländer, BT I, § 23 Rn. 1045. 270 S. dazu auch Fischer, StGB, § 323a Rn. 11c m. w. N.; Geppert, Jura, 2009, 40, 48 f.; Otto, Jura 1986, 478, 482 f.; Tröndle, FS Jescheck, S. 665, 682 ff. m. w. N. – Kritisch dazu etwa Eisele, BT I, Rn. 1237; s. auch Rengier, BT II, § 41 Rn. 22, wonach unterhalb der Schwelle des § 21 StGB der typische Strafwürdigkeitsgehalt von § 323a StGB nicht erreicht werde; s. auch Murmann, AT, § 26 Rn. 34; Wessels/Hettinger/Engländer, BT I, § 23 Rn. 1045. – Der Bundesgerichtshof hat diese Frage in BGHSt 32, 48, 54 ausdrücklich offengelassen.

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3. Teil: Legitimationsprobleme des § 323a StGB

II. Der „zu gefährliche Rausch“ – Abschließende Bestimmung des Gefährdungspotentials und Konkretisierung der auf dessen Vermeidung bezogenen Verhaltensnormen Das Schuldprinzip verlangt „die Koinzidenz von Schuldfähigkeit und Tatbegehung, weshalb die Rauschtat als Anknüpfungspunkt für die Strafbegründungsschuld ausscheidet“.271 Auch das bloße Sichberauschen bis zum Zustand der (nicht ausschließbaren) Schuldunfähigkeit ist nicht hinreichend gefährlich, um eine Verhaltensnorm legitimieren zu können, die schon diesen Zustand vermeiden soll. Ansatzpunkt für die Legitimation einer angemessenen Verhaltensnorm muss (wie oben bereits festgestellt) das Versetzen in einen „zu gefährlichen“ Rausch sein. Dieses Erfordernis ergibt sich aus der zutreffend konkretisierten Ratio der tatbestandsspezifischen Berauschungsmissbilligung, die ohne eine solche rauschbedingte Gefährlichkeit jeder Grundlage entbehrt. Die Tatbestandsmäßigkeit eines Rauschs kann nicht allein mit Blick auf einen bestimmten Berauschungsgrad, sondern nur unter Berücksichtigung auch der bei der konkreten Person damit verbundenen Gefährlichkeit begründet werden. Nur wenn im Verhaltenszeitpunkt erkennbar die zu erwartende rauschbedingte Gefährlichkeit zu groß ist, kann im Verhältnis zu dem Betreffenden eine Verhaltensnorm legitimiert werden, deren Zweck es ist, dies zu vermeiden. Insoweit gelten die allgemeinen Legitimationsbedingungen für staatliche Rechtsbeschränkungen durch Verhaltensnormen. Begründet werden muss eine spezifische Vermeidepflicht.272 In den Fällen der Begehung einer Rauschtat in schuldunfähigem Zustand verhält sich der Vollrauschtäter tatbestandsmäßig-missbilligt i. S. des § 323a StGB, wenn er nach seinen individuellen Verhältnissen im Zeitpunkt des Sichberauschens zumindest erkennen und vermeiden konnte, dass es zu der Rauschtat kommt, und wenn er genau dies von Rechts wegen vermeiden musste. Eine solche spezifische Vermeidepflicht lässt sich nur legitimieren, wenn er Anhaltspunkte dafür hatte, dass er im Rauschzustand zu solchen Taten neigt. Erreicht der Täter lediglich den Zustand verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB), so ist auch in diesem Fall eine Bestrafung wegen Vollrauschs möglich. Denn wie oben bereits herausgearbeitet, kann auch von diesem ein ernstzunehmendes Risiko ausgehen. Die entsprechende individuelle Neigung bedarf stets besonderer 271 Abschlussbericht der Kommission zur Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems, 11.2.2. Auf die im Zustand der (nicht ausschließbaren) Schuldunfähigkeit begangene Rauschtat darf es zum Zeitpunkt der Verhaltensnormlegitimation gerade nicht ankommen. Erst recht dann nicht, wenn man diese (wie die wohl herrschende Meinung) als sog. objektive Bedingung der Strafbarkeit einordnet. Objektive Bedingungen der Strafbarkeit schränken nicht schon die konkrete Verhaltensnorm ein, sondern erst die vom Gesetzgeber fixierte Sanktionsnorm. Die Verhaltensnorm, die von der Sanktionsnorm des § 323a StGB in Bezug genommen wird, muss losgelöst von einer sog. objektiven Bedingung der Strafbarkeit formuliert werden können; s. dazu auch noch genauer unten (Vierter Teil A. I. 4.). 272 Freund, in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 411.

A. Die Legitimation der Verhaltensnormen, auf die § 323a StGB Bezug nimmt

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Begründung. Nicht ausgeschlossen ist indessen, dass ein ausreichendes Risikopotential auch in Fällen vorliegt, in denen sich der Betreffende „hart an der Grenze des § 21 StGB“ befand. Nach der Tatbestandsstruktur des § 323a StGB kann auf das Erfordernis nicht verzichtet werden, dass überhaupt ein Rausch vorliegt. Ein bloß möglicher Rausch genügt nicht. Besteht also die Möglichkeit, dass ein Täter vollkommen nüchtern war, so ist eine Verurteilung wegen Vollrauschs gem. § 323a StGB nicht möglich. Festzuhalten bleibt: Ob im Verhaltenszeitpunkt des Sichberauschens tatsächlich ein „zu gefährlicher Rausch“ drohte, muss immer für den konkreten Einzelfall geprüft und festgestellt werden. Konnte der Betreffende im Zeitpunkt des Sichberauschens mit dem Eintritt der konkreten Rauschtat rechnen und musste er ihn vermeiden, war er Adressat folgender Verhaltensnorm: „Du darfst dich nicht berauschen, wenn und weil du dadurch aufgrund deiner persönlichen Neigungen rauschbedingt für Rechtsgüter anderer zu gefährlich werden könntest.“273 Gab es für ihn jedoch zum Zeitpunkt des Sichberauschens keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass er in irgendeiner Weise zu Ausschreitungen neigen könnte, so ist er kein geeigneter Adressat einer solchen Verhaltensnorm. Ein Rausch i. S. d. § 323a StGB ist somit erst dann „zu gefährlich“, wenn der potentielle Täter das weitere Geschehen aufgrund früherer Ausschreitungen im Rauschzustand hätte erkennen können. Ein Täter muss also, um den Tatbestand des § 323a StGB zu erfüllen, zumindest eine Fahrlässigkeitsbeziehung – in Form der Vorhersehbarkeit, Vermeidbarkeit und des Vermeidenmüssens – zur späteren Rauschtat aufweisen.274 Ergebnis: § 323a StGB setzt nicht nur – wie bereits der Wortlaut verlangt – voraus, dass es rauschbedingt zu einer Rauschtat in einem „zu gefährlichen Rausch“ gekommen ist. Vielmehr muss der „zu gefährliche Rausch“ und die Rauschtat im Verhaltenszeitpunkt des Sichberauschens nach den individuellen Verhältnissen für den Täter als drohend erkennbar, vermeidbar und von Rechts wegen zu vermeiden gewesen sein. Die zuletzt genannte normative Bedingung ist nur erfüllt, wenn der Täter konkrete Anhaltspunkte für das von ihm ausgehende Ausschreitungspotential hatte.

273 Zu abweichenden – problematischen – Formulierungsvorschlägen s. beispielsweise Geisler, Zur Vereinbarkeit, S. 394 („Berausche Dich nicht, wenn die konkrete Möglichkeit besteht, daß Du in diesem Zustand irgendwelche strafbedrohte Handlungen begehst, [bzw. wenn du in diesem Zustand zu Ausschreitungen neigst]“). 274 Sachlich übereinstimmend Freund, in: Handbuch des Strafrechts, § 46 Rn. 24. – Voraussetzung einer Strafbarkeit wegen Vollrauschs ist somit das Vorliegen mindestens einer subjektiven Vorwerfbarkeitsbeziehung (Fahrlässigkeitsbeziehung) des Täters zur Rauschtat. So auch die einhellige Auffassung beim Marburger Strafrechtsgespräch im Jahre 2000; vgl. dazu die Ausführungen bei Geißler, JR 2000, 489 ff. Siehe dazu auch noch näher unten (Vierter Teil B.).

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3. Teil: Legitimationsprobleme des § 323a StGB Definitionsvorschlag eines tatbestandsmäßigen Rauschs i. S. d. § 323a StGB: Ein Rausch ist ein Zustand, in dem der Täter infolge des Rauschmittelkonsums mindestens annähernd vermindert schuldfähig ist, sofern die Herbeiführung dieses Zustands vom Täter als in Bezug auf die Begehung einer Rauschtat gefährlich erkennbar, vermeidbar und von Rechts wegen zu vermeiden war.

Diese Definition des tatbestandmäßigen Rauschs i. S. d. § 323a StGB kombiniert sowohl die erforderlichen tatsächlichen als auch die notwendigen normativen Bedingungen.

B. Die Legitimation der Sanktionsnorm des § 323a StGB Verstößt ein Täter gegen eine ihm gegenüber legitimierbare Verhaltensnorm (die das Herbeiführen eines zu gefährlichen Rauschs vermeiden soll), so ist eine weitere Voraussetzung für eine strafrechtliche Reaktion durch den Staat das Vorhandensein einer einschlägigen Sanktionsnorm. An dieser Stelle ist somit die Sanktionsnorm des § 323a StGB genauer in den Blick zu nehmen. Sanktionsnormen sind als Konditionalprogramme ausgestaltet: Die Rechtsfolge in Form von Schuldspruch und Strafe kann nur eintreten, wenn der Tatbestand der Sanktionsnorm erfüllt ist.275 Der (Straf-)Gesetzgeber bestimmt mittels der Sanktionsnormen, welche menschlichen Verhaltensweisen – ggf. unter welchen zusätzlichen Voraussetzungen – eine Straftat darstellen sollen.276 Entscheidendes Kriterium für die Frage, ob ein bestimmtes Verhalten überhaupt sanktioniert werden kann, ist in diesem Zusammenhang zunächst der Wortlaut der jeweiligen Sanktionsnorm.277 Die sprachliche Formulierung von möglichen Geschehensabläufen bestimmt dabei die äußerste Grenze dessen, was von der jeweiligen Sanktionsnorm als strafbares Verhalten möglicherweise erfasst ist.278 Bei dem hier interessierenden § 323a StGB handelt es sich um eine durch den Gesetzgeber im Strafgesetzbuch fixierte Sanktionsnorm. Nach dessen Abs. 1 macht sich strafbar, „wer sich vorsätzlich oder fahrlässig durch alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel in einen Rausch versetzt“; dies jedoch nur, wenn der 275

Dies kann nur vorbehaltlich etwaiger zusätzlicher Sanktionserfordernisse, auch prozessualer Natur, gelten. Vgl. dazu überblicksartig Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 68 ff. Ein Täter verstößt also nicht gegen einen gesetzlichen Tatbestand, sondern erfüllt diesen gerade (Freund, GA 1999, 509); vgl. auch Freund/Rostalski, GA 2018, 264; s. dazu bereits Binding, Handbuch des Strafrechts, Band I, S. 155. 276 Unter Umständen ordnet der Gesetzgeber das Verhalten im Bereich der Ordnungswidrigkeiten an. Siehe dazu noch unten (Dritter Teil B. III.). 277 Dies ist dem in Art. 103 Abs. 2 GG verankerten Gesetzlichkeitsgrundsatz – nullum crimen, nulla poena sine lege – zu entnehmen. 278 Vgl. dazu Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 70 ff.; Freund, in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 32.

B. Die Legitimation der Sanktionsnorm des § 323a StGB

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Berauschte „in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat begeht und ihretwegen nicht bestraft werden kann, weil er infolge des Rausches schuldunfähig war oder weil dies nicht auszuschließen ist“. Auf den ersten Blick könnte man geneigt sein, anzunehmen, § 323a StGB knüpfe mit Schuldspruch und Strafe als staatliche Reaktion an eine im Zustand der (nicht ausschließbaren) Schuldunfähigkeit begangene Tat an. Allerdings kann gegenüber einem (nicht ausschließbar) schuldunfähigen Täter im Zeitpunkt der Rauschtatbegehung gerade kein persönlicher Vorwurf erhoben werden.279 Ein solcher unzutreffender Vorwurf, sich durch die Begehung der Rauschtat fehlerhaft verhalten zu haben, wird indes mit einer Verurteilung wegen Vollrauschs gerade nicht erhoben. Vielmehr nimmt – wie oben bereits dargelegt – die Sanktionsnorm des § 323a StGB nur Bezug auf das Verbot, sich in einen „zu gefährlichen“ Rauschzustand zu versetzten – knüpft also an ein Verhalten im Zustand der Schuldfähigkeit an. Das Begehen der Rauschtat ist als solches nicht Gegenstand des Vorwurfs fehlerhaften Verhaltens, sondern nur ex ante als Möglichkeit Legitimationsgrund für die Begründung eines Berauschungsverbots. Das spätere tatsächliche Begehen der Rauschtat ist insofern „nur“ spezifische Fehlverhaltensfolge.280 Anknüpfungspunkt für eine strafrechtliche Sanktionierung wegen Vollrauschs nach § 323a StGB ist also das personale Fehlverhalten in Form des Versetzens in einen „zu gefährlichen“ Rausch – mithin der Verstoß gegen die oben herausgearbeitete legitimierbare Verhaltensnorm: „Du darfst dich nicht berauschen, wenn und weil du dadurch aufgrund deiner persönlichen Neigungen rauschbedingt für Rechtsgüter anderer zu gefährlich werden könntest.“ Mit der Strafdrohung des § 323a StGB wird somit letzlich nur folgende Verhaltensweise versehen: das Versetzen in einen „zu gefährlichen“ Rausch. Zur Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 323a StGB bedarf es bei verfassungskonformer Auslegung und Leseart somit konkreter Anhaltspunkte dafür, dass ein potentieller Täter im Zustand des Vollrauschs für bestimmte Rechtsgüter anderer rauschbedingt zu gefährlich werden könnte. Demgemäß bezieht sich das Erfordernis im Wortlaut des § 323a StGB „vorsätzliches oder fahrlässiges“ Versetzen in einen „Rausch“ nicht bloß auf das Versetzen in einen Zustand der (nicht ausschließbaren) Schuldunfähigkeit. Es ist vielmehr erforderlich, dass – zumindest fahrlässig – ein „zu gefährlicher“ Rauschzustand vom Täter herbeigeführt wird, bei dem mit tatsächlichen Ausschreitungen seinerseits zu rechnen ist.281 Liegen solche Anhaltspunkte nicht vor, so handelt es sich um ein erlaubtes Verhalten, welches bei verfassungskonformer Auslegung und Leseart nicht von der Sanktionsnorm des § 323a StGB erfasst wird.282 279

Siehe dazu bereits oben (Dritter Teil A. I. 1. a) bb)). Zu den Anforderungen an eine Rauschtat siehe bereits oben (Dritter Teil A. I. 1. a)); zur Funktion der Rauschtat als spezifische Fehlverhaltensfolge siehe noch genauer unten (Vierter Teil B.). 281 S. auch Freund, in: Handbuch des Strafrechts, § 46 Rn. 28 ff. m. w. N. 282 Siehe dazu bereits oben (Zweiter Teil B. II.). 280

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3. Teil: Legitimationsprobleme des § 323a StGB

Aufgrund des Rechtseingriffscharakters sowohl der Aufstellung verhaltensreglementierender Normen als auch der strafrechtlichen Sanktionierung von Verhaltensnormverstößen (mittels Schuldspruch und Strafe) sind an die Normen beider Ebenen strikte verfassungsrechtliche Anforderungen zu stellen.283 Genau wie Verhaltensnormen bedürfen vor verfassungsrechtlichem Hintergrund auch Sanktionsnormen einer Legitimation. Das bedeutet, sie müssen dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen. Für den Einsatz von Schuldspruch und Strafe bedarf es daher eines legitimen Zwecks. Zur Erreichung dieses Zwecks müssen Schuldspruch und Strafe geeignet, erforderlich und angemessen sein. Auf der Ebene der Geeignetheit und Erforderlichkeit kann – anders als bei Verhaltensnormen – nicht unmittelbar auf den Schutz von Gütern wie etwa Leib und Leben anderer abgestellt werden. Vielmehr muss der Einsatz von Schuldspruch und Strafe anhand des legitimen Strafzwecks spezifisch konkretisiert werden.284

I. Legitimer Zweck der Sanktionierung wegen Vollrauschs nach § 323a StGB Für die auf der Grundlage des § 323a StGB erfolgende Sanktionierung bedeutet dies Folgendes: Der entsprechende Schuldspruch und die entsprechende Strafe müssen einem legitimen Zweck dienen. Dieser kann nach dem oben Dargelegten nur in der geltungssichernden ausgleichenden Ahndung eines tatbestandsspezifischen Verhaltensnormverstoßes und seiner Folgen erblickt werden.285 Insofern dient die Sanktionierung unmittelbar dem Schutz der verhaltenswirksamen Geltung des Rechts in Gestalt der übertretenen Verhaltensnorm und damit immerhin mittelbar dem Rechtsgüterschutz in Bezug auf Rechtsgüter wie Leib und Leben oder Freiheit anderer. Das entsprechende Schutzbedürfnis ist entstanden durch den Verhaltensnormverstoß des Täters als Infragestellung der Geltung der Verhaltensnorm. Durch die Übertretung einer (kontext- und adressatenspezifisch legitimierten) Verhaltensnorm bringt der Täter in konkludenter Form zum Ausdruck, dass diese für ihn keine Verbindlichkeit entfaltet. Dem ist mit dem passenden Schuldspruch und der richtigen

283

Zur getrennten Prüfung der Verhältnismäßigkeit von Verhaltensnormen einerseits und Sanktionsnormen andererseits aufgrund deren verschiedener Zweckrichtungen s. bereits oben (Zweiter Teil B.). 284 Freund, GA 1995, 4 f.; s. dazu auch Mulch, Strafe und andere staatliche Maßnahmen gegenüber juristischen Personen, S. 37; Remde, Die Zukunft präventiven Freiheitsentzugs, S. 27, wonach der Rechtsgüterschutz eine erhebliche Rolle spielen muss. – Hinsichtlich der Erforderlichkeit vgl. Frisch, GA 2015, 65, 76. 285 Vgl. zum Konzept der geltungssichernden ausgleichenden Ahndung Timm, Gesinnung und Straftat, S. 52 ff.; Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 34; s. auch bereits oben (Zweiter Teil A. II.).

B. Die Legitimation der Sanktionsnorm des § 323a StGB

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Strafe angemessen missbilligend zu begegnen, um die Störung des Rechts als verhaltenswirksame Gestaltungsmacht zu neutralisieren.286 Um die Sanktionsnorm des § 323a StGB zu erfüllen287, muss der Täter vor diesem Hintergrund gegen eine konkretisierte und gerade ihm gegenüber legitimierbare Verhaltensnorm verstoßen haben, die dem Schutz der Rechtsgüter anderer diente. Fehlt es an einem solchen Verhaltensnormverstoß, kann auf der Sanktionsnormebene kein legitimer Zweck verfolgt werden: Auf ein erlaubtes oder auch nur rechtlich nicht missbilligtes Verhalten mit Schuldspruch und Strafe zu reagieren, ergibt keinen Sinn. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass es im strafrechtlichen Kontext kein schuldloses Verhaltensunrecht geben kann. Schon die grundlegende Voraussetzung jeder Straftat – der die Normgeltung in Frage stellende Verhaltensnormverstoß – ist nur bei dem zur Normbildung und Normbefolgung Fähigen denkbar. Die Verhaltensnorm, auf die § 323a StGB Bezug nimmt, lautet (wie oben bereits herausgearbeitet) wie folgt: „Du darfst dich nicht berauschen, wenn und weil du dadurch aufgrund deiner persönlichen Neigungen rauschbedingt für Rechtsgüter anderer zu gefährlich werden könntest.“ Die Sanktionsnorm des § 323a StGB stellt das „zu gefährliche“ vorsätzliche oder fahrlässige Sichberauschen unter Strafe, wenn in diesem Zustand der (nicht ausschließbaren) Schuldunfähigkeit eine rechtswidrige Tat begangen wird. Damit nimmt sie Bezug auf die ihr vorgelagerte Verhaltensnorm. Wird diese Verhaltensnorm übertreten und dadurch in Frage gestellt, entsteht im Grundsatz ein berechtigtes Bedürfnis nach einem Ausgleich dieses Normverstoßes. Ein solcher steht allerdings in § 323a StGB noch unter einer weiteren Bedingung: Diese Sanktionsnorm ist erst dann erfüllt, wenn der tatbestandsspezifische Verhaltensnormverstoß spezifische Folgen in Form der Rauschtatbegehung hat. Wenn und soweit ein tatbestandsspezifischer Verhaltensnormverstoß vorliegt, wird aber immerhin mit Schuldspruch und Strafe des § 323a StGB im Grundsatz ein legitimer Zweck verfolgt.

II. Geeignetheit der Sanktionierung wegen Vollrauschs nach § 323a StGB Zur Erfüllung dieses Zwecks (der geltungssichernden ausgleichenden Ahndung der Infragestellung der Normgeltung) müssen Schuldspruch und Strafe auch geeignet sein. § 323a StGB schützt die Geltung der oben genannten tatbestandsspezifisch konkretisierten Verhaltensnormen, die ihrerseits einen spezifischen Rechtsgüterschutzzweck verfolgen. Jedenfalls die angemessen missbilligende Ahndung eines Verhaltensnormverstoßes ist stets geeignet, die durch den Verstoß entstandene 286

Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 6, 33, 37. Demzufolge verstößt der Betroffene nicht gegen einen Straftatbestand, sondern erfüllt gerade die Tatbestandsvoraussetzungen einer Sanktionsnorm; s. dazu bereits Binding, Handbuch des Strafrechts, Band I, S. 155. 287

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3. Teil: Legitimationsprobleme des § 323a StGB

Schieflage in Bezug auf die verhaltenswirksame Geltungskraft des Rechts zu beseitigen. Mit Blick auf die Eignung speziell einer Sanktionierung tatbestandsspezifischer Verhaltensnormverstöße als Straftat nach § 323a StGB stellt sich damit lediglich die Frage, ob darin nicht vielleicht stets eine Überreaktion liegt. Das trifft jedoch nicht zu. Die Verhaltensnormen, die einen „zu gefährlichen“ Rausch verbieten, schützen regelmäßig hochrangige Rechtsgüter wie etwa Leben, Gesundheit oder Eigentum anderer. Diese Verhaltensnormen sind somit von enormer Wichtigkeit für ein friedliches menschliches Zusammenleben. Übertritt der Täter eine derartige Verhaltensnorm, haben Schuldspruch und Strafe (in Form einer Geld- oder gar Freiheitsstrafe) die Funktion der angemessenen Ahndung dieses Normverstoßes zum Schutz der Normgeltung und sind dazu auch grundsätzlich geeignet.

III. Erforderlichkeit der Sanktionierung wegen Vollrauschs nach § 323a StGB Erforderlich ist eine Sanktionierung wegen Vollrauschs nach § 323a StGB nur dann, wenn es zur Erreichung des legitimen Zwecks – der Wiederherstellung des Status der übertretenen Verhaltensnorm ante delictum – keine gleichermaßen geeignete mildere staatliche Mittel gibt. Denn Strafe darf als „schärfstes Schwert des Staates“ stets nur ultima ratio sein. Um mit dem Instrument Strafe auf ein Verhalten reagieren zu dürfen, muss es sich also um ein Fehlverhalten von „signifikantem Unwert“288 handeln. Um dem ultima ratio-Charakter von Strafe gerecht zu werden, müssen demzufolge zunächst mildere Mittel auf ihre Eignung überprüft werden. Als weniger eingriffsintensive Maßnahme kommt außer dem Einsatz von Strafe nach § 323a StGB das Ordnungswidrigkeitenrecht – insbesondere § 122 OWiG oder ein de lege ferenda zu schaffender anderer Ordnungswidrigkeitentatbestand – in Betracht. Das Ordnungswidrigkeitenrecht erhebt – bei verständiger Würdigung als „kleines Strafrecht“289 gegenüber dem Normbrüchigen ebenfalls einen persönlichen Vorwurf.290 Es besteht also insofern kein qualitativer Unterschied zur Strafe.291 Um 288 So Geisler, GA 2000, 166, 175; auf gleicher Linie etwa Jescheck/Weigend, AT, § 7 I 1; Krey/Esser, AT, § 1 Rn. 17: „Straftaten müssen strafwürdige Taten sein.“; Strafe ist insofern der intensivste staatliche Rechtseingriff; s. dazu Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 87. – Von einem solch „signifikaten Unwert“ kann beim bloßen Sichberauschen beispielsweise nicht die Rede sein. Dabei handelt es sich lediglich um eine (sehr) abstrakt gefährliche Verhaltensweise, welche jedenfalls keinen bedeutenden Unwertgehalt aufweist; s. dazu bereits oben (Dritter Teil A. I. 3.). 289 So auch Remde, Die Zukunft präventiven Freiheitsentzugs, S. 4. Dazu auch noch unten (Vierter Teil A. I. 3.). 290 „[…] jede Strafe – nicht nur die Strafe für kriminelles Unrecht“ setzt „Schuld voraus“, so BVerfGE 20, 323, 331. Voraussetzung ist stets das Vorliegen einer rechtlich legitimierbaren Verhaltensnorm, gegen die verstoßen worden ist. Dies bedeutet zugleich, dass auch für die Erfüllung einer Ordnungswidrigkeit nach dem OWiG die Schuld des Täters nachgewiesen sein muss.

B. Die Legitimation der Sanktionsnorm des § 323a StGB

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die Frage nach der Anwendbarkeit des Ordnungswidrigkeitenrechts bzw. der Erforderlichkeit entweder des Einsatzes des Ordnungswidrigkeitenrechts oder des Strafrechts beantworten zu können, muss das Gewicht des jeweiligen personalen Fehlverhaltens (ggf. nebst dessen spezifischen Folgen) berücksichtigt werden.292 Dabei muss geklärt werden, ob die Intensität der staatlichen missbilligenden Reaktion zum Gewicht des Verhaltensnormverstoßes und den etwaigen Folgen „passt“. Nur wenn die hinreichend gewichtige Verhaltensnorm durch entsprechend gewichtiges personales Fehlverhalten in Frage gestellt wurde und daher das weniger eingriffsintensive Ordnungswidrigkeitenrecht dafür keine angemessen missbilligende Reaktion darstellt, ist der Einsatz des Strafrechts erforderlich. Bei der Bewertung des Gewichts des personalen Fehlverhaltens ist unter anderem der Stellenwert der übertretenen Verhaltensnorm für die Gesellschaft innerhalb des vorgelagerten Normgebildes zu berücksichtigen.293 Je größer die Bedeutung der Verhaltensnorm für das menschliche Zusammenleben ist, desto höher ist die Notwendigkeit speziell einer strafrechtlichen Reaktion auf die Nichteinhaltung dieser Norm.294 Ver- oder Geboten zum Schutz des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit kommt beispielsweise eine größere Bedeutung zu als solchen zum Schutz des Vermögens oder des Eigentums.295 Daher muss die Reaktion auf solche Verhaltensnormverstöße – um der Normgeltung gerecht zu werden – gravierender ausfallen.

291

Roxin/Greco, AT I, § 2 Rn. 60, 97 ff., 131; Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts, S. 79 ff., 105 ff. – Anders sieht dies etwa das Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 27, 18, 33: „Ihr [der an die Ordnungswidrigkeit geknüpften Buße] fehlt der Ernst der staatlichen Strafe“. Das Bundesverfassungsgericht versucht die Abgrenzung von Strafe zu anderen Maßnahmen anhand des Kriteriums des sozialethischen Unwerturteils vorzunehmen; vgl. dazu BVerfGE 22, 49, 79 f.; 27, 18, 29; 120, 223, 240; außerdem zieht das Bundesverfassungsgericht das Kriterium der Intensität des Unwertgehalts heran. – Kritisch dazu etwa Mulch, Strafe und andere staatliche Maßnahmen gegenüber juristischen Personen, S. 83 m. w. N. in Fn. 314, wonach es im Kern nur um einen rechtlichen Tadel gehen kann (S. 84 ff.). 292 Reus, Das Recht in der Risikogesellschaft, S. 95 f.; vgl. auch Mulch, Strafe und andere staatliche Maßnahmen gegenüber juristischen Personen, S. 40. – Zu den ausschlaggebenden Kriterien, die zu einer Straftat nach § 323a StGB oder einer Ordnungswidrigkeit nach § 122 OWiG führen, siehe noch unten (Vierter Teil B. I. 2.). 293 Die Entscheidung, ob eine Ahndung durch das Ordnungswidrigkeitenrecht ausreicht oder ob das Strafrecht erforderlich ist, obliegt dem Gesetzgeber, dem – innerhalb bestimmter Grenzen – eine Einschätzungsprärogative zukommt. 294 Freund/Rostalski, AT, § 4 Rn. 6 ff.; vgl. auch Mulch, Strafe und andere staatliche Maßnahmen gegenüber juristischen Personen, S. 40; Reus, Das Recht in der Risikogesellschaft, S. 88; s. ausführlich Timm, Gesinnung und Straftat, S. 73: „reines Bagatellunrecht bzw. Ordnungsverstöße ohne echtes Gefährdungspotential sind nicht als hinreichend gewichtig für das Eingreifen von Strafe zu beurteilen“. 295 Reus, Das Recht in der Risikogesellschaft, S. 102. Das Strafrecht dient dem Schutz verfassungsrechtlich verankerter Rechtsgüter. „Dass es im Strafrecht nicht um den Schutz solcher Normen gehen kann, die weniger bedeutsame Rechtsgüter erfassen, entspricht dem Ausnahmecharakter von Strafe“; so Timm, Gesinnung als Straftat, S. 73.

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3. Teil: Legitimationsprobleme des § 323a StGB

Von einem bestimmten „Gewicht“ des Verhaltensnormverstoßes an ist somit die strafrechtliche Maßnahme das einzig geeignete Mittel, um der Infragestellung der Normgeltung richtig zu widersprechen und dadurch den Normgeltungsschutz angemessen zu gewährleisten. Wenn also die Quantität in die entsprechende Qualität „umschlägt“, ist der Einsatz von Strafe unerlässlich. Für die angemessen missbilligende Reaktion ist nicht nur der Verhaltensnormverstoß bedeutsam. Auch spezifische Folgen dieses Verstoßes führen zu einem größeren Gewicht der Straftat und begründen damit ein gesteigertes Reaktionsbedürfnis. Zwar ist der eigentliche Normverstoß sowohl beim Eintritt als auch beim Ausbleiben von Fehlverhaltensfolgen identisch, jedoch liegt bei eingetretenen Fehlverhaltensfolgen ein für den richtigen Schuldspruch und die richtige Strafe bedeutsamer zusätzlicher Vorwurfsgegenstand vor.296 Treten Fehlverhaltensfolgen ein, so liegt darin eine weitergehende Manifestation des Normverstoßes, auf die angemessen missbilligend reagiert werden muss. Das gilt ungeachtet des Umstands, dass der Eintritt oder das Ausbleiben solcher Folgen regelmäßig vom Zufall abhängt.297 Bezogen auf § 323a StGB bedeutet dies Folgendes: Schuldspruch und Strafe des § 323a StGB beziehen sich unter bestimmten Voraussetzungen durchaus auf entsprechend gewichtiges Fehlverhalten und dessen Folgen in Gestalt der Rauschtat. Daher sind sie im Grundsatz erforderlich, weil nur damit eine angemessen missbilligende Reaktion möglich ist.298 Selbstverständlich ist es denkbar, dass im Einzelfall trotz tatbestandsspezifischen Verhaltensnormverstoßes und entsprechender Folgen das Gewicht der Tat für eine strafrechtliche Sanktionierung nicht ausreicht.299

IV. Angemessenheit der Sanktionierung wegen Vollrauschs nach § 323a StGB Generell gilt: Nicht jede staatliche Maßnahme, die zur Erreichung eines legitimen Zwecks geeignet und erforderlich ist, kann auch als angemessen (verhältnismäßig i. e. Sinne) angesehen werden. Beispielsweise hat sich oben (Dritter Teil A. I.) ergeben, dass ein pauschales Berauschungsverbot zwar durchaus das Eignungs- und Erforderlichkeitskriterium erfüllt, wenn es darum geht, Rauschtaten zu vermeiden. Ein solches pauschales Berauschungsverbot wäre jedoch unangemessen im Hinblick auf die damit verbundenen Freiheitsbeeinträchtigungen zahlreicher Bürger, die auch 296

So auch Reus, Das Recht in der Risikogesellschaft, S. 98. Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 94, 99; Wolter, Objektive und personale Zurechnung, S. 46 ff. 298 Siehe dazu noch genauer unten (Vierter Teil). 299 Angesprochen ist damit das allgemeine Untergrenzenproblem; s. dazu näher Freund/ Rostalski, AT, § 4 Rn. 6 ff.; Freund, in: MünchKommStGB I, Vor § 13 Rn. 207 ff., 243 ff. m. w. N. 297

B. Die Legitimation der Sanktionsnorm des § 323a StGB

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im Rauschzustand vollkommen harmlos bleiben.300 Speziell für das Mittel des Schuldspruchs und der Strafe wurde jedoch bereits gezeigt, dass nur die richtige – d. h. die angemessen missbilligende – Reaktion auf den Verhaltensnormverstoß und dessen Folgen überhaupt geeignet und erforderlich ist, um den Status des Rechts ante delictum wiederherzustellen. Daher ist an dieser Stelle lediglich festzuhalten: Die mit Blick auf § 323a StGB relevanten tatbestandsspezifischen Verhaltensnormverstöße und deren Folgen sind im Grundsatz gewichtig genug, um eine strafrechtliche Reaktion als angemessen anzusehen. Sollte das im Einzelfall anders sein, ergibt sich daraus kein prinzipieller Einwand gegen die Bestrafung in all den Fällen, in denen das Gewicht des Normverstoßes nebst Folgen für eine Straftat ausreicht.301 An der Verhältnismäßigkeit der Sanktionierung nach § 323a StGB würde es beispielsweise in folgenden Fällen fehlen: Jemandem wird in einer Bar heimlich ein berauschendes Mittel in sein Getränk geschüttet. Der Betreffende hätte das – allerdings nur schwer – erkennen können. Dennoch trinkt er und begeht im Zustand des § 20 StGB eine Rauschtat. Oder: Ein Patient erhält von seinem Arzt keinerlei Hinweis auf ein in seinem Fall zu beachtendes spezielles Risiko bei der Einnahme eines verschriebenen Medikaments. Auch in der Packungsbeilage findet sich nur ein knapper Hinweis im Kleingedruckten, den der Patient übersieht. Aufgrund einer fehlerhaften Einnahme des Medikaments gerät er in den Zustand des § 20 StGB und verursacht einen Verkehrsunfall, bei dem ein anderer Mensch verletzt wird. In den beiden Beipielsfällen mag zwar ein rechtlich relevantes Fehlverhalten i. S. eines im Grundsatz tatbestandsspezifischen Verhaltensnormverstoßes aufweisbar sein. Dieser ist jedoch zu gering, um den gewichtigen staatlichen Eingriff des Schuldspruchs und der entsprechenden Bestrafung zu legitimieren. Im Gegensatz dazu wäre es durchaus überlegenswert, ob in Fällen gravierenden Fehlverhaltens i. S. des § 323a StGB auch ohne die spezifische Folge der Rauschtat eine Bestrafung angemessen sein könnte. Jedoch ist diese Frage de lege lata vom Gesetzgeber negativ entschieden worden. § 323a StGB verlangt für die strafrechtliche Reaktion zwingend, dass es zu einer Rauschtat gekommen sein muss. Dies bedeutet, dass das bloße „zu gefährliche“ Sichberauschen nicht ausreicht, um eine Bestrafung rechtfertigen zu können. Eine dennoch erfolgende Bestrafung würde gegen den Gesetzlichkeitsgrundsatz verstoßen (Art. 103 Abs. 2 GG). Auch sachlich 300 S. dazu Roxin/Greco, AT I, § 23 Rn. 10. Vgl. auch BGH NJW 2004, 3350, 3351: „Trotz verbreiteten vielfachen Alkoholgebrauchs und -missbrauchs kommt es nur in einem Bruchteil der Fälle erheblicher Alkoholisierung zu einer rechtswidrigen Tat. Häufig ist eine Gefährdung anderer gänzlich ausgeschlossen.“ 301 Freund, in: MünchKommStGB I, § 13 Rn. 133 ff.

