Der traditionsgeschichtliche Hintergrund der prophetischen Gerichtsreden

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Der traditionsgeschichtliche Hintergrund der prophetischen Gerichtsreden

Table of contents :
§ 1 Einführung
§ 2 Die prophetische Gerichtsrede und die profane Gerichtsverhandlung
1. Die Appellationsreden
2. Die Reden vor dem versammelten Gericht
Zu 1: Prophetische Gerichtsrede und profane Rechtsrede
Zu 2: Die Bezeichnung »Prophetische Gerichtsrede« als Sammelbegriff
§ 3 Die Rollenverteilung in den prophetischen Gerichtsreden
§ 4 Die prophetischen Gerichtsreden und die Bundestheologie
§ 5 Die Anklagereden im Rahmen der Bundesvorstellung
§ 6 Die Verteidigungsreden im Rahmen der Bundestheologie
§ 7 Die Gerichtsreden bei Deuterojesaja

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E B E R H A R D VON WALDOW DER TRADITIONSGESCHICHTLICHE HINTERGRUND DER PROPHETISCHEN GERICHTSREDEN

EBERHARD VON WALDOW

DER TRADITIONSGESCHICHTLICHE HINTERGRUND DER PROPHETISCHEN GERICHTSREDEN

1963 VERLAG

ALFRED

TÖPELMANN

·

BERLIN

B E I H E F T E ZUR Z E I T S C H R I F T FÜR D I E ALTTESTAMENTLICHE WISSENSCHAFT HERAUSGEGEBEN

VON GEORG

FOHRER

85

© 1963 by Alfred Töpelmann, Berlin 30, Genthiner Straße 13 Alle Rechte, einschl. der Herstellung von Photokopien und Mikrofilmen, yon der Verlagshandlung vorbehalten Printed in Germany Satz und Druck: Walter de Gruyter & Co., Berlin 30 Archiv-Nr. 3822631

D. ADOLF W I S C H M A N N

dem Präsidenten des Außenamtes der EKD, dem unermüdlichen Förderer der theologischen Fakultät in Säo Leopoldo, Brasilien, in Dankbarkeit gewidmet

INHALTSVERZEICHNIS § 1 Einführung

1

§ 2 Die prophetische Gerichtsrede und die profane Gerichtsverhandlung

4

1. Die Appellationsreden

5

2. Die Reden vor dem versammelten Gericht

6

Zu 1: Prophetische Gerichtsrede und profane Rechtsrede . .

9

Zu 2: Die Bezeichnung »Prophetische Gerichtsrede« als Sammelbegriff

10

§ 3 Die Rollenverteilung in den prophetischen Gerichtsreden

. . .

12

§ 4 Die prophetischen Gerichtsreden und die Bundestheologie . . .

19

§ 5 Die Anklagereden im Rahmen der Bundesvorstellung

25

§ 6 Die Verteidigungsreden im Rahmen der Bundestheologie § 7 Die Gerichtsreden bei Deuterojesaja

. . .

33 42

§1: EINFÜHRUNG HERMANN G U N K E L war es, der wohl zum ersten Mal von der Gattung der prophetischen Gerichtsrede gesprochen hat 1 . Nach den von ihm selbst für die formgeschichtliche Arbeit aufgestellten Grundsätzen2 hat er sich aber nicht nur mit der Kennzeichnung bestimmter prophetischer Einheiten als Gerichtsreden begnügt, sondern er hat sich auch Gedanken über den sogen. »Sitz im Leben« dieser Gattung gemacht. Nach seiner Meinung sind die prophetischen Gerichtsreden im Grunde Scheltreden, die der Prophet nach Art einer Rede vor Gericht eingekleidet hat. Danach wäre der »Sitz im Leben« einer Gerichtsrede identisch mit dem einer Scheltrede, und der besondere Redestil wäre als Entlehnung aus dem Rechtsleben zu verstehen. Diese Position G U N K E L S hat dann JOACHIM B E G R I C H in seinen Studien zu Deuterojesaja weiter ausgebaut3. Er hat den Begriff der prophetischen Gerichtsrede etwas differenziert und mehrere Arten unterschieden, nämlich die Appellationsreden an ein Gericht, die eigentlichen Gerichtsreden, die ein Verfahren voraussetzen, und die Reden des Richters. Diese Differenzierung läßt bereits erkennen, daß auch B E G R I C H die prophetischen Gerichtsreden aus dem Bereich der profanen Gerichtsverhandlung herzuleiten versucht. Dabei zeigt seine Untersuchung, daß er von dieser profanen Gerichtsverhandlung ganz konkrete Vorstellungen hat. Hier wirkt sich die bedeutsame Arbeit L U D W I G K Ö H L E R S über die hebräische Rechtsgemeinde aus 4 . So sieht B E G R i C H i n den prophetischen Gerichtsreden Nachahmungen von Reden, wie sie im Bereich der hebräischen Rechtsgemeinde gehalten wurden. Eine grundsätzlich andere Lösung des formgeschichtlichen Problems der prophetischen Gerichtsrede hat E R N S T W Ü R T H W E I N vorgetragen5. Bei ihm kommen die Ergebnisse der neueren Psalmenforschung zum Tragen, die versucht, die Psalmen vom israelitischen 1

H . GUNKEL, Die P r o p h e t e n als Schriftsteller u n d Dichter, in HANS SCHMIDT,

Die großen Propheten, SAT 2. Abt., Bd. II, 2. Aufl. 1923, S. L X I I I . 2 GUNKEL-BEGRICH, Einleitung in die Psalmen, 1933, S. 22: 1. Bestimmung des »Sitzes im Leben«; 2. Bestimmung des Inhaltes einer Gattung; 3. Bestimmung der Formensprache. 3

JOACHIM B E G R I C H , S t u d i e n z u D e u t e r o j e s a j a , B W A N T 1 9 3 8 , S . 1 9 f f .

LUDWIG KÖHLER, Die hebräische Rechtsgemeinde, Züricher Universitätsbericht 1930-1931; jetzt im Anhang von L. KÖHLER, Der hebräische Mensch, Tübingen 1953. 6 ERNST WÜRTHWEIN, Der Ursprung der prophetischen Gerichtsrede, ZThK 1962, S. Iff. 4

W a 1 d o w, Traditionsgeschichtl. Hintergrund

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Einführung

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Kultus her zu verstehen. In seiner kultgeschichtlichen Sicht glaubt bei einigen Psalmen, in denen vom Gericht Jahves die Rede ist, eine kultische Gerichtsszene, in der Jahve als Richter auftritt, als realen Hintergrund erkennen zu können6. So kommt W Ü R T H W E I N zu der These, daß es im israelitischen Kultus eine Gerichtsliturgie gegeben haben muß, in der ein Kultprophet im Namen Jahves die göttlichen Anklagen vorgetragen hat. Von daher ergibt sich für W Ü R T H W E I N durchaus die Möglichkeit, daß auch die in den Prophetenbüchern überlieferten Gerichtsreden tatsächlich im Rahmen einer Kulthandlung vorgetragen worden sein können.

WÜRTHWEIN

Diese Thesen haben Widerspruch erfahren durch F R A N Z H E S S E 7 · Er bestreitet zwar nicht die kultische Herleitung dieser Gattung, aber er erhebt Einspruch gegen die postulierte Gerichtsliturgie, in der Jahve durch einen Kultpropheten als Ankläger Israels auftritt. Nach H E S S E soll es im israelitischen Kultus eine Stelle gegeben haben, in der ein Heiisnabi das Gericht Jahves über die Heidenvölker verkündigt hat. Von dieser Situation wären zwar die sogen, klassischen Propheten in ihren Gerichtsreden ausgegangen, hätten dann aber in völlig überraschender Weise das Gerichtswort gegen Israel gewendet. Die neueste Untersuchung, in der das formgeschichtliche Problem der prophetischen Gerichtsreden ausführlicher behandelt wird, hat H A N S J O C H E N B O E C K E R vorgelegt8. Auf Grund einer sorgfältigen Analyse der Redeformen im Räume der profanen Gerichtsbarkeit und eines Vergleiches mit der Formensprache der prophetischen Gattung kommt er zu der These, daß die Gerichtsreden bei den Propheten durch die Übernahme der Redeformen aus der hebräischen Rechtsgemeinde zu verstehen seien. Damit ist B O E C K E R wieder auf die alte Linie eingeschwenkt, die über B E G R I C H bis zu G U N K E L zurückführt9. Diese kurze Übersicht läßt erkennen, daß sich in der Deutung der prophetischen Gerichtsrede heute im Grunde zwei Positionen gegenPs 9611-13 97 5-6 76 8-10 6O1-7. FRANZ HESSE, Wurzelt die prophetische Gerichtsrede im israelitischen Kultus ? ZAW 66, 1953, S. 45ff. 6

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HANS JOCHEN BOECKER, Redeformen des israelitischen Rechtslebens, Disser-

tation Bonn 1959. Vgl. auch vom gleichen Verfasser, Anklagereden und Verteidigungsreden im Alten Testament, Evang. Theol. 1960, S. 398ff. An dieser Stelle ist auch der Aufsatz von H. B . HUFFMON zu nennen, The Convenant Lawsuit in the Prophets, Journal of Biblical Literature 78, 1959, S. 285—295. Auf diesen Aufsatz machte mich freundlicherweise Prof. D. FOHRER aufmerksam. 8 Allerdings sieht BOECKER in den Gerichtsreden nicht mehr eine Sonderform der Scheltrede, sondern nach ihm soll die Scheltrede eine Weiterbildung der Gerichtsreden (Anklagereden) sein; vgl. Dissertation S. 95f. •— Zur Ableitung der prophetischen Gerichtsrede aus der profanen Rechtspraxis vgl. jetzt auch CLAUS WESTERMANN, Grundformen prophetischer Rede, München 1960, bes. S. 143f.

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Einführung

überstehen, nämlich eine, die diese Gattung aus dem profanen Rechtsleben, und eine, die sie aus dem Kultus zu verstehen sucht. Für beide Positionen werden, so scheint es, gute Gründe beigebracht, so daß es eigentlich schwer fällt, eine Entscheidung für eine dieser beiden Richtungen zu fällen. Diese zwiespältige Situation läßt es geraten erscheinen, dem Problem der Gerichtsreden noch einmal eine spezielle Untersuchung zu widmen. Das ist heute wohl um so dringender geboten, als die beiden wichtigsten Arbeiten über diesen Fragenkreis nicht ganz frei von einer gewissen Einseitigkeit sind. W Ü R T H W E I N zieht seine Linien aus, ohne ausreichend auf die Ergebnisse von B E G R I C H einzugehen, während bei B O E C K E R wiederum, wohl unter dem Eindruck des von ihm erarbeiteten gewichtigen Materials, die Auseinandersetzung mit W Ü R T H W E I N ZU kurz kommt. So wird eine erneute Untersuchung über die prophetischen Gerichtsreden an beide Positionen, also an W Ü R T H W E I N und an B O E C K E R , anzuknüpfen haben, und sie wird fragen müssen, ob es nicht möglich ist, unter Aufgreifen der richtigen Ergebnisse aus den beiden gegenüberliegenden Positionen eine neue Linie zu erarbeiten, die dem Verständnis dieser nun schon so viel diskutierten prophetischen Gattung dienlich sein könnte. Bevor wir uns nun im folgenden der so umrissenen Aufgabe unterziehen, erscheint es jedoch zweckmäßig, noch eine methodische Vorerwägung einzuschieben. Die Frage nach dem »Sitz im Leben« der prophetischen Gerichtsrede ist im Rahmen der form- und gattungsgeschichtlichen Arbeit am Alten Testament gestellt worden, also im Rahmen der Forschungsrichtung, die von stets wiederkehrenden Elementen der Formensprache ausgeht und nach dem Ort fragt, in dem eine Gattung von Hause aus wurzelt, in dem sie gestaltet wurde und lebt. Doch sollte die oben gegebene Übersicht deutlich machen, daß die Formgeschichte bisher zu keinem eindeutigen Ergebnis gekommen ist. Angesichts dieser Sachlage erscheint es ratsam, den Akzent der Fragestellung etwas zu verschieben und sie nach der Traditionsgeschichte hin zu öffnen. Wenn W Ü R T H W E I N auch gute Gründe für die Annahme eines kultischen »Sitzes im Leben« für die prophetische Gerichtsrede vorgebracht hat, so hat sich doch bisher trotz aller Bemühungen eine kultische Gerichtssituation, in der die Propheten gesprochen hätten, eben nicht nachweisen lassen. Aber auch die von B O E C K E R wieder vorgetragene Profangeschichtshypothese, die in der prophetischen Gattung lediglich eine sekundäre Entlehnung von Redeformen aus dem Bereich der Rechtsgemeinde sehen will, kann nicht befriedigen. Sollten auch die Voraussetzungen stimmen, so muß doch sofort nach den Gründen gefragt werden, die den Propheten diese Entlehnung ermöglichten. Ging es ihnen hier nur um Fragen der zweckmäßigsten Formgebung und der Didaktik? Oder aber könnten 1*

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Die prophetische Gerichtsrede und die profane Gerichtsverhandlung

hinter den Propheten, die in Gerichtsreden sprachen, nicht ganz bestimmte Überlieferungen oder Traditionen stehen, die unter den Zuhörern wieder lebendig werden sollten ? Wäre es nicht denkbar, daß das Bestreben, derartige Überlieferungen und Traditionen neu zu aktualisieren, vielleicht auch noch verbunden mit der Notwendigkeit etwas anders zu akzentuieren, zu der Übernahme von Gattungen geführt hätte, die der Prophetie ursprünglich fremd waren ? Mit derartigen Möglichkeiten muß gerechnet werden, nachdem die neuere Prophetenforschung gezeigt hat, daß die sogen, klassischen Propheten eben keine Neuerer sind, die mit einem schöpferischen Geist begabt auf einer einsamen geistigen Höhe stehen, sondern daß sie in ganz bestimmten, vorgegebenen Traditionen Israels leben, deren Inhalt sie in ihrer Verkündigung gegenwärtigsetzen 10 . So wird es also gut sein, auch bei dem Problem der prophetischen Gerichtsreden nicht in der rein formgeschichtlichen Argumentation stecken zu bleiben, sondern auch die traditionsgeschichtliche Fragestellung mit einzubeziehen. Nach diesen Vorüberlegungen wenden wir uns der einen der im Bereich der formgeschichtlichen Arbeit gewonnenen Positionen zu, nämlich der Profangeschichtshypothese.

§ 2: D I E P R O P H E T I S C H E G E R I C H T S R E D E U N D D I E PROFANE

GERICHTSVERHANDLUNG

Eine Erörterung über diesen Fragenkreis hat heute von der Dissertation H . J . BOECKERS auszugehen. Es ist daher zweckmäßig, zunächst einmal in einer kurzen Übersicht all das zusammenzustellen, was diese Arbeit zum Verständnis unserer prophetischen Gattung beigetragen hat. Die nun folgende Zusammenstellung kann dann auch gleichzeitig den Kreis der Texte umreißen, mit dem sich diese Untersuchung wird beschäftigen müssen Einleitend stellen wir fest, daß BOECKER — wie schon vor ihm BEGRICH — den Begriff der Gerichtsreden ausweitet und alle Redeformen mit einbezieht, die bereits vor der Eröffnung des Verfahrens begegnen. So durchschreitet er den ganzen Weg von der noch »privaten« Auseinandersetzung zweier Partner über die Appellation an ein 10 Vgl. dazu etwa W A L T E R B E Y E R L I N , Die Kulttraditionen Israels in der Verkündigung des Propheten Micha, Göttingen 1959. Siehe jetzt auch den Aufsatz von G E O R G F O H R E R , Tradition und Interpretation im Alten Testament, ZAW 7 3 , 1 9 6 1 , S. Iff. 1 Die Gerichtsreden des Deuterojesaja erscheinen allerdings nur teilweise in dieser Übersicht. Ihnen ist am Schluß dieser Untersuchung ein besonderer Paragraph gewidmet.

Die prophetische Gerichtsrede und die profane Gerichtsverhandlung

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Gerichtsforum bis hin zu dem richterlichen Urteil und seiner Begründung. Die einzelnen Stationen dieses Weges bieten sich als vorläufiges Ordnungsprinzip für eine Gruppierung der zahlreichen prophetischen Texte an 2 . 1.

DIE

APPELLATIONSREDEN

Hierher gehören die Reden, die noch im »privaten« Bereich der vorgerichtlichen Auseinandersetzung geführt werden, die aber bereits die Aufforderung zur Appellation an ein Gericht oder die Appellation selbst enthalten, I Sam 24 13 Jdc 11 27b Gen 31 37b. Drei Formen sind hier möglich : a) Die Appellation des Angeschuldigten: Sie kann folgende Elemente enthalten : Frage an den Beschuldiger nach der vorgeworfenen Verfehlung, ζ. B. Gen 31 36 Jdc 1112 Jer 2 s 3 , Behauptung und Beweis der eigenen Unschuld: I Sam 24 io-i2a Jdc 11 i5-27a Jer 2 6b-7 ; Gegenangriff und Gegenbeschuldigung, ζ. Β. I Sam 24 12b Jdc 11 27a Jer 2 6a. 7b, und schließlich die bereits erwähnte Appellation. Hierher gehören aus der prophetischen Literatur die Einheiten Jer 2 4-9 4 und Jes 43 21-28. Die letzte Einheit fügt sich allerdings nicht glatt in diesen Rahmen, da der Streitgegenstand hier nicht ein vorgeworfenes Delikt ist, sondern ein unerfüllter Anspruch, der dem Angeschuldigten vorgehalten wird5. b) Die Appellation des Beschuldigers: Sie kann folgende Elemente enthalten: Frage an den Angeschuldigten nach Grund und Motiv seiner Verfehlung und die Beweise für die Beschuldigung, z. B. I Sam 26 15 Jer 26 9a, sowie einen Urteilsvorschlag mit Begründung oder Beweis, z. B. I Sam 26 16 Jer 26 8f. Eine expressis verbis ausgesprochene Appellation fehlt in diesen Beispielen, da sie in dem Urteilsvorschlag implicite enthalten ist, denn der nächste Schritt wäre jetzt die Anrufung des Gerichtes, um dem Urteilsvorschlag Rechtskraft verleihen zu lassen6. Aber wie Gen 16 5 zeigt, ist auch hier eine direkt formulierte Appellation möglich. c) Die Appellation zur Einleitung eines Feststellungsverfahrens: Hier handelt es sich um eine Abwandlung der beiden eben skizzierten 2 Es werden lediglich die Redeformen erwähnt, die in den prophetischen Gerichtsreden wiederkehren. Dabei kann es sich allerdings nur um eine grobe Skizzierung handeln, da ein ausführliches Eingehen auf die Analysen BOECKERS den hier gesteckten Rahmen sprengen würde. 3 I Sam 2410 enthält die Frage nach der Verfehlung in etwas abgewandelter Form. 4 Vgl. BOECKER Diss. S. 61 ff. 6 Vgl. BOECKER Diss. S. 64f. « Vgl. BOECKER Diss. S. 68.

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Die prophetische Gerichtsrede und die profane Gerichtsverhandlung

Formen von Appellationsreden. Angeschuldigter und Beschuldiger lassen sich nicht mehr genau unterscheiden. Der Streitgegenstand ist eine Behauptung, der die andere Partei mit einer Gegenbehauptung entgegentritt. So steht Aussage gegen Aussage, und ein angerufenes Gericht hat die Entscheidung zu fällen und einer Aussage recht zu geben. Von hier aus sind die Einheiten Jes 118-20 und mit gewissen Einschränkungen auch Jes 411-5 zu verstehen7. Beide Einheiten werden durch die am Anfang stehende Appellationsformel als Appellationsrede ausgewiesen. 2. D I E R E D E N VOR DEM VERSAMMELTEN GERICHT

Vor einem Gericht können, wie es in der Natur der Sache liegt, grundsätzlich drei verschiedene Formen von Reden gehalten werden. Die klagende Partei kann reden, um ihre Anklagen vorzutragen; die angeklagte Partei kann das Wort ergreifen, um sich zu verteidigen; und schließlich muß auch ein Richter zu Worte kommen, um seinen Rechtsentscheid kundzutun. So sind während eines Verfahrens folgende Formen von Gerichtsreden möglich : a) Die Anklagereden: Diese Gattung ist nicht ganz leicht zu charakterisieren, da es eine feste Anklageformel nicht gibt. Man wird auch kaum eine solche erwarten können, denn die Form der Anklageerhebung muß sich nach der Art des Streitfalles richten, und da ist naturgemäß eine Fülle von Möglichkeiten denkbar. Eines ist allerdings allen Anklagereden gemeinsam. Sie richten sich an das Gerichtsforum. So wird der Angeklagte nicht direkt angesprochen, sondern er erscheint in der Anklagerede in der 3. Person. Ist allerdings das Verfahren erst einmal eröffnet, dann ist es im weiteren Verlauf auch möglich, den Angeklagten unmittelbar anzusprechen. Grundsätzlich lassen sich drei Möglichkeiten von Anklageerhebung unterscheiden : Anklageerhebung verbunden mit einem Urteilsvorschlag, Jer 26 11 II Sam 19 22. In dem Urteilsvorschlag kehrt das gleiche Formelement wieder, das sich bereits bei der entsprechenden Appellationsrede fand. Anklageerhebung durch Zeugenaussage, indem die Zeugen der Tat durch ihre Aussage das Verfahren eröffnen, I Reg 2113 Dtn 21 20. Anklageerhebung durch den Bericht des Geschädigten, wie er etwa in I Reg 3 17-21 oder Dtn 22 14 zu erkennen ist. Aus der prophetischen Literatur sind in diesem Zusammenhang mehrere Texte zu nennen. Allerdings läßt sich ihre Zuweisung zu 7

Vgl. BOECKER Diss. S. 72ff. Zu Jes 411-5 siehe unten § 7.

