Der Souveränetätsbegrieff bei den französischen Theoretikern, von Jean Bodin bis auf Jean Jacques Rousseau [Reprint 2021 ed.] 9783112455081, 9783112455074

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Der Souveränetätsbegrieff bei den französischen Theoretikern, von Jean Bodin bis auf Jean Jacques Rousseau [Reprint 2021 ed.]
 9783112455081, 9783112455074

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N a c h cler für die Leipziger Juristenfakultät bestehenden Promotionsordnung ist die Drucklegung der Dissertation keine Vorbedingung der Promotion, und die Fakultät hat die Überzeugung,

züchtigen, tyrannischer Willkür Raum giebt, d a n n m ü s s e n sie* die Z ü c h t i g u n g in G e d u l d e r t r a g e n und b e d e n k e n , d'-a-ß! C h r i s t u s sie als S c h a f e u n t e r ' die- Wölfe g e s a n d t hat! 2 1

Drittes Kapitel. Vom Subjekt der Souveränität. Das Repraesent&tivprincip bei Fénelon. In. der Unterscheidung der drei Staatsformen hält Bossuet an der herrschenden Lehre fest; er erkennt die Souveränetät des Volks in der Demokratie und die des Adels in der Aristokratie an. 1 Er gebraucht jedoch stets den Ausdruck „forme de. gouvejnem.en,t" 13

F é n e l o n , Essai, c. 7. S. 113. Vgl. S. 114. und c. 8. S. 115. B o s s u e t , L. 6 A. 2. pr. 5. S. 271: E'impiété déclarée, et même là persécution, n'exemptent'pas les sujets de l'obéisBance qu'ils doivent aux princes. 2U Vgl. unten &. 106 f. 21 B o s s u e t , L. 6. A 2. pr. 6. S. 275 ff. — S. 279. — F é n e l o n . , Essai,, c. 10. S. 120: . . . . il faut' les souffrir en patience. Ce seroit donc se révolter contre Dieu même, que de se révolter contre les puissances qu'il a établies, quand même elles abusent de leur autorité. 1 B o s s u e t , Politique, L. 2. A. 1. pr. 6. Si 69: Il y a.eu diautres formes de gouvernements- que celle de la royauté. Lea histoires nous font voir un grandi nombre de républiques, dont les- unes se gouvernoient par tout te peuple, ce- qui s'appeloit démocratie; et les autres par les grands, ce qui s'appoloit aristocratie.—Ebenso F é n e l o n , E s s a i , c.,12. S. 124 f: Des différentes forme» de gouvernements, vgl. c. 10. 19

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M. Land mann:

für den Begriff der S t a a t s f o r m , abermals abweichend von der strengen Terminologie B o din s und dessen Unterscheidung zwischen S t a a t s f o r m und R e g i e r u n g s f o r m . 2 Die erbliche Monarchie preist er, wie B o d i n und seine Schule, als älteste, natürlichste und beste Staatsform. 3 Während aber F é n e l o n die Stellung des Königs als „emploi pénible et relevé" auffaßt und ihr damit den Charakter eines von Gott anvertrauten, erhabenen H e r r s c h e r a m t e s beilegt, 1 lehrt Bossuet vom Subjekt der Souveränetät in der Monarchie: Wie G o t t A l l e s i s t im U n i v e r s u m , so i s t der F ü r s t A l l e s im S t a a t e ; „ t o u t l ' É t a t e s t en la pers o n n e du prince. E n l u i e s t la p u i s s a n c e : en lui e s t la v o l o n t é de t o u t le peuple." Wie die Allmacht Gottes im Universum, so ist die Gewalt des Königs im Staate a l l g e g e n w ä r t i g . 6 Dies ist inhaltlich der Satz Ludwigs XIV., mit nur geringer formeller Variation: die Identifizierung des Staates und des Königs; der G e g e n s a t z zur L e h r e der M o n a r c h o m a c h e n : „ R e s publica est Populus!" Mit besonderem Nachdruck vertritt F é n e l o n , wie oben gezeigt, B o d i n s Lehre, daß es nur drei Staatsformen geben könne, und daß die „forme mixte" eine Teilung der Souveränetät bedeuten würde, die den Staat früher oder später dem unvermeidlichen Untergange entgegenführen müsste. Obwohl er diese Gedanken mit größter Klarheit und Praecision ausspricht, entwirft er nichtsdestoweniger im fünfzehnten Kapitel seiner Abhandlung das B i l d e i n e s I d e a l s t a a t e s , d a s e i n e g e m i s c h t e S t a a t s f o r m im e i g e n t l i c h s t e n S i n n e d e s W o r t e s d a r s t e l l t . Der hierin liegende, evidente Widerspruch erklärt sich dadurch, daß F é n e l o n , im Gegensatze zu B o s s u e t , nach ä u ß e r e n , r e c h t l i c h e n Schranken des Souveräns sucht. Das erwähnte, höchst interessante Kapitel enthält manche Ideen, die der Theorie Montesquieus von der Gewaltenteilung, und der konstitutionellen Doktrin auffallend nahe verwandt sind. Unzweifelhaft hat die englische Verfassung Ramsays Schrift beeinflusst; aber es steht fest, daß die „monarchie modérée par l'aristocratie", wie sie der Schotte darstellt, der Meinung F é n e l o n s von der vorzüglichsten Staatsverfassung vollkommen entspricht. 8 F é n e l o n sagt: ' Ebenso freilich F é n e l o n , M o n t e s q u i e u und R o u s s e a u . B o s s u e t , L. 2. A. 1. pr. 7. S. 70ff. pr. 8 und 9. 4 F é n e l o n , E s s a i , c. 10. S. 118. 5 B o s s u e t , L. 6. A. 1. pr. 1. S. 253. — Vgl. L. 5. A. 4. pr. 1. S. 242: tout l'Etat est en lui; la volonté de tout le peuple est renfermée dans la sienne. 9 J a n et, a. a. O., II. S. 296: Il est possible que cet Écossais, si royaliste qu'il fût, ait introduit dans les principe» de Fénelon quelques unes des idées du parlementarisme anglais Au reste, ce qui est tout à fait conforme aux principes connus de Fénelon, c'est la théorie de la monarchie aristocratique 3

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Der Souveränetätsbegriff bei den französischen Theoretikern.

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Eine V e r s a m m l u n g , deren Mitglieder nicht durch Wahl, sondern durch erblichen Adel bestimmt werden, soll mit dem König die g e s e t z g e b e n d e G e w a l t t e i l e n . Der König soll mehr vermögen, als die Gesamtheit der Glieder dieser Versammlung, aber nichts ohne sie, wenn es sich um die Gesetzgebung handelt. Denn die Gewalt des Königs darf nicht die einzige Gewalt im Staate sein. Es darf nichts geschehen ohne sie, aber es darf nicht Alles durch sie allein geschehen. Man darf keineswegs Gesetze geben wider des Königs Willen und Zustimmung, aber die Gesetze dürfen schlechterdings nicht gänzlich von seinem unumschränkten Willen abhängen. Es bedarf daher bei der Gesetzgebung eines Zusammenwirkens der Gewalt des Königs und der aristokratischen Versammlung; keine der beiden Gewalten darf unabhängig von der anderen die Gesetzgebung handhaben. 7 Das Volk endlich soll von der Regierung nicht gänzlich ausgeschlossen sein, aber an der gesetzgebenden Gewalt soll es niemals teilhaben. Denn wenn einmal die Deputierten des Volks sich der höchsten Gewalt bemächtigen, wissen sie sich nur selten in den rechten Grenzen zu halten und führen früher oder später den Despotismus der gemeinen Masse herbei. Um aber das Volk vor Unterdrückung durch die königliche Gewalt zu schützen, soll es ein unverletzliches Gesetz sein, daß ohne seine Einwilligung niemals außerordentliche S t e u e r n erhoben werden dürfen. 8 Um diese Staatsform vollkommener zu gestalten, muß die Moexposée dans l'„Essai sur le gouvernement civil". — Vgl. auch F é n e l o n selbst im Supplément à l'Examen de conscience, II. S. 102: T o u t p r i n c e s a g e d o i t s o u h a i t e r de n ' ê t r e q u e l ' e x é c u t e u r des lois, et d ' a v o i r un conseil s u p r ê m e qui m o d è r e son a u t o r i t é . 7 F é n e l o n , E s s a i , c. 15. S. 138: Si le gouvernement est entièrement entre les mains des nobles, ils oppriment le pauvre peuple; . . . . Si le gouvernement est démocratique, les nobles et les grands sont toujours exposés à la haine et aux insultes du menu peuple. Il faut donc une puissance supérieure à ces deux ordres, qui les tienne dans leurs justes bornes: la royauté est comme le point d'appui d'un levier, qui, en s'approchant de l'une ou de l'autre de ces deux extrémités, les tient dans l'équilibre . . . . Voilà ce qui fait croire aux royalistes modérés qu'une assemblée dont les membres sont fixes, et non point électifs, doit p a r t a g e r avec le roi, n o n p a s l a p u i s s a n c e s o u v e r a i n e (!), m a i s le p o u v o i r l é g i s l a t i f . . . . . Il ne faut pas que l'autorité royale soit l'unique et la seule puissance de l'État Il faut un concours de la puissance monarchique et aristocratique, pour composer le pouvoir législatif, et il ne faut jamais qu'ils agissent d'une manière indépendante. 8 E b e n d a , S. 138: Il ne faut pas que le peuple soit entièrement exclu du gouvernement, mais il ne faut jamais partager avec lui le pouvoir législatif. . . . . Or, pour mettre le peuple à couvert de l'oppression, et l'empêcher d'être foulé par l'autorité royale, ce doit être une loi inviolable de ne jamais lever de subsides extraordinaires, sans son consentement. (189)

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M; Landmann :

narchie eine e r b l i c h e sein; ebenso aber auch der Adel und die mit ihm; verbundene aristokratische Gewalt, damit dem Staate die äußerst gefahrvollen Wahlintriguen erspart bleiben. 9 In den Worten, mit denen FSnelo-n die Vorzüge seines Idealstaates hervorhebt, finden sich wiederum' überraschende Anklänge an die Doktrin Montesquieus: Diese Staatsform hat alle Vorzüge, die man in der E i n h e i t der höchsten Gewalt hinsichtlich der Vollstreckung guter Gesetze findet; ferner jedoch auch alle Vorteile, die sich aus der M e h r h e i t der mit der Gesetzgebung betrauten Personen ergeben; endlich aber alle Vorzüge, die man in Demokratien beobachtet, insofern; der König nicht im stände ist, das Volk durch willkürliche außerordentliche Steuern zu überlasten. 10 Man bemerkt hier in der That eine lebhafte Vorahnung der konstitutionellen. Doktrin, sowie« der Trennung der' exekutiven von der legislativen Gewalt' im Sinne der Lehre Montesquieus. 11 Obwohl R a i n s a y bei Beginn- seiner Darstellung wiederholt in Abrede stellt, daß'in dieser „aristokratischen Monarchie" eine wirkliche T e i l u n g der Souveränetät vorliege, räumt er dies doch am Schlüsse des Kapitels, wo er selbst seinen Idealstaat kritisiert, rückhaltlos ein, indem er sagt: Die Teilung der Souveränetät unter König und Aristokratie verursacht unfehlbar einen Kampf entgegengesetzter Gewalten. 12

Viertes Kapitel. Vom Inhalt der Souveränetät. — Staat und Kirche. Auch hinsichtlich des Inhalts der Souveränetät schließt sich ß o s s u e t in. allen Hauptpunkten an die herrschende Bodin'sche Lehre an. So nennt er als ausschließliche Rechte des Souveräns das » Ebenda, Nr. T. S. 139. Nr. 8. S. 139 fi Ebenda, S. 140 f: Cette sorte de gouvernement, a tous les avantages qu'on- trouve dans l'unité de la puissance suprême, pour exécuter promptement le» bonnes lois; tous ceux qu'on trouve dans la multiplicité des conseillers pour faire lés bonnes, lois.; et enfin tous ceux qu'on trouve dans le gouvernement populaire, par l'impuissance où est le Roi d'accabler le peuple de subsides extraordinaires. n Vgli Montesquieu 1 , De l'esprit des lois, L. XL chap. U. 12 F é n e l o n , c. 15. Si 141: Mais quels que soient:les avantages de cette forme de gouvernement,, elle a pourtant ses inconvéniens comme-les autres: 1° Le p a r t a g e d^e la s o u v e r a i n e t é e n t r e le Roi et l e s s e i g n « u r s oause inf a i l l i b l e m e n t un c o m b a t de p u i s s a n c e s c o n t r a i r e s . 10

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Der Souveränetätsbegriff. bei den französischen Theoretikern.

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Recht der Gesetzgebung,, das Recht über Krieg und, Frieden, 1 das Recht, den höchsten* richterlichen Instanz, 2 das Recht auf, Treue und unbedingten Gehorsam 3 und das,Besteuerungsrecht. Dem, Souverän, steht überhaupt alle legislative, wie alle exekutive Gewalt zui 4 Ein etwaiges: P a r l a m e n t , , odeü eine S tä.ndever Sammlung kann stets nur beratende Bedeutung haben,, keinerlei selbständigem Recht der Bisschlußfassung und Mitwirkung bei der, Gesetzgebung oder anderen, wichtigen. Regierungsakten, 1 Dasselbe gilt natürlich vom Staatsrate, den, B o s s u e t durch eine nur geringe Zahl, von; „conseillers" gebildet, wissen will. (L..5. A..2, pr. 4.. S. 205, f.) Der Souverän hat daher ein B e s t e u e r u n g s r e c h t , , das, wie alle anderen Souveränetätsrechte, lediglich im Gewissen des Gewalthabers seine Grenzen findet: Der Fürst, soll zwar dem. Volke nur mäßige Steuern auferlegen und sie nach den Bedürfnissen des Staates abwägen. Aber im Gegensatze zu B o d i n sagt Bossinet kein Wort von einem S t e u e r b e w i l l i g u n g s r e c h t e des Parlaments. 6 Um; so, energischer tritt dafür, sowie für ein Mitwirkungsrechb des Parlaments bei anderen wichtigen Regierungsakten F é n e l o n in die Schranken. Im „Examen de conscience sur les devoirs de la royauté" äußert er,, mit u n v e r h ü l l t e r . V e r u r t e i l u n g d e r p o l i t i s c h e n Z u s t a n d e ; F r a n k r e i c h s zu j e n e r Z e i t : „Vous savez qu'autrefois le Roi. ne prenoit jamais rien sur les peuples par sa seule autorité: c'étoit le; Parlement, c'est-à-dire* l'assemblée de la> nation,, qui lui accordoit, les fonds nécessaires' pour les besoin» extraordinaires de l'État. Hors- de ce cas,, il vivoit.de son domaine,, Qu' est ce qui a changé cet ordre,, sinon l'autorité 1 absolue que les rois ont prises?" 6 — Und. in den „Plan» de gouvernement" finden, sich Worte, die das Bestreben einer völligen Umwälzung der damaligen, französischen Staatsverfassung kundgeben : „Etablissement d'Etats-généraux. Composition des- Etats^généraux: de l'évêque de chaque diocèse; d'un 1 B o s s u e t , L. 4., At. l,.pr..3. S. 126: Au prince seul appartient le soin général, du peuple, . . .... à lui les ouvrages publics; à lui les places et les armes-; à, lui les décrets et les ordonnances; à, lui'les marques de distinction, nulle puissance que dépendante de la sienne; nulle assemblée que par son autorité. 2 L..4. A. 1. pr. 2. Si 122. — L. 8; A. 3. prt 4. S. 413. 3 L. 6. A. 2. pr. 4. 8. 268: Le respect, la fidélité, et l'obéissance qu'on doit aux, rois, ne doivent être altérés, par aucun'prétexte. 4 L. 6. A. 2. pr. 3. S. 2£6 f: Aiusi. les, tributs qu'on.paic au prince,, sont une reoonnoissanoe de; l'autorité suprême;, et an ne les peut refuser sans-rébellion. — Vgl,. Fénelon-, E s s a i , c. 11. S. 123: il. faut que le souverain, ait trois sortes de droits 1°.,... le pouvoir législatif. 2°. . . le pouvoir de faire la, guerre et la paix, 3°. . . le pouvoir de lever de» impôts. 5 Boss-uet,, L. 10. A. 1. pr. 7 und 9. 6 F é n e l o n , Examen, Art. III. Nr. XVIIL S-, 90.