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3. Teil: Legitimationsprobleme des § 323a StGB

ist davon auszugehen, dass das Rauschtaterfordernis essentiell für eine angemessene Strafe ist.302 Die Angemessenheit von Schuldspruch und Strafe ist nicht nur für das Ob, sondern auch für das Wie der Strafe (also die Strafzumessung) von erheblicher Bedeutung. Dabei spielt wiederum das Gewicht des Verhaltensnormverstoßes die entscheidende Rolle.303 Wichtig ist in diesem Zusammenhang das von der Sanktionsnorm ermöglichte Sanktionsspektrum. Die auf dieser Grundlage konkret angeordnete Bestrafung darf weder zu hoch noch zu milde ausfallen. Nötig ist die Bildung einer einzelfallbezogenen Entscheidungsnorm, die eine konkrete Sanktionsanordnung enthält. Die Sanktionshöhe muss sich stets an der Schwere der vom Täter verwirklichten Straftat orientieren, muss also in einem angemessenen Verhältnis zur Tat und Schuld des Täters stehen. Die Sanktionsnorm des § 323a StGB ordnet in Absatz 1 eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe an.304 Außerdem darf die Strafe gemäß Absatz 2 nicht schwerer sein als die für die im Rausch begangene Tat.305 Demzufolge gibt es einen Strafrahmen der sich zwischen einer Geldstrafe und einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bewegt.306 Weiter eingeschränkt wird dieser Strafrahmen, indem Absatz 2 die Anbindung an die im Rausch begangene Tat anordnet.307

302 Mithin kann es sich bei der Rauschtat gerade nicht um eine bloß objektive Bedingung der Strafbarkeit handeln. Diese ist gerade auch für die Höhe der Strafe ausschlaggebend; s. dazu noch unten (Vierter Teil A. I.). 303 Dementsprechend darf die Strafe nicht zu milde, aber auch nicht zu hoch sein. Andernfalls ginge der Zusammenhang zwischen Normverstoß und Strafe verloren, sodass eine Bestrafung willkürlich würde; s. dazu Rostalski, Der Tatbegriff im Strafrecht, S. 83. 304 Bei § 323a StGB handelt es sich also gem. § 12 Abs. 2 StGB stets um ein Vergehen. 305 So gilt zum Beispiel der Strafrahmen des § 229 StGB, wenn der Rauschtäter eine Körperverletzung fahrlässig begeht. 306 Fünf Jahre sind die Mindeststrafe für einen Totschlag nach § 212 StGB. Die Höchststrafe von fünf Jahren wird daher von vielen als unbefriedigend empfunden; vgl. dazu auch die Nachweise bei Spendel, in: LK-StGB, 11. Auflage, § 323a Rn. 287: „fragwürdig, […] jedoch, da noch im Spielraum gesetzgeberischen Ermessens liegend, ,verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden‘“. Außerdem gab es auch Änderungsvorschläge von Seiten des Bundesrats, wonach vorgeschlagen wurde, einen Qualifikationstatbestand mit einem höheren Strafrahmen von drei Monaten bis zu zehn Jahren für die Fälle einzuführen, in denen im Rausch eine schwerwiegende Straftat begangen wird (BT-Drs. 14/759). Auch die CDU/CSU-Fraktion hat einen Änderungsvorschlag eingebracht, wonach die Strafe bei vorsätzlichem oder fahrlässigem Sichberauschen zukünftig dem im Rausch erfüllten Straftatbestand entnommen werden soll, wobei aber die Strafe obligatorisch nach § 49 StGB zu mildern sei (BT-Drs. 14/545). – Kritisch dazu Freund/Renzikowski, ZRP 1999, 497 ff.; Renzikowski, ZStW 112 (2000), 475 ff.; s. aber auch die Ergebnisse der Kommission zur Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems bei Schnarr, in: Reform des Sanktionenrechts, S. 7 ff. Erhebliche Kritik seitens vieler Strafrechtler stellt auch Geißler dar; s. Geißler, JR 2000, 489 ff. Die oben genannten Entwürfe sind bis zum heutigen Tag nicht weiter verfolgt worden (BT-Drs. 14/9148). 307 Siehe zu einer schlüssigen Erklärung dieser Strafrahmenbindung noch unten (Vierter Teil B. I. 2.).

C. Zusammenfassung

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C. Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich das Berauschungsverbot, welches von § 323a StGB in Bezug genommen wird, nur aufgrund der spezifischen Gefährlichkeit des tatbestandsmäßigen Rauschzustandes für berechtigte Rechtsgüterschutzinteressen begründen lässt. Voraussetzung für eine legitime Bestrafung nach § 323a StGB ist ein dem Täter nachzuweisender Zustand der (nicht ausschließbaren) Schuldunfähigkeit und mindestens annähernd erreichter verminderter Schuldfähigkeit bei individueller Erkennbarkeit der vorhandenen gewichtigen rauschbedingten Gefährlichkeit und damit mindestens eine Fahrlässigkeitsbeziehung des Täters zur später konkret begangenen308 Rauschtat. Die oben bereits aufgezeigte legitimierbare Verhaltensnorm knüpft richtigerweise an konkrete Erfahrungen des Normadressaten an. Nur auf diese darf es ankommen. Eine andere Verhaltensnorm – bezüglich eines pauschalen Berauschungsverbots – ist (wie oben dargelegt) nicht zuletzt aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht legitimierbar. Die Sanktionsnorm des § 323a StGB nimmt Bezug auf die herausgearbeitete legitimierbare Verhaltensnorm und schützt die Normgeltungskraft durch die angedrohten Rechtsfolgen in Form von Schuldspruch und Geld- oder Freiheitsstrafe auf angemessene Weise. Sie verfolgt einen legitimen Zweck und ist geeignetes und erforderliches Mittel, um die Normgeltung zu stabilisieren bzw. gegebenenfalls den status quo ante wiederherzustellen. Bei geringerem Gewicht des Verhaltensnormverstoßes durch den Täter gelingt es mitunter über das mildere Mittel des Ordnungswidrigkeitenrechts – § 122 OWiG – zu einer angemessenen staatlichen Reaktion zu gelangen. Treten allerdings bei hinreichend gewichtigem Verhaltensnormverstoß erhebliche spezifische Fehlverhaltensfolgen ein, so kann eine Reaktion mittels des „schärfsten Schwertes“ unerlässlich sein. Die in § 323a StGB vorgesehene Strafbarkeit entspricht somit – sowohl auf Verhaltensnormebene als auch auf Sanktionsnormebene – den rechtsstaatlichen Legitimationsbedingungen und wird letztendlich den verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht. Der Aussage Aristoteles’, denjenigen, der sich betrinke, treffe ein doppeltes Strafmaß, weil die Ursache in dem Betrunkenen selbst liege, ist nach dem Gesagten freilich nicht zuzustimmen. Im Gegenteil: Nur gegenüber demjenigen, der die ihm innewohnenden schädlichen Neigungen oder sein vorhandenes Ausschreitungspotential zumindest erkennen konnte und musste, bevor er sich in Trunkenheit verging, kann überhaupt ein rechtlicher Vorwurf erhoben werden. Nur er kann Adressat einer legitimierbaren Verhaltensnorm sein und nur er kann auch die Tatbestandsvoraussetzungen der Sanktionsnorm des § 323a StGB erfüllen und somit für sein Fehlverhalten angemessen zur Rechenschaft gezogen werden.

308 Andere lassen eine Fahrlässigkeitsbeziehung in Bezug auf die Begehung irgendeiner Straftat ausreichen; s. dazu noch unten (Vierter Teil A. III.).

Vierter Teil

Deliktstypus: Kritische Würdigung vorhandener Deliktszuordnungen und sachgerechte Einordnung Nachdem die Fragen der Verhaltensnormlegitimation geklärt sind und sich ergeben hat, dass eine konkrete Verhaltensnorm bzw. ein Verbot nur, aber auch immerhin bzgl. des Versetzens in einen „zu gefährlichen“ Rausch legitimierbar ist, gilt es im weiteren Verlauf zu untersuchen, welchem Deliktstypus der Vollrauschtatbestand letztendlich zugeordnet werden kann.

A. Deliktstypus und Normzweck – Die im Wesentlichen vertretenen Ansichten zum Charakter des § 323a StGB in Literatur und Rechtsprechung Die Frage nach dem Charakter des Vollrauschtatbestandes und dessen Vereinbarkeit mit dem Grundsatz „nulla poena sine culpa“ hat sowohl in der Rechtsprechung als auch im Schrifttum viel Aufmerksamkeit erfahren. Welchem Deliktstypus § 323a StGB tatsächlich zuzuordnen ist, ist jedoch bis heute höchst umstritten. Im Rahmen der Diskussion um die Deliktseinordung spielen insbesondere die zahlreichen voneinander abweichenden Erklärungsversuche des Schrifttums eine bedeutende Rolle. Allerdings ist auch der Bundesgerichtshof bislang nicht zu einem durchgehend konsistenten Verständnis des Vollrauschtatbestandes gelangt.309 Lackner spricht in diesem Zusammenhang etwa von einer „Wahl zwischen Übeln“.310 Der Vollrauschtatbestand wird von Literatur und Rechtsprechung zunehmend als entweder abstraktes Gefährdungsdelikt, als Ausnahmeregel zu den §§ 20, 21 StGB oder auch als konkretes Gefährdungsdelikt eingeordnet. Innerhalb dieser Einordnungen gibt es wiederum voneinander abweichende Konzepte. Jedenfalls in einem Punkt herrscht Einigkeit im Schrifttum: Nahezu alle Autoren sind davon überzeugt,

309

So BGHSt 49, 239, 351; BGH NJW 2004, 3350, 3354 mit Verweis auf BGHSt 10, 247 und BGHSt 16, 124; s. dazu Geisler, in: MünchKommStGB V, § 323a Rn. 55 m. w. N. 310 Lackner, FS Jescheck, S. 645, S. 651; vgl. auch ders., JuS 1968, 215, 216 m. w. N. in Fn. 17.

A. Deliktstypus und Normzweck – die im Wesentlichen vertretenen Ansichten

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dass es sich bei § 323a StGB um eine überaus missglückte Strafvorschrift handle311 und „dass sich keine der möglichen Deutungen widerspruchsfrei in den allgemeinen dogmatischen Systemzusammenhang“ einfügen lasse.312 Ob Heger mit letzterer Aussage tatsächlich Recht behält, wird sich im weiteren Verlauf dieses Kapitels zeigen. Die Rauschtat ist Hauptgegenstand jeglicher Diskussionen um den Deliktscharakter des Vollrauschtatbestandes. Welchen Stellenwert die Rauschtat bei der Deliktseinordnung tatsächlich einnimmt, ist klärungsbedürftig. Wesentliche Erkenntnisse liefert dabei die Frage nach dem Sinn und Zweck derselben. Zu beleuchten ist dabei näher, ob es sich bei der „rechtswidrigen Tat“ i. S. d. § 323a StGB um ein wesentliches Tatbestandsmerkmal handelt, ob diese eine bloß „objektive Bedingung der Strafbarkeit“ darstellt oder ob sie lediglich als Indiz für die „Gefährlichkeit“ eines Rauschs dient. Im Folgenden sollen die oben genannten Deliktseinordnungen und Ansätze in gebotener Kürze dargestellt und einer kritischen Würdigung unterzogen werden. Im Mittelpunkt dieser Untersuchung steht die Vereinbarkeit dieser Ansätze mit dem Grundsatz „nulla poena sine culpa“.

I. Zur Deutung des § 323a StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt – Die Rauschtat als sog. objektive Bedingung der Strafbarkeit Insbesondere nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs313 sowie nach der Auffassung eines überwiegenden Teils in der Literatur soll § 323a StGB – in te311 Auf gleicher Linie etwa BGHSt 49, 239, 251; s. auch Cramer, Der Vollrauschtatbestand, S. 92, der den § 330a StGB a. F. als missglückt bezeichnete, sodass ein Kompromiss in die eine oder die andere Richtung unausweichlich erscheine; ähnlich auch Spendel, in: LK-StGB, 11. Auflage, § 323a Rn. 1, der die Vorschrift des § 323a StGB für eine der umstrittensten, wenn nicht die strittigste des Strafgesetzbuches hält; Welzel, Strafrecht, S. 473, spricht in Bezug auf § 330a StGB a. F. von dogmatisch „kaum überwindlichen Schwierigkeiten“; Wolter, NStZ 1982, 54 ff., nennt die Vollrauschbestrafung eine „Vorschrift mit Januskopf“. – Lediglich Arthur Kaufmann, JZ 1963, 425 misst § 323a StGB etwas Positives bei, indem er ihn als den vielleicht „dogmatisch interessantesten Tatbestand des StGB“ bezeichnet. 312 Heger, in: Lackner/Kühl, StGB, § 323a Rn. 1. – Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, 1996 und Frister, Schuldprinzip, 1988 kommen – wenn auch auf unterschiedlichen Wegen – zu dem Ergebnis, dass § 323a StGB de lege lata verfassungswidrig ist; vgl. dazu die Ausführungen bei Barthel, Bestrafung wegen Vollrauschs, S. 114 ff. 313 BGHSt 16, 124 ff.: § 323a StGB diene „dem Schutz der Allgemeinheit vor den Gefahren, die ihr bei der unberechenbaren Wirkung vornehmlich des Alkohols als des verbreitetsten Rauschmittels auf den einzelnen Menschen nach allgemeiner Erfahrung von Volltrunkenen drohen“; s. dazu auch BGHSt 2, 14, 19; 9, 390, 398; 20, 284, 285; 32, 48, 53 sowie BGH NJW 2003, 2394, 2396. Vgl. auch BGHSt 1, 275, 277: Tatbestandsmäßiges Unrecht sei allein im Sichbetrinken als der „Herbeiführung des die freie Willensbestimmung ausschließenden und dadurch gemeingefährlichen Zustands“ zu sehen. – Anders hingegen die frühere Rechtsprechung, vgl. etwa BGHSt 10, 247 ff. (5. Strafsenat); weitere Nachweise für einen Bruch in der Rechtsprechung sind bei Spendel, in: LK-StGB, 11. Auflage, § 323a Rn. 68 mit Fn. 141 zu

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4. Teil: Deliktstypus

leologischer Auslegung – dem Schutz aller strafrechtlich relevanten Rechtsgüter anderer vor den generellen Gefahren dienen, die sich aus dem Rausch ergeben bzw. die von dem Berauschten erfahrungsgemäß ausgehen.314 Demgemäß handele es sich rechtsdogmatisch um ein abstraktes Gefährdungsdelikt.315 Abstrakten Gefährdungsdelikten ist es immanent, dass sie ein bestimmtes Verhalten – unabhängig vom Eintritt eines bestimmten Schädigungs- oder konkreten Gefahrerfolges im Einzelfall – pönalisieren, weil die umschriebene Verhaltensweise generell gefährlich ist (bzw. zu einem abstrakten Gefährlichkeitserfolg führt) und ein derartiges Verhalten erfahrungsgemäß zur Verletzung eines Schutzobjektes (vermittelt über den abstrakten Gefährlichkeitserfolg) führen kann.316 Die Vertreter einer solchen Auffassung sehen das entscheidende Unrecht des § 323a StGB allein im schuldhaften Sichberauschen bis zum Zustand der (nicht ausschließbaren) Schuldunfähigkeit als der „Herbeiführung des die freie Willensbestimmung ausschließenden und dadurch gemeingefährlichen Zustands“.317 Dabei gehen die Anhänger dieser Rechtsauffassung davon aus, dass „Alkohol und Kriminalität […] eng miteinander zusammen“ hängen und die Alkoholisierung „vielfach eine mitursächliche, auslösende, begünstigende oder begleitende Rolle“ bei der Straftatbegehung spiele.318 Dies wiederum liege daran, dass sich die Wirkungen eines Rauschs niemals mit Gewissheit vorausberechnen ließen.319 So sei die Trunkenheit als solche, unabhängig von jegfinden. Einen umfassenden Überblick über die Rechtsprechungsentwicklung gibt Geisler, NStZ 2009, 41 f. (Anmerkung zu OLG Hamm, Beschluss vom 21. 8. 2007 - 3 Ss 135/07). 314 S. dazu und zum Folgenden ausführlich Geisler, in: MünchKommStGB V, § 323a Rn. 3. Bereits Cramer, Vollrauschtatbestand, S. 78 definierte den Vollrauschtatbestand als „das Verbot der allgemeinen Rechtsgütergefährdung durch Volltrunkene“, wobei die Qualifizierung als abstraktes Gefährdungsdelikt „nicht wegen der Vielzahl möglicher Gefährdungshandlungen, sondern wegen der Vielzahl möglicher Gefährdungsobjekte“ geboten sei; s. dazu auch Duttge, FS Geppert, S. 63 ff. 315 Die Einordnung als abstraktes Gefährdungsdelikt ist im Schrifttum weit verbreitet. Von einem abstrakten Gefährdungsdelikt gehen etwa aus Cramer, Vollrauschtatbestand, S. 92 ff.; Dencker, NJW 1980, 2159, 2160; ders., JZ 1984, 453 ff.; Heger, in: Lackner/Kühl, StGB, § 323a Rn. 1; Jescheck/Weigend, AT, § 26 II 2, § 53 I 2 b); Krey/Hellmann/Heinrich, BT I, § 11 Rn. 1144 f.; Kusch, Der Vollrausch, S. 24 ff.; Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT II, § 96 Rn. 3 ff.; s. auch Wessels/Hettinger/Engländer, BT I, § 23 Rn. 1042 ff.; Wolters, in: SKStGB, § 323a Rn. 2 m. w. N. 316 Zur Dogmatik abstrakter Gefährdungsdelikte s. allgemein Cramer, Vollrauschtatbestand, S. 50 f.; s. auch Berz, Rechtsgüterschutz, S. 57 ff.; Schmidt, Abstrake Gefährdungsdelikte, 1999. 317 BGHSt 1, 275, 277. Nicht gemeint ist die Strafandrohung der Übermäßigkeit des Alkoholkonsums allgemein, vielmehr geht es um die Herbeiführung eines abstrakt gefährlichen Rauschzustandes. 318 S. Duttge, FS Geppert, S. 63, 64. Vgl. auch Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht, 2006, S. 281, 297. – Grundlegend BGHSt 1, 124, 126: „Denn es ist eine allgemeine Lebenserfahrung, daß übermäßiger Alkoholgenuss den Menschen enthemmen und ihn zu Handlungen befähigen kann, die ihm persönlichkeitsfremd sind“; BGHSt 1, 275, 277: „der die freie Willensbestimmung ausschließende und dadurch gemeingefährliche Zustand“. 319 So BGHSt 16, 124, 125.

A. Deliktstypus und Normzweck – die im Wesentlichen vertretenen Ansichten

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licher Neigung zu Gewalt320, aufgrund einer Vielzahl von potentiellen Gefährdungsobjekten generell gefährlich und müsse unterbunden werden. Durch die mit einem gemeinten Rausch stets verknüpfte fehlende Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit gehe von jedem, der sich in einen solchen Zustand der Unzurechnungsfähigkeit versetzt, eine Gefahr aus.321 Strafwürdiges Verhaltensunrecht liege – ohne Rücksicht auf die Verwirklichung der Rauschtat (da man diese nicht unmittelbar der Schuld zurechnen könne) – bereits in dem selbst verschuldeten Rauschzustand, also dem entsprechenden Sichberauschen.322 § 323a StGB bedroht dieser Ansicht nach das schuldhafte Herbeiführen eines bestimmten Rauschs – das vorsätzliche oder fahrlässige gemeingefährliche Sichberauschen – mit Strafe. Die im Zustand der Schuldunfähigkeit begangene Rauschtat wird sodann als unrechtsneutrale323 objektive Bedingung der Strafbarkeit324 ver320 Dass genau diese Neigungen zu Ausschreitungen von erheblicher Relevanz sind, wird noch unten (Vierter Teil B.) zu sehen sein. 321 Die Beziehung zur Rauschtat allein aus der Herbeiführung des Vollrauschs als riskantem Verhalten ableitend etwa Cramer, Vollrauschtatbestand, S. 78; Puppe, GA 1974, 98 ff., 115. Die daraus resultierende Unberechenbarkeit des Täters gefährde jegliche Rechtsgüter; vgl. Kusch, Der Vollrausch, S. 24. 322 Vgl. dazu auch Barthel, Bestrafung wegen Vollrauschs, S. 78. Keine Rolle soll dabei spielen, ob der Täter beim Sichberauschen mit Ausschreitungen bzw. gefährlichen Neigungen rechnete oder hätte rechnen müssen. 323 Siehe mit berechtigter Kritik etwa Cramer, Vollrauschtatbestand, S. 110 f., der die Rauschtat nicht als schlechthin „unrechtsneutral“ bezeichnen will. Dies begründet er zu Recht damit, dass der anzuwendende Strafrahmen von der Größe der durch die Rauschtat verursachten Rechtsgutsverletzung abhängig und damit die Rauschtat – jedenfalls nach der ursprünglichen Vorstellung des Gesetzgebers – für den Umfang des verwirklichten Unrechts maßgebend ist. Vgl. dazu auch Lange, JR 1957, 243. – Kritisch bzgl. einer Unrechtsneutralität der objektiven Strafbarkeitsbedingungen auch Sax, JZ 1976, 9, 15 ff.; konkret auf die Rauschtat bezogen s. Hilgendorf, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, § 40 Rn. 10 ff.; Ranft, JA 1983, 193, 194: „Wenn die im Rausch verwirklichte Tat für Unrecht und Schuld des Täters bedeutungslos ist, warum darf dann die Strafe nach Art und Maß nicht schwerer sein als diejenige, die für die im Rausch begangene angedroht ist?“. 324 Siehe etwa BGHSt 1, 275, 277; 16, 124, 127; 17, 334; 20, 284, 285; 42, 235, 242; zur Klassifizierung der Rauschtat als „objektive Strafbarkeitsbedingung“ siehe allgemein Cramer, Vollrauschtatbestand, S. 108 ff.; vgl. auch Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 326 f.; Kusch, Der Vollrausch, S. 24 ff., 27, 61 f., wonach die Rauschtat als objektive Bedingung der Strafbarkeit die Effizienz staatlichen Strafens sichere; Heger, in: Lackner/Kühl, StGB, § 323a Rn. 1, 5; Lackner, FS Jescheck, S. 645, 651 f.; s. auch bereits H. Mayer, ZStW 59 (1940), 283, 304 f., der die Rauschtat sowohl als objektive Bedingung der Strafbarkeit als auch als „tragenden Grund der Strafe“ bezeichnete. Dies lasse sich damit begründen, dass der Täter für den „objektiven Erfolg seiner Unmäßigkeit“ haften müsse, (307); s. auch Schmidhäuser, ZStW 71 (1959), 561 ff.; Wessels/Hettinger/Engländer, BT I, § 23 Rn. 1047. – Kritisch: Arthur Kaufmann, JZ 1963, 425, 426: „[…] überspitzte, formalistische und innerlich unwahre Konstruktion […]“. Vgl. auch die berechtigte Kritik an der Konzeption objektiver Bedingungen der Strafbarkeit bzgl. § 323a StGB bei Renzikowski, in: Alkohol und Schuldfähigkeit, S. 141, 148 ff., 152: „Da jedoch alles, was sich außerhalb der Schuld ereignet, für die Bestrafung gleichgültig ist, dürfte die Strafe nicht mehr nach den jeweiligen Rauschtaten bemessen werden.“ Streng, ZStW 101 (1989), 273, 317, bezeichnet die Einstufung der Rauschtat als objektive Bedingung

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4. Teil: Deliktstypus

standen, auf die sich das Verschulden des Täters nicht erstrecken müsse. Die Rauschtat sei lediglich ein zusätzliches hilfreiches Indiz325 für die Feststellung der abstrakten Gefährlichkeit des Sichberauschens. Eine subjektive Vorwerfbarkeitsbeziehung des Täters zur Rauschtat wird nicht verlangt.326 Für eine Einordnung des § 323a StGB als „abstraktes Gefährdungsdelikt“ wird von den Vertretern unter anderem die Systematik des Strafgesetzbuches angeführt: Der hier relevante Vollrauschtatbestand (§ 323a StGB) ist im 28. Abschnitt des Strafgesetzbuches „Gemeingefährliche Straftaten“ geregelt. Die Verortung an dieser Stelle könnte somit auf die Einordnung als abstraktes Gefährdungsdelikt hindeuten. Auch im Wortlaut der Sanktionsnorm soll diese Auslegung Halt finden: „Wer sich […] wird […] bestraft, wenn er in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat begeht und ihretwegen nicht bestraft werden kann, weil er infolge des Rausches schuldunfähig war oder weil dies nicht auszuschließen ist.“ Das zusätzliche Erfordernis der Rauschtat wird an die bereits ausgesprochene Strafandrohung (Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe) angehängt. Demnach könnte unterstellt werden, der Gesetzgeber wolle die Rauschtat als objektive Bedingung der Strafbarkeit einordnen und diese vom Unrechtszusammenhang ausschließen.327 Zwar versuchen die Vertreter eines abstrakten Gefährdungsdelikts, einem Konflikt mit dem Schuldprinzip aus dem Weg zu gehen, indem ein Lösungsansatz auf Tatbestandsebene gesucht wird.328 Dass dies nicht gelingt, wird die nachfolgende kritische Betrachtung zeigen. 1. Vereinbarkeit der Konzeption eines abstrakten Gefährdungsdelikts mit den Grundsätzen der Verhaltensnormlegitimation? Die Gesetzesauslegung und Einordnung des § 323a StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt führt zu nicht akzeptablen Unstimmigkeiten – insbesondere im der Strafbarkeit als „wirklichkeitsfremd“; auch Bemmann, GA 1961, 65, 68, bezeichnet diese Ansicht als „unhaltbar, schon deswegen, weil es objektive Bedingungen der Strafbarkeit nicht gibt“; s. dazu ausführlich ders., Zur Frage der objektiven Bedingungen der Strafbarkeit, S. 52 ff. – Ein umfassender Überblick zur Problematik objektiver Strafbarkeitsbedingungen ist bei Geisler, Zur Vereinbarkeit objektiver Strafbarkeitsbedingungen mit dem Schuldprinzip, 1998 zu finden. 325 Siehe Lange, ZStW 59 (1940), 574, 587; ders., JZ 1951, 460, 461; vgl. auch Cramer, Der Vollrauschtatbestand, S. 103. – Dies verstößt zum einen gegen den Bestimmtheitsgrundsatz und außerdem kann auf diese Weise kein angemessener Rechtsgüterschutz garantiert werden. Ob eine Gefahr für ein Rechtsgut besteht, kann nur ex ante – also bevor der schädliche Erfolg eingetreten ist – beurteilt werden; s. dazu bereits oben (Dritter Teil A.). Die Rauschtat als „unwiderlegliche Beweistatsache für die Gefährlichkeit des Sichberauschens und seiner unmittelbaren Wirkung, des Vollrauschs, im konkreten Fall“ bezeichnet etwa Spendel, in: LKStGB, 11. Auflage, § 323a Rn. 61. 326 Vgl. nur RGSt 73, 11, 13 sowie BGHSt 1, 124, 125; 2, 14, 18; 16, 124, 126. 327 Vgl. dazu auch die Ausführungen bei Brandstetter, Vollrausch, S. 139 f. 328 S. auch Geisler, Zur Vereinbarkeit, S. 366.

A. Deliktstypus und Normzweck – die im Wesentlichen vertretenen Ansichten

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Hinblick auf die Legitimationsbedingungen von Verhaltensnormen. Bereits Arthur Kaufmann bezeichnete diese Einordnung als „überspitzte, formalistische und innerlich unwahre Konstruktion“329. Begreift man § 323a StGB tatsächlich als abstraktes Gefährdungsdelikt, so müsste die zugrundeliegende Verhaltensnorm wie folgt lauten: „Du darfst dich nicht durch alkoholische Getränke oder andere Mittel bis zum Zustand der nicht ausschließbaren Schuldunfähigkeit berauschen.“ Anknüpfungspunkt der Verhaltensnormlegitimation müsste also das Sichberauschen sein. Wie oben (Dritter Teil A. I. 1. b)) bereits gezeigt, ist das bloße Sichberauschen aber gerade nicht der richtige Ansatzpunkt für die Verhaltensnormlegitimation. Würde an das Sichberauschen als das tatbestandsmäßige Unrecht angeknüpft, so steht dem bereits entgegen, dass das Berauschen allein im allgemeinen Bewusstsein der Bevölkerung weder als rechtlich missbilligt noch als strafwürdig angesehen wird.330 Insofern stellt sich die Frage, ob in einem Land wie Deutschland, in dem der Genuss von Alkohol Teil des gesellschaftlichen Lebens ist und das die Prohibition nicht kennt, alleine das schuldhafte Sichberauschen überhaupt als strafwürdiges Unrecht angesehen werden kann. Fraglich ist in diesem Zusammenhang, ob allein die Herbeiführung eines Rauschzustandes eine bis zu fünfjährige Freiheitsstrafe zu rechtfertigen vermag, nur weil in diesem Zustand eine rechtswidrige, aber wegen § 20 StGB gerade nicht strafbare, Tat begangen wird.331 Ginge man dennoch von einem solchen pauschalen abstrakten Gefährdungsdelikt aus, so würde jeder, der sich in einen (bis zur nicht ausschließbaren Schuldunfähigkeit nachweisbaren) Rausch versetzt, den (Unrechts-)Tatbestand des § 323a StGB erfüllen. Denn die Vertreter dieser Ansicht verlangen keine subjektive Vorwerfbarkeitsbeziehung des Täters zur späteren Rauschtat, d. h. bereits das bloß abstrakt gefährliche Sichberauschen müsste strafwürdig und strafbedürftig sein. Festzuhalten bleibt: Das bloße Sichberauschen bis zu einem Zustand der nicht ausschließbaren Schuldunfähigkeit ist in einer freiheitlichen Rechtsordnung im Grundsatz rechtlich erlaubt und stellt erst recht kein strafrechtlich relevantes Unrecht dar.332 Ein legitimierbares Verbot des „Vollrauschs“ erfordert vielmehr hinreichende 329

Arthur Kaufmann, JZ 1963, 425, 426. Otto, Jura 1986, 478, 479; Streng, JZ 1984, 114, 116 m. w. N.; s. auch Hardwig, FS Eb. Schmidt, S. 459, 464. Siehe dazu und zu den verschiedenen Begründungen, gestützt auf das Fehlen von prohibitiven Maßnahmen oder unter Berufung auf die Sozialadäquanz der Trunkenheit, u. a. bereits oben (Dritter Teil A. I.). – Dies gilt selbstverständlich nicht für das Sichberauschen mit „anderen berauschenden Mitteln“. 331 S. dazu und zum Vorstehenden Geisler, Zur Vereinbarkeit, S. 363 ff.; zusammenfassend ders., GA 2000, 166, 174 ff.; s. auch Kraatz, ZStW 125 (2013), 819, 823. Zur Angemessenheit des Strafmaßes siehe noch unten (Fünfter Teil A.). 332 Freund, in: Handbuch des Strafrechts, § 46 Rn. 7. Dies wird auch beim Vergleich mit abstrakten Gefährdungsdelikten wie etwa § 231 StGB oder § 316 StGB deutlich; auf gleicher Linie etwa Hruschka, JZ 1996, 71 f. – Da schon kein Verstoß gegen eine legitimierbare Verhaltensnorm begründet werden kann, kommt es auf die – ebenfalls zu beachtende – ultima ratioFunktion von Strafe nicht mehr an. Zur ultima ratio-Funktion von Strafe s. bereits oben (Dritter Teil B. III.). 330

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Anhaltspunkte dafür, dass der Konsum berauschender Mittel beim Täter in concreto zu bestimmten Übergriffen führen kann. Nur dann ist die Gefährlichkeit des Verhaltens gewichtig genug, um diese rechtzeitig zu unterbinden. Das Sichberauschen allein genügt nicht. Diese darauf gegründete Deliktseinordnung mag zwar vordergründig empfundenen Bestrafungsbedürfnissen Rechnung tragen. Sie hält indessen kritischer Betrachtung nicht Stand.333 Nun wollen einige der Rauschtat eine strafbegrenzende Funktion zusprechen: Nur wenn sich die Gefährlichkeit des Sichberauschens in einer anschließenden Rauschtat widerspiegele, solle ein Strafbedürfnis ausgelöst werden.334 In diesem Zusammenhang gilt es jedenfalls festzuhalten: Ein Verhaltensnormverstoß kann nicht davon abhängig sein, ob auch tatsächlich eine an die Berauschung anschließende Rauschtat verwirklicht wird. Denn es ist gerade nicht möglich, einen Verhaltensnormverstoß von später eintretenden Umständen abhängig zu machen. Dies wäre im Hinblick auf die berechtigten Belange des Güterschutzes dysfunktional.335 Verhaltensnormen müssen – wie oben bereits aufgezeigt – im Zeitpunkt ex ante für den jeweiligen Normadressaten erkennbar sein. Die nachträgliche bzw. von einem späteren Ereignis abhängig gemachte Feststellung eines solchen Verstoßes wäre mit der Bestimmungsfunktion von Verhaltensnormen – die im Zeitpunkt ex ante für den Bürger erkennbar sein müssen – unvereinbar.336 Ein rückwirkendes Verbot des Sichberauschens stellt damit einen eindeutigen Wertungswiderspruch dar.337 Lässt man also die späteren Ereignisse im für die Legitimation der Verhaltensnorm relevanten Zeitpunkt (ex ante) auch als Möglichkeit außer Betracht, fehlt es an zureichenden Gründen für die Legitimation eines Berauschungsverbots. Unter diesen Umständen kann aber auch das spätere Geschehen kein legitimes Bestrafungsbedürfnis erzeugen. Im 333

Zur ausführlichen Argumentation s. bereits oben (Dritter Teil A. I. 1. b)). Vgl. dazu auch Lay, in: LK-StGB, 9. Aufl., § 330a a. F. Rn. 5 f., 11 m. w. N.; s. dazu Barthel, Bestrafung wegen Vollrauschs, S. 80 m. w. N.: „Der Gesetzgeber übe insoweit Zurückhaltung, indem er eine Strafe nur für den Fall androhe, in dem der Täter eine Rauschtat begeht, da nur dann ein kriminalpolitisches Bedürfnis für Strafe bestehe.“ – Richtig wäre allerdings zu sagen: Es besteht eine Strafbarkeitsanordnung für den Fall, dass … – Die Strafdrohung i. S. einer bedingten Anordnung von Strafbarkeit existiert unabhängig von den späteren Ereignissen. Es liegt unabhängig davon ein Verstoß gegen eine strafbewehrte Verhaltensnorm vor; s. dazu näher Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 83 f.; kritisch auch Geisler, Zur Vereinbarkeit, S. 368. 335 S. etwa auch Freund/Renzikowski, ZRP 1999, 497, 498. 336 Vgl. Freund/Renzikowski, ZRP 1999, 497, 498. Dann müsste also auch demjenigen, der sich im Anschluss an einen Kneipenbesuch – und einer daraus resultierenden Berauschung – friedlich schlafen legt, der Vorwurf des § 323a StGB gemacht werden; vgl. auch Renzikowski, in: Recht auf Rausch, S. 317, 319. 337 Renzikowski, ZStW 112 (2000), 475, 508, spricht von einem „Selbstwiderspruch“; vgl. auch Neumann, Zurechnung und „Vorverschulden“, S. 124 f.; auch Kraatz, ZStW 125 (2013), 819, 828 sieht einen Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz, wenn das Unwerturteil eines Verhaltens von einem erst später eintretenden Umstand abhängig gemacht wird. Auf gleicher Linie auch Lackner, FS Jescheck, S. 645, 649 mit Fn. 26, der die rückwirkende Unrechtsbegründung als einen „Kunstgriff, mit dem die in Wahrheit bestehende rechtliche Mißbilligung verdeckt wird“, bezeichnet. 334

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Übrigen wäre es inkonsequent, das Verhaltensunrecht des § 323a StGB unabhängig von den (möglichen) späteren Ereignissen zu bestimmen, dann aber doch irgendwie die entsprechende Gefährlichkeit unter dem Aspekt eines problematischen Strafbedürfnisses – etwa auch bei der Strafzumessung – zu berücksichtigen.338 2. Ablehnung eines abstrakten Gefährdungsdelikts über den Wortlaut des § 323a StGB Konsequenterweise müsste die Auffassung von der Rauschtat als bloßer objektiver Strafbarkeitsbedingung zu dem Ergebnis kommen, dass es vollkommen irrelevant ist, ob im Vollrausch ein Mord oder aber in diesem Zustand ein Diebstahl – beispielsweise eines Schokoriegels im Supermarkt – begangen wird.339 Denn Verhaltensunrecht wäre ausschließlich das bloße Sichberauschen. Und die Rauschtat würde keinerlei weitere Differenzierungen erlauben, weil sie nicht als spezifische Fehlverhaltensfolge aufgefasst wird, sondern ihr nur die Funktion einer objektiven Strafbarkeitsbedingung zukommen soll. Eine solche ist aber gerade nicht geeignet, sachgerechte Differenzierungen bei der strafrechtlichen Reaktion auf das Fehlverhalten des Täters zu begründen. Indessen zeigt ein Blick in das Gesetz, dass der Gesetzgeber der Rauschtat genau eine solche Differenzierungsfunktion zuweist. Damit sie diese nicht zuletzt vor verfassungsrechtlichem Hintergrund auch erfüllen kann, darf die Rauschtat gerade nicht als bloße objektive Strafbarkeitsbedingung verstanden werden. Es ist inkonsistent, wenn man zunächst davon ausgeht, die Rauschtat sei lediglich eine objektive Bedingung der Strafbarkeit, diese zugleich jedoch für die Bestimmung der strafzumessungsrelevanten Schuld heranzieht.340 Wenn sich das Verschulden des Täters im Zeitpunkt des Sichberauschens nicht auf die Rauschtat erstreckt, darf diese auch nicht für die Strafzumessung relevant sein. Denn gemäß § 46 Abs. 1 S. 1 StGB ist „die Schuld des Täters […] Grundlage für die Zumessung der Strafe“. Gemäß dem Wortlaut des § 323a Abs. 2 StGB darf die Strafe nach Art und Maß nicht schwerer 338

Zur Strafzumessungsrelevanz der Rauschtat s. insbes. noch unten (Vierter Teil A. I. und Fünfter Teil A. II.). 339 S. mit einem weiteren Beispiel auch Arthur Kaufmann, Schuldprinzip, S. 249 f., wonach bei mangelnder Berücksichtigung des Unwertes der Rauschtat bei der Bestrafung des Vollrauschs, der im Vollrausch begangene Lustmord mit dem Unwert einer Sachbeschädigung identisch wäre. Wobei Kaufmann allerdings von einer objektiven Bedingung der Strafbarkeit ausgeht. Objektive Bedingungen der Strafbarkeit seien zwar für das Unrecht der Tat konstitutiv, müssten jedoch nicht von der Schuld umfasst werden (S. 251). – Kritsch dazu Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 334, wonach die Normwidrigkeit der Rauschtat durch § 323a StGB gar nicht berührt werde. 340 S. dazu etwa BGHSt 38, 356, 361, wonach die Schwere der Rauschtat als strafschärfender Umstand herangezogen wird; siehe mit berechtigter Kritik dazu und zum Folgenden auch Geisler, in: MünchKommStGB V, § 323a Rn. 4 f.; Streng, in: MünchKommStGB I, § 20 Rn. 152; vgl. auch Paeffgen, ZStW 97 (1985), 513, 539. Siehe zur Strafzumessung beim Vollrausch Bruns, FS Lackner, S. 439 ff.