Die prophetische Gerichtsrede und die profane Gerichtsverhandlung

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dieser Gruppe der Gerichtsreden kaum von einer klar ersichtlichen Formensprache her begründen, da es eine feststehende Form der Anklageerhebung eben nicht gab. Am einfachsten liegen wohl die Verhältnisse bei den Einheiten, in denen vom Angeklagten in der 3. Person gesprochen wird, Jes 1 2b-38 und Jes 5 3b-4. In der ersten dieser beiden Einheiten liegt darüber hinaus noch Verwandtschaft mit der Anklageerhebung durch Geschädigtenbericht vor. Auch in Jer 2 Ii findet sich die Rede über den Angeklagten in der 3. Person. Aber in der gleichen Einheit erscheint auch eine direkte Anrede an die beklagte Gegenpartei. Doch diese Erscheinung erklärt BOECKER durch die vorangestellte Appellationsrede eines fälschlich Angeschuldigten. In dieser Redeform wird der Gegner ja direkt angesprochen. Die Sätze v. io-ila bilden den Übergang von der Appellationsrede zur Anklage, die dann in v. nb in dem zu erwartenden Stil folgt 9 . Anders liegen die Dinge in Jes 3 13-15. Hier erscheint nur die direkte Anrede an die Gegenpartei, während die Hinwendung an das Gerichtsforum völlig fehlt. Dieser auffällige Befund findet seine Erklärung darin, daß in dieser Einheit der Kläger Jahve identisch ist mit dem Richter 10 . Die gleichen Verhältnisse sind auch in Jes 5 4-5 vorauszusetzen 11 . Während in v. 4 der Sprecher noch der Ankläger ist, fährt er in v. 5 als Richter fort und setzt das Strafmaß fest. Auf diese bedeutsame Erscheinung der Identität von Ankläger und Richter muß im weiteren Verlauf dieser Untersuchung noch ausführlich eingegangen werden. b) Die Verteidigungsreden:12 Bei dieser Form der Gerichtsrede sind zwei Arten möglich: die Selbstverteidigungsrede oder die Rede, in der ein anderer für den Angeklagten die Verteidigung führt, die Fremdverteidigungsrede. 8

Vgl. B O E C K E R Diss. S. 87 f. Das Zögern B O E C K E R S bei seiner Beurteilung dieser Einheit ist, wie unten noch zu zeigen sein wird, unbegründet. Vorläufig genügt die Feststellung: v. 2a ist die Einleitung, v. 2b-3 die Anklagerede. Sie enthält den in dieser Gattung beliebten Hinweis auf Wohltaten in der Vergangenheit und die eigentliche Anklage. 8 Vgl. B O E C K E R Diss. S . 84f. 10 Vgl. B O E C K E R Diss. S. 88ff. v. 13-I4a ist die Exposition, v. 14b enthält die Nennung der Verfehlungen, während die Frage in v. 15 an ähnliche Fragen in den entsprechenden Appellationsreden erinnert. 11 Vgl. B O E C K E R Diss. S. 85ff. ν. 1-2 schildern den Tatbestand in Form eines Leichenliedes, v. 3 ist eine Einleitungsformel, mit der sich der Kläger an den Gerichtshof (die Bürger von Jerusalem) wendet, während v. i die eigentliche Anklage in Frageform erhebt. Doch in v. 5 wird der Ankläger selbst zum Richter, weil sich die Bürger von Jerusalem als der Weinberg und damit als Angeklagte entpuppen. 12 Vgl. B O E C K E R Diss. S . 96ff.

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Die prophetische Gerichtsrede und die profane Gerichtsverhandlung

Für die Selbstverteidigungsrede ist wieder typisch die Anrede an den Gegner in der 2. Person, I Reg 3 22 Jer 26 15. Diese Rede kann folgende Formelemente enthalten : Behauptung der eigenen Unschuld durch Bestreitung der Anklage, I Reg 3 22, die Frage nach der eigenen Verfehlung, die mit dem gleichen Element aus der Appellationsrede des Angeschuldigten verwandt ist, Jer 2 29, und den Gegenangriff mit der Behauptung der Schuld des Klägers, Jer 2 29 13 . Daneben gibt es eine andere Form der Selbstverteidigung, die den Beweis der eigenen Unschuld durch eine andere Interpretation des strittigen Tatbestandes zu erbringen versucht, Jer 26 12-15 Mi 6 3-5 M . Die Fremdverteidigungsrede ist dadurch gekennzeichnet, daß ein anderer zugunsten des Angeklagten Entlastungsmaterial vorbringt, Jer 26 17-19. Dabei kann er auch wie bei der Appellation auf das korrekte Verhalten des Angeklagten in der Vergangenheit verweisen, Jer 2 1-3 1 6 . c) Urteile und Urteilsfolgebestimmungen16 : Hierher gehören die Worte des Richters, mit denen er das Verfahren zum Abschluß bringt. Dieser Abschluß wird durch den Urteilsspruch herbeigeführt, in dem vor aller Öffentlichkeit die Schuld festgestellt wird 17 . Daran schließt sich die sogen. Urteilsfolgebestimmung, in der die Konsequenzen festgelegt werden, die aus dem verkündigten Urteil zu ziehen sind. Ein ausgeführtes Beispiel zu dieser Redeform aus der prophetischen Literatur ist Hos 4 1-3 1 8 . v. 1 ist die Exposition, in der mitgeteilt wird, daß Jahve einen Rechtsstreit 1 9 mit den Bewohnern des Landes hat. v. 2 enthält das Urteil, eingeleitet durch Ό in seiner ursprünglichen deiktischen Bedeutung, und dann wird in Form von Zustandsschilderungen der ermittelte Tatbestand dargelegt, v. 3 ist als Urteilsfolgebestimmung 1 3 Zu J e r 2 29-35 vgl. BOECKER Diss. S. 99 ff. BOECKER sieht in dieser Einheit wohl zu Recht die »Skizze eines prophetischen Auftrittes«, eine Form, die H. W. WOLFF an Hand von Hos 4 l - l l herausgearbeitet hat; vgl. H. W. WOLFF, Dodekapropheton, Hosea, B K X I V , 1957, S. 92. E s handelt sich dabei um eine Rede des Propheten, der im Namen Jahves Verteidigung und Gegenklage vorbringt, indem er auf Einwürfe der Gegner eingeht, die in der Skizze des Auftrittes aber nicht verzeichnet sind.

Auch Jes 50 1-3 gehört in diesen Zusammenhang. Diese Einheit beginnt mit der Frage des Angeklagten nach dem Beweismittel, das die gegen ihn vorgebrachte Beschuldigung stützen könnte. 1 4 Zu Mi 6 1-5 vgl. BOECKER Diss. S. 104ff. ν. 1-2 ist das Rahmenstück, während mit v. 3 die eigentliche Gerichtsrede beginnt, v. 5 ist ein Schlichtungsvorschlag, mit dem der Angeklagte das Verfahren zu beenden hofft; vgl. BOECKER Diss. S. 122. 1 5 Zu diesem Text vgl. BOECKER Diss. S. 108ff. 16

V g l . BOECKER D i s s . S . 1 3 9 ff.

Einen Freispruch, der sich in der Form des Zuspruches an den Betroffenen direkt wendet, gibt es in der prophetischen Literatur nicht. 17

18

V g l . BOECKER D i s s . S . 1 5 4 ff.

19

Zur B e d e u t u n g v o n a n vgl. H . W . WOLFF, a . a. O. S. 8 2 .

Die prophetische Gerichtsrede und die profane Gerichtsverhandlung

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aufzufassen, die sich aus dem gefällten Urteil ergibt 2 0 . Das wird deutlich an dem einleitenden 13

Diese hier dargebotene Übersicht läßt nun schon bei aller ihrer Kürze in eindrücklicher Weise zwei Tatbestände erkennen: 1. Die prophetischen Gerichtsreden folgen in Ausdruck und Form den Redeformen, wie sie in der profanen Rechtsprechung im Tor im Bereich der hebräischen Rechtsgemeinde üblich waren. Es bleibt das Verdienst der Arbeit B O E C K E R S , diesen Tatbestand klar herausgearbeitet zu haben. 2. Der Begriff »prophetische Gerichtsrede« kann im Grunde nur als Sammelbezeichnung für eine Reihe von Gattungen Verwendung finden, die die Propheten aus dem profanen Rechtsbereich entlehnt haben. Die prophetische Gerichtsrede gibt es genau genommen überhaupt nicht, wohl aber gibt es Appellationsreden oder Reden vor Gericht, und jede dieser Gruppen hat ihren eigenen »Sitz im Leben«. Aus diesen beiden Ergebnissen der Formanalyse gilt es nun die entsprechenden Folgerungen zu ziehen. ZU 1 : P R O P H E T I S C H E G E R I C H T S R E D E UND P R O F A N E R E C H T S R E D E

Die oben konstatierte enge Verwandtschaft zwischen den prophetischen Gerichtsreden und der Redeweise bei der Rechtssprechung innerhalb der hebräischen Rechtsgemeinde führt uns vor folgende Frage : Wie sind diese offenkundigen Beziehungen zu erklären? Wie zur Genüge bekannt ist, haben die Propheten gerne verbreitete Gattungen aus Bereichen des täglichen Lebens übernommen21, um sie als eindrückliche Einkleidungen ihrer Worte zu benutzen. Von hier aus liegt natürlich die Annahme nahe, daß auch die prophetische Gerichtsrede ihre Entstehung der Nachahmung entsprechender profaner Vorbilder verdankt. Auf dieser Linie liegt die Erklärung B O E C K E R S . Er argumentiert: Da die Propheten sich dem Volke gegenüber in der Scheit- und Anklagesituation befanden, übernahmen sie als geeignete Redeform aus dem profanen Rechtsbereich die Anklagerede. Das konnten sie tun, denn sie »dürften sich bei der Benutzung dieser Redeform ganz konkret als Ankläger verstanden haben gegenüber einem Volk, das Satzung und Recht seines Gottes gebrochen hat« 22 . Aus dieser so verstandenen Gerichtsrede hätte sich dann die sogen, prophetische Scheltrede entwickelt. 2 0 Nicht selten findet sich auch die Reihenfolge : Urteilsfolgebestimmung — Urteil, ζ. B . J e r 5 6 (zu den fehlenden Nominalsätzen in dem Urteil vgl. BOECKER Diss. S. 157) J e s 524 9 ι β . 21 22

Vgl. ν. RAD, Theologie des Alten Testaments, B d . I I , München 1960, S. 50. BOECKER Diss. S. 9 5 1 ; vgl. auch Evang. Theol. 1960, S. 409.

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Die prophetische Gerichtsrede und die profane Gerichtsverhandlung

Dieser Erklärungsversuch erscheint zunächst recht einleuchtend. Auf die Annahme einer Beziehung der prophetischen Gerichtsrede zum Kultus müßte man nun aber verzichten. Doch hier wollen wir gleich fragen: Wo bleiben nun die bereits angedeuteten Argumentationen W Ü R T H W E I N S ? Sollen sie wirklich in allen Punkten erledigt sein ? Diese Frage sei hier nur kurz gestellt, wir werden sie unten wieder aufzugreifen haben. In diesem Zusammenhang kam es uns lediglich darauf an, die deutlichen Beziehungen der prophetischen Gerichtsrede zu den entsprechenden profanen Gattungen zu konstatieren. ZU 2: D I E BEZEICHNUNG »PROPHETISCHE G E R I C H T S R E D E « ALS S A M M E L B E G R I F F

Die Formanalyse hat ergeben, daß der in der Gattungsforschung geläufige Begriff »prophetische Gerichtsrede« zur Bezeichnung einer prophetischen Gattung irreführend ist. Er bezeichnet nicht eine einzige Gattung wie etwa die Bezeichnung »Mahnwort« oder »Heilsorakel«, sondern er kann nur als Sammelbegriff für eine ganze Reihe verschiedener Gattungen Verwendung finden, die unter sich allerdings alle gemeinsam haben, daß sie aus dem Bereich des profanen Rechtslebens entlehnt sind. Doch trotz dieser Gemeinsamkeit haben alle eine verschiedene Formensprache und zum Teil auch einen verschiedenen »Sitz im Leben«. So ist der »Sitz im Leben« einer Appellationsrede eben nicht die Gerichtsverhandlung selbst, sondern die Auseinandersetzung vor der eigentlichen Verhandlung. Diese findet noch nicht am Gerichtsort statt, sondern irgendwo im Lande, wo die streitenden Parteien gerade aufeinandertreffen. Aber auch die Reden, die den eigentlichen Prozeßverlauf als »Sitz im Leben« voraussetzen, bilden in sich noch keine Einheit im Sinne der Gattungsforschung. Es ist doch ein grundsätzlicher Unterschied, ob etwa Jahve als Ankläger oder als sich verteidigende Rechtspartei spricht, ein Unterschied, der im Grunde schon für die beiden Formen der Appellationsreden zutrifft. Diese verschiedenen Rollen der Sprecher führen dann auch, wie die Beispiele erkennen lassen, zu einer grundsätzlich verschiedenen Struktur und Formensprache der Reden. Und noch größer als der Abstand zwischen den Reden der beiden Rechtsparteien untereinander ist der zwischen dieser Gruppe von Gerichtsreden und den Reden des Richters. Weder klagt er an, noch verteidigt er sich, sondern er konstatiert, fällt das Urteil und begründet es. Damit haben wir also folgende Gattungen von Gerichtsreden zu unterscheiden : 1. Die Anklagereden :

a) Appellation des Beschuldigers b) Rede des Klägers vor Gericht

Die prophetische Gerichtsrede und die profane Gerichtsverhandlung

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2. Die Verteidigungsreden : a) Appellation des Angeschuldigten b) Rede des Angeklagten oder Fremdverteidigungsrede 3. Die Reden des Richters Es erweist sich jetzt als ein offensichtlicher Mangel der meisten bisherigen Arbeiten über die prophetischen Gerichtsreden, daß sie diese grundlegenden Unterschiede nicht genügend beachtet haben, sondern mehr oder weniger immer von einer Pauschalgattung der Gerichtsreden ausgingen und versuchten, allgemeine Pauschaltheorien über die Gerichtsreden aufzustellen23. Versucht man ζ. B. die prophetische Gerichtsrede aus dem Kultus herzuleiten und sieht man ihren Ursprung in einer kultischen Gerichtsliturgie, in der Jahve sein Bundesvolk oder die Fremdvölker anklagt, so muß unbedingt auch die Frage nach den Gerichtsreden gestellt werden, in denen Jahve als Verteidiger spricht. Paßt das auch in eine Kulthandlung hinein ? Und wie steht es mit den Appellationsreden? Lassen sie sich auch noch von dieser kultischen Gerichtssituation her verstehen24 ? Diese beiden entscheidenden Ergebnisse unserer bisherigen Überlegungen nötigen uns nun, die eingangs umrissene Fragestellung etwas zu konkretisieren bzw. zu variieren. Glaubten wir von der These ausgehen zu dürfen, daß die Propheten die Form ihrer Gerichtsreden aus dem profanen Rechtsbereich entlehnt haben, so muß man jetzt in aller Deutlichkeit nach dem Grund für diese Entlehnung fragen. Genügt hier wirklich der Hinweis auf die gleiche Anklagesituation? Damit wird ja auch nur auf die Gattung der Anklagereden geblickt, während die Verteidigungsreden mit ihrer gänzlich anderen Struktur nach wie vor außer Betracht bleiben. Es müssen doch in der Gedankenwelt der Propheten, die ihre Worte in die Form der Gerichtsreden kleideten, Traditionen und Gedanken lebendig gewesen sein, zu deren Aktualisierung und Verkündigung sich die profane Redeweise als zweckmäßig anbot. Konkret: Es ist doch wohl kaum anzunehmen, daß Jahve erst durch die Übernahme der profanen Gattungen in den Rollen von Akteuren einer Gerichtsverhandlung erscheint, als Ankläger, als Angeklagter oder als Richter. Sondern diese Vorstellungen müssen doch irgendwie vorgegeben sein, und nur weil sie es waren, konnten die Propheten, um sie in eindrücklicher Als Ausnahme ist allerdings auf die Studien zu Deuterojesaja von J O A C H I M hinzuweisen; vgl. auch H E I N Z R I C H T E R , Studien zu Hiob, Berlin 1 9 5 9 , S. 3 1 ff. 2 4 Diese zugespitzte Fragestellung verdanke ich erst H. J . B O E C K E R . Daher bemängelt er mit Recht, daß die Berücksichtigung der Verteidigungsreden in meiner Dissertation »Anlaß und Hintergrund der Verkündigung des Deuterojesaja« (Bonn 1953, S. 40ff.) fehlt; vgl. B O E C K E R , Evang. Theol. 1960, S. 409f. So konnte ich damals auch noch uneingeschränkt für die kultische Herleitung der prophetischen Gerichtsreden eintreten. 23

BEGRICH

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Weise zu verkündigen, auf die profanen Redeformen zurückgreifen. Es war doch nicht so, daß die Vorstellungen von dem Gotte Israels durch die Nachahmung der Reden aus dem Rechtsleben bereichert worden sind, sondern es war umgekehrt: Weil die Vorstellungen von dem Gott Israels so reichhaltig waren, deshalb konnte man fremde Redeweisen übernehmen. Daher ist jetzt ganz zugespitzt zu fragen: Welche Traditionen und Vorstellungen im Denken der Propheten waren es, die zur Übernahme der profanen Gerichtsreden geführt haben ? Doch die Mannigfaltigkeit unter den Gattungen der Gerichtsreden warnt uns, diese Frage so allgemein stehen zu lassen. Wollen wir uns vor der Gefahr einer erneuten Pauschaltheorie schützen, muß diese Frage unterteilt werden : 1. Welche Vorstellungen haben zur Übernahme der Anklagereden geführt ? Dabei wird es erlaubt sein, die Appellationsreden des Beschuldigers mit den Reden des Klägers vor Gericht zusammenzunehmen. Beide Gattungen haben wohl einen verschiedenen »Sitz im Leben«, aber im Rahmen unserer Fragestellung kommt es auf die innere Struktur der zu behandelnden Gattungen an, und die ist bestimmt durch die Rollenverteilung, die in beiden Gattungen im Grunde genommen gleich ist. Jahve beschuldigt oder klagt an, während Israel als der Beschuldigte oder Angeklagte vor ihm steht. 2. Welche Vorstellungen haben zur Übernahme der Verteidigungsreden geführt ? Auch hier können wieder die Appellationsreden des Beschuldigten mit den Reden des Angeklagten zusammengenommen werden, denn auch hier ist die innere Struktur gleich. Jahve verwahrt sich gegen die Vorwürfe seines Volkes. 3. Welche Vorstellungen haben zur Übernahme der Reden des Richters geführt ? Wie berechtigt diese Fragen sind, wird sich jetzt zeigen, wenn wir uns in einem besonderen Paragraphen noch einmal die Frage nach dem Verhältnis der prophetischen Gerichtsreden zu ihren profanen Vorbildern zuwenden. Mußten wir bisher die auffallend engen Beziehungen betonen, so gilt es jetzt, auf einen entscheidenden Unterschied hinzuweisen. Wir werden auf ihn stoßen, sobald wir nach der Rollenverteilung in den prophetischen Gerichtsreden fragen. § 3: DIE ROLLENVERTEILUNG IN DEN PROPHETISCHEN GERICHTSREDEN Hier haben wir es mit einer der entscheidenden Grundfragen zu tun, von deren richtigen Beantwortung das Verständnis der prophetischen Gerichtsreden wesentlich abhängt. In einigen Punkten liegen die Dinge klar. In den Anklagereden ist Israel der Beschuldigte bzw.

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der Angeklagte, während Jahve aus der Position des Klägers spricht. In den Verteidigungsreden ist das Verhältnis umgekehrt. Jahve ist der Beschuldigte oder Angeklagte, Israel befindet sich in der Rolle des Beschuldigers bzw. Klägers. Aber wer ist der Richter ? Das ist die Frage, von der hier alles abhängt. Überblickt man die prophetischen Gerichtsreden als Ganzes, dann scheint es hier zwei Möglichkeiten zu geben. In einigen Einheiten werden Himmel und Erde oder Berge und Hügel genannt. Sie könnten als Richter, die in dem Rechtsstreit zwischen Jahve und Israel um ein Urteil angerufen werden, angesehen werden1. Ζ. B. Jes 1 2: »Höret ihr Himmel, horche auf, o Erde! Denn der Herr redet.«2

Daneben gibt es aber auch Einheiten, in denen Jahve als Richter erscheint, obwohl er gleichzeitig auch Ankläger bzw. Verteidiger ist 3 . Damit stehen wir wieder vor der merkwürdigen Identität von Richter und Rechtspartei, die wir oben bereits festgestellt hatten. An zwei Beispielen sei dieser Tatbestand kurz erläutert : Jer 2 1-3 : Diese Einheit gehört zur Gattung der Fremdverteidigungsreden. Jahve bringt zugunsten des Angeklagten Entlastungsmaterial vor. Aber wo ist das Gericht, dem er es unterbreitet ? Darüber wird nichts gesagt. Wäre diese Einheit so zu verstehen, daß ein Verteidiger sein Plädoyer in Richtung auf ein Gericht hält, müßte "DT hier statt im Kai im Hi stehen mit der Bedeutung »hiermit bringe ich zu deinem Gunsten ins Gedächtnis«. Das Kai dagegen »hiermit gedenke ich zu deinem Gunsten«, scheint nur im Munde eines Richters möglich zu sein, der für den Angeklagten spricht, der also gleichzeitig die Rolle des Verteidigers übernommen hat. Damit legt sich für diese Einheit der Schluß nahe, daß Jahve einerseits der Richter ist, daß er aber andererseits auch wie ein Advokat eine Rechtspartei vertritt 4 . Hos 4 i - 3 6 : v. 1 beginnt mit der Proklamationsformel, in der die »Israelsöhne« zum Hören auf ein Jahvewort aufgefordert werden, denn Jahve hat einen Rechtsstreit mit ihnen. Wegen der Wendung öS 3,*i, die ursprünglich in die Rede des Anklägers gehört®, sollte man erwarten, daß Jahve als Kläger die »Israelsöhne« vor ein Gericht 1 Mi 6 1 Jer 2 12. 2 Diese Deutung findet sich z. B. bei HANS SCHMIDT, Die großen Propheten, 2 . A u f l . 1 9 2 3 , S . 4 7 ; ARTUR WEISER, A T D B d . 2 4 , S . 2 5 0 ; T h . R . ROBINSON i n ROBIN-

SON-HORST, Die Zwölf Kleinen Propheten, Handb. z. AT, 1. Reihe Bd. 14, 2. Aufl. 1 9 5 4 , S . 1 4 6 ; BOECKER D i s s . S . 8 5 . 3 4 5

Jes 313-15 51-7 Jer 2 1-3 Hos 41-3. Vgl. BOECKER Diss. S. 108ff. Zu den übrigen in Anm. 3 genannten Texten siehe oben § 2 unter den Anklage-

reden. β

V g l . H . W . WOLFF a . a . O. S . 8 3 .