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M. Landmann:

seigneur d'ancienne et haute noblesse, élu par les nobles ; d'un homme considérable du t i e r s - é t a t , élu par le tiers-état. — É l e c t i o n libre: nulle recommandation du Roi, qui se tourneroit en ordre: nul député perpétuel, mais capable d'être continué."7 Hier geht F é n e l o n noch weiter, als in dem „Essai Philosophique"; denn während er nach E a m s a y in der aristokratischen Monarchie die legislative Gewalt nur einer durch erblichen Adel gebildeten Versammlung anvertrauen will, verlangt er hier ein w e n i g s t e n s zum Teil aus f r e i e r Wahl der Stände e i n s c h l i e ß l i c h des dritten S t a n d e s hervorgehendes Parlament, dem er ein sehr umfassendes Beschlußfassungsrecht über alle Gegenstände der Justiz und der Finanzen, über Krieg und Frieden vindiziert.8 — Im Gegensatze zur Lehre der Dominikaner und Jesuiten, die aus ihrer Doktrin des rein weltlichen Ursprungs des Staates die Unterordnung der Staatsgewalt unter die unmittelbar von Gott abgeleitete geistliche Gewalt folgerten, verneinen B o s s u e t und F é n e lon eine derartige Unterordnung, indem sie auch die weltliche Gewalt unmittelbar von Gott herleiten und dadurch zur vollkommenen Koordinierung beider Gewalten gelangen. Die Konsequenzen dieser Lehre sind in folgenden Sätzen ausgesprochen: Die geistliche und die weltliche Gewalt sind zwei von einander unabhängige, aber doch miteinander in enger Vereinigung stehende Gewalten; sie schulden einander wechselseitige Hilfe. Die Kirche erkennt für das Zeitliche die Staatsgewalt an, wie ihrerseits die Könige in Dingen des Glaubens und der Religion sich als „humbles enfans" der Kirche bekennen und sich den „décisions ecclésiastiques" unterwerfen.9 Der König hat sich j e d e n E i n g r i f f s in die Rechte und Autorität der Kirche zu enthalten. Aber 7

F é n e l o n , Plans de gouvernement, Art. II. § 3. Nr. 5. S. 183 f. Ebenda, S. 184: Autorité des États, par voie de représentation, pour s'assembler tous les trois ans en telle ville fixe, à moins que le Roi n'en propose quelque autre. — Pour continuer les délibérations aussi longtemps qu'ils le jugeroht nécessaire. — Pour é t e n d r e leurs délibérations sur toutes les matières de justice, de police, de finance, de guerre, d'alliances et négociations de paix, d'agriculture, de commerce. 9 B o s s u e t , L. 7. A. 5. pr. 12. S. 357: Le sacerdoce dans le spirituel, et l'empire dans le temporel ne relèvent que de Dieu. Mais l'ordre ecclésiastique reconnoît l'empire dans le temporel, comme les rois, dans le spirituel, se reconnoissent humbles enfans de l'Église. Tout l'état du monde roule sur ces deux puissances. C'est pourquoi elles se doivent l'une à l'autre un secours mutuel. — F é n e l o n , Plans de Gouvernement, Art. II. § 4. Nr. 3. S. 184 f: Indépendance réciproque des deux puissances. Les deux puissances, d'abord séparées pendant trois cents ans de persécution, unies et de concert, mais non confondues, depuis la paix. Elles doivent demeurer d i s t i n c t e s , et l i b r e s de part et d'autre dans ce concert. 8

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Der Souveränetätsbegriff bei den französischen Theoretikern.

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a u c h der K i r c h e und i h r e m O b e r h a u p t e i s t von G o t t nur ü b e r D i n g e , die s i c h auf das S e e l e n h e i l b e z i e h e n , Macht u n d R e c h t v e r l i e h e n worden, k e i n e s w e g s über w e l t l i c h e und b ü r g e r l i c h e A n g e l e g e n h e i t e n . „Wir erklären daher, daß die Könige und Souveräne durch die Ordnung Gottes in zeitlichen Dingen keiner kirchlichen Gewalt unterworfen sind; daß sie durch die Autorität des Oberhauptes der Kirche weder direkt noch indirekt abgesetzt werden können; und daß ihre Unterthanen von der ihnen geschuldeten Gehorsamspflicht, oder dem Eide der Treue niemals entbunden oder freigesprochen werden können." 10

Fünftes Kapitel. Die Ideen Ludwigs des Vierzehnten. Nach dem Versuche einer systematischen Darstellung der Souveränetätslehre der französischen Theoretiker im Zeitalter des „großen Königs", wird es nicht uninteressant sein, die Gedanken Ludwigs XIV. selbst, wie er sie in den „Instructions pour le Dauphin" ausspricht, kennen zu lernen. Es handelt sich hier nicht um ein wissenschaftliches S y s t e m , sondern nur um die charakteristischen Hauptzüge der Ideen und Grundsätze dieses einflußreichen Fürsten. N a c h L u d w i g XIV. g i e b t e s im S t a a t e nur ein G e s e t z : d e n W i l l e n des M o n a r c h e n , des S t e l l v e r t r e t e r s G o t t e s auf E r d e n . D e r F ü r s t h a t die h ö c h s t e und a l l e G e w a l t im S t a a t e . Neben ihm existiert keine Gewalt, unter ihm kein politischer Akt, ja nicht einmal ein Wille oder Gedanke, der nicht von ihm abhängig wäre. Uber ihm existiert nur Gott. 1 Der König weiß alles und thut alles persönlich. Niemals ernenne er einen Premierminister; denn nichts ist des Monarchen unwürdiger, als daß die Ausübung der ganzen Gewalt in der Hand dieses Ministers ruhe, während dem Könige selbst der leere Name und Titel der 10 B o s s u e t , Les quatre maximes de 1682. — Vgl.] J a n e t , tome II. S. 290 ff. — Ebenso F é n e l o n , Plans de Gouvernement, Art. II. § IV. Nr. 4. S. 185: . . . . m a i s e l l e ( l ' É g l i s e ) n'a aucun droit d ' é t a b l i r ou de déposer l e s r o i s : l ' É c r i t u r e ne l e dit p o i n t : e l l e marque s e u l e m e n t leur s o u m i s s i o n v o l o n t a i r e pour l e s p r i r i t u e l . 1 O e u v r e s de L o u i s XIV. Paris et Strasbourg 1806. 6. vol. Tomes I. II: M é m o i r e s H i s t o r i q u e s et I n s t r u c t i o n s d e L o u i s X I V . pour le D a u p h i n , son F i l s . — Vgl. M. J. Matter, Histoire des doctrines morales et politiques des trois derniers siècles. Paris 1836. tome II. S. 329 ff. L o u i s XIV., Instructions, tome II. 8. 336. f.

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Mi Landmann: /

Majestät, übrig bleibt.2 Der Monarch; ist überhaupt im S t a a t e All,es. Er i s t mit dem Staate identisch. — Ludwig XIV. vertritt somit, wie sich M. J. Matter ausdrückt, einen dem Orient entlehnten „ K ö n i g s p a n t h e i s m u s " . 3 Er hält sich infolgedessen für den wirklichen E i g e n t ü m e r des- ganzen Landes und alles dessen, was darin lebt und existiert. Es ist nach ihm ein großer Irrtum den Fürsten, nur bestimmte Dinge und bestimmte Personen, als ihr Eigentum zu betrachten. Das; Geld, und Gut,, welches der König in* seiner Privatschatulle hat; das, was in den Händen der königlichen Schatzmeister bleibt, sowie das, was der König in den Händen seines Volkes läßt, ist in gleicher Weise des Königs wahres Eigentum und wird von ihm nach souveränem Willen verwaltet.4 So verneint Ludwig XIV. das Princip der p e r s ö n l i c h e n F r e i h e i t und des Eigentum« der- Unterthanen, das selbst Bossuet, der getreue und gewandte Höfling und. Priester, der fügsame Herold' der absolutistischen Ideen seines vergötterten Königs, nicht anzutasten wagte. Dem Souverän gegenüber hat das Volk selbstverständlich keinerlei Recht des Widerstandes, oder der Erhebung, wie ungerecht und tyrannisch der König auch herrschen mag. Die Revolte der U n t e r t h a n e n i s t ohne Ausnahme „ i n f i n i m e n t criminelle"; denn Gott, der die Könige den Völkern einsetzt, will', daß man sie als seine Stellvertreter achte, und behält sich allein das Recht vor, über ihre Handlungen zu richten. Es ist sein Wille und' sein ausdrückliches Gesetz, daß die Unterthanen dem Fürsten „sans discernement" gehorchen; sie haben demnach auch nicht zu prüfen

2

Ebenda, tome F. S. 27 ff: Quant äux personnes qui dévoient seconder mon travail, je résolus-sur toutes choses de ne pointprendre de premier ministre. Et si vous m'en croyez, mon fils,, et tous vos- successeurs^ après vous, le nom en sera pour jamais aboli en France: rien n'étant plus indigne que de voir d'un coté toute la fonction, et de l'autre le seul titre de Roi. 8 M. J. Matter, a. a. 0., tome II. S. 337: Ce p a n t h é i s m e royal emp r u n t é à l ' A s i e et que la C a s t i l l e a v a i t un peu a p p r i s par s e s t r a d i t i o n s arabes,, Louis-XIV. l'e r é a l i s e . Le mot: „L'État, c'est Moi", n'est pas pour> lui de la1 poésie, c'est dte 1&' religion. 4 L o u i s XIV., Instructions, tome Hi 8. 93: 6'esfc une grande erreur parmi les princes-, de s'approprier c e r t a i n e s - c h o s e s e t cerfcain-e-s p e r s o n n e » comme si elles étoient à eux d'une autre façon que' le- reste de ce qu'ils- ont sous leur empire. T o u t ce qiui- se t r o u v e dans n o s - É t a t ^ de q u e l q u e nature q.u'il s-oit, nous a p p a r t i e n t au mémtà titre. Les deniers qui, sont dans- notre cassette, ceux qui- demeurent entre les main» de nos trésoriers et ceux que nous l a i s s o n s dans le c o m m e r c e de n o s peuples:, doivent être par nous également ménagés. (194)

Der Souveränetätsbegriff bei den französischen Theoretikern.

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und zu entscheiden, ob der königliche Befehl mit dem göttlichen Recht im 'Einklänge -steht, ¡oder nicht.® Nicht einmal das ¡Recht der Remonstranz wird den Unterthanen konzediert. Wer eine von d e r Meinung des K ö n i g s a b w e i c h e n d e , u n a b h ä n g i g e A n s i c h t zu v e r t r e t e n wagt, h a t „un mauvais coeur".6 'Ludwig XIV. ist daher jeder ' R e p r e s e n t a t i o n des Volkes nicht nur .abgeneigt, sondern steht diesem Gedanken so schroff und feindlich, als möglich, gegenüber: ¡Es hieße, die Ordnung der Dinge umkehren, wenn man den Unterthanen 'ein Beschlußfassungsrecht zuerteilen, dem Souverän die Folgeleistung auferlegen wollte. Je mehr Rechte man dem Volke konzediert, um so mehr nimmt es für sich in Anspruch; was es einmal in seinem Besitze hat, das hält es mit so vielen Armen fest, daß man es ihm ohne Anwendung äußerster Gewalt nicht wieder zu entreißen vermag. 7 D a s V e r h ä l t n i s des S t a a t e s zur K i r c h e faßt er, seinen übrigen Grundsätzen gemäß, in dem Sinne auf, daß er der Kirche schlechterding« kein Recht über die Staatsgewalt einräumt, wohl a b e r d i e s e r ein H o h e i t s r e c h t ü b e r j e n e als s e l b s t v e r s t ä n d liche und n o t w e n d i g e K o n s e q u e n z s t a a t l i c h e r Machtvollk o m m e n h e i t v i n d i z i e r t . Insonderheit über das Kirchengut äußert er sich dahin: Die Könige sind „seigneurs absolus", sie haben die volle und freie Disposition über alle Güter, die sich in ihrem Reiche befinden; nicht allein über die der Laien, sondern ebensowohl über die der Kirche. Die Privilegien und Freiheiten der Kirche eximieren die Geistlichen nicht vom Gehorsam und von der im Evangelium selbst anbefohlenen, bedingungslosen Unterordnung unter den Souverän. 8 5

L o u i s XIV., a. a. 0 . , tome II. S. 336: Il faut assurément demeurer d'accord que, quelque mauvais que puisse être un prince, la révolte de ses sujets est toujours infiniment criminelle. Celui qui a donné des rois aux hommes, : a voulu qu'on les respectât comme ses lieutenans, se réservant à Lui Seul le droit d'examiner leur conduite. Sa volonté est que quiconque est né sujet obéisse s a n s d i s c e r n e m e n t ; et cette loi si expresse, si u n i v e r s e l l e , n'est pas faite en'faveur des princes seuls, mais est salutaire aux peuples.mêmes auquels élle est imposée, et qui ne la peuvent jamais violer sans s'exposer à des maux beaucoup plus terribles que ceux dont ils prétendent se garantir. 6 Vgl. 'M. J. M a t t e r , 'tome III. 'S. 342. 7 L o u i s XIV., a. a. O., tome II. S. 27f: C ' e s t p e r v e r t i r l'ordre d e s c h o s e s q u e d ' a t t r i b u e r l e s r é s o l u t i o n s a u x s u j e t s et la d é f é r e n c e au s o u v e r a i n . . ... j'ai bien sujet de vous représenter ici la misère de ceux qui sont abandonnés à l'indiscrétion d'une populace assemblée. 8 L o u i s XIV., tome II. S.''121: Vous devez donc premièrement être persuadé, que les rois sont seigneurs absolus et ont naturellement kl disposition pleine et libre de tous les biens qui sont possédés ausisi bien par les gens d'église que par les séculiers •6. 122: En second lieu, il est bon que vous 0195)

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M. Landmann:

Hinsichtlich des S u b j e k t s der souveränen Gewalt anerkennt der König ausschließlich die Fürstensouveränetät. D i e M o n a r c h i e e r s c h e i n t i h m a l s die e i n z i g e x i s t e n z f ä h i g e und e x i s t e n z b e r e c h t i g t e S t a a t s f o r m , die man wohl abschaffen kann, zu der man aber notwendigerweise stets zurückkehren muß. Die anderen Staatsformen betrachtet er als nicht naturgemäß: Aristokratie und Demokratie sind für ihn anormale Zustände der Unordnung. 9 D i e s sind die p o l i t i s c h e n I d e e n des F ü r s t e n , d e s s e n p r a e p o t e n t e m E i n f l ü s s e E u r o p a l ä n g e r a l s ein h a l b e s J a h r h u n d e r t u n t e r w o r f e n war. Die Meinung des Herrschers war die herrschende Meinung, nicht allein in Frankreich, sondern auch in den meisten Staaten des übrigen Europa.

Vierter Teil.