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sein, als diejenige, die für die im Rausch begangene Tat angedroht ist. Demzufolge ist der Strafrahmen an die Rauschtat (die angeblich vom Unrechtszusammenhang ausgeklammert werden soll) gebunden. Darüber hinaus überträgt das Gesetz gem. § 323a Abs. 3 StGB auch das Strafantrags- oder Ermächtigungserfordernis der Rauschtat auf den Vollrausch. Die Strafrahmenbindung kann mit der Existenz einer objektiven Bedingung der Strafbarkeit nicht überzeugend erklärt werden, wenn man bedenkt, dass die Rauschtat in diesem Zusammenhang gar keine Rolle spielen soll. Vielmehr würde eine solche Annahme einen eindeutigen Verstoß gegen das Schuldprinzip darstellen.341 Dementsprechend lässt sich die Strafrahmenbindung des § 323a Abs. 2 StGB nur wie folgt erklären: Wie oben (Dritter Teil A.) bereits näher erläutert, bedarf es immer zumindest einer Fahrlässigkeitsbeziehung (subjektiven Vorwerfbarkeitsbeziehung) des Täters zur Rauschtat. Die Rauschtat muss für eine Vollendungsstrafbarkeit spezifische Folge des (wenigstens fahrlässigen) Sichberauschens (Verhaltensunrechts) sein. Auf dieser Basis versteht es sich von selbst, dass die Strafe des Vollrauschs durch die für die im Rausch begangene Tat (bei vorausgesetzter Schuldfähigkeit) begrenzt wird.342 Auch die Relevanz von Verfolgungsvoraussetzungen der Rauschtat in § 323a Abs. 3 StGB lässt sich auf diese Weise ohne Systembruch erklären.343 Die einzig schlüssige Erklärung der in § 323a StGB angeordneten Strafrahmenbindung ist somit Folgende: Der wesentliche Unrechtskern liegt bei § 323a StGB in Wahrheit in der Rauschtat als spezifischer Fehlverhaltensfolge selbst, denn diese bestimmt nach Absatz 1 und Absatz 2 den Strafrahmen.344 Vor diesem Hintergrund kann es sich bei der Rauschtat keineswegs um eine sog. objektive Bedingung der Strafbarkeit handeln. In derartigen Fällen wird vielmehr – wie etwa auch bei der fahrlässigen Tötung – das entsprechende Verhaltensunrecht in Verbindung mit seiner spezifischen Fehlverhaltensfolge strafrechtlich angemessen geahndet. 3. Vergleich mit § 122 OWiG – Ein nicht schlüssiges Gefälle zwischen den angedrohten Rechtsfolgen Ein weiterer Kritikpunkt im Hinblick auf die Einordnung als abstraktes Gefährdungsdelikt in Kombination mit der Rauschtat als objektiver Strafbakreitsbedingung tritt beim Vergleich des § 323a StGB mit § 122 OWiG hervor. Im Ord341

Vgl. dazu auch Neumann, Zurechnung und „Vorverschulden“, S. 53, wonach eine Strafbarkeitsbedingung, die nicht nur über das „Ob“, sondern auch über den Grad der Strafbarkeit entscheidet, ein Unding sei. 342 So auch bereits Arthur Kaufmann, JZ 1963, 425, 428; s. auch Ranft, JA 1983, 193, 194; s. dazu noch näher unten (Vierter Teil B.). 343 Näher dazu noch unten (Vierter Teil B. I. 2.). 344 So auch Welzel, ZStW 58 (1939), 491, 523 in Fn. 44; vgl. auch Freund/Renzikowski, ZRP 1999, 497, 498. Die Rauschtat ist einzig ausschlaggebender Gesichtspunkt im Rahmen der Strafzumessung; s. dazu noch unten (Fünfter Teil A. II.).

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nungswidrigkeitenrecht existiert mit § 122 OWiG eine dem § 323a StGB entsprechende Vollrauschvorschrift.345 Für die Festsetzung einer Geldbuße ist nach § 122 OWiG die Begehung einer Ordnungswidrigkeit notwendig, für die Verhängung einer Geld- oder Freiheitsstrafe nach § 323a StGB wird die Begehung einer Straftat vorausgesetzt.346 Die Unterschiede zwischen Strafen und Ahndungen als Ordnungswidrigkeit ergeben sich – wie oben bereits dargestellt – im Rahmen der Erforderlichkeit der jeweiligen Maßnahme.347 Eine ordnungswidrigkeitenrechtliche Maßnahme (Geldbuße) stellt in der Regel das mildere Mittel im Vergleich zu einer strafrechtlichen Maßnahme (Geld- oder Freiheitsstrafe) dar.348 Um zur Anwendung entweder des Ordnungswidrigkeitenrechts oder des Strafrechts zu gelangen, ist das Gewicht des jeweiligen Verhaltensnormverstoßes – ggf. nebst dessen spezifischen Folgen(!) – zu berücksichtigen. Je gewichtiger der Verhaltensnormverstoß und ggf. dessen spezifische Folgen, desto intensiver darf und muss die staatliche Maßnahme ausfallen. Im Hinblick auf den Vollrauschtatbestand und dessen Einordnung als „abstraktes Gefährdungsdelikt“ mit der Rauschtat als objektiver Strafbarkeitsbedingung leuchtet es allerdings nicht ein, weshalb die Vollrauschvorschrift des § 122 OWiG eine bloße Geldbuße, der Vollrauschtatbestand des Strafgesetzbuchs (§ 323a StGB) hingegen eine bis zu fünfjährige Freiheitsstrafe androht.349 Wenn Strafgrund beider Normen tatsächlich nur die selbstverschuldete Herbeiführung eines gemeingefährlichen Rauschzustandes (das Sichberauschen) wäre, bliebe das krasse Gefälle zwischen den angedrohten Rechtsfolgen unverständlich.350 Unerfindlich bleibt, weshalb im einen Fall das Sichberauschen gewichtig genug sein soll, um als Straftat deklariert zu werden, wohingegen im anderen Fall eine bloße Ordnungswidrigkeit angenommen wird. Eine derartige Differenzierung ist unmöglich, denn die Herbeiführung eines gemeingefährlichen Rauschzustandes allein lässt sich gerade nicht in verschiedene „Gewichtskategorien“ einteilen. Das gleiche Verhalten (das Sichberauschen) wäre somit bloße Ordnungswidrigkeit und zugleich auch Kriminalunrecht und die (ei-

345 Die Aufnahme einer entsprechenden Vorschrift ins OWiG hielt der Gesetzgeber für erforderlich; vgl. BT-Drs. V/1269 S. 65 f.: „Die Ausweitung der Bußgeldtatbestände, namentlich die Einbeziehung der Polizeidelikte, die bislang als Übertretungen eingestuft sind, und die Umwandlung von Vergehenstatbeständen von geringer Bedeutung macht jedoch eine Vorschrift über den Vollrausch auch im Bereich des Rechts der Ordnungswidrigkeiten notwendig“. Ob die Vorschrift des § 122 OWiG tatsächlich einen sinnvollen Anwendungsbereich hat, wird noch unten (Vierter Teil B. I. 2.) erläutert. 346 Dabei ist zu betonen, dass sowohl für Strafen als auch für Ordnungswidrigkeiten ein persönlicher Vorwurf erhoben werden muss; s. dazu bereits oben (Dritter Teil B. III.). 347 S. dazu bereits oben (Dritter Teil B. III.). 348 Zutreffend Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 359; Reus, Das Recht in der Risikogesellschaft, S. 94 f. 349 Geisler, Zur Vereinbarkeit, S. 369; ders., GA 2000, 166, 176. 350 Geisler, Zur Vereinbarkeit, S. 369; ders., GA 2000, 166, 176.

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gentlich) doch so unrechtsneutrale „objektive Bedingung der Strafbarkeit“ würde über die konkrete Rechtsfolge (Strafe oder bloße Geldbuße) entscheiden.351 Wie oben bereits dargestellt, handelt es sich beim bloßen Sichberauschen bis zum Zustand der (nicht ausschließbaren) Schuldunfähigkeit jedoch nicht um ein hinreichend gewichtiges und gefährliches Verhalten, welches überhaupt eine Geldbuße oder gar eine Freiheitsstrafe zu rechtfertigen vermag. Im Gegenteil: Es handelt sich um ein erlaubtes Verhalten, das gegen keine legitimierbare Verhaltensnorm verstößt.352 Das bloße Sichberauschen ist mithin für die Einordnung der Tat als Ordnungswidrigkeit oder Straftat von vornherein nicht weiterführend. Die unterschiedlichen Rechtsfolgenandrohungen lassen sich nur mit Blick auf die jeweils verwirklichte Rauschfolge (die Rauschtat) – als spezifische Fehlverhaltensfolge –, zu welcher der Täter zumindest eine Fahrlässigkeitsbeziehung aufweisen muss, erklären.353 Nur wenn das tatbestandspezifische Fehlverhalten, welches im Fahrlässigkeitsbezug des Täters zur begangenen Rauschtat liegt, hinreichend gewichtig ist, lässt sich – je nach Schwere des Verhaltensnormverstoßes und seiner spezifischen Folge – eine Geldbuße oder gar Strafe in Form der Geld- oder Freiheitsstrafe legitimieren.354 Der Ansatzpunkt für die Einordnung als Ordnungswidrigkeit oder Straftat kann und darf damit nur die Rauschtat (i. S. entweder einer Straftat oder einer mit Geldbuße bedrohten Handlung [Ordnungswidrigkeit]) als spezifische Fehlverhaltensfolge sein.355 Die Rauschat kann somit keineswegs „unrechtsneutral“ sein. Wollte man den Vertretern eines abstrakten Gefährdungsdelikts Böses unterstellen, so könnte man meinen, sie wollten die Rauschtat als lediglich objektive Bedingung der Strafbarkeit titulieren, um zu verschleiern, dass tatsächlich an die im Zustand der Schuldunfähigkeit begangene Handlung angeknüpft wird, dass also nur das gelten soll, was kriminalpolitisch erwünscht ist.356 Dies stellt einen offensichtlichen Verstoß gegen das Schuldprinzip dar.

351 S. Paeffgen, in: NK-StGB III, § 323a Rn. 8, wonach laut der herrschenden Meinung „das ,Unrecht‘ eigentlich kein Unrecht“ sei, „sondern erst durch etwas Unrechtsneutrales (die objektive Strafbarkeitsbedingung) zum Unrecht“ werde; kritsch auch Arthur Kaufmann, Schuldprinzip, S. 249. 352 Siehe dazu bereits oben (Dritter Teil A. I. 3.). 353 S. auch Geisler, Zur Vereinbarkeit, S. 369. Bei der Rauschtat handelt es sich somit nicht um personales Fehlverhaltensunrecht, sondern lediglich um die spezifische Fehlverhaltensfolge des zuvor Verwirklichten – des zu gefährlichen Sichberauschens. 354 Siehe zu den Anforderungen an den Einsatz des Straf- oder Ordnungswidrigkeitenrechts bereits oben (Dritter Teil B. III.). 355 Zu einer schlüssigen Erklärung siehe noch unten (Vierter Teil B.). 356 S. dazu auch Paeffgen, NStZ 1993, 66, 67.

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4. Exkurs: Vereinbarkeit objektiver Strafbarkeitsbedingungen mit dem Schuldprinzip? Objektive Bedingungen der Strafbarkeit sind Merkmale einer Straftat, die eine Art Tatbestandsannex bilden und außerhalb des Unrechts- und Schuldtatbestandes liegen sollen, weshalb sich darauf weder der Vorsatz noch die Fahrlässigkeit des Täters beziehen müssen.357 Es handelt sich sachlich um strafbarkeitseinschränkende Bedingungen, die vor allem bei abstrakten Gefährdungsdelikten vom Gesetzgeber gefordert werden, um eine als sonst zu weitgehend empfundene Strafbarkeit zu verhindern.358 Objektive Bedingungen der Strafbarkeit finden sich im deutschen Strafgesetzbuch etwa als „strafbarkeitsbegründende Erfolge“359 beispielsweise in § 231 StGB (die Beteiligung an einer Schlägerei) oder auch sonstige Kriterien wie etwa in § 186 StGB (die Nichterweislichkeit einer ehrenrührigen Tatsache) oder in § 113 StGB (die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung). Die Annahme einer objektiven Strafbarkeitsbedingung bereitet jedoch erhebliche dogmatische Probleme; insbesondere deren Vereinbarkeit mit dem Schuldprinzip ist höchst umstritten.360 Eine umfassende Aufarbeitung der sich stellenden Gesamtproblematik objektiver Strafbarkeitsbedingungen ist an dieser Stelle weder möglich noch erforderlich. Im hier interessierenden Zusammenhang gilt es lediglich Folgendes festzuhalten: Objektive Bedingungen der Strafbarkeit schränken per definitionem nicht schon die Geltung bestimmter Verhaltensnormen ein, sondern allein die Reichweite der vom Gesetzgeber fixierten Sanktionsnorm.361 Damit aber eine Bestrafung mit dem Schuldprinzip in Einklang steht, muss der mit dem Schuldspruch erhobene Vorwurf rechtlich missbilligten Verhaltens unabhängig von der objektiven Strafbarkeitsbedingung berechtigt sein. Die Verhaltensnorm, gegen die verstoßen worden sein soll, muss losgelöst von einer sog. objektiven Bedingung der Strafbarkeit formuliert und

357 Zur Sytematik von und kritischen Auseinandersetzung mit objektiven Strafbarkeitsbedingungen im Allgemeinen s. ausführlich Geisler, Zur Vereinbarkeit, S. 139 ff., 211 ff., 231 ff.; gegen eine grundsätzliche Existenzberechtigung objektiver Strafbarkeitsbedingungen spricht sich Bemmann, Zur Frage der objektiven Bedingungen der Strafbarkeit, S. 57 ff. aus. 358 Vgl. Freund/Rostalski, AT, § 2 Rn. 96 f.; Rönnau, JuS 2011, 697, 697. Grundlegend zu der Funktion objektiver Bedingungen der Strafbarkeit etwa Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, Vor §§ 13 ff. Rn. 124 ff.; explizit bezogen auf die Rauschtat bei § 323a StGB s. etwa Dreher, JZ 1953, 421, 426; Junge, Rauschbedingte Fehlvorstellungen, S. 104 f.; Kusch, Der Vollrausch, S. 61 ff. – Aufgrund dieser lediglich einschränkenden (und nicht strafbegründenden) Funktion soll kein Verstoß gegen das Schuldprinzip vorliegen; s. dazu etwa BGHSt 16, 124, 125; Krey/Hellmann/Heinrich, BT I, § 11 Rn. 1145. 359 Roxin/Greco, AT I, § 23 Rn. 2. 360 Zur Frage, ob und inwieweit der Schuldgedanke gegenüber Zweckmäßigkeitsüberlegungen zurückstehen darf, s. ausführlich Geisler, Zur Vereinbarkeit, 1998; ders., GA 2000, 166, 169 ff.; s. auch Arthur Kaufmann, Schuldprinzip, S. 247 ff. – Gelöst werden kann die Frage der Vereinbarkeit objektiver Strafbarkeitsbedingungen mit dem Schuldprinzip nur mit Blick auf die jeweilige Norm, Freund/Rostalski, AT, § 2 Rn. 97. 361 Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 233, 237.

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vor allem auch legitimiert werden können.362 Dazu ist die im jeweiligen konkreten Kontext relevante Verhaltensnorm in den Blick zu nehmen. Für den Vollrauschtatbestand bedeutet dies explizit: Die Rauschtat könnte nur dann eine bloße objektive Bedingung der Strafbarkeit sein, wenn sich eine Verhaltensnorm losgelöst von dieser legitimieren ließe. Wie aber bereits oben näher dargestellt, lässt sich eine solche Verhaltensnorm gerade nicht legitimieren.363 Wird unter diesen Umständen dennoch bestraft (nur weil es zufällig zu einer Rauschtat gekommen ist), liegt der Verstoß gegen das Schuldprinzip offen zutage. 5. Zusammenfassung der Ergebnisse Als Zwischenergebnis bleibt festzuhalten, dass offenbar doch „erst die Rauschtat der Handlung die Farbe und das Gewicht einer Straftat gibt“.364 Die logische Konsequenz daraus muss dann aber sein, dass ein Verstoß gegen das Schuldprinzip vorliegt, wenn genau die Umstände, die das eigentliche Unrecht erst begründen, von der Schuld des Täters nicht umfasst sein sollen.365 Die Hinnahme eines solchen Bruchs mit dem Grundsatz nulla poena sine culpa ist weder kriminalpolitisch noch dogmatisch begründbar, sondern absolut inakzeptabel.366 Denn wie bereits Lange anmerkte, handelt es sich bei dem Schuldprinzip gerade nicht um eine „Kutsche, mit der man ein Stück mitfährt, um dann an beliebiger Stelle wieder auszusteigen.“367 Darüber hinaus gelingt es den Befürwortern eines abstrakten Gefährdungsdelikts (wie oben bereits gezeigt) nicht, die Strafrahmenbindung von § 323a Abs. 2 StGB 362 Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 233 f. Dieser verweist dazu auf Stratenwerth, ZStW 71 (1959), 565, 569: Objektive Bedingungen der Strafbarkeit dürfen „nicht zur Materie des jeweiligen strafrechtlichen Verbotes, Gebotes oder Erlaubnissatzes gehören“. 363 S. dazu bereits oben (Dritter Teil A. I. 1. a)). 364 So Arthur Kaufmann, JZ 1963, 425, 427; vgl. auch Welzel, ZStW 58 (1939), 491, 523 in Fn. 44, wonach die Rauschtat „der eigentlich unrechtsbedeutsame Teil des im § 330a StGB abgebildeten Geschehens“ ist; auf gleicher Linie auch Geisler, Zur Vereinbarkeit, S. 367 ff., 375; ders., GA 2000, 166, 174 f.; ähnlich auch Jescheck/Weigend, AT, § 53 I 2b), wonach „die Rauschtat den Unrechtsgehalt des § 323a mitbestimmt“; auf gleicher Linie etwa auch Neumann, Zurechnung und „Vorverschulden“, S. 52, wonach der Charakter der Rauschtat den Unrechtsgehalt des Delikts des § 323a StGB sogar entscheidend bestimme. 365 Roxin/Greco, AT I, § 23 Rn. 9. Dieses Ergebnis bleibt für die Vertreter eines abstrakten Gefährdungsdelikts, die die Rauschtat als bloße objektive Bedingung der Strafbarkeit einordnen. 366 Anders Jescheck/Weigend, AT, § 53 I 2b) m. w. N. in Fn. 19, wonach sich solche Bedenken zum Teil dadurch ausräumen ließen, „[…] daß der Täter das für jedermann ohne weiteres erkennbare Risiko eingeht, dass die objektive Strafbarkeitsbedingung gegeben sein könnte. […] Wer sich in einen die Schuldunfähigkeit ausschließenden Rausch versetzt, begründet damit vorwerfbar die Gefahr, daß er in diesem Zustand Straftaten begeht, da niemand seine Reaktionen im Zustand der Volltrunkenheit sicher voraussehen und beherrschen kann“; vgl. auch Krey/Hellmann/Heinrich, BT I, § 11 Rn. 1145. – Dass dieses Riskio allein nicht genügt, wird im weiteren Verlauf aufzuzeigen sein (Vierter Teil B.). 367 Lange, JR 1957, 242, 244.

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(wonach die Strafe für den Vollrausch nach Art und Maß nicht schwerer sein darf als diejenige, die für die Rauschtat angedroht ist) schlüssig zu erklären. Demzufolge handelt es sich bei § 323a StGB keineswegs um ein abstraktes Gefährdungsdelikt und die Rauschtat ist nicht bloß objektive Bedingung der Strafbarkeit. Die Prämissen eines solchen Ansatzes verstoßen nicht nur gegen elementare Grundsätze der Verhaltensnormlegitimation, sondern widersprechen darüber hinaus auch dem eindeutigen Gesetzeswortlaut. Schließlich sind sie mit verfassungsrechtlichen Prinzipien – insbesondere mit dem Schuldprinzip – unvereinbar.

II. § 323a StGB als Ausnahmevorschrift zu den §§ 20, 21 StGB Einen ganz anderen Blickwinkel eröffnet die zunehmend vertretene Auffassung, die § 323a StGB als Einschränkung der §§ 20, 21 StGB und damit als eine den § 20 StGB (§ 51 StGB a. F.) ergänzende außerordentliche Schuldzurechnungsregelung bzw. als Ausnahmeregelung zu § 20 StGB begreift.368 Die Vertreter dieser Auffassung erblicken in § 323a StGB keinen selbständigen Straftatbestand des Strafgesetzbuchs, sondern bezeichnen diesen unter anderem als eine „verkappte Regelung des Allgemeinen Teils“.369 Ihren Ursprung findet diese Auffassung in der aus dem kanonischen Recht stammenden Lehre vom versari re illicita: „Wer eine unerlaubte Tat begeht, haftet für alles, was aus ihr folgt“.370 Für den Vollrauschtatbestand bedeutet dies Folgendes: Der Täter hat sich berauscht, deshalb ist er auch für die Folgen des Rauschs zur 368 S. dazu auch die ausführlichen Ausführungen bei Geisler, Zur Vereinbarkeit, S.375 ff. – Den Vorstoß in diese Richtung machte Hellmuth v. Weber, GerS 106 (1935), S. 329 ff. – Zu den Vertretern, die § 323a StGB als Ausnahmeregel begreifen, gehört insbesondere Hruschka, Strafrecht, S. 291, 296 ff., der § 323a StGB als einen „Gesetzgebungsfehler“ bezeichnet. Diese Auffassung teilt auch Neumann, Zurechnung und „Vorverschulden“, S. 125 ff., wonach § 323a StGB die Irrelevanz des schuldhaften Alkoholrausches für die Strafbarkeit des Täters statuiere. Der Täter sei demnach so zu bestrafen, als hätte er die Tat im Zustand der Schuldfähigkeit begangen. Der Rausch sei nicht Grund der Strafbarkeit, sondern lediglich nicht Grund der Straflosigkeit; in diesem Sinne etwa auch Streng, JZ 1984, 114, 118 f.; vgl. auch ders., NJW 2003, 2963, 2965, wonach § 323a StGB lediglich „aus Tarnungsgründen“ im Besonderen Teil verortet sei; s. auch ders., in: MünchKommStGB I, § 20 Rn. 151 ff. – Otto, Jura 1986, 478, 481, sieht zwar in § 323a StGB eine Ausnahmeregel zu §§ 20, 21 StGB, jedoch verlangt er zusätzlich als subjektives Tatbestandsmerkmal die Kenntnis der Gefährlichkeit des Rauschzustandes für die Begehung von Delikten. Dies nähert sich ansatzweise denjenigen an, die § 323a StGB als konkretes Gefährdungsdelikt einordnen. – In manchen europäischen Ländern wie etwa in Schweden (Kap. 1 § 2 Abs. 2 des schwedischen StGB), in Italien (Art. 92 Codice penale) oder in Polen (Art. 31 § 3 polStGB), wird die selbstverschuldete Schuldunfähigkeit von § 20 StGB ausgenommen. 369 So Streng, ZStW 101 (1989), 273, 318 ff. 370 „Versanti in re illicita imputantur omnia quae sequuntur ex delicto“. Zum Versari-Gedanken s. instruktiv Kollmann, ZStW 35 (1914), 46 ff.; eine gute Übersicht zur Lehre vom versari in re illicita ist auch bei Cramer, Vollrauschtatbestand, S. 19 ff. zu finden; s. auch Renzikowski, ZStW 112 (2000), 475, 491 ff. m. w. N.

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Rechenschaft zu ziehen.371 Der eigentliche Strafgrund des Vollrauschs sei also die im Zustand der (nicht auschließbaren) Schuldunfähigkeit begangene Rauschtat. Von den Anhängern dieser Lehre wird der Vollrausch nicht deshalb als bedrohlich angesehen, „weil er zu Straftaten, sondern weil er zur Straflosigkeit führt“.372 Um dieser zwingenden Wirkung des Schuldprinzips zu begegnen, soll die Vorschrift des § 323a StGB verhindern, dass sich ein Täter aufgrund eines Defektzustandes von der strafrechtlichen Verantwortung freistellen kann – Sinn und Zweck dieser Auslegung des § 323a StGB ist somit, die durch § 20 StGB entstehenden Strafbarkeitslücken zu schließen. Oder kurz gesagt: Durch § 323a StGB sollen unerwünschte Freisprüche verhindert werden.373 Denn grundsätzlich handelt es sich in solchen Fällen um von § 20 StGB erfasste – nicht strafbare, weil (möglicherweise) nicht schuldhaft begangene – Taten. Um diese Freistellung von der strafrechtlichen Verantwortlichkeit zu umgehen und dennoch zu einer Strafbarkeit gelangen zu können, müsse § 323a StGB als Ausnahmevorschrift zu §§ 20, 21 StGB greifen.374 Bei der Verortung des § 323a StGB im Besonderen Teil des Strafgesetzbuchs handelt es sich dieser Ansicht nach damit um eine „Falschetikettierung“.375 In der Konsequenz kann die Rauschtat nach diesem Konzept nicht nur eine bloße objektive Bedingung der Strafbarkeit sein. Anders als die Vertreter der Annahme eines abstrakten Gefährdungsdelikts misst diese Ansicht der „rechtswidrigen Tat“ (der Rauschtat) eine erhebliche und sogar einzig ausschlaggebende Unrechtsrelevanz zu. Eine Lösung des „Problems“ wird „nicht auf der Ebene des tatbestandlichen Unrechts, sondern auf der Ebene der Schuld“376 gesucht, indem eine Ausnahme von den §§ 20, 21 StGB postuliert wird. Damit stellt sich aber die Frage, ob das ohne Verstoß gegen das Schuldprinzip überhaupt möglich ist. Richtigerweise ist diese Frage klar zu verneinen: Dass die Bestrafung eines schuldlos Handelnden gegen das verfassungsrechtlich verankerte Schuldprinzip verstieße (und – nebenbei bemerkt – auch vollkommen unsinnig wäre), ist eine Trivialität. Insoweit stellt § 20 StGB nur

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So etwa Hellmuth v. Weber, GA 1958, 257, 262; s. dazu Renzikowski, in: Recht auf Rausch, S. 317, 321. 372 Neumann, Zurechnung und „Vorverschulden“, S. 61; auf gleicher Linie etwa Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 329 ff.; dazu und zur vermeintlich exkulpierenden Bedeutung des Rausches s. die berechtigte Kritik von Geisler, Zur Vereinbarkeit, S. 375 m. w. N. in Fn. 44. 373 Streng, JZ 1984, 118 f.; vgl. auch Otto, Jura 1986, 478, 479. – In der Sache übereinstimmend Hardwig, FS Eb. Schmidt, S. 459, 473 ff.; ders., GA 1964, 140, 144 f.; Neumann, Zurechnung und „Vorverschulden“, S. 125 ff. – S. dazu kritisch Geisler, in: MünchKommStGB V, § 323a Rn. 6; vgl. auch ders., Zur Vereinbarkeit, S. 377. 374 S. dazu Hruschka, Strafrecht, S. 298, wonach die Berauschung selbst nur nominell bestraft werde. Eigentlicher Grund für die Bestrafung sei die tatbestandsmäßige und rechtswidrige Tat nach § 323a StGB: „Die Strafbarkeit der Selbstberauschung ist nur der Mantel, mit dem die Bestrafung der Rauschtat zugedeckt wird“. 375 Hruschka, Strafrecht, S. 298; auf gleicher Linie etwa Streng, NJW 2003, 2963, 2965. 376 Geisler, in: MünchKommStGB V, § 323a Rn. 6.

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klar, was ohnehin gilt.377 Daher liefe eine Einschränkung oder Ausnahme von § 20 StGB darauf hinaus, eine dem Schuldprinzip widersprechende verfassungswidrige Bestrafung anzuordnen. Das ist selbst dem Gesetzgeber versagt. Die Vertreter des Ausnahmemodells versuchen zwar, diesen klaren Befund – mehr schlecht als recht – zu verschleiern. Nicht ohne Grund erfahren sie erhebliche Kritik. Denn diesem Konzept stehen nicht nur die Dogmatik und die Systematik des Gesetzes, die Historie und der Wortlaut und damit auch der gesetzgeberische Wille entgegen. Nicht nur de lege lata, sondern auch de lege ferenda verstieße ein solches Konzept sogar gegen die Verfassung. Das Schuldprinzip ist auch für den Gesetzgeber tabu. 1. Historie, Wortlaut und systematische sowie auch dogmatische Erwägungen Durchaus kann der Gesetzgeber unter Wahrung des Schuldprinzips einzelne Regelungen treffen, die sich – wie §§ 17 S. 1, 20, 21, 35 Abs. 1 S. 1 StGB – mit der Schuld befassen und eine Straflosigkeit des Täters vorsehen.378 Mit § 323a StGB ist der Gesetzgeber diesen Weg allerdings gerade nicht gegangen. Das Deutsche Strafgesetzbuch kennt den Vollrauschtatbestand seit dem Gewohnheitsverbrechergesetz von 1933.379 Auch Vorentwürfe aus der Weimarer Republik enthielten einen solchen Straftatbestand.380 Anhaltspunkte für die Annahme, § 323a StGB sei eine Ausnahmevorschrift zu §§ 20, 21 StGB, gab es nie. Hätte der Gesetzgeber eine solche Einordnung der Vorschrift gewollt, so hätte er dies ausdrücklich spätestens mit dem 18. Strafrechtsänderungsgesetz in einem Absatz 2 des § 20 StGB bzw. im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches regeln können und müssen.381 § 323a StGB befindet sich jedoch auch heute noch im Besonderen Teil des Strafgesetzbuches im Abschnitt „Gemeingefährliche Delikte“, sodass weder eine vom Gesetzgeber ge-

377 Das Schuldprinzip ist in der Verfassung verankert. § 20 StGB hat lediglich eine deklaratorische Funktion. 378 Dencker, JZ 1984, 453, 454 mit Fn. 17. – Hruschka, Strafrecht, S. 294 ist der Ansicht, dass wenn § 323a StGB als Ausnahmevorschrift zu § 20 StGB gegen das Schuldprinzip verstoße, auch die §§ 35 Abs. 1 S. 2, 17 Satz 2 als Ausnahmeregelungen konsequent ebenfalls als Verstoß gegen das Schuldprinzip bewertet werden müssten, was aber von niemandem vertreten werde. 379 Siehe dazu bereits oben (Erster Teil B.). Ausführlich dazu und zur Entstehungsgeschichte des Vollrauschtatbestandes s. Barthel, Bestrafung wegen Vollrauschs, S. 145 ff. 380 Einen umfassenden Überblick dazu gibt Brandstetter, Vollrausch, S. 109 ff. 381 Dies gilt auch, obwohl der Gesetzgeber erst in einer zweiten Lesung entschieden hat, den Vollrauschtatbestand als Gefährdungsdelikt im Besonderen Teil einzugliedern; s. dazu Streng, JZ 1984, 114, 119 mit m. w. N. in Fn. 50. Siehe bezugnehmend darauf etwa Geisler, Zur Vereinbarkeit, S. 377, wonach nur maßgeblich sei, wozu sich der historische Gesetzgeber letztendlich entschieden habe. Vgl. auch die Ausführungen bei Junge, Rauschbedingte Fehlvorstellungen, S. 13 ff. m. w. N.