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zitiert. Aber der folgende Gottesspruch zeigt dann überraschenderweise die Form eines richterlichen Urteils mit Urteilsfolgebestimmung. Jahve klagt also Israel an, um ihm selbst das Urteil zu sprechen. Damit ist er Kläger und Richter in einer Person. Diese Beispiele zeigen bei deutlichem Hinsehen, daß Jahve der Richter gleichzeitig auch eine Rechtspartei sein kann. Doch daneben stehen nun die Einheiten, in denen Himmel und Erde oder Berge und Hügel angerufen werden. Aber sind diese kosmischen Größen tatsächlich Richter, die in dem Rechtsstreit zwischen Jahve und seinem Volk zu entscheiden haben ? Das ist die Frage, der jetzt nachgegangen werden muß. Wir beginnen zunächst wieder mit einer grundsätzlichen Vorüberlegung. Muß man wirklich in den prophetischen Gerichtsreden diese zwei verschiedenen Auffassungen über das Gericht voraussetzen, dann hätte das schwerwiegende Konsequenzen für diese Gattungen. Hier würde ein neues Trennungsprinzip eingeführt, nach dem die Gerichtsreden auch noch zu ordnen wären, denn diese verschiedenen Richtervorstellungen müßten sich zutiefst auf das Verständnis der einzelnen Reden auswirken. Es ist ja ein tiefgreifender Unterschied, ob Jahve als Rechtspartei dargestellt wird, die bereit ist, sich dem Spruch eines anderen unterzuordnen, oder aber, ob er in göttlicher Souveränität sein Volk vor seinen Richterstuhl zitiert, um ihm höchstselbst das Urteil zu sprechen. Dazu gesellt sich ein weiteres Moment. Ist Jahve in einer Gerichtsrede selbst der Richter, der vor Israel steht, dann ist diese Form kein bloßes Stilmittel, etwa eindrucksvolle Einkleidung einer Scheltrede, sondern dann findet wirklich Gericht statt, daß Israel in den Auswirkungen des göttlichen 131, den ihm der Prophet entgegenschleudert, als Realität zu spüren bekommt. Aber wie anders liegen die Dinge, wenn Himmel und Erde den Gerichtshof darstellen sollen, vor den Jahve sein Volk zitiert, um ein Urteil sprechen zu lassen ! Himmel und Erde oder Berge und Hügel sind kosmische Größen, denen in mythischer Redeweise richterliche Würden zugeschrieben werden. Ein wirkliches Gericht findet gar nicht statt, denn dem mythischen Gerichtshof eignet keine Realität. So wird auch niemals ein Urteilsspruch zu erwarten sein. Real wäre lediglich die Tatsache, daß Jahve sein Volk anklagt oder sich vor ihm verteidigt, doch auf diese Realität blickt man nur durch einen mythischen Schleier. Hier bliebe vieles eine lautstarke Stilform, der im Gegensatz zu dem wirklichen Gericht vor dem göttlichen Richter eine gewisse Theatralik nicht abzusprechen ist. Was soll wohl diese mythisierende Gerichtsvorstellung neben der anderen, deren Wirklichkeit sich kein Israelii entziehen konnte ? So meldet sich eine tiefe Skepsis gegen eine Deutung dieser kosmischen Größen als Richter über Jahve und Israel.

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Wir fügen einen weiteren Gesichtspunkt an. Warum ist es anscheinend oft so mühsam, in den genannten prophetischen Gerichtsreden der Identität des göttlichen Richters mit einer Rechtspartei nachzuspüren ? Sollte das nicht seinen Grund darin haben, daß diese Identität den Propheten wie ihren Hörern so selbstverständlich war, daß es sich erübrigte, darüber ein Wort zu verlieren ? Wenn Jahve zu einer Gerichtsverhandlung erscheint, dann ist er eben der Richter über Israel, ganz gleich, ob er nun zunächst Anklagen erhebt oder in Form einer Verteidigungsrede das Volk mit seinen Vorwürfen in die Schranken weist. Von hier aus legt sich uns die Vermutung nahe, daß in sämtlichen prophetischen Gerichtsreden Jahve der Richter ist. Diese Vermutung gilt es nun zu untermauern, indem wir zunächst nach der Rolle der kosmischen Größen, Himmel und Erde oder Berge und Hügel, fragen. Zunächst ist einmal festzustellen, daß an keiner Stelle des Alten Testaments expressis verbis gesagt wird, daß diese kosmischen Größen in dem Rechtsstreit zwischen Jahve und Israel das Richteramt versehen. Wohl aber läßt sich mit einiger Deutlichkeit ein Überlieferungselement aufzeigen, das von Himmel und Erde als Zeugen des göttlichen Handelns spricht. Das in Frage kommende Material sei hier in aller Kürze ausgebreitet, da man sich des Eindruckes nicht erwehren kann, als würden Himmel und Erde oft zu leicht in richterlichen Funktionen gesehen, ohne daß man versucht, für diese — wie es scheint — unhaltbare These das nötige Beweismaterial beizubringen. Dabei ist auszugehen von der Behandlung des Themas »Schöpfung« in der Psalmengattung der Hymnen. Wird hier die Schöpfung Jahves gepriesen, so werden als die äußersten Exponenten des Kosmos und als seine würdigsten und eindrucksvollsten Repräsentanten gerne Himmel und Erde benannt, Ps 96 5 104 2 f. 146 67. Sie legen ein beredtes Zeugnis ab von der Herrlichkeit ihres Schöpfers, »die Himmel erzählen die Ehre Gottes, und das Werk seiner Hände verkündigt die Feste«, Ps 19A. Dabei werden im Denken der Poesie die beiden kosmischen Größen als wirklich redende Zeugen vorgestellt, die hörbar erzählen und proklamieren8. Nun findet sich dieses beredte Zeugnis von Himmel und Erde aber nicht nur im Bereich der Schöpfungstheologie, sondern ebenso auch innerhalb der Heilstheologie. »Die Himmel künden seine Gerechtigkeit«, Ps 97 6. Unter »Gerechtigkeit« ist hier zweifelsohne das 7 Vgl. auch Ps 148 (4) 9, wo statt dessen Berge und Hügel erscheinen. Auch an Deuterojesaja ist hier zu erinnern, der dieses Motiv gerne in seinen hymnischen Aussagen über Jahve verwendet, Jes 40 22. 28 4 4 24 45 12.18 48 13 5113. 8 Vgl. H. J . KRAUS, Psalmen, B K Bd. XV-1, 1. Aufl., Neukirchen 1960, S. 154.

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gerechte Heilshandeln Jahves seinem Volke gegenüber gemeint9. In Ps 148 9 und Jes 55 12 erschallt der Lobpreis über das Heilshandeln Jahves »aus dem Munde« der Berge und Hügel 10 . So nehmen Himmel und Erde oder Berge und Hügel als ständige Zeugen wahr, was Jahve an Israel getan hat, und nun werden sie in der Psalmendichtung aufgefordert, von dem, was sie sahen, vor dem Forum des Kosmos Zeugnis abzulegen und auf diese Weise Jahve zu verherrlichen, Ps 69 35. Gewiß liegt hier wieder eine mythische Redeweise vor, aber diese Aussagen haben ihren theologischen Sinn. Durch dieses Motiv vom lobpreisenden Zeugnis des Kosmos wird das göttliche Heilshandeln an Israel in kosmische Dimensionen erhoben. So wie der einzelne Fromme in Israel vor der Kultgemeinde Zeugnis von dem Heilshandeln Jahves ablegt, um ihn zu verherrlichen, Ps 9 15 Jer 5110, so tun es auch die Repräsentanten der Schöpfung vor dem Forum des Kosmos 11 . Auf der anderen Seite sind Himmel und Erde aber auch Zeugen des Gottesgerichtes und nehmen an ihm Anteil. So trauern sie darüber, daß Jahve das Land Israels zu einer Wüstenei machen wird, Jer 428 Hos 43 12 . Dieses angeführte Stellenmaterial, das sich noch vermehren ließe, zeigt, wie verbreitet die Vorstellung von der Teilnahme der repräsentativen Vertreter des Kosmos als Zeugen des göttlichen Handelns ist. Dieses Motiv, das ursprünglich in der Hymnendichtung zu Hause ist, ist nun in die Vorstellung von dem Rechtsstreit Jahves mit Israel eingetragen. Durch diese Übertragung in die Rechtssphäre hat sich an der Funktion der kosmischen Repräsentanten nichts geändert, lediglich die Szenerie ist anders geworden. Ihre Aussagen, die sie nach den in den Hymnen lebenden Vorstellungen schon immer machten, werden jetzt zu Aussagen vor Gericht, Ps 50 6. Werden sie in den Gerichtsreden dagegen zu besonderer Aufmerksamkeit aufgerufen, Jes 1 2 Mi 6 1 Jer 2 12, so deshalb, weil sie jetzt ein neues Tun Gottes an seinem Volk erleben werden, das sie noch- nicht gesehen haben, nämlich Verurteilung und Gericht, dessen Rechtmäßigkeit sie aber als Teilnehmer an der Gerichtsverhandlung jederzeit bezeugen können. Damit stehen wir vor dem Ergebnis, daß die Repräsentanten des Kosmos, wenn sie in den prophetischen Gerichtsreden erscheinen, als Zeugen gedacht sind. Entweder sollen sie für Jahve aussagen, oder aber sie sollen als Zeugen der Verhandlung beiwohnen. Vgl. H. J . K R A U S a. a. O. Bd. XV-2, S. 673. Ob Ps 89 β in diesem Zusammenhang genannt werden muß, oder ob diese Stelle zum Thema »Schöpfung« gehört, ist nicht sicher zu entscheiden. 1 0 In Ps 148 9 und Jes 55 12 ist der Chor noch erweitert durch die Repräsentanten der Fauna und Flora; vgl. auch Jes 44 23 und 49 13. 1 1 Es darf jedoch nicht unbeachtet bleiben, daß die Repräsentanten des Kosmos auch als Empfänger der Heilstaten erscheinen können, ζ. B. Ps 65l3i. 72 3. 9

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Z. d. St. vgl. H . W . W O L F F a. a. O. S.

81.

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Noch von einer ganz anderen Seite her werden wir zu dem gleichen Ergebnis geführt. Damit wenden wir uns jetzt einigen Stellen aus dem Deuteronomium zu. Hier werden Himmel und Erde als Zeugen dafür angerufen, daß Mose das Bundesvolk ermahnt hat, bei den göttlichen Geboten zu bleiben, anderenfalls würde es bald aus dem von Gott gegebenen Land vertilgt werden, Dtn 4 26 und ähnlich Dtn 3019. Am Anfang des Moseliedes, Dtn 32 ι, und in dem dazugehörenden Rahmenstück, Dtn 31 27b-3013, erscheinen Himmel und Erde als Zeugen dafür, daß Mose den »Ältesten der Stämme« an der Schwelle und unmittelbar vor seinem Tode noch einmal die Worte des Gesetzes und seine »Lehre« vorgetragen hat. Hier erscheinen Himmel und Erde im Zusammenhang mit der Verkündigung des Gesetzes, bzw. im Rahmen der Gesetzesparänese. Die Verkündigung des Gesetzes war, wie wir heute wissen, ein Teil der Liturgie des Bundeserneuerungsfestes, bei dem Israel immer wieder neu in den Jahve-Bund hineingestellt wurde 14 . Wir haben es somit in den genannten Stellen des Deuteronomiums mit dem im Kultus immer wieder neu geschehenden Akt des Bundesschlusses zu tun, bei dem Himmel und Erde als Zeugen auftreten. Dazu gibt es, wie G E O R G E E. M E N D E N H A L L gezeigt hat, interessante Parallelen aus alten hethitischen Staatsverträgen 15 . In den überlieferten Vertragstexten werden häufig die Götter der Hethiter wie auch die ihrer Vertragspartner als Zeugen der getroffenen Vereinbarung genannt. Aber es finden sich auch Urkunden, in denen diese Aufzählungen erweitert sind durch die Nennung der vergöttlichten Berge, Ströme, Quellen, Winde und Wolken, aber auch, was uns besonders interessiert, Himmel und Erde. Diese kosmischen Repräsentanten gehören also offenbar in die Vorstellung von einem Bundesschluß hinein. Eine derartige Zeugenanrufung, wie wir sie im Deuteronomium finden, hat aber noch eine andere Seite. Was würde geschehen, wenn die Ermahnungen und Belehrungen, die bei dem Bundesschluß oder der Bundeserneuerung vor den Ohren der genannten Zeugen ausgesprochen wurden, vergeblich gewesen wären ? Dann würde Jahve die 13 Zu dem literarkritischen Problem dieses Stückes vgl. M A R T I N N O T H , Überlieferungsgeschichtliche Studien, Halle 1943, S. 40. 14 Vgl. G. V. RAD, Das formgeschichtliche Problem des Hexateuch, in Ges. Studien zum Alten Testament, Theologische Bücherei Bd. 8, München 1958, S. 40. Zu Dtn 30 13 vgl. v. RAD, Gerechtigkeit und Leben in der Kultsprache der Psalmen, Ges. Studien S. 235. 15 G E O R G E M E N D E N H A L L , Law and Convenant in Israel and the Ancient Near East, The Biblical Colloquium, Pittsburgh, Pennsylvania 1955; jetzt auch in deutscher Ubersetzung, Recht und Bund in Israel und dem Alten Vorderen Orient, Theologische Studien Heft 64, Zürich 1960, S. 24.

W a l d o w , Traditionsgeschichtl. Hintergrund

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mit den Ermahnungen verbundenen Drohungen verwirklichen, und Himmel und Erde wären plötzlich die Zeugen, die zu bestätigen hätten, daß der Bundesgott mit seinem Tun recht handelt 1 5 \ Das ist die Situation, die wir in den prophetischen Gerichtsreden finden. Die eindrucksvollen Repräsentanten der göttlichen Schöpfermacht, die traditionellen Zeugen des Handelns Gottes an seinem Volk, bestätigen die Rechtmäßigkeit des Gerichtes an Israel. Durch ihre Gegenwart auf der Bühne des Rechtsstreites Jahves mit seinem Volk wird das Gerichtshandeln Jahves in kosmische Dimensionen erhoben, so wie es bei seinem Heilshandeln auch schon der Fall war. Mit diesen Überlegungen können wir die Frage der Rollenverteilung in den prophetischen Gerichtsreden abschließen. Himmel und Erde oder Berge und Hügel erscheinen niemals in der Rolle eines Richters. Auf zwei Wegen sind wir dagegen zu der Erkenntnis gelangt, daß sie, werden sie besonders genannt, die Rolle von Zeugen zu spielen haben. Schalten diese kosmischen Größen somit für die Rolle des Richters aus, so haben wir jetzt eine entscheidende Stütze gefunden für die oben geäußerte Vermutung : In sämtlichen prophetischen Gerichtsreden ist Jahve selbst der Richter, ganz gleich ob er nun identisch ist mit dem Ankläger oder mit dem Verteidiger. Bevor nun versucht werden soll, diese These weiter zu begründen, erinnern wir uns noch einmal an das Ergebnis des vorigen Paragraphen. Dort war deutlich geworden, daß die Formensprache der prophetischen Gerichtsreden aus dem profanen Rechtsbereich entlehnt worden ist. Bei dem Blick auf die Rollenverteilung zeigte sich dagegen jetzt, daß in sämtlichen Gerichtsreden der Propheten Jahve als der Richter identisch ist mit einer der beiden Rechtsparteien. Nun will es zunächst scheinen, als seien beide Feststellungen nur schwer miteinander zu vereinen. Denn muß nicht jetzt auch die Frage nach dieser merkwürdigen Identität in der hebräischen Rechtsgemeinde gestellt werden? Ist es möglich, daß hier der Richter mit einer Rechtspartei identisch ist? Diese Frage ist wohl klar zu verneinen. Beamtete Richter, die selbst in ein Verfahren verwickelt werden konnten, gab es ja nicht. Die streitenden Parteien bestellten ihre Richter aus den freien Bürgern ihres Ortes, wie Ruth 4 ι fi. schön zeigt 1β . So ist es aber undenkbar, daß jemand seinen Prozeßgegner um einen Rechts16» YGJ < J A Z U H . B. H U F F M O N , The Convenant Lawsuit in the Prophets, Journal of Biblical Literature 78, 1959, S. 292 f. ιβ Vgl. dazu R O L A N D D E V A U X , Das Alte Testament und seine Lebensordnungen, Freiburg 1 9 6 0 , S . 2 4 6 . B O E C K E R bemüht sich, diese merkwürdige Identität auch im hebräischen Rechtsleben nachzuweisen und verweist dabei auf das Gerichtsverfahren, das Saul gegen die Benjaminiten und gegen Abimelek durchführt, I Sam 22 8-19; vgl. Diss. S. 91 ff. Aber es darf doch nicht übersehen werden, daß es sich hier nicht um ein Verfahren im Bereich der Laiengerichtsbarkeit handelt, sondern um einen Hoch-

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entscheid gebeten hätte. Haben wir also die Form der prophetischen Gerichtsrede aus den Formen der Reden des profanen Rechtslebens abzuleiten, so geht das bei der Identität von Richter und Rechtspartei nicht mehr. Hier rücken die zunächst so eng verwandten Redeformen, die prophetischen Gerichtsreden und ihre profanen Vorbilder, wieder deutlich voneinander ab. Vermutlich gehört diese Identität Jahves mit einer Rechtspartei in die Traditionen und Vorstellungen hinein, die den Propheten vorgegeben waren und die es ihnen überhaupt erst ermöglichten, ihren Worten die Form der profanen Gerichtsrede zu geben. Aber welche Traditionen waren das? Danach ist jetzt weiterzufragen. An dieser Stelle wird deutlich, daß die rein formgeschichtliche Fragestellung dem komplizierten Tatbestand der prophetischen Gerichtsreden nicht beizukommen vermag. Es muß die traditionsgeschichtliche Fragestellung hinzukommen 17 . Einen ersten noch undeutlichen Hinweis auf den Komplex, den wir nun ins Auge zu fassen haben, vermag vielleicht die Erwähnung der kosmischen Zeugen, Himmel und Erde, in einigen Gerichtsreden zu geben. Wir erkannten unter anderem in ihnen die Zeugen wieder, die bei dem Bundesschluß angerufen wurden. Sollten wir hier nicht, im Bereich der Bundesvorstellung, auf die Traditionen stoßen, die bei den Propheten in der Form der Gerichtsreden eine ihrer Ausgestaltungen gefunden hätte ? § 4: D I E P R O P H E T I S C H E N G E R I C H T S R E D E N U N D D I E BUNDESTHEOLOGIE

In seinem eingangs erwähnten Aufsatz, »Der Ursprung der prophetischen Gerichtsrede«, hat E R N S T W Ü R T H W E I N mit Nachdruck auf den engen Zusammenhang zwischen den prophetischen Gerichtsreden verratsprozeß, also um ein Verfahren, das in die Zuständigkeit des neugeschaffenen Königtums gehört. Da man damals ja die Unterscheidung zwischen Staatsanwalt und Richter noch nicht kannte, erscheint der König ganz selbstverständlich als Ankläger und Richter. — Andererseits ist es aber auch nicht möglich, die Identität von Richter und Rechtspartei in dem Rechtsstreit zwischen Jahve und Israel als Beleg dafür anzuführen, daß es diese Identität auch im profanen Gerichtsverfahren gegeben habe; s o H . RICHTER, a. a. O. S. 40. 17

Wir stoßen hier auf eine der Grenzen der formgeschichtlichen Methode. Es ist immer richtig und förderlich, nach der Form der Prophetenworte zu fragen und nach der Herkunft dieser Formen. Aber bei Übernahme von Formen aus ursprünglich fremden Bereichen muß immer damit gerechnet werden, daß diese Formen durch den neuen Inhalt umgeprägt oder irgendwie verändert worden sind. Ob das geschehen ist, und welche inhaltlichen Motive dabei wirksam waren, kann, wie das Beispiel der prophetischen Gerichtsreden zeigt, oft nur durch die traditionsgeschichtliche Fragestellung geklärt werden. 2*

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und dem Bundesgedanken hingewiesen. Allein schon die Tatsache, daß Erörterungen über das Gott-Volk-Verhältnis im Rahmen rechtlicher Institutionen und in der Terminologie des Rechtslebens erfolgen können, setzt voraus, daß die Gerichtsreden die Beziehung zwischen Jahve und Israel in rechtlichen Kategorien sehen. So werden wir von den prophetischen Gerichtsreden unmittelbar zur Vorstellung des Bundes Gottes mit Israel geführt. Werden in den Anklagereden der Gerichtsreden Anklagen gegen Israel erhoben, so setzt das voraus, daß Israel Jahve gegenüber rechtliche Verpflichtungen eingegangen ist, denn »nur wo eine Verpflichtung besteht, kann eine Anklage erhoben werden«1. So knüpfen die Anklagen in den prophetischen Gerichtsreden gerne an Gebote Jahves an, »das liegt so deutlich auf der Hand, daß wir hier von einem Nachweis im einzelnen absehen dürfen«2. Und zwar ist es die Bundesvorstellung, wie sie in dem Überlieferungskomplex der Sinaitradition ihre Ausprägung gefunden hat, an die die prophetischen Gerichtsreden anknüpfen, denn hier finden wir sowohl die rechtlich fixierte Form des Gottesverhältnisses als auch die Verpflichtung des Volkes auf einen offenbarten göttlichen Rechtswillen. Das sind die Thesen Würthwexns, die in eine Untersuchung über unsere prophetische Gattung unbedingt einbezogen werden müssen. In einem Punkt sollen sie aber noch ergänzt werden : Auch die Gattung der Verteidigungsreden, in denen Jahve sich gegenüber Vorwürfen des Volkes zur Wehr setzt, setzt dieses rechtlich geordnete Gott-VolkVerhältnis voraus, denn nur wenn Jahve seinem Volk gegenüber eine rechtlich fixierte Verpflichtung eingegangen ist, kann man die Anklage gegen ihn erheben, er sei bundesbrüchig geworden. Schon hier ist es möglich, das Ergebnis unserer bisherigen Überlegungen in aller Vorsicht als eine These zusammenzufassen: Formal

betrachtet wurzeln die prophetischen Gerichtsreden im profanen Rechtsleben der hebräischen Rechtsgemeinde. Aber inhaltlich gesehen weisen sie zurück auf die Tradition vom Bunde Jahves mit Israel.