Die Vernichtung des Souveränetätsbegriffes durch Montesquieu. Allgemeines. Wohl kein Theoretiker hat widerspruchsvoller über die Souveränetät geschrieben, als Montesquieu in seinem „ G e i s t der G e s e t z e . " 1 Die hohen Verdienste dieses unsterblichen Werkes, insbesondere um die Begründung und Entwickelung der konstitutionellen Doktrin, sollen durch die folgenden Bemerkungen selbstverständlich nicht in Zweifel gezogen werden. Aber es ist fast unbegreiflich, wie nach B o d i n über die souveräne Gewalt so Widerspruchsvolles von einem bedeutenden Manne hat geschrieben werden können. Unwillkürlich muß man fragen, ob Montesquieu B o d i n s Werk über den Staat appreniez, que ces noms mystérieux de franchises et libertés de l'église regardent également tous les fidèles, soit laïques, soit tonsurés, qui sont tous également fils de cette commune mère, mais qui n'exempte ni les uns ni les autres de la sujétion des souverains, auxquels l'évangile même leur enjoint précisément d'être soumis. 9 L o u i s XIV., tome II. S. 19." 1 M o n t e s q u i e u , D e l ' E s p r i t des l o i s , zuerst Genève 1748; hier nach der Nouvelle Édition, revue sur les meilleurs textes suivie de la défense de l'esprit des lois par l'auteur; Berlin, A. A s h e r & Co. — Uber M o n t e s q u i e u vgl. R. von Mohl, a. a. 0., Bd. I. S. 237 ff. Daselbst Litteraturangaben, vgl. S. 271 ff. — P a u l J a n e t , a . a . O . tome II. S. 329—373. — Otto G i e r k e , J o h a n n e s A l t h u s i u s , S. 186f. — B l u n t s c h l i , 1. c., S. 298—316. (196)

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M. Landmann:

Hinsichtlich des S u b j e k t s der souveränen Gewalt anerkennt der König ausschließlich die Fürstensouveränetät. D i e M o n a r c h i e e r s c h e i n t i h m a l s die e i n z i g e x i s t e n z f ä h i g e und e x i s t e n z b e r e c h t i g t e S t a a t s f o r m , die man wohl abschaffen kann, zu der man aber notwendigerweise stets zurückkehren muß. Die anderen Staatsformen betrachtet er als nicht naturgemäß: Aristokratie und Demokratie sind für ihn anormale Zustände der Unordnung. 9 D i e s sind die p o l i t i s c h e n I d e e n des F ü r s t e n , d e s s e n p r a e p o t e n t e m E i n f l ü s s e E u r o p a l ä n g e r a l s ein h a l b e s J a h r h u n d e r t u n t e r w o r f e n war. Die Meinung des Herrschers war die herrschende Meinung, nicht allein in Frankreich, sondern auch in den meisten Staaten des übrigen Europa.

Vierter Teil.

Die Vernichtung des Souveränetätsbegriffes durch Montesquieu. Allgemeines. Wohl kein Theoretiker hat widerspruchsvoller über die Souveränetät geschrieben, als Montesquieu in seinem „ G e i s t der G e s e t z e . " 1 Die hohen Verdienste dieses unsterblichen Werkes, insbesondere um die Begründung und Entwickelung der konstitutionellen Doktrin, sollen durch die folgenden Bemerkungen selbstverständlich nicht in Zweifel gezogen werden. Aber es ist fast unbegreiflich, wie nach B o d i n über die souveräne Gewalt so Widerspruchsvolles von einem bedeutenden Manne hat geschrieben werden können. Unwillkürlich muß man fragen, ob Montesquieu B o d i n s Werk über den Staat appreniez, que ces noms mystérieux de franchises et libertés de l'église regardent également tous les fidèles, soit laïques, soit tonsurés, qui sont tous également fils de cette commune mère, mais qui n'exempte ni les uns ni les autres de la sujétion des souverains, auxquels l'évangile même leur enjoint précisément d'être soumis. 9 L o u i s XIV., tome II. S. 19." 1 M o n t e s q u i e u , D e l ' E s p r i t des l o i s , zuerst Genève 1748; hier nach der Nouvelle Édition, revue sur les meilleurs textes suivie de la défense de l'esprit des lois par l'auteur; Berlin, A. A s h e r & Co. — Uber M o n t e s q u i e u vgl. R. von Mohl, a. a. 0., Bd. I. S. 237 ff. Daselbst Litteraturangaben, vgl. S. 271 ff. — P a u l J a n e t , a . a . O . tome II. S. 329—373. — Otto G i e r k e , J o h a n n e s A l t h u s i u s , S. 186f. — B l u n t s c h l i , 1. c., S. 298—316. (196)

Der Souveränetätsbegriff bei den französischen Theoretikern.

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gekannt, und da dies aus mehrfachen Anklängen, zumal aber aus der Theorie des Klimas 2 unzweifelhaft hervorgeht, ob er die Souveränetätslehre Bodins je näherer Untersuchung gewürdigt hat. D e n n der V e r f a s s e r des G e i s t e s der G e s e t z e z e r t r ü m m e r t das von B o d i n k u n s t v o l l a u f g e f ü h r t e G e b ä u d e der S o u v e r ä n e t ä t s l e h r e , und zwar so, daß davon n i c h t e i n m a l die G r u n d m a u e r n e r k e n n b a r g e b l i e b e n sind. In zwei von einander geschiedenen Theorien lehrt Montesquieu einander Widersprechendes und Unvereinbares. Aber nicht nur die beiden Theorien als Ganze stehen einander unversöhnlich gegenüber, sondern in jeder einzelnen findet sich Fremdes mit Fremdem gemischt. Die eine dieser Theorien ist die von den S t a a t s f o r m e n , „espèces de g o u v e r n e m e n t s " , 3 die andere die von der G e w a l t e n t e i l u n g . 4 Die Lehre von der Gewaltenteilung als Kernpunkt der gesamten Theorie Montesquieus bedarf an erster Stelle einer genaueren Wiedergabe, damit eine kritische Untersuchung dieser Theorie sowie ihres Verhältnisses zur Lehre von den Staatsformen und zum Souveränetätsbegriffe ermöglicht werde.

Erstes Kapitel.

Montesquieus Lehre von der Gewaltenteilung und den drei Staatsformen. Die philosophischen Ideen, von denen Montesquieus Theorie der Gewaltenteilung ihren Ausgang nimmt, sind folgende: In einem Staate, das heißt, in einer durch Gesetze geordneten Gesellschaft, kann die F r e i h e i t nur darin bestehen, thun zu können, was man wollen soll, und nicht zu dem gezwungen zu sein, was man nicht wollen darf. D i e p o l i t i s c h e F r e i h e i t i s t d e m n a c h das R e c h t , a l l e s zu t h u n , was die G e s e t z e e r l a u b e n . 1 a M o n t e s q u i e u , Esprit des lois, livre X4 ff. vgl. mit B o d i n , De Republica, liber V. c. 1: De confirmando civitatum statu pro r e g i o n u m ac populorum v a r i e t a t e , quibusque diseiplinis populorum mores dissimilesque naturae percipiantur. —Vgl. B a u d r i l l a r t , a. a. 0., S. 418: M o n t e s q u i e u , qui reproduit à peu près toutes les idées développées déjà dans la „République" et qui souvent y puise jusqu'à ses exemples, sait tout raviver, aiguiser. 8 M o n t e s q u i e u , livre II. chap. 1—5. S. 9—19. * Livre XI. chap. 6. S. 142—152. 1 L. XI. chap. 3. S. 141 : La liberté est le droit de faire tout ce que les lois permettent. — Vgl. die berechtigte Kritik dieser Definition bei J a n et, tome II. S. 366.

(197)

M. Landmann:

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Demokratie und Aristokratie sind keineswegs ihrer "Natur nach freie Staaten. Die politische Freiheit findet sich nur in den „ g o u v e r n e m e n t s (!) modérés".® Aber -sie ist nicht immer in den „ É t a t s (!) modérés", sondern nur dann, wenn'die'Staatsgewalt nicht mißbraucht wird. Nun ist erfahrungsgemäß jeder Mensch, der eine Gewalt inne ! hät, geneigt, sie zu mißbrauchen; er geht soweit, bis er hindernde Schranken findet. D a m i t man die S t a a t s g e w a l t n i c h t m i ß b r a u c h e n könne, •ist e s n ö t i g , daß d u r c h d i e S t a a t s v e r f a s s u n g „ G e w a l t d u r c h Gewa'lt g e h e m m t w e r d e " . , , L e p o u v o i r a r r ê t e l e p o u v o i r " ist die fundamentale Maxime der Theorie der Gewaltenteilung, das Princip der Pondération und des Gleichgewichts der Gewalten. 3 E s bedarf daher im Staate m e h r e r e r Gewalten, die solche Wechselwirkung aufeinander auszuüben im Stande sind. In j e d e m Staate giebt es drei Gewalten: die gesetzgebende, die vollziehende und die richterliche Gewalt. Die politische Freiheit des Bürgers ist jene Ruhe des Gemüts, die dem Gefühle vollkommener Sicherheit entspringt. Damit man diese 'Freiheit besitze, muß die „Regierung" eine derartige sein, daß der eine Bürger den anderen nicht zu fürchten braucht. Wenn aber die gesetzgebende mit der vollziehenden Gewalt in einer und derselben Person, oder in einem und demselben „corps de magistrature" vereinigt ist, giebt es keine Freiheit, weil man fürchten muß, daß der Monarch, oder der Senat tyrannische Gesetze schafft, um sie tyrannisch zu vollziehen. Ebensowenig existiert politische Freiheit, wo die richterliche Gewalt nicht getrennt ist von der gesetzgebenden und von der vollziehenden'Gewalt. Die vollkommene Unabhängigkeit (der „puissance de juger" ist eine der wesentlichsten Voraussetzungen der politischen Freiheit. Alles wäre verloren, wenn eine und dieselbe Person, oder eine und dieselbe Körperschaft des Adels oder des Volkes die drei Gewalten vereint ausübte. 4 Die Verteilung der drei getrennten Gewalten auf drei verschiedene S u b j e k t e gestaltet sich nach Montesquieu im Idealstaate folgendermaßen: 1

Tu "XI. chap. 4. S. 141 f. L. XI. chap. 4. S. 142. 4 Livre XI. chap. 6. S. l'43: Tout seroit perdu si le même homme, ou le même corps des principaux, ou des nobles, ou du peuple, exerçoient ces trois pouvoirs. . . . Dans la plupart des royaumes de l'Europe, le gouvernement est •modéré, parce que le prince, qui a les deux premiers pouvoirs, laisse à ses sujets 'l'exercise du troisième. 'Chez les Turcs, où ces trois pouvoirs sont réunis sur la tête du sultan, il règne un affreux despotisme. (198)

Der Souveränetätsbegriff bei den französischen Theoretikern.

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Die „ p u i s s a n c e d e j u g e r " darf nie einem permanenten Senate gegeben sein, sondern muß durch Personen ausgeübt werden, die zu bestimmten Zeiten des Jahres nach gesetzlich vorgeschriebenem Verfahren aus dem Volkskörper gewählt werden, um einen Gerichtshof zu bilden, der nur so lange tagt, als es die Notwendigkeit erheischt. Auf d i e s e W e i s e wird die r i c h t e r l i c h e G e w a l t in g e w i s s e m S i n n e „ u n s i c h t b a r und n i c h t i g " , da sie nicht an einen bestimmten Stand oder Beruf geknüpft ist. 6 Die beiden anderen Gewalten könnten eher permanenten Magistraten, oder permanenten Körperschaften anvertraut werden, weil sie nicht unmittelbar auf den Einzelnen ausgeübt werden; denn die g e s e t z g e b e n d e G e w a l t i s t l e d i g l i c h der a l l g e m e i n e Wille des S t a a t e s , und die vollziehende sorgt lediglich für die Realisierung dieses allgemeinen Willens. 6 Der Volkssouveränetätslehre nahe verwandt ist der Gedanke über das Subjekt der l e g i s l a t i v e n Gewalt: D a in e i n e m f r e i e n S t a a t e j e d e r M e n s c h , der e i n e freie G e s i n n u n g h a t , s i c h s e l b s t r e g i e r e n muß, so wäre es n ö t i g , daß das Volk in s e i n e r G e s a m t h e i t die g e s e t z g e b e n d e Gewalt b e s ä ß e ; da dies jedoch in großen Staaten unmöglich, in kleinen mit vielen Schwierigkeiten verbunden ist, muß das Volk durch Repraesentanten thun, was es selbst zu thun nicht geeignet ist. 7 In letzterem Punkte weicht bekanntlich J. J. Rousseau von Montesquieu ab. Während dieser das Repraesentativprincip vertritt und durch die Neubegründung dieses Princips sich zum Schöpfer der modernen Idee des konstitutionellen Staates gemacht hat, verwirft Rousseau in übertriebenem Radikalismus den Gedanken der Vertretung völlig, um seine äußerst konsequente, aber praktisch unrealisierbare Volkssouveränetätslehre zu schaffen. Die v o l l z i e h e n d e Gewalt muß nach Montesquieu stets in den Händen eines Monarchen liegen, weil dieser Teil der Regierung, der ? Livre XI. chap. 6. S. 144: De cette façon la puissance de juger, si terrible parmi les hommes, n'étant attachée ni à un certain état, ni à une certaine profession, devient pour ainsi dire, invisible et nulle. 9 Daselbst: Les deux autres pouvoirs pourroient plutôt être donnés à des magistrats ou à des corps permanents, parce qu'ils ne s'exercent sur aucun particulier, n'étant, l'un, que la v o l o n t é g é n é r a l e de l'État, et l'autre, que l'exécution de cette volonté générale. Man s i e h t h i e r die K e i m e der T h e o r i e J. J. R o u s s e a u s ! 7 Daselbst, S. 145: Comme dans un État libre tout homme qui est censé avoir une âme libre doit être gouverné par lui même, il f a u d r o i t que le p e u p l e en corps eût la p u i s s a n c e l é g i s l a t i v e ; mais comme cela est impossible dans les grands États, et est sujet à beaucoup d'inconvénients dans les petits, il faut que le peuple fasse par ses représentants tout ce qu'il ne peut faire par lui- même.

dij.

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8

M. Landmann:

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fast immer eines augenblicklichen Handelns bedarf, durch Einen besser ausgeübt wird, als durch Mehrere, während die legislative Gewalt meist besser durch Mehrere, als durch einen Einzigen gehandhabt wird. 8 Der legislative Körper darf sich nicht selbständig versammeln; denn eine Körperschaft hat keinen Willen, bevor sie versammelt ist, und wenn sie sich nicht vollzählig versammelt, kann man nicht sagen, welcher Teil in Wahrheit der legislative Körper ist, der erschienene, oder der nichterschienene. Übrigens giebt es für die Versammlung des legislativen Körpers mehr und weniger geeignete Zeiten. D e s h a l b m u ß die v o l l z i e h e n d e G e w a l t d a s R e c h t h a b e n , die Z e i t des Z u s a m m e n t r i t t s u n d die D a u e r d i e s e r V e r s a m m l u n g e n j e n a c h den U m s t ä n d e n zu b e s t i m m e n . Ferner soll die vollziehende Gewalt ein V e t o r e c h t haben gegenüber den Beschlüssen der gesetzgebenden Gewalt. Wenn die „puissance exécutrice" nicht das Recht hat, die Beschlüsse und Unternehmungen des legislativen Körpers zu hemmen, so wird dieser notwendigerweise despotisch werden. Denn wenn es ihm freisteht, sich jede erdenkliche Gewalt zu geben, wird er bald alle anderen Gewalten absorbieren. Die „puissance exécutrice" bedarf daher dieses indirekten, negativen Anteils an der Gesetzgebung. 9 Dagegen ist es nicht nötig, daß die legislative Gewalt ihrerseits das Recht habe, die vollziehende zu hemmen; da der Monarch lediglich die vom legislativen Körper vorgeschriebenen Gesetze vollziehen darf, da somit die exekutive Gewalt ihre Schranken in ihrer eignen Natur findet, wäre es überflüssig, sie noch besonders zu begrenzen. 10 Wohl aber muß die „puissance législative" die Möglichkeit und das Recht haben, zu p r ü f e n , auf welche Weise die von ihr gegebenen Gesetze vollzogen werden. Welcher Art indessen auch dieses P r ü f u n g s r e c h t sein mag, der legislative Körper darf schlechterdings nicht die Gewalt haben, die Person und die Handlungen des Monarchen zu richten. Dieser ist unverantwortlich. Seine Person 8

Livre XI. chap. 6. S. 147 f: La puissance exécutrice doit être entre les mains d'un monarque, parce que cette partie du gouvernement, qui a presque toujours besoin d'une action momentanée, est mieux administrée par un que par plusieurs ; au lieu que ce qui dépend de la puissance législative est souvent mieux ordonné par plusieurs que par un seul. • Livre XI. chap. 6. S. 148. Vgl. S. 150: Si le monarque prenoit part à la législation par la f a c u l t é de s t a t u e r , il n'y auroit plus de liberté. Mais comme il faut pourtant qu'il ait part à la législation pour se défendre, il faut qu'il y prenne part par la f a c u l t é d'empêcher. 10 Daselbst, S. 148: Mais il ne f a u t pas que la p u i s s a n c e l é g i s l a t i v e ait r é c i p r o q u e m e n t la f a c u l t é d'arrêter la p u i s s a n c e e x é c u t r i c e ; car l'exécution ayant ses limites par sa nature, il est inutile de la borner. Vgl. S. 150. (200)

Der Souveränetätsbegriff bei den französischen Theoretikern.