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wollte Einschränkung des Schuldprinzips noch eine Ausnahme zu §§ 20, 21 StGB in Betracht kommt.382 Darüber hinaus findet ein Verständnis des § 323a StGB als Ausnahmevorschrift zu den Schuldregelungen auch im Wortlaut der Sanktionsnorm de lege lata keinen Halt. Dieser Tatbestand enthält Tatbestandsvoraussetzungen, Rechtsfolgen sowie einen Strafrahmen. Demzufolge lässt sich neben der Stellung im Gesetz auch der eindeutige Gesetzeswortlaut und dessen Struktur so deuten, dass der historische Gesetzgeber einen eigenen Tatbestand und de lege lata gerade keine Ausnahmevorschrift zu §§ 20, 21 StGB schaffen wollte.383 Davon abgesehen, hätte es auch keiner Strafandrohung in § 323a StGB bedurft, wenn – im Rahmen einer Ausnahmevorschrift – dem Rauschtäter die Berufung auf § 20 StGB ohnehin versagt würde. Denn dann könnte dieser unmittelbar über den Tatbestand der begangenen Rauschtat zur Rechenschaft gezogen werden.384 Eine Deutung als ergänzende außerordentliche Schuldzurechnungsregelung bzw. Ausnahmeregelung ist nach dem Gesagten nicht haltbar.385 2. Verstoß gegen das Schuldprinzip und die Grundsätze der Verhaltensnormlegitimation Bereits die bisherigen Überlegungen haben den unvermeidlichen Konflikt des Ausnahmemodells mit dem verfassungsrechtlich verankerten Schuldprinzip zutage gefördert.386 Nach allgemeinem Verständnis besagt dieses, dass niemand für eine Tat bestraft werden darf, wenn deren schuldhafte Begehung nicht feststeht. Der Täter muss also – um für sein Verhalten zur Rechenschaft gezogen werden zu können – „bei Begehung der Tat“ (§ 20 StGB) fähig sein, das Unrecht der Tat einzusehen und nach

382 Vgl. auch BGH NJW 1957, 71, 72; s. auch Berster, ZStW 124 (2012), 991, 1000; Cramer, Vollrauschtatbestand, S. 30; Geisler, in: MünchKommStGB V, § 323a Rn. 7. – Anders hingegen Streng, NJW 2003, 2963, 2965, der meint, dass diese Ausnahmeregelung lediglich aus „Tarnungsgründen – nämlich zum Verdecken von Friktionen mit dem Schuldprinzip – […]“ nicht in einem § 20 Abs. 2 StGB, sondern im Besonderen Teil verortet worden sei. 383 Eine andere Interpretation dieser Vorschrift würde einen Konflikt mit Art. 103 Abs. 2 GG erzeugen; s. Junge, Rauschbedingte Fehlvorstellungen, S. 16. So auch Lackner, FS Jescheck, S. 645, 650 m. w. N., wonach „der Wortlaut eine Deutung als Ausnahmeregel zu § 20 unmißverständlich ausschließt“. 384 So auch schon Bemmann, GA 1961, 65; vgl. auch Dencker, JZ 1984, 453, 456; Junge, Rauschbedingte Fehlvorstellungen, S. 21. Abgesehen davon wäre ein selbständiger Strafrahmen untypisch für eine Zurechnungsnorm; vgl. dazu und zum Vorstehenden auch Barthel, Bestrafung wegen Vollrauschs, S. 113. 385 Sachlich übereinstimmend insofern Freund, Normentheoretisch-funktionale Kritik einer Kategorie der Zurechnung, II.1. (Im Erscheinen). 386 Hruschka, Strafrecht, S. 293 hingegen hält diesen Konflikt mit dem Schuldprinzip für ein „bloßes Scheinproblem“. Zu den Inhalten des Schuldprinzips allgemein s. bereits oben (Zweiter Teil C.).

A. Deliktstypus und Normzweck – die im Wesentlichen vertretenen Ansichten

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dieser Einsicht zu handeln. Strafe setzt also Schuld voraus.387 § 8 StGB bestimmt nicht ohne Grund, dass „eine Tat (…) zu der Zeit begangen“ ist, „zu welcher der Täter oder der Teilnehmer gehandelt hat oder im Falle des Unterlassens hätte handeln müssen.“ Allerdings werden der Schuldgrundsatz sowie § 8 StGB missachtet, wenn es nach dieser Ansicht genau auf die Rauschtat ankommt, wegen der der Täter bestraft werden soll. Das Schuldprinzip fordert die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Täters zum Zeitpunkt der Tatbegehung – beide liegen in Fällen der (nicht ausschließbaren) Schuldunfähigkeit bei Rauschtaten gerade nicht (eindeutig) vor. Ein solches Verständnis ist nicht mit dem geltenden Schuldbegriff zu vereinbaren.388 Selbst die Verfechter einer Ausnahmeregelung zu §§ 20, 21 StGB kommen zu diesem Ergebnis und müssen die Frage nach der Vereinbarkeit dieses Ansatzes mit dem Schuldprinzip negativ beantworten.389 Anknüpfungspunkt für einen mit dem Schuldspruch erhebbaren Vorwurf kann nur eine Handlung oder Unterlassung sein, die spezifisch missbilligenswert ist und die von dem Betreffenden hätte vermieden werden können und sollen. Wie oben bereits erwähnt, scheitert dies – im Hinblick auf die Rauschtat – bereits an der Möglichkeit der Legitimation einer geeigneten Verhaltensnorm gegenüber Schuldunfähigen. Eine Verhaltensnorm in Bezug auf die Begehung einer Rauschtat kann – aufgrund des Fehlens zwingender Voraussetzungen – nicht legitimiert werden. Es fehlt an der Berechtigung eines Vorwurfs gegenüber dem Schuldunfähigen,390 denn Schuldunfähige können schon keine geeigneten „Adressaten eines Normappells“ sein.391 387

Vgl. dazu BVerfGE 9, 167, 169. So auch bereits BGHSt 9, 390, 396, wonach eine solche Auslegung „einen Bruch mit dem herrschenden Schuldbegriff bedeuten würde“. Um diesem Konflikt aus dem Weg zu gehen, verlangt Streng, JZ 1984, 114, 119, dass anstatt vom traditionellen Schuldverständnis von einem „funktionalen bzw. sozialen“ Schuldbegriff ausgegangen werden müsse. Demnach könne bis zum Zustand der Handlungsunfähigkeit auch der Berauschte Adressat einer Verhaltensnorm sein, denn so lange würde der Berauschte als Sozialpartner noch ernstgenommen und als Verantwortlicher angesehen. Siehe mit berechtigter Kritik dazu und zu dieser generalpräventiven Deutung Strengs etwa Geisler, Zur Vereinbarkeit, S. 379 ff. 389 Allerdings wird versucht, die Vereinbarkeit mit dem Schuldprinzip durch eine Neuformulierung bzw. Ausdehnung des geltenden Schuldbegriffs zu erreichen; s. insbesondere Neumann, Zurechnung und „Vorverschulden“, S. 128 ff.; Streng, JZ 1984, 114, 119: „funktionaler Schuldbegriff“. – S. dazu mit berechtigter Kritik auch Wolter, NStZ 1982, 54 ff. Diese Abweichungen vom geltenden Schuldbegriff sind allerdings nicht weiterführend, sondern fingieren lediglich „die Koinzidenz von Unrecht und Schuld im Augenblick der Tathandlung“; Otto, Jura 1986, 478, 480. 390 Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 59, führen zutreffend folgendes Beispiel an: „Wenn ein Fünfjähriger alle Zukunftspläne seines Vaters, der gerade den Elektroherd anschließen will, zunichte macht, indem er beim Spielen die Sicherung wieder einschaltet, trifft ihn kein Vorwurf (Schuldunfähigkeit des Kindes; § 19)“; Freund, GA 1999, 509, 510, wonach „ein entsprechender Tadel gegenüber einem schuldlos handelnden Geisteskranken nicht minder eine Torheit wie gegenüber dem, der sich rechtmäßig verhalten hat“, wäre. Ein entsprechender Vorwurf müsse „gegenüber dem konkret handelnden oder unterlassenden Subjekt sachlich berechtigt sein“; ders., GA 2010, 193, 196, der es als „untauglichen Versuch“ bezeichnet, „zweifelhaften Verhaltensnormen durch den Einsatz von Strafe auf Kosten eines Bürgers überhaupt erst Geltung verschaffen zu wollen“. – „Mit der Strafe wird dem Täter ein rechts388

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4. Teil: Deliktstypus

Die Abweichung bzw. Ausnahme von den gesetzlichen Regelungen der §§ 20, 21 StGB und des § 8 StGB stellt somit einen offensichtlichen Verstoß gegen das mit Verfassungsrang ausgestattete Schuldprinzip sowie gegen das einfache Gesetz dar. Außerdem verstößt diese Einordnung gegen die Grundsätze der Verhaltensnormlegitimation, indem die Legitimation einer solchen Verhaltensnorm nicht mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sowie dem diesen konkretisierenden392 Schuldprinzip in Einklang zu bringen ist. Die Vertreter dieser Ansicht sprechen zum einen dem Vollrausch den Charakter eines Gefährdungsdelikts – vielmehr noch eines Tatbestandes – ab.393 Zum anderen halten sie das bloße Sichberauschen für legitim. Somit fehlt dieser Ansicht jegliche Legitimationsgrundlage für eine sich an rechtsstaatlichen Grundsätzen orientierende und damit legitime Bestrafung. Oder wie Lackner formuliert hat, liefe die Addition eines an sich sozial geduldeten Verhaltens mit einer personal nicht zurechenbaren Straftat auf die Gleichung „0 + 0 =1“ hinaus!394 3. Zwischenfazit und Bewertung der vorgestellten Ansicht De lege lata handelt es sich bei § 323a StGB nach dem Gesagten nicht um eine Ausnahmeregelung zu §§ 20, 21 StGB, welche durch den Gesetzgeber bloß an falscher Stelle des Strafgesetzbuches platziert worden ist. Es handelt sich ganz im Gegenteil offensichtlich um einen Straftatbestand des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches. Oder um es mit Denckers Worten zu sagen: „Eine redliche Auslegung kann […] § 323a StGB nur als Tatbestand verstehen“395. Eine Einordnung des § 323a StGB als Ausnahmeregel zu §§ 20, 21 StGB ist sowohl vor verfassungsrechtlichem Hintergrund als auch aufgrund diverser systematischer sowie dogmatischer Einwände nicht haltbar. Insbesondere der verfassungsrechtlich verankerte Grundsatz, dass Strafe stets Schuld voraussetzt, muss ausnahmslos gelten und darf auf diese Weise nicht umgangen werden.

widriges sozialethisches Fehlverhalten vorgeworfen. Eine strafrechtliche Reaktion wäre ohne Feststellung der individuellen Vorwerfbarkeit mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar; so auch BVerfGE 95, 96, 140. 391 Vgl. Mulch, Strafe und andere staatliche Maßnahmen gegenüber juristischen Personen, S. 55. 392 S. dazu bereits oben (Zweiter Teil C.). 393 Lackner, FS Jescheck, S. 645, 649. 394 Lackner, FS Jescheck, S. 645, 649; ders., JuS 1968, 215, 217; s. dazu auch Kraatz, ZStW 125 (2013), 819, 823; auch bereits Maurach, Schuld und Verantwortung im Strafrecht, S. 109 f. bezeichnete die Berauschung allein als ein „Dach ohne Unterbau“ und die Rauschtat als einen „Unterbau ohne Dach“. 395 Dencker, JZ 1984, 453, 457.

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III. § 323a StGB als konkretes Gefährdungsdelikt Um die Friktionen mit dem Schuldprinzip zu vermeiden, die mit dem Konzept des abstrakten Gefährdungsdelikts verbunden sind, wird der Vollrauschtatbestand zunehmend als konkretes Gefährdungsdelikt aufgefasst.396 Die Rauschtat soll eben nicht bloß objektive Bedingung der Strafbarkeit, sondern wesentliches Tatbestandsmerkmal sein.397 Vertreter dieser Ansicht fordern – um das Schuldprinzip zu wahren – eine subjektive Vorwerfbarkeitsbeziehung (oder auch Fahrlässigkeitsbeziehung) des Täters zur Rauschtatbegehung.398 Diese Gegenmeinung im Schrifttum, welche von Kohlrausch399 entwickelt und anschließend von Lange400 weiterentwickelt wurde, fand auch Eingang in die Judikatur.401 Konkrete Gefährdungsdelikte sind dadurch gekennzeichnet, dass vom Täter eine bestimmte konkrete Gefahrenlage herbeigeführt wird, bei der ein Rechtsgut einer 396 Ein konkretes Gefährdungsdelikt annehmend etwa Geisler, Zur Vereinbarkeit, S. 388 ff., 397 ff., 435; ders., in: MünchKommStGB V, § 323a Rn. 9 f.; Geppert, Jura 2009, 40, 41; auf gleicher Linie auch Hecker, in: Schönke/Schröder, StGB, § 323a Rn. 1; grundlegend etwa Kohlrausch, ZStW 32 (1911), 645 ff.; weiterentwickelt durch Lange, ZStW 59 (1940), 574; vgl. auch Rönnau, JuS 2011, 697, 698, der nach Anwendung der Abzugsthese zu dem Ergebnis gelangt, dass zumindest eine Vorhersehbarkeit der Ausschreitungen im Zustand des Vollrauschs als Schuldbeziehung vorliegen muss; Ranft, JA 1983, 193, 194 f. – BGHSt 10, 247 ff. und OLG Hamm NStZ 2009, 40 m. Anm. Geisler verlangen eine subjektive Vorwerfbarkeitsbeziehung. – Kritisch bzgl. der Einordnung des § 330a StGB a. F. als konkretes Gefährdungsdelikt etwa Welzel, Strafrecht, S. 474, wonach es in Bezug auf die subjektiven Erfordernisse der Tat im Rausch zu kaum überwindlichen Abgrenzungsschwierigkeiten komme (in Bezug auf § 330a StGB als Vergehen ändert er seine Meinung); außerdem kritisch Junge, Rauschbedingte Fehlvorstellungen, S. 78 ff. 397 Dies erkannte auch schon Jakobs, AT, 17/61 mit Fn. 112c, wonach erst die Drastik der Tat die Definition der Berauschung als Unrecht erlaube. 398 Kritisch dazu etwa Kusch, Der Vollrausch, S. 63 ff., 68: „Eine wie auch immer geartete Vorhersehbarkeit ist nicht Merkmal der Rauschtat“. Der Bundesgerichtshof hat in diesem Zusammenhang nicht immer einheitlich entschieden; vgl. dazu nur BGHSt 1, 124; 2, 14, 18 mit BGHSt 10, 247. 399 Kohlrausch, ZStW 32 (1911), 645, 661, wonach das Bewusstsein einer Gefährdung dann anzunehmen sei, wenn der Trinker bereits einmal im Rausch bestimmte Exzesse begangen habe; vgl. dazu auch Lange, ZStW 59 (1940), 574, 590 in Fn. 66. 400 Lange, ZStW 59 (1940), 574 ff., 584 ist der Ansicht, § 330a StGB a. F. erfordere, dass der Täter im Rausch zu Ausschreitungen neigt und, dass er diese Neigung kennt oder wenigstens kennen konnte. Dieser will nur die Rauschgefahren durch § 330a StGB erfasst wissen, die auf einer alkoholbedingten Enthemmung des Täters beruhen; s. dazu Cramer, Vollrauschtatbestand, S. 43. 401 Vgl. nur den Beschluss des OLG Hamm vom 21. 08. 2007 – 3 Ss 135/07. Abweichend von der höchstrichterlichen Rechtsprechung der letzten Jahrzehnte wird zumindest formal an eine damalige Entscheidung des 5. Strafsenates (BGHSt 10, 247) angeknüpft und eine restriktive Auslegung des § 323a StGB im subjektiven Tatbestand angestrebt; s. dazu Geisler, NStZ 2009, 40, 41 (Anmerkung zu OLG Hamm, Beschluss vom 21. 8. 2007 – 3 Ss 135/07), wonach die Bezugnahme des OLG Hamm auf die angeblich ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs von Missverständnissen geprägt sei; vgl. auch ders., in: MünchKommStGB V, § 323a Rn. 56.

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tatsächlichen ernstzunehmenden Verletzungsmöglichkeit ausgesetzt wird. Im Gegensatz zu abstrakten Gefährdungsdelikten, für welche auch eine generell mögliche Rechtsgutsverletzung ausreichend ist, bedarf es für ein konkretes Gefährdungsdelikt nicht nur der Möglichkeit im Allgemeinen. Vielmehr muss ein konkret bestimmtes Rechtsgut betroffen sein und die Gefahrenlage muss für dieses ein ernstzunehmendes Risiko darstellen.402 Konkrete Gefährdungsdelikte sind Erfolgsdelikte403, deren „Erfolg“ in einer bestimmten kritischen Gefahrenlage besteht. Dieser Gefahrerfolg wird in aller Regel vom Wortlaut des Gesetzes näher beschrieben: „[…] und dadurch Leib oder Leben eines anderen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet“. Als weiteres Tatbestandsmerkmal muss für die Annahme eines konkreten Gefährdungsdelikts also zusätzlich als Erfolg die eingetretene konkrete Gefahr für ein Rechtsgut festgestellt werden.404 Anders als bei den Verletzungsdelikten kommt es auf den Eintritt einer Rechtsgutsverletzung nicht an. Ausreichend ist vielmehr eine – im Einzelfall festgestellte – konkrete Gefahr für das angegriffene Tatobjekt.405 Entscheidend dafür ist, dass es nur noch vom Zufall abhängt, ob sich eine Rechtsgutsverletzung realisiert.406 Die Vertreter dieser Ansicht erkennen begrüßenswerter Weise an, dass nicht jeder Rausch bzw. jedes bloße Sichberauschen die „Qualität“ besitzt, den Tatbestand des § 323a StGB zu erfüllen. Es wird vielmehr vorausgesetzt, dass der Rausch eine zum Unrecht gehörende und deshalb auch für die Schuld relevante konkrete Gefährlichkeit aufweisen muss. Kurz gesagt: Als – ungeschriebenes – Tatbestandsmerkmal wird die konkrete „Gemeingefährlichkeit des Rausches“ verlangt;407 bestraft wird also nur der im Rausch konkret für andere Gefährliche, der genau für diesen gefährlichen Zustand nach allgemeinen Regeln verantwortlich ist.408 Diese Verantwortlichkeit kann sich aber nur aus dem Verstoß gegen eine Verhaltensnorm ergeben, die diesen zu gefährlichen Rauschzustand vermeiden sollte. Verhaltensnormadressat kann nach diesem Konzept also nur derjenige sein, der vor Tatbegehung Kenntnis von eigenen schädlichen Neigungen im Rausch hatte. Nur dann kann dem Täter die Berauschung persönlich zum Vorwurf gemacht werden und nur unter dieser Vor402

Vgl. auch Gallas, FS Heinitz, S. 171, 176. S. auch Lackner, Das konkrete Gefährdungsdelikt, S. 7; vgl. etwa auch Jescheck/Weigend, AT, § 26 II. 404 S. dazu bereits Hardwig, FS Eb. Schmidt, S. 459, 466; s. auch Wessels/Beulke/Satzger, AT, § 1 Rn. 43; Roxin/Greco, AT I, § 11 Rn. 147. 405 Siehe dazu Lackner, Das konkrete Gefährdungsdelikt, S. 7 f.; vgl. auch Jescheck/Weigend, AT, § 26 II 2. 406 S. etwa BGH NStZ 1999, 32, 33; vgl. dazu etwa auch Rengier, AT, § 10 Rn. 10. 407 S. dazu bereits Ranft, JA 1983, 193, 194; ders., MDR 1972, 737, 741. Sachlich übereinstimmend auch Otto, Jura 1986, 478, 479 f., der dennoch davon ausgeht, bei § 323a StGB handele es sich um eine allgemeine Schuldzurechnungsregelung und somit um eine Ausnahmevorschrift zu §§ 20, 21 StGB; s. dazu auch Kraatz, ZStW 125 (2013), 819, 830 ff. 408 Kohlrausch/Lange, StGB, Anm. III. zu § 330a; vgl. auch Arthur Kaufmann, JZ 1963, 425, 432. 403

A. Deliktstypus und Normzweck – die im Wesentlichen vertretenen Ansichten

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aussetzung ist dem Täter auch die Rauschtat vorwerfbar, weil die notwendige Fahrlässigkeitsbeziehung vorliegt. Ist man sich innerhalb dieses Meinungsspektrums darüber einig, dass eine subjektive Vorwerfbarkeitsbeziehung zur Rauschtat notwendiges Strafbarkeitskriterium ist, so steht auf einem anderen Blatt die Frage nach den Anforderungen an eine solche subjektive Vorwerfbarkeitsbeziehung (Fahrlässigkeitsbeziehung). Es konkurrieren insofern zwei Lösungsansätze: Im Wesentlichen geht es um die Frage, ob die Vorhersehbarkeit der Begehung irgendwelcher Straftaten (weite Auslegung)409 genügt oder aber Ausschreitungen des Täters „von der Art der eingetretenen“ (enge Auslegung)410 für den Täter vorhersehbar gewesen sein müssen. Letztere Auslegung verdient den Vorzug, denn verlangt man lediglich die Vorhersehbarkeit der Begehung irgendwelcher Straftaten, so würde die tatsächlich begangene Rauschtat ihre sowohl für die Verhaltensnormlegitimation als auch für den strafrechtlichen Vorwurf bedeutsame Funktion einbüßen. Wie oben bereits herausgearbeitet, muss die Rauschtat spezifische Fehlverhaltensfolge genau des vom Täter zu verantwortenden Risikopotentials sein – auf sie kommt es also gerade an.411 Dies zeigt auch der Wortlaut des 409 S. dazu BGHSt 10, 247, 251 (bis der Bundesgerichtshof in BGHSt 16, 124 wieder auf eine Vorhersehbarkeit überhaupt verzichtete). Siehe dazu auch Ranft, JA 1983, 193, 194 f.; so auch Kohlrausch/Lange, StGB, Anm. V. zu § 330a StGB. – Ähnlich wie BGHSt 10, 247 auch Puppe, in: NK-StGB I, § 15 Rn. 10, wonach die Probleme des § 323a StGB ggf. mit einer schwächeren Zurechnungsform jenseits der Fahrlässigkeit – dem sog. riskanten Verhalten – zu lösen seien. Bei dieser Vorgehensweise handelt es sich jedoch um eine unzulässige Ausdehnung der gesetzlichen Schuldformen des § 15 StGB; s. dazu Roxin/Greco, AT I, § 23 Rn. 7 ff., 9 in Fn. 6. – Geppert, Jura 2009, 40, 41 wiederum ist der Meinung, die Vorhersehbarkeit müsse sich nicht auf die konkrete Rauschtat als solche beziehen, verlangt aber wohl eine „Übereinstimmung sowohl in der Art des verletzten Rechtsguts als auch im Handlungsunrecht“. Dies liefe darauf hinaus, dass der Gefährdungsvorsatz bzw. die Gefährdungsfahrlässigkeit auf rechtsethisch und psychologisch vergleichbare Straftaten gerichtet sein müsste. 410 Dieser Ansatz wurde maßgeblich von Roxin entwickelt (Roxin/Greco, AT I, § 23 Rn. 7 f., 9); auf gleicher Linie auch Freund/Renzikowski, ZRP 1999, 497, 498; Geisler, in: MünchKommStGB V, § 323a Rn. 9 f.; ders., Zur Vereinbarkeit, S. 398 ff.; Kraatz, ZStW 125 (2013), 819, 830 ff.; Renzikowski, ZStW 112 (2000), 475, 501; s. dazu auch Rönnau, JuS 2011, 697, 698. – Geppert, Jura 2009, 40, 41 vertritt einen wieder anderen Ansatz. Er verlangt – in Parallele zu den Grundsätzen der Wahlfeststellung – die Vorhersehbarkeit von Straftaten, die rechtsethisch und psychologisch mit der begangenen Rauschtat vergleichbar sind; auf gleicher Linie etwa Hecker, in: Schönke/Schröder, StGB, § 323a Rn. 1; vgl. z. T. auch Wolter, NStZ 1982, 54, 58, der den Vollrauschtatbestand de lege lata jedoch in einen engen und einen weiten Tatbestand untergliedert. – Als Argument gegen eine zu enge Auslegung wird oftmals angeführt, dass eine solche den Vollrauschtatbestand überflüssig erscheinen ließe, weil dann schon die Grundsätze der sog. actio libera in causa einschlägig seien; s. dazu noch unten (Vierter Teil B. I. 3.). 411 Darauf hat auch Geisler, Zur Vereinbarkeit, S. 399 hingewiesen: „Andernfalls dürfte es für die rechtliche Bewertung des Vollrauschs keine Rolle spielen, ob der Täter im Rausch eine Beleidigung (§ 185 StGB) oder einen Lustmord (§ 211 StGB) verübt“. S. dazu auch Arthur Kaufmann, JZ 1963, 425, 432. – A. A. Bemmann, GA 1961, 65, 73, wonach die Vorhersehbarkeit irgendwelcher Ausschreitungen genüge, denn der Gesetzeswortlaut sei durch die Formulierung „rechtswidrige Tat“ „so weit und unbestimmt gefaßt, daß dementsprechend auch

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4. Teil: Deliktstypus

§ 323a Abs. 2 und 3 StGB. Absatz 2 nimmt Bezug auf den Strafrahmen der im Vollrausch konkret begangenen Straftat, nicht auf den irgendeiner. Somit ist nur diese relevant und genau zu dieser muss der Täter eine subjektive Vorwerfbarkeitsbeziehung aufweisen. Begnügt man sich mit der Vorhersehbarkeit der Begehung irgendwelcher Straftaten, so wird außerdem das – für ein konkretes Gefährdungsdelikt essentielle – Erfordernis der konkreten Gefahr aufgegeben.412 Dies führte dazu, dass der zu nicht näher konkretisierbaren Rauschtaten neigende Täter als „der im Rausch gefährliche“ „vertypt“ würde, wenn man ihn für beliebige Rauschtaten sanktionierte.413 Sachlich läge darin eine starke Annäherung an das schon verworfene Konzept des abstrakten Gefährdungsdelikts.414 Zumindest dieser Fehler ergibt sich bei einer Deutung des § 323a StGB als konkretes Gefährdungsdelikt, bei dem der Bezug zwischen Strafandrohung und konkret begangener Rauschtat gewahrt wird, nicht. Wenn nur die Herbeiführung eines konkret „zu gefährlichen“ Vollrauschs unter Strafe gestellt wird, nähert man sich immerhin auch dem, was unter dem Aspekt der Wahrung des Schuldprinzips sachgerecht ist. Auf den ersten Blick könnte man vielleicht sogar meinen, auf diese Weise sei bereits eine vertretbare und durchaus zufriedenstellende Lösung gefunden. Bei näherer Betrachtung ergeben sich jedoch nicht unerhebliche Kritikpunkte. Diese werden zunächst lediglich überblicksartig skizziert. Eine nähere Auseinandersetzung mit der Problematik findet sich an späterer Stelle (Vierter Teil B.).

1. Kritische Einwände im Hinblick auf die Einordnung als konkretes Gefährdungsdelikt a) Anwendbarkeitsbeschränkung – Keine Erfassung sog. Ersttäter Regelmäßig wird gegen die Einordnung des § 323a StGB als konkretes Gefährdungsdelikt als „Argument“ vorgebracht, dass sog. Ersttäter nicht erfasst würden. Das ist im Grundsatz richtig, berücksichtigt allerdings nicht, dass es Sonderfälle geben kann, in denen auch dem Ersttäter der erforderliche Vorwurf gemacht werden kann.415 Anders ist das aber in all den Fällen, in denen der Betreffende nicht um die Veranlagung zu näher konkretisierbaren Ausschreitungen (schädlichen Neigungen) der Inhalt des Vorsatzes oder der Fahrlässigkeit nicht im Einzelnen ausgeprägt zu sein braucht“. Siehe mit berechtigter Kritik dazu Geisler, Zur Vereinbarkeit, S. 399. 412 I. d. S. auch Geisler, Zur Vereinbarkeit, S. 399; s. dazu auch Otto, Jura 1986, 478, 479. 413 So auch Spendel, in: LK-StGB, 11. Auflage, § 323a Rn. 59; vgl. auch Kraatz, ZStW 125 (2013), 819, 831. 414 Ähnlich auch Cramer, Vollrauschtatbestand, S. 40, 42 f., wonach die Vertreter eines konkreten Gefährdungsdelikts eigentlich eine Art abstraktes Gefährdungsdelikt annehmen, mit der Eingrenzung des Täterkreises auf diejenigen, die schon einschlägige Erfahrung mit Rauschtaten hatten. Vgl. dazu auch Spendel, in: LK-StGB, 11. Auflage, § 323a Rn. 59. 415 S. dazu noch näher unten (Vierter Teil B. I. 4.).

A. Deliktstypus und Normzweck – die im Wesentlichen vertretenen Ansichten

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im Rauschzustand weiß.416 Kritisiert wird, dass der Täterkreis dadurch auf diejenigen eingegrenzt wird, die mit erhöhter Wahrscheinlichkeit zu Straftaten neigen, und dass die jeweils erste begangene Rauschtat immer straflos bleibe. Die Einordnung als konkretes Gefährdungsdelikt führe daher zu unerträglichen Strafbarkeitslücken.417 b) Überschneidungen zur actio libera in causa? Außerdem wird kritisiert, dass die notwendige Voraussetzung der „subjektiven Vorwerfbarkeitsbeziehung zur Rauschtat“ die Grenze zwischen der actio libera in causa und dem Vollrauschtatbestand verwische.418 Denn wenn der Täter schon beim Sichberauschen – also noch im schuldfähigen Zustand – davon ausgehen muss oder sogar tatsächlich davon ausgeht, dass er zu Straftaten neigt, seien schon die Tore für eine fahrlässige, wenn nicht sogar (bedingt) vorsätzliche, actio libera in causa geöffnet.419 2. Kurze kritische Würdigung und Ergebnis Die Bestrebungen, die in die Richtung eines konkreten Gefährdungsdelikts gehen, bringen immerhin einen gewissen Fortschritt. Einmal abgesehen von den oben angedeuteten „Kritikpunkten“ ermöglicht die Einordnung als konkretes Gefährdungsdelikt erhebliche Vorteile im Gegensatz zu den anderen zuvor dargestellten Deliktszuordnungen. Die subjektive Vorwerfbarkeitsbeziehung des Täters zur begangenen Rauschtat wird ansatzweise gewahrt und damit auch der sonst drohende Verstoß gegen das Schuldprinzip abgemildert. Allerdings gehen die Vertreter dieses Konzepts den Weg leider nicht zu Ende, sondern „bleiben auf halber Strecke stehen“. Denn die Einordnung des § 323a StGB de lege lata als konkretes Gefährdungsdelikt bringt immer noch Unstimmigkeiten im Hinblick auf die Funktion der 416 Gegen die Einordnung als konkretes Gefährdungsdelikt deshalb Cramer, Vollrauschtatbestand, S. 45; auf gleicher Linie auch Kusch, Der Vollrausch, S. 64, wonach sich die Gefahr des Rausches nicht in einer Manifestation schädlicher Neigungen erschöpfe, sondern in der Unberechenbarkeit menschlichen Verhaltens im Rausch, die sich aus der schweren Bewusstseinsstörung ergebe. Diese Gefahr habe mit irgendwelchen Neigungen des Rauschmittelkonsumenten nichts zu tun. – Anders Welzel, Strafrecht, S. 475, wonach nicht das Sich-Berauschen als solches verboten sei, sondern nur das Berauschen eines gemeingefährlichen – weil zu Straftaten im Rausch neigenden – Menschen. 417 S. die Auführungen bei Junge, Rauschbedingte Fehlvorstellungen, S. 87 f.; vgl. auch Cramer, Vollrauschtatbestand, S. 45 f.; Spendel, in: LK-StGB, 11. Auflage, § 323a Rn. 58 f.; s. dazu Geisler, in: MünchKommStGB V, § 323a Rn. 63. 418 Vgl. dazu etwa Cramer, Vollrauschtatbestand, S. 46; Hwang, Rechtsnatur, S. 67; s. dazu auch Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 237; Ranft, JA 1983, 193 ff.; Rengier, BT II, § 41 Rn. 9; Streng, JZ 1984, 114, 118. 419 S. dazu etwa Arthur Kaufmann, JZ 1963, 425, 432. Zur Entkräftung dieser Kritik und zum verbleibenden Anwendungsbereich der Vollrauschnorm s. noch unten (Vierter Teil B. I. 3. c)).

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4. Teil: Deliktstypus

Rauschtat mit sich. Für die Erfüllung des Tatbestandes eines konkreten Gefährdungsdelikts ist es unerheblich, ob es zum tatsächlichen Eintritt einer Rechtsgutsverletzung kommt.420 Indessen ist der Eintritt einer Rechtsgutsverletzung für § 323a StGB keineswegs unerheblich. Eine „nur“ konkrete Gefahr genügt – wie oben bereits dargestellt – für § 323a StGB gerade nicht. Hat der Täter im Zeitpunkt der Berauschung Kenntnis davon, dass er im Rausch zu Ausschreitungen neigt, dann ist die anschließende Rauschtatbegehung (mit damit entsprechend verbundener Rechtsgutsverletzung) spezifische Fehlverhaltensfolge des zu gefährlichen Rauschs. Demnach lässt sich § 323a StGB nicht als bloßes Gefährdungsdelikt auffassen. Es handelt sich vielmehr um ein Verletzungsdelikt, sofern die Rauschtat ein Verletzungsdelikt darstellt – wie sich noch zeigen wird: um ein (mindestens) fahrlässiges Verletzungserfolgsdelikt,421 für welches der Eintritt einer Rechtsgutsverletzung essentiell ist. Diese Auslegung findet auch im Wortlaut des § 323a StGB Rückhalt, welcher die Begehung einer Rauschtat – regelmäßig mit einhergehender Rechtsgutsverletzung – voraussetzt, sodass eine bloße, wenn auch konkrete, Rechtsgutsgefährdung nicht aussreichend ist.422 Die im „zu gefährlichen“ Rauschzustand begangene Rauschtat hat damit den Charakter eines vom Täter zu verantwortenden Verletzungserfolgs.423 Nur in dem Sonderfall, in dem die Rauschtat selbst ein (konkretes) Gefährdungsdelikt darstellt, teilt § 323a StGB deren Charakter als Gefährdungsdelikt.