Diese Verwurzelung der prophetischen Gerichtsreden in der Bundestheologie kann noch an einem entscheidenden Punkt verdeutlicht werden. Wir wenden uns damit wieder der merkwürdigen Identität von Richter und Rechtspartei zu. Gerade durch sie erscheinen die prophetischen Reden ja doch wieder als etwas Besonderes neben ihren profanen Vorbildern, denn aus der profanen Gerichtsverhandlung im Tor war diese Identität nicht zu erklären. Wie sich nämlich zeigen läßt, handelt es sich hierbei um ein charakteristisches Element der Bundestheologie. Ein Blick auf den alttestamentlichen Bundesgedan1

Vgl. WÜRTHWEIN

a. a. O. S.

8.

Vgl. W Ü R T H W E I N a . a . O . S . 8 . Das deutlichste Beispiel ist wohl Hos 4 1 - 3 . Aber auch Jes 1 2-3 Jer 2 4-9.10-13.29-37 sind hier zu nennen. Hinter diesen Einheiten steht das erste Gebot des Dekalogs. 2

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ken, wie er durch den Begriff m a ausgedrückt wird, mag das verdeutlichen. Die neueren Arbeiten über die alttestamentliche berith-Vorstellung haben gezeigt, daß der berith-Begriff seinen ursprünglichen »Sitz im Leben« im profanen Bereich hat 3 . Hier bezeichnet die berith eine Rechtsform, durch die zwei Partner ihr Verhältnis zueinander vertraglich ordnen. Das Ziel eines solchen berith-Abschlusses ist die Herbeiführung und Sicherstellung eines schalom-Zustandes zwischen den beiden Vertragspartnern. Es wird ursprünglich mindestens drei verschiedene Formen einer m a gegeben haben : 1. Die sog. Suzeränitätsverträge : In ihnen regelt ein Souverän, etwa ein Großkönig, seine Beziehungen zu einem Vasallen 4 . Der Form nach ist dieser Vertrag unilateral, d. h. nur eine Partei, nämlich die des Souveräns, erlegt der anderen rechtlich fixierte Bedingungen auf, zu deren Einhaltung sich der Partner durch einen Eid verpflichtet. Diese Bedingungen legen im einzelnen fest, unter welchen Voraussetzungen die schalom-Gewährung seitens des Großkönigs in Kraft bleibt. Der Souverän hingegen geht keine besonderen Verpflichtungen ein®. 2. Die sog. Paritätsverträge: Diese Form einer m a wird unter zwei gleichrangigen Partnern geschlossen. Hier handelt es sich also um einen bilateralen Vertrag, in dem beide Partner in spezifizierter Form festlegen und eidlich bekräftigen, unter welchen Bedingungen sie zur Aufrechterhaltung des gegenseitigen schalom-Zustandes bereit sind6. 3. Neben diesen beiden genannten Formen scheint es noch eine Art Dreiecksvertrag gegeben zu haben, in dem ein Souverän eine m a zugunsten von zwei anderen abschließt. Auf diese Vertragsform hat MARTIN NOTH an Hand eines Beispiels aus den Mari-Texten aufmerksam gemacht 7 . 3

VGL· JOACHIM BEGRICH, Berit, ein Beitrag zur Erfassung einer alttestamentlichen

D e n k f o r m , Z A W 6 0 , 1 9 4 4 , S. I f f . ; GEORGE E . MENDENHALL a . a . Ο . ; E . W Ü R T H W E I N ,

Der Sinn des Gesetzes im Alten T e s t a m e n t , Z T H K 1 9 5 8 , S. 2 5 5 ff. ; KLAUS BALTZER,

Das Bundesformular, Neukirchen, 1960. Siehe auch JOHANNES HEMPELin RGG 3 Bd. I, Sp. 1613ff. 4

Vgl. dazu MENDENHALL a. a. O. S. 3 1 f.

Ein schönes Beispiel eines derartigen Suzeränitätsvertrages findet sich m. E . in Ez 17 11 ff. Von Vertragsbedingungen, die dem Vasallen auferlegt werden, ist expressis verbis allerdings nicht die Rede. Aber der erwähnte Eid, in dem sie beschworen werden, setzt sie voraus. 6 Vgl. Gen 26 26 3. 7 Vgl. MARTIN NOTH, Das alttestamentliche Bundesschließen im Lichte eines Mari-Textes, in Gesammelte Studien zum Alten Testament, Theologische Bücherei Bd. 6, 2. Aufl. 1960, S. 142 ff. s

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Die prophetischen Gerichtsreden und die Bundestheologie

Mit gewisser Wahrscheinlichkeit wird der zuerst genannte Suzeränitätsvertrag als die Urform der beiden anderen Vertragsarten anzusehen sein. M E N D E N H A L L hat bereits vermutet, daß der Paritätsvertrag im Grunde nichts weiter darstellt als zwei Suzeränitätsverträge in verschiedene Richtungen hin. So macht sich jede Partei zum »Vasallen« der anderen8. Andererseits setzt die Vertragsform, in der ein Dritter einen Paritätsvertrag zwischen zwei Partnern vermittelt und abschließt, doch wohl voraus, daß diese beiden durch einen Suzeränitätsvertrag an den Vermittler gebunden sind, so daß tatsächlich eine Art Dreiecksvertrag entsteht 9 . Für unseren Zusammenhang ist nun die Feststellung wichtig, daß derartige Verträge, wie sie hier kurz beschrieben wurden, keine rein profanen Angelegenheiten waren, sondern daß sie auch eine sakrale Seite hatten. Diese Verträge wurden am Heiligtum in einer Kulthandlung geschlossen, bei der die vertragschließenden Parteien sich zu einem Opfermahl zusammenfanden, durch das der geschlossene Vertrag seine sakrale Dignität erhielt, Gen 31 46. 5410. Bei diesem sakralen Opfermahl galt auch die Gottheit als anwesend. Sie wurde bei dem Vertragsschluß als Zeuge angerufen und übernahm damit eine Art Protektorat über den vor ihren Augen zustandegekommenen Vertrag. Das wird besonders in den Fällen deutlich, wo wir in Verbindung mit einem Bundesschluß von einem Eid hören 11 . Hier wird die Gottheit als Richter angerufen, der im Falle der Verletzung den Vertragsbrüchigen zur Rechenschaft ziehen soll, Gen 31 53. Der Eid hatte dabei die Form der Selbst Verfluchung, die für den Fall des Vertragsbruches wirksam werden sollte. Die angerufene Gottheit hätte in diesem Fall die einst ausgesprochenen Flüche über dem treulosen Partner Wirklichkeit werden zu lassen12. Eine weitere Frage ist nun, welche dieser oben skizzierten Vertragsformen die Vorlage bei der Beschreibung des Verhältnisses zwischen Jahve und Israel mit dem Begriff Γ Ρ Ί 3 gewesen ist. Es spricht vieles dafür, daß wir die Jahve-berith der Sinaitradition in Analogie zu den profanen Suzeränitätsverträgen sehen müssen. M E N D E N H A L L hat in seiner genannten Arbeit auf verblüffende Parallelen zwischen alten hethitischen Beispielen aus dem 2. J t . v. Chr. und der Überlieferung vom Jahve-Bund verwiesen. So beginnen die hethitischen Parallelen mit einer Selbstvorstellung des Großkönigs. Ihr folgt gern ein betonter Hinweis auf die vergange8

A. a. o. s.

9

Vgl. M. NOTH a. a. O. S. 1 4 3 u n d S.

10

31. 150.

E i n anderes Bundesschlußritual schien das Zerschneiden eines Opfertieres

vorzusehen, Gen 15 7 ff. J e r 3 4 l 8 f . , vgl. dazu M. NOTH a. a. O. π J o s 9 1 5 Gen 21 22ff. 26 30f. 3 1 5 3 . 12

Vgl. MENDENHALL a. a. O. S. 2 6 u n d BALTZER a. a. O. S.

24f.

Die prophetischen Gerichtsreden und die Bundestheologie

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nen Taten des Wohlwollens dem Vasallen gegenüber. Daran schließt sich die Fixierung der Vertragsbedingungen, und unter anderem folgt schließlich noch eine Liste von Gottheiten, die als Zeugen und Garanten des Vertragsverhältnisses genannt werden. Oft sind dabei mit einbeschlossen Berge, Flüsse, Himmel und Erde. Den Abschluß dieser Formulare bildet dann eine Reihe von Segen und Fluchformeln 13 . Die alttestamentlichen Parallelen hierzu liegen auf der Hand, wenn man etwa die Darstellung des Bundesschlusses von Jos 24 vergleicht. Die Selbstvorstellungsformel findet sich wieder, v. 2, der geschichtliche Rückblick begegnet, v. 3-1314, ebenso wie die Vertragsbedingungen, v. 25 b. Auch das Segen- und Fluchmotiv klingt an, v. 19 f. 16 . An einer, wie es nun scheint, nicht unwesentlichen Stelle unterscheiden sich aber diese alten hethitischen Parallelen von der Darstellung des Jahvebundes. In den alttestamentlichen Überlieferungen über den Bundesschluß zwischen Jahve und Israel fehlt die Liste der angerufenen Gottheiten 16 . Das hat einen verständlichen sachlichen Grund. Bei dem sakralen Bundesschlußzeremoniell übernahmen die angerufenen Gottheiten die Rolle von Protektoren über das neue Vertragsverhältnis. Sie waren es ja, die die Strafe über den möglicherweise bundesbrüchig gewordenen Partner bringen sollten 17 . Wie aber konnte das bei der Jahve-berith geschehen? Hier war der Gott, der sonst bei Bundesschlüssen angerufen wurde, selbst Vertragspartner. Die Möglichkeit, eine andere Gottheit anzurufen, Schloß sich wegen des Ausschließlichkeitscharakters Jahves von selbst aus. So mußte ganz zwangsläufig die alte, profane berith-Vorstellung umgeprägt werden. Jahve als der Souverän, der einem Volk einen Bündnisvertrag gewährt hatte, war selbst die göttliche Autorität, die über die Innehaltung des Bundes wachte. Wurde seitens des empfangenen Partners der Bund gebrochen, dann war er der hintergangene und geschädigte Vertragspartner, der den anderen anklagte. Aber als Gott war Jahve es auch, der für die Durchführung der Strafe sorgte. Sollte also Israel einmal die Jahve-berith brechen, so mußte Jahve plötzlich als Ankläger und 13

V g l . MENDENHALL a. a. O. S . 3 3 f f . u n d BALTZER a. a. O. S . 1 9 f f .

Vielleicht darf hiei^ auch an den heilsgeschichtlichen Rückblick erinnert werden, wie er in dem sog. kleinen geschichtlichen Credo, Dtn 26 5-11, vorliegt. 1 5 Auch die Segen- und Fluchformulare am Ende der alttestamentlichen Gesetzessammlungen sind hier zu nennen, ζ. B . E x 23 20 ff. Lev 26 und Dtn 27 und 28. 1 6 Darauf verweist bereits MENDENHALL a. a. O. S. 42. Vgl. auch BALTZER a. a. O. S. 33ff. 1 7 Ein schönes Beispiel dafür ist J e r 34 8 ff. Nach der jetzt vorliegenden Textgestalt (zum literarischen Problem vgl. WILHELM RUDOLPH, Jeremía, Handb. zum AT, 1. Reihe Bd. 12, z. d. St.) hatte der König Zedekia mit dem Volk von Jerusalem vor Jahve einen Vertrag geschlossen, nach dem die Sklaven freigelassen werden sollten. Doch dieser Vertrag wurde gebrochen. Daher tritt Jeremía auf, um im Namen Jahves die Strafe zu verkündigen. 14

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Die prophetischen Gerichtsreden und die Bundestheologie

Richter in eigener Sache vor seinem Volke stehen. Dies ergibt sich ganz folgerichtig aus dem hier dargelegten Vertragsdenken. Die Identität von Ankläger und Richter erscheint jetzt also als ein ganz selbstverständlicher Bestandteil der Bundestheologie. Von hier aus erscheint es verständlich, daß die Liste der angerufenen Gottheiten in den alttestamentlichen Überlieferungen fortgelassen werden mußte. Die Götternamen, wie wir sie in den hethitischen Parallelen finden, fehlen. Geblieben ist dagegen gelegentlich, wie bereits erörtert, die Nennung von Himmel und Erde oder Bergen und Hügel, aber nicht mehr in der Rolle von Protektoren und Garanten, sondern als Zeugen, die die Rechtmäßigkeit des Handelns Gottes zu bestätigen haben. Wenden wir uns von hier aus wieder den prophetischen Gerichtsreden zu ! Wir haben gesehen, daß es nicht nur das Denken in rechtlichen Kategorien ist, das die enge Beziehung dieser prophetischen Gattungen zur Bundestheologie erkennen läßt; es ist auch nicht nur die inhaltliche Entsprechung bezüglich der Gesetzestradition, auf die E. W U R T H W E I N hingewiesen hatte. Sondern vornehmlich zeigt sich diese Beziehung in der inneren Struktur der Gerichtsreden. Die Identität von Richter und Rechtspartei, die sich ganz notwendig und folgerichtig aus der Bundestheologie ergibt, hat den prophetischen Gerichtsreden ihre eigentümliche Struktur gegeben, die sie trotz aller formalen Verwandtschaft zu den profanen Gerichtsreden als eine Redeform sui generis erscheinen läßt. So gehören diese prophetischen Gattungen also in die Tradition vom Bund Jahves mit Israel hinein und sind von hier aus in ihrer Eigenart zu verstehen. Nun soll aber nicht übersehen werden, daß auf dieser natürlichen Inhärenz der Kläger-Richter-Vorstellung im Rahmen der Überlieferung vom Jahve-Bund kein besonderer Akzent zu liegen scheint. Diese Überlieferung ist weit mehr daran interessiert, die im Rahmen des Jahve-Bundes geschehenen Heilserweisungen zu bezeugen und darzustellen. Aber wenn es erforderlich erscheint, kann die KlägerRichter-Vorstellung ganz natürlich und selbstverständlich hervortreten, wie es zur Zeit der sog. klassischen Prophetie der Fall war. Die in dieser Zeit entstandenen Gattungen der prophetischen Gerichtsreden lassen erkennen, daß ihre Urheber wohl in der Tradition des Bundesglaubens lebten, daß sie ihm aber eine durchaus eigene Form verleihen konnten. Nachdem diese Zusammenhänge deutlich wurden, müssen wir vorläufig noch eine wesentliche Einschränkung machen. Von dem hier erörterten Zusammenhang zwischen Bundestheologie und prophetischen Gerichtsreden ist genau betrachtet eigentlich nur ein Licht auf die Anklagereden gefallen, in denen Jahve als der Hintergangene plötzlich als Ankläger und Richter vor Israel steht. Aber wie liegen

Die Anklagereden im Rahmen der Bundesvorstellung

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die Dinge nun bei den Verteidigungsreden, in denen Jahve sich vor Vorwürfen seines Volkes verteidigt und dabei gleichzeitig der Richter sein soll ? Erst wenn es gelingt, diese Verteidigungsreden ebenfalls in die Bundestheologie hineinzustellen, kann der Zusammenhang zwischen dieser Tradition und den Gerichtsreden endgültig behauptet werden. Das soll in einem weiteren Paragraphen geschehen. Zunächst allerdings müssen die Anklagereden auf dem hier gewonnenen Hintergrund noch genauer ins Auge gefaßt werden.

§ 5: D I E A N K L A G E R E D E N IM R A H M E N DER

BUNDESVORSTELLUNG

E R N S T WÜRTHWEIN hatte, wie eingangs erwähnt, versucht, die prophetischen Gerichtsreden aus dem israelitischen Kultus zu verstehen. Er ging dabei von der Voraussetzung aus, daß im Kultus Israels immer wieder neu das Gesetz verlesen und Israel darauf verpflichtet wurde 1 . Daran schließt er die Überlegung, wenn derartige Vorgänge im israelitischen Kultus belegt sind, »so wurde auch die Gemeinde an diesem Gesetz geprüft. Das konnte nicht ausbleiben, sollte nicht Verlesung und Verpflichtung lediglich zu einer Formsache herabsinken« 2 . Hier ist zu fragen, ob dieser Schluß zwingend ist, denn wohl ist die Verkündigung des Gottesrechtes im Kultus belegt, »aber die kultische Durchführung eines Rechtsverfahrens mit gezielter Anklage, Verteidigungsrede und rechtskräftiger Urteilsverkündigung durch dafür bestimmte Kultpersonen« hat sich eben nicht nachweisen lassen 3 . Spricht schon die so deutlich sichtbare profane Redeweise der prophetischen Gerichtsreden gegen einen »Sitz im Leben« im Kultus, so wird man aber auch fragen dürfen, ob die Annahme eines kultischen Gerichtsaktes zur Verkündigung des göttlichen Gerichtswillens überhaupt nötig ist. Einige alttestamentliche Stellen scheinen jedenfalls in eine ganz andere Richtung zu laufen. Sehr aufschlußreich ist hier das aus deuteronomistischer Feder stammende Programm des Richterbuches, Jdc 2 lifl. 4 . Dieses Stück, das am Anfang des Richterbuches in fast schematischer Weise den 1

Vgl. V. RAD, Das formgeschichtliche Problem des Hexateuch, in Gesammelte Studien zum AT, S. 32. 2

WÜRTHWEIN a. a . O . S. 12.

* So H. W. WOLFF, Hauptprobleme alttestamentlicher Prophetie, Evang. Theol. 1 9 5 5 , S. 4 6 1 . 4 Vgl. M. NOTH, Überlieferungsgeschichtliche Studien, Halle 1943, S. 6. Stammt dieses Stück auch erst aus deuteronomistischer Zeit, so sind die darin enthaltenen theologischen Vorstellungen gewiß älter. Lediglich die Vorstellung von einem periodischen Ablauf der Geschichte wird wohl deuteronomistisches Gedankengut sein.

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Die Anklagereden im Rahmen der Bundesvorstellung

Ablauf der Ereignisse während der Richterzeit vorausschauend darstellen will, läßt folgende Elemente erkennen : 1. Ungehorsam des Volkes gegenüber der Bundesverpflichtung, v. 10-13. 17.185. 2. Die Strafe des Bundesgottes für den Ungehorsam, »da entbrannte der Zorn Jahves über Israel«, v. 14-156. 3. Israel erkennt seine Unheilssituation unter dem Zorn Jahves und »schreit zum Herrn«, v. 16. Hinter dieser Wendung wird sich eine Bußliturgie am Heiligtum verbergen. Ein Sprecher des Volkes, vermutlich ein Kultprophet 7 , trug ein Klagegebet vor, das zwei Teile enthielt, nämlich ein Sündenbekenntnis und die Bitte um Hilfe 8 . Im Anschluß an dieses Gebet wird dann der Prophet in Form eines Orakels den göttlichen Heilswillen verkündigt haben". 4. Die tatsächliche Errettung aus der göttlichen Strafe, v. 16 und 18. Diese Errettung setzt voraus, daß Gott das zerstörte Bundesverhältnis wiederhergestellt hat.

Bemerkenswert an diesem deuteronomistischen Schema ist, daß an keiner Stelle angedeutet wird, daß Jahve seinem abgefallenen Volk die Strafe verkündigt hat. Es wurde lediglich gesagt, daß die Strafe vollzogen wurde. Dieses fehlende Straf- oder Gerichtswort Jahves kann auch nicht wegen der gedrängten Kürze der Darstellung weggelassen sein, denn diese Möglichkeit wird durch die Wendung in v. 15 ausgeschlossen, in der es heißt, das Unheil kam, »Wie Jahve geredet und wie Jahve ihnen geschworen hatte«. Das ist ein deutlicher Rückgriff auf den Bundesschluß, bei dem gesagt wurde, was geschehen würde, wenn Israel den Bund brechen sollte. Vermutlich haben wir hier an das Segen- und Fluch-Formular zu denken, das der Verkündigung des Gottesrechtes im Kultus folgte 10 und das auf die Segen- und Fluchformeln des Bundesschlußzeremoniells zurückgeht. Betrachtet man die Dinge in diesem Zusammenhang, dann wird deutlich, daß eine besondere Gerichtsverkündigung im Falle des Bundesbruches überhaupt nicht erforderlich war. Durch die Ausrufung der Segen- und Fluchformeln bei dem Akt des Bundesschlusses wurde bereits vorgebildet, was Israel zu erwarten hat, wenn es in den Bund hinein entlassen wird. Kommt es seinen Verpflichtungen 5 Vgl. v. 20 : »Weil dieses Volk meine Bundessatzung übertreten hat, die ich ihm anbefohlen hatte«. β Zum Text vgl. BHK. 7 Vgl. I Sam 15 11. 8 Vgl. I Sam 12 io oder Jdc 1015. 9 Zu den Klagefeiern des Volkes vgl. die Dissertation des Verfassers S. 73ff. Doch wird es sich hier um eine besondere Form der Volksklagefeier handeln, nämlich um einen Klage- und Bußakt zur Erneuerung des Bundes; vgl. dazu BALTZER a. a. O. S. 48 ff. 10 Vgl. v. R A D a. a. O. S. 33 ff.