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muß geheiligt und unantastbar sein, weil er für den Staat insofern unentbehrlich ist, als er allein die gesetzgebende Gewalt durch sein Veto in Schranken hält. 1 1 Aber da der Monarch seine Gewalt nie fehlerhaft handhabt, wenn ihm nicht schlechte Ratgeber zur Seite stehen, so sollen die Minister belangt und bestraft werden können. 12 Man sollte meinen, die drei Gewalten müssten infolge der wechselseitigen Hemmung einen vollkommenen Stillstand des Staatswesens hervorrufen. Allein, da sie durch die notwendige Bewegung der Dinge zum Handeln gezwungen sind, werden sie genötigt sein, in Übereinstimmung mit einander vorwärtszuschreiten. 13 Der Theorie der Gewaltenteilung sind die Grundzüge der Lehre von den „trois divers gouvernements" unmittelbar gegenüberzustellen, wenn die Widersprüche in ihrer ganzen Schärfe hervortreten sollen. Nach M o n t e s q u i e u giebt es drei Arten der „ R e g i e r u n g " , worunter er drei S t a a t s f o r m e n versteht: die r e p u b l i k a n i s c h e , die m o n a r c h i s c h e und die d e s p o t i s c h e . Die republikanische Staatsform ist die, wo das Volk in seiner Gesamtheit, oder lediglich ein Teil des Volks die s o u v e r ä n e Gewalt innehat; die monarchische die, wo ein Einziger herrscht, aber nach festen Grundgesetzen, während im despotischen Staate ein Einziger ohne Gesetz und Regel alles nach seinem Willen und seinen Launen entscheidet. 11 Wenn in der Republik das Volk in seiner Gesamtheit die s o u v e r ä n e Gewalt hat, so liegt eine Demokratie vor. Wenn die s o u v e r ä n e Gewalt sich in den Händen eines Teiles des Volks befindet, so ist die Republik eine Aristokratie. 16 11 Daselbst, S. 148: Mais . . . . la puissance législative . . . . a droit et doit avoir la faculté d ' e x a m i n e r de quelle manière les lois qu'elle a faites ont été exécutées. 12 Daselbst, S. 149. 18 S. 150: Voici donc la constitution fondamentale du gouvernement dont nous parlons. Le Corps législatif j étant composé de deux parties, l'une enchaînera l'autre par sa faculté mutuelle d'empêcher. Toutes les deux seront liées par la puissance exécutrice, qui le sera elle-même par la législative. Ces trois puissances devroient former un repos ou une inaction. Mais, comme par le mouvement nécessaire des choses elles sont contraintes d'aller, elles seront forcées d'aller de concert. u Livre II. c. 1. S. 9: I l y a t r o i s e s p è c e s de g o u v e r n e m e n t s : le r é p u b l i c a i n , le m o n a r c h i q u e et le d e s p o t i q u e . . . . le gouvernement républicain est celui où le peuple en corps, ou seulement une partie du peuple, a la s o u v e r a i n e puissance; le monarchique, celui où un seul gouverne, mais par des lois fixes et établies; au lieu que, dans le despotique, un seul, sans loi et sans règle, entraine tout par sa volonté et par ses caprices. 15 Livre II. chap. 2. S. 10: Lorsque dans la république, le peuple en corps a la souveraine puissance, c'est une démocratie. Lorsque la souveraine puissance est entre les mains d'une partie du peuple, cela s'appelle une aristocratie.

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8*

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M. Landmann:

Zweites Kapitel.

/

Das Verhältnis dieser Theorien zum Souveränetätsbegriffe. Eine eingehende Kritik der Lehre von der Gewaltenteilung gehört nicht in den Rahmen dieser Abhandlung. 1 Nur wenige Bemerkungen mögen zur Begründung der Schlußfolgerung dienen, die hinsichtlich des Verhältnisses dieser Theorie zum Souveränetätsbegriffe gezogen werden muß. M o n t e s q u i e u denkt die vollziehende in gewissem Sinne abhängig von der gesetzgebenden Gewalt. Jene soll lediglich die Befehle dieser ausführen. Diese soll den Wirkungskreis jener in bindender Weise umschreiben. Was k a n n j e d o c h die „ p u i s s a n c e e x é c u t r i c e " h i n d e r n , die von der l e g i s l a t i v e n G e w a l t g e z o g e n e n G r e n z l i n i e n zu ü b e r s c h r e i t e n ? 2 Ein Veto wird der gesetzgebenden Gewalt der vollziehenden gegenüber ausdrücklich abgesprochen. Durch das der vollziehenden Gewalt dem Parlament gegenüber konzedierte völlig freie E i n b e r u f u n g s r e c h t , wird die gesetzgebende in vollkommene, oder doch wesentliche Abhängigkeit von der vollziehenden Gewalt gebracht; denn wenn es im Willen der „puissance exécutrice" steht, die gesetzgebende Versammlung nach Belieben zu berufen, dann steht es auch in ihrem Willen, sie garnicht zu berufen. M i t h i n wäre d u r c h diese E i n r i c h t u n g der e x e k u t i v e n G e w a l t die M ö g l i c h k e i t g e g e b e n , die l e g i s l a t i v e g ä n z l i c h zu u n t e r d r ü c k e n . Richtiger will J . J . R o u s s e a u , dafs die Versammlungen des gesetzgebenden souveränen Volks wenigstens zum Teile an gesetzlich bestimmten Terminen von selbst legitim zusammentreten. 3 Hinsichtlich des der legislativen über die exekutive Gewalt gewährten P r ü f u n g s - oder B e a u f s i c h t i g u n g s r e c h t e s sagt Mont e s q i e u nicht, wie dies zu denken, welche Ausdehnung und Wirksamkeit es haben soll. D i e s e s R e c h t l e i d e t s o m i t an U n b e s t i m m t h e i t u n d wohl ü b e r h a u p t an W e s e n l o s i g k e i t ; denn M o n t e s q u i e u betont, daß der gesetzgebende Körper schlechterdings nicht das Recht haben soll, über die Person und die Handlungen des Monarchen zu richten. U n v e r a n t w o r t l i c h s t e h t die e x e k u t i v e der l e g i s l a t i v e n G e w a l t g e g e n ü b e r . 1 Vgl. J a n e t , tome II. S. 365ff. — R o b e r t v o n Mohl, a. a. 0., Bd. I. S. 274 f. — B l u n t s c h l i , a. a. 0., S. 306 ff. 2 Vgl. R. v. M o h l , a. a. 0., Bd. I. S. 274: „ N a m e n t l i c h i s t e i n e oberste ausübende Gewalt, welcher eine gewaltlose Gesetzgebung v o r s c h r e i b t , e i n Unding." 4 Vgl. J. J. R o u s s e a u , Contrat social, L. III. c. 13. S. 303. — Siehe unten S. 131. Note 34.

(202)

Der Souveränetätsbegriff bei den französischen Theoretikern.

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Die „ p u i s s a n c e de j u g e r " wird streng nach den Gesetzen ausgeübt, ist demnach von der gesetzgebenden Gewalt in gewissem Maße abhängig, von der vollziehenden allerdings unabhängig. A u s a l l e d e m e r h e l l t , daß M o n t e s q u i e u in s e i n e m I d e a l staate eine einzige, einheitliche, höchste, jeder anderen G e w a l t ü b e r g e o r d n e t e G e w a l t n i c h t a n n i m m t , s o n d e r n drei g e t r e n n t e , u n t e r e i n a n d e r s t r e i t e n d e , in g e w i s s e m S i n n e von e i n a n d e r a b h ä n g i g e , in g e w i s s e m S i n n e u n a b h ä n g i g e Gew a l t e n an ihre S t e l l e g e s e t z t w i s s e n will. M o n t e s q u i e u kennt in Wahrheit nicht eine „puissance souveraine", nicht eine höchste Gewalt, sondern drei gleichhohe Gewalten. D a m i t i s t aber die einh e i t l i c h e S t a a t s g e w a l t z e r s t ü c k e l t , der S o u v e r ä n e t ä t s b e griff zertrümmert. Eine bemerkenswerteThatsache ist nun die, dafs M o n t e s q u i e u , wie oben gezeigt, in seiner Theorie von den „trois divers gouvernements" die Verschiedenheit des Subjekts der S o u v e r ä n e t ä t als Kriterium der verschiedenen Staatsformen — obwohl ebenfalls nicht ohne Abweichung •— hinstellt, mithin denselben Begriff als existent und unentbehrlich anerkennt, den zu vernichten er in der Doktrin der Gewaltenteilung so eifrig bemüht ist. Man wird einwenden, in der Lehre von den „trois divers gouvernements" behandle M o n t e s q u i e u die drei einfachen Staatsformen, während er in der Theorie von der Gewaltentrennung nur seinen Idealstaat, ein „gouvernement modéré", im Auge habe. Wenn er jedoch sagt: „Tout seroit perdu, si le même corps des principaux, ou des nobles, ou du peuple, exerçoient ces trois pouvoirs", so geht daraus unzweifelhaft hervor, daß er die einfachen Staatsformen überhaupt verwirft und die in einer Hand ruhende souveräne Staatsgewalt, wie sie B o d i n lehrt, als „affreux despotisme" betrachtet, der überall, wo er unglücklicherweise noch existiert, durch die Teilung der Gewalt aufgehoben werden sollte! Bei der Unterscheidung seiner drei einfachen Staatsformen selbst befolgt er n i c h t ein e i n h e i t l i c h e s Princip; er unterscheidet nicht konsequent jede der verschiedenen Formen nach dem I n h a b e r der S o u v e r ä n e t ä t , trennt daher nicht Demokratie und Aristokratie als zwei grundverschiedene Genera, sondern wendet promiscue noch ein zweites Kriterium an, indem er die Monarchie vom Despotismus scheidet, weil erstere eine durch fundamentale Gesetze temperierte, letzterer eine aller Grundgesetze entbehrende Staatsform sei. Da das Kriterium an Dualismus leidet, muß das Resultat, die Einteilung selbst, der Logik widerstreiten. M o n t e s q u i e u faßt also zunächst die Demokratie und Aristokratie als zwei Unterarten einer und derselben Staatsform auf. Mit Recht aber muß man fragen, ob dies nur zwei verschiedene Species (203)

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M. Landmann:

desselben Genus sind, oder nicht vielmehr zwei essentiell Verschiedene Genera? Montesquieu erachtet es nicht für einen wesentlichen Unterschied, ob die Souveränetät beim gesamten Volke ist, oder nur bei dem kleineren Teile des Volks. J a n e t bemerkt dagegen treffend: „Wenn man als Teilungsgrund der Staatsformen den Unterschied zwischen „Einem" und „Allen" annimmt, so muß man offenbar die Herrschaft „Mehrerer" als selbständige Staatsform und Mittelglied einführen; denn der Unterschied zwischen „Mehreren" und „Allen" ist nicht geringer, als der zwischen „Einem" und „Allen".4 Der andere l o g i s c h e F e h l e r besteht in der Trennung der Monarchie und des Despotismus, als zweier verschiedenen Genera. Montesquieu begründet die Unterscheidung damit, daß der Monarch an Fundamentalgesetze gebunden sei, der Despot frei von jedem Gesetz. Das E n t b u n d e n s e i n des Subjekts der S t a a t s g e w a l t von jedem Gesetze i s t j e d o c h kein g e e i g n e t e s Kriterium der Staats formen; denn nicht nur in der Monarchie, sondern auch in der Demokratie und Aristokratie ist nach Bodins logischem Grundsatze der Inhaber der Souveränetät von den Gesetzen entbunden. Wenn Montesquieu den Monarchen als den gerechten, bestimmte Gesetze beobachtenden, vom Despoten, als dem tyrannischen, alle Gesetze mit Füßen tretenden Alleinherrscher unterscheiden wollte, so mußte er auch die Demokratie und Aristokratie nach diesem Gesichtspunkte in je zwei weitere Formen zerlegen. Der Despotismus ist nur eine abusive Form der Monarchie, wie die Demagogie eine abusive Form der Demokratie, und die Oligarchie eine solche der Aristokratie.6 Wenn man daher die Staatsformen allein nach dem Subjekt der Souveränetät unterscheiden muß, so ist und bleibt die Bodin'sehe, einfache und logische Dreiteilung die einzig mögliche. Montesquieu giebt somit in der That nicht nur den S o u v e r ä n e t ä t s b e g r i f f auf, sondern auch die herkömmliche E i n t e i l u n g der drei Staatsformen. Wie er der einheitlichen souveränen Gewalt drei angeblich koordinierte Gewalten substituiert, so setzt er an die Stelle der drei Staatsformen als ideale eine einzige, sein „gouvernement modéré", eine seiner Uberzeugung nach harmonische Mischung der drei ursprünglichen Formen, eine Mischung, deren reales Vorbild er in der englischen Verfassung zu erkennen glaubt. Der Verfasser des „Geistes der Gesetze" ist mithin Vertreter der „mixtura formarum" im eigentlichsten Sinne des Wor* Vgl. J a n e t , tome II. S. 344 ff. 6 Dies hat schon B o d i n erkannt, wenn erlib. II. cap. 1. S. 272 sagt: Nam si Rerumpublicarum formas bonorum ac malorum finibus, aut virtutibus ac vitiis metimur, iufmitas esse comperiemus. (204)

Der Souveränetätsbegriff bei den französischen Theoretikern.

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tes, 6 da er nicht nur unter einer souveränen Gewalt eine gemischte Verwaltungsform will, wie B od in sie anrät, sondern die souveräne Gewalt selbst zersplitternd, die Staatsform selbst gemischt denkt. Dies sind die beiden Opfer, die Montesquieu gebracht hat, als er seine geniale Lehre vom freien Staate, die konstitutionelle Doktrin, schuf.

Fünfter Teil.

Die Volkssouveränetätslehre Jean Jacques Rousseaus. Allgemeines. — Rousseau und Voltaire. In vielfachem Gegensatze zur Lehre Montesquieus steht die Theorie E o u s s e a u s , der den Souveränetätsbegriff in aller Schärfe wiederaufstellt, in gewissen Punkten die letzten logischen Schlussfolgerungen aus den Sätzen Bodins zieht und den Begriff zur Grundlage seiner Volkssouveränetätslehre formt.1 Auch J . J . R o u s s e a u ist an Unklarheiten und Widersprüchen, Irrtümern und Übertreibungen reich. Ohne jede R ü c k s i c h t auf die Wirklichkeit stellt er seine P r i n c i p i e n mit unerhörter Kühnheit auf, indem er die teilweise noch wenig entwickelten Ideen der Monarchomachen des sech6 Vgl. 0 . G i e r k e , A l t h u s i u s , S. 187. — Abweichend J a n e t , II. S. 370. 371: M o n t e s q u i e u s e i n i c h t V e r t r e t e r d e r g e m i s c h t e n S t a a t s f o r m ; er habe nicht die drei Staatsformen kombinieren, sondern die drei Gewalten trennen wollen. Man dürfe die Theorie der Gewaltentrennung nicht konfundieren mit der Theorie des „gouvernement mixte"; d e n n d i e T r e n n u n g d e r G e w a l t e n sei a u c h m ö g l i c h in e i n e m „ g o u v e r n e m e n t s i m p l e " ( ! ) . J a n e t steht überhaupt in allen wesentlichen Punkten auf Seiten der Lehre der Gewaltenteilung, d a h e r auf dem S t a n d p u n k t e der N e g i e r u n g e i n e r e i n h e i t l i c h e n souv e r ä n e n G e w a l t . Man vergleiche insbesondere den Satz, wo er selbst die Schwierigkeit fühlt, tome II. S. 372: „Je n'ai pas à rechercher c o m m e n t , dans les démocraties le pouvoir exécutif doit être constitué pour pouvoir être séparé du pouvoir législatif, et en être i n d é p e n d a n t sans lui être s u p é r i e u r ; mais il est certain que, même dans ce cas, il faut encore séparer les pouvoirs. Vgl. S. 375. 377 ff. 1 J. J . E o u s s e a u , C o n t r a t s o c i a l ou p r i n c i p e s du d r o i t p o l i t i q u e , zuerst 1752, hier nach Paris, Nouvelle Édition revue d'après les meilleurs textes, Garnier Frères. —Vgl. über E o u s s e a u : E. v o n M o h l , Bd. I. S. 238ff. Daselbst Litteraturangaben. — Vgl. J a n e t , a. a. 0., tome II. S. 422—450. — 0. G i e r k e , A l t h u s i u s , S. 90f. S. 115 f. S. 201—204. — F r i e d r i c h J u l i u s S t a h l : Ges c h i c h t e d e r E e c h t s p h i l o s o p h i e . 2. Aufl. Heidelberg, 1847. S. 294—305.