IV. Zwischenfazit und kritische Gesamtwürdigung der vorgestellten Ansichten Die Auseinandersetzung mit den bisher vorgestellten Konzepten des § 323a StGB – als abstraktes Gefährdungsdelikt (mit der Rauschtat als objektive Strafbarkeitsbedingung) und als Ausnahmevorschrift zu § 20 StGB – hat gezeigt, dass keines mit dem Grundsatz „nulla poena sine culpa“ in Einklang zu bringen ist. Genauer noch: Diese Ansätze verstoßen gegen die wesentlichen Grundprinzipien von Unrecht, Schuld und damit auch gerechter Strafe.424 Sollen speziell objektive 420

S. dazu bereits oben (Vierter Teil A. III.). Siehe dazu noch unten (Vierter Teil B.). 422 Dies erkennt auch Arthur Kaufmann, JZ 1963, 425, 431; auf gleicher Linie auch Spendel, in: LK-StGB, 11. Aufl, § 323a Rn. 57. 423 Vgl. Freund, in: Handbuch des Strafrechts, § 46 Rn. 16. Siehe dazu noch unten (Vierter Teil B.). 424 So Wolter, NStZ 1982, 54, 54. Ausgehend von der Prämisse, dass § 323a StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt nicht mit dem Grundsatz „nulla poena sine culpa“ vereinbar ist, entwickelt Wolter die Ansicht, dass bereits de lege lata zwei weitgehend voneinander unabhängige Tatbestände, nämlich ein enger Tatbestand mit weitem Strafrahmen (mit Schuldbeziehung) und ein weiter Tatbestand mit Minimalstrafrahmen (ohne Schuldbeziehung) existiert; auf gleicher Linie etwa Paeffgen, in: NK-StGB III, § 323a Rn. 14 ff., wonach zwischen einem engen Vollrauschtatbestand mit weitem Strafrahmen (für die Fälle in denen eine Schuldbe421

A. Deliktstypus und Normzweck – die im Wesentlichen vertretenen Ansichten

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Bedingungen der Strafbarkeit mit dem Schuldprinzip vereinbar sein, so dürfen diese für das tatbestandliche Unrecht keine Relevanz besitzen. Die Rauschtat beim Vollrauschtatbestand ist allerdings durchaus unrechtsrelevant. Daher stellt die Ausklammerung aus dem Schuldzusammenhang einen Verstoß gegen das Schuldprinzip dar.425 Dass dennoch große Teile der Literatur und auch die Rechtsprechung an der Auffassung festhalten, es handele sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, lässt sich nur als vergebliches Bemühen auffassen, das Ziel einer bestimmten – als „gerecht empfundenen“ – Bestrafung zu erreichen, ohne aber dafür eine tragfähige Begründung zu haben. Auch stellt § 323a StGB keine „verkappte Regelung des Allgemeinen Teils“ und somit auch keine Ausnahmevorschrift zu §§ 20, 21 StGB dar. Vielmehr handelt es sich um einen Tatbestand, der sich – beabsichtigt und berechtigt – im Besonderen Teil des Strafgesetzbuches befindet. Auch das Konzept einer Ausnahmeregelung zu §§ 20, 21 StGB verstößt gegen grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien. Die Einordnung als konkretes Gefährdungsdelikt426 bringt – trotz gewisser Fortschritte – immer noch Schwierigkeiten mit sich. Der Verstoß gegen das Schuldprinzip wird nur abgeschwächt und es ergeben sich unter anderem unlösbare Probleme mit dem Wortlaut. Festzuhalten bleibt nach dem bisher Dargelegten: Der Straftatbestand des Vollrauschs (§ 323a StGB) kann weder als abstraktes Gefährdungsdelikt noch als Ausnahmevorschrift zu den §§ 20, 21 StGB und auch nicht als bloß konkretes Gefährdungsdelikt eingeordnet werden. Diese Konzeptionen lassen sich – angesichts des Verstoßes gegen das Schuld- und Verhältnismäßigkeitsprinzip – auch nicht kriminalpolitisch oder mit generalpräventiven Erwägungen rechtfertigen. Bleibt es also bei der Aussage Lackners, dass bei den denkbaren Einordnungen des Vollrauschtatbestandes nur eine „Wahl zwischen Übeln“427 möglich ist? – Die klare Antwort auf diese Frage lautet: Nein! Denn eine schuld- und strafadäquate Lösung lässt sich durch den im weiteren Verlauf darzustellenden Ansatz durchaus erreichen.

ziehung vorliegt) und einem weiten Vollrauschtatbestand mit engem Strafrahmen (für die Fälle in denen keine Schuldbeziehung vorliegt) unterschieden werden müsse. § 323a StGB sei „als schlecht formuliertes ,Dach‘ über zwei unterschiedlichen Tb“ zu verstehen. – Verkannt wird jedoch, dass ein Verstoß gegen das Schuldprinzip nicht durch einen geringeren Strafrahmen „kompensiert“ werden kann; vgl. Kraatz, ZStW 125 (2013), 819, 830. 425 Geisler, GA 2000, S. 166, 179. 426 Zu Bestrebungen, den Vollrausch nach § 323a StGB als konkretes Gefährdungsdelikt aufzufassen, s. etwa Geisler, Zur Vereinbarkeit, S. 388 ff.; ähnlich auch Barthel, Bestrafung wegen Vollrauschs, S. 86 ff. 427 S. dazu bereits oben (Fn. 310).

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4. Teil: Deliktstypus

B. Sachgerechte Deliktseinordnung des § 323a StGB I. § 323a StGB als (fahrlässiges) Erfolgsdelikt – Die zwingende Konsequenz des Schuldprinzips Die bisher dargestellten Deutungen des Vollrauschtatbestandes lassen sich nicht widerspruchsfrei in ein dem Schuldprinzip verpflichtetes Straftatsystem einfügen. Dass dies jedoch sehr wohl gelingen kann, wird deutlich, wenn die allgemeinen Kriterien des tatbestandsmäßigen Verhaltens und der entsprechenden Fehlverhaltensfolgen im Rahmen eines personalen Straftatsystems Berücksichtgung finden und auf den Vollrauschtatbestand angewendet werden. Dann gelingt es, § 323a StGB verfassungskonform und straftatsystematisch stimmig auszulegen und einzuordnen. Der entscheidende Ansatzpunkt für die Beurteilung des Deliktstypus des § 323a StGB ist – wie bereits herausgearbeitet – die Rauschtat. Um eine bloß objektive Bedingung der Strafbarkeit kann es sich bei dieser nicht handeln.428 Vielmehr bedarf es – im Wege einer verfassungskonformen Auslegung der Sanktionsnorm – zumindest einer Fahrlässigkeitsbeziehung des Täters zu dieser Rauschtat; die Fahrlässigkeitsbeziehung zur Rauschtat ist sozusagen notwendige Minimalbedingung der Strafbarkeit des Vollrauschs gem. § 323a StGB.429 1. § 323a StGB als Erfolgsdelikt – Zur Rauschtat als Verletzungs- oder Gefährdungserfolg § 323a StGB ist nach dem oben Gesagten an einen bestimmten Erfolg – im Falle eines Verletzungsdelikts an dessen Verletzungserfolg430 – geknüpft. Es wird nicht – wie bei den meisten (abstrakten) Gefährdungsdelikten – ein bestimmtes Verhalten für sich genommen bestraft. Zur Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 323a StGB muss vielmehr eine „zurechenbare“ Rechtsgutsbeeinträchtigung (in Form einer Verletzung oder Gefährdung durch die Rauschtat) eingetreten sein, um deren Vermeidung willen die Herbeiführung des „zu gefährlichen Rauschs“ verboten ist. 428

Sachlich übereinstimmend auch Roxin/Greco, AT I, § 23 Rn. 9 ff. Auf gleicher Linie etwa Freund, in: Handbuch des Strafrechts, § 46 Rn. 11: „Die Rauschtat muss spezifische Folge genau des Risikopotentials sein, das der Täter vorsätzlich oder fahrlässig zu verantworten hat“; vgl. auch BGHSt 10, 247, 251; mit berechtigter Kritik an der Entscheidung des OLG Hamm Geisler, NStZ 2009, 40 ff.; vgl. etwa auch Maurach/ Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT II, § 96 Rn. 6, wonach die Begehung von Straftaten im Rausch allgemein bekannt sei und vom Täter verlangt werden könne, zu wissen, dass er im Rausch irgendwelche strafbaren Handlungen begehen könnte. – Das schlichte Wissen um irgendwelche strafbaren Handlungen reicht allerdings nicht aus; s. dazu bereits oben (Vierter Teil A. III.). 430 Den Vollrauschtatbestand bereits als Verletzungsdelikt einordnend Welzel, ZStW 58 (1939), 491, 523 mit Fn. 44. Ähnlich wie Welzel auch Bemmann, GA 1961, 65, 72 f., der zwar erkennt, dass die Rauschtat vom Vorsatz oder der Fahrlässigkeit des Täters umfasst sein muss, allerdings lässt er einen „generellen Vorsatz“ bzw. eine „generelle Fahrlässigkeit“ genügen. – Montenbruck, GA 1978, 225, 236 geht von einer „Art Erfolgsdelikt“ aus. 429

B. Sachgerechte Deliktseinordnung des § 323a StGB

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So fordert § 323a StGB neben dem tatbestandsmäßigen Verhalten i. S. d. Sichberauschens einen Erfolg in der Außenwelt – in Form der Rauschtat („rechtswidrigen Tat“).431 Die im Zustand der (nicht ausschließbaren) Schuldunfähigkeit begangene Rauschtat („rechtswidrige Tat“ i. S. d. § 323a StGB) weist genau diesen Erfolgscharakter auf; nicht etwa personales Fehlverhaltensunrecht.432 Begeht der Täter also im Rauschzustand eine „rechtswidrige Tat“, so ist diese – genau wie der Tod eines Menschen beim Totschlag nach § 212 StGB – spezifische Folge des vom Täter zu verantwortenden Risikopotentials bzw. des zuvor verwirklichten Verhaltensunrechts in Form des „zu gefährlichen“ Sichberauschens. Notwendig für eine Strafbarkeit wegen Vollrauschs ist somit eine Schuldbeziehung des Täters zur Rauschtat bereits im Zeitpunkt des Sichberauschens. Dieses Verständnis der Sanktionsnorm des § 323a StGB wird auch durch § 323a Abs. 2 StGB untermauert, wonach sich die maximale Strafandrohung nach der im Vollrausch begangenen Straftat richtet: „Die Strafe darf nicht schwerer sein als die Strafe, die für die im Rausch begangene Tat angedroht ist“. Auf die spezifische Fehlverhaltensfolge – die Rauschtat als Erfolg – und auf nichts anderes darf es – neben dem tatbestandsspezifischen Fehlverhalten – für die Sanktionierung ankommen. Unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen und Feststellungen kann für die Deliktsnatur des § 323a StGB an dieser Stelle bereits Folgendes festgehalten werden: Der Vollrauschtatbestand nach § 323a StGB stellt ein Erfolgsdelikt mit der Rauschtat als Erfolg dar. Wenn diese Rauschtat ein Verletzungserfolgsdelikt ist, handelt es sich auch bei der Straftat nach § 323a StGB um ein Verletzungserfolgsdelikt. Nur im Falle eines (konkreten) Gefährdungsdelikts als Rauschtat teilt § 323a StGB deren Charakter.433 2. Verhältnis des § 323a StGB zu § 122 OWiG Mit der zutreffenden Annahme, dass § 323a StGB als auf die Rauschtat bezogenes Erfolgsdelikt einzuordnen ist, lässt sich auch das – insbesondere im Zusammenhang mit der Einordnung als abstraktes Gefährdungsdelikt kritisierte – Verhältnis zu § 122 OWiG schlüssig erklären. Erfüllt der Täter keinen Straftatbestand i. S. d. Strafgesetzbuches, sondern den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz, so 431 Insoweit wird das bloße Fehlverhalten, ohne den Eintritt eines Erfolges, nicht von § 323a StGB erfasst. 432 Dies betont auch zutreffend Jakobs, FS Nishihara, S. 105, 110, wonach ein schuldloser Normangriff ein „Widerspruch in sich“ ist. 433 Ebenso verhält es sich beim Vorliegen einer „nur“ versuchten Rauschtat. Siehe zu diesem Konzept im Ansatz auch Montenbruck, GA 1978, 225, 239 f., der allerdings ausreichen lässt, dass der Täter sich vorgestellt hat, die Berauschung könne ihn in die Gefahr bringen, gegen die „Rechtsgüterordnung insgesamt zu verstoßen“.

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4. Teil: Deliktstypus

greift § 122 OWiG ein. Denn nur hinreichend gewichtiges personales Fehlverhalten rechtfertigt einen strafrechtlichen Vorwurf. Bei zu geringem Gewicht des Fehlverhaltens kommt, wie oben (Dritter Teil B. III.) bereits näher dargestellt, allenfalls eine Ordnungswidrigkeit nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz in Betracht. § 323a StGB setzt als Erfolgsdelikt – zusätzlich zum Verhaltensnormverstoß – den Eintritt einer spezifischen Fehlverhaltensfolge – eine bestimmte Rauschtat als spezifischen Erfolg – voraus. Der Tatbestand des § 323a StGB ist erst dann erfüllt, wenn auch tatsächlich diese Fehlverhaltensfolge eingetreten ist und der Täter zu dieser zumindest eine Fahrlässigkeitsbeziehung aufweist. Die staatliche Reaktion mit Schuldspruch und Strafe oder mit dem Instrumentarium des Ordnungswidrigkeitenrechts muss sich also auf das entsprechende Fehlverhalten und dessen Folge(n) beziehen. In diesem Zusammenhang kann nur anhand der eingetretenen spezifischen Fehlverhaltensfolge und deren Einordnung als Straftat oder Ordnungswidrigkeit (durch den Gesetzgeber) sachgerecht zwischen der Straftat des § 323a StGB und der Ordnungswidrigkeit des § 122 OWiG differenziert werden. Anerkanntermaßen spielen spezifische Fehlverhaltensfolgen für das Ob und ggf. auch das Wie strafrechtlicher Reaktion eine gewichtige Rolle. Fahrlässiges Fehlverhalten in Bezug auf Leib und Leben anderer Menschen ist regelmäßig als solches (noch) nicht als Straftat erfasst. Nur wenn solche Folgen eintreten, liegt beispielsweise eine fahrlässige Tötung oder eine fahrlässige Körperverletzung nach §§ 222, 229 StGB vor.434 Entsprechendes gilt für Fehlverhaltensfolgen im Kontext des Ordnungswidrigkeitenrechts – also insbesondere auch für die nach § 122 OWiG „mit Geldbuße bedrohte Handlung“435. Eine entsprechende Ordnungswidrigkeit erfordert, dass es zu einer solchen Handlung im Zustand der (nicht ausschließbaren) Schuldunfähigkeit gekommen ist. Man denke etwa an den berauschten Täter, der – infolge des Rauschs – nicht vorwerfbar entgegen § 121 Abs. 1 Nr. 1 OWiG ein bösartiges Tier sich frei umherbewegen lässt.436 Dieser Täter würde den Tatbestand des § 122 OWiG erfüllen. Diese Tat, welche keine Straftat i. S. d. Strafgesetzbuches, sondern lediglich eine „mit Geldbuße bedrohte Handlung darstellt“, wurde vom Gesetzgeber allein aufgrund der schwächeren Fehlverhaltensfolge als Ordnungswidrigkeit eingeordnet. Nur wenn man von einer solchen spezifischen Fehlverhaltensfolge ausgeht, lässt sich ein sachgerechtes Differenzierungskonzept zwischen Straftaten nach § 323a StGB einerseits und bloßen Ordnungswidrigkeiten nach § 122 OWiG entwickeln. Alles andere wäre willkürlich.437

434 Zur Bedeutung der spezifischen Fehlverhaltensfolgen für das „Ob“ und „Wie“ der Strafbarkeit s. Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 516 f.; Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 94, 99; Freund/Rostalski, AT, § 2 Rn. 69; Reus, Das Recht in der Risikogesellschaft, S. 98 f. 435 Zur Definition der „mit Geldbuße bedrohten Handlung“ s. § 1 Abs. 2 OWiG. 436 S. zu diesem Beispiel auch Rengier, in: KK-OWiG, § 122 Rn. 4. 437 Ein solches Differenzierungskriterium kann mit dem Konzept eines abstrakten Gefährdungsdelikts gerade nicht entwickelt werden. Siehe dazu bereits oben (Vierter Teil A. I. 3.).

B. Sachgerechte Deliktseinordnung des § 323a StGB

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Begreift man die Rauschtat also als spezifische Fehlverhaltesfolge des vom Täter zu verantwortenden Risikopotentials (durch das zu gefährliche Sichberauschen), so lässt sich das Verhältnis zwischen § 323a StGB und § 122 OWiG schlüssig erklären. Nur wenn das tatbestandspezifische Fehlverhalten, welches zumindest einen Fahrlässigkeitsbezug des Täters zur konkret begangenen Rauschtat aufweist, hinreichend gewichtig ist, lässt sich – je nach Schwere des Verhaltensnormverstoßes – eine Geldbuße oder gar Strafe in Form von Geld- oder Freiheitsstrafe legitimieren.438 Das im vorstehenden Gesagte wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die praktische Bedeutung der Ordnungswidrigkeit des § 122 OWiG gering sein mag. Ein zutreffender Rechtsstandpunkt wird nicht etwa dann unwichtig, wenn er nur für wenige Fälle relevant wird. Tatsächlich ist festzustellen, dass die praktische Relevanz des § 122 OWiG sehr gering ist. So lag der Gesetzgeber mit seiner Annahme, ohne § 122 OWiG existiere ein lückenhafter Rechtsgüterschutz im Ordnungswidrigkeitenrecht, nicht richtig.439 Denn die Bedenken in Bezug auf etwaige Lücken sind nicht berechtigt, wenn man den tatsächlichen Anwendungsbereich dieser Vorschrift in der Praxis betrachtet. § 122 OWiG ist bei Verkehrsordnungswidrigkeiten im Wesentlichen auf Fußgänger, Rollstuhlfahrer, Rollerfahrer oder Inline-Skater beschränkt.440 Der wohl am häufigsten einschlägige Anwendungsbereich eines berauschten Fahrzeugführers im Straßenverkehr wird oftmals bereits von der Vorschrift des § 316 StGB bzw. von § 323a StGB erfasst. Dann bedarf es des § 122 OWiG nicht mehr.441 Mithin lässt sich anhand der Einordnung des § 323a StGB als Erfolgsdelikt das Verhältnis zu § 122 OWiG schlüssig erklären; das ist unabhängig davon wichtig, ob § 122 OWiG einen nur sehr geringen Anwendungsbereich hat. 3. Verhältnis des § 323a StGB zur actio libera in causa – Bleibt noch ein Anwendungsbereich? Einige Stimmen in der Literatur kritisieren das – auch in dieser Arbeit als notwendig angesehene – Erfordernis einer Fahrlässigkeitsbeziehung des Täters zur später konkret begangenen Rauschtat und begründen dies mit einer daraus resultierenden Aushöhlung des § 323a StGB. Verlange man eine solche subjektive Vorwerfbarkeitsbeziehung zur konkret begangenen Rauschtat, so wäre stets auch der Anwendungsbereich der (fahrlässigen) actio libera in causa eröffnet.442 Um auf diese 438

S. zu den Anforderungen an den Einsatz des Straf- oder Ordnungswidrigkeitenrechts allgemein bereits oben (Dritter Teil B. III.). 439 Vgl. dazu BT-Drs. V/1269 S. 65 f.; s. dazu genauer Rengier, in: KK-OWiG, § 122 Rn. 2. 440 Rengier, in: KK-OWiG, § 122 Rn. 2. 441 In der Vergangenheit wurde in der Rechtsprechung nur ein Fall verhandelt, der heutzutage auch von § 122 OWiG erfasst werden würde: Ein betrunkener Halter überlässt sein Fahrzeug einem fahruntüchtigen Fahrer, OLG Hamburg Urteil v. 08. 06. 1967 = MDR 1967, 854; s. dazu Rengier, in: KK-OWiG, § 122 Rn. 3; Krenberger/Krumm, OWiG, § 122 Rn. 4. 442 Vgl. etwa Arthur Kaufmann, JZ 1963, 425, 432; Cramer, Der Vollrauschtatbestand, S. 38 ff.

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4. Teil: Deliktstypus

Kritik näher eingehen zu können, sind zunächst die Voraussetzungen fahrlässigen Fehlverhaltens und die Rechtsfigur der actio libera in causa ganz allgemein in den Blick zu nehmen. a) Voraussetzungen fahrlässigen Fehlverhaltens § 323a StGB fordert neben dem tatbestandsmäßigen Verhalten i. S. d. „zu gefährlichen“ Sichberauschens – wie oben bereits erwähnt – die Rauschtat als Erfolg in der Außenwelt. Der Gesetzeswortlaut gibt zwar keinerlei Aufschluss darüber, ob Vorsatz oder Fahrlässigkeit in Bezug auf den Erfolg erforderlich ist. Wie oben aber bereits herausgearbeitet, ist für eine Bestrafung wegen Vollrauschs notwendige Minimalbedingung eine Fahrlässigkeitsbeziehung (subjektive Vorwerfbarkeitsbeziehung) des Täters zur später begangenen Rauschtat. Fahrlässigkeit meint dabei die Vornahme einer Handlung trotz der Vorhersehbarkeit und der Vermeidbarkeit eines schadensträchtigen Verlaufs bei begründbarer rechtlicher Vermeidepflicht des Täters im konkreten Einzelfall.443 Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Fahrlässigkeit eines Täters ist dabei der Verhaltenszeitpunkt – also der Zeitpunkt, in dem der Täter die Handlung begeht, mit dem die unerlaubte Schädigungsmöglichkeit verknüpft ist, und damit der Zeitpunkt des Sichberauschens. Bezogen auf den Vollrauschtatbestand bedeutet dies: Die später tatsächlich begangene Rauschtat muss für den potentiellen Normadressaten – unter Berücksichtigung seiner individuellen Verhältnisse – zum Zeitpunkt des Sichberauschens erkennbar und vermeidbar und für ihn auch von Rechts wegen zu vermeiden gewesen sein. Es bedarf also der allgemeinen Fahrlässigkeitskriterien, die auch für andere Fahrlässigkeitsdelikte (z. B. die fahrlässige Tötung gem. § 222 StGB oder die fahrlässige Körperverletzung gem. § 229 StGB) gelten.444 Was im Verhaltenszeitpunkt nicht vorhersehbar und vermeidbar war, kann niemals die Anforderungen an eine fahrlässige Begehungsweise erfüllen.445 Konnte ein Täter mit dem Eintritt des konkreten Erfolges nach den konkreten Umständen nicht rechnen, „so verdient er 443

Anders geht die wohl herrschende Meinung vor, die die Fahrlässigkeit eines Täters gestuft prüft. Zunächst anhand einer Durchschnittsperson (objektive Sorgfaltspflichtverletzung bei objektiver Erkennbarkeit), sodann wird im Rahmen der Schuld die individuelle Sorgfaltspflichtverletzung bei individueller Vorhersehbarkeit geprüft. Mit berechtigter Kritik dazu ausführlich Freund/Rostalski, AT, § 5 Rn. 23 ff.; auf gleicher Linie auch Hardwig, FS Eb. Schmidt, S. 459, 467. 444 Anders etwa Bemmann, GA 1961, 56, 72 f., wonach eine generelle Fahrlässigkeit genügen soll; auf gleicher Linie etwa Hilgendorf, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, § 40 Rn. 12, der das grundsätzliche Fahrlässigkeitserfordernis abschwächen will. 445 Zur Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit eines schadensträchtigen Verlaufs als Minimalbedingung der Verhaltensmissbilligung s. Freund/Rostalski, AT, § 5 Rn. 44: „Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit eines bestimmten schadensträchtigen Verlaufs oder sonstiger Ereignisse sind die Minimalbedingung für eine auf entsprechende Vermeidung bezogene Verhaltensmissbilligung […]“. Zu den Definitionen fahrlässigen Fehlverhaltens s. auch Freund/ Rostalski, AT, § 5 Rn. 93.

B. Sachgerechte Deliktseinordnung des § 323a StGB

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nicht eine milde, sondern gar keine Strafe“.446 Abstriche von den genannten Fahrlässigkeitskriterien sind sachlich nicht begründbar. Entweder lässt sich auf der Basis der konkreten Umstände eine rechtliche Vermeidepflicht begründen oder aber nicht. Eine Art „Minderform der Fahrlässigkeit“ bei nicht begründbarer Vermeidepflicht ist bereits per definitionem ausgeschlossen.447 „Ohne irgendwelche Anhaltspunkte für bestimmte zu erwartende Taten haben Freiheitsrechte des Täters Vorrang vor ganz unspezifischen ,Sicherheitsinteressen‘.“448 Sind dem Täter also keine im Rauschzustand zu erwartenden schädlichen Neigungen bekannt – insbesondere weil es bislang noch nie zu Ausschreitungen gekommen ist, so fehlt der notwendige Fahrlässigkeitsbezug, sodass auch konsequenterweise eine Strafbarkeit wegen Vollrauschs nach § 323a StGB ausscheiden muss.449 Festzuhalten bleibt: Auch für den Vollrauschtatbestand gelten in Bezug auf die Rauschtat die allgemeinen Fahrlässigkeitskriterien. b) Die actio libera in causa im Allgemeinen Die Anerkennung der actio libera in causa vel omittendo als „Rechtsfigur“, deren Ursprung bis in die Antike und das kanonische Recht zurückreicht450, wird noch heute heftig diskutiert und gehört zu den wohl „umstrittensten Materien innerhalb der Dogmatik zum Allgemeinen Teil des StGB“.451 Da die actio libera in causa nicht explizit im Strafgesetzbuch normiert ist, stellt sich insbesondere die Frage nach ihrer 446 Geisler, in: MünchKommStGB V, § 323a Rn. 63; i. d. S. auch Roxin/Greco, AT I, § 23 Rn. 11; s. auch Hecker, in: Schönke/Schröder, StGB, § 323a Rn. 1; Rönnau, JuS 2011, 697, 698; s. auch Thaman, GS Heine, S. 339, 346, wonach es keinen Vollrauschtatbestand ohne Rauschtat gibt und der Täter zumindest um seine Rauschgefährlichkeit gewusst haben oder deratige Kenntnis fahrlässig verfehlt haben muss. 447 Ein Verschulden unterhalb der Fahrlässigkeitsschuld im Hinblick auf die Rauschtat forderten im Rahmen der Marburger Strafrechtsgespräche im Jahre 2000 etwa Otto, Duttge, Maiwald und Jescheck. – Freund und Renzikowski äußerten berechtigte Kritik; s. dazu Geißler, JR 2000, 489, 491. Auch Hilgendorf, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, § 40 Rn. 12 will eine schwächere Beziehung als die Fahrlässigkeitsbeziehung zur Rauschtat ausreichen lassen: „Der Täter muss zu kriminellen Fehlleistungen im Rausch neigen und er muss um diese Neigung wissen oder wissen können“. In diesem Sinne auch noch der Bundesgerichtshof in BGHSt 10, 247. 448 Freund, in: Handbuch des Strafrechts, § 46 Rn. 12. 449 Da für § 323a StGB keine Versuchsstrafbarkeit vorgesehen ist, kommt es nicht selten vor, dass zwar personales Fehlverhaltensunrecht sowie der konkrete Erfolgssachverhalt vorliegen, aber dann schließlich der tatbestandsmäßige Erfolg i. S. der Rauschtat (als spezifische Fehlverhaltensfolge) zufällig ausbleibt, sodass auch in diesen Fällen eine Strafbarkeit entfällt. 450 Salger/Mutzbauer, NStZ 1993, 561 m. w. N. in Fn. 4; s. dazu auch Thaman, GS Heine, S. 339, 346. – Zum Begriff der actio libera in causa und deren Entstehungsgeschichte ferner Hruschka, JZ 1989, 310 f. – Zur actio libera in causa allgemein s. Hirsch, FS Nishihara, S. 89 ff. 451 Jerouscheck, JuS 1997, 385, 385.

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4. Teil: Deliktstypus

grundsätzlichen Vereinbarkeit mit dem deutschen (Straf-)Recht bzw. ihrer dogmatischen Herleitung. In der Literatur und insbesondere in der Rechtsprechung452 wird häufig auf die actio libera in causa zurückgegriffen. Denn die weitgehende Freistellung von strafrechtlicher Verantwortlichkeit eines Täters, der sich bewusst in einen die Schuldunfähigkeit ausschließenden Zustand versetzt, um eine andere Tat zu begehen, für die er mangels Schuld nicht belangt werden kann, wird häufig als unbefriedigend empfunden.453 Die actio libera in causa soll diesem „Dilemma“454 angemessen begegnen und eine Bestrafung des zu einem bestimmten Zeitpunkt Schuldunfähigen ermöglichen. Ihr Kerngedanke kann – ganz abstrakt – wie folgt formuliert werden: Ein Täter setzt eine Ursachenkette in Gang, die im Zustand der Schuldunfähigkeit zu einer Tatbestandsverwirklichung führt, wobei der Täter nicht nur den die Schuldfähigkeit ausschließenden Zustand selbst schuldhaft herbeiführt, sondern auch in Bezug auf die spätere Tatbegehung im schuldunfähigen Zustand schuldhaft handelt.

Nicht wenige stehen dem Gedanken der actio libera in causa kritisch bis klar ablehnend gegenüber.455 Soweit die actio libera in causa als „Rechtsfigur“ befürwortet wird, finden sich zu ihrer Begründung im Wesentlichen zwei Strafbarkeitsmodelle,456 die sich vor allem in der Beantwortung der Frage unterscheiden, welches Verhalten des Betreffenden als das tatbestandliche anzusehen ist: Das Ausnahmemodell457 und das Tatbestandsmodell458. Die verschiedenen Begründungsansätze 452

BGHSt 17, 259; 21, 381. S. dazu Fischer, StGB, § 20 Rn. 55; Freund/Rostalski, AT, § 4 Rn. 34. 454 Puppe, JuS 1980, 346, 346; s. dazu auch Renzikowski, ZStW 112 (2000), 475, 476. 455 So wird von einigen eine gesetzliche Regelung gefordert; s. dazu näher Ambos, NJW 1997, 2296, 2297 f.; Hettinger, FS Schroeder, S. 209 ff. – Horn, GA 1969, 289, 306 bezeichnet die actio libera in causa als „überflüssig oder unzulässig“; vgl. außerdem Hruschka, JZ 1997, 22, 24; s. außerdem die Nachweise bei Wessels/Beulke/Satzger, AT, § 13 Rn. 665 in Fn. 88. 456 Siehe i. S. eines Überblicks über die verschiedenen Modelle und Kritik daran etwa Safferling, in: Matt/Renzikowski, StGB, § 20 Rn. 77 ff.; zur geschichtlichen Entwicklung der actio libera in causa ausführlich Hettinger, Die „actio libera in causa“, S. 57 ff. 457 Die Vertreter eines Ausnahmemodells sehen in der actio libera in causa eine gewohnheitsrechtlich anerkannte Ausnahme zu § 20 StGB. Ausnahmsweise sollen Schuld und Tat (entgegen § 20 StGB) nicht gleichzeitig vorliegen müssen. Die fehlende Schuld im Tatzeitpunkt wird vom Zeitpunkt der Berauschung „geholt“. Obwohl der Tatbestand im Rausch verwirklicht wurde, sei dem Täter somit ausnahmsweise die verwirklichte Rechtsgutsverletzung vorzuwerfen; s. dazu etwa Otto, Jura 1986, 426, 429. – Darin liegt jedoch ein eindeutiger Verstoß gegen § 20 StGB – das Koinzidenzprinzip. Mit der Begründung einer Ausnahme zu § 20 StGB setzt sich diese Meinung dem Vorwurf eines Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 2 GG (nullum crimen sine lege) aus. Sie beinhaltet eine nicht vom Gesetzeswortlaut gedeckte Straferweiterung. 458 Die Vertreter eines Tatbestandsmodells nehmen keine Ausnahme von § 20 StGB an, sondern sehen bereits in der Herbeiführung des Defektszustandes – losgelöst von § 20 StGB – einen Teil der Tatbestandsverwirklichung. „Das Berauschen ist das erste Glied in der Kausalkette“; s. dazu näher Spendel, in: LK-StGB, 11. Auflage, § 323a Rn. 28 ff.; Wessels/Beulke/ 453

B. Sachgerechte Deliktseinordnung des § 323a StGB

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sollen nicht im Fokus dieser Arbeit stehen und sind für die weiteren Ausführungen auch nicht relevant. Vielmehr ist in gebotener Kürze Folgendes zu sagen: Nach geltendem Verfassungsrecht kann einer „Rechtsfigur“ der actio libera in causa für die Begründung einer Strafbarkeit keinerlei konstitutive Bedeutung zukommen. Ganz im Gegenteil: Ein derartiges strafbegründendes Gewohnheitsrecht würde gegen den Gesetzlichkeitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG verstoßen. Eine Strafbarkeit als Reaktion auf einen begangenen Verhaltensnormverstoß zur Wiederherstellung der Normgeltung richtet sich allein nach den Strafgesetzen. Insofern kommt allein ein Tatbestandsmodell in Betracht, weil sich nur dieses als „sachentsprechende Konsequenz aus im Gesetz verankerten allgemeinen strafrechtstheoretischen Grundsätzen ableitet“.459 Im Gedanken der actio libera in causa ist nichts weiter als eine Art „Hilfestellung“ zu erblicken, um den für einen strafrechtlichen Tatbestand erforderlichen spezifischen Verhaltensnormverstoß an richtiger Stelle zu verorten und herauszuarbeiten. Auf diese Weise wird auch das Koinzidenzprinzip (§§ 20, 8 StGB) gewahrt. Unter dem Begriff der actio libera in causa werden verschiedene mehrstufige Geschehensabläufe diskutiert, bei denen der Täter in einem ersten Schritt in noch verantwortlichem Zustand einen Verlauf in Gang setzt (oder nicht vermeidet), bei dem er im Zusammenhang mit einer Güterbeeinträchtigung für diese nicht mehr verantwortlich ist, weil er zu dem späteren Zeitpunkt gem. § 20 StGB schuldunfähig ist. Durch den ersten – zeitlich vorausgehenden – Akt führt der Täter seine Schuldunfähigkeit (z. B. durch Alkohol oder andere berauschende Mittel, wie etwa Drogen) herbei („actio praecedens“).460 In dieser Herbeiführung des Defektzustands nach § 20 StGB bei dadurch begründeter Gefahr der späteren Güterbeeinträchtigung liegt die „causa“. Im durch den ersten Akt in Gang gesetzten weiteren Geschehensverlauf kommt es zur Begehung einer rechtswidrigen Tat der „actio“ (sog. „actio subsequens“),461 die jedoch mangels Schuldfähigkeit des Betreffenden keinen Ansatzpunkt für einen strafrechtlichen Vorwurf bietet.462 Der Gedanke der actio libera in causa lenkt daher den Blick auf die „Wurzel des Übels“ – also das entsprechende Vorverhalten als verantwortliche Ingangsetzung des späteren Geschehensablaufs, die von Rechts wegen nicht sein durfte. Das spätere Geschehen erweist sich in solcher Sicht als bloße spezifische Folge des im Vorverhalten liegenden VerhaltensnormSatzger, AT, § 13 Rn. 657 ff. Für die Zurechnung tatbestandsmäßigen Verhaltens wird somit nicht an das Verhalten im Rauschzustand, sondern an das vorangegangene Sichberauschen angeknüpft. Die Prüfung des strafbaren Verhaltens wird auf den letzten Zeitpunkt der Nüchternheit (oder Schuldfähigkeit) vorverlegt. Die Koinzidenz ist dieser Ansicht nach dann gegeben, wenn man den tatbestandsspezifischen Verhaltensnormverstoß schon in der vorsätzlichen oder fahrlässigen Herbeiführung des Defektzustandes erblickt. 459 Hirsch, FS Nishihara, S. 88, 104. 460 Rath, JuS 1995, 405, 405; Wessels/Beulke/Satzger, AT, § 13 Rn. 654. 461 Rath, JuS 1995, 405, 406; Wessels/Beulke/Satzger, AT, § 13 Rn. 654. 462 Die „actio (subsequens)“ ist damit die unfreie Handlung, die aber eine freie Ursache („causa“) hat.