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nach, so schafft es um sich herum eine »schicksalshafte Tatsphäre« 11 , in der Jahve die bei dem Bundesschlußakt ausgesprochenen Segenswünsche sich auswirken läßt. Übertritt es dagegen die Bundesverpflichtung, so gerät Israel in die andere Sphäre, in der sich unter dem Zorn Gottes die Fluchworte realisieren. Es bedarf also gar keiner neuen Strafankündigung, um das Gericht in Gang zu setzen, denn das, was auf die Übertretung zwangsläufig folgen wird, ist seit dem Bundesschluß als Möglichkeit schon immer da. An dem, was der Bundesgott seinem Volk widerfahren läßt, kann es erkennen, in welcher Sphäre es sich befindet. War Israel durch seinen Ungehorsam in die Sphäre der Fluchworte geraten, hatte es damit den Sünde-Unheils-Ablauf in Gang gesetzt und den Zorn seines Gottes erfahren, blieb ihm nur noch eine Möglichkeit. Es konnte in einer sakralen Bußfeier Gott um Gnade bitten, daß er den verhängnisvollen Kausalitätszusammenhang unterbricht und das ursprüngliche Verhältnis, wie es vor der Übertretung bestand, wiederherstellt. Dazu bedurfte es allerdings eines besonderen Wortes, das er dann auch durch das Erhörungsorakel während der Bußfeier verkündigen läßt. Eine willkommene Ergänzung zu diesem Schema liefert die Erzählung von Achans Diebstahl in Jos 7. Achan hatte sich an der dem Bundesgott geweihten Kriegsbeute vergriffen. Dadurch war die Ordnung des heiligen Krieges verletzt und das Gott-Volk-Verhältnis zerstört 12 . Der göttliche Zorn war über dem Bundesvolk entbrannt, und die Dinge nahmen ihren verhängnisvollen Verlauf, der israelitische Heerbann wurde geschlagen13. Daran erkannte das Volk, daß es sich, ohne es gewußt zu haben, in der verhängnisvollen Fluchsphäre befand. So folgte die in diesem Falle übliche Klagefeier, v. 6ff.Nach der Überlieferung spricht Josua das Klagegebet, v. 7-9, in dem allerdings das Sündenbekenntnis fehlt, da der Beter ja von dem Diebstahl Achans noch nichts weiß. Das folgende göttliche Orakel ist nun aber kein Heilsorakel, sondern es ist ein Gerichtswort, in dem begründet wird, warum Israel unter den Zorn Gottes geraten war: »Gesündigt hat Israel, ja sogar meine Bundessatzung haben sie übertreten, die ich ihnen anbefohlen hatte, ja von dem Gebannten haben sie genommen, haben gestohlen und gehehlt und es zu ihren Geräten getan. Daher können die 11 Vgl. K L A U S K O C H , Gibt es ein Vergeltungsdogma im Alten Testament ? ZThK 1955, S. Iff. 12 Vgl. V. RAD, Theologie des Alten Testaments Bd. I, Hünchen 1957, S. 263. 13 Da die Achan-Erzählung in ihrer vorliegenden Form mit der Ai-Uberlieferung verbunden ist, erscheint als Folge des Zornes die Niederlage bei Ai. Zu dem hier vorliegenden überlieferungsgeschichtlichen Problem vgl. M. NOTH, Das Buch Josua, Handb. z. AT. 1. Reihe Bd. 7, 2. Aufl. Tübingen 1953, S. 43ff.

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Die Anklagereden im Rahmen der Bundesvorstellung Israeliten nicht mehr vor ihren Feinden bestehen. Den Rücken müssen sie ihren Feinden zukehren, denn sie sind selbst zu Gebanntem geworden« 14 .

In diesem Orakel wird zunächst festgestellt, daß Israel den Bund gebrochen hat. Das klingt wie die Anklage des hintergangenen Bundespartners. Aber da Jahve, wie wir sahen, als der Hintergangene immer auch gleichzeitig der Richter ist, ist das ganze Orakel eine Art richterliches Urteil mit der Tatfolgebestimmung16. Allerdings ist es wichtig zu sehen, daß mit dieser Tatfolgebestimmung nicht etwa eine Strafe angedroht oder verhängt wird, sondern die Strafe, die Israel bereits erlitten hat, und die es nun unter der Realität der Fluchworte immer wieder neu erleiden kann, wird erklärt und begründet. Das Ganze ist also mehr Rechtsbelehrung. Von hier aus legt sich der Vergleich mit den richterlichen Urteilen und Tatfolgebestimmungen, die wir in der prophetischen Literatur haben, nahe. So ist ζ. B. die Brücke zu der Einheit Hos 4 1-3 sehr leicht zu schlagen: »Höret das Wort Jahves, ihr Israeliten, denn Gericht hält Jahve mit den Bewohnern des Landes. Fürwahr, es fehlt Zuverlässigkeit, es fehlt Gemeinschaftssinn, und kein Wissen um Gott ist im Lande. Verfluchen und Täuschen, Mord Raub und Ehebruch reißen ein 'im Lande', und Bluttat reiht sich an Bluttat. Darum soll das Land 'verdorren', hinwelken sollen alle seine Bewohner, mitsamt dem Getier des Feldes und den Vögeln des Himmels, und selbst die Fische des Meeres sollen hingerafft werden« 16 .

ν. ia ist die Exposition, die das göttliche Gerichtswort, das wir eben noch im Rahmen einer Kulthandlung sahen, in ein Gerichtsverfahren Jahves hineinstellt, v. ib-2 ist die Urteilsverkündigung17. 14

V. 12a ist wahrscheinlich nachträglicher Zusatz; vgl. NOTH a. a. O. Interessant ist ein Blick auf die Form dieses Orakels. Sie ähnelt sehr der Form der sog. richterlichen Urteile mit Tatfolgebestimmung; vgl. BOECKER Diss. S. 147 f. Von dem Täter wird in der 3. Pers. gesprochen. Im Urteilsspruch stehen die Verben im Perfekt, da eine abgeschlossene Handlung konstatiert wird. In der Folgebestimmung steht dagegen das Imperfekt, denn das, was hier gesagt wird, dauert noch an. Ein ähnlicher Text findet sich in Jdc 10 13. Er zeigt die gleichen Charakteristika. Dazu findet sich hier am Anfang der Tatfolgebestimmung das charakteristische ID1?· Man kann immerhin fragen, ob diese Orakel sich schon bewußt an die entsprechende Redeform der profanen Rechtsprechung anlehnen. 15

16

Zum Text vgl. H. W. WOLFF, Hosea, S. 81. Israel wird nicht wegen einer bestimmten Tat verurteilt, sondern wegen seines gottlosen Zustandes, daher jetzt die Nominalsätze. 17

Die Anklagereden im Rahmen der Bundesvorstellung

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Daran schließt sich in v. 3 die Urteilsfolgebestimmung18. Was ist hier gegenüber dem Gerichtsorakel aus Jos 7 anders geworden ? In Jos 7 war Jahve der ganzen Intention einer Klagefeier entsprechend um ein Orakel gebeten worden. Nur weil die Voraussetzungen nicht da waren, wurde aus dem erwarteten Heilsorakel ein Gerichtsorakel. Die gleiche Situation, die zur Verkündigung eines göttlichen Gerichtswortes herausforderte, ist auch bei Hosea gegeben, aber mit einem entscheidenden Unterschied. Der ganze kultische Rahmen fehlt, so hatte auch niemand um ein göttliches Orakel gebeten, denn offensichtlich ahnte ja niemand, daß das Verhältnis zu Gott nicht in Ordnung war. Die Initiative zur Verkündigung des Hosea-Spruches mußte damit von dem Propheten ausgehen. Das gab ihm die Möglichkeit, seinen Spruch in die Form einer Gerichtsverhandlung zu kleiden, zu der Jahve sein Volk als Ankläger zitiert, und in dem er ihm das Urteil spricht. Im Inhalt des Spruches hat sich dadurch gegenüber Jos 7 nichts geändert. In beiden Fällen wird dem Volk gesagt, wieso es den Bund gebrochen hat, daß es sich also in der Unheils-Fluchsphäre befindet und deshalb den Zorn Gottes tragen muß, und daß damit der Bundesgott zum Ankläger und Richter geworden ist. Lediglich der letzte Punkt, die Ankläger- und Richterfunktion, die in Jos 7 bereits latent enthalten war, tritt durch die neue Einkleidung des Hoseaspruches jetzt klarer hervor. Vielleicht möchte man einen Unterschied zwischen diesen beiden Gerichtsworten auch darin sehen, daß Israel nach Jos 7 den Zorn Gottes bereits ganz konkret durch eine Niederlage gespürt hat, während das in Hos 4 noch aussteht. Aber darauf kommt es hier gar nicht an. Wollte das Gerichtswort, das Josua hörte, erklären, daß Israel sich in der Sünde-Unheilsphäre befand, so gilt das gleiche auch von Hos 4 3. Es ist ja nicht zu übersehen, daß in der Beschreibung des Unheils bei Hosea nicht Jahve als Subjekt erscheint, ebensowenig wie in Jos 7 12 19 . Beide Sprüche verkünden also nicht etwa ein neues Gerichtshandeln, dessen Subjekt Gott wäre, sondern beide verkünden, daß Israel sich nicht mehr im Bereich der göttlichen schalom-Garantie befindet, und daß nun eine Kausalitätskette abläuft, die Gott schon längst festgelegt hat. Es mag deutlich geworden sein, wie eng sich die Gerichtsrede, Hos 4 1-3, an die Überlieferung von der Geschichte des Gottesbundes anschließt. Es war sogar eine kultische Situation sichtbar geworden, von der her Form und Inhalt des Hoseaspruches verständlich werden. Eingeleitet durch ]D ; vgl. wieder die charakteristischen Imperfekta. Der Schluß in v. 12 gehört nicht ursprünglich hinzu, vgl. Anm. 14. Etwas anders liegen die Dinge in Jdc 10 13. Dort erscheint Jahve zwar als Subjekt, aber dafür wird von der Strafe nur ganz allgemein gesprochen. »Darum werde ich euch nicht mehr erretten«, daran spürt Israel, daß es aus dem schalom-Bereich geraten ist. 18

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Die Anklagereden im Rahmen der Bundesvorstellung

Doch rechtfertigt diese Beziehung in keiner Weise eine These von einem kultischen »Sitz im Leben« der prophetischen Gerichtsreden, wie sie gelegentlich — allerdings auf Grund von anderen Zusammenhängen — vertreten worden ist. Diese kultische Situation war ja eben nicht die ζ. B. von W Ü R T H W E I N postulierte kultische Gerichtsliturgie, sondern es war eine Klagefeier ; es wurde auch kein Gericht verkündigt, sondern lediglich begründet, warum das erbetene Heilsorakel ausblieb. Außerdem weist die hier aufgezeigte Beziehung nur auf eine der unter den prophetischen Gerichtsreden möglichen Formen, von der es, soweit wir sehen, nur eine ausgeführte Einheit gibt, nämlich die Rede des Richters, der das Urteil spricht. Die Beziehung zu dieser kultischen Situation, in der das Heilsorakel verweigert wird, besteht also lediglich darin, daß der Anlaß zu den Gerichtssprüchen mit ihrer besonderen Form und ihrer inneren Struktur — Jahve steht als Ankläger vor dem ungetreuen Bundesvolk und muß als Schirmherr über sein eigenes Bundesverhältnis wie ein Richter das Urteil sprechen — in beiden Fällen der gleiche ist. Betrachtet man von hier aus die anderen prophetischen Gerichtsreden, dann zeigt sich, daß bei den Propheten der Ton gar nicht so sehr auf der Richterfunktion Gottes als vielmehr auf der Anklagefunktion liegt, die ja sowohl in Jos 7 als auch in Hos 4 deutlich durchschimmerte. So können sie Anklagereden formulieren, die lediglich Anklagen Gottes enthalten. Das richterliche Urteil erübrigt sich, da es ja der gleiche sprechen müßte, der die Anklagen vorgebracht hat. Bringt der göttliche Richter aber Anklagen vor, dann sind sie im Grunde schon ein Urteil. Aber auch der Vorschlag einer Strafe kann fehlen, denn bestehen die Anklagen zu Recht, ist bereits erwiesen, daß das Bundesvolk in die Sünde-Unheilsphäre geraten ist, wo das Unheil ganz von selbst kommt 20 . Das soll an dem Beispiel Jes 118-20 erläutert werden. Diese Einheit, die wir im Rahmen unserer Untersuchung mit den Anklagereden zusammengenommen haben, gehört zur Gattung der Appellationsreden, und zwar ist es eine Appellationsrede zur Einleitung eines Feststellungsverfahrens21 : »Auf, wir wollen uns ein Rechtsurteil fällen lassen, spricht Jahve. Wenn eure Sünden wie Scharlach sind, können sie dann für weiß gelten wie Schnee ? 2 0 Vgl. die Anklagereden Jes l 2 b - 3 3 13-15 und J e r 2 10-13. Wenn Jes 5 1-7 doch eine Straffestsetzung enthält, so liegt das an der besonderen, verschlungenen Form dieser Einheit. Die Straffestsetzung in v. 4 bestätigt das Urteil, das die Bürger Jerusalems nichtsahnend über sich selbst gesprochen haben; vgl. zu dieser Einheit BOECKER Diss. S. 85ff. 21

S. o. § 2 unter den Appellationsreden Abs. c.

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Wenn sie rot sind wie Purpur, können sie dann wie Wolle sein ? Wenn ihr willig seid und gehorcht, so werdet ihr das Gut des Landes essen, wenn ihr euch aber weigert und widerspenstig seid, werdet ihr 'vom Schwert' gefressen22«.

v. 18a ist die Appellationsformel. Jahve fordert seinen Bundespartner heraus, in einer Streitfrage, die die Grundlage des Bundesverhältnisses berührt, einen Rechtsstreit herbeizuführen. Das klingt zunächst noch ganz unverfänglich. Aber sobald dem scheinbar so »kollegial« angesprochenen Hörer aufgeht, daß der Richter in diesem Verfahren ja niemand anders als Gott sein kann, erhalten diese Worte eine unerhörte Durchschlagskraft, v. i8b und c formulieren die Streitfrage. Die angesprochenen Bundespartner meinen wohl, daß jede Sünde durch irgendein Sühne verfahren wieder beseitigt werden kann, so daß man sich ständig unter der göttlichen Heilsgarantie des Bundes befindet. Der Appellant dagegen ist anderer Ansicht. Nur im Falle des Gehorsams bleibt Israel unter der schalom-Zusage Gottes. Aber Ungehorsam bleibt Ungehorsam und Widerspenstigkeit bleibt Widerspenstigkeit ; das ist der Bereich der Sünde, der ganz selbstverständlich die Strafe folgt. Das klingt schon härter, erscheint aber zunächst noch wie eine unbewiesene Behauptung. Doch »der Mund des Herrn hat das gesagt«, d. h. der Richter, der hier zu entscheiden hat, ist ja der Bundesgott, und damit ist die bestrittene Meinung des Appellanten bereits ein apodiktisches Urteil. Wer sich mit seinem Bundesgott in ein Rechtsverfahren einläßt, hat das Urteil schon immer gegen sich. Angesichts dieser Sachlage gibt es für Israel nur noch zwei Möglichkeiten : Entweder es gibt in dieser Meinungsverschiedenheit nach und erkennt freiwillig die Ansicht seines Gottes an, verzichtet also auf das Gerichtsverfahren, »dann wird es das Gute des Landes essen«. Oder aber es besteht auf seiner Meinung, läßt es zu einem Verfahren kommen und ist damit als Sünder entlarvt. Wir können hier den Fragenkreis Bundestheologie—Anklagereden verlassen. Es sollte deutlich gemacht werden, wie erst auf dem Hintergrund der Bundestradition die Anklagereden der Propheten ihr eigentliches Gewicht erhalten. Erst in dieser Perspektive zeigt sich, daß die aus dem profanen Rechtsleben entlehnte Form der Gerichtsreden nicht nur eine Stilform oder eine Illustration der prophetischen Gerichtsworte darstellt, sondern diese Form ist schon an sich Kerygma. Sie erlaubt es, in kaum zu überbietender Deutlichkeit den Bundesgott als den hintergangenen Bundespartner zu zeigen, der nun das eintreten läßt, was Israel durch die Übertretung des ihm gewährten Heilsbundes selbst vorbereitet hat. 22

Vgl. BHK.

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Die Anklagereden im Rahmen der Bundesvorstellung

Jetzt bleibt uns nur noch ein Fragenkreis, nämlich die Verteidigungsreden Jahves. Lassen sie sich auch auf dem Hintergrund der Bundestheologie verstehen? Von unserer gewonnenen Position ausgehend müssen wir ja voraussetzen, daß auch in dieser Gattung Jahve — jetzt als der Angeklagte — identisch ist mit dem Richter. Daher muß unsere Frage konkret lauten: Ist es denkbar, daß Jahve sich gegen Anklagen seines Volkes verteidigen muß und gleichzeitig der Richter in eigener Sache ist? Fällt auf diesen für die Struktur einer Gerichtsverhandlung immerhin recht merkwürdigen Tatbestand von der Bundestheologie her ein erklärendes Licht ? Doch bevor wir diesem Fragenkreis nähertreten, sei noch ein Text erörtert, der formal bereits zur Gattung der Verteidigungsreden gehört, da Jahve — selbstverständlich wieder in seiner Identität mit dem Richter — als Verteidiger spricht. Angeklagter ist in dieser Einheit aber wie in den Anklagereden das Volk Israel. Somit darf diese Rede von der Stellung Israels aus gesehen unter den Anklagereden betrachtet werden. Es ist die Einheit Jer 2 1-3, die der Stilistik und Formgebung nach allerdings als Fremdverteidigungsrede angesprochen werden muß 23. »Ich erinnere zu deinem Gunsten an die Treue deiner Jugendzeit an die Liebe deines Brautstandes, als du in der Wüste mir folgtest, im Lande, da man nicht sät. Heilig war Israel für Jahve, sein Erstlingsanteil. Wer davon zehrte, mußte es büßen, Verderben kam über ihn.«

Jahve erinnert zugunsten Israels an einen Entlastungsgrund. Muß Israel aber entlastet werden, dann ist es der Angeklagte, der von dem anklagenden Bundesgott vor den göttlichen Richterstuhl zitiert wurde. Nun müßte die eigentliche Anklagerede Gottes folgen, aber sie folgt nicht. Statt dessen ruft der Ankläger Entlastungsmaterial aus der Jugendzeit des Angeklagten ins Gedächtnis. Der Ankläger ist zum Verteidiger geworden, und weil dieser überraschende Verteidigèr gleichzeitig der Richter ist, muß das Urteil in diesem Prozeß doch milder ausfallen, als es nach den Anklagen zunächst hätte scheinen können. Indem der Prophet Jeremía seinem Wort die Form einer Fremdverteidigungsrede gibt, bringt er etwas zum Ausdruck, was er expressis verbis nicht sagt: Trotz aller Untreue des Gottesvolkes gibt es noch immer die Möglichkeit eines Neuanfanges ; aber nicht auf Grund einer Leistung Israels, Jer 3 1-5, sondern auf Grund der Vergebungsbereit23

S. o. § 2 unter den Verteidigungsreden und H. W. WOLFF, Hauptprobleme alttestamentlicher Prophetie, Evang. Theol. 1955, S. 461, Anm. 43.

Die Verteidigungsreden im Rahmen der Bundestheologie

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schaft seines Gottes. So wird auch hier wieder deutlich, was sich bereits bei den eigentlichen Anklagereden ergab: Die Form dieser prophetischen Gerichtsreden ist nicht nur Stilmittel, sondern sie ist selbst schon Kerygma 24 .