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Der Souveränetätsbegriff bei den französischen Theoretikern.

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tes, 6 da er nicht nur unter einer souveränen Gewalt eine gemischte Verwaltungsform will, wie B od in sie anrät, sondern die souveräne Gewalt selbst zersplitternd, die Staatsform selbst gemischt denkt. Dies sind die beiden Opfer, die Montesquieu gebracht hat, als er seine geniale Lehre vom freien Staate, die konstitutionelle Doktrin, schuf.

Fünfter Teil.

Die Volkssouveränetätslehre Jean Jacques Rousseaus. Allgemeines. — Rousseau und Voltaire. In vielfachem Gegensatze zur Lehre Montesquieus steht die Theorie E o u s s e a u s , der den Souveränetätsbegriff in aller Schärfe wiederaufstellt, in gewissen Punkten die letzten logischen Schlussfolgerungen aus den Sätzen Bodins zieht und den Begriff zur Grundlage seiner Volkssouveränetätslehre formt.1 Auch J . J . R o u s s e a u ist an Unklarheiten und Widersprüchen, Irrtümern und Übertreibungen reich. Ohne jede R ü c k s i c h t auf die Wirklichkeit stellt er seine P r i n c i p i e n mit unerhörter Kühnheit auf, indem er die teilweise noch wenig entwickelten Ideen der Monarchomachen des sech6 Vgl. 0 . G i e r k e , A l t h u s i u s , S. 187. — Abweichend J a n e t , II. S. 370. 371: M o n t e s q u i e u s e i n i c h t V e r t r e t e r d e r g e m i s c h t e n S t a a t s f o r m ; er habe nicht die drei Staatsformen kombinieren, sondern die drei Gewalten trennen wollen. Man dürfe die Theorie der Gewaltentrennung nicht konfundieren mit der Theorie des „gouvernement mixte"; d e n n d i e T r e n n u n g d e r G e w a l t e n sei a u c h m ö g l i c h in e i n e m „ g o u v e r n e m e n t s i m p l e " ( ! ) . J a n e t steht überhaupt in allen wesentlichen Punkten auf Seiten der Lehre der Gewaltenteilung, d a h e r auf dem S t a n d p u n k t e der N e g i e r u n g e i n e r e i n h e i t l i c h e n souv e r ä n e n G e w a l t . Man vergleiche insbesondere den Satz, wo er selbst die Schwierigkeit fühlt, tome II. S. 372: „Je n'ai pas à rechercher c o m m e n t , dans les démocraties le pouvoir exécutif doit être constitué pour pouvoir être séparé du pouvoir législatif, et en être i n d é p e n d a n t sans lui être s u p é r i e u r ; mais il est certain que, même dans ce cas, il faut encore séparer les pouvoirs. Vgl. S. 375. 377 ff. 1 J. J . E o u s s e a u , C o n t r a t s o c i a l ou p r i n c i p e s du d r o i t p o l i t i q u e , zuerst 1752, hier nach Paris, Nouvelle Édition revue d'après les meilleurs textes, Garnier Frères. —Vgl. über E o u s s e a u : E. v o n M o h l , Bd. I. S. 238ff. Daselbst Litteraturangaben. — Vgl. J a n e t , a. a. 0., tome II. S. 422—450. — 0. G i e r k e , A l t h u s i u s , S. 90f. S. 115 f. S. 201—204. — F r i e d r i c h J u l i u s S t a h l : Ges c h i c h t e d e r E e c h t s p h i l o s o p h i e . 2. Aufl. Heidelberg, 1847. S. 294—305.

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M. Landmann:

zehnten und siebzehnten Jahrhunderts zu einem, trotz aller verhängnisvollen Irrtümer unzweifelhaft höchst genialen Systeme zusammenfaßt. Keine originellen politischen Ideen h a t R o u s s e a u s einflußreicher Zeitgenosse V o l t a i r e . 2 Er ist bei aller Vorliebe für die Fürsten und das Leben an ihren Höfen Anhänger der Volkssouveränetätslehre, und wenn er auch in seinen „ I d é e s R é p u b l i c a i n e s " R o u s s e au s Contrat social mit der ihm eigenen Schärfe kritisiert und vielfach anderer Meinung ist, als der Verfasser des Gesellschaftsvertrages, so stimmt er mit diesem doch in der Hauptmaxime überein: D a s Volk i s t der S o u v e r ä n und h a t die g e s e t z g e b e n d e Gew a l t , die Organe der Vollziehung („la puissance exécutive") sind den Gesetzen, also dem Souverän schlechterdings untergeordnet. 3 Bemerkenswert ist noch, daß er mit Nachdruck die E i n h e i t der souveränen Gewalt vertritt und die Existenz einer „puissance spirituelle" im Sinne der orthodox-katholischen Lehre, damit aber jedweden Einfluß der Kirche auf staatliche Angelegenheiten mit unermüdlichem Eifer bekämpft: Es darf nicht zwei Gewalten im Staate geben. D i e U n t e r s c h e i d u n g z w i s c h e n g e i s t l i c h e r und w e l t l i c h e r G e w a l t i s t m i ß b r ä u c h l i c h . Im Staate existiert keine andere Macht, als die „puissance temporelle", sowie im Hause keine andere, als die des Hausvaters, während die E r z i e h e r und L e h r e r der K i n d e r — und nur a l s „ p r é c e p t e u r s de m o r a l e pour nos e n f a n s " f a ß t V o l t a i r e die G e i s t l i c h e n a u f — w o h l eine hohe A c h t u n g , aber nicht die geringste G e w a l t im Hause besitzen. 4 Daher muß der Souverän in allen Dingen, die irgend eine Beziehung zum Staate haben, absoluter Herr über die „police ecclésiastique" sein, da diese insoweit einen Teil der Regierung bildet. Man sollte überhaupt nicht von „gouvernement civil et ecclésiastique" reden, sondern von „gouvernement civil" und „ r è g l e m e n s ecclésiastique"; die letzteren aber sollten nur von der Staatsgewalt ausgehen. 6 Die Staaten, in denen die * Voltaire, I d é e s R é p u b l i c a i n e s , 1765; ferner: L a v o i x du s a g e et du p e u p l e . — L e cri d e s N a t i o n s , 1769. — Oeuvres complètes, tome XXIX. Basle 1786. — Über Voltaire vgl. J a n e t , tome II. S. 412 f. 3 I d é e s R é p u b l i c a i n e s , XIII. Oeuvres, tomeXXIX. S.190: Le gouvernement civil est la volonté de tous, exécutée par un ou par plusieurs, en vertu des lois que tous ont portées. Vgl. XLII. S. 202 f. XVII. S. 192. XXXIV. S. 198. 4 L a v o i x du s a g e et du p e u p l e , Oeuvres, tome XXIX. S. 11: Le gouvernement ne peut être bon, s'il n'y a une puissance unique. . . . Il ne doit pas y avoir deux puissances dans un État. . . . On abuse de la distinction entre puissance spirituelle et puissance temporelle: dans ma maison reconnoît-on deux maîtres, moi qui suis le père de famille, et le précepteur de mes enfans, à qui je donne des gages? 6 I d é e s Rép. XII. S. 190. (206)

Der Souveränetätsbegriff bei den französischen Theoretikern.

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Geistlichen dem Fürsten nicht vollkommen subordiniert sind, bieten Beispiele der größten Unordnung. E s b e d a r f daher der v ö l l i g e n U n t e r o r d n u n g der P r i e s t e r u n t e r d i e S t a a t s g e w a l t . 6 Jene „précepteurs de morale pour nos enfans" dürfen keinerlei Jurisdiktions-, Inspektions-, oder Ehrenrechte beanspruchen und keinesfalls den Magistraten gleichgestellt werden. 7 Mit den s c h ä r f s t e n W o r t e n v e r w i r f t V o l t a i r e j e d e P r i e s t e r h e r r s c h a f t a l s a b s u r d und für die m e n s c h l i c h e Natur demütigend, widerspruchsvoll und verhängnisvoll; i n s b e s o n d e r e a b e r p o l e m i s i e r t er g e g e n die vom P a p s t e a n g e s t r e b t e U n i v e r s a l s o u v e r ä n e t ä t als e i n e , das E v a n gelium selbst verletzende, frevelhafte Anmaßung.8

Erstes Kapitel. Der Gesellschaftsvertrag als Fundament der Volkssouveränetät. J. J. R o u s s e a u gründet seine Volkssouveränetätslehre auf folgende Gedanken: Da alle Menschen frei und gleich geboren sind und infolgedessen kein Mensch von Natur irgend eine Autorität über seinesgleichen hat, und da auch die G e w a l t nimmermehr ein R e c h t auf Herrschaft zu erzeugen vermag, so bleibt die U b e r e i n k u n f t allein als Basis jeder rechtmäßigen Autorität unter den Menschen übrig. Nur e i n V e r t r a g , der G e s e l l s c h a f t s v e r t r a g , k a n n e i n e l e g i t i m e S t a a t s g e w a l t , d i e S o u v e r ä n e t ä t der G e s a m t h e i t des Volks, erzeugen.1 ' Der Gesellschaftsverträg aber erfordert Einstimmigkeit derPaciscenten; denn die „association civile" ist der freiwilligste Akt der Welt. Wenn jemand dem Vertrage nicht zustimmt, so hindert solche • La v o i x du s a g e et du peuple. S. 16. 7 I d é e s Eép. XI. S. 190. 8 I d é e s Rép. V. S. 188: L e plus a b s u r d e des d e s p o t i s m e s , le plus h u m i l i a n t pour la n a t u r e h u m a i n e , le p l u s c o n t r a d i c t o i r e , le plus f u n e s t e , est c e l u i des p r ê t r e s ; et de tous l e s e m p i r e s s a c e r d o t a u x , le p l u s c r i m i n e l e s t sans c o n t r e d i t c e l u i d e s p r ê t r e s de la r e l i g i o n c h r é t i e n n e . C'est un o u t r a g e f a i t à n o t r e é v a n g i l e . 1 C o n t r a t s o c i a l , Livre I. chap. 4. S. 243: Puisque aucun homme n'a une autorité naturelle sur son semblable, et puisque la force ne produit aucun droit, restent donc les conventions pour base de toute autorité légitime parmi les hommes. (207)

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M. Landmann:

Opposition das Zustandekommen des „contrat sociai" nicht; sie hindert nur, daß der Nichtzustimmende im Volke mit begriffen ist: er gilt als Fremder unter den Bürgern. Wenn jedoch der Staat konstituiert ist, so liegt im Bewohnen des Territoriums die stillschweigende Zustimmung und Unterwerfung unter die Souveränetät.2 Durch den Gesellschaftsvertrag verliert der Mensch seine natürliche Freiheit und das unbegrenzte Recht auf alles, was ihn reizt, und was er zu erreichen vermag; aber er gewinnt — und das ist das Ziel des Vertrages — die „liberté civile" und das rechtlich g e s c h ü t z t e Eigentum alles dessen, was er besitzt. 3 Zum Ersätze für die preisgegebene natürliche Gleichheit schafft der grundlegende Vertrag die rechtliche Gleichheit Aller vor dem Gesetze.4 Um aber dieses Ziel vollkommen zu erreichen, ist eine „ t o t a l e Selbstveräußerung j e d e s Individuums mit a l l e n seinen Rechten an die Gesamtheit s c h l e c h t e r d i n g s erforderlich. Nur dann, wenn sich ein jeder der Gemeinschaft ganz hingiebt, sind die Bedingungen für alle gleich.6 So begründet R o u s s e a u die schrankenlose Gewalt, die Souveränetät der Gesamtheit des Volks.

Zweites Kapitel. Rousseaus Souveränetäts begriff. Unveräufserlichkeit, Unvertretbarkeit, Unteilbarkeit, Unbeschränktheit und Unbeschränkbarkeit der Volkssouveränetät. Nach J. J. Rousseau stellt sich die Souveränetät dar als der unveräußerliche, unvertretbare und unteilbare, durch kein Gesetz beschränkte, oder beschränkbare allgemeine Wille des Volks. ' Livre IV. chap. 2. S. 314. 3 Livre I. chap. 8. S. 251: ce que l'homme perd par le contrat social, c'est la liberté naturelle et un droit illimité à tout ce qui le tente et qu'il peut atteindre; ce qu'il gagne, c'est la liberté civile et la propriété de tout ce qu'il possède. 4 Livre I. chap. 9. S. 253: c'est qu'au lieu de détruire l'égalité naturelle, le pacte fondamental substitue au contraire une égalité morale et légitime à ce que la nature avoit pu mettre d'inégalité physique entre les hommes, et que, pouvant être inégaux en force ou en génie, ils deviennent tous égaux par convention et de droit. — Vgl. R o u s s e a u , D i s c o u r s sur l ' o r i g i n e de l ' i n é g a l i t é parmi l e s h o m m e s . 1753. 6 Livre I. chap. 9. S. 251. 253. — I. chap. 6. S. 248: Ces clauses, bien entendues, se réduisent toutes à une seule: savoir, l ' a l i é n a t i o n t o t a l e de (208)

Der Souveränetätsbegriff bei den französischen Theoretikern.