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4. Teil: Deliktstypus

verstoßes des Täters. Durch diese Beurteilung ist der für den Einsatz von Schuldspruch und Strafe elementare und erhebbare rechtliche Schuldvorwurf möglich. Denn zu diesem Zeitpunkt ist der Täter noch schuldfähig. Dadurch wird die Bestrafung des Täters wegen der „tatsächlich“ vorsätzlich begangenen Tat (etwa wegen §§ 212, 211 StGB oder § 223 StGB) ermöglicht. Eines Rückgriffs auf den Vollrauschtatbestand bedarf es dann nicht mehr.463 Im Zusammenhang mit der „Rechtsfigur“ der actio libera in causa wird zwischen der vorsätzlichen und der fahrlässigen actio libera in causa unterschieden.464 Die sog. vorsätzliche actio libera in causa erfasst Fälle, in denen der Täter im Zustand der Schuldunfähigkeit eine rechtswidrige Tat begeht und vor Beginn der Tatausführung Vorsatz im Hinblick auf die Defektherbeiführung sowie die bestimmte Tatausführung hatte.465 Die sog. fahrlässige actio libera in causa hingegen erfasst Fälle, in denen sich der Täter vorsätzlich oder fahrlässig berauscht und in diesem Zeitpunkt zumindest eine Fahrlässigkeitsbeziehung zur später begangenen Tat (im schuldunfähigen Zustand) aufweist.466 An diesem Punkt wird die Parallele zu § 323a StGB deutlich: Auch für den Vollrauschtatbestand ist eine subjektive Vorwerfbarkeitsbeziehung zur später begangenen konkreten Tat notwendige Bedingung. Die folgenden Ausführungen fokussieren sich lediglich auf die Rechtsfigur der fahrlässigen actio libera in causa, denn in diesem Zusammenhang wird häufig die Kritik laut, diese sei kongruent mit einem restriktiv verstandenen Vollrauschtatbestand und beraube diesen seines Anwendungsbereichs.467 c) Konkurrenzverhältnis zwischen § 323a StGB und der actio libera in causa – die sinnvolle Ergänzungsfunktion des § 323a StGB Bereits seit der ersten Entscheidung des Bundesgerichtshofs zum Verhältnis der actio libera in causa468 zu dem damaligen § 330a StGB a. F. wird der Vollrauschtatbestand als Auffangtatbestand deklariert, welcher der Lückenschließung dienen soll.469 Seitdem jedoch der Bundesgerichtshof die „Rechtsfigur“ der actio libera in

463

Siehe dazu noch unten (Vierter Teil B. I. 3. c)). Grundlegend zur actio libera in causa Hettinger, Die „actio libera in causa“, S. 436 ff.; s. ders., FS Geerds, S. 623 ff.; Perron/Weißer, in: Schönke/Schröder, StGB, § 20 Rn. 33 ff.; Wessels/Beulke/Satzger, AT, § 13 Rn. 652 ff. 465 BGHSt 2, 15, 17; 10, 248, 251; 17, 259; 21, 381; vgl. auch Fischer, StGB, § 20 Rn. 50. 466 Nach Ansicht der Rechtsprechung ist für Fahrlässigkeitsdelikte eine Begründung der Strafbarkeit über die Rechtsfigur der actio libera in causa überflüssig. In solchen Fällen lasse sich ein Fahrlässigkeitsvorwurf bereits durch die Deliktsherbeiführung als rechtsgutsgefährdende Handlung begründen; s. dazu etwa BGHSt 42, 235, 236 f. 467 In diesem Sinne Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 237; Fahl, JuS 2005, 1076, 1078. 468 „In der Ursache freie Handlung“. 469 BGHSt 2, 14; BGH NJW 1952, 354, 354; so auch Maurach, JuS 1961, 373, 381. 464

B. Sachgerechte Deliktseinordnung des § 323a StGB

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causa in seiner Grundsatzentscheidung (BGHSt 42, 235 ff.)470 in Bezug auf die Straßenverkehrsdelikte für unanwendbar erklärt hat, kommt dem Vollrauschtatbestand, als eigentlich deklariertem „Auffangtatbestand“, erhöhte Bedeutung zu.471 Zum Verhältnis der actio libera in causa zu § 323a StGB lässt sich an dieser Stelle nach den obigen Ausführungen bereits Folgendes festhalten: Ist es möglich, einem Täter die im Rausch begangene Tat (genauer: das Geschehen im Rauschzustand) nach den allgemeinen Regeln der Tatbestandsverwirklichung (unter klarstellender Heranziehung der Grundsätze der actio libera in causa) – anknüpfend an das Vorverhalten – (als spezifische Fehlverhaltensfolge) zuzurechnen, so hat eine Strafbarkeit nach § 323a StGB keine Bedeutung mehr bzw. tritt eine solche zurück.472 Denn lässt sich eine Bestrafung des Täters mittels der Grundsätze der actio libera in causa rechtfertigen, so liegt gerade ein rechtswidriges und schuldhaftes Vorverhalten vor, sodass es § 323a StGB nicht bedarf. Ein Täter kann dann beispielsweise wegen Totschlags gem. § 212 StGB in Verbindung mit den Grundsätzen der actio libera in causa – also anknüpfend an das Vorverhalten – zur Verantwortung gezogen werden. Für § 323a StGB ist dann kein Raum. In nicht wenigen Fällen ist diese Anknüpfung an das Vorverhalten des Täters – sei es über eine actio oder omissio473 – möglich, sodass ein Rückgriff auf den Vollrauschtatbestand tatsächlich entbehrlich ist.474 Gegen die auch in dieser Arbeit als zwingend angesehene Fahrlässigkeitsbeziehung des Täters für eine Strafbarkeit nach § 323a StGB wird vorgebracht, sie führe stets zur Strafbarkeit nach den Grundsätzen der fahrlässigen actio libera in causa. § 323a StGB werde daher bedeutungslos.475

470

Mit berechtigter Kritik an dieser Grundentscheidung s. etwa Freund, GA 2014, 137 ff. S. auch Geppert, Jura 2009, 40, 40. 472 So auch Cramer, Vollrauschtatbestand, S. 137; Geisler, in: MünchKommStGB V, § 323a Rn. 72; Maurach, JuS 1961, 373, 375: „primäre Rechtsfigur“; Spendel, in: LK-StGB, 11. Auflage, § 323a Rn. 21 m. w. N. in Fn. 51. Zum Konkurrenzverhältnis auf Strafzumessungsebene s. noch genauer unten (Fünfter Teil A.). 473 Zur omissio libera in causa Bosch, in: Schönke/Schröder, StGB, Vor § 13 Rn. 144 f. 474 Zu diesem Ergebnis kommt trotz begrüßenswerter Ansätze auch Thaman, GS Heine, S. 339, 353, wonach der Vollrauschtatbestand nicht benötigt würde, wenn man verlange, dass der Rauschtäter mindestens fahrlässig in Bezug auf den Rauschtaterfolg handelt. – Zu einem anderen Ergebnis müsste allerdings der Bundesgerichtshof im Hinblick auf die „Tätigkeitsdelikte“ kommen. 475 Zur Frage des Zusammentreffens einer fahrlässigen actio libera in causa und § 330a StGB a. F. vgl. BGHSt 2, 14, 18. Siehe zu diesem Konkurrenzverhältnis etwa auch Arthur Kaufmann, JZ 1963, 425, 432; s. auch Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 237: Fordere man hinsichtlich der Rauschtat eine Fahrlässigkeitsbeziehung, so habe man auch nicht mehr erreicht, als über die strafrechtsdogmatische Konstruktion der actio libera in causa. – Als andere Möglichkeit führt Lagodny an, man könne auch auf das Fahrlässigkeitserfordernis verzichten. Er gesteht allerdings ein, dass unter dieser Prämisse ein Verstoß gegen das Schuldprinzip nicht wegzudiskutieren sei. 471

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4. Teil: Deliktstypus

Dieser Einwand berücksichtigt jedoch zunächst schon nicht angemessen die gegenwärtige Haltung der Rechtsprechung zur (Un-)Anwendbarkeit der Grundsätze der actio libera in causa bei den Straßenverkehrsdelikten: Wie oben bereits angesprochen, ist der Bundesgerichtshof in nicht wenigen Fällen auf die Vorschrift des § 323a StGB angewiesen, wenn er einen berauschten Täter sanktionieren will. Denn seit der Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 42, 235 ff.) soll der Betreffende bei nicht auszuschließender Schuldunfähigkeit jedenfalls nicht mehr wegen des schuldhaften Vorverhaltens im Rahmen der actio libera in causa bestraft werden können, wenn es sich um Straßenverkehrsdelikte handelt.476 Eine Sanktionierung wegen Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c StGB), wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) und wegen Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) über die „Rechtsfigur“ der actio libera in causa sei demnach ausgeschlossen. Diese Tatbestände setzten das „Führen“ eines Fahrzeugs voraus, welches erst mit dem Bewegungsvorgang des Anfahrens, nicht aber bereits mit der Defektherbeiführung erfüllt werden könne.477 § 323a StGB stellt somit für den Bundesgerichtshof – im Anschluss an dessen Grundsatzentscheidung – die einzige Grundlage für eine legitime Bestrafung eines berauschten (nicht ausschließbar) schuldunfähigen Täters dar.478 Die Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs ist in Bezug auf die angebliche Unanwendbarkeit der Grundsätze der actio libera in causa zwar falsch. Indessen ändert das nichts an dem auf der Basis dieser falschen Entscheidung bestehenden Bedarf, die entstandene Lücke durch § 323a StGB zu schließen. Falsch ist die Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs, weil sie die wichtige Differenzierung zwischen dem tatbestandsspezifischen Verhaltensnormverstoß und dem von Rechts wegen zu vermeidenden Erfolgssachverhalt der relevanten Sanktionsnormen nicht beachtet.479 Der Bundesgerichtshof verwechselt ein Erfolgselement der Sanktionsnorm mit dem für die Tatbestandsverwirklichung erforderlichen Verhaltensnormverstoß. Konkret: Bei den oben genannten Straßenverkehrsdelikten (§§ 315c, 316 StGB, § 21 StVG) handelt es sich um Sanktionsnormen. Diese beschreiben als Erfolgssachverhalt negativ zu bewertende – „unerwünschte“ – Ereignisse – wie etwa das Führen eines Fahrzeugs im Straßenverkehr in (zu) betrunkenem Zustand. Das bedeutet natürlich mitnichten, dass der tatbestandsspezifische 476 S. dazu BGHSt 42, 235, 238 f., wonach die Rechtsfigur der actio libera in causa für (Tätigkeits-)Delikte, deren Tatbestand also eine bestimmte Handlung voraussetze, unanwendbar sei; s. dazu auch Renzikowski, in: Matt/Renzikowski, StGB, § 316 Rn. 40. – A. A. Freund, GA 2014, 137, 142. 477 BGHSt 42, 235, 238 ff.: „Jedenfalls bei den Delikten der Straßenverkehrsgefährdung und des Fahrens ohne Fahrerlaubnis ist die Vorverlagerung der Schuld unzulässig. […] Die verschiedenen Ansätze, mit denen in Rechtsprechung und Literatur die actio libera in causa erklärt wird, bieten zum einen Teil keine tragfähige Grundlage für die Anwendung der Rechtsfigur auf die hier in Rede stehenden Verkehrsstraftaten; zum anderen Teil sind sie mit dem geltenden Recht nicht in Einklang zu bringen.“ 478 Vgl. Geisler, Zur Vereinbarkeit, S. 404 f.; Geppert, Jura 2009, 40, 42. 479 S. dazu und zum Folgenden Freund, GA 2014, 137, 141 ff.

B. Sachgerechte Deliktseinordnung des § 323a StGB

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Verhaltensnormverstoß stets deckungsgleich mit dem Geschehen des „Führens“ eines Fahrzeugs vorliegen muss. Nach Wortlaut und Ratio etwa der Strafbarkeit nach § 316 StGB genügt es für diese, wenn das geschilderte Geschehen des „Führens in bestimmtem Zustand“ darauf beruht, dass der Betreffende gegen eine Verhaltensnorm verstoßen hat, die genau Derartiges vermeiden soll. Von einem schuldhaften Führen ist in § 316 StGB ebensowenig die Rede wie in § 242 StGB von einem schuldhaften Wegnehmen. Letzteres kann auch durch einen schuldunfähigen Tatmittler in mittelbarer Täterschaft geschehen, während der das Geschehen schuldhaft in Gang setzende Hintermann nach intensivem Alkoholgenuss seinen Rausch ausschläft. In diesem Zusammenhang müssen auch bei den Straßenverkehrsdelikten die im Interesse des Rechtsgüterschutzes legitimierbaren Verhaltensnormen konkretisiert werden, die darauf abzielen, den im Straftatbestand erfassten Erfolgssachverhalt zu vermeiden. Auf diese Weise werden auch Verhaltensweisen erfasst, die einen Geschehensablauf in Gang setzen, der die zu große Gefahr der Verwirklichung eines bestimmten Tatbestandes480 mit sich bringt. Die Sanktionsnormen als solche enthalten keine konkretisierten Verhaltensnormen, sondern setzen den Verstoß gegen zuvor entsprechend legitimierte und im Einzelfall zu begründende Verhaltensregelmentierungen voraus.481 Solche legitimierbaren Verhaltensnormen, die etwa ein Fahren in fahrunsicherem Zustand verhindern sollen, kommen auch und gerade im Vorfeld in Betracht, sodass auch die Anknüpfung an ein Vorverhalten möglich ist. Dass die Berauschung selbst noch keine „Wegnahme, Täuschung oder Vergewaltigung“482 ist, ändert an dem Gesagten nichts; es bedeutet nur, dass noch keine entsprechende Fehlverhaltensfolge eingetreten ist und die Sanktionsnorm, die eine solche erfordert, noch nicht angewendet werden darf. Dieser Mangel besteht aber nicht mehr, wenn es aufgrund des tatbestandsspezifischen Verhaltensnormverstoßes genau dazu kommt. Mithin erlaubt die „Rechtsfigur“ der actio libera in causa auch bei den Straßenverkehrsdelikten eine tragfähige Begründung der Strafbarkeit nach allgemeinen Regeln.483 Selbst wenn der Bundesgerichtshof seine fehlerhafte Position in Bezug auf die actio libera in causa bei Straßenverkehrsdelikten korrigieren würde, bliebe dennoch ein dringender Bedarf nach Schließung einer – derzeit bestehenden – gewichtigen Strafbarkeitslücke: Für die meisten Tatbestände des Strafgesetzbuchs hat der Gesetzgeber keine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit vorgesehen. § 15 StGB bestimmt: 480

Freund, GA 2014, 137, 140. Es ist insoweit Aufgabe der Strafgerichte, im Einzelfall – unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Vorgaben – näher zu begründen, dass ein solcher Verstoß tatsächlich und eindeutig vorliegt; s. dazu Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 50 ff.; Freund, GA 2014, 137, 147. – Somit bestehen auch gegenüber dem Gesetzlichkeitsgrundsatz aus Art. 103 Abs. 2 GG keine Bedenken. Zum Gesetzlichkeitsgrundsatz allgemein s. bereits oben (Zweiter Teil A.). 482 S. dazu und zum Folgenden Puppe, JuS 1980, 346, 347. 483 Das Gleiche gilt dann auch für die sonstigen „Tätigkeitsdelikte“. 481

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4. Teil: Deliktstypus

„Strafbar ist nur vorsätzliches Handeln, wenn nicht das Gesetz fahrlässiges Handeln ausdrücklich mit Strafe bedroht.“ So ist beispielsweise der Tatbestand eines Diebstahls gem. § 242 Abs. 1 StGB oder einer Sachbeschädigung gem. § 303 Abs. 1 StGB nur bei vorsätzlichem Fehlverhalten (nebst Vorliegen weiterer Sanktionserfordernisse) erfüllt. Für die fahrlässige Begehungsweise fehlt es an einer entsprechenden Sanktionsanordnung durch den Gesetzgeber. Das heißt, wenn sich ein Täter fahrlässig bis zum Zustand der (nicht ausschließbaren) Schuldunfähigkeit betrinkt und infolge des Rauschs beispielsweise eine Sachbeschädigung gem § 303 Abs. 1 StGB begeht, kann er nicht bestraft werden. Denn aufgrund der (nicht ausschließbaren) Schuldunfähigkeit ist der Täter zum einen nicht in der Lage, einen für die Sachbeschädigung gem. § 303 Abs. 1 StGB strafrechtsrelevanten und notwendigen Vorsatz zu bilden. Zum anderen ist es auch nicht möglich, für die Strafbarkeit an das entsprechende fahrlässige Vorverhalten anzuknüpfen, da für die Sachbeschädigung keine Fahrlässigkeitsstrafbarkeitsandrohung existiert. In solchen Fällen läuft also auch die actio libera in causa ins Leere. Der Vollrauschtatbestand des § 323a StGB – als mindestens fahrlässiges Erfolgsdelikt – setzt aber genau an diesem Punkt an. Er gelangt in den Fällen zur Anwendung, in denen das fahrlässige Vorverhalten nicht ausreicht, um die sonst allein mögliche Vorsatzstrafbarkeit wegen der im Vollrausch begangenen Tat zu begründen.484 Kurz gesagt: Immer dann, wenn die Rauschtat eine gesetzlich bestimmte Vorsatztat ist, kommt dem Vollrauschtatbestand – bei bloß fahrlässigem Vorverhalten – eine „sinnvolle Ergänzungsfunktion“ zu.485 Zur Verdeutlichung diene folgendes Fallbeispiel: Ein berauschter Täter (T) (der den Zustand der nicht ausschließbaren Schuldunfähigkeit erreicht hat) schlägt auf seinem Heimweg nach einer durchzechten Nacht die Fensterscheiben im Erdgeschoss des Nachbarn (N) mit einem Ziegelstein ein. T hat schon seit längerer Zeit Probleme mit seinem Nachbarn und beschädigt im Rausch immer wieder dessen Eigentum. Seine entsprechende Neigung hat T auch bereits erkannt; er geht beim Sichberauschen aber stets davon aus, er werde dieses Mal friedlich bleiben.

Eine Sachbeschädigung nach § 303 Abs. 1 StGB scheidet aufgrund der fehlenden Schuldfähigkeit des T aus. Auch die „Rechtsfigur“ der actio libera in causa hilft darüber nicht hinweg, denn bei der Herbeiführung des Rauschzustandes hatte der Täter keinen Vorsatz im Hinblick auf die Rauschtatbegehung. Die Annahme einer 484 Freund, in: Handbuch des Strafrechts, § 46 Rn. 11; i. d. S. auch Geisler, in: MünchKommStGB V, § 323a Rn. 62; ders., Zur Vereinbarkeit, S. 402 ff.; Kraatz, ZStW 125 (2013), 819, 835; Roxin/Greco, AT I, § 23 Rn. 11. 485 So auch Freund, in: Handbuch des Strafrechts, § 46 Rn. 16; i. d. S. auch Geisler, Zur Vereinbarkeit, S. 403; Kraatz, ZStW 125 (2013), 819, 835, der in § 323a StGB eine „wichtige Auffangfunktion“ für die Fälle sieht, bei denen die Fahrlässigkeit nicht unter Strafe gestellt ist; ähnlich auch schon Lange, ZStW 59 (1940), 574, 591: „Von größter praktischer Bedeutung […] in den Fällen, in denen die fahrlässige Begehung nicht strafbar ist, wie etwa bei den Vermögensoder Sittlichkeitsverbrechen.“; i. d. S. auch Roxin/Greco, AT I, § 23 Rn. 11; ferner Popp, in: LKStGB, § 323a Rn. 129. – A. A. Hecker, in: Schönke/Schröder, StGB, § 323a Rn. 16.

B. Sachgerechte Deliktseinordnung des § 323a StGB

125

fahrlässigen Sachbeschädigung ist nicht möglich und verstieße gegen den Gesetzlichkeitsgrundsatz sowie gegen § 15 StGB, wonach „nur vorsätzliches Handeln“ strafbar ist, „wenn nicht das Gesetz fahrlässiges Handeln ausdrücklich mit Strafe bedroht“. § 303 Abs. 1 StGB ordnet nur die Sanktionierung einer vorsätzlichen Sachbeschädigung an. Es scheint also auf den ersten Blick so, als würde der berauschte und dadurch gefährliche T einfach so davon kommen. Dieses Ergebnis ist durchaus unbefriedigend, denn die Tatsache, dass T aufgrund seiner Berauschung nicht einmal in der Lage war, einen strafrechtsrelevanten Vorsatz zu bilden, macht ihn keineswegs ungefährlich, sondern ggf. noch viel gefährlicher.486 Über dieses unbefriedigende Ergebnis hilft der Vollrauschtatbestand – verstanden als fahrlässiges Erfolgsdelikt – hinweg und liefert sachgerechte Ergebnisse: Ein Täter, der sich dermaßen berauscht hat, dass er den Zustand (nicht ausschließbarer) Schuldunfähigkeit erreicht, kann über den Vollrauschtatbestand für sein Verhalten zur Rechenschaft gezogen werden, wenn er im Grundsatz wusste, dass er im Rausch zu entsprechenden konkreten Ausschreitungen neigt – mag er diese Gefahr auch im verhaltensrelevanten Zeitpunkt bagatellisiert oder verdrängt haben. Im oben dargestellten Fall, gab es in der Vergangenheit häufiger derartige Vorkommnisse und Beschädiungen am Eigentum des N durch den Täter. T wusste also vor der Berauschung, dass er im Rauschzustand zu solch konkreten Ausschreitungen neigt und somit für Rechtsgüter anderer – das Eigentum – zu gefährlich werden könnte. Seine Verdrängung der Schädigungsmöglichkeit beim Sichberauschen ändert daran nichts. Diese schließt nur den Verletzungs- bzw. Schädigungsvorsatz aus, nicht aber den Gefährdungsvorsatz und damit auch nicht die für den Vollrauschtatbestand nötige Fahrlässigkeitsbeziehung. Demzufolge ist er geeigneter Adressat der von § 323a StGB in Bezug genommenen Verhaltensnorm „du darfst dich nicht berauschen, wenn und weil du dadurch aufgrund deiner persönlichen Neigungen rauschbedingt für Rechtsgüter anderer zu gefährlich werden könntest“ und kann – bei Erfüllung der weiteren Erfordernisse – wegen Vollrauschs bestraft werden, wenn er diese Verhaltensnorm durch einen Normverstoß in Frage stellt.487 Abwandlung: Ein berauschter Täter (T) (der den Zustand der nicht ausschließbaren Schuldunfähigkeit erreicht hat) schlägt auf seinem Heimweg nach einer durchzechten Nacht die Fensterscheiben im Erdgeschoss des Nachbarn (N) mit einem Ziegelstein ein. T ist in der Vergangenheit im Rausch bereits des Öfteren wegen einer Köperverletzung gem. § 223 StGB, jedoch nicht wegen einer Sachbeschädigung gem. § 303 Abs. 1 StGB strafrechtlich in Erscheinung getreten.

Im Fall der Abwandlung hatte T keine Anhaltspunkte dafür, dass er im Rausch zur konkreten Rauschtat – das heißt zu einer Sachbeschädigung – neigt, sodass in diesem

486

Vgl. auch Freund, in: Handbuch des Strafrechts, § 46 Rn. 48. A. A. Hecker, in: Schönke/Schröder, StGB, § 323a Rn. 16: „Ist nur die vorsätzlich begangene Tat strafbar, genügt Fahrlässigkeit nicht für die Rauschtat“. 487

126

4. Teil: Deliktstypus

Fall eine Strafbarkeit entfallen muss.488 Es fehlt an einem notwendigen Fahrlässigkeitsbezug zur konkret begangenen Tat. Denn Anhaltspunkte für die Neigungen zur Begehung einer Körperverletzung lassen nicht auf bestimmte Neigungen zum Begehen von Sachbeschädigungen schließen.489 In diesem Fall bleibt T somit straflos. Noch deutlicher wird die überaus wichtige Ergänzungsfunktion des Vollrauschtatbestandes, wenn man sich die Fälle einer sexuellen Nötigung, einer Vergewaltigung oder eines im Rauschzustand begangenen Diebstahls oder Raubes vor Augen führt. Auch bei diesen Tatbeständen handelt es sich um gesetzlich bestimmte Straftatbestände, die nur vorsätzliches Verhalten unter Strafe stellen. Würde § 323a StGB nicht existieren bzw. – so wie manche es fordern – gestrichen,490 könnte in Fällen der sexuellen Nötigung oder der Vergewaltigung allenfalls eine fahrlässige Körperverletzung gem. § 229 StGB angenommen werden, wenn der Täter bei der Herbeiführung des Rauschzustandes keinen Vorsatz in Bezug auf diese konkreten Taten hatte.491 Eine fahrlässige Körperverletzung wird aber lediglich mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bedroht. Indessen schöpft eine Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung den Unwertgehalt der genannten Fälle nicht aus. Dem kann nur § 323a StGB mit seinem ausreichenden Fahrlässigkeitsbezug zur Rauschtat Rechnung tragen. Das gilt sowohl für den angemessenen Schuldspruch als auch für die mögliche Strafe.492 Dafür erforderlich, aber auch ausreichend, ist ein Fahrlässigkeitsvorwurf, der gegenüber dem Täter zum Zeitpunkt der Berauschung erhoben werden kann. Dieser kann nur dann erhoben werden, wenn er im Verhaltenszeitpunkt mit entsprechenden Ausschreitungen rechnen musste bzw. Kenntnis von solchen Neigungen im Rausch hatte. Liegen diese Voraussetzungen vor, so kann ein Täter wegen Vollrauschs gem. § 323a StGB zur Verantwortung gezogen werden, denn genau in diesen Verhaltensweisen eines schuldunfähigen Täters realisiert sich die spezifische Gefährlichkeit des Sichberauschens. Festzuhalten bleibt: § 323a StGB kommt immer dann eine sinnvolle Ergänzungsfunktion zu, wenn der Täter in Bezug auf Berauschung und Rauschtat „nur“ 488

S. zu kritischen Einwänden bzgl. einer dadurch entstehenden „Strafbarkeitslücke“ noch unten (Vierter Teil B. I. 4.). 489 Auf gleicher Linie etwa auch BGHSt 17, 260, 263: „[…] Das Wissen des Angeklagten, daß er unter Alkoholeinfluß zu Gewalttätigkeiten neige, wird aber kein geeignetes Beweiszeichen für das Wissen sein, daß er in dem genannten Zustand auch einen Diebstahl begehen werde“. – A. A. etwa Kohlrausch/Lange, Anm. V zu § 330a StGB a. F., wonach es nur darauf ankommt, dass der Täter zumindest fahrlässig im Hinblick auf die „Neigung im Vollrausch strafbare Handlungen irgendwelcher (!) Art zu begehen“ handelt. Lange erkennt allerdings an, dass mit dieser Vorgehensweise der Gedanke des versari in re illicita aufgegriffen wird; s. dazu auch Lange, ZStW 59 (1940), 574, 584 ff. 490 S. dazu die Nachweise unten (Fn. 529). 491 S. Freund, in: Handbuch des Strafrechts, § 46 Rn. 11. Andernfalls würde eine Strafbarkeit über die „Rechtsfigur“ der actio libera in causa zum Tragen kommen. 492 Zur Angemessenheit von Schuldspruch und Strafe allgemein s. bereits oben (Zweiter Teil B. II.); in Bezug auf § 323a StGB s. noch unten (Fünfter Teil A.).

B. Sachgerechte Deliktseinordnung des § 323a StGB

127

fahrlässig gehandelt hat, eine Anknüpfung an das Vorverhalten jedoch nicht möglich ist, weil die fahrlässige Begehungsweise nicht unter Strafe steht.493 Dies ist – um es nochmals hervorzuheben – insbesondere für Sexualdelikte, den Raub und auch für die Sachbeschädigung relevant.494 Der Vollrauschtatbestand stellt somit ein gesetzlich bestimmtes mindestens fahrlässiges Erfolgsdelikt dar, welches im Grundsatz495 auf alle Straftatbestände anwendbar ist.496 Mithin besteht durchaus auch neben der actio libera in causa ein bedeutender Anwendungsbereich der Vollrauschvorschrift. § 323a StGB dient der angemessenen Schließung sonst bestehender Strafbarkeitslücken. 4. Erneut: Keine Erfassung von sog. „Ersttätern“? Nach dem bisher Gesagten muss der Täter, um den Tatbestand des § 323a StGB zu erfüllen, zum Zeitpunkt des Sichberauschens Anhaltspunkte für die drohende Begehung der konkreten Rauschtat gehabt haben. Liegen keine entsprechenden Anhaltspunkte für den Betreffenden vor, so ist er kein Adressat der von § 323a StGB in Bezug genommenen Verhaltensnorm und kann diese durch sein Verhalten auch nicht in Frage stellen. Dem Betreffenden, der erstmals im (nicht ausschließbar schuldunfähigen) Rauschzustand eine rechtswidrige Tat begeht, kann man regelmäßig keine schädlichen Neigungen zu konkreten Ausschreitungen im Rausch vorwerfen, da diese zum entsprechenden Zeitpunkt das erste Mal auftreten.497 Ein Fahrlässigkeitsbezug lässt sich dann also (noch) nicht begründen. Dementsprechend ist auch eine Sanktionierung wegen Vollrauschs gem. § 323a StGB nicht möglich. Aufgrund dieser „Einschränkung“498 der Strafbarkeit wird häufig der Einwand erhoben, eine solche „Strafbarkeitslücke“ sei kriminalpolitisch nicht hinnehmbar 493 Vgl. dazu Roxin/Greco, AT I, § 23 Rn. 7 ff., 11; zustimmend auch Geppert, Jura 2009, 40, 41 f.; Gerland, ZStW 55 (1936) 784, 794 (allerdings ausgehend von einem natürlichen Vorsatz). A. A. Welzel, ZStW 58 (1939), 491, 566. – Auf dieser Basis werden außerdem – etwa in den Fällen, in denen der Täter aufgrund seines Rauschs über einen Tatumstand irrt – Strafbarkeitslücken geschlossen. Existiert keine gesetzlich bestimmte Fahrlässigkeitsstrafbarkeit, so kann der Täter – im Fall eines Irrtums über Tatumstände – grundsätzlich nicht bestraft werden. § 16 Abs. 1 StGB bestimmt: „Wer bei Begehung der Tat einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört, handelt nicht vorsätzlich. Die Strafbarkeit wegen fahrlässiger Begehung bleibt unberührt.“ Mit dem Konzept des § 323a StGB als fahrlässiges Erfolgsdelikt ist in diesen Fällen immerhin eine Bestrafung wegen Vollrauschs möglich. 494 Freund, in: Handbuch des Strafrechts, § 46 Rn. 11 m. w. N.; Geisler, in: MünchKommStGB V, § 323a Rn. 62. Anders sehen dies etwa Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT II, § 96 Rn. 13, wonach das Rauschdelikt überhaupt entfällt, wenn die Tat wie z. B. § 113 oder § 177 StGB, in ihrer fahrlässigen Form nicht tatbestandsmäßig ist. Ähnlich auch BGHSt 18, 235. 495 Eine Ausnahme ist etwa § 323c Abs. 1 StGB; s. dazu oben (Dritter Teil A. I. 1. a) aa)). 496 Die Einordnung als Erfolgsdelikt wird insbesondere durch zwei Gesetzesentwürfe aus jüngster Zeit bestätigt; s. dazu noch unten (Fünfter Teil B.). 497 S. auch Otto, Jura 1986, 478, 479. 498 S. Maurach, JuS 1961, 373, 375; Arthur Kaufmann, JZ 1963, 425, 432.

128

4. Teil: Deliktstypus

bzw. gar unerträglich499, denn auf diese Weise werde für sog. „Ersttäter“ ein Freibrief ausgestellt. In Bezug auf eine vermeintlich unerträgliche Strafbarkeitslücke ist Folgendes zu sagen: In einem rechtsstaatlichen Grundsätzen – insbesondere auch dem Gesetzlichkeitsgrundsatz – verpflichteten Strafrecht kann es keinen lückenlosen Strafrechtsschutz geben. Auch bei einer Auslegung und Handhabung des § 323a StGB etwa als abstraktes Gefährdungsdelikt oder auch als Ausnahmeregel zu §§ 20, 21 StGB ergibt sich kein uneingeschränkter Schutz vor Rauschgefahren.500 Der – oben (Zweiter Teil A.) bereits angesprochene – „fragmentarische Charakter“ des Strafrechts „verbietet die Vorstellung eines geschlossenen Zusammenhangs des strafwürdigen Unrechts.“501 Das Strafrecht kann im Hinblick auf die förmliche Bindung des Einsatzes von Strafe an einen entsprechenden Straftatbestand keinen umfassenden Schutz bieten.502 Verhaltensweisen, die keinen Straftatbestand erfüllen, weil notwendige Voraussetzungen nicht vorliegen, müssen straflos bleiben, auch wenn sie strafwürdig erscheinen. Unabhängig von dieser formellen Bindung ist stets auf einen verfassungskonformen Umgang mit dem Strafgesetz zu achten. Das gilt auch und gerade im Verhältnis zu Personen, die bislang im Rausch unauffällig geblieben sind: Eine Fahrlässigkeitsbeziehung zur Rauschtat ist notwendige Minimalbedingung für die Erfüllung des materiellen Unwertgehalts und damit der Tatbestandsvoraussetzungen des § 323a StGB. Hat der Betreffende in einem bestimmten Fall keine Anhaltspunkte dafür, dass er im Rausch zur konkreten Rauschtat neigt (fehlt es also ein einer notwendigen Fahrlässigkeitsbeziehung), so muss er – wenn er erstmals im Rausch eine Rauschtat begeht – straflos bleiben. Diese „Strafbarkeitslücke“ muss hingenommen werden, will man verhindern, dass wesentliche verfassungsrechtliche (rechtsstaatliche) Grundsätze – insbesondere das Schuldprinzip – missachtet werden. Oder um es mit den Worten Geislers zu formulieren: „Wirklich effektive Kriminalpolitik kann nicht unter Verletzung, sondern nur unter Respektierung des Schuldprinzips betrieben werden.“503 Eine Schließung tatsächlicher und erst recht vermeintlicher Strafbarkeitslücken unter Verstoß gegen das Schuldprinzip kommt nicht in Betracht. Bereits Arthur 499

Junge, Rauschbedingte Fehlvorstellungen, S. 87 f.; vgl. auch Cramer, Vollrauschtatbestand, S. 45; i. d. S. auch Otto, Jura 1986, 478, 479; Spendel, in: LK-StGB, 11. Auflage, § 323a Rn. 58 f. 500 S. dazu und zu weiteren „Strafbarkeitslücken“ ausführlich Geisler, Zur Vereinbarkeit, S. 406 f. 501 Vgl. H. Mayer, ZStW 59 (1940), 283, 310. 502 Die Kehrseite des Gesetzlichkeitsgrundsatzes (Art. 103 Abs. 2 GG) ist der fragmentarische Charakter des Strafrechts. 503 Geisler, Zur Vereinbarkeit, S. 435. Auf gleicher Linie bereits Arthur Kaufmann, Schuld und Strafe, S. 241 f.: „Durch dogmatische Verrenkungen, die eine nicht bestehende Übereinstimmung mit dem Schuldprinzip vortäuschen, ist der Verwirklichung des Schuldstrafrechts in keiner Weise genützt, sondern nur geschadet.“

B. Sachgerechte Deliktseinordnung des § 323a StGB

129

Kaufmann bezeichnete das Schuldprinzip als „einen der Grundpfeiler, auf denen unser Strafrecht ruht“504. Schwächt man diesen Pfeiler – z. B. aufgrund kriminalpolitischer Bedürfnisse –, so droht das gesamte Strafrechtssystem zusammenzubrechen. „Denn was mit dem Schuldgedanken geopfert wird, ist nichts geringeres als die Freiheitlichkeit des Strafrechts.“505 Subjektiv empfundene kriminalpolitische Bedürfnisse müssen daher unbedingt hinter elementaren verfassungsrechtlichen Vorgaben zurückstehen. Viel unerträglicher als eine – bei exakter Analyse ohnehin nur vermeintliche – „Strafbarkeitslücke“ ist der eindeutige und bewusste Verstoß gegen die Verfassung, insbesondere gegen das Schuldprinzip. 5. Notwendigkeit des hier vertretenen Ansatzes zur Wahrung des Grundsatzes nulla poena sine culpa Nulla poena sine culpa – Keine Strafe ohne Schuld. Dieser für das Strafrecht elementare Grundsatz ist im Verlauf dieser Arbeit mehrfach aufgegriffen und untersucht worden. Eine Vereinbarkeit des § 323a StGB mit diesem Grundatz erschien zunächst unmöglich. Allerdings wird mit dem Konzept des § 323a StGB als mindestens fahrlässiges Erfolgsdelikt das Schuldprinzip uneingeschränkt gewahrt. Fordert man eine Fahrlässigkeitsbeziehung des Täters zur konkreten Rauschtat im Zeitpunkt des Sichberauschens, kommt das Schuldprinzip uneingeschränkt zur Geltung. Die später begangene Rauschtat ist spezifische Fehlverhaltensfolge des vom Täter zu verantwortenden Risikopotentials – des zu gefährlichen Sichberauschens. Bei einem verfassungskonformen Umgang mit dem Strafgesetz und der Anwendung einer Straftatlehre, der es gelingt, die verfassungsrechtlichen Grundlagen zu wahren und umzusetzen, behält das Schuldprinzip seinen gebührenden Stellenwert und wird nicht umgangen oder verletzt. Der hier vertretene Ansatz ist vielmehr die zwingende Konsequenz des Schuldprinzips.