§ 6: DIE VERTEIDIGUNGSREDEN IM RAHMEN DER BUNDESTHEOLOGIE Abschließend sind jetzt noch die Verteidigungsreden zu betrachten. Es ist die Frage zu stellen, ob sich auch diese Gattung der prophetischen Gerichtsreden auf dem Hintergrund der Bundestheologie verstehen läßt. Es liegt auf der Hand, daß die Einheiten, denen wir uns jetzt zuwenden 1 , eine grundsätzlich andere innere Struktur aufweisen als die bisher behandelten. In den Anklagereden, in der Rede des Richters Hos 4 1-3 und auch noch in der Fremdverteidigungsrede Jer 2 1-3 war immer davon auszugehen, daß das Gerichtsverfahren von Jahve als dem Richter eingeleitet wird. In den Verteidigungsreden dagegen liegen die Dinge anders. Hier ist der Initiator das Bundesvolk, das Jahve anklagt, und es wird vorausgesetzt, daß er, der Bundesgott, auf die vorgebrachten Anklagen eingeht, sich verteidigt und schließlich, da er ja in diesem Traditionskreis selbst der Richter ist, sich in eigener Sache das Urteil spricht. Doch bevor endgültig der Zusammenhang dieser prophetischen Verteidigungsreden mit der Bundestheologie behauptet werden darf, ist folgende Frage zu stellen : Gibt es im Zusammenhang der Tradition vom Jahvebund eine Überlieferung, in der das Volk Israel Jahve zu einem Rechtsstreit herausfordert, und wie wäre sie im Rahmen der Bundesvorstellung zu verstehen ? Wir finden diese Überlieferung im Rahmen des Pentateuchthemas »Murren des Volkes«, welches das umfassendere Thema »Führung in der Wüste« immer wieder unterbricht und ergänzt, indem es von dem Auflehnen des Volkes gegenüber Jahve und seinen Mittlern Mose und Aaron erzählt 2 . Zu diesem Thema gehören die Motive: Klagen und Murren des Volkes über die Beschwernisse der Wüstenwanderung, Hinweis darauf, daß man lieber in Ägypten ge21

Die Botschaft dieses Textes, der als Gerichtsrede zutiefst in der Bundestradition wurzelt, und die auf die Möglichkeit der Begnadigung hinausläuft, läßt sich gut in das Bild einordnen, das v. RAD von dem jungen Jeremía gezeichnet hat, Theologie des Alten Testaments, Bd. II, S. 203ff. 1 Jer 2 4-13 (Appellationsrede eines Angeschuldigten) ; Jer 2 20-37 (Verteidigungsrede vor Gericht); Mi 61-5 (Verteidigungsrede vor Gericht). 2 Vgl. MARTIN NOTH, Überlieferungsgeschichte des Pentateuch, Stuttgart 1948, S. 1 3 4 ff. W a l d o w f Traditionsgeschichtl. Hintergrund

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Die Verteidigungsreden im Rahmen der Bundestheologie

blieben wäre und schließlich die Reaktion des Bundesgottes3. Das charakteristische Verb, mit dem das Verhalten des Volkes in diesen Erzählungen regelmäßig bezeichnet wird, ist = murren. Außerhalb der Pentateuchiiberlieferung begegnet es nicht mehr4. Wird dieses Thema außerhalb des Pentateuch einmal aufgegriffen, findet sich dagegen bezeichnenderweise ein anderes Verb, nämlich HD] = versuchen, mit Israel als Subjekt und Gott als Objekt 6 . Durch diesen Wechsel in der Vokabel kommt zum Ausdruck, wie die charakteristischen Erzählungen des Pentateuch aus dem Themenkreis »Murren des Volkes« verstanden wurden. Was nach der Überlieferung einst bei MassaMeriba geschehen war, oder wie sich das Volk einst vor dem Mannaoder Wachtelwunder seinem Gott gegenüber verhalten hatte, das alles war eine Kette von Versuchungen und Herausforderungen des Bundesgottes durch Israel. So heißt es im Blick auf diese Tradition in Ps 78 41 : »Immer wieder haben sie Gott versucht, den Heiligen Israels betrübt«.*

Die deuteronomische Paränese spricht hier weitaus deutlicher. Bei ihr war dieses Versuchen Gottes eine Sünde wider das 1. Gebot. So kann es in Dtn 6 16 in einem den alten apodiktischen Rechtssätzen nachgebildeten Verbot heißen: »Ihr sollt Jahve nicht versuchen, wie ihr ihn bei Massa versucht habt«. Dieses Versuchen Gottes fordert unmittelbar den göttlichen Zorn heraus, Dtn 9 22. Galten diese Herausforderungen Gottes durch das Bundesvolk, wie sie im Zusammenhang der Überlieferung vom Murren des Volkes während der Wüstenzeit erzählt werden, als ein unerlaubtes Vergehen gegen den Bundesgott, so wird man annehmen dürfen, daß es in diesem Zusammenhang auch einmal eine Erzählung gegeben hat, die von einem Strafgericht Gottes wegen dieser Versuchung zu berichten wußte. Der Pentateuch in seiner jetzigen Gestalt enthält allerdings eine derartige Erzählung nicht mehr7. Vielleicht hat sie einmal in der alten Massa-Überlieferung vorgelegen, Ex 17iff., die ja die Wurzel ¡103 für eine Ätiologie benutzt. Nur ist diese Erzählung heute lediglich noch in Rudimenten vorhanden, da sie mit der Meriba-Erzählung verbunden ist. Wird das Verhalten Israels, das es einmal bei Massa E x 15 22 ff. 16 2 ff. 17 iff Num l l i f f . 142fr. 17eff. Die einzige Ausnahme ist Jos 9 18, wo der Gebrauch dieser Wurzel in der Pentateuchiiberlieferung nachgewirkt haben dürfte. 5 Ps 78 18. 41. 56 95 9 10614. Vgl. auch Dtn 33 8. 6 E x 17 1-7; vgl. dazu M. NOTH, Das zweite Buch Mose, ATD Bd. 5, Göttingen 1959, z. d. St. 7 Vielleicht könnte an Num 111-3 erinnert werden. Der Sache nach enthält diese kurze Erzählung das, was wir vermuten. Aber hier fehlt der Ausdruck Π01. Andere Erzählungen, die von dem Murren und im Zusammenhang damit von einer Strafe Gottes sprechen, sind Num 1 4 i f f . 16 lff. 17 lff. s

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an den Tag gelegt haben soll, als eine Versuchung bezeichnet, müßte diese Erzählung eigentlich einmal ähnlich der von Num 111-3 auf ein Strafgericht hinausgelaufen sein. Aber dieser Schluß, fehlt heute. Vermutlich ist er bei der Kombination mit der Meriba-Perikope, die j a eine ähnliche Begebenheit zur Erklärung einer Felsenquelle durch ein Gotteswunder benutzen will, verlorengegangen 8 . Die Perikope von E x 17 iff. ist für uns aber noch in anderer Hinsicht interessant. Wurde das in der Massa-Erzählung berichtete Gottversuchen Israels mit der Meriba-Erzählung, in die aus ätiologischen Gründen j a die Wurzel a n = anklagen hineingehört, verbunden, so zeigt das, daß man diesen ganzen Vorgang auch in den rechtlichen Kategorien der Bundestheologie verstehen konnte. Das Murren des Volkes, seine Forderung nach einem ganz bestimmten Wunder zum Erweisder hilfreichen Gegenwart des Bundesgottes, kommt im Rahmen des berith-Verhältnisses Jahve-Israel dem Vorwurf gleich, J a h v e sei bundesbrüchig geworden. Und das wiederum konnte anscheinend Israel das Recht geben, gegen J a h v e in einem Prozeß vorzugehen. So werden diese Dinge in der Meriba-Erzählung dargestellt, wenn sie mit den Worten beginnt »da prozessierte das Volk mit Mose« 9 . Daß es sich bei dieser Wendung nicht lediglich um eine Metapher handelt, die vielleicht um der Ätiologie willen entstanden wäre, sondern daß tatsächlich an einen wirklichen Prozeß gedacht ist, erkennt man daran, daß die Reden in den folgenden Sätzen sich den Formen anschließen, wie sie in den Anklage- und Verteidigungsreden vor Gericht üblich waren : Die Anklage Israels geht von der Voraussetzung aus, daß der Bundesgott »in seiner Mitte« zu weilen habe, v. 7, und daß sich diese Gegenwart bei akuten Notfällen als konkrete Hilfeleistungen erweisen müßte. Die Wassernot bei Meriba aber macht es zweifelhaft, ob Jahve wirklich seiner Bundesverpflichtung nachgekommen ist. So soll in einem Prozeß geklärt werden, »ob Jahve in unserer Mitte ist oder nicht«, v. 7. 8 Zu dem überlieferungsgeschichtlichen Befund siehe M . N O T H , A T D Bd. 6 z. d. St. Interessant ist der Versuch von S I G O L E H M I N G , das Entstehen einer MassaTradition durch eine Fehldeutung von Dtn 33 8 zu erklären. Danach wäre aus dem Nomen HDD durch ein Mißverständnis ein Ortsname geworden. So wäre die MassaUberlieferung, die wir heute im AT nur noch bruchstückhaft antreffen, im Grunde nichts weiter als das überlieferungsgeschichtliche Produkt eines Irrtums; vgl. S. LEHMING, Massa und Meriba, ZAW 73, 1961, S. 71 ff. Doch die mit dieser These aufgeworfene Frage nach einer ursprünglich selbständigen Massa-Uberlieferung mag hier auf sich beruhen, denn an der Tatsache, daß das Meriba-Ereignis und die anderen Erzählungen aus dem Themenkreis »Murren des Volkes« in der weiteren Überlieferung als eine unerlaubte Versuchung Gottes verstanden wurden, ändert sie nichts. 9

»Euer Murren ist nicht wider uns, sondern wider den Herrn«, E x 16 8. 3*

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Die Verteidigungsreden im Rahmen der Bundestheologie Die Anklage der Israeliten beginnt mit der Forderung: »Gebt uns Wasser, daß wir trinken können«, v. 2. Dieser Satz zu Beginn der Anklageerhebung ist hier eine Art Urteilsvorschlag, mit dem die Anklagereden gern beginnen 10 . Nur durch diese Tat kann Jahve beweisen, daß er auch in diesem Falle seiner Bundesverpflichtung nachzukommen gedenkt. So soll er dazu verurteilt werden. »Warum hast du uns aus Ägypten herausgeführt ? «, v. 3 : Diese Frage im Munde des Klägers weist sowohl auf die Appellation des Beschuldigers als auch auf die Anklageerhebung, in denen gerne nach dem Grund für die Verfehlung des Angeklagten gefragt wird 11 . »Warum klagt ihr mich an?«, v. 2: Auch das ist eine typische Redeform aus dem Rechtsleben. So fragt der Angeschuldigte oder Angeklagte in seiner Verteidigungsrede den Beschuldiger oder Kläger 12 .

Dieser Blick auf die Massa-Meriba-Erzählung zeigt deutlich, daß man in Israel das Murren gegen den Bundesgott und das Ertrotzen bestimmter Hilfeleistungen in die Bundestheologie einordnen und damit in rechtlichen Kategorien darstellen konnte, so daß in einem Prozeß plötzlich Jahve als Angeklagter vor Israel steht. Diese Einordnung bedeutete eine Weiterentwicklung der Bundestheologie in eine ganz bestimmte Richtung hin. Allerdings war das eine verhängnisvolle und unerlaubte Entwicklung. Das läßt die Erzählung von Ex 17 in ihrer heutigen Form jedoch nicht mehr erkennen. Wie die Wurzel 3Ή und die zum Teil aus dem Rechtsleben stammenden Formulierungen erkennen lassen, will sie wohl einen Rechtsstreit darstellen, zu dem Israel seinen Gott herausgefordert hatte. Aber diese ganze Begebenheit wird jetzt durch das ätiologische Interesse beherrscht, eine Felsenquelle mit dem Namen Meriba zu erklären 13 . Von daher mußte eine Bewertung dieses Rechtshandels ganz unter den Tisch fallen. Aber trotzdem berechtigen uns gute Gründe zu der Annahme, daß ein derartiger Rechtsstreit, wie ihn Ex 17 darstellt, in Israel als ein schweres Vergehen und letztlich als Bundesbruch angesehen wurde: 1. Das zeigt schon in aller Deutlichkeit die Massa-Meriba-Überlieferung, wie sie außerhalb des Pentateuch, vornehmlich in der Psalmendichtung, weitergelebt hat. Hier erscheint dieser Vorgang als ein Musterbeispiel eines unerlaubten Gottversuchens durch Israel 14 . 2. Dazu kommt eine grundsätzliche Überlegung: Ist es richtig, den Bund zwischen Jahve und Israel nach Analogie der alten Suzeränitätsverträge zu verstehen, dann ist der Sinaibund 10 11 12

S. o. § 2 zu den Anklagereden. Vgl. I Sam 22 13. Vgl. Mi 6 3.

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Siehe M. NOTH, A T D B d . 5, S. 112.

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S. o. Anm. 5.

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nur ein einseitiges Vertragsverhältnis 15 . Jahve gewährt wie ein Souverän seinem Vasallen, dem Volk Israel, ein schalomVerhältnis. Israel wird verpflichtet, gewisse Vertragsverpflichtungen einzuhalten, der gewährende Souverän dagegen nicht. So hätte auch nur der Souverän das Recht, seinen an ihn gebundenen Vertragspartner in einem Gerichtsverfahren des Vertragsbruches anzuklagen. Der umgekehrte Fall dagegen wäre bei dieser Vertragsform undenkbar. Würde er doch eintreten, dann müßte das bedeuten, daß der klagende Vasall und Vertragsempfänger diese ΠΉ2 stillschweigend in einen Paritätsvertrag umgewandelt hätte und sich dabei auf die gleiche Stufe seines Souveräns erhebt. Doch das wäre bereits Vertragsbruch und ein Vergehen gegenüber dem Vertragsgeber1®. 3. Gehen wir auf dieser Linie weiter, dann kommt noch etwas hinzu. Die andere Eigenart des Jahvebundes bestand ja darin, daß die sonst bei einem Vertragsschluß als Garant, Protektor oder Richter angerufene Gottheit sich selbst zum Vertragsgeber und Partner gemacht hatte 1 7 . Würde Israel jetzt in einem MißVerständnis der Struktur seines Bundesverhältnisses zu Jahve als Ankläger auftreten, dann wäre der angeklagte Bündnispartner gleichzeitig der Richter, der sich dann selbst das Urteil sprechen müßte. Ganz gleich wie die Anklage auch aussehen mag, aus dem oben Gesagten ergibt sich ganz folgerichtig, wie dieses Urteil dann aussehen müßte. So betrachtet wäre ein Rechtsstreit Israels gegen Jahve nicht nur Verletzung des gewährten Bundesverhältnisses, sondern gleichzeitig auch immer juristischer Selbstmord. Man mag vielleicht bedauern, daß die Erzählung von Ex 17 l fl. durch ihren komplizierten überlieferungsgeschichtlichen Werdegang diese Seite des Rechtsstreites Israels gegen Jahve nicht erkennen läßt. Aber es gibt einen Text aus verhältnismäßig später Zeit, der sich der hier angedeuteten Konsequenzen durchaus bewußt zu sein scheint und von hier aus vielleicht überhaupt erst richtig verständlich wird. Es ist ein Disputationswort des Propheten Deuterojesaja, Jes 45 9-1318. Diesem Text ist ein Weheruf vorangestellt, auf den es in unserem Zusammenhang ankommt: »Wehe dem, der mit seinem Schöpfer prozessiert, irdener Stoff mit denen, die das Irdene bearbeiten ! 1 9 15

Vgl. oben § 4. Auch J O A C H I M B E G R I C H zeigt in seiner Untersuchung über den berith-Begriff (ZAW 1944), wie das Bundesverhältnis immer in Gefahr stand, als ein zweiseitiges Vertragsverhältnis zwischen zwei gleichberechtigten Partnern verstanden zu werden. 17 Eine ähnliche Erwägung findet sich auch bei B A L T Z E R a. a. O. S. 33f. 18 Zu diesem Text vgl. die Dissertation des Verfassers S. 50f. 18 Ob der Text in v. 9a sicher überliefert ist, bleibt fraglich. M gibt wohl einen Sinn »eine Scherbe unter irdenen Scherben«. DochDSJa liest dagegen das ΊΪΠΠ von M als 16

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Die Verteidigungsreden im Rahmen der Bundestheologie Zum Verständnis dieses Textes ist folgendes zu beachten :

a) Hier soll es sich nicht um eine allgemeingültige Sentenz handeln, obwohl es das gut sein könnte. Sondern diese Worte sind an Israel gerichtet. Die Hörer des Propheten werden gewarnt, sich mit ihrem Schöpfer in einen Rechtshandel einzulassen, so wie man es mit seinen Mitmenschen tun kann. b) Das Verhältnis Jahve — Israel wird in den Kategorien Schöpfer — Geschöpf gesehen. So ist Jahve der Schöpfer Israels. Diese Ausdrucksweise ist im Alten Testament merkwürdig, denn Israel hat sein besonderes Gottesverhältnis niemals von der Schöpfung her begründet. Es ist aber zu beachten, daß das Thema Schöpfung bei Deuterojesaja nicht um seiner selbst willen steht. E s ist eingebaut in die Heilstheologie des Propheten 2 0 . So ist die Erschaffung Israels ein Ausdruck der Erwählung, und durch die Erwählung ist Israel als Knecht Jahves geschaffen, Jes 44 21 f. Von hier aus wird man in diesem Weheruf nicht nur das Gegenüber von Schöpfer und Geschöpf sehen dürfen, sondern im Zusammenhang der Theologie des Deuterojesaja ist das immer auch das Gegenüber von Bundesgott und Bundesvolk. So wird überhaupt erst der juristische Terminus 3 Ή in diesem Zusammenhang verständlich, denn er weist j a darauf, daß man gewohnt war, das Verhältnis Gott — Israel in rechtlichen Kategorien zu sehen. c) Damit ergibt sich, daß dieser Weheruf die Warnung enthält: Wehe Israel, wenn du dich mit deinem Bundesgott auf einen Rechtshandel einläßt. Auf dieser Linie verläuft dann die weitere Disputation. Israel soll seinem Bundesgott keine Vorschriften über dessen Handlungsweise machen, v. nb, und sie, womöglich auf einen vermeintlichen Rechtsanspruch pochend, einklagen — wie es j a auch in Meriba geschehen war —, sondern es soll Gott die Freiheit lassen, so zu handeln, wie es seinem Plan entspricht. Eine Begründung für diese eindrückliche Warnung in Form eines Drohwortes fehlt. Aber stellen wir diesen Text in den Zusammenhang der Bundestheologie, in den er doch wohl gehört, und sehen wir ihn vor dem Hintergrund des Rechtsstreites zwischen Bundesgott und Bundesvolk, dann ergibt sich : 1. Das Bundesvolk ist so wenig befugt und in der Lage, den Bundesgott wie einen vertragsbrüchig gewordenen Partner anzuklagen, wie es eine Tonscherbe mit dem Töpfer tun kann. 2. Ein derartiges Vorgehen käme einer Versuchung Gottes und einem Bruch des Bundesverhältnisses gleich. "ΤΡΤΙΠ (vgl. M I L L A R B U R R O W S , The Dead Sea Scrolls Of St. Mark's Monastery, Volume I, New Haven 1950). Dieser Lesart folgt die obige Übersetzung, denn so scheint der T e x t klarer und der Parallelismus besser gewahrt. Zu ΠΟΤΝ "ΊΙΗΠ vgl. ΠΙΓΠ3 2ΠΠ = Bronzearbeiter, Gen 422 und I Reg 7 14. — Eine andere Konjektur für diese Stelle schlägt C. F . W H I T L E Y vor (Textual Notes On Deutero-Isaiah, V T Bd. X I - 4 , 1961, S. 458). E r will lesen: ΒΓΙΠ m ' T l X 3 Τ Π noix Bhn-ηκ und übersetzt : »Will the potsherd strive with the potter, the Land with the ploughman ? « Doch wäre es ein tiefer Eingriff, am Anfang den typischen Auftakt eines Weherufes Cin mit folgendem Partizipium) zu tilgen. Außerdem ist bei der Übersetzung fraglich, ob der ursprüngliche Text wirklich das zweite ΒΠΠ von einer anderen Wurzel abgeleitet hat als das erste. 2 0 Vgl. V. RAD, Theologie des AT, Bd. I, S. 141 f. und Bd. I I , S. 254f.

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3. Dem so gelästerten Gott bliebe in diesem Falle nichts anderes zu tun übrig, als das richterliche Urteil über diesen Vorfall zu sprechen und die schalomZusage rückgängig zu machen 21 .

Diese Erwägungen sollten den Hintergrund für die Gattung der prophetischen Verteidigungsreden aufhellen, denn es scheint, als müßten die Einheiten, die zu dieser Gattung gehören, von hier aus verstanden werden. Sie konstruieren ja den Fall, daß Israel seinen Bundesgott anklagt, und daß dieser sich rechtfertigen muß. Aber nach allem, was wir gesehen haben, setzen sie auch voraus, daß der angeklagte Bundesgott der Richter in diesem Verfahren ist. In den Zusammenhang der Verteidigungsreden gehört die Einheit Jer 2 4-922. Hier handelt es sich um die Verteidigung eines zu Unrecht Angeschuldigten. Das Volk Israel hat seinen Gott verlassen und verehrt andere Götter, v. 5 und 8. Da man aber seine Götter nicht grundlos wechselt, muß Israel im Glauben leben, so wird vorausgesetzt, sein Gott habe sich nicht bewährt. So beinhaltet die Hinwendung zu anderen Gottheiten gleichzeitig die Anklage gegen Jahve, er habe nicht getan, was er eigentlich hätte tun müssen. Aber wie kann Israel das behaupten? Danach fragt Jahve zu Beginn seiner Verteidigung, v. 5. Gleichzeitig verweist er, um die Haltlosigkeit der Vorwürfe zu zeigen, auf sein heilsgemäßes Verhalten in der vergangenen Geschichte, hat er doch Israel aus Ägypten geführt und ihm das Kulturland gegeben. Jahve fühlt sich zu Unrecht beschuldigt, hat dagegen aber guten Grund, seine Herausforderer anzuklagen. So folgt in v. 9 die Appellation an ein Gericht : „Deshalb muß ich euch noch anklagen — Raunung Jahves, und eure Kindeskinder muß ich anklagen".

Daran schließt sich in v. 10-13 die eigentliche Anklage vor Gericht. Uns interessiert hier allerdings lediglich die Appellationsrede des Beschuldigten. Projizieren wir jetzt diesen Text auf den oben erarbeiteten Hintergrund, dann ergibt sich ein Bild von überraschender Prägnanz und Dichtigkeit des Aussagegehaltes. Israel meint mit seinem Gott schlechte Erfahrungen gemacht zu haben und hat sich deshalb anderen Göttern zugewandt. Diesen Gedanken nimmt die Prophetenrede auf und kleidet ihn in das juristische Gewand einer Gerichtsrede. Dadurch wird dieser ganze Tatbestand in die an rechtlichen Kategorien orientierte Bundestheologie eingeordnet. Das Verhalten Israels bedeutet den Vorwurf, Jahve habe den Bund gebrochen, er sei seinen Verpflichtungen nicht nachgekommen. Mit einem derartigen Vorwurf aber begibt sich Israel 21

Aus etwas anderen Gründen erscheint in Hi 9 2 if. eine Klageerhebung gegen Gott als unmögliches Unterfangen. Hier wäre ein derartiges Vorgehen Hybris. 22 S. o. § 2 zu den Verteidigungsreden und B O E C K E R Diss. S. 61 ff.