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Die Souveränetät ist u n v e r ä u ß e r l i c h ; denn sie ist identisch mit dem allgemeinen Willen. Der Wille aber ist nicht übertragbar. 1 Daher kann sich das Volk, selbst wenn es dies wollte, des unmittelbaren Rechts der Gesetzgebung nicht entäußern, weil nach dem Gesellschaftsvertrage einzig und allein der allgemeine Wille der ganzen Gemeinschaft die Einzelnen bindet. Es findet sich bei R o u s s e a u derselbe Gedanke, wie bei B o d i n : Wenn ein Einzelner vom Souverän mit der Abfassung von Gesetzen beauftragt wird, so ist er zwar Schöpfer des Gesetzesinhalts, aber die Gesetzeskraft tritt erst ein durch den Gesetzesbefehl des souveränen Volks. 2 Mit Schärfe wendet sich R o u s s e a u gegen G r o t i u s , der in seinem Werke „De jure pacis et belli" lehrt: Wenn ein Einzelner seine Freiheit veräußern und sich zum Sklaven eines anderen machen kann, weshalb soll dann nicht ein Volk, die Summe der Einzelnen, dies thun und sich einem Könige unterwerfen können? R o u s s e a u erwidert: Was bedeutet hier das Wort „veräußern"? Es bedeutet entweder ein entgeltliches oder ein unentgeltliches Hingeben, entweder „verkaufen" oder „verschenken". Nun verkauft ein Mensch seine Freiheit mindestens für seinen Unterhalt. Für welches Äquivalent würde sich aber ein Volk verkaufen? Ein König liefert seinen Unterthanen so wenig den Unterhalt, daß er vielmehr den eigenen aus ihren Mitteln zieht. Die Unterthanen würden somit ihre Freiheit opfern, um auch ihr Vermögen zu verlieren. Zu sagen, daß ein Mensch sich unentgeltlich hingeben, seine Freiheit verschenken könne, ist eine Absurdität. Ein solcher Akt wäre illegitim und nichtig, weil nur ein Wahnsinniger dazu im stände wäre. Wollte man dasselbe von einem ganzen Volke sagen, so würde man ein Volk von Narren voraussetzen. 3 Es ist überdies offenbar, daß ein Unterwerfungsvertrag des souveränen Volkes mit dieser oder jener Person ein „acte particulier" c h a q u e a s s o c i é a v e c t o u s s e s d r o i t s à t o u t e la c o m m u n a u t é : car, premièrement, chacun se donnant tout entier, la condition est égale pour tous. . . . Chacun de nous met en commun sa personne et toute sa puissance sous la suprême direction de la volonté générale; et nous recevons encore chaque membre comme partie indivisible du tout. 1 L. II. c. 1. S. 254: Que la s o u v e r a i n e t é e s t i n a l i é n a b l e . Je dis donc que la souveraineté, n'étant que l'exercice de la volonté générale, ne peut jamais s'aliéner, et que le souverain, qui n'est qu'un être collectif, ne peut être représenté que par lui-même: le p o u v o i r p e u t b i e n se t r a n s m e t t r e , m a i s non p a s la v o l o n t é . 2 L. II. c 7. S. 266 : Celui qui rédige les lois n'a donc ou ne doit avoir aucun droit législatif, et le peuple même ne peut, quand il le voudroit, se dépouiller de ce droit incommunicable. — Vgl. B o d i n , oben S. 70. Note 6. 8 L. I. c. 4. S. 243. — Vgl. G r o t i u s , D e j u r e p a c i s et b e l l i , üb. III. c. 7. § 1 ff. c. 8. (209)

M. Landmann:

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sein würde, daß mithin ein solcher Vertrag kein Gesetz, kein Souveränetätsakt sein könnte und schon deshalb nichtig und illegitim wäre. 4 In dieser Art polemisierend, bemüht sich R o u s s e a u , die A b s u r d i t ä t e i n e r v e r t r a g s m ä ß i g e n V e r ä u ß e r u n g der persönlichen Freiheit und d i e W i d e r s i n n i g k e i t e i n e s die V e r ä u ß e r u n g der Volkssouveränetät enthaltenden Herrschaftsvertrages nachzuweisen.6 Mit Recht hebt J a n e t (tome II. S. 429 ff.) hervor, daß R o u s s e a u durch die Lehre von der Unveräußerlichkeit der persönlichen Freiheit seiner Maxime widerspricht: Der Gesellschaftsvertrag enthalte eine totale Selbstveräußerung des Individuums mit allen seinen Rechten an die Gesamtheit. Aber es ist zu berücksichtigen, daß R o u s s e a u aus dieser Selbstveräußerung nicht den Untergang aller Individualrechte hervorgehen läßt, sondern im Gegenteil die rechtliche Freiheit und Gleichheit. aller Paciscenten begründet wissen will. Aus der Unveräußerlichkeit der Souveränetät folgert R o u s s e a u , daß ein Volk, nach außen „un être simple, un individu", sich zwar einem anderen Volke gegenüber verpflichten kann, aber stets nur insoweit, als dadurch der Gesellschaftsvertrag nicht verletzt wird. Unmöglich ist daher die Veräußerung eines Teiles seiner selbst, oder die Unterwerfung unter einen anderen Souverän. Ein solcher Akt würde die Selbstvernichtung des betreffenden Volkes bedeuten. 6 Aus der Unübertragbarkeit des allgemeinen Willens folgt aber nicht nur die Unveräußerlichkeit, sondern auch die U n v e r t r e t b a r k e i t der Souveränetät. D e r S a t z : „ E i n e V e r t r e t u n g i m W i l l e n e x i s t i e r t n i c h t " , f ü h r t R o u s s e a u zur s c h l e c h t h i n n i g e n Ver4

L. III. c. 16. S. 308 f. s. u. S. 131 f. L. I. c. 4. S. 243: Renoncer à sa liberté, c'est renoncer à sa qualité d'homme, aux droits de l'humanité, même à ses devoirs. — L. III. c. 16. S. 309: Il n ' y a qu'un c o n t r a t dans l ' É t a t , c ' e s t c e l u i de l ' a s s o c i a t i o n : c e l u i - l à seul en e x c l u t t o u t autre. On ne sauroit imaginer aucun contrat public qui ne fût une violation du premier. — U b e r die e m i n e n t e B e d e u t u n g der N e g i e r u n g des b i s auf R o u s s e a u auch v o n den Vertretern der V o l k s s o u v e r ä n e t ä t a l l g e m e i n a n g e n o m m e n e n H e r r s c h a f t s - oder U n t e r w e r f u n g s v e r t r a g e s vgl. 0. G i e r k e , A l t h u s i u s , S. 91 f: „Es war daher in Wahrheit eine revolutionäre That, als R o u s s e a u den Herrschaftsvertrag aus der Vertragslehre strich Gerade hierin aber lag der eigentlich neue Fundamentalgedanke seiner Lehre, aus welchem sich alle von ihm wirklich zuerst ausgesprochenen und vor ihm unerhörten Sätze als Schlussfolgerungen ergaben.. D e n n die Z e r s t ö r u n g des H e r r s c h a f t s v e r t r a g e s b a h n t e ihm den W e g zur Z e r s t ö r u n g j e g l i c h e s H e r r s c h e r r e c h t s ; und aus der allein aufrecht bleibenden schrankenlosen Machtvollkommenheit der mit ihrem bloßen Zusammentritt alle konstituierten Gewalten und die ganze bestehende Verfassung zu Boden legenden Volksversammlung entwickelte er sein Programm der permanenten Revolution." 6 R o u s s e a u , L. I. c. 7. S. 249. 6

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Der Souveränetätsbegriff bei den französischen Theoretikern.

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w e r f u n g des von M o n t e s q u i e u eben e r s t n e u b e g r ü n d e t e n Repraesentativprincips.7 R o u s s e a u sagt: Es ist zwar nicht unmöglich, daß ein Einzelwille in gewissen Punkten mit dem allgemeinen Willen übereinstimmt; es ist aber jedenfalls unmöglich, daß diese Übereinstimmung Dauer und Bestand hat (1. II. q. 1.). Darauf erwidert J a n et nicht mit Unrecht: „II est vrai qu'il n'y a rien d'absolu dans les choses humaines, m a i s en p o l i t i q u e , on d o i t se c o n t e n t e r d ' a p p r o x i m a t i o n s . Ainsi, il y aura un suffisant accord entre le représenté et le représentant, si la représentation est fréquemment renouvelée par des élections périodiques." 8 Nach R o u s s e a u können die Deputierten des Volks nicht Repraesentanten des Volks sein, sie können nichts definitiv beschließen, nie vertretungsweise die Souveränetät, insbesondere die gesetzgebende Gewalt für das Volk ausüben;- sie sind vielmehr lediglich dessen „commissaires". Die V o l k s v e r s a m m l u n g , n i c h t e i n e R e p r a e s e n t a n t e n v e r s a m m l u n g , h a t die S o u v e r ä n e t ä t . Das englische Volk glaubt frei zu sein; es irrt. Es ist nur während der Wahl der Glieder des Parlaments frei; sobald die Wahl geschehen* ist es Sklave.9 In großen Staaten wäre die praktische Durchführung dieser Theorie unmöglich. Deshalb empfiehlt R o u s s e a u die Bildung kleiner Staaten, gegen das Ausland nach dem Vorbilde Hollands und der Schweiz durch Konföderationen geschützt. 10 Auch die U n t e i l b a r k e i t der Souveränetät beruht nach R o u s s e a u auf dem gleichen Grunde, wie ihre Unveräußerlichkeit. Denn der Wille ist entweder allgemein, oder er ist Einzelwille; er ist entweder der Wille des ganzen Volkskörpers, oder nur der eines Teils des Volkes. Ersterenfalls ist die Erklärung dieses Willens ein Souveränetätsakt, ein Gesetz; letzterenfalls liegt nur ein Einzelwille vor, z. B. der Akt eines Beamten ; er ist höchstens ein Dekret, eine Verordnung. 11 7 L. III. c. 15. S. 306: La souveraineté ne peut être représentée, par la même raison qu'elle ne peut être aliénée; elle consiste essentiellement dans la volonté générale, et la volonté ne se représente point: elle est la même, ou elle est autre; il n'y a point de milieu. 8 J a n e t , tome II. S. 448. • R o u s s e a u , L. III. c. 15. S. 306. 10 L. III. c. 13. S. 304. — Vgl. die Kritik der Negierung des Repraesentativprincips bei V o l t a i r e , I d é e s Rep. XXIX. S. 195: Il paroît bien étrange que l'auteur du Contrat social s'avise de dire que tout le peuple anglais devroit siéger en parlement, et „qu'il cesse d'être libre" quand son droit consiste à se faire représenter au parlement par députés. Voudroit-il que trois millions de citoyens vinssent donner leur voix à Westminster? 11 R o u s s e a u , L. II. e. 2. S. 255: Que la s o u v e r a i n e t é e s t i n d i v i s i b l e . Par la même raison que la souveraineté est inaliénable, elle est indivisible} car la

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M. Landmann:

Die Unteilbarkeit der Souveränetät ist also begründet in der Unteilbarkeit des allgemeinen Willens. Deshalb steht die souveräne Gewalt der Gesamtheit des Volks ungeteilt und ausschließlich zu. Im Anschluß an diese Sätze polemisiert R o u s s e a u lebhaft gegen die Lehre von der G e w a l t e n t e i l u n g . Er führt aus, es sei falsch, die Souveränetät zu spalten in gesetzgebende und vollziehende Gewalt ; oder in Besteuerungsrecht, Justizhoheit und Recht über Krieg und Frieden. l z Dies würde eine unlogische Zerreißung der Souveränetät in einzelne Stücke bedeuten. D e r I r r t u m e r k l ä r e s i c h d a r a u s , daß man das W e s e n der s o u v e r ä n e n G e w a l t n i c h t v o l l k o m m e n e r k a n n t und für T e i l e der S o u v e r ä n e t ä t g e h a l t e n h a b e , w a s nur E m a n a t i o n e n d e r s e l b e n s e i e n . 1 3 Aus der Unveräußerlichkeit und Unteilbarkeit der Souveränetät ergiebt sich für R o u s s e a u die wichtige Konsequenz, daß es nur e i n e S t a a t s f o r m geben könne, nämlich die, wo das Volk der Souverän ist, und daß die übrigen sogenannten Staatsformen nichts als R e g i e r u n g s f o r m e n seien. 14 Es ist oben ausgeführt worden, daß zuerst B o d i n die Unterscheidung zwischen Staatsform und Regierungsform aufgestellt hat. Wer nun, wie B o d i n , annimmt, daß drei verschiedene Subjekte der Souveränetät denkbar sind, der muß drei verschiedene Staatsformen als möglich denken. Wer dagegen, wie R o u s s e a u , den Satz aufstellt: es giebt nur ein einziges denkbares Subjekt der höchsten Gewalt, die Gesamtheit des Volks; der gelangt notwendig zur Setzung nur einer Staatsform, der Demokratie, unter der die übrigen, früher angenommenen Staatsformen lediglich als Verwaltungsarten erscheinen. 16 volonté est générale, ou elle ne l'est pas; elle est celle du corps du peuple, ou seulement d'une partie. Dans le premier cas, cette volonté déclarée est un acte de souveraineté et fait loi; dans le second, ce n'est qu'une volonté particulière, ou un acte de magistrature, c'est un décret tout au plus. 18 L. II. c. 2. S. 255. 18 L. II. c. 2. S. 255: Ils font du souverain un être fantastique et formé de pièces rapportées. 14 L. III. c. 1. S. 277. c. 3. S. 283 ff. c. 5. S. 286: N o u s a v o n s i c i d e u x p e r s o n n e s m o r a l e s t r è s - d i s t i n c t e s , s a v o i r , le g o u v e r n e m e n t et le s o u v e r a i n . . . . Ainsi, bien que le gouvernement puisse régler sa police intérieure comme il lui plaît, il ne peut jamais parler au peuple qu'au nom du souverain, c'est-à-dire au nom du p e u p l e même; ce qu'il ne faut jamais oublier. 16 L. III. c. 3. S. 283: Le souverain peut, en premier lieu, commettre le dépôt du gouvernement à tout le peuple ou à la plus grande partie du peuple, en sorte qu'il y ait plus de citoyens magistrats que de citoyens simples particuliers. On donne à cette forme de gouvernement le nom de démocratie. — Ou bien il peut resserrer le gouvernement entre les mains d'un petit nombre, en sorte qu'il y ait plus de simples citoyens que de magistrats; et cette forme porte le nom d'aristocratie. — Enfin il peut concentrer tout le gouvernement dans (212)

Der Souveränetätsbegriff bei den französischen Theoretikern.

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Die R e g i e r u n g darf daher nach R o u s s e a u mit dem S o u v e r ä n nicht konfundiert werden: sie ist nur die Dienerin des Souveräns, ein „corps intermédiaire" zwischen Souverän und Unterthanen, beauftragt mit der Vollziehung der Gesetze und Aufrechterhaltung der Freiheit. Der Akt, durch den ein Volk sich eine Regierung setzt, ist kein Vertrag, sondern lediglich eine „commission" seitens des Souveräns an Unterthanen, die durch diese Übertragung einfache Bea m t e des souveränen Volkes werden. Die Regierungsbeamten üben im Namen des Souveräns die Gewalt aus, zu deren Depositaren er sie ernannt hat, und die er nach seinem Gutdünken begrenzen, modifizieren und zurücknehmen kann, wann es ihm gefällt. 16 Das dem Souverän hiermit zugeschriebene Recht der völlig willkürlichen Absetzung der Beamten bekämpft schon V o l t a i r e , indem er mit Recht sagt: „Ce d r o i t s e r o i t le code de l ' a n a r c h i e . " Nicht einmal der französische König könne seine Beamten willkürlich und ohne jeden Prozeß absetzen. So wenig es erlaubt sei, einen Bürger ohne gerechten Grund einzukerkern, so wenig dürfe es erlaubt sein, einen Magistrat aus reiner Laune seines Amtes zu entheben. 17 In dem Augenblicke, wo die Regierung sich rechtswidrig der Souveränetät bemächtigt, ist nach R o u s s e a u der Gesellschaftsvertrag gebrochen; alle Bürger erlangen von Rechts wegen ihre natürliche Freiheit zurück; sie sind zwar g e z w u n g e n , aber nicht verp f l i c h t e t , zu gehorchen. 18 Aus der im grundlegenden Vertrage enthaltenen totalen Selbstveräußerung jedes Individuums mit allen seinen Rechten an die Gesamtheit ergiebt sich die schlechthinnige U n b e s c h r ä n k t h e i t der höchsten Gewalt. 19 D e r S t a a t b e d a r f zu s e i n e r S e l b s t e r h a l t u n g e i n e r u n i v e r s e l l e n Z w a n g s g e w a l t . Wie die Natur dem Menschen über alle seine Glieder eine absolute Gewalt giebt, so les mains d'un m a g i s t r a t unique dont tous les autres tiennent leur pouvoir. Cette troisième forme est la plus commune, et s'appelle monarchie, ou gouvernement royal. 18 L. III. c. 1. S. 277: V o i l à q u e l l e est, dans l ' É t a t , la raison du g o u v e r n e m e n t , c o n f o n d u mal à propos a v e c le s o u v e r a i n , dont il n ' e s t que le m i n i s t r e Les membres de ce corps s'appellent magistrats ou rois, c'est-à-dire gouverneurs; et le corps entier porte le nom de „prince". Ainsi ceux qui prétendent que l'acte par lequel un peuple se soumet à des chefs n'est point un contrat, ont grande raison. Ce n'est absolument qu'une commission, un emploi, dans lequel, simples officiers du souverain, ils exercent en son nom le pouvoir dont il les a faits dépositaires, et qu'il peut limiter, modifier et reprendre quand il lui plaît. " Voltaire, I d é e s Rép. XXXIV. S. 198. 18 R o u s s e a u , L. III. c. 10. S. 300. vgl. III. c. 1. S. 280. 19 L. I. c. 6. S. 248. (213)