II. Zusammenfassung und abschließende Deliktszuordnung Abschließend lässt sich sagen, dass die Einordnung des § 323a StGB als mindestens fahrlässiges Erfolgsdelikt eine in jeder Hinsicht überzeugende Lösung der Probleme ermöglicht, an denen alternative Konzepte (wie eine Interpretation des § 323a StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt, als konkretes Gefährdungsdelikt oder als Ausnahmevorschrift zu den §§ 20, 21 StGB) scheitern. Der erforderliche Fahrlässigkeitsbezug zur konkret begangenen Rauschtat wird gewahrt, sodass auch die Frage nach der Vereinbarkeit eines solchen Ansatzes mit dem Schuldprinzip problemlos mit „ja“ beantwortet werden kann. Das Schuldprinzip fordert geradezu diese 504 505

Arthur Kaufmann, Schuldprinzip, Vorwort 1. Auflage, S. 7. Arthur Kaufmann, Jura 1986, 225, 230, 233.

130

4. Teil: Deliktstypus

Lösung. Der Kritik, die einer solchen Konzeption entgegengehalten wird, § 323a StGB werde der kriminalpolitischen Intention des Gesetzgebers nicht gerecht, kann folgender Grundsatz, der im Rahmen der prozessualen Wahrheitserforschung berühmt geworden ist, entgegen gehalten werden: Es gibt keinen Grundsatz des Strafrechts, Strafverfolgung „um jeden Preis“ – insbesondere unter Missachtung des Schuldprinzips – zu betreiben.506 Außerdem konnte gezeigt werden, dass § 323a StGB neben der „Rechtsfigur“ der sog. fahrlässigen actio libera in causa durchaus einen sinnvollen Anwendungsbereich behält. Die Kritik bzgl. einer Aushöhlung des § 323a StGB hat sich gerade nicht als stichhaltig erwiesen. Denn genau in den Fällen, in denen auch die actio libera in causa nicht zielführend ist, kommt der Vollrauschtatbestand zum Zuge – nämlich dann, wenn keine gesetzlich bestimmte Fahrlässigkeitsstrafbarkeit für die jeweils begangene Rauschtat existiert und daher das fahrlässige Vorverhalten des Betreffenden keine Grundlage für die Anwendung der „Rechtsfigur“ der actio libera in causa bietet. Die fahrlässige actio libera in causa kann den Anwendungsbereich des § 323a StGB also nur in den Fällen schmälern, in denen eine entsprechende Fahrlässigkeitsstrafbarkeit durch den Gesetzgeber vorgesehen ist (z. B. §§ 222, 229 StGB).507 Wenn die Rauschtat spezifische Fehlverhaltensfolge ist, lassen sich des Weiteren auch die Strafrahmenbindung in § 323a Abs. 2 StGB sowie das Verhältnis des § 323a StGB zu § 122 OWiG anhand dieser Deliktszuordnung durchaus schlüssig und überzeugend begründen.508 Die Interpretation des § 323a StGB als fahrlässiges Erfolgsdelikt ermöglicht somit eine Lösung der dogmatischen Probleme und führt auch in der Praxis zu überzeugenden Lösungen. Insbesondere ist diese Einordnung – im Gegensatz zu den anderen Deliktszuordnungen – mit dem Grundsatz nulla poena sine culpa vereinbar und wird sogar von diesem gefordert. Um letzlich auf Hegers Aussage zurückzukommen: Anhand dieses Konzepts lässt sich § 323a StGB – entgegen Heger – durchaus „widerspruchsfrei in den allgemeinen dogmatischen Systemzusammenhang“ des Strafgesetzbuches einfügen. Einer „Wahl zwischen Übeln“ – wie Lackner formulieren würde – bedarf es auf dieser Grundlage nicht.

506 Angelehnt an BGHSt 14, 358, 365; so auch Geisler, in: MünchKommStGB V, § 323a Rn. 64. 507 Abgesehen davon wird verkannt, dass – folgt man dem Bundesgerichtshof, der die Anwendbarkeit der actio libera in causa auf die vorsätzlichen Erfolgsdelikte begrenzen will – auch dann der Vollrauschtatbestand zur Anwendung kommen kann und muss. Dann ist er keineswegs überflüssig, sondern erfüllt auch in diesem Zusammenhang eine weitere wichtige und ergänzende Funktion; s. dazu bereits oben (Vierter Teil B. I. 3. c)). 508 S. dazu näher oben (Vierter Teil B. I. 2.).

Fünfter Teil

Konsequenzen für die Strafzumessung, den richtigen Schuldspruch, die Konkurrenzen und Erwägungen de lege ferenda A. Strafzumessung, richtiger Schuldspruch und Konkurrenzen I. Absolute Strafrahmenbegrenzung Als absolute Strafrahmenbegrenzung hat der Gesetzgeber in § 323a Abs. 1 StGB de lege lata eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren festgelegt. Es handelt sich bei § 323a StGB somit um ein Vergehen, selbst dann, wenn die begangene Rauschtat ein Verbrechen darstellt. Die maximale Freiheitsstrafe von fünf Jahren wird von einigen als zu niedrig angesehen, da diese Strafrahmenbegrenzung insbesondere im Bereich der Schwerstkriminalität zu unbefriedigenden Ergebnissen führe.509 Denn soweit es sich um schwerste Gewaltdelikte gegen Leib und Leben handele, sei eine Begrenzung auf maximal fünf Jahre nicht angemessen. Daher müsse für solche Fälle eine Strafrahmenerhöhung erfolgen. Da § 323a StGB de lege lata – wie oben herausgearbeitet – letztlich die Erfassung besonderer Konstellationen des Fahrlässigkeitsunrechts bezweckt, ist es konsequent und auch richtig, dass der Strafrahmen nicht über den Höchstrahmen für Fahrlässigkeitstaten hinausgeht.510 Eine Erhöhung des Strafrahmens511 würde Spannungen in Bezug auf § 222 StGB eröffnen, dessen Strafrahmen nach geltendem Recht mit bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe der derzeitigen Obergrenze des § 323a StGB entspricht. Würde der Strafrahmen des § 323a StGB de lege ferenda also auf beispielsweise zehn Jahre erhöht512, so wäre die Rauschtat nach § 222 StGB abstrakt mit 509 Siehe dazu und zum Folgenden etwa die Begründung des Entwurfs des Bundesrates 1999 (BT-Drs. 14/759). 510 So auch der Abschlussbericht der Kommission zur Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems, 11.2.2, wonach dieses Spannungsverhältnis erst „bereinigt“ werden müsse, bevor eine Strafrahmenerhöhung vorgenommen würde. Eine solche Änderung bzw. Ergänzung des § 222 StGB enthält der Gesetzesvorschlag des Freistaats Sachsen. Siehe dazu noch unten (Fünfter Teil B. I. 2.). 511 S. zu den Vorschlägen für eine deutliche Erhöhung des Strafrahmens noch unten (Fünfter Teil B.). 512 So die neueren Vorschläge; s. dazu etwa den Gesetzesantrag in BR-Drs. 265/19, wobei der Freistaat Sachsen konsequent eine Erhöhung des Strafrahmens in § 222 StGB für die Fälle der leichtfertigen Tötung fordert.

132

5. Teil: Konsequenzen für die Strafzumessung, den richtigen Schuldspruch etc.

einer höheren Strafe bedroht als die fahrlässige Tat eines voll schuldfähigen Täters.513 Mithin ist eine Strafrahmenbegrenzung auf fünf Jahre de lege lata systemkonform. Durchaus sinnvoll wäre es jedoch, § 222 StGB de lege ferenda um einen Abs. 2 zu ergänzen, der für eine qualifizierte Form der fahrlässigen Tötung – die (besonders) leichtfertige Tötung – eine strengere Strafe vorsieht.514 Auf diese Weise wird eine Abstufung zwischen der (einfach-)fahrlässigen und der (besonders) leichtfertigen Tötung vorgenommen. Diese Abstufung ist aufgrund der gesteigerten Form der Fahrlässigkeit auch berechtigt, sodass ein entsprechendes Tun oder Unterlassen mit einem gegenüber § 222 StGB deutlich erhöhten Strafmaß geahndet werden kann.515 Durch die Einführung eines Straftatbestandes der (besonders) leichtfertigen Tötung, ließen sich auch schwerste Gewaltdelikte, welche – aufgrund einer gesteigerten Form der Fahrlässigkeit – den Tod eines Menschen zur Folge haben, von § 222 StGB erfassen, sodass es § 323a StGB nicht bedarf, weil auch in diesen Fällen sachgerechte Ergebnisse erzielt werden können.

II. Relative Strafrahmenbegrenzung Für die Bestrafung wegen Vollrauschs gilt gem. § 323a Abs. 2 StGB als relative Strafrahmenbegrenzung das Maß der Strafe, die für die Rauschtat angedroht ist.516 Im Rahmen der Strafzumessung kann und darf der Blick der Judikative für die Verhängung einer Sanktion somit – außer auf den tatbestandsspezifischen Verhaltensnormverstoß des § 323a StGB – nur auf das Gewicht der jeweils begangenen Rauschtat, als spezifische Fehlverhaltensfolge, gerichtet werden.517 Dies wird auch in der gegenwärtigen Rechtsprechung518 so gehandhabt. Diese Handhabung in der Rechtsprechung steht allerdings in deutlichem Widerspruch zur gleichzeitigen 513 S. dazu auch den Abschlussbericht der Kommission zur Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems, 11.2.2. 514 Zu entsprechenden Vorschlägen s. Freund, FS Frisch, S. 677, 693 ff.; Rostalski, GA 2017, 585, 595 ff.; auf gleicher Linie etwa auch der Gesetzesantrag des Freistaates Sachsen vom 29. 05. 2019 (BR-Drs. 265/19). 515 Rostalski, GA 2017, 585, 596. 516 Zur Verfassungsmäßigkeit des Strafrahmens vgl. BVerfG DAR/S 79, 181; vgl. Hecker, in: Schönke/Schröder, StGB, § 323a Rn. 27. 517 Im Zusammenhang mit der Berücksichtigung als spezifische Fehlverhaltensfolge sind insbesondere Merkmale wie die Art, die Schwere, der Umfang und die Auswirkungen der Rauschtat strafschärfend zu berücksichtigen, s. dazu Hecker, in: Schönke/Schröder, StGB, § 323a Rn. 29. BGH NStZ-RR 2020, 250; BGHSt 23, 375, 376; 38, 356, 361 geht von der Berücksichtigungsfähigkeit von Art, Umfang, Schwere und Gefährlichkeit oder Folgen der im Vollrausch begangenen Tat aus: „Diese Umstände sind auch Folgen des unter Strafe gestellten Sichberauschens, mithin Anzeichen des Gefährlichkeitsgrads des Rausches und schließlich die wichtigsten Gesichtspunkte für die Beurteilung der Schwere der Tat nach § 323a StGB“. – A. A. Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT II, § 96 Rn. 25. 518 So der Bundesgerichtshof in BGHSt 16, 124, 127; 23, 375, 376 f.; 38, 356, 361. – S. dazu ausführlich Geisler, in: MünchKommStGB V, § 323a Rn. 81 ff.

A. Strafzumessung, richtiger Schuldspruch und Konkurrenzen

133

Einordnung der Rauschtat als objektive Bedingung der Strafbarkeit und begegnet daher „durchgreifenden Bedenken“.519 Denn auf der Grundlage dieses Konzepts müsste die Rauschtat für die Strafzumessung konsequenterweise bedeutungslos sein.520 Bei dieser wiedersprüchlichen Vorgehensweise des Bundesgerichtshofs handelt es sich daher um einen der contradictio in adiecto vergleichbaren Fehler mit der gravierenden Konsequenz eines eindeutigen Bruchs mit dem Grundsatz „nulla poena sine culpa“.521 Ordnet man § 323a StGB hingegen als mindestens fahrlässiges Erfolgsdelikt ein, bestehen keine Bedenken im Hinblick auf das Schuldprinzip. Vielmehr wird es uneingeschränkt gewahrt. Die Berücksichtigung des Gewichts der Rauschtat im Rahmen der Strafzumessung lässt sich damit begründen, dass diese spezifische Fehlverhaltensfolge des vom Täter zu verantwortenden Risikopotentials ist, weil dieser zum Zeitpunkt des Sichberauschens einen Fahrlässigkeitsbezug zur konkret begangenen Rauschtat aufweist. Von diesem Standpunkt aus lässt sich die relative Strafrahmenbegrenzung schlüssig begründen.

III. Richtiger Schuldspruch Die Strafgerichte haben unter Beachtung verfassungsrechtlicher Vorgaben zu entscheiden, ob in einem konkreten Einzelfall Schuldspruch und Strafe bestimmter Art und Höhe anzuordnen sind. Legitimer Zweck von Schuldspruch und Strafe ist es, angemessen missbilligend auf eine begangene Tat zu reagieren. Dafür ist zunächst zu klären, ob der Betreffende tatsächlich gegen eine tatbestandsspezifische Verhaltensnorm mit entsprechenden Fehlverhaltensfolgen verstoßen hat. Auf die Fehlverhaltensfolge – die Rauschtat – kommt es in diesem Zusammenhang an. Schuldspruch und Strafe müssen dem entsprechen, was der Täter verbrochen hat. Um den Schuldspruch vornehmen zu dürfen, muss jedenfalls eine Voraussetzung erfüllt sein: Der mit dem Schuldspruch erhobene Vorwurf muss berechtigt sein. 519

S. Geisler, in: MünchKommStGB V, § 323a Rn. 82; ebenfalls kritisch Paeffgen, NStZ 1993, 66, 67; Sick/Renzikowski, ZRP 1997, 484, 487 m. w. N. in Fn. 43; Renzikowski, ZStW 112 (2000), 475, 481 f. 520 So auch Paeffgen, NStZ 1993, 66, 67. 521 Oder um es mit Paeffgens Worten zu formulieren „[…] führt uns die Entscheidung mitten in die Widersprüchlichkeit, die der Gesetzgeber und die h. M. dem § 323a StGB auf den normativen Lebensweg mitgegeben haben: Zwar soll das Unrecht des strafbaren Sich-Berauschens vom Unrecht der Rauschtat unabhängig sein (objektive Strafbarkeitsbedingung), doch geben die Absätze 2 und 3 eine semipermeable Verbindung von beiden durch wechselseitige Verschränkung vor, die die vorgebliche Unrechts-Unerheblichkeit als bloßen Schein entlarvt.“ (NStZ 1993, 66 ff., hinsichtlich der Entscheidung des BGH, Beschluß vom 17. 10. 1991 - 4 StR 465/91 [LG Essen]); ders., NK-StGB III, § 323a Rn. 91, wonach sich die Praxis der Rechtsprechung nur mit dem „schlechten Gewissen angesichts eines Missbrauchs einer objektiven Strafbarkeitsbedingung erklären“ ließe; zust. Geisler, in: MünchKommStGB V, § 323a Rn. 82.

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5. Teil: Konsequenzen für die Strafzumessung, den richtigen Schuldspruch etc.

Regelmäßig erscheint bislang im Urteilstenor lediglich der vorsätzliche oder fahrlässige Vollrausch, nicht aber die Rauschtat selbst.522 Dieser Schuldspruch spiegelt dann jedoch das tatsächliche Unrecht der konkret begangenen Tat nicht angemessen wieder. Vielmehr müsste die Rauschtat als spezifische Fehlverhaltensfolge, die zumindest immerhin auf einer Fahrlässigkeitsbeziehung beruht, in den Schuldspruch integriert werden. Allein ein solcher Schuldspruch würde das tatsächlich verschuldete Unrecht hinreichend kennzeichnen.523

IV. Konkurrenzen Konkurrenzrechtlich lässt sich Folgendes sagen: Begeht der Täter in ein und demselben „Vollrausch“ mehrere Straftaten, dann liegt insgesamt nur eine Tat nach § 323a StGB vor.524 Die absolute Strafrahmenbegrenzung ist also bindend. Verwirklicht der Täter den Tatbestand eines Eigentumsdelikts und eignet sich die Sache erneut – im nüchternen Zustand – zu, so tritt § 323a StGB als mitbestrafte Vortat zurück.525 Der Täter ist dann wegen Unterschlagung gem. § 246 StGB zur Verantwortung zu ziehen. Eröffnet sich die Möglichkeit, den Täter wegen der im Rausch begangenen Tat über die Rechtsfigur der actio libera in causa – also anknüpfend an das Vorverhalten – zu bestrafen, so ist eine Strafbarkeit nach § 323a StGB daneben nicht mehr relevant; schon formell fehlt es dann an der Voraussetzung, dass der Täter infolge seiner Schuldunfähigkeit nicht bestraft werden kann.526 Zwischen dem im verantwortlichen Zustand geplanten Delikt und einer weiteren im Vollrausch begangenen Tat besteht Tateinheit.527

B. Erwägungen zu § 323a StGB de lege ferenda Aufgrund der oben (Fünfter Teil A. I.) aufgezeigten Unzufriedenheit mit der Rechtsfolgenseite des § 323a StGB de lege lata, werden immer wieder Überlegungen 522 S. dazu bereits RGSt 69, 187; s. auch Fischer, StGB, § 323a Rn. 24; Spendel, LK-StGB, 11. Auflage, § 323a Rn. 367; vgl. auch Wolters, in: SK-StGB, § 323a Rn. 29 m. w. N. 523 Sachlich übereinstimmend insoweit etwa Freund, in: Handbuch des Strafrechts, § 46 Rn. 56; Geisler, in: MünchKommStGB V, § 323a Rn. 90; vgl. auch Paeffgen, in: NK-StGB III, § 323a Rn. 100. 524 RGSt 73, 11; BGHSt 13, 223, 225; Fischer, StGB, § 323a Rn. 23; Hentschel/Krumm, Fahrerlaubnis, Rn. 307; vgl. auch die Nachweise bei Paeffgen, in: NK-StGB III, § 323a Rn. 83; Ranft, JA 1983, 239, 243; Wessels/Hettinger/Engländer, BT I, § 23 Rn. 1054. 525 Vgl. nur BGHSt 14, 38, 43 f. – Tatmehrheit annehmend etwa Paeffgen, in: NK-StGB III, § 323a Rn. 83; Ranft, JA 1983, 193, 244. 526 S. dazu bereits oben (Vierter Teil B. I. 3.). 527 BGHSt 17, 333 ff. Zum Konkurrenzverhältnis allgemein s. etwa Hecker, in: Schönke/ Schröder, StGB, § 323a Rn. 30 ff.

B. Erwägungen zu § 323a StGB de lege ferenda

135

zur Reform der Vorschrift diskutiert.528 Diese reichen von einer Strafrahmenerhöhung bis hin zur vollständigen Abschaffung des § 323a StGB und Ersetzung durch die gesetzliche Regelung der actio libera in causa mittels einer Ergänzung der §§ 20, 21 StGB.529 Auch anhand der Ergebnisse, die im Vierten Teil dieser Arbeit herausgearbeitet wurden, wird deutlich, dass eine klarstellende Neuformulierung des § 323a StGB wünschenswert ist.

I. Gesetzesvorschläge der vergangenen Zeit In der vergangenen Zeit gab es zwei missglückte gesetzgeberische Versuche zur Verschärfung des Vollrauschtatbestandes.530 Diese sollten unter anderem empfundene kriminalpolitische Bedürnisse durch Strafrahmenverschärfungen befriedigen. Auch neuere Entwürfe verfolgen dieses Ziel.531 Ein weiterer Gesetzesvorschlag entstand durch eine vom Bundestag eingesetzte „Kommission zur Reform des strafrechtlichen Sanktionenrechts“. Die angesprochenen Entwürfe werden im Folgenden ausschnittsartig vorgestellt, sofern sie für die Thematik dieser Untersuchung von Belang sind. 1. Gesetzesentwurf des Bundesrates von 1999 Der Änderungsvorschlag von Seiten des Bundesrates beinhaltet den Vorschlag, einen Qualifikationstatbestand mit einem höheren Strafrahmen von drei Monaten bis zu zehn Jahren für die Fälle einzuführen, in denen im Rausch eine schwerwiegende Straftat begangen wird.532 Ziel dieses Gesetzesentwurfes soll es sein, auch besonders schwere Rauschtaten angemessen ahnden zu können. So sei es nicht länger hinnehmbar, dass einem Amokläufer, der im Vollrausch andere Menschen lebensgefährlich verletzt oder gar tötet, allenfalls fünf Jahre Freiheitsstrafe drohen.533 § 323a StGB soll demnach de lege ferenda wie folgt ergänzt werden: 528 Zu solchen Reformüberlegungen s. etwa Berster, ZStW 124 (2012), 991, 1011 ff.; Duttge, FS Geppert, S. 63 ff., 79; s. auch Geisler, in: MünchKommStGB, § 323a Rn. 12 ff.; Hennig, in: Reform des Sanktionenrechts, S. 96, 181; Renzikowski, in: Alkohol und Schuldunfähigkeit, S. 141, 153 ff. – Eine Übersicht über verschiedene Reformvorschläge ist bei Hennig, in: Reform des Sanktionenrechts, S. 96, 155 ff. zu finden. 529 Solche Ansätze und Vorschläge sind etwa bei Hruschka, Strafrecht, S. 301 ff.; ders., JZ 1996, 64, 71 f., ders., JZ 1997, 22, 24 zu finden; s. dazu auch näher Neumann, FS Arthur Kaufmann, S. 581, 590 ff. 530 Gemeint sind die Gesetzesentwürfe des Bundesrates vom 14. 04. 1999 (BT-Drs. 14/759) und der der CDU/CSU-Fraktion vom 16. 03. 1999 (BT-Drs. 14/545). 531 Siehe dazu nur die Gesetzesentwürfe des Freistaates Sachsen aus dem Jahr 2018 (BRDrs. 204/18) und aus dem Jahr 2019 (BR-Drs. 265/19). 532 BT-Drs. 14/759. 533 BT-Drs. 14/759, S. 1.

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5. Teil: Konsequenzen für die Strafzumessung, den richtigen Schuldspruch etc.

„Droht das Gesetz für die im Rausch begangene Tat Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren an, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu zehn Jahren. Satz 2 ist auch dann anzuwenden, wenn die im Rausch begangene Tat die Voraussetzungen eines besonders schweren Falls erfüllt, der mit Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren bedroht ist. Berauscht sich der Täter in den Fällen der Sätze 2 und 3 fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.“534

2. Gesetzesantrag des Freistaates Sachsen Der Freistaat Sachsen schlägt mit dem Gesetzesantrag535 zunächst eine ergänzende Klarstellung in § 21 StGB vor. Diese Regelung soll dazu dienen, eine Milderung des Strafrahmens regelmäßig auszuschließen, wenn ein selbstverschuldeter Rausch dazu führt, dass dadurch die Fähigkeit des Täters erheblich vermindert wird, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.536 Außerdem soll § 222 StGB derart ergänzt werden, dass für Fälle leichtfertiger Tötung die Obergrenze der Strafe auf zehn Jahre Freiheitsstrafe angehoben wird, um unter anderem zu vermeiden, dass der Vollrausch zukünftig mit einer höheren Strafe bedroht wäre als die fahrlässige Tötung durch einen voll schuldfähigen Täter.537 Für § 323a StGB ist sodann in einesm Satz 2 ein Qualifikationstatbestand vorgesehen und in Satz 3 sollen besonders schwere Fälle erfasst werden.538 Anlass für diesen Gesetzesantrag gebe die unbefriedigende Rechtslage. Insbesondere sei diese geeignet, den Eindruck zu erwecken, dass Alkohol- und Rauschmittelkonsum in der Regel zu milderer Bestrafung führen. Insbesondere bei schwereren Gewalttaten laufe dies nicht nur dem Rechtsempfinden der lauteren Bevölkerung zuwider, sondern sende auch zugleich ein verheerendes Signal an potentielle Straftäter.539 § 323a StGB Abs. 1 soll wie folgt ergänzt werden: „Droht das Gesetz für die im Rausch begangene Tat Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren an, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu zehn Jahren. Satz 2 ist auch dann anzuwenden, wenn die im Rausch begangene Tat die Voraussetzungen eines besonders schweren Falls erfüllt, der mit Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren bedroht ist.“ 534

BT-Drs. 14/759, S. 3. BR-Drs. 265/19 – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes bei Rauschtaten. 536 BR-Drs. 265/19; im Sinne einer solchen Änderung des § 21 StGB auch der Gesetzesentwurf des Bundesrates vom 11. 01. 2007 (BT-Drs. 16/4021). 537 Dieser Vorschlag ist durchaus begrüßenswert; s. dazu bereits oben (Fünfter Teil A. I.). 538 Weitere Änderungen werden sodann im Gerichtsverfassungsgesetz vorgeschlagen. Durch eine Änderung des § 74 Abs. 2 GVG soll die Zuständigkeit des Schwurgerichts für die Fälle begründet sein, in denen die im Rausch begangene Tat eines der Verbrechen wäre, die in § 74 Abs. 2 S. 1 GVG genannt sind. 539 S. dazu die Begründung in BR-Drs. 265/19. 535

B. Erwägungen zu § 323a StGB de lege ferenda

137

In § 222 StGB soll folgender Satz angefügt werden: „Handelt der Täter leichtfertig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren.“

§ 21 StGB soll wie folgt ergänzt werden: „Eine Milderung nach Satz 1 ist in der Regel ausgeschlossen, wenn die erhebliche Verminderung der Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, allein darauf beruht, dass er sich mittels alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel in einen selbstverschuldeten Rausch versetzt hat.“

3. Gesetzesvorschlag von Hennig540 im Rahmen der Beratungen der „Kommission zur Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems“541 Hennig schlägt einen neuen § 20 Abs. 2 StGB und eine Ergänzung des § 21 StGB542 um einen Satz 2 vor. Die Ergänzung zu § 20 StGB entspricht § 15 Abs. 3 StGB der DDR.543 § 20 Abs. 2 StGB soll de lege ferenda wie folgt lauten: „Wer sich schuldhaft in einen die Schuldfähigkeit ausschließenden Rauschzustand versetzt und in diesem Zustand eine mit Strafe bedrohte Handlung begeht, wird nach dem verletzten Gesetz bestraft.“

Eine solche Vorschrift trage dem berechtigten kriminalpolitischen Anliegen am konsequentesten Rechnung und weise darüber hinaus auch weitere Vorteile auf.544 4. Bewertung Sowohl der Gesetzesentwurf des Bundesrates als auch der des Freistaates Sachsen verfolgen im Grundsatz ein gemeinsames Ziel: Die Verschärfung des Strafrahmens des § 323a StGB. Beide Konzepte begründen die Legitimation für eine Strafver540

Hennig, in: Reform des Sanktionenrechts, S. 101 ff. Die Kommission wurde im Jahre 1998 durch den damaligen Bundesminister der Justiz, Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig eingesetzt. Zu den Erwägungen zur Einsetzung einer solchen Kommission und ihrer Zusammensetzung s. Schnarr/Hennig/Hettinger, in: Reform des Sanktionenrechts, Vorwort, VII f. 542 § 21 StGB soll wie folgt ergänzt werden: „Dies gilt nicht, wenn sich der Täter schuldhaft in einen die Schuldfähigkeit verändernden Rauschzustand versetzt hat“. 543 § 15 Abs. 3: „Wer sich schuldhaft in einen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rauschzustand versetzt und in diesem Zustand eine mit Strafe bedrohte Handlung begeht, wird nach dem verletzten Gesetz bestraft.“ – Vergleichbare Regelungen sind in in Italien (Art. 92 Codice Penale Italiano) sowie in Polen (Art. 31 § 3 des Polnischen Strafgesetzbuchs vom 1997) zu finden; s. dazu näher Hennig, in: Reform des Sanktionenrechts, S. 96, 114 ff.; s. auch Hettinger, Die „actio libera in causa“, S. 215 f., 222 ff.; Sick/Renzikowski, ZRP 1997, 484, 487 in Fn. 49. 544 S. dazu und zu vermeintlich weiteren Vorteilen Hennig, in: Reform des Sanktionenrechts, S. 96, 163 ff. 541

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5. Teil: Konsequenzen für die Strafzumessung, den richtigen Schuldspruch etc.

schärfung mit dem Gebot gerechten Strafens und dem Gedanken der positiven Generalprävention.545 Außerdem laufen diese Gesetzesentwürfe darauf hinaus, den Schwerpunkt des Strafgrundes mehr in der Begehung der Rauschtat zu sehen.546 Die Strafe soll also nach den Folgen des Vollrauschs – der Rauschtat – bemessen werden. Ein subjektiver Bezug des Täters zur später begangenen Rauschtat wird allerdings weiterhin für entbehrlich gehalten bzw. darauf wird überhaupt nicht eingegangen. Dies zeigt, dass im Zusammenhang mit diesen Gesetzesvorschlägen eine Auseinandersetzung mit der eigentlichen Problematik der Vollrauschvorschrift des § 323a StGB fehlt. Ganz abgesehen von den Einwänden, die sich dadurch im Hinblick auf das Schuldprinzip bereits gegen diese Vorschläge vorbringen lassen, führt eine Verschärfung des § 323a StGB zu „weiteren Verwerfungen im materiellen Strafrecht“.547 Auch wenn die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zum Gesetzesentwurf des Bundesrates eine Verschärfung des § 323a StGB durchaus begrüßt,548 ist davon mit Nachdruck Abstand zu nehmen. Eine Verschärfung des § 323a StGB hätte mitunter zur Folge, dass das verwirklichte deliktsspezifische Unrecht anderer Tatbestände im Schuldspruch verloren ginge oder aber dem in einem Schuldstrafrecht zu verwerfenden versari-Gedanken549 eine gesetzliche Scheinlegitimation verliehen würde, weil diese Verschärfung eine reine Erfolgshaftung zur Folge hätte.550 Eine solche ist und bleibt mit dem verfassungsrechtlich verankerten Schuldprinzip unvereinbar. Oder um mit Renzikowskis Worten zu sprechen, führen die neueren Gesetzesentwürfe zu einem „Rückfall in einen vorkonstitutionellen Zustand“.551 545

Vgl. auch Freund/Renzikowski, ZRP 1999, 497, 497. Die vorgestellten Gesetzesentwürfe werden allerdings genau dieser positiven Generalprävention nicht gerecht, denn dann müsste eine Vorhersehbarkeit des Erfolges verlangt werden: „Wenn Strafe der durch die Tat erschütterten Allgemeinheit die ungebrochene Geltung der Rechtsordnung demonstrieren soll, so ist dies nur erforderlich, wenn sich das Verhalten des Täters selbst als Widerspruch gegen die Norm erwiesen hat“; s. dazu Renzikowski, ZStW 112 (2000), 475, 496 m. w. N. in Fn. 94. 546 Kritisch dazu auch Sick/Renzikowski, ZRP 1997, 484, 486. 547 Zu den Bedenken im Hinblick auf das Schuldprinzip s. bereits oben (Vierter Teil A. II. 2.). Zur Kritik an den Gesetzesentwürfen s. ausführlich Freund/Renzikowski, ZRP 1999, 497 ff. 548 BT-Drs. 14/759, S. 5. 549 Siehe dazu bereits oben (Vierter Teil A. II.). Demzufolge würde ein Täter für einen von ihm verursachten Erfolg bestraft, obwohl er diesen Erfolg zum Zeitpunkt seines Handelns nicht vorhersehen konnte. 550 Vgl. dazu etwa Cramer, Vollrauschtatbestand, S. 20, wonach für eine über Vorsatz und Fahrlässigkeit hinausgehende Haftung in einem modernen Schuldstrafrecht kein Raum sei; auf gleicher Linie etwa auch Freund, GA 2014, 137, 159; Renzikowski, ZStW 112 (2000), 475, 504; s. bereits Arthur Kaufmann, JZ 1963, 425, 430 f. 551 Renzikowski, ZStW 112 (2000), 475, 496; vgl. auch Sick/Renzikowski, ZRP 1997, 484, 486: „Auf diese Weise wird eine Position wiederbelebt, die man längst überwunden glaubte“; Paeffgen, in: Alkohol, Strafrecht und Kriminalität, S. 49, spricht von „schuld-strafrechtliche[r] Grässlichkeit“.