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auf einen verhängnisvollen Weg, denn von der ganzen Struktur des Bundesverhältnisses her hat es ja niemals das Recht, so vor seinen Gott hinzutreten, denn Jahve, der den Bund gewährt, ist ja niemals besondere Verpflichtungen eingegangen, die man einklagen könnte. Mit seinem Vorwurf erhebt sich das Bundesvolk zu einem gleichberechtigten Bundespartner Gottes, der es aber niemals ist. Kleidet der Prophet nun die Entgegnung Jahves in die Form einer Appellationsrede eines zu Unrecht Angeschuldigten, so heißt das, nicht Jahve, sondern Israel hat den Bund gebrochen, indem es Jahve so etwas vorzuwerfen wagt, und es wird auf sein dem Jahve-Bund widersprechendes Verhalten festgenagelt. Wie durch einen Faustschlag wird es von dem Appellationsruf getroffen, denn er offenbart die rechtlichen Konsequenzen des Verhaltens Israels, denn ganz gleich wie auch die zur Debatte stehenden Sachfragen aussehen mögen, es wird immer in dem angedrohten Verfahren als einer dastehen, der das ihm gewährte Bundesverhältnis umgebogen und damit zerstört hat. Wer von der Wucht dieser Appellationsformel getroffen war, die das im Rahmen des Bundesverhältnisses verhängnisvolle Vorgehen Israels offenlegt, dem mußte es nun aber auch wie Schuppen von den Augen fallen. Er mußte erkennen, daß in diesem Verfahren, sollte es wirklich stattfinden, der Appellant ja der berith-Geber und Bundesgott ist, und daß dieser dann nach Lage der Dinge ganz selbstverständlich als Richter erscheint, der Israel verurteilen wird. Hier wird deutlich, was wir bereits bei den Anklagereden sahen. Die Form der prophetischen Gerichtsrede ist nicht nur Stilmittel, sondern sie ist selbst schon Gerichtsbotschaft. Auf die Sachfragen, die diese Einheit anschneidet, brauchte in unserer Erörterung ja gar nicht eingegangen zu werden. Was kann das so entlarvte Israel in dieser so unheilvollen Situation tun? Es könnte seine Vorwürfe lassen und so versuchen, dem angedrohten Verfahren auszuweichen. Aber dazu bleibt keine Zeit. In v. 10 schlägt die Verteidigungsrede in eine Anklagerede um 23 . Da Jahve der Richter ist, kann der Prozeß ja sofort stattfinden, und ehe es sich versieht, steht Israel als Angeklagter vor seinem gelästerten Gott, der ihm die Anklage entgegenhält; v. 11b: »Mein Volk aber hat seine Herrlichkeit vertauscht gegen einen, der nichts nutzt«.

Diese Anklage, gesprochen von dem, der auch der Richter ist, hat praktisch bereits die Wirkung eines Urteils. Etwas gestraffter ist die Gedankenführung in der Einheit Mi 6 1-5. Die eigentliche Rede beginnt in v. 3. Sie ist eine Selbstver23

D. h., der Angeklagte geht zum Gegenangriff über, wie es in den Verteidigungs-

reden gern geschieht.

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teidigungsrede während eines Gerichtsverfahrens24. Der Angeklagte spricht den Kläger direkt an und fragt ihn nach den Vorwürfen. In unserem Zusammenhang interessiert uns wieder nur die Formgebung. Es wird also vorausgesetzt, daß Israel seinem Bundesgott vorwirft, er habe sich an ihm vergangen, es »verdrossen«, v. 3. Auf diese Vorwürfe wird das Volk durch die Verteidigungsrede mit allen Konsequenzen festgelegt. Es mag zunächst als ein besänftigendes Entgegenkommen Gottes erscheinen, wenn er sich zu einer Verteidigung herabläßt. Aber im Grunde ist gerade das der Faustschlag, der hart trifft. Jahve, der souveräne Geber der berith, gibt zu erkennen, daß er von seinem Bundesvolk genötigt wurde, sich zu rechtfertigen. Damit aber nagelt er das Volk fest, den Bund verletzt, sich zu einem gleichberechtigten Partner Gottes erhoben zu haben, über den man mit einer falsch verstandenen Bundestheologie glaubt verfügen zu können. Als Richter braucht Jahve gar nicht mehr in Funktion zu treten, denn durch die Form der Verteidigungsrede ist das Fiasko Israels offenbar geworden26. Damit dürfen wir die Erörterung der Gattung der Verteidigungsreden abschließen. Es bleibt uns jetzt nur noch, das Ergebnis der Untersuchung kurz zusammenzufassen. 1. Die Form der prophetischen Gerichtsreden läßt sich nicht erklären von einem kultischen »Sitz im Leben«, als habe es im Kultus eine Liturgie gegeben, in der ein Kultprophet dem Volk Israel das Gericht zu verkündigen hatte. 2. Die Form der prophetischen Gerichtsreden ist entlehnt aus der profanen Gerichtspraxis26. Doch erschien das Problem dieser Zur Formensprache s. o. § 2, unter den Verteidigungsreden. In gleicher Weise ist die Formengebung in der Verteidigungsrede Jer 2 29-32 zu verstehen. 2 8 Die bereits eingangs genannte Arbeit von CLAUS WESTERMANN, Grundformen prophetischer Rede, versetzt uns in die Lage, das Ergebnis dieser Untersuchung in einem größeren Rahmen zu sehen. Die Verwandtschaft der Prophetenrede mit der Ausdrucksweise der profanen Rechtspraxis zeigt sich nicht erst in den prophetischen Gerichtsreden, sondern sie ist von Anfang an in der prophetischen Gerichtsankündigung da, a. a. O. S. 95f. Der Prophet tut in seinem Gerichtswort im Grunde nichts anderes, als der Ankläger bei einem Gerichtsverfahren auch. Es besteht also eine natürliche Affinität zwischen der prophetischen Gerichtsankündigung und der profanen Rechtsrede. An dieser Stelle können wir die These von WESTERMANN vielleicht noch etwas unterbauen, indem wir sagen: Diese Affinität ist nur möglich, weil die Propheten das Verhältnis der von ihnen Angeklagten zu dem, in dessen Namen sie ihre Anklage erheben, ebenso in rechtlichen Kategorien sehen wie das Verhältnis der beiden Kontrahenten in einem Prozeßverfahren. Also nicht nur die eigentlichen prophetischen Gerichtsreden, mit denen sich diese Untersuchung beschäftigt, sondern im Grunde sämtliche prophetischen Gerichtsandrohungen setzen in mehr oder minder deutlicher Form die Überlieferung vom Jahvebund voraus. 24

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prophetischen Gattungen noch nicht hinreichend geklärt, denn es blieb die Frage unerörtert, wieso die Propheten die profanen Vorbilder so umgestalten konnten, daß bei ihnen immer Jahve als Rechtspartei und Richter in einer Person erscheint. Die formgeschichtliche Betrachtungsweise allein war nicht in der Lage, das Wesen der prophetischen Gerichtsreden zu erfassen. Es mußte vielmehr nach den Traditionen weitergefragt werden, die die Propheten in die entlehnten Formen gekleidet und die zu der tiefgreifenden Umgestaltung der profanen Vorbilder geführt haben. 3. Es zeigte sich, daß es die in rechtlichen Kategorien gesehene Vorstellung vom Bunde Jahves mit Israel war, die es den Propheten nahelegte, für ihre Worte die gebräuchlichen Gattungen aus dem Rechtsleben nachzuahmen. 4. Diese Redeformen geben den Propheten bereits die Möglichkeit, ganz abgesehen von dem Inhalt ihrer Worte, das Volk auf die Rolle festzulegen und es dafür zur Rechenschaft zu ziehen, in die es sich als Gottesvolk durch seine Verschuldung (Angeklagter) oder durch seine Anmaßung (Kläger) selbst begeben hatte.

§ 7: DIE GERICHTSREDEN BEI DEUTEROJESAJA 1 Diese Untersuchung soll abgeschlossen werden mit einem Blick auf die Gerichtsreden des Deuterojesaja. Er ist der letzte Prophet, der diese Redeformen in reichem Maße verwendet. Aber entsprechend seiner Eigenart, übernommene Traditionen frei zu gestalten und umzuprägen, hat er auch seinen Gerichtsreden zum Teil eine besondere und auf dem Hintergrund der Vorlagen seiner Vorgänger eine beachtenswerte Note gegeben. Die Einheit, die sich vielleicht am deutlichsten in den bisher aufgezeigten Bahnen hält, ist die Gerichtsrede Jes 50 1-3. Die einleitende Frage »wo ist denn der Scheidebrief eurer Mutter, mit dem ich sie entlassen hätte« ? erinnert an die Frage des Beschuldigten oder Angeklagten, nach dem ihm vorgeworfenen Delikt, oder nach den Beweisen für die erhobene Beschuldigung. Da eine Appellationsformel an ein Gericht fehlt, wird wohl an die Selbstverteidigungsrede bei einer Gerichtsverhandlung zu denken sein. Jahve ist der Angeklagte, Israel der Kläger, also wird nach allem, was wir bisher sahen, Jahve auch als Richter anzusehen sein. 1

Die Ausführungen über die Gerichtsreden des Deuterojesaja in der Dissertation des Verfassers, S. 40ff., sind nach den Ergebnissen dieser Untersuchung zu korrigieren.

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Israel meint, Jahve habe sein Bundesverhältnis aufgekündigt, so wie man auch eine Ehe aufkündigen kann, wenn einem seine Frau nicht mehr gefällt. Eine derartige Ehescheidung ist nach alttestamentlichem Gesetz, wenn die Verstoßene inzwischen mit einem anderen Manne verehelicht war, unwiderruflich, Dtn 24 2 fi. Israel fühlt sich also wohl für immer und ewig von seinem Bundesgott verstoßen und in die Gewalt anderer Mächte gegeben. Gegen diesen Vorwurf verteidigt sich Jahve. Er fragt nach dem Beweismittel für die ihm vorgeworfene Ehescheidung, der Scheidungsurkunde. Gleichzeitig aber stellt er den Tatbestand richtig und geht damit zum Gegenstoß mit der eigenen Beschuldigung über. Der Tatbestand des Verstoßens ist tatsächlich gegeben. Aber Jahve hat sein Weib weder auf immer und ewig noch aus einer Laune heraus verstoßen, sondern aus gutem Grund, wegen seiner Freveltaten und Sünden. Doch seine Fragen bleiben unbeantwortet. Die Ankläger geben sich geschlagen und schweigen, v. 2a2. Bis hierher verläuft alles so, wie wir es bei den anderen Verteidigungsreden kennenlernten. Dadurch, daß der Bundesgott sich verteidigt, kommt bereits zum Ausdruck, daß der Bund gebrochen ist, wird Israel entlarvt als einer, der meint über seinen Gott durch theologisch-juristische Kunstgriffe verfügen zu können. Stünde diese Verteidigungsrede bei Jeremia oder Micha, würde sie jetzt schließen. Aber bei Deuterojesaja geht sie bezeichnenderweise weiter. Die folgenden Worte sind allerdings wohl kaum noch von der Formensprache einer Gerichtsrede her zu verstehen. Die Botschaft, die der Prophet zu verkündigen hat, hat die Form gesprengt. Aber gerade auf dem Hintergrund der zersprengten Verteidigungsrede gewinnt sie an Deutlichkeit und Prägnanz. Soeben war das Bundesvolk in seiner Sündhaftigkeit und Selbstüberheblichkeit entlarvt und auf diese Weise in den Abgrund seiner gottlosen Existenz hinabgestoßen, da wird es wieder von seinem Gott gehalten. Wenn er verstoßen kann, kann er auch retten und das Bundesverhältnis wiederherstellen. Wie er am Anfang des gescheiterten alten Bundes einst das Schilfmeer trockengelegt hatte, so kann er bei einer neuen Zuwendung ein ähnliches Wunder tun. Das alles steht plötzlich als verheißungsvolle Möglichkeit über den Verstoßenen. Diese Worte spricht Jahve nicht mehr als Verteidiger. Die einmal geschehene Sünde steht ja als objektive Tatsache zwischen den beiden Rechtsparteien, die zu vergeben keiner von beiden das Recht hat. Für 2

v. 2a ist zu übersetzen: »Warum bin ich (eigentlich) gekommen, und niemand — habe ich gerufen, und niemand gibt eine Antwort ? « Zu dieser Ausdrucksweise vgl. Jes 59 ιβ.

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Strafe oder Vergebung ist nur die Gottheit zuständig, die bei dem Bundesschluß als Zeuge und Garant angerufen wurde, und die bei einem Bundesbruch als Richter erscheint. So ist das Gnadenwort in unserer Einheit als Jahverede in seiner Eigenschaft als Richter zu verstehen. In ähnlichen Bahnen verläuft die Gerichtsrede Jes 43 22-283. Wieder handelt es sich um eine Verteidigungsrede, und zwar diesmal um eine Rede in der vorgerichtlichen Auseinandersetzung, wie die Appellationsformel v. 26 zeigt. Israel besteht auf dem Anspruch, sich durch die einwandfreie Darbietung kultischer Leistungen das Einhalten der göttlichen Heilsgarantie erkauft zu haben. Dieser Anspruch wird in der Verteidigung Jahves bestritten. Auf diese Bestreitung folgt auch hier wieder der Gegenstoß. Nicht Opfer hat Israel seinem Gott dargebracht, sondern nur Freveltaten und Sünden. Dann schließt diese Verteidigungsrede mit der Appellation4. An dieser Stelle ist der Vergleich mit Jer 2 4-9 interessant. Dort handelte es sich ja auch, wie wir sahen, um eine Appellationsrede des fälschlich Angeschuldigten. Aber nachdem dort durch Form und Inhalt der Beschuldiger als bundesbrüchig entlarvt worden war, folgte sofort die Konsequenz aus diesem Tatbestand, die Anklage und damit das rechtskräftige Urteil, v. 10-13. Hier bei Deuterojesaja liegen die Verhältnisse bezeichnenderweise wieder anders. Der Beschuldigte ist ja nach Lage der Dinge gleichzeitig der Richter. In seiner Appellation hat er also gewissermaßen an sich selbst appelliert, nun als Richter in Funktion zu treten. Damit sieht sich aber der eben noch so selbstsichere Beschuldiger auf die Anklagebank verwiesen. Und das alles bedeutet wiederum, daß der eben noch als Gegenstoß gemeinte Vorwurf »vielmehr, du hast mir Arbeit gemacht mit deinen Sünden « unversehens das richterliche Urteil geworden ist. Jetzt müßte die Urteilsfolgebestimmung folgen, nach der das unter der Last des Erduldeten aufbegehrende Israel wieder in die Strafe des Exils zurückgestoßen wird. Aber statt dessen folgt etwas anderes. Der zum Richter gewordene Garant des zerstörten Bundesverhältnisses sühnt selber die Schuld, die an ihm als Bundesgewährer begangen wurde, indem er sie kurzerhand wegwischt, v. 25. So gipfelt diese Gerichtsrede in der Umgestaltung, die sie am Schluß erfahren hat, in der Begnadigung nach erwiesener Schuld. Gerade dadurch, daß diese Gnadenverkündigung auf eine Verteidigungsrede Jahves folgt, die 3 Vgl. dazu BOECKER Diss. S. 64 und die Einzelauslegung des Verfassers in i>. . . denn ich erlöse dich«, Bibl. Studien 29, Neukirchen 1960, S. 73ff. Auch diese Auslegung ist durch die Grundgedanken dieser Untersuchung zu ergänzen.

heißt hier »anzeigen« im rechtlichen Sinne; vgl. JOACHIM BEGRICH in ZAW 58, 1940-1941, S. 12. 4

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sonst zur drastischen Dokumentation des zerstörten Bundesverhältnisses dient, enthält sie ein eindrückliches Gewicht. Diese beiden Einheiten lassen erkennen, daß Deuterojesaja in seiner Verkündigung die Form der prophetischen Gerichtsreden benutzen kann, die von seinen prophetischen Vorgängern geprägt war. Aber er kann trotz Verwendung des Vorgegebenen die alten Formen seiner neuen Heilsbotschaft dienstbar machen und sie umgestalten, so daß sich diese beiden Gerichtsreden schließlich doch wieder von ihren älteren Vorbildern abheben. Nach dem Blick auf diese beiden Einheiten wenden wir uns jetzt den anderen Gerichtsreden des Deuterojesaja zu, die eine besondere Gruppe für sich bilden5. Es fällt sofort in die Augen, daß hier die Dinge grundsätzlich anders liegen. Das Bundesvolk erscheint nicht mehr als Rechtspartei, sondern es ist Zeuge Jahves 6 , und damit spielt es in diesen Gerichtsreden auch nicht mehr die Hauptrolle. Hat Jahve in einer Gerichtsverhandlung aber Zeugen, dann ist er Rechtspartei. Keine dieser Einheiten, die ja alle als Jahve-Reden stilisiert sind, weist die Züge einer Verteidigungsrede auf, somit ist der Gott Israels der Kläger. Kommt dem Volk Israel aber nicht die Rolle einer Rechtspartei zu, dann ist zu fragen: Wer ist der Beschuldigte oder Angeklagte ? Hier gibt Jes 411 eindeutig Auskunft. In der an die Appellationsformel erinnernden Wendung »zusammen laßt uns vor Gericht gehen« werden die Heidenvölker aufgefordert, in einem Prozeß mit Jahve vor Gericht zu erscheinen. Angeklagt sind also die Heidenvölker7. Damit ist jetzt nur noch die Frage nach dem Richter offen. Aber auch hier fällt die Antwort nicht schwer. In Jes 41 24 spricht Jahve das richterliche Urteil, also ist er der Richter. In diesen Gerichtsreden des Deuterojesaja kommt also dem Gott Israels die Rolle des Richters zu, und gleichzeitig ist er wieder Beschuldiger oder Ankläger. In diesem Punkt lehnen sich diese Ein5 Jes 411-5: Diese Einheit ist wohl als Appellationsrede zur Einleitung eines Feststellungsverfahrens zu verstehen, wie die Appellationsformel in ν. ι und der Streitgegenstand, über den unten noch zu sprechen sein wird, erkennen lassen. — Die übrigen drei Einheiten, Jes 41 21-29 43 8-13 und 44 6-8 sind aus Gründen, die noch zu erörtern sind, nicht so leicht als Gerichtsreden zu erfassen. Doch weisen immerhin die vv. 4121 43 9 f. und 44 8 b deutlich genug auf die Gerichtssituation hin. — Indem wir diese Einheiten von den bisher behandelten Gerichtsreden absetzen, kommen wir zu einer Zweiteilung, die sich in ähnlicher Weise bereits in dem oben zitierten Aufsatz von H. B. HUFFMON findet. E r spricht von den Bundesgerichtsreden (convenant lawsuit) und von einem Typ, bei dem er eine Verbindung zu der himmlischen Ratsversammlung annimmt. Zu dieser zweiten Gruppe würden die Einheiten mit dem Gegenüber Jahve und die fremden Nationen mit ihren Göttern gehören. β 7

Jes 4310 44 8; vgl. auch 55 4. Vgl. auch Jes 43 9.

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heiten also noch durchaus an das Schema an, das die ältere prophetische Tradition für die Gattungen der prophetischen Gerichtsreden geprägt hat. Offensichtlich ist es für die Theologie der Propheten undenkbar, über Jahve oder auch nur neben ihm eine weitere Größe mit richterlicher Autorität anzunehmen. Aber nun tritt bei Deuterojesaja noch ein anderer Akteur hinzu, nämlich die Heidenvölker, die beschuldigt oder angeklagt werden. In den hier zu behandelnden Gerichtsreden des Deuterojesaja wird also der Rechtsstreit zwischen Jahve und den Heidenvölkern ausgetragen. Das Bundes volle ist lediglich ein Zeuge der Anklage. Damit rücken diese Einheiten nun weit von den älteren prophetischen Gerichtsreden ab, wie sie bisher in dieser Untersuchung behandelt wurden. Es scheint, als würden wir mit dieser anderen Rollenverteilung in ganz andere traditionsgeschichtliche und theologische Zusammenhänge geführt ; denn es liegt ja auf der Hand, daß diese Gerichtsreden — trotz der Identität von Richter und Kläger — nicht mehr von der Bundestheologie, in der es j a immer um das Verhältnis Jahve — Israel geht, verstanden werden. Nach diesen anderen traditionsgeschichtlichen Zusammenhängen wird im folgenden zu fragen sein. Der Gedanke, daß der Gott Israels die Völker richtet, ist dem vorexilischen Israel durchaus geläufig, und zwar wird er ursprünglich in der Jerusalemer Kulttradition verhaftet gewesen sein 8 . Im vorisraelitischen Jerusalem war der Kult des ]"rt>S7 zu Hause. Diese kanaanäische Spitzengottheit wurde hier verehrt als Herr, König und Schöpfer der Welt sowie als Richter der Völker. Nach der Installation des Bundesfestkultus in Jerusalem durch David wurde nun dieser Kult des Höchsten Gottes mit den ihm eigentümlichen Inhalten und universalistischen Dimensionen auf den Gott Israels übertragen. So ist wohl auch anzunehmen, daß die Vorstellung von Jahve als dem Richter der Völkerwelt zumindest in Jerusalem und Juda verbreitet und lebendig war 9 . Bei Deuterojesaja tritt sie nun in der für ihn eigentümlichen Ausprägung hervor. E r stellt dieses universale Völkergericht in Form einer Gerichtsverhandlung in den hier zu erörternden Gerichtsreden dar. Mit diesem Rückblick auf die alte Jerusalemer Kulttradition ist aber noch nicht alles gesagt. Jetzt gilt es noch diese Botschaft von dem universalen Völkergericht Jahves in den Zusammenhang der Theologie des Deuterojesaja hineinzustellen. Der Prophet verkündigt ja die Erlösung Israels aus dem Exil als eine Tat Gottes von kosmischer und endgeschichtlicher Bedeutung. Mit diesem Ereignis beginnt für 8 Vgl. dazu H. J . KRAUS, Psalmen I, Jerusalems«. 9 Vgl. Am 1 2 ff. und Jes 2 1 - 5 .