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gewährt der Gesellschaftsvertrag dem „politischen Körper" eine absolute Gewalt über die seinigen. 20 Der Souverän kann sich auch nicht gegen sich selbst verpflichten. Aus der Natur des Souveräns als einzigen Gesetzgebers folgt notwendig, daß er kein Gesetz geben kann, welches er nicht durch ein neues aufheben könnte. 21 Daher giebt es und kann es keinerlei für den Souverän verbindliche Grund- und Verfassungsgesetze geben. N i c h t e i n m a l der G e s e l l s c h a f t s v e r t r a g i s t f ü r die s o u v e r ä n e G e s a m t h e i t v e r b i n d l i c h . Wenn alle Bürger sich versammeln würden, um durch allgemeinen Konsens den grundlegenden Vertrag aufzulösen, so würde er unzweifelhaft vollkommen legitim aufgelöst werden.22 Hat nun diese Gewalt irgend welche S c h r a n k e n ? Giebt es nach R o u s s e a u unantastbare R e c h t e des I n d i v i d u u m s ? R o u s s e a u sagt hierüber folgendes: Da der Souverän aus der Summe der Einzelnen gebildet wird, so hat er kein Interesse, welches dem ihrigen entgegengesetzt wäre, und kann kein solches haben. Infolgedessen bedürfen die Unterthanen in ihrer G e s a m t h e i t überhaupt keiner Garantien gegenüber der souveränen Gewalt: die Gesamtheit der Unterthanen ist ja identisch mit der die Gesetze gebenden Gesamtheit der Bürger, also mit dem Souverän; und es ist durchaus unmöglich, daß der Körper alle seine Glieder zu schädigen unternähme. 23 Ebensowenig aber bedürfen die E i n z e l n e n der Garantien gegen den Souverän. Denn ein jeder veräußert durch den Gesellschaftsvertrag von seiner eignen natürlichen Gewalt, von seinen Gütern und von seiner natürlichen Freiheit nur so viel, als für die Gesamtheit von Bedeutung und Wert ist. 24 Dem Souverän steht nun aller20 L. II. c. 4. S. 257: Comme la nature donne à chaque homme un pouvoir absolu sur tous ses membres, le pacte social donne au corps politique un pouvoir absolu sur tous les siens. 21 L. I. c. 7. S. 249: il est contre la nature du corps politique que le souverain s'impose une loi qu'il ne puisse enfreindre. Denselben Gedanken hat auch B o d i n ausgesprochen, indem er die den Gesetzen häufig beigefügte salvatorische Klausel für wirkungslos erklärte. Siehe oben S. 48. 22 L. I. c. 7. S. 249: par où l'on voit qu'il n'y a ni ne peut y avoir nulle espèce de loi fondamentale obligatoire pour le corps du peuple, pas même le contrat social. Vgl. L. III. c 18. S. 311. 23 L. I. c. 7. 8. 250. 24 L. II. c. 4. S. 257 f. A u c h hier w i d e r s p r i c h t R o u s s e a u dem S a t z e , der G e s e l l s c h a f t s v e r t r a g e n t h a l t e e i n e t o t a l e S e l b s t v e r ä u ß e r u n g j e d e s I n d i v i d u u m s mit a l l e n s e i n e n R e c h t e n an die G e s a m t h e i t . Vgl. J a n e t , tome II. S. 432: Ainsi l'aliénation n'est pas totale, mais partielle. R o u s s e a u sagt selbst (L. II. c. 4. S. 260): il est si faux que dans le contrat social il y ait de la part des particuliers a u c u n e r e n o n c i a t i o n v é r i t a b l e , que leur situation, par l'effet de ce contrat, se trouve réellement préférable à ce qu'elle

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dings allein die Entscheidung über diese Bedeutung zu. Aber er' ist garnicht im stände, die Unterthanen mit einer für die Gesamtheit nutzlosen Kette zu belasten: er kann dies nicht einmal wollen! Weshalb nicht? Weshalb kann der allgemeine Wille nie anders sein, als gerecht? Der allgemeine Wille ist nicht nur seiner Q u e l l e , sondern auch seinem G e g e n s t a n d e nach allgemein: es genügt nicht, daß er von der G e s a m t h e i t a u s g e h t ; er darf sich auch lediglich auf die Ges a m t h e i t b e z i e h e n . Er verliert sein Wesen, sobald er ein bestimmtes Individuum oder Faktum zum Gegenstande hat. Ein solcher Akt wäre Regierungsakt, nicht Souveränetätsakt. Da mithin jeder Souveränetätsakt gemäß dem die vollkommenste Gleichheit Aller begründenden Gesellschaftsvertrage sich stets nur auf die Gesamtheit, niemals auf ein Individuum beziehen darf, so ist evident, daß das Individuum irgendwelcher Garantien gegen den Souverän nicht bedarf. 28 Da die Gesamtheit niemals sich selbst absichtlich schädigen kann, so erhellt, daß jeder Mensch die freie Verfügung hat über alles, was die stets gerechten Gesetze ihm an Gütern und persönlicher Freiheit belassen. F r e i h e i t und E i g e n t u m b i l d e n s o m i t auch für R o u s s e a u die s e l b s t v e r s t ä n d l i c h e n I n d i v i d u a l r e c h t e , deren V e r l e t z u n g der S o u v e r ä n n i c h t w i l l , n o c h wollen kann. 2 6 I s t doch das Z i e l des G e s e l l s c h a f t s v e r t r a g e s das allg e m e i n e W o h l , 2 7 die bürgerliche Freiheit, Gleichheit vor dem Geétoit auparavant. Hierauf erwidert J a n e t sehr richtig: Mais comment a-t-il pu appeler une aliénation totale ce qui n'est pas même une renonciation? 26 R o u s s e a u , Livre I I , c. 4. S. 258: Ce qui prouve que . . . la volonté générale, pour être vraiment telle, doit l'être dans son objet ainsi que dans son essence; qu'elle doit partir de tous pour s'appliquer à tous. . . . Ainsi, de même qu'une volonté particulière ne peut représenter la volonté générale, la volonté générale à son tour change de nature, ayant un objet particulier, et ne peut, comme générale, prononcer ni sur un homme ni sur un fait. 26 L. II. c. 4. S. 260: On voit par là que le pouvoir souverain tout absolu, tout sacré, tout inviolable qu'il est, ne passe ni ne peut passer les bornes des conventions générales, et que tout homme peut disposer pleinement de ce qui lui a été laissé de ses biens et de sa liberté par ces conventions; de sorte que le souverain n'est jamais en droit de charger un sujet plus qu'un autre, parce qu'alors, l'affaire devenant particulière, son pouvoir n'est plus compétent. 87 W e n n 0 . G i e r k e ( A l t h u s i u s S. 116) s a g t : „er ( R o u s s e a u ) steckt endlich auch dem staatlichen Vereine e i n r e i n i n d i v i d u a l i s t i s c h e s Z i e l , welches in nichts anderem besteht, als in der social vermittelten Wiedererzeugung der zum Unheil der Welt verloren gegangenen Freiheit und Gleichheit des N a t u r z u s t a n d e s , " so e n t s p r i c h t d i e s R o u s s e a u s M e i n u n g d o c h n i c h t v ö l l i g ; denn überall betont Rousseau, das „bien être g é n é r a l " (bien publique, bien commun, u t i l i t é p u b l i q u e ) , n i c h t das S o n d e r i n t e r e s s e sei das Ziel des G e s e l l s c h a f t s v e r t r a g e s und der alleinige G e g e n s t a n d d e s a l l g e m e i n e n W i l l e n s ; vgl. livre IY. c. 1. S. 311 fF: T a n t que plusieurs du. 9 (215)

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setz und rechtlich geschütztes Eigentum. Auf die ReaÎisierung dieser Zwecke ist die „volonté générale" ihrem natürlichen Wesen nach dauernd gerichtet. Die Souveränetät findet daher nach R o u s s e a u ihre Schranken im eignen Ziel und Wesen. Die höchste Gewalt ist nicht nur unbeschränkt, sondern auch unbeschränkbar. Sie ist ebensowenig modifizierbar, wie veräußerlich. Ihre Beschränkung wäre gleichbedeutend mit ihrer Vernichtung. 28 Aus der Unbeschränktheit und Unbeschränkbarkeit des Willens des souveränen Volkes folgt aber, daß ihm gegenüber die Regierung, welche Form sie auch haben möge, nie ein selbständiges, verfassungsmäßiges, dauerndes Recht haben kann: die „commission", durch die sie vom Souverän eingesetzt wird, ist jederzeit frei widerruflich. 29 S o b a l d d a s Volk den G e s e t z e n e n t s p r e c h e n d als „ c o r p s s o u v e r a i n " v e r s a m m e l t i s t , h ö r t j e d e J u r i s d i k t i o n der Reg i e r u n g a u f , die v o l l z i e h e n d e G e w a l t i s t s u s p e n d i e r t , und die Person des einfachsten Bürgers ist ebenso geheiligt und unverletzlich, wie die des höchsten Beamten; denn in Gegenwart des Vertretenen bedarf es keines Vertreters. 30 Diese Lehre, sagt V o l t a i r e , würde verderblich sein, wenn sie nicht so evident falsch und absurd wäre. Sobald im kleinsten Staate während der Volksversammlung ein Mord oder Diebstahl begangen wird, muß der Delinquent notwendigerweise den Beamten der Justiz augenblicklich verfallen sein. Andernfalls wäre jede Volksversammlung eine feierliche Aufforderung zum Verbrechen. 31 Diese Lehre vernichtet aber nicht allein jede öffentliche Ordnung, sie widerspricht auch den Grundsätzen des Contrat social selbst. Denn wenn die Funktion der Regierung unterschieden wird von der des Souveräns, wie kann dann der bloße Zusammentritt des souveränen Volks die Thätigkeit der Regierung suspendieren, ohne daß der Souverän selbst die exekutiven Funktionen übernimmt, was doch nach R o u s s e a u s Maximen niemals geschehen darf? 3 2 R o u s s e a u führt des weiteren aus: Wenn das Volk eine erbhommes réunis se considèrent comme un seul corps, ils n'ont qu'une seule volonté qui se rapporte à la commune conservation et au b i e n être général. Vgl. II. c. 1. S. 254: La première et la plus importante conséquence des principes cidevant établis est que la v o l o n t é g é n é r a l e p e u t s e u l e d i r i g e r l e s f o r c e s de l ' É t a t s e l o n la f i n de son i n s t i t u t i o n , qui e s t le b i e n commun. Vgl. II. c. 3. 8. 256. III. c. 6. S. 288. 28 L. III. c. 16. S. 308: Premièrement, l'autorité suprême ne peut pas plus se modifier que s'aliéner; la limiter, c'est la détruire. 29 L. III. c. 1. S. 278. 80 L. III. c. 14. S. 304. — Ähnlich B o d i n ! oben S. 73. f. Note 6. 31 V o l t a i r e , I d é e s Rép. XXXII. S. 197. 82 Vgl. J a n e t , tome II. S. 447. (216)

Der Souveränetätsbegriff bei den französischen Theoretikern.

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liehe Regierung einsetzt, sei es die monarchische einer bestimmten Familie, oder die aristokratische einer bestimmten Klasse von Bürgern, so übernimmt es dadurch keinerlei bindende Verpflichtung, sondern giebt der Regierung s t e t s n u r eine „ p r o v i s o r i s c h e F o r m " , bis es ihm gefällt, anders zu verfügen. 33 Als Mittel, etwaigen Usurpationen der Regierung rechtzeitig vorzubeugen, empfiehlt R o u s s e a u , durch Gesetz periodische Volksversammlungen festzusetzen, die keiner speciellen Berufung seitens der Regierung bedürfen, sodaß diese sie nicht zu hindern vermag.34 Die Eröffnung solcher Versammlungen hat durch zwei Fragen zu geschehen, die niemals unterdrückt werden dürfen, und über die getrennt abgestimmt werden soll: Gefällt es dem S o u v e r ä n , die gegenwärtige Regierungsform beizubehalten? Gefällt es dem Volke, die Verwaltung in den Händen der Personen zu lassen, die augenblicklich damit betraut sind? 36

Drittes Kapitel. Das Gesetzgebungsrecht als einziges, den Inhalt der Souveränetät bildendes Recht. Der Inhalt der Souveränetät ist, wie oben bereits erwähnt, nach R o u s s e a u einzig und allein die G e s e t z g e b u n g , „la puissance législative". Der Gegenstand der Gesetze muß ein allgemeiner, auf die Gesamtheit der Unterthanen sich beziehender sein. Das Gesetz darf niemals ein bestimmtes Individuum zum Objekt haben. Das Gesetz kann daher zwar die Möglichkeit von Privilegien bestimmen, aber nicht einer bestimmten Person ein Privileg erteilen. Es kann die Teilung der Bürger in mehrere Klassen anordnen, sogar die Eigenschaften festsetzen,, von denen der Eintritt in jede einzelne Klasse abhängig sein soll, aber es kann nicht einzelne bestimmte Bürger zur Aufnahme in eine bestimmte Klasse benennen. Es kann eine monarchische, erbliche Regierung anordnen, aber nicht einen König wählen, oder eine gewisse Familie zur königlichen bestimmen. 1 33

R o u s s e a u , L. III. c. 18. S. 310. L. III. c. 13. S. 303: outre les assemblées extraordinaires que des cas imprévus peuvent exiger, il faut qu'il y en ait de fixes et de périodiques que rien ne puisse abolir ni proroger, tellement qu'au jour marqué le peuple soit légitimement convoqué par la loi, sans qu'il soit besoin pour cela d'aucune autre convocation formelle. Vgl. L. III. c. 18. S. 311. 36 L. III. c. 18. S. 311. 1 L. II. c. 6. S. 262 f: J'ai déjà dit qu'il n'y avoit point de volonté générale sur un objet particulier. S. 263: Mais quand tout le peuple statue sur tout g* 34

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M. Landmann:

Jede Funktion, die sich auf ein individuell bestimmtes Objekt bezieht, gehört nicht zur gesetzgebenden Gewalt, sondern zur „puissance exécutive", die von der „puissance législative" getrennt werden muß. Die vollziehende G e w a l t hat i h r e r s e i t s a u s s c h l i e ß l i c h die auf d a s B e s o n d e r e g e r i c h t e t e n A k t e zum G e g e n s t a n d e ; sie ist, wie oben dargestellt, der „puissance législative" schlechterdings subordiniert, nicht Teil, sondern lediglich Emanation der Souveränetät.2 Damit der „Regierungskörper" ein Sein, eine „vie réelle" habe, die ihn vom „Staatskörper" unterscheide, bedarf er eines „moi particulier", einer eignen Gewalt, eines eignen auf seine Selbsterhaltung gerichteten Willens. Allein die Regierung ist nur ein „tout subalterne" in dem „tout" des Staates. Sie ist ein „corps artificiel" und das Erzeugnis eines anderen „corps artificiel"; sie hat nur ein geliehenes, untergeordnetes, abhängiges Leben. 3 Die E i n s e t z u n g der Regierung durch den Souverän ist nach R o u s s e a u , wie schon erwähnt, kein U n t e r w e r f u n g s v e r t r a g , 4 sondern lediglich eine „ c o m m i s s i o n " . Das Wesen dieser „commission", einer der subtilsten Punkte in der Theorie des „Contrat social", muß einer näheren Untersuchung unterzogen werden. R o u s s e a u führt aus: Die E i n s e t z u n g der R e g i e r u n g i s t a u s zwei verschiedenen Akten z u s a m m e n g e s e t z t : a u s einem G e s e t z e und aus der Vollziehung d i e s e s Gesetzes. Zuerst bestimmt der S o u verän als solcher durch Gesetz die Form der einzusetzenden Regierung. Zum anderen ernennt das V o l k , als demokratische Regierung, die Personen, die mit der Regierung betraut werden sollen. Da diese Ernennung ein auf das Besondere gerichteter Akt ist, so kann sie kein Gesetz, sondern muß ein Regierungsakt sein. 6 Die Schwierigkeit besteht nun darin, zu erklären, wie man von einem Regierungsakte reden könne, bevor noch überhaupt eine le peuple, il ne considère que lui-même; et s'il se forme alors un rapport, c'est de l'objet entier sous un point de vue à l'objet entier sous un autre point de vue, sans aucune division du tout. Alors la matière sur laquelle on statue est générale comme la volonté qui statue. C'est cet acte que j'appelle une loi. 2 L. III. c. 1. S. 277: Nous avons vu que la puissance législative appartient au peuple, et ne peut appartenir qu'à lui. Il est aisé de voir au contraire, par les principes ci-devant établis, que la puissance exécutive ne peut appartenir à la généralité comme législatrice ou souveraine, parce que cette puissance ne consiste qu'en des actes particuliers qui ne sont point du resort de la loi, ni par conséquent de celui du souverain, dont tous les actes ne peuvent être que des lois. Vgl. L. II. c. 2. S. 255. 8 L. III. c. 1. S. 280 f. Vgl. III. c. 16. S. 308. * L. III. c. 16. S. 308. — Siehe oben 8. 124. Note 5. 6 L. III. c. 17. S. 309 ff. (218)

Der Souveränetätsbegriff bei den französischen Theoretikern.

133

Regierung existiert, und wie das Volk, das nur entweder Souverän oder Unterthan ist, unter gewissen Umständen Magistrat (d. h. Regierung) werden könne. D i e s g e s c h i e h t n a c h R o u s s e a u d u r c h eine „ p l ö t z l i c h e U m w a n d l u n g der S o u v e r ä n e t ä t in D e m o k r a t i e " . Der Souverän verwandelt sich in die demokratische Regierung, um zu dem notwendigen Regierungsakte fähig zu werden. Das Volk, in seiner Eigenschaft als Souverän, kann den „acte particulier" der Ernennung von Regierungsbeamten nicht ausführen, wohl aber das Volk in seiner Eigenschaft als demokratische Regierung! Ohne äußerlich bemerkbare Veränderung, lediglich durch eine neue Beziehung Aller zu Allen gehen die versammelten Bürger von den generellen zu den speciellen Akten, von der Schöpfung zur Vollziehung der Gesetze über. 6 Diese allerdings höchst eigentümliche Metamorphose i s t bei n ä h e r e r B e t r a c h t u n g kein l o g i s c h e r S a l t o m o r t a l e , s o n d e r n s t e h t in der T h a t im E i n k l ä n g e m i t den e b e n e n t w i c k e l t e n S ä t z e n . 7 Denn es ist der Vorteil der demokratischen Regierungsform, daß sie durch einen einfachen Akt des allgemeinen Willens konstituiert werden kann, da nur das allgemeine Gesetz: „Die Regierung sei demokratisch", nicht aber irgend welche specielle Ernennungen von Beamten erforderlich sind. Jene Verwandlung geschieht mithin legitim durch den allgemeinen Willen als Souveränetätsakt, als Gesetz. 8 Die provisorische, demokratische Regierung bleibt dann entweder in Kraft, oder sie ernennt die aristokratische, resp. monarchische Regierung, je nachdem der Souverän durch Gesetz vorher bestimmt hat. Rousseau lehrt somit unzweifelhaft eine Gewaltent r e n n u n g : die T r e n n u n g der „ p u i s s a n c e e x é c u t i v e " von der • L. III. c. 17. S. 309: C'est encore ici que se découvre une de ses étonnantes propriétés du corps politique, par lesquelles il consilie des opérations contradictoires en apparence; car c e l l e - c i se f a i t par u n e c o n v e r s i o n s u b i t e de l a s o u v e r a i n e t é en d é m o c r a t i e , en sorte que, sans aucun changement sensible, et seulement par une nouvelle relation de tous à tous, les citoyens, devenus magistrats, passent des actes généraux aux actes particuliers, et de la loi à l'exécution. 7 III. c. 17. S. 809: Ce c h a n g e m e n t de r e l a t i o n n ' e s t p o i n t u n e s u b t i l i t é de s p é c u l a t i o n s a n s e x e m p l e dans l a p r a t i q u e : il a lieu tous les jours dans le parlement d'Angleterre, où la chambre basse, en certaines occasions, se tourne en grand comité, pour mieux discuter les affaires, et devient ainsi simple c o m m i s s i o n , de cour souveraine qu'elle étoit l'instant précédent. 8 III. c. 17. S. 310: Tel est l'avantage propre au gouvernement démocratique, de pouvoir être établi dans le fait par un simple acte de la volonté générale. (219)

M. Landmann:

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„ p u i s s a n c e l é g i s l a t i v e . " 9 Aber die Theorie Roufeseaus u n t e r s c h e i d e t sich scharf von der M o n t e s q u i e u s dadurch, daß dieser die drei Gewalten koodiniert, während jener, abgesehen davon, daß er nur zwei Gewalten unterscheidet, die „puissance exécutive" der gesetzgebenden Gewalt schlechterdings unterordnet. W ä h r e n d so M o n t e s q u i e u zu e i n e r S p a l t u n g d e r S o u v e r ä n e t ä t in d r e i , von e i n a n d e r u n a b h ä n g i g e G e w a l t e n g e l a n g t , h ä l t R o u s s e a u m i t e i s e r n e r K o n s e q u e n z die E i n h e i t l i c h k e i t und U n t e i l barkeit der höchsten Gewalt u n a n g e t a s t e t aufrecht.10

Viertes Kapitel. Die Volksgesamtheit als einzig denkbares Subjekt der Souveränetät. Das einzig denkbare Subjekt der Souveränetät ist nach R o u s s e a u das Volk in seiner Gesamtheit, der Träger des allgemeinen Willens. 1 Der grundlegende Vertrag erzeugt nach ihm ein „corps moral et collectif", den Staatskörper, der so viele Glieder hat, als die Versammlung Stimmen. Der Staatskörper empfängt durch den Gesellschaftsvertrag sein Leben, seine Einheit, sein „moi commun", seinen Willen, und damit die souveräne Gewalt über seine Glieder. Er heißt auch „république", oder „corps politique" ; Staat, insofern er passiv; Souverän, insofern er aktiv ist; Macht im Verhältnis zu anderen Staaten. 2 Die Gesamtheit der den Gesellschaftsvertrag schließenden Individuen heißt Volk, der Einzelne Bürger als Teilhaber der Souveränetät, Unterthan im Verhältnis zu den Gesetzen des Staates. 3 R o u s s e a u hat für diesen einheitlichen ideellen Staatskörper noch die Bezeichnungen: „personne publique" (T. c. 6. S. 248, III. c. 1. S. 277); „personne morale" (II. c. 4. S. 257. I. c. 7. S. 250), „corps 9

L. III. c. 16. S. 308: Le pouvoir législatif une fois bien établi, il s'agit d'établir de même le pouvoir exécutif; car ce dernier, qui n'opère que par des actes particuliers, n'étant pas de l'essence de l'autre, en est naturellement s é p a r é . 10 D i e s b e a c h t e t J a n e t (II. S. 474) n i c h t , w e n n er s a g t : „Prétendra-t-on que sur la question de la division des pouvoirs R o u s s e a u est en condradiction avec Montesquieu?" 1 L. III. c. 1. S. 277 ff. c. 15. S. 306. c. 17. S. 309. ' L I. c. 6. S. 248: A l'instant, au lieu de la personne particulière de chaque contractant, cet acte d'association produit un corps morale et collectif, composé d'autant de membres que l'assemblée a de voix, lequel reçoit de ce même acte son unité, son „moi" commun, sa vie et sa volonté. s L. I. c. 6. S. 249. (220)

Der Souveränetätsbegriff bei den französischen Theoretikern.

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artificiel" (III. c. 1), „être collectif" (II. c. 1. III. c. 6.), und dem Auslande gegenüber „être simple, individu" (I. c. 7.). Einheitlichkeit und Unteilbarkeit sind Haupteigenschaften, wie der Souveränetät, so ihres Trägers, des socialen Körpers. 4 Den „corps social" vergleicht R o u s s e a u häufig mit dem menschlichen Körper: Wie Alter und Tod diesen auflösen, so bildet die Neigung der Regierung zu Usurpationen das dem socialen Körper von seiner Geburt an immanente, unvermeidliche Übel, das unablässig ihn zu zerstören strebt. Die Lebenskraft des Staatskörpers liegt in der Souveränetät. Die gesetzgebende Gewalt ist das Herz des Staates, die vollziehende sein Gehirn. Das Gehirn kann verletzt werden, ohne daß in jedem Falle der Tod des Individuums dadurch verursacht würde. Der Mensch wird wahnsinnig, aber er lebt. Sobald dagegen das Herz seine Thätigkeit einstellt, erlischt das Leben. 6 Trotz dieser eingehenden Vergleiche ist R o u s s e a u s Begriff der „personne publique" nicht identisch mit dem modernen Begriffe der S t a a t s p e r s ö n l i c h k e i t . Vielmehr denkt R o u s s e a u die „personne publique", wie G i e r k e in seiner Schrift über A l t h u s i u s ausführt, lediglich als die Summe der den socialen Körper bildenden Individuen, also identisch mit dem „corps du peuple", mit der kollektiven Gesamtheit des Volks. D e n n R o u s s e a u u n t e r s c h e i d e t zwar a u s d r ü c k l i c h den a l l g e m e i n e n Willen vom Willen A l l e r ; j e n e r ist n a c h ihm auf d a s G e m e i n i n t e r e s s e g e r i c h t e t , d i e s e r auf die S o n d e r i n t e r e s s e n . Aber er versteht unter dem allgemeinen Willen in Wahrheit doch nur die Summe der Einzel willen, insoweit sie ausschließlich auf das Gemeinwohl gerichtet sind, während der Wille Aller als die Summe der Einzelwillen einschließlich aller Sonderinteressen sich darstellt. 6 Das ideale Verhältnis bei der Abstimmung über Gesetzesvorschläge sieht R o u s s e a u daher in der Ubereinstimmung der „volonté de tous" und der „volonté générale". (IV. c. 1. c; 2. S. 312 ff.) 4 L. II. c. 2. S. 255: Tels sont à peu près les tours de gobelets de nos politiques; après avoir démembré le corps social par un prestige digne de la foire, ils rassemblent les pièces on ne sait comment. Vgl. I. c. 6. S. 248. 5 L. III. c. 10. S. 299. c. 11. S. 301 f. 6 L. II. c. 3. S. 256: Il s'ensuit de ce qui précède que la volonté générale est toujours droite et tend toujours à l'utilité publique. . . . 11 y a s o u v e n t b i e n de l a d i f f é r e n c e e n t r e la v o l o n t é de t o u s et la v o l o n t é g é n é r a l e ; c e l l i - c i ne r e g a r d e q u ' à l ' i n t é r ê t c o m m u n ; l ' a u t r e r e g a r d e à l ' i n t é r ê t p r i v é , et n'est qu'une somme de volontés particulières: mais ôtez de ces mêmes volontés les plus et les moins qui s'entredétruisent, reste pour somme des différences la volonté générale. Die A u s f ü h r u n g G i e r k e s ( A l t h u s i u s S. 203) e n t s p r i c h t der M e i n u n g R o u s s e a u s i n s o f e r n n i c h t v ö l l i g , a l s G i e r k e der R i c h t u n g d e s a l l g e m e i n e n W i l l e n s auf das a l l g e m e i n e W o h l a u c h h i e r n i c h t g e r e c h t wird. s. o. S. 129. Note 27.

(221)

136 M. Landmann: Der Souveränetätsbegriff bei den französischen Theoretikern.

Diese „individualistisch-kollektivistische Auffassung" 7 des „corps politique" wird noch durch viele Einzelheiten bestätigt. So vor allem durch die Verwerfung und Bekämpfung des Repraesentativprincips. Da die Gesetze authentische Akte des allgemeinen Willens sind, so kann der Souverän nur unmittelbar als versammeltes Volk handeln. Jede formelle Ausschließung eines Bürgers von der Abstimmung hebt die Allgemeinheit des Willens auf. 8 Bezeichnend ist endlich das Rechenexempel im ersten Kapitel des dritten Buches (S. 278ff.): Angenommen, der Staat wäre von zehntausend Bürgern gebildet, so verhält sich der Souverän zum Unterthan wie zehntausend zu eins: dann hat also jedes Glied des Staatskörpers bloß den zehntausendsten Teil der Souveränetät, obwohl er ihr ganz unterworfen ist. Wenn das Volk von hunderttausend Individuen gebildet wird, so ändert sich der Zustand der Unterthanen nicht; jeder trägt in gleicher Weise die gesamte Last der Gesetze, während doch seine Stimme einen zehnmal geringeren Einfluß auf den Inhalt der Gesetze hat, da sie auf den hunderttausendsten Teil der Souveränetät reduziert ist. Wie mithin R o u s s e a u die „personne publique" nur als Summe der die Volksgesamtheit bildenden Einzelnen, nicht aber als Staatspersönlichkeit, das heißt, als gesellschaftlichen Organismus „mit einem von dem Leben seiner Glieder verschiedenen, einheitlichen Gesamtleben" 9 auffaßt, so v e r m a g er s i c h von dem G e d a n k e n der V o l k s s o u v e r ä n e t ä t zu dem der S t a a t s s o u v e r ä n e t ä t n i c h t a u f z u s c h w i n g e n . Immerhin dürften seine so energisch und konsequent nach einem e i n z i g e n , u n w a n d e l b a r e n Subjekt der Souveränetät ringenden Maximen zur Entstehung der Idee der Staatssouveränetät beigetragen haben. 7

Vgl. G i e r k e , A l t h u s i u s , S. 203. L. III. c. 12. S. 302. c. 15. S. 306. — L. II. c. 2. S. 255. Note 1. 9 0. G i e r k e , Die Grundbegriffe des Staatsrechts und die neuesten Staatsrechtstheorien, a. a. 0., III. S. 305. 8

(222)

Ausgewählte Doktordissertationen der

Leipziger Juristenfaliiiltät

Die Zuschiebung und Zurückschiebung des Eides an Dritte nach der Reiehszivilprozessordnung. Von

Dr. jur. Paul Bach. gr. 8. 1894. geh. 1 Jt 60 3?.

Über die Kollektivprokura. Von

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geh. 2 Jt 40 3f\

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1894.

geh.

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Untersuchung

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Dr. jur. Paul Kretschmar. gr. 8.

1896.

geh. 3 Jt.

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1896.

geh. 1 Jt 80 3?.

Ausgewählte Doktordissertationen der

Leipziger Juristeufakultät.

Die Lehre von der Auslobung. Von

Dr. Alfred Walter Oertel. gi-. 8.

1895.

geh. 2 j i 50 3?.

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Dr. jur. Siegfried Rietschel. gl-. 8.

1894.

geh. 3 Ji.

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Dr. jur. Bruno Schmidt. gl-, 8.

1894.

geh. 2

Ji

20

3$.

Das Seedarlehen des Altertums. Von

Dr. jur. Heinrich Sieveking. gr. 8.

1893.

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40

.

Der Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft, Von

Dr. jur. Paul Tscharmann. gr. 8.

1896.

geh. 1

Ji

40

3}.

Der Zwangs vergleich. Eine

civilprocessuale Von

Abhandlung.

Dr. jur. Felix Wach.

gr. 8.

1896.

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Ji

80 3p.

Der Centenar nach den karolingischen Kapitularien. Von

Dr. jur. Alfred Weber. gr. 8.

1894.

geh. 1 Ji 80

3j(.

Druck von M e t z g e r A W i t t i g in Leipzig.