B. Erwägungen zu § 323a StGB de lege ferenda

139

Der Gesetzesvorschlag von Hennig kann außerdem mit Verweis auf die oben angestellten Überlegungen (Vierter Teil A. II.) mit wenigen Worten verworfen werden. Dieser steht eindeutig im Widerspruch zum verfassungsrechtlich verankerten Schuldprinzip und ist so nicht haltbar.552 Soweit das Ausnahmemodell gegen das Schuldprinzip verstößt, würde eine entsprechende gesetzliche Regelung diesen Verstoß nicht beseitigen, sondern allenfalls kaschieren.553

II. Eigene Gesetzesvorschläge de lege ferenda Wie im Verlauf der Arbeit dargestellt, ist es zwar durchaus möglich, den Vollrauschtatbestand des § 323a StGB de lege lata im Rahmen einer personalen Straftatlehre verfassungskonform auszulegen und als fahrlässiges Erfolgsdelikt einzuordnen. Erforderlich ist dafür allemal die Forderung nach einer Fahrlässigkeitsbeziehung des Täters zur konkreten Rauschtat, während er sich vorsätzlich oder fahrlässig berauscht. Allerdings bedeutet diese mögliche und gebotene Auslegung nicht, dass der derzeitige Gesetzeswortlaut nicht doch einer Reform bedarf. Gerade im Hinblick auf die vielen Unstimmigkeiten in Literatur und Rechtsprechung erweist sich eine Novellierung als sinnvoll und begrüßenswert. 1. § 323a StGB als Tatbestand des Besonderen Teils De lege lata lautet § 323a StGB wie folgt: § 323a StGB (Vollrausch) (1) Wer sich vorsätzlich oder fahrlässig durch alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel in einen Rausch versetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn er in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat begeht und ihretwegen nicht bestraft werden kann, weil er infolge des Rausches schuldunfähig war oder weil dies nicht auszuschließen ist. (2) Die Strafe darf nicht schwerer sein als die Strafe, die für die im Rausch begangene Tat angedroht ist. (3) Die Tat wird nur auf Antrag, mit Ermächtigung oder auf Strafverlangen verfolgt, wenn die Rauschtat nur auf Antrag, mit Ermächtigung oder auf Strafverlangen verfolgt werden könnte.

552 Auch die Kommission erkannte in dieser vorgeschlagenen Regelung einen Verstoß gegen das Schuldprinzip und lehnte diese ab: „Die Verfassung fordert den Schuldgrundsatz als angemessenes Prinzip für das Strafrecht eines Staates, dem die Behandlung seiner Bürger als bloße Objekte nach seiner eigenen grundlegenden Werteordnung verwehrt ist“ (Abschlussbericht der Kommission zur Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems. 11.2.2). 553 S. Schmidhäuser, Die actio libera in causa, S. 17; s. dazu auch Neumann, FS Arthur Kaufmann, S. 581, 591, der von „zementieren“ spricht.

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5. Teil: Konsequenzen für die Strafzumessung, den richtigen Schuldspruch etc.

Um der in dieser Arbeit vertretenen Einordnung des § 323a StGB als mindestens fahrlässiges Erfolgsdelikt und dessen sinnvoller Ergänzungsfunktion gerecht zu werden, erscheint eine Umformulierung des § 323a StGB angezeigt. § 323a StGB könnte de lege ferenda etwa wie folgt lauten: § 323a StGB (Unerlaubte Berauschung) (1) Wer sich vorsätzlich oder fahrlässig durch alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel in einen zu gefährlichen Rausch versetzt und dadurch wenigstens fahrlässig eine rechtswidrige Tat begeht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Die Strafe darf nicht schwerer sein als die Strafe, die für die im Rausch begangene Tat angedroht ist. (3) Die Tat wird nur auf Antrag, mit Ermächtigung oder auf Strafverlangen verfolgt, wenn die Rauschtat nur auf Antrag, mit Ermächtigung oder auf Strafverlangen verfolgt werden könnte. (4) Ein Rausch ist ein Zustand, in dem der Täter infolge des Rauschmittelkonsums mindestens annähernd vermindert schuldfähig ist,554 sofern die Herbeiführung dieses Zustands vom Täter als in Bezug auf die Begehung einer Rauschtat gefährlich erkennbar, vermeidbar und von Rechts wegen zu vermeiden war. (5) Einer unerlaubten Berauschung i. S. d. Abs. 1 steht es gleich, wenn sich jemand auf andere Weise – etwa mittels eines technischen Geräts – in einen zu gefährlichen Zustand begibt. Erläuterung:

Zunächst sollte die Überschrift „Vollrausch“ de lege ferenda ersetzt werden. Denn, wie im Verlauf dieser Arbeit festgestellt wurde, ist der Zustand der Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB keine Minimalbedingung für einen tatbestandsmäßigen Rausch i. S. d. § 323a StGB. Vielmehr genügt auch das Vorliegen der „nicht ausschließbaren“ Schuldunfähigkeit, sodass ein Vollrausch (mit zwingend ausgeschlossener Schuldfähigkeit) heutzutage nicht mehr erforderlich ist.555 Daher könnte man zunächst überlegen, dem Tatbestand die Überschrift „Rausch“ zu verleihen. Allerdings birgt auch diese Bezeichnung bei genauerer Untersuchung Unstimmigkeiten. § 323a StGB soll gerade nicht den Rausch an sich unter Strafe stellen, sondern nur die zu gefährliche Berauschung556. Demzufolge erscheint die Über554 Die Formulierung „mindestens annähernd vermindert schuldfähig“ ist an dieser Stelle bewusst gewählt worden, da oben (Dritter Teil A. I. 4. c)) bereits herausgearbeitet wurde, dass durchaus Fälle denkbar sind, in denen auch Rauschzustände unterhalb von § 21 StGB erfasst sein sollten. Jedenfalls erscheint es nicht ausgeschlossen, dass auch unterhalb der Schwelle des § 21 StGB eine entsprechende Gefährlichkeit des potentiellen Täters bejaht werden kann. Bedenken im Hinblick auf die Gesetzesbestimmtheit ergeben sich dadurch nicht. Denn die für die Strafbarkeit relevanten materiellen Kriterien sind klar benannt und müssen – wie stets – eindeutig erfüllt sein. 555 Siehe dazu oben (Dritter Teil A. I. 4. b)). 556 Ganz bewusst wurde in diesem Zusammenhang die Formulierung „zu gefährlich“ und nicht schlichtweg „gefährlich“ gewählt. „Zu gefährlich“ muss der Rauschzustand deshalb sein,

B. Erwägungen zu § 323a StGB de lege ferenda

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schrift „Unerlaubte Berauschung“ sachgerecht und bringt die von § 323a StGB in Bezug genommene Verhaltensnorm – „Du darfst dich nicht berauschen, wenn und weil du dadurch aufgrund deiner persönlichen Neigungen rauschbedingt für Rechtsgüter anderer zu gefährlich werden könntest“ – auf den Punkt. Auf die Passage „[…], wenn er in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat begeht und ihretwegen nicht bestraft werden kann, weil er infolge des Rausches schuldunfähig war oder weil dies nicht auszuschließen ist“ kann im Rahmen des § 323a StGB (Unerlaubte Berauschung) de lege ferenda verzichtet werden. Durch die neue Formulierung des Tatbestandes wird deutlich hervorgehoben, dass es darauf nicht mehr ankommt. Vielmehr ist die wenigstens fahrlässige Begehung einer rechtswidrigen Tat durch die unerlaubte Berauschung erforderlich, d. h. es wird nur fahrlässiges Fehlverhalten unter Strafe gestellt – und zwar nur dann, wenn der Täter sich vorsätzlich oder fahrlässig in einen zu gefährlichen Rausch versetzt hat und dadurch wenigstens fahrlässig eine rechtswidrige Tat begeht.557 Diese Formulierung bringt zum Ausdruck, dass der Täter bereits zum Zeitpunkt der Berauschung eine Fahrlässigkeitsbeziehung zur konkreten Rauschtat aufweisen muss. Bestraft wird somit nur die Berauschung des Täters bei Kenntnis seiner schädlichen Neigungen zur konkret begangenen Rauschtat im Zustand nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit. Die absolute Strafrahmenbegrenzung auf maximal fünf Jahre wird (auch aus den oben (Fünfter Teil A. I.) genannten Gründen) beibehalten. § 323a StGB de lege ferenda führt zu einer Sanktionierung fahrlässigen Fehlverhaltens. Mit Blick darauf, darf die maximale Strafandrohung nicht höher sein als die des gegenwärtigen § 222 StGB, wenn Systemkonformität gewahrt werden soll. Sofern jedoch § 222 StGB für Fälle der (besonders) leichtfertigen Tötung um einen Absatz 2 mit deutlich strengerem Strafrahmen ergänzt werden sollte (was wünschenswert ist558), bestünde auch im Kontext des vorgeschlagenen neuen § 323a StGB mehr Spielraum nach oben.559 Allerdings ist für die hauptsächlich relevanten Fälle der (besonders) leichtfertigen Tötung dann ohnehin der entsprechende speziellere Tatbestand des neuen § 222 Abs. 2 StGB vorrangig einschlägig. Absatz zwei als relative Strafrahmenbegrenzung sowie das Strafantragserfordernis in Absatz drei des § 323a StGB de lege lata werden ohne Änderungen übernommen.560 Der neue Absatz vier soll der Klarstellung dienen. Dieser Absatz hat die Funktion, den erfolglosen Versuchen, eine geeignete Rauschdefinition zu finden, ein Ende zu

weil gerade nicht jeder Rausch – wie es bisweilen jedoch bei den Vertretern eines abstrakten Gefährdungsdelikts anklingt – gefährlich i. S. d. § 323a StGB ist. 557 I. d. S. etwa auch der Vorschlag von Berster, ZStW 124 (2012), 991, 1012. 558 Zu diesem Vorschlag s. oben (Fünfter Teil A. I.). 559 Siehe dazu bereits oben (Fn. 514). 560 Zur Begründung s. bereits oben (Fünfter Teil A.).

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5. Teil: Konsequenzen für die Strafzumessung, den richtigen Schuldspruch etc.

bereiten und die Anforderungen an einen zu gefährlichen Rausch deutlich aufzuzeigen und zu definieren.561 Der neue Absatz fünf „Einer unerlaubten Berauschung i. S. d. Abs. 1 steht es gleich, wenn sich jemand auf andere Weise – etwa mittels eines technischen Geräts – in einen zu gefährlichen Zustand begibt“, bezieht sich auf die Fälle, in denen sich ein Täter ggf. nicht durch alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel in einen zu gefährlichen Zustand begibt, sondern auf andere Art und Weise. Beispielsweise kann dies mittels eines „Hirnschrittmachers“ geschehen.562 In Fällen, in denen sich ein Täter auf andere Weise in einen zu gefährlichen Zustand begibt, stößt § 323a StGB de lege lata an seine Grenzen. Denn der Wortlaut umfasst lediglich Berauschungsmittel (Alkohol oder andere berauschende Mittel). Ein Täter, der sich mittels eines „Hirnschrittmachers“, welcher Persönlichkeitsveränderungen zur Folge haben kann, in einen zu gefährlichen Zustand begibt, ist jedoch auch ohne Berauschung ggf. gleichermaßen gefährlich, weshalb auch die Herbeiführung eines solchen gefährlichen Zustands de lege ferenda von § 323a StGB erfasst werden sollte. Die Sanktionierung nach § 323a StGB kann nach dem eindeutigen Wortlaut der Regelung de lege lata nur dann erfolgen, wenn der Täter „sich“ in einen Rauschzustand versetzt. Demzufolge sind Fälle der mittelbaren Täterschaft eines Dritten vom Wortlaut formal ausgeschlossen. Jedoch sind sicherlich auch materielle Fälle mittelbarer Täterschaft denkbar. Beispiel: Ein Arzt spritzt seinem Patienten ein Mittel, das vom Patienten unbemerkt zu dessen zu gefährlicher Berauschung und der anschließenden Begehung einer Rauschtat führt, was der Arzt leicht hätte erkennen und vermeiden können und von Rechts wegen auch vermeiden müssen. Daher wäre es zumindest überlegenswert, in § 323a StGB de lege ferenda einen weiteren Absatz aufzunehmen, der lauten könnte: „Nach Absatz 1 wird auch bestraft, wer zu verantworten hat, dass ein anderer in den zu gefährlichen tatbestandsmäßigen Zustand (Absatz 1 und Absatz 5) gerät und in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat i. S. d. Absatz 1 begeht.“ Auf der Grundlage des hier vorgestellten Gesamtkonzepts entsteht auch kein Problem im Hinblick auf die Anforderungen an vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten in Bezug auf die Rauschtat sowie mit der Wertung der §§ 20, 21 StGB. Notwendig ist zum Zeitpunkt des Sichberauschens zumindest Fahrlässigkeit in Bezug auf die konkrete Rauschtatbegehung (notwendige Minimalbedingung). Daher ist es sachlich auch nicht erforderlich, den Nachweis einer „erheblich verminderten Schuldfähigkeit“ zu fordern. Vielmehr bedarf es eines „zu gefährlichen Rauschzustandes“ basierend auf einer Vorhersehbarkeit, Vermeidbarkeit und einer Vermeidepflicht des konkreten (individuellen) Täters. Nur darauf kommt es an. § 323a StGB

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Siehe zur Entwicklung dieser Rauschdefinition bereits oben (Dritter Teil A. II.). S. dazu Beck, ZIS 2018, 204 ff.; zur Funktionsweise eines solchen „Hirnschrittmachers“ s. bereits oben (Fn. 242). 562

B. Erwägungen zu § 323a StGB de lege ferenda

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de lege ferenda stellt somit nur noch das (mindestens) fahrlässige zu gefährliche Sichberauschen unter Strafe. Der neue Tatbestand „Unerlaubte Berauschung“ ist in den Fällen einschlägig, in denen die „Rechtsfigur“ der actio libera in causa an ihre Grenzen stößt – nämlich dann, wenn nur die vorsätzliche Rauschtat durch den Gesetzgeber unter Strafe gestellt ist. Für diese Fälle stellt § 323a StGB de lege ferenda dann sozusagen eine Ausnahme von § 15 StGB dar, indem eine gesetzliche Fahrlässigkeitsstrafbarkeit für alle Tatbestände des StGB normiert wird. Zwar fügt sich – systematisch gesehen – der Tatbestand des § 323a StGB nicht gänzlich in den 28. Abschnitt (Gemeingefährliche Straftaten) ein.563 Bei genauerer Betrachtung gehört beispielsweise aber auch § 323c StGB nicht zu den „gemeingefährlichen Straftaten“. Vielmehr erscheint es so, als würde es sich bei diesem Abschnitt um ein „Sammelbecken“ für all die Tatbestände handeln, die keinem anderen Abschnitt zugeordnet werden können. Dies ist auch bei § 323a StGB der Fall, weshalb der neue § 323a StGB – wenn überhaupt als Regelung des Besonderen Teils – im 28. Abschnitt des StGB verbleiben kann. 2. § 323a StGB als Regelung des Allgemeinen Teils Als Alternative sollte eine Regelung des Allgemeinen Teils in Betracht gezogen werden, wobei allerdings (wie oben bereits erörtert) eine Regelung der Problematik im Sinne einer Ausnahme von § 20 StGB nicht haltbar ist. Wie die obigen Auführungen zeigen, handelt es sich bei dem hier vorgeschlagenen und neu formulierten § 323a StGB (Unerlaubte Berauschung) de lege ferenda um eine Ausnahme von § 15 StGB. Da dieser „neue Tatbestand“ eine vor die Klammer gezogene Regelung enthält, die sich auf alle Tatbestände des StGB bezieht, für die keine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit angeordnet ist, gibt dies Anlass dazu, § 323a StGB de lege ferenda in den Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches aufzunehmen.564 Eine solche Verortung könnte in einem Absatz 2 des § 15 StGB erfolgen: § 15 (Vorsätzliches und fahrlässiges Handeln) (1) Strafbar ist nur vorsätzliches Handeln, wenn nicht das Gesetz fahrlässiges Handeln ausdrücklich mit Strafe bedroht. (2) Fahrlässiges Handeln ist auch dann strafbar, wenn sich ein Täter vorsätzlich oder fahrlässig durch alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel in einen zu gefährlichen Rausch versetzt und dadurch wenigstens fahrlässig eine rechtswidrige Tat 563

So auch schon Hardwig, FS Eb. Schmidt, S. 459, 473, wonach § 330a StGB a. F. einen systematischen Ort im Aufbau des Besonderen Teils nicht beanspruchen könne. 564 So im Ansatz auch schon Hardwig, FS Eb. Schmidt, S. 459, 473: „[…] er ist eine Anweisung des Gesetzgebers, besondere neue Tatbestände, eben die einzelnen Rauschtatbestände zu bilden. Solche Anweisungen gehören nicht in den besonderen, sondern in den allgemeinen Teil eines Strafgesetzbuches.“

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5. Teil: Konsequenzen für die Strafzumessung, den richtigen Schuldspruch etc. begeht. Die Strafe darf nicht schwerer sein als die Strafe, die für die im Rauschzustand begangene Tat angedroht ist und darf maximal fünf Jahre betragen.

(3) Ein Rausch ist ein Zustand, in dem der Täter infolge des Rauschmittelkonsums mindestens annähernd vermindert schuldfähig ist, sofern die Herbeiführung dieses Zustands vom Täter als in Bezug auf die Begehung einer Rauschtat gefährlich erkennbar, vermeidbar und von Rechts wegen zu vermeiden war. (4) Einer unerlaubten Berauschung i. S. d. Abs. 2 steht es gleich, wenn sich jemand auf andere Weise – etwa mittels eines technischen Geräts – in einen zu gefährlichen Zustand begibt. Erläuterung:

Auf der Grundlage eines Konzepts als Regelung des Allgemeinen Teils bzw. einer Ausnahmeregelung zu § 15 StGB eröffnet sich die Möglichkeit, eine allgemeine Regelung für sämtliche Tatbestände des Strafgesetzbuches zu schaffen. Dadurch ist es entbehrlich, den konkreten Tatbestand zu umschreiben. Wie im Verlauf der Arbeit bestätigt, kann es für eine Berauschungsmissbilligung nur darauf ankommen, dass ein Täter zum Zeitpunkt des Sichberauschens konkrete Anhaltspunkte dafür hatte, dass er im Rausch zu bestimmten Ausschreitungen neigt, also ein Fahrlässigkeitsbezug existiert. Die Rauschtat muss für ihn vorhersehbar, vermeidbar und von Rechts wegen zu vermeiden gewesen sein. Demzufolge kommt es für die Neuregelung darauf an, besondere Konstellationen des Fahrlässigkeitsunrechts unter Strafe zu stellen. Eine solche Regelung ist für die Fälle, für die der Gesetzgeber von einer Fahrlässigkeitsstrafbarkeit abgesehen hat, wie beispielsweise bei der Sachbeschädigung gem. § 303 Abs. 1 StGB, der sexuellen Nötigung nach § 177 StGB oder beim Raub oder Diebstahl gem. §§ 249, 242 StGB besonders relevant. Denn für Fälle, in denen sich ein Täter derart berauscht, dass er den Zustand nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit erreicht und er sich zum Zeitpunkt des Versetzens in diesen Zustand bewusst war, dass er im Rausch zu entsprechenden Ausschreitungen neigt und dann eine Rauschtat i. S. d. §§ 303, 177, 249, 242 StGB begeht, stellt die Ausnahmeregelung in § 15 Abs. 2 StGB de lege ferenda eine sinnvolle Ergänzung zur Rechtsfigur der actio libera in causa dar. Ein solcher Täter ist nicht deshalb weniger gefährlich, weil er nicht einmal in der Lage ist, einen für die Strafbarkeit nach diesen Tatbeständen erforderlichen Vorsatz zu bilden. Seine besondere Gefährlichkeit resultiert geradezu aus diesem Unvermögen, die tatbestandsspezifische Verhaltensnorm zunächst zu bilden und anschließend zu befolgen. Daher soll diese Ausnahmevorschrift Fahrlässigkeitstatbestände schaffen, welche die Funktion haben, in den Fällen, in denen eine Vorsatzstrafbarkeit nicht eingreift, „Auffangtatbestände“ zu bilden.565 Einer zwingenden Vorsatzbeziehung des Täters zur später im Rausch begangenen Tat bedarf es nicht. Es genügt eine Fahrlässigkeitsbeziehung im Zeitpunkt des 565 So bezeichnet der Bundesgerichtshof die Funktion der Fahrlässigkeitsdelikte in den Fällen, in denen der Vorsatz nicht nachgewiesen werden kann; vgl. dazu schon RGSt 41, 389, 391; s. auch BGHSt 9, 390, 393; 17, 210; 32, 48; Fischer, StGB, § 15 Rn. 34.

B. Erwägungen zu § 323a StGB de lege ferenda

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Sichberauschens. Die Problematik der genauen Anforderungen an den tatbestandsmäßigen Rausch wird mit einer klarstellenden Rauschdefinition gelöst. Auch systematischen Bedenken gegen die Einordnung als fahrlässiges Erfolgsdelikt wird jegliche Grundlage entzogen. Letztlich erscheint eine Regelung im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches insbesondere aus systematischen Gründen als die vorzugswürdige Alternative.

Sechster Teil

Schlussbetrachtung: Fazit und rechtspolitischer Ausblick Der Vollrauschtatbestand „entpuppt sich geradezu als ein wahrer Rechtsmikrokosmos, der – auf engstem Raum zusammengedrängt – fast kein wichtiges Problem der Strafrechtsdogmatik unberührt läßt“.566 Mit diesen Worten beendete Roeder seinen Beitrag über Schuld- und Irrtumsprobleme beim Vollrausch. Seine Prognose hat sich auch im Verlauf dieser Untersuchung bestätigt. Der Vollrauschtatbestand enthält eine Fülle vielschichtiger Problembereiche, die die Strafrechtsdogmatik vor besondere Herausforderungen stellen. Nicht zuletzt viele kontroverse Beiträge zum Vollrausch sowie eine undurchsichtige Rechtsprechungspraxis verschärfen diese Problematik zusätzlich. Nach dem oben Ausgeführten bleibt festzuhalten: Die in der Einführung angesprochenen Probleme in Bezug auf den Vollrauschtatbestand de lege lata konnten im Verlauf der Arbeit gelöst und die aufgeworfenen Fragen klar beantwortet werden. Ein Berauschungsverbot lässt sich durchaus legitimieren und zwar dann, wenn man nicht auf das bloße Sichberauschen oder die Rauschtat abstellt, sondern an das Versetzen in einen zu gefährlichen Rauschzustand. Dieses Erfordernis ergibt sich aus der zutreffend konkretisierten Ratio der tatbestandsspezifischen Berauschungsmissbilligung. Demzufolge lässt sich folgende Verhaltensnorm aufstellen: „Du darfst dich nicht berauschen, wenn und weil du dadurch aufgrund deiner persönlichen Neigungen rauschbedingt für Rechtsgüter anderer zu gefährlich werden könntest.“ Für den potentiellen Normadressaten ist es im relevanten Verhaltenszeitpunkt möglich, diese Verhaltensnorm zu bilden und auch zu befolgen. Ein Rauschtäter verhält sich also tatbestandsmäßig-missbilligt i. S. des gegenwärtigen § 323a StGB, wenn er nach seinen individuellen Verhältnissen im Zeitpunkt des Sichberauschens zumindest erkennen und vermeiden konnte, dass es zu der Rauschtat kommt, und wenn er genau dies von Rechts wegen vermeiden musste. Gab es für ihn zum Zeitpunkt des Sichberauschens keine Anhaltspunkte dafür, dass er in irgendeiner Weise zu bestimmten Ausschreitungen neigen könnte, so ist er kein geeigneter Adressat dieser Verhaltensnorm. Notwendige Minimalbedingung für eine Strafbarkeit wegen Vollrauschs de lege lata ist somit zumindest eine Fahrlässigkeitsbeziehung des Täters – zum Zeitpunkt des Sichberauschens – zur später konkret begangenen Rauschtat. Die Rauschtat muss im Grundsatz alle Voraussetzungen einer 566

Roeder, FS Rittler, S. 211, 242.

6. Teil: Schlussbetrachtung: Fazit und rechtspolitischer Ausblick

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tatbestandsmäßigen Straftat (ausgenommen der Schuldfähigkeit) erfüllen. Lediglich beim Vorsatzerfordernis sind aufgrund einer ratio-orientierten Betrachtung der rauschbedingten Gefährlichkeit des Täters rauschbedingte Irrtümer irrelevant. Anhand dieses Befundes ließ sich im Anschluss daran auch die Sanktionsnorm des § 323a StGB de lege lata legitimieren. Diese nimmt Bezug auf die herausgearbeitete legitimierbare Verhaltensnorm und schützt die Normgeltungskraft durch die vorgesehene Rechtsfolgen in Form von Schuldspruch und Strafe in angemessener Weise. Dementsprechend erfüllen sowohl die Verhaltensnorm als auch die Sanktionsnorm des § 323a StGB de lege lata (bei korrektem Umgang mit der Vorschrift) die verfassungsrechtlichen Vorgaben – insbesondere die Anforderungen an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Nach seinem Deliktscharakter konnte § 323a StGB de lege lata als fahrlässiges Erfolgsdelikt eingeordnet werden, welches eine ganz besondere Konstellation des Fahrlässigkeitsunrechts unter Strafe stellt. Diese Deliktszuordnung führt sowohl in der Theorie als auch in der Praxis zu sachgerechten Ergebnissen und orientiert sich an den wesentlichen Verfassungsprinzipien – steht insbesondere im Einklang mit dem Grundsatz nulla poena sine culpa. Die bisherigen Deliktseinordnungen und Auslegungen des § 323a StGB de lege lata – als abstraktes Gefährdungsdelikt mit objektiver Bedingung der Strafbarkeit, als Ausnahmevorschrift zu §§ 20, 21 StGB sowie als konkretes Gefährdungsdelikt – konnten hingegen nicht überzeugen und verstoßen im Übrigen gegen diese wesentlichen Rechtsstaatsprinzipien. Einer „Wahl zwischen Übeln“ bedarf es bei richtig verstandener Auslegung und Anwendung des Vollrauschtatbestandes als fahrlässiges Erfolgsdelikt de lege lata unter konsequenter Wahrung des Schuldprinzips nicht. Bereits zu Beginn der Arbeit wurde § 323a StGB de lege lata als „Auffangtatbestand“ bezeichnet. § 323a StGB de lege lata erfüllt jedoch keineswegs lediglich eine bloße Auffangfunktion, vielmehr dient er außerdem als wichtige Ergänzung. § 323a StGB erhält de lege lata neben der „Rechtsfigur“ der actio libera in causa durchaus einen sinnvollen Stellenwert, indem er immer dann einschlägig ist, wenn sonst keine entsprechende Fahrlässigkeitsstrafbarkeit im Strafgesetzbuch vorgesehen ist. In diesen Fällen läuft auch die „Rechtsfigur“ der actio libera in causa ins Leere. Demzufolge sollte der Vollrauschtatbestand besser nicht gestrichen werden. Vielmehr sollte zumindest der „status quo“ dieser Vorschrift beibehalten werden. Dass anhand dieses Konzepts nur derjenige zur Rechenschaft gezogen werden kann, der im Zeitpunkt des Sichberauschens Kenntnis von schädlichen Neigungen im Rausch hatte, führt zu einer „Strafbarkeitslücke“, die aber hinzunehmen ist. Auch wenn es durchaus nachvollziehbar sein mag, dass Betroffene und Opfer mit Unverständnis auf diese „Strafbarkeitslücke“ reagieren, muss ein Rechtsstaat den essentiellen Grundsätzen treu bleiben und ein möglicherweise unbefriedigend empfundenes Ergebnis akzeptieren. Der Wunsch bzw. das subjektiv empfundene Bedürfnis nach Schuldspruch und Strafe können noch so groß sein, jedoch lässt sich ohne die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze ein „gerechtes“ Strafrecht nicht

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6. Teil: Schlussbetrachtung: Fazit und rechtspolitischer Ausblick

durchführen. Gerecht ist nur das, was sich an rechtsstaatlichen Grundsätzen orientiert. Oder um erneut mit Geislers Worten zu sprechen: „Wirkliche effektive Kriminalpolitik kann nicht unter Verletzung, sondern nur unter Respektierung des Schuldprinzips betrieben werden.“567 Herausgestellt hat sich letztlich, dass eine Neuregelung durch den Gesetzgeber wünschenswert ist, um den vielen Streitpunkten die Angriffsfläche zu entziehen. Den im Rahmen dieser Arbeit vorgestellten Gesetzesvorschlägen – als Regelung des Besonderen Teils (§ 323a StGB [Unerlaubte Berauschung]) sowie als Regelung des Allgemeinen Teils (§ 15 Abs. 2 StGB) – gelingt es, die „Vollrauschproblematik“ vollkommen zu entschärfen. Anhand dieser Regelungen ist es möglich, berauschte Täter auf gerechte Weise zur Verantwortung zu ziehen. Letztlich bleibt zu hoffen, dass nicht nur der Gesetzgeber in der Zukunft mit einer neuen Regelung Klarheit schafft, sondern dass auch die Rechtsprechung ihre – mit dem Grundsatz nulla poena sine culpa unvereinbare – Handhabung des Vollrauschtatbestandes de lege lata aufgibt.

567

Geisler, Zur Vereinbarkeit, S. 435.

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Stichwortverzeichnis abstraktes Gefährdungsdelikt 86 ff. actio libera in causa 115, 117 ff. Angemessenheit siehe Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Auffangtatbestand 12, 43, 120 ausländische Rechtsordnungen 55 mit Fn. 196, 99 mit Fn. 368 Ausnahmevorschrift 99 ff. Bestimmtheitsgrundsatz 18 f. Bewertungseinheit (von Verhaltensnorm und entsprechender Sanktionsnorm)? 33 ff. Erfolgsdelikt (fahrlässiges) 112 ff., 129 ff. Erforderlichkeit siehe Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Ergänzungsfunktion siehe Vollrauschtatbestand ex ante-Perspektive als maßgeblich für die Verhaltensnormbestimmung 30, 51 f., 60, 92 Fahrlässigkeit – allgemeine Voraussetzungen 116 ff. – Minderform der – 117 f. – subjektive Vorwerfbarkeitsbeziehung 65 ff., 71, 84, 90 ff., 105 ff., 115, 120 – Untergrenze der strafrechtlich relevanten – 82 mit Fn. 299 Fahrlässigkeitsbeziehung siehe Fahrlässigkeit, subjektive Vorwerfbarkeitsbeziehung Fahrlässigkeitstat siehe Rauschtat Fehlverhalten, personales 38, 40 ff., 81, 113 Fehlverhaltensfolgen, spezifische 38, 81 f., 85, 112 ff., 133 f. fragmentarischer Charakter siehe Strafe Geeignetheit siehe Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gefährlicher Rausch siehe Rausch

Gefährlichkeit, gesteigerte rauschbedingte 50, 68 f., 70 ff., 147 Gesetzlichkeitsgrundsatz 18 f., 83, 124 f., 128 Güter- und Interessenabwägung siehe Verhältnismäßigkeitsgrundsatz historischer Hintergrund (Vollrausch) 14 f. hypothetische Beurteilung (der Rauschtat) siehe Rauschtat Irrtum (rauschbedingt) 127 mit Fn. 493

48 mit Fn. 170, 50,

konkretes Gefährdungsdelikt Konkurrenzen 134

105 ff.

Legitimationsgrund (eines Berauschungsverbots) 44 ff. natürlicher Vorsatz siehe Rauschtat Nichtanzeige geplanter Straftaten siehe Rauschtat Normbildungs- und Normbefolgungsfähigkeit 30, 35, 45 ff., 52 f., 60, 64, 144 ff. notwendige Bedingung siehe Fahrlässigkeit, subjektive Vorwerfbarkeitsbeziehung objektive Bedingung der Strafbarkeit 87 ff., 97 ff., 112, 133 Obliegenheitsverletzung 55 ff. personale Straftatlehre

22 ff., 112, 139

Rausch – Definition 66 ff., 76 – Mindestanforderungen 67 ff. – zu gefährlicher – 67 f., 73 ff., 77 ff., 106 ff., 129, 141 ff.

162

Stichwortverzeichnis

Rauschtat – als Anknüpfungspunkt für die Verhaltensnormlegitimation 46 ff. – Fahrlässigkeitstat 47 f. – hypothetische Beurteilung 47 ff. – natürlicher Vorsatz 49 mit Fn. 174 – Nichtanzeige geplanter Straftaten (§ 138) 51 – Ratio-orientierte Anforderungen 46 ff. – rechtswidrige Tat 46 ff., 76 ff., 113 ff. – unterlassene Hilfeleistung 51 – Vorsatztat 48 ff. Rechtsgüterschutz – als staatliche Schutzpflicht 22 ff., 42 ff. – durch Sanktionsnormen 26, 31 ff. – durch Verhaltensnormen 25, 29 ff. Rechtswidrige Tat siehe Rauschtat Reformüberlegungen 13 mit Fn. 13, 135 ff. Risikopotential – der Beteiligung an einer Schlägerei 62, 97 – der Trunkenheitsfahrt 62, 115 – Rauschtat als spezifische Folge genau des – 50 f., 71 ff., 107 ff., 129 f. Sanktion – Ordnungswidrigkeitenrecht 40 mit Fn. 144, 80 ff., 85, 94 ff., 113 f. – Strafrecht siehe Strafe Sanktionsnorm – Funktion 26 ff. – Legitimation – allgemein 31 ff. – im Hinblick auf § 323a StGB 76 ff. Schuld – Vorwurf 34, 37 ff., 70 ff., 97, 103 ff., 113 f., 119 Schuldfähigkeit 38 ff. – erheblich verminderte – 69, 72 f., 143 Schuldprinzip 36 ff., 74, 90, 97 ff., 101 ff., 128 f., 133 ff., 148 f. Schuldspruch 16 ff., 133 Schuldunfähigkeit (nicht ausschließbare) 12 f., 47 ff., 68, 76 ff., 113 f., 124 ff. Schuldzurechnungsregelung siehe Ausnahmevorschrift

Schutzcharakter des Strafrechts siehe Rechtsgüterschutz durch Sanktionsnormen Sichberauschen – als Anknüpfungspunkt für die Verhaltensnormlegitimation 58 ff. – zu gefährliches – siehe zu gefährlicher Rausch Sonderfall des fahrlässigen Erfolgsdelikts siehe Erfolgsdelikt (fahrlässiges) Sonderverantwortlichkeit 31 Sozialadäquanz 61 ff. staatliche Schutzpflichten siehe Rechtsgüterschutz, als staatliche Schutzpflicht Strafe – Akzessorietät 23 f., 25 – fragmentarischer Charakter 18 mit Fn. 35, 128 – ohne Vorwurf 52 ff. Straftheorien siehe Strafzweck(e) Strafzweck(e) – absolute Straftheorien 19 f. mit Fn. 40 – relative Straftheorien 21 f. – restitutive Straftheorie (nach Freund) 20 f. mit Fn. 46 und 47 – retributiv expressive Straftheorie (nach Rostalski) 20 mit Fn. 46 – zweckrational orientierte Legitimation 22 ff. Strafzumessung 84, 92 f., 131 ff. subjektive Vorwerfbarkeitsbeziehung siehe Fahrlässigkeit ultima ratio 32, 80 Unrecht siehe Fehlverhalten, personales unterlassene Hilfeleistung siehe Rauschtat Verhalten siehe Fehlverhalten, personales Verhaltensnorm – Funktion 24 f., 29, 32 – Legitimation 29 ff. – tatbestandsspezifische – 44 ff. – Verstoß 21 f., 23 ff., 32 ff., 44 f., 55 f., 78 ff., 113 ff. Verhaltensunrecht siehe Fehlverhalten, personales

Stichwortverzeichnis Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (bei der Legitimation von Verhaltensnormen und Sanktionsnormen) – Angemessenheit 28 ff., 33, 45, 61 ff., 82 f. – Begriff 17, 28 ff. – Bezug zum Schuldprinzip 37 f. – Erforderlichkeit 30 f., 32, 60, 80 ff., 95 – Geeignetheit 29 f., 32, 45 ff., 79 ff. – Güter- und Interessenabwägung siehe Angemessenheit

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– legitimer Zweck 29 f., 32, 45 ff., 78 ff., 133 Vollrauschtatbestand – Ergänzungsfunktion des – 120 f., 124 ff., 140 Vorsatztat siehe Rauschtat Vorverhalten siehe actio libera in causa Vorwurf siehe Schuld, Schuldspruch Zurechnungskonzepte

55 ff.