Exkurs zu Ps 24 »Die Kulttradition

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ihn die neue Heilszeit, in der der Gott Israels inmitten seines auserwählten Volkes von Jerusalem aus allen Völkern offenbar die Weltregierung antreten wird 10 . Der Auszug aus der babylonischen Gefangenschaft endet in Jerusalem, Jes 40 9fi., mit einer kosmischen Endoffenbarung Jahves, nach der alle Völker das Heil sehen werden, das nun geschaffen ist, Jes 52 7-12. Das alles scheinen diese Gerichtsreden als bereits geschehen vorauszusetzen. Der große Exodus durch die Wüste hin nach Jerusalem hat stattgefunden. Die Endoffenbarung auf dem Zion ist geschehen. Die Thronbesteigung Jahves in Jerusalem ist vollzogen und die Königsherrschaft über die Völker angetreten11. Darauf schreitet Jahve, der neue Weltenkönig, zum Gericht über die Heidenvölker, weil sie ihn bisher nicht anerkannt haben. War bisher deutlich geworden, daß diese vier Gerichtsreden des Deuterojesaja unter der Uberschrift, der Gott Israels als Richter der Völkerwelt, eine besondere Gruppe für sich bilden und von ganz anderen traditionsgeschichtlichen Zusammenhängen her verstanden werden müssen als die Gerichtsreden der älteren Propheten, so gilt es jetzt noch eine weitere Eigentümlichkeit dieser Einheiten zu sehen. Die älteren Beispiele wiesen deutlich die eingangs zusammengestellten Merkmale der Sprache und Redeformen auf, wie sie im profanen Rechtsleben Israels gebräuchlich waren. Das ist nun in der hier zu behandelnden Gruppe von Gerichtsreden grundlegend anders. Die Redeformen aus der profanen Gerichtsverhandlung, die die beiden zuerst besprochenen Gerichtsreden des Deuterojesaja noch deutlich erkennen ließen, treten jetzt in überraschender Weise zurück12. Dafür tritt eine andere Stilform in den Vordergrund, die man in den Gattungen der prophetischen Gerichtsreden vielleicht am wenigsten erwartet, nämlich die Stilform der Rede eines Weisheitslehrers. Damit rücken diese Gerichtsreden des Deuterojesaja in unmittelbare Nähe zu seinen Disputationsworten, die diese Redeweise vielleicht am deutlichsten erkennen lassen. Um sie zu kennzeichnen, blicken wir daher auch zunächst zweckmäßigerweise auf ein Disputationswort, nämlich die Einheit Jes 40 12-1713. 1 0 Vgl. dazu vom Verfasser ». . . denn ich erlöse dich«, S. 63ff. Siehe auch G E O R G FOHRER, Die Struktur der alttestamentlichen Eschatologie, ThLZ 1960, Sp. 401 ff. 1 1 Vgl. vom Verfasser ». . . denn ich erlöse dich« zu Jes 43 16-21, S. 45ff. 12 Am deutlichsten scheint noch Jes 411-5 der Redeweise des profanen Rechtslebens zu entsprechen, ν. ι schließt mit einer Appellationsformel, einer Aufforderung zu Gericht zu gehen, der dann in v. 5 nachgekommen wird. 1 3 Zur Kennzeichnung dieser Gattung vgl. die Dissertation des Verfassers S. 28ff. und E G O N P F E I F F E R , Die Disputationsworte im Buche Maleachi, Evang. Theol. 1 9 5 9 ,

S. 5 4 6 f f .

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Charakteristisch sind hier die Fragen, die dreimal neu einsetzen : »Wer hat je mit seiner hohlen Hand das Meer gemessen ?« »Wer hat je den Geist des Herrn bestimmt ?« »Mit wem hat er sich je beraten, der ihm Einsicht gäbe ?«

Dieser eigentümliche Fragestil findet sich auch in der Weisheitsüberlieferung Israels, und zwar vornehmlich in der sog. Naturweisheit. In diesem Bereich stößt man gelegentlich auf Fragenreihen, die wohl als rhetorische Fragen aufzufassen sind, mit denen ein Weisheitslehrer seinen Kontrahenten eindeckt, um ihn mundtot zumachen14. Wie diese Stilform der ironischen Frage zu verstehen ist, zeigt die aus der Zeit Ramses' II. stammende Streitschrift des Hori (Papyrus Anastasi I), in der ein ägyptischer Beamter über einen Kollegen herfällt, um ihn der Lächerlichkeit preiszugeben15. Diese Belege aus der altägyptischen und der späteren israelitischen Weisheitsliteratur machen es hinreichend deutlich, wie sehr sich der Verfasser dieses Disputationswortes an eine ihm vorgegebene und wohl auch verbreitete Stilform anlehnt 16 . Auf diese Kette von Fragen folgt in Jes 40 15 eine Schlußfolgerung, die mit »siehe« eingeleitet wird. Die gleiche Zusammenstellung findet sich auch am Ende der Fragenreihe von Hi 40 24ff.,nämlich in Hi 411. Der Unterschied zu den Beispielen aus der Naturweisheit besteht lediglich darin, daß in der Weisheitsliteratur diese Fragen im Rahmen der Naturbeobachtung und Schilderung gestellt werden, während sie bei Deuterojesaja ganz der Verherrlichung Gottes dienstbar gemacht sind 17 . In sämtlichen vier Gerichtsreden findet sich nun dieser naturweisheitliche Fragestil wieder : »Wer hat ihn von Anfang an her erweckt ? « Jes 41 2 »Wer hat es gewirkt und getan ?« Jes 41 4 »Wer ist wie ich ? « Jes 44 7

Betrachtet man diese Gerichtsreden isoliert, so könnte man hier an Fragen eines Richters denken, der den Angeklagten vernimmt. Von unserer heutigen Rechtspraxis herkommend erscheinen sie so gut Vgl. Hi 38 Prov 30 4 oder auch Hi 4024-31. Vgl. J . B. PRITCHARD, Ancient Near Eastern Texts, 2. Aufl. Princeton Ν. J . 1955, S. 475ff. Auf die stilistischen Zusammenhänge zwischen dieser Stilform und Hi 38 hat v. RAD aufmerksam gemacht in : Hiob 38 und die altägyptische Weisheit, Ges. Studien S. 262 ff. 1 8 Auch inhaltliche Parallelen und Entsprechungen in den Motiven lassen sich aufzeigen. So vgl. Jes 40 12 mit Hi 38 s Sir 1 2 f. oder auch Prov 30 4. Zu v. 14 vgl. Hi 21 22 und zu v. 15 Hi 12 23 und Sap 11 22. 1 7 Vgl. HEINZ RICHTER, Die Naturweisheit des Alten Testaments im Buche Hiob, ZAW 70, 1958, S. 18. 11

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verständlich. Nur sind derartige Fragenreihen als Vernehmungen einer Rechtspartei in einem profanen Prozeßverfahren in der alttestamentlichen Literatur nicht belegt 18 . Andererseits aber kennen wir diese Fragenketten aus dem Bereich der Naturweisheit. Das stellt uns vor die Notwendigkeit, sie auch von hier aus zu verstehen 19 . Erleichtert wird uns das durch die Beobachtung, daß immer dann, wenn dieser Fragestil begegnet, Stoffe behandelt werden, die in der Naturweisheit zu Hause sind. Immer geht es um den Kosmos und seine Ordnungen20. Wenn nun Deuterojesaja in diesem Fragestil auch die Berufung des Kyros durch Jahve erörtert, so zeigt das, daß die alleinige Urheberschaft der Geschichte durch Jahve für Deuterojesaja auch eine der tragenden Grundordnungen dieser Welt darstellt 21 . Wir verstehen diese Fragen also als ironisch gemeinte rhetorische Fragen nach dem Stil des Weisheitslehrers, auf die — wie wir sahen — eine Antwort überhaupt nicht erwartet wird, da der Tatbestand klar und einsichtig ist. Diese Fragen werden ja von Gott gestellt, der soeben mit einer großen kosmischen Endoffenbarung die neue Periode der Heilszeit beginnen ließ. Das Heil, das er hat geschehen lassen, und seine Urheberschaft sind ja von »aller Welt«, also auch von den angeklagten Heidenvölkern, »geschaut«, Jes 52 io 22 . Eine Antwort erübrigt sich also. 1 8 Im Grunde ist es eine petitio principii, diese Stilform, nur weil sie sich im Hiobbuch im Rahmen eines Rechtsstreites findet, Hi 38ff., als Redeform des Rechtslebens anzusprechen; so bei R I C H T E R , Studien zu Hiob, S. 121 ff. Ebenso ist es bedenklich, wenn R I C H T E R versucht, unsere Kenntnis des profanen Gerichtsverfahrens aus prophetischen Gerichtsreden zu bereichern, wie er es a. a. O. S. 40 ff. tut. — Wie echte Fragen innerhalb eines Rechtsstreites aussehen, zeigt Hi 13 23 ff. 19 R I C H T E R spricht von einer »Beeinflussung der Naturweisheit durch Gattungen des Rechtslebens«, a. a. O. S. 121, Anm. 380. Wäre das richtig, dann müßte diese Beeinflussung auch in den Disputationsworten des Deuterojesaja, vielleicht auch in Prov 30 4 oder gar im Papyrus Anastasi I vorliegen. Das ist aber schwer denkbar, deshalb sprechen wir im Blick auf Deuterojesaja lieber von einer Beinflussung der Disputationsworte und Gerichtsreden durch Redeformen aus der Weisheit.

2 0 Das kann dazu verleiten, diese Fragen vom Hymnus her zu verstehen als Lob des Schöpfergottes; so zuletzt wieder C L A U S W E S T E R M A N N , Der Aufbau des Buches Hiob, Beiträge zur Historischen Theologie 23, Tübingen 1956, S. 84 f. Doch hat v. RAD bereits festgestellt, daß im Fragestil des Hymnus immer der anbetende Mensch der Fragende ist, während er in den hier zur Debatte stehenden Fragen gefragt wird; vgl. v. RAD, Hiob 38 . . ., S. 262. 21 Diese Feststellung und die andere, daß in J e s 40 12-17 die Naturbeobachtung der Verherrlichung Gottes dienstbar gemacht ist, zeigen, daß die Weisheit bei Deuterojesaja bereits als eine theologisierende Weisheit erscheint. 22 Vgl. dazu H E N N I N G ZAW 71, 1959, S. 43.

GRAF

v.

W a l d o w , Traditionsgeschichtl. Hintergrund

REVENTLOW,

Die Völker als Jahves Zeugen, 4

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Nicht anders liegen die Dinge bei den übrigen Fragen : »Wer hat das von Anfang an verkündet, daß wir es wußten ?« Jes 41 26 »Wer unter ihnen kann solches verkündigen?« Jes 43 9

Auch hier ist der Tatbestand evident. Jahve hat diese Weissagungen ergehen lassen, und zwar an das Volk Israel, das jetzt als Zeuge Jahves anwesend ist. Gestützt auf seine Aussage kann Jahve derartige Fragen stellen, die auf diesem Hintergrund nichts als selbstbewußte Rhetorik sind. Noch in einem weiteren Punkt berühren sich diese Gerichtsreden mit der weisheitlichen Disputation. In Jes 43 io f. wird das Ziel dieses Prozesses des Gottes Israels mit den Heidenvölkern angegeben : »Damit sie erkennen und mir glauben und zur Einsicht kommen, daß ich es bin, vor dem kein Gott gebildet, und nach dem keiner sein wird.«

Das Gericht wird also gehalten, damit die Angeklagten erkennen (37T) und zur rechten Einsicht gelangen (]M). Sie sollen durch die einer folgerichtigen Argumentation und den vorgebrachten Tatbeständen innewohnende Autorität der Wahrheit zu einem subjektiven Erkenntnisakt geführt werden. Das ist aber nicht das Ziel einer Gerichtsverhandlung, wie sie sonst bei den prophetischen Gerichtsreden vorausgesetzt wird, denn dort wird der Angeklagte ganz abgesehen von seiner subjektiven Einstellung auf Grund von objektiven Tatbeständen und der Autorität des Rechtes zur Unterwerfung unter ein Urteil gezwungen. Endlich blicken wir noch auf den Prozeßgegenstand, der in allen Einheiten der gleiche ist. Hier geht es nicht mehr wie in den älteren Gerichtsreden um die Aufdeckung von Tatbeständen und die juristische Fixierung von Delikten, es soll auch niemand zu einer Strafe verurteilt werden, sondern es geht um den Erweis der einzigartigen und alleinigen Gottheit Israels 23 . Sie soll dem Angeklagten einsichtig werden, er soll sie erkennen und damit anerkennen. Bisher kam es lediglich darauf an, die Besonderheit dieser Gruppe von Gerichtsreden hervortreten zu lassen. Wir haben es hier nicht mehr mit Gerichtsreden zu tun, die einen Prozeß Jahves in der Sprache der profanen Gerichtsbarkeit darstellen, sondern hier handelt es sich um kompliziertere Gebilde. Auf der einen Seite fordert Jahve die Heidenvölker vor die Schranken seines göttlichen Gerichtes, auf der anderen Seite aber sind die Reden, die dort gehalten werden, durch 23

J e s 4 1 4 . 23 4 3 1 0 í . ; v g l . a u c h J e s 4 1 24.

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und durch vermengt mit Stilelementen der Weisheitsrede24. Der Ankläger und Richter spricht als ein selbstbewußter Weisheitslehrer, der es wagen kann, auf Grund seines größeren Wissens und seiner tieferen Einsicht mit rhetorischen und ironisch gemeinten Fragen seine Gegner mundtot zu machen. Auf Grund dieser Feststellungen haben wir jetzt im Rahmen unserer form- und traditionsgeschichtlichen Fragestellung ein durchaus zwiespältiges Ergebnis festzuhalten. Auf der einen Seite wurde deutlich, daß der Prophet Deuterojesaja die von seinen vorexilischen Vorgängern im Rahmen der Tradition vom Bund Jahves mit Israel ausgeformte prophetische Gerichtsrede weiterbildet, indem er diese Redeform zur Verkündigung des Gerichtes Jahves über die Heidenvölker benutzt, wie es ursprünglich in der alten Jerusalemer Kulttradition seinen Platz hatte. Auf der anderen Seite aber wurden wir durch gewisse Merkmale und charakteristische Formelemente auf die israelitische Weisheitsüberlieferung verwiesen. Der Prophet hat also bei der Gestaltung dieser Reden aus zwei Traditionen geschöpft und sie zu einer Einheit verschmolzen. Aber wie ist diese Einheit zu verstehen ? Das scheint das entscheidende Problem dieser Gerichtsreden zu sein. Vielleicht ist es möglich, die merkwürdige Doppelgesichtigkeit dieser Gerichtsreden zusammenzuschauen, wenn man von ihrer Verwurzelung in der Weisheitsüberlieferung ausgeht. Die israelitische Weisheit wußte davon, daß die Weisheit Jahves nicht nur die verborgene Grundlage aller Ordnungen dieser Welt war, Prov 8 22 ff., sondern daß sie auch die verborgene Quelle alles sinnvollen Geschehens darstellt. So heißt es in Prov 8 15 f. : 2 4 In seiner oben genannten Arbeit, Die Naturweisheit des Alten Testaments im Buche Hiob, hat HEINZ RICHTER die Redeform der Naturweisheit näher zu erfassen versucht. An dem Beispiel von Hi 40 15—41 26 zeigt er, daß diese Weisheit den Betrachtungsgegenstand in zwei Formen darstellen kann, die sich gegenseitig ergänzen und nebeneinanderstehen können. Einmal wird er in seinem So-Sein beschrieben (Beschreibung in statu, der Betrachtungsgegenstand ist Objekt), z. B . Hi 40 17-22. Zum anderen erscheint er in seinem So-Tun (Schilderung in actu, der Betrachtungsgegenstand ist Subjekt), z. B . Hi 4117-23. — In Hi 40 25-30 findet sich eine indirekte Schilderung in Frageform. — Beide Redeformen sind leicht in der Gerichtsrede Jes 411-5 wiederzuerkennen: v. 2a ist die Beschreibung in statu, die in Frageform den Streitgegenstand in den Mittelpunkt rückt. Kyros, um den es hier geht, ist Objekt. Dann folgen in v. 2b Verbalsätze, in denen Kyros Subjekt ist. Sie schildern sein So-Tun, zu dem er auf Grund der Berufung durch Jahve befähigt ist. Die Verben stehen im Imperfekt. — Interessanterweise läßt sich diese Darstellung des Streitgegenstandes auch in drei Disputationsworten des Deuterojesaja nachweisen. Immer handelt es sich um Kyros. Und zwar finden sich diese Stilelemente immer in der sog. Schlußfolgerung (vgl. zum Aufbau dieser Gattung die Dissertation des Verfassers § 3) : Jes 45 13 : v. 13a in statu, v. 13bc in a c t u ; Jes 44 28a: oc i. st., β i. a . ; Jes 48 14 : v. 14b i. a . ; v. 15 i. st.

4*

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»Durch mich regieren Könige, und Machthaber setzen das Recht fest; durch mich regieren Fürsten und Edle, 'alle gerechten Richter'« 25 .

Nur war der Gott Israels mit seiner verborgenen Weisheit aber nicht überall bekannt, wo er wirksam war. So kann auch Deuterojesaja in einem Orakel dem Perserkönig Kyros zurufen, daß Jahve es war, der ihn zum König gemacht hat, »ohne daß du mich kanntest«, Jes 45 4. Jahves Gottheit war eben nur seinem Volke bekannt. Das soll nun durch die Botschaft des Deuterojesaja anders werden. In den Reden, die dem Stile der weisheitlichen Disputationen folgen, tritt Jahve vor die Völkerwelt, um sie zur rechten Einsicht in die Zusammenhänge der Ordnungen und der Geschichte in dieser Welt zu führen, d. h. um sie zur Anerkennung zu bringen, daß er der alleinige Gott ist, Jes 43 io. Nun hat der Prophet aber diese Reden in eine Gerichtsverhandlung eingebettet. Der wie ein Weisheitslehrer auftretende Sprecher ist Ankläger und göttlicher Richter. D. h. was bereits durch den Stil der ironisch gemeinten rhetorischen Frage, die gar keinen Einwand mehr zuläßt, vorbereitet war, tritt jetzt ganz deutlich hervor. Jahves Gottheit gilt als erwiesen, sie ist ein objektiver Tatbestand, über den nicht mehr zu disputieren ist. Die Nötigung des Weisheitslehrers zur Erkenntnis und Anerkennung ist so zu einem Rechtsanspruch geworden, der durch ein Gerichtsverfahren durchgesetzt werden kann. Worauf aber gründet sich diese eindringliche Nötigung ? Was ist die Grundlage dieses Rechtsanspruches? Es kann nur, wie bereits angedeutet, die erfolgte kosmische Endoffenbarung des Gottes Israels sein. Dadurch, daß Jahve »seinen heiligen Arm vor den Augen aller Welt entblößte«, und dadurch, daß nun alle Welt das Heil schaut, das der Gott Israels geschaffen hat, ist die Gottheit dieses Gottes kein Diskussionsgegenstand mehr (rhetorischer Fragestil), sie ist ein Tatbestand, der Anerkennung und Gehorsam heischt (Gerichtsrede). Vielleicht ist es möglich, auf diese Weise eine vorläufige Antwort auf die merkwürdige Doppelgesichtigkeit dieser Gerichtsreden zu geben. Allerdings kann es sich hier lediglich um eine vorläufige Antwort handeln. Eine endgültige und voll befriedigende Lösung des hier vorliegenden Problems setzt eine breitere Basis voraus. In unserem Zusammenhang wurde bereits an den Disputationsworten und Gerichtsreden deutlich, welche Rolle Elemente der weisheitlichen Über25

Zum Text vgl. B. GEMSER, Sprüche Salomos, Handb. z. AT, 1. Reihe Bd. 16, Tübingen 1937, z. d. St.

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lieferung in der Botschaft des Deuterojesaja spielen 26 . Es wäre, wie es scheint, aber einmal nötig, den gesamten Bestand des DeuterojesajaBuches nach weisheitlichem Gut zu durchforschen. In seinem Aufsatz, Wisdom in the Old Testament Prophets 27 , stellt J O H . LINDBLOM die grundsätzliche Frage : »whether traces of the ideas of the Wisdom teachers are to be found in the preaching of the prophets« 28 . Diese Frage, die, wie der Verfasser in seiner Übersicht zeigt, mit Recht im Blick auf die prophetische Literatur zu stellen ist, scheint für das Deuterojesaja-Buch besonders dringlich zu sein 29 . Es würde sich nämlich aller Wahrscheinlichkeit nach zeigen, daß die weisheitlichen Elemente hier noch viel verbreiteter sind, als man gemeinhin angenommen hat. Erst wenn diese Vorarbeit geleistet ist, wird es möglich sein, auch die theologische Seite dieses Problems zu erörtern. 26

So hat schon J O A C H I M B E G R I C H Jes 5 5 1 - 3 als Nachahmung einer weisheitlichen Stilform angesehen (Einladung der Frau Weisheit zum Gastmahl), Studien zu Deuterojesaja S. 53f. 27 In: Wisdom in Israel and in the Ancient Near East, VT Suppl. III, Leiden 1960, S. 192ff. 28 A. a. O. S. 196. 29 Eigenartigerweise erscheint Deuterojesaja in der Ubersicht L I N D B L O M S SO gut wie gar nicht, obwohl ausdrücklich auf die Bedeutung der rhetorischen Fragen für den weisheitlichen Redestil hingewiesen wird, a. a. O. S. 